FORTHE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY OF THE AMERICAN MUSEUM OF NATURAL HISTORY \ Bound at A.M.N.H, 1910 Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft Basel. Sechzehnter Band. Mit drei Tafeln. 15a sei (îcorg- & Co. Verlag 1903. Herrn Eduard Hagenbach - Bischoff Dr. phil. et med. Professor der Physik an der Universität zum SIEBZIGSTEN GEBURTSTAGE 20. Februar 1903 gewidmet von der Naturforschenden Gesellschaft in Basel. Hochgeehrter Herr Professor, Die Naturforschende Gesellschaft in Basel kann den Tag, an dem Sic in voller körperlicher und geistiger Frische auf siebzig Lebensjahre rastloser Thätigkeit zurückblicken, nicht vorübergehen, lassen, ohne alles dessen dankbar zu gedenken, was Sie von dem Zeit- punkte Ihres Eintrittes in die Gesellsehart bis heule ihr geboten haben. Nicht nur waren Sie stets bereit, ihr die Ergebnisse Ihrer Studien und Arbeiten mitzuteilen, die sich über die verschiedensten Gebiete der Physik erstrecken, und deren Aufzählung uns heute mag erspart bleiben; auch die Arbeiten anderer Mitglieder haben Sie wirksam unterstützt, allen Ihr lebhaftes Interesse entgegenge- bracht und überhaupt alles fördern helfen, was unserer Gesellschaft zum Wohle gereichen konnte. Als besonderes Verdienst rechnen wir es Ihnen an. dass Sie neben dem erfolgreichen Unterricht an der Uni- versität und Ihren wissenschaftlichen Arbeiten Zeit und Lust gefunden haben, die Interessen aller akademischen Anstalten im Schosse der hohen Behörden zu vertreten und dass Sie unermüdlich bestrebt gewesen sind und noch sind, auch weitere Kreise unserer Bevölkerung an den Resultaten der Forschung teilnehmen zu lassen di uch Veranstaltungen, die Sie teils ins Leben gerufen, teils unterstützt haben. Und dass Sie Ihre reichen wissenschaftlichen Kenntnisse zur Befriedigung prak- tischer Anforderungen, die an jede Stadt herantreten, zur Verfügung gestellt haben, wird Ihnen die Sladl Basel niemals vergessen. Ihrem mathematischen Wissen und dem Wunsche die Gleichheil aller Bürger eines Freistaates zum Aus- druck zu bringen sind die Bestrebungen zur Durch- führung politischer Gerechtigkeil entsprungen. \)rv schweizerischen ludiirforschenden Gesellschaft haben Sie sowohl in organisatorischer als in wissen- schaftlicher Hinsichl grosse Dienste geleistel nichl nur bei dem fleissigen Besuche ihrer Jahresversammlungen, sondern auch durch die mehrjährige mustergiltige Leitung und die Teilnahme an Arbeiten, die sich über lange Zeiträume erstrecken und die zur tiefern Kenntnis von Erscheinungen führen werden, deren Schauplatz vornehmlich unser Land ist. Die Naturforschende Gesellschaft in Basel glaubl ihrer dankbaren Verehrung keinen bessern Ausdruck verleihen zu können als durch diese Widmung dieses Bandes der Verhandlungen, zu dem eine grössere Zahl von Gesellschaftsmitgliedern Beiträge geliefert hat. Wir schliessen den Wunsch an, es mögen [hnen noch viele Jahre in guter Gesundheil und Rüstigkeil verliehen sein, Ihnen und Ihrer Familie zur Freude. unserer Gesellschaft zum wissenschaftlichen Gewinn und Genuss, unserm engern und weitem Vaterlande zu Nutz und Frommen. Die Naturforschende Gesellschaft in Basel der I 'räsidenl : Prof. \)\: Rud. Metzner. Basel, den 20. Februar 1903. I N H A LT. Seite Burckhardt, Fr. Zur (iesehichte des Thermometers. Berich- tigungen und Ergänzungen 1 Jacobus Rosius Philomathicus der mathemathischen Künste besonderer Liebhaber. Einige biographische Notizen 370 Burckhardt, Rudolf. Zur Geschichte der biologischen Systematik 388 Chappuis, P. Über einige Eigenschaften des geschmolzenen Quarzes 173 Fichter, Fr. Über ungesättigte »Säuren. Mitteilung aus der chemischen Anstalt der Universität im Bernoulliauum 245 Forel, F. A. in Morges. Recherches sur la transparence des eaux du Léman 229 His, W, in Leipzig. Die Zeit in der Entwicklung der Orga- nismen 210 Kahlbaum, G. Über Gewichtsänderung bei chemischen und physikaliscken Umsetzungen in gescklossenem Rohr und über Herrn Heydweillers Entdeckung. Eine Einleitung -141 Kinkelin, H. Zur Gammafunktiou 309 Kollmann, J. Die Pygmäen und ihre systematische Stellung innerhalb des Menschengeschlechtes .... . . 85 Metzner. R. Kurze Notiz über Beobachtungen an dem Ciliar- körper und dem Strahlenhändchen des Tierauges . . 4SI Nienhaus, C. Über Digitalis purpurea L 241 Nietzki, R. Die Bedeutung der Farbstoffe im Haushalte der Natur 291» Rupe, H. Über die Synthese von Phenyloxytriazolen und über „sterische" und „chemische" Hinderung 184 Schaer, Ed. in Strassburg i/Els. Über die Einwirkung anor- ganischer und organischer alkalischer Substanzen auf das Oxydationsvermügen von Metallsalzen . . : . 70 Siebenmann, Fr. Anatomische lieiträge zur Kenntnis der Laby- rinthanomalien bei angeborener Taubstummheit . . . 363 Sudhoff, Karl, in Hochdahl bei Düsseldorf. Rheticus und Pa- racelsus 349 Veillon, H. Einige Grundversuche über elektrische Schwin- gungen 329 Von der Mühll, K. Über konforme Abbildung im Raum . . 158 Zschokke, F. Marine Schmarotzer in Süsswasserfischen. (Mit einer Tafel) 118 Zur Geschichte des Thermometers. Berichtigungen und Ergänzungen von Prof. Fritz Burckhardt. Vor einer längern Reibe von Jahren habe ich als Resultat meiner Untersuchungen über Erfindung und Entwicklung des Thermometers zwei Schriften heraus- gegeben, nämlich: 1) Die Erfindung des Thermometers und seine Ge- stallung im X VII. Jahrhundert {mit einer lithographierten Tafel), Basel 1867 ; 2) Die wichtigsten Thermometer des XVIII. Jahr- hunderts, Basel 1871; beide als Schulprogramme, die erste als Programm des Gymnasiums, die zweite als Programm der Gewerbeschule zu Basel. Beide Schriften, von denen die eine durch den Buchhandel eine bescheidene Verbreitung gefunden hat, hatten das Schicksal vieler Schulprogramme ; sie wurden mehrenteils übersehen. Gewisse Irrtümer haben sich fortgeschlichen von Lehrbuch zu Lehrbuch und deren Widerlegung hat nur wenig Beachtung gefunden. In neuerer Zeit begegne ich doch hie und da einer freund- lichen Berücksichtigung dieser Schriften; ja es ist mir sogar ein Buch in die Hände gekommen, das ohne meine erste Publikation in dieser Form nicht erschienen wäre und dessen Figuren, mit Ausnahme einer einzigen, genaueste Reproduktionen der von mir gezeichneten, in der lithographierten Tafel enthaltenen, sind : Henry Car- ringion Bollon: Evolution of the Thermometer 1592— 1 — 2 — L743. Easton P.A. The chemical Publishing Co. 1900. Wie die Bausteine gesammelt und geordnet worden sind, deutet das Buch im ganzen nur in einem Ver- zeichnis der Autoren an. Wenn nun auch in der Zwischenzeit keine That- sachen gefunden und bekannt geworden sind, die den hauptsächlichsten Resultaten meiner Untersuchung wider- sprechen, so möchte ich doch gerne einiges zusammen- stellen, was das frühere ergänzt oder modifiziert, auch etwa irrtümliche Angäben berichtigen. Denn ich gebe zu, dass solche in meiner Arbeit vorkommen, und glaube eine Entschuldigung darin zu rinden, dass au zusammen- hängenden Vorarbeiten nur wenig zur Verfügung stand und dass die litterarischen Hilfsmittel nicht sehr leicht zu beschaffen waren, trotz dem Reichtum unserer öffent- lichen Bibliothek an Werken, die sich auf die Geschichte der Physik und Mathematik beziehen. 1) Cornelius Drebbel. Vielfach liest man noch, dass Cornelius Drebbel von Alkmaar das Thermometer erfunden habe, wobei auf einen Versuch lungewiesen wird, bei dem Luft in einer Retorte, die in ein Wassergefäss mündet, ver- dünnt wird und austritt, während bei der Abkühlung das Wasser in die Retorte zurückströmt. Auf Seite 5 der „Erfindung des Thermometers" habe ich die Vermutung ausgesprochen, dass der Grund- versuch des Cornelius Drebbel wohl nicht unabhängig sei von dem Versuche, den Porta in einer 1606 publi- zierten Schrift1) bespreche. Diese Vermutung bestätigt sieh nicht. Als ich sie aussprach, war die älteste Edition ') I tre libri de Spiritali di Griatnbattista della Porta. Napoli 1606, pg. 46. — 3 — von Drebbeis Traktat von der Natur der Elemente, die ich gesehen, die von 1608 gewesen, deren Zusendung ich der Universitätsbibliothek in Göttingen verdankte. Meine Publikation veranlasste Herrn Dr. Th. Vau Does- burgh in Rotterdam, mir eine holländische Ausgabe vom Jahre 100-4 zuzuschicken, die den Titel trägt: Een cort Tractat van de Natuere der Elementen, ende hoe sy veroorsaecken den wint, Rechen, Blixem, Donder, ende waeromme dienstich zijn. Clhedaen door Cornelius Drebbel. Es folgt ein in Holz schön ge- schnittenes Bildnis von Cornelius Drebbel, Alcmariensis anno 1604. T'Haerlem, Ghedruckt By Gillis Roomann, op de Marckt, in de vergulde Parsse. Anno Domini 1604. Diese Ausgabe scheint die älteste holländische zu sein. Aus der Jahreszahl des Erscheinens folgt, dass Drebbel von Porta nicht abhängig sein kann.1) Es ist wohl eher anzunehmen, dass beide bekannt gewesen seien mit der Schrift Hero's von Alexandrieu „Pneu- matica", die im Jahre 1575 durch Feclericus Comman- diii US aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen und durch den Druck verbreitet worden ist, die auch noch im Laufe des 16ten Jahrhunderts eine Reihe von Ausgaben in verschiedenen Sprachen erlebt hat. Dass Drebbel nicht als Erfinder des Thermometers kann angesehen werden, kann nach den Untersuchungen von E. Wohlwill') und«?//-3) als ausgemacht angesehen werden, wenn er es auch selbst sollte gesagt haben. 1) Diese Berichtigung habe ich schon früher in Pogg. Ann. CXXXIII, p. 681, gebracht; sie ist aber von dem Bearbeiter der Geschichte der Physik von Poggendorf oder von letzterm selbst völlig missverstauden worden, indem ich ganz richtig angegeben 11111 • 1 OOO habe, dass das älteste von mir konsultierte deutsche Exemplar von 16U8 datierte, dass mir aber ein noch älteres von 1(304 in hollän- discher Sprache verfasstes zugekommen sei, wodurch sich die An- nahme der Abhängigkeit Drebbeis von Porta von selbst widerlege. -i Pogg. Ann. CXX1V, g. 160. 3) Erf. d. Thermom. 1867. — 4 — Cornelius Drebbel1) war in Alkmaar 1572 geboren und ist gestorben in London 1634. Er studierte Mathe- matik und Physik in Leyden, etablierte sich in Eng- land, wo er von Jakob T. eine Jahrrente erhielt, kam nach Deutschland zu Rudolf II., wurde aber in den Unruhen, die der Streit im Kaiserhause verursachte, eingekerkert. Auf Verwenden Jakobs I. befreit kehrte er nach England zurück (1619), kam wieder nach Prag und erlitt dort dasselbe Schicksal wie früher. Durch Vermittlung der G eneralstaaten wurde er vom Tode errettet und nahm fortan seinen festen Wohnsitz in London. Er war Alchymist und behauptete, das Per- petuum mobile erfunden zu haben. In was dieses wahr- scheinlich bestanden hat, ist von E. Wohlwill in den Mitteilungen zur Gesch. d. Mediz. u. d. Naturwissen- schaften. Nr. 1, p. 5 ff., nach einem Schreiben des Dan. Antonini an Galilei vom 4. Februar 1612 erörtert win- den ; er konstruierte ferner ein submarines Schiff, be- schäftigte sich mit der Verbesserung optischer Gläser, des Mikroskops und des Thermometers, als dessen Er- finder er sich in England ausgab. Mehrere Bücher wurden in verschiedenen Auflagen gedruckt ; er erfreute sich eines grossen Vermögens und grosser Reputation „moins due à un mérite réel, qu'aux temps d'ignorance où il a vécu" '-). Ein Bauer war er nicht, wie ihn JSollet und andere bezeichnet haben, aber er sah aus wie ein solcher. Der Vater von Chr. Huygens, Conslanlyn, hat es in folgendem Vers berichtet: Drebbelium vidi tantum, qui fronte Batavum Agricolam, sermone sophum Samiumque referret Et Siculum. 1 Oeuvr. comp], <1 Chr. Buygena ls!».">, V, p. 122, Ftissnote- - Biogr. univ., Bd. 12, Art. Drebbel. — 5 — (Drebbel babe icb geseben, wie er dem Aussehen nach den holländischen Bauer, der Rede nach den Saniischen und Sikulischen Weisen darstellt.) (Anspielung auf Aristarcb von Samos und Archimedes.) Worin die Verbesserungen des Thermometers sollen bestanden haben, ist nicht wohl einzusehen, zumal dieses Instrument in der geschlossenen Form wahrscheinlich erst geraume Zeit nach seinem Tode in England be- kannt geworden ist ; *) es könnte sich also nur handeln um Verbesserungen des Luftthermometers, das in grös- serem Formate, wie später auch von Otto von Guericke,') Mobile perpetuum konnte genannt werden. 2) Robert Fludd. Neben Cornelius Drebbel wurde von verschiedenen Autoren als Erfinder des Thermometers bezeichnet der Engländer Robert Fludd. Nach den kurzen Notizen, die ich in der Schrift: „Die Erfindung des Thermo- meters", p. 24, gegeben habe, glaubte ich nicht mehr in die Lage zu kommen, diese Behauptung beleuchten zu müssen. Aber in der Geschichte des Thermometers von E. Renou*), die von den Franzosen auch jetzt noch besonders geschätzt wird, und für die neuere Geschichte auch schätzbar ist, wird der Versuch gemacht, auf Grund einer Aussage von Fludd die Erfindung viel weiter zurückzuverlegen, auch hinter Galilei, und dar- zuthun, dass die Personen, denen bisher die Erfindung zugeschrieben worden, den Apparat eigentlich schon vorgefunden und nur nach ihren Bedürfnissen einge- 1) Erf. d. Therm., p. 43. 2) dito p. 28, 29 u. Fig. IX. 3) Annuaire météorol. XXIV, 19-72. — G — richtet haben. Drebbel, Sanclorius, Galilei1) und andere haben also nach Renou einfach ein vorhandenes In- strument weiter benützt; von einem Erfinder kann man nicht reden. Renou'a Worte sind folgende2): „C'est par la des- cription de cet instrument (Luftthermometer von Galilei und Sanctorius) que Flltdd commence son livre (Philo- sophia Moysaica). 11 dit qu'on l'appelle vulgairement Spéculum Calendarium, c'est-à-dire le Miroir du temps. Il dit aussi que plusieurs personnes s'en attribuent l'invention, parce qu'elles y ont fait quelque petit changement; mais que, pour lui, il en emprunte la description et la figure à un manuscrit, vieux de plus de cinquante ans." „Voilà une date antérieure à 15iS7, qui réduit à néant les prétentions de Drebbel, Santorio et de plu- sieurs autres. Il est évident que cet appareil n'a pas eu d'inven- teur, et ce qu'en ont dit F lu dit, Drebbel et Santorio montre seulement qu'on sentait alors le besoin d'avoir un instrument propre à mesurer les températures." Lana 3) stellt ganz nackt die Behauptung auf: II primo inventore del Termoscopio, per mezzo di cui si possa conoscere quando l'aria sia piu e meno calda o freda fu Roberto Fluddo etc. Allein schon in einer spätem lateinischen Edition4) sprach er nicht mehr von der ersten Erfindung, sondern von der ersten Be- schreibung: Hujus instrument] primam descriptionem invenimus apud Boberlum Fluddwn etc. Was schreibt aber Fludd in seinem Werke5), in 1 Annuaire raétéorol. XXIV, 21. -2. - Annuaire XXIV, p. 21. s) Prodromo all arte maëstra 1(>70. ! Magist. Naturae et Artis II, p. 380. •' Philos, mosaica, p. 1, 1638. dem er die ganze Weltordnung mit dein thermischen Grundversuch in Beziehung setzt? Dieses Instrument, gewöhnlich Sptculum Cüknda- rilim genannt, wird fälschlich von einigen Männern unseres Jahrhunderts für sich in Anspruch genommen, ja, es rühmen sich einige fälschlich der Erfindung des- selben. Was mich anbelangt, so halte ich es für recht und hillig, jedem das Seine zuzuerkennen. Denn es ist auch für mich keine Schande, die Prinzipien meiner Philosophie meinem Lehrmeister Moses zuzuschreiben, da er sie ja mit göttlichem Finger gebildet und ge- zeichnet empfangen hat; auch kann ich für mich die erste Erstellung dieses Instrumentes nicht in Anspruch nehmen, obwohl ich in der Geschichte meines Makrokos- mos und anderwärts mich dieses bedient habe, um die wahrhaftige Grundlage meiner Philosophie darzuthun. Ich erkenne an, dass ich das Instrument in einem wenig- stens 500 Jahre alten Manuskript beschrieben und geo- metrisch gezeichnet gefunden habe. In seiner Geschichte des Makrokosmos l) teilt er einige Versuche mit über die Luftausdehnung durch die Wärme. An die Stelle der fünfzig Jahre, von denen Renoil spricht, setzt Flvdd fünfhundert und damit rückt er die. Erfindung in das Reich des Unglaubwürdigen und die Thatsache, dass alle weitern Erfinder oder Ver- besserer des Thermoskopes das von Fludd bezeichnete Instrument sollen vorgefunden haben, fällt ebenfalls da- hin mit allen Folgerungen. Das fünfhundert Jahr alte Manuskript hat sich seither nicht gefunden. ') Utriusque Cosmi Historia, Tom I. De Macrocosm. Hist. 1>. 30—38. 1617—1621. — 8 — 3) Geschlossenes Thermometer 1611— 1612 i E. Renou schliefst aber hieran eine weitere Hypo- these ') mit nicht besserer Begründung. Francesco Sagredo schreibt an Galilei am 9. Mai 1613'): Das Instrument zur Messung der Wärme, das von Ihnen erfunden worden ist. habe ich in mehrere bequeme und ausgesuchte Formen gebracht, so dass man die Temperaturunterschiede von einem Zimmer zum andern bis auf 100 Grade erkennen kann. Man kann damit mehrere bemerkenswerte Dinge beobachten, welche unsere Peripatetiker in keiner Weise erklären können, da einige, darunter unser Gageo, so weit abwegs sind, dass sie noch nicht einmal den Grund des ersten Vor- gangs begreifen, indem sie glauben, sie müssten den entgegengesetzten Effekt sehen; denn da die Hitze, wie sie sagen, eine anziehende Kraft ausübt, so müsste das Gefäss beim Erwärmen das Wasser anziehen; und solche Menschen beanspruchen die ersten Lehrstühle Padua's. E. Renou folgert hieraus : Quoiqu'on ne trouve point, clans la lettre de Sayredo, le nom de thermomètre, il me semble hors de doute qu'il s'agit ici du thermomètre de Florence à alcool, und fügt auf p. 72 hinzu : Après avoir dit que Galilée en 1603 se servait du thermomètre de Fludd, sous le nom de Calendarium vitreum, et cité la lettre de Sagredo à Galilée, il faut dire qu'on reconnaît sûrement, aux 100° du thermomètre de SagredoJ le thermomètre de Florence en 100° aussi. Les termes de cette lettre montrent qu'il s'agit d'un instrument tout nouveau, ce qui place l'invention du thermomètre à alcool en 1611 ou 1612. *) Annuaire météor. XXIV, p. 2?, 72. -' Erf. d. Therm., p. 14. Commerc. epist. III, p. 270. In Sagredo's Brief sind nun schon die Anhalts- punkte zum Beweise des Gegenteils von dem, was Renoa darin findet, und zwar: 1) Es handelt sich offenbar um das Galilei'sche Thermoskop, das Sagredo in mannigfache Formen will gebracht haben; 2) Im Rohre steigt nicht Weingeist, sondern Wasser (bisweilen wird das Wort acqua auch als Flüssigkeit überhaupt gebraucht); 3) Das Wasser wird beim Erwärmen abgestossen-, es handelt sich demnach um Zusammenziehung und Aus- dehnung von Luft, welcher das Wasser folgt, und nicht um Zusammenziehung und Ausdehnung von Wasser oder von Weingeist. Wir lesen aber auch weiterhin in der Korrespon- denz zwischen Sagredo und Galilei, deren Hauptpunkte ich in der ,,Erfindung des Thermometers" ausführlich mitgeteilt habe , einige bemerkenswerte Sätze 1). So schreibt Sagredo am 15. März 1615 an Galilei: aber da, wie Sie mir schreiben, und wie ich auch zuversicht- lich glaube, Sie der erste Verfertiger und Erfinder ge- wesen sind, so glaube ich, dass die Instrumente, welche von Ihnen und Ihren vortrefflichen Künstlern gemacht worden sind, weit die meinigen übertreffen u. s. w. Galilei aber giebt über die Wirkungsweise die Er- klärung : Wenn sich die Luft um die Kugel herum dadurch abkühlt, dass man einen kältern Körper hinzubringt, so werden die Wärnieteilchen, die sich in der einge- schlossenen Luft befinden, in die Höhe steigen, weil ein Mittel da ist, das weniger leicht als sie ist, und diese Luft wird kälter werden als früher und wird sich so !) Erf. d. Therm., p. 16. 19. — 10 — nach dem vorgenannten Prinzipe zusammenziehen und weniger Raum einnehmen, ne detur yacuum, weshalb der Wein in die Höbe steigen wird, um den von der Luft leer gelassenen Raum einzunehmen. Und dann, wenn diese Luft erwärmt ist und sich verdünnt und einen grösseren Raum einnimmt, so wird sie den Wein vertreiben und herabdrücken, der nun, da er dichter ist, ihr leicht jenen Platz überlassen wird, woraus folgt, da ss Kälte nichts anderes als Mangel an Wärme ist. Daraufhin schreibt Sagredo am 11. April 1615: Was die Instrumente von Glas zur Temperatur- bestimmung anbelangt, so waren die ersten, die ich ge- macht habe, von der Art, wie Sie die Ihrigen haben machen lassen ; aber dann habe ich die Erfindung in verschiedener Weise vervielfältigt, was ich nicht alles in einem Briefe beschreiben kann u. s. w. Ich habe Ihre Ansicht von der Wirkungsweise dieser Instrumente ver- standen u. s. w. Hienach kann doch kein Zweifel bestehen, welcher Art von Thermoskop das von Sagredo war, und es fällt jeder Grund dahin, die Erfindung des geschlossenen Wein- geistthermometers in die Jahre 1611 und 1612 zu verlegen. Der Irrtum konnte nur dadurch entstehen, dass abge- rissene Stücke aus der Korrespondenz gelesen wurden. So lange das ursprüngliche Luftthermometer Galilei' s mit den zahlreichen Abänderungen, die es unter den Händen der Experimentatoren erfuhr, im Gebrauche war, konnten zwar Steigen und Fallen, Abkühlen und Er- wärmen beobachtet werden ; da aber diese Instrumente alle nicht nur von der Wärme, sondern auch vom Luft- druck abhängig waren, konnten an ihnen keine Skalen angebracht werden, die sich auf feste Punkte stützten, d. h. auf Temperaturen, die notwendig mit einem physi- kalischen Vorgänge verbunden sind. — 11 — Es konnte wohl Sagredo am 7. Februar 1615 an Galilei von der Temperaturerniedrigung berichten, die eintritt bei der Mischung von Schnee und Kochsalz; „ich muss Ihnen sagen, dass während zweier Schnee- tage hier in meinem Zimmer mein Instrument 130" Wärme mehr zeigte, als jenes, das schon vor zwei Jahren zur Zeit strengster Kälte dagewesen war; dieses Instrument, begraben im Schnee, hat 30° weniger ge- zeigt, also bloss 100; aber darauf eingetaucht in Schnee und Salz, zeigte es weitere 100 Grad weniger, und ich glaube, es hat in Wirklichkeit noch weniger gezeigt, aber man konnte es wegen des Schnees und Salzes nicht deutlich sehen; wenn es daher bei der grössten Sommer- hitze auf 360° steht, so erkennt man, dass Schnee und Salz die Kälte um den dritten Teil des Unterschiedes zwischen der grössten Sommerhitze und der strengsten Winterkälte vermehrt, eine so merkwürdige Thatsache, dass ich keinen denkbaren Grund dafür weiss.'- Und wenn Galilei verschiedene Wärmegrade mit Zahlen bezeichnet,1) so verstehen wir diese Sprache nicht, weil uns die Skala unbekannt ist. Mit welcher Willkür Skalen errichtet wurden, mag der Vorschrift entnommen werden, die Fr. Bacon giebt2): Debet autem appendi charta angusta et oblonga et gradibus (quot libuerit) interstincta. 4) Jean Hey. Eine grossere Genauigkeit und Deutlichkeit konnte auch nicht erreicht werden mit andern thermometrischen Vorrichtungen, wie mit den schwebenden, schwimmen- den und sinkenden Glaskugeln, mit denen sich nach ') Opere 1656, II, p. 471-475. 2) Nov. org. II. Aphor. XIII, § 38. Amsterd. 1684, p. 190-191. — 12 — dem Zeugnis TorricelWs,1) Ferdinand IL, Grossherzog von Toskana, beschäftigt und unterhalten hat. Die erste Spur der Verwendung einer Flüssigkeit statt der Luft zur Beobachtung von Änderungen der Temperatur findet sich bei Jean Roy, einem französischen Arzte und Chemiker. Dieser hatte mit P. Mersenne eine lebhafte Korrespondenz, aus der einige Briefe, zu- sammen mit einem von diesem Arzte im Jahre 1630 veröffentlichten Büchlein, im Jahre 1777 von Gobet her- ausgegeben worden sind. Das Büchlein führt den Titel: Essays sur la recherche de la cause pour laquelle l'estain et le plomb augmentent de poids quand on les calcine. Bazas 1630 in-8°, 142 Seiten; in der von Gobet veranstalteten Ausgabe liest man (p. 114) in einem Brief von P. Mersenne am 1. September 1631 2) : Et puis le termoscope faisant descendre la liqueur par la raréfaction de son air, tesmoigne que la chaleur rend l'air plus subtil, sans qu'un plus espais descende en son lieu. Worauf J. Hey die bemerkenswerte Antwort giebt, am 1. Januar 1632: 11 y a diversité de thermoscopes ou thermomètres, à ce que je voy : ce que vous en dittes ne peut con- venir au mien, qui n'est rien plus qu'une petite phiole ronde, ayant le col fort long et deslié. Pour m'en ser- vir je la mets au soleil, et par fois à la main d'un febricitant, l'ayant tout remplie d'eau fors le col, la chaleur dilatant l'eau fait qu'elle monte: le plus et le moins m'indiquent la chaleur grande ou petite. Rey hat wohl sein Instrument vorherrschend zu ärztlichen Zwecken gebraucht; da er sich des Wassers 1 ' Moiiconys Journ. cl. voyages I, p. 130—131. -) Hr. Prof. Kahlbaum hat mir dieses Buch zur Einsicht zu- gestellt; zugleich mit einer 1895 veranstalteten englischen Über- setzung der ersten Schrift von /. Rey (1630). — 13 — bediente, konnte er niedrige Lufttemperaturen nicht beobachten; auch war es wahrscheinlich oben offen. P. Mersenne hat aber die Erklärung des ihm noch unbekannten Instrumentes nicht verstanden, denn er schreibt am 1. April 1032 (p. 149): Ce n'est pas l'eau du thermomètre qui se raréfie quand elle monte comme vous dites: mais c'est l'air qui s'espaississant la fait monter, et se dilatant par la raréfaction la fait descendre. 5) Florentiner Thermometer. Es wird nun schwer zu sagen sein, ob das Vor- handensein eines solchen Thermometers zu weiterer Kenntnis gelangt oder ob die Erfindung des geschlos- senen Florentinerthermometers, beruhend auf der Be- obachtung der Ausdehnung des Weingeistes, als eine originale zu betrachten sei. In Florenz wurde sie dem Grossherzoy Ferdinand IL von Toskana zugeschrieben, und von Florenz aus gelangten solche Instrumente in andere Gegenden, erst als fürstliche Geschenke verein- zelt, später aber als förmlicher Handelsartikel; auch wurden sie anderwärts von Unberufenen nachgemacht, erhielten willkürliche, wenig übereinstimmende Skalen, behielten aber immer den Namen Florentinerthermo- meter. Der Grossherzog versandte seine Thermometer an verschiedene Orte im Lande, um damit Beobachtungen anstellen zu lassen und zu sammeln. Nach Berichten, die in neuerer Zeit bekannt geworden sind, erfahren wir von zwei solchen Instrumenten, von denen das eine in die Hände von Ismail Boulliau (BuMialdus), das andere in die von Cf/ristiaan Hut/gens gelangt ist. Nach einer später zu erwähnenden Beobachtung muss man annehmen, dass diese ebenso müssen eingeteilt ge- 1 ! — wesen sein, wie die, deren sich die Akademiker del ( üniento bedient haben und deren exakte technische Ausführung in der Florentiner-Sammlung der I ralileischen Tribuna nicht genug kann bewundert werden. Die Akademie fand die in ihren Verhandlungen erwähnten Messinstrumente schon bei ihrer Gründung vor.1) Der Geschichtschreiber der Akademie Yincenzio Antinori, der die Ausgabe der Saggi di naturali Esperienze vom Jahre 1841 einleitet, zieht auf p. 105 alle Seiten der Thätigkeit der nur zehn Jahre lebenden Akademie in einer langen Periode zusammen und erwähnt unter den aufgezählten Arbeiten die Thermometer nicht; hingegen fragt er (p. 106), wie es möglich gewesen sei. dass Ferdinand, der dieser Akademie seine wertvollen In- strumente übergeben habe, die Auflösung der Akademie habe können geschehen lassen. Ich erinnere daran, dass in diesen Verhandlungen, und zwar an deren Anfang einige Thermometer genauer beschrieben sind, und dass die in Florenz jetzt noch vorhandenen genau mit der Beschreibung übereinstimmen. In der ersten Art, deren Skala in 100 Grade ge- teilt ist, steigt der ungefärbte Weingeist bis zu einem mit 20 bezeichneten Grade, wenn das Instrument in Scli nee und Eis gestellt wird, und nicht höher als bis zum 80. Grade in der stärksten Sommerhitze. Eine zweite Art ist dem ersten ähnlich erstellt, aber statt in 100 in 50 Grade eingeteilt; während jenes im strengsten Winter 16" oder 17° zeige, zeige dieses 12° oder 11": während jenes bei intensiver Hitze bis 80° steige, steige dieses nur bis 40"; von diesem zweiten wird ferner ausgesagt : „Wir haben ein Bleigefass mit klein zerriebenem Eise gefüllt und ein Thermometer gi. Not. istor. ]i. 39. — 15 — von 50° hineingestellt, welches sich auf 1B1/*0 einge- stellt hat," ') Ein drittes Thermometer war in 300 Grade ein- geteilt, Ein Glaskünstler, der für den Grossherzog arbeitete, pflegte zu sagen, er würde sich getrauen, zwei, drei oder mehrere öOgradige Thermometer zu machen, die im gleichen Räume gleiche Grade zeigten, nicht aber solche von 100 oder 300 Graden. Als Antinori 1829 eine Anzahl Thermometer der Akademiker auffand, wurde von Libri eine Vergleichung mit der sog. Reaumurskala vorgenommen. Das Resultat war, dass 0° R. auf 13,5° Fl. und 0 Fl. auf — 15° R, fiel. Die Übereinstimmung des Eispunktes ist fast zu vollkommen, indem im Laufe langer Jahre wohl in diesen Thermometern der Eispunkt auch etwas dürfte gestiegen sein. Zu ganz allgemeiner Kenntnis sind die Florentiner- thermometer in der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht gelangt. Ich habe versucht zu ermitteln, ob vielleicht solche Instrumente zugleich mit den astronomischen, in China hergestellten, dort eingeführt worden seien; allein weiter als zu einem Thermoskop, auf der Ausdehnung der Luft beruhend und nach Art des Instrumentes von Galilei oder Sanclorius gebildeten hat es der in astro- nomischen Dingen wohl erfahrene Jésuite, der die Her- stellung aller Instrumente leitete, nicht gebracht. Ferdinand Verbietst S. J.2) widmet in seiner Astro- noinia europœa, Ex umbra in lucem revocata sub im - 1) Saggi di natur. Esp. 1841, p. 39. Die Akademiker de! Cimento betrachteten die 50gradigen Thermometer, laut Sagg. p. 120 als i più commodi, i più sinceri, e per consequenza i piii adoprati a conoscer le alteruzioni del aria. 2) Über Ferdinand Yerkicst?* Schriften siehe T. S. Bayer in Miseell. Berol. T. VI Nr. III p. 18i)— 192. — 16 peratore Tartarico-Synico, Cam Hy appellato, ein be- sonderes Kapitel XXV I. p. 95 der Meteorologie, worin die Sonnen- und Mondringe, Nebensonnen und andere atmosphärische Erscheinungen erörtert werden. Über- dies wird erwähnt ein Thermoskop, der Beschreibung nach, wie eben erwähnt, ein unvollkommenes Instrument: Hoc tbermoscopium ex vitro Sinico conflandum curavi, quod gracili et longo tubo, instar siphonis bicru- ris reflexo, atque ex magno globo vitreo descendente, vel minimam quamvis caloris et frigoris vicissitudinem statin) ante oculos ponebat, oculo scilicet omnium sen- suum acutissimo defectum tactus, qui omnium sensuum maxime obtusus est, neque hos caloris et frigoris gra- dus omnes discernere facile potest, abunde supplente. 6) Ismaël Boulliau (Bullialdus). Vor einigen Jahren hat der Abbé Maze der Pariser Akademie folgendes mitgeteilt und in den Comptes Rendus CXXI, p. 230—231 (1895) veröffentlicht: Sur le premier thermomètre à alcool utilisé à Paris. Il y a quelques mois, j'ai fait connaître à l'Aca- démie la plus ancienne série thermometrique faite à Paris. Il était intéressant de chercher comment Boul/itm. l'auteur de cette série, avait été mis en possession d'un thermomètre de Florence. Cette recherche a été cou- ronnée de succès; je puis affirmer aujourd'hui que ce thermomètre, pour venir de Florence à Paris, est passé par la Pologne. Pendant l'été de 1057, la reine de Pologne. Mûrit Louise de Gonzague, envoya Mr. Buralin avec une mission en Italie. Celui-ci revint avec divers cadeaux du grand-duc de Toscane, parmi lesquels il y avait des thermomètres scellés et d'autres inventions aussi scellées — 17 — pour comparer la pesanteur de toutes les liqueurs, d'autres pour mesurer la chaleur des fébricitants et les mouve- ments du pouls, etc. Des Noyers, secrétaire de la reine, envoya à Boulliau un de ces thermomètres, mais auparavant il lui en avait fait parvenir la description et le dessin. Ce dernier, conservé à la Bibliothèque nationale avec les lettres de Des Noyers, n'est qu'un simple croquis, mais comme son auteur affirme par deux fois que la forme et les dimen- sions en sont très exactes, que, d'ailleurs, il est facile de voir qu'il l'a tracé à l'aide d'un compas, cela per- met de juger de la forme et des dimensions de l'in- strument. Cette forme était celle de nos thermomètres à boule, mais cette dernière était un peu aplatie normale- ment à la tige. L'intérieur, boule et tige, mesurait exactement un décimètre. Ce thermomètre était gradué sur tige à l'aide de petits points en émail noir. Les dizaines étaient marquées par des points plus gros d'émail blanc. L'alcool était incolore. „On n'y met pas de l'esprit-de-vin coloré parce qu'avec le temps il salit le verre, et, y demeurant attaché hors du liquide, en di- minue la quantité apparente." Le jour de l'envoi n'est pas connu, mais l'instru- ment fut longtemps en route, comme le prouvent les lignes suivantes, datées du 16 juin 1058: „Je vois par votre lettre du 24 may qu'enfin vous avez reçu le petit thermomètre. Le grand-duc en porte toujours un dans sa pochette." La première observation inscrite dans la série de Boulliau est du 25 mai 1658. Les chiffres ne sauraient mieux concorder. On voit que notre astronome n'a guère tardé à se mettre à l'œuvre, posant ainsi les premières bases de la climatologie française. -> 18 Über diese älteste Beobachtungsreihe berichtet der Abbé Mme in Comptes Rendus CXX, p. 731 (1895): Sur la plus ancienne série française d'observations ther- mométriques et météorologiques. Dans un recueil de documents astronomiques que possède l'observatoire national se trouve relié un cahier écrit de la main du prêtre astronome Ismaël Boulliau. Ce registre, car c'en est un, a pour titre : Ad thermo- metrum observationes anno 1658 Parisiis, et ce sous- titre : Thermometrum Florentiœ fabricatum. Or chacun de ces deux titres est une révélation : on ne connais- sait pas, à Paris, d'observations thermométriques anté- rieures à celle de Laltire, et l'on ignorait qu'il eût été l'ait, hors de l'Italie, d'observations avec le thermomètre de l'Académie del Cimento. Comme les observations de Boulliau sont accompagnées des notes sur la direction du vent, les chutes de pluie ou de neige, le gel, le dégel etc., la comparaison entre ces notes et le degré inscrit en regard permet de s'assurer que l'échelle employée est bien celle de l'Académie del Cimento, telle que Libri l'a fait connaître en 1830; c'est-à-dire que le zéro de Florence correspond à -- 18,75° C. et le zéro de nos thermomètres est à 13l/i° del Cimento. Die Beobachtungen umfassen drei Sommer und zwei Winter (25. Mai 1658 bis 19. September 1660) und bilden eine nicht ganz vollständige Reihe, die doch manches Interessante bietet für die Klimatologie von Paris in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Nur die in Florenz von P. Bainer angestellten Beobachtungen reichen noch über drei Jahre weiter zurück bis 1654. Die Tagebücher sind noch erhalten und durch den Di- rektor des Museo (Talileiano, V. Antinori, im Archivio centrale italiano I Firenze 1858 ausführlich veröffent- licht worden. Sie besinnen mit dem 15. Dezember 165-1 — 19 — und enden im März 1670 '); 1670 aber wurde bisher als der früheste Zeitpunkt angesehen, bei dem in Paris überhaupt beobachtet wurde und zwar durch den in Maze's Mitteilungen genannten La Hire, dessen Ther- mometer auch ein Florentiner gewesen sein soll. Über das aus Polen erhaltene Thermometer schreibt Boulliau am 28. Februar 1659 an den Fürsten Leopold , Bruder des Grossherzogs von Toskana2) : Thermometrum unum ex Polonia a quodam amico meo anno superiore accepi, quod Florentia? confectum mihi asseruit, per intensissimos œstatis pneteritœ sestus ad gradum trigesimum septimum liquor in illo intumuit; vicissimque Decembris elapsi diebus aliquot ad gra- dum 7 liquor depressus apparuit. Hoc etiam adnotavi pruinam cecidisse ac tenuissimam glaciem visam esse ubi liquor fuit ad 15 gradus compressus; usque dum ad 14 gradus subsedisset gelu non exspectaveram, cum monuisset me amicus supra illum gradum nee cadentem rorem in pruinam, nee aquam in glaciem concrescere. Hierauf verlangt Leopold genauere Angaben über das gebrauchte Thermometer in folgender Briefstelle vom 31. März 1659 3): Et intormo a quel Termometro inviatole dall' Amico di Polonia. per poter dare a Vostra Signoria qualche aggiustata risposta sopra le sue operazioni, è necessario che ella mi mandi üna misura, o disegno puntuale della sua grandezza, et in quanti gradi sia diviso, con aggiu- gnerui la relazione di una esperienza, che desidererei Vostra Signoria facesse, che è questa di mettere il Termometro dentro al Diaccio stritolato e osservare se r) Hellmann, Dr. G., Die Antauge der meteorol. Beol>acht. und Iustrum. aus Illustr. naturwiss. Monatsschrift Himmel und Erde, Jahrg. II, p. 3. 4. Heft 1890. 2) Huygem. Oeuv. compl. Bd. III, p. 460. 8) lluygens. Oeuv. compl. Bd. III, p. 461, 463, 464. 20 quanto l'acqua del Termometro et a che gradi cali doppo essere il medesimo stato nel Diaccio per lo spazio di mezza ora, e con tenervelo tanto tempo sommerso, che cali alla minor possibile hassezza. Am 2. Mai 1650 zeigt Boulliau dem Fürsten Leo- pold den Empfang zweier Thermometer an : Etsi fortasse importunus nimis videar, pauca tarnen rescribenda mihi videntur, ut therinometrorum in liquoris ostendendo ascensu et descensu varietatem significem ex quo instrumenta illa vitrea a Celsitudine Tua Sere- missima accepi, thermometra bina, qua3 intégra in ar- cula inveni, cum eo quod ex Polonia ad me fuit miss um comparavi et in hocce altiorem apparere liquorem duo- lius punctis, quam in illis, semper notavi. Cumque sint illa instrumenta inter se omnimode sequalia, tarn penes tubuli longitudinem ac capacitatem, quam penes utriculi capacitatem, differentiam illam in spiritus vini subtili- tate ac tenuitate insequali oriri existimo. aliunde enim, quam ex contenti liquoris majori vel minori levitate, quse majorem vel minorem phlegmatis copiam sequitur. causam repetere facile non est, cum vasa qua? illum continent undequaquam ajqualia et similia sint. Glaciei comminutse illa simul immersa thermometra, ut monitis tuis, Serenissime Princeps, obtemperem, utque quam maxime in singulis subsidit liquor, deprehendam. Hierauf antwortet Leopold dem J. Boulliau am 22. Mai 1659: Sopra la differenza che Vostra Signoria mi accenna h a ver potuto riconoscere fra i Termometri inviatili da me et quello che ella ha riceuto di Pollonia, altro di qua da lontano non saprei dirmi, se non questa diversita puo haver' cagione, quantunque i Termometri siano di ugual' grandezza, dall' havere il maestro che gl'ha fab- bricati messa qualche quantita di acqua arzente più in 21 — uno che nell altro, o si vero quello che Vostra Signoria accenna dall' essere l'acqua arzente in alcuno di questi strumentini piü gagliarda che nel altro. 7) Christiaan Huygeus; Robert Hooke. In dieselbe Zeit nun lallt auch die Zusendung eines solchen Thermometers mittlerer Grösse, dem zweiten Thermometer der Akademie entsprechend, an Christiaan Huygens in La Haye, aus dessen Briefwechsel mit R. Moray, dem Engländer, nicht nur hervorgeht, dass Huygens sich um 1660 im Besitze eines Florentiner- thermometers befand zu einer Zeit, da man in Eng- land ein solches noch nicht gesehen hatte, wohl aber wahrscheinlich unter der Führung Robert Boy le' s und unter Mitwirkung des geschickten Experimentators und Schützling'* Boyle's 1), Roh. Hooke, bemüht war, dem gemeinen Wetterglas (common Weather-Glass) das ge- schlossene Thermometer (seald Thermometer) an die Seite zu stellen. Robert Boy le berichtet in seinem klassischen Buche: Experiments touching Cold, 1665, nachdem er die Mängel des vom Luftdrucke abhängigen Thermoskopes beleuchtet, dass er die Herstellung des ersten hermetisch ver- schlossenen Thermometers in England geleitet habe. Diese Arbeit aber sei gefördert worden dadurch, dass er von einem einsichtigen Reisenden ein kleines Wetter- glas gesehen habe, das dieser von Florenz mitbrachte, woraus hervorgehe, dass höchst geschickte Männer, Zierden jener schönen Stadt, vorangegangen seien in 1) It. Hooke, Micrographie, 1665. Préface : The most Illu- strious Mr. Boyle, whom it beconies me to mention with all ho- nour, not only as my particular Patron, but as the Patron of Phi- losophy itself; which he every day increases by his labours, and adornes by his Exemple. — 22 — der Herstellung geschlossener Thermometer von geeig- neter Form. Jetzt aber, seitdem diese Methode durch die geschickte Hand, die für ihn arbeite, verbessert worden sei, seien sie in hohem Grade vervollkommnet worden. leh habe früher schon die Vermutung ausgesprochen, der Reisende, der Boy le zuerst ein Florentinerthermo- meter gezeigt habe, möchte der Franzose Balthasar Monconys gewesen sein, der in seinem „Journal des Voyages" berichtet, dass er am 30. Mai 16(33 l) von Boyle in eine Sitzung der Akademie mitgenommen wor- den sei; im Reisetagebuche ist am folgenden Tage eine Beobachtung mit dem von ihm mitgeführten Thermo- meter aufgezeichnet. Die geschickte Hand aber, die für Boyle arbeitete, gehörte wahrscheinlich dem Experimentator der Königl. Gesellschaft Robert Hooke, berühmt durch zahlreiche Erfindungen und viele Prioritätsstreitigkeiten. Am 9. September 1663 sprach Reale in der unter Oldenburg versammelten Kgl. Gesellschaft den Wunsch aus, übereinstimmende Thermometer zu erhalten, um in verschiedenen Landesgegenden vergleichbare meteoro- logische Beobachtungen zu machen-, die Gesellschaft beauftragte ihren Experimentator, R. Hooke, ein Dutzend solcher Weingeistthermometer zu beschaffen. Am 22. Oktober 1663 verteilte dieser in der That solche ad- justierte Thermometer; ein solches erhielt auch R.Moray-). R. Hooke beschreibt die Herstellung seines Normal- thermometers in der Micrographie 3). Es lohnt sich 1 Journ. d. Voyage, II. p. 38; nicht 1662, wie im Bull. d. 1. soc. Beige d' Astron. 1901, p. 288 steht. '< Huyg. Oeuvr. Bd. IV, p. 425, Fussnote, Robert Hooke F. R. S. Micrographia. London 1665. Am 23. November 1664 hat der Rat der R. S. angeordnet, dass dieses Buch bei den Druckern der Gesellschaft .In. Harly und Ja. AUestry gedruckt werde .off. Biblioth. h. c. I. S ;, unsere Stelle p. 37—39. 23 wohl der Mühe, diese in extenso zu geben, als ersten Versuch, der zwar nicht ganz zu dem gehofften Resul- tate führen konnte, der aber dafür zeugt, dass es Hooke ernstlich daran lag, wirklich vergleichbare Thermometer zu erstellen. Einleitungsweise stellt Hooke einige Thesen auf über Wirkungen der Wärme, z. B. dass eingeschlossene Flüssigkeiten erwärmt, die stärksten Wände sprengen können. Hiebei spricht er den Satz aus: That Heat is a property of a body arising from the motion or agitation of its parts. Und weiterhin fährt er fort: Das wird klar mittelst der geschlossenen Thermo- meter, die ich nach mehreren Versuchen zuletzt zu einem hohen Grade von Sicherheit und Empfindlichkeit ge- bracht habe : denn ich habe einige hergestellt mit Röhren, über vier Fuss lang, in denen die sich ausdehnende Flüssigkeit sich so weit verändert, dass sie nahezu bis zum obern Ende steigt in der Hitze des Sommers und fast bis zum Boden sinkt im kältesten Winter. Die Röhren, deren ich mich hierzu bediene, sind sehr dicke, gerade und gleichmässige Glasröhren mit engem Lumen und beides, Kopf und Kugel, habe ich absichtlich in der Glashütte aus demselben Glasfluss gemacht, aus dem auch die Röhren bestehen; diese kann ich leicht in der Flamme einer Lampe, erhitzt mittelst zweier Blasebälge, fest aneinander schmelzen. Auf diese Weise füge ich zuerst die Kugel an und dann fülle ich beide, Kugel und einen Teil der Röhre, je nach der Länge und der Temperatur der Jahreszeit mit dem besten rektifizierten Weingeist, tief gefärbt mit der lieb- lichen Farbe der Cochenille, die ich dunkler mache, in- dem ich einige Tropfen Ammoniak zugiesse, das nicht zu sehr rektifiziert sein darf, weil es geeignet ist, die Flüssigkeit gerinnen und an der engen Röhre ankleben — 24 zu machen. Diese Flüssigkeit habe ich durch Ver- suche als die beste unter allen Spirituosen erfunden und als solche, die durch die Änderungen der Wärme und Kälte empfindlicher berührt wird, als andere trägere und schwerere Flüssigkeiten und als fähig, eine tiefe Färbung anzunehmen und zu behalten, besser als irgend eine andere Flüssigkeit, und endlich (was sie noch an- nehmbarer macht) nicht Gefahr läuft, bei irgend einer bisher bekannten Temperatur zu gefrieren. Habe ich nun diese eingefüllt, so kann ich leicht in der vorer- wähnten Lampenflamme auch den Kopf anschmelzen und mit der Röhre verbinden. Was nun die Einteilung der Röhre anbelangt, so stelle ich fest, bevor die Einteilung der Röhre begonnen wird, bis wohin das Niveau der Flüssigkeit in der Röhre sich einstellt, wenn die Kugel in gewöhnlichem destil- liertem Wasser steht, das im Begriffe ist zu gefrieren und wenn Eisnadeln anschiessen ; diesen Punkt markiere ich an einem passenden Ort der Röhre, damit diese dann imstande sei, auch noch manche Grade von Kälte anzugeben unter dem Gefrierpunkt; den Rest meiner Einteilung über und unter diesem, den ich mit 0 (Null) bezeichne, ordne ich nach dem Grade der Ausdehnung oder Zusammenziehung der Flüssigkeit im Verhältnis zu der Menge, die sie beim Eispunkt aufweist. Und das erhält man sehr leicht und genau genug auf folgen- dem Wege: Man stellt ein cylindrisches Gefäss her mit dünnen Silberplatten, A B C D der Figur Z, der Diameter A B des Innenraumes soll überall zwei Zoll haben und ebenso die Höhe des Gefässes B C; beide Seiten oben und unten sollen mit einer glatten und ebenen Platte aus derselben Substanz bedeckt werden, genau ange- lötet ; in der Mitte der Deckplatte macht man ein ziem- 25 lieh weites Loch FE, ungefähr ein Fünftel Durchmesser der Platte; in dieses füge man mit Cernent befestigt eine gerade und ebenmässige Glasröhre E F G H, deren Lumen genau den zehnten Teil des Durchmessers des silbernen Cylinders misst. An dieser Röhre bringt man eine Marke an, G H, mit einem Diamant, so dass der Abstand G E ge- nau zwei Zoll misst, also genau so viel als der Innenraum des grossen Cylinders; man teile dann die Länge E G genau in zehn gleiche Teile, so ist der Inhalt eines jeden dieser Teile der tausendste Teil des In- haltes des Cylinders. Ist nun dieses Gefäss so gerüstet, so kann die Markierung und Graduierung des Thermo- meters leicht in folgender Weise bewerkstelligt werden : Fülle dieses Cylindergefäss mit der gleichen Flüssig- keit, mit der das Thermometer gefüllt ist ; dann stelle beide, das Gefäss und das Thermometer, das eingeteilt werden soll, in Wasser, das zu frieren beginnt, und bringe das Niveau der Flüssigkeit im Thermometer zu der ersten Marke 0 (Null) ; dann miss so viel Flüssig- keit in dem Cylindergefäss ab, dass das Niveau genau bis zum untern Ende des schmalen Glascylinders reicht; dann erwärme langsam und allmählich das Wasser, in dem beide, Cylindergefäss und Thermometer, eingetaucht sind und sowie du wahrnimmst, dass die gefärbte Flüs- sigkeit in beiden Röhren steigt, so markiere mit einem Diamant verschiedene Punkte auf der Thermometer- 26 Röhre an solchen Stellen, die beim Vergleichen der Ausdehnung in beiden Röhren mit den Teilstrichen des Cylindergefässes übereinstimmen. Sind auf diese Weise einige wenige Teilstriche gemacht, so kann der Rest der Röhre eingeteilt und jeder Teil der Skala mit ihrem Charakter bezeichnet werden. Ein Thermometer, auf diese Weise hergestellt, ist dann das passendste Instrument, das als Standart für Hitze und Kälte ersonnen werden kann; denn, da es oben geschlossen ist, ist es keiner Veränderung und keinem Verderben unterworfen, auch unabhängig von den Veränderungen des Luftdrucks, denen alle andern, oben offenen Arten von Thermometern ausgesetzt sind." Wir verkennen nicht, dass die von Hooke beschrie- bene Methode für die Tüchtigkeit des Experimentators zeugt, allein einwandfrei ist sie nicht, scheint auch in gleicher Weise später nicht mehr verwendet worden zu sein. Schon die Erstellung des Probegefässes dürfte Schwierigkeiten begegnen, wenn die Röhre ein Lumen haben muss, das durch die ganze Länge genau gleich dem zehnten Teil des Gefässdurchmessers ist. Wenn hier ein kleiner Unterschied vorhanden ist, so enthalten zwei Zoll der Röhre nicht mehr den hundertsten Teil des Gefässes. Auch die ungleich schnelle Erwärmung des Metallgefässes und des Glasthermometers, die un- gleiche Ausdehnung von Weingeist verschiedener Stärke, die ungleichmässige Ausdehnung des Weingeistes bei steigender Temperatur, alle diese Umstände bilden Fehlerquellen, die das Resultat beeinträchtigen. Nichts- destoweniger ist während geraumer Zeit keine Methode angewandt worden, die bessere Resultate erzielt hätte; denn die für die Florentinerthermometer gewählten Punkte der grössten Winterkälte und der höchsten — 27 — Sommerwärme haben eine zu grosse Unsicherheit, um als feste gelten zu können ; sie kommen aber noch bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts zur Anwendung. Aus Hoo/c^s Darstellung aber geht hervor, dass er den Schmelzpunkt des Eises als durchaus festen Punkt an- gesehen hat. Als Hliygens erfuhr, dass in England vergleich- bare Thermometer erstellt und an verschiedene Per- sonen verteilt worden seien, wünschte er auch ein solches zu erhalten und schrieb daher an Mcray, am 21. No- vember 1664. (Oeuvr. Bd. V, p. 150.) Vous m'obligerez fort de m'envoier par occasion un tel thermomètre que vous dites, je n'en ay jamais eu que de petits de cette sorte qui sont scellez her- métiquement. S'il y a quelque chose de plus dans la construction des grands vous m'en pourriez faire la des- cription paravance. Hierauf folgte der Brief von R. Moray vom 19. Dezember 1664. (Oeuvr. Bd. V, p. 168, 169.) En regardant maintenant les autres passages de vostre lettre sur les quelles il me reste encore quelque chose a vous dire. Je trouve que J'ay a vous faire la description du thermomètre de Monsieur Hoolî. Je vous la feray donc en bref. Il prend un tuyau de verre de la longueur de deux pieds ou davantage, (il en a fait de trois pieds) de l'espaisseur de demiquart de poulce, le creux en dedans estant large de 1/io de poulce ou moins, et en y soudant une balle de verre de deux poulces de diamètre ou environs en sorte qu'il y a communication entre le tuyau et la balle en dedans fort libre. 11 remplit sa balle, comme je vous cliray après de lesprit de vin fort pur coloré rouge par le bois de Brésil, les grains du Cochenille ou chose sem- blable puis, en y souciant ou ioignant par la lampe une — 28 — autre balle plus petite a lautre bout du tuyau en sorte qu'il ne respire point, il met le thermomètre dans un châssis de bois, sur lequel sont marques les parties par lesquelles il veut comter les degrez de chaleur, commen- çant par le milieu du Tuyau. Le plus haut marquant la plus grande chaleur d'esté, et le plus bas le degré de froid qui fait de la glace. En voycy la figure sur la marche grossièrement tirée: mais elle suffira pour vous le faire comprendre. Or ayant de longuemain fait un ou deux de ces thermomètres dans l'esté et dans l'hiver lorsque les extremitez se pouvoyent observer, il met leau de vie dans ceux quil fait iusqu'à la hauteur qu'elle est dans ceux qui servent de reigle aux autres. Auf der daneben gezeichneten Skala ist 0 in der Mitte und Grade sind nach oben und unten aufge- tragen. Huoke's Methode ist hier wenig genau dar- gestellt. Unter dem 2. Januar 1665 *) folgt die bemerkens- werte Antwort von Huygens: Je vous remercie du thermomètre que je croy fort juste et toutefois les petits de 6 ou 7 pouces ne sont pas a mépriser, parcequ'ils sont propres a faire des essais ou les grands ne pourroient pas servir, comme a mettre soubs une poule pour scavoir le degré de chaleur qu'il faut pour esclorre les œufs, et en des choses sem- blables ou la grandeur incommoderoit. Monsieur de Xoijers le Secrétaire de la Reine de Pologne, qui m'a donné autrefois un de ces petits, me dit que à Florence il en avoit vu qui estoient entortillez en spirale, ce qui sert pour avoir des grandes divisions dans un petit volume et rendre les thermomètres portatifs. Il seroit bon de songer a une mesure universelle et déterminée du froid et du chaud ; en faisant premièrement que la !) Oeuvres Bd. p. V, 188. — 29 — capacité de la boule eut une certaine proportion a celle du tuyau, et puis prenant pour commencement le degré de froid par lequel l'eau commence a geler, ou bien le degré de chaud de l'eau bouillante, a fin que sans en- voier de thermomètres l'on peut se communiquer les degrez du chaud et du froid qu'on auroit trouvé dans les expériences, et les consigner a la postérité. Diese Antwort von Huygens zeigt uns, dass er von Des Noyers ein echtes Florentinerthermometer von der kleinern, bequemeren Art erhalten, daran aber feste Punkte vermisst hat. Aus seinem Vorschlag aber, wie man die Thermometer einteilen könnte, ausgehend ent- weder vom Gefrierpunkt oder vom Siedepunkt des Wassers unter Berücksichtigung der Kapazität der Röhre im Vergleich zu der der Kugel — aus diesem Vorschlag folgt, dass er nicht nur den Gefrierpunkt, sondern auch den Siedepunkt als fest angesehen hat. Da man nun mittelst der Florentinerthermometer den Siedepunkt des Wassers nicht bestimmen, seine Kon- stanz also auch nicht beobachten konnte, so bleibt die Frage offen, Avoher Huygens sich die Kenntnis dieser festen Temperatur mag verschafft haben. Sein Vor- schlag fällt im AVesentlichen mit der Anordnung Hooke's zusammen, gerade wie auch spätere Aufstellungen von Skalen, wie z. B. die von liéaunmr. Dass Huygens selbst sich mit Herstellung von Thermometern nach dem von ihm angegebenen Prinzip befasst habe, wird uns nir- gends berichtet; seinen Namen tragen keine Thermometer. Überhaupt scheinen alle geschlossenen mit Wein- geist gefüllten Thermometer bis in das folgende Jahr- hundert hinein mit dem Namen Florentinerthermometer bezeichnet worden zu sein, und da sie weniger zu wissen- schaftlicher Beobachtung als zu täglichem Gebrauche verwendet wurden, war der Anspruch auf Vergleichbar- — 30 — keit nur bescheiden. Wenn nur jeder, der sein Ther- mometer besass, ihm entnehmen konnte, ob und in welchem Masse ungefähr die Temperatur in dem Räume, in dem das Instrument sich befand, geschwankt habe. Wahrscheinlich hängt mit diesem Gebrauche auch die verbreitete Einteilung zusammen, die ausging von einer erträglichen Mitteltemperatur (Tempere) und nach beiden Seiten fortschritt zur höchsten Sommertemperatur und zur intensivsten Winterkälte. Es existieren wohl nicht mehr viele Florentinerthermometer dieser geringern Sorte; sonst wäre es interessant, sich von der Berech- tigung der Klagen zu überzeugen, die von allen Seiten in Bezug auf deren Unzuverlässigkeit vernommen werden. Die physikalische Sammlung des Bernoullianums besitzt unter ihren alten, nach und nach recht selten gewordenen Thermometern auch ein solches, angebracht neben einem Barometer. Es trägt die Überschrift : Thermometrum Academiae Florentinae und hat eine auf Papier gedruckte Skala, die nicht gerade besonderes Vertrauen erweckt. Um die Frage zu entscheiden, ob dieses Thermometer die Skala der Akademiker zeige oder eine andere, wurde das Instrument von dem Brette losgelöst und Herr Dr. Henri Yeillon hatte die Freund- lichkeit die Skala mit derjenigen eines Quecksilberther- mometers C. zu vergleichen, d. h. zwei Punkte festzu- stellen, aus denen man annähernd den Charakter der Skala erschliessen konnte. Er fand folgende Übereinstimmung : 40° Florenz = 40° C. — 18° Florenz = 0° C. Hienach fällt 0° Florenz = 12,4° C, d. h. auf Tempéré. — 40° Florenz = — 15,2° C. — 31 — Wenn man nun 40° C. als höchste Sommerwärme, - 15,2 C. als intensivste Winterkälte ansehen kann, so wäre die Skala des Florentinerthermometers der Basler Sammlung : Winterkälte: Tempéré: Sommerhitze: — 40 ° 0 ° + 40 ° Von dieser Skala, die ohne Berücksichtigung der ungleichen Ausdehnung von Weingeist und Quecksilber erhalten worden ist, ist nur ein kleiner Schritt zu der ersten Skala, mit der Fahrenheit seine ersten genauen Thermometer versehen hat : Winterkälte : Tempéré : Sommerhitze : — 90 ° 0 ° -f 90 ° Von diesen drei Stationen ist das Tempéré auf spätem Einteilungen immer wieder erschienen und heute noch nicht aus dem Gebrauche verschwunden. 8) Anwendung des Quecksilbers. Als wichtigste Änderung, die im Laufe der Zeit an dem Elorentinerthermometer angebracht worden ist, muss die Anwendung von Quecksilber angesehen werden. Alle gebräuchlichen und über die Länder verbreiteten Instrumente enthielten anfangs Weingeist, gefärbt oder ungefärbt; er eignete sich hiezu wegen seines grossen Ausdehnungskoeffizienten und seines niedrigen Gefrier- punktes. Der Nachteil der ungleichmässigen Aus- dehnung bei verschieden hohen Temperaturen war zu- nächst noch unbekannt. Neben dem Weingeist be- gegnet man aber auch dem Weine, dem Wasser und selbst dem Quecksilber, letzterm freilich nur sehr ver- einzelt und ohne Nachfolge. In der That findet sich die erste Spur einer solchen Verwendung schon bei den Akademikern del Cimento. In den Verhandlungen — 32 — dieser Akademie, nämlich in den aus den Tagebüchern geschöpften Aggiunti, dem Supplement der Saggi, ist ein Versuch beschrieben, angestellt mit einem Wasser- und einem Quecksilbertliermometer.1) Nachdem darge- than worden, dass es zur Erwärmung des Quecksilbers einer kleinem Wärmemenge bedürfe, als zu der gleich grossen Menge Wassers und dass die Erwärmung schneller erfolge, fährt der Bericht fort : In altre esperienze, similmente ripetute più volte trovarono che immersi due termometri equali, uno dei quali a mercurio, l'altro ad acqua, nei liquidi stessi. il mercurio si muove il primo, ma percorre un tratto più brève, lo che essi espressero dicendo che è meno distraibile, cioè capace di minor dilatatione. Aus diesem Versuche sind weitere Folgerungen nicht gezogen worden und es sind deshalb auch keine Thermometer, mit Quecksilber gefüllt, in allgemeinern Gebrauch gekommen. Ein solches ist jedoch in die Hände Boulliaîi's gelangt, vielleicht von ihm selbst verfertigt und kurze Zeit beobachtet, dann aber als zu träge bei Seite gelegt wrorden. Abbé 31aze, der die Beobachtungen Ismail Boulliait's aufgefunden und die Reise des Florentin erthermometers von Florenz über Polen nach Paris bekannt gemacht hat, berichtet folgendes 3) : Sur le premier thermomètre à mercure. Dans l'histoire du thermomètre, écrite par M. Renou avec un soin et une érudition qu'on ne saurait contester, on lit: „Fahrenheit est le premier qui ait construit un ther- momètre à mercure, etc. La date si intéressante pour lès météorologistes, du thermomètre à mercure, peut donc être rapportée à 1721". Or dès la fin de Mars 1' Âggiunti ai Saggi 1841. p. LXXIV. 2) C. R. CXX. p. 732-733. (1895.) — 33 — 1659, ou 62 ans avant l'invention de Fahrenheit, lsmaël Boulliau employait un thermomètre à mercure con- curremment avec son thermomètre de Florence. Ce thermomètre avait une échelle arbitraire, mais il nous a été possible de la déterminer en profitant de cette circonstance que les observations ont été faites com- parativement avec d'autres pour lesquelles le thermo- mètre employé était celui de l'Académie del Cimento. Ayant constaté que le degré 6 est celui qui revient le plus souvent, nous en avons calculé la valeur par la méthode des moindres carrés. Cette valeur est 6,66° C, avec une erreur probable de 0,21 °. Malheureusement les observations donnant les autres degrés sont trop peu nombreuses pour qu'il y ait été possible de pro- céder de même à leur égard. Cependant la comparaison des moyennes nous a permis de fixer, avec une assez grande probabilité, la valeur du degré inconnu à 10,07° C, ce qui met le Zéro de cette échelle à — 53,76 ° C. La température de la glace fondante serait de 5,34 ° C, et celle de l'eau bouillante 15,27° C. Il est probable que ce degré, qui en représente plus de dix des nôtres, était indiqué par une distance linéaire assez courte; ce qui explique comment le même degré mercuriel peut avoir été noté comme équivalant tantôt à un degré, tantôt à un autre du thermomètre del Cimento. Cela nous fait aussi comprendre pour- quoi, après six semaines, Boulliau cessa de consulter régulièrement ce thermomètre paresseux et presque sans variations. Il est possible aussi que le souvenir de cet échec soit pour quelque chose dans la préférence que, pendant longtemps, les savants français ont donné à l'alcool comme liquide thermométrique. Es ist nicht zu bestreiten, dass hier der Versuch vorliegt, Quecksilber als thermometrische Substanz zu 3 — 34 — verwenden, aber ein im Ganzen misslungener, indem Boulliau weiter keinen Gebrauch von diesem Instru- mente gemacht hat. Wahrscheinlich wurde eine Wein- geistthermometerröhre mit Quecksilber gefüllt, das nun bei dem 5 bis 6 mal kleinern Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers einen ebensoviel mal kleinern Aus- schlag geben musste als das Weingeistthermometer. Zur Unterstützung der Behauptung, dass Queck- silber schon nach der Mitte des 17. Jahrhunderts an- gewandt worden sei, wird etwa noch angeführt, dass im Programm der Aufgaben der zu gründenden franzö- sischen Akademie vorkomme: Observer les fenomenes du Ciel et de la Terre par le moyen des Thermomètres du vif argent etc. Wir haben diese bemerkenswerte Stelle etwas ge- nauer anzusehen : ') Am 6. April 1663 schreibt Chr. Huygens an Lode- wijk Huygens von Paris aus: Monsieur de Montmor accompagné de l'Abbe Charles et Monsieur Sorblere me vinrent visiter, qui m'ont prié que je me trouvasse Mardy qui vient (le 10 Avril) à l'assemblée pour entendre les nouvelles loix et ordon- nances que l'on y va establir. Hieran schliesst sich ein Schriftstück à Christiaan Huygens (No. 1105) betitelt: Projet de la Compagnie des Sciences et des Arts, in dem die Aufgaben der zu- künftigen Gesellschaft aufgezählt werden, und unter ihnen (p. 327) : La Compagnie entretiendra commerce avec toutes les autres Académies et avec tous les sçavants de tous les Pays. Pour s'instruire réciproquement de ce qu'il y a de particulier dans la Nature et dans les arts, et de ce qui se fera de nouveau touchant les Livres et les l) Huygens, Oeuvres compl. Bd. IV, p. 323. — 325- 327. 35 sciences, Et pour observer par ce moyen en tous les Lieux, les Saisons les vents, le plus grand chaud, le plus grand froid, la déclinaison de l'Aimant, les flux et reflux des Mers, les Eclipses, les Comètes, les météores et les autres fenomenes du Ciel et de la Terre par les moyen des Thermomètres du vifargent, des pendules et de tout les autres instruments nécessaires pour pouvoir en suitte faire nue histoire de la Nature la plus uni- verselle qui soit possible, sur la quelle comme sur de solides fondemens on puisse travailler à bastir une Physique etc. Zieht man, was sprachlich unrichtig ist, Thermo- mètres und du vif argent zusammen, so klingt die Stelle wirklich so, als sollten Beobachtungen mit Quecksilber- thermometern angestellt werden ; trennt man aber die beiden, so muss jedem eine besondere Bedeutung zu- kommen, und da bietet sich sogleich die Erklärung, dass mit Vif argent die Quecksilbersäule des Torri- ce//i'schen Versuches gemeint sein muss. Die Stelle heisst also : „mittelst Thermometern, Quecksilbersäulen, Pendeln und allen andern Instrumenten etc." Man hatte eben für das Instrument des To)'ricelli' sehen Ver- suches noch keinen besondern Namen; denn der nament- lich in England gebräuchliche Name : Wetterglas, wurde für das Thermometer gebraucht. Boy le braucht (1665) in seinen Experiments touching Cold (z. B. p. 19. 23. 26) den Ausdruck: Mercurial Cylinder in the Torricellian Experiment. Zum erstenmal begegne ich dort (p. 27) dem Namen Barometer, wobei Boy le beifügt : if to avoid Circumlocu- tions I may so call the whole Instrument, wherein a Mercurial Cylinder of 29 or 30 Inches is kept sus- pended after te manner of the Torricellian Experiment. Zu bemerken ist übrigens, dass der Irrtum wohl — 36 — daraus entsprungen ist, weil Thermomètres und du vif argent nicht durch ein Komma getrennt sind. Es fällt also auch dieses Argument für eine frühe Verwendung des Quecksilbers zu thermometrischen Zwecken dahin. Erst mit E. Halley beginnt die wissenschaftliche Untersuchung des Quecksilbers in Beziehung auf dessen Ausdehnung, bezw. Verwendung als thermometrische Substanz.1) Seine Absicht war die Mittel zu suchen, durch die man übereinstimmende Thermometer erstellen könne, ohne Vergleichung mit einem Normalthermometer. Zu diesem Behufe untersuchte er das Verhalten ver- schiedener Flüssigkeiten bei Erwärmung und Abkühlung, darunter auch das Quecksilber. Er fand, dass dieses bis zum Siedepunkt des Wassers (wahrscheinlich vom Eispunkte an gerechnet) sich um den 74. Teil ausdehne, dass es auf gleicher Höhe bleibe, so lange das "Wasser im Kochen erhalten wurde und dass es die Temperatur der Umgebung rasch annehme und verliere. Diese Eigen- schaft würde das Quecksilber als thermometrische Flüssig- keit empfehlen, wenn nur seine Ausdehnung beträcht- licher wäre. Allen barometrischen Beobachtungen, die nicht mit thermometrischen zusammengehen, sprach er nur einen bedingten Wert zu, weil die Quecksilbersäule bei gleichem Luftdruck, aber verschiedener Temperatur, bald grösser, bald kleiner sein müsse. Halley hat also die auch von frühern Forschern geahnte oder ange- nommene Konstanz des Siedepunktes des Wassers er- kannt und Quecksilber bedingt als thermometrische Sub- stanz empfohlen ; den Gefrierpunkt hielt er für einen kaum genau zu bestimmenden (p. 656). Das Quecksilber hat denn auch Anwendung ge- ') Phil. Transact. Xo. 1!)7 p. 650— 656. 1688. — 37 — fanden durch Christian Wolf1), der folgende Beschrei- bung gibt : Therm oscopima aliud construere. Resolittio. 1) Assumatur globus vitreus Mercurio plenus colloque longiore instructus et aqiue in olla contentée totus immittatur. 2) Mox sub olla excitetur flamma, cumque aqua ebullit, tubus prope gradum, ubi tum hseret Mercurius, hermetice sigilletur. Demonstratio. Mercurius enim refrigeratus denuo descendit in globum, adeoque tubus vacuus relinquitur. Iam si calor externi seris globum ambientis auge- tur, Mercurius rarefit et in Collum ascendit et caloris incrementum indicat. Est ergo thermoscopium. Scholion I. Thermoscopium hoc vel hieme replen- dum est, vel aliquid Mercurii in tubo relinquendum, an- tequam immittatur, ne ullus occurrat frigoris gradus non notandus. Scholion III. Ceterum hoc thermoscopium iisdem defectibus laborat, quibus Florentinum, minus tarnen sensibiliter mutationes caloris in aëre indicat. Usus ejus ex subsequentibus mox elucesset. Diesem Versuche möchte ich doch keine zu grosse Bedeutung beimessen; denn es scheint dass das Wolf sehe Thermometer nicht wesentlich besser beschaffen ge- wesen sei, als das, mit welchem Boullian während einiger Wochen Beobachtungen angestellt hat; denn da Wolf sagt „minus tarnen sensibiliter mutationes caloris in aëre indicat", so hat er offenbar nicht ein Thermometer gemacht, bei dem das Verhältnis der Röhre zur Kugel ein passendes war; er hätte sonst beobachten müssen, dass ein Quecksilberthermometer eher empfindlicher ist, als ein Weingeistthermometer. Dass Wolf übrigens das Quecksilberthermometer nicht zu allgemeinerer Ver- i) Aërometriœ Elera. Lips. 1709. Prop. LXXIV Probl. XXXVI. — 38 — wendung gebracht hat, geht daraus hervor, dass er schon in der Ausgabe seiner "Werke vom Jahre 1713, in der Aërometrie, die einen Abschnitt der Elementa Mathe- seos universse bildet, und in ihrem Caput VII die Wärmemessung behandelt, von dem Quecksilber nicht mehr spricht. Dem Florentinerthermometer spricht er den Charakter eines Messinstrumentes ab „quonian'i ratio caloris hodierni ad hesternum non indicatur, in- strumentum calorem non metitur, adeoque Thermome- trum non est."1) Hiemit begegnen wir nun zeitlich demjenigen Phy- siker, der sich um .die Herstellung und Verbreitung guter, vergleichbarer, eine deutliche Sprache sprechender Instrumente die grössten Verdienste erworben hat: Daniel Gabriel Fahrenheit, der ohne allen Zweifel dem Quecksilber in der Thermometrie eine Bedeutung ver- schafft hat, die ihr keine spätere Zeit weder geraubt hat, noch rauben wird. Von den verschiedenen Skalen werden wir in einem folgenden Abschnitte zu reden haben. Hier mögen nur diejenigen Notizen angeführt werden, die uns über die Verwendung des Quecksilbers Aufschluss erteilen. Die relative Festigkeit des Wassersiedepunktes war durch E. Halley festgestellt; mit einer Art von Luft- thermometer wurde diese von Amontom ebenfalls ge- funden,2) zugleich mit andern für die Physik der Luft wichtigen Thatsachen. An Amontom schliesst nun Fahrenheit an in einer Mitteilung, die er im Jahre 1724 in den Philosophical Transactions No. 381 I ver- öffentlicht hat. Sie hat folgenden Wortlaut: 3) !) Tom I. pag. 773. 2) Mém. d. l'Acad. IHM!) j>. 112; 1702 p. 167; 1703 p. 50. 3) Phil. Trans. 1724. No. 381. I. — 39 — Expérimenta circa graduai caloris liquorum non nullorum ebullientium instituta A. Daniele Gabr. Fahren- heit R. S. S. Cum elapsis abhinc circiter decem annis in Histo- ria Societatis Regiœ Parisiensis legissem, quod celeberri- mus Amontonius, ope alicujus thermometri ab eo in- venti, detexisset, a quam fixo caloris gracia ebullire: statim magno accendebar desiderio, tbermometrum ejus- modi mihimet ipsi prœparare, ut pulcbrum hocce naturse phsenonienon mihi oculis perlustrare beeret, et de veri- tate experimenti convictus essem. Quapropter thermometri structuram quidem ten- tabam, sed ob habitudinis sufhcientis in elaboratione illius defectum, vana erant conamina, licet saepius iterata; et quoniam etiam alia negotia prohibebant thermometri elaborationi magis insistere, oportuniori repetitionem illius dedicabam tempori. Cum defectu virium atque temporis ardor non languescebat, œque avidus enim experimenti exitum videndi manebam. In mentem autem mihi veniebant ea, qua; solertissimus ille rerum natu- ralium scrutator de rectificatione barometrorum scri]> serat; observaverat enim altitudinem columnse mercuri- alis in barometro a vario temperamento mercurii ali- quantulum (satis sensibiliter tarnen) turbari. Ex his rebar, quod tbermometrum fortasse e mercurio construi possit, cujus structura non adeo difficilis foret, et cujus tarnen ope experimentum maxime a me desideratum ex- plorare liceret. Prœparato ejusmodi thermometro (licet in multis adliuc imperfecto) voto tarnen meo eventus respondebat ; magna enim animi voluptate rei veritatem contem- plabar. Très jam erant anni elapsi, in quibus opticis aliis- que incubuissem laboribus, cum cupidus fierem experi- 40 mentis explorare, an etiam alii liquores fixo ebullituri essent gradu caloris. Exitus experimentorum sequenti continetur tabula, cujus prima columna exhibet liquores adhibitos; secunda illorum gravitatem spécificam; tertia gradum caloris, ad quem unusquisque liquor ebulliendo pertigit. Gravitas speciüca liquorum Gradus ebullitione ad 48 yr. calidorum acquisiti Spiritus vel Alcobol vini . . 8260 1 76 Aqua plu via 10000 212 Spiritus nitri 12935 242 Lixivium cineris clavellati . . 15634 240 Oleum Vitrioli 18775 546 Gravitatem specineam cujuscunque liquoris adden- dum necesse judicavi, ut si aliorum expérimenta jam in- stituta, vel adhuc instituenda, a memoratis differrent, colligi possit, an e variatione gravitatis specifica, vel ex aliis differentia petenda sit causis. Expérimenta prae- terea non eodem tempore sunt facta, et inde etiam liquores vario teinperamenti vel caloris gradu erant affecti, sed quoniam illorum gravitas diversimode et inaequaliter turbatur, calculo illorum gravitatem ad 48 gradum (qui in tbermometris meis medium tenet locum inter terminum intensissimi irigoris, arte commixtione aqua-, glaciei, salisque Armoniaci, vel etiam maritimi, confecti, et inter terminum caloris qui in sanguine ho- minis sani reperitur) revocavi. Aus der Darstellung Fahrenheits kann nicht mit Bestimmtheit ein Jahr ermittelt werden, in dem er zu- erst Quecksilber als thermometrische Substanz ange- wendet hat; es herrscht auch bei den verschiedenen Autoren hierin keine Übereinstimmung-, so verlegt Mus- selten broeekr) dies in das Jahr 1709, was unmöglich l) Musschenbroek. Introd. ad pb.il. nat IL § 1568. — 41 — ist, während andere in das Jahr 1714 und wieder andere in das Jahr 1721. Diese Angaben erscheinen un- richtig. Vor 1714 kann es nicht geschehen sein, da er im Jahre 1724 berichtet, es sei ihm vor 10 Jahren be- kannt geworden, dass das Wasser bei einer bestimmten Temperatur siede und dass er sich gerne von dieser Thatsache selbst überzeugt hätte, dass ihm aber seine Versuche misslungen seien, ohne Zweifel, weil er nur Weingeistthermometer hiezu benützte. Später sei ihm der Gedanke gekommen, wenn nach Amontons die Höhe der Quecksilbersäule im Barometer einigermassen von der Temperatur abhänge, so müsste auch aus Queck- silber ein Thermometer konstruiert werden können. Mit einem noch unvollkommenen Instrument dieser Art hat er sich von der Richtigkeit der Thatsache (der Konstanz des Siedepunktes) überzeugt. Nach weitern drei Jahren beobachtete er die Beständigkeit der Siede- punkte anderer Flüssigkeiten. Wir werden daher nicht weit fehlen, wenn wir die Entstehung der guten und vollkommenen Quecksilberthermometer in die Zeit um 1718 verlegen. Im Jahre 1714 übergab Fahrenheit an Christian Wolf1) in Halle zwei Thermometer, gefüllt mit blau gefärbtem Weingeist. Die Röhre war in 26 gleiche Teile geteilt, von denen jede wieder 4 Unterabteilungen hatte. Von dieser Einteilung, über die in den Act. Erudit. a° 1714 p. 380. 381 berichtet wird, soll später noch gesprochen werden. Die Fahrenheit'schen Thermometer, sowohl die mit Weingeist als die mit Quecksilber gefüllten, die noch dadurch vervollkommnet wurden, dass Fahrenheit die Abhängigkeit des Siedepunktes vom Luftdruck entdeckte, !) Act. Erud. Lips. 1714. p. 38ü ; V. Swinden p. 42. — 42 — wurden allgemein bewundert und allen andern Fabrikaten vorgezogen. So berichtet Désaguliers *) : Ces dernières années on fait usage du vif argent dans les thermomètres et l'on a trouvé qu'ils étaient plus utiles que tous les autres .... On doit regarder Farenheit d'Amsterdam comme l'inventeur de ce thermomètre et quoique Prins et quelques autres en Angleterre, en Hollande, en France et en d'autres pays ayent fait de pareils instruments, comme Farenheit, nous les appellerons toujours Ther- momètres de Farenheit, voyant que le Docteur Boer- haave ne s'est servi que de ce thermomètre, et que la plupart des thermomètres à vif argent ont été gradués sur cette échelle. Musschenbroek aber schreibt an dem angeführten Orte: Cognitis bis vitiis, mercurius meliori ratione quam vini Spiritus in usum vocatur, de quo substituendo pri- mus auctor fuit Halteyus Anno 1680, verum Fahren- heytius anno 1709 mercurialia thermometra fabrefacere et divulgare coepit : et deinde poliendo ulterius per- fecit. Mercurius punis, quantum hue usque a memo- rato tempore observare lieuit, aeque dilatabilis, immu- tatus et liquoris seterni in Belgio, Gallia, Anglia, licet forte non in Russia perstitit, quod praeeipuum est. Accedit, quod mercurius in pari volumine longe cele- rius ab eodem calore afticiatur, quam spiritus vini rectiticatus, aut Alcohol, aut quodeunque aliud cognitum fluidum (aère excepto). Mercurius etiam omnium ci- tissime refrigeratur. Und an einer andren Stelle:2) Sunt hsec Thermos- copia omnium hue usque cognitorum prœstantissimi, *) Désaguliers. Cours d. phys. exp. Trad. p. Pezenas S. I. Vol. II. Leç. X. 34. p. 328. 2) Teut. Ac. Cim, Addit. p. 13 (1731). — 43 — quse sequabilissime moventur, satis sensibilia sunt, atque longe pluribus inserviunt experimentis, quam qme spiri- tuin vini, serem aliudve fluicluni continent, aut etiam magis composita sunt, veluti est Amontonsianum. Boerhaave führt das Fahrenheit'sche Instrument mit folgenden Worten ein : x) Thermometrum hoc elegantissimum quod ex votis meis perfecit ingeniosissimus in mechanicis artifex Daniel Gabriel Fahrenheit. Weiterhin : Vos adite fontem, lseti discite et grati, quœ super hac re ipse (Amontonius) commentatus est in monu- mentis Regia? Scientiarum. Inde enim discetis, Egre- gium hune virum re demonstrasse, quod Aqua Igné calefaeta eo usque, ut vere ebulliat, dein auctiori Igné apposito quoeunque nunquam adigi posse, ut plus ca- lescat. Attamen .hoc nobile Inventum notabili sane ob- servatione amplificandum est, quam subtiliter invenit industrius Fahrenheitius. llle enim detexit, quod calor aquae ejusdem ebullieniis semper major sit constanti lege, quando ebullieniis aquae superficies premitur gra- viori pondère Almosphaerae; rursumque idem calor diminuatur ebullimti aquae, qaoties pondus atmos- phaerae imminuitur. Igitur in gradu caloris aqiue fer- ventis designando apprime necessarium est, ut adnote- tur simul pondus aëris eo tempore in Barometro quum aliter nihil certi scribatur etc. Endlich : utamini tum, commendo, Ulis pulcherrimis Thermometris Fahrenheitianis, quae de Mercurio conlîcit. Als Nachteil des Weingeistes pflegte angeführt zu werden, dass in den von Maupertuis 2) bei der arktischen Gradmessung verwendeten Weineeistthermometern im !) Boerkaave El. Chem. I 2. p. 170. -) Maupertuis: La Figure de la Terre. Paris 173S- p. 58. 44 — Januar 1737 die Flüssigkeit gefroren sei, als die Queck- silberthermometer nach Réaumur auf 37° unter 0° ge- sunken waren; die Skala entsprach nicht derjenigen, die wir heute, wenn auch mit Unrecht, nach Réaumur be- nennen. Die Entdeckung, dass das Quecksilber bei tiefer Temperatur auch erstarre, verdankt man dem Petersburger Akademiker J. A. Braun l), der in einem Kältegemisch am 14. Dezember 1759 das Quecksilber zum Gefrieren gebracht hat. An diesem Tage fiel eine Kälte ein. wie sie mit Sicherheit nie in Petersburg be- obachtet worden war; denn zwischen 9 — 10 Uhr vor- mittags zeigte das Thermometer (De f hie) 205 Grade; dies entspricht — 35,5° C. Die Temperaturen des Kältegemisches sind in Zahlen ausgedrückt, die der Wirklichkeit nicht entsprechen können (nämlich bis 470° De l'Isle. was = — 213° C.) Dass vorher schon ver- mutet wurde, in Sibirien seien auch Barometer und Thermometer gefroren, erzählt Braun selbst. Aus der vorausgehenden Darstellung geht hervor, dass schon in der Jugendzeit der geschlossenen Ther- mometer Versuche mit Quecksilber gemacht, dass diese aber wegen des geringen Ausdehnungskoeffizienten oder der damit verbundenen Unemplindlichkeit bald aufgegeben worden sind. Erst Fahrenheit, der geübte Glastechniker, und der genaue Beobachter physikalischer Vorgänge, brachte es dahin, die Qualitäten des Quecksilbers zu thermometrischen Zwecken zu verwenden und damit das Instrument zu schaffen, dessen wir uns heute bedienen. Die Herstellung der Skala wird Gegenstand des fol- genden Abschnittes sein. 9) Fahrenheits Skalen. Unter den heute im allgemeinen Gebrauch stehen- den Thermoineterskalen nimmt die von Fahrenheit in ]j Nov. com Petrop. Vol. XI. p. 273. — 45 sofern eine abweichende Stellung ein; als der Ausgangs- punkt der Skala nicht der Schmelzpunkt des Eises ist, sondern namhaft unter ihm sich befindet und zwar so, dass er um 32 von den Graden unter dem Schmelzpunkt liegt, die man erhält, wenn man den Fundamentalabstand zwischen Schmelzpunkt und Siedepunkt bei 760 Milli- meter Luftdruck in 180 gleiche Teile teilt. Dass Fahren- heit selbst seine Skala anders abgeleitet hat, werden wir im folgenden mitzuteilen haben. Für alle diejenigen, die gewohnt sind, sich der 80 oder lOOteiligen Skala zu bedienen, hat die Fahrenheit' sehe Skala etwas be- fremdendes, fast sonderbares. Wie ist Fahrenheit zu dieser Skale gekommen? Die seltsamste Antwort auf diese Frage hat in neuerer Zeit ein Engländer Samuel Wilks gegeben, der in British Médical Journal 1900, 20. October, No. 2077 pag. 1212 folgendes schreibt: My best endeavours made for man y years have altoge- ther failed in obtaining an authentic aecount or reason as to the principle on which Fahrenheit construeted bis well-known scale, which is now universally used in Eng- land. No mention of its meaning is to be found in any work on natural philosophy or chemistry with which I am acquainted, and I have not yet met with a pro- fessor (and I have interrogated some of the most distin- guished) who could give nie any information about it. Most of them admitted that they were quite ignorant of its origin, an two surmised that the number 180, marking the degree between freezing and boiling had something to do with the half circle. My friend. Mr. Stromeyer, an engineer, told me some time ago that he believed the scale was made from the température of the blood, an probably this information was gained from the Encyclopaedia Britanica, to which I shall presently refer. — 46 — Sir Isaak Newtons Scale. I should bave taken no further trouble in the matter had uot my interest in it been again revived by reading a paper in the Philoso- phical Transactions for the year 1701, in which it is proposed to make a thermometer founded on the tem- pérature of the human body. The paper is anonymous, but I believe it is the opinion of Lord Kelvin that it was written by no less a man than Sir Isaak Newton. The paper in the Philosophical Transactions sup- posed to be written by Newton is to be found in Vol. XXII pag. 824. April 1701. Hier folgt nun die Beschreibung des Newton'schen Leinölthermometers und dessen Skale, die auf zwei festen Punkten beruht, nämlich der Temperatur des schmel- zenden Schnees 0° und der Blutwärme des Menschen 12°; durch Auftragen weiterer Skalenteile gelangt man bei 34° zum Siedepunkt des Wassers. Von einer Be- rücksichtigung des Luftdrucks ist nicht die Rede. Näheres über diese Skale folgt weiter unten. Nun fährt Samuel Wilks fort: A few years after the publication ot this paper Fahrenheit made bis thermometer, and followed Newton by making the température of the body bis first resting place, counting upwards and downwards from this fixed point. Whether he knew of Newton's essay I am not aware, but in all probability he did. He found he could get a greater cold than that of freezing water by mixing together ice and sait. This point, he made bis zéro. He thought also that it would be better if he enlarged the scale by doubling the numbers, and making that of the body 24 instead of 12, starting of course from bis own zéro. This made the freezing point 8 and the boiling point 53, which, as his predecessor has said, was about three times that of the human body. His scale — 47 — then stood thus: Zéro that of ice and sait mixed, 8° for freezing, 24° for human body, and 53° for boiling. He then further extendet the scale by dividing each degree into four parts, so if it is multiplied by four we bave the scale now in use, 32° for freezing, 96° for the body, and 212° for boiling. In this way the thermometer seems to hâve been evolved. Subsequently thèse degrees were still found to be too large for accurate measure- ment, and so were divided into ten parts each. This is a modem innovation, for the décimal System did not come into vogue for many years after Fahrenheits time. This information is gained from Encyclopaedia Britanica, and I apprehend that the writer of the ar- ticle must bave obtained it from authentic sources — from the writings of Fahrenheit himself or from some of its contemporaines. This thermometer, ivhich I always re- gardée as an abomination, is now looked upon by me with a great and two-fold interest. Im Anschluss führt er noch eine andere Erklärung an, die er aber verwirft. Er bemerkt weiter: I cannot but hope that it is correct, for I must admit that to a certain extent „my wish is father to the thought." For the future, whenever I see a thermometer in use to mark the température of the body, I shal be reminded, that it was first used for this purpose in order to mark the starting point of the scale from which all other températures were to be reckoned. At the same time there will be the pleasing remembrance that it was our great Newton who, in all probability, suggested the température of the body as the starting or determinate point in the thermometer, and marking it by the round number 12. WUWs Kombination lässt sich in folgender Weise zusammenfassen : — 48 — Weil der eine Punkt der Fahren he W 'sehen Skale derselbe ist, den Neuion auch angewendet hat, nämlich die Blutwärme eines gesunden Menschen, weil ferner Neaion diesen Punkt vom Gefrierpunkt an gerechnet mit 12 bezeichnet, Fahrenheit aber von einem viel tiefern Punkte ausgehend diesen Punkt mit 24 be- zeichnet, so ist offenbar Fahrenheit von Newton abhängig und die sonst abscheuliche Skale der in England und Amerika gebräuchlichen Thermometer wird zu einem Gegenstände der Bewunderung. Eine kühle, nicht national gefärbte Betrachtung des Bestandes der Dinge führt zu anderm Schlüsse. Nrwion erwähnt zum ersten Male Temperaturen ganz allgemein in seinem grossen Werke, den Prinzipien, und zwar in der Ausgabe von 1687 p. 498. 499. Ideoque cum distantia Cometee a sole Dec. 8. ubi in Perihelio versabatur, esset ad distantiam Terrœ a Sole ut 6 ad 1000 circiter, calor Solis apud Cometam eo tempore erat ad calorem Solis œstivi apud nos ut 1000000 ad 36 seu 28000 ad 1. Sed calor aquœ ebul- lientis est quasi triplo major quam calor quem terra arrida coneipit ad œstivum Solem; ut expertus sam: et calor ferri candentis (si recte conjeetor) quasi triplo vel quadruplo major quam calor aqiue ebullientis; adeo- que calor quem terra arida apud Cometam in perihelio versantem ex radiis Solaribus coneipere posset, quasi 2000 viribus major quam calor ferri candentis. Tanto autem calore vapores et exhalationes, omnisque materia volatilis statim consumi ac dissipari debuissent. Wenn Newton sagt: ut expertus sum, so müssen diese Angaben auf bestimmten Beobachtungen beruhen ; der Ausgangspunkt kann kein anderer sein, als der Ge- frierpunkt oder der Schmelzpunkt und die Beobachtungen können nicht mit einem Weingeistthermometer angestellt — 49 — sein, sondern es bedurfte dazu wahrscheinlich schon des Leinölthermometers und des glühenden Eisens, von denen er in dem berühmten anonymen Aufsatze in den Philo- sophical Transactions 1701. 270 spricht. Als fest sieht Newton nach obiger Notiz an den Gefrierpunkt, die höchste Sommerwärme und den Siedepunkt des Wassers. Letzteres mit einer gewissen Einschränkung. Die Festig- keit dieser drei Punkte hat aber nicht Neilion zuerst oder allein erkannt, vielmehr wissen wir, dass diese Kenntnis bis in die Zeit der Akademiker del Cimento und Hiiygens zurückreicht und also nicht ein besonderes Verdienst Newtons involviert. Und was die Blutwärme des gesunden Menschen anbelangt, so wurde diese später von Newton an die Stelle der höchsten Sommerwärme ge- setzt, wie denn auch der frühere Akademiker A. Borelli die Übereinstimmung dieser beiden Temperaturen bei einem grössern Säugetier durch direkten Versuch er- mittelt hat. Er teilt mit1): Ut exacte gradum caloris cordis agnoscerem, Pisis vivi cervi pectus aperiri curavi, et subito jussi thermo- metrum per cicatricem intra cordis sinistrum ventricu- lum insinuari: et vidi maximum gradum caliditatis non excessisse gradus 40. quantus esse solet apud nos gradus caliditatis solis œstivi. Et postquam similibus thermo- metris mensuravi gradum caloris jecoris, pulmonum et intestinarum in eodem cervo vivo, patuit eodem gradu caloris foveri cor, ac viscera reliqua. Newton hat keinen neuen festen Punkt aufgefunden, der zur Einteilung der Thermometerskale geeignet ge- wesen wäre, aber eine Flüssigkeit angewendet, die zu der von ihm beabsichtigten Untersuchung recht dienlich, zu allgemeinerem Gebrauche nie gekommen ist und hat ]) Borelli. De motu animalium. 1685. II. Cap. VIII prop. XCVI pg. 187. 138. 4 50 — durch eine höchst sinnreiche Verknüpfung mit einem sich abkühlenden Körper Temperaturen bestimmen können, die vor ihm unnahbar waren. Und dass der Engländer zur Einteilung eines ge- wissen Abstandes sich der Zahl 12 bediente, ist selbst- verständlich. Es ist niemals bezweifelt worden, dass der anonyme Aufsatz in den Philo sophical Transactions l) von Newton stamme. In den vergleichenden Übersichten der Thermo- meter des 18. Jahrhunderts erscheint das Leinölinstru- ment nie anders als mit den Namen Newtons und in die Sammlung Newton'scher kleiner Schriften von Joh. Gastilioneus 1744. op. XXI. p. 422 ist die anonyme Arbeit aufgenommen. Die Autorität von Lord Kelcin trägt zu dieser Kunde nichts bei. Aus diesem Aufsatz erfahren wir, dass Newton den Siedepunkt des Wassers nicht als einen ganz festen an- gesehen hat; denn in der Scala graduum caloris führt er bei 34° an: Calor cpio aqua vehementer ebullit et mistura dua- rum partium plumbi, trium partium stanni et quinque partium bismuti defervendo rigescit. Incipit aqua ebul- lire calore partium 33 et calorem partium 3472 ebul- liendo vix concipit. Ferrum vero defervescens calore partium 35 vel 36 ubi aqua calida & 37, ubi frigida in ipsum guttatim incidit, desinit ebullitionem excitare. Und weiterhin : Primum igitur per Thermometrum ex oleo lini con- structum inveni, quod si oleum ubi Thermometer in nive liquescente locabatur occupabat spatium partium 10000, idem oleum calore primi gradus seu corporis humani rare- factum occupabat spatium 10256 et calore aquse jamjam ebullire incipientis spatium 10705 et calore aqiue vehe- *J Phil. Trans. 1701. Nr. 270. — 51 — monter ebullientis spatium 10725, et calore stanni liqué- facti defervientis ubi incipit rigescere et consïstentiam amalgamatis induere spatium 11516 et ubi omnino ri- gescit spatium 11496. Igitur oleum rarefactum fuit ad dilatatum in ratione 40 ad 39 per calorem corporis hu- mani, in ratione 15 ad 14 per calorem stanni de- fervientis ubi incipit coagulari et rigescere, et in ratione 23 ad 20 per calorem quo stannum deferviens omnino rigescit. Rarefactio seris œquali calore fuit decuplo major quam rarefactio olei, et rarefactio olei quasi quindecim vicibus major quam rarefactio Spiritus vini. Et ex Lis inventis ponendo calores olei ipsius rarefactioni propor- tionales et pro calore corporis humani scribendo partes 12 prodiit calor aqiue ubi incipit ebullire partium 33 et ubi vehementius ebullit partium 34; et calor stanni ubi vel liquescit vel deferviendo incipit rigescere et consi- stentiam amalgamatis induere prodiit partium 72, et ubi defervendo rigescit et induratur partium 70. So lange der Siedepunkt des Wassers durch Ein- tauchen des Thermometers in die kochende Flüssigkeit und ohne Berücksichtigung des Luftdruckes bestimmt wurde, konnte wohl eine gewisse Unsicherheit konsta- tiert werden; daher spricht diese eher für Genauigkeit der Beobachtung als für das Gegenteil; doch hätte auch die Körperwärme in gleicher Weise ein unsicheres Re- sultat ausweisen sollen, da auch sie zwischen gewissen Grenzen schwankt. Um zu untersuchen, ob und in wie weit Fahrenheits Skale von der Skale Newtons abhängig sei, müssen wir die erstere möglichst weit zurückverfolgen. Der am 24. Mai 1686 in Danzig geborene Daniel Gabriel Fahrenheit war genötigt nach dem 1701 erfolgten Tode seines Vaters in Amsterdam von 1702 an die Handlung zu erlernen; dort hat er nach dem Berichte — 52 — eines Zeitgenossen die vier stipulierten Jahre „ausge- standen." Sein Trieb zu den Studien war mächtiger als der äussere Zwang. „Zu dem Ende that er viele be- schwerliche Reisen zu Wasser und zu Lande, konferierte mit den berühmtesten Mathematikern in Dänemark und Schweden, verschickte seine Instrumente nach Ysland, Capland und nach anderen Orten, von wannen ihm die von curieusen Leuten gemachten Observationes nach Amsterdam überschickt wurden; wie denn notorisch, dass er bereits anno 1709 in dem harten Winter sehr merk- würdige Remarques vermittelst seiner Wettergläser ge- macht hat." Welcher Art sind nun diese Thermometer ge- wesen? Von den Instrumenten, die in die früheste Arbeits- zeit des jungen Fahrenheit zurückführen, wird behauptet, dass sie mit den spätem in befriedigender Übereinstim- mung gewesen seien. Die Skale aber, mit der sie ver- sehen waren, hatte, entsprechend der Skale der ver- käuflichen Florentinerthermometer, in der Mitte ein 0°, Tempéré, und zählte sowohl nach der grössten Sonnen- hitze, als nach der tiefsten Winterkälte je 90°, also: - 90° tiefste Winterkälte, 0° Tempéré, -j- 90° grösste Sonnenhitze. (Siehe pag. 31.) Während aber die Florentinerthermometer eine un- sichere, nicht von Instrument zu Instrument überein- stimmende Einteilung hatten, wird gerade diese Eigen- schaft den Fahrenheit1 'sehen Instrumenten nachgerühmt. Obgleich nun der Fabrikant sein Hilfsmittel geheim ge- halten hat, müssen wir doch annehmen, dass seine Aus- gangspunkte weniger schwankend waren als der Name, mit dem sie bezeichnet wurden, vermuten Hesse; d. h. — 53 — er hat wahrscheinlich diese Punkte bestimmt durch Schnee mit Salz und Körpertemperatur, wobei wohl als Kontrollpunkt die längst als fest bekannte Temperatur des schmelzenden Schnees verwendet wurde. Ohne eine solche Annahme ist die grosse Übereinstimmung dieser und der folgenden Fabrikate Fahrenheits nicht zu er- klären. In der Absicht, dieser Skale die negativen Grade zu nehmen, hat der Danziger Michael Christian Hanow in seiner Skale den tiefsten Punkt ( — 90 F) mit 0° be- zeichnet, Tempéré mit 45° und den höchsten Punkt mit 90°, mit welcher Skale in Danzig 1739 — 1752 Beobach- tungen angestellt worden sind1); da aber anno 1740 die tiefste Temperatur um 10° tiefer lag als 0°, hat Hanow die Skale um 10° gestreckt und nun 100° vom tiefsten zum höchsten Punkte erhalten-, Tempéré fiel dann auf 55°. Durch seine Beziehungen und Besprechungen mit den auswärtigen Gelehrten kam Fahrenheit dazu eine andere Skale nicht sowohl zu erfinden, als zu adoptieren, und zwar hat ohne Zweifel der Verkehr mit Olaf Rœmer, dem berühmten Berechner der Lichtgeschwindigkeit und Erfinder der hauptsächlichsten Instrumente unserer astro- nomischen Observatorien, auf den jungen Fahrenheit den grössten Einfluss ausgeübt. Wann die Änderung voll- zogen worden ist, kann nicht mit Bestimmtheit angegeben werden, weil Fahrenheit selbst über diesen Punkt, wie über andere noch wichtigere in seinen ausführlichen Be- schreibungen seiner Methode, schweigt. AVir finden aber andere Zeuguisse: Hermann Boerhaave (Elem. Chem. I. 2, p. 720) spricht sich folgendermassen aus: 1) V. Swinden. p. 65. 66 und Hanow. Seltenk. der Natur II. 269. — 54 — Incipit deinde actio Aquœ, proprie sic dicta?, in sol- vendo propria vis tum demum, quando illa fluida adliuc est in gradu proximo glaciei jamjam futurœ. Adeoque secundum demonstrata superiora in calore graduum tri- ginta duorum Thermometri Fahrenheitiani. In quo qui- dem gradu incipit in a3re conglaciatio pruinosa. Atqui sub hoc initio frigoris glacialis, anno nono hujus seculi, dicitur insignis matbematicus Rœmerus Gedani obser- vasse frigus hybernum usque ad gradum primum ejus- dem Tbermoscopii, cujus ipse inventor primus fuerat. Unde triginta duos gradus ibi tum increverat infra gla- cialem gradum frigus. Bœrhaave (Elem. Cbem. Ed. Basil. 1745. p. 164) hielt die Temperatur des Nullpunktes für den tiefsten, den die Natur hervorbringen könne, während auf künst- liche Weise tiefere Temperaturen erzeugt werden können. Natura nunquam generaverat Frigus nisi ad 0, tuni- que animalia et vegetantia, ilico moriebantur omnia, hoc correpta frigore. Ars deduxit ad 40 gradus ultra Frigus. Verum ubi gradui 32, qui est congelationis, addentur 40 gradus, calor oritur in œre adeo fortis, ut eum diu con- stanter talem homines difficile ferant, nisi refrigerii causas vicesque interposuerint. Discimus hinc quis crederet? Frigus conglaciandœ jamjam aqua? ultra hanc suam pote- statem crescens visum fuisse ad 72 gradus ultra. Quid fieret in natura rerum, si talis ibi unquam gigneretur temperies ? Es ist nicht wohl einzusehen, warum der Fahrcn- heit'sche Nullpunkt von einem so erfahrenen Beobachter wie Bœrhaave hat können als eine Minimaltemperatur der Natur angesehen werden, wenn man bedenkt, dass nach jetzigen Beobachtungen auch in unsern Gegenden Temperaturen unter dem Fahrenheit' sehen Nullpunkt ( — 17,8 C) nicht ganz selten vorkommen, so in Basel 55 1830—27,0; 1845—23,3; 1879—24,0; 1893 — 23.2 u. s. w. (nach freundlicher Mitteilung von Herrn Prof. A. Riggenbach). Van Sirinden hat Grund anzunehmen, Rœmer habe im Jahre 1709 nicht in Danzig beobachten können; Bœrhaave führt diese Thatsache mit dicitur ein; den andern Punkt aber „Thermoscopii, cujus ipse inventor primus fuerat" berührt dies nicht. Ja das letztere wird doch von einem unverdächtigen Zeugen, nämlich dem Danziger M. Chr. Hanow des bestimmtesten bestätigt, wenn er ausspricht1): Nach den wichtigsten Wettergläsern, welche Herr Rœmer in Danzig angegeben hat und Herr Fahren- heit am besten verfertigt, kochet das Wasser im 212. und friert im 32. Grade. Hier wird genau auseinandergehalten was liœmers ist und was Fahrenheits: Ersterer hat die Skale ange- geben, Fahrenheit hat die exakten Thermometer er- stellt. Hanow berichtet aus dem Jahre 17402), schon 20 Jahre vor 1709 habe ein Danziger, Namens Krikart, ein Wetterglas, jedenfalls nach der gewöhnlichen Floren- tinerart eingerichtet, besessen und beobachtet. Dieses soll Fahrenheit zu Anfang des Frostes im Jahr 1708 mit frischem Weingeist gefüllt und nach der Angabe liœmers gefüllt haben. Über Fahrenheits Thermometer erfahren wir näheres aus der Relatio de Novo Barometrorum concordantium genere in den Act. Erud. a° 1714 p. 380. 381; der Name des Verfassers ist nicht genannt; wahrscheinlich ist der Aufsatz von Chr. Wolf in Halle geschrieben: !) Merkwürdig, d. Natur. 1737. -) Nach Momber Alb. Prof. Daniel Gabr. Fahrenheit. Alt- preuss. Monatschr. Bd. XXIV. 1887. Heft 1. 2. p. 145. — 56 — Qiue adeo hactenus desiderata fuerunt, barometra et thermometra concordantia exquisita industria construit Daniel Gabriel Fahrenheit, Dantiscanus, qui ab aliquo tempore apud nos commoratur et in conficiendis therrao- metris atque barometris tarn simplicibus quam compo- sitis excellit. Artificium, quo liorum instrumentorum concordiam constanter ex voto obtinet, ob ratioms do- mesticas reticet; effectum tarnen observarunt multi, qui ejus thermometra et barometra sibi compararunt. Ob- tulit haud ita pridem duo thermometra Cl. Wolfio, Ma- tern. Professori Halensi, ut ea sub examen revocaret. In iis globulorum loco conspiciuntur cylindri, spiritu vini colore cœruleo tincto repleti. Scala utrique eadem applicata. longitudinis 6 digi- torum cum y^ : tota dividitur in lu partes œquales, qua- rum unaqiuelibet in quatuor subdividatur. Parti secundœ a cylindro nuineratœ adscribitur frigus vehementissimum, et ab eo usque ad extremitatem scake ascendendo nu- merat gradus 24, quorum quartus frigus ingens, octavus »rem frigidum, duodecimus temperatum, decimus sextus calidum, vigesimus calorem ingentem, 24 denique sestum intolerabilem indicat. Contendit autem Fahrenheitius, sibi constare metho- dum, qua (piivis alius ubivis terrarum thermometra con- struere possit, suis etsi non visis similia, ita ut cum iisdem in eodem loco reposita ad eosdein scalorum si- milium gradus liquorum evectum, vel depressum exhi- beant. Wolßus non solum per pluiïmos dies observavit in utroque thermometro liquorem constanter ad eundem gradum vel gradus ejusdem scapulum idem; verum etiam in locis calidioribus mox liquorem in utroque œqualiter prorsus ascendentem notavit. Wenn wir nun die Ansicht zu begründen versucht haben, dass die sog. Fahrenheit1 sehe Skale von Rœmer — 57 zuerst angegeben worden sei, obgleich Fahrenheit selbst bei deren Erstellung und Einteilung den Namen Rœmers nicht nennt, so bleiben ihm noch der Verdienste genug : Von der Verwendung des Quecksilbers ist schon die Rede gewesen; den Einfluss des Luftdrucks auf die Höhe des Siedepunkts richtig erkannt zu haben, die Er- findung eines hierauf gegründeten Hypsometers und die Beobachtung der Abkühlung des AVassers unter dem Schmelzpunkt des Eises sind Thatsachen genug, um die hohe Bedeutung und die Genauigkeit dieses Physikers in vollem Masse zu dokumentieren. Die Beschreibung der eigenen Thermometer gab Fahrenheit, lange nachdem diese Instrumente schon all- gemeine Anerkennung gefunden hatten, in den Phil. Transact. vom Jahre 1724 Nr. 382 zu einer Zeit, da ISeicton noch lebte und da dieser wohl hätte müssen ge- nannt werden, wenn Fahrenheit dessen Skale einfach in seine eigene verwandelt hätte, was nach dem voraus- gehenden mehr als unwahrscheinlich ist. Seine eigenen Thermometer beschreibt Fahrenheit in folgender Weise : Duo potissimum gênera thermometrorum a me con- ficiuntur, quorum unum spiritu vini et alterum argento vivo est repletum: Longitudo eorum varia est, pro usu, cui inservire debent: Omnia autem in eo conveniunt, quod in omnibus scalœ gradibus concordent, interque limites fixos variationes suas absolvant. Thermometrorum scala, qua? meteorologicis obser- vationibus solummodo inserviunt, infra a Zéro incipit et 96t0 gradu finitur. Hujus scalœ divisio tribus nititur terminis fixis, qui arte sequenti modo parari possunt; primus illorum in intima parte vel initio scalse reperitur et coramixtione glaciei, aqiue, et salis Armoniaci vel etiam maritimi acquiritur ; huic mixturœ si thermometron imponitur, fluidum ejus usque ad gradum, qui Zéro no- — 58 — tatur, descendit. Melius autem hyeme, quam sestate lioc experimentum succedit. Secundus terminus obtinetur, si aqua et glacies absque memoratis salibus commis- centur, imposito thermometro huic mixturae, fluidum ejus tricesimum secundum occupât gradum, et terminus initii congelationis a me vocatur; aqua3 enim stagnantes tenuis- sime jam glacie obducuntur, quando hyeme liquor thermo- metri bunce gradum attingit. Terminus tertius in non- agesimo sexto gradu reperitur; et spiritus usque ad hune gradum dilatatur, dum tbermometrum in ore vel sub ax- illis bominis in statu sano viventis tarn diu tenetur donec perfectissime colorem corporis œquisivit. Si vero calor bominis febri vel alio morbo fervente laborantis investi- gandus est, alio tbermometro utendum, cujus scala us- que ad 128 vel 132 gradum prolongata est. An autem bi gradus ferventissimo caloiï alicujus febris sufficiant nondum expertus sura, vix tarnen credendum, quod cu- jusdam febris fervor gradus memoratos excedere debeat. Tbermometrorum scala, quorum ope ebullientium liquorum gradus caloris investigatur, etiam a Zéro inci- pit et 600 continet gradus, boc enim gradu Mercurius ipse (quo thermometron repletum est) incipit ebullire. Ut autem quoque thermometra ab omnibus muta- tionibus caloris celeriter afficiantur, loco globulorum cy- lindris vitreis sunt prœdita, eo enim modo ob majoris superficiei quantitatem citius a variatione caloris iDene- trantur. Man kann die Frage aufwerfen, warum wohl Fahren- heit, der schon vor seiner Bekanntschaft mit Rœmer vor- treffliche Thermometer konstruiert hatte, sich durch diesen bestimmen liess, von seiner Skale abzugeben und eine Einteilung anzunehmen, welche Wilks „regardée! as an abomination", bis dieser eine Beziehung zu Newton bat herausklüeeln können. — 59 — Man war am Anfang des Jahrhunderts gewohnt, vom Tempéré auszugehen und nach oben und unten die Grade zu zählen, eine Gewohnheit, die bis in die jüngste Zeit fortgedauert hat und vielleicht noch nicht ver- schwunden ist. Sofern es sich nur um die täglichen Beobachtungen im gewöhnlichen bürgerlichen Gebrauch handelte, war diese Zählung auch ganz normal. Mit der Verbreitung und namentlich mit der Verbesserung der Instrumente kamen diese auch zu wissenschaftlicher Verwendung, namentlich zu meteorologischen Zwecken. Sobald aber einmal Tabellen von Beobachtungen zu- sammengestellt wurden, war die fast gleich grosse Zahl der positiven und der negativen Grade kein Vorteil mehr, sondern ein Hindernis, vielleicht auch eine Quelle mancher Versehen. Am einfachsten wurde das Hinder- nis beseitigt dadurch, dass man den Ausgangspunkt der Zählung möglichst tief wählte. Hiefür aber bot sich dar die schon verwendete Temperatur der Mischung von Schnee und Salz, die man als tiefste Temperatur in der Natur ansah. Mit einem Male verringerte sich die Anzahl der negativen Grade ungemein. Das haben Rœmer und Fahrenheit eingesehen und darnach haben sie gehandelt; das aber ist der grosse Vorzug der englisch-amerikanischen Skala und um dieses Vorzugs willen verdient sie heute wie zu allen Zeiten dankbares Interesse. ßesaguliers, der selbst unter der Leitung von Newton Leinölthermometer konstruiert hat und der also mit ihrem Wert und ihrer Beschaffenheit genau vertraut sein musste, sagt, ohne irgend welche Beziehung zwischen der Skale von Newton und der von Fahrenheit anzu- geben, die oben zitierten Worte : Ces dernières années on fait usage du vif argent dans les thermomètres et l'on a trouvé qu'ils étaient plus utiles, que tous les autres . . . — 60 — Die allgemeine Anerkennung der Fahrenheit* sehen Thermometer haben wir oben (p. 42 ff.) mit einigen Aus- sagen Sachkundiger belegt. Auch die Übereinstimmung früher erstellter Instrumente mit solchen aus späterer Zeit wird durch Zeugnisse belegt, doch nicht ausnahmslos. So sagt C. Kirch in seinen Annotationes in Thermo- metra r), nachdem er sein in 24 — 26° geteiltes Thermo- metra beschrieben hat, das vor 20 Jahren ab aecura- tissimo Fahrenheitio confectum est: Observavi ante aliquot annos, meum Thermometrum cum alio Fahrenheitiano non penitus congruere, quare ab ipso Cl. Dil. Fahrenheit novum et aecuratum Thermo- metrum expetii, ut meum et aliorum Thermometra juxta illud examinare possem. Inveni illud Thermometrum cum alio Fahrenheitiano bene congruere, a meo vero notabiliter differre. Augustinus Grischow2) war in Berlin seit 1725 mit meteorologischen Beobachtungen beauftragt; er ver- schaffte sich teils auf eigene Kosten, teils aus den Mitteln der königl. Akademie vorzügliche Thermometer verschiedener Art, brachte sie an einen günstigen Ort nach Norden in freie Luft und verglich sie sorgfältig. Er berichtet nun (1740), dass ein vor 30 Jahren für die Akademie von Fahrenheit selbst verfertigtes grosses Thermometer mit einem von demselben Fahrenheit vor wenig Jahren erstellten, von Amsterdam bezogenen, genau übereinstimme. Diese und andere Erfahrungen be- weisen, dass Fahrenheit von Anfang an mit einer grossen Genauigkeit gearbeitet hat und dass die 3 Skalen, die ursprüngliche von — 90 bis -j- 90, die kleine von 0 bis 24 und die durch Vierteilung erhaltene grosse von 0 bis 96 in Übereinstimmung geblieben sind. i) Miscell. berol. 1737. V. 129. -) Miscell. berol. 1710. VI. 267—312. — 61 — Van Swinden1), der auf die Vergleiclmng der ver- schiedenen Skalen die grösste Sorgfalt verwendet hat, glaubt nach seinen Erfahrungen und Beobachtungen zu dem Urteil berechtigt zu sein: Si maintenant l'on considère, que le premier Thermo- mètre de Fahrenheit a été trouvé concordant avec le second et le second avec le troisième ; qu'ils ont tous été trouvés concordans entr'eux; que par conséquent le premier et le second ont été construits, l'un et l'autre, d'après des points fixes; que le troisième est en effet le même thermomètre que le second; que Fahrenheit as- suroit avoir une méthode secrette pour les construire, et cela sans Etalon, car il n'étoit pas nécessaire de voir un Thermomètre déjà construit, pour en graduer d'autres; qu'il a publié en 1723 ou 1724 la manière dont il con- struisoit le troisième Thermomètre, et enfin que les deux points extrêmes de tous ces Thermomètres sont en effet les mêmes quoiqu'ils ayent porté differens noms, il en résultera je crois nécessairement que Fahrenheit a tou- jours employé les mêmes points fixes dans la construction de ses Thermomètres. Newtons grosses Verdienst um die Wärmemessung liegt keineswegs in der Wahl der festen Punkte; denn der eine, die Temperatur des Blutes eines gesunden Mannes, hat nur zweifelhaften AVert, und auch nicht in der Wahl der Zahl 12, die er für die Anzahl der Grade zwischen Eispunkt und Blutwärnie wählte, sondern in dem Ver- suche die Temperaturen zu bestimmen, die mit keinem Weingeistthermometer hatten können bestimmt werden, weil sie über dem Siedepunkt des Weingeistes liegen, also in der Wahl des Leinöles mit seinem hohen Siede- punkt. Und zweitens in der Verknüpfung der Resultate, die mit dem Leinölthermometer gewonnen wurden, mit l) Diss. s. la comp. d. Therm. § 44. — 62 — den Resultaten, die mit einer regelmässig nach einem bestimmten Gesetze sich abkühlenden, glühend gemachten Eisenstange sich ergaben. So hat er unter anderm ge- funden, (141° C) dass bei 4S° N () ein Gemisch gleicher Teile Wismut und Zinn schmilzt, (168° C) „ bei 57° N () ein Gemisch von 2 Teilen Zinn und 2 Teilen Blei, (238° C) „ bei 81" N () Wismut, (282° C) „ bei 96° N ( ) Blei, (332° C) „ bei 114° N () im Dunkel beginnende Rotglut u. s. w. Fahrenheits Verdienst um die Wärmemessung be- steht ebenfalls nicht in der Wahl gewisser fester Punkte und gewiss nicht in der Zahl 24 ; es liegt an ganz anderm Orte. Er hat Thermometer zu gewöhnlichem Gebrauche mit grosser Sorgfalt hergestellt und eine grosse Über- einstimmung vieler Instrumente erreicht; er hat das Quecksilber in zweckmässiger Weise angewendet, die Abhängigkeit des Siedepunktes vom Luftdruck erkannt und berücksichtigt und hat auf den Rat eines ausge- zeichnet erfahrenen Mannes, Olaf Rœmer, eine Skale gewählt, die vor allen frühern und den meisten spätem den Vorzug hat, dass die Anzahl der negativen Zahlen besonders bei meteorologischen Beobachtungen ungemein verringert ist. Eine gerechte und begründete Bewunde- rung der Fahrenheit* sehen Arbeit stützt sich auf diese Thatsachen und nicht auf die imaginäre Verwandtschaft mit Newton. 10) Celsius-Christiii-Liuiié- Stromer. Im Jahre 1844 hat Arago der Pariserakademie nach einein Briefe des Herrn Requien in Avignon aus einem — 63 — Manuskripte Linné's, das Herrn D' Hombres-Firmas an- gehört hat, folgenden Passus mitgeteilt: Ego primus fui qui parare constitui therniometra nostra, ubi punctum congelationis 0 et gradus coquentis aqua? 100; et hoc pro hybernaculis horti; si Ins adsuetus esses, certus sum quod ariderent. Der Brief ist ohne Zeitangabe. Renou (p. 37) zieht hieraus den Schluss: Mais il est hors de doute que le thermomètre centigrade est dû à Linné d'après une lettre de cet homme illustre citée par Arago t. V. p. 608. Ce fait m'a été confirmé par Mr. Hildbrandsson d'Upsal, qui ma dit que les droits de Linné à cette découverte sont authentiques. Auch die Encyclopredia Britannica stellt auf: Linnœus introduced the mode of reckoning from 0° in smelting ice to 100° in boiling water, which is now known as the centigrade. In wiefern man hier von einer découverte reden kann, ist nicht einzusehen. Es ist mir nicht be- kannt, dass diese Angabe in der Folge bestätigt oder berichtigt worden wäre, und doch ist sie besonderer Be- achtung wert. Zwei Forscher, die weit weg von einander wohnten und ohne Zweifel von einander absolut unabhängig arbeiteten, beschäftigten sich gleichzeitig mit der Her- stellung und der Einteilung des Quecksilberthermometers ; beide teilten den Fimdamentalabstand des Schmelzpunktes und des Siedepunktes in 100 gleiche Teile, der eine be- ginnend mit dem Schmelzpunkt 0U und aufsteigend zum Siedepunkt 100", der andere beginnend mit dem Siede- punkt 0Ü und absteigend zum Schmelzpunkt 100°; der eine arbeitete in Lyon: Jean- Pierre Christin, ein Arzt, der andere in Upsala: Andreas Celsius, der Astronom. Über den ersten erhält man sicherste Kunde durch einen Aufsatz von /. Fournet, Professeur à la faculté — 64 — des sciences à Lyon: Sur l'Invention du Thermomètre centigrade à Mercure, faite à Lyon par M. Christin. Notice lue à la Société d'agriculture de Lyon dans la séance du 4 Juillet 1845. Der andere aber hat seine Methode in einem Auf- satze dargelegt, dessen deutsche Übersetzung heisst: Beobachtungen von zween beständigen Graden auf einem Thermometer, von Andreas Celsius in : der königl. Schwe- dischen Akademie der Wissenschaften Abhandlungen aus der Naturlehre etc. auf das Jahr 1742, übersetzt von Abraham Gotihelf Kästner, Vierter Band, Hamburg 1750. p. 197—205. Der Inhalt dieser beiden Abhandlungen ist kurz zu- sammengefasst folgender: Überzeugt von der Unzuverlässigkeit und der Unge- nauigkeit der im südlichen Frankreich verbreiteten Thermo- meter bemühte sich Christin bessere Instrumente zu er- stellen ; unter den möglichen Flüssigkeiten hielt er für die ge- eignetste das Quecksilber; er zog dieses dem Weingeist vor, weil dieser den Nachteil hat bei niedrigen und höhern Tempe- raturen sich ungleichmässig auszudehnen. Am 4. September 1740 zeigte er der Akademie in Lyon an, er habe ein sicheres und einfaches Mittel gefunden zur Herstellung guter Thermometer und er halte dafür, es müsse jeden- falls die Zahl 80 für die Skale beibehalten werden, wie bei der Einteilung des Kreises die Zahl 360. Man er- kennt daraus, was für eine ungemessene Verehrung die Arbeit Réaumur's genoss, der bei seiner Einteilung den Siedepunkt des Weingeistes mit dem des Wassers ver- wechselt hatte. Indessen hielt Christin an der Zahl 80 doch auf die Dauer nicht fest, sondern teilte im Juli 1743 in französischen Zeitungen sein hundertteiliges Quecksilberthermometer mit unter dem Namen: Thermo- mètre de Lyon, selon la mesure de la dilatation du mercure. 65 — Die beiden festen Punkte wurden bestimmt durch Eintauchen in siedendes Wasser und in gestossenes Eis. Dass bei der Bestimmung des Siedepunktes der Baro- meterstand berücksichtigt worden wäre, finde ich nirgends angegeben. Der Abstand der beiden festen Punkte wurde in 100 gleiche Teile geteilt. An Neidern fehlte es Christin nicht, auch nicht an Verteidigern. Verbreitet wurde das Lyonerthermometer hauptsächlich in Paris, in der Provence und im Dauphiné, während Lyon selbst es weniger freundlich soll aufge- nommen haben. „Il en coûte à reconnaître le talent de ses concitoyens." „Si l'académie de Florence jouit de la gloire d'avoir inventé le premier thermomètre, aujourd'hui le plus défec- tueux de tous, combien est-il plus flatteur pour l'aca- démie des beaux arts de Lyon de voir sortir de son sein et de donner en quelque sorte la vie au plus par- fait des thermomètres." Mit diesem Thermometer ist die hundertteilige Skale zuerst in Frankreich in Gebrauch gekommen. Bei der Aufstellung des metrischen Systems mussten verschiedene Temperaturen berücksichtigt werden; hiebei trat die Centesimaleinteilung in den Vordergrund, so z. B. bei: Vérification du mètre qui doit servir d'étalon provisoire 1). Hier wird angegeben: La commission des poids et me- sures a pensé qu'il convenoit de prendre pour point fixe la température à dix degrés du thermomètre centigrade und als Note wird beigefügt: Nous appelons thermomètre centigrade celui dans lequel l'intervalle, entre le terme de la glace et de l'eau bouillante est divisé en 100 parties égales ou degrés. Dans le thermomètre de Réaumur cet intervalle est divisé en 80 degrés. Hier l) Ann. d. chim. XX. 257. 66 wie weiterhin wird die De Lac'sche Skale fälschlicher- weise als Réaumur 'sehe bezeichnet. Auch Celsius knüpft an bei der Mangelhaftigkeit der aus Deutschland nach Schweden kommenden Floren- tinerthermometer. Auch er fand als zweckmässigste Methode die Einteilung, die sich auf zwei feste Punkte stützt, nämlich auf die Temperatur des schmelzenden Schnees und des gefrierenden Wassers, wobei er be- merkt, dass man nicht nach der Art von Réaumur die Temperatur des gefrierenden Wassers, sondern die des schmelzenden Schnees wählen und den Siedepunkt nicht durch Eintauchen des Thermometers in siedendes Wasser, sondern durch Einführen in den ausströmenden Dampf bestimmen müsse. Hiebei sei aber nach den Ermitt- lungen des erfahrenen Mechanikers in Amsterdam, Fahrenheit, zu berücksichtigen, dass der Siedepunkt vom Barometerstande abhängig sei, weshalb er selbst als nor- malen Druck den mittleren Barometerstand von 25 Zoll, 3 Linien (schwedisch) annehme (1742). Versuche mit schmelzendem Schnee hätten ihm die Beständigkeit der Temperatur zu verschiedenen Zeiten und an weit aus- einanderliegenden Orten gezeigt. Und zur Ermittlung der wahren Siedetemperatur bediente er sich einer Thee- kanne, aus deren Schnauze ein kräftiger Dampfstrom blies. Auch beobachtete er, dass bei jähem Heraus- nehmen aus dem Dampfe das Quecksilber anfänglich stieg. Auf diese Untersuchungen hat Celsius mehrere Jahre verwendet. Waren nun an einem Thermometer die beiden Punkte bestimmt, so teilte er den Abstand in hundert gleiche Teile ein so zwar, dass der Siedepunkt mit 0°, der Gefrierpunkt mit 100° bezeichnet und die Skale nach unten nach Bedarf verlängert wurde. Mit diesem Thermometer sind in Upsala während mehrerer Jahre Beobachtungen gemacht worden, die im — 67 Auszug in den Abhandlungen der schwedischen Aka- demie mitgeteilt sind und zwar erfahren wir je die höchsten und niedrigsten Temperaturen der einzelnen Monate 1742 bis 1750. Im 15. Bande der Abhand- lungen (1750) steht unter der Beobachtungsreihe: Zu merken: Des sei. Professors Celsius Thermo- meter ist dergestalt eingerichtet, dass 0 beim Punkte des siedenden Wassers und 100 beim Punkt des Ge- frierens steht; aber an Herrn Prof. Strömers Thermo- meter steht 0 beim Gefrierpunkt und 100 beim kochenden Wasser. Man würde die einen Grade auf die Grade des an- dern gebracht haben, wenn diese Unähnlichkeit nicht diente, des sei. Observators (O. P. Hiorter) Beobachtungen von Herrn Prof. Strömers seinen zu unterscheiden. Das Thermometer von Celsius scheint lange Zeit nicht weithin bekannt geworden zu sein; sagt doch P. Cotte in seinem 1774 erschienenen Traité de Météoro- logie III. p. 136: Monsieur Celsius, Professeur d'Astronomie à Upsal et l'un des Savans qui firent le Voyage au Pôle, pour déterminer la Figure de la Terre, a communiqué aux Physiciens de Suède un thermomètre de son invention, dont f ignore la construction. Und im eigenen Vaterlande kann den Bestrebungen zur Verbesserung des Thermometers auch keine grosse Bedeutung zugeschrieben worden sein; denn in dem Nekrolog (Denkmaal) des Herrn Prof. A. Celsius im 8. Bande der Abhandlungen (p. 143 ff.) wird wohl seiner mathematischen Begabung, seiner astronomischen, magne- tischen, geodätischen, optischen Arbeiten gedacht, wäh- rend die thermometrischen Arbeiten mit keinem Worte erwähnt werden. Wo bleibt nun noch Platz für Linné? Verdankt man ihm die ganze Arbeit des Celsius, der seine Unter- — 68 — suchungen mit so grosser Klarheit darlegt in einem Bande der akademischen Schriften Schwedens, in dem nicht weniger als fünf botanische Mitteilungen von Linné stehen. Liest man die Aussage Limits aufmerksam, so er- kennt man, dass er nicht die centésimale Einteilung für sich in Anspruch nimmt, wie Renou und mit ihm die Encyclopœdia Britannica ableiten, sondern nur die Be- zeichnung des Gefrierpunktes mit 0° und des Siede- punktes mit 100°, ohne Zweifel mit Beziehung auf die entgegengesetzte Ordnung von Celsius. Damit aber tritt Linné nicht in Konkurrenz mit Celsius, sondern mit Strömer, von dem wir nichts anderes wissen, als dass an dem Thermometer, mit dem er beobachtete, eben- falls der Gefrierpunkt mit 0° und der Siedepunkt mit 100° bezeichnet gewesen sei, ohne dass er diese Um- kehrung für sich in Anspruch nimmt. Es kann also immer- hin Linné diese Umkehrung zuerst vorgenommen haben. Dies zu ermitteln habe ich mich in LzVme'schen Arbeiten umgesehen und dabei folgenden Beleg dafür gefunden, dass Linné vor dem Zeitpunkt, den Strömer angibt, sich schon der umgekehrten, jetzt üblichen Skale bedient hat. Caroli Linnœi Hortus Upsaliensis Vol. I. 1748 ent- hält die Aufzählung und die Beschreibung der exotischen Pflanzen, die von 1742 bis 1748 in dem botanischen Garten von Upsala eingeführt worden sind. In dem Ab- schnitt Horticultura Topographica finden sich folgende Angaben : Tempérât» planta? et gelu intensiore et calore hy- bernaculi, supra gradum decimum caloris in domo ad- scendente per hyemem lseduntur. Oalida*, Capenses seu Aethiopicœ, non ferunt hyemes notrates sub dio, nee in hybernaculo calido ultra 12 gradus servanda1, florent hveme lubentissime. — 69 — In der am Ende des Buches stehenden Praefatio: Calor summus 1747. 2 VII hora 3*/4 post merid. gr. 30 supra punctum congelationis. Frigus summum 1740 25 I noct. gr. 28 infra punc- tum congelationis, ubi punctum congelationis 0, calor aqua? coquentis 100. Diese präzise und deutliche Angabe Limits lässt keinen Zweifel darüber, dass er vor Strömer die Um- kehrung der Skale vorgenommen hat. Wir werden also nicht weit von der Wahrheit uns entfernen, wenn wir Celsius die sorgfältige Bestimmung der festen Punkte und die centésimale Einteilung ihres Abstandes, Linné die Umkehrung der Skale auf den Thermometern für die Gewächshäuser, und Strömer die Anwendung dieser letztern Skale zu meteorologischen Beobachtungen zuschreiben. Man wird deshalb dieses Thermometer mit Recht Schwedisches Thermometer nennen, welchen Namen auch Van Swinden gebraucht1). 1) Suède. Lyon, nicht wie Carr. Bolton in seiner Vergleichs- tabelle (Table of Thermometer Scales) angibt: Sue de Lyon, nach- dem er einige Kolumnen früher schon Celsius, Christin und Strömer aufgeführt hat. Über die Einwirkung anorganischer und organischer alkalischer Substanzen auf das Oxydationsvermögen von Metallsalzen. Von Ed. Schaer. (Pharmaceut. Institut der Universität Strassburg.) Vor einiger Zeit habe ich, im engen Anschlüsse an Schönbein' 'sehe Beobachtungen, an anderer Stelle l) Un- tersuchungen .,über die aktivierenden "Wirkungen von reduzierenden Substanzen und colloïdalen Edelmetallen, sowie von Alkaloiden und andern basischen Stoffen auf verschiedene oxydierende Verbindungen" veröffentlicht. Dabei wurde auch gewisser „aktivierender" Einflüsse gedacht, welche alkalisch reagierende Körper, nament- lich Pflanzenbasen auf das Oxydationsvermögen ver- schiedener Metallsalze ausüben und welche zuerst (1874) von F. Schlag denhauff m (Nancy) bei Mischungen von Ferrisalzen mit Pyrogallol, sowie von Quecksilberchlorid mit Guajakharzlösung beobachtet worden sind.2) Diese Versuche des letztgenannten Autors sind in den letzten Jahren von mir durch eine Reihe weiterer Beobachtungen ergänzt worden, die zum kleinern Teile in der zu Anfang erwähnten Abhandlung Berücksichtigung gefunden haben. In der Zwischenzeit sind mir durch 1) Liebig's Ann. der Chemie, 323 (1902) S. 32. 2) Union pharmaceutique XV (1874) p. 3 u. 37. 71 neue Versuche noch weitere Erscheinungen dieser Art bekannt geworden und es ist daher vielleicht zweck- mässig, in den folgenden Mitteilungen eine wenn auch zunächst nur vorläufige Darlegung jener sonderbaren Wirkungen alkalischer Stoffe zu geben, welche nicht allein theoretisches Interesse beanspruchen dürfen, son- dern möglicherweise auch bei verschiedenen empirisch ausgebildeten chemischen Prozessen der Technik eine Rolle spielen. Es möge an dieser Stelle noch die Bemerkung vorausgeschickt werden, dass eine gelegentliche ein- gehendere Studie über die erwähnten chemischen Wir- kungen in meinem Laboratorium beabsichtigt ist, über deren Ergebnisse später an diesem oder anderem Orte zu berichten sein wird. Während es sich bei den oben angeführten ersten Beobachtungen Schlagdenhauffens lediglich um einige die Oxydationsvorgänge beschleunigende oder einleitende Wirkungen von basischen Stoffen (Alkaloiden und ge- wissen alkalischen anorganischen Substanzen) handelte, welche bei Ferrichlorid, in Gegenwart von Pyrogallol, oder bei Quecksilberchlorid, in Gegenwart von Guajak- harzlösung, zu konstatieren waren, hat sich infolge der neuen Versuche der Kreis der besagten Erscheinungen auch auf anderweitige analoge Reaktionen ausgedehnt, das heisst es lassen sich solche aktivierende Wirkungen auch bei Kupferoxydsalzen und Silbersalzen (vermutlich noch bei andern oxydierenden Metallsalzen) beobachten; dieselben beschränken sich ferner nicht auf Pflanzen- basen und alkalische anorganische Stoffe, sondern scheinen mit einer gewissen Beschränkung auch basischen organi- schen Substanzen, wie Anilin, Chinolin, Antipyrin, Thaliin, Acetanilid u. s. w. zuzukommen und endlich lassen sich dieselben nicht nur bei einigen wenigen oxy- — 72 — dablen Materien, wie Guajakharz (resp. Guajakonsäure) und Pyrogallol nachweisen ; sie treten vielmehr in man- chen Fällen auch dann auf, wenn zum Beispiel Indigo, Aloin (resp. Isobarhaloin), Natalaloin, Anilin, Guajakol, Phenylendiamin, Brasilin und wohl noch andere organi- sche Stoffe zur Erkennung der Oxydationsreaktion ver- wendet werden. Nach dem eben gesagten ist vielleicht der Schluss gerechtfertigt, dass es sich um chemische Vorgänge von allgemeiner Bedeutung handelt, welche im Zusammen- hange beobachtet und besprochen zu werden verdienen. Was zunächst die schon mehrfach erwähnten Ver- suche von Schlag denhau ff en betrifft, die sich auf Mi- schungen von Pyrogallol mit Ferrichlorid, Mercurichlorid und Kujrferchlorid, sowie auf Gemenge von Guajakharz- lösung und Mercurichlorid beziehen, so ergeben die- selben auf das deutlichste die „aktivierenden" Wirkungen der alkalischen anorganischen Stoffe, sowie einer Anzahl von Pflanzenbasen. Die bei weiterer Verfolgung jener Beobachtungen über das Verhalten von Ferrisalzen zu oxydablen Substanzen (in Gegenwart alkalischer Stoffe) vorgenommenen Versuche sind noch nicht hinreichend abgeschlossen, um hier mitgeteilt zu werden, und ich gehe deshalb sogleich zur Besprechung der aktivierenden Wirkungen bei Kupfer-, Quecksilber- (Mercuri-) und Silbersalzen über und zwar soll zunächst von den Oxy- dationswirkungen der Kupfersalze auf Guajakharz die Rede sein. Wie ich in verschiedenen früheren Publi- kationen, auf die hier nicht von neuem einzugehen ist, gezeigt habe, vermögen die Lösungen anorganischer und organischer Cuprisalze innerhalb gewisser Konzentra- tionsgrenzen und namentlich bei erhöhter Temperatur die Guajakharzlösung direkt ohne Mitwirkung anderer Substanzen zu bläuen und es sind deshalb alle ein- — 73 — sclilägigen Versuche über Wirkung dritter Stoffe mit stark verdünnten Kupfersalzlösungen vorzunehmen, von denen festzustellen ist, dass sie innerhalb gewisser Tem- peraturgrenzen die Guajakharzlösung („Guajaktinktur" Schönbeins) unter allen Umständen intakt lassen. Im weiteren ist es empfehlenswert, an Stelle des bisherigen, nicht allein von Schöllbein, sondern auch von allen neueren Autoren benützten Verfahrens der Anwendung der Guajakharzlösung in alkoholischer oder alkoholisch- wässriger Mischung die von E. Paelzold (Inaug.-Diss. Strassburg 1901) vorgeschlagene Methode der Verwen- dung einer 1 — -2prozentigen Chloroformlösung des Harzes (oder noch besser einer 1/i — lprozentigen Lösung reiner Guajakon säure in Chloroform) einzuführen, wobei sich das in Chloroform leicht lösliche Guajakblau, falls ge- bildet, rasch und scharf aus den wässrigen Reaktions- gemischen abscheidet. Bringt man zu einer nicht gebläuten Mischung der eben genannten Guajaklösung mit stark verdünnter Kupfersalzlösung (zum Beispiel Kupfersulfat, -Acetat oder -Formiat) kleine Mengen von Alkaloiden, so wird in den meisten Fällen, so namentlich bei Atropin, Co- niin, Veratrin, Morphin, Codein, aber auch bei den übrigen wichtigen Pflanzenbasen, schon in der Kälte oder nach kurzer leichterer Erwärmung die Bildung von Guajakblau bewirkt, das heisst es scheidet sich nach kurzem Schütteln die Chloroformlösung mit mehr oder weniger tiefblauer Färbung ab, während bei Zusatz von Coffein, das noch eine gewisse Basizität aufweist, aber nicht mehr zu den eigentlichen Pflanzenalkaloiden ge- rechnet wird, keine Veränderung eintritt, ebensowenig bei Anwendung von Glycosiden (Amygdalin, Phloridzin, Salicin etc.) oder anderen indifferenten Stoffen (San- tonin, Cumarin, Picrotoxin etc.). — 74 — Man möchte auf den ersten Augenblick geneigt sein, die bei Gegenwart von Alkaloiden durch Kupfer- salze (sowie durch die später zu nennenden Quecksilber- und Silbersalze) bewirkten Oxydationserscheinungen da- rauf zurückzuführen, dass durch die Ptlanzenbasen in ähnlicher Weise wie durch alkalische anorganische Stoffe aus den Metallsalzen freies Metalloxyd respektive Oxyd- hydrat abgeschieden wird und letzterem die energischen Oxydationswirkungen zukommen, wie ja in der That ver- schiedene Oxyde und Superoxyde von Schwermetallen, unter andern Silberoxyd und Quecksilberoxyd, die Guajak- lösung energisch zu bläuen vermögen, während andrer- seits zum Beispiel Eisenoxyd und Kupferoxyd nebst ihren Hydraten unter gewöhnlichen Umständen ohne Wirkung auf besagtes Reagens sind. Für die letztge- nannten Metalloxyde respektive deren Salze würde somit jene Erklärung nicht stichhaltig sein, wohl aber könnte sie für die Silbersalze und Mercurisalze in Frage kommen, da in der Litteratur vielfach die Angabe verbreitet ist, dass im allgemeinen die Ptlanzenbasen von deutlich al- kalischer Reaktion die Salze der Erden und Schwer- metalle unter Abscheidung ihrer Oxyde zu zerlegen ver- mögen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dieser Satz nur in ganz bedingtem Masse richtig ist. Allerdings zerlegen einige Alkaloide, wie beispielsweise das Coniin unter andern die Kupfer- und Silbersalze, andere wie zum Beispiel das Atropin die Mercurisalze ; in vielen andern Fällen aber ist eine Abscheidung von Metall- oxyd entweder nur bei Anwendung der freien iUkaloide in Substanz oder in konzentrierterer Lösung (Morphin) oder bei höherer Temperatur (Strychnin) zu konstatieren, oder sie bezieht sich nur auf einzelne Metallsalze und ist namentlich bei Verwendung so verdünnter Alkaloid- und Metallsalzlösungen, wie solche zu meinen Versuchen — 75 - gedient haben, nicht oder nur ganz ausnahmsweise zu beobachten. Es wird unter diesen Umständen auch der Vergleich mit den oxydierenden Wirkungen konzentrier- terer alkalischer Metallsalzlösungen, wie etwa der al- kalischen Kupfertartratlösung oder der alkalischen Wis- muttartratlösung (auf Traubenzucker etc.) hinfällig und wir sind gezwungen, für die Mehrzahl der Fälle eigen- tümliche Kontaktwirkungen anzunehmen, welche bei den Metallsalzen mit direkt oxydierend wirkenden Oxyden (wie zum Beispiel den Mercurisalzen oder Silbersalzen) etwa auch als „ Wirkungen prädisponierender Verwandt- schaft" (zwischen Alkaloid und Säure des betreffenden Metallsalzes) aufgefasst werden könnten. In vielen Fällen und bei gewissen Konzentrationsverhältnissen der Re- aktionsmischungen gilt das oben gesagte auch für die Wirkung der noch zu erwähnenden weiteren anorgani- schen und organischen alkalischen Substanzen. In gleicher Weise, wie die Pflanzenbasen, zum Teil noch in intensiverer Weise vermögen auch anorganische alkalische Stoffe die Bläuung der Guajakharzlösung durch stark verdünnte Kupfersalzlösungen zu bewirken. Es gilt dies sowohl von stark verdünnter Kalkhydrat- lösung1) (Kalkwasser), oder Barythydratlösung, als auch von den schwach alkalisch reagierenden Carbonaten wie Calciumcarbonat, sowie von einer Anzahl alkalisch rea- gierender Salze, wie namentlich Natriumacetat und Na- triumphosphat, aber auch von Natriumsalicylat und Natron seifen, selbst wenn letztere frei von Atznatron oder Xatriumcarbonat sind, endlich auch von verdünntem *) Bei der bekannten grossen Empfindlichkeit des (ruajak- blaus für Alkalien eignen sich die Lösungen der gewöhnlichen Atz- alkalien zu diesen Versuchen nicht oder wenigstens nur bei An- wendung der (Tuajak-Chloroformlösung und hei Einhaltung starker Yerdiinnunsf. — 76 — Ammoniak.1) Ebenso tritt eine Bläuung der Guajakharz- lösung ein, wenn verdünnte Kupfersalzlösungen unter Zusatz kleiner Mengen des allerdings stark alkalisch reagierenden Anilins oder Chinolins auf erstere ein- wirken, während dagegen die Gegenwart der vom Anilin deri vierenden Verbindungen Acetanilid und Phenacetin sowie des Antipyrins (Phenyldimethylpyrazolons) und Thallins die Kupfersalze nicht zu aktivieren vermag. Nachdem seinerzeit Schlag denhauff en (1. s. c.) die tiefe Bräunung einer gelblich gefärbten kupfersalzhaltigen Pyrogalloilösmig durch verschiedene Pflanzenbasen be- obachtet hatte, konnte ich in Bestätigung seiner Ver- suche konstatieren, dass eine energische Oxydation des Pyrogallols durch Kupfersalz bei Gegenwart der Mehr- zahl der Alkaloide sowie verschiedener oben erwähnter alkalischer anorganischer Stoffe eintritt, während Glyco- side und andere neutrale Substanzen keine aktivierende Wirkung äussern. Es werden diese Versuche später weiter fortgesetzt und ergänzt werden. Ebenso auffällig ist die aktivierende "Wirkung von Pflanzenbasen, insbesondere von stark basischen Al- kaloiden wie zum Beispiel des Atropins bei Zusatz zu hellgelb gefärbten kupfersalzhaltigen Lösungen des Aloim.2) J) Die aktivierenden "Wirkungen selbst sehr kleiner Ammoniak- mengen auf Kupfersalze (gegenüber Guajaklösung) habe ich bereits vor vielen Jahren (Zeitschr. f. analyt. Chemie v. Fresenius, 1874, I) experimentell nachgewiesen. -) Wie an diesem Orte (Bd. XIII., 299 ) in dem Aufsatze über Guajakblau und Aloinrot bereits angegeben worden ist, entsteht das von Kluntje zuerst beobachtete violettrote Oxydationsprodukt nach Léger lediglich aus dem im käuflichen Barbadoes-Aloin mit- enthaltsnen „Isobarbaloin." Es möge deshalb hier die Notiz beige- fügt werden, dass nach meinen neuesten Beobachtungen ein mit dem früher beschriebenen Aloinrot identisches oder jedenfalls nahe verwandtes Produkt bei verschiedenen durch Kupfersalze oder an- — Vi — Es tritt unter diesen Umständen jene Oxydation des Aloins, unter Bildung des „Aloinrots" das heisst eines Oxydationsproduktes mit locker gebundenem Sauerstoff, ein, welche schon vor Jahren bei den sogenannten K l un f/e' sehen Aloereaktionen (Einwirkung von Kupfer- salz auf Aloelösung bei Zusatz von Cyaniden oder von Haloidsalzen) beobachtet und unlängst von mir in einer ausführlichen Studie weiter verfolgt worden ist.1) Wenn eine hellgelbe Aloinlösung (in Methylalkohol oder verdünntem Äthylalkohol) mit sehr wenig Kupfer- salz versetzt wird, so wird dieselbe canariengelb und nimmt sodann nach Zufügen einer kleinern Menge alko- holischer Atropinlösung oder Coniinlösung beim Stehen, langsam in der Kälte, bedeutend rascher nach Erwär- mung der Reaktionsmischung, allmählich die intensiv himbeer-purpurrote Farbe an, welche den Aloinrot- lösungen zukommt. Wird an Stelle der genannten Al- kaloide eine Anilinlösung verwendet, so färbt sich die Flüssigkeit nach dem Erwärmen nicht purpurrot, son- dern mehr gelbrot. Das Verhalten anderer schon oben erwähnter alkalischer Substanzen wird durch spätere Versuche festzustellen sein. Dagegen hat sich ergeben, das die Alkaloide auch noch anderweitige energische Oxydationswirkungen der Kupferoxydsalze auszulösen vermögen; so bewirken beispielsweise die genannten Pflanzenbasen und zweifellos auch noch andere Alkaloide die Entfärbung von Indigolösung durch Kupfersalz (in der Wärme) und ebenso eine intensive Rötung der kupfersalzhaltigen Paraphenylendiamin-Lösung, während dere Substanzen bewirkten Oxydationen auch aus dem „Natalaloinu (Aloin der Natal-Aloë) gebildet wird, obwohl dieses Aloin bis in die letzte Zeit als von den übrigen Aloinen nicht unerheblich ab- weichend betrachtet wurde. !) Vergl. Archiv der Pharmacie 2:18 (1900) S. 42 u. 279. — 78 — andrerseits die Alkaloide die verdünnten Kupfersalz- lösungen gegenüber Jodkaliumstärkelösung, Guajakol und Anilin nicht zu „aktivieren" scheinen. Ebenso auffallend, wie bei den Kupferlösungen, sind die Wirkungen alkalisch reagierender Stoffe bei Mer- curisalzen, von welchen allerdings bis jetzt nur das Mer- curichlorid näher untersucht worden ist. Nicht allein konnte in Übereinstimmung mit den frühern Versuchen von Schlag denhau ff en die intensive Bläuung eines Gemenges von Mercurichloridlösung und Guajakharzlösung durch die Mehrzahl der Pflanzenbasen — sowie das Ausbleiben des „akti- vierenden" Einflusses bei Coffein, sowie bei den Glykosiden u. s. w. (siehe oben) — bestätigt werden, sondern es zeigte sich, dass eine grössere Zahl zum Teil schon von dem genannten Autor angeführter al- kalischer anorganischer Substanzen (vor allem die bei den Kupfersalzen bereits erwähnten unlöslichen Hydrate und Carbonate der Erden und alkalischen Erden, sowie manche alkalisch reagierende Salze) in gleicher Weise die mit Mercurisalz versetzte Guajaklösung energisch zu bläuen vermögen. Es geschieht dies bei allen genannten Stoffen selbst dann, wenn eine Abscheidung von Queck- silberoxyd, wie sie zum Beispiel bei Einwirkung von Atropin oder von Magnesiumoxyd zu beobachten ist, nicht konstatiert werden kann. Organische alkalische Stoffe, so Acetanilid, Anti- pyrin, Phenacetin verhalten sich ebenso indifferent wie bei Kupfersalzlösung, wogegen Thaliin, Anilin und Chinolin auch hier eine Bläuung der B,eaktionsmischung bedingen. Es ist wahrscheinlich, dass eine erhebliche Zahl anderer noch nicht geprüfter anorganischer und organischer Stoffe alkalischer Natur ein gleiches Ver- halten aufweist und dass somit die Beschleunigung oder — 79 — Auslösimg oxydierender Wirkungen von Kupferoxyd- und Quecksilberoxydsalzen eine empfindliche Reaktion auf die Gegenwart selbst kleiner Mengen alkalisch rea- gierender Substanzen darstellt. *) Wie bei den Kupfersalzlösungen, so führt auch bei Mercurichlorid die Anwendung der Guajakharzlösung in Chloroform in manchen Fällen zu einer viel schärferen Reaktion, namentlich für Fälle gefärbter Lösungen und besonders auch deshalb, weil das Guajakblau in Ohloro- formlösung weit stabiler zu sein scheint, als in alko- holisch-wässeriger Lösung. Wie zwischen dem Verhalten der mit wenig Mer- curichlorid oder mit Kupfersalz versetzten Pyrogallol- lösungen in Gegenwart von Alkaloiden (Atropin, Coniin etc.) vollkommene Analogie besteht, insofern in beiden Fällen starke Bräunung respektive Oxydation jener Substanz eintritt, so zeigt das Mercurisalz auch eine entsprechende Wirkung auf Aloinlösung. Lösungen des Barbaloins oder Natalaloins (siehe oben) nehmen nach Zusatz einiger Tropfen einer kaltgesättigten Quecksilber- chloridlösung und nachheriger Beimischung gelösten Atropins, Coniins und anderer Alkaloide schon in der Kälte, etwas rascher bei leichter Erwärmung die inten- sive Aloinrotfarbe an, während auch hier das alkalische Anilin eine dunkel rotgelbe Färbung hervorruft. Endlich möge noch hervorgehoben werden, dass auch hinsichtlich der Entfärbung der Indigolösung, so- wie der Rötung der Phenylendiaminlösung durch Mer- curichlorid eine aktivierende Wirkung der Alkaloide in genau gleicher Weise wie bei Kupferlösung konsta- x) So zeigten neuere, während des Druckes dieser Mitteilung vorgenommene Versuche, dass u. A. auch Piper idin und Triae- thylamin selbst in kleinsten Mengen sowohl Cuprisalze als Mercuri- chlorid gegen Guajakharz und gegen Aloin zu activieren vermögen. — 80 — tiert werden konnte und dass auch hier bei Einwirkung auf Gruajakollösung ein negatives Verhalten zu beob- achten war. Die bisherigen Ergebnisse veranlassten mich, auch noch das Silbernitrat in Bezug auf aktivierende Ein- flüsse alkalischer Substanzen zu untersuchen, da be- kanntlich dieses Salz einerseits durch leichte Reduzier- barkeit bei Kontakt mit zahlreichen anorganischen und organischen Stoffen (Ferrosalze, Thiosulfate, Ameisen- säure, Aldehyde, Pyrogallol etc.) sich auszeichnet, andrer- seits in verdünntem Lösungen sich manchen oxydabeln Substanzen, wie Guajakharz, Indigoblau gegenüber in- different verhält. Die angestellten Versuche haben ge- zeigt, dass in mancher Hinsicht deutliche Analogien, in einigen Punkten jedoch auffallende Abweichungen im Vergleiche mit den Cupri- und Mersurisalzen bestehen. In Betreff des Verhaltens zu Guajakharz- oder Guajakonsäurelösung wurde beobachtet, dass verschiedene Alkaloide, so namentlich das Atropin, Veratrin, Chinin und sonderbarer Weise auch das so schwach basische Coffein intensive Bläuung der silbernitrathaltigen Guajak- lösung hervorrufen, während sich das Morphin, Codein, Strychnin und Brucin gegen Erwartung negativ ver- halten. In gleicher Weise, wie die mehrfach genannten al- kalischen anorganischen Stoffe, zum Beispiel Kalkhydrat, Calciumcarbonat, Natriumacetat, Borax u. s. w. die Bläuung der Guajakharzlösung selbst durch stark ver- dünnte Kupfersalz- und Quecksilberchloridlösungen be- wirken, so erfolgt eine solche Aktivierung auch bei ver- dünnter Silbersalzlösung und im weitern ist es be- merkenswert, dass mehrere organische Substanzen basi- schen Charakters, welche wie Acetanilid, Antipyrin und Phenacetin weder bei Kupfer- noch bei Quecksilbersalz — 81 eine Bläuung des Reaktionsgemisches hervorrufen oder wie Thallin nur bei Mercurichlorid eine solche Wirkung zeigen, bei Silbernitrat einen bald schwächeren, bald intensiveren aktivierenden Einfluss äussern, wie denn zum Beispiel durch kleine Thallinmengen tiefe Bläuung der mit sehr verdünnter Silberlösung geschüttelten Gua- jakchloroformlösung bewirkt wird. Ebenso vermögen auch die beiden stark basischen Benzolderivate Anilin und Chinolin starke Oxydation des Guajakkarzes unter Bil- dung von Guajakblau einzuleiten. Die aktivierende Wirkung einzelner Pflanzenbasen auf Silbernitrat erstreckt sich auch auf oxydierende Reaktionen des Silbersalzes gegenüber anderen oxyda- beln organischen Stoffen ; so wird beispielsweise ver- dünnte Indigolösung nach Zusatz geringer Mengen von Atropin relativ rasch durch solche Silberlösungen ent- färbt, welche an und für sich eine entbläuende respek- tive oxydierende Wirkung auf diesen Farbstoff nicht äussern, und ebenso bewirkt stark verdünnte Silber- lösung in Gegenwart des genannten Alkaloides starke Bräunung einer alkoholisch-wässerigen Guajakollösung. Bei diesen beiden letztgenannten Reaktionen sind jedoch gewisse andere Pflanzenbasen, wie Brucin, Veratrin und Coffein (siehe oben), wenigstens in der Kälte, ohne Wirkung. Was endlich die oxydierende Wirkung des Silber- nitrates auf Aloinlösungen (unter Bildung des Aloin- rotes) betrifft, so ist auch hier ein durchaus ähnliches Verhalten, wie bei den Kupieroxydsalzen und bei Mer- curichlorid zu konstatieren. Während eine stark ver- dünnte Silbernitratlösung in der Kälte keine Rötung der verdünnten Lösungen von isobarbaloinhaltigem Alain oder von Natal- A loin zu bewirken vermag, erfolgt nach relativ kurzer Zeit die Aloinrotbildung, wenn den Re- 6 82 aktionsraischungen kleine Mengen einzelner freier Al- kaloide, wie Atropin, Coniin, Chinin zugefügt werden, während auch hier Coffein, abweichend von der Guajak- harz-Silbersalz-Reaktion ohne Wirkung bleibt. Es ist wahrscheinlich, dass bei spateren Beobachtungen auch noch eine Reihe anderer Pflanzenbasen einen aktivieren- den Einfluss zeigen wird. Wenn wir die vorstehend mitgeteilten Thatsachen, welche übrigens nur als Ergebnisse vorläufiger Beob- achtungen zu betrachten sind, näher ins Auge fassen und uns daran erinnern, dass sich sehr analoge Er- scheinungen bei verschiedenen Gruppen von oxydierend wirkenden Metallsalzen wiederholen, wenn wir endlich konstatieren können, dass die geschilderten „aktivieren- den" Einflüsse basischer Stoffe nicht nur da beobachtet werden, wo durch die alkalische Substanz eine Ab- scheidung von Oxyden respektive Oxydhydraten aus den betreffenden Metallsalzen bewirkt wird, sondera auch in den Fällen und unter solchen Bedingungen, wo eine solche Zerlegung der Metallsalze nicht konstatiert wer- den kann, so werden wir uns der Meinung kaum ver- schliessen können, dass diesen „aktivierenden" Wirkun- gen auch ein theoretisches Interesse zukommt und dass die Kenntnis solcher allgemeiner verbreiteten Erschei- nungen manche schon längst bekannte Reaktionen viel- leicht in ein etwas anderes Licht rückt. Um hier nur ein derartiges Beispiel anzuführen, dessen nähere Be- sprechung in einer andern Zeitschrift erfolgen soll, möge an die in der medizinischen Chemie bekannte „Biuret- Reaktion" erinnert werden, welche zur Identifizierung sowohl von Harnstoff als auch von Eiweisstoffen dient. Dieselbe beruht auf einer Veränderung (Oxydation) des aus Harnstoff bei längerem Schmelzen gebildeten Biurets und wird so ausgeführt, dass das Objekt (bei Eiweiss- — 83 — Reaktionen die auf Albuminstoffe zu prüfende Lösung) mit einer gewissen Menge Natron- oder Kalilauge ver- setzt und sodann wenig Kupfersulfatlösung zugefügt wird, wobei meist schon in der Kälte, oder nach leichter Er- wärmung eine violettrote Färbung eintritt. Versuche, die von mir anlässlich dieser Studie über den Einfluss basischer Stoffe auf das Oxydationsvermögen der Kupfer- salze angestellt worden sind, haben sofort ergeben, dass die Biuretreaktion nicht allein, wie zu erwarten war, mit jedem löslichen Kupferoxydsalze, sondern auch mit einer ganzen Reihe alkalisch reagierender Substanzen (selbst bei Anwendung kleiner Mengen) eintritt, so bei- spielsweise, wenn die Lösung der kaustischen Alkalien durch Kalk- oder Barythydrat, durch kleine Mengen Ammoniak, auch durch gewisse Pflanzenalkaloide (Atro- pin-, Coniin-Lösung) ersetzt wird, ja selbst bei Anwen- dung einer äusserst schwer löslichen alkalischen Sub- stanz, der gebrannten Magnesia (Magnesiumoxyd). Es ist somit die fragliche Reaktion keineswegs an die An- wendung von Kali oder Natron, das heisst an eine stark alkalische Reaktion der Flüssigkeit gebunden, sondern erfolgt auch in schwach alkalischen Reaktionsgemischen, was sicherlich um so bemerkenswerter ist, als bisher wohl die Ansicht vorgeherrscht hat, dass bei der Biuret- reaktion mit Albumin durch die Wirkung des starken Alkalis zunächst irgend eine Spaltung des Eiweisskörpers unter Bildung des Biuretkomplexes erfolge, welch letz- terer sodann, wie bei dem entsprechenden Versuche mit reinem Harnstoff, durch die stark alkalische Kupfer- lösung unter Bildung des violetten Produktes verändert respektive oxydiert werde. Aus dem Gesagten müssen wir aber schliessen, dass die blosse Einwirkung des Kupfersalzes bei gleichzeitiger, wenn auch schwacher alkalischer Reaktion genügt, um das Eiweissmolekül zu — 84 — „erschüttern," die Biuretbildung und die sofortige Oxy- dation dieser letzteren Substanz zu veranlassen. Wir könnten somit diese Erscheinung, im Sinne älterer Auf- fassungen, als Wirkungen „prädisponierender Verwandt- schaft" deuten; jedenfalls aber schliessen sich die Vor- gänge bei der unter sehr verschiedenen Bedingungen eintretenden Biuret-Reaktion durchaus den unter Alkali- Einfluss erfolgenden Oxydationswirkungen der Kupfer- oxydsalze und anderer Metallsalze an, welche den Haupt- inhalt der vorliegenden Mitteilung bilden. Sirassburg, im September 1902. Die Pygmäen und ihre systematische Stellung innerhalb des Menschengeschlechtes. Von J. Kollmann. Mit i Figuren im Text. Diese kleine Studie ist Herrn Professor Hagenbach- Bischof f gewidmet als Ausdruck des Dankes für das warme Interesse, das er seit einem Vierteljahrhundert der anatomischen Anstalt in Basel ent- gegengebracht hat. Eine besondere Abart des Menschengeschlechtes, die Pygmäen, ziehen mehr und mehr die Aufmerksam- keit der Naturforscher auf sich ; denn die Nachweise mehren sich, und damit die Bedeutung dieser Erschei- nung für die Urgeschichte des Menschengeschlechtes. Solange nur in Afrika und dem Inselarchipel kleine Menschen gefunden wurden, erschienen sie als ein Ku- riosum, das au sich von hohem Interesse war schon wegen der Angaben Homers und anderer griechischer Autoren, aber weiter ging das Interesse bei weitaus den meisten Schriftstellern nicht. Es verging eine verhält- nismässig lange Zeit, bis die Beurteilung etwas tiefer griff. Noch bis zu Anfang der siebziger Jahre und selbst noch nach dem Erscheinen des interessanten Bu- ches von Schweinfurth, „Im Herzen Afrikas", hielt man — 86 — die Angabe von Pygmäen nördlich vom Äquator für reine Erfindung, für mythisch, und als er gar ein Re- giment derselben bei dem König der Mombottu gesehen haben wollte, da hielten nicht wenige diese Angaben des erfolgreichen Reisenden zum mindesten für Jäger- latein. In dieser geringschätzenden Auffassung hat sich allmählich ein kleiner Wandel vollzogen, weil das höchste Interesse in der Frage gipfelt: Wie verhalten sich die Pygmäen ihrer Abstammung nach zu den andern Stäm- men, unter denen sie leben ? Wenn es unzweifelhaft ist, dass die Akka, die Batua und andere — Neger, und zwar Zwergneger sind, so dürfen sie nicht allein für sich be- trachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit andern Negern. Denn eine Verwandtschaft zwischen ihnen muss doch vorhanden sein. In der nämlichen Form tritt uns dasselbe Problem überall entgegen, ob wir die Weddas von Ceylon, die Negritos der Philip- pinen und die Zwerge der Halbinsel Malakka betrachten oder ob wir die Pygmäen Europas berücksichtigen. Bei den letzteren wird die Frage bis zu einem gewissen Grade akut. Solange nur von den Zwergvölkern unter den farbigen Rassen die Rede ist, trägt die ganze Er- örterung mehr einen akademischen Charakter; sie be- rührt uns nicht unmittelbar. Sobald aber unsere eigene Abstammung dabei auf der Tagesordnung erscheint, erhöht sich die Teilnahme an der Diskussion, denn sie gewinnt eine grössere Aktualität. Dabei kommt noch ein anderer Umstand in Be- tracht. Solange Pygmäenfunde in Europa vereinzelt auftraten, war trotz der Verwandtschaftsfrage das Inter- esse kaum lebhafter erregt worden, denn so ein paar Zwerge konnten ja auch am Ende pathologisch sein. Sie fielen unter den Begriff degenerierter Rassen, wie — 87 — wohl manche dachten. Diese Beurteilung wird aber immer unzulänglicher, denn es bestätigt sich mehr und mehr, dass Europa einst eine ganze Bevölkerung von Pygmäen besass, wie heute noch die Philippinen oder Ceylon oder das dunkle Afrika. In dieser Hin- sicht sei deshalb daran erinnert, dass in der Schweiz, und zwar an drei verschiedenen Orten, Pygmäenknochen in Gräbern der neolithischen „Periode, vermischt mit Skelettresten hochgewachsener Europäer gefunden worden sind. Wie noch heute die farbigen Pygmäen zumeist mit den farbigen hochgewachsenen Stämmen zusammen leben, so war dies während der neolithischen Periode auch in Europa der Fall. Das beweist jede neue Ent- deckung dieser Art, so z. B. in Frankreich. In einer neolithischen Station, genannt Cave aux Fées bei Brueil (Departement Seine-et-Oise) sind Knochen von Pygmäen neben Knochen hochgewachsener Leute gefunden wor- den, und zwar bis zu 9 Prozent. Das ist freilich nicht übermässig viel, aber man weiss ja, wie bei Ausgrabun- gen mit den Menschenresten verfahren wird, sie werden in unglaublicher Weise verschleudert. Es ist deshalb gar nicht anzunehmen, dass gerade die Pygmäenknochen mit besonderer Sorgfalt gesammelt wurden. Wenn nun dennoch so viele dort in jener Periode sicher nachge- wiesen sind, so fällt gerade ein solches Zahlenverhältnis um so bedeutender ins Gewicht. In einer anderen neolithischen Station ist das Ver- fahren übereinstimmend. Unter den langen Knochen von Mureaux belinden sich solche von Pygmäen und von hochgewachsenen Leuten. Dasselbe ist der Fall in einem dritten Gräberfelde bei Chalons-sur-Marne, dessen Knocheninhalt von Manouvrier unter Mithülfe von Po- kro/vsky beschrieben worden ist. Als die erwähnten Gräberfunde in Frankreich geborgen wurden, war die — 88 — Thatsache von dem Vorhandensein von Pygmäen in Europa noch nicht genügend bekannt und so kommt es, dass das Vorkommen der Knochen zwerghafter Leute in Frankreich noch bis heute gar keine weitere Berücksichtigung gefunden hat. Aber die Vergleichung der Zahlen über die Länge der Oberschenkelknochen beweist doch klar, dass in Frankreich in der neolithi- schen Periode an drei verschiedenen Orten Pygmäen zusammen mit den hochgewachsenen Leuten gelebt ha- ben. Man darf mit Sicherheit darauf rechnen, dass noch viele Funde der Art gemacht werden, denn die Höhlenforschung ist dort sehr ergiebig. Zahlreiche und wichtige Beiträge haben die Anthropologen dieses Lan- des schon geliefert, besonders für die neolithische Pe- riode, denn in den Höhlen findet sich ein Material an Schädeln und Knochen in einer Vollständigkeit und Menge, wie es in Europa kaum irgendwo mit solcher Reichhaltigkeit anzutreffen ist. Jüngst sind nun endlich auch in Deutschland Grab- felder aufgedeckt worden, welche neben Resten von hochgewachsenen Leuten europäischer Abstammung auch Pygmäenknochen enthielten. Die Fundorte liegen ein- mal am Rhein (bei AVorms und Egisheim) und dann fern ab zwischen Breslau und dem Zobten, dem frucht- barsten Gebiete Schlesiens. Diese schlesischen Funde ragen in die Bronze-, in die römische und in die sla- vische Periode herein ! Prof. Thilenius hat die Pygmäen durch Messung unzweifelhaft nachgewiesen. ') Damit rückt die Existenz der Rassenzwerge der Jetztzeit ziem- lich nahe, und dem Funde kommt eine besondere Be- deutung zu. Denn es wird dadurch bewiesen, dass das Vorkommen der Pygmäen in Europa viel länger ge- i) Globus Bd. 81 Nr. 17. 1902. — 89 — dauert bat, als man bei den bisberigen Funden in der Schweiz und in Prankreich annehmen durfte. Dieser Umstand kann kaum überschätzt werden, wenn man beachtet, dass in Europa noch heute auch lebende Pyg- mäen vorkommen. Serpi und Manila haben in Sizilien, namentlich in der Provinz Girgenti, die unzweifelhaf- testen Belege von lebenden Rassenzwergen erbracht. Bei einem Besuche in dem anthropologischen In- stitut in Rom wurde mir eine Reihe solcher Schädel vorgelegt, die Dr. Mantia auf Friedhöfen gesammelt hatte. Einen aus dieser seltenen Reihe hat mir Pro- fessor Sergi sogar zum Geschenk gemacht, er ist der craniologischen Sammlung der Anatomie in Basel ein- verleibt worden. Alle Schädel sind „normal", d. h. sie tragen keine Zeichen von Verkümmerung durch patho- logische Prozesse an sich. Der Nachweis von Pygmäen ist von den beiden italienischen Forschern auch durch andere Kennzeichen geliefert worden, so dass über das Vorkommen von Rassenzwergen in Sizilien bis in die jüngsten Tage herein keine Zweifel bestehen können. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes folgt (Seite 90) die Abbildung des si/.ilischen Pygmäenschädels aus der Basler Sammlung, von oben gesehen und daneben die Abbildung eines Europäerschädels der grossen Rasse. Durch diese Nebeneinanderstellung wird der Unterschied unverkennbar. Nachdem nun auch in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland Reste von Pygmäen gefunden wur- den, welche von der neolithischen bis zu der slavischen Periode fortlaufen, so ergiebt sich ein Verhalten, das mit demjenigen Asiens, Afrikas und des südlichen In- selarchipels übereinstimmt. Alle diese Kontinente be- sitzen eine kleine Abart des Menschengeschlechtes, welche durch besondere Merkmale von den grossen Rassen — 90 abweicht. Das ist ein Ergebnis von grosser, allgemeiner Tragweite. Denn alle, welche von dem Gesichtspunkt der Entwicklung aus die Menschenrassen ins Auge fassen, werden zu der Erwägung gelangen : das Men- schengeschlecht war ursprünglich aus Pygmäen und aus hochgewachsenen Rassen zusammengesetzt. Mit jedem neuen Funde über die Verbreitung der Pygmäen wächst die Bedeutung dieser Thatsache. Wir haben bis jetzt angenommen, die grossen Rassen seien die einzigen Formen des Menschen gewesen, welche den Fig. 1. Schädel eines Pygmäen aus Sizilien. Kapazität 1031 cem und Schädel eines Europäers, grosse Rasse, Kapazität 1460 cem. Erdball bevölkert haben, jetzt erfahren wir, dass auch kleine Menschenrassen dazu beigetragen haben. Dass dies in einem sehr weiten Umfang der Fall war, be- weisen schon die obigen kurzen Nachrichten über vier Kontinente : nämlich über Europa, Asien, Afrika und den Inselarchipel. Noch stand bis jetzt der grosse amerikanische Kontinent aus. Nunmehr hat sich für die neue Welt der Nachweis führen lassen, dass die Bevölkerung jenes Kontinentes ebenfalls Pygmäen ein- schliesst. 91 — Nachrichten über Pygmäen in Amerika sind von Anthropologen Amerikas zwar noch nicht beigebracht worden. Brinton verwies alle Angaben dieser Art von A. v. Humboldt, Martins u. A. in das Bereich der Fa- bel. Mit Unrecht, denn auf dem altberühmten Toten- felde von Ancon und in den Ruinen von Pachacamäc enthalten die Gräber neben Schädeln und Skeletten der grossen Leute auch solche von Pygmäen. Das greifbare Beweismaterial hat die Prinzessin Thérèse von Bayern beigebracht. Unter den von ihr persönlich gesammelten Schädeln befinden sich solche von grosser Kapazität und solche von kleiner oder sogen. Nanocephale. Die Zwerg- köpfe besitzen eine Kapazität von nur 1060 bis 1192 ccm und damit dieselbe Kleinheit, wie die Schädel der Wed- das, der Negritos, der Andamanen, der Buschmänner und der zwerghaften Europäer. Alle Erfahrungen über die körperlichen Eigenschaften der Pygmäen zeigen nun, dass die Bässen mit kleinen Köpfen auch von geringer Körperhöhe sind. Wir dürfen also von den kleinen Schädeln aus mit Sicherheit den Schluss ziehen, dass die Menschen mit den kleinen Köpfen aus Amerika ebenfalls klein von Statur waren. Glücklicherweise ist dafür auch ein direkter Beweis beigebracht. Prinzessin Thérèse hat auch zwei Oberschenkelknochen von jenen beiden Grabstätten mitgebracht, und beide ergeben, ob- wohl sie von völlig ausgewachsenen Individuen herrüh- ren, dennoch nur eine Körperhöhe von H61 und 1463 mm, Masse, die pygmäenhaft sind, wie jene der Weddas oder anderer Zwergvölker. Es war ein überaus glücklicher Griff, neben den Schädeln auch noch ein paar Schenkelknochen nach Europa zu transportieren, denn damit vermehrte sich die Menge und die Bedeutung der Belege. Schädel und Extremitätenknochen zusammen genommen, haben die 92 nämliche Beweiskraft wie lebende Pygmäen selbst. Das Vorkommen von dieser Urform des Menschengeschlech- tes auch in Amerika ist damit ein für allemal festge- stellt und jeder fernere Zweifel ausgeschlossen. Jetzt handelt es sich nur noch darum, die weitere Verbrei- tung dort nachzuweisen, und hierzu finden sich schon manche Anhaltspunkte in der Litteratur. Nach iCOr- bigmj beträgt die mittlere Körperhöhe der modernen Peruaner unter 1600 mm, ein Mass, das zu der Ver- Fig. '2. Schädel eines Pygmäen. Kapazität 1070 com (J. Ranke). Schädel eines Mannes der grossen Rasse, Kapazität 1-1-84 (jR. Yirchow). Beide von den Grabfeldern Peru's. mutung berechtigt, dass auch heute noch Pygmäen unter ihnen leben wie vor 400 Jahren. - - Die kleinen Schä- del sind schon Morton aufgefallen, denn er fand bei den Peruanern die kleinste Kapazität unter allen Amerika- nern. R. Virchow sah unter den von ihm untersuchten Peruanerschädeln auch ausgemachte Pygmäenköpfe (er nennt sie Nanocephale), ohne alle Deformation. R. G. Jl/ilibiirtons und Mac Ritchies Angaben über amerika- nische Zwergrassen sind von vielen Seiten recht abfällig — 93 beurteilt worden, allein es dürfte nunmehr nach den obigen Belegen denn doch geraten sein, diesen Berichten etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn unter einer Anzahl von 33 Schädeln nachweislich 15 Pygmäen vorhanden sind (Ranke1), dann muss die Zwergbevölke- rung doch recht ansehnlich gewesen sein, und es ist anzunehmen, dass sie nicht nur auf Ancon und Pacha- camâc beschränkt war. Die Litteratur ist auch nach dieser Seite ziemlich ergiebig. Ich will nur eine That- sache anführen, welche zeigt, dass Pygmäen weit unten auf der südlichen Hälfte Amerikas einst vorkamen. Ten Kate hat aus dem Museum von La Plata über die Grösse von Kniescheiben berichtet, die an den Skeletten südamerikanischer Herkunft gefunden wurden. Voraus- geschickt möge zunächst werden, dass die Kniescheibe in einem bestimmten proportionalen Verhältniss zur Kör- perhöhe des Individuums steht, sie ist klein bei kleinen Leuten und gross bei grossen. Laien wie Anatomen werden dies unbedingt als richtig anerkennen. Die Un- terschiede betragen nahezu 2 cm. Ten Kate sind nun zweierlei Kniescheiben aufgefallen, solche, die gross sind, wie die der hochgewachsenen Europäer, und kleine, wie die der Pygmäen. Der Verfasser hat nur die eine Thatsache an sich veröffentlicht und durch tadellose Abbildungen erläutert, ohne doch von Pygmäen zu sprechen, ebensowenig wie dies Ranke und Virchow bei der Erwähnung der Schädel aus den Totenfeldern von Peru gethan haben. Aber nach allen Erfahrungen über die körperlichen Eigenschaften der Rassenzwergc geht aus den Angaben über die Kniescheiben deutlich her- 1) Joh. Ranke, Beschreibung der Schädel von Ancon und Pa- châcamâc, welche I. K. H. Prinzessin Thérèse von Bayern gesam- melt hat. Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften in München 1900. 4°. Mit 9 Tafeln. — 94 vor, dass wir es mit Teilen eines Zwergvolkes zu thun haben, das dort in den Gebieten des La Plata mit einem Volke von grossen Leuten zusammengelebt hat. Für mich besteht hierüber auf Grund der vorlie- genden Kniescheiben nicht der geringste Zweifel, ebenso wenig darüber, dass Ehrenreich unter den Botokuden noch lebende Pygmäen angetroffen hat. Ich schliesse dies aus der Körperhöhe eines Mannes von 146 cm und zweier von R. Virchow gemessener Skelette, die nur eine Körperhöhe von 148 und 140 cm ergaben. Porte endlich findet unter demselben Volke Körperhöhen von 1,85 m, also sehr grosse Leute, daneben aber auch kleine, und zwar Männer und Frauen, die nur 116 bis 135 cm hoch sind! Dazu kommen auch Nachweise von Schädeln mit kleiner Kapazität, die von den verschie- densten Autoren bestätigt werden (Lacerda und Peixoto, Canestrini e Moschen, R. Virchow). Also auch in die- sem Gebiete amerikanischer Stämme die nämliche in allen übrigen Kontinenten vorkommende Erscheinung: das Zusammenleben grosser Rassen mit Zwergrassen. Und das ist noch in der jüngsten Zeit der Fall gewesen in den eben angeführten Gebieten Amerikas wie auch auf der Santa Cruz-Insel und in Kalifornien. So wären denn nach den vorliegenden Erfahrungen die Pygmäen auch über den amerikanischen Kontinent zerstreut wie über den von Europa, Asien, Afrika und den Inselarchipel. Damit scheint mir ein schwerwie- gendes Hindernis beseitigt, das bisher einer tieferen natürlichen Deutung der Pygmäen entgegenstand. Die Funde in Europa und Amerika sowie jene auf den übri- gen Kontinenten drängen mehr und mehr dahin, die Pygmäen als Urrassen aufzufassen, die zuerst in die Erscheinung traten. Aus ihnen haben sich dann, durch Mutation, die hochgewachsenen Rassen entwickelt. — 95 Ehe ich auf die Begründung des letzten Satzes eingehe, sind zwei schwerwiegende Einwände zu berück- sichtigen, die bisher laut geworden sind : erstens der Widerspruch gegen die tiefgreifende Verschiedenheit zwischen den Pygmäen und den grossen Leuten, und zweitens der Widerspruch gegen die Annahme eines hohen Alters der Pygmäen, wie es dem übrigen, grossen Menschentum zukommt. Man hört von vielen Seiten die Behauptung, die Zwerge seien auf pathologischer Grundlage entstanden. Allein diese Annahme beruht auf der Verwechslung kleiner degenerierter Menschen, wie sie überall einmal vorkommen, mit den kleinen Rassenmenschen, die man genauer erst seit den letzten Dezennien kennt. Kleine verkümmerte Menschen, Bucklige u. dergl. wurden im- mer Zwerge genannt und auch als Pygmäen bezeichnet. Die meisten von uns haben solch traurige Gestalten gesehen. Ich habe vorgeschlagen sie Kümmerzicerge zu nennen, zum Unterschied von den kleinen aber ge- sunden Rassenmenschen, von denen weiter oben die Rede war. Diese kennen von Angesicht zu Angesicht nur die kühnen Reisenden, welche sie in der Wildniss aufgesucht haben. Diese Zwerge müssen durch ein an- deres Wort als solche kenntlich gemacht werden, und werden am besten Rassenzwerge oder Pygmäen genannt. Das letztere Wort stammt aus der klassischen Zeit und wird, wie wir sehen werden, mit Recht für die Rassen- zwerge beibehalten, welche die Alten bereits als solche kannten. Zu weiterer Aufklärung sei noch folgendes be- merkt. Kümmerzwerge, oft auch Liliputaner genannt, entstehen nachweislich durch Degeneration, wobei man annimmt, dass schon die Keimzelle abnorm war. Ihre Körperhöhe schwankt zwischen 1 Meter und 1,30, sie — 96 sind dabei nicht übel proportioniert mit Ausnahme des Kopfes. Über einem kleinen Gesicht erhebt sieh näm- lich in der Regel ein etwas grosser Oberkopf, der Ge- hirn genug einschliesst, um sich in der menschlichen Gesellschaft geschickt zu benehmen. Solche Kümmer- zwerge treten isoliert auf inmitten der grossgewachsenen Bevölkerung. Das einzelne Glied einer Familie bleibt zwerghaft, während die übrigen normal sind. Solche Kümmerzwerge werden bisweilen durch geschickte Un- ternehmer von vielen Orten her zusammengebracht und zu einer kleinen Schauspielertruppe vereinigt, die überall das Entzücken der Kinder bildet. Mit solch verküm- merten kleinen Scharen haben die in freier Natur auf- gewachsenen Rassenzwerge aber nichts zu thun Es ist leider noch nicht hinreichend bekannt, warum die Küm- merzwerge auf einer kindlichen Stufe des Wachstums stehen bleiben, wobei namentlich das Knochensystem affiziert ist. Die Epiphysenknorpel der Extremitäten- knochen sind ebenso wie manche Knorpel an der Schä- delbasis bei diesen Zwergen selbst in einem Alter von 30 — 36 Jahren noch unversehrt erhalten, also noch zu einer Zeit, in welcher bei normalen Menschen und auch bei den Rassenzwergen diese Knorpel längst verknöchert sind. Solche Kümmerzwerge, deren äussere Erscheinung noch etwas anziehendes weil etwas kindliches an sich trägt, sind aber nicht die einzigen Formen, unter denen kleine Menschen „Zwerge" auftreten. Starke Grade von Rachitis erzeugen Gestalten, die zwerghaft und ver- krüppelt zugleich sind. Die psychischen Qualitäten kön- nen dabei schwanken zwischen hochgradiger Intelligenz und stumpfem Blödsinn. In diese weite Kategorie ge- hören die Zwerge, die in dem Rom der Cäsaren, an den Fürstenhöfen Europas, Afrikas und Indiens zu al- — 97 lerhand Kurzweil, auch als „Hofnarren" verwendet wur- den. Speke (64) sah einen solchen bei einem Negerkönig in Unyoro, also einen Kümmerzwerg, keinen Rassen- zwerg. Übrigens hat Speke auch eine Abbildung dieses verkümmerten Menschen gegeben, so dass dadurch jeder Zweifel über die Degeneration dieses Zwergen ausge- schlossen ist. Speke hatte es mit einem rachitischen Manne der im übrigen grossen Negerrasse zu thun. Die Herren Bretts und Kolisko haben in einem grossen Werke (00) alle die verschiedenen Sorten der Kümmer- zwerge aufgeführt, welche auf pathologischer Grundlage entstehen. Es gibt fünf verschiedene Arten, welche das Minimalmass der Körpergrösse der betreffenden Men- schenrasse nicht erreichen. Diese Zwergarten, von de- nen die eine oder andere jedem Leser bekannt sein dürfte, haben mit den Rassenzwergen nur die geringe Körperhöhe gemeinsam. Diese ist aber bei den Küm- merzwergen eine krankhafte, bei den Rassenzwergen dagegen eine rassentiafte Eigentümlichkeit. Dieser bedeutungsvolle Unterschied ist erst jetzt allmählich klar gelegt worden, deshalb kann es kaum überraschen, dass diese beiden so grundverschiedenen Zwergarten oft miteinander verwechselt wurden, so dass es oft schwer fällt, zu entscheiden, von welcher Art eigentlich die Rede ist. Dies gilt namentlich bezüglich der klassischen Nachrichten. So ist denn allmählich eine Zweifelsucht entstanden, die viel zu weit gegangen ist; sie hat schon im Altertum begonnen und sich bis in unsere Tage herein fortgesetzt. Ein auffallendes Beispiel dieser Art findet sich bei dem hervorragenden Geographen G. Forster, der sich einst auch über die Existenz der Pygmäen ausgelassen hat, ein Artikel, an den eben jetzt wieder aufs neue erinnert wird. Forster ist der Ansicht, die Sage von dem Volk der Pygmäen 7 98 — „das an des Okeanos strömenden Fluten von den Kra- nichen mit Mord und Verderben bedroht wird" (Ilias III, 6), habe nichts gemein mit der Kunde von kleinen Menschenstämmen in Afrika. Diese Auffassung war da- mals (1784) gewiss berechtigt, weil man von Pygmäen im Innern Afrikas nichts bestimmtes wusste. Wenn ein scharfsinniger Artikel nach fast hundert Jahren in Pe- termanns Mitteilungen (71) noch dieselbe Stellung ein- nimmt und meint, es handle sich um eine vollständige Fabel, so ist dies angesichts der Entdeckungen über Pygmäen offenbar etwas zu weit gegangen. Man darf die Ansicht Strabo's nicht ohne weiteres wiederholen, der da meinte, was die Dichter, der Sänger der Iliade und sein Vorgänger oder Zeitgenosse Hesiodus von Pygmäen gesagt hätten, sei lediglich der „Ergötzung wegen mitgeteilt." In den beiden obenerwähnten Ar- tikeln sind überdies auch die Angaben von Aristoteles, Plinius und Herodot einer ablehnenden Kritik unterzogen worden. Ich möchte für die teilweise Richtigkeit der alten Angaben eintreten, weil in der jüngsten Zeit in Ober- ägypten neben den Resten der hochgewachsenen Rassen auch Reste von Pygmäen gefunden wurden. Unter der Leitung von W. 31. F. Pétrie (96) hat jene englische Gesellschaft, die sich die archäologische Erforschung Ägyptens zur Aufgabe gemacht, wertvolle Resultate in Abydos und seiner nächsten Umgebung erzielt. Die Resultate liegen in vier inhaltsreichen Bänden veröffentlicht vor, zu denen noch eine beson- dere Abhandlung von Randal Maclver hinzukommt (Ol), welche die craniologischen Schätze aufführt, die sowohl der Steinzeit Oberägyptens als der Metallzeit, und zwar der ersten Dynastien angehören. Die Leute, welche in diesen Gräbern von Abydos, wie sie generell heissen — 99 — sollen, bestattet sind, lebten lange vor den trojanischen Kämpfen und lange vor dem unsterblichen Sänger der Utas. Die englischen Gelehrten, deren Angaben ich auf Grund der Publikationen ein vollkommenes Ver- trauen entgegenbringe, nennen für die untersuchten Grabfelder und ihre Entstehung die Zeit zwischen 4000 bis 6000 Jahre vor Christus. Maclver hat seiner Ab- handlung mehrere photographische Tafeln beigegeben, auf denen die Schädel in drei verschiedenen Ansichten mit peinlicher Sorgfalt wiedergegeben sind. Aus diesen Tafeln lässt sich mit aller nur wünschenswerten Sicher- heit entnehmen, dass die Bevölkerung von Abgdos aus Abkömmlingen der grossen Rassen Afrikas und aus Abkömmlingen von Pggmäen zusammengesetzt war1), und zwar kamen gerade Pygmäen vor in einem Verhältnis von etwa 20%. Nehmen wir an, dort oben habe eine Bevölkerung Von 50,000 Seelen gelebt, so befand sich darunter die ansehnliche Menge von etwa 10,000 Pyg- mäen. Woher sie kamen, ist natürlich unbekannt, aber man wird nicht fehlgehen, wenn man ihre Heimat im Sudan annehmen will. Die Figur 3 ist nach einer Photographie angefertigt, die ich Herrn Maclver ver- danke. Sie zeigt einen Pygmäenschädel und daneben den Schädel eines Abkömmlings der grossen Rassen, beide aus der Urzeit Oberägyptens. Angesichts dieser unbestreitbaren Beweise über das Vorkommen von Pygmäen in Oberägypten zwischen 4000 — 6000 vor Christus ist es in hohem Grade wahr- scheinlich, ja fast gewiss, dass Aristoteles, Homer, He- siodus und andere Schriftsteller des Altertums eine zu- treffende Nachricht von dem Vorkommen dieser Passen- zwerge erhalten hatten. Die skeptische Abwehr durch Strabo war ungerechtfertigt. An den Angaben über 1) Darunter befand sich auch ein Kümmerzwerg. 100 — Pygmäen an den Quellen des Nil bleibt auch nach Be- seitigung aller poetischen Zuthaten dennoch ein wahrer Kern. Thatsächlich kamen dort Pygmäen vor. Ossa loquuntur. Nun kommen aber neue Zweifel anderer Art. Viele angesehene Anthropologen und Ethnologen sprechen die Vermutung aus, alle die bisher bekannt gewordenen Pygmäenrassen seien lediglich degenerierte Abkömmlinge der grossen Leute, unter denen sie entweder in abhängi- Fig. 3. Schädel eines Pygmäen und Schädel eines prähistorischen Nordal'rikancrs, beide aus Abydos. Nach Maclver. ger Stellung leben, oder von denen sie sich getrennt haben. Die geringe Körpergrösse soll von Nahrungs- mangel herrühren, v. Wissmann, der an seinen Batua eine Durchnittsgrösse von 1,40 Meter feststellte, v. François, der am obern Tschuappa die Männer ebenso gross fand und die Weiber auf 1,20 Meter schätzte, Schweinfwrth, Long, Felkiri, Emin-Pascha, Stnhlmann, Osk. Lenz, G. A. Fischer u. A., sie alle sollten von pa- thologischen, degenerierten Menschen getäuscht worden sein? Den ersten Anstoss zu dieser seltsamen Beurtei- loi limg gab vielleicht die Meinung von R. Virckow, es gäbe manche degenerierte Menschenrassen. Er wollte damit gewisse somatische Eigenschaften der Lappen und der Grönländer treffen, eine Anschauung, die sich wohl begründen lässt. Bezüglich der Rassenzwerge kenne ich aber keine bezügliche Bemerkung von ihm, im Gegenteil bezüglich der Weddas hat er eine solche Auffassung sogar zurückgewiesen und in einer langen Diskussion im Schosse der Berliner anthropologischen Gesellschaft ist er Nehring entgegengetreten, der seine Vorstellung von Kümmerformen im Tierreich auch auf gewisse Menschenrassen, insbesonders auf die Pygmäen übertragen wollte. Eine ausführliche Darstellung dieser Ansicht findet sich bei Ranke (94) und neuerdings bei Sokolowski (02). Sie ist keineswegs neu. Man lese nur die Darlegungen der Herrn Sarasin (92); da wird sich zeigen, dass ähnliche Urteile in zahlreichen Abstufungen schon abgegeben wurden hinab bis zur Vermutung, die Weddas seien Affen. Wenn neuestens die alte Variante wiederkehrt, die Weddas seien gewissermassen Singha- lesen unreinen Blutes, die überdies durch ihr Wald- und Jägerleben degeneriert und verwildert seien, so muss man fragen, wo denn irgendwo in der Welt das Wald- und Jägerleben degeneriert hätte? Abgesehen davon, dass alle jetzigen Kulturvölker einmal durch dieses Leben hindurchgegangen und sich trotzdem und gerade deshalb vortrefflich erhalten haben, genügt es ja nur an die Indianer, die Neger, die Australier u. s. w. zu erinnern. Wer hätte jetzt nicht solche Leute gese- hen, welche in Karawanen durch Europa geführt werden und doch wahrlich das Gegenteil von Degenerationsvor- gängen zeigen. Die Degenerationshypothese ist eine voreilige Ent- scheidung über die Rassenzwerge, entstanden unter dem — 102 Eindruck jener verkümmerten Jammergestalten, denen jeder von uns schon im Leben begegnet ist, entstanden unter dem Eindruck pathologischer Zwerge, deren Ent- stehungsgeschichte oben erwähnt wurde. Beobachter, die sich nach dieser Richtung hin ihre Objektivität be- wahrt oder gar direkt mit den lebenden Rassenzwergen verkehrt haben, drücken sich über die körperliche Be- schaffenheit ganz anders aus. Ich nenne zuerst über die Wecldas die Herren Sarasin, deren Angaben in dieser Hinsicht ganz entschieden im Gegensatz stehen zu der Degenerationshypothese. Im Laufe des "Winters war dann Dr. Leopold Rütimeyer, ein vielbeschäftigter Arzt aus Basel, in Gesellschaft der Herren Sarasin in Ceylon, und hat die Weddas aufgesucht. Er sprach sich in einem Vortrag in der Naturforschenden Gesellschaft zu Basel !) ganz entschieden gegen die Degenerations- hypothese aus mit folgenden Worten: wenn man die in ihrer Weise für die Lebensaufgaben vollkommen aus- gerüsteten, kräftigen und gesunden Naturweddas sieht, so wie wir sie gesehen haben, so wird man eine solche Idee, es handle sich um Kümmerformen, als gekünstelt und unnatürlich zurückweisen.2) Soviel gegen die Degenerationshypothese mit dem Zusatz, dass keines der Pygmäenskelette, die ich ge- sehen, Spuren der Degeneration erkennen liess, und ') Sitzung im Juli 1902 im Bernoullianum. Der Vortrag wird im Druck erscheinen. L') Zwei andere Beobachter, deren Werke ich nicht selbst ge- sehen, über deren Inhalt ich aber von kompetenten Personen un- terrichtet bin, finden die Pygmäen Afrika's kräftig gebaut mit gut entwickelter Muskulatur. Diese Männer, welche direkt mit den Pygmäen und längere Zeit sogar verkehrt haben, berichten nichts über Degeneration. Die Namen der beiden Kenner der afrikani- schen Pygmäen sind Lloyd und Johnston. Die Titel siehe unten unter Nr. 09 und 02. 103 — ihre Zahl ist doch schon recht ansehnlich. Sie umfasst zunächst die Skelette der Schweizer Pygmäen, dann die zahlreichen Skelette von Pygmäen, die im Besitze der Herren Sarasin in Basel sich befinden, und ein An- damanenskelett in Florenz, das ich mit Mantegazza und Regalia untersucht habe. Unter der freundlichen Führung des leider schon verstorbenen Sir Will. Floiver konnte ich die Skelette der beiden afrikanischen Pyg- mäen sehen, die sich in dem Museum of Natural history in London befinden und die s. Z. von Emin Pascha dorthin geschenkt wurden. Ich kenne die Schädel si- zilianischer, afrikanischer, indischer und amerikanischer Pygmäen und bestreite, dass an denselben Spuren von Degeneration bemerkbar sind. Die Skelette stammen alle von gesunden Repräsentanten der Rassenzwerge, die in den ebengenannten Kontinenten gelebt haben. Um die Stellung der Pygmäen innerhalb des Men- schengeschlechtes später diskutieren zu können, muss jetzt noch ein anderer Einwand erwähnt werden. Bei Gelegenheit der Diskussion über den Anthro- poiden von Trinil, den Pithecanthropus erectus Dubois habe ich die Thesis aufgestellt (95), die Pygmäen seien die Vorläufer der grossen Rassen. Diese Thesis wird bestritten und darauf hingewiesen, im Diluvium seien bisher nur grosse Bässen gefunden worden, diese seien deshalb älter, die Grossen stellten den Anfang der Menschheit dar (Nehring). Dieser Einwurf erscheint zweifellos vielen sehr bedeutungsvoll, obwohl nach meiner Meinung das Gewicht dieser Gegenbemerkung sehr ge- ring ist. Denn es dürfte sehr schwer fallen, irgend einen Naturforscher zu finden, der annehmen wollte, die Pygmäen seien erst in der neolithischen Periode ent- standen. Zu der Zeit, als die Menschheit entstand, mussten die beiden Formen mindestens gleichzeitig auf- 104 — treten. Wenn es die Grossen waren, die zuerst auf- traten, dann mussten nach den allgemeinen entwick- lungsgeschiehtlichen Prinzipen die Kleinen doch eben- falls mitentstehen. Eine doppelte, unabhängige Ent- stehung des Menschengeschlechtes ist naturwissenschaft- lich betrachtet eine Unmöglichkeit. In solchen Streitfällen ist die Cardinalfrage am Platz : Gibt es eine Descendenz oder gibt es keine. Bekennt sich ein Naturforscher zu der grossen Lehre von der Descendenz, so bleibt kein anderer Ausweg, als die Annahme, dass die Pygmäen und die Grossen in einem Descendenzverhältnisse zu einander stehen Dann aber muss irgend eine Ent- scheidung gegeben werden. Da liegen nur zwei Mög- lichkeiten vor: entweder stammen die Kleinen von den Grossen ab, oder die Grossen von den Kleinen. Das erstere läuft auf die Degenerationshypothese hinaus, die unhaltbar und falsch ist. Es bleibt also descendenz- theoretisch nur die zweite Möglichkeit bestehen, dass die Grossen von den Kleinen abstammen. Das ist nun in der That nicht nur meine Überzeugung, sondern wohl die aller Naturforscher, welche sich mit diesem Problem beschäftigen. Von allen Beobachtern, die sich eingehend mit den Pygmäen befasst haben und namentlich von allen, die sie aus eigener Anschauung kennen, und deren Urteil darf wohl am meisten Beachtung finden, werden die Rassenzwerge als Urrassen bezeichnet. Die ganze Er- scheinung dieser Menschenabart legt stets den Gedanken an Urrassen sofort nahe, wie aus allen Reiseberichten einstimmig hervorgeht. Diese Zwergrassen haben in ihrer Erscheinung etwas „primitives", etwas ursprüng- liches an sich im Vergleich zu den grossen Rassen. Der Ausdruck „Urrasse" deutet dabei darauf hin, dass die Pygmäen die ersten Bewohner des betreffenden Ge- — 105 — bietes waren. Das ist überdies eine Auffassung, die auch in den Überlieferungen der verschiedensten Völker enthalten ist, seien sie Kultur- oder Naturvölker. Das Fehlen der Überreste in dem Diluvium fällt diesen Urteilen gegenüber nicht so sehr ins Gewicht, wie man glauben möchte. Die Funde werden nicht ausbleiben. Wenn sie bis jetzt mit den Grossen zu- sammen in dem Diluvium nicht gefunden wurden, so rührt dies wohl davon her, dass sich die Grossen von den Pygmäen getrennt haben, nachdem die Descendenz vollzogen war. Sie lebten, beide Formen, dann ge- trennt, in isolierten Horden wie noch jetzt in Central- afrika, oder auf Ceylon. So lege ich denn weniger Ge- wicht auf die Thatsache des Fehlens im Diluvium, da- gegen vielmehr auf das übereinstimmende Urteil kom- petenter Naturforscher, welche die Rassenzwerge als Urrassen betrachten, womit sie die Überzeugung aus- drücken wollen, aus dem Geschlecht der Rassenzwerge sei das Geschlecht der Grossen und zwar auf dem Wege des Transformismus hervorgegangen. Diese Auf- fassung stimmt mit allem überein, was wir von dem stammesgeschichtlichen Entwicklungsgang wissen. Die kleinen Formen der Pflanzen und Tiere sind immer den grossen vorausgegangen. Zuerst erschienen die Kleineu auf dem Schauplatz, dann erst kamen die Grossen, die sich aus den Kleinen entwickelten im Laufe der Zeit. Das Gegenteil stände in offenem Widerspruch mit den Regeln der Entwicklung. Der aufsteigende Gang schreitet wie ein ehernes Gesetz fort. Die Forschungen der Botanik, der Zoologie, der vergleichenden Anatomie und der Palaeontologie bestätigen dies überall. Die Riesen- amphibien, die Riesensaurier, die Riesenvögel, die gros- sen Raubtiere, die grossen Einhufer und die grossen Wiederkäuer — sie alle sind nicht unvermittelt sofort — 106 — als grosse Formen entstanden, sondern haben sich aus den verwandten, nahestehenden kiemern Arten allmählich entwickelt. Zu den schon vorhandenen Thatsachen hat Wortmann neue hinzugefügt (Nr. 98). Nach all diesen Darlegungen ist es klar, dass nicht die geringste Veranlassung vorliegt, für den Menschen einen andern Entwicklungsgang anzunehmen, man muss vielmehr voraussetzen, dass die grossen Menschenrassen aus den kleinen, also aus den Pygmäen hervorgegangen sind, ein Gedankengang, der mit Anschauungen R. Vir- chow's übereinstimmt und sich wohl mit denen vieler Naturforscher decken wird, sobald sie sich einmal mit diesem Problem beschäftigen werden. Um diesen Gedankengang nicht bloss in Worten, sondern sozusagen sichtbarlich zu veranschaulichen, be- diene ich mich des folgenden Schemas, wie es im täg- lichen Leben stets angewendet wird, sobald es sich darum handelt, komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse einer Familie darzustellen. Dieses Schema besteht der Hauptsache nach aus divergierenden Linien, die von bestimmten Punkten ausgehen (Fig. 4). Zu diesem Schema diene die folgende Erläuterung. Durch römisch I, einem Rechteck, ist die Urhorde des Pygmäengeschlechts ver- sinnlicht. Sie war klein und bestand aus gleichartigen unter sich übereinstimmenden Individuen. Die Erfah- rungen über die geographische Verbreitung der Tierwelt drängen dahin, für diese Urhorde ein einziges Ursprungs- centruin anzunehmen. In diesem Centrum vermehrten sie sich zu einem grossen Urstamm von Pygmäen. Das kann als die erste Periode (I) in der Entivick- lung des Menschengeschlechts bezeichnet werden. Wo sich dieses Centrum befand und wie lange diese erste Periode dauerte, kann hier nicht erörtert werden. Die zweite Periode in der Entwicklung des Menschenge- 107 schlechtes begann nach den Regeln der Descendenz da- mit, dass sich aus der Spezies der Rassenzwerge, das ist aus der Urhorde drei Unterarten oder Subspezies Gr. Gr. P- Gr. ••• \ ÇT)Gr\ 0Gr. P(p Pf) P Q V. Typen. „ psâ IV. Rassen. jpGr. III. P=Pyomäen / Gr.= Grosse Sub- H spezies. II. Subzpezies der Pygmäen. WBfflM^ I. Urhorde von MMwmm Pygmäen. Fig. 4. Schematische Darstellung der Entwicklung des Menschengeschlechts und der systematischen Stellung der Pygmäen zu den grossen Rassen. derselben kleinen Menschen entwickelten, welche sich durch Haar, Hautfarbe und durch die Form der Hirn- schädel von einander unterschieden. Nimmt man die Form der Haare als bezeichnendes Merkmal, so sind — 108 — diese drei Subspezies als wellhaarige (cymotriche) , als wollhaarige (ulotriche) und als straffhaarige (lisso- triche) zu unterscheiden. Diese drei Subspezies sind noch heute am Leben. Zu der wellhaarigen Subspezies gehören die Weddas und die indischen Pygmäen, zu der wollhaarigen die afrikanischen Zwergrassen und die Negritos und zu den straffhaarigen die amerikanischen Pygmäen. Diese zweite Periode der Evolution der Pygmäen ist in dem Schema als ein System divergierender Linien angedeutet, welche schliesslich in kleinen Kreisen endi- gen Diese kleinen Kreise sind verschieden, um die bestehenden Unterschiede innerhalb der drei Subspezies anzudeuten. Die divergierenden Linien sollen gleich- zeitig die Thatsache der Wanderung ausdrücken, durch welche die Rassenzwerge in die verschiedenen Konti- nente vordrangen. Die dritte Evolutionsperiode entwickelte eine grosse und bedeutungsvolle Mannigfaltigkeit des Menschenge- schlechts dadurch, dass zu den Pygmäen noch die Grossen hinzukamen. Aus der cymo-, ulo- und lisso- trichen Subzpezies der Pygmäen entstehen ebensoviele grosse Subspezies, die in gleicher Weise von einander verschieden sind, wie die Pygmäen. Zieht man auch hier, nach dem Vorgange Haeckels, der die Gliederung des Menschengeschlechts am ausführlichsten behandelt hat (89), die Haare als unterscheidendes Merkmal heran, dann sind diese grossen Subspezies am besten ebenfalls als cymo-, ulo- und lissotriche zu unterscheiden. Dieser Vorgang stellt die dritte Schöpfungsperiode des Menschen dar, und ist (siehe Schema römisch III) dadurch ausge- drückt, dass ein kleiner und ein dazu gehöriger grosser Kreis dreimal wiederkehrt und dass der grosse als eine Abzweigung des kleinen erscheint. — 109 — Der Vorgang hat sich wie bei den Pflanzen und Tieren in der Weise abgespielt, dass ein Teil der Pyg- mäen sich in grosse Rassen innerhalb einiger Genera- tionen umwandelte und zwar durch Mutation, durch einen Vorgang, den neuerdings de Vries (01) ausführlich geschildert hat. Die Anwendung der Erfahrungen über Mutation für die Naturgeschichte des Menschen ist dann von mir kurz durchgeführt worden (Ol). Mit dieser dritten Entwicklungsreihe ist die Urge- schichte der Menschheit noch nicht abgeschlossen. Aus den Subspezies entwickelten sich nunmehr erst die gros- sen und diu kleinen Rassen, die wir nach den Eigen- schaften des Gesichtes klassifizieren. Damit beginnt Die vierte Evolutionsperiode des Menschengeschlechts, diejenige der Rassen. In jedem Rassenkontinent treten Rassen auf; die wellhaarige Subspezies der Grossen lässt aus sich wellhaarige Rassen hervorgehen, die woll- haarige Subspezies wollhaarige Rassen und ebenso die straffhaarige Subspezies straffhaarige Rassen. Diese Periode halte ich für ausserordentlich bedeutungsvoll, weil sich damit charakteristische Verschiedenheiten in sehr auffallender Weise ausprägen. Die langen Gesichter und die breiten sind wichtige Entwicklungsstufen, die in ihrem ganzen Umfang noch nicht gewürdigt worden sind. In beiden Rassen, den Lepto- und den Chamae- prosopen, sind scharfe und charakteristische Zeichen vorhanden, welche durch die Corrélation in einen ganz bestimmten Zusammenhang gebracht werden. Dazu kommen die Veränderungen an der Hirnkapsel, wodurch in jedem Rassen kontinent Langschädel, Kurzschädel und mittellange oder Mesocephalen entstehen. Die anthro- pologischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte haben zahl- reiche Beweise für diese Gliederung des Menschenge- schlechtes gebracht. Die Zeit, in der diese Gliederung — 110 — stattfand, lässt sich annähernd skizzieren ; sie fand wohl um die diluviale Epoche herum ihren vorläufigen Ab- schluss. doch damit noch nicht ihr Ende. Denn die Menschheit entwickelt sich somatisch noch weiter inso- fern in jedem Rassenkontinent noch weitere Differen- zierungen vorkommen. Sie sind am genauesten in dem Kontinent der wellhaarigen Rassen und namentlich Eu- ropas bekannt, wo die blauen, braunen und grauen Augen, die hellen Haare und die helle Haut u. s. w. hinzukommen. Die fünfte Stufe in der Entwicklung der Mensch- heit ist diejenige, in der wir uns jetzt befinden. Die Gliederung hat sich vermehrt und es sind wie im Tier- und Pflanzenreich Formen entstanden, die als Lokalva- rietäten unterschieden werden können und für die ich den Namen „Typen" vorschlage. Es finden sich z. B. in Europa zwei t/rachi/cephale blonde Typen, und ein brachycephaler brünetter Typus ; dann zwei dolichocé- phale blonde Typen und ein dolichocephaler brünetter Typus, also mindestens sechs verschiedene Lokalvarie- täten oder Typen, die Mesocephalen nicht mitgerechnet. In miserai Schema ist nicht genug Raum vorhanden, um die ganze Reichhaltigkeit der Gliederung zum Aus- druck zu bringen, sie ist also durch die divergierenden Linien nur angedeutet. Nach der Ausbildung der obenerwähnten Typen ist die Reihe der Mutationsperiode für die grossen Rassen vorläufig als abgeschlossen zu betrachten. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass seit mehr als 10,000 Jahren keine neue Mutationsperiode eingetreten ist. Nach all dem, was die neolithische und die paläolithische Periode an Funden menschlicher Knochen geliefert hat, sind die Rassen und ihre Varietäten bezüglich ihrer charakteristischen Merkmale persistent d. h. unverändert — 111 — geblieben, wahrscheinlich aber seit einer längern Zeit als oben in Zahlen angegeben wurde. Das in Figur 4 aufgebaute Schema ist, wie aus der Deutung desselben hervorgeht, in den Perioden röm. III — V auf unbestrittene Thatsachen der Anthropologie hin aufgebaut. Nach all dem, was überdies die Ent- wicklung der Tierformen gelehrt hat, darf man also an- nehmen, dass das Schema der Wahrheit in Bezug auf Gliederung und Differenzierung der grossen Hassen wenigstens in den Hauptpunkten nahe komme.1) Die Beziehungen der Pygmäen zu diesen grossen Rassen und die Stellung der Pygmäen in dem System ist zwar in dem Schema und in den ersten erklärenden Sätzen schon hinreichend dargelegt, allein einige zusam- menhängende Bemerkungen mögen hierüber noch Platz rinden. Die Pygmäen sind nach meiner Darstellung die Stammform des Menschengeschlechtes, dem phylogene- tischen Gesetz entsprechend, dass die grossen Formen aus den kleinen durch Descendenz hervorgehen. Nach den Erfahrungen von de Vries (Ol) treten die neuen Eigenschaften sofort in einer bedeutenden Anzahl von Individuen gleichzeitig auf und zwar in un- gefähr 3 °/o. Denken wir uns eine Horde von 100,000 sprachlosen Quadrumanen, gleichviel welches Namens, als Vorläufer der Pygmäen, dann würden 3000 dersel- 1) Die oben augewandte Terminologie für die verschiedenen Gliederungen der Menschheit sei hier übersichtlich aneinanderge- reiht (vergleiche das Schemai: 1) Spezies = Art, zum erstenmal aufgetreten als Urhorde von Pygmäen : Römisch I des Schema. 2) Subspezies — Abart, aus der Spezies hervorgegangen. Nr. II. 3) Rassen, aus den Subspezies hervorgegangen. Schema Nr. IV. 4) Varietäten Typen = Lokalvarietäten, aus den Rassen her- vorgegangen (siehe Schema Nr. Vi. — 112 — ben, sobald die Mutationsperiode eintritt, auf einmal in Pygmäen mit menschlicher, artikulierter Sprache und einem höhern Gehirnvolumen, mit aufrechtem Gang und mit geringem Haarwuchs umgewandelt werden. Diese 3000 bildeten die Urhorde, den Urstamm des Menschen- geschlechtes. Noch gleichartig gebaut und beschaffen, stellen sie den Ausgangspunkt aller weitern Entwick- lungsformen des Menschengeschlechts dar. (Siehe Schema röm. I). Diese Urhorde begann nun ihre weitere Entwick- lung. Durch eine Reihe von Mutationen entstanden Horden mit Wellhaar, Horden mit Wollhaar und Hor- den mit Straffhaar, die sich trennten, mit Eigenschaften, die thatsächlich bei den Pygmäen der verschiedenen Rassenkontinente vorkommen. Dieser Vorgang ist durch römisch II ausgedrückt. Aus diesen drei neuen und jetzt durch viele Merk- male verschiedenen Pygmäenhorden (röm. II) erfolgte die grosse Thal, die Geburt der grossen Rassen, welche durch ein grösseres und schwereres Gehirn die Pygmäen übertreffen und dadurch für den Kampf ums Dasein und für die Beherrschung der Welt besser ausgerüstet wurden. Dieses wichtige Ereignis ist in dem Schema bei röm. III dadurch angedeutet worden, dass neben jeden der drei kleinen Kreise ein grosser gesetzt wurde, der überdies mit dem kleinen in Zusammenhang steht durch eine Linie. Diese Linie ist von grosser Bedeu- tung, denn sie soll ausdrücken, dass die Grossen durch Descendeuz von den Pygmäen abstammen. Nachdem eine weitere Divergenz der Pygmäen, wie sie aus dem Schema namentlich bei römisch IV ange- deutet ist, wegen des Mangels bezüglicher Untersuchun- gen noch nicht hinreichend festgestellt ist, wurde die Fortpflanzungslinie der Pygmäen gerade in die Höhe 113 gezogen und endigt neben denjenigen Linien, welche die Varietäten der grossen Hassen andeuten (bei röm. V). Obwohl die vorhergehenden Ausführungen lediglich dazu dienen sollten, die Stellung der Pygmäen innerhalb des Menschengeschlechtes darzulegen, gehen aus dem Schema, das diese Stellung zum Ausdruck bringt, doch noch zwei wichtige Umstände hervor: erstens, dass die Pygmäen ebensogut wie die grossen Rassen Mutations- perioden durchgemacht haben und zweitens, dass den Mutationsperioden solche der Konstanz gefolgt sind, in denen zwar so, wie wir dies jetzt noch beobachten, eine Menge von sog. Anomalien in den einzelnen Organen auftraten, aber eine fortschrittliche Umänderung der Formen dennoch ausgeschlossen blieb. So folgten den Mutationsperioden, trotz der sog. Anomalien oder Abnormitäten, wieder Perioden der Dauerbarkeit, wie sich denn auch jetzt die ganze Mensch- heit, soweit die Beobachtung aufweist, in einem solchen Zustande des Gleichgewichtes befindet, so dass man von den verschiedenen Typen der Jetztzeit (siehe Schema röm. V) als von Dauertypen sprechen darf. Aus dem Schema Fig. 4 ist die progressive Ent- wicklung von einer pygmäenhaften Urhorde zu den Pyg- mäen und von den Pygmäen zu den hochgewachsenen Rassen nur in den allgemeinsten Zügen angedeutet. Spezielle Fälle bleiben zunächst völlig ausser Diskus- sion, wozu ich z. B. den von /?. Virchow (81) einst bestrittenen Zusammenhang der Weddas mit den hoch- gewachsenen Rassen Indiens, besonders den Singhalesen hervorhebe. Ich führe zunächst seine Worte an, weil sie gleichzeitig gegen die schon oben als irrig erwiesene Degenerationshypothese Front machen: „Wie die Wed- das nicht durch regressive Degeneration aus Singhalesen hervorgegangen sind, so haben sie sich sicherlich nicht — 114 — durch einfache progressive Evolution zu Singhalesen umgestaltet. Gegen einen solchen einfachen Zusammen- hang sprechen namentlich die Unterschiede im Gesichts- bau, welche alle Beobachter gleichmässig bezeugen." Ich erkenne diesen doppelten Vorbehalt mit Freuden an. Der erstere gegen die Degenerationshypothese stimmt völlig mit meiner Erfahrung überein, und was die pro- gressive Evolution der Pygmäen direkt zu den Singha- lesen betrifft, so lehne ich eine solche genetische Be- ziehung ebenfalls ab. Die Singhalesen sind, wie die Ta- milen, Abkömmlinge hochgewachsener Rassen, aus ihnen direkt hervorgegangen, also in erster Linie starmnver- wandt nur mit den hochgewachsenen Rassen Indiens. Erst in zweiter weit zurückliegender Linie (siehe das Schema) darf man an eine Abstammung von Pygmäen denken. Wie sich dieser Vorgang im Einzelnen ge- staltet haben mag, muss zunächst noch unentschieden bleiben. Dazu sind noch weitgehende Studien notwen- dig. Nur soviel darf nach meiner Meinung angesichts der Verschiedenheit unter den Pygmäenstämmen schon heute ausgesagt werden, dass die grossen Rassen Euro- pas, jene Asiens und jene Afrikas von verschiedenen Pygmäenhorden abstammen, die schon in der Urzeit, wohl im Tertiär aufgetreten sind. Von diesem weiten Gesichtspunkt aus muss das Schema Fig. 4 betrachtet werden. Die divergierenden Linien deuten auf Verschie- denheiten des Ortes, die nach Kontinenten bemessen werden müssen, und deuten auf Zeiträume, die nach Jahrzehntausenden geschätzt werden sollen. Nur so lässt sich die Thatsache verstehen, dass die Neger neben sich wollhaarige negerartige Pygmäen besitzen, die cy- motrichen Inder und Europäer cymotriche und die lissotrichen Indianer lissotriche Pygmäen umschliessen. 115 — Fassen wir das Ergebnis der vorliegenden Darle- gungen zusammen, so ergibt sich folgendes: 1. Neben den grossen Rassen sind in allen Konti- nenten auch kleine Menschenrassen zu linden, deren Körperhöhe zwischen 120-150 cm, deren Hirngewicht zwischen 900 und 1200 ccm. schwankt. 2. Auch der amerikanische Kontinent enthält Pyg- mäen, wie sie zahlreich in Peru und an anderen Orten nachgewiesen sind. 3. In Europa mehren sich die Pygmäenfunde; zeit- lich reichen sie von der neolithischen Periode (Schweiz etwa 10,000 Jahre v. Chr.) bis in unsere Tage (Sizilien) herein und örtlich sind sie über Sizilien, die Schweiz, Frankreich und Deutschland an mehreren Orten zer- streut gewesen (nach Sergi auch in Russland). 4. Die Pygmäen sind keine verkümmerten degene- rierten Abkömmlinge der grossen Rassen, sondern ge- sunde und wohlentwickelte jedoch kleine Abarten des Menschengeschlechts. 5. Die systematische Stellung zu den grossen Ras- sen beruht in einer stammesgeschichtlichen Verwandt- schaft, wobei die Pymäen als Urrassen aufzufassen sind, aus denen sich die grossen Rassen entwickelt haben. 6. Die Nachrichten der Alten, sowohl der Natur- forscher als der Dichter, über das Vorkommen von Pygmäen an den afrikanischen Sümpfen, in denen man sich den Ursprung des Nil dachte, sind in der Haupt- sache zutreffend. In den Grabfeldern Oberägyptens, die aus der Urzeit und der Zeit der ersten Dynastien stammen, liegen Pygmäen neben den grossen Rassen bestattet. Die Gräber gehören teilweise der neolithi- schen Periode an. Zu gleicher Zeit, wie am Schweizers- bild bei Schaffhausen, lebten auch in Oberägypten Pyg- mäen zusammen mit den grossen Rassen. Basel, im Juli 1901. 116 — Literaturnachweise. 00 Breus u. Kolisko. Die pathologischen Becken formen. I. Bd, 1 Teil. Leipzig u. Wien 1900. — Siehe dort die ausgedehnte Littera- tur, auch der Arbeiten von R. Virchow, Marchand, Kaufmann u. a. 43 Forster's, Georg sämtliche Schriften. Vierter Band. Leipzig 1843. S. 360. 89 Haeckel, E. Natürliche Schöpfungsgeschichte. 8. Auflage. Berlin 1889. 8°. 93 Hseckel. E. Über unsere gegenwärtige Kenntnis vom Ursprung des Menschen. Vortrag. Bonn 1898. 8°. 02 Johnston, Sir H. The Uganda Protectorate. 2 vol. London 1902. 95 Kollmann, J. Verhandlungen der Berliner anthropologischen Ge- sellschaft. Ausserordentliche Sitzung v. 14. Dez. 1895. Diskus- sion über den Pithecanthropus erectus Dubois. Siehe dort auch die Litteratur. 01 Kollmann, J. Die Fingerspitzen aus dem Pfahlbau von Corcelettes (Schweiz) und die Persistenz der Rassen Archivio per l'An- tropologia e l'Etnologia. Vol. XXXI 1901. Festschrift zur Ju- belfeier der italienischen anthropologischen Gesellschaft. 99 Lloyd, A. B. In DwarfLand and Canibal Country. London 1899. Eine Notiz in Journ. Anthr. Institut. London, Vol. XXX, 1900. }vr. 280 (22). 01 Maclver, D. R. The earliest inhabitants of Abydos. Oxford 1901. 4°. Mit 7 photographischen Tafeln und mehreren Tabellen. 99 Marchand. Über einen Fall von Zwergwuchs. Sitzb. der Ges. zur Beförderung der ges. Naturwissenschaften. Marburg, März 1899. Siehe dort weitere Litteraturhinweise. 96 Pétrie, W. M. F. and Qu i bei I . J. E. Nequada and Ballas. London. Publications of the Egypt exploration Fund. Mit 86 Tafeln. Quaritsch 1896. 4". 00 Pétrie, W. M. F. with Griffith, F. L. The Royal Tombs. Publications of the Egypt exploration Fund. London 1900. 4°. Mit 67 Taf. 01 Pétrie, W. M. F. with Chapters by Mace, A. C. Diospolis parva. Pu- blications wie oben. London 1901. 4". Mit 48 Tafeln. 01 Pétrie, W. M. F. with Chapter by Griffith, F. L. The Royal Tombs of the earliest Dynasties. Publications wie oben London 1901. 4". Mit 63 Tafeln. — 117 — 01 Pétrie, W. M. F. The Royal Tombs of the earliest Dynasties. Lon- don 1901. 4". Ein Atlas von mehr als 50 Tafeln. Publications wie oben. Siehe ferner Journal of the Anthropological Institut London 1898—1902. Ferner Zeitschrift für ägyptische Sprache Bd. 35 mit Abhandlungen und Notizen von Sethe, Spiegelberg und Ermann. Die Arbeiten von Amélineau. Les nouvelles fouilles d'Abydos, waren mir leider nicht zugänglich. Ich kenne sie nur aus einer Notiz von Maspero. Revue critique 1897. 94 Ranke, J. Der Mensch. 2. Aufl. 2. Bd. S. 114 u. ff. Leipzig und Wien 1894. 8". 92 Sarasin, P. u. Fr. Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Bd. III. mit Atlas von 84 Tafeln. Wiesbaden 1892-1893. 02 Sokolowsky, A. Menschenkunde. Eine Naturgeschichte sämtlicher Völkerrassen der Erde. 1902. Mit 41 Tafeln. 3. Aufl. Union Deutsche Verlagsgesellschaft. 04 Speke, J. H. Journal of the discovery of the source of the Nile. 2. Auflage. London 1864. S. 551. 83 Virchow, Rud. Foetale Rachitis, Cretinismus u, Zwergwuchs. Arch. für path. Anat. Bd. 94. Berlin 1883. — Dort sind Hinweise auf die übrigen wichtigen Abhandlungen desselben Verfassers zu finden, die sich auf diese Frage beziehen. 81 Virchow, R. Über die Weddas von Ceylon u. ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. Abhandlungen der Berliner Akademie. Berlin 1881. 4°. Mit 3 Tafeln. Reiss u. Stübel. Das Totenfeld von Ancon in Peru. Darin Abt. XIV. Schädel von R. Virchow. Berlin. Folio. Mit Tafeln. 108-116. 01 De Vries. Die Mutationstheorie, Versuche und Beobachtungen üb. die Entstehung der Arten im Pflanzenreiche. Leipzig 1901. 98 Wortmann, J. L. The extinct Gamelidae of North-America and some associated Forms. Bulletin of the American Museum of Natural History. Vol. X. 1898. 8°. Mit 1 Tafel und 23 Textfiguren. 71 Über Zwergvölker. Petermanns Mitteilungen. 17. Band. Gotha 1871. S. 1S9. Marine Schmarotzer in Süsswasserfischen. Von F. Zschokke in Basel. Die Zusammensetzung der Parasitenfauna eines Tiers wird durch zwei Gruppen von Faktoren geregelt, Verhältnisse der umgebenden Aussenwelt und Bedin- gungen, die im bewohnten Wirt und im Parasiten selbst liegen. Von den äusseren Momenten wirkt besonders entscheidend auf den Schmarotzerbestand eines Organis- mus der Charakter der mit ihm lebenden Tier- und Pflanzenwelt. Zu ihr tritt der Parasitenträger in un- unterbrochene, enge Wechselbeziehungen, von denen sich die parasitologisch wichtigsten, wenn auch nicht einzigen, in der gegenseitigen Lieferung und Abnahme von Nahrungsmaterial ausdrücken. Tier und Pflanze übertragen Schmarotzer auf Wirte und empfangen von ihnen selbst wieder auf mannigfach gewählten Wegen Parasitenbevölkerung. Die Wechselbeziehung von AVirt und Zwischenwirt, Träger und Überträger, Räuber und Beute prägt sich notwendigerweise im faunistischen Auf- bau der Helmin thenwelt jedes Lebewesens aus. Charakter von Fauna und Flora hängt indessen in hohem Grade von äusseren lokalen Verhältnissen, von der Natur des bewohnten Mediums, seinen physikalischen und chemischen Eigenschaften ab. Mit ihnen wechselt von Ort zu Ort die Tier- und Pflanzenwelt und gleich- — 119 — zeitig die sie begleitende Schmarotzergesellschaft. Wie jedes Medium nur bestimmten Organismengruppen pas- sende Heimat bietet, beherbergt auch seine Tierbe- völkerung nur bestimmte, anderswo kaum vorkommende Helminthen. Die chemischen und physikalischen Be- dingungen des Mediums üben so durch Ausschluss und Zulassung von Wirten und Zwischenwirten indirekt einen tiefen, auswählenden Einfluss auf den Stand der Schmarotzerfauna aus. Dieselben äusseren Verhältnisse beeinflussen die Parasitenwelt aber auch direkt in allen jenen so äusserst zahlreichen Fällen, in denen die Hel- minthen gewisse Entwicklungsstadien, Eier, Embryonen, Larven dem freien Medium anvertrauen. Von der Aussenwelt werden nunmehr unmittelbar bestimmte chemische und physikalische Bedingungen gefordert, unter denen allein die betreffende Helminthenspezies sich entwickeln kann und die sich oft weitgehend spezia- lisieren. So wurde früher gezeigt, dass Reichtum und Zusammensetzung der Helininthenfauna im stehenden und Messenden Süsswasser nicht unbeträchtlich von einander abweicht. Die Differenz erklärt sich zum guten Teil dadurch, dass im ruhenden Wasser die Jugend- stadien mancher parasitischen Würmer sich frei zu ent- wickeln vermögen, während sie im Fluss oder Strom nicht gedeihen (63). Es wird somit jede Parasitenfauna gewissermassen zum Spiegelbild der Biologie des Wirts, seiner Lebens- gewohnheiten und besonders seiner Beziehungen zu den Geschöpfen, die mit ihm den Wohnort teilen. Jeder Nahrungs- und Wohnungswechsel eines Tiers findet seinen Wiederhall in Veränderungen im Helminthenbe- stand. Die Parasitenbevölkerung steht aber auch unter dem direkten und indirekten Einfluss von Physik und Chemie der umgebenden Aussenwelt. — 120 — Folgt so der Charakter parasitischer Gesellschaften äusserem Drucke, so wird er nicht minder durch innere, im Wirt und Parasiten selbst liegende Verhältnisse be- stimmt. Jeder Schmarotzer passt sich im Bau und in der Lebensgeschichte bis zu einem gewissen Grade seiner Herberge, ihren anatomischen und physiologischen Bedingungen an und spezialisiert sich in Bezug auf dieselben. Er findet die zu seinem Gedeihen nötigen Voraussetzungen nur in einem, oder relativ wenigen Wirtskörpern realisiert. Allerdings schwankt der Grad der Anpassungs- fähigkeit an verschieden gebaute Wirte in weiten Grenzen. Braun (3) erwähnt, dass oft nahe verwandte Tier- arten von gleicher Ernährungs- und Lebensweise eine recht verschiedene Cestodenbevölkerung beherbergen. Phalaerocorax graculus und Lestris parasitica z. B., beides grosse Eischräuber, besitzen keine Bandwürmer, trotzdem sie derselben Beute nachgehen, wie die nahe- stehenden, an jenen Gästen reichen Lärm- und Sterna- Arten. Dieser parasitologische Unterschied dürfte auf einer Verschiedenheit der Verdauungssekrete von Phafa- crocorax und Lestris gegenüber Larus und Sterna be- ruhen. Im einen Fall würden die eingeführten Band- wurmlarven der Verdauung erliegen, im anderen nicht. Der physiologischen Differenz entspricht natürlich auch eine anatomische. In anderen Fällen dagegen dehnt ein Parasit sein fannistisches Verbreitungsgebiet über Wirte sehr ver- schiedener systematischer Stellung, d. h. sehr abweichen- den Baus aus. So bewohnt, um nur extreme Vor- kommnisse zu nennen, das für Süsswasserfische typische Cestodengenus Iclithyotaenia auch Amphibien und Rep- tilien, besonders Schlangen, und gedeiht der Bandwurm von Gans und Ente, Drepanidotaenia lanceolata, auch im Menschen (63). 121 In Echinorhynchus proleas kennen wir einen Para- siten, der bereits seine Zwischenwirte aus sehr weitem Kreise wählt und erwachsen die verschiedensten Fische von Meer und Süsswasser besiedelt. Die Anoplocepha- linen der Säuger kehren, nach Fuhrmann (6), in den Vögeln wieder. Wie sehr übrigens die vom Wirt selbst gegebenen Bedingungen auf die Zusammensetzung einer Parasiten- fauna entscheidend einwirken, wird uns bald der Süss- wasserfisch Lola vulgaris zeigen. Er beherbergt eine Reihe rein mariner, hauptsächlich den Gadiden zukom- mender Helminthen. Trotzdem Stockfische und Trüschen in einem ganz verschiedenen Medium. Meer und Süss- wasser, sich aufhalten, trotzdem für sie die äusseren Bedingungen wesentlich verschiedene sind und ihre Lebensweise und Nahrung von einander abweicht, be- sitzen sie doch einen gemeinsamen Bestand durchaus typischer Helminthen. Die nahe systematische Verwandt- schaft, der ähnliche anatomische Bau von Lola und Gadus drückt sich in entsprechenden, parasitologischen Verhältnissen aus. Zwei Gruppen von Faktoren, äussere und innere, legen somit Grenzen für die Schmarotzerfauna biologischer und anatomischer Organismeneinheiten. Je ähnlicher im allgemeinen in Bau und Lebensgewohnheit die Wirte werden, desto ähnlicher wird auch ihre Schmarotzerwelt, desto häufiger treten ihnen gemeinsame Parasiten auf. Es kann nicht auffallen, dass der Parasitenbestand der Vögel von demjenigen der Fische, die Helminthen- welt der Säugetiere von derjenigen der Reptilien wesent- lich abweicht. Sogar innerhalb der grösseren, systematischen Ein- heiten verbreiten sich gewisse parasitische Organismen nur über bestimmte durch gemeinsame Lebensweise und 122 ähnlichen Bau umgrenzte Wirtsgruppen. So lassen sich die schmarotzenden Würmer der Süsswasserfische im allgemeinen denjenigen der Meerfische entgegenstellen. Im Meer beherbergt wiederum Selacbier und Teleosteer eine in mancher Hinsiebt verschiedene Würmerbevölke- rung. Bei einer parasitologischen Untersuchung von 257 marinen Fischen, die sich auf 72 Arten, 20 Selacbier, 51 Teleosteer und 1 Ganoiden, verteilten, ergab sich ein bedeutend überwiegender Reichtum an Schmarotzern für Haifische und Rochen ; besonders gehörten die Cesto- den last ausschliesslich den Knorpelfischen an. Im Ganzen waren 18 Selacbier und 34 Teleosteer Para- sitenträger; für sie gelten folgende Einzelzahlen: Für jede Gruppe charakteristisch : Infizierte Fischarten. den. atoclcn. c tu rs © hoce- en. Total, o E cd = c« (0 CS J= e s o o. o h- z < 20 Selacbierarten 27 4 3 0 34 51 Teleosteerarten 6 12 17 1 36 Von 96 Exemplaren der Selacbier waren 14, von 160 Teleosteern 60 parasitenfrei. Die Selacbier er- wiesen sich von einer relativ viel grösseren Arten- und Individuenzahl von Schmarotzern besetzt, als die Tele- osteer. Sehr wenige Formen infizieren gleichzeitig beide Fischgruppen (58). Zu ähnlichen Resultaten gelangte Lönnberg (24). Die biologisch und anatomisch verschieden gestellten Fischfamilien des Süsswassers, wie Cypriniden, Salmo- niden, Barsche, Hechte, werden von durchaus typischen Helminthen bewohnt. Oft charakterisieren die Schma- 123 — rotzer sogar Genus und Spezies des Wirts. Aus dem Reichtum und der Zusammensetzung der Parasitenfauna eines Süsswasserfisches lässt sich erkennen, ob der be- treffende Helminthenträger herbivor oder carnivor ist; der Schmarotzerbestand verrät das Alter des Wirts, er lässt mit einer gewissen Sicherheit Schlüsse zu, über die Natur seines Standorts, Strom, Bach oder See und über die Jahreszeit, in welcher er gefangen wurde. Im allgemeinen wird aber die Verbreitung der para- sitischen Spezies, wie des einzelnen Individuums, im süssen Wasser wieder durch die beiden Faktorengruppen der Aussenwelt und der Innenwelt bedingt. Gegenwart und Abwesenheit passender Wirte und Zwischenwirte, sowie Lebensgeschichte und Organisation des Schmarotzers selbst und des Wirts sprechen ihr entscheidendes Wort mit. Die Notwendigkeit Eier oder freie Jugendstadien dem Wasser anzuvertrauen, bedeutet für manchen Helminthen Einschränkung seines Ver- breitungsbezirks. Dass innerhalb der Klasse der Fische gewisse para- sitische Würmer ihr durch Lebensweise und Bau der Wirte begrenztes Verbreitungsgebiet wenigstens schein- bar überschreiten können, fand bereits kurze Erwäh- nung. Einige Fälle auffälligen Vorkommens von Schma- rotzern in fremden Wirten und ungewohnten Medien sollen auch in den folgenden Zeilen erwähnt und fau- nistisch- biologisch gewürdigt werden. Der einschneidende Gegensatz in den Lebensbe- dingungen von Meer und Süsswasser, die Verschieden- artigkeit der die beiden flüssigen Medien belebenden Fauna, der abweichende Bau und die verschiedene Lebensweise potamophiler und mariner Fische lässt tiefgehende Unterschiede in der ichthyophilen Parasiten- fauna beider Bezirke mit Recht erwarten. 124 In der Fischparasitenfauna des Süsswassers treten, um nur die markantesten Erscheinungen zu nennen, durchaus typisch und dominierend die Cestodengenera Tchthyotaenia, Cyathocephalus, Caryophyllaeus, Corallo- bothrium, Triaenophorus hervor-, in den Salmoniden lebt Abothrium infündibuliforme, in den Karpfen regelmässig die Larve von Ligula, in den Stichlingen diejenige von Schistocephalus ; der breite Bandwurm des Menschen, Dibolhriocephalus latus, benützt ebenfalls Süsswasser- fische als Zwischenträger. Die Trematoden liefern, neben zahlreichen charakteristischen Distomeen, wie Distomum globiporum und D. isoporum für die Cypriniden, die Kiemenschmarotzer Dipbzoon und Gyrodaetylus, die Nematoden stellen Cncullanus und viele Ascariden, die Acanthocephalen mehrere Echinorhynchen. Letztere sind wieder besonders häufig in der rein potamophilen Gruppe karpfenartiger Fische. Dagegen umfasst die Schmarotzerfauna mariner Fische, abgesehen von charakteristischen Acanthocephalen und Nematoden, eine Fülle nur ihr eigener ektopara- sitischer Trematoden. Auch die Distomeen finden reiche Vertretung. Ganz besonders bestimmend und faunistisch umschreibend aber stellen sich die Cestoden ein. Ihre Repräsentanten im Meer sind viele typische Bothrio- cephaliden ; die grosse Majorität der Ordnung der Tetraphylliden mit den umfangreichen Familien der Onchobothriiden , Phyllobothriiden und Lecanicephaliden. Sie alle fehlen im Süsswasser vollkommen. Dasselbe gilt von der Ordnung der Diphyllideen und Trypano- rhynchen. Die letzteren spielen in der Parasitenwelt der marinen Fische durch weite Verbreitung, massenhaftes Auftreten und weitgehende Spezialisierung des Haft- apparats eine überaus wichtige Rolle. Ihr Scolex — 125 — zerfällt in Kopf- und Kopfstiel und trägt neben zwei oder vier ßothridien, vier mit Hacken stark bewehrte, rückziehbare Rüssel. Im Larvenzustand leben die Trypanorhynchen als „Tetrarhynchlts" eingekapselt in sehr verschiedenen marinen Tieren. Bevorzugt werden die Knochenfische, doch sind die Parasiten auch in Cephalopoden nicht selten. Sie finden sich ferner in dekapoden Krebsen, in Meerschildkröten und sogar in Polychaeten. Auch die Selachier beherbergen hin und wieder Larven von Trypanorhynchen, doch scheint es sich in diesen Fällen um verirrte, auf den unrichtigen Zwischenwirt geratene Exemplare zu handeln. Manche Tetrarhynchen be- wohnen gleichzeitig die verschiedensten Fische; F. bi- sulcatus Linton parasitiert sogar gleichzeitig in Teleo- steern und Cephalopoden. Oft erweist sich derselbe Fisch von mehreren — bis 6 - - Tetrarhynchen - Arten besetzt. Die angedeuteten Verhältnisse mögen durch einige Zahlen näher beleuchtet werden. v. Linstow's Compendium nennt als Herberge von Tetrarhynchen in der Larvengestalt 82 Knochen- fische, 14 Selachier, 5 Cephalopoden, eine Schildkröte, die Schnecke Tethys fimbriata und den Polychaeten Aphrodite aculeata. In dem letztgenannten Tier er- wähnt bereits Redi den Schmarotzer im Jahr 1684. Nach der grossen Arbeit Vaullegeards (56) verteilen sich 59 Spezies von Tetrar hynchus auf 53 Teleosteer, 15 Selachier, 2 Cephalopoden, Chelonia mi- das und Aphrodite. Ausserdem entdeckte V a u 11 e g e a r d den meistens in MustelllS vulgaris zur Strobila an- wachsenden Tetrarhynchus ruficollis Eisenhardt in der Leber und Leibeshöhle von 9 kurzschwänzigen Deka- poden (55). Die Neapler Fische lieferten mir 11 Wirte — ausschliesslich Selachier — und 12 Zwischenwirte von Tetrarhynchen (58). — 126 — Im reiten Strobilazustand bevölkern die Trypano- rhynchen massenhaft den Darm der Plagiostomen, viel seltener und wahrscheinlich wieder nur verirrt, denjenigen der Teleosteer. Vaullegeard nennt als Hauptwirte 32 Rochen und Haifische neben nur 2 Knochenfischen, v. L i n s t o w 33 Selachier, 5 Teleosteer und den Cephalopoden Loligo vulgaris (11, 12). Raja elavata allein besitzt unter seinen Parasiten acht Arten von Trypanorhynchen als Strobilae. Im Kettenzustand sind die Würmer auf eine Reihe von Gattungen — Rhynchobothrium, Dibothrio- rhynckus, Telrarhunchobotlirium, Synbothrium etc. — verteilt worden. Die Wichtigkeit der Trypanorhynchen für die marine Parasitologie hat sich aus den angeführten Daten so- fort ergeben. Im süssen Wasser werden diese Schmarotzer be- deutungslos. Sie gelangen etwa in die Ströme durch den Transport in Wanderfischen. Erst in neuester Zeit aber konnte ich ihr freilich überaus seltenes Vor- kommen in reinen Süsswasserfischen feststellen. Es handelt sich dabei in allen Fällen, bei wanderndem und stationärem Fisch des Süsswassers, um eingekapselte Larven, also Tetrarhynchen. Reife Strobilae, Rhyncho- bothrien, sind im Strom und See bis heute unbekannt geblieben. Van Beneden (54) führt zuerst die Trüsche, Lota vulgaris, unter den Wirten von Tetrarlnjuchus an. In demselben Fisch aus dem Genfersee traf ich später ebenfalls Tetrarhynchencysten ; als weiteren Wirt von Tetrar II y nchus kann ich den rein potamophilen Wels, Silurus glanis, des Bielersees nennen. Die Fälle vom Vorkommen der betreffenden Parasiten in Süsswasser- fischen sollen weiter unten eingehende Würdigung finden. — 127 — Unter den Wanderfischen , die zwischen Meer und Süsswasser regelmässig wechseln, bieten besonders Lachs und Aal mehreren Arten von Tetrarhynchen Herberge. Lässt sich somit die Parasitenwelt mariner und potamophiler Fische durch eine faunistische Schranke ziemlich scharf von einander trennen, so fehlt es doch nicht an Wirten, welche die Elemente beider Helminthen- faunen in ihrem Körper vereinigen. Als solche para- sitologische Bindeglieder zwischen Meer und Süsswasser dokumentieren sich die Wanderfische. Sie schleppen marine Parasiten in Fluss und See und tragen Schma- rotzer der Süsswasserfische in das Meer hinaus. Stör, Maifisch und Finte besitzen in ihrem Hel- mintheninventar deutliche marine Beimengungen. Im Aal mischen sich parasitische Würmer aus dem Meer und dem Süsswasser mit Elementen, die nur dem Wander- fisch angehören. Von seinen 48 Helminthen verbreiten sich 17 ganz oder vorzugsweise in meerbewohnenden Fischen. Allerdings wechselt der Charakter des Para- sitenbestands je nach dem momentanen Aufenthaltsort des Fischs. So fand Lin ton (20) im Meer erbeutete Exemplare von Anguilla hauptsächlich mit marinen Para- siten besetzt. Sie beherbergten folgende für Meerfische typische Schmarotzer: Agamonema capsiilaria, Ecliino- rhynchus agilis, Rhynchobothriwm heterospine, R. im- parispine, R. bulbifer, R. spec, Scolex polyrnorphus, Distornum grand iporum und D. vitellosum. Mitten in dieser marinen Gesellschaft aber erscheint ein Ver- treter des für Süsswasserfische so ungemein bezeichnen- den Genus Ichthyotaenia, 1. dilntata, und Eclüno- rhynchus globulosus, der im Süsswasser 24, im Meer keinen einzigen Wirt zählt. Beide Würmer stellen sich offenbar als sekundärer Import in das Salzwasser dar. — 128 Parasitologisch ganz besonders lehrreich verhält sich, nach früheren, ausführlichen Darstellungen (59, 60), der grosse und kräftige Raub- und Wanderfisch Salmo salar. In der lokal und temporal sich verändernden Zusam- mensetzung seiner Parasitenfauna spiegelt sich nicht nur die Gewohnheit weiter Wanderungen wieder, sie spricht auch deutlich für den Umstand, dass der Lachs in den verschiedenen Strömen ein recht verschiedenes Nahrungsregime befolgt. Mit Schmarotzern reich be- laden tritt Salmo salar seine Reise in das süsse Wasser an. Er verliert im Laufe seiner Wanderung mehr und mehr diejenigen Parasiten, welche den offenen Darmkanal unterhalb des Pylorus bewohnen. Immer- hin hat der Rheinlachs auch bei Basel noch als eine ungemein reiche Helminthenherberge zu gelten. Er und der Maifisch, die grossen Wanderer, führen eine ganz fremde Schmarotzerwelt in den Rhein ; von ihren 20 Helminthen sind den Fischen des genannten Stroms sonst 17 fremd. Die im fliessenden Wasser aus schon angedeuteten Gründen wenig reich entfaltete Fauna parasitischer Würmer erfährt im Oberlauf des Rheins durch das Eintreffen von Alosa und Salmo eine Stei- gerung von 2/5 der Spezieszahl. Die faunistische Wichtigkeit dieses Helminthen- imports wird ganz besonders dadurch erhöht, dass der Rheinlachs eine ausschliesslich marine Parasitenwelt trägt. Der Charakter seiner gesamten Wurmbevöl- kerung deckt sich mit demjenigen der Helminthenge- sellschaft irgend eines grösseren Meerfisches. Marine Vertreter der Gattungen Ascaris, Echinorhynchus und Distomutn, daneben besonders aber auch zahlreiche Tetrarhynchen , drücken der Rheinlachsfauna durch massenhaftes und weitverbreitetes Auftreten den charak- teristischen Stempel auf; reine Süsswasserparasiten fehlen 129 ihr ganz. So erhält die Schmarotzergesellschaft der Rheinfische überhaupt einen eigentümlichen Anstrich. In diesen parasitologischen Verhältnissen spricht sich die biologische Thatsache aus. dass der im Rhein auf- steigende Lachs fastet. Mit dem Wegfall der Nahrung schliesst sich im Süsswasser auch die Invasionspforte für parasitische Würmer. Ahnlich wie im Rhein lebt der Lachs in der Elbe; er nimmt, nach F ritsch (5), auch in diesem Strom bis zur Laichablage absolut keine Nahrung auf. Dem entspricht wieder der rein marine Charakter der Para- sitenbevölkerung des Elbelachs. Häufig tritt Tetra- rhynchus macrobothrius v. Sieb, auf, daneben erscheint die für Meerfische so charakteristische Cestodenlarve Scolex polyworphus. Anders dagegen verhalten sich die aus der Ostsee in die Flüsse aufsteigenden Lachse. Sie ernähren sich im Süsswasser reichlich und fügen so zu ihren marinen Parasiten potamophile Formen. In der Ostsee bleiben dem Lachs wenigstens diejenigen auf der Reise in das süsse Wasser erworbenen Schmarotzer, die geschlossene Organe bewohnen. Verhält sich also der Rheinlachs in Bezug auf seine Schmarotzer wie ein Meerfisch, so beherbergt dagegen der Lachs aus der Ostsee eine aus marinen und potamophilen Elementen gemischte Hel- minthengesellschaft. Im Tay überwiegt in der Parasitenfauna von Salmo salar an Menge und Häufigkeit der marine Bestandteil ; doch weist die Gegenwart einiger Gäste von Süss- wasserfischen darauf hin. dass der Lachs im schottischen Fluss die Nahrung nicht ganz verschmäht. Die Wanderfische erscheinen uns somit als fau- nistische Vermittler zwischen Meer und Süsswasser. Sie tragen typische Parasiten von dem einen Medium in lJ — 130 — das andere und sorgen besonders dafür, dass im flies- senden Wasser, Strom und Fluss, dessen Bedingungen nur eine massige Entfaltung der Helminthenwelt ge- statten, die parasitischen Würmer reichere Vertretung rinden. Im neuen Medium, Meer oder Süsswasser. wird der eine oder andere durch die Wanderer importierte Schmarotzer günstige Entwicklungsbedingungen und be- sonders die nötigen neuen Wirte und Zwischenwirte finden. Das führt zu einer dauernden Bereicherung der marinen und potamophilen Fauna. Die Parasitenwelt von Meer und Süsswasser erweitert ihr Gebiet, indem sie sich gleichzeitig vermischt und durchdringt Für diese Vermischung wurden in früheren Arbeiten (59, 60, 62) zahlreiche Beispiele angeführt. Reine Meer- parasiten, wie Ascaris clavata, Echiitorhynchus actis, Dislomwm varicum, D. appendimdatiim , schmarotzen auch in einzelnen Süsswasserfischen, während Echiuo- rhynchus pmteus, E. angustaius, E. tuberosus, Triaeno- pliorus nodulosus u. a. m. sekundär im Meer passende Herberge finden. Besonders auffallend ist die Angabe Rudolphis, dass der rein marine Schmarotzer Scolex polymorphes auch im Süsswasserfisch Cottus gobio vorkomme. Denselben Cestoden fand Frit seh, be- gleitet von Distomum varicum und Ascaris clavata, im Darm von jungen Lachsen, welche den Oberlauf der Elbe noch nie verlassen hatten. Es setzen diese Funde voraus, dass auch die ausgewachsene Kettenform von Scolex polymorphus, das in Selachiern parasitierende Galliobothrium , gelegentlich in die Flüsse verschleppt werde. Über das gegenseitige Verhältnis der Parasiten- fauna mariner und potamophiler Fische mag auch die folgende Betrachtung der Helminthen von zwei reinen — 131 — Süsswassertieren, Trüsche und AVels, Lotet vulgaris und Silurus glanis, aufklären. Von ihnen zählt Lota noch nahe Verwandte, die Gadiden, im Meer, während Silur n auf stehende und seichte Süsswasser beschränkt ist ohne mit Meerfischen in verwandtschaftlichen Beziehungen zu stehen. Der engere oder weitere Zusammenhang mit marinen Angehörigen drückt sich auch in der fau- nistischen Zusammensetzung der Parasitenwelt beider in Betracht fallenden Fische aus. Daneben wird sich ergeben, dass das Vorkommen von Meerschmarotzern im Süsswasser nicht allein auf die Einschleppung durch die grossen Wanderer erklärt werden kann. Die Gegen- wart dieser fremden Elemente in den Fischen von »See und Fluss scheint, wenigstens in manchen Fällen, auf alte, direkte Einfuhr zurückzuführen zu sein, die sich vollzog, als der Wirt selbst aus dem Meer all- mählich in das süsse Wasser überging. Zur Aufstellung des parasitologischen Inventars von Lota und Silurus diente, in Ergänzung des von L i n- stow'schen Compendiums der Helminthologie und des Nachtrags dazu (11, 12), die umfangreiche neuere Litte- ratur über Fischparasiten, besonders die Arbeiten von : Ariola (1), Braun (2), Hausmann (7), Jaquet (8), Kr a einer (9), Largaiolli (10), v. Lin stow (13—15), Linton (16—20), Lönnberg (21—24), Matz (25), Monticelli (26—28), Müh lin g (29), C. Parona (80, 31), Piesbergen (32). Pratt (35), Prenant (36), v. Ratz (37), Riggenbach (38), G. Schneider (39), Srarnek (40), Stiles (41), S tos sich (42 — 53) und Zschokke (57—63). Für Lota vulgaris Hess sich so die folgende, stattliche Para- sitenliste gewinnen. — 132 — Parasitische Würmer von Lota vulgaris. Name. Zahl der Wirte. Süsswasser- Heer- Wander- Total. Fische. Fische. Fische. Nematodes. 1. Ascaris mucronata Schrank, 4 0 0 4 2. Ascaris tenuissima Rud., 1 1 0 2 3. lotae Linst., 1 0 0 1 4. — acus Bloch, 10 9 3 15 5. — capsularia Rud , 2 55 3 60 6. Cucullanus elegaus Zeel., 13 0 5 18 7. Trichosoma brevispi- culum Linst., 2 0 0 2 8. Agamouema bicolor Dies, .... 4 0 1 5 Acanthoce- 9. Echinorhynchus globu- phala. losus Rud., 24 0 1 25 10. — tuiierosus Zed., . 9 2 1 12 11. — angustatus Rud., 20 8 2 30 12. — proteusWestrumb, 37 19 8 64 13. — acus Rud., 3 37 0 40 14. — borealis Linst., . 1 0 0 1 15. — clavaeeeps Zed., 17 0 2 19 16. spec. Zschokke, . 1 0 Ö 1 Trematodes .17, Distomum tereticolle Rud., . . . 10 0 3 13 18. — simplex Olss. . . 1 10 1 12 19. Apoblema appendicula- tum Rud., 5 60 8 73 20. (iasterostomum fimbria- tum v. Sieb., . 8 0 1 9 21. Diplostomum volvens v. Nordm., 8 0 0 8 22. Dipluzoon paradoxum v. Nordm., 14 0 0 14 Cestodes. 23. Abothrium rugosum Rud., 1 11 1 13 24. — iniundibuliforme Rud., .... 12 1 5 18 25. Dibothriocephalus latus L., 7 0 1 8 26. Triaenophorus nodulosus Rud IG 3 3 22 27. ( yathoeephalus trunca- tus Pallas, 9 0 2 11 28. Ichthyotaenia ocellata Rud., . . . 12 1 0 13 29. — torulosa Ratsch, . 15 0 0 15 30. Tetrarhynchus erinaceus van Ben., (Larva). 1 19 1 21 31. Cysticercus fallax Olss., 1 0 0 1 138 Lola vulgaris bietet somit einer grossen Zahl para- sitischer Würmer Herberge; aus ihren verschiedenen Organen sind acht Nematoden, acht Acanthocephalen, sechs Trematoden und neun Cestoden bekannt geworden. Die faunistische Zusammensetzung der Schmarotzer- welt des Fischs, der im süssen Wasser allein eine grosse Gruppe rein mariner Verwandter vertritt, verdient in einiger Hinsicht nähere Beachtung. Die Helminthen- fauna besteht aus recht verschiedenen Elementen. Eine erste Gruppe bilden die parasitischen Würmer, welche bis heute einzig in Lola gefunden worden sind, die also einstweilen als typische Gäste der Trüsche betrachtet werden können. Ihre Zahl ist gering; ausser Ascaris lolae Linst, gehören hieher nur zwei Kratzer, Echino- rhgnchus borealis Linst, und eine nicht näher benannte Art derselben Gattung, sowie die Cestodenlarve Cysti- cercus fallax. An Artenzahl tritt weit bedeutungsvoller das zweite Element hervor, Parasiten, die ganz oder fast ganz auf Wirte aus dem süssen Wasser beschränkt bleiben. Sie stempeln Lola auch parasitologisch zum reinen Süss- wasserbewohner. Einige schmarotzen auch in Wander- fischen, nur wenige suchen in durchaus vereinzelten Fällen marine Wirte auf. Als ausschliessliche Süsswassertiere müssen unter den Vertretern der zweiten Gruppe Ascaris mucronata, Trichosoma brevispiculum, Diplostomum volvens, Diplo- zoon paradoxum und Iclrfliyotamia torulosa betrachtet werden ; ebenso rein potamophilen Charakter besitzen aber auch die Würmer, welche ihren Wohnbezirk auf Wanderfische wie Lachs, Stint, Schnäpel, Aal ausge- dehnt haben. Es sind dies Cucullanus elegans, Aga- monema bicolor, Ecliinorhynchus globulosus, E. clavac- ceps, Distomum lereticolle, Gasterostomum fimbriatum, 134 — Cyathocephalus truncatus und der breite Bandwurm. Dibothriocepheihis latus, im Larvenzustand. Endlich zählen zur zweiten Abteilung zwei sehr charakteristische Schmarotzer zahlreicher Süsswasserfische, von denen jeder einmal in einem marinen Wirt angetroffen wurde: Abo- thrium infundibuliforme in Motella muslela und Jch- thyotaenia ocellata in Sebastes norvégiens. Die zweite Kategorie von Schmarotzern aus Lota umfasst eine Grosszahl von Formen, die durch weite Verbreitung in zahlreichen Wirten und oft durch massenhaftes Auf- treten die Parasitenfauna der Süsswasserfische gerade- zu charakterisieren. Es genüge in dieser Hinsicht folgende Namen zu nennen: Cucullanus elegans, Echino- rhyiiehvs globulosus, E. claceieceps, Distomum tereticolle, Gasterostomwm fimbriatum, Diplozoon paraeloxum, Di- plostomum volvens, lehthyotaenia torulosa,!. ocellata, Abo- thrium infundibuliforme und Cyathocephalus truncatus. Erwähnenswert ist auch die Thatsache, dass in der Trüsche die parasitischen Würmer der verschiedensten Familien von Süsswasserfischen zusammentreffen. Die Cypriniden senden in den Darmkanal von Lota ihre typischen Gäste Echinorhynchus glohulosus, E. clavaeceps und lehthyotaenia torulosa, auf die Kiemen Diplozoon paradoxum \ die Salmoniden liefern Cyathocephalus trun- catus und das für ihre Abteilung so charakteristische Abothrium infundibuliforme >■ ; dazu gesellt sich Aga- moneiua bicolor aus den Barschen und Distomum tere- ticolle des Hechtes. Die Parasitenfauna von Lota um- fasst so die wichtigsten Elemente der in Süsswasser- fischen überhaupt lebenden Schmarotzerwelt. Als dritter Bestandteil der in Lota parasitierenden Tiergesellschaft könnten Würmer betrachtet werden, die bei weiter Verbreitung in Wirten des Süsswassers gleich- zeitig in mehreren Meerfischen zu Hause sind. Zu dieser — 135 — Kategorie wären zu rechnen: Ascaris temässima, A. acus, Echinorhynckus angustatus, E. proteus, E. tuber onus und Triaenophorus nodulosus. Alle genannten Formen machen faunistisch den Eindruck reiner Süsswassertiere, denen es gelungen ist, ihren Wirtskreis allmählich in mariner Richtung auszudehnen. Dabei spielten wohl die Wanderfische , in denen die fraglichen Parasiten ebenfalls nicht selten sind, eine vermittelnde Rolle- Eine Ausnahmestellung nimmt Ascaris temässima ein. Sie bewohnt einzig Lota und ihren marinen Verwandten Merlangus vulgaris. So dürfte es schwer sein zu ent- scheiden, ob die ursprüngliche Heimat des Nematoden im Meer oder Süsswasser liege. Ascaris acus gehört dagegen zum typischen Para- sitenbestand von Hecht und, als eingekapselte Larve, von zahlreichen Cypriniden; erst durch Lachs und Mai- fisch dürfte sie auf die marinen Wirte Betone acus und Clupea harengus übertragen worden sein. Ahnliches gilt wohl von dem in zahlreichen und verschiedenen Süsswasserfischen erwachsen und larvär schmarotzenden Bandwurm Triaenophorus nodulosus. Er bewohnt auch wandernde Salmoniden und verdankt ihnen den nur selten beobachteten Import in die Meerfische Betone acus, Ptatessa flesus und Hippocampus guttatus. Kaum anders liegen die Verhältnisse für die drei Acanthoce- phalen, Echinorhgnchus luberosus, E. angustatus und E. proteus. Besonders die beiden letztgenannten Arten gemessen in den allerverschiedensten, rein potamophilen Fischen eine so weite Verbreitung, dass sie geradezu als charakteristische Bestandteile der Süsswasserfauna angesehen werden müssen. Sie stellen sich aber auch in Wanderfischen ein und haben eine weitere Heimat in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von systematisch recht verschieden gestellten Meerfischen gefunden. Echi- — 136 — norhynchus tuberosus bewohnt neben seinen regelmässigen Wirten — Cypriniden, Hecht, Trüsche, Barsch, Stich- ling — den Wanderer Aal und selten die marinen Fische Belone acus und Rhombus maximus. Die Parasitenfauna von Lota vulgaris fügt sich nach allem, was bis jetzt auseinandergesetzt wurde, aus zahl- reichen Süsswassertieren zusammen, von denen manche eine mehr oder weniger weitreichende Expansionsfähig- keit in der Richtung des Meeres besitzen. Dazu gesellt sich indessen ein weiteres, fremdes Element: Schmarotzer von marinem Habitus. Sie kommen in anderen Süsswassertieren entweder gar nicht vor — Distomum Simplex, Abothrium rugosum, Tetrarhynchus ecrinaceus — oder schmarotzen, ausser in Lota. nur noch in ganz wenigen potamophilen Fischen — Ascaris capsularia, Apoblema appendiculatum, Eehinorhynchm acus. Alle diese dem Süsswasser so fremden Geschöpfe verbreiten sich dagegen sehr ausgiebig in marinen Wirten ; sie sind somit wohl geeignet, der Parasitenfauna von Lota vulgaris ein durchaus eigenartiges Gepräge zu geben. Wichtig ist auch die Thatsache, dass mehrere der betreffenden marinen Schmarotzer in den zwischen Süsswasser und Meer faunistisch und biologisch ver- mittelnden Wanderfischen nicht, oder nur selten auf- treten. Über die Verbreitung der einzelnen Parasiten marinen Charakters von Lota vulgaris liegen folgende Daten vor. Ascaris capsularia lebt eingekapselt in den ver- schiedensten Meerfischen. Im Süsswasser parasitiert sie in Trüsche und Hecht, ausserdem ist der Parasit bekannt aus den Wanderfischen Stör, Lachs und Mai- iisch. Sehr wahrscheinlich werden indessen unter dem Namen A. capsularia die Larven verschiedener Nema- toden zusammengefasst, so dass aus dem Vorkommen — 137 — dieser offenbar aus mehreren Formen zusammengesetzten Art faunistische Schlüsse kaum gezogen werden können. Echinorhynchus actis gehört, neben zahlreichsten marinen Wirten, drei Süsswasserbewohnern, Hecht, Wels und Trüsche, an. Er fehlt den Wanderfischen. Distomum simplex parasitiert im süssen Wasser nur in Lota ; im Meer bewohnt der Trematode eine grössere Zahl systematisch ziemlich weit auseinanderliegender Teleosteer; er wurde auch in Anguil/a vulgaris gefunden. Von Apoblema appendiculatum bemerkt Monticelli, dass es häufig in sehr vielen und sehr verschiedenen Fischen lebe und von allen Angehörigen des alten Genus Disto- mum die weiteste zoologische Verbreitung besitze. Es werden für den Wurm etwa 60 marine Wirte aufge- zählt; er besiedelt aber auch den Darm von acht Wander- fischen und ist vielleicht von ihnen aus in seine Wirte im süssen Wasser, Barsch, Trüsche, Forelle, Hecht, Stichling vorgedrungen. Unter allen Umständen erweist sich A. appendiculatum als sehr anpassungsfähig an Wirte heterogener Lebensweise und verschiedenen Wohn- orts, wenn auch manche Angaben über sein Vorkommen der Nachprüfung bedürfen. Abotlrrium rugostim ist der typische Parasit der marinen Gadiden; er findet sich kaum in Fischen anderer Familien. So kann seine Gegenwart im Stockfisch des süssen Wassers, Lota vul- garis, kaum überraschen. Vereinzelt kommt Abothrium in Salmo salar vor. Das auffallendste, faunistische Faktum indessen bildet das Vorkommen von Tetrarhgnchas erinaceus im Süss- wasser. Damit erhält eiue grosse und relativ hoch spe- zialisierte Cestodengruppe. die Trypanorhyncha, die sonst durchaus auf marine Fische beschränkt bleibt, eine pota- mophile Vertretung. Telrarlnjnvlius erinaceus Van Ben. speziell findet sich als Larve in fünf oder sechs Teleo- 138 steern, die ausgewachsene Strobila lebt hauptsächlich im Darm verschiedener Rochen. Wenn nach Vaullegeards Annahme Rhynchobothrium imparispine Linton mit Tetra- rhynchus erinaceus Van Ben. identisch ist, wächst die Zahl der für den Parasiten bekannten Wirte und Zwischen- wirte bedeutend an. Der Tetrarhynchus findet sich dann in etwa zwanzig marinen Knochenfischen, die sich auf sehr verschiedene systematische Gruppen verteilen. Als Hauptwirte figurieren, neben den Angehörigen der Gat- tung Raja, Tetronarce occidenlalis, Myliobatis freminvillei, Scymnus lichia, Hexanchus grüeus und Heptanchus ci- nereus. Von besonderer Bedeutung ist es, dass Linton Rhynchobothrium imparispine (= Tetrarhynchus erinaceus Van Benetl.), begleitet von mehreren anderen Vertretern der Trypanorhynchen, eingekapselt im Aal nachweisen konnte. Durch den Wanderfisch kann also auch in diesem Fall der marine Parasit in das süsse Wasser verschleppt werden. Über das Vorkommen eingekapselter Tetrarhynchen in der Trüsche besitzen wir eine Notiz P. J. Van Benedens. Er zählt unter fünfzehn marinen Teleo- steern, „qui nous ont montré des Tétrarhynques en voie de développement entourés de leur gaine" ausdrücklich auch die potamophile Lola vulgaris auf (54). Später bezieht er sich auf das gegebene Verzeichnis mit den Worten: „J'ai dit plus haut, pag. 81, en parlant du développement des Tétrarhynques, quels sont les pois- sons sur lesquels ces vers se trouvent le plus communé- ment.'' Wo Van Benedens Tetrarhynchus aus Lota systematisch unterzubringen ist und besonders ob er mit T. erinaceus zusammenfällt, lässt sich leider nicht ent- scheiden. Die durch Van Beneden auf ihre Para- siten untersuchten Exemplare von Lota stammten höchst wahrscheinlich aus dem Meer naheliegendem, mit dem- — 139 — selben in offener Verbindung stehendem Süsswasser des belgischen Küstengebiets. Gelegentliche Einfuhr mariner Schmarotzer, durch Wanderfische z. B. iu jene süssen Gewässer scheint nicht ausgeschlossen. Viel verwickelter liegen die hydrographischen und damit die faunistischen und biologischen Verhältnisse im zweiten Fall, in welchem Lota als Zwischenwirt von Rhynchobothrien erkannt wurde. Das Exemplar der Trüsche, das auf der Aussenfläche des Magens Tetra- rhynchencysten trug, wurde im Januar 1884 im Genfer- see gefangen (57). Es stammt somit aus einem Wasser- becken, das seit sehr langer Zeit durch die Stromschnellen im Engpass der Perte du Rhône vom Meer vollkommen faunistisch abgeschlossen ist. An marinen Tierimport in den Genfersee durch die Rhone kann in der Jetzt- zeit oder in historischer Vergangenheit nicht gedacht werden. Derselbe datiert in entlegene geologische Epochen zurück. Besonders verhindert die Perte du Rhône Fisch- und damit auch Parasitenwanderungen vom Mittelmeer in den Léman. Dem entspricht denn auch die Zusammensetzung der Schmarotzerfauna der Genferseefische. Über die- selbe konnte ich früher, im Gegensatz zu entsprechenden Verhältnissen im grossen, nach dem Meer offen stehenden Rheinstrom, mitteilen, dass ihr, mit Ausnahme des sehr seltenen Tetrarhynchus aus Lota, ganz marine Elemente vollkommen fehlen. Sie stellt in jeder Beziehung eine reine und durchaus typische Tierwelt des Süsswassers dar (62). Für Lota vulgaris des Geufersees speziell gilt folgende Liste schmarotzender Würmer: Ascaris capsularia, A. acus, A. ienuissima, Cucutlanus elegans, — 140 — Echiriorhynchus angustatus, E. proteus, Distomum tereticolle, Diplozoon paradoxum, lchthyotaenia ocellata, I. torulosa, Cyathocephalus truncatus, A bothrium infundibuliforme. Abgesehen von der systematisch durchaus unsicheren Ascaris capsularia, der daher bei unserer Betrachtung ein Wert nicht zuzuschreiben ist, umschliesst die Liste keine der von uns als marine Elemente gekennzeichneten Schmarotzer. Sie setzt sich, vielleicht mit Ausnahme der nur aus zwei Wirten bekannten Ascaris tenuissima, aus typischen, weitverbreiteten und oft massenhaft auf- tretenden Gästen von Süsswasserfischen zusammen. Mitten in dieser ganz potamophilen Tierwelt taucht der rein marine Tetrarhynchus erinaceus auf, der als Larve zahlreiche Meerteleosteer, als geschlechtsreife Kette Haifische und Rochen bewohnt. Allerdings scheint sein Auftreten in Lota zu den grossen Seltenheiten zu ge- hören. Dem ersten bekannten Fall hat sich bis heute kein zweiter angereiht. Tetrarhynchus erinaceus könnte in Lota als altes, marines Relikt gedeutet werden, aus der Zeit stammend, da der Fisch von den verwandten marinen Gadiden sich löste und sich an die neue Süsswasserheimat anpasste. Auf diesem Wege hätten Lota vulgaris auch die Meer- parasiten begleitet und die Anpassung an das neue Me- dium erfolgreich mitgemacht. Der Tetrarhynchus des Genfersees würde so auf alte marine Beziehungen von Wirt und Gast hinweisen. Lönnberg äussert eine ähnliche Vermutung in Be- zug auf das Vorkommen von Abothrium rugosum in Lota — 141 - aus skandinavischen Süsswasserseen. Die Spezies schma- rotzt sonst nur in marinen Gadus-Avten, vielleicht, so bemerkt der schwedische Zoologe, lässt ihr Auftreten in Lota den Schluss zu, dass sie bereits spezifisch diffe- renziert war, bevor die Gattungen Lota und Gadus sich trennten (22). An die Thatsache vom Vorkommen des Tetrarhyn- chus erinuceus im Süsswasser und speziell im Genfer- see; in den der Parasit nur vor langer Zeit eingeführt werden konnte, knüpft sich naturgemäss die Frage, in welchem Raubfisch die Bandwurmlarve zur geschlechts- reifen Strobila auswachse. In dieser Richtung bewegen wir uns auf dem Gebiet blosser Vermutungen. Reife Rhynchobothrien sind bis heute in keinem Süsswasser- fisch entdeckt worden. Sie müssen aber in potamo- philen Wirten leben, wenn anders die Spezies sich wäh- rend langer Zeit in einem vom Meer vollkommen ab- getrennten Becken, wie dem Leman, halten soll. Am ehesten dürfte der zu Telrarhytichns erinaceus gehörende Kettenwurm in Hecht oder Forelle zu Hause sein. Die Einstreuung mariner Elemente in die Parasiten- fauna von Lota vulgaris erklärt sich auf verschiedenem Wege. Zunächst mögen Wanderfische auch hier den Import von Meerparasiten in das süsse Wasser besorgen. Von den eingeführten Schmarotzern wird der eine oder andere im Strom oder See passende Zwischenwirte und Wirte rinden und so neues Bürgerrecht erwerben. Auf diese Weise mag Apobkma appendiciUatum seine sekun- däre Heimat im Süsswasser erreicht haben. Das Tier und seine Verwandten schmarotzen erwachsen in zahl- reichsten Meerfischen; es bewohnt aber auch nicht weniger als acht regelmässig zwischen Meer und Süss- wasser hin- und herziehende Wanderer. Als seine Zwischenwirte giebt Pratt, neben anderen marinen. - 142 — pelagischen Organismen, hauptsächlich Copepoden an, die im Meer und Süsswasser reichlich zur Verfügung stehen (35). So mag Apoblema von breiter mariner Basis ausgehend, sich allmählich in einer beschränkten Zahl von potamophilen Fischen eingebürgert haben. Unter den Wirten von Distomum simplex und Tctra- rhynchus erinaceus figuriert der Aal, unter denjenigen von Abothrium rugosum der Lachs-, Maifisch, Lachs und Stör beherbergen Ascaris capsularia. Die genannten Wanderfische könnten etwa für die Verschleppung der betreffenden, sonst rein marinen Parasiten in das süsse Wasser verantwortlich gemacht werden. Für den Import gewisser Elemente in die Parasiten- fauna der Trüsche vom Meer her spricht auch deutlich die Thatsache, dass die marinen Schmarotzer von Lota in dem Masse seltener werden, als die Entfernung vom Meeresufer wächst. Würmer von marinem Charakter fehlen den Trüschen des Genfersees, mit Ausnahme jenes eigentümlichen , näher besprochenen Falls des Vor- kommens von Tetrar hynchus erinaceus. Srâmek (40) fand keine Meerparasiten in Lota aus der Elbe in Böhmen; ich vermisste dieselben in demselben Fisch aus dem Rhein bei Basel. Dagegen verzeichnet Van Beneden Te- trarhynckus in Lota aus Gewässern nahe der belgischen Küste; die Beobachtung, dass Echinor hynchus acus in demselben Wirt vorkomme, machte Lönnberg (24) an der Küste Skandinaviens; Abothrium rugosum und Apo- blema appenäiculatam wurden von älteren und neueren Autoren in Lota aus süssen Gewässern längs der Ufer der Ostsee entdeckt. Für das Vorkommen von Disto- iiiinii simplex in der Trüsche gilt ähnliches. Alles zeigt deutlich, dass eine Infektion von Lota mit marjnen Parasiten von der Meeresküste ausgeht und landeinwärts an Intensität progressiv abnimmt. Das deckt — 143 — sich, wie früher nachgewiesen wurde, mit dem Verhalten der marinen Schmarotzer in dem im Rhein aufsteigenden Lachs. Sie werden, soweit sie wenigstens den Darm des Wirts bewohnen, in dem Masse seltener, als der Wanderer sich vom Meer entfernt (00). Die Verschleppung durch Wirte und Zwischenwirte in der Jetztzeit genügt indessen nicht, um die Gegen- wart von Meerlischschmarotzern in Lota zu erklären. Das hat bereits das Vorkommen von Tetrarhynchus crinaceus in einem vom Meer längst abgeschnittenen Becken, wie dem Genfersee gezeigt. Ein anderer ma- riner Gast der Trüsche, Echinorliynclius actis, kommt in Wanderfischen überhaupt nicht vor, Abotlirium rn- gosum und Distomum Simplex sind in denselben sehr selten. Es ergiebt sich daraus die Notwendigkeit, für die ebengenannten Parasitenarten den Import in das süsse Wasser in weiter zurückliegenden Zeitabschnitten zu suchen. Für eine solche prähistorische Einfuhr öffnen sich zwei verschiedene Wege. Der Übergang in das neue Medium kann auch damals durch zwischen Meer und Süsswasser wandernde Wirte und Zwischenwirte vermittelt worden sein ; oder aber es kann Lota, die aus dem marinen Stamm der Gadiden hervorgieng, bei ihrer allmählichen Anpassung an das süsse Wasser eine Reihe von Meerparasiten mitgebracht haben, von denen sich einige als anpassungsfähig an die neuen umgebenden Verhältnisse erwiesen. Für diese Auffassung der Herkunft der marinen Elemente in der Parasitenbevölkerung von Lota spricht die Thatsache, dass die betreffenden Würmer in weitester Ausdehnung die Gadiden des Meers be- wohnen, im süssen Wasser dagegen sich fast ausschliess- lich auf Lola vulgaris beschränken. Darüber mag die folgende Zusammenstellung dienen: 144 ~ Si ce es ce Im Sûsswasser 1. Ascaris capsularia 55 16 In Lota und selten in issu'C. 2. Echinorhynchus acus . 37 15 In Lota, Esox, viel- leicht Silur m. 3. A.poblema appendicu- 60 20 Lota, Perça, Trut- ta, Esox, Gas- terosteus. 4. Distoraum simplex . 10 5 Nur in Lota. 5. Abothrium rugosum . 11 H Nur in Zota. 1 6. Tetrarb.yncb.us erina- 19 7 Nur in Lota. Die marinen Schmarotzer von Lota vulgaris er- weisen sich so als weitverbreitete und. wie beigefügt werden mag, sehr häufige und typische Gäste der nächst- verwandten Meerfische, der Gadiden. Abothrium ru- gosum beschränkt seinen Parasitismus auf die Stock- fische. Die übrigen bewohnen noch andere Wirte, vor- zugsweise die den Gadiden nahestehenden Pleuronectiden. Im Süsswasser verlassen die in Frage stehenden Würmer Lota DU1 gar in nicht, oder nur selten. Sie bleiben an den Wirt .Gebunden der ihren mannen Gast- gebern anatomisch und physiologisch am nächsten steht. Eigenschaften des Wirts und nicht nur der Aussenwelt bedingen somit auch hier die Verbreitung des Schmarotzers. Einzig Apoblema appendicutatum, das wir schon im Meer als anpassungsfähig an verschiedenste Fische kennen lernten, dehnt auch im Süsswasser den Kreis seiner Wirte etwas aus. 145 Alles aber lässt den Eindruck erwachen, dass Lola vulgaris beim Übergang vom Meer in Strom und See einen typischen Teil der Parasitenbevölkerung der marinen Stockfische mitgeschleppt habe. Der Süsswasserfisch be- herbergt heute noch Schmarotzer, die als marine Relikte für seine frühere Heimat und seine Geschichte zeugen. Lota vulgaris besitzt somit eine Parasitenbevölke- rung, die zum grössten Teil aus reinen Süsswasser- formen besteht. Von ihnen haben manche die Heise nach dem Meer angetreten, um dort in neuen Wirten eine mehr oder weniger ausgedehnte, sekundäre Heimat zu finden. Bei diesem Vordringen spielten wohl haupt- sächlich Wanderfische die Rolle der Zwischenträger vom Fluss zum Meer. Daneben beherbergt aber Lota auch marine Schmarotzer, die sie entweder selbst aus dem Meer mitgebracht hat, oder die ihr von dort früher oder später zugeführt worden sind. Auch in diese Strömung vom Meer zum Pluss dürfte die Wanderung der Fische vermittelnd eingegriffen haben. Heute würde sich also die Helminthenfauna von Lota aus zwei Gruppen von Bestandteilen, primären und sekundären zusammen- setzen. Die primären brachte der Fisch selbst mit aus dem Meer ; es sind die Schmarotzer seiner marinen Stammesverwandten, der Gadiden, Die sekundären Parasiten erwarb Lota später in Fluss und See ; es sind die typischen Gäste der verschiedensten reinen Süsswasserfische und vielleicht auch Schmarotzer von mehr marinem Gepräge, die durch Wanderfische injüngerer oder älterer Zeit in das Süsswasser importiert wurden. Unter allen Umständen aber spiegelt die Zusammen- setzung der Parasitenfauna von Lota vulgaris die äusseren Bedingungen des bewohnten Mediums, die Lebensweise und die Geschichte des Wirts wieder. 10 __ 146 — Viel einfacher als für Lola liegen die parasitolo- gischen Verhältnisse für Sikirus glanis. Die Schma- rotzerliste des Wels urafasst fünfzehn Würmer. Ausser- dem zählt Volz (8) nicht näher bestimmte Nematoden und Echinorhynchen aus demselben Wirt auf. v. Ratz (37) fand einen Silurus aus dem Balaton mit dem Blut- egel Ichthyobdella fasciata Dies, besetzt. Parasitische Würmer von Silurus glanis. Zahl der Wirte Name. SOsswasser- Fische. Heer- Fische. Wand er- Fische. Total. Nematodes. 1. Ascaris glanidis Linst., . 1 0 0 1 2. — siluri Gmel., 1 0 0 1 3. — siluri glanidis Linst., 1 0 0 1 4. Cucullanus elegans Zed., 13 0 5 18 5. Spiroptera bicolor Linst., 3 0 0 3 6. Nematoideum siluri glani- dis Rud., . 1 0 0 1 Acanthoce - phala. 7. Echinorhynchus globu- losus Rud., 24 0 1 25 8. — angustatus Rud., 20 8 2 30 9. — proteusWestrumb, 37 19 8 64 10. — acus Rud , . 3 37 0 40 Trematodes . 11. Distomuni torulosum Rud., .... 1 0 0 1 12. Dactylogyrus siluri gla- nidis Wag., 1 0 0 1 Cestodes. 13. Ichthyotaenia osculata Goeze, 1 0 0 1 14. Ligula digramma Crepl., 24 1 1 26 15. Tetrarhynchus spec, 1 0 0 1 Von den fünfzehn Parasiten kommen nicht weniger als acht einzig im Wels vor; sie machen für den Fisch gewissermassen eine speciell nur ihm angepasste Ideine Fauna aus. Das allgemeine Gepräge derselben ist rein 147 potamophil, wird sie doch vor allem charakterisiert durch die für Süsswasserfische geradezu typischen Ge- nera Dactylogyrus und Ichthyotaenia und durch die in denselben Wirten weitverbreitete Gattung Ascaris. Zu der ersten Gruppe von Welsparasiten zählen : Ascaris glanidis, A. siluri, A. siluris glanidis, Nematoideum si- luri glanidis, Distomum torulosum, Dactylogyrus siluri glanidis, Ichthyotaeonia osculata und endlich als ganz fremdes, später zu besprechendes Element Tetrarhyn- chus spec. Dazu gesellen sich eine Reihe überaus typischer Schmarotzer von Süsswasserfischen. Es sind Spiroptera bicolor, Cucullanus elegans, Echinorhynchus globulosus und Ligula digramma. Von ihnen ist nur die letztge- nannte Form vereinzelt in einem marinen Wirt, Clupea harengus, angetroffen worden. Aber auch zwei weitere Parasiten von Silurus, Echinorhynchus proteus und E. angustatus, haben wir bereits als Charaktertiere des Süsswassers kennen ge- lernt, wenn sie auch in der Wahl von Wirt und Zwischen- wirt wenig beschränkt, sekundär in Wander- und Meer- fische übergehen. Von den genannten Süsswasserfisch- Schmarotzern leben Ligula digramma und Echinorhynchus globulosus vorwiegend in Cypriniden ; Eilaria bicolor scheint Wels und Hecht zu charakterisieren, die übrigen drei ver- teilen sich auf die verschiedensten potamophilen Fisch- gruppen. Mit Lola vulgaris besitzt Silurus glanis ge- meinsam Cucullanus elegans und die drei bereits ge- nannten Echinorhynchen. Vielleicht muss zum gemein- samen Besitz auch Echinorhynchus acus gerechnet werden. So trägt die Parasitenwelt von Silurus glanis sehr deutlich potamophilen Charakter. Es entspricht das durchaus dem Vorkommen und der Lebensweise ihres — 148 — Trägers, welcher der typische Bewohner stehender oder langsam fliessender, seichter Süsswässer ist. Das einfache Bild dieser Schmarotzerfauna wird indessen gestört durch das Auftreten von zwei fremden, marinen Zuthaten, Echinorhynchus actis und Tetrarhyn- chtis spec. Echinorhynchus acus, den Parasiten zahlreicher Meerfische, führt Müh lin g (29) in seiner ostpreussischen Helminthenfauna pag. 86 aus Silurus glanis an. Der genannte Autor erwähnt indessen den Fund in derselben Abhandlung weder bei der Zusammenstellung aller bis jetzt in den Wirbeltieren Ostpreussens gefundenen Hel- minthen , noch in der statistischen Tabelle über das zeitliche Vorkommen der ostpreussichen Parasiten (29 p. 54, 78). So liegt die Vermutung nahe, dass das Citat auf Seite 86 unrichtig sei. Sollte indessen E. actis wirklich die Welse Ostpreussens bewohnen , so würde die Nähe des Meeres den Übergang des Schmarotzers in einen Süsswasserfisch hier ebenso erleichtern und erklären, wie in Skandinavien, wo der Acanthocephale nach Lönnberg in Lota vulgaris parasitiert. Sichergestellt und sehr auffallend ist die Thatsache, dass mitten im rein potamophilen Helminthenbestand des Wels eine im höchsten Grade marine Cestodenlarve. ein Tetrarhynchus, Platz findet. Merkwürdiger wird der Fund noch dadurch, dass der Träger des Parasiten, ein Silurus von beträchtlicher Grösse, dem Bielersee entstammt. Das Wasserbecken liegt im Herzen von Centraleuropa, fern vom Meer, mit dem es durch das Flusssystem der Aare und den langgezogenen Stromlauf des Rheins in nur indirekter und schwer passier- barer Verbindung steht. An einen Import mariner Parasiten in den Bielersee durch Wanderfische lässt sich kaum denken. Ebenso pflegen die Welse aus dem — 149 — See nicht durch die Aare thalabwärts zu ziehen. So weist das Vorkommen von Tetrarhynchen in stationären Fischen des Genfer- und Bielersees eine gewisse durch hydrographische Verhältnisse bedingte faunistische und biologische Analogie auf. Ein Fall bestätigt gewisser- massen den anderen. Wie im Leman gehört auch im Bielersee Tetra- rhynchus zu den seltensten Erscheinungen. Im Peri- toneum des AVels, aussen an die Darmwand angeklebt, wurde ein einziges Exemplar des Parasiten gefunden. Wieder bleibt die Frage offen, in welchem Raubfisch des Süsswassers etwa die Cestodenlarve aus Silurus zur geschlechtsreifen Kette auswachsen könnte. Besonders unaufgeklärt aber erscheint die Herkunft des Welsparasiten, da der Import von Meerhelminthen in den Bielersee wenn nicht unmöglich, so doch sehr schwierig ist, und da, im Gegensatz zu Lola, Silurus keine näheren marinen Verwandten besitzt, die ihm als Erbteil und Zeichen früherer Zusammengehörigkeit Para- siten überlassen konnten. Vielleicht ermöglichten hydro- graphische Verhältnisse vergangener Zeiten die Einfuhr von Schmarotzern marinen Charakters in die Seen am Südrand des Neuenburger Juras. Die Tetrarhynchen von Lota und Silurus nehmen eine getrennte Stellung im System ein. Den Parasiten aus Lola konnte ich durch erneute eingehende Prüfung mit Tetrarhynchus erinaceus Van Ben. identifizieren; der früher ausgeteilte, provisorische Name T. lotae fällt somit dahin. Dass sich der marine Tetrarhynchus eri- naceus im Genfersee, einem mit dem Meer seit sehr langer Zeit nicht mehr in Verbindung stehenden Becken unverändert erhalten konnte, spricht deutlich für die grosse Stabilität der Species. 150 Tetrar hynchus erinaceus ist wiederholt und zuletzt noch von V a u 11 e g e a r d ausführlich geschildert worden, so dass eine neue Beschreibung als unnötig erscheint (56). Immerhin bedürfen meine älteren Angaben und die frühere (57) Abbildung des Parasiten aus Lota der Ergänzung und Verbesserung. Auf T. erinaceus be- ziehen sich die Figuren 1 — 3. Der in Fig. 1. dargestellte Tetrarhynchiis lag ein- gekapselt an der Aussenfläche des Magens einer Lota vulgaris. Seine Länge beträgt fünf, seine grösste Breite etwa 2 mm. Der Wurm befindet sich in sogenanntem nAnthocephalußzust&ndu d. h. sein Kopf und Kopfstiel sind in die Schwanzblase zurückgezogen. Letztere be- sitzt etwa birnförmige Gestalt ; an ihrem verschmälerten Ende liegt die Einstülpungsöffnung, welche in den vom Scolex eingenommenen Hohlraum führt. Der Scolex selbst rollt sich spiralig auf. Er trägt vier längliche, je zu zweien enger verbundene Bothri- dien. Typisch ist die Bewaffnung der vier Rüssel mit zweierlei Haken ; sie wurde in der ersten Beschreibung unvollständig geschildert. Verteilung, Form und Grösse der beiden Hakenarten stellt Vaullegeard durchaus richtig dar. Über die Gestalt der hohlen Haken mögen auch noch die Figuren 2 und 3 unterrichten. Im cylindrischen, ziemlich gestreckten Hals liegen die vielfach geschlängelten Rüsselscheiden, weiter zurück die früher beschriebenen, kräftigen Rüsselbulbi. Wesentlich anders gestaltet sich das Bild des Tetra- rhynchus aus Silurus glnnis. Der Parasit lässt sich mit keiner bekannten Art vereinigen. Er stammt aus einem grossen , im Bielersee gefangenen Wels , der ausserdem im Magen zahlreiche Exemplare von Filaria bicolor beherbergte. Ein zweiter, riesiger Silurus aus demselben See erwies sich als parasitenfrei. 151 Der Wurm lag im Peritoneum , aussen an die Darmwand angeschmiegt ; er befand sieb, wie dies Fig. 4. darstellt, in ausgestülptem „TetrarJnjnchuszustanà", so dass Kopf, Hals und Schwanz in der Längsrichtung aufeinander folgen. Der vom Hals scharf abgesetzte Scolex trägt nur zwei mächtige Bothridien von be- deutender Breite. Ihre Seitenränder bleiben frei, der ebenfalls freie Hinterrand kerbt sich seicht ein. So erhält jedes Bothridium einen hohen Grad von Selb- ständigkeit. Nach vorn convergieren die beiden Haft- organe, so dass ihre Vorderränder an der Spitze des Scolex auf eine kurze Strecke verwachsen. Die Länge der Bothridien übertrifft ihre Breite nur unbeträchtlich. Etwas hinter der Scolexspitze münden die vier langen und schlanken Bussel, von denen je zwei einem Bothridium entsprechen, aus. In Fig. 4 sind dieselben in ihre vielfach geschlungenen und geknäuelten Scheiden, die bis gegen die Mitte des Halses reichen, zurückgezogen. Die Rüsselbewaffnung besteht aus relativ wenig zahl- reichen, aber kräftigen, stark gebogenen, hohlen Haken. Alle Haken sind von derselben Gestalt und Grösse (siehe Fig. 5). Der nach hinten allmählich breiter werdende Hals übertrifft den Scolex etwas an Länge. Er beherbergt in seinem hinteren Abschnitt die vier langgezogenen, walzenförmigen, dicht aneinander geschmiegten Büssel- bulbi. An beiden Enden spitzen sich diese muskulösen Hohlschläuche etwas zu; in ihrem Innenraum verläuft je schräg von hinten nach vorn und von innen nach aussen der Rüsselretractor. Vom Hals setzt sich recht deutlich der Schwanz als langeiförmig ausgezogene Blase ab. Ihre Länge übertrifft die eigene Breite und die Halslänge um das doppelte. Am Hinterende des Schwanzes öffnet sich ein — 152 Foramen caudale, das einer kanalartig gestreckten Ex- cretionsblase als Ausgangsporus dient. Besonders bezeichnend aber ist die Thatsache, dass die centrale Region der Schwanzblase von zahlreichen, gewundenen, da und dort plump verzweigten Drüsen- schläuchen eingenommen wird. Sie verlaufen im ganzen von hinten nach vorn ; gleichzeitig nimmt ihre Zahl nach vorne gehend stetig zu , so dass besonders die vorderen Abschnitte des Schwanzes von einem dichten Drüsenkomplex erfüllt erscheinen. Die hinteren, freien Schlauchenden sind oft aufgetrieben; die Schläuche be- sitzen eine strukturlose, deutliche Begrenzung und einen fein granulierten Inhalt. Am Hinterende der Rüsselkolben, d. h. etwa an der Grenze von Hals und Schwanz angelangt, gehen die Drüsenschläuche in langgezogene , äusserst feine Aus- führgänge über. Dieselben schliessen sich convergierend rechts und links von den Bulbi je zu einem dichtge- drängten Bündel oder Strang zusammen, dessen Ver- lauf sich durch den ganzen Hals bis in den hinteren Teil des Scolex längs und ausserhalb der Rüsselbulbi- und Scheiden verfolgen lässt. Im hinteren Scolexab- schnitt scheinen sich die Drüsengänge in das Lumen der Rüsselscheiden zu öffnen. Das einzige zur Verfügung stehende Präparat des Tetrar hynchus aus dem Wels gestattete eine nähere Untersuchung des Drüsenapparats nicht. Es wäre be- sonders die Frage aufzuwerfen, in welchen morpholo- gischen Beziehungen der Drüsencomplex zu den Rhyn- chodaealdrüsen stehe, die Pintner für einen Vertreter der Tetrarhynchus attenuatus -Gruppe eingehend be- schrieb (33). Fig.1 il R5 Verhandinngen der Naturforsçhéndén Gesellschaft in Bas,.]. Band XVI. Tafel I. H5.2. Fig. 4. Fig.3 »3 ■ ■ - ' fig.5. » - E. FC. 1 53 Figurenerklärung zu Tafel I. Fig. I. Tetrarhnychus erinaceus von lien, aus Lota vulgaris. Der Scolex in den verdickten Schwanz zurückgezogen. O. Einstülpungs- öffnung. R. Rüssel. B. Bothridien. R. S. Rüsselsckeiden, in die die Rüssel zum Teil eingestülpt sind. H. Hals. S. Schwanz. R. B. Rüsselbulbi. Fig. 2. und Fig. 3. Ine beiden Hakenforraen von Tetrarhynchus eri- naceus von Ben. Die Haken sind hohl. Fig. 2. grössere, gebogene, Fig. 3. kleinere, schlanke, gestreckte Haken. Fig. 4. Tetrarhynchus spec. aus Silurus glanis. Scolex vollständig ausgestülpt, die Rüssel, R., in ihre Scheiden zurückgezogen. B. Bothridien. R. B. Rüsselbulbi. Ret. Retractor der Rüssel. D. Drüsen. S. Schwanz. E. Excretionsblase. F.C. Foramen caudale. K. Kopfstiel (Hals). A. Ausführgänge der Drüsen. Fig. 5. Hohler Haken von Tetrarhynchus spec. aus Silurus glanis. — 154 — Litteratur. 1. Ariola. V.. Revisione délia famiglia Bothriocephalidae s. st. Ar- chives de Parasitologie. Vol. 3, 1900- 2. Braun. NI., Verzeichniss von Eingeweidewürmern aus Mecklenburg. Arch. d. Fr. d. Naturg. i. 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Ibid., Bd. 10, 1891. 62. — — Zur Faunistik. der parasitischen Würmer von Süsswasserfischen. Centralbl. Bakteriol Parasitkde. Abtlg. I, Bd. 19, 1896. 63. — — Hymenolepis (Drepanidotaenia) lanceolata Bloch als Schmarotzer im Menschen. Ibid. Bd. 21, 1902. Über konforme Abbildung im Raum. Von Karl VonderMühll. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ist bekannt, dass durch das Prinzip der reziproken Radien nicht nur eine Ebene auf einer andern Ebene, sondern auch ein Raum in einem andern Raum konform, d. h. in den kleinsten Teilen ähnlich abgebildet wird. Für den Raum hat meines Wissens Liouville den Satz zuerst ausgesprochen.*) Während aber unendlich viele konforme Abbildungen einer Fläche auf einer andern Fläche existieren, ist die Abbildung durch reziproke Radien die einzige, wo die kleinsten Raumteile in Figur und Bild einander ähnlich sind. Auch dieser Satz ist längst bekannt ; doch habe ich eine direkte, rein ana- lytische Ableitung nirgends gefunden; ich erlaube mir daher sie im Folgenden zu geben. Es bezeichne (|, /;, ç) einen Punkt der Figur, (x, )7, z) sein Bild in geradlinigen rechtwinkligen Koordi- naten; dff und ds seien zwei einander entsprechende unendlich kleine Längen : da2 = d£2 + d#;3 — dt2 , ds2 = dx2 -J- dv2 -|- dz2 ; der sogenannte Kartenmodul werde mit p bezeichnet. *) Journal de Math. XII. 1847. 159 Dann gilt für konforme Abbildung die Gleichung: (1) do = pds , wo p eine Funktion von (i", >n 'Q oder (x, y, z) sein soll. Wir suchen p als Funktion von (x, y, z) zu be- stimmen. Indem wir x, y, z als Funktionen von (|, ?), Ç), |, t], Ç als Funktionen von (x, y, z) betrachten, folgen aus den Gleichungen dx = — dt dx dx -7- dr: 4- -^ dC , u. s. w. dr, 'dt - dB = t- dx 4- -IT- dy -f- -1— dz , u. s. w. dx ' dy J ' dz die Beziehungen zwischen den partiellen Differential- quotienten : (2) dx d£ , dx dy dx dç d£ dx "^ dr] dx ~r" dç dx - dx dt dx drj dx d'Ç d| dy" + d^ dy ' d£ dy ' u. s. w. Die Bedingung der konformen Abbildung dx2 f dy2 + dz2 = p2 (dp -f d/;3 -f dl'2) aber liefert die Gleichungen : dz (3) S)+ (8) + u. s. w. dx dx dy dy dz dz dr) d, ' d?j ck d^ d£ und die entsprechenden : drv, /dvy (4) dx ; + u. s. w. d|d|cb;cb;d£dÇ=0 dy dz dy dz "■ dy dz 160 Die Funktionaldeterminanten D und dx dy d£ dz d| dx dy dz àrj d? d?; dx dy dÇ dz d| d>; dÇ dx dx dx d£ ^ de dy dy dy d| d?/ d: dz dz dz können nicht verschwinden, und es ist Di= 1 . Durch Auflösen der Gleichungen (2), (3) und (4) ergeben sich die Relationen : (5) dx 2d| d|"rdx ' dx d^ u. a drç = P dx ' s. w. dx „ dç dt =P dï oder («0 d£ 1 dx di~p2 d£ ' dy" u. 1 dy V df ' s. w. d£ 1 dz dz p2 df so dass also, weil DJ = 1 , D2 = P6 , D = \^J z/a = 161 — Die Gleichungen (3) können auch ersetzt werden durch (3,a) dx + d£ ; "T" V cb; dx + l>- dy dz dy dz dy dz d§ d? ' d/. d/; de d. 15 u/( d/( ' au aç entsprechend die Gleichungen (4) durch d/, dJ d/; dl* d?; dl" (4,a) ^ cb, eh, dx dx ' dy dy df\2 1 = — 5- , u. s. w. p dz dz = 0 , u. s. w. Ist nun F eine beliebige Funktion von (x, y, z) oder (£, 7], Ç), so folgt aus !_? - !_? dl 1 -- ^ _j_ — Ï dx d§ dx"' d/; dx ' du dx d£ durch Einsetzen der Werte -^- , u. s. w. nach den dx Gleichungen (6) in u. s. w, clF dx . dF dx ( dP dx d£ d|^d?; dy/dT dT P odF und dieselbe Gleichung gilt, wenn wir y oder z statt x schreiben. Wir setzen zunächst F=TT. und erhalten: de dx d2x dx d2x dx d*2x dl dF ~ ;d>; + dg dg " durch Differentiation nach g : d2y dz d2y dz d2y dz dg2 dg + dgdYd7;+ dgdg dg + dy d2z dy d2z dy d2z "Kit A&\ 'dg dg2_r àrt dgd/; ~dg clgdg dz = P 163 Folglich gelten die drei weiteren Gleichungen : (8) dy dB «1 dz , dz dx . dx d -t. + dz d£ (I + dy dx dl -f dz dy o, 0 . dy dx In den Gleichungen (7) und (8) kann statt £ auch y] oder 'Ç gesetzt werden. Aus den Gleichungen (8) folgt durch Differentiation nach x, y und z : .2 dy ,., dz de also d2 , dx (9) d~ dy dz dzdx = 0, + : d£ dxdy 2 dy = 0. u. s. w. d; dzdx = 0, t> dz Im dxdy = 0 . Aus den Gleichungen (1) aber finden wir in Ver- bindung mit den Gleichungen (8) : l2dx dy ds- de 13dx dç d2 df d$ dx2 dxdy dy2 dxdz dz2 und dieser Wert ist konstant. Denn seine Differential- quotienten nach y und z verschwinden, weil nach (9) dx de = 0, dy dç 0 dxdy dz dxdy dz und desgleichen der Differentialquotient nach x. 164 — Wir haben nämlich: f13 dx 13 cly dz dy dz de_ de_ __d|= dç dç dx3 " dx2dy ~ dx-dz ~ dz2dy ~ dy2 dz ' und der letzte Ausdruck ist nach (8) gleich d- / dg dydza ; dadx 1 Ä folglich muss . * gleich null sein. dxö Wir setzen: t, dx ,„ dx nodv ,., dx „ dz d2 -Tx d2 T& d2-^ d- T d- j- Uq\ de_ dç _ de dç _ de dx- dy1' dx dy dz"2 dxdz nennen die Werte b und c, wenn statt x y und z ge- setzt wird, dagegen a\ b', c', und a", b", c", wenn wir statt e ?/ und 1" schreiben. Nun haben wir einmal: d- (\V\ ^ * dP * /dx dp dy dp , dz dp dx p de p \de dx de dy de dz u. s. w. sodann und, nach (6), -, dy , dz d/e d j, de _de dz dy 1 dy J_ dz Y dl p^d? dz dy — 165 oder folglich (12) Wir bezeichnen mit 2 die Summe der drei Aus- drücke, die durch cyklische Vertauschung der Variabein Ç, /;, 'Ç folgen. Dann geben die Gleichungen (11) und (12): dx d d$ a dÇ 2 /dy dp dz dp dz dy p V dç dz dç dy dç 1 dy dp dz dp dz p dç dz dç dy , u. s. dx dç dç dx P dp dx" ' , dx dx d ÂÇ df dy dx dç dp_ dç dx dy dx v dy df df dx diy dx dç 0 dç dz Dividieren wir die zweite dieser Gleichungen mit p2 und differenzieren wir dann nach y, so folgt: r dx , dx v 1 dx d? d-ç ( dç 1 d-p 1 /"dp p2 dç dy2 dxdy dy p dy- ir\dy und ähnlich: ,2 dy , dy v 1 dy àë ' à*$ cl cîë_ p- dç dx'2 ' dxdy dx p dx2 p2 V dx — 166 — mithin : dx _d? dy d? /d*p d'p\ /dpV /dp Y d£ dy2 de dx2 P^dx2 dy2y ^dXyl V^dy Wir finden aber auch : y dx de ddf d2P /dPV Z dç dy2 ~^\ dy / Pdy2i~lvdyy' ' cpdy /diZ.\2 dy__df , _d£ I d*p , AlpV 21 df dx2 + ~\ dx / Pdx2+tdxJ' folglich ,g dx dx C__dJ d_} df dy2 ~^Z df dx2 1 ^dx2 ^ dy2y/ ~T V^lx Mit Berücksichtigung von (8) folgt hieraus dy\2 dp V /dp ^dxy/ "T" V^dy und dann ,„ dx T., dx d — d" — dx dç d2p /dp y vdx ä$ d2p / dpY d^ dy2 x dy2 V^dx^ d£dz2 'dz2 V^ dx nach den Gleichungen (10). Foglich muss sein d-p d2p d2p { } dy2 dz2 dx2 ' — 167 Weiter folgt aus , dz I dp = z dç _ df p dx dz dx durch Differentiation nach y: A ^Z 12 C^Z p d'P _ S? dp = , v d2ç d~c dz " de dxdy dx dy P dydz dx ' d£ dxdy ' und die letzte Summe verschwindet nach (9). Aus , dx Q = ^ df _d| dy dz aber finden wir durch Differentiation nach z: d ^ d2 - v _^_i_ __M i 1 v dy d| = w dydz dz * p2 w dç dz2 ■ Somit ist : d2- d^P _ dp dp v dy _ch? 1 dxdy dx dy " " ds- dz2 * Ferner gibt die Gleichung d ^ n dj> = v dl __di 1 dy ^ df dy durch Differentiation nach x: d-> iy d -y d -y p d2P , dp dp = v dy ds- v dç df _ dxdy "^ dx dy *" de dxdy * dx dy ' , dy , dy . dx n dx d A à ■£ d tt d — 168 — folglich wird dxdy dx dy dy dx n dx , dx _ _df _df ~ ^ dy dx ' da wir in dem ersten AVert x und y vertauschen können. Wir finden also, dass die zweiten Differentialquo- tienten -^ — =—, u. s. w. null sein müssen: dann ist =- nur dydz' dx Funktion von x, und wegen der Gleichungen (13) -=-g konstant. "Wir setzen d2p d2p d2p 2_ dx^ " " dy2 " dz- == R2 (*"V ^v2 rl1T-' A„l ' -R2 > wo R eine Länge bedeutet. Dann folgt durch Integration dp 2 (x— a) dx R2 , u. s. w. und indem wir den Anfangspunkt der x, y, z verlegen, werden a, /?, y null. Durch nochmalige Integration ergibt sich: (15) P=*3+|I+Z' + C. Die Konstante C bleibt vorläufig unbestimmt. — 169 — Wir setzen diesen Wert ein in die Gleichungen - d,- dx2 ' \dxj ' ~ P dx2 ' d2^ y dx d£_ dp dp d~~ H/T = ~Ixd"y' d2 '1Z 5, dx dç _ dp dp de dy2 dx dz wo die beiden letztern folgen aus dx d2 — v dJ të = _ dp dp dç dz2 dx dy und die erstere aus d2- v ^ _d? cFp _ / a (r2 — C R2) , ^ = (&' x -f b' y + c' z) x — * •> a' (r2 -f C R2) . dx j= = (a" x -f b" y + c"z) x — x .- a" (r2 + C R2) , wo zur Abkürzung gesetzt ist: (17) r2 = x2 + y2-|-z2 . Nun ist nach (3.a): dxV folglich (^ -f C)2 = x2 1 (ax -j- by -f cz)2 + * 4 fr2 — CR2)2 2' a2 — — x (r2 — C R2) 2' a (ax -f by -f cz) = 4 ra x2 _L (r2 4_ c R*)» — 4 (r- — C R2) x2 R also C = = 0 Wir erhalten s lomit : (18) r2 ^R2" dx (19) ^ = (ax — by -f cz) x - Va a r2 , u. s. w. 171 bia (6) dç 1 dx -p 4 (ax -f- by -j- cz) x — '/a ar2 dx p2 àç r4 R4 d ax — by + cz T dx folgt dann weiter: R4 ax -j- by -f- cz c + A = oder, wenn wir den Anfangspunkt der (£, ?;, Ç) mit dem der (x; y, z) zusammenlegen: .... & R4 ax 4- by 4~ cz (20) f = - - — ^ r; T , u. s. w. Setzen wir also (21) ç2 = f2 + >;2 + ç2 , so wird nach (20) a R4 Q = ^ oder (22) r2 q2 = R4 , und ax - r by 4_ i 2ç CZ = 5 q , u. s. w, Drehen wir endlich das Koordinatensystem (x, y, z) so um den Anfangspunkt, dass seine Axen mit denen der (ç, 7], Ç) zusammenfallen, so wird: — 172 — X = — V- R2 ^ax -f- by -J- cz) , y = -y-2 R2 (a'x -f- b'y -f c'z , z = -.Va R2 (a"x -f b'x + c"z) , und wir gelangen zu den bekannten Formeln der Trans- formation mittelst reziproker Radien: r2 q2 = R1 , R3£ A' = — 5- , u. s. w. Q' , R2a- ç = — -=— , U. S. W. als der einzigen konformen Abbildung eines Raumes in einem andern Raum. Über einige Eigenschaften des geschmolzenen Quarzes. Von P. Chappuis. Die von H. Boys angeregte Anwendung von Quarz- fäden zum Aufhängen von Galvanometern, Spiegeln und Magneten lenkte die Aufmerksamkeit der Physiker auf diese Substanz, deren Eigenschaften besonderes Interesse verdienen. Zunächst ist es mit dem Knallgasgebläse gelungen, grössere Gefässe, Thermometer, Dilatometer und Geiss- lersche Röhren aus geschmolzenem Quarz zu verfertigen. Lechatelier erhielt im elektrischen Ofen einen prisma- tischen Stab von 50 mm Länge und 10 mm Durch- messer und konnte auf demselben die thermische Aus- dehnung bestimmen. Er fand folgende auffallend kleine Ausdehnungs- coeffizienten zwischen den angegebenen Temperatur - grenzen (0".180°) (0°.532°) (0°.588«) (00.700°) (0°.750°) (0".850°) Cœff.Xl08= 28 71 85 107 120 74 Bei der Kleinheit der Längenänderungen treten die Unregelmässigkeiten der Beobachtungen zu stark her- vor, alsdass man aus diesen Zahlen einen Schluss über die Änderung der Ausdehnung mit der Temperatur ziehen könnte. Doch zeigt der Vergleich mit dem sich wenig — 174 — ausdehnenden Platin , dass zwischen 0° und 700° der mittlere Ausdehnungscœffizient des geschmolzenen Quar- zes nur '/'.itel desjenigen des Platins beträgt. Eine Bestätigung dieser Beobachtung kann man in der be- kannten Thatsache erblicken, dass der geschmolzene Quarz ohne Gefahr des Zerspringens glühend in Wasser getaucht werden kann. Indessen schien mir eine genauere Bestimmung der Ausdehnung wünschenswert. Ich verfertigte zu diesem Zwecke aus geschmolzenem Quarz einen Cylinder von zirka 10 mm Durchmesser und 15 mm Länge und Hess die beiden Endflächen desselben plan und parallel schleifen. Die Bestimmung der Ausdehnung geschah mit dem Fizeauschen Apparat des internationalen Maass- und Gewichts-Bureau's in Sèvres. Die Konstanten dieses Apparates sind bekanntlich von H. Dr. Benoît zwischen 0° und 80° mit ausserordentlicher Sorgfalt und Ge- nauigkeit bestimmt worden. Da die von mir befolgte Methode bereits von Dr. Benoît im Bd. VI. der „Travaux et. Mémoires du Bureau international des Poids et Me- sures" ausführlich beschrieben worden ist, werde ich mich mit der Mitteilung der Beobachtungen begnügen und verweise für nähere Details auf die genannte Abhandlung. Bei dem kleinen Querschnitt des Quarzstückes war es nicht möglich, die Beobachtung der Fransen auf mehr als 7 Punkte zu beziehen. Das Bild der Fransen im Beobachtungsfernrohr mit den Referenzmarken wird in Figur 1 dargestellt. Fig1 — 175 Die Messungen ergaben für die Höhe des Cylinders: E -- 14,765 mm und für die Dicke der Luftschicht zwischen Quarz und Linse : e = 0,037 mm. Die im Oktober 11)01 ausgeführten Beobachtungen sind in ihrer Reihenfolge in nachstehender Tabelle mit den zugehörigen Korrektionen zusammengestellt worden. Die Temperaturen wurden an 4 Quecksilberthermo- metern abgelesen, deren Gelasse sich in unmittelbarer Nähe des Platiniridiumdreifusses befanden. Zwei dieser Thermometer wurden zwischen 0° und 50°, die 2 anderen zwischen 50° und 100° beobachtet. Die Abweichungen der Angaben dieser gut ver- glichenen Instrumente betragen ausnahmsweise 4 Hundert- stel Grad und sind im allgemeinen kleiner als 2 Hun- dertstel. Nach der Regulierung der Temperatur wurde der Apparat während wenigstens 6 Stunden sich selbst über- lassen, um den vollständigen thermischen Ausgleich zu sichern. Die Beobachtungen folgten gewöhnlich in Zeiträumen von 12 Stunden auf einander. Zusammenstellung der Beobachtungen. Mittel der Datum Barometer Temperatur Fransenab- Corrigiertes 1901 auf 0° reducieri (Normalskalei lesunp Correction Mittel f f 83,359 52,14 -f 0,009 52,149 79,975 50,71 + 9 50,719 70,481 46,73 -f 8 46,738 57,826 41,46 -f 7 41,467 48,649 37,59 + 5 37,595 42,500 35,12 -f 5 35,125 30,311 30,05 -f 4 30,054 8. Okt. , a. m. 752,79 8. •i p. m. 749,87 9. n a. m. 749,15 9. n p. m. 757,03 10. » a. m. 763,03 10. h p. m. 762,77 11. n p. m. 759,94 - 176 — 18,003 15,746 24,738 34,997 40,401 62,926 73,626 84,233 74,837 67,742 60,639 44,360 55,342 14,634 38,253 33,749 23,422 13,610 1,867 1,611 2,065 10,229 Diese Beobachtungen lassen sich durch eine Inter- polationsformel von der Form x -}- t y -j- t2z = n darstellen, worin t die Temperaturen, n die korrigierten Mittel und x, y, z die Konstanten bezeichnen, welche mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate zu be- rechnen sind. Man erhält demnach für diese Konstanten: x = -f 17,537 686 9 y == -j- 0,412 630 52 z = 4- 0,000 025 894 Vergleicht man die aus obiger Funktion berech- neten Werte mit den Beobachtungen, so erhalt man 12. Okt. a. m. 758,74 12. r> p. m. 757,33 13. •n a. m. 758,62 13. J) p. m. 757,25 14. 11 a. m. 755,55 14. 11 p. m. 753,50 15. » a. m. 751,25 16. H a. m. 748,25 17. » a. m. 747,53 17. n p. m. 748,78 18. » a. m. 748,04 18. n p. m. 746,22 19. n a. in. 750,04 20, il p. m. 752,75 21. n a. m. 750,71 21. n p. m. 751,71 22. ii a. m. 752,27 23. n a. m. 758,39 25. )5 a. m. 758,76 25. 51 p. m. 757,48 26. n a. m. 759,69 28. M a. m. 765.20 25,03 + 2 25,032 24,04 + 2 24,042 27,79 f 3 27,793 32,02 + 4 32,024 34,24 i T 5 34,245 43,64 H- 7 43,647 48,04 + 8 48,048 52,46 + 9 52,469 48,54 + 8 48,548 45,59 + 8 45,598 42.66 -j- 7 42.667 35,89 + 5 35,895 40,43 -j- 6 40,436 23,58 + 2 33,582 33,36 + 5 33,365 31,48 -j- 4 31,484 27,23 + 3 27,233 23,17 -f- 2 23,172 18,29 0 18,290 18,17 0 18,170 18,37 0 18,370 21.78 + 1 21,781 — 177 — füllende in Fransen ausgedrückte übrigbleibende Fehler Beob.-Bereclin. Beob.-Berechr i. Beob.-Berechn. f. f. f. 1 -f 0,03 11 + 0,01 21 0,00 2 -f 0,02 12 - 0,01 22 -f 0,01 3 - 0,01 13 -f 0,04 23 — 0,01 4 — 0,02 14 - 0,01 24 + 0,02 5 — 0,08 15 - 0,01 25 + 0,01 6 -f 0,00 16 — 0,01 26 — 0,02 7 — 0,01 17 — 0,01 27 — 0,03 8 + 0,06 18 + <>,01 28 — 0,02 9 -j- 0,00 19 + 0,00 29 + 0,02 10 -f 0,03 20 — 0,02 Aus den von H. Di •. Benoît bestimmten Ausdeh- nungscoefficienten der Dreifussschrauben aus Platiniridium a' _■= -j- 0,000 008 597 6 ; ß' = 0,000 000 001 663, der Wellenlänge des benutzten Natriumlichtes : ~ = 0,000 294 648 5 mm ù und den obigen Bestimmungen der Längen des Quarz- stückes und der Schrauben E0 = 14,765, L0 = 14,802 mm, und schliesslich der relativen Coefficienten y und z lassen sich die Ausdehnungscoefficienten des geschmolzenen Quarzes nach den Formeln Lo« ■ - y 2 L°tr ~ z 2 ß =- E0 E0 berechnen. l) Man erhält auf diese Weise folgenden Ausdruck für die lineare Ausdehnung des geschmolzenen Quarzes : L1? = L0(l + 0,000 000 384 741 t -f 0,000 000 001 150 t2) !) Siehe Trav. et Mém. Bd. VI. p. 112. 12 — 178 — Obige Formel gilt streng genommen nur für das Tem- peraturintervall (0° — 83°). Extrapoliert mau aber nach diesem Ausdruck zur Vergleicbung mit Lechateliers Resultaten, so findet man für die entsprechenden Tem- peraturen die mittleren mit 108 multiplicirten Coeffi- cienten : (0°.180°) (0°.532°) (0°.588°) (00.700°) (0".75O°i (00.850°; 59 100 106 11<> 125 136 Diese Werte stimmen der Grössenordnung nach befriedigend mit Herrn Lechateliers Beobachtungen. Die sehr geringe Ausdehnung des geschmolzenen Quarzes, sowie die grosse Festigkeit desselben und das gänzliche Fehlen von elastischen und thermischen Nach- wirkungen bei gewöhnlicher Temperatur empfehlen den geschmolzenen Quarz zu thermometrischen Zwecken und besonders zur Verfertigung von Gasthermometergefässen. Allerdings bietet die Bearbeitung der erst bei hoher Tem- peratur flüssigwerdenden Masse beträchliche Schwierig- keiten, doch sind von Zeiss in Jena schon Quarzplatten von nahezu einem Centimeter Dicke im elektrischen Ofen erhalten worden, und es lassen sich auch von der Ver- wendung des Acetylens mit Sauerstoff neue Fortschritte erwarten. Xach einem nicht veröffentlichten Versuch von Dr. Villard in Paris soll der geschmolzene Quarz bei hoher Temperatur für Wasserstoff durchlässig sein. Wenn diese Durchlässigkeit auch geringer wäre, als die vorn Platin, so würden doch die Vorteile der Verwendung des Quarzes als thermometrisches Gefäss dadurch sehr vermindert. Um die erwähnte Durchlässigkeit zu prüfen, habe ich folgende Versuche angestellt, welche die Beobachtung von Dr. Villard bestätigen. 17!) Eine Quarzröhre von circa 0,5 mm Wandstärke wurde an einem Ende zu einer feinen Spitze ausgezogen und zugeschmolzen. Das andere Ende wurde mittelst Kitt mit Quecksilberverschluss an eine Kahlbaum' sehe Quecksilberpumpe angeschlossen und möglichst weit evaeuiert. Nach Einstellung der Pumpe beobachtete man mit Hilfe des Mac Leod Volummeters die regel- mässig stattfindende langsame Zunahme des Druckes im ganzen Apparat. Dann wurde die Quarzspitze in den heissesten Teil eines Bunsen'schen Brenners gebracht und somit glühend von dem in der Flamme reichlich vorhandenen Wasserstoff umgeben. Die Zunahme des Druckes wurde dann etwas stärker befunden. Bei fort- gesetzter Erhitzung bemerkte ich, dass das Quarzrohr, welches anfangs kaum sichtbar war, nach und nach zu leuchten anfing und schliesslich wie ein Metallrohr glühte. Es zeigte sich nach der Abkühlung im Innern der Röhre ein schwarzer Überzug, vermutlich aus reduziertem Silicium bestehend, von dem das Licht herrührt. Ein zweiter Versuch, der unter denselben Bedingungen, aber mit einem neuen Quarzrohr ausgeführt wurde, ergab ein ähnliches Resultat ; dagegen bemerkte ich keine Schwärzung in einem Quarzrohr, welches luftleergepumpt und an beiden Enden zugeschmolzen war. Wenn die obigen Versuche als eine Bestätigung der Beobachtung von Dr. Villard betrachtet werden können, so erlauben sie doch keine genaue Messung der Menge des durch die Wände hindurch gedrungenen Gases. Ich suchte daher das diffundierte Gas auf andere Weise sichtbar zu machen und in einem kleineren Raum auf- zufangen. Dies gelang auf folgendem Wege : Es wurde ein U förmiges Rohr aus Quarz verfertigt, dessen langer Schenkel circa 12 cm hatte und in eine 5 cm lange Spitze auslief. Der kurze Schenkel wurde — 180 — mit einer kleinen Kugel versehen und trug ebenfalls ein Capillarrohr. Fig. 2. Das ganze Rohr wird nun im Vacuum mit Queck- silber gefüllt und wie ein gewöhnlicher Manometer aus- gekocht. Man schafft etwas Quecksilber aus der Kugel und schmilzt das Rohr in c ab mit dem Knallgasgebläse. Wird die gefüllte Röhre flach gelegt, so tritt infolge der Capillarität das Quecksilber aus dem engen Rohr der Spitze und stellt sich etwa in a ein. Erhitzt man die Spitze mit dem Bunsenbrenner, so sieht man bald ein Zurückweichen des Meniskus, das sich nur durch die Einführung von Gas in den abgeschlossenen Raum erklären lässt. Wenn die Flamme entfernt wird, so bleibt der Meniscus etwa in b stehen und erfährt nach jeder Erhitzung eine neue Verschiebung. Die Analogie dieses Verhaltens des geschmolzenen Quarzes mit demjenigen des Platins, welches bekanntlich von Dr. Villard in sinnreicher Weise zur Regulierung des Druckes in den Crookeschen Ampullen verwendet wird, hat mich veranlasst, das durch Diffusion einge- drungene Gas auf demselben Wege wieder zu entfernen. Es genügt hierzu, das Rohr in einer wasserstoffreien Atmosphäre zu erhitzen. Das Quarzrohr wird zu diesem Zwecke mit einem weiten, an beiden Enden offenen Platinrohr umgeben. Beim Erhitzen hat man darauf zu achten, dass die Flammengase nicht in das Rohr ein- dringen, und dass Quarz und Platin sich nirgends be- rühren, da das Platin vom Quarz angegriffen wird. — 181 — Es dringen wohl durch Diffusion Spuren von Wasser- stoff' in den inneren Raum, dort verbrennen sie aber beim Zutritt der Luft und kommen nicht mit dem Quarz- rohr in Berührung. Nach mehrstündiger Erhitzung kann auf diese Weise das hineinditfundierte Gas durch den umgekehrten Prozess wieder herausgeschafft werden. Was die Durchlässigkeit des geschmolzenen Quarzes betrifft, so lassen sich nur annähernde Angaben aus den Versuchen ableiten, weil die Dicke der Quarz wand nicht gleichmässig ist und die erhitzte Oberfläche nicht genau bestimmt werden kann. Es sollen daher die nachstehenden Zahlen nur zur Bestimmung der Grössenordnung der Durchlässigkeit dienen : Länge des erhitzten Rohrteiles 15 mm Äusserer Durchmesser des Rohres 1 mm Dicke der Wandungen 0,2 mm Die nach sechsstündigem Erhitzen durchgelassene Gasmenge betrug zirka 35 Kubikmillimeter bei 10 mm Quecksilberdruck. Aus dem Vorhergesagten ist mit grosser Wahr- scheinlichkeit zu schliessen, dass das diffundierte Gas AVasserstott' ist. Bestimmung des spezifischen Gewichtes des geschmolzenen Quarzes. Nach den früheren Angaben1) von Rose und Deville ist die Dichte der aus Silicaten bereiteten amorphen Kieselsäure und des geschmolzenen Quarzes — 2,2. Eine neue Bestimmung dieser Konstante . welche ich an einem selbst bereiteten Stäbchen geschmolzenen Quarzes ausführte, ergab 2.192; doch ist dieser Wert jedenfalls etwas zu klein, da das Stück leicht sichtbare Bläschen enthielt. !) Landolt und ßörnstein. Physik. Tabellen. 8. 140. 182 Durch die grosse Freundlichkeit der Firma Zeiss in Jena wurde es mir möglich, über eine vollkommen klare Linse aus geschmolzenem Quarz zu verfügen. Diese lieferte folgende Resultate: Masse des Quarzstückes 13 g 40-4, 6 mg Volum bei 0° 6 ml 0885 Spez. Gewicht bei 0° 2,2016 Umwandlungstemperatur. Über die Umwandlung des kristallinischen Quarzes in den geschmolzenen Zustand liegen nur unvollständige Be- obachtungen vor. Sowohl die optischen Eigenschaften als die Ausdehnung und das spez. Gewicht der beiden Mo- difikationen der Kieselsäure lassen vermuten, dass der Übergang kein stetiger ist. Beim Erwärmen von kry- stallinischem Quarz zerspringen grössere Stücke bei der Botglut. Doch kann man bei vorsichtiger Erwärmung kleinere Quarzplatten auf viel höhere Temperaturen er- hitzen, ohne dass sie zerfallen oder die Krystallstruktur verlieren. Eine 8 mm dicke Quarzplatte, welche in polari- siertem Licht verschiedene Makel zeigte, wurde in einem Ofen der Porzellanfabrik in Sèvres längere Zeit auf 1300° erhitzt. Sie zerfiel dabei in grössere Stücke, welche optisch untersucht, genau dieselbe Struktur zeigten wie zuvor. Die vor dem Zerfallen beobachteten scharfen Bänder der Platte blieben ebenfalls unverändert. Die Herren Mallard und Lechatelier, r) welche die optischen Eigenschaften des Quarzes bei höheren Tem- peraturen untersuchten, fanden, dass dieselben bei 570" eine plötzliche Änderung erleiden, unterhalb und ober- halb dieser Temperatur aber nur stetige Änderungen i) Annales de C&im. et de Phys. 7me S. t. VI. 92; 1895. 188 zeigen. Der kritische Punkt bei 570° wurde sowohl bei steigender als bei sinkender Temperatur beobachtet und scheint durch die Entwicklung von starken Span- nungen bedingt, welche sich durch das erwähnte Zer- springen der grösseren Quarzstücke in der Rotglut kundgeben. Die eigentliche Umwandlung muss nach dem Vor- hergehenden bei einer höher als 1300° liegenden Tem- peratur stattfinden. Wenn man am Knallgasgebläse das Schmelzen von kleineren Quarzkrystallen beobachtet, so sieht man in der That erst im Augenblick, wo die scharfen Kanten in der Weissglut zu schmelzen anfangen, class eine Zersplitterung der ganzen Masse eintritt, wodurch dieselbe undurchsichtig wird. Grössere Stücke, welche durch eine oberflächliche geschmolzene Quarzschicht nicht zusammengehalten werden, zerfallen bei dieser Temperatur, die offenbar der Umwandlung entspricht. Man darf sich also nicht der Hoffnung hingeben, grössere krystallinische Quarzplatten ohne Zersplitterung in die amorphe Modifikation umwandeln zu können. Basel, September 1902. Über die Synthese von Phenyloxytriazolen und über „sterische" und „chemische" Hinderung. Von Hans Hupe. (Bearbeitet mit Herrn G. Metz.) Vor drei Jahren Laben Rupe und Labhardt ') eine neue Synthese von Phenyloxytriazolen beschrieben. Sie erhielten bei der Einwirkung von Harnstoffchlorid (Car- baminsäurechlorid) auf ß-Acidylphenylhydrazine nicht, wie erwartet werden konnte, das noch unbekannte ß- Phenylsemicarbazid, sondern, indem die Reaktion sogleich unter Wasserabspaltung und Ringschluss weiter geht, Phenyloxytriazole : XH - CO ■ R + Cl • CO • NH2 = Ce H5 - NH XH - CO - R C0H5-X-CO-NH2 intermediär, nicht beständig R N=C/ CeHs-N-CO >NH + H20 N = C/R l XN. C,;H, X-CXQH a) Rupe und Labhardt, Ber. der deutsch, ehem. Ges. 33, 233 (1900). — 185 — Diese ganz allgemeine Methode versagte indessen als für R ein rein aromatischer Rest angewandt, d. h. als /?-Benzoylphenylhydrazin NH - CO • C6 H5 I Ce H5 - NH mit Harnstoffchlorid in Reaktion gebracht wurde. In diesem Falle entstand keine Spur eines Diphenyloxy- Iriazols, ja das Carbaminsäurechlorid reagierte überhaupt nicht mit dem Benzoylphenylhydrazin. Rupe lind Lab- liardt stellten es damals als sehr wahrscheinlich hin, dass hier ein Fall von „sterischer Hinderung" vorliege, indem sie annahmen, dass der Benzolrest infolge seiner Raum- erfüllung eine Wasserabspaltung, beziehungsweise ein Herantreten der Amidgruppe an das Carbonyl der Ben- zoesäure unmöglich mache. Seit vor etwa 8 oder 10 Jahren der Begriff der sterischen Hinderung durch Kehr mann1), V. Meyer2), Pinner3) und andere in die organische Chemie einge- führt worden ist, sind viele Fälle, bei denen eine che- mische Reaktion ausblieb oder nicht normal verlief, bei sonst als reaktionsfähig bekannten Atomgruppierungen, damit erklärt worden. Auch die oben gebrachte An- schauung von Rupe und Labhardt schien darin eine Stütze zu rinden, dass die Reaktion, also die Ringschliessung zu einem Oxytriazolderivat, bei dem ß-Phenytacetylphenyl- hydrazin sich glatt vollzog, weil nun der raumerfüllende, sterisch hindernde Benzolkern durch das Dazwischen- treten einer Alkylgruppe in grössere Entfernung ge- rückt wurde: ]) Kehrmann, Ber. der deutsch, ehem. Ges. 2:1, 130 (1890). -I V. Meyer, Ber. der deutsch, ehem. Ges. 27, 510, 1580 u. 3146 (1891); 28, 182, 1254, 2773, 3! 97; 29, 1397. 3) Pinner, Ber. der deutsch, ehem. Ges. 23, 2917 (1890). — 186 XH - CO • CH2 • Ce H, I Ce £h - NH + Cl • CO • NH2 XH - CO • CH2 - Ce H, HCl ! -Ce H:, -N-CONH2 N = c/CH2.CeHg i >N (V,H, -N-CX()H Es schien mir aber clocli von Interesse zu sein, diese Erscheinungen weiter zu verfolgen und sicher festzu- stellen, ob es sich hier wirklich um eine räumliche Hinderung handelt. Denn es kann nicht verschwiegen werden, dass in letzter Zeit von dem Begriffe der „ste- rischen Hinderung'- eine etwas zu weitgehende Anwen- dung gemacht wurde, hat doch auch E. Fischer1) vor kurzem auf diese Thatsache hingewiesen. Dies wächtige Gebiet der Stereochemie mit seinen natürlichen Grenzen zu umgeben, muss jetzt die Aufgabe aller derjenigen sein, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Diese Betrachtungen waren es, welche zu der vor- liegenden Untersuchung geführt haben. Sie wurde von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus in Angriff ge- nommen. Erstens galt es festzustellen, ob auch bei An- wesenheit eines vollkommen hydrierten Benzolresles die Reaktion mit Harnstoffchlorid und die Bildung eines Oxytriazolringes ausbleibe. Es wurde zu diesem Zwecke das noch unbekannte Phenylhydrazid der Hexahydro- benzoesäure mit Harnstoffchlorid in Wechselwirkung ge- bracht. Nach Analogie hätte man erwarten dürfen, dass sich das Hexahydrobenzo) lderivat genau so wie das Ben- zoylderivat selbst verhalten würde. Denn während be- kanntlich die rein aromatischen Ketone ar. — CO — ar. ') E. Fischer, ßer. der deutsch, ehem. Ges. 35, .S45 (1902). — 187 zwei stereoisomere Oxime (syii- und anti-Form) liefern, hat man von rein aliphatischen aliph. — CO — aliph. und gemischt aromatisch-aliphatischen : ar. - CO — aliph. Ke- tonen immer nur 1 Oxim erhalten können. V. Meyer und Scharvin1) machten nun die interes- sante Entdeckung, dass, wenn der zweite Benzolkern vollkommen hydriert ist, also heim HexahydrobetlZO- ph&non Co Hs - CO - Co Hu , ebenfalls 2 Oxime sich bilden, dies Keton verhält sich also genau wie das Ben- zophenon Co Hs — CO - Co Ha , und im vergangenen Sommer hat Scharvin 2) die gleiche Beobachtung bei dem Tetrahydronaphtyl-phenylketon Co Hd - CO - CioHn ge- macht. Es hat mich aus diesem Grunde einigermassen überrascht, dass im Hexahydrobenzoyl- Phenylhydrazin der hydrierte Benzolrest sich genau so wie eine rein aliphatische Gruppe verhielt, denn es entstand mit Harn- stoffchlorid glatt das l-Phenyl-3-hexahydrophenyl-5-oxy- triazol: NH-CO-OeHii Co Hö - NH + Ol • CO • NH2 N=c/CoHn \ \ Co Hr> - N - C ( rATT ' H C1 + m °" \ Uli Aber die Analogie mit den aliphatischen Säureresten geht noch weiter; gerade so wie bei dem von Rupe und Labhardt untersuchten ß-Formyt, - ß-Acetyl - und ß-Pro- pionyl-Phenylhydrazin bildet sich auch bei Anwendung von ß-Hexahydrobenzoylphenylhydrazin zunächst ein De- rivat des Oxytriazols mit der Gruppe - CO ■ ISlli : 1) V. Meyer und Scharvin, Bei*, der deutsch, ehem. Ges. 30, 1940. 2862 (1897). -j Scharvin. Her. der deutsch, ehem. Ges. 33, 2511 (1902). AT n * ' >N-CONH2 Ce Hs - N - C / Q aus welchem leicht durch Behandeln mit Alkalien der Harnstoffrest entfernt werden kann. Daraus, dass sich der Rest der Hexahydrobenzoe- säure bei dieser Reaktion gerade so wie derjenige einer rein aliphatischen Säure verhält, inuss der Schluss ge- zogen werden, dass das entgegengesetzte Verhalten des Benzoylphenylhydrazins, welches mit Harnstoffchlorid keinen Ring liefert, nicht auf sterische Hinderung zurück- zuführen ist. Denn es ist zweifellos, dass die Raum- erfüllung des Benzoyl- und des Hexahydrobenzoyl-Restes annähernd die gleiche ist, beides sind, und das ist hier das wesentlichste, Ringe. Der ganze bedeutende Unter- schied zwischen den beiden Phenylhydrazinderivaten ist lediglich auf die grosse chemische Verschiedenheit der beiden Säureradikale zurückzuführen. Die Benzoesäure wird durch die Hydrierung in ihrem chemischen Cha- rakter tiefgreifend verändert, die Hexahydrobenzoesäure steht einer aliphatischen Säure mit gleich viel Kohlen- stoffatomen viel näher, sie hat nichts mehr von dem spezifisch „aromatischen" Charakter der Benzoesäure, sie ist mithin ein viel mehr positives System und von weit höherem Sättigungszustand wie diese1). Wird aber der negative Charakter der Benzoylgruppe durch Dazwischen- treten eines positiven Alkylrestes abgeschwächt, so kann die Reaktion, d. h. die Ringbildung wieder sich voll- ziehen, wie das in der That bei dem Phenylhydrazide der Phenylessigsäure von mir schon früher beobachtet wurde. Ein weiterer Beweis für die Ansicht, dass es i) Eine plausible Erklärung für die Erscheinung, dass nur rein aromatische Ketone 2 stereoisomere Oxime geben, ist wohl noch nicht gefunden worden. — . 189 nicht die Raumerfüllung des Ringes ist, welche im Falle der Phenyloxytriazolsynthese mit Aryl-Phenylhydrazinen die Reaktion hemmt, bildet der zweite Teil der vor- liegenden Arbeit. Es handelte sich nämlich in zweiter Linie darum': zu untersuchen, in welcher Weise diese Oxytriazolsyn- these durch eine in der Nähe des (ß-acidyl) Car- bonyls befindliche Doppelbindung beeinrlusst wird. Haben wir es doch, Avie zahlreiche Arbeiten der letzten Jahre zeigten, bei einem durch Doppelbindung verknüpften Komplexe von 2 Kohlenstoffatomen mit einem ausge- prägt negativen Systeme zu thun: - C = C — . Thatsächlich wird nun auch durch die Anwesenheit einer solchen Doppelbindung die Bildung der Phenyl- oxytriazole ganz bedeutend gehemmt, ja sogar unter Umständen ganz unmöglich gemacht. Zur Verwendung gelangten die Phenylhydrazide der Crotonsäure und der Zimmtsäure; um den Verlauf der Synthese quantitativ verfolgen zu können, musste dieselbe auch mit den Phe- nylhydraziden der entsprechenden gesättigten Säuren, also mit denjenigen der n- Butter säure und der Hydro- zimmtsäure ausgeführt werden. Während mit n-Butyryl-Phenylhydrazin und Harn- stoffchlorid sich das t-Plienyl-3-propyl-5-oxytriazol leicht bildet: NH - CO • CH2 - CH2 - CH, | + Cl • CO • NH> = CV,H5 -NH T^r _ p / CH2 — CH'J — CH3 C,. H N P N +HCI + H2O 1 - Phenyl-3-pröpyl-5-oxytriazol erhält man bei der Einwirkung von Carbamiitsäurecltlorid — 190 auf ß-Grotonyl-Phenylhydrazm unter sonst ganz gleichen Bedingungen nur etwa ein Viertel der Ausbeute an Oxy- triazol im Vergleiche mit derjenigen des Propylderi- vates : XH - CO • CH = CH - CH3 + Cl • CO • NH2 = Cg H5 - N H „ ~ - CH = CH — CH3 I >N Ce H.j =rf-C\ /-xrT x OH l-Phenyl-3-propenyi-5-oxytriazol Ferner entsteht bei der Bildung des Propylderivates ebenso wie bei der Synthese der übrigen mit alipha- tischer Seitenkette zuerst ein Harnstoff-Derivat: -_ p\ / CH2 — CH-2 — CH3 \N-CO-NH2 C6H5-N-C< Q bei dem Propenyl-phenyloxytriazol dagegen, wohl wegen der ausgeprägt sauren Eigenschaften der ungesättigten Seitenkette, kein solches. Lässt man auf ß-Hydrocinnamyl- Phenylhydrazin Harnstoffchlorid einwirken, so bildet sich, allerdings in nicht ganz befriedigender Ausbeute, was auch auf die Anwesenheit des negativen, ungesättigten Benzolrestes zurückzuführen ist, das l-Phenyl-3-phenylaethyl-S-oxy- triazol: \T f 1 / ^-^- — CH2 — Co H.-. I ~ >N CoH,-N-C N - CO • NH, CoHö-N-r 1 H. 0 = CO. + NHa 1 N = C / R N = C / J ^NH= I XX ( V, H, - N - CO 7 CâHo -N- C Ç Indessen wäre natürlich auch die Entstehung von Verbindungen nach Art der Urethane möglich : R \N I C6H5-N-CXo co NH3 Die Untersuchung der Acetylderivate der Phenyl- oxytriazole — es wurden während der vorliegenden Arbeil dargestellt das Acetylprodukt des Hexahydrophenyl-, des 193 Phenylaethyl- und des Propyl-phenyloxytriazols — zeigte eine weitgehende Analogie im Verhalten dieser Acidyl- und jener Kohlensäure-Abkömmlinge; beide sind gleich unbeständig und leicht zersetzlich. Es würde mich dies zu der Ansicht geführt haben, dass beide Körperklassen Sauerstoffderivate seien, dass also die zweite, die Ure- thanformel, für die primären Einwirkungsprodukte von Harnstoffchlorid auf /?-Acidyl-Phenylhydrazine (mit aliph. Säureresten) anzunehmen sei. Nun hat jedoch vor kurzem Posner1) die interes- sante Beobachtung gemacht, dass bei der Umsetzung von ß-Uikctonen mit Semicarbazid Ringe entstehen, welche ebenfalls die Gruppe — CO — NH2 enthalten, und zwar unzweifelhaft an Stickstoff gebunden: CH3 - C CH = C - CH3 N- -N - CO • NH2 3-5-Dimethyl-pyrazolcarbamid von Posner. N = C / Cc Hl ' J > N - CO • NH2 C6 H.-, - N - C / l-Phenyl-3-hexahydrophenyl-5-triazolon-4-carbonamid von Hupe und Metz. Diese Carbonamide Posner'' s sind nun ebenfalls äusserst unbeständig und spalten die Gruppe — CO • NH-2 sehr leicht ab, so dass also die grosse Labilität unserer Triazolon-Carbonamide nicht gegen die früher aufge- stellte Konstitutionsformel I spricht. Mit aller Sicher- heit lässt sich allerdings die Konstitution dieser labilen Verbindungen, die stets die Existenz zweier desmotropen Formen zulassen, vorläufig noch nicht bestimmen. 1) Posner, lier, der deutsch, ehem. Ges. 34, 3973 (1!H)1). 13 — 194 Experimenteller Teil. Chlorid der Ilexahydrobenzoesäure. Das scharf getrocknete Natriumsalz der Hexahydro- benzoesäure *) wurde, in trockenem Benzol suspendiert, mit frisch über Caliumphospat destilliertem Phosphor- oxychlorid versetzt (2 Mol. Gew. Natriumsalz, 1 Mol. Gew. Phosphoroxychlorid) und eine halbe Stunde unter ßückfluss gekocht. Die Lösung des Säurechlorides wurde vom Natriummetaphosphat abgezogen und der Rückstand mit Äther nachgewaschen. ß-IIexaliydrobenzoyl-pheiiyHiydraziii. Co Ho - NH - NH - CO - Co Hn Die Lösung von 2 Mol. Gew. Phenylhydrazin in dem doppelten Volum Äther wurde in einem mit Rück- flusskühler versehenen Kolben unter guter Kühlung vor- sichtig mit der Lösung des Säurechlorides (1 Mol. Gew.) versetzt. Nach beendigter Reaktion wurde vom ausge- fallenen salzsauren Phenylhydrazin scharf abgesogen und das Salz gut mit Äther nachgewaschen. Das ätherische Filtrat wurde nach dem Verdunsten des Lösungsmittels mit warmem Wasser durchgearbeitet, das fest gewordene Phenylhydrazid abfiltriert, mit AVasser ausgewaschen und schliesslich dreimal aus verdünntem Alkohol um- krystallisiert. Der Körper bildet schöne weisse Prismen vom Schmpt. 164°. 0,1854 g. Sbst. 0,4861g. CO2 0,1410 g. Ha 0 0,1802 g. Sbst, 0.4730 g. CO2 0,1370 g. H2 O CisHisONa Ber. C 71,50 H 8,26 Gef. C 71,47 71,58 H 8,41 8,43 !) Die Säure wurde nach Einhorn und Meyenbcrg [Her. der deutsch, ehem. Ges. 27, 2833 (1894)] durch Reduktion von p-Amino- benzoesäure mit Natrium und Amylalkohol dargestellt und mehr- fach unter vermindertem Druck destilliert. 195 l-Pheuyl-3-hexaliy(lrophenyl-5-triazoloii-3-carboii- amid. N.= c/C6Hii | x> N - CO • NH2 Ce H5 - N - C < 20 g. jS-Hexahydrobenzoylphenylhydrazin wurden in 800 g. Benzol (natriumtrocken) unter Erwärmen gelöst und nach dem Erkalten 17,5 g. Harnstoffchlorid (= 2 Mol. Gew. und ca. 20°/o Uberschuss) dazu gefügt. Das Ge- menge erwärmt sich schon von selbst etwas, färbt sich schwach rot und stösst Salzsäuredämpfe aus. Es musste nun 2 7-2 Stunden lang am Rückflusskühler gekocht werden. Das Benzol wurde darauf unter vermindertem Druck abdestilliert, und der trockene weisse Rückstand mit Al- kohol ausgekocht, dabei blieben 1,5 g. Salmiak ungelöst zurück. Aus dem alkoholischen Filtrate schieden sich nach dem Erkalten massenhaft weisse seidenglänzende lange Nadeln ab. Als diese mit verdünnter Natronlauge behandelt wurden, um unverändertes Phenylhydrazid von dem in Alkalien leicht löslichen Oxytriazol zu trennen, konnte eine kräftige Ammoniak-Entwicklung wahrge- nommen werden, ebenso, beim Ansäuern der Lösung, wobei das Oxytriazol ausfiel, eine Kohlensäureentwick- lung. Dieselbe Beobachtung wurde auch mit der aus der Mutterlauge von der ersten Krystallisation neben 1,3 g. Salmiak und weiteren Mengen unveränderten Phenylhydrazides gewonnenen Substanz gemacht. Es musste hieraus der Schluss gezogen werden, dass das primäre Einwirkungsprodukt von Harnstoffchlorid auf das Phenylhydrazinderivat ein Carbamid ist, und es wurde nun bei einem zweiten Versuche so verfahren, dass das nach dem Abdestillieren des Benzols hinter- — 196 — bleibende Rohprodukt, das unterhalb 300° nicht schmolz, aus ganz absolutem Alkohol zweimal umkrystallisiert wurde. Die Substanz besass jetzt den Schmpt. 195°, gab aber bei der Analyse Zahlen, die nicht auf das erwartete Carbamid sondern auf das Phcmjl-hexahydro- pkenylroxytriazol stimmten : 0,1273 g. Sbst. 0,3222 g. C02 0,0820 g. H2 O 0,1569 g. Sbst. 23,6 com. N (13°, 738,8 mm.) Ci4HitON3 Ber. C 69,14 H 7,00 N 17,28 Oxytriazol Gef. C 69,02 H 7,14 N 17,23 C15 Hi 8 O2 N4 Ber. C 62,94 H 6,29 N 19,58 Carbamid Da demnach auch trockener Alkohol schon das Car- bamid vollständig zu spalten im Stande ist, wurde bei einem dritten Versuche wasserfreies Aceton zum Um- krystallisieren des nach dem Abdestillieren des Benzols verbleibenden Rohproduktes angewandt. Dies führte in der That zum Ziele, bei der ersten Krystallisation wurde eine Substanz erhalten, deren Schmpt. über 300° lag und welche, wie die Analyse zeigt, bereits reines Carbamid war. 0,1371g. Sbst. 0,3174 g. CO2 0,0748 g. H2 O C15 Hi s O2 N4 Ber. C 62,94 H 6,29 Gef. C 63,16 H 6,05 Der Körper bildet lange weisse, in warmem Alkohol, Aceton und Essigester leicht, in Benzol schwieriger lösliche Nadeln. Schon beim zweiten Umkrystallisieren aus Aceton scheint das Carbamid, wie die Analyse ergab, sich etwas zu zersetzen, obgleich der Schmpt. nicht wesentlich herunterging. 0,1784 g. Sbst. 0,4156 g. CO2 0,1040 g. Hî O Ci 5 Hi 8 O2 N4 Ber. C 62,94 H 6,29 Gef. C 63,50 H 6,44 — 197 — l-Phenyl-3-hexaliy(lroplienyl-5-oxytriazol. Ce Hu N = C Ce Ha - N - C '' ^N \0H Das rohe Carbamid löst sich leicht beim vorsich- tigen Erwärmen in verdünnter Natronlauge, während das nicht in Reaktion getretene Phenylhydrazid zurückbleibt. Aus dem Filtrate fällt auf Zusatz einer Mineralsäure das Oxytriazol in Flocken aus. Bei einem quantitativ verfolgten Versuche wurden erhalten, ausgehend von 20 g. Hexahydrobenzoylphenylhydrazin: Unverändertes Phenylhydrazid 7,6 g. | Oxytriazol 11,8 g. J 19'4 g* Salmiak 2,8 g. Nach mehrmaligem Umkrystallisieren aus Essigester bildet das Oxytriazol haarfeine, weisse, sternförmig ge- lagerte Nädelchen; der Schmpt. liegt bei 196 — 197°. 0,1025 g. Sbst. 0,2598 g. CO2 0,0665 g. H* O 0,1285 g. Sbst. 19,4 ccm. N (14°, 744,6 mm.) GViHnONs Ber. C 69,14 H 7,00 N 37,28 Gef. C 69,07 H 7,20 N 17,38 Die Substanz löst sich sehr leicht in warmem Al- kohol und Aceton, ziemlich leicht in kochendem Benzol und Essigester, schwer in heissem Wasser, Ligro'iii und in Äther. Von verdünnter Natronlauge wird sie leicht aufgenommen, unvollständig dagegen und nur nach längerem Kochen von Sodalösung. In Ammoniak ist der Körper in der Kälte wenig löslich, wird aber nach längerem Erwärmen vollkommen davon gelöst. Eisenchlorid er- zeugt in der alkoholischen Lösung keine Färbung. 198 Acetyl Verbindung des l-Phenyl-3-hexahydropheiiyl- 5-oxytriazoles, I XX CV,H,-X-CX0 co cm 2 g. des Oxytriazoles wurden mit 2 g. Natriuniacetat und einer zur Lösung eben genügenden Menge Essig- säureauhydrid dreiviertel Stunden lang gekocht. Als nach dem Erkalten mit Eiswasser geschüttelt wurde, schieden sich sogleich lange weisse Nadeln ah; rasch abgesogen, wurden sie mit Eiswasser gewaschen und nach dem Trocknen aus Alkohol umkrystallisiert. Das Acetvl- derivat bildet lange weisse, asbestartig verfilzte Xadeln; es schmilzt bei 107—108°. 0,1257 g. Sbst, 16,6 ccm. N (19°, 743,2 mm.) C16H19O2N3 Ber. X 14,70 Gef. X 14,83 Die bis jetzt untersuchten Acetylderivate dieser Oxytriazole spalten alle mehr oder weniger leicht die Acetylgruppe — bereits beim Kochen mit Wasser — ab. Als V- g- der eben beschriebenen Substanz mit 200 ccm. Wasser gekocht wurde, war nach einer halben Stunde etwa die Hälfte gelöst, nach dem Filtrieren kry- stallisierte aus der abgekühlten Flüssigkeit das Oxytriazol vom Schmpt. 196° aus. Bis zur Verseifung des noch unveränderten Acetylproduktes musste noch mehr als eine Stunde gekocht werden, es kann deswegen das vor- liegende als das am schwersten verseifbare der von uns dargestellten Acetyl-phenvloxvtriazole bezeichnet werden, es hängt dies jedenfalls auch mit der geringeren Wasser- löslichkeit dieses Oxvtriazols zusammen. 199 l-Phenyl-2-propyl-5-triazolon4-carbonamid. N n / CH2 - CH2 - CHi > N - GO • NH2 CV, Hô - N - C x Das n-Butyrylphenylhydrazin ist zuerst von Mi- chaelis und Schmidt'1) aus Butyrylchlorid und Natrium- Phenylhydrazin dargestellt worden. Wir erhielten es durch Einwirkung von 2 Mol. Gew. Phenylhydrazin auf 1 Mol. in Äther gelöstes Buttersäureanhydrid. Perlmutter- glänzende Schuppen vom Schmpt. 103 — 104°. 25 g. /Î-Butyrylphenylhydrazin wurden in Benzol mit etwas mehr als 2 Mol. Gew. Harnstoffchlorid 2lj-i Stunden im Sieden gehalten. Nach dem Abdestillieren des Benzols unter vermindertem Druck wurde der Rück- stand mit Alkohol ausgekocht, wobei 1,6 g. einer weissen Masse ungelöst blieben. Die alkoholische Lösung gestand nach dem Erkalten zu einem dicken Brei weisser Krystallnadeln des Carbon- amides, das Rohprodukt wog 11 g. Bei einem Versuche, den Körper aus verdünntem Alkohol umzukrystallisieren, wurde er vollständig in das Oxytriazol verwandelt, er schmolz bei 135°, wurde aber zum Überfluss noch ana- lysiert: 0,1207 g. Sbst. 0,2863 g. CO2 0,0672 g. H2 0 C12H14N4O2 Ber. C 58,54 H 5,69 Carbamid CiiHisNsO Ber. C 65,03 H 6,40 Oxytriazol Gef. C 64,71 H 6.20 Immerhin ist dies Carbamid nicht so leicht zersetz- lich wie dasjenige des l-Phenyl-3-hexahydrophenyl-5- oxytriazoles, da es durch Kochen mit absolutem Alkohol i) Michaelia u. Schmidt, Ann. d. Chem. 252, 308 (1888! 200 nicht verändert wurde. Die Substanz wurde nun aus- trockenem Benzol zweimal umkrystallisiert, sie bildet in reinem Zustande weisse Nadeln oder Prismen vom Schm pt. 133°. 0,1188 g. Sbst, 0,2559 g. CO2 0,0625 g. ILO 0,1272 g. Sbst. 25,2 ccm. N (16°, 746 mm.) C2H14O2X4 Ber. C 58,54 H 5,69 Gef. C 58,75 H 5,84 Der Körper ist leicht löslich in heissem Alkohol, Benzol und Essigester. l-Phenyl-3-propyl-5-oxytriazol. >T _. / CH2 - CH2 - CIL N = C / 1 >N Ce Ho -- N ~ ^ \ (~\tt Die alkoholische Mutterlauge des rohen Carbamides wurde mit verdünnter Natronlauge behandelt, dabei ging das Oxytriazol (4,2 g.) in Lösung, während etwas un- verändertes Butyrylphenylhydrazin zurückblieb (0,2 g.). Nach dem Ansäuern der alkalischen Flüssigkeit (unter Abkühlung) fiel das Oxytriazol in Flocken aus. Leicht gewinnt man es auch aus dem Carbamid durch kurzes Erwärmen desselben mit verdünnter Natronlauge. Zwei- mal aus heissem Essigester umkrystallisiert, bildet es lange weisse Nadeln vom Schmpt. 146°. 0,1414 g. Sbst. 0,3376 g. CO2 0,0831g. H2 O 0,1520 g. Sbst, 27,4 cm. N (12°, 742 mm.) CnHisONs Ber. C 65,03 H 6,40 N 20,69 Gef. C 65,13 H 6,53 N 20,89 Die Verbindung löst sich leicht beim Erwärmen in Benzol, Alkohol, Ligrom, Aceton und Essigester, ziem- lich leicht in kochendem Wasser. In kaustischen Al- kalien sehr leicht löslich, wird sie von kochender Soda- — 201 — lösung nur schwierig-, von Ammoniak dagegen teilweise schon in der Kälte, vollständig beim Erwärmen aufge- nommen. Die alkoholische Lösung wird von Eisenchlorid schwach orange gefärbt. Der oben erwähnte, in Alkohol unlösliche Rückstand (aus dem Produkte der Einwirkung von Harnstoffchlorid auf Butyrylphenylhydrazin herrührend) konnte durch Umkrystallisieren aus heissem Wasser in glitzernden Kryställchen erhalten werden; die Substanz gab mit konzentrierter Natronlauge ein weisses Natriumsalz, mit sehr verdünnter ammoniakalischer Kupferlösung ein amethystfarbenes Kupfersalz l) und entwickelte beim Er- hitzen stechend riechende Dämpfe von Cyansäure, sie war also unzweifelhaft C)j (mur säure2). Acetylderivat «les l-Plienyl-3-proi>yl-5-oxytrmzoles. Die Acetylierung wurde wie oben beschrieben aus- geführt. Auf Zusatz von Eiswasser fiel ein weisses. ') Wöhler, Ann. d. Ckern. u. Pharm. 62, 241 (1848). 2) Ich kann in der Literatur nichts über die Bildung von Cyanar- säure aus Harnstoffchlorid finden, doch zweifele ich nicht daran, dass die Säure aus diesem entstanden ist. Wenn auch angegeben wird, Harnstoffchlorid verwandle sich beim Aufbewahren unter Ab- spaltung von HCl zu Cyamelid, so widersprechen dem meine Be obachtungen. Ich Hess Harns toftchlorid stehen, bei Sommertempe- ratur wurde es sehr bald fest und krystallinisch, entwickelte dann etwa 24 Stunden lang Salzsäuredämpfe und bestand schliesslich fast ganz aus in Wasser löslicher Cyanursäure. Der Vorgang wäre also wie folgt zu formulieren : 3 CO NH2 Cl = 3 HCl + Ca N3 O3 Hu, und diese Reaktion begleitet jedenfalls die Oxytriazolsynthese. Denn ich fand nur bei einem einzigen Versuche, mit dem Hexahydrobeuzoyl- phenylhydrazin, Salmiak .'sonst immer (und wie unten gezeigt wird, in oft recht erheblichen Mengen) Cyanursäure. Auffallend ist, dass Rupe und Labhardt seinerzeit niemals Cyanursäure, sondern immer Salmiak nachweisen konnten. Ferner muss bestritten werden, dass Cyanursäure leicht in Alkohol löslich ist (wie augegeben wird), nach meinen Üoobaehtuno-en ist gerade das Gegenteil der Fall. — 202 schweres Ol aus. Da es auch nach längerem Schütteln nicht fest wurde, wurde es angesogen; beim Auswaschen mit Wasser erstarrte es auf dem Filter. Die Verbin- dung bildet nach dreimaligem Umkrystallisieren aus Alkohol glänzende, flache Prismen ; sie zeigen den Schmpt, 84°. 0;1808 Sbst. 27,4 ccm. X (16°, 746 mm.) C13H15N3O2 Ber. N 17,14 Gef. X 17,32 Kocht man dieses Acetylderivat mit Wasser, so wird es nach 15 Minuten vollständig zum Oxytriazol verseift. /?-Crotoiiyl-Plienylliyenyl-5-oxytiiazol. XT r./ CH = CH — CH:; JN =C ( XX C5H5-N-C H ö — N — C /~v tt \ UM 2 g. des Propenylphenyloxytriazols wurden in Soda- lösung bei Wasserbadtemperatur nach und nach mit 150 ccm. Kaliumpermanganatlösung (4-prozentig) oxy- diert- das Filtrat vom Manganschlamm wurde zur Krys- tallisation eingedampft, angesäuert und [mit Äther ex- trahiert. Der nach dem Verjagen des Äthers gebliebene Rückstand wurde aus Essigester umkrystallisiert. Die Säure zeigte den von Rupe und Labhardt1) angegebenen Schmpt. von 179 — 180°. Andreocci2), der sie zuerst dar- stellte, fand den Schmpt. 166—167°. J) Rupe und Labhardt 1. c. -) Andreocci, Gazz. chim. 19, 418. Berichte d. deutsch, ehem. (-res. 20, Ref. 737 (1887). — 205 /?-Hydrociiinaiiiyl-Pheiiylbydraziii. Co Hô - NH - NH - 00 - Cm - CH2 - Ce Hs Eydrozimmtsäurechlorid wurde durch Einwirkung von Phosphortrichlorid auf Hydrozimintsäure in Ligroïn gewonnen. Das wie gewöhnlieh dargestellte Phenylhydrazid krystallisiert aus verdünntem Alkohol in schönen weissen Nädelcken und schmilzt bei 116 — 117°. 0, 1420 g. Sbst. 0,3911g. C02 0,0867 g. H2 O CisHieONa Ber. C 75,00 H 6,67 Gef. C 75,11 H 6,78 l-Pheiiyl-3-phenylaethyl-5-oxytriazol. ,T ~ / CH-2 — CH2 — Co HV) I J y). N N C6H5-N-C/0 co CHa Die Acetylierung wurde wie bei den früher be- schriebenen Fällen vorgenommen, das Derivat scheidet sich erst nach längerem Schütteln mit Eiswasser ölig ab, fest kam es erst aus einer alkoholischen Lösung heraus. In reinem Zustande bildet es lange, glänzende, asbestartig zäh an einander haftende Nadeln. Schmpt. 109°. 0,1116 g. Sbst. 13,5 ccm. N (15°, 740 mm) Ois Hi- 02 N3 Ber. N 13,68 Gef. N 13,79. Durch kochendes Wasser wird dies Acetylderivat in 25 Minuten vollkommen gelöst und verseift, es steht also, was seine Beständigkeit betrifft, zwischen den Ace- tylverbindungen des Hexahydro- und desPropyl-phenyloxy- triazoles. Y ersuche zur Darstellung des l-Phenyl-3-pheuyl- aethyleu-5-oxytriazoles. /CH = CH-CgH, I ~ XN CoH,-N-CXOH ß~Cinnamenylphenylhydrazin, Ce H5 • N2 • H2 - CO • CH = CH - Cr, Hr, ist zuerst von Knarr l) durch direktes Erhitzen von Zimmtsäure mit Phenylhydrazin erhalten worden. Da meine Versuche, die Verbindung mit dem Zimmtsäurechlorid darzustellen, kein befriedigendes Er- gebnis hatten, bereitete ich sie mit gutem Erfolge aus i) Knorr, Ber. der deutsch, ehem. Ges. 20, 1108 (1887). — 208 nach Wedekind- s1) Methode gewonnenem Zimmtsäure- anhydrid und Phenylhydrazin. Schmpt. (übereinstimmend mit Wedekind's Angabe 187°). Das Einwirkungsprodukt von Harnstoffchlorid auf ^-Cinnamylphenylhydrazin in Benzollösung (20 g. Hy- draziel, 1200 ccm. Benzol) wurde genau so verarbeitet, wie bei der Darstellung des Phenylaethyloxytriazoles be- schrieben. Es wurde jedoch bloss das unveränderte Ausgangsmaterial (Phenylhydrazid) zurückgewonnen, nur die letzten alkoholischen Mutterlaugen enthielten eine kleine Menge einer in verdünnter Natronlauge löslichen Substanz. Aus 70 g. Cinnamylphenylhydrazin konnten davon 0,6 g. isoliert werden, das Produkt war aber sehr unrein und liess sich durch Auflösen in Chloroform und Fällen mit Ligro'iu nur ungenügend reinigen. Bei einer Stickstoffbestimmung wurden 14,06 °/0 N gefunden, be- rechnet (auf das Oxytriazol) 15,97. Bei einem noch- maligen Versuche, den Rest der Substanz aus Alkohol zu krystallisieren (sie schmolz vorher bei ca. 280°) wurden kleine Prismen erhalten, die den Schmpt. 185° zeigten, also vermutlich Cinnamylphenylhydrazin waren. In der Erwartung, dass die Anwendung eines höher siedenden Lösungsmittels die Umsetzung zwischen Harn- stoffchlorid und Cinnamylphenylhydrazin begünstigen könnte, wurde die Reaktion in Toluollösung vorge- nommen. In der That gelang es jetzt, aus 50 g. Phenylhy- drazid ca. 2 gr. eines alkalilöslichen Produktes zu ge- winnen; es war indessen schwierig zu reinigen und nur nach mehrmaligem Auflösen in Alkohol (unter Zusatz von Tierkohle) und langsamem Verdunstenlassen des Lösungs- mittels wurden kleine Prismen erhalten, deren Schmpt. l) Wedekind, Her. der deutsch, ehem. Ges. 3i, 2070 (1901 1. — 209 bei 187° lag; es war also Cinnamylphenylhydrazin, das Gemisch von reinem Zimmtsäurephenylhydrazid und jener Substanz besass den gleichen Schmpt. Unter Um- ständen kann also unreines Cinnamylphenylhydrazin sich in Alkalien lösen, das ganz reine dagegen nicht mehr1). Es seien hier noch, um den Einfluss des mit dem Phenylhydrazin verbundenen Säurerestes auf den Ver- lauf der Oxytriazolsynthese zu zeigen, die Ausbeuten an nicht in Reaktion getretenem Phenylhydrazid und an Oxytriazol übersichtlich zusammengestellt: Angewandtes Phenyl- Zurückgewonnenes Phenyl- Oxytriazol hydrazid hydrazid Hexahydrobenzo- yi- - 37 o/02) 59 o/0 Benzoyl. — Konnte nicht auf- gefunden wer- den, dafür et- was Diphenyl- oxybiazolon. 0 Butyryl. - ca. 1 °/(i 53 o/0 S Crotonyl. — ■ 42",, 14,8o/0 i Hydrocinnamyl. - 58,3 o/o (Mittel) 36,3 o/o (Mittel) Cinnamyl. - 96 °/o 0 Basel, im September 1902. Universitätslaboratorium II. 1) Bei der Einwirkung von Harnstoffchlorid auf ß-Benzoyl- phenylhydrazin entstand mit dem im Chlorid gelösten Phosgen etwas Dipheiii/Ioxybiazolon. ich konnte jedoch bei den Versuchen mit Cinnamylphenylhydrazin das entsprechende Biazolon nicht auf- finden. 2) Gemeint sind Prozente vom angewandten Ausgangsmaterial. 14 Die Zeit in der Entwickeiung der Organismen. Von Wilhelm Hls. Dieser Band soll einen Abschnitt in dem unge- wöhnlich segensreichen Lehen eines Freundes festlich begrüssen, und so mag hier ein Aufsatz über die Rolle der Zeit in der Entwicklung an und für sich nicht unzeitgemäss erscheinen. Immerhin bringt für den mathe- matischen Physiker, der gewohnt ist, bei Aufstellung seiner Gleichungen ausser den drei Variabein des Raumes auch die Zeitvariable in Rechnung zu setzen, die Be- tonung der Zeit als eines entwicklungsgeschichtlichen Faktors etwas so gut wie selbstverständliches. Im Grunde sind ja auch wir Biologen der Bedeutung der Zeit für organische Entwicklungsvorgänge uns sehr wohl bewusst, und wir haben ihr besonders beim Aufbau phylogenetischer Vorstellungen den allerweitesten Spielraum zuerteilt. Das hindert aber nicht, dass wir die organischen Ent- wicklungsvorgänge in der Regel einzeln zu verfolgen pflegen, ohne deren zeitlichem Ineinandergreifen beson- dere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es gilt dies speziell von unseren ontogenetischen Darstellungen , bei denen in getrennten Kapiteln die Entwicklung des Nerven- systems, des Grefässystems, des Skelettes u. s. w. be- handelt zu werden pflegt, ohne dass die Beziehungen — 211 der einen zur andern Entwicklung, oder die zeitlichen Entwickelungskorrelationen, wie wir sie zusammenfassend bezeichnen können , eine besondere Berücksichtigung finden. Es ist dies durch die grosse Komplikation der Verhältnisse zu entschuldigen, aber doch wird eine all- seitig vorgehende Forschung oder, um es moderner auszudrücken, eine mechanische Entwicklungslehre nicht vermeiden können, dem zeitlichen Ineinandergreifen der Entwicklungsvorgänge die ihm gebührende Aufmerksam- keit zu schenken. In Nachfolgendem werde ich versuchen, an einzelnen Beispielen zu zeigen, in welcher Weise anscheinend völlig- unabhängig von einander verlaufende Vorgänge in einander einzugreifen und sich gegenseitig zu bestimmen vermögen. Die mitgeteilten Beispiele habe ich zum Teil schon bei früheren Gelegenheiten besprochen, bringe sie aber hier in mehr geordneter Zusammenstellung. Fürs erste kann schon die Befruchtung des tierischen Eies als ein Vorgang angeführt werden, bei dem der zeitliche Ablauf streng vorgeschrieben ist. Nehmen wir als Beispiel die Befruchtung von Knochentischen, so wissen wir, dass ein jeder der beiden Keimstoffe, der Samen sowohl, als das Ei, für sich ins Wasser gebracht, binnen kürzester, nach Sekunden zu bemessender Frist seine wesentlichen Eigenschaften, der Samen das Be- fruchtungsvermögen, das Ei die Befruchtbarkeit verliert. Und doch müssen diese Stoffe im Wasser sich begegnen, um auf einander wirken zu können. Soll nicht einer der beiden Keimstoffe versagen, so müssen eben beide gleichzeitig ins Wasser und zu sofortiger Berührung gelangen. Damit dies aber möglich sei, ist es erforder- lich, dass die in getrennten Individuen sich entwickelnden Keimstoffe bei beiden Geschlechtern gleichzeitig ihre Reife erreichen, und dass gleichzeitig bei den betreffen- — 212 den Individuen der Drang zur Entleerung der reifen Stoffe sich geltend macht. Der bei beiden Geschlechtern durch Monate sich vorbereitende Vorgang ist in seinem Schlussablauf so scharf abgestimmt, dass eine zeitliche Verschiebung seiner Bedingungen um Minuten seine Bedeutung vereiteln würde. Nicht bei allen Organismen ist das zeitliche In- einandergreifen der Befruchtungsbedingungen in gleicher Weise geordnet. So vermag bei höheren Wirbeltieren (und noch ausgesprochener bei den Bienen) der Samen innerhalb der weiblichen Leitungswege während längerer Zeit sein Befruchtungsvermögen zu bewahren, wogegen die Eier sehr bald nach ihrem Austritt aus dem Eier- stock sich verändern und ihre Befruchtbarkeit einbüssen. Für das Ei scheint, soweit wir die Verhältnisse über- sehen können, die Zeit stets scharf vorgeschrieben zu sein, in der es befruchtet werden muss. Übrigens ist es nicht der Eintritt von Veränderungen an und für sich, der dem reifen Eierstocksei seine Be- fruchtbarkeit nimmt. Vielmehr sind erfahrungsgemäss gewisse Vorgänge am Kern und die Ausstossung der sogenannten Richtungskörper notwendige Vorbedingungen für die Möglichkeit der Befruchtung. In einer bei ver- schiedenen Tierformen wechselnden Weise greifen die beiden Prozesse, die Bildung der Richtungskörper einer- seits und das Eindringen und die Umwandlung der Spermatozoen andererseits zeitlich in einander ein. Beide Vorgänge sind von einander unabhängig, aber nur bei deren geordnetem Ineinandergreifen kommt es zu jener A'7erschmelzung von Spermakern und von Eikern, die den Abschluss des eigentlichen Befruchtungsvorganges bildet. Für die gesamte auf die Befruchtung folgende Reihe von Entwicklungsperioden besteht das allgemeine — 213 Prinzip, dass in einer jeden Periode und auf einer jeden Stufe der Organisation der sich entwickelnde Organis- mus lebensfähig sein muss. Zwischen den Leistungen der primitiven Organe muss jederzeit das nötige Gleich- gewicht bestellen, und vor allem müssen die beiden physiologischen Grundfunktionen, Ernährung und Atmung in einer dem jeweiligen Bedarf entsprechenden Weise geordnet sein. Dies gilt schon für die allerersten Ent- wicklungsperioden der Furchung und der Keimblatt- bildung, bei denen im allgemeinen die äusseren Keim- schichten die respiratorischen, die innern, dem Dotter zugekehrten die nutritiven Leistungen vorwiegend zu übernehmen haben. Mit der Sonderung der primitiven Organe gewinnt das Ineinandergreifen der verschiedenen Vorgänge eine gesteigerte Bedeutung. Ein frühes Beispiel einer zeit- lichen Verknüpfung unter sich verschiedenartiger Pro- zesse liegt in der ersten Bildung des Herzens und des Gefässystems vor. Das Herz gehört bekanntlich zu den sehr zeitig sich anlegenden Primitivorganen, beim bebrüteten Hühnchen z. B. finden sich schon vom Beginn des dritten Tages ab ein schlagendes Herz und ein flach ausgebreitetes Röhrensystem, innerhalb dessen rotes Blut zirkuliert. So geschlossen und einheitlich aber das also funktionierende System sich darstellt, so ist es doch aus getrennten und unter verschiedenen Bedingungen ent- standenen Anlagen hervorgegangen. Die Muskelwand des Herzens sondert sichjederseits als ein faltenartig sich erhe- bender Streifen aus der äusseren Wand des Kopfdarmes, der sogenannten Splanchnopleura. Sie ist ein intraem- bryonal entstehendes Gebilde. Während sich, durch verschiedene Phasen hindurchgehend, der muskulöse Herzschlauch bildet, legen sich weit ausserhalb des Embryonalleibes die ersten Gefäss- und Blutanlagen an. 214 Diese Anlagen sondern sich vom primären Endoblast ab, und sie erscheinen als Gruppen von Zellen, die sich teils netzförmig, teils in Form frei hervortretender Sprossen an einander anreihen. Von der Peripherie des Keimes ausgehend, breiten sich die Gefässsprossen immer mehr gegen den Embryo hin aus, und sie dringen in die offenen Lückenräume zwischen dessen Primitiv- organen ein. Auch die Lichtung des Muskelherzens wird von Gefässsprossen erreicht und durchwachsen. Die anfangs soliden Gefässanlagen werden zu Röhren, eine Umbildung, die gleichfalls an der ausserembryo- nalen Peripherie ihren Anfang nimmt und von da aus gegen den Embryo hin fortschreitet. Im Innern des schlauchförmigen Muskelherzens entsteht ein zweiter, der endocardiale Schlauch, der als Teilstück des allge- meinen Röhrensystems Blut, und zwar zuerst körperchen- freies und dann körperchenhaltiges Blut umschliesst. Die Blutkörperchen gehen aus dem stellenweise vor- handenen Überschuss von Bildungszellen im peripheri- schen Gefässkeim hervor. Sie liegen anfangs als soge- nannte Blutinseln haufenweise in den Gefàsswandungen, mengen sich aber nach Eintritt der Zirkulation der bewegten Flüssigkeit bei. Die rythmische Kontraktion des Herzmuskels be- ginnt, sobald das Organ als solches erkennbar ist. Es treffen also zeitlich zusammen : die Formentwicklung des Muskelherzens, die histologische Ausbildung seiner Zellen zu kontraktilen, autonom thätigen Elementen, die Sonderung des Gefässkeimes, sowie dessen Umbil- dung zu hohlen Röhren und zu Blutinseln und sein Herein- sprossen aus peripherischen Keimgebieten in den Körper des Embryo. Jeder dieser Vorgänge folgt seinen eigenen Bildungsgesetzen und doch ist das Endergebnis ein scharf geordnetes Ineinandergreifen derselben. 215 Der Eintritt der Herzkontraktionen vom Zeitpunkt der histologischen Differenzierung ab, tindet seine Paral- lele im Verhalten anderer Muskeln. S. Kaesiner hat gefunden, dass bei jungen Haifischembryonen die Rumpfmuskeln Kontraktionen ausführen, sobald Muskel- fibrillen erkennbar sind, und in Übereinstimmung mit Balfour weist er ausdrücklich auf die physiologische Bedeutung dieser frühen Muskelthätigkeit hin. Bei den Herzkontraktionen kommt der gleichfalls früh sich aus- prägende Rythmus der Kontraktionen als besonderes Problem hinzu. Schwierig zu verstehen bleibt die Regulierung des embryonalen Kreislaufes während der verhältnis- mässig langen Periode, während der es noch keine Gefässmuskeln und Gefässnerven gibt. Die Verteilung des Blutes in den verschiedenen embryonalen und ausser- embryonalen Bezirken muss bei gegebener Herzthätigkeit jederzeit von der Verteilung der Widerstände in den betreffenden Bahnen abhängig sein. Noch sind aber in früher Zeit die Gefässwandungen dünn und in offene Lücken oder in ein weiches wasserreiches Mesen- chymgewebe lose eingelagert. Unter den Umständen darf man wohl der dem Blutdruck das Gegenge- wicht haltenden Gewebsspannung keine allzugrosse Rolle zuteilen. - Durchsichtiger ist der Einfluss, den die Beziehung der Nachbarorgane auf das Verhalten von Gefässtämmen ausüben, und besonders sind die Folgen von Organwachstum und von Wachstumsver- schiebungen durch mancherlei Einzelfälle klar zu belegen. So ist die Bildung einer einfachen A. omphalo- mesenterica aus den Endabschnitten einer Kette von Verbindungsschleifen zwischen den Dottergefässen und r) S. Kaexfner, His und Braune' s Archiv 1892. S. 165. 216 den absteigenden Aorten unschwer zu verstehen. Sie fällt zeitlich zusammen mit der Erhebung der Darman- lage über die übrige Keimhaut, einem Vorgang, der seinerseits zu Knickung der bisherigen Quergefässe und damit zu deren Abschluss führen muss. Ähnliche Einflüsse von eintretender Gefässknickung sind im Sy- stem der Aortenbogen höherer Wirbeltiere nachweisbar. Bekanntlich sind hier die obern 2 Aortenbogen nur in früher Zeit offen, später schliessen sich deren an die Aortae descendentes stossende Abschnitte, wogegen der 3. Bogen als Anfang der Carotis interna persistiert, und der 4. und 5. linkseitige Bogen als bleibender Arcus Aortae und als Ductus arteriosus Botalli sich erhalten. Der Verschluss der oberen beiden Bogen fällt zusammen mit dem Eintritt der Nackenkrümmung des Embryo. Bevor diese eingetreten ist, liegen Bogen 1 und 2 in der unmittelbaren Verlängerung des Aorten- bulbus. Nach erfolgter Krümmung ist die Richtung der Bogen und des Bulbus eine entgegengesetzte geworden, wogegen nunmehr der 3., 4. und weiterhin der 5. Bogen in die verlängerte Richtung des Aortenbulbus eingerückt sind. Der Bulbus inserirt^ sich von Anfang ab nicht symmetrisch in die Bogenwurzeln, sondern mit einer nach links gekehrten Neigung. Diese verschiedenen Momente bedingen aber, dass die Stromwiderstände in den ver- schiedenen Abschnitten des Gesamtbogensystems mehr und mehr ungleich werden. Die Strecken mit grösseren Widerständen verengern oder schliessen sich, während die übrigen sich ausweiten. Jeder dieser Vorgänge aber hat wieder seine zeitlich genau zugemessene Stellung im Gesamtlauf der Entwicklung. Bei der weiteren Entwicklung des Gefässystems tritt uns auffällig entgegen, dass in dem die Organ- lücken ausfüllenden Gewebe überall da. wo es an epi- 217 tlieliale Anlagen anstösst, dichte Kapillarnetze auf- treten.1) So entstehen frühzeitig die Gefässhäute des Gehirns, des Rückenmarks und des Auges, sowie die kapillarreichen Bekleidungen der Schleimhäute und Drüsen. Hiebei handelt es sich unzweifelhaft um eine direkte kausale Verknüpfung, hei der die Epithelien als Bildungsreiz auf die sich entwickelnden Gefässe ein- wirken. Korrelative Beziehungen indirekter Art lassen sich aber auch in der späteren Entwicklungsgeschichte des Gefässystems verschiedentlich nachweisen. So werdeich nachher Gelegenheit haben, auf das Inein- andergreifen von Gefäss- und Nervenentwicklung einzu- gehen. Andere interessante Korrelationen treten bei der Scheidung der Blutströme im Herzen auf. Schon das Zusammentreffen der vier unabhängig von einander entstehenden Scheidewandanlagen im Herzen ist eine hieher gehörige Erscheinung.2) In gleicher Weise gilt dies von den Beziehungen zwischen der Bildung der Aortenscheidewand und der Verschiebung der Aorten- insertion. Die Insertion des Aortenbulbus geschieht ursprüng- lich auch bei höheren Wirbeltieren und beim Menschen hoch oben, dicht unter dem Unterkiefer, sie verschiebt sich aber allmählich nach abwärts und rückt successive am 2., 3., 4. und 5. Bogen vorbei. Bei einer jeden besonderen Stellung des Insertionsfeldes kommt ein Teil der abgehenden Bogen über, ein anderer unter dieses Feld zu liegen. Wir haben also, übersichtlich zusammengestellt : 1) His. Die Häute und Höhleu des Körpers; akäd. Programm, Basel 1865. S. 81. -) Besprochen in der A nat. mensch]. Embryonen, 1885 Heft 111. 218 n. er der Insertions- Unter der Insertions- stelle : stell. ? des Bulbus: Stufe I Bogen 1 Bogen 2, 3. 4 u. .. 11 V I u. 2 M 3, 4 u. 5 „ in n 1, 2 u. V 4 u. 5 ■ IV 5? 1, 2, 8 U. 4 J) 5 * v 1, 2, 3, 4 u. 5 — Während die Insertion des Bulbus sich verschiebt, entsteht in dessen Innerem die Aortenscheidewand, die. von oben nach abwärts fortschreitend, schliesslich ins Herz eintritt und die Strombahnen von rechtem und linkem Herzen sondert. Es ist aber klar, dass die Bildung dieser Scheidewand zeitlich normiert sein muss, falls die Blutverteilung nicht aus der Ordnung kommen soll. Notwendigerweise muss die von oben herabwachsende Wand während der Stufe IV obiger Aufzählung in den Ventrikelraum einschneiden. In jedem anderen Falle würde eine von der Norm völlig abweichende Gefäss- verteilung eintreten. Bei Stufe II würde das linke Herz nur die Carotis externa, bei Stufe III diese und die Carotis interna speisen, und alle übrigen (refasse bekämen ihr Blut vom rechten Herzen. Eine direkte Abhängigkeit der Scheidewandbildung von der Ver- schiebung der Aortenbogen ist in keiner Weise zu erkennen, wir haben es also auch hier wieder mit einem zeitlichen Ineinandergreifen von Vorgängen zu thun, die unabhängig von einander sich entwickelt' haben. Reichliche Beispiele korrelativer Vorgänge bietet die Geschichte des Nervensystems. Schon die erste morphologische Gliederung des Gehirnrohres in einzelne hinter einander liegende Teüstüeke, in das Vorderhirn nebst den Augenblasen, das Mittel- und das Rauten- hirn ist von fundamentalster Bedeutung. Alles greift da in einander ein: was (hin einen Teil aus der gemein- 219 samen Anlage zugemessen wird, wird dem andern ent- zogen und die Form, die jeder Teil annimmt, wirkt wiederum bestimmend auf die Form der Nackbarteile. Die entscheidende (Grundbedingung aber für die Gehirn- gliederung liegt in den Axenkrümmungen seiner Anlage, die schon in frühester Zeit sich geltend machen.1) Der zur Bildung des Medullarrohres führende Querschub des wachsenden Keimes und der die Axenbiegungen herbeiführende Längsschub müssen in gegebenen Zeit- punkten in einander eingreifen, um die einer jeden Tier- form zukommende besondere Gehirnanlage zustande zu bringen. Eine zeitliche Verschiebung würde auch hier das Endergebnis völlig verändern. Tritt dann weiterhin die histologische Differen- zierung der Gehirn- und Rückenmarkswand ein, so begegnen wir überall wieder dem zeitlichen Ineinander- greifen der einzelnen Teilvorgänge. Ehe es zur Bildung von Neuroblasten bez. von Nervenzellen und von Nerven- fasern kommt, entsteht ein Gerüst, das den Zellen und Fasern zum Lager zu dienen bestimmt ist. Dies Ge- rüst wächst durch die gesamte Entwicklungszeit hin- durch und so finden wir es als sogenannte Neuroglia durch das ausgebildete Gehirn und Rückenmark ausgebreitet, von der innern zur äusseren Oberfläche sich erstreckend. Die jugendlichen Nervenzellen aber oder Neuroblasten sind auf frühen Entwicklungsstufen beweglich, sie durch- wandern die Maschen des Gerüstes und können sich an Orten anhäufen, die von ihrer Bildungsstätte mehr oder minder weit entfernt sind. Dabei wirkt vielfach das Markgerüst wie ein Filter, indem es nur den aus- wachsenden Fasern, nicht alter den kernhaltigen Zellen- 1) Über diese schon vor Jahren besprochenen Verhältnisse ver- weise ich auf die „Briefe über unsere Körperform", Leipzig 1864. — 220 — leibern den Durchtritt gestattet. In der Weise scheiden sich bei Bildung des Rückenmarks die Anlagen der weissen und der grauen Substanz. Das peripherisch ge- legene Gerüst der ersteren, der sogenannte Randschleier zeigt sich von früh ab auffallend engmaschig und bleibt im allgemeinen nur für Fasern durchlässig. Es erweist sich wieder die Notwendigkeit gesetzlich abge- stimmten zeitlichen Ineinandergreifens : das Markgerüst muss angelegt sein, bevor es zur Bildung von Nerven- zellen und von Nervenfasern kommt, da es diesen ihren Weg zu weisen hat.1) Von den vielen Nervenfasern, die im Markrohr nach und nach zur Entwicklung kommen, verlässt nur ein verhältnismässig kleiner Teil als motorische Wurzel- fasern das Rückenmark und das Gehirn. Die übrigen bleiben als intramedullare Verbindungsbahnen in der Wand des Markrohres eingeschlossen. Zeitlich be- schränkt sich aber die Bildung austretender Wurzel- fasern auf die allererste Zeit der Faserentstehung (beim menschlichen Embryo auf die 4. und 5. Woche). Alle Fasern späterer Bildung verbleiben intramedullar. Auch die in das Mark hineinwachsenden sensibeln und die Sinnesfasern bilden sich in früher Zeit. Der verhält- nismässig spät sich anlegende N. opticus ist seiner Natur nach als intramedullare Bahn zu verstehen. Später als Nervenwurzeln aus dem Markrohr hervorwachsen, wachsen kapillare Blutgefässe in dessen Wand hinein unter Bedingungen, die im Einzelnen noch nicht klar zu übersehen sind. Während in der ersten Zeit die Anlagen von Ge- hirn und von Rückenmark in ihrem Aufbau kaum merk- 1 Über die von Harrison gemachten Einwendungen habe ich mich ausgesprochen in dem Aufsatz „Über organbildende Keim- bezirke", His Archiv 1901. S. 3ls. 221 lieh von einander abweichen, treten bekanntlich im Laufe der Zeit zunehmende Unterschiede hervor, deren Verständnis Gegenstand der Forschung sein muss. Die Grundvorgänge sind überall dieselben, überall kommt es zu einer stetigen Teilung der an der Innenfläche liegenden Keimzellen und zu einer teilweisen Umbildung derselben zu Nervenzellen und zu Spongioblasten, aber die Zeitfolge, nach der diese Vorgänge sich aneinander anfügen, wechselt nach den verschiedenen Bezirken. Von vornherein können wir davon ausgehen, dass die Keimzellen das stetig sich vermehrende allgemeine Bil- dungsmaterial sind. So lange sie als solches sich erhalten, schreitet das Wachstum durch Zellenneubildung fort. Je früher und je reichlicher aber dies Material zu den speziellen Zwecken der Neuroblasten- und Spongio- blastenbildung verbraucht wird, um so mehr wird dasGesamt- Wachstum des betreffenden Bezirkes eingeschränkt werden. In der Hinsicht ist es besonders bemerkenswert, dass gerade diejenigen Gehirnteile, die in der Folge am allermäch- tigsten auswachsen, die Hemisphären von Gross- und von Kleinhirn in ihrer Anfangsentwickelung sehr verzögert erscheinen. Sie enthalten noch keine ausgebildeten Neuroblasten in einer Zeit, da das Rückenmark und das verlängerte Mark in ihrer Entwickelung schon weit fort- geschritten sind. Ich müsste in die spezielle Entwickelungsgeschichte des Gehirns eintreten, sollte ich im Einzelnen das zeitliche und örtliche Ineinandergreifen der einzelnen Entwicklungs- vorgänge auseinandersetzen. Bei einem späteren Anlass hoffe ich, dieser Aufgabe näher treten zu können, hier be- schränke ich mich auf einige wenige Punkte. Sehen wir ab von dem Intussusceptionswachstum der einzelnen Hirn- teile, das beim Längenwachstum des Markrohres allein in Betracht kommt, so sind beim Dickenwachstum viel- — 222 — fach Appositionsvorgänge beteiligt, die teils auf die Rechnung von Zellen auswanderungen, teils auf die von angelagerten Faserkomplexen zu setzen sind. Für das verlängerte Mark habe ich seiner Zeit1) den Nachweis geführt, dass aus dessen Querschnitt, ähnlich wie aus einem geologischen Profil, das relative Alter der Schichten herausgelesen werden kann. Die am oberflächlichsten gelegenen Pyramiden sind die jüngste Bildung, die zuerst vorhandenen motorischen Kerne aber und der sogenannte Tractus solitarius, das heisst Teile, die anfangs eine ganz oberflächliche Lage eingenommen hatten, erscheinen durch dicke Zellen- und Faserkomplexe weit in die Tiefe gerückt. Ähnliches lässt sich für die Brücke und für die Hirnschenkel darthun, dagegen entwickelt sich die Wand der Grosshirnhemisphären in einer völlig ab- weichenden Weise. Hier wandern in einer sehr späten Periode die Zellen massenhaft aus den innern in die äusseren Wandschichten und sammeln sich zu einer geschlossenen Rindenschicht. Die neu auf- und die von unten her in die Hemisphären eintretenden Fasermassen lagern sich nicht an die Aussenfläche der Wand an, sondern sie schieben sich zwischen die neu entstandene Rindenschicht und die ursprüngliche Innenplatte ein. Ein Querschnitt der Hemisphärenwand gibt daher kein so einfaches historisches Dokument, wie ein solcher des verlängerten Markes. Noch komme ich mit einigen Worten auf das Ver- halten der auswachsenden Nerven zurück; auch hier- über habe ich mich bei früheren Gelegenheiten schon ausgesprochen. Es treten dabei die Eigentümlichkeiten zeitlicher Entwicklungskorrelationen in besonders anschau- 1) Hin 1890. Die Entwickelung des menschlichen Rautenhirns. AUmndlungen der k. sächs. Ges. der Wissensch. mathem. phys. Klasse, Bd. XVII, Xo. I, S. 65. 223 — lieber Weise hervor. Die aus dem Markrohr und aus Ganglien hervorwachsenden Nervenfasern sammeln sich zunächst zu kleinen Bündeln und weiterhin zu kom- pakten Stämmen, die allmählich peripheriewärts vor- rücken. Bei ungehemmtem Verlaufe geschieht das Aus- wachsen geradlinig. So verläuft z. B. beim menschlichen Embryo der N. oculomotorius völlig gestreckt von der Mittelhirnbasis durch die Sattelspalte hindurch bis in die Nähe des Auges. Gestreckte Verlaufsrichtung zeigen auch auf grössere Strecken hin der N. trochlearis und der N. abducens. Die drei Stümpfe des N. tri- geminus, die Nn. facialis, glossopharyngeus und vagus, sowie die Rückenmarksnerven zeigen, solange sie noch kurz sind, sämtlich gestreckten Verlauf. Die mit fort- schreitender Entwickelung auftretenden Komplikationen beziehen sich nun einerseits auf Biegungen der Stämme, andererseits auf zunehmende Teilung derselben. Die Bedingungen für die beiderlei Arten von Veränderungen lassen sich unschwer übersehen : Wenn ein nervenführen- der Teil entwickelungsgemäss verbogen wird, so wird auch der von ihm umschlossene Nervenstamm verbogen und dessen Richtung des Auswachsens wird eine andere. So verläuft der N. facialis innerhalb des Hyoidbogens anfangs gestreckt, und sein Stumpf liegt ventralwärts, dann aber erfährt der Hyoidbogen eine Knickung und das Nervenende bekommt nun die Richtung gegen den Mandibularfortsatz, in den es weiterhin hineinwächst. Stösst ein auswachsender Nervenstumpf auf einen Widerstand, so werden seine Fasern aus ihrer Bahn abgelenkt, wobei die einen auf einer, die andern auf der andern Seite des Widerstandes auswachsen können. Der Stamm teilt sich in solchem Fall in zwei oder mehr Zweige. Als solch ablenkende Widerstände kommen insbesondere Knorpel und Blutgefässe in Be- — 224 — tracht. So teilt sich z. B. der N. mandibularis da, wo er auf den Meckel' sehen Knorpel stösst, in den nach innen von letzterem vorbeiziehenden N. lingualis und in den nach auswärts davon verlaufenden N. alveolaris inferior. In anderen Fällen bestimmt umgekehrt die gegebene Anordnung der Nervenstämme die Verteilung der Knorpel- anlagen, so an der Wirbelsäule und im Becken.1) Es erscheint eben von besonderer Bedeutung, dass die Bildung des peripherischen Nervensystems und die des Knorpelskelettes zeitlich ineinander greifen. Es findet (wenigstens gilt dies vom menschlichen Embryo) eine Art von Wettlauf statt. Dasjenige der beiden Gebilde, Nerv und Knorpel, das zuerst auf dem Platz erscheint, bestimmt die Anordnung des anderen. Es wäre nicht schwer, die Zahl der Beispiele zu vermehren, bei denen das zeitliche Ineinandergreifen verschiedener Entwickelungsvorgänge für deren besondere Gestaltung von entscheidender Bedeutung ist. Es han- delt sich um ein durchgreifendes Vorkommnis: Kein Organ oder Organteil entwickelt sich unabhängig von den andern, und so kommt es nicht nur darauf an, dass sich der Teil in bestimmter Richtung entwickelt, sondern auch darauf, in welchem Zeitpunkt er sich entwickelt, und inwieweit seine Entwicklung störend oder fördernd mit der von anderen Teilen zusammen trifft. Wie haben wir uns nun vorzustellen, dass Ent- wicklungen, die nach scheinbar verschiedenartigen Ge- setzen vor sich gehen, gleichwohl scharf abgegrenzt in einander eingreifen ? Wie kommt es z. B., dass das Knorpelgewebe in eben dem Zeitpunkt erscheint, da es l) Hiezu vergl. mau die Ergebnisse von Petersen in seinen Untersuchungen zur Entwickelung des menschl. Beckens. Hin u. Braunes Archiv 1893, S. 89. 225 nicht allein zur Stütze des weichen embryonalen Körpers erforderlich ist, sondern da es auch in ganz bestimmter Weise die Anordnung der sich bildenden Gefässe und Nerven zu regeln hat? Solange wir das Problem spezialisieren, erscheint es einer Lösung kaum zugänglich, es wird aber seinem Wesen nach verständlich, wenn wir die Entwickelung eines jeden Organismus als einen zwar vielgliedrigen aber einheitlichen Prozess auffassen, dessen Teilvorgänge nach allen ihren Phasen einen zeitlich und örtlich fest geregelten Ablauf haben. Lösen wir einen solchen Gesamtprozess in seine einzelnen Glieder auf, so be- kommen wir eine Anzahl von Einzelprozessen, deren jeder seinen eigenen Gesetzen gemäss abläuft. Diese Teilprozesse sind aber nicht nur physiologisch zu gemeinsamer Leistung verkettet, sie führen sich auch genetisch auf gemeinsame Anfänge zurück, auf um so einfachere, je früher diese fallen. Der Prozess, der sich uns in der Entwickelung organischer Wesen enthüllt, charakterisiert sich seiner Natur nach als ein periodischer. Jedes sich ent- wickelnde Individuum ist das Einzelglied einer durch unabsehbare Zeiten sich hindurch erstreckenden Genera- tionenreihe. Wie bei einer Wellenlinie, dem einfachsten Pilde einer periodischen Funktion, jedes Glied seinen Vorgängern und seinen Nachfolgern gleicht und auch zeitlich deren Eigentümlichkeiten wiederholt, so wieder- holen auch die Glieder gegebener Generationsreihen im Werden und im Vergehen, die Eigenschaften der vor und der nach ihnen kommenden. Die periodische Wiederkehr von Eigenschaften bei den sich folgenden Gliedern einer Generationenreihe bezeichnen wir bekanntlich als Vererbung. Sind Ent- wickelung und Leben als periodische Funktionen aner- 15 226 — kannt, so ergibt sich der Begriff der Vererbung als eine natürliche Folge hievon. Die Verhältnisse wären ohne weiteres mit denen einer etwas komplizierter ge- stalteten Wellenlinie zu vergleichen, deren Gipfel und Thäler bei jedem Glied in entsprechenden Phasen sich wiederholen, kämen nicht bei den Generationsreihen organischer Wesen die Einflüsse sexueller Fortpflanzung hinzu. Parallelen lassen sich übrigens an dem ein- fachen Vergleichsobjekt der Wellenlinie auch hiefür in den Interferenzerscheinungen finden, die auftreten, wenn zwei zusammentreffende Wellensysteme sich mit einander kombinieren. Die Auffassung des Lebens als periodische Funk- tion führt übrigens auch zu einer naturgemässen Ein- reihung des Zweckmässigkeitsbegriffs. Bei einer jeden organischen Entwickelung erfolgt der Ablauf der ein- zelnen Vorgänge und ihr Ineinandergreifen in zweck- mässiger, das heisst in der zur Erzeugung eines normalen Organismus hinführenden Weise. Diese Zweckmässig- keit in der Entwickelung ist ein physiologisches Postulat, denn jede Abweichung von diesem Prinzip führt zur Entstehung von abnormen, bez. von lebensunfähigen Formen. Sie liegt aber andererseits in jedem Gesetz periodischer Prozesse begründet. Nach solchem Gesetz erscheint jede beliebige Phase eines periodischen Pro- zesses als notwendige, oder physiologisch ausgedrückt, als zweckmässige Vorbedingung aller nachfolgenden Phasen. Handelt es sich, wie bei der Entwickelung organischer Wesen, um hochorganisierte vielgliedrige Prozesse, so hat ein jedes der Teilglieder an seinem Ort und zu seiner Zeit in Erscheinung zu treten. Ist der Anfang der Bewegung (die uq/j) r/;a xivtjoscog von Aristoteles) gegeben, dann schliesst sich alles übrige mit Naturnotwendigkeit an. — 227 Ich habe bei früherer Gelegenheit für eine derartige Verknüpfung verwickelter Naturvorgänge das Leilmizsche Wort von der „prästabi Herten Harmonie" gebraucht, und es ist mir dies als unwissenschaftlich verdacht worden. Leibniz selber formuliert sein Problem und dessen Lösung in folgender Weise : Die psychischen Vorgänge folgen ihren besonderen, fest normierten Gesetzen, und dasselbe gilt von den körperlichen Vorgängen. Psychische und körperliche Vorgänge laufen aber in harmonischer Weise ab, und sie entsprechen einander, wie etwa zwei absolut übereinstimmend regulierte Uhren von vielleicht völlig verschiedenartiger Konstruktion.1) Dies Bild der Uhren führt Leibniz an anderer Stelle weiter aus-) : Die Über- einstimmung in deren Gang wird verständlich 1) wenn die eine Uhr stetig auf die andere einwirkt; 2) wenn ein Aufseher die beiden Uhren fortwährend regliert und 3) wenn die Uhren absolut genau gearbeitet sind. Letztere Möglichkeit ist die der prästabilierten Über- einstimmung. Setzt man an Stelle der beiden Uhren Seele und Körper, so gelten dieselben Betrachtungsweisen : Für die erstere Auffassung, gegenseitige Abhängigkeit von Seele und Körper, tritt die landläufige Philosophie ein, aber da man nicbt verstehen kann, wie materielle Teilchen und immaterielle Eigenschaften auf einander wirken können, ist die Auffassung nicht haltbar. Die r) „Les âmes suivent leurs lois, qui consistent dans un certain développement des perceptions selon les biens et les maux; et les corps suivent aussi les leurs, qui consistent dans les règles du mouvement : et cependant ces deux êtres d'un genre tout à fait différent se rencontrent ensemble et se répondent comme deux pendules parfaitement bien réglées sur le même pied, quoique peut- être d'une construction toute différente. Et c'est ce que j'appelle V Harmonie préétablie, qui écarte toute notion de miracle des actions purement naturelles et fait aller les choses de leur train. réglé d'une manière intelligible." Gr. Gr. Leibnitii Opera omnia, éd. Dutens. Clenevae 1908- Bd. II S. 40. 2) Ebendaselbst II. S . 95. — 228 — zweite Auffassung verlangt das stetige Eingreifen eines Dens ex machina und ist gleichfalls unstatthaft. Es bleibt daher nur die dritte Möglichkeit, dass bei der ersten Schöpfung jede der beiden „Substanzen" so voll- kommen gebildet und so genau reguliert worden ist, dass sie, obwohl ihren eigenen Gesetzen folgend, doch mit der anderen genau harmoniert, gerade als ob eine von der andern abhängig wäre, oder als ob Gott fortwährend für die Übereinstimmung beider besorgt wäre. Sieht man bei dieser Darstellung von der Ein- führung des Welten Schöpfers als Erklärungsmotiv ab, so bleiben das Grundproblem und dessen Lösung dem unserigen durchaus verwandt. In beiden Fällen handelt es sich um den Ablauf unter sich verschiedenartiger, gesonderten Gesetzen folgender Vorgänge. Für beide Probleme liegt die Lösung in der Anerkennung eines die Sondervorgänge beherrschenden Gesamtgesetzes. Durch das Gesamtgesetz der Entwicklung ist das einheitliche Ineinandergreifen der Teilvorgänge im voraus bestimmt, die Harmonie ist eine prästabilierte. Sie ist in dem- selben Sinn prästabiliert, wie das allseitige, dem perio- dischen Ablauf der Jahreszeiten sich anpassende In- einandergreifen pflanzlicher und tierischer Entwicklungen überhaupt. Bei der Anerkennung und Feststellung allgemeiner und besonderer Entwickelungsgesetze orga- nischer Wesen bleibt übrigens die neuere Forschung nicht stehen, sie bemüht sich, die Entstehung dieser Gesetze auch ihrerseits als notwendige Folgen natür- licher Vorsänge abzuleiten. Recherches sur la transparence des eaux du Léman par F.-A. Forel. Dans le IIe volume du Léman, p. 427 *), j'ai donné quelques chiffres résumant mes dernières études sur la transparence des eaux, telles que je les ai ex- posées le 9 janvier 1895 devant la Société vaudoise des Sciences naturelles. Il sera peut-être utile d'en pu- blier une description plus détaillée; la méthode que j'ai employée pourra, je l'espère, intéresser des collègues qui voudraient suivre à des études analogues ou voisines. Et d'abord la méthode. Elle consiste à verser l'eau qu'il s'agit d'étudier dans un tube vertical, fermé en bas l jpar une glace et à en déterminer la transparence. Mon appareil est un tube cylindrique de 1 m de longueur, en feuilles de zinc, de 3,5 cm de diamètre, terminé à ses deux extrémités par des cupules plus larges, de 5,5 cm de diamètre. La cupule inférieure est fermée par une glace de verre blanc cimentée sur son pourtour; la cupule supérieure est ouverte2). Je suspends le tube verticalement à un trépied qui le maintient soulevé à 10 cm au-dessus du plancher de la chambre, de telle sorte que je puisse glisser sur le sol un écran blanc, ou une feuille de papier portant des caractères d'imprimerie, et les voir 1 éclairés par une lumière oblique. l) F.-A. Forel. Le L<''man, monographie limnologique t. II, p. 427. Lausanne 1895. 2J Si j'ai évasé en cupules les extrémités de mon tube, c'est afin que le champ visuel ne soit pas rétréci sur les bords, ni par le ciment qui entoure la glace de l'extrémité inférieure, ni par le ménisque capillaire de l'eau à sa surface libre. 230 — Je verse dans le tube un litre de l'eau dont je veux étudier la transparence. Deux cas peuvent se présenter: a. Ou bien l'eau est relativement limpide ; je dis- tingue plus ou moins nettement les objets éclairés à tra- vers l'épaisseur d'un mètre d'eau que mon rayon visuel parcourt dans l'appareil. J'apprécie alors le degré de la limpidité- je constate qu'elle me permet de voir à peine une lueur diffuse dans les cas de transparence faible; ou bien dans les cas où la transparence est plus parfaite de reconnaître des caractères d'imprimerie, de lire telles grosses lettres, de ne pas lire telles lettres plus fines. b. Ou bien l'eau est assez louche pour être opaque et ne pas laisser passer trace de lumière sous l'épaisseur d'un mètre. Dans ces conditions, pour arriver à en appré- cier le degré d'opacité, je dilue l'eau trouble dans des quantités progressives d'une eau parfaitement limpide? (de l'eau passée par un filtre de porcelaine, filtre Chamber- land) et je cherche le degré de dilution qui me permet de voir les premières lueurs de lumière diffuse, ou de lire nettement tels caractères d'imprimerie que je choisis comme objet visé. La quantité plus ou moins grande d'eau limpide ainsi ajoutée me donne une notion de la turbidité de l'eau sale; j'obtiens de cette manière les éléments d'une comparaison suffisante entre deux eaux inégalement opaques. Il est évident que les valeurs données par ce pro- cédé ne sont pas des chiffres absolus ; ils varieraient d'un observateur à l'autre suivant la puissance de leurs yeux; l'appréciation de la lisibilité d'un caractère pour- rait aussi différer. Mais le même observateur, prenant l'habitude d'estimer de la même manière l'instant où il déclare lisible tel caractère, peut obtenir, cela est cer- tain, des valeurs parfaitement comparables entre elles- 231 En possession de cette méthode, qui pourra, je le crois, servir à diverses recherches dans plus d'un sens, je me suis posé le problème suivant: Quelle est la quantité des poussières qui rendent opaque Peau du lac, tellement que la limite de visibilité1), dans le Léman, est en moyenne, en été de 7,3 m, eu hiver de 12,5 m, au maximum de 21,0 m. Je suis parti d'un fait général que j'ai démontré déjà en 1873. La cause principale de l'opacité des eaux d'un lac d'eau douce, tel que le Léman, réside, non clans une absorption par l'eau elle-même, mais dans la forma- tion d'un écran par les poussières en suspension dans l'eau. Ces poussières constituent un brouillard qui, par super- position op tique, finit par masquer entièrement l'objet visé et le faire disparaître à la vue2). Appelons as- sombrissement ou extinction par occultation, cette caté- gorie de phénomènes qui amènent la diminution de la transparence par formation d'un écran de corpuscules opaques optiquement superposés. Cela étant j'ai fait les expériences suivantes pour apprécier le poids des poussières qui font écran dans l'eau du lac. 1° J'ai commencé par déterminer comment se com- porte dans mon tube une eau qui dans le lac me donne la limite de visibilité sous un mètre de profondeur. Pour cela j'ai cboisi un jour (le 11 juin 1894) où l'eau du lac devant Morges était relativement sale. La rivière la Morge était en état de crue par suite de pluies torrentielles: ses eaux, très chargées d'alluvion, étaient 1) J'appelle limite de visibilité, la profondeur à laquelle dis- paraît à l'œil un disque blanc de 20 cm de diamètre, descendu verti- calement dans le lac. Cf. F.- A. Forel, le Léman II, 409 sq. Lau- sanne 1895. 2) Ibid. p. 413. — 232 — battues, à leur entrée dans le lac, par les vagues d'un vent sudois; les eaux littorales du lac en étaient salies, et un courant de surface amenait des eaux troubles le long de la côte, jusque sous le débarcadère des bateaux à vapeur. L'opacité des eaux était différente d'une place à l'autre sous ce pont; elles étaient plus troubles près de la rive qu'en avant. Aussi en passant d'une travée à l'autre de l'estacade, et en jetant dans l'eau mon disque blanc attaché à une corde graduée, j'ai bien- tôt trouvé le point où l'eau avait exactement sa limite de visibilité par un mètre de profondeur. J'y ai puisé un seau d'eau et l'ai apporté dans mon laboratoire. J'ai versé l'échantillon dans mon tube vertical et j'ai reconnu que cette eau me donnait la lisibilité nette des caractères du grand titre du journal l'Estafette de Lausanne (capitales normandes de 20 mm de hauteur, et de 7 mm de largeur des pleins). J'ai répété l'expérience à deux reprises dans des circonstances analogues et je suis arrivé à des résultats identiques. 2° Ce premier point posé, j'avais à déterminer le poids des matières en suspension qui m'amèneraient ex- périmentalement à ce même résultat : lisibilité dans mon tube vertical d'un mètre de long, des gros caractères du titre de V Estafette. Pour cela j'ai institué l'expé- rience suivante : Je prends une argile fine; j'en pèse une quantité suffisante; je la délaie dans l'eau pure, et je cherche le degré de dilution qui me donne la même lisibilité dans le tube vertical. Voici le détail de l'une de ces expériences (4 juin 1894). Je prends de l'argile humide provenant d'un dra- gage profond dans le Léman, et je la délaie jusqu'à en faire une crème bien homogène. Je pèse 1,34 g de 2 :'}:-{ cette crème et je la laisse sécher à l'air jusqu'à poids con- stant; ces 1,84 g me donnent un poids de limon sec de 0,67 g; il y avait juste 50° ,.„ d'eau. Je prends ensuite 1,10 g de ma crème (représentant d'après le témoin 55 cg de limon sec) et je la dilue dans de l'eau passée au tiltre Chamberland. Je pousse la dilution jusqu'à ce que j'obtienne la lisibilité du gros titre de V Estafette; j'y arrive quand les 55 cg de limon sont dilués dans 74 litres d'eau limpide. Si je divise 55 par 74 j'obtiens 0,7. L'eau, qui m'a donné une transparence égale à celle de l'eau du lac quand celle-ci a une limite de visibilité de 1 m de profondeur, contient donc par litre 7 milligrammes de ma- tières en suspension. J'ai répété cette expérience plusieurs fois avec des argiles diverses. Tantôt avec des argiles sèches, délayées dans l'eau, puis décantées; tantôt avec des argiles sèches, porphyrisées, tamisées, délayées et décantées -, tantôt, comme dans l'expérience que je viens de raconter, avec de l'argile humide simplement délayée 1). C'est ce dernier procédé qui m'a donné les meilleurs résultats. Avec les diverses substances que j'ai utilisées, je suis arrivé à des valeurs du même ordre ; en voici les chiffres. La quantité de matières en suspension clans un litre d'eau qui donne un degré de lisibilité égal à celui des eaux troubles du lac dont la limite de visibilité est à 1 m de profondeur, a été: I. Argile du lac, sèche, délayée et décantée 9 mg IL id. id. 7 „ III. Même argile, porphyrisée, tamisée, délayée 12 „ !) Il va sans dire que les détails du mauuel opératoire varieut d'une argile à l'autre; la prise du tcmoin qui détermine la teneur d<' l'eau en limon doit se faire différemment. Jl est inutile d'ex- poser les particularités de ces manœuvres très simples. 234 — IV. Même argile, porphyrisée tamisée, délayée 15 mg A'. Argile du lac, humide, délayée . . . 7 „ VI. Argile miocène de Chigny sur Morges, humide, délayée 12 „ VII. Argile des tuileries de Mormont, humide, délayée 17 „ VIII. Argile bleue de la seconde terrasse la- custre du Léman, Morges 16 ,, Prenons un chiffre moyen 10 mg par litre. Nous estimons donc à 10 mg par litre (10mg/l) la teneur en pous- sières suspendues d'une eau qui dans le lac aurait une limite de visibilité par 1 m de profondeur. 3° Mais une eau dont la limite de visibilité est à un mètre de profondeur est de l'eau sale, de l'eau trouble, de l'eau opaque. Les eaux limpides du Léman ont une limite de visibilité bien plus étendue ; nous avons dit qu'elle atteint jusqu'à 21 m de profondeur. Pouvons nous, du chiffre obtenu pour la limite de visibilité courte des eaux sales, arriver à la valeur des eaux à longue limite de visibilité? de la teneur des eaux opaques arriver à la teneur des eaux limpides ? Pas directement; mais tout au moins nous trouverons les extrêmes que ne dépassent pas ces dernières valeurs. J'admettrai d'abord que si une teneur en poussières suspendues de 10 m g/1 arrête la limite de visibilité à 1 m, des eaux qui permettent de voir par 5 m, par 10 in, par 20 m de profondeur contiennent évidemment moins, beaucoup moins de poussières. 10 mg de poussières suspendues dans 1 litre d'eau est donc un maximum qui est loin d'être atteint dans les eaux claires et très claires du Léman. Je crois ensuite que nous pouvons faire le raisonne- ment suivant. L'obstacle qui arrête la vision est un obstacle mécanique; il est formé par la superposition opti- — 235 — que d'écrans minuscules, les poussières en suspension dans l'eau qui, lorsqu'elles sont assez nombreuses, inter- ceptent par occultation tous les rayons visuels directs. Que ces écrans soient disposés sur un même plan ou qu'ils soient dispersés dans une masse liquide de grande épaisseur (dans les limites où nous nous mouvons ici), l'obstacle à la vue doit être de même efficacité *, la même quantité de poussières doit être nécessaire pour arrêter la vision. Je me crois donc autorisé à admettre qu'en ne nous occupant que du phénomène de l'extinction de la lumière par occultation, si 10 mg/1 donnent une limite de visibilité par . 1 m „ 5 „ donneraient une limite de visibilité par 2 „ 2 5 r> a n ii ii h i- ii n ,J n il ■!• n ii ii n :i ii ii *■'-' n ï! ",0 „ „ „ „ „ „ „ "" 11 Le maximum de transparence que j'ai constaté dans le Léman, m'a donné une limite de visibilité par 21 m de profondeur, le 21 février 1891, au large d'Ouchy. D'après ce que nous venons de dire, cette eau aurait renfermé moins d'un demi milligramme de poussières minérales en suspension. Si au lieu de poussières minérales on faisait inter- venir des poussières organiques dont la densité est beau- coup plus faible, un poids moins grand encore de ma- tières animales ou végétales devrait être suffisant pour obtenir le même effet. Il est vrai que les poussières organiques n'ont pas en général la ténuité extrême des poussières minérales d'une alluvion argileuse; celles-ci étant lourdes, ce ne sont que les particules les plus fines qui restent en suspension. Les poussières organiques sont le plus souvent sous forme de flocons relativement gros; ceux-ci ayant la même densité que l'eau peuvent y flotter indéfiniment. Or pour une même substance la 236 grosseur des particules est un facteur important du poids de matière qui amène l'opacité du milieu; plus les poussières sont grosses, plus est grande la quantité nécessaire pour qu'elles forment un écran opaque arrêtant la lumière. Comme d'une autre part bon nombre des poussières, qui dans l'eau d'un lac interviennent pour fixer la limite de visibilité, sont de nature organique, et que nous ne pouvons en indiquer le volume, les chiffres donnés ci- dessus, qui se rapportent à des poussières minérales, ne peuvent pas, sans autre correction, être étendus aux faits naturels qui se jouent dans le lac. Mais je crois pou- voir admettre que si les valeurs numériques ne sont pas absolument certaines, l'ordre de grandeur qu'elles indi- quent est parfaitement admissible et valable? Par un autre procédé j'ai cherché quelle est l'épais- seur de limon qui peut arrêter la vision, rendre l'eau opaque, empêcher de distinguer un corps éclairé. Dans une auge plate de 26 mm de largeur interne, j'ai placé 0,73 g de limon sec, délayé dans l'eau, et j'ai étendu la dilution jusqu'à ce que je fusse à la limite de la vision distincte. J'ai dû employer pour cela 1500 g d'eau passée au filtre Chamberland. Si j'attribue à ce limon sa densité de 2,6, cela me donne une couche de limon sec d'une épaisseur de 0,004 mm. Une couche de 4 millièmes de millimètres d'alluvion lacustre du Léman suffit donc, je ne dirai pas pour arrêter la lumière dif- fuse, mais pour empêcher de distinguer un objet éclairé. C'est là aussi une valeur extrêmement faible '). Quoiqu'il en soit, en nous tenant aux chiffres don- nés pour l'alluvion minérale en suspension dans l'eau qui peut causer l'opacité relative de l'eau du Léman, nous 1) M. le professeur Ch. Dufour a montré, il y a quelques années qu'une couche de charbon d'un millième de millimètre d'é- paisseur, déposée sur une lame de verre suffit à arrêter entièrement la lumière. (Archives I, 226 sq. Genève 1896.) 237 arrivons à des quantités extraordinairement faibles, quel- ques milligrammes, moins d'un milligramme par litre. C'est remarquablement peu: nous en jugeons par com- paraison avec la quantité des sels qui sont dissous dans l'eau de ce même lac 5 l'eau du Léman contient 175 mg de substances solubles par litre, par conséquent 350 fois plus que de matières en suspension. Ainsi donc, au point de vue physique l'eau du Léman est, dans les beaux jours d'hiver surtout, de l'eau presque absolument pure 1). On m'a fait deux objections: 1° Vous ne tenez pas compte des autres facteurs d'absorption, entr'autres de l'absorption de la lumière par l'eau elle-même. L'eau est un liquide possédant un certain pouvoir d'absorption. A cela je répondrai: C'est vrai. Mais, si une partie de la lumière est absorbée par le liquide, en tant que li- quide légèrement absorbant, j'aurai besoin d'une quantité encore moins grande de poussières opaques pour expli- quer la disparition par occultation des objets descendus dans le lac aux profondeurs observées. De ce fait encore mes chiffres sont des maximums. 2° D'autre part M. le professeur Henri Dufour m'a fait remarquer que je n'ai pas le droit de passer par une simple division de la teneur en alluvion suspendue dans une couche de un mètre à celle d'une couche d'épaisseur plus forte. Quelle que soit la nature de l'obstacle qui affaiblit ou arrête la pénétration des rayons lumineux, que ce soit une occultation par des écrans minuscules ou une absorption par un milieu translucide, la quantité ]) Et cependant J.-L. »Soret clans ses recherches sur la trans- parence de l'eau du Léman, n'est arrivé à la limpidité absolue qu'après avoir fait reposer par décantation très longtemps prolongée toutes les poussières qui flottent encore dans le liquide. Archives XXXVII, 14Ü, Genève 1870. — 238 de lumière éteinte s'exprime par une fonction exponen- tielle : la fraction de lumière transmise est I = Io Ax (loi de Bouguer1). Si cela est, et je m'incline devant la parfaite com- pétence de l'ami qui a insisté sur cette objection, les chiffres donnés ci-dessus doivent être non des maximums mais des minimums ; la quantité de matières en suspen- sion dans les eaux du Léman doit être un peu plus forte que les milligrammes ou fractions de milligramme que j'ai indiqués page 234. J'ai voulu en avoir le cœur net, et je me suis adressé à l'expérience. J'ai rempli mon tube vertical jus- qu'à moitié hauteur, d'une eau opalinisée par de Fallu - vion minérale impalpable des grands fonds du lac; j'en ai constaté la transparence par des essais de lisibilité; puis j'ai achevé de remplir le tube avec de l'eau passée au filtre Cbamberland, et j'ai mélangé le tout. D'après l'objection de M. Dufour je m'attendais à trouver une diminution de l'opacité, ou si l'on veut une augmentation de la transparence dans cette eau ainsi diluée. C'est le contraire que j'ai obtenu. Je crois avoir constaté par de nombreuses répétitions de l'expérience que les carac- tères d'imprimerie vus à travers cette eau étaient moins distincts lorsque en surajoutant de l'eau claire j'avais, avec la même dose de poussières occultantes, augmenté l'épaisseur de la couche translucide; il est vrai que comme la lisibilité h travers des couches d'épaisseur dif- férentes est assez difficile à comparer, d'autant plus que l'observation des deux lisibilités n'est pas simultanée m ,iis consécutive, il pouvait y avoir un peu de doute sur la valeur de l'expérience. i) A est le coefficient du transmission pour l'unité d'épaisseur traversée, un décimètre p. ex., ou un métré, x est l'épaisseur en décimètres ou en mètres. 239 — Mais j'ai obtenu une observation parfaitement cer- taine en me plaçant à la limite de l'opacité absolue. Je remplis à moitié le tube vertical d'une eau troublée par de l'alluvion lacustre et amenée jusqu'à la dernière li- mite de l'extinction de la lumière; je vois encore un peu de lumière diffuse, des traces à peine dicernables, mais cependant certaines. Après cela j'ajoute de l'eau lim- pide qui achève de remplir le tube, j'agite le tout pour avoir un mélange bien homogène et alors, quand j'es- saye de regarder au travers de l'eau, toute trace de lu- mière diffuse a disparue; l'opacité absolue est atteinte. J'ai répété l'expérience dans des conditions plus exagérées encore, en partant d'une quantité d'eau limoneuse très faible, en remplissant seulement le dixième du tube vertical, et j'ai à plusieurs reprises obtenu le même résultat. J'ai répété l'expérience avec du lait, même résultat. Voici l'expérience la plus démonstrative que j'ai établie : Par un tuyau de caoutchouc descendant jusqu'au fond du tube vertical je verse environ un décilitre d'eau trouble qui amène presque l'opacité absolue ; il passe ce- pendant encore un peu de lumière diffuse à travers cette couche d'un décimètre d'épaisseur. J'achève de remplir le tube vertical en y versant 9 décilitres d'eau passée au filtre Chamberland. Résultat immédiat: Opa- cité absolue. Je dilue progressivement cette masse opa- que jusqu'à ce que je commence à voir passer les pre- mières traces de lumière diffuse à travers une couche d'un mètre d'épaisseur; je n'y arrive qu'après avoir ajouté G litres d'eau claire à mon litre d'eau opaque. De cela je dois conclure: Ou bien si, comme le dit M. Dufour, la fonction exponentielle est applicable à l'extinction de la lumière par occultation, dans mon expérience le coefficient d'oc- 240 cultation par les écrans minuscules des poussières miné- rales ou organiques est plus faible que le coefficient d'ab- sorption par l'eau limpide passée au filtre Chamberland. Ce serait bien difficile à admettre étant donné la splen- dide transparence de cette eau. Ou bien l'extinction de la lumière par occultation, au moyen des écrans minuscules des poussières en suspen- sion, est soumise à une autre loi que l'extinction de la lumière par absorption d'un milieu fluide physiquement homogène. Est-elle simplement proportioneile à la quan- tité des poussières en suspension, quelle que soit l'épais- seur du milieu limpide dans lequel ces poussières sont suspendues? Cela me paraît probable, mais je n'ai pas encore su instituer une exjîérience qui le démontre. Quoiqu'il en soit, la conclusion générale que je tire de ces recherches est que les matières en suspension dans les eaux limpides du Léman sont en quantité ex- trêmement faibles. Ces eaux sont presque pures au point de vue physique. Über Digitalis purpurea L. Von Casimir Nienhaus. Der Fingerhut ist unbestritten unter den vielen Arzneimitteln, die bei Erkrankungen des Herzens Ver- wendung finden, das wichtigste. Die weitverbreitete Pflanze, die übrigens der Flora unseres Landes nicht angehört, fand schon im XI. Jahrhundert zur Herstellung äus- serlich gebrauchter Arzneimittel Verwendung. In den Jahren 1640 und 1650 wird Digitalis zuerst unter den Arzneipflanzen genannt und seit 1775 hat die Drogue ihren hervorragenden Platz im Arzneischatze unter den heroischen Mitteln erobert. Die üppig entwickelten Laubblätter sind unter dem Namen Folia Digitalis gebräuchlich; sie werden ent- weder als solche gebraucht oder sie dienen zur Her- stellung einer Anzahl wichtiger, galenischer Präparate. Es gibt wenige Arzneimittel, von denen der Arzt eine so prompte Wirkung wünscht, erwartet und verlangt, A\ie von der Digitalis. Aus diesem Grunde ist es von der grössten Wichtigkeit, dass die Drogue in bester Qualität verabreicht wird und dass die daraus dargestellten Präparate nach rationellen Methoden gemacht werden. Merkwürdigerweise sind die schon lange gebräuch- lichen, auf rein empirischem Wege erhaltenen Präparate auch heute noch vollständig zweckentsprechend. Die Bemühungen der modernen pharmazeutischen Chemie 16 242 sind selbstverständlich darauf gerichtet gewesen, aus der wichtigen Drogue das s. g. wirksame Prinzip zu gewinnen, um damit dem Arzte ein unfehlbares Mittel zu Verfügung zu stellen. Die auf diesem Wege erzielten Resultate haben bisher noch nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Seit dem Jahre 1845 sind vielfache Versuche in dieser Richtung gemacht worden. Die aus der Digitalis gewonnenen Präparate dieser Art erhielten zunächst den Namen „Digitalin a und die Anzahl solcher Digi- taline ist eine recht beträchtliche. Dieselben sind je- weilen nach den Autoren getauft worden, so Digitaline Homolle, Lancelot, Lebordais, Schmiedeberg, Walz, Kosmann; dazu kommen noch Digitalinum verum und purum. Dieser embarras de richesse beweist von vorn- herein, dass diese verschiedenen Präparate nicht ein- heitlichen Charakter haben, d. h. nicht reine Substanzen im chemischen Sinne sein können. Sie sind eins nach dem anderen erschienen und mit mehr oder weniger Reklame empfohlen worden, um über kurz oder lang der Vergessenheit anheimzufallen. Der Mediziner ist bis auf den heutigen Tag immer wieder zur Digitalis selbst zurückgekehrt. Die häufigste und beliebteste Art der Verabreichung besteht darin, dass die besonders präparierten Blätter mit heissem Wasser ausgezogen werden. Wir wollen nun auch das Wort „Digitalin" gebrauchen und damit eine glykoside Substanz bezeichnen, die bei der Be- handlung mit Wasser eine Spaltung erfährt in Glykose (Traubenzucker) und ein zweites Spaltungsprodukt, das in diesem Falle die Wirkung bedingt. Es liegt nun die Möglichkeit vor, diesen Vorgang zu kontrollieren. AVird die Digitalis in kochendes Wasser gebracht, dann umgerührt und sofort eine Probe — 243 abfiltriert, dann tindet man in letzterer schon Glykose. Die Quantität lässt sich nach bekannten Methoden be- stimmen und so kann man sich ein Urteil verschalten über die relative und eventuell auch über die absolute Menge der zur Wirkung kommenden Substanz. Unter allen Umständen kann man den Zeitpunkt bestimmen, in dem der Glykosegehalt nicht mehr zunimmt, also die Operation beendigt ist. Um sich über die Wirksamkeit einer Digitalis ein massgebendes Urteil zu verschaffen, könnte man die Quantität Glykose vorschreiben, die ein wässriger Digitalisauszug, z. B. im Verhältnis von 1 zu 10 Wasser, zum mindesten haben soll. Die Quantität des wirksamen Spaltungsproduktes ist der Menge der gefundenen Glykose proportional. Die Spaltung der glykosiden Substanz geht vor sich unter dem Einflüsse der Eiweisstoffe, die im Gewebe des Blattes enthalten sind. In den seltenen Fällen, in denen Digitalis in Substanz gegeben wird, wird die Spaltung durch die Mitwirkung des Speichels und des Magensaftes wesentlich begünstigt. In beiden Fällen muss die Wirkung der Drogue der Spaltung glykosider Inhaltstoffe zugeschrieben werden. Die bis auf den heutigen Tag fortgesetzten Unter- suchungen haben als ferneres Resultat ergeben, dass ein anderer, in Alkohol löslicher Inhaltstoff, das „Digi- toxin", ebenfalls die spezifische Wirkung der Digitalis repräsentiere. Dadurch erklärt sich dann die Wirksamkeit der Digitalistinkturen, die früher viel mehr gebraucht wurden, wie zur Zeit. Sowohl in der alkoholischen, wie in der ätherischen Tinktur muss das Digitoxin der wirksame Stoff sein, da dasselbe in Alkohol und Äther, nicht aber in Wasser löslich ist. Digitalisextrakte haben nie seitens der Mediziner grosse Beachtung gefunden. Dagegen war vor 30, 40 — 244 — Jahren der Fingerhut-Essig, Acetum Digitalis, ein sehr geschätztes Arzneimittel. Dasselbe ist vollständig in Vergessenheit geraten und doch ist einer solchen Art der Darreichung die Berechtigung nicht abzusprechen. Bei Blutungen leistete das Mittel gute Dienste. In vorstehendem ist einmal von „besonders präpa- rierten" Digitalisblättern die Hede gewesen. Das Blatt weist sehr eigentümliche anatomische Verhältnisse auf. Von der starken Mittelrippe zweigen sich primäre Seiten- rippen ab, die bis in die Nähe des Blattrandes ver- laufen. Zwischen den letzteren tritt eine sekundäre Nervatur auf, die dem Gewebe des Blattes auch äusser- lich eine sehr zierliche Zeichnung verleiht. Unter- suchungen hatten ergeben, dass die Haupt- und die starken Seitenrippen quantitativ weniger reich an den bespro- chenen Inhaltstoffen seien. Die Beobachtung führte dahin, dass findige Apotheker, die in der Nähe Digitalis sammeln konnten, diese Stränge so viel wie möglich aus dem Blattgewebe entfernten und sich dann für die so gereinigte Ware horrende Preise bezahlen Hessen. Neuerdings ist nun eine Untersuchung veröffentlicht worden, nach der die Nervatur ebenso wirksam sein soll, wie das Mesophyll des Blattes. Wie ich schon andeutete, haben die wissenschaft- lichen Bestrebungen, vollständige Klarheit über die Inhaltstoffe der überaus wichtigen Arzneipflanze zu schaffen, bis jetzt noch keineswegs ihren Abschluss ge- funden \ aus dem bisher gefundenen geht aber mit Sicher- heit hervor, dass die Darreichungsformen der Digitalis, wie sie von der Pharmazie schon seit langer Zeit geboten wurden, ihre volle Berechtigung hatten, ja dass in diesem Falle die Empirie nachträglich ihre wissenschaftliche Begründung gefunden hat und ihre Ehre gerettet sieht. Über ungesättigte Säuren. (Mitteilung aus der chemischen Anstalt der Universität im Bernoullianum.) Von Fr. Fichter. In der folgenden Abhandlung soll eine Beziehung zwischen der Leitfähigkeit einbasischer ungesättigter Säuren und der Stellung der Doppelbindung in der Molekel besprochen werden. Um aber zunächst den Gedankengang darzulegen, der zu dieser Untersuchung geführt hat, gebe ich in einem ersten Kapitel eine kurze Zusammenstellung einiger Arbeiten über ungesättigte Säuren, die ich mit verschiedenen Mitarbeitern von 1896 — 1902 in den Räumen der chemischen Anstalt im Bernoullianum ausführte. Im zweiten Kapitel ist das Hauptthema erörtert, und ich betrachte es als einen glücklichen Umstand, dass ich meinem Lehrer in Physik, unserm hochverehrten Herrn Jubilar, hiemit eine Unter- suchung widmen kann, in welcher physikalische, speziell elektrische Messungen, eine so wesentliche Rolle spielen. I. K a p i t e 1. Synthesen ungesättigter Säuren. 1. Die /^-ungesättigten Säuren. Durch Reduktion von Acetoglutarsäureester l) mit Natriumamalgam in wässrig-alkoholischer Lösung ent- J) Wislicenus \- Limpach. Ann. d. Chem. 192, 128. — 24G — steht unter gleichzeitiger Verseifung die d-Oxy-a-äthyl- glutarsäure resp. die ihr entsprechende d-Caprolacton-;'- carbonsäure : COOR C001I COOH I ! I CHt-CO-CH -CH2-CH2 COOR >- CH3-CH-CH-CH2-CH2-COOH > CHS-CH-CH-CH2-CH2 I I OH O — — CO Bei der trockenen Destillation verliert diese Säure Kohlendioxyd und Wasser und liefert nebeneinander die j/($-Hexensäure und die «-Athylidenglutarsäure -) : COOH COOH I I CH3-CH-CH-CH2-CH2 >- CH3-CH=CH-CH2-CH2-COOH und CHs-CH = C-CH2-CH2 I I I O— ~CO COOII In vollkommen analoger Weise gelangt man durch Reduktion des Benzoylglutarsäureesters zur d-Oxy- a-benzylglutarsäure und zur (î-Phenyl-d-Valerolacton-y- carbon säure: COOR COOH COOH C6H5-CO-CH-CH2-CH2 >■ C0H5 CH-CH-CH2-CH2 y CeHs-CH-cH-GHs-CHa 1 1 1 1 1 COOK OH COOH O— —CO die ihrerseits bei der trockenen Destillation nebenein- ander Phenyl-j'd-pentensüure und wenig a-Benzyliden- glutarsäure liefert 3) : COOH COOH I I CuH^-CH-CH CH2 CHl- •>- CsHä-CH = CH-CH2-CH2-COOH und CßHa-CH = CCH2-CH2 I I ' O CO COOH Diese beiden Reaktionsreihen repräsentieren eine der Verallgemeinerung fähige Synthese /^'-ungesättigter Säuren, welche sich direkt anschliesst an die Reduktion 2) Fichier, Ber. d. d. ehem. Ges. 29, 2367. :!) Alex. Bauer, Hiss. Basel 1898 und Ber. d. d. ehem. Ges. 31, 2001. — 247 — des Acetobernsteinsäureesters 4) zu Methylparaconsäure und die Destillation der letzteren zur Gewinnung von /i/-Pentensäure neben Methylcitra- und Methylitacon- säure 5) : COOK COOH CH3-CO-CH-CH2 >- CHii-CH-CH-CH» ^ CH:^CHr,CH-CH2-COOH etc. [ I COOR <> CO Die Zwischenprodukte der oben geschilderten Syn- tbese sind die interessanten d-Lactonsäuren, welche die Unbeständigkeit des d-Lactonringes in deutlichster Weise zeigen: die diesbezüglichen Beobachtungen sind seither von Siobbe*) an andern Beispielen bestätigt worden. Die erhaltenen /^-ungesättigten Säuren dienten in erster Linie dazu, unsre Kenntnisse dieser Säureklasse, von der bis dahin nur die Allylessigsäure zugänglich war, nach verschiedenen Richtungen zu vermehren und zu befestigen. So konnte die von Fittig aus Versuchen an der Allylessigsäure gefolgerte Vermutung 7), dass /d-ungesättigte Säuren beim Kochen mit Natronlauge nicht umgelagert werden, im vollen Umfange bestätigt werden: die Indifferenz gegen kochende Natronlauge ist das charakteristische Unterscheidungsmerkmal der yd-xm- gesättigten Säuren gegenüber den ^/-ungesättigten, mit welchen sie sonst viele Ähnlichkeit besitzen. Dann hat die /d-Hexensäure auch zu verschiedenen physikalischen Messungen gedient, wodurch unsre Erfahrungen bezüglich des Einflusses der Stellung der doppelten Bindung inner- 4) Die sich am Besten mit Aluminiumamalgam durchführen lässt. 5J Fittig Sf Spenzer, Ann. d. Chem. 283, *iG. c) H. Stobbe, Aun. d. Chem. 314, 120. ") Ann. d. Chem. 283, 63. — 248 — halb der Molekel einer ungesättigten Säure erweitert werden konnten.8) Von der als Nebenprodukt dei der Darstellung der yd-Hexensäure erhaltenen «-Athylidenglutarsäure und ihren Verwandten soll in einem besondern Abschnitt noch weiter die Rede sein. Einen andern Weg zur Darstellung ^'-ungesättigter Säuren hatte schon Fittifj eingeschlagen, aber ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen. Wie Natriumsuccinat bei Gegenwart von Essigsäureanhydrid sich mit allen möglichen Aldehyden kondensieren Hess zu den sub- stituierten Paraconsäuren 9) (deren Destillation dann /^-ungesättigte Säuren ergiebt), so sollte Natriumglutarat unter denselben Bedingungen d-Lactonsäuren geben: aber die Kondensationen mit Benzaldehyd und Valeral- dehyd lieferten nicht die gewünschten Lactonsäuren, sondern zweibasische ungesättigte Säuren 10), und ver- liefen mit ganz unbefriedigender Ausbeute. Betrachten wir nun einmal die Kondensationsfähig- keit der zweibasischen Fettsäuren : yCOOH /COOH , /COOH CH"\COOH CH2x CH2-COOH "'\CH2-CH2-COOH Malonsäure 13 ernstein säure Glutar säure so ergiebt sich, dass die Malonsäure mit Aldehyden sofort schon bei gewöhnlicher oder nur wenig erhöhter Temperatur, bei Gegenwart von allen möglichen Kon- s) Refraktionsmessung, briefl. Mitt. d. H. Prof. ,/. F. Eykman, aus Amsterdam, vom 27. XII. 1896. Messung der optischen Drehung des Mentholesters, vergl. Vortrag d. H. Dr. Hans Rupe in der Na- turforschenden (res. am II. V. PJ02. Leitfähi.i>keitsmessung, siehe II. Kapitel. '•») Ann. d. Chem. 255, 1. 10) Ann. d. Chem. 282, 834. — 249 — densationsmitteln leicht reagiert, weil ihre Methylen- gruppe rechts und links von der stark negativen Oar- boxylgruppe flankiert ist. In der Bernsteinsäure lassen sich Kondensationen auch noch ziemlich leicht erzielen, nach der Per hin- Fittig' sehen oder nach der Claiseri sehen Methode - - ihre reaktionsfähige Methylengruppe wird von einer Oarboxylgruppe direkt, von der andern nur indirekt über ein Atom hinweg beeinflusst. In der Glutarsäure endlich kann die «-Methylengruppe nur von einer Oarboxylgruppe beeinflusst werden; die andere ist zu weit davon entfernt. Wir können aber wenigstens einem Wasserstoffatom der Methylengruppe der Glutarsäure die Beweglichkeit eines Wasserstoffatoms der Malonsäure verschaffen, wenn wir eine zweite negative Gruppe in die «-Stellung ein- führen, z. B. die Penylgruppe : CoH.ï-CH-COOH I CH-2 I CH2-COOH Das zwischen Phenyl und Carboxyl stehende Methin- wasserstoffatom ist nun in der That sehr reaktionsfähig geworden. «-Phenylglutarsäure ") resultiert aus der Einwirkung von /i-Jodpropionester auf Natrium-Phenylmalonester und Verseifung des erhaltenen Produkts : CeHs-CNa (COOR)2 C6H5-<^(COOR)2 CV.tb-CH-COOH CH2J-CH:-COOR ' CH2-CH2-COOR CH2-CH:-COOH Die auch in anderer Beziehung (leichte Anhydrid- bildung etc.) interessante «-Phenylglutarsäure kondensiert sich in Form ihres Natriumsalzes bei Gegenwart von u) Otto Merckens, Diss. Basel 1902, und Ber. d. d. ehem. Ges. 34, 4174. — 250 — Essigsäureanhydrid unter Kohlendioxydabspaltung mit Benzaldehyd zur y) und Thiele1*"'), dass die Reduktion einer Säure mit in der angedeuteten Weise hintereinander liegenden zwei Doppelbindungen zu einer Säure mit nur einer Doppel- bindung zwischen den beiden ursprünglichen führt - 12) .Jahresber. ü. d. Fortschritte d. Chemie 1877, 790. 13) Loc. cit. 791. 14) Ann. d. Chem. 227, 31, 225, 12. 15) Ann. d. Chem. 251, 278, 256. 1. ir') Ann. «1. Chem. 306, 87. — 251 — class also Perkin's Hydrocinnamenylacrylsäure nur die Formel einer /^-ungesättigten Säure besitzen kann : C6H5-CH2-CH = CH-CH2-OOOH Wie hier Perkin aus einer aß-yd-un gesättigten Säure durch Reduktion zu einer /^/-ungesättigten Säure gelangt war, gerade so sollte man durch Reduktion einer ßy-os-un- gesättigten Säure zu einer /^-ungesättigten Säure kommen können. Zimmtaldehyd kondensiert sich mit Bernsteinsäure- ester bei Gegenwart von Natriumaethylat zur Cinna- menylitaconsäure n) : COOH I CoHs-CH = CH-CHO + CH2-CJS2-COOK >- CeHs-CH = CH-CH = C-OH2-COOH I COOR AVenngleich das Produkt in Beziehung auf die end- ständige Carboxylgruppe die verlangte Konstitution einer /Jy-dfi-ungesättigten Säure besitzt, so gelang es doch nicht, die gewünschte Synthese durchzuführen, denn die mittel- ständige Carboxylgruppe liess sich in keiner Weise ab- spalten. Der glatte Verlauf der Reduktion zur Phen- äthylidenbrenz Weinsäure, COOH CeHö-CHa-Cfl = CH-OH-CH2-COOH die Umlagerung der letzteren durch siedende Natron- lauge zur Phenäthylitaconsäure, COOH I C6H5-CH2-CH2-CH = C-CH2-COOH und die schliessliche Reduktion zur Phenäthylbrenz- weinsäure COOH I C6H5-CH2-CH2-CH2-CH-CH2 COOH konnte dem genannten Übelstand nicht abhelfen. ») Sylvain Hirsch, Diss. Basel 1900. I. Abhandlg.. und Bei: d. d. ehem. Ges. 34, 2188. — 252 — Wenn alier die Einführung einer Phenylgruppe in a-Stellung bei der Glutarsäure ohne weiteres die Kon- densation mit Benzaldehyd unter Kohlendioxydabspaltung bewirkt hatte, so waren ähnliche Resultate zu erwarten bei der Kondensation von Zimmtaldehyd mit Phenyl- bernsteinsäure — dieselbe nmss nach : CeHs CfiHs I OeHs-CH = CH-CHO + CH-CH2-COOH ►■ CeHs-CH = CH-CH = C-CH2-COOH I COOll verlaufen zur Bildung einer /^-(^-ungesättigten ein- basischen Säure und so zum Ziele führen 1S). Damit würden wir drei unabhängige Methoden zur Gewinnung ^-ungesättigter einbasischer Säuren besitzen. 2. Die de-imgesättigten Säuren. Im Anschluss an die erste Methode, die zur Ge- winnung von ^-ungesättigten Säuren geführt hatte, wurde Acetessigester mit /-Chlorbuttersäureester kom- biniert zum Acetyladipinsäureester 19) : CH3-CO-CH2-COOR OHs-CO-CH-COOR >■ I CH2CI-CH2-CH2-OÜOR CH2- CH2-CH2-COOR woraus durch Reduktion unter gleichzeitiger Verseifung €-Oxy-a-aethyladipinsäure resultiert : COOK COOH I ! CH3-CO-CH-CH2-CH2-CH2-COOR y OH3-CH(OH)-CH-CH2-CH2-CH2-COOH Diese e-Oxysäure ist zur Lactonbildnng nicht mehr befähigt. Sie giebt bei der trockenen Destillation 18) Herr Ernst Greffier ist mit diesen Versuchen beschäftigt. ,;|) Eugen <lli/, Diss. Basel 1897, und Ber. d. d. ehem. Ges. 30, 2047. — 253 unter Abspaltung von Wasser und Kohlendioxid die de-Heptensäure : COOH •>- C( ).- + HsO + CH3 CH = CH-CH2 CH2-CH2-CO( »II I ( 'II:: CH (OHJ-CH-CH2-CH2 -CH2-COOH (daneben entstehen kleine Mengen einer zweibasischen ungesättigten Säure , wahrscheinlich Athylidenadipin- säure). Die normale de-Hexensäure wird auf folgendem Weg dargestellt -°). 7-Acetobuttersäure 2l) addiert Cyan- wasserstoff zu einem Cyanhydrin, das bei der Verseifung die a-Methyl-a-oxyadipinsäure liefert: CN COOH I I CH; CO-CH2-CH2-CH2-COOH >- CH3-C-CH2-CH2-CH2-COOH >- CH3-C-CH2-CH2-CH2-COOH I I OH OH bei der Destillation giebt diese unter Abspaltung von Wasser und Kohlendioxyd nebeneinander die yd- und die (fe-Hexensäure : ^°0H v CHs-OH = CH-OH2-OH2-COOH CH3-C-CH2-OH2-CH2-COOH | ~~ >■ CH2 = CH-OH2-CHs-CHs!-COOH OH (daneben entsteht noch eine zweibasische ungesättige Säure). Die yd- und die fo-Hexen säure können auf Grund der verschiedenen Löslichkeitseigenschaften ihrer Baryumsalze von einander getrennt werden. Die zwei de-unge sättigten Säuren, die einer ganz neuen Klasse angehören, zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei der Addition von Halogenwasserstoff und w) Werner Lmgguth, Diss. Basel 1897, II. Teil, und Ber. d. d. ehem. Ges. 30, 2050; Aim. d. Chem. 313, 371. 21) l. Wolff. Ann. d. Chem. 216, 129. — 25 4 darauf erfolgendem Austausch des Halogenatoms gegen Hvdroxyl <3-Lactone ergeben nach : CHa CH-CHa-CHa-CHa-COOH + HBr y CHa-CHBr-CHs-CEfc-CHs-COOH y y CH3-CH(OH)-CH2-CH2-CH2-COOH y CH3-CH-CH2-CH2-CH2 I I Speziell das hier als Beispiel angeschriebene Lacton ist mit aller Sicherheit mit dem bekannten d-Caprolacton 82) identificiert worden 23). Zum Vergleich mögen noch in einer kleinen Tabelle die Eigenschaften der neu erhaltenen yd- und ^-unge- sättigten Säuren mit den bekannten isomeren Vertretern zusammengestellt werden : Pentensäuren. Hexensäuren. Heptensäuren. , Sm. 9°,5-10°,5. Sm. 33°. aß Sd. 200-201°. ß/ Sd. 216-217°. flüssig. _ flüssig. flüssig. ' '' Sd. 194". 'r/ Sd. 208°,5. ?' Sd. 220-228°. yd flüssig. ., Sm. 15°. Sd. 186-187°. ;' Sd. 206°,5. flüssig. , flüssig. Sd. 204°. Sd. 222-224° («C Phenylpentensäuren. aß Sm. 104°. ßy Sm. 31°. yd Sm. 90-91°. flüssig. Sd.225 227°) 23) 22) L. Wolff, Ami. d. Ghem. 216, 134. 23) 0. Wallach, Ann. d. Chem. 312, 171 beschrieb einige Jahre später anscheinend dieselbe fe-Hexensäure, sowie eine rfe-Decylen- säure und eine f f -Heptylensaure : er erhielt die Körper durch die Beck- 255 — 3. Die «-Äthylidenglutarsäure und ihre Verwandten. Als Nebenprodukt bildet sich bei der Darstellung der /d-Hexensäure aus der Capro-d-lacton-y-carbonsäure eine sehr schön kristallisierte zweibasische ungesättigte Säure, die als «-Äthylidenglutarsäure aufzufassen ist und nach folgender Umlagerung entsteht: COOH COOH CH3-CH-CH-CE2-CH2 y CH3-CH-C-CH2-CH2 i I I 0- —CO COOH Der Beweis für ihre Konstitution liegt in der Thatsache, dass dieselbe Säure erhalten wird durch Behandlung des Capro- (Macton -/-carbonsäureesters mit Natrium- aethylaf24): COOO2H5 COOC2H5 CH3-CH-OH-CH2-CH2 (H-NaOCiHa) y CH3-CH=C-CH2-CH2 0 = CO COONa d. h. also nach einer Reaktion, welche zur Umlagerung von homologen Paraconsäuren in die entsprechenden Itaconsäuren dient. -b). Die «-Äthylidenglutarsäure steht in demselben Verhältnis zur Capro-d-lacton-y-carbonsäure wie die Äthylidenbernsteinsäure oder Itaconsäure zur Valerolacton-ß-carbonsäure oder Paraconsäure. /»«»«'sehe Umlagerung der Oxime cyclischer Ketone zu „Isoximen". Aufspaltung der erhaltenen Ringe zu Amidosäuren mit Fernstellung der Amidogruppe, und Umwandlung der letzteren durch salpetrige Säure zu Oxysäuren und daneben auftretende ungesättigte Säuren. Wallach giebt für (5e-Hexensäure den Siedepunkt zu 208-210° an, während wir — zuletzt bei der Darstellung von 30 gr. reiner Säure — nur 203-201° (Thermometer ganz im Dampf) beobachteten. Die Walfach' 'sehe Angabe ist entschieden zu hoch. 2*) August Eggert, Diss. Basel 1898 und Ber. d. d. ehem. Ges. 31, 1998. 25) W. Hoser. Ann. d. Chem. 220, 254; li. Fitlig, Ann. d. Chem. 256, 50. 256 — Die a-Athylidenglutarsäure besitzt nun ein grosses Interesse wegen ihrer Verwandschaft zu einem Körper, den v. Pechmann 26) durch Polymerisation von Croton- säureester erhalten hat: seine sogenannte Dicrotonsäure besitzt die Konstitution einer a-Athyliden-ß-methylglutar- säure und ist ein höheres Homologes der a-Athyliden- glutarsäure. Die a-Athyliden-/?-inethylglutarsäure nimmt nach V. Pechmann eine merkwürdige Ausnahmestellung ein. Nach einer empirischen, von OstwuldiT) aufgefundenen Regel wächst das Aquivalentleitvermögen des Natrium- salzes einer n-basischen Säure um rund lOn Einheiten, wenn die Verdünnung der untersuchten Lösung getrieben wird von 1 32 normal bis zu 1 1024 normal. Diese Regel bietet ein Mittel, um die Basizität einer Säure zu bestimmen, indem man die Aquivalentleitfähigkeit des Xatriumsalzes derselben bei den genannten Ver- dünnungen misst, die Differenz nimmt und diese durch 10 dividiert : eine zweibasische Säure würde eine Dif- ferenz von rund 20 Einheiten ergeben müssen. Zweifellos ist die a-Athyliden-/?-methylglutarsäure eine zweibasische Säure — aber trotzdem macht diese Differenz bei ihr nur 11,9 Einheiten aus. v. Pechmann -s) hat auch den Acrylsäureester po- lynierisiert und aus demselben eine zweibasische unge- sättigte Säure gewonnen, die als a-Methylenglutarsäure OH2= C-COOH I CHa i CH2-COOH 26) Ber. d. d. ehem. Ges. 33, 3323. -T) Vergl. z.B. Ber. d. d. ehem. Ges. 21. 3534. 2S) Ber. d. d. ehem. Ges. 34, 427. — 257 — zu betrachten ist. Dieselbe Säure wurde im hiesigen Laboratorium aus ganz andern Gründen und mit Hilfe andrer Reaktionen dargestellt. Die Reduktion der Anhydride fetter zweibasischer Säuren zu Lactonen durch Natriumamalgam 29) - - z. B. des Bernsteinsäureanhydrids zu Butyrolacton : CHa~CO\ ÜH2-CH2 . I >0 + 2H2= 1 >0 H- H2O OH2-CCK CH2-CO / bot namentlich interessante Resultate bei Verwendung von Glutarsäureanhydrid (und Aluminiumamalgam als Reduktionsmittel)30). Es entstand so das (5-Valerolacton : CH2-C( » CH2-CH2 1 I 1 CH2 n -f- 2H2 = CH2 0 + H20 11 l CH2-CO CH2-CO als leicht bewegliches Ol vom Siedepunkt 113—114° bei 13— 14 mm, das die sehr charakteristische Eigenschaft zeigt, sich nach und nach zu polymerisieren zu einem festen Körper, der aus Ather-Petroläther in kleinen Krystallwärzchen vom Schmelzpunkt 47—48° krystalli- siert, und auf Grund von Molekulargewichtsbestimmungen vielleicht als heptamer anzusehen ist. Das polymère Lacton giebt beim Kochen mit Alkalien die Salze der monomeren d-Oxyvaleriansäure und aus diesen resultiert zunächst wieder das monomere d-Valerolacton, das sich im Lauf der Zeit aber bald in das Polymere zurück- verwandelt. Diese bemerkenswerten Erscheinungen hat keiner der Autoren 31) beobachtet, die bisher das d-Valerolacton in -'•') August Herbrand, Diss. 1898 und Ber. d. d. ehem. Ges. 29, 1192. y°) Alfred Beisswenger, Diss. Basel 1902. ;l Funck, Ber. d. d. ehem. Ges. 26, 2ö74. Clovex. Ann. d. Chem. 319, 357. 17 — 258 — Händen gehabt haben, und man darf daraus schliessen, dass diese Forscher den Körper nicht in reinem Zustand besassen. Insbesondere gilt dies für Weidel 32), der durch Destillation der (aus Nicotinsäure durch Reduktion mit Natriumamalgam erhaltenen) d-Oxy-a-methylglutar- säure das d-Valerolacton dargestellt zu haben glaubte, nach : COOH I CH2-CH-CH2-CH2 >- CO2 -f H2O -f GH2-GH2-CH2-CH2 I I I OH COOH 0— CO Die Versuche von Weidel wurden deshalb wieder- holt und ergaben als Resultat, dass das einzige Produkt der Destillation jener Oxysäure «-Methylenglutarsäure ist, nach 33) : COOH COOH l I CH2-CH-CH2-CH2 >■ H2O + CH2=C-CH2-CH2 I 1 I OH COOH COOH Die «-Methylenglutarsäure, die «-Athylidenglutar- säure und die «-Athyliden-/?-methylglutarsäure CH2 = C-COOH CH3-CH = C-COOH CH3-CH= C-COOH CH2 CH2 CH3-CH ! I I CH2-COOH CH2-COOH CH2-COOH bilden eine Reihe von Homologen. Wenn die von v. Peckmann beobachtete Unregelmässigkeit bezüglich der Leitfähigkeit des Natriumsalzes eine allgemeine Eigenschaft dieser Säureklasse darstellt, so müsste sie sich bei den niedrigeren Homologen ebenfalls finden. Deshalb wurden nun auch die Aquivalentleitfähigkeiten der Natriumsalze dieser Säuren bestimmt. 32) Monatshefte f. Chemie XI, 501. Ber. d. d. ehem. Ges. 24, Ref. 148. 33j Das vermeintliche (5-Valerolacton von Weidel war vielleicht das Anhydrid der «-Methylenglutarsäure. 259 — a-Methylenglutarsaures Natrium, bei 25° 34) v = 32 64 128 256 512 1024 A= 84,5 88,3 92,8 96,5 99,3 101,9 ^1024 ~~^32 = l7'4 (recipr- 0hm) oder 16'3 (reciPr- S-E0 a-Athylidenglutarsaures Natrium, bei 25°) 35) v = 32 64 128 256 512 1024 A= 82,3 87,2 91,0 94,2 96,9 98,7 A1 no, -A8() = 16,4 (recipr. Ohm) oder 15,4 (recipr. E. S.) 1LM4 oii Aus diesen Messungen lässt sich der Schluss ziehen, dass die abnorme, von v. Pechmann beobachtete Dif- ferenz von nur 11,9 bei der a-Athyliden-ß-methylglutar- säure keine Gruppeneigenschaft der a-Alkylidenglutar- säuren, sondern vielleicht eine spezielle Eigentümlichkeit der „Dicrotonsäure" darstellt. 4. Die Vinylessigsäure (erste Versuche). In den Abschnitten 1 und 2 ist gezeigt, dass die Darstellung von ungesättigten Säuren mit sozusagen beliebiger Stellung der Doppelbindung gelingt, wenn man nur eine zweibasische Oxysäure bezw. eine Lac- tonsäure von geeigneter Konstitution trocken destilliert. Welchen Konstitutionsbedingungen muss eine derartige zweibasische Oxysäure genügen, wenn sie zu dem ge- dachten Zwecke geeignet sein soll? Die gemeinsame Eigenschaft fast aller zur Unter- suchung gelangter Säuren einschliesslich der von Fittig 34 ) Alfred Beisswenger, Diss. Basel 1902, pag. 44. 35) Benno Mühlhauser, Diss. Basel 1902, pag. 54, und Ber. d. d. ehem. Ges. 35, 341. — 260 — verwandten Paraconsäuren ist die, dass eine Carboxyl- gruppe zu der Oxygruppe, welclie frei oder in einem Lactonring gebunden sein kann, in ß-Stellung steht. Diese /i-Stellung von Carboxyl und Hydroxy] ist auch die Bedingung für das Gelingen der im Abschnitt 3 erwähnten Roser-Fittig 'sehen „Natriumäthylatreaktion" der Ester. Zur Aufklärung der Verhältnisse jener Reaktion dient eine zufällig gemachte Beobachtung, die nachher durch eine systematisch durchgeführte Unter- suchung ergänzt wurde :ifi), dass diejenigen Lactonsäuren, deren Ester bei der Natriumäthylatreaktion ungesättigte Säuren liefern, beim Kochen mit Natronlauge dieselbe Umlagerung erleiden; und eine Wasserabspaltung in diesem Sinne erfahren wahrscheinlich alle /?-Oxysäuren, gleichgültig ob sie ausser der /?-Carboxylgruppe noch eine zweite enthalten und wo sich dieselbe befindet. Um die Giltigkeit des Satzes bezüglich der Destil- lation zweibasischer Oxysäuren zu prüfen, wurde ge- legentlich auch eine homologe Apfelsäure dargestellt und destilliert 37). Buttersäureester kombiniert sich mit Oxalester bei Gegenwart von Natriumäthylat zum Athyloxalessigester 3S) CH3-CH2-CH2-COOR CH3-CH2-CH-COOR ROOC-COOR CO-COOR welcher bei der Reduktion mit Aluminiumamalgam in ätherischer Lösung glatt in Athyläpfelsäureester über- geht: ( H.;-CH2-CH-COOR CH3-CH2-CH-COOR 1 +m>- , CO-COOR CH(OH)-COOR 3G) Camille Dreyfus, Diss. Basel 1900, und Ber. d. d. ehem. Ges. 33, 1452. 37) Max Goldhaber, Diss. Basel 1902. 3s) Wilhelm Wislicmua, Ann. d. d. Chem. 246, 3:37. — 261 — Die daraus gewonnene Athyläpfelsäure spaltet bei der Destillation wohl Wasser ab und liefert als Haupt- produkt Methylcitracon säure neben kleinen Mengen der isomeren Methylitaconsäure und Methylmesaconsäure : OH.i-CHs-CH-COOH CH3-CH2-C-COOH CH3-CH2-C-COOH CHs-CH = C-COOH 1 ►■ ; 11 ; CH(OH)-COH II C COOH HOOC-C-H CH2 COOII aber die erwartete Abspaltung von Kohlendioxyd tritt nicht oder nur in verschwindendem Masse ein. Viel- leicht würde sich die Bildung «^-ungesättigter einba- sischer Säuren doch erreichen lassen, wenn man nur in der Reihe der Apfelsäuren zu noch höheren Homologen fortschreiten würde, wie ja auch in der Reihe der ho- mologen Faraconsäuren die Kohlendioxydabspaltung mit steigendem Molekulargewicht immer reichlicher eintritt. Wenn man alle die Beobachtungen bezüglich der De- stillation zweibasischer Oxysäuren überblickt, so erscheint es als sehr wahrscheinlich, dass auch die /i-Oxyglutar- säure, welche v. Pechmann und Jenisch :J9) durch Re- duktion der Acetondicarbonsäure dargestellt hatten : CH2-COOH CH2-COOH I l CO 4- H2 ^ CH.OH I ! CHs-COOH CB2-COOH bei der Destillation eine einbasische ungesättigte Säure liefern muss. Zum ersten Male wurde diese Frage vor vier Jahren (eigentlich mit einem andern Ziel im Auge) studiert40). Entgegen der Angabe v. Pechmannh, dass /?-Oxyglutarsäure bei der Destillation ausschliesslich Glutaconsäure gebe, fanden sich im Produkte der De- stillation im Vacuum neben Glutaconsäure reichliche °9) ßer. d. d. ehem. Ges. 24, 3250. 1,1 1 Arch. sc. phys. nat. Genève (4) 6, 402. Chem. Central!)]. 1898, II, 1011. Albert Brafft, Diss Base. 1899. Ber. d. d. ehem. Ges. 32, 2799. — 262 — Mengen einer einbasischen flüchtigen Säure von der Zu- sammensetzung der Crotonsäuren, die nichts andres war als die lange gesuchte Yinylessigsäure 41) cm CH-CH2-C00H Ihre Bildung rauss folgendermassen aufgefasst werden: ß-Oxyglutarsäure verliert bei der Destillation Wasser unter Bildung einer ß-Lactonsäure, die aber bei der herrschenden hohen Temperatur ohne weiteres Kohlen- dioxyd verliert — wie dies alle ß-Lactone thun — und dadurch glatt in Yinylessigsäure übergeht : CH2-COOH CH2-CO CH2 1 I 1 CH-OH ^ CH-0 y CH I I l CH2-COOH CH2-COOH CH2-COOH Keine andere Erklärungsart ist so befriedigend wie diese: will man annehmen, /i?-Oxyglutarsäure gebe zuerst Glutaconsäure und diese erst Yinylessigsäure, so steht dem die Thatsache entgegen, dass Glutaconsäure im Vaciram als Anhydrid überdestilliert und kein Kohlen- dioxyd abspaltet; will man andrerseits die Hypothese aufstellen. /S-Oxyglutarsäure verliere zuerst Kohlendioxyd unter Bildung von ,3-Oxybuttersäure und diese erst gebe Wasser ab und liefere Yinylessigsäure, so widerspricht dieser Annahme der Umstand, dass /J-Oxybuttersäure im Vadium vollkommen unzersetzt destilliert, ja auf diesem AVeg gereinigt werden kann. Die Hypothese der intermediären Bildung einc^ /J-Lactons ist vielleicht auch in andern Fällen zur Er- 41) Die Gewinnung dieser Säure gelang später auch — unter Verwendung von /i-Bromglutarsäure als Ausgangsmaterial — S&emmoff, Chem. Centralis. 1899. II, 28, und J. Wislicenus, Ber. d. d. chem. Ges. 32, 2047; vergl. auch //. II'. E. üelkmberg, Diss- Leipzig 1901. — 263 klärung des Verhaltens von ß-Oxy säuren bei der Destil- lation heranzuziehen. Aber eine Schwierigkeit war noch zu überwinden. V. Baeyer und Villiger i2) hatten eine /?-Lactonsäure der Fettreihe, das /?-Lacton der asymmetrischen Dimetbyl- äpfelsäure, dargestellt und untersucht und gefunden, dass dieses Lacton selbst bei der Destillation kein Kohlendioxyd abspaltet. Der merkwürdige Ausnahmefall ist hier auf das Sorgfältigste geprüft worden 43), und es hat sich folgendes ergeben. Allerdings spaltet das /?-Lacton der asymme- trischen Dimethyläpfelsäure bei der Destillation kein Kohlendioxyd ab, aber es lagert sich dabei in tiefgrei- fender Weise um: der viergliedrige Ring des /j-Lactons wird erweitert zum fünfgliedrigen des Anhydrids der asymmetrischen Dimethyläpfelsäure CHhx CH3N ch3/^-g^ cm^'C0 \0 CH-0 ►■ ("II -CO""" I I COOII OH was ja durchaus natürlich erscheint, wenn man die starke Spannung berücksichtigt, die in einem viergliedrigen Ringsystem herrschen muss ii). Das Verhalten des /?-Lactons der as-Dimethyläpfel- säure kann in keiner Art als Gegenbeweis gegen die obige Annahme einer /9-Lacton säure als Zwischenprodukt der Darstellung der Vinyl essigsaure aus /j-Oxyglutar- 42) Ber. d. d. ehem. Ges. 30, 1954. 43) Sylvain Hirsch, Diss. Basel 1900, It. Abhandlung, und Ber. d. d. ehem. Ges. 33, 3270. u) Analoge Versuche mit Trimethyläpfelsäure und deren Lacton sind jetzt von andrer Seite in Angriff" genommen worden, vergl. C. Komppa, Ber. d. d. ehern. Ges. 35, 514. 264 — säure geltend gemacht werden, sondern im Gegenteil lässt sich aus den Versuchen von Hirsch der Schluss ziehen, dass bei der Zersetzung der ,9-Oxyglutarsäure zunächst überhaupt nur die /i-Lacton säure entsteht. Diese ihrerseits kann dann entweder nach Art der meisten /J-Lactone Kohlendioxyd abspalten und Vinyl- essigsäure liefern, oder sie kann sich unter Ringer- weiterung umlagern zum Anhydrid der /?-Oxyglutarsäure und dadurch die Entstehung der Glutaconsäure veran- lassen, etwa nach: CH2 II CH CH2-COOH CHä-CO / CH2-COOH I I I x CH. OH y CH-0 v. CH2 — CO CH-CO I I \ i I II I CHä-COOH CH-'-COOH >*. CH.OH 0 ^ CH 0 Il II CH2 — CO CH2--CI > Derartigen Hypothesen fehlt solange der sichere Boden, als es uns nicht gelingt, die /i-Lactonsäure selbst zu fassen. Nachdem damit soweit als möglich Klarheit ge- schaffen war über die Bildung der Vinylessigsäure, galt es nunmehr auch ihre Konstitution in eindeutiger Weise zu bestimmen. Dem stellten sich aber zwei Hindernisse in den Weg. Die von Albert Erafft dargestellte Vinylessigsäure enthielt kleine Mengen von fester Crotonsäure, und in den ersten Versuchen gelang es nicht, eine vollkommene Abscheidung dieser Verunreinigung zu erzielen. Deshalb war auch eine präzise Charakterisierung der neuen Sub- stanz nicht mit aller wünschbaren Schärfe möglich. Ferner scheiterten gleich die ersten Versuche zum Nachweis der /?/- Stellung der doppelten Bindung voll- kommen. Alle ^'-ungesättigten Säuren liefern beim — 265 — Kochen mit Schwefelsäure einer bestimmten Konzen- tration unter Umlagerung die isomeren /-Lactone: die Vinylessigsäure aber giebt unter diesen Bedingungen glatt und quantitativ die wohlbekannte feste Cfotonsäure. Ebensowenig Erfolg brachten Versuche mit dem Di- bromid der Vinylessigsäure. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, oder richtiger um ihnen aus dem Wege zu gehen, wurden nun zwei ganz neue Richtungen eingeschlagen, bis dass schliesslich eine einfache Reinigungsmethode der Vinyl- essigsäure das Ziel in Kürze erreichen Hess. 5. Synthese homologer Vinylessigsäuren. Wie die Vinylessigsäure aus der /i-Oxyglutarsäure, und diese aus der Acetondicarbonsäure erhalten worden war, so mussten homologe Vinylessigsäuren aus homo- logen /J-Oxyglutarsäuren resp. aus homologen Aceton- dicarbonsäuren darstellbar sein. Homologe Acetondicar- bonsäureester sind nach v. Pechmami's Angaben 45) glatt durch Synthese aus Natriumacetondicarbonsäureester und Halogenalkylen zugänglich. Jene Angaben erwiesen sich aber als vollkommen trügerisch. Bei der Darstellung des sogenannten „Di- benzylacetondicarbonsäureesters"46) zeigte es sich, dass die betreffende Substanz ihren Namen zu Unrecht führt und richtiger Tribenzylacetondicarbonsäureester genannt werden muss. Lässt man nämlich Benzylchlorid auf Natriumace- tondicarbonsäureester einwirken, so bildet sich zuerst Monobenzylacetondicarbonsäureester: 15i Ann. d. Chem. 261, 173. •"'•i Heinrich Schiess, Diss. Basel 1901, und Ber. d. d. chem. Gea 34, 1996. — 266 — CcHd-CH-CI -f- CHNa-COOR CeHs-OHa-CH-COOR I I CO >■ CO I I ch2-co( m CH2-C00R dieser ist aber eine stärker saure Substanz als der Ace- tondicarbonsäureester selbst, und bevor nur der ganze Natriuniacetondicarbonsäureester in Reaktion getreten ist, hat ihm schon der Benzylacetondicarbonsäureester sein Natrium entrissen und Natriummonobenzylaceton- dicarbonsäureester damit gebildet: CHNa-COOR C6H5-CH2-CH-COOR C6H5-CH2-CH-COOR CH2-COOR I I CO CO ^ CO + CO I III CH2-COOR CH2-COOR CHXa-COOR CH2-COOR die neue Natriumverbindung reagiert wieder mit Benzyl- chlorid zu Dibenzylacetondicarbonsäureester C6H5-CH2-CH-COOR l CO CGH5-CH2-CH-COOR der aber noch stärker saure Eigenschaften besitzt und wieder Natrium an sich reisst unter Bildung des Na- triumdibenzylacetondicarbonsäureesters CoH5-CH2-CNa-COOR I CO I CV,H5-CH2-CH-COOR und der letztere endlich reagiert nochmals mit Benzyl- chlorid zum Tribenzylacetondicarbonsäureester: C0H5-CH2 \/ CgH5-CH2/^COOR CO C6H5-CH2-CH-CO( >R Damit scheint dann das Spiel zum Stillstand zu kommen: ein Tetrabenzylacetondicarbonsäureester konnte nicht isoliert werden. Wie man aber die Synthese anstellen — 267 — mag, ob man den Ansatz wählt, der zum mono-, oder zum di-, oder zum tri-substituierten Produkt führen muss — immer erhält man ein Gemisch von flüssigen Estern, aus welchem der vorhandene Tribenzylaceton- dicarbonsäureester rasch und vollständig auskrystallisiert. Einen noch bessern Überblick über die Mannig- faltigkeit der Produkte der anscheinend so einfachen Synthesen mit Acetondicarbonsäureester gewinnt man bei Verwendung von p-Nitrobenzylchlorid, da die damit erhaltenen Körper fast ausnahmslos gut kristallisieren47). Symmetrisch substituierte /i-Oxyglutarsäuren sind noch auf einem andern Wege zugänglich, den zuerst S. Reformatzky 4S) beschritten hat, nämlich durch Re- aktion von halogensubstituierten Estern bei Gegenwart von Zink auf Ameisenester: so resultiert beispielsweise aus a-Brombuttersäureester und Ameisenester (unter intermediärer Bildung zinkhaltiger Produkte, die hier nicht näher angeführt werden sollen) der Diaethyl-/:?- oxyglutarsäureester : CHs-CH'-CH Br-COOR CH3-CH2-CH-COOR I H . CO . OR ( -f 2 Zn) >- CH . OH CH3-CH2-CH Br-COOR CH3-CH2-CH-CO( >R Aus der symmetrischen Diäthyl-ß-oxyglutarsäure muss bei der Destillation eine Diäthylvinylessigsäure ent- stehen49) nach : CH3-CH2-CH-COOH CH3-CH2-CH CH.OH ►- CO2 + H2O ! CH I I CH3-CH2-CH-COOH CH3-CH2-CH-COOH 47) Herr Chaskel Wortsmann hat in einer diesbezüglichen Un- tersuchung eine Reihe schöner Substanzen isoliert. 48) Ber. d. d. ehem. Ges. 28, 3262. l9) Herr E. A. Wittmann widmet sich diesen Versuchen. — 268 — Dem Stereoiso mer enpaar Crotonsäure-Isocroton- säure ist das Paar Tiglinsäure-Angelicasäure homolog. Wie nun den Crotonsäuren als «/^-ungesättigten Säuren die Vinylessigsäure als /?j/-Isomeres sich anreiht, so sollte eine „Vinylpropionsäure" den aß- ungesättigten Tiglinsäure-Angelicasäure zur Seite stehen : CHs-C-H CH3-C-H CH-> CH 'I I HOOO-C-CHa CHa-C-COOH CH3-CH-COOH Tiglinsäure Angelicasäure Vinylpropionsäure Ihre Darstellung wurde auf folgendem "Wege versucht. Ameisenester wurde bei Gegenwart von Natriumäthylat mit Brenzweinsäureester kombiniert zum Formylbrenz- weinsäureester oder Oxymethylenbrenzweinsäureester 5") CHs CH3 H.OOOR + CH2-CH-COOR y CH(OH)^C-CH-COOH I I COOK COOR der durch Reduktion in den Ester der a-Methylpara- consäure übergieng: COOR COOR COOR l 1 I CHfOHi^C-CH-C'Hs y CH2(OH)-CH-CH-CH3 >■ CH2-CH-CH-CH3 I ! i I COOR COOR O- -CO Die daraus erhaltene «-Methylparaconsäure wurde dann destilliert. Aber anstatt wie andre homologe Paracon- säuren dabei zu zerfallen unter Kohlendioxydabgabe und eine einbasische ungesättigte Säure zu liefern etwa nach: COOH CFL'-CH-CH-CHa >- CH2 CH-CH-CHs 6 CO COOH geht die a-Methylparaconsäure im Vacuum und bei ge- wöhnlichem Druck nnzerselzt über. Dieser Versuch 5n) Nach Analogie der Darstellung des Formvlbernsteinsäure- esters, W. Wislicenus, Ber. d. d. ehem. Ges. 27, 3186. — 269 — zur Erlangung der Vinylpropionsäure ist also gescheitert51). Nichtsdestoweniger bietet das geschilderte Verhalten der ft-Methylparaconsäure grosses Interesse, insofern es weitere Beiträge liefert zu dem Gesetz über die Kon- stitution derjenigen Oxy säuren und Lactonsäuren, welche bei der Destillation ein- und zweibasische ungesättigte Säuren geben können. Die Resultate dieses Abschnittes sind also dahin zusammenzufassen, dass von drei Wegen zur Synthese homologer Vinylessigsäuren nur einer sich als gangbar erwiesen hat. 6. Einwirkung' aromatischer Basen auf die Bromad- ditionsprodukte ungesättigter Säuren. Bei den Versuchen von Kraft, die Vinylessigsäure durch das Verhalten ihres Dibromids bei der Zer- setzung mit Wasser zu charakterisieren, waren nur wenig durchsichtige Resultate erlangt worden und es erhob sich damit die Frage, ob vielleicht die Einwirkung aromatischer Basen auf solche Bromadditionsprodukte zu leicht zu reinigenden, krystallisierbaren Körpern führen würde. Zu diesem Behuf mussten aber zuerst die Additionsprodukte von Säuren bekannter Konsti- tution in der angedeuteten Richtung untersucht werden, und es erwuchsen hieraus eine ganze Reihe von Arbeiten, die in extenso zu behandeln hier nicht der Ort ist, da sie mit dem Hauptthema nur in einem losen Zusammen- hang stehen. Es sei darum nur hingewiesen auf die Darstellung des l-Phenyl-4-methylpyrazolons, seiner Ab- kömmlinge und seiner Verwandten 5'2), aus Citra- und 51) Herr Ernst Rudin beschäftigt sich mit diesen und einigen verwandten Untersuchungen. :2) Joseph Enzenauer, Diss. Basel 1900; Emil Uellenberg, Diss. Basel 1900, IL Teil ; Ber. d. d. ehem. Ges. 33, 494; Reinhard Vor- tisch, Diss. Basel 1902. - 270 - Mesadibrombrenzweinsäure und Phenylhydrazin; ferner auf das sogenannte Anilidocitraconanil und seine in- teressanten Umwandlungsprodukte 53) ; aber ein kleines Kapitel aus diesen Untersuchungen 54) muss doch kurz besprochen werden wegen seiner Bedeutung für die Beurteilung der Stärke der ungesättigten Säuren. Es sollte zum Zweck des Studiums der Einwirkung von Toluylen-o-diamin auf das Dibromadditionsprodukt der Crotonsäure zuerst das Carboxyl jener Säure mit Toluyl- endiamin festgelegt, d. h. in die Anhydrobase verwandelt werden. In dieser Absicht wurde Crotonyl-p-toluid nitriert NO2 l CH3-/ .\ H-CO- CH = CH-CHs >- CHa- -NH-CO-CH ^ CH -CHs und das Nitrocrotonyl-p-toluid reduziert. Das Produkt der Reduktion mit Zinn und Salzsäure war aber keine Anhydrobase, sondern einfach das 4-Crotonyltoluylen- diamin, neben dem isomeren 3-Crotonyltoluylendiamin NO2 NH2 NH.CkHöO I 1 ! CH3- VnH.CjHsU y CHs-< VNH.C4H6O und CH3-/ -NH2 \ / \_/ \__y Die Entstehung des letztgenannten Isomeren erklärt sich dadurch, dass die Salzsäure einen Teil des 4-Cro- tonyltoluylendiamins verseift, worauf der abgespaltene Crotonsäurerest in der 3-Stellung von neuem angelagert wird: im Produkt findet sich immer auch noch freies Toluylen-o-diamin . Das 4- und das 3-Crotonyltoluylendiamin können als solche charakterisiert werden durch die Einwirkung von salpetriger Säure, welche aus den beiden crotonylierten 53j Ernst Preiswerk, Diss. Basel 1902, und Ber. d. d. ehem. Ges. 35, 1626. M) Ebenfalls aus der Diss. des Herrn Dr. Ernst Preiswerk, — 271 — o- Diaminen zwei isomere crotonylierte Azimidotoluole erzeugt : C4H5O <,!!,<> NH N N NH-j N=N — NH2 y — N _ V KH-C4H:,() >~ — N-C4H0O CHa CHa CH3 CH3 Es wird durch die Existenz der beiden Crotonyl- Azimidotoluole die Tautomerie der Azimidokörper von neuem illustriert 55). Für unsre Besprechungen hier ist speziell das Ausbleiben des Ringschlusses bei den beiden Crotonyltoluylendiaminen wichtig. 7. Die reine Vinylessigsäure. J. Wislicenus hat ein Verfahren ausgearbeitet 56) um die sogenannte Isocrotonsäure, welche immer reich- liche Mengen von fester Crotonsäure enthält, vollkommen rein und frei vom Isomeren zu gewinnen. Die Methode beruht im wesentlichen darauf, dass das Natriumsalz der festen Crotonsäure in Alkohol fast unlöslich, das- jenige der Isocrotonsäure dagegen äusserst leicht lös- lich ist. Es zeigte sich nun, dass auch das Natriumsalz der Vinylessigsäure in Alkohol löslich ist — nicht gar so leicht wie das der Isocrotonsäure, aber doch bedeutend leichter als das der festen Crotonsäure. Mit einer kleinen Abänderung bezüglich der Menge des Alkohols Hess sich das Wislicenus' sehe Verfahren auf die rohe,, crotonsäurehaltige Vinylessigsäure anwenden und lieferte nun endlich die vollkommen reine einheitliche Vinyl- 5a) Vergl. Zincke, Ann. d. Chem. 291, 317. sc) Chem. Centralis 1897, II, 259. — 272 — essigsaure 57), deren Haupteigenschaften hier in Vergleich gestellt werden sollen mit denjenigen der reinen festen Crotonsäure und der reinen Isocrotonsäure : Crotonsäure. Isocrotonsäure. Vinylessigsäure. H-C-CHu CH3-C-H CH2=CH-CH2-COOH H-O-COOH H-C-CÜOH 8m. 72°. 15°,4-15°,5. flüssig. Sd. 85°. 74°. 71°. 12-14 mm Die Charakterisierung der reinen Vinylessigsäure als einer /^-ungesättigten Säure gelingt nicht durch Umwandlung in das ihr entsprechende j'-Butyrolacton. Die mit dem gleichen Volum Wasser verdünnte Schwefel- säure, welche Fiitifi zu derartigen Unilagerungen be- nützt 58) sowohl als eine ganz verdünnte Schwefelsäure bewirken beim Erhitzen eine quantitative Umlagerung in feste Crotonsäure, und genau das gleiche Resultat wird erreicht durch Behandlung der Vinylessigsäure mit Bromwasserstoff bei 0°. Aber die Vinylessigsäure lässt sich vorzüglich charakterisieren durch ihr Dibromid und dessen Zer- setzungsprodukte. Das Vinylessigsäuredibromid, auf die übliche Weise in Schwefelkohlenstofflösung dargestellt, krystallisiert nach dem Abdunsten des Lösungsmittels und wird durch Umkrystallisieren aus wenig Schwefel- kohlenstoff rein mit dem Schmelzpunkte 49-50° erhalten; die neue Dibrombuttersäure im Vergleich mit den schon bekannten zeigt also folgende Eigenschaften: :,7j Ferdinand Sonneborn, Diss. Basel 1902, und Ber. d. d. ehem. des. 35, 938. 58) Ann. d. Chem. 283, 51. 273 — «.ï-Dibrombuttersaure a/î-lsodibrombuttersaure /?y-Dibrombuttersäure aus fester Crotonsäure. aus Isocrotonsäure. aus Vinylessigsäure, m. 85°. 58-59°. 40-50°. 59) Wird die /?y-Dibrombuttersäure mit Wasser gekocht, so spaltet sie Bromwasserstoff ab und tauscht ein Brom gegen Hydroxyl aus unter Bildung eines /?-Oxybutyro- lactons, das bei der Destillation Wasser verliert unter Bildung eines Butenlactons: CH2Br-CHBr-CH2-COOH >- CHa-OHBr-CH2 CH2-CH(OH)-CH2 CHCH-CH> I -CO O- -CO 0 CO 0 CO (?) Das Oxybutyrolacton und das Butenlacton bedürfen noch genauerer Untersuchung. Aber die Thatsache der Bildung von Lactonen beweist allein schon aufs schla- gendste, dass in der /?/-Dibrombuttersäure ein Bromatom in /-Stellung sich befunden hat, dass also die ßy-Dibrom- buttersäure das Additionsprodukt einer /^-ungesättigten Säure ist — und damit ist die Konstitution der reinen Vinylessigsäure über jeden Zweifel erhaben. Die Bestimmung der physikalischen Konstanten der Vinylessigsäure, speziell der Leitfähigkeit, gab den An- stoss zu den Messungen, die im folgenden Kapitel be- sprochen werden sollen. 59) Heisenberg, Diss. Leipzig 1901, vergl. Anmerkung «), fand lür sein Vinylessigsäuredibromid den Sm. 50-51 i 2°. 18 274 II. Kapitel. Leitfähigkeitsmessungen an ungesättigten Säuren. 1. Theoretische Vorbemerkung. Nach den Theorien der elektrolytischen Dissociation sind die meisten momentan in wässriger Lösung ver- laufenden Reaktionen, wie die Neutralisation der Säuren und Basen, „lonenreaktionen" G0). Demnach beruht z. B. die Bildung von essigsaurem Natrium aus wässriger Natronlauge einzig und allein auf einer Reaktion der für die Säure charakteristischen Wasserstoffionen einer- seits, mit den für die Base charakteristischen Hydroxyl- ionen andrerseits, die sich zu nicht dissociiertem Wasser vereinigen : CH3.COO' H; + Na- OH' = OH3 COO' Xa- + H2O während das Anion der Essigsäure CH3 . COO sowohl, als das Kation Na, nach wie vor der Neutralisation eine gewissermassen selbständige Existenz als elektrisch geladene Ionen in der Lösung führen. Die Heftigkeit, mit welcher eine Säure mit einer Base reagiert, oder die Stärke der Säure, wird diesen Anschauungen gemäss abhängen von der Leichtigkeit, mit welcher sie sich in wässriger Lösung in ihre Ionen, das Kation Wasserstoff, und das Anion Säurerest, spaltet, oder also von der Anzahl der in einer Lösung bestimmter Konzentration von ihr gebildeten Ionen. Je mehr freie Ionen eine Säure bildet, desto stärker ist sie; wenn sie vollständig in Ionen zerfallen ist, so hat sie das Maxi- mum der Stärke erreicht. Den Grad der Dissociation, von welchem also die Stärke einer Säure abhängt, kann 60) Vergl. z. ß. W. Ostwald, die wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie, II. Aufl. 1 90 1 . 275 man messen, durch die Leitfähigkeit der Säure; denn nur die Ionen transportieren die Elektrizität, die nicht dissoeiierten Molekeln beteiligen sich nicht an der Leitung. Je mehr Ionen eine Lösung enthält, desto besser leitet sie die Elektrizität. Eine starke Säure leitet demgemäss besser als eine schwache Säure bei derselben Konzentration. Nun ist noch zu berücksichtigen der EinÜuss der Verdünnung auf den Dissociationsgrad. Je verdünnter die Lösung ist, desto weiter schreitet die Dissociation einer Säure fort, so dass also die Leitfähigkeit und der Dissociationsgrad, wenn wir sie immer auf ein Gramm- äquivalent beziehen (das Aquivalentleitvermögen), welches einmal in wenig, das andre Mal in mehr Wasser gelöst ist, mit wachsender Verdünnung zunehmen. Direkt vergleichbar sind also nur Säurelösungen gleicher Aqui- valentkonzentration. Ostwald hat aber aus dem Dissociationsgrad unter Elimination des Einflusses der Verdünnung einen Aus- druck abgeleitet, den man als Dissociationskonstante oder Dissociationscoefhcient bezeichnet, und der direkt als ein Mass der Stärke einer Säure angesehen werden kann. Der Dissocationscoefricient wird aus Messungen der Leitfähigkeit auf einfache Weise berechnet; die Formel gilt aber nur für wenig dissoeiierte, also schwache Säuren. Die Dissociationscoefficienten organischer Säuren — die meist zur Klasse der massig-starken Säuren gehören (für welche die Dissociationsformel anwendbar ist) — sind nun in weitgehendem Masse abhängig von der Konstitution der organischen Molekeln. So wird die schwache Essigsäure zu einer viel stärkeren Säure durch 276 Einführung von negativen Substituenten, wie Hydroxyl, Halogen etc., was folgende kleine Tabelle zeigen möge : Essigsäure CHs-COOH K= 0,0018 G1) Glycolsäure CH2(OH)-COOH K = 0,015 Monochloressigsäure CH2CI-COOH K = 0,155 Dichloressigsäure CHCl2-COOH K = 5,l Trichloressigsäure CCLt-COOH ist so weitgehend dissociiert wie eine Mineralsäure. Aber nicht nur die Anwesenheit, sondern auch die Stellung der negativen Substituenten ist von bedeutendem Einfluss auf die Grösse des Dissociationscoefficienten in dem Sinne, dass der negative Substituent umso stärker wirkt, je näher er sich bei der Carboxylgruppe befindet; auch dieser Satz sei durch ein kleines Beispiel illustriert0-): «-Chlorpropionsäure CH3-CHCI-COOH K- 0.1465 />'-Chlorpropionsäure CH2CI-CH2-COOH K = 0,0086 «-Chlorbuttersäure CH3-CH2-CHCI-COOH K = 0,1390 /i-Chlorbuttersäure CH3-CHCI-CH2-COOH K = 0,0089 Nun gilt auch die Doppelbindung als ein negativer Substituent; sie muss demgemäss durch ihre Anwesen- heit die Stärke der Säure oder den Dissociationscoef- ficienten erhöhen, was auch in der That eintrifft: Propionsäure CH3-CH2-COOH K = 0,0013 Acrylsäure CH2 = OH-COOH K = 0,0056 Butter säure CH3-CH2-CH2-COOH K = 0,0015 Crotonsäure CH3-CH = CH-COOH K = 0,0020 Die Erhöhung ist keine so beträchtliche, wie die durch Chlor bewirkte, aber sie ist sehr wohl zu konstatieren. ,;1J Die Zahlenangaben, bei denen nichts weiter bemerkt ist, stammen aus Kohlrausch und Holborn, Leitvermögen der Electro- lyte, 1898. G2) J) M. Lichty, Ann d. Ohem. 319, 381. — 277 — Wenn nun eine Doppelbindung gerade wie eine Hydroxylgruppe oder wie ein Chloratom die Stärke einer Säure erhöht, so war es ausserordentlich wahr- scheinlich, ja selbstverständlich, dass eine Doppelbindung, je näher sie der Carboxylgruppe steht, eine umso grössere Erhöhung des Dissociationscoefficienten bewirken werde, d. h. also dass unter den ungesättigten Säuren die (^'-Säuren den grössten Wert des Dissociationscoeffi- cienten aufweisen, dann die /iy-Säuren einen niedrigeren, die yd-Säuren einen noch niedrigeren u. s. f. Diesen Schluss hat auch Ostwald gezogen 63) und er ist allgemein acceptiert worden. Wie gross war daher unsere Überraschung, als die Messungen des Herrn Dr. Ferd. Sonnebor n an der Vinyl- essigsäure bewiesen, dass diese Säure stärker sei als die isomeren Crotonsäuren ! Ich gebe hier das Resultat einer Messung, die Herr Alfred Pfisier später ausgeführt hat: Vinylessigsäure bei 25° 6t) A_ = 383 L >o v = 16 32 64 128 256 512 1024 A = 9,36 13,16 18,46 25,01 35,89 50,02 68,92 100a = 2,44 3.44 4,82 6,77 9,37 13,1 18,0 K = 0,00381 0,00383 0,00381 0,00384 0,00378 0,00386 0,00386 K Mittel = 0,00383 G5) ,;3) Zeitschr. f. phys. Chem. 3, 383. °4) v- : Anzahl Liter auf ein Gramm äquivalent; \ das Äqui- valentleitvermögen; Aoo das Äquivalentleitvermögen bei unend- licher Verdünnung, das maximale Leitvermögen ; 100 a der Disso- ciationsgrad iu Prozenten; K der Dissociationscoefficient. Gr>) In früheren Publikationen ist K infolge eines Versehens zu 0,0051 angegeben worden, was hiemit berichtigt sei. — 278 — Der Dissociationscoefhcient beträgt demnach für Vinylessigsäure K = 0,0038, während feste Crotonsäure K = 0,0020 (und unreine Isocrotonsäure K = 0,0036?) aufweist. 2. Messungen an den Penten- und Hexensäuren. Das Problem war damit gegeben ; es mussten nun an isomeren Reihen ungesättigter Säuren von vergleich- barer Konstitution Messungen des Leitvermögens ange- stellt werden, um zu untersuchen, ob die Annahme von Ostwald richtig ist. Das Material für solche vergleichende Messungen boten neben den bekannten aß- und /^/-un- gesättigten Säuren die yö- und de-Säuren, deren Dar- stellung im ersten Kapitel besprochen ist. Die Ge- winnung und peinliche Reinigung der ungesättigten Säuren, sowie die Messungen selbst hat Herr Alfred Pfister mit Sorgfalt und Geschick ausgeführt, wofür ihm auch an dieser Stelle herzlicher Dank ausge- sprochen sei. Die Resultate sind in der folgenden Tabelle ver- einigt und ausserdem in zwei beigelegten Tafeln graphisch dargestellt. I. tt^-Pentensäure bei 25". 380- Aoo-J v=16 32 04 128 256 512 1024 A = 5,90 8,35 11.71 16.38 22,53 30,72 41,98 100a =1,55 2,20 3. (»8 4,31 5,93 8,08 11,05 K = 0,00153 0,00158 0.00153 0.00152 0.00146 0,00139 0.00134 K Mittel = 0,00148. — 279 — II. /?7-Pentensäure bei 25°. J\ = 380. v=16 32 G4 128 256 512 1024 A = 8,94 12,(il 17,60 24,32 32,51 45,06 62,46 100a = 2,35 3,32 4,63 6,40 8,56 11,86 16,44 K = 0,00353 0,00356 0,00351 0,00342 0,00313 0,00312 0,00316 K Mittel = 0,00335. III. j^-Penten säure bei 25°. A = 380. v = 16 32 64 128 256 512 1024 A = 6,90 9,89 13,76 19,33 26,88 36,86 50,17 100a = 1,82 2,60 3,62 5,09 7,07 9,71 13,2 K = 0,00211 0,00217 0,00213 0,00213 0,00210 0,00204 0,00196 K Mittel = 0,00209. IV. «ß-Hexensäure bei 25°. A = 378. v =16 32 64 128 256 512 1024 A = 6,46 9,18 12,93 18,18 25,34 35,33 49,15 100a = 1,71 2,43 3,42 4,81 6,70 9,35 13,0 K= 0,00186 0,00189 0,00189 0,00190 0,00188 0,00188 0,00190 K Mittel = 0,00189. V. /i;'-Hexensäure bei 25° 66). A = 378. v=16 32 64 128 256 512 1024 A=7,76 11,01 15,42 21,50 29,95 40,96 55,30 100a = 2,05 2,91 4,08 5,69 7,92 10,8 14,6 K= 0,00268 0,00273 0,00271 0,00268 0,00266 0,00256 0,00244 K Mittel = 0,00264. G6) /?}'-Hexensäure oder Hydrosorbinsäure ist schon früher von Ostwald gemessen worden, Zeitscbr. f. phys. Chemie, 3, 274* er fand K 0,0024. \ =378 512 1024 35,84 49,15 9,48 13,0 — 280 — VI. /d-Hexensäure bei 25°. A _ = 378. v=16 32 04 128 256 512 1024 A- 6,21 8,83 12,54 17,54 24,22 33,79 47,10 100a =1,64 2,34 3,32 4,64 6,41 8,94 12,5 K= 0,00171 0,00175 0,00178 0,00176 0,00172 0,00171 0,00174 K Mittel = 0,001 74. VII. dg-Hexensüure bei 25°. v=16 32 64 128 256 A =6,50 9,25 12,99 18,18 25,60 100a =1,72 2,44 3.44 4,81 6,77 K = 0,00188 0,00192 0,00192 0,00190 0,00192 0,00194 0,00190 K Mittel = 0,00191. Eine Zusammenstellung führt uns nochmals das Resultat vor Augen : Butensäuren aß 0,0020 ßy 0,0038 Pentensäuren aß 0,00148 ßy 0,00335 yd 0,00209 Hexensäuren aß 0,00189 ßy 0,00264 yö 0,00174 de 0,00191 In dieser Zahlenreihe fällt — abgesehen von der gleich zu diskutierenden Hauptfrage wegen des Unter- schiedes zwischen aß- und ^/-ungesättigen Säuren — der Umstand auf, dass die a/2-Hexensäure einen höheren Dissociationscoefficienten besitzt als die «^-Pentensäure, während im allgemeinen beim Fortschreiten in der Reihe der Homologen mit steigendem Molekulargewicht die Stärke der Säuren abnimmt. Aber auch bei den gesättigten Fettsäuren erhlilt man keine ganz regelmässige Zahlenreihe, wenn man die DissociationscoerHcienten miteinander vergleicht. Die betreffenden Zahlen sind nach neueren Messungen für: 281 (Uneare Con re/i tr citions) fié M : 3 Tufeßj. T'ervieni -g C Cifi4.u-fe Conceniruiiori) Ar v Il ex en s 6iu,rerv. ^S — 282 — Ameisensäure H . COOB K = 0,02 1 r'7) Essigsäure CEfe-COOH 0,0018 Propionsäure CH3 CHs COOH 0,0013 Buttersäure CH3-CH2-OH2-COOH 0,00154 N-Valeri an säure CH3-GH2-CH2-CR2-COOH 0,00161 N-Capronsäure CH3-(CH2j4-COOH 0,00146 Heptylsäure CH3-(CH2)5-COOH 0,0013 Caprylsäure OH3-(CH2)6-OOOH 0,0014 und Ostwald äusserte sich schon früher über diese Reihe folgen dermass en G8) : „Die Werte für die drei ersten Glieder der Fettsäurereihe nehmen stetig ab, der Eintritt von CH3 für H erniedrigt also die Reaktionsfähigkeit der Säuren. Vom dritten Gliede ab schwanken die folgenden Werte unregelmässig um kleine Beträge auf und ab. Die weit vom Carboxyl erfolgenden Substi- tutionen von Wasserstoff durch Methyl haben keinen merklichen Einfluss mehr auf dasselbe, und es machen sich andre Wirkungen geltend, die sich zunächst unseren Kenntnissen entziehen." G9) Das Verhalten der gesättigten Fettsäuren zeigt uns also, dass wir nicht voraussetzen dürfen, es müssten in 07 ) Teils nach E. Franke, Zeitschr. f. phys. Chemie 16, 463, teils nach J. BilUtzer, Monatshefte f. Chemie 20. 666; Jahrbuch d. Elektrochemie VI, 99. C8) Ctrundriss der allgemeinen Chemie, II. Aufl. 1890, pag. 3S0. 69j Wenn man die Affinitätsgrössen der Fettsäuren auf anderm Wege bestimmt, z. B. durch Katalyse von Methylacetat, so erhält man ganz stetig verlaufende Zahlen. Setzt man den Greschwindigkeits- coefficienten von Salzsäure = 1,00, so ergiebt sich für die Reihe der homologen Fettsäuren: Chlorwasserstoff 1,00 Ameisensäure 0,01310 Essigsäure 0,00345 Propionsäure = 0,00304 Buttersäure 0,00299 vergl. Osticald, Grundriss der allgemeinen Chemie, iL Aufl., pag. 357. — 283 — einer homologen Reihe die Werte der Dissociations- coefficienten ganz stetig verlaufen. Eine zweite kleine Schwierigkeit bietet sich hei der Betrachtung der Reihe der Dissociationscoefficienten inner- halb einer Messungstabelle bei den verschiedenen Ver- dünnungen ; speziell bei den ßy-\u\ gesättigten Säuren (II und V) zeigen die einzelnen Werte eine nicht unbe- deutende Abnahme bei steigender Verdünnung. Das kann nicht durch eine ungenügende Reinheit der ange- wandten Säuren veranlasst sein, denn gerade bei den /^'-ungesättigten Säuren ist auf die Reinigung eine weit- gehende Sorgfalt verwendet worden. Es lässt sich leicht ein Grund denken, warum eine solche Unregelmässigkeit gerade bei den /^-ungesättigten Säuren eintreten könnte. /^/-Säuren werden durch Säuren, d. h. durch Wasserstoffi- onen, iny-Lactone umgelagert. Wenn eine /^/-ungesättigte Säure in wässriger Lösung dissoeiiert, so bildet sie selbst Wasserstoffionen, und zwar bei steigender Verdünnung verhältnismässig immer mehr. Diese Wasserstoffionen können auf die Säure selbst zurückwirken unter Ein- lagerung in das isomere Lacton, das nicht dissoeiierbar und auch nicht dissoeiiert ist und das infolge dessen scheinbar den Dissociationsgrad der Säure und damit den Dissociationscoefficienten herunterdrückt-, dies muss sich speziell bei den höheren Verdünnungen bemerkbar machen. Die Wirkung der Wasserstoffionen der Säure auf den nicht dissoeiierten Teil der Säure ist eine Au- tokatalyse, wie sie an einem ganz analogen Fall, dem freiwilligen Übergang der /-Oxysäuren in /-Lactone unter dem Einfluss der Wasserstoffionen aus den y-Oxy- säuren von P. Henry70) und von Heinr. Goldschmidt'11) konstatiert- worden ist. 70) Zeitsclir. f. phys. ( îhemie X. 96 ; I ier. d.d. ehem. Ges. 25, Ref. 845. T1) Ber. d. d. eitern. Gres, 29. 2213; die1 Versuche betreffen die sog. direkte Esterbilduner. 284 .'}. Die ^'/-ungesättigten Säuren zeigen höhere Disso- ciationscoenicienten als die cr/j-ungesättigten Säuren. Der in der Überschrift ausgesprochene Satz geht aus allen Beobachtungen an der Vinylessigsäure, an den Pentensäuren und an den Hexensäuren hervor und lässt sich am einleuchtendsten demonstrieren mit Hilfe der beiden Tafeln, auf welchen die Kurve der /^/-Säuren immer den höchsten Platz einnimmt 7-). Die von Ostwald — man darf wohl sagen — ange- nommene Regel (denn er hat diese Regel nicht durch vergleichende Messungen an einbasischen Säuren be- wiesen) ist demnach zu modifizieren. Allerdings nimmt der Dissociationscoemcient der ungesättigten Säuren mit steigender Entfernung der doppelten Bindung von der Carboxylgruppe ab — aber erst bei Vergleichung der ßy- mit den yd-Säuren 7a) ; dort, wo der Dissociations- coefncient am höchsten sein sollte, bei den a/J-Säuren, ist er im Gegenteil niedrig, niedriger als bei den /?/-un- gesättigten Säuren, ja bei der a/J-Pentensäure sogar niedriger selbst als bei der /d-Pentensäure. Dieselbe Beobachung findet sich in der Litteratur schon mehrfach verzeichnet. So äussert sich v. ßaeyer 7i) zu den unter Ostwald von den Herren Bethmann und Bader1'0) durchgeführten Messungen an den hydrierten Naphtoesäuren: 7-) Die Curve der âe- Hexensäure konnte nicht eingezeichnet werden, weil sie mit derjenigen der «,?-Hexensäure fast vollständig zusammenfällt. 71 1 Über das Verhalten der <5e-Säuren kann man noch kein abschliessendes Urteil bilden. T4) Ann. d. Chem. 266, 175. "') Zeitschr. f. phys. Chemie V, 39!) und VI, 311. 285 COOH CH A^Dihydro-a-naphtoësaure 0H2 K = 0,0080 COOH \--Dihydro-«-naphtoësaure CH K= 0,0114 \CH,/ '\/CH2\0_C00H A2-Dihydro-/3-naphteesäure CH K = 0,00290 VCH2 /OH2\CHCOOH Jy'-Dihydro-ß.naphtoesäure OH K = 0.00515 'W „Diese Zahlen wirkten anfangs entmutigend, da die Bestimmungen für die Leitfähigkeit der Dihydrosäuren gerade das Umgekehrte des Resultats gaben, welches man nach Osheald's früheren Beobachtungen hätte er- warten sollen. Es wurde nämlich in beiden Fällen die labile Dihydrosäure (d. h. die /fy-Säure) stärker befunden als die stabile (die a/S-Säure), d. h. die Säuren,* welche die doppelte Bindung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Carboxyl enthalten, leiten schwächer als die andern. Nachdem nun aber Ostivaltfs Messungen bei den Hydrophtalsäuren dasselbe Resultat ergeben haben, wird es wahrscheinlich, dass hier ein allgemeineres Ge- setz zu Grunde liegt, dessen genauere Kenntnis für die Mechanik der Ringsysteme selbstverständlich von grosser Wichtigkeit sein würde." In der That liegt diesem Verhalten ein allgemeineres Gesetz zu Grunde, wie wir gleich noch weiter sehen — 286 — werden — nur kommt für dasselbe nicht die Ringnatur der Säuren, sondern allein die Stellung der doppelten Bindung in Betracht. Von den betreffenden Messungen an den hydrierten Phtalsäuren seien hier nur die zwei wichtigsten angeführt : CH / \ CI II' C-COOH A2'6-Dihydrophtalsäure i K = 0,0172 CH-2 C-COOH \ // CB CH \ CH CH-COOH trans-A3'5-Diuydrophtalsäure i I K = 0,0246 J x CH CH-COOH / CH wozu v. Baeyer bemerkt: „Bei den Dihydrosäuren sollte A2'6 am stärksten sein, sie wird aber von A3'5 über- troffen" 7G). Also auch hier ein augenfälliges Beispiel dafür, dass die /Jy-Säuren grössere Dissociationscoeffi- cienten aufweisen als die a/J-Säuren. Fernere Beobachtungen solcher Art machte Ossian Aschan1') an den Tetrahydrobenzoesäuren: a 1 m x ! t i •• •• nu CH-'-CH flüssige K 0,00214 A -Tetrahydrobenzoesaure CH2< ^C-COOH GHa-GHs/ feste K 0,00221 CH=CH A2-Tetrahydrobenzoe'säure CH2< >CH-COOH k o,O0305 CH2-CH2 Er schreibt darüber: „Wie die Dihydronaphtoë- säuren zeigen also auch die entsprechenden Derivate '<■) Ann. d. Chem. 269, 163. 77) Ann. d. Chem. 271, 237 und '271. 287 — der Benzoesäure, dass die Leitfähigkeit im Gegensatz zu den Beobachtungen Oslwald's in derEettreihe mit der Ent- fernung der doppelten Bindung von Carboxyl zunimmt." Es ist also durch die Untersuchung der normalen ungesättigten Fettsäuren sowohl als durch ältere Beob- achtungen andrer Autoren an ringförmig gebauten partiell hydrierten Benzoesäuren, Phtalsäuren und Naphtoë- säuren, übereinstimmend die Thatsache konstatiert worden, dass die ^-ungesättigten Säuren höhere Disso- ciationscoefticienten besitzen als die aß-unge sättigten Säuren. Man wird versucht sein, den Grund hiefür zuerst bei den /^/-ungesättigten Säuren zu suchen. Vielleicht bieten räumliche Verhältnisse eine Hand- habe. Wenn man aus den bekannten tetraëdrischen Kohlenstoffmodellen, deren Axen die Valenzrichtungen des Kohlenstoffs repräsentieren sollen, eine Kette von 4 oder 5 Atomen aufbaut, in der Art, dass die Centren aller Tetraeder in einer Ebene liegen und dass die Atommodelle immer auf der gleichen Seite aneinander gesetzt werden, so erhält man eine bogen- oder sichel- förmige Anordnung, in welcher das vierte — nach der bei den Säuren üblichen Bezeichnung das y-Kohlenstoff- atom (da das erste als Carboxylkohlenstoff nicht gezählt wird) — und das fünfte, das d-Kohlenstoffatom, ziemlich nahe an das erste, das Carboxylkohlenstoffatom, heran- gerückt ist. Diese relative Annäherung von y- und (^-Stellung an die Carboxylgruppe hat z. B. J. Wisli- cenus 7S) herangezogen, um das Zustandekommen der Ringschlüsse bei den y-Lactonen und <3-Lactonen in eleganter Weise zu erklären. 78) Über räumliche Anordnung der Atome in organischen. Molekeln, 1887. — 288 — In unserm Fall würde der Einfluss der räumlichen Annäherung so zu deuten sein, dass die in ^-befind- liche doppelte Bindung durch die Nähe des /Î-Kohlen- stoffatoms eine relativ starke Wirkung auf die Carbo- xylgruppe ausübt; aber diese Erklärung hält nicht stand, erstens, weil das a-Kohlenstoffatom immer noch näher an der Carboxylgruppe steht als das geeignet herumgebogene y-Kohlenstoffatom, und zweitens, weil das d-Kohlenstoffatom der Carboxylgruppe noch näher kommt als das y-Atom, und demgemäss die y<5-Säuren den höchsten Dissociationscoefficienten haben müssten, - was eben nicht der Fall ist. Nicht die /^-ungesättigten Säuren also nehmen eine Ausnahmsstellung ein; nicht sie sind stärker dissociiert als man erwarten sollte ; sondern im Gegenteil zeigen die ßy-, die yd- und die dg-ungesättigten Säuren das normale Verhalten. Die «/J-Säuren aher sind viel weniger dissociiert, als dies von einer ungesättigten Säure mit einer als negativer Substituent wirkenden Doppelbindung in unmittelbarer Verbindung mit der Carboxylgruppe vorauszusetzen war. 4. Die «^-Stellung bedingt einen auffallend schwachen Einfluss der Doppelbindung auf die Dissociationsconstante der ungesättigten Säure. In einzelnen Fällen beeinflusst die a/J-Doppelbindung den Dissociationscoefficienten einer Säure sogar negativ, derart, dass die ungesättigte Säure einen niedrigeren Coefficiente.n aufweist als die entsprechende gesättigte Säure. In der folgenden Zusammenstellung: Propionsäure 0,0013 Acrylsäure 0,0<».V> Buttersäure 0,00154 Crotonsäure 0,0020 Vinylessigsäure 0,0038 N-Valeriansäure 0,00161 a/?-Pentensäure 0,00148 /?j'-Peutensäure 0,00335 Kapronsäure 0,00140 a/3-Hexensäure 0,00189 /?j/-Hexensäure 0,0021)4 — 289 — tritt diese merkwürdige Erscheinung bei der or/J-Penten- säure auf; die andern Reihen - - ausser Propionsäure- Acrylsäure — zeigen nur unbedeutende Zunahme des Coefficienten bei Eintritt der cn/?-Doppelbindung gegen- über dem grossen Sprung zwischen der gesättigten und der ßy-xmge sättigten Säure. Man erhält geradezu den Eindruck, dass die a/?-Doppelbindung die Beweglichkeit des AVasserstoffatoms der Carboxylgruppe herabsetzt. Eine derartige Wirkung lässt sich nun auch in der That verstehen, wenn man die Thiele'sche Theorie der Doppelbindung 7 0 + m - -CHj-CH = C (OH)-OH ^ y -CH2-CH2-C(OH) 0 zu einer gesättigten Säure. 291 Aus diesen wenigen Grundsätzen lässt sich mög- licherweise ohne weiteres eine Erklärung ableiten für die niedrigen Dissociationscoefhcienten der «^-ungesät- tigten Säuren. Nach Thiele ist eine «/j-ungesättigte Säure ein gesättigteres Gebilde als eine /^-ungesättigte Säure C-C = 0 ^ C = 0 gesättigter als C C-C-C = O und wir können erweiternd hinzufügen: auch gesättigter als eine yd- oder de-Säure. Ist es dann nicht geradezu selbstverständlich, dass das gesättigtere Gebilde auch weniger Neigung besitzt, sein Wasserstoff- Kation abzuspalten als das ungesättigtere? Gewisse Anschauungen, die Vorländer 81) in einer Abhandlung über die Konstitutionsformeln der Säuren entwickelte, führen zu demselben Schluss: nach Vor- länder enthalten alle Säuren eine Kombination von vier Elementen : 12 3 4 H. E. E: E. wobei die Elemente 3 und 4 die „reaktive Gruppe" bilden. Die Beweglichkeit des Wasserstoffatoms 1 hängt zunächst ab von dem Nichtmetall 2 (im Falle der Car- boxylgruppe ist dies ein Sauerstoffatom), mit welchem der Wasserstoff in direkter Verbindung steht. Dann wird die Beweglichkeit von den Nichtmetallen 3 und 4 (bei der Carboxylgruppe C und 0) beinflusst, besonders von dem ungesättigten Zustand derselben. Der ungesättigte Zustand — so lässt sich im Hinblick auf die vorliegende Frage weiter argumentieren — der Elemente 3 und 4 ist nun bei den gesättigten Säuren oder bei den ßy-, yd- etc. ungesättigten Säuren mit den Thiele 'sehen Formeln *l) Ber. d. d. ehem. Ges. 34, K333. — 292 — -C-C-C-C (OH) = 0 -C = C-C-C (OH) - 0 gewiss stärker ausgeprägt als in den a/J-ungesättigten Säuren : -C = C ^ C (OH) = 0 wo eine der beiden Partialvalenzen der Oarbonylgruppe durch Konjugierung mit der benachbarten Doppelbindung abgesättigt ist — und so muss also nach Vorländer die Beweglichkeit des Wasserstoffatoms in einer aß-unge- sättigten Säure geringer sein als in einer /^/-ungesättigten, was mit unsern Beobachtungen vollkommen überein- stimmt. Thiele suchte die gesättigtere Natur einer a/?-Säure gegenüber der /?/-Säure auch nachzuweisen durch den geringeren Energieinhalt der ersteren, gemessen durch die Verbrennungswärme. „Nach den oben entwickelten Anschauungen sollte eine a/9-ungesättigte Säure eine geringere Verbrennungswärme haben als eine ^/-unge- sättigte. Es liegt dafür eine Litteraturangabe vor: _V-Dihydromuconsäure (aß) hat die Verbrennungswärme 629,1 Cal., A" (ßy) bat 629,4 Cal. (Stohmami): Die Differenz liegt zwar in dem richtigen Sinne, ist aber allerdings geringer als man erwarten sollte" 8"2). Leider sind derartige Messungen an einbasischen ungesättigten Säuren noch nicht ausgeführt worden. Aber eine aus ganz andern Gründen begonnene Unter- suchung weist uns auf Analogieen hin, die wir vielleicht hier zum Beweis heranziehen dürfen. Nachdem die Vinylessigsäure dargestellt und damit alle drei der Theorie nach möglichen isomeren Buten- säuren mit gerader Kette bekannt waren, sollte versucht werden, zu der längst bekannten Phenyl-/J/-butens;tun 2) Thiele, Aun. d. Chem. 306, 103. — 293 — Phenylisocrotonsäure auch das entsprechende Stereoiso- merenpaar der Phenyl-a/?-butensäuren zu gewinnen. Eine Phenyl-a/?-butensäure hat Fittig 83) durch ümlagerung der Phenyl-/?j/-butensäure mit Natronlauge, aber in auf- lallend geringer Ausbeute erhalten. Um die Phenyl- or/J-butensäure bequemer darzustellen, wurde Phenyl- acetaldehyd mit Malonsäure kondensiert bei Gegenwart von Pyridin oder von Essigsäureanhydrid : aber statt der nach der Reaktion : Gem CH2-CHO -!■ ('H-<^||||| CO2 + H2O ! (VU.-. CH2 CH: CH-COOH zu erwartenden Phenyl-«/9-butensäure resultierte fast ausschliesslich Phenyl-/?y-butensäure oder Phenyliso- crotonsäure Si). Zweifellos ist zuerst Phenyl-a/?-buten- säure gebildet worden; sie ist aber so unbeständig, dass sie unter den Bedingungen der Reaktion ohne weiteres in Phenyl-/?y-butensäure übergeht. Vergleicht man die Beständigkeit der Butensäuren und der Phenylbutensäuren miteinander : Vinylessigsäure, labil. (feste) Crotonsäure, stabil. CH2 CH-CH2-COOH CHt-CH CH-COOH Phenylvinylessigsäure, stabil. Phenyl-aß- crotonsäure, labil. CgHs-CH CH-CH2-CO( )H C6H5-CH2-CH CH-COOH so fällt die direkte Umkehrung der Stabilitätsverhält- nisse ohne weiteres in die Augen 8'J). In den Phenyl- butensäuren spielt die Phenylgruppe sozusagen dieselbe Rolle, wie in den Butensäuren die Carboxylgruppe; in den fetten Säuren zieht die Carboxylgruppe, in den SH) A. Liriö, Ann. d. Chem. 283, 297. 84) Herr E. Alber führt diese Versuche aus. 85) Interessante Aufschlüsse sind in dieser Beziehung auch von der von Herrn W. Latzko dargestellten /?y-Diphenylvinylessigsäure «V,U, CE C(CeH5)-CH2-COOH zu erwarten. — 294 — aromatischen die Phenylgruppe die Doppelbindung zu sich heran 86). Man kann auf Grund obiger Beobach- tungen direkt das Phenyl in Parallele setzen zum Car- boxyl, und miteinander vergleichen Vinylesssigsäure (labil) und /fy-Propenylbenzol (labil) CHl> = CH-CH2-OOOH CH2 = CH-CHa-CeHs Crotonsäure (stabil) und «,9-Propenylbenzol (stabil) CH3-CH = CH-COOH CHs-OH = CH-CcHn Die Analogieen beider Verbindungsreihen werden durch beliebig herausgegriffene Beispiele belegt. OCH3 / Eugenol, CH^CHGFh- \öR wird durch alkalische Mittel OCH3 / in Isoeugenol CH3-CH = CH-/ ; OH umgelagert87). Eugenol ist nicht reduzierbar, aber Isoeugenolmethyläther OCH3 / CH3-CH = CH- / ^ - OCHs wird von Natrium und Alkohol zu Dihydroeugenol- methyläther 00H3 / ( ,H:s-CH2-CH2- CHü / I Safrol CH2 = ÖH-CHt-< >_o ist sehr beständig gegen Reduktionsmittel89); das daraus durch Umlagerung mit alkoholischem Kali erhaltene Isosafrol ,-/°7CH2 CH3-OH = CH-< ^>-0 wird durch Natrium in alkoholischer Lösung zu 0\0H« / 7 Dihydrosafrol CHa-CHs-CH*--'' >-0 reduziert89). Die Umlagerung mit Alkali führt von den /fy-Pro- penylbenzolen zu den a/5-Propenylbenzolen; die Reduktion mit Natrium tritt nur ein bei den a/ï-Propenylbenzolen, nicht bei den /?/-Propenylbenzolverbindungen 90). Demnach sind die «/i-Propenylbenzole die gesättig- teren von den beiden Isomeren; das drückt sich in schönster Weise in den Verbrennungswärmen aus : PY< aß. Eugenol 1286,9 Cal. Isoeugenol 1278,1 Cal. OCHs OCHs / _/ CH2-CH-CH2-/ >-OH GH3-CH = CH-/ \oH 89) Ciamieian und Silber, Ber. d. d. ehem. Ges. 23, 1162. 9'J) Hieher gehört auch die bemerkenswerte Fähigkeit der Phenylisocrotonsäure, durch Natriumamalgam reduziert zu werden zur Phenylbuttersäure, vergl. Jayne, Ann. d. Chem. 216, 108, trotzdem sie bez. der Carboxylgruppe eine /^-ungesättigte Säure ist. 296 ßy. aß. Safrol 1244,7 Cal. Isosafrol 1234,5 Cal91) 0 0H2 °- CH2 CHo = CH -CH2-/ Vo OHa-CH: (II N-0 \ / \ / Die a/î-Propenylverbindungen besitzen also bedeutend niedrigere Verbrennungswärmen als die /¥j/-Propenyl- verbindungen : die Konjugierung der a/?-Doppelbindung, die in den a/j-Propenylbenzolen zu der relativ grösseren Sättigung führt, findet vermutlich mit Doppelbindungen des Benzolkerns auf Grund der im Benzol noch vor- handenen Affinitätsreste statt 92). Es lassen sich auf diese Weise Schlüsse ziehen von dem relativ gesättigten Charakter der c^-Propenylben- zole auf denjenigen der a/^-ungesättigten Säuren — bis auch an diesen durch direkte Bestimmung der Ver- brennungswärmen die auf Grund der Dissociationscoef- ficienten vermuteten Unterschiede im Energieinhalt (gegen- über dem der /^/-ungesättigten Säuren) bewiesen werden können. Es muss nun zum Schluss noch ausdrücklich betont werden, dass die Grösse der elektrolytischen Dissocia- tionscoefticienten nicht ohne weiteres als absolutes Mass für die Affmitätsgrösse oder „Stärke" der Säuren ange- sehen werden darf. Die Zahlen, die für die Stärke der Säuren auf dynamischem Wege, . durch Messung von Reaktionsü-eschwindisrkeiten, erhalten werden, verlaufen ,J1) Stohmann, Ber. d. d. ehem. - O-B \/XH X/^NH^ MI Die Crotonsäure kann diese Reaktion nicht geben, offenbar weil das Carbonyl ihrer Carboxylgruppe nicht mehr addieren kann : denn es besitzt nur noch eine Partialvalenz XH ,0 XII C_('I1 CÏÏ-CH3 anstatt zweier, wie dasjenige einer gesättigten Fett- säure. — 298 Ist diese Anschauung richtig, so müssten alle ge- sättigten Fettsäuren, sowie alle ßy-, yô- etc. ungesättigten Fettsäuren Imidazole geben — nur gerade die «^-unge- sättigten Säuren dürften dies nicht thun. Es muss deshalb in dieser Richtung vor allem weiteres Material gesammelt werden. BASEL, im Oktober 1902. Die Bedeutung der Farbstoffe im Haushalte der Natur. Eine farbenchemisch biologische Studie. Von Rudolf Nietzkl. Bei einem Blick in unsere Umgebung sehen wir, dass die meisten Gegenstände eine mehr oder weniger ausgesprochene Färbung zeigen, forschen wir aber nach der Ursache dieser Färbung, so werden wir finden, dass dieselbe durch die Beimengung verhültnissmässig geringer Mengen gefärbter Stoffe veranlasst wird, welche wir als Farbstoffe im weiteren Sinne bezeichnen. Wenn wir von der sehr geringen Färbung absehen, welche auch die sogenannten farblosen Körper, wie Wasser und Luft, in dicken Schichten zeigen, so kommen wir zu der Überzeugung, dass die Hauptmasse der Körper farblos ist. So verdanken die meisten Mineralien ihre Färbung einer Beimengung von Eisen, Mangan und anderen Schwermetallen sowie von organischen Substanzen. Noch auffallender aber ist diese Erscheinung in der organischen Welt. Die Materialien, aus denen die ein- fachsten Zellen und Gefässe der Pflanzen und Tiere aufgebaut sind, die Zellulose, die Eiweisstoffe, etc. sind ungefärbt, und deshalb finden wir bei den niedrigen Or- ganismen die Färbung nur ausnahmsweise, bei den höheren aber wird sie zur Regel und ist dort durch das Vorhandensein ganz charakteristischer Farbstoffe bedingt. Es kommen hier namentlich zwei solcher Farbstoffe in 300 — Betracht: der Blutfarbstoff, der in allen warmblütigen Tieren, und das Chlorophyll, welches in allen höheren Pflanzen eine wichtige Rolle spielt. Beide gehören den organischen Farbstoffen an, sie bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, denen sich in beiden Fällen noch das Eisen hinzugesellt. Wenn auch in den letzten 25 Jahren die For- schungen in der organischen Chemie die Konstitution der künstlichen Farbstoffe und eines grossen Teils der natürlichen, aufgeklärt haben, so müssen wir doch ein- gestehen, dass unsere Kenntnisse über diese beiden wich- tigsten Farbstoffe fast auf dem Nullpunkt stehen. Die wichtigsten sind sie jedenfalls, denn der Blutfarbstoff unterhält den Atmungsprozess der Tiere, das Chloro- phyll vermittelt die Kohlenstoffassimilation in der Pflanze, ohne die Beiden ist daher ein höheres Tier- und Pflan- zenleben undenkbar. Es drängt sich uns nun die Frage auf: Waruni sind diese Körper Farbstoffe? Ist die Färbung hier eine ganz zufällige Beigabe, oder steht sie in einem gewissen Zusammenhang mit der Eigenschaft der Substanzen und ihren Funktionen? Die Erfahrung scheint diese Frage im letzteren Sinne zu beantworten. Das Chlorophyll wird in verschiedenen Algen, Diatomeen und Flagellaten durch andere Farbstoffe ersetzt, und trotzdem findet Kohlenstoffassimilation statt. Farbstoffe aber müssen es sein, darüber scheinen die Bo- taniker einig zu sein, ja, sie ziehen sogar aus der Ge- genwart von Farbstoffen den Schluss auf das Vorhan- densein von Assimilation. Erklärungen für diese That- sache sind von botanischer Seite versucht worden. Man betrachtet die Wirkung der Farbstoffe als eine rein phy- sikalische und nimmt an, dass sie gewissermassen als — 301 Lichtfilter wirken und nur diejenige Lichtgattung absor- bieren, welche gerade für den Assimilationsprozess am wirksamsten ist. Ich muss sagen, dass mich diese Erklä- rung niemals befriedigt hat, und dass ich mich deshalb bemühte eine Erklärung zu suchen, welche die chemischen Eigenschaften der Farbstoffe in Rechnung zieht und ihnen eine chemische Rolle in diesem Prozess anweist. Zum Verständnis des nachfolgenden wird es nötig sein, dass wir auf die chemischen Eigenschaften der grossen Körpergruppe, die wir als organische Farbstoffe betrach- ten, etwas näher eingehen. Dass die Färbung keine zufällige Eigenschaft organischer Kohlenstoffverbindungen ist, sondern mit der chemischen Konstitution im engen Zusammenhang steht, ist schon lange erkannt worden, und zwar war es eine allen Farbstoffen gemeinsame Reaktion, welche zuerst zu der i^nsicht führte. Alle Farbstoffe gehen durch nascenten Wasserstoff, also durch Behandlung mit Reduktionsmitteln bei Ge- genwart von "Wasser, in farblose Substanzen über, aus denen sie durch Oxydation, also durch Entziehung von Wasserstoff, wieder hergestellt werden können. Als klassisches Beispiel kann hier die schon seit Jahrhunderten bekannte Indigoküpe angeführt werden. Das Indigoblau, ein aus Kohlenstoff, Stickstoff, Sauer- stoff und Wasserstoff bestehender Farbstoff ist in den meisten indifferenten Lösungsmitteln unlöslich. Setzt man es jedoch in irgend einer Weise der Wirkung des nascierenden Wasserstoffs aus. indem man es mit re- duzierenden Mitteln, wie Zucker, arseniger Säure, Eisen- oxydul, Zinkstaub etc. bei Gegenwart von Alkalien behan- delt, so geht es in eine farblose alkalilösliche Substanz über, „das Indigweiss," welches sich, der Luft ausge- setzt, leicht wieder in unlösliches Indigoblau verwandelt. Unter dem Namen Indigoküpe ist die Indigweisslösung 802 ein uraltes und noch heute wichtiges Färbemittel, denn auf 'der damit getränkten Zeugfaser schlägt sich durch oxydierenden Einfluss der Luft unlösliches Indigoblau nieder, und diese wird gleichmässig und echt blau gefärbt. Die chemische Untersuchung hat gelehrt, dass In- digweiss sich von Indigblau nur durch den Mehrgehalt zweier Wasserstoffatome unterscheidet, welche ihm bei der Oxydation wieder entzogen werden. Bei seinen klassischen Untersuchungen der ersten künstlichen Farbstoffe fand A. W. Hofmann, dass alle Farbstoffe der Rosanilinreihe sich dem Indigo durchaus analog verhalten. Mit dem Namen „Leukanilin", welchen Hofmann der aus Rosanilin dargestellten farblosen Sub- stanz gab, führte er den Namen Leukokörper oder Leu- koverbindungen in die organische Chemie ein. Heutzutage betrachtet man es als ganz selbstverständ- lich, dass zu jedem Farbstoff der entsprechende Leuko- körper gehört, und wenn es nicht gelingt denselben darzu- stellen, suchen wir die Ursache nur in unseren ungenügen- den experimentellen Mitteln. Grabe und Liebermann haben zuerst den Satz aufgestellt, dass die Reduktions- fähigkeit eine integrierende Eigenschaft aller organischen Farbstoffe sei. Zum ersten Mal wiesen sie auf die Analogie mit dem lange bekannten Chinon hin, welches, lebhaft gelb gefärbt, durch Reduktion unter Aufnahme von 2 Wasser- stoffatomen in das farblose Hydrochinon übergeht. Grabe und Liebermann waren daraufhin geneigt im Chinon den Prototyp sämmtlicher Farbstoffe zu er- blicken. Später trat 0. N. Witt mit seiner ausführ- lichen Farbstofftheorie an die Öffentlichkeit, und wies darauf hin, dass in allen Farbstoffen bestimmte Atom- gruppen vorhanden seien, die er als Chromophore be- zeichnet, und deren Wirkung durch andre Radikale, die Auxoehrome, gesteigert würde. Bei der weiteren 303 Durchführung' dieser Theorie hat sich gezeigt, dass aller- dings ein grosser Teil der Chromophore (wenn auch nicht alle) anolog der Chinongruppe konstituiert ist, dass aber alle als ungesättigte Radikale anzusehen sind. Sie haben alle das Bestreben sich durch Addition von Was- serstoff zu sättigen. Durch diese Sättigung aber wird die Färbung aufgehoben, und der Farbstoff geht in den Leukokörper über. Nicht alle Leukokörper sind so leicht oxydierbar, dass sie schon durch den Luftsauerstoff in Farbstoffe verwandelt werden, es müssen vielmehr zur Erreichung dieses Zweckes Oxydationsmittel angewandt werden ; andre dagegen oxy- dieren sich so leicht, dass die Leukoverbindungen über- haupt nicht fassbar sind. Andrerseits sind unsere Farb- stoffe ausserordentlich widerstandsfähig gegen Reduktions- mittel, während viele andre durch die Reduktion völlig zersetzt werden. Leukokörper können gleichzeitig noch Farbstoffe sein, wenn ursprünglich mehrere Chromophore vorhanden und nur ein Teil davon reduziert war. Aus dem hier gesagten aber geht hervor, dass Farb- stoffe als Oxydationsmittel, und da sie immer wieder re- generiert werden, als Sauerstoffüberträger dienen können. In umgekehrter Weise aber fungieren die Leukokörper als Wasserstoffüberträger. Die sauerstoffübertragende Wirkung lässt sich leicht durch einen Versuch zeigen, der zuerst, in etwas andrer Form, von A. W. Hofmann1) angestellt wurde. Bringt man in eine Kochflasche eine nicht zu konzen- trierte Lösung von Safranin in verdünntem Alkohol, fügt einige Tropfen Ammoniak und etwas Zinkstaub hinzu, so wird nach einigem Erwärmen und Schütteln die intensiv rote Lösung entfärbt und bleibt farblos, wenn die Flasche !) Hofmann bediente sich statt des hier verwandten Sat'ranins, des Naphtaünrots, eines dem ersteren in seiner Konstitution ver- wandten Farbstoffes. - 304 — nach dem Austreiben der Luft mit einem gut schliesseuden Stöpsel verschlossen wird. Ein blosses Lüften des Stop- fens und Einlassen von Luft bewirkt momentane Rotfär- bung, erneutes Schliessen und Schütteln aber Entfärbung. Man kann nun diese Oxydation und Reduktion so lange wiederholen, bis alles vorhandene Zink zu Zink- oxyd oxydiert ist Da Zinkstaub durch verdünntes Am- moniak nicht angegriffen wird, so ist die Oxydation durch die übertragende Wirkung des Farbstoffes bewirkt wor- den. Letzterer hat das Wasser zersetzt, sich des Was- serstoffs bemächtigt und den Sauerstoff für das Zink disponibel gemacht. Bei der Oxydation des Leukokörpers aber hat dieser seinen Wasserstoff an den Luftsauerstoff abgegeben, ersterem kommt hier also die Rolle eines Wasserstoffüberträgers zu. Im Grunde aber hat das beschriebene Experiment eine gewisse Ähnlichkeit mit dem tierischen Atmungs- prozess. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, das:-. das Venenblut zum Arterienblut in derselben Beziehung steht, wie der Leukokörper zum Farbstoffe. Die blaue Farbe des Venenblutes kann vom Vor- handensein eines zweiten Chromophors oder von einem beigemengten nicht reduzierbaren Farbstoff herrühren. Wir haben in den Lungen die Oxydation des Leuko- körpers zum Farbstoff, des Venenblutes zum Arterien- blut, die Rolle des Zinkstaubes aber spielen alle koh- lenstoffhaltigen Substanzen, welche vom Arterienblut oxy- diert und schliesslich zu Kohlensäure verbrannt werden. Beiläufig unterscheidet sich diese Auffassung fast gar nicht von der bisher üblichen, der Chemiker ist so sehr daran gewöhnt Wasserstoffabspaltung und Oxydation einerseits, Wasserstoffaddition und Reduktion anderseits in eine Kategorie zu stellen, dass er kaum zwischen die- sen Reaktionen unterscheidet. So ist es in vielen Fäl- — 305 — len ganz gleichgültig, ob wir eine Reaktion mit dem wasserstoffentzielienden Chlor oder mit der sauerstoff- abgebenden Chromsäure ausführen. Mehr Schwierig- keiten macht die Anwendung dieser Hypothese zur Er- klärung der Kohlenstoff-Assimilation in den Pflanzen. Die Pflanze atmet Kohlensäure ein und scheidet Sauerstoff aus. Da der ganze Prozess bei Gegenwart von Wasser vor sich geht, so kann er in verschiedener Weise aufgefasst werden. Nach der meist üblichen An- sicht wird dem Kohlendioxyd direkt der Sauerstoff ent- zogen und durch Einwirkung von Wasser auf den nas- centen Kohlenstoff entstehen dann die sogenannten Koh- lenhydrate wie Zucker, Stärke etc. Dem Chemiker scheint der Sprung von der Kohlensäure zum Kohlen- hydrat etwas zu gross, als dass er sich mit dieser An- nahme befreunden könnte, und es ist denn auch von chemischer Seite eine andre Hypothese aufgestellt worden. A. v. ßaeyer spricht die Ansicht aus, dass zunächst Wasser zersetzt wird, und durch Einwirkung des nas- centen Wasserstoffs auf die Kohlensäure Formaldehyd entstehe, welcher sich in der ihm eignen Weise weiter po- lymerisiert und kondensiert. Es wird dieser Ansicht entge- gengehalten, dass Formaldehyd eine eiweissfällende, daher für alles Pflanzenleben giftige Substanz sei, deren Existenz im lebenden Organismus problematisch erscheinen muss. Der Kernpunkt der Baeyerschen Hypothese liegt aber nicht in der Formaldehydbildung, sondern in der An- nahme des nascenten Wasserstoffs als Reduktionsmittel für die Kohlensäure. Auch für diesen Prozess ist ein Farbstoff, das Chlorophyll, das unentbehrliche Reagenz. Versuchen wir, uns die Wirkung desselben, mit Hilfe der bekannten Reaktionen der Farbstoffe klar zu machen, und kehren wir wieder zu dem Hofmannschen Versuch zurück. Bei der Reduktion des Farbstoffs mit » 20 306 Zinkstaub wird ebenfalls Wasser zersetzt, der Wasser- stoff tritt zu ersterem, während sich das Zink des Sauer- stoffs bemächtigt. Der Farbstoff allein kann das Was- ser nicht zersetzen, denn dieser Prozess erfordert die Zufuhr einer Energiemenge, welche der Verbrennungs- wärme des Wasserstoffs gleich ist, und wenn vielleicht die Reduktion des Farbstoffs Wärme erzeugt, so würde diese doch nicht ausreichen, wenn nicht gleichzeitig eine zweite Reaktion daneben herliefe, welche die für den Prozess nötige Energiemenge erzeugt: Die Verbrennung des Zinks zu Zinkoxyd. Eine ähnliche Wirkung, wie sie hier dem Zink zu- kommt, müssen wir im Atmungsprozess der Tiere den verbrennenden Kohlenstoffverbindungen zuschreiben, diese unterhalten aber nicht allein die chemische Reak- tion, sie liefern auch den nötigen Wärmeüberschuss für den Lebensprozess. Betrachten wir nun die Kohlenstoffassimilation der Pflanze von diesem Standpunkte und nehmen an, dass das Chlorophyll Wasser zersetzt, sich mit dem Wasser- stoff zum Leukokörper vereinigt und der Sauerstoff' in Freiheit gesetzt wird, so sehen wir, dass in dieser Re- aktion ein wichtiger Faktor fehlt: Die durch die Ne- benreaktion gelieferte Verbrennungswärme beziehungs- weise Energiezufuhr. Für diese muss ein Ersatz vor- handen sein und ihn schafft das Sonnenlicht, ohne wel- ches jede Kohlenstoffassimilation unmöglich ist. Im weiteren Verlauf des Prozesses können wir an- nehmen, dass der Leukokörper seinen Wasserstoff auf die Kohlensäure übertrügt, und damit sind die Beding- ungen zum Aufbau der komplizierteren Kohlenstoffver- bindungen gegeben, gleichgiltig ob wir den etwas bissigen Formaldehyd, die harmlosere Ameisensäure, oder etwas anderes als erstes Durchgangsprodukt annehmen wollen. — 807 Jedenfalls aber wird das Chlorophyll regeneriert und der Prozess kann sich ad infinitum wiederholen. Über die Einwirkung des Sonnenlichtes auf organische Kör- per, speziell auf Farbstoffe, ist bis jetzt nicht viel bekannt, und es hätte seine Bedenken, wenn man aus dem Verhal- ten der toten Materie einen Schluss auf den Vorgang in der lebenden Pflanze ziehen wollte. Die bisher vorliegenden Thatsachen aber stehen mit unsrer Auffassung in gutem Einklang. So ist Chlorwasser im Dunkeln haltbar, am Sonnenlicht wird Sauerstoff entwickelt, und das Chlor verbindet sich mit dem Wasserstoff zu Salzsäure. Organische Farbstoffe werden teilweise reduziert, und es lassen sich in vielen Fällen die Leukokörper unter dem Umwandluhgspro- dukte nachweisen. So bildet Chinon, in wässeriger Lö- sung dem Sonnenlicht ausgesetzt, stets Hydrochinon. Die Reaktion wird hier aber dadurch kompliziert, dass der abgeschiedene Sauerstoff, welcher stark aktiviert ist, sei- nen oxydierenden Einfluss auf einen Teil der Substanz ausübt und dadurch tiefer greifende Zersetzung eintritt. Wie Ciamician gezeigt hat, lindet beim Belichten orga- nischer Körper in alkoholischer Lösung eine Reduktion derselben statt, während gleichzeitig der Alkohol zu Aldehyd oxydiert wird. Ich will hier nur noch an die photographische Re- duktion des Ferrioxalats und an das Bleichen einer al- koholischen Eisenchloridlösung am Sonnenlicht erinnern ! Ich nehme es als selbstverständlich an, dass die Herren Botaniker zu meiner Hypothese die Köpfe be- denklich schütteln werden und bin darauf gefasst, dass man mir eine Anzahl von mehr oder weniger richtigen Beobachtungen zitiert, die ich bis dahin übersehen hatte, und welche mit der Theorie nicht in Einklang stehen! Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Wissenschaft als — 308 — solche durch derartige Übergriffe nur gefördert werden kann und es im Interesse der Chemie nur zu wünschen wäre, dass sie ihrerseits öfters damit behelligt würde. Die langen Namen und Formeln, welche in der orga- nischen Chemie üblich sind, scheinen besonders geeig- net, unberufene Eindringlinge fern zu halten, und doch wäre der Fachchemiker jedem dankbar, dem es gelänge, diese Formeln entbehrlich zu machen und eine kürzere und geschmackvollere Nomenklatur zu schaffen. Da sich die organische Chemie bis jetzt nur mit relativ sehr einfachen Verbindungen beschäftigt, während gerade die im Haushalte der Natur so wichtigen Eiweissstoffe wegen ihrer komplizierten Beschaffenheit eine terra incognita sind, so ist begründete Aussicht vorhanden, dass Formeln und Nomenklatur im Lauf der Zeit eher komplizierter, als einfacher werden müssen. Die organischen Chemiker haben sich bemüht die natürlichen Farbstoffe zu untersuchen und dieselben, sowie neue, synthetisch darzustellen. Sie haben den Zu- sammenhang zwischen Färbung und chemischer Konsti- tution zu ermitteln gesucht und sind dabei so weit gekom- men, dass man bei einer Synthese die Nuance des darzustellenden Farbstoffs mit ziemlicher Sicherheit vor- aussagen kann. Auch im übrigen gehören gegenwärtig die organi- schen Farbstoffe zu den am besten studierten organi- schen Verbindungen, damit ist aber die Aufgabe der Chemiker beendigt. Die eigentliche Ursache der Fär- bung ist immer noch ein ungelöstes Rätsel und die Lösung desselben muss dem Physiker, beziehungsweise einer physikalischen Chemie der Zukunft, vorbehalten bleiben. Zur Gammafunktion. Von H. Kinkelin. Den Hauptgegenstand der vorliegenden Abhandlung bildet die Ableitung der Eigenschaften der Gamma- funktion aus dem für alle reellen und komplexen Werte ihres Argumentes geltenden Gauss'schen Ausdruck dieser Funktion auf direktem Wege und ohne Zuziehung anderer Hilfsmittel. Angeschlossen sind von der herkömmlichen Weise abweichende Bestimmungen zweier bekannten Integrale. I. Die Grundgleichungen. Als Definition der Gammafunktion gilt der Aus- druck r, lim. k *k! k = oo x(x + l)(x + 2)...-(x+k-l) Wird k ein für allemal als unendlich wachsende Zahl gedacht, so kann für die Folge die Bezeichnung lim. in der Regel weggelassen werden. Die erste Grundgleichung /T(x~f-i) x-rx (2) ergibt sich sofort, wenn man beachtet, dass k : (x + k) die Einheit zur Grenze hat. — 310 - Die zweite Grundgleichung beweist sich durch Auflösung von Sin ttx in Faktoren. Man bestimme zunächst die Wurzeln der Gleichung Sin z = o, die mit 7.1 - zi e - e =o gleichbedeutend ist. Es sei z = a + bi. wobei a und b als reell gedacht sind, so geht dieselbe über in - 1, b e (Cos a -f i Sin a) - e (Cos a - i Sin a) = o und teilt sich in die zwei Gleichungen / -b h\ Cos a \e - e / = o , / - b h\ Sin a \e +e / - o . Da der zweite Faktor in der zweiten Gleichung für reelle b nicht null sein kann, so muss Sin a = o . woraus die Werte a = o, + rc, ± 2/r, • • • + k?r folgen. Für diese wird aber in der ersten Gleichung der erste Faktor Cos a nicht null, daher muss -b b e -e =o, was nur für b = o stattfindet. Die Gleichung Sin z -= o liefert somit nur die Wurzeln z = o, + rr, + 2.t, ■ • • + k.T, und die Gleichung Sin ttx o die Wurzeln x = o, + 1, + 2, • • • + k, so dass Sin 7tx ausser den Faktoren x, x + 1, x + 2. ---x + k keine andern von — 311 — x abhängigen Faktoren besitzt. Demnach ist, unter A eine Konstante verstanden, Sin .7\ A • x (x + ] ) (x J 2) • • • (x -|- k) (1 -x) (2 -x) ...(k-x) , Sin 7ix , oder- = A(x+l)(x + 2)- • -(x + k) (l-x)(2-x)...(k-x). Lässt man x gegen null konvergieren, so kommt n A-k!k!, so dass nun Sin ffx — — = x (x + 1) (x + 2) • • • (x + k) (l-x)(2-x)..-(k-x):k!k! Andrerseits gibt die Definition von _Tx: - 1 k k ' k ' rx.r(i-x) x(x + l)(x + 2)---(x + k-l) (i-x)(2-x).-.(k-x) oder, wenn man Zähler und Nenner mit x + k multipli- ziert und im Zähler für (x 4- k) : k die Einheit setzt : k' k' /'x./'(l-x) x (x + 1) (x + 2) ■ • • (x + k) (t - x) (2 - x) • ■ • (k - x) woraus sofort die Richtigkeit der zweiten Grundgleichung erhellt. Dass diese auch für komplexe Werte von x Geltung hat, geht aus ihrer Herleitung ohne weiteres hervor. II. Das Multiplikationstheoren». Setzt man in der Definitionsgleichung X - 1 k k! / x x (x + 1) (x + 2) • • • (x + k - 1) 312 der Reihe nach für x die Werte nx 1 ux + 1 n-lnx + n-1 x — , x + — '=-— — , •••x-l- und multipliziert die Ergebnisse mit einander, so kommt nx - .', u - ! n n k ^x.r(x + l)...r(x + ^V (k!)D n qx (nx +!)••• (nx + nk - 1) Andrerseits ist, wenn nk für k gesetzt wird, was gestattet ist, nx - l nx - l _,- ' k d (nk)! I (nx) - nx (nx + 1) • • ■ (nx + nk - 1) Aus der Vergleichung beider Ausdrücke folgt /'X.r(x+l)...r(x + 1izi) y -]n nk+1 n n ' N n k n (k!) / (nx) • n Da die linke Seite dieser Gleichung k nicht ent- hält, so muss auch die rechte Seite eine von k unab- hängige Funktion von n sein, die mit > - ', k k k! = k (2tc)' -A , wo nun noch die Konstante A zu bestimmen übrig bleibt. Man setze kl 1 für k: k + 1 -|- 1 -4k k + 1 (k + l)! = (k+l) '(2*) " A und dividiere diese Gleichung durch die vorige, so wird 1 i k-i-i (2*)2 315 — und beim Übergang zur Grenze k = ~>c : A = i-.(2*)*, wodurch endlich k!=kVe~ IM; (5) die bekannte Laplace'sche Grenzbestimmung sich ergibt. III. Die periodische Reihe. Innerhalb der Grenzen x = o und 1, diese selbst im allgemeinen ausgeschlossen, gilt für jede zwischen diesen Grenzen stetige Funktion f(x) die Gleichung f (x) = Ao + 21 (2 An Cos 2mrx + 2 Bn Sin 2mrx) , wobei die Summe von n = 1 bis c>c zu nehmen ist, und l A0= ! f(x).dx, o i i A„ = I f (x) Cos 2n/rx • dx , B„ = I f (x) Sin 2d.tx • dx . 0 0 Die Funktion log Tx genügt der Bedingung der Stetigkeit und kann daher in eine Reihe von der an- gegebenen Form entwickelt werden. Sie ist definiert durch den Ausdruck k-i log r x = log k ! - log k + x log k - y log (x + r) . r = o Bei der Ausführung der Integrale setze man iu den Summengliedern am Ende dieses Ausdruckes x + r in y um, wodurch die Integrationsgrenzen o und 1 bezw. in r und r + 1 verwandelt werden und die Summe der — 316 — Integrale in ein einziges Integral zwischen den Grenzen o und k zusammengezogen werden kann. Man erhält so l /' k Ao = I logr-x-dx = logk! -logk + J logk-[y logy-y] J ,J O =logk!- Jrlogk-klogk + k Da aber vorhin in Gleichung (5) log k ! = k log k - k + i- log k + -\ log 2.t gefunden wurde, so wird einfach Ao = | log 2n . (a) Ferner wird, unter Anwendung partialer Integration leicht erhalten: i k An = ! log 7Tx • Cos 2njix • dx = - I log y • Cos 2nrcy • dy o o k K 1 / Sm 2njiy , 1 / hm v , = -— lày = - — \ —dw 2n.r J y 2ri7i J v wo zur Abkürzung 2n^tk = K gesetzt ist. Um den Wert dieses Integrals zu finden, lasse man in dem geschlossenen Integral JL - z e -I dz u die komplexe Veränderliche z den Umfang des ersten Quadranten im Kreise vom Radius K um den Koordi- natenanfang als Mittelpunkt durchlaufen, wodurch sich für ein unendlich wachsendes K durch Trennung des reellen vom imaginären Teile sofort die Bestimmungen ergeben : — 317 K Sin v , n v 2. 0 K K und I dw= i du, o o deren erste für A„ den Wert liefert: A -1 An — -, — 4n 0- Endlich erhält man auf gleiche Weise 1 Bn = 1 log^Tx • Sin 2n;rx ■ dx » 0 log k k 1 f1 - Cos 2ii7ry y dy 2n^ ' 2X171 J 0 K logk : fi- - Cos w , av 2n^ 2n7r F v c O oder zufolge der zweiten der obigen Integralbestimmungen K B„=-!§Li+ 1 /W^d.. 2n?r 2n/r / O Der Wert dieses Integrals berechnet sich wie folgt. Zunächst kann die obere Grenze K == 2n7rk durch die zunächst grössere ganze Zahl y. = K + & ersetzt werden, indem der hinzugefügte Teil zwischen den Grenzen — 318 K und x bei wachsendem k die Null zur Grenze hat. Sodann kann für e der Grenzausdruck - V V in e =lim. (1 ) gesetzt werden, wobei für m eine beliebige unendlich wachsende Zahl genommen werden darf. Nimmt man der Einfachheit wegen m - x an, so geht das Integral über in X 1 J v / 1 — 11 du 1 -u o o und wird nach Auflösung des Bruches gleich 1 ■/. dessen Wert durch Differenziation von log T x und die Annahme x = 1 gleich log x + C erhalten wird, wo C = - T' 1 : T\ die Mascheronische Konstante 0,577 •• • bedeutet. Es ist aber log x = log (K + d) = log K + log (1 + ^) und geht bei unendlich wachsendem k in log 2n?rk über, so dass nun K » j 1~e~v du = log K -!- C = log 2n;rk + C J ° o wird, wodurch sich für Bn der AVert ergibt: Bn = ^ log 2n,T + — - . (c) 2n.T 2n.T — 319 — Die in den Gleichungen (a), (b), (c) gefundenen Werte von A0, A„, Bn geben schliesslich die Bestimmung Cos 2n?rx C 4- log In _, Sin 2n7rx log r x = ' log 2.T -(- . 2' + — - — - — 1 — — b - - — n -T n 1 v logn Siu 2q^x (o < x < 1} ^ (6) ^ — n die Summen von n = 1 bis oo genommen. Aus dieser Gleichung lässt sich das Multiplikations- theorem ebenfalls leicht ableiten, wie schon Kummer bemerkt hat (Grelle J., Bd. 35). IV. Die Potenzreihen. Setzt man zur Abkürzung log7T(l+x) = », so folgt aus der Definitionsgleichung kx-k! /(1 + x)-(x-!-l)(x + 2)--(x + k)- ü = x log k + k! - log (x + 1) - log (x + 2) log (x + k) und die Ableitungen 1 1 1 v' - losr k - x + 1 x + 2 x + k 1 s+^+^ (x + l)2 ' (x + 2)2 ' (x+-3)2 V(x + 1)3 ' |x !- 2)» ^ (x + 3):! T / (n) n , / 1 1 1 t/' = (-l n!(- - + - + - — -+■ \ n n n \(x + 1 ) (x -I- 2) (x + 3) Man erkennt, dass zwischen den Grenzen o und 1 für |x| weder v noch dessen Ableitungen unstetig sind, so dass v sich zwischen diesen Grenzen nach dem Maclau- — 320 — rinschen Satz in eine nach Potenzen von x fort- schreitende konvergente Reihe entwickeln lässt. Für x = o wird v = o, v - - C, v" = s„, v" — - 2! s9 , • • • o ' o o 2' o 8 (n ( worin allgemein (-D (n-l)!.n, 1 1 1 n ^ 2n 3n 4n so dass nun log r (1 + x) = - Cx + \ s2 x2 - l s3 X3 + • ■ • 1 (- if SQ xU + • • ■ I 7) Mit dieser Formel, zweckmässig umgeformt, hat Legendre seine Tafel der Logarithmen der Gamma- funktion berechnet. Eine andere zur Berechnung von log T x bequeme Formel erhält man durch Verwendung der allgemeinen Gleichung x + k fx + f (x + 1) + ■ • • f (x + k) = I fz • dz + \ (fx + f (x + k)) %J X -|f(f'x-f'(x + k)) + |l(f-x-f-(x + k))-... _ wo die B2, B4, • • • die Bernoullischen Zahlen bedeuten. Für fz = log z ergibt sich hieraus bei unendlich wach- sendem k: logx(x+l)(x-|-2)--(x + k) = (x-!-k)lüg(x + k)-k-xlogx + |logx ' ' B» 1 Bj 1 JBe 1 + Mog(x + k)- — _ + __-_ -+... Demnach geht die Gleichung log /'x = (x - 1) log k + log k ! - log x (x + 1 ) • • • (x + k) + log (x + k) — 321 unter Berücksichtigung der Bestimmungen log k ! = k log k - k - -i- log k + \ log 2ti , lim. log (x + k) = log k lim. k log (x + k) = k log k + k log M + -^ j = k log k + x über in log fx- .V log 2ji - x + (x - \) log x 1 • 2 x 3-4x3 + 5-6x i=i+r-=5n— <8> wo beim Abbrechen der Reihe der Best jeweilen kleiner ist als das zuletzt berechnete Glied. Die Gammafunktion selbst und ihr reziproker Wert lassen sich ebenfalls in Potenzreihen auflösen. Denn ebenso wie log r (1 + x) = v und seine Ableitungen, so sind auch r (1 + x) = u und seine Ableitungen zwischen den Grenzen o und 1 für |x| stetig. Aus v' = — u folgt u' = uv' , u" = uv" + u' v' u"' = uw"' + 2u' v" -\- u" v' (u) (n) , /n-l\ , (v-1) /n-l\ „ (d-->) u = ui; +^ 1 Ju'i) +( 2 )U V +'" . /n-l\ fn-1) , ••■ + U ljU und hieraus für x = o, da u = 1 : o uö = VuoC u- = s-2!s3-2u;sa-u;'C 21 — 322 — (n) ii n - 1 /n _ i \ a^J=(-l) (n-l)!.n+(-l) (n11)(n-2)!u;8n_1 + (-1) ( 2 )i*-W\*n-2 + ---(n.-l)% °' daher die Koeffizienten der Potenzen von x in der Reihenentwicklung : 2Tuo=if82-uoC) 1 ,„ , , , 1 ,.n 7TT U = - -.V (S -U S.+-7II U 3! 0 j v 3 o 2 ' 2! 0 — ; U = (- 1) 1 S - U S , +—P U S , + — -; U L I. n! o v ' n^n on-i'2! on-i — (n-1)! 0 J Schreibt man der Analogie wegen st für C und setzt r ( 1 + x) = 1 - &1 x + a2 x2 - a3 x3 + . . . (_ 1 )" aQ x" + • • ■ so gibt dies die Rekursionsgleichungen: l2 = i(S2 + Vl) i8=i(83 + ai82 + a28l) 1 a = = — /s + a s , + a„ s . + ■ • • a s \ n n In1 in-1 2 n-2 ' n-i îj Eine für die Ausrechnung geeignetere Formel er- hält man durch Subtraktion der vorigen von 1 n n 1_X + X2_X3+...(_1) x _|_... 1+x Setzt man abkürzend b = 1 — a , so kommt n n' fT(l + x) = r^i + b1X-b2X2 + b3X3_...(_])n-1biiXn+...(9) — 323 — wo die Koeffizienten folgende Zahlenwerte haben: bj = 0,4227 8434 b8 = 0,0018 9431 b2 = 0,0109 4400 b9 ^0,0009 7474 b3 = 0,0925 2093 b, 0 = 0,0004 8435 b4 = 0,0182 7192 bn = 0,0002 4341 b5 = 0,0180 0494 b12 = 0,0001 2173 b6 = 0,0068 5089 bt 3 = 0,0000 6094 b7 = 0,0039 9824 bt 4 = 0,0000 3048 . Von hier an ist jeder folgende Koeffizient die Hälfte des vorhergehenden. Setzt man endlich 1 w-.T(t + x)' so folgt log w = - log r (l + x) = - v , woraus durch Differentiation w' = - w v' \v" = - wi>" - \\' v' W'" = - W!)"' - 2\v' v" - w" v' In den vorhin aufgestellten Gleichungen für die Ableitungen von u hat man somit nur den Buchstaben u durch w zu ersetzen und auf der rechten Seite das Vorzeichen zu ändern. Man erhält so die Reihe __L:_=l + C1X+C2x2 + C3xB + ...CnXI1 + ... (10) und für die Koeffizienten c die Rekursionen«: -*(■•- Vi) HS3~V2 + Vl) n - l 1 / n - 1 \ 3 =(-1) — I 9 - C. S . + C S „-•••(-1) C , S 1, n n\Q in-ian-2 n - l iy ' — 324 — welche folgende Zahlenwerte ergeben: Ci= 0,57721566 c9 =-0,00021524 es =- 0,6558 7807 c10 = 0,00012805 c3 = - 0,0420 0268 c^ = - 0,0000 2014 c4 = 0,1665 386 L l-12 = - 0,0000 0125 c5 = - 0,0421 9773 c13 = 0,0000 0113 c6 = - 0,0096 2197 cl4 = - 0,0000 0021 c7= 0,0072 1894 c15 = 0,0000 0001 c8 = - 0,0011 6517 Mit x multipliziert, gibt die Reihe den Wert von — • Für Werte von x, deren Modul ^ \, nehmen die Glieder der beiden Reihen (9) und (10) rasch ab, so dass sich die Berechnung der Gammafunktion sowie die ihres reziproken Wertes auf das einfachste gestaltet. Man kann aber jede Gammafunktion auf solche zurück- führen, in denen x diese Bedingung erfüllt, Ist x reell, so genügt hiezu die Verwendung der Grundgleichungen (1) und (2). Ist x komplex = a + ß\, so verwende man zunächst für die Reduktion des imaginären Teils das Multiplikationstheorem (3), indem man für n eine ganze Zahl > 2 \ß\ wählt, und reduziere sodann in den als Faktoren auftretenden Funktionen noch den reellen Teil des Argumentes mittelst der Grundgleichungen (1) und (2). Das Integral | » <™ J l + v Für reelle positive Werte von x < 1 beweist man gewöhnlich die Grundgleichung (3) vermittelst des Euler- schen Integrals der ersten Art 325 — abgeleitet wird. Dieses kann ohne Integrationsverrich- tung gefunden werden. Für ein geschlossenes Integral mit komplexer Veränderlichen gilt die Bestimmung Az , f« I — dz = 2/n • hm. falls für nur einen Wert a von z innerhalb des von z umlaufenen Gebietes tpz = o wird. Daher ist » 2m - i z dz „ . 2n *- 1 + z Lässt man z den Umfang eines Kreissektors durch- laufen vom Radius k und dem Zentriwinkel - im Koor- dinatenanfang, von welchem der eine Schenkel in die Abszissenaxe fällt, so liegt innerhalb des Sektors der Punkt ja z c a , in dem 1 | z = o ist. Der Wert des Integrals ist da- her gleich . — (an-rn) . ^ - ni 5f 711 . -n n\ n m n V = — e = e 11 n n — 326 — Das Integral selbst teilt sich in drei Teile, in denen beziehungsweise z = v, dz = di>, v von o bis k , z - ke , dz = kie dq>, (p von o bis — , in in z~ve , dz = e dv, v von k bis o . Der erste Teil wird = J, der zweite = o für m < n, 2111771 der dritte = Je , so dass nun J-Je n ni = e n n ? woraus mni J = ^. n e ni 1 n e >.mni n mm mm n -1 n oder endlich k r 2in - l dz L'll 1 -4-z n » „ ~. mn 2n Sin 2n Die Substitution von z = v gibt bei Ersetzung 2a von k durch k, i- m r* n l v dv j "TT"«--, Q. mar Sm n oder, wenn — = x gesetzt wird, k » x - 1 dv I | 1 -|- V Sil! 7TX (1 327 — übei VI. Das Integral I e ùv. o Durch Umsetzung vou v- in u geht dieses Integral 3 , / -u -i •_> | e u du «7 0 und wird als besonderer Fall von -u x - 1 i | e u du = | /' x O für x = \ erkannt, so dass sein Wert = \ '\Jn, wie sich sowohl aus der zweiten Grundgleichung (3) für x = l, als aus dem Multiplikationstheorem (4) für x = 1 und n = 2 ergibt. Der Wert des Integrals kann direkt gefunden werden, wie folgt. Durch partielle Integration kommt i i /,„ „ m 2m / * m-i J(1-U2) dn=to+ïJ (1""^ d" o o Nimmt man einmal m = k, das andere Mal m == k - 1 an, so erhält man bei wiederholter Anwendung dieser Formel k 2-4-6 ■■•(2k) (1 - u-) du = J t J y± 3 -5- 7- --(2k-M) ' 0 1 ;. .,k-> 1-3-5- •• (2k -1) ;r 1-u-) du = - — ^ L. _ ; 2 ■ 4 ■ 6 • ■ ■ (2k) 2 — 328 — Die Umsetzung u2 - -r- ergibt 1* /« <,2\k , 2-4-6- •• (2k) J 0-k) d^3.5-7-.(2kiTl)'^ o /k T /i ^Y*^ l-3-5-(2k-l) .r o woraus das Produkt V k 1 k O 0 Mit unendlich wachsendem k nähern sich die Potenzen in beiden Integralen dem gemeinsamen Grenz- wert e~ , so dass schliesslich nach Ausziehung der Quadratwurzel folgt : oc - v- yn j 0 Der Quotient der beiden Integrale aber gibt n _22-4-4-6-6-- (2k) ■ (2k) 2 " 1 ■ 3 - 3 ■ 5 • 5 • 7 ■ • • (2k - 1) (2k + 1) ' Basel, 24. November 1902. Einige Grundversuche über elektrische Schwingungen. Von H. Veillon. Nach den von den meisten heutigen Physikern ge- teilten Anschauungen hat man die elektrischen Erschei- nungen als Veränderungen aufzufassen, welche sich im Dielektrikum abspielen. Die genialen Konzeptionen Faraday's und Maxwell's im Verein mit den berühmten Versuchen von Hertz haben diese , der klassischen Elektricitätslehre so fremdartige, Vorstelluugswelt mit einem Schlage eröffnet. Geleitet durch den Gedanken an die wunderbare Präzision der mathematischen Optik, welche in den Werken Fresnel's und seiner Nachfolger eine erstaunliche Höhe erreichte, erkannte man bald in der neuen Elektricitätstheorie den Keim einer sich eng an die Lehre des Lichtes anschliessenden Behandlung der elektrischen Phänomene. Mit Eifer wurde überall, theoretisch sowohl als auch experimentell, in diesem Sinne gearbeitet, und manche hervorragende Entdeckung oder Erfindung würde ohne diesen Anstoss der Menschheit noch vorbehalten geblieben sein. Mit immer steigender Zuversicht suchte man nach Analogien, ja selbst nach einer Identität, zwischen den elektrischen und optischen Erscheinungen, und viele mögen die Partie heute schon als gewonnen betrachten. Wie dem nun auch sei, so ist gewiss, dass alle Be- strebungen, die Optik und die Elektricitätslehre von einem gemeinsamen, der erstem dieser Wissenschaften 330 entlehnten Standpunkte aus zu behandeln, so neu sind, dass es nicht als Anmassung hochverdienten Forschern gegenüber erscheinen kann, wenn bereits bekannte Ex- perimente immer wieder aufs neue angestellt werden, unbekümmert jeder vorgefassten Meinung und jedes früher gewonnenen Resultates. In diesem Sinne möchten wir die wenigen folgenden Experimente aufgefasst wissen, welche, obwohl von andern bereits angestellt, doch noch nicht als ganz geklärt zu betrachten sind und welche wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung für die Theorie immer noch der Aufmerksam- keit wert sind. Transversalität der elektrischen Schwingungen. Bei den experimentellen Untersuchungen über die genannten Analogien war eine der wichtigsten Fragen diejenige nach der Natur der Schwingungen. In der Theorie gelangt man auf Grund der Maxwell'schen Gleichungssysteme, indem man den Erreger elektrischer Wellen weit weg annimmt und die Wirkung auf einem sehr kleinen Teil der Wellenfläche betrachtet, zu den sogenannten Strahlgleichungen. Aus diesen folgert man dann wieder, dass die in der Strahlrichtung selbst liegen- den Komponenten verschwinden, und dass nur die senk- recht zu ihr gerichteten Komponenten für die Schwingung in Betracht kommen. Mit andern Worten, es wird für die elektromagnetische Strahlung die Transversalität der Schwingungen gefolgert, wie für das Licht. Dieses höchst wichtige Ergebnis der Theorie prüfte und bestätigte Hertz mit Hilfe seines kreisförmigen Resonators. Seit diesen denkwürdigen Arbeiten sind nun eine ganze Anzahl anderer wertvoller Hilfsmittel zur experimentellen Er- forschung des elektromagnetischen Feldes dem Resonator 3;n an die Seite getreten. Das Instrumentarium des Phy- sikers ist dadurch erheblich bereichert worden, und in einer für den ersten internationalen Physikerkohgress zu Paris von Righi verfassten sehr interessanten Abhandlung werden nicht weniger als einundzwanzig verschiedene diesbezügliche Methoden aufgezählt1). Viele derselben sind bloss auf die Demonstration oder Konstatation elektrischer Schwingungen abgerichtet, während andere möglichst genaue Bestimmung der quantitativen Ver- hältnisse in den einzelnen Punkten des Feldes erstreben. Von vornherein verdienen diejenigen Instrumente, welche dieser zweiten Forderung genügen, unbedingt den ersten Platz, allein sie leiden nur zu oft an dem Nachteil einer schwierigen und umständlichen Manipulation, die schwer von störenden Einflüssen zu befreien ist. Man wird daher trachten, wenn es sich um Messungen handelt, eine solche Methode zu wählen, welche auch in ihrer Handhabung nicht allzuviel Schwierigkeiten verursacht, und wird suchen, dieselbe in möglichst einfacher Weise den Anforderungen an eine brauchbare Messmethode anzupassen. Dasjenige Instrument, welches sich hiezu wohl eignet, ist der Ko- härer. In erster Linie ist derselbe allerdings bloss zum qualitativen Nachweis von Schwingungen geeignet, und bei den meisten Arbeiten, in welchen er als Reagens benützt wurde, hat er nur diese Bedeutung. Seine be- kannte grosse Launenhaftigkeit scheint ihn als Organ einer Messvorrichtung auszuschliessen. Allein, wenn man sich lange mit der Handhabung dieses Instrumentes ab- gibt, so findet man, dass bei Beobachtung gewisser Vor- sichtsmassregeln die Inkonstanz im Reagieren zwar nicht aufgehoben, aber doch auf ein verhältnismässig kleines Mass reduziert werden kann. So wird dann der Kohärer ') A. Righi. Les ondes hertziennes. Congrès international de physique, rapports t. II p. 301. — 332 — ein für Messungen brauchbares Mittel, das für erste An- näherungen recht gute Dienste leisten kann. Die folgen- den Versuche, welche eine Prüfung der Transversalität der elektrischen Schwingungen bezwecken, sind mit diesem Hilfsmittel angestellt worden. Als gut geeignet erwies sich ein Kohärer, bestehend aus einem 7 cm langen, etwa 1 cm weiten Glasrohr, durch Korke verschlossen und mit einem Gemisch von nicht zu feinen Kupferdrehspähnen gefüllt, denen ein wenig Nickelfeilicht beigemengt war. Durch die Korke ragten ins Innere zwei gerade Kupferdrähte von 3 mm Dicke, so weit eingesteckt, dass die einander zugekehrten Enden 1 bis 2 cm von einander abstanden. Die äussern Enden waren so ca. 40 cm von einander entfernt. Über dem ganzen Glasrohr war als metallische Hülle ein 7 cm langes dickwandiges Messingrohr geschoben, welches das Glasrohr dicht umschloss. Die beiden Elektroden des Kohärers trugen je ein Quecksilbernäpfchen, um die Einschaltung des Kohärers in einen geeigneten Strom- kreis ohne Erschütterung nach stattgehabter Einwirkung bewerkstelligen zu können. Dieser Stromkreis war der Nebenschluss eines auf einem Widerstand von 100 Ohm geschlossenen Trockenelementes, und enthielt ausser dem Kohärer noch eine Galvanometerrolle. Die durch diese Schaltung den Kohärerelektroden applizierte elektromoto- rische Kraft betrug 0,1 Volt. Die Entfernung der Galvano- meterrolle von der beweglichen Nadel war so herauspro- biert, dass, wenn der Kohärerwiderstand auf Null sinken würde, genau der letzte Teilstrich der Skala im Fernrohr erscheinen sollte. Durch Vorversuche mit einem Rheostaten war eine Skala hergestellt worden, welche die jeweiligen Kohärerwiderstände direkt abzulesen gestattete. Um nun den Kohärer für die Messungen geeignet zu machen, musste, wie viele vorhergegangene Versuche es hatten erkennen lassen, sein normaler Widerstand so 333 sein, dass er bei der stärksten Einwirkung des Oscilla- tors, die benützt wurde, nicht tiefer als etwa 40 Ohm sank, aber auch nicht höher blieb als ca. 70 Ohm. Durch Regulierung der Distanz der einander zugekehrten Elektrodenenden im Kohärer, sowie der Masse der ein- gefüllten Metallspäne war dies leicht zu erreichen. Nach so regulierter Empfindlichkeit zeigten die einzelnen Ver- suche, bei anscheinend gleichen Versuchsbedingungen, immer noch unter sich Abweichungen, die nicht mehr zu vermeiden waren, aber dieselben waren doch so be- deutend reduziert, dass bei sehr zahlreich wiederholten Beobachtungen vollkommen brauchbare und sichere Mittel- werte zu bekommen waren. Als Oscillator dienten zwei Messingstangen von je 40 cm Länge und 1 cm Durchmesser, in gerader Linie angeordnet. Die einander zugekehrten Enden trugen Kugeln von Messing, 2 cm Durchmesser, die mit Kappen aus Platin versehen waren. Dicht hinter den Kugeln waren Drähte angesetzt, welche zu einem Induktorium führten. Als solches wurde ein gewöhnliches Carpen- tier'sches (grosses Modell) oder ein Klingelfuss'sches mit geschlossenem Eisenkern verwendet. An dieser Stelle möchten wir nicht versäumen, Herrn Ingenieur Klingel- fuss für die freundliche Überlassung eines seiner durch so grossen Nutzeffekt ausgezeichneten Instrumente unsern besten Dank auszusprechen. Oscillator und Kohärer waren in einer Höhe von 1,5 m über dem Fussboden und in 4 m Entfernung von einander aufgestellt. Die Einwirkung wird nun stark abhängen von der Zahl der benützten Funken, resp. von der Dauer des Funkenspieles. Deshalb wurden ver- schiedene Versuchsreihen vorgenommen. Zuerst wurden nur drei Funken hintereinander erzeugt, indem der pri- märe Stromkreis des Induktoriums durch eine geeignete — 334 Vorrichtung dreimal hintereinander gleichmässig ge- schlossen und geöffnet wurde. Die durch diese drei Funken erzeugte Wirkung wurde dann beobachtet. Her- nach wurde eine zweite Versuchsreihe unternommen, bei welcher aber das Induktorium mit einem Desprez ver- sehen war und jeweilen dreimal hintereinander ein Fun- kenspiel von zirka einer halben Sekunde ausgelöst wurde. Beide Arten zu „geben" führten zu qualitativ verschie- denen Resultaten, aber der Charakter der Erscheinung blieb durchaus derselbe. Die Aufgabe bestand nun darin, die Grösse der Einwirkung zu messen bei allen möglichen relativen Stellungen, welche Oscillator und Kohärer gegen einander einnehmen können. Figur 1. In Figur 1 sei A die Mitte des Oscillators, B die- jenige des Kohärers. Die Richtung des erstem bilde mit der Grundlinie den Winkel 0i, diejenige des letztern den Winkel 02. Ferner sei e der Neigungswinkel der beiden Ebenen, welche die Grundlinie AB einerseits mit der Oscillatoraxe, andererseits mit der Kohäreraxe bestimmt. Alle möglichen gegenseitigen Lagen werden erschöpft, wenn man e, 0i, &z von 0 bis 7t variieren lässt. Wir haben uns beschränkt, diesen Winkeln die Werte zu erteilen : 0° 45° 90° 135° indem wir jeweilen um eine Viertelsdrehung fortge- schritten sind. Der letzte Wert 180° war überflüssig, — 335 — da er wieder mit 0° zusammenfällt. Kombiniert man alle diese vier Werte für die drei Winkel mit einander, so erhält man 64 mögliche Zusammenstellungen. Da es für uns nur auf gegenseitige Bichtungen ankommt, die nicht mit einem bestimmten Bewegungssinn behaftet sind, so reduzieren sich diese hier auf 20 wirklich geo- metrisch verschiedene. Diese werden am besten dadurch ermittelt, dass man sich die Figur 1 mit Hilfe eines aus Stricknadeln und Korkstopfen hergestellten Modells räum- lich versinnlicht. Man eliminiert dadurch die unnötigen Stellungen sehr leicht und die übrig bleibenden sind die in folgender Tabelle zusammengestellten und mit Buch- staben bezeichneten: e Gi 02 8 0i (-h 0 0 0 A 45 45 45 L 45 B 90 M 90 C 135 N 45 0 D 90 45 O 45 90 E F 90 P 90 45 45 Q 135 G 90 B 90 0 H 90 45 S 45 I 90 T 90 K 135 45 135 U Eine bessere Übersicht über diese zu untersuchen- den Stellungen erhalten wir durch die Zeichnungen in Figur 2, in welchen immer links der Oscillator und rechts der Kohärer zu denken ist. Wie man sieht, kann der Versuch immer so disponiert werden, dass der Ko- härer horizontal liegt, was für eine möglichste Konstanz in den einzelnen Beobachtungen ein Haupterfordernis ist. Vertikal gestellte Kohärer sind nämlich von so 33G grosser Unzuverlässigkeit, dass von ihnen abgesehen werden muss. A B I) )r- ~* yr~^ ^-^r ^ H i k l n ;-+"Kh^Nf ^b N 0 U ^-^- &—^ ^r^t ^~k K S ^r \ Figur 2. 337 Die ganze Versuchsreihe wurde öfters wiederholt, indem bei jeder einzelnen Stellung dreissig Beobachtungen gemacht wurden. Dem Charakter nach waren alle Re- sultate gleich, und es möge hier eines unter ihnen an- gegeben werden, wobei die Zahlen Ohm bedeuten: A B C D E CO CO 3C >C 190 F G H I K 71 139 sc 87 34 L M N 0 P 310 144 430 165 57 Q R S T U OO CO >C CO' 250 Das Maximum der Wirkung findet also bei der Stellung K statt, d. h. wenn Kohäreraxe und Oscillator- axe zu einander parallel und senkrecht zur Grundlinie stehen. In neun Stellungen blieb die Wirkung völlig aus. Wenn Oscillator und Kohärer die Lagen haben wie in K, so wollen wir sagen, sie befinden sich in ihren Hauptlagen. Bilden wir nun bei allen zwanzig Stellungen das Produkt der Cosinuse der Winkel, welche Oscillator und Kohärer mit ihren respektiven Hauptlagen bilden, so muss, wenn das Gesetz der Transversalität der Schwin- gungen richtig ist, dieses Produkt jeweilen proportional der stattfindenden Einwirkung sein. Da wir nun die Einwirkung durch die Widerstandsverminderung im Ko- härer messen, und über den funktionellen Zusammenhang zwischen dieser Widerstandsverminderung und der Grösse der Einwirkung bis jetzt nichts wissen, so müssen wir uns damit begnügen, zu sehen, ob die beobachteten Wider- stünde abnehmen, wenn die oben genannten Produkte wachsen, und ob für diejenigen Stellungen, bei welchen — 338 — diese Produkte gleich sind, die Widerstände gleich sind. Unter diesem Gesichtspunkt gruppiert, ergeben obige Resultate folgende Tabelle: Produkt der Beobachtete Stellung Cosinuse Widerstände K 1 .'54 Ohm F 71 Ohm I 0,7 87 „ P 67 „ E 190 Ohm G 0,5 139 „ M 144 „ 0 165 „ L 310 Ohm N 0,4 420 „ U 301 „ ABC DHQ 0 alle >c RST Angesichts der Un Vollkommenheit, die dem Kohärer, trotz aller Sorgfalt, anhaftet und seine Anwendung für Messungen erschwert, dürfen diese Zahlen doch als in gutem Einklang mit den Forderungen der Theorie und speziell mit dem Cosinusgesetz stehend bezeichnet werden. Man wird auch zugeben, dass diese Methode, trotz ver- schiedener Einwendungen, die man gegen sie erheben kann, Resultate liefert, die ebenso sicher sind als die, welche man mit dem gewöhnlichen Resonator erhält, bei welchem man durch Grösse und Zahl der ausgelösten Fünk- chen die Kräfte im Felde bestimmt. Wir möchten da- her obige Zahlen als einen neuen Beleg für die Trans- versalität der elektromagnetischen Schwingungen hinstellen . — 339 — II. Einfluss eines Drahtgitters auf elektrische Strahlen. Ein für die Theorie ebenfalls sehr wichtiger Ver- such, auf welchen die Methode des Kohärers auch wieder mit Vorteil angewendet werden kann, ist der, bei welchem ein Drahtgitter auf den Weg der Strahlen' eingeschaltet wird. Diesbezügliche messende Versuche sind bereits vor zwölf Jahren von Rubens und Ritter unter Ver- wendung des Bolometerprinzips ausgeführt worden 1). Wir haben dieselben mit dem Kohärer wiederholt und in dem Sinne erweitert, dass wir die Gitterebene nicht beständig senkrecht zur Grundlinie nahmen, sondern ihr alle möglichen Orientationen erteilten. Für diese Ver- suche bedienten wir uns zweier kleiner Hertz'scher Pa- rabolspiegel, deren Axen horizontal je 1,5 m über dem Fussbodeu waren. Die Spiegel waren einander zugekehrt mit 4 m Abstand; einer enthielt in seiner Axe den Os- cillator, der andere den Kohärer. Ihre Masse waren : Brennweite 4 c, Öffnung 40 c, Axenlänge 57 c. Es waren solche, wie sie von der Firma Leybold zu Demon- strationszwecken hergestellt werden. Das Gitter aus Kupferdrähten von 1,5 mm Dicke in Abständen von 1,5 c war auf hölzernem Rahmen montiert und hatte 80 c Breite. Die Mitte des Gitters war immer in der Mitte der Grundlinie, also 2 m von jeder Spiegelaxe entfernt. Über die möglichen Stellungen des Gitters gewinnen wir am besten durch beistehende Figur 3 einen Überblick, wobei nur die extremen Lagen angegeben und die durch 45° gehenden Übergangslagen weggelassen sind. 'l Rubens u. Ritter, Über das Verhalten von Drahtgitteru gegen elektrische Schwingungen, Wied. Ann. Bd. XL, p. 55, (1890). 340 B S I) E C F ,e. Figur 3. Bei diesen Zeichnungen denke man sich das Auge von der Mitte des Kohärers nach der Mitte des Oscil- lateur, also in der Richtung der Grundlinie, blickend. Die Kugeln des Oscillators sind durch Kreise angegeben. Bei A und B ist die Gitterebene senkrecht zur Grund- linie, bei den übrigen fällt sie mit ihr zusammen. Bei C und F stehen die Gitterdrähte senkrecht zur Grund- linie, bei D und E parallel zu ihr. Ausser diesen sechs Hauptstellungen wurden auch die sechs mittleren Über- gangsstellungen untersucht, die man bei jeweiligem Drehen um 45° erhält. Das Resultat dieser Messungen, welche für jede Haupt- und Zwischenstellung hundert mal wieder- holt wurden, ergab folgendes Resultat für die Wider- stände in Ohm: Hauptstellung Zwischenstellung A . . . . . 433 . . 222 B ... 94 . . 86 34 1 Hauptstellung Zwischenstellung c . . 77 D ... 76 , . . 75 E . . . 77 . . 264 F . . . 471 . . 463 A . . . . . 433 Wie man sieht, bestätigt sich die Folgerung der Theorie für die Polarisation der elektromagnetischen Schwingungen in den Versuchen A bis E, wogegen aber bei F erwartet werden sollte, dass die Wirkung fast un- gestört sich ausbreiten sollte. Es ist das ein Punkt, wo die Analogie mit den Lichtstrahlen nicht mehr auf- recht erhalten werden kann, wie bereits die Herren Prof. Hagenbach-Bischoff und Zehnder bei ihrer Wieder- holung der Hertz'schen Versuche es bemerkt hatten 1). Diese Sache ist in innigem Zusammenhang mit den im nächsten Abschnitt zu besprechenden Versuchen, so dass wir auf dieselbe noch einmal zurückkommen werden. TIT. Interferenz direkter und an einer metallischen Wand reflektierter elektrischer Strahlen. Beim Nachforschen nach weitern Analogien sind es sodann die Interferenzerscheinungeu, welche Gegenstand vielfacher Untersuchungen geworden sind. Man hat sich bemüht, das Phänomen der Fresnel'schen Spiegel mit }) Hagenbach >/. Zehnder, Die Natur der Funken bei den Eertz'schen elektrischen Schwingungen, Wied. Ann. Bd. XLIIT p. 610, (1891). — 342 — elektrischen Strahlen zu reproduzieren und insbesondere seine Modifikation nach Lloyd, welche nur eines einzigen Spiegels bedarf. Die Einfachheit dieser zweiten Dis- position Hess uns hoffen, auch hier mit der Methode des Kohärers einen Beleg für die betreffenden Folge- rungen aus der Theorie zu erhalten. Von Herrn Righi wurde in seinem bekannten Buche, unseres Wissens zum ersten Male in dieser Absicht, dieser Versuch be- schrieben 1). Wir haben uns an die von diesem Gelehrten angegebenen Verfahren zur Produktion von Schwingungen gehalten, indem wir nach seinen Angaben einen Oscil- Iator konstruierten, der eine Wellenlänge von 10,6 c liefern sollte. Zwei messingene Vollkugeln von 3,75 c Durchmesser waren in isolierenden Ringen so montiert, dass ihr Abstand genau reguliert werden konnte. Durch zwei seitliche längere Funken wurde dem System die Ladung zugeführt. Die Axe dieses Oscillators stand wieder parallel mit der des Kohärers, und es wurde immer zuerst bewerkstelligt, dass nur der mittlere kleine Funke wirksam war, während die beiden grossen Ladungs- lünken wirkungslos blieben. Hiezu verband man die grossen Kugeln metallisch durch einen eingepressten Metallkeil und vergrösserte einerseits die Ladungsfunken während man andererseits die Empfindlichkeit des Ko- härers verkleinerte bis keine Wirkung mehr bemerklich war. Darauf wurde der Metallkeil entfernt und der mittlere Funke auf günstigste Wirkung eingestellt. Die Reflexion geschah an einer ebenen Zinktafel von 2 m Länge und 1 m Breite, die mit der längern Seite pa- rallel der Grundlinie gestellt war. Kohärer- und Os- cillatoraxe waren der Ebene parallel, und letztere war parallel verschiebbar. Es bedeutet A in Figur 4 der ]J A. Righi, Die Optik der elektrischen Schwingungen, deutsch von B. Dessau, p. 91. 343 — Erreger, B der Empfänger, deren Axen senkrecht zur Papierehene seien und T die Blechtafel, deren Ebene auch senkrecht zur Zeichenebene sei. Figur 4. Es sei d der Abstand des Kohärers vom Oscillator, h der Abstand des Spiegels von der Grundlinie. Dann ist der geometrische Wegunterschied eines direkten und eines reflektierten Strahles: A = V d2 l 4 h* — d woraus: h = £ \ j- + 2 dz/ Daraus lassen sich die Distanzen h berechnen, für welche Maxima oder Minima der Wirkung eintreten sollten. Unter Berücksichtigung, dass bei der Reflexion an der metallischen Wand eine halbe Wellenlänge ver- loren geht, sollten wir haben : Maxima für A = * 3 i 5 j ... Minima für J = * 2 A Sä ... Berechnet man diese Distanzen h bei Zugrunde- legung der Wellenlänge l = 10,6 c und des Abstandes d = 400 c, so ergeben sich folgende Werte in c : Maxima für h = 83 57 74 88 101 .. . Minima für h = 46 68 81 94 . . . Bei der Anstellung der Versuche haben wir die Distanz h von 10 zu 10 c wachsen lassen. Trotz einer sehr grossen Anzahl von Wiederholungen konnten wir das erhoffte Interferenzphänomen nicht wiederfinden. Alle Versuche ergaben Resultate mit demselben Cha- rakter und folgende herausgegriffene Versuchsreihe giebt 344 Mit Blechtafel. Widerstand deren Typus wieder. Die Distanzen h sind in c ange- geben, die Widerstände in Ohm. Ohne Blechtafel. 224 ^_ 0 953 10 1860 20 754 30 370 40 290 50 1 70 60 131 70 98 80 133 90 134 100 230 Die graphische Darstellung dieses Ergebnisses in Figur 5 giebt ein deutliches Bild des Verlaufes der Erscheinung. 1400 J2oo 1000 XQ6 600 M 09 200 20 30 uo fo Figur 5. 6o ?o 8o so 100 345 Die horizontale Gerade in der Höhe 224 giebt die Wirkung an, wenn das Blech fortgenommen ist. Am Anfang, d = 0, schneidet das Blech die Strahlen stark ah, oder ahsorhiert sie stark. Bei d = 10 ist diese Ab- sorption noch gesteigert und nimmt hernach wieder ab bis d = 40, wo die Wirkung mit Blech gerade gleich derjenigen ohne Blech geworden ist. Die Tafel ist dort ganz wirkungslos. Bei weiterem Entfernen des Schirmes tritt nunmehr eine Verstärkung ein, bis etwa bei d = 70 ein Maximum der Wirkung eintritt. Dann lässt diese Verstärkung wieder nach, und bei d = 100 ungefähr ver- schwindet wieder der Effekt der Tafel. Weiter hinaus zeigte sich dann auch kein EinMus-s derselben mehr. Wie man sieht, trägt diese Kurve durchaus nicht den Charakter, den sie aufweisen müsste, wenn man hier wirklich eine dem Lloyd'schen Versuch der Optik ana- loge Erscheinung hätte. Berücksichtigt man nämlich die vorhin berechneten Distanzen h für Maxima oder Minima, so sollte, zunächst ganz abgesehen von der merkwürdigen Schwächung bei h = 0, die Kurve nach einer Verstär- kung hinsteuern und nicht nach einer Schwächung, also hinunter und nicht hinauf gehen. Da ferner mit wach- sender Entfernung h die Maxima und Minima immer näher zusammenrücken, so sollten die Schnittpunkte der Kurve mit der horizontalen 224 die Tendenz haben, in immer kleinern Intervallen aufeinander zu folgen und nicht, wie es hier zu sein scheint, immer mehr ausein- ander zu rücken. Mit andern Worten, die Kurve sollte nicht so flach sich hinausziehen, wie sie es thut. Aus diesem den Forderungen der Theorie nicht entsprechenden Resultat könnte man nun entweder schliessen, dass die Methode des Kohärers im betrach- teten Falle unzureichend ist, oder aber, dass die zu den Erscheinungen der Optik erhofften Analogien bei den elektromagnetischen Schwingungen noch in gewissen 346 Punkten Lücken aufweisen, deren genaue Konstatation und Erforschung von grosser Tragweite sein kann. Ohne entscheidend hier antworten zu wollen, wozu vorerst noch parallele Versuche etwa mit der Methode des Bolometers notwendig wären, möchten wir doch dahin neigen, dass man bis heute noch nicht von einer vollständigen und durchgreifenden Analogie zwischen beiden Arten von Strahlungen überzeugt sein darf. Avas uns hiezu bewegt, ist, dass die Methode des Kohärers in den beiden vor- hergehenden Aufgaben Resultate ergab, welche mit den Versuchsergebnissen bewanderter, mit andern Methoden operierender, Experimentatoren in guter Übereinstimmung stehen. Dieses spricht zu Gunsten des hier angewendeten Verfahrens und lässt es als das Wahrscheinlichste er- kennen, dass bei unserem letzten Versuche thatsächlich die Analogie versagt. Um sich nun über die hier vorliegende Erscheinung Rechenschaft zu geben, könnte man vielleicht folgender- massen verfahren, indem man sich mehr auf den Boden der alten Elektrizitätslehre stellt. Fassen wir den Os- cillator als Zentrum einer Energieaustrahlung auf, so ist es ein ganz bestimmtes Bündel von Energiestrahlen, welche die Wirkung auf den Kohärer vermittelt, wenn noch keine Blechtafel da ist. Wenn nun das Blech in irgend eine der Lagen des Versuches gebracht wird, so werden in elementaren Streifen, aus welchen das Blech gebildet gedacht werden kann, Ströme induziert. Dieses wird auf Kosten auch eines gewissen Kegels von Energie- strahlen geschehen, wodurch immer eine gewisse Ab- sorption von Energie bedingt sein wird. Die Elementar- streifen des Bleches können nun ihrerseits wieder auf den Kohärer induzierend wirken. Heissen wir diese Wirkung die sekundäre, während wir unter der primären diejenige verstehen, welche direkt, ohne Vermittlung des Bleches, vom Oscillator auf den Kohärer ausgeübt wird. — :547 — Liegt nun die Tafel so, dass li = 0 ist, so schöpft die Tafel ihre Energie direkt aus dem primären Kegel. Die primäre Wirkung ist schon ziemlich stark vermindert. Es werden in der Tafel aber nur in den dem Oscillât« >r zunächst liegenden Streifen Ströme induziert und in den andern nicht, weil diese letztern vom Oscillator nicht „gesehen" werden. Die sekundäre Wirkung der in den erstem Streifen induzierten Ströme kommt aber kaum zur Geltung , weil sie ihrerseits den Kohärer nicht „sehen". Die Gesamtwirkung ist also eine sehr merklich geschwächte. Bringen wir jetzt die Tafel auf h = 10, dann absorbiert sie immer noch aus dem primären Kegel Energie, aber jetzt viel mehr als vorhin, denn alle Elementarstreifen werden jetzt vom Oscillator „gesehen", und es wird in allen induziert. Die vermehrte Absorption hat eine noch bedeutendere Schwächung der primären Wirkung zur Folge. Die sekundäre Wirkung ist jetzt gegen vorher gesteigert, aber sie ist nicht imstande, die Schwächungszunahme ganz aufzuheben. Die Gesamt- wirkung sinkt also noch tiefer als vorher, und das er- klärt, dass die Kurve jetzt höher steht als vorhin. Gehen wir mit dem Blech auf h = 20, so hat die Tafel langsam begonnen, aus dem primären Kegel herauszutreten und hat angefangen, einen Teil ihrer Induktionsströme aus einem andern Kegel zu schöpfen. Die noch geschwächte primäre Wirkung ist im Wachsen begriffen und die se- kundäre unterstützt sie, die Gesamtwirkung hat also wieder zugenommen. Bei h = 40 zieht die Tafel immer noch zum Teil den primären Kegel in Mitleidenschaft und die primäre Wirkung hat noch nicht ihre volle Höhe wieder erreicht. Die sekundäre Wirkung aber, die zum Teil aus einem neuen Strahlenkegel Energie schöpft, der mit dem primären nichts gemein hat. ist gerade hin- reichend, um die Gesamtwirkung auf das volle Mass der direkten Wirkung zu bringen, welche stattfindet, wenn — 348 — gar kein Blech da ist. Die Kurve schneidet also hier die horizontale Linie, welche diese letztere Wirkung dar- stellt. Gehen wir nun auf h = 50, so nimmt die Tafel immer noch etwas vom primären Kegel in Anspruch und schwächt noch um etwas die primäre Wirkung. Hiezu kommt aber die immer noch sehr merkliche sekundäre Wirkung der Tafel, die ihre Energie aus einem Kegel schöpft, der nur noch sehr weniges mit dem primären ge- mein hat. Die Gesamtwirkung ist grösser als ohne Blech. Bei h = 70 hat die additive sekundäre Wirkung ihren Höhepunkt erreicht, ebenso die primäre und hiemit auch die Gesamtwirkung. Die Kurve steht dort am tiefsten. Lässt man h noch mehr wachsen, so bleibt jetzt die primäre Wirkung ungeändert auf ihrer vollen Höhe, während die sekundäre wegen der wachsenden Entfer- nung beständig abnimmt, bis sie schliesslich sich der Beobachtung entzieht. Die Kurve wird sich wahrschein- lich asymptotisch der Horizontalen 224 nähern. Auf diese Weise lässt sich vielleicht das eigentüm- liche Ergebnis unseres letzten Versuches erklären. Die dem Gedankengang zu Grunde liegende Zerlegung der Blechtafel in elementare Streifen senkrecht zur Grund- linie mag dadurch gerechtfertigt sein, dass wir auch einen Versuch anstellten, wo an Stelle der Tafel das früher benutzte Gitter mit entsprechender Orientation der Drähte gebraucht wurde. Zum Schlüsse mag noch erwähnt sein erstens, dass die vollständige Neutralität des Gitters festgestellt wurde, wenn dasselbe als „reflek- tierende Wand" benützt wurde, indem die Drähte parallel der Grundlinie verliefen, und zweitens, dass eine Blechtafel ebenfalls keine Wirkung zeigt, wenn die Oscillatoraxe auf ihrer Ebene senkrecht steht. Basel, Physikalisches Institut der Universität. Nov. 1902. Rheticus und Paracelsus. Von Karl Sudhoff. Als Hohenheim in Salzburg die Augen schloss, war eben zu Basel bei Robert Winter l) der für den süddeutschen Vertrieb bestimmte Abdruck der ersten Schrift des da- mals 27jährigen Georg Joachim Rheticus über des grossen Copemicus unsterblich Werk erschienen, die „Narratio prima" . . „de libris revolutionum Doetoris Nicolai To- runnsei Canonici Varmiensis," in Form eines Send- schreibens an den Nürnberger Mathematiker Johannes Schöner, welches einen Schleier nahm von den Augen der Menschheit — als Hohenheim schon zum ewigen Schauen eingegangen war. Das Lebenswerk des Co- pernievs selber wurde erst zwei Jahre später ausge- geben ; sein sterbend Auge hat das erste fertige Exem- plar noch am Morgen des Todestages gestreift. — Wohl wusste man schon seit einigen Jahren in ein- geweihten Kreisen von der grossen wissenschaftlichen That des Frauenburger Domherrn und die staunener- weckende Kunde drang langsam in immer weitere Kreise; aber in die weltfernen Alpenthäler, in welchen Hohen- heim die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, war kaum ein Laut von dieser grossen geistigen Umwälzung gekommen, welche die „libriVI de revolutionibus" bringen sollten. 1) Nicht Georg "Winter, wie Leopold Prowe in seinem „Nicolaus Coppernicus 1. Band. Das Lehen II. Theil, Berlin 1883," S. 427 Anin. schreibt; einen Basler Drucker namens Georg Winter hat es im 16. Jahrhundert überhaupt nicht gegeben. 350 Und doch, wer sich nachdenkend in die Weltan- schauung Hohenheims zu versenken versucht hat, wer gar seine astronomischen Schriften trotz der Sprödig- keit ihrer Form und des fliegenden Geistes ihrer Spe- kulationen oder ihrer mystischen Seitensprünge auf sich hat wirken lassen, der wird sich unwillkürlich die Frage vorgelegt haben, wie hätte Hohenhcim, wenn er sie er- lebt hätte, zu den Offenbarungen des Copernims sich gestellt. Hätte der redliche Wahrheitssucher auf allen naturwissenschaftlichen Gebieten, dem beispielsweise in der Chemie so mancher Blick hinter den Schleier der Maja glückte, hätte er die neuen astronomischen Wahr- heiten sofort mit offenen Armen aufgenommen, mit kon- genialem Verständnis erfasst? Wenn diese Frage auch ewig ohne Antwort bleiben muss, so wird doch das gleichzeitige Ringen der beiden Männer nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis immer wieder den denkenden Historiker der Natur- und Heil- kunde fesseln und zum Vergleich herausfordern. Denen aber unter den heutigen Historikern der exakten Naturwissenschaften, welche etwa einen Coper- nicus, einen Galilei nachschaffend neu erstehen lassen wollen, und die Lippen spöttisch schürzen, wenn man neben ihren Grössen den genialen Einsiedler auch nur zu nennen wagt, denen gebe ich zur Erwägung, dass Hohenheim in seiner Auffassung von der Chemie — und um diese Naturwissenschaft handelt es sich bei ihm ja vor allem — jeglichem alchemistischen Krimskrams un- endlich viel vorurteilsfreier gegenüberstand als etwa die grossen Astronomen neben und nach ihm den astro- logischen Hirngespinsten! — — Aber die Brandmale der Verkennung und Ver- leumdung haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu tief in das historische Antlitz des Paracelsus hineingebrannt, — 351 — als dass auch die, welche sich frei von der Wirkung aller Schlagworte glauben, durch dieselben hindurch oder daran vorbei sehen könnten. Wer jedoch eine gerechte Beurteilung Hohenheims anbahnen will, darf sich daran nicht stossen, darf sich auch durch das Gekläff der kleinen Geister der konserva- tiven Schulmeute des 16. Jahrhunderts das geistige Ohr nicht stumpf machen lassen, sondern muss auf Hohenheim selbst und auf die wenigen Grossen nach ihm hören, die aus ihrem eigenen Geistesringen heraus für die ver- wandten Stimmen anderer Wahrheitskämpfer im wirren Marktgeschrei der Tagesgrössen, der Zeit- und Schul- gemässen selber feinhörig geworden waren, die gleich einem Tycho Brake, oder Giordano Bruno Verständnis gewonnen hatten für das weltumspannende Neue, das Paracelsus geschaut und gedacht hat. — — — Heute will ich nur den Einfluss, welchen Hohen- heim auf Einen von ihnen ausgeübt hat, aufdecken, auf den Herold der Copernicanischen Wahrheitskündung, den man vielleicht nicht zu den „Grossen" im strengsten Sinne rechnen darf, dem aber im Nachschaffen Coper- nicanischer Grösse der Sinn erwacht war für das wahr- haft Bedeutende auch auf anderen Gebieten. Ist doch die Geschichte der Einwirkung Hohen- heims auf seine Zeitgenossen und Nachlebenden noch von grundauf zu schaffen — hiermit ein Steinchen zu diesem Bauwerk! In den »ONOMASTICA IL," welche der federfertige Hagenauer Paracelsist, weiland Schulmeister und poëta laureatus Michael Schütz, genannt Toxilcs, im Jahre 1574 in Gemeinsamkeit mit Johann Fischart, dem Dichter und „Schriftführer der deutschen Nation," bei dessen — :j52 — Schwager Bernhard Jobin in Stras sburg hatte erscheinen lassen, findet sich im zweiten Teile, dem „Onomasticon Theophrasticum," auf Seite 430 bei der Erklärung des Wortes „Elixir" folgende Zwischennotiz: „Edemus autem hreui publicse vtilitatis gratia Arc/ii- doxa in latin am linguain, à viro clarissimo et doctiss. Georgio Ioachimo R/mtico meclicinae Doctore prsestantiss. et mathematico sumrao optime conuersa. ut externe na- tiones melius iudicare de Theophrasti doctrina possint. Gerardi enim Dorm) versio plurimis in locis vitiosa est ..." Der erste Apostel des grossen Meisters Copernicus, ein lateinischer Interpret der Paracelsischen Jugendschrift „Archidoxa"! — Man kann sich denken, wie ich stutzte, als ich diese Nachricht zum ersten Male las. Ein Zweifel an ihrer Authentizität konnte nicht statthaben; noch war ja der fähige Schüler des Frauenburger Domherrn am Leben1)! Es lässt bei Rheticus ein grosses Interesse an der Paracelsischen Reform der Heilkunde voraussetzen, wenn er sich entschloss, das lange verborgene, lange verloren geglaubte Handbuch der Hoheiiheim'schvn chemischen Arzneibereitungslehre, das seit dem Ende des Jahres 1569 in zahlreichen Ausgaben an die Öffentlichkeit ge- treten war - jeder der bekannten Paracelsuseditoren und Paracelsusverleger in Strassburg, in Basel, in Köln, in München musste seine Archidoxen-Edition haben! — in korrekterer Form als bisher in die Sprache der ge- lehrten AVeit zu kleiden. Die noch so wenig aufgehellten Lebensschicksale des Rheticus in seinem letzten Jahrzehnt lassen einst- weilen keine Begründung für die naheliegende Vermutung !) Rheticus starb zu Kaschau in Ungarn am i. Dezember 1576. ;;5:{ zu, dass er vielleicht schon vor ihrem Erscheinen im Druck die Archidoxen gekannt und übersetzt habe, dass il m etwa der schlesische Dichter am polnischen Königs- hofe, Adam Schröter in Krakau, der das Buch 1569 bei Mathias Wirzbieta in blühendem Latein erscheinen liess, damit bekannt gemacht habe. Oder sollte Rheticus auch mit dessen Übersetzung, welche die offizielle Klique der Paracelsusschüler und -Herausgeber trotz ihrer kleinen Häkeleien untereinander mit beachtenswerter Einmütig- keit totschweigen, nicht zufrieden gewesen sein? Adam Schröter hatte sich der Gunst des Albert Laski (a Lasko) zu erfreuen und auch Rheticus stand mit der Familie der Laski in naher Beziehung, wie wir noch sehen werden. Ob Mitglieder des Adam Schröter'' schvn Freundeskreises in Polen wie die Gutteter in Krakau, Johannes Gregorius Macer oder der Lubliner Arzt Ru- pertus Finck im Leben des Rheticus eine Rolle gespielt haben, bleibt künftiger Forschung anheimgegeben. Ob irgendwo handschriftliche Spuren der von Toxites ge- sehenen Umgewandung des ältesten Leitfadens einer pharmazeutischen Chemie durch Georg Joachim von Lauchen heute noch vorhanden sind, konnte ich nicht in Erfahrung bringen ; doch sind mir noch andere Zeug- nisse für das lebhafte Interesse, das Rheticus für Hohen- heim hegte, zu Händen gekommen. Bekanntlich hat der gelehrte Ilfelder Schulrektor Michael Neander(*l525,-fl595)im Jahre 1583, „ISLEBLT Imprimebat Vrbanus Gubisius," in 8° eine „ORBIS TERRAE PARTI VM SVCCINCTA EXPLICATIO" (212 unnumerierte Bll.) erscheinen lassen, in welcher er — wie unter „Bruxelhv vom Tode des grossen Ve- 23 — 354 — .salins — so unter der Rubrik „Palatinatus, die Pfaltz, Vrbs Heidelberga" von dem dortigen „grossen" Pro- fessor der Medizin Thomas ErastUS und seiner Be- kämpfung der Paracelsiscben Lebren in dem vierbändigen Werke der „üisputationes" bericbtet. Derart über Hobenbeim zum Worte gelangt, kramt der gewissenhafte Schulmann nun seine ganze Weisheit über Paracelsus unter der Spitzmarke „Heidelberg"' fein säuberlich und gewissenhaft aus. Ja in den späteren Auflagen von 1586 und 1589 (beide in Leipzig in 8° erschienen) finden sich über den Wundermann noch viel Seiten lange Zu- thaten. Doch schon in der ersten Auflage dieses Werkes findet sich ein für uns wichtiges Brieffragment des Rhe- ticus, das Neander folgendermasseu einführt: „. . addimus huc partem Epistohe , quam Rheticus professor olim Matbematum in Accademia Lipsensi, et post hac Cro- cauiensi [!], ubi etiam anno superiori diem suum obijt, scripsit de Theophrasto ad virum quendam doctrinse multiplicis et meritorum ergo in républicain literariam per uniuersam Europam clarissimum, communicatani nobis à pietate, doctrina varia, ingenio atque industria maximo domino Ioanne Reiffenstein. patritio Stolbergensi, nostri semper studiosissimo et amantissimo . ." Also dem Stol- berger Honoratioren Johann Reiffenstein verdankt Ni - ander einen Brief des Rheticus an eine ungenannte wissenschaftliche Grösse jener Zeit, der folgen dermass en lautet : „Nostramedicinanon estGeometria, quse semper suum finem assequatur. Quantö enim plus in ea proficio, tantö plus in ea desidero. Credo eam posse cognosci, si idoneos prseceptores habere mus. qualem unicum agnosco Hippocratem, in reliquis — 355 — ut plurimum pärollas1) habemus. Femelius per destillandi artem inuenit eam rationem, ut omnem quartanam unico haustu curauerit, sed is obijt. Paracelsus nostri seculi Theophrastus similia miracula mnlta praestitit, de quibus certo constat. Cum Albertus Basa Polonise régis medicus ex Italia rediret, diuertit ad Paracelsum, qui tum temporis ad Sancti Viti urbem agebat. Accessit cum Theo- phrastô segrotum, quem supervicturum paucis lioris affirmabant omnes ex casu virtutis, et pulsus de- fectu, laborante etiam pectore. Ibi Theophrastus idem affirmabat fore secundum Humoristarum ar- tem medicam, sed facile restitui posse ex vera arte, quam Dens in natura occultauerit, atque aegrum in crastinum ad prandium invitauit, pro- ducto igitur quodam destillato trium guttarum, quod illi in vino exhibuit, restituit hominem, ut ea nocte conualuerit, et sequenti die comparuerit in hospitio Theophrasti sanus maximo omnium miraculo. Cum humsmodi multa ex Bei béné- ficie) faceret, nihil nisi cahimnias et obtrecta- liones assecutus est." Hfcc Rheticus "-'). So spricht oder schreibt doch nur, wer von der Grösse der ärztlichen Kunst Hohenheims für seinen Teil fest überzeugt ist! Dabei verdient es volle Beachtung, dass Rheticus sich neben Hohenheim nur auf seinen, als Neuerer ver- !) „Hohlköpfe" ; in parolla eig. kleines Geschirr („lebes minor" Du Canye), vergl. niederrheinisch „Düppen" für Dummkopf. -)'l. c. 1583 ßl. JV; 1586 Bl. Gs>: 1589 Bl. 5Gb-57a. 356 — schrienen, Zeitgenossen Jean Fernel (-j- 1558) beruft, der von Hohenheim bis zu einem gewissen Grade be- einflusst war, und bei ihm auch noch gerade ein che- misches Heilmittel rühmend hervorhebt. Man darf ferner nicht übersehen, dass Rheticus — ganz paracelsisch! — von den Alten einzig den Hippokrates als Lehrmeister noch weiter gelten lassen will, Galenos und Avicenna aber völlig bei Seite lässt oder verwirft, auf welche sein astronomischer Lehrmeister Copernicus noch so grosse Stücke hielt. Ein weiteres direktes Zeugnis für den Einfluss, welchen Hohenheim'1 sehe Gedanken auf den geistvollen Vorarlberger Mathematiker und Arzt ausgeübt haben, linden wir in einem langen Schreiben des Georg Joachim Rheticus, das an einer allenthalben leicht zugänglichen Stelle abgedruckt ist und trotzdem Allen entgangen zu sein scheint, welche sich in den letzten Jahrzehnten mit seinem Leben, Denken und Schaffen näher beschäftigt haben. Melchior Adam in seinen „Vitae Germanorum Philo sophorum" *) weist auf diese Quelle hin und Sieg- mund Günther'2) hat offenbar eine recht dunkle Kunde davon erhalten, wie die Titel angeblicher ungedruckter Werke aus dem Nachlass des Rheticus darthun, über welche „der Pole Casiciusu berichten soll. Josias Simler, der Schüler und Biograph Konrad Gesner's teilt 1574 in der ihres ursprünglichen Reizes beraubten „Epitome" der Gesner'schen „Bibliotheca universalis" (von 15-45) einen Brief mit, den unser Rhe- ticus 1568 an den berühmten Gegner der aristotelischen i) Ed. III. Francofurti ad Mcenum 1706 Fol". S. 136 2j Allg. Deutsche Biographie Bd. 28. S. 390. — 357 — Philosophie, Pierre La Ramée (Petrus Raums) in Paris gerichtet hat1). In diesem Briefe an den Pariser Philosophen und Mathematiker entrollt Rheticus, 8 Jahre vor seinem Tode, eine lange Liste seines literarischen Schaffens — Vollendetes und Geplantes — und entwickelt gleichzeitig die Grundgedanken, welche ihn bei seinen wissenschaft- lichen Arbeiten geleitet haben, die er beispielsweise in die Worte zusammenfasse „ Ut hypothesibus artem astronomicam liber- em, solis contentus observationibus." Doch auch scharf polemisch fixiert er seinen Stand- punkt als Neuerer, als Reformator: „In his omnibus ego longe iniquior suni Ptole- mreo, quam tu Euclidi, illumque magis flagello quàm tu Euclidem." Ja er zieht folgenden bissigen Vergleich des ge- waltigen Gebäudes der Ptolemäischen Weltordnung mit einem Kinderspielzeug : „Nam sicut se habent domunculse [Häuschen] quas pueri luto et arena sedificant, ad Vitruvii sedificationes, seu palatia fiorentis Romse: ita se liabent magnae Ptolemsei constructiones, quas po- tins maximas destrnctiones appellaveris, ad veram et solidam de motibus siderum doctrinam, quam et Aegyptiorum Astronomiam dixeris, qui suis l) Petrus Ramus wurde ein Opfer der Bartholomäusnacht (1572). — Ich benütze die vollständigste Ausgabe der Gresner- Simler'schen „Bibliothek," hrsg. v. Joh. Jakob Frisius, Tiguri 1583 Fol", in welcher sich das Schreiben des Rheticus an Ramus S. '270 abgedruckt findet. In der „Epitome Bibl. Gesner." Tiguri 1574 Fol- steht der Brief an Ramus auf S. 228. 358 — RADIIS (qiios Gneei per imperitiam obeliscos vocabant) divina plane mente prsediti, lias traeta- bant scientias, etc.u Nach dieser kräftigen Expektoration fasst Rhelicus seine ganzen Bestrebungen unter folgendes Leitmotiv : „Clarissime Käme in Ins subsistere eogito, nisi quod Germanis meis Germanicam Astro- nomiam eondo. Nun frage ich jeden, der seinen Paracelsus kennt: glaubt man hier nicht Hohenheim reden zu hören? Ist da nicht deutlich die Einwirkung etwa seines Briefes an Christoph Clauser zu spüren, von dem ich nur ein paar Zeilen hierhersetze: Innata mihi mea est viohntia medica ex patrio solo: sicut enim Arabum medicus est Avicenna, Perga- mensium Gedemts, Italorum vero Marsilius [Ficinus] Mediorum optimus fuit : ita etiam ipsame Germania ftelicissima in suum Mcdicum necessariwm delegit .... quœlibet JSatio suum sibi ■proprium pecu- liarem Medicum producit Ucee igitur facultas ea est ex qua ego scribo, quam ipsa mihi pa- tria dedit, idque ipsum per necessitatem quam di.ci, ex qua prognatus ego sum . ." Wie Hohenheim auch anderwärts betont, dass er ein „Pfiilosophus nach der deutschen Art" sei. ist bekannt, ebenso -wie er wissenden Herzens darüber klagt, wie man ihn verfolge: „dass ich allein hin, dass ich neu bin, dass ich deutsch bin!11 u. s. w« Doch kehren wir zu dem Briefe des Rheticus zu- rück! Es heisst dort weiter: „In ea vero parte qiue est de Effectibus si- derum, Pandeetas Astrologie in ordinem redigo. 359 Sed et eins proprium condidi artem, antiquissimis artis fundamentis exquisitis." Astrologische Schwachsichtigkeiten waren ja auch dem so klar sehenden grossen Nicolaus Copernicus nicht fremd, und des Rheücus heliozentrische astrologische Theorien und Abenteuerlichkeiten sind bekannt1), während Hoheuheim hierin seine besonderen Wege ging, die sich in kurzen Worten einstweilen nicht skizzieren lassen. Es ist das auch für diesmal nicht von nöten, da der Schild- knappe des Copernicus auf diesem seinem ureigensten Spezialgebiete selbständig Stellung genommen hatte. Wichtiger ist das Folgende: ,,Habeo etiam prse manibus novas de verum natura philosophandi rationes, ex sola natura contemplation e, omnis antiquorum scriptis sepositis." Das ist die Quintessenz der Hohenheim'1 'sehen Re- form, welche das „Perscrutamini verum naturas" an die Stelle der alten Lehrmaxime „Perßcrutathini scripturasu setzte; denn die Naturwissenschaft „bedarf min weiter keines Skribenten mehr, allein Interprètes auf das Buch der Natur nach Inhalt ihres Textes." Auch für die Medizin hat dies „Eperientia ac Ratio Auclorum loco mihi suf- fragantur,u wie er im Baseler Programm betont, unbe- schränkte Geltung; denn „die Natur lehrt den Arzt und nicht der Mensch." So fährt denn auch Rheticus fort: „Idem in arte medica factito.u und teilt mit, dass er auch, in der damals eben erst in Halme schiessenden, neuesten naturwissenschaftlichen Disziplin, der Chemie, sich zu vervollkommnen, in reger Arbeit beflissen sei: 1) Vgl. z. B. Lcoj). Proice. Nicolaus Coppernicus 1. Bd. II. Teil, Berlin 1883 S. 401 u. 480 Anm. 360 — „Et cum plurimum Cheinia délecter, ad eius artis fundamenta penetravi, ut septem de ea libros delmeaverim." Vielleicht tauchen diese schriftstellerischen Versuche in der Scheidekunst noch einmal handschriftlich wieder auf. Teilt doch Simler mit, dass ein grosser Teil aller der genannten — hier nicht mit aufgeführten — Schriften des Rheticus nach Johannes Laski's brieflicher Mittei- lung schon 1570 vollendet vorgelegen hätten und von diesem selbst eingesehen worden seien — ,,magna[m] ho- rum librorum partem iam absolutam se vidisse, ante quadriennium ad nie scripsit, ornatissimus vir Joannes Lasicius Polonus1)," — die sieben < Bücher über die Chemie dürften sich mit grosser "Wahrscheinlichkeit darunter befunden haben. Die Bezeichnung nChemiau für die wissenschaftliche, namentlich pharmazeutische Seite der Alchemie ist im Jahre 1568 immerhin noch beachtenswert. Was die Sache angeht, so ist gerade in der medizinischen Chemie im Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der dominierende Einrluss Hohenheims absolut ausser Frage. Auf Bhe/icus'' ärztliche Qualität weist gerade der Schluss des von Simler mitgeteilten Brieffragmentes noch einmal recht eindringlich hin : „Tot et tanta sunt qiue tracto, et ad qua1 mihi hactenus ars medica, meus Mœcenas sumptus suppeditavit.u Was doch wohl besagen will, dass dem Leipziger Professor der Mathematik, in den "Wanderjahren seines letzten Lebensabschnittes wenigstens, der Ertrag seiner 1) Das ist der polnische Gewährsmann Günthers! — 3(U ärztlichen Praxis die Mittel verschaffte, um seinen ge- lehrten Arbeiten ohne Nahrungssorgen sich widmen zu können. Seine ärztliche Thätigkeit, welche Simler, Toxiks, Mander, Paschalis Gallus, Adam und hier auch Rheticus selbst bezeugen, dürfte biographisch doch mehr Beachtung verdienen, als es bisher geschehen ist. Auch sein Lehrmeister Copemicus hatte ja Medizin studiert und genoss einen weitverbreiteten ärztlichen Ruf; ja er wurde in der übertreibenden Ausdrucksweise jener Zeit in seiner Umgebung wohl als „zweiter Äskulap" bezeichnet. Jedenfalls gehörte er zu den Koryphäen der Heilkunde in den Weichselgegenden, aber die medizi- nischen Bücher, die er besass und täglich gebrauchte, vor allen das „Philonium" der Leuchte von Montpellier, Valescus de Taratita (Balescon de Tarente aus Portugal, um 1 380), sowie die überlieferten ärztlichen Aufzeichnungen seiner Hand beweisen klar, dass der Reformator der Himmelskunde getreulich in den althergebrachten Spuren des „Fürsten der Arznei" Aviceuna (Ibn Sina, 980—1037) wandelte1). Nicht so sein sonst pietätvollster Jünger, Georg Joachim Rheticus! Wie unvollkommen und lückenhaft auch die Über- lieferung über ihn bis heute noch ist — soviel wird jedermann klar geworden sein, dass Rheticus als Arzt im Lager der Anhänger des Paracelsus gestanden hat! Für die Frage der Beziehung Georg Joachim' s von Lauchen zu Hohenheim darf endlich ein Faktor nicht ausser Rechnung bleiben, der Empfänger des zuletzt be- sprochenen langen Briefes (der wie ein Rechenschafts- bericht über die ganze Summe seines Lebens aussieht und l) Vgl. L. Proirr. Nicolaus Coppernicus 1, II. S. 291-320. — 362 — in seiner biographisch-literarischen Bedeutung für Rhe- ticus von mir nicht zur Hälfte erschöpft ist) Pierre La Ramée, welcher in ebendemselben Jahre 1568 in seiner berühmten ,. Oratio de Basilea" die ewig denkwürdigen, hoch anerkennenden Worte über Hohenheim gesprochen hat: ,.In intima natura? viscera sie penitus introivit; metalloruni stirpiumque vires et facilitâtes tarn incredi- bili ingenii acumine exploravit ac pervidit, ad morbos omnes vel desperatos, et opinione hominum insanabiles, percurandum : nt cum Theophrasto nata primum medi- ana perfeetaque videatur . ." und, nach einer Schilderung der einstigen Reform des Askiepiades von Bithynien in Born zum Schlüsse erklärt hat: „Theophrasfus nempe Germanicus hie Asclepiades fuit : quem Adamus Boden- steinius Basileœ suscitât: sicuti tota Germania plerique excellentes medici." Mit diesen Worten, die zugleich ein weiteres vor- urteilsfreies Zeugnis der nächsten Nachlebenden von Bedeutung über Hohenheim bilden, hat Petrus Ramus offenbar auch unserm Georg Joachim Rheticus aus der Seele gesprochen! Beiträge zur Kenntnis der Labyrinthanomalien bei angeborener Taubstummheit. Von F. Siebenmann. Als Taubstummheit definieren wir nach dem Vor- gehen von Mygind und Bezold denjenigen pathologischen Zustand, welcher beruht auf einer angeborenen oder im frühen Kindesalter erworbenen Anomalie des Gehöror- gans mit dauernder und so bedeutender Herabsetzung des Gehörs, dass das betreffende Individuum durch Hilfe des Gehörs allein die Sprache nicht erlernen kann oder — falls letztere beim Eintritt der Taubheit schon erlernt war — sie nicht auf diesem Wege erhalten kann. Die klinische »Seite der Taubstummheit ist durch eine grosse Anzahl früherer statistischer Arbeiten, na- mentlich aber durch die neuern Untersuchungen Bezolds über die Funktion des Taubstummenlabyrinthes und über die Hörreste der Taubstummen wesentlich gefördert worden. Mit diesem klinischen Ausbau der Taubstummen- frage hat die anatomische Erforschung des Taubstummen- ohres aber nicht gleichen Schritt gehalten. Dies gilt besonders von den angeborenen Veränderungen, auf welche ich mich in meinem heutigen Vortrage beschrän- ken möchte. Die Schwierigkeit solcher anatomischen Untersu- chungen lag von jeher darin, dass der wichtigste Teil des Ohres — das Labyrinth — ein sehr zartes Gebilde darstellt und dass es zudem tief im harten Knochen des — 364 — Felsenbeines eingebettet ist. Eine Untersuchung konnte nur unter Zerstücklung dieses Knochens vorgenommen werden und dabei zerriss der häutige Inhalt der Laby- rinthhöhlen in der Regel zu unkontrollierbaren Frag- menten. So kam es, dass früher nur die allergröbsten Veränderungen zur Beobachtung gelangen konnten. Zu solch hochgradigen augenfälligen Veränderungen gehört in erster Linie das Fehlen des ganzen Labyrinthes oder einzelner Teile desselben. Indessen haben sorgfältige Untersuchungen und Nachuntersuchungen wie z. B. die- jenigen Myginds nachgewiesen, dass es sich in diesen Fällen nicht um primäre abnorme Anlage, sondern mit ganz wenigen Ausnahmen bloss um Produkte späterer Entzündungen und um sekundäre knöcherne Auffüllung der ursprünglich normal vorhandenen Labyrinthräume handelt. Andere Veränderungen, die unbestritten als angeborene Hemmungsbildungen zu betrachten sind, be- treffen die Länge und Form des knöchernen Schnecken- kanals: Eine Verkürzung von 23/4 auf 1 bis 1 V2 Win- dungen, sowie ein Ersatz der ganzen Schnecke oder bloss ihrer obern Hälfte durch einen des innern Ausbaues entbehrenden, grossen Hohlraum wurde mehrmals ge- funden. Auch gänzliches oder teilweises Fehlen des häutigen Inhaltes der Schnecke ist makroskopisch bei angeborener Taubheit konstatiert worden. — Dagegen muss bezweifelt werden, ob die nicht gerade häufigen Be- funde von Degeneration und Atrophie des Stammes oder einzelner Zweige des Acusticus ohne weiteres als alleinige Ursache von angeborener Taubstummheit bezeichnet werden dürfen, da «lie Weichteile des Labyrinthes in diesen Fällen nicht genügend untersucht worden sind. Während also die altern Sektionsbefunde über die Ursache der angeborenen Taubheit uns nur sehr spär- liche und wenig zuverlässige Anhaltspunkte liefern, scheint — 865 dagegen die moderne Sektionstechnik hier unerwartetes Licht zu bringen. Statt dem frühem rohen Verfahren des Aufmeisselns und Aufsägens oder der unzweckmäs- sigen Paraffin-Durchtränkung mit nachfolgendem Mikro- tomieren sind wir nämlich durch das Einführen des Cel- loidins in die mikroskopische Technik in Stand gesetzt, auch diese häutigen zarten Gebilde, welche die knöchernen Hohlräume erfüllen, in situ zur Anschauung zu bringen und mit dem Mikroskop zu analysieren. Dieser moderne Untersuchungsmodus besteht darin, dass der aus dem Felsenbein herausgesägte und das Labyrinth mit der Paukenhöhle enthaltende Knochenwürfel zunächst in einem Gemisch von Formol und Müllerscher Flüssigkeit fixiert, in Salpetersäure entkalkt, dann mit Celloidin imprägniert, gehärtet und schliesslich in eine fortlaufende Reihe feinster Schnitte zerlegt wird. Derartig erhobene mikroskopische Befunde von Ver- änderungen des Labyrinthes bei angeborener Taubstumm- heit besitzen wir bis jetzt nur sehr wenige. Zwei stammen von Scheibe (München) und drei von unserm Institute. Dazu kommen ausser einigen, leider viel zu kurz mit- geteilten Fällen von Kalz in Berlin, noch die interes- santen und genauen Untersuchungen von Alexander, welche Säugetiere betreffen und zwar die taube albi- notische Katze und die taube japanische Tanzmaus. Merkwürdiger und unerwarteter Weise handelt es sich aber in diesen Fällen von angeborener Taubheit nicht um gröbere Veränderungen der knöchernen Labyrinth- räume, sondern um histologische Abnormitäten ihres In- haltes und zwar in erster Linie des Sinnesepithels der Schnecke, dann aber auch des Vorhofapparates. Leider können von den vielen höchst interessanten Fragen pa- thologischer und physiologischer Natur, welche auf Grund dieses Materials einer Förderung harren, bis heute nur — 366 wenige beantwortet werden und zwar deshalb, weil die funktionelle Prüfung der Taubstummheit erst in aller- letzter Zeit eine wissenschaftlich genaue Ausbildung erhalten hat und sie gerade in diesen vorliegenden Fällen noch nicht zur Anwendung gelangt war. - - Immerhin sind wir doch im Stande, schon heute erstens aus den vorliegenden anatomischen Befunden Rückschlüsse zu machen auf gewisse noch streitige Punkte in der Lehre der funktionellen Bedeutung des Labyrinth- Vorhofes und zweitens hinzuweisen auf gewisse Entwicklunysstörunyen im Labyrinth, die bisher fast unbekannt, in Zukunft jedenfalls häutig gefunden werden. I. Über die Frage, welche Teile des Labyrinthes für das Hören am wichtigsten seien, war man sich re- lativ früh klar; allgemein wurde die Schnecke als das eigentliche Hörorgan angesehen. Dagegen bestehen bis in die letzten Jahre hinein Unklarheiten und Wider- sprüche bezüglich der physiologischen Bedeutung des Vorhofs und der Bogengänge. Das physiologische Ex- periment, die letztern Teile des Ohres isoliert auszu- schalten, scheiterte an dem Umstände, dass die Nerven, welche Vorhof und Bogengänge bedienen, in einem ge- meinsamen Stamme mit dem Schneckennerv verlaufen und dass sie nicht nur schwer isolierbar, sondern beim Wirbeltier überhaupt schwer zugänglich sind. Das Nämliche gilt von den einzelnen Teilen des Laby- rinthes selbst, so dass es fast unausführbar ist die Schnecke allein zu vernichten, ohne gleichzeitig den Vorhof- und den Bogengangapparat zu schädigen. Denn die häutigen Teile, welche durch das knöcherne Labyrinth gemeinsam umschlossen werden und welche die spezifischen Nerven- endigungen tragen, sind nur teilweise mit den Kochen- 367 wänden fest verbunden; sie flottieren, dem Einfluss der Schwere entrückt, in einer gemeinsamen Flüssigkeit, — der Perilymphe. Zudem bildet die häutige Schnecke mit den Bogengängen und mit dem Vorhofapparat einen einzigen zusammenhängenden Sack, der allerdings mannig- fach gegliedert aber doch so gebaut ist, dass wenn er an einer Stelle (traumatisch oder ulcerativ) eröffnet wird, hier auch der Inhalt der andern Stellen — und zwar Endo- wie Perilymphe — abfliesst, unter gleichzei- tiger schwerer Schädigung sämtlicher Nervenendstellen des häutigen Labyrinthes. Die beim Menschen beob- achteten Fälle von Ausstossung des Labyrinthes beant- worten deshalb nicht die eng umgrenzte Frage: „Was können wir ohne Schnecke hören?" sondern die viel allgemeinere: „Was können wir ohne Labyrinth hören?" So war man denn angesichts dieser Schwierigkeiten zu- nächst auf die vergleichende Anatomie und auf die Deutung der dort vorhandenen normal anatomischen und physiologischen Verhältnisse angewiesen; und hier stellte sich zunächst die wichtige, von Kreidl nachgewiesene und erst neuerdings unbestritten anerkannte Thatsache heraus, dass von den schneckenlosen Wirbeltieren die Fische nicht hören. Experimente bei verschiedenen Wirbel- tierklassen stellten ferner die Thatsache fest, dass der Bogengang- und Vorhofapparat ein Orientierungs- und Regulierungsapparat ist für Stellungs- und Lagever- änderungen des Kopfes respektive für die Equilibrierung des ganzen Körpers (statisches Organ), und dass unter seinem Einflüsse die Muskulatur sich in einem beständigen Tonus befindet (Tonuslabyrinth). Während die funk- tionelle Bedeutung des Bogengangapparates bezw. der 3 Ampullen mit ihren 3 Cristae durch die scharf- sinnigen , minutiös exakten Experimente von Ewald endgiltig festgestellt worden ist, stehen auch heute — 368 noch namhafte Physiologen dafür ein, dass möglicher- weise dem ganzen Vorhof- und Bogengangapparat und von den beiden otholitenhaltigen Flecken des Vorhofes namentlich der Macula sacculi akustische Eigenschaften zukommen. Welche Täuschungen aber bezüglich der Prüfung des akustischen Sinnes das Tierexperiment her- vorrufen kann, beweist drastisch der in den letzten Jahren ausgefochtene Streit um die Möglichkeit der Hörfähig- keit von Tauben, denen das ganze Labyrinth exstirpiert worden war und welche dennoch reagierten auf grobe Ge- räusche (Schiessen, Blasen des Nebelhorns). — Neuerdings hat der Wiener Ohrenarzt Dr. Alexander eine Reihe von histologischen Befunden und Experimenten veröffentlicht, welche immerhin einen Teil der soeben berührten Frage für das Säugetier-Ohr zu beantworten scheinen und zwar — wie zu erwarten war - in dem Sinne, dass dem obern der beiden Vorhofsäckchen, dem Utricidus und den Bo- gengangen, keine akustische Funktion zukommt. Ale- xander fand nämlich bei einer unvollkommenen albino- tischen Katze, welche auf keinerlei Geräusche und Töne reagierte und welche somit taub war, dass der Bogen- gangapparat samt dem Utriculusfleck und den zugehörigen Nerven ganz normal, die Nervenendstelle des Sacculus aber samt dem Schneckenepithel hochgradig degeneriert waren. Die Frage, ob dem Sacculus, welcher ja der Schnecke topographisch -anatomisch, phylogenetisch und embryo- logisch näher steht als der Utriculus, akustische Bedeutung zukomme, scheint ebenfalls in negativem Sinne beant- wortet werden zu müssen. Ein Sektionsbefund, der kürzlich in miserai Institute erhoben worden ist und in seiner Art einzig dasteht, darf in diesem Sinne als in- teressantes Beweismaterial ein höheres Interesse bean- spruchen: Da der Fall samt dem folgenden nächstens in extenso als Dissertation in der Zeitschrift für Ohren- — 869 — heilkunde (durch unsern Assistenten Herrn Dr. Oppikofer) veröffentlicht wird, beschränke ich mich hier auf die- jenigen Einzelheiten, welche zur Lösung der oben be- rührten Frage von Wichtigkeit sind: Es handelt sich um eine im hiesigen Bürgerspital verstorbene Frau, welche nur solche Geräusche wahr- genommen hatte, die nachweisbar auch gefühlt werden (sehr lautes Donnern, ins Ohr schreien oder Schiessen in unmittelbarer Nähe), welche also ganz taub gewesen war. Gleichgewichtsstörungen waren nie bemerkt worden; Patientin war im Gegenteil sehr gewandt und flink. Eine genaue und gründliche Untersuchung des einen durch Herrn Prof. Kaufmann uns gütigst überlassenen Laby- rinthes ergab, dass der Stamm des Schneckennervs wenig oder gar nicht, der im Labyrinth verlaufende Teil desselben aber samt dem Schneckenganglion hochgradig hypoplastisch war und dass das Cortisone Organ teil- weise oder ganz fehlte und nirgends seine vollkommene Ausbildung erreicht hatte. — Das ganze übrige Ohr war normal; vollständig normal war der Bogengangapparat mit dem Utriculus, und auch der Sacculus mit seinem Fleck, sowie die zugehörigen Nerven boten nicht die geringste Veränderung dar. — Somit kommt iveder den beiden Vorhof säckchen noch den Bogengängen irgend welche akustische Bedeutung zu und es muss die Percep- tionsstelle für die Geräusche wie für die Töne in die Schnecke — speziell ins Cortische Organ — verlegt werden. II. Eine andere, kürzlich von uns bei zwei Indivi- duen gefundene pathologisch -anatomische Veränderung im menschlichen Labyrinth wirft — zusammengehalten mit dem sogleich zu beschreibenden ähnlichen Befunde beim albinotischen Raubtier — ein recht interessantes Licht auf eine gewisse, offenbar recht häufige Art der intrauterinen Genese der Schwerhörigkeit respektive Taub- heit und Taubstummheit : 24 370 Der erste Fall betrifft einen taubstummen Mann, Michael H., der aus einer leiblich und geistig degene- rierten Familie stammt und welcher im hiesigen Bürger- spital gestorben ist. Das zweite überlebende der 10 Geschwister sowie eine Grossnichte sind ebenfalls taub- stumm und erstere besitzt, wie unsere Untersuchung ergab, auf dem einen Ohre noch ausgedehnte Hörreste, sowie normale Nystagmus- und Schwindelreaktion beim Drehversuch, während das andere Ohr total taub ist. Dagegen wissen wir soviel wie nichts über das Hör- vermögen und über die statischen Funktionen des Ver- storbenen und im hiesigen pathologischen Institut zur Obduktion gelangten Michael H. Auch die Journale der Taubstummenanstalt, in welcher er seiner Zeit unter- richtet worden ist, geben hierüber leider keine Auskunft. Das äussere und mittlere Ohr war durchaus normal gebildet, und auch das knöcherne Labyrinth, sowie der Hörnerv zeigten keine Abnormität. Dagegen bot die mikroskopische Untersuchung der beiden Labyrinthe ein höchst interessantes, identisches Bild : Die Wände des Vorhofsäckchens und der Schnecke, sowie des Verbin- dungsganges zwischen beiden, des Ductus reuniens, sind nicht in normalem Spannungsverhältnis sondern zu- sammengefallen, collabiert, teilweise bis zur Aufhebung des Lumens aneinanderliegend und verwachsen ; und — was nun sehr wichtig ist — ihr Sinnesepithel ist hoch- gradig degeneriert. Der Utriculus mit den Bogengängen ist dagegen normal geblieben. — Der Collaps der mem- branösen Wände der Pars inferior labyrinthi ist nicht überall in gleichem Masse ausgebildet: Am meisten be- troffen ist der Sacculus und der Ductus reuniens; beide sind vollständig zusammengefallen und verödet-, das jeden- falls abnorm gross angelegte freie Wandstück ist auf die mit dem Knochen fester verbundenen und den Nerven- 371 fleck tragenden Teile der Wand zurückgesunken und in mehrfachen Falten mit ihnen verwachsen. — Der häutige Schneckenkanal ist mancherorts ursprünglich auffallend weit angelegt gewesen; die Vergrösserung betrifft fast ausschliesslich die äussere Wand, deren Epithel im nor- malen Ohre dem Spiralhand fest aufliegt, hier aber stellen- weise blasig abgehoben und in Falten gelegt ins Lumen hinein fällt und die wichtigste Stelle der Schnecke — die Papilla acustica oder basilaris, früher das Cortische Organ genannt — in mannigfacher Weise schädigt, so dass dasselbe nirgends seine normale Ausbildung erreicht. Diese Schädigung wird durch die direkte Berührung und Verklebung der Falte mit der Oberfläche der Papille und ihrer Deckmembran verursacht. Vorschieben und nachträgliches Zurückweichen solcher Falten ist mehr- fach nachzuweisen aus den zurückgelassenen Spuren, die in Form von Pigmentanhäufungen auf dem Spiral- blatt und von Verzerrungen der Papille und ihrer Deck- membran auch da vorhanden sind, wo später keine Falte rneht so weit ins Lumen hinein vorragt. Während der Nervenstamm des Acusticus normale Stärke und normales mikroskopisches Verhalten zeigt, ist der Ramus cochlearis und der Ramus saccularis in seinem Endstück (Teleneuron) vom Schnecken- respektive Vorhofganglion an sehr schwach entwickelt. Zwei durchaus ähnliche Befunde teilt Scheibe mit; nur war in dem zweiten seiner Fälle der Sacculus beider- seits normal. Während bei diesen 3 Taubstummen (den beiden von Scheibe und dem unsrigen) das Sinnesepithel der Schnecke durch die Faltung der äussern Wand ihres epithelialen Rohres zerstört worden ist, finde ich in einem Labyrinthe, welches der Leiche eines sehr schwerhörigen älteren Mannes entnommen ist, die Verödung der akus- 372 tischen Papille hervorgebracht durch Collaps der Reiss- nerschen Membran (Membrana vestibularis). Dieselbe ist normaler AVeise die dünnste der drei Wandungen, welche den prismatischen Epithelialschlauch des Ductus cochlearis bilden ; auch entbehrt sie einer festen Unterlage ; auf dem Durchschnitt durch die normale Schnecke er- scheint sie als Hypotenuse eines Dreiecks, welches das Lumen des Ductus cochlearis darstellt und in welchem das Spiralblatt die eine, die obere Hälfte des Liga- mentum spirale die andere Kathete repräsentieren. In unserm Präparate aber wird mit Ausnahme des untersten Viertels der Basalwindung die Reissnersche Membran bogenförmig so in das Dreieck hinabgedrückt, dass nur noch ein ganz kleiner Raum im gegenüber liegenden rechten Winkel frei ist. Die akustische Papille bleibt über- all auffallend niedrig und erscheint als ein breiter Wall, dessen Zellen dicht und lückenlos ineinander gedrängt, auch ziemlich regellos angeordnet sind und sich nur schwer gegen einander abgrenzen lassen. Die Deck- membran liegt fest eingekeilt zwischen der Reissnerschen Membran und der akustischen Papille und erscheint stellenweise mit denselben so verlötet, dass keine Grenze mehr zwischen ihnen erkennbar ist. — Auffallend ist der Umstand, dass das Ligamentum spirale mit Aus- nahme des untern Viertels der Basalwindung sehr schwach aufgewickelt respektive zurückgedrängt und dass gleichen- orts auch die Membrana basilaris wellig verbogen ist. — Auch hier sehen wir also wieder eine allzugrosse Anlage der häutigen Schneckenwandung; doch ist es diesmal nicht die äussere, sondern die untere (Basilarmembran) und die obere innere Wand (Reissnersehe Membran), welche bei ihrer abnormen Grösse in dem vom normalen Knochengehäuse vorgezeichneten festen Rahmen nicht ge- nügend Platz gefunden und sich daher gefaltet haben. — — 373 Am Utriculus ist nur das abnorm, dass er sich etwas weit hinunter erstreckt und am obern Umfang des ovalen Fensters durch mehrere faden- und membran- artige „Ligamente" am Rahmen und selbst an der Stapes- platte fixiert ist. Die Form des Utriculus und der Bogengänge, sowie des Sacculus (soweit auch letzterer am Präparat noch erhalten ist) erscheint durchaus nor- mal. — Dagegen findet sich, wie dies am Taubstummen- ohr auch von anderer Seite schon beobachtet worden ist, neben der Labyrinthveränderung eine Bildungsano- malie im Mittelohr. Dieselbe besteht hier erstens in einer Verbildung und Verdickung des Steigbügels und des langen Ambossschenkels und in einer derben Fixation dieser beiden am obern hintern Umfang der abnorm engen ovalen Fensternische ; zweitens in einem Verschluss der runden Fensternische durch Fettgewebe. — Die Nervenbündel des Labyrinthes sind bis in die Vorhof- nervenendungen und bis in die Spitze der Schnecken- spindel hinein auffallend kräftig entwickelt. Die mikros- kopische Struktur derselben wird aber gegen den Rand des knöchernen Spiralblattes unscharf; im Labium vesti- buläre finden sich keine normalen Nervenfasern mehr: die Ganglienzellen des Schneckennervs sind an Zahl zwar wenig verringert, haben aber meist zackige Form und sind auch noch in anderer Beziehung zum Teil atypisch gebaut. Eine interessante Parallele zu dem letztbeschriebenen, in seiner Art einzigen Labyrinthbefund beim Menschen bildet derjenige des albinotischen Hundes und der albi- notischen Katze, wie wir ihn kennen aus den etwas unvollkommenen Beschreibungen von Rawitz und den exakten Untersuchungen von Alexander und wonach es sich handelt um eine gänzliche Aufhebung des endolym- phatischen Lumens in der Pars inferior (Schnecke, Ductus 374 reuniens und Sacculus). Diese partielle Verödung des häutigen Labyrinthes wird verursacht in der Schnecke durch Herabsinken der Reissnerschen Membran, im Sac- culus durch Collaps der freien Wand. Abgesehen davon, dass in unserm Falle der Collaps sich auf die Schnecke beschränkte, unterscheidet er sich von dem Rawitz- Alexanderschen Befunde auch dadurch, dass die Degene- ration des Schneckenepithels bezüglich ihrer Intensität von der Basis gegen die Spitze zu sich steigert, während bei der albinotischen Katze das Umgekehrte der Fall ist. Fragen wir zum Schlüsse nach den letzten Ursachen solcher Collapszu stände im Labyrinth, so dürften die- selben gefunden werden können in dem räumlichen Miss- verhältnis zwischen einem primär zu gross angelegten Labyrinthbläschen und dem in normalen Grenzen sich haltenden knöchernen Gehäuse. Die Verklebung der collabierten Wände bildet keine auffallende Erscheinung, da wir dieselbe auch unter normalen Umständen antreffen, nämlich bei der Bildung der Bogengänge : Dieselben entstehen dadurch, dass die primären Bogengangtaschen im Zentrum collabieren und verkleben, während die Randpartie ihr freies Lumen beibehält. Interessant ist die Thatsache, dass in all den oben genannten sehr emlässYichen Sektionsbefunden angeborener Taubheit, wovon 8 das Gehörorgan des Menschen und mehrere das Säugetier (albinotische Katze, Tanzmäuse) betreffen, durchweg der Utriculus mit den Bogengänge)/ normal erscheint '), ebenso regelmässig war in allen Fällen die Papilla acustica degeneriert ; bezüglich des Sacculus varieren die Verhältnisse, indem beim angeboren tauben Menschen häufig, bei der tauben Tanzmaus und bei der tauben albinotiscben Katze durchweg- Sacculus- 'i Nur in einem von Katz kurz beschriebenen Falle war auch das Ultriculusepithel verändert. 3 £5 Veränderungen gefunden wurden. Wenn wir diese Ver- hältnisse an Hand der von Goltz-Ewaldschen Anschauung über die statische Bedeutung der Vorhof-Labyrinthgebilde weiter verfolgen, so rauss es als eine geradezu wichtige Ergänzung der Tierexperimente dieser Forscher be- zeichnet werden, dass die klinische Erfahrung beim Menschen mit den obigen pathologisch-anatomischen Er- gebnissen durchaus übereinstimmt. Bezold und sein Schüler Warmer*) fanden nämlich, dass bei den an- geboren total Taubstummen durch den Drehversuch Schwindel und Nystagmus, wenn auch nicht durchweg, wie beim Normalhörenden, so doch viel regelmässiger ausgelöst werden können als bei denjenigen Taubstummen, die ihre Taubheit später d. h. während des extrauterinen Lebens erworben haben. Wanner geht also jedenfalls nicht zu weit, wenn er die Berechtigung zugiebt, in ätio- logisch zweifelhaften Fällen aus dem Vorhandensein bezw. Fehlen dieser Erscheinungen auf die Zeit und Entstehungsart der Taubstummheit Schlüsse ziehen zu dürfen. — Zum nämlichen Resultate kamen — obwohl auf anderem Wege — Alexander und Kreidl. Indem die- selben die Zahlen von Pollak bezüglich der Regelmässig- keit des Eintritts von galvanischem Schwindel bei den Taubstummen einer genaueren Analyse unterzogen, fanden sie, dass von den später Ertaubten bloss 3/io, von den angeborenen Tauben aber ca. G/? auf den galvanischen, durch das Ohr geleiteten Strom normal reagierten. 1) Wanner: Über die Erscheinungen von Nystagmus bei Nor- malhörenden. Labyrinthlosen und Tauben. Habilitationsschrift Mün- chen 1901. — Jacobus Rosius Philomathematicus der mathematischer Künste besondere Liebhaber. Einige biographische Notizen von Prof. Fritz Burckhardt. So weit und alt bekannt der Kalender des Jacobus Rosius ist, so wenig sind es die Lebensverhältnisse seines Autors. Zwei sorgfältige Sammler aller auffindbaren Notizen haben das dürftige Material zusammengestellt, um wenigstens ein annäherndes Bild des Mannes zu geben, nämlich : Rudolf Wolf Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. Bd. I, p. 119—132. Job. Heinrich Graf in der Schrift: Historischer Kalender oder der Hinkende Bot, seine Entstehung und Geschichte; ein Beitrag zur bernischen Buchdrucker- und Kalendergeschichte herausgegeben von der Stämpfiischen Buchdruckerei. Bern 1896. Obgleich ich nun die Absicht nicht habe, an diesem Orte eine neue Biographie von Jacobus Rosius zu schreiben, halte ich es doch für wünschenswert, einige noch nicht bekannte Notizen, die ich aufgefunden habe, mitzuteilen in der Meinung, dass jede neue Notiz um so wertvoller sei, je geringer der Bestand des Bekannten. Während R. Wolf als erste sichere Nachricht die Verheiratung von Rosius mit Küngolt Schneider von Biell am 13. Mai 1022 bezeichnet und beiläufig die 377 Einzeichnung des Namens in ein der öffentlichen Biblio- thek Basels gehörendes Buch (Jacobi Rosij 1621) erwähnt, das heute die Signatur K 0 XII. 12 trägt, erzählt Graf, dass Jacobus Roshts am 9. Juni 1621 in Biel als Lateinlehrer installiert worden sei; diese An- stellung bringt er in Verbindung mit einem dreimonat- lichen Aufenthalt des Basler Pfarrers J. J. Grasser in Biel. Hiedurch veranlasst habe ich mich umgesehen, ob sich nicht in Basel weitere Spuren von Rosius auf- finden lassen. Ich fand ihn wirklich in der Universitäts- matrikel im August 1620 unter dem Rektorate von Joh. Rud. Rurckhardt eingeschrieben als: Jacobus Rosius Riberaceusis Suevus', im Rechnungsbuch der theologischen Fakultät ist der Empfang der Gebühr von 2 Schilling 6 Pf. bescheinigt. R. Wolf schreibt: Leider gelang es mir nicht einen noch bei Lebzeiten von Rosius erschienenen Jahrgang (des Kalenders) aufzufinden, sondern der älteste Berner Rosiuskalender, welchen mir Herr Hauptmann Scholl in Biel verschaffen konnte, datiert von 1745. Graf aber hat einen Kalender von 1650 gesehen, „aeorucft ,311 33a|el, in oertegung ber ^enric^etrinifdjen am tâorumartft", dabei ein Prognosticon svmptomaticum gc= brucft ,ui >&a)d bei £>cms -Jacob ©ertatt) in Verlegung ber .sôeruïc^etriuUcben. Das Basler Staatsarchiv enthält zwei von Einband- decken abgenommene Blätter, die beide dem Rosiuska- lender von 1641 angehören: Prognosticon svmptomaticum, bas Ut ©ine aufcfütjrlidje SöefdjreibuTtg ber oier 3ci*cn &cs Csahrs, \o aus bem ©eftirn onb ber Planeten lauft î)erge= nommen auf bas 3>ab,r nach, ber ©nabenreicfyen geburt on= [eres £>(£rrn 3efu t£l)vt)ti MDCXLI, geftellt buvd) Jacobum Rosium, ber matfyematij'djett fünften bejonbern öiebljctbern. 378 Aussei- diesen beiden Blättern von Rosiuskalendern sind aber auf der öffentlichen Bibliothek in Ein Paket vereinigt solche von 1649. 1653. 1654. 1655. 1658. 1661. 1662. 1666. 1669. 1674. 1678. 1702. Die 7 ersten (1649 — 1662) gehören nach der Hand- schrift der zahlreichen historischen, meteorologischen u. a. Notizen einem Burckhardt an, da er 1649 schreibt: SBoIgenben 3)onftags ben 12. hujus (Alt-April) ijt meines SBrubets S)cms SBurtffjarbts SDÎargrettjli, meines idj in ®ottes nahmen al)u ftatt bes Eatfjrinlins non 9Jlontbelgarbt m mir genommen, angetreten. Der Art der Notizen nach war der Schreiber Geist- licher. Die folgenden Jahrgänge enthalten Notizen von anderer Hand und da des Schreibers Schwester am 21. Januar 1678 sich verheiratete mit dem ältesten Sohn des Hans Rudolf Burckhardt aus dem Würtembergerhof, so hat er selbst Krug geheissen und war ein Sohn des Bürgermeister Krug (wahrscheinlich Hans Rudolf). Alle diese Kalender, von denen keiner noch das Bildnis des Jacobus Rosius enthält mit den klassischen Versen, sind ihrem Inhalt nach sehr übereinstimmend. Es liegt nicht in meiner Absicht, sie näher zu be- schreiben; auf dem ersten Blatt haben alle den Basel- stab gehalten von zwei Basilisken; bisweilen schaut der Baselstab nach rechts, bisweilen nach links und die beiden Basilisken schauen ebenfalls nach rechts oder nach links oder einander entgegen. Ausser dem eigentlichen Ka- lendarium mit Sprüchen, Bauernregeln, Aderlassmännlein, Beschreibung der Jahreszeiten, der Finsternisse, Frucht- barkeit, Krankheit, Krieg und Zwietracht, erscheinen auch die Jahrmärkte, und von 1674 an Hausarztneien und ergötzliche Geschichten. Meist schliesst ein lateini- scher Spruch : Deo sit laus, Deo sit gloria, oinnia ad majorem dei gloriam, Domine conserva nos. 879 — Zur Zeit, da diese Kalender in Basel verkauft wurden, hat Rosius auch Konkurrenten gehabt; so linde ich auf der öffentlichen Bibliothek (ELXI. 1) einen dem Rosius- kalender ganz ähnlichen vom Jahre 1645: iHlter onb Werner ®d)retbfalenber u. \. w. auf ein belfere art alfe bi&hero ge= )d)el)en. Stuff bcr Statt 33afel, Obern ©Ifafc, qnb ombligenbe Öanbfdjafft gemeine ©elegenbett geftett onb calculiert, auff bas 3atjr onfers öerrn 3efu (Ehrifti ©eburt MDCXLV burd) Germanum Dbermener, freier ftünften onb ber XHrtmen Doctorem, ber Süiathematic onb Slftronomet) Professorem ,m SBafet. ©etvutft ,ui 93afcl, in oerlegung Gubtoig Königs fei. ©rben. In diesem Titel ist ein gewisser Grad von Gering- schätzung enthalten, obgleich dieser Kalender in keiner Weise sich von denen von Rosius auszeichnet. Es spricht wohl daraus das Gefühl der Überlegenheit des Professors der Mathematik gegenüber dem Liebhaber der mathe- matischen Künste. Auch ein anderer nicht ganz vollständiger Kalender der öffentlichen Bibliothek (EL XL 3) zeigt Abweichungen vom Rosiuskalender und grosse Übereinstimmung mit ihm in andern Punkten. Diese beiden und die genannten 7 ersten haben, wie früher bemerkt, derselben Person angehört. Einen immerwährenden Kalender hat in Basel der Pfarrer Joli. Georg Gross im Jahre 1629 herausgegeben; er enthält im wesentlichen den Computus ecclesiasticus. die Oster- und Festrechnung: Smmertoäfyrenb - 3öl)vlid)er ftalenber: auff alle onb jebe 3abr gestellt: alfe lang bte SBelt, nad) ©ottes Willen, ftet)en orirt. Ten jenufen erun"iujd)t onb bienit= tid), toeldje altermetft auff bte füvnehmfteu onb geariffeften 3ab,r weiten, ad)tung neben tbünb. Sonberlicb aber ui [angmirigen SRätfen, oietjetyrtgen ^eneidinuifen, SDÎemortalen, Sdpretbtafeln, SRedjnungen onb bergteieben fachen fehr nöttjtoenbig. — 380 — ©ctrucft 3U SBctfel, butä) 3oï). 3acob (Senath 1629. Es Hessen sich noch verschiedene viel frühere Ka- lender, auch Nachdrucke nachweisen, indem in den Akten des Staatsarchivs Reklamationen aufbewahrt sind, von denen die eine vom Kanton Appenzell 1579: 3)en frommen füvjichtigeu ©rfamcn onb tonfcn SBurger* meiner omtb Wath oev Stabt Sajel, imfern 3nnfonbers guten frünbenunnb get^rütoenn lieben ßtbgnoffen (15. Oct. 1579). Der Inhalt dieses Schreibens von Landtaman vnnd Rath zu Appenzell ist folgendermassen resümiert: Tic oon SIppctgcl bejehmeven fid), baß bas ©ottsljaus 2t. ©alten in einem oon ihren ïrueften ftalenbem ihrem ÏBapen sMv, anstatt er frei) fenn Jollen ein s,Roth §alfebanb angelegt rmb gar ,ui einer 'öärin gemalt, btes ferje aber nun beigelegt roorben. 5nbeffen oernemmen fie, baf} SIpiattus al= hier gleid)e SBapen onb (Xalenber truefen üefce, mit bitt bas nötige uor.nifehren. Andere Reklamationen, auf die ich nicht näher ein- trete, sind aus 1602 und 1608 verzeichnet. Wann und wo hat Rosius seinen ersten Kalender herausgegeben ? Wolf und Graf führen die zweifellos richtige That- sache an : „Nach dem Berner Ratsmanual hat Rosius am 23. September 1625 für einen Ihro Gnaden dedicirten Ka- lender 6 Kronen erhalten. Wir dürfen somit annehmen, dass der bis auf gegenwärtige Zeit immer noch erschei- nende Rosmskalender frühestens auf 1626 zum ersten mal herausgegeben worden ist." (Graf, Historischer Kalender u. s. w., p. 18). In Bezug auf den Druckort bezweifelt Graf, dass es Bern sei und hält für wahrscheinlich, dass Rosius seinen Kalender zuerst in Basel habe drucken lassen. — 381 Das Nachfolgende wird den ersten Punkt bestätigen, vielleicht etwas modifizieren, den zweiten beweisen. Die Akten eines Prozesses, in dem Rosius nicht in rosigstem Lichte erscheint, befinden sich im Staatsarchiv von Basel-Stadt und zwar in den Ratsprotokollen, in dem Urteilsbuche des Schultheissengerichts der mehreren Stadt und in einem Faszikel enthaltend Kalenderange- legenheit. Die Akten alle abdrucken zu lassen, böte wegen der vielen Wiederholungen wenig Interesse, allein die dem Rate eingegebene Klageschrift, die die wesentlichen Punkte enthält, mag hier Platz finden: Hans Gunrad Leopard, Buchhändler in Basel, schreibt an den Rat (verlesen am 9. Juli 1628). £err SBurgermeifter, ©eftreng, ©bell, ©hrenueft, amg clagenb ab,n= gufügen, baf} 3dj mit §errn Jacob Rosio, roöldjer [ich nun 3ur3^it ,ut 93iell in Xienften oerhaltet, megen feinen Kaienbern oor ettoas 3eiten*) aecorbiret, xrnb babjn oergltdjen, baß St mir biefclben alle, bis auf bas 1629 ^ai)x inclusive, folle ju= tommen laffen: Scfi l)ab ihn aud) berentoegen [chon attbercit nor einem 3at)t contentirt uub befriebigt. sJcun l)at ev gmar oor einem 3al)r mir [eine benben ßa- lenber, nämlichen für bas 1628 uub 1629 3ahr gelüffert: ©r ift aber in meinem abiucfen miber in meinen Gaben tommen, unb bat ben (lalenber auff bas 1629 3aljr eigenes gemalts miber auf) meinem 3d)retbtifd) genommen, uub fomoll ba* mal)leu ui meiner §ausfraroen, attfs aud) t)ernad)er in bem 2Bürtst)aus mm SRaben alll)ir ui mir gejagt, Sr muffe etiuas barin enbern, molle aber mir benïelben mit evitem miber *) Am 2. September 162.'). 382 l)iel)er fcfjicfen. ÏBolcfjes Ht abcv nidji getrjan, fonbern beren* tocgcn mit £>errn SRubolf gäefdjen bon Jüngern geï)anbelt, onb Stjme benfelben gügeftelt, umldjer aud) bcn bei) .sperren Csobann 3d)vötcvn aufflegen onb bruden laffet. Dtjnangeferjen od) benfelben 311m tvittcit mnl)l berentoegen aljngerebet, gc= warnt tmb gefagt, bafo er fid) mit bemfelben nid)t einladen jolie, beim ber (lalenber ftetje mir ^u, onb fyabe id) nud) £>errn Rosium jd)i>n berfiir befrtebigt. SBietooIl mut £>err J-äejd) mir rjierauff geantiuortet, loeilen es mit befagtem Satenbet al)o befdjaffen, |.o molle l£r bem felben itid)t ahunernuen, fonbern §>erm #os«o miberumb ni= jd)irten: Sftid)ts bejto weniger, onb über bie 311m tritten mal)l mm mir getfjane ÏBarnung, l)nt bod) §err ^äefcrj, gu meinem großen nad)tl)eillr merd'lid)en ferjaben onb oïjngelcgcntjcit, beu Ealenbcr angenommen, mir benjelben, onb bannit ein guten tl)eill meiner Wahrung, £xmbels onb geoMns entzogen, onb lajjet beu beu vhutu Schrötern truden. 2Bann aber, ©näbig gebietenbe .sperren, meber alll)ie in einer loblid)en Statt SBafelt, nod) in anberen moUbejtelteu SRepublicen onb ©etoerbftätten, jemal)len gugeben morben, bafs ein §anbetsmann bem anbern bas [einige ent^ierjen, bemfelben l)ieburd) feinen vmnbel jd)iuäd)en, onb CU)ine alfo al)it feiner Sftaljrung ein abbrud) tl)tin folle, mie aber mir Jüngern am gehenben Manbeljunauu onb $coax miber befdjerjene marnung, oon y>errn gäefcrjen begegnet: 9IIlfs mill id) oerboffen, onb ^ugleid) aud) onbertrjcmigs beftes fleifecs gebettelt fyaben, (£. ©n. gerurjen, befagten §erm ^äefdjen mit allem ernjt bal)in gnäbig otjngutoeifen, bafo (fr entroebers gebadeten llalcnber ohn alle entgeltmufj mir miber einbäubigen onb guftellen folle, bamit id) mid) bes Sd)abeno, möld)eu id) etlid)e ^aty l)cro mit ,s>erru Rosii Salenbem, el)er 3d) biejelben in einen ruft onb gang gebracht, gelitten, miber umb etroas erholen tonne: Cber aber, ba er je biejeu Satenber behalten, onb aud) auff bie fünfftigen 3ctï)ï .sVrrn Rosii (ialenber truden [äffen molte, — 383 bafe er mir für meinen Sdjaben äroeifjunbert gulben in barem gelt erlegen, onb bann alle 3at)r, fo lang er biefelben trudeu wtrt, mir fo oiell (Satenber, onb groar umb einen ved)ten bil= liefen preis uifommeu laffen folle, alfe och, beren bebörffen roerbe, weilen mir biefelben auch fchon oerfprod)en getoefen, unb mir nun bnvd) §errn ftaefchen entzogen roorben. hieran gefcrn'erjt bas Wenige, toas ben SRectjten unb ber 93illid)teit ge* mefj, unb roirt mir folcfjes mit meinem ol)ne bas fdhulbigen bürgerlichen gehorfam nad) äuföerftem meinem Vermögen umb ©. ©n. trüber 311 befcfmlben ftetjen. §icmit einer gnäbtejen roillfäfjrigen resolution mid) ge= tröftenb, roill ©. ©n. 3d) mid) unb bie meinen 31t bel)arrlid)cn gnabeu unb gunften onbertt)äniges gflei&es woll empfohlen l)aben Eurer ©naben SBnbertfjaniger gerjorfamer SBürger #ans (Sonrab ßeoparb, S-Bud)l)änblev. Nachdem vom Rate die Entgegnung des Herrn Fäsch verlesen war, wurde beschlossen: ,,ba\] fie fiefj in ber güete ,uifamen oerfüegen uubt ucr= glichen ober ans SRedjt geroifen fenen." Eine Verständigung kam nicht zu stände. Am 28. Juli 1628 erschien die Angelegenheit vor Gericht; auch von diesem ist erkannt worden: 2)aft benbe ïheil fich aufs fürberlichft in benroefen frU> liebenber, fchieblidber unb oerftehnbiger Urformen in bie güe= tigfljeit oerfüegen unb fehen Jollen, ob fie jid) 3hres l)abenben ftreits unb gefpans halber mit eiuauber Dergleichen unb oer= tragen tonnen, uereinbaren fie Hd), es baberj befteljen, wo nid)t, als bann ftleger, wann er bie beîlagte getoarjmet fjabc^ erroeifen unb auf ferner anrüeffen weitere, a>as red)t ferje, ergeben jolie. 384 — Auch diese Anordnung führte zu keiner Verstän- digung-, die Sache kam wieder vor Gericht und nach langen Auseinandersetzungen beider Parteien wurde am 3einftag, den 19. August 1628 folgendes Urteil gefällt: -Dafc bie Ferren §enrtcpetrmtfcf)en Snterejfenten*), bie beïlagten, §>errn ßeoparten, bem ftleger als evjter ifteüffcr gebauten auf bas 3afyx 1629 geftellten Kalenbers, berfetbert roegen einen milieu fdjaffen, befcgleidjen olnne feine erlittenen billigen ©erià)tsïoften abtragen, unb finteimnahlen £errn Jacobus Rosius folchen ©alenber allbereit Anno 1625 ßeoparten oerflmufft unb gtoar oermög feiner (Schreiben ab Shnte ßeoparten, als ob berfelb 3hme ntd)t gehalten, jid) befefttoert: aber befjroegen ben orbentlichen toeg Rechtens nid)t gebraucht, fonbem ben Katenber 3l)m ßeoparten eigens ge= malts mibcrnmbeu genommen, folchen ohngeacl)tet er bes ßeo= parten, onb alfo nicht mehr fein Rosii getoefen, bennoht ben ijerrn ÜBeflagten l)temit ,unet)mal)leu uert'aufft, aud) baburch gröblichen oerfätjlt habe, befjroegen er Rosius folcfjes mit einer 9Jcarc! Silber oerbeffern, onb bife basfelbige abgestattet ferjn merbe, basjenige, welches bie SBefïagten rjinber 3hnen Ijaben, onb 3bme Rosio 3uftehnbig ferje, bemfelben nicht geoolgt toerben: fonbem alhir oerbleiben folle. Leopart' s Klage war also als berechtigt anerkannt; Rosius aber zahlte nicht, so dass die Angelegenheit noch am 18. Dezember 1638, am 27. März und am 19. Juni 1634 vor Gericht kam, wobei das ergangene Urteil be- stätigt wurde ; ob auch durchgeführt, vermag ich nicht zu sagen; um aber nicht ungerecht zu sein, wollen wir es annehmen; der Rat hätte sonst kaum am 12. August 1643 beschlossen: §erm Rosio, megen bebicirter Ealenber Jollen 15 9?tt)t. oerehrt werben. *) (deren Vertreter Hr. Fäsch war. 385 Da nun der Buchhändler Leopard mit Bosius im September 1625 einen Vertrag betreffend die Lieferung der folgenden Kalender abgeschlossen hat, und in der Klageschrift 1628 sagt, er habe am Verkauf der Rosius- kalender etliche Jahre lang Schaden erlitten, bis er ihn in Ruf und Gang gebracht habe, so folgt daraus mit Sicherheit, dass der erste Rosiuskalender nicht frü- hestens, sondern spätestens auf das Jahr 1<>26 erschienen sein muss, dass aber möglicherweise schon frühere Jahr- gänge erschienen sind. Die ältesten Rosiuskalender sind also in Basel erschienen, der Verleger war Hans Cunrad Leopard, von 1629 an sind sie von den Henricpetrinischen Erben verlegt, wie denn auch noch der Kalender von 1649 angiebt: getrurft ,ui SBctjel, in oerlegurtg bor ,sVmtc= SPetrtnifcfjert am Slommarft; die folgenden Kalender geben nur die Firma an. bei der der Kalender gedruckt worden ist, nur der von 1678 giebt an: Basel in Verlegung Jacob Bertsche vnd Samuel Euss. Auch in späteren Jahren hat der Rosiuskalender (ielegenheit zu Prozessen gegeben. Der berechtigte Verleger, Jacob Bert sclic, klagt bei dem Rat gegen den Buchdrucker Jacob Werenfels (1681), dass dieser das Basler-Stadtwappen, den Baselstab und die dazu gehörigen Basilisken auch auf dem Titel seines Kalenders führe, so dass ihn mancher für den Kalender von Bosius kaufe, er aber Schaden leide; der Fürsprech des Jacob Bertsche erkläre dies „für einen llnehrbaren griff: 3<* 9<*r mirebltd) [tucft)." Nachdem der Beklagte viele Gründe zur Vertei- digung angeführt, erscheint auch der folgende: (Es tonnte auel) batjer fein, bafc fein Eatenber. in einen abgartg Eommcn: onb hingegen meine ©alenber gefudjt werben möchten; meilen ber meine am papier [djörter unb [onften ltcb= lid)er in bie Slugcn fällt, and) Bosii letzte Arbeit von s?l° 1681 25 386 ahn, b\\) auff 1700, tm er in feinem alter ein Stürfh gelt ,ui erhaben, gejtrubtet, ben ©rftert, ba er fleißiger getoefen, nid)t gleid) 3|t. (Schreiben verlesen am 10. Aug. 1681). In einem grössern Werke des Bosius, nämlich in der Ephemer is perpétua, deren Vorrede im Jahre 1628. Die S. Galli geschrieben ist, erscheint Rosiiis als Notarius Caes. publiais. Wie ist er zu dieser Funktion gekommen? Es erscheint mir als wahrscheinlich, dass der ein- gangs erwähnte Pfarrer J. J. Grasser seinen Schützling Rosius mit diesem Titel und den damit verbundenen Rechten versehen habe. Von Grasser berichten die Athenae rauricae zweierlei, nämlich : Hie autem postquam d. 14. Dec. 1607 a. D. Fer- nando Amadi, Imperiali Commissario, singulari S. Cae- sareae Majestatis ordinatione, Sancti Palatii et Consistera Imperialis Comitis, Equitis aurati et civis Romani privi- légia et dignitates solenniter aeeepisset, per Venetias partem Germania transiit etc. etc. Zu diesen Privilegien gehörte die Ernennung der Notare. Ferners : Petiit itaque a Magistratu facultatem, si occasio ferat, munus ecclesiasticutn una cum juribus Comitis Palatini exercendi, quae ei haud difficulter fuit concessa, simul vero praeeeptum, ut sese intra modestiae cancellos contineret. Als sich aber die Vereinigung der kirchlichen und der pfalzgräflichen Funktionen als nicht passend erwiesen, worauf er durch den Antistes J. J. Grynaeus aufmerksam gemacht wurde, entschloss er sich keine andern Be- rechtigungen eines Pfalzgrafen auszuüben, als öffentliche Notare zu ernennen. 387 — Endlich sei noch eine Bemerkung über das Bild von Roskis gestattet. Bis zum Jahre 1678 enthält der Kalender das Bild nicht; in dem Kalender von 1681, der Herrn Prof. A. Riggenbach gehört, ist es und zwar umschrieben Jacobus Rosius Malhematicus, obiit An. Christi MDCLXXVH Mens. August. Aetatis An LXXVIII. Somit fällt die Geburt des Rosius in das Jahr 1599, nicht wie Wolf und Graf angeben in das Jahr 1598. Zur Geschichte der biologischen Systematik. Von Prof. Rud. Barokhardt. L'empirisme peut servir à ac- cumuler les faits, mais il ne sau- rait jamais édifier la science. Cl. Bernard, de la phys. gén. 1872. 1. Der gegenwärtige Stand der zoologischen Ge- schichtsschreibung. Alle wissenschaftlich en Darstellungen der Zoologie- geschichte schildern in erster Linie die Entwicklung der zoologischen Klassifikation als der eigentlichen Quint- essenz unserer Wissenschaft. Daneben findet wohl auch die Geschichte zoologischer Beobachtung, der Tierbeschaf- fung und Tierzergliederung, nebensächliche Behandlung, aber beispielsweise schon für die Illustration in der Zoologie besitzen wir kein Seitenstück zu Choiilants (14) Geschichte der anatomischen Abbildung. In neuerer Zeit ist auch die Geschichte des Darwinismus, meist in erweiterter Form als Geschichte der Entwick- lungslehre zu einem Gegenstande der Bearbeitung ge- macht worden, insbesondere sind hier die historischen Einleitungen der Haeckehchen Werke (26) und einer ausgedehnten, von ihm abhängigen Litteratur zu nennen. Doch verfolgt diese Richtung apologetische Zwecke und kommt daher als wissenschaftliche Geschichte nicht in Betracht. Im allgemeinen ist zu konstatieren, dass der 389 gegenwärtige Betrieb der Zoologie ein eminent unge- schichtlicher ist und was gemeinhin das Prädikat his- torisch trägt, ist einfach Chronologie der Entdeckung oder Bearbeitung des Materials. Es ist in hohem Grade ehararakteristisch, class seit der 1872 erschienenen Ge- schichte der Zoologie von J. V. Carus (13) keine ähnliche Allgemeindarstellung erschienen ist, obschon sich vom Standpunkt der Kenntnisse, welche in den letzten dreissig Jahren errungen worden sind, das Bild der Geschichte unserer Wissenschaft vielfach erweitern und verschieben würde. Schon die Geschichtsbetrachtung der Zoologie selbst würde sich in dieser Periode wesentlich haben verändern müssen, denn noch bei Carus steht sie im Banne der zoologischen Systematik, bricht ab an der Schwelle der neuen Zeit, der entwicklungstheoretischen Periode, und auch der Abschnitt, welchen Carus der „historischen Zoologie" widmet, beschränkt sich darauf, zoologiegeschichtliche Litteratur antiquarischen und exe- getischen Charakters aufzuführen, während doch die Entwicklung der zoologischen Geschichtsschreibung viel mehr gesagt hätte. Von dieser haben wir auch jetzt auszugehen, wenn wir uns ein Urteil über die Zoologiegeschichte bilden und unser nachfolgendes Beginnen begründen wollen. Die Geschichtsschreibung der Zoologie nimmt ihren Anfang mit A. v. Haller (27), in dessen Bibliotheca anatomica 1774 das sechste Buch mit dem Titel Ani- malium incisiones auf 340 Seiten eine Chronologie der zootomischen Bestrebungen von Asclli bis auf Valentin und Stahl enthält, nachdem schon bei Besprechung der antiken Naturforscher auch deren zoologischer Bestre- bungen gedacht worden ist. Als zweiter Zoologiehisto- riker begegnet uns Jo/t. SplX (48). Er war angeregt von Schelling, „welcher wie Goethe die Poesie neu er- — 390 schuf, die Philosophie den sophistischen Witzeleien und Schwärmereien unseres Jahrhunderts entriss und der Natur wieder anheim gab und welcher mir gleich im Anfang meiner medizinischen Laufbahn den unvergess- lichen Rat erteilte: mich nicht sowohl an die Worte und gedruckten Schriften, als im Geiste eines Suam- merdam an das offene Buch der Natur selbst zu halten und so in allem die Erfahrung selbst zu meiner Ge- fährtin zu machen." Ausgehend von der Idee, dass alles organische Leben sich aus gemeinsamer Wurzel entwickelt habe, fasste Spix auch die Geschichte seiner Wissenschaft als etwas organisch gewordenes auf. Von diesem Gesichtspunkt aus schildert er in grossen Zügen und mit philosophischer Kritik die Entwicklungsge- schichte der zoologischen Systematik von Aristoteles (2) bis auf seine Zeit und ist damit auch unübertroffen ge- blieben. Dass Olivier (15) mit seiner Histoire des sciences naturelles (1841 — 45) die Geschichte der Zoo- logie und überhaupt der Naturwissenschaften einem gross- artigen Rahmen einspannte und ein grundlegendes Ge- schichtswerk umfassender Art schuf, überrascht wohl nicht, wenn man weiss, welch erstaunliches Wissen ihm allezeit zu Gebote stand. An Cuvier lehnt Js. Geof- froy St. Hilaire (25) an, weniger mit der Absicht, eine Geschichte der Zoologie zu schreiben, als mit der, seine ausgedehnten historischen Kenntnisse einer im Sinne Aug. Comtes geschriebenen allgemeinen Naturgeschichte zur Verfügung zu stellen. Mit diesen fünf Hauptwerken aber ist die allgemeine zoologiegeschichtliche Litteratur erschöpft und es ergiebt sich hieraus, dass die Mühe, die bisher auf die geistige Verarbeitung unserer Wissenschaft in dieser Richtung verwendet wurde, beinahe verschwindet, verglichen mit den Bemühungen um minutiöse Exaktität in zahllosen 391 — Kleinigkeiten, verglichen auch mit der sorgfältigen Pflege historischer Studien über die Entwicklung anderer Wissenschaften, wie Physik oder Chemie. Aus der Entwicklung der zoologischen Geschichtsschreibung er- klärt sich nun aber auch, warum für sie die zoologische Systematik so sehr im Vordergründe stand. Denn zur Zeit des Entstehens der Zoologiegeschichte herrschte die Speciezoologie. Sie sah ihre logische x^ufgabe in erster Linie in der Gruppierung der Individuen, Varietäten und Arten zu höheren systematischen Ein- heiten. Die Stoffmassen der Lebewelt drängten sich in Gestalt ganzer Wesen auf, die zivilamtlich geordnet sein wollten. Die Teile der Tiere kamen nur insofern in Betracht, als sie zu dieser Aufgabe herangezogen werden konnten. So wirkt denn Linné auch noch im heutigen Sprachgebrauch bei den Zoologen nach. Unter „Syste- matik" wird immer noch nur die Ordnung der aus In- dividuen gebildeten höheren Gruppen verstanden. Auf dieser Basis nun aber stand als erster Zoolo- giehistoriker Hauer, für den die Pole, um die sich die Achse zoologischer Forschungen drehte, einerseits die Linné'sche Systematik war, anderseits die menschliche Anatomie und Physiologie und durch seinen Standpunkt war naturgemäss auch seine Geschichtsforschung be- dingt. Wie sehr aber Haller damit massgebend blieb, geht daraus hervor, dass trotz allen Errungenschaften der Zootomie in den nachfolgenden sechs Dezennien Cuvier ihn beibehielt, ja noch verstärkte. Für ihn ist „die Zoologie gewissermassen nur ein Ausfluss der menschlichen Anatomie; denn das Studium der Tiere ist nur eine Wiederholung der Erforschung des mensch- lichen Körpers." Dreissig Jahre vor ihm stand der Nat.urphilosoph Spix mit seiner oben gekennzeichneten wissenschaftlichen Absicht bereits auf vicd höherer Warte. — 392 Carus lehnte sich bei Betonung des Standpunktes, den Clll'ier eingenommen hatte, die Zoologiegeschichte der allgemeinen Kulturgeschichte einzugliedern, im Einzelnen stark an Spix an und schildert vorzugsweise die Ge- schichte des zoologischen Systems. Hierüber wesentlich hinauszugehen, hinderte ihn schon die bestimmte Absicht, die Periode der Entwicklungslehre nicht mehr anzu- schneiden. Somit hat die Geschichtsschreibung der Zoologie, ganz abgesehen von ihrer augenblicklichen Rückständig- keit, sich im allgemeinen wenig über den Standpunkt erhoben, der zur Zeit ihres Entstehens giltig war. Vol- lends heute ist sie und die empirische Zoologie ausein- andergefallen und so verlohnt es sich ganz besonders, die Zoologiegeschichte nach denjenigen Erkenntnisge- bieten hin zu erweitern, nach denen die Zoologie selbst ausgewachsen ist. 2. Die Erweiterung der Zoologie zur Biologie. Die Zoologie hat sich nie ausschliesslich mit dem Stadium der ganzen AYesen allein begnügt. Schon in ihren Anfängen bei Aristoteles (1.2) tritt uns eine solche Fülle zootomischer Beobachtungen im Dienst der Er- gründung von Verwandtschaftsbeziehungen entgegen, dass wir eigentlich annehmen müssen, eine wissenschaftliche Zoologie habe überhaupt erst mit der Tierzergliederung gedämmert. Schon dort wurde der Organismus in seine „ungleichartigen" und „gleichartigen Teile", die Organe und Gewebe zerlegt und die Eigentümlichkeiten der letzteren auf die Grundstoffe zurückgeführt. Der voll- ständige Ausbau der Zootomie gehört aber der Neuzeit an und konnte erst mit dem ganzen Apparat moderner Technik zu der ihn gegenwärtig bezeichnenden Vollkom- menheit gedeihen. Ihr letztes Stadium war durch die — 393 Zellenlehre gegeben und dass wir es noch nicht über- wunden haben, beweist die Herrschaft, welche der Be- griff der Zelle heute noch ausübt und der sich nur der des Speciesbegriffs im ausgehenden achtzehnten Jahr- hunderts vergleichen lässt. Gewiss wird man noch zahl- reiche und bedeutungsvolle Analogien im Leben der Zelle und dem der höheren Individualitätsstufen auf- finden. Alter man wird auch einsehen, dass gewisse komplizierte Organisationsverhältnisse und Funktionen höherer Organismen nicht aus dem Leben der Zelle heraus interpretiert werden dürfen, wie heute vielfach angenommen wird. Denn die höheren Organismen sind nicht nur Konglomerate einer grössern Zellzahl; sie enthalten vielmehr wesentlich neues, das schon durch das Zustandekommen des Organismus aus Teilen von den Elementarorganismen verschieden ist und daher nicht aus unsern Beobachtungen an der Zelle konstruiert werden kann. Die Auffassung Ehrenbergs (18), der dem Infusor alle Organe höheren "Wesens in nuce zuschrieb, hat ihre berechtigte Korrektur erfahren. Ebenso aber wird es auch denjenigen Ansichten ergehn, welche aus einer der Ehrenberg' sehen entgegengesetzten Missdeutung entspringen und welche auf der falschen Généralisation zellulärer Erscheinungen berubn. Es ist nun aber einzusehn, dass da auf dem Wege der Zootomie tausende und aber tausende von Einzel- beobachtungen gemacht worden sind, auch die Systema- tisierung, die Ordnung dieser Thatsachen, nach denselben Prinzipien, wie bei den ganzen Individuen erfolgen muss. Nicht nur den Individuen kommt eine Klassifikation zu, auch ihren Teilen. Diese können wohl mit Rücksicht auf das zerlegte Individuum betrachtet werden, aber schon hiezu bedarf es bei komplizierteren Organismen einer Ordnung. Vollends, wenn wir die Teile, die sich — H94 — bei verschiedenen Organismen entsprechen, mit einander vergleichen wollen. Auch hier ist der bestehende Sprach- gebrauch bezeichnend: Wenn wir von „Organsystemen" reden, so verstehen wir darunter Organverbände, denen eine gemeinsame Funktion oder Entstehung zu Grunde liegt. Logischer Weise sollte man aber meinen, es handle sich bei diesem Ausdruck um die Systeme, wo- nach die Organe zu verschiedenen Malen betrachtet worden sind. Man ersieht schon hieraus, dass das in- nere Bedürfnis, die Teile des Organismus nach denselben Prinzipien zu behandeln, noch hinter dem nach Syste- matik der ganzen Individuen zurücksteht. Lehrreich hiefür ist auch die Thatsache, dass wir neben hunderten von Museen, die sich die Pflege der zoologischen Systematik angelegen sein lassen, fast nur ein einziges besitzen, in dem die Pflege der „vergleichenden Anatomie" nicht nur typentheoretischen und didak- tischen Zwecken huldigt, nämlich die Sammlung am Royal College of Surgeons in London. Dort allein wird für die Teile der Tiere dieselbe Vollständigkeit angestrebt, wie in so vielen Museen für die ganzen Organismen. Wonach soll nun die Ordnung des zootomischen oder allgemein anatomischen Stoffes vollzogen werden? Zerlegung allein genügt nicht dem wissenschaftlichen Bedürfnis und abgesehen davon, dass die Zootomie in den Dienst der „zoologischen Systematik" gestellt und auf die Gesamtwesen orientiert wurde, hat sie unter zwei andern Gesichtspunkten einen systematischen Auf- bau erfahren, unter dem der Funktion als allgemeine Physiologie und unter dem der Entwicklung als „ver- gleichende Anatomie" bezeichnet, in Wirklichkeit eine Phylogenie der Teile des Individuums bildend und als Ergänzung zu der über die Schranke des Individuums hinaufreichenden Phylogenie der einzelnen Lebewesen. — 895 Daraus ergibt sich für uns die Aufgabe, die Zoologie- geschichte zunächst nach derjenigen Seite zu vervoll- ständigen, nach der sich auf Grund der Zootomie die Physiologie und „vergleichende Anatomie" herausgebildet haben. Zuvor jedoch haben wir erstens die logischen Beziehungen zwischen der Zootomie (allgemeine Ana- tomie) einerseits und diesen beiden Disziplinen anderseits zu erörtern und zweitens das Verhältnis von Physiologie und Phylogenie unter sich. 3. Die Logik der Biologie. a) Die herrschende Systematik der biologischen Disziplinen. Versuche zu neuer Klassifikation der biologischen Disziplinen haben bisher unverdient geringe Beachtung gefunden. Es ist auch unser Plan nicht, eine neue Klassifikation zu entwerfen; vielmehr nur in der nach- folgenden Tabelle darzustellen, wie sich die hauptsäch- lichsten und gebräuchlichsten Abteilungen der Biologie, wie sie heute nun einmal vorliegen und bezeichnet werden, logisch zu einander verhalten. Die Bezeich- nungen der Disziplinen richten sich zunächst nach Ma- terial und Methode, sodann auch nach der"geschichtlichen Tradition und es versteht sich von selbst, dass in einer vorwiegend empirischen Forschungsperiode die Bezeichnun- gen häufiger gebraucht werden, welche auf der Gliederung des Materials und auf Überlieferung beruhen. Auch haben sich zwischen den durch eine bestimmte Methode umschriebenen Disziplinen und den durch ein bestimm- tes Material umschriebenen vielfach mehr oder weniger innige Beziehungen ergeben, die sogar zur Bildung „neuer" Wissenschaften geführt haben, so ist z. B. die „Entwicklungsmechanik" weiter nichts als die Anwen- dung der Physiologie auf die Embryologie zunächst, — 396 — dann aber auch in erweitertem Sinne auf organisches Wachstum überhaupt. Aber auch Scheidungen haben sich vollzogen. So hat die zoologische Systematik von jeher zwei Richtungen des Forschens in sich enthalten, entsprechend ihrem Prinzip: „genus proximum, diffe- rentia specifica", nämlich eine analytische, aufFeststel- lund der Art abzielende, und eine synthetische, die Klassifikation bezweckende. Wir lassen hier und in den nachfolgenden Ausführungen Botanik und Pathologie aus dem Kreis unserer Betrachtungen. Übersicht der zoologischen Disziplinen. A. Nach der Methode: i. Analyse: a) in Anwendung auf die ganzen Organismen: Zoologische Systematik zum Teil. b) in Anwendung auf die Teile der Organismen : Zootomie oder allgemeine Anatomie. 2. Synthese: a) nach dem Gesichtspunkt der Funktion-. Physiologie. b) nach dem Gesichtspunkt der Herkunft: Phylogenie: angewandt 1. auf die über dem Individuum stehenden Einheiten : Zoologische Systematik zum Teil. 2. auf die unter dem Individuum stehenden Ein- heiten: Vergleichende Anatomie zum Teil. B. Nach dem Material: /. Nach der durch Synthese gewonnenen zoologisch-syste- matischen Klassifikation: (Prolozoenkunde bis Mam- ma log ie). 2. Nach den zeitlichen und räumlichen Umständen der Urkunden: 307 a) erwachsene Lebewesen der Gegenwart: verglei- chende Anatomie zum Teil. b) erwachsene Lebewesen der Vergangenheit: Pa- laeoniologie. je) in Entwicklung befindliche Wesen: Embryologie. d) nach der räumlichen Verbreitung: Tiergeographie. b. Die allgemeine Anatomie. Die Anatomie ist die auf die konkrete Lebewelt angewandte analytische Methode (,, Analysis situs" Leibniz). Die heute anwendbaren Hilfsmittel haben es uns leicht gemacht, in der Lösung dieser Aufgabe einen relativ hohen Grad zu erreichen. Eine vollständige anatomische Beschreibung, durchgeführt mit der zu späterer Verwendung im Dienste der Vergleichung nö- tigen Sorgfalt ist ein grosses Stück Arbeit, leider aber heute etwas in Misskredit gekommen, in Vergleich zu so vielen fragmentären Darstellungen, die nur das für eine bestimmte Frage nötigste erraffen. Würde man be- denken, wie viele Organismen auf Jahre hinaus nicht mehr gesammelt werden, wie viele auch für immer ver- schwinden, man würde wohl der rein deskriptiven Zpo- tomie eine höhere Bedeutung zuschreiben, als dies gegenwärtig geschieht. c. Physiologie und Phylogenie. . An und für sich hat keine durch Zergliederung gewonnene Thatsache ihre Bedeutung. Sie erhält sie erst dadurch, dass wir sie orientieren. Wie wir sie dem natürlichen Zusammenhang entheben und einzeln hin- stellen, so haben wir sie wiederum in natürliche Ver- bindungen zu bringen. Entweder wir bringen sie, wie das mit Organen meist geschieht, in Verbindung mit der Klassifikation der Gesamtorganismen, oder wir reihen sie — 398 — den Systemen der Physiologie oder der Phylogenie des einzelnen Teils ein. Auf alle Fälle hat dem durch Analyse geschaffenen Thatbestande eine Synthese zu folgen und zwar kann und muss jedes anatomische Faktum, abgesehen von seiner rein praktischen Verwendung im Dienste der Klassifikation der Gesamtorganismen, unter zweierlei in unsern Denkformen begründete Fragen ge- nommen werden. Die eine dieser beiden Fragen ist die nach der Funktion. Die Deutung, welche wir so einer Form geben, bleibt indess so lange eine Hypothese, als nicht durch Experiment oder Beobachtung eine Verifikation stattfindet. Jedenfalls ist das Endziel dieser Deutung, das Verhältnis zwischen Aussenwelt und Innenwelt des Organismus, zwischen Reiz und Reaktion festzustellen. Darin stimmen alle Physiologen bei sonst verschiedener Richtung überein. Es gibt keinen Thatbestand in der organischen Natur — und das gilt nun auch über die Teile des Individuums hinaus, für die grossen Organismenverbände und ihre Prozesse allgemeinster Art, — der sich nicht, wenn er überhaupt deutbar ist, physiologisch deuten liesse, auch wo die Kontrolle durch Experiment ausgeschlossen ist. Die andere Frage ist die nach der Herkunft, nach der Geschichte eines durch Anatomie gewonnenen Organi- sationsverhältnisses, nach seiner Genese und zwar können wir uns nicht mehr vergegenwärtigen, dass irgend ein Organismus oder einer seiner Teile vorhanden sei, ohne eine lange Geschichte hinter sich zu haben. Ja es giebt auch keine Funktion, die sich nicht diesem Gesichts- punkt unterstellen Hesse. Am lebhaftesten hat Preyer diesem Gedanken Ausdruck verliehen. Diese Betrach- tungsweise bezeichnen wir bekanntlich als genetische oder nach ihrem Symbol des Stammbaums, die Phylogenie. Für sie existiert zur Anwendung des Experimentes keine — 39ü — Möglichkeit. Doch wird ihr anscheinend weniger günstiges Verhältnis zur Realität der Natur durch etwas anderes ausgeglichen Die Physiologie kann experimentell nur mit der existierenden Lebewelt verfahren, also mit einein verschwindend kleinen Teil der Organismenwelt, die wirklich existiert hat und die wir teilweise kennen. Auch reisst der Faden unseres Einblicks in den Zu- sammenhang der Erscheinungen ab, sowie wir konstatiert haben, was für einen Reiz irgend eine Reaktion bei irgend einem Organismus entspricht. Die Ursache aber des Verhältnisses zwischen Reiz und Reaktion ist bisher nicht ergründet worden und wird niemals ergründet werden. Die Phylogenie anderseits hat mit der Orga- nismenwelt, wenn auch nur in Bruchstücken, immerhin über eine bedeutendere Breite ihrer gegenwärtigen und ehemaligen Existenz an der Erdoberfläche zu thun. Dem Gedanken von der mechanischen Einheit der Aussenwelt, diesem Grundbegriff der Physiologie, setzt die Phylogenie die Thatsache der Vererbung, also die genetische Ein- heit mit gleicher logischer Berechtigung entgegen. Des- halb ist die Ansicht, dass die Physiologie wegen der experimentellen Methode logisch wertvoller, exakter, wissenschaftlicher sei, als die Phylogenie, eine Über- schätzung, die nur geschichtlich zu begreifen ist. Bei der Verschiedenheit, womit die organische Natur ihre Quellen der Forschung eröffnet, werden wir auch für die Anwendung der einen oder andern dieser Syn- thesen verschiedene Gelegenheit finden. Die niederen Organisationsstufen, also die unvollkommen differen- zierten Lebewesen und die Zellen und Gewebe der hö- heren, besitzen eine grössere Anpassungsfähigkeit, sind folglich auch geeigneter, experimentelle Eingriffe zu er- tragen, versprechen für physiologische Betrachtungsweise mehr Erfolg. — 400 — Die höheren Organisationsstufen, die Organe, Indi- viduen und natürlichen Verwandtschaftskreise, besitzen eine geringere Anpassungsfähigkeit; ihre Reaktionen zer- legen sich ausserdem in kompliziertere Teilerscheinungen. Die Möglichkeit der mit ihnen in ihrer Gesamtheit an- zustellenen Experimente ist gering im Vergleich zu den Möglichkeiten hei niedern Organisationsstufen. Schon die Lebensdauer der höheren Organisation erschwert den Versuch mit ihr. Die Physiologie hat sich daher auch immer mehr nach der Untersuchung der niederen Or- ganisationsstufen gewandt und wird auch voraussicht- lich diesen Kurs noch beibehalten, der ihrer natürlichen Entwicklung entspricht. Die Phylogenie anderseits findet bei den niederen Organisationsstufen zwar leicht Gelegenheit zum Anein- anderreihen von Formen und sie hat hievon in ihrer Kinderzeit auch reichlich Gebrauch gemacht, bis man die Beliebigkeit dieser Zusammenstellungen einsah. Denn es existiert nicht die geringste Aussicht auf eine solche Vervollkommnung der erdgeschichtlichen Urkunden, dass wir jemals über den wirklichen Ablauf der Differen- zierung niederer Pflanzen und Tiere oder deren Teile Auskunft erhalten werden. Dagegen hat sich die Zahl der Dokumente, welche den Ablauf der Stammesge- schichte bei den höheren Tieren darthun, dergestalt ver- mehrt, dass die Palaeontologie wohl reichlich die Hälfte der Argumente zur speziellen Stammesgeschichte der Wirbeltiere und ihrer Organe gegenwärtig liefert. Aber wie vom Standpunkt der Funktion aus jede höhere Or- ganisationseinheit betrachtet werden kann, so kann auch jede Funktion auf ihre Entstehung hin untersucht werden. Es giebt zwar keinen Tierstamm, dessen Enstehung wir nicht durch natürliche Funktionen zu erklären hätten; ebensowenig aber gibt es eine Funktion, die nicht ent- — 401 standen und von dem Entstehen ihres Substrates ab- hängig wäre. Nur fehlen uns dazu die Dokumente und wenn wir von den heute lebenden niederen Wesen ans argumentieren, arbeiten wir mit Hypothesen, die umso gewagter sind, je weiter die Entstehung einer Funktion zurückliegt und je geringer die Möglichkeit ist, dass wir jemals die Hypothese durch Auffindung realer Objekte verifizieren werden. Die Phylogenie hat sich daher na- turgemäss nach der Seite der höheren Lebenseinheiten hin ausgebildet und wird ebenso wahrscheinlich, wie die Physiologie in entgegengesetzter Richtung, diesen Kurs vorläufig beibehalten. Immerhin ist die Art, wie in zahlreichen theoretisch- biologischen Werken gegenwärtig die Phylogenie gering eingeschätzt wird, nicht in einer logischen Minderwertig- keit der Phylogenie selbst zu suchen, wie man solchen Urteilen zufolge, die übrigens nie geschichtlich begründet auftreten, meinen sollte. Sie hat vielmehr ihren Grund darin, dass die Physiologen die höheren Organismen wenig kennen und ohne weiteres nur noch die simpeln Mechanismen aus ihnen herauslesen, die so leicht an den niederen Stufen der Organisation festzustellen sind. (Vergl. pag. 898). Somit bringt es die natürliche Ent- wicklung der Biologie mit sich, dass beide Arten der Synthese auf verschiedenen Gebieten der Lebewelt ver- schiedene Anwendung finden, die Physiologie besonders auf die niedern, die Phylogenie vorwiegend auf die hö- heren Organisationen. Ausserdem kommen aber der Physiologie noch weitere Instanzen zu gute, die ihrer ganzen Entwicklung sowohl, als auch ihrem gegenwärtigen wissenschaftlichen Zustande für die Betrachtung der all- gemeinen Anatomie ein Übergewicht über die PhylogemV verschaffen. 26 402 Einmal ist schon die Anzahl anatomischer That- sachen, die sich mit Hinblick auf ihre Funktion deuten lassen, gross im Vergleich zu den phylogenetisch deutbaren. Die Frage nach der Funktion findet auch im naiven Empfinden des Menschen mehr Teilnahme, als die nach der Herkunft, schon um des praktischen Wertes willen, den wir an sie knüpfen. Der stärkste rein wissenschaftliche Grund aber für die Praevalenz der Physiologie ist ihr Anschluss an die exakten Natur- wissenschaften, deren Durchführung auf dem organischen Gebiete sie mit Recht zu sein beansprucht. Alle diese Gründe sind zusammengekommen, ihr ein höheres Alter, tiefere Durchbildung und zahlreichere Arbeitskräfte zu sichern. Dies sind Umstände, die vom Standpunkt der reinen Logik aus nicht in Betracht kommen, wohl aber für den Einblick in die geschichtliche Bedingtheit der gegenwärtigen Konstellation. Nehmen wir nun einmal an, es baue sowohl die Physiologie als auch die Phylogenie ihre Systeme aus, so fragt es sich weiter, wie beide Systeme sich zu einander verhalten werden. Die Palaeontologie hat uns gezeigt, dass aus den Landtieren, von den Reptilien bis zu den Säugetieren, wiederholt Wasserbewohner geworden sind. Neben Ichthyosaurus, dem klassischen Beispiel hiefür, sind eine ganze Reihe von Wasser- Reptilien bekannt, die wir auf landbewohnende Rep- tilien zurückzuführen haben, so die Plesiosaurier, Simaedosaurus, Anguisaurus, die Thalattosuchier und die Pythonomorphen. Innerhalb der Säuger sind es die Robben, die Meerkühe und die beiden Gruppen der Waltiere. An allen machen sich Organisationsver- änderungen bemerkbar, die auf die Einwirkung des Mediumwechsels zurückzuführen sind, also auf einen direkten mechanischen Grund. Es kommen zum Teil — 403 — so weitgehende Ähnlichkeiten zustande, dass man ja bis vor kurzem auf sie die Verwandtschaft zwischen Ichthyosauriern und Walen begründen wollte. Der Nach- weis der funktionellen Einheit, nämlich der Einwirkung des Wasserlebens auf ein Landtier und alle daraus folgenden Konsequenzen hat der stammesgeschichtlichen Betrachtung des Phänomens nicht Eintrag gethan, son- dern vielmehr erst die Bahn gewiesen. Die alte Auf- fassung, dass, wie die Fische den höheren Wirbeltieren vorangehen, wohl überhaupt Wassertiere den Landtieren vorangegangen seien, war in ganz unzulässiger Weise auf die Klassen der Wirbeltiere übertragen worden und so hatte man auch die Cetaceen an den Anfang der Säugetiere gestellt. Jetzt ist diese Auffassung als irrig erkannt und die Wasserreptilien und Wassersäugetiere werden als terminale, als Endformen aufgefasst, die auf mehr oder weniger bekannte Stämme von Landtieren zu beziehen und durch vielfach nachweisbare Zwischen- glieder mit ihnen verbunden sind. Aus diesem Beispiel erhellt wohl zur Genüge, dass Phylogenie und Physio- logie sich nicht nur nicht stören, sondern gegenseitig in ihren Zwecken fördern. Es kann diese Förderung sogar so weit gehen, dass in Fällen, wo die stammes- geschichtlichen Zwischenglieder fehlen, die physiologische Analogie sie zu ersetzen imstande ist. Als Beispiel hiefür seien die Riesenvögel der südlichen Hemisphäre angeführt. Nur für eine Vogelfamilie, die Rallen, kön- nen wir den Zusammenhang aberranter, flugloser End- formen mit ihren flugfähigen Stammformen nachweisen. Und doch können wir per analogiam für die sogenannten Ratiten oder Laufvögel nur annehmen, dass sie in gleicher Weise wie die fluglosen Riesenrallen aus flugfähigen Vogelfamilien entstanden seien. Anderseits ist die Zahl von Fällen übergross, wo physiologisch verbundene That- sachen erst durch die Phylogenie ihre Erklärung finden. — 404 — Noch einen Schritt weiter und wir verstehen nun auch, dass, da das reale Objekt eines und dasselbe ist, ob wir es nach phylogenetischer oder physiologischer Richtung deuten, es nebensächlich wird, ob wir den einen oder den andern Weg der Deutung zuerst beschreiten und es ist somit nur von der Beschaffenheit der be- gleitenden Umstände einer Untersuchung abhängig, ob wir zweckmässiger die eine oder die andere Synthese zuerst vollziehen, ob wir von unserer Kenntnis der Aussen weit und ihres Einflusses auf den Organismus ausgehn, oder ob von der Thatsache der Einheit aller Lebenserscheinungen auf Grund ihrer Entwickelung. In manchen Fällen werden wir nur die eine oder andere Deutung geben können ; selten beide. Üblich ist allerdings noch die Nebeneinander- stellung: Anatomie und Physiologie. Sie beruht auf der Antithese: Form und Funktion, einem der tiefst eingewurzelten und schon vom frühesten Unterricht an missbrauchtesten Scholasticismen. Die Form ist die Vorstellung der räumlichen Wirklichkeit. Auf ihr beruht die Möglichkeit einer doppelten Schlussfolgerung: Anfang — Ende, Geschichte — Funktion, Ursache — Zweck, Phylogenie — Physiologie. So wenig als irgend ein Naturforscher daran zweifelt, dass wir den Zweck irgend einer Organisation verstelm werden, es sei denn durch mechanistisch betrachtende Physiologie ebenso wenig ist daran zu zweifeln, dass uns je eine andere Ursache der Organisation zugänglich sein wird, als die Entstehung der gesamten Lebewelt. Nach dieser Feststellung der logischen Grundlagen der biologischen Systematik, wird es klar sein, dass die Sys- tematik der Teile des Individuums eine der der gesamten Individuen durchaus ebenbürtige Aufgabe für unsere Wissenschaft ist. Auch dies würde man beim Studium — 405 — theoretisch -biologischer Werke nicht glauben, die in dieser Hinsicht gewöhnlich, bestenfalls an Bichat (5) an- schliessen, wenn sie überhaupt darauf Wert legen, di<; obersten Kategorien der biologischen Logik darzustellen und gegen einander abzuwägen, was in der neueren Lit- teratur meist ganz unterbleibt. Woher dieser logische Sprung? Die „zoologische Systematik" hat sich soeben zu mächtiger Höhe erhoben, indem sie sich aus einer rein logischen in eine genealogische umbildete, Natur- geschichte in des Wortes eigentlicher Bedeutung wurde, Stammesgeschichte und Verbreitungsgeschichte. Sie legt den höchsten Wert auf die grossen Kategorien des „Sys- tems" und auf die Einteilungsprinzipien. Nur ihrer Systembildung thut sie die Ehre geschichtlicher Dar- stellung und Begründung an. Und die Kehrseite : Trotz der Auflösung des Organismus in seine Teile und Teilchen, der Erschliessung einer noch grösseren Mannig- faltigkeit von Thatsachen, als sie die Individuen und ihre Verbände darboten, vernachlässigt die Zoologie die systematische Gruppierung dieser Thatsachen, unter- schätzt das System, sobald es unter der Schwelle des Individuums seine Anwendung finden sollte, vergisst ihre Geschichte und ihre Werte. Demnach erweitern wir die Zoologiegeschichte nach der Richtung der Physiologie und „vergleichenden Ana- tomie" nichtnur, um sie selbst dadurch zu ergänzen, sondern es bedarf dieser Erweiterung auch im Dienste des logischen Ausbaues der biologischen Systematik. Denn zur Kritik der obersten Begriffe einer Wissenschaft gehört die his- torische Begründung und dem Naturforscher sollte die Analogie zwischen diesen obersten Begriffen und den elementarsten Teilen des Organismus am allerwenigsten fremd und eine blosse Metapher sein. Von einer durch Spezialforschung zu erzielenden Weiterbildung der bio- - 406 — logischen Systematik erwarte man in dieser Hinsicht nichts; denn sonst würden wir nicht immer wieder das Schauspiel erleben, dass mit der Notwendigkeit eines Naturereignisses spezialistisch und philosophisch ge- richtete Perioden sich ablösen. Wir bemerken von vorneherein, dass wir uns in dem engen Rahmen, in den uns die Gelegenheit zwingt, nicht eine ausführliche Darstellung der hier entwickelten Absichten gestatten dürfen. Wir werden nur die Grund- linien in der geschichtlichen Entwicklung der physiolo- gischen und „vergleichend - anatomischen" Systematik skizzieren, ihre gemeinsame Basis und ihre späteren gegenseitigen Beziehungen. Die Anwendung der dabei erworbenen Erfahrung auf die biologische Systematik der Gegenwart mag späteren Ausführungen vorbehalten bleiben. Worauf wir den Hauptaccent verlegt wissen möchten, das ist der Zusammenhang der Systeme bei den hauptsäch- lichsten Autoren, insbesondere der grossen Kategorien und ihrer Einteilungsprinzipien. Ferner die Auffassung der Autoren vom Wert der Systeme im allgemeinen und endlich die auf die Autoren einwirkenden Einflüsse der materiellen und accidentiellen Umstände. -1. Das Verhältnis der Medizin geschiente zur Biologiegeschichte. Wer sich gar nie mit Geschichte der Wissenschaften beschäftigt hat. wäre geneigt zu glauben, dass hier ein wohlgepflegtes Gebiet wissenschaftlicher Geschichtsfor- schung existiere, aus dem sich eine solche Geschichte eines einzelnen Problems leicht herausschälen lasse. Nur aus Verzweiflung, so sollte man glauben, sei das Spezialisten- tum darauf angewiesen, Flügelgeäder von Insekten und — 407 Kieselpanzer von Diatomeen zu beschreiben, Achsen- cylinderquerschnitte zu zählen, endlose Darstellungen von Experimentreihen zu geben ; man sollte meinen, es sei dies nun einmal das düstere Erbteil von uns Epi- gonen, da in den grossen Angelegenheiten „nichts mehr zu machen" sei. Ein solcher Standpunkt verrät nur, dass das immense Gebiet der Wissenschaftsgeschichte nicht nur unbekannt ist, sowohl seinem gegenwärtigen Zustande, als auch seinen Zielen und Aufgaben nach, sondern, dass das Spezialistentum geradezu noch ver- hindert, dass wir von seinen Vertretern das philosophisch Interessante aus ihren Gebieten erfahren. Von der Ge- schichte der anorganischen Wissenschaften, der wir ober- flächlicher Kenntnis nach eine sorgfältigere Durch- arbeitung zutrauen, sei hier nicht die Rede, wohl aber von der Geschichte der Biologie, speziell der zoolo- gischen. Ihren Zustand haben wir einleitungsweise cha- rakterisiert ; jetzt aber müssen wir anknüpfend an das dort Gesagte noch einen naheliegenden Einwurf erledigen, den man uns nach näherer Präzisierung der Fassung, die wir den Teilen unserer Wissenschaft gegeben haben, machen könnte. Mau wird uns nämlich belehren, dass die Geschichte der Biologie und insbesondere der allgemeinen Anatomie und der auf ihr aufbauenden Physiologie und „vergleichenden Anatomie" nach dem berühmten Muster Hallers auch bei spätem Medizinhistorikern berücksichtigt sei. ^Wenn dies auch für gewisse Gebiete aus der Ge- schichte der Biologie gilt, so ist aber einmal damit nicht gesagt, dass den Mediziner diejenigen Facta interessieren, die auch den philosophischen Biologen angehen, und zweitens, kann dasselbe Factum eine ganz verschiedene Deutung erfahren, je nachdem wir es medizin-historisch oder biologie-historisch deuten und verbinden. Es wäre undankbar und ungerecht, wollten wir nicht anerkennen, 408 dass die Medizingeschichte dem Biologen auch in ihrer heutigen Form über die Geschichte seiner Wissenschaft viel Interessantes bietet. Aber man übersehe nicht die natürliche Trennung zwischen der Geschichte der medi- zinischen Praxis und der Geschichte der in mehr oder weniger engern Anschluss an medizinische Praxis ent- standenen selbständigen Biologie. Dass es zweierlei sei, die Natur um der Praxis willen und sie um der „Weis- heit" willen zu studieren, dafür war bereits unter den Hippokratikern das Bewusstsein lebendig und wir sollten uns heute bei der Geschichtsbetrachtung der Einsicht in diese Scheidung verschliessen? So besitzen wir denn also erst Geschichte der Medizinpraxis und dem ent- spricht auch der Zustand der Geschichte der Anatomie : Sie ist vorwiegend antiquarisch betriebene Sammlung menschlich-anatomischer Beobachtungen, ferner etwas Geschichte des anatomischen Unterrichts und der Kunst- anatoinie. Sie lässt uns im Stich für die Entwicklung der Ideengänge der allgemeinen Anatomie und deren Beziehungen zu denjenigen der Philosophie. Die Nichtexistenz einer Physiologiegeschichte hat schon Preijer (42) ausdrücklich beklagt. So vortrefflich sein eigener Versuch war, diesem Übelstande durch eine frisch geschriebene Skizze abzuhelfen, so lässt sich doch ermessen, dass in ihr die wichtigsten Entdeckungen schon den meisten Raum einnahmen und dass bei ihrer Aus- dehnung auf nur 37 kleine Seiten die Geschichte der physiologischen Systematik kurz wegkam. 5. Die Entwicklung der physiologischen Systematik. • iemäss unsern Ausführungen über die Prävalenz der Physiologie (pag. 402) schicken wir die Entwicklung der Grundzüge des physiologischen Systems voraus. Hiebei ist zu beachten, dass im Anfangszustande der — 409 Wissenschaft Physiologie und „vergleichende Anatomie" sich inniger berührten, da ja die Thatsachen für beide Gedankenreihen näher beisammen und an Zahl relativ gering waren, da ferner für die Physiologie das Experi- ment nur in seinen einfachsten Formen vorhanden und der Anschluss an die medizinische Praxis in weit höherem Maasse gegeben war, als bei der spätem Entwicklung unserer Wissenschaften. Ferner existierte Systematik in Umfang und Inhalt des heutigen Begriffs noch nicht. Sie ist erst eine Schöpfung der Schola, der auch die freiesten Denker neuerer Zeit ihren Tribut entrichteten. Hat doch kein geringerer als Hœckel, insbesondere in seiner generellen Morphologie und seiner systematischen Phylogenie, durch virtuose Anwendung dieses logischen Instrumentes seine dauerndsten Erfolge erzielt. Bei Aristoteles (1,2) durchdringen sich drei biolo- gische Systeme, welche auch in der Konfiguration der heutigen biologischen Systematik sich erhalten haben. Einmal die x4.bstufung der gesamten Lebewesen, welche die Grundlage unserer heutigen Klassifikation bildet. Hierüber haben wir uns im Einzelnen nicht zu ver- breiten, da diese Beziehungen ausser Diskussion und in den Geschichtswerken der Zoologie genügend gewürdigt sind. Aristoteles war nicht der erste Zootoni, denn seine Einteilung der Teile der Tiere in gleichartige und un- gleichartige hat er von Anaragoras übernommen. Aber bei ihm tritt uns zuerst die doppelte Orientierung der „vergleichenden Anatomie" entgegen. Einmal benutzt er sie zur Herstellung seiner yévq /.téyiata, der grössten Tier- gruppen, also genau so, wie sie heute noch dient. Ausser dem aristotelischen Tiersystem kommt aber auch ein anatomisches System zum Ausdruck, das dem System der Individualstufen Hœckels seinem Prinzip nach wenig- stens gleicht: Der Organismus baut sich auf aus Ele- 410 menten, Geweben, Organen. Zwischen die Lehre von den letzteren und die Schilderung des Gesamtorganis- nius schiebt sich — bezeichnend genug für das ästhetisch betrachtende Auge des Griechen — eine Proportions- lehre ein. Dann aber, und hierin zeigen sich die Anfänge einer wissenschaftlichen Synthese der zootomischen That- sachen in physiologischer Richtung, konstatiert Aristoteles die Übereinstimmung gewisser Funktionen auf Grund ähnlicher Organisation. Er umschreibt die Aufgabe, die allen Lebewesen oder einem Teil derselben gemein- samen Zustände festzustellen und kommt dadurch zu seinen biologischen Allgemeinbegriffen: Gemeinsam sind Pflanzen und Tieren die Funktion der Ernährung, den Tieren allein kommen zu Bewegung und Empfindung, dem Menschen endlich die Vernunft. Sein Prinzip „den Anfang damit zu machen, dass man zuerst die Erscheinuni) erfasse, dann aber erst ihre Ursachen angebe und über ihre Entstehung rede", enthält die Grundlage aller bio- logischen Systematik, eine Grundlage, die unsern Be- griffen Anatomie, Physiologie und Phvlogenie entspricht. Das unumwunden anzuerkennen, sollten uns nicht die spätem Umdeutungen hindern, welche darin bestehen, dass die „Ursache" auf Grund der modernen Mechanik in die Aussenwelt verlegt wurde und der Begriff der Entstehung auf Grund der Entwicklungslehre eine ge- waltige Erweiterung erfuhr. Dass Aristoteles weit über alle seine speziellen physiologischen und anatomischen Kenntnisse hinaus diese Systematik begründete, ist ein seiner Begründung der zoologischen Systematik min- destens ebenbürtiges Verdienst. Noch im Altertum trat dieser rein philosophisch gedachten und nur in der Tiergeschichte didaktischen Zwecken angepassten allgemeinen Anatomie eine solche — 411 — an die Seite, die den Ursprung der Praxis anatomischen Unterrichts an der Stirn trägt, diejenige Galens (2.1). Sie hat sich auch mit wenigen Modifikationen nicht nur innerhalb ihrer Sphäre erhalten, wo sie schwerlich durch hesseres zu ersetzen sein dürfte, sondern durch selt- samen Zufall ist es ihr auch jetzt noch möglich, die Grenzen ihrer Domäne zu überschreiten. In den Büchern de anatomicis administrationibus schuf Galen die Reihen- folge: Knochen, Bänder, Muskeln, Nerven, Gefässe, Ein- geweide, Herz, Lungen, Gehirn, immerhin weit entfernt davon, dass er sie in klarer Aufeinanderfolge darböte. Diese Systematik hat die Folgezeit beherrscht und ragt noch tief in die Neuzeit hinein. Sie beruht darauf, dass das Skelett gewissermassen als das Unvergängliche, Starre nun einmal für den Unterricht die Grundlage bilden musste und dass zuerst die mit ihm in direkter Verbindung befindlichen Teile abgehandelt wurden. Erst dann folgten die Eingeweide im weiteren Sinne desWortes. Schon hier aber war von jenem Gedanken, den Men- schen unter denselben Gesichtspunkten zu betrachten, wie die übrige Welt, nichts mehr zu verspüren und wir würden schon oft Wiederholtes aussprechen, wollten wir nachweisen, wie stark diese praktische Auffassung mensch- licher Anatomie Galen für das christliche Mittelaltei prädestinierte. Auch in Bezug auf seine physiologische Systematik blieb er (20) weit hinter Aristoteles zurück und völlig im Banne der Praxis. Seine Unterscheidung der Hauptfunktionen in animalische, vitale und naturale und deren weitere Gliederung bezeichnet lediglich einen Rückschritt und ein Hindernis, das sich auch noch zu Beginn der Neuzeit dem aristotelischen System und seiner weiteren Entwicklung in den Weg stellte. Später hörte, wie bei Ricardus Ang/icus (43) überhaupt jede Ordnung in der anatomischen Darstellung auf. 4lL> Es erscheint heute nicht leicht, den Restauratoren der Anatomie gerecht zu werden, wenn wir ihre Systeme mit dem Galeri'schen vergleichen. Von den vorvesalischen Anatomen der Neuzeit ordnete noch Guido (45) seinen Text der Anatomie so: Kopf, Hals, Rücken, Arm, Brust, Bauch, Bein, also nach den äusserlich sichtbaren Regionen. Mundinus begann mit den Ventres : Bauch höhle, Brusthöhle, Schädelhöhle und deren Inhalt und gieng alsdann zu den Extrema über, die er nach ihren Muskeln, Gefässen, Nerven und Knochen beschrieb. Dieselbe Systematik behält ßerengar (11) bei. Sie trägt doch wenigstens den Stempel einer Ordnung, wenn auch einer rein praktischen, nämlich der Reihenfolge, in der die Leichenzergliederung vor sich ging. Man wird auch dieser Systematik der vorvesalschen Anatomen nicht seine Anerkennung versagen wollen, wenn man in Rücksicht zieht, dass sie gewissermassen nur ein Begleitwort zur Sektion selbst bildete und falls sie nichts anderes zu sein beansprucht. Den Grund- gedanken der Biologie wird natürlich mit ihr keineswegs entsprochen und deshalb durfte sie auch keine Anwen- dung finden auf nicht der Sektionspraxis dienende Ana- tomie. Deshalb mutet es uns sonderbar genug an, wo wir diesem System in Werken mit wissenschaftlichen Prätensionen später noch begegnen. So handelt Th. Lautli (34) in seiner Geschichte der Anatomie, dem umfang- reichsten Werk dieser Art, das Gehirn bei den Ein- geweiden ab und die Geschichte der Hirnforschung in der Geschichte der Splanchnologie, ein deutlicher Beweis, wie eine solche Schablone noch über Jahrhunderte hin- aus fortwirkt ! Dem gegenüber kehrt Vesal (54) zu Galen zurück. Die Bücher seiner Fabrica tragen folgende Überschriften: I. Knochen, II. Ligamente und Muskeln, III. Nerven — 413 — und Arterien, IV. Nerven, V. Ernährungsorgane und Genitalien, VI. Herz und Lunge, VIT. Zentralnerven- system und Sinnesorgane. Man hat wohl die vielen Unterschiede, welche Vesal von Galen trennen, mit Recht genügend hervorgehoben. Aber auch abgesehen von der Rückkehr zu Galens Systematik, hat Vesal an vielen und wesentlichen Punkten seinen Nachfolgern den Fortschritt von Galen und dem nächsten Augenschein zu neuen Verallgemeine- rungen überlassen und, wenn auch seine Verdienste um die menschliche Anatomie kaum hoch genug anzuschlagen sind, so war es Severino, der die vergleichende Anatomie umgestaltete, Enstachiiis, Aldrovandi und Coüer, die die Embryologie begründeten, Varolius der die Sektions- technik des Gehirns von Galen befreite und die Kennt- nis dieses Organs um vieles mehr bereicherte als Vesal. Während wir die Physiologie noch völlig im Dienste der Medizin auf Grund Galens und damaliger Schulen verankert finden und anderseits das praktische System Vesals die Schulanatomie beherrschte, bildete sich, schein- bar ganz spontan, bei C. Varolius (52) ein System der Anatomie aus, das geschichtlich überaus interessant ist. In der methodischen Einleitung zu seinen vier Büchern Anatomie, die etwa um 1570 entstanden sein mögen, ver- weist er für die Kenntnis der Knochen, Membranen, Bän- der, Knorpel, Gefässe und „solcher Art Teile, die nur der „Fachmann'- zu kennen braucht", auf andere Werke. Ihm liegt vielmehr daran, das hervorzuheben, was den Seelenkräften als Werkzeug dient und den „Edelmann und Philosophen" interessieren kann. Aus dem Prinzip des obersten Organs heraus soll die Notwendigkeit der andern schrittweise verständlich gemacht werden. Er handelt seine Anatomie nach folgenden Kategorien ab : I.Buch: Nervensystem, Sinnesorgane, Bewegungsapparat. — 414 — II. Buch: Lebenswärme und Herz. Respiration und Lunge. III. Buch: Digestion und Excrétion. IV. Buch: Zeugung und Entwicklung. Hiebei haben wir nicht seine einzelnen Kapitel- überschriften wiedergegeben, sondern uns begnüg!, den Inhalt unter grössere beute geläufige Rubriken zu sub- summieren. Dieses System konnte nur von einem aus der ari- stotelischen Schule hervorgebenden Anatomen, konzipiert werden ; denn es gibt den Grundgedanken der aristote- lischen Systematik, wenn auch in der durch das Mittel- alter umgekehrten Reihenfolge wieder. Varolius will auch Philosoph sein, ja er ist als der erste Begründer einer bewussten „Anatomie philosophique" der Neuzeit zu bezeichnen. So verlegt er denn den Hauptaecent auf den Menschen und deduziert von ilim aus alle die Funktionen allgemeinster Art, die das ausgehende Alter- tum als Frucht seiner Beobachtungen in ihn hinein- verlegt hatte. Der einzige wesentliche Unterschied im Vergleich zu Aristoteles ist der, dass Varolius im An- schluss an Galen und die alexandrinische Schule und in Übereinstimmung mit seinem Zeitgenossen Realdus Co- lumbus im Hirn und nicht im Herzen das Seelenorgan erblickt. Mit dieser Systematik der Anatomie trifft aber Varolius nicht allein den Menschen. Ebenso zutreffend hätte seine Einteilung an niederen Tieren abgeleitet werden können. Eben darum ist sie auch eine allgemein anatomische. Darin auch liegt der tiefgreifende Unter- schied im Vergleich zu dem didaktischen Anatomiesystem von Galen und zu dem sektionstechnischen der Restau- ratoren. Varolius starb früh, seine wenigen ausgezeich- neten Schriften wurden erst 1591 publiziert. Die folgen- den Anatomen aber lehnten sich in ihren Systemen entweder an das der Restauratoren oder an das Galens 415 — an. Severino's |4(J) Schritten, welche ebenfalls aristote- lische Grundlage verrieten, konnten, da sie erst 1645 zur Publikation gelangten, keinen Einfluss auf die Weiterbildung der anatomischen Systematik ausüben. Einen solchen können wir erst da konstatieren, wo der Cartesianismus die Erbschaft von Aristoteles über- nahm und auf ein erweitertes anatomisches Substrat fiel. In derselben Zeit da Severinos Zootomia Democritsea erschien, regte sich allerorts die Zootomie. Es ist die Periode der Akademiegründuugen und der Tiergärten, voran stand Paris mit dem Jardin du Roy und den Anatomien der Tiere im Schosse der französischen Aka- demie, über die uns noch heute der später erschienene stattliche Band informiert (37). Die Seele der zootomischen Bestrebungen in Paris ist Ckmde Perrault (41), der Lionardo Frankreichs. Seine breiten Spezialkenntnisse in der Tierzergliederung fanden in der cartesianischen Philosophie ordnende Prinzipien. Unter allen mensch- lichen Kenntnissen ist die der Lebewesen die schönste. Die Punktionen, welche den Inhalt dieser Kenntnisse bilden, werden durch die Organe hervorgebracht. In diese erlangen wir durch Vergleichung mit Mechanismen einen Einblick. So empfindet Perrault und stellt sich daher die Aufgabe, die Prinzipien der Mechanik nicht nur durch die anorganische, sondern auch durch die organische Natur hindurchzudenken. Dabei gibt er für eine Menge von Einrichtungen des Tierkörpers die Er- klärung ihrer Funktion in dem Umfange des heutigen Elementarunterrichtes in Zoologie. Als Einteilungs- prinzip für die organische Mechanik verwendet er die Funktionen allgemeinster Art und kommt dabei, ob bewusst oder unhewusst ist nicht anzugeben, aber von andern Gesichtspunkten aus auf ähnlich grösste Kate- gorien wie Aristoteles. Gemeinsame Grundfunktion für 416 — Pflanze und Tier ist der Stoffwechsel; den Tieren allein kommt zu Bewegung und Empfindung, also Kraftwechsel. Zeugung und Entwicklung lässt er als keinem Mechanis- mus vergleichbar noch aus dem Spiel. Sowohl die Wert- schätzung Perraults, der die Kenntnis der Funktionen als den wesentlichen Inhalt der Naturkenntnis, wie auch die Meinung, dass die Organe nur um der Funktion willen da seien, folglich die Anatomie um der Physio- logie willen, sind bis auf den heutigen Tag nachwirkende Cartesianismen, die sich durch die Jatromechanik bis in die gegenwärtige Physiologie hinein als Dogmen er- halten haben. Man würde also Perrault nach heutigem Sprachgebrauch als Schöpfer der „vergleichenden Phy- siologie" bezeichnen. Sein wissenschaftliches Postulat würde lauten : Er- klärung des Organismus, seiner Funktionen und Formen durch die Aussenwelt ; damit entspricht es vollauf den Prinzipien der physiologischen Synthesenbildung. Nun dachten aber seine Nachfolger aus dem Lager des fran- zösischen Materialismus diesen Gedanken weiter ins Molekularmechanische. Ganz besonders eigneten sich auch die Gebiete der Zeugung und Entwicklung, die Perrault aus dem Spiele gelassen hatte, hiefür. Ja noch bei liiijjon (8), wo zum zweiten Male ein mächtiger Zu- wachs an Tierkenntnis geschah, und durch ihn auf alle weitere Zukunft, kommen dieselben Gedankengänge zum Vorschein, die sich von 1640 an ausgebildet hatten. Wie uns Bichat selbst sagt, war es Grimaud, der Phy- siologe in Montpellier, welcher die Einteilung der Funktionen von Aristoteles und Buffon übernahm und Aveiterbildete, bevor Biohat mit der seinigen aultrat. Doch geht aus alledem nur hervor, dass die Auffassung der physiologischen Prinzipien Claude Perraults Gemein- gut des französischen Cartesiani-mus, der aus ihm her- 417 vorgegangenen Schule von Montpellier und der Pariser Zoologie von Buffern bis Bichat wurde. Auch Vicq d'Azyr (53), der ein unausgebautes System der Funktionen hinterlassen hat, lehnt sich vorwiegend hier an, wenn auch bei ihm ein weiterer Faktor, dessen später zu ge- denken sein wird, ins Spiel kommt. Schon war das aristotelische Funktionssystem gefährdet durch den Aus- bau der Zoologie und der vergleichenden Anatomie in Paris, als auf Grund neuer, dem gesunden und kranken Menschen entnommener Erfahrungsthatsachen ein gewal- tiges systematisches Talent, Bichat (5) es stützte und erweiterte. Bichats Einteilung der Funktionen und der Organe nach ihnen ist bekannt. Schon die Bezeichnungen vegetativ und animalisch gehn auf die aristotelische De- finition der Pflanzen und Tiere nachweisbar zurück, auch wenn Bichat die vegetativen Funktionen als organische bezeichnet. Seine Einteilung der Verrichtungen lautet : I. Verrichtungen, welche sich auf das Individuum beziehen : 1. Verrichtimg en des tierischen Lebens: A. Sensationen. B. Hirnverrichtungen. C. Bewegungen. D. Stimme etc. E. Fortpflanzung durch Nerven. 2. Verrichtungen des organischen Lebens: A. Verdauung. B. Atmung. C. Kreislauf. D. Aushauchung. E. Einsaugung. F. Absonderung. G. Ernährung. H. Wärmeerzeugung. 27 418 II. Verrichtungen, welche sich auf die Gattung beziehen: Zeugung etc. Hiebei ist bereits ein Faktor im Spiel, den wir rückgreifend noch zur Sprache bringen müssen. Das ganze Jahrhundert hindurch hatte die Expérimental- physiologie, namentlich seit ihrem Ausbau durch Haller (28) mit steigender Macht sich zur Geltung gebracht. Sie musste auch in die Systeme einbrechen und wäre es nur gewesen, weil die zahlreichen Experimente erwähnt wer- den wollten und Kapitelüberschriften erforderten. So schon bei Vicq d'Azyr, so auch hier wiederum bei Bichat. Das System wurde dadurch entwertet, dass es unter den Einfluss der litterarischen Stoffverteilung geriet und zur Kapiteleinteilung herabsank. Etwas ähnliches liesse sich schon bei Varolius konstatieren. Von Haller an war es selbstverständlich. So sind denn auch bei Bichat Stimme und Nervenleitung den Sensationen, Hirnverrichtungen und Bewegungen coordiniert, statt in sie eingereiht zu werden. Noch stärker lockert sich das System der organischen Funktionen. Hier wie auch in andern Fragen der elementaren Auffassung der Biologie z. B. in der Verlegung des Schwergewichts von der Organologie in die Histologie brachte dieser impulsive, aber unaus- gereifte Genius Verschiebungen zustande, die seither unbesehen hingenommen wurden. „La vie est l'ensemble des fonctions qui résistent à la mort," lautet seine be- kannte Definition ; aber so sehr er bemüht war, dieses Ensemble zu betonen durch ein System der Funktionen, so hat er doch sich nicht ganz von dem äusseren Ap- parat zur Ergründung der Einzelheiten losgerungen. Auch ein anderer Einfluss von aussen wirkte auf die physiologischen Systeme dieser und der nachfolgen- den Zeit mächtig ein, das Erwachen der Chemie, welches — 419 insofern zur Rückkehr auf Aristoteles verführte, als man nun begann den Gedanken, dass die Gewebe aus Ele- menten zusammengesetzt seien, im Sinne der modernen Chemie zu interpretieren. Man suchte nach einer biolo- gischen Einheit, da die H aller' sehe Faser versagt hatte und fand sie nun im Stoff, lange bevor es dazu kam, dass man sie in der Zelle erkannte. So kam die Syste- matik von Dumas (17) zustande und auch Joli. Müller (39) ist von dem Eindruck der chemischen Entdeckungen so überwältigt, dass er seine Physiologie mit dem stoff- lichen Substrat beginnt; auch folgt ihm Wundt (57) unter Einbeziehung der Zellenlehre. Das Gleichgewicht der physiologischen Systematik stellten erst ßichats Nachfolger wieder her: Magendie (35), Richerand (44) und H. M Une- Edwards (38). Magendie möge hier selbst zu Worte kommen : „Ohne uns hier bei einer Aufzählung der verschiedenen zu verschiedenen Zeiten der Wissenschaft angenommenen Einteilungen aufzuhalten, wollen wir bemerken, dass man die Funktionen unterscheiden kann in solche, deren Zweck ist, uns in Verbindung mit den umgebenden Gegenständen zu setzen, in solche, welche die Ernährung und in solche, welche die Wiedererzeugung der Gattung bezwecken. Wir werden die ersteren Beziehungsfunktionen (fonctions de relation), die zweiten Ernährungsfunktionen (fonctions nutritives) und die letzten Zeugungsfunktionen (fonctions génératrices) nennen." Richerand hatte das Verdienst, Hallers Gewebe- physiologie nachdrücklich bekämpft zu haben, insbesondere die Lehre von der tierischen Faser, welche für den Physiologen dieselbe Bedeutung haben sollte, wie die Linie für den Geometer. Er opponiert auch gegen Vicq d'Azgrs Systematik, worin unter H aller schein Einfluss — 420 — Irritabilität und Sensibilität als besondere Funktionen aufrückten. Nach einer Kritik der Bichat'&ch&n Bezeich- nungen organisch und animalisch, nimmt er die Magen- die'schen Bezeichnungen an und diskutiert den Wert weiterer Gliederungen der Funktionen in geradezu klas- sischer Klarheit, wenn auch mit beinahe totaler Blind- heit für die Genese der organischen Natur, für die Ent- wicklungsphilosophie, die damals in Deutschland bereits aus dem Stadium nüchterner Fruchtbarkeit heraus- getreten und in eine Orgie ausgeartet war. An Magendie und Richerand schloss sich direkt des ersteren Mitarbeiter und Schüler H. Milns-Edwards an. Ihm war allerdings A. Dugès (16) mit der Durch- führung einer vergleichenden Physiologie, worin er die Ideen von Richat, Geoffroy (24), Cuvier und der Meta- merentheoretiker von Montpellier eklektisch verarbeitete, vorgeeilt. Mi Ine- Edwards nun gestützt auf die umfassend- sten Kenntnisse der Zootomie, die wohl je in einer Person sich vereinigten, ausgerüstet mit allen Hilfsmitteln und die gesamte Litteratur bis auf seine Zeit kritisch über- blickend, schuf das grundlegende Werk der vergleichen- den Physiologie und Anatomie, dem kein späteres an Breite des Erfahrungsmaterials und Sorgfalt der Aus- wahl und Darstellung an die Seite zu stellen ist. Auch darin gliederte er den Stoff nach den Prinzipien der physiologischen Systematik seiner Lehrer und Vorgänger, deren vorwiegend menschliche Physiologie er zu einer allgemeinen Physiologie erweiterte. Er bildet damit das Endglied in der langen Reihe physiologischer Systema- tiker, die wir bisher durchgangen haben. Einen Versuch in derselben Richtung, aber hinter Mi Ine- Edward s weit zurückstehend, besitzt auch die deutsche Litteratur in dem Werke von Bergmann und Leuckart (58). Aber nicht Mi Ine- E mg-" Soweit das Tatsächliche in der Mitteilung Prof. Heydweillers. Wie man sieht, handelt es sich bei dieser kurzen Notiz zunächst um die sehr gerechtfertigte Wah- rung der Priorität für diese wichtige Entdeckung. Je- doch ist Hr. Prof. Heydweiller ein so ernster und sub- tiler Forscher, dass auch einer so kurzen Mitteilung von ihm grosse Bedeutung zukommt. Es ist also festgestellt worden, dass eine Gewichts- änderung in geschlossenem Glasgefäss statthat, -d. h. dass wägbare Substanz Glas zu durchdringen vermag. Welcher Art diese Materie sei, das bleibe zunächst gänzlich aus dem Spiel. Die Frage, ob Gewichtsänderung in geschlossenem Glasgefäss möglich, ist des öftern aufgeworfen worden; in letzter Zeit bekanntlich besonders von Hrn. Lan doit in Berlin, der derselben mit ausserordentlicher Sorgfalt und Mühwaltung nachgegangen ist und noch nachgeht. Es ist bekannt, dass die auf Wasserstoff = 1 be- zogenen Atomgewichte in einer Mehrzahl von Fällen von einer ganzen Zahl nur um recht geringe Wrerte 44:î abweichen, und dass diese ganz geringen Abweichungen zwar nicht völlig verschwinden, aber auch, trotz der Ver- feinerung unserer analytischen Methoden, nicht nennens- wert wachsen. Es ist weiter bekannt, dass, auf diese Tatsache hin, der englische Arzt William Prout in einer 1815 erschienenen Arbeit behauptet hat, dass die Atomge- wichte einfache, geradzahlige Multipla des Wasserstoffs = 1 seien, woraus sich ableiten liesse, dass die ver- schiedenen Elemente nichts anderes als verschiedene Ver- dichtungsphasen einer Urmaterie, zunächst einmal des AVasserstoffes, seien. — Begreiflicherweise erregte diese sogenannte Prout'sche Hl/pol hese ein ungeheueres Aufsehen, und das um so mehr, als die uns heut geläuligen Zahlen, auf H = 1 bezogen, damals nicht gebräuchlich waren, wenn auch Poggendorffs1) Bemerkung, Prout habe überhaupt als erster den Wasserstoff zu Grunde gelegt, falsch ist; das tat schon Da/ton -). Zwar niemals in unbestrittener Geltung stehend, er- hielt diese Hypothese doch wieder einen gewaltigen Stimulus, als Dumas und Stas, 1840, fanden, dass das Atomgewicht des Kohlenstoffes mit 12,0008 im Gegen- satz zu des Berzelius wiederholter Festlegung mit 12,23, ebenfalls der Regel Prouts zu folgen schien. War doch Stas selbst, offenbar durch den Erfolg der Bestimmung des Kohlenstoffs, zu Prouts Anschauungen bekehrt, und begann er seine mit unerreichter Sorgfalt durchgeführten Arbeiten, die zu dem unumstösslichen Satz führten, dass die Atomgewichte nicht durch ganze Zahlen ausgedrückt ') Handwörterbuch lid. 2. Spalte 539. '-) Die Entstehung der Dallonschen Atomtheorie. Deutseh von Kahlbaum. Monographien aus der Geschichte der Chemie, Heft 2. 1898. S. 27 u. Tafel 3. 444 werden dürfen'), ursprünglich, um das Gegenteil zu be- weisen. Fest steht also, dass die ermittelten Werte zwar mit Dezimalen behaftet sind, immerhin in ihrer Mehrzahl von ganzen Zahlen nur sehr wenig abweichen. Es darf also die Frage aufgeworfen werden: Sind nicht etwa besondere, andere Gründe und Ursachen da- für haftbar zu machen? Das ist, 50 Jahre nach Prout, 1865 durch Marignac bereits geschehen. Wir wissen, dass die beiden grossen Gasgesetze, welche die Änderung des Volumens aller Gase bei Druck- und Temperaturwechsel regeln, keine absolute Gültigkeit haben ; und ebenso ist es bekannt, dass das gleiche von dem Gesetze der konstanten Atomwärmen gilt. Mit Bezug auf die beobachteten Abweichungen bei den beiden ersten Gesetzen, meint nun Marignac'2)'. Man könne die Hypothese Prouts neben die Gesetze von Boglc (Marignac nennt es 1865 natürlich noch nach Mariotte) und Gay-Lussac stellen, und eine wesentliche Ursache annehmen, aus der die Einfachheit, die Geradzahligkeit der Verhältnisse der Atomgewichte abzuleiten sei, dazu aber noch sekundäre Ursachen, denen die geringfügigen Abweichungen von der absoluten Gültigkeit des Gesetzes zuzuschreiben seien. Es wird sich nun weiter fragen, welcherlei x4.rt können denn diese sekundären Ursachen sein, die eine solche störende Einwirkung auszuüben imstande sind? J) Untersuchungen über die Gesetze der chemischen Propor- tionen, über die Atomgewichte und ihre gegenseitigen Verhältnisse. Leipzig, Quandt und Händel 1867. Begonnen wurden diese Arbeiten Stils' bereits 1860. -') Liebig, Annal. Supplbd. +. 1865-66. S. 206. — 445 — Marignac selbst hat sich darüber nicht ausgelassen, dagegen hat Lothar Meyer ausdrückliche Antwort darauf erteilt. In seinen „Modernen Theorien" sagt er darüber: „Es ist wohl denkbar, dass die Atome aller oder vieler Elemente doch der Hauptsache nach aus kleineren Elementartheilchen einer einzigen Urmaterie, vielleicht des Wasserstoffes, bestehen, dass aber ihre Gewichte darum nicht als rationale Vielfache von einander erscheinen, weil ausser den Theilchen dieser Urmaterie, etwa noch grössere oder geringere Mengen der vielleicht nicht ganz gewichtlosen, den AVeltraum erfüllenden Materie, welche wir als Lichtäther zu bezeichnen pflegen, in die Zu- sammensetzung der Atome eingehen. Es ist das eine Hypothese, die nicht unzulässig er- scheint und, obwohl sie zur Zeit weder erwiesen noch widerlegt werden kann, doch in weiterer Ausführung vielleicht zukünftig lohnende Früchte zu tragen vermag, wenn sich auch für den Augenblick die Gewinnung solcher noch nicht erwarten lässt1)." So wie der Ausspruch Mariannes als Erwiderung auf den Satz von Sias : ,.Ich betrachte somit die Prouhche Hypothese als eine reine Täuschung, und die für unzersetzbar geltenden Körper als voneinander ver- schiedene Wesen, welchen keine einfache Beziehung der Gewichte untereinander zukommt" 2), anzusehen ist, so ist hinwiederum Lothar Meyers Betrachtung direkt durch Marignacs Überlegung gezeitigt worden. Sie erscheint denn auch erst, in direkter Verbindung mit dem Namen des Genfer Forschers, in der 2. Auflage der „Modernen Theorien" 1872, während die erste Ausgabe 1864 nichts davon enthält. Seiner Ansicht ist Lothar ') Lotkar Mener, Moderne Theorien 1872. 2. Ann. S. 293. 2) Liebig, Annal. Supplbd. 4. 1865-1866. S. 170. 446 Meyer dann aber treu geblieben, denn das am Morgen seines Todestages, 11. April 1895, an die Verlagshandlung »osandte Manuskript der 6. Auflage bringt dieselbe nocb wörtlich wieder. Der Welt- oder Lichtäther, der Träger der Fern- wirkung, wird heut im allgemeinen nicht für absolut schwerelos angesehen. Seine Schwere ist z. B. von Qrmtz1) zu angenähert 10— 17 von der des Wassers be- rechnet worden. Wenn das Boyle'sche Gesetz strenge Gültigkeit hätte, und die Temperatur konstant bliebe, würde danach die Dichte der Luft bereits 33 Meilen über der Erdoberfläche die gleiche wie diese des Äthers sein2). Man sieht also, dass auch Materie, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, von der Dichte des Äthers keines- wegs undenkbar ist. Wenn also der Äther auch nicht völlig schwerelos ist, so ist er immerhin so leicht, — der in einer Säule atmosphärischer Luft von einem Quadratmeter Quer- schnitt und 30 Meilen3) Höhe enthaltene Äther würde 0,0022 mg wiegen4), — dass er sich, in der Form, in welcher er in der Atmosphäre enthalten ist, der Wägung mit unsern heutigen Mitteln entzieht. Nun ist aber eine wohl als allgemein gültig anzu- sehende Regel die, dass alle Körper an ihrer Oberfläche Luft verdichten. Wie so viele andere, habe auch ich. bei meinen vielfachen Arbeiten im Vakuum, unzählige dahingehende Beobachtungen gemacht, so dass ich zu der Annahme geführt wurde, dass alle Oberflächen mit einem dicken Polster verdichteter Luft überzogen sind. !) L. Grutz. Wiedemann Amial. Bd. 25. 1685. S. 171. 2) L. Grœlz-, a. a. 0. S. 172. 3) Mittlere Erdatmosphärenhöhe. 4) L. Grœtz, a. a. 0. S. 171. — 447 Diese Ansicht - - von der an den Oberflächen ver- dichteten Luft — hat der Botaniker Karl Wilhelm Nägeli in München 1H84 auf den Äther übertragen, der dadurch in einen Zustand überginge, in dem er auch für unsere heutigen Mittel wägbar sein könnte. Nach ihm sollen die, die Atome zusammensetzenden, „Ameren" von einer solchen Hülle wägbaren oder Schweräthers umgeben sein. Ich gehe hier auf Nägelis Theorie der Ameren nicht näher ein, sondern verweise auf die Einleitung zu Hrn. Landolts: „Untersuchung über etwaige Änderung des Gesamtgewichtes chemisch sich umsetzender Körper1)," die ich mir, wie hier, auch sonst bei meinen einleitenden Sätzen, natürlich zu nutze gemacht habe. An die Besprechung der Ameren-Theorie schliesst Hr. Landoll folgende Sätze an: „Macht man auf Grund dieser Nägeli'' sehen Anschauungen die zulässige Annahme, dass die Schwer älhcr hüllen der verschiedenen chemischen Atome ungleich dicht sein werden, so muss, wenn in dem Molekül einer Verbindung ein Element sich durch ein anderes ersetzt, an der eintretenden Gewichtsänderung auch die veränderte Menge des wägbaren Äthers Anteil haben." — Dieser Satz ist zweifellos richtig und die Annahme sicher gestattet. Nun heisst es aber weiter: „Somit könnte der Fall eintreten, dass bei sehr genauer Wägung das Gesamtgewicht zweier Körper vor und nach ihrer chemischen Umsetzung nicht völlig gleich gefunden wird, indem eine gewisse Menge ponderablen Äthers aus- oder eingetreten ist. Das gleiche wäre möglich, wenn der Äther von den Atomen chemisch aufgenommen wird." 1) H. Landolt, Mathematische und naturwissenschaftliche Mit- teilungen aus den Sitzungsber. d. K. Akad. der "Wissenschaft, zu Kerlin. Jahrg. 1893. S. 187. 448 So wie es hier gesagt wird, berechtigt die Prämisse nicht zu dem daraus gezogenen Schluss. Es sei A das Gewicht eines Atomes und a das Ge- wicht der dazugehörigen Schwerätherhülle, die gleiche Bedeutung mögen haben B und b, C und c, D und d. Es möge sich nun umsetzen: (A + a) (B + b) und (C + c) (D + d) zu (A + a) (D + d) und (C + c) (B + b). Dabei würde niemals eine Änderung des Gesamtgewichtes zu konstatieren sein können. Eine solche würde erst dann möglich sein, wenn die weitere Prämisse zuträfe, dass mit einem, sagen wir kurz, Wechsel der Affinität, in allen oder einzelnen Fällen eine Änderung der Masse der Schwerätherhülle einträte, also wenn, — es seien die geänderten Massen der Atherhüllen durch griechische Buchstaben angedeutet, — im günstigsten Falle, aus (A + a) (B + b) und (C + c) (D + d) würde (A + a) (D + Ô) und (C + y) (B + ß). Ob eine solche Annahme gemacht werden darf, ist aller- dings fraglich; mir erscheint sie zulässig. Ohne auf weitgehende Spekulationen einzutreten und unter Zugrundlegung rein mechanischer An- schauungen, von denen jedoch noch ausdrücklich betont werden sollte, dass: „dies alles nur sind Schemen zum Gebrauche für's Katheder", könnte etwa folgendes ausgeführt werden. Das Auftreten der chemischen Verwandtschaft zweier Stoffe kommt zu- — 449 — nächst zum Ausdruck in der Sprengung bestehender und der Bildung neuer Molekular verbände. Innerhalb eines solchen wird sie sich etwa betätigen können durch eine, gegeneinander zu und voneinander ab gerichtete . schwingende Bewegung der Atome. Grössere Verwandt- schaft könnte sich dann z. B. durch kleinere Amplituden und kürzere Schwingungsintervalle geltend machen. Es wird kaum anzunehmen sein, dass Atome von Stoffen entfernterer (!) Verwandtschaft in engeren und häufigeren Beziehungen zueinander stehen werden, wie solche von grösserer Verwandtschaft. Lassen wir diese Annahme gelten, so würde es nicht gezwungen erscheinen, vorauszusetzen, dass bei diesem Wechsel im Rhythmus der Atombewegung auch die Ätherhüllen in Mitleidenschaft gezogen werden; ob im Sinne einer Lockerung oder Verdichtung, bleibe zunächst aus dem Spiel. Jedenfalls aber würde, da unter allen Bedingungen eine Umlagerung nur im Sinne einer Be- I 'ii h (jung engerer Verwandtschaft zueinander stattfinden kann, anzunehmen sein, dass diese Änderung auch stets nur in einem Sinne verlaufen kann, zum mindesten für endotherme Reaktionen einer- und exotherme Reaktionen andererseits. Meiner Auffassung nach, sollten alle freiwilligen Uni- on! nungen stets mit einer Abnahme der umhüllenden Athermasse Hand in Hand gehen; denn je dichter die indifferente Hülle ist, um so weniger wird sich die ver- schiedene chemische Natur der Atome, aus der ja der grössere oder geringere Grad der Verwandtschaft der Stoffe zu einander resultiert, geltend machen können. Handelt es sich dagegen um eine Umlagerung im Sinne einer Änderung der physikalischen Konstanten, also z. B. Polymerisation, so lässt sich die Frage, ob eine Zu- oder Abnahme eintreten wird, aphoristisch 2'.» — 450 nicht entscheiden, dagegen müsste die Änderung unter allen Bedingungen nach den beiden Richtungen entgegen- gesetzt verlaufen. Der Schlusssatz in Hrn. Landolls Erwägung: „Das gleiche wäre möglich, wenn der Äther von den Atomen chemisch aufgenommen wird," bleibt natürlich zu Recht bestehen, und jetzt, aber auch jetzt erst, dürfen wir den Vordersatz gelten lassen: ., Somit könnte der Fall ein- treten, dass bei sehr genauer Wägung das Gesamtge- wicht zweier Körper vor und nach ihrer chemischen Umsetzung nicht völlig gleich gefunden wird." Dabei müsste nach den oben entwickelten Anschauungen in allen Fällen eine Abnahme des Gewichtes stattfinden. Als eine andere Fehlerquelle bei der Bestimmung des exakten Gewichtes chemischer Verbindungen vor und nach dem Umsatz wäre noch denkbar, dass die Schwere nicht auf alle Substanzen mit völlig gleicher Intensität wirke. Dass dieselbe aber praktisch nicht in Betracht kommt, darauf hat Hr. Landoll v) bereits hin- gewiesen, ich brauche also hier nicht damit zu rechnen. Dagegen ist man über die Masse des um die Atome oder mit denselben verdichteten Äthers völlig im unklaren. Nach unserer Auffassung ist das All mit Äther er- füllt, derselbe durchdringt alles und bewregt sich überall frei hin-, für ihn gibt es kein Hindernis. Nehme ich nun in einem geschlossenen Rohr eine chemische Umsetzung vor, und konstatiere dabei eine Gewichtsänderung des Gesamtsystems, so wäre — sub- tilste Beachtung aller möglichen Fehlerquellen selbst- verständlich vorausgesetzt — eine solche allein aus einer Änderung des Athergehaltes im Glasrohr erklärlich. Daraus aber würde einmal x\ufschluss gewonnen darüber, in Avelcher Grössenordnung der Schweräther an ]j Luudoll, a. gl. 0. S. 189. 451 — dem Gesamtgewicht der Stoffe etwa beteiligt ist, und weiter, darüber, ob ein Wechsel in der Masse des Äthers die analytischen Befunde soweit fälschen könnte, dass darin die Abweichung von der strengen Gültigkeit der Prout'achen Hypothese ihre Erklärung fände. — Solche Versuche sind in geringerem Umfange im Jahre 1891 in Berlin vonKreichgauer1), und, in viel aus- gedehnterem Maasse und mit stupendester Sorgfalt durch- geführt, 1892 von Landolt, in der mehrfach genannten Arbeit, veröffentlicht worden. Die Umsetzungen, die Hr. Landolt vornahm, waren: 1. Silbersulfat und Ferrosulfat in Silber und Ferri- sulfat Ag2 SO* + 2 Fe SÛ4 = 2 Ag + Fe2 (SO^s. 2. Jodsäure und Jodwasserstoff in Jod und Wasser HJO3 + 5 H2 SO* + 5 KJ = 6 J 1 5 KHSO4 + 3 H2 O. 3. Überführung von Jod in Jodwasserstoff mit Hülfe von Natriumsulfit 2 J + 2 Na2 SOa = 2 Na J + Na,- S2 Og und 2 J + Na2 SOs + H2 O = 2 HJ + Na2 SO*. 4. Umsetzung von Chloralhydrat und Ätzkali in Chloroform und Kaliumformiat CCI3 - CH(OH> + KOH = CCla H + CHK02 -1 H2 O. Welche besondern Gründe zur Wahl gerade dieser Reaktionen geführt haben, wird nicht ausdrücklich be- tont, vielleicht gibt aber die folgende Überlegung, die der Hr. Verfasser anstellt, darüber Aufschluss: *) I). Kreichgauer, Einige Versuche über die Schwere. Verh. d. physik. Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 10. 1891. S. 13. 452 „Hält man an der Vorstellung des wägbaren Äthers fest, so muss, wenn bei diesen Reaktionen eine Zu- oder Abnahme des Gewichtes eintritt, diese davon herrühren, dass die zwei neu gebildeten Substanzen einen andern Athergehalt besitzen als die beiden ursprünglichen. Bleibt das Gewicht unverändert, so könnte dies aller- dings davon herrühren, dass bei dem chemischen Umsatz nur eine andere Verteilung des Äthers stattfindet, und die Summe desselben in den vor und nach der Reaktion vorhandenen Körpern die gleiche bleibt. Bei der grossen Verschiedenheit der betreffenden Substanzen ist jedoch dieser Fall wenig wahrscheinlich." Nach dem weiter oben gesagten wird uns das je- doch kaum Ausschlag gebend erscheinen. Das Endresultat seiner Untersuchung fasst Hr. Lundolt in folgende Worte zusammen: „dass bei keiner der angewandten Reaktionen sich eine Gewichtsänderung mit Bestimmtheit hat konstatieren lassen. Wenn solche dennoch bestehen sollten, so sind sie, wie die Versuche über die Abscheidung von Silber und von Jod gezeigt haben, von einer derartigen Kleinheit, dass dadurch die stöchiometrischen Rechnungen in keiner Weise beein- flusst werden. Demzufolge ist auch die der ganzen Arbeit zu Grunde gelegte Frage, ob die Abweichungen der Atomgewichte von ganzen Zahlen etwa davon her- rühren, dass bei den chemischen Umsetzungen der Körper eine gewisse Menge wägbaren Äthers aus- oder eintritt, im verneinenden Sinne entschieden In physikalischer Hinsicht dürfte es dagegen wohl Interesse bieten, die nicht genügend aufgeklärten Ge- wichtsabnahmen, welche sich bei der Reduktion von Silber und Jod stets gezeigt haben, durch eine Reihe weiterer Versuche auf ihr wirkliches Bestehen zu prüfen. 4:):; denn es herrscht immerhin keine vollständige Sicherheit darüber, dass dieselben sämtlich auf Beobachtungsfehlern beruhen1)." Dies der Schluss von Landolts klassischer Arbeit den man ohne Zweifel wird ganz und voll unterschreiben können. Seither hat der ausgezeichnete Forscher diese Untersuchungen fortgesetzt, seine Resultate jedoch nur mündlich der kgl. Akademie der Wissenschaften mitge- teilt. Nach einem Bericht in der Naturw. Rundschau, die mir leider im Original nicht vorgelegen hat, hat er bei diesen Studien, sowohl bei der Auflösung von Chlor- ammonium in Wasser als bei der Einwirkung von Jod- säure auf Jodwasserstoff, merkliche Gewichtsverminde- rungen beobachtet -). Die Versuche Landolts sind von Hrn. Heydweiller zu dem Zweck aufgenommen worden „einmal die That- sache durch weitere Beobachtung auch bei andern Re- aktionen sicherzustellen, sodann den Versuch zur Auf- rindung von Gesetzmässigkeiten und Beziehungen zu andern mit der Umwandlung verbundenen Änderungen physikalischer Eigenschaften zu machen3)." Da uns hier allein die Frage nach einer möglichen Grewi'chtsänderung in geschlossenen Glasgefässen be- schäftigt, so können wir von einer Betrachtung des zweiten Teiles von Heydiceillers Aufgabe absehen, und wollen wir uns nur an den ersten halten. Heydweiller hat sowohl chemische wie physikalische Phänomene studiert: Umsetzung von Eisen und Kupfer- l) Landoll, a. a. 0. S. 219. -) Naturw. Rundschau. Bd. 17. 1902. S. 118. Vergl. auch Heyd- weiller, Physik. Zeitschrift. Bd. 3. 1902. S. 425. :; Heydweiller, Über (rewiehtsänderung bei chemischer und physikalischer Umsetzung. Physikal. Zeitschrift. I!d. 1. 1900. s. ;»27. — 454 — sulfat; Kaliumhydroxyd mit Kupfersulfat; von Chlor- baryum mit Schwefelsäure ; Lösung von Kupfersulfat in sauren und neutralen Medien u. s. w.; u. s. w. Aus seinen äusserst sorgfältigen Beobachtungen leitet Hr. Heydiveiller folgendes Resultat ab: „Als sicher festgestellt kann man also die Gewichtsänderung betrachten: bei der Wirkung von Eisen auf Kupfersulfat in saurer oder basischer Lösung, bei der Auflösung von saurem Kupfersulfat und bei der Wirkung von Kalium- hydroxyd auf Kupfersulfat1)." Hinzuzufügen ist noch, worauf Heydiveiller hin- Aveist, dass die Frage, ob die Gewichtsänderungen den Reaktionsmengen proportial sind, sich nach den vor- liegenden Versuchen nicht entscheiden lässt. Dagegen sind alle — die jüngsten Landolt' sehen Versuche mit hineinbezogen — mit Sicherheit beobachteten Gewichtsänderungen in der Tat Abnahmen. Der Wert dieser Abnahmen ist allerdings ein ausser- ordentlich geringer, er übersteigt nur in 4 von 23 bei Heydiveiller-) aufgezählten Fällen 0,1 mg. Im Mittel betragen die Gewichtsänderungen 0,05 mg, sinken aber in einzelnen Fällen bis auf 0,001 mg herab. In der- selben Grössenordnung etwa bewegen sich die Beobach- tungen Landolts. Auf 100 g Reaktionsmasse trifft bei ihm eine Gewichtsänderung von im Mittel 0,05 mg gegen einen wahrscheinlichen Wägungsfehler von im Mittel 0,012 mg3). Bei Hrn. Heydiveiller verhält sich das Ge- wicht der Reaktionsmasse zum Gesamtgewicht etwa wie 2 zu 3, bei Hrn. Landolt schwankt das Verhältnis zwischen 1 zu 9 und 4 zu 7. i) Het/diceiUer, Drude Annal. I'.d. 5. 1900. S. 418. -i Eeydweiller, Physikal. Zeitschrift. I'.d. 1. 1900. S. 528. 3) Landolt, a. a. 0. S. 217. — 455 — Man siebt, dass die Versuchsbedingungen in Anbe- tracht der sehr geringen Gewichtsänderungen nicht gerade besonders günstige genannt werden können. Weiter leiden die Untersuchungen, wenn man sie von dem Standpunkte des Versuches : festzustellen, mit welcher Masse etwa der Schweräther am Gewicht der Substanz beteiligt ist, betrachtet, auch an dem Mangel, dass sie immer nur nach einer Richtung verlaufen, dass keiner von ihnen umkehrbar ist. Denn weder die Lö- sungsversuche Heydweülers, wie er das auch selbst be- tont1), können ohne weiteres umgekehrt werden, noch braueben, wie das oben gezeigt wurde, die Versuche Landolts, bei deren einem Jod ausgeschieden wird, wäh- rend es bei dem andern in eine Verbindung eingeht, im entgegengesetzten Sinne zu verlaufen. Dieser Mangel an Umkehrbarkeit wirkt um so stö- render, als, wie gezeigt, bisher nur Abnahmen sicher be- obachtet sind, und alle jene Fehler, die aus dem doch einmal nicht ganz vermeidlichen Abputzen der Apparate resultieren, nach derselben Richtung wirken müssen, und werden die hierdurch möglichen Fehler mit der Oberfläche des Apparates, und damit auch mehr oder minder mit der Menge des angewandten Reaktionsgemisches, wachsen müssen. Auch die bei den chemischen Reaktionen auf- tretende Wärme kann, selbst wenn das ganze System auf niederer Temperatur gehalten wird, da wo die Umsetzung, von Molekel zu Molekel wirkend, etwa hart an der Glas- wandung vor sich geht, im gleichem Sinne störend wirken. Nach alldem was gesagt ist, würden die günstigsten Umstände zur Erreichung des oben präzisierten Zweckes — Bestimmung der Grössenordnung der Menge, mit welcher der Äther an dem Gewicht eines Stoffes beteiligt ist, — etwa die folgenden sein: i) Heydicviller, Physika!. Zeitschrift. Bd. 3. 1902. S. 425. 456 Ausführung eines umkehrbaren Prozesses, der sieh, nach beiden Richtungen innerhalb enger, von der mittleren nicht weit abweichenden Temperaturgrenzen abspielt, und, ohne besondere äussere Reizmittel vor sich gehend, einen weitgehenden Umbau der Molekel zur Folge hat, dabei selbstverständlich die Glaswandungen nicht angreift und, das Verhältnis der Reaktionsmasse zum Gesamt- gewicht möglichst zu Gunsten der er st er en zu ver- schieben, wie überhaupt die Verwendung von Massen, die allein von der Tragfähigkeit der Wage abhängig sind, erlaubt. Ein Stoff, der allen diesen Anforderungen entspricht, ist z. B. das Zinn in seinen beiden Modifikationen, dem weissen und dem grauen Zinn. Über diese beiden Zinn- modifikationen ist in jüngster Zeit eingehend von Dr. Karl Schaum in Marburg und besonders auch von Prof. Ernst Cohen in Amsterdam gearbeitet worden. Nach der Auffassung des letzteren befindet sich „unsere ganze Zinnwelt stets in metastabilem Gleichgewicht1)" und das in dem Sinne, dass sich an kälteren Tagen eine langsame Umwandlung in die graue, an wärmeren eine solche in die weisse Modifikation vollzieht; der Umwand- lungspunkt liegt bei + 20° C. Ich kann, auf die schon genannten, interessanten Arbeiten verweisend"2), hier über die, sich auf die Um- wandlungs-Temperatur und Zeit beziehenden, eingehenden Studien hinweggeben, und will nur mitteilen, was ich, über die günstigsten Bedingungen zur Umwandlung von weissem 1) Cohen. E. und van Eijk, Zeitschrift f. physikal. Chemie. Bd. 30. 1899. S. 621. -) Schaum, K., Liehig Annal. Bd. 308. 1899. S. 29; Cohen, E. und Éijk, C. von. a. a. 0. S. 601; Cohen, E.. Zeitschrift f. physikal. Chemie. Bd. 33. 1900. S. 57; Bd. 35. 1900. S. 588; Bd. 36. 1901. 8. 513. 457 in graues Zinn, einer freundlichen brieflichen Mitteilung des Hrn. Prof. Cohen, vom 24. Hornung 1901, ver- danke. Hr. Prof. Colteil schreibt: „Ich selbst arbeitete in der letzten Zeit meistens bei — 3° C, erhielt jedoch auch bei 0° C. gute Resultate. Bringen Sie einen Teil der Probe: alkoholische Pinksalzlösung mit gewöhnlichem Zinnfeilicht, in Ihren Eisschrank und ich zweifle nicht, dass Sie in 6 Wochen eine deutliche Umwandlung her- vorrufen werden. Die Darstellung von 100%. grauem Zinn nimmt sehr lange Zeit in Anspruch." — Schaum gibt einen Fall an, in dem er stengliges Zinn, das er in geschlossenen Glasröhren 5 Monate hindurch in die Kälteflüssigkeit einer Linde' sehen Eismaschine hing, ganz in die graue Modifikation übergeführt hat '). Schaum hat mit Animpfen von grauem Zinn keine günstigen Resultate erzielt, -) wogegen Cohen und van Eijk das Gegenteil behaupten. 3) Die Wahrscheinlichkeit spricht für die letztere Annahme. Schaum hat gewöhnliches Zinn weder bei Behand- lung in Kohlensäure-Ather noch in nüssiger Luft um- wandeln können,4) und Cohen und van Eijk haben fest- gestellt, dass die günstigsten Bedingungen in der Tat bei erheblich niederem Temperaturen geboten werden.5) — Aus diesen Mitteilungen waren die Arbeitsbedin- gungen zu entnehmen, und so habe ich mich denn, nach- dem ich mich früher schon überzeugt hatte, dass, wie das auch Schaum betont, mit Tieftemperaturen so ohne weiteres befriedigende Resultate nicht erzielt werden, ') Schaum, a. a. 0. S. 32. 2) Schaum a. a. 0. S. 33. B) Cohen und van Eijk, a. a. 0. S. 620. 1 1 Schaum am gleichen Ort. "') Cohen und van Eijk, a. a. 0. S. 621. — 458 seit dein Herbst 19Û1 mit ümwandlungsversuchen ab- gegeben, die jedocli erst zu einigermassen befriedigenden Resultaten führten, seit ich im Jänner und Hornung 1902 durch die Güte der beiden Herren, Schaum sowohl wie Collen, in Besitz von grauem Zinn gelangt war, das ich mit Erfolg zum Animpfen benutzen konnte. Die orientierenden Versuche, sowohl Umwandlungs- wie Wägungsversuöhe, übergehe ich ganz und wende mich direkt denjenigen Vorversuchen zu, — denn allein über solche habe ich hier zu berichten, — die angestellt wurden, festzulegen, ob es möglich sei, mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln, der Frage nach einer etwaigen Beteiligung des Schweräthers am Gesamtgewicht, mit Aussicht auf erfolgreiche Beantwortung, näher zu treten. Weisses Zinn hat das spezifische Gewicht 7.3, graues Zinn ein solches von 5.8; es findet also bei völliger Um- wandlung eine Zu- resp. Abnahme desselben um 1.5 statt; dem würde eine Änderung des Volums um im Mittel rund 22 ° ,„ und das ohne Zustandsänderung. entsprechen, ein in der Tat ausserordentlich hoher Betrag, der wohl „einen weitgehenden Umbau der Molekel" und damit einen entsprechenden Wechsel an etwaigem Schweräther- gehalt, vorauszusetzen gestattet. Lan doit hat, wie wir sahen, die Gewichtsabnahme für 100 g Reaktionsmasse zu 0,05 mg im Mittel be- stimmt; welchen Betrag die entsprechende Änderung bei der Umwandlung des Zinnes erreichen würde, Hess sich nicht voraussehen. Für meine Mittel wäre eine solche gleicher Grössenordnung, wie sie Landolt angibt, nicht mehr nachweisbar gewesen, sie konnte aber auch grösser sein und niusste, wie oben gezeigt, je nach der Um- wandlung im einen oder im entgegengesetzten Sinne ver- laufen, wodurch etwaige beobachtete Änderungen erheb- lich an Beweiskraft gewinnen mussten. 459 — Frühere Versuche hatten gezeigt, ') dass die Be- lastung der, auch zu diesen Bestimmungen benutzten, Wage Bunge1 scher Provenienz, mit Kollimator- Ablesung, unter 100 g auf jeder Schale bleiben muss; danach waren also auch die abzuwägenden Massen zu begrenzen. Aus einem etwa 7 mm im Lichten weiten Rohr aus Jenenser G-las wurden 5 etwa 15 cm lange Stücke ab- geschnitten und einseitig zugeschmolzen, von denen 3 : Sm, S112. Sny mit grob, — etwa 2 mm, — ■ körnigem Zinnfei- licht, 2: Gli und GI2 mit Glasstücken beschickt und je unter sich auf möglichst gleiches Gewicht wie Volumen gebracht und vor der Lan^e geschlossen wurden. . Die Volumina betrugen,2) nach Anbringung aller Korrek- tionen, für: Sm Sn-2 Sm 21,539 cm:! 20,736 cm8 21,006 cm3 Sm - Sn2 = 0,803 cm3 Sm - Sn3 = 0,533 „ Sns - S112 = 0,270 „ und für die beiden mit Glas gefüllten Rohre Gh GI2 16,683 cm3 15,832 cm3 Gh - GI2 - 0.851 cm3 Sni und S112 waren mit aus Berlin bezogenem Zinn „Kahlbaum", das mit etwa 20% des von den Herren Schaum und Cohen gütigst überlassenen Feilichts ange- impft war, gefüllt; Sm enthielt dieselbe Mischung. x) Kahlbaum, Roth und Siedler: Über Metalldestillation und über destillierte Metalle. Zeitschrift für anorgan. Chemie. Ed. 29. 1902. S. 210. 2) Da die Wagungen in Wasser bei mir etwas unbequem aus- zuführen gewesen wären, hatte Hr. Dr. Chappuis die grosse Güte, die Bestimmung der Volumina in seinem Laboratorium vorzuneh- men und auch alle Reduktionen auf das Vakuum durchzuführen. 460 Nach sorgfältigster Bestimmung der Gewichte aller fünf Specimina wurden Sm, S112 und Gli, in Watte ver- packt, zunächst in etwas weitere Glasröhre eingeschmol- zen, diese, einzeln in Sägemehl gebettet, in Blechfutterale eingelötet, zu dritt gemeinsam, in Holzwolle verstaut, in ein oben und unten verschraubtes eisernes Gasrohr unter- gebracht und dieses 150 Tage hindurch, vom 8. Juli bis zum 5. Dezember 1902, in die Kälteflüssigkeit der Eis- maschine der Basler Eisfabrik eingehängt, deren Be- nutzung der Besitzer, Hr. Ingenieur Emil Bürgin, mit grösster Zuvorkommenheit gestattete, wofür ihm auch an dieser Stelle bestens gedankt sei. Die Temperatur des Kältebades hält sich beständig zwischen— 5° und — 7°C; da zudem, unter Tags wenigstens, eine so gut wie dauernde Erschütterung des Bades statt- hat, so dürften die Umstände und die Zeitdauer als der Umwandlung durchaus günstig1) bezeichnet werden. Den, als Bcschleunigungsmittel, empfohlenen Zusatz alkoho- lischer Lösung von Pinksalz (Sn CU -j- 2 N H4 C1)2J habe ich, um den Vorgang durch nichts zu komplizieren, vermieden. Während der ganzen Zeit waren Sm und GI2, in Watte gebettet, in einem verschlossenen Glas- kasten im Wagezimmer aufbewahrt. Nach Ablauf der 150 Tage wurde das Gasrohr geöffnet, der Inhalt war völlig intakt, nicht einmal die Holzwolle war feucht ge- worden. Die Blechfutterale wurden aufgeschnitten, die äusseren, zugeschmolzenen Glasröhren gesprengt. Das Zinn in Sm und Sn-2 zeigte sich deutlich ver- ändert. Erheblich dunkler von Farbe, war es in kleinere Aggregate zerfallen. (3b es völlig in die graue Modifi- 1) Cohen, E. Physikalisch-chemische Studien am Zinn. III. Zeitschrift f. physikal. Chemie Bd. 35. 1900. S. 592. 2) Vergl. weiter oben und auch Cohen an der eben angeführten Stelle, Seite 594. — 461 — kation übergegangen war, konnte nicht bestimmt werden, denn leider war es versäumt worden, eine für diesen Zweck zu verwendende Probe besonders mit einzu- schliessen. Nun wurden Sm, S112, Sna, wie Gli und GI2 ge- wogen. Dabei wurde das Wagezimmer beständig kalt, auf etwa -f- (3° C, gehalten, die Gefässe befanden sich stets im Wagezimmer und stundenlang vorher im Wage- kasten selbst in den Platinkörben, in denen sie gewogen wurden, aufgehängt. Nach der Ausführung aller Wägungen wurden sämtliche Röhren 6 Tage hindurch einer Temperatur von etwa 50 bis 60° C, — bei 40° C. schon geht die Rückbildung des grauen in weisses Zinn so schnell vor sich, dass man sie mit dem Dilatometer nicht mehr verfolgen kann, *) — ausgesetzt und dann nach l^-tägigem Stehen im kalten Zimmer von neuem gewogen, eine Operation, die dann noch einmal im warmen Zimmer — ■ um unter den gleichen Bedingungen wie im Sommer zu wiegen — wiederholt wurde. Bei allen Wägungen wurden Temperatur und Luftdruck, um die für die Re- duktion auf das Vakuum nötigen Faktoren zu haben, aufgezeichnet. In welcher Weise die Wägungen selbst ausgeführt werden, ist schon früher -) eingehend beschrieben wor- den. Die weiter unten mitgeteilten Zahlen geben stets das Mittel aus HX3, also in Summa aus 9 Einzel- wägungen, bei deren jeder der Nullpunkt vorher und nachher kontrolliert wurde. Dadurch, dass die Apparate stets hängend gewogen wurden, und die Gewichte stets möglichst gleichmässig aufgesetzt waren, wurde ungleiche T) Cohen, Physikalisch-chemische Studien am Zinn. II. Zeit- schrift i'. physikal. Chemie Bd. 33. 1900. S. 61. -) Vergl. Kahlbaum, Rollt und Siedler a. a. O. S. 20:5. — 462 Belastung der Wagschalén, soweit tunlieb, vermieden. Erschütterungen der Wage war dadurch vorgebeugt, dass dieselbe auf einem an der Decke befestigten Ge- rüst, dessen Schwingungen durch gegeneinander reibende, verstellbare Bürsten gedämpft wurden, aufgestellt war. Solche waren übrigens verhältnismässig, — verhältnis- mässig für ein Laboratorium, das im 2. und 3. Stock- werk eines alten Hauses, in dessen untern Teilen eine, in erfreulicher Blüte befindliche Bäckerei betrieben wird, — wenig bemerkbar. Nicht vermieden konnten werden : die aus ungleicher Temperatur der Wagebalken und der Veränderlichkeit der am Glase niedergeschlagenen Wasserscbicht resul- tierenden Fehler. Über die Grösse des ersteren bin ich, da ich die eventuelle Differenz der Temperatur nicht kenne, im unklaren, über die zweite gibt eine Tabelle von lhmori1) einigen Aufschluss. Nach seinen Angaben schwankt bei mittlerer Zimmertemperatur (15,3-19,1° C.) das Gewicht des auf einen cm2, vorher mit siedendem Wasser behandelten Jenenser Glases, niedergeschlagenen Wassermantels zwischen 0,000(54 und 0,00035 mg und nimmt für nicht so behandeltes Glas einen höcbsten Wert von 0,004 mg an. Es würde demnach das Ge- wicht für unsere Apparate, die mit siedendem Wasser behandelt worden waren, mit einer Oberfläche von noch nicht 40 cm- , kaum in Betracht zu ziehen sein. Unter den Verhältnissen, unter denen ich arbeite, war ich nicht in der Lage, Wage und Gewichte, wie das für solche Arbeiten durcbaus wünschenswert gewesen wäre, für diesen einen Zweck allein zu reser- vieren. Es wurde während der fünf Monate vom Juli bis Dezember eine Fülle anderer — allerdings ausschliess- !) lhmori, AYiedemaun Annal. Bd. 31. 1887. S. 1014. 463 lieh Präzisions Wägungen damit ausgeführt. Um uun Wage und Gewichte überhaupt zu kontrollieren, wurden vorher und nachher die Gewichte möglichst unveränder- licher Körper bestimmt. Dazu wurden gewählt: 1. ein polierter Quarzcylin- der von 5,5 mm Durchmesser und 46 mm Länge, 2. ein ebensolcher Cylinder aus Jenenser Bleiglas, 3. und 4. zwei mit Gold gelötete Körbe aus Platindraht, in denen sonst die Glasröhren gewogen wurden. Die Wägungen ergaben : Quarz Bleiglas Juli 2,930 245 4,771 639 Dezember 2,930 190 4,771 635 - 0,000 055 -) - 0,000 004 Pt Korbi Pt Korb» Juli 4,175 831 3,949 359 Dezember 4,175 825 - 0,000 006 3,! »49 373 + 0,000 014 Diese Zahlen beweisen, dass sich die Wage und die Gewichte, soweit solche bei diesen Wägungen zur Verwendung kamen, nicht verändert hatten. Diese, sowie alle übrigen hier in Betracht kommenden Wä- gungen wurden nach meiner Anweisung mit ausser- ordentlicher »Sorgfalt durch meinen Assistenten, Herrn Dr. phil. Th. Umbach, zu meiner vollsten Zufriedenheit ausgeführt. Mögen nun die Resultate folgen. Es gibt A die Wägungen im Juli vor der Abkühlung (weisses Zinn); -) Da auch das Quarzstäbehen nicht ruhig liegen gelassen werden konnte, so ist wohl möglich, dass sich diese eine Abnahme aus einem kleinen Riss, oder aus dem Abspringen eines mikrosko- pischen Splitters erklärt. — 464 B, C und D diejenigen im Dezember nach der Umwand- lung; und zwar B nach der 1. Umwandlung im kalten Zimmer gewogen (graues Zinn); C nach der Rückbil- dung im kalten Zimmer gewogen (weisses Zinn); D nach der Rückbildung im warmen Zimmer gewogen (weisses Zinn) an. Abgekühlt wurden Sni, Sn» und Gh, unge- ändert blieben Sm und GI2. Natürlich sind sämtliche Wägungen reduziert und auf das Vakuum bezogen. Sni Sn2 Sns A. 61,555 13 A 61,349 71 A 61,385 77 A + 0,000 65 - 0,000 43 - 0,000 44 B. 61,555 78 61,349 28 61,385 33 + 0,000 39 - 0,000 06 - 0,000 13 C. 61,556 17 61,349 22 61,385 20 - 0,000 34 - (),0()0 11 - 0,000 62 D. 61,555 83 61,349 11 61,384 58 Gh Gl2 A. 43,773 53 A 41,185 43 A + 0,000 45 - 0,000 06 B. 43,773 98 41,185 37 - 0,000 18 - 0,000 26 C. 43,773 80 41,185 11 - 0,000 04 + 0,000 01 I). 43,773 76 41,185 12 Nehmen wir an, und das sollte nach den Studien von Schautn und von Cohen gestattet sein, dass die Um- wandlung nach beiden Richtungen ausreichend stattge- funden hat, so ergeben die vorstehenden Zahlen nur das eine Resultat, nämlich : dass, wenn die Annahme des Schweräthers überhaupt gerechtfertigt ist, die bei der studierten Umwandlung des Zinnes etwa in Mitleiden- — 465 schaft gezogene Masse desselben ausserhalb der von uns hier zu erreichenden Genauigkeitsgrenzen liegt , d. h. also die von Hrn. Landolt gegebene Limite 0,05 mg für 100 g Reaktionsmasse auch hier nicht wesentlich überstiegen worden sein dürfte. Es ist demnach unnötig, die Resultate selbst zu diskutieren, nur darauf sei noch hingewiesen, dass das ungekühlte Glas in der Tat bei weitem die geringsten Gewichtsänderungen zeigt, und weiter, dass auch bei diesen Bestimmungen die Gewichtsabnahmen mit 11 von 15 Fällen ausserordentlich in der Überzahl sind. Trotz dieses Misserfolges, bleibt das oben gesagte von der Bedeutung der Umwandlung des Zinnes für die Lösung der aufgeworfenen Frage voll zu Recht bestehen, und ich freue mich, mitteilen zu können, dass ich diese ^Studien am Zinn" gemeinschaftlich mit meinem ver- ehrten Freunde, Dr. P. Chapjjuis, Ehrenmitglied des Bureau international des Poids et Mesures in Sèvres, unter den günstigen Bedingungen, seines für solche Untersuchungen auf das beste eingerichteten, hiesigen Laboratoriums, fortzusetzen begonnen habe. - Doch kehren wir nun zu Hrn. Heydweillers Ent- deckung zurück. Zunächst haben wir gesehen, dass Herr Heydireiller auf diesem Gebiete kein Neuling ist, sondern schon früher in gleicher Richtung erfolgreich tätig war; dann aber, dass. wenn auch noch nicht alle für solche Unter- suchungen von mir aufgestellten Forderungen bei seinen letzten Studien erfüllt sind, doch die Verhältnisse wesent- lich günstiger liegen, als bei allen früheren Versuchen. Die Temperatur bleibt die gewöhnliche, das Gewicht der Substanz ist offenbar ein integrierender Teil des Gesamtgewichtes, und das gleiche gilt fast von der Ge-* wichtsabnahme, die sich mit 0,5 mg bei 5 g Substanz- 3o — 466 — gewicht gegenüber den sonst .beobachteten Abnahmen von 0,05 mg auf 100 g Reaktionsmasse, verhält wie 200 : 1 ; wodurch auch die Tatsache selbst um das 200fache an Gewicht gewinnt. Dagegen ist der Prozess der Emanation nicht umkehrbar, und, was nicht ausser acht zu lassen, das Glas des Gefässes erleidet eine Änderung. Andererseits handelt es sich aber offenbar auch nicht um Schweräther, der bei einem chemischen oder physikalischen Umsatz frei werden könnte ; es handelt sich, soweit wir bis jetzt zu urteilen vermögen, überhaupt nicht um die Folge einer chemischen oder physikalischen Umlagerung, sondern um den mehr oder weniger dauernden Zustand von Substanzen, welche die Eigentümlichkeit haben, Strahlen auszusenden, die alle möglichen Hindernisse in ähnlicher, ich sage absichtlich nicht in gleicher, Weise wie der Äther durchdringen. - Wir haben überhaupt gelernt, dass auch wägbare Substanz in ausgedehnterem Maasse in geschlossene Räume einzudringen vermag, als man früher voraussetzte. Die Röntgenröhren werden durch mit Gold verlötete, keineswegs immer sehr dünnwandige x) Palladiumröhren hindurch mittelst der Villard' sehen Osmo-Regulierung regeneriert, und Hr. Dr. Chctppuis hat vor nicht langer Zeit den bisher nicht veröffentlichten Versuch von 17/- lard wiederholt und bestätigt gefunden, bei welchem AVasserstoff in zugeschmolzene Quarzröhrchen eindringt. Für unsern besonderen Fall haben wir also fest- zuhalten, dass gewisse radioaktive Substanzen Strahlen aussenden, die eine Menge Stoffe durchdringen, welche für leuchtende Strahlen undurchlässig zu sein scheinen. Das gleiche gilt, wie bekannt, auch für die Kathoden- strahlen. !) I)as gilt besonders für die Röntgenröhren älterer Kon- struktion. 407 — Wohl aus den so verbreiteten Röntgenbildern ab- geleitet, hat sich aber die Anschauung festgesetzt, dass, zum mindesten die grosse Mehrzahl, der Metalle für Kathodenstrahlen undurchlässig seien, und dass darin ein spezifischer Unterschied zwischen diesen und den Radiumstrahlen bestehe. Das ist, wie man weiss, nicht nur im besondem, sondern auch im allgemeinen falsch. Die Durchlässigkeit der elementaren Stoffe, wie der Verbindungen, für Röntgenstrahlen hängt, wie das neben mehreren andern Forschern besonders eingehend von L. Benoist1) für elektrische Energie und wie es von mir2) für die chemisch wirksamen Strahlen nachgewiesen wurde, allein von dem Atomgewicht ab. Dass es auch im besondern falsch ist, zeigen die bei- stehenden Figuren, Photogramme durchleuchteter Münzen, von denen Fig. 1 auf Tafel II mit Radiumstrahlen bei fünf- tägiger Belichtungszeit, Fig. 2 auf Tafel II mit Kathoden- strahlen in 90 Sekunden dauernder Exposition, durch- leuchtet wurden. Um das Bild nicht zu stören, sind die Münzen natürlich auf der Schriftseite eben geschliffen. Ich will an dieser Stelle doch, — um mir die Priorität zu wahren, — ausdrücklich bemerken, dass solche Photogramme durchleuchteter Münzen zuerst von mir überhaupt, und zwar am 2. Juli 1902, aufgenommen wurden, dann vielfach vorgezeigt, 3) hier an dieser Stelle aber zum ersten Male durch den Druck veröffentlicht werden. j) Benoist, L. Lois de transparence de la matière pour les rayons X. Bull, de la Soc. franc, de Physique 1901. p. 204. 2) Kahlbaum, Nouvelles observations sur les rayons de Rœnt- gen. Arcli. de Genève, Sér. 4. T. 1-4. 1902. p. 374. 3) Z. B. gelegentlich der Naturforscherversammlung in Genf am 9. September und in der Sitzung der Basier Naturforschenden Gesellschaft vom 5. Nov. 1902. Vergl. dazu auch das Ref. in der Chemiker-Zeitung Nr. 93, 1902. S. 1111. 468 Man weiss, class die Röntgenbilder nur Schattenbilder sind. Es machen nun die Bilder der durchleuchteten Münzen, die den Stempel mit allen Einzelheiten so deut- lich wiedergeben, allerdings nicht den Eindruck, als wenn wir es hier auch mit Schattenbildern zu tun hätten ; und doch ist wenigstens Fig. 2 nichts anderes als ein solches ; es giebt nur die Prägung genau so wieder, wie etwa ein von der Sonne durchleuchtetes, geschliffenes Glas, in seinem Schatten, neben der eigenen Gestalt auch die der eingeschliffenen Figuren, Buchstaben und Ornamente wiedermalt. Wie man sieht, verhalten sich also in dieser Be- ziehung Röntgen- und Radiumstrahlen völlig überein- stimmend und auch dem Äther entsprechend, aber das ist nur dann der Fall, wenn beide Male die empfindliche Schicht abgedeckt ist. Verwendet man nackte Platten, ^ so bleibt die Radiographie auch bei sehr langer — bis SOtägiger — Expositionszeit unverändert, das Röntgen- bild dagegen schwindet in dem Falle vom Rand aus und wird immer kleiner. Als Beleg für das Gesagte, mögen die Fig. H auf Tafel II und 4—5 auf Tafel III dienen, welche die Berthelot Plakette, das Meisterwerk Chaplains, wiederzugeben sich bestreben ; dieselbe lag in allen Fällen mit der abgeschliffenen Seite auf. — Es ist Fig. 3 eine Radiographie, dadurch erhalten, dass die Plakette durch ein Radiumkarbonat von ziemlicher Aktivität 15 Tage hin- durch, auf nackter photographischer Platte liegend, durch- leuchtet wurde. Die Radiographie istnur schwach, zeigt aber deutlich und scharf die Grenzen der Plakette ; dasselbe gilt von Fig. 4 auf Tafel III, die der Belichtung einer Volt- Ohm-Röntgen-Röhre, auf bedeckter Platte, 75 Minuten, in 172 Einzelaufnahmen, — - 100 zu 30 Sek. und 66 zu J) Vergl. auch Archives de Genève Sér. 4. T. 14. 1902. p. 375 und 375 las. 46H 20 Sek., - - ausgesetzt wurde. Fig. 5 auf Tafel III, ein Röntgenbild; wurde auf nackter Platte erbalten. Die Plakette wurde dem Röntgenlicht einer Gundelacli 'sehen Starkstromröhre längere Zeit, etwa 6 Minuten, — ich habe damals, die Aufnahme ist bereits im Juli des vorigen Jahres gemacht worden, die gesamte Zeit noch nicht genau notiert, - ausgesetzt. Hier ist von einer Grenze nichts mehr zu sehen, der Rand der Plakette mit einem Teil des Kopfes, und zwar von der Grenze zum Centrum gehend, ist in merkwürdiger Weise ge- schwunden. Das gleiche zeigen natürlich auch die Münzen, ja auch die oben gegebenen Fig. 1 — 2 auf Tafel II lassen trotz abgedeckter Platte erkennen, dass die Schärfe des Bildes nach den Rändern zu abnimmt ; besonders deutlich tritt das an den Buchstaben der Umschrift zu Tage; auch der Stabrand an Fig. 2 ist nicht zu erkennen. x) In diesem Durchdringungsvermögen stehen also, wenn auch unter sich und graduell verschieden, Radium- wie Xstrahlen dem Äther nahe, aber eine besondere Form, ein besonderer Zustand des Äthers brauchen sie darum doch nicht zu sein, jedenfalls sind sie nicht ohne weiteres als mit dem Äther als solchem identisch anzu- sehen, denn sie erregen sichtbare Strahlen, sie haben physiologische Wirkungen, d. h. sie wirken chemisch auf die Epidermis und andere Gewebe etc. ein, wobei sie teils nicht unbedenkliche Entzündungen, teils aber auch Heilungsprozesse hervorrufen ; dass sie dabei auch photographisch wirksam sind, haben wir gesehen. Ganz ähnliche Wirkungen bringen, wie wir wissen, die sichtbaren Atherschwingungen, das Licht, hervor, l\ Es ist hier nicht der Ort auf diese Untersuchungen, die bisher nur zum kleinen Teil: Kahlbaum, „Nouvelles recherches sur les rayons de Rœntgen" veröffentlicht sind, einzutreten; es wird lias an anderer Stelle im Zusammenhange geschehen. 470 — zum teil schwächere, zum teil stärkere ; es handelt sich also hier doch nur um graduelle Unterschiede. Sonnenlicht verbrennt, entzündet wohl auch die Haut, wirkt auch besonders auf die Pigmentzellen - - wovon bei den andern Strahlen bisher nichts bekannt ist - ein, aber nur da, wo das Licht auf Schleimhäute direkt trifft, z. B. im Auge, da wirkt es ähnlich heftig entzündend wie Röntgen- oder gar Radiumstrahlen; ebenso sind Sonnenlichtbäder neuerlich in den Dienst der Therapeutik gestellt. — Ist hier die Wirkung der Sonnenstrahlen eine schwächere, so ist sie beim photographisehen Prozess, wiederum nach gewissen Richtungen, ohne Zweifel eine stärkere. Im gewöhnlichen Zustand sind, wie bekannt, Metalle nur in dünnsten Schichten (Blattgold, Silberfolie) für Sonnenstrahlen, und auch dann nur für solche von be- stimmter Wellenlänge, durchlässig; dass das Verhalten der X- und Radiumstrahlen ein durchaus anderes ist, wurde gezeigt. Vergleicht man nun aber gleich hohe Schichten wasserhell durchsichtiger Stoffe von verschie- dener Zusammensetzung, z. B. reine Kieselsäure (Quarz) und Kaliumbleisilikat (Flintglas), so ist, trotz des Metall- gehaltes des Flintglases, erst bei beträchtlicher Dicke ein deutlicher Unterschied in der Durchlässigkeit für das Sonnenlicht wahrnehmbar, und auch das nur in dem Sinne, dass das Flintglas grünlich gefärbt erscheint Kann man doch z. B. durch eine 175 mm dicke Schicht Flintglas noch ohne Schwierigkeit lesen. Ganz anders ist das Verhalten der die Metalle durchdringenden Rönt- gen- und Radiumstrahlen. Die untenstehende Figur 6 auf Tafel II gibt darüber in zuverlässiger Weise Aufschluss, zum mindesten über die Durchlässigkeit für chemisch wirksame Strahlen. Die Platte ist in der Weise hergestellt, dass der untere Teil mit sogenanntem schwarzem photographischem — 471 Papier abgedeckt, der obere Teil dagegen nackt blieb. Das schwarze Papier war an der untern Seite eines 1 cm dicken und ebenso breiten Bleirahmens, von ge- nau gleicher Grösse wie die Platte, aufgeklebt. Die nicht zu belichtenden Teile derselben wurden mit gleich dicken Bleiplatten von entsprechender Breite, die ihrerseits genau in den Bleirahmen passten, zugedeckt. Aufge- nommen wurde ein polierter Bleiglascylinder (rechts, P.) von 5,5 mm Durchmesser, und ein ebensolcher aus Quarz (links, Q.) Von links nach rechts gezählt sind die Auf- nahmen gemacht: a. mit Radiumstrahlen, b. mit Rönt- genlampe, c. mit Sonnenlicht. a. Im Aluminiumkasten mit 0,01 g Radiumkarbonat von hoher Aktivität, der Chininfabrik Braunschweig, das ich der gütigen Zuvorkommenheit des Hr. Dr. F. Giese/ verdanke; Expositionszeit 36 Stunden. b. Im Dunkelzimmer mit einer der ganz ausge- zeichneten Idealröhren1), System Gundelach-Dessauer, des elektrotechnischen Laboratoriums in Aschüffenhurg; Be- lichtungsdauer 100 Sekunden. c. In einer photographischen Camera mit gegen den unbewölkten Himmel gerichtetem Objektiv; Expositions- zeit etwa 0,2 Sekunden. Der untere mit schwarzem Papier abgedeckte Teil. als solcher betrachtet, zeigt zunächst, dass dasselbe für Sonnenstrahlen (c) gänzlich undurchlässig ist, und zwar gerade so undurchlässig wie der 1 cm dicke Bleirahmen. Auch bei sehr langer Exposition habe ich keinerlei Einwirkung des Sonnenlichts durch das schwarze Papier nachweisen können. Dagegen ist das Papier für Röntgeti- 1) Vergl. Mitteilungen über Neuerungen auf dein Gebiete der Röntgenstrahlen. Herausgegeben vom Elektrotechnischen Labora- torium. Spe/.ialfabrik von Röntgenapparaten, System Dessauer, Asehaffenburg. Mitteilung Nr. 5. 1902. — 472 — licht1) (b) sehr wohl durchlässig, obgleich ein nicht uner- heblicher Teil der auffallenden Strahlen, wie ein Ver- gleich des oberen und unteren Teiles von b deutlich lehrt, zurückgehalten wird. 2) Bei Radium (a) lässt sich ein Unterschied zwischen dem oberen und dem unteren Teil der Platte als solcher kaum noch wahrnehmen, wenn auch hier, wie bei allen drei sonstigen Aufnahmen sich an den auf freier Platte aufgenommenen Bildern der Stäbchen mehr oder weniger deutliche und starke Brennlinien wahrnehmen lassen. Das schwarze Papier ist für diese Strahlen wohl kein seihendes Filter mehr. Man muss hier zwischen zweierlei Filtern unter- scheiden, zwischen gewöhnlichen Filtern und seihenden Filtern. Filtrier-Papier, Filz u. s. w. ist für eine Reihe von Flüssigkeiten, für reines Wasser, für Essig u. s. w. kein seihendes Filter, die ursprüngliche Flüssigkeit ist mit dem Filtrat identisch, nur die Fortjjflanzungsgeschwindigkeit der durchtretenden Flüssigkeit wird gemindert. Für alkoholisches Wasser oder gar mit festen Körpern ver- mengtes, ist das gleiche Papier sehr wohl ein seihendes Filter, hier ist das Ursprüngliche und das Filtrat keines- wegs mehr identisch. Ganz so verhält es sich mit dem schwarzen Papier gegenüber den 3 geprüften Strahlenarten. Für Sonnen- licht ist es völlig undurchlässig, für Röntgenlicht ein seihendes, für Radiumstrahlen ein Filter, das nichts zurückhält, sondern nur die Fortpflanzungsgeschwindigkeit verringert. Vergleicht man nun die Bilder der Stäbchen, so ist zwischen den beiden, Bleiglas und Quarz untereinander, J) Ich nenne Röntgenlicht: alle von einer Röntgenröhre aus- gehenden Strahlen. -) Wie weit hieran das grüne Phosphorescenzlicht der Glas- oberfläche und wie weit die Kathodenstrahlen beteiligt sind, wiid an anderer Stelle besprochen weiden. — 47:; auf nackter Platte dem Sonnenlicht ausgesetzt, wie es c zeigt, einerseits, und andererseits auf bedeckter Platte in a, ebenfalls Bleiglas mit Quarz verglichen, ein wesent- licher Unterschied kaum wahrnehmbar, wenn auch die Bilder der Stäbchen überhaupt in a und c, vollsten Gegensatz, da hell wo die andern dunkel sind, zeigen. Auch mit Röntgenlicht auf nackter Platte aufge- nommen, ist ein grosser Unterschied zwischen den Bildern des Bleiglasstabes und des Quarzstabes nicht zu be- merken. Das besagt also : Im allgemeinen macht sich der Metallgehalt des Bleiglasstabes in der Durchlässigkeit für uirfiltriertes Sonnen- und Röntgenlicht, also auf un- bedeckter Platte, wie für Radiuinstrahlen auf bedeckter Platte, kaum geltend. Es wird also hier das Sonnenlicht in seiner Wirkung durch das Metall nicht beeinflusst ! Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den ril- trierten 1) Röntgen- und den direkt durch die Stäbchen auf die empfindliche Schicht fallenden Radiuinstrahlen. Hier, in b unten, in a oben, ist der Bleiglasstab wesent- lich weniger durchlässig. Das Schattenbild desselben in b ist erheblich dunkler, hat also dem Durchgang der Kathodenstrahlen, im Gegensatz zum Sonnenlicht, ein grösseres Hindernis in den Weg gestellt als der Quarz- stab. Das gleiche gilt für das Radium in dem obern Teil von a, dort haben die auffallenden Radiumstrahlen den Quarzstab so völlig durchdrungen, dass die em- pfindliche Platte kaum noch ein Bild davon zurück- gehalten hat. Im ganzen gewinnt man den überraschenden Eindruck, dass die Sonnenstrahlen am tuenifjsleii, die Radiumstrahlen am meisten durch den Metallgehalt in ') Die Bilder fallen ganz gleich aus, wenn man das schwarze Papier zwischen Lampe und Objekt bringt. 474 ihrer Durchdringungsfähigkeit beeinflusst werden. Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass es mir nicht gelungen ist, die Expositionszeiten so genau abzugleichen, dass die chemische Wirkung bei allen 3 Aufnahmen völlig über- einstimmte ; ein Betrachten der freien Teile der nackten Platte beweist das hinlänglich. Allerdings ist diese Auf- gäbe bei dieser ausserordentlich verschiedenen Grösse der beiden Energiequellen, der Sonne einerseits und 0,01 g Radiumkarbonat andererseits, auch nicht ganz leicht zu lösen. Deutlich zeigt uns das Bild noch, dass wir es allein bei dem filtrierten Röntgenlicht mit Schattenbildern zu tun haben ; — die Bilder in b oben sind, im Gegensatz zu denen der Münzen, sicher keine 1), wenigstens keine reinen Schattenbilder, — was die Radiogramme sind, wage ich noch nicht zu entscheiden, — und dass sich Abstufungen in der Durchlässigkeit auch da finden, z. B. beim Radium, wo wir solche gar nicht vermutet hätten. So werden sich z. B. im Falle Heydweiller, Quarzröhrchen ganz besonders empfehlen. Als Drittes kommt noch hinzu, was ich schon andeutete, dass, im Gegensatz zu dem Röntgenlicht, die Emanation des Radiums durch das schwarze Papier nicht zerlegt, sondern nur in ihrer Propagation behindert wird, — es wird, wie ich sagte, nicht geseihet — , wie das aus der Übereinstimmung des Bildes von Bleiglas oben und unten und mit dem des unteren Teiles von Quarz, wie der gleichmässigen Ein- wirkung auf die Platte überhaupt, hervorgeht. r) Ich kann auch auf dieses interessante Kapitel hier nicht eingehen und verweise nur auf das in Genf gesagte: „En résumé, des corps très opaques exposés à l'action des rayons Rœntgen sur une plaque nue ne donnent pas les figures d'omhre plates bien connues, mais des images propres, personnelles, reproduisant leur relief." (Arch. Sér. 4, T. 14. 1902. S. 375). Ich habe damals zwischen Eikonosramihen und Eidoloorammen unterschieden. 47Ö Diese Differenz wird erklärlich durch die Annahme. dass wir es beim Röntgenlicht mit einer zusammenge- setzten Erscheinung zu tun haben. — - und ich kann das mittelst der empfindlichen Platte in der Tat belegen, nur würde das nicht mehr „eine Einleitung" sein, — hei den Radiumstrahlen und auch bei dem Sonnenlicht dagegen wohl mit einfachen Erscheinungen. Fassen wir alles zusammen, so glaube ich nach- gewiesen zu haben, und das war der besondere Zweck dieser Betrachtung, dass es sich bei allen diesen Vor- gängen nirgends um spezifische, sondern immer nur um graduelle Unterschiede handelt, und zwar Unterschiede bei Vorgängen, die wir sonst als energetische zu be- trachten gewohnt sind. Der Zusammenhang mit der Besprechung von Heyd- weillers Entdeckung liegt ja wohl auf der Hand. Aber noch andre Erfahrungen an Radiumpräparaten sind aus demselben Grunde hier zu erwähnen. Es ist eine jetzt allgemein bekannte, von Giesel entdeckte und auch von mir auf photographischem Wege festgelegte Tatsache, dass frisch dargestellte Radium- salze zunächst erheblich an Aktivität wachsen. Zur Er- klärung dieses Phänomens wird angenommen, dass die Aktivität der frisch dargestellten Substanz durch Selbst- induktion zunimmt. Jeder, der das Verhalten radio- aktiver Substanzen kennt, weiss ja, welchen Vorgang man damit bezeichnet; ob aber damit immer auch eine wirkliche Vorstellung, ein Bild des Vorganges, verbunden wird, ist zweifelhaft. Dagegen erscheint sicher, dass bei frisch bereiteten Präparaten die Gewichtsabnahme nicht die gleiche Höhe wird haben können, wie bei solchen, welche die höchste Aktivität bereits erreicht haben. Da das Wachstum der Aktivität sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, — bei einem von mir benutzten — 470 — Präparat währte das Zunehmen der radioaktiven Kraft, nachdem ich es erhalten hatte, noch etwa 8 Tage, — so müsste dasselbe wohl auch mit der Wage nach- gewiesen werden können, und das erscheint mir für die Bestätigung von Heydweitlers Entdeckung, da Umkehrung nicht möglich, nicht unwichtig. Wie man weiss, färbt sich das Glas der Röntgen- lampen bei längerem Gebrauch etwa jodviolett, das gleiche geschieht mit den Glasgefässen, in denen Radium- präparate aufbewahrt werden. Während aber bei den X strahlen die Färbung hauptsächlich an der Ober- fläche haftet, durchdringt die, infolge der Radiumstrahlen eintretende, das Glas vollständig. Es ist also, bei den Beobachtungen die uns hier beschäftigen, auch die Mög- lichkeit eines Gewichtsverlustes infolge etwaiger Zer- setzung des Glases in Betracht zu ziehen. Weiter wäre, wenn eine Zersetzung nicht stattfindet, mit einer Durchwandrung, nach der Art wie man elek- trolytisch Natrium durch Glas hindurch wandern lassen kann, zu rechnen. Auch ist andererseits wohl denkbar, dass durch Intensiverwerden der Färbung die Durch- lässigkeit des Glases, — ich verweise auf das oben an Blei- glas und Quarz nachgewiesene, — und damit der Gewichts- verlust, abnimmt, ohne dass darum die radioaktive Kraft der Substanz selbst gemindert wird. Das sind einige Einwürfe und Bedenken, von denen wir aber wohl sicher annehmen dürfen, dass sie Hrn. Heydweiller selbst nicht entgangen sein werden ; lassen wir sie also fallen ; nehmen wir vielmehr die Tatsache als gegeben hin und werfen die Frage zum Schluss auf: Handelt es sich bei diesen Strahlen um eine neue Form der Energie oder um einen neuen Verteilungszustand der Materie, der, die Hindernisse durchdringend, mit Lichtgeschwindigkeit den Raum durchmisst? — 477 Nach den Messungen von Prof. Kaufmann in Göt- tingen pflanzen sich die Radiumstrahlen in der Tat mit einer Geschwindigkeit fort, die der des Lichtes fast gleichkommt, und das gleiche gilt nach den neuesten Messungen von Blondlot für die Xstrahlen, deren Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der französische Forscher, im Gegensatz zu älteren Bestimmungen, ebenfalls gleich der des Lichtes gefunden hat. *) Diese Frage also : ob Energie, ob Materie, scheint mir gelöst zu sein ! — Denn die Gewichtsabnahme seines Radiumpräpa- rates — die wir als von Heydioeiller bewiesen voraus- setzen — sagt uns, dass wir es ohne Zweifel mit Ma- terie zu tun haben, die emaniert wird. Andererseits lehrt uns die Fähigkeit derselben, Glas, wie bei Hetjd- weillers Versuchen, oder Metall, wie z. B. bei unseren Photographien, zu durchdringen, dass sich diese Materie in einem Zustand feiner Verteilung, — dass eine solche denkbar, haben wir oben S. 446 nachgewiesen, — wie der Äther, befinden muss, und stellt sie ihre Fortpflanzungs- geschwindigkeit direkt in die gleiche Linie mit denjenigen Energieformen, die wir als Licht und Elektrizität be- zeichnen. — Und darin liegt für mich die ausserordentliche Be- deutung dieser Entdeckung, dass Schwere d.h. materielle Eigenschaft bei der Emanation des Radiums nachgewiesen wurde, ein Vorgang, dem sonst lediglich energetische Eigenschaften zukommen; in dieser Auffindung eines Bindegliedes zwischen Materie und Energie, zwischen Kraft und Stoff, scheint mir die aussergewöhnliche Be- deutung zu liegen. J) La vitesse de propagation des rayons de Rœntgen est la même que celle des ondes hertziennes ou de la lumière se propa- geant dans l'air. Blondlot, Archives de Genève Sér. 4. T. 14. 1902. p. 357 und auch Compt. Rend. T. 135. 1902. p. 721 u. 763. — 478 Längst schon sind die Grenzen zwischen Pflanzen- und Tierwelt verwischt; zwischen den drei Aggregat- zuständen sind die trennenden Schranken gefallen; die Krystalle, die so sicher und wohl definiert schienen, um ein fest begrenztes Reich zu bilden, sind nach den neuesten Studien, in des Worts ausdrücklichster Be- deutung, lebendig geworden und spotten jeder binden- den Definition ; die Lösungen strafen das Gesetz der festen Proportionen Lügen. Mehr und mehr macht sich die grösste Errungen- schaft des Endes des letzten Säkulums geltend, die Er- kenntnis : Die Natur kennt keine Grenzen, sie kennt nur Übergänge! — Und dies von neuem und in überraschendster Weise für Kraft und Stoff bestätigt zu haben, darin vor allem suche ich die Bedeutung der neusten Entdeckung auf dem Gebiete der Forschungen über Gewichtsänderungen in geschlossenen Gefässen, der Entdeckung Heydwei/lers. als einer neuen Bestätigung des alten IÀnné' sehen Satzes: ..Natura non facit saltus". BASEL, am S.Jänner 1.903. Epilogus galeatus. Am Ende des Jahres war auch die Arbeit abge- schlossen: auch Wiedergabeversuche, Clichés waren ge- macht worden. Uas erste Cliché war eine vortrefflich gelungene Röntgographie eines Zweimarkstückes; die anderen gelangen mehr oder weniger günstig. Immerhin nur zwei noch so, dass sie hätten verwendet werden können. Vielfache, direkte Besprechung mit dem Besitzer der Anstalt, persönliche Aufklärung über den Wert und die Wichtigkeit der Darstellung erreichten keine Besserung. Schliesslich wurde dem Verfasser das untenstehende Radiumbild der Zweifrankenmünze vor- gelegt. Der Verfasser, schon durch andere Unregel- mässigkeiten aufmerksam gemacht, stutzte. Es erwies sich, dass die 22 Sterne der schweizerischen Republik in jenem Abdruck zu 31, wie das Bild noch zeigt, an- gewachsen waren! Der Künstler hatte es vorgezogen, zu zeichnen, statt technisch nachzubilden. Auf diese Weise hatte er eine wissenschaftliche Hilfsaufgabe, die man ihm in guten Treuen anvertraut hatte, gelöst! Der Ver- fasser war erkrankt und das in dem Maasse, dass er — 480 — für das laufende Semester von allen Verpflichtungen der Universität gegenüber befreit ist. Wie leicht konnte es ihm passieren, in seinem nervösen Zustande, dass er von genauer Betrachtung des Clichés absah und das vom Künstler willkürlich geschaffene Bild als echte Badiographie aufnehmen liess ! — Nach Jahren erst, und wenn etwa nur ein Stern statt der neun hinzu- gefügt worden war, konnte das bemerkt werden und dem Verfasser die Frage vorgelegt werden: „Wie konnten Sie, wenn Sie tatsächlich radiographierte Platten vor- zeigten, solche geben, die mehr Sterne als die Originale zeigen?" Wer hätte dem Verfasser geglaubt, wenn er versichert hätte, nicht ich bin der Schuldige, sondern die Firm a M a n i s s a d j i a n ? — Georg W. A. Kahlbaum. Fig. 8. ^ Fig. 1. I Fig. 2. Fig. (5. Q- P. Q. P. Q. P. Fig. 4. Fis Kurze Notiz über Beobachtungen an dem Ciliarkörper und dem Strahlenbändchen des Tierauges. Von Rad. Metzner. (Mit einer Textfigur). Die vorstehenden Zeilen sollen in kurzen Zügen Beobachtungen an Augenpräparaten von Hunden und Hamstern schildern. Diese Präparate, zu Lehrzwecken angefertigt, lenkten bei ihrer genaueren Untersuchung meine Aufmerksamkeit auf einige Dinge, über die ich vorläufig in der Litteratur nicht den gewünschten Auf- schluss fand. Ihre genauere Verfolgung zeigte mir bald, dass ein eindringendes Studium nur unter Zuhilfnahme verschiedener Techniken möglich, und dass hierfür ein grosses Material nötig sei. Seine ausgiebige Beschaffung scheiterte z. T. an äusseren Umständen, doch erlaubt das vorliegende wohl eine kurze Mitteilung. Ich hoffe in Bälde mit einer detaillierten und illustrierten Schil- derung hervortreten zu können. Wie Terrien1) p. 13 angibt, findet man bei Tieren keinen ebenen Teil der Pars ciliar, ret., im (•»cgeusatz zum Menschen, wo er sich von der scharf, fast im rechten Winkel abgesetzten Übergangsstelle der ein Siunesepithel tragenden eigentlichen Netzhaut in das *) Terrien. F. Recherches sur la structure de la rétine ciliaire et l'origine îles fibres de la zonale de Zinn (Paris, 1898). 31 — 482 — einfache Epithel des Ciliarteils über eine Zone von fast 2 3 der Breite der ganzen Pars ciliaris retinœ glatt nach vorn erstreckt. Untersucht man einen Meridionalschnitt durch die vordere Bulhushälfte eines erwachsenen Hun- des, so findet man diese Angabe bestätigt nur mit der Abweichung, dass man nicht, wie Terrien (1. c. p. 38) für das Pferd angibt, den steilen Abfall der mensch- lichen Retina vermisst, sondern auch eine, wenn auch nicht annähernd rechtwinkliche, doch ziemlich steile Dickenabnahme findet. Dagegen fehlt sie allerdings bei sehr jungen Tieren (Präpar. von Hunden, die am 1. — 4. Tage nach der Geburt getötet wurden); hier verstreicht die Retina allmählich, und nach vorn von ihrem Ende dehnt sich eine fortsatzfreie Zone ziemlicher Breite aus. Diese meine Beobachtung am Hundeauge würde mit den Angaben Schöll's ') übereinstimmen, der bei Kindern (ig. p. 417 1. c. 1 Taf. XIV) angibt, dass die Netzhaut sich ganz alimählich abdache, bis nur eine einfache Zell- schicht übrig bleibt. Da nun bei Hündchen im oben angegebenen Alter die Stäbchen und Zapfen noch in der Entwicklung begriffen sind, derart, dass über die scharf ausgeprägte Membr. limitans externa retinae nur kleinste rundliche Kölbchen herausrag« n. indess unter ihr Mitosen in grosser Anzahl sich zeigen, so ist es nicht so leicht festzustellen, wo in Wirklichkeit die visuelle Retina ihr Ende erreicht. Auch beim erwach- senen Tiere besteht hier insofern eine Schwierigkeit, als an der Abdachungsstelle, d. h. also von der Stelle der so plötzlichen Verdünnung der Netzhaut Sehelemente von ausgeprägt unterscheidbarer Form auf eine Strecke von wenigen /< nicht mehr vorhanden sind; doch -ist eben *) Schön,W. Der Übergangssaum der Netzhaut oder die sog. Ora serrata ( Arch. f. Anat. u. l'liysiol. 1895 Anatom Abteilung, p. 417 u. ff) 48;} durch diese Abbruchsteile mit hinlänglicher Schärfe das Ende der Pars optica retinae markiert; sie geht hier, wie alle Autoren berichten, für erwachsene Indi- viduen ganz plötzlich in eine einfache Epithellage über. Ich linde aber nun, abgesehen hiervon, ein weiteres Kennzeichen darin, das bei den von mir untersuchten Tieren die Trennungslinie der Pars, ciliar, ret. von der eigentlichen Retina mit aller Schärfe festlegt. Dies ist gegeben durch die Beschaffenheit des Pigmentes im Stratum pigmentosum retinae. Soweit ich die Litteratur bisher übersehen konnte, geben die Autoren überein- stimmend an, dass die Pigmentschicht der Pars optica ret. unverändert in diejenige der Pars ciliar, ret. über- gehe. Wohl geschieht der Thatsache Erwähnung, dass die krystalloiden Elemente des retinalen Pigmentes von verschiedener Form, meist Stäbchengebilde seien, indes das Pigment der Pars ciliar, retinae aus rund- lichen Körnern bestehe, aber ich finde nirgends erwähnt, dass eine so haarscharfe Grenze existiere, wie sie sich beim Hunde, und wie ich hinzufüge, auch beim Hamster rindet. Die krystalloiden Elemente der Pigmentosa retinae des Hundes sind kleine Spindeln, die an der belich- teten Netzhaut in zierlichen Festons angeordnet, den freien Zellensaum besetzen. Diese Guirlande erstreckt sich bis zum letzten, ausgebildeten Stäbchen resp. Zapfen ; an der Abbruchstelle stehen dann 2 — 4 Zellen, welche die Spindeln in dicht gedrängter Masse enthalten, und hierauf folgt, der ersten Epithelzelle der Pars ciliaris retinae entsprechend, die nächste Pigmentzelle ohne ein einziges der spindelförmigen Kryställchen, nur erfüllt von den groben Rundkörnern, welche für den Ciliarteil der Pigmentschicht charakteristisch sind. Sie erfüllen die Zelle sehr dicht, selbst an Schnitten von nur 3 ft — 484 Dicke ; sie haben sich infolge dessen gegenseitig zu un- regelmässigen Polyedern abgeplattet. Am Auge des neugeborenen resp. nur wenige Tage alten Hundes hört mit der letzten Zelle des einschich- tigen Epithels auch das alleinige Vorkommen des Körner- pigmentes auf. Aber wie hier — was oben erwähnt wurde — kein plötzliches Anwachsen der Schichtdicke um ein Mehrfaches besteht, sondern ein allmähliches Ansteigen stattfindet, so sieht man in den entsprechen- den gegenüberliegenden Pigmentepithelzellen nicht sofort alle Körner durch Spindeln ersetzt, sondern erstere schwinden allmählich, um erst nach Erreichung der end- giltigen Retinadicke ganz den Kry stallen Platz zu machen. Jedoch ist die Grenze hier auch insofern vollkommen scharf, als mit dem Beginn des mehrschichtigen Baues auch die Spindeln sich beimischen. Dass eine solche scharfe Sonderung zu Stande kommt, ist bemerkenswert, da doch das Pigmentepithel der Retina über ihre ganze Erstreckung bis zur hinteren Irisfläche entwicklungsgeschichtlich eine Einheit bildet, und auch der Übergang an der Ora serrata ein konti- nuierlicher ist. Ein Unterschied besteht nur darin, dass, wie Greef1) p. 186 hervorhebt, die Zellen des Pigmentepi- thels „ihre regelmässige sechseckige Gestalt verlieren und in radiärer Richtung langgezogen erscheinen." Ich kann die Angabe für den Hund vollauf be- stätigen, zumal beim neugeborenen Tiere ist der Anblick frappant. Indess nun das Pigmentepithel, abgesehen von dem veränderten Inhalte, kontinuierlich von der eigentlichen Retina zur Pars ciliar, ret. übergeht, erleidet die Netz- x) Greef, V. Mikrosk. Anat. des Sehnerven und der Netzhaut (firäfe-Sämisch, Handbuch der ges. Augenheilkunde. LT. I. Bd. 5. Kapitel). — 485 — haut selbst eingreifende Veränderungen, indem diese vielschichtige Membran sich am Orbiculus ciliaris als einfaches Cylinderepithel fortsetzt. Dieses Epithel wird gemeiniglich als secernierendes Epithel aufgefasst — vergl. z. B. Greef 1. c. p. 189 — und ich möchte mich dieser Ansicht anschliessen, trotz Rabl's Einwurf, dass hier die basale Fläche der Zellen gegen das mit Sekret zu er- füllende Lumen frei läge. Terrien, Berger und Czermak u. a. beschreiben aber noch ein Stützgewebe zwischen den secernierenden Zellen, das nach Terrien (1. c.) ein- mal aus Stützfasern (fibres de soutien oder de soutène- ment), zum andern aus Zonulafasern (fibres zonulaires) besteht. Man kann dieses Stützgewebe isoliert zur Dar- stellung bringen durch Verdauung mit salzsaurer Pepsin- lösung (Berger) oder durch das von Griffith empfoh- lene Pigment-Bleichverfahren mit Chlor (Terrien). An sehr dünnen Schnitten der Präparate vom erwachse- nen Hunde oder Hamster, welche in dem von mir1) angegebenen Osmiumgemische fixiert und mit Säure- fuchsin intensiv gefärbt wurden, erkennt man die Stütz- substanz zwischen den secernierenden Zellen sehr deut- lich als feinstreifige Einlagerung; an der Epithelober- fläche ist sie verbreitert, ganz wie es Terrien u. a. be- schrieben haben. Terrien gibt an, dass diese fibres de soutènement identisch seien mit den Müller' sehen Stütz- fasern der eigentlichen Retina, und von ihr auf die Pars ciliar, ret. übergingen (1. c. p. 46, 63 etc.), indess die secernierenden Zellen als Fortsetzung der inneren Körnerschicht (Bipolaren für Zapfen und Stäbchen) erscheinen. 1) Metzner, R. Untersuchungen an Megastoma enter. Grrassi (Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoolog. LXX. Bd. 1901.) - Artikel A U- ///«»»'sehe Granula-Methoden (Encyklopädie der mikroskop. Tech- nik. Wien liloîî.) — 486 — An den Abbildungen, Fig. 17 und 18 pp. 44 u. 45, der Augen menschlicher Embryonen und Föten, welche Terrien gibt, erkennt man gut den Übergang der inneren Körnerschicht in die Pars ciliar, retinae; zeitige Elemente des Stützgewebes (Müller' sehe Zellen) sieht man nicht. An meinen Präparaten vom neugeborenen Hündchen kann ich einen sicheren Entscheid nicht geben, welchem Teile der eigentlichen Retina die Epithelzellen (secernierenden Zellen) der Pars ciliar, entsprechen, bezw. welche Zell- reihe sich in letztere fortsetzt. Denn diese Augen zeigen noch keine deutliche Trennung der äussern Schicht des proximalen Blattes der sekundären Augenblase, also noch keine Sonderung in äussere oder innere Körnerschicht. Das Bild ähnelt eher der Fig. 17 p. 44 1. c. von Terrien, das aber ein frühes embryonales Studium des mensch- lichen Auges darstellt. Die äusserste Grenzschicht ist, wie schon oben erwähnt, noch mit sehr reichlichen Mi- tosen erfüllt, was ich hier besonders betonen möchte, da Greef1) angibt, dass nach neueren Forschungen es nicht mehr möglich ist, Mitosen in der Retina neuge- borner Hunde zu linden. Hinzufügen möchte ich, dass auch beim neugeborenen Hamster die Zahl der Mitosen noch gross ist. Dass die innere, helle Schicht, welche später die innersten Schichten der Retina liefert, sich nicht auf die Pars ciliar, fortsetzt, das lässt sich aller- dings an meinen Präparaten nicht mit der gleichen Sicherheit konstatieren, mit der Terrien es nach seinen Objekten darstellt. Dagegen aber zeigen nun meine Schnitte einmal die stärkere Anhäufung von Stützzellen resp. Stützfasern im letzten Abschnitt der eigentlichen Retina als auch ihr Übergreifen auf den Orbiculus ci- ]) Greef, B., S. Bamon y Cajals neuere Beiträge zur Histologie der Retina (Zeitschr. f. Psychologie u. Physiol. d. Sirmes-Organe. XVI. Bd. 1898. p. 164.) 487 — liaris. An den mit obigen Osmiummisckungen fixierten, in Schnittserien von je 2,5 u Dicke zerlegten und mit Säurefuchsin gefärbten Augen neugeborener Hunde stellen sich diese Elemente als streifige Bälkchen dar. Ihre zellige Natur ist dort zu erkennen, wo diese Bälkchen sich verbreitern und einen schmalen Kern einschliessen. Nach aussen ragen sie in die Pigmentschicht hinein, nach innen ziehen von ihnen feine Fibrillen heraus, welche sich der Glashaut der Pars ciliaris anlegen. Sehr auffällig treten sie aber hervor an Zenker-Präpa- raten, welche in toto mit Borax-Carmin gefärbt, in Cel- loidin eingebettet und in Schnitte von 15 — 20 /i Dicke zerlegt sind. Hier treten in dem sich verschmälernden Endteil der Sehretina ca. 70 — 75 fi lange, tief dunkelrot gefärbte, homogene Gebilde auf, die nach dem Ciliarkörper zu sich immer dichter an einander lagern und dabei kürzer werden, so dass sie bald auf 26 — 22 /i Länge herab- gehen (Fig.;. Was neben ihnen noch an zelligen Ele- menten in diesem Übergangsteil liegt, ist nicht sicher zu erkennen, da sie alles verdecken. Noch etwas weiter nach vorn beginnt sich alles aufzuhellen und das Epi- thel (secernierendes Epithel) tritt auf. Am Zenker-Vr'à- parat zeigt es glashelle Zellen mit kugeligen Kernen, die eine zarte, körnig-fädige Chromatinanordnung be- sitzen und durch die Färbung mit Borax-Carmin einen blassroten Ton erhalten haben. Zwischen ihnen liegen, noch recht zahlreich, aber immer spärlicher werdend, die tiefdunkelroten Gebilde, die hier 13 — 15 tt lang sind, und selbst mit starken linmersionssystemen keine deutliche Struktur zeigen. Bis zur Höhe des Ciliarfort- satzes sind sie vorhanden, aber dann verschwinden sie und bis zum Iriswinkel siebt man nur das secernierende Epithel. In der Tiefe des "Winkels liegen wieder einige wenige, jedoch auf der Rückseite der Iris. resp. in ihrem 4H8 hinteren retinalen Überzüge fehlen sie ganz. Das Epithel ist hier anfangs noch eben so hoch, wird aber gegen den freien Rand der Iris niedriger. Auf der Textfigur sind diese Verhältnisse dargestellt durch Kombination einiger Schnitte, um überall eine reine Profilansicht des Epithels zu gewinnen ; das subepitheliale Gewebe, die Gefässschlingen sind weggelassen, da sie sich vom Pig- mentepithel losgelöst hatten. Das Innere des gezeich- neten Ciliar-Fortsatzes wäre aber nicht nur damit zu Meridionalschnitt durch den Ciliarkörper eines neugebor. Hundes. (Zenkers Flüssigkeit; Stückfärbung mit Borax-Carmin). Halbche- niatisch, insofern Bindegewebe. Gefässe etc. des Innern weggelassen sind. J = Pars iridica retinae. B = Sog. secernirend. Epithel. Dazwischen (S) die dunkelroten Stäbchen. So solche mit kleinem Fortsatz. R == eigentl. Retina. (Apochr. 16 mm. Comp. Ocul. 12. Vergrössg. 187. Details mit homog. [mmersion eingezeichnet.) — 489 — füllen, sondern auch noch mit den Bildern der durch- schnittenen kleinen Einstülpungen resp. - Fortsätze , welche an dem Hauptkörper sich finden. In diesen Ein- buchtungen, zumal in der Tiefe der Nebenthäler, waren zwischen den Epithelzellen immer die kleinen, dunkel- roten Stäbchengebilde zu sehen. Sie fehlen also nur auf dem gegen die Iris schauenden (vorderen) Abhang und auf dem vorderen Teile der Kuppe des Hauptfortsatzes. Aus der Tiefe der Nebenthäler. sowie aus der Tiefe des auf der Zeichnung dargestellten Übergangsteils der Sehretina in ihren Ciliarteil, der Falte die, wie erwähnt, normalerweise beim neugeborenen Tiere nicht besteht und auch an meinen Osmiumpräparaten fehlt, und hier nur durch die Ablösung der Retina, sowie ihre Vor- drängung gegeu die Pars ciliaris bei der Fixierung ent- standen ist, — traten Faserbündel hervor, welche am letz- teren Orte der Membrana hyaloidea des Glaskörpers resp. der Grlashaut der Pars ciliaris anlagen. Diese Fasern sind durch nachträgliche Färbung mit verdünnter Hämatoxylinlösung darstellbar, da aber nur an den Os- miumpräparaten ihr Zusammenhang mit interepithelialen Fasern festzustellen war. dagegen an den Zenker-Präpa.- raten nur Andeutungen von kleinen Fädchen an denEnden der dunkelroten Längsstäbchen sich zeigten (s. Fig. S o), so sind sie auf der Zeichnung fortgelassen worden. Da es mir, wie eingangs erwähnt, vor der Hand an geeignetem Material gebricht, um die Befunde am neugeborenen Hunde in Zusammenhang zu bringen mit dem was ich am erwachsenen Tiere fand, so will ich hier nur eine Schilderung dieser letzteren anreihen, unter Hinzunahme der Bilder vom erwachsenen Hamster. Bei schwacher Vergfösserung boten meine Meridio- nalschnitte vom Hundeauge ganz den Anblick, den — 190 Retzius ') auf Tafel XXXII, Fig. 5 seines grossen Wer- kes dargestellt hat und der auch den Beschreibungen von H. Virchou'-) entspricht. Die kleinen, dicht über dem Epithel hinlaufenden Zonulabälkchen sind aus feinsten Fibrillen zusammengesetzt ; ein Teil dieser Fibrillen ent- springt sicher interepithelial in den Thälern der Proc. ciliares ; ob alle Fibrillen von dort kommen, wie Terrien (1. c. pr. Fig. 21, 22, 23) angibt, lasse ich dahin gestellt. An Schnitten nun, welche in Ebenen parallel dem Augen- äquator angelegt sind, also das Corp. ciliare quer treffen, sieht man in den Thälern die Fibrillen mit Deutlichkeit zwischen den Epithelzellen hervorkommen. An geeigneten Schnitten erkennt man auch, dass sie zwischen die Pig- mentzellen in die Tiefe dringen, und andrerseits bemerkt man unter dem Pigmentepithel Fasern vom Charakter elastischer Fibrillen, die zwischen den Pigmentzellen nach aussen streben. In seiner ausgezeichneten, schon zitierten Studie konnte Terrien beim Pferde und Rind den Zusammenhang der Pigmentschicht mit der sog. Lamina vitrea der Chorioidea, welche wohl besser noch dem retinalen Pigment zuzurechnen wäre, durch feinste Faser- bälkchen nachweisen (s. die Figg. 9, 11 etc.) und damit zugleich ihre Verbindung mit den interepithelialen Stütz- fasern resp. den Zonulafibrillen. Beim Hunde ist, soweit ich bis jetzt ermitteln konnte, die Lamina vitrea nur als allerfeinste Lamelle ausgebildet, während sie beim Hamster eine ziemlich dicke Membran darstellt. Am Übergang der Retina in ihre Pars ciliaris sieht man nun beim Hamster aus dieser Membran, die unter der Immersionslinse feinstreifig erscheint, ein Netz von ') Retzius, (1. Biologische Untersuchungen X. F. VI. 1894 p. 67 u. ff. 2) Virchow, Hans. Über die Form der Falten des Corpus ciliare bei Säugetieren (Morpholog. Jahrb. Bd. XL 1886). — 49 t — feinsten Fibrillen ausgehen, die sich teilweise zwischen den Epithelzellen hindurch in Zonulafibrillen verfolgen lassen, zum andern Teil sich in den ßrücke'schen Muskel ver- lieren. Die Frage, inwieweit die feinen Fibrillen aus den Thälern der Ciliarfortsätze nur Zuwüchse zu den von der Glashaut der Pars ciliaris ret. kommenden Zonulabalken darstellen, wie Relzius (1. c. p. 82 u, ff.) angibt, der Glashaut, welche nach seinen Untersuchungen die direkte Fortsetzung der Membrana hyaloiclea des Glaskörpers ist, kann ich vorderhand nicht entscheiden. Nach meinen Präparaten ist die Glashaut der Pars ciliaris retinge vorwärts vom Orbiculus ciliaris breiter, straffer als die Membrana hyaloidea, welche die eigentliche Retina be- grenzt. Dass die am Oriculus ciliaris resp. am Über- gangsteil der Netzhaut entspringenden äusserst zahl- reichen Fasern, die ganz den straffen Charakter der Zonulafibrillen tragen — s. a. Schnitze1) p. 23 u. ff. und Fig. 20 — den Hauptbestandteil dieser Membran ausmachen, ist ebenfalls deutlich zu erkennen. Da aber die Schnitte der Osmiumpräparate, welche diese Fibrillen und das interepitheliale Stützgewebe vortrefflich zeigen, nur 2 — 2l/2 fi dick sind, so ist es mir vorläufig noch nicht gelungen, die topographischen Verhältnisse des freien Verlaufes nach vorne zu eruieren. Meine Befunde würden sich aber dem, was Agababow, Schön, Terrien, Oscar Schultze über den Ursprung der Zonulafasern angeben, anschliessen und den Ansichten dieser Autoren über die ektoblastische Abstammung dieser Fasern durch den Nachweis des kontinuierlichen Überganges der Stütz- elemente der eigentlichen Retina auf deren Pars ciliaris beim neugeborenen Tiere zur Unterstützung dienen. ') Schnitze, Oscar. Mikroskop. Anat. der Linse und des Strah- lenbändchens (Gräfe-Sämisch, Handb. d. ges. Augenheilkunde. I. T. I. Bd. IV. Kap.) 492 — Am Schlüsse noch eine Bemerkung über die Retina des Hundes. In Fig. 50 seiner ausgezeichneten Monogra- phie gibt Greef (1. c. 1 pp. 122 u. 185) einen Schnitt durch die Ora serrata des menschlichen Auges, an dem das immer seltenere Vorkommen der Stäbchen, ihr end- liches Verschwinden, sowie die Verkümmerung der allein übrig bleibenden Zapfen vorzüglich zu erkennen sind. An der Retina eines erwachsenen Hundes (Osmium- präparat) waren Stäbchen auch neben den letzten Zapfen zu erkennen, was insofern interessant ist, als nach meinen Untersuchungen, die ich durch ein grösseres Material noch vervollkommnen möchte, die sog. Area des Hundes (Chievitz v) keine stäbchenfreie Zone enthält, sondern dass hier wohl die Zapfen sehr dicht stehen, aber immer durch Stäbchen getrennt sind. Die von Greef (1. c. p. 114) angegebene Höhenab- nahme der Zapfen war am Hunde gut zu sehen-, icli habe an verschiedenen Schnitten folgende Maasse auf- genommen : 1. Zapfen 480 II v. Ora serrata 9 U 2. „ 230 fi 3. „ 24 fi 4. „ 20 u 5. „ 17 /< Höhe Innen- gliedes des Aussen- gliedes Dicke des cyl Innengliedes. ata 9 11 5 il (spitz) 2,5 // 8// 4,5 ii „ :;.ö u 6i< 4 il (kuppelföi •mig) 4 // '> ii 4 ii 4 ii 6 ii 3 II (spitz) 3,5 u 1 1 Chievitz, J. IL Über das Vorkommen der Area centralis retinae in den vier höheren Wirbeltierklassen (Arch. f. Anat u. Physiologie ; Anatom. Abteil. 1891. p 310 u. ff.) Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft m BASEL. Band XVI. Mit drei Tafeln. BASEL Georg & Co., Verlag 1903. %Zs7*~ï:¥T:Ç-~î ■r ~ï"4 i r i fT^TTT^T^Xjs^T^T^T^T^T^T^T^T^T-f'i T ; : GEORG & Co., Editeurs, Bàle, Genève et Lyon. LÀ FLORE DE LA SUISSE ET SES ORIGINES par 1.1: Dr. H. CHRIST. Un fori volume grand in-s-. accompagné de quatre illu- strations hors texte, de quatre caries en couleurs indiquant les /ducs des plantes H d'un tableau graphique: Limite des hauteurs. PRIX DE L'OUVRAGE: broché Fr. 16.— Cart, toile Fr. 18.— Demi rel. Fr. 20. - Cet ouvrage es1 divisé en quatre parties: I. La région infé- rieure, zone de la \ igné e1 des arbres Fruitiers. — II. Région moyenne, celle îles bois feuilles. — JH. Région plus élevée, /.nue des coni- fères. — !Y. Région alpine, la plus captivante de la Bore suisse, qui pour la richesse de la floraison e1 l'éclal des couleurs excite à mi si haut degré l intérêl du savanl el du simple amateur. Sui1 un résumé général de l'histoire de notre flore. L'auteur est naturaliste, mais avec son laleul d'artiste il sait donner un grand attrait à ses descriptions ; c'esl donc un livre qui intéressera toutes les personnes, qui aiment les Alpes el ses Meurs. Nous citerons encore du compte-rendu publié par Mr. Alphonse de Candolle aux Archives des Sciences de Genève: C'est un ouvrage à lire d'un boul à l'autre que celui de M. le Docteur Chris! sur la flore de la Suisse e1 nous regardons comme une bonne fortune pour les lecteurs français el même italiens ou anglais qu'on en ait publié une traduction très-exacte. Le travail du savant botaniste bàlois contienl une foule de détails. Cependant il est si bien rédigé chaque chose est si bien à sa place, el il y a des résumés si clairs qu'on u'esi jamais fatigué en le lisant. Ce n'est pas une énumération d'espèces selon les ré-^i, >ns nu les localités, Comme (Hl en VOit SOUVeill a la tète îles Itères; ce n'est pas non plus un tableau général, littéraire plutöl que scientifique; mais les détails et les généralités y sonl distribués d'une manière judicieuse qui laisse une idée nette île chaque sujet. ^- — D GEORG & Co., Éditeurs, Bâle, Genève et Lyon. OUVRAGES DIVERS D'HISTOIRE NATURELLE Archives du Muséum d'histoire na- turelle de Lyon, 'l'unir I à VII. gr. in-4°avec planches. 1872 — 1891). *,* Mémoires par MM. Lortet, Locard, Cbautre, Saporta, Marion, Faisan ete. Chaque volume se vend séparément. Candolle (Alph. de) Histoire des sciences el (1rs savants depuis deux siècles, précédée el suivie il autres çtudes sur des sujets scientifiques. ln-8". (Jlli p. 1885, 10 — Fatio (Dr. V.i Faune des vertébrés de la Suisse. Tome I. Mammi- fères. 4M p., 8 pi. gr. in-8° 16- Tiniie il. ( »iseaux 1" partie 850 p., 3 pi. ci une carte, gr. in 8°. 25 La seconde partie en préparation. — Tome III. Reptiles el Batraciens. 616 p., 5 pi., gr. in-8°. 18 — — Tomes IV et V. Poissons. 1456p., 9 pi., gr. in 8U. 4.") - Mémoires de la Socie'té de physique et d'histoire naturelle de Genève. Vol. I à XXXIII el volume supplé- mentaire : Centenaire de la fon- dation de la Société. 4" avec planches 1821 à 1901. *¥* Collection très importante conte- nant des Mémoires par MM. De Candolle père et fils, DeSaussure, Duby, F. J. Fictet, E. Boiesier, Huber, Clapaiède, Fol et autres savants genevois. Mémoires, i veaux, de la Société helvétique des sciences natu- relles. (Neue Denkschriften der all-, schwei/. naturforschenden Gesellschaft), vol. I à XXXVIII. 4" avec planches. 1837-1900/2. *,* Chaque volume se vend séparément excepté quelques-uns de la lre décade. Cette publication importante renferme des travaux tré^ estimés par MM. Agassiz, Cramer, Gaudin, Heer, Nägeli, Rütimeyer, Thurmann etc. Mémoires de la Société paléonto- logique suisse (Abhandlungen der schwei/.. palaebntol.Gesellschaft), vol. I a XXVIII. gr. in-4° avec planches. 1874-1901. *„* Mémoires de MM. de Loriol, Re- Devier, Rütimeyer, Favre, Koby, Greppin etc. Rütimeyer (Prof. L.) D e r I! i g i. Berg, Thal und See; naturge- schichtliche Darstellung der Landschaft. 160 S., 13 Illustrât, und 1 color. Karte. ln-4°. 1877. br. 8 — Eigenartiges Werk, welches namentlich die Aufmerksamkeit aller Alpenfreunde und Naturforscher von Fach verdient. — Gesammelte kleine Schriften allgemeinen Inhalts aus dem Gebiete der Naturwissenschaft, berausgeg. von II.