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Verhandlungen
der
Naturforschenden Gesellschaft
in Basel.
Band XXII.
Mit 4 Tafeln, 1 Portrait und 52 Textfiguren.
Basel GeovrsmaiC ie Verlags 1912.
Druck von Emil Birkhäuser, Basel.
Inhalt.
Physik, E. Banderet. Sondenmessungen über Anoden- und Kathoden- fall im Metallichtbogen .
A. Hagenbach. Photographische Methode zu Kontaktbe- stimmungen bei Sonnenfinsternissen
Th. Niethammer. Schwerebestimmungen der Schweizerischen Geodätischen Kommission
Chemie. Fr. Fichter, K. Stutz und Fr. Grieshaber. Ueber die elektrolvtische Bildung von Harnstoff und Acetamidin-nitrat Geologie. A. Gutzwiller. Die Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel . Botanik. W. Brenner. Zur Biologie von Tamus communis L. H. Fröhlich. Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb. . Zoologie. C. Janicki. Untersuchungen an parasitischen Arten der Gattung Paramoeba Schaudinn C. Janicki. Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagel- laten, namentlich bei parasitischen Formen S. Schaub. Die Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für
die Phylogenie der Feder
Physiologie. F. Siebenmann. Einige neuere gegen die Helm- holtz’sche Hörtheorie vorgebrachte Einwände und deren experi- mentelle Widerlegung
Nekrolog. M. Knapp. Prof. Dr. Karl VonderMühll #. . . . .
Bericht über das Naturhistorische Museum für das Jahr 1911 von Dr. hebneelnrannetEPe
Bericht über die Sammlung für Völkerkunde des Basier Museums für das Jahr 1911 von P. Sarasin.
Dr. J. M. Ziegler’sche Kartensammlung, Dreiunddreissigster Bericht 1911. BeBunelkchardt
Chronik der Gesellschaft Bienniumsrechnung der Gesellschaft
Mitgliederverzeichnis . . . . . . . .
Seite
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Verzeichnis der Tafeln.
Tafel I, II und III zu Paul Sarasin:
Ueber Mousteriolithen.
Tafel VI zu Th. Niethammer:
Schwerebestimmungen der Schweizerischen Geodätischen Kommission.
Portrait zu Martin Knapp: Prof. Dr. Karl VonderMühll-His 7.
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Prof. Dr. Karl VonderMühll-His. +
(Nekrolog gehalten in der Sitzung der Naturforschenden Gesell- schaft Basel: 15. Mai 1912.)
(Mit 1 Porträt.)
Von Martin Knapp.
Herr Präsident,
Hochgeehrte Anwesende!
Es ist mir der schmerzliche Auftrag geworden, vor Ihnen unseres verstorbenen Mitgliedes, Prof. Dr. Karl VonderMühll, zu gedenken. Ich habe den Auftrag übernommen in dem Gefühle, einer grossen Dankesschuld damit Ausdruck geben zu können, für all das Viele an Anregung und Belehrung, was ich von meinem langjährigen Lehrer an der Hochschule Basels empfangen durfte. Aber auch Sie alle ver- binden sich mit mir in derselben Gesinnung dankbaren Gedenkens an die reichen Früchte unermüdlicher Arbeit, die der Verstorbene in langen Jahren unserer Gesellschaft bot.
Karl VonderMühll ist geboren am 13. September 1841 zu Basel als Sohn des Kaufmanns Karl VonderMühll und der Emilie Merian, der Tochter des Ratsherrn Peter Merian, deren frühen Tod der Sohn zu beklagen hatte. Neun Jahre hindurch besuchte er das Gymnasium und Pädagogium seiner Vaterstadt, um nach erreichter Maturitas an der Hochschule in Basel 1859 seine Studien fortzusetzen. Unter der Führung von Männern wie Jakob Burckhardt, Gerlach, Girard, Steffensen, Wilhelm Vischer und Wilhelm Wackernagel hat er seine allgemeine Bildung vertieft und durch die Professoren Schönbein, Wiede- mann, Albert Müller, Meissner, und besonders seinen Grossonkel Rudolf Merian hat er seine spezielle Fachausbildung erhalten. Auch unter den ersten Schülern von Prof. Dr. Ed. Hagenbach ist er zu nennen.
Im Jahre 1861/62 bezog er für drei Semester die Universität Göttingen, wo er bei Wilh. Weber, Stern, Riemann, Sartorius von Waltershausen, Schering, Klinkerfues und O. E. Meyer hörte und
2 Martin Knapp. unter Wöhler sich im chemischen Laboratorium betätigte. Darauf folgte er 1863 seiner speziellen Neigung zur theoretischen Physik, als deren Führer der damals zu Weltruf sıch durcharbeitende Prof. Dr. Franz Ernst Neumann in Königsberg galt. Dort hat er die Richtung für sein wissenschaftliches Leben erhalten und der Geist jener Königsberger Schule blieb ihm zeitlebens Vorbild. Neben den Vorlesungen und dem Seminare des Mathematikers Richelot, bilden die damaligen Vorlesungen F. E. Neumanns die Grundlage, auf der VonderMühll weiter arbeitete. Theoretische Physik, Elastizitäts- theorie, Theorie der elektrischen Ströme, Lehre von der Wärme, Potentialtheorie und Theorie des Lichtes waren die Vorlesungen, die Neumann damals 1863—66 unter dem Titel: ausgewählte Kapitel der mathematischen Physik hielt und sind auch die Stoffe, die der Verstorbene in Leipzig als Privatdozent und nachher auf der Basler Hochschule weiter behandelte und lehrte. Jene klassische Königs- berger Schule, die durch die Namen der drei Lehrer Kant, Bessel, Neumann berühmt wurde in der ganzen Welt und die du Bois- Reymond, Kirchhoff, Clebsch, Wangerin, Voigt und H. Weber als Schüler heranbildete, blieb unseres Verstorbenen Ideal, und die Freundschaften aus jenen Jahren, mit dem Sohne Carl Neumann, der dieser Tage seine 80. Geburtsfeier festlich begehen konnte, mit dem Mathematiker Adolph Mayer und andern hielten der Zeit und späteren Trennung stand, waren auch nicht ohne Einfluss auf seine Lebensführung. Wie Carl Neumann und Ad. Mayer habilitierte sich VonderMühll in Leipzig. Seine Königsberger Zeit schliesst 1866 mit der lateinischen Dissertation über die Undulationstheorie des Lichtes: „Ex ipsis praeceptis mechanicis ducantur leges, quibus lucis undae in plano, quod finis sit duorum pellucidorum mediorum, reflexae et refractae pareant.“
Wie dankbar VonderMühll auch später noch jenes Freundes- kreises gedachte, zeigen die Worte, die er dem Nekrologe seines Freundes Ad. Mayer 1908 in den Math. Annalen anschloss und die folgendermassen lauten : „Mit der vollendeten Liebenswürdigkeit, die ıhm eigen war, hat er die Herberufenen in seinem Hause aufge- nommen, in die Leipziger Kreise eingeführt und alles aufgeboten, ihnen die neue Heimat lieb zu machen.‘‘ Der Verstorbene hat, nach- dem er sich in Leipzig sein Haus selbst gegründet hatte, diese Tra- dition weiter geführt und später nach Basel verpflanzt.
Der Habilitation in Leipzig auf Grund der Schrift: „Ein Problems der Karten-Projektion,“ folgte 1872 die Ernennung zum Prof. extraordinarius der theoretischen Physik ebendort und 1889 die Berufung in der gleichen Eigenschaft an die Universität seiner Heimat. In Leipzig wie in Basel beschränkten sich seine Vorlesungen
Prof. Dr. Karl VonderMühll-His. 7 3
Fast vollständig auf das ganze, grosse Gebiet der theoretischen Physik, doch unternahm er namentlich in jüngeren Jahren auch noch einige Abstecher nach rein mathematischen Fächern, wie der Differential- und Integralrechnung. Die Summe von Fleiss, die Prof. VonderMühll auf seine Vorlesungen verwendete, blieb dieselbe bis in die letzte Zeit hinein, und auch der nur ab und zu wieder hospitierende Hörer musste sich überzeugen, dass stets neues Material hineingearbeitet war in den bewährten Stoff. Seine Vorlesungen änderten auch ihre Physiognomie nicht, ob in seinen Spezialkollegen einer oder höchstens drei Hörer zu seinen Füssen sassen, und bewundernswert bleıbt, wie der 1890 zum Ordinarius ernannte stets wieder neu versuchte, in Freundlichkeit mit den neuen Leuten der wechselnden Generationen in ein erspriess- liches Arbeitsverhältnis zu kommen, unbekümmert um schlimme Er- fahrungen. Doch blieben diese vereinzelt und mehr findet sich in den Fakultätsberichten das Lob über sehr pünktlichen Besuch bei geringerer Hörerzahl. Seine Anfängerkollegien, Mechanik und Ein- leitung in die mathematische Physik, waren naturgemäss besser be- sucht. Doch dass er, der jahrelang bei Joh. Rud. Merian allein Kolleg hörte, auch diese gute Basler Tradition fortsetzte, dafür zu danken, hat der Sprechende eigene Verpflichtungen.
Die wissenschaftlichen Arbeiten Prof. VonderMühlls finden sich zum Teil im Crelle’schen Journal, zahlreicher in den Mathematischen Annalen, deren Redaktion er Jahre hindurch angehörte. Sie be- handeln, wie auch seine Vorträge in der Naturforschenden Gesell- schaft Basel, nur Gebiete seines speziellen Faches, wie Abbildung von Ebenen auf Ebenen, Stationärer Temperaturzustand, Reflexion und Brechung des Lichtes an der Grenze unkristallinischer Medien, Greens Theorie der Reflexion und Brechung des Lichtes, Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten in Gefässen (nach Joh. Rudolf Merian) u.a. Sein Hauptwerk bildet die Herausgabe der Vorlesungen über elek- trische Ströme, die F. E. Neumann im Wintersemester 1864/65 ge- halten und die zusammen mit den Bänden anderer Schüler als zwang- lose Hefte unter dem Titel: Vorlesungen über mathematische Physik von F. E. Neumann unter Leitung des Sohnes Carl Neumann und mit der Zustimmung des Verfassers erschienen sind.
Der Naturforschenden Gesellschaft Basel ıst der Verstorbene im Jahre vor seiner Habilitation in Leipzig 1867 unter der Präsident- schaft von Dr. Fritz Burckhardt beigetreten. Seit seiner Rückkehr nach Basel 1889 verschweigt das Protokoll auch selten in einer Sitzung seinen Namen. Waren es in den ersten Jahren wissenschaftliche Ar- beiten, mit denen er in unserem Kreise hervortrat, so wurden es mit der Zeit immer mehr Verwaltungsgeschäfte, Ehrenämter und Ver- tretungen, die ihn veranlassten, das Wort zu ergreifen. Das Prinzip
4 Martin Knapp.
der kleinsten Aktion, die Anzahl der unabhängigen Perioden von ein- deutigen Funktionen komplexen Argumentes, konforme Abbildung im Raum, die elektromagnetische Lichttheorie, die Theorie der See- schwankungen : ‚der Seiches“, die theoretischen Anschauungen von Georg Simon Ohm und endlich eine ausführliche Würdigung des im Alter von 97 Jahren verstorbenen F. E. Neumann bildeten die Themata seiner Vorträge, von denen mehrere in den Verhandlungen abgedruckt sind, andere wieder in mathematischen Zeitschriften.
Schon 1890—92 stand er unserer Gesellschaft als Präsident vor, von 1894—1908, 14 Jahre hindurch, wirkte er als deren Sekretär, und seine häufigen Defizitsorgen sind den meisten unter uns noch erinnerlich; wiederholte Male vertrat er auch die Sektion Basel beı der Jahresversammlung der schweizerischen Naturforscher. Bei der Jahresversammlung 1892 ın Basel war er Vizepräsident, der Ver- sammlung: von 1910 stand er als Jahrespräsident vor, die Gäste mit einem Überblick über die Entwicklung von Basels wissenschaftlichen Anstalten begrüssend; 1908 wurde er in den Seniorenvorstand ge- wählt und 1910 in die Kommission zur Besserung der Finanzen. Auch bei der Schönbeinfeier führte er Rechnung. Besonders erinnerlich ist wohl allen noch seine Rede in der Martinskirche bei Anlass der Feier des 200. Geburtstages von Leonhard Euler. Von dort gingen auch die Anregungen aus, die in der schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft zur Bildung der Kommission zur Herausgabe der Werke Leonhard Eulers unter seinem Vorsitze führten, und die so überaus schön alle Erwartungen übertreffenden Sammlungen zur finanziellen Sicherung des ganzen Unternehmens hier in Basel und in der wissen- schaftlichen Welt veranlassten, die alle in seiner Hand wiederum sich vereinigten. Er hatte durch seine Eigenschaft als Curator fiscorum academicorum, ın der er der Universität Basel seit 1896 in selbstlosester und aufopferndster Weise diente, Erfahrung genug gesammelt zu diesen Werken. i
Auch als Mitglied der Anlagekommission der Universität seit 1896, als Vorsteher des cine À Museumsvereins seit 1901, als on gaie der Naturhistorischen Sammlungen des Mu- seums seit: 1898, ferner je zweimal als Dekan der mathematisch-natur- wissenschaftlichen Abteilung, als Gesamtdekan der philosophischen Fakultät, als Rektor magnificus und als Prorektor hat er der Aka- demia Basiliensis seine Dienste erwiesen. Beim Zustandekommen und Inkrafttreten der Kahlbaumstiftung hat er mitgeholfen, und der Pensionsfond der Universität ist von ihm bis zuletzt durch die Tat und durch unermüdliche Arbeit reichlich gefördert worden.
Die Mathematische Gesellschaft Basel, die schweizerische Mathe- matische Gesellschaft, die deutsche Mathematikervereinigung, der
-Prof. Dr. Karl VonderMühll-His. 7 5
circolo matematico di Palermo, die schweizerische Physikalische Ge- sellschaft, die Société française de Physique, die kais. Leopoldinisch- Karolinische deutsche Akademie der Naturforscher in Halle nannten ıhn ihr Mitglied.
Noch durfte er es erleben, dass unter seinem Rektorate die Universität Basel ıhr 450jähriges Jubiläum feierte und ıhn dabei die juristische Fakultät zum Doctor juris utriusque hon. c. ernannte, dass bei seinem in voller Rüstigkeit gefeierten 70. Geburtstag im letzten Herbste die philosophische Fakultät sich mit einer feierlichen Dankesadresse an ihn wandte und die medizinische Fakultät ihn zum Ehrendoktor der Medizin erkor. Doch sollten die Anstrengungen der doppelten Aufgabe, des Universitätsjubiläums und der Jahresver- sammlung der Schweizer Naturforscher unmittelbar nacheinander, nicht spurlos an seiner unerschütterlich scheinenden Gesundheit vor- übergehen. Seither fühlte er sich leicht ermüdet und den vielen Ge- schäften nicht mehr gänzlich gewachsen, was bei seiner peinlichen Gewissenhaftigkeit auch im Kleinsten sich als doppelt schwere Last auf ihn legte. Die durch Aussetzen der Vorlesungen und durch Er- holungsaufenthalt gesuchte Frische ward ihm nicht wieder geschenkt. Bei dem schwer zu ersetzenden Verluste bleibt uns nichts übrig, als mit dem Ausdrucke herzlichen Mitgefühles gegenüber seiner Familie unser Versprechen zu verbinden, seiner stets in Treue und Dankbarkeit gedenken zu wollen.
Eingegangen Juni 1912.
Untersuchungen an parasitischen Arten der Gattung Paramoeba Schaudinn.
(P. pigmentifera Grassi und P. chaetognathi Grassi.)
Von C. Janicki.
Im Jahr 1881 beschrieb @. B. Grassi zwei parasitische Amoeben, A. chaetognathi Gr. und A. pigmentifera Gr., aus der Schwanzleibes- höhle von Chaetognathen.!) Speziell bei folgenden Arten von Sagitten konnte Grassi die Infektion feststellen: Spadella inflata Gr., Sp. bipunctata Quoy et Gaimard, Sp. serratodentata Krohn und Sagitta Claparèdi Gr. Die für ihre Zeit an trefflichen Beobachtungen reiche Arbeit Grassi’s umfasst die Morphologie der Amoeben sowie gewisse Phasen aus dem Entwicklungszyklus, so geisseltragende Jugendformen („elementi flagelliferi‘“) und deren angebliche Bildung. Besonderes Interesse schien die eine der genannten Amoebenformen zu bieten, A. pigmentifera; sie führt neben dem Kern ‚un cosı detto ocello“ einen ansehnlichen, von schwarzem Pigment überdeckten, augen- ähnlichen Körper.
Wiederholt hatte mich Herr Prof. Grassi auf die Amoeben der Chaetognathen aufmerksam gemacht. Ich benutzte einen längeren Aufenthalt an der Zoologischen Station in Neapel, um mich dieser Untersuchung zu widmen. Zur weiteren Ausdehnung meiner dies- bezüglichen Studien habe ich durch freundliche Vermittlung des Herrn Prof. Grassi Gelegenheit gehabt, mehrere Wochen lang im Labora- torium des Comitato Talassografico della Società Italiana per ıl Pro- gresso delle Scienze in Ganzirri bei Messına zu arbeiten. Herrn Prof. Grassi auch an dieser Stelle meinen tiefgefühlten Dank!
Ich gedenke hier kurz über meine Resultate zu berichten; aus- führlicher unter eingehender Berücksichtigung der Literatur wird das an einem andern Orte geschehen. — Als Untersuchungsmethode kamen in erster Linie Ausstrichpräparate auf Deckglas in Betracht.
1) G. B. Grassi. Intorno ad alcuni protisti endoparassitiei etc. Atti Soc. Ital. Sc. Nat. Vol. XXIV 1881—82.
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 7
Schon die ersten von mir angefertigten Präparate haben mir gezeigt, dass in beiden Arten von parasitischen Amoeben die Gattung Paramoeba Schaudinn, die bis jetzt in einer einzigen freilebenden Species, P. eilhardi Schaud., bekannt gewesen war, vorliegt. Auf die bekannte Abhandlung Schaudinn’s brauche ich kaum besonders hinzuweisen.?)
P. pigmentifera Gr.
Von der Anwesenheit dieses höchst eigentümlichen Rhizopoden kann man sich — wenn er überhaupt da ist — schon mit Hilfe einer schwachen Lupe überzeugen. Die Gestalt ist annähernd rundlich oder unregelmässig oval; gern nehmen die Tierchen auch stabförmige Ge- stalt an. Die Grösse beträgt ca. 30 u. Aktive Ortsbewegung mit
Fig. 1. P. pigmentifera ; Schaudinn’sche Lösung, Delafield’s Hämatoxylin X 1800.
Hilfe von Pseudopodien ist nur sehr träge ; lebhaft hingegen die innere Plasmaströmung. In der Schwanzleibeshöhle der Chaetognathen werden die Paramoeben durch die lebhafte Zirkulation der Samen- elemente in fast nie rastender passiver flottierenden Bewegung er- halten. An der Wand resp. Dissepiment der Schwanzleibeshöhle an- geheftet und in Ruhe verharrend traf ich zumeist die Amoeben nur in den Fällen, wo die Schwanzleibeshöhle keine sich entwickelnden Samenelemente mehr enthielt. In Uebereinstimmung mit Grassiÿs An- gabe hebe ich hervor, dass beide Amoebenarten nur zur Zeit der männ- Jichen Geschlechtsreife ihrer Wirte vorkommen.
2) Fr. Schaudinn, Ueber den Zeugungskreis von Paramoeba eilhardi n. g. n. sp. Sitzungsber. Kgl. Preuss. Akad. d. Wiss. Berlin 1896.
8 | © Jamo.
Das Protoplasma erscheint am Leben sehr dicht granulös. Ein Ectoplasma ist deutlich nur bei der Bildung der schwachen Pseudo- podien unterschieden. An konservierten und gefärbten Präparaten ist das Plasma vor allem sehr stark und in charakteristischer Weise vakuolisiert, wie bei P. ehardi. Die Einschlüsse des Plasmas sind mindestens von zweierlei Art. Erstens sind es grössere und kleinere Fettkugeln, die sich bei Behandlung mit Hermann’scher Lösung nach- weisen lassen; sie stehen in keiner Beziehung zu den grossen Va- kuolen. Zweitens feine Granulationen, welche an der Vakuolenhautsich gleichmässig dicht verteilt vorfinden, mitunter mit einem grösseren
Fig. 2. P. pigmentifera ; Schaudinn’sche Lösung, Delafield’s Hämatoxylin X 1800.
zentralen, in der Vakuole selbst gelegenen Korn. Diese weitverbrei- teten Granula treten nur bei Behandlung mit Schaudinn'schem Sublimatgemisch und Delafield’s Hämatoxylin zum Vorschein (vgl. Fig. 1 und 2), sie fehlen bei Färbung mit Eisen-Hämatoxylin, des gleichen vermisst man sie gänzlich auf Pikrinessigsäure - Borax- carminpräparaten. (Fig. 3.) Ueber die Natur dieser Granula mich ‚zu äussern, behalte mir auf später vor.
Beide Paramoeba-Arten ernähren sich von den ihre Entwick- lung in flottierendem Zustand durchmachenden Samenzellen des Wirtes; man findet dieselben von verschiedenen Stadien in Nahrungs- akuolen eingeschlossen (vgl. Fig. 3).
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 9
Der Kern ist am Leben nur schwer kenntlich. In gefärbtem Zustand tritt er, mit einer feinen aber deutlichen Membran umgrenzt, als ein grosses ovales Bläschen zum Vorschein. In den Ruhephasen kommt ihm ein grosser chromatischer Binnenkörper, meist mit an- gedeuteter innerer Vakuolisierung, zu (vgl. Fig.1). Der Kernraum wird von staubförmig verteiltem Chromatin erfüllt. Bei der Vor- bereitung zur Teilung scheinen deutlichere Beziehungen zwischen dem Binnenkörper und Kerngerüst aufzutreten. Nach einem echten mit Centriol ausgestatteten Karyosom habe ich vergeblich unter Auf- wand von viel Zeit gesucht; zu diesem Zweck wurden speziell zahl- reiche Eisenhämatoxylinpräparate angefertigt (vgl. weiter unten).
Im Gegensatz zum Kern fällt der Schaudinn’sche Nebenkörper bei der vorliegenden Art am Leben sofort in die Augen, wie gesagt,
Fig. 3. P. pigmentifera ; Pikrinessigsäure nach Boveri, Boraxcarmin X 1800.
schon bei schwacher Lupenvergrösserung. Derselbe ist von ovaler Ge- stalt, nicht unbeträchtlich kleiner als der Kern, an seiner Oberfläche dicht mit grobkörnigem, schwarz erscheinendem Pigment bedeckt; nur die zentrale Zone schimmert etwas heller durch. Betreffs einer Abbildung nach dem Leben verweise ich auf Grassi I. c., Taf. IV, Fig.1 und folg. Dieses eigentümliche Gebilde macht durchaus den Eindruck eines schwarzpigmentierten Augenflecks und rechtfertigt den von Grassi benutzten Ausdruck : „ocello“. In die Zusammen- setzung des Nebenkörpers lässt sich erst auf gefärbten Präparaten Einblick gewinnen; das Bild ist freilich in überraschender Weise ver- schiedenartig, je nach den benützten Färbemethoden. Im Zentrum erkennt man bei Färbung mit Eisen-Hämatoxylin und namentlich mit Delafield’s Hämatoxylin das stark färbbare „Mittelstück‘“ Schau- dinn’s; an demselben kann man mitunter deutlich äquatorial des Aus-
10 C. Janicki.
laufen jederseits in zwei Zipfel unterscheiden, eine Erscheinung, die bei aller Beachtung von künstlichen Erzeugnissen immerhin einen zweiteiligen Charakter des Mittelstücks zu verraten scheint (vgl. Fig. 1 und 2). An den beiden Polen liegen, von ihrer schwachgranulös erscheinenden plasmatischen Umgebung durch eine ovale helle Zone abgegrenzt, zwei deutliche rundliche bis ovale Körper, die Centro- somen. Den Gebrauch dieses Namens werde ich weiter unten zu recht- fertigen suchen. Nicht selten werden diese Gebilde in Zweizahl an jedem Pol angetroffen. Zwischen dem Mittelstück und der die Centro- somen bergenden peripheren Zone kann je nach der Behandlungsart ein grösserer oder kleinerer heller Raum zum Vorschein kommen. — Ganz anders wird das Bild bei Anwendung von Boraxcarmin (nach Konservierung in Boveri’s Pikrinessigsäure) : von der sonst stark ge- färbten Masse des Mittelstücks bleibt buchstäblich nichts zu sehen, an den Polen hingegen treten leuchtend rot die zwei Centrosomen entgegen, jeweilen von einem hellen Hof umgeben, in eine fein- granulöse, schwach sich färbende kappenartige Masse eingebettet. (Vel. Fig.3.) Der gebotenen Vorsicht in der Beurteilung von Färbungsreaktionen mir wohl bewusst, muss ich dennoch im vor- liegenden Fall auf dem unzweideutigen färberischen Resultat fussen und den von mir als Centrosomen bezeichneten Gebilden den Gehalt an Chromatin zuschreiben, dem Mittelstück hingegen einen solchen ab- sprechen.?) Ein zuverlässiges Richtmass in dieser Richtung bietet je- weilen die nächste Umgebung des in Diskussion stehenden ‚Neben- körpers“: der Kern von Paramoeba selbst, sowie die auf einem jeden Präparat zahlreich mit vorhandenen Spermatogonien und Spermato- cyten von Sagitten. Die Fig. 3 wurde besonders gewählt, weil hier als Nahrungskörper eine in Entwicklung begriffene männliche Keim- zelle im Plasma von Paramoeba eingeschlossen liegt. Sowohl das fremde Element der Keimzelle wie der Paramoeba-Kern weisen hier wie auf mehrmals von mir wiederholten Präparaten die typische Chromatinfärbung durch Boraxcarmin auf. — Auch der besonderen plasmatischen Masse, in welcher die Centrosomen eingebettet liegen, muss ein geringer Gehalt an Chromatin zugeschrieben werden. — Cen- triolen sind in den Centrosomen keine nachzuweisen.
Der Nebenkörper von P. pigmentifera ist, wie erwähnt, allseitig von dichtem, im Leben schwarz erscheinenden Pigment bedeckt. Auf geeigneten Präparaten lässt sich die Zusammensetzung des Pigments
3) Gemeint ist die Gesamtmasse des Mittelstücks, welche mit Häma- toxylin stark gefärbt wird. Aus der weiteren Darstellung wird ersichtlich, dass bei P. chaetognathi bei bestimmter Konservierung und Färbung äquatorial im Mittelstück eine Reihe von äusserst winzigen Körnchen sich wahrnehmen lässt, welchen ich Chromosomencharakter zuschreibe.
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 11
aus deutlichen Körnern erkennen ; bei dichter Lage nehmen die Körner schwach ausgeprägte polygonale Gestalt an. Nach einstündiger Ein- wirkung der Hermann’schen Lösung werden dieselben dunkelbraun ; bei Fixierung mit Schaudinn'scher Lösung und Färbung mit Dela- field’s Hämatoxylin erscheinen sie als gelbbraune Bläschen mit heller innerer Vakuole; Pikrinessigsäure nach Boveri löst die Pigmentkörner spurlos auf (vgl. Fig. 3). Im Körperplasma in einer gewissen An- zahl zerstreut — wobei aber der Nebenkörper stets bedeckt bleibt — findet man die Pigmentkörner nur ausnahmsweise; in der Umgebung des Nebenkörpers hingegen werden dieselben unregelmässig verteilt während des Teilungszustandes der Zelle. Für die nähere Präzisierung der chemischen Zusammensetzung der in Rede stehenden Gebilde fehlen mir zur Zeit die genügenden Anhaltspunkte. In bezug auf die biologische Bedeutung des Pigments wird wohl kaum fehlge- griffen werden, wenn ich dieselbe in der Excretionstätigkeit der Zelle suche. — Ob unterhalb der Pigmentkörnerlage der gesamte Neben- körper von einer einheitlichen Membran umgeben ist, will ich für die vorliegende Species nicht endgültig entscheiden; für die zweite para- sitische Paramoeba-Art, wo die Verhältnisse des Nebenkörpers viel übersichtlicher zu Tage treten, muss ich diese Frage verneinend be- antworten.
P. chaetognathi Gr.
Sie ist viel kleiner als die vorige Art, durchschnittlich misst sie nur etwa 18 u. Ausserdem ist sie viel weniger in die Augen fallend, indem ihr Nebenkörper im lebenden Zustand überhaupt un- sichtbar bleibt. An der ungefähr oval gestalteten Amoebe lässt sich ein Ecto- und Entoplasma in der Regel nicht unterscheiden ; nur wo Pseudopodien als grosse, plumpe Vorwölbungen gebildet werden, be- stehen dieselben ausschliesslich aus hyalinem Ectoplasma. Das ge- samte Körperplasma ıst sehr dicht, äusserst feinkörnig, die Körner stark lichtbrechend ; die dichte Körnelung verursacht ein sehr dunkles Aussehen des Protoplasmas, dank welcher Eigenschaft diese sonst un- scheinbaren Wesen zwischen den im ganzen ähnlich erscheinenden plasmatischen Flocken und Samenzellengruppen bei einiger Uebung sich sofort erkennen lassen. Der Kern ist fast immer am äussersten Rande des Körpers gelegen. Gröbere und feinere, bis tentakelartige Pseudopodien werden an dem dem Kern entgegengesetzten Pol des Körpers gebildet. Der deutlich vakuoläre Bau des Plasmas wird erst auf konservierten und gefärbten Präparaten siehtbar. Einschlüsse des Plasmas wie bei der vorigen Art. Auch hier treten besonders deut- lich nach Delafield’s Hämatoxylinfärbung die Granulationen in der
112 C. Janicki.
Begrenzung der Vakuolen auf. Doch scheint diese Species durch den Be- sitz von besonderen, am Leben stark lichtbrechenden, überall gleich grossen Körnern ausgestattet zu sein, welche in grosser Anzahl im Plasma zerstreut sen: fast immer lassen sich 1—3 Gruppen von Körneransammlungen beobachten. Sehr wahrscheinlich ent- sprechen dieselben, wenn auch mit anderen Eigenschaften ausge- stattet, den Pigmentkörnern von P. pigmentifera ; 1m Gegensatz zu diesen letzteren treten sie jedoch auf Präparaten, die mit Schaudinn- scher Lösung behandelt sind, nicht zum Vorschein, wohl aber bei Be- handlung mit Hermann’scher Lösung. — Der Kern wiederholt die von P. pigmentifera her bekannte Struktur. Auch hier wurde ver- gebens nach Centriol im Kern oder ausserhalb desselben gesucht. Der Nebenkörper von P. chaetognathi bietet wie gesagt günstigere Bedingungen zum Studium seines Baues, indem jegliche Körnerab- lagerung an dessen Oberfläche fehlt. Er liegt direkt im Plasma ein- gebettet und zwar, wie man sich an Präparaten mit leicht durch Quel- lung vom Nebenkörper abgehobenem Plasma überzeugen kann, von keiner besonderen Membran umschlossen. In der Struktur des Neben- körpers treten die bei P. pigmentifera angetroffenen Teile wieder. Doch lässt sich hier leichter der Nachweis führen, dass das sogen. Mittelstück eine eigene Membran besitzt, dass es somit auf ein Bläs- chen zurückzuführen ıst, welches freilich meistens Linsenform an- nimmt. Nach Behandlung mit Hermann'scher Lösung und Eisen- Hämatoxylinfärbung bekommt man den Eindruck, dass die Membran des Bläschens oben und unten polplattenartig ausgebildet ist und dass äquatorial sei es kein Zusammenschluss der beiden Membranen zu- stande kommt, sei es, dass an der betreffenden Stelle die Membran bedeutend dünner wird. Dem Umstand, dass das Mittelstück von einer eigenen Membran umgrenzt ist, schreibe ich bei der Beur- teilung der Natur des Nebenkörpers besondere Bedeutung zu (vel. weiter unten). Im übrigen bietet das Mittelstück je nach der Untersuchungsmethode ein sehr wechselndes Aussehen. Mit Jod- Jodkaliumlösung gibt es keine Blaufärbung. Nach Fixierung in Schaudinn’scher Lösung und Färbung mit Delafield’s Hämatoxylin er- scheint dasselbe gleichmässig äusserst tiefblau gefärbt; es färbt sich viel dunkler, als alles im Präparat vorhandene Chromatin. Mit Eisen- Hämatoxylin nach Sublimatfixierung kann man verschiedene Ab- stufungsgrade von schwarz bis hellblau erreichen. Boraxcarmin nach Pikrinessigsäure gibt das von P. pigmentifera her bekannte eigen- tümliche Verhalten: das Mittelstück bleibt vollkommen ungefärbt. Schliesslich lässt sich auf Präparaten, die mit Hermann’scher Lösung fixiert sind und eine geeignete Differenzierung mit Eisen-Häma- toxylin erhalten haben, in dem im ganzen ungefärbten, von einer
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 13
Membran umschlossenen Mittelstück ein grobgranulöser schwach hervortretender Inhalt nachweisen, während in der Aequatorialebene des Mittelstücks in seltenen Fällen ausserordentlich deutlich winzige, regelmässig in einer oder zwei Reihen angeordnete Körnchen zum Vorschein kommen; diese treten ausnahmweise auch bei Delafield’s Färbung auf. Die nächstliegende Deutung für diese Körnchen ist diejenige als Chromosomen.) — Die grossen Centrosomen, welche keine Centriolen beherbergen (oftmals hingegen eine Vakuole im Inneren erkennen lassen), liegen von einem hellen Saum umgeben in einer dichten plasmatischen Masse,?) welche mehr oder minder kegel- artig an die membranösen Linsenflächen des Mittelstücks zu beiden
Fig. 4. P. pigmentifera ; Schaudinn’sche Lösung, Delafield’s Hämatoxylin X 1800.
Seiten sich anschliesst. Es muss hier die eosinophile Natur der Centro- somen, welche nach starker Differenzierung mit Eisen-Hämatoxylin deutlich zutage tritt, hervorgehoben werden. — Strahlungserschei- nungen wurden weder hier noch bei der vorigen Art beobachtet. — Je nach der Behandlungsweise kann zwischen dem Mittelstück und Plasmakegeln ein Hohlraum entstehen, resp. kann das membranös umerenzte Mittelstück stark zusammenschrumpfen.
P. chaetognathi kommt niemals in dem gleichen Wirt mit P. pigmentifera vor. Es scheint überhaupt eine scharfe Sonderung in
4) Die diesbezüglichen Abbildungen werden in der ausführlichen Pu- blikation erscheinen.
5) Die hellen Höfe im Umkreis der Centrosomen dürften wohl hier, wie bei der vorigen Art, auf Schrumpfungserscheinungen in dem umgebenden Medium zurückzuführen sein,
14 C. Janicki.
dem Schmarotzerleben der beiden Paramoeba-Arten zu bestehen, worüber näheres in der ausführlichen Arbeit.
Die Teilung bei beiden Paramoebaarten.
Die Teilungszustände, welche an beiden Arten im wesentlichen übereinstimmend ablaufen, lassen sich ım Vergleich mit manchen anderen Rhizopoden hier relativ öfters beobachten. Die Teilung spielt sich am Kern und Nebenkörper in durchaus selbständiger und unabhängiger Weise ab. Sie geschieht an beiden Gebilden ungefähr zu gleicher Zeit, im einzelnen kann bald der Kern, bald der Neben- körper in der Teilung vorauseilen. Als erstes Anzeichen der Kern- teilung tritt schärfere Sonderung von grossen Chromatinbrocken im
Fig.5. P. chaetognathi; Schaudinn’sche Lösung, Eisenhämatoxylin-Eosin X 3650.
Kerngerüst auf (vgl. Fig. 2). Gleichzeitig kann man beobachten, dass zwischen dem chromatischen Binnenkörper und Liningerüst eine nähere Beziehung sich auszubilden scheint: feine chromatische Fäden treten vom Binnenkörper auf das Liningerüst über. Es dürfte sich um einen Transport des Chromatins in den Kernraum handeln, ähnlich wie es Schaudinn für A. binucleata beschreibt. Unter fort- schreitender Individualisierung von zahlreichen kornförmigen Chromo- somen verschwindet der Binnenkörper (vgl. Fig.4). Die Kern- membran wird während der Teilung aufgelöst, doch kann dieser Vor- gang relativ spät erfolgen. An der dichten deutlichen Aequatorial- platte lässt sich in geeigneten Fällen ringförmige Anordnung von Chromosomen feststellen. Die Zahl der Chromosomen vor der Ver- doppelung beträgt sicher über 40. Spindelfasern lassen sich auf ge- eigneten Präparaten nachweisen ; dieselben konvergieren nicht immer
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 15
gegen einen Punkt, mitunter verlaufen sie parallel. Centriolen während des Teilungsprozesses als konstante Regel aufzufinden, war mir nicht möglich; nur höchst selten gelingt es, eine reduzierte Centrodesmose in der Richtung der Spindelaxe wahrzunehmen. Die Tochterplatten zeigen bei ihrem polaren Auseinanderweichen ein ausserordentlich dichtes Gefüge (Fig. 5 und 6). Im Umkreis der Tochterplatten fehlt die für Paramoeba typische Vakuolisierung des Plasmas. Die Rekonstruktion der Kerne aus den Tochterplatten zeigt an einem jeden Kern eine scharf ausgesprochene Hetero- polie. Sonst wiederholt die Rekonstruktion des Kernes in umgekehrter Reihenfolge die Vorgänge der Prophasen.
Der Nebenkörper hat absolut keinen Anteil an der Teilung des Paramoebakernes. Die Verdoppelung der Centrosomen durch
Fig.6 P. chaetognathi; Schaudinn'sche Lösung, Delafield’s Hämatoxylin X 3650.
Teilung erfolgt, wie erwähnt, öfters ausserordentlich frühzeitig. Die übrige Teilung des Nebenkörpers macht äusserlich den Eindruck einer einfachen Durchschnürung; es muss daran erinnert werden, dass auch im Ruhezustand eine gewisse Duplizität im Bau des Neben- körpers vorbereitet ist. Die scheinbare Durchschnürung dürfte eigent- lich mit einem versteckten und nur selten nachweisbaren (vgl. oben) mitotischen Vorgang verbunden sein. In der Regel besteht der Neben- körper nach der Teilung aus Mittelstück und einem einzigen ihm an- liegenden Centrosom (Fig. 6); das eigentümliche, später polkappen- artig differenzierte Plasma um dieses letztere herum lässt sich zunächst kaum deutlich nachweisen. Mittelstück und Centrosom liegen ver- mittels einer transparenten Zone vom Körperplasma abgegrenzt; eine eigentliche abschliessende Membran lässt sich nicht nachweisen. Trotz-
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dem mag der Hinweis auf die Aehnlichkeit, welche mit dem Kernbau bei Lohamoeben nach v. Wasielewski und Hirschfeld besteht, nicht unterdrückt werden. — Wo das nicht schon früher geschehen, ver- mehrt sich das Centrosoma durch Teilung ; das eine Teilstück wandert nach dem entgegengesetzten Pol hin. Ausnahmsweise konnte ich eine stabförmige centrosomale Bildung in der Richtung der Polaxe über das Mittelstück ziehend beobachten. Dieses Bild erinnert stark, wenn auch nicht in Einzelheiten, an das Verhalten der „Sphäre“ bei Nocti- luca in bezug auf den Kern nach I/schikawa und Catkins. Gleichfalls sehr selten lässt sich ein feiner Faden als Verbindung zwischen den an beiden Polen bereits ruhenden Centrosomen feststellen. Als ein- zigen Bildungsmodus der Centrosomen konnte ich stets nur den durch Teilung aus bereits vorhandenen Centrosomen nachweisen. — Bei P. pigmentifera wird bei der Durchschnürung des Nebenkörpers ein Teil des Pigments im umgebenden Plasma zerstreut. Ein anderer Teil des Pigments begleitet die Teilstücke des Nebenkörpers und wird zur Konstitution des neuen Nebenkörpers verwendet.
Nach vollendeter Teilung des Kernes und des Nebenkörpers wird der Plasmaleib in zwei gleiche Teile durchgeschnürt.
Die Gameten von P. pigmentifera.
Bereits Grassi hatte eine Beschreibung von Gameten gegeben. Ich konnte dieselben stets nur bei P. pigmentifera beobachten. Die Gameten treten fast immer in sehr grosser Anzahl in der Schwanz- leibeshöhle der Sagitten auf, meistens gleichzeitig mit den Amoeben, niemals ohne einen Ueberrest von einigen wenigen :Amoeben- individuen. Sie bewegen sich lebhaft unregelmässig wackelnd und lassen am Leben einen winzigen Pigmentfleck erkennen. Zur ge- naueren Untersuchung ist man auf gefärbte Präparate angewiesen.
Die Grösse der Gameten beträgt durchschnittlich 9 w; ihre Ge- stalt ist: ungefähr keilförmig (Fig.7a); das breitere Ende, das ich als das Vorderende auffassen will, trägt eine äusserst feine, schwer nachweisbare, den Körper zwei- bis dreimal an Länge übertreffende Geissel. Kern und Nebenkörper liegen am Vorderende, in der Regel rechts und links von der Medianebene, der rundliche Kern vor dem ovalen, mit seiner längeren Axe quergestellten Nebenkörper. Dieser letztere nimmt ausserordentlich begierig Delafield’s sowie Eisen- Hämatoxylin auf; er erscheint mit diesen Färbemethoden als ein einfaches, intensiv dunkles Korn. Bei Verwendung von Boraxcarmin bleibt dasselbe hingegen gänzlich ungefärbt. Dieses Gebilde dürfte wohl sicher nur dem Mittelstück des Nebenkörpers im Amoeben- zustand entsprechen. Am Kern lassen sich winzige Chromatinbrocken,
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 17
mitunter auch ein Binnenkörper nachweisen. Eine gewisse Bedeutung sehe ich mich veranlasst der Beobachtung zuzuschreiben, dass Kern und Nebenkörper auf einem bestimmten Zustand durch einen deutlich darstellbaren Faden miteinander verbunden erscheinen. Lässt sich vielleicht daraus auf eine Entstehung beider aus einem einzigen Kern durch heteropole Teilung schliessen ? Leider bin ich noch nicht im- _stande, auf diese interessante Frage eine entscheidende Antwort zu geben.
Fig. 7a. Biene ze:
Fig. 7a, b, c. P. pigmentifera, Gameten; Schaudinn’sche Lösung, Delafield’s Hämatoxylin X 3650,
Der Ursprung der Geissel im Plasma ist sehr schwer nachzu- weisen. Nach einer ausgedehnten Prüfung finde ich in seltenen Fällen ein Basalkorn als Geisselwurzel (in Fig. 7a nicht dargestellt). Am Kern wie am Nebenkörper lassen sich oftmals Centriolen feststellen. Dieselben liegen jeweilen in der Zweizahl ausserhalb der beiden ge- nannten Gebilde und sind je ein Paar untereinander durch eine mehr oder weniger deutliche Centrodesmose verbunden. Inwiefern die Cen- triolen des Nebenkörpers den Centrosomen im Amoebenstadium ent-
2
18 C. Janicki.
sprechen, kann ich nicht definitiv entscheiden; doch sollte das wahr- scheinlich sein. Dem Kern hingegen kommt sicher im Gameten- resp. Amoebenzustand eine abweichende Konstitution zu.
Die Gameten werden somit des öfteren in Vorbereitung zur Teilung vorgefunden und in der Tat lässt sich dieser Vorgang mit Leichtigkeit auf Präparaten beobachten. Mit Nachdruck hebe ich hervor, dass ich mich hier wie im Amoebenzustand von einem voll- ständig unabhängig verlaufenden Teilungsmodus am Kern und am Nebenkörper überzeugen konnte. Aus ihrer für die Ruhe normalen Lage werden Kern und Nebenkörper derart herausgebracht, dass der letztere vor den ersteren zu liegen kommt; beide teilen sich gleich- zeitig (Fig. 7b und c); zum mindesten für den Kern steht die Be- teiligung seiner eigenen Spindel am Teilungsvorgang fest; die Spindelaxen beider Gebilde liegen parallel zu einander, stets aber weit von einander entfernt; ihre Richtung ist senkrecht zur Längsaxe des Gameten. In keiner Weise hat der sich teilende Nebenkörper mit Spindel und Spindelpolen des Kernes etwas zu tun. Ueber die Rich- tigkeit dieser Angaben ist jeder Zweifel ausgeschlossen. — Die Durch- schnürung des Gametenkörpers geschieht als Längsteilung. Das Ver- halten der Geissel konnte nicht im einzelnen studiert werden; doch besass ein noch nicht vollkommen durchgeschnürter Gamet bereits zwei Greisseln.
Ausser der Teilung von Gameten wurde am Kern das Hervor- bringen zweier winzigen Kerne, wohl sicher als Reduktionskerne zu deuten, beobachtet. Ueber die Kopulation von Gameten kann ich zur Zeit keine sicheren Angaben machen.
Ueber die Entstehung der Gameten bin ich nicht ins klare ge- kommen, trotzdem ich dieser Frage besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt habe. In der ausführlichen Arbeit werde ich von gewissen Teilungserscheinungen am Binnenkörper des Kernes berichten, welche ich mit dem ersten Beginn der Gametenbildung in Beziehung setze. Eine Cystenbildung innerhalb des Paramoeba-Körpers als Vorstufe der Gametenproduktion, wie sie Schaudinn für P. eilhardi beschreibt, habe ich niemals in meinem reichen konservierten Material vorge- funden. Der Versuch, gewisse Granulationen im Plasma, welche ge- rade zur selben Zeit mit den Gameten sehr reichlich auftreten, in Be- ziehung mit der Bildung dieser letzteren zu bringen, musste nach einem genaueren Studium aufgegeben werden. Dieser Misserfolg lässt in mir auch Zweifel aufkommen, ob Grassi wirklich nach dem Leben die Entwicklung der Gameten vor sich gehabt hatte, wie er sie in seiner Beschreibung darstellt; vielmehr dürfte auch hier eine, allerdings sehr naheliegende, Verwechslung mit Plasmaeinschlüssen vorgekommen sein.
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 19
Schlussbemerkungen.
Eine eingehendere Besprechung der gewonnenen Resultate behalte ich mir für die ausführliche Arbeit vor. Hier gedenke ich nur in aller Kürze zur Frage nach der Natur des Nebenkörpers von Paramoeba auf Grund von eigenen Beobachtungen Stellung zu nehmen. Dass wir in dem fraglichen Gebilde einen Kern vor uns haben, bedarf heute kaum einer weitläufigen Begründung, nachdem in den mehrfachen Diskussionen der letzten Jahre über die Beziehungen der Centrosomen zum Kern die Gattung Paramoeba stets in erster Linie berücksichtigt worden war und zwar unter Betonung der Kernnatur ihres Neben- körpers.°) Schaudinn selbst betrachtete nachträglich im Anschluss an seine Originalmitteilung den Nebenkörper als ein aus einem zweiten Kern hervorgegangenes Organell, den Verhältnissen von Amoeba binucleata etwa entsprechend ; in der weiteren Entwicklung sollte der Nebenkörper zum Centrosoma werden. Eine ähnliche Anschauung hatte gleichzeitig Lauterborn vertreten. Als lokomotorischen, der Teilung des Hauptkernes voranstehenden Kern haben Hartmann und v. Prowazek im Anschluss an Schaudinn den Nebenkörper von Para- moeba in ihrer bekannten Homologisierung des Blepharoplasten auf- gefasst.
Meine Untersuchung ergibt eine unverkennbare Aehnlichkeit im Bau des Nebenkörpers der zwei beschriebenen P.-Arten mit dem Kern von Actinosphaerium während des Teilungszustands, speziell in der Richtungs-Karyokinese nach R. Hertwig’s eingehender Darstellung. Die Analogie ist so weitgehend, dass sie sicher nicht durch die Annahme einer blossen äusseren Konvergenz erledigt werden kann; auch dürfte der Umstand, dass es Vertreter zweier verschiedener Ordnungen sind, die ich hier aneinander schliesse, nieht von vornherein hindernd in den Weg treten.
Ich gelange zu folgender Schlussfolgerung. Das Mittelstück des Nebenkörpers, mit einer eigenen Membran ausgestattet (s. oben), ent- spricht dem Kern von Actinosphaerium im Teilungszustand; die Centrosomen im letztgenannten Fall entsprechen den von mir mit gleichem Namen belegten polständigen Gebilden am Nebenkörper ; diese liegen hier wie dort in kappenartig gestalteten plasmatischen Massen, welche von dem umgebenden Körperplasma mehr oder weniger scharf abgesondert erscheinen. Der Inhalt des Mittelstücks
6) Die Auffassung Chatton's, der Nebenkörper entspreche einem aus dem Kern ausgewanderten Karyosom, oder einem Teil eines solchen, kann bereits für P. eilhardi nicht durchgeführt werden und lässt sich erst recht nicht mit meinem Resultaten vereinbaren,
20 C. Janicki.
bei Paramoeba hatte eigentümliche Umwandlung in eine mit gewissen Farbstoffen stark tingierbare Masse erfahren ; ausnahmsweise lassen sich im Mittelstück zahlreiche winzige Chromosomen nachweisen, welche in Lage und Anordnung durchaus an die Verhältnisse bei Actinosphaerium erinnern. Der Chromatingehalt der Centrosomen in beiden Fällen ist eine auffallende Uebereinstimmung. Seitdem un- zweifelhaft als Centrosomen funktionierende Gebilde mit Chromatin- gehalt bei Protozoen bekannt geworden sind (vgl. namentlich das Zentralkorn von Acanthocystis nach Schaudinn, Wagnerella nach Zuelzer), liegt der von mir vertretenen Auslegung nichts im Wege. Diese zuletzt besprochenen Eigenschaften des Nebenkörpers, um zu- sammenfassend zu wiederholen, bringen es mit sich, dass sein auf einen Kern zurückzuführender Teil (= das Mittelstück) vorwiegend achromatisch, seine mit der achromatischen Kernteilungsfigur zu ho- mologisierende Partie hingegen vorwiegend chromatisch ausgebildet ist. — Der von mir gezogene Vergleich lässt sich nicht nur für Actinosphaerium durchführen ; auch Ameoba binucleata nach Schaudinn (bis zu einem gewissen Grade)”) sowie vor allem Noctiluca nach Ishikawa, Calkins und Doflein bieten Berührungspunkte (vgl. die extranucleäre ,,Sphaere‘), worauf ich später zurückkomme.
Der Nebenkörper von Paramoeba ist als ein im Teilungszustand zur Dauerform gewordener, gleichsam in Teilung erstarrter zweiter Kern zu bezeichnen. Mit dieser Fixation eines sonst vorübergehenden Zustandes war eine weitgehende Umprägung in der Zusammensetzung der Bestandteile der Kernteilungsfigur verbunden. In beiden Vor- gängen liegt es nahe, degenerativen Charakter zu erblicken. Diese letztere Vermutung wird vielleicht durch konstante Ablagerung von Pigmentkörnern, wahrscheinlich excretorischen Ursprungs, um den Nebenkörper von P. pigmentifera erhärtet. Bei der Teilung von P. pigmentifera wie P. chaetognathi kommt dem Nebenkörper in bezug auf den Hauptkern keinerlei aktive Rolle zu; dieser letztere besitzt bei P. pigmentifera sowohl in dem Amoeben- wie im Gameten- zustand die Fähigkeit einer selbständigen Teilung.
Zwischen den beiden Kernen von Paramoeba ist durch die aberrante Entwicklung des ‚„Nebenkörpers‘‘ eine weitgehende Ver- schiedenheit erreicht worden. Ich möchte nicht unterlassen, auf den Umstand hinzuweisen, dass der meiner Ansicht gemäss im Neben- körper dauernd, wenn auch wohl maskiert, erhaltene Teilungstypus
7) Nach einer bestimmten Richtung passt der Vergleich hier besser als bei Actinosphaerium, insofern als die Polplatten während der Kernteilung allem Anschein nach auf die verdickte Kernmembran selbst zurückgeführt werden können.
Untersuchungen an parasitischen Arten von Paramoeba Schaudinn. 21
während der Mitose des Hauptkernes nicht in der gleichen Weise zum Vorschein gelangt. Diese Tatsache könnte als Argument gegen meine Auffassung ausgenützt werden; doch muss man sich andererseits ver- gegenwärtigen, dass die Kernteilung im Gametenzustand nach einem anderen Typus als diejenige im Amoebenzustand verläuft, dass somit nicht bloss ein einziger Kernteilungsmodus bei Paramoeba von vorn- herein als unerlässliche Bedingung vorauszusetzen wäre. Zudem scheint mir die oben vertretene Erklärung beim heutigen Stand unserer Kennt- nisse von der Gattung Paramoeba die nächstliegende zu sein.
Für den von Schaudinn ausdrücklich provisorisch geschaffenen und allzu indifferenten Namen ‚Nebenkörper“ schlage ich vor die Bezeichnung Nucleus secundus zu gebrauchen ; im engeren Sinne ist alsdann das Mittelstück als eunucleärer Teil, die Plasmakappen mit Centrosomen als archoplasmatıscher resp. perinucleärer Teil der Kern- teilungsfigur aufzufassen.
Wie meine tatsächlichen Befunde über das Verhalten des Neben- körpers bei der Teilung mit denjenigen Schaudinn’s, und speziell mit der von Schaudinn dem Nebenkörper bei der Teilung der Flagellaten- generation zugeschriebenen Rolle in Einklang zu bringen sind, muss zur Zeit dahingestellt bleiben. Eine Nachuntersuchung des Entwick- lungszyklus von P. eilhardı erscheint dringend wünschenswert. — Sollte vielleicht die Gattung Paramoeba, welche ja gern als Etappe in der Genese des Kernes und der Centrosomen angesprochen wird, selbst wieder in ihren einzelnen Arten nicht sowohl sukzessive als vielmehr divergente Entwicklungsphasen verkörpern ?
Eingegangen Dezember 1911.
Einige neuere gegen die Helmholtz’sche Hörtheorie vorgebrachte Einwände und deren experimentelle Widerlegung.
Von
F. Siebenmann.
Die sogenannte Helmholtz’sche Theorie wird auch einfach als Resonanztheorie bezeichnet, da sie die Erregung des Hörnervs d.h. den mechanischen Vorgang des Hörens sowohl im Mittelohr als im Labyrinth auf das Mitschwingen von entsprechenden Membranen zurückführt. Das Trommelfell schwingt infolge seiner eigentüm- lichen Form und Spannung auf alle Töne als Ganzes ; seine Schwin- sungen werden als Stösse durch die Gehörknöchelchenkette auf das Labyrinthwasser und damit auf die häutige Treppenmembran der Schnecke übertragen, aber so, dass dort je nach der Höhe des Tones nur bestimmte Abschnitte schwingen und somit auf ein und den- selben Ton auch nur ein bestimmter ganz beschränkter Abschnitt der fächerförmig angeordneten Endfasern des Hörnervs in Erregung ver- setzt werden. Die höchsten Töne erregen das schmälere in der Schneckenbasis liegende Ende der bandartigen, gespannten Treppen- membran, die tiefern Töne dagegen bringen die in der Schnecken- spitze befindlichen breiten Abschnitte der Membran zum Mit- schwingen. Von den 11 Oktaven, welche wir zu hören vermögen, ent- spricht jedem Ton eine gewisse, sehr kleine Zone dieser Membran, sodass das Ohr eine ganze Anzahl von Tönen mit und nebeneinander zu hören und Klänge zu analysieren vermag.
Ich habe am vorletzten Jahresfest der Schweizerischen Natur- forschenden Versammlung zu Basel in der medizinischen Sektion Pro- jektionsbilder gezeigt von mikroskopischen Schnitten durch ver- schiedene Meerschweinchenschnecken, welche auf meine Veranlassung intra vitam durch den japanischen Arzt Dr. Yoshi auf dem hiesigen physiologischen Institut der Einwirkung höherer und tieferer Töne ausgesetzt worden waren und an denen deutlich zu sehen war, wie die kontinuierliche Zufuhr von schwächern oder die kürzere Ein- wirkung schriller Töne die Nervenelemente schädigt. Besonders inter- essant war aber das Ergebnis der Experimente mit Rücksicht auf
Neuere gegen die Helmholtz’sche Hörtheorie vorgebrachte Einwände. 23
die Helmholtz’sche Theorie der Lokalisation des Höraktes im Laby- rinth, insofern als die höhern Töne ausschliesslich in der Schnecken- basis, die tiefern Töne dagegen in den obern Abschnitten des Schneckenkanals die Nervenendstellen und die zugehörigen Nerven- züge zerstörten.
Begreiflicherweise hat die Helmholtz’sche Theorie nicht nur Vor- läufer sondern auch nachträgliche Gegner gefunden. Das Gehör- organ ist so unübersichtlich im festen Knochen eingeschlossen und be- sitzt so geringe Grösse und dabei so komplizierte Formen, dass der mechanische Teil des Hörakts d. h. die Schwingung all dieser ver- schiedenen Membranen unter der Toneinwirkung nur unvollständig oder gar nıcht direkt beobachtet werden kann. Deshalb ist die Deutung des Zustandekommens der Tonempfindung und der Analyse von Klängen auf theoretischem Wege versucht und von verschiedenen Forschern auch in verschiedener Weise gelöst worden. Selbst die Weber-Helmholtz’sche Art der Darstellung von der Aktion und Be- deutung des Mittelohrapparates beim Vorgang des Uebertragens von Tönen zum Labyrinth ist dabei nicht unbestritten geblieben. Zwar haben sowohl v. Helmholtz als eine Anzahl anderer Physiologen und Ohrenärzte experimentell bewiesen, dass das schwingende Trommel- fell seine Massenbewegung in verkleinerter aber verstärkter Form als einzelne Stösse auf das ovale Fenster überträgt, indem sie zeigten, wie diese Stösse sowohl von den Schädelknochen als von der Luft des Gehörgangs aus als Ausdruck der Trommelfellschwingungen durch das Labyrinth hindurch auf die runde Fenstermembran fortgeleitet und dort unter dem Mikroskop auf stroboskopischem Wege beobachtet werden können. Trotzdem erheben sich immer wieder von Zeit zu Zeit vereinzelte Stimmen, welche unter Negierung des Wertes dieser Experimente behaupten, dass die als Ton empfundenen Luftwellen in Form von molekularen d. h. longitudinalen Schwingungen den ganzen Mittelohrapparat durchlaufen und natürlich auch die Membrana basi- laris des Labyrinths in longitudinale Schwingungen versetzen ; Zimmermann und Dennert wagen sogar neuerdings die letzte aber logische Konsequenz dieser von ihnen geteilten Anschauung zu ziehen mit der Behauptung, dass der Mittelohrapparat bei der Schallzuleitung ganz unbeteiligt sei und nur eine schalldämpfende Wirkung entfalte. Nach Zimmermann’s Ansicht erfolgt ferner die Schalleitung zum Labyrinth direkt durch den Knochen hindurch auf die Treppen- membran; ihre Fasern schwingen nicht transversal sondern longi- tudinal. Während Bezold!) auf Grund von experimentellen und
I) Bezold, Weitere Untersuchungen über Knochenleitung etc. Funk- tionelle Prüfung des menschlichen Gehörorgans Bd. III pag. 1.
24 F. Siebenmann.
klinischen Beobachtungen den Beweis erbracht hat, dass auch solche Töne, welche nicht von der Luft des Gehörgangs sondern nur von den Schädelknochen aus dem Labyrinth zugeleitet werden, dorthin auf dem Wege durch das ovale Fenster resp. durch den Steigbügel ge- langen müssen, behauptet Zimmermann, dass die hörbaren Schall- wellen einer auf den Kopf gesetzten Stimmgabel diesen Umweg nicht zu machen brauchen, sondern dass das Labyrinth von allen Seiten aus erregbar sei. Wundt spricht ja sogar die Ansicht aus, dass der Stamm des Schneckennervs durch Schall direkt erregbar sei. Am zähesten verteidigt neuerdings Prof. Wittmaack in Jena diesen Standpunkt, indem er behauptet, dass die obengenannten von ihm und von uns experimentell erzeugten Schädigungen der Meerschweinchenschnecke nicht auf dem Wege des Gehörgangs und des Mittelohres sondern direkt vom Knochenskelett aus durch Reizung des Nervs in seiner das Felsenbein durchsetzenden Strecke erzeugt worden seien. Zwei deutsche Ohrenärzte, Dr. Jaehne und Prof. Friedrich in Kiel gehen auf diesem Wege weiter und glauben auf Grund von klinischen Be- obachtungen bei Soldaten den Schluss ziehen zu müssen, dass die Detonationen der grossen Geschütze das Ohr in der Hauptsache nicht auf dem Luftwege sondern durch Fortpflanzung des Schalls vom Boden aus durch den Körper schädigen, und dass deshalb bei den Artilleristen ein Verschluss des Ohres nichts nütze, sondern durch Interposition einer isolierenden Schuhsohle zu ersetzen sei.
Ich kann hier nicht auf alle die theoretischen, von Bezold auch experimentell gestützten Einwände (l.c.) eintreten, welche mit Recht geltend gemacht werden müssen gegen solche Anschauungen, sondern ich möchte Ihnen bloss das Resultat einer Anzahl unter sich gleich- wertiger aber auf verschiedene Weise angestellter neuerer Experimente mitteilen, die in den letzten beiden Jahren in unserm und im physio- logischen Laboratorium mit Rücksicht auf die obigen Streitfragen von zweien meiner Assistenten, Prof. von Eicken und Dr. Hössli, unter Prof. Metzner’s und meiner Leitung ausgeführt worden sind, und deren Resultate durchaus eindeutig im Sinne der Anschauung von Helmholtz und Bezold ausgefallen sind. Um dieselben leichter ver- ständlich zu machen, muss ich aber noch einen Augenblick bei den Erscheinungen der sogenannten Knochenleitung verweilen.
Wenn eine a’ Stimmgabel zunächst auf den Warzenfortsatz des normalen Ohres aufgesetzt wird, bis sie dort verklungen ist, und dann sofort mit den freien Zinkenenden vor die Oeffnung des nämlichen Ohres gehalten wird, so kann sie daselbst noch ca. 30 Sekunden weiter gehört werden. Die Leitung durch den Gehörgang übertrifft also in ihrer Dauer und Stärke beträchtlich die Leitung durch die Schädelknochen. Man nennt diesen Versuch nach seinem Erfinder
Neuere gegen die Helmholtz’scbe Hörtheorie vorgebrachte Einwände. 25
den Rinne’schen Versuch. Stören wir nun in dem so exakt arbeitenden Mittelohr das labile Gleichgewicht durch Anbringen eines Loches im Trommelfell oder durch Ausschalten einer der beiden antagonistisch wirkenden Binnenmuskeln der Paukenhöhle — des Tensor oder des Stapedius — so muss auf die Steigbügelplatte, die bis dahin sich in Mittellage befand, je nach der Verletzung ein Zug oder ein Druck überwiegend in einseitiger Richtung sich geltend machen und ihre Beweglichkeit herabsetzen. Unter diesen Verhältnissen gibt der Rinnesche Versuch ein anderes Resultat: die Luftleitung wird be- greiflicherweise schlechter. Aber es wird gleichzeitig die Knochen- leitung auffallend besser und länger. Die Differenz zwischen Luft- und Knochenleitung sinkt dementsprechend mehr oder weniger stark und kann schliesslich ganz zu Gunsten der Knochenleitung ausfallen, falls die Steigbügelfixation eine besonders hochgradige geworden ist. Der Grund dieser Erscheinung liegt ohne Zweifel erstens darin, dass bei straffer Anspannung der zwischen Steigbügelplattenrand und Fensterrahmen liegenden Bänder diese auch besser den Schall von den andern Schädelknochen resp. vom Felsenbein auf den Steigbügel überzuleiten vermögen; denn eine Verknöcherung der betreffenden Bandmasse führt zur nämlichen Aenderung im Resultat des Rinne’schen Versuchs. Zweitens fällt unter den neugeschaffenen Ver- hältnissen der sogenannte Gegenstoss beim Uebertritt der molaren Schwingungen vom Knochen auf Trommelfell und Ringband fort, sodass nun Steigbügelplatte und Fensterrand in gleichem Sinne mit- einander schwingen (Bezold 1. c.).
Wir sind also imstande überhaupt für Töne, besonders für tiefe Töne, die sogenannte Knochenleitung d. h. die Zuleitung des Schalles vom übrigen Skelett auf den Steigbügel und damit auf das Labyrinth willkürlich zu verstärken und durch den dabei angewandten ope- rativen Eingriff gleichzeitig die Luftleitung, die über Trommelfell, Hammer und Amboss zum Steigbügel geht, herabzusetzen. Diese Tat- sache haben wir für unsere Experimente nutzbar gemacht: Sind die Annahmen von Zimmermann, Wittmaack ete. richtig, wonach die Schneekennerven hauptsächlich auf dem Wege der Knochenleitung erregt resp. geschädigt werden, so müssen wir bei einem Tiere, welches einem intensiven, durch die Luft zugeführten Schalle ausgesetzt wird, und bei dem die genannte Veränderung im Mittelohrapparat herbeigeführt worden ist, grössere Labyrinthschädigungen ent- stehen sehen als da, wo das Mittelohr in intaktem Zustande der nämlichen Schallwirkung ausgesetzt worden ist. Bei unsern Ver- suchstieren, bei denen jeweilen auf einem Ohre der Amboss in in Narkose und ohne Verletzung des Trommelfelles extrahiert worden war, wo also durch Ausschaltung der Tensorwirkung von
26 F. Siebenmann
den beiden Antagonisten nur noch der Steigbügelmuskel zur Geltung kommen konnte und die Steigbügelplatte durch Anspannung des Ring- bandes fixieren musste, waren alle Bedingungen gegeben zur Ab- schwächung der Luftleitung und zu bedeutender Verstärkung der Knochenleitung. Das Resultat war folgendes: Sowohl bei den Ver- suchen mit höhern als mit niedern Pfeifen konnte durchgängig nur auf der gesunden Seite, wo also vorwiegend die Luftleitung zur Geltung kam, eine Labyrinthschädigung erzeugt werden; das näm- liche wurde auch bei Schiessversuchen beobachtet, wo an beiden Ohren des Versuchstieres vorbei ein Revolver mehrmals abgeschossen worden war. Ueberall dagegen wurde das Labyrinth auf der operierten Seite nicht nur nicht stärker lädiert, sondern sogar gänzlich intakt befunden, gerade wie es nach der v. Helmholtz’schen Theorie zu erwarten war. Einen der schlagendsten Beweise für die Irrelevanz der Knochenleitung beim Zustandekommen der akustischen Labyrinthschädigung lieferte Hössli, welcher 7 Meerschweinchen, bei denen je ein Ohr auf die an- gegebene Weise operiert worden war, in einen metallenen, dick- wandigen, geräumigen, zylindrischen Käfig einschloss, welcher je- weilen nachts durch die Hämmer eines Wasserwerks kräftig be- klopft wurde. Sogar hier, wo die Tiere 7 —11 Wochen, d. h. während der ganzen Versuchszeit direkt auf dem tönenden Metall stehen oder liegen mussten, blieb regelmässig in dem Ohr mit der künstlich er- höhten Knochenleitung das Labyrinth unbeschädigt, während auf der andern intakt gelassenen Seite die mikroskopischen Merkmale hoch- gradigster Zerstörung des Nervenendorgans auftraten: Bilder von Schneckenschnitten, welche den Gehörorganen dieser Tiere ent- stammen, zeigen auf der einen Seite das Cortische Organ mit seinen Hörzellen, der Cortischen Membran, den zuführenden Nervenenden und Nervenzellen ganz normal, während auf der andern Seite — in gleicher Weise übereinstimmend — das Bild hochgradiger profes- sioneller Schwerhörigkeit zustande gekommen ist. (Die betreffenden Abbildungen werden in der Arbeit von Hössli, Zeitschrift f. Ohren- heilkunde 1912, erscheinen. )
Damit ist zur Evidenz bewiesen, dass in der Hauptsache der Trommelfell-Gehörknöchelchenapparat es ist, welcher die Schall- übertragung zum Labyrinth vermittelt, und dass die Luftleitung zum mindesten die Hauptrolle spielt bei der Entstehung der professionellen Schwerhörigkeit. Als Schutzmittel zur Verhinderung der letztern sind die empfohlenen Isolationsmittel der Füsse absolut wertlos.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch auf das interessante Nebenresultat hinweisen, welches wir bei unsern Versuchen bezüglich des Wertes des runden (Schnecken-)Fensters als Eingangspforte für die das Labyrinth durchsetzenden Schallwellen gefunden haben. Es
Neuere gegen die Helmholtz’sche Hörtheorie vorgebrachte Einwände. 27
ergibt sich nämlich, dass, trotzdem in den entambossten Mittelohren jeweilen das Schneckenfenster intakt war, doch das Labyrinth vom Schall nicht geschädigt wurde. Allerdings ist dabei in Betracht zu zıehen, dass als Ausweichstelle für dıe vom runden Fenster aus be- wegte Flüssigkeitssäule des Schneckenkanals wegen der Fixation des Stapes vielleicht nur die Aquädukte in Betracht kommen könnten ; indessen dürften dieselben für die enorm kleinen Schwingungsexkur- sionen, welche einer c5-Pfeife entsprechen, sicher genügen. Da nun auch bei diesen letztern Versuchen sich das Labyrinth der operierten Seite intakt fand, darf man als bewiesen erachten, dass in Ueberein- stimmung mit Bezold und im Gegensatz zu den Ansichten von Joh. Müller, Weber-Liel, Secchi u.a. das runde Fenster als Æingangs- pforte für die das Labyrinth erregenden Töne nicht in Betracht kommt.
Eingegangen Januar 1912.
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall im Metallichtbogen.
Von
Edmond Banderet.,
Einleitung.
Vor einiger Zeit haben die Herren Professoren Aug. Hagenbach und H. Veillon!) ihre Untersuchungen über den elektrischen Licht- bogen zwischen Kupferelektroden veröffentlicht. Sie zeigen, dass im partiellen Vakuum der Kupferbogen in sieben verschiedenen Formen auftreten kann. Auf Herrn Professor Hagenbachs Anregung hin unternahm ich es, für die verschiedenen Formen Anoden- und Kathodenfall zu messen und zu vergleichen, um die Bogenformen nach dieser Seite experimentell zu prüfen.?) Ich benützte im Wesent- lichen die Methode von C'hild.”) Bevor ich jedoch zur Beschreibung derselben übergehe, wird es angebracht sein, über die Theorie des Lichtbogens, soweit sie in dieser Arbeit berührt wird, und über die einschlägige Literatur einige Angaben zu machen. Die Monographien über den Lichtbogen von Mrs. Hertha Ayrton,t) J. Stark) W.B. von Czudnochowski,$) J. J. Thomson,') B. Monasch®) und C. D. Child?) lassen es.unnötig erscheinen, die Literatur über das ganze Gebiet anzuführen.
Nach der ionentheoretischen Anschauung haben wir es im Bogen mit einer selbständigen Strömung zu tun.10) Notwendige und hin- reichende Bedingung ist hohe Temperatur in der kathodischen Ansatz- stelle des Bogens. Infolge der hohen Temperatur sendet diese in den
1) A. Hagenbach und H. Veillon. Verh. der Nat. Ges. Basel 21, 1910. S. 64. 2) 1. c. S. 81.
3) C. D. Child. The electric arc. Phys. Rev. 19, 1904. S. 117.
4) A. Ayrton. The electric arc. London 1902.
5) J. Stark. Die Elektrizität in Gasen. Leipzig 1902.
) 7) J. J. Thomson. Elektrizitätsdurchgang in Gasen. Leipzig 1906. 8) B. Monasch. Der elektrische Lichtbogen. Berlin 1904. ) )
J. Stark. Ann. d, Phys. 12, 1903. S. 687. H. Th. Simon. Phys. Ztschr. 8.297.
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 29
angrenzenden Dampfraum negative Elektronionen, welche ihrerseits wieder durch Stoss direkt oder durch die erzeugte Wärme das Gas und den Dampf im Zwischenraum oder die Anodenoberfläche ioni- sieren. So werden positive Ionen erzeugt, welche die Kathode bom- bardieren und ihr die nötige Wärme zuführen. Es ist ersichtlich, dass auf diese Weise ein stationärer Zustand sich einstellt, der sich selbst zu erhalten imstande ist. Wollte der Strom nachlassen, so würde vor der negativen Elektrode die Zahl der Elektronen abnehmen, die Spannungsdifferenz würde wachsen und die positiven Ionen würden mit grösserer Gewalt auf die Kathode stürzen. So wird die Kathode vom Strom selbst auf der Verdampfungstemperatur erhalten. Be- kanntlich tritt an der Kathode und an der Anode ein Sprung des Potentials ein, für welchen verschiedene Erklärungen auf Grund dieser Theorie gegeben wurden. Für den Kathodenfall liegt eine Ur- sache zunächst darin, dass in ihrer Umgebung positive Ionen sich anhäufen, die ihre Ladung noch nicht abgegeben haben. Die Grösse dieser Anhäufung ist durch die Gleichgewichtsbedingungen des Ent- ladungsvorganges bestimmt. Der Anodenfall ist dagegen eine Folge davon, dass aus der stark erhitzten Oberfläche auch negative Elektron- ionen austreten, welche dem Strom entgegenwirken, so dass eine Ab- kühlung derselben eine Verminderung des Anodenfalles zur Folge hat. Dass aber die Anode auf den Entladungsvorgang nicht ganz ohne Einfluss ist, und zum wenigsten auf die Form des Bogens ein- wirkt, wird auch aus dieser Arbeit ersichtlich.
Formen des Bogens.
Es ist eine schon lange bekannte Tatsache, dass der Kohlebogen in zwei verschiedenen Stadien brennen kann, in einer normalen, ge- räuschlosen und einer unruhigen zischenden Form. Neben dieser letzteren, die auf einem Oxydationsprozess zu beruhen scheint,11) sind am Kohlebogen noch eine Reihe von andern Formen beobachtet: drei verschiedene von Hoerburger!?) im Kohlebogen unter vermindertem Druck, und eine Form, die an der Anode Glimmstrom hat, von Mal- colm!3) für Kohle im Wasserstoff.
Viel deutlicher lassen sich bei Metallbogen verschiedene Formen nachweisen. Schon Lehmann!*) hat am Kupferbogen deren zwei unterschieden. Weitere hier zu erwähnende Angaben macht Arons,!?) der bei Kupfer, Eisen und Magnesium zwei Bogen von verschiedenem
11) Mrs. H. Ayrton. 1. c. S. 299—308.
12) A. Hoerburger. Diss. Greifswald. 1905.
13) H. W. Malcolm. Phys. Ztschr. 8, 1907. S. 471. A) O0. Lehmann. Ann. d. Phys. 55. 1895. S. 361. 15) L. Arons. Ann. d. Phys. I, 1900. S. 700.
30 Edmond Banderet.
Aussehen beschreibt, ohne indessen darüber genaue Zahlenangaben machen zu können. Auch Child16) hat zwischen Graphitelektroden im Wasserstoff drei Bogenformen gefunden, die freilich den Erschei- nungen in Geisslerschen Röhren ähnlicher waren als dem Bogen. Systematische Untersuchungen sind zuerst von Cady und ArnoldtT) angestellt worden. Sie benützten dazu den Eisen- und Kupferbogen und haben offenbar die Formen beobachtet, welche Hagenbach und Veillon mit 1 und 3 bezeichnen. Es sind dies der gewöhnliche Bogen (bei Eisen vielleicht die häufigere Zischform) und der Glimmbogen, der an der Anode in einem breiten Glimmlicht ohne die Farbe des Metalldampfes ansetzt. Auseiner kurzen Notiz dieser Autoren kann man schliessen, dass sie auch die Form 2 gesehen haben, ohne sie jedoch besonders zu beachten. Das gleiche gilt für die Untersuchungen von Fabry und Buisson,!3) welche die Bogen 1 und 3 auch spektroskopisch analysiert haben und Volt-Druck-Kurven für diese Formen aufstellen. Auch für eine Reihe anderer Metalle als Elektroden ist das Vor- kommen des normalen Bogens und des Glimmbogens angegeben worden : ausser bei Kupfer und Eisen noch bei Pt (lady und Arnold), bei Me und Hg (Arons). Auch die Zischformen des Metallbogens sind gelegentlich erwähnt, d. h. Formen, bei welchen die gelbe Aureole sich plötzlich ausserordentlich verstärkt und die Spannung zwischen den Elektroden sinkt.1?). Hagenbach und Veillon®?) haben nun den Bogen zwischen Kupferelektroden einem genaueren Studium unter- worfen und dabei sechs Formen bestimmt beobachtet und eine siebente angedeutet gefunden. Ausser dem Glimmbogen (Form 1) und dem normalen Bogen (Form 3) tritt noch eine dritte Form (Form 2) auf, welche sich sowohl durch ihr Aussehen als durch die elektrischen Ver- hältnisse von den andern unterscheidet. Diesen dreien entsprechen drei Zischformen, welche durch die von der Kathode ausgehende Oxyd- aureole charakterisiert sind (Formen la, 2a, 3a).
Beschreibung der Formen.
Zur Erleichterung des Verständnisses füge ich in Fig. 1 eine rein schematische Darstellung der Formen des Cu-Bogens bei (nach Hagen- bach und Veillon IL. c.). Die Formen des Eisenbogens haben das gleiche Aussehen; nur ist die Farbe des Metalldampfes bläulich.
Form 1, der Glimmbogen, hat eine punktförmige, kathodische Strombasis von der Farbe des Metalldampfes. Diese Farbe erstreckt
16) 0 D. Child. Phys. Rev. 2071905. 8. 100.
17) W. G. Cady und H. D. Arnold. Phys. Ztschr. 8, 1907. S. 890. 13) Ch. Fabry et H. Buisson. Journal de phys. (4). 9, 1910 S. 929. 19) W. Upson. Phil. Mag. 14 (6) 1907. 8. 126.
20) 1. c. s. auch. 4. Hagenbach. Phys. Ztscehr. 12, 1911..S21015:
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 31
sich nur auf einen Teil des Bogens, dessen Länge von Druck und Stromstärke abhängt. Der übrige Teil zeigt die violette Farbe der Glimmentladung in Luft; die Anode ist mehr oder weniger von einer Glimmschicht überzogen. Bogen 1 a ist viel breiter und hat die rot- gelbe Farbe der Aureole, die an der Kathode ansetzt und nur bei längeren Bogen nicht die ganze Länge des Bogens bedeckt.
Form 2 unterscheidet sich von 1 durch das Aussehen an der Anode. Dort bildet sich eine rötlich-violette Kugel (Kupfer) oder Spitze (Eisen), von welcher aus der Bogen in Luft in der Farbe des Metalldampfes, in Stickstoff bis fast an die Kathode in der Farbe des „Stickstofflichtes“ ausgeht. Bei Form 2a löst sich von der Kathode ein rotgelber Dampfstrahl los, der je nach der Stromstärke sich mehr oder weniger nahe an die Anode erstreckt.
zrum (Cu) grün (Cu) grün (Cu) ap en | + 5 De 2 3
Tax 2a da
Biel.
Edmond Banderet.
O2 [Ne]
Mit Form 3 ist der gewöhnliche Bogen bezeichnet, der an Anode und Kathode punktförmig in der Farbe des Metalldampfes ansetzt. Form 3a verhält sich zu 3 wie 2a zu 2.
Es kann aber auch?!) an der Anode Oxyd frei werden, so dass Form 3 in einem dritten Stadium möglich ist, bei welchem von der Anode und Kathode aus die Aureole sich bildet (Fig. 2).
1.122.222, Spannung. Oxyd a (> ni
H ir
9 DD
Ich habe diese Form am Eisenbogen besonders deutlich und ver- hältnismässig stationär erhalten, bei Kupfer nie mit Sicherheit. Sie ist mit 3 b bezeichnet worden.
Während die Formen 1 und la sehr ruhig und stabil brennen, sind 2 in Luft und 3 in Luft und Stickstoff sehr unruhig, und dies um so mehr, je weniger der Druck vermindert wird.
Nun haben Hagenbach und Veillon die Vermutung ausgesprochen, es müssten sechs Kombinationen von drei Anodenfällen und zwei Kathodenfällen möglich sein; es müssen also zwischen 1, 2, 3 Unter- schiede im Anodenfall bestehen, während das Übergehen in die a-Formen eine Änderung des Kathodenfalles zur Folge hat. Um diese Ansicht an Hand von Zahlen zu beweisen, sind die vorliegenden Messungen angestellt worden.
Sondenmessungen im Innern des Lichtbogens.
Sondenmessungen sind im Bogen schon häufig angestellt worden. Schon im Jahre 1887 hat Lecher??) versucht, mit Kohlensonden Kathoden- und Anodenfall für Bogen mit verschiedenen Elektroden
agenbach und Veillon. 1. c. S. 83. Becher. Wien. Ber 951:.1887.82.992.
SES
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 33
zu bestimmen. Er fand bei Metallen für beide Grössen annähernd gleiche Werte, im Kohlebogen dagegen einen viel grösseren Anoden- fall. Während Lecher die Kohlensonde über ein Voltmeter mit Ka- thode oder Anode verband, benützte Luggen??) eine elektrolytische Brückenschaltung, mit deren verschiebbarem Kontakt die Sonde über einen Multiplikator zu verbinden ist. Aus diesen Untersuchungen ergibt sich für die Verteilung des Spannungsgefälles allgemein fol- gendes Schema (Fig. 3): An den beiden Elektroden findet ein sehr rascher, fast sprungartiger Abfall des Potentials statt, der „Fall“ oder das ‚Hindernis‘ der betreffenden Elektrode, während in der Gassäule ein gleichmässiges Gefälle besteht. Eingehend hat Mrs. Ayrton?*) den Spannungsabfall im Kohlebogen mit Hilfe von Kohlen- sonden untersucht. Sie findet eine Abnahme von Kathoden- und Anodenfall mit wachsender Stromstärke und eine Zunahme des Anodenfalls mit wachsender Bogenlänge; der Kathodenfall ist von der Bogenlänge unabhängig. Im Quecksilberlichtbogen fand Pol- lack 25) mit Hilfe einer Platinsonde eine ähnliche Potentialverteilung wie ım Bogen zwischen festen Elektroden. Das Innere des Metall- bogens hat wohl C. D. Child?®) am eingehendsten untersucht. Er benützte dazu auch Kohlensonden, bei sehr kleinem Druck des um- gebenden Gases Platinsonden und ein Voltmeter von 5000 Ohm Wider- stand. Versuche mit einem Elektrometer statt des Voltmeters zeigten einen nur kleinen Unterschied; das Voltmeter war wegen der schnelleren Einstellung und bequemeren Handhabung vorzuziehen. Ich führe hier seine Resultate für den Kupferbogen an (offenbar Form 3), weil sie für die vorliegende Arbeit von Wichtigkeit sind. Leider habe ich bei der ersten Messung (Bd.1?2) keine Angabe der Bogenlänge, bei der zweiten (Bd. 19) der Stromstärke finden können.
Stromstärke Bogenlänge ee: Kathodenfall Anodenfall. 6 Amp.. — 760 14 Volt 11 Volt _ 2 mm 30 2, D ONE
er R 10 ar N +
a i 4 11, (San
— 2 10,78, DO,
Für den Eisenbogen findet Child ähnliche Werte. Bei Atmo- sphärendruck und 6 Ampère beträgt (s. Bd.12) der Kathodenfall 15 Volt, der Anodenfall 13 Volt. Während die bisherigen Forscher
23) H. Luggin. Wien. Ber. 9511, 1887. S. 759; 98112, 1889. S. 1192.
24) ]. c. S. 207 ff.
25) J. Pollack. Ann. d. Phys. 19, 1906. S. 217.
26) C. D. Child. Phys. Rev. 12, 1901. $. 149; 19, 1904. S. 117; 20, 1905. S. 364. 3
54 Edmond Banderet.
möglichst dünne Sonden benützten, untersuchten Cady und Arnold?) den Eisenbogen mit einem 10 mm dicken Eisenstab.
Child?8) hat dann die Messungen mit Sonden einer genaueren Kritik unterworfen und gezeigt, dass diese Messungen einen prin- zipiellen Fehler haben, der darin besteht, dass erhitzte Körper Ionen aussenden. Nach Versuchen, die er angestellt hat, gibt ein Kohlenstift bei Rotglut positive Ionen ab, bei weiterer Erhitzung positive und negative Ionen gleichmässig, und bei Weissglut endlich gehen haupt- sächlich negative Ionen vom Stift aus.
Ich habe trotzdem Sonden benützt; denn es handelt sich in dieser Arbeit um relative Messungen, wobei sich ein grosser Teil des von Child bestimmten Fehlers eliminiert.
Apparate und Methode.
Der Bogen brannte in einem gusseisernen Rohr (Fig. 4 und 5 A) von 12cm innerem Durchmesser und 6 mm Wandstärke. Es war ein Kreuzrohr, wie sie bei Gasleitungen benützt werden. Seine Höhe be- trug 53em und der Abstand der Seitenöffnungen 37 cm. Die vier Ränder der Öffnungen wurden eben abgedreht und mit gusseisernen Platten verschlossen. Diese konnten unter Zwischenschaltung eines Gummiringes durch Schrauben angepresst werden. Für die obere wur- den die Schrauben bei den Messungen in Luft nur bei den höheren Drucken benützt (über 100 mm Hg). Bei tieferen Drucken war das Gewicht der Atmosphäre genügend, um die Platte luftdicht aufsitzen zu lassen. Auf der unteren Platte befand sich der Elektrodenhalter (p, Fig. 4) für die Anode. Der Strom wurde ihm von aussen durch die Platte selbst zugeführt. Der obere Elektrodenhalter (n) war be- weglich in vertikaler Richtung, um den Bogen zu zünden und ihm während des Brennens die gewünschte Länge geben zu können. Dies wurde dadurch erreicht, dass ein Eisenstäbchen von 5 mm Dicke mittelst einer Stopfbüchse (a) durch die obere Platte geführt wurde. Mittelst eines Hebels konnte das Stäbchen rasch bewegt werden. An dieses wurde der Elektrodenhalter befestigt, der durch das Zwischen- stück b, einen Marmorzylinder von 31/,em Länge, von der oberen Platte isoliert war. Eine isolierte Leitung führte den Strom durch die obere Platte hindurch zum Steckkontakt c. Eine Seitenplatte war wit einem runden Fenster (f) versehen, in das eine Glasplatte (von 6 cm Durchmesser und 5 mm Dicke) mit Gummidichtung festge- schraubt war. Von der gleichen Platte führte ein Vakuumschlauch zum Barometer und über einen Hahnen und eine Chlorkalziumrühre
27) ]. ce. 28) C. D. Child. Phys. Rev. 24, 1907. S. 498.
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 30
ins Freie, so dass durch diese Öffnung Luft eingelassen werden konnte. In die Mitte der gegenüberliegenden Platte war ein Glasrohr (d) ein- gekittet von 9,6 mm innerer Weite, durch welches der Träger der Sonde, ein Eisenstab von 3 mm Dicke, eingeführt wurde. Eine doppelte Lage von Druckschlauch sicherte die gute Dichtung und ermöglichte zugleich eine grosse Beweglichkeit. So konnte die Sonde leicht an
Gr. Anode
alle Punkte des Bogens gebracht werden, beim Abbrennen nachge- schoben und ziemlich schnell ausgewechselt werden. Ein Zuleitungs- rôhrchen (e) führte zur Wasserstrahlpumpe, ebenfalls unter Zwischen- schaltung eines Hahnes und eines Chlorkalziumrohres. An das Rohr. g endlich war entweder eine Kapillare oder die Stickstoffzuführung angebracht. Die benützten Kupferelektroden bestanden aus käuf- lichem Kupfer und zeigten spektroskopisch geringe Verunreinigungen von Blei und Silber.2?) Als Kathoden dienten stets runde Stäbe von
2) Hagenbach und Veillon. 1. c. S. 68.
36 Edmond Banderet.
10—9,2 mm Durchmesser; die Anode hatte in einigen Messungen die gleiche Form. Günstiger erwiesen sich aber Anoden mit grosser Oberfläche (Fig. 4) von folgender Beschaffenheit: ein Kupfer- zylinder von 47,3—47,1 mm Durchmesser und 27 mm grösster Höhe, der auf einen Eisenstab von 12 mm Dicke aufgeschraubt war. Der Eisenbogen wurde erzeugt zwischen 10 mm dicken,runden Stäben aus gewöhnlichem Eisen. Die Sonden waren dünne Kohlenstäbe von 1,1 mm Durchmesser und stammten von J. A. Berne, Montreuil s. Bois
bei Paris. Sie wurden vor der Benützung einige Tage in Kalilauge, dann in Schwefelsäure gereinigt und endlich in destilliertem Wasser gewaschen. Sie bewirkten beim Ausglühen in der Bunsenflamme keinerlei Färbung mehr.
Zum Evakuieren des Rohres wurde eine schnell arbeitende Wasserstrahlpumpe benützt, mit der ein Druck von 15 mm erreicht werden konnte; sie genügte also vollkommen für meine Zwecke, da keine Drucke unter 40 mm nötig waren.
Als Messinstrumente dienten folgende Apparate: Ein Voltmeter (Fig. 5 B) vom Land- und Seekabelwerk Nippes-Köln (Messbereich 75 Volt und Widerstand 3540 Ohm) war zwischen Sonde und Elek-
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 37
troden über eine Wippe so eingeschaltet, dass die Sonde mit der einen oder andern Elektrode verbunden werden konnte. Die Elektroden- spannung wurde mit einem Voltmeter (C) von derselben Firma ge- messen (Messbereich 500 Volt, Widerstand 20,000 Ohm). Das Ampèremeter (D) war ein Drehspulen-Instrument von der Firma Klingelfuss & Cie., Basel. Der Strom wurde am städtischen Gleich- stromnetz abgenommen, das eine Spannung von 220 Volt besitzt. Der Bogen wurde durch eine Linse auf einen Schirm projiziert, auf welchem mittelst einer Skala-die Länge des Bogens direkt abgelesen werden konnte.
Schirm und Voltmeter B wurden so neben einander aufgestellt, dass diese zwei Ablesungen durch einen Blick aufgenommen werden konnten. Ebenso ermöglichte die Aufstellung des Voltmeters C, des Ampèremeters D und des Quecksilbermanometers fast gleichzeitiges Ablesen dieser Grössen mit der Bogenform. Gerade bei schnell wech- selnden und nur kurz andauernden Formen erwies sich eine Teilung des Ablesens unter 2 Beobachter als ungünstig. Nach einiger Zeit hatte ich es so weit gebracht, dass ich Schirm und Voltmeter zugleich schneller überschaute, als wenn ich nur den Schirm und ein zweiter auf mein Kommando Voltmeter B ablas. Die Stromstärke wurde vor der Messung auf die gewünschte Grösse durch Regulierung eines Flüssigkeitswiderstandes gebracht, auch der Druck wurde vorher regu- liert. Geringe Änderungen im Druck hatten dabei keinen merkbaren Einfluss, auf solche der Stromstärke musste genau geachtet werden.
Ich habe zuerst versucht, den Potentialunterschied zwischen Sonde und Elektroden auf andere Weise zu messen. Theoretisch besser 1st ein Elektrometer; allein, wie schon Child ausführt, sowohl ein Dolezalekelektrometer als ein gewöhnliches Thomsonsches Quadranten- elektrometer stellten sich nicht rasch genug ein. Auch die Lugginsche Brückenmethode hatte keinen besseren Erfolg. Auch verschiedene Sonden habe ich ausprobiert. Dickere Kohlensonden brachten im Bogen auch entsprechend stärkere Störungen hervor. Metallsonden schmolzen sehr rasch. Um indessen über die Störungen des Bogens durch Bestandteile der Sonde eine Vorstellung zu haben, wurde bei niedrigem Druck ein Versuch im Kupferbogen mit einer Platinsonde von 0,5 mm und im Eisenbogen mit einem Eisendraht von 1 mm semacht. Beide Versuche gaben das gleiche Resultat wie die dünne Kohlensonde.
An Hand eines Beispieles lässt sich am einfachsten die Methode der Untersuchung darstellen. Um die Kurven II (Kupferbogen in Luft) für die Formen 1, 2 und 3 des Kupferbogens in Luft zu er- halten, müssen zuerst die günstigsten Verhältnisse (Druck, Strom- stärke, Bogenlänge) aufgesucht werden, unter denen alle drei Formen
38 Edmond Banderet.
auftreten. Dann wird die Sonde mit der Anode verbunden und, nach- dem der Bogen eingebrannt ist, die Sonde in den Bogen gebracht. Jetzt wird der Abstand der Sonde von der Anode und der Ausschlag des Voltmeters B notiert; und zwar werden möglichst gleichmässig — immer mit Einstellung der gleichen Stromstärke — alle 3 Formen untersucht, damit die Temperatur im Kessel und der Sauerstoff- gehalt gleich sind. Nun wird durch Umwerfen der Wippe die Kathode mit der Sonde verbunden und ebenfalls für alle 3 Formen in möglichst vielen Entfernungen der Sonde von der Kathode die zugehörige Spannung aufgeschrieben. Die erhaltenen Resultate werden so graphisch aufgezeichnet, dass die Blätter a immer den Fall des Potentials gegen die Anode, die Blätter b den Fall gegen die Kathode enthalten. Die Werte liegen fast immer annähernd auf einer Geraden. Durch Verlängerung derselben bis zum Schnitt mit der Ent- fernung 0 von der Elektrode erhält man den Wert des Anoden- oder Kathodenfalls. Zugleich gibt die Neigung der Geraden das Gefälle der Spannung im Bogen an.
Fehler der Methode.
Im Anschluss an das zuletzt Gesagte ist nun freilich zu be- merken, dass das Potentialgefälle in der Gassäule nicht genau kon- stant ist. Bei einer Reihe von Extrapolationen wurde dies berück- sichtigt. Die Kurven sind dann aus geraden Stücken zusammengesetzt. Es zeigt sich auch eine gewisse Gesetzmässigkeit, besonders bei der sehr ruhigen Form 1.
Es ist auf beiliegender Fig. (6) das Resultat der in den Blättern II, III und IX ausgeführten Messungen dargestellt, und hiebei zeigt sich in einiger Entfernung von der Kathode eine ziemlich regelmässige Abflachung der Kurve (vergl. auch die übrigen Messungen der Form 1). Dies lässt sich wohl mit der eigentümlichen Schichtung
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 39
in diesem Bogen erklären. Vielleicht hängt das aber auch damit zu- sammen, dass die Sonde im Glimmlicht in der Nähe der Anode wohl noch weissglühend, aber weniger heiss wird als im eigentlichen Metall- dampf; sie sendet daher weniger negative Ionen aus und der Spannungsunterschied wird gegenüber den übrigen Teilen des Bogens relativ grösser. Es hat dies zur Folge, dass der Unterschied zwischen dem Anodenfall der Form 1 und dem der heisseren Formen 2 und 3 um etwa 2 bis 3 Volt zu vermindern wäre. Auch die andern Formen zeigen Abweichungen von der Geraden.
Auf den Umstand, dass die Kurven nicht, wie angenommen wurde, Gerade sind, ist es wohl zurückzuführen, dass die Zahlen für das Spannungsgefälle auf den Kurven a und b nicht unbedeutende Unterschiede aufweisen. Dies fällt aber nicht wesentlich ins Gewicht, da die in der Nähe der Elektrode liegenden Punkte besonders berück- sichtigt sind.
mean SERRE See
Bier:
Auf eine Reihe von Fehlern, die in der Anwendung der Sonde liegen, ist schon hingewiesen worden. Es ist klar, dass durch die Kohlensonde fremde Stoffe in den Bogen gebracht werden, Ionen von Kohlenstoff, von in der Kohle okkludierten Gasen, die sich an der Elektrizitätsleitung gerade in der Umgebung der Sonde beteiligen. Die oben angeführten Kontrollversuche haben jedoch gezeigt, dass das Resultat dadurch jedenfalls nicht stark beeinflusst wird. Wesent- licher ist die Gestaltsänderung des Bogens durch Einführung der Sonde, weil sich der aufsteigende Gasstrom um die Sonde herum be- wegen muss. Vorteilhaft ist dabei, dass die Sonde sich sehr schnell zuspitzt. Fig. 7 zeigt solche Sonden; die 2 oberen sind im Kupfer- bogen in Luft, die unterste in Stickstoff benützt worden. Das er- leichtert natürlich auch die Bestimmung der Lage der Sonde im Bogen, bei unseren Angaben ihres Mittelpunktes. Es ist auch er- sichtlich, dass bei grösseren Bogen der durch die räumliche Aus-
40 Edmond Banderet.
dehnung der Sonde bewirkte Fehler immer kleiner wird. Überhaupt hat sich im Lauf der Untersuchung herausgestellt, dass diese Mes- sungen bei grossen Bogen genauer werden. Natürlich wird auch die lokale Temperatur des Bogens durch die Sonde herabgesetzt. Im Moment, in welchem die Sonde in den Bogen gebracht wird, weicht der Bogen wie ein elastisches Band aus, oder es bildet sich anfänglich um die Sonde ein dunkler Raum, der aber nach kurzer Zeit nicht mehr sichtbar ist. Auch andere sekundäre Störungen machen sich zuweilen bemerkbar. Der Einfluss der Sonde machte sich auch darin geltend, dass beim Einführen derselben in den Bogen die Formen in andere übergingen. Daraus erklärt es sich auch, dass viele Kurven nicht bis ganz nahe an die betreffende Elektrode bestimmt werden konnten. Entweder wurde dann der Ansatzpunkt des Bogens so un- ruhig, dass keine Ablesung gemacht werden konnte, oder die ge- wünschte Form schlug in eine andere um. Diese Fehler, die bei Sondenmessungen kaum zu vermeiden sind, machen im Verein mit der von Child beschriebenen Erscheinung die Gültigkeit der absoluten Werte der gefundenen Zahlen fast illusorisch. Allein sie eliminieren sich fast vollständig bei der Betrachtung der relativen Verhältnisse. Sie haben für alle Formen ähnliche Grösse und gleiche Richtung.
Schwierig war auch die Bestimmung der Bogenlänge, weil be- sonders der Kupferbogen die lästige Eigenschaft hat zu klettern: d.h., unter gewissen Verhältnissen wechselt seine Basis ihre Lage fortwährend, sie setzt sich auch an den Seiten der Elektrode an und verändert dadurch die Länge beträchtlich. Um diesem Übelstand ab- zuhelfen, wurde die beschriebene grosse Anode gewählt, und ausser- dem bei einer Reihe von Versuchen die Kathode mit einer bis an das Ende der Elektrode gehenden Röhre aus Quarzglas (von der Deutschen Quarz-Gresellschaft, Beuel-Bonn) umgeben. Der Einfluss dieser Ein- richtungen ist aus den Werten VII und VIII ersichtlich.
Noch auf eine Eigentümlichkeit möchte ich hinweisen, die durch Fig. 8 veranschaulicht wird. Ist die Sonde mit der Anode verbunden, so zeigt das Voltmeter in der Mitte des Bogens den höchsten Wert. Dieser Wert nimmt aber mit der Entfernung der Sonde von der Mittellinie nur sehr langsam ab. Ist aber umgekehrt die Sonde mit der Kathode verbunden, so nimmt der Wert des Potentials sehr rasch ab. Eine Erklärung dafür kann im Childschen Phänomen in ganz allgemeiner Weise gefunden werden. Im ersten Fall strahlt die Sonde im Kern, im Zustand der Weissglut einen Überschuss negativer Ionen aus. Es wird also der Strom im Voltmeter B geschwächt. In einer gewissen Entfernung von der Mittellinie ist die Sonde nur noch rot- glühend und verstärkt durch Ausstrahlung positiver Ionen den Strom. Ist die Sonde mit der Kathode verbunden, so kehren sich die Ver-
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 41
hältnisse um. Im Kern wird der Strom verstärkt, in einiger Ent- fernung dagegen geschwächt, was diesen raschen Abfall der Kurve hervorbringt.
Um noch ein ungefähres Bild von der Grösse des Fehlers der absoluten Werte der Zahlen zu erhalten, ist auch die Elektroden- spannung e, nach der Angabe des Voltmeters C, den Tabellen beige- ‚fügt. Diese Grösse setzt sich zusammen aus dem Anodenfall a, dem Kathodenfall k und dem Gefälle im Bogen b-1, wo l die Länge des Bogens in mm und b das Gefälle pro mm bedeuten. Es ist
ren]
Nehmen wir beispielsweise Tabelle ITa, so erhält man daraus graphisch a und b-1: a + bl kann direkt in der Entfernung 20 mm (wo die Kathode sich befindet) abgelesen werden. Addiert man dazu den aus II b zu entnehmenden Wert k, so erhält man
es —atbl+k+s, wo s; den Fehler der Messung darstellt. Daraus et RQ S1-
Ebenso findet man e, aus k + bl, das aus II b erhältlich ist,und a. Der Fehler s, ist dann gegeben aus
Co —e=S9.
Aus der folgenden Zusammenstellung der Werte s, und s, sieht man, dass die Werte positiv und negativ sein können. s, ist immer kleiner als s;. Bei Form 1 ist s, positiv und s, negativ. Bei 3 wiegen die positiven Werte vor und sind grösser als bei 1. Bei 2 sind die Werte ungleich und eher positiv.
42 Edmond Banderet.
Aus den Kurven ist leicht zu sehen, dass diese Werte durch die Annahme der Geraden für das Gefälle stark beeinflusst werden. Auch konnten die Kurven häufig nicht durch den ganzen Bogen verfolgt werden. Deshalb sind zum Teil diese Werte sehr gross, zum Teil auch gar nicht berechnet worden.
Formen 1 | la | 2 | 2a | 3 | 3a | 3b | s1 +0,6 42,0 +5,8 II à 7 1e) () 19,6) 5 Sg +5,5 +4,3 ll = so—24| : +0,3 +1,5 5, ae Den 09 SE 1X VII 2, S2 —8 OS —2,0 —2,0 S HG OS VIII +2,0 0 Si +0,7 +6,0 | +3,0 ss |ı | DS | »-43 —34 08 m £ Son — sı+0,5| +04 5 D 38 os ss —0,8 Li So —3,0 ie Si ÉD I ES 0 rats = E | S9 = —= +10 —) 3 £ sı +4 2 = B > see © a +9,5 +71 2 D 4 hd +0.8
Kupferbogen in Luft.
Von den ausgeführten Messungen seien hier fünf angegeben, aus denen die Hauptresultate deutlich zu ersehen sind. Nicht messbar waren die Formen 2a und 3b. Sie zeigen sich nur selten und dann nur ganz momentan, so dass das Voltmeter sich nicht einstellen konnte. Auf zwei Umstände sei hier aufmerksam gemacht, die oben schon
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 45 angedeutet sind. Der ganze Apparat erwärmt sich bei längerem Brennen. Darauf wurde Rücksicht genommen, inlem die Messungen nicht lange fortgesetzt wurden und die zu vergleichenden Formen abwechselnd gemessen wurden, wodurch sich beim Vergleich der Unterschied der Temperatur aufhebt. Zweitens wird die Luft immer ärmer an Sauerstoff. Diesem Übelstand wurde dadurch möglichst ab- geholfen, dass durch die Kapillare an g (Fig. 1) und entsprechende Hahnstellung an der Zuleitung zur Luftpumpe ein schwacher Luft- strom durch das Rohr geschickt wurde.
Die Resultate sind nun folgende: Die Kurven II und III zeigen Unterschiede im Anodenfall, und zwar zwischen 1 und 2 von etwa 8 Volt, zwischen 2 und 3 von ungefähr 6 Volt. Der Kathodenfall hat für alle drei Formen dieselbe Grösse. Der kleine Unterschied in II bei Form 3 und in III bei den drei Formen tritt unregelmässig, ein- mal bei diesem, dann bei jenem Bogen auf, ist also wohl a ıf Messungs- fehler zurückzuführen. Die Messungen VII und VIII beziehen sich auf 3 und 3a. Sie unterscheiden sich von einander nur in den Elek- troden : bei VIII ist eine grosse Anode und eine Kathode mit Quarz- rohr verwendet worden, wodurch die Messung infolge der Ruhe des Bogens und der Konstanz der Bogenlänge sich günstiger gestaltet. Beide Resultate ergeben an der Anode keine wesentliche Differenz ; an der Kathode, wo der Bogen an Kupfer-Oxyd brennt, beträgt der Unterschied 21/, Volt. Infolge der grössern Leitfähigkeit des Bogens, bedingt durch den grösseren Gehalt an Oxyd, wird auch das Gefälle im Bogen erniedrigt. Man sieht auch, wie weit die Wirkung in den Bogen reicht, nämlich bis etwa 17 mm von der Kathode weg bei VIII30) und bis ganz nahe an die Anode bei VII. Bei kürzeren Bogen wird sogar der Anodenfall bei 3a gegenüber 3 kleiner. Doch ist diese Wirkung, wie aus dem Vergleich mit dem angegebenen Resultat her- vorgeht, wohl sekundärer Natur. Ein analoges Resultat erhält man aus IX, wo die Glimmbogen Kupfer-Kupfer und Kupfer-Kupfer- oxyd verglichen werden. Der Anodenfall ist in beiden Fällen gleich. Der Unterschied im Kathodenfall (7 Volt) ist wohl, auch im Ver- gleich mit den analogen Messungen im Stickstoff und im Eisenbogen, gross; Messungen unter nur wenig veränderten Verhältnissen für die gleichen Formen ergaben indessen ähnliche Resultate.
30) Bei den Messungen VIII hatte Herr Dr. Zickendrath die Güte, für Form 3a die Ablesungen am Voltmeter B zu machen, während ich Form und Länge beobachtete. Es geschah dies, um nicht durch Voreingenommenheit meiner- seits die Resultate zu beeinflussen. Ich möchte es nicht unterlassen, Herrn Dr. Zickendraht für die Freundlichkeit, womit er mir stets zu helfen bereit war, bestens zu danken.
44 Edmond Banderet.
In den folgenden Tabellen sind die erhaltenen Zahlen zu jeder Form in horizontalen Reihen angeordnet. I stellt in Tabellen und Kurven die Stromstärke, p den Druck in mm Hg und | die Bogen- länge dar; mit dx und d, sind die Durchmesser der Kathode und Anode bezeichnet. b, das Potentialgefälle pro mm im Bogen, a der Anoden- fall, k der Kathodenfall und e die gemessene Gesamtspannung zwischen den Elektroden sind so (in Volt) angegeben, dass die zwei oder drei Zahlen in der gleichen Reihenfolge zu den verschiedenen Formen gehören, wie sie vor der Tabelle der Messungen stehen. Wo b im Bogen andere Werte annimmt, sind diese in Klammern beigefügt.
Tabellen.
mm A235 MO SOA SM MO SN 2 5020 Il J=5 Amp.; p=110 mm; 1=20mm; dy; =10 mm; d, =47,2mm
44 46,5 — 51 — 54 55,557 — 61 64 — 68 — — |
36,5 — — 42 — 47,5 50 57 61 — —
30° = 33530 40, dan So
av) 2
Formen D
b) 1 [1517 19 — 24 — 27,5 —- 30 31,5 — 34 — 38,5 40 42 43,5 - — — 21 —165- — 215— — 28 30 31 — 35 — — A1 — 45 — 3 | — 1618,5 — 23,5 —.— 28,5 — 32,5 — — 38 — 42 — — — b=1,84; 1,84; 1,84 KES 0 MS 0 2137 IT J=5Amp.; p=110 mm; 1=25 mm. Elektroden wie II a)
la 13055 oe A) eq Do ST 2355 39 Ne AAA TR Ag) wer onen
8 | — 22 24 — 29 — — 3453638 — 40,5 — 45 47 — 51 — — 57 — — — — — |
b=1,95; 1,93; 1,83 a=35,6; 27,3; 19,5 e=98; 82; 73
13,5 16,5 19 21 23,5 26 28 — 35,5 35 -—— 38 — — 49 — — 47 — 51 Dietiefer. Werte
ee en Core folge der tiefer. 16 18,5 20 22,5 — 27 29 — — — 37 — — 4 — — 52 — — Temp.d.Sonde.
b=2,12; 2,12: 212 k=12,0; 12,2: 12,1
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 45
203456 EI pl UI5 IG IS 192082102202324 25%
VII J=5 Amp.; p=200 mm; 1=25mm; dx =d,=10 mm
a
Æ — 20 — 24 26 28 — 32 33 35 36 38 40 43 45 — — 49 — 53 55 58 60 — — 3a -- 36 38 40 — 44 45 — 47 —
DE, SO, a 215,3, 0 e=176; 65
b) 3 | 15 18 20 — — 23 25 26 27 30 — 34 37 39 40 42 44 — 48 49 Bogen unruhig Zee = 2022 >21 55 26 28,50 32° 35 49 siehe VIII
br 21501:01638 k=14,0; 11,6 VII J=5Amp.; p=200 mm; 1=25mm; d, = 10 mm; d, = 47,3 mm Kathode mit Quarzröhre
a) : 3 | — — 27 30 32 34 36 33 40 43 44 46 47 — 49 50 53 55 56 — 62 63 65 67 — 3al — — — 29,5 32 33,5 35 38 39 41 41,5 42 44 45 46 47 48 49 50 51 — — — — —
b=2,18 [1,84]; 2,18 [1,84; 1,14] a=21,2; 212 e=81; 70
29 31 34 35 36 37,5 39 41 42 — 46 48 50 52 55 56 — —
b=1,81; 1,46 k=149; 12,5
IX J=5 Amp.; p=40 mm; 1=20 mm. Elektroden wie VII.
— 40 43 47 50 53 56 59 62 65 70 4 — — — — — — — — — 38 40 42 45 — — 50 — 54 — — — — — — — — — —
— 11 14 16 18 — — 22 — 30 —
b=1,93; 180 k-153; 84
46 Edmond Banderet.
Sonde-Anode
Sonde-Kathode
0 1: 3 5 7 9 n 13 15 7 19 2150235525 24 Sondenabstand ——
22 20 18 16 14 12 10 8 6 .4 2 0 <—— Sondenabstand
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 47
Zusammenstellung der Anoden- und Kathodenfälle.
Formen | jl | la | 2 2a | 3 | 3a Ip=110mm Hg;1=20| a | 343 | 26,0 | 20,1 Anodendurchm. 47,2! k | 13,0 13,0 15 Ep—110mm; 1=25 | a | 35,6 27,3 1925 wie II k-|.120 12,2 st
VIIp = 200 mm; 1=25
a Us Anode 10 mm k 14,0 11,6
VIII p = 200 mm; 1=25 | a 21,2 21,2 Anode 47,3 mm k -14,9 12,5 Kathode mit Quarzr.
IX 40mm; 1=25 a | 34,0 34.0 wie VIII k | 15,3 8,4 |
Kupferbogen in Stickstoff.
Die Formen 2 und 2a, die in Luft sehr unruhig sind und schwer oder gar nicht messbar waren, treten im Stickstoff viel besser auf. Deshalb wurden Versuche mit dem Kupferbogen im Stickstoff unter- nommen. Der Stickstoff stammte aus einer Bombe von Kahlbaum- Berlin und wurde, um getrocknet zu werden, durch eine Trocken- flasche mit Phosphorpentoxyd geleitet. Zur Vermeidung eines Über- drucks in der Zuleitung wurde noch ein Quecksilbermanometer an dieselbe angebracht. Die Versuche wurden immer erst nach drei- maliger Füllung und Entleerung der Röhre begonnen.
Mit reinen, frisch abgedrehten Elektroden erhält man nun 1, 2 und 3 sehr leicht, während die Zischformen nicht auftreten. Be- sonders schön und ruhig brennt 2. Nur hat diese Form den Nachteil, dass sie der Sonde stark ausweicht. Überhaupt wirkt die Sonde bei diesen Bogen stärker auf die elektrischen Verhältnisse ein. Die Stromstärke sinkt um etwa 1/, Ampere bei allen Formen, während die Spannung um 8—10 Volt steigt. Die angegebenen Zahlen sind natür- lıch immer (so auch bei den anderen Messungen) mit Sonde im Bogen zu verstehen. Um die Zischformen zu erhalten, muss man die Elek- troden kurze Zeit in Luft brennen. Form 2a, die auch hier die meisten Schwierigkeiten bietet, konnte unter den angegebenen Verhältnissen dadurch für einen, der Messung zugänglichen Zeitraum gewonnen
48 Edmond Banderet.
werden, dass eine ganz reine Anode und eine oxydierte Kathode ohne Quarzröhre angewendet wurde.
Die Resultate waren qualitativ dieselben wie in Luft. Die Formen 1, 2 und 3 unterscheiden sich im Anodenfall um 18,5 und 10,4 Volt (A), nicht im Kathodenfall. Die Zischformen haben, und dies gilt auch für 2a, denselben Anodenfall wie ihre entsprechenden oxydfreien Formen, während der Kathodenfall um 3 bis 31/, Volt tiefer liegt.
Wir können einen allgemeinen Vergleich mit den in Luft ge- wonnenen Resultaten anstellen (ohne Zahlenangaben, weil die Be- dingungen andere sind als in Luft). Der Kathodenfall wurde durch- wegs etwas kleiner gefunden, während der Anodenfall bei 1 und 2 höher liegt. Es mag das damit zusammenhängen, dass gerade bei 1 und 2 das umgebende Gas an der Anode (also Luft oder reiner Stickstoff) die Leitung der Elektrizität bestimmt.
Wie zu erwarten ist, wird das Gefälle im Stickstoff grösser als in der Luft. Während die Werte von b für den Kupferbogen in Luft sich um den Wert 2 bewegen (mit Ausnahme von IX), sind sie in Stickstoff durchwegs grösser als 2 Volt/mm (mit Ausnahme von &;, wo aber nur sehr wenig Punkte gefunden werden konnten). Der Unterschied in der Elektrodenspannung der Bogen in Luft und Stick- stoff rührt also im wesentlichen vom Unterschied des Gefälles in der Gassäule her.
Für die folgenden Tabellen und Kurven gilt dasselbe wie für den Bogen in Luft.
Tabellen. mm NOMME EE Te GT en O0 be Tone 1 1616. 17. 16 19
a)
60 66 a D 1:30 36° 224945, AO no GO ANG 3.1. 08 031.033 0 2 4049 A6
b=2,25; 2,47: 219 a=49,2; 30,7; 20,3 e=105: 85; 72
b) 1 [13,516 18 — 21,5 25 31 ER: ne | ee on) oe 30 Fin a a ea vn nn nn
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 49
SR NA CN OR CO O2 ES STE MIO TS MO
B J=5Amp.; p=80 mm; 1=20 mm; d4 u. d, wie X
a) Fee
1 | 40 43 45,5 48515 — 55 57 —61564 — 68 — 70,5 73 — — — la| 41 — 45 48 50 53 — 56 57 59 60 64 67
b) RE OA 20 0210582405 PP DPI 327 E36 3 Ze la] — 12 13 15 19 25 26 DE 601059 RbIPOERS "GC & J=2,5; p=200 mm; 1=20 mm; dx = 9,2; d, = 47,1 mm; ohne Quarzröhre a) 2 | — 50 — 56 59 62 65 68 74 — = 2a 53 58 62 67 b=:3.05 225 a=44.0; 44.0 e=122; 109 b) 2 | 14 16 18 — 22,5 25 28 32 — — 40,5 45 2al 11 — 15 — 19 22 be 100095 k=ıllda Ss) D J=5 Amp.; p =600 mm; 1=20 mm; d, u. d, wie & Kathode mit Quarzröhre. a) 3 | — — 25 29 — 34 35 — 40 43 — 46 — 50 52 — — 60 63 ja 25 30 34 35 3945 42 50 53,5 b=229-229)P03 DENE TE e=75; 60 b)
3 | — 15 17 — 25 — 26 — 29532 — 36 38 41 6) 16) NS 7 18 21
br 1r#2;0i1 k=10,8; 7,4
50 Edmond Banderet.
Sonde-Kathode
Yo —>
0 2 4 6 8 10 12 14 16
18 20 20 18 16 Sondenabstand ——
14 12 10 8 6 4 è 0 «—— Sondenabstand
Fig. 10
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 51
Formen | 1 | la | 2 | 2a 3 | 3a A 5 Amp.; 200 mm; | | | 1=20 a | 492 30,7 20,3 Anode 47,1 mm l'AS | 10,9 10,9 | Kathode 9,2 mm; Quarzrohr a | B 5 Amp.; 80 mm; 120 a | Ge 38,8 wie AU ke TUE) 8,6 & 2,5 Amp.; 600 mm; 1220 a 44.0 44,0 wie À, aber ohne | k 1 8,9 Quarzrohr [ss | D 5 Amp.; 600 mm; | — 20 a 19,0 19,0 wie A, m.Quarzrohr | k | 10,8 1,4
Eisenbogen in Luft.
Der Eisenbogen ist den Messungen bei niederen Drucken ziemlich gut zugänglich; bei höheren wird auch er unruhig (E). Die Kurven weichen noch stärker von der Geraden ab als beim Kupferbogen.
Das Oxyd spielt im Eisenbogen eine wichtige Rolle (vgl. Arons l. e.). Die häufigsten Formen sind die Zischformen, also die Bogen zwischen Eisen (Anode) und Eisenoxyd (Kathode). Auch der Bogen zwischen Eisenoxyd (Anode und Kathode) konnte gemessen werden (Form 3b in E). Form 2 dagegen konnte nicht gemessen werden. Die relativen Verhältnisse sind im Eisenbogen analog wie im Kupfer- bogen. la, 2a und 3a haben an der Anode Differenzen von 9 und 4 Volt, 1 und la an der Kathode eine solche von 2 bis 21/, Volt. Die Messung E gibt folgendes Resultat: 3 (Eisen-Eisen) und 3a (Eisen- Eisenoxyd differieren nur an der Kathode (51/, Volt); 3 und 3b an beiden Elektroden (Anode 7 Volt; Kathode 51/, Volt); 3a und 3b (Eisenoxyd - Eisenoxyd) unterscheiden sich nur im Anodenfall (7 Volt). Allerdings ist bei diesen Verhältnissen der Bogen sehr un- ruhig; doch trat das wesentliche, die tieferen Werte für 3b, deutlich hervor. Der grosse positive Wert von s; (+5,1) würde ausserdem nosh auf eine Verkleinerung von a weisen.
Edmond Banderet.
Qt DD
Ein Vergleich dieser Zahlen mit den entsprechenden Werten des Kupferbogens ist nicht leicht möglich, da die Verhältnisse, unter denen die beiden Messungsreihen angestellt wurden, doch zu sehr von ein- ander verschieden sind. Ein allgemeiner Überblick zeigt, dass Anoden- und Kathodenfall benachbarte Werte besitzen.
In den folgenden Tabellen fehlt die nicht erhältliche Form 2. Die Elektroden hatten bei allen Messungen 10 mm Durchmesser. Die Quarzröhre ist nicht benützt worden.
Tabellen. mm Der CT NO NTM OS 0 OS TL 6 16 le 19 J
=3 Amp.; p=40 mm; 1=15 mm
56 58 61 64 67 70 —
81 — — 40 42 44 — — — 15 18 21 24 26 28 30 32
b=3,02; 258 k=9,3; 7,0
B J=4 Amp.; p=40 mm; 1= 20 mm En 1 | — — 43 46 50 53 56 59 62 68 72 —
65 la] 37 — 43 47 50 — 56 — 58 62 65 67
b= 3,12; 3,12 [2,
Qt ul at] Il os = ei [SC] Le bi © Il FA &) (RQ) Ne) o
) 1 112,515 18 — 24 27 29 32 35 38 41 44 Ta 113 15 17,5 2023,5 26 29
b=2,81; 2,65 k= 99:72 D J=4 Amp.; p=200 mm; 1=20 mm a) | dal — — — — 48 51 53 55 57 59 61 64 — 67 | 2a 30 3235,5 37 40 43 45 47 49 51 — 55 57 60 sa] 26 — 50 — 35 — — 40 à — 4 — 56 66 — — — |
la springt in 2a um bei Abstand << 5mm. b=2,55 u. a =36 deshalb nicht sehr genau. b= 2,55. [2,10]; 2,55 12,08]; 2,087 7a =36 27,4: 23,87 e 90: 2802
2)
a
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 53
OL dreier
b) dal — 17 19 — 2 — 25275 29 31 4 — 339541 — — — z 2a! 17 2021,5 23 24 26 27,5 — 29 32 34 35,5 40 | — — 19 20 22 23 25 31 36 | br 158251695515 82 ken al | E J=4 Amp.; p=400 mm; 1=20 mm a) 3 |— — — — 33 35 — 3941,5 45 49 53 61
Sal — — 28 30 — — 56 — 41 44 — 47,5 — 49 52 — 56 58 —
p=1,95; 1,75; 1,75 k=19,5; 13,9; 13,9
Zusammenstellung der Anoden- und Kathodengefälle.
Formen | 1 la 2a | 3 RS Se ms ||» |
A 3 Amp.; 40 mm; a | 340 33,8 | | |
1=15 mm k 98 7,0 en Er B 4 Amp.; 40 mm; a2734,152| 34515
=20 k 9,9 7,2
D 4 Amp.; 200 mm; | a 36,0 27,4 23,65
20 k Brit 155 15,1 E 4 Amp.; 400 mm: |a 22,5 22,5 15,3
120 k 19,5 1359 1359
Edmond Banderet.
Sondenabstand —> €<——— Sondenabstand
Sondenmessungen über Anoden- und Kathodenfall. 55
Ergänzungen.
Es lassen sich aus den gewonnenen Tabellen noch einige Resul- tate erhalten, die freilich nicht systematisch untersucht worden sind, und nur angeführt werden zur etwaigen Kontrolle an den Resultaten anderer Autoren. Zunächst zeigt ein Vergleich mit den von Child erhaltenen Zahlen die gleiche Grössenordnung der von mir gemes- senen Werte.
Die Abhängigkeit von Anodenfall und Kathodenfall von den verschiedenen Faktoren, die ihre Grösse beeinflussen, zeigt sich in folgenden Punkten:
1. Bogenlänge: II und III zeigen bei den Formen 1 und 2 ein Wachsen des Anodenfalls mit wachsender Bogenlänge; dass die Abnahme bei 3 wohl auf einen Messungsfehler zurückzuführen ist, zeigten Messungen mit kleineren Bogenlängen. Der Kathodenfall ändert sich nur wenig. (Vgl. Mrs. Ayrton 1. c. pg. 214.)
2. Stromstärke: Aus dem vorhandenen Beobachtungsmaterial ist darüber kein Schluss möglich.
3. Druck: Anoden- und Kathodenfall werden, wie auch das Ge- fälle im Bogen, vom Druck des umgebenden Gases beeinflusst, aber nicht gleichmässig. In Bund D (Form la des Eisenbogens) wachsen beide Grössen mit wachsendem Druck, während das Gre- fälle b und das Gesamtpotential e abnehmen; D und E zeigen für 3a Abnahme des Anodenfalls und Zunahme des Kathoden- falles, { und ® (Cu-bogen in Stickstoff) Zunahme des Anoden- falls für 1, Wund D für 3 eine kleine, allerdings nicht sichere Abnahme desselben bei gleichzeitiger Zunahme des Gesamt- potentials. Nun haben schon Duncan, Rowland und Todd®!) für den Kohlebogen, Arons??) für verschiedene Elektroden (für sehr kleine Bogenlängen), besonders aber Hagenbach und Veillon®®) für den Kupferbogen und Fabry und Buisson®*) für den Eisen- bogen die Abhängigkeit der Elektrodenspannung vom Druck untersucht. Diese Forscher haben komplizierte Volt-Druck- Kurven aufgestellt mit Extremwerten, die auch bei den ver- schiedenen Formen bei verschiedenen Drucken liegen. Da nun die Elektrodenspannung eine Funktion von Anoden- und Kathodenfall und vom Gefälle b ist, so sind unsere unregel- mässigen Schwankungen nicht weiter verwunderlich.
31) L. Duncan, J. Rowland und R.J. Todd. E. T. Z. 14, 1893. S. 603.
DAL 5@
® ICHS 837.
34) ]. c.
56 Edmond Banderet
4. Elektroden: VIT und VIII geben Aufschluss über die Wirkung der benützten Elektroden. Die Einführung der grossen Anode hat demnach eine Vergrösserung des Anodenfalls um etwa 4 Volt zur Folge. Während nun @. Schulze?5) eine Zunahme des Anodenfalls bei gekühlten Elektroden findet, erhalten Stark, Retschinsky und Schaposchnikoff,3°) ebenso Stark und Cassuto3T) das entgegengesetzte Resultat, das der anfangs skizzierten Theorie entspricht. Da die Kupferelektrode auf einem schlechter- leitenden Eisenstab aufgeschraubt war, können unsere Zahlen für diese Frage nicht in Betracht fallen. Die Quarzröhre um die Kathode steigert den Kathodenfall um 0,9 Volt bei 3 und 3a. Auch hier spielen wohl eine Reihe von Umständen eine Rolle, die nicht einfach zu übersehen sind; berücksichtigt man nur das Verhindern der Wärmestrahlung aus der Kathode, so müsste nach Simon°®) der Kathodenfall kleiner werden.
Es sei besonders betont, dass die zuletzt angeführten Punkte nicht als definitive Resultate zu betrachten sind. Die Messungen sind nach diesen Richtungen hin zu unsystematisch und zu wenig zahl- reich ausgeführt.
Zusammenfassung
Die erhaltenen Resultate lassen sich in Kürze wie folgt zu- sammenfassen :
Es wurden die sieben von Hagenbach und Veillon gefundenen Formen des Kupfer- und Eisenbogens in Beziehung auf Kathoden- und Anodenfall untersucht und es ist dabei folgendes festgestellt worden:
Die normale Bogenform, der Glimmbogen und die Zwischenform 2 unterscheiden sich im Anodenfall, nicht im Kathodenfall. Von diesen drei Bogen existieren die Zischformen, die durch Oxydation der Kathode entstehen und deshalb auch einen kleineren Wert des Kathodenfalls aufweisen als die gewöhnlichen Formen, während der Anodenfall gleich ist. Die Form 3 zeigt noch eine weitere Modifi- kation, die zwischen den Metalloxyden an Anode und Kathode brennt und deshalb auch kleineren Anoden- und Kathodenfall hat als der normale Bogen.
Zum Schluss sei mir noch erlaubt, meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor August Hagenbach, den herzlichsten Dank aus- zusprechen. Er hat meiner Arbeit stets lebhaftes Interesse entgegen- gebracht und sie mit wertvollen Ratschlägen gefördert.
35) G. Schulze. Ann. d. Phys. 12, 1903. S. 828.
36) J. Stark, T. Retschinsky und A. Schaposchnikoff. Ann. d. Phys. 18, 1905. 2 =; J. Stark und L. Cassuto. Phys. Ztschr. 5, 1904. S. 264.
3) A. Th. Simon. Phys. Ztschr. 6, 1905. S. 297.
Eingegangen im März 1912.
Die Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel,
Von A. Gutzwiller.
In meiner Arbeit über die Diluvialbildungen der Umgebung von Basel (Verh. der Natf. Ges. in Basel, Bd. X, S. 512/696, 1894) habe ich vier verschiedene Schotterablagerungen, die vier verschiedenen Eis- zeiten entsprechen sollten, unterschieden. Die vier Schotter bezeichnete ich (1. c. S.684) als Niederterrassenschotter, Hochterrassenschotter, jüngerer Deckenschotter und Oberelsässischer Deckenschotter.
E. Brückner!) kam zu einer Gliederung, die von der von mir aufgestellten etwasabweicht. Er unterscheidet nämlich, wie im ganzen Alpengebiet, unsere Schotter als Niederterrassenschotter, Hoch- terrassenschotter, jüngere und ältere Deckenschotter. Die Zahl der Schotter wäre in beiden Fällen dieselbe, doch nicht die Abgrenzung der einzelnen Schotter gegeneinander. Was ich als der Hochterrasse zugehtrende Schotter bezeichnet habe, teilt Brückner in eigentliche Hochterrasse und jüngern Deckenschotter. Mein jüngerer Decken- schotter wird sodann zum ältern Deckenschotter und der Oberelsäs- sische Deckenschotter, der ausgedehnteste und mächtigste aller Schotter, wird zu einer pliocänen, nicht glacialen Flussablagerung.
Seit der Publikation meiner oben angegebenen Arbeit und besonders seit dem Erscheinen des Werkes von A. Penck und E. Brückner : die Alpen im Eiszeitalter, habe ich das Schottergebiet der Umgebung von Basel oft begangen und es ist mir gelungen, die verschiedenen Schotter scharf zu trennen. Ich kam zu dem Resultat, dass bei Basel fünf verschiedene Schotter, bezw. Schottersysteme zu erkennen sind, die fünf verschiedenen Eiszeiten angehören mögen. In der Gliederung stimme ich Brückner bei, nur kann ich den Ober- elsässischen Deckenschotter als diluvialen fluvioglacialen Schotter nicht preisgeben, da für dessen pliocänes Alter und die nicht glaciale Her- kunft keine Tatsachen sprechen.
1) Albert Penck und Ed. Brückner: Die Alpen im Eiszeitalter. II. Band,
58 A. Gutzwiller.
In der nachfolgenden Darstellung will ich nur die wesentlichsten Erscheinungen wiederholen und neue Beobachtungen beifügen, im übrigen verweise ich auf meine oben angegebene Arbeit.
1. Der Oberelsässische Deckenschotter.?)
Der Oberelsässische Deckenschotter?) bildet eine von der Erosion vielfach durchschnittene Decke, die sich von der höchsten Er- hebung des oberelsässischen tertiären Hügellandes bei Oberhagen- thal und Bettlach, sowohl nordwärts wie westwärts allmählich senkt. : Bei den letztgenannten Orten liest die Basis des Südrandes der Schotterdecke auf 480 m und die Basis des Nordrandes nördlich Helfrantskirch in 14 Kilometer Entfernung auf zirka 360 m. Die Höhendifferenz beträgt somit zirka 120 m. Es entspricht dies einer Senkung von über 90/59. Verfolgen wir den hoch stehenden Südrand der Schotterdecke von Hagenthal-Bettlach nach Westen in das Tal der Ill, so zeigt sich auch nach dieser Richtung ein allmähliches Sinken. Während die Basis des Schotters bei Bettlach*) auf 480 m liegt, so steht dieselbe oberhalb Werenzhausen auf zirka 440 m und östlich Roppenzweiler auf zirka 400 m. Es entspricht dieses Sinken einem Gefälle von zirka 10 %/oo-
Der Oberelsässische Deckenschotter bildet somit eine schräg ge- stellte Tafel, die in ostwestlicher Richtung etwas stärker geneigt ist, als in der Südnordrichtung. Diese Lage ist wohl tektonischen Störungen zuzuschreiben, durch welche der dem Jura nahe gelegene Südrand etwas gehoben wurde, oder der nach Norden und Nordwesten sich neigende Teil abgesunken ist.
Der nach Osten, gegen die Rheinebene gekehrte Rand der Schotterdecke, auf der Linie Oberhagenthal-Volkensberg-Obermichel- bach-Oberranspach-Helfrantskirch, erscheint wie abgebrochen. Östlich der genannten Linie fehlt der Oberelsässische Deckenschotter gänz- lich, die Erosion hat ıhn entfernt. Was an ältern Schottern in tiefern Lagen sich zeigt, ist infolge nachträglicher Erosion umgelagerter Oberelsässischer Deckenschotter. Dahin gehören z. B. die Schotter- fetzen und Geröllansammlungen von Ober- und Niederhagenthal auf der östlichen und westlichen Talseite bei 420 m, sowie nördlich Nieder- hagenthal gegen Wenzweiler hin, auf 390—395 m, ferner westlich
2) Gutzwiller: Die Diluvialbildungen der Umgebung von Basel. IL. c., S. 576/587.
3) Brückner nennt ihn Sundgauer Schotter. Diese Bezeichnung ist un- genau, da im Sundgau auch noch andere Schotter vorkommmen.
4) Siehe Siegfried-Blatt 6bis und Blatt Volkensberg 3694 königl. Preuss. Landesaufnahme.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 59
Wenzweiler gegen Volkensberg auf 370 m, sowie nordwestlich Atten- schweiler auf nahe 360 m und südwestlich dem letztgenannten Orte auf 400 m. Erst ausserhalb dieser Zone, mehr rheinwärts und etwas tiefer gelegen folgen die fluvioglacialen ältern Deckenschotter.
Der Südrand der Oberelsässischen Schotterdecke ist wie der Ost- rand durch die Erosion angeschnitten und fällt auf der Linie nördlich Liebenzweiler, über Bettlach, nördlich Linsdorf, Fislis, Werenzhausen mehr oder weniger steil gegen das obere bezw. hintere Birsigtal und das obere Illtal ab. Auch hier liegen am Gehänge Geröllanhäufungen auf sekundärer Lagerstätte, die als umgelagerte Deckenschotter be- zeichnet werden müssen. Der ursprüngliche Südrand lag offenbar nicht weit im Süden, da der Jura nahe steht. Derselbe bildete, noch nicht (?) aufgefaltet, damals das südliche linke Flussufer der Strö- mung, die den Oberelsässischen Deckenschotter mit sich führte. Die auf der Vorkette des Blauen bei Mariastein und Hofstetten vorkom- menden Quarzit- und Buntsandsteingerölle sind nicht, wie ich (Die Diluvialbildungen 1. c. S.577) irrtümlich annahm, Relikte des Ober- elsässischen Deckenschotters, sondern Relikte der Juranagelfluh.5)
Der ganze Schotterkomplex des Oberelsässischen Deckenschotters liegt in direkter westlicher Fortsetzung des Rheintales von Waldshut bis Basel. Der Nordrand des Deckenschotters oder das rechte Ufer des ehemaligen Stromes der den Deckenschotter ablagerte, trifft in seiner westlich-östlichen Verlängerung von Altkirch über Helfrants- kirch-Magstatt, das Rheintal wenig unterhalb Basel. Die Fundamente der Eisenbahnbrücke bei Hüningen stehen im Septarienton, der direkt vom Niederterrassenschotter bedeckt wird. Der Oberelsässische Decken- schotter kann daher bei Basel nicht in der Tiefe der Rheinebene liegen, wie ein Profil von Lepsius zeigt,°) in welchem seine Lage durch das Zeichen D.I (ält. Deckenschotter) angegeben ist. Er liegt aber auch weiter nördlich wie bei Istein oder Mülhausen nicht in der Tiefe der Rheinebene, denn er wurde durch eine Strömung, die in ostwest- licher Richtung sich bewegte, abgelagert, deren rechtes (nördl.) Ufer nicht weit über die oben angegebene Linie Altkirch-Basel hinaus- ging. Infolge einer Einsenkung des Rheintales nördlich dieser Linie wurde der Schotter durch rückschreitende Erosion im Gebiet der Rheinebene bei Basel und talaufwärts vollständig entfernt. Dieser abgetragene, wie auch die später bei Basel sich neu auflagernden Schotter, kamen in dem vertieften Rheintal zur Ablagerung, wo sie jetzt unmittelbar übereinander liegen.
5) Gutzwiller: Die Wanderblöcke auf Kastelhöhe. Verh. d. Natf. Ges. in Basel, Bd. XXI, S. 205.
6) Richard Lepsius: Die Einheit und die Ursachen der diluvialen Eiszeit in den Alpen. Abh. der Grossh. Hess. Geol. Landesanstalt, V. Bd., Heft 1, S. 21.
60 A. Gutzwiller.
Ein Rest Oberelsässischen Deckenschotters findet sich in den taschenartigen Hohlräumen des steil aufgerichteten Rogensteins an der Flexur des Tafeljura bei St. Jakob östlich von Basel.)
Welcher Art und von welchem Alter ist der Oberelsässische Deckenschotter ?
Die Form und Lagerung der Gerölle weist mit aller Sicherheit darauf hin, dass derselbe durch fliessendes Wasser von Osten her auf das tertiäre Hügelland des Ober-Elsass und von dort westwärts in das Saönegebiet transportiert wurde. Die sehr gut gerundeten und oft sehr flachen Geschiebe, zu welchen selbst ansehnlich grosse Quarzite gehören, deuten auf einen langen Transport. Das Gesteinsmaterial ist wesentlich alpin. (Siehe Diluvialbildungen I. e. S. 581/585.) Jurakalke fehlen, es fehlt‘ jede Verknüpfung mit Moränen. Den zweifellos fluvioglaeialen Schottern bei Basel lässt sich dieser Schotter seiner Höhenlage wegen nicht gleichstellen, selbst auch nicht den hoch gelegenen Deckenschottern der Ost- und Mittelschweiz (Irchel und Uetliberg), denn das Gesteinsmaterial ist ein anderes, die Zersetzung der letztgenannten eine weniger weit fortgeschrittene. Man wird daher zur Annahme gedrängt, den Oberelsässischen Deckenschotter als eine fluviatile präglaciale Ablagerung zu bezeichnen. Diese Ansicht habe ich früher 3) ausgesprochen, glaubte aber später (Dil. der Umgeb. v. Basel l.c. S. 627) der Ansicht einer fluvioglacialen Bildung den Vor- zug geben zu müssen.
Brückner (Die Alpen im Eiszeitalter S. 469/480) nimmt an, dass in präglacialer, oberpliocäner Zeit, eine Rumpffläche, eine schiefe Abtragungsebene bestanden habe, die von den Alpen über den Jura hinwegging. Über diese Rumpffläche hätten Flüsse aus den Alpen Gerölle in’s Ober-Elsass getragen. Brückner sagt (l.c. S.479): „Die Gerölle des Sundgauer Schotters gelangten an ihre heutige Stelle, als der Jura ganz eingeebnet war. Der Jura bestand damals nicht als Gebirge und konnte daher auch keine Geschiebe liefern. Erst die jung- pliocäne Faltung und Hebung schuf die heutigen Verhältnisse.“
Gegen diese Annahme Brückners wendet sich Machatschek.?) Er nımmt an, dass im obern Pliocän das Rheintal zwischen Waldshut und Basel als eine flache Talrinne bereits gebildet war, durch welche die Wasser sich ins Ober-Elsass ergossen hätten. Nichts steht nun der An-
7) Gutzwiller: Das Alter der foss. Planzen von St. Jakob an der Birs bei Basel. Verh. der Natf. Ges. in Basel, Bd. XIX, S. 211.
3) Gutzwiller: Beitrag zur Kenntnis der Tertiärbildungen der Umgebung von Basel. Verh. der Natf. Ges., Bd. IX, S. 239.
9) Machatschek, Dr. Fritz: Der Schweizer Jura. Versuch einer geo- morphologischen Monographie. Petermanns Mitteilungen, Ergänzungsheft, No. 150.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 61
nahme entgegen, dass nicht in spätpliocäner oder frühglacialer Zeit die vereinigten Gletscher der Mittel- und Westschweiz, vielleicht auch der Ostschweiz bis an den Südrand des Jura, ja bis Waldshut vor- gedrungen wären, wie zur Zeit der grössten Vergletscherung und ihre Schmelzwasser den Weg durch obgenannte Talrinne in das Ober-Elsass nach dem Saönegebiet genommen hätten. Wenn wir auf dem ganzen weiten Weg zwischen Alpen und Ober-Elsass keine analogen Schotter finden, so ist das nicht merkwürdiger, als wenn wir annehmen, die Oberelsässischen Deckenschotter wären rein fluviatile Schotter. In dem einen wie dem andern Fall sind sie der gänzlichen Erosion und Denudation anheimgefallen.
Die verschiedene Gesteinszusammensetzung der Oberelsässischen und der hoch gelegenen ostschweizerischen Deckenschotter wäre kein Grund für die Annahme verschiedenen Alters. Alle Schotter bei Basel sind gemischte Schotter, d.h. sie bestehen aus den Gesteinen der ver- schiedenen vergletscherten Gebiete, deren Eismassen in’s heutige Rhein- und Aaretal vordrangen.
Für das höhere Alter als dasjenige aller übrigen Schotter bei Basel, spricht die hohe Lage und der hohe Grad der Zersetzung. Für eine rein fluviatile Bildung sprechen nicht mehr Tatsachen, als für eine fluvioglaciale. Letztere wird unterstützt durch die oft bedeutende Grösse der Gerölle, sowohl von Quarziten als von alpinen Kalken, eine Grösse, die diejenige der allgemein als fluvioglacial anerkannten jüngern Schotter (ältere und jüngere Deckenschotter) in diesem Ge- biet durchschnittlich übertrifft.
Wir betrachten also den Oberelsässischen Deckenschotter als eine fluvioglaciale Bildung, deren Schottermasse in frühglacialer oder spät- pliocäner Zeit durch aus den Alpen vorstossende Gletscher in die flache Talrinne zwischen Schwarzwald und Jura und durch die Schmelz- wasser von dort nach dem Oberelsass und weiterhin ins Tal der Saöne geführt wurde. Die Talsohle der Abflussrinne lag bei Basel mindestens 200 m über dem jetzigen Rhein. Das heute von der Erosion so durchschnittene und von der Denudation teilweise abgetragene Ge- biet des Oberelsässischen Hügellandes bildete eine einheitliche Tafel, auf ‘welche der Strom seine mitgeführten Gerölle bis zu 30 und 40 m Mächtigkeit auf das so wenig feste tertiäre Gestein ablagerte.
Infolge Absinkens des Rheintales nördlich von Basel und ausser- halb dem Bereiche der Oberelsässischen Deckenschotter, wurde die ostwestliche Richtung des Stromes nordwärts in das heutige Rheintal abgelenkt. Die rasch rückwärts schreitende Erosion erfasste auch das tertiäre Tafelland mit seiner Schotterdecke, entfernte diese vollständig östlich der Linie Hagenthal-Volkensberg-Helfrantskirch-Niedermag- statt, ebenso weiter östlich bei Basel und rheinaufwärts über Waldshut
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hinaus. Im Westen, im Gebiet der jetzt noch vorhandenen Schotter, schnitten weniger stark fliessende Wasser die Gerölldecke vielfach durch und durchfurchten das Tafelland in südnördlicher, wie in west- östlicher und ostwestlicher Richtung. Bei dieser Durchtalung wurden die Gerölle der Schotterdecke teilweise im werdenden Tal wieder ab- gesetzt, wo sie jetzt als kleinere Schotterbänke, als lose Geröllansamm- lungen oder als Einzelgerölle mehr oder weniger hoch am Gehänge liegen.
Diese umgelagerten Oberelsässischen Deckenschotter zeichnen sich durch den grossen Reichtum an Quarzitgeröllen aus, sie liegen nicht in einem bestimmten Horizont und nie sind Kiesgruben in den- selben angelegt, da sie zu wenig ergiebig sind. Auf den ersten Blick erscheinen sie als primäre Schotterhorizonte, doch bei genauerem Zu- sehen und besonders durch das Schürfen erweisen sie sich als sekundär abgelagerte Schotter.
2. Der ältere Deckenschotter.
Oberhalb Biel-Benken (Siegfr.-Blatt 7), auf 390—410 m, kaum 5 km vom hochgelegenen Ostrand der Oberelsässischen Schotterdecke entfernt, liegt ein jüngerer, ebenfalls alpiner Schotter, den Brückner als ältern Deckenschotter bezeichnet. Ich hatte denselben (Diluv. Bil- dungen der Umgebung von Basel), da mir die genauere Abgrenzung noch nicht möglich war, einesteils zum Oberelsässischen Decken- schotter, andernteils zum jüngern Deckenschotter gestellt. Doch seine Lage, durchschnittlich 100 m tiefer als diejenige des Oberelsässischen Deckenschotters und der geringere Grad der Zersetzung erheischen eine besondere Stellung im System unserer Schotter.
Im Walde Fichtenrain, oberhalb Biel (Siegfr.-Blatt 7), bildet dieser Schotter einen deutlichen, nach Süden gerichteten Steilabsturz, aus welchem die Gerölle da und dort zu Tage treten. Östlich von diesem Walde und südlich Punkt 415 (Bielhubel) ist er bei Anlass der Quellenfassung für die Oberwiler Wasserversorgung wiederholt angeschnitten worden. Mehrere Meter Löss und Lösslehm bedecken dort den auf tertiären tonigen Mergeln liegenden Schotter.
Von der südlich am Bielhubel höchstgelegenen Stelle, 390-410 m, lässt sich unser Schotter kontinuierlich verfolgen über Neuweiler (Basis 380 m, oberes Niveau 390 m), Sehônenbuch (oberes Niveau 380 m, Basis 360 m), Wenzweiler (oberes Niveau 360 m), über Mittelsberg und Grabmatt (am Liesbach), nördlich Wenzweiler (340 m), bis an den Übergang der Strasse über den Liesbach, östlich Attenschweiler, auf 320 m. (Siegfr.-Blatt 1, Punkt 321, Bruggmatt.) Nördlich dieser Stelle, gegen Blotzheim hin, ist kein Schotter mehr
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 63
zu beobachten; er scheint durch die Erosion vollständig entfernt worden zu sein. Also von 400 m oberhalb Biel senkt sich der Schotter auf 320 m bei Attenschweiler auf einer Strecke von 8 km. Dies ent- spricht einem Gefälle von 10°/,,, das also nahezu gleich demjenigen des Oberelsässischen Deckenschotters in der Süd-Nordrichtung ist. Dieses Gefälle ist wohl auch tektonischen Störungen zuzuschreiben, infolge welchen das ganze Schotterfeld nach seiner Ablagerung nord- wärts, d. h. gegen die Rheinebene abgesunken ist. Dieses Schotter- feld von zirka 1,8 km Breite verläuft parallel dem bogenförmigen Aussenrand der Rheinebene und ist durch eine Anzahl dem Rheine zufliessende Bäche in einzelne Teilfelder zerschnitten, deren ver- schiedene Höhenlage den Eindruck verschiedener Schotterhorizonte macht. Verfolgt man aber die einzelnen Schottervorkommnisse ge- nauer, so gut es die Lössbedeckung erlaubt, so gewinnt man die Über- zeugung, dass man es mit einem einzigen Schotterfeld zu tun hat. Tief eingeschnittene Kiesgruben gewähren einen guten Einblick in die Beschaffenheit und Zusammensetzung dieser ältern Decken- schotter: so die Gruben von Attenschweiler, Wenzweiler, Schönen- buch, Neuweiler. Quarzite und alpine Kalke bilden die Hauptmasse der Gerölle. In der Kiesgrube von Attenschweiler fand sich ein Geröll von schwarzem alpinem Kieselkalk mit den Dimensionen 0,8 m, 0,5 m, 0,5 m, wohl gerundet und mit einer nahezu 1 em dieken Verwit- terungsrinde. Überall zeigt sich starke Zersetzung der Gerölle, doch weniger hochgradig als beim Oberelsässischen Deckenschotter, mit Ausnahme des Schotters von Neuweiler im Walde Kei, den ich früher (Diluvialbildungen der Umgebung von Basel, 1. c. S.576) seiner starken Zersetzung wegen zum Oberelsässischen Deckenschotter stellte. Nun liegt aber dieser Neuweilerschotter, wie sämtliche Schotter ob- genannter Orte, um 100 m tiefer als die Basis des Oberelsässischen Deckenschotters an ihrem Ostrande. Der Neuweilerschotter ist ein Glied eines tiefer gelegenen Schotterfeldes, dessen Bildung eine Jüngere ist, als diejenige des Oberelsässischen Deckenschotters, er kann also nicht letzterm angehören. Die starke Zersetzung ist wohl nur eine lokale. Die Lage am Gehänge, geringe Lössbedeckung und relativ geringe Mächtigkeit der Geröllmasse an jener Stelle, mögen die Zer- setzung beeinflusst haben. Die wenig höher gelegenen Schotter, süd- lich Neuwil und oberhalb Biel, zeigen diese starke Zersetzung nicht, wie dies bei verschiedenen neuern Aufgrabungen zu sehen war. Ich betrachte daher diese Schotter von Neuweiler-Biel-Benken nicht mehr als Oberelsässischen Deckenschotter (siehe: Die Diluvialbildungen ete., 1. c. 8.576), sondern , wie die von Schönenbuch-Wenzweiler- Attenschweiler als ältere Deckenschotter, gleich Münchenstein-Rhein-
felden.
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Da die Basis des Oberelsässischen Deckenschotters mit derjenigen des tiefer gelegenen ältern Deckenschotters nahezu parallel läuft, so ist anzunehmen, dass die tektonischen Störungen, durch welche beide Schotter eine Neigung nach Norden erhielten, gleichzeitig nach Ab- lagerung des ältern Deckenschotters erfolgte, während die Ablenkung des Rheinstromes aus der ostwestlichen Richtung in die nördliche, in das jetzige Rheintal unterhalb Basel, schon früher, vor der Ab- lagerung des ältern Deckenschotters erfolgte.
Verfolgen wir den ältern Deckenschotter ostwärts, so finden wir gleiche Ablagerungen erst an der Flexur des Tafeljura gegen das Rheintal, oberhalb Münchenstein, auf 380 m (Basis); sodann südlich Rheinfelden, ‚auf dem Berg," mit der Basis auf 360 m, mit dem obern Niveau aber auf 400 m. Dieses selbe obere Niveau zeigt der gleiche Schotter, wie oben angegeben, oberhalb Biel (Bielhubel- Hänslisreben). Somit fehlt diesem ältern Deckenschotter ein Gefälle in ost-westlicher Richtung von Rheinfelden bis Biel-Neuweiler. Der- selbe ist offenbar nach seiner Ablagerung auf der ganzen Strecke von Rheinfelden bis Attenschweiler im Oberelsass tektonisch gestört worden und zwar derart, dass er nun bei Rheinfelden im Osten, wie bei Attenschweiler im Westen etwas zu tief und in der Mitte oberhalb Biel-Neuweiler zu hoch liest.
Auf der rechten Rheinseite, nördlich von Basel, sind ältere Deckenschotter wenig entwickelt. Ein älterer Rheindeckenschotter fehlt, wenn man nicht die Crerülle,10) die beim Graben eines Brunnen- schachtes auf 360 m im Dorfe Huttingen (nordöstlich vom Isteiner- klotz) in 10 m Tiefe unter Löss und über Septarienton zum Vorschein gekommen sind, als solchen betrachten will. Oberhalb Riehen, im Lerchengsang, liegen auf 360 m stark verwitterte kristalline Schwarz- waldgesteine, sowie Buntsandsteingerölle, die, obwohl sie 20 m tiefer liegen als der ältere Deckenschotter, auf der linken Rheinseite (Münchenstein 380 m) doch letzterm zugehörig sind.!!) Ob aber die wesentlich aus Buntsandstein bestehenden Gerölle der Kiesgrube auf der Lucke (380 m), oberhalb Thumringen, auch zum ältern Decken- schotter zu stellen sind, ist nicht ersichtlich. Sie scheinen mit weit verbreiteten Geröll- und Tonablagerungen zu beiden Seiten des Kandertales in Beziehung zu stehen, die manchmal moränenartigen Charakter annehmen.!?) Möglicherweise sind diese Geröllablage-
10) M. Mieg: Notes sur les Schistes a Meletta d’Huttingen pres Istein. Feuille des Jeunes Naturalistes, IVe Serie, No. 139, 1°" Mai 1907.
11) Brückner: Die Alpen im Eiszeitalter, S. 456.
12) Pfaff: Untersuchungen über die geol. Verhältnisse zwischen Kandern und Lörrach im bad. Oberlande. Berichte d. nat. Ges. zu Freiburg i/Br. Bd. NII. Heft 1.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 65
rungen auf den Höhen des Kandertales (Heuberg ete.) gleichalterig mit dem Oberelsässischen Deckenschotter.
3. Der jüngere Deckenschotter.
Der jüngere Deckenschotter bildet südlich Basel, ähnlich wie der ältere Deckenschotter, ein dem Rande der Rheinebene parallel verlaufendes, stark von Löss bedecktes Schotterfeld. Seine Oberfläche liegt im Süden von Basel bei Oberwil um 40 m, im Westen jedoch nördlich Buschweiler, wo er sein Ende erreicht, um 20 m tiefer als die Basis des zunächstgelegenen ältern Deckenschotters. Das Gefälle berechnet sich zu 3/9, wenn man die Auflagerung südöstlich Basel (Rütihard 330 m) mit derjenigen nördlich Buschweiler (300 m), bei einer Entfernung von 10 km, in Rechnung bringt.
Das 3—6 km breite Schotterfeld ist, wie dasjenige des ältern Deckenschotters, durch Seitentäler in einzelne Felder zerschnitten. Das grösste dieser Teilfelder bildet den Rücken des Bruderholzes mit einer Schotterbedeckung von 3 km Breite in ost-westlicher und 6 km Länge in nord-südlicher Richtung. Im allgemeinen ist die Lehmbedeckung so stark (Maximum 15—20 m), dass der Schotter nur an wenig Stellen sichtbar wird. Da und dort gewährt uns eine Kiesgrube am Rande des Schotterfeldes, wie z. B. diejenige von Bott- mingen mit 16 m Tiefe, einen Einblick in die Geröllmasse.
Gegen die Rheinebene erreicht das Schotterfeld z. T. nahezu, z. T. vollständig (Rütihard) deren Rand, sodass für die tiefer liegende Hochterrasse nur noch wenig oder gar kein Raum bleibt.
Das Gesteinsmaterial ist dasselbe wie beim ältern Deckenschotter, nur ist die Zersetzung weniger stark fortgeschritten. Kalkgesteine sind häufig wohl erhalten; nur in der Nähe der Oberfläche erscheinen Kieselkalke vollständig ausgelaugt. Feldspathführende Gesteine sind häufig kaolinisiert, doch sind manche noch so gut erhalten, dass sie zu erkennen sind. Am häufigsten erscheinen Quarzite, die im Verein mit den Kalkgeröllen noch einen guten Strassenschotter liefern. Block- artige Gesteinsstücke sind nicht selten (Hauptrogenstein, Süsswasser- kalk mit 1 m in der einen Dimension).
Ich habe früher (siehe die Diluvialbildungen der Umgebung von Basel) diese jüngern Deckenschotter als Hochterrasse bezeichnet und dazu auch die nächst tiefere Stufe gestellt. Brückner hat die beiden Stufen getrennt und sie als verschiedene Schotter aufgefasst. Ich stimme ihm bei.
Der jüngere Deckenschotter alpiner Herkunft findet sich bei Basel nur auf der linken Rheinseite. Auf der rechten Rheinseite fehlt er talaufwärts bis Rheinfelden bezw. Nollingen (Galli 250 m).
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Am Ausgang des Wiesentals an der Strasse Riehen-Inzlingen liegt ein stark zersetzter Schwarzwaldschotter, der, obwohl in tiefer Lage (310—8325 m), dem jüngern Deckenschotter gleich zu stellen ist; dahin gehört auch derjenige bei der Ziegelhütte Stetten, auf 340 m.
Auch das linke Rheinufer des jüngern Deckenschotters ist nur bis Buschweiler-Häsingen vorhanden. Es muss also nach der Ab- lagerung des jüngern Deckenschotters eine tiefgreifende Erosion statt- gefunden haben, die bei Basel bis auf das jetzige Rheinbett, d. h. 60—70 m tief ging. Es geschah dies in der Mindel-Riss-Interglacial- zeit, vor der Bildung der Hochterrasse. Die Erosion wurde unter- stützt und befördert durch erneutes Einsinken des Rheintals nördlich von Basel.
4. Der Hochterrassenschotter.
Der Hochterrassenschotter liegt im Süden von Basel mit seiner Oberfläche (315 m) 10—12 m tiefer als die Basis des jüngern Decken- schotters (325 m). Im allgemeinen bildet der Hochterrassenschotter an dem der Rheinebene zugekehrten Rand der Hügel ein 5—10 m hohes Geröllband, das nur wenig tief (300—400 m) unter die Lehm- bedeckung hineingreift. Stellenweise fehlt er infolge nachträglicher Erosion vollständig, wie am Nordrand des Jura zwischen dem Birstal und dem Tal der Ergolz und am Südrand des Dinkelberges zwischen Wilen und Nollingen. In grössern Seitentälern, wie im Birstal, liegt er auch am Gehänge dieser Täler (Ostabhang des Bruderholzes) und baut sich dann aus den Gresteinen dieser Täler auf (Jurakalke).
Der Hochterrassenschotter bildet also keine Decken, sondern nur wenig breite Terrassen, die infolge der Lehmbedeckung und der stark undulierten Oberfläche nicht deutlich hervortreten, im Gegensatz zu den tiefer gelegenen vollständig ebenen Niederterrassenfeldern.
Die Basis des jetzt noch vorhandenen Hochterrassenschotters liegt am Rand der Hügel südlich von Basel, zirka 20 m über der Nieder- terrasse, nähert sich dann aber rheinabwärts dem obern Niveau der letztern mehr und mehr, um nördlich Sierenz unter demselben zu ver- schwinden. Auf der rechten Rheinseite, nördlich und östlich von Basel, erscheint die Rheinhochterrasse bei Wilen; ferner am Westabhang des Grenzacherhorns (Karl Friedrichsberg, Hornfels) bis in die Nähe von Riehen und zum letztenmal am Ausgang des Kandertales westlich Öttlingen an der Strasse, die nach Haltingen hinunterführt, auf 290 bis 295 m. (Diluvialbildungen l.c. S. 562/565.) Die Hochterrasse hat sich nach der Mindel-Riss-Interglacialzeit, also in der Risseiszeit ım Gebiet des heutigen Rheinbettes und der Rheintalebene bis zum oben angegebenen Niveau aufgebaut und ist in der letzten (Riss- Würm-)Interglacialzeit grösstenteils wieder entfernt worden. Grössere
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 67
und kleinere Komplexe dieser Hochterrassenschotter blieben gewiss inmitten des Rheintales und an andern Stellen stehen und sind schliess- lich von den letzten sich anhäufenden Schottern, den Schottern der letzten Eiszeit zugedeckt worden.
Solche tief gelegenen ältern Schotter erwähnt Mühlberg (Der Boden von Aarau S. 52), ferner J. Hug!?) am Rheinfall bei Schaff- hausen und weiter abwärts, die ich früher schon (siehe die Diluvial- bildungen der Umgebung von Basel I. ce. S. 606) beobachtet habe und ihrer Gesteinsbeschaffenheit wegen zu den Hochterrassenschottern ge- stellt habe. Hier in Basel mögen die Nagelfluhriffe im Rhein unter- halb der Johanniterbrücke bei der Schlachtanstalt, sowie diejenigen am linken Rheinufer oberhalb Hüningen zu diesen Ablagerungen ge- hören.
Höchst eigentümlich und interessant ist das Vorkommen von stark zersetztem Schotter unter der Niederterrasse des Muttenzerfeldes im sog. Kriegacker (Siegf. Bl. 8) zirka 200 m südlich der Eisenbahnlinie der S. B. B. und 80 m östlich der Strasse Birsfelden-Muttenz. Hier geht eine Kiesgrube (Besitzer Lobig) 13m tief durch vollständig frischen unzersetzten Schotter, wie ihn die Niederterrasse überall zeigt. An der Basis finden sich grosse Geschiebe z. T. blockartig. Einer der Blöcke, ein kantengerundeter Hauptrogenstein besass einen Inhalt von nahezu einem Kubikmeter. Ein von der Basis der Kiesgrube abge- teufter Schacht führte zunächst durch 0,8 m grauen unzersetzten Schotter wie der darüberliegende; sodann 4m durch stark zersetzten in gelbem sandigem Lehm eingebetteten Kies, ohne das Liegende zu erreichen. Zwischen dem blaugrauen Niederterrassenschotter und dem ältern gelben zersetzten Kies besteht eine scharfe Grenze. Das Ge- steinsmaterial macht ganz den Eindruck des zersetzten Teiles eines jüngern Deckenschotters wie er z. B. auf dem Bruderholz südlich von Basel zu sehen ist. Alpine Kieselkalke sind häufig ausgelaugt und besitze: nur noch das leichte Kieselgerüste; feldspathführende Ge- steine sind ganz mürbe geworden, erscheinen hin und wieder aber noch auffallend frisch. Der Grad der Zersetzung nimmt von oben nach unten ab, das lehmige Bindemittel erscheint bis auf 3m Tiefe frei von Carbonat, währenddem in grösserer Tiefe solches vorhanden ist. Daraus ist zu schliessen, dass der Schotter lange Zeit vor der Be- deckung durch den Niederterrassenschotter der Einwirkung der Atmosphärilien ausgesetzt war und dass die Verwitterung, wie sie sich heute zeigt, zur Zeit der Ablagerung des aufliegenden Schotters schon vollendet oder nahezu vollendet war. Wenn man sieht, wie ge-
3) J. Hug: Beiträge z. geol. Karte der Schweiz, Lief. XV, Neue Folge 8:30: ff.
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ringmächtig die Verwitterungsdecke des Niederterrassenschotters ist (0,3—0,5 m), so gibt uns jene ein Mass für die lange Zeit, die die beiden Ablagerungen trennt.
Das Liegende des zersetzten Schotters besteht aus Trigonodus- dolomit. In einer benachbarten Kiesgrube, die nur 40 m nördlicher gelegen ist, tritt dieses Gestein schon bei 9 m Tiefe und in einer dritten Grube (200 m westlich der vorigen) in 12m Tiefe zum Vorschein, ohne Auflagerung von zersetztem Schotter. Es muss also unser Schotter in einer Rinne oder in einer muldenartigen Vertiefung des liegenden Cresteines eingelagert sein, ein Umstand, der die nachträgliche Ent- fernung verhinderte.
Die Terrainoberfläche der Kiesgrube liegt im Niveau von 282 m; somit liegt die Basis des Schachtes auf 264m und das Liegende nur wenig tiefer, auf zirka 262 m. Diese Höhenlage entspricht dem Ober- rand des rechten Rheinufers bei Grenzacherhorn, d.h. zirka 14 m über dem Nullpunkt des Pegels bei Basel.
Welchem Schotter müssen wir diesen zersetzten Schotter unter der Niederterrasse im Kriegacker zuteilen ? Nach seiner Lage gehört er zur Hochterrasse; nach dem Grad der Zersetzung wenigstens zum jüngern Deckenschotter. Dieser letztere liegt auf der Rütihard (1 km südlich vom Kriegacker) mit der Basis auf 330 m, d.h. also nahezu 70 m höher als die Basis des Schachtes im Kriegacker. Da nun keine Erscheinung dafür spricht, dass die Erosionsbasis zur Zeit der Ab- lagerung des jüngern Deckenschotters im Rheintal schon so tief lag, sondern erst in der nachfolgenden Interglacialzeit, d.h. in der vor- letzten Interglacialzeit (Mindel-Riss) so tief gelegt wurde, so ist man wohl genötigt, den betreffenden Schotter dieser Zeit zuzuteilen. Darauf müsste sich dann der eigentliche Hochterrassenschotter gelegt haben, der im Rheintal während der letzten Interglacialzeit z. T. wieder entfernt wurde, bis schliesslich der Niederterrassenschotter die jetzige Auflagerung bildete.
Meine früher gemachten Angaben (Die Diluvialbildungen 1. ec. S. 564/650), dass Hochterrassenschotter im Birsigtal bei Binningen im Dorfe und südlich demselben ‚Im Steinenkreuz‘‘ in tiefer Lage sich finde, muss ich dahin richtig stellen, dass es sich an beiden Lokalitäten um Abrutschungen handelt: ebenso bei den ‚„Gutackersmatten‘‘1#) in der Nähe von Oberwil (Brückner 1. c. S.455). Hier zeigt sich der höher stehende jüngere Deckenschotter (Kiesgrube im Stallen) durch Verwerfungen, die parallel (Nord-Süd) mit dem Gehänge laufen, stark gestört. Ebenso gehört der am Südende des Dorfes Binningen in der
14) Diese Flurnamen sind auf den revidierten Kartenblättern nicht mehr angeführt.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 69
Nähe der Ziegelei Schafmatt (Die Diluvialbild. Le. S.650) durch einen über 10 m tiefen Brunnenschacht erreichte Schotter nicht einem tief gelegenen Hochterrassenschotter an, sondern dem obern Niveau der Birsigtalniederterrasse, die nördlich dieser Stelle an verschiedenen Punkter durch Aufgrabungen von Fundamenten für Neubauten auf- gedeckt wurde. Die Stellen, an denen dieser Niederterrassenschotter zu sehen war, liegen genau im Niveau der Oberfläche der Rheinnieder- terrasse nördlich von Binningen (Holeeletten 286 m, Siegf. Bl. 1). Die Birsighochterrasse, die erst in neuerer Zeit abgedeckt wurde, liegt in der Lehmgrube der Ziegelei Schafmatt auf 300 m und die Rhein- hochterrasse am Holeerain westlich St. Margrethen (Siegf. Bl.7) in demselben Niveau.
Es geht also nıcht wohl an, scheinbar tief gelegene Hochterrassen als Beweis für die Existenz einer Mittelterrasse anzuführen.15) Jene Terrassen bezw. Kiesablagerungen gehören der Birsigniederter- rasse an.
An der Nordostecke des Bruderholzes, östlich von Gundeldingen und nördlich vom Jakobsbergerhof (Siegf. Bl.8) liegt ein Schotter auf 295—300 m, wesentlich aus Juragesteinen bestehend. Derselbe lehnt sich, zirka 8 m über die Niederterrasse sich erhebend, von Löss und Lehm bedeckt an die Rheinhochterrasse an. Ein Teil dieser Terrasse, die Tschudi (l.c. S.8) als Mittelterasse bezeichnet, wurde beim Bau einer neuen Strasse nach dem städt. Reservoir im Jahre 1903 abge- tragen, wobei man die Anlagerung derselben an die Rheinhochterrasse deutlich sehen konnte. Südwärts entlang dem Ostrand, sowie west- wärts entlang dem Nordrand des Bruderholzes lässt sich diese Terrasse nur auf eine kurze Strecke verfolgen. Sie scheint vor der Aufschüt- tung der Niederterrasse erodiert worden zu sein.
Das Vorkommen dieser, zwischen Hochterrasse und Niederter- rasse sich einschiebenden neuen Terrasse, ist so unbedeutend, dass man sich fragen muss, ob es gerechtfertigt ist, gestützt auf ihre Er- scheinung ein neues Schottersystem aufzustellen, was natürlich die Annahme einer neuen Eiszeit oder doch einer starken Gletscherschwan- kung im Gefolge haben würde.
Nach Mühlberg (Der Boden von Aarau. Festschrift 1896) folgt auf die Bildung der Hochterrasse und vor Ablagerung der Nieder- terrasse, die Ablagerung von Moränen und fluviatilen Schottern einer grössten Vergletscherung. Schotterterrassen dieser Vergletscherung sind im Rheintal nicht bekannt. Vielleicht gehört der Terrassenrest
15) Tschudi, Rob.: Zur Altersbestimmung der Moränen des untern Wehra- tales. Inaug.-Dissertation. Univ. Basel, 1904.
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von Gundeldingen einer solchen Terrasse grösster Vergletscherung oder nach Tschudi (1. e.) der Mittelterrasse Sfeinmann's an.
Zur Mittelterrasse Steinmann's16) stelle ich den von jüngerm Löss bedeckten Bachschotter von Häsingen (Gutzw., Die Diluv.-Bildg. l.c. p. 644, 673/741), der in einer Erosionsfurche der Hochterrasse als Schuttkegel sich ablagerte und an welchen der Niederterrassen- schotter des Haupttales (Rheintal) sich anlehnt. Nach van Werveke !?) soll der Schotter des Seitentals mit dem Löss auf der Niederterrasse liegen.
Als Mittelterrasse bezeichnet Tschudi auch einen Teil des Schotters bei Möhlin, speziell denjenigen, der in einer Kiesgrube am Wolfgalgen, westlich der Kirche an der Strasse nach Rheinfelden aufgeschlossen ist. Die Gerölle sind ausserordentlich frisch und in ihrer Gesteinsart gleich denjenigen des Niederterrassenschotters. Der Schotter trägt an jener Stelle eine Lehmdecke von 2—2,5 m, doch nicht von jüngerm Löss, sondern von abgeschwemmtem Lehm, reich an gröberm Sand und kleinen bis haselnussgrossen Geschiebehen.
Tschudi parallelisiert mit seiner Mittelterrasse die Ablagerungen der grössten Vergletscherung, wie die von Birndorf und an andern Orten in der Umgebung von Waldshut-Koblenz. Von diesen Ab- lagerungen sagt Bloesch :18) ,, Die fluvioglacialen Ablagerungen der grossen Eiszeit sind viel frischer als die Hochterrasse. In dieser Be- ziehung sind sie vom Niederterrassenschotter meist nicht zu unter- scheiden.‘ Ich kann diesem Satze nur beipflichten und sogar sagen, diese Schotter der grossen Eiszeit, so wie ich sie bei Birndorf und andern Orten in der Umgebung von Waldshut gesehen, sind vom Niederterrassenschotter gar nicht zu unterscheiden.
Wenn nun der Grad der Verwitterung noch ein Kriterium für die Altersbestimmung der Schotter sein soll, so müssen die Ablage- rungen der grossen Eiszeit denjenigen der letzten Eiszeit bezüglich des Alters ungleich näher stehen, als den Schottern der Hochterrasse. Mit andern Worten, die Ablagerungen der grossen Eiszeit oder der grössten Vergletscherung, wie sie Mühlberg nennt, gehören in die Vorstossperiode der letzten Eiszeit.
Bloesch sagt (Le. S.10): „Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse können wir die letzte Vergletscherung auch als Rückzugs-
16) G. Steinmann: Ueber die Gliederung des Pleistocän im bad. Oberland. Mitteilungen der grossh. bad. geolog. Landesanstalt II, Bd. XXI. 1803.
17) Van Werveke, Bergrat, Dr. L.: Die Mittelterrasse der Gegend von Freiburg i/Br. - Löss auf der Mittelterrasse. Mitteilg. d. Geolog. Landesanstalt von Elsass-Lothringen, Bd. VII, S. 135.
18) Bloesch, Dr. Ed.: Die grosse Eiszeit in der Nordschweiz. Beiträge zur Geol. Karte d. Schweiz, Neue Folge. 31 Liefg. 1911, S. 8.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 71
stadium der grossen Eiszeit auffassen." Das heisst doch nichts anderes als: Wir können die grosse Eiszeit als das Stadium des Vor- rückens der Gletscher zur letzten Eiszeit auffassen.
Wo liegen die Schotter dieser grössten Vergletscherung speziell in der Umgebung von Basel ? Begraben in der Tiefe des Rheintals, z. T. wieder weggeführt, z. T. von den eigentlichen, von den Jungend- moränen ausgehenden Niederterrassenschottern bedeckt!
In welchem Verhältnis steht der Löss und stehen die Schotter der grossen Eiszeit bezüglich ihres Alters zu einander ?
Nach Bloesch (1. e. S. 9) fällt die Bildung des Lösses in die Zeit zwischen grosse Eiszeit und letzte Eiszeit. Bloesch nennt eine Anzahl Sand- und Kiesgruben der grossen Eiszeit zwischen Böttstein und Leibstatt, sowie bei Birndorf und Birkingen, erwähnt aber nicht, ob die Ablagerungen mit Löss oder Lösslehm bedeckt sind oder nicht; für Birndorf weiss ich, dass die Lössbedeckung fehlt. Ferner gibt der genannte Autor für Laufenburg eine Anzahl Lössvorkommnisse an, ohne die Unterlage zu erwähnen. Es scheint, dass die Ablage- rungen der grössten Vergletscherung nicht immer mit Löss bedeckt sind. Bei Aarau (Mühlberg, der Boden von Aarau, S. 148) liegt im Oberholz unter Löss und Lehm eine dünne Schicht (0—0,3 m) von verwittertem Kies, der wohl dem Hochterrassenschotter angehört und der vor Ablagerung des Lösses weggeschwemmt wurde.
Bei Basel liegt der Löss auf der Hochterrasse und den noch ältern Schottern. Alle diese Schotter sind zersetzt und zwar um so mehr, je älter sie sind. Die Schotter der grossen Eiszeit (erster Vorstoss zur letzten Eiszeit) fehlen, wenn nicht die unbedeutenden Vorkommnisse bei Gundeldingen (S. 13) und bei Häsingen (S. 14) als solche, bezw. als Mittelterrasse zu deuten sind. Auf der Mittelterrasse liegt jüngerer Löss, wie solcher auch über der Hochterrasse auf älterm Löss liegt. Verschiedene Erscheinungen deuten darauf hin, dass der ältere Löss spät auf die Hochterrasse aufgelagert wurde, wie z. B. die Zersetzung der Gerölle, die vollendet sein musste, bevor der jetzt noch kalkhaltige Löss sich auflagerte. Es ist nicht anzunehmen, dass die Zersetzung der Gerölle unter einer Lössdecke vor sich ging, welche heute noch reich an Kalk, Lôüsskindchen und Schneckenschalen ist.
Fassen wir die sogenannte grosse Eiszeit als Vorstossperiode der letzten Vergletscherung auf bis an ihre äussersten Grenzen, und fassen wir ferner die letzte Vergletscherung bis an die Jungendmoränen als Rückzugsphase der gesamten Vergletscherung auf, so fällt die Ab- lagerung des jüngern Löss in die erste Rückzugsphase der letzten Eiszeit (Auflagerung von Löss auf die Mittelterrasse und die gleich- alterigen Bildungen der grössten Vergletscherung). Dann kann ich
72 A. Gutzwiller.
auch Brockmann!?) wenigstens teilweise beistimmen, wenn er sagt, dass der Löss nicht eine interglaciale, sondern eine glaciale Bildung sei.
Mit der Frage der grossen Eiszeit und ihrer Schotter, steht wohl auch die Frage über das Vorkommen von Löss auf der Nieder- terrasse in engerem Zusammenhang. Nach van Werveke (1. ce.) ent- spricht die lössbedeckte Mittelterrasse am Niederrhein der Schweizer Niederterrasse. Ich vermute diese lössbedeckte Mittelterrasse am Niederrhein möchte der Vorstossperiode der letzten Vergletscherung (grosse Eiszeit) angehören und nicht der von den Jungendmoränen ausgehenden Niederterrasse, die dem Rückzugsstadium derselben an- gehört.
Der ältere Löss, der stets über der Hochterrasse und (sofern er vorhanden) unter jüngerm Löss gelegen ist, muss vor der grossen Eis- zeit, wie bereits Mühlberg (Der Boden von Aarau, Tabelle) angıbt, abgelagert worden sein, und zwar erfolgte die Ablagerung in einer Zeit, die dem Vorstoss der letzten Vergletscherung (grosse Eiszeit) näher liegt als der Ablagerung der Hochterrasse. Daraufhin deuten speziell die Verwitterungserscheinungen des Hochterrassenschotters, auf welchem der ältere Löss liegt.
5. Der Niederterrassenschotter.
Der Niederterrassenschotter bildet bei Basel die breite flache Sohle des Rheintales und dessen Seitentäler, wie dem Tal der Birs, der Ergolz, der Wiese und der Kander. Wo die Seitentäler eng sind, kommt er naturgemäss weniger zur Entwicklung und die Nieder- terrasse ist dort gewöhnlich stark mit Lehm bedeckt, wie im Tal des Birsig und zahlreichen andern Seitentälern.
Das Gesteinsmaterial ist von grosser Frische und grosser Manig- faltiskeit. Letzteres gilt natürlich nur vom Haupttal, dem Rheintal, dessen Niederterrassenschotter sowohl aus den Alpen, als dem schweize- rischen Mittelland, dem Jura und dem Schwarzwald stammt. (Die Diluvialbildungen 1. ce. S. 525/529.) Frische und Manigfaltigkeit der Gesteinsarten unterscheiden den Niederterrassenschotter stets vom Hochterrassenschotter.
Auffallend sind relativ häufig vorkommende Blöcke ver- schiedener Cresteinsarten, wie Schwarzwaldgranite und -gneisse, Bunt- sandsteine, Alpenkalke u. a. m., die bis über 1 m in der einen Dimension messen. Meist sind diese Blöcke kantenrund, doch nicht selten auch kantig. (Siehe Bild bei Gutzwiller. Das Alter der foss.
19) Brockmann-Jerosch: Das Alter des schweiz. diluvialen Lösses. Viertel- jahrsschrift der nat. Ges. in Zürich, Jahrgang 54. 1909.
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 13
Pflanzen v. St. Jakob a. d. Birs bei Basel. Verh. d. nat. Ges. in Basel, Bd. XIX. S. 215/16.)
Man wird wohl nicht irre gehen, wenn man diese meist in einem tiefen Niveau im Niederterrassenschotter eingeschlossenen Blöcke von den Gletschern der sogenannten grossen Eiszeit herleitet, die bis in die Nähe von Basel (Tschudi, 1. e., alpine Moräne bei Säckingen) vorgestossen sind. Einzelne Stücke, speziell die kantigen Buntsand- steine, mögen auf Eisschollen getragen und nach kurzem Transport in die Geröllmasse begraben worden sein. Gewisse Blöcke mögen auch von den Gletschern der Risseiszeit transportiert worden und als Relikte des Hochterrassenschotters zu bezeichnen sein.
Nirgends ist unsere Niederterrasse von primärem, ächtem Löss und Lösslehm bedeckt und war auch nie von solchem überlagert. Eine vom Aussenrand gegen die Talmitte unreine, von Geröllen durchsetzte Decke von Lehm bildet, im Gegensatz zur Hochterrasse, die ebene, oder nur schwach gewellte Oberfläche. Ihre Mächtigkeit nimmt vom Aussenrand gegen die Talmitte zunächst rasch, dann langsam ab. Nie ist dieselbe irgendwie erheblich, mit Ausnahme unmittelbar am Aussenrand, wo der von den Hügeln abgespülte Lehm sich anhäuft oder entlang dem Laufe der aus den Seitentälern austretenden Bäche und Bächlein, die den Hauptstrom nicht erreichen, darum sich nicht im Niederterrassenschotter einschneiden, im Schotter versiegen und flache Schuttkegel aufsetzen.
Nach Hug?) ist die Niederterrasse zwischen Schaffhausen und Basel zweigeteilt. Die beiden Terrassen, bezw. Terrassensysteme, sollen Aufschüttungen zweier getrennten Phasen der letzten Eiszeit entsprechen. Bei Basel ist sowohl die Zahl der Terrassen, wie ihr Niveau zu beiden Seiten des Rheines verschieden. Einzig das oberste Niveau der eigentlichen Niederterrasse ist hier wie dort dasselbe. Linksrheinisch ist die Zahl der Terrassen grösser als rechtsrheinisch, ein Beweis dafür, dass der Rhein, nachdem er in das obere Niveau der Niederterrasse sich eingeschnitten hatte, sein Bett allmählich weiter nach rechts verlegte, und sogar stellenweise, wie bei Grenzach- Wyhlen, beinahe das ganze Schotterfeld abtrug. Sodafabrik Wyhlen rechte Rheinseite 270 m, Station Pratteln linke Rheinseite direkt gegenüber liegend 293 m, Höhendifferenz 23 m.
Hier bei Pratteln-Schweizerhalle hat man den Eindruck von zwei Terrassen, einer obern, mit den Ortschaften Pratteln-Muttenz und der Hardwaldung und einer untern, mit der Saline Schweizerhalle (Siegfr.-Blatt 8). Der Innenrand der obern Terrasse (eigentliche
20) Dr. J. Hug: Die Zweiteilung der Niederterrasse im Rheintal zwi- schen Schaffhausen und Basel. Zeitschr. f. Gletscherkunde, III. Bd. 1909.
74 A Gutzwiller.
Niederterrasse) fällt mit einer Höhe von 8—10 m zur untern (nach Hug wieder aufgeschütteten) Terrasse ab, deren Niveau 273 m be- trägt. ‚Jene, die obere Terrasse mit einem obern Niveau von 286 m, ist nicht einheitlich. Sie zeigt drei sekundäre Terrassen von je 2—-3 m Höhe, die vom 8—10 m hohen Hauptrand (Innenrand) westwärts verlaufend, sukzessive sich abzweigen und sich wieder verlieren. Diese sind zweifellose Erosionsterrassen. Die untere (273 m) Terrasse, die Hug von Eglisau bezw. Winterthur bis Schweizerhalle verfolet hat, verschwindet unterhalb letztgenanntem Orte und macht tiefer ge- legenen Terrassen Platz, wie z. B. bei Birsfelden einer untern Stufe auf 264 m.
Im Nordwesten der Stadt Basel, zwischen Burgfelden, St. Ludwig und Hüningen sind mehrere Terrassen zu sehen, von welchen die meisten bald wieder verschwinden. Bei Blotzheim- Bartenheim erkennt man nur noch zwei Terrassenränder, die den Innenrand der beiden obern Terrassenfelder begrenzen; auf dem dritten untersten fliesst der Rhein. Wenig weiter abwärts, bei Sierenz- Kembs, vereinigen sich die beiden obern Terrassen in eine, sodass nur noch eine einzige, die beiden Terrassen trennende Stufe übrig bleibt. Diese, deutlich (6—7 m) aus dem Gelände hervortretend, lässt sich rückwärts bis St. Ludwig verfolgen und bildet dort, das Dorf St. Ludwig tragend, den 6—7 m hohen Innenrand einer breiten, an ihrer Oberfläche vielfach unregelmässig abgestuften Terrasse, die nach ihrer Höhenlage der Terrasse von 273 m bei Schweizerhalle ent- sprechen könnte. Sie liegt mit ihrem Innenrand nur noch 10—12 m über dem Rhein bei Hüningen und würde von Schweizerhalle bis St. Ludwig ein Gefälle von 1,70/,, verlangen. (10 km Entfernung. 17 m Höhendifferenz.) Diese Terrasse trägt aber so sehr das Ge- präge einer Erosionsterrasse (wiederholt auftretende und wieder ver- schwindende kleinere 1—2 m hohe Terrassenstufen), dass man sie nicht als Akkumulationsterrasse auffassen kann. Am ehesten könnte man als solche die unterste Terrasse auffassen, die z. T. im Inun- dationsgebiet des Rheines liegt, doch ist ihre Lage im Vergleich zur 273 m Terrasse bei Schweizerhalle eine zu tiefe.
Auf der rechten Rheinseite, unterhalb Basel, ist eine Zwei- teilung der Niederterrasse, die auf zweimalige Aufschüttung derselben schliessen liesse, noch weniger deutlich ausgebildet als auf der linken Rheinseite. Dort, bei Leopoldshöhe, Weil, Haltingen sehen wir eine obere Terrasse, die mit zirka 20 m Höhe zu einer untern steil ab- stürzt. Diese untere Stufe, bei mittlerem Wasserstand zirka 6 m über dem Rhein gelegen, ist eine Erosionsterrasse ; sie liegt mit ihrem Innenrand im Inundationsgebiet des Rheines und wird bei der Über- flutung mit Sand und Schlamm bedeckt. Sie ist aus der höhern obern
Gliederung der diluvialen Schotter in der Umgebung von Basel. 75
Stufe durch Erosion entstanden und es ist nicht anzunehmen, dass sie aus einer tiefern Erosionsrinne, die in der zweiten Phase der letzten Vergletscherung gebildet wurde, wieder aufgeschüttet und später bis auf ihr heutiges Niveau abgetragen worden wäre.
Nach dem Gesagten stellt unsere Rheinniederterrasse bei Basel ein recht kompliziertes Gebilde dar. Sie birgt in der Tiefe Schotter der Mindel-Riss-Interglacialzeit; sie birgt Schotter und Blöcke der vorletzten (Riss-) Eiszeit; birgt ferner Blöcke und fluvioglaciale Schotter der grossen Eiszeit (Mittelterrassenschotter) und besteht grösstenteils aus den Schottern der letzten Rückzugsphase der letzten Eiszeit, d. h. den mit den Jungendmoränen sich verknüpfenden Niederterrassenschottern.
Schluss.
Nach den obigen Ausführungen lassen sich bei Basel fünf ver- schiedene Schottersysteme unterscheiden. Diese Schottersysteme heissen :
Niederterrassenschotter, Hochterrassenschotter, Jüngerer Deckenschotter, Älterer Deckenschotter, Oberelsässischer Deckenschotter.
Wenn wir annehmen, dass jeder der genannten Schotter durch Akkumulation während einer Eiszeit entstanden ist, so erhalten wir fünf Eiszeiten. Von diesen würden vier mit den von Penck und Brückner benannten übereinstimmen und eine fünfte älteste, ent- sprechend dem Oberelsässischen Deckenschotter, würde neu hinzu- treten.
Basel, Ende April 1912.
Photographische Methode zu Kontaktbestimmungen bei Sonnenfinsternissen.
.
Von August Hagenbach.
Die Sonnenfinsternis vom 17. April 1912 war vom Wetter be- günstigt; während der ganzen Dauer der partiellen Verfinsterung konnten Beobachtungen angestellt werden. Ich habe eine Reihe von Photographien gemacht und zu den Aufnahmen die Zeiten bis zur Sekunde genau abgelesen.
Das Objektiv, das mir zur Verfügung stand, war ein Teleo- objektiv, von Suter in Basel konstruiert, bestehend aus einer Konvex- und einer dagegen verschiebbaren Konkavlinse. Die scheinbare Brenn- weite dieser Kombination ermittelte ich aus dem Durchmesser des Sonnenbildes a = 27,7 mm und dem Winkel, unter dem man die Sonne sieht «= 31’ 59”,26
a
br 0 Sim tg a
In allen Aufnahmen wurde diese Vergrösserung voll ausgenützt. Als photographische Platten dienten Agfa Chromoisolarplatten. Der den Platten beigegebene Gelbfilter wurde hinter das Objektiv gesetzt. Der zwischen den beiden Linsen eingesetzte Momentverschluss von Steinheil kam mit grösster Geschwindigkeit zur Verwendung. Die verwendete Blende hatte einen Durchmesser von 1 em. Bei jeder Auf- nahme wurde die Zeit mit einem Nardin’schen Taschenchronometer abgelesen, der eine halbe Stunde vor Beginn der Verfinsterung mit einer astronomischen Uhr verglichen wurde. Der Chronometer geht täglich 1° ,7 vor, sodass innerhallrder Beobachtungszeit eine Korrektur nicht anzubringen war.
In nebenstehender Tafel sieht man die Aufnahmen etwas ver- kleinert. Die dazu gehörenden Zeiten sind folgende:
I Vor Beginn Va al QUE OX a TD, S8S TROP AMESTS Ve enr GE CE Tu ZULS EH 2 OMS TES VAI ND OMR EDS DALE
NED MODE, Je Sal NO 214 Ne 578
Die okulare Bestimmung der Kontakte ist mit gewissen Schwierig- keiten verknüpft. Die Bestimmungen des letzten Kontaktes von acht Beobachtern auf der Genfer Sternwarte!) liegen um 16° auseinander. Unter Umständen kann auch die Beobachtung der Kontakte durch
D) R. Gautier, Arch. Gen. 33 (4) p. 381, 1912.
18 August Hagenbach.
Gewölk verhindert sein, während dazwischen photographische Auf- nahmen gemacht werden können.
Hat man eine Serie von Aufnahmen über die ganze Verfinste- rungszeit ausgedehnt, so kann man die Kontakte durch folgende Über- legung aus den Photographien ermitteln.
Fig. 1 stelle eine solche Aufnahme zu einer bekannten Zeit dar und es sei
R Sonnenradius
r Mondradius
AC=b Halbe Entfernung der Spitzen
CD=a Entfernung der hellen Scheibe von AC
S Sonnenmittelpunkt M Mondmittelpunkt „me | a
a =CD,wobei AB | ME.
Man erhält geometrisch Pas, s?=r? —b? a?+b2 2a ferner s,° = R?— b?
woraus Fr? —
Photographische Methode zu Kontaktbestimmungen bei Sonnenfinsternissen. 79
und hieraus die Entfernung der beiden Mittelpunkte Sonne-Mond LEE De LS XIS +, = — St VR?-b:
x stellt die Entfernung der beiden Mittelpunkte dar; man kann also aus a, b und R in jeder Aufnahme x ermitteln. x nimmt mit der Zeit zuerst ab und dann wieder zu für die Momente x=R+r ist Kontakt
Meine Aufnahmen sind zwar nicht ausgeführt worden, um diese Methode anzuwenden, diese Überlegung ist erst nachher ange- stellt. Leider war die Kamera nicht fest montiert, sodass beim Funktionieren des Momentverschlusses Erschütterungen eintraten und ferner wurde die Focussierung nur okular und nicht photographisch vorgenommen, wesshalb die Photographien unscharf sind.
Ich habe nun trotzdem probiert, diese Messungen vorzunehmen.
Die Grössen 2b und R wurden mit einem Töpferschen Mess- mikroskop bei 12facher Vergrösserung ermittelt, während a nur mit einem in '/ıo mm geteilten Quarzmasstab unter Benützung einer Lupe gemessen wurden. Dabei wurde die Verbindung der beiden Spitzen durch eine Papierkante hergestellt. Die Resultate sind in der fol- genden Tabelle zusammengestellt: ?)
| He Sonnen- | Strecke | Strecke Moud- | Abstand | Platte | Zeit der : radius | | Be- x radius R, b ge- a ge- à x be- No. | Aufnahme messen ImassenInnessen be- achret merkungen gemess messet ss rechnet | !® = mm mm mm | am mm F | IE AO EYE ETC ENT 2,37 0,2231) | 27,299 | 1) a wurde
ber. aus| gerechnet Rm&r,,| aus dem 13.616 | 25,224 | Mittelwert Korr.mit| von r, weil Im zu klein für IV 7225102592 2.13:969 8,41 2,90 13,645 | 21,887 | die direkte V 1125 21’39”| 13,805 | 10,40 4,7 13,856 | 18,305 | Messung. Mer 5121674873927 13,848 1512,95 Il 13,763 9,543 NIL |12h 59°24”| 13,930 | 13,44 |11,0 13,709 6,371 VIII SE Te | N aller 1391 4,091 IX 1b 10738” | 13,933 | 13,79 |12,3 13,869 3,539 X | 1h16°44”| 13,930 | 13,79 |12,65 | 13,842 | 3162 XI 1b 28°24”| 13,916 | 13,60 |11,3 15,835 5,456 RUE 2212,0257% 213,360 7141,65 6,30 13,913 | 15,283 Arith- metisches Mittel vonR p,„=13,912 tn 13,804
Rn +1 = 27,716
1 [125 0754” | 13,841 | 6,70 | 1,25
2?) Bei den Messungen hat mir Herr Dr. Tanner geholfen, wofür ich ihm Dank sagen möchte.
80 August Hagenbach.
Trägt man nun die Werte von x als Ordinaten und die Zeiten als Abszissen auf, so erhält man die Kurve Fig. 2.
Leider sind in der zweiten Hälfte zu wenig Aufnahmen ge- macht worden, so dass eine Extrapolation für die Bestimmung des Schlusskontaktes nicht möglich ist; hingegen findet man den Beginn bei geradliniger graphischer Extrapolation in grossem Masstabe für x=-2%7,71 A,„=11b 53m 405$ M. E. Z Diese Zeit ist etwa eine Fig .2 | | L
& -Mondzentrum
Abstand Sonnen --
1150 12h 10 20 30 40 50 Ihe210 20 30 40 50 2h :0 20 30 49 50
halbe Minute zu früh, aber es dürfte wohl unschwierig sein, mit einer guten Serie von Aufnahmen die 50fache Genauigkeit zu erhalten.
Jedenfalls ist es viel leichter, die Zeiten zu den Aufnahmen genau anzugeben, wie die Kontakte direkt zu messen.
Ich habe ferner die Kontakte durch ein Fernrohr mit 30facher Vergrösserung direkt gemessen und den Beginn zu 117 54m 78 er- mittelt, was gegen den berechneten Wert 111 54m 175 um 10° zu früh ist. Es ist das um so auffallender, da ich die Kontaktstelle nicht genau im Gesichtsfeld kannte und auf die Stelle erst durch
Photographische Methode zu Kontaktbestimmungen bei Sonnenfinsternissen. 81
Schlieren, welche an der betreffenden Stelle eintraten, aufmerksam wurde und deshalb erwartete, dass die gemessene Zeit zu spät sei. Den Schluss beobachtete ich zu 2% 38m 29s, während der be- rechnete Wert 2h 38m 565 ergab.
Die grösste Phase betrug 90,6% Verdunkelung. Die Position bei Beginn war 237°,5, bei Schluss 48°,6. Die Dauer 2h 44m 395.
Vielleicht findet sich später einmal Gelegenheit, diese Methode auf ihre Genauigkeit hin zu prüfen. |
Eingegangen Juli 1912.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten, namentlich bei parasitischen Formen.
Von C. Janicki.
Längere Beschäftigung mit höheren parasitischen Flagellaten aus dem Darm von Insekten hatte mir erlaubt, den Kernteilungsvor- gang bei einer Reihe von Gattungen aus eigener Anschauung kennen zu lernen, und so versuche ich hier, unter Heranziehung der Resultate anderer Autoren sowohl auf dem Gebiet der freilebenden wie para- sitischen Formen, die Kernteilung in einer kurzen Uebersicht ver- gleichend zu beleuchten. Selbstverständlich kann in diesem Bericht keine monographische Bearbeitung der Kernteilung bei Flagellaten angestrebt werden, was heute ohnedies entschieden verfrüht wäre. Es sollen vielmehr nur einige typische Fälle zur Schilderung gelangen. Hingegen werden diejenigen Befunde, welche etwaiger aus der Ueber- sicht sich ergebenden Gesetzmässigkeit als Ausnahmen in den Weg zu treten scheinen, nicht mit Stillschweigen übergangen. — Nur die eigentliche Kernteilung soll in Betracht gezogen werden; über die Verdoppelung des Geisselapparats bei der Teilung liegen viel zu un- sichere und oft sich widersprechende Angaben vor.
Ich beginne hier mit Beispielen von freilebenden Flagellaten, obschon einige der später zu nennenden Arbeiten aus dem parasito- logischen Gebiet dem Zeitpunkt ihres Erscheinens nach vorauszu- nehmen wären.
Recht eingehend ist der Kernteilungsprozess bei Spongomonas uvella Stein durch Hartmann und C'hagas studiert worden.t) Im Ruhe- zustand erscheint der Kern dieser Protomonadinee, der durch eine „ziemlich derbe Membran“ gegen das Plasma abgegrenzt ist, in Bläschenform mit einem zentralen grossen Caryosom. In diesem lässt
sich ein Centriol nachweisen. „Meist ist alle färbbare Substanz im El
1) M. Hartmann und C. Chagas. Flagellaten-Studien. Memorias do Instituto. Oswaldo Cruz. 1910. T. II, Fac. 1.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 83
Caryosom vereinigt, dessen Zusammensetzung aus zwei verschiedenen Substanzen (Chromatin und Plastin) zu Zeiten recht deutlich ist; die Kernsaftzone ist dann ganz strukturlos.““?2) Die Kernmembran bleibt bis zum Beginn der Anaphase stets erhalten, und der gesamte Kernteilungsprozess spielt sich bis zu dieser Phase innerhalb der Kernmembran ab. „Die Kernteilung beginnt mit der Teilung des Centriols, wobei die Tochtercentriole..... zunächst über die Caryosom- grenze an entgegengesetzten Seiten hinausragen.“ Während das Caryosom seine kugelige Gestalt verliert, sieht man deutlich, dass die Tochtercentriole durch eine feine Centrodesmose verbunden sind. Aus den chromatischen Brocken des Caryosoms bildet sich eine ring- förmige Aequatorialplatte, welche bei starker Differenzierung sich in einzelne Chromosomen auflösen lässt, während der achromatische Plastinteil um die Centrodesmose eine zentrale Spindel erzeugt. Mit der Verdoppelung der Aequatorialplatte, mit Schwund der Kernmem- bran, mit polarer Wanderung der Tochterplatten schreitet der Tei- lungsprozess vorwärts. Zuletzt geschieht die Rekonstruktion der Tochterkerne in der Weise, „dass sich um die Tochterplatten mit ihren meist noch erhaltenen Spindelkegeln eine neue Kernsaftzone bildet und sich durch eine Membran gegen das Plasma abgrenzt.‘?) Das Centriol soll in das neue Caryosom hineinrücken. — Die neuen Geisseln sollen in der Regel erst nach vollendeter Kernteilung gebildet werden; ausnahmsweise geschieht die Geisselbildung während der Kernteilung, in direkter Beziehung zu den Centriolen. Auf diese Vorgänge, wie auf die frühzeitige Verdoppelung der Centriolen, den angeblichen Schwund und das Wiederauftreten der Centrodesmose, kann hier nicht eingegangen werden.
Für die nachfolgende vergleichende Auseinandersetzung ist an dem geschilderten Kernteilungsvorgang von Spongomonas besonders die Tatsache von Bedeutung, dass die gesamte Kernteilungsfigur, mit der Centrodesmose als unverkennbarem Teilungsorganell, intranukleär angelegt wird; an dieser Tatsache wird durch den nachträglichen Schwund der Kernmembran in der Anaphase nichts geändert.
Als zweites Beispiel wähle ich einen von Dobell,*) Berliner) und Alexeieff$) bei der Gattung Seytomonas Stein (syn. (opromonas Dobell) beschriebenen Kernteilungsmodus, der sich eng an die schon
2) 1. 3) IL 2) G- er Dobell. The Structure and Lif-History of Copromonas subtilis nov. gen. et nov. spec. Quart. Journ. of mier. Science Vol. 52. 1908. 5) E. Berliner. Flagellaten-Studien. Archiv für Protistenkunde Bd. 15. 1909. 6) A. Alexeieff. Haplomitose chez les Eugléniens et dans d’autres Groupes des Protozoaires. C. R. Soc. de Biol. T. LXXI. 1911.
©!
84 C. Janicki.
früher von Keuten und Dangeard geschilderte Kernteilung bei Euglenen anschliesst. Zwar herrscht zwischen den einzelnen oben genannten Autoren keine Uebereinstimmung in bezug auf manche Einzelheiten des Kernteilungsprozesses, doch tritt dessenungeachtet das uns hier interessierende Gesamtbild des Vorganges klar zutage. Der bläschenförmige Kern zeichnet sich aus durch den Besitz eines grossen zentralen Caryosoms; das periphere Chromatin, in wechselnder Menge vorhanden, zeigt mehr oder weniger deutlich radıäre Anordnung um das Caryosom herum. Die Kernteilung ist charakterisiert durch die stab- bis spindelförmige Streckung des Caryosoms, sowie durch die Anordnung des peripheren Chromatins in Gestalt von lockeren Kappen an den Polen der Caryosomspindel. Ob an den Polen der Spindel Centriolen feststellbar sind und ob namentlich, was mir zweifelhaft er- scheint, in der Spindelmitte Aequatorialplatten sich beobachten lassen, wie das Berliner beschreibt, bedarf noch einer Nachprüfung. Durch eine Durchschnürung des hantelförmig gestreckten Kernes wird die Rekon- struktion der Tochterkerne eingeleitet. Wie verschieden auch die An- gaben bezüglich der Existenz resp. Persistenz der Kernmembran lauten mögen, spielt sich der Kernteilungsvorgang unstreitig inner- halb des Kernraums selbst ab. — Die Kernteilung von Thylacomonas compressa, von welchem Vorgang Doflein eine ausgezeichnete Ab- bildung in seinem Protozoenwerk liefert (p. 159), wäre hier anzu- gliedern.
Einem anscheinend viel differenzierteren Teilungstypus be- gegnen wir bei Chilomonas paramaecium Ehrenb. nach Unter- suchungen von Alexeieff.T) In der Ruhe birgt der bläschenförmige Kern ein grosses Caryosom, das einen Teil des Chromatins in sich führt; das periphere Chromatin ist in bedeutender Quantität ver- treten und erscheint in Form von Körnchen ziemlich gleichmässig auf einem undeutlichen Liningerüst verteilt. Während der Prophase wird das Caryosom immer ärmer an Chromatin, und in demselben Masse erscheinen die peripheren Chromatinkörnchen deutlicher und zahl- reicher. Der Kern ändert seine Gestalt, und indem er sich zunächst nach dem einen Pol zu birnförmig auszieht, wird er in der Folge gleich- mässig länglich. Es kommt zur Ausbildung der Aequatorialplatte ; die Chromosomen derselben scheinen durch Verschmelzung von je- weilen mehreren Chromatingranula (,‚pr&chromosomes‘) zu entstehen. Nach der Verdoppelung der Aequatorialplatte tritt zwischen den beiden Tochterplatten vorübergehend eine feine Streifung auf, welche
7) A. Alexeieff. Notes sur les Flagellés. Archive de Zool. exp. et gen. 1911. — Während des Druckes dieser Arbeit ist übrigens eine Untersuchung Nägler’s über den gleichen Gegenstand erschienen (K. Nägler. Ein neuartiger Typus der Kernteilung bei Chilomonas paramaecium. Archiv für Protistenkunde Bd. 25. 1912.)
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 85
mit einer Spindelformation homologisiert wird. Diese Spindel ist nach Alexeieff auf Kosten des Kernplasmas gebildet, namentlich auf Kosten des caryosomalen Plasmas. Die Rekonstruktiion der Kerne wiederholt bis zu einem gewissen Grade im umgekehrten Sinne die Vorgänge der Prophase. Mit den vorher geschilderten Kernteilungs- typen hat diese Erscheinung wiederum die ausschliesslich intra- nukleäre Lage sämtlicher Bestandteile der Kernteilungsfigur gemein- sam. Im Ruhezustand ist die Kernmembran nach Alexeieff ‚assez mince, mais reelle,®) während der Teilung wird sie freilich ,,presque virtuelle“ ; 9) dessenungeachtet muss entschieden mit dem genannten Autor angenommen werden, dass die Kernteilungsfigur lediglich aus intranukleären Komponenten aufgebaut wird.
Es liessen sich noch viele Beispiele von der Kernteilung frei- lebender Flagellaten hier anreihen, ohne dass die Charakterzüge, welche ich in der obigen Schilderung jeweilen besonders betont habe, eine Ausnahme zu erleiden hätten. So nenne ich hier anhangsweise den Verlauf der Kernteilung bei Haematococeus pluviatilis, nach Reichenow's genauer Untersuchung.10) Bei dieser typischen Mitose waren keine Centrosomen nachzuweisen. ‚Die stets scharfe Abgren- zung der Spindel gegen das umgebende Protoplasma macht es wahr- scheinlich, dass die Kernmembran erhalten bleibt, bis das Chromatin an den Spindelpolen angelangt ist und sich zu den Tochterkernen differenziert.“ Danach wäre die Spindel ein rein intranukleäres Pro- dukt. — Nach einem viel primitiveren Typus geschieht die Teilung bei manchen Peridineen nach Keysselitz, Senn und Jollos ; für unsere Betrachtung ist es von Interesse, dass auch hier das Homologon der Zentralspindel innerhalb des Kerns seine Lage hat.
Wenn ich jetzt von den freilebenden Flagellaten zu den para- sitischen übergehe, so hebe ich gleich hervor, dass in Hinsicht auf den Kernteilungsvorgang zwei grosse Gruppen auseinanderzuhalten sind, welche interessanterweise auch systematisch eine durchaus ge- sonderte Stellung einnehmen. In die eine Gruppe reihe ich die Trypa- nosomen, Herpetomonaden, Leptomonaden, Bodonaceen und Try- panoplasmen ein, die andere Gruppe wird durch die Gattungen Tricho- mastix resp. Trichomonas, Devescovina, Calonympha, Stephano- nympha, Lophomonas, Joenia, Parajoenia und Trichonympha ver- treten. In der erstgenannten Gruppe haben wir somit sämtlich Proto- monadinen vor uns, in der zweiten Polymastiginen und Trichonym-
SHC SAIS:
IE. SE
10) Ed. Reichenow. Untersuchungen an Haematococcus pluviatilis nebst Bemerkungen über andere Flagellaten. Arbeiten aus dem kais. Gesundheits- amte. Bd. 33. 1910.
86 C. Janicki.
phiden (resp. Hypermastiginen nach Grassis neuerem Vorschlag). Ich beginne mit der Schilderung des Kernteilungsprozesses bei höheren Flagellaten, die zum grossen Teil aus eigener Anschauung mir be- kannt sind. Wir werden hier einen besondern Modus der Kernteilung feststellen können.
Zum erstenmal ist der uns hier interessierende Kernteilungs- typus in einwandfreier Weise durch Grassi und A. Foa im Jahre 1904 für die Gattung Joenia beschrieben worden.!!) Der rundliche, mit einer sehr deutlichen Membran ausgestattete Kern führt im Ruhe- zustand sein Chromatin in Form eines Netzes verteilt, welches Bild aber wahrscheinlich auf den von der Teilung her persistierenden, nur mas- kierten Fadenknäuel zurückzuführen ist. Ausserdem werden im Ruhe- kern ein, zwei bis drei Plastinnukleolen beobachtet; wenn diese in Zweizahl vorhanden sind, bleiben sie nicht selten durch eine Brücke untereinander verbunden, was den Schein einer Centrodesmose er- wecken kann. Als erstes Anzeichen der Kernteilung tritt eine Spindel auf, die extranukleär, tangential in bezug auf den Kern, in einer Einsenkung desselben liegt und fast immer den Durchmesser des Kernes bereits übertrifft. Die extranukleäre Anlage der Spindel wurde genau nachgewiesen ; dieselbe wird gleichzeitig mit den eben genannten endonukleären Nukleolenbrücken beobachtet, kann folg- lich nicht auf diese letzteren zurückgeführt werden. Ein mit dem Namen „batacchio“ beschriebenes Körperchen in der Nähe des Kernes wird gegenwärtig von Grassi und Foû mit einem Blepharoplast ver- glichen ; 12) dieses Organell ist bereits im Ruhezustand verdoppelt, und zwischen den beiden „batacchi‘ eben, in einer gewissen Ent- fernung vom Kern, tritt die Spindelanlage zum Vorschein ; die Spindel gelangt erst nachträglich in eine Einsenkung des Kernes hinein. Die Kernteilung geschieht durch eine einfache Durchschnürung des in der Spindelrichtung biskuitförmig gewordenen Kernes, wobei die Kern- membran stets erhalten bleibt. In bezug auf die chromatische Figur ist zu erwähnen, dass die chromatische Substanz zu einem Fadenknäuel sich kondensiert und dass bei der Kernteilung der Faden an einer Stelle einfach reisst. — Von besonderem Interesse ist das von Grassi und Foa verfolgte Schicksal der Spindel nach der Kernteilung. Die Spindel wächst sehr beträchtlich in die Länge, nimmt U-Form resp. Schleifenform an und wird zur Grundlage der neuen Achsenstäbe
11) B. Grassi e A. Foad. Ricerche sulla riproduzione dei flagellati. I. Pro- cesso di divisione delle Joenie. Rendiconti della R. Accad, dei Lincei. Cl. Se. fis., mat. e nat. Vol. XIII. 1904.
12) B. Grassi (in collaborazione con A. Foà). Intorno ai Protozoi dei Ter- mitidi. Rendic. della R. Accad. dei Lincei. Cl. Se. fis., mat. e nat. Vol. XX 1911, Saale
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 87
der Tochtertiere, während der alte Achsenstab (Mestolo) zugrunde geht. Damit war näherer Einblick in den Zusammenhang zwischen Bau und Entwicklung dieses interessanten Flagellaten gewonnen.13)
Gleichzeitig mit Grassis geschilderter Untersuchung hatte v. Pro- wazek die Teilung von Trichomastix lacertae studiert und als erster für diese Gattung eine Anzahl Phasen des Kernteilungsprozesses abge- bildet.!*) Abgesehen von der Kerndurchschnürung und Verdoppelung des Flagellenapparats hatte v. Prowazek den Vorgang der Beteili- gung einer Spindel an der Kernteilung durchaus missverstanden ; er lässt „die wichtigsten Veränderungen“ sich auf dem Achsenstab abspielen, während gerade dieses Organell gänzlicher Resorption an- heimfällt und keinerlei aktive Rolle bei der Kernteilung spielt.15) Doch bemerke ich gern, dass die Untersuchung infolge der Kleinheit des Objektes viel Schwierigkeiten bietet.
Nach A. Foa 'werden bei beiden Formen der Trichonympha agilis — der ‚forma minore“ und „forma maggiore — extranukleäre Spindeln ähnlich wie bei Joenia angelegt und beteiligen sich, aller- dings unter Hinzutreten einer intranukleären Spindel, an der Kern- vermehrung.16) Die Kernmembran bleibt während des Teilungspro- zesses stets erhalten. Die überaus zahlreichen Flagellen ordnen sich während der Teilung in zwei Gruppen an und konvergieren gegen die an den Spindelpolen angebrachten Insertionsfelder. Bemerkens- wert ist, dass trotz weitgehender Differenz in der Zusammensetzung der chromatischen Figur bei beiden Formen — die „forma minore“ weist distinkte Chromosomen auf, wogegen bei der „forma maggiore‘“ ein Fadenknäuel vorliegt — die Ausbildung der achromatischen Be- standteile, namentlich ‘der extranukleären Spindel, die gleiche ist.
1) Auf das Verhalten der übrigen Organellen des Joenia-Kôrpers bei der Teilung einzugehen würde mich zu weit führen.
14) S. v. Prowazek. Untersuchungen über einige parasitische Flagellaten. Arbeiten aus d. kais. Gesundheitsamte Bd. 21. 1904.
15) Es kann auf die mit der einschlägigen Literatur weniger vertrauten Leser nur verwirrend wirken, wenn Hartmann mehrfach in seinen Publika- tionen sich auf Prowazek’s Darstellung, als ob sie richtig gewesen wäre, beruft. So z. B. wieder in seiner Trichonymphidenarbeit, wo es heisst: ,,. . . . mit dem Achsenstab von Trichomastixæ homologisiert, der nach den Untersuchungen von Prowazek gleichfalls einen Spindelrest, richtiger Caryosomdesmose darstellt‘. (S.376.) Zu dem vielen Irrtümlichen, das die Arbeit Prowazek’s enthält, fügt übrigens H. otfenbar aus eigener Initiative die von Pr. nicht behauptete Caryosomdesmose hinzu, was aber nach Dobell’s vorbildlicher Untersuchung an einer anderen Spezies wieder entschieden falsch sein dürfte.
16) A. Foa. Ricerche sulla riproduzione dei flagellati. II. Processo di divisione delle Triconinfe, Rendic. della R. Accad. dei Lincei. Cl. Se. fis., mat. e nat. Vol. XIII 1904. — Neuerdings unterscheiden Grassi und Foà die beiden Formen als verschiedene Spezies.
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In der vorläufigen Mitteilung von A. Foa finden sich keine Angaben bezüglich des Schicksals der extranukleären Spindel. Es wäre hier nachzuprüfen, ob der Spindelrest nicht etwa an der Bildung des „Körbehens‘ (Cestello) mitbeteiligt ist, eine Möglichkeit, auf welche Grassi neuerdings hinweist17) und welche ich nach den Befunden bei Lophomonas blattarum nicht für ausgeschlossen halte.
Im Jahre 1909 ist die Kernteilung vonTrichomastix und Tricho- monas von Dobell richtig erkannt worden.t8) Während der Achsen- stab und die Kernmembran schwinden,!?) wird durch Teilung des
Fig. 1. Lophomonas blattarum Stein. Anlage der Teilungsspindel und Austritt des Kernes aus dem Kelch. — Schaudinn’sche Lösung, Eisen-Hämatoxylin. Vergr. 2900.
Fig. 2. L. blattarum Stein. Einstellung des Kernes mit der Spindel, mit Cen- triolen und Basalkörperchenanlagen am hinteren Körperpol. — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 2900.
Blepharoplasten ein stäbchenförmiges Organ ausgebildet, das die Längsrichtung des zur Teilung sich streckenden Kernes einnimmt und von Dobell mit einer Zentralspindel (Centrodesmose) homolo- gisiert wird; den Blepharoplasten fasst Dobell als Homologon des Centrosoma auf. Die chromatischen Granula verteilen sich in Form einer Spindelfigur um das Stäbchen herum ; bei Trichomonas konnte
LC MONT
18) C. Cliff. Dobell. Researches on the Intestinal Protozoa of Frogs and Toads. Quart. Journ. of. mier. Science Vol. 53. 1909.
19) Diese letztere Angabe scheint mir einer Nachprüfung wert zu sein.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 89
tatsächlich eine achromatische Spindel nachgewiesen werden. Später verklumpt das Chromatin zu einigen wenigen (etwa sechs) unregel- mässig gestalteten Körnern in der Nähe des Aequators, worauf eine Spaltung in der Chromatinmasse in zwei polar auseinanderweichende Gruppen erfolgt; in der Nähe der Blepharoplasten findet die Rekon- struktion der Kerne statt. Die Zentralspindelreste werden zu den Achsenstäben der Tochtertiere.
Zu eigenen Beobachtungen übergehend, hebe ich zunächst die Kernteilung bei den zwei Vertretern der Gattung Lophomonas her- vor.20) Bei L. blattarum gibt sich der erste Schritt des Kernteilungs- prozesses in der Anlage einer stabförmigen, extranukleären, mit Eisen-
Fig. 3. L. blattarum Stein. Kernteilung. — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 2900.
Hämatoxylin sich stark färbenden Spindel kund; sie spannt sich zwischen zwei länglichen Centriolen aus und liegt dem Kern oftmals unter Bildung eines schwachen Bogens, dieht an. (Fig. 1; die Fig. 1—5 sind meiner eben zitierten Arbeit entnommen.) Durch einen Riss im Kelchbehälter, der den ruhenden Kern beherbergt, ge- langt dieser letztere direkt ins Plasma und wird mitsamt der ihm an- liegenden Spindel, entschieden wohl passiv, bis ans entgegengesetzte Körperende befördert, wobei Kern und Spindel in die Länge wachsen. Diese Kernwanderung geschieht dicht unter der Körperoberfläche ;
20) G. Janicki. Untersuchungen an parasitischen Flagellaten. I. Lophomonas blattarum Stein, L. striata Bütschli. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XCV 1910.
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in unmittelbarer Nachbarschaft der Centriolen treten beiderseits kom- pakt erscheinende Basalkörperchenanlagen auf und — wohl im Zu- sammenhang mit diesen — winzige Flagellenschôpfchen, welche über die Oberfläche des Tieres hinausragen. Die eigentliche Kernteilung : nimmt in der Regel erst ihren Anfang, wenn der Kern den hinteren Körperpol erreicht hatte, und zwar lässt sich mit grosser Regelmässig- keit eine derartige Einstellung des Kernes konstatieren, dass seine Längsachse und mithin auch die extranukleäre Spindel den Achsenstab des Flagellaten genau senkrecht kreuzen (Fig. 2; diese Figur ist frei- lich nicht sehr instruktiv in letzterer Hinsicht, ich habe sie hier aus anderen Gründen gewählt; hingegen finden sich in meiner Arbeit Belege genug für das gekennzeichnete Verhalten, und ausserdem sei
Er nern Pr: 7
Fig. 4.
Fig. 4 L. blattarum Stein. Ausgang der Kernteilung, — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 2900.
auf die Fig. 3 und 4 verwiesen). Die Kernmembran bleibt während des ganzen Teilungsvorgangs erhalten. Das Chromatin des Kernes, das während der Ruhe vorwiegend in Form von grösseren und kleineren Körnchen verteilt erscheint, tritt zu deutlichen korn- förmigen Chromosomen zusammen (bis etwa 16 an der Zahl), welche in von Pol zu Pol ziehenden Reihen angeordnet werden. Am Schluss der Anaphase scheinen die in die Nähe der Pole gelangten Ohromo- somen zu keulenförmigen Körpern zu verschmelzen, welche ausge- sprochen jederseits gegen die ausserhalb der Kernmembran befind- lichen Centriolen, und somit auch gegen die Spindelpole, konver- gieren ?!) Fig. 3). Gleichzeitig erfolgt die Durchschnürung der
2!) In dieser Hinsicht ist die neuerdings mitgeteilte Beobachtung Grassis von Interesse, dass der chromatische Fadenknäuel in den Tochterkernen von Joenia an dem Punkte der Kernmembran wie angeklebt erscheint, wo ausser-
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 91
Kernmembran und daran schliesst sich die Rekonstruktion der Tochterkerne, Wachstum des Flagellenapparats u.s.w. an, was ich übergehe. Mit der Entfernung der Kerne von einander wächst auch die extranukleäre Spindel in die Länge (Fig. 4). Bei weiterer Streckung kann sie U-förmig geknickt werden. Die Spindel wird zur Grundlage der neuen Achsenstäbe, während der alte Achsenstab mit dem Kelch, Basalkörperchen, Flagellen und Parabasalapparat zugrunde geht.
Auch im Cystenzustand von Loph. blattarum geschieht die Kern- vermehrung unter Beteiligung der extranukleären, stabförmigen, zwischen zwei Centriolen sich ausspannenden Spindel (Fig. 5a); auf geeignet orientierten Cysten lässt sich erkennen, dass die Spindel in einer Furche des Kernes eingebettet liegt (Fig. 5b).
Fi
Wie)
Fig. 5. L. blattarum Stein. Fig. ba. Cyste. Fig. 5b. Ansicht des Kerns und der Spindel, während die Spindelachse mit der Tubusachse zusammenfällt, — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 2900.
Bei Loph. striata konnte ich gleichfalls die extranukleäre Spindel feststellen, sowohl im vegetativen wie im eneystierten Zustande.
Nach Besprechung der obigen Parasiten aus dem Dickdarm von Periplaneta orientalis wende ich mich zu meinen Untersuchungen an parasitischen Flagellaten aus dem Darm exotischer Termiten (Chile und Hawaï).
Bei der Gattung Devescovina Foù, deren allgemeiner Habitus aus meiner Originalabbildung in Doflein’s Protozoenwerk ersehen werden mag (S. 540), verläuft die Kernteilung wiederum nach dem mehrfach geschilderten, für höhere parasitische Flagellaten typischen
halb der Kernmembran der ,batacchio“, d.h. der Blepharoplast nach Grassi’s neuerer Nomenklatur gelegen ist. Vgl. Grassi, 1. c. 1911, S. 735. — Es scheint mir auch ein gewisser Parallelismus zu dem von Schaudinn bei Acanthocystis beobachteten Verhalten des „Pseudonukleolus“ gegenüber dem, allerdings weit vom Kern abliegenden Zentralkorn zu bestehen. Vgl. Fr. Schaudinn, Ueber das Zentralkorn der Heliozoen, ein Beitrag zur Centrosomenfrage. Verhandl. der Deutsch. Zool. Gesellsch. 1896. Fig. 3 u. S. 118.
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Modus. Gegenüber dem Verhalten der sonst nahe verwandten Tricho- monaden ist zu erwähnen, dass der Blepharoplast sich hier selbständig teilt, wenn auch ungefähr gleichzeitig mit dem Kern, und die extra- nukleäre Spindel in diesem Fall durchaus unabhängig von dem sich teilenden Blepharoplasten entsteht. In der ausführlichen Arbeit werde ich diese Beziehungen, die sich nicht an jedem in Teilung be- griffenen Tier genügend klar erkennen lassen, durch Illustration belegen. Auf jeden Fall ist die Spindel mit ihren an den Polen ange-
Fig. 6. Devescovina striata Foa var. hawaiensis Janicki. Kernteilung. — Behand- lung wie in Fig. 1. + Eosinnachfärbung. Vergr. 1800.
brachten Centriolen auch hier von Anfang an extranukleär gelegen (Fig. 6); sie ist ähnlich wie bei Joenia, in einer Furche des Kernes vertieft und übertrifft nicht unbedeutend den Durchmesser des Kernes. Nur nebenbei betone ich, dass die Spindelpole, resp. Centriolen, in konstante Beziehung zu den Parabasalkörpern treten, welche im vor- liegenden Fall durch Teilung des alten Parabasalschlauches entstehen. Es ist das ein Verhalten, dem wir mit einiger Modifikation noch weiter unten bei anderen Formen begegnen werden, das aber bei Loph. blattarum sich nicht konstatieren lässt und darum keinen generellen Charakter bei dem uns hier interessierenden Kernteilungsmodus be-
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 93
anspruchen darf.??) Die Kernmembran bleibt während des ganzen Teilungsprozesses in typischers ‚Weise erhalten. Auf das Verhalten der chromatischen Substanz kann ich hier in Kürze nicht eingehen, doch mag Erwähnung finden, dass chromatische Streifen, ähnlich wie bei Lophomonas, in der Anaphase gegen die ausserhalb des Kernes liegenden Spindelpole konvergieren. Der länglich gewordene Kern erleidet eine biskuitförmige Durchschnürung, welcher Vorgang sich an der stabförmigen extranukleären Spindel entlang abspielt. Mit dem Auseinanderrücken der Tochterkerne wächst die Spindel sehr bedeutend in die Länge und erleidet in der Folge eine U-förmiga Knickung. In der unmittelbaren Umgebung der Spindel, auf ihrem ganzen Verlauf, erscheint das Plasma besonders differenziert: es ist weniger granulös und weniger färbbar. Diese plasmatische Scheide in der Circumferenz des Spindelrestes ist die Anlage der Achsen- stäbe der Tochtertiere. In unverkennbarer Weise wird die Spindel selbst zur Grundlage des Achsenstabs und bestimmt dessen Verlaufs- richtung.??) — Das weitere Schicksal der Centriolen entzieht sich hier wie bei Lophomonas der Beobachtung.
Ich müsste mich im wesentlichen nur wiederholen, wollte ich für die übrigen von mir studierten Gattungen die Kernteilung aus- führlicher schildern. So konnte ich bei den höchst interessanten viel- kernigen Flagellatengattungen Calonympha Foa und Stephano- nympha Janicki die Kernvermehrung unter Beteiligung der extra- nukleären stabförmigen Spindel feststellen. Allerdings ist es in diesen beiden Fällen, im Gegensatz zu Devescovina, der Blepharoplast selbst,
2%) Es hängt das mit dem verschiedenen Verhalten des gesamten Geisselappa- rats während der Teilung zusammen. Bei Lophomonas bleibt der alte Flagellen- schopf während des Teilungsprozesses unverändert erhalten, bis er dann schliesslich, nachdem die neuen Flagellenschöpfe mit den zugehörigen Orga- nellen sich langsam entwickelt haben, überflüssig wird und zugrunde geht; der Parabasalapparat teilt nun das gleiche Schicksal. Bei Devescovina hingegen werden die Flagellen nach dem Trichomonadentypus verteilt und die fehlenden nachgebildet; es findet hier somit, zu einem Teil wenigstens, keine stufenweise Entwicklung des Geisselbestandes statt, vielmehr muss derselbe stets aktiv bleiben und damit steht ohne Zweifel die Teilung des Parabasalapparats in
Beziehung. — Diese Verhältnisse sind übrigens geeignet die von mir bezüglich der Bedeutung des Parabasalapparats entwickelte Auffassung — als Depositum von spannkraftreichen Substanzen — zu stützen. Vgl. Janicki. Zur Kenntnis
des Parabasalapparats bei parasitischen Flagellaten. Biol. Zentralbl. Bd. XXXI IOMS-330:
23) Diese Verhältnisse zeigen volle Uebereinstimmung mit Angaben von Grassi bezüglich der Gattung Mesojoenia; für Joenia wäre Grassi neuerdings geneigt anzunehmen, dass die Spindel lediglich den hinteren Abschnitt des Achsenstabs bilde. Ich erlaube mir hervorzuheben, dass ich die ältere Auf- fassung Grassi’s und Foû’s, wonach der gesamte Achsenstab die Spindel zur Grundlage hat, für richtiger halte,
94 C. Janicki.
der durch hantelförmige Durchschnürung die Spindel hervorgehen lässt (Fig. 7), also ähnlich wie bei den Trichomonaden nach Dobell ; zum mindesten nehmen die Tochterblepharoplasten von Anfang an die Stellung an den Spindelpolen ein. Je zwei Geisseln — im Ruhe- zustand trägt jeder Blepharoplast deren vier — werden auf die Tochterblepharoplasten verteilt. Die Kernteilung geschieht bei Calo- nympha sowohl wie bei Stephanonympha stets synchron in allen Kernen; bei der erstgenannten Gattung kommt ausserdem noch die Teilung der kernlosen Zelldifferenzierungen, die ıch als Akaryomasti- gonten unterschieden habe, hinzu und besteht in einer einfachen
Rice Fig. 8.
Fig. 7. Calonympha grassii Foa, Kernteilung. — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 3650. Fig. 8. €. grassii Foa. Rekonstruktion der Tochterkerne nach der Teilung. Daneben zwei Blepharoplastdesmosen als Teilung der Akaryomastigonten. Geisseln nicht sichtbar. — Behandlung wie in Fig. 1. Vergr. 3650.
Teilung des Blepharoplasten unter Bildung einer stabförmigen Spindel (Fig. 8) und Verteilung der Flagellen. Bei der Kernteilung von Stephanonympha verhält sich der Parabasalapparat in der Weise, dass der alte Parabasalkörper mit dem einen Tochterblepharoplasten verbunden bleibt, während an dem andern Pol anscheinend eine Neu- bildung des Parasabalkörpers erfolgt. Nach vollendeter Kernteilung wachsen bei Calonympha grassi die in grosser Anzahl vorhandenen stabförmigen Spindeln enorm in die Länge; die Kerne, die während des Kernteilungsprozesses allem Anschein nach regellos über die ganze Oberfläche des Flagellaten zerstreut waren, sammeln sich mitsamt den neuen Akaryomastigonten am vorderen Körperpol, während die langen
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten.. 95
Spindeln einen Bündel bilden, der am hinteren Körperpol U-förmig umbiegt, — ein Verhalten somit, das nach dem für Devescovina ent- worfenen Bild durch Multiplizierung der Kerne und Spindeln und unter Hinzufügung der ebenfalls enorm langen Akaryomastigonten- spindeln in Gedanken rekonstruiert werden mag. Die etwa draht- ähnlich sich ausziehenden Spindeln werden direkt zu Achsenfäden, welche durch dichtere Aneinanderfügung den Achsenfadenbündel bil- den. Auf die Einzelheiten dieses ganzen Prozesses werde ich in der ausführlichen Arbeit eingehen. — In systematischer Hinsicht sind die beiden eben besprochenen Gattungen in die Familie der Calonymphidae Grassi unter die Polymastigina einzureihen.?*) Die Familie umfasst die Gattungen: Calonympha Foa, Microrhopalodina Grassi und Stephanonympha Janicki. Mit Hartmann kann ich mich nicht ein- verstanden erklären, wenn er die Verwandtschaft zwischen Calonympha und Trichonympha hervorhebt.25) Nebenbei sei bemerkt, dass Hart- mann unter dem Gattungsnamen Trichonympha vielerlei zusammen- gewürfelt hatte; 26) die „männlichen“ resp. „weiblichen“ resp. „Jugendformen“ Hartmanns sind Vertreter dreier Gattungen, von denen keine mit Trichonympha identisch ist.?7)
Schliesslich kann ich über die Kernteilung eines echten Repräsen- tanten der Trichonymphiden, oder, wie ich jetzt in Uebereinstimmung mit Grassis Vorschlag lieber sage, der Hypermastiginen nach eigener Beobachtung berichten. Es handelt sich um die Gattung Parajoenia Janicki. Auch hier wird nach dem schon mehrfach dargestellten Typus eine extranukleäre stabartige Spindel gebildet und die Kern- teilung spielt sich unter Konservation der Kernmembran ab. Der Blepharoplast nimmt wie bei Devescovina keinen Anteil an der Spin- delbildung. Ueber die chromatische Substanz des Kernes bemerke ich nur, dass hier weder im Ruhe- noch im Teilungszustand von der „polyenergiden‘ Natur des Kernes etwas zu sehen ist. Der Parabasal- apparat wird geteilt und zwar, da im Ruhezustand zwei Parabasal- körper die Gattung auszeichnen, 23) werden während der Teilung deren je zwei in der Nähe der Spindelpole beobachtet.
In seinen „Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Trichonymphiden‘“ hatte Hartmann über den Modus der Kernteilung keine Angaben gemacht; seine Schilderung bezieht sich bloss auf die Vorbereitungsstadien am Chromatinbestand des Kernes, ebenso sind
ZUVel. Grassi. 1. c: 1911. S.17127: 25) M. Hartmann. Die Konstitution der Protistenkerne. Jena 1911. S. 39. M. Hartmann. Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Trichonymphiden. Festschr. f. R. Hertwig. Bd. 1. 1910. 27) Näheres darüber s. bei Grassi 1. c. 1911. p. 726 und 729. 28) Vgl. Janicki. 1. c. 1911. S. 324.
25) 26)
96 x Ge Janickie
seine Fig. 55 und 56, Taf. 30 nicht imstande, uns über den eigent- lichen Verlauf der Kernteilung aufzuklären. Wie gesagt handelt es sich um drei verschiedene, mit Trichonympha nicht identische Gat- tungen. — Auch für die Gattung Dinenympha sind weitere Publi- kationen abzuwarten, indem die Arbeit von S. Comes keine volle Klar- heit über den Kernteilungsvorgang liefert.2?) Nach Grassi dürfte die Homologie der ,,benderella parassile contrattile‘“ mit einem Achsen- stab zweifelhaft sein.50)
Indem ich mich jetzt den parasitischen Protomonadinen zuwende, habe ich in Rücksicht auf das bei höheren Flagellaten vorhin Ge- schilderte nur Negatives festzustellen, d. h. dass der mehrfach hervor- gehobene eigentümliche Kernteilungsmodus hier keine Verbreitung findet. Gehen auch die Ansichten der Autoren über den Vorgang der Kernteilung bei Trypanosomen ziemlich weit auseinander, so viel bleibt heute schon sicher, dass ein Anschluss an die eben analysierten parasitischen Formen sich nicht verzeichnen lässt. Nach Unter- suchungen von Rosenbusch an Haemoproteus und Trypanosoma lewisi spielt sich die Kernteilung auf mitotischem Wege und ausschliesslich am Caryosom ab, wobei die Kernmembran erhalten bleibt.31) Speziell für Haemoproteus entnehme ich bei Rosenbusch folgendes. Nachdem das Chromatin der Kernsaftzone sich im Caryosom kondensiert hat, wird der Prozess durch die Teilung des Centriols, das die Mitte des Caryosoms einnimmt, eingeleitet; die Tochtercentriolen bleiben längere Zeit durch einen feinen Faden (Zentralspindel) verbunden; das Caryosom nimmt Spindelform an, es tritt eine Differenzierung in Aequatorialplatte und Polkappen unter Sichtbarwerden von Spin- delfasern ein. ,,Nach der Spaltung der Aequatorialplatte entstehen die Tochterplatten, welche nach den Polen sich verschieben, die Chro- mosomen verschmelzen von neuem zu einer einheitlichen Masse mit den Polkörpern, in denen die Tochtercentriole liegen.??) Nach der Rückbildung der Spindel kommt es zu einer Durchschnürung der Kernmembran in der Mitte. — Bemerkenswert ist die in manchen Fällen von Rosenbusch beobachtete Anordnung der Tochterblepharo- plasten in der Höhe der Pole der Caryosomspindel. Das gleiche Ver- halten ist schon früher von Franca und Athias für Tryp. rotatorium angegeben worden und scheint überhaupt eine weitere Verbreitung zu haben. Meiner Ansicht nach ist dieser Vorgang nicht mit der
29) S. Comes. Riproduzione e morfologia di Dinenympha gracilis Leidy. Archiv f. Protistenkunde. Bd. 25. 1912.
JPCrassielec 191125770358
31) F, Rosenbusch. Trypanosomen -Studien. Archiv für Protistenkunde. Ba. 15. 1909.
32) Rosenbusch, 1. ©. p. 274.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 97
Bildung der extranukleären Spindel von Joenia oder Lophomonas zu vergleichen, vielmehr dürfte er der früher von mir erwähnten selb- ständigen Teilung des Blepharoplasten bei Devescovina entsprechen, wobei die Tochterblepharoplasten in die Nähe der Pole der extra- nukleären Spindel gelangen, bei der eigentlichen Kernteilung aber keine Rolle spielen.%) Nach Kühn und von Schuckmann verläuft die Kernteilung bei Tryp. brucei amitotisch, ohne Ausbildung von Chro- mosomen.°*) Der ruhende Kern besteht aus einer peripheren alveolären Chromatinschicht, einem grossen zentralen Binnenkörper und einem kleinen Randkörper. Hantelförmige Durchschnürung dieses letzteren leitet die Kernteilung ein; die Hälften des Randkörpers rücken an die entgegengesetzten Kernpole, worauf eine Streckung und Durch- schnürung der in ihrer Struktur unveränderten Aussenkernmasse und des Binnenkörpers nachfolgt. Das Verhalten des Randkörpers erinnert nach den Verfassern an dasjenige eines Zentralkorns. Die früheren Angaben Prowazek's betreffend die Kernteilung bei Tryp. brucei lauten abweichend, indem Chromosomenbildung neben der Caryosom- durchschnürung behauptet wird; %5) auf jeden Fall sind nach diesem Autor sämtliche Bestandteile der Kernteilungsfigur intranukleären Ursprungs.
Bei Herpetomonas muscae domesticae hat die Kernteilung nach Prowazek den Charakter einer primitiven Mitose; 6) ,,das Chromatin sammelt sich .... zu 8 krümeligen Chromosomen, die sich zu einer Art Aequatorialplatte anordnen und von dem hantelförmig werdenden Innenkörper zerstemmt werden ‘.>7)
Die besten Bilder von der Kernteilung der Leptomonaden sind meines Wissens die von Chatton und M. Leger gegebenen ; 38) leider fehlt die diesbezügliche Beschreibung. Auf jeden Fall ist aus den Figuren dieser Autoren sicher zu entnehmen, dass die Kernteilung mit einer Durchschnürung des Binnenkörpers beginnt und dass der
33) Vgl. hiezu auch E. A. Minchin. Investigations on the Development of Trypanosomes in Tsetse-Flies and other Diptera. Quart, Journ. of Micr. Se. Vol. 52. 1908, S. 191-192. Taf. 12. Fig. 209.
3) A. Kühn und W. von Schuckmann. Ueber den Bau und die Teilungs- erscheinungen von Trypanosoma brucei (Plimmer u. Bradford). Sitzungsber. d. Heidelberg, Akad. d. Wiss., Math.-nat. Kl. 1911.
3) S. von Prowazek. Studien über Säugetiertrypanosomen. Arbeiten aus d. kais. Gesundheitsamte, Bd. 22. 1904.
36) S. von Prowazek. Die Entwicklung von Herpetomonas, eines mit den Trypanosomen verwandten Flagellaten. Arbeiten aus d. kais. Gesundheitsamte, Bd. 20. 1904.
37) Prowazek, 1. c. S. 445.
38) Ed. Chatton et M. Leger. Sur l’axostyle ou axoplaste des Trypano- somides des Insectes. C. R. Soc. Biol. T. 63. 1911.
7
98 C. Janicki.
stark chromatinhaltige Aussenkern auf demselben Wege verdoppelt wird. Als ein Ueberrest der Binnenkörperdurchschnürung kann der von Patton bei Arten der Gattung Crithidia beschriebene zwischen den Tochterkernen sich ausspannende chromatische Faden beobachtet werden. — Die Untersuchung von Chatton und Leger war in erster Linie auf die Entstehung des ,,Axostyie“ oder „Äxoplaste‘ bei Lepto- monas drosophilae gerichtet und die sehr interessanten Ergebnisse der zwei Autoren berühren Fragen, die ich weiter unten zu erörtern be- absichtige. ,, A la division du blepharoplaste on voit, réunissant les deux moitiés déjà séparées, un tractus cylindrique clair qui n’est autre chose que le fuseau de séparation des centres.” Bei der Längsspaltung des Flagellatenkörpers wächst die Spindel in die Länge und nimmt U- resp. V-förmige Gestalt an. Die Centrodesmose wird nach voll- ständiger Trennung zum ,,canal axial‘ resp. „‚Axoplaste‘ der Tochter- tiere, und die Verfasser erblicken in dieser Bildung, die sie übrigens mit Recht mit dem ‚„Doppelfaden“ Prowazek’s bei Herpetomonas muscae domesticae identifizieren, das Aequivalent des Achsenstabs der Trichomonaden.??) Auf diese Frage komme ich im Lauf der weiteren Darstellung zurück.
Für die Gattung Bodo Stein ist die Kernteilung genügend be- kannt, dank den Untersuchungen von Prowazek an Bodo (Heteromita) lacertae) und denjenigen von Alexeieff an Bodo caudatus.+!) Auf die Einzelheiten des- Teilungsvorgangs, der namentlich im letztge- nannten Fall manche Eigentümlichkeit aufweist, kann ich hier nicht näher eingehen; für unsere Darstellung genügt die Tatsache, dass extranukleäre Spindelbildung bei Bodonaceen fehlt. — Bei Trypano- plasma borreli ist die Zentralspindel innerhalb des Kerns nach Keysselitz caryosomalen Ursprungs, die Kernteilung schliesst sich so- mit dem Protomonadinentypus an.) Für Trypanoplasma helicis liegen Angaben von Jollos vor, wonach die gesamte Kernteilungsfigur intranukleär ist und die Kernmembran bis zu den spätesten Stadien der Teilung erhalten bleiben kann.45) —
Es mag mir nun erlaubt werden, die oben mitgeteilten Tatsachen kritisch zu sichten und allgemeinere Beziehungen z. T. auf Grund von eigenen Beobachtungen festzustellen suchen. Zu allererst möchte es vielleicht scheinen, dass genaue Kenntnisnahme vom Bau des ruhen-
39) Chatton et Leger, 1. c. S. 571—518.
40) Prowazek, L. c. Bd. 21.
41) Alexeieff, 1. c. (Arch. zool. exper.)
42) G. Keysselitz. Generations- und Wirtswechsel bei Trypanoplasma borreli. Archiv f. Protistenkunde. Bd. 7. 1906.
43) V. Jollos. Bau und Vermehrung von Trypanoplasma helicis. Ebenda. Bd. 21. 1911.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellalen. 99
den Kernes Ausgangspunkt für alle vergleichende Betrachtung bilden sollte. Indessen bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, dass spezifische Unterschiede resp. spezifische Aehnlichkeit zwischen den Kernen ver- schiedener Flagellaten viel deutlicher während der Teilung als wäh- rend der Ruhe zu Tage treten, wenn auch zwar die Verschiedenheit ohne Zweifel jeweilen im ruhenden Kern bereits begründet ist. Das dürfte sowohl für die chromatische wie für die achromatische Figur im Kernteilungsvorgang Geltung haben; für unsere Auseinander- setzung kommen zunächst nur die letztgenannten Bestandteile, speziell die Zentralspindel, welche wohl sicher dirigierende und einleitende Rolle bei der Kernteilung spielt, in Betracht. So war es mir z.B. sehr interessant, bei der weitgehenden Verschiedenheit in der Kon- stitution des Ruhekernes bei Devescovina resp. Parajoenia **) gleich ablaufende Spindelbildung in beiden Fällen zu beobachten. Dasselbe bezieht sich auf die zwei Formen von Stephanonympha Silvestris Janicki, die ich als Forma minor resp. major unterschieden habe. In der Ruhe zeigen die Kerne der beiden Formen durchaus ver- schiedenen Anblick : ausserordentlich dicht gefügt, kaum eine Struk- tur erkennen lassend, ist der Chromatinbestand der Kerne in dem einen Fall, während ein stets deutlicher zentraler Binnenkörper, der die überwiegende Menge des Chromatins zu beherbergen scheint, die andere Form auszeichnet. Im Teilungsverlauf hingegen stimmen die beiden Formen miteinander überein. Ich würde zu der Annahme neigen, dass im Ruhezustand das Aussehen des Kernes durch vege- tative Tätigkeit beeinflusst wird, während der Teilung hingegen das spezifisch Strukturelle, das Morphologische, reiner zum Durchbruch gelangt. Ausserdem, wenn ich die ohne Zweifel nahe verwandten Gattungen Joenia und Lophomonas miteinander vergleiche, gelange ich zu der Vorstellung, dass in der achromatischen Figur, speziell in der Zentralspindel, ein konservativeres Element vertreten sein dürfte, als in der chromatischen : weitgehende Uebereinstimmung herrscht in der Ausbildung und dem Verhalten der Zentralspindel (nebenbei gesagt auch der Kernmembran), während die Chromatinsubstanzen das eine Mal in Form eines kontinuierlichen Fadens, der bei der Teilung an einer Stelle reisst (Joenia), das andere Mal als kornförmige Chromosomen (Lophomonas) uns entgegentreten.
Was ich als allgemeines Resultat der vorliegenden Zusammen- stellung besonders hervorheben möchte, ist der Umstand, dass das Auftreten der extranukleären Spindel während der Kernteilung sich bei den Gattungen konstatieren lässt, welche mit einem Achsenstab resp. dessen
anEVel Janickı, le. 19T Eig- Iund 3.
10Ù C. Janicki.
Homologa versehen sind. Die Gattungen Joenia, Trichomonas, Trichomastix, Lophomonas (beide Spezies), Devescovina, Calonympha, Stephanonympha und Parajoenia bilden sichere Belege für diesen Satz ; sie sind sämtlich mit skelettartigen Achsialorganen ausgestattet. Fassen wir den Satz im negativen Sinne auf, d.h. dass Flagellaten, denen ein Achsenstab fehlt, bei der Kernteilung intranukleäre Zen- tralspindeln aufweisen, so finden wir Bestätigung für dessen Gültig- keit in sämtlichen genauer untersuchten Fällen, ich nenne nur die Gattungen Euglena, Spongomonas, C'opromonas (= Scythomonas), Chilomonas, Haematococeus, Trypanosoma, Bodo (Heteromita) und Trypanoplasma (Fälle, die in diesen Rahmen nicht hineinzupassen scheinen, gelangen weiter unten zur Besprechung). Dass der Achsen- stab, sei es in seiner Grundlage (Joenia, Trichomonaden, Devescovina), sei es überhaupt in seiner Gesamtheit (Calonympha, Stephano- nympha), auf die persistierende extranukleäre Spindel (Zentral- spindel) zurückzuführen ist, kann heute als gesicherte Erkenntnis gelten, die für Flagellaten, wie schon gesagt, zum erstenmal durch Grassi unter Mitwirkung von A. Foû an Joenia begründet wurde. Es darf nun nicht etwa angenommen werden, dass aus dieser Feststellung der oben ausgesprochene Satz durch Umkehrung ohne weiteres sich ableiten liesse; denn es wäre ja an und für sich durchaus nicht un- denkbar, dass extranukleäre Spindeln auch bei Formen vorkämen, die keine achsialen Skelettbildungen aufweisen. Erst weiter ausge- dehnte Untersuchungen über die Kernteilung bei Flagellaten, an denen ich mich selbst zu beteiligen Gelegenheit gehabt habe, erlaubten es, in der Mannigfaltigkeit der Vorgänge die Regel zu erkennen. Bevor ich die hervorgehobene Gesetzmässigkeit weiter in ihrer Bedeutung für die Protozoenzelle bespreche, möchte ich zunächst die- jenigen Fälle prüfen, wo dieselbe anscheinend nicht unanfechtbar sich durchführen lässt. Ich erinnere an die Gattung T'richonympha,®) bei welch aberrant gebauter Form wohl eine extranukleäre Spindel während der Teilung, nicht aber ein Achsenstab konstatiert werden kann. Dieser Fall muss durchaus eingehender untersucht werden, es liegt z.. Zi über dia Kernteilung bei Trichonympha nur die kurz gefasste vorläufige Mitteilung von A. Foû vor, zudem wird sehr wahrscheinlich der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der extranukleären Spindel und einem Achsialorgan resp. dessen Homologon nicht leicht zu führen sein. Ich verweise aber, nach Grassis Abbildung und Beschreibung,t6) auf die eigentümliche
45) Hierin sind, wie schon gesagt, die von Hartmann beschriebenen Formen nicht inbegriffen.
46) B. Grassi e A. Sandias. Costituzione e sviluppo della Società dei Termitidi. Con un appendice sui Protozoi Parassiti dei Termitidi. Atti Accad.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 101
etwa in der Mitte des Körpers von Tr. agilis bemerkbare Scheidung zwischen den beiden verschiedenen Plasmasorten, eine Scheidung, welche im grossen und ganzen mit der Ausbildung des ‚„Körbchens“ (Cestello), welches den Kern unterstützt, zusammenfällt. Auch Porter geht auf diese Verhältnisse in seiner Untersuchung über Tr. agilis ein und seine Fig. 7, Taf. 2 dient zur Illustration.*?) Er findet „a permanent boundary between these two regions of the animal,” wenn es ıhm auch nicht gelungen ist, eine Membran nachzuweisen, welche die vollständige Trennung von ‚head and body‘ bewerkstel- ligen würde.#$) In seiner neueren Diagnose der Gattung deutet Grassi selbst an, dass das Körbehen — auf dessen weitere Struktur ich hier nicht näher eingehen kann — den Achsenstab und das ,,Collare“ (= Parabasalapparat) vertritt.*?) Ich glaube, dass Grassi hiermit das Richtige getroffen hat, und dass das ‚Üestello“ von Trichonympha sich mit dem Kelch und Parasalapparat von Lophomonas homologi- sieren lässt; der Kelch aber, welcher den Kern von Lophomonas ent- hält, ist nach meinen Beobachtungen als eine Differenzierung des Achsenstabs aufzufassen. Diesbezügliche Untersuchungen sind somit abzuwarten.
Die Kernteilung der Distomatiden in Rücksicht auf eventuelle Beziehungen zu den Achsialstrukturen ist noch zu untersuchen.
Ich werde weiter unten zeigen, dass bei einer von mir demnächst zu beschreibenden Flagellatenform der oben abgeleitete Satz keine Gültigkeit hat. Einstweilen möchte ich noch zwei andere Fälle an- geben, die meiner Ansicht nach durchaus einer Nachprüfung bedürfen. Der eine Fall bezieht sich auf Cercomonas parva Hartm. et Chag., welche nach Hartmann und Chagas 5) eine einzige Geissel und einen Achsenstab besitzt, und deren Kernteilung nach Protomonadinentypus abläuft. Schon die Angabe, der Achsenstab entspringe vom Caryosom des Kernes aus nach hinten, während nach vorn gleichfalls vom Caryosom der Rhizoplast seinen Ursprung nimmt, wodurch Achsen- stab und Rhizoplast einheitlich erscheinen, hatte in mir einige Zweifel
Gioenia. Catania. 1893. (Auch übersetzt in Quart. Journ. of Micr. Se. Vol. 39, 40.)
47) J. F. Porter. Trichonympha, and other parasites of Termes flavipes. Bull. of the Mus. of Comp. Zool. Cambridge Mass. Vol, XXXI. 1897.
48) Porter, 1. c. S. 55.
49) Grassi, l. c. 1911, S. 729: „Invece del bastoncello assile e del collare, un cestello che sul fondo contiene il nucleo.“ —- Ja weiter unten, bei Be- sprechung einer anderen Gattung, spricht sich Grassi noch bestimmter für die achsiale Natur des Kürbchens aus: „Questa disposizione rende incerto il confronto del cestello col collare e fa piuttösto pensare a rapporti di esso col bastoncello assile.“
50) Hartmann und Chagas, 1. €.
102 C. Janicki.
geweckt. Wenn ich noch hinzufüge, dass auf der Mehrzahl der Ab- bildungen der beiden Autoren der Achsenstab nicht sichtbar bleibt
„im gefärbten Präparat ist der Achsenstab schwer nachzu- weisen....‘“),5t) dass mehrfach hingegen zwei Geisseln eingezeichnet sind, so glaube ich mich Alexeieff anschliessen zu müssen, der schreibt: L'existence de l’axostyle dans le (’ercomonas observé par Hartmann et Chagas est rendue difficilement acceptable par l’examen des figures qu'ils donnent,‘ und der Vermutung Raum gibt, es handle sich um eine zweigeisselige Form.??) Im gleichen Sinne spricht sich neuer- dings Doflein aus.?®) — Sollten diese Zweifel sich in der Zukunft als berechtigt erweisen, dann hat auch der einfache Teilungsmodus des Kernes nichts Auffallendes an sich.
Der zweite Fall, den ich im Auge habe, bezieht sich auf Mono- cercomonas cetoniae, deren Kernteilung in der letzten Zeit von CI. Hamburger°*) und von Jollos??®) unabhängig von einander studiert worden ist. Im Körper dieser Monocercomonas-Art wird ein Achsen- stab erkannt, während bei der Teilung sämtliche Bestandteile der Kernteilungsfigur nach übereinstimmender Angabe intranukleären Charakters sind. Die Fig.4, Taf. 13 von Jollos lässt in mir einigen Zweifel aufkommen, ob nicht eine extranukleäre Spindel an der Teı- - Jung partizipiere. Mit der Durchschnürung des Caryosoms liesse sich das Vorhandensein einer extranukleären Spindel in Einklang bringen ; nur wären in diesem Fall keine intranukleären Centriolen zu ver- zeichnen, deren Existenz übrigens aus den Figuren von Jollos (etwa die Fig. 11 ausgenommen) durchaus nicht einleuchtet. Man vergleiche hierzu die von mir für Lophomonas striata gegebenen Bilder. — In Anbetracht der Kleinheit des Objekts ist die Untersuchung gewiss mit vielen Schwierigkeiten verbunden, und gerade darum wäre eine detail- lierte Nachprüfung wünschenswert. Nebenbei bemerke ich, dass nach Dobell bei Monocercomonas bufonis ein Achsenstab fehlt,56) des- gleichen nach Untersuchungen von Alexeieff an derselben Spezies ;57) die Kernteilung, nach den Abbildungen dieses letzteren Autors zu schliessen, hätte einen primitiven Charakter ; zugleich hatte Alexeieff einen deutlichen Parabasalapparat (,,corps siderophile“) entdeckt und dessen Teilung verfolgt.
SPENC AS 08:
52) Alexeieff, 1. c. Arch. zool. exp., S. 515.
53) F. Doflein. Lehrbuch der Protozoenkunde. 3. Aufl. 1911.
54) Cl. Hamburger. Ueber einige parasitische Flagellaten. Verh. Naturhistor.- med. Vereins Heidelberg. N. F. Bd. XI. 1911.
55) V. Jollos. Studien über parasitische Flagellaten. 1. Monocercomonas cetoniae n. sp. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 23. 1911.
56) Dobell, 1. c. S. 243.
57) Alexeieff, 1. c. (Arch. zool. exp.), S. 496-500.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 103
Der Homologisierung des eigentümlichen ,,canal axial“ von Leptomonas drosophilae, also auch des ‚„Doppelfadens“ (Prowazek) bei Herpetomonas mit einem echten Achsenstab der Trichomonaden, wie Chatton und Leger es tun,?®) kann ich mich nicht anschliessen. Meiner Ansicht nach ist der durch Teilung des Blepharoplasten aus dessen Spindelrest hervorgehende ‚Axoplaste“ mit der Blepharoplast- desmose von Devescovina zu vergleichen, nicht aber mit der extra- nukleären Spindel im letztgenannten Fall, welche allein die Grund- lage des Achsenstabes abgibt.” Der schöne Befund von Chatton und Leger zeigt uns aber, wie die Natur zum Erreichen ähnlicher Struk- _ turen sich sehr verschiedener Mittel bedienen kann. — Meine Ansicht vom verschiedenen morphologischen Wert des ‚„Axoplasts“ und des eigentlichen Achsenstabs mag übrigens in zweiter Linie durch die Tatsache bekräftigt werden, dass echte Achsenstäbe in der Regel in mehr oder weniger deutliche Beziehungen zum Kern treten, indem sie diesen oft förmlich tragen, was in dem in Rede stehenden Fall keineswegs ersichtlich ist. In terminologischer Hinsicht möchte ich bemerken, dass von den zwei von Chatton und Leger gebrauchten Namen, Axoplaste und Axostyle, eigentlich nur der erstere bei Lepto- monaden zu verwenden wäre, eben um den Unterschied Baal dem Axostyle Dobell’s zu End,
Indem ich mich an die oben aufgezählten Gattungen halte, bei welchen das uns hier interessierende Wechselverhältnis zwischen Kern- teilungsmodus und Körperstruktur zweifelsohne vorliegt — und der- artige Beispiele werden sich in der Zukunft sicher mehren — möchte ich den Gegenstand noch etwas näher besprechen. Seitdem Schaudinn zum erstenmal bei Trypanosomen die Centriolen als Kernbestandteile beschrieben hatte, war es hauptsächlich die Schule Hartmann’s, welche die Kenntnis der weiten Verbreitung dieser Zentralorgane bei Pro- tozoen förderte. Ich glaube auf Grund meiner Untersuchungen dem Satze Hartmann’s zustimmen zu müssen, „dass in allen Fällen eine lokomotorische Komponente, wenn auch nur in Form eines Centriols, vorhanden ist, ‘“39) und betrachte die von Gläser neuerdings an der Centriolenfrage geübte Kritik entschieden als zu weitgehend.60) Wäh- rend wir bei den Protomonadinen, Euglenoidinen, Cryptomonadinen, Phytomonadinen, Gymnodiniden und Peridineen die primitiven Zen- tralorgane innerhalb des Kernes vorfinden, womit die gesamte Kern- teilungsfigur, mag sie noch so verschiedenartig ausfallen, rein intra-
58) Chatton et Leger, 1. c.
#9) M. Hartmann, 1. e. 1911, S. 19.
60) H. Gläser. Untersuchungen über die Teilung einiger Amoeben, zugleich ein Beitrag zur Phylogenie des Centrosoms. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 25. 1912.
104 C. Janicki.
nukleären Charakter erhält, tritt bei den Polymastiginen und den Hypermastiginen (diese neue Bezeichnung Grassis finde ich sehr treffend gewählt) schon die erste Anlage der Spindel mit polständigen Centriolen als ausserhalb des Kernes liegendes Gebilde auf, und diese Spindelanordnung beeinflusst den ganzen Verlauf der Kernteilung, welcher Prozess sich meistens (vielleicht immer) bei erhaltenbleibender Kernmembran abspielt. Unzweifelhaft ist das erstgenannte Verhalten der Zentralorgane als das primitive aufzufassen, es findet sich auch bei den meisten Amoeben realisiert, und diese Protozoen muss ıch entgegen mancher neueren systematischen Ranganordnung entschieden für einfacher organisiert als die Flagellaten halten. Damit stelle ich mich in Gegensatz zu der älteren Auffassung von Schaudinn, wonach „das Nukleo-Centrosoma der Flagellaten erst sekundär in den Kern hineingerückt‘“ wäre,61) konstatiere hingegen mit Vergnügen, dass R. Hertwig bereits im Jahre 1899 richtig den Besitz eines intra- nukleären Centrosomas bei gewissen Flagellaten und Amoeben als primitiven Zustand deutete.62) Wenn sich hiermit ohne weiteres die Frage nach der Bedeutung der Verlagerung der Zentralorgane aus dem Kerninnern in den Bereich des extranukleären Plasmas bietet, so be- rühren wir ein Problem, das seit längerer Zeit bereits eine Beant- wortung, wenigstens eine solche im allgemeineren Sinne, gefunden hatte. Meines Wissens ist es vor allem Boveri, der in diesem Zusammen- hang auf die „viel innigere Beziehung‘, ‚in welche die Kernteilung sowohl zeitlich wie räumlich zur Protoplasmateilung gebracht wird‘, aufmerksam gemacht hatte. „Bei den Protozoen mit reinem Centro- nukleus scheint das Protoplasma in sich die Fähigkeit zur Zweiteilung zu haben, ohne dass hierzu ein sich verdoppelndes Zentralorgan nötig ist; denn Fälle, wie die Zweiteilung des vielkernigen Actinosphaeriums oder der vielkernigen Opalina ranarum, wären sonst nicht möglich‘“.53) In den von mir in Betracht gezogenen Fällen von Flagellaten liegt aber offensichtlich dieBedeutungder Entwicklungextra- nukleärer Spindeln nicht in der besseren Beherrschung der Teilung des Plasmas, sondern vielmehr in der nachträglichen Beeinflussung der Struktur des Flagellatenkörpers durch Ausbildung skelettartiger Achsenstäbe. Auch diese speziellere Möglichkeit ist von Boverö bereits vorausgesehen wor- den, allerdings nur sofern es sich um die radiäre Struktur handelt: „Ein
61) Fr. Schaudinn, 1. e. S. 129.
62) R. Hertwig. Ueber Kernteilung, Richtungskörperbildung und Befruchtung bei Actinosphaerium Eichhorni. Abhandl. math.-phys. Kl. Akad. d. Wiss. München. BASTI AD EME ES 703.02:
63) Th. Boveri. Zellen-Studien IV. Ueber die Natur der Centrosomen, Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. 35. 1901, S. 185.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 105
anderes Motiv für das Selbständigwerden eines im Protoplasma lokali- sierten, zur Strahlenerregung befähigten Centrosomas könnte ein von der Teilung unabhängiges Bedürfnis nach radiärer Struktur der Zelle sein. In dieser Weise sind vielleicht die Verhältnisse bei Heliozoen zu deuten, deren Kenntnis wir den wichtigen Untersuchungen Schaudinn's verdanken.‘ 6*) Sicher gehört die Beherrschung der Körpergestalt von Acanthocystis durch das Zentralkorn, von welchem die Achsen- fäden der Pseudopodien ausstrahlen, in die gleiche Kategorie mit den hier erörterten Erscheinungen bei Flagellaten; doch kann selbst- verständlich der Vergleich nicht im einzelnen durchgeführt werden, wenn auch die Homologie zwischen der Zentralspindel von Acantho- cystis und der extranukleären Spindel von Joenia etwa ausser Zweifel steht.65) Betonen möchte ich nur noch, dass man aus dem Umstand, das Zentralkorn von Acanthocystis befinde sich bald intra-, bald extra- nukleär — je nachdem ob Teilungs- oder Knospungsprodukte vor- liegen — nicht etwa überhaupt auf die Irrelevanz der konstanten Be- ziehungen zwischen Kern und Zentralorgan schliessen sollte. Dass solche Beziehungen bei Flagellaten mit den übrigen Organisations- merkmalen der Zelle ın einem festen Verhältnis stehen, das durch Tatsachen zu belegen, ist überhaupt der Zweck vorliegender Zeilen, und ich denke, dass eine bestimmte Gresetzmässigkeit nicht geleugnet werden kann.66) — Auf experimentell durch Schaudinn bei Oxyrrhis marina hervorgerufene Vorgänge gehe ich nicht ein. Es scheint mir durch den Gebrauch des ‚‚stark verdünnten‘ Seewassers ein viel zu grober Eingriff vorzuliegen, der im osmotischen System des Kernes
64) Boveri, 1. c. S. 186.
65) Wenn Hartmann neuerdings noch in dem Zentralkorn von Acantho- cystis einen zweiten, „physiologisch-differenten“ Kern erblickt und die Mitose- figur „aus zwei ursprünglich getrennten Kernen“ zusammengesetzt sein lässt, so ist das durchaus irrig (l. c. 1911, p. 23); ich werde in meiner demnächst er- scheinenden Paramoeba-Arbeitzeigen, dass, wenn man dieser Auffassungzustimmen wollte, der Gattung Paramoeba nicht weniger als drei Kerne zuerkannt werden müssten.
66) Diese Gesetzmässigkeit wird auch durch den Umstand nicht aufge- hoben, dass bei Paramoeba nach meinen Untersuchungen der Hauptkern intra- nukleäre Centriolen während der Teilung erkennen lässt, während der „nucleus secundus“, wie ich jetzt den Schaudinn’schen Nebenkörper nenne, mit extra- nukleären Centrosomen ausgestattet ist. Bei den Gameten der parasitischen Formen kompliziert sich wiederum der Sachverhalt, indem beide Kerne extra- nukleäre Centriolen aufweisen. — Ebensowenig, glaube ich, kann hier wohl in diesem Sinne die bekannte durch R. Hertwig festgestellte Tatsache verwertet werden, dass bei Actinosphaerium den Richtungsteilungen extranukleäre Centro- somen zukommen, während sie bei den übrigen Kernteilungen fehlen. — Es dürfen schliesslich nur innerhalb der Grenzen einer gewissen Verwandtschaft Erscheinungen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt subsumiert werden.
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wahre Umwälzungen hervorzurufen geeignet ist; 67) aus diesen, ent- schieden nicht rein vitalen Erscheinungen Schlüsse zu ziehen, halte ich für gewagt.
Dass das Bedürfnis nach inneren Stützstrukturen — wenn der Ausdruck „Bedürfnis“, der auch von Boveri gebraucht wird, hier in gewissem Sinne erlaubt werden kann — derartig ausschlaggebend aufzutreten imstande ist, um einen sonst bei Flagellaten weit ver- breiteten Kernteilungsmodus prinzipiell umzugestalten, wird viel- leicht begreiflicher, wenn man sich vergegenwärtigt, welch be- deutende Rolle die Achsenstäbe bei der Mehrzahl der hier in Betracht kommenden Gattungen spielen. Nicht nur, dass sie dem stets mehr oder weniger flexiblen Körper eine feste innere Grundlage verleihen ; sie sind wahre Träger des Kernes, wie das namentlich bei ‚Joenta, Lophomonas und Parajoenia deutlich zum Vorschein tritt; sie gehen am vorderen Körperpol in komplizierte Strukturen über, welche den gesamten Flagellar-, Basal- und Parabasalapparat stützen, ja, sie bilden mit den genannten Organellen zusammen eine Einheit, welche in das den vegetativen Funktionen dienende Körperplasma gleichsam hineingesenkt erscheint und besonders bei Joenia und Lophomonas einen hohen Grad von Selbständigkeit bekundet. — Da ich hier den Parabasalapparat genannt habe, so möchte ich nicht unterlassen, fest- zustellen, dass sämtlichen Gattungen, welche durch extranukleäre Spindeln charakterisiert sind, der Parabasalapparat zukommt, bis auf eine Gattung, welche in bezug auf diesen Punkt noch nicht spezieller untersucht worden ist.68) Hingegen dürfte dieses eigentümliche Or-
67) Bekanntlich ist der Kern von Oxyrrhis marina mit einem Nukleolo- Centrosom oder, nach neuerer Nomenklatur, mit einem Caryosom ausgestattet, das sich während der Kernteilung intranukleär durchschnürt (vgl. hiezu auch G. Senn. Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten etc. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XCVIT. 1911.) Schaudinn konnte nun durch das Halten dieser ausgesprochen marinen Peridinee in stark verdünntem Seewasser beobachten, dass das Nukleolocentrosom gegenüber dem chromatischen Teil des Kernes sehr eross wurde und nicht selten an die Oberfläche des Kernes heran- oder auch ganz aus dem 'Kern herausrückte (Vgl. Schaudinn, 1. c).
68) Ich meine die Gattung Trichomastix. Nachdem ich bei Trichomonas batrachorum das fragliche Organell beschrieben habe (vgl. Janicki, 1. c. 1911, S. 319. Fig. 8), ist es zu erwarten, dass auch bei Trichomastix der diesbezüg- liche Nachweis gelingen wird. Ich benütze die vorstehende Bemerkung um festzustellen, dass Alexeieff in dem Ende Dezember 1910 erschienenen Heft 1 von „Archives de Zoologie expér. et gen. — Notes et Revue“ den Parabasal- apparat von Trichomonas batrachorum richtig abgebildet hatte (Fig. 12, S. XVII), ohne jedoch diesen Befund einer näheren Besprechung zu unterziehen. Bei Ge- legenheit einer Untersuchung von Trypanoplasma intestinalis Léger wendet sich A. gegen die Kernnatur des „Blepharoplasten“ und schreibt demselben eine Be- deutung zu, die auffallend mit der von mir ohne Kenntnis des Aufsatzes von
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 107
ganell nicht ausschliesslicher Besitz der höheren, durch besonderen Kernteilungsmodus ausgezeichneten Flagellatenfamilien sein: es kommt z. B. bei der Gattung Bodo vor® wo nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Autoren ein Achsenstab fehlt; das gleiche gilt für Monocercomonas bufonis nach Dobell und Alexeieff.
Ich nenne jetzt die einzige gesicherte Ausnahme von der im Laufe dieser Darstellung aufgestellten Regel. Es handelt sich um eine neue Form aus dem Darm von Hawaï schen Termiten, welche ich in meiner ausführlichen Arbeit beschreiben werde. Diese Form ist viel nied- riger organisiert als die oben genannten Gattungen aus dem Darm von Periplaneta resp. von Termiten und ist nach meinen noch nicht ab- geschlossenen Untersuchungen den Protomastiginen beizuzählen. Der grosse Kern zeigt eine gewisse Aehnlichkeit mit dem von Chilomonas ;
besonders bemerkenswert ist das konstante Vorkommen eines Entosom-
ähnlichen (Prowazek, Alexeieff) Körperchens neben dem schwach chromatischen Binnenkörper. Durch die ganze Länge des Tieres.zieht ein sehr deutlicher Achsenstab, der vorn dicht neben dem Kern ver- läuft, aber anscheinend in keine besonders festen Beziehungen zu diesem tritt. Das Plasma ist mit eigentümlichen runden Körnern ge- füllt, welehe an die von Grassi bei der Gattung Microrhopalodina beobachteten (,‚corpuscoli speciali tondeggiantı‘) erinnern. Ein Para- basalapparat ist nicht nachweisbar. Dr Vorderkörper kann sich spitz rostrumartig ausziehen, und das Flagellat ist wahrscheinlich befähigt, mit diesem Körperteil das Darmepithel anzustechen resp. sich fest- zubohren. Die Kernteilung verläuft annährend nach dem von Dobell und Alexeieff für Copromonas resp. Scythomonas angegebenen Modus.9) Extranukleäre Spindelbildung fehlt. Die Achsenstäbe der Tochtertiere sind sehr wahrscheinlich auf die stark in die Länge wach- sende Desmose des Binnenkörpers zurückzuführen. — Offenbar hängt es mit der tieferen Organisation dieses Flagellaten zusammen, dass hier eine Abweichung von der bei höheren Formen verbreiteten Regel vorliegt. Im übrigen haben wir in der Kernteilung und Achsenstab- bildung Lebensprozesse der Flagellatenzelle vor uns, welche keines- wegs immer nach einem starren Schema abzulaufen brauchen ; damit wird aber die Gesetzmässigkeit, wo sie tatsächlich sich ablesen lässt, nicht aus der Welt geschafft.
Alexeieff vertretenen Auffassung von der Natur des Parabasalapparats (erschienen am 1. Juni 1911) übereinstimmt: „Ce corps représente probablement du matériel emmagasiné pour le fonctionnement des flagelles qui pourvoit à la dépense d'énergie liée à ce fonctionnement“ (1. c. S. XV, XVI). Inwiefern bei Trypano- plasma tatsächlich ein Parabasalapparat vorliegt, kann ich z. Z. aus eigener Er- fahrung nicht beurteilen.
69) Die Angabe Berliner’s betreffend das Auftreten einer Aequatorialplatte innerhalb der Spindel etc. halte ich einer Nachprüfung bedürftig (s. oben)
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Während bei Acanthocystis nach Schaudinn und bei Paramoeba nach meinen Untersuchungen die Kerne innerhalb der Spezies je nach besonderen inneren Bedingungen bald mit extranukleären bald mit intranukleären Zentralorganen ausgestattet erscheinen, wird bei Lophomonas an einem Typus unter allen Umständen festgehalten. Ich erinnere an die Kernteilung im Cystenzustand (Fig.5); der Spindel- rest geht hier vor dem Einsetzen des zweiten Teilungsschrittes ver- loren, von einer Verwendung desselben zu strukturellen Zwecken kann hier keine Rede sein, und dennoch tritt der charakteristische Teilungs- typus, als erblich fest eingeprägte Eigenschaft, zutage.
Die Kernteilung bei Diatomeen, worüber die bekannten eingehen- den Untersuchungen Lauterborn's vorliegen, bietet anscheinend be- sonders modifizierte Verhältnisse, denn die ursprünglich ausserhalb des Kernes angelegte Zentralspindel senkt sich in der Folge in den Kernraum hinein und tritt offenbar gänzlich in den Dienst der Beein- flussung von Chromosomen ete. Wenn sich etwa in diesem Zusammen- hang die Frage bieten sollte, ob nicht der Besitz mehr oder weniger starrer äusserer Zellumhüllungen den intranukleären Charakter der Zentralorgane in vielen Fällen mitbedingt, so könnte zwar für Dia- tomeen, Peridineen, Gymnodiniden, Haematococcus ein derartiges Wechselverhältnis zuerkannt werden; verwerten liesse sich diese Be- ziehung eventuell in der Zukunft nur unter gleichzeitiger Berück- sichtigung des entgegengesetzten Extrems, ich meine von Formen mit zarter Pellicula und hochgradiger Metabolie (z. B. Euglena), während vielleicht gerade die die Mitte einhaltenden Konstitutionen, welche achsialer Stützstrukturen bedürfen, als auf Mitbeteiligung der Zen- tralorgane im Plasma angewiesen zu betrachten wären. Doch sind das Fragen der späteren Forschung !
Ohne mich in allzuweit führende vergleichende Betrachtungen einzulassen, hebe ich hervor, dass bei Noctiluca nach Ishikawa die Centrosphaeren der bekannten extranukleären Spindel zu einem Teil in die Bildung des Tentakels der Tochterkerne verwendet werden, während bei der Sporenbildung die Creissel aus den archoplasmatischen Spindelfasern ihren Ursprung nehmen soll.70) Wir hätten hier also Beziehungen der extranukleären Spindel resp. deren Teile zu Be- wegungsorganellen. Auf die Aehnlichkeit der Spindelanlage von Noctiluca mit derjenigen von Joenia hatte bereits früher Grassi hin- gewiesen und das gleiche kann ich für Devescovina sowie für Cysten von Lophomonas aussagen, nämlich die Anordnung der Spindel in
%) GC. Ishikawa. Further Observations on the Nuclear Division of Nocti-
luca. The Journal of the Coll. of Sc. Imp. Univ. of Tokyo. Vol. XII, 1898—1900, p. 248, 250 u. f.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 109
einer Furche des Kernes. — Dass freilich derartige Beziehungen zwischen Spindel und Bewegungsapparat nicht unbedingt extra- nukleäre Zentralorgane zur Voraussetzung haben, beweist der oft zitierte, durch Schaudinn begründete Modus der Geisselbildung bei Haemoproteus noctuae, der zu bekannt ist, als dass ich weiter auf diesen Vorgang einzugehen hätte.1)
Bei Anwendung des oft benützten Vergleichs zwischen dem Achsenstab der Flagellaten und dem Achsenfaden der Spermien darf nicht vergessen werden, dass, bei tierischen Spermien wenigstens, der Achsenfaden nach vollendeter Reifeteilung in der Spermatide aus einem Centriol herauswächst, bei Flagellaten hingegen gerade die die Teilung dirigierende Zentralspindel ist es, welche in den Tochtertieren persistiert, Modifikationen erleidet und zu Stützfunktionen heran- gezogen wird. Ebensowenig lässt sich der Stützfaden in den Sperma- tozoiden von Stylorhynchus etwa (vgl. Léger, Arch. f. Protistenkunde, Bd. 3) mit dem Achsenstab der Flagellaten unmittelbar homo- logisieren.
Nicht uninteressant ist es zu erwähnen, dass sämtliche Gattungen, welche den hier näher beleuchteten Kernteilungstypus aufweisen, Parasiten sind. Die im Tierreich, also auch unter den Protozoen, weit verbreitete Regel, wonach Parasitismus zu Rückbildungen in der Ge- samtorganisation führt, kann hier keine Anwendung finden. Es sind zur Zeit keine freilebenden Formen bekannt, welche an Komplikation des Baues einer Joenia, Parajoenia oder Calonympha zur Seite zu stellen wären. Auch darf, wie oben auseinandergesetzt, in der be-
11) Hingegen benütze ich diese Gelegenheit um hervorzuheben, dass die Verallgemeinerung der Schaudinn’schen Befunde an Haemoproteus, bezüglich der Geisselentstehung durch heteropole Teilungen des Blepharoplasten, auf „alle anderen Flagellatenordnungen“ durch Hartmann zur Zeit einer sicheren Be- gründung entbehrt. Wenn H. sich unter anderem ohne weitere Reserve auf Be- obachtungen Berliner’s stützt, so ist das kaum verständlich; hatte doch dieser Autor selbst die grossen Schwierigkeiten in der Feststellung der Geisselbildung betont („nur wenige Bilder habe ich auffinden können, die die Erklärung der Geisselentstehung ermöglichen“, ..... „so scheint es mir ziemlich sicher ...“ usw.); zudem stehen die Befunde B.’s im Widerspruch zu denjenigen von Dobell. Ferner habe ich folgende Sätze von Hartmann zu beanstanden: „Sind mehr als eine Geissel vorhanden, so teilt sich das Basalkorn homopolar und bildet ein zweites Basalkorn, das durch heteropole Teilung die zweite Geissel bildet. Jede höhere Komplikation der Flagellatenzelle kommt somit zustande durch polare Vermehrung individualisierter Energiden (rückgebildete Kerne, Centriolen) ver- schiedenartiger Potenz ....“ (Hartmann, 1. c. 1911, S. 28, 29). Weder für Lophomonas noch für Joenia lassen sich diese Sätze durch Beobachtung be- stätigen, und auf seine Trichonymphiden-Untersuchungen kann sich Hartmann unmöglich berufen — wie er es aber doch tut —, indem daselbst jegliche An- gaben über die Neubildung des komplizierten Flagellarapparats fehlen. Es sind hier demnach unbewiesene Behauptungen, die als Tatsachen ausgegeben werden.
110 C. Jauicki.
sonderen Kernteilungsart entschieden ein fortschrittlicher Typus unter Flagellaten erkannt werden.
Es bedarf vielleicht heute einiger Entschuldigung, wenn sämt- liche der hier in Betracht gezogenen parasitischen Formen als Flagel- laten angesprochen werden. Bekanntlich vertritt Hartmann die Mei- nung, die Trichonymphiden wären als eine neue Klasse, also etwa als eine den Ciliaten gleichwertige Gruppe, dem System der Protozoen einzureihen.??) Ich halte diesen Standpunkt für verfehlt und ver- weise auf Grassö’s treffliche diesbezügliche Kritik. Hartmann unter- schätzt die Uebergangsformen, welche von den Trichomonaden zu höheren Flagellaten überleiten; vieles von der hohen Organisation dieser letzteren ist bereits bei niederen Polymastiginen vorhanden — ich erinnere an den durch mich geführten Nachweis eines Parabasal- apparats bei Trichomonas —, nur ist naturgemäss die Feststellung dieser Komplikation bei den kleinen niederen Formen viel schwieriger als bei den grossen Parasiten der Termiten. Wenn Hartmann den Achsenstab der Trichomonaden als eine „einfache Oentrodesmose“ qualifiziert, denjenigen der Triehonymphiden hingegen als ‚die Summe der Centrodesmosen eines polyenergiden Kernes resp. einer Masse von Basalkörnern‘“ bezeichnet,‘3) so stützt er sich dabei auf nicht genügend bewiesene Annahmen, und das gleiche bezieht sich auf.die vermeintliche polyenergide Natur der Trichonymphidenkerne überhaupt. Gerade der übereinstimmende Kernteilungstypus, der einerseits den Trichomonaden, andererseits den höheren Formen wie Joenia, Trichonympha, Lophomonas, Parajoenia im Gegensatz zu den Protomonadinen zukommt, schlingt sozusagen ein gemeinsames Band um diese niederen und höheren parasitischen Flagellaten. Zur Zeit liegt kein genügender Grund vor, das System der Protozoen um eine neue Klasse zu bereichern, und ich schliesse mich, wie schon ge- sagt, Grassis Vorschlag an, die höheren Formen in der Ordnung der Hypermastigina zusammenzufassen. Genauer werde ich auf diese Frage in meiner ausführlichen Arbeit eingehen.
Aus der vorstehenden Uebersicht folgt es zur Genüge, dass höhere parasitische Flagellaten, und zwar die Trichomonaden, Devescovi- niden, Calonymphiden sowie eine Anzahl Vertreter der Ordnung
72) Hartmann, 1. c. 1910.
73) Der von Hartmann gelegentlich der Besprechung von Teilungsvor- gängen mitgeteilte Satz: „Der Achsenstab von Trichomastix ist eine einfache Fibrille, die Caryosomdesmose eines monoenergiden Kernes“ (l. €. S. 376, 77) enthält zum mindesten zwei unbewiesene Behauptungen. Mir sind bei Flagel- laten nur aus vielen Fibrillen zusammengesetzte Zeutralspindeln bekannt, bei starker Färbung mit Eisenhämatoxylin erscheinen dieselben allerdings einheit- lich. Ferner ist die Spindel resp. der spätere Achsenstab sicher keine Caryosom- desmose.
Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten. 111
Hypermastigina einen besonderen Kernteilungstypus aufweisen, welcher durch extranukleäre Zentralspindel mit polständigen Cen- triolen sowie in zweiter Linie durch den Umstand, dass die Kernmem- bran in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (ob immer ?) nicht auf- gelöst wird, charakterisiert erscheint; die chromatische Figur kann erhebliche Variationen darbieten. Dieser unter Flagellaten sehr cha- rakteristische Teilungsmodus, welcher jeweilen zu den Organisations- verhältnissen der Flagellatenzelle in fester Beziehung steht, ist zum erstenmal durch Grass? unter Mitwirkung von A. Foû richtig nachge- wiesen resp. morphologisch interpretiert worden und dürfte in der Zukunft bei bestimmten Parasitengruppen als weit verbreitet erkannt werden. Ich schlage hiermit vor, den in Rede stehenden Vorgang fort- an als Grassischen Kernteilungstypus zu unterscheiden.
Eingegangen 24. Juli 1912.
Zur Biologie von Tamus communis L.
Von
W. Brenner.
Tamus communis, die Schmerwurz, ist in mehrfacher Hinsicht eine eigenartige Erscheinung in der Flora von Basels Umgebung. Pflanzengeographisch ist sie als ursprünglich mediterrane Art zu bezeichnen, die unter dem Schutz des ozeanischen Klımas sich durch Frankreich nach Norden bis England und Irland verbreitet hat, und die in der Schweiz vor allem die untere Buchenwaldzone (Christ) der Voralpen und des Jura, aber auch geschütztere Lagen des Mittellandes bewohnt. Trotz ihrer südlichen Heimat erlangt sie dabei oft eine Ueppigkeit des Wuchses, die in keiner Weise derjenigen nach- steht, die etwa in den Kaukasusländern bei ihr getroffen wird. Nörd- lich der Alpen bildet der Rhein die Ostgrenze ihres Gebietes, südlich der grossen Gebirgsfalten strahlt sie bis Nordafrika, Syrien und Persien aus.
In systematischer Beziehung weist die Pflanze bei ausgesprochen monocotylenartigem Bau der Blütenorgane in vielen Punkten Aehnlichkeit mit dicotylen Gewächsen auf. Die eigenartige Entwicklung des Embryos veranlasste Solms-Laubach zu der An- nahme eines zweiten verkümmerten Keimblattes, was allerdings Bucherer als unbegründet hinstellte. Die ringförmige Anordnung der Gefässbündel im Stengel, das Vorhandensein eines Cambiums in den unterirdischen Knollen und die Gestalt und Nervatur der Blätter sind aber alles Momente, die den Tamus habituell stark vom gewohnten Bau der einsamenlappigen Gewächse abweichen lassen. Er ist in unserer Gegend der einzige Vertreter der sonst tropische und sub- tropische Gebiete bewohnenden Familie der Dioscoreaceen, die sich nach Pax zu den Amaryllidaceen ähnlich verhält wie die Familie der Smilaceen zu den Liliaceen. _
In biologischer Hinsicht ist die Schmerwurz eine typische Liane von ausgesprochen tropischem Habitus, die aber ver- möge der Einjährigkeit ihrer oberirdischen Organe unter allen Schlinggewächsen die höchste geographische Breite erreicht hat.
Zur Biologie von Tamus communis L. 113
Es sollen im folgenden diejenigen Momente aus der Lebensge- schichte von Tamus geschildert werden, die sich auf Grund der äussern Morphologie verfolgen lassen, während die anatomischen Be- funde hier unberücksichtigt bleiben müssen. Die Darstellung beruht, wo nichts Besonderes bemerkt ist, auf Beobachtungen, die ich in den Jahren 1906—1912 z. T. an natürlichen Standorten der Pflanze
Fig. 1. Männlicher Tamus, das Unterholz guirlandenartig verkleidend (bei Dornach). Höhe des Gesträuches ca. 2 m.
(z.B. beim Grenzacherhorn, oberhalb Pfeffingen, bei der Ruine Dornach, bei der Fischzuchtanstalt), z. T. an Exemplaren im Garten machte.
Wir treffen die Schmerwurz ausschliesslich als Bewohnerin der Waldränder an. Sie verlangt zu ihrem Gedeihen tiefgründigen, ziem- lich feuchten Boden und ein mittleres Mass von Beleuchtung. Je nach der Bewachsung des Waldrandes tritt sie in zweierlee Wuchs-
formen auf. Ist dichtes Unterholz vorhanden, so verkleidet sıe 8
114 W. Brenner.
guirlandenartig die Sträucher (Fig. 1), fehlt jenes, so schlingt sie an einzelnen Stämmen ın die Höhe (Fig. 2) und breitet die Spitzen ihrer Triebe in den untern Teilen der Baumkronen aus, wobei sie oft eine beträchtliche Stengellänge erreicht (7—8 m). Fast stets findet man in der Nähe der Stöcke im Schatten des Gehölzes
Fig. 2. Männlicher Tamus, an einem jungen Eschenstamm emporwindend (bei Pfeffingen). Höhe der aufgenommenen Partie 1,80 m, Breite ca. 50 cm.
Keimlinge und junge Pflanzen, die von der Versamung der frukti- fizierenden weiblichen Exemplare herrühren.
Die kugelrunden, 3—31/, mm dicken, rötlichbraunen Samen sind schwer zu rascher Keimung zu bringen. Nur in einem Falle gelang es mir schon 5 Monate nach der Fruchtreife durch abwechselndes Warm- und Kaltstellen in feuchtem Fliesspapier. Normalerweise er- folgt die Keimung erst im zweiten oder dritten Jahr. Dabei tritt die
Zur Biologie von Tamus communis L. 115
Radicula des nicht 1 mm grossen Embryos durch Aufheben eines Deckelchens (Gardiner und Hill) aus der mehrschichtigen Samen- schale aus und zieht die Cotyledonarscheide heraus, während das all- mählich heranwachsende Keimblatt (vel. Fig. 3) im Innern des Samens verbleibt, und ein von ihm ausgeschiedenes Enzym sukzessive
das umgebende Sameneiweiss — ein Gewebe aus stark verdiekten Hemicellulosewänden und reichem Aleuroneinschluss nach Art der Phoenixsamen (Grüss) — abbaut. Das Reservematerial wird ver-
Fig. 3.
Fig. 3. Entwicklung des Keimlings (Same quer durchschnitten). S Samenschale. M Micropyle. E Embryo. N Nährgewebe. C Cotyledon. Cs Cotyledonarscheide. P Primärwurzel. K Knöllchen. 1.B erste Blattanlage. Vergr. ca. 5.
in der ein Teil sofort wieder in Speicherstärke umgewandelt wird. Mehrere Adventivwurzeln, die an verschiedenen Stellen des Knöllchens entspringen, bringen den Abschluss der ersten Vegetationsperiode. Die junge Knolle bleibt bis ins zweite oder dritte Jahr in Ver- bindung mit dem Samen. Sie kommt diesem nach der ersten. Vege- tationsperiode an Grösse ungefähr gleich, nimmt dann aber mit jeder folgenden durch sekundäres Dickenwachstum, ausgehend von einer deutlichen ringartigen Cambiumzone, rasch zu. Sie besteht-aus einem von brauner, später rissiger Korkrinde bedeckten, gelblichweissen Ge- webe mit zahlreichen zerstreut liegenden Gefässbündeln und enthält reichlich Stärke und Schleim (daher der Name Schmer — Schmier- wurz) und, wie die ganze Pflanze, Raphidenzellen (d.h. Zellen mit
116 W. Brenner.
Krystallnadelbündeln aus oxalsaurem Kalk). Im zweiten Jahr schrumpft sie bei Ausbildung des Blattes noch stark ein, später da- gegen ist eine Volumabnahme zu Beginn der neuen Vegetations- perioden nicht mehr zu konstatieren. Ursprünglich liegt die Knolle mit dem Samen nahezu oberflächlich. Durch Kontraktion der Wurzeln wird sie in den ersten Jahren etwas tiefer gezogen, und erreicht end- lich durch sukzessives Absterben der obern Partien die vor Frost ge-
5
Fig. 4. Entwicklung der Knolle (im 1., ca. 3. und ca. 8. Jahr). Vp Knollen- vegetationspunkt. aP abgestorbene Partie der Knolle. rT regenerierte Triebe. fW frische Wurzel. aW alte Wurzel. Nat. Gr.
schützte tiefere Bodenlage. Alte Exemplare werden erst in einer Tiefe von 20—30cm unter der Oberfläche getroffen und zeigen oft ge- waltige Dimensionen (50—60 em lang, 20 em Durchmesser, 10 ke Gewicht).
Die Knolle besitzt an ihrem basalen Ende einen Vegetations- punkt. Durch seine Tätigkeit entsteht aus dem kugeligen Knöllchen des ersten Jahres zunächst ein bohnenförmiges (2. Jahr), dann ein stab- oder keulenartiges Organ (3. bis 10. Jahr) (vgl. Fig.4). Bei Anstossen an Hindernisse (Steine, Wurzeln) teilt sich die Vege-
Zur Biologie von Tamus communis L. 117
tationsspitze, sodass die Knolle später meist zwei- bis vielteilig er- scheint. Wagrechte Steinplatten veranlassen oft eine fussartige Ver- breiterung des Gewebes. Aeltere Stöcke werden nach unten stets dicker und sind dann schwer unbeschädigt auszugraben. Der stets zer- störte ursprüngliche Stammvegetationspunkt wird mit Leichtigkeit und zwar meist in Mehrzahl an beliebigen Stellen der obern Partie
Fig. 5. Alte (ca. 30jährige) Knolle, im Februar ausgegraben, mit Resten der
letztjährigen (schwarz) und neuen Trieben (hell). Länge 52 cm, mittl. Durchm.
20 cm, Gewicht 10 kg. (In der Höhlung unten befand sich ein Stein, äusserste Knollenspitzen teilweise abgebrochen.) Ca. Us nat. Gr.
des gesund gebliebenen Organsregeneriert. Daher kommt es, dass alte (ca. 30jährige) Exemplare an ihrer Krone einen ganzen Kranz von 10 und mehr Augen tragen, aus denen je 1—3 Triebe entspringen können. Unterhalb einer adventiven Stammknospe entsteht häufig auch ein neuer Knollenvegetationspunkt, der zur Bildung eines der ursprünglichen Knolle anliegenden Seitenastes führt. So werden schliesslich Formen erzeugt, die dem knorrigen Wurzelstock eines Baumes nicht unähnlich sind (Fig.5).
118 W. Brenner.
Die grosse Regenerationskraft der Knolle habe ich durch zahlreiche Versuche festgestellt. Wird eine Knolle zerschnitten, so bilden sich im Herbst schon nach 3 Wochen am oder nahe am Rande der gesund gebliebenen Stücke neue Augen aus, während im Frühling zunächst nur eine Streckung der Knollenbasis und erst später Neu- anlage von Trieben erfolgt. Dabei zeigen sich solche Stücke deutlich polar. Stets entspringen, auch bei verkehrtem Einpflanzen, die Stengeltriebe am ursprünglich obern Ende. Die obern Teilstücke einer Knolle sind leichter zur Regeneration von Stengeln zu bringen als die untern.
Die Wurzeln der ältern Knollen sind sämtlich adventiver Natur, da die Primärwurzel schon in den ersten Jahren abstirbt. Sie nehmen ihren endogenen Ursprung an beliebigen Stellen des Organs, vornehmlich aber in der untern Partie der Primärknolle oder oberhalb der sich etwa bildenden neuen Knollenvegetationspunkte. In einer Länge von 30—40 cm wachsen sie nach allen Seiten, selten gerade abwärts, häufig dagegen an alten Exemplaren schräg aufwärts in die besser durchlüfteten obern Bodenpartien (Bucherer). Ihr brüchiges weisses Rindengewebe (Durchmesser des ganzen ca. 4 mm) stirbt bald ab; der von einer starken Endodermis geschützte Zentral- zylinder dagegen bleibt noch lange erhalten und lebenskräftig (vel. Fig. 4). Er vermag aus den spärlichen Seitenwurzeln und der Wurzel- spitze, deren mit Wurzelhaaren versehene Rinde oft bestehen bleibt, das Wasser noch weiter der Pflanze zuzuleiten. An ausgegrabenen Stöcken sind stets nur wenige frische weisse Wurzeln mit vollständig erhaltener Rinde, dagegen sehr viele solcher dünner holziger Wurzeln zu finden. Als rasch wachsende Liane bedarf Tamus einer reichlichen Wasserzufuhr, deren Stetigkeit aber auch bei ungleicher und lang- samer Tätigkeit des Wurzelsystems durch das eingeschaltete Speicher- organ der Knolle (Schleimgehalt) garantiert wird.
Der Spross besteht im ersten, bisweilen auch noch im zweiten Jahr nur aus einem einzigen langgestielten Blatt. Erst vom dritten Jahre an ist regelmässig eine eigentliche Achse zu erkennen. In jeder folgenden Vegetationsperiode nimmt diese an Grösse, Dicke und Blätterzahl zu und zeigt, sobald sie eine geeignete Stütze gefunden hat, die Natur der Schlingpflanze. An ältern Stöcken entspringen aus jedem adventiven Auge 1—3, im ganzen 20—30 Sprosse (vel. Fig. 5). sodass ein einzelnes Exemplar die Stützpflanze bis hoch hin- auf in ein dichtes Kleid grüner Lianenblätter einzuhüllen vermag.
Die Anlage der neuen Sprosse findet im Herbst statt. Schon im November haben sie im Boden eine Länge von ca. 10 cm erreicht, verharren dann aber bis zum Frühling 5—10 cm unter der Oberfläche. Anfang April durchstossen sie diese schräg mit hakenförmig um-
Zur Biologie von Tamus communis L. 119
gebogenem Ende (Fig.6). Eine Einlagerung von Anthocyan in der Epidermis schützt sie einigermassen vor Kältewirkung, doch ist ein Erfrieren der ersten Sprosse nicht ausgeschlossen, wie die abnorm rasche Entwicklung im Frühjahr 1912 zeigte, wo trotz durchaus ge- schützter Lage am Waldrand die Nachtfröste von Mitte April zahl- reiche Triebe zerstörten, während rings in der Umgebung der Pflanze keine weitern Frostspuren zu bemerken waren. Diese Empfindlich- keit von Tamus erinnert an seine südliche Heimat und erklärt auch die auffallende Erscheinung, dass er bei uns vor allem solche Wald- ränder bewohnt, die nach Südost, Süd, oder Südwest gerichtet sind, oft mit plötzlicher Ueberspringung aller den kalten Nordwinden aus- gesetzten Partien. Kein Wunder, dass er darum auch nirgends so üppig sich entwickelt, wie in den vom Föhn bestrichenen Voralpen- gebieten, namentlich an den Bergabhängen am Nordufer unserer Alpenrandseen (Rigi, Hasliberg, bei Montreux).
Der Spross wächst in den ersten 14 Tagen sehr langsam und richtet sich dabei unter Beibehaltung der Hakenkrümmung, die hin und wieder schon Andeutungen einer sehr trägen Nutation zeigt, auf. Hat er je nach seiner Dicke (abhängig von dem Alter des Stockes) eine Höhe von 30—40 em erreicht, so streckt sich die Hakenspitze wagrecht aus (Fig. 6) und beschreibt in beschleunigtem Tempo regel- mässige Nutationskreise mit einem Durchmesser von ca. 20 em. Die Nutation wird bekanntlich hervorgerufen durch sukzessive Steigerung des Wachstums der verschiedenen Stengelseiten, wofür Noll u.a. den sog. Lateralgeotropismus verantwortlich machten, während neuere Forscher (Nienburg) sie wieder wie Darwin als autonome Bewegung auffassen. Zu einem Umgang braucht die Pflanze zu Beginn 6—7 Stunden, später (bei wärmerm Wetter) 2—3 Stunden, wie schon Dar- win beobachtete. Das Anlegen des Sprosses an eine Stütze erfolgt erst dann, wenn beim Nutieren eine ca. 10—15 cm hinter der Stengel- spitze liegende Partie (die Zone grössten Wachstums) von dieser ge- troffen wird. Der Vorgang vollzieht sich dann rasch, indem bei mittel- starken Sprossen und Stützen die erste Viertelswindung schon im Verlauf von 6 Stunden ausgebildet ist. Zur Erzeugung des ganzen ersten Umgangs sind dagegen ca. 3 Tage nötig. Im Verlauf dieser Zeit hat sich die Sprossspitze, die spargelartig von den durch kurze Internodien getrennten, sich dachziegelig deckenden jungen Blättern bedeckt ist, wieder hakenförmig umgebogen (Fig.7) und verharrt in dieser Stellung während des weitern Windevorgangs, bis das Ende der Stütze erklommen ist. Es ist dies offenbar eine Schutzeinrichtung für die brüchigen jugendlichen Organe, indem sie so in ähnlicher Weise wie beim Durchstossen des Bodens beim Hindurchwachsen durch das Gewirr der Aeste und Zweige vor Verletzung bewahrt
120 W. Brenner.
werden. Für diese Auslegung der bei Tamus charakteristischen Er- scheinung spricht auch der Umstand, dass die Krümmung auch dann eintritt, wenn keine Stütze umschlungen wird, sondern der Trieb in dichtem Unterholz (z. B. Schwarzdorn) senkrecht in die Höhe wächst, während ganz frei wachsende Stengel sie nicht zeigen. Ist das Ende
Fig. 6. Wachstum des Sprosses. Beginn der kreisförmigen Nutationsbewegung. 1/4 nat. Gr.
Fig. 7. Stellung des Sprossgipfels beim Winden. 1/4 nat. Gr.
einer Stütze erreicht, so streckt sich sofort die Spitze wieder gerade und die tastende kreisförmige Nutation setzt aufs neue ein. Das Winden erfolgt stets von rechts nach links (von vorn gesehen), mit dem Uhrzeiger (von oben), d.h. in gleichem Sinne wie die Nutation. Tamus ist also ein Rechtswinder. Was die Steilheit der Windungen
anbelangt. so ergab sich mir aus zahlreichen Messungen folgendes Gesetz:
Zur Biologie von Tamus communis L. 121
Die Anzahl der bei jeder Pflanze auf eine bestimmte Höhe ent- fallenden Windungen ist umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus dem Produkt der Durchmesser von Spross und Stütze.
h-k
(k = 0,039; d — Durchmesser des Sprosses ; D = Durchmesser der Stütze). Dieses Gesetz gilt jedoch nicht für minimale und maximale Werte. Bei einem Durchmesser der Stütze von mehr als 20 cm findet kein Aufsteigen mehr statt; ebenso können keine Stützen dauernd umwunden werden, die mehr als ca. 450 geneigt sind. Beides ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der negative Geotropismus eine wesentliche Rolle spielt beim Festhalten der windenden Sprosse an der Stütze. Für die Erklärung des Windevorgangs selbst nahmen Wortmann und Baranetzki ‚bei allen Schlingpflanzen die Nutation zusammen mit negativem Geotropismus als ausreichend an, während Kohl die Mitwirkung einer spezifischen Reizbarkeit voraus- setzte und z. T. auch nachwies. Bei Tamus spielt eine solche ganz sicher eine wesentliche, nach meiner Ansicht sogar die Hauptrolle. Einmal wäre es schon theoretisch undenkbar, durch Nutation allein das Zustandekommen ‚der Umschlingung zu erklären, weil die Perioden der Nutation bei weitem nicht mit denjenigen des Windens zusammenfallen. Bis eine Windung entstanden ist, hat ein dicker Stengel meist 15—25 Nutationen ausgeführt. Aeusserlich sind die- selben nur an einem abwechselnden An- und Abrücken und einem Auf- und Abgleiten des Sprosses an der Stütze zu erkennen. Es müsste also, wenn keine der sukzessive geförderten Stengelseiten ein dauerndes Plus ihres Wachstums erführe, einfach der Trieb. längs der Stütze senkrecht in die Höhe wachsen. Dieses Plus kommt nun aber, wie leicht durch Versuche nachzuweisen ist, infolge der Reiz- barkeit und einem dadurch ausgelösten stärkern Wachstum der der berührten Stelle gegenüberliegenden Stengelseite zustande. Wird z. B. ein wachsender Spross je 50 mal mit Unterbrechung von einer Stunde leicht mit einem Hölzehen mit rauher Oberfläche gerieben, so tritt schon nach 5—6 Stunden eine deutliche Krümmung ein, die noch 1—2 Tage fortschreitet und nahezu 900 erreichen kann. Erst nach Verlauf von 2—3 Wochen wird bei Aufhören des Reizes die Richtungsänderung wieder ausgeglichen. Die Reizbewegung ist so auffällig, dass ihr Vorhandensein nur wegen der relativ langen Prä- sentationszeit wohl bisher übersehen worden ist. Dass sie aber die grösste Bedeutung für den Windevorgang hat, ergibt sich auch daraus, dass Triebe von nur 20—30 em Länge, die also noch gar keine deutlich erkennbare Nutationsbewegung zeigen, sich beim Zu-
nr
122 W. Brenner.
sammentreffen gegenseitig umschlingen. Was im Versuch durch Reiben erzielt wird, erreicht die Natur durch jene kleinen infolge der Nutation entstehenden Bewegungen des Stengels selbst. Zur Er- höhung der Reizempfindlichkeit dienen wohl die feinen Längsfältchen der Cuticula der Epidermis, die sich vor allem an den zahlreichen Rillen des Sprosses finden. Die gleitende Bewegung verursacht so eine Reihe rasch aufeinander folgender Stösse (vgl.Haberlandt, Die Sinnesorgane der Pflanzen). Erst durch diese Reizbarkeit wird auch erklärlich, wieso Sprosse in einem Gewirr von Aesten gerade in die Höhe wachsen. Sie werden dabei auf ganz verschiedenen Seiten zu Krümmungen veranlasst, die sich dann gegenseitig ausgleichen.
Das Wachstum der Sprosse ist, sobald sie ca. 1 m Länge erreicht und eine Stütze umschlungen haben, ein ausserordentlich rasches. Ich habe bis 19,6 cm Zuwachs pro Tag notiert.
Der Stamm verzweigt sich äusserst spärlich. Sehr oft ist über- haupt gar kein Seitenast, auch an sehr langen und kräftigen Trieben zu finden, oder wenn solche vorhanden sind, so sind es nur 1—2, die in den Achseln der schuppenförmigen untersten, oft sogar noch unter- - irdischen Blätter entspringen. Nur bei Zerstörung des Sprossgipfels oder ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen des Haupttriebes wachsen: auch Achselsprosse unterer Laubblätter aus.
Wie bei allen Lianen ist auch der Stengel von Tamus im Ver- hältnis zu seiner Länge sehr dünn und verjüngt sich nicht mit der Entfernung vom Boden. Er zeigt im Gegenteil in seinen höhern win- denden Teilen einen grössern Durchmesser als am Grunde (z. B. 6 gegenüber 4 mm). Seine Festigkeit erlangt er durch Ausbildung eines äussern mehrschichtigen Rings von Collenchymzellen und einer etwas weiter innen liegenden verholzten Stereomscheide. Diese umschliesst die ringförmig angeordneten, eigentümlich gebauten Gefässbündel und das weitlumige Markgewebe. Die Stoffleitung ist wie bei andern Schlinggewächsen erleichtert durch Ausbildung sehr grosser Gefässe (bis 200 u Durchmesser) und grosser Siebröhren (bis 35 u), deren Lumina teilweise schon makroskopisch sichtbar sind.
Die Entwicklung der Blätter beginnt um so später, je kräf- tiger der Spross ist, an dem sie stehen, d.h. je älter das Exemplar der Pflanze ist. Während wenigjährige Individuen schon Mitte April ihre Assimilationsorgane entfaltet haben, findet man noch anfangs Mai bis über 2 m lange schlangenartig windende Triebe alter Stöcke, deren Blätter noch vollständig unentwickelt sind. Das saftig grüne, auf der Ober- und Unterseite infolge einer Ausscheidung zahlreicher Drüsenhaare oft wie mit Firnis überzogene, glänzende Blatt (Fig. 8) zeigt an verschiedenen Pflanzen eine ausserordentliche Formenman-
Zur Biologie von Tamus communis L. 123
nigfaltigkeit (Fig. 9). Diese ist jedoch nicht abhängig vom Stand- ort oder vom Geschlecht der Pflanze, sondern, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, vom Alter der Individuen. Erstlingsblätter haben meist tiefe Herzform, oft mit übereinandergreifenden Lappen (a), spätere Blätter werden dreieckig mit sich verflachendem Herz- grund (b), an ältern Stöcken endlich tritt die dreilappige Gestalt auf, entweder mit weit vorgezogenem schmalem Mittellappen (ce) oder mit breiten Seiten — und kürzerem, mehr abgestumpftem Mittel-
lappen (d). Auch Spitze, mittlerer Teil und Basis einer Pflanze zeigen oft entsprechende Formdifferenzen der Blätter. An sonnigen Standorten ist das Blattgewebe derber als an schattigen und zwischen dem Maschennetz der Sekundärnerven etwas aufgewellt. Eine zıem- lich lange feine Träufelspitze leitet das von den Bäumen herunter- tropfende Wasser der Knolle zu.
Die Grösse des ausgewachsenen Blattes ist durchschnittlich 12—14 x 10—13 em. Auffällig ist, dass die Blätter an abgeschnit- tenen Trieben ausserordentlich lange frisch und turgescent bleiben.
124 W. Brenner.
Diese können oft 14 Tage lang, ohne in Wasser gestellt zu werden, als Guirlanden zu Dekorationszwecken gebraucht werden. Nach 3—4 Wochen erst werden sie weich und transparent, schrumpfen dann und sind endlich brüchig und dürr. Darin zeigt das Tamusblatt wieder den Monocotylencharakter, den seine durchaus dicotylenartige Gestalt und
Fig. 9. Blattformen. 2/5 nat. Gr.
Nervatur so leicht vergessen lässt. Die genannte Erscheinung erklärt sich aus dem reichen Schleimgehalt der Blattsubstanz.
Die Assimilationsorgane sind zur möglichsten Ausnutzung des Lichtes stets bestimmt orientiert. Die 7—12 em langen Blattstiele sind bei ungehinderter Entfaltung ca. 450 aufwärts, die Spreiten eben- soviel abwärts geneigt; die letztern bilden mit einander ein pracht- volles Mosaik. Bei Wegbiegen des Stiels junger Blätter krümmt sich
Zur Biologie von Tamus communis L. 125
der freie obere Teil in ca. 2 Stunden so zurück, dass die Spreite wieder optimale Lichtlage einnimmt. Bei Verdunkelung der letztern (mittels Stanniol oder schwarzen Papiers) ist die eintretende Bewegung des Stiels richtungslos. Aeltere Blätter brauchen zur Lichteinstellung ca. 2 Tage, da der ausgewachsene Stiel nur noch in den aus wachstums- fähigem Gewebe (Collenchym) bestehenden gelenkartigen Ver- dickungen seiner Basis und unmittelbar unter der Spreite (Fig. 10) Bewegungen auszuführen vermag.
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Fig. 10. Gelenke an der Basis des Blattstiels mit den hornartigen Nebenblatt- organen und am Grunde der Spreite. Vergr. 2.
zelte, makroskopisch nur schwer sichtbare sog. extraflorale Nektarien auf der Unterseite der Basis und auf dem vordern Teil der Spreite zu erwähnen. Die erstern können unter Umständen das Festhalten der windenden Sprosse an Unebenheiten der Rinde oder an einzelnen Aestehen erleichtern, in den letztern, die nach Correns nur in der aller- ersten Zeit einen schwach zuckerhaltigen Saft ausscheiden, aber auch dann von keinerlei Insekten besucht werden, möchte ich ihrer Stellung nach eher wasseraufsaugende Organe vermuten. Experimentell konnte das bisher nicht nachgewiesen werden.
Die im Spätherbst absterbenden Blätter gliedern sich nicht an der Basis des Blattstiels ab, sondern lassen einen 5—10 em langen Teil desselben an den bis ins nächste Jahr sichtbaren dürren Trieben stehen.
126 W. Brenner.
Die neuen Jahressprosse benutzen oft die vorjährigen als Wegleiter zur nächsten Stützpflanze.
Tamus ist zweihäusig. Ich traf an den verschiedenen Standorten in der Regel zwei- bis dreimal so viel männliche als weibliche Exem- plare. Die Blütenstände entwickeln sich wie die Blätter von unten nach oben und stehen bei Exemplaren von ca. 5 und mehr Jahren in sämtlichen Blattwinkeln mit Ausnahme der untersten Partie der Triebe, an der Knospen für Seitenäste angelegt sind. Die Blütenzahl der Blütenstände nimmt mit der Dieke des Triebs (d. h. dem Alter: des
Fig. 11. Teile einer weiblichen (links) und einer männlichen (rechts) Pflanze mit Blütenständen. 1/5 nat. Gr.
Stocks) und mit der Annäherung an die Basis zu. Die männlichen Blüten sind in 2—60 cm langen Rispen angeordnet, die sich aus 2—4blütigen Wickeln zusammensetzen. Ihre Zahl beträgt in jeder Rispe von wenigen bis ca. 200. Die weiblichen Blüten stehen in kurzen Trauben zu 1—25 bei einander (Fig. 11). Beiderlei Blüten- stände sind lichtwendig, die männlichen meist nahezu wie die Blatt- stiele 40° nach oben gerichtet, bei grösserer Entwicklung infolge ihres Eigengewichtes vorn gerade gestreckt oder überhängend (Fig. 1 und 2), die weiblichen schauen ca. 450 abwärts. Die Entfaltung der Blüten geschieht nach bestimmter Reihenfolge und beginnt am Stengel wie auch in jedem Blütenstand unten. Blütezeit ist Mai und
Zur Biologie von Tamus communis L. 127
Juni, doch kann auch ausnahmsweise an Seitentrieben ein Nachblühen im September stattfinden. Die männlichen Blüten bleiben 3—4, die weiblichen ca. 6 Tage ununterbrochen geöffnet. Beide Blütenformen haben ein sechsteiliges grünliches Perigon von 6—8 resp. 5—6 mm Durchmesser. In den grössern männlichen stehen sechs, eine kurze Säule bildende Staubgefässe, die mit extrorsen Antheren ausgestattet sind, und dazwischen drei rudımentäre Griffel. In den weiblichen
Fig. 12. Weibliche und männliche Blüte und Knospe. Auf der letztern die bestäubende Empis spec. Vergr. 5.
befinden sich ausser sechs ganz kleinen Staubgefässrudimenten drei Griffel mit aus- und etwas abwärts gewendeten ankerförmigen Narben (Fig. 12). Der längliche Fruchtknoten ist unterständig. Ein schwacher Duft und ziemlich reichlicher Honig im Grunde beider Blüten locken allerlei Insekten an: Bockkäfer, Erdbienen und Fliegen. Zum Schutz vor Reger sind beiderleı Blüten bei der Anthese schräg abwärts ge- wendet. Als eigentlicher Bestäuber muss eine kleine, ca. 6 mm grosse, Empis-Art (nach gütiger Bestimmung durch Dr. P. Steinmann) an- gesehen werden, die beim Hineinsenken ihres Rüssels in den Blüten-
128 W. Brenner.
grund mit kleinen Haarbüscheln, die sich auf der hochgewölbten Brust am Grunde der Flügel finden, genau an die beiden Hälften der Antheren wie an die Narbenlappen anstösst (Fig. 12).
Als Seltenheit fand ich am Grenzacherhorn ein Exemplar von Tamus mit teilweise zwitterigen Blüten. Die Form der Blütenstände hielt dabei die Mitte zwischen normal männlichen und weiblichen inne.
CHA) APTE LE
Die Früchte der Schmerwurz bilden eine besondere Zierde unserer Waldränder. Die rundlichen oder ovalen, einzeln oder in dicken Trauben (Fig. 13) hängenden, erst grün, dann orangegelb, schliesslich carmoisin-zinnoberrot gefärbten Beeren reifen im Oktober. Sie werden aus einem häutigen Epikarp, einem fleischigen, sauer- süss schmeckenden und Raphiden enthaltenden Mesokarp und einem pergamentartigen, eine dreiteilige loculicide Kapsel darstellenden
Zur Biologie von Tamus communis L. 129
Endokarp gebildet. In jedem Fach befinden sich hie und da nur ein, normalerweise aber zwei Samen. Der Farbstoff der Frucht ist nach Harsten derselbe wie in den Beeren von Asparagus officinalis und Solanum dulcamara. Drosseln, vor allem Schwarzdrosseln, verzehren nach meiner Beobachtung das Fruchtfleisch und verschleppen die Samen.
Nach Ausbildung der Früchte sterben alle oberirdischen Organe der weiblichen Pflanzen ab, nachdem meist schon etwas vorher auch der Blätterschmuck der männlichen Stöcke eine herbstliche hell- gelbe oder braunviolette Färbung angenommen hatte. Bald ist das Vorhandensein der Schmerwurz äusserlich nur noch an den weisslichen, glatten, mit Teilen der Blattstiele und Blütenästchen oder mit vereinzelten Beeren versehenen, weithin windenden Stengelresten zu erkennen, während die Knolle tief im Boden verborgen das junge Leben der nächsten Vegetationsperiode vorbereitet.
Wichtigste Literatur.
Baranetzki, J. Die kreisförmige Nutation und das Winden der Stengel. Mem. de l’Acad. imp. des sc. de St. Petersbourg. Vile ser. T XXXI 1883.
Bucherer, E. Beitr. z. Morphologie u. Biologie der Dioscoreaceen. Bibliotheca botanica. Nr. 16. Cassel 1889.
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Eingegangen 6. August 1912.
Die Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder.
Von
-S. Schaub.
Nach einem ın der Sitzung der Basler Naturforschenden Gesellschaft vom 15. Mai 1912 gehaltenen Vortrag.
Die vorliegende Studie stellt sich die Aufgabe, die theoretischen Anschauungen über das Nestkleid der Vögel einer Revision zu unter- ziehen und an Hand einiger neuer Beobachtungen seine Bedeutung in einem etwas andern Lichte erscheinen zu lassen, als es bisher der Fall war. Die aus diesen Beobachtungen gezogenen Schlüsse können nicht den Anspruch erheben, etwas ganz Neues zu sein, da ähnliche Gedanken wenigstens andeutungsweise schon von andern ausge- sprochen wurden und weil andererseits der Boden für die hier ver- suchte Deutung des Nestkleids schon so wohl vorbereitet war, dass es nur weniger, beinahe zufälliger Entdeckungen bedurfte, um ihre Berechtigung zu erkennen. Ich glaube jedoch, dass gerade diese zu- fälligen Beobachtungen geeignet sind, unsere immer noch spärlichen Kenntnisse über das Nestkleid zu erweitern und die Geschichte des Federkleids etwas zu erhellen.
Wir werden die heute gültigen Ansichten über das Nestkleid der Vögel am ehesten richtig einschätzen können, wenn wir uns ver- gegenwärtigen, unter welchen Bedingungen sie entstanden sind, in- wiefern das Nestkleid bereits der Gegenstand zoologischer Forschung war.
Im Jahre 1832 schrieb Carus in seiner vergleichenden Zootomie : „im jungen Vogel bemerkt man, dass Büschel von weichen Haaren .... zuerst an Statt der Federn hervorkeimen; diese Haare sind ın- dess nur gleichsam die Krone der eigentlichen Feder, und sie fallen ab, sowie die eigentliche Fahne sich bildet.“
Ganz ähnliche Anschauungen äussert Nitzsch in seiner klassischen Pterylographie vom Jahre 1840; nur erlauben ihm seine reichen Kenntnisse eine viel schärfere und präzisere Fassung: „Das Dunen-
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kleid der jungen, eben ausgebrüteten Vögel betreffend, so soll dieses nach Einigen aus Dunen, nach Andern aus Haaren bestehen, indessen wird dasselbe bei den meisten Vögeln weder aus diesen, noch aus jenen gebildet, sondern lediglich aus bald abfallenden dunenartigen oder borstenförmigen Fortsätzen, welche auf den Spitzen der zuerst ge- bildeten Aeste einer Konturfeder, oder sogar einer Dune, aufsitzen. Nur bei den Unguirostres besteht das Nestkleid aus wahren, mit Schaft und Spule versehenen Dunen.
Beide Forscher reden kein Wort von einer ersten Federgeneration, sie betrachten die Nestdunen gar nicht als richtige Federn, sondern betonen, dass sie die Krone der eigentlichen Feder bilden oder Fort- sätze derselben sind. Ich glaube aber, dass diese naiven Schilderungen den wirklichen Tatsachen viel mehr entsprechen, als das, was in den heutigen Lehrbüchern der vergleichenden Anatomie zu finden ist.
Im Laufe der Jahre sammelte sich nun eine Anzahl von Arbeiten über das Nestkleid an, so dass wir über gewisse Punkte seiner Organi- sation leidlich orientiert sind. Doch ist diese Literatur immer noch eine spärliche, und die betreffenden Arbeiten verdanken ihre Ent- stehung nur in wenigen Fällen dem Wunsche, die Natur des Nest- kleids wirklich zu erforschen. Eine erste Kategorie von Arbeiten be- schäftigt sich mit dem Nestkleid vom Standpunkt der Museums- zoologie. Als Beispiel hiefür nenne ich Vian, der in seiner Mono- graphie alle Nestlinge europäischer Vögel, sofern sie ein Nestkleid besitzen, geschildert hat.!) Sein Hauptzweck ist die Möglichkeit einer Bestimmung der Nestlinge, und es sind deshalb von ihm speziell die Differenzen herausgearbeitet worden, welche diesem Zweck am dien- lichsten sind. Andere zum Teil sehr wichtige Merkmale werden bei- seite gelassen; so erfahren wir über die vielen Vögel mit spärlichem oder reduziertem Nestkleid gar nichts. Sie eignen sich nicht zum Ausstopfen und sind deshalb unberücksichtigt geblieben.
Viel wichtiger als diese Arbeiten von Sammlern sind die Be- mühungen verschiedener Forscher, die histologische Entwicklung der Nestdunen in allen Einzelheiten zu erforschen. Auch das Ziel dieser Arbeiten war nicht eigentlich die Erforschung des Nestkleids, sondern es handelte sich in erster Linie um das Studium der ersten Anlagen der Integumentalgebilde. Die Resultate dieses Studiums führten not- wendigerweise zu einem Vergleich zwischen Schuppen, Federn und Haaren, und deshalb nehmen auch die Spekulationen über die Be- ziehungen zwischen diesen Integumentalgebilden in vielen dieser Ar- beiten einen breiten Raum ein. Das Material zur histologischen Unter- suchung lieferten vorwiegend sehr leicht zugängliche Vögel, natürlich
') Bull. soc. zool. France. 1886—88.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 133
in erster Linie das Hühnchen, dann Gänse und Tauben und, seitdem Südpolexpeditionen unternommen werden, auch als Kuriosum der Penguin. Diese Auswahl wurde nun keineswegs getroffen, weıl an diesen Vögeln typische Verhältnisse beobachtet werden können, son- dern lediglich, weil sie zum Teil bereits klassische Objekte der Em- bryologie waren oder durch abweichende Gestaltung ihres Gefieders und anderer Organe die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Nur wenige Autoren, ich nenne hier nur Klee, Gadow und Pycraft, waren in der glücklichen Lage, die Nestkleider einer grössern Anzahl von Vögeln untersuchen zu können und unsere allgemeinen Kenntnisse dieses Organs zu erweitern.
Eine Folge des geschilderten Arbeitens war es nun, dass die Nestdunen plötzlich eine wichtige Stellung in der Literatur über das Integument einnahmen. Man fing an, sie zu überschätzen, und wir hören deshalb nicht mehr von einfachen Fortsätzen der eigentlichen Federn reden, sondern von Erstlingsdunen, Embryonaldunen und Em- bryonalgefieder. Besonders die höchst einfachen Neoptile? ) der Tauben gaben den Anlass dazu, in diesen Gebilden einen Uebergang zwischen der Reptilienschuppe und der Vogelfeder zu erblicken. Man redete kurzerhand von einer ersten Federgeneration, wie man von einer ersten Zahngeneration spricht und verglich die Nestdunen mit den Milchzähnen der Säugetiere. Und nun wurde der einfache Bau dieser ersten Generation als etwas höchst primitives erklärt, und unter dem Einfluss des biogenetischen Grundgesetzes gelangte man zu der An- sicht, das Nestkleid sei das primitive Federkleid der Vorfahren der heutigen Vögel, die Nestdunen seien das Abbild der Urfedern.
Diese Anschauungen wurden im allgemeinen bis heute festge- halten, obschon sich nach und nach herausstellte, dass Neoptil und definitive Feder in einem innigern Zusammenhang stehen, als man nach diesen Theorien erwarten sollte. Während man sich früher dar- über stritt, ob beide Federn aus ein und derselben Papille hervorgingen oder ob der Keim der definitiven Feder eine Neubildung sei,?) wird heute ziemlich allgemein anerkannt, dass Nestdune und definitive Feder Produkte desselben Federkeims sind. Nachdem sich heraus- gestellt hatte, dass beide Federn ineinander übergehen und in vielen Fällen keine Unterbrechung zwischen beiden stattfindet, konnte man sich dieser Einsicht nicht mehr verschliessen. Die notwendige Kon- sequenz wäre nun aber gewesen, zu prüfen, ob unter diesen Umständen die Nestdune überhaupt noch als selbständige Feder, als eine erste
2) Ich verwende an Stelle des schwerfälligern Ausdrucks Neossoptil den kürzern, auch von Gadow angewendeten Neoptil (von véos und zö zrélov).
3) Vergleiche die Diskussion der Frage bei F. Keibel, Ontogenie und Phylogenie von Haar und Feder. Erg. Anat. Entw. 1896.
154 S. Schaub.
Generation betrachtet werden darf. Auf der Annahme, dass dies so sei, beruhen ja alle theoretischen Betrachtungen über die Urgeschichte der Federn. Insbesondere wurde stets hervorgehoben, dass der Schaft den Nestdunen noch fehle und dass ihre Zusammensetzung aus blossen Aesten sie viel primitiver erscheinen lasse als die definitive Feder. Die Frage nach der wirklichen Natur der Nestdunen wurde aber gar nicht mehr aufgeworfen, sie blieben nach wie vor die erste Feder- generation.
Dic eben skizzierten Ansichten über die phylogenetische Bedeu- tung der Neoptile lassen sich in den gebräuchlichen Lehrbüchern der vergleichenden Anatomie sehr schön verfolgen. Schon 1883 redet Wiedersheim*) von der Embryonaldune als einer zylindrischen Schuppe, die an ihrem obern Rand in einzelne Strahlen ausgefranst erscheine. Er sagt ferner: ,,Federformen, die ein Uebergangsglied zwischen der Reptilienschuppe und der ausgebildeten Vogelfeder re- präsentieren, sind paläontologisch bisher nicht nachgewiesen, dass sie aber bestanden haben müssen, weist die Entwicklungsgeschichte aufs Ueberzeugendste nach.
1886 sagt derselbe Autor: „Die meisten Vögel sind beim Aus- schlüpfen mit pinselartigen Haaren bedeckt, sodass phylogenetische Schlüsse auf die Beschaffenheit des ursprünglichen Federkleids sehr nahe liegen.“
Im Grundriss von 1898 heisst es noch deutlicher: „Die Erst- lingsdunen stellten wahrscheinlich das primitive Federkleid der Vor- fahren der heutigen Vögel dar, denn sie genügten offenbar ihrer Auf- gabe, welche in einer Schutzvorrichtung gegen die Kälte bestand. Die: Ausbildung eines besondern Federschafts, wie er die zweite Feder- generation charakterisiert, kam erst sekundär in Anpassung an das später sich steigernde Flugvermögen hinzu.‘
Alle diese Ausführungen sind auch von Bütschli übernommen worden. In seinen Vorlesungen über vergleichende Anatomie wird die Erstlingsdune als Primitivfeder bezeichnet, aus der die Kontur- federn sich entwickelt hätten. ‚Die Ontogenie der Feder lässt ver- muten, dass sie ursprünglich aus reptilienschuppenähnlichen Gebilden hervorging, welche stark auswuchsen und durch Rückzug, bezw. par- tielle Resorption der Pulpa hohl wurden. Dieser hohl gewordene distale Teil zerschlitzte dann in einzelne Strahlen.“
Durck die Untersuchungen über die histologischen Details der Federentwicklung, zunächst durch die Arbeit von Davies,?) dann aber
D)
4) Lehrbuch der vergl. Anatomie. 5) Davies, H. R. Die Entwickelung der Feder und ihre Beziehungen zu andern Integumentgebilden. Morphol. Jahrbuch XV.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder, 135 2 Ss ylog
auch durch gelegentliche Untersuchungen anderer Autoren ®) war be- kannt geworden, dass Zusammenhänge zwischen Neoptil und defi- nitiver Feder existieren, welche die Selbständigkeit der erstern als fraglich erscheinen lassen. Die beobachteten Zusammenhänge sind aber eher als Ausnahmefälle betrachtet worden, bei denen eine „typische Dunenspule“ nicht ausgebildet worden ist. Meine eigenen Untersuchungen am Nestkleid der Reiher”?) zeigten nun aber, dass die Neoptile dieser Vögel als Bestandteile der definitiven Federn be- trachtet werden müssen und dass sie auf keinen Fall eine selbständige Federgeneration bilden. Ich war aber damals nicht in der Lage, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, da mir alle Anhaltspunkte zu einer genetischen Erklärung der Nestdunen fehlten. Ich will im folgenden versuchen, an Hand neuer Untersuchungen die Geschichte des Neoptils aufzuklären.
Die äussere Veranlassung, mich nochmals mit den Nestdunen zu beschäftigen, bot mir die Untersuchung des Federkleids des er- wachsenen Rhinochetus jubatus, dessen Nestkleid seinerzeit von Rudolf Burckhardt bearbeitet wurde.®) Die Resultate dieser Unter- suchung sollen an anderer Stelle ausführlich zur Darstellung gelangen und ich erwähne sie deshalb nur soweit, als es zum Verständnis meines speziellen Themas erforderlich ist.
Die eigenartigste Erscheinung der Pterylose von Rhinochetus bilden die diehten Dunenkomplexe, welche beinahe alle Zwischen- räume der Federfluren ausfüllen. Sie sind von jeher als Puderdunen bezeichnet worden, verdienen aber diesen Namen nur zum Teil, da sich unter ihnen sämtliche Entwicklungsstufen von normalen Dunen bis zu eigentlichen, weitspezialisierten Puderdunen finden. Wir können an ihnen den Wee verfolgen, der von normalen Bestandteilen des Federkleids bis zu jenen merkwürdigen, puderabsondernden Flaumkissen führt, wie sie die Reiher an einzelnen Körperstellen besitzen und die so aberrant sind, dass sıe sich mit gar keiner andern Federform vergleichen lassen.
Anschliessend an die Untersuchung des erwachsenen Federkleids suchte ich dessen postembryonale Entwicklung möglichst exakt fest- zustellen. Es handelte sich dabei in erster Linie um den Vergleich zwischen dem von Burckhardt beschriebenen Nestkleid und dem er- wachsenen Gefieder, andererseits war ich aber in der glücklichen Lage, einen zweiten Nestling zur Verfügung zu haben, welcher bereits im
6) Vergl. Gadow, H. Bronns Klassen und Ordnungen VI, 4, pag, 533 u. Il. 7) Schaub, S. Postembryonale Entwicklung der Ardeiden. Zool, Jahrb. Anat. 1907. 8) Burckhardt, R. Der Nestling von Rhinochetus jubatus. Nova Acta Acad. Leop. 77. 1900.
136 S. Schaub.
Begriffe ist, das definitive Kleid anzuziehen, aber sein Nestkleid noch nicht verloren hat.
Das erste Resultat dieses Vergleichs war die allerdings voraus- zusehende Tatsache, dass jedes Neoptil der Vorläufer einer definitiven Feder ist. Alle Neoptile sitzen auf den Spitzen der spätern Federn, sie stecken nicht etwa selbständig in der Haut, um dann auszufallen, sondern sie werden, wenn die definitiven Federn über die Haut hin- austreten, mit deren Spitze in die Höhe gehoben.
Als zweites Resultat ergab sich, dass zwar beinahe alle Neoptile, welche funktionell wichtig sind, also die äussere Erscheinung des Nest- lings bedingen, auf den spätern Konturfedern sitzen, dass aber auch die Dunen sich in reichem Masse an der Bildung des Nestkleids be- teiligen. Meistens sitzen auf den Dunen nur kleine oder sehr rudi- mentäre Neoptile, es kommt aber vor, dass ein Dunenfleck grössere Neoptile trägt und also Nestdunen, wie sie sonst nur auf Kon- turfedern sitzen, auch auf Puderdunen vorkommen. Dieser Ausnahmefall ist für meine spätern Folgerungen von grosser Be- deutung: er sei deshalb besonders hervorgehoben.
Viele Puderdunen des Kagu besitzen gar keine Neoptile mehr, sie sind durch Rückbildung vollständig verschwunden und infolge- dessen sind auch im Nestkleid nur einige der spätern Dunenflecke vorhanden, während die übrigen fehlen. Dafür aber besitzen einzelne dieser Puderdunen beim ältern Nestling eine ganz neue Bildung, die offenbar einen Ersatz für die verloren gegangenen oder in starker Re- duktion begriffenen Nestdunen bildet. Es fanden sich nämlich zu meiner grössten Ueberraschung Dunen vor, die zwei Neoptile über- einander an Stelle eines einzigen besassen. In der Haut eingebettet lag die junge Puderdune, die teilweise über die Hautoberfläche hin- ausgetreten war, aber noch von der Federscheide umschlossen wurde. An ihrer Spitze sass eine 1 bis 1,5 mm lange dünne Spule, welche ein Büschel gleichartiger Aeste trug. Diese Aeste wurden an ihrer Spitze durch eine kleine weitere Pinseldune zusammengehalten (Fig. 1). Dieser Befund ist jedenfalls das merkwürdigste an der Pterylose von Rhinochetus und es ist meines Wissens etwas Aehnliches noch nie beobachtet worden.
Bei näherer Untersuchung stellte sich nun heraus, dass es sich nicht um zwei aufeinanderfolgende ächte Neoptile handeln kann. Die Pigmentierung der Federn erlaubt uns, die Bestandteile des Nest- kleids von derjenigen des definitiven Federkleids sofort zu unter- scheiden. Die Nestdunen besitzen, falls sie überhaupt gefärbt sind, ein diffus verteiltes Pigment, und demnach ist das obere der beiden Neoptile als eine ächte Nestdune zu bezeichnen. Das untere hingegen hesitzt eine eigenartige Einlagerung des Pigments in regelmässig an-
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 137
geordnete Verdickungen der Strahlen. Diese schwarzen, knötchen- artigen Verdickungen sind aber das charakteristische Merkmal der Puderdunen des Erwachsenen und treten an diesen nur in verstärktem Masse auf. Das zweite, untere Neoptil ist deshalb nicht zum Nest- kleid gehörig, sondern ist der oberste Teil der definitiven Dune und ein Bestandteil des definitiven Federkleids. Die Uebereinstimmung in der Pigmentierung zeigt, dass sie ein selbständiger Erwerb der Puderdune ist. Ich bezeichne sie im Gegensatz zum ächten Neoptil als Deuteroneoptil.
a
d
Fig. 1. Rhinochetus jubatus. Nestling II. Spitze einer keimenden Puderdune. 15 : 1. a Neoptil, b Neoptilenspule, c Deuteroneoptil, d sekundäre Spule.
Im Laufe meiner Bemühungen, das Vorkommen dieses Deutero- neoptils genauer zu bestimmen, ergab sich, dass nur an einzelnen Stellen diese Federbildungen so vollkommen waren, wie ich sie eben geschildert habe. Dafür aber fanden sich viele keimende Puderdunen, welche an ihrer Spitze scheinbar ein zweites Neoptil trugen, das aber bei etwas unsanfter Behandlung verschwand, indem seine Spule sich in eine grössere Zahl von Aesten zerteilte. An andern Dunen fand ich
138 S. Schaub.
gar keine Spule mehr, dagegen fiel mir auf, dass viele Federn, die kein Deuteroneoptil besassen, durch eine auffallende Färbung ihrer Spitze ein solches vortäuschten. Während nämlich die Strahlen an der Spitze der Dunenäste bräunlich pigmentiert sind, besitzt die Feder unterhalb der Spitze eine fast weisse Stelle, an der die pigmentierten Verdickungen der Strahlen fehlen. Zugleich sind diese Strahlen spär- licher als weiter oben und auch weiter unten; oft sind sie nur auf einer Seite des Asts vorhanden. Auf die weisse Stelle folgt eine graue
Fig. 2, Rhinochetus jubatus. Nestling IL. Spitze einer keimenden Puderdune. In der Höhe von a die erste Andeutung der sekundären Spulenbildung. 14:1.
Zone, welche also wieder Pigment aufweist und nach unten allmäh- lich in das definitive Grauschwarz der Puderdune übergeht (Fig. 2).
Ich fand nun unter den Puderdunen alle möglichen Uebergänge zwischen der beschriebenen Form und dem typischen Deuteroneoptil, sodass es mir möglich war, die Entstehung des letztern schrittweise zu verfolgen. Es lassen sich bei diesem Differenzierungsvorgang etwa folgende Stadien unterscheiden:
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 139
1. Die erste Andeutung des Deuteroneoptils besteht darin, dass eine Stelle unterhalb der Federspitze kein Pigment besitzt (Fig. 2); 2. an den pigmentlosen Stellen der Aeste werden die Strahlen
spärlicher ausgebildet (Fig. 3);
Fig. 8. Die A
Fig. 3. Rhinochetus jubatus. Nestling Il. Isolierter Ast von der Spitze einer Puderdune. Unterhalb der Spitze die pigmentlose Stelle mit spärlicher Strahlenbildung. 14:1.
Fig. 4 Rhinochetus jubatus. Nestling II. Spitze einer keimenden Puderdune. 15:1. a rudimentäres Neoptil, b strahlenlose Stelle der Aeste.
3. die Aeste besitzen an den weissen Stellen keine oder nur wenige Strahlen (Fig.4);
4. an den strahlenlosen Stellen kleben die Aeste mehr oder weniger zusammen, d.h. sie werden während des Wachstums der Feder nicht vollständig von einander getrennt (Fig. 5):
140 S, Schaub.
5. die Aeste sind alle zu einem Rohr vereinigt und bilden eine Spule, die äusserlich durch die persistierende Federscheide zusammen- gehalten wird (Fig. 6 und 1).
Diese verschiedenen Stadien repräsentieren den Entwicklungs- gang des Deuteroneoptils. Fragen wir uns nun, durch welche Pro- zesse innerhalb der Federentwicklung eine solche sekundäre Spulen- bildung zustande kommen kann, so haben wir vor allem zu beachten,
Fig. 5. Rhinochetus jubatus, Nestling IL Spitze einer keimenden Puderdune. Beginn der sekundären Spulenbildung. 14:1.
Fig.6. Rhinochetus jubatus. Nestling Il. Spitze einer keimenden Puderdune. 14:1. a das letzte Rudiment der ächten Neoptile, b die sekundäre Spule unterhalb der Federspitze.
dass die Federäste samt ihren Strahlen aus einem die Pulpa umgeben- den Rohr, den intermediären Zellen, hervorgehen. Die normalen Wachstumsvorgänge führen zu einer Zerlegung dieses Rohrs in neben- einanderliegende Säulen, aus denen die Aeste mit ihren Strahlen her- vorgehen. Diese normale Differenzierung wird bei der sekundären Spulenbildung während einiger Zeit unterbrochen, indem zunächst die Pigmenteinlagerung, dann aber auch die normale Ausbildung von Strahlen unterbleibt. Ist die Spulenbildung noch stärker, so findet
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 141
auch keine Trennung der Aeste unter sich und von der sie umgebenden Federscheide statt, es bildet sich ein einheitliches Spulenrohr. Wir haben es also offenbar mit einer Unterbrechung des normalen Feder- wachstums zu tun, die wohl darauf zurückzuführen ist, dass die Puder- dunen infolge ihrer speziellen Aufgabe erst dann funktionieren können, wenn die Konturfedern fertig ausgebildet sind. Sie werden darum im Wachstum etwas zurückgehalten, nachdem ihre Spitze über die Haut hinausgetreten ist, und je nach dem Grad dieser Wachstums- hemmung bildet sich eine mehr oder weniger deutliche Spule.
Es würde sich nun kaum lohnen, diesen an sich unbedeutenden Deuteroneoptilen weitere Beachtung zu schenken, wenn sie nicht in einer Beziehung höchst bedeutungsvoll und lehrreich wären. Dass eine Feder durch normale Spulenbildung an ihrer Basis ıhr Wachs- tum abschliesst und dann einer neuen Federgeneration Platz macht, ist eine zur Genüge bekannte Erscheinung, die bei jeder Mauserung beobachtet werden kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um eine Mauserung, sondern es wird durch eine kurze Wachs- tumsunterbrechung, die mit der nach der Ausbildung einer ganzen Feder eintretenden Ruhepause gar nicht verglichen werden kann, der distale Teil der Feder vom proximalen getrennt und zwar bei einzelnen Federn soweit, dass die Federspitze scheinbar zum Rang einer selb- ständigen Feder, einer besonderen Federgeneration erhoben wird. Dass solche Prozesse tatsächlich vorkommen und in ihren einzelnen Stadien verfolgt werden können, darın liegt die Bedeutung der Deuteroneo- ptile. Sie zeigen, dass nicht jede Federspule notwendigerweise die Grenze zwischen zwei Federgenerationen sein muss, und ihre Ent- deckung war für mich die Veranlassung, zu untersuchen, ob auch die Spule zwischen Neoptil und definitiver Feder nicht der Abschluss der ersten Generation, sondern nur eine Unterbrechung innerhalb der- selben sei. Für die Beurteilung dieser Frage fällt in erster Linie der Zusammenhang zwischen Nestdune und definitiver Feder in Betracht. Bevor ich aber auf diesen Punkt eintrete, ist es nötig, die etwas in Verwirrung geratene Terminologie der Nestdunen klarzulegen und meine eigenen Bezeichnungen zu rechtfertigen. Pinselförmige Nest- dunen bestehen nach den einen Autoren aus gleichwertigen ,‚Schäften“, andere reden von „Hauptstrahlen“, die ihrerseits Nebenstrahlen tragen. Wie wir sehen werden, entsprechen diese Hauptstrahlen den Aesten der definitiven Feder und wir haben deshalb keinen Grund, für die Nestdune besondere Bezeichnungen einzuführen, sondern halten uns an die seit Nitzsch gebräuchliche Terminologie. Die pinsel- förmige Nestdune besteht demnach aus Aesten (ramı), welche ihrer- seits Strahlen (radii) tragen. Bei einigen Vögeln tritt zu diesen Ele- menten noch ein ächter Schaft, an dem die Aeste inserieren.
142 S. Schaub.
Es lässen sich nun bei Rhinochetus zwei extrem verschiedene Arten des Zusammenhangs zwischen Neoptil und definitiver Feder unterscheiden. Die grossen Neoptile der Konturfedern besitzen an ihrer Basis eine Spule, die aus den von der Federscheide umschlossenen Aesten gebildet wird. Die Federscheide bildet einen Schlauch, ın dessen oberes Ende die Aeste des Neoptils hineinlaufen, während er weiter unten die bereits ausgebildete Spitze der keimenden Kontur- feder umschliesst. Wird nun die Federscheide zerstört, so zeigt sich, dass die Aeste beider Federn zusammenhängen und dass diejenigen
Fig. 7. Rhinochetus jubatus. Nestling II. Tectrix media superior mit dem basalen Teil des Neoptils. 15:1.
des Neoptils nichts anderes sind als die direkte Fortsetzung von Aesten der definitiven. Feder (Fig.7). Untersucht man die Federäste im Verlauf ihres Uebergangs zwischen beiden Federn, so zeigt sich, dass die Zahl der Aeste der Konturfeder, welehe mit ihrer Spitze in die Neoptilenspule hinaufragen, viel grösser ist als die des Neoptils. Es findet also innerhalb der Spule eine Vermehrung statt und zu gleicher Zeit verwachsen auch einzelne Aeste unter sich. Besonders betrifft dies diejenigen Aeste, die an der Spitze des definitiven Federschafts sitzen und man bekommt den Eindruck, als ob dieser seinen Einfluss bis hinauf in die Neoptilenspule geltend mache. In Fig. 8 ist diese
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 143
Verwachsung der terminalen Aeste dargestellt. Wir sehen an einem solchen Präparat ferner, wie die Aeste der definitiven Feder gegen die Spitze hin immer kleinere Strahlen tragen, wie die Pigmentierung schwächer wird und allmählich aufhört, so dass schliesslich nur noch der farblose und unbefiederte Ast vorhanden ist. Dann treten plötz- lich die Strahlen der Neoptile auf und mit ihnen die für die Nestdune charakteristische Pigmentierung.
Den geschilderten intimen Zusammenhang konnte ich an allen grössern Konturfedern beobachten. Diese Federn tragen auch wohl-
Fig. 8,
Fig. 8. Rhinochetus jubatus. Nestling II. 5 Neoptilenäste einer Handschwinge beim Übergang in die definitiven Federäste. 15:1.
ausgebildete Neoptile. Sobald wir aber kleinere Nestdunen unter- suchen, so werden die oben geschilderten Verwachsungen der Feder- äste innerhalb der Spule deutlicher. Je reduzierter eine Nestdune ist, um so mehr unterbleibt die Trennung der Federäste, um so stärker ist die Spulenbildung ausgeprägt. Sie geht schliesslich so weit, dass bei ganz winzigen Neoptilen die Aeste und die Federscheide sich gar nicht mehr von einander differenzieren. Die Nestdune scheint dann als selbständiges Gebilde auf der definitiven Feder zu sitzen, ohne dass die beiderseitigen Aeste in Beziehungen treten. Der terminale
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Teil der Federscheide und mit 1hm die Basis der Neoptilenäste wird bei der Entfaltung der definitiven Feder durch einen scharfen Schnitt losgelöst und bildet ein Hornkäppchen, welches die rudimentäre Nest- dune trägt. Da, wo die Reduktion der letztern ihr Maximum erreicht hat, finden wir nur noch dieses mützenförmige Gebilde auf der Spitze der definitiven Feder (Fig. 6 und 5). Die Verbindung der rudimen- tären Nestdunen mit der definitiven Feder ist also sehr locker und spricht eher dafür, dass die Nestdune eine besondere Federgeneration sei. Nun fragt es sich aber, ob dieser lockere Zusammenhang nicht etwa ein sekundär erworbener Zustand sei. Wollten wir daran fest- halten, dass die Neoptile die erste Federgeneration sind, so müsste zuerst erklärt werden, weshalb dies nur an den rudimentären Nest- dunen deutlich sichtbar ist. Es wäre schon diese Tatsache, dass die rudımentären Bestandteile des Nestkleids den ursprünglichen Zustand besser bewahrt haben sollten als die noch wohlausgebildeten Nest- dunen, eine etwas rätselhafte Erscheinung. Nehmen wir aber an, sie würde sich befriedigend erklären lassen, so wären wir vor die weitere Aufgabe gestellt, nachzuweisen, wie die grossen Neoptile sich mit der zweiten Federgeneration in Verbindung setzen konnten. Diese Verbindung ist so intim, dass die Aeste der Nestdune ohne Unter- brechung in die Aeste der definitiven Feder übergehen. Wir müssten also annehmen, die Neoptile hätten es im Laufe ihrer Entwicklung verstanden, sich so auf die definitive Feder zu setzen, dass Ast auf Ast sich fügte und beide scheinbar ein Ganzes bilden. Alle diese Annahmen werden uns aber erspart, wenn wir in der Verbindung zwischen beiden Federn den ursprünglichen Zustand erblicken. Dann können wir die bei reduzierten Nestdunen beobachtete Trennung als eine spätere Modifikation dieses Zustands und als eine Begleiter- scheinung der Reduktion deuten. Wenn wir uns nun daran erinnern, dass die Nestdune und die eigentliche Feder von einer und derselben Federpulpa gebildet werden, so sollte es uns nicht schwer werden, uns für den letztern Standpunkt zu entscheiden und nicht mehr von zwei (renerationen von Federn zu reden, sondern von zwei Abschnitten einer einzigen Feder.
Wir betrachten demnach die Nestdune als die abweichend ge- baute Spitze der eigentlichen Feder und haben in erster Linie die Frage zu beantworten, wie die Abtrennung dieser Spitze durch eine Spule erfolgt ist und unter welchen Umständen die Feder in zwei verschiedene Abschnitte zerlegt werden konnte. Noch wichtiger als die Beantwortung dieser Frage wird aber die Erklärung der merk- würdigen Tatsache sein, dass der Federkeim an seiner Spitze zunächst ganz eigenartige Gebilde, die Neoptile, produziert und dann plötz- lich zu einer ganz andern Differenzierung seines Materials übergeht.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 145
Die Antwort auf unsere erste Frage geben die Deuteroneoptile von Rhinochetus und ihre Entwicklungsgeschichte. Wir können an diesen Federn Schritt für Schritt Umbildungsprozesse verfolgen, die zu einer Zerlegung der Feder in zwei verschiedene Teile führen. Wir sahen, wie durch eine Sistierung des normalen Wachstums mitten in der Feder eine scheinbare Spule entstand, welche analog gebildet ist, wie die Spule eines grössern ächten Neoptils. Nun können wir tatsächlich die Entwicklung dieser letztern nicht beobachten, die Gleichartigkeit der Endzustände bei ächten Nestdunen und bei Deuteroneoptilen gestattet uns aber, auf einen ähnlichen Entwick- lungsmodus zu schliessen und wir können uns die Abtrennung der Nestdune folgendermassen denken:
Eine ursprüngliche Form der Vogelfeder besass von dem Moment an, da ihre Spitze fertig ausgebildet war, ein gleichmässig kontinuier- liches Wachstum und infolgedessen von der Spitze bis zur Basis eine gleichmässige Differenzierung. Dieser Wachstumsprozess wurde später in zwei zeitlich verschiedene Abschnitte zerlegt. Zunächst wurde die Spitze der Feder ausgebildet und zwar soweit, dass die terminalen Aeste sich über der Haut zu einem Büschel entfalten konnten. Damit war eine für die Bedürfnisse des Nestlebens ge- nügende Körperbedeckung geschaffen und es trat nach der Ausbildung der Federspitze eine Ruhepause im Wachstum ein. Die Feder blieb auf dem erreichten Punkt stehen, die Weiterbildung ihrer Aeste und speziell die Ausbildung der Schaftspitze wurde verzögert und erst nach einiger Zeit setzte das Hauptwachstum der Feder ein. Während dieser Ruhepause wurde die normale Ausbildung der Federäste unter- brochen. Die Pigmenteinlagerung unterblieb, die Strahlenbildung wurde vermindert oder ganz unterlassen und schliesslich trennten sich die Aeste nicht mehr voneinander; sie wurden von der persistierenden Federscheide nicht mehr losgelöst und so entstand die Spule des Neoptils, welche die erste Feder scheinbar in zwei aufeinanderfolgende Generationen trennt.
Den physiologischen Grund für diese Wachstumsunterbrechung haben wir jedenfalls in der Oekonomie des postembryonalen Vogel- körpers zu suchen. Der Abschluss der embryonalen Periode erfolgt bei Vögeln relativ früh, sie treten die postembryonale Periode in ver- hältnismässig unfertigem Zustand an, und zwar gilt dies nicht nur für Nesthocker, sondern auch für Nestflüchter. Bei den letztern prä- valieren die animalen Organe, während die vegetativen erst fertig gestellt werden müssen, bei erstern ist dagegen die Entwicklung des Verdauungssystems schon im Ei möglichst gefördert worden, auf Kosten der übrigen Organsysteme. Es resultiert hieraus eine grosse Ungleichheit in der Entwicklung der einzelnen Systeme, indem speziell
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diejenigen vorauseilen, welche in den ersten Tagen des postembryo- nalen Lebens prävalierende Funktionen auszuüben haben, entsprechend den im höchsten Grade verschiedenen Bedingungen dieser Periode. Es muss demnach nach dem Verlassen des Eis zuerst ein gewisses Gleichgewicht innerhalb des Organismus hergestellt werden unter Ver- wendung aller verfügbaren Kräfte, während weniger wichtige Auf- gaben auf eine spätere Zeit verschoben werden. Zu diesen weniger dringenden Aufgaben ist die definitive Ausgestaltung des Federkleids zu rechnen, ja sie wäre zu Beginn des postembryonalen Lebens sogar höchst unzweckmässig. Der Vogel würde einen grossen Teil seiner Kräfte für die Fertigstellung eines Organs verbrauchen, für das er gar keine Verwendung hätte, da schon durch die abweichenden Körper- proportionen, speziell im Bereiche der Vorderextremität, ein richtiges Funktionieren ausgeschlossen wäre. Der Nestling braucht einen Schutz gegen die Kälte und eventuell eine der Umgebung entsprechende Fär- bung. Dazu genügt aber die vorläufige Ausbildung der Federspitzen, welche in den meisten Fällen schon im Ei erfolgt, während das Haupt- wachstum der Feder auf eine spätere Zeit verlegt wird, wo die Ent- wicklung des Flugvermögens und die zunehmende Körpergrösse ihre Anwesenheit notwendig machen.
Dis Trennung zwischen Neoptil und definitiver Feder wurde im Laufe der Zeit noch verstärkt und zwar einerseits dadurch, dass beide Teile verschiedene Aufgaben hatten, andererseits aber dadurch, dass die Neoptile einzelner Federn reduziert wurden und in vielen Fällen ganz verschwanden. Je rudimentärer aber eine Nestdune wurde, um so mehr verlor sich auch ihr intimer Zusammenhang mit der defi- nitiven Feder, um so deutlicher wurde die während der Ruhepause ein- tretende Abtrennung.
Mit diesen Ueberlegungen sind wir aber bereits im Begriffe, die Verschiedenheiten zwischen beiden Federn zu erklären. Diese Ver- schiedenheiten sind so gross, dass sie wohl in erster Linie gegen meine Auffassung der Neoptile ins Feld geführt werden. Sie scheinen eher auf alles andere hinzudeuten, nur nicht auf eine Zusammengehörig- keit beider Federn. Und doch ist es möglich, auch diesen Widerspruch zu lösen, wenn wir uns überlegen, wie hoch das mutmassliche Alter der Neoptile ist. Ich habe oben erwähnt, dass in einem bestimmten Fall dieselben Neoptile, welche sonst nur auf Konturfedern vor- kommen, auch die Spitze der Puderdunen bilden. Ich fasse diesen Be- fund als einen Beweis dafür auf, dass ursprünglich auf allen Federn dieselben Neoptile sassen und dass erst später die Mehrzahl der Dunen- neoptile reduziert wurde. Das Nestkleid zeigt in allen seinen Teilen die deutlichsten Spuren von Rückbildungen. Wo aber solche Reduk- tionen einmal begonnen haben, ist eine Umkehr zu fortschreitender
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 147
Differenzierung ausgeschlossen, der einmal eingeschlagene Weg zur Rückbildung kann nicht mehr verlassen werden. Die grossen Neoptile der Konturfedern können also nicht etwa durch Weiterentwicklung aus den kleinen Nestdunen hervorgegangen sein, sondern die letztern sind durch Reduktion entstanden. Wenn nun aber die Nestdunen die Spitzen der definitiven Federn sind und diese Spitzen sowohl bei Dunen als auch bei Konturfedern ursprünglich den gleichen Bau be- sassen, so scheint mir das darauf hinzudeuten, dass die Abtrennung der Neoptile zu einer Zeit erfolgt ist, da noch kein wesent- licher Unterschied zwischen Dunen und Konturfedern be- stand, da das Federkleid der Vögel noch aus gleichartigern Elementen bestand als heutzutage.
Die Funktion der Neoptile war von dem Moment ihrer Ent- stehung bis heute dieselbe, nämlich die des Kälteschutzes und eventuell der Schutzfärbung. Das definitive Federkleid hat hingegen gewal- tige Umänderungen erfahren. Die ursprünglich gleichartigen Federn haben sich in Konturfedern und Dunen differenziert, von den erstern wurden bestimmte Flügel- und Schwanzfedern zu besondern Organen des Fluges umgewandelt, die ursprünglichen Farben des Federkleids wurden durch reiche Farbenmuster ersetzt, kurz, es entstand seit der Abtrennung der Neoptile das moderne Federkleid der Vögel. Alle diese Differenzierungsprozesse scheinen nur einen geringen Einfluss auf den Bau der Nestdunen gehabt zu haben, denn sonst wäre es nicht möglich, dass sowohl auf Konturfedern wie auf Dunen gleichartige Neoptile sitzen können oder dass sich die Nestdunen der Schwingen gar nicht von denjenigen anderer Konturfedern unterscheiden lassen. Die Astspitzen, welche die Nestdunen bilden, konnten infolgedessen altertümliche Charaktere bewahren und sind demnach streng ge- nommen nicht die Spitzen der heutigen Federn, sondern die obersten Teile jener Federn, welche das primitive, noch nicht in Fluren und Raine gegliederte Kleid der Vögel gebildet haben. Ihre Gleichartig- keit auf extrem verschiedenen Federformen ist ein direkter Beweis dafür, dass ein solches Federkleid wirklich existiert hat.
Die Neoptile sind also tatsächlich die ontogenetische Rekapi- tulation einer phylogenetisch ältern Federbildung, aber in einem ganz andern Sinne, als bisher angenommen wurde. Sie sind nicht eine be- sondere Federform, sondern nur Teile von Federn, nämlich Astspitzen und rekapitulieren nicht eine primitive Form der gesamten Vogel- feder, sondern können nur die ursprüngliche Form der Astbildung wiederholen. Wir können an einem einzelnen Federast von der Spitze an abwärts schreitend palingenetische Prozesse verfolgen, dürfen aber nicht die primitiv gestalteten Astspitzen aus dem Zusammenhang mit ihren natürlichen Fortsetzungen losreissen und sie zum Rang einer
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besondern Feder erheben. Die Bildung der Neoptilenspule ist un- zweifelhaft ein cänogenetischer Vorgang, durch den die Palingenesis der Federäste unterbrochen wird und der scheinbar ein primitives Federstadium produziert. Ebenso wie während des embryonalen Lebens Organe gebildet werden und funktionieren, die gewiss keinem Vorfahren der Sauropsiden jemals eigen waren, so können auch nach dem Verlassen des Bis cänogenetische Bildungen den ursprünglichen Verlauf der Palingenie verwischen, besonders wenn es sich um Wirbel- tiere handelt, die in relativ unfertigem Zustand geboren werden. Erst nach Abzug dieser cänogenetischen Prozesse erscheint die Palingenie ungetrübt.
Nun aber scheint es, als ob sich die Nestdunen den Einflüssen eines jener Prozesse, die das definitive Federkleid umwandelten, nicht hätten entziehen können, nämlich der Dunenbildung. Wir sehen, dass ursprünglich alle Federn gleichgebaute Neoptile besassen, dass aber diejenigen der Dunen in den meisten Fällen reduziert sind. Aehn- lich wie beim Erwachsenen die Konturfedern allein die Bedeckung des Körpers besorgen, so haben beim Nestling ihre Spitzen die Auf- gaben des Nestkleids übernommen. Die Reduktion der Dunenneoptile erscheint 80 als eine Begleiterscheinung der Dunenbildung überhaupt und es liegt sehr nahe, auch die letztere als einen Reduktionsvorgang aufzufassen. Die rudimentären Neoptile der Dunen scheinen also dar- auf hinzuweisen, dass diese Dunen selbst Reduktionsformen sind und nicht etwa primitive Federn. Diese Vermutung ist schon von andern ausgesprochen worden und wird durch meine Befunde durchaus be- stätigt. Wir haben uns die ursprüngliche Vogelfeder als eine solche mit Schaft vorzustellen. Durch Reduktion dieses Schafts wurden die Dunen gebildet und zugleich wurden in den meisten Fällen ihre Nest- dunen klein und unscheinbar. Der letztere Prozess ist aber bei Rhino- chetus nicht so weit fortgeschritten wie bei manchen andern Vögeln, deren Dunenneoptile beinahe ganz verschwunden sind. Wir werden den Grund: hiefür in der Ausnahmestellung des definitiven Dunen- kleides suchen müssen, das infolge seiner speziellen Aufgabe auch viel weniger Rückbildungen erfahren hat als die Dunen auf den Rainen anderer Vögel.
Neben diesen partiellen Reduktionen müssen wir aber auch die Möglichkeit solcher Rückbildungen ins Auge fassen, die das ganze Nestkleid beeinflusst haben. Wir dürfen deshalb nieht ohne weiteres behaupten, dass die Form, in der die Neoptile heute bei verschiedenen Vögeln auftreten, unter allen Umständen noch Merkmale jenes phy- logenetisch ältern Federstadiums, dessen Spitzen sie ursprünglich sind, besitzen. Wir müssen im Gegenteil in der Einschätzung der Neoptilen- charaktere sehr vorsichtig sein, denn vieles, was sie scheinbar sehr
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primitiv erscheinen lässt, kann rückgebildet, pseudoprimitiv sein. Es ist denkbar, dass auch das bestentwickelte Neoptil einen Teil jener wirklich primitiven Eigenschaften völlig verloren hat, es ist aber auch wahrscheinlich, dass dies gerade da am wenigsten geschehen ist, wo das Nestkleid in ausgedehntem Masse erhalten blieb und heute noch wichtige Funktionen erfüllt. Die unscheinbaren, strahlenlosen Neoptile der Tauben oder die wenigen Rudimente des Nestkleids bei Singvögeln werden kaum ein geeignetes Objekt sein, um an ihnen die Merkmale der Urfedern nachzuweisen. Ein Nestkleid aber, wie es Rhinochetus besitzt, ist ohne Zweifel noch nicht so weit reduziert, dass alle diese Charaktere verloren gegangen sind.
Zu den primitiven Eigenschaften der Neoptile ist in erster Liniv die Färbung zu rechnen.”) Sie ist nicht etwa ein nachträglicher Er- werb dieser Federspitzen, denn sie ist an den noch wohlerhaltenen Nestdunen am schönsten ausgeprägt, bei den kleinen Nestdunen aber im Zusammenhang mit ihrer Rückbildung verwischt. Sie ist bereits von Burckhardt in diesem Sinne verwendet worden, indem er auf die Aehnlichkeit der Nestlingsfärbung von Rhinochetus und der Färbung des erwachsenen Mesites hinwies und die letztere als die ursprüng- lichste des ganzen Kranichstammes hinstellte. Fürbringer 1) gab seinerzeit zu, dass diese Nebeneinanderstellung etwas sehr Bestechendes habe, wandte aber ein, dass sie die sichere Fundierung in der Ver- gleichung vermissen lasse. Die Kombinationen Burckhardits, die sich übrigens an Beobachtungen Martorellis anschliessen, erhalten aber eine wertvolle Stütze durch den Nachweis, dass die Neoptile wirklich die ältesten Federteile sind, welche der heutigen Forschung zugänglich sind und dass ihre Eigenschaften die ursprünglichsten Federmerkmale sein können, die sich noch erhalten haben.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Neoptil und definitiver Feder besteht auch in der starken Vermehrung der Aeste unterhalb der Neoptilenspule. Wenn diese nur eine Unterbrechung der normalen Astentwicklung darstellt, so sollte dieselbe Zahl von Aesten, die oben in die Spule eintreten, auch unten wieder zum Vorschein kommen. Dies ist bei den Deuteroneoptilen tatsächlich der Fall. Während aber dort beide Federbestandteile noch gleichgebaut sind, ist dies beim eigent- lichen Nestkleid längst nicht mehr der Fall, seitdem die Neoptilen- spule im Laufe der Generationen zu einer bleibenden Spezialisierung des ersten Gefieders geworden ist und die Neoptile selbst infolgedessen von der fortschreitenden Entwicklung dieses Gefieders ausgeschlossen wurden. Dieser Entwicklung müssen wir es zuschreiben, dass die An-
9, Vergl. die Tafel bei Burckhardt, op. cit.
10) Fürbringer, M. Zur vergl. Anatomie des Brustschulterapparats und der Schultermuskeln, Jenaische Zschr. für Naturw, 1902.
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zahl der Aeste unterhalb der Neoptilenspule plôtzlich vermehrt wird, in dem Sinne, dass eine Zerlegung der intermediären Zellen in eine grössere Anzahl feiner differenzierter und zarter gebauter Aeste mit zu den Fortschritten des modernen Federkleids gegenüber der primi- tiven Pterylose zu rechnen ist.
Man könnte leicht in Versuchung kommen, den einfachen Bau der Neoptilenstrahlen als primitiv anzusehen, da sie scheinbar glatt sind und keine Wimpern tragen. Bei genauer Untersuchung lassen sich diese aber doch nachweisen, sei es in Form winziger Spitzchen oder nur als unscheinbare Verdickungen der Strahlen. Da nun bei vielen andern Vögeln die Wimpern der Neoptilenstrahlen noch deut- licher ausgebildet sind, erblicke ich in ihrer mangelhaften Ausbildung bei Rhinochetus nicht einen primitiven Zustand, sondern die Folge von Rückbildungen und muss annehmen, die Wimpern seien schon ein charakteristisches Merkmal der Urfeder gewesen.
Als primitives Merkmal der Nestdunen wurde bisher ihre Schaft- losigkeit aufgeführt. Man nahm a priori an, besonders unter dem Einfluss jener Bestrebungen, welche Uebergänge zwischen der Rep- tilienschuppe und der Feder nachzuweisen suchten, dass die ersten Federn nur aus einfachen Aesten bestanden hätten. Nun gibt es aber keinerlei Tatsachen, die wirklich auf ein schaftloses Stadium hin- deuten würden, wohl aber eine Reihe von Hinweisen darauf, dass der Schaft einer der ältesten Bestandteile der Federn ist. Aus den Unter- suchungen von de Meijere 11) geht hervor, dass die Urform der Feder einen langen Schaft besass. Dieser trug zweizeilig gestellte Aeste, die ihrerseits mit Strahlen besetzt waren. Von dieser hypothetischen Federform sind meines Erachtens die Neoptile die Spitzen. Dass sie keinen Schaft besitzen, ist kein primitives Merkmal; ihre Aeste setzen sich ja nach unten fort und inserieren als Aeste der definitiven Feder an deren Schaft.
Es wäre nun selbstverständlich ein höchst gewagtes Unternehmen, auf Grund der Befunde bei einer einzigen Vogelspezies eine Theorie aufzustellen, welche die Entstehung aller Neoptile erklären soll. Zum genauen Vergleich stehen uns aber nur die Beschreibungen der Nest- kleider weniger Vögel zur Verfügung, und diese lassen uns in vielen Fällen über den Zusammenhang mit dem definitiven Federkleid im Ungewissen. Ich bemühte mich daher, ein möglichst reiches Material von Neoptilen älterer Nestlinge besonders nach dieser Richtung hin zu untersuchen und damit zu prüfen, inwiefern meine Theorie auch auf andere Nestdunen Anwendung finden kann. Insbesondere war
11) de Meijere, J. C. H. Ueber die Federn der Vögel, insbesondere über ihre Anordnung. Morphol. Jahrb. 23. 1895.
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von grosser Wichtigkeit, zu wissen, ob auch die aberranten Typen, wie sie die Nestdunen der Anseres, Galli und einzelner Ratiten bilden, als die Spitzen der definitiven Federn bezeichnet werden dürfen. Die Resultate dieser Stichproben, die ich an den verschiedensten Stellen des Vogelstammbaums vornehmen konnte, sollen im folgenden dar- gestellt werden.
Struthio camelus: Der Freundlichkeit von Herrn Dr. A. David verdanke ich die Möglichkeit, über die Neoptile des Strausses einige Mitteilungen machen zu können. Er gestattete mir, einem jungen Exemplar, das einige Zeit im Basler zoologischen Garten unterge- bracht war und das eben im Begriffe war, sein Nestkleid durch die definitiven Federn zu ersetzen, das zu einer Untersuchung nötige Material zu entnehmen. Es sei ihm auch an dieser Stelle bestens ge- dankt.
Die Straussneoptile besitzen bekanntlich keinen Schaft, son- dern bestehen aus einem Büschel von Aesten, welche in gleicher Höhe zu einer Spule zusammentreten. Drei bis vier dieser Aeste sind stark verlängert und in dem die übrigen Aeste überragenden Teil bandartig verbreitert. Sie lassen den Nestling wie von dürrem Gras bedeckt er- scheinen und werden von Pycraft als Analogon des Federschafts, die übrigen 12 bis 15 rami aber als dem Afterschaft entsprechend auf- gefasst.1?) Hiezu muss in erster Linie bemerkt werden, dass das Ver- halten der Aeste an ihrer Basis nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine derartige Deutung gibt (Fig. 9). Sie sind, abgesehen von den erwähnten Verlängerungen, vollkommen gleichwertig, werden unten in gleicher Höhe strahlenlos und treten zu einem pigmentlosen Spulen- rohr zusammen, durch das sie aber mit Leichtigkeit verfolgt werden können. Die Spule ist im Maximum 4 mm lang, oft aber noch kürzer und ist an ihrem untern Ende nicht etwa abgeschlossen, sondern geht kontinuierlich und ohne irgendwelche Unterbrechung in die definitive Feder über. Die Art und Weise, wie dieser Uebergang stattfindet, ist äusserst instruktiv sowohl für die Deutung des Neoptils als auch für die Beurteilung des allgemeinen Federbaus. Das innerhalb der Spule gleichmässig gebaute Rohr zeigt nämlich von einer bestimmten Stelle an einen dorsoventralen Bau. Seine eine Hälfte spaltet sich in pig- mentierte Aeste, die andere aber bleibt unverändert und bildet einen breiten, bandartigen Schaft. Von dieser Stelle aus kann nun auch die Natur der Neoptilenäste beurteilt werden. Die verlängerten Aeste liegen tatsächlich auf der Dorsalseite der Feder in der Verlängerung des Schafts, die übrigen bilden die Ventralseite und gehen durch die
12) Pycraft, W. P. Palaeognathae and Neognathae. Trans. zool. Soc. London. Vol. 15.
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Spule hindurch in die neugebildeten Aeste der definitiven Feder über. Diese selbst laufen an der noch nicht entfalteten Feder nicht genau in der Richtung ihrer Längsachse, sondern etwas dorsalwärts und in- serieren infolgedessen bald am Schaft. Pycraft hat also insofern recht, als die bandartigen Neoptilenäste wirklich die Spitze des Schafts bilden, die übrigen Aeste dagegen sind kein Afterschaft, sondern die Verlängerungen der obersten Aeste der definitiven Feder.
RS PO D RU az € 1 3
a b
Fig. 9. Struthio camelus. Neoptil vom Oberschenkel mit der Spitze der defini-
tiven Feder. a Neoptilenspule, unmittelbar darunter bei b die zweite Spulen-
bildung. Einige Aeste haben sich von dieser zweiten Spule losgelöst und lassen die Unterbrechung der Pigmentierung erkennen. 1:1.
Nestdune und definitive Feder bilden also auch bei Struthio ein einheitliches Gebilde, dessen terminaler Teil durch eine Spulenbildung abgetrennt worden ist. Diese Spule ist genau so gebaut, wie die des Deuteroneoptils von Rhinochetus, und wir dürfen sie als die Folge einer Wachstumsunterbrechung auffassen. Wie wenig diese Unter- brechung die Zusammengehörigkeit beider Federabschnitte ver- wischen konnte, lässt sich sehr schön an den Uebereinstimmungen der Farben beobachten. Hellbraune Neoptile sitzen auf hellbraunen, schwarze auf schwarzen ‚Federn und diejenigen Nestdunen, welche beide Farben besitzen, sind die Vorläufer von schwarz und braun ge-
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färbten Federn, wobei die gleichgefärbten Abschnitte beider Federn ineinander übergehen.
Von höchstem Interesse ist es nunaber, dass an zahlreichen Federn die Neoptilenspule nicht die einzige Wachstumsunterbrechung ist, son- dern dass ähnliche Bildungen sich an der Spitze der definitiven Feder wiederholen können. In diesen Fällen sind die auf der Ventralseite des Spulenrohrs entstehenden Aeste nur etwa 4mm lang und ver- schmelzen dann wieder, wobei zugleich die Pigmentierung von neuem verschwindet. Es entsteht so zum zweitenmal ein Tubus, der dorsal eine intakte Wandung besitzt, lateral einige undeutliche Längsrisse zeigt und ventral vollkommen aufgeschlitzt ist. Längs diesem ven- tralen Risse können einzelne Aeste ihre Selbständigkeit behalten, die übrigen aber verschwinden ganz und treten dann einige Millimeter weiter unten ebenso plötzlich wieder auf, wie sie verschwunden waren.
Die zweite Unterbrechung fehlt den kleinen Neoptilen des Rückens und der obern Deckfedern, andeutungsweise besitzen sie die Schwanzfedern und sehr wohlausgebildet die grossen Neoptile der Brust und der Lumbalgesend. Am schärfsten ausgeprägt ist die Er- scheinung an den Schwingen, ja es kommt an diesen Federn sogar eine dritte Unterbrechung oder doch die Andeutung einer solchen vor (Fig. 10). Alle diese Unterbrechungen des normalen Federwachstums haben eine Spulenbildung zur Folge, indem die Aeste zuerst strahlen- los werden und dann nicht mehr voneinander getrennt sind. Scheinbar führt dies zu einer Verbreiterung des Schafts, der sich ventral zu einem vollkommenen Rohr schliesst, tatsächlich aber unterbleibt nur eine von der ventralen Spalte aus einsetzende Aufsplitterung in Aeste. An diesen Stellen bleibt auch die Federscheide länger erhalten als an den übrigen Teilen der Feder und es ist deshalb leicht zu verstehen, dass den Straussneoptilen eine bis lem lange Spule zugeschrieben wurde.
An dieser Stelle bietet sich auch eine Gelegenheit, über die Be- deutung des Federschafts einiges zu bemerken. Man hat sich alle er- denkliche Mühe gegeben, die mit einem Schaft versehenen Federn von dem aus gleichwertigen Aesten zusammengesetzten Neoptil ab- zuleiten. Nach den einen Autoren sollte der Schaft durch Verwachsen einiger Aeste entstehen, andere wieder erklärten ihn als einen die andern Aeste überflügelnden Hauptast. So sagt z. B. Zander speziell von den Federn von Struthio,t?) der am besten ernährte und am stärksten wachsende Ast nehme die benachbarten Aeste ,,in sich auf“ und werde so zum Schaft. Alle diese Bemühungen, die wohl meistens auf Beobachtungen zurückgehen, die an Horizontalschnitten durch
13) Schriften phys. oekon. Gesellsch. Königsberg 29.
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keimende Federn gemacht wurden, werden aber hinfällig, wenn man sich einmal daran gewöhnt haben wird, das Neoptil nicht mehr als Urform der Feder anzusehen und den Erscheinungen an der intakten Feder ebenso grosse Beachtung zu schenken wie den histologischen
Fig. 10. Struthio camelus. Neoptil und Spitze einer Schwungfeder. 1:1. a Neoptilenspule, b zweite Spulenbildung, c Andeutung einer dritten Spulenbildung.
Einzelheiten. Besonders die Spulenbildungen unterhalb der Strauss- neoptile sind in höchstem Grade geeignet, das Verhältnis zwischen Aesten und Schaft richtig kennen zu lernen. Sobald die Differen- zierung der Aeste und Strahlen unterbrochen wird, entsteht ein Rohr, d. h. die intermediären Zellen verhornen in toto, ohne irgend eine
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 155
Trennung. Das Rohr enthält sämtliche Bestandteile der Feder, sowohl den Schaft als auch die Fahne in undifferenziertem Zustand. Dieser Zustand scheint mir aber die ursprünglichste Form der Vogelfeder zu wiederholen, ist aber nicht etwa nur ein theoretisch gefordertes Sta- dium, sondern es gibt tatsächlich Federn und Federteile, die auf dieser Entwicklungsstufe stehen bleiben. Es sei hier nur an die unten zu besprechenden Flügelsporen von Casuarius und an die Neoptile von Centropus erinnert, ferner an die Neoptilenspulen und an die ächten Spulen von ausgewachsenen Federn. Dieser ursprüngliche Federtubus wird von einer ventralen Längsspalte aus in Aeste zerlegt, welche in einem äusserst spitzen Winkel zur Längsachse der Feder in der dorsal-proximalen Richtung verlaufen und nach und nach auf die Dorsalseite übergreifen. Die die einzelnen Aeste trennenden Spalten lassen dort einen mehr oder weniger breiten Streifen des ur- sprünglichen Tubus übrig und dieser Streifen bildet den Federschaft. Er ist in seiner primitivsten Form, wie er eben an der Spitze der Straussfeder beobachtet werden kann, eine Hohlrinne ohne besondere Verdickung, die sich flach der Pulparundung anschmiegt und unten infolge Aufhören der Astdifferenzierung sich allmählich verbreitert und schliesslich zu einem geschlossenen Rohr umbildet. Der Nabel ist in diesem Fall noch eine rundliche Oeffnung. Erst spätere Diffe- renzierungen haben dem Schaft die Form gegeben, welche er bei den meisten Federn besitzt, wo er den Nabel beinahe vollkommen ver- schliesst.
Ich fasse also den Federschaft in seiner einfachsten Form nicht als eine besondere Differenzierung der Feder auf, sondern nur als den dorsalen Teil des Federrohrs, der notwendigerweise als Verbin- dung der einzelnen Aeste stehen bleiben muss. Eine solche Auffassung der Federteile erleichtert uns auch das Verständnis der Dunenbildung um ein Bedeutendes. Da die Aeste in einem sehr spitzen Winkel zur Längsachse der Feder verlaufen (dieser Winkel ist an der entfalteten Feder immer grösser als an der noch unentwickelten), so genügt eine geringe Abnahme seiner Grösse, um sie beinahe parallel zur Längs- richtung zu stellen. Die Folge davon ist, dass die die Aeste trennenden Spalten die Dorsalseite des Federrohrs erst weit unten erreichen ; die Aeste werden dadurch bedeutend verlängert und zu gleicher Zeit rückt die Schaftspitze abwärts bis zu der Stelle, wo die obersten Aeste dorsal zusammentreffen.
Dieser Rückgang des Schaftes erreicht das Maximum bei den Puderdunen der Reiher, deren Aeste vollkommen parallel zur Längs- achse der Feder liegen und wo infolgedessen der dorsoventrale Bau der Feder und damit auch der Schaft vollkommen verschwindet.
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Casuarius galeatus: Nach Pycraft besitzen die Neoptile ausser dem Hauptschaft noch einen Afterschaft, welcher durch etwa sechs Aeste gebildet wird, die an der Basıs des Hauptschafts stehen und nicht an einer besondern Rhachis sitzen. Die Untersuchung der Neoptilenspule zeigte nun, dass die Feder tatsächlich aus zwei ge- sonderten Teilen besteht. Der erste Teil ist der aus sechs bis acht Aesten gebildete Schaft. Die beiden terminalen Aeste sind meist gleichwertig, die übrigen sitzen paarweise am Schaft. Dieser selbst setzt sich in die Neoptilenspule fort und bildet als hohle Rinne ihre eine Hälfte. Innerhalb der Spule verliert er die Pigmentierung und bricht an dieser Stelle später ab. Unterhalb der Spule wird er zum Hauptschaft der definitiven Feder und trägt zunächst kurze, unbe- fiederte, dann aber längere, mit Strahlen versehene Aeste. In dem Masse, wie diese ihre normale Ausbildung erlangen, verjüngt sich der zunächst noch breite, abgeplattete Schaft.
Der zweite Teil des Neoptils besteht aus etwa vier bis sechs kürzern oder längern Aesten, welche nicht am Schaft inserieren, son- dern sich von ihm leicht loslösen lassen. Sie gehen mit dem Schaft und neben ihm liegend in die Neoptilenspule, verlieren ebenfalls ihr Pig- ment und verwachsen. Sie bilden die dem Schaft gegenüberliegende Hälfte der Spulenröhre, die deutlichen dorsoventralen Bau zeigt. Die Dorsalseite besitzt die stärkere, vom Schaft gebildete Wandung, die Ventralseite die schwächere, von den nicht mehr getrennten basalen Aesten des Neoptils gebildete Wand.
Diese ventrale Spulenhälfte teilt sich weiter unten von neuem und zwar entstehen aus ihr ähnlich wie bei Struthio die obersten Ast- spitzen der definitiven Feder, zugleich aber auch bei der Mehrzahl der untersuchten Nestdunen die Spitze des Afterschafts (Fig. 11). Das letztere ist nur bei den Federn möglich, deren Afterschaft wenigstens in der Länge dem Hauptschaft gleichwertig ist. Wenn aber der Afterschaft bis in die Neoptilenspule reicht, so sind ihre basalen Aeste nicht nur als Astspitzen der definitiven Feder zu be- zeichnen, sondern einige von ihnen gehören zum Afterschaft. Dass sie alle diesen Federteil repräsentieren, wie Pycraft glaubt, wage ich nicht zu behaupten, da wir die einzelnen Aeste infolge ihrer mangeln- den Trennung innerhalb der Neoptilenspule nicht genau identifizieren können.
Aus dem Bau der Neoptilenspule geht mit Deutlichkeit hervor, dass Nestdune und definitive Feder auch beim Oasuar ursprünglich ein Ganzes bilden. Besonders deutlich weist der Bau des Schaftes darauf hin, dass beide zusammen gehören. Es wäre völlig unerklärlich, weshalb die Schaftspitze der definitiven Feder eine so beträchtliche Dicke besitzt und sich nicht, wie bei andern Federn verjüngt und in
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die letzten Aeste spaltet, wenn nicht der Schaft der Nestdune ihre natürliche Fortsetzung nach oben und damit die eigentliche Schaft- spitze bildete. Die Entstehung der Neoptilenspule ist auch in diesem Fall einer Wachstumsunterbrechung zuzuschreiben. Eigentümlich ist, dass diese Unterbrechung erst dann stattfindet, wenn ein beträcht-
Fig. 11. Casuarius galeatus. Uebergang zwischen Neoptil nnd definitiver Feder. aa Hauptschaft, b Afterschaft der definitiven Feder, cc Astspitzen des Hauptschafts. 14:1.
licher Teil des Schafts bereits über die Haut hinausragt, während bei den pinselförmigen Nestdunen anderer Vögel die Abtrennung ober- halb der Schaftspitze erfolgt. Es ist denkbar, dass diese Unterschiede die Folgen von Differenzen im Federbau sind, welche schon vor Abtrennung der Neoptile bestanden haben, dass also die Vorfahren der Casuare bereits anders gebildete Primitivfederspitzen besassen als die Vorfahren irgendwelcher Carinaten mit doldenförmigen Neoptilen.
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Es wäre zum Beispiel möglich, dass jene noch nicht in Neoptile und definitive Feder gegliederte Primitivfeder in einem Fall einen noch völlig intakten Schaft besass, dessen Spitze mit in die Nestdune ein- bezogen wurde, während bei der Mehrzahl der Carinaten diese Spitze verkürzt war, ehe die Nestdune abgetrennt wurde und dass dann die letztere nur aus den verlängerten Aesten bestand.
Besonderes Interesse verdienen die Neoptile der Schwingen, die von Pyeraft abgebildet und beschrieben wurden. Sie erscheinen auf den ersten Blick als dünne Rohre, denen das schwarze Pigment noch fehlt, bei näherm Zusehen zeigt sich aber, dass die Wandung des Rohrs nur auf der Aussenseite, also der Dorsalseite, einheitlich ist, dass sie aber ventral, auf der dem Körper zugekehrten Seite, in lange, strahlen- lose Aeste zerlegt ist. Nach unten wird das Rohr stärker und trägt nur noch in grössern Abständen Aeste, es lässt sich aber nicht ent- scheiden, wieweit das Neoptil reicht. Pycraft nımmt nun an, die Sporen des Erwachsenen entständen dadurch, dass zuerst das Neoptil abgestossen werde, dann aber breche auch der Schaft der definitiven Feder ab und zwar am Nabel, so dass nur der Calamus übrigbleibe und dann zu dem ,,Sporn“ auswachse. Es ist nun aber keineswegs nötig, diesen als abnorm verlängerten Calamus zu betrachten, sondern wir dürfen ihn mit der ganzen Schwungfeder homologisieren. Die Sporen sind nichts anderes als Schwingen, an denen die Differen- zierung in Schaft und Aeste infolge Weiterführung der schon im Nestkleid angedeuteten Umwandlung unterblieben ist und deren inter- mediäre Zellen zu einem einheitlichen undifferenzierten Rohr erstarrt sind, welches im Innern eine Federseele enthält. Oftmals trägt die Spitze der Sporen noch Rudimente von Aesten ; es geht sowohl hieraus, als auch aus dem Bau der Nestdunen mit Deutlichkeit hervor, dass diese Federn nicht einem distal beginnenden und proximal fortschrei- tenden Reduktionsprozesse unterlagen, wie Fürbringer glaubte,1#) sondern dass die Umwandlung distal am wenigsten fortgeschritten ist. Ebensowenig dürfen wir sie als Schäfte bezeichnen, deren beträcht- liche Dicke etwa einen Massstab für den Differenzierungsgrad der ehemaligen Schwingen bilden könnte. Schon die Anwesenheit einer Federseele in ihrem Innern verbietet diese Auffassung. Ihre Dicke entspricht ziemlich genau derjenigen einer noch von der Federscheide umhüllten Ratitenschwinge und aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie aus bereits typisch ausgebildeten Ratitenschwingen entstanden. Löst man nämlich die vollkommen glatte äusserste Schicht eines Flügelsporns ab, was keine Schwierigkeiten bereitet, so erscheint eine unebene Oberfläche mit deutlicher Längstreifung, die durch schwache
14) Fürbringer, M. Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel. Bijdragen Dierkunde Vol. 15.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder, 159
Rinnen hervorgerufen wird und die denselben Anblick bietet wie die noch zusammengerollte Fahne einer sich entwickelnden Feder. Viel- leicht ist diese Längsstreifung eine letzte Andeutung der frühern Differenzierung des Federrohrs.
Colymbiformes: Von Vertretern dieser Ordnung steht mir nur ein Nestling von Podiceps eristatus zur Verfügung. Er ist aber noch so jung, dass ich keinerlei Beobachtungen über den Zusammenhang von Neoptil und definitiver Feder machen konnte. Die Nestdunen sind doldenförmig und bestehen aus etwa 12 Aesten, die sehr zart und fein gebaut sind und fast bis zur Spitze Strahlen tragen. An der Basis sind die Aeste nicht abgeschlossen, sondern setzen sich in den definitiven Federkeim fort.
Den Zusammenhang beider Abschnitte hat Gadow bei Colymbus beobachtet. Jeder Art der definitiven Feder trägt, nachdem sich diese entfaltet hat, an seiner Spitze einen Ast des Neoptils. Die Nestdune wird also auch bei diesem Vogel von den verlängerten Astspitzen der definitiven Feder gebildet und ist keine selbständige Federgeneration.
Sphenisciformes : Ich hatte keinerlei Gelegenheit, den Zusammen- hang von Neoptil und definitiver Feder bei Pinguinen zu beobachten ; die bereits veröffentlichten Arbeiten bieten aber genügend Material, um ein Urteil über die Frage zu erlauben. Aus den Abbildungen Wohlauers ©) geht mit aller Deutlichkeit hervor, dass jeder Ast des pinselförmigen Neoptils nur eine Astspitze der definitiven Feder ist und dass zwischen beiden keine Unterbrechung zu sehen ist als der Mangel der Strahlen auf eine kurze Strecke. Ein Teil der Neoptilen- äste bildet sogar die Spitze des Afterschafts. Der Verfasser geht leider gar nicht auf die Frage ein, wie dieser intime Zusammenhang zu er- klären sei; er bezeichnet die Nestdunen als provisorische Gebilde, glaubt aber, dass sie viel eher ein Bild der Urbefiederung darstellen als die definitiven Federn und phylogenetische Vorläufer derselben seien. Das Verhalten der Penguinneoptile stimmt aber so sehr mit den an den übrigen Vögeln beobachteten Verhältnissen überein, dass meine Theorie des Nestkleids ohne weiteres auf sie angewendet werden kann. Die Abbildungen Studers 16) lassen erkennen, dass an den rudi- mentären Nestdunen die Abtrennung und damit die Spulenbildung eine viel stärkere ist als bei normalen Neoptilen.
15) Wohlauer, E. Entwicklung des Embryonalgefieders von Eudyptes chrysocome. Zschr. für Morphologie und Anthropologie IV. 1902.
16) Studer, Th. Die Entwicklung der Feder 1873. — Derselbe. Ueber die Bildung der Federn bei dem Goldhaarpinguin und bei Megapodius. Actes de la 60. session Soc. helv. sciences nat. 1877. — Derselbe. Beiträge zur Entwick- lungsgeschichte der Feder. Zschr. wissensch. Zoologie. XXX.
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Ciconiiformes:
Platalea leucerodia : Die Neoptile des Löffelreihers sind pigment- los. Ihre Strahlen lassen hie und da Andeutungen von Wimpern er- kennen, meist nur in Form einfacher Spitzchen. Die Aeste gehen an ihrer Basis in die Neoptilenspule über ; ihre weitere Fortsetzung nach unten ist die definitive Feder. Je nach dem Differenzierungsgrad der letztern lassen sich nun verschiedene Arten des Uebergangs von einer Feder zur andern beobachten.
Bei einem Neoptil der Lumbalgegend, welches die Spitze einer kleinen Konturfeder bildet, sind die Aeste innerhalb der Neoptilen- spule teilweise verwachsen. Immerhin ist ihre Trennung noch soweit angedeutet, dass sie als Leisten durch die Spule verfolgt werden können. Die Leisten trennen sich dann wieder, und es entsteht so unterhalb der Spule zunächst die gleiche Anzahl Aeste, wie in der Nestdune. Diese spalten sich aber sofort in eine etwa doppelt so grosse Zahl wert feinerer Aeste, die nun wieder Strahlen tragen und die Spitze der definitiven Feder bilden. Die Neoptilenspule ist an dieser Feder sehr kurz, irgendwelche Differenzierungen an der Konturfeder- spitze sind nicht vorhanden.
Dieselbe Spulenbildung fand ich an Neoptilen der Spinalflur und der Schulterflur. Die an die Spule anschliessenden Astspitzen tragen bei diesen Federn zunächst noch kürzere Strahlen, die weiter unten nach und nach grösser werden, entsprechend dem stärkern Wachstum des Federkeims. Ganz anders verhält sich aber die Spitze einer Schwungfeder. Die Nestdune bildet an ihrer Basis dieselbe Spule wie bei andern Federn und diese zerteilt sich wieder in Aeste der definitiven Feder, aber merkwürdigerweise nicht in Aeste einer Schwungfeder mit ihren Markzellen und den steifen, häkchentragen- den Strahlen, sondern es entstehen zunächst ganz gewöhnliche Kontur- federäste, gleich ausgebildet wie an der Spitze der vorhin genannten kleinern Federn. Sie sind marklos und tragen ungefärbte steifliche Strahlen mit nach vorn gerichteten Wimperchen. Nach unten nehmen die Strahlen bald an Grösse ab und verschwinden auf der einen Seite des Asts ganz. Auf der andern Seite aber werden sie äusserst rudi- mentär, sind aber doch noch zu erkennen. Eine fast 4 mm lange Strecke der Federäste wird auf diese Weise wieder sirahlenlos. Unterhalb dieser Strecke folgt ohne nennenswerten Uebergang die Ausbildung des Asts, wie sie für Schwungfedern charakteristisch ist. Der Ast wird dicker, enthält Markzellen und ist wieder beiderseits mit Strahlen besetzt, die aber an Stelle der Wimpern kräftige Häkchen besitzen. Erst an dieser Stelle wird also die Spitze der Schwinge ausgebildet; zwischen ihr und dem Neoptil ist eine besondere Stufe der Astaus- bildung eingeschaltet.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 161
Ibis spinicollis : Die Neoptile sind schwach graubraun pigmentiert. Auf weissen Federn sind sie fast farblos, auf schwarzen etwas dunkler, der Grad ihrer Färbung richtet sich also nach der Farbe der zuge- hörigen Feder. Die Neoptilenspule lässt sich sehr leicht in die ein- zelnen Aeste zerlegen, die sich ähnlich wie bei Platalea unterhalb der Verwachsungsstelle in eine grössere Zahl definitiver Federäste spalten. An solchen isolierten Aesten bildet der Mangel der Strahlen
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Fig. 12. Ciconia alba, Spitze einer keimenden Schwungfeder. 10:1. a Neoptilenäste, b zerteilte Neoptilenspule, & zweite Stufe der Astausbildung, dd die terminalen Aeste der Feder, welche innerhalb der Neoptilenspule stark verwachsen.
an einer kurzen Strecke die einzige Unterbrechung zwischen beiden Federabschnitten. Ob die bei Platalea gefundene spezielle Differenzie- rung der Schwungfederspitze bei Ibis auch vorkommt, konnte ich leider nicht entscheiden. Der untersuchte Nestling hatte die Neoptile der Schwingen bereits verloren.
Ciconia alba: Die Nestdunen bilden ausnahmslos die abgetrennte Spitze der definitiven Feder. Ihre Spule wird aus den strahlenlosen und nicht vollständig getrennten Aesten gebildet. Meist sind die
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162 S. Schaub.
Strahlen unterhalb der Spule noch nicht sehr verschieden von den- jenigen der Nestdune, je mehr wir aber einen Ast nach unten ver- folgen, um so mehr nehmen die Strahlen die für die definitive Feder charakteristische Gestalt an. Bei gewöhnlichen Konturfedern, sogar bei den allergrössten der Humeralflur, findet dieser Uebergang ganz allmählich statt, sodass die allerdings noch weichere Spitze der defi-
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Fig. 13.
Fig. 13. Ciconia alba. Die zweite Stufe der Astausbildung an der Spitze einer
keimenden Schwungfeder. 10:1. a Anschluss an Fig. 12, unten. b zweite
Unterbrechung der Strahlenbildung. c eigentliche Schwungfederstrahlen, Beginn
der dritten Stufe. (Die Aeste hatten sich an dieser Stelle noch nicht entfaltet,
sondern wurden aus der Federscheide herausgelöst. Die einzelnen Strahlen sind deshalb nicht deutlich sichtbar.)
nitiven Feder direkt unter der Neoptilenspule beginnt. Ganz anders verhalten sich aber die Schwingen und die grossen Deckfedern. Bei ıhnen kehrt derselbe Zustand in verstärktem Masse wieder, den wir schon an den Schwingen von Platalea angetroffen haben.
Die farblosen Aeste eines Schwungfederneoptils verwachsen zum Teil innerhalb der Spule. Wie bei Rhinochetus betrifft dies besonders die obersten Federäste, welche weiter unten die Schaftspitze bilden
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 163
(Fig. 12). Andere Aeste bleiben auch innerhalb der Spule völlig frei; alle setzen sich aber nach unten in eine grössere Zahl bräunlich pig- mentierter Aeste fort, deren Strahlen noch viel Aehnlichkeit mit den- jenigen der Nestdune haben. Sie sind lang und weich und besitzen nur ganz schwach angedeutete Wimpern. Nach unten findet nun aber nicht eine allmähliche Umbildung der Strahlen bis zu den typischen
Fig. 14. Ciconia alba. Dieselbe Feder wie Fig. 13. 10:1. a die auch inner-
halb der zweiten Stufe verwachsenen terminalen Federäste. Die letzte Gabelung
des Federschaftes liest in dem von ihnen gebildeten breiten Streifen. Bei b ist
die nochmalige Vermehrung der Federäste beim Uebergang von der zweiten zur dritten Stufe deutlich zu sehen.
Schwungfederstrahlen statt, sondern sie werden zunächst reduziert und verschwinden an vielen Aesten fast vollständig (Fig. 13). Zugleich verschmelzen einige Aeste in ganz ähnlicher Weise wie schon oben in der Neoptilenspule (Fig. 14). Genau so wie an jener Stelle aus einem Ast der Nestdune mehrere Aeste hervorgingen, tritt auch unterhalb dieser zweiten Verwachsungsstelle eine weitere Vermehrung der Aeste ein. Sie bleiben noch auf eine kurze Strecke fast unbefiedert, dann aber treten die häkchentragenden Strahlen auf und damit beginnt die eigentliche Schwungfeder.
164 S. Schaub.
Es lassen sich also an einer Schwinge nicht bloss zwei, sondern drei Stufen der Astausbildung unterscheiden. Die Aeste des Neoptils bilden die oberste Stufe. Dann folgt unterhalb der Spule eine zweite Stufe, die so eigenartig ausgebildet ist, dass man sie beinahe als ein zweites Neoptil bezeichnen möchte. Die dritte Stufe bilden die eigent- lichen Schwungfederäste. Die Uebergänge zwischen den Stufen sind durch Verwachsungen einzelner Aeste unter sich und durch eine Ver- mehrung ihrer Zahl charakterisiert. Die Trennung zwischen der zweiten und dritten Stufe ist infolgedessen ebenso stark wie diejenige, welche die Nestdune von der definitiven Feder scheidet, ja die Strahlen der zweiten unterscheiden sich mehr von den Schwungfederstrahlen als von den Neoptilenstrahlen. Stellen wir uns nun auf den Boden jener Theorie, welche die Nestdune als eine selbständige Federgene- ratıon betrachtet, so müssen wir konsequenterweise der zweiten Stufe das Recht zugestehen, als eine zweite Generation zu gelten und müssten die Schwinge als eine dritte Generation bezeichnen. Dass dies aber nicht angeht, lehrt ein Blick auf die Schaftspitze der Schwungfeder. Diese befindet sich nicht etwa an der Spitze der dritten Stufe, sondern reicht weit hinauf ın die zweite Stufe. Ihre letzten Verzweigungen befinden sich unmittelbar unter der Neoptilenspule. Die verlängerten Aeste der zweiten Stufe sind also nur die abweichend gebaute Spitze der definitiven Feder. Ihr ganzes Verhalten dieser gegenüber erinnert aber so sehr an das Verhältnis zwischen Nestdune und definitiver Feder, dass ich darin eine wertvolle Bestätigung meiner Ansicht er- blicke, dass auch das Neoptil nichts anderes seı als die abweichend ge- baute Federspitze und keine erste Federgeneration. Es liegt nicht der geringste Grund vor, der Neoptilenspule mehr Bedeutung beizu- legen als der weiter unten noch einmal eintretenden Wachstumsunter- brechung.
Es fragt sich nun, wie die drei Stufen. der Schwungfeder zu deuten sind. Ontogenetisch sind sie die Folge einer zweimal eintreten- den Unterbrechung der feinern Differenzierung mit nachherigem Ein- setzen einer neuen Wachstumsperiode. Diese Unterbrechungen können aber nicht die bereits völlig zur Schwinge differenzierte Feder be- troffen haben, sonst müssten alle Stufen ähnliche Ausbildung besitzen. Bei den Deuteroneoptilen von Rhinochetus, die erst abgetrennt wur- den, als die Dunen schon als solche differenziert waren, ist dies der Fall. Die drei Stufen der Storchschwingen entstammen vielmehr ver- schiedenen Zeiten, sie sind Erwerbungen ganz verschiedener Perioden der Federphylogenie. Dass die Neoptile einer Zeit entstammen, da noch keine Fluren und Raine existierten, habe ich bei Rhinochetus nachzuweisen versucht. Sie repräsentieren das älteste Stadium der _ Federgeschichte, von dem wir mit Bestimmtheit etwas wissen. Nach-
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 165
dem sie abgetrennt waren, schritt die Differenzierung des Gefieders weiter. In erster Linie wurden bestimmte Federkomplexe, die spätern Raine, reduziert, während die übrigen Federn sich mehr der Form einer kleinen Konturfeder mit losen, weichen Aesten annäherten. Schwungfedern existierten zu dieser Zeit noch nicht, die Federn der Vorderextremität waren noch nicht imstande, eine eigentliche Trag- fläche zu bilden. Diesem Stadium, das wir für die Schwungfedern theoretisch voraussetzen müssen, wenn wir sie als die höchst differen- zierten Federn auffassen, entspricht die zweite ontogenetische Stufe. Erst in einer nächsten Periode der Stammesgeschichte wandelten sich die Federn am Hinterrand des Flügels in eigentliche Schwingen mit festgefügter Fahne um.
Die Schwungfeder der Störche rekapituliert also durch die Ast- ausbildung an ihrer Spitze drei Stadien ihrer Stammesgeschichte. Dass diese Stadien, besonders das zweite, noch so wohl ausgeprägt sind, hängt jedenfalls mit der ontogenetischen Retardierung der Vorder- extremität zusammen. Diese Verzögerung erklärt aber schliesslich nur die Tatsache, dass die Schwungfedern relativ spät in Funktion treten ; dass sie an ihrer Spitze total verschiedene Aeste in zweierlei Stufen übereinander tragen, kann nur in der Geschichte der Feder begründet sein.
Die drei Stufen sind Merkmale der Reiniges und Tectrices majores superiores, die schon durch ihre Stellung als aus dem Zu- sammenhang der übrigen Pterylose herausgerissene und extrem spe- zialisierte Federn gekennzeichnet sind. Schon an den mittleren Deck- federn fehlt die zweite Stufe, ebenso an allen übrigen Konturfedern. Selbst an den Rectrices konnte ich sie nicht finden. Es zeigt dies, dass die Steuerfedern noch viel mehr normale Bestandteile des Ge- fieders bilden als die äusserlich gleich aussehenden Schwungfedern.
Nyeticorax griseus: Die Neoptile von Nycticorax und Ardea bil- den wie bei Rhinochetus die durch eine Wachstumsunterbrechung ab- getrennte Spitze der definitiven Feder. Der Uebergang zwischen beiden Abschnitten wird durch strahlenlose Partien der Aeste ge- bildet, welche zum Teil nicht ganz (getrennt sind. Unterhalb der Neoptilenspule findet die schon mehrfach beschriebene Vermehrung der Aeste statt.
Auch bei den Reihern sind die Schwingen durch eine besondere Ausbildung ihrer obersten Aeste ausgezeichnet. Unterhalb der Neoptilenspule entstehen zunächst fadenförmige Aeste, die etwa 3 mm weit rudimentäre Strahlen tragen. Dann aber erscheinen plötzlich breite, sägeartig gezähnte Strahlen, mit denen die Schwungfederspitze beginnt. Die fadenartigen Verlängerungen über dieser Spitze ent- sprechen der zweiten Stufe der Storchschwingen, sind aber lange nicht
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so deutlich gegen die Schwungfeder abgesetzt. Einzelne Aeste sind innerhalb dieser Stufe unregelmässig ausgebildet und hängen oft beiderseits mit benachbarten Aesten zusammen. Die Schaftspitze der Feder liegt wie bei Ciconia innerhalb der zweiten Stufe. Schon bei den grossen Deckfedern ist der Abstand zwischen Neoptilenspule und eigentlicher Deckfederspitze weniger als I mm. Die zweite Stufe ist infolgedessen fast verschwunden und von der dritten nicht mehr ab- gesetzt. An den übrigen Konturfedern ist gar nichts mehr von ihr zu sehen.
Pelecanus crispus : Trotzdem das Nestkleid reduziert ist und auch spät erscheint, ist die Neoptilenspule genau so gebaut wie die der Reiher oder Störche. Leider stehen mir keineältern Nestlinge mit schon entwickelten Konturfederspitzen zur Verfügung. Ich kann deshalb nicht mit Sicherheit entscheiden, ob die drei Stufen der Astentwick- lung auch an den Schwingen der Steganopodes auftreten. Ich ver- mute aber, dass sie vorhanden sind, denn die Astspitzen der Schwingen tragen, soweit ich sie untersuchen konnte, keine Schwungfederstrahlen, sondern einfache Strahlen ohne Häkchen, wie sie im Bereich der zweiten Stufe bei Reihern und Störchen auftreten.
Falconiformes:
Cerchneis Tinnunculus: Eben ausgeschlüpfte Falken besitzen ein normales, aus ächten Nestdunen bestehendes Nestkleid. Die Neoptile sind ähnlich gebaut wie bei Störchen und Reihern und hängen auch in derselben Weise mit den definitiven Federn zusammen. Das so- genannte zweite Nestkleid der Tagraubvögel hat nichts mit den Neoptilen zu tun. Es besteht aus langen, weichen Dunen, die zwischen den Konturfederkeimen in der Haut sitzen, diese zunächst im Wachs- tum überflügeln und sie dadurch samt den ächten Neoptilen bedecken. Pycraft bezeichnet diese Dunen als praeplumulae und rechnet sie zum Nestkleid, während er die ächten Neoptile als praepennae be- zeichnet.17) Diese Namen müssen den Eindruck erwecken, als ob beide Federarten Bestandteile des Nestkleids seien, die einen als Vorläufer von plumulae, die andern als Spitzen von pennae. Die praeplumulae Pycrafts gehören aber ebenso gewiss zum definitiven Federkleid wie die Deuteroneoptile von Rhinochetus und zeigen gegenüber den Dunen des Erwachsenen höchstens graduelle Unterschiede. Sie sind nicht doldenförmig, wie P. glaubt, sondern haben einen deutlichen Schaft, der allerdings sehr reduziert sein kann und deshalb leicht übersehen wird. Die Aeste an der Spitze dieser Dunen sind ebenso einfach gebaut, wie die der Neoptile, indem die Strahlen ganz farb-
1) Pycraft, W. P. Morphology of the Owls. Trans. Linn. Soc. London 2. ser. VII. Zoology.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 167
los sind und nur noch Andeutungen von Wimpern besitzen. Nach unten hin nehmen sie aber in ganz allmählichen Uebergängen den Bau normaler Dunenäste an, ohne dass irgendwo eine Unterbrechung oder gar eine Spulenbildung zu sehen wäre. Wir haben also trotz des ein- fachen Baus des distalen Federabschnitts keinen Grund, von Bestand- teilen des Nestkleids zu reden. Aechte Nestdunen sind stets durch eine Spulenbildung vom proximalen Federteil getrennt und nehmen nicht durch allmähliche Uebergänge die diesem Teil eigene Diffe- renzierung an; die Wachstumsunterbrechung hat vielmehr eine plötz- liche Aenderung der Astausbildung zur Folge.
Die Schwingen des Falken lassen ähnlich wie bei Platalea oder Nycticorax die drei Stufen der Astentwicklung erkennen. Innerhalb der zweiten Stufe tragen die Aeste nur auf einer Seite verkümmerte Strahlen. An den grossen obern Deckfedern ist diese Stufe weniger scharf ausgeprägt, aber doch noch deutlich vorhanden. Den gewöhn- lichen Konturfedern fehlt sie.
Aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, dass bei den Pe- largo-Herodii und den Accipitres Uebereinstimmungen im Bau der Neoptile vorkommen, die bei andern Gruppen nicht konstatiert. wer- den können. Ihre Schwungfedern zeigen die drei ontogenetischen Stufen der Astentwicklung in verschiedenen Graden der Ausbildung. Am undeutlichsten sind sie bei den Reihern entwickelt, am schönsten beim Storch. Bei den Steganopoden konnte ihr Vorhandensein in- folge ungünstiger Beschaffenheit des Materials nicht mit Bestimmt- heit nachgewiesen werden, es ist aber ziemlich wahrscheinlich.
Pelargo-Herodii, Steganopodes und Accipitres bilden mit den Phoenicopteri die Unterordnung der Ciconiiformes Fürbringers. Dass die Tagraubvögel in ihren Nestdunen gleiche Verhältnisse darbieten wie die Störche und Reiher, ıst wohl als der Ausdruck verwandt- schaftlicher Beziehungen aufzufassen. Die drei ontogenetischen Stufen sind vielleicht ein Merkmal der ganzen Unterordnung und in deren zentralen Gruppe, den Störchen, typisch ausgebildet, in den ausstrahlenden Nebenzweigen dagegen mehr oder weniger verwischt. Leider ist mein Material noch zu unvollständig, um diesen Ver- mutungen den nötigen Rückhalt geben zu können. Falls sich aber beı ältern Nestlingen von Flamingos und Geiern die drei Stufen der Schwingen nachweisen liessen, so wäre damit gezeigt, dass das Nest- kleid wertvolle Merkmale zur Beurteilung verwandtschaftlicher Be- ziehungen liefern kann.
Anseriformes: Das Nestkleid der Anseres weicht in verschiedenen Punkten von dem ab, was bei andern Vögeln Regel ist. Schon Nitzsch bezeichnete die Nestdunen der Gänse als ‚richtige Federn‘, da sie aus einem Schaft, Aesten und Strahlen bestehen. Dieses Merkmal teilen
168 S. Schaub.
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sie mit den dreizehigen Ratiten Casuarius, Dromaeus und Rhea, und es ist wohl kaum zufällig, dass sie mit denselben Vögeln auch im Bau der männlichen Genitalien übereinstimmen. Dass der Bau der Nest- dunen für taxonomische Zwecke nicht bedeutungslos ist, haben die Untersuchungen an den Ciconiiformes gezeigt, und da die Neoptile besonders geeignet sind, die Träger altertümlicher Merkmale zu sein, wäre es wohl denkbar, dass im Nestkleid der genannten Ratiten und der Anseres noch irgendwelche Relationen längst ausgestorbener Vor- fahren ihren Ausdruck fänden. Natürlich will ich nicht eine nähere Verwandtschaft der Anseres mit irgendwelchen Ratiten behaupten ; ich erblicke in der Uebereinstimmung sowohl der Nestdunen als auch der männlichen Genitalien nur einen Hınweis darauf, dass die Anseres nicht so weit wie andere Carinaten von jenem tiefern Horizonte ent- fernt sind, dessen Endformen uns in den Ratıten erhalten sind. Der Bau der Nestdunen, speziell die Anwesenheit eines Schafts, ist also zu den primitiven Merkmalen der Gruppe zu rechnen und ist nicht etwa ein den pinselförmigen Nestdunen gegenüber fortgeschrittener Zustand, wie auch schon behauptet wurde.
Ein zweites, den Anseres durchaus eigentümliches Merkmal ist die besondere Grösse der Schwanzneoptile, die äusserlich so stark her- vortreten, dass ein richtiger Schwanz gebildet wird. Sie sind viel kräf- tiger gebaut, und besitzen einen diekern Schaft und steifere Aeste als die übrigen Nestdunen. Vian benützt dieses Merkmal zur Unter- scheidung der Nestlinge innerhalb der Ordnung der ‚„Palmipedes‘“. Nach seinen Angaben ist der Schwanz am wenigsten deutlich bei den Nestlingen von Cygnus, dagegen wohl ausgeprägt bei Anser, Anas, Fuligula, Clangula, Oidemia, Somateria, Erismatura, Mergus. Ich selbst beobachtete die starken Schwanzneoptile bei Anas domestica, Dendrocygna major und Mergus albellus. Den übrigen Palmipedes fehlen sie und meines Wissens auch allen übrigen Nestvögeln. Die eigentümliche Verstärkung der Rectrices im Nestkleid ist nun be- sonders auffallend, weil dieselben Federn im definitiven Federkleid eher klein bleiben und nur einen kurzen Schwanz bilden, sodass dessen relative Grösse nur wenig zunimmt. Bei Hausenten hat das hintere Körperende sowohl im Nestkleid wie beim Erwachsenen dieselbe Form und auch bei wilden Formen ist dies der Fall. Erismatura leucoce- phala besitzt bis 3 cm lange, steife und fischbeinartig elastische Schwanzneoptile. Naumann setzt sie in Beziehung zu dem ebenfalls ganz aberrant gebauten Schwanz der erwachsenen Ruderente, indem er schreibt: ‚‚wie wichtig diese Schwanzbildung bei allen nötigen Verrichtungen dieser Ente sein müsse, geht schon daraus hervor, dass schon im Dunenkleid .... der Schwanz eine auffallende Länge be- sitzt.“ Leider gibt Naumann über die Schwanzbildung der übrigen
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 169
Nestlinge der Anseres keine Angaben; es scheint aber bei Erismatura nur die extreme Ausbildung eines der ganzen Gruppe eigentümlichen Merkmals vorzuliegen, welches jedenfalls mit der aquatilen Lebens- weise, die ja sofort nach dem Ausschlüpfen angetreten wird, zu- sammenhängt.
Ueber den allgemeinen Bau der Nestdunen ist noch zu ergänzen, dass sowohl der Schaft wie auch die grössern Aeste lufthaltige Mark- zellen besitzen. Die Rami an der Spitze der Feder sind bedeutend länger als die übrigen und zeichnen sich dadurch aus, dass nur ıhre proximale Hälfte Strahlen trägt, während der distale Teil faden- förmig ist. Im untern Teil der Nestdune werden die Aeste immer kürzer und schwächer und sind schliesslich bis zur Spitze gefiedert. Bei der Hausente sind die strahlenlosen Astspitzen gelb, die gefiederten Teile dagegen weiss gefärbt. In der ersten Woche nach dem Aus- schlüpfen sind nur die gelben Spitzen sichtbar, später aber lockert sich das Dunenkleid, je mehr das Körperwachstum fortschreitet und dadurch werden auch die flaumigen Partien der Neoptile sichtbar ; das Gefieder nimmt infolgedessen eine mehr gelblich-weisse Fär- bung an.
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Den Zusammenhang zwischen Neoptil und definitiver Feder konnte ich nur an Hausenten beobachten, da die andern Nestlinge, die mir zur Verfügung standen, zu jung waren.
An der Basis besitzen die Nestdunen eine ächte Spule, d.h. ein Rohr, dessen Wandung durch die nicht mehr differenzierten Aeste und durch den Schaft gebildet wird und die keine Spur von Diffe- renzierung erkennen lässt. Die Markzellen des Schafts brechen an dessen unterm Ende ab, die Spule besteht nur aus gleichartig durch- scheinendem, unpigmentiertem Material. Sie ist nicht genau zylindrisch, sondern erweitert sich etwas nach unten. Während nun aber die Spule einer definitiven Feder sich unten verengert und bis auf eine kleine Oeffnung schliesst, ist bei diesen Nestdunen gar nichts Derartiges zu sehen, sondern die Wände des Rohrs spalten sich von neuem in die Aeste der definitiven Feder. Dabei erscheint sofort wieder der dorsoventrale Bau des Federrohrs, der innerhalb der Spule verwischt war. Auf der Ventralseite entstehen gleichartige Aeste, auf der Dorsalseite hingegen, genau in der Fortsetzung des Neoptilen- schafts, bleibt ein breiter Streifen übrig, der sich weiter unten dadurch verschmälert, dass die auf der Ventralseite entstandenen Aeste mehr und mehr auf die Dorsalseite übergreifen und schliesslich nur noch einen dünnen Schaft übriglassen. Der Schaft der definitiven Feder hat demnach ‚keine natürliche Spitze, wie sie der Neoptilenschaft besitzt, sondern wird im Gegenteil da, wo er in die
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Neoptilenspule eintritt, breiter. Seine wirkliche Fortsetzung und seine eigentliche Spitze ist der Neoptilenschaft.
Die beschriebene Spulenbildung findet sich mit wenigen Modi- fikationen bei allen Nestdunen der Ente. Eine Fortsetzung der Aeste durch die Spule hindurch oder auch nur eine Andeutung derselben innerhalb des Spulenrohrs konnte ich nirgends auffinden. Die Tren- nung zwischen Neoptil und definitiver Feder hat also in diesem Fall einen viel stärkern Grad erreicht, als bei andern Vögeln; höchstens bei den Steuerfedern von Gallus kommt ähnliches vor.
Das Nestkleid der Anseres nimmt also nach drei Richtungen hin eine ganz isolierte Stellung ein, einmal durch den an gewisse Ratiten erinnernden Bau der Neoptile, dann durch die Anwesenheit eines be- sondern „Nestlingsschwanzes“ und endlich durch die starke Abtren- nung der Nestdunen von der definitiven Feder. Alle drei Punkte lassen sich aber auf eine einzige Erscheinung zurückführen, nämlich auf die abnorm lange Funktionsdauer des Nestkleids. Die Spulen- bildung erfolgt bei den Anseres so weit unten an der Feder, dass der obere Teil des Schafts mit in die Nestdune einbezogen wird. Es wird also embryonal ein grösserer Teil der Feder fertig gestellt als bei andern Vögeln. Dieser embryonale Teil, das Neoptil, persistiert in- folgedessen sehr lange, bis er durch die definitive Feder, den post- embryonalen Teil, ersetzt wird und die Federn erleiden deshalb auch eine sehr starke Wachstumsunterbrechung. Die ersten definitiven Federn, die erscheinen, sind die Schwanzfedern. Sie beginnen bei der Hausente nach zwei bis drei Wochen die Neoptile über die Haut zu heben. Erst fünf bis sechs Wochen nach dem Ausschlüpfen folgen die Remiges und die grossen Konturfedern der Schulterfluren. In der siebenten Woche sind die Konturfedern vom Schwanz, von der Unterflur und der Schulterflur äusserlich sichtbar, während der grösste Teil des Körpers mit ächten Dunen bedeckt ist, zwischen denen noch überall die Neoptile der kleinen Konturfedern stehen. Anser cinereus erreicht nach Vian einen Viertel der Körpergrösse, bevor die ersten Federn erscheinen! Das sind alles Verhältnisse, die wohl begreifen lassen, dass eine besonders deutliche Trennung zwischen Nestdune und definitiver Feder stattfindet, und dass für die ersten Wochen’ des postembryonalen Lebens ein Nestlingsschwanz die Funktionen des definitiven Schwanzes übernimmt. |
Galliformes: Untersucht wurden Neoptile von Perdix cinerea, Gallus domesticus, Gallus ferrugineus, Exalfactoria chinensis.
Die Angabe Gadows, dass die Neoptile sehr einfach gebaut seien, kann ich nicht bestätigen. Alle Nestdunen, die ich mikroskopisch untersucht habe, besitzen Aeste mit lufthaltigen Markzellen. Aehn- lich gebaute Neoptilenäste sind mir nur von den Anseres und einzelnen
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 171
Ratiten bekannt und es würde dieses Merkmal allein genügen, um den hohen Differenzierungsgrad dieser Federn zu beweisen, da bei allen übrigen Nestdunen der Mangel der Markzellen gerade ein cha- rakteristischer Unterschied gegenüber den definitiven Federn ist. Die obersten Teile der Aeste sind strahlenlos und laufen in feine Haar- spitzen aus. Die Strahlen besitzen deutliche Wimpern, d.h. sie sind durch Verdickungen, die in regelmässigen Abständen angeordnet sind und nach vorn in undeutliche Spitzchen auslaufen, gegliedert. Ferner besitzen die Neoptile der Hühnervögel einen Schaft und, wenigstens andeutungsweise, einen Afterschaft.
Fig. 15. Perdix cinerea. Spitze einer Schwungfeder mit dem Schaft und einem einzelnen Ast des Neoptils. Die übrigen Aeste sind abgefallen. 13:1.
Der Schaft wird durch mehrere Aeste gebildet, die sich schon oberhalb der Neoptilenspule vereinigen. Bei Gallus und Perdix, wo ich ihn am deutlichsten ausgebildet fand, besteht er aus drei bis fünf stärker gebauten Aesten. Meist vereinigen sie sich in verschiedener Höhe. Ausser diesen zeichnen sich noch zwei bis drei ebenfalls etwas kräftigere Aeste dadurch aus, dass sie oberhalb der Spule verschmelzen. Sie liegen gegenüber vom Hauptschaft und können als rudimentärer Afterschaft aufgefasst werden.
Der Zusammenhang mit der definitiven Feder ist an den Schwungfederneoptilen am deutlichsten erhalten. Ihr Schaft sitzt auf
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der Schaftspitze der definitiven Feder (Fig.15). Das durch die Ver- wachsung der drei bis fünf Aeste gebildete Band wird beim Eintritt in die Spule pigmentlos, nachdem schon von den Verwachsungsstellen an die lufthaltigen Zellen verschwunden sind; darauf spaltet es sich wieder in eine etwas grössere Zahl feinerer Aeste, die sich aber sofort wieder. zur Schaftspitze der definitiven Feder vereinigen. Der Neo- ptilenschaft ist die Fortsetzung des Federschafts nach oben.
Leider ist es nun nicht möglich, die andern verwachsenen Neoptilenäste mit dem Afterschaft der definitiven Feder in Verbin- dung zu bringen. Sie setzen sich nach unten in Federäste fort, die am Hauptschaft inserieren. Wir müssen aber die Möglichkeit zugeben, dass diese Verbindung mit dem Afterschaft ähnlich wie bei Casuarius früher existiert hat. Der heute rudimentäre Afterschaft kann früher eine grössere Länge besessen haben und die primitive Federform der Hühnervögel, deren Spitze als Neoptil abgetrennt wurde, war mög- licherweise eine doppelschaftige Feder. Später wurde der Afterschaft reduziert, das Material des Federkeims, welches vorher seine Spitze gebildet hatte, differenzierte sich in Aeste der definitiven Feder und so gelangte der Afterschaft der Neoptile in Verbindung mit diesen.
Vielleicht wird die genauere Kenntnis möglichst vieler Nestdunen von Hühnervögeln diesen noch etwas unsichern Punkt aufklären. Die Schäfte selbst sind nämlich nicht bei allen Galliformes gleich aus- gebildet. So fand ich sie bei Exalfactoria sinensis sehr rudimentär, nur durch etwas kräftigere Aeste angedeutet. Einer von ihnen, wohl der Hauptschaft, gabelt sich an seiner Spitze, unmittelbar oberhalb der Spule sind aber keine Verwachsungen sichtbar.
Diejenigen Aeste, welche nicht unter sich verwachsen, bleiben auch innerhalb der Neoptilenspule getrennt und gehen nach unten in Aeste der definitiven Feder über, genau so wie es bei pinselförmigen Nestdunen der Fall ist (Fig. 16). Diese Tatsache, sowie der Nach- weis, dass der Neoptilenschaft die Spitze des Federschafts ist, be- rechtigen uns, auch die Neoptile der Galliformes als die Spitze der definitiven Feder zu bezeichnen. Allerdings scheint die Abtrennung des terminalen Teils stärker zu sein, als dies bei gewöhnlichen Nest- dunen der Fall ist und sich mehr den bei Anseres beobachteten Ver- hältnissen zu nähern. Die geschilderten Zusammenhänge wurden näm- lich ausnahmslos an Schwingen und grossen Deckfedern beobachtet. Schon bei den letztern ist die Trennung der Schäfte und Aeste inner- halb der Spule weniger deutlich und bei den Neoptilen der übrigen Federn stellt die Spule ein einheitliches Rohr dar, welches an seinem untern Ende sich in Aeste der definitiven Feder auflöst. Am deut- lichsten fand ich dieses Rohr an den Rectrices von Gallus ausgebildet, wo es vollkommen der Neoptilenspule der Anseres gleicht.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 173
Dieselben Gründe, die schon bei Rhinochetus aufgezählt wur- den, nötigen uns, die vollkommene Spulenbildung der Rectrices und Konturfedern als eine sekundäre Bildung aufzufassen. Beobachtet man nämlich das Auftreten der definitiven Federn bei Hühnern, so zeigt sich, dass die Schwungfedern zuerst ausgebildet werden und lange Zeit die einzigen definitiven Federn des ganzen Körpers sind, während das übrige Gefieder auf demselben Zustand verharrt wie beim Verlassen des Eis. Die Schwingen und die grossen obern Deck- federn besitzen demnach die geringste Wachstumsunterbrechung, ihre
Fig. 16. Gallus ferrugineus, Spitze einer Schwungfeder mit einzelnen Neoptilen- ästen. 14:1.
Neoptilenspule ist deshalb nur unvollkommen gebildet und lässt den Zusammenhang beider Federabschnitte deutlich erkennen. Die übrigen Federn, deren Wachstum viel länger unterbrochen wird, be- sitzen dagegen eine rohrförmige Spule unterhalb des Neoptils, welche nicht mehr in Aeste differenziert wird. Der Grad der Spulenbil- dung steht also tatsächlich in Korrelation mit der Länge der Wachstumsunterbrechung.
Gruiformes: Ausser Rhinochetus konnte ich Nestlinge von Aypo- taenidia celebensis und Aramus scolopaceus untersuchen. Sie zeigten aber noch keine Spur von definitiven Federn, sodass es mir nicht mög-
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lich war, den Zusammenhang beider Federkleider zu studieren. Ich konnte bei beiden Vügeln eine weitgehende Uebereinstimmung des Baus der Nestdunen mit Rhinochetus feststellen, ebenso war deutlich zu erkennen, dass die Neoptilenäste an ihrer Basis nicht abgeschlossen sind, sondern sich durch die Spule hindurch in den definitiven Feder- keim fortsetzen.
Charadriiformes : Von Vertretern der Limicolae standen mir drei- tägige Nestlinge von Vanellus cristatus zur Verfügung, die aber noch keine definitiven Federn erkennen lassen. Die Aeste der Neoptile, die teils strohgelb, teils graubraun gefärbt sind, sind gleichwertig und tragen nur an ihrer untern Hälfte Strahlen. Die Wimpern sind meist nur in Form von kleinen Knötchen ausgebildet, sind aber trotz- dem deutlich sichtbar, da den Strahlen an diesen Stellen kein Pig- ment eingelagert ist. An der Basıs verlieren die Aeste ihre Strahlen und gehen in die Neoptilenspule über, ohne zu verwachsen. Die Spule ist ebenso gebaut wie bei Rhinochetus.
Die Neoptile der Tauben sind von Davies genau untersucht und auch auf ihren Zusammenhang mit der definitiven Feder geprüft worden. Davies konstatiert, dass ‚eine typische Dunenspule‘, bei der alle Zellagen der Schleimschicht verwachsen sind, nicht sehr häufig ist und dass gewöhnlich die Aeste nicht vollkommen verschwinden. Am deutlichsten ist die Trennung bei den Schwungfederneoptilen. Ich selbst habe einen Nestling von Turtur risorius untersucht, und kann die Angaben Davies’ durchaus bestätigen. Es liegen bei den Tauben ähnliche Verhältnisse vor wie bei Rhinochetus; an den Schwingen ist der ursprüngliche Zustand der Neoptilenspule am deut- lichsten erhalten geblieben, während zugleich mit der Reduktion der übrigen Neoptile ihre Abtrennung von der definitiven Feder sich mehr oder weniger verstärkte. Ich brauche wohl kaum beizufügen, dass ich die Nestdunen der Tauben nicht als primitive, sondern als stark modifizierte Gebilde auffasse, die ihre Strahlen durch Reduktion verloren haben.
Cuculiformes:
Centropus bengalensis: Die Nestlinge von Centropus sind beim Ausschlüpfen mit eigenartigen weisslichen Borsten bedeckt, die meines Wissens erst durch die Arbeit R. Shelford’s18) näher bekannt wurden. Shelford untersuchte mehrere Stadien von Embryonen und Nestlinger und konstatierte, dass die von ihm als ,, Trichoptile‘“ be- zeichneten Borsten eine enorme Verlängerung der Federscheide dar- stellen. Sie sitzen zum grössern Teil auf der Spitze der Konturfedern
18) On the Pterylosis of the Embryos and Nestlings of Centropus sinensis. Ibis 1900.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 175
und sind am grössten auf dem Kopf und am Rücken; am Flügel da- gegen messen sie nur wenige Millimeter und sind auf der Ventralseite beinahe ganz reduziert. Einige Trichoptile sind die Vorläufer von Halbdunen, die erst viel später erscheinen als die Konturfedern, so- dass das Borstenkleid des Nestlings eine grössere Ausdehnung besitzt als das Konturfederkleid des Erwachsenen.
Meine eigenen Beobachtungen an Nestjungen von Centropus ben- galensis führten mich zu einer Erklärung dieser Trichoptile, die von der Shelfords etwas abweicht. Die Art und Weise, wie sie nach unten mit einer plötzlichen Ausweitung ihres Lumens in die Scheide der definitiven Feder übergehen, rechtfertigt vollkommen die Ansicht, dass es sich nur um Verlängerungen dieser Scheide handle. Damit ist aber die Frage nach ıhrer Entstehung nicht beantwortet und es dürfte doch der Versuch gewagt werden, sie auf Bildungen allge- meinerer Art zurückzuführen.
Die Beschränkung der Trichoptile auf die Konturfederspitzen und auf wenige, den Fluren benachbarte Komplexe, die wohl erst in verhältnismässig später Zeit reduziert worden sind, erinnert so sehr an dıe Verbreitung von Nestdunen bei andern Vögeln, dass der Ge- danke naheliegt, die Trichoptile als umgewandelte Neoptile aufzu- fassen. In der Tat lässt sich diese Deutung ohne Schwierigkeit durch- führen. Schon junge Embryonen von Centropus besitzen über die Haut vorragende Federpapillen. Aus diesen können nur die Tricho- ptile entstehen, denn die eigentlichen Federn sind beim Ausschlüpfen nicht sichtbar. Beim reifen Embryo hat das Borstenkleid seine höchste Entfaltung erreicht und sieht äusserlich ähnlich aus wie das Nestkleid einer gleichaltrigen Ente oder eines Hühnchens, deren Neoptile noch von der Federscheide umschlossen werden. Die Trichoptile haben also dieselbe Ontogenie wie die Neoptile, sie sind die embryonalen Ab- schnitte der definitiven Federn, vor der Bildung des Federfollikels über der Haut entstanden und dürfen deshalb als modifizierte Nest- dunen betrachtet werden. Sie unterscheiden sich von normalen Neo- ptilen durch die mangelnde Differenzierung der Aeste und Strahlen, sie sind auf dem Stadium des einheitlichen Federrohrs stehen ge- blieben und in diesem Zustand verhornt. Dass sie nicht nur aus dem Material der Federscheide gebildet werden, sondern die ganze Neoptile repräsentieren, geht schon daraus hervor, dass ihre Wandung beträcht- lich dicker ist als die Scheide der definitiven Feder. Die Reduktion der Neoptile erstreckt sich in diesem Fall nicht auf das gesamte Feder- material, sondern nur auf seine Differenzierung in die einzelnen Federteile; es handelt sich um die Weiterführung desselben Um- wandlungsprozesses, dem auch die Neoptile der Tauben ihre merk- würdige Einfachheit verdanken. Denken wir uns ein Taubenneoptil,
176 S. Schaub.
dessen Aeste nicht mehr von einander getrennt wurden, so erhalten wir das Trichoptil von Centropus. Auch die Uebereinstimmung in der feinern Struktur weist darauf hin, dass beide Neoptile ihren aberranten Bau ähnlichen Umwandlungen verdanken und auf analoge Weise aus normalen Nestdunen entstanden sind.
Coraciiformes:
Striges : Untersucht wurden Neoptile von Syrnium aluco, Bubo bubo und Bubo turcomanus. Sie bestehen aus gleichwertigen Aesten, die mit sehr einfach due Strahlen besetzt sind. Die Wimpern
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sind in Form winziger Spitzchen ausgebildet; die Pigmentierung ist höchstens durch eine leicht gelbliche Färbung angedeutet. Die Aeste werden beim Eintritt in die Neoptilenspule strahlenlos und durchlaufen sie meist ohne zu verschmelzen. Höchstens bei kleinen Konturfedern sind sie nicht ganz getrennt. Sie gehen ohne Unter- brechung in die Aeste der definitiven Feder über (Fig. 17), wobei besonders an den Schwingen aus einem Neoptilenast zwei Federäste entstehen können. An gewöhnlichen Konturfedern ist diese Vermeh- rung der Aeste lange nicht so stark ausgeprägt; meist besitzt die Spitze der definitiven Feder ungefähr die gleiche Anzahl Aeste wie die Nestdune.
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 177
Eigentümlich für die Eulen sind die geringen Unterschiede im Astbau der beiden Stufen. Meist ist der definitive Federast nur durch etwas stärkere Pigmentierung vor dem Neoptilenast ausgezeichnet, doch kann man auch Aeste finden, an denen sogar dieser Unterschied kaum zu sehen ist und bei denen der Uebergang nur durch eine strahlenlose Stelle angedeutet wird. Wenn nicht die Insertion der Strahlen deutlich zeigen würde, was oben und unten ist, so könnte man an einem einzelnen derartigen Ast nicht entscheiden, welcher Teil zur Nestdune und welcher zur definitiven Feder gehört. Es hängt dies jedenfalls damit zusammen, dass das erste Federkleid, dessen Spitzen die Nestdunen sind, nur zum kleinsten Teil aus Kon- turfedern, zum grössten Teil aber aus ganz weichen, lockern Halb- dunen besteht. Doch tragen auch die Aeste der Schwingen und Steuer- federn, die schon im ersten Federkleid normal ausgebildet sind, die- selben weichen Aeste.
Pici: Junge Spechte sind vollständig nackt, bis die definitiven Federn erscheinen. Sie scheinen also ihr Nestkleid ganz verloren zu haben, besitzen aber doch noch Bildungen, welche als Rudimente von Neoptilen aufgefasst werden dürfen.
An einem sehr jungen Nestling von Dryopicus martius fand ich die Rectrices durch kleine Hornspitzen angedeutet, welche in auf- fallender Weise die Haut überragten. Die Remiges waren durch kleine Erhebungen markiert, von den übrigen Federn war hingegen noch nichts zu sehen. Im übrigen besitzt dieser Nestling noch andere merk- würdige Bildungen, die ich nicht unerwähnt lassen will, obschon sie nicht zu unserm speziellen Thema gehören. Die Fersen tragen die- selben eigenartigen Hornpapillen, welche von A. Günther 19) bei Iynx torquilla gefunden wurden und die zur Lokomotion innerhalb des Nests dienen. Sehr auffallend ist auch der Schnabel gebildet. Der Oberschnabel ist kürzer und schmäler als der Unterschnabel, der ıhn - mit seinem Rand überragt und am Mundwinkel einen eigenartigen Wulst trägt, welcher bis zum Auge reicht und den Mundwinkel ganz verdeckt.
Bei einem ältern Nestling von Picus major konnte ich den Bau der oben erwähnten Hornspitzchen und ihre Beziehungen zur Steuer- feder studieren. Es zeigte sich, dass die Aeste der Rectrices nicht frei an der Federspitze endigen, sondern zu einer Art von Spule ver- schmelzen, die genau so gebaut ist wie die Spule eines Neoptils. Sie bildet ein Rohr, das aber keine Neoptilenäste trägt, sondern an der Spitze wie abgebrochen erscheint. Wir haben es jedenfalls mit dem letzten Ueberrest eines ehemals stärker entwickelten Neoptils zu tun,
19) A. Günther. On the Foot of the Young of Iynx Torquilla. Ibis 1890. 12
178 S. Schaub.
der an den Steuerfedern sich erhalten konnte, an den übrigen Federn aber verloren ging. Wie die Nestdune gebaut war, lässt sich nicht mehr entscheiden, hingegen deutet die vollkommene Verschmelzung der Aeste in der noch vorhandenen Spule auf eine starke Abtrennung von der definitiven Feder.
Passeriformes: Es war für mich von besonderm Wert, auch an den Nestdunen verschiedener Singvögel denselben Zusammenhang mit der definitiven Feder nachweisen zu können wie bei Rffnochetus. Die starke Reduktion des Nestkleids hätte sehr wohl diese Zusammenhänge verwischen können, es lässt sich aber mit aller Deutlichkeit zeigen, dass auch die spärlichen Neoptile der Passeriformes die Spitzen der definitiven Federn sind.
Pyrrhocorax pyrrhocorax : Die Neoptile bestehen aus etwa zwölf gleichwertigen Aesten, die bis zur Spitze Strahlen tragen und hell- braun gefärbt sind. An den Strahlen sitzen in regelmässigen Ab- ständen Wimpernpaare in Form von kleinen, nach vorn gerichteten Spitzchen. An der Basis der Nestdune werden die Aeste ungefiedert und farblos und laufen ohne Unterbrechung durch die kegelförmig gebaute Neoptilenspule. Innerhalb der Spule werden sie etwas breiter und sind nicht mehr völlig getrennt, lassen sich aber doch leicht ver- folgen. An der Spitze der definitiven Feder spalten sie sich in eine grössere Zahl von Aesten, welche dunkelbraun pigmentiert sind.
Graculus graculus : Die Neoptile und ihre Spulen sind gleich ge- baut wie bei Pyrrhocorax.
Oriolus galbula: Die untersuchten Neoptile bestehen aus etwa acht gleichwertigen Aesten, die sehr lange, einfach gebaute Strahlen tragen. Die Wimpern sind entweder kleine Spitzchen oder auch nur Verdiekungen der Strahlen. Die Farbe der Nestdune ist ein nur bei stärkerer Vergrösserung hervortretendes Gelb, das durch den gleichen Farbstoff hervorgerufen wird, der auch in der definitiven Feder vor- handen ist. Die Aeste laufen, ohne zu verschmelzen, durch die Neoptilenspule und bilden so die Astspitzen der definitiven Feder (Fig. 18).
Graucalus leucopygius : Die Nestlinge tragen eigenartig flockige, schneeweisse Neoptile auf dem Kopf, der Humeralflur, den Schwingen und obern Deckfedern. Auf dem Unterrücken sitzen mehr seiden- artige Nestdunen.
Die Aeste sind gleichwertig und besitzen bis 1,5 mm lange Strahlen, welche kleine, unscheinbare Wimpern tragen. Ihre Farbe ist ein helles Bräunlichgelb, das besonders deutlich in den Aesten auf- tritt. Die Neoptilenspule besteht aus den zum Teil nicht ganz ge-
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 179
trennten, aber deutlich erkennbaren strahlenlosen Aesten, die unmittel- bar unter der Spule sich in Aeste der definitiven Feder verwandeln.
Turdus merula: Die Neoptilenäste schliessen sich an ihrer Basis zu einer Spule zusammen, die ähnlich gebaut ist wie bei den rudi- mentären Nestdunen von Rhinochetus. Diese Spule ist kegelförmig gebaut; ihre abgerundete Spitze wird von einer Hornkappe gebildet, die jedenfalls dem Ruhestadium entspricht, während dem die Pulpa sich nicht zurückzieht. Rings um die Hornkappe stehen die Neoptilen- äste. Sie verlieren sich zum Teil in der Spulenwand, sind aber bei
147
Fig. 18. Oriolus galbula. Einige Aeste eines Neoptils beim Uebergang in die definitiven Federäste. 10:1.
günstigen Objekten noch als Leisten zu erkennen, obschon sie äusser- lich nicht mehr getrennt sind. Am untern Rand der Spule entsteht aus diesen Leisten die gleiche Anzahl von Aesten, wie sie das Neoptil besitzt, indem die Trennung wieder durchgeführt wird. Die neuge- bildeten Aeste tragen schon kurz nach ihrer Trennung die Strahlen der definitiven Feder.
Die beschriebene Spulenbildung ist für alle Neoptile, selbst für diejenigen der Schwingen charakteristisch. Die Abtrennung ist also bei Turdus relativ stark und nähert sich schon den bei Gallus oder bei Enten beobachteten Zuständen, ist aber noch nicht so weit fortge- schritten wie bei diesen Vögeln.
180 S. Schaub.
Hypothymis puella : Die gelblich-braun gefärbten, gleichwertigen Neoptilenäste tragen 1 bis 1,5 mm lange Strahlen mit deutlichen, aber kurzen Wimpern. Ihre Spule ist genau so gebaut wie die der Amsel ; an ihrem untern Ende findet ebenfalls keineVermehrung der Aeste statt.
Hirundo rustica: Die Neoptile sind nur wenige Millimeter lang, stimmen aber sonst in allen wesentlichen Merkmalen mit denjenigen der Amsel überein und besitzen dieselbe Spulenbildung.
Ich schliesse hiemit den speziellen Teil meiner Ausführungen. Die darin enthaltenen Angaben sind zum Teil sehr dürftig. Sie er- heben aber auch nicht den Anspruch, ein Gesamtbild des Nestkleids oder auch nur seiner Elemente zu geben, sondern haben lediglich den Zweck, zu zeigen, welche Arten des Zusammenhangs zwischen Neoptil und definitiver Feder möglich sind und nach welchen Rich- tungen er variieren kann. Es konnten zur Beantwortung dieser Frage Vertreter sämtlicher Ordnungen des Vogelstamms untersucht werden, wäre aber die spezielle Untersuchung nur um ein Geringes, z. B. auf die Morphologie aller Nestdunen, ausgedehnt worden, so wäre eine grosse Beschränkung des Materials eingetreten, denn von vielen Vögeln standen mir nur Präparate einzelner Nestdunen zur Verfügung. Es wäre aber auch unzweckmässig gewesen, das Federkleid derjenigen Nestlinge, über die ich völlig verfügen kann, noch näher zu be- schreiben, als dies geschehen ist. Eine solche Beschreibung hätte aller- dings wertvolle Anhaltspunkte zur Beurteilung der zur Diskussion stehenden Frage liefern können, aber nur bei stetiger Bezugnahme auf die Pterylose des Erwachsenen. Die Eigentümlichkeiten der Nestlings- pterylose lassen sich nur vom Gefieder des Erwachsenen aus richtig einschätzen, eine Beschreibung des Nestkleids allein ist wertlos. Dies ist der Grund, weshalb ich mich darauf beschränken musste, zu unter- suchen, ob bei irgendwelchen Vögeln die Neoptile von der definitiven Feder derart abgetrennt seien, dass es sich rechtfertige, sie als be- sondere Federgeneration aufzufassen. Es hat sich herausgestellt, dass auch da, wo die Trennung am stärksten ist, die Nestdune dennoch die Spitze der Feder darstellt und andererseits ergab sich die wichtige Tatsache, dass sekundäre Spulenbildungen innerhalb einer Feder keine Seltenheit sind. An den Puderdunen von Rhino- chetus, den Federn von Struthio, den Schwingen der Ciconiiformes und Falconiformes treten sie in den verschiedensten Abstufungen auf und beweisen durch ihren analogen Bau, dass auch die Neoptilenspule als eine sekundäre Spule, nicht als den Abschluss einer Federgene- ration bezeichnet werden muss. Ich glaube mich deshalb zu einer Ver- alloemeinerung der an Rhinochetus gewonnenen Resultate berechtigt und gelange so zu folgenden Ergebnissen :
Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder. 181
Der intime Zusammenhang zwischen definitiver Feder und Nest- dune verbietet, diese letztere als eine besondere Federgeneration zu be- trachten und den Ersatz des Nestkleids durch das definitive Feder- kleid als Mauserung zu bezeichnen. Beide Federn bilden eine Einheit, ein einziges Federindividuum.
Dis Neoptile sind die Spitzen der ersten Federgeneration und werden ontogenetisch durch eine Wachstumsunterbrechung, welche meist in die Zeit vor und nach dem Ausschlüpfen fällt, von dieser ge- trennt. Diese Wachstumsunterbrechung hat eine sekundäre Spulen- bildung zur Folge, die verschiedene Grade der Ausbildung zeigt, je nachdem sie oberhalb oder unterhalb der Schaftspitze eintritt. Im erstern Fall entsteht das pinselförmige Neoptil, dessen Spulenbildung primär noch wenig stark ausgeprägt ist, aber sekundär durch Re- duktionsvorgänge im Nestkleid verstärkt werden kann. Im andern Fall erhalten wir die Nestdunen mit Schaft, welche primär schon sehr deutlich von der übrigen Feder abgetrennt sind.
Phylogenetisch sind die Neoptile ein von spätern Spezialisie rungen im allgemeinen wenig berührter Bestandteil primitiver Feder- formen und besitzen deshalb zum Teil primitive Merkmale. Sie scheinen zu einer Zeit entstanden zu sein, da die Hauptäste des Vogel- stammes sich bereits getrennt hatten, wo bereits Differenzen des Primitivfederbaus existierten. Sie sind eigene Erwerbungen jener ältern Stämme und stehen unter sich nicht in genetischem Zusammen- hang; wir dürfen deshalb die komplizierten Formen nicht von den einfachern ableiten.
Ursprünglich besassen alle Federn der primitiven Pterylose Neoptile, infolge der eintretenden Reduktionsprozesse einzelner Ab- schnitte derselben wurden aber viele von ihnen ebenfalls reduziert, aber nicht in demselben Masse wie die definitiven Federn. Das Nest- kleid besitzt daher in vielen Fällen eine grössere Ausdehnung als das Konturfederkleid und lässt dann erkennen, welche Differenzierungen an diesem stattgefunden haben. In andern Fällen wurde die Reduktion der Nestdunen noch weiter fortgesetzt und führte bei bestimmten Vögeln zum völligen Schwund des Nestkleids. Als eine eigenartige Form der Reduktion sind auch die Umwandlungen zu bezeichnen, welche die sehr einfachen, aber pseudoprimitiven Neoptilenformen der Tauben und Spornkuckucke hervorbrachten.
Für die Phylogenie der Vogelfeder sind die Neoptile nur in be- schränktem Masse verwendbar. Insbesondere sind alle Spekulationen abzulehnen, die ihnen die Rolle eines Zwischengliedes zwischen Schuppe und Feder zuschreiben möchten. Sie werden bei vorsichtigem Abwägen aller ihrer Eigentümlichkeiten imstande sein, einzelne Auf- klärungen über die dem heutigen Federkleid vorangegangenen Feder-
182 S. Schaub.
formen zu liefern, dürfen aber nicht selbst als primitive Formen be- zeichnet werden.
Zum Schluss ist es mir ein Bedürfnis, der freundlichen Unter- stützungen zu gedenken, die mir im Laufe dieser Arbeit von ver- schiedenen Seiten zuteil wurden. Besondern Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. J. Kollmann, sowie meinem Freunde Herrn A. Wildi, die mir in liebenswürdiger Weise die nötigen Einrichtungen zur Herstel- lung der Mikrophotographien zur Verfügung stellten. Herr Dr. Fritz Sarasin war so freundlich, mich von dem Nestlingsmaterial des Basler Museums Einsicht nehmen zu lassen und endlich bin ich meinem Freunde Herrn Dr. H. Helbing für die Durchsicht des Manuskripts zu grossem Dank verpflichtet.
Eingegangen 6. September 1912.
Schwerebestimmungen
der Schweizerischen Geodätischen Kommission. (Mit 1 Tafel.)
Von
Th. Niethammer.
Newton hat den bekannten Satz aufgestellt, dass sich irgend- welche Massenelemente m; und ms; im Raume gegenseitig mit einer Kraft anziehen, die in der Richtung ihrer Verbindungsgeraden wirkt, dem Produkt m; X ms direkt proportional und dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. Als Folge dieser allgemeinen Massenanziehung sehen wir, dass jeder Körper von der Erde ange- zogen wird mit einer Kraft, die wir die Schwerkraft nennen. Wenn wir eine genaue Kenntnis besässen von der Verteilung der Massen in der Erde, d.h. wenn wir die Dichte für beliebig viele Punkte im Erd- innern angeben könnten, so würde sich die Grösse und Richtung der Schwerkraft für jeden Punkt ausserhalb oder innerhalb der Erde mittels des Newtlon'schen Gravitationsgesetzes berechnen lassen. Da die Erde nicht ein ruhender Massenkörper ist, sondern sich in Ro- tation befindet, so wirkt ihrer Anziehung eine Zentrifugalbeschleuni- sung entgegen, und die wirkliche Beschleunigung, die ein frei be- weglicher Punkt mit der Masse 1 annehmen würde, ist somit gleich der Resultante aus der Anziehungsbeschleunigung der Erde und der von ihr erteilten Zentrifugalbeschleunigung. Diese Resultante wird gemeinhin Schwerebeschleunigung genannt.
Unter dem Geoid versteht man diejenige Fläche, die im Meeres- niveau senkrecht steht zur Richtung der Schwerebeschleunigung.t) Die Form des Geoides zu bestimmen, kann als eines der Endziele be- zeichnet werden, welche die Arbeiten der ‚Internationalen Erdmes- sung‘ erstreben und die in der Schweiz im besondern durch die Schwei-
1) Die Oberfläche des Meeres bildet — von der Wirkung der Gezeiten, von Luft- und Winddruck, von Meeresströmungen u. dergl. abgesehen — einen Teil des Geoides; unter den Kontinenten kann man sich das Geoid dadurch sichtbar gemacht denken, dass man das Meereswasser in einen unendlich schmalen Kanal fliessen und sich darin einstellen lässt.
lu © Th. Niethammer.
zerische Geodätische Kommission verfolgt werden. Mit der blossen Kenntnis von der Form des Geoides begnügt sich indessen die Wissen- schaft nicht. Das Newton’sche Gravitationsgesetz lässt uns erkennen, dass zwischen der Form des Geoides und der Massenverteilung im Erdinnern ein enger Zusammenhang bestehen muss. Es folgt hieraus die weitere Aufgabe, die Massenverteilung in der Erdrinde und im Erdinnern zu ermitteln und in Verbindung mit der Wirkung der sichtbaren Massen oberhalb des Meeresniveaus die Form des Geoides zu erklären. £ Eine wichtige Rolle bei der Lösung dieser Aufgabe spielt die Kenntnis von der Grösse der Schwerebeschleunigung an möglichst vielen Punkten der Erdoberfläche. In einigen, der ‚Internationalen Erdmessung‘ angehörenden Staaten, und so auch in der Schweiz, sind deshalb eingehende Studien über die Verteilung der Schwerebe- schleunigung begonnen worden. Da die Genauigkeit der Resultate und die Zuverlässigkeit der daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in hohem Grade von der Vollkommenheit der instrumentellen Hilfs- mittel abhangen, mögen zunächst einige Mitteilungen über die in den letzten Jahren erfolgten Verbesserungen des Instrumentenmaterials der Schweizerischen Geodätischen Kommission erfolgen; an sie wird sich dann eine Besprechung der bis jetzt vorliegenden Resultate der Schwerebestimmungen in der Schweiz anschliessen.
I
Die genaueste Methode zur Bestimmung der absoluten Grösse g der Schwerebeschleunigung besteht darin, die Schwingungsdauer T eines physischen Pendels und die Länge / des korrespondierenden, mathematischen Pendels zu messen ; die Schwerebeschleunigung kann dann nach der bekannten Formel
END E
Während sich die Schwingungsdauer 7 mittels der Koinzidenz- methode leicht mit aller wünschenswerten Genauigkeit bestimmen lässt, stösst die Messung der Pendellänge / auf erhebliche Schwierig- keiten. Man hat deshalb in den letzten Jahrzehnten statt der absoluten Bestimmung die relative eingeführt, deren Prinzip sich kurz fol- gendermassen erläutern lässt. Man bestimmt zunächst die Schwin- gungsdauer T eines Pendels auf einer Station, wo die absolute Grösse der Schwerebeschleunigung bekannt ist; diese Referenzstation für die Schweremessungen in der Schweiz befindet sich im Bernoullianum
berechnet werden.
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission. 185
Basel. Zwischen der Schwingungsdauer T, und der bekannten Schwerebeschleunigung g, der Referenzstation besteht dann die Be- ziehung
Auf einer Feldstation, deren Schwerebeschleunigung g, bestimmt wer- den soll, sei als Schwingungsdauer desselben Pendels T, gefunden worden; somit besteht zwischen T, und gs die Beziehung:
2 9 l hr = Inge: (3) 2 0,
das gesuchte g, kann somit nach der Gleichung
T° Je = — 9 (4)
berechnet werden.
In der letzten Gleichung ıst die in (2) und (3) enthaltene Grösse l, d.1. die Länge des mathematischen Pendels, das mit dem physischen Pendel gleiche Schwingungsdauer hat, eliminiert. Infolge der An- wendung des gleichen Pendels auf Referenz- und Feldstation halten wir uns zu der Annahme berechtigt, es sei auch die Grösse / auf beiden Stationen gleich gross gewesen. Nun ist aber ohne weiteres klar, dass sich die Pendellänge / ändern kann, ohne dass eine Schwereänderung vorliegen muss. Schon wenn wir die Schwingungsdauer eines Pendels auf der gleichen Station wiederholt bestimmen, werden wir Aen- derungen bemerken, die wir sowohl wirklichen als scheinbaren Aen- derungen der Pendellänge zuschreiben. So erleidet die Pendellänge eine reelle Aenderung bei Temperaturänderungen; eine scheinbare Aenderung hingegen zeigt die veränderte Schwingungsdauer an, wenn wir das Pendel bei verschieden grossen Amplituden schwingen lassen, da die Schwingungsdauer nicht völlig unabhängig von deren Grösse ist; ferner wenn der Luftdruck sich geändert hat, oder wenn durch irgendwelche Ursachen die Sekunde der zum Messen der Schwingungs- dauer benutzten Uhr oder wenn die Stabilität des Statives, in welchem das Pendel schwingt, grösser oder kleiner geworden ist. Alle diese
«
186 Th. Niethammer,
Aenderungen lassen sich indessen in Rechnung ziehen, in der Weise, dass man die beobachtete Schwingungsdauer umrechnet auf den- jenigen Wert, den man bei konstanter Temperatur, konstantem Luft- druck und bei unendlich kleiner Amplitude auf einem vollkommen starren Stativ mit einer richtig gehenden Uhr beobachtet hätte. Nicht in Rechnung ziehen lassen sich aber Aenderungen der Pendellänge, die auf einer zufälligen Verlagerung des Schneidenkörpers, der die Schwingungsachse trägt, zurückgehen. Die zur relativen Bestimmung der Schwerebeschleunigung benützten Pendel sind gewöhnlich Halb- sekundenpendel von 1/, m Länge und bestehen aus einer Stange, die am untern Ende ein Gewicht und am obern Ende einen Kopf trägt, in welchem der Schneidenkörper befestigt ist. Dass schon äusserst ge- ringe Verlagerungen dieses Schneidenkörpers die Genauigkeit der Messungen beeinträchtigen, geht aus folgender Ueberlegung hervor. In der Bestimmung der Schweredifferenz zwischen Referenz- und Feldstation streben wir eine Genauigkeit von + 0,001 cm/sec? an. Aus der Formel (1) folgt, dass einer Aenderung dg der Schwere eine Aen- derung dT der Schwingungsdauer im Betrage von
Ta aT= — nd (a)
24
Ss entspricht; für dg = + 0,001 em/sec?, T=0,5, g = 981 cm/sec? ist hiernach Sr
dT= + 0,000 0002, = -+ 2,5.10.
Es dürfen also, wenn wir die gestellte Genauigkeitsgrenze innehalten wollen, keine Aenderungen in der Lage der Schneide vorkommen, s U welche die Schwingungszeit des Pendels um mehr als 2,5.10 beein- flussen. Da nun einer Aenderung dT der Schwingungsdauer eine Aenderung dl der Pendellänge im Betrage 21
où = TT aT (b)
AI
entspricht, so folet mit { = 25 cm und dT = 2,5.10 l ® 5
di = 0,0002, mm;
d.h. der Schneidenkörper darf in der Richtung der Pendelachse keine Verschiebung erleiden, die einen Viertel eines tausendstel Millimeters übersteigt.
Wir ersehen hieraus, wie strenge die Anforderungen sind, die an die Befestigung des Schneidenkörpers im Kopf der Pendelstange gestellt werden, und werden von vorneherein vermuten, dass sie me-
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission, 187
chanisch nicht leicht werden zu erfüllen sein. In der Tat haben die bisher in verschiedenen Staaten der Internationalen Erdmessung ver- wendeten sogenannten ‚invariabeln Halbsekundenpendel‘‘ während des Gebrauches Aenderungen der Pendellänge aufgewiesen, welche die aufgestellte Grenze der Zulässigkeit weit übersteigen,?) auch wenn wir davon absehen, dass viele Pendel eine annähernd der Zeit propor- tional verlaufende Verkürzung der Pendellänge aufweisen, die meist darauf zurückzuführen ist, dass die Pendelstange aus einem ursprüng- lich gebogenen Stück Metall (Messing oder Bronze) hergestellt wurde.
Dem Uebelstand, dass ein Pendel im Falle unregelmässiger Aen- derung der Pendellänge unbrauchbar wird zur Ableitung der Schwere- differenz zwischen Referenz- und Feldstation, suchte man dadurch zu begegnen, dass man mehrere Pendel, meist vier, neben einander ver- wendete, in der Hoffnung, es würden sich wenigstens einige davon als unveränderlich und somit brauchbar erweisen. Das ursprüngliche Instrumentenmaterial der Schweizerischen Geodätischen Kommission umfasste vier ‚„ınvariable‘ Pendel, die bis zum Jahre 1910 ausschliess- lich benützt wurden. Da sich die Mehrzahl dieser Pendel nicht als invariabel erwies, und da auch nach einer im Jahre 1903 erfolgten Neufassung der Schneiden nur eine unerhebliche Besserung ihres Ver- haltens eintrat, beschloss die Schweizerische Geodätische Kommission im Jahre 1909, einen neuen Satz von vier invariabeln Pendeln her- stellen zu lassen. Die Konstruktion dieser Pendel hat Herr Dr. P. Chappuis durch seinen auf reicher Erfahrung in instrumentellen An- gelegenheiten gegründeten Rat wesentlich gefördert. Bei diesen neuen Pendeln wurde hauptsächlich auf eine unveränderliche Befestigung des Schneidenkörpers Bedacht genommen.?) Der Schneidenkörper be- steht aus Stahl; sein Querschnitt erscheint zusammengesetzt aus einem unteren, stumpfen Keil mit der Schwingungsachse und einem obern, scharfen Keil; dieser läuft nach oben nicht in eine Kante aus, sondern ist horizontal abgeschnitten. Der Kopf des aus einem Stück Metall verfertigten Pendelkörpers ist diesem Querschnitt entsprechend durch- bohrt, so dass die Seitenflächen des scharfen Keïles an den Innen- flächen des Kopfes anliegen. Mittels einer Schraube, weiche durch die Mitte des Kopfes und des Schneidenkörpers in vertikaier Rich- tung hindurchgeht, kann dieser gegen die obere Innenfläche des Kopfes gepresst werden. Die Dimensionen sind so gewählt, dass die
2) Vergl. z. B. Astronomisch-Geodätische Arbeiten in der Schweiz, 12. Bd., Seite 241 ff, und 13. Bd., Seite 158 ff.; ferner: Relative Bestimmungen der In- tensität der Schwerkraft auf 45 Stationen von Elsass und Lothringen, bearb. von E. Becker 1912, Seite 124, 134, 141. |
3) Siehe nähere Angaben und Konstruktionskizze in „Astronomisch-geo- dätische Arbeiten in der Schweiz “ Bd. 13, Seite 39 und 40, und Tafel 1.
188 Th. Niethammer.
Seitenwände des Kopfes einen schwachen Druck auf den Schneiden- körper ausüben, wenn dessen obere Fläche durch den Druck der Schraube zur Berührung mit der obern Innenseite des Kopfes ge- bracht wird.
Das Metall, aus dem diese neuen Pendel mit Ausnahme des Schneidenkörpers und deren Befestigungsschraube hergestellt sind, trägt den Namen Baros;?t) es besteht zu 85—88/, aus Nickel, 90/, Chrom, 2—4°/, Mangan und 1—2°/, Eisen; es ist unveränderlich an der Luft und lässt sich äusserst blank polieren. Günstig für eine unveränderliche Befestigung der Schneide erscheint der Umstand, dass die Ausdehnungskoeffizienten von Stahl und Baros nahezu gleich gross sind.
Diese vier neuen Barospendel wurden im Jahre 1910 zum ersten- mal auf zehn Feldstationen neben den alten, bisher benützten Messing- pendeln durch einen zweiten Beobachter, Herrn Th. Kubli, beobachtet. Die gleichzeitige Anwendung der alten und neuen Pendel sollte zu- nächst die Brauchbarkeit der letzteren erweisen. Im Jahre 1911 sind dann zwei der neuen Barospendel und die beiden besten der alten Messingpendel ausschliesslich auf 16 Feldstationen verwendet worden. Da diese Beobachtungen zu einem vollen Erfolg geführt haben, gehen wir auf das Zahlenmaterial und die sich daraus ergebenden Schluss- folgerungen etwas näher ein.
In der Tabelle 1 auf Seite 7 sind die Stationsmittel s der be- obachteten und auf gleichen Normalzustand reduzierten Schwingungs- zeiten aufgeführt; die Indices 31 und 64 sind die Fabrikations- nummern der alten Messingpendel, 1 und 2 die der neuen Barospendel. Die Zahl » gibt an, wie oft jedes Pendel auf der Station beobachtet. wurde; sie ist von Station zu Station sehr verschieden, da mit den Pendelmessungen von der ersten Zeitbestimmung an solange fortge- fahren wird, bis die Witterung erlaubt, die zweite, zur Ableitung des Uhrgangs nötige Zeitbestimmung auszuführen. Da jedes Pendel
ï ae innerhalb 24 Stunden zweimal beobachtet wird, ist 5 im allgemeinen
224 gleich der Zahl der zwischen der ersten und zweiten Zeitbestimmung verflossenen Tage. Unter s,, ist das Mittel der vier Einzelwerte, d. 1.
die Schwingungsdauer des sogenannten mittleren Pendels angegeben.
4) Das Metall wurde in den Stahlwerken von Commentry-Fourchambault hergestellt; die Konstruktion der Pendel erfolgte in den Werkstätten der Société genevoise pour la construction des instruments de physique et de mécanique in Genf.
Schwerebestimmungen der Schweiz, Geodätischen Kommission. 189 Tabelle 1. Station n Sy S, Sea 9 Sn Ss | Ss Ss Ss S a Bean 050 0550 0,50 0,50 ||. 0,50f (April Mai 1911) | 12 | 81 022,2 | 74 881,3 | 82197,3 | 77 081,1 | 78 795,5 5 5 25 115 + 0,6 112 ee +0,8 Biasca ENG | 81 664,7 | 75 529,2 | 82 845,9 | 77 730,2 |=79 442,5 Bellinzona 2 | 81 489,3 | 75 350,9 | 82 664,1 | 77 547,7 || 79 263,0 Locarno . 2 81 357,9 | 75 217,3 | 82 534,3 | 77 418,6 | 79 132,2 Maggia 2 81 501,3 | 75 364,9 | 82 678,7 | 77 569,2 || 79 278,5 Gerra . 2 | 81839,1 | 75 701,1 | 83 014,5 | 77 903,8 || 79 614,6 Bignasco . 9 81 720,0 | 75 578,4 | 82 897,6 | 77 783,1 | 79 494,8 Fusio . 4 || 82112,0 | 75 974,3 | 83 288,5 | 78 177,6 || 79 888,1 Campo 4 82 079,3 | 75 944,6 | 83 263,5 | 78 146,6 | 79 858,5 Spruga 4 || 81852,8 | 75 710,6 | 83 029,2 | 77 918,1 | 79 627,7 Faido . 2 81 883,6 | 75 749,7 | 83 070,4 | 77 950,8 || 79 663,6 Basel II a | 810160 | 748719 | 82 191,2 | 77 081,5 | 78 790,1 (Aug.—Sept. 1911) || RE? a0) MONT | AO Laufenburg . 14 || 81 068,4 | 74 928,4 | 82 247,8 | 77 136,0 | 78 845,2 Schaffhausen 6 811198 | 74.981,38, 82 238,4 | 77191,5 | 78 897,9 Kreuzlingen . 6 81 202,9 | 75.064,53 | 82 386,1 | 77 272,8 | 78 981,5 Rorschach 6 81 303,4 | 75 164,9 | 82 484,1 | 77 371,6 | 49 081,0 Bruggen . 8 || 81439,7 | 75 300,8 | 82621 92207 D10N 492183 Wattwil 2 || 81482,3 | 75335,9 | 82 655,7 | 77 540,7 |) 79 253,6 | | Basel II 12 81 017,0 | 74 876,5 | 82 196,2 | 77 083,4 || 78 793,3 (Nov.—Dez. 1911) = ar al) + 0,8 ar | MON + 0,6
Für die Referenzstation Basel ist der mittlere Fehler des Stations-
mittels, abgeleitet aus den # Abweichungen der Einzelwerte von ihrem Mittel, in der obigen Tabelle angegeben. Für die Feldstationen möge die Angabe des durchschnittlichen mittleren Fehlers genügen; es be- trägt die Unsicherheit des einzelnen Pendelmittels für eine Station mit n Einzelwerten:
3,8 Vn
Ob sich die Pendel während der Reise geändert haben, wird man zunächst an Hand der wiederholt auf der Referenzstation bestimmten
Schwingungszeiten zu entscheiden suchen. Aus der obigen Zusammen- stellung folgen als Differenzen zwischen den Werten für Basel:
Pendel No.: 81 1 64 2
Basel II minus I -6,2 -94 —6,1 +04 Einh.d. 7. Dez. Basel III minus II +10 +46 +5, +1,0 RE
Einheiten der 7. Dezimalstelle
22
190 Th. Niethammer.
Wie ersichtlich, sind die Schwingungszeiten der Pendel 31, 1 und 64 von Basel II sämtlich kleiner als diejenigen von Basel I, wäh- rend die Schwingungszeiten von Basel III zwischen die Werte von ‚Basel I und II fallen; die Differenzen II minus I und III minus II lassen sich nur zum Teil aus der Beobachtungsunsicherheit des ein- zelnen Pendelmittels, die nur + 1 Einh. d. 7. Dez. beträgt, erklären. Die absolute Konstanz der Pendellänge während der Reise ist hier- nach nicht völlig zweifellos.
Um einen genaueren Einblick in das Verhalten der Pendel wäh- rend der Reise zu erhalten, bietet sich das Verfahren dar, die vier Differenzen der Einzelwerte gegen den Wert des mittleren Pendels, d.i. S—S31, Sy, ete. von Station zu Station mit einander zu ver- gleichen. Diese Differenzen müssen unter der Voraussetzung kon- stanter Pendellänge innerhalb der Beobachtungsfehler konstant sein von Station zu Station, abgesehen von einer kleinen Aenderung, die durch die Aenderung der Schwingungsdauer mit der Schwere bedingt ist. Diese kleine Reduktion ist an den Werten der Tabelle 1 schon an- gebracht. In der nachfolgenden Tabelle 2 sind die vier Diffe- renzen S,,„—s von Station zu Station angegeben,?) ferner ihre Ab-
Tabelle 2.
Son rame | ma me > li) | la) b | | in Einheiten der 7. Dezimalstelle
Basel I . | 12 |-2226,7 |+3914,1 |-3401,8 \+1714,4 |-2,9 | -1,3 |40,6|13,6 Biasca ı 6 | 2,2 3,3 | 403,4 12,3 141,6 | -2,1 | -1.0/ 41,5) Bellinzona . 2 || 6,5 2114011 15,3 || -2,5 | -3,3 |+1,3 44,5 Locarno | 2 | 5,8 4,3 | 4022 13,5 ||—2,0 | -1,1 +0,2/+2,7 Maggia . 122% || 2,8 | 3,6 | 400,2 09,3 |+1,0 | -1,8 42,2 -1.5 Gerra see 2 4.5 7 ENS" 20010) 10,8 |-0,7 | -1,9 +2,5| 0,0 Bignasco . . | 9 | 5,2 6,4 402,8 11,7 |-1,4 +1,1 | -0,4 140,9 Fusio IE 8,8 | 400,4 10,5. 2.00 ESC 22 0) 2.08 Campo | 4 | 0,8 | 3,9 | 405,0 11,9 |+3,0 | -1,5 | -2,6 41,1 Spruga . Dane El 71 | 20152096 13 417 20915 Faido | 2 | 0,0 3,9 | 406,8 12,8 143,8 | -1,5 | -4,4 +2,0 Basel IT | 14 | 5,9 8,3 | 401,1 08,6 || -2,1/+2,9 +1,3| -2,2 Laufenburg. 14 | 3,2 6,7 | 402,6 09,1 |H-0,6 [42,3 | -0,2| -1,7 Schaffhausen . | 6 | 2,0 6,1 | 400,5 06,4 +1,58 |+0,7 41,9 | -4,4 Kreuzlingen . | 6 | 1,4 | 7,2 | 404,6 08,7 |4-2,4 41,8 | -2,2|-2,.1 Rorschach 6 2 4 61 | 4034 | 094 112 107 0014 Bruggen 8 1,4 7,5 | 403,6 07,6 1+2,4 [42,1 | -1,2|-3,2 Wattwil . 2 con 77) 4081| 129 |-49 149,3 103421 Basel II ia 8 68| 4029 | 09,9 Ho, +14 |-0,5| -0,9 Mittel . . .| |-22938 |143915,4 3402,4 17108
5) Die Zahlenwerte s,,-s weichen z. T. um 1 Einh. d. 8. Dez. ab von den aus Tabelle 1 folgenden Werten, da bei der Bildung der ersteren, s,„-s auf die Abrundung der 8. Dez. Rücksicht genommen wurde.
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission, 191
weichungen /;,, | ete. von dem am Fuss angeführten Mittelwert, der ohne Rücksicht auf das Gewicht n der Station gebildet ist. Die Ab- weichungen / lassen erkennen, dass in der Tat während der Reise keine starken Aenderungen der Pendellänge können vorgekommen sein; die Maximalabweichungen von / betragen —4,9 und + 4,5 Einheiten der 7. Dez. Es hat ein Interesse, rechnungsmässig festzustellen, ob sich die Abweichungen / durch die zufälligen Beobachtungsfehler erklären lassen oder ob ein Teilbetrag Aenderungen der Pendellänge von Station zu Station zugeschrieben werden muss. Das kann auf einem von Borass ®) zuerst eingeschlagenen Wege geschehen; die hiebei zur Anwendung gelangende Formel kann folgendermassen abgeleitet werden.
Um festzustellen, ob die Aenderungen der Wertes,,—s von
Mm Station zu Station einen Schluss auf die Veränderlichkeit der Pendel- länge zulassen, müssen wir die Genauigkeit des einzelnen Wertes kennen. Die mittlere Unsicherheit m irgend eines der # auf der Sta- tion beobachteten Werte der Schwingungsdauer ist aus den # Abwei- chungen v der Einzelwerte vom Stationsmittel nach der Formel zu berechnen:
(m -1) m’ = vv], @)
wo | vv | die Quadratsumme der n Werte v bezeichnet. Für die Be- obachtungen auf der Referenzstation Basel beträgt durchschnittlich
m = + 3,7 Einh. d. 7. Dezimalst.
und für die Feldstationen, wie schon oben angegeben, m = + 3,8 Einh. d. 7. Dezimalst.
Auf Grund dieses Betrages von m würden wir indessen die Un-
sicherheit der Differenz s,,—s überschätzen. Der Fehler m setzt sich
nämlich aus zwei Komponenten # und x zusammen, von denen die erste, w, rein zufälliger Natur ist, während die zweite, #, für mehrere aufeinanderfolgende Beobachtungen systematisch oder konstant ist. Es folgt diese Unterscheidung aus der Art des Beobachtungs- verfahrens; der konstante Fehler x rührt hauptsächlich her von den langsamen Gangschwankungen der Beobachtungsuhr; diese beein- flussen eine Reihe hintereinander beobachteter Schwingungszeiten in nahezu derselben Weise. Das Endmittel aller Schwingungszeiten einer Station ist frei von diesem Fehlereinfluss, da die Beobachtungen der Schwingungszeiten regelmässig verteilt sind über das Intervall
6) Veröffentlichung des Kônigl, Preuss. Geodätischen Institutes, Neue Folge Nr. 23, 1905, Seite 59 ff:
192 Th. Niethammer,
zwischen der ersten und zweiten Zeitbestimmung. Da sich ein kon-
stanter Fehler in der Differenz s,,—s hebt, ist die Genauigkeit von
s,—s nur nach dem zufälligen Fehler « zu beurteilen. Der Betrag dieses Fehlers lässt sich aber aus den 4» Einzelwerten der Diffe- renz 8,,—s einer jeden Station ableiten, unter der Voraussetzung, dass während des Aufenthaltes auf der gleichen Station keine Aenderung der Pendellänge eingetreten sei. Bezeichnen wir die Abweichung eines
der n Einzelwertes,,—s;, vom Stationsmittel mit v’, so besteht
zwischen à und der Quadratsumme [ww] der n Werte v’ die Be- ziehuneg : 7)
(1) 20 = [oo] (6)
Drei weitere solcher Beziehungen bestehen für die Abweichungen 0 55 D . . v' der übrigen Differenzen s,,—$,, Sy —Sg4 und Sy—S3; die Summe dieser vier Gleichungen liefert als Beziehung, aus der der durch- schnittliche Wert von w einer Station zu berechnen ist:
8 (n 1) u? = [uv], (7)
wo unter | vu] die Quadratsumme der 4» Werte v’ zu verstehen ist.
Solcher Gleichungen lassen sich so viele aufstellen, als Stationen
beobachtet sind; bezeichnen wir mit &| v’v’] die Quadratsumme der
v' sämtlicher Stationen, deren Anzahl gleich r sei, so ergibt die Sum- mierung sämtlicher Gleichungen (7) die Beziehung:
3 (Cr) - r) DE So (8)
aus welcher der Durchschnittswert des zufälligen Fehlers u aller Sta- tionen berechnet werden kann. Nach dieser Formel (8) hat sich der mittlere zufällige Fehler u für die Stationen des Jahres 1911 zu
u = +2,75 Einh. d. 7. Dezimalst.
ergeben.
Die Schwingungsdauer des einzelnen Pendels werde nun im Stationsmittel infolge der Veränderlichkeit der Pendellänge von Sta- tion zu Station durchschnittlich um einen Betrag / geändert, von welchem wir annehmen, er sei zufälliger Natur. Dann ist das Sta- tionsmittel der Schwingungszeiten des einzelnen Pendels um einen Betrag M unsicher, der sich, vom konstanten Fehler x abgesehen, nach dem Fehlergesetz aus den beiden Komponenten w und À berechnen lässt; es ist:
7) Vergl. Astronomisch-Geodätische Arbeiten in der Schweiz, 12. Bd. Seite 209 ff.; 13. Bd. Seite 137 ff.
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission. 193
2 a S à n Setzen wir zunächst voraus, essei m für alle Stationen gleich gross, d. h. es sei jedes Pendel auf allen Stationen gleich oft beobachtet worden. Dann besteht zwischen M und den 4r Abweichungen ! ge- nau die gleiche Beziehung, die zwischen u und den 4» Werten v’ einer Station besteht, nämlich die Beziehung (7):
3 (r — 1) M = 3 1) +3 (7 De)
Diese Gleichung, die sich auf die Quadratsumme der 4n Werte / bezieht, können wir auf die vier Einzelwerte / derselben Station be- ziehen dadurch, dass wir sie durch r dividieren und statt | 72 ] den rten Teil der Fehlergquadratsumme [2] einführen; setzen wir [11] =r[Il',, so gilt für die einzelne Station die Beziehung:
| 2 wel ne r n Y
Di]. (9)
Nehmen wir nun # verschieden an von Station zu Station, und summieren die für die r Stationen gültigen Gleichungen (9), so geht [2 |, wieder in | {{ | über, und wir erhalten die gesuchte Beziehung:
ns +8 (r — 1) À = [7]. (10)
Da u bekannt ist, können wir hieraus mittels der Abweichungen 1 die durchschnittliche Veränderlichkeit À der Schwingungsdauer des einzelnen Pendels von Station zu Station berechnen; die Durchfüh- rung der Rechnung ergibt für die Stationen des Jahres 1911:
% _ 25 2,0, Eınh2d. 2. Dezimalst:
Das heisst: es ist eine zufällige Veränderlichkeit der Pendellänge vorhanden gewesen, welche das Stationsmittel der Schwingungszeiten des einzelnen (Pendels durchschnittlich um + 2,0 Einheiten der 7. Dezi- malstelle entstellt hat. Dieses Resultat darf als äusserst günstig be- trachtet werden. Eine scheinbare Aenderung der Schwingungsdauer von diesem Betrag kann vermutlich schon dann entstehen, wenn die Kontaktstellen zwischen der Schwingungsachse des Pendels und der Lagerfläche nicht identisch sind von Beobachtung zu Beobachtung, oder wenn die zur Reduktion auf 00 C verwendete Temperatur in ein- seitiger Weise von der wahren Temperatur der Pendelstange ab- weicht. Die aus den Schwingungszeiten berechnete Schwere wird
13
194 Th. Niethammer.
durch diesen Betrag der Veränderlichkeit nicht merkbar beeinflusst, da im Stationsmittel der vier Pendel nur eine Unsicherheit von
+ = +1 Einheit der 7. Dezimalstelle bestehen bleibt.
PE
Die Umrechnung der beobachteten Schwingungszeiten auf die gesuchten Schwerewerte erfolgt, bequemer als mittels Formel (4), nach dem Differentialausdruck (a), der den Zusammenhang zwischen Aenderung der Schwingungsdauer und Aenderung der Schwere gibt. Es ist z. B.:
Ss Beobachtete Schwingungsdauer der Station Fusio 0,5079 888,1 Beobachtete Schwingungsdauer d.Referenzstation
nn ee Änderung an“ der Sch mins med ce Fusio
minus Basel 272 : 1 095,3 Einh. d. 7. Dez. Änderung dg der Schwere: rn minus Ba -0,423 cm/sec? Absoluter Wert der Schwerebeschleunigung an
der Referenzstation Basel . . . . 2 980,788 5 Beobachteter Wert der on cendre
ANT der2Sstallon@Busioms MONT PE CE 980,365 %
Da die Stationen sich in ganz verschiedenen Höhenlagen befin- den, lassen die beobachteten Schwerewerte nicht erkennen, ob sie dem normalen Durchschnittswert der Schwere, der in der betreffenden Seehöhe und geographischen Breite gefunden werden sollte, ent- sprechen. Um weitere Schlüsse aus (den Beobachtungen ziehen zu können, ist es erforderlich, an den Beobachtungswerten Reduktions- grössen anzubringen, durch die sie auf vergleichbare Werte zurück- geführt werden. Die beiden gebräuchlichsten Reduktionsverfahren sind unter den Namen Faye’s und Bouguer’s bekannt. Das Faye’sche Verfahren hat in erster Linie den Zweck, die beobachteten Schwerebe- schleunigungen so aufs Meeresniveau zu reduzieren, dass sie als Grund- lage zur Ableitung einer Interpolationsformel der Schwere benützt werden können. Unter der Voraussetzung, dass die Massenverteilung im Erdinnern symmetrisch sei sowohl zur Rotationsachse als zur Aequatorebene, dass also die Diehte nur Funktion des Abstandes vom Erdmittelpunkt und der geographischen Breite sei, ergibt die An- wendung des Newton'schen Gravitationsgesetzes auf die rotierende Erde, wenn keine Massen ausserhalb des Meeresniveaus angenommen werden, es könne die Schwerebeschleunigung y, im Meeresniveau in
der geographischen Breite g@ nach dem Ausdruck berechnet werden:
Yo Ya (dl 2b, SIDE RDA sn pr) (11)
Schwerebestimmungen der Schweiz Geodätischen Kommission. 195
wo D», b4, ... Konstanten sind und y, die konstante Schwere am
Aequator bedeutet. Auf Grund von 1400 Schwerewerten hat Helmert im Jahre ’1901 folgenden numerischen Ausdruck abgeleitet :8)
Yo = 978,030 (1 + 0,00 5302 sin? @ — 0,00 0007 sin?2 y) em/sec?. (12)
Die beobachteten Schwerewerte, die der Ableitung dieser Formel zugrunde gelegt wurden, haben sämtlich die Faye’sche Reduktion er- fahren ; diese besteht darın, dass die beobachteten Stationswerte ver- mehrt werden um eine Grösse Ag, welche der Abnahme der Schwere in freier Luft vom Meeresniveau bis zur Stationshöhe Æ entspricht; es ist bekanntlich 29
a
Ag=+
wenn g den Schwerewert und À den mittleren Erdradius bezeichnet. Für die Station Fusio ist beispielsweise
Ag = + 0,395 em/sec?, und somit die nach Faye aufs Meeresniveau bete Schwere gleich 99 = 9 + Ag = 980,365 + 0,395 cm/sec? oder 99 = 980,760 cm/sec?. Der geographischen Breite = 460 266 von Fusio entspricht nach Formel (12) ein normaler Wert im Meeresniveau
Y9 = 980,747 cm/sec?. Die Differenz do Yo + 0,013 emi/sec?.
heisst die totale Schwerestörung; sie sagt aus, es sei die nach Faye aufs Meeresniveau reduzierte Schwere g, um 0,013 cm/sec?
grösser als der normale Durchschnittswert y,. Zum Vergleiche seien für einige benachbarte Stationen die totalen Schwerestörungen an-
gegeben: Station Seehöhe Geographische Totale Schwerestörung m Breite 90 Yo St. Gotthardt . 2093,5 469 33,4 +0,103 em/sec? Emo... cu 1281 26,6 +0,013 Bignasco . . . 442,5 20,6 —0,083 Massa .1 091 14,9 —0,027
iécarnon … 197.1 10,1 0,004
8) sin!p kann durch sin?2p ausgedrückt werden.
196 Th. Niethammer.
Diese wenigen Beispiele genügen zu zeigen, dass die totalen Schwerestörungen von Gebirgsstationen erhebliche Variationen auf- weisen, die zum grossen Teil von der topographischen Lage der Sta- tion abhangen. Schwerestationen, die sich über der durchschnittlichen Gebirgserhebung in einem gewissen Umkreis befinden, liefern im all- gemeinen eine positive totale Schwerestörung, solche, die sich dar- unter befinden, wie Bignasco, das im Grunde eines tief eingeschnit- tenen Tales liegt, eine negative. Dieses Verhalten steht in Ueber- einstimmung mit der Anschauung über die Massenverteilung in der Erdrinde, auf die sich das Faye’sche Reduktionsverfahren gründet. Es sind hiernach die Massen, die sich über das Meeresniveau erheben, nicht als ein Massenüberschuss zu betrachten, durch deren Anziehungs- wirkung die Stationsschwere vergrössert wird, sondern es stammen diese Massen aus den obersten Schichten der Erdrinde; ihre Wirkung auf die Stationsschwere wird kompensiert durch einen ihnen ent- sprechenden Fehlbetrag der Masse unterhalb des Meeresniveaus. Wäre der Ursprungsort der die Kontinente bildenden Massen bekannt, so könnte man sie sich dorthin zurückversetzt denken, und eine diese Rück- versetzung berücksichtigende Reduktion, zusammen mit der normalen Reduktion Ag aufs Meeresniveau, würde, an den beobachteten Schwere- werten angebracht, zeigen, ob sich diese so nahe an den Interpolations- ausdruck (11) anschliessen, dass die Annahme, es seien die ober- irdischen Massen durch entsprechende Defekte unterhalb kompensiert, gerechtfertigt erscheint. Zur Begründung dieser Annahme reicht in- dessen schon das einfache Faye'sche Verfahren aus, solange es sich um Stationen im Flachland der Kontinente handelt. Die Anziehung einer ebenen Platte, deren Ausdehnung sehr gross ist gegenüber ihrer Dicke, hängt nämlichlin erster Linie von ihrer‘Dicke ab; ob der Punkt, dessen Anziehung betrachtet wird, auf ihrer Oberfläche in der Mitte oder darüber liegt, macht nicht viel aus, solange der Abstand des Punktes von der Platte klein ist gegenüber ihrer Ausdehnung. Die Anziehung einer ebenen, über 100 km ausgedehnten Platte auf einen Punkt über ihrer Mitte ändert sich nur um Grössen zweiter Ordnung, wenn wir die Platte um einige hundert Meter oder einige Kilometer senkrecht bis oder unter das Meeresniveau verschieben. Bei der Faye’schen Reduktion macht man deshalb die Fiktion, es werden die oberirdischen Massen senkrecht bis aufs Meeresniveau verschoben und hier zu einer Flächenschicht verdichtet. Liegt die Schwerestation P ursprünglich in einer Höhe H über dem Meeresniveau, so denkt man sich nun den Punkt P senkrecht verschoben bis in einen Punkt Q dicht über dem Meeresniveau; {abgesehen von Unregelmässigkeiten der Dichte in der Platte, ist die Anziehung der kondensierten Platte auf den Punkt @ gleich gross wie vor der Kondensation auf den Punkt P.
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission. 197
Beim Uebergang von P nach Q ändert sich somit die Schwere nur um die normale Aenderung Ag mit der Höhe, so dass die nach Faye redu- zierte Schwere g, gleich wird
90 = 9 + Ag.
Statt also die oberirdischen Massen an ihren Ursprungsort zu- rückzuversetzen, kondensiert man sie nur aufs Meeresniveau, und ver- nachlässigt die kleine Reduktion von zweiter Grössenordnung, welche die Rückversetzung an den Ursprungsort bedingen würde. In der Tat zeigen die nach Faye reduzierten Schwerewerte von Stationen im Innern des Flachlandes der Kontinente eine so gute Uebereinstimmung mit dem nach Formel (11) theoretisch geforderten Verlauf, dass die Annahme einer allgemeinen Kompensation der Flachlandmassen durch einen Defekt unterhalb vollauf gerechtfertigt erscheint.
Für Stationen im Gebirge reicht indessen das F'aye’sche Ver- fahren nicht aus, die Beobachtungswerte in befriedigende Ueberein- stimmung zu bringen mit dem Ausdruck (11); denn hier üben die aufs Meeresniveau kondensierten Massen auf den Punkt Q nicht mehr die gleiche Anziehung aus wie vor der Kondensation auf den Punkt P. Wenn die Gebirgsmassen durch einen entsprechenden Defekt unter- halb kompensiert sind und wenn wir ihren Ursprungsort kennten, so könnte die ihrer Rückversetzung entsprechende Reduktion be- rechnet werden, und wenn durch deren Berücksichtigung die beobach- teten Schwerewerte in Uebereinstimmung gebracht würden mit den theoretisch geforderten Werten y,, so würden wir auch hier den Nach- weis als erbracht ansehen, dass die Gebirgsmassen durch entsprechende Defekte unterhalb kompensiert seien. Um nicht a priori unsichere und vage Annahmen in die Rechnung einzuführen, zieht man vor, auf Gebirgsstationen das Bouguer’sche Reduktionsverfahren anzuwenden. Hiernach denkt man sich die Gebirgsmassen oberhalb des Meeres- niveaus nicht auf dieses kondensiert, sondern weggenommen. Be- zeichnen wir die vertikale Komponente der Anziehung der wegge- dachten Massen auf den Stationspunkt P mit Ag,, so ist offenbar
g-4A,=9
derjenige Schwerewert, den man im Punkte P in freier Luft be- obachtet hätte. Verschieben wir nun den Punkt P senkrecht bis in den Punkt Q dicht über dem Meeresniveau, so nimmt die Schwere um die normale Aenderung Ag in freier Luft zu; es stellt somit
g — Ag, +Ag=g9,
denjenigen Schwerewert dar, den man im Punkte Q auf dem freige-
198 Th. Niethammer.
legten Meeresniveau beobachtet hätte. Die nach Bouguer reduzierte Schwere g, unterscheidet sich von der nach Faye reduzierten g, darin, dass sie von der Anziehung Ag, der lokalen, die Station um- gebenden Gebirgsmassen befreit ist. Wenn für die Gebirgsmass>n die Annahme zutrifft, dass sie wie die Flachlandmassen aus der Erd- rinde stammen und durch einen Massendefekt unterhalb kompensiert sind, so müssen die Bouguer'schen Werte 9,’ durchweg kleiner sein als die Faye’schen Werte g, oder die ihnen entsprechenden Normal- werte y,; in den Werten g,"—, tritt uns also nicht mehr div totale Schwerestörung entgegen, sondern nur die Störung infolge eines Massendefektes (oder Massenüberschusses) unterhalb des Meeres- niveaus. Für die oben angeführten Stationen sind nachstehend die Anziehungsbeträge Ag,?) der lokalen Gebirgsmassen und die hieraus resultierenden Schwereanomalien 9, —y, angegeben:
Station Ag; an Es = St. Gotthardt +0,230 cm/sec? +0,103 em/sec? —0,127 cm/sec? Busıo rer O0 24 + 0,013 — 0,111 Bignasco . . . 0,009 — 0,083 — 0,092 Maceiatire nt 2200 — 0,027 — 0,058 Tocarnos 20,72. 010 — 0,004 — 0,014
Die Werte g,’—y, sind nun sämtlich negativ und decken somit
einen Massendefekt unterhalb des Meeresniveaus auf; der Verlauf der Zahlen zeigt, dass er in systematischer Weise von Norden nach Süden abnimmt.
Auf der Kartenbeilage sind die Schwereanomalien 9, —y, sämt- licher bis zum Jahre 1911 in der Schweiz beobachteten Stationen ein- getragen10) (in Einheiten der 3. Dezimalstelle von g in em/sec?). Um einen Ueberblick des ganzen Zahlenmateriales zu gewinnen, sind mittels der einzelnen Stationsresultate Linien gleicher Schwereano- malie konstruiert. Diese Kurven, kurz Isogammen genannt, folgen an einigen Stellen, besonders solchen schwacher Aenderung, nicht ge- nau den eingeschriebenen Zahlen, sondern sind so gelegt, dass eine Ausgleichung zwischen den Resultaten benachbarter Stationen statt-
9) Ueber die Berechnung von Ag, vergl. z. B. Helmert, Die math. und physikalischen Theorien der höhern Geodäsie, 2. Bd. Seite 103 ff. und Astro- nomisch-Geodätische Arbeiten in der Schweiz, Bd. 12, Seite 282 ff. und Bd. 15, Seite 180 ff.
10) Auf der Karte sind in Klammern auch die Resultate der Messungen des unter der Leitung von Geh. Hofrat Prof. Dr. M. Haid stehenden Geodä- tischen Institutes der technischen Hochschule zu Karlsruhe, sowie die Resultate der Beobachtungen von Prof. C. Aimonetti in Turin angegeben.
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission. 199
findet oder dass tief gelegene oder genauer beobachtete Stationen ein grösseres Gewicht erhalten. Dieses Vorgehen ist darin begründet, dass die Genauigkeit der Werte g,'—-y, wesentlich geringer ist als die der beobachteten Werte g; während diese durchschnittlich auf + 0,001 bis + 0,002 em/sec? genau sind, können jene wegen der der Berechnung von Ag, anhaftenden Ungenauigkeit bis zu + 0,005 und mehr em/sec?, je nach der Höhenlage der Station, unsicher sein.
Aus der Karte ist zunächst zu ersehen, dass im ganzen bisher untersuchten Gebiet der Schweiz die Schwereanomalie g, -y, negativ ist, dass somit durchweg ein Massendefekt unterhalb des Meeres- niveaus besteht. Ein Maximum des Defektes, entsprechend —130 bis — 140 Einheiten in g,"—Y,, befindet sich südlich des mittleren Rhone- tales zwischen Martigny und Brig; es erscheint an zwei Stellen etwas verstärkt, nämlich südlich von Martigny in der Gegend der Depression des Grd. St-Bernard, und südlich von Visp in der Gegend des untern Vispertales. Die erste Verstärkung des Defektes liegt zwischen dem Montblancmassiv und dem Hauptkamm der Walliseralpen, die zweite zwischen der Haupterhebung der Walliseralpen um Zermatt und dem Hauptmassiv der Berneralpen (Jungfrau-Finsteraarhorn). Die Lage der beiden Verstärkungen des Maximums weist eine gewisse Aehnlich- keit auf mit der Lage des Maximums überhaupt; wie dieses zwischen den beiden Hauptketten der Berner- und Walliseralpen liegt, liegen jene zwischen den grössten Massenerhebungen dieser Gebirgsketten. Im obern Rhonetal ist das Maximum des Defektes etwas abge- schwächt; es erreicht kaum oder übersteigt nur wenig —130 Einheiten, und scheint dann nördlich des Gotthardmassivs wieder etwas zuzu- nehmen.
Nördlich und südlich dieser Maximallinie treffen wir eine mehr oder weniger rasche Abnahme des Defektes; er sinkt im Wallıs mit der Annäherung an den Grenzkamm auf —110 bis —100 Einheiten. Sehr regelmässig erfolgt die Abnahme des Defektes im allgemeinen gegen Norden und Nordwesten. Wenn auch noch nicht viele Stationen im schweizerischen Mittelland vorliegen, so lassen die bestehenden doch erkennen, dass in der Südwestschweiz und Nordostschweiz ganz ähnliche Verhältnisse vorliegen; die Abnahme des Defektes beträgt gegen Nordwesten zu durchschnittlich etwa 10 Einheiten pro 10 km, und die Richtung der Isogammen bleibt im ganzen Mittelland der Hauptstreichrichtung der Alpen parallel.
Der regelmässige Verlauf der Kurven scheint durch die Massen des Juras nicht gestört zu werden. Eine Störung z. B. von der Art, dass sich eine langsamere Abnahme des Defektes bemerken lässt, müsste vorhanden sein in dem Falle, dass die Juramassen durch einen
200 Th. Niethammer.
besondern Defekt kompensiert wären. Wir schliessen daraus, dass die Juramassen nicht kompensiert sind.
Oestlich des Genfersees, nordwestlich von Sitten, bemerken wir eine sehr rasche Abnahme des Defektes; sie beträgt ca. 20 Einheiten auf 10 km; diese raschere Abnahme wird durch ein Gebiet relativen Stillstandes in der Gruyere zwischen Montbovon und Bulle wieder ausgeglichen.
Besonderes Interesse verdienen die Beobachtungen im Tessin ; sie erweisen eine so rasche Abnahme des Defektes gegen den Lago maggiore hin, dass schon südlich von Locarno positive Werte von do —Y, zu erwarten sind. Thatsächlich ergeben auch die Stationen Aimonetti’s im Piemont ein Gebiet mit Massenüberschuss.
Die Tatsache, dass den Gebirgsmassen ein bedeutender Massen- defekt unterhalb des Meeresniveaus entspricht, ist nicht nur für das ganze Alpengebiet, sondern auch für aussereuropäische Faltengebirge nachgewiesen worden; man hat es demnach mit einer allgemeinen, mit dem Aufbau der Erdrinde in Zusammenhang stehenden Erschei- nung zu tun; sie hat zur Aufstellung einer Hypothese Anlass ge- geben, die uns über die Art der Massenverteilung in den äussersten Erdschichten eine präzisere Vorstellung zu bilden gestattet. Es sagt diese von Pratt aufgestellte Hypothese aus, dass vertikale Prismen von gleichem Querschnitt, die von der Erdoberfläche bis zu einer be- stimmten Niveaufläche im Erdinnern gehen, gleichviel Masse ent- halten, gleichgültig ob das Prisma 1. im Innern eines Gebirgsmassivs oder 2. im Flachlande eines Kontinentes oder 3. im Meere herausge- schnitten gedacht wird. Die durchschnittliche Dichte der Massen, die innerhalb des ersten Prismas enthalten sind, muss hiernach kleiner sein als die durehschnittliche Dichte der Massen im zweiten, und diese wieder kleiner als diejenige der Massen im dritten Prisma. Unter dem Gesichtspunkte einer mechanischen Auffassung des Baues der Erdrinde lässt sich der Inhalt der Hypothese auch folgendermassen formulieren: Der Druck der Massen in verschiedenen, vertikal stehen- den Prismen von gleichem Querschnitt auf die in einer gemeinsamen Niveaufläche liegende Basis ist gleich gross. Man nennt diese ge- meinsame Niveaufläche die Ausgleichsfläche; sie liegt, wie aus zwei von einander unabhängigen Arten der Berechnung hervorgeht, in rund 120 km Tiefe unter dem Meeresniveau.
An Hand der Pratt’schen Hypothese können wir uns nun eine bestimmtere Vorstellung über die Verteilung des Massendefektes unterhalb des Alpengebietes machen. Insofern die für andere Erd- gebiete berechnete Tiefe der Ausgleichsfläche auch hier gilt, müssen wir annehmen, dass die Gebirgsmassen durch eine bis zu 120 km Tiefe
Schwerebestimmungen der Schweiz. Geodätischen Kommission. 201
reichende Auflockerung der Erdrinde kompensiert seien. Die Frage, ob durch den wirklich vorhandenen Massendefekt die oberirdischen Gebirgsmassen vollständig kompensiert seien oder ob trotz einem kleinen Massendefekt, wie z. B. in der Gegend des Lago maggiore, nicht tatsächlich schon ein Massenüberschuss anzunehmen sei, bleibt vorläufig offen; sie wird sich überhaupt nur unter gewissen, ver- einfachenden Annahmen über die Massenverteilung in der Erdkruste auf Grund besonderer Rechnungen entscheiden lassen. Dagegen ent- scheiden die vorliegenden Resultate einen andern Punkt, der in der Fassung der Pratt'schen Hypothese absichtlich unbestimmt gelassen wurde, vorläufig wenigstens in grundsätzlichem Sinne. Die Pratt’sche Hypothese sagt nichts darüber aus, wie gross der Querschnitt der zu vergleichenden Prismen sei oder innerhalb welcher Flächeneinheiten die Ausgleichung des Druckes stattfinde. Der Verlauf der Isogammen auf der Kartenbeilage zeigt, dass Gebirgsketten von der Ausdehnung der Berner- und Walliseralpen nicht für sich durch einen besondern Massendefekt, sondern dass beide zusammen durch einen in ihrer Mitte liegenden Massendefekt kompensiert sind. Als Flächeneinheit, inner- halb deren Druckausgleich stattfindet, haben wir hiernach wenig- stens eine Kreisfläche von 100km Durchmesser anzunehmen. Nehmen wir als Flächeninhalt der Druckausgleichung eine Kreisfläche von 150 km Durchmesser an, was ungefähr der Distanz von Bern bis zum Lago maggiore (Nord- bis Südfuss der Alpen) entspricht, so wird der diese Fläche umschliessende, vertikale Zylinder die grösste durch- schnittliche Massenerhebung enthalten, wenn er symmetrisch vom Nordfuss der Berneralpen bis zum Südfuss der Walliseralpen reicht. Verschieben wir den Zylinder nach Nordwesten oder Südosten, so tritt ein Teil der Gebirgsmassen aus und statt dessen ein Teil des Flachlandes (des schweizerischen Mittellandes oder der Poebene) ein; in beiden Fällen wird die durchschnittliche Massenerhebung inner- halb des Zylinders kleiner sein. Wenn wir annehmen, dass der Druck der Massen auf die Grundfläche des Zylinders bestimmt werde durch die durchschnittliche Massenerhebung innerhalb des von ihm ausge- schnittenen Umkreises, so erhalten wir offenbar eine Druckverteilung der oberirdischen Gebirgsmassen auf die Ausgleichsfläche, die wenig- stens zum grossen Teil durch den konstatierten Massendefekt kom- pensiert wird; die Lage des Maximums des Defektes entspricht genau derjenigen Stellung der Achse des Zylinders, wo dieser die grösste durchschnittliche Massenerhebung umfasst.i1)
1) Helmert schätzt als Flächeneinheit des Druckausgleichs (300 km), s. Encyklopädie der math. Wissenschaften, Band VI, 1. Heft 2, Seite 154. Dagegen glauben Hayford und Bowie (vergl. The effect of topography and isostatie com-
pensation upon the intensity of gravity, 1912. Seite 97 ff.) nachgewiesen zu haben, dass der Druckausgleich schon innerhalb 20 km Umkreis stattfinde.
202 Th. Niethammer.
Solange die Bouguer’sche Reduktion negative Werte von 9, —y,
liefert für Stationen im Innern eines Kontinentes, werden die ober- irdischen Massen immer teilweise kompensiert sein durch einen Massendefekt unterhalb. Ist hingegen g,'—y, null oder positiv, so
wird dadurch in jedem Falle ein Massenüberschuss angezeigt, d.h. ein Störungsgebiet, das nicht isostatisches Gleichgewicht im Sinne der Pratt’schen Hypothese aufweist. Wir erkennen auf unserer Karten- beilage solche Gebiete in der Rheingegend nördlich von Basel und in der Umgebung des Lago maggiore. In Störungsgebieten wird man am ehesten Zusammenhänge mit geologischen Vorgängen Jüngeren Datums vermuten. Der Massenüberschuss nördlich von Basel steht vermutlich in Zusammenhang mit dem Senkungsgebiet des Rhein- tales und des südlichen Schwarzwaldes; im Piemont verläuft die Iso- gamme 0 parallel der geologisch wichtigen Zone von Ivrea.
Eingegangen 20. September 1912.
Ueber Mousteriolithen. (Mit 3 Tafeln.)
Von
Paul Sarasin.
Die prähistorische Stufe des Mousterien, welche im Paläo- lithıkum oder der älteren Steinzeit zwischen das frühere Acheuleen und das spätere Aurignacien sich einschiebt, ist eine der am besten charakterisierten Feuersteinbearbeitungen oder Lithoglyphien, wie ich diese sogenannten „Industrien“ zu bezeichnen vorschlug, um einen international wissenschaftlichen Ausdruck dafür zu haben.!) Das eigentliche Charakteristikum dieser: Mousterienlithoglyphie ist die bar- barische Roheit der Feuersteingeräte, welche wesentlich von Knauern heruntergeschlagene schuppenartige Späne darstellen, von denen die zu bequemerem Anfassen mit der Hand sich eignenden noch nach- träglich an der schneidenden Kante einseitig retuschiert oder gekürzt wurden, wodurch zwar ihre messerartige Schneide gestumpft, dagegen für derberen und wiederholten Gebrauch gestärkt wurde. Da man in Kulturschichten des Mousterien nur einen verhältnismässig ge- ringen Prozentsatz von Feuersteinscherben mit dieser einseitigen Randretuschierung versehen findet, so ıst anzunehmen, dass weitaus die meisten Abschlagspäne als unbrauchbar verworfen wurden, falls sie nicht ohne weitere Zurichtung und vorübergehend als Schneidewerk- zeuge zur Verwendung kamen.
Wenn wir eine grössere Reihe von Mousteriensteinen überblicken, welche durch Retuschierung speziell zugerichtet sind, so werden wir bald erkennen, dass ihre Formen, so roh sie im allgemeinen sind, sich doch nach bestimmten Typen sortieren lassen, von denen man wenig- stens zwei, nämlich die sogenannte Moustierspitze und den soge- nannten Moustierschaber schon frühe unterschieden hat. Die Spitze (Fig. 2) stellt einen Feuersteinspan oder, wie ich es nannte,?) Glypto- _ lithen von lanzenspitzenartiger Form dar, an welchem die eine meist dickere Känte in der Regel unberührt gelassen, die andere geschärfte
1) P. und F. S., Die Steinzeit auf Ceylon, Wiesbaden 1908, S. 23. 2) Verh. Naturf. Ges. Basel, 20, 1909, S. 451.
204 Paul Sarasin.
=
Kante aber durch einseitige Retuschierung gekürzt und gestärkt wurde; manche, wie gerade die Fig. 2 abgebildete, sind ringsum retu- schiert. Da viele dieser Spitzen roh gestumpft sind, ist es unwahr- scheinlich, dass sie geschäftet gewesen und als Lanzenspitzen ver- wendet worden sind; vielmehr wurden sie offenbar unmittelbar in die Hand genommen, vielleicht noch mit Anbringung eines Harz- ballens an der Greifseite, und so als Werkzeug gebraucht.
Die zweite allgemein unterschiedene Form des Mousterienglypto- lithen, nämlich der sogenannte Moustierschaber variiert in seinen Um- rissen ziemlich stark; es kann derselbe viereckig bis oval sein, meist ist die eine Kante verdickt und unretuschiert gelassen, wonach sie wahrscheinlich zur Handhabe diente, während der übrige Umriss der Feuersteinscherbe die einseitige Retuschierung zeigt. Was bisher aber meines Wissens noch nicht beachtet wurde, ist der Umstand, dass beim typisch ausgebildeten Moustierschaber sich entweder an einer oder an zweien oder an drei Ecken ein flügelartiger Sporn angebracht findet (Fig.3 und 4), was dazu geführt hat, diese Glyptolithen als Eolithen zu bezeichnen; aber das regelmässige Vorkommen dieses Spornes weist auf Absicht hin zur . Erreichung eines bestimmten Zweckes. Ich nenne diese typischen Mousterienschaber „geflügelte Schaber‘‘?) und stelle mir vor, dass dieser Sporn oder Flügel der Spitze des vorigen Typus entspricht und dass er beim Abschälen von Baumrinde zum Gewinn des nahrhaften Cambiums oder zum Ablösen des Fleisches von den Knochen nützlich gewesen sein mag.
Ausser diesen beiden Glyptolithen der Spitze und des geflügelten Schabers sind aber noch andere Formen für das Mousterien typisch, so die ovalen oder elliptischen Glyptolithen, bei denen die eine Längs- kante unretuschiert wohl als Handanlage gedient hat, während die andere Längskante eine retuschierte Schneide darstellt (Fig. 1). So- dann kommen. noch gerundete Schaber vor, die Vorläufer der auch noch in Neolithikum auftretenden Rundschaber, und weiter in Menge die grob linsenförmig geformten Disken oder Wurfscheiben, die, in mäch- tiger Form im Chelléen beginnend, durch alle Kulturhorizonte hin- durch bis ins Neolithikum sich ohne Unterbrechung verfolgen lassen, aber an Grösse kontinuierlich abnehmend, von Tassentellergrösse im Chelléen bis zur Kleinheit eines Frankenstückes im Neolithikum, mit gelegentlichen Grössenschwankungen, wie sich von selbst versteht.{)
3) Schon früher von mir so bezeichnet, siehe P. S., einige Bemerkungen zur Eolithologie. Jahrb. der geogr.-ethnogr. Ges. Zürich 1908/1909, sep. S. 12.
4) Vergleiche die Bemerkung darüber in meiner Abhandlung: Die ägyptische Präbistorie und das Dreiperiodensystem, Verh. Naturf, Ges. Basel, 21, 1910, S. 255. Auch P. und F. S., die Steinzeit auf Ceylon, 1908, S. 40.
Ueber Mousteriolithen, 205
Daneben finden sich in Menge unretuschiert gelassene Lamellen, die gewiss als Messer gedient haben, wie in den späteren, aber auch in den früheren Lithoglyphien. Dass fein schneidende Messer ver- wendet worden sind, beweisen jene für das Moustérien typischen Röhrenknochenfragmente, welche kreuz und quer mit den allerfeinsten Schnitten überdeckt sind und welche demnach gewiss als Schneide- brettehen zum Zerschneiden von Fleisch oder Sehne oder anderer tierischer Körperteile gedient haben. Die Feinheit dieser Einschnitte lässt nicht die Möglichkeit zu, dass sie mit den retuschierten Spitzen oder Schabern geritzt worden sind, vielmehr können sie nur die Spuren ganz scharfer, unretuschiert gelassener Messerschneiden sein.
Die erwähnten retuschierten Steinwerkzeuge, die Spitzen, ge- flügelten Schaber und elliptischen Handsteine sind nun Leitarte- fakteS) des Moustérien, und da ich ferner gefunden hatte, dass ihre Existenz mit dem Moustérien nicht erlischt, dass sie vielmehr auch von den späteren Lithoglyphien im Gebrauch festgehalten werden, so noch nahezu ganz typisch im Neolithikum, so habe ich vorgeschlagen, diese primitiven, aus freier Hand gebrauchten Steinwerkzeuge Mousteriolithen®) zu nennen, und ich werde sie hinfort mit diesem Namen bezeichnen, da sie in der Neolithik ja nicht mehr Leitartefakte sind, wo andere Dinge, vor allem das polierte Steinbeil sie in dieser Eigenschaft ablösen, sondern sich allein durch ihre Form kennzeichnen, welche auf eine bestimmte Art der Verwendung schliessen lässt. Bevor ich aber zur Demonstration der neolithischen Mousteriolithen über- gehe, möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine ächt mousteriolithische Lithoglyphie der Gegenwart, oder beinahe doch der Gegenwart, hin- lenken, nämlich die Lithoglyphie der Tasmanier, deren letztes über- lebendes Stammesmitglied, die Frau Trunganina, im Jahre 1877 ver- storben ist, womit dieser wissenschaftlich unschätzbare Menschen- stamm von der Erde unwiderbringlich verschwand.
Die Lithoglyphie der Tasmanier hat bisher verschiedene Deu- tungen erfahren ; den ersten Schritt zu ihrer richtigen Auffassung tat Tylor, welcher durch die schaberartigen Glyptolithen daselbst an die des Mousterien erinnert wurde;”) aber den von ihm gegehenen guten Ansatz in der Deutung der tasmanischen Lithoglyphie trübte die mit Eifer von neuem aufgenommene Lehre der Eolithologie, welche sich auch der tasmanischen Steinwerkzeuge bemächtigte und sie in den
5) Ueber diesen Ausdruck siehe: P. S., Zur Einführung in das prähisto- rische Kabinett im Basler Museum, Basel 1906, S. 34.
6) P. S., Bericht über die Sammlung für Völkerkunde 1910 in Verh. Na- turf. Ges., Basel, 22, 1911, S. 174.
7) E. B. Tylor, On the Tasmanians as representatives of palaeolithie man, Journ. Anthropol. Inst., 23, 1894, S. 147;-ibidem, 24, 1895, S. 336.
206 Paul Sarasin.
Bereich ihrer Auffassung einbezog, ja mit grossem Nachdruck wurde die tasmanische Lithoglyphie als eine ächt eolithische bezeichnet.
Nach Einsicht einer Sammlung tasmanischer Glyptolithen, welche mir durch Tausch zugekommen war, sah ich mich schon frühe genötigt, dieser Auffassung mich entgegenzustellen, und ich bezeich- nete schon 1907 8) die tasmanische Lithoglyphie als typisches Mou- sterien mit ebenso grosser Entschiedenheit, als ich es jetzt tue; denn ich erkenne in Tasmanien die eigentlichen Leitartefakte des Mousterien wieder, nämlich die Spitze, den geflügelten Schaber und den ellip- tischen Mousteriolithen neben anderen weniger charakteristischen Formen. Zum Belege weise ich auf die Figuren hin, von denen die ersten, Fig. 1—4, typische Mousteriolithen des europäischen Mou- sterien wiedergeben, Fig. 5—8 solche des tasmanischen Moustérien, welche jenen genau entsprechen in Bestätigung des folgenden Satzes von Tylor:?) „I have selected from among the flint implements and flakes from the cave of Le Moustier in Dordogne, specimens corres- ponding in make with such curious exactness to those of the Tasmanian natives, that were it not for the different stone they are chipped from, it would be hardly possible to distinguish those of the recent savages from those of the European cave-men."
Damit ist der Nachweis geführt, dass die Lithoglyphie der un- längst ausgerotteten Tasmanier typisches Mousterien gewesen ist,10) eine Feststellung von höchstem Interesse im Hinblick auf die Tatsache, dass, während im Westen der Alten Welt, in Europa, sich als Ver- treter des Mousterien eine anthropologisch niedrigere Hominidenart, nämlich Homo primigenius, ausgewiesen hat, im Osten, in Tasmanien, noch eine Varietät des Homo sapiens als solcher auftritt; denn die er- halten gebliebenen Schädel sowie Abbildungen nach Lebenden er- lauben nur die Auffassung, dass die tasmanischen Ureingeborenen dieser höheren Spezies angehört haben, sie gestatten nicht eine Ein- veihung in den niedrigeren Primigeniustypus.
Welcher der beiden Arten nun die Erfindung der Mousterien- lithoglyphie zukommt, ist damit nicht entschieden; man möchte ja von vornherein eine neue Erfindung der cerebral höher entwickelten Form zuschreiben ; aber es ist auch möglich, dass die letztere zur Zeit, als sie nach Tasmanien hinübertrat, den Schritt zu einer über das
8) Bericht der prähistorischen Sammlung für 1907, Verh. Naturf. Ges. Basel 19, 1908, S. 74 u. 184. Ferner P. und F. S., die Steinzeit auf Ceylon, 1908, S. 48.
9) E. B. Tylor, On the occurrence of ground-stone implements of Australian Type in Tasmania, Journal Anthropol. Inst., 24, 1895, S. 356.
10) Neuerdings ist M. Exsteens zu demselben Resultate gelangt, siehe Bull. de la Soc. d’Anthrop. de Bruxelles, 30, 1911, Referat in l’Anthropologie, 23, 1912, S. 458.
Ueber Mousteriolithen, 207
Moustérien hinausgehenden Lithoglyphie noch nicht getan hatte, sie verblieb im Moustérien, bis später ein neolithischer Einschlag von Australien her sich fühlbar zu machen begann. '')
Homo primigenius ist in Europa der Vertreter und damit auch wohl der Erfinder der mousteriolithischen Ergologie, um mit diesem letzteren Wort die Gesamtheit der intellektuellen Betätigungen irgend eines Lebewesens, damit also auch irgend einer Menschenart zu be- zeichnen; !?) denn Ergologie ist, wie ich den Begriff jetzt fassen möchte, die Lehre von den intellektuellen Kundgebungen der Lebewesen.
Diese mousteriolithische Ergologie hat der irgendwo neu ent- standene höhere Homo sapiens vorgefunden und, was die Lithoglyphie speziell betrifft, sie zunächst unverändert übernommen. Er erfand dann irgendwo und irgendwann die nächst höhere ergologische Stufe. Löste sich aber in der Zeit vor dieser Erfindung ein Teil seines Stammes aus der ergologischen Entwicklungsfolge los, indem eine solche Horde, vielleicht durch ein geologisches Ereignis, vom kon- tinentalen Zusammenhange abgetrennt wurde, so konnte es geschehen, dass dieselbe, wie in Tasmanien, der alten Lithoglyphie, ja Ergologie überhaupt getreu blieb und so im Gegensatz zu anderwärts ein Glied der Spezies Homo sapiens als Vertreter des Mousterien darstellte.
Es sind mehrere Nachrichten in der Literatur vorhanden über die Art und Weise, wie die Tasmanier ihre Mousteriolithen gehand- habt hatten; ) es liegen bestimmte Angaben von Ansiedlern vor, wo- nach die Urbewohner jener Insel ihre Steinwerkzeuge unmittelbar mit der Hand erfasst hätten, ohne Vermittlung eines Holzstiels sie ge- brauchend, in der Tat als eine Art Universalinstrument, vom Kerben- schlagen in Baumstämme bis zum Abschneiden des Haares, aber die Angabe, sie hätten Steinbeile an Stiele befestigt, ist ebenfalls gemacht worden, es haben sich mancherlei Widersprüche ergeben, die nicht mehr zu beseitigen sind; damals, als das tasmanische Urvolk erlosch, waren die Probleme der Prähistorie noch nicht so weit abgeklärt, dass eine wissenschaftliche Untersuchung hätte angestellt werden können, und es muss darum auf dieses Beispiel der Ausrottung eines Menschenstammes von so unschätzbarem wissenschaftlichen Interesse als auf eine der traurigsten Taten des europäischen Menschen hinge- wiesen werden; unter den Augen der wissenschaftlich weit geför- derten europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts wurde der auch ethisch hochstehende Stamm des tasmanischen Moustörienmenschen
1) Ueber den letztern Umstand siehe E. B. Tylor, 1. €. Journ. Anthrop. Inst. 24, 1895, S. 237 ff.
12) Vergl. P. und F. S., die Weddas von Ceylon. Wiesbaden, 1892/93, pag. 575.
13) Siehe die erwähnten Abhandlungen von Tylor, ferner H. Ling Roth, The aborigines of Tasınania, 1899.
208 Paul Sarasin.
vom Erdboden hinweggefegt. Die Ausrottung der Tasmanier ist für die wissenschaftliche Anthropologie der grösste Verlust, den sie je erlitten hat, eine blutende Wunde, die nie heilen wird. Mögen noch andere, zwar nicht gleichwertige, wohl aber auch höchst erhaltenswerte menschliche Urvarietäten wie die Australier und die allenthalben in tropisch Asien und Afrika noch zerstreuten 'Kleinstämme vor der Vernichtung durch die europäische Flintenkugel oder vor Unter- jochung und Hinsterben unter europäischem Kulturzwang bewahrt bleiben.
Es ist schon, nicht ohne starke Betonung, der Satz ausgesprochen worden, das französische System der prähistorischen Steinzeit sei ohne Wert,'*) denn Steinwerkzeuge, welche für ältere Lithoglyphien charak- teristisch sind, kehrten auch in jüngeren wieder : nichts ist gewisser als die letztere Tatsache, aber auch nichts unrichtiger als der auf Wert- losigkeit des französischen Systemes daraus gezogene Schluss. Für den Satz, dass ältere Glyptolithen in jüngeren Kulturschichten sich erhalten finden, kann ıch als meines Wissens neue Tatsache die fol- sende anführen:
Als ich eine grosse Menge neolithischer Steinwerkzeuge von den Pfahlbauten des Bielersees durchmusterte, fiel mir der Umstand auf, dass zahlreiche unter ihnen völlig den Charakter von Mousteriolithen hatten, rohe Silexschuppen, an denen nur die eine Kante einseitige Retuschierung zeigte, und die sich ihrer Form nach ganz wie die ächten Mousterienglyptolithen in ovale, schaber- und spitzenartige sortieren liessen; ein Unterschied war nur darin festzustellen, dass typische Spitzen und Schaber von der geflügelten Art vereinzelt vor- kommen, die meisten der schaberartigen Mousteriolithen des Neolithi- kums haben ovale Form ohne Flügel oder Sporn. In Figur 9 ist ein grosser elliptischer Mousteriolith mit seitlicher Handanlage abgebildet zum Vergleich mit den Glyptolithen derselben Art von einer Mou- stérienstation Figur 1 und den tasmanischen der Figur 5. Die Figuren 7 und 8 stellen geflügelte schaberartige Mousteriolithen aus dem Bielersee dar zum Vergleich mit den entsprechenden aus Tasmanien und aus französischen Moustérienstationen, in Figur 10 sehen wir eine typische Mousteriolithenspitze, welche in einem neolithischen Pfahl- bau des Wauwilermooses aufgefunden wurde. Es besteht für mich kein Zweifel, dass diese neolithischen Mousteriolithen ebenso unmittel- bar mit der Hand gegriffen und zu ähnlichen Zwecken gebraucht worden sind, wie die des Moustérien, sie stellen paläolithische Relikte dar in der neolithischen Ergologie; aber ihre Anwesenheit entwertet nıcht den Begriff des Neolithikums, welche Kulturstufe durch zahl-
14) Siehe darüber: P. und F. S., die Steinzeit auf Ceylon, 1908, S. 46—49.
Ueber Mousteriolithen. 209
reiche andere Leitartefakte aufs beste charakterisiert erscheint, sie bereichert ihn nur; die offenbar zu gewissen Zwecken praktische Er- findung der Mousteriolithen wurde noch im Neolithikum beibehalten.
Der Umstand, dass im europäischen Neolithikum Mousteriolithen vorkommen, lässt aber nicht etwa die Vorstellung gerechtfertigt er- scheinen, dass die Lithoglyphie von Tasmanien keine andere als eine neolithische sei mit Beimischung von Mousteriolithen, vielmehr er- scheint dieselbe recht eigentlich als Moustérien charakterisiert mit spärlichem und späterem neolithischen Einschlag, während das euro- päische Neolithikum sich mit seinen Mousteriolithen einen paläo- lithischen Einschlag bewahrt hat.
Tafelerklärung.
N.B. Die Abbildungen der Schaber Figuren 3, 4, 7,8, 11 und 12 mussten nach- träglich wegen Raummangels auf der Tafel umgedreht werden, was nun wegen der falschen Belichtung sich fremdartig ausnimmt. Die jetzt nach links ge- richteten retuschierten Kanten waren ursprünglich nach unten gerichtet gedacht, weshalb bei genauerer Vergleichung die Tafeln in diesem Sinne zu wenden sind.
Tafel I.
Mousteriolithen aus dem europäischen Mousterien.
Figur 1: Elliptischer Mousteriolith aus der Höhle La Quina, Figur 2: Spitze aus dem Abri Audit bei Les Eyzies.
Figur 3: Geflügelter Schaber von Le Moustier.
Figur 4: Geflügelter und gedornter Schaber von La Quina.
Tafel II. Mousteriolithen aus dem tasmanischen Mousterien.
Figur 5: Elliptischer Mousteriolith.
Figur 6: Spitze. Figur 7: Geflügelter Schaber. Figur 8: Geflügelter und gedornter Schaber.
Tafel III. Mousteriolithen aus dem europäischen Neolithikum.
Figur 9: Elliptischer Mousteriolith aus dem Bielersee. Figur 10: Spitze aus dem Wauwilermoos.
Figur 11: Geflügelter Schaber aus dem Bielersee. Figur 12: Geflügelter Schaber aus dem Bielersee.
Eingegangen 27. September 1912.
14
Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb.
Von H. Froehlich.
In ihrer Arbeit ‚A theory of the origin of Monocotyledons, founded on the structure of their seedlings‘1) weist Æ. Sargant hin auf die Möglichkeit, den einen Cotyledo der Monocotylen als Produkt der Verschmelzung zweier Keimblätter aufzufassen. Ihre Unter- suchungen beziehen sich im wesentlichen auf den Bau und Verlauf der Gefässbündel zahlreicher Monocotylen und einiger Dicotylen. Unter diesen letzteren hat vor allem der Eranthiskeimling eine genauere Schilderung gefunden, die sich aber, wie gesagt, in der Hauptsache auf den Bündelverlauf erstreckt und vor allem die Entwicklung unbe- rücksichtigt lässt, welche der Keimung vorausgeht. Auch Sterckx?), auf den Sargant bezüglich morphologischer Angaben hinweist, be- schreibt von Eranthis hiemalis nur den frischgefallenen Samen und den fertigen Keimling sowie die weitern Entwicklungsstadien bis zum Austreiben blühender und fruchttragender Sprosse. Die eigent- liche Entwicklungsgeschichte des Keimlings aber bleibt auch bei Sterckx unberücksichtigt. Ausserdem liefert er Abbildungen des fer- tigen Keimlings, durch welche, namentlich in Verbindung mit den etwas einseitigen Angaben Sargants, der Eranthis- Embryo den monocotylen Keimpflanzen entschieden zu stark angenähert werden könnte.
Nun hat allerdings B. Schmid (noch vor der Publikation seiner Arbeit in der Bot. Zeitung ist der Autor gestorben) die Entwicklung des Eranthis-Embryos zwischen dem Samenfall und der Keimung beschrieben.?) Seine Darstellung lässt uns jedoch über die Ent- stehung des Vegetationspunktes und über den morphologischen Wert der Teile des Embryos nicht völlig klar werden.
Bei der grossen Bedeutung, welche dem Auftreten pseudomono- cotyler Formen für die Phylogenie der Monocotylen meines Erachtens
1) Ann. of Bot. vol. XVII. 1903. S. 1—92.
2) Sterckæ, R. Recherches anatomiques sur l’embryon et les plantules dans la famille des Renonculacées. Mém. de la Soc. Royale des Sciences de Liège. IIIe série. T. II. 1900.
3) B. Schmid. Beiträge zur Embryoentwicklung einiger Dicotylen. Botan. Ztg. LX. 1902. S. 207 ff.
Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb. 211
zukommt, schien es mir wünschenswert, die Entwicklungsgeschichte des Eranthiskeimlings genauer zu verfolgen. Die Resultate dieser Untersuchungen sind in vorliegender Arbeit niedergelegt.
Eranthis entwickelt in jedem seiner Carpelle eine Anzahl eiför- miger Samen, welche sich oft in zwei parallelen Ebenen gegenseitig: abplatten. Ihre Länge beträgt 2-3 mm. Beim Abschluss der nor- malen Vegetationsperiode, ca. Mitte Mai, neigen sich die frucht- tragenden Sprosse, von denen alle Blütenteile bis auf die Carpelle längst abgefallen sind, zu Boden und schütten so die Samen in ihrer nächsten Umgebung aus. Irgendwelche Einrichtung für Verbreitung durch Wind oder durch Tiere besitzt der Same nicht. So dürfte sich auch zum Teil das Vorkommen von Eranthis hiemalis in scharf um- grenzten Bezirken erklären.t)
Der scheinbar reife Same keimt nun bekannterweise (vergl. Pfeffer, Physiologie IT u.a. Aut.) erst im folgenden Frühling. Wäh- rend des Sommers hat er eine scheinbare Ruheperiode durchzumachen, welche keineswegs der autogenen oder autonomen Ruhe im engern Sinne gleichkommt, wie sie bei manchen Pflanzensamen beschrieben wird, welche mit vollentwickeltem Embryo von der Mutterpflanze sich ablösen.
Der frischgefallene Same ist sehr einfach gebaut. Er enthält innerhalb der dünnen, anfänglich gelblichen Samenschale?) ein stärke- führendes Endosperm von sehr homogenem Zellgefüge. Am Mikro- pylende, das sich äusserlich nur durch einen oft sehr undeutlichen kleinen Höcker auszeichnet, liegt auf kurzem Suspensor ein winziger schlank keulenförmiger Embryo. Es beträgt die
Länge des Suspensors: 150—200 u.
Länge des Embryos: ca. 120 u. Die Kleinheit des Embryos mag die Ursache gewesen sein für die etwas abenteuerliche Behauptung Baillons®), dass der Eranthissame überhaupt keinen Embryo enthalte.
Um nun die weitere Entwicklung dieses völlig undifferenzierten Embryos zu dem von den oben genannten Autoren (Sargant und
4) In der Nähe von Basel finden sich zwei solcher scharf umrissener Be- zirke von sehr geringer Ausdehnung: unterhalb von Tüllingen und zwischen Binzen und Fischingen, beide an Vorbergen des südwestlichen Schwarzwaldes. Die zahlreichen Vorkommen in baslerischen Gärten scheinen alle von diesen Fundorten sich herzuleiten (vorab vom ersten).
5) Eine starke Schwarzbraunfärbung erfolgt erst einige Zeit nach dem Einlegen in feuchte Erde; trocken aufbewahrte Samen behalten die gelbliche Farbe bei.
6) Baillon. Sur l'embryon et la germination des graines de l’Eranthis hiemalis. Bull. de la Soc. Linn. de Paris. 1874. S. 14.
212 H. Froehlich.
Sterckx) beschriebenen Keimling bequem verfolgen zu können, wur- den 1910 und 1911 jeweilen grosse Samenernten gesammelt in dem wohl gegen 40jährigen wundervollen Bestand eines Basler Privat- gartens.T)
Die Samen wurden zu 30—40 Stück (abgezählt) in kleine Töpfe mit feingesiebter Gartenerde eingetragen. Aus je einem Topf wurden in Zeitabständen von einer bis mehreren Wochen die Samen ausge- lesen. Der grösste Teil wurde jeweilen mit dem Rabl'schen Sublimat- Pikrin-Essigsäure-Gemisch fixiert, in Paraffin eingebettet und zu Mikrotomserien verarbeitet. Stets wurden auch Samen zu Hand-
ae Co SS me > = — EE —— EZ — —— = m — N —— à Eee Ts == a b Hole
Fig. 1. Längsschnitte durch Samen.
a vor dem Einlegen in Erde: Der Embryo ist noch schlank keulenfôrmig. b ca. 8 Tage nach dem Einlegen in Erde: Der Embryo zeigt schon die ersten Anlagen der Keimblätter.
Vergrösserung: 16fach. emb Embryo; end Endosperm.
schnitten verwendet, um orientierende Längenbestimmungen an den Embryonen vornehmen zu können.
Die Töpfe vom Sommer 1910 standen in dem am botanischen Institut angebauten kleinen Gewächshaus, diejenigen der Reihe von 1911 in dem für physiologische Versuche reservierten Zimmer des Instituts. Für regelmässiges Bewässern wurde in beiden ‚Jahren Sorge getragen.
Schon wenige Tage nach dem Einlegen der Samen in feuchte Erde zeigt sich der Embryo von einem hellen Hofe umsäumt. Aus
7) Dem Besitzer, Dr. P. L., sei für die Liebenswürdigkeit, mit welcher er mir seinen Garten für meine Eranthisstudien zu ständiger Verfügung stellte, auch an dieser Stelle bestens gedankt.
Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salish. 213
den benachbarten Endospermzellen verschwinden die Stärkekörner, nach kurzer Zeit wird auch das Zellwandsystem angegriffen und nach und nach resorbiert.
Der Embryo selbst, im frischen Samen eine relativ schlanke Keule, gewinnt rasch Kugelform, ja er verbreitert sich sogar oft zu
Fig. 2. Modelle dreier verschieden alter Embryonen (bei 22 ist die Bildebene parallel, bei 2b senkrecht zur Medianebene des Embryos). Vergrösserung: 43fach.
Die Modelle wurden nach Querschnittserien in 170 facher Vergrösserung rekonstruiert.
914 H. Froehlich.
einem oben stark abgeplatteten Zellkörper, dessen Länge hinter der Breite zurücksteht (Fig.1). Auf der Oberseite dieses Zellkörpers entstehen nun die ersten Anlagen der zwei Cotyledonen als zwei leicht spreizende Höcker. Wie das Weitere lehrt, sind es, genau ge- sprochen, nur die Anlagen der Cotyledonarlaminae. Der so ent- stehende Embryo ist dem typischen Schulbeispiel für dicotyle Em- bryoentwicklung, Capsella bursa patoris, äusserst ähnlich (vgl. die Abbildung im Lehrbuch von Strasburger).
Fig. 3. Modell eines nahezu keimungsreifen Embryos. Vergrösserung: 43fach.
Die weitere Entwicklung besteht nun darin, dass diese beiden Höcker durch äusserst lebhaftes Wachstum der zunächst liegenden Embryopartien in das Endosperm hineingeschoben werden, während sie selbst an Grösse ebenfalls zunehmen. Es entsteht so ein Keim, der wiederum äusserlich sich von gewöhnlichen dicotylen Keimen kaum unterscheidet. Der langgestreckte zylindrische Zellkörper, welcher die beiden Lappen bei seinem weitern Streckungswachstum (gelegentliche Zellteilungen finden auch im Spätsommer und Herbst
Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb. 215 noch statt) vor sich her ins Endosperm treibt, ist nun aber nicht homolog mit Radicula — Hypocotyl normaler Keime, sondern stellt die zu einer röhrenförmigen Scheide verwachsenen Stiele der Coty- ledonen dar. Die Querschnittserien (vel. Fig. 4) lehren uns, dass die beiden Keimblattanlagen nicht durch einen massiven, sondern
Fig. 4. Längs- und Querschnitte durch die beiden jüngsten der in Fig. 2 dargestellten Embryonen.
Beim jüngsten Stadium (I) ist das zentrale Lumen noch als solches zu erkennen, bei dem nächstältern Keim (II) ist es zur feinen Spalte geworden. Vergrösserung: 80fach.
Gb Gefässbündel.
durch einen hohlen Gewebezylinder getragen werden. In seinem ersten Stadium zeigt sein Innenraum kreisrunden Querschnitt. Sehr bald verschwindet dieser infolge der reichlichen Zellteilungen fast ganz. Querschnitte durch etwa 2—3 Monate alte Embryonen zeigen nur noch eine schmale Spalte oder eine kurze „Naht“ im Zentrum. Diese Naht hat Schmid (1. e.) offenbar übersehen. Er
216 H. Froehlich.
spricht nur von einem „spaltenförmigen Raum“, welcher den Vege- tationspunkt umgibt und nennt den darüberliegenden Teil eine „massive geschlossene Masse“. (Vgl. auch die schemat. Figur auf S. 209 der Schmid’schen Arbeit mit meiner Fig. 4!) Die beige- gegebenen Figuren veranschaulichen die eben geschilderten Verhält- nisse. Die Photographien der nach Querschnittserien in gleicher Ver- grösserung rekonstruierten Plastilinmodelle (Fig. 2 und 3) zeigen die grosse äussere Aehnlichkeit mit normalen Stadien dicotyler Em- bryonen. Erst aus der Betrachtung der Querschnittsbilder ergibt sich eine richtige Deutung der Teile (Fig. 4).
Die folgende Tabelle gibt einen Ueberblick über den Verlauf der geschilderten Entwicklung. Sie enthält Mittel aus je 3—5 Messungen vom Sommer 1910. Die Serie vom Sommer 1911 ergab völlig ent- sprechende Resultate.
Durchschnittliche Länge vor der Aussaat: 120 u.
Datum der Aussaat: 11. Maı 1910.
Det Alter Länge des Länge der 2 |Durchmesser
der Untersuchung i.Tagen | Ernbuyo „Cotyle- der Cotyle-
= 2 (ohne Susp.) donen‘“$) |donarscheide uni lAIUEERSE 24 445 u ca. 190 w 229 u Idee; EUREN 37 665 „ 265, 5 2385 DORE MERE 49 964 , | ROLL 360 , DÉTuhAR Ne ETS 59 1107, ? 303 , 4.7Aucuste Ser Jd2 22.1210, ca. 415 „ SL, HAOktober ie 147 7.219282 AN SUD à 23. November . . 196 1668 ., ? SALES
Die in Fig. 2 und 3 wiedergegebenen Bilder betreffen Em- bryonen von folgenden Dimensionen:
Datum der Aussaat: 11. Maı 1910.
Dati Länge COL EE Durchmesser
Nr. pics | Alter | des Embryo |,” der Cotyle-
Ber eng (ohne Susp.) Son EEE) donarscheide 1% 4 Juno 24 288 u 94 u 182 u 2. re Ko 37 653, "2253 5 2720305 3. ea EN 49 1088 „ 471 „ 259, 4. 11. Februar 1911 . ! 276 1815 , TAN. 305 „
5) Als »Cotyledonen« sind hier die Laminae bezeichnet.
Zur Entwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb. 217
Das Wachstum ist zunächst, solange es sich um die Differenzie- rung neuer Teile, wie Laminae der Keimblätter und Keimblattscheide, handelt, vorwiegend Teilungswachstum. In den ersten Anlagen der Cotyledonen und späterhin in der noch kurzen Cotyledonarscheide lassen sich in jedem Schnitt Dutzende der verschiedensten Teilungs- bilder zählen. In der zweiten Hälfte des Sommers geht das Wachs- tum in einfache Streckung über. Vereinzelte Teilungen finden sich aber auch jetzt noch gelegentlich vor.
In dieser Streckungsperiode zeigt sich nun auf Quer- und Längs- schnitten eine gewisse Gewebedifferenzierung deutlich ausgeprägt:
Fig. 5. Mikrophotographie eines mit Delafield’s Haematoxylin gefärbten Querschnitts durch das Cotyledonarrohr eines fast keimungsreifen Embryos. Vergrösserung: 84 fach. Das »Lumen« des Cotyledonarrohrs ist als kurze, senkrecht zur Medianlinie des Schnitts orientierte Naht zwischen den Leitbündelanlagen deutlich zu erkennen, Epidermis, Grundparenchym und Leitbündel sind wohl differenziert.
Die künftigen Gefässbündel der zwei Keimblätter lassen sich in Quer- und Längsschnitten schon ziemlich frühzeitig, d.h. etwa nach 1—2 Monaten, erkennen (Fig.5).
Was am Embryo auffällt, ist das Fehlen jeglicher Plumula. Keine Spur eines Vegetationskegels mit den bescheidensten Anlagen auch nur eines einzigen Laubblatts findet sich am Eranthiskeim ent- wickelt. Erst einige Zeit nach dem Durchbruch der Radicula durch die Samenschale schiebt sich am Grunde des Cotyledonarrohres die erste Anlage eines kapuzenartigen Niederblattes zwischen die Stiele der Cotyledonen ein, und erst wenn das Hypocotyl schon schwache spindelförmige Verdickung aufweist, lässt sich als dürftiger Höcker
218 H. Froehlich.
auch eine zweite Blattanlage erkennen (cf. d. Figuren 6a und 6b). Dem noch im Samen eingeschlossenen Keimling fehlt aber die Plu- mula völlig. ;
Im Freien kann man die Keimlinge schon im Februar über den Boden treten sehen. Gegen Anfang bis Mitte Mai stirbt der obere Teil der Keimpflanze ab, ebenso wie die relativ kurze Primär- wurzel. In der Erde bleibt nur das kuglig gewordene, mit den Assi- milationsprodukten der zwei Cotyledonen gefüllte Hypocotyl zurück. Es differenziert in der stehen gebliebenen Basis des Cotyledonarrohres bis zum Winter des zweiten Jahres die Anlage des ersten Laubblattes,
Fig. 6. Mediane Länesschnitte durch die Vegetationspunkte von Keimlingen a zu Beginn, b am Ende der Vegetationsperiode (Februar-Mai). Vergrösserung: a 36fach, d 50fach.
c die zur Keimblattscheide verwachsenen Keimblattstiele,
nb Niederblatt, !bı Anlage des ersten Laubblatts, hy das die Knolle bildende Hypocotyl.
das im Frühjahr des dritten Jahres austreibt. In bezug auf die ge- naueren morphologischen Details dieser und der folgenden Entwick- lungsvorgänge verweise ich auf die Darstellung von Irmisch?).
An dieser Stelle soll nur kurz besprochen werden die Darstellung, welche Sterckæ in Wort und Bild geliefert hat, und welche den Eranthiskeimling in Verbindung mit Sargant's bei ihrer Beschrän- kung auf den Gefässbündelverlauf etwas einseitigen Angaben zu den eigentlich pseudomonocotylen Formen, wie Ficaria ranunculoides, in völlige Parallele setzen kann.
9) Irmisch, Th. Über einige Ranunculaceen. III: Eranthis hiemalis Salisb. Bot. Ztg. 1860. Nr. 25.
Zur Entwicklunesgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb. 219
Sterckx schreibt: „Au sommet du tubereule, la coupe traverse le sommet vegetatif et montre: 1° le tube cotyledonaire, 2° deux feuilles rudimentaires sans faisceau, 30 le meristeme primitif de la tige principale. Le niveau où le tube est ouvert se trouve quelques coupes plus haut. Puis l’epiderme interne s’exvagine et la coupe prend une forme circulaire."
Ich stelle im Folgenden die wichtigsten seiner Figuren zusammen
(Fig. 7). Querschnitte (237—239) und Längsschnittbild (246) der
246
Fig. 7. 4 Figuren aus Sterckæ (1. c.) Planche XIX. Fig. 246 u. 237—239. Figurenerklärung nach Sterckx: Fig. 237. Coupe dans le bourgeon terminal. Fig. 238, 239, . . . Coupes successives vers la base du tube cotylédonaire. Fig. 246. Coupe longitudinale schématique dans la base du tube cotylédonaire et le sommet végétatif.
Plumularregion (Basis des Cotyledonarrohres) zeigen deutlich, dass Sterckx die Verwachsung der Cotyledonen unrichtig auffasst. Welcher Art die Ursachen sind, welche Sterckx zu den vollkommen unrichtigen Bildern geführt haben, kann ich natürlich nicht entscheiden. Her- vorgehoben sei nur, dass man ähnliche Bilder erhält, wenn man die nur blatt-tragenden Pflänzchen des dritten Jahres untersucht. Hier umfasst die Basıs des Laubblattes allerdings scheidenartig die Ter- minalknospe, welche im vierten Jahre ein weiteres Blatt austreibt. In der Basis dieses ersten Laubblattes verlaufen aber nicht zwei, son-
220 H. Froehlich.
dern drei Leitbündel (ef. Fig. 8). Auch die ,, lacune centrale‘, welche Sterckx in seinen Figuren 241 und 245 abbildet, deuten auf eine Verwechslung des Cotyledonarrohrs mit der Basis des ersten Laub- blattes hin.
Sterck& ist durch seine Bilder selbst zu der völlig irrigen Auffas- sung gelangt, es seien die beiden Cotyledonen mit dem einen ihrer Ränder verwachsen. Er vergleicht denn auch Eranthis auf seine Art folgerichtig mit Ficaria, wenn er schreibt (S. 55): „Il est fort
Fig. 8. Querschnitt durch den Knollenscheitel einer Pflanze des auf die Keimung folgenden Jahres. Vergrösserung: 37fach.
C Reste des gesprengten Cotyledonarrohres, G dessen obliterierte Leitbündel, Nb Niederblatt, Lbı Stielbasis des ersten Laubblattes, Gb dessen Leitbündel, Lba Stiel und Lamina des erst im folgenden
Jahre austreibenden zweiten Laubblattes.
instructif de comparer la nervation des cotylédons de l’Eranthis avec celle de l’organe cotylédonaire double du Ficaria. Que l’on suppose les deux limbes cotylédonaires du premier soudés presque jusqu'au sommet par les bords qui se regardent, et l’on obtiendra le cotylédon double du second et sa nervation.“
Aus der oben von mir gegebenen Darstellung geht unzweideutie hervor:
Bei Eranthis sind die beiden Keimblattränder mit einander ver- wachsen. Das so entstehende Cotyledonarrohr enthält in seiner Basis
Zur Fntwicklungsgeschichte von Eranthis hiemalis Salisb, 221
vollkommen eingeschlossen die embryonale Anlage eines ersten Laub- blattes (unter der Anlage eines kapuzenförmigen Niederblattes). Beim Austreiben im Frühling des dritten Jahres wird aber nicht eine seitliche schon embryonal angelegte Oeffnung benützt, sondern es wird die Basis des obliterierenden Cotyledonarrohres auseinanderge- drängt und an den zwei Stellen geringsten Widerstandes gesprengt. Querschnitte durch den Vegetationspunkt dreijähriger Pflanzen zeigen so zwei isolierte Cotyledonarstiele (cf. Fig. 8) mit je einem Gefäss- bündel.
In diesem Verhalten steht nun Eranthis keineswegs unter seinen Verwandten vereinzelt da. Eine ganze Reihe von Ranunculaceen zeigen den genau gleichen Typus der Cotyledonenverwachsung. Hie- her gehören ausser vereinzelten Repräsentanten der verschiedensten Dicotylengruppen einzelne Berberidaceen, Umbelliferen und eine grössere Zahl von Ranunculaceen. Eranthis zeichnet sich vor diesen lediglich dadurch aus, dass bei ihm die Cotyledonenverwachsung sehr weit vorgeschritten ist. Eine Parallele zu Formen wie Ficaria ranun- culoides ist er nicht und die Brücke zwischen Mono- und Dicotylen nur insofern, als er in der weitgehenden Verwachsung seiner Coty- ledonen eine Erscheinung zeigt, die als Vorläufer der einseitigen nur bei wenigen Dicotylen ausgeprägten Verwachsung der zwei Cotyle- donen kann aufgefasst werden. Auch Sargant geht entschieden etwas zu weit, wenn sie den Eranthiskeimling ohne weiteres neben den mo- nocotylen Keim von Anemarrhena stellt. Diese Bemerkung berührt natürlich Sargant’s Nachweis nicht, dass wenigstens bei einer grossen Zahl von Monocotylen der eine Cotyledo als Homologon der zwei Dicotylenkeimblätter zu betrachten ist.
Eingegangen 2. Oktober 1912.
Ueber die elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat.
Von Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
(Vorgetragen in der Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft am 15. November 1911.)
1. Einleitung.
Die Beobachtungen von E. Drechsel,!) dass in einer Ammonium- carbaminatlösung durch kommutierten Gleichstrom kleine Mengen von Harnstoff erzeugt werden können, haben von jeher das Interesse der Elektrochemiker erregt und .sind als Beispiel einer spezifischen Wechselstromreaktion in die Lehrbücher übergegangen. Wir haben uns seit einigen Jahren mit diesem Problem befasst und zunächst einige Vorarbeiten über die Elektrolyse von Ammoniumcarbonat- lösungen mit Gleichstrom?) und über die Umwandlung von Am- moniumearbaminat in Harnstoff durch Erhitzen unter Druck?) er- ledigt. Dass die Drechsel'sche Erklärung der Reaktion nicht stich- haltig sei, davon waren wir schon beim Beginn unserer Unter- suchungen vollkommen überzeugt. Denn seine Vorstellung, wonach ein rasch kommutierter Strom durch abwechselnde Oxydation und Reduktion eine richtige Wasserabspaltung bewirken sollte, ist mit unseren heutigen Kenntnissen nicht mehr vereinbar. Man kennt über- haupt keinen Fall spezifischer elektrolytischer Wirkung des Wechsel- stroms, ausser wenn ein Angriff der Elektroden stattfindet, oder wenn infolge der Abscheidung unlöslicher Stoffe besondere Verhältnisse ge- schaffen werden. In der Tat hat ja Drechsel selbst bei seinen Ver- suchen einen sehr energischen Angriff der Platinelektroden konstatiert
1) Journ. prakt. Chem. [2] 22. 476 (1880).
2) Fr. Fichter und Hans Kappeler, Z. f. Elektrochem.. 15. 937 (1908).
3) Fr. Fichter und Bernhard Becker, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 44. 3475. (1911).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 223
und als Hauptprodukt neben sehr wenig Harnstoff ein komplexes Platinammoniakcarbonat von der Formel [Pt (NH,;);| (CO3): *) erhalten. Aehnliche Reaktionen an Platinanoden sind später von R. Ruer?) und von A. Brochet und J. Petit‘) untersucht wor- den, während M. Le Blanc, ') von einer Arbeit von Joseph W. Richards®) ausgehend, ausserordentlich interessante Schlüsse aus der Wechselzahl auf die Reaktionsgeschwindigkeit bei der Bildung kom- plexer Alkalicuprocyanide zog. Allerdings treten häufig mit Wechsel- strom und namentlich mit über Gleichstrom superponiertem Wechsel- strom Wirkungen auf, für die heute eine befriedigende Erklärung noch fehlt, wie z. B. die merkwürdige Steigerung der Ozonausbeute bei der Elektrolyse verdünnter Schwefelsäure an Platinelektroden.?) Aber in so vielen anderen Fällen ist die Wirkung des Wechselstroms auf dieim Elektrolyten gelösten Stoffe nur insofern von der Wirkung des Gleichstroms verschieden, als der rasch eintretende Wechsel der Stromrichtung eine umso geringere Ausbeute erzielen lässt, je höher die Wechselzahl ansteigt. Sind oxydierbare Stoffe vorhanden, so wird an Platinelektroden mit Wechselstrom fast ebenso glatt die Oxy- dation erzielt wie mit Gleichstrom : ein ausgezeichnetes Beispiel hie- für bietet die Oxydation des Hydrochinons zu Chinhydron, die Lieb- mann!) mit Wechselstrom bis zu 54,000 Wechseln in der Minute durchführen konnte.
Bei der Drechsel’schen Harnstoffsynthese spielt nun der Angriff der Platinelektroden durch den Wechselstrom keinerlei Rolle für die Bildung des Harnstoffs. Ferner treten keine unlöslichen Zwischen- produkte weder an den Elektroden noch ım Elektrolyten auf. Es fehlen demnach alle Voraussetzungen für eine spezifische Wechsel- stromreaktion. und diese Ueberlegungen führten zum Schluss, dass die Bildung von Harnstoff durch die Elektrolyse von Ammonium- carbaminatlösungen sich auch mit Gleichstrom müsse durchführen lassen. In der Tat gelang es uns bald, die für die Reaktion nötigen Bedingungen zu ermitteln. Ueber die Hauptresultate ist zweimal der Bunsen-Gresellschaft Mitteilung gemacht worden.!1) Hier soll nun eine ausführliche Darlegung unter Beifügung der experimentellen Belege folgen.
4) Bruno Gerdes, Journ. prakt. Chem. [2] 26. 257 (1882).
5) Z. f. Elektrochem. 9. 235 (1903); 11, 10, 661 (1905): Z. f. phys. Chem. 44. 81 (1903).
6) Z. f. Elektrochem. 10. 922 (1904).
7):Z. f. Elektrochem. 9. 636 (1903); 11, 8, 705 (1905). 3) Trans. Americ. Electrochem. Soc. 1. 220 (1902).
9 H. v. Wartenberg, Z. f. Elektrochem. 17. 812 (1911). 10) Z. f. Elektrochem. 2. 497 (1892).
11) 7. f. Elektrochem. 16. 610 (1910); 18. 647 (1912).
294 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
2. Bildung von Harnstoff aus Carbaminat-Ammoniak durch Gleichstrom.
Wenn man Ammoniumearbaminat, NH, : COO : NH,, in Wasser
auflöst, so stellt sich ein Gleichgewicht ein
NE,SCO0O-NE, EU 222 NE CU das mit steigender Verdünnung und mit steigender Temperatur zu Gunsten von Ammoniumcarbonat verschoben wird. Die Umwand- lung des Carbaminats wird aber durch tiefe Temperatur und durch Zusatz von freiem Ammoniak verhindert.
Demgemäss stellten wir für die elektrolytischen Versuche eine Lösung von Ammoniumcarbaminat in folgender Weise her. Man sättigt konzentriertes Ammoniak bei Zimmertemperatur mit käuf- lichem gepulvertem Ammoniumcarbonat und leitet dann unter Ab- kühlung wiederholt Ammoniakgas ein, wobei immer wieder festes Ammoniumcarbonat zugefügt wird, so lange sich noch etwas auflöst. Man erhält so eine sehr konzentrierte Lösung, die beispielsweise 7.95 Grammäquivalente Kohlensäure und 16.88 Grammäquivalente Am- moniak im Liter enthält, oder also rund ebensoviel freies als ge- bundenes Ammoniak. In der Kälte scheiden sich daraus allmählich schöne Krystalle des in Ammoniak schwer löslichen neutralen Am- moniumcarbonats (NH, ); CO; + H,0 12) ab; aber in der Lösung ist im wesentlichen Ammoniumcarbaminat enthalten, denn eine mit Wasser stark verdünnte Probe der Lösung gab bei Zusatz von Baryumchloridlösung direkt nur eine schwache Fällung von Baryum- carbonat, dagegen im Filtrat davon beim Erwärmen einen sehr starken Niederschlag. Wir nennen eine derartige Lösung im folgen- den stets kurz ‚„(arbaminat- Ammoniak“.
Zur Elektrolyse dient ein starkwandiges Becherglas; als Anode verwenden wir ein Platin-U-rohr, das von kaltem Wasser durchflossen ist, als Kathode ein Platindrahtnetz (elektroanalytisches Drahtnetz nach Cl. Winkler) oder eine Bleikühlschlange. Die Temperatur wird nötigenfalls unter Zuhilfenahme äusserer Kühlung auf 150 gehalten : steigt sic höher, so verliert man viel Ammoniak und die Umwandlung von Ammoniumcarbaminat in Ammoniumcarbonat wird begünstigt ; lässt man aber die Temperatur zu tief sinken, so scheiden sich in der Umgebung der Anode Ammoniumcearbonatkrystalle ab, was störend wirkt. Ein Diaphragma anzuwenden ist unnötig: denn wenn ein elektrolytisches Produkt durch Wechselstrom erzeugt werden kann, so wird es offenbar durch den einen Stromstoss gebildet und durch den entgegengesetzten nicht wieder zerstört. Wir haben uns indes
12) Divers, Journ. chem. Soc. 8. 171, 359, 364 (1870).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 225
durch oft wiederholte Versuche überzeugt, dass ein Diaphragma an dem Erfolg nichts ändert, und dass die Reaktion sich an der Anode abspielt. Damit bestätigt sich die Erfahrung, dass von den beiden, Phasen des Wechselstroms nur die anodische an Platinelektroden zur Geltung kommt.
Die Anodenstromdichte konnte ohne schädliche Erwärmung bis auf 0.6 Amp/gem gesteigert werden. Allerdings bekommt man bei hoher Stromdichte eine so stürmische Gasentwicklung an den Elek- troden, dass viel Ammoniak verloren geht. So sank in einem vier- stündigen Versuch mit 0.133 Amp/qem an der Anode und 0.044 Amp/qem an der Kathode der Ammoniakgehalt von 16.885 auf 13.59 Grammäquivalent im Liter. Doch hat diese Konzentrationsvermin- derung noch keine schlimmen Folgen, und die Ausbeute erwies sich auch bei längerer Versuchsdauer der angewandten Ampere-Stunden- zahl proportional.
Nach Beendigung der Elektrolyse wird die Lösung auf dem Wasserbad eingedampft, wobei anfangs Ströme von Ammoniak und von Kohlendioxyd unter Aufperlen der Flüssigkeit entweichen. Es hinterbleibt ein kleiner Rückstand von Ammoniumnitrat, Harnstoff und bräunlich gefärbten organischen Verunreinigungen. Man dampft nun so lange mit Baryumcarbonat im Wasserbade ab, als sich noch Ammoniak entwickelt, zieht den Rückstand mit Alkohol aus, wobei Baryumnitrat und überschüssiges Baryumcarbonat zurückbleiben, und dampft die alkoholische Lösung wieder ein. Sollte der Rückstand noch Nitratreaktion zeigen, so wird die Behandlung mit Baryum- carbonat wiederholt. Schliesslich erhält man eine schwach gefärbte Krystallisation von Harnstoff, die auf Tontellern abgepresst und dann aus Alkohol umkrystallisiert wird.
Der so dargestellte Harnstoff bildet Nadeln vom Schmelzpunkt 1320; ein Kryställchen davon, in einem Tropfen Wasser gelöst und mit einem Tropfen konzentrierter Salpetersäure versetzt, gab die Fäl- lung von Harnstoffnitrat in den charakteristischen unter dem Mikro- skop erkennbaren Krystallen; eine andere Probe gab die Biuret- reaktion, eine dritte die Reaktion von E. Lüdy 15) mit o-Nitrobenzal- dehyd. Die Elementaranalyse lieferte folgende Zahlen:
I. 0.2089 gr Substanz gaben 0.1540 gr CO, und 0.1271 gr H,O II. 0.1067 gr Substanz gaben 44.2 cem N, bei 199 und 733.0 cem. GÉPON > Bers 2.0719:9390 VE 6:21%/0° Ne 46:66%/0
Get, 20405 20:80, O0
Das Produkt der Elektrolyse der Carbaminat-A mmoniaklôsung
mit Gleichstrom an einer Platinanode ist demnach Harnstoff. Ob
13) Monatsh. f. Chem. 10. 310 (1889). 15
226 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
daneben noch andere charakterisierbare organische Stoffe entstehen, haben wir nicht näher untersucht: auf alle Fälle ist ihre Menge gering.
Die Ausbeute wurde stets durch die bekannte Liebig’sche Titra- tionsmethode mit Hilfe von Mercurinitratlôsung ermittelt; sie ist nur gering und beträgt unter den angegebenen Verhältnissen 0.55 bis 0.6014) gr in 100 Ampere-Stunden. Wenn der Harnstoff auf Grund einer einfachen elektrochemischen Reaktion entstände, etwa durch Einwirkung des aus der Carbaminatlôsung an der Anode entwickelten Kohlendioxyds auf das gelöste Ammoniak, so müssten entsprechend den Gleichungen
2 NH, - COO'+H,0 +2 F —2 NH, + CO, +0 CO, +2 NH, = CO (NE, )» + H,0 durch 2F —53.63 Ampere-Stunden ein Mol — 60 gr Harnstoff ge- bildet werden, oder also in 100 Ampère-Stunden 111.87 gr Harn- stoff: die gewöhnliche Ausbeute von 0.60 gr beträgt nur 0.540/, davon!
Die Ausbeute ist von der Stromdichte an der Ho nicht stark . abhängig; innerhalb der Grenzen 0.130 bis 0.555 Amp/qem hält sie sich nahezu konstant auf 0.60 gr in 100 Ampere-Stunden.
3. Abhängigkeit der Harnstoffausbeute von der Ammoniak- konzentration, der Carbaminatkonzentration und der Stromdichte.
H. Kappeler '°?) hatte mit viel verdünnteren und ammoniak- ärmeren Lösungen von Ammoniumcarbonat als einziges Produkt an der Platinanode Ammoniumnitrat erhalten, ohne eine Spur von Harn- stoff nachweisen zu können. Offenbar spielt also die Konzentration der Lösung eine entscheidende Rolle, und das haben wir in der Tat durch folgende zwei Versuchsreihen bestätigt.
a) Wie verwandten Lösungen mit je 25 gr oder rund 5 nn äquivalenten käuflichem Ammoniumcarbonat in je 100 cem Am- moniak von verschiedenen Konzentrationen und arbeiteten mit einer
Stromdichte von 0.444 Amp/gem an der Anode.
Grammäquivalent Amperestunden Harnstoff Ausbeute freies Ammoniak angewandt in gr. in im Liter 100 Amperestunden Il 60 —— — 4 62 0.02 0.03 8 50 0.15 0.30 12 64 0.26 0.42
13) Ausnahmsweise bis zu 0.70 gr. 15) Z. f. Elektrochem. 15. 937 (1909).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 227
b) Wir verwandten gesättigte Ammoniaklösung mit einem Zu- satz verschiedener Mengen von Ammoniumcarbonat und arbeiteten mit einer Anodenstromdichte von 0.444 Amp/gem.
Grammäquivalent Amperestunden Harnstoff Ausbeute Carbaminat angewandt in gr. in im Liter 100 Amperestunden 1 20 0.05 0.25 5 20 0.09 0.45 8 20 0.12 0.60
Man ersieht aus den beiden Serien, dass sowohl die Erhöhung der Ammoniakkonzentration als die der Carbaminatkonzentration eine Steigerung der Harnstoffausbeute bedingt, dass aber die Kon- zentration des freien Ammoniaks einen viel markanteren Einfluss ausübt.
Nun hatte Hans Kappeler 16) ferner festgestellt, dass Harnstoff in einer Lösung von käuflichem Ammoniumcecarbonat durch \rleich- strom an einer Platinanode vollkommen zerstört wird, während gleich- zeitig Ammoniumnitrat sich bildet. Wir haben darum eine Abhän- gigkeit der Harnstoffzerstörung von der Ammoniakkonzentration vermutet und in der Tat durch systematische Versuche bestätigen können. Wir stellten vier Lösungen von Ammoniak ın wachsender Konzentration her, setzten jeder derselben ein halbes Grammäquiva- lent Ammoniumnitrat zur Erhöhung der Leitfähigkeit (man durfte natürlich kein Ammoniumcarbonat anwenden, um nicht durch gleich- zeitige Harnstoffbildung das Ergebnis zu trüben) und 1 gr reinen Harnstoff zu und elektrolysierten nun mit einer Stromdichte von 0.278 Amp/qem an der Anode. Zum Vergleich wurde auch ein Ver- such ohne freies Ammoniak durchgeführt. Nach Beendigung der Ver- suche wurde der Elektrolyt in bekannter Weise aufgearbeitet und der noch vorhandene Harnstoff durch Titration mit Mercurinitrat bestimmt.
Grammäquivalent Harnstoff Ampere- Zerstörter Zerstörter Harnstoff freies Ammoniak nach der stunden Harnstoff umgerechnet auf
im Liter Elektrolyse angewandt in gr. 100 Ampèrestunden
7550 0.34 2.70 0.66 20.45
1 0.43 DATE 0.57 9.90
2 0.45 7a) 0.55 1:08
4 0.42 20.77 0.58 2.80
8 0.70 20.36 0.30 1.45
16 0.50 18.33 0.20 1.05
Man sieht den enormen Einfluss der Ammoniakkonzentration auf die Harnstoffzerstörung aus der Zahlenreihe und noch schlagender aus der graphischen Darstellung in Fig. 1.
16) Diss. Basel 1908, S. 9.
228 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Für die Beurteilung der Harnstoff- Ausbeute aus Carbaminat-A m- moniak ausserordentlich bedeutsam ist die Tatsache, dass auch bei einem Gehalt von 16 Grammäquivalent Ammoniak im Liter die Harn- stoffzerstörung noch 1.05 gr in 100 Ampere-Stunden ausmacht. Wenngleich bei den Bildungsversuchen und den Zerstörungsversuchen nicht dieselbe Harnstoffkonzentration im Elektrolyten herrscht, so ist man doch gezwungen anzunehmen, dass auch bei den Bildungsver- suchen ein Teil des entstehenden Harnstoffs durch Oxydation wieder verloren geht, so dass die tatsächlich beobachtete Ausbeute die Diffe- renz zwischen der wirklich entstandenen und der wieder zerstörten Menge repräsentiert. Berechnet man aus den vorliegenden Zahlen
Harnstoffzerstörung a. d. Anode
ohne Berücksichtigung des eventuellen Einflusses der Harnstoffkon- zentration die wahre Harnstoffausbeute, so würden beispielsweise bei einer Konzentration von 16 Grammäquivalent Ammoniak im Liter in 100 Ampere-Stunden bei einer Anodenstromdichte von 0.278 Amp/gem 1.65 gr Harnstoff erzeugt und davon 1.05 gr wieder zer- stört, so dass schliesslich eben nur 0.60 gr übrig bleiben.
Auf die Harnstoffzerstörung hat auch die Stromdichte einen bemerkbaren Einfluss: je grösser die Stromdichte, umso mehr Harnstoff wird unter gleichen Umständen zerstört. Dies ergibt fol- sende Versuchsreihe, bei der je 100 ccm einer Lösung mit 0.5 Gramm- äquivalent Ammoniumnitrat und 4 Grammäquivalent freiem Am- moniak im Liter nach Zusatz von 1 gr Harnstoff elektrolysiert wurden.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 229
Harnstoff Stromdichte Ampère- Zerstörter Zerstörter Harnstoff nach der an der Anode stunden Harnstoff umgerechnet auf Elektrolyse angewandt in. gr. 100 Amperestunden 0.42 0.256 Amp/gem 20,77 0.58 2.80 0.72 0.088 5 16.98 0.28 1.65 0.80 0.031 5 19.40 0.20 1.05
Hält man diese Beobachtungen zusammen mit dem früher mit- geteilten Ergebnis, dass für die Harnstoffausbeute die Stromdichte innerhalb weiter Grenzen ohne wesentlichen Eınfluss ist, so muss daraus der Schluss gezogen werden, dass mit wachsender Stromdichte die Harnstoffbildung im gleichen Sinne zunimmt wie die Harnstoff- zerstörung, sodass die schliesslich erhaltene Ausbeute als Unterschied beider keine Abhängigkeit von der Stremdichte aufweist.
Die Drechsel’sche Versuchsanordnung mit kommutiertem Gleich- strom ist nun zweifellos in Beziehung auf die Harnstoffzerstörung unserer Methode überlegen. Denn an einer mit Gleichstrom betrie- benen Anode kann sich ein ‚viel wirksameres Oxydationspotential durch Sauerstoffbeladung ausbilden als an einer fortwährend umge- ladenen Wechselstromelektrode; die Harnstoffzerstörung wird also mit Wechselstrom in geringerem Mass eintreten als mit Gleichstrom. So erklärt es sich, dass es Drechsel gelang, Harnstoff zu erhalten unter Bedingungen, die nach den Erfahrungen mit Gleichstrom eigentlich : recht ungünstig zu nennen sind. Denn er verwandte ‚eine wässrige Lösung von carbaminsaurem Ammon‘ 1?) offenbar ohne Zusatz von freiem Ammoniak, sodass die Harnstoffzerstörung in seiner Lösung die Harnstoffbildung bei Verwendung von Gleichstrom weit über- holt hätte: in der Tat konnten wir mit ammoniakarmen und ver- dünnten Lösungen doch nur sehr bescheidene Ausbeuten an Harnstoff erzielen. Es seı hier übrigens auch noch auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, der in Drechsel’s Beschreibung nicht genügend zum Ausdruck kommt. In einer der ersten Arbeiten ist die Zahl der Strom- wechsel angegeben, die bei der ursprünglichen Anordnung, Kommu- tierung von Gleichstrom durch eine Wippe, angewandt wurden: es handelt sich um Wechselzahlen von 4—10 in der Sekunde.18) Später hat Drechsel, beherrscht von der Vorstellung der Wasserabspaltung durch abwechselnde Oxydation und Reduktion, die umso sicherer ein- treten musste, je rascher die beiden Stromphasen aufeinander folgten, die Bedingungen seiner Reaktion bei der Ausdehnung auf andere Beispiele zu verbessern gesucht durch Anwendung einer Wechsel- strommaschine mit 60 Wechseln in der Sekunde.1?) Wenn mit Hilfe
17) Journ. prakt. Chem. [2] 22. 481 (1880). 18) B. Gerdes, Journ. prakt. Chem. [2] 26. 257 (1882). 19) Journ. prakt. Chem. [2] 29. .229 (1884).
230 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
von Wechselstrom elektrolytische Arbeit geleistet wird, so ist der Effekt von der Frequenz abhängig und ganz allgemein umso geringer, je höher die Frequenzzahlen steigen. Man darf wohl annehmen, dass Drechsel mit dem Maschinenwechselstrom die Harnstoffbildung eben- sowenig hätte hervorrufen können als irgend einer der Forscher, die später die Drechsel’schen Versuche wiederholt haben.?0)
Nach den obigen Ausführungen über die günstige Wirkung hoher Ammoniakkonzentrationen könnte es scheinen, als ob dem Am- moniak nur eine konservierende Rolle zukäme, indem es den einmal ge- bildeten Harnstoff vor der Wiederzerstörung zu schützen hätte. Alleın ein derartiger Schluss ist insofern unberechtigt, als nicht nur die Zer- störung des Harnstoffs, sondern auch eine Reihe anderer Anodenvor- sänge von der Konzentration des freien Ammoniaks abhängig sind.
4. Abhängigkeit der Zusammensetzung der Anodengase von der Ammoniakkonzentration und von der Temperatur.
Bei der elektrolytischen Oxydation von Lösungen des käuflichen Ammoniumcarbonats mit ca. 3.7 Grammäquivalent Ammoniak und ca. 5 Grammäquivalent Kohlensäure im Liter vollziehen sich an der Anode zwei Vorgänge: es wird einerseits Ammoniak oxydiert und zwar ohne die Möglichkeit des Fassens einer Zwischenstufe bis zur Salpetersäure bezw. Ammoniumnitrat, und andrerseits wird freier Sauerstoff entwickelt, der also unbenützt entweicht. Die Ausnützung des Sauerstoffs ist umso günstiger, je höher die Stromkonzentration und je höher die Temperatur (über 60° hinaus darf man natürlich nicht gehen) steigt, und kann ferner verbessert werden durch Zusatz von freien Ammoniak und durch Verdünnung. Eine Lösung mit 2.556 Grammäquivalent Ammoniak und 1.422 Grammäquivalent Kohlensäure im Liter erlaubte eine Ausnützung des Sauerstoffs zu 79.03 0/, bei 30-400, und eine doppelt so starke Lösung mit dem- selben Verhältnis von Ammoniak und Kohlensäure bei 60° eine Aus- nützung von 88.06 %/, 21). Stickstoff wurde bei diesen Versuchen im Anodengas nicht gefunden, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass er in kleinen Mengen auch unter den angegebenen Verhältnissen auf- tritt. Die Gesamtmenge der gemessenen und analysierten Produkte stimmte mit der coulombmetrisch kontrollierten Strommenge bis auf die unvermeidlichen Versuchsfehler genau überein. Ungefähr gleich- zeitig mit unseren eigenen Arbeiten über die elektrolytische Oxy-
20) E. Szarvasy, Chem. Ztg. 34. 186 (1910); W. Loeb, Z. f. Elektrochem. 16. 615 (1910).
21) Die Zahlenwerte sind ausführlich publiziert bei Fr. Fichter und H. Kappeler, Z. f. Elektrochem. 15. 937 ff. (1909).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 231
dation des Ammoniaks in Ammoniumcarbonatlösungen erschien eine Untersuchung von A. Brochet und @. Boiteau, 2?) in welcher die Ver- hältnısse an ammoniakreichen, mit Ammoniumcarbonat oder Am- moniumnitrat versetzten Lösungen studiert wurden. Unter diesen Um- ständen fanden an der Anode ebenfalls zwei Vorgänge statt: die Bildung von Ammoniumnitrat und die Entwicklung von Stickstoff. Sauerstoff wurde im Anodengas nur ın untergeordneter Menge oder gar nicht gefunden. Bei den ausführlichen Untersuchungen von Erich Müller und Fr. Spitzer?) über die elektrolytische Oxydation von Ammoniak in Natriumhydroxydlösungen an Platinanoden wurden neben Natriumnitrit und Natriumnitrat Anodengase erhalten, die aus Stickstoff und wenig Sauerstoff bestanden. Dabei wurde die auffallende Beobachtung gemacht, dass die gemessenen und analy- sierten Produkte nicht der coulombmetrisch kontrollierten Strom- menge entsprachen, sondern ein Fehlbetrag von 10-32 °/, der Strom- arbeit verblieb, der für die Bildung eines nicht nachzuweisenden Produktes verbraucht war.
Wir haben nun an den von uns verwandten konzentrierten Car- baminat-Ammoniaklösungen ebenfalls die Zusammensetzung der Anodengase untersucht und dabei eine bemerkenswerte und regel- mässige Abhängigkeit vom Ammoniakgehalt gefunden, deren Fest- stellung indes durch eine unerwartete Abhängigkeit der Zusammen- setzung des Anodengases von der Temperatur erschwert wird.
Wir verwendeten eine Reihe von Lösungen, die wachsende Men- gen von freiem Ammoniak neben einer konstanten Menge von Am- moniumcarbonat enthielten. Um die Gase auffangen zu können und gleichzeitig die Temperatur möglichst genau zu regulieren, diente ein Wehrlin’scher Elektrolysator,2*) dessen Rahmen aus Messing kon- struiert war, während die Endplatten, statt aus Glas, aus Eisen be- standen und durch Glimmer vom Rahmen isoliert waren. Diese Aen- derung erlaubt eine viel wirksamere Kühlung der Elektrodenbleche, die sich auf der inneren Seite der Eisenplatten befanden. Als Anode diente ein Platinblech von 22.9 gem freier Oberfläche, als Kathode ein Bleiblech von derselben Grösse. Das Gefäss selbst wurde gebildet von zwei Glasringen, die mit Thermometern und Gasableitungsröhren versehen waren: als Scheidewand zwischen Anoden- und Kathoden- kammer diente eine mit Paraffin getränkte, mit einem Ausschnitt im unteren Teil des Ringes versehene Filtrierpapierscheibe. Der ganze Apparat befand sich in einem von kaltem Wasser durchflossenen
22) Bull. Soc. chim. de France [4] 5. 667 (1909).
23) Z. f. Elektrochem. 11. 917 (1905).
24) 7. f. Elektrochem. 3. 450 (1897); R. Lorenz, Elektrochemisches Prak- tikum, S. 205.
232 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Bad. Beschickt man den Elektrolysator mit konzentrierter Carba- minat-Ammoniaklösung (18.04 Grammäquivalent Ammoniak und 8.92 Grammäquivalent Kohlensäure im Liter), so erhält man mit einer Anodenstromdichte von 0.044 Amp/qcm bei Temperaturen ober- halb 17° nur Stickstoff neben wenig Kohlendioxyd, bei Temperaturen unterhalb 17° neben dem Stickstoff geringe Mengen Sauerstoff. Die Gase wurder zur Analyse zunächst über verdünnter Salzsäure aufge- fangen, um sie vom mitgerissenen Ammoniak zu befreien, und dann in die Hempel’sche Bürette übergeführt; zur Absorption des Kohlen- dioxyds diente eine Kalipipette, zur Absorption des Sauerstoffs eine Pyrogallolpipette, der Gasrest wurde als Stickstoff?) berechnet. Die Messungsreihe mit steigendem Ammoniakgehalt wurde bei 17—18° und bei einer Anodenstromdichte von 0.044 Amp/qem durch- geführt. Sie ist in folgender Tabelle und in der zugehörigen Figur 2 zur Darstellung gebracht.
Grammäquivalente N, @: N, O
freies Ammoniak ccm ccm 9/0 Ur
1 3.4 76.6 4.3 GO 2 3.0 39.8 Tail 92.9 4 8.8 68.6 11.4 88.6 6 23.0 58.9 28.1 71.9 a 57.0 22.2 71.9 28.1 8 66.9 4.0 94.4 5.6 9 70.4 0.6 99.1 0.9 10 84.0 0.1 99.9 0.1 12 81.1 — 100.0 —
Bei einer kritischen Konzentration von etwa 7 Grammäquiva- lenten freiem Ammoniak findet auf einmal ein rapides Ansteigen der Stickstoffmenge gegenüber der Sauerstoffmenge statt: offenbar löst also dort ein Vorgang an der Anode einen anderen ab. Gleich- zeitig beginnt die Harnstoffbildung in immer bedeutenderem Masse; doch wächst die Harnstoffausbeute weiter beim Anstieg von 8 bis auf 12 Grammäquivalente freies Ammoniak, während die Stickstoffkurve schon bei 9 Grammäquivalenten Ammoniak das Maximum beinahe erreicht.
Zur richtigen Beurteilung der Kurve sei noch betont, dass diese Messungen insofern keinen quantitativen Charakter besitzen, als die Gasmengen nicht auf die durchgesandten Strommengen bezogen sind.
25) Das ist, wie im Abschnitt 5 auseinandergesetzt wird, nicht vollkommen richtig, insofern die Gase aus konzentrierter Carbaminat-Ammoniaklösung etwas Stickoxydul enthalten. Bei den folgenden Tabellen ist dieser Umstand nicht berücksichtigt.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 233
Fig 2.
Kurve der Harnstoffbildung.
%/o Gehalt des Anodengases an Stickstoff.
X 6 3 S 9 10 12 normal Ammoniak-Konzentration.
Die vollständige elektrochemische Bilanzierung der Carbaminat-Am- moniaklösungen ist erst in Angriff genommen.
Um den enormen Einfluss der Temperatur auf die Zusammen- setzung des Anodengases zu charakterisieren, sei eine kleine Versuchs- serie hier angefügt, die mit einer Lösung von 9 Grammäquivalenten freiem Ammoniak im Liter durchgeführt wurde. Die Stromdichte betrug wie oben 0.044 Amp/qem.
Temperatur N, 05 N, O, cem cem 0/0 0/0 6—7° 19.4 59.4 24.8 152 149 41.2 DU 60.2 39.8 17 — 18° 70.4 0.6 22997 0.9
Der von der Temperatur so stark beeinflusste vorliegende Vor- gang hat mit der Harnstoffbildung nichts zu tun, denn bei jener ist die Temperatur ohne wesentliche Bedeutung, wenn nur der Am- moniakgehalt der Lösung durch die Erwärmung nicht vermindert
wird. 5. Theorie der elektrolytischen Oxydation des Ammoniaks.
Die Entwicklung von Stickstoff aus Ammoniaklösungen an einer Platinanode kann wohl durch eine Pauschalgleichung
234 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
4NH; +80, =2N, + 6H,0
in ihren quantitativen Verhältnissen wiedergegeben, aber nicht ihrem Wesen nach erklärt werden. Gerade die elektrochemischen Reaktionen sind dadurch ausgezeichnet, dass die Reihe der möglichen Produkte stufenweise durchlaufen wird, und dass es durch geeignete Wahl der Versuchsbedingungen oft glückt, die einzelnen Etappen zu isolieren.
Wens nun Ammoniak mit einem oxydierenden Agens behandelt wird, so muss man die schrittweise Oxydation der einzelnen Wasser- stoffatome ins Auge fassen. Wir kommen so zu folgendem Schema?6)
‚H ‚OH 0H /O0H NN SN oe N on (1) NH NH SH So
Di: erste Stufe der Oxydation führt demnach zum Hydroxyl- amin. Chemisch kann man allerdings Hydroxylamin nicht durch Oxy- dation von Ammoniak darstellen; aber im Elektrisator erhielt À. Besson?T; unter dem Einfluss stiller elektrischer Entladungen aus feuchtem Ammoniak Hydroxylamin. Die Oxydation des Anilins zu Phenylhydroxylamin?$) und diejenige der tertiären Amine zu den Trialkylaminoxyden??) bieten erwünschte Analogien zur Stütze unserer Hypothese. Direkt nachgewiesen haben wir das Hydroxylamin bis jetzt nicht; das kann indes nicht überraschen, denn Hydroxylamin ist eines der kräftigsten Reduktionsmittel oder mit anderen Worten ausserordentlich leicht oxydierbar, so dass es im Bereich der Anode nicht am Leben bleiben kann.
Die zweite Stufe der Oxydation nach obigem Schema (1) ent- spricht der Hyponitrose, deren Formel unter Austritt von Wasser und durch Verdoppelung abzuleiten ist
‚ala! ON ON 2 1nNo 2100 SH
Die rein chemische Oxydation des Hydroxylamins zu untersal- petriger Säure haben Thum?®) sowie A. Hantsch und L. Kaufmann?!) untersucht; sie liefert nur geringe Ausbeuten, weil die freie Hypo- nitrose sehr leicht in Stickoxydul und Wasser zerfällt. In unseren
26) Ueber einige sauerstoffhaltige Verbindungen des Stickstoffs, A. Angeli. Stuttsart 1908, S. 23.
27) Compt. Rend. Acad. Sciences Paris 152. 1850 (1911); bei Gegenwart von Sauerstoff entsteht Ammoniumnitrit und -nitrat.
28) E. Bamberger, Ann. d. Chem. 311. 78 (1900).
29) E. Bamberger und F. Tschirner, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 32. 342, 1882 (1899).
30) Monatsh. f. Chem. 14. 294 (1893).
51) Ann. d. Chem. 292. 317 (1892).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 235
ammoniakalischen Lösungen ist allerdings nicht freie Hyponitrose, sondern Ammonium-Hyponitrit, NH,-O:-N:N-O.H3?) anzu- nehmen; dieses Salz zersetzt sich indes nach den Beobachtungen von A.Hantsch und L. Kaufmann sowohl in festem Zustand wie in wässriger Lösung ebenfalls sehr leicht in Ammoniak, Wasser und Stickoxydul. Wenn Hyponitrose oder Ammoniumhyponitrit im Elek- trolyten auftreten, so war voraussichtlich im Anodengas Stickoxydul zu finden.
Stickoxydul ist in Wasser recht leicht löslich; ein Volumen Wasser löst nach den Beobachtungen von Geffcken*) bei
5° 10° 15° 20°
1.048 0.8778 0.7377 0.6294 Volumina Stickoxydul. Salze vermindern die Löslichkeit in Wasser und zwar bei tiefer Temperatur mehr als bei hoher: aber es wird kaum gelingen, auch aus einer gesättigten Salzlösung das Stickoxydul quantitativ herauszubekommen.
Der gasanalytische Nachweis von Stickoxydul ist nicht leicht, namentlich nicht wenn es sich um kleine Mengen handelt. Zwar lässt es sich mit Wasserstoff zur Explosion bringen; wenn es aber mit viel Stickstoff gemischt ist, so muss noch Knallgas zugesetzt werden, um überhaupt Explosion zu erzielen.%#) In neuerer Zeit haben E. Erd- mann und H.Stolzenberg°?) ein Verfahren ausgearbeitet, um Stick- oxydul von anderen Gasen durch Kondensation mit Hilfe von flüs- siger Luft zu trennen — aber gerade das wesentliche Hilfsmittel, die flüssige Luft, stand uns zur Zeit nicht zur Verfügung. Trotzdem haben wir genügend Beobachtungsmaterial, um wenigstens den quali- tativen Nachweis des Stickoxyduls zu leisten.
Eine gesättigte Carbaminat-Ammoniaklösung mit 18 Gramm- äquivalent Ammoniak und 9 Grammäquivalent Kohlensäure im Liter wurde im Wehrlin’schen Elektrolysator an einer Platinanode mit 0.044 Amp/gem oxydiert und das Anodengas sowohl als das Ka- thodengas durch Glaskapillaren geleitet und über Quecksilber auf- gefangen : zur Messung diente eine Hempel’sche Gasbürette mit Kor- rektionsrohr und Manometer und mit Quecksilberfüllung. Zur Ent- fernung des mitgerissenen Ammoniaks wurde das Gas mit konzen- trierter Schwefelsäure in einer gewöhnlichen Absorptionspipette be- handelt, hierauf in einer Phosphorpipette Spuren von Sauerstoff ab-
32) Das neutrale Salz ist nicht bekannt. 33) Z. f. phys. Chem. 49. 275 (1904).
3) Bunsen; W. Hempel, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 15. 903 (1882); Gasanalytische Methoden, III. A., S. 176 (1900).
35) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 43. 1702 (1910).
236 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
sorbiert, und der im wesentlichen aus Stickstoff bestehende Gasrest nach Zumischung von Wasserstoff und Knallgas in der Explosions- pipette verpufft. Nach der Gleichung
N,0 _ H, = N, + H,0 entspricht die beobachtete Kontraktion gerade dem Volumen des Stick-
oxyduls. Drei zu verschiedenen Zeiten der Elektrolyse aufgefangene Gasproben gaben folgende Zahlen
Angewandte Nach Absorption O, Vom Rest N,0
Gasmenge mit Phosphor 0/0 je zwei Portionen Kontraktion 0/0 explodiert
5 212 30x0 ccm 1.6 cem 4.8
I. 68.4cem 68.0 cem 0.5 Me st 8 51
Bee = E86... aa
Il. 66.0 cem 65.4 cem 0.9 De Do 19
| 5 al 300, 4 ar
III. 71.0 ccm 70.4 cem 0.8 De joie AA
Das Anodengas hat demnach eine durchschnittliche Zusammen- setzung von 94.8 0/, Na 4,9 0/, N,0 08970:
und bewahrt dieselbe im Verlauf der Elektrolyse ziemlich unver- ändert bei.
Die Gesamtmenge des Anodengases bei einem mit Kupfercou- lombmeter kontrollierten Versuch belief sich auf 51,6 cem, während gleichzeitig 0.5149 gr Kupfer abgeschieden wurden; das Gas be- sass di» der obigen sehr nahe kommende Zusammensetzung
95,40/, Na
Rechnet man alle Gase auf Stiekstoff um, so vermehrt sıch das Ge- samtvolumen, insofern gemäss den Gleichungen
4 NH, +3 0,=2 N, +6 H,O
4 NH; +4 0;,=2 N,0 +6 H,0 2 Volumina Stickoxydul 4 Volumina Sauerstoff entsprechen und andrerseits 3 Volumina Sauerstoff 2 Volumina Stickstoff äquivalent sind, auf 52.39 ccm. Der abgeschiedenen Kupfermenge nach aber hätten 60.51 ccm Ns an der Anode entstehen sollen, der Verlust beträgt also 13.40/,.
Nun ist natürlich im Verlauf der Elektrolyse eine gewisse Menge
Harnstoff und eine kleine Menge Ammoniumnitrat entstanden ; die
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 237
Beträge sind aber sehr gering, der Harnstoff infolgedessen nicht quan- titativ messbar, und ausserdem, wie im Abschnitt 7 gezeigt wird, die zu seiner Bildung nötige Stromarbeit nur schwer zu berechnen, so dass ein vollständiger Nachweis der gesamten Stromarbeit einst- weilen nicht möglich ist. Aber der Verlust von 13.4 °/, ist sicher grösser als der Menge der festen Produkte entspricht, und man wird wohl nicht fehlgehen in der Annahme, dass er durch das Gelöstbleiben von Stickoxydul mit veranlasst wird.3®)
Wir kommen damit zu der Auffassung, dass die Verluste bei der Bestimmung sämtlicher nachweisbarer gasförmiger und fester Pro- dukte der Elektrolyse von konzentriertem Ammoniak unter Zusatz von Ammoniumsalzen oder von Natriumhydroxyd u.s. w. zwei Ur- sachen haben: das durch Zersetzung der Hyponitrose entstehende Stickoxydul bleibt zum Teil überhaupt im Elektrolyten gelöst; zum Teil entweicht es, aber sein Volumen ist geringer als das äquivalente Stickstoffvolumen, und seine Bestimmung durch Explosionsanalyse verlangt Zusatz von Knallgas, weil sonst keine Verpuffung mit Wasserstoff eintritt. So wenigstens glauben wir die Beobachtungen und Messungen von Erich Müller und Fr. Spitzer®?) erklären zu sollen, die damit gleichzeitig als Beweismaterial für unsere Theorie von der intermediären Bildung der Hyponitrose gelten können.
Ob bei der elektrolytischen Oxydation des Ammoniaks die Hypo- nitrose durch Zerfall in Stickoxydul verloren geht oder durch Weiter- oxydation in salpetrige Säure bezw. Nitrite verwandelt wird, das hängt von der Raschheit ab, mit der die weitere Oxydation einsetzt. A. Hantsch und L. Kaufmann*$) haben gezeigt, dass Hyponitrose in geringem Umfange nach der Gleichung
freiwillig in salpetrige Säure und Ammoniak übergeht; doch erfolgt diese Reaktion in alkalischer Lösung nur langsam, so dass sie unter den von uns innegehaltenen Bedingungen wohl nicht in Frage kommt. Die Oxydation der Hyponitrose mit Kaliumpermanganat liefert nach A. Thum??) in alkalischer Lösung salpetrige Säure, in saurer Lösung Salpetersäure.
In dem obigen Schema (1) der Oxydation des Ammoniaks ist die dritte Stufe durch die Formel N(OH), wiedergegeben, die sich
3) Wir haben bei diesen Versuchen auch das Kathodengas aufgefangen und dabei stets zuviel Gas und ausser Wasserstoff auch Stickstoff erhalten. Wir sind mit der weiteren Untersuchung der Unregelmässigkeiten beschäftigt.
37) Z. f, Elektrochem. 11. 917 (1905); E. Müllers Aeusserung in der Dis- kussion, Z. f. Elektrochem. 18. 653 (1912).
3) Ann. d. Chem. 292. 334 (1896).
59) Monatsh. f. Chem. 14. 294 (1893).
238 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
durch Wasserabspaltung in die Formel der salpetrigen Säure über- führen lässt:
N(OH),=HNO,+H,0.
Selbstverständlich wird in der ammoniakalischen Lösung Ammonium- nitrat entstehen, das durch die Leichtigkeit des Zerfalles in Stickstoff und Wasser nach der Gleichung NH, NO, N, 2 22E50
charakterisiert: ist. Der Zerfall tritt unter gewöhnlichen Umständen in wässriger Lösung erst bei Temperaturen über 50° ein, doch gibt z.B. E. Berger“) an, dass Gemische konzentrierter Lösungen von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit schon von 0° ab merklich Stick- stoff enttwickeln; andrerseits fand K. Arndt,*!) dass in ammonia- kalischer Lösung die Zersetzung sich stark verzögert. Aber bereits Erich Müller und Fr. Spitzer *?) haben die Vermutung ausgesprochen und durch Versuche gestützt, dass die Stickstoffentwicklung bei der elektrolytischen Oxydation von Ammoniak lediglich auf Zerfali von Ammoniumnitrit zurückzuführen seı, und unsere oben erwähnten Ver- suche über den ganz enormen Einfluss der Temperatur auf die Stick- stoffentwicklung erbringen den endgültigen Beweis für diese Auf- fassung. Denn in ein und derselben Lösung erhalten wir bei höherer Temperatur (17—18°) beinahe nur Stickstoff, bei niedriger Tem- peratur (6—7°) eine Mischung von ?/, Sauerstoff und 1/, Stickstoff. Die geringe Temperaturerhöhung bringt das Ammonıumnitrit zum Zerfall, während bei der niedrigeren Temperatur die Weiteroxydation, begleitet von Sauerstoffentwicklung, zur Hauptreaktion wird. Fer- tiges Ammoniumnitrit haben wir bisher in den oxydierten Oar- baminat-Ammoniaklösungen nicht nachweisen können. Selbstver- ständlich liegen die Verhältnisse bei Gegenwart von Natriumhydroxyd viel günstiger für die Erhaltung des Nitrits, was aus den Arbeiten von W. Traube und A. Biltz*?) und von Erich Müller und Fr. Spetzer bekannt ist. In den schönen Untersuchungen der letztgenannten Au- toren ist endlich die letzte mögliche Oxydationsstufe, die Oxydation von Nitrit zu Nitrat, nach allen Richtungen studiert, so dass wir dar- über keine eigenen Versuche mehr anzustellen hatten, umsoweniger, als die Reaktion für den Fall der Ammonium-Carbonatlôsungen von Fr. Fichter und H. Kappeler **) bereits geprüft war.
40) Bull. Soc. chim. Paris [3] 31. 662 (1904).
41) Z. f. phys. Chem. 39. 64 (1902).
42) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 38. 782 (1905); Z. f. Elektrochem. 11, 930 (1905).
43) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 37. 3130 (1904); 38. 828 (1905); 39. 166
(1906). 4) 2. f. Elektrochem. 15. 937 (1909).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 239
Unser obiges Oxydationsschema können wir nun noch vervoll- ständigen, indem Hauptrichtung und Seitenwege der ganzen Reaktion vom Ammoniak bis zur Salpetersäure angegeben werden:
H,— NE, -OH — H,N,0, resp. NH,-O-N:N-O-H— NH, NO, — NH, NO, Y | N,0 + H,0 NEC O (2)
In verdünnten, nicht zu stark ammoniakalischen Lüsungen von Ammoniumcarbonat werden alle Zwischenstufen sehr rasch durch- laufen, ohne dass die anodische Oxydationskraft völlig ausgenützt wird, insofern stets noch Sauerstoff entweicht. Je mehr freies Am- moniak die Lösung enthält, umso langsamer vollzieht sich die Oxy- dation des Hyponitrits und des Nitrits und umso mehr bekommen die Nebenreaktionen Gelegenheit, in erheblichem Umfange aufzutreten, so dass bei bestimmten Ammoniakkonzentrationen schliesslich die Stickstoffentwicklung das Uebergewicht erhält; neben ihr tritt der Zerfall des Hyponitrits in Erscheinung, dafür aber bleibt die Sauer- stoffentwicklung aus, die anodische Oxydationswirkung wird voll aus- genützt.
6. Hypothese über die elektrolytische Harnstoffbildung.
Wir haben in den Abschnitten 3, 4 und 5 gezeigt, wie die Er- höhung der Konzentration des freien Ammoniaks im Carbaminat- Ammoniak alle Anodenreaktionen beeinflusst. Je mehr freies Am- moniak die Lösung enthält, umsomehr Harnstoff bildet sich, und um- soweniger Harnstoff wird zerstört; gleichzeitig erhält man immer reichlicher die niederen Oxydationsstufen des Ammoniaks, das Am- moniumnitrit, kenntlich an der Stickstoffentwicklung, das Ammo- niumhyponitrit, kenntlich am Auftreten von Stickoxydul, und das einstweilen nicht direkt nachgewiesene Hydroxylamın. Und wenn auch die Ausnützung der elektrolytischen Oxydation besser wird unter Ausbleiben der Sauerstoffentwicklung, so wird doch gleichzeitig die Intensität der Oxydation herabgesetzt.
Es liegt nahe, einen Zusammenhang zu suchen zwischen der Bil- dung des Harnstoffs und dem Vorwiegen der niederen Oxydations- produkte des Ammoniaks, und damit gleichzeitig den Widerspruch zu überbrücken, dass Harnstoff aus Ammoniumcarbaminat an der Anode entsteht, trotzdem die beiden Stoffe demselben Oxydations- grad entsprechen. Es sei nochmals ausdrücklich betont, dass sich die Harnstoffbildung ausschliesslich an der Anode vollzieht, dass die Re- aktion bei Abtrennung des Anodenraumes durch ein Diaphragma ge- nau so verläuft wie bei der gewöhnlichen Versuchsanordnung ohne Dia-
240 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
phragma, und dass die Ausbeuten mit und ohne Diaphragma dieselben sind. Die Reaktion
stellt sich der Gleichung nach als eine Wasserabspaltung dar, kann aber keinesfalls durch eine direkte Oxydation verwirklicht werden. Es müssen vielmehr — und insofern schliessen wir uns dem Gedanken- gange E. Drechsels vollkommen an — eine Reduktion und eine Oxy- dation aufeinanderfolgen, um eine Wasserabspaltung zustande zu bringen. Aber — und hier liegt die grundsätzliche Verschiedenheit gegenüber Drechsels Hypothese — die Reduktion wird durch ein an der Anode aus dem Ammoniak erzeugtes Reduktionsmittel bewirkt, worauf das Reduktionsprodukt seinerseits der anodischen Oxydation verfällt. Es bedarf somit, wie unser Grundversuch der elektrolytischen Harnstoffsynthese durch Gleichstrom ja direkt beweist, nicht der abwechselnden Oxydation und Reduktion durch den Strom, sondern die Gegenwart des Ammoniaks ist die Grundbedingung, und sein Oxydationsprodukt, das Hydroxylamin, ist das an der Anode stets neu erzeugte Reduktionsmittel. Wir formulieren demnach unsere Hypo- these über die elektrolytische Harnstoffbildung folgendermassen : Hydroxylamin ist imstande, Ammoniumcarbaminat (oder Carbami- natanionen oder freie Carbaminsäure) zu Formamid zu reduzieren : /0 -NH, PA 20=0 + 2NH, -OH=20=07 + E,N,0, F2NE, 72,076) \NH, NNH,
Formamid seinerseitsaber gibt durch Oxydation in ammoniakalischer Lösung Harnstoff:
‚„H ENH NH, Con + HO=ICSOMEEEO (4) \NH, NH,
Diskutieren wir zunächst den ersten Satz der Hypothese. Die Durch- führung der Reduktion nach Gleichung (3) durch Oxydation von Am- moniak ist ein Gegenstück zu der bekannten Schönbein'schen Reak- tion, wo aus Salpetersäure und Jodwasserstoff durch das Hinzu- bringen eines Zinkstücks Jod frei und somit durch ein Reduktions- mittel ein Oxydalionsvorgang ausgelöst wird. Sie reiht sich den von R. Luther) beschriebenen Fällen an, bei welchen als Produkt elek- trolytischer Oxydation aus einem reduzierend wirkenden Stoff ein energischeres Reduktionsmittel entsteht.
45) Z. f. Elektrochem. 8. 645 (1902); vergl. auch 7 W. Turrentine, Chem. Zentralbl. 1908. II. 1081.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat, 241
Dass Hydroxylamin eine Reduktion von Carbaminat zu Forma- mid zu bewirken fähig ist, erscheint bei seiner grossen Reduktions- kraft sehr wahrscheinlich. Wir haben darum versucht, die Reduktion des Carbaminats mit fertigem Hydroxylamin zu erzielen. Nachdem wir festgestellt hatten, dass in wässriger Lösung keine Reaktion er- folgt, stellten wir später unsere Versuche bei Ausschluss von Wasser an; wir entfernen uns damit nicht vom Boden der Vergleichbarkeit mit dem in wässriger Lösung vollzogenen elektrolytischen Versuch, weil häufig an den Elektroden Vorgänge sich abspielen, die bei che- mischer Nachahmung nur unter Wasserausschluss gelingen, wovon in Abschnitt 11 noch ein Beispiel folgen wird.
Wasserfreies, krystallisiertes Hydroxylamin, nach den Angaben von Lobry de Bruyn*$) und J.W. Brühl?! )dargestellt, wurde mit frisch bereitetem Ammoniumearbaminat *°) mit oder ohne Zusatz von flüssıgem Ammoniak in Röhren eingeschlossen und entweder in der Kälte einige Zeit sich selbst überlassen, oder mehrere Stunden auf 60—700 erwärmt: bei höheren Temperaturen tritt gewöhnlich Ex- plosion ein. In allen Fällen konnte nach der Aufarbeitung eine kleine Menge Ameisensäure durch die Trübung beim Erwärmen mit Mer- eurichlorid nachgewiesen werden, und noch deutlicher wurde die Re- aktion bei Verwendung einer Mischung von Ammoniumbicarbonat und Hydroxylamin, die im Rohr auf 900 erwärmt worden war. Die Reduzierbarkeit speziell des Bicarbonats zu Formiat ist auch bei den elektrochemischen Versuchen von A.Coehn und St. Jahn‘?) und R. Ehrenfeld®°) an amalgamierten Zinkkathoden festgestellt worden.
Ein eindeutiges, schlagendes Ergebnis haben unsere Versuche zur Prüfung der Gleichung (3) somit noch nicht gehabt. Allein es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Verhältnisse beim elektrolytischen Versuch weit günstiger liegen, weil das entstehende Hydroxylamın, soweit es nicht reduzierend wirkt, sofort durch Oxydation entfernt wird, wie auch andrerseits das gebildete Formamid durch die folgende Umwandlung in Harnstoff der weiteren Einwirkung des Hydroxyla- mins entzogen wird. Bei der chemischen Nachahmung aber kann durch die Wirkung von überschüssigem Hydroxylamin auf Formamid Formhydroxamsäure 51) H-CO—NH OH entstehen, die sich bereits wenige Grade über ihrem Schmelzpunkt 820 explosionsartig und in
46) Rec. trav. chim. Pays-Bas 10. 100 (1891); 11. 18 (1892).
47) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 26. 2508 (1893); 27. 1347 (1894).
48) Bez. der Darstellung vergl. Fr. Fichter und Bernhard Becker, Ber, d. deutsch. chem. Ges. 44. 3474 (1911).
4) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 37. 2836 (1904).
50) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 38. 4138 (1905).
51) C. Hoffmann, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 22. 2854 (1889).
16
242 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Lösung schon bei gewöhnlicher Temperatur in Kohlenoxyd und Hydroxylamin zersetzt.®?) Wenn endlich die Bedingung der Redu- zierbarkeit darin beruhen sollte, dass Bikarbonatanıon oder Carba- minatanion oder freie Carbaminsäure in unmittelbarer Umgebung der Anode mit dem Hydroxylamın in Reaktion treten, so ist an eine Reproduktion ohne Elektrolyse gar nicht zu denken. Unter diesem Gesichtspunkt wird es auch vollkommen verständlich, dass es uns bisher nicht geglückt ist, durch rein chemische Oxydation mit Cal- ciumpermanganat aus Carbaminat-Ammoniaklösung Harnstoff zu erhalten, was mit den Angaben von J.T. Halsey??) übereinstimmt; denn auch dabei fehlt die Möglichkeit des Zusammentreffens von nascierendem Hydroxylamin mit Carbaminatanionen.
7. Die Rolle des Formamids bei der Harnstoffbildung.
Die ungenügenden Beweise der Richtigkeit der Gleichung (3) untergraben die Zulässigkeit unserer Hypothese nicht, wenn sich dieselbe in anderer Richtung als brauchbar und umfassend erweist. Die allgemeine Anwendbarkeit der durch die Gleichung (4) wieder- segebenen Vorstellung von der Umwandlung des Formamids in Harnstoff durch Oxydation in ammoniakalischer Lösung soll nun- mehr diskutiert werden.
Von allen in der Literatur beschriebenen Harnstoffsynthesen sind die merkwürdigsten die, bei denen von stickstofffreien Kohlen- stoffverbindungen ausgegangen wird.
Anı klarsten präsentiert sich unter dem neuen Gesichtspunkt die Reaktion von A..Jouve?t): eine Auflösung von Kohlenoxyd in am- moniakalischer Cuprochloridlüsung wird im geschlossenen Rohr er- hitzt und gibt unter Abscheidung von metallischem Kupfer Harn- stoff. Nach unserer Anschauung vereinigt sich hiebei Kohlenoxyd mit Ammoniak zu Formamid und dieses wird in der ammoniaka- lischen Lösung zu Harnstoff oxydiert.
CO + NE, = H - CO - NH, (5) H - CO : NH, +3 NH, + 2 Cu CI = NH, - CO - NH, + 2 Cu + 2 NH, CI
S. M. Losanitsch und M.Z.Jovitschitsch??) haben im Elektrisator aus Kohlenoxyd und Ammoniak unter dem Einfluss der stillen elek- trischea Entladungen Formamid erhalten und damit die eben formu-
52) H. C. Biddle, Ann. d. Chem. 310, 14 (1900).
53) Z. f. physiol. Chemie. 25. 325 (1898).
54) Compt. Rend. Acad. Sciences Paris 128. 114 (1899). 55) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 30. 138 (1897).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 243
lierte Gleichung (5) verwirklicht; bekanntlich ist auch die Gegen- reaktion
H-C0O-NH,=CO+NH, leicht durchführbar, insofern Formamid schon beim Sieden in seine Komponenten zerfällt.
A. Slosse55) fand im Solvay'schen Institut, dass eine Mischung von 2 Volumina Ammoniak und 1 Volumen Kohlenoxyd im Elek- trisator direkt Harnstoff liefert, und die Beobachtung ist von H. Jackson und D. Northall-Laurie 57) bestätigt worden. Wir vermuten, dass infolge der Gegenwart von Luft das primär gebildete Forma- mid nach Gleichung (4) zu Harnstoff oxydiert worden ist.
In der Absicht, die Hofmeister’sched®) Theorie der physiolo- gischen Harnstoffbildung zu prüfen, haben J.T.Halsey5?) und später H.Eppinger‘®) eine grosse Zahl von organischen Stoffen in ammonia- kaliıscher Lösung mit Permanganat oxydiert und dabei aus vielen stickstofffreien Substanzen Harnstoff erhalten. Wir führen diese Fälle in Anlehnung an die von Eppinger aufgestellte Tabelle an.
Es lieferten Harnstoff:
CH, : OH
. CE, : OH — CH, - OH CH, : OH — COOH CH; — CH - OH — COOH CH OH — CH, - COOH CH, OH — CH - OH — COOH HOOC — CH - OH — COOH HOOC — CH, — CH - OH — COOH HOOC - CH : OH - CH: OH - COOH CH, — CO — CH; CH, — CO — COOH HOOC — CO — COOH.
Dagegen gaben keinen Harnstoff:
CH, — CH,-OH CHO — CHO CH, — CH, — CH, -OH CHO — COOH
“CH. -CH-0H CH, H-COOH CH,-OH—CH-0H—CH,-0H CH,— COOH H-CHO CH, — CH, _COO0H CH, —CHO HOOC — COOH
CCl, — CHO HOOC — CH, — COOH
CH, — CH, — CHO
56) Bull. Acad, roy. Belgique 35. 547 (1898). 57) Proceedings Chem. Soc. 21. 118 (1905).
58) Arch. exp. Pathol. u. Pharmak. 37. 426 (1896). 59) Z. f. physiol. Chem. 25. 325 (1898).
60) Beitr. z. chem. Physiol. u, Pathol. 6. 481 (1905).
244 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Die Harnstoff-liefernden Substanzen sind — wenn wir vom später zu besprechenden Methylalkohol absehen — Oxysäuren, Ketone und Ketonsäuren: das Glykol kann durch Oxydation sofort in Gly- kolsäure übergehen und ist also auch den Oxysäuren zuzurechnen. W.v. Miller und A.Hofer®!) haben das Verhalten von Oxysäuren an der Anode untersucht und dabei stets die Bildung von Kohlenoxyd neben Kohlendioxyd beobachtet. So erscheinen also die Eppinger- schen Versuche im Lichte unserer Hypothese folgendermassen :
Alle organischen Stoffe, welche bei der Oxydation Kohlenoxyd liefern, geben beim Arbeiten in ammoniakalischer Lösung Formamid und daraus durch weitere Oxydation Harnstoff. Die erste Bindung zwischen Kohlenstoff und Stickstoff kommt auf Grund der Vereini- gung von Kohlenoxyd und Ammoniak zustande.
J.T.Halsey hatte in der Tat in vielen Fällen bei den Oxyda- tionen in ammoniakalıscher Lösung Formamid und Oxaminsäure, die als Carbonsäure des Formamids betrachtet werden darf, aufge- funden : aber er wollte dem Formamid®?) nicht die allgemeine Rolle als Zwischenprodukt bei diesen Harnstoffsynthesen zuschreiben, weil es, Hunden verfüttert, im Harn als Ameisensäure erschien. Wir halten den Einwand für gegenstandslos, umsomehr, als wir in den hier behandelten Reaktionen wohl überhaupt kein Abbild der phy- siologischen Harnstoffbildung zu sehen berechtigt sind.
Wir haben nun noch experimentell nachgewiesen, dass die Hof- meister-Eppinger'schen Versuche unter den Bedingungen unserer elek- trolytischen Harnstoffsynthese glatt verlaufen.
a) 3 ccm entsprechend 4.01 gr Formamid wurden in einer Lö- sung mit 12 Grammäquivalenten freiem Ammoniak und einem hal- ben Grammäquivalent Ammoniumnitrat im Liter an einer Platin- anode mit einer Stromdichte von 0.01 Amp/qem oxydiert, wobei durch Kühlung eine Temperatur von 14° innegehalten wurde; als Kathode diente ebenfalls ein Platinblech. Der Gleichung
H-CO-NH, + NH, + O0 +—2F = NH, — CO — NH, + H,0 nach wären nur 2 F erforderlich, um die Oxydation zu vollziehen ; allein es wird ein erheblicher Teil des Stromes zur Oxydation des Ammoniaks verbraucht, und so erhielten wir mit 2 6.390 4727820: SE LG DOS der berechneten Menge an Harnstoff.63)
61) Ber. d. deutsch. chem Ges. 27, 461 (1894).
62) Das bei der Oxydation mit Permanganat in ammoniakalischer Lösung ebenfalls reichlich Harnstoff bildet.
63) Die Versuchszahlen sind folgende: die 4.01 gr Formamid verlangen für 2 F 4.78 Ampere-Stunden, angewandt wurden im letzten Versuch 19 Am- pere-Stunden, und erhalten wurden 0.88 gr Harnstoff; Ameisensäure war bei dem ersten und zweiten Versuch noch nachweisbar, beim dritten nicht mehr.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat, 245
b) Nach v. Miller und Hofer sind speziell die Tartrate durch eine reichliche Kohlenoxydentwicklung bei der elektrolytischen Oxy- dation ausgezeichnet. 100 ccm einer Lösung mit 10 Grammäqui- valent freiem Ammoniak, einem halben Grammäquivalent Ammo- niumnitrat und 2.5 gr Weinsäure wurden an Platinelektroden elek- trolysiert; die anodische Stromdichte betrug 0.01 Amp/qem, die Temperatur 15-16°. Mit 100 Amperestunden wurden aus dieser Lösung 0.87 gr Harnstoff erhalten gegenüber 0.60 gr bei Verwen- dung von Carbaminat-Ammoniak.
Bei allen diesen elektrolytischen Versuchen kann die Ausbeute in keinem rationellen Verhältnis zur angewandten Strommenge stehen, denn die Vorgänge sind kompliziert und das richtige Inein-- andergreifen von Zufälligkeiten abhängig. Ueberblicken wir noch- mals den ganzen Zusammenhang, so bietet sich folgendes Bild der elektrolytischen Harnstoffsynthese :
Bei Versuchen mit Carbaminat: Bei Versuchen mit oxydierbaren | organischen Stoffen: Ja. Ammoniak wird oxydiert zu Ib. Der organische Stoff wird
Hydroxylamın. oxydiert zu Kohlenoxyd.
IIa. Das Carbaminat wird durch IIb. Das Kohlenoxyd tritt mit Hydroxylamın zu Formamid Ammoniak zusammen zu Form- reduziert. amid.
III. Das Formamid wird in Gegenwart von Ammoniak oxydiert zu Harnstoff.64) IV. Der Harnstoff wird an der Anode zum Teil wieder zerstört.
Neben diesen Vorgängen verläuft fortwährend die Oxydation des Ammoniaks unter Bildung von Hyponitrit und Stickoxydul bezw. von Nitrit und Stickstoff und endlich von Nitrat; wir besitzen bis jetzt kein Mittel, um die Stromarbeit auf die Harnstoffbildung zu beschränken.
8. Elektrolytische Harnstoffsynthesen mit anderem Anoden- material.
Als wir zum erstenmal durch Gleichstromelektrolyse aus Car- baminat-Ammoniak Harnstoff erhalten hatten, schien es uns wahr- scheinlich, dass das nascierende Kohlendioxyd mit dem gelösten Am-
64) Bezüglich des intimeren Verlaufs vergleiche die Gleichungen (4a) und (4b) am Schluss des 12. Abschnitts.
246 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
moniak direkt unter Wasserabspaltung reagiert habe.65) Die Rich- tigkeit der Anschauung liess sich leicht prüfen auf Grund der Ueber- legung, dass dann alle ammoniakhaltigen Elektrolyten, die an der Anode eine Kohlendioxydentwicklung geben, zur Harnstoffbildung befähigt sein mussten. So untersuchten wir Ammoniumformiat und Ammoniumacetat und zwar beide mit positivem Erfolg. Endlich glaubten wir, auch die von A.Millot66) beschriebene Bildung von Harnstoff durch Elektrolyse von Ammoniak an Kohleanoden auf Kohlendioxydentwicklung zurückführen zu sollen; ähnliche Versuche mit Graphitanoden im Wechselstrom hatte Drechsel®?) angestellt. Wir erhielten durch Angriff von Graphitanoden im Gleichstrom ganz beträchtliche Harnstoffausbeuten.
In einem weiten Rohr befand sich als Anode ein Graphitstab und als Kathode ein U-förmiges wasserdurchflossenes Bleirohr, das gleich- zeitig als Kühler diente und die Temperatur auf 150 zu regeln er- laubte. Die Lösungen enthielten ein halbes Grammäquivalent Am- moniumnitrat und wechselnde Mengen von freiem Ammoniak.
Grammäquivalente Ampère- Harnstoff Ausbeute in freies Ammoniak Sromdichte stunden in gr. 100 Ampere- im Liter angewandt stunden 1 0.182 Amp/qcm 5 0.005 0.10 4 0.455 en 30 0.20 0.65 8 0.455 e 20 0.40 2.00 16 0.455 ir 30 0.45 1.50
Bei niedrigem Ammoniakgehalt wird die Anode stark korrodiert und zerstäubt: deshalb konnte man beim ersten Versuch weder die gleiche Stromdichte noch die gleiche Zeitdauer wählen wie bei den übrigen Versuchen. In der Kurve Figur 3 sieht man, wie bei 8 Grammäquivalent Ammoniak im Liter ein Maximum der Harn- stoffausbeute erreicht wird, worauf dann bei weiterem Anstieg der Konzentration die Ausbeute wieder etwas sinkt.
Verwendet man Carbaminat-Ammoniak an Graphitanoden, so müssen sich die beiden Reaktionen der Harnstoffbildung aus Car- baminat und der Harnstoffbildung ausGraphit superponieren und die Ausbeute in die Höhe treiben. In der Tat ergab ein Versuch mit einer Anodenstromdichte von 0.427 Amp/qem in 23.5 Ampere-Stunden 0.92 gr oder also in 100 Ampere-Stunden 3.90 gr Harnstoff, die höchste bis jetzt erreichte Ausbeute.
65) K. Stutz, Diss. Bas. 1911; Z. f. Elektrochem. 16. 610 (1910). 66) Compt. Rend. Acad. Sciences Paris 101. 432 (1885); 103. 153 (1886). 67) Journ. prakt. Chem. [2] 22. 483 (1880).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 247
Die Ausbeuten sind auch an Kohlen- und Graphitanoden eigent- lich noch recht niedrig, und die Auslegung der Reaktion als eine Folge der Kohlendioxydentwicklung kann in diesem Fall so wenig befriedigen, wie beim Carbaminat-Ammoniak. Dagegen ist doch auch an Kohlen- und Graphitanoden eine Kohlenoxydentwicklung mög- lich, und somit kann die Formamidbildung und die Harnstoffsyn- these wieder in den oben erörterten Bahnen erfolgen. A. Bartoli und G.Papasogli‘®)geben an, dass sich an Anoden aus Retortenkohle, Holzkohle oder Graphit in Lösungen, die eine Entwicklung von Sauerstoff ermöglichen, Kohlendioxyd, Kohlenoxyd und kompliziert zusammengesetzte organische Substanzen bilden; A. Coehn®?) fand bei der Elektrolyse von Schwefelsäure an Kohleanoden im Anoden- gas neben 700/, Kohlendioxyd 30°/, Kohlenoxyd; und wenn L.
—<
Harnstoffbildung a. Graphitanode
Sproesser 0) feststellt, dass unter den flüchtigen Oxydationsprodukten der Kohleanoden allein Kohlendioxyd wesentlich in Betracht fällt, so ist zu berücksichtigen, dass er mit Alkalichloridlösungen expe- rimentierte, und dass er selbst auf das verschiedenartige Verhalten der Kohlen in verschiedenen Elektrolyten aufmerksam macht.
Im Zusammenhang mit den Versuchen an Graphitanoden stu- dierten wir auch das Verhalten anderer Anodenmaterialien.
Die von der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron uns in liebenswürdiger Weise überlassenen Kisenoxyduloxydanoden eignen
68) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 16. 1210 (1883. 69) Z. f. Elektrochem. 2. 542 (1896). 70, 7. f. Elektrochem. 7. 1074 (1901).
248 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
sich ebensogut wie Platinanoden zur Harnstoffsynthese aus Carbami- nat-Ammoniak. Allerdings wird der Elektrolyt durch abgesprengte rote Partikelchen verunreinigt, und die Bildung von Ammonium- nitrat tritt stark zurück, aber die Harnstoffausbeute ist fast dieselbe wis an Platinanoden.
Die meisten Metalle werden als Anoden in Carbaminat-Am- moniak sehr stark angegriffen, wobei offenbar die Leichtlöslichkeit der Carbaminate eine grosse Rolle spielt. Wir haben einige Versuche mit Quecksilberanoden, die sich reichlich auflösen, durchgeführt.
Am Boden eines Becherglases liegt eine Quecksilberschicht als Anode, deren Verbindung mit der Stromquelle durch einen Eisen- draht in einem Glasrohr vermittelt wird. Als Kathode dient ein Eisenblechstreifen in einer Tonzelle und als Elektrolyt eine gesättigte Carbaminat-Ammoniaklösung. Mit einer Stromdichte von 0.05 Amp/qem an der Anode und unter guter Kühlung wird nun elektro- lysiert, wobei die auf der Anode gelegentlich sich bildende Schicht durch Rühren gelöst werden muss. Lässt man die erhaltene Lö- sung an der Luft stehen oder vermischt man sie mit Wasser, so schei- det sich ein gelbstichig weisses Krystallpulver aus, das sich am Licht grau färbt: es ist das Carbonat®1) der Millon schen Base von der For- mel (O-Hg,: NH, ), CO;, das von Salzsäure in der Kälte nur lang- sam angegriffen wird.
I. 0.5191 gr Substanz gaben 0.5220 gr HgS II. 0.6229 gr Substanz gaben 0.02635 gr NH; Ill. 0.5622 gr Substanz gaben 0.0278 gr CO,
(O-Hg,-NH,), CO, Ber. He 86.58%) N 3.03° CO, 6.49%) Ge 600866900100 13 4800 0A
Das durch Oxydation an der Anode entstehende Quecksilberoxyd vereinigt sich mit dem Ammoniak der Lösung zur Millon’schen Base, deren Carbaminat zunächst gelöst bleibt, aber beim Verdunsten des Ammoniaks oder beim Zufügen von Wasser durch Hydrolyse in das schwerlôüsliche Carbonat übergeht:
2 (0 - Hg, -NH,): 000. NH, +2 H,0 = (0 - Hg, : NH,), CO, + (NH,) CO; Das ausgefallene Carbonat löst sich in Carbaminat-Ammoniak leicht wieder auf unter Rückbildung des Carbaminats.
71) Millon, Ann, chim. phys. [3]. 18. 397 (1846); Hirzel, Ann. d. Chem, 84. 258 (1852).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 249
9. Elektrolytische Harnstoffsynthese aus Ammoniumformiat ; Elektrolysen in Divers’scher Flüssigkeit.
Es wurde oben kurz erwähnt, dass wir zur Stütze unserer Kohlen- dioxydhypothese auch die elektrolytische Oxydation von Ammonium- formiat in ammoniakalischer Lösung untersucht haben.
140 cem ca. 85 ®/„iger Ameisensäure wurden mit 120 ccm Wasser verdünnt und mit Ammoniakgas durch fortgesetztes Einleiten völlig gesättigt; eine kleine Menge ausgeschiedenen Ammoniumformiats wird durch Filtration entfernt, und die Lösung nun in dem für Car- baminat-Ammoniak verwendeten Apparate mit 0.389 Amp/qem ano- discher Stromdichte elektrolysiert. Die Aufarbeitung gestaltet sich in diesem Fall etwas schwieriger, weil bei der Behandlung mit Baryum- carbonat grosse Mengen von Baryumformiat entstehen, aus denen der Harnstoff mit Alkohol extrahiert werden muss. Die Ausbeute war niedrie und betrug nur 0.20 gr in 100 Ampere-Stunden, gegenüber 0.60 gr mit Carbaminat-Ammoniak.
Der geringe Erfolg des Versuches könnte so gedeutet werden, dass an der Anode infolge Oxydation des Formiats Carbonat entstan- den wäre, das in der stark ammoniakalischen Lösung in Carbaminat übergehen und somit Harnstoff liefern musste.
Aber neue Versuche unter etwas anderen Bedingungen zeigten uns, dass auf irgend einem Wege Ammoniumfornuat direkt in Harn- stoff übergehen muss, ohne die intermediäre Bildung von Carbonat oder Carbaminat.
Divers'2) hat die merkwürdige Lösung von Ammoniumnitrat in verflüssigtem Ammoniak genau untersucht und festgestellt, dass sie den elektrischen Strom leitet. Die Divers’sche Flüssigkeit löst Ammoniumcarbaminat in geringer Menge auf. Ein Ansatz mit 40 gr Ammoniumnitrat, verflüssigt durch Einleiten von Ammo- niakgas unter Kühlung durch Eiswasser, wurde mit 10 gr Ammo- niumcarbaminat in zwei Portionen versetzt und zwischen zwei Pla- tinelektroden unter fortwährender Kühlung elektrolysiert, wobei die Anode stark angegriffen wurde. Die Stromdichte an der Anode be- trug 0.18 Amp/gem. Der Apparat ist mit Gaszu- und -ableitungs- röhren versehen, um fortwährend Ammoniak zuführen zu können, da sonst um die Anode herum Ammoniumnitrat auskrystallisiert. Das Abdampfen mit Baryumcarbonat nahm wegen der grossen Ni- tratmenge mehrere Tage in Anspruch. Die Titration mit Mercuri-
72) Proceed. Roy. Soc. London 21. 109 (1873).
250 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
nitrat ergab schlieslich eine Harnstoffausbeute von 0.5 gr in 100 Ampere-Stunden.”3)
Ermutigt durch diese Versuche verwendeten wir nun an Stelle der Divers schen Flüssigkeit eine Lösung von 20 gr Ammonium- formial in 50 cem verflüssigtem Ammoniak, wobei die Anode viel weniger korrodiert wurde. Es ergab sich eine Harnstoffausbeute von 0.5 gr in 100 Ampere-Stunden, bei einer Anodenstromdichte von 0.28 Amp/gem.
Dieser Versuch beweist aber, dass nicht Carbaminat als Zwi- schenprodukt entsteht. Denn das Lösungsvermögen des flüssigen Am- monlaks ist geringer als das der Divers’schen Flüssigkeit, und speziell Ammoniumcarbonat und Ammoniumcarbaminatsind darin völlig un- löslich, wie aus den Angaben der Läiteratur 4) hervorgeht, und wo- von wir uns auch durch eigene Versuche us haben: man kann dies am einfachsten beobachten, wenn man in flüssiges Ammoniak trockenes Kohlendioxydgas einleitet, wodurch sofort ein Niederschlag entsteht. Bei der Elektrolyse von Ammoniumformiat in flüssigem Ammoniak tritt aber nie eine The auf, der Elektrolyt bleibt voll- kommen klar.
In wässriger Lösung geben Formiate an der Anode nur Kohlen- dioxyd; aber bei Ausschluss des Wassers, bei Verwendung einer Lö- sung von Natriumformiat in wasserfreier Ameisensäure, erhielt K. Hopfgartner‘®) neben Kohlendioxyd geringe Mengen von Kohlen- oxyd und Sauerstoff. Wenn die Elektrolyse in flüssigem Ammoniak einen ähnlichen Verlauf nimmt, so ist damit die Möglichkeit der Bil- dung von Formamid gegeben und unsere bisherige Hypothese der Harnstoffbildung anwendbar.
Man kann aber auch annehmen, dass in der unmittelbaren Um- gebung der Anode die in konzentriertestem Zustand auftretende, aus den Anionen regenerierte Ameisensäure 76) direkt mit dem Ammo- niak Formamid bildet, ganz ähnlich wie beispielsweise A. Renard 7) bei der elektrolytischen Oxydation von Aethylalkohol in wässrig- schwefelsaurer Lösung aus der entstehenden Essigsäure an der Anode Essigester erhielt. Damit befänden wir uns aber wieder auf dem
73) In Divers’scher Flüssigkeit kann man auch durch anodischen Angriff von Graphit Harnstoff darstellen. Bei einer Anodenstromdichte von 0.137 Amp/qem entstanden in 11.74 Ampere-Stunden 0.21 oder also in 100 Ampere-Stunden 1.75 gr Harnstoff, somit etwas mehr als in wässriger Lösung mit 16-n Ammoniak.
74) J, Bronn, Verflüssigtes Ammoniak als Lösungsmittel, Berlin (1905).
75) Monatsh. f. Chem. 32. 523 (1911).
76, Formiate werden an glatter Platinanode nicht mit 100% Stromausbeute oxydiert, vergl. Fr. Salzer, 7. f. Elektrochem, 8. 896 (1902).
17) Ann. chim. phys. [5] 17. 289 (1879).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 251
Boden unserer Hypothese, und ausserdem würde so der Widerspruch aufgeklärt, dass bei chemischer Oxydation Æppinger aus Ameisen- säure keinen Harnstoff erhielt (vgl. die Tabelle S. 243.)
Im Anhang an die Elektrolyse von Ammoniumearbaminat in Divers scher Flüssigkeit sei hier noch ein Versuch ganz anderer Art kurz erwähnt. Wir wollten feststellen, inwiefern die Verwendung von Divers scher Flüssigkeit als Lösungsmittelin der organischen Elektro- chemie durchführbar sei, und wählten als Beispiel die Reduktion von Nitrobenzol.
Ein Rohr ist mit einem fünffach durchbohrten paraffinierten Kork verschlossen, der die beiden Elektroden, die Gaszu- und -ablei- tungsröhren und ein kurzes, weites, oben gewöhnlich verschlossenes Glasrohr zur Einführung der Substanz trägt. Man beschickt das Rohr mit Ammoniumnitrat, kühlt mit Eis-Kochsalz-Mischung, leitet Am- moniakgas ein und gibt nach der Verflüssigung kleine Mengen Nitro- benzol zu; 2 ccm lösen sich in der mit 60 gr Ammoniumnitrat dar- gestellten Mischung gerade noch auf, wobei der ununterbrochene Am- moniakgasstrom während der Elektrolyse als Rührer wirkt. Wegen der starken Korrosion der Platinelektroden wählten wir eine Graphit- anode und eine Bleikathode, die zwar auch angegriffen werden, aber ohne grosse Kosten zu erneuern sind.
Das Nitrobenzol wird ziemlich glatt zu Azoxybenzol reduziert, und zwar am besten mit einer kathodischen Stromdichte von 0.04 Amp/qem und mit dem Anderthalbfachen 8) der auf Grund der Gleichung 2 CH; : NO, + 6H +6F=(C,H, — N—N—C;H; + 3 H,0
NO”
berechneten Strommenge. Zur Aufarbeitung wird der Elektrolyt, in dem das Azoxybenzol in Form von Oeltröpfehen sichtbar ist, mit wenig Wasser versetzt, einige Zeit der Verdunstung überlassen, dann abgekühlt, um das Oel zum Erstarren zu bringen, abfiltriert, der Rest des Produktes aus der Lösung mit Aether extrahiert und das Ganze aus Alkohol umkrystallisiert, worauf es den Schmelzpunkt 360 aufwies. Die Ausbeute an nicht umkrystallisiertem Produkt be- trug fast 83 0/,.
Die Anwendung einer Tonzelle ändert nichts am Erfole des Versuchs, ebensowenig: die Vertauschung der Bleikathode gegen eine solche aus Eisen, Kupfer, Platin oder Graphit. Der Verlauf der Re- duktion ist derselbe wie in wässrig-alkalischer Suspension.®?) Einer
TS) Mit grösseren Stromüberschüssen trat Garbylamingeruch auf, vergl.
J. Möller, 2. f. Elektrochem. 5. 463 (1899). 79) W. Loeb, Z. f. Elektrochem. 5. 335 (1898).
252 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
allgemeineren Benützung der Divers schen Flüssigkeit steht die ge- ringe Löslichkeit der meisten organischen Substanzen entgegen.
10. Elektrolytische Harnstoffsynthese aus Methylalkohol und aus Ammoniumacetat.
Von der Absicht ausgehend, die Harnstoffzerstörung bei den gewöhnlichen Synthesen aus Carbaminat-Ammoniak zu vermeiden, setzten wir als leicht oxydierbaren Schutzkörper Methylalkohol zu und erzielten damit in der Tat eine Erhöhung der Ausbeute von 0.60 auf 1.63 gr Harnstoff in 100 Ampere-Stunden. Das Mehr von 1.03 gr Harnstoff stimmte fast völlig überein mit der 1m 3. Abschnitt. berechneten Menge des in 100 Ampere-Stunden zerstörten Harnstoffs. Trotzdem war die Ansicht von der Schutzwirkung des Methylalkohols nicht aufrecht zu erhalten, denn bei der Elektrolyse einer carbaminat- freien Lösung, die ein halbes Grammäquivalent Ammoniumnitrat im Liter und 5 cem Methylalkohol auf 100 ccm enthielt, und mit Am- moniak gesättigt war, entstanden 1.35 gr Harnstoff in 100 Ampere- Stunden. Das beweist unzweideutig, dass der Methylalkohol selbst das Kohlenstoffmaterial zur Harnstoffsynthese liefert.
K.Elbs und ©. BrunnerS) haben die elektrolytische Oxydation von Methylalkohol in schwefelsaurer Lösung untersucht und dabei an blanken Platinanoden Formaldehyd als Hauptprodukt erhalten; daneben traten Ameisensäure, Kohlenoxyd und Kohlendioxyd in un- tergeordneter Menge auf.
In der ammoniakalischen Lösung haben wir Formaldehyd bis- her nicht nachweisen können. Es ist zu erwarten, dass sich an seiner Statt Hexamethylentetramin bilden würde, das durch die empfind- liche Reaktion mit Bromwasser ausgezeichnet charakterisiert ist, aber nie beobachtet wurde. Ausserdem haben wir festgestellt, dass fertiges Hexamethylentetramin in ammoniakalischer Lösung nur sehr lang- sam anodisch oxydiert wird, also sicher in der Lösung erhalten bliebe, wenn es überhaupt entstände.
Mit dieser Beobachtung steht in vollem Einklang, dass Eppinger zwar durch Oxydation von Methylalkohol mit Permanganat in ammo- niakalischer Lösung Harnstoff erhielt, nicht aber durch Oxydation von Formaldehyd.
Bis zur Beibringung neuer Beobachtungen über die vorliegende Reaktıon ist es am richtigsten, auf die Formamidhypothese zurück- zugreifen und anzunehmen, dass der Methylalkohol nach vorgängiger Bildung von Kohlenoxyd in der ammoniakalischen Lösung in Form-
80) Z. f. Elektrochem. 6. 604 (1900).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 253
amid umgewandelt wird, das seinerseits als Material für die Harn- stoffbildung dient:
SH OH > CO — H-CO:NH, > NH, CO NH.
Die ursprüngliche Kohlendioxydhypothese der Harnstoffbil- dung hatte uns auch zu Versuchen mit den Ammoniumsalzen ver- schiedene: Fettsäuren veranlasst, die ja sämtlich an der Anode unter Kohlendioxydentwicklung reagieren. Ein positives Ergebnis brachte ausser Ammoniumformiat (Abschnitt 9) Ammoniumacetat, wäh- rend Ammoniumbutyrat, Ammoniumoxalat und Ammoniumbenzoat- keinen Harnstoff liefern, wodurch die Zulässigkeit der Kohlendi- oxydhypothese untergraben war.
Auffallen musste zunächst das positive Ergebnis bei Ammonium- acetat, das im Widerspruch zu den Beobachtungen von Eppinger stand: doch erklärt sıch unser Resultat sehr einfach, wenn man die näheren Umstände ins Auge fasst. Wir waren nämlich ın Rücksicht auf die Harnstoffzerstörung genötigt, in ammoniakalischer Lösung zu arbeiten; dadurch kamen wir aber aus dem Bereich der beabsich- tigten Kolbe'schen Reaktion
20H 0002.72 C 2100, ins Gebiet der Reaktion von H.Hofer und M.Moest,®!) Bildung von Methylalkohol neben Kohlendioxyd
CH, "COOP OH 7 2 = CH, OH + CO,. Sowie aber Methylalkohol entstanden ist, so muss wieder die Harn- stoffbildung auf dem oben geschilderten Wege ın ihre Rechte treten. Der aus Ammoniumacetat erhaltene Harnstoff war übrigens immer stark verunreinigt.
11. Elektrolytische Oxydation von Aethylalkohol in ammonia- kalischer Lösung.
Bei den ersten Versuchen über die elektrolytische Harnstoffsyn- these wurde gelegentlich ein nach der Basarow’schen 8) Methode in alkoholischer Lösung dargestelltes Ammoniumcarbaminat verwendet, das nicht völlig von Alkohol befreit worden war. Nach der elektroly- tischen Oxydation dieses Präparates in wässriger Lösung blieb bei der üblichen Aufarbeitung durch Eindampfen mit Baryumcarbonat ein krystallinischer Rückstand, der aus Alkohol umkrystallisiert werden konnte und die Reaktionen eines Nitrates aufwies. Es wurde als
81) Ann. d. Chem. 323. 284 (1902). 82) Journ. prakt. Chem. [21 1. 283 (1870).
254 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Acetamidin-nitrat erkannt. Zur Darstellung benützten wir zunächst folgende Vorschrift:
100 ccm einer bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösung von käuflichem Ammoniumcarbonat werden mit 5 cem Alkohol ver- setzt und in einer Platinschale, die zugleich als Anode dient, mit einer Anodenstromdichte von 0.01 bis höchstens 0.02 Amp/gem elek- trolysiert. Als Kathode verwendet man eine Platinscheibe (elektro- analytischer Apparat nach A. Classen) oder eine kleine Bleirohrspi- rale von etwa 18 gem Oberfläche, die gleichzeitig als Kühlrohr von kaltem Wasser durchflossen ist. Man leitet nun einen ziemlichen Stromüberschuss durch (mindestens 10 Ampere-Stunden), weil bei ungenügender Oxydation des Alkohols schmierige braune Nebenpro- dukte, vermutlich Aldehydharze, entstehen, welche die Reinigung des Acetamidin-nitrates erschweren. Nach beendeter Oxydation wird die Lösung auf dem Wasserbade abgedampft, wobei stets der Geruch nach Acetamid auftritt, und die zurückbleibende Mischung von Am- moniumnitrat und Acetamidin-nitrat so lange mit fein gepulvertem Baryumcarbonat eingedampft, als sich noch Ammoniak entwickelt. Wenn das mit Alkohol ausgezogene Produkt nach dem Verjagen des Lösungsmittels und nach dem Erkalten noch von gefärbten Sub- stanzen durchtränkt ist, wird es auf Tonteller gestrichen und dann aus Alkohol umkrystallisiert. Die beste Ausbeute an rohem Acet- amidin-nitrat betrug 2 gr unter Anwendung von 10 Ampere-Stunden.
Das Eindampfen mit Baryumcarbonat ist die einzige brauchbare Methode, um das Ammoniumnitrat zu entfernen, aber das Acetami- din-nitrat wird bei der anhaltenden Behandlung auf dem Wasserbad auch zum Teil zerstört. Acetamidin-pikrat **) ist nicht genügend schwer löslich, um eine quantitative Abscheidung zu gestatten, und Kondensationsversuche mit & - Bromacetophenon analog den von Fr. Kunkell®*) am Benzamidin studierten Reaktionen blieben erfolglos.
Das Acetamidin-nitrat bildet nach mehrfachem U mkrystallisieren aus Alkohol rein weisse Nadeln vom Schmelzpunkt 189°, die sich in Wasser sehr leicht, in kaltem Alkohol schwer, in heissem Alkohol leicht auflösen.
I. 0.1672 gr Substanz gaben 0.1222 gr CO, und 0.0888 gr H,O
II. 0.2106 gr Substanz gaben 64.5 cem N; bei 19° und 739mm
III. 0.2293 gr Substanz gaben 0.7087 gr Nitronnitrat, nach M. Busch ®)
88) W. Dieckmann, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 25. 547 (1892). 81) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 34. 637 (1901). 85) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 38. 861 (1905).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 255
CH, -- CA Dr -HNO, Ber. C 19.82%), H 5.83% N 34.71°/o NH, Gef. „19.93%%, „5.90% ,, 34.82%
HNO, 52.05°%
a
Zur Identifizierung setzten wir das nach A. Pinner$6) dar- gestellte Acetamidinchlorid mit der äquivalenten Menge Silbernitrat um und erhielten ein Präparat von genau denselben Eigenschaften, wie das elektrolytisch dargestellte.
Bei der beschriebenen Reaktion hat der Strom zwei Aufgaben zu lösen: er muss einerseits den Alkohol zu Acetamidin
NH CH, - CH, OH +20 42 NH, +4 F- CH, CK, 13,0
2
und andrerseits das Ammoniak zu Salpetersäure oxydieren
Die Amidine der Fettreihe sind in freiem Zustand sehr unbestän- dig und zerfallen schon bei gelindem Erwärmen mit Wasser in Am- moniak und die entsprechenden Säuren. Nur in Form der Salze lassen sie sich aus einer wässrigen Lösung isolieren, und da Acetamidin eine viel stärkere Base ist als Ammoniak, so muss sich aus Ammoniumni- trat und dem entstandenen Acetamidin Acetamidin-nitrat bilden, das auch der Behandlung mit Baryumcarbonat und Wasser ziemlich gut Stand hält. Das Vorhandensein von Ammoniumnitrat ist aber eine Grundbedingung für das Gelingen des Versuchs. Darum spielt auch die Stromdichte an der Kathode eine grosse Rolle, denn bei hoher Stromdichte wird dort mehr Nitrat durch Reduktion zerstört als bei niedriger. Wir haben darum später das Verfahren etwas abgeändert.
In einem Becherglas steht eine grosse Platinblechkathode und in centrischer Anordnung dazu eine 50 qem grosse Platindraht- netzanode: so kann die Stromdichte an der Anode auf 0.01 Amp/gem, an der Kathode auf 0.005 Amp/qem gehalten werden. Ferner wurde dem Strom die Arbeit der Bildung von Ammoniumnitrat zum Teil abgenommen, indem von vornherein eine genügende Menge des Salzes dem Elektrolyten beigefügt wurde. Natürlich lässt es sich trotzdem nicht verhindern, dass, entsprechend dem an der Anode herr- schenden Potential, gleichzeitig Alkohol und Ammoniak oxydiert werden. Aber es wurde doch auf diese Weise ermöglicht, Ansätze mit höherem Ammoniakgehalt zu untersuchen, die an sich eine zu geringe Ausbeute an Ammoniumnitrat geben würden.
86) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 17. 178 (1884).
256 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Es kamen jeweils zur Anwendung 100 cem Lösung mit 4 gr Am- moniumnitrat und 2.3 gr (1/s, Mol) Aethylalkohol, und wechselnde Gehalte von Ammoniak. Die Temperatur wurde konstant auf 140 gehalten. Bei der Aufarbeitung wurde das wiederholte Abdampfen mit Baryumcarbonat auf dem Wasserbad bis zur völligen Zerstörung der Ammoniumsalze stundenlang fortgesetzt: die erhaltenen Aus- beuten sind darum niedrig, weil ein Teil des Acetamidinsalzes mit zerstört wurde, aber sie sind vergleichbar. Die maximale Ausbeute müsste 6.05 (1/5, Mol) Acetamidin-nitrat betragen.
Grammäquivalent Strommenge Ausbeute an Acetamidin-nitrat Ammoniak bezogen auf in Prozenten der im Liter 1 Mol Alkohol in gr. maximalen Ausbeute 2 4 F 0.28 AO 6 8 F 0.58 9.58 12 SH 0.23 3.8 2 2ER 0.24 4.0 6 128 0.65 10.74 10 12: E 0.48 7.99
Die Ausbeute erreicht beim Durchleiten des Doppelten oder Dreifachen der berechneten Strommenge in sechsfach normalem Am- moniak ihren höchsten Wert, der aber nur rund 1/,, des theoreti- schen Maximums beträgt.
Wenn Aethylalkohol elektrolytisch oxydiert wird, so muss die- selbe Reihe von Oxydationsprodukten entstehen, wie bei der Oxyda- tion durch chemische Mittel, Chromsäure u. dergl. In der Tat haben K. Elbs und ©. Brunner>?) in schwefelsaurer Lösung an Platinanoden Acetaldehyd und Essigsäure erhalten, und P. Askenasy, R. Leiser und N.Grünstein®®) haben die Bedingungen einer hohen Ausbeute an Essigsäure ermittelt. Beim Arbeiten in alkalischer Lösung beobach- tete J. Habermann®?) Aldehydharz und Kohlensäure; @.W. Heim- rod und P. A. Levene%) haben festgestellt, dass Acetaldehyd durch . elektrolytische Oxydation in alkalischer Lösung zu Ameisensäure ab- gebaut wird.
Sehen wir von dieser letzten Komplikationab, die offenbarin am- moniakalischer Lösung noch nicht auftritt, weil Ammoniak nur eine sehr schwache Base ist, so wäre die elektrolytische Oxydation des Al- kohols darzustellen durch die Reihe
CH, = CH OMS CIE or’ ro
87) Z. f. Elektrochem. 6. 604 (1900). 88) Z. f. Elektrochem. 15. 846 (1909). 8) Monatsh. f. Chem. 7. 529 (18%6). %) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 41. 4445 (1908).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat, 257
In der Tat kann man den Acetaldehyd riechen, und die Bildung brauner schmieriger Nebenprodukte wird am richtigsten auf Alde- hyd bezw. auf daraus entstehendes Aldehydharz zurückge.ührt.
Nun arbeiten wir aber bei Gegenwart von Ammoniak und haben damit zu rechnen, dass durch Einwirkung des Ammoniaks auf die normalen Oxydationsprodukte sekundär andere Stoffe entstehen. Bei der Leichtigkeit, mit der Aldehydammoniak sich bildet, ist also obige Oxydationsreihe zunächst abzuändern in CH, -CH,-OH — CH, - CHO — CH, — CH (OH): NH, (6) und es erhebt sich nun die Frage: kann Aldehydammoniak bei der elektrolytischen Oxydation in ammoniakalischer Lösung ebenfalls
Acetamidin-nitrat bilden ? Die Oxydation muss nach der Bruttogleichung
If
NH CH, —CH (ON). NH, +O+NH, -2F-CH,— 0X, +2H,0 NDls
verlaufen. Zur gründlichen Erforschung der Reaktion wurde eine Versuchsserie mit wechselndem Ammoniakgehalt durchgeführt, wo- bei im oben erwähnten Apparate (Platindrahtnetzanode, Platinblech- kathode) je 100 eem Lösung mit 2.1 gr frischem Aldehydammoniak, 3.6 Ammoniumnitrat, und den in der Tabelle angegebenen Mengen von Ammoniak mit dem Dreifachen der berechneten Strommenge oxydiert wurden.
Grammäquivalente | ER Ammoniak im Liter | 1 | 2 | 3 | + 260 200782 AO SION EE IEEE |
Qt
Ausbeute an Acetam- idin-nitrat in er. 0.4710.49 0.53 0.57 0.59.0.57 0.58|0.61|/0.62|0.69|0.70/0.60
in Prozenten der ma- | AR ximalen Ausbeute 1a 11.8112.7 13.7114.1113.7114.014.7114.9116.6116.9/14.4
|
Die Ausbeuten sind immer noch niedrig, aber besser als mit Al- kohol; das Optimum liegt nicht bei 6, sondern bei 12 Grammäqui- valenten Ammoniak im Liter. Für die richtige Beurteilung der Aus- beutezahlen ist wieder darauf hinzuweisen, dass an der Anode zwei Vorgänge nebeneinander verlaufen, die Oxydation des Aldehydammo- niaks und diejenige des Ammoniaks, so dass also keine einfache Be- ziehung zwischen den Strommengen und den Ausbeuten an Acetami- din bestehen kann. Ferner ist zu betonen, dass bei der gewissenhaften Vertreibung der Ammoniumsalze Acetamidin-nitrat mit verloren geht. Diesem Mangel der Aufarbeitungsmethode ist auch die Unregelmäs- keit in der Zahlenreihe zwischen 5-n. und 8-n. Ammoniak zuzu- schreiben.
17
258 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
Wir haben nun zunächst untersucht, ob die Oxydation von Alde- hydammoniak in ammoniakalischer Lösung auch bei Anwendung von chemischen Oxydationsmitteln Acetamidin-nitrat liefert. In der Tat gelingt die Reaktion mit Calciumpermanganat, mit Wasser- stoffsuperoxyd und mit Ammoniumpersulfat.
4.06 gr Aldehydammoniak wurden in doppelt-normalem Ammo- niak gelöst und nach Zugabe von 3.6 gr Ammoniumnitrat mit dem Dreifachen der nach der Gleichung
3 CH, —CH(OH)- NH, + Ca (MnO, ), + 3 NH, = H
ch ol” +6H,0+CaMn;0,
“NH,
berechneten Menge Calciumpermanganat oxydiert. Bei der Aufar- beitung wurden 0.3 gr Acetamidin-nitrat erhalten, das nach dem Umkrystallisieren bei 188—189° schmolz und alle charakteristischen Reaktionen zeigte.
Mit Wasserstoffsuperoxyd ist die Ausbeute sehr gering, doch lässt sich das Produkt sicher identifizieren.
Beträchtlichere Mengen liefert die Oxydation mit Ammonium- persulfat. Verwendet wurden jeweils 100 cem Lösung mit 2.03 gr Aldehydammoniak, 3.6 gr Ammoniumnitrat, und wechselndem Am- moniakgehalt, der das Doppelte der nach der Gleichung
„NH CH, — ie +2 (NH, ), 80, + H,0 9 berechneten Menge Ammoniumpersulfat in Krystallen zugegebe wurde. Grammäquivalent Ammoniak im Liter 2 6 ul 15 Ausbeute an Acetamidin-nitrat in gr. 0.4 0.9 0.8 0.7
Die Ausbeute ist am höchsten bei 6-n. Ammoniak.
Schwieriger ist es, vom Alkohol ausgehend durch chemische Oxy- dationsmittel zu Acetamidin-nitrat zu gelangen. Ammoniumpersulfat versagt dabei gänzlich; Calciumpermanganat gab eine kleine Menge des krystallisierten, durch Schmelzpunkt und Reaktionen zu erkennen- den Produktes.
Derartige Beobachtungen der rein chemischen Oxydation von \ethylalkohol oder von Aldehydammoniak in ammoniakalischer Lö- sung zu Acetamidin sind bisher noch nicht gemacht worden, weil zur Isolierung des Amidins,die Umwandlung in ein Salz durch Zusatz von Ammoniumnitrat unerlässlich ist. Allerdings oxydiert Kaliumper- manganatnach den Beobachtungen von Péan de St-Gilles°1) und Am-
91) Compt. Rend. Acad. Sciences 46. 624 (1858).
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 259
moniumpersulfat nach denen von M.G. Levi und E. Migliorini??) ebenfalls Ammoniak, doch wird dabei viel weniger Ammoniumnitrat gebildet als bei der elektrolytischen Oxydation, und man könnte also ohne Zugabe fertigen Ammoniumnitrats nur untergeordnete Mengen von Acetamidin-nitrat erwarten.
Bei allen Versuchen, bei den elektrochemischen und bei den rein chemischen und unabhängig davon, ob Alkohol oder Aldehydammo- nıak als Ausgangsmaterial dient, beobachtet man während des Ein- dampfens deutlich den Geruch nach Acetamid. Neben dem Acet- amidin-nitrat, ja vielleicht sogar in überwiegender Menge, entsteht also Acetamid, das aber bei der geschilderten Art der Aufarbeitung durch Verflüchtigung und Verseifung verloren geht.
Die nächste Etappe unserer Oxydationsgleichung (6) ist dem- nach zu schreiben
OH OH(OHN)- NH, TO 7 2F CH, -CO.:-NEH, + 5,0 (7) Nun handelt es sich darum, die letzteStufe der Reaktion, die Um-
wandlung von Acetamid in Acetamidin, zu erforschen. Hier kommt nur eine Wasserabspaltung in Betracht im Sinne der Gleichung
EH, À K + H,0 (8) NH
Eine derartige Reaktion war bisher noch nicht bekannt. Wir haben sie zunächst durch Erhitzen von Acetamid mit konzentriertem wäss- rigem Ammoniak unter Zusatz von etwas Ammoniumnitrat zu ver- wirklichen gesucht, aber selbst durch achtstündiges Erhitzen auf 170° nicht erzielen können.
Erst durch Anwendung von wasserfreiem verflüssigtem Ammo- niak gelang es, die Gleichung (8) durchzuführen. In einem Glasrohr, das Acetamid und Ammoniumnitrat enthält, wurde Ammoniak (aus einer Stahlbombe entnommen) durch Abkühlung mit Kohlendioxyd- schnee-Aceton-Mischung verflüssigt und das Rohr dann zugeschmol- zen, während es noch im Kältebad steckte. Das Glasrohr kam hierauf in eine kleine verzinnte Stahlbombe,??) die mit etwas Aether be- schickt wurde, um den Druck im Innern des Glasrohres bis zu einem gewissen Grade zu kompensieren. Dann wurde das Ganze im Oelbad 12 Stunden lang auf 95° erhitzt (die Dampfspannung von reinem flüssigem Ammoniak beträgt nach Regnault bei 900 50.14 Atm., bei 1000 61.32 Atm.), und schliesslich nach dem Verjagen des freien Ammoniaks in der üblichen Art durch Eindampfen mit Baryumcar- bonat aufgearbeitet. Das erhaltene Produkt war reines Acetamidin-ni-
CH, +ENH-CH,—
92) Chem. Centralbl. 1908. IL. 929.
3) Fr. Fichter und Bernhard Becker, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 44. 8475 (1911).
260 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
trat, das sofort weiss und vom Schmelzpunkt 187—1890 erhalten wurde: die kleine Tabelle gibt einen Ueberblick über die verschie- denen Versuche.
Acetamid: Ammoniumnitrat Acetamidinnitrat E 6 Dauer Temperatur
angewandt angewandt erhalten
D'Or 8 gr 12h 322 Dire 5.8 °/0 3.0 gr 4 or 20 h 70 0.42 gr 6.9 %/0 3.0 er 4 or 12h 140° 03 er 5.0 %
Analyse des so dargestellten Acetamidin-nitrates : I. 0.1765 gr Substanz gaben 0.5398 gr Nitronnitrat Il. 0.2376 gr Substanz gaben 0.7328 gr Nitronnitrat. NIE 2 CH; — C£ EINOS Ber ENS 252.039, 3 NNH 3 = 3 0 2 Gef. HNO, 51.38%,, 51.810/,
Die Ausbeuten an Acetamidin-nitrat sind bei dieser Reaktıon einstweilen sehr gering, aber das Produkt wird zum Unterschied von den Oxydationsverfahren sofort rein weiss erhalten. Auch hier ist zu betonen, dass die Umsetzung von Acetamid mit flüssıgem Ammoniak bei höherer Temperatur bisher offenbar deshalb noch nicht bekannt war, weil man das entstandene Acetamidin nur durch den Kunstgriff eines Zusatzes von Ammoniumnitrat isolieren kann.
Nun haben wir uns zum Schluss noch mit der Tatsache abzu- finden, dass die Reaktion (8), die mit fertigem Acetamid nur unter völligem Ausschluss des Wassers durchzuführen ist, bei den Oxyda-
tionen von Alkohol oder Aldehydammoniak sich in wässriger Lösung
vollzieht. Beim elektrochemischen Prozess kann man dies leicht ver- stehen, wenn man annımmt, dass die an der Anode gebildeten Pro- dukte — im vorliegenden Fall das Acetamid — im Moment ihrer Ent- stehung gewissermassen unter Druck an der Oberfläche der Anode konzentriert oder in der Oberfläche gelöst sind. Analoge Reaktionen sind in der organischen Elektrochemie schon vielfach beobachtet wor- den: so kann man an der Anode mit verdünnter Salpetersäure ni- trieren,?*) mit verdünnter Schwefelsäure sulfurieren,%5) oder in wäss- riger Lösung Ester darstellen.%6)
%) Nach dem D.R.P. 100417 /Friedländer, Fortschritte der Teerfarben- fabrikation V. 159) von Dr. Triller gibt Naphtalin, in verdünnter Salpetersäure vom spez. Gew. 1.25 suspendiert, an der Anode bei hoher Stromdichte glatt a-Nitronaphtalin. ;
9) K. Puls (Chem.-Zte. 25. 263 (1901)) einerseits und Merzbacher und Smith (Journ. Americ. chem. Soc. 22. 723 (1900)) andrerseits erhielten durch elektrolytische Oxydation von Toluol in alkoholischer Schwefelsäure p-Sulfoben- zoesäure, indem das Toluol zunächst sulfuriert und die entstandene p-Sulfo- säure dann oxydiert wird.
%) A. Renard (Ann. chim. et phys. [5], 17. 289 (1879)) erhielt durch
elektrolytische Oxydation von Alkohol in schwefelsaurer Lösung Aethylschwefel- säure und Essigester.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 261
Aber auch für die im Momente der Oxydation eintretende Was- serabspaltung bei der Bildung des Acetamidins auf rein chemischem Wege lassen sich leicht Analogien finden. Wir erinnern beispiels- weise an die Entstehung von Acetal bei der Oxydation von Alkohol mit Braunstein und wasserhaltiger Schwefelsäure, während doch fer- tiger Acetaldehyd sich mit Alkohol erst bei höherer Temperatur und unter Anwendung wasserentziehender Mittel in Reaktion brin- gen lässt.
Fassen wir nun endlich alle einzelnen Stufen der Amidinbil- dung, die Gleichungen (6), (7) und (8), zusammen, so lässt sich die elektrolytische Oxydation des Aethylalkohols in ammoniakalischer Lösung durch folgendes Schema befriedigend wiedergeben :
CH, = CH, - OH — CH, - CHO + CH, — CH (OH): NH; +
NH = SNIER
12 Elektrolytische Oxydation anderer Alkohole in ammonia- kalischer Lösung.
a) Propylalkohol. Wir haben versucht, die am Aethylalkohol eingehend studierte Amidinbildung auf andere Alkohole auszu- dehnen, und in der Tat beim normalen Propylalkohol dieselbe Reak- tion durchführen können.
Eine Mischung von 10 cem normalem Propylalkohol und 100 cem einer gesättigten wässrigen Lösung von käuflichem Ammonium- carbonat wird im Classen schen elektro-analytischen Apparat elek- trolysiert, wobei die Schale als Anode mit einer Stromdichte von 0.005 Amp/qem wirkt. Nach dem Durchleiten von etwa 5 Ampere-Stunden wird eingedampft, wobei der Geruch nachPropionamid auftritt, und nach mehrfachem Abdampfen mit Baryumcarbonat schliesslich eine kleine Menge (im günstigsten Fall 0.5 gr in 10 Ampere-Stunden) eines sehr leicht löslichen Nitrates erhalten, das nach dem Umkry- : stallisieren aus Alkohol, in welchem es ebenfalls sehr leicht löslıch 1st, den Schmelzpunkt 126—127° zeigte und sich als Propionamidin- nitrat erwies.
0.2283 gr Substanz gaben 0.6325 gr Nitronnitrat. yNH
; U NNH,
Gef. HNO, 46.540/,. Das Propionamidin-nitrat war bisher unbekannt. Aber 4.
Pinner??) hat das Amidin durch ein Chloroplatinat charakterisiert,
97) Ber. der deutsch. chem. Ges. 17. 178 (1884).
262 Fr. Fichter, Karl Stutz und Fritz Grieshaber.
das wir aus dem Nitrat leicht darstellen konnten, und entsprechend den Pinner schen Angaben ergab sich der Schmelzpunkt zu 199-2000.
0.2028 gr Substanz gaben 0.0713 gr Pt
/NH (CHSCT QU HCl) PtCL Ber. Pt 35.180/, NÉ Gef. Pt 35.16 0/6.
b) Butylalkohol. Je 2 cem n-Butylalkohol wurden mit 100 ecm einer Lösung von 2-n. Ammoniumcearbonat vermischt, die einen Zu- satz von 3 gr Ammoniumnitrat und 10 Grammäquivalente freies Am- moniak im Liter enthielt. Anode war ein grosses Platinblech mit einer Stromdichte von 0.01 Amp/qem, Kathode ein kleinerer Platinblech- streifen. Die Temperatur wurde auf 16° gehalten. Trotz der Wahl dieser, nach den Erfahrungen beim Aethylalkohol möglichst gün- stigen Bedingungen wurden in 20 Ampere-Stunden jeweilen nur 0.2 gr des gesuchten Butyramidin-nitrates erhalten, so dass eine grosse Zahl von Versuchen angestellt werden musste, um eine genügende Sub- stanzmenge zu beschaffen. Das Butyramidin-nitrat ist schon von A. Pinner”?®) beschrieben worden und durch seinen Schmelzpunkt 1530 charakterisiert. Das bei den elektrolytischen Versuchen erhaltene Pro- dukt wies nach mehrfachem Umkrystallisieren aus Alkohol denselben Schmelzpunkt 153° auf.
I. 0.1696 gr Substanz gaben 0.4166 gr Nitronnitrat. II. 0.2534 gr Substanz gaben 0.6369 gr Nitronnitrat.
-
NH CH,—CH,—CH,—C{ _ .HNO,Ber.HNO, 42.280), NH Gef. HNO, 41.27 0/5, 42.220).
c) Die Grenzen der, elektrolytischen Amidinbildung. Nach un- seren bisherigen Erfahrungen gelingt die elektrolytische Oxydation von Alkoholen in ammoniakalischer Lösung zu Amidinen nur bei den ersten Gliedern der primären Alkohole der Fettreihe, mit Ausschluss des Methylalkohols. Schon die höheren Homologen des Aethylalko- hols eignen sich mit steigendem Molekulargewicht immer weniger zu der Reaktion, und die gleichzeitig abnehmende Löslichkeit der Alkohole in der wässrigen Ammoniumcearbonatlösung wirkt ebenfalls erschwerend.
Orientierende Versuche mit Benzylalkohol, mit Benzaldehyd, mit Glykol brachten keinerlei Erfolg. Wenn Aldehydammoniak eine für den Verlauf der Oxydation massgebende Zwischenstufe darstellt, so ist das auch ganz verständlich, denn weder Benzaldehyd noch Glyoxal geben mit Ammoniak normale, nach der Formel R- CH(OH) : NH,
98) Imidoaether, Berlin 1892, S. 121.
Elektrolytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin-nitrat. 263
zusammengesetzte Additionsprodukte. Dass endlich der sekundäre Isopropylalkohol nicht im gewünschten Sinne reagieren könne, war vorauszusehen, und wurde durch den Versuch vollauf bestätigt. Um bezüglich des Verlaufes der Reaktion beim Methylalkohol
nichts unversucht zu lassen, was zum Nachweis von etwa entstandenem Formamidin-nitrat hätte führen können, haben wir dieses bisher un- bekannte Salz aus salzsaurem Formamidin 9?) durch Umsetzung mit der äquivalenten Menge Silbernitrat dargestellt. Es krystallisiert aus absolutem Alkohol in schönen langen Nadeln vom Schmelzpunkt 890 und ist viel weniger hygroskopisch als das salzsaure Salz.
I. 0.2104 gr Substanz gaben 0.0870 gr CO, und 0.0906 er H,O. II. 0.1805 gr Substanz gaben 61.8 cem N, bei 180 und 742 mm. III. 0.1766 gr Substanz gaben 0.6169 gr Nitronnitrat Y 2702 a ZHIN®, 7 Ber. E11.19%, E40, N 8983105
BE HNO, 58.840), | Gef. C11.280/, H4.83%, N 3923%, HNO, 58.690/,
Das Formamidin-nitrat ist indes bei der elektrolytischen Oxydation von Methylalkohol in ammoniakalischer Lösung nie beobachtet wor- den. Das lässt sich vom Gesichtspunkt der Acetamidinsynthese ver- stehen, insofern Acetamidin der elektrolytischen Oxydation Wider- stand leistet, während Formamidin infolge des oxydierbaren Was- serstoffatoms ihr unterliegen muss. So gelangen wir zu einer Er- gänzung der Gleichung (4) des sechsten Abschnittes, durch die An- nahme, die erste Phase der Reaktion seı wie beim Acetamid die Ami- dinbildung
Bol es mar 0 0 (4a) NH D NES
und die zweite Phase die elektrolytische Oxydation des Formamidins NH NH HM 0x ROBES 110 0° (4b) NH NE, Die letzte Formel der Gleichung (4b) ist aber nichts anderes als eine tantomere Harnstoffformel HO — C< = 0 =CK “NH, NIHR.
%) A. Pinner, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 16. 1647 (1883).
Basel, Anorg. Abt. der Chemischen Anstalt, Oktober 1912.
Bericht über das Basler Naturhistorische Museum für das Jahr 1911.
Von
Theodor Engelmann.
Allgemeines. Am 1. Januar 1911 verstarb in Mülhausen der seit langen Jahren mit uns in freundschaftlichem Verkehr stehende eifrige Forscher ‚und Sammler Herr Mathieu Mieg. In seinem Testament fand sich die Verfügung: ‚Ich gebe und vermache dem natur- historischen Museum von Basel meine geologische Sammlung unter Ausnahme meiner Sammlung von polierten Aexten aus dem Elsass und Gegenständen des Bronzezeitalters.® Mit inbegriffen in der Samm- lung war das gesamte Sammlungsmobiliar. Ausserdem hatte die Witwe des Verstorbenen, Frau Sabine Mieg-Kroh, dann in der Folge die Freundlichkeit, uns auch noch dessen wertvolle wissenschaftliche Bibliothek zu übergeben. Wir sprechen ihr an dieser Stelle nochmals unsern wärmsten Dank für ihre Generosität aus.
Die Einverleibung dieser grossartigen Schenkung ist das Haupt- ereignis des abgelaufenen Betriebsjahres gewesen. Da wir glück- licherweise auf Ende 1910 neue Lokalitäten im Rollerhof erhalten und dieselben verschiedener Umstände halber am Jahresschluss erst teilweise bezogen hatten, war es uns möglich, die Erbschaft schon im Laufe des-Monats Januar anzutreten, wie es den Wünschen des Ver- storbenen und seiner Hinterlassenen entsprach. Im Laufe des Jahres ist uns dann im Hinblick auf die durch die starke Vermehrung wieder akut gewordene Raumnot der geologischen Abteilung noch ein Zimmer im Steffensen’schen Hause, Münsterplatz 5, zugewiesen worden.
Nach langer Arbeit verschiedener Abteilungsvorsteher und Assi- stenten ist gegenwärtig die Mieg’sche Sammlung in allen Teilen ge- sichtet und geordnet. Unserer hergebrachten Uebung gemäss sind alle Sammlungsobjekte mit Etiketten versehen worden, welche den ge- druckten Vermerk ,,Legat Mathieu Mieg 1911‘ tragen. Ebenso sind die sämtlichen Bücher als ,,Legat Mathieu Mieg 1911“ abgestempelt worden. Die legierten Möbel reichten gerade hin, um den eigentlichen Kern der Sammlung, die Fossilien und Belegstücke aus dem ober-
Basler Naturhistorisches Museum. 265
rheinischen Tertiär zu fassen, welcher der Abteilung von Herrn Dr. A. Gutzwiller zufiel. Sie sind in dem erwähnten Zimmer des Hauses Münsterplatz 5 aufgestellt worden. Die übrigen, weniger ausge- dehnten und weniger zusammenhängenden Serien sind in die ent- sprechenden schon vorhandenen Bestände eingereiht worden, wie wir es bisher im Interesse einer übersichtlichen Ordnung in allen analogen Fällen gehalten haben und auch in Zukunft halten werden. Für alles Speziellere sei auf die folgenden Berichte der Abteilungsvorsteher verwiesen.
Der gewaltige Zuwachs der Sammlungen machte eine ent- sprechende Vermehrung des Mobiliares zur Notwendigkeit. Wir ver- danken dem Initiativkomitee für die Museumsbauten einen Beitrag zu diesem Zweck im Betrage von Fr. 4020.—, den hohen Behörden einen solchen von Fr. 500.—. Die allgemeine Museumskommission hat uns für Installationsbedürfnisse Fr. 1986.25 zugewiesen. Da die Auslagen sehr gross waren, insbesondere die Ordnung der Sammlung Mieg bedeutende Schachtelnbezüge notwendig machte, schliesst die Installationsrechnung mit einem Passivsaldo von Fr. 800.— ab, der das Budget von 1912 in sehr hemmender Weise belastet, wenn die hohen Behörden nicht im Laufe des Jahres noch ein Einsehen haben.
Für Katalogisierungs- und Buchbinderarbeiten in der Bibliothek bewilligten uns die hohen Behörden einen ausserordentlichen Kredit von Fr. 2000.— (s. hierüber den Abschnitt Bibliothek‘).
Am Oberlicht des Laboratoriums hat das verehrl. Baudepartement eine Verbesserung vorgenommen, die hiemit bestens verdankt sei.
Der freiwillige Museumsverein sagte uns in höchst verdankens- werter Weise die Summe von Fr. 1500.— zum Ankauf einer säuge- tierpaläontologischen Sammlung zu, die aber erst nach dem bis Jahres- schluss noch nicht erfolgten Eintreffen derselben zur Auszahlung ge- langt. Wir werden über diese Angelegenheit im nächsten Berichte referieren. Der Zins der Rütimeyerstiftung ist dieses Jahr ganz der osteologischen Abteilung zugefallen.
Zoologische Abteilung. (Stellvertreter Dr. H. G. Stehlin.)
Seit der am 1. Januar 1911 erfolgten Abreise des Vorstehers der zoologischen Abteilung, Dr. F. Sarasin, und des Custos Dr. J. Roux haben als Stellvertreter des erstern der Unterzeichnete, als Stell- vertreter des letztern Dr. P. Revilliod fungiert. Das Berichtsjahr ıst für die Abteilung ein sehr stilles gewesen, nicht nur wegen der Ab- wesenheit der beiden genannten Herren, sondern auch weil der grösste Teil des Jahreskredites an die Deckung eines Defizites des Vorjahres
266 Theodor Engelmann.
o
verwendet werden musste. Dass trotzdem kein Stillstand im Ausbau der Sammlungen eintrat, verdanken wir einigen Gönnern, vor allem Herrn Dr. Eduard Graeter, der auf einer Reise in Aegypten und Palästina eifrig für das Museum tätig ist, dem Assistenten an der Mollusken- sammlung, Herrn Dr. Bollinger und Herrn Dr. J. Carl in Genf. Da- für, dass das Jahr 1912 den Ausfall des Jahres 1911 reichlich aus- gleichen wird, bürgen übrigens eine Reihe von Kisten aus Neu-Cale- donien, die allbereits in den Kellerräumen aufgestappelt sind.
Säugetiere und Vögel. Von G. Schneider wurden Spiritus- exemplare einer Fledermaus, Trygenycteris Woermannı Pag. aus dem französischen Congo und einer Rüsselratte, Petrodomus Sultanı Thom. von Bagamoyo, erworben, beide für die Sammlung neu. Vom zoolo- gischen Garten ın Rotterdam ein Kadaver von Nemorrhoedus suma- trensis Shaw., ebenfalls neu für die Sammlung.
Herr Dr. Graeter sandte zahlreiche Fledermäuse und Nager aus Aegypten und Palästina (s. Geschenkliste), worunter Rhinopoma cystops Thom., Rhinolophus antınorıi Dobs und Jacculus jacculus L. für die Sammlung neu. Von Herrn P. Fontana erhielten wir ein Exemplar einer für die Sammlung neuen Fledermaus, M yotis emargi- natus Greoffr. von Chiasso, von der Direktion des zoologischen Gartens Kadaver von Felis sylvestris Briss. aus Siebenbürgen und von Cerco- pithecus ascarius Audeb. © und ©’, letztere neu für die Sammlung. Herr Leonhard Haag hatte die Freundlichkeit, uns den Kadaver einer Felis tigris L. zu überlassen.
Zu der Sammlung einheimischer Vögel sind von Herrn A. Wend- nagel ein Exemplar des schwarzkehligen Wiesenschmätzers, Pratin- cola rubicola aus dem Tessin, von Frau Ratsherr Sarasın-Sauvain ein ausgestopftes Pärchen Kohlmeisen, Parus major L., nebst Nest und Eiern, von Herrn A. Staehelin-Bischoff ein Nest der schwarz- köpfigen Grasmücke, Sylvia atricapilla L. beigesteuert worden.
Herr Dr. Revilliod hat die Revision der Säugetiersammlung in Angriff genommen und für alle Gruppen, mit Ausnahme der Eden- taten und der Marsupialier, durchgeführt. Die Sammlung der unmon- tierten Säugetierbälge in den Mattscheiben-Schränken des zoolo- gischen Saales wurde bei diesem Anlass übersichtlicher geordnet.
Einige kleine Säugetiere aus der zweiten Celebesausbeute von
P. und F. Sarasın sind von Herrn Dr. Revilliod im zoologischen An- zeiger, Bd. XXX VII, Nr.25, 1911, beschrieben worden.
Reptilien, Amphibien, Fische. Herrn Dr. E. Graeter verdanken wir zahlreiche, zur Zeit noch unbestimmte Reptilien und Amphibien aus Aegypten und Palästina, sowie diverse Fische aus Aegypten, der Direktion des zoologischen Gartens eine Schildkröte, Nicoria punctu-
Basler Naturhistorisches Museum. 267
laria Daud. und verschiedene Bufo-, Hyla-, Rana- und Schlangen- arten (s. Geschenkliste).
An Herrn Prof. Max Weber in Eerbeek wurden die Typen einer celebensischen Fischspecies, Telmatherina celebensis Blgr., aus- geliehen.
Mollusken. Herrn Dr. Bollinger, dem Assistenten für Mala- cologie, verdanken wir eine grosse Sammlung einheimischer Gastrc- poden von zahlreichen Fundorten. Sie bildet das Belegmaterial zu der Arbeit: G. Bollinger, Zur Gastropodenfauna von Basel und Um- gebung, 1909. Herr Dr. ©. Bornhauser schenkte eine Serie von ein- heimischen Lartetien und Bythinellen, Herr stud. phil. Kugler einige Exemplare von Planorbis corneus L. aus der Fischzuchtanstalt. Mit der Sammlung Mieg gingen verschiedentliche Serien von Land-, Süss- wasser- und Meeresmollusken aus dem hinterindischen Archipel und andern Gegenden ein. Herr Dr. Ed. Graeter sandte zahlreiche Land- mollusken aus der Umgebung von Cairo, sowie vom Libanon und aus der Umgebung von Beirut.
Herr Dr. G. Bollinger hat mit grosser Sorgfalt die von Herrn Dr. F. Sarasin begonnene Revision und Katalogisierung der palä- arktischen Land- und Süsswasser-Gastropoden fortgesetzt und nahezu beendigt. Zu den schon früher bearbeiteten Gruppen der Heliciden, Buliminiden, Paludiniden und Neritiniden ergaben sich zahlreiche Nachträge an Arten sowohl, als an Fundorten bereits im Katalog figurierender Formen. Neu durchgearbeitet wurden die Achatiniden, Ampullariiden, Melaniiden und Pseudomelaniiden. Unsere Mol- luskensammlung, der seit Peter Merians Tode während langer Jahre keine Pflege mehr zuteil geworden war, ist also auf dem besten Wege in die Reihe der wohlgeordneten und den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht werdenden Bestände unseres Museum einzurücken, was als ein besonderer erfreulicher Fortschritt hervorzuheben ist.
Arthropoden. Herr Dr. Carl in Genf hatte die grosse Freundlich- keit unserer Sammlung eine schöne Serie von Myriopoden, die er von seiner Forschungsreise in Deutsch-Ostafrika mitgebracht hat, zu über- geben. Es befinden sich darunter Cotypen mehrerer neuer Arten.
Herrn Dr. Ed. Graeter verdanken wir einige Exemplare von Tany- mastyx stagnalis aus dem Eichener See. Ein seltener australischer Krebs, Cherops bicarinatus, konnte der Sammlung durch Tausch mit dem Britischen Museum zugeführt werden.
Echinodermen, Coelenteraten. Die Sammlung der Echinodermen und Coelenteraten erhielt einigen Zuwachs aus der Sammlung Mieg und durch Herrn Dr. Engelmann.
Herr Prof. L. @. Courvoisier erwähnt in seinem Bericht über die entomologische Sammlung folgendes: Unser freiwilliger Conservator,
268 Theodor Engelmann.
Herr Hans Sulger, dessen aufopfernde Tätigkeit immer wieder höchste Anerkennung verdient, war leider während eines grossen Teils des Jahres durch Kränklichkeit verhindert, so viel zu leisten, wie in andern Jahren. Immerhin hat er nicht nur durch die oft schwierige Ein- reihung neuer Eingänge in die Sammlung, ferner durch fortgesetzte Umordnung der Schmetterlinge aus den viel zu kleinen alten Rahmen in die grösseren, praktischeren neuen, sondern endlich in letzter Zeit durch die Zusammenstellung einer Serie von schweizerischen Tag- faltern, die nun den Besuchern des Museums zur Schau gestellt ist, uns wesentliche Dienste geleistet.
- Herr Sekundarlehrer Liniger hat während der ersten 3 Monate die Odonaten-Sammlung unter Beiziehung aller Exoten neu angelegt und besser geordnet. Seit April ‘dieses Jahres und bis jetzt war er mit Neuordnung der Coleopteren-Sammlung (Imhoff’sche Samm- lung) vollauf beschäftigt.
An Geschenken sind eingegangen: 1. Von Herrn L. Paravieini-Müller in Arlesheim seltene paläark- tische Pieriden.
. Von Herrn P. Fontana in Chiasso eine Anzahl einheimischer (Tessiner) und exotischer Falter, letztere hauptsächlich von Amboina.
3. Von Herrn Prof. G. Senn eine grosse Anzahl Tag- und Nacht- schmetterlinge aus Java, darunter zahlreiche der Sammlung bis jetzt noch fehlende Arten.
4. Vom Unterzeichneten eine grössere Kollektion schweizerischer Lycaeniden zur Vervollständigung der Schweizerfauna.
ae]
Durch Kauf wurden verschiedene im Verzeichnis am Schlusse dieses Berichtes angeführte Schmetterlinge erworben.
Osteologische Abteilung. (Vorsteher Dr. H. G. Stehlin.)
Der Zuwachs der osteologischen Abteilung während des Jahres 1911 ist sehr bedeutend gewesen, zumal da ihr unter anderem be- deutende Serien aus der Sammlung Mathieu Mieg zufielen.
Der freiwillige Museumsverein gewährte uns in verdankens- werter Weise einen Extrakredit von 1500 Franken zum Ankauf einer Sammlung miocäner Fossilien. Da diese Anschaffung im Berichts- jahre nicht mehr perfekt geworden ist, wird im nächsten Jahr darüber zu berichten sein.
Paläozoicum und Mesozoicum. Mit der Sammlung Mieg gingen eine Anzahl vortertiärer Reptil- und Fischreste ein, die sich über diverse Horizonte vom Devor bis zum Malm verteilen.
Basler Naturhistorisches Museum. 269
Eocän und Oligocän. Die Belegserien aus den Phosphoriten des Querey, von Ronzon, aus dem Phryganidenkalk des Allier und von einigen anderen eocänen und oligocänen Säugetierfundstätten konnten in erwünschter Weise vervollständigt werden. Aus der Sammlung Mieg gingen uns zahlreiche oligocäne Fischreste aus dem oberrhei- nischen Becken, dem Mainzerbecken, der Provence u.s. f. und als be- sonders erfreuliche Bereicherung eine bedeutende Wirbeltierserie aus dem Melanienkalk von Rixheim und Riedisheim bei Mülhausen zu, die Belegstücke von Palaeotherium magnum, Palaeotherium Mühlbergi (zerquetschter Schädel), Plagiolophus minor, Anoplotherium Lau- rıllardi, Xiphodon gracile, Theridomys siderolithicus umfasst, sowie besonders zahlreiche einer Schildkröte, Ptychogaster spec. Die letztern verdienen eine monographische Bearbeitung. Herrn Prof. Vasseur in Marseille verdanken wir den Gipsabguss eines Coryphodon- humerus aus dem Sparnathien von Meudon, Herrn Dr. Ed. Blösch in Laufenburg einen Propolaeochoeruskiefer aus dem untern Aquitanien von Küttigen bei Aarau.
Durch Tausch mit dem New-Yorker Museum gingen uns ferner schöne Materialien aus dem nordamerikanischen Eocän zu, welche eine früher aus derselben Quelle bezogene Serie aufs vorteilhafteste ergänzen, nämlich: Kiefer und Skeletteile von Phenacodus, Syste- modon, Eohippus, Trigonolestes aus der Wasatchstufe; Zähne von Heptodon, Lambdotherium, Eotitanops aus der fossilarmen Wind- riverstufe; Reste von Hyrachyus und Orohippus aus der Bridger- stufe.
Miocän und Pliocän. Unsere Belegserien aus dem untern Miocän des Orleanais und aus dem mittleren Miocän von La Grive-St-Alban konnten um einige gute Dokumente vermehrt werden. In dem schon früher von uns ausgebeuteten mittelmiocänen Süsswasserkalk von Anwil im obern Baselbiet veranstaltete der Diener J. Stuber eine Aus- srabung, die eine zwar kleine, aber nicht uninteressante Ausbeute er- _gab. Die Zahl der an dieser Lokalität nachweisbaren Säugetierarten beträgt jetzt zehn. Aus der Sammlung Mies erhielten wir einige Fische von Oeningen und eine Serie von Säugetierresten und Haifisch- zähnen aus dem marinen Mittelmiocän von Riedern (Klettgau).
An der seit mehreren Jahren von uns ausgebeuteten oberpliocänen Fundstätte von Seneze (Haute Loire) ist eifrig weiter gesammelt worden. Zwei Rhinozerosschädel, ein Antilopenskelett und zwei weib- liche Hirschskelette sind die Hauptstücke der diesjährigen Ausbeute. Einiges weitere oberpliocäne Material ging von andern auvergna- tischen Fundstätten und aus Val d’Arno ein, einige unterpliocäne Fossilien aus der Gegend von Perpignan, darunter ein Zahn von Dolichopithecus ruscinensis Dep., geschenkt von Herrn Dr. Donnezan.
270 Theodor Engelmann.
Durch Tausch mit dem New-Yorker Museum erhielten wir Reste von Steneofiber, Entoptychus, Parahippus, Merychyus, Promery- cochoerus aus den wahrscheinlich untermiocänen Rosebudbeds in Da- kota, und solche verschiedener Equiden aus dem nordamerikanischen Pliocän. Herrn Dr. Schaub verdanken wir das Schläfenbein einer Nesodonart aus der Santa-Cruz-Formation Südamerikas.
Die Direktion des Florentiner Museums hatte die Güte, für uns zwei Gipsabgüsse von Schädelfragmenten des Machaerodus cultridens Cuv. herstellen zu lassen, die uns bei der Montierung des vor zwei Jahren in Senèze ausgegrabenen, nicht ganz vollständigen Skeletes dieser Species gute Dienste leisten werden.
Pleistocän und jüngste Vergangenheit. Im alten Quartär von Val di Chiana hat Herr Pfarrer H. Iselin seine verdankenswerte Samm- lungstätigkeit fortgesetzt. Hauptstücke der schönen Sendung, die er uns im Berichtsjahr zugehen liess, sind : ein Schädel des Val di Chiana- pferdes, ein Mandibelfragment des Esels, ein Oberkiefer von Cervus megaceros, eine Hasentibia, einige gewaltige Extremitätenknochen von Elephas antiquus.
Sehr umfangreicher Zuwachs ist unsern Pleistocänserien aus der Sammlung Mieg zuteil geworden. Er umfasst hauptsächlich Doku- mente aus dem Löss und der Niederterrasse unserer badischen und elsässischen Umgebung, sowie aus den von Mieg ausgebeuteten und (im Bulletin de la Société des sciences de Nancy 1901—1910) be- schriebenen spätpaläolithischen und neolithischen Stationen im Ge- biet des Isteiner Klotzes. Unter den Lössfossilien sind Belegstücke zweier bisher in diesem Niveau für unsere Gegend nicht nachge- wiesener Formen hervorzuheben, nämlich eine leider stark beschädigte Schädelcalotte des Menschen vom Hasenrain bei Mülhausen und einige Knochen des Riesenhirsches von Bellingen und von Kleinkembs. Unter den Fossilien aus der Niederterrasse sind am bemerkens- wertesten vier zusammengehörige Mandibularmolaren des Mammuths vom Isteiner Klotz und ein ausserordentlich stark gebogener Stoss- zahn derselben Spezies von Roppenzweiler. Die Säugetierfauna der prähistorischen Stationen am Isteiner Klotz ist die rezente Wald- fauna, doch erhält dieselbe an einigen derselben einen besondern Stempel durch die Gegenwart einer Rehvarietät von den starken Di- mensionen des sibirischen Capreolus pygargus.
Herrn Bauunternehmer Geissberger verdanken wir einen mäch- tigen Mammuthstosszahn aus der Niederterrasse von Hüningen, Herrn Joh. Pfirter in Muttenz einen Mammuthbackenzahn aus der Nieder- terrasse von Muttenz, der Direktion der Thonwarenfabrık Passavant- Iselin & Cie. in Allschwil diverse Pferdereste aus dem dortigen Löss. Ferner ist der Sammlung eine Auswahl aus den massenhaften Haus-
Basler Naturhistorisches Museum. Sm
tierknochen einverleibt worden, welche bei der von Dr. Carl Stehlin veranstalteten Ausgrabung einer Ansiedlung des La Tene-Zeitalters bei der Gasfabrik zum Vorschein kamen.
Rezente Osteologika. Erworben wurden Skelete von Galago (Hemigalago) Demidoffi und Nemorrhoedus sumatrensis, Schädel von Centetes ecaudatus, von Sus scropha sardous und von Cervus elaphus corsicanus. Unser Mitbürger Herr A. Fricker brachte uns von einem längern Aufenthalt in Zambesia Schädel zweier Antilopen- arten und denjenigen eines gewaltigen Büffelbullen mit. Weitere Säugetierschädel verdanken wir der Direktion des Zoologischen Gartens, Herrn Carl Lang, Herrn Carl Dussy und Herrn Dr. Masarey (s. Geschenkliste).
Verwaltung. Zwei Zimmer im ersten Stocke des Rollerhofes, welche der Abteilung Ende 1910 zur Verfügung gestellt worden waren, sind im Berichtsjahr mit Schäften versehen und bezogen worden.
Der Assistent, Herr Dr. Revilliod, ist von Januar 1911 an nur noch im Nebenamte an der Abteilung tätig gewesen. Er hat die Re- vision der Sammlung rezenter Osteologika zu Ende geführt und die Reinschrift des Zettelkatalogs soweit gefördert, dass ihr Abschluss auf Frühjahr 1912 in Aussicht steht. Bei der Bestimmung einer Anzahl besonders schwieriger Säugetierschädel liess uns Herr Prof. P. Matschie in Berlin in verdankenswerter Weise seine sachkundige Hilfe zuteil werden.
Eine beträchtliche Anzahl fossiler Säugetierschädel sind im Hın- blick auf die bevorstehende Erweiterung der Schaustellung montiert worden. Bei dieser Arbeit zeigte sich sehr deutlich, dass die Herrich- tung der paläontologischen Bestände für die Schaustellung noch sehr viel Zeit und Mühe erfordern und beträchtliche Kosten verursachen wird. Es ist deshalb gleich pro 1912 vom Staate ein Spezialkredit für diesen Zweck nachgesucht worden.
Die Sammlung wurde zu Studienzwecken besucht von den Herren A. E. van Giffen von Groningen und W. Soergel in Freiburg 1. Br. Materialien wurden ausgeliehen an die Herren Prof. Th. Studer in Bern, W. Soergel in Freiburg und E. Harlé in Bordeaux.
Viele unserer oligocänen Rhinoceridenreste sind im Berichtsjahre wissenschaftlich verwertet worden in der Arbeit von Dr. F. Roman in Lyon ,,Les Rhinocerides de l’Oligocene d'Europe”. Archives du Museum d’histoire naturelle de Lyon, Tome XI, 1911. Ein Myxo- hyraxkiefer aus unserer Sammlung ist abgebildet und beschrieben worden in: Max Schlosser, Beiträge zur Kenntnis der oligocänen
Landsäugetiere aus dem Fayum (Aegypten). Beiträge zur Paläonto- tologie Oesterreich-Ungarns und des Orients. Band XXIV, 1911.
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Geologische Sammlung.
A. Petrographische und B. Indische Abteilung. (Bericht des Vorstehers, Prof. Dr. C. Schmidt.)
1. Sammlung alpiner Gesteine. a) Die seit 1907 begonnenen Untersuchungen im Splügengebiet und in Mittelbünden sind im Jahre 1911 von F. Zyndel und ©. Schmidt weitergeführt worden. Die neu gesammelten Belegstücke fallen ca. 8.Schubladen. Publikationen über diese Untersuchungen sowohl von Seiten des Splügenkomitee als auch von Seiten der schweiz. Geolog. Kommission stehen für 1912 in Aus- sicht. b) Die Sammlung von Lötschbergtunnelgesteinen ist ab- geschlossen und umfasst 50 Schubladen. Einige Ergänzungen im Jahre 1911 verdanken wir Dr. H. Preiswerk und C. Schmidt. Eine wissenschaftliche Verarbeitung des gesamten Materiales ist von Seiten der Tunnelbauunternehmung an C. Schmidt übertragen worden. c) Herr Dr. H. Preiswerk hat die im Auftrag der schweiz. Geolog. Kommission begonnenen Untersuchungen im nördlichen Tessin fort- gesetzt, das gesammelte Material umfasst 5 Schubladen. d) An der Furka haben ©. Schmidt und A. Buxtorf Untersuchungen gemacht und ca. 30 Belegstücke mitgebracht.
2. Erzlagerstättensammlungen. Die vorzugsweise durch eigene Aufsammlungen allmählich entstandene sehr wertvolle Sammlung soll durch Ankäufe oder Tausch systematisch vervollständigt werden. Ein erster derartiger Ankauf (ca. 90 Stücke) wurde bei der Mineralien- niederlage der K.S. Bergakademie in Freiberg gemacht.
3. Paläozoische Sammlung. Unsere Bestände an paläozoischen Fossilien konnten endlich im Berichtsjahre geordnet werden, da Herr stud. L. Braun sich dieser Arbeit unterziehen konnte. In erster Linie wurde die von Peter Merian kritisch katalogisierte Sammlung ge- ordnet, paläontologisch genau nach dem vorhandenen Katalog (15 Schubladen). Das übrige Material wurde für sich stratigraphisch- paläontologisch, regional gruppiert. Es ergaben sich im ganzen 57 Schubladen in folgenden Gruppen:
Zechstein (4). Carbon: Vogesen und Rheinlande (9), Belgien (7), Russland, England, Amerika (4). Devon: Deutschland (10), Frankreich (4), Russland, England, Amerika (1).
Silur : Deutschland, Böhmen (4), Skandinavien (5), Frankreich (5), Amerika (4). — Die reichen und wertvollen Suiten, die uns aus der Sammlung M.Mieg (7) zugekommen sind, konnten sofort in diese Sammlung eingeordnet werden; es handelt sich um ca. 1200 Stücke. Besonders wertvoll sind folgende Suiten:
Basler Naturhistorisches Museum. 273
Zechstein aus Thüringen, Carbon der Vogesen, darunter das Original von: Rhoechinus elegans M’Coy sp. von der Pütig (vel. Tornquist. Fossilführ. Untercarbon — Abhandl. z. Geol. Spez.-Karte yon Elsass-Lothr., Bd.V, Heft IV. 1895. Taf. XX., Fig. 10 u. 11), Carbon von Visé & Tournai, Devon aus Südfrankreich und Silur aus Südfrankreich und Schweden.
4. Ausländische Suiten. Dr. G. Niethammer hat im Kaukasus zwischen Wladikawkas und Tiflis Untersuchungen gemacht und eine Sammlung von ca. 70 Stücken uns übergeben. C. Schmidt hatte im Herbst Gelegenheit in Kleinasien auf mehreren Streifzügen interes- sante Stücke zu sammeln: Fossilienführende Kalke, Asphaltsand- steine, Kupfer und Molybdänerze, Boraxmineralien von Sultan Tschair, Opale in Trachyt etc. «
5. Indische Sammlung. Neue Sendungen sind eingetroffen von den Herren DDr. A. Tobler, G. Niethammer und W. Hotz. Es konnten aber dieselben den alten Beständen noch nicht eingereiht werden.
C. Alpin-sedimentäre Abteilung. (Bericht des Vorstehers, Dr. A. Buxtorf.)
Die Unterbringung ist dieselbe geblieben wie im Vorjahr; zum erstenmal seit vielen Jahren fanden keine Umzüge statt und es konnte dementsprechend mit den Ordnungsarbeiten begonnen werden. Unter- stützt durch den Assistenten cand. geol. L. Braun wurden die von verschiedenster Seite herstammenden Bestände vereinigt und ge- sichtet; Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, die Be- stimmungsarbeiten zu beginnen und durchzuführen.
Wissenschaftliche Benützung erfuhren die Sammlungen im ver- flossenen Jahre keine. Dagegen ist der Bestand der Sammlungen durch Geschenke und Ankäufe nach verschiedener Richtung hin er- gänzt worden. Aus der Schenkung Mieg fielen der alpinsedimentären Sammlune nur einige wenige Stücke (Ammoniten aus alpiner Trias von Hallstatt) zu. Dagegen haben die von A. Buxtorf seit vielen Jahren im Auftrage der schweiz. geolog. Kommission am Vierwald- stättersee ausgeführten Untersuchungen auch im verflossenen Jahre zahlreiche wichtige Funde geliefert, die den früher geschenkten Be- ständen eingereiht wurden. Die in ähnlichen Aufträgen tätigen Herren Dr. Niethammer und cand. phil. F. Zyndel übergaben Ge- steins- und Fossilsuiten aus dem Urirotstockgebiet, bezw. Mittel-
Bünden. 18
274 Theodor Engelmann.
D. Mesozoisch-Jurassische (ausseralpine) Abteilung. (Bericht des Vorstehers, Dr. E. Greppin.)
Durch das Legat Mathieu Mieg fiel meiner Abteilung soviel Material zu, dass die Sichtung desselben den grössten Teil meiner Zeit, die ich Museumsarbeiten widmen konnte, in Anspruch nahm.
Gleich nach Empfang der Sammlung wurden die Fossilien ge- reinigt, in neue Schachteln gelegt und die Bestimmungen der vielen Arten revidiert. Zum guten Glück fand ich die Angaben der Fund- orte mit wenigen Ausnahmen in bester Ordnung.
Die Neuetikettierung erforderte ziemlich viel Arbeit und sind hiezu 1770 Etiketten verwendet worden.
Wenn wir die Fossilien nach den Regionen, aus welchen gie stammen, zusammenstellen, so entfallen auf den
Basler Jura 330 Arten Französischen Jura 2a Elsass- Lothringen 208, Normandie DORE Baden 20000 > Aargauer Jura IS, Schwäbischer Jura IS
Sehr erfreulich ist die Fossilsuite aus dem Unter-Elsass. Ausser Gundershofen besassen wir aus diesem Gebiete beinahe nichts.
(Ganz besonders sind noch hervorzuheben Fossilserien von tadel- loser Erhaltung aus dem Ornatenthon des Schwäbischen Jura, aus dem Bajocien der Umgebung von Bayeux (Calvados) und aus dem Hettangien von Lothringen.
In meine Abteilung fallen die Belege folgender Publikationen von Mathieu Mieg:
1. Note sur un gisement de couches à Posidonomya Bronni à Minversheim (Basse Alsace). Bull. d. 1. Soc. géol. de France 1885 et 1886. . Un gisement d’argile oxfordienne à Istein. Bull. d. 1. Soc. géol. d. France 1894. 3. Note sur les calcaires coralligenes d’Istein. Bull. d. I. Soc. geol. d. France 189.
4. Sur un gisement callovien decouvert aux environs de Winckel (Massif jurassique de Ferrette (mit Bleicher publiziert). Bull. d. 1. Soc. géol. d. France 1896.
5. Excursion a Ober-Eggenen et Kandern. Feuille des Jeunes Natu- ralistes 1905. à
re)
Basler Naturhistorisches Museum. 275
Betreffs Revision und Katalogisierung des mesozoischen Materials konnte nicht in dem Masse, wie ich es gewünscht hätte, ge- arbeitet werden. Immerhin hat der Zettelkatalog um 1224 Nummern zugenommen und besteht heute aus 7331 Nummern.
Im Laufe des Jahres sind folgende Geschenke eingegangen:
1. Herr cand. geol. Müller : Gesteinsproben aus der Trias der Um- gebung von Heidelberg. . Herr Dr. Aug. Buxtorf: Fossilien aus dem Basler und Solo- thurner Jura. 3. Herr Dr. L. Rollier: Ammoniten aus den Murchisonae- Schichten von Scheffen bei Achdorf (Randen). 4. Herr Dr. Ed. Greppin: Allerlei Fossilien und Gesteinsproben aus der Umgebung von Schauenburg.
(80)
Ankäufe sind folgende verzeichnet:
1. Fossilien aus dem Divisien der Normandie, darunter prächtige Ammoniten aus der Aspidocerasgruppe.
2. Fossilien von Beinwil.
3. Fossilien aus den Renggerithonen von Liesbere.
Vor Torschluss erhalte ich noch die sehr angenehme Mitteilung, dass der Ankauf der beiden Sammlungen des Herrn Brändlin und Niethammer beschlossen und aus dem Jahreskredit der geologischen Abteilung bestritten werden kann. Ich spreche hierüber meine grosse Befriedigung aus, beide Sammlungen enthalten brauchbares, zum Teil sehr wertvolles Material. In meinem nächstjährigen Bericht werde ich auf diese beiden Sammlungen zurückkommen.
E. Mesozoisch-Cretacische (ausseralpine) Abteilung. (Bericht des Vorstehers, Dr. E. Baumberger.)
Im Berichtsjahre konnte ein Teil der Sammlung Gillieron neu geordnet werden. Für das Ammonitenmaterial sind die Bestim- mungen nachgeprüft worden und dabei hat sich ergeben, dass die Sammlung eine Reihe von Formen enthält, welche erst in jüngster Zeit durch die neueste Literatur ausgeschieden worden sind. Dies betrifft in erster Linie die Formen, die bisher unter den Kollektiv- namen des Ammonites Astieri, radiatus und Leopoldi eingeordnet waren. Bedeutenden Zuwachs haben die Sammlungen erhalten durch die Schenkung des verstorbenen Herrn Mathieu Mieg in Mülhausen. Das Material gehört den verschiedenen Kreidestufen und ver- schiedenen Kreidegebieten an. Wie letztes Jahr, so musste auch dies Jahr ein guter Teil der zur Verfügung stehenden Zeit für Ordnung und Bestimmung der Fossilien meiner Belegsammlung zu den Auf-
276 Theodor Engelmann.
nahmen in der subalpinen Molasse des Vierwaldstättersee-Gebietes verwendet werden; dieses Material kann erst nach der wissenschaft- lichen Bearbeitung an die Abteilung für Tertiär abgegeben werden.
F. Tertiäre und Quartäre (ausseralpine) Abteilung und G. Abteilung fossiler Pflanzen. (Bericht des Vorstehers, Dr. A. Gutzwiller.)
Die Sammlung ausseralpiner, tertiärer und quartärer wirbelloser Tiere, sowie die Sammlung fossiler Pflanzen, haben in diesem Jahr durch das Legat von Herrn Mathieu Mieg in Mülhausen einen ausser- ordentlichen Zuwachs erhalten. Dieser Zuwachs ist umso wertvoller, als er zum grössten Teil aus uns nahe liegenden Gebieten stammt, nämlich aus dem Ober-Elsass und dem badıschen Oberland, welche Crebiete bis jetzt durch relativ wenige Fossilien in unserer Sammlung vertreten waren. Die Mieg’sche Sammlung hat daher unsere Tertiär- sammlung der Umgebung von Basel in sehr erfreulicher Weise er- gänzt und vermehrt.
An Ueberresten wirbelloser Tiere und verschiedenen Belegstücken erhielt unsere Sammlung 290 Nummern aus dem Sundgau, wie von Brunnstatt, Rixheim, Riedisheim, Tagolsheim, Flachslanden, Buchs- weiler, Kötzingen, Speckbach, Altkirch, Roppenzweiler ete. etc. Ferner 280 Nummern aus dem Breisgau, wie Auggen, Klein-Kembs, Wintersweiler, Bellingen, Rheinweiler, Istein, Kandern, Stetten, Hut- tingen, Bamlach. Dazu sind zu zählen 1533 Stücke mit Insekten vom Ruessgraben bei Klein-Kembs.
Aus den verschiedenen Tertiärgebieten Europas, ausserhalb dem Sundgau und dem Breisgau, brachte uns die Sammlung Mieg noch ca. 950 Nummern aus Frankreich, aus dem Mainzerbecken und dem übrigen Deutschland, aus Oesterreich-Ungarn, Italien und einigen andern Ländern.
Die genauere Sichtung und Etikettierung, die Bestimmung und Bearbeitung des gesamten Materials oder auch nur eines Teiles des- selben wird lange Zeit erfordern. Es wäre sehr wünschenswert, wenn z. B. die Insekten vom Ruessgraben bald einen Bearbeiter finden würden.
An pflanzlichen Ueberresten erhielt unsere Sammlung ca. 1200 Nummern. Von diesen 1200 Nummern stammen etwas mehr als 100 aus dem Carbon der Südvogesen, nämlich von Thann, Burbach, Ronchamp; andere von St. Etienne und Saarbrücken. Alle übrigen sind tertiären Alters. 530 Nummern stammen aus dem Sundgau : von Rixheim, Bornkappel, Zimmersheim, Rufach, Hagenbach, Dornach,
Basler Naturhistorisches Museum. DM
Habsheim und andern Orten; 450 Nummern aus dem Breisgau, wie
Klein-Kembs, Bamlach, Istein; 60 meist schön erhaltene Exemplare
von Dauphin in der Provence und 20 Stück von Aubenas im Rhöne- becken.
| Herrn Dr. H. Stehlin bin ich für seine kräftige Mithilfe beim
Auspacken und Zusammenstellen der Sammlung zu besonderem Dank
verpflichtet.
Ausser der Sammlung Mieg hat unsere Tertiärsammlung noch einige andere Geschenke zu verzeichnen. So von J. Stuber eine Anzahl Land- und Süsswasserfossilien von Anwil; von Herrn Dr. H. Stehlin eine Anzahl Seeigel aus dem calcaire grossier von Blaye in der Gironde; ferner Süsswasserconchylien von Paulhiac (Lot et Garonne), von St-André bei Marseille, Pflanzen von Armissan bei Narbonne und ca. 100 Nummern von Belesstücken aus dem Tertiär des badischen Oberlandes. Herr Prof.Schmidt übergab dem Museum verschiedene Bohrproben vom Rheinufer hinter der Lesegesellschaft und Herr Dr. A. Buxtorf eine kleine Suite von Süsswasserconchylien von Diegten.
Mineralogische Sammlung. (Bericht des Vorstehers, Dr. Th. Engelmann.)
Die seinerzeit erworbenen Meteoriten-Sammlung wurde im Laufe dieses Jahres katalogisiert und in Verbindung damit mit neuen ge- druckten Etiketten versehen. :
Sie ist nun in den drei grossen nebeneinander liegenden Fenster- pultkasten am Ende des mineralogischen Saales übersichtlich auf- gestellt und darf als die an einzelnen Fällen reichste aller schwei- zerischen Meteoriten-Sammlungen sich gar wohl sehen lassen.
Aus der grossen Schenkung des Herrn Mathieu Mieg sel. von Mülhausen kam auch unserer Sammlung eine grössere Anzahl Mine- ralien zu. Darunter befanden sich eine Anzahl für uns interessante französische und elsässische Vorkommnisse.
Erworben wurde ein grösseres Schaustück von Amiant mit Quarz- krystallen auf Gneiss von Guttannen, eine Gruppe von dunkelgrünen Flussspatkrystallen aus dem Kanton Appenzell, einige Bergkrystalle vom Gotthard und eine Anzahl Mineralien aus dem Tavetsch.
Eine grosse Feldspatgruppe mit gut ausgebildeten Krystallen von Baveno, ein schönes Schaustück von Realgar von Ariège sowie verschiedene Gruppen von grossen, prächtig ausgebildeten blauen Bergkrystallen von Cumberland.
Eine Anzahl gute Kalkspatkrystalle, zum Teil auf Muschelkalk, die beim Bau eines Pfeilers des Elektrizitätswerkes in Augst 10 m
278 Theodor Engelmann.
tief im Rheinbett gefunden wurden, erwarben wir von einigen italienischen Arbeitern.
An @eschenken erwähnen wir: Gut ausgebildete Gipskrystalle von Sainte-Sabine (Dordogne) von Herrn Dr. Hans Stehlin, einige schöne Edelopale in Trachyt aus der Gegend von Brussa, Klein-Asien, aus der Mine des Herrn Kaul, Eierhändler in Konstantinopel, die uns Herr Professor ©. Schmidt von seiner Reise mitbrachte.
Diverse Mineralien und einige geschliffene Steine wurden der Sammlung vom Vorsteher und von Herrn Hans Sulger übergeben.
Bibliothek. (Vorsteher Dr. H. G. Stehlin.)
Das Jahr 1911 ist für die Museumsbibliothek in doppelter Hin- sicht bedeutungsvoll gewesen ; nämlich einerseits durch die ungewöhn- lich starke Vermehrung, die sie erfuhr, anderseits durch die intensive Förderung der Ordnungsarbeiten, welche uns durch einen staatlichen Extrakredit von Fr. 2000.— ermöglicht wurde.
Frau Sabine Mieg-Kroh hatte, wie eingangs bemerkt, die grosse Freundlichkeit, uns zu der von ihrem verstorbenen Gatten legierten Sammlung auch noch dessen ganze wissenschaftliche Bibliothek zu schenken, die viele längst empfundene Lücken in unsern Beständen ausfüllt. Neben der Bibliothek Rudolf Burckhardt ist dies die um- fangreichste und wertvollste Bereicherung, welche die Museums- bibliothek seit ihrer Begründung ım Jahre 1896 erfahren hat.
Es sind ferner geschenkt worden: Von Herrn Dr. Ed. Greppin eine Anzahl geologischer und paläontologischer Werke; von Herrn A. Müller-Mechel, wie alljährlich, die Fortsetzung der Transactions of the Entomological Society of London; vom Unterzeichneten diverses.
Mit der Einverleibung der Bibliothek Mieg ist das Mass der noch zu bewältigenden Katalogisierungs- und Buchbinderarbeit selbstver- ständlich um ein bedeutendes gestiegen. Wir sahen uns deshalb ge- nötigt, bei den Behörden pro 1912 zu diesem Zwecke einen Nach- tragskredit von Fr. 1000.— nachzusuchen. Ob derselbe ganz aus- reichen wird, lässt sich vorderhand noch nicht beurteilen. Jedenfalls werden wir mit allen Mitteln darnach trachten müssen, die Ordnungs- arbeiten in der Bibliothek zum Abschluss zu bringen, bevor für unsre Sammlungen die Periode der Umzüge und neuen Installationen be- ginnt, die genug anderweitige Arbeit mit sich bringen wird.
Frau Dr. Schaub, die mit der Katalogisierungsarbeit betraut ist, hat dieselbe schon im Dezember 1910 begonnen und im Berichts- jahre um ein gutes Stück gefördert. Die gebundenen Bände sind bis
Basler Naturhistorisches Museum. 279
auf einen kleinen Rest katalogisiert, ebenso die Foliobroschüren und die Quartbroschüren bis zum Buchstaben R. Dagegen bleibt die kleinere zweite Hälfte der Quartbroschüren und die sehr umfangreiche Serie der Oktavbrochüren noch zu erledigen.
Herrn Dr. Schaub sind wir für verschiedentliche Beihilfe bei den durch die Einreihung der neukatalogisierten Bände nötig gewordenen Umstellungen zu Dank verpflichtet.
Die Spezialrechnung für die Bibliothek schliesst bei Fr. 2000.—
Einnahmen und Fr. 1584.85 Ausgaben mit einem Saldo von Fr. 415.15.
Allen Gebern und Freunden unserer Sammlungen sprechen wir den herzlichsten Dank aus und empfehlen zum Schlusse dieses Berichtes unser Naturhistorisches Museum dem Wohlwollen der hohen Behörden und der Bürgerschaft unserer Vaterstadt.
Verzeichnis der Geschenke an das Naturhistorische Museum
Herr
Herr
Tit.
im Jahre 1911.
1. Zoologische Sammlung. a—b) Säugetiere und Vögel.
Dr. Ed. Graeter, Basel: Thaphozous (Thaphozous) nudiventris Cr. 2 (2 Expl.) von Ghizeh; Thaphozous (Thaphozous) perforatus Geoffr. ©, Abou roach, Aegypten; Asellia tridens Geoffr. 6, Jag- garah, Aegypten; Plecotus auritus L., Kairo; Rhinopoma micro- phyllum Brünn. 6 (3 Expl.) von Kairo; Rhinopoma cystops Thom. à (3 Expl.) © (1 Expl.), von Kairo, neu für die Sammlung; Rhinolophus Antmori Dobs 6 von Massarah, neu für die Samm- lung; Pipistrellus Kuhli Nat. von Kairo; Rhinolophus spec. von Jerusalem; Jacculus jacculus L. © (2 Expl.) von Kairo, neu für die Sammlung.
P. Fontana, Chiasso: Myotis emarginatus Geoffr. von Chiasso, neu für die Sammlung.
Zoologischer Garten, Direktion: Kadaver von Cercopithecus ascarıus Audeb. öÖ und ©, neu für die Sammlung; Felis syl- vestris Briss. aus Siebenbürgen.
Leonhard Haag, Basel: Kadaver von Felis tigris L.
A. Wendnagel, Basel: Pratincola rubicola L. ö aus dem Tessin. Ratsherr Sarasin-Sauvain, Basel: Parus major L. ö und 0, aus- gestopft, nebst Nest und Eiern.
A. Staehelin-Bischoff, Basel; Nest von Sylvia atricapilla L.
c—d) Reptilien, Amphibien, Fische.
Dr. Ed. Graeter, Basel: Zahlreiche Reptilien und Amphibien aus Aegypten und Palästina; Fische aus Aegypten.
Zoologischer Garten, Direktion: Nicoria punctularia Daud., Python spec., Eryx spec., mehrere Bufo-, Hyla- und Ranaarten.
e) Wirbellose Tiere.
Legat M. Mieg: Zahlreiche Land-, Süsswasser- und Meeresmollusken,
Brachyopoden, Echinodermen, Cörallen aus diversen Regionen, besonders aus dem malayischen Archipel.
Herr
Basler Naturhistorisches Museum. 281
Dr. Ed. Graeter, Basel: Zahlreiche Mollusken aus Aegypten und Palästina. Tanymastyx stagnalis L. aus dem Eichener See. Dr. J. Carl, Genf: Eine Sammlung von Myriopoden aus Deutsch-Ost-Afrika.
Dr. G. Bollinger, Basel: Eine umfangreiche Sammlung einhei- mischer Mollusken.
Dr. Bornhauser, Basel: Lartetien und Bythinellen aus der Umgebung von Basel.
stud. phil. Kugler, Basel: Zwei Exemplare von Planorbis cor- neus L. aus der Fischzuchtanstalt.
Dr. Th. Engelmann, Basel: Zwei Ringelnattern; diverse Echino- dermen.
Entomologische Abteilung.
L. Paravicini-Müller, Arlesheim: Seltene paläarktische Pieriden. P. Fontana, Chiasso: Eine Anzahl einheimischer (Tessiner) und exotischer Falter, letztere hauptsächlich von Amboina. Prof. @. Senn: Eine grosse Anzahl Tag- und Nachtschmetter- linge aus Java, darunter zahlreiche der Sammlung bis jetzt noch fehlende Arten.
Prof. Dr. L. G. Courvoisier: Eine grössere Kollektion schweize- rischer Lycaeniden zur Vervollständigung der Schweizerfauna.
2. Osteologische Abteilung.
Legat Mathieu Mieg, Mülhausen: Paläozoische und mesozoische
Fisch- und Reptilreste. Tertiäre Fischreste von Kleinkembs, Hagenbach, Niedermagstadt, Boom, Aubenas, Dauphin, Oenin- gen. Eocäne Säugetier- und Schildkrötenreste von Rixheim und Riedisheim ; miocäne Säugetierreste von Riedern; quartäre Säugetierreste von zahlreichen Lokalitäten des Oberelsasses und Badens.
Freiwilliger Museumsverein: Fr. 1500.— für eine noch nicht perfekt gewordene Anschaffung (wird erst 1912 ausbezahlt). Prof. G. Vasseur, Marseille: Gipsabguss eines Coryphodon- humerus von Meudon.
Dr. E. Blösch, Laufenburg: Propalaeochoeruskiefer von Küt- tigen (Aargau).
Dr. Donnezan, Perpignan: Dolichopithecuszahn aus dem Pliocän von Perpignan.
Thonwarenfabrik Passavant-iselin & Cie. Allschwil: Pferde- knochen aus dem Löss von Allschwil.
Bauunternehmer A. Geissberger, Basel: Mammuthstosszahn von Hüningen.
Herr
Herr
Theodor Engelmann.
Joh. Pfirter, Muttenz: Mammuthbackenzahn von Muttenz.
Dr. C. Stehlin, Basel: Säugetierknochen aus der keltischen Station bei der Grasanstalt. i Fricker, Basel: Schädel von Bubalus caffer Spar. Tragelaphus roualeyni Cumm. (2 Expl.), Redunca arundinum Bodd. aus Zambesia.
Carl Dussy, Basel: Schädel von Ce Lo spec. von Porto novo, W.-Afrika.
Carl Lang, Basel: Schädel von Vulpes spec. von Tabora, Deutsch- Ost-Afrika.
Dr. A. Masarey, Basel: Schädel einer Hauskatze von Juan Fernandez.
L. Haag-Höhn, Basel: Kadaver von Felis Tigris.
Zoologischer Garten, Direktion: Kadaver von Felis sylvestris und Cercopithecus ascanius Aud.
Dr. Schaub, Basel: Schläfenbein von Nesodon spec., Santa Cruz-Formation, Patagonien.
3. Geologische Sammlung.
A. Petrographische Abterlung.
°C. Schmidt und F. Zyndel: Fossilien und Gesteine aus Mittel- bünden (8 Schubladen).
C. Schmidt und H. Preiswerk: Gesteine vom Lötschberg (6 Schubladen).
H.Preiswerk: Gesteine aus dem nördlichen Tessin (5 Schubladen) C. Schmidt und A. Buxtorf: Gesteine und Fossilien von der Furka (30 Stücke).
G. Niethammer: Fossilien und Gesteine aus dem Kaukasus (70 Stücke).
C. Schmidt: Fossilien, Asphaltsandstein, Pandermit, Erzstufen aus Kleinasien (40 Stücke).
A. Tobler, G. Niethammer, W. Hotz: Fossilien und Gesteine aus Niederländisch Indien.
B. Alpın-sedimentäre Abteilung. G. Niethammer, F. Zyndel und A. Buxtorf: Zahlreiche Beleg-
stücke zu den geolog. Aufnahmen im Gebiet des Vierwald- stättersees und Mittel-Bündens, ausgeführt im Auftrage der schweiz. geolog. Kommission.
Basler Naturhistorisches Museum. : 283
C. Mesozoisch-jurassische (ausseralpine) Abteilung.
Herr cand. geol. Müller: Gesteinsproben aus der Trias der Umgebung von Heidelberg.
Dr. Aug. Buxtorf: Fossilien aus dem Basler und Solothurner-Jura. Dr. L. Roliier: Ammoniten aus den Murchisonae-Schichten von Scheffen bei Achdorf (Randen).
Dr. E. Greppin: Allerlei Fossilien und Gesteinsproben aus der Umgebung von Schauenburg.
D. Mesozoisch-eretacische (ausseralpine) Abteilung.
Sammlung des Herrn M. Mieg sel. in Mülhausen; siehe Bericht.
E. Tertiäre und Quartäre (ausseralpine) Abteilung und Phytopaläontologische Abteilung.
Sammlung des Herrn M. Mieg sel. in Mülhausen; siehe Bericht. Herr Dr. H. G. Stehlin: Seeigel aus dem calcaire grossier von Blaye in der Gironde. Süsswasserconchylien von Paulhiac und St. André (Frankreich). Pflanzen von Arnussan bei Narbonne und zirka 100 Nummern von Belegstücken d. badischen Oberlandes. Prof. C. Schmidt: Verschiedene Bohrproben vom Rheinufer hinter der Lesegesellschaft.
Dr. A. Buxtorf: Suite von Süsswasserconchylien von Diegten. „ J. Stuber: Land- und Süsswasserfossilien von Anwil.
4. Mineralogische Sammlung.
Legat des Herrn M. Mieg sel., Mülhausen: Französische und elsäs- sische Mineralien. Herr Prof. C. Schmidt: Edel-Opale von Brussa; Klein-Asien. „ Dr. Hans Stehlin: Gipskristalle von Sainte-Sabine (Dordogne). , H. Sulger: „ Dr. Th. Engelmann:
Diverse Mineralien.
5. Bibliothek.
Schenkung der gesamten wissenschaftlichen Bibliothek des Herrn M. Mieg von Mülhausen. (Siehe Bericht.)
Von Herrn Dr. E. Greppin: | Diverse Werke PR) A. Müller-Mechel: f laut Bericht Dr. Hans Stehlin: |
284 Theodor Engelmann.
Verzeichnis der Ankäufe des Naturhistorischen Museums im Jahre 1911.
1. Zoologische Sammlung.
Trygenycteris Woermanni Pag. aus dem französischen Kongo. — Petrodomus Sultanı Thom. von Bagamoyo. — Nemorrhoedus sumatrensis Shaw.
Tausch.
Tit. British Museum, London: Cherops bicarinatus von Goulburn, New South Wales.
2. Osteologische Sammlung.
Skelett von Galago (Hemigalago) Demidoffi Fischer: Schädel von Centetes ecaudatus Schreb., Sus scropha sardous Str., Cervus elaphus corsicanus Erxl. und von einem noch unbestimmten sumatranischen Nager. Skelett von Nemorrhoedus sumatrensis.
Eocäne und Oligocäne Säugetierreste aus den Phosphoriten des Quercy, von Ronzon, von St-Gerand-le-Puy und von einigen andern Fundstellen.
Miocüne aus der Gegend von Orléans, von Riedern (Klettgau), von La Grive-St-Alban, von Anwil (Baselland).
Pliocäne von Perpignan, aus Val d’Arno, aus der Auvergne.
Quartäre aus Val di Chiana.
Zwei Gipsabgüsse von Schädelfragmenten des Machaerodus cultri- dens Cuv.
Tausch.
Tit. American Museum of natural history in New-York: Reste eocäner, miocäner und pliocäner Säugetiere aus Nordamerika.
Entomologisehe Abteilung.
Von der Firma Staudinger, Blasewitz-Dresden: Ein Paar der seltenen Attacus hercules aus Neu-Guinea, sowie eine Anzahl anderer Falter.
Von Herrn Schmiedel, Zwickau: Verschiedene exotische Falter, darunter mehrere neue Tenaris-Arten.
Von Herrn ARibbe, Radebeul-Dresden: Ein Loos Falter von Tian Shan, sowie andere paläarktische und exotische Schmetterlinge.
Durch Vermittlung von Herrn Limiger: Exemplare von Gomphus flavipes, einer seltenen einheimischen Libelle.
Basler Naturhistorisches Museum. 28
3. Geologische Sammlung.
Von stud. À. Müller: 40 Stücke Paläozoicum der Eifel.
Von der Mineralien-Niederlage der X. 8. Bergakademie, Freiberg 1. S.: 90 Stücke Erzstufen.
Von Kaiser, Luzern: 2 Stücke Erzstufen von Kommern.
Von stud. O0. Gutzwiller: Fossilien aus den Westalpen, besonders Untere Kreide. |
Von Sammler @. Tschan, Merligen: Jurafossilien aus dem Lauter- brunnental.
Fossilien aus dem Divesien der Normandie.
Fossilien von Beinwil.
Fossilien von Liesberg.
Die Sammlungen der Herren Brändlin und Niethammer..
4. Mineralogische Sammlung.
Diverse Anschaffungen laut Bericht.
Eingegangen 8. Januar 1912.
Bericht über die Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums für das Jahr 1911.
Einleitend ist nur das wenige zu bemerken, dass auch dieses Jahr die üblichen Zuschüsse nicht ausgeblieben sind, wofür wir den be- treffenden Instanzen Dank sagen. Spezielle Verdankungen enthalten die einzelnen Jahresberichte.
Unser Mitglied Professor Rütimeyer hat im Berichtsjahr zwei Führungen durch die ethnographisch-prähistorische Abteilung ver- anstaltet, welche, wie stets, reichlichen Besuch erfuhren.
Es fanden zwei Sitzungen statt, die eine am 11. November, die Schlussitzung am 22. Dezember 1911. In der ersteren wurde eine Frage beantwortet, welche von der Baukommission für den neuen Museumsbau an sie gestellt worden war, in der letzteren kamen die Jahresberichte zur Verlesung, welche hiemit folgen:
Prähistorie.
Der Bericht über das verflossene Jahr kann sich in kurzen Zügen halten; denn es sind weniger Einläufe zu verzeichnen als in früheren Perioden, weil der Unterzeichnete, durch andere Tätigkeit zu sehr in Anspruch genommen, sich dem Ausbau der prähistorischen Samm- lung nicht mit der Regelmässigkeit widmen konnte, welche für eine fördernde Pflege der Abteilung unentbehrlich ist. Dennoch kann von zwei grösseren Erwerbungen berichtet werden, mit denen der Anfang gemacht werden mag, ohne eine systematische Ordnung des Materials nach den Perioden wie früher zu beobachten.
Herr Mathieu Mieg aus Mülhausen 1. E., unlängs verstorben, hat, aus Neigung prähistorischen Studien sich hingebend, alle für ihn erreichbaren prähistorischen Lokalitäten im weiten Umkreis seiner Vaterstadt durch einen von ihm in beständigem Lohn unterhaltenen Sammler ausbeuten lassen. Diese Sammlung, über welche er eine Reihe von Abhandlungen veröffentlicht hat, ist durch seine letzt- willige Verfügung unserem prähistorischen Kabinett überwiesen worden, wofür wir der verehrlichen Witwe, welche uns dieselbe aus- händigte, hiemit öffentlich unseren ergebensten Dank aussprechen. Leider muss aber von vornherein beklagt werden, dass die Freude an
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 287
dem Vermächtnis Mieg durch einen bitteren Tropfen vergällt worden ist, insofern zutage kam, dass sein Sammler, der Polizeidiener Eduard Bauer!) aus Klein- Kembs, eine grosse Reihe von Fäl- schungen sich hat zuschulden kommen lassen, welche sich wie ein Schleier über die ganze Sammlung breiten. Dennoch dürfen wir einen Tei! derselben als soviel wie einwandfrei ausscheiden, nämlich die Funde aus den Höhlen von Istein, an welchen die fälschende Hand anscheinend noch nicht zu spüren ist. Ich möchte aber doch davon absehen, auf Einzelheiten einzutreten und begnüge mich da- mit, die folgenden Bemerkungen von H. @. Stehlin?) darüber an- zuführen: „Im Jahre 1903 wurde Mieg auf eine Anzahl Nischen und kleine Höhlen im Bereich des Rauraciensteinbruches am Hard- berg, südlich von Istein, aufmerksam, die in dünner Kulturschicht Silexartefakte und Knochensplitter aus der letzten Phase des Paläolithikums, dem durch die Verdrängung der Renntierfauna durch die rezente Waldfauna charakterisierten Tourassien oder Azylien ent- hielten. Diese Höhlen sind heute grossenteils verschwunden und wären für die Wissenschaft verloren gewesen, wenn Mieg nicht recht- zeitig zugegriffen hätte. In der Folge entdeckte er dann weiter nörd- lich bei Klein-Kembs (Wallis, Vollenburg, Kachelflue), sowie bet Kandern und auf der linken Rheinseite bei Sierenz weitere kleine prähistorische Stationen, welche teils der nämlichen Periode an- gehören, teils auf Grund der vorgefundenen Topfscherben und Haus- tierknochen bereits dem Neolithikum zuzuschreiben sind.“
Ich verweise auch auf meinen „Führer durch das prähistorische Kabinett“ (1906, p. 29—31), worin es über die von uns bei Birseck gemachten Funde u.a. heisst: „Diese Funde ergeben das Bild eines paläolithischen Jägertums in der Hirschzeit, entsprechend einer srossen Anzahl ähnlicher Kulturschichten besonders in französischen Höhlen. Auch ist zu erwähnen, dass unlängst Herr Mathieu Mieg die allen Baslern wohlbekannten Höhlen am Isteiner Klotz ausgehoben hat, wobei er ebenfalls paläolithische Steingeräte mit der Fauna der Hirschzeit zusammen fand. Sie sind der Uebergangszeit zwischen Paläo- und Neolithikum zuzuschreiben.‘ Die Funde von andern Lokalitäten enthalten eine Menge roher Fälschungen, und bei ächten Stücken, wie Steinbeilen u.a. m., ist auf die Fundortsangaben nicht zu vertrauen. Die Sammlung umfasst 1294 Nummern. Es befinden sich darunter ausser den erwähnten Aufsammlungen aus der Um: gegend von Mülhausen noch einige paläolithische Glyptolithen von Laugerie haute und basse und mesolithische von Spiennes. Endlich
1) Siehe darüber: H. G. Stehlin, Berichtigung, Eclogae geologicae Helveticae, 11, 1911. 2) H. G. Stehlin, Mathieu Mieg-Kroh, Verh. Naturf. Ges. Basel, 22, 1911.
288 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
fanden sich noch einige wertvolle ächte Gravierungen auf Knochen aus dem Magdalenien von Bruniquel (Tarn-et-Garonne) vor, Wild- pferde darstellend, fragmentarisch erhalten, eine besonders schätzens- werte Bereicherung unseres prähistorischen Kabinettes.
Eine sehr bedeutsame Kollektion neolithischer Gegenstände aus Griechenland verdanken wir Herrn Professor Dr. E. Pfuhl in Basel, der sie von seiner letzten Reise dorthin mitgebracht und uns zum Ge- schenk gemacht hat. Die Sammlung ist bezeichnet als ,, Neolithikum und erste Bronzezeit in Thessalien, Burgen von Dimini und Sesklo im Gebiet des pagasaeischen Golfes, 3 und 2 J.-1000 v. Chr.‘, von Tsuntas, der die Originalfunde in einem Werk beschrieben hat, als „ro010T0g1xai drgondisıs“ aufgefasst. Neolithisch sind darunter wahrscheinlich die folgenden Gegenstände: ein Rollstein, Protolith, mit glatt polierten Seitenflächen, den ich für einen Polierstein zum Glätten des Tongeschirres anspreche, kann auch chalkochron sein; sicher neolithisch sind typische Steinbeile von der gewöhnlichen un- durchbohrten Keilform, aus bunten Gesteinsarten; ein Fragment aus weissem Marmor, in der Form einem Steinbeil ähnlich, wurde vom Sammler als „Bruchstück eines spachtelförmigen Marmoridols‘ be- stimmt mit der Begründung, dass man von solchen‘ Glyptolithen aus Uebergänge zu menschlichen Figuren kennt. Als chalkochron sind bezeichnet das Fragment eines steinernen, durchbohrten Keulen- kopfes, ferner ein kleiner Protolith mit beidseitig angefangener Durchbohrung, wohl behufs Herrichtung zu einem Wurfkeulenkopf. Neolithisch ist ein hübscher Obsidiannukleus, der nicht wie die er- wähnten Glyptolithen aus Thessalien, sondern von der Insel Melos stammt.
Lithochron oder chalkochron können die folgenden Knochenge- räte sein: ein kräftiger Pfriemen, dreikantig, mit vermutlich absicht- lich angebrachtem Einschnitt für die Daumenlage, mit Gebrauchs- politur ; eben dieselbe zeigt ein wohl erhaltener Spatel, als ,,beinerner Glätter“ bestimmt; ein spitzer Pfriemen besteht aus Hirschhorn, ein zugespitztes Knochenstäbchen, pfeilartig mit verbreiteter Spitzen- basis, wird als Pfriemen für Lederarbeiten aufgefasst; die Hälfte eines Muschelringes stellt das Fragment einer Armspange dar.
Diese Gegenstände sind von einer reichen keramischen Sammlung begleitet, Geschirrfragmenten, von denen die überwiegende Mehrzahl als neolithisch, der Rest als der Bronzezeit angehörig bezeichnet sind. Die meisten dieser Topfscherben sind phantasievoll mit dunkler oder heller Farbe bemalt, die spätere reiche Ausschmückung der grie- chischen Keramik voraus verkündend. Die Verzierungen sind vor- wiegend von geometrischem Charakter, mit Schraffierungen. Unter den als der Bronzezeit zugehörig bezeichneten Keramika fällt das
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 289
Fragment einer Schale mit Henkel als elegant und grosszügig ge- arbeitet auf. Auch zierliche Tonwirtel und ein als ‚„Garnrolle‘“ be- zeichnetes Tongerät sind in der Sammlung vertreten. Ich glaube nach Betrachtung dieser Keramik wie in Aegypten und in Japan?) so nun auch in Griechenland den Umstand zu erkennen, dass der Kern der autochthonen Kultur schon in der jüngeren Steinzeit wurzelt, dass diese autochthone Kultur schon lithochron ist, womit aber die spätere Einwirkung auswärtiger Kulturen nicht bestritten wird. Autochthon ist das. wasich den ergologischen Stil nennen möchte, welcher alsautoch- thone Umstilisierung sich auch über Aneignungen aus fremden Kul- turkreisen hinlegt, ihnen das autochthone Gepräge verleihend. Esdrückt sich darin das eigenartige ästhetische Empfinden eines Volkes aus, als eine äussere, objektive Kundgebung seiner geistigen Konstitution. Eine dunkle Vorstellung von dieser Erscheinung des ergologischen Stiles lag vielleicht dem ‚„Völkergedanken“ von Adolf Bastian zu Grunde. Die Erfindungen sind Gemeinbesitz der Menschheit, sind Werke genialer Einzelmenschen, über die ganze Erde wie Wellen- ringe sich verbreitend, vom Haupte des Erfinders als von ihrem Focus den Ausgang nehmend, dagegen „le style est l’homme même“, um das Buffon’sche Wort auch auf die gesamte Ergologie anzuwenden.
Der neolithischen Steinzeit gehören noch folgende Zuwendungen an: Einige, wahrscheinlich neolithische, Glyptolithen aus Unter- Aegypten, von Herrn Dr. A. Buxtorf; eine grössere Anzahl neo- lithischer Steinbeile von der gewöhnlichen undurchbohrten Keilform von Kano und Bornu in Nigerien von Herrn Resident Hanns Vischer ; auffällig ist darunter eines aus weissem Quarz mit ge- stumpfter Schneide, deren körnige Oberfläche die Vermutung nahe legt, dass es als Klopfhammer oder als Reibstein gedient hat und zwar vermutlich in nach-neolithischer Zeit ; merkwürdig ist in dieser Samm- lung ferner ein grosses, achtflächig zugehauenes Hammerbeil, an dem das eine Ende als Hammerkopf, das andere als Beilschneide ge- formt ist; das Stück ist stark angewittert. Das Fragment eines stemmeisenförmigen Glyptolithen machte uns Herr Dr. R. Fisch zum Geschenk, wie wir schon früher von ihm ein vollständiges Stück dieses rätselhaften Steingerätes erhalten hatten (siehe Jahresbericht 1909, p. 16) und ebenso das Fragment des Schneidenteils eines solchen. Das vorliegende Stück stammt, wie das ganz erhaltene, von Aburi an der Goldküste. Eine Lanzenspitze aus rotbraunem Silex von St. Leo, Provinz Arezzo, verdanken wir Herrn Pfarrer H.Iselin in Florenz; obschon sie keine feinere Retuschierung zeigt, spreche ich sie doch für neolithisch an. Aus der Umgebung von Basel kamen
3) Siehe Jahresbericht für das Jahr 1910, Seite 6. 19
290 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
uns gleichfalls wieder Steinbeile zu und zwar aus den Distrikten Therwil, Biel- Benken, Blotzheim, Rodersdorf, Metzerlen. Neo- lithisch ist wohl auch ein bei Birsfelden gefundenes Hirschgeweih- fragment mit Durchbohrung.
Eine nachdrückliche Erwähnung gebührt einer durch seltene Form merkwürdigen Bronzeaxt, welche im Ufer der Birs in Birsfelden 1 m tief im Flusschotter gefunden worden ist; sie ist als Leistenkelt zu bezeichnen, an dem die verbreiterte Beilklinge auffällig in die Länge gezogen erscheint, ein wertvoller weiterer Beitrag zu den chalko- chronen Funden auf dem rechten Birsufer von Birsfelden bis St. Jakob (siehe dazu Jahresbericht 1909, p. 18 und die im hiesigen historischen Museum aufbewahrten chalkochronen Schwerter ebendaher). Die Bronzeaxt von Birsfelden ist ein Geschenk von Herrn Wilhelm Sarasin-Iselin. Sie scheint mir eine Abbildung zu verdienen.
1 Leistenkelt von Birsfelden, 3° a von der Fläche. b von der Kante. Die Leiste ist dreiflächig gearbeitet.
Prähistorisch siderochron sind Fragmente von zwei grossen, eisernen Nägeln aus Bibracte, der dritten La Tene-Periode zugehörig ;
wir verdanken dieselben Herrn Professor Dr. H. Rupe in Basel.
Paul Sarasin, Präsident der Kommission und Vorsteher der Abteilung Prähistorie:
Afrika. Die Abteilung Afrika kann für das Jahr 1911 den stattlichen
Zuwachs von 435 Nummern verzeichnen, wozu noch reichliche Dou- bletten kommen, und erreicht hiemit inklusive Vorderasien eine Ge- samtzah! von 3931 Nummern. Geschenkt wurden 184 Nummern, wobei uns besonders wieder freut, dass neben alten bewährten Gönnern von Baslern im Auslande auch neue auf den Plan traten, die im fernen
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 291
Afrika der vaterländischen Sammlungen gedachten. Unter diesen 435 Nummern befinden sich zwei sehr wertvolle, grössere Originalsamm- lungen: die inklusive Doubletten ca. 180 Nummern umfassende Sammlung von Herrn Dr. A. David aus den Gegenden des obern weissen Nil, auf die schon letztes Jahr hingewiesen wurde, sowie eine prächtige Sammlung afrikanischer Perlen (mehrere hundert Stücke) aus Stein Glas und anderm Material von Herrn H. Vischer in Nigeria; eine weitere kleine Originalsammlung verdanken wir Herrn Missionar Lädrach aus Asante (28 Stück). Mit besonderm Dank sei wieder hervorgehoben, dass uns die Sammlung David vom Tit. Mu- seumsverein geschenkt wurde.
Beginnen wir die Aufzählung der Neuenhagen mit Alt- Aegypten, so machte uns Herr E. Paravicini-Engel ein höchst er- wünschtes Geschenk in Erfüllung eines langjährigen Desiderates des Unterzeichneten, indem er neben einem altkoptischen Kamm uns eine gut erhaltene altägyptische Kopf- oder Nackenstütze aus Holz schenkte. Die Vornehmen, auch die Priester hatten oft solche Nacken- stützen aus Alabaster und anderem kostbaren Material. Interessant ist das Stück für uns namentlich deshalb, weil auch die Sammlung David als Parallele eine Anzahl solcher ähnlicher Nackenstützen der Dinka und Schilluk enthielt. Noch näher in der Form kommen der altägyptischen heute noch gebräuchliche unserer Sammlung, die von den Maschona und Bakuba stammen. Ob diese Uebereinstimmung in der Form auf alte Kulturbeziehungen zwischen Alt- Aegypten und den betreffenden afrikanischen Volksstämmen deuten, ist eine offene Frage. Manches scheint dafür zu sprechen. Zu Nordafrika gehören ferner 2 originelle Kinderwiegen, die Herr Dr. Ad. Vischer im Tripolis bei einem Besuche in Garian in den Höhlenwohnungen der dortigen Berber fand und uns schenkte.
Westafrika. Aus Asante brachte uns unser alter Gönner Herr Missionar Lädrach, der leider nach kurzer Zeit wegen Krankheit sein neues Arbeitsfeld verlassen musste, wieder eine Anzahl guter Sachen mit, die er auf seinen Reisen — immer persönlich mit grösstem Ver- ständnis sammelnd — erworben hatte. Genannt seien einige Fetische und Amulette mit genauer Angabe ihrer Bedeutung, so ein all- gemeines Schutzamulett, ein Jägeramulett, Schutzamulette gegen Kopfweh, Pocken etc., die in erwünschter Weise unsre Sammlung westafrikanischer Kultobjekte ergänzen. Dazu kommen ein alter Metallöffel für Goldstaub, eine Anzahl Goldgewichte u. a. m.
Aus Süd-Nigeria verdanken wir eine sehr interessante Kollektion von Thontöpfen aus Abeokuta Herrn Æ. Barth in Lagos, der in liebens- würdigster Weise einem Ansuchen des Unterzeichneten, eingeborene Pottery für uns zu sammeln, durch Schenkung dieser Topfserie so-
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wie einiger anderer Objekte (Eingebornen-Stoffe aus Togo und Kano, Bastkorb, Pfeile) nachgekommen ist. Diese Töpferei von Abeokuta, meist für den alltäglichen Gebrauch bestimmt, liefert, wie der Sammler schreibt, sogar für europäische Fabriken Modelle, die dann in Steingut, Thon und Email ausgeführt werden. Abeokuta ist ein Zentrum für Töpferei, die ohne Drehscheibe als Handarbeit betrieben wird. Die vorliegenden 18 Gefässe von verschiedener Form, meist in schwarzem Thon ausgeführt: Schüsseln, Teller, Näpfe, Krüge werden benützt für Wasser, Fufu, Yams oder Maniok, die kleineren zur Auf- bewahrung von Suppen und andern Ingredienzien. Sie illustrieren in trefflicher Weise die dortige alteingesessene Töpfereitechnik und ihre Geschmacksrichtung. Von besonderem Interesse ist eine so- genannte Fetischschüssel zur Palmkerngewinnung, eine grosse, schwarze Schüssel, in deren Grunde 3 Fächer abgegrenzt sind, in welche in gewisser Folge Palmkerne getan werden. Als Deckelaufsatz dient die Büste eines weiblichen Idoles.
Aus Nord-Nigeria erhielten wir, wie schon erwähnt, eine präch- tige Schenkung von unserm altbewährten Gönner Herrn H. Vischer, zur Zeit Direktor des Unterrichtswesens in Nord-Nigeria, der eben- falls einem Ansuchen des Unterzeichneten, für uns afrikanische Glas- und Steinperlen zu sammeln, in wahrhaft glänzender Weise entsprach. Er brachte uns bei seiner Heimkehr aus seinem Wirkungskreise eine Sammlung von 110 Nummern mit vielen Hunderten von einzelnen Stücken von Glas- und Steinperlen mit. Es sind teils ganze Colliers, auch Huftschnüre, teils einzeln getragene durchlochte Perlen aus verschieden gefärbtem Glas, Bernstein oder Stein: Agat, Uarneol, Feldspat, Bergkrystall, Calcedon ete.; auch aus Muschelsubstanz sind solche da. Die Perlen dienen teilweise als einfacher Schmuck, andere auch als Amulette, je nach ihrer Provenienz auch als Nasenpflöcke etc. Das ganze repräsentiert so eine für Nigeria, die Tschadsee- und die umliegenden Sahara- und Sudanländer durchaus typische Perlen- sammlung, wie sie in solcher Vollständigkeit wohl kaum in viel grösseren Museen enthalten sein wird. Ihr Wert wird dadurch erhöht, als sich Herr Vischer aufs intensivste angelegen sein liess, die Perlen, soweit er sie nicht persönlich sammelte, durch Vertrauensmänner sammeln zu lassen, die er seit Jahren genau kannte und die ihm per- sönlich attachiert waren, wie der Tubu Hadji Zaid, der ihn auf seinem gefährlichen Wüstenzuge von Tripolis zum Tschad begleitet hatte. Die andern Sammler waren ebenfalls Araber, Kanembu, Yoruba, die seit Jahren mit Zeug und Perlen handeln zwischen Fezzan und Bornu, Timbuktu, Kano und den untern ‚Nigerländern. Sie waren angewiesen, für alle Stücke aufs genaueste die Herkunft, sei es der Perle selbst, seı es des Rohmateriales oder des Fabrikationsortes resp. des Ortes
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der Steinschleifung, sowie den heutigen Gebrauch zu erkunden und zu notieren. Es ist also, soweit dies überhaupt möglich ist unter den dortigen Verhältnissen, eine gewisse Garantie gegeben, dass die An- gaben eine reelle Basis haben. Eine Anzahl der Stücke schickte ich auch zur nähern Bestimmung an den gegenwärtig wohl besten Kenner dieses Materiales, an Herrn P. Staudinger in Berlin, der mir jeweilen ın freundlichster Weise, wo er dies vermochte, Auskunft gab, wofür ıhm auch an dieser Stelle der beste Dank gesagt sei. Manche der zu den Perlen benützten Steine kommen nach bestimmter Aussage der obigen Gewährsmänner aus dem Osten, besonders aus Arabien, wohl auch aus Indien und werden dann in Bida von den Nupe, Künstlern in diesen Dingen, geschliffen. Die Glasperlen stammen meist aus Europa und wandern von den Eingangstoren Tripolis und Benghasi durch die ganze Breite der Sahara in die Länder am Niger und Tschad.
Besonders hervorzuheben wären aus dem reichen Materiale etwa folgende Stücke: ,,Bodam‘, grosse, ovale, durchlochte Steinperlen, werden von den Kanembu östlich vom Tschad im Boden gefunden und sollen von den So stammen, einem fabelhaften Riesenvolk, welches ursprünglich Bornu bewohnte. Sie sind als Amulette und Fetische von den Dorfhauptleuten in Sokoto sehr geschätzt. Eine Schnur blau und grauer Glasperlen, ‚„Kurjäle“, sollen schon von den ehemaligen Einwohnern der frühern Hauptstadt von Bornu, Birni, getragen wor- den sein, offenbar sehr alte Stücke.
Höchst interessant sind grosse zylindrische und fingerförmige Perlen aus Muschelsubstanz, ca. 9 em lang, die von den Budduma auf den Inseln des Tschad als Zeichen besondern Reichtums um den Hals getragen werden. Sie sind alter Provenienz und werden heute nicht mehr angefertigt und teuer bezahlt. Wegen des Muschelmateriales, aus dem diese teilweise riesigen Perlen gefertigt sind, wandte ich mich an einen der besten Kenner der afrikanischen Conchyliologie, Herrn Pallary in Oran, der die Frage aber offen lässt, ob es marine Muscheln sind, oder die Aetheria Cailliaudi, welche im Tschad und Nil vor- kommt.
Drei kleine Agatperlen, „Kara“, entstammen dann wieder einem wohl neolithischen Grabfunde aus Kano. Sehr geschätzt sind auch die ,,Dilari, ursprünglich aus Venedig stammende Millefiori-Perlen, die aus einem komplizierten Glasflusse bestehen und besonders von den Heidenstämmen am Benuë, vor allem den Mundschi, sehr geschätzt werden. Diese grossen tonnenförmigen Perlen werden einzeln um den Hals getragen, wobei die alten Stücke ungleich viel wertvoller sind als neuere.
Diese ganze reiche Perlensammlung, auf die hier nicht weiter kann eingegangen werden, wird hoffentlich für die Zukunft ein wert-
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volles wissenschaftliches Material bilden, weil sie vom Donator in durchaus systematischer Weise mit möglichst genauem Nachweis der Provenienz zusammengebracht worden ist. Wenn einmal dieses ganze Gebiet, welches, wie auch Herr Staudinger schreibt, der systematischen Forschung noch die grössten Schwierigkeiten bietet, mehr geklärt sein wird, sind aus demselben wohl sıcher interessante Aufschlüsse über alte und neue Karawanenwege, Handels- und Verkehrsstrassen zu ge- winnen, die von Indien und Arabien quer durch den schwarzen Kon- tinent oder vom Mittelmeer bis in-das Zentrum Afrikas führten und führen.
Herr Vischer fügte der Perlensammlung noch ein Prachtstück von einem Sattel bei, der von Tuaregs des Air dem Emir von Bautschi überbracht wurde, von dem ihn unser Donator indirekt erhielt. Der Sattel ist in bunter, schönster Leder- und Wollenstoffarbeit erstellt und mit Leopardenfell überzogen, ferner 4 durchlochte versteinerte Seeigel, die bei Kano gefunden, als Amulette um den Hals getragen werden. Sie bilden eine direkte Parallele zu analogen Gehängen von Seeigeln aus unserer schweizerischen Neolithik, wie wir solche in unserer Sammlung besitzen. Es dürften auch diese als Amulette ge- tragen worden sein. Ein Armring aus Stein der Tuareg, Messingarm- ringe der Burra südlich von Bornu und eine Anzahl hübsch geflochtene Deckelkörbehen aus Kano vervollständigen die prächtige Schenkung, für die dem Donator auch hier der herzlichste Dank besonders auch für die wissenschaftliche Sorgfalt, mit der er das Material zusammen- brachte, ausgesprochen seı.
Ebenfalls aus Nigeria verehrte uns Herr Staudinger ein Bündel von Zinnstäbchen, wie sie von den Eingeborenen bei der Zinngewin- nung in Rime, Bautschi, hergestellt rendlan,
Aus Kamerun (12 Obj ekte) erwarben wir einige gute alte Stücke, meist aus dem Baligebiet, so ein 115 em hohes Doppelidol, 2 alte, in durchbrochener Arbeit geschnitzte Häuptlingsstühle, 36 und 45 em hoch, Tabakpfeifen, Armspangen, Thongefässe. Eine grosse Maske mit Haar und Bart aus Negerhaar schenkte L. Rütimeyer.
Aus Zentralafrika, namentlich dem bei uns äusserst dürftig vertretenen Gebiete der grossen Seen konnten geschenk- und kauf weise einige sehr gute Objekte erworben werden. Ich nenne vor allem drei Steinkeulen der Ja Luo bei Kavirondo. Es sind dies, soweit wir sehen, ethnographische Nova, da bis jetzt Keulen mit steinernen Knäufen aus Afrika nicht bekannt waren. Die Stücke, von denen Herr Dr. A. Finsler zwei, L. Rütimeyer eines schenkte, sind um so interessanter, als sich bei der „Sektion“ eines der Stücke, wobei der Steinknauf aus seiner Lederhülse, in die er eingenäht war, entnommen wurde, ergab, dass der Stein ein unzweifelhafter sog. Klopfhammer war, ein Proto-
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lith nach P. Sarasin. Derselbe ist, wie die von menschlichen Händen herrührende 'Patina der beiden glatten Pole des sonst mit Schlagnarben bedeckten harten Steines beweist, wohl sicher prähistorischer Her- kunft. Ob sein Gebrauch nun Jahrtausende oder Jahrhunderte dauerte, ist natürlich nicht zu sagen, sicher aber ist, dass er als Klopf- hammer diente und erst sekundär als Keulenstein verwendet wurde. Er repräsentiert also sowohl in seiner Eigenschaft als Keule mit Steinknauf wieals Klopfhammer ein Reliktaus der afrıkanischen Stein- zeit. Diese heutige Verwendung solcher prähistorischer Stücke, die, vielleicht zufällig gefunden, für heutige Zwecke gebraucht werden, findet u. a. eine Parallele in dem im letzten Jahresberichte be- schriebenen neolithischen Steinstössel +) aus Figuig und, wie mir Herr Pallary neuerdings schreibt, in einer neolithischen Steinaxt, die ein Eingeborner in Tlemcen brauchte zum Zerstampfen von Oliven. Die Fähigkeit, Steinmaterial in passender Weise zu verarbeiten, ist heute vielerorts verloren gegangen, aber man darf doch wohl sagen, dass in solchen Fällen eine Art „geistigen Kulturbandes“ die Gegenwart mit der prähistorischen steinzeitlichen Vergangenheit verbindet. Eine Keule mit hölzernem Knauf ebenfalls von den Ja Luo, ähnlich dem Kırrı der Ovambo, schenkte uns Herr Dr. A. Lotz. Ebenfalls vom Viktoria Nyanza stammt eine metallene Armspange aus Bukoba, die uns Herr Dr. Carl aus Genf und 9 Objekte, die uns Herr C. Roos aus Basel aus gleicher Provenienz schenkte — Tabakpfeife, Kaurigeld, Körb- chen, Armringe.
Südafrika. Aus dieser ethnographischen Provinz, die bei uns seit einigen Jahren keinen wesentlichen Zuwachs mehr erhalten hatte, konnten wir im Berichtsjahr einige gute Objekte erwerben (16), so 2 Ovambobogen, einen schweren kupfernen Fussring vornehmer Frauen, einen sogenannten Ovamboorden, ein Messer mit eigentüm- licher nach hinten dreieckartig sich verbreiternder Scheide aus Holz, mit Kupferdraht fein umsponnen. Diese Messer kamen früher an Wert einem Ochsen gleich und wurden von den Häuptlingen als Aus-
zeichnung verliehen. Dazu kommen noch Pfeile, Assagaien und eine Wurfkeule, Kirri.
Ostafrika. Aus Mozambique brachte uns unser dort lebender Landsmann, Herr Th. Fricker (Mahalla, Boror), ein hübsch ge- schnitztes Rufhorn aus Antilopenhorn, ein Messer und ein Musik- instrument schenkweise mit; aus Britisch-Ostafrika schenkte L. Rüti- meyer einen Ceremonialschild der Akikuju — „Rua‘ — von origineller Form, mit Kerbschnitt hübsch ornamentiert und roth und weiss be-
ser er pille:
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malt, derselbe wird gebraucht bei den Beschneidungsceremonien der Akıkuju.
Gehen wir zum Schluss unserer Wanderung durch und um Afrika noch weiter nach Norden, so treffen wir 1m östlichen Sudan, aus dem Gebiete des weissen Nil auf die prächtige Sammlung, die uns Herr Dr. A. David von seinen Reisen in jenen Gegenden 1910 mitgebracht hatte. Dazu kommen einige Geschenke, die uns der gleiche Sammler von seiner neuerlichen Reise im Sommer 1911 mitbrachte. Wie schon im letzten Jahresberichte erwähnt, sammelte Herr Dr. David auf Grund einer ihm vom Unterzeichneten mitgegebenen ethnographischen Wunschliste in ganz vorzüglicher und umsichtiger Weise, sodass wir mit dieser ca. 180 Stücke betragenden systematischen Sammlung ein gutes Bild von der Ergologie jener Stämme am obern weissen Nil, vorab der Schilluk und Dinka erhalten. Es finden sich dabei aber auch eine Anzahl Objekte der Barı und Waganda.
Von Schmuck und Kleidungsstücken seien daraus hervorgehoben: Armringe von teilweise sehr origineller Form aus Holz, Elfenbein und Leder, Mädchengürtel aus Strausseneierschalen, Halsband aus Giraffenhaar, Schambänder, Schurzfelle und Hüftschnüre aus ver- schiedenem Material, vor allem auch die prächtigen Kopfschmucke der Dinka aus Straussenfedern, deren Grösse vartiert je nach der An- zahl der vom Träger erjagten Strausse.
Von Haus- und Küchengeräten finden sich Kopfstützen und Sitz- schemel von verschiedenen Formen, Feuerholz der Schilluk, Blasebalg und eine ganze Kollektion von Töpfen verschiedenster Form und Grrôsse, die in ihrer Einfachheit in Form und Ornamentierung viel- fach an neolithische Töpfe unserer Pfahlbauten erinnern. Auch Flechtwaren verschiedenster Form und Gebrauches sind da. Ebenfalls finden sich hier eine ganze Sammlung der originellen Tabakpfeifen der Schilluk mit ihren birnförmigen Mundstücken aus Flaschenkürbis und einige Musikinstrumente.
Von landwirtschaftlichen Geräten sınd Feldhacke, Dächsel und Spaten der Schilluk und Dinka da, auch eine Spatenklinge ‚„‚Meloht‘, wie sie früher als Geld dienten. Von kultischen Objekten eine grössere Anzahl von Amuletten verschiedenster Art, Tanzstöcke von ver- schiedener Form, worunter vor allem hervorzuheben sind die „Dang“ genannten Stücke. Es sind dies die alten Schillukbogen von jener eigentümlichen asiatischen Form des Bogenholzes mit hornförmig ab- gebogenen Enden und mit Umwicklung derselben mit spiraligen Streifen von Eisen oder Kupferblech. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Stücke als Bogen scheint verloren gegangen zu sein, indem sie Dr. David nur noch als Tanzstäbe verwendet sah. Dieses führt uns über zu den Waffen, von denen diese Sammlung sowie eine nach-
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 297
folgende Schenkung, die uns Herr Dr. David im Sommer 1911 machte, einige höchst interessante Stücke enthält. Es sind dies Lanzen mit Spitzen aus Giraffenknochen, wie ich solche schon im Jahresbericht für 1908 aufgeführt habe.) Sie stammen höchst wahrscheinlich von den Jambo, einem äthiopischen Stamme im Südwesten Abessyniens und sind, so weit ich sehe, ebenfalls ethnographische Nova. Weitere interessante Speere sind solche mit Spitzen aus Antilopenhorn. Zum Nachweis des ehrwürdigen Gebrauches, Speere aus diesem Materiale anzufertigen, mögen folgende historische Notizen dienen, von denen ich die eine Herrn Dr. P. Sarasin, die andere Herrn Dr. Friedrichsen in Neuenahr verdanke. Herodot VII 69 sagt bei der Beschreibung der grossen Musterung des persischen Heeres bei Dareiskos 481 a. Chr. wie die Hilfstruppen aus Aethiopien Speere führten, die statt der Spitze ein zugespitztes Antilopenhorn hatten. Dass diese Aethiopier Neger waren, geht aus der weiteren Angabe Herodot’s hervor, dass sie „oberhalb Aegyptens wohnten und das wolligste Haar von allen Menschen hatten“. Es scheinen also in der Tat Schilluk oder andere nilotische Stämme im persischen Heere gegen Griechenland geführt worden zu sein. Ferner sagt Diodorus Siculus III 28 und 50 a. Chr. : Die Schutzwaffen, womit die Strutophagen (südlich von Aegypten wohnende Jägervölker) sich gegen die Angriffe der Simen-Aethiopier verteidigen, sind die grossen, schneidenden Hörner der Orygen (Oryx- Antilope). Diese Speere finden eine direkte prähistorische Parallele in den Speerspitzen aus Horn und Knochen, wie sie aus dem späteren Magdalenien stammen, wie solche z. B. auch in unserer Nähe in der wohl dem Azylien angehörigen Höhle von Arlesheim im Jahre 1910 von den Herren F. Sartorius und Dr. F. Sarasin nachgewiesen wurden.
Höchst interessante weitere Waffen der Sammlung David sind einige Parierschilde, der uralten sogenannten nigritischen Kultur- stufe angehörig, von denen sie auch eine neue Form enthält, nämlich rein walzenförmige Parierschilde, deren ursprüngliche Bedeutung auch verloren gegangen zu sein scheint, indem sie jetzt als Schlaf- hölzer verwendet werden, genau wie analoge Schlafhölzer als walzen- förmige Nackenstützen ohne Griffe. Dass es aber ursprünglich Parier- schilde sind, geht mit Sicherheit hervor aus ihrem Namen „Quer“, wie auch die andern bekannten Parierschilde heissen und eben aus dem Umstand, dass zwei Handgriffe in dieselben eingesenkt sind.
Von besonderem Interesse ist auch ein von Dr. David geschenktes Wurfholz in der Form analog dem bekannten Wurfholz aus dem
5) Vergl. auch L. Rütimeyer, über einige altertümliche afrikanische Waffen und Geräte und deren Beziehungen zur Prähistorie. Zeitschrift für Ethnologie 1911. Heft 2.
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Sudan, auch durchaus entsprechend ın der Form den altägyptischen Wurfhölzern, wie sie als zur Vogeljagd gebraucht, z. B. von Wil- kinson®) beschrieben werden. Herr Dr. David nahm das betr. Wurf- holz einem Abessynier ab, am Dinder, einem Nebenflusse des blauen Nil. Solche Wurfhölzer werden gebraucht zur Jagd auf Hasen und Perlhühner. Dies führt uns auf die Jagdwaffen der Sammlung David. Hervorzuheben ist hier die gewaltige 23/, Meter lange Harpunenlanze, wie sie für Nilpferde gebraucht wird, wobei auch das starke Ledertau nicht fehlt, welches das getroffene und fauchende Ungeheuer ans Ufer schleppen lässt, sowie eine 31/, Meter lange nach dem gleichen Prinzip der beweglichen Harpunenspitze konstruierte Fischharpune der Bari.
Vervollständigt wurde diese reiche Sammlung nilotischer Ergo- logie noch durch die Schenkung eines prächtigen mit Messingplatten beschlagenen Helmes der Latuka durch Herrn Dr. F. Sarasin, sowie durch einen der Sammlung Zurbuchen (1881) entstammenden Kauri- helm der Madi, den wir durch Tausch mit der ethnographischen Sammlung Bern erwerben konnten.
Zum Schluss dieser Aufstellung des hoch erfreulichen Zuwachses der afrikanischen Sammlung im Berichtsjahre sei noch allen Dona- toren herzlichst Dank gesagt, den alt bewährten wie den neuen und namentlich auch die letzteren ersucht, auf der betretenen Bahn rüstig vorwärts zu schreiten !
Publiziert wurde aus der Sammlung eine Arbeit des Vorstehers: „über einige altertümliche afrikanische Waffen und Geräte und deren Beziehungen zur Prähistorie“ in der Zeitschrift für Ethnologie 1911,
2. Heft.
Geschenke an die Afrikanische Abteilung 1911.
Herr E. Barth, Lagos, 22 Objekte aus Süd-Nigeria. Töpfe, Kleiderstoffe, Pfeile, Körbchen.
„ Dr. Carl, Genf, Armspange aus Bukoba.
„ Dr. A. David, Basel und Chartum, Lanzen mit Spitzen aus Knochen und Holz, Keulen vom weissen Nil, Wurfholz vom blauen Nil, Kratzer aus Rhinozeroshorn Port Sudan (11 Stück).
„ Dr. H. Finsler, 2 Steinkeulen der Ja-Luo.
Th. Fricker, Basel und Mozambique, 1 Rufhorn, 1 Musikinstrument, 1 Messer, 3 Streifen Nilpferdhaut für Lederriemen, Peitschen etc.
„ Dr. A. Lotz, Basel, Holzkeule der Ja-Luo.
» E. Paravicini-Engel, Basel und Cairo, 1 altägyptische Nackenstütze, 1 Kamm der Kopten. ;
„ ©. Roos, Basel, Armringe, Körbchen, Pfeife, Kauri aus Bukoba (9 Stücke).
» Prof. L. Rütimeyer, Basel, 1 Steinkeule der Ja-Luo, 1 Zeremonienschild der Akikuju, 1 Holzmaske der Bali.
6) J. Wilkinson, The ancient Egyptians 1854. Vol. I, p. 234.
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 229
Herr Dr. F. Sarasin. 1 Helm der Latuka.
,, P. Staudinger, Berlin, Zinnstäbchen aus Bautschi.
„ Dr. Ad. Vischer, Basel, 2 Kinderwiegen aus Tripolis.
„ NH. Vischer, Basel und Kano, eine Sammlung Glas- und Steinperlen aus Nigeria (mehrere hundert Stück), 1 Prachtsattel der Tuareg, Armringe aus Stein und Messing, Körbchen aus Kano, versteinerte Seeigel als Amulette.
L. Rütimeyer,
Vorsteher der Abteilung Afrika.
Vorderasien.
Auch unsere kleine im Werden begriffene Sammlung aus Vorder- asien wurde dieses Jahr mit einigen Geschenken bedacht. Unser alter Gönner, Herr Dr. A. Vischer in Urfa, verehrte uns eine Clarinette aus Urfa, ‚„Sürne‘, wie sie bei Festlichkeiten gebraucht wird, sowie einen bunten nur noch von alten Frauen getragenen Kopfschleier aus Rosshaargeflecht.
Herr J. Wiedmer-Stern in Bern erfreute uns mit einer schönen, alten arabischen silbereingelegten Wasserpfeife, wahrscheinlich aus der Gegend von Sana stammend.
L. Rütimeyer,
Vorsteher der Abteilung Vorderasien.
Polarvölker.
Diese jüngste Abteilung unserer Sammlung hat im Berichts- Jahre eine sehr wertvolle Bereicherung erhalten durch Erwerbung eines Teiles der von Herrn Konietzko aus Hamburg im Winter 1911 in Finnisch-Lappland mit grösster Umsicht angelegten Originalsamm- lung. Heute noch Sammlungen anzulegen. von der ursprünglichen Ergologie der Borealvölker Sibiriens ist für ein Museum von unsern Mitteln sozusagen ausgeschlossen ; desto willkommener musste uns diese lappische Sammlung sein, die uns beim ergologischen Zusammen- hang der arktischen Kulturen auch aus diesen ethnographisch teil- weise noch recht wenig erforschten borealen Stämmen in Nord-Europa ein gutes Bild des Lebens des Menschen jener Gegenden gibt, ein Kulturbild, dessen Bereicherung nächstes Jahr durch eine neue Reise des sorgfältigen Sammlers für uns in ziemlich sicherer Aussicht steht. Dem Museumsverein, der uns diese wertvolle kleine Sammlung schenkte, sei hiemit unser bester Dank gesagt.
Die Lappensammlung, als ergologische Illustration eines Volkes, welches gewissermassen noch in einer Art von ‚Renntierzeit‘“ lebt, ist auch deshalb interessant, als wir wohl in manchem Geräte dieses
300 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
Volkes, ich denke vor allem an Knochen- und Holzgeräte, auch eine gewisse Illustrierung des Lebens unserer paläolithischen Vorfahren aus der wirklichen Renntierzeit erblicken dürfen.
Herr Konietzko reiste zum Zweck der von ihm anzulegenden Sammlungen, die vor allem für einige deutsche Museen bestimmt waren (wir verdanken die Offerte seiner nun an uns gelangenden Doubletten der Freundlichkeit von Herrn Prof. Weule vom Leip- ziger Museum für Völkerkunde), von Uleaborg in das Gebiet des Enare See’s in finnisch Lappland, von wo aus er mehrfache Abstecher in die Umgebung machte. Die Sammlung enthält Repräsentanten der meisten Rubriken lappischer Ergologie und besteht aus 70 Nummern.
Von der Kleidung liegen vor 2 Lederröcke der Fischer, Holz- gestell einer Frauenhaube, Kinderschuh aus Leder, Garn aus dem Haar des weissen Lappenspitzes, welches zu Handschuhen und Strümpfen verarbeitet wird als Schutz gegen Rheumatismus; die Kunst dieses Garn zu spinnen verstehen nur noch wenige alte Frauen. Sehr originell sind die Nähfäden, hergestellt aus den Fussehnen des Renntiers und die Felltaschen mit Knochenbügeln zur Aufbewahrung des Nähzeuges. Eigentümlich sind auch Webebretter aus Knochen mit Knochennadeln zur Herstellung von Fussbändern, ein hölzerner Fadenzähler dient zum Stoffweben.
Küche, Küchengeräte und Nahrungsmittel. In dieser ergo- logischen Rubrik sind gewisse Geräte und auch Speisen enthalten, deren Gebrauch wohl sicher tief in die Prähistorie heruntergeht, so ein Knochenmesser zum Loslösen der essbaren Haut der Fichtenrinde bei der Bereitung des Rindenbrotes, Esslöffel aus Renntierhorn, Tassen und Näpfe aus Holz geschnitzt, sowie das zu ihrer Anfertigung gebräuchliche Messer, hölzerne Kochlöffel und Stössel für Fische und Kartoffeln. Von Speisen der Lappen sind vorhanden getrocknete Renntiermagen, Rennfett enthaltend, verschiedene Brotarten in Form runder Scheiben, so ungesäuertes Brot, Blutbrot aus Roggenmehl, Rennblut und Rennfett, Rindenbrot aus Roggenmehl, Fichtenrinde und Rennfett zusammengesetzt. Ebenfalls in Kuchenform sind die Renntierkäse; eine besondere Delikatesse der Lappen ist „Kumpos“, ein Kloss aus Mehl, Rennblut und Rennfett, ferner sind vorhanden getrockneter Dünndarm und getrocknetes Fleisch vom Renn. Ge- trocknete Fische und Hechtköpfe als Nahrungsmittel und Futter für Kühe und Schafe vervollständigen diese interessante, die Ernährung der Lappen illustrierende kleine Kollektion.
Fischerei. Hier sind zu nennen hölzerne Filetnadeln zum Stricken der Netze, Netzheber, Schwimmer für Netze in Form kurzer Röhren aus Birkenrinde, originelle Netzsenker in Form von Täschehen aus Birkenrinde, in welche ein Stein eingenäht ist, ein Pfriem aus
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 301
Knochen, der zur Anfertigung dieser Netzsenker und von Körben dient.
Jagd und Jagdausrüstungen mit zum Teil originell ornamen- tierten (teilweise an Zeichen auf unsern Tesseln mahnend) Pulver- hörnern aus Holz und Horn, Kugel- und Schrotbeutel, Schneehuhn- falle.
Hausgeräte und Handwerkzeug. Kinderwiegen in Form eines kahnförmigen Troges mit Leder überzogen und Kopfdach. Pumpen- bohrer zur Durchlochung von dünnem Eisen, Rennhorn und Holz.
Viehzucht. Kopfgeschirr und Packsattel des Renntiers, „Sjärku‘, kleine aus Knochen angefertigte Apparate, welche am Kopfgeschirr des Renn befestigt werden und das Aufdrehen der Leine verhindern sollen, ein äusserst roh konstruiertes Kastrierholz für Schafe, endlich 2 Schlittenmodelle der Lappen und Samojeden.
Wie schon gesagt, hoffen wir durch eine neue Ausbeute von Herrn Konietzko, der noch im Verlaufe dieses Winters im ethno- graphisch noch sozusagen unerforschten Gebiete der Skolterlappen zu sammeln gedenkt, manche noch vorhandene Lücke in dieser hoch interessanten Lappen-Ergologie auszufüllen.
Von übrigen arktischen Objekten konnten noch erworben werden die vollständige Pelzkleidung eines männlichen Eskimo resp. Grön- länders aus Seehundsfell, bestehend aus Jacke (Timiak) mit Kapuze, Hosen, Pelzstiefeln und Handschuhen, wahrscheinlich aus West- srönland stammend und ein hübsches Körbehen aus durchbrochenem Flechtwerk von den Aleuten.
Mit diesen neuesten Erwerbungen erreicht unsere arktische Sammlung die allerdings noch höchst bescheidene Anzahl von 143 Nummern.
LA
L. Rütimeyer,
Vorsteher der Abteilung für Polarvôlker.
Asien (ohne China und Japan) und Ozeanien.
In Vertretung des gegenwärtig auf einer wissenschaftlichen Forschungsreise in Neu-Caledonien abwesenden Abteilungs-Vor- stehers, Herrn Dr. F. Sarasin, hat der Unterzeichnete folgende Ob- jekte im Berichtsjahre angeschafft:
Aus Indien einen Metallschild und zwei Schwerter, ältere, gute Arbeiten, die vom Verkäufer vor ca. 20 Jahren in Bombay erworben wurden.
Aus Ceylon ein aus einer alten Elephantenpfeilklinge hergestelltes Messer der Weddas, wie ein solches schon 1902 von den Herren
302 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
F. und P. Sarasin und dem Unterzeichneten bei den Danigala-Wedda le)
Von den Salomonen stammt ein Vorfahren-Schädel, verziert mit Muschelringen und einem weissen Armring europäischer Provenienz auf der Stirne. Der Schädel war derjenige eines Häuptlings, der mit 5 andern auf der Insel Vella Lavella in einem speziell hiefür er- richteten Totenhäuschen auf einem Hügel im Innern der Insel auf- bewahrt wurde und Gegenstand grosser Verehrung seitens der Ein- geborenen war.) Endlich konnten wir durch die freundliche Ver- mittlung von Herrn Direktor Dr. Foy in Cöln 47 Objekte von Jap (Carolinen) und 6 andere mikronesische Gegenstände, welche alle vor 1906 gesammelt wurden, erwerben. Ihre nähere Würdigung wird der nächste ‚Jahresbericht bringen.
In Vertretung des Vorstehers der Abteilung für China und Ozeanien
L. Riitimeyer.
China und Japan.
Die Sammlung chinesischer und japanischer Gegenstände hat nur schwachen Zuwachs erhalten durch eine Anzahl von Geschenken, welche ihr sind überwiesen worden. Herr Professor E. Hoffmann- Krayer hat im Brockenhause einige Gegenstände erworben und uns zugestellt: ein Teekännchen aus rotbraunem Thon in Gestalt eines sitzenden Vogels, vielleicht aus China, ferner einen Handbesen, ein Aeffchen aus Bronze und zwei Stücke Spielzeug, wahrscheinlich aus Japan. Von Herrn Peter Sarasin-Alioth haben wir erhalten 26 Stück chinesische Bilder auf Reispapier, Darstellungen verschiedener Strafen und Kostümbilder, sowie den Regenmantel eines Rikschakuli aus Japan. Derselbe ist aus Stroh oder Gras hergestellt, gerade wie entsprechende Stücke aus Schantung und aus Formesa. Herr Pro- fessor Hartwich in Zürich schenkte ein Stück Seidenpapier, dienend zum Einwickeln des Moschus, dessen Handel in China Staatsmonopol ist. Von Frl. Luise Blanc bekamen wir einen Fächer und eine cylin- drische Büchse, beides sehr schöne Elfenbeinschnitzereien, vermutlich aus Japan; vom Vorsteher eine japanische Tabakspfeife, welche in einem Ballen Seidenabfälle nach Europa gekommen war. Endlich hat Herr Professor Fritz Burckhardt uns ein ıllustriertes Pracht- werk zugestellt: Aim& Humbert, Le Japon illustre, 2 Bände, Paris 1870. Nehmen wir noch dazu einige Bücher, welche vom Vorsteher sind angeschafft worden, so ist hiemit wenigstens ein Anfang gemacht,
7) Vide Katalog Oldman Nr. 85, Vol. VII, Nr. 3.
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 305
welcher mit der Zeit zu einer kleinen Handbibliothek sich ausgestalten kann.
Eine umständliche Arbeit ist begonnen und auch ein gut Stück gefördert worden. Bisher existierte nur ein nach Nummern geordneter Zettelkatalog der Abteilung. Die Angaben der Zettel waren teilweise recht dürftig, eine Uebersicht oder das Auffinden eines Gegenstandes kaum möglich, jedenfalls sehr unbequem. Daher ist auf Anregung unseres Präsidenten ein neuer Nummernkatalog in Buchform an- gelegt worden mit genauern Angaben und reichlicheren Notizen als bisher und daneben gleichzeitig ein Zettelkatalog, welcher zugleich alphabetisch und und nach sachlichen Gruppen geordnet ist und da- durch eine rasche Orientierung in den Beständen der Sammlung sowie das Auffinden des einzelnen Stückes sehr erleichtert.
S. Preiswerk-Sarasın, Vorsteher der Abteilung China und Japan.
Amerika.
Die dieses Jahr eingelaufenen Gegenstände beschränken sich auf eine kleine Anzahl. Um so erfreulicher ist es, dass sich darunter Stücke befinden, die unsere Sammlung bis jetzt noch nicht aufweisen konnte.
Von einem in Süd-Chile weilenden Kaufmann konnten wir einigen silbernen Frauenschmuck erwerben, wie ihn die Arau- kanerinnen daselbst zu tragen pflegen. Nämlich: Eine Nadel, an deren einem Ende eine verzierte silberne Kugel angebracht ist und die dazu dient, das Gewand der Frau auf der Brust zusammen zu halten. (Geschenk von Herrn Forcart-Bachofen.) Ferner zwei Hals- bänder aus rotem Stoff, auf welchem Silberperlen aufgenäht sind, bei einem derselben wird dadurch ein eigenartiges Dessinmuster dar- gestellt. Ebenfalls zur Befestigung der Kleidung dient eine silberne Broche, bestehend aus zwei grossen Platten, die durch breite Ketten mit einander verbunden sind, mehrere verzierte Silberkreuzchen bilden den untern Abschluss. Ausschliesslich Schmuckstück ist ein silbernes. Anhängekreuz. Auf den beiden letztgenannten Gegenständen sind primitive Zeichnungen eingraviert. Alle diese Schmuckstücke sind roh gearbeitet, zeichnen sich jedoch durch ihre originellen Formen aus. Interessant ist ein aus dem ausgehöhlten, hornförmig gebogenen Schwanz eines Gürteltieres angefertigtes Büchschen, das an seinem breiten Ende durch einen silbernen Deckel geschlossen ist.
Aus Nordamerika und zwar aus Alaska wurden von Herrn S. Alioth- Merian der Sammlung geschenkweise übergeben: ein grosses dolchartiges Messer aus Walfischknochen, ein aus Holz ge- schnitzter, ornamentierter mit eisernen Spitzen versehener Angel-
304 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
haken und eine hölzerne Rassel in Gestalt eines Hahnes, in dessen hohlem Innern sich Steinchen befinden; diese Tierfigur, welche bunt bemalt ist, ist an einem Handgriff befestigt. Nach Aussage des Schenkers war dieser Gegenstand bei den Medizinmännern im Ge- brauch und diente zur Beschwörung böser Geister.
Den freundlichen Spendern sei hier unser bester Dank aus- gesprochen, ebenfalls denjenigen, die uns mit Geldbeiträgen unter- stützt haben.
Geldgeschenke.
Éerr Dr SB. Bloch rt se re N a Be ar Frau Bachofen-Vischer . ,, 200. —
M. K. Forcart,
Vorsteher der Abteilung Amerika.
Europa.
Die Nummernzahl der Abteilung Europa ist im Berichtsjahre von 4407 auf 5089 gestiegen, hat sich also um 683 Nummern (268 Geschenke und 415 Erwerbungen) vermehrt, die sich in verschiedenen Proportionen auf fast alle bisher berücksichtigten Sammelgebiete er- strecken. Bei der grossen Zahl von Gegenständen beschränken wir uns, wie in den letzten Jahren, auf die Erwähnung der ethnographisch bedeutenderen.
Wir beginnen mit der Landwirtschaft. Hier ist gleich eine Gruppe von Objekten zu erwähnen, die zu den erfreulichsten Er- werbungen unsrer jungen Sammlung gehören, sowohl wegen ihrer primitiven Formen, als auch wegen des freundlichen Entgegen- kommens des Absenders. Es sind von landwirtschaftlichem Gerät: ein Pflug, eine Gerstenstampfe mit Fussbetrieb, eine solche mit Hand- betrieb, ein Dreschflegel, eine Heugabel aus einem gegabelten Ast, eine Wurfschaufel (das zTvov der alten Griechen) zum Scheiden der Spreu von dem enthülsten Korn und ein Pfahl zum Trocknen von Klee, sämtlich aus Galizien, die uns neben andern Gegenständen auf Anfrage hin Herr Pfarrer Zubrycky) in Mszanec zum Selbstkosten- preis erworben hat. Wir hoffen die freundlichen Beziehungen zu diesem so interessanten Gebiet auch weiterhin aufrecht erhalten zu können. Ein anderer Gönner unserer Sammlung, Herr Philis in Senèze (Dep. Haute-Loire) hat auch im Berichtsjahre wieder unser gedacht und uns durch gütige Vermittlung von Herrn Dr. Hans Stehlin einen uns bisher völlig unbekannten kammartigen Apparat zum Einsammeln der Kleeköpfe und 2 Sicheln mit auffallend langen Klingen übersandt. Geschenkt wurden ferner : aus Anwil (Basel-Land) : eine Haferschrot- °
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mühle (von Hrn. Schaffner-Riggenbacher), ein Heurupfer (von Hrn. Hs. Schaffner-Schaffner), 2 altertümliche Jätmesser (von Herrn Krämer Schaffner-Schaffner), ein Kirschhaken (von Herrn Ruepp- Grieder), ein Garbenknebel (von Frau Fassler-Gass), ein Gertel (von Herrn Ruepp-Liüthi), aus demselben Ort erworben eine Karsthaue, eine Vorpflugkette, ein Jätestock, ein Visierpfahl samt Furchenschnur zum Abvisieren des Grundstücks, 2 Stampfmesser zum Zerkleinern des Futters (Kraut oder Durlips). Diese und noch viele andere im Fol- genden zu nennende Gegenstände aus Anwil sind durch Präparator J.Stuber während seines dortigen Aufenthaltes mit Verständnis ge- sammelt worden. Unser bewährter Freund Lörch in Lindencham da- gegen sandte eine Hauenschneide aus Aesch (Kt. Zürich) mit ein- gepresster Jahrzahl 1698, einen Torfkorb (,Turbe-Määs‘) aus Rifferswil und schenkweise ein Okuliermesser, Frau Mettler in Stein a. Rh. eine Beerenpresse und eine zierliche Kartoffelstampfe.
Der Viehwirtschaft gehören an einige Schellen und Halsbänder, meist aus der Innerschweiz, eine Anbindekette aus dem Kanton Zürich, ein Steigbügel (Geschenk von Herrn Schwob, Anwil) und ein vierbeiniger Melkstuhl (von Herrn Hs. Schaffner-Schaffner, ebd.), 2 metallene Schäferpfeifen erhielten wir aus Mühlacker und ein sehr primitives Hirten-Rufhorn aus Val Cluoza von Herrn Prof. Rütr- meyer. Auf ein sehr beachtenswertes Objekt müssen wir hier noch eigens aufmerksam machen: es ist der mit 164 einfachen Kerben versehene Stock eines isländischen Schäfers, der in 4 Reihen zu 113, 6, 30 und 15 Kerben die Zahl seiner Schafe und Lämmer einge- schnitten hatte. Das Stück erhält angesichts der neuesten Vermutungen Max Verworn’s über die prähistorischen Knochentesseln ®) eine be- . sondere Bedeutung. Es wurde uns von Herrn Dr. W. Vischer von seiner Islandreise mitgebracht und neben einer Reitpeitsche mit Leder- riemen und einer Pferdekoppel mit als Knebel dienenden Knochen geschenkt.
Hier dürfte am besten das Transportgerät angeschlossen werden. Als Haupt- und Prunkstück verdient an erster Stelle erwähnt zu wer- den ein von Herrn Max Krayer geschenktes vollständiges Eselge- schirr aus Sizilien, wo bekanntlich die Eselgespanne mit reichstem Aufwand von buntem Leder, Quasten, Federn und Flitter ausgestattet werden. Diese Ausrüstung bietet eine willkommene Ergänzung des bereits vorhandenen Wagens. Weniger farbenprächtig sind wir ın der Schweiz, wie das von Herrn Lörch gestiftete Pferdegeschirr und zwei Kuhkummete aus dem Kanton Zug zeigen. Neu hinzugekommen sind ferner zwei Joche, das eine aus Galizien, das andere, mit etwas
5) s. Schweiz. Archiv für Volkskunde Bd, XV, 248.
306 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
Kerbschnitt, aus Aesch (Kt. Zürich), ein ornamentiertes Kehleisen, ein Eisenkeil zum Schleppen von Holz aus Anwil und zwei Holz- schleppseile aus der Innerschweiz (Gesch. von Herrn Lörch). Gegen den Schluss der letztjährigen Ausstellung wurde uns durch Herrn Sutter-Dettwiler in Bretzwil ein Exemplar jener merkwürdigen ein- kufigen Schlitten als Leihgabe eingesendet. Dieses interessante Stück haben wir nun nachträglich als Geschenk erhalten. Noch einfacher aber sind die sog. „‚Reitbretter‘‘ gewesen, wie sie die Jungmannschaft von Vals (Graubünden) zum Bergabrutschen in Gebrauch hatte. Sie bestehen aus einem oblongen, vorn etwas zugespitzten Brett, auf dem ein Pflock für den Sitzhalt festgenagelt ist. Zwei dieser primitiven Beförderungsmittel sind von Herrn Dr. Jörger in Chur für uns er- worben worden.
Hier sei nun gleich die Milchwirtschaft angeschlossen, die namentlich durch eine Sendung aus Vals von Herrn Dr. Jörger in Chur vermehrt worden ist. Es sind eine Anzahl schlichter Milch- und Molkenkübel, Eimer, Aufrahmgefässe, die namentlich durch die ein- geritzten Hausmarken Interesse haben. Ein hölzernes Käsbrech- messer ( ?) und einen solchen Käsebratspiess aus Val Cluoza verdanken wir Herrn Prof. Rütimeyer. Erwoben wurde im Kanton Zug eine Volle, ein Drehbutterfass von abnorm grossen Dimensionen und ein solches mit Quirlvorrichtung im Innern.
Das Handwerk und die verwandten Gebiete hat einen erheblichen Zuwachs erfahren, aus dem wir folgendes hervorheben wollen. Mehr allgemeiner Natur sind aus Anwil ein eiserner Schraubstock, ein von Herrn Spiess daselbst geschenkter grosser Holzschlägel, ein Hammer und eine Bohrwinde (Gesch. von Präparator Stuber). Aus demselben Orte stammen einige Zimmermanns- und Schreinergeräte: ein Röhrenbohrer und eine Queraxt (Gesch. von Herrn Krämer Schaffner), ein Käneldächsel, ein Schindelspalter nebst Klüpfel (Gesch. von Herrn Spiess), aus der Innerschweiz dagegen ein Zimmer- mannswinkel, woher wir auch verschiedene Hobelformen, darunter Nut- und Grundhobel erhalten haben. In die Küblerei und Küferei schlagen ein Bandhobel von 1792 aus Langnau im Kanton Zürich und eine Küferbrente aus Risch im Kanton Zug. Auch der Luzerner Dachdecker ist dieses Jahr wieder vertreten durch ein ‚„‚Dachbrett‘ zum Plätten der Oberfläche und Kämmen der zerzausten Halme an Strohdächern, und durch einen ,,Schaubhaken‘ zum Fassen der Stroh- bündel. Neu eingezogen ist dagegen bei uns der Nagelschmied, von dem wir nun durch gütige Vermittlung von Herrn Dir. Ed. Spiess ‘Basel; eine ganze Ausrüstung aus Saas (Wallis) besitzen. Der Sattler hat ein altes Halbmondmesser, der Metzger eine Wurstspritze und eıne Hackbank (Gesch. von Herrn Ruepp-Grieder, Anwil), der Bäcker
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einige Brotkörbe (Gesch. von Herrn Spiess ebd.) geliefert. Von dem oben genannten Pfr. Zubryckyj haben wir eine primitive Handmühle aus Galizien erhalten, deren Oberstein mittelst zweier eingesteckter Sprossen hin- und herbewegt wird, und ebendaher ein hölzerner, an- scheinend sehr altertümlicher Seilzwirnapparat. Ein dreiarmiges Mühlsteineisen stammt aus dem Kanton Aargau.
In die Fischerei und Jagd reihen wir eine achtzinkige Gehre vom Zugersee, eine Jagdtasche und ein Pulverhorn (beide gesch. von Krämer Schaffner), eine Leimrute (Gesch. von Herrn Spiess, Anwil), eine Eichhornfalle württemberg. Zigeuner und verschiedene Maul- wurfs- und Mausefallen, darunter eine von abnormer Konstruktion aus Cham (Gesch. von Herrn Lörch).
Von Waffen, die wir ja nur in primitiven oder volkstümlichen Formen sammeln, seien zwei Säbel erwähnt, die, mit Holzgriff ver- sehen, von den Bauern als Haumesser verwendet wurden, darunter einer geschenkt von Herrn Lörch. Derselbe schickte uns eine rohge- schmiedete Hellebarde aus Aegeri, Herr Alfred Müller in Basel ver- ehrte uns zwei an der mittleren Rheinbrücke gefundene Steinkugeln, und einen aus einer Feile geschliffenen Dolch süddeutscher Zigeuner erwarben wir aus Mühlacker.
Die nicht-handwerksmässigen Berufe sind naturgemäss bei uns schwach vertreten. Es seien hier hauptsächlich eine grosse und eine kleinere Kaufmannswage genannt, die uns von der Firma Thurneysen d Co. ın Basel schenkweise übermacht worden sind.
Anders verhält es sich mit der volkstümlichen /ndustrie und Kunst, die auch im Berichtsjahre wieder einen quantitativ und quali- tativ beachtenswerten Zuwachs erfahren haben. Wir beginnen mit der Hanfbearbeitung. Einige Kämme zum Entkapseln der Stengel stammen aus dem Kanton Zug, ein mächtiger konischer Reibstein zum Zerquetschen derselben aus dem Kanton Aargau; das Triebwerk hiezu mit Kammrädern hat uns Herr Fuog-Schelling in Stein a. Rh. freund- lichst geschenkt. Was uns zu einer vollständigen Hanfreibe noch fehlt, ist das Lager, auf dem der Stein läuft. Wir hoffen, dass ein günstiger Zufall uns auch dieses noch zuwenden möge. Einige alte Hecheln sind auch heuer wieder hinzugekommen, so dass wir von diesem Gerät nun- mehr zahlreiche Varianten besitzen. Auch die Wollkarden bedürfen jetzt wohl keines weiteren Zuwachses mehr. Wohl aber hat das kom- plizierte Kapitel der Spinnerei und Weberei mit all seinen Annexen, den Spulen, Haspeln, Zetteln usw. einen systematischen Ausbau noch sehr nötig. Eine Zwirnvorrichtung schenkte Herr Lörch, Haspel- und Spulräder erwarben wir im Kanton Zürich, eine gedrechselte Garn- winde und einen altertümlichen Webstuhl für Leinenbänder haben wir Herrn Schaffner-Riggenbacher in Anwil zu verdanken. Das be-
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merkenswerteste Stück ist aber auch hier wieder ein durch Herrn Zubryckyj übermittelter, einfacher Leinewebstuhl aus Galizien, der von den bereits vorhandenen in manchen Punkten abweicht. Aber nicht nur Geräte, sondern auch Produkte der Weberei sind erworben worden, und zwar in Form von Kissenanzügen und Tischtüchern aus dem Simmental und aus Innertkirchen, von denen sich erstere durch die Einfachheit der Motive, letztere durch ihren Formenreichtum und ihre Farbenkraft auszeichnen. Von geklöppelten und geknüpften Sachen ist nur Unbedeutendes eingegangen ; dagegen ist die Stickerei um einige bemerkenswerte Stücke bereichert worden. Ausserhalb der Schweiz haben ihren Ursprung ein mit roter Baumwolle mit Kreuz- stich besticktes Leinentischtuch und ein gleiches Handtuch aus Sieben- bürgen, das wir (neben der unten zu erwähnenden Wiege) Herrn Stadt- pfarrer Dr. Schullerus in Hermannstadt verdanken. Ein südrussisches Hochzeitstuch wurde uns durch Herrn Lehrer Neufeld in Lugowsk übermittelt und ein Musterbletz mit 15 verschiedenen Motiven aus Galizien von Herrn Pfarrer Zubryckyj. Mit dieser primitiv- bäuerischen Stickerei ist in Technik und Motiven verwandt ein Prättigauer Kissenanzug, der in Chur erworben wurde. Ausserdem sind wieder einige Stücke in Glasperlenstickerei eingegangen; darunter ein von Herrn S. Preiswerk-Sarasin geschenkter Tabakseckel. Eine Stickerei auf Gaze ist dadurch interessant, dass sie durch ıhre Strohunterlage zeigt, welches Verfahren man bei dieser anscheinend schwierigen Technik einschlug.
Aus dem Gebiete der Flechterei seien einige Frauenstrohhüte (Kapotenform) aus den 1830er oder 40er Jahren genannt, die bereits eine ziemlich raffinierte Technik aufweisen ; ferner ein Geflecht aus Glasperlenschnüren, wie es bisher in der Sammlung noch nicht ver- treten ist. Auch Korbformen sind weitere hinzugekommen, darunter ein eigenartiger Flachkorb (für Gebäck ?) aus der Umgebung vön Augsburg (Geschenk von Herrn Prof. Meier). Weniger reich ist die Stoffdruckerei bedacht worden, indem nur ein Nastuch aus Appen- zell und ein Kopftuch aus Bellinzona eingingen, letzteres als Ge- schenk von Herrn stud. H. Bächtold. Einige Holzstöcke mit ornamen- talen und bildlichen Darstellungen für den Stoff- und Papierdruck verehrte uns Frau Riggenbach-Iselin, andere wurden käuflich er- worben.
Ebenso hat die Eisenbearbeitung nur eine geringfügige Ver- mehrung erfahren. Reich verziert sind zwei zugerische Grewichts- wagen aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, die uns Herr Lörch vermittelt hat; ebenfalls aus der Innerschweiz stammen einige Tür- beschläge, Schlösser und ein Kehleisen, die sämtlich bäurische Zier- formen tragen.
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 309
Recht interessant ist dagegen der diesjährige Zuwachs an volks- tümlichem Holzschnitzwerk. Da sind als schweizerische Erzeugnisse zuerst zu nennen eine Anzahl Kerbschnittgegenstände, vorwiegend aus dem Prättigau, die in Chur erworben werden konnten: ein Wetz- steinfass mit den beliebten bäurischen Tulpenmotiven, rot auf schwarzem Grund, ein Löffelkästehen (sog. Löffelkratten), datiert 1753 mit Hausmarke, ein Kästchen mit besonders tiefem Kerbschnitt, dessen unvollendete Seite zeigt, wie diese tiefen Kerbschnitte an- gelegt werden, eine grössere Schachtel mit altertümlichen Ornamenten, und eine Haarpfeilschachtel von 1762 mit Hausmarke. Ebenfalls aus - Graubünden stammen 2 W etzsteinfässer, die wir Herrn Dr. W. Vischer zu verdanken haben; das eine davon, aus Seewis bei Ilanz trägt die frühe Jahrzahl 1617 und mutet in seiner einfachen Bandornamentik fast romanisch an (auch hier eine Hausmarke), das andere, aus Chur- walden, schlägt mehr in den Vorarlberger Typus ein, obschon mit einfacherem Dekor. Von demselben Donator erhielten wir, als Frucht seiner Islandreise 3 interessante Flachschnitzereien mit jenen aus- gesprochen nordischen Schlingmotiven, wie wir sie bereits in der Wikingerzeit und in der älteren Eisenzeit vorfinden (vgl. Gustafson, Norges Oldtid 1906 passim) : die erste ist ein Butter- oder Zigergefäss mit aufklappbarem Deckel, die zweite eine Schachtel zum Auf- bewahren von Taschentüchern, die dritte das Vorderbrett einer Bett- statt. 2 Handmangen aus Bamberg, die eine mit Reliefschnitzerei, die andere mit eingekerbten Ziegelmotiven, verehrte Herr Professor John Meier ; 2 Ofenfüsse mit ähnlichen Motiven Herr Fricker-W alti in Wittnau. Allerlei zierliche und barocke Holzschnitzereien, wie Figürchen, Zündholzbehälter, Zigarrenspitzen wurden von süd- deutschen Zigeunern erworben, die sich ja, wie Mörike in seinem „Maler Nolten‘ berichtet, von jeher mit Schnitzelwerk abgegeben haben.
Aus dem Gebiet der volkstümlichen Malerei seien nur einige be- malte Schindelschachteln erwähnt, von denen eine besonders zierliche von Frl. M. Eberle, andere von Frl. Dr. A. Stoecklin und Präparator Stuber, sämtlich in Basel, geschenkt wurden. Nach den neueren Forschungen sollen diese Schachteln meist in Berchtesgaden her- gestellt worden sein.
Quantitativ und qualitativ steht hinter den Vorjahren zurück die Keramik ; immerhin ist es uns auch heuer wieder gelungen, eine neue keramische Werkstätte ausfindig zu machen, die ihre Umgebung mit Gebrauchs- und Luxusgeschirr (letzteres oft sehr geschmackloser und roher Art) versehen hat: Wittnau im Kanton Aargau, an der basel- landschaftlichen Grenze. Präparator Stuber hat uns von dort 30 Gegenstände verschiedener Form und Verwendung mitgebracht, die
310 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
allerdings keinen ausgesprochenen Charakter aufweisen. Ferner konnten wir mit Hilfe einer beschriebenen Ofenkachel einen Aarauer Hafner der 1830er Jahre, J. J. Andres, den Aelteren, feststellen, der weissglasierte Ofenkacheln mit manganviolettem Girlanden- und Vasendekor im Empiregeschmack verfertigte; einige dieser Kacheln wurden von den HH. Ad. Schaffner-Schaffner und J. Schaffner- Sacher in Anwil geschenkt. Endlich hat der Vorsteher vergangenen Sommer einen Ausflug nach Matzendorf gemacht, wo er will- kommenen Aufschluss über den Betrieb der dortigen keramischen Werkstätten erhielt und an den wenigen dort noch vorhandenen Typen die Echtheit unserer Bestände konstatieren konnte. In Chur bot sich Gelegenheit, die dortige Sammlung von St. Antönier Geschirr zu studieren und einige Stücke zu erwerben, unter denen das Modell des Kirchleins von Fideris als eigenartig hervorgehoben werden soll. Ein zierliches Krüglein derselben Provenienz verdanken wir einem be- währten Freunde unserer Sammlung, Herrn R. Forcart-Bachofen. Sonst sind von beachtenswerteren Keramiken neu hinzugekommen : ein Winterthurer ( ?) Rasierbecken, eine Platte aus Laufen (im Jura), ein Heimberger Rasierbecken (Geschenk von Herrn Börlin, Anwil), und Spartopf (Geschenk von Herrn Preiswerk- Sarasin), zwei Backsteine aus St. Urban und einige Ofenkacheln mit meist grünem Dekor aus Anwil. Von ausländischer Fayence ist uns durch Herrn Prof. John Meier ein Krüglein aus Augsburg freundlichst übermacht worden. Gröberes Geschirr haben wir meist unterm Hausrat rubriziert.
Das Glaswerk tritt gegenüber der Keramik stark zurück. Ein fein gearbeitetes Fässchen, offenbar Schwarzwälder Produkt, haben wir hier erworben, ein wasserhelles Kännchen mit Henkel und Aus- gussrohr in Cham, 2 grüne, mit Stroh umwickelte Flaschen grösseren Formats im Kanton Zürich.
Aus der Tracht haben wir, unserm Grundsatze treu, wieder nur das ausgewählt, was uns von einzelnen Stücken ethnographisch be- achtenswert erschien, wobei wir auch diesmal wieder ‚Tracht‘ im weitesten Sinne fassen. Einige Strohhüte sind bereits bei der Flechterei erwähnt worden. Ein Priesterbarett aus der Innerschweiz dürfte wegen seiner typischen und gewiss sehr alten Form Interesse beanspruchen; ebenso wegen seines eigenartigen Aussehens ein troddelförmiger Kopfputz der isländischen Frauen, den uns Herr Dr. W.Vischer mitgebracht hat. Ihm verdanken wir auch ein paar islän- dische Schuhe aus Seehunds( ?)-Fell, Herrn Lörch einen roh ge- arbeiteten Holzschuh aus Unter-Aegeri. Derselbe Einsender wendete uns einigen Bauernschmuck zu (2 Anhänger und eine Kette), der ver- mutlich in der Schweiz hergestellt wurde; Frau Fassler in Anwil ein „Strickhölzchen“. Hier mögen auch 7 von Herrn Preiswerk-Sarasin
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums, Sll
geschenkte Thonpfeifen neapolitanischer Lazzaroni, einige „Ulmer“ Pfeifen und 2 uns vom Historischen Museum übergebene Klappmesser aus Katalonien Erwähnung finden.
Gehen wir nun zum Haus und seiner Einrichtung über. Ein ornamentierter Ziegel aus dem Kanton Zug ist von Herrn Lörch, eine Sandsteinsäule mit Steinhauerarbeit aus Anwil von Herrn Spiess-Gass geschenkt worden, woher auch verschiedene Türschlösser teilweise noch in gotischen Formen stammen. Das Holzschloss, dem wir schon lange unsere Aufmerksamkeit schenken, ist durch ein galizisches Exemplar aus Mszanec vertreten, wie auch die Vorlegeschloss-Samm- lung durch weitere Typen vermehrt worden ist.
Unterm Hausrat nehmen wir die eigentlichen Möbeln vorweg. Es sind: ein Kindersesselchen aus Langnau (Kanton Zürich), eine Bauernstabelle aus Anwıl (Geschenk von Herrn Jak. Schaffner, da- selbst) und eine Hängewiege, wie sie die Siebenbürger Bauern mit aufs Feld nehmen. Sie besteht aus einem starken leinenen Tuch, das an beiden Enden an einer horizontalen Stange, die ihrerseits wieder auf je 2 gekreuzten Böcken ruht, aufgehängt wird. Wir verdanken das interessante Stück Herrn Stadtpfarrer Schullerus in Hermann- stadt. Von anderweitigem Hausrat seien erwähnt: eine gotische Schatulle, verschiedene Sparbüchsen in Metall und Thon, eine Streu- sandbüchse aus Buchsbaumholz (Geschenk der Hypothekenbank), mehrere Grlätteisen, ein Oelfässchen, eine weiss-fayencene Bart- schüssel (Geschenk von Herrn Dr. K.F. Forcart), primitive Kleider- haken aus Widderhörnern, ein Brenneisen, ein hölzerner Humpen, ein von Zigeunern verfertigter Drahtkorb, eine Schnellwage (andere Wagen s.o.) u.a.m., während wir der Küche und dem Keller zu- weisen wollen: eine Anzahl hölzerner Löffel, davon 4 aus Langwies von Herrn Dr. W. Vischer, 1 aus Val Cluoza von Herrn Prof. Rüti- meyer, 1 aus Bosco von Herrn stud. Bächtold geschenkt, 2 altertüm- lich roh gearbeitete Mehlschöpfer (,‚,Mehl-Go0° ) aus Vals befanden sich in der erwähnten Sendung von Herrn Dr. Jörger. Auch Feldfässchen sind neu hinzugekommen, so aus dem Kanton Zug, aus Leukerbad (Gesch. v. Hochw. Hrn. Pfr. Amherd) und ein Stück v. J. 1600 aus Uri; ebenso verschiedene Krugformen, unter denen ich nur eine spanische als Geschenk von Herrn Amans in Basel hervorheben möchte und ein arg defektes im Brockenhaus erworbenes Stück, das aber durch seinen strickartig gewundenen Henkel, die beiden Knöpfe an dessen obern Ende und das Schnurmotiv um den Hals ‚‚paläontologisch‘ beachtens- wert ist. Zu den zwei bisherigen Steinkesseln ist ein dritter hinzu- gekommen, der in Pecca (Val Lavizzaro) gefunden und von Herrn Patocchi in Lugano eingesendet worden ist. Einen eisernen Pfannen- knecht aus Aegeri verdanken wir Herrn Lörch ; auch Pfannen, Herd-
312 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
ringe und Kochgefässe sind uns schenkweise übermacht worden. Be- sondere Erwähnung aber verdienen zwei Salzgefässe, das eine von Herrn Zubryckyj aus Galizien, das andere von Herrn Neufeld aus Südrussland gesandt. Letzteres soll laut Aussage der Inhaberin sehr alt sein. Es kommen als meist geschenkte Gegenstände ferner hinzu einige Gebäckmodel (worunter einer mit den Ehrenzeichen der Basler Vorstadtgesellschaften ), Gallertmodel, Strüblispritzen, Kaffee- mühlen, Apfelschäler, Kartoffelpressen, -Hobel und -Reiben, unter letztern eine vom Bauer selbst aus einer Sensenschneide her- gestellte, die der Vorsteher in Reuti am Hasliberg erworben hat. Ein Krautschneidemesser mit geschnitztem Unterlagebrett vom Jahr 1730 verehrte Herr Fuog-Schelling in Stein a. Rh. unsrer Sammlung.
Zu dem Kapitel Beleuchtung übergehend erwähnen wir zunächst eine Anzahl Oel- und Talglampen, Lichtstöcke und Laternen ver- schiedener Form, wie sie auch dies Jahr wıeder teils schenk-, teils kaufweise eingegangen sind. Von selteneren Formen seien hervor- gehoben eine polygone Messinglampe aus dem Kirchbühl bei Cham, eine von Herrn Dr. W. Vischer geschenkte eiserne Ampel aus Island, einige teils altertümliche, teils eigenartige Thonlampen aus Taormina, die uns Herr Max Krayer mitgebracht hat, und eine halbkreisförmige Traglaterne (Geschenk von Herrn Dr. M.F.Forcart). Dazu kommt ein steinernes Lichthäuschen, eine Anzahl Wachsrotelbüchsen, Licht- scheren, Schwefel- und Zündhölzer und ein recht primitiver Zündholz- behälter in Form eines hohlen Knochen, aus Anwil.
Ganz anderer Natur sind die Gegenstände, die zu irgend einem Volksbrauch oder einer Sitte in Beziehung stehen. Hieher rechnen wir z. B. die Taufzettel, die der Pate dem Kinde bei der Taufe als „Einbindete“ gibt und die meist mit Bildern und Versen im bäu- rischen Geschmack versehen sind. Wir haben 6 Stück aus den Kantonen Bern und Solothurn von Herrn stud. Bächtold als Ge- schenk erhalten, durch dessen Vermittlung wir auch 2 „Göttistecken‘, d.h. Stöcke, wie sie die Paten an der Taufe trugen, aus Altdorf er- werben konnten. Dem Hochzeitsbrauch dagegen gehört ein ge- sticktes Handtuch an, das in Südrussland von Brautjungfer und Ge- nosse getragen und mit dem das Brautwagenpferd geschmückt wird. Eine Osterratsche aus Lugano schenkte Herr Bächtold, eine ,,Pfeffer- rute“, d. h. ein grüner Zweig, mit dem die Burschen Süd-Württem- bergs am Unschuld. Kindleins-Tag die Mädchen peitschen — ein alter Fruchtbarkeitsritus — ging uns aus Mühlacker zu. Auch die Fastnachtslarven sind durch Zusendung von 7 nicht uninteressanten Stücken aus Flums (St. Galler Oberland), die uns Herr Dr. Felix Schneider in Dornach zugänglich gemacht hat, vermehrt worden. In unsre engere Heimat führt uns zurück eine auf ein Stück weisser
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 313 Seide von 34x48 em gedruckte Huldigung in Versen, die der Basler Obrigkeit bei Anlass des „Küfer-Reif-Tanzes° am 22. Februar 1792 von dem Reifschwinger überreicht wurde (vgl. Schw. Archiv für Volkskunde, Bd. XIV, 97ff.). Auch ein Gesellenbrief aus Lörrach gehört in dieses Kapitel, während ein von Herrn Bächtold geschenkter Schlagring schon eher eine Schattenseite des Volkslebens aufdeckt.
Hier mag sich naturgemäss das Spiel anreihen, aus dessen Bereich auch dies Jahr wieder manches eingelaufen ist. Zunächst seien eine Anzahl 40—50 cm hoher Marionetten mit allen möglichen Zutaten genannt, die auf dem Estrich eines dem Kraftwerk Laufenburg ge- hörenden Hauses gefunden und von dieser Gesellschaft geschenkt wor- den sind. Erworben wurden ferner: einige Schachteln älterer Blei- soldaten, eine Laterna magica mit Zubehör, Puppengerät und -ge- schirr, Kinderwaffen und verschiedene kleinere, von Kindern selbst hergestellte Spiele, darunter ein aufgetackeltes Schiff, Wasser- und Windrädchen, eine Schlehbüchse. Eine äusserst komplizierte, durch den Hals einer Flasche zusammengesetzte und mittelst Kurbel beweg- liche Spielarbeit verdanken wir Herrn Dr. M. K. Forcart, ein voll- ständiges Jass-Spiel Herrn Dr. K. Bischoff. Dazu kommen noch einige Musik- oder besser Lärminstrumente, wie Hollunderpfeifen, eine Pfeife aus Thon, eine Maultrommel und ein sog. ‚„‚Nusskläpperle‘“. Endlich seien hier noch angeschlossen ein Pack sog. „Füür-Stei“, d. 1. Bonbons mit beigedruckten Vers’chen aus dem Kanton Thurgau, und einige ältere Bogen solcher Vers’chen (Geschenke von Herrn Dr. P. Geiger in Basel und der Landesbibliothek in Bern). Von Gebäck da- gegen sind nur einige „‚Schliefküchli‘“ (Geschenk von Herrn Stuber) neu hinzugekommen.
Ziemlich gut vertreten ist dieses Jahr die Gruppe Religion. So sind uns Heiligen- und Andachtsbilder aus älterer und neuerer Zeit in mehr oder weniger künstlerischer Ausstattung zahlreich zuge- gangen, viele als Geschenk von Frl. Dr. Stoecklin in Basel; ebenso Wallfahrtsmünzen (darunter Geschenk der Herren Dr. Major in Basel und K. Wehrhan in Frankfurt a. M.), Skapuliere, Rosenkränze und Kreuze, unter denen ein Sterbekreuz mit Schiebfach, in dem sich Be- standteile von geweihten Kräutern, ein eingewickeltes Holz- schnitzelchen (Partikel vom hl. Kreuz ?) und ein hölzernes Doppel- kreuzchen befanden. Ausserdem auch Anhänger, Medaillons, An- dachtsbilder ete. mit Reliquien, ein mit Seidenstickerei umrahmter Agnus Dei und einige Madonnenstatuetten aus gebranntem Thon. Ein aus Gewürznelken und Glasperlen zusammengesetztes Dornenkrönchen aus dem Elsass, wie sie zum Schutze vor Bösem am Bette aufgehängt werden, schenkte mit einem Votivbild Herr Dr. Major, ein Votiv- krönchen (?) Frl. Dr. Stoecklin, ein Lorettohemdehen gegen die
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Gichter der kleinen Kinder, aus Salzburg, Frau Prof. Andree-Eysn in München. Aus Loches, wo der hl. Gürtel Mariae aufbewahrt wird, liessen wir uns das diesem Gürtel nachgebildete seidene Band mit ent- sprechendem Aufdruck kommen, das, um den Leib gelegt, gegen mancherlei (namentlich Geburts-) Beschwerden gut sein soll.?) Noch nicht genügend aufgeklärt in seiner Verwendung ist dagegen ein aus Therwil stammendes zinnernes Glöcklein mit Heiligendarstellungen und der Aufschrift ‚‚Campana Bened.“. Ein von Herrn P. Notker Curti in Disentis geschenkter sog. „Heiliger Geist“ aus dem Kanton Uri liefert den Beweis, dass diese von Frau Andree-Eysn so ein- gehend behandelte Sitte des Aufhängens von taubenähnlichen Ge- bilden an der Zimmerdecke 10) auch in unserem Lande heimisch war. Schutzsegen aller Art, wie sie früher in katholischen Gegenden ge- druckt und gestochen wurden, sind uns auch in diesem Jahre zuge- gangen, meistens in Gestalt von sog. Faltsegen, die in ein Kissen ein- genäht, in Täschchen gesteckt oder unverhüllt auf dem Leibe ge- tragen werden. Auch gedruckte Zettel zum Anschlagen an Türen oder Wänden liefen ein; so z.B. ein solcher mit Zacharias- und Bene- diktussegen und ein sog. Spanisches Kreuz gegen Gewitter, beide ge- schenkt von Herrn A. Dettling in Seewen bei Schwyz.
Das führt uns zum Kapitel Aberglauben hinüber. Da sind zu- nächst einige Amulette und Talismane zu verzeichnen. Aus der Schweiz ein kleines polsterförmiges Kinderamulettehen (Geschenk von Frl. Dr. Stoecklin), aus Böhmen ein Muschelamulett mit hinten ovaler Oeffnung, die einen keulenförmigen Einwuchs sehen lässt (Geschenk von H.-K.). Von einem Zigeuner aus Pforzheim konnten wir ein „Delaben“ (d.1. Gabe) oder ,, Bitscherben‘ (d.1. Sendung) erwerben. Es ist dies eine mit Wollfaden umwundene Holzschachtel, die durch ungarische Zigeuner am Ostermontag Abend hergestellt wird. Ihr Inhalt sind Heilkräuter, die vor der Einschliessung von allen An- wesenden mit dem Finger berührt werden. Dann wird die Schachtel mit roter und weisser Wolle kreuzweise umwunden, von dem ältesten Anwesenden von Zelt zu Zelt getragen, von jedem angespuckt, dann zu einem fliessenden Wasser gebracht und dort liegen gelassen. Man glaubt dadurch alle Krankheiten abzuwenden. Wer die Schachtel findet und nicht sofort ins Wasser wirft, der (oder sein Stamm) be- kommt die Krankheit. Von ebendaher stammt ein Amulett in Ska- pulierform (,‚Nisch“ = Andenken), das einen Frosch( ?)-Knochen ent- hält und von den Zigeunerinnen zur Erlangung geschäftlichen Er-
9) Vgl. Rouge, Traditions populaires. Région de Loches (Paris 1907), p. 27. Ähnliche Gürtel wurden von den Mönchen des Klosters Andechs ver- wendet; s. Pezzl, Sinzerus S. 63.
10) Andree-Eysn, Volkskundliches (Braunschweig 1910), S. 78 ff.
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 319
folges um den Hals getragen wird; ferner 2 Kissenamulette, in denen Zähne und Froschknochen eingenäht sind, die längere Zeit in der Erde gelegen haben müssen. Mit diesen Kissen werden diejenigen Gegenstände bestrichen, die man rasch und mit gutem Gewinn ver- kaufen will. Wieder anderer Art ist der Aberglauben, der sich an einen Krug aus Wittnau knüpft, in den ein „‚Geist‘“ gebannt gewesen sein soll. Das auch nach seiner Form interessante Stück ist uns von Herrn Hafnermeister Walde in Wittnau geschenkt worden. Ebenso erhielten wir als Geschenk von Herrn stud. Bächtold eine Anzahl gebrauchter Hufeisen, wie sie bei der Korrektion der Biber (Kanton Schaffhausen) im Jahre 1904 in ziemlich grosser Zahl beisammen gefunden worden sind. Vielleicht darf man an ein Hufeisenopfer denken. Ein Paar Wünschelruten zum Quellenaufsuchen schenkte Herr Spiess in Anwil und einen vernagelten Wurzelknorren zur Ver- eitelung von Bosheitszauber Herr Lehrer Tanner in Herisau.
Das israelitische Kultgerät ist auch in diesem Jahr wieder durch einige wichtige Objekte vermehrt worden. So konnte dank der finan- ziellen Unterstützung von Herrn J. Dreyfus-Brodsky eine wertvolle „Megille“, d. 1. die Geschichte der Esther, welche am 13. Adar vor- gelesen wird, erworben werden. Unser Exemplar ist eine Pergament- handschrift, welche in eine silbervergoldete, ziselierte Kapsel ein- geschlossen ist. Bei dem gleichen Antiquar fand sich ein silbernes Amulett mit der Aufschrift „‚schataj‘ (d. 1. der Allmächtige), welches den Kindern gegen dämonische Einflüsse umgehängt wird. Von an- derer Seite erhielten wir 2 sog. „Mappen“, das sind mit Sprüchen bunt bestickte Leinwandbänder, in denen das zweijährige Kind die Thora-Rolle in die Synagoge bringt. Ferner wurde gekauft ein sog. Channukah-Eisen, d.i. eine Lampe, deren 8 Ämpelchen während der 8 Tage des Makkabäerfestes sukzessive angezündet werden 11) und ein bestickter Vorhang, der das Allerheiligste abschliesst.
Die Medizin ist durch einen Schröpfschnepper und 2 zinnene Klystierspritzen vertreten.
Das volkstümliche Bildwerk hat namentlich auf religiösem Ge- biete (Heiligenbilder und ähnliches) starken Zuwachs erfahren. Da- neben sind aber auch Denk- und Glückwunschzettel (teilweise Ge- schenk von Herrn stud. Bächtold und Frl. Dr. Stoecklin), Jahr- marktzettel (Geschenk der Schw. Landesbibliothek und E.H.-K.) eingegangen.
Endlich seien von wissenschaftlichen Instrumenten ein Fernrohr und ein Taschenkompass erwähnt, die in Basel erworben wurden.
11) s. B. Mayer, Das Judentum (Regensburg 1843), S. 203.
316 Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums.
Verzeichnis der verehrl. Donatoren der Abteilung Europa.
a) Gegenstände haben geschenkt:
(Die beigefügte Zahl bedeutet die Anzahl der geschenkten Gegenstände.)
Herr Ad. Schaffner - Schaffner I,
Herr) Dr Amanspbasele er
„ Pfr. Amherd, Leukerbad Frau Prof. Andree-Eysn, München Herr stud.phil. H. Bächtold, Basel
» Dr. ©. Bischoff, Basel
» Börlin, Anwil es
» P. Notker Curti, Disentis
» À. Dettling, Seewen .
Frl. M. Eberle, Basel Frau Fassler-Gass, Anwil . : Herr Dr. M. K. Forcart, Basel .
» R. Forcart-Bachofen, Basel
„ Fricker-Walti, Anwil.
„ Fuog-Schelling, Stein a, Rh.
Dr P Geiger Bazel.e Historisches Museum, Basel Herribrotp ee
Basel . BR : Hypothekenbank, Bas Kraftwerk Laufenburg Herr M. Krayer, Basel . Landesbibliothek Bern. - Herr J. Lörch, Lindencham .
» Dr. E. Major, Basel.
» Prof. John Meier, Basel Frau Mettler, Stein a. Rh... Herr Alfr. Müller, Basel
n D PhIIS Seneze,
» S. Preiswerk-Sarasin, Basel Frau Riggenboch-Iselin, Basel . Herr Ruepp-Grieder, Anwil
„ Ruepp-Lüthi, Anwil :
„ Prof. L. Rütimeyer, Basel.
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Herr J. Stuber, Basel
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ramasse 2 Ad. Schaffner - re m, PAM LE RE ie H. Schaffner Schafmer, An Wall tale 2
J.Schaffner- Sahne mei 2 W. Schaffner el An- wÄlzet TEE EN Te Schaffner- Schaffner, Anwil- Oberdorf 2 Feed
Schaffner-Sacher, Anwil. . 6 Schaffner-Riggenbacher, An- Wale SRE wre
. Jak. Schaffner, Posamenter, Anwil. A. Schwob, A Dr. A. Schullerus, He ne SAUTER or Basel. . T. Siegfried, Basel. a Gass, Anwil : Dr. A. Stoecklin, Basel . - 1
Hr
OH
D 1 OO HU ND h h © © & HH ©
Sutter-Dettwiler, Br rl 5 Tanner, Lehrer, Herisau Thurneysen d Cie, Basel
Dr. W. Vischer, Basel . . 1 Walde, Wittnau
K.Wehrhan, TL DA M.
E. Wittich, Mühlacker
b) Geldgeschenke : a) Jährliche Beiträge:
Fr. Frau M. Bachofen-Vischer . . 30. Herr Prof. Dr. D. Burckhardt- Werthemann .°. 10. Herr u. Frau R. Forcart- Bäch ofen (je 10.—) . . . 20.
, JR. Gemuseus-Passavant . 20. », Æ. Hoffmann-LaRoche . 500. » Dr KeRsHofimann 50:
Er. Herne Max Kraerse 2,1 AÙ— » G. Krayer-LaRoche . . 20.—
39
Prof. Dr. John Meier . 10.—
Frau 4. Sarasin-VonderMühll . 20.— Herr E. Seiler-LaRoche. . . 10—
5
39
A. Vischer-Krayer. . . 20.— G. Zimmerlin-Boelger . 10.—
=]
Sammlung für Völkerkunde des Basler Museums. 31
6) Einmalige Beiträge:
Herr 72 Dreyfus Brodskyn 2.2... Rr22100°
Allen Gebern sei auch an dieser Stelle für ihr fortgesetztes W ohl- wollen unser wärmster Dank ausgesprochen.
E. Hoffmann-Krayer,
Vorsteher der Abteilung Europa.
Eingegangen Januar 1912.
Dreiunddreissigster Bericht
über die Dr. J. M. Ziegler’sche Kartensammlung 1911.
I. Geschenke.
Offiziersgesellschaft Basel-Stadt: Petermann’s Karte des Amerikan. Kriegsschauplatzes. Zwei Nummern. Gotha, Justus Pertes, 1862. 2 Bl. Theophil Iselin, V. D. M.:
Carte topographique des Departements du Haut et du Bas-Rhin. 1: 150000. Strasbourg, V’° Levrault. 1841, 1842. Tirage du Jum 1847. Bl
Staatskanzlei Basel:
Bibliographie der Schweizerischen Landeskunde. Faszikel V 5, V 10f. 3 Hefte.
Dr. R. Hotz-Linder:
(Gruthe, Lehrbuch der Geographie. Aufl. 4. 1879. Supan, Grundzüge der physischen Erdkunde. Aufl. 2. 1896.
Peter Stöcklin, Papierfabrikant:
Atlas mit verschiedenen Karten aus dem 17. und 18. Jahr- hundert. 1 Bd.
Pfr. Samuel Preiswerk-Sarasin:
Schumacher, G., Karte des Ostjordanlandes, hg. vom Deutschen Verein zur Erforschung Palästinas. Blatt A 4. 1 : 65,360. Leipzig, Wagner & Debes.
II. Anschaffungen.
Huber, R., Empire ottoman. Carte statistique des cultes chrétiens. 1 : 609000 und 1 : 1 250000. Le Caire, Baader & Gross. 8 Bl.
Guthe, Hermann, Bibelatlas in 20 Haupt- und 28 Nebenkarten, Leipzig, Wagner & Debes, 1911. 1 Bd.
Flemmings namentreue Länderkarten. Blatt 4—7. Österreich-Ungarn 1 : 1500000. Nord-Amerika 1 : 10000 000. Süd- Amerika 1 : 10000000. Balkan-Halbinsel 1 : 1500000. Glogau, Carl Flemming. 4 Bl.
R. Kiepert, Karte von Kleinasien. Blatt C I. IV. DV. Aufl. 2.
1:400000. Berlin, Dietrich Reimer. 3 Bl.
Siegfried-Atlas. Bl. 360, 361, 362, 363, 364, 366. 6 Bl.
J. Frey, Berner Oberland und Oberwallis. 1: 75000. Bern, Kümmerly & Frey, 1911.
Carte géologique internationale de l’Europe. Livr.7. 1 : 1 500 000. Berlin, D. Reimer. 7 Bl.
Sprigade und Moisel, Grosser Deutscher Kolonialatlas. Lief. 7. Ergänzungslief. 3. Berlin, D. Reimer. 6 Bl.
Den verehrlichen Gebern und Zeichnern von Jahresbeiträgen sprechen wir für ihre Zuwendungen den verbindlichsten Dank aus und empfehlen ihnen unsere Sammlung auch fernerhin aufs wärmste.
Basel, den 31. Januar 1912.
Prof: Fr. Burckhardt.
Rechnung über 1911.
Einnahmen.
Aktivsaldo voriger ne Jahresbeiträge . Zinsen
Ausgaben.
Anschaffungen . Buchbinder . Honorar .
Aktivsaldo auf 1912
Status. Angelegte Kapitalien : Aktivsaldo auf neue Rechnung .
Status pro 31. Dezember 1911 Status pro 31. Dezember 1910
Vermögenszunahme 1911
Basel, den 31. Januar 1912.
Fr 103. 65 és 64. 45 D 300.
F1 468. 10
C. Chr. Bernoulli,
Quästor.
16.
14.
18.
Chronik der Gesellschaft.
Biennium 1910 —1912. Vorstand.
Herr Prof. Dr. H. Veillon, Präsident.
Jan.
Prof. Prof.
Dr. G. Senn, Vizepräsident, Dr. A. Hagenbach, Sekretär.
G. Zimmerlin-Boelger, Kassier. Dr. H. Zickendraht, Schriftführer (1910— 1911). M. Knapp, Schriftführer (1911—1912).
Herr
Vorträge.
1910.
Prof. Dr. F. Zschokke: Die Tiefseefauna der Seen Mitteleuropas.
Cand. phil. F. Zyndel: Ueber den Gebirgsbau von Mittelbünden.
Dr. A. Buxtorf: Ueber den Bau und die Geologie des Lötschbergtunnels,.
Dr. P. Sarasin: Ueber die Fehlerquellen in der Beurteilung der Eolithen.
Dr. A. Emch: Ueber die Gesetze des Zufalls.
1911. Prof. Dr. H. Veillon: Nachruf auf Herrn Prof. Dr. E. Hagenbach-Bischoft. Dr. A. Gigon: Einige Fragen des Stoffwechsels und der Ernährung. Dr. P, Sarasin im Namen von Dr. F, Speiser: Vor- läufige Untersuchungen über einen melanesischen Volksstamm von kleiner Statur auf der Insel Espiritu Santo (Neu-Hebriden). M. Knapp: Die neugefundene Münster-Holbein’sche Kalendertafel.
21
(1
20.
. Febr.
. Febr.
. März
. März
Mai
, Juni
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. Nov.
. Nov.
Chronik der Gesellschaft.
Herr Dr. E. Brändlin: Der Jura zwischen Aare und
”
”
9
N
Fricktal.
Prof. Dr. C. Schmidt: Geologische Erdölstudien in Rumänien.
Dr. E. Greppin: Geologische Aufnahmen in der Umgebung von Basel.
Dr. H. Zickendraht: Untersuchungen mit einem neuen aerodynamıschen Instrumentarium. Architekt H, Stoll: Eine Reise in Island. (Gemeinsam mit der Sektion Basel des $. A. C., der akademischen Gesellschaft und dem Amateur- photographenverein.)
Prof. Dr. E. Hedinger: Die Bedeutung der fünften Kiementasche für den Menschen.
Prof. Dr. H. Rupe: Konstitutionsbestimmung auf optischem Wege.
Prof. Dr. C. Schmidt: Die neuentdeckten Kalisalz- lager im Tertiär bei Mülhausen i. E.
Hanns Vischer: Vom Mittelmeer zum atlantischen Ozean durch die Sahara.
(Gemeinsam mit der akademischen Gesellschaft, der Sektion Basel des S. A. C., der Sektion Basel der Gesellschaft ehemaliger Zürcher Polytechniker, dem Amateurphotographenverein und dem Skiclub Basel.)
Prof. Dr. @. Senn: Ein tannzapfenartiges Kiesel- fragment aus der Wüste bei Heluan.
Dr. P. Sarasin: Ueber die zoologische Schätzung der sogenannten Haarmenschen.
Dr. H. Kappeler: Ueber basische Jodoxyde.
Prof. Dr. F. Fichter: Elektrochemische und ther- mische Harnstoffbildung.
Dr. 0. Hallauer: Fortschritte auf dem Gebiete ophtalmologischer Optik.
Prof. Dr. F, Siebenmannn: Einige neuere gegen die Helmholtz’sche Hörtheorie vorgebrachte Ein- wände und deren Wiederlegung auf experimentellem Wege.
Prof. Dr. C. Schmidt: Quecksilbererze in der Pfalz-
Life
20.
oO
. Jan.
Jan.
. Febr.
. Febr.
. März
März
. Mai
. Mai
Juni
. Juli
Chronik der Gesellschaft. 323
1912.
Herr Dr. 0. Burckhardt-Socin: Die bakteriologischen
Grundlagen des Puerperalfiebers nach den neuesten Forschungen.
Dr. C, Janicki: Untersuchungen an der Gattung Paramoeba Schaudinn.
Dr. B. Bloch: Ueber die biologischen Grundlagen der Chemotherapie.
(Demonstrationen)
Prof. Dr. F. Fichter: Modell eines elektrischen Induktionsofens.
Prof. Dr. F. Fichter: Elektrolyse mit Wechselstrom. Prof. Dr. R. Fueter: Der Integraph von Abdank- Abakanowicz.
Dr. Klingelfuss: Charakteristiken von Röntgen- röhren und deren praktische Bedeutung.
- Dr. W. Brenner: Lebensgeschichte der Schmerwurz
(Tamus communis).
Dr. H. Fröhlich: Ueber die Lebensgeschichte von Eranthis hiemalis.
Dr. Th. Niethammer: Bestimmungen der Schwere- beschleunigung im Alpengebiet
Dr. E. Banderet: Messungen am elektrischen Licht- bogen zwischen Metallelektroden.
Dr. A. Buxtorf: Zwei neue Tunnelbauten im Jura. (Neuer Hauenstein- und Grenchenbergtunnel.) Prof. Dr. A. Hagenbach: Photographische Auf- nahmen der Sonnenfinsternis vom 17. April.
Dr. A. Gigon: Die Kost der Basler Arbeiter.
M. Knapp: Nachruf auf Herrn Prof. Dr. K. VonderMühll.
Dr. S. Schaub: Das Nestkleid der Vögel und seine Phylogenie.
Dr. P. Miescher: Ueber das Kraftwerk Ausst. Prof. Dr. C. Schmidt: Der geologische Bau des (Gebietes vom Kraftwerk Augst-Wyhlen. (Gemeinsam mit der akademischen Gesellschaft, der statistisch - volkswirtschaftlichen Gesellschaft und dem Museumsverein.)
Prof. Dr. G. Senn: Die Vegetation der Hochgebirge in den Tropen Asiens.
324 Chronik der Gesellschaft. Exkursionen.
1911.
17. Juni Besuch des Kalibergwerkes Amélie bei Mülhausen unter Führung von Herrn Prof. Dr. C. Schmidt.
1912.
8. Juni Besuch des Kraftwerkes Augst unter Führung von Herrn Dr. P. Miescher.
Bienniumsrechnung der Naturforschenden Gesellschaft
in Basel.
Okt. 1910 bis Sept. 1912.
Binnahmen.
Jahresbeiträge à Fr. 12.— von 274 Mitsl. 1911 erhöhte von 44 Mitgliedern
à Fr. 12.— von 305 Mitgl. 1912 erhöhte von 37 Mitgliedern ,
SODANN N REN ON: R 1912 Verkauf von Verhandlungen . 1911 1 ” 31 . 1 9 1 2 Gonto-Corrent Zinsen . . . . 1911 N e ee lol Verschiedenes.
Überweisung des Jahresvorstandes der Schweiz. Naturf. Ges. für 1910 Einmalige Beiträge von 3 Mitgl. Sonstige Einnahmen .
Fr. 3288. —
„..898.- Fr. 4186.—
Er 3660. —
n 804— , 4464.—
Rire los 00
2) —— , 133.80
Fr. 124.—
0010,50; 231.50
Fr. 100.40
90 De 290.85
res SU
» 300.— :
5 84— „ 3799.— Hr 19105918
Einnahmen beider Jahre
326 Bienniumsrechnung.
Ausgaben.
Druckkosten der Verhandlungen ” ” u) Einband und Tauschverkehr » n ” Inserate und Sitzungskarlen ” ” ” Schreibstube für Arbeitslose . N n ” © Vorträge und Beihülfe N 32 Nn Einzugskosten und Porli . ” ” 7 Verschiedenes
”
SAT Kr 21020 1912 „ 2952.60 Fr. 3162.80
1911 Fr. 575.60 or, Obs TE 60
1911 Fr. 340.15 19127 2,23089022,7 2021305
1911 Pr. 235. I A EN au
OMS 12930 191227, 90. — 2080
1911. Fr. 42.90 ONE 83.107, 21206.
KO For 2291290 9120 2, = à 16600
Ausgaben beider Jahre Fr. 6143.60
Mehreinnahmen ,„ 6961.55
Fr. 13105.15
Guthaben.
a. Bei der Handwerkerbank Basel in Depositen-Rechnung No. 7212 . . . . „ Er. 3930.55
in Conto-Corrent-Rechnung No. 5048 .
b. Bei der Schweiz. Postverwaltung
in Postcheck-Rechnung No. V 408
c. Barbestand in der Kasse
„ 3553.45 78390 als
Fr. 8427.05
BASEL, den 30. Sept. 1912.
Der Kassier:
G. Zimmerlin.
Genehmigt am
Die Rechnungsrevisoren : Dr. W. Brenner. Dr. Th. Niethammer.
6... Now. 1912,
Verzeichnis der Mitglieder der Naturforschenden Gesellschaft in Basel.
Ehrenmitglieder.
1. Herr Burckhardt, Fritz, Dr. phil., Prof., Basel (ordent-
=
D 1 DU co N
liches Mitglied seit 1853) . Coaz, Johann, Dr. phil., Obeskonsinigpelkien, Bern Engler, Karl, Dr. phil., Prof., Karlsruhe Günther, Albert, Dr. phil. Don v. Hedin, Sven, Dr. phil., Stockholm Schaer, Eduard, Dr. phil., Prof, Strassburg Sabre Ces Dr. med. Ben \ à Schwendener, Simon, Dr. phil., Prof., Berlin Gr dentliches Mitglied seit 1867) à Sudhoff, Karl, Dr. med., Prof. Leipzig .
Korrespondierende Mitglieder.
: Abderhalden, E., Dr. med., Prof., Halle
de Bary-Gros, E, Selhyeiilan ë
Benecke, E., Dr. phil, Prof, Strassburg
Black P: 6. Sidney (N.S.- Sales
Bonlenser G. A., Dr. phil, London.
Büttikofer, Joh., Dr. phil., Direktor des a bad Gartens, Pda LUE Da US
Capellini, Giov., Dr. phil. oi. Eh
Favre, Ernest, Dr. phil., Genf . 3
Federspiel, Erwin, Hauptmann, Liestal .
Göldi, Emil A., Dr. phil., Prof., Bern
Groth, Paul, Dr phil., München .
eleaen, Bernhard, Dr. med., Bra M.
Iselin, Hans, Prater, Morenz 5
Koby, erde Dr. phil., Rektor, Prantruté
Major, C. J. Forsyth, Dr. med., London
Mühlberg, Fr., Dr. phil., Prof, Aarau .
Ernannt
1910 1902 1899 1880 1910 1399 1908
1880 1895
Ernannt
1909 1867 1880 1905 1900
1900 1875 1875 1903 1899 1880 1892 1903 1900 1880 1893
. Herr
Mitgliederverzeichnis.
Oberthür, Charles Rennes yo 0 Steinmann, Gustav, Dr. phil. Prof., Bonn . Strebel, Hermann, Dr. phil, Hamburg Studer, Th., Dr. mL, Prof., Bern
v. Naskoamelk Gust., De al. Bror, en
Ordentliche Mitglieder.
Alioth-VonderMühll, Manfred, Dr. phil.. . Alioth-Vischer, Wilhelm, Dr. phil., Oberst . Altenburg, Hans, Dr. phil. Re Anneler, Ernst, Chemiker
Bamberger, Heinrich, Dr. phil.
Banderet, Emil, Gymnasiallehrer Barbezat-Fässler, Ohr., Chemiker . Baumberger, Ernst, Dr. phil. Baur-Buchmann, Louis
Becker, Viktor) Drephla 2 Bernoulli, August, Dr. phil., Prof. Bernoulli-Sartorius, Wilh., Dr. med. . . Bernoulli, Walter, Dr. phil.. Chemiker . Bernoulli, Walter, Dr. phil, Geologe Beuttner, Eugen, Apotheker, Lektor . Bider-Staehelin, Max, Dr. med. Biedermann, Adolf, Dr. phil.
Bienz, Aimé, Dr. phil.
Bing, Robert, Dr. med. . .
Binz-Müller, namen, Dr. phil.
Birkhäuser, Rud., Dr. med.
Bitterli- era Dr sen one in Rheinfelden Blankenhorn, ER RN Bloch, Alfred, ea
Bloch, Bruno, Dr. med.
False. Mare ;
à Doom Clavel, P., Ditzalkum Bollinger-Heitz, EG, Dr. phil. . Brändlin, Emil, Dr. phil.. . . Brack-Schneider, J., Chemiker .
Brenner, Wilh., Dr. phil.
Brieden, Fr., Apotheker
Brunies, Stephan, Die, phil er ee Bucherer, Emil, Dr. phil., Gymnasiallehrer Buchmann-Schardt, Chr., Direktor
Ernannt 1903 1900 1903 1900 1880
1900 1890 1911 1876 HOME 1908 1910 1900 1912 1909 1912 1862 1912 1909 1902 1910 1907 1892 1906 1896 1910 1910 1910 1909 1903 1911 1910 1910 1910 1892 1903 1910 1908 1876 1911
Mitgliederverzeichnis.
36. Herr v. Bunge, G., Dr. med., Prof.
37. 38.
1
Bürgin- Meran, Emil, Tags. RE Mere Bec de Deco Albr., Dr. med., Prof. Burckhardt-Heussler, Aug. . . Burckhardt, Gottlieb, Dr. phil... Burckhardt, Karl, Dr. phil. . Burckhardt-Sarasin, Karl. . . . Burckhardt-Socin, Otto, Dr. med.
Burckhardt- Wan Daniel, D. DE Prof,
Buss, Hans, Dr. phil., Ohne: Bird und Ar Drsphile. Chappuis-Sarasin, P., Dr. Bl Christ-Merian, Hans
Christ-Socin, He Dr. ha, & ah, in Riehen .
Clavel, R., Dr. Bil lt: Gall, A Dr phil, haute Conzetti, Alfred, Dr. phil., Chemiker Corner Dr med Prof
Cornu, Fel., Chemiker, in Vevey Courvoisier, Iı., Dr. med., Prof. 1 Dietschy-Burekhard, Rich., Dr. phil. . Dietschy-Fürstenberger, Wilh.
Ditisheim, Alfred
Egger, Fritz, Dr. med., Bro
Ehinger- one eine à
Engelmann, Theodor, Dr. phil... . Engi, Gadient, Dr. phil, Chemiker Fäsch, Theodor, Zahnarzt MORE Fichter-Bernoulli, Fritz, Dr. phil., Prof. Fichter-Bernoulli . à
Finckh-Siegwart, Dr., in Schweizerhalle Finsler, Geo, VDM; Dr! phil Flatt, Robe Dr. phil., Rektor Hleissie, Paul, Draphile re
Fluri, Max, Dr phil., Selemmdlerliakeen Mocca Bachofen: R. SU Forcart, Kurt, Dr. med. .
Frey-Brefin, Dr. phil. . .
Fröhlich, Hermann, Dr. phil.
Fueter, Bud, Dr. phil, Prof.
M Arx, Anton, Tierarzt (Geiger, Hermann, Dr. phil. in Arlesheim
329
Ernannt
1886 1883 1881 1896 1894 1894 1910 1910 1907 1900 1900 1880 1907 1857 1911 1886 1910 1893 1868 1889 1910 1896 1904 1899 1911 1882 1908 1910 1896 1911 1896 RON 1887 1906 1908 1899 1904 1904 1908 1908 1910 1897
Mitgliederverzeichnis.
78 Herr Geiger, Paul, Dr. phil.
18 80. Sl. 82. 84. 89. 86. ST. 88. 89. 90. SL O2
95 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. TO 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 210: (US 112. 113. 114. EX
116. 107
Co Bad Karl, igemien: Geigy-Hagenbach, C.
(reigy-Merian, ‚Joh. Rad Dr. Bis
Geigy- Sabre Rd Dr. phil.
Grelpke, Rud., Ingenieur . er u HERE Gemuseus-Passavant, Rud. in Brombach 1./W.
‘ Gemuseus-Schmidlin, Aug., Brombach i./W. .
Gerhardt, Dietrich, Dr. phil., Prof. in Würzburg Gigon, Alfred, Dr. med.. NOUS = ETES
Css odulie Dr phil r Gnehm, Dr. phil., Prof. in on
Groppelsroeder, Friedrich, Dr. phil, Prof.. Greppin, Ed., Dr. phil, Chemiker (Griesbach, H., Dr. phil. & med., Prof., Une dozent in HET 1./E. DE , Grossmann, E., Dr. phil, Chemiker in RE Grübel, Alb., Dr. phil. . . A TE Grinmees Aa SD rep Gutzwiller-Gonzenbach, A., Dr. phil. Haagen-Thurneysen, H., Dr. med. 3 Hägler-Passavant, Karl, Dr. med., Prof. Hagenbach, August, Dr. phil, Prof. . Hagenbach, Eduard, Dr. phil., Chemiker . Hagenbach-Burckhardt, Karl, Dr. med. . Hagenbach-Burckhardt, E., Dr. med., Prof. Hagenbach-Merian, Ernst, Dr. med. : Hagenbach-Von der Mühll, Hans, Dr. phil. Hagmann, Gottfried, Dr. phil. ee Hallauer, Otto, Dr. med. Hedinger, E., Dr. med., Prof. Henneberger, M, Dr. phil. . von Herff, Otto, De med., Prof. ; Hertenstein- Ris Hei, Dr. pl in Göttingen Heusler, Elisabeth . I ; a * Heusler-Veillon, Rud., ehe. Binden, Br. Dr phil, aChemiker er ee indes Malle, Emil, Dr. phil., Chemiker . His-Astor, alba, Dr nl, Prof., Geh. Rat in Berlin ar Ë His- SL Eduard His-Veillon, Alb.
Ernannt
1902 1832 1892 1376 1888 1910 ROLE 1911 1907 1910 1909 1887
1859
1885
1883 .1900 1912 1863 1876 1861 1892 1907 1888 1892 1867 1904 1898 1897 1896 1909 1911 1901 1910 1911 1910 1910 1898
1902 1910 1910
124. 125. 126. 127. 128. 129. 150. 131. 132. 153. 154. 139. 136.
”
Mitgliederverzeichnis.
Hoffmann, Carl, Dr.
Hoffmann-Krayer, Ed., Hoffmann-La Roche, F
Hoffmann-Paravicini,
118. Herr Hockenjos, E., Dr. med., Zahnarzt . . . ug, 120. 121. 122. 123.
med.
Drsspkul,, Bro
A., Dr. ed
Hübscher-Schiess, Karl, Dr. med.
Hünerwadel, Th., Hunziker, Hans, Dr
Ber
Jäckle, Alfons, Dr. phil., Chemie. Jen Const., Dr. phil.
A Be Alfr., Dr. med. ane à in en
Jecklin, Lucius, Dr. ai, ee Jetzer, Max, Dr. phil., Chemiker Jenny, August, Pfarrer .
Jenny, Fridolin, Dr.
Imhof-Vögelin, Grottl.,
phil. ER Dr. phil., Lehrer
Immermann, Georg, Dr. med. Kägi, Friedr., Dr. phil.
Kägi-Stingelin, Hans .
Kappeler, Hans, Dr. Karcher-Biedermann, Katz, Dr Dr phil
phil, Chemiker Hr Drr med.
Keller Elanss Drsphlo a 220 55 Keller, Herm., Dr. med. in Rheinfelden Kinkelin, H., Dr. phil., Prof.
Klingelfuss, Fr., Dr.
phil., Elektr en
Knapp, Martin, Ingenieur
Knapp, Theophil, Dr.
phil, Apotheker,
Koechlin-Iselin, ©., Oberst . . .
Koechlin, oil x, phil., Apotheker Koechlin-Stähelin. Alb. BE Kollmann.J)r Dremed, Brot...
Kreis, Hans, Dr. phil., Brei unse
Kreis, Oskar, Dr. med.
Kubli, L., Dr. phil,
alt- ler
hard. Alfred, Dr med.
Labhardt, Hans, Dr. Bene D Karl La Roche-Iselin, A,,
La Roche, René, Dr. phil. in Ge à 1. Do)
phil. in Mennhen
Dr. jur.
La Roche: Vds Mühll, Rob.
Leumann, Albert, Dr.
asian
931
Ernannt
1910 1905 1910 1909 1909
1892 1909 1911 1900 1911 1888 1904 1909 1910 1887 1898 1911 1892 1896 1910 1896 1909 1911 1889 1860 1892 1896 1897 1902 1888 1911 1879 1893 1912 1899 1910 1899 1911 1899 1909 1909 1910
Mitgliederverzeichnis.
160. Herr Leuthardt, Frz., Dr. phil., Bezirkslehrer in Liestal Ko ANNEE EE 162. 163. 164. 165. 166. DT. 168.
Lichtenberg, G., Zahnarzt . Lindenmeyer-Seiler, Fr. . Linder-Bischoff. Rudolf . Löffler, Wilhelm, Dr. med. . Löw, Rud. = Lorstan- Huguenin, Hear Lotz, Albert, Dr. med. . ko, Aro Dr. med. . Lotz, Felix, Ingenieur Lotz-Rognon, Walter, Dr. ail Lutz- Sean Wilh. . Magnus, E., Dr. mea. Pnhetorens
Mähly-Eglinger, do Dr. phil. Chemiker
Mähly, Paul, Dr. phil.. Chemiker Martin, Henri, Dr. med.
Massini, Rud., Dr. med.
Matzinger, E., Apotheker . .
Mautz, Otto, D. phil, A laeer Mayer, Bertram, Dr. phil., Chemiker Mayer, W., Adjunkt der Spitaldirektion Meidinger, Georg, Ingenieur Meier-Hartmann, Franz, Dr. phil. Mellinger, Karl, Dr. med., Prof. . Merian-Paravicini, H.
Merz, Hans, Dr. med. .
Mettler, Ren, Dr. phil., Ohemmilken : Metzner, Rud., Dr. med., Prof. in chem Meer Malle KDE net
Miescher-Steinlin, Paul, Dr. phil. Dire
Müller-Kober, Achilles, Dr. med.. Müller, Fritz, Dr. phil., Chemiker Müller, Gran > Re Müller, Hans, Sekundärlehrer ä
Müller, M., Lehrerin in Lörrach
? fingen mie, Dr. phil, Reallehrer .
Mylius, Adalbert, Chemiker er Mylius, Albert, Dr. phil, Chemiker Niethammer, Gottlob, Dr. phil. Niethammer, Theodor, Dr. phil.
Nietzki, Rud., Dr. EL Brofzın Brie Ba
Ernannt
1891 1910 1892 1892 1912 1912 1910, 1903 1890 1910
. 1903
1911 1910 1886 1899 1907 1909 1910 1909 1910 1909 1910 1910 1891 1893 1903 1910 1897 1910 1889 1912 1909 1900 1901 1910 1895 1897 1909 1910 1904 1884
Mitgliederverzeichnis.
201. Herr Noelting, Emil, Dr. phil., Direktor der Chemie-
schule Mülhausen i.E. Os Ad, Drsphilern. Ours Sarasin, Rud., Dr. mél Le Oppikofer, E, Dire d. Elektrizitätswerkes Oser, Wilhelm, Desphilr Er ES Oswald-Fleiner, ©., Chemiker . Paltzer, G., Dr. Di in na ana Fame > in Arlesheim Passavant- Are Hs Paul, Jos., Dr. phil, Chemiier, in Bad: ee ce Pfeiffer, S,, Dr. phil., Ohemilken BR Piccard, JL. „> De>phil.s Brot. Plüss, Benjamin, Dr. phil. Preiswerk, Gust., Dr. med. & AL. Preiswerk, Heinrich, Dr. phil., Prof. Preiswerk-Preiswerk, Hans . VENEN Preiswerk, Paul, Dr. med., Privatdozent de Quervain, Dr. med., Prof. . Refardt-Bischoff, Arnold Refardt, Edgar, Dr. jur. Reinhardt, Ludwig, Dr. med. . . RevilliodP>2Dr phil Assistent. 20 22 Riggenbach-Burckhardt, A., Dr. phil., Prof. . Riggenbach- Stckeheren, B. Ing. Rising, Ad., Dr. phil. Chemiker, in Stockholm Röchling, Otto Se RN ne Ronus, Max, Dr. phil. Roux, Jean, Dr. phil.
"Rosenthal, L., Bergingenieur
Roth, Wilh., Dr. phil. . N
Rubin, Karl, Dr. phil, in Zürich Rudin, Ernst, Dr. phil., in Rapperswil 2/8. Rütimeyer, Leop., Dr. med., Prof. . Rupe-Hagenbach, Hans, D. phil., Prof. Sandmeier, Traug., Dr. phil., Chemiker Sarasin one Peter . no Sarasin, Fritz, Dr. phil. et med Sarasin-Iselin, Alfred .
Sarasin, Paul, Dr. phil. et med.
ran Sehkenbmsn J.
Sarasin-Vischer, Rud.
333 Ernannt
1897 1910 1877 1909 1903 1900 1909 1912 1892 1910 1909 1870 1874 1895 1901 1386 1910 1910 1889 1910 1910 1910 1880 1892 1906 1892 1902 1902 1912 1909 1909 1903 1888 1896 1889 1896 1886 1910 1886 1908 1910
334
Mitgliederverzeichnis.
242. Herr Sarasin-VonderMühll, Ernst
243.
Sarasin-Warnery, Reinh.
Schaffner, Gust., Dr. med. . Schaub, Sam Drssphilı wur. Schenkel, Ehrenfried, Dr. phil. Scherrer, Paul, Dr. jur., Ständerat . Scheuermann, Beda, Dr. phil. . Schiess, H., Dr. med., Prof.
Schlup, Benedikt, Sek.-Lehrer Schmid, Hans, Dr. phil., Chemiker .
Schmid, J., Direktor d. Ges. f. Chem. Tr düstrie
Schmid, Peter et
ui Carl, Dr. En Poil ER Schneider, Felix, Dr. phil., in Dornach Schneider, L Gustave 0 ee von Schröder, G., Dr. phil., in Riehen Schulthess-Schulthess, C. O., Zahnarzt . Senn-Gruner, Otto „ee
Senn, Gustav, Dr. phil., Prof. Settelen, Otto, Zahnarzt SLR AENE Siebenmann, Friedrich, Dr. med., Prof. Sieber, Fritz, Dr. jur.
Siegrist, Hermann, Dr-jun 2 2. Simon, Karl, Dr. phil, Chemiker Socin, Charles, Dr. med.
Speiser, Felix, Dr. phil. .
Speiser, Hans, Photograph .
Speiser-Sarasin, Paul, Dr. jur., Reg.-Rat .
von Speyr-Boelger, Alb.
Spiess-Fäsch, Otto, Ingenieur .
Spiess, Otto, Dr. phil., Prof.
Spiess, Paul. Fr Stähelin- Er dmg, Dr. med. Stähelin, Rud., Dr. med., Prof.
Se klima Be joies Architekt Stehlin, Carl, Dr. jur.
Stehlin, Hans, Dr. phil. .
Soc Emil, Apotheker Steinmann, Paul, Dr Brom ın Kam Stohler, Hans, De Sl, FERRER Streckeisen-Burckhardt, A., Dr. med. Strub, Walter, Dr. phil.
Ernannt
1909 1901 1894 1909 1892 1892 1909 1864 1891 1909 1909 1896 1858 1909 1902 1873 1892 1909 1896 1902 1883 1911 1899 1897 1896 1909 1594 1857 1910 1873 1904 1911 1900 l'O 1910 1896 1892 1859 1907 1912 1892 1909
Mitgliederverzeichnis.
284. Herr Strübin, Carl, Dr. phil., in Liestal .
285. 286. 287. 288. 289. 2%.
315. 316. 317. 918. 319. 320. 321. 322. 923. 324. 925.
Strunz, Franz, Dr. phil., Privatdozent, in Wien . Stückelberg-von Breidenbach, Alfr., Dr. jur. . Stursberg, G., Dr. phil, Chemiker Sulger, H., Ingenieur a
Suter, Emil, Optiker .
Suter-Vischer, Fritz, Dr. med.
Tamm, Walther, Dr. phil.
Tanner, Hans, Dr. phil. .
: Tea, Charlotte, Dr. phil. - Tobler, Aus, Dr. phil.
Trüdinger, Philipp BER ER Trüdinger-Bussinger, Karl, in Bregenz . Vaucher, Charles, Chemiker D
Veillon, Emanuel, Dr. med., in Riehen
Villon Elenzis De phil. Brois
We 0 Es Dr. phil, Chemiker es Verloop, J. H., Dr. phil, in Hilversum (Holland) Villiger, Ba Dr. med. es Vischer-Speiser, ©. BE. : . . . Vischer-Bachofen, Fr., Dr. med. . Vischer-(Iselin), W., Dr. jur. . Nischer-VonderMun sh se ee von Vöchting, H., Dr. phil., Prof., in Tübingen Vogelbach, Hans, Dr. med. ER Vogel-Sarasin, Robert, Dr. med
VonderMühll, Ed., Ingenieur
VonderMühll- as HP Dr: hl. VonderMühll- Diss, Pal Dr. med. Vuilleumier, Victor, Ok
Wedlkemnaslı tester, G. BR
Walther, hans, Dr. a, Lehrer
Weth, Rah Dr. phil., Reallehrer
Me ele X., Dr. phil., Reallehrer . Wieland-Meier, Aug., Dr. jur.
Wieland, Emil, Dr. med., Prof. . . .
Wild, Eug., Dr. phil., Prof., in len Es. Witzig, Paul, Zahnarzt . He de Wölftlin, E., Dr. med, BE dc sb Wolf, dote Dr.phil., Gi Le in St- Fons(Rhöne Wolf, Otto, Chemiker
Wolff, EL. Dr. med. ne
339
Ernannt
1901 1908 1910 1908 1870 1888 1896 1910 1912 1909 1894 1907 1907 1909 1895 1890 1910 1909 1902 1910 1883 1901 1876 1879 1903 1903 1909 1910 1892 1910 1892 1907 1893 1892 1911 1897 1900 1892 1909 1904 1898 : 1893
336
Mitgliederverzeichnis.
326. Herr Zahn-Geigy, Friedrich
327. 328. 329. 330. 331. 392. 399. 334.
Herr
Zickendraht, Hans, Dr. phil., Ziegler-Blumer, Ed., Dr. jur. Zimmerlin-Boelger, G.
„ Zainglé, Alfred, Dr. phil. Zinsstag, Adrian, Zahnarzt . . . Zschokke, Friedrich, Dr. phil., Prof. Zübelen, Jos., Dr. phil., Chemiker Zyndel, Fortunat, Dr. phil.
in Mülhausen i/Els.
Ernannt
1876 1907 1904 1892 1909 1910 1887 1890 1910
Seit Veröffentlichung des letzten Mitgliederverzeichnisses sind 11 Mitglieder aus der Gesellschaft ausgetreten:
Brändlin, F., Redaktor
von Speyr-Merian, Alfred .
von Speyr-Bernoulli, Karl . Emch, Arnold, Dr. phil. Martin, Rudolf, Dr. phil. . Burckhardt, Eduard, Dr. phil. . Müller, Hermann, Dr. phil. . Strub, August, Sekundarlehrer . Baumann, Ernst, Dr. med. . Wilms, Max, Dr. med., Prof. Müller, Heinrich, Chemiker
Durch Tod hat die Gesellschaft verloren: die korrespondierenden Mitglieder
re Lortet, Louis, Dr. med., Prof. . Meyer zum Pfeil, Theodor Mieg, Mathieu ; en Meyer, A..B. Dr. phil. Hofrat Cornaz, Ed. Dr. med.
Heierli, Jakob, Dr. phil Korel, RB A, Dr phil. Brot:
die ordentlichen Mitglieder
Nienhaus, Casimir, Dr. phil. . . Hagenbach- Bischoff, Eduard, Dr. phil, Siegwart, Eduard, Chemiker Sulger, Rudolf
Räber, Siegfried, Dr. phil.
Staehelin, Alfred, Dr. med.
VonderMühll, Karl, Dr. phil, Prof.
Prof f
M en { 1900 — 1910 1876—1910 1893—1910 1910—1911 1905—1911 1902— 1911 1908—1911 1896—1911 1896—1912 1907—1912 1889—1912
Mitglied
von bis 1872—1910 190S--1910 1905— 1911 1900—1911 1867 —1911 1903—1912 1880—1912
Mitglied
von bis 1881—1910 1855 —1910 1892 —1911 1842—1911 1908—1911 1864— 1912 1867—1912
Mousteriolithen aus dem europäischen Mousterien.
Liehtdruckanstalt Alfred Ditisheım, Basel,
P. Sarasin: Mousteriolithen.
Mousteriolithen aus dem
3
tasmanischen Mousterien.
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel, Band XXII, Tafel Ill.
Th. Nicthammer: Schwerebestimmungen.
6°
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel. Band XXIII, Tafel IV.
—
üstl.von. Greenroich
Kurven gleicher Schwereabweichung ge -yo
Bestimmungen 1900-1911
Massstab 1:1000000
res,
+
a ee ——— 6 'ostl.von Greenwich
| |
Verhandlungen der
Naturforschenden Gesellschaft
in Basel.
Band XXII.
Mit 4 Tafeln, 1 Portrait und 52 Textfiguren.
>
Basel
Georg & Cie. Verlag
4
Verzeichnis der Tafeln.
Tafel I, II und III zu Paul Sarasin:
Ueber Mousteriolithen.
Tafel IV zu Th. Niethammer: Schwerebestimmungen der Schweizerischen Geodätischen Kommission.
Portrait zu Martin Knapp: Prof. Dr. Karl VonderMühll-His 7.
GEORG & Ce, Verlag, Basel, Genf und Lyon
Separat-Abdrücke
aus den
Denkschriften der allgemeinen schweiz. naturforschenden Gesellschaft.
Schweizer, Dr. E. Über Doppelsalze der chromsauren Kalis mit der chromsauren Talkerde und dem chromsauren Kalke und über das Verhalten der arsenigen Säure und des Stickoxyds zu dem chrom- sauren Kali, 1848, 16S. Fr. —.50
Schweizersbild, das, eine Niederlassung aus paläolithischer und neolithi- scher Zeit. Von Dr. Jak. Nüesch in Schaffhausen, mit Beiträgen von A.Bächtold, J. Früh, A. Gutzwiller, A. Hedinger, J. Kollmann, J. Mei- ster, A. Nehring, A. Penck, O. Schö- tensack, Th. Studer, 1902, II. Auf- lage, 368 Seiten, 30 Tafeln, 1 Karte cl SOIN Kr 25. —
Staehelin, Chr. Die Lehre der Messung von Kräften mittelst der Bifilar- suspension, 1853, 204 Seiten mit 9 Tafeln. Fr. 4.50
— Untersuchung der Badequellen von Meltingen, Eptingen und Buben- dorf im Sommer 1826. 1838, 13 Seiten. Fr. —.50
Standfuss, Dr. M. Experimentelle zoolo- oische Studien mit Lepidopteren, 1898, 82 S. mit 5 Taf. Fr. 8—
Stierlin, Dr. G. und V.v. Gautard. Fauna
coleopterorum helvetica, die Käfer-
fauna der Schweiz, 1867— 71, 372
Seiten. Fr. 8.—
Zweiter Nachtrag zur Fauna co-
leopterorum helvetica, 1883, 98
Seiten. Fr. 3.—
Stöhr, Emil. Die Kupfererze an der Mürtschenalp und der aufihnen ge- führte Bergbau, 1865, 36 S. mit 3 Taf, 3 Kart-und 1 Profil. Er. 2,—
Studer, Dr. Th. Die Tierreste aus den pleistocaenen Ablagerungen des Schweizersbildes bei Schaffhausen, 1897, aus der I. - Auflage des «Schweizersbild», S. 1—38 mit 3 Tafeln. Fr. 2.50
Studer, Dr. Th. Über neue Funde von Grypotherium Listaei Amegh, in der Eberhardtshöhle von Ultima Esperanza, 1905, 18 Seiten, 3 Tafeln. Fr. 2.50
Studer, B. Hauteurs barometriques prises dans le Piemont, en Valais et en Savoie, 1845, 4pag. Fr. —.50
Thellung, Dr. A. Die Gattung Lepidium
(L.) R. Br, Monograph. Studie, 1906, 340 Seiten und 12 Figuren im Text. Hr220,— Theobald, Prof. G. Unterengadin,
Geognost. Skizze, 1860, 76 Seiten mit 1 geolog. Karte. Fr. 5.— Thurmann, J. Lethea Bruntrutana ou études paléontologiques et strati- craphiques sur le Jura Bernois et en particulier les environs de Porrentruy. Oeuvre posthume ter- minée et publiée par A. Etallon, 1861—63, 500 pag. av. 62 pl. et 3 plans Fr. 30. — Tschudi, J. J. Monographie der Schweiz. Echsen, 1837, 42 Seiten mit 2 Tafeln. Fr. 1.— Valentin, G. Beiträge zur Anatomie des Zitteraales (Gymnotus electricus), 1842, 74 S. mit 5 Taf. Fr. 3.50 Venetz, Père (Ingénieur). Ouvrage posthume, Mémoire sur l’exten- sion des anciens glaciers renfer- mant quelques explications sur leurs effets remarquables, 1861,
33 pag. Fr. 3.— Vogt, Dr. C. Anatomie der Lingula
anatina, 1845, 18 Seiten mit 2 Tafeln. Fr. 1.50 Beiträge zur Naturgeschichte der schweizerischen Crustaceen, 1845, 19 Seiten mit 2 Tafeln. Fr. 150 Beiträge zur Nevrologie der Rep- tilien, 1840, 59 Seiten mit 4 Ta- feln. NR, u —
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt.
M. Knapp. Prof. Dr. Karl VonderMühll f
-C: Janieki. Untersuchungen an parasitischen Arten der Gattung Paramoeba Schaudinn RE à
F. Siebenmann. Einige neuere gegen die Helmholtz’sche . Hörtheorie vorgebrachte Einwände und deren experi- mentelle Widerlegung IR ER IE
E. Banderet. Sondenmessungen über Anoden- und Kathoden- fall im Metallichtbogen ee engen.
A. Gutzwiller. Die Gliederung der diluvialen Schotter in . der Umgebung von Basel KR ;
A. Hagenbach. Photographische Methode zu Kontaktbe- stimmungen bei Sonnenfinsternissen
C. Janicki. Bemerkungen zum Kernteilungsvorgang bei Flagellaten, namentlich bei parasitischen Formen
W. Brenner. Zur Biologie von Tamus communis L.
S. Schaub. Die Nestdunen der Vögel und ihre Bedeutung für die Phylogenie der Feder
Th. Niethammer. Schwerebestimmungen der Schweize- rischen Geodätischen Kommission
P. Sarasin. Ueber Mousteriolithen . 2
H. Froehlich. Zur an von Eranthis hiemalis Salisb.
Fr. Fiehter, K. Stutz und F. Eeteshänent Ueber elektro- lytische Bildung von Harnstoff und von Acetamidin- nitrat RR LER LE ae a ER NE
Th. Engelmann. Bericht über das Basler Naturhistorische Museum für das Jahr 1911.
P. Sarasin. Bericht über die Sammlung für volkerkunde des Basler Museums für das Jahr 1911 re
F. Burekhardt. Dr. J. M. Ziegler'sche Kartensammlung Dreiunddreissigster Bericht 1911
Chronik der Gesellschaft . E
Bienniumsrechnung der Gesellschaft
Mitgliederverzeichnis
Macé
BL WHOI Library - Serials
Ep €