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VÖLKERKUNDE

VON

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OSCAR PESCHEL.

LEIPZIG,

VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT

1874.

Das Recht der Uebersetzung wie alle anderen Rechte vorbehalten.

Die Verlagshandlung.

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V.

ORWORT.

Andere Antriebe als der innere Drang müssen wirksam sein, wenn sich ein Schriftsteller entschliesst , etwas zu veröffentlichen, was auch nur annähernd einem Handbuche gleicht, denn an eine solche wenig erquickende Arbeit \vird immer die Forderung der Vollständigkeit gestellt werden müssen. Handelt es sich dabei um eine Völkerkunde, so sieht sich der Verfasser gez^vungen, auch solche Gebiete zu betreten, deren Anbau nur dem strengen Fach- mann gestattet ist. Er hat dann nicht mehr eigene Gedanken vorzutragen, sondern nur die Erkenntnisse maassgebender Ge- lehrten zu wiederholen, und es verlässt ihn dabei nie das drückende Gefühl , als pflücke er Rosen in fremden Gärten, Nie wäre es dem Unterzeichneten in den Sinn gekommen, ein Lehrgebäude der Völkerkunde neu aufzurichten, wenn er nicht am Beginn des Jahres 1869 von dem damaligen Kriegsminister General A. V. ' Roon aufgefordert worden wäre , dessen „Völkerkunde als Propädeutik der politischen Geographie" in vierter Auflage verjüngt herauszugeben. Der Wunsch eines Mannes, dessen Name eng an die Schöpfung unsers Heerwesens geknüpft ist, wurde zur Pflicht für einen Deutschen, dem die errungene Stärke seines Volkes Dankespflichten für ihre grossen Urheber aufer- legte. Nach rasch erfolgtei brieflicher Verständigung sollte auf dem Titel das neue Werk als ein gemeinsames des Herrn V. Roon und des Verfassers bezeichnet, dem ersteren aber die Arbeit zur Billigung vorgelegt werden.

Als aber nach beinahe fünf Jahren ein Theil des fertigen Druckes im letzten Herbste abgehen konnte, ergab sich, dass Se. Excellenz, der Herr Feldmarschall Graf Roon, wegen seiner er- schütterten Gesundheit sich vorläufig nicht über den Inhalt der

O

97930

VI Vorwort.

„Völkerkunde** zu unterridhten vermochte, dass er zwar nach Ein- tritt der Genesung es zu thun gedächte, dass er indessen, wenn ein derartiger Aufschub Nachtheile für den Verfasser und Verleger befürchten Hesse , eine alsbaldige Veröffentlichung ihrem Er- messen anheim stellte, dann aber eine Erwähnung seines Namens auf dem Titel ausgeschlossen bleiben müsste. Ein längerer Auf- schub war in der That nicht rathsam, denn wie rasch bei der heutigen wissenschaftlichen Thätigkeit, namentlich auf dem Gebiete der Völkerkunde, die Arbeiten altern, wurde dem Verfasser während des Druckes empfindlich nahe gerückt durch das Erscheinen mancher neuen Untersuchung, die sich nicht mehr benutzen Hess. So ist auch in den früheren Abschnitten des Buches das Reich der Mohammedaner in Talifu als bestehend und erblühend be- zeichnet worden, während nach den letzten Nachrichten die Chi- nesen es 1872 zerstört haben.

Der ursprüngliche Zweck des Unternehmens, nämlich A. von Roon's „Völkerkunde als Propädeutik der politischen Geographie** für die heutigen wissenschaftHchen Ansprüche neu zu erwecken^ ist demnach zur Bekümmerniss des Verfassers verfehlt worden.

Leipzig, 10. Januar 1874.

Oscar Peschel.

Inhalt.

Einleitung.

1. Stellung des Menschen in der Schöpfung. Uebereinstimmun- gen und Verschiedenheiten zwischen ^lenschen und Affen. S. i 6.

2. Arteneinheit oder Artenraehrheit des Menschenge- schlechtes. Morphologischer und physiologischer Artenbegriff. Frucht- barkeit der Racenraischlinge. Darwin's natürliche Zuchtwahl und geschlecht- liche Auswahl. Psychisches Einerlei des Menschengeschlechtes. S. 7 27.

3. Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes. Nicht auf Inseln. Nicht in Australien. Nicht in Amerika. Lemurien. S. 28 36.

4 Alter des Menschengeschlechtes. Abbeviller Kieselgeräthe. Höhlenfunde. Französische Renthierzeit. Schussenried. Kjokkenmöddinger. Pfahlbauten. Funde in Nilablagerungen. S. 37 47.

Die Körpermerkmale.

1. Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. Kreuzköpfe. Ge- schlechtsunterschied. Breitenindex. Höhenindex. S. 49- -63,

2. Das menschliche Gehirn. Gewicht bei Menschen und Thieren. Mikrocephalen. Racengewichte. Gehirnvolufnen. Himgestalt und Hirnge- wicht. S. 63—73,

3. Der Gesichtsschädel. Kieferstellung. Jochbogen. Nasensattel, S. 74—80.

4. Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen. Beckenformen. Körpergrösse. Proportionen der obern und untern Glied- massen, S. 80 91.

5. Haut und Haar. Farbzellen. Farbe der Neugebornen. Geruch. Entstehung der Hautfarbe. Haarfarben. Querschnitt des Haares. Verfilzung. Leibhaare. S. 91 102.

Die Sprachmerkmale.

1. Entwicklungsgeschichte der menschlichen Sprache. Thier- sprache. Unabhängigkeit von Laut und Sinn. Onomatopoesie. Interjectionen. Betonung. Geberde. Taubstumme. Kindersprache. Wortreichthum. S. 103—117.

2. Bau der menschlichen Sprache. Einsylbigkeit. Sinnbegrenzung. Uralaltaischer Typus. L.iutharmonie. Einverleibung. Präfixsprachen Südafri- ka*s. Grammatisches Geschlecht. Semitismus. Indoeuropäischer Typus,

3. Die Sprache als Classificationsmittel. S. 133 136.

VIII Inhalt.

Die technisciien, bärgerlichen und religiösen Entwioklungsstufea.

1. Die Urzustände. Keine thierischen Zustände nachweisbar. Feuer- finäung. Feuerbohrer. Buschmänner. Vedda. Mincopie. Feuerländer. Bo- tocuden. Ursachen des Aussterbens roher Völker. S. 137 158.

2. Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. Wildwachsende Nährpflanzen. Pantophagie. Menschenfresserei. Alkoholische und narcoti- sche Genussmittel. Steinkocher. Thongeschirr. Gabeln, l-öffel. Salz. S. 158—176.

3.. Bekleidung und Obdach. Schamgefühl. Bekleidungsstoffe. Fussbekleidung. Laubschirme. Blätterhütten. Steinbauten. Bogenwölbung. S. 176—188.

4. Bewaffnung. Bogen und Pfqil. Blasrohr. Pf^ilgift. Schleuder. Waffen von Ackerbauvölkern. S. 188 202.

5. Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. Ströme und Binnenseen. Phönicier und Araber. Fjord bewohner. Inselbewohner. S. 202 216.

6. Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. Edle Metalle. Kabeljaufang. Pelzthiere. Gewürze. Farbhölzer. Sklavenhandel. Zinn. Bernstein. S. 217 227.

7. Ehe und väterliche Gewalt. Heirathsalter. Unkeuschheit. Po- lygamie. Polyandrie. Blutschande. Frauenraub. Brautkauf. Hetärismus. Verwandtschaftsnamen. Gynäkokratie. Neffenerbrecht. Kuss. S. 227—247.

8. Keime der bürgerlichen Gesellschaft. Blutrache. Wergeid. Eigenthumsbegriffe. Häuptlingswürde. Sklaverei. Kaste. AdeL S. 247 255.

9. Religiöse Regungen bei unentwickelten Völkern. Das menschliche Causalitätsbfedürfniss. Steindienst. Baumdienst. Thierdienst. Verehrung des Wassers, der Sonne, der Naturkräfte. Unsterblichkeitsidee. Ahnendienst. Heroencultus. S. 255 274.

10. Schamanismus. Priestertrachten. Zauber als Todesursache. Hexen- processe. Gottesgerichte. Gebet. -Opfer. Brahma und die Brahmanen. S. 274—283.

11. Buddhalehre. Vedäntä und Sänkhja. Leben des Religionsstifters. Nirväna. Sittenlehre. Heutige Verbreitung. S. 283 291.

12. Dualistische Religionen. Gute und schaden stiftende Mächte. Zoroaster. Ormazd und Ariman. Auferweckung der Todten. Sittenlehre S. 291 299.

13. Israelitischer Monotheismus. Polytheistische Anfänge. Vor- malige Rohheit der Gottesidee. Auftreten der Propheten. Sittliche Welt- ordnung. Verachtung des Opfers. Erhabenheit der Gottesidee. Läuterung im Exil. S. 299—308.

14. Christliche Lehre. Prä existenzlehre im Alten Testament. Gütige Vorsehung. Vaterunser. Sittenlehre. Christenthum und Buddhismus. S. 308-316.

15. Islam. Mohammad. Qorän. Monotheistischer Purismus. Sittengesetz. Lehre von der Gnadenwahl. Heutige Ausbreitung. S. 316 324.

16. Zone der Religion s Stifter. Schreckmittel der Natur. Einfluss der Nahrung. Einfluss der Wüste. S. 324—336.

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Dia Mensshenraoen. 1) Australier. 2) Papuanen. 3I Mongolen. 4) Dtavida. 5) Hottenlolteii xnd BuEchnnänner. 6) Neger. 7) Jlillelländische Völker. S. JJ?— 338.

I. Australier, eckmale. Sprache Wohnraum. Geiälhe. Gebl es gaben. Sitii-n.

Körpennetkmale. Australische und asiatische Gruppe (Alfuren, NegriM. Jlincopie, Semangl. Geistige Begabung. GerSlhe und Sitten. Fidschiinsu- laner. S. 358 368.

ni. -Mongolenalinllche Volker.

1, Der raalayische Stamm. Geogr. Verbreitung der Polynesier. Gt- täthe, Sitten und Gcistesgabtn <!er polynesischen Malayen. Asiatische M.l- l.iyen (Tagalen, Bisaya, eigentliche Malayen, Sund.inesen, Javanen, Batt^, Dajaken, Macassaren, Buginesen). Mikronesier. Bewohner Madagaskars und Formosa's. Körpermerkmale. S. 369 382.

2. Südostasiateo mit einsylbigen Sprachen. Tübet^ner imi Himalayastämme, Birmanen. Thai oder Siamesen. Laos. Annaniiten. Ctii- nesen. Chinesische Cullur. Confulse. Laolse. S. 382 400.

3, Koreaner und Japanesen. Sprach merk male. S. 400 401.

4. Mongolenähnliche Völker im Norden der alten Welt. Ut.il- altaiischer Stamm, 'n) lungusischer AsI, i] mongolischer Ast (Ostmongolen, Kalmükeo, Burjäten, Haiareh), 1:) türkischer Ast (Uiguren, Oeibegen, Do- mänen, Jakuten, Turkmauen, Nogaier, Basianen, Kuniüken, Karak:ilpaken, Kirgisen), rf) finnischer Ast, Ugrischer Zweig (Ostjaken, AVogulen, Magyaren), Bulgarischer Zweig, Permischer Zweig, eigentlich finnischer Zweig iSuomi, Lappen), e) samojedischer Ast. S. 401—413.

i. Nordasiaten von unbestimmter Stellung. Jenissei-Ostjaken. Jukagiren. Aioo. S. 413 41;.

6. Beringsvölker, Körpermeikraale. a) Kamtschad.ilen, b] Korjaken und Tschuktschen, c) Namollo und Eskimo, rfj Aleulen, «■) Thlinkiten umi Vancouverstämme. S. 415 418,

7. Amerikanische Urbevölkerung. Wanderung von Asiaten Lim die Beringsenge. Mongolische Racenmerkmale. Beziehung der Sprache iui;i altaischen Typus, Mongolische Sitten. Vergleich der neuen und alten Weil.

a] Die Jägerslämme im nördlichen Festlande (Kenai und Athapj- ken, Algonkinen, Irokesen, Daeula, südöstliche und südwestliche Gruppe.

b) Südamerikanische Jä^erstamme. Tupi, Guaycuru, Ggs, Cren, Arü- waken, Cariben. Vergleich der nördlichen und südlichen Jägerstätonn Moundbuäders. Kupferbergbau. De Soto's Kriegszug. i:) Die Cultur- völker Nordamerika's. Sonori^che Sprachen. Qbola. Pueblos. Nahuai- laken, Maya, Quichi. Die Cnlturvälker Südamerika's. Chibcha. Qui-

X Inhalt.

chua. Yunca. Araucanier. Patagonier. Einheimischer Ursprung der ameri- kanischen Cultur. Vergleich der Gesittungen im nördlichen und südlichen Festland. S. 428—482.

IV. Dravidabevölkerung Vorderindiens.

Körpermerkmale, i) Mundavölker oder Dscheagelstämme. 2) Eigentlich- Dravida (Brahui, Tulu, Tamulen, Telugu, Canaresen, Tuda). 3) Singhalesen Typus der Dravidasprachen. S. 483 487.

V. Hottentotten nnd Buaoliin&nner.

Körpermerkmale. Zwergvölker. Hottentottensprache. Sittenschilderun;» der Hottentotten. S. 488 496.

VI. Neger.

Körpermerkmale. 1) Bantuneger. Suaheli. Betschuanen. Kaürn. Bin- nenstämme. Bundavölker, Kongoneger. Nordwestliche Küstenstämme. 2) Su- danneger. Ibo. Nuffi. Ewhe. Odschi. Zahn- und Pfefferküste. Mandingo. Joloffer. Sererer. Fulbe. Sonrhay. Hansa. Kanuri. T6da (Tibbu) keine Neger. Bagrimma. Maba. Nilstämme. Fundj. Nobah. Afrika als Wohnraum. Ge- sittung der Bantu- und Sudanneger. S. 497 516.

VII. Die mittelländische Raoe.

Körpermerkmale, i. Hamiten. a) Berber, Guanchen, Schellah, Tuareg» T6da); ö) Altägypter; c) Ostafrikanische Hamiten (Berabra, Bedscha, Schu- kurieh, Kababisch, Hassanieh, Dankali, Galla, Somali, Wakuafi, Masai); Alt- ägyptische Gesittung. S. 517 529.

2. Semiten; Körpermerkmale. Ethnographie der Bibel, a) Nord- semiten (Aramäer, Hebräer, Kanaanäer, Assyrier und Babylonier). Stellung der Akkadier oder Sumerier. b) Südsemiten (a. Nordaraber, ß. Südaraber, Abessinier). Chaldäische Gesittung. Religion der Semiten. S. 530 538.

3) Europäische Stämme von unbestimmter Stellung, a) Ban- ken, b) kaukasische Bevölkerungen (Daghestäner, Tschetschenzen, Abchasen, Tscherkessen, Lazen, Suanen, Mingrelier, Georgier). S. 538 540.

4. Der indoeuropäische Stamm, a) Asiaten, Sanskritvölker (Neu- indische Sprachen. Siaposch. Zigeuner). Er&nier. (Perser, Kurden, Armenier, Osseten, Tadschik). Awghanen. b) Europäer, a. Nordeuropäer, Lcttoslavcn (Letten, Slaven), Germanen (Skandinavier, Gothen, Germanen), ß. Südeuro- päer. Griechen. Albanesen. Lateiner (Portugiesen, Spanier, Catalonier, Proven- 9alen, Nordfranzosen, Alpenmundarten, Furlaner, Rumänen). Kelten. Ur>ii/- der Indoeuropäer. Europa als Wohnort. S. 540 557.

Appendix A. Welcker'sche Schädelmessungen. S. 558. Appendix B. Bamard Davis* Schädelmessungen. S. 560.

Namen- und Sachregister. S. 562.

EINLEITUNG.

I.

DIE STELLUNG DES JIENSCHEN IN DER SCHÖPFUNG.

Schon bei dem ersten Versuche die belebte Schöpfung zu classificiren, vereinigte Linn^, ohne einen Anstoss zu erregen inner- halb der Säugethierclasse , die Menschen und die Affen zu einer Ordnung, welche er als die Primaten bezeichnete. In unsern Tagen hat sich jedoch ein wissenschaftlicher Streit entsponnen, ob das Menschengeschlecht von den Affen durch den Rang einer Ord- nung oder nur durch den einer Unterordnung getrennt werden solle. Da es sidh hier darum handelt, welchen Werth man den Begriffen Ordnung oder Unterordnung innerhalb eines systema- tischen Baues beizulegen gesonnen ist, so hat die Völkerkunde keinen Beruf sich in diese Verhandlungen zu mischen. Richard Owen glaubte sich überzeugt zu haben, dass bei dem Menschen allein das kleine Gehirn vollständig vom grossen überragt werde und uns dadurch ein entschieden höherer Rang selbst über die am günstigsten gebauten Affenarten gesichert sei. Dass aber diese Behauptung nur auf irrigen Beobachtungen beruhte, ist allgemein anerkannt worden, selbst von solchen Naturforschern, die wie Gra- tiolet, gegen die Lehre der historisch erfolgenden Antenumwand- lungen sich erklärt haben.

Auch die Unterscheidung des Menschen und der Affen als Zwei- händer und als Vierhänder Ist durch neuere Untersuchungen be- seitigt worden. Die Fusswurzelknochen des Gorilla gleichen in allen wichtigen Beziehungen der Zahl, Anordnung und Form denen des Menschen. Nur sind bei diesem Thiere die Mittelfussknochen und Finger verhältnissmässig länger und schlanker, während die grosse

Pesckel, Völkerkunde. I

2 Stellung des Menschen in der Schöpfung.

Zehe nicht bloss vergleichsweise kürzer und schwächer, sondern durch ein beweglicheres Gelenk mit ihren Metatarsalknochen an die Fusswurzel gelenkt ist ^). Ferner besitzt der Greiffuss der Affen die drei Muskeln (M. peronaeus longus, flexor brevis, extensor brevis), welche der Hand fehlen ^), wenn auch die Befestigung der Zehenbeuger beim Menschen fuss etwas verschieden sein mag. Wenn aber auch die hintern Gliedmassen des Gorilla als echte Füsse anerkannt werden müssen, so sind doch ihre Verrichtungen andere als die unseres Fusses und durch sie allein erhöht sich schon der morphologische Rang des Menschen weit über die am höchsten gestellten Affen. Als höher gilt uns nämlich derjenige Körperbau, der besondere Verrichtungen auf besondere Werkzeuge beschränkt. Niedriger stehen uns dagegen solche Geschöpfe, die mit den- selben Gliedmassen eine Mehrzahl von Thätigkeiten vollziehen müssen, wie etwa Vögel ihre Kiefern, die uns nur zur Zermal- mung der Nahrung dienen, zum Ergreifen, bisweilen selbst zum Klettern also zur Ortsbewegung benützen müssen. Die vordem und die hintern Gliedmassen der Affen verrichten die nämlichen Dienste, nämlich sie greifen und sie klettern, wobei noch zu erwägen ist, dass gerade im Klettern die wichtigste Ortsbewegung jener Ge- schöpfe besteht. Wohl versuchen auch die menschenähnlichen Affen sich zum aufrechten Gange zu erheben, doch legen sie nur kurze Strecken und diese nicht ohne Anstrengung zurück. Im maläyischen Indien gehen die Hylobatesarten , die sonst dem Menschen viel ferner stehen als die drei andern höchsten Affen, wiewohl mit gebogenen Knien stets aufrecht, dabei berühren sie jedoch mit ihren langen bis auf die Erde herabreichenden Finger- spitzen, um sich im Gleichgewicht zu erhalten, bald rechts bald links den Boden ^). Andrerseits muss zugegeben werden, dass bei manchen Menschenstämmen der Fuss zum Ergreifen benutzt wird, namentlich sind es Nubier, die sich mit der grossen Zehe im Schiffs- tauwerk festhalten '') oder Eingeborene der Philippinen, die mit ihren Zehen kleine Geldstücke vom Boden aufheben, ja selbst im Schoosse

i) Huxley , Stellung des Menschen in der Natur. Braunschweig 1863. S. 105.

2) Claus, Grundzüge der Zoologie. Marburg 1873. S. I125.

3) Dr. Mohnike. Die Affen der indischen Welt. Ausland Bd. 45. 1872. No. 30. S. 714.

4) G. Pouchet, Plurality of the Human Race. London 1864. p. 39.

Stellung des Menschen in der Schöpfung. ^

europäischer Gesittung ist es vorgekommen, dass wegen Körper- mängel Schönschreiber und geschätzte Maler Feder und Pinsel mit ihren Zehen geführt haben *). Doch verengern solche kleine An- näherungen nur wenig die breite Kluft zwischen uns und den Affen, die sich zunächst auf die Arbeitstheilung zwischen den vorderen und hinteren Gliedmassen begründet. Sobald das Kind aufhört die Hände zur Ortsbewegung zu benützen, hat es sich schon seinen hohen Rang in der Schöpfung erworben. Wenn auch am Fusse des Gorilla nur der Unterschied haftet, dass die grosse Zehe den andern Zehen entgegen gestellt werden kann, so wird er doch eben dadurch zu einem Greiforgan und zum Gehen ungeeignet. Die Affen treten überhaupt entweder mit den äusseren Rändern ihrer Sohlen oder wie Orang und Schimpanse mit dem Rücken ihrer gebognen Fingerglieder auf^). Der Mensch im Gegensatz zum Affen steht, geht, läuft, springt, tanzt, klettert, schwimmt, reitet, sitzt und kann lange in der Rückenlage verweilen. Der aufrechte Gang hat die Verkürzung der vorderen Gliedmassen zur Folge gehabt und wie Carl Vogt bemerkt, auch die Schüssel- form des Beckens zum Tragen der Eingeweide ^). Unser verhält- nissmässig so geräumiger Schädel schwebt im Gleichgewicht auf den Stützpunkten die ihm die Wirbelsäule gewährt und treten wie beim Neger die Kiefern stark nagh vorn, so verlängert sich zur Beseitigung der Störung zugleich das Hinterhaupt. Die vor- deren Gliedmassen erlöst von den Verrichtungen der Ortsbewegung, dienen nur noch zum Ergreifen und sie sind bisher noch 'immer geschickt gefunden worden um alles auszuführen, was der mensch- liche Verstand ersinnen mochte "*).

Naturforscher, wie Pruner Bey, haben die Behauptung in Umlauf gesetzt, dass der Bau der Stimmwerkzeuge bei den Affen un- geeignet sei zum Hervorrufen gegliederter Laute, allein dieser

i) Mohnike a. a. O. No. 36. S. 847. Waitz, Anthropologie I, 117.

2) Darwin, Abstammung des Menschen I, 120.

3) Vorlesungen über den Menschen, Bd. i. S. 172.

4) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. i. S. 342 § 453) will behaupten, dass unser Auge durch die Arme bei Erkennt- niss der Raumverhältnisse unterstützt werde und dass deshalb die räumlichen Anschauungen des Menschen entwickelter seien als die des Thiercs. Allein den Affen leisten ihre Arme die nämlichen Dienste, dem Hlephanten sein Rüssel, den Insecten ihre Fühlhörner vielleicht noch bessere Dienste.

Stellung des Menschen in der Schöpfung.

Satz ist von Darwin widerlegt worden, der als Beispiel an- führt, dass ein Affe in Paraguay ') bei innerer Atifregung sechs verschiedene Töne ausstösst, welche bei seinen Genossen ähnliche Stimmungen veranlassen. Wenn auch das Getiiss lies Menschen und der Affen in der alten Welt übereinstimmt, so entwickelt sich doch bei uns der dauernde Spitzzahn vor den letzten Backzähnen und unter diesen die vorderen vor den hinteren, beim Affen da- gegen bildet die Entwicklung der dauernden Spitzzähne den Schluss der Ziihnbildung, auch tritt der zweite hintere Backzahn früher hervor als die zwei vorderen Backzähne. Endlich ist noch das frühere Verschwinden des Zwischen kieferknochens bei der menschlichen Leibesfrucht als Unterscheidung vom Affen anzufüliren.

Uurch die letzten Thatsachen werden wir noch gemahnt einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen zu werfen, die so wii^htig geworden ist, seit 1812 Johann Friedrich Meckel in Halle OS aussprach, dass jedes Thier im unreifen Zustande, und dieser dauert von der Befruchtung des Eies bis zu den ersten Geschlechts- thätigkeiten, alle Formen durchläuft, welche den tief und tiefer unter ihm stehenden Thieren während des ganzen Lebens zu- kommen. Zur Zeit der Geburt ist die Kluft zwischen dem Kindi.' und dem Affenjungen noch immer sehr schmal. Neu- linge könnten in Verlegenheit gerathen, wenn sie Schädel von Kindern oder jungen Tschimpansen unterscheiden sollten. An Grösse kommen sich die Hirne der Kinder und der Affen- junf;cTi sehr nahe, von allen Theilen des Kopfes aber wächst das i;ehim des Affen am wenigsten. Wenn daher auch das Ge- hirn des menschenähnlichen Affen alle Haupttheile des mensch- lichen Gehirns enthält, so verfolgt doch seine Entwicklung eine gan^ andere Richtung. Das Junge des Orang oder Tschimpanse, unscTa Kindern im Betragen so ähnlich, verliert im Laufe des Wachsthums mehr und mehr die Anklänge an die menschliche iiilduiijj. Ehe noch der Zahnwechsel sich einstellt, hat das Gehirn des Affen in der Regel seine Vollendung erreicht, während beim Kinde die eigentliche Ausbildung dann erst recht beginnt. Um- gekehrt wächst beim Affen der Gesichtsschädel in thierischer Rich- tung, so dass schliesslich der grösste Affe ein Kindergehirn mit dem Gebiss eines Ochsen vereinigt. Daraus ergibt sich, dass

1) Cebus Azarae, Darwin, Ursprung des Menschen 1, 45.

Stellung des Menschen in der Schöpfung. c

durch fortschreitende Entwicklung der Affen nie ein Mensch ent- stehen kann, denn ihre Ausbildung ist nach anderen Zielen ge- richtet, und je länger sie sich nach diesen bewegen, desto mehr erweitern sich zwischen ihnen die Abstände. Gerade bei den nied- rigsten, in ihrer Entwicklung gleichsam verzögerten Affenarten, bei den Uistiti des östlichen Brasiliens behält das Knochengerüst des Kopfes eine höhere Menschenähnlichkeit, als bei den menschen- ähnlichen Arten *). Es ist nur ein volksthümliches Missverständniss gewesen, dass der Mensch nach dem Dogma der Arten wandelung von einem der vier höchsten Affen abstammen solle. Weder Darwin noch irgend einer seiner Anhänger haben jemals so etwas behauptet, sondern vielmehr, dass die Vorfahren der Menschen sich abzweigten von längst ausgestorbenen Arten ,der Katarrhinengruppe im ersten oder frühesten Abschnitt der Tertiärzeit*). Sollte diese Vermuthung jemals von der Wissenschaft anerkannt werden, so müssten Zwischenformen und Übergänge von jenen Affen der eocänen Zeit zu den heutigen Menschen irgendwo entdeckt werden. An dem Tage wo diess geschähe, wo die einzelnen Glieder in der Kette des Gestalten wechseis sichtbar vor uns lägen, bliebe keinem denkenden Menschen ein Zweifel über den Vorgan«; übrig. Bis dahin jedoch behält jede andere Hypothese die gleiche Berechtigung und die bisherigen geologischen Funde gewähren noch nicht die geringste Ermuthigung, dass jene Lücken früher oder später ausgefüllt werden müssten.

Wir können diese Betrachtungen nicht schliessen, ohne einen Vorwurf zurückzuweisen, der im Stillen sich -vielleicht regen möchte, als ob wir nämlich die Verstandesthätigkeiten des Menschen un- beachtet lassen wollten. So mag denn sogleich wiederholt werden, was bereits Darwin ausgesprochen hat, dass Gewissensregungen verknüpft mit der Empfindung von Reue, dass Pflichtgefühle als die bedeutungsvollsten Unterschiede uns vom Thiere trennen, dass bei diesem letzteren keine Möglichkeit vorhanden ist zur Lösung einer mathematischen Aufgabe noch bei ihm die Rede sein kann von Bewunderung eines Naturgemäldes oder einer Kraftäusserung, dass auch kein Nachdenke« statthaben kann über eine Verkettung

i) Virchow, Menschen- und Affenschädel. Berlin 1870. S. 25 26. 2) Darwin, Ursprung des Menschen 1, 171. H a eck el, Natürliche Schöpf ungsgeschichte. 2. Aufl. S. 574.

6 . Stellung des Menschen in der Schöpfung.

der Erscheinungen und noch weniger die Annahme eines Urhebers oder eines göttlichen Willens '). Die höchsten Unterschiede zwi- schen Menschen und Thieren werden erst bei der Untersuchung über die Entwicklungsgeschichte unsrer Sprache von selbst hervor- treten und ebenso enthält die Sittengeschichte der Völker still- schweigend die beste Begründung einer höheren Würde der Mensch- heit, Doch zählen alle diese Thatsachen nicht mit, wenn es sich darum handelt, dem Menschen innerhalb des Thierreicltes seine Stelle anzuweisen , gerade so .wenig als die Klugheit des Elephanten nicht seinen Platz in einem zoologischen Lehrgebäude zu verriit;ken vermag. Dem Menschen gebührt nur derjenige Rang in einem morphologischen Systeme, den ihm in künftigen Erdaltem ein denkendes Geschöpf innerhalb einer wissenschaftlichen Ordnung des Thierreiches anweisen würde, wenn nichts mehr von unserm Geschlechte vorhanden sein sollte, als eine ausreichende Anzahl versteinerter Knochenreste. Nach den Grundsätzen der verglei- chenden Anatomie und nach dem systematischen Bedürfniss allein würde er dann als Ordnung oder als Unterordnung von den Affen der geologischen Gegenwart getrennt werden.

i) Darwin, Ursprung des Menschen. Bd. i. S. 28. S. S9. S. 76. S. 90.

Der Versuch alle sich am besten gleichenden Geschiipic unli-r einen Namen zu vereinigen, ist genau so alt wie die Stnii' ilt-r Sprachentwicklung, auf welcher diese Vereinigung durch ein Wort vollzogen wurde. Bei niedrig geMiebenen \ olkcrn finden wir Aus- drücke für verschiedne Arten der Eiche, aber keinen für die Eii.hen- gattung, ja nicht einmal einen für Baum. Die unterscheid oridfii Merkmale wurden daher früher erfasst als die übereinstirnmLndcn Eigenschaften. Aus einem Bedurfniss der Verständigung ülit-r dir Aussenwelt sind Namen für Hnnd, Wolf und Fuchs entstandtu tunl damit war bereits eine Classification vollzogen. \Vissenscli:ililii.li gerechtfertigt wurden solche Sprachbildungen aber erst von l.iiJin'. Der Artenbegriff ist also vor noch nicht anderthalb Jahrhuruli rti ii aufgestellt worden und zwar dachte Linnc sich die Arten l.iim s- wegs schon als von Anfang her starr begrenzt, sondern er j:[jiilit.-, dass neue Species aus den Blendlingen ungleicher Vertreter dir Gattungen hervorgehen könnten. Goethe wiederum durfti* ncnjli immer behaupten, dass die Natur blos Ein zeige schöpfe konn' . die Arten daher nur in den Lehrbüchern vorhanden seien.

Als man für die typischen Verschiedenheiten des Meii-ilun- geschlechtes ebenfalls Schlagwörter ersinnen wollte, erhob siili su- gleich der Streit, oh die Völker der Erde in verschiedne Arli.ii oder nur in verschiedne Spielarten zerfallen. So sind es tilt dii- höchsten und dunkelsten Aufgaben, die Unvorbereitete am stirlisLii anziehen und dann zu verfrühten, also gänzlich wertblosen l.ni- scheidungen fortreissen. Nicht einmal mit Unbefangenheit ir.uuu die älteren Anthropologen an die Lösung des schwierigen R.nli- I-. denn die einen bemühten sich das Schlussergebniss in Ci" Ein- stimmung zu setzen mit der hebräischen Sage von der Schii[ifu(ii^

(

8 Arteneinheit des Menschengeschlechtes.

eines ersten Menschenpaares, die andern suchten die Vielheit der Arten zu begründen, um dem Neger das Mitgefühl milder Ge- müther zu entziehen und die . Stimme des Gewissens über die Ent- würdigung des Menschen zum Lastthier in der tropischen Land- wirthschaft zu besänftigen. Seltsam! dass man sich über Einheit oder Vielheit erhitzen konnte, ehe eine einzige Begriffsbestimmung der Art allseitige oder nur vielseitige Anerkennung gefunden hatte! ,, Diejenigen belebten Wesen*', sagte Blumenbach, „zählen wir zu einer und derselben Art, die in Gestalt und Tracht mit einander so genau übereinstimmen, dass ihre Unterscheidungsmerkmale nur aus der Abartung entsprungen sein können. Als getrennte Arten aber betrachten wir solche, deren Verschiedenheiten so wesentlich sind, dass sie aus den bekannten Einflüssen der Abartung, wenn man dieses Wort entschuldigen will, sich nicht erklären lassen ')." Wie mag es dem sonst scharfsifinigen Blumenbach entgangen sein, dass bei diesem Spiel mit Worten alles wieder im Ungewissen bleibt, indem er den Begriff der Abartung als bekannt voraussetzt und daher völlig unbegrenzt lässt? Denken wir uns übrigens, dass durch ein Wunder vom Planeten Mars ein Geschöpf zu uns herab- gelangte, welches im Körperbau wie in seinen geistigen Verrich- tungen uns völlig gleich wäre, so würde es Blumenbach als Arten- genosse uns beigezählt haben müssen. Diess hätte auch nach der Ansicht Cuviers geschehen sollen, denn „die Art", sagt er, „ist die Vereinigung aller belebten Wesen, die von einander oder von gemeinsamen Voreltern abstammen mit denjenigen, die ihnen durch Ähnlichkeit ebenso nahe stehen als sie unter einander sich gleichen *).** Cuvier und Blumenbach verlangten also noch nicht, dass alle Artgenossen gemeinsame Vorfahren besitzen sollten. Eine gemeinsame Abstammung forderte jedoch schon der ältere Decandolle. „Die Art", so lautet seine Begriffsbestimmung, ,,ist die Vereinigung aller Einzelwesen, die sich gegenseitig besser gleichen als anderen und aus deren Begattung fruchtbare Nach- kommen hervorgehen, die sich ebenfalls wieder durch Geschlechts- ^olge erneuern, so dass auf ihre ehemalige Abstammung von einem einzigen Wesen geschlossen werden darf^).**

1) De generis humani varietate nativa. Ed. 3. Götlingen 1795. p. 66.

2) Quatrefages, Rapport sur lesprogres de 1* Anthropologie. Paris 1867. p. 56.

3) Quatrefages, Rapport, p. 104.

4V.>.-

Arteneinheit des Mcnschengeschlechles,

Hier schien endlich die Art scharf und glücklich begrenzt ko sein. So oft zwischen belebten Wesen, mochte ihre Tradit und Gestalt noch so auffällige Unterschiede wahrnehmen lassen, Nacli- kommen erzeugt wurden, die und deren Nachkommen wiederum fruchtbare Begattungen vollzogen, wurden sie zu einer Art ler- einigt. Unfruchtbarkeit, wenn sie bei Nachkommen oder aiicli bei Enkeln sich einstellte, entschied das Gegentheil, Ah diesem Er- kennungszeichen hielt auch Flourens fest, „Die Fruchtbar- keit", sagte er, „begründet die Beharrlichkeit der Artenmerkmalc, Die verschiednen Arten erzeugen Mischlinge von nur beschränkter Fruchtbarkeit ')." Noch enger zieht Herr von Qnatrefages de-u Be- griff in den Worten: „Die Art vereinigt alle mehr oder weniger sich gleichenden Einzelwesen, die von einem einzigen Urelternpaare durch eine ununterbrochene Familienfolge abstammen oder als ab- stammend gedacht werden können ")."

Ehe wir uns über den Werth dieser Artenbestimmun- ent- scheiden, wollen wir zuvor untersuchen, ob das Merkmal der i'rui.ht- barkeit den Bastarden verschiedener Menschenra^en zukommt. IJass arische Hindu mit Drawida, Chinesen mit Europäerinnen, Araber mit Negerfrauen Mischlinge und diese Mischlinge wiederum Nauli- kommen erzeugen, ist wohl nie bestritten worden, sehr olt wird dagegen behauptet, dass die Mulatten in den spätem Geschieehts- folgen aussterben, auch gelten die Frauen gemischten Ulmes in Mittelamerika- gewöhnlich als unfruchtbar. Die Ursache dieser allerdings häufigen Erscheinung ist hier jedoch keine physiologische, sondern ein unsittlicher Lebenswandel ^), Die Thatsache, dass iiui der Insel Cuba und auf Haiti halbblütige Bevölkerungen bis zu Ilmulert- tausenden angewachsen sind, bestätigt wenigstens, dass dio Ab- kömmlinge von südeuropäischen Creolen und Negern fruchtbar sind. Völlige Unfruchtbarkeit angelsächsischer Mulatten :iiif Ja-

t) Ftourens, Kxanieii du Uvie de I'Jr. Darwin sur l'origine do.^ Paris 1864. p, 21.

2) Unit* de l'espÄce humiiine. Paris iSöi, p. 54.

3) Der Verfasser hat über diese äuich slienge Beobachtungen 1 schlichtende Streitfrage deutsche Kaullcute, die lange Zeit auf Culi hatten, befragt und stets die Antwort erhalten, dass Mulattinnen vi denkbaren Fruchtbarkeit nicht ungewöhnlich seien, und dass sie dc^n I Mangel an Kindersegen bei andern Mischlingen nur frühieitipen Au fungen zuschreiben müssteo.

lO Arteneinhett des Mensch enge schlechtes.

maica ist nur von einem einzigen Beobachter behauptet worden unii nicht ohne Widerspruch geblieben '). In Amerika sind ferner als Mischvolk die Zambos, Abkömmlinge von Negern und Frauen der sogenannten rothen Urbewohner entsprungen. ') Unter den Crct-k Indianern der Union werden sie häufig getroffen^), ebenso in Wittelamerika und schon jetzt trägt die Bevölkerung an den KQsttn des Ystmo und Neugranadas deutlich die Wahrzeichen halbafrikani sehen Blutes. Nach Millionen zählen in den ehemaligen spanischen Tßchterstaaten die Mischlinge von Kuropäern und ein- gt'bornon Amerikanerinnen, Ladinos in Mexico, Cholos in Ecuadori Peru und Chile, sonst gemeinsam Mestizen gehcissen. Wenn in Australien die Mischlinge zu den Seltenheiten gehören, so rührt diess nur daher, dass wie durch gerichtliche Untersuchungen es sich btstaligt hat, die Eingebornen selbst die Racenblendlinge zu tödten pflegen ■*). Auch tasmanischc Frauen haben zahlreiche MiscliUnge geboren und James Bonwick *) kannte und nennt uns eine jMutter von dreizehn halbblütigen Kindern. Paul Broca war also falsch unterrichtet, als er das Dasein von Halbaustraliem und HalbtLi^maniern läugncte*) und damit sinken zugleich die gewagten Schlüssig die er mit ungerechtfertigter Sicherheit ausgesprochen hatte, Npch wichtiger aber ist es, dass aus den Vereinigungen üwischi-n Europäern und Hottentotten Halbblütige entspringen, denn wenn irgend ein Menschenschlag Anspruch hätte, als ge- sonderte Art aufgefasst zu werden, so sind es gewiss jene Urbe- wohner der Caplande '). Endlich haben auf abgelegnen Inseln, wie Tristan d'Acunha mehrfache Kreuzungen von Briten, Holländern,

i| ?. Broca, Hybridily in Ihe Genus Homo. London 1864. S. 36.

2) Fülle, dtus Negerinnen mit eingebornen Männern Amerikas Verbin-

'liini;cn eingehen, sind aus einer bekannten prosaischen Ursache sehr selten.

3) Xiich dem Second annual reporl of the Board of Indian Comnüssioners. Washiiinlon 1871 in Zeilsehrift für Ethnologie. Berlin 1871. Bd. 3. S. 412.

4) Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 194, Ehun'o Kdward John £yre, Central Aastraüa. London 1843. ^ol. II, p, 324.

i) Ihe last of the Tasmanians. London 1870. p. 316.

f.) Bioca, a. a. O. S. 47.

7) Diese Mischlinge weiden theils ,3as(arde" theüs Griquas in ihrer Hei- , math ):(:nBniit, die letztere Bezeichnung ist jedoch so missbraucht worden, ilas<^ F^ii' keinen strengeren anthropologischen BegrifT mehr deckt. Frilsch, Dil- Kincebornen Südarrihas. S. 376 flg.

Arteneinbeit des Menschengeschlechtes. n

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Mulatten und Negerinnen stattgefunden '). Nach den Erfahrungen aus dem Pflanzenreiche zu schliessen, bemerkt Darwin, würden drei- fache Kreuzungen zwischen Negern, Indianern und Europäern, wie sie in Amerika vorkommen, die schärfste Probe für wechselseitige Fruchtbarkeit der elterlichen Formen darbieten*). .'"■*

Selbst wenn nicht länger mehr gestritten würde, dass alle noch 'l.

so verschiedenen Völkerstämme fruchtbare Mischlinge erzeugen könnten, so würden wir doch der Entscheidung über die Einheit oder Vielheit der Menschenarten nicht näher gerückt sein. Die neuere Wissenschaft erkennt nämlich an, dass Thiere, welche vormals in der Freiheit sich geschlechtlich gemieden haben, doch zur gänz- lichen Mischung ihres Blutes und ihrer Artenmerkmale gebracht werden konnten. Wir denken dabei weniger an die gewöhnlich aufgezählten Bastarderzeugungen des Hundes mit Wolf und Fuchs, der Ziege mit dem Schafe, des Kaninchens mit dem Hasen, denn theils gelang es nicht die Mischgestalten zu befestigen, theils über- dauerte die Fruchtbarkeit der Blendlinge nicht mehrere Geschlechts- folgen. Erinnern wollen wir wenigstens an die neue Erfahrung, welche wir Mr. Buxton, einem englischen Parlamentsabgeordneten ver- danken, der in Südengland zwei Cacaduarten eingebürgert hat, welche in seinem Park alljährlich Junge ausbrüten, sich im Freien auch gekreuzt und eine Bastardart erzeugt haben, die von einer purpurrothen Haube geziert wird, wie keine der beiden Elternarten, so dass hier die Schöpfung um eine neue Species bereichert er- scheint^). Jedenfalls sind unsere Hunderacen das Ergebniss einer Artenmischung gewesen. Die Eskimohunde nähern sich in Tracht und Gestalt dem arctischen, die Indianerhunde dem Prairienwolfe, der nubische Haushund und seine Mumien bezeugen deutlich ihre Abkunft vom Schakal *), auch trat der eigenthümliche Geruch dieser letzteren Thiere bei Hunden ein, die von Geoflfroy St. Hilaire längere Zeit mit rohem Fleisch gefüttert wurden. Ferner sind unsre heutigen Rinderschläge hervorgegangen aus zwei getrennten

i) Quatrefages, Rapport, p. 477.

2) Darwin, Die Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 198.

3) Sem per im Anthropol. Correspondenzblatt. Octbr. 1871. S. 73.

4) Herr J ei t tele s, der sich geraume Zeit mit diesen Fragen beschäftigt und Thierschädel fleissig gesammelt hat, behauptet, die völlige Übereinstimmung zwischen dem sogenannten Torfhunde und dem algierischen Schakal (Canis Sacalius). Alterthümer der Stadt Olmütz. Wien 1872. S. 79.

12 Arteneinheit des Menschengeschlechtes.

europäischen Arten (Bos primigenius zu Cäsars Zeiten noch wild und Bos longifrons oder brachyceros der schweizerischen Pfahl- bauten) '). So lange sie in der Freiheit neben einander vorkamen, bewahrten sie ihre Artenmerkmale in aller Reinheit, während jetzt durch Querkreuzungen ihre Gestalt und Tracht völlig sich ver- mischt haben. Ja selbst mit dem Zebu (B. indicus) oder d^m indischen Buckelochsen kann das europäische Rind fruchtbare Bastarde erzeugen. Ferner sind unsere Hausschweine Mischlinge aus dem Eber oder Sus scrofa und dem nicht mehr wild vorkom- menden Sus indica. Wir verdanken diesen Satz den Schädelunter- suchungen des Herrn v. Nathusius, der sonst unte;^ die erklärten Gegner der Darwinischen Schule gehört. Gilt das letztere be- kanntlich auch von Agassiz, so legen wir doppeltes Gewicht da- rauf, dass auch er den Versuch, die fruchtbare Begattung zur Artenbegrenzung zu benutzen für eine Irrlehre erklärt hat *). Ist diess der Fall, dann besteht kein Hinderniss länger etliche Men- schenracen als verschiedne Menschenarten aufzufassen, wenn sich bei ihnen erfüllt, was Grisebach für die Begründung einer Art noth- wendig hält, nämlich der Mangel von Übergängen 3), die nicht auf Kreuzungen beruhen. Wirklich Ikssen sich bisweilen scharfe Grenzen ziehen wie zwischen den Hottentotten und den Kafirstämmen, den Papuanen Neu-Guineas und den reinen Polynesien!. Solche That- sachen haben die pluralistische Anthropologen schule zu der Be- hauptung einer Mehrheit der Mensche^arten ermuthigt. In den Vereinigten Staaten Nordamerikas, wo sie vormals ihre heissesten Vertreter fand, entstand die Lehre, dass die verschiednen Bewohner der Erde in den Welttheilen geschaffen wurden, die sie jetzt be- wohnen, auch dass sie nicht von einzelnen Elternpaaren abstammen, sondern durch einen Saatwurf des Schöpfers sogleich in Horden

i) Rütimeyer gelangte zu dem Schlüsse, dass die Rinder des Chillingham- Parkes Abkömmlinge des gezähmten Ur (B. primigenius) seien, sowie dass die Trochoceros- und Frontosus-Form ebenfalls vom Ur abstaivmen, dagegen B. brachyceros eine eigne sogenannte Species vertrete. Art und Race des europäischen Rindes im Archiv für Anthropologie. Bd. i. Braunschweig i866. S. 240—247.

2) A complete fallacy. Essai on Classification. London 1849. p. 250.

3) Die Vegetation der Erde Bd. i. S. 8. „Darin besteht die Methode des Systematikers Varietäten und Arten zu unterscheiden, dass er bei jenen Zwischenformen nachweisen kann, bei diesen nicht.*'

Arteneinheit des Menschengesjchlechtes. I^

die Erde bevölkerten und bereits theilweise im Besitze ihrer heu- tigen Wortschätze sich befanden, denn in ihrem Eifer nahm jene Schule sogar eine Artenmehrheit innerhalb der sprachverbundenen arischen Völkerfamilie an. Diese wunderlichen Ansichten stützten sich zunächst auf die Behauptung, dass die Merkmale der Arten- verschiedenheit sich unverändert in der historischen Zeit erhalten haben, namentlich bei Juden ^) und brahmanischen Indiern. Beide Beispiele vermögen aber ernste Zweifler nicht zu bekehren, denn wir wissen von Juden und brahmanischen Hindu, dass sie seit Jahr- tausenden streng unter sich geheirathet haben. Dass sich aber dann nothwendig Racenmerkmale befestigen müssen, lehren uns die Er- fahrungen der Thierzüchter. Selbst in unsern heutigen Gesell- schaften, wo durch Kastenvorschriften Heirathen in dem nämlichen Stande vorgeschrieben werden, tritt bisweilen kenntlich ein aristo- kratischer Typus hervor und bei den Habsburgern wie bei den Bourbonen sind in vergleichsweise kurzer Zeit physiognomische Be- sonderheiten innerhalb zweier Familien erblich geworden.

Das hohe Alter und die Beharrlichkeit des Typischen in den verschiedenen Menschenarten sollen uns ferner die Racenbilder der Denkmäler am Nil bezeugen. Allerdings herrscht Einstimmigkeit bei allen Aegyptologen, dass man in den heutigen Fellahin des Nil- landes noch scharf und deutlich das Volk der Pharaonen wieder erkenne, und wenn auch stark verzerrt sind neben ihnen die Neger des Sudan in den Wandgemälden so deutlich wieder gegeben, dass jeder Verwechselung vorgebeugt ist. Bedenklich bleibt indessen, dass die altägyptischen Künstler ihre Menschen ijach starren Vor- bildern naturwidrig entstellten; die Gesichter nämlich zeichneten sie stets im Profil, das Auge stets en face, und die Hände immer als zwei rechte. Staunen muss man daher über die Kühnheit der Pluralisten, welche aus den Bildnissen der Könige und Königinnen sogar die Mischung mit semitischem oder europäischem Blute bei den Pharaonen herauslesen wollten. Von der Gemahlin des Grün- ders der 17. Dynastie Amunoph I., der in das Jahr 1671 v. Chr.

i) Anfanger in der Völkerkunde möchten wir vor Missverständnissen be- züglich der „schwarzen Juden" in Cochin warnen, die früher als Beispiel miss- braucht wurden, dass die indische Sonne die Hautfarbe zu ändern vermöi^e. Die schwarzen Juden sind indische Eingebome, die von den rechten weissen Juden als Sklaven gekauft und dann nach Erfüllung der mosaischen Gebräuclio in die Judengemeinde aufgenommen wurden.

I_i Arteneinheit des Menschengeschlechtes.

gesetzt wird, heisst es, sie trage am stärksten die Wahrzeichen heb- räischen Blutes und es wird daraus sogleich der Beweis abgeleitet, ,,dass der chaldäische Typus schon vor der Ankunft Abrahams in Aegypten nachgewiesen worden sei ^).** .Der Kopf des grossen Ramses wird als hoch europäisch und napoleonsähnlich gepriesen '). Wirklich mahnt auch bei Rosellini das Ramsesbild .lebhaft an den ersten Kaiser der Franzosen, allein diese Nachbildung war ent- weder nicht glücklich getroffen oder absichtlich mit bonapartischen Zügen ausgestattet worden, wie es sich aus einer genauem von Robert Hartmann veröffentlichten Zeichnung ergeben hat ^). Dar\vin erzählt uns, dass bei einem Besuche des britischen Museums ihm und zwei Beamten jener Anstalt, die er als urtheilsfahige Richter bezeichnet, die stark ausgesprochne Negerform der Statue Amu- noph 111. auffiel. Dennoch wird sie von Nott und Gliddon als ,, Bastard ohne Beimischung von Negerblut" beschrieben ^). Robert Hartmann endlich konnte sich nicht überzeugen, dass der ägyp- tische Typus Änderungen durch asiatische Mischungen erlitten habe, viel eher solche, die sich aus nubischen Eroberungszügen erklären lassen 5). Beweisen die Denkmäler Aegyptens einerseits, dass nach 4000 Jahren noch die Bewohner des Nillandes ihren Voreltern gleichen, so lehren sie andrerseits, dass schon damals die soge- nannten Typen durch Mischungen ineinanderflössen. Niemand fühlt dagegen besser die Sch>Väche der Ansicht von der Unveränderlichkeit der Racenmerkmale als derjenige, welcher versucht hat, die Völker zu beschreiben, denn nicht ein einziges Kennzeichen ist strenges Alleingut irgend ^iner Menschenrace, sondern verliert sich durch un- merkliche Abstufungen. Wäre es leicht die Grenzen zwischen ver- schiednen Racen zu ziehen, so würden die Anthropologen in ihren Annahmen nicht in dem Masse von einander sich entfernen, dass der eine die Menschheit in zwei, ein andrer sie in hundertundfünfzig Arten, Racen oder Familien sondern zu müssen glaubte^). Das Ver- fahren bei solchen Trennungen läuft gewöhnlich auf eine Täuschung

> i) Morton, Types of Mankind. p. 163. Fig. 33.

2) 1. c. p. 148.

3) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin I869. S. 153.

4) Darwin, Abstammung des Menschen I, 191.

5) Zeitschrift für Ethnologie. Berhn 1869. S. 147.

6) Quatrefages, Unite. p. 366. Nach Darwin, (Ursprung des Men- schen I, 199) nahm Virey 2, Jacquinot 3, Kant 4, Blumenbach 5, BüfTon 6,

Arli^nEinheit des Menschengeschlecht«!. |e

hinaus, denn nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmale wird fest- gestellt, sondern als \ertreter eines Typus, wird unter sehr Vielen derjenige herausgesucht, welcher am schärfsten sich von den Glie- dern anderer Menschenslämme absondert. So trägt der deutsche Reisende, ehe er die Alpen überschreitet, eine bestimmte Vorstel- lung vom italienischen Gesichtsschnitt und Körperwuchs in sich. Er erwartet in Neapel überall Männern zu begegnen, denen er nur eine phrygische Jlütze aufzusetzen braucht, um in ihnen bekannte Operngestalten wieder zu erkennen oder er denkt einem jeden Mädchen dürfe man nur einen silbernen Teller mit einem abge- schlagnen Männerhaupt in den Arm geben, um sie in eine Judith zu verwandein. Die Enttäuschung läs.st nicht warten und zuletzt gestellt sich der Hintergangene, dass das, was er als italienischen Typus sich vorgebildet hatte, nur an der spanischen Treppe in Rom herumlagert, wo die unter Tausenden herausgemusterten Modelle sich dem Künstler feilbieten. In der Heimath geht es nicht besser. Sehen wir ein Kind mit zarter Haut und Rosen Schimmer, hellblonden Flechten und blauen verschämten Augen, so (reuen wir uns über eine solche echt deutsche Jungfrau ohne zu bedenken, dass wir neben ihr tausend andere damit ftir unecht, das heisst für racelos erklären.

In unsern Tagen ist die bisher giltige N'orstellung von der Beharrlichkeit der Artenmerkmale tief erschüttert worden durch Charles Darwin. Widerlegt waren schon vor ihm die Träumereien der älteren Geologen, dass die AltersaUschnitte der Erdrinde, welche die Lehrbücher der Verständigung wegen aufzustellen genöthigt sind, mit einer gänzlichen Vernichtung der belebten Schöpfung ge- endigt hätten und dann durch einen Werderuf an ihre Stelle eine neue Schöpfung getreten sei. Lautlos haben sich, so lange unser Planet organisches Leben beherbergt, einzelne neue Trachten der belebten Wesen unter die alten gemischt, lautlos sind andre ver- schwunden, bis nach Ablauf gewisser Zeiträume andre, von den älteren abweichende Arten sich zusammen fanden. Die Zeitfolge, in welcher sich die verschiednen Trachten und Gestalten ablösten,

HuDler 7, AcüssIk S, Pickcring tt, Bory St, Viacent IJ, DesmouLns l6, Morton 22, Ctawfurd 60 und Burke 63 Arten oder Racen an. Haeckel (Na- türliche Schöpfungsgeschichte 2. Aufl. S. 604) und Friedr. Müller {Anlhro- pol. ThI. III der Niivara Reise I. Karte) begnügen sich mit zwölf Arien und wir selbst sind zu sieben Abtheilungen geführt M-oiden.

l6 Arteneinheit des Menschengeschlechtes.

war keine willkürliche, sondern sie stellt eine morphologische Kette dar; ein Ring hält hier den andern, jede Neuerung knüpft ge- horsam dem Gesetze alles Werdens an das früher Bestehende an. Eh gibt vit'Ueicht unter den Sachkundigen Europas nicht einen einzigen, der nicht anerkennen würde, dass die jetzige Schöpfung mit strenger Nothwendigkeit voraussetze, dass ihr eine tertiäre vorausgegangen sei, denn auf das engste schiiesst sich die Thter- welt Australiens und Südamerikas , sowie andrer gegen Artenaus- tatisch gut gesicherter Erdräume, an die Örtlich ausgestorbne Fauna an. Bestände das Dogma Darwins daher nur in dem Satze, dass die Reihenfolge der Arten mit der Vergangenheit durch irgend eine Ursache verknüpft sei, so würden alle Geologen, Botaniker und Zoologen zur Schule des grossen Briten gehören. Er begnügt sich aber nicht mit diesem Ausspruch, sondern er glaubt den Vor- gang selbst und seine Nothwendigkeit uns enthüllen zu können. Nach seiner Lehre werden Eltern oder geschlechtliche Doppelwesen alle ihre Merkmale bis auf kleine Verschiedenheiten vererben, so dass die Nachkommen ihren Erzeugern zwar gleichen, aber auch um einen verschwindend kleinen Betrag in einer nützlichen, gjeich- giltigen oder scliadlichen Richtung sich von ihnen entfernen. Die schädlichen Abirrungen würden zum frühen Untergange ihres Trä- gers führen, die gleich giltigen hätten wiederum keine Aussicht auf dauernde Erhaltung, die nützlichen allein sollen die Umgestaltung der Geschöpfe bewirken. Durch eine fortgesetzte Anhäufung kann aber das verschwindend Kleine in achtunggebietenden Zeiträumen allmählich bis zum Arten unterschiede heranwachsen. Bei dieser Aus- bildung neuer Formen übt die Schöpfung zugleich eine Art Kritik unbewussl gegen sich aus, denn da jedes Einzelwesen oder jedes Elternpaar weit mehr Nachkommen zu erzeugen pflegt , als auf Erden gedeihen können '}, so entspinnt sich zwischen den Nach- kommen einer Art, wie zwischen allen Vertretern der verschiednen Arten ein Kampf um das Dasein, in welchem die lebensfähigeren Streiter die minder günstig ausgestatteten unterdrücken. Durch

I) So bemerkie kürzlich Dr. Botggreve, Prüf, an der Forstakademie z\x Münden, dass eine Birke von etwa 0,3 Aleler Slammesdurchmesser in einem Jahie über 30 Milliuiten Samenkörner uusstreul, die bei trocknen Herbstslürmen bis Bof jede in Deiitstliland vertrelne Enlfernung verweht werden könnten. Ab- hnndlnnBen des nalurwissensch.iftlichen Vereines la Bremen. 3, Bd. 3. Heft. Bremen iB;;. S. :33.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.

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fortgesetztes Ausscheiden der lebensschwachen Artgenossen und durch beständiges Vererben der neuerworbnen günstigen Abände- rungen tritt unbemerkt ein Wechsel der Gestalten ein. Der Kern und die Neuheit des Darwinschen Dogmas besteht nur in der eben geschilderten Zuchtwahl, welche in der Natur ausgeübt werden soll. Mit Recht ist daher dieser Vorgang der Artenumwandlung von Nägeli als ein Nützlichkeitsverfahren bezeichnet worden. Als die Begeisterung für den neuen kühnen Gedanken einer kühleren Ueberlegung gewichen war, ergab sich mehr und mehr, dass eine Zuchtwahl nach den Nützlichkeitsgrundsätzen nicht immer statt- gefunden haben könne. Die Ausbildung neuer oder die Umbil- dung älterer Organe hätte sicherlich lange Zeiträume erfordert, während deren die unfertige Neuerung, wenn nicht geradezu schädlich wirken, doch jedenfalls gleichgiltig im Kampfe um das Dasein bleiben musste. Es ergab sich weiter, dass Organe früher vorhanden sein können, ehe aus ihnen Nutzen gezogen wird. Unter den Angehörigen der verschiedensten Menschenstämme be- sitzt eine Mehrzahl Stimmwerkzeuge, die sich zum Gesänge treff- lich eignen, ohne dass sie musikalisch gebraucht würden*). Die natürliche Zuchtwahl erklärt uns auch nicht, dass die Formen und Trachten der belebten Schöpfung den empfindenden Menschen in künstlerische Stimmungen versetzen. Nicht blos das Schöne, Zier- liche oder Anmuthige, sondern auch das Widerliche, Unheimliche, Lächerliche und Dämonische gewahren wir durch Thiere oder Pflanzen vertreten. Darwin hat diese Schwierigkeit in dem Buch über die Abstanmiung des Menschen durch einen neuen Glaubens- satz, nämlich durch die geschlechtliche Auswahl zu überwinden ge-» sucht, indem die Weibchen der Thiere dasjenige Männchen be- vorzugen sollen, welches ihre Sinne am lebhaftesten reizt. Nun sind aber bei Schmetterlingen, namentlich bei Sphingiden, die Unterflügel besonders lebhaft bemalt und mit bunten Augen ge- giert, obgleich das Thier im Sitzen den eignen Schmuck bedeckt, beim Fluge aber durch seine raschen Bewegungen jede Wahr- nehmung von Zeichnung und Farbe verhindert ^). Manche schön-

1) Es wird diess von Darwin selbst zugestanden. NAbstammung des Men- schen II, 293.

2) Darwin, der nie etwas verschweigt, was ihn beunruhigt, theilt uns (Abstammung des Menschen I, 354) eine Reihe von Fällen mit, wo die Unter-

Peschel, Völkerkunde. 2

l8 Arteneinheit des MenschengescWetbles.

gestaltete Menschen in Amerika und Afrika pflegen sich durch Scheiben und Pflocke in Lippen und Wangen zu entstellen, und beweisen uns dadurch, dass ihr Geschmack noch unausgebiidet ge- blieben ist, so dass ihre sonstigen Körperreize gewiss nicht einer glücklichen Wahl zu verdanken sind. Endlich finden wir Schon- heilen auch bei Thieren, 'die sich selbst tiefruchten, und sogar im stillen Reiclie der Gewächse. Der Anblick einer Eiche im Sturm, der elegische Ausdruck im Bau einer Deodara-Ceder, die Farben- muster mancher lilumenkronen, die anmuthigen Linien kletternder Reben, der Bau eines Rosenkelches vermögen uns künstlerische Befriedigungen zu gewähren und dennoch ist jeder Gedanke an eine geschlechtliche Auswahl bei diesen Gegenstanden streng aus- geschlossen.

Noch weniger iässt sich mit einer zweckmässigen Zuchtwahl die Vererbung schädlicher Merkmale vereinigen. Zwar berufi sich Darwin auf die Wechselbeziehungen aller Bestandtbeile eines thie- rischen Leibes, in Folge deren Aenderungen an der einen Stelle von Aenderungen in abgelegnen Körperräumen begleitet werden, aber da wir die Noth wendigkeit dieses Zusammentreffens nicht nachweisen, nfcht einmal ahnen können, so bleibt auch diese Aus- rede unbegründet. Nach der Darwinschen Lehre dürfen wir for- dern, dass der Vorgänger des modernen Menschen ein behaartes Geschöpf und gegen Wärmewechsel durch einen Pelz geschützt gewesen sei. Der Verlust des letzteren konnte in dem Kampfe um das Dasein aber nur nacbtheilig wirken '). Das Gleiche gilt bei Vögeln von der grellen Befiederung, welche die Nachstellungen der Feinde begünstigt, von den kahnartigen Auswüchsen ihrer Schnäbel, sowie den schleppenden Schweifen, welche den Flug und

fläche der Flügel von Nachtschmelterlüigen glänzend gefäibt oder mit präch- tigen Aagenflecken geziert ist. Im Sitzen bleiben diese Schönheiten stets verborgen.

1) Übericugle Schüler Darwins erinnern daran, dass IComer fressende Thiere , wie Pferde , wenn sie zur Fleischnahmng übergehen , die Haaie ver- lieren. Seligmann, Fortschritte der Raceolehre. Geogr. Jahrbach. Gotha IS7Z. Band 4. S. zSS. Die Gespenstaffen (Tarsius) sind indessen Raub- thiere, Carl Semper war selbst Zeuge, wie ein solches Geschöpf eine Maas durch seinen Biss lödtete und verzehrte. (Allgem. Zig. 1S73. S. 239.) Den- noch gewahren wir nicht, dasE sie sich dorch diese Nahrungsmittel Kahlheit zugezogen hiiltcn.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes. ig

das Bebrüten erschweren. So steht denn gerade der neue Kern der Darwinschen Lehre, nämlich die Zuchtwahl, noch unbeglaubigt uns gegenüber, ja der Meister selbst hat, wahrheitliebend, wie er sich stets zeigt, in Bezug auf die Einwürfe Nägelis und Brocas offen gestanden, dass er in den früheren Auggaben seiner Ent- stehung der Arten, wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl oder dem Überleben der Passendsten zu viel zuge- schrieben habe ^). V«rstattet sei es uns noch hinzuzufügen, dass die ältere Geschichte der belebten Schöpfung Pralle kennt, wo das Aussterben von Thierfamilien durch eine tiefgreifende Änderung ihres Baues eingeleitet wird, die, so weit überhaupt bei fossilen Erscheinungen solche Schlüsse berechtigt sind, ihnen schädlich ge- wesen sein muss. Die Ammoniten, die in der Kreidezeit aus- sterben sollten, b^eginnen vorher in sogenannte Krüppelformen über- zugehen. Ihre ursprünglich zur Spirale in einer Ebene einge- wickelten Gehäuse winden sich später spiralig im Räume, strecken sich gradlinig, krümmen sich bogen-, haken- oder krumstabähnlich oder ziehen sich wenigstens so auseinander, dass ihre emzelnen Umgänge sich nicht -mehr berühren *). Auf dieses Verlassen des alten Typus erfolgte aber das gänzliche Aussterben dieser Familie. Das Darwinsche Dogma gilt uns gleichwohl zwar nicht als ein gelungner, immerhin aber als der beste Versuch, den Zusammen- hang der älteren mit der neueren Schöpfung zu erklären und es wird sich nur durch eine befriedigendere Lösung wieder verdrängen lassen. Es ist nicht recht verständlich wie fromme Gemüther durch diese Lehre beunruhigt werden konnten, denn die Schöpfung ge- winnt an Würde und Bedeutung, wenn sie die Kraft der Erneuerung und der Entwicklung des Vollkommeneren in sich selbst trägt. Gläubige Christen wollen wir an die Gefahr erinnern, deren sie sich bei Schmähung eines so hoch geachteten Forschers wie Darwin aussetzen. Als Copernicüs mit seiner noch schwach begründeten Lehre von der Planeteneigeftschaft der Erde auftrat, ja selbst später als das Fernrohr in der Sichelgestalt der Venus, sowie in der Ju- piterswelt die sinnliche Ueberzeugung, und Kepler durch seine Ge- setze die strengen Beweise von der Wahrheit der copernicanischen Anschauung gewährt hatten, wurde dennoch nicht blos von der

1) Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 132.

2) Credner, Elemente der Geologie, i. Aufl. S. 435.

20 Arteneinheil des Menschengeschlechtes.

römischen Curie, sondern auch von protestantischen Eiferern die neue Wahrheit verdammt. Der wahre Schöpfer wurd^, weil er bei seinen Werken nicht ptolemäisch, sondern copernicanisch verfahren war, in der Persou derer, die seine Wahrheiten verkündigten, auf den Index gesetzt, und als Ketzer diejenigen verfolgt, auf die (jott, wie Kepler von sich selbst schreibt, sechstausend Jahre ge- wartet hatte, damit sie seine Werke erkennen sollten '). Auch jetzt stehen wieder zwei Schöpfer vor uns, der Schopfer, wie ihn Cuvier sich dachte, der seine Werke vernichtet, weil er bessere ersonnen hat, und der Schöpfer, wie ihn Darwin sich denkt, der das lielebte verändedich geschaffen, die Richtung dieses Gestalten- wechsels aber vorausgesehen hat, und nun die Uhr ablaufen lässt ohne ihren Gang zu stören. Ein einziger fossiler Fund, den wir übrigens weder herbei sehnen noch voraus ankündigen wollen, könnte morgen schon bekräftigen, dass der wahre Schöpfer der Darwinschen Vorstellung näher stehe als der von Cuvier, und die unbesonnenen Eiferer würden dann wie die Verfolger Galileis sich anzuklagen haben, dass sie den wahren Gott zu Gunsten eines wissenschaftlichen Phantoms verfolgt hätten. Kennt doch gerade die Geschichte der Umwandlungslehi-e bereits den Fall einer glän- zenden Widerlegung. Cuvier brachte den Vorgänger Darwins, La- marck, damit zum Schweigen, dass er ihm auferlegte, eine Mittel- form zwischen dem Paläotherium und dem jetztigen Pferd aufzu- finden, wenn eine Artenumwandelung aus jenem älteren in das neuere Geschöpf stattgefunden haben soile, Cuvier, wenn er noch lebte, müsste beschämt bekennen, sobald er in irgend einem unsrer Mu- seen das zierliche Hipparion der Vorwelt mit den zwei After- hufen erblickte, dass seine Forderung streng erfüllt worden sei'). Obgleich Darwin seine Lehre von der Arten wandelung nicht streng begründen konnte, hat er doch die Glaubwürdigkeit des gegen th eiligen Dogmas von der UnveränderlichKeit der Arterimerk- male tief geschwächt und dadurch im Gebiete der Völkerkunde die Vermuthung bekräftigt, dass alle Racen einer Urform entsprungen und durch die Anhäufung kleiner durch ungestörte Vererbung be- harrlich gewordner Unterschiede sich zu Spielarten ausgebildet haben.

I) C. G. Reiisclile, Kepler und die Aslronomie. Frankf. 1870. S. 127. 1} Richard Owen, Analomy of Vertcbrates. London 1868. lom. III. p. 791-

Arteneinheit des Menschengeschlechtes. 21

Sehr günstig ist dieser Ansicht eine Reihe von Thatsachen, die auf ein sehr hohes Alter unseres Geschlechtes schliessen lassen, sowie die Fähigkeit des Menschen sich den grössten Witterungs- gegensätzen' auf unsrer Erdoberfläche anzupassen.

So weit als bisher auf den Festlanden die Menschen polwärts vorgedrungen sind, hat man Spuren von Bewohnern entdeckt, denn kurz bevor der Matrose Morton und der Eskimo Hans am 24. Juni 1854 Cap Constitution der Westküste Grönlands unter 81 ° 22' N. B. er- reichten, hatten sie die Trümmer eines Schlittens bemerkt'). , Er bezeugte die frühere Anwesenheit von Eskimos, die wir, homerisch gesprochen, als die äussersten Menschen ßa%a%oi avSqSiv) zu preisen haben. Auch entdecken wir neben dem Menschen die Fährte wenigstens eines Hausthieres: der Hund ist stets sein Be- gleiter gewesen. Noch soll der Erdraum gefunden werden, der nicht von irgend welchem Volke bewohnt oder wenigstens besucht werden könnte. Die .Übergänge aus verschiednen Climaten dürfen allerdings nicht plötzlich erfolgen. Selbst Isländer, die nach Kopen- hagen übersiedeln, erliegen dort der Schwindsucht ^) , obgleich sie doch mit den Dänen eine gemeinsame* Abkunft besitzen und vor 800 Jahren noch eine gemeinsame Sprache redeten. Während die Spanier sich in der Neuen Welt wie auf den Philippinen dem tro- pischen Lebensraum angepasst haben ^) , ist es weder den Briten gelungen Vorderindien, noch den Holländern die Sundainseln mit Abkömmlingen von Europäern zu bevölkern. Alle Kinder eng- lischer Eltern die in Indien geboren werden, kränkeln und sterben, wenn sie ein Alter von etwa 10 Jahren überschreiten. Daher senden die Briten ihre Kinder beim Herannahen des gefährlichen Zeit- punkts nach Europa, und ein gleiches geschieht von den Hollän- dern. Eine Europäerin in Niederländisch-lndien bedenkt sich sehr reiflich ehe sie in eine Ehe willigt, denn das erste Kindbett kostet gewöhnlich der Mutter das Leben. Diesem Schicksale erliegen sogar portugiesische Frauen im südafrikanischen Tete am Zambesi, wie es kürzlich der englische Missionär Rowley bestätigt hat. Er- folgen aber die Uebergänge zu andern Climaten stufenweise und in grossen Zeitzwischenräumen, so herrscht allerdings kein Zweifel,

1) Kane, Arctic Exploraüons. Philadelphia 1856. I, 297.

2) Waitz, Anthropologie. Bd.'i. S. 145.

3) Ja gor, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 29.

22 Arleneinlieit des Menschengeschlechtes.

dass derselbe Menschenschlag jede Zone der Erde bevölkern kann, denn niemand bestreitet, dass der Hindu hoher Kaste, sei es in Bengalen, sei es in Madras oder im Sind, oder an irgendeiner heissen Stelle seiner Heimath, arischer Abkunft sei, wie die alt- nordischen Bewohner Islands, und dass die unbekannten Urvor- fahren beider eine gemeinsame Heimath bewohnt haben müssen. Auch wird niemand Lust haben zu behaupten, dass die gothischen Eroberer jenseits der Pyrenäen nicht lange Zeit die Reinheit ihres „blauen Blutes" bewahrt, also Kinder ihres Stammes, Spanier in Spanien erzeugt haben. Aus der spanischen Halbinsel stammten wiederum die Ansiedler auf Madeira und den Canarien, die von dort nach Ausbruch der Traubenkrankheit schaarenweise vor zwei Jahrzehnten nach Trinidad und dem britischen Guayana aus- gewandert sind. Alle Voikerk und igen sind einig darüber^ dass die Eingebornen Amerikas höchstens mit Ausnahme der Eskimo eine einzige Race bilden und dieser einzigen Race gelang es sich auf beiden Halbkugcln vom nordiichen Polarkreis bis zum Aequalor und wiederum bis über den 50. Breitegrad allen Witterungs Ver- hältnissen anzupassen. Die Chinesen treffen wir in Maimatschin (Kiachtal an der sibirischen Grenze, wo die Mitteltemperatur noch unter dem Gefrierpunkt liegt und das Thermometer bis auf 40° R. im Winter sinkt, und zugleich auf der Insel Singapur, die fast vom Aequalor berührt wird '). Türkische Völker , wie die Jakuten, sitzen an der Lena, wo sie Kennan bei 32° R. nur, mit einem Hemd und I'elz bekleidet im Freien plaudernd antraf), weiden wie die Kirgisen auf der vielleicht höchsten Steppe der Erde, auf dem Pamir-I'lateau, und wohnen als Herrscher im heissen Süd- ägypten ^), sowie in dem verrufenen Hassaua am rothen Meere. Dei der Musterung der Racen merk male wird es sich am besten zeigen, wie wenig ihre grossen Schwankungen feste Grenzen zu ziehen erlauben, vorläufig aber sei es uns verstattet an einer Reihe von Thatsachen zu zeigen, dass die abgelegensten Völker und die äusserlich am wenigsten sich nahe stehenden Menschen- racen in ihren geistigen Regungen sich auf eine so überraschende ^Veise begegnen, dass wenigstens in Bezug auf das Denkvermögen

1) Pumpclly, Across America and Asia. London 1870. p. 256.

2) Tenl.Ufe in Siberia, p. 118.

J) Laiham, Varieües of Man. p, 77,

Arteneinlieit des Menschengeschleclites. 23

die Einheit und Gleichheit der Menschenart nicht bezweifelt werden kann. So werden wir später noch davon zu reden haben, dass die Zeichen- und Gebärdensprache europäischer Taubstummer zusammentrifft mit den gleichen Verständigungsmitteln der nord- amerikanischen Rothhäute. Alle Völker mit wenigen Ausnahmen sind zum einfachen oder doppelten Decimalsystem gelangt, weil sie die Finger beim Zählen zu Hilfe genommen haben. Haut- malerei und Tätowirungen kehren in allen Welttheilen wieder. Das Ausschlagen der Vorderzähne ist nicht blos ein Negerbrauch, son- dern kommt auch in Australien vor. Spitz gefeilt wiederum werden sie sowohl in Brasilien *) als im westlichen Afrika von den Otando-, Apono-, Ischogo- und Aschangostämmen *). Erwähnt schon Hippo- krates ^) oder wer sonst der Verfasser des Buches über Luft, Wasser und Ortsbeschaffenheit sein mag, dass unter der Steppenbevölkerung Südrusslands die Schädel der freigebornen Kinder zwischen Bretter geschnürt werden, um ihnen eine steilere Gestalt zu geben, so be- gegnen wir der nämlichen Mode bei den Conivos am Ucayali in Südamerika*), bemerkt wurde sie von Ch. Bell und Berthold Seeman in Mosquitia bei den Smu^), eigen ist sie auf dem nörd- lichen Festlande namentlich den Tschinuk Britisch Columbiens, überhaupt allen sogenannten Flachköpfen, die wiederum das Pressen des Schädels nur bei Kindern von Freigebornen verstatten ^). Ge- sundheitsrücksichten haben viele Völker bewogen die Beschneidung einzuführen. Herodot 7) hielt die Aegypter und Aethiopier für die Erfinder dieses Vorbeugungsmittels, das ihnen von Phöniciern und Syriern erst abgelauscht worden sei. Bei der Eroberung fanden die Spanier beschnittne Völker in Mittelamerika®), am Amazonen- strome aber huldigen die Tecuna- und Manaoshorden noch jetzt diesem Gebrauche 9). In der Südsee ist er bei drei verschiednen Racen angetroffen worden. Auf dem australischen Festlande näm-

i) V. Martius, Ethnographie I, 536.

2) Du Chaillu, Equatorial Africa p. 74 und Ashango-I^nd p. 431.

3) Cap. 80.

4) Grandidier, P^rou et Bolivie. p. 129.

5) Journal R. Geogr. Soc XXXII, 256 und 'Seemann, Nicaragua, Panama and Mosquitia. London 1869. p. 308.

6) Paul Kane, Indians of North America, p. 181.

7) H, 104.

8) Herrera, Historia general. Dec. IV. Llbr. 9. Cap. 7.

9) V. Martius, Ethnographie I, 582.

24

Arteneinlieit des Mensche ngescblechl es

lieh beschneiden sich zwar nicht alle, doch eine Mehrzahl von Stammen, Von papuanischen Völkern halten an dieser Sitte die Neu-Caledonier und die Bewohner der Neuen Hebriden fest '). , Cook Tand sIl' auf seiner dritten Reise bei den polynesischen Be- wohnern der Freundschaftinseln, genauer auf Tongatabu ') und der jüngere Pritchard bezeugt ihre Ausübung auf der Samoa- und Fidschigruppe ^). Eine andre mosaische Satzung verlangte, dass der Jude der \Vittwe seines Bruders Nachkommenschaft zu erwecken suche *). Diese Auffassung von Geschwisterpflicht traf Plan Carpin, der Botschafter Ludwigs des Heiligen, bei den Mongolen *), Mar- tius '') bei den brasilianischen Tupinambastämmen und ebenso herrscht sie bei den Koluschen im Nordwesten Amerikas'), sowie bei den Osljaken im nordlichen Russland*). Ja es fehlt sogar nicht an einem Falle, dass wir auf zwei mosaische Satzungen, nämlich die Beschneidung und die eben erwähnte Schwagerpflicht bei einer Be- völkerung stosscn, die ganz sicherlich keiner Beziehungen zum Juden- thum verdächtig werden kann, nämlich bei den Papuanen Neu- Caledoniens Die seltsame Gewohnheit sich durch Reiben der

Nasen zu begrussen, ist nicht blos sämmtlichen Eskimo bis nach Grönland eigen '"), sondern wird auch den Australiern zuge- schneben ' ' Darwin beobachtete sie bei den Maori Neu-See- lands"j, Lamont gedenkt ihrer bei den Polynesiern der Penrhyn und Marqnesas Inseln'*), Wallace, dem sie unter seiner Schiffs- mannschaft beim Abschied von Mangkassar auffiel, nennt sie den Ma- layenknss '*), und Linn^ begegnete ihr wieder in Lappland '^),

I) Cook, Voyage dans l'Hteiiipliire austral, tom. Ilt, 137, 1) Cook and King, tom, I, p. 384.

3) Polyncsinn Remimscences, p. 393.

4) Deuter. XXV, 5—10,

Sl Recueil de Voyages, lom, IV, 613,

6) Ethao^apliie I, 153,

7) Waiti, Anthropologie III, 328.

8) Caslrin, Ethnolog. Vorlesungen. S, 119. 91 Rach]i5, Nouv. Calidonie, p, 232.

10) Barrow, Arclic Voyages, p. 30,

n) Waitz (Gerland), Anlhmpologie. Bd, 6. S, 749.

i;l Naturw. Reisen II, 198,

13) Wild Life amoog the Pacific-lslajiders, p, 18. p, 269.

14| Malay Archipelago II, 165,

15) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 66.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes. 25

Durch Hawkesworth und der beiden Forster Beschreibungen von Cooks erster und zweiter Fahrt kennen wir die polynesische Sitte einen Freundschaftsbünd durch Namensaustausch zu besiegeln. Der gleiche Brauch herrschte bei den Mohawk in Nordamerika*) und in Südafrika wurde in Gegenwart Livingstone's *) auf diese Art Brüderschaft zwischen einem Makololo uud einem Zulukafirn ge- schlossen. Jede Möglichkeit einer gegenseitigen Entlehnung fällt hinweg, wenn ferner bei den Feuerländern in Südamerika und bei den Bewohnern der Andamaninseln im bengalischen Golfe, die Wittwen den Schädel ihres verstorbenen Gatten an einer Schnur um den Hals tragen müssen ^).

Auf den Hochebenen von Peru und Bolivien gewahrt man auf den Bergspitzen sogenannte Apachetas oder Steinhaufen, an denen kein Maulthiertreiber vorüberzieht ohne ein neues Stück zu dem Denkmal hinzuzufügen ^), Dieser Gebrauch geht durch die ganze Welt. Capitän Speke beobachtete ihn in der Landschaft Usui süd- lich von Karagwe und südwestlich vom Ukerewe See^). Der un- genannte Verfasser eines wegen seiner ethnographischen Schilde- rungen geschätzten Romans^) beschreibt die nämliche Sitte im Mahrattengebiete Indiens, Adolf Bastian sah solche Steinpyramiden auf Passhöhen in Birma und bei den Kayan in Borneo ^)y die Brüder Schlagintweit in Tübet^), Michie auf seiner Reise von Peking durch die mongolischen Steppen^), Ebers auf der Sinai- Halbinsel *°). In der Schweiz werden Steine über den Gräbern Verunglückter aufgethürmt ") und genau die nämliche Bedeutung und Entstehung haben diese Male im heutigen Venezuela * *). Spenser St. John erzählt, dass solche Steinhaufen von den Dayaken

i) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 161.

2) Zambesi, p. 149.

3) Frederic Mouat, Andaman Islanders. p. 327.

4) Grandidier, P6rou et Bolivie, p. 235. Genaueres bei J. J. v. Tschudi, Reisen durch Südamerika. Leipzig 1869. £d. 5. S. 52.

5) Source of the Nile, p. 193.

6) Tara, a Mahratta tale, I, 144.

7) Völker des östlichen Asiens. Bd. 2. S. 483. Bd. 5. S. 47.

8) Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 330.

9) Siberian Overland-Route, p. 136.

IG) Georg Kbers, Durch Gosen zum Sinai. S. 188.

11) Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen II, 119.

12) Dr. Ernst, im Globus. Bd. XXI, No. 8. Febr. 1872. S. 124.

25 Arlcneinheil des Mensühenge schlechtes.

Borneo's üur ewigen Schmach eines Mannes errichtet würden, der sich einer schamlosen Lüge oder eines Wortbruches schuldig ge- macht habe ').

Ein scheinbar ganz sinnloser Brauch ist es endlich, daas der Mann, wenn ihm ein Kind geboren wird, sich auf das Lager streckt und wie eine Wiichnerin gebärdet. Diodor kennt eine solche Sitte in Corsika . Strabo beschreibt sie unter den spanischen Basken ') und bei ihnen hat sie sich unter der Bezeichnung couvade noch bis auf die Gegenwart erhalten 3). Marco Polo schreibt diese Ge- wohnheil der Bevölkerung von Zardandam oder den „Leuten mit den goldenen Zähnen" zu, die wir nach Pauthier's Erläuterungen westlich vom chinesischen Yünnan am obern Mekong suchen müssen*), und nicht allzuweit entfernt davon, nämlich auf Bomeo darf noch jetzt bei den Dayaken der Vater des Neugebornen acht Tage lang nur Reis essen, muss sicii hüten in die Sonne zu gehen und vier Tage lang auf jedes Bad verzichten '), In Südamerika, östlich von den Cordilleren, ist die Sitte des väterlichen Wochen- bettes von Martins bei den Mundrucus und Manaos am Amazonen- atrom beobachtet worden, sie erstreckt sich auch auf die Cariben *) und auf die Macui^chi Guayanas, bei denen sie der jüngere Schom- burgk vorfand '), sovrie auf die Jivaro am Napö nach James Orton *). Damit ist übrigens noch nicht die Aufzählung aller Völker erschöpft, die sich dieser Sitte anbequemten ') , doch wollen wir nur hinzu- fügen, dass sie am Beginn des vorigen Jahrhunderts von dem Missionär Zucchelli auch bei Negern in Cassange angetroffen wurde "^. Flüchtige Reisende haben nicht versäumt diesen Gebrauch als eine

1) Lire in Ihe Far Easl. London 1S62. lom. I. p. 76.

2) Gcogr. lib. III, cap. 4, Taacho. ed. I, 26$.

3) Lubbock, Prchisloric Times, p. 580.

4) Marco Polo, lib. 11, cap. 41 oder cap. CXIX. 5} Spcnser Sl. John 1. c. I, 160.

6) !?pix und Marlius, Reise in Brasilien Bd. j, S.I339 undHartius, KÜinogrjphie S. 392, S. 588.

7) Reisen, Bd. 2. S, 314.

5) Tbe Andes and (he Amazon. London 1870. p. 17:.

9) Seitdem d;is <lbige ßedruckt wurde (Ausland 1867. S. 1108} hat Dr. Ploss eine Abhandlung „über das MänneckindbctI " im 10. Johresbeiichl des Leipziger Vereins für Erdkunde. Leipzig 1871. S. 33 48 mit einem noch grossem KeichthuiQ an Belegstücken drucken lassen.

10) Antonio Zucchelli, Missione di Congo. Veneziu 1712. VU, 15 p. I18.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes. 27

Albernheit zu schmähen oder zu verspotten, gründliche Kenner dagegen haben uns belehrt, dass nur ein ängstlicher Wahn dieser Sitte zu Grunde liegt. DobrizhofFer , der sie bei den Abiponen beschreibt, belehrt uns, dass die Väter nur deswegen den Luftzug ver- meiden und streng fasten, weil sie voraussetzen, es bestehe noch ein leibliches Band mit dem Neugebornen, so dass ihre Unmässig- keiten oder Erkältungen auf das Kind sich übertragen möchten. Stirbt der Sprössling in den ersten Tagen, so verfehlen die Frauen niemajs dem Erzeuger lieblosen Leichtsinn vorzuwerfen ^). Auf den Antillen durfte der Vater, der Nachkommen zu erwarten hatte, kein Schildkröten- und kein Manatifleisch essen, denn im ersten. Falle war Taubheit und Gehirnmangel, im andern eine Entstellung durch kleine runde Augen für das Kind zu befürchten *). Ganz ähnlich legen sich bei den Indianern des britischen Guayana nach einem Schlangen- biss die Eltern und Geschwister des Verwundeten etliche Tage Fasten und Entbehrungen auf^). Auf dieselben Gedanken oder auf dieselben Wahnbilder sind also die Bewohner von vier Welt- theilen gerathen und wir können dieses Zusammentreffen nur auf eine doppelte Weise erklären, denn entweder entstanden jene Ver- irrungen schon als die sämmtlichen Spielarten unsres Geschlechtes noch eine enge Heimath bewohnten, oder sie haben sich selbst- ständig erst entwickelt nach der Zerstreuung über den ganzen Erd- kreis. Ist das Letztere wahrscheinlicl^ dann gleicht das Denkver- mögen aller Menschenstämme sich bis auf seine seltsamsten Sprünge und Irrfahrten.

i) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 273.

2) E. B. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 372.

3) C. F. Appun im Ausland 1872. No. 31. S. 440. ^ ^ ^ j

DER SCHOPFUNGSHERD DES MENSCHENGESCHLECHTES.

Alle oceanischen Inseln, ä. b. solche die in beträchtlichem Abstand vom nächsten Festland liegen, sind, mit wenigen Aus- nahmen, von europäischen Seefahrern unbewohnt gefunden worden. Dass Barcnt 1596 auf der Bäreninsel und Spitzbergen keine Be- wohner entdeckte, wird uns wegen ihrer unwirthKchen Lage nicht be- fremden, wohl aber, dass diess ehemals der Fall war mit Island, da doch das gegenüberliegende Ostgronland von Eskimo bis zum 75" N. B. be- wohnt wird. Die ersten Ansiedler Islands scheinen celtische Christen um das Jahr 795 gewesen zu sein, denn als Normannen zuerst das Eisland betraten, fanden sie auf einem Inselchen der Südküste, noch jetzt die Pfaffeninsel yehei.ssen, Krümmstabe, Glocken und irische Bücher, wie es in den Sagas heisst. Unbewohnt waren im atlantischen Meer, die von Korallen erbaute Bermudasgruppe, die vulcanischen Azoren, die vulcanische Madeiragruppe, die vulcanischen Inseln des grünen Vorgebirges, die vulcanischen Insein im Meer- busen von Guinea '), die einsamen Inselvulcane Fernando Noronha, Trinidad mit den Martin Vaz-Klippen, St, Helena, Ascension, Tri- stan d'Acunha, ja selbst der geräumige Falklandsarchipel , zu schweigen von allen was in das antarktische Poiarme^ fällt. Auch die Vulcaninseln der Marion-, Crozet- und Kerguelengruppe oder was südlicher liegt, und die beiden Inselvulcane St. Paul und Amster- dam, ja selbst die Mascarcnen, nämlich die beiden vulkanischen Zuckerinseln Mauritius und Bourbon und die ihnen beigezählte Granitinsel Rodriguez waren menschenleere Stätten. Selbst das stattliche Neu-Seeland ist erst in neuester Zeit bevölkert worden denn nach den freilich unzuverlässigen Angaben der Maori landeten

I) Sie wurden von den Porlugiesen in der Zeit von 1470 bis i486 ent- deckt iGhiUany, Marlin Beh»iin S. 8(1) und waren unbewohnl.

Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes. 20

ihre Vorväter etwa um 1300 n. Chr. auf der Nordinsel, während die östlich liegende vulkanische Chathamgruppe wiederum von Neu- seeländern erst seit dem vorigen Jahrhundert besiedelt worden ist, und die südlich liegenden' vulcänischen Aucklandinseln , berühmt durch einige moderne Robinsonaden, bis jetzt noch auf den ersten Besitzergreifer harren.

Auf den bisher durchmusterten Meeresräumen waren nur die canarischen Inseln bewohnt, nämlich von den ausgestorbenen Guan- chen, die zur Zeit ihrer Entdeckung nichts mehr davon wussten, dass in der Nähe ein Festland lag, denn auf das Befragen der spanischen Missionäre wie sie nach ihrem Archipel gekommen seien, gaben sie die naive Antwort: „Gott hat uns auf diese Inseln ge- setzt, dann verlassen und vergessen." Reste ihrer Sprache haben indessen erlaubt sie als versprengte Bruchtheile der Berberfamilie zu erkennen. Auch wissen wir, dass sie ihre Todten in Mumien zu verwandeln pflegten, sowie dass sie bei ihrer ersten Besiedelung Ziegen mit nach den Inseln brachten.

Ebenso sind die Eilande im Stillen Meere westlich von Süd- amerika unbewohnt gefunden worden, und wir nennen hier: Juan Fernandez, den Schauplatz von Selkirks Abenteuern, mit Masafuera, S. Feliz und Ambrosio, nicht minder Sala y Gomez, ferner die vul- cänischen Galapagos, welche die Buccanier zu ihren Schlupfwinkeln wählten, die Cocosinsel und die Revillagigedo-Gruppe. Ja selbst solche Inseln sind unbewohnt geblieben, welche geräumig und dem Festlande nahe lagen, wie die Bering-Insel , traurig berühipt durch den Schiffbruch des Entdeckers, dessen Namen sie trägt.

Von diesen geschichtlichen Erfahrungen ermuthigt, dürfen wir wohl aussprechen, dass die ersten Menschen Bewohner eines Fest- landes gewesen sein müssen. Als eine einzige, aber nur scheinbare Ausnahme könnte die Verbreitung der malayischen Völker gelten zu denen ausser den eigentlichen Malayen Sumatra's und Malaka's, sowie den Javanen, auch die braunen Stämme mit schlichtem Haar gehören, die unter dem Namen Polynesier über alle tropischen oder subtropischen Inseln der Südsee sich zerstreut haben. Seit Wilhelm V. Humboldts Forschungen über die Kawi-Sprache wissen wir, was vorher noch bestritten wurde, dass auch die herrschende Race auf Madagaskar zur malayischen Familie gehöre. ^ Es hat sich dieser Menschenschlag von den Comoren, denn auch auf ihnen ist die Sprache malayisch, bis zur Osterinsel, vom 61. bis zum 268.

3Q Sthiipfungslierd des Menschengeschlechtes.

Längengrade, also auf */» eines Breitenkreises ausgedehnt. Trotzdem ist es von vornherein nicht sehr glaubhaft, dass der Mutterstatnin der malayischen Völkerfamilie zuerst auf Inseln aufgetreten sei. Die Übereinstimmung ihrer Sprachen beweist uns, dass die weit entfernten Glieder dieser Familie vor ihrer Ausstreuung eine ge- meinsame Heimath bewohnt haben müssen. Diese darf aber nur dort gesucht werden, wo die malayischen Völker jetzt noch am dichtesten auftreten. Der Ausstrahlungspunkt jener Horden lag daher irgendwo zwischen Sumatra, Java und der Halbinsel Malaka, Wir dürfen sogar noch etwas weiter gehen und ihn auf dem süd- asiatischen Festlande suchen, denn nach ihren körperlichen Merk- malen gewürdigt zählen die Malayen zur grossen mongolischen Race.

Die Ausbreitung lies malayischen Menschenstammes über mehr als die halbe Länge eines Erdumfanges genügt uns als Beispiel, wie weit die Wanderungsbegierde einen Menschenstamm aus- einander treiben kann, sobald er sich einmal Verkehrs Werkzeuge zur Bewegung auf dem Meer geschaffen hat. Allein auch auf den Festlanden erstreckten sich die Wanderungen der frühesten Men- schenstämme in die grössten Fernen. Auf Australien herrschen von Ost nach West verwandte Mundarten!^ und nur im Norden scheint eine Mischung mit papuanischen Sprachen stattgefunden zu haben. Ganz Südafrika bis zum Aequator erfüllt nur eine grosse mundartlich schattirte Sprache, so dass der Suaheli der Ost- kuste immer noch den Afrikanern im äquatorialen Westafrika am Gabun nicht ganz unverständlich bleibt. Wir selbst gehören un- serer Sprache nach dem grossen arischen Völkerkreise an, zu dem die Gelten Galliens und Britanniens, alle Germanen, die Italiener, die Griechen und Albanesen, sämmtliche Slaven, die Armenier, die Osseten des Kaukasus, die Kurden, die Perser und die. brah- mani sehen Hindu zählen.

Nicht das gleiche aber ein ähnliches Schauspiel gewährt uns Amerika. Wenn wir absehen von den Eskimo und etlichen Stämmen des weiland russischen Amerika, so gehören nach dem überein- stimmenden Zeugniss aller Anthropologen die sämmtlichen Be- wohner der neuen Welt einem Menschenstamm an, so dass uns nichts hindern würde sie von einem Elternpaar entsprungen zu denken. Ihre Sprachen freilich zeigen im Wortschatze ein kau- kasisches Gewirr, dagegen ist der Satzbau oder vielmehr die Wort- bildung so eigenthumlich und gleichartig, dass spanische Missionäre

Schopfungsherd des Menschengeschlechtes. 21

*

in Südamerika vorgezogen haben das Evangelium theils in der peruanischen Quichuasprache , theils in der brasilianischen Tupi- sprache oder dem Guarani zu verkündigen, weil die dortigen In- dianer mit Leichtigkeit int den Geist dieser Sprachen eindringen, während das Spanische oder Portugiesische ihrem Verständniss widerstrebt.

Freilich ist eine Familienähnlichkeit, ja selbst eine nähere Uebereinstimmung in der Sprache kein untrüglicher Beweis eines gemeinsamen leiblichen Stammbaumes, denn sonst müssten die vormals slavisch, jetzt deutsch redenden Völkerschaften östlich der Elbe von jeher Germanen, es müssten die englisch sprechenden Neger der Vereinigten Staaten Angelsachsen, die spanisch redenden Indianer Mittel- und Südamerika's Blutsverwandte Calderons sein. Die Einheit oder Familienähnlichkeit der Sprache beweist aber streng, dass vormals alle Völkerschaften, die sie umfasst, ein ge- sellschaftliches Band vereinigt haben musste. Wir dürfen also schliessen, dass die sämmtlichen Australier, dass die Südafrikaner, dass die arischen Völker, dass die Amerikaner vor der Trennung ihrer Sprachen eine Heimath, einen Ursitz inne hatten, von dem aus sie durch Wanderung sich verbreiteten. Konnte aber die neue Welt von irgend einem Ausgangspunkt nach und nach bevölkert werden, sq ist es nur eine Frage der Zeit, dass alle Festlande ebenfalls von einem Punkte aus bevölkert wurden.

Wir haben aber bisher nur gezeigt, dass unser Geschlecht von einem irdischen Revier ausgehend allmählich alle Festlande durchwandert und bevölkert haben kann. Das Mögliche ist noch nicht das Wahrscheinliche, geschweige etwas nothwendiges. Glück- licherweise bietet uns die Geologie und die Thiergeographie die Mittel den Raum sehr eng einzuschränken, wo allein der Ursitz des Menschengeschlechts gesucht werden darf. Die Geologie lehrt uns, dass die Stockwerke der Erdrinde in chronologischer Reihenfolge ge- schichtet liegen, und zwar da, wo nicht absonderliche Störungen eintraten, das jüngste zu öberst, das älteste zu unterst. Wenn wir nun vom obersten Stockwerk abwärts steigen, ändern sich die Trachten der Schöpfung, sie werden in unmerklichen Uebergängen den jetzigen fremder und fremder. Das moderne finden wir oben, das alterthümliche unten, denn die Geschichte der Schöpfungen gleicht der Geschichte der Moden. Zugleich bemerken wir, dass nicht immer aber im grossen Durchschnitte die höher gegliederten

32 Schöpfungslierd des MenscbenEss'^*''sctiles.

Geschöpfe die neueren, die unvollkommener gegliederten die älteren sind. Aber die zoologischen Moden haben sich nicht überall mit gleicher rieschwindigkeit geändert. Sie haben sich am hastigsten in der alten Welt umgestaltet, minder rasch jn Nordamerika, sie sind aiemlich weit zurückgeblieben in Südamerika, am alterthümlichsten in Australien. Je kleiner und je abgesonderter ein Erdraum lag, desto langsamer legte er seine Trachten ab oder behielt sie wohl gänalich bei,

Australiens Thierwelt bewahrt die Trachten jener Zeit als noch die Känguruh Mode waren, denn tjei uns finden wir Beutelthiere nur noch als Versteinerungen der tertiären Zeit, auch in der neuen Welt sind sie bis auf wenige kleinere Arten über dem Erdboden \'611ig verschwunden. Australien fehlen alle Affen, alle Raubthiere, alle Hufthierc, alle Zahnlücker. Von seinen 132 Säugethierarten sind I02 Beutelthiere und der Rest besteht aus Nagern, Fleder- mäusen und seltsamen Monotrematen oder Cloakenthieren. Allerdings ist in diese Schiipfung auch der Mensch hineingeratben und in seiner Begleitung denn gleich und gleich gesellt sich gern ein reissendes Thier, der Dingo oder neu holländische Hund, Allein, dass sie als Fremdlinge diese zoologische Provinj betraten '), fühlt ein jeder der den Thatsachen der Thiergeographie ihre geschicht- lichen Lehren abgewonnen hat.

Das gleiche gilt von Südamerika, welches ein eigenes streng gesondertes Säugethierreich beherbergt, als dessen Charaktergestalten die Zabnlücker gelten. Alle seine Arten, die Mehrzahl der Gat- tungen, ja selbst der Familien sind verschieden von denen der alten Welt. \Vichtig für unsere Beweisführung ist noch die Be- merkung Andreas Wagners, dass die heutigen Säugethiere Austra- liens und Südamcrika's viel näher den fossilen Trachten der ter- tiären Zeit stehen als die unsrigen '), dass also auf beiden Gebieten die Moden viel langsamer gewechselt haben. War doch Süd- amerika eine Insel noch in einer kurzen geologischen Vergangen- heit, bevor die Landenge von Panama die beiden Festlande zu- sammenschloss. Südamerika also, das aiterthümliclf gebliebene, ist

l) Dieüs gesteht Mlbst Agassiz im Essay on Classification. London l349. p. 60, 2] Abhandlun(!en der mathem. physik. Glosse der k. bayr, Akademie der iKsenschaßen. München 1846. IV. Bd, 1, Ablh. S. iS.

Schöpfungsherd des Menschenge schlechtes. 31

nicht die schickliche Säuge thier-Provinz wo das modernste aller Geschöpfe ursprüogiich aufgetreten sein sollte.

Eher Hesse sich vermuthen, dass in Nordamerika die Wiege der Menschheit gestanden haben könnte. Nordamerika hat in seiner Thier- und Pflanzenwelt manches U eberein stimmen de und viel Aehnliches mit Asien und Europa. Die Physiognomie setner Schöpfung ändert sich erst in Mittelamerika völlig, etwa, wenn auch nicht ganz genau, an der Aequatorialgrcnze der Nadelhölzer, die bekanntlich Südamerika fehlen.

Dennoch ist Amerika alterthümlicher geblieben gerade in der " zweit höchsten Ordnung der Säugethiere. Die fälschlich sogenannten Vierhänder Amerika's sind so verschieden von den unsrigen, dass sie eine Familie für sich bilden, die im System „Affen der neuen Welt", also geographisch benannt werden konnten. Die amerika- nische Familie unterscheidet sich durch den Zahnbau, durch seit- liche Stellung der Nasenlöcher, durch Mangel von Gesässschwielen und Backentaschen, auch findet sich in ganz Amerika k«n unge- schwänzter Atfe. Da aber, wo die höchsten Thiere, wo der Tschimpanse, Gorilla und Orang auftreten, werden wir auch die Menschen suchen müssen.

Alle diese Schlüsse sind unabhängig von dem Schicksal des Darwinschen Dogmas, sie stehen oder fallen dagegen mit der Lehre von der Einheit des Schöpfungsherdes für die Arten des Thier- und Pflanzenreiches. Auch diese Lehre stösst noch vereinzelt auf hart- näckigen Widerspruch, weil sie noch nicht alle Thatsacben zu er- klären vermag. Die grösste Schwierigkeit jedoch, nämüch das \'or- kommen von fünfzig nordischen Gewächsarten im Feuerlande ist durch den Scharfsinn .und die Gelehrsamkeit eines deutschen Bo- tanikers besiegt worden '), Die Abstammung der Urbewohner Ame- rikas aus Nordasien wird der Abschnitt zu beweisen suchen, der ihnen gewidmet ist. Im Voraus wollen wir nur bemerken, dass je roher also auch je genügsamer und abgehärteter ein Volk sei, desto leichter es seine Wohnsitze ändere, so dass alle Völkerstämme auf ihren niedrigsten Entwicklungsstufen völlig befähigt waren die Wan- derungen auszuführen, die wir ihnen zugemuthet haben. Die Schwie- rigkeiten sind überhaupt nur in der Einbildungskraft des verwöhnten Culturmenschen vorhanden. Im Innern Australiens, wo europäische

I) Giisebach, Vegetation der Erde. Bd. II, S. 496- Piickil. Välketkunde. 3

I* Schöpfung shetd des Menschengeschlechtes.

Entdecker , vor Hunger ermatteten, ziehen Horden sorgenfreier Schwarzer umher, und wenn uns bei dem Gedanken schaudert,, dass vor JahttausenLlen ?chon asiatische Stämme zur Bevölkerung Amerika's über das Beringsmeer gezogen sein sollen, so vergessen wir vollständig, dass noch heutigen Tags im Feuerland," wo doch die Gletscher bis zum und bis ins Meer herabreichen, ein nacktes l^ischervolk haust.

Wir zeigten also, dass das erste Auftreten des Menschen ein continentales gewesen sein müsse, wir bewiesen aus wirklich statt- gefundenen Wanderungen, dass die Ausbreitung unseres Geschlechtes von einem Ausgangspunkt über die ganze Erde nur eine Frage der Zeit sein könne, wir haben nach den Lehren der Thiergeographie uns überzeugt, dass weder Australien noch Südamerika, ja selbst Nordamerika nicht ein schicklicher Platz für die Wiege der Mensch- heit gewesen sei, folglich müssen wir sie in der alten Welt suchen. Dort wiederum dürfen wir das sibirische Tiefland getrost beseitigen, weit es noch in einer geologisch ziemlich nahen Vergangenheit vom Meer bedeckt gewesen ist. Dieses Hinderniss wäre für Europa nicht vorhanden, allein wenn Europa der Ausgangspunkt gewesen sein sollte, so hätten wir sicher schon den sogenannten - fossilen Men- schen bei uns gefunden, so gut wie man zwei tertiäre, sehr hoch organisirte Affen, einen in Griechenland, einen in der Schweiz, entdeckt hat.

Lassen wir auch Europa fallen, so bleibt uns nur Südasien oder Afrika übrig, wo «ir die ältesten Spuren unseres Geschlechtes noch mit Aussicht auf Krfolg zu finden hoffen dürfen. Das bri- tische Indien ist von diesen -Räumen geologisch noch am besten durchforscht, und da man dort schon viele vorausgehende Typen iler heutigen Säugetliiere angetroffen hat, noch nicht aber den ter- tiären Mensulien, so sind die Aussichten für die dortige Orts- befestigung des ältesten Menschen immerhin schon geschmälert.

Es ist jedoch denkbar, dass weder in Südasien noch in Afrika das erste Auftreten staltfand, sondern im indischen Ocean selbst. Dort lag vor Zeiten ein grosses Festland, dem Madagaskar und vielleicht Stücke von t'stafrika, dem die Malediven und Lakadiven, ferner die Insel Ceylon, die nie mit Indien zusammenhing, vielleicht sogar im fernen Osten die Insel Celebes, die eine befremdende Thierwelt mit halbalrikanischen Gesichtszügen besitzt, angehört haben. Dieses Festland, welches dem indischen Aethiopien des

Schöpfuiigsherd des Jlenschengeschlethtes. ;-

Claudius Ptolemäus entsprechen würde, hat der britische '/.no\nt; Sclater Lemuria genannt, weil es den Verbreitungs bezirk der Jlalb- affen unischliessen würde. Ein solches Festland aber ist deswi^jt-n ein anthropologisches Bedürfniss, weil wir dann die niedrig stelu'iuli ii Bevölkerungen Australiens, Indiens, sowie die Papuanen der l:iini r- indifchen Inseln, endlich auch die Neger fast trockenen Fu^ms in ihre heutigen Wohnstätten einziehen lassen könnten. Klim.niviJi würde sich ein solcher Welltheil geeignet haben, weil er ilii? Zone fallt wo wir jetzt die menschenähnlichen Affen antreffen '\.

Auch ist die Wahl jenes Schauplatzes weit orthodoxer :ih is auf den ersten ßlick erscheinen könnte, denn wir befinden un^ .lort in der Nähe der vier räthselhaften Flüsse des biblischen iJuii in der Nähe des Nil, des Euphrat, Tigris und des Indus. Auch wäre durch das allmähliche Untertauchen Lemuriens die Austreiluni^' aus dem Paradies unerbittlich vollzogen worden. Dazu käme- iiipuli, dass ahe Schriftsteller der Kirche, wie Lactantius =), Beda der l.lir- würdige ^), Hrabanus Maurus'), Kosmas Indicopleustes ^), fennT drr ungenannte Geograph von Ravenna*) das biblische Paradies in iIils südöstliche Asien, zum Theil ausdrücklich auf einen abgetri ntUfri Continent verlegt haben, und uns die naiven Weltkarten des JMiiirl- alters das ertte Elternpaar in einem vor Indien gelegenen uu-or- umflossenen Land zeigen. Daher erklärt sich auch, dass Chri^tuv.J Colon nach Entdeckung Südamerika's, weil er es für einen in^il- c-ontinent südöstlich von der Gangesmündung gelegen hielt, ii.llIi Spanien schreiben konnte: „Grosse Anzeichen deuten hier am dk- Nähe des irdischen Paradieses, denn es entspricht nicht nur dit; mathematische Lage den Ansichten der heiligen und gelrlirion Theologen, sondern es treffen auch alle sonstige« Merkmal' zu- sammen ')".

t) Das Obige wurde geschrieben und abgedruckt im Jahre 18Ö7. land 1867. No. 47 vom 19. Nvbr. S. 1113. und in veiänderter Form, land 1869- S. 1105.

2) Div, Instit. II, 13.

3( De mundi conslil. p. 326.

4) De Universo XJI, 3.

5) cd. Montfaucon, lom. II. p. 188.

6) Geogr. lib. I, cap. 6,

7) Navarrete, Coleccion de los viages y descubrimicntos. -M 1815, lom. I, p. 259.

-lg üchöprungsherd des Mensche ngeschlecbles.

Uebrigcns ist das Vorgetragene nur eine Hypothese, die nie- manden beunruhigen darf, der sich lieber das Paradies dort denkt, wo tue Lotosblumen blühen, oder der sich vielleicht nach den mit Papyrus Stauden umsäumten Ufern der frischentdeckten Nilseen sehnt, oder der es noch näher dem biblischen Morgenlande rücken möchte. Der VVcrth der Hypothese liegt darin, dass sie eine Herausforderug enthält, eine Herausforderung zu geologischen Untersuchungen Ma- dagaskar^! Ctylons, der Insel Rodriguez, sowie zu Seetiefeomessungen im mdischen Oceanf ob noch Hühenüberreste des verschwundenen Lemuricn \orhandcn sein möchten. Unerlässlich bleibt nur die Ethduptung eines einzigen Ausgangsortes sämmtlicher Mensch en- r-iien m Gegensatz zur Anthropologenschule unter den Ameri- kanern, dit m neuester Zeit über hundert Menschenarten, nicht Menschenracen, überhaupt so viele geschaffen hat, als V'ölker- typcn sich aufstellen lassen, und die sie durch einen grossen Saat- wutf des Schöpfers sogleich in Mehrzahl wie Bienenschwärme dort ausgestreut sich denkt, wo sie noch jetzt sitzen.

Eine solche Hypothese beantwortet uns nicht, warum die In- seln bei jenem Snatwurf leer ausgingen, warum die einzelnen Welt- t heile durch ihre Thier- und Pflanzenwelten als Provinzen sich Charakter) siren lassen. Sie verzichtet überhaupt auf jede Erklä- rung der Gegenwart aus der Vergangenheit, während es doch tief begründet Hegt in der menschlichen Natur, nicht eher sich mit den beobachteten Thatsachen auszusöhnen als bis wir sie irgend einer Causalilät untergeordnet haben. . . _ j t a t/

IV.

UEBER DAS ALTER DES MENSCHENGESCHLECHTES.

Wer sich für die Entwicklung der verschicdncn Racen aus einer einzigen Menschenart erklärt, die zuerst innerhalb eines be- schränkten Gebietes aufgetreten, allmählich sich über die ganze Erde verbreitet habe, der muss sich eingestehen, dass solche Vor- gänge ungemein lange Zeiträume erforderten und es fällt ihm die Last des Beweises zu, dass auch wirklich bis In grosse vorhistori- sche Fernen sich die Spuren unsres Geschlechtes verfolgen lassen. Diese Bedenken würde die Entdeckung des Abb6 Bourgeois er- ledigen, der in der Nähe von Tenay (Loir et Cher) aus Schichten von unzweifelhaftem miocänen Alter, Messer und Aexte aus Stein sammelte, welche uns bezeugen würden, dass Frankreich bereits in der Mitte der Tertiärzeit bewohnt gewesen wäre. Allein auf dem Brüsseler Congress der Alterthumser forscher im Jahre 1872, ent- schieden sich die besten Kenner solcher Fundstücke gegen den künstlichen Ursprung der vorgelegten angeblich menschlichen Hinter- lassenschaften aus miocäner Zeit. Die .höchste Wahrscheinlichkeit menschlichen Ursprungs muss dagegen den Kieselgeräthen beigemessen werden, die zuerst von Boucher de Perthes 1847 im Thale der Somme zwischen Abbeville und Amiens, namentlich bei Menche- court in kalkhaltigem Lehm untermischt mit Resten des Mammuth, des wollhaarigen Nashorn , einer ausgestorbnen Art des Pferdes, des europäischen Hippopotamus und andrer Geschöpfe der Dilu- viatzeit entdeckt wurden und deren Fundstätten von den besten Geologen der Gegenwart besucht worden sind. Menschliche Ueber- reste selbst sind bis jetzt vergeblich gesucht worden, denn der Fund eines Unterkiefers unweit Moulin-Quignon hat den Verdacht einer betrügerischen Einschaltung auf sich gezogen. Die Abwesen- heit von Knochenresten des Menschen darf unsern Argwohn jedoch nicht allzusehr erregen, denn auch nach Austrocknung des Har-

■^8 Dos AliHi- des Menschengeschi et Lies.

Jemer Meeres wurden nur spärliche SchifFslrümmer aber keine inenschlidien Gebeine gefimcien, obgleicli doch auf diesem ehe- maligen Cülfe Fahrzeuge verunglückten und Seeschlachten ge- schlagen wurden. Nach der scharfsinnigen Vermuthung von Prest- wich können wir uns vorstellen, dass in der Gletscherzeit am Schluss des Tertiüt alters die Bewohner der I'icardie wie die heutigen Es- kimo das Eis der Somme aufgehauen und an den frelgehaltnen Oeffnungen Fische mit ihren Geschossen harpunirt haben. Die Steinklingen, die bei einem misglückten Wurfe auf das Bett des Flusses fielen, wurden dann von Diluvialschutt eingehüllt und sie Buid es, die jetzt die Museen schmücken und das üerz der Alter- thumskenner erfreuen. Wirklich gibt es unter diesen Kostbar- keiten einige von so regelmässigen Umrissen und solcher genauer Zuschärfung, dass an ihrem künstlichen Ursprung nicht gezweifelt werden darf. Wiclitig wäre es nur zu erfahren, ob sie aus Hun- derten oder 'J'ausenden ähnlicher, aber roher Geschiebe in ihrer Nachbarschaft herausgesucht worden wären. In Ländern, wo Feuer- steinknollen an der Oberfläche gefunden werden und wo sie unter starker Besoniiung leicht bersten, zerspringen sie gern zu Spänen und Klingen, ans denen sich um die Mühe des Aufliebens eine artige Sammlung von Steingeräthen zusammenstellen Hesse. Unter den Stein werkzeugeil, die üoucher de Perthes dem Museum von St. Germain einverleibt hatte, bemerkte Virchow sehr viele Dinge, die ihm aus seiner pommerächen Heimath als Naturspiele ganz geläufig waren ').

Glücklicherweise gibt es eine Fülle unverdächtiger Zeugnisse, die genau das nämliche bestätigen, wie jene Kieselgeräthe des Somme thales. Schon in den Jahren 1833 40 wurden von Dr. Schmerling Funde menschhcher Ueberreste vereinigt mit den Knochen diluvialer Säugethiere in belgischen Hohlen entdeckt, blieben aber lange Zeit misachtet aus Scheu vor dem Ansehen Cuviers, der den Menschen nicht vor den Thieren der heutigen Stlii'iifung hatte auftreten lassen. Jene Funde wurden gewaltsam misdiutet, indem man annahm, die menschlichen Gebeine

1) Vgl, Virchuw in der Zeilschr. für Ethnologie 1871, S. 51 in Bezug 1 Pommern, dessen Angaben Wetislein für das südhche Syrien ergänzen koaa «1^ auf der dici Tagereise langen Strecke 'Ardh e'- Samln der Boden 1 JfWwrsicmspliUera bedeckt isi.

Das Alter des Menschengeschleclites. jg

seien von Raubthieren verschleppt oder von Bachen in dit H ililen hinabgefülirt und unter die Diluvialrcste gespult worden, ^iiidmi aber dio Alterthumserforscher die neuen |\Valirheitcn willij, aiitr- kannt liatlen, folgten sich ausserhalb Belgiens rasch du hnt- deckungen solcher Knochen höhlen. Bisweilen wurden dit. Lcbir- reste der diluvialen Erdbewohner erst unter einem Estrich von Kalk- sinter und unzweifelhafte Kunstgeräthe aus Feuerstein tintiT der Schicht mit Knochen vorweltlicber Thiere hervorgezogen. Dit- l."ntcr- suchung einer solchen Hijhle bei Brixham durch einen so vertr;uiens- würdigen Geologen wie Dr. Fal coner erweckte schon 1858 in (irüis- britannien bei allen Sachverständigen die Ueberzeugung, da>s der Mensch ein Zeilgenosse des Mammufh, des wollhaarigcn Nu^liorn, des Holilenbären, der Höhlenhyäne, des HÖhtenlowen, alMi von * Säugethieren der nächsten geologischen Vorzeit gewesen sei.

Zu diesen ebengenannlcn Geschöpfen gesellte sich auLli das Renthier, welches, wie ja bekannt, nicht zu den ausgeslorbnen, sondern nur zu den verdrängten Arten gehört. Es streifte vuniials im westlichen Frankreich, wo seine Spuren im Thalc der Vczijic bedeutsam geworden sind. Dort nämlich, wo die Esenbalin /.ti- schen Orleans und Agen die Landschaft P^rigord im Depaii' mcnt Dordogne durchzieht, sind nach und nach sechs Hohlen aulfi I iiulrn worden. Sie enthalten in ihrem Schutt Reste künstlich bearlti iii'ter Rengeweihe, aber auch Steingoräthe, In einem dieser eheni.iligen Schlupfwinkel bei Cro-Magnon wurden auch die Schädel unl Ske- lette von zwei Männern und zwei Frauen nel)en Resten des 1 1. hl.-n- tigers (Felis spelaea), eines riesenhaften Bären, des AurochscL. >kinn hoch nordischer Thiere wie des Ziesel (Spermophilus erytlir-Li-iuis^ und des Steinbocks gefunden. Diese Höhlenfranzosen ernlilirten sich vom Jagdbetriebe und vorzüglich wurde dem Rosse als \\ ild- pret nachgestellt. Da die Knochen der Thiere keine Brandjpurcn zeigen, so wurde das Fleisch entweder roh genossen, oder viel- leicht in wasserdicht geflochtnen Korben gesotten, wie es noch jetzt von Stämmen in Nordamerika geschieht, welche keim' inine Geschirre kennen und in hölzernen Gefässen das Wasser durch Einschütten glühender Steine erhitzen. In der That nämlicli fniJet man bei den Aschenresten der Cro-Magnon-Höhle Geschieb' , die einen derartigen Gebrauch errathen lassen.

Die alten Bewohner der Dordogne versuchten bereits durch Schnitzereien in Hörn und auf dem Elfenbein von Mammuth-

^O ^3s Alter des MenscbengescMechtes.

zahnen Gegenstände der Aussenwelt Fische, Rene, Menschen ab- zubilden mit einer Deutlichkeit und Lebensbewegung, die uns An- erkennung abnothigt '). Unter den Geräthen aus Hörn , meist Ahlen und Pfeilspitzen ' mit oder ohne Widerhaken , erregt unsre Aufmerksamkeit auch das Vorkommen von Nadeln, mit denen jene Höhlenbewohner ohne Zweifel Thierfelle zusammennähten. Ein weicher rother Otker, der sich unter den Resten befand, lässt uns schliessen, dass sie ihre Haut bemalten. Ihre Putzsucht verräth uns ferner der Fund von Malsbündem aus durchbohrten Thier- zähnen und Muscheln. Lelztre stammen obendrein von dem weit entfernten adantischen Strande, können also nur durch Tausch in ihren Besitz gelangt sein, ebenso wie vorgefundene Bergkrystalle, die in grossem Unikreise um die Fundstätten nicht vorkommen. Selbst Hörner der Saigaantilope, deren nächstes Verbreitungsgebiet erst in Polen erreicht wird, gehörten zu der Habe jener alten Jäger und dienen als Urkunde, dass durch den Handel schon damals geschätzte Waaren in grosse Fernen verbreitet wurden. Nach den Knochenresten zu schliessen, waren die Jäger der Dor- dogne nicht wie die belgischen Höhlenbewohner ein kleiner Men- schenschlag, sondern von stattlicher Grösse und gewaltigem Körper- bau. Die Schädel gehörten der längeren Form (Dolichocephalen) an, und ihr knöchernes Antlitz, abgesehen von einer massigen Neigung zum Prognathismus, überrasclit durch die Schönheit seiner eUiptischen Umrisse. Auch würde die Geräumigkeit einer männ- lichen (isgo Kubikcentimeter) und einer weiblichen Gehirnkapsel (1450 Kubikcentimeter}') auf hohe geistige Begabung hindeuten, wenn überhaupt ein solcher Sehluss zuverlässig wäre. Hier, als an einem schicklichen Ort. wollen wir sogleich des Schädelbruch Stückes

i) Sir John Lubback hat in seinen Prehisloric Times 2. ed. London 1869 das Bild eines Mammulli anf Knochen gerilzl aus der Höhle la Made- lainc im Pärigotd vc raffen tlichl. Kjilischc Bettachter haben aber wahrnehmen wollen, dass arcbäologische Phantasie an der Ausführung der Umrisse jenes ThicrEemildes das Beste beigetragen habe. Wir folgen im Teile selbst dem, soviel wir wissen, nocli immer unvolleudcicn Werke von Eduard Lartel und Henry Christy, Heliquiae Aquitanicae. London 1865 69. Einen Auszug aus diesem Werk mit einem Theil der OriginalhoUscbtiilte hat Alei. Etker im Archiv für Anthropologie, Braunschw. 1347, Bd. 4, S, 109 flg. veröffendichl.

2| A, Ecket im Archiv für Anthropologie Bd. 4, S. 116. Der männ- liche Schädel liess sich wirklicli messen, die Geräumigkeil des weiblichen da- gegen wegeu Beschädigungen nur abschätzen.

Das Alter des Menschengeschlechtes. 41

gedenken, welches in einer Höhle des Neanderthales im August 1856 unweit Düsseldorf gefunden und anfangs wegen seiner ge- waltigen Augenbrauenbogen und flachen Schädeldecke als eine Ur- kunde zur Beglaubigung für das Aufsteigen unsres Geschlechtes aus dem Thierreich gepriesen wurde. Bald ergab sich jedoch, dass seine Maassverhältnisse den heutigen Mitteln der Europäer ziem- lich nahe stehen. Im gegenwärtigen Zustande umfasst nämlich jene Hirnschale einen Raum von 63 KubikzoUen, der nach einer Schätzung Schaaffhausens auf 75 Cubikzolle steigen würde, wenn sie uns un- versehrt erhalten geblieben wäre '). Europäische Schädel schwanken aber zwischen 55 und 114 C. Z. Deswegen durfte auch Charles Darwin den Neanderthalschädel „sehr gut entwickelt und geräumig nennen" *), Endlich hat Virchovv vor der Berliner anthropologischen Gesellschaft am 27. April 1872 geäussert, dass jener Schädel von einem alten, mit Rhachitis behafteten Manne herrühre, als Racen- schädel zu verwerfen sei, auch seiner Grösse nach „innerhalb ganz erträglicher Grenzen sich bewege" und •in Bezug auf die Kau- muskeln nicht die Zeichen von thierischer Rohheit, wie bei Eskimo und Australiern zur Schau traget). Damit ist der Werth dieses Fundstückes auf ein sehr alltägliches Mass herabgesetzt worden.

Auch in unserm Vaterlande fehlt es nicht an Resten von Höhlenbewohnern, wie die seit 1871 untersuchten im Hohlefels bei Schelklingen unweit Blaubeuren. Zu der Thierwelt im damaligen Thaie der Blau gehörten nicht blos Mammuthe und Elephanten, sondern ein stattlicher Löwe (Felis spelaea), drei ausgestorbne Bären- arten (Ursus spelaeus, U. priscus und U. tarandi Fraas) und das Renthier, dessen Geweihe zu Geräthen verarbeitet wurden. Unter die dortigen Culturreste mischen sich auch Scherben von Thon- geschirren, die ihrer flachen Form wegen zum Rösten und Braten gedient haben müssen'*).

Alle bisherigen Funde verstatten uns nur das Alter unsres Geschlechtes in die Zeit der ausgestorbnen Höhlenfauna hinauf- zurücken. Dagegen berechtigt uns nicht die Verbreitung des Ren

1) Fuhlrott, der fossile Mensch aus dem Neanderthale. Duisburg 1865. S. 69.

2) Abstammung des Menschen I, 126.

3) Verhandlungen der Gesellschaft für Anthropologie. 1872. S. 157 161.

4) S. Oscar Fraas, Über die Ausgrabungen im Hohlefels in den Würtemberg. naturw. Jahresheften. 1872. i. Heft. S. 25.

A-p Das Aller ües McnEchenge schlechtes.

Über das mittltro Frankreich ausehnliche Veränderangen des Klimas vorauszusetzen, denn selbst wer Sich sträuben wollte in Cäsars Be- schrL-ibung ') des Rhcuo den Cervus tarandus wieder zu erkennen '), der wird doch eingestehen müssea, dass das Ren nicht streng unter die PoJarthiere gehöre, da das Caribu, sein \'ertreter in Amerika zur Zeit der ersten Besiedclung an den Ostküsten der Vereinigten Staaten noch unter dem 4,;, Breitegrade, also unter dem Parallel von Toulon angctroflen, bei dem Begegnen mit den Europäern aber rasch nach dem hohen Norden verscheucht wurde. Obendrein sind in einer belgischen Höhle (Frontal) neben dem Ren auch Knochen des Schafes und der Ziege gefunden worden, so dass die dortigen^ Höhlen menschen friedliche Hirten gewesen sein müssen 3). Das Verschwinden der Höhlenfauna in Europa, die theils aus schäd- lichen Raubthieren, theiis aus grossen Dickhäutern bestand, welche letztere örtlich immer nur durch eine spärliche Zahl von Einzel- wesen vertreten sind, könnte sich in vergleichsweise rascher Zeit vollzogen haben, sobald nur unser Welttheü dichter besiedelt wurde und die Bewohner wirksamere Waffen mit grösserem Jagdgeschick vereinigten. Das jähe Verschwinden vieler Thierarten innerhalb der letzten Jahrhunderte, wie des flügellösen Alk aus Nordeuropa, der Stcller'schen Seekuh im Beringsmeer, der Dronte auf Mauritius, der Moaarten auf Neu-Seeland entmuthigt uns für das Verschwinden der Diluvialartcn hohe Zeiträume zu begehren.

Glücklicherweise besitzen wir aber Wahrzeichen, dass das schwäbische Land bereits bewohnt wurde zur Zeit, wo mächtige Gletscher das Reinthal und dea Bodensee ausfüllten. Unweit der alten Abtei Schussenried wurde im__Sommer 1866 bei Erdarbeiten an der Quelle der Schüssen, eines bescheidnen Gewässers, das un- weit Langenargen in den Bodensee fallt, eine ungestörte Boden- schicht aufgedeckt, in welcher sich bearbeitete Rengeweihe, Pfriemen mit aus geschlitztem Oehr, eine hölzerne glattgeschabte Nadel, Haken Eum Angeln, Janzett- und sägeb!attförmige Feuersteine, rothe Farbenknollen zur Ilautmalerci , Asche und Kohlenreste vereinigt

I) De Bello GalJ. VI, 21 u. 26,

1) Herr Charlc!< Gard sprich) in seinen „Skizzen aus dem Kisass" (Ausland 1871 S, i2lä) sehr zuverstcbllich aus, dass das Ren auf den Inseln im Rheiu noch bis zur Regietuag des Augustus sein Dasein gefristet habe.

3) O. Fraas im Archiv Tiir Anthropologie. Braunschweig 1872, Bd. 5. ä. 480,

Das Alter des Menschengeschlechtes. az

fanden '). Wollte man auch weniger Gewicht darauf legen , dass die Culturreste zwischen Schichten von Gletscherlehm eingeschlossen sind, so genügt es doch für die Altersbestimmung, dass sich den menschlichen Geräthen auch die Knochen des Eisfuchbcs und zwar im Bau übereinstimmend mit einer Art, die jetzt bei Nain in Labrador haust, sowie des Fiolfrasses (Gulo .borealis), endlich die Reste zweier Moose beigesellen, wovon das eine (Hypnum sarmentosum) sonst nur in Lappland, in Norwegen an der Grenze des aus- dauernden Schnees, sowie auf den höchsten Bergen der Sudeten und TyrolSj.das andere (Hypnum fluitans var. tenuissima) gegen- wärtig auf sumpfigen Wiesen der Alpen und im arctischen Amerika vorkommt *). Hier liegen also Thatsachen vor uns, die jeden geo- logisch Gebildeten fest davon überzeugen, dass der Mensch bereits zur Eiszeit Schwaben bewohnt habe. Die frühere Vergletscherung jener Landstriche darf aber weder dadurch erklärt werden, dass das Sonnensystem kältere, vom Sternenlicht minder durchwärmte Himmelsräume durchzogen habe, noch etwa durch Verlängerung der Winterzeit in Folge des Vorrückens der Nachtgleichen während eines Zeitraumes gesteigerter Excentricität der Erdbahn, denn in beiden Fällen müsste sich die Eiszeit glelchmässig über alle Theile der nördlichen Halbkugel erstreckt haben, während ihre Spuren im Kaukasus sehr schwach sind, im Altai gänzlich fehlen ^). Wohl aber vermögen wir die ehemalige Eisbedeckung der Schweiz und der angrenzenden Gebiete sehr leicht durch eine andre Vertheilung von Land und Wasser in Europa zu erklären. Da aber die Aen- derung der Umrisse von Festlanden Zeiträume von äusserst langer Dauer erfordert, so genügt die Gegenwart des Menschen zur Eis- zeit in Schwaben vollständig, um ein sehr hohes Alter für das erste Auftreten unseres Geschlechtes zu beanspruchen.

Viel jünger sind die Urkunden, welche vormalige baltische Küsten- bevölkerungen aus den Schalen essbarer Muscheln am Strande Jütlands und der dänischen Inseln wallartig angehäuft und die vo^ den Alterthumskundigen die angemessne Bezeichnung von

i) Oscar Fraas im Archiv für Anthropologie. Bd. 2. S. 38, 39, 42, 44.

2) O. Fraas, Die neuesten Erfunde an der Schussenquelle. Würtemb. naturwissensch. Jahreshefte. 1867. Heft 1. S. 7 24. Im Archiv für An- thropologie Bd. II, S. 33 führt Fraas unter den Funden noch ein drittes jetzt boreales Moos Hypnum aduncum var. groenlandica Hedw. auf.

3) B. V. Cotta, Der Altai. Leipzig 1871. S. 65.

11 Das Aller des Mensch enge schlechtes.

Kuchenabfallen {KjÖkkenmöddingern) erhalten haben. Unter diesen Nahrungsreslen wurden Steingeräthe mit rohen Bruchflächen, sel- tener geschliffne, dann Scherben von irdnem Geschirr, die Reste. des Hundes als Hausthier, endlich sogar ein Spinnwirtel , dagegen keine Spuren von ausgestorbnen T'hieren des Diluvium gefunden. Zur Zeit ihrer Anhäufungen übten daher jene Muschelesser noch nicht die Kunst oder fingen erst an den Feuerstein zu glätten. Einen bessern Begriff von dem Alterthum jener Muschelbänke er- weckt der Umstand, dass damals Jiitland und die dänischen Inseln mit Fichtenwäldern bedeckt waren. Zur Zeit als die Einwohner Bronzegeräthe sich verschafft hatten, verschwanden die Nadelhölzer und Eichen herrschten an ihrer Stelle. Seit der Bronzezeit aber , sind auch die Eichenwälder nach und nach durch die Buche ver- drängt worden, deren Waldbestände jetzt fast ausschliesslich jenes Gebiet bedecken. Die Küchenreste enthalten aber Knochen des Auerhahnes, der sich von Fichtensprossen nährt und die Gegen- wart von Kadelholiiern voraussetzt. Es hat also jener Erdraum seit der Zeit der muscheiess enden Strand be wohner zweimal seine Pflanzen- trachl verändert, wozu gewiss jedesmal Jahrtausende gehörten '). Diess bestätigt auch das Vorkommen von Austerschalen in den dänischen Küchenabfällen , denn die Auster gedeiht jetzt in der Ostsee nicht mehr, wegen des geringen Salzgehaltes dieses Golfes. Folglich mussten damals Strö^nuiigen der nördlichen Oceane durch viel grössere Pforten als die gegenwärtigen Sunde bis zu den dä- nischen Inseln gelangt sein.

Zu den jüngsten Resten des vorgeschichtlichen Alterthums ge- hören die Ortschaften an Aipenseen, die wie dermaleinst Venedig, wie noch jetzt die Wohnungen der Eingebornen am Maracaibogolfe, wie die Stadt Bruni auf Bornoo, wie die Hütten der Papuanen an der Nordküste von Neu-Guinea auf einem Rost von Pfählen im Wasser errichtet wurden '). Die Gewohnheit auf solchen im Wasser

1) Sir Charles Lyell, Antiquily of Man. London 1863. p. 9 17. 1) Der Golf van Maiaeaibo wurde von den erslen Entdeckern Golf von Venedig genannt, weil ein indianisch«; Pfahldorf am Eingange zuvor den NamenVenciuela empfangen halte. (S. Peschel,Zeitaller der Entdeckungen S.313.) Noch bis auf den heuligen Tag wcr^len Wohnungen auf Plahlen mitten im Maracaibocolfe errichlel. (Ramon Pacz , Wild Scenes in South America |), 3Q2.) L'eber die papuanischen Pfahldorfer vgl. Wallace, der malayiscbe ibipEl. BiauDschweig 1S69, Bd. 2, S. 2S2. und über Bruni s. Spenser " in ihe Far Easl. London 1862. tom. I, p, 89.

Das Alter des Menschengeschlechtes. ^^

errichteten Bühnen Hütten zu bauen, muss sich durch lange Zeiten erhalten haben, denn in den älteren Pfahlbauten finden sich wohl geschliffne, aber nicht durchbohrte, das heisst zur Aufnahme eines Stieles vorbereitete Steinklingen, an jüngeren Fundstätten dagegen sind die geschärften Steine durchbohrt und in den neuesten mi- schen sich unter sie bereits Geräthe aus Bronze. Wenn eine Mehr- zahl von Pfahlbauten durch Feuersbrünste zerstört wurden, so braucht rnan nicht immer an feindliche Uoberfälle zu denken, denn wir werden später Menschenstämme kennen lernen, die aus einem schamanistischen Aberglauben ihre eignen Behausungen anzünden, wenn sie zur Wanderung sich anschicken. Nichts hindert uns bis jetzt die schweizerischen Pfahlbauern für einen arischen Volksstamm zu halten, Sq gehört der Schädel, welcher bei Meilen gefunden wurde einem etwa 13jährigen Kinde und wie der Schädel bei Au- vernier aus der Bronzezeit dem sogenannten Siontypus an, welcher die keltischen Helvetier vertreten soll '). Die schweizerischen See- bewohner trieben Ackerbau und assen Brod, pflanzten Obstbäume und dörrten Aepfel. Rinder, Schafe und Ziegen bewohnten gemein- schaftlich mit ihnen die Pfahlbauten und für ihre Fütterung zur Winterszeit musste also gesorgt werden, ja auch Katzen und Hunde waren bereits zu Gesellschaftern herangezogen worden. Nur das Schwein befand sich wenigstens zur Zeit der ältesten Ansiedelungen noch im wilden Zustande und der Ur, der Bison und das Elen- thier gehörten noch immer, wenn auch selten, zur Jagdbeute. Ab- gesehen von diesen in den historischen Zeilen vertilgten Geschöpfen erlitt die Thierwett keine Verluste und innerhalb des Pflanzen- reiches beschränkt sich alles auf das Verschwinden einer Nadel- holzart und zweier Wasserpflanzen, die sich aus den Ebnen hin- weggezogen haben °), Solche Pfahlbauten sind theils unter Torf- schichten begraben, theils durch Verschüttungen der Seen vom Ufer landeinwärts gerückt worden o^ier es lagen die Steingerüthe unter den Schuttkegeln von Wildwassern wie im Delta der Ti- nifere bei Villeneuve am Genfer See. Aus der Mächtigkeit oder der Ausdehnung solcher Neubildungen wurde versucht das Alter der Hinterlassenschaften um 5 7000 Jahre zurückzuverlegen.

I) His «. Riitimeyer, Crania helvetica. p. 36 37, I) Rütimeyer, Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweii. I. S. 8. S, 218—29.

«6 Das Aller .Ics Menscheng «schlechtes.

Aller Scharfsinn der Untersucher scheiterte aber an dem Uebelstande, dass weder das Wachsthum des Torfes, noch die Absätze von Ge- birgsschutt so stotifj fortschreiten wie das Abrinnen des Sandes in einem Stundenglase, sondern dass bei solchen Bildungen Zeiträume der Ruhe mit Zeiträumen einer hastigen Thätigkeit wechseln. Gegen- wärtig fehlt es also an jeder zwingenden Thatsache, um irgend einen Rest der Pfahlbauerzeit für aller zu halten als die Pyramiden am Nil, ja nicht einmal derjenige könnte streng widerlegt werden, der die Hinterlassenschaft der schweizerischen Steinzeit in das zweite Jahrtausend vor Chr. versetzen wollte.

Selbst in Aegyplen ist es nicht völlig geglückt einen verlässigen Zeitausdruck für sehr alte Zeugnisse von der Gegenwart des Men- schen zu finden. Unter der Leitung eines äusserst vorsichtigen Geologen, Leonhard Homer wurden von einem trefflichen Inge- nieur Hekekyan 13ey, einem armenischen Katholiken, in den Jahren 1851— -1854 nicht weniger als 96 Bohrlöcher in vier Reihen vom Nil senkrecht bis, zu Abständen von acht eng). Meilen abgeteuft. Die meisten dieser Ausgrabungen lieferten auf verschicdnen Tiefen Reste von Haustliieren, Trümmer von Backsteinen und von Ge- schirren. Nicht immer verstatteten solche Reliquien eine befriedi- gende Zeitbestimmung, weil die durchstochenen Schichten oft von Sandiagcrn durchsetzt wurden, die dem Wüstenwinde ihre Ent- stehung verdankten. In unmiflelbarer Nähe des Steinbildes von Ramtes II. bei Memphis wurde jedoch unter Schichten reinen Nil- schlammes, die nicht vom \\'üstensande iiberweht worden waren aus 39' (fect) Tiefe ein rotli gebrannter Thonscherbcn hervor- gezogen. Seit das Ramsesbild errichtet wurde, nämlich seit 1361 v. Chr. etwa, hatte sich um dieses eine Nilschicht von 9 Fuss 4 Zoll, ungerechnet eine Sandschicht von 8 Zoll Mächtigkeit, an- gehäuft und der Masstab der Alluvialbildung an jener Stelle hat seit 1361 V. Chr. demnach 3 '/j Zoll im Jahrhundert betragen. Wäre also in gleicher Geschwindigkeit jener Töpferscherben vom Nil- schlamm eingchülh worden, dann müssten schon 11,646 Jahre vor unsrer Zeitrechnung Gefasse aus Thon am Nil gebrannt worden sein '). Gegen diese Berechnung sind viele unbegründete Ein- wände erhoben worden. Die einen vermutheten , dass der Nil

i rhilosophical Transactions. London 1S59.

Das Alter des Menschengeschlechtes.

47

in Vorzeiten unter der' Ramsesstatue geflossen, andere, dass jener Scherben aus einem ehemaligen Brunnen oder einem ehemaligen Teiche hervorgezogen worden sei, als ob es sich um ein vereinzeltes Fundstück, nicht blos um das am tiefsten gelegne unter unzähligen andern handele. Oder man sagt, dass durch Wässerbauten an einem beliebigen Punkte in kurzer Zeit sich Sedimente von grosser Mäch- tigkeit anhäufen lassen, übersieht aber dabei gänzlich, dass dieses Verfahren dann auf dem Gebiete aller vier Reihen von Bohrlöchern stattgefunden haben müsse, so wie, dass die Sohle der Ramsesstatue nur 78' 3" über dem Meeresspiegel liegt *), der Scherben also nur auf 39' 3" absoluter Höhe gefunden wurde. Selbst das Bedenken Sir Charles Lyells, dass die alten Aegypter nach Herodot ihre Tempel und Denkmäler mit einem Walle gegen den Andrang der Nilfluthen zu schützen pflegten^), erscheint nicht stichhaltig, denn wurden diese Schutzwehren einmal durchbrochen, dann wuchsen die Niederschläge in der Bodensenkung um so rascher und der Strom konnte in wenig Jahren einholen, woran er im letzten Jahr- tausend verhindert worden war. Wohl aber ist gegen die obige Berechnung einzuwenden, dass uns die Mächtigkeit des Nilschlammes seit 136 1 vor Chr. deswegen nicht als zuverlässiger Massstab dienen kann, weil die Stromgefilde keineswegs in einer glatten Ebene liegen. Homer selbst bemerkt, dass wenn der Nil das 24. Ellen-, zeichen am Pegel auf der Insel Rhoda erreicht, er bald Tiefen von 20', bald nur von weniger als einem Zoll bilde, so gross seien die Unebenheiten des Bodens ^). Daraus folgt , dass die Schlamm- schichten in den Vertiefungen viel rascher wachsen müssen als an den erhöhten Stellen, und dass wenn die Aegypter ihren steinernen Ramses, wie fast vermuthet werden darf, auf einer Anschwellung errichteten, die sich rasch neben einer Vertiefung abgesetzt hatte, der spätere Zuwachs an Nilschlamm nur langsam den Boden er- höhte. Wer hätte aber trotzdem den Muth noch zu bestreiten, dass jener Scherben aus 39 Fuss Tiefe mindestens um 4000 Jahre älter sein müsse, als das Denkmal des grossen Ramses?

^

1) Homer 1. c. p. 56.

2) Sir Charles Lyell, Antiquity. p. 38.

3) Homer 1. c. p. 56.

DIE KOERPERMERKMALE DER MENSCHENRACEN.

I. Die Grössenvcrhältnisse des Gehirnschädels.

Niemand läugnet, dass Hausthiere bei strenger Zuchtwahl auf ihre Nachkommen alle elterlichen Besonderheiten vererben. Ebenso war eine wenig zahlreiche Menschenhorde, die sich in der Vorzeit durch Wanderung von der übrigen Menschheit absonderte und in einem abgelegenen Erdraume Jahrtausende verharrte, durch die Umstände gleichsam zur Reinzucht gezwungen und musste die Familienzüge 'der ersten Auswandrer zu Racenmerkmalen befestigen. Die Reinheit des erworbnen Typus erhielt sich aber nur so lange, als die Absonderung dauerte, denn da die Unfruchtbarkeit der menschlichen Spielarten unter einander nicht bewiesen werden kann, die einzelnen Horden und Stämme vor und selbst nach dem Ueber- gang zum Ackerbau beständig auf Wanderungen begriffen waren, und eine Spielart unter die andre wieder hineindrang, so musste auch durch Kreuzung ein Theil der Sondermerkmale immer wieder verwischt werden. So dürfen wir denn höchstens nur dort, wo eine Abtrennung von andern Spielarten entweder durch Abgelegen- heit der Wohnorte oder durch Kastenvorschriften während langer Zeiträume aufrecht erhalten wurde, einigermassen gut begrenzte Racen anzutreffen hoffen, überall anderwärts werden sie in einander überfiiessen. Vielleicht wird sich ergeben, dass auch nicht ein ein- ziges Körpermerkmal einer Race ausschliesslich angehöre, sondern in Uebergängen auch bei andern angetroffen werde. Daher kann sich die Völkerbeschreibung nur auf eine Mehrzahl von Erkennungs- zeichen stützen und sie darf kein einziges verschmähen, so sehr es auch in seinem Betrage schwanken mag.

Merkmale am menschlichen Körper, die zur Unterscheidung der Racen dienen könnten, wird ein jeder unwillkürlich zuerst in

Peschel Völkerkunde. . 4

CO Die GrÜBsen Verhältnisse des Gehimschädels.

den Formen des Hauptes suchen, dem Sitze unsrer höchsten Thä- tigkciten. Fleiss und Scharfsinn der neueren Anatomen haben daher einen jungen Wissenszweig gepflegt, der sich mit dem knöchernen Schädel beschäftigt. Was die Volkssprache einen Todtenkopf nennt, ist ein kunstvoll geordnetes Gehäuse, enger und kleiner am Kinderkopfe, geräumiger beim Erwachsenen. Es ist also bis zu einem gewissen Alter in der Ausdehnung begriffen und gelangt erst in reifen Jahren zum Stillstand. Meistens bleiben die einzelnen Knochen der Gehirnschale, wo sie an ihren Grenzen zusammepstossen durch Nähte mit eingreifenden Zacken nur zu- sammengefügt, so dass dem fortgesetzten Wachsthum kein unbe- siegiiches Hinderniss entgegentritt. Ein verfrühtes Verschmelzen der Schädel platten muss dagegen die völlige Ausbildung des Ge- hirnes verhindern und wird daher eine Verwischung der Nähte bei jugendlichen Schädeln bemerkt, so gehören solche Köpfe gleichsam zu den missrathenen Bildungen. Da nun die Wissen- schaft nur die gesunden Erscheinungen vergleichen darf, so folgt daraus, dass von den Messungen alle Schädel au s zu sc hh essen sind, deren Nähte frühzeitig verschwinden oder was dasselbe bedeutet, verwachsen (Obliteration, Synostose). Eine der Deckplatten des Gehimschädels, nämlich das Stirnhein, besteht anfänglich aus zwei Hälften, einer rechten und einer linken, die hei dem Affenjurigen nach der Geburl, bei Kindern im 2, Jahre völlig verwachsen. Bei einer Anzahl von Menarhen dagegen schliessen sie sich nie und da die Stimnaht dann als eine \'erlängerung der Pfeilnaht recht- winkelig die Kronennaht durchsetzt, so bildet der Verlauf der Nähte ein Kreuz, weshalb Schädel mit offner Stirnnaht KreuzkÖpfe genannt werden. Auch sie müssen bei den Schädelmessungen völlig aus- geschieden werden wie die Vertreter einer eignen, nur unter sich nicht mit andern vergleichbaren Menschenart, Das Offenbleiben der Stirnnaht hindert nichts an den gesunden Verrichtungen des Gehirns, ja da es dessen Wachsthum nach vorn noch bis in ein späteres Alter verslallet, vereinigen die Kreuzköpfe grossere Stimbreite mit grösserer Geräumigkeit, so dass sogar vermuthet worden ist, die mittleren Leistungen des menschlichen Denkvermögens müsslen merk- lich gesteigert werden, wenn das Offenbleiben jener Naht ein statisti- sches Uebergewicht erreiche oder sogar zum herrschenden Merkmale des gesunden Schädels werde. Ueljer die Häufigkeit der Kreuzköpfe hat tins Hermann Welcker nachfolgendes Zifferngemälde geliefert:

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.

51

Schädel

on Völkerschaften

mit

ohne

Verhältniss der Kreuz-

offne

Stirnnaht

t

1

köpfe

zu gewöhnlichen Schädeln

Deutsche aus Halle

70

497

I : 7»i

Petersburger

70

I02ß

l ' Hft

Andre Kaukasier

14

129

i: 9,a

Mongolen

7

96

i: 13.»

Malayen

5

87

1 : 17»*

Neger

I

52

1:52

Amerikaner

I

53

1:53

Andre Beobachter wollen sich überzeugt haben, dass Schädel, welche der Zeit des Diluvium angehören, seltner dieses günstige Merkmal an sich tragen ^). Bleibt die Stirn offen, so schliesst sich auch die Pfeilnaht gewöhnlich später und nicht ganz unberechtigt dürfen wir das Raumsuchen des Gehirns als Ursache dieser Er- scheinung uns denken *), nur sollten wir nicht vergessen , dass die Kreuzköpfe bisweilen auch bei Blödsinnigen vorkommen ^). Um- gekehrt kann aber auch durch ein vorzeitiges Verwachsen der Knochen, wenn es mit Überwältigung des Gegendruckes vorwärts schreitet, die volle Entwicklung des Gehirns gehemmt werden*), und es ist gewiss sehr wichtig, in welcher Reihenfolge die ein- zelnen Knochen des menschlichen Schädels sich schliessen und das Wachsthmn der innern Theile beendigen. Bei den minder be- gabten Menschenstämmen sollen die vorderen, bei höher begabten die hinteren Nähte früher verwischt werden^). Bei Negerschädeln wollte Pruner Bey einen frühzeitigen Zusammenschluss der Stirn- naht wahrgenommen haben, gefolgt von einem Verwachsen der Kronnaht am mittlem Theil und der Pfeilnaht, während die Lambda- naht um den Gipfel sich am längsten offen erhielt. Bisweilen ver- schmilzt nicht einmal gänzlich die Basilosphenoidal-Naht und selbst bei Erwachsenen sei noch die Incisivnaht zu unterscheiden 6). Der Werth solcher Wahrnehmungen lässt sich aber nur durch die sta-

1) Canestrini bei Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 107.

2) Hermann Welcker, Wachsthum und Bau des menschlichen Schä- dels. Leipzig 1862. S. 97. S. 102.

3) Virchow, Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 87.

4) Virchow, 1. c. S. 113.

5) Gratiolet bei Quatrefages, Rapport, p. 302.

6) Pruner Bey, Memoire sur les N6gres. 1861. p. 328 329.

52

Die Grösse nvcrhällnisse des Gehiinschädels.

tistischen Mittel aus einer grossen Zahl von Beobachtungen fest- stellen und grosse Zahlen werden erst durch fortgesetztes Sammeln erworben werden. Vorläufig ergibt sich nur, dass Schade! mit vor- zeitig oder nicht rechtzeitig verschmolzenen Nähten bei den Mes- sungen ausgeschieden und nicht mit den übrigen verglichen werden sollten.

In grössere Verlegenheit versetzt uns die Geschiechtsbeslim- mung der Schädel. Weicker hatte sich überzeugt, dass bei den deutschen Schädeln, deren Geschlecht bekannt war, die weiblichen zwischen die kindlichen und männlichen in allen messbaren Verhält- , nissen sich einschalten lassen. Unsre Anatomen haben sich daher angestrengt, Wahrzeichen aufzufinden, nach welchen sich das Ge- schlecht des Schädels bestimmen lasse. Die craniologische Sta- tistik hat bis jetzt wenigstens so viel ermittelt, dass bei den hoch- gesitteten Völkerschaften alle Oeschlechtsunterschiede zweiter Ord- nung viel stärker entwickelt sind , als bei den roh gebliebenen Menschen Stämmen. Bei ersteren ist der männliche Hirnschädel merklich geräumiger als der weibliche. Ungewiss dagegen bleibt vorläufig, ob sich der letztere mehr als der männliche zur Schmal- heit neige. Fand Weicker die Frauenschädet bei fast allen Racen dolichocephaler als die männlichen, so hat Weisbach für osterreichi- sehe Frauen einen mittleren Breitenindex von 82,, erhalten und bei ihnen eher eine Hinneigung zu Bracliycephalie wahrgenommen'). Die geringere Höhe des Schädels beim weiblichen Geschlecht ist andrerseits von Alexander Ecker betont worden, der auch daran den Frauenschä- del erkennen will, dass der flache Scheitel ziemlich plötzlich in die senkrechte Stirnlinie übergehe '). Grössere Zartheit der Knochen- vorsprünge, verminderte Gesichtslänge bei gross er n Augenhöhlen, ge- ringere Unterkieferbreite sollen ebenfalls den weiblichen Schädel aus- zeichnen. Doch sind wir noch weit entfernt das Geschlecht eines un- bekannten Schädels mit Sicherheit bestimmen zu können. Der britische Craniolog Barnani Davis schrieb vor etlichen Jahren an A. Ecker. dass er einen Schädel aus Bengalen nach den angenommenen Ge- schlechtsmerkmalen für männlich hätte erklären müssen und doch wisse er genau, dass er von einer Frau abstamme^). Bei Schä-

1) Atcbiv für Anlhropologie. Braun scliweig 1H6S. Bd. 3. S. 61.

2) Archiv fiir Anthropologie 1866. Bd. I. S. 85. 31 Archiv für Anthropologie 1867. Bd. 2. S. 35,

Die GrÜssenverhiltiiisse des Gehiniscliä,iel>. 53

delrt aus alten Gräbern wird daher das Geschlecht aus dL'Ui Bau des Kopfes nicht sicher zu erralhcii sein. Daher sagte auch Vir- chow in seiner Arbeit über altnordische Schädel in Kopenhagen: flieh fühle mich nicht im Stande überall mit Bestimmtheil die Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Schädeln zu ziehen, und ich habe daher lieber auf eine solche Untersuchung verzichtet, um nicht willkürliche und zweifelhafte Trennungen vorzunehmen" '). In gleichem Sinne bemerken His und Rütimeyer: „Eine Scheidung der Schildel nach dem Geschlecht haben wir nicht durchgeführt. Die Gcschlechtibestimmung nach dem blossen Aussehen führt all- zuieicht zu WillkürUchkeilen, als dass man sich auf sie verlassen könnte"^). Der eben erwähnte Barnard Davis endlich äussert in Bezug auf das Vcrzeichniss seiner Schädelsammlung; „Das Ge- schlecht wurde nur durch den Eindruck auf den Ueschauer be- stimmt, welcher keinen untrüglichen Gesetzen gehorcht; daher auch leicht Fehler vorgekommen sein mögen" ^). Die strenge Wissenschaft wird indess die Forderung nicht fallen lassen, dass die Schädel dem Geschlecht nach völlig getrennt und die getrennten so wenig unter einander verglichen werden sollen, als gehorten sie zwei völlig verschiednen Arten an. Künftige Sammler sollten daher alles auf- bieten, das Geschlecht des Schädels am Fundort zu ermitteln. Werden alte Schädel, bei dewen die Geschlechter ungeschieden bleiben, zusammengeworfen, dann kann es geschehen, dass zwei Typen oder Mittelformen aus den Messungen hervorgehen, die nicht zwei Völkerschaften, sondern nur die Geschlechter einer ein- zigen Völkerschaft vertreten. Ferner besteht die Gefahr, dass wenn wir für Raceiischädel das Mittel aus der Summe beider Ge- schlechter erhalten, die mittleren Unterschiede einen viel geringern Betrag zeigen werden, als wenn nur Männer mit Männern ver- glichen würden."

Die Grössen Verhältnisse des menschlichen Schädels sind in neuerer Zeit bis in die feinsten Einzelnheiten bestimmt worden, so dass die Zahl der gemessenen Werthe an einem einzigen Schädel bis auf ijg gestiegen ist'). Bei diesem Fleiss und Eifer darf man

1) Archiv- für Anlhropolueie. Bd. 4. S. 61.

2) Crania hcWcIica. Basel 1S64. S. 8.

3) Thesaurus Ctariorum. London 1867. p. XV.

4) Man s. die drei Tabellen für 10 Schädel von Zieeunem, die Tsidor Küjieinicki dem Archiv Tut Anlhropologie Bd. 5, S. 320 Kclicfi-rl hat.

. 54

Die Grössenverhältnisse des Gehirn schiidels.

noch die Hoffnung nähren, dass es dem Scharfblick eines Be- obachters früher oder später gelingen möge in scheinbar gleich- giltigen Grilssenverlältnissen den Schlüssel zum Verständnisse der übrigen zu entdecken. Vielleicht wird noch genau festgestellt, durch welches Wachsthuiii der einzelnen Knochen die Form des Kopfes bedingt werde ') und deshalb muss vorzüglich iJie Länge der ein- zelnen Nähte zum Erwerb eines statistischen Schatzes festgestellt werden. Mit diesen Votarbeiten zu künftigen Erkenntnissen kann sich aber die heutige Völkerkunde nicht beschäftigen, sondern muss sich mit den bereits festgestellten Unterschieden l^gnügen.

Leider gibt es kein übereinstimmendes Mess verfahren. ]n Eng- land geht man anders zu Werke als in Frankreich, und in Deutsch- land befolgen kaum zwei Craniotogen die gleichen Vorschriften. „'Dem einfachen, sowohl als dem wissenschaftlichen Beobachter", bemerkt Virchow '), „liegt daran, einen bestimmten Zusammenhang zwischen Schädelform, Gesichtsbildung und Gehirnbau zu finden", je nachdem der eine da oder dort diesen Zusammenhang zu er- kennen hofft, wird er seine Messungen einrichten. Ehe aber ein solcher Zusammenhang wklich entdeckt worden ist, müssen wir uns allein au die Itaumverhältnisse haken. Retzius war der erste, der uns aus dem Vergleiche des Längen- und B reiten durchroessers Lang- und BreitFchüdel (DolLchocephalen und Brachycephalen) unter- scheiden lehrte, wenn er auch noch keine scharfen Grenzen zwi- schen diesen Formen zog. Schon beim Aufsuchen der Schädel- durchmesser werden aber verschiedene Wege eingeschlagen. Die Dicke der Hirnschadelknochen ist nämlich eine sehr schwankende. Wenn wir einen Massstab an die Wände eines senkrechten Schädel- quersctinittes anlegen , so finden wir meistens zwei bis fünf Milli- meter für die Mächtigkeit der Knochenplatten. Diese Schwan- kungen würden bei den Messungen keine Störung hervorrufen, da sie gleichmüssig die Längs- wie die Querdurchmesser steigern oder herabsetzen können. An andern Stellen aber und gerade da, wo wir die grösste Axe des Schädels zu suchen haben, klafft das Stirnbein in eine doppelte, eine äussere und innere Knochentafel auseinander um beträchtliche Hohlräume einzuschliessen. Am Hinterhaupt wiederum wird die innere und äussere Knochenschicht

i) Virchow, Die Znlwiddung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. Gl.

-I Virchow, L c S.'g.

Die GrüssenvethälmisEc des Gehirn schäJtU. i^c

in der Mitte durch schwammartige Blasen riiunif auseinander ge- trieben und der Schädel erreicht dann in dem einen und andern FaUe Mächtigkeiten von 20 und 15 Millimetern oder darüber. Da nun diese inneren Aufblähungen dc-r Knochen sicherlich in iteiner Beziehung zu den Verrichtungen des Gehirns stehen und Liei den Angehörigen desselben Stammes sehr schwanken, auch mit dem Lebensalter sich steigern, so schien es unangemessen bei Bestim- mung des Längsdurchmessers die Zirkelspitzen yerade über diesen Knochenan schwel lim gen anzusetzen. Bamard Uavis misst daher von der Stimglatze {glabella) nach dem am meisten hervorragenden Punkt des Hinterhauptes. Welcker wieiJertim setzt die eine Spitze des Tastercirkels ebenfalls an der Stirnglatze ein, die andre aber etwa einen Zoll über dein Hinterhauptstachel. Beide vermeidL-n also die Stellen, wo sich die Knochen der Hirnschale am stärksti-n verdicken. Vielleicht wäre das scheinbar roheste Verfahren, näm- lich die grossie Achse da zu suchen, wo man sie findet, die rich- tigste gewesen, denn die Entwicklung der Stirnhöhlen, so unwesent- lich sie sonst sein mag, trügt doch ohne Zweifel (lä£u bd, den Schädel ku verlängern und der Betrag dieser Verlängerung soll ja mit Hilfe des Cirkels gefunden werden. Da sich aber ein jedes Messverfahren rechtfertigen lässt, keines bis jetzt durch allgemeine Zustimmung zur Herrschaft gelangt ist, so müssen wir heutigen Tages denjenigen Schädclkennem folgen, welche die grösste Zahl von Messungen geliefert haben, die einen Vergleich unter sich zu- lassen. Es sind diejs Barnard Davis und Hermann Welcker '), Wenn wir die Ergebnisse dieses Letzteren vorzugsweise beachten, so muss noch ein Vorbehalt hinzugefügt werden. Die Breite des Schädels wird jetzt übereinstimmend an keiner anatomisch streng befestigten Stelle gemessen, sondern überhaupt die Stelle auf- gesucht, wo der Schädel am breitesten ist. Welcker dagegen misst die Breite an einer Kbene, die durch die Hinterhauptöffnung ge- richtet, den Schädel in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt. Da sich nun alle nicht genau elliptischen Schädel, also die überwäl- tigende MehrBahl hinter dieser Theilungsebne verbreitern, so lassen Welckers Messungen alle Schädel durchschnittlich um etwa zwei Procenl länglicher erscheinen, als sie sich dem Auge darbieten. Man pflegt nämlich den Lüngendurchmesser 100 gleichzusetzen

I) Vgl. Apptndix A. und B.

Die Grosse nverhällnisse des Gehirnschädels.

und den Querdurchmesser in Procenlen jener Einheit auszudrücken. Der Pvocentsatz selbst wird der Breitenindex genannt. Völlig runde Schädel, also solche, bei denen der Breitenindex loo und sogar über loo beträgt, kommen theüs in Nordamerika, theils bei den Peruanern und den Chibcha in Neugranada vor, verdanken jedoch ihre Gestalt einer künstlichen Zusammen pressung des Schädels, und müssen daher von allen Vergleichen ausgeschlossen bleiben. Sonst nähert sich einer völligen Rundung am meisten der Schädel eines Bewohners der „TaUrei" mit 97,,, dem Huxley einen Schädel aus Keu-Seeland mit 62, als Breitenindex als den schmälsten aller be- kannten Schädel gegeniibersteUt '). Doch besitzt Barnard Davis Eittreme Schädeiformen nach Huiley. Nornia verticalis.

Fig. I. Schädel eiiWE Bewohners Fig. 2. Schädel eines

der „Talarei". Neuseeländers,

einen angeblichen Keltenschädel, der bei einer Längenachse von 8,j Zoll und einer Breite von nur 4,^ Zoll bis zu einem Index von 58 sich erniedrigt'). Zwischen 58 und 98 bewegen sich also die Breiten indices, wenn wir die äussersten Fälle berücksichtigen. Die mitticren Zahlen schwanken aber um vieles weniger, denn sie gehen nur von 67 bis etwa 85, In diese Claviatur mit ig Tasten lassen sich alle mittleren Breitenproportionen der menschlichen Schädel einschalten.

Wie Welcker sich überzeugt hat^}, schwankt der Breitenindex

1) Huiley über zwei exlreme Formen des menschlichen Schädels, Ar- chiv für Anthropologie. Braunschwelg lSä6. Bd. 1. S, J46. i) Thesaurus Craniorum, p. 63,

j) Nämlich in seinen Craniologischen Miltheilungen im Archiv (iir Aiv- iropologie. Braunschweig 1S66. Bd. 1. S. Ij6.

Die (icossenvcTliältnisse des Gehirnschädels.

57

bei den Völkern, welche der Zahl nach die Hälfte der Menschheit umfassen von 74 bis 78 und diese nennt er Rechtschädel (Ortho- cephaien), wofür mit Broca aber besser Mittel schade! (Mesocephalen) gesagt wird. Sinkt der Index unter 74, so sprechen wir von Schmal- oder Langschädeln (Dolichocephalen), und erreicht er 7g oder mehr, von ISreit- oder Kurzschädeln. Statistisch hat sich nun ergeben, dass die Mehrzahl der Bewohner eines bestimmten Gebietes sich um eine mittlere Schädellorm schaare, sowie dass, je weiter die Abirrungsstufen sich von der mittleren Form entfernen, sie durch eine sich rasch vermindernde Schädelzahl vertreten werden. Das ist nun genau dasjenige, was jeder erwarten wird, der Arten- und Racenmerkmale als etwas flüssiges betrachtet, der in der belebten Schöpfung nur Einzelwesen erkennt, und der mit Goethe annimmt, dass die Arten nur im Lehrhuche der Systematiker existiren. Selbst die Mittel der Schädel Proportionen schwanken innerhalb der ein- zelnen Racen. Ueberraschend sind namentlich die Ziffern , welche Welcker für den Stamm der malayischen Völker gefunden hat. Be- achten wir dabei zunächst nur den Breitenindex und beseitigen wir die stark dolichocephalen Schädel (68) der Carolinenbewohner, weil sie als Mikronesier von dem Verdacht einer Blutmischung nicht frei sind, so erhalten wir, noch an der Gränze der Dolichocephalie, mil einen) Breitenindex von 73 die Maori Neu-Seelands. Es folgen dann in der Indexscala aufwärts steigend als Mesocephalen die Schädel der Marquesasinsutaner (74), der Tahitier (75), der Chatham- insulaner (76), der Kanaken auf dem Sandwicharchipel (77). Auf den grossen Inseln zwischen Australien und Asien finden wir die Dayaken Borneo's mit 75, die Balinesen mit 76, die Amboinesen mit 77, Schädel Sumatra's mit 77 und Mankassaren mit 78 ange- geben. An diese Mesocephalen schliessen sich noch als Breit- schädel an: die Javanen und die Buginesen mit 79, die Mena- daresen mit 80 und die Maduresen mit 82.

Von den 19 Theilstrichen der Breiten Verhältnisse nehmen nun, wie wir eben sahen, die Schädel der Malayenfamilie nicht weniger als neun ein, von 73 bis 8z. Man kann hier nicht sagen, dass die malayischen Schädel etwa Mischformen darstellen, denn rings um- geben von Schmalschädeln konnten sie nie ihre hohe Brachycephalie der Kreuzung verdanken. Wären sie aber ursprünglich brachyce- phal gewesen, so müsste sich diess vorzugsweise bei den Dayaken zeigen, da wir sie als die reinsten Vertreter des alten Maiayen-

Die Grössen Verhältnisse des Gehimschädels,

typus betrachten dürfen. Die Messungsergebnisse nöthigen uns vielmehr als Thatsache anzuerkennen, dass die Grössenverhältnisse der Schädel innerhalb der nämlichen Race beträchtlich schwanken. Ais begründet gilt jetzt, dass sämmtüche Polynesier über die Südsee nach drei Himmelsrichtungen von der Samoa- oder Navigatoren- gruppe sich verbreitet haben. Diese Wanderungen begannen min- destens schon vor, 3000 Jahren. Die Samoaner selbst sind frei- gebiieben von jeder fremden Mischung, und die Inseln, welche die Auswanderer aufsuchten, waren völlig unbewohnt. Hier liegen also Thatsachen vor, die als anthropologisches Experiment nicht gün- stiger hätten angeordnet werden können. Hier können wir durch Messungen streng ermitteln, welche Aenderungen jn den Schädel- proportionen im Laufe von 3000 Jahren durch Auswanderung und Isolirung vor sich gegangen sind. Wohl haben wir bereits aus Wclckers Messungsergebnissen einiges mitgetheilt. Die Anzahl der Schädel aber, die ihm zur Verfügung stand, ist doch nicht ausreichend zur Feststellung guter Mittel werthe, auch fehlen von den beiden wichtig- sten lnselgrup[jen die Indices. Am wichtigsten wären nämlich sa- moaner- sowie tonganer Schädel, weil sie die Original maasse des polynesischen Typus vertreten könnten, dann aber die Schädel aus Paumotu oder von der Wolke der niedrigen Inseln. Die letztere KJrallen kette war nämlich ein höchst ungünstiger Lebensraum, so dass auf ihren Atollen der poiynesische Menschenschlag von seiner gesellsch altlichen Höhe zur Zeit der Auswanderung beträchtlich abwärts steigen musste. Man wird daher die Spannung begreiflich finden, mit der Anthropologen Schädelsendungen und Schädel- messungen in Bezug auf Paumotuaner entgegensehen. Barnard Davis, der über eine grössere Zahl polynesischer Schade! verfügte, ist zu ähn- lichen Ergebnissen wenn auch minder grossen Schwankungen gelangt. Auch bei ihm neigen die Maori mit einem Index von 75 am meisten zur Dolichocephalie , während die Javanen {Index : 82) noch brach ycephaler erscheinen als die Maduresen (8t),

Die Erfahrungen im eigenen Vaterland endlich sind höchst eigenthümlicher Art gewesen, bestätigten aber was wir über das Vertialten in der malayischen Menschenrace schon angeführt haben. Retzius zählte die Deutschen noch unter die Schraalschädei, wenn er auch später sich überzeugte, dass in Süddeutschland andere Grössenverhältnisse die Oberhand hätten. Er war zu seiner An- schauung gelangt, weil er hauptsächlich die nördlichen Vertreter

EenverhähniE;« lies Geliirnschädels.

59

des teutonischen Stammes unter den Augen hatte. Es lauten aber die Ziffern des Breitenindex bei Schweden 75,^, bei Hollitn- dem 75,j, und nach einer andern holländischen Serie 75,;,, bei Engländern 76,0, endlich bei Dänen tind Isländern 76,,. Da die Mesocephalie bei einem Breitenindex von 74 beginnt, und bei einem solchen von "jq aufhört, so stehen die Teutonen Nordeuropa's der Dolichocephaiie näher als der Brachycephalie.

Bei deutschen Schüdeln finden wir dagegen folgende Ziffern: in Hannover 76, ^ , in der Umgegend von Jena 76, ^ , in Holstein 77,,, bei Bonn nnd Köln 77,^, in Hessen 7g,,, in Schwaben 79,^ '), in Bayern 79,9, in Unterfranken 80,^ , im Breisgau 80,,. Der nächste Gedanke diese Unterschiede zu erklären, möchte vielleicht dahin führen, einer Mischung mit Kelten den wachsenden Breiten- indeK in Süddeutschland zuzuschreiben, allein die Kelten neigen nicht sehr slark znr Brachycephalie, die Franzosen werden z. B. nur mit yq.j, und die Iriänder sogar nur mit 73,^ aufgeführt. Eine Mischung von Teutonen und Kelten sollten wir -in Schottland finden, der dortige Index aber lautet nur 75,,.

Müssen wir die Kelten aufgeben, so denken wir zunächst an die Slaven. Bei ihnen finden wir sehr achtungswerthe Indices wie 78.8 bei Serben, 79,, bei Kleinrussen, 79,^ bei Polen, So,^ bei Ru- mänen, 8o„ bei Grossrussen. 80, ^ bei Kuthenen, 81,0 bei Slovaken, 82,5 bei Croaten, und 82,, bei Tschechen. Die letzteren sind also unter den Slaven die grössten Breitköpfe. Nun würde eine Mi- schung mit Slaven die Brachycephalie wohl in Thüringen erklären, nicht aber im südwesdichen Deutschland, und vor allem gar nicht bei den teutonischen Schweizern, wo sich der Index auf 81,^ em- porschwingt '}. Ausserdem müsslen die De utschüsl erreich er, welche doch mitten unter Slaven sitzen, brachycep haier erscheinen als die Deutschen. Das Indexmittel der Deutschen lautot aber 78,^ , und das der Deutsch -O es terreicher 78,5 ^), folglich ist tler Unterschied

1) Schilleis Schädel besitzt einen Bteitenindtx von 82.

2) Weisbach fand den Breitenindex der Deutschösterreicher lu 81,1, den der Ciechen £u 83^. Da er den Schädel a.n der breiteslen Stelle miSBl, su erklären sich seine von Welcker abweichenden Ziffern esiüE^"*'- Archiv für Anlhropoloßie. Ed. 2. S. 293.

3) His gibt sogar dem olemannischen Schweiierschädel (Disenlislypus] einen Breitenindex von 86j , einen Höhenindex von 8ia, Hip nnd Rüli- meyer, Crania helvelica. Basel 1864. S. 11.

b

60 ßie Gro'senveriiältnisse des Gehlrnscliädels,

viel kleiner als die Fehlergränzen der Messungen. Wir gelangen vielmehr zu dem F.r^ebtiiss, dass der Teutonenschädel im Mittel sehr beträchtlich schwankt, und dass er in Deutsehland von Nord nach Sud. und namentlich nach Südwest merklich nach Brachycephalie strebe. Wollen wir weitere Fortschritte in der Craniologie gewinnen, so müssen zunächst die Indices europäischer Uevöikerungen durch grosse Ziffern festgestellt werden. Eine solche Arbeit in Bezug auT Italien verdanken wir Luigi Calori in Bologna. Er bezeichnet Schädel mit ÜreiteninJices von 74 bis 80 als Ortho cephalen, wofür wir jedoch Mesocephalen sagen woUen, die mit- höheren Ziffern als Breitschädel und diejenigen unter 74 als Schmalschädel, Mit Aus- schluss der weiblichen Exemplare untersuchte er nicht weniger als 244z italienische Schädel und fand darunter 1665 brach ycephal, im Mittel mit einem Index von 84. Die andern 777 dagegen ge- währten im Mitte! einen Index von 77, Wie in Deutschland mi- schen sich auch in Italien örtlich breite und lange Schädel durch- einander. Von 100 bologneser Schädeln beiderlei Geschlechtes waren 7g Breit-, 16 Mittel- und nur 5 Schmalschädel. Von 852 Köpfen aus der Emilia gehörten 733 zu den Breit-, iio zu den Mittel- und q zu den Seh mal Schädeln. Ebenso zeigten unter 254 Köpfen aus dem Vcneti an i sehen, der Lombardei und dem italieni- schen Tyrol 230 die breite , 23 die mittlere , ein einziger die schmale Form. In den adriatischen Küstenstrichen südlich von Bologna fallen von 377 Schädeln 265 unter die breiten, 105 auf die mittleren und 7 auf die schmalen. Begeben wir uns über den Apennin, so sind dagegen von 213 toskanischen Schädeln nur 134 brachy-, 59 dagegi-n ineso- und 20 dolichocephal. In dem ehe- maligen Kirchenstaat gehörten von 200 Schädeln nur 52 zu den Brachy-, dagegen 100 zu den Meso- und 48 zu den Dolichoee- pbalen. Endlich zählten von 363 NeapoüUnern 131 zu den Breit-, 169 zu den Mittel- und 63 zu den Schmalschädeln. Daraus ergibt sich, dass die Norditaliener zu den stark brachy cephalen Völkern gehören, dass aber mit dem Fortschreiten nach Süden auf der Halbinsel der .Schädel sich etwas verlängert und die Mittelform schliesslich zur Herrschaft gelangt '). Auch hier offenbart sich also bei örtlichen Veränderungen ein Sehwanken der Indices. Dürfen

I) Joum&l of the Anthropological Institute, London 1S7Z. lom. I.

p. IIO fi.

Die Grössenverhiltnisse des Gehirnschädels. 6l

wir aber etwas anderes erwarten? Predigen uns nicht alle neueren Untersuchungen , dass alle' physischen Merkmale grossen Schwan- kungen ausgesetzt sind, dass überhaupt die belebten Geschöpfe nicht nach starren Urformen sich entwickeln, sondern beständige Umbildungen erleiden? Darf man überhaupt Beharrlichkeit des Typus innerhalb der Menschenart erwarten, da die meisten Racen sich fruchtbar kreuzen können? Wenn diess aber der Fall ist, dann darf es weder beunruhigen, noch in Verwunderung setzen, dass es in Göttingen eine Sammlung deutscher, sogenannter ana- tomischer Schädel gibt, welche die EigenthnmHchkeiten der ver- schiedenen Menscheriracen vertreten sollen.

Kaum bedarf es wohl noch der Warnung, dass niemals aus dem Breitenindex irgend eines unbekannten Schädels auf seine Racenabkunft geschlossen werden könne. Der schmälste Slaven- schädel (72,g) könnte noch für einen Negerschädel seinem Index nach gehalten werden, denn einzelne Negerschädel gehen noch bis 77,8 , aber Negerschädel unter 72 können nicht m(=hr mit Slaven- schädeln \'erwechselt werden. Unter 237 deutschen Schädeln findet sich ein einziger, dessen Index auf 69,,, also auf das Mittel von 66 Negern sinkt, Negerschädel unter 69 werden aber niemals mdir für deutsche Schädel erklärt werden können.

Die statistischen Mittel, wenn sie mit kritischer Vorsicht ge- braucht werden, haben auch bisher immer noch bestätigt, was auf anderm Wege bekannt geworden war. Alle Aegyptologen sind einstimmig, dass sich der alte Menschenlypus der Denkmäler in den Fellahin und Kopten erhalten habe. Ihr Breitenindex (71,^) stimmt genau zu dem der ägyptischen Mumien. Wenn man auch Falimerayers extreme Ansichten nicht billigt, so wird man doch den Neugriechen immer als stark gemischt mit slavischem Blut betrachten, und der Index lehrt uns, dass die Neuheüenen mit 77,, gegen die Altgriechen mit 75,5, beträchtlich brachyc'ephaler ge- worden sind. Das gleiche war zu erwarten in Italien, wo wir die Altrömer mit 74,0 angegeben finden,

Zur Warnung, dass man sich nicht auf Schädel merkmale allein verlassen darf, wollen wir mittheilen, dass der hochverdiente Bar- nard Davis geglaubt hat, die Eskimo in drei Racen sondern zu müssen, je nachdem bei ihnen die pyramidale Gestalt der Schädel mehr oder weniger scharf ausgebildet war. Als die reinsten be- zeichnet er die grönländischen, die Mitte halten d;e ostamerikani-

Ö2 Die Gro^senverhältnisse des GehirnschädeU.

sehen und völlig entfremdet der Musterform sind die westameri- kanischen. „Dass die Eskimo des Polarkreises", fährt er fort, „ein und dasselbe Volk sein sollen, ist eine unzulässige Ansicht, mögen sie auch noch so oft von Reisenden verwechselt oder Beweise in ihrer Sprache gefunden worden sein. Ihre Körpereigenthümlich- keiten sind zweifellos verschiedne ') ". Nun hat ein grosser Kenner nordischer Alterthümer jüngst gezeigt, dass die Eskimo erst seit der Mitte des 14, Jahrhunderts sich über Grönland verbreitet haben '), und ferner hätte der britische Craniolög schon aus Capt. Hall's Beschreibungen sich unterrichten können, dass die Eskimomütter den Schiiiel der Neugebornen seitlich pressen und ihm eine eng- schliessende Lederkappe überziehen, um die gewünschte pyramidale Gestalt künstlich zu erzeugen ^).

Was den bisherigen Ergebnissen der Schädeimessungen noch mangelt, ist die dürftige Anzahl der Beobachtungen, die nur durch eine fortgesetzte Bereicherung unsres Schatzes an Racenschädeln sich vergfiJssern lässt. Die höchste Eile ist hier dringeild zu em- pfehlen, da so viele bunte Menschenracen unter unsern Augen zusammenschmelzen.

Von gleicher Wichtigkeit wie die Verhältnisse des Breitendurch- messers ist die Höhe der Schädel. Bei ihrer Bestimmung setzte Welcker die eine Schenkelspitze des Tastercirkels an den vorderen Rand der HinterhauptÖiTnung, die andere aber gleichsam auf den Zenilhpunkt des Hauptes, da wo sich die Ebenen kreuzen, welche den Schädel in eine rechte und linke, sowie in eine vordere und hintere Hälfte scheiden *). Auch hier wird das Messungsergebniss in Hunde rttheiien des Längendurchmessers ausgedrückt und der Höhenindex genannt. Durch eine lehrreiche Anordnung bei Welcker') erkennen wir, dass im Durchschnitt die Höhe im umgekehrten

1) Thesaurus Craniorum. p. 224.

3) Koiirud Maurer in der Zweilen deutschen Nord polarfahrt. Leipiig 187J. Bd. 1. S. 234.

3) Life wiih (he Eequimaux. London 1S65. p. 5Z0.

4) Alex. Kcker niisst dagegen zuerst vom vorderen Rande und sodann vom hinteren Rande des Hinterhau plloches nach der höchslen Erhebung de» Hinlerhauplts. Crania Germaniae merid. p. 3. Das Mittel aus beiden Mes- sungen ist wohl diejenige „Höhe", welche der Völkerkunde für Classification 3- z wecke die wünschenswettheste wäre.

5) CrLiniolugische Mittheilungen. 5. 154.

Das menschliche Gehirn. 63

Verhältniss zur Breite wächst, dass schmale Schädel im Allgemeinen hoch, breite Schädel flach sind, dass mit andern Worten der Höhen- index bei Dolichöcephalen den Breitenindex übersteigt, bei Brachy- cephalen hinter ihm zurückbleibt, so dass also eine geringere Aus- dehnung in die Breite durch ein gesteigertes Hohenwachslhum aus- geglichen wird. Doch ist dieses Verhalten weder ein strenges noch ein ebenmässiges. Das Schwanken der Höhenindices ist viel ge- ringer als bei der Breite, es bewegt sich zwischen 70,, und 82,_|, denn der Höhenindox von 86,g bei Altperuanem ist nicht ohne Verdacht eines künstlichen Ursprunges. Wir kennen ausserdem Völkerschaften, die für ihren Breitenindex eine viel zu geringe Höhe besitzen, wie die Hottentotten, die als Schmalschädel {69,,) es doch nur zu einem Höhenmdex von 70,, bringen, während er um mindestens drei volle Indexziffern höher steigen sollte. Um- gekehrt vereinigen die Bewohner der Insel Madura, eine der höch- sten Schädel breiten (82,5) mit dem grössten Höhenindex, nämlich 82., , während wir bei ihnen einen solchen von 75 etwa erwarten sollten. Solche Fälle gewähren nun gerade der Völkerkunde für die Beschreibung vortreffliche Schlag^vorte, so dass wir die Hotten- totten als flache Schmalschädel (Platystenocephalen), die malayischen Bewohner Maduras als hohe Breitschädel (Hypsibrachycephalen) be- zeichnen können. Der Breitenindex gibt uns einen Ersatz für die Gestalt des Schädels bei einer Betrachtung der Hirnschale von oben, wenn das Auge senkrecht den Mittelpunkt der Langenaxe trifft {Norma verticalis). Der Höhenindex wiederum bietet einen Ersatz für die Ansicht des Schädels' von der Rückseite (Norma occipitalis). Freilich können bei gleichlautenden Indices die Um- risse bald eckig bald abgerundet sein, die grössten Breiten bald in der Mitte bald weiter nach rückwärts auflreten. Der Vergleich der gemessenen Ziffern untereinander ist indessen das einzige Verfahren, welches bisher der Wissenschaft zu Gebote stand, während die Aus- wahl von Typen nach dem Augenmasse zu künstlerischer Willkür verleiden würde,

2. Das menschliche Gehirn,

Wenn wir einen durchschnittncn Todlenkopf auseinanderlegen, müssen wir uns gestehen, dass wir nichts weiter in der Hand halten, als gleichsam die Hülse einer abgcschossnen Patrone oder den

(jA Das mensch liclie Gehirn.

Larvenmantel, dem das geflügelte Geschöpf entschlüpft ist. Daran knüpft sich die Erkenntniss , dass alle Schädelformen nur einen künstlerischen Werth besitzen, und uns vorläufig' keinen Aufschluss gewähren, über etwaige Stufen des menschlichen Denkvermögens unter einem dolichocephalen oder einem brachycephalen Knochen- helm, Künstliche Verunstaltung des Schädeldaches durch Zu- sammenschnüren des Kinderkopfes, wie es bei Völkern des Alter- thums geschah, wie es noch jetzt vorkommt bei unzähligen Be- wohnern Amerikas, wie es selbst in Nord f rankreich der Brauch unvorsichtiger Mütter ist'), mögen zwar nicht völlig unschädlich sein, haben aber doch die gesunden Verrichtungen der künstlich umgeformten Denkwerkzeuge nicht wahrnehmbar gehindert.

Was nun das edelste unsrer Organe, nämlich das Gehirn und zwar sein Gewicht betrifft, so schwankt es von 2, 3 bis zu 4 Pfund während wir beim Elephanten 8 10, beim Walfisch 4 5, bei einem 18 Fuss langen Narwal noch 2 Pfd. 30 Loth , bei einem 7 Fuss langen Delphin a'/j Pfd. Gehimmasse antreffen, „Wer aber möchte wagen", bemerkt ein berühmter iranzösischer Physiolog, „aus der Masse des Gehirnes auf das Wesen und die Kraft eines menschlichen oder nur eines thierischen Geschöpfes zu schliessen," Wer wollte, konnten wir hinzusetzen, nach dem Gewichte ent- scheiden, ob eine Thurmuhi; oder ein Taschenchronometer schärfere Zeitein theilungen gewähren? und doch sind beides nur Kunstwerke unsrer Hände, Die Schwere des Gehirns in Bezug auf das Ge- sammtgewicht des Körpers nimmt ebenfalls bei dem Menschen nicht die höchste Stelle ein , denn wenn auch das Hirn des Wal nur einem 3300stel, das des Elephanten einem soostel, des Hundes einem 250stel, das_ des Menschen einem 37Siel bis 35stel des Körpergewichtes entspricht, so werden wir doch übertroffen von den Singvögeln, bei denen das Gewicht des Gehirns '/i?' von der Blaumeise, bei der es '/.ai ^"o* Sperling, bei dem es '/j, und von amerikanischeh Affen, bei denen es '/,9 bis '/ij <1^S Körperge- wichts erreicht").

Wenn daher dem hohem Range des Menschen in der Schöpfung

1) S. AuEbnd 1S66. S. 1095 die Abbildungen von künstlichen Schädel-

2) Th. Bi^choff in den Naturwissenschaftlichen Vortiä^en Münchenei r.elehrleTi. München 1858. S. 319.

Das i^enschliche Gehirn. (^c

auch ein hoher- Rang seines Gehirns entsprechen soll, so müssen wir die Unterschiede des letzteren in anderen Beziehungen suchen als in dem Gewichte. Das menschliche Grosshirn, welches allein als Sitz und Werkzeug des Denkvermögens betrachtet werden darf, besteht aus einer inneren weissen von zarten Fasern durchzogenen Masse, die als eine Leitungsvorrichtung und als Sammelplatz der Nerventhätigkeiten betrachtet wird, so wie aus einer äusseren grauen Rinde, die Körnchen, kugelförmige Gebilde und Bläschen erkennen lässt und \yenn^ nicht als Urheber , doch wenigstens als Sitz der psychischen Thätigkeiten gilt. Je reicher nun die Oberfläche gewunden, je tiefer gefurcht sie erscheint, desto mehr gewinnt die Rinde oder graue Substanz an Oberfläche. Wir wissen zugleich, dass eine mehr oder weniger ausgebreitete Erkrankung dieser Schicht die höheren Geistesthätigkeiten, zumal das geordnete Denken vernichten kann. Es lag daher sehr nahe, im Windungsreichthum eine Bürgschaft für den höheren Rang des Gehirns erkennen zu dürfen, zumal das klügste, aller Thiere, der Elephant, ein Gehirn von tiefgezogenen Furchen und vielgestalteten Windungen dem er- freuten Beschauer darbietet. Die früheste Anlage der Furchen, bemerkt A. Ecker, scheine im Allgemeinen eine mehr symmetrische zu sein und die Assymetrie nehme erst mit dem Auftreten der Nebenfurchen überhand, so dass grössere Symmetrie der Furchen und Windungen um so mehr für einen Ausdruck einer Bildungs- hemmung betrachtet werden dürfe, als das" Gehirn Blödsinniger dieses Merkmal zeige*). Andrerseits hatte Rudolph Wagner daran erinnert, dass das Gehirn des Hundes im Vergleich zu dem ver- wickelten Windungssystem des geistesarmen Schafes, eine ausser- ordentliche Armuth verrathe und dass die Gehirne bei unsern grossen Mathematikern Gauss und Dirichlet zwar in Bezug auf Tiefe und Vielgestalt der Furchen, vorzüglich in den Stirngegenden, zu den am höchsten ausgestatteten gehören, die er gesehen habe, eigenthümliche Krümmungen aber auch ihnen fehlen*).

Wenn nun Huxley' in den Oehirnschädel einer geistes- gesunden Frau 55,^ Cubikzoll Wasser, in den geräumigsten Gorilla- schädel aber 34^2 Cubikzoll Wasser einzugiesen vermochte 5), so

1) Arch. für Anthrop. Bd. 3. S. 221.

2) Wagner, Windungen der Hemisphären. S. 6. S. 7. S. 24.

3) Er rechnet 252,* Gian Hirn = i Cubikzoll Wasser. Stellung des

Menschen in der Natur. S. 87. Genauer bestimmt Carl Vogt (Archiv für Feschel, Völkerkunde. c

^

56 1^3s meoschtiebc Gehirn.

sollten wir schon im Klaren sein , ob Menschen- und Allengehirn überhaupt so genau übereinstimmen, dass ihr Rauminhalt verglichen werden darf. Leider sind die Untersuchungen über das embryo- nale Affengehirn noch sehr spärliche'). Als seine Ueberzeugung hat jedoch Th. v. Bischoff ausgesprochen, dass zwar das mensch- liche Gehirn keine Haupt furche und keine Hauptwindung be- sitze, die nicht beim Orang vertreten wäre, dennoch aber das menschliche Geiiirn keineswegs blos einen Fortschritt, das Gehirn des Orangs eine Verzögerung des Wachsthums darstelle, sondern dass beide einen andern Entwicklungsgang einschlagen, nach an- deren Richtungen sich entfalten und zu keiner Zeit mit einander übereinstimmen'). Vorläufig ist dies zwar nur die Ueberzeugung eines von seinen Fachgenossen hochgestellten Gelehrten , es ent- spricht aber zugleich unsern Erwartungen. Wiederholte Erfahrungen liegen vor, dass Krankheiten , die bei den Eltern zur Zeit der Er- zeugung noch schlummerten und viel später erst hervorbrachen, dennoch auf ihre Kinder übertragen "wurden, um auch bei ihnen erst im reifen Alter aufzutreten. Wenn also die Ursachen künftiger Störungen schon erblich sind, so muss dies noch um vieles mehr von den Arten-, Gattungs- und Ordnungsunterschieden gelten. Somit können wir uns der Vorstellung nicht entziehen, dass schon bei der ersten Lebenserregung die morphologischen Ziele dem Keun des Menschen wie dem des Affen vorgezeichnet sind, Ihre Entwicklung lässt sich vergleichen mit zwei Schienenspuren, die vom Abgangsorte auf einem geraeinsamen Bahnkörper lange neben einander laufen, um sich schliesslich in gefälligen Krümmungen nach rechts und links zu .verlieren. BischofT gesteht übrigens zu, dass es der genauesten Untersuchungen bedürfe, um bei der grossen morphologischen Nahe noch Unterschiede zwischen den Gehirnen

Anthropologie, Bd. 2, S. l86) die minieren Werthe des Schädelinnenraums bei den höheren Affen.

Männchen. Weibchen.

Cubikcentimeler.

beim Orang und Pongo 448 378

,', Tschimpanse und Tscbego 417 370

,. Gorilla 500 423

1) Ad. Pin seh konnte das fötale Hirn eines Ccbus apella und die zweier neugebonien Atlen beschreiben. Über die typische Anordnung der Fuichea und Windungen im Archiv für Anthropologie. Bd. 3. S. 239.

2) Die Grosshirnirindungen des Menschen. München 1868. S. 96.

Das menschliche Gehirn. g^

des Menschen, Orang, Tschimpanse und Gorili zu erkennen 'J. Auf Rolleston's Messungen gestützt findet Bischoff, dass die Halbkugeln des menschlichen Grosshirns von denen der Affen sich besonders durch ihre Hohe auszeichnen"). Wenn übrigens auf Unters t-hie dt in der Quantität meist wenig Gewii-ht gelegt wird, so übersieht man, dass bei chemischen Mischungen von den Quantitäten auch die Qualitäten der Stoffverbindungen abhängen, dass durch Zutritt eines einzigen Atoms Sauerstoffes Schwefelsäure aus schwcfeliger Säure entsteht, dass eine numerische Steigerung der Schwingungs- frequenz dunkle in leuchtende, das heisst die Sehnerven erregende Wärme verwandelt und dass selbst bei Zahlengrössen geringe \'er- änderungen in der Quantität zu innerlichen Unterschieden von höchster [Wirksamkeit führen^). Bei dem Dunkel aber, welches über den Beziehungen der einzelnen Gehirntheile zu den Verrich- tungen des Denkvermögens ruht, bleibt die Vermuthung noch ver- stattet, dass die höheren geistigen Thätigkeiten vielleicht an einen äusserlich geringfügigen Zuwachs des Gehirns geknüpft sind.

Auch darf es als herrschende Ansicht bezeichnet werden, dass ein ungestörtes menschliches Denkvermögen nur dort vorhanden sei, wo das Hirngewicht eine untere Grenze überschreitet, die thoils nach den Geschlechtern, theils nach den Menschenracen Schwan- kungen erfährt, Quatrefages wollte bei Europäern die GewiL-hts- menge des männlichen Gehirns auf 1I13, des weiblichen auf 575 Grammes festsetzen*). Carl Vogt fordert im ersten Falle nur 1000, im andern nur goo Grammes*). H, v. Luschka erklärte wiederum kürzlich 64 Loth oder 1000 Grammes als das geringste Ge- wicht eines Gehirns von ungestörter Thätigkeit*). Im frischen Zu-

I) a. a. O. S. loi. 3) a. a. O, S. 98-99.

^) Der Untenchied der Quantität zwischen d«n Grössen 0.99999999

ist ein relaüv sehr schwacher, dennoch besitzt die erste Zahl die Eigcnschart durch forlgeseizte Potenzirung sich bis ins Unendliche verkleinern, die dritte auf dem gleichen Wege sich bis ins Unendliche vergrüsscrn zu lassen, während die mittlere bei jeder Poleniirung ihre Unveränderljchkeit bewahrl.

4) Kapport 3ur les progiis de I'Anlhropologie, p. 324.

5) Vorlesungen über den Menschen. Bd. 1. S. 103.

6) Dritte Versammlung der Deutschen anlhrop. Gesollsch, S. 17.

(,g Das menschliche Gehirn.

Stande gewogen, fand er das Geliirn eines weiblichen Mikrocephalen nur 30 und das eines männlichen sogar nur 20 Loth schwer. Bei diesen unglücklichen Geschöpfen lässt sich ausser einer verlängerten Form der Gehirnsciiale und einem starken Vorspringen der Kiefern an dem Schädel nichts Thierisches wahrnehmen, denn Virchow hat entschieden der -Behauptung Carl Vogts widersprochen, dass die Stellung der Hinterhauptsöffnung eine regelwidrige sei. Das gleiche gelte von den Verhältnissen des Grundbeines, die natürlich bei erwachsenen Mikrocephalen und erwachsenen Affen, bei jungen Mikrocephalen und jungen Affen und zwar hohen Affen, nicht bei erwachsenen Mikrocephalen und jungen Affen verglichen werden müssen"). C'ari Vogt hatte nun gewagt, die Schädel von solchen verkümmerten Menschen mit Affenschädcln su vergleichen. Nach seinen Befunden betrug die Geiäumigkeit der Hirnschale bei einem Ulüdsinnigen 62z, bei einem andern 460 Cubikcenlimeter, während ein männlicher (jnrill 500 Cubikcentimelet erreichte'). Gestützt auf diese Untersuchungen wollte er in jenen menschlichen Miss- bitdungen einen KüLkschlag oder in der Sprache der Uarwinischen Lelire einen Atavismus wahrnehmen, der durch Wiederkehr von Ahnen merkmalen aus weit entlegener Vorzeil uns über die thierische Abkunft unserer Voreltern eine Beglaubigung gewähren sollte^). Allein auf der dritten Versammlung der deutscheu anthropolo- gischen Gesellschaft erhoben sich alle Fachkenner gegen diese Deutung der Thatsachen. Fast mit denselben Ausdrücken wurden die Mikrocephalen als menschliche Geschöpte anerkann^t, die durch krankhafte Hemmung sich nicht entwickeln konnten und durchaus nicht etwa als vermittelnde Glieder die Kluft füllen, welche den Menschen von den ihm ähnlichsten Geschöpfen der Thierwelt trennt. Schon dass den Blödsinnigen die Geschlechtskrait fehlt, zeigt uns, dass die Vorfahren der Menschen nie, auf einer Mikrocepbalenstufe gestanden haben, dass nie irgend ein Erdraum in der Vorzeit von Cretinen bevölkert gewesen war*).

So gelangen wir zu dem Satze, dass nur das menschliche

1 Menschen- und AHenschädel. S. 31.

) Memoire sur Ics Microciphatcs in Mfm. de rinslilut naüonal gen IX. Gentvc 1867. p 54; I 1. c. p, ly?. I Vgl. die Reden v. Luschka'^, Vircliow's, Ecker's, S^liariiDiiiii.^ciri

•> Das menschliche Gcbim. 69

Gehirn mit andern" menschlichen Gehirnen verglichen werden darf. Dies geschieht bei Racenschädeln annähernd dadurch, dass die Geräumigkeit der Gehirnschale gemessen wird, Wasser pflegt man dabei nicht anzuwenden, weil die vielen Oeffnungen der Knochen verklebt werden müssten. Die Ausfüllung mit Leim oder Gyps kann iu|r nach erfolgten Querschnitten, also bei zer- störten Schädeln stattfinden, gewährt auch keine streng vergleich- baren Ergebnisse, weil verschiednen Sorten des Ausfüllungsstoffes auch verschiednes specifisches Gewicht zukommt und ist selbst von denen aufgegeben worden, die sie ehemals empfahlen'). Jetzt wird die Gehirnkapsel entweder mit Hirsekornern oder mit feinem Schrot, ausnahmsweise und minder glucklich , mit Sand angefüllt »nd der Inhalt hierauf in ein metrisch geaichtes Gefäss ausge- schüttet. Auf diese Art haben wir die Geräumigkeit der Gehirn- kapsel bei verschiedenen Racen kennen gelernt. Lucae's Messungeii würden lehren , dass der weiteste Negerschäde! noch nicht das Mittel bei Deutschen, der beste Australierschädel noch nicht das Mittel des Negers erreiche, sowie dass die individuellen Schwan- kangen mit den absoluten Ziffern immer grösser werden'). Fast wie eine Bestätigung klingen die Ergebnisse Broca's, der den, mitt- leren Schädelinnenraum bei dem Australier 100 gleich setzt und bei dem Neger iii,^. bei dem Teutonen 124,^ finden wollte^). Nicht so ungünstig für die von uns als niedrig angesehenen Menschen- racen lauten die, allerdings bedenklich hohen, Mittelwerthe, zu denen, gestützt auf die reichste aller Sammlungen, Barnard Davis gelangt ist*). Er fand nämlich eine Geräumigkeit des Hirnschädels

Jäger's in dem Bericht über die dritte Versamml. der D. onthropol. Gesell- schaft, S. 16—25, femer H, Schule im Archiv fiir Anthropoloßie, Braunschw. 1872, Bd. 5. S. 444—446.

I) Lucae, Morphologie derRacenschädel. Heft 3. (I«64.) S. 45- 2} Lucae, Morphologie der RacenschädeL ilefi 2. U864.] S, 45, geTnesseii mit Hirse;

Zahl der Schädel.

Minim.

Maiim.

Mittel.

Cubikcentimt

:ler.

tj Deut&che

1300

172s

I53i.t

6 Chinesen

1400

'575

■482,>

-5 ^-eger

1190

1S05

'344

5 Australier

"15

1300

1186.

a, bei QualrefaRes Rapport

, p- 306.

-Q Daf menschliche Gehirn. -

engl. Cubikioll Cubikcenüm.

bei Europäern 92,j 1835

Amerikanern 89 1774

Asiaten 88,, 1768

Afrikanern 86„ ' 1718

Au=lraliern 81,7 1628

Neben diesen IMitteln aus zahlreichen Einzelwqjthen ist es rathsam, auch auf die Schwankungen einen Blick zu werfen. So stiess Morton unter allen Racenschädeln auf einen kleinsten von 63 und auf einen grossten von 114 Cubützoll (engl.) Rauminhalt'). Barnard Davis aber besitzt einen allrömischen Schädel mil nur 62 Cubikzoll und einen irischen mit (21.5. Ein andrer irischer Schädel im Museum Bateman erreicht sogar 124,, CubikzoU'). Selbst innerhalb eines Volkstarames können die grössten Sprünge vorkommen, da toskanische Schädel noch tief an Rauminhalt hinter dem engsten Australierschäde! zuriickbleiben. Bei einem 23jährigen Florentiner Dienstmädchen traf Paolo Mantegazza nur 1046 Cub. Cm., bei einem erwachsenen Florentiner aber 1727 Cub. Cm. und bei einem angebüi'h etruskischen Krieger sogar 1750 Cub, Cm.^)

Sollte die geringe mildere Geräumigkeit des Schädels in einem ursächlichen Zusammenhang stehen mit einer verzögerten geistigen J.ntwicklung, so durften wir erwarten , dass auch die Schädel der Alleuropäer geringere Maaasc wie die ihrer Nachkommen aufweisen würden. An dazu ermulhigenden Thatsachen ist kein Mangel. Broca will eine zunehmende Geräumigkeit der heutigen Pariser Schädel {1462 1484 Cuh. Cm.) gegen solche aus dem I2. Jahr- hundert (1426 Cub. Cm.) gefunden haben^). Schädel von Altgriechen, nämlich der einer wohlhabenden Dame Namens Glykera aus der makedonischen Zeit mit nur 1150 Cub. Cm., sowie eines Mannes mit 1280 Cub. Cm., die kürzlich in Athen ausgegraben wurden, begünstigen diese Ansicht*). Umgekehrt haben His und Rütimeyer für ihren Disentis- oder alemannischen Typus, dem drei Viertel der heutigen Schweizer angehören, im Mittel 1377 Cub. Cm-, für den Hohbergtjpus, angeblich AltrÖmer, 1437 Cub. Cm. und für den

ij Huxlej', Stellung des Menschen in der Natur. S. 87.

21 Thesaurus craniotum, p. 360, p. 65.

31 Archivio per l'antropologia. Flrenze 1871. vol. I. p. 53 sq.

4) Nach Broca bei Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen, Bd. i, S. 105—108.

5) Siehe darüber Virthow's Bericht in den Verhandl. der Berliner jutliropol. Gesellschaft. 1872. S. 174 ff.

Das menschliche Gehirn.

71

Sionkopf, der mit Pfahlbauschädeln übereinstimmt, 1558 Cub. Cm. \M~ 8 ) &^^^"^^"' Somit hätte die schweizerische Bevölkerung

an Schädelgeräumigkeit beträchtlich verloren').

Das Ergründen dieser Raumgrössen geschieht offenbar , um wenigstens annäherungsweise auf die Mächtigkeit des Gehirns schliessen zu können, lieber das Gewicht dieses Organes besassen wir lange Zeit nur eine bahnbrechende Arbeit von Rudolf Wagner. Leider stammte die Mehrzahl der 964 untersuchten Gehirne von Geisteskranken , die also von Vergleichen hätten ausgeschlossen bleiben sollen. Die Gewichtsbestimmungen rührten ausserdem von verschiedenen Anatomen her, die nicht ein gleiches Verfahren inne gehalten zu haben scheinen. Auch war es zu beklagen, dass die Körpergrösse der untersuchten Leichen nur hin und wieder ange- geben war. Da nun bei Cuvier ein Gewicht von 1861 Grammes, bei Lord Byron, freilich auf zweideutige Angaben hin, ein solches von 1807 Grammes ermittelt worden war, so schien ein hohes Ge- wicht von hoher geistiger Begabung begleitet zu werden. Allein bei Göttinger Gelehrten, wie Dirichlet (1520 Gr.), wie dem grossen Gauss (1492 Gr.), dem Pathologen Fuchs (1499 Gr.), dem Philo- logen Hermann (1358 Gr.) und dem Mineralogerl Haussmann {1226 Gr.) sanken die Werthe bis zum sonstigen Mittel, ja sogar tief unter dieses herab ^). Als einzig dauernder Gewinn dieses ersten Versuches lässt sich anführen, dass Wagner im Mittel das weibliche (iehirn leichter fand, als das männliche. Diese That- sache konnte später W^eisbach bei den deutschen und slavischon Bevölkerungen Oesterreichs streng bestätigen. Ferner hat Calori, gestützt auf eine gfrosse Zahl von Gewichtsbestimmungen bei Italiern das weibliche Gehirn um 150 ^200 Grammes leichter gefunden. Die Geräumigkeit der Schädel ist ebenfalls bei den Geschlechtern

verschieden nach folgender von Weisbach "5) entworfenen Statistik:

i) Crania Helveüca. Basel 1864. p. 44.

2) Rudolf Wagner, Die Windungen der Hemisphären u. das Hirage- wicht. Göttingen 1860. S. 32 33. In einem offnen Schreiben an Bamard Davis on the skull of Dante p. 13 hat jedoch Welcker aus den Wagner'schen und andern Wägungen gezeigt, dass die Gehirne von 26 Männern hohen geistigen, Ranges zusammen um 14 Proc. das Mittel der ihnen zukommenden Himgewichte überschritten. Dante's Gehirn (1420 Gr.) steht übrigens sehr wenig über dem Mittel von 1390 Gr.

3) Der deutsche Weiberschädel, im Archiv für Anthropologie. Braunschw. 1868. Bd. 3. S. 63.

Das menschliche Gehirn.

cit des weiblichen

Hiraschädels im Ver

der letztere = locx

gesetzt

Beobachter.

hei Nceen,

984

B. Davis.

Hindu

944

Negern

932

Tiedemann.

Malayen

9J3

Holländern

919

Irländem

912

B. Davis.

Kaniken

906

Slaven

90J

Weisbach.

Marquesas-Insul

902

B. Davis.

Deutschen

897

Welcher.

HoUMndtrn

883

B. Davis.

Deutschen

■878

Weisbach.

Javanen

874

B. Davis.

Deutschen

864

Tiedemann.

Engländern

860

B. Davis.

., Deutschen

8J8

Huschke.

Lehrreich ist an diesen Werthen vorzüglicli, dass bei den hochge- sitteten Völkern , wie sicli dies auch bei andern Körpermerkmalen wiederholt, die Geschlechts Verschiedenheiten stärker hervortreten.

Auch andere überraschende Aufschlüsse über die Gewichts- verhältnisse erhielten wir durch die Untersuchungen A. Weisbachs, die sich zwar nur über 429 Gehirne von Bewohnern Oesterreichs erstreckten, dagegen aber ausschliesslich geistesgesunden Personen angehört hatten'). Stets wurde zunächst das Gesammtge wicht, dann aber wiederum das Gewicht des grossen sowie des kleinen Hirns und der Brücke besonders festgestellt. Belehrend war vor allem die Thatsache, dass das Gehirn zwischen dem 20. und .^o. Lebensjahre sein höchstes Gewicht erreicht und dann bis' zum 80. Jahre einen Verlust erleidet, der bis zu 10 Proc. anwächst. Dieser Verlust er- streckt sich gleichzeitig auf alle Abschnitte des Gehirns mit Ausnahme der Brücke, die noch bis in das 50. Lebensjahr zunimmt'). Daraus muss die Lehre gezogen werden , dass nur das Gewicht der Ge- hirne bei gleichem Lebensalter verglichen werden darf. Ferner sind die Untersuchungen einer älteren Vermuthung günstig gewesen, dass nämlich die sperifische Schwere der Gehirne verscliieden sei.

I) Die GewichlBverhältuisse der Gehirne österreichischer Völker, im Archiv r Anthropologie, Brauiischw, l8£6. Bd. I. S. 190. 2} a. a. O. S. 199.

Das menschliche Gehirn. ^3

denn die geräumigeren Schädel der Deutschen zeigten eiii geringeres Hiiaigewicht, wie andre engere Schädel, nämlich'):

Geräumigkeit des Gewicht des

Männer: Schädels. Gehirns.

Cub. Cm. Grammes.

Deutsche iSOi»«6 I3H>»

Magyaren I42i,6e 1322,«

Slaven 1484»*» 1325,1

Demnach würde die Geräumigkeit der Schädel für die Völkerkunde lehrreicher sein, als das Hirngewicht. Hinzufügen wollen" wir noch, dass bei den männlichen deutschen Gehirnen ein Minimum von 986,^ Gr. mit einem Alter von 65 Jahren, bei den weiblichen ein solches von 889,1 ^^i^ ^^^ Alter von 83 Jahren verknüpft war.

Eine andere Aufklärung verdanken wir Calori in Bologna, der schon einmal durch seine zahlreichen Messungen der Wissenschaft dankenswerthe Dienste geleistet hatte. Er gibt uns das Hirngewicht von 421 Italienern beiderlei Geschlechtes, trennt aber die Fälle je nach der Form der Schädel.

Himgewicht in Grammes.

Zahl der Fälle.

Gesammtgewicht Grossgehirn bei brachycephalen Schädeln.

201

Männer

1305 1145

72

Frauen

1150 1004 bei Schädeln mit einem Breiten- index unter 80.

104

Männer

1282 1122

44

Frauen

1136 992

Hier wiederholt sich nicht blos die Erfahrung, dass das weibliche Gehirn das leichtere sei, sondern es scheint sich weiter zu ergeben dass bei beiden Geschlechtern, die Breitschädel ein höheres Ge- wicht besitzen wie die Schmalschädel. Das leichteste Gehirn bei einem Manne von 22 Jahren mit einem Breitschädel wog 1024 Gramm, bei einem 34jährigen Schmalschädel 1088 Gramm, während die geringsten Werthe bei den breit- und schmalschädeligen Frauen 909 und 918 Gramm lauten*).

i) a. a. O. S. 314.

2) Journal of the Anthropological Institute. London 1872. vol. i. p. 117.

Der Gesichts 5chä<3el.

3) Der GesichtBschädel.

An dem senkrecht durchschnittenen Schädel erkennt auch das ungeübte Auge sogleich den Bereich der Gehirnkapsel und des Gesichtsschädels. Dieser letztere beansprucht im Vergleich zn ersterer beim Menschen einen viel kleineren Raum, denn er ist nicht halb so lang, nicht halb so hoch und immer schmäler als der andere. Bei den Affen , selbst bei den höchsten , überwiegt dagegen das Wachsthum des Gesichtsschädels und hauptsächlich beruht auf dem Hervordrängen der Kiefern zur Schnauzenform der thicrische Ausdruck di^s Kopfes, Anklänge an diese Gesichts- bildung bei Menschenstämmen nennen wir Prognathismus. Peter Camper war der erste, welcher es versuchte, durch den sogenannten Gesichtswinkel den Betrag jener Wachsth ums Verhältnisse zu ermit- teln'). Er zog nämlich eine Linie vom äussern Gehörgang nach der Nasen sc hei de wand und Hess sie durchschneiden durch eine Linie vom Schluss der Zähne nach dem am meisten hervortreten- den Theil der Stirn, In der Grosse des Winkels fand er den Maassstab für den edleren Gesichtsausdruck, Virchow hat schon richtig eingewendet, dass jener Winkel bei alten Leuten sowohl durch die Entwicklung der Stirnhöhlen wie durch das Zurücktreten der Zahnfortsätze geringer werden müsse'). Noch viel misslicher aber war es, dass Camper die Nasenscheidewand und die Gehör- gänge erwählte, um durch sie eine sogenannte Horizontalebene des Schädels zu legen. Nach einer solchen Ebene ist von Craniologen so eifrig gesucht worden, wie von den Alchymisten nach den Grundbestand theil en des Goldes. Man dachte sich diese Ebene parallel zum Horizont durch den Kopf gelegt, sobald dieser auf seinem Schwerpunkt bei der geringsten Nachhilfe von Muskeln schwebe. Der Verlauf der Jochbogen schien in diese Ebene zu fallen und der Schädel wurde dem entsprechend aufgestellt. Es ergab sich aber bald, dass diese Ebene bei Racenschädeln einen ganz verschiedenen Verlauf nahm, dass man nicht immer den Jochbogen folgen, sondern den Schädel bald vorn, bald hinten ein

0 Peter Camper, über den natürlichen UnlerscMed der Gesichtszüge. Berlin 1792. XV, 17. :i— 12.

2) Schadelgnind. S. ng.

Der Gesichtsschädel. yc

wenig heben müsse *). Bei einem solchen Verfahren verliess sich der Untersuchende auf sein künstlerisches Gefühl, das aber zeitenweise wechseln kann. Es ist einem Anatomen begegnet, der sich auf diesen schlüpfrigen Pfad wagte, dass Messungen an denselben Schädeln, die er nach drei Jahren wiederholte, Unterschiede ergaben, die über 50 Procent stiegen, wie H. v. Ihering nachgewiesen hat^). Solche Winkel lassen sich übrigens nur bestimmen auf gezeichneten Schädelumrissen. In Folge dessen ist die Wissenschaft wenigstens mit dem Verfahren der sogenannten geometrischen, vielleicht . rich- tiger orthographischen Projection des Schädels bereichert worden. Lucae, ihr Erfinder, gibt nämlich auf einer festen Unterlage dem Schädel die erforderliche Stellung. Parallel mit der Unterlage ruht über dem Schädel eine Glasplatte, auf welcher ein dioptrisches Instrument mit einem Fadenkreuz dermassen fortbewegt wird, dass seine optische Axe stets die Umrisse des Schädels berührt. Dem Kreuzungspunkt der Fäden folgt dann" auf der Glasplatte eine Feder, um den durchlaufenen .Weg mit Tinte einzutragen 3). Auf diese Weise erhalten wir ein Bild des Schädels, wie er von uns aus unendlicher Ferne gesehen werden würde, etwa wie dies an- nähernd bei unserem Monde von der Erde aus der Fall ist und solche Gemälde sind nicht blos befreit von allen Mängeln des perspectivischen Sehens, sondern sie verstatten auch, Maasse mit dem Cirkel zu nehmen.

Noch weniger Einklang wie bei den Grössenbestimmungen der Gehirnkapsel, herrscht bei den Winkelmessungen am Gesichts- schädel. Ein jeder Anatom betrat seinen eignen neuen Weg ohne Rücksicht auf seine Vorgänger, ja gebrauchte sehr oft dieselben Benennungen für Winkel, die ein andrer früher an andern Punkten gesucht hatte. Die Ergebnisse der verschiedenen Messungsarten lassen sich also nicht unter einander vergleichen und der folternde Anblick dieses lichtlosen Reiches von Widersprüchen hat der Craniologie eine vielleicht nicht gänzlich unverdiente Missachtung zugezogen, denn oft genug war es weniger das Bestreben, der Völkerkunde brauchbare Zahlenausdrücke zu liefern, als vielmehr

1) Lucae, Morphologie der Racenschädel. 1861. Heft i. S. 42. Heft 2, (1864.) S. 31.

2) Archiv für Anthropologie. Bd. 5. Braunschweig 1872. S. 396.

3) Morphologie der Racenschädel. Heft i. S. 10 11.

76

Der GesichtBscliädel.

in den Racenschädeln Bestätigungen für morphologische Theorien zu finden, welches zu immer künstlicheren Messungsversuchen an- gereizt hat.

Bei dieser Lage der Dinge kann die Anthropologie nur dem- jenigen Anatomen folgen, welcher die grösste Zahl der Schädel gemessen hat, nämlich Welcker, und glücklicher Weise ist gerade sein Verfahren , wenn auch , wie er das selbst sich eingestanden hat, nicht vollkommen und keiner Verbesserung mehr bedürftig, doch dasjenige, welches noch am meisten die Erwartungen be- friedigt. \\'elcker sucht keine Horizontalebene , sondern bestimmt nur die Lage von Punkten am Gesichtsschädel und zwar ohne Rücksicht auf die Stirnknochen.

Der thierische Ausdruck des menschhchen Antlitzes wird durch das Vortreten der Kieferbeine erweckt und der Betrag dieses Vor- tretens lässt sich am günstigsten durch Winkelmessungen bestimmen. Schon Virchow hatte vor Welcker den Gedanken ausgesjjrochen, däss der Prognathismus oder die Schnauzen form des Gesichts- achädels abhängig sei von der Gestalt des Schädejgrundes, wenn er sich auch diese Abhängigkeit anders dachte, als sie sich aus Weickers Messungen ergibt. Dieser letztere überzeugte sich vielmehr, dass das Vorspringen der Kiefern mit der Grösse des Sattelwinkels wächst. Die Grösse des Winkels beim 'lurkensattel lässt sich durch ein Dreieck bestimmen, dessen eine Seite (Fig. ^ne) der Entfernung der Nasenwurzel zum Sattel , dessen zweite {ei) dem Abstand dc-s Sattels vom vordem Rande des Hinterhaupt- loches, dessen dritte (_i>n) der Linie von letzterem zurück zur Nasenwurzel gleich ist. Dieser sogenannte Sattelwinkel übertrifft schon bei dem Menschen einen rechten, bei den Thieren aber erweitert er sich viel beträchtlicher. Beim Kinde und beim Affen- jnngen ist seine Grösse oder der Betrag der Einknickung des Schädelgrundes nur wenig verschieden, nämlich 141° im ersten und 155° im andern Falle, mit dem Alter aber verschärft sich beim erwaclisenen Menschen diese Einknickung bis zu 134°, beim Affeu dagegen flacht sie sich bis zu 174° ab, und Welcker erkennt in dieser veränderten Wachslhumsrichtung einen tiefen Unterschied zwischen Mensch und Thier'}, Jener Sattelwinkel ist jedoch an einem geschlossenen Schädel weder sichtbar noch messbar und be-

) Biiu uiid W'acbslhum des Schadeis. S. 1

Der Gesiclilsschädel.

■s*

sitzt daher lür unsere Zwecke nur einen theoretischen Werth, inso- fern ein andrer Winkel des Gesichts zu ihm in Wechsel abhängig- keit steht. Dieser Winke] liegt an der Nasenwurzel («) und lässt sich an allen Schädeln messen mit Hilfe eines Dreiecks, dessen Seiten entsprechen den Abständen von der Nasenwurzel bis zum vorderen Rande der Hinterhauptsöffnung (h), von dieser bis zu dem Ansatz der Zahnfächer (a;), und endlich von diesem zurück nach der Nasenwurzel, Offenbar ist es der Winkel an dem Beginn der Zahnrächer, welcher den Gesichtsausdruck beherrscht und mit dessen Grösse sich in unsern Augen das Antlitz veredelt. Weisbach fand ihn bei Amboinesen, javanen, Uanjaresen, Chinesen und Bugincsen

Fiß. 3. Durch seh niti des menscHichen Schädels in der Rithtuag dei* Pfeiliinhl.

11 Nasenwurzel, e Türliensatlel . 6 vorderer Rand de« Hinlerhauptloches,

a: Stelle am Oberkiefer über den Zaiin fächern,

von 70 bis zu 72° im Mittel sich erheben, bei 50 deutschen Mannern erreichte er 73°, bei Norditalienem 75", bei 24 deutschen Frauen 76°, bei 28 Czechen 77°. ") Welcker hat indessen vorgezogen, die Kieferstellung mittelbar durch den Winkel an der Nasenwurzel {bnx) zu bestimmen, weil dieser letztere einerseits mit dem Sattel- winkel zu wachsen pflegt, andrerseits der Winkel an den Zahn- fächern (bxn) sich umgekehrt verhält, nämlich abnimmt, wenn jene anderen wachsen. Der Winkel an der Nasenwurzel schwankt bei

I) Weisbach, der deutsche Weibcrschädel , im Archiv (ür Anlhropo- logie. Bd. 3. Btaunschwcig 1868. S, 78. Sein Gesichtswinkel ist nahezu der Winkel öx„ bei Welcker,

78 Der GesichtsschäJel.

Racenschädeln von 60° bis zu 72°. Als prognath bezeichnet Welcker einen Sdiädel, wenn jener Winkel 68° und mehr beträgt, als opistOj^nath , wenn er unter 65° bleibt, Schädel dagegen von 65° bis nicht ganz 68° nennt er orthognath, wofür wir aber meso- gnath sagen wollen. Eine Musterung der Schädel formen lässt uns wahrnehmen, dass im Allgemeinen Prognathismus vorzugsweise bei Schmal Schädeln auftritt, während die Mittel- und Breitschädel meist mesognath, bisweilen opistognath sind. Doch ist auch dieses Zu- sammentreffen kein strenges, denn Eskimo, Mexicaner, Hottentotten und Hochscbottcn gehören nach Welcker zu den mesognathen Dolichocephalen, wie umgekehrt die Sumatraoer und Baschkiren einen Breilenlndes von 8o„ und 02,^ mit einem Prognathismus im Betrage von bg"^ und 67°6 vereinigen. Es konnte nun befremden, warum bei Bestimmung der Kieferrichtung die Zirkelspitze über den Zahnfächern und nicht sogleich an dem untern Zahnfächerrande, oder wohl gar an den Schneidezähnen angesetzt wurde, da an diesen Punkten das Vorspringen des Gesichtsschädels am meisten sich steigert. Sehr viele Schädel sind aber gerade an jenen Stellen - verletzt, sie müsstcn deshalb als unbrauchbar ausgeschieden werden. Aber wichtiger ist es noch, dass derjenige Prognathismus, der durch die schräge Stellung der Zahnfächer erzeugt wird, auf unwesentliche Wachsthumsrichtuiigen sich begründet.

Der prognathe Gesichtstypus kann, wie Virchow auseinander- gesetzt hat'), das Gehirn in seiner vollen Entwickelnng hemmen. Es ist daher von tiefgehender Bedeutung, dass wir jene ungünstige Kieferstellung fast ausschliessUch nur bei solchen Völkern finden, deren Gesittung noch ziemlich unreif erscheint. Allein auch hier muss wieder erinnert werden, dass innerhalb der nämlichen Volker abweichende Gestaltungen neben einander vorkommen. Fälle von Prognathismus sind bei Engländern und Franzosen nicht unerhört, in Paris sollen sie ziemlich häufig auftreten*), ferner werden die Chinesen von manchen Craniologen unter die prognathen Völker gerechnet und in Welcker's Statistik begegnen wir den Holländern sogar mit einem Winkel an der Nasenwurzel, der 67° 8 lautet. Bei so grosser Veränderlichkeit belehren uns die Mittelzahlen nur über die Häufigkeit einer bestimmten Form des Gesichtsschädels, während

i) Schädelgrund, S. 121.

;1 Quatiefages, Rapport, p. JII.

Der Gesichtsschädel.

79

die individuellen Schwankungen hinüberführen zu einem höheren oder zu einem niederen Typus.

Sehr stark wird der Ausdruck des menschlichen Antlitzes durch das Hervortreten der Jochbogen beherrscht. Beharrlich ist auch dieses Merkmal nicht, gleichwohl leistet es dort, wo es in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auftritt, der Völkerbeschreibung nicht zu verschmähende Dienste. Bringt man einen Schädel in die Lage, dass der Blick des Beschauers oben, senkrecht die Mitte der grossen Achse trifft (Norma verticalis), so kann das Auge mit Sicherheit entscheiden, ob die Jochbogen wie zwei Henkel die Um- risse der Gehirnschale überragen (phanerozyge) oder ob sie hinter ihnen verdeckt bleiben (kryptozyge Schädel), und im ersteren Falle werden wir sagen können, dass die Backenknochen stark hervor- springen. In neuester Zeit hat man auch der Gestalt der Augen- höhlen am knöchernen Gesicht Aufmerksamkeit geschenkt, doch haben die bisherigen Messungen Merkmale, welche für die Völker- kunde brauchbar wären, nicht erkennen lassen. Ganz unabhängig von den knöchernen Gebilden scheint die schiefe Stellung der Augenschlitze zu sein^), die als Kennzeichen aller mongolenähn- lichen t'ölker zwar nicht ganz verlässig ist, doch aber bei der Be- schreibung nicht völlig vergessen werden darf. Auch die Form der Nase war bei den älteren Völkerschilderungen nicht übergangen worden. Am jüdischen Typus seiner Nase ist der Papuane, an ihrer Plattdrückung suid die nordasiatischen Mongolen zu erkennen. Bei den Bewohnern Tübets soll der Nasensattel so flach sein, dass er- in der Profilansicht nur wenig über die Wölbung des Auges hervortritt oder bei kräftigen Personen wohl völlig hinter ihr ver- schwindet*).

Das Unterkieferbein ist früher von den Schädelkennern vernach- lässigt und erst in neuerer Zeit beobachtet worden. Je nachdem es sich zuspitzt oder abflacht, bekommt das Gesicht bald ovale, bald eckige, bald quadratische Umrisse. Wenn wir uns aber umschauen in unsrer täglichen Umgebung, entdecken wir auch hier so viele Typen, so viele Uebergänge neben und durch einander, dass eine sehr stattliche Zahl von Messungen dazu gehören würde, um nur sagen zu können, welche unter den mancherlei Bildungen an Häufigkeit überwiege.

i) V. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 51. 2) V. Schlagintweit, 1. c. Bd. 2, S. 48.

8o Die GrÖssenverhällnisse des Beckens nnd der Gliedmassen.

Der Mund gehört ebenfalls zu den Gegenständen, Bei welchen die Racenbeschreibung gern verweilt. Es sind namentlich die wulstigen Lippen der Mittel- und Südafrikaner, welche gegen unsern Schon- heitsbegriff Verstössen. Die schmalen Lippen der- Europäer u^d ' ihrer Abkömmlinge in Amerika sind indessen ein Merkmal, welches sie den Affen wieder nähert. Selbst unter Negern aber schwankt dieser Theü der Gesichtsbildung beträchtlich und wenn ihnen im .Allgemeinen eine starke Lippen an seh wellung zugeschrieben wird, so soll damit nichts weiter gesagt werden, als dasa. bei ihnen die Form des europäischen Mundes nicht häufiger vorkommt al? bei uns die negerhafte. Bei den Juden, die doch strenge Inzucht seit Jahrtausenden gepflogen haben, finden wir .beide Gegensätze, den fein geschnittenen Mund und die aufgequollenen Lippen hart neben einander.

4. Die Grössen Verhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.

Werfen wir vom Kopf noch einen Blick abwärts, so leuchtet von selbst ein, dass zwischen dem Schädel und dem weiblichen Becken eine Uebe rein Stimmung der Maassverhältnisse bestehen sollte. War aber die Zahl der Racenschädel noch zu klein , um uns in allen Fällen ein unerschütterliches Vertrauen in die gefundenen Mitte!- werthe der Messungen einzuflössen, so erreicht der Schatz an Racen- becken kaum den hundertsten Theil der Schädel. Dennoch hatte es M. J. Weber schon gewagt, ein europäisches oder ovales, ein ameri- kanisches oder rundes, ein mongolisches oder viereckiges, ein afrika- nisches oder keilförmiges Becken unterscheiden zu wollen. Joulin da- gegen behauptete wieder eine völlige üebereinstimmung des mongo- lischen, richtiger des javanischen oder papuanischen mit dem Neger- becken, Pruner Bey endlich wollte sich überzeugt hat>en, dass es keine Race gebe, deren Frauen nicht Kinder von einem europäischen oder irgend welchem Vater gebären können, dass überhaupt aus dem nämlichen Schoos Kinder von abweichender Schädclform aus- treten, wenn auch die Geburt nach Beobachtungen bei Javanerinnen und Nordamerikanerinnen leichter erfolgt, sobald das Kind der reinen Race angehört und nicht ein Mischling ist"). In neuester

fetudes sur Ic bassin. Paris 1865. p. 13,

Die GrössenverhSltnisse des Beckens und der Gliedmassen. 8[

Zeit hat Frilsch eine vergleichsweise reiche Anzahl von Becken südafrikanischer Völker nach 'Europa gebracht, aber bei der ge- ringen Beharrlichkeit der Merkmale es nicht gewagt, Typen auf- zustellen. Er ist dabei auf einen Umstand gestossen, der wohl geeignet ist, uns zu ernstem Nachdenken anzuregen. Unter den europäischen Skeletten wird Weib und Mann an der Geräumigkeit und Gestalt des Beckens mit ziemlicher Sicherheit erkannt. Das Becken gehört daher unter die Geschlechtsmerkmale zweiter Ord- nung. Bei Becken von Buschmännern dagegen könnte das weib- liche mit einem männlichen verwechselt werden, und das Gleiche gilt von den Hottentotten und Kafim '). Sollte diese Erscheinung in andern Welttheilen sich bestätigen, so würden wir zu dem Satze gelangen, dass die gänzliche Durchbildung der Geschlechtsunter- schiede erst unter dem Schutze der höheren Gesittungen sich vollziehe.

Die zahlreichsten Messungen , freilich nur weiblicher Becken, verdanken wir Carl Martin, der längere Zeit in Brasilien als Arzt thätig war und dort Negerinnen sowie eingeborne Frauen und Mischlinge behandelte. Er hat die Maasse von 8 papuanischen, 2 uramerikanischen, i8 malayischen, 4 b u sc hmänni sehen imd 15 Negerfrauen mit den Mitteln aus den europäischen Befunden ver- glichen. So weit aus diesem Schatz von anatomischen Urkunden ein Ergebniss gezogen werden konnte , würden die Becken zer- fallen in solche mit rundem Eingang bei Eingebornen Amerika's, bei Malayen und Papuanen, und in solche mil querovalem Ein- gang bei afrikanischen und europäischen Frauen. Rund heisst der Eingan , wenn die Conjugata so gross oder fast so gross ist, wie die andern Durchmesser, queroval dagegen, wenn sie um mehr als zehn Procent von den queren und schrägen Durchmessern übertroffen wird. Genauer lässt sich noch sagen, dass das Becken der Europäerinnen die grösste Geräumigkeit und Breite mit wesent- lich querovalem Eingange vereinige, das Becken der Negerin zwar am Eingang gleich gestaltet, sonst aber kleiner und schmaler sei. Entsprechend ihrer geringen Körpergrösse besitzen die Buschmann- frauen das kleinste Becken unter alfen Kacen mit einem Eingang, der manchmal stehend oval wird. Die 'malayischen Becken sind schmal, der Eingang rund, nicht selten stehend oval. Die Becken

I) Frilsch, Eineeborne Südiifrlliü5. S. 39. S. 299, S. 415.

§2 I^ie Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.

der eingebornen Amerikanerinnen kommen an Grosse den euro-

«

päischen ziemlich nahe, unterscheiden sich jedoch durch einen runden Eingang. Die papuanischen Becken endlich sind zwar noch ziemlich rund, stehen aber an der Grenze zur querovalen Form').

Wenden wir uns nun zur Körpergrösse, so wird wohl von vorn herein erwartet werden, dass sie kein sicheres Erkennungszeichen für die Menschenstämme zu gewähren vermöge. Die grösste Sumpae der hierher gehörigen Beobachtungen wurde bisher in den Vereinigten Staaten während des letzten Bürgerkrieges gewonnen. Es erstreckten sich dort die Messungen über 1,104,841 Männer. Erst aus diesen hohen Ziffern hat sich ergeben, dass das Wachsthum bei allen denen, die zum Waffendienst in der nordamerikanischen Union herbeigezogen wurden, sich mit dem 20. Lebensjahre sichtlich ver- minderte, immerhin aber noch langsam bis zum 24. fortdauerte, ja für geborene Amerikaner erst mit dem 30. Jahre völlig still- stand*). Ueberraschend war dabei die Thatsache, dass die Be- wohner der westlichen Unionsstaaten sowie Kentucky's und Ten- nessee's an Körpergrösse die Eingebornen im Osten, noch mehr aber die Canadier, die Schotten, Iren, Engländer und Deutschen übertrafen ^).

Mittel der Körpergrösse. centim. Kentucky und Tennessee 176,« 9

Ohio und Indiana I75«i»

Michigan, Illinois u. Wisconsin 174)» 1

Neu-£ngland 173,4»

New- York, Pennsylvanien, New-JersÄy i73»oo

Es bleibt dabei im Dunkeln, ob die harte, den Körper besser ent- wickelnde Arbeit auf jungfräulichen Erdräumen die Ursache sei^ oder ob nicht überhaupt Männer von hohem Wuchs und grösserer physischer Kraft zur Auswanderung sich häufiger entschliessen, schwächliche dagegen lieber in der Heimath zurückbleiben und diese Art der Ausmusterung in den Mitteln der grossen Ziffern sich abspiegele. Da aber die gebornen Amerikaner an Körpergrösse

1) Monatsschrift für Gebürtskunde. 1866. Bd. XXVIII. Heft i. S. 23—58.

2) Gould, Investigations in the military and anthropological statistics oC American Soldiers. New-York. 1869. p. 108.

3) Gould, 1. c. p. 125.

Die Grössenverhäl Inisse des Beckens und der Gliedmassen. 85

die zugewanderten Schotten, Iren, Engländer und Deutschen über- ragen, so kann kein Zweifel vorhanden sein, dass die Nachkommen der ausgewanderten Europäer innerhalb kurzer Zeit in den Ver- einigten Staaten merkhch , an Leibeshöhe zugenommen haben. Dass dem Ortswechsel diese Wirkung zugemessen werden darf, wird uns dadurch glaubhafter, dass die Ureinwohner ebenfalls durch Körper- grosse sich auszeichnen und auch bei ihnen erst mit dem 30. Le- bensjahre der Stillstand des Wachsthums eintritt, wenigstens waren die Irokesen, deren mehr als 500 gemessen wurden, im Mittel noch ein wenig grösser wie die Unionsamerikaner in den gleichen Werbe- bezirken ■). Dass bessere und reichliche Nahrung die Körpergrösse befördert, bezeugen uns die durcbgehends stattlicheren Gestalten der polynesischen Häuptlinge auf den Südseeinseln *), In gleicher Weise zeigten sechs Männer einer Häuptlings familie unter Kafirn ein Mittel von 1830 Mm., oder iio Mm. mehr, als sonst bei süd- afrikanischen Bantunegem angetroffen wurden^. Die auffallende Kleinheit der Buschmänner am Südrande der Kalahari kann eben- falls der schlechten Ernährung beigemessen werden, weil Chapman im Norden bei grösserem Reichthum an Wild ihren Körperwuchs BtatÜicher fand und die ihnen leiblich verschwisterten Koi-koin oder Hottentotten vielleicht nur, weil sie Hirten und nicht Jäger sind wie die Buschleute, diese an Hohe des Wuchses übertreffen. Doch erklärt die Ernährung und die Beschaffenheit des Wohnorts durch- aus nicht alle Unterschiede, sonst könnten nicht wiederum die Kafim die Hottentotten überragen, während doch beide in den- selben Erdräumen auf gleiche Art sich ernähren. Gustav Fritsch^) bestimmte nämlich folgende Mittel:

Köipergrösse. Männer Mm.

55 Bantun^er 171 8

10 Koi-koin 1604

6 Biascliinänner 1444

Bis zu einem gewissen Betrage darf also die Verschiedenheit der

Leibeshöhe der Abstammung zugeschrieben und in diesem Sinne

kann die Körpergrösse als Merkmal bei der Völkerbeschreibung

1) Gould, Invesligations. p. 151—152.

2) Darwin, Abstammung des Menschen. I. 99.

3} Gustav Fritsch, Eingebome Südafrikas. S. 17. 4) Eingeborne Südafrita's. S. 17. S. 177. S. 397.

84

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.

»>

»

benutzt werden. Doch sind wir noch weit entfernt, Mittel aus zahl- reichen Grössenbestimmungen zu besitzen, es weichen vielmehr bei dem nämlichen Volksstamm die Messungen stark von einander ab. Für die Maori Neu -Seelands finden wir beispielsweise folgende

Angaben ^) :

Beobachter. Thomson

Scherzer und Schwarz Garnot und Lesson Wilkes

Wahrscheinlich verdienen hier die Mittel von Thomson , die aus 147 Messungen gewonnen wurden, das meiste Vertrauen^). Inner- halb derselben Völkerfamilie können durch vieltausendjährige Tren- nung, Wanderung, nach grossen Fernen und veränderte Lebens- gewohnheiten auch die Mittel werthe der Körpergrösse steigen oder fallen, denn trotz aller Schwankungen der Ziffern ist doch nicht zu verkennen, dass die asiatischen Malayen unter die kleinen Völker gehören, die polynesischen Malayen durch ihre Körpergrösse her- vorragen ^).

Körpergrösse. 1695,4 Mm.

1757»« 1813,0 1904,.

,'■'

Beobachter.

Körpergrösse. Mm.

Asiat

ische Malayen.

Crawfurd

Javanen

1549,4

Scherzer und Schwarz

»»

1679,0

Keppel /

Dayaken

1574,8

Müller

Timoresen

1586,»

Scherzer und Schwarz

^aduresen

1625,0

Sundanesen

1646,0

M

Buginesen

1653,»

Polynesische Malayen.

Wilkes

Sandwichinsulaner

1676,4

Gaimard

n

I755,»

Wükes

Marquesasinsulaner

1689,0

Marchand

1786^.

Batare

i>

1800,0

Gamot und Lesson

Tahitier

1786,0

Wilkes

»)

i8o3,j

La P^rouse

Schifferinsulaner

1895,0

Wilkes

1930,4

i) Bei Weisbach, Anthropol. Thei, der Novara-Reise. 2. Abthl. Wien 1867. S. 217.

2) Gould, Investigations. p. 146.

3) Weisbach, a. a. O.

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen. 85

Innerhalb jedes Menschenstammes wird der Volksnaund Leute von ungewöhnlichem Wuchs als Riesen bezeichnen. Angaben über solche äusserste Fälle haben jedoch keinen Werth für die Völker- kunde^). Wichtiger war es, dass das alte, von Pigafetta, Magalhäes' Begleiter, verbreitete anthropologische Märchen von der über- menschlichen Grösse der Patagonier fast jedem neuen Erdumsegler einen Widerspruch entlockt hat. WoHl gehören jene südamerika- nischen Stämme jedenfalls zu den Völkern von stattlichem Körper- wuchs, wie die nachfolgenden Messungen bezeugen:

Körpergrösse der Patagonier. r Beobachter Mm.

d'Orbigny 1730

1780 d'UrviUe 1732

^ Wilson 1803,4

doch Stehen ihnen die Polynesier an heldenhafter Gestalt durchaus nicht nach. Die hohen vulkanischen Südseeinseln und die beiden Festlande von Amerika sind vielmehr diejenigen Lebensräume, wo örtlich das Menschengeschlecht den höchsten Körperwuchs erreicht hat*).

Das niedrigste Höhenmaass bei Männern kann in vereinzelten Fällen auf überraschende Werthe herabsinken, denn Zwerge von 920, ja 750 Mm. werden uns noch als völlig wohlgebildet bezeichnet^). Aber auch hier ist der Völkerkunde nur mit den Mitteln aus grossen Ziffern zu dienen. Als die kleinsten unter den Menschen galten bisher immer die Buschmänner Südafrikas, deren Grösse Barrow nur zu 1300 Mm. angibt, während durch ihre Messungen Knox zu 1372 und der gewissenhafte Fritsch zu 1444 Mm. ge-

l) Nach Gould, Investigations p. 153 finden sich unter je einer Million der für den Kriegsdienst gemessenen Männer

je 47 über 2007 ^^a.

II 2657

7 2083

6 2108

» 2 2134

2)* Unter den 500 Irokesen bei Gould, Investigations, p. 152, erreichten 159 Männer von 31 Jahren und darüber eine Höhe von 68,« Zoll. 3) Gould, 1. c. p. 153.

86 Die Grösse nverbäUnisse des Beckens und der Gliedmassen.

langten'). Von gleicher Zwergenhaft igkeit fand Du Chaillu') im aequatorialen Afrika die Obongo, wdche auch in sonstigen Merk- malen den Buschmann'ern nahe stehen und es gleichen ihnen femer die Acka des Reisenden Schweinfurth im Gebiete des Gazellenntts. die aber immerhin schon auf 1500 Mm, sich erheben ^J. Nicht un- bedeutsam ist es, dass sich an diese tropischen Menschenstäuime die Polarvölker der alten und neuen Welt anschliessen. Zwar sind lue Angaben von Pauw, nämlich 1300 Mm. als Mittelwerth der Kürper^TÖsse bei Eskimo völlig unglaubwürdig, da andre Messungen vorliegen, nämlich :

Körgergrössc der Eskimo, lisobaebter. Ort der Beobachlung. Mm.

Beechey Melville Insel 1659

,. Boothia Sund 1689

. Kolzebue Sund _ 1714

Chappel Savage Insel 1676

auch sind 1380 Mm. für die Lappländer als Mittelzahl*) sicherlich 2u wenig, dennoch werden beide Bevölkerungen übereinstimmend von den Reisenden unter die kleinen Menschen gerechnet. Jeden- falls können wir den Satz vertreten, dai>s unter jedem Breitegrade sich Menschtnstämme ünden, die durch ihre Kleinheit auffallen.

Hatten wir bisher nur die Grösse der Männer in Betracht ge- zogen, so gilt es jetzt, die Thatsache auszusprechen, dass eine geringere Leibeshöhe zu den secundären Merkmalen des weiblichen Geschlechtes gehört. Bei diesem schwanken die Mittel der Körper- grösse innerhalb viel engerer Grenzen , nämlich nur von 1395 bis 1662 Mm. ^). Auch ergab sich aus den bisherigen Messungen, dass die Grössen unterschiede der Geschlechter bei kleinen Völkern fast verschwinden'). So erhielt Fritsch als Mittel von 5 Buschmann- frauen 1448 Mm, oder 4 Mm. mehr als er bei Männern gefunden halte und ein ähnliches Ergebniss gewinnen wir auch aus den

I) Weisbach, I. c. S. 116. Fritsch, Eingeborne Südafiikas. S. 397. 2| Ashan^o Land, p. 319. Das Mittel der Kärpecgrüsse bei 6 Frauen lautete 56'/, Zoll (jnches) oder 1410 Mm,

31 Pciermttnn'B Geogr. Mitlheiluneen. 1871. S. 139. S. 150.

11 Nach Tenon bei Gould, Investigations. p. 144 und Weisbach 1. c

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen. 87

Angaben Weisbachs. Demnach ist es vorwiegend das männliche Geschlecht, an welches gedacht wird , wenn wir von grossen oder kleinen Völkern reden'). Die mittlere Körpergrösse des männ- lichen Geschlechtes wollen wir aber auf 1600 bis 1700 Mm., die mittlere Grösse des weiblichen Geschlechtes auf 1525 bis 1575 be- stimmen und danach kleine, mittlere und hochgewachsene Völker- stämme unterscheiden.

Dürfen wir wagen, über die Ursachen des Schwankens der Körpergrösse einige Vermuthungen zu äussern, so hat sich aus den grossen Ziffern der Rekruten-Messungen während des Union skrieges offenbart, dass beträchtliche Körpergrösse verknüpft ist niit einer verlängerten Wachsthumszeit. Diese letztere aber denken wir uns verkürzt bei den Frauen, weil ihre Geschlechtsreife früher eintritt, als bei uns. Ebenso ist es wahrscheinlich, dass frühzeitige Ehen, die namentlich, wie sich noch zeigen soll, bei Polarvölkern und bei den Buschmännern vorkommen, die volle Ausbildung des Körper- wuchses- zu hemmen pflegen.

Nur zahlreiche Messungen vermögen uns über die örtlich herrschenden Grössenverhältnisse der einzelnen Abschnitte und Glieder des menschlichen Körpers Aufklärung zu gewähren. Quetelet wollte sich überzeugt haben, dass der menschliche Typus in Bel- gien übereinstimme mit den Werthen, welche aus Messungen an Kunstwerken griechischer Bildhauer abgeleitet worden waren*). In- dessen hat sich doch ergeben, dass die Künstler des Alterthums nicht blind einer Richtschnur folgten, dass auch später grosse Meister, wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer in ihren For- derungen des sogenannten Ebenmasses nicht übereinstimmten. Ein Brüsseler Maler wird sich ferner stets an den grossen Vorbildern des Alterthums im Zeichnen üben, bis^zuletzt ihre Maassverhältnisse

i) Beechey bei Weisbach 1. c. gibt folgende Maasse für

Eskimo:

Männer. Frauen.

Mm. Mm.

Melville Insel 1^59 1536,«

Savage Insel 1676 I549,s

Bootbiasund 1689 I57l»s

2) Anthropomitrie. Bruxelles 1870. p. 86.

SS T>ie Grössen Verhältnisse des Beckens und der GliedmasEen.

als die streng giltigen sich ihm fest einprägen. Er wird demnach ein weibliches Modell für Naturstudien entweder miethen oder ver- werfen, je nachdem es sich dem gesuchten Ideale nähert oder sich von ihm allzuweit entfernt. Wenn daher die Mittel der Grössen- verhältnisse einzelner Körperabschnitte bei zehn weiblichen Modellen Brüsseler Bildhauer oder Maler den gleichen Mitteln bei Statuen dc-s Alterthums recht nahe kamen, so hätte Quetelet nicht sowohl auf eine Ue berein Stimmung der belgischen und altgriechischen Typen sc'hliessen, sondern er hätte nur das Augenmaass Brüsseler Künstler bewundem dürfen, welche unter den Bewerberinnen um jenes Rollenfach diejenigen mit sicherem Blick ausgesondert hatten, welche von den anerkannten Idealen sich zu weit entfernten. Die Höhe des Kopfes, welche für viele Künstler die Majsseinheit bildet, schwankt, wie wir noch beisetzen wollen, mit der KürpergrÖsse. Letztere beträgt bei Neugebornen das 5,^, bei 8jährigen Knaben das 8, , bei kleinen Männern das u,^, bei miUelgrossen das 12,,, bei grossen das 13,, fache der senkrechten Höhe des Gehirn Schädels nach Wclcker's'l BestiminurLgen, so dass also grosse Leute verhält- nissmässig die kleinsten Küpfe haben.

Die Maassverhältnisse der menschhchen Glieder können nur ausgedrückt werden, wenn die Körpergrösse als Einheit gesetzt wird. Auf der Reise der Fregatte Novara haben v. Scherzer und Scliwarz ihre Messungen an den lebenden Menschen bis zu den grössten Einzelheiten ausgedehnt. Als das wichtigste muss immer die Länge der untern wie der obern Gliedmassen erscheinen. Bei dem Verhältniss des Unterschenkels zum Oberschenkel tritt ge- wöhnlich der Fall ein, dass grosse Kürze des einen durch Länge des andern Knochens ergänzt wird. Stets ist der Unterschenkel länger als der Oberschenkel. Wird nun der letztere gleich lOOO gesetzt, so finden wir, dass bei einem Stewartsinsulaner der Unter- schenkel bis zu 1238 steigt, hei Neuseeländern ausnahmsweise untfr lOOO, ja sogar bis 965 sinken kann. Dabei ^eigt sich jedoch, dass der Stewartsinsulaner, wenn die Körpergrosse gleich 1000 gesetzt wird, einen sehr kurzen Oberschenkel von 198 Mm., der Neusee- länder einen sehr langen vcui 229 Mm. besass"). Die Länge des Beines schwankt ebenfalls beträchüich. Sie kann bei Chinesen auf

und Wach^ihum des Schädels. S. jr.

islijch, Rtise det Fregatte Novjri. Anthropologie. Thl. l(. S. 255.

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedraassen. 8q

das o,^^^ fache der Korpergrösse sinken imd bei Buschmännern auf das o,^,^ fache sich erheben.

Weit bedeutsamer aber sind die Grössenverhältnisse der obern Gliedmassen, da ihre Verkürzung ein Merkmal ist, welches den Manschen von den ihm zunächst stehenden Thieren scheidet. Carl Vogt hat dieses Verhältniss dadurch ausgedrückt, dass der Orang bei aufrechter Stellung mit den Fingerspitzen seine Knöchel, der Gorill die Mitte seiner Unterschenkel, der Tschimpanse die Kniee berühren, der Mensch nur über die Mitte der Oberschenkel reichen kann ^). Bei den Rekruten im Unionskrieg wurde auf diesen Aus- druck der menschlichen Grössenverliältnisse besondere Rücksicht genommen und der Abstand des Mittelfingers bei soldatisch straffer Stellung vom obern Rande der Kniescheibe gemessen. Bei weissen Amerikanern und Europäern betrug das Mittel 5"036 *), bei Negern der Freistaaten etwas mehr (3"298) als bei Negern der Sklaven- staaten (2"832), ja bei diesen waren die^ Schwankungen so beträcht- lich, dass in einzelnen Fällen die Fingerspitzen sogar den Rand der Kniescheibe überragten 3).

Abstand der Fingerspitzen vom obern Rand der Kniescheibe. Zahl der Messungen. Mittel. Minimum. Maximum.

2020 Vollneger 2"88 o"5 7"6

863 Mischlinge 4"i3 -f o"2 7^2

Ueberrascht werden wir zugleich von der Thatsache, dass die Lebensgewohnheiten diese Schwankungen hervorrufen können, denn bei 1146 Matrosen war der Zwischenraum im Mittel etwas grösser als bei der Bevölkerung des flachen Landes*).

Abstand der Fingerspitzen vom obern Rand der Kniescheibe. Neu-England. N.-York, N.-Jersey, England. Irland.

Pennsylvanien. Soldaten 4"93 4"92 4"90 S"o»

^Matrosen _$*'$? 6"o6 s"SS 6''07

Unterschied &'6^ i"i4 ' 0^65 o"99

£s waren nämlich die Arme der Matrosen kürzer, ilire Beine aber länger als bei den Rekruten, die sich zum Felddienste stellten. Die

1) Vorlesungen über den Menschen. Bd. i. S. 193.

2) Gould, Investigations. p. 279.

3) Gould, 1. c. p. 298. p. 299.

4) Gould, 1. c. p: 287.

go

Die GrössenverhällnisBe des Beckens und der Gliedmassen,

Länge des Armes schwankte bei weissen Amerikanern und Euro- päern je nach deo Mittein der einzelnen Staaten von 0,^,^ der Korpergrösse (Michigan, Wisconsin, Illinois) bis zu o^, (Sltandi- navien"). VoUoeger der SklavensWaten (o,,,,) zeigten einen ver- hältnisa massig längeren Arm als Neger der Freistaaten (o,^^j) *), ein Verhältniss, welches sich in gleicher Weise bei Mulatten {o,,,j und o,,6o) wiederholte. Der Werth von Mitteln aus grossen Zahlen wird uns abermals fühlbar, denn wir gewahren hier viel geringere Schwankungen, als andre Racenm essungen sie erwarten liessen, Bei Weisbach^) finden wir den Arm der Deutschen zu 0,^5^, der Slaven zu o,,^,, der Romanen zu o,,j, , bei einem Stewartsinsu- Laner zu o,^,, und bej einem von Wilkes gemessenen Sulumalayen zu 0,^pg der KörpergrÖsse berechnet. Solange wir also bei einem solchen Uetrage der individuellen Schwankungen nicht für die ver- schiednen Menschenstämme Messungen besitzen, die den jetzigen Schatz um das hundertfache übertreffen, lassen sich aus den vor- handnen Angaben keine verlässigen Merkmale für die Völkerbe- schreibung gewinnen.

Endlich ist auch noch das Längen verhältniss des Vorderarmes zum Oberarn bei den Körpermessungen auf der Erdumsegelung der Fregatte Novara statistisch ermittelt worden. Für den Orang ergab sich e.n Verhältniss von 877 : lOOO. Genau die nämlichen Werthe wurden bei den Maduresen angetroffen, bei den Romanen erreicht der Vorderarm sogar eine relative Länge von 883, bei den Slaven wenigstens eine von 868. Dem Orang stehen im Maassver- hältnisse auch die Australier, Sundanesen' und Neger noch nahe, am weitesten entfernen sich die deutschen Männer (835} und bei den deutschen Frauen sinkt das Verhältniss sogar auf 82z *}. Auch hier, müssen wir zunächst über die dürftige Zahl der Messungen klagen. Ge«riss aber ergibt sich aus den bisherigen Erfahrungen der Satz, dass auch die Grössen Verhältnisse der menschlichen Glied- raassen innerhalb der Völkerschaften einer Race und individuell wieder innerhalb der Völkerschaften höchst beträchtlich schwanken,

I) Gonld, Invesügalions. p. 337—339- 1) 1. c. p. 351-

3) Weisbach, a. a. O. S. 151.

4) Weisbach, a. a. O. S. 241—143-

Haut und 'Haar des Menschen.

91

dass selbst Lebensgewohnheiten Einfluss auf das Wachsthum üben können und daher auch die GrÖssenunterschiede beim Gliederbau als flüssige erklärt werden müssen.

5. Haut und Haar des Menschen.

Die Geographen des Alterthums glaubten sich überzeugt zu haben, dass die Dunkelung der Haut mit der Annäherung an den Aequator zunehme und dass sogar aus der Farbe der Menschen auf die Polhöhe ihres Wohnortes geschlossen werden könne*). Innerhalb des damals bekannten Erdkreises widersprachen die Er- fahrungen nicht dieser Lehrmeinung. Im Norden sassen blonde, in Südeuropa und Nordafrika leicht gebräunte Völker, am obern Nil Negei* und in Indien schwärzliche Menschen. Zu besseren Anschauungen gelangte man erst, als die Spanier in der Neuen Welt unter allen Breitengraden auf Menschen mit brauner Färbung stiessen, bald heller bald dunkler, je nach der O ertlichkeit , aber ohne Beziehung auf die Polhöhe. Bei den Abiponen am Paraguay, namentlich den Frauen , ' war die Haut so licht , dass sie in euro- päischer Tracht mit Europäerinnen hätten verwechselt werden können, während die Puelchen und Aucas, deren Gebiete um zehn Breitengrade dem Aequator ferner lagen, viel dunkler gefärbt waren ^). Dazu gesellte sich noch die Wahrnehmung, dass gerade im hohen Norden der alten Welt auf die blondhaarigen Völker wieder die gebräunten Lappen, Wogulen, Ostjaken folgten.

Die mikroskopische Untersuchung lehrte bisher nur, dass die menschliche Haut aus zwei Schichten bestehe, wovon die äussere als Oberhaut (epidermis), die innere als Unter- oder Lederhaut (cutis) bezeichnet wird. Die Oberhaut wieder bestand aus zwei Abtheilungen, nämlich der oberen durchsichtigen Hornschicht (Stra- tum comeum) und der tiefei: liegenden Schleimschicht (Stratum mucosum) oder dem malpighischen Netz (rete Malpighi). Die Lederhaut (cutis) sowohl wie die äussere Lage der Oberhaut wurden bei alle)i Völkerstammen als gleichartig erkannt und nur in der von ihnen eingeschlossenen Schleii^schicht zeigten sich Zellen, erfüllt mit einem feinkörnigen Farbstoff. Je nachdem diese

1) Plin. VI, 22.

2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Wien 1783. Bd. 2. S. 18.

gz Haut und Haar des Menschen.

Farbzellen sich nur auf die Grundfläche der Schleimschicht be- schränkten oder mehr und mehr anhäuften, in seltenen Fällen sogar bis in die Hornhaut aufwärts sich erstreckten, wuchs die Tiefe der Hautfarbe. Einzelne Korperstellen sind selbst bei allen Menschen- racen gefärbt, wie der Warzenhof, welcher obendrein während der Schwangerschaft noch dunkler wird'). Auch die Sommerflecken, die Muttermale und Bräunungen an andern Körperstellen verhalten sich genau wie- die Negerhaut').

Bei der Geburt ist das Negerkind nicht schwarz, sondern dem europäischen, beinahe ähnlich. Pruner Bey beschreibt die Farbe als röthlich, gemengt mit Nussbraun, und fügt hinzu, dass im Sudan die volle Färbung schon mit dem ersten, in Unterägypten erst mit dem dritten Jahre sich einstelle*). Auch Camper sah ein Neger- kind röthlich geboren werden, sich zuerst an den Rändern der Nägel, am dritten Tage an den Geschlechtsth eilen, am fünften und sechsten allmählich am ganzen Körper färben*). Die Augen der Negerkinder sind anfangs blau, das Haar kastanienbraun und nur an den Spitzen gekräuselt^). Auch bei den Pimos oder Pirnas im nordwestlichen Mexico, sowie bei den Australiern werden die Kinder hellfarbig oder schmutzig gelb geboren, ihren Eltern aber an Dun- kelung der Haut in wenigen Tagen ähnlich*). Prinz zu Neuwied erfuhr, dass die Botocudenkinder gelb geboren werden und sich rasch bräunen'), im Widerspruch mit dieser Angabe rühmt er aber wieder die Helligkeit der Erwachsenen. Kinder von Mulatten und Mulattinnen sollen schwarze Flecke zur Welt bringen, namentlich in der Gegend der Fortpflanzungswerkzeuge*). Von der Farbe

l) Blunienbach et^ähll von einer jungen Frau, die während der Schwanger- Schaft so schwarz wurde, wie eine Negetin. Ein ähnlicher Fall von Melanis- niu» wurde von Dr. Guyfitanl beobachtet, Quattefages, Unit* de l'espice huraaine. Paris 1861, p. 65.

Z) Flourens bei Watlz, Anthropologie I, llj.

3) Pruner Bey, Mämoire sur les Nigres. p, 327.

4] Waid, Bd. 1. S. [[4.

5) Darwin, Ursprung des Menschen, H, 278,

6) Waiti, Anthropologie. IV, 202, VI. 713. Bei Lalham (Varieties p. 199) ttiidei. man dagegen die Behauptung, dass aaf Hawai (Sandwich- inseln) die Kinder der Polynesier völlig schwarz geljor"» werden.

71 Reise nach Brasilien. Bd. 2, S. 65—66. Der Jesuit Lafitau sagt sehr be- stimmt, dass die Kinder der nord amerikanischen Rothhäute „weiss geboren wer- den, wie die litisrigen". Moeurs des sau vages amiriquains. Paris 1724. tom I. p, 104.

8| Qiialrefages, Rapport, p. 455.

Haut und Haar der Menschen.

93

der Haut ist auch der Geruch der Ausdünstung abhängig. Be- sonders widerlich sind die stark aramoniakalischen, ranzigen, bock- ähnlichen Aushauchungen des Negers*), die von den Luftströmungen über den Ocean getragen, in früheren Zeiten schon von Weitem die Annäherung eines Sklavenschiffes verkündigten. Auch wir sind an den Gasen kenntlich, die wir verbreiten, denn der Hund ver- möchte sonst nicht die Spuren seines Herrn zu verfolgen. Die Eingebornen der neuen Welt unterscheiden auch den Europäer am Gerüche und wiederum gibt es besondere Ausdrücke der Creolen sowohl für die schwachen Ausdünstungen der Amerikaner (catinca) wie für den ausnahmsweise starken und widerlichen Geruch (soreno) der Araucaner^).

Hätten wir andre und strengere Merkmale zur Unterscheidung der Menschenstämme, gewiss würde es Niemand wagen, die Farbe der Haut in solcher Absicht herbeizuziehen, da sie sowohl an Dunkelung wie in den Tönen selbst bei jedem Volksstamm, ja oft bei den Angehörigen einer einzelnen Horde schwankt. In Europa selbst begegnen wir Menschen von blondem 'und von brünettem Teint. Der erstere ist häufiger im Norden, der andre . häufiger im Süden. Unter Italiener, Spanier und Portugiesen mischen sich eine Anzahl blonder Menschen, wie umgekehrt die brünetten Erscheinungen in England nicht zu den Seltenheiten gehören. Die Kelten Galliens werden in der römischen Kaiserzeit von den alten Erdbeschreibern als ein blonder Menschenstamm geschildert und da auf die heutigen Franzosen ein solches Schlag- wort nicht mehr passt, so sind wir zu dem Schlüsse berechtigt, dass derartige Merkmale sich in vergleichsweise kurzer Zeit ver- ändern. Bei den Wakilema im äquatorialen Ostafrika trafen deutsche Reisende theils eine lichte Negerfarbe mit einem Stich ins Bläuliche, gleichzeitig aber auch Leute, die an Helligkeit die Mulatten übertrafen 3), ohne dass der Verdacht einer Mischung irgendwie begründet worden ist.

1) Burmeister, Reise nach Brasilien. Berlin 1853. S. 89. Auch die Araber sollen aus Afrika einen üblen Hautgeruch mit in ihre Heimath bringen, der sich erst mit der Zeit verliert und bei wohlbeleibten Südeuropäern soll sich bei Fieberzuständen eine fast negerartige Ausdünstung entwickeln. Selig- mann im Geogr. Jahrbuch. Bd. i. S. 433.

2) Waitz, Anthropologie. Bd. i. S. 114. S. 118.

3) Otto Kersten, v. d. Deckens Reisen in Ostafrika. Bd. i. S. 273.

94

Haut und Haac des Menschen.

Dass die Polhöhe auf eine noch unerforschte Weise die Färbung der Haut bis zu einem massigen Betrage beherrscht, darf nicht gänzlich verneint werden. Die tiefste Schwärze treffen wir nnr in der Nähe des Aequators in Afrilca, in Indien und in Neu- guine^a. Die Emgübornen in der Nähe der Horetonbay Australiens waren so dunkel wie irgend ein Neger, während zehn Grad süd- licher kupferne Färimngen häufiger wurden')- Unter den Gliedern der mittelländischen Race sind die Abessinier stark, unter den Indoeuropäern die Zigeuner und brahmanischen Hindu am meisten gedunkelt. Bei den letzteren könnte an eine Mischung mit der Urbevölkerung gedacht werden, immerhin vermochte ein Beobachter wie Graul, den Mann hoher Kaste, also den Indier arischen Ur- sprungs, unter den schwarzen Tamulen an der beinahe europäischen Helligkeit der Haut noch zu unterscheiden'). Dass nicht die Sonnenstrahlen die X>unkelung hervorrufen, ergibt sich schon daraus, dass die bedeckten Körpertheüe bei farbigen Menschen kdne Unterschiede zeigen. Wäre aber die höhere Temperatur die Ursache, dann müssten wir in Tiefländern überall grössere Dun- kelung finden, als auf Hochebenen. In der That wird diese Vor- aussetzung zwar bestätigt durch einen Vergleich zwischen den Be- wohnern Bengalens und den weit helleren Gebirgsvölkem des Himalaya, und das nämliche gilt im abessinischen Afrika von den Bewohnern der Hochebnen Enarea's und KafTa's^. Allein andre Beobachter haben in denselben Erdräumen gerade die Thalbe- wohner lichter angetroffen*) und ebenso bemerkt Munzinger, dass das heisse Ufer des rothen Meeres von hellen Menschen bewohnt werde, die Bergluft aber dunkele^). Noch entschiedener spricht die Thatsache, dass von allen Eingebornen Amerikas, bei denen der Verdacht von Blutmischung völlig ausgeschlossen bleibt, gerade die Aymara, welche doch Hochebenen von gleicher Erhebung wie die Gipfel des Berner Oberlandes bevölkern, durch ihre schwarzbraune Farbe aufTitUen, die gerade in den kältesten Strichen am tickten erscheinf"). Andere Beobachter dachten sich die Dunkelung der

1) Wailz, Anihropologie. Bd. i. S. 52.

2) Reise nach Ostindien. Leipzig 1855. Bd. 4. S. 151—151.

3) Waiti, Anthropologie. Bd. i. S. 49— So.

4) Abbndie bei QuatreTages, Rapport, p. 15;.

5) Au5hnd. i86n. S, 954.

b) V. Tschudi, Reisen durch Südamerika. Bd. 5. S. 212.

Haut und Haar der Menschen. q^

Haut dort am stärksten, wo sich zu den heissen Temperaturen eine hohe Sättigung der Luft mit Wasserdämpfen gesellt. Hitze und Feuchtigkeit sollen nach der Ansicht Livingstones in Südafrika die tieferen Färbungen hervorrufen'). Auch gegen diese Ver- muthung können die dunklen Aymara im trockenkalten Peru und Bolivien sowie umgekehrt die Yuracara, deren Name schon eine bleiche Gesichtsfarbe andeutet, als Widerlegung dienen, denn sie, die letzteren, bewohnen die von beständigen Niederschlägen trie- fenden Ostabhänge der südamerikanischen Cordilleren ^.

Trotzdem dürfen wir nie ausser Acht lassen, dass der Euro- päer bei einem dauernden Aufenthalt im indischen Morgenlande einer Aenderung in seinen bisherigen physiologischen Verrichtungen sich anbequemen muss. Die Farbenunterschiede zwischen dem Blut der Arterien und der Venen werden unter den Tropen auffallend bei Europäern vermindert, weil der Sauerstoffverbrauch bei schwächerem Verbrennungsprocess geringer geworden ist^). Umgekehrt werden die Absonderungen von Galle lebhafter in heissen Erdstrichen. So kommt es, dass durch Ueberarbeitung derjenigen Organe, die vergleichsweise zur Ruhe bestimmt sind, nämlich der Leber bei dem Bewohner höherer Breiten, der Lunge bei dem Bewohner der Tropen, der eine in den ihm fremdartigen heissen Clima den Gallenfiebern, der andere nach kalten Erd- strichen versetzt, der Auszehrung häufig erliegt*). Der Europäer, der den Wechsel überstanden hat, verliert unter den Tropen seine rosige Gesichtsfarbe. Wir haben sogar das Beispiel eines britischen Edelmanns Namens Macnaughten, der lange Zeit im Dschengel- lande Südindiens nach Art der Eingebornen lebte und dessen Haut auch an den bekleideten Theilen sich bräunte, wie die eines Brahmanen^). Ein Negerknabe aus Bagirmi, den Gerhard Rebifs nach Deutschland brachte, veränderte hier nach zweijährigem Aufent- halte seine Farbe „vom tiefen Schwarz in helles Braun" ^). Hat eine gesteigerte Gallenabsonderung Einfluss auf die Anhäufung von Farb-

1) Missionsreisen in Südafrika. Bd. i. S. 378.

2) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. II, 305.

3) J. R- Mayer, Die Mechanik der Wärme. Stuttgart 1867. S. 97.

4) Bastian in Zeitschrift für Ethnologie. 1869. Heft i.

5) Pruner Bey, Questions relatives ä T Anthropologie. Paris 1864, p. 5.

6) Zeitschr. f. Ethnologie. 18 71. S. 255. Andre Beispiele vom Hellerwerden der Neger nach Blumenbach bei W a i t z , A nthrop. I, 60.

q5 Haut und Haar des Menschen.

stoffBellen in der Schleim schiebt der Unterhaut, so kann die Dunkelung der Lappen und Finnen ihrer Unsauberkeit, der unreinen Luft ihrer Behausung und der ungesunden Nahrung zugeschrieben werden, insofern auch sie auf die Gallenabsonderun gen Einfluss ausüben"). Längst hatte man erkannt, dass Negerstämme im äquatorialen Afrika sich völliger Gesundheit erfreuen, während Küstenfieber rasch die Europäer hinwegraffen. Das gelbe Fieber verschont in Amerika die Neger, selbst die Mulatten. Sollte nun ein ursäch- licher Zusammenhang zwischen der Hautdunkelung und dem Schutze vor örtlichen Krankheiten sich erkennen lassen, so würden bei der ersten liesiedelung von Fiebergebieten einerseits alle die- jenigen Leute, welche schon gebräunt waren oder sich bräunten, besser die Gefahren des Aufenthaltes überstanden haben, andrer- seits die bleicheren unter ihnen früher hinweggerafft worden sein und in Folge dieser Ausmusterung hätte eine Hautdunkelung all- mählich erblich werden können "), Damit wird freilich nur eine Vermuthung ausgesprochen, welche der strengeren Beglaubigung entbehrt und nur den Vorzug besitzt, dass sie bis jetzt den ein- zigen Versuch einer Erklärung enthält. Doch muss sogleich hin- zugefügt werden, dass Dr. Nachtigal nach den Ueberschwemmungen in K-uka die schwarzen Eingebornen des Sudan den Sumpffiebern eben so rascli erliegen sah, als die zugewanderten Fremden^). ' Eu den strenger vererbten Körpermerkmalen des Menschen'

gebort seine Hairbekleidung, Schwankend ist freilich die Farbe des Haares, öle von einem Pigment herrührt, dessen Verschwinden im Alter das W'eisswerden nach sich zieht. Rothe Haare kommen mit Ausnahme Amerikas fast in allen Welttheilen vor, selbst unter Australiern will sie Dumont d'Urville') bemerkt haben. Sie sind nicht ungewöhnlich bei finnischen Völkern, so wie unter den Berbern Nordafrikas. Unter diesen gibt es auch helläugige und blond- haarige in Marokko^} und schon Skylax kennt blonde Libyer, die

1] Rithard Owen, .\natoiny of vertebrates.- London iSöS. tom. III, p. 615.

3) Aus einem Vortrage des Dr. Wells vor der Royal Society im Jahre 1813; bei Darwin, Knl^tebung der Arten, ü. 3 und Abslammung des Men- schen, Bd. 1. S. 2H.

3) Zeitsclirifl lür Erdkunde, BerUn 1871. Bd. 6. Heft 4. S. 335,

41 Vuy.ige de l'Aslrolabe, toni. I. p. 404.

j} G. Rohlfs. Erster Aufenthalt in Marokko. Bremen 1S73. S. 60.

Haut und Haar des Menschen.

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Gyzanten , an der kleinen Syrte ^). Nach Manetho zeichnete sich auch die ägyptische Königin Nitokris, welche der VI. Dynastie angehört, durch helle Hautfarbe,- rosige Wangen und blondes Haupthaar aus*). Das letztere ist auch an den Mumien der Guanchen oder der ausgestorbenen Bewohner des cariarischen Archipels, die einem Zweige der Berbern angehörten, erkannt worden^). Selbst unter den Monbuttu am Uelle sah Georg Schwein- furth graublonde Neger auffallend häufig '^). Unter den Unionssol- daten während des letzten Bürgerkrieges wurden von Spaniern und Portugiesen 5 Proc, von Skandinaviern laber 51 Proc. mit blonden, rothen, überhaupt hellen Haaren gezählt 5). Diese letz- teren Haarfarben treten hin und wieder auch bei Armeniern, syri- schen Semiten und Juden auf und zeigen sich bei Mischlingen von Europäern und Eingebornen Perus um Moyobamba^). Dürfen wir daher die Haarfarbe bei der Völkerbeschreibung auch nicht völlig übergehen, so gehört sie doch sicherlich zu den wenig beharrlichen Merkmalen.

Weit wichtiger ist die Gestalt des Haares. Auch bei ihr fehlt es zwar an strengen Grenzen, dennoch lassen sich bisweilen mit ihrer Hilfe benachbarte Völkerstämme leicht von einander trennen. Unter den Eingebornen Amerikas finden wir ohne Ausnahme nur straffes grobes Haar und durch seine Haarkrone unterscheidet sich der Papuane Neu-Guineas von dem Australier, dessen Haar sich zwar kräuselt, aber nicht in Büscheln sich vereinigt. Der Wuchs der Haare und vorzugsweise der Kopfhaare lässt sich bezeichnen als ein schlichter oder straffer, als ein lockiger oder anmuthig ge- ringelter, dann als ein gekräuselter und endlich als ein büschel- förmiger. Die Ursachen der Krümmung und Drehung sind sehr mannigfache. Schon in der Grösse des Durchmessers ist eine solche gegeben, denn je feiner das Haar, desto williger wird es sich den Krümmungsursächen fügen. Kein menschliches Haar erreicht die Zartheit der Schafwolle, daher echte thierische Wolle nirgends bei

i) Scylax, Periplus cap. 110. Geogr. Graeci minores ed. Müller I, p. 88.

2) Lauth, Aegyptische Reisebriefe. AUgem. Zeitung. 1873. S. 1335.

3) Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 54.

4) Zeitschr. für Ethnologie. Berlin 1873. Bd. 5. S. 15.

5) Gould, Investigations in military and anthropological statistics. p. 193.

6) Nach Raymondi's Geografia del Peru im Globus. Bd. XXI. No. 19.

1872. S. 300.

Peschel, Völkerkunde. 7

ng Haut und Haar des Menschen-

Menschen angetroffen wird. Wichtiger ist aber für unsre Zwecke die Gestalt des Querschnittes, der bisweilen kreisrund, bisweilen elliptisch plattgedrückt sich zeigt, so dass das Haar von der Walzen- form bis zu der, eines doppeltconvexen Bandes sich verändern kann. Obgleich nun bei den einzelnen Vertretern einer Race beträchtliche Schwankungen vorkommen, so hoffte doch ein Anthropolog wie Pruner Bey, durch mittlere Grossen bestimmun gen ein brauchbares Mittel zur Classification der, Menschenstämme zu erwerben. Wird der grosse Dütchmesser des Haarquerschnittes gleich hundert ge- setzt, so drückt das Sinken der Ziffer für den kleineren Durch- messer ein Fortschreiten der Abflachung aus. Der reinsten Walzen- form mit 95 als Werth für den kleinen Durchmesser begegnen wir bei Südamerikaner:i; auch die Mumien der Aymara in Peru zeigen noch 89. Es schliessen sich aber in Bezug auf den ' Querschnitt des Haares an die Bewohner der Neuen Welt zunächst die Mon-, golen an, bei denen die Abplattung zwischen 81 bis gi schwankt. Am meisten verkürzt ist der kleine Durchmesser bei dem Haar der Papuanen Ntu-Cuineas, nämlich bis zu und 56 in .äussersten Fällen, bis zu 34 im Durchschnitt. Auch hier unterscheiden sich die Australier mit einem Index von 67 und 75 noch deutlich von den Papuanen. Auch ist es von nicht unbeträchtlichem Werthe, dass mit den Papuanen die Hottentotten nahe übereinstimmen, denn bei ihnen sinkt der kleine Durchmesser auf 55 und 50'). Scharfe Begrenzungen lassen sich aber auch auf diesem Wege nicht gewinnen, sondern nur die Erfahrung, dass mit der grösseren Flachheit des Haares, zumal mit ihr auch eine grossere Feinheit sich zu vereinigen pflegt, die Anlage zu dem Lockigwerden und der Kräuselung beträchtlich wächst.

Verschieden von der Kräuselung ist die bündelweise Ver- einigung von Haaren zu gesonderten Strängen, die nicht unglück- lich mit den Ohrqliasten bei echten Pudeln verglichen worden ist. Diese gruppenweise Vereinigung wird unterstützt durch äusserlich hinzutretende Bindemittel, nämlich durch Ausscheidung von Fett und Talg'). Das büschelförmige Wachsthum der Kopfhaare ist

1) Pruner Bey, De la chevelure. Paris i86j. p, IJ. Goetle (das Haar des Buschweibes, Tübingen 1867, S. 43) fand dagegen bei der Afandy nur eini:n kleinen Durchmesser von 73,

2) Goetle, Das Haar des Buschweilies. Tübingen 1867, S. 34 ff.

Haut und Haar des Menschen.

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es, welches uns verstattet, die einzelnen Glieder der papuanischen Race von den malayischen und australischen Bevölkerungen streng zu sondern. Weit weniger zuverlässig ist dieses Merkmal in Süd- afrika. Dort ist das büschelartige Wachsthum der Haare am deutlichsten ausgeprägt bei den Hottentotten, den ihnen körperlich nahe stehenden Buschmännern, sowie einigen vereinzelt auftreten- den Horden im Innern- Afrikas bis in die Nähe des Aequators. Die Vereinigung der Haare zu eirfzelnen Gruppen ist auch bei kurz geschornen Köpfen noch deutlich sichtbar und letztere gleichen dann,' um einen prosaischen aber zutreffenden Ausdruck Barrows zu wiederholen, dem Ansehen und dem Gefühl nach einer abge- nutzten Schuhbürste. Von der Gleichstellung mit Schafwolle ist jedoch auch dieses Haar schon durch seine gröbere Beschaffenheit geschützt. Leider ist auch in diesem Falle das Merkmal nicht streng auf eine Völkerfamilie beschränkt, denn nach den Unter- suchungen von Gustav Fritsch verfilzt sich, wenn auch in ge- ringerem Grade, der Haarwuchs der südafrikanischen Bantuneger ebenfalls zu kleinen Zöpfchen*). Da diess aber nicht blos von den Ama^^osa Kafirn gilt, die einer Blutmischung verdächtigt werden könnten, weil sie sich einige Schnalzlaute der Hottentottensprache angeeignet haben, sondern auch bei den tiefer binnenwärts sitzenden Betschuanen *) oft recht deutlich noch sich wahrnehmen lässt, nie gänzlich verschwindet, so entzieht auch dieses Merkmal durch allmählige Uebergänge uns die Möglichkeit einer scharfen Racenbegrenzung.

Krauses Haar, welches die Neger Afrikas und die Australier auszeichnet, unterscheidet sich von dem büschelförmigen durch den Wegfall der Verfilzung, von dem lockigen durch seine grössere Kürze, seine starke spiralartige Drehung und eine Spaltung der Länge nach, welche das Haar in zwei platte Bänder zerlegt"*). Fällt der letztere Umstand hinweg, wird das Haar gröber und walzenförmiger, so be- ginnt eine schwächere Krümmung von Haargruppen zu Locken, wie bei den Europäern und Semiten. Das gröbste und rundlichste Haar endlich ist ein beharrliches Merkmal der Amerikaner und ihrer physischen Geschwister in Nord- und Ostasien. Wo eine

1) Fritsch, Die tingebornen Siidafrika's. S. 275. 276. S. 15 16.

2) Fritsch, Eingeborne Südafrikas. Atlas. Tafel 'XI bis XX.

3) Goette, a. a. O. S. 23.

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IQO Plaut und Haar des Menschen.

Mischung zwischen kraushaarigen Afrikanern und den grob- und schlicht haarigen Amerikanern stattgefunden hat, da behält das Haar die Kräuselung /war bei, nimmt aber an Länge und Sprödigkeit zu. Bei den Cafusos, wie solche Mischling^ in Brasilien genannt werden, entwickelt sich eine üppige vom Haupt abstehende Haarkrone, die ihnen eine trügerische Aehnlichkeit mit den Papuanen verleiht '}. Diese letztcien stehen in Bezug auf die Dichtheit des Wuchses wahrscheinlich unter allen Volkern am höchsten. An Länge des Haupthaares dagegen werden die Jägerstämme Nordamerikas nicht übertroffen. IJei den Mannern der Schwarzfüsse und der Siüux oder Uacota reicht es fasst bis zu den Fersen'), ja ein KräbenhäüptUng brachte es sogar bis zu einem Längenwachsthum von lo Kuss 7 Zoll engl,^)

Die Haarbckleidiing andrer Körpertheile als der Kopfhaut ist mehr oder minder reichlich vorhanden oder fehlt oft gänzlich bei beiden Geschlechtern. Am seltensten verschwindet die Bedeckung in den Sexualgegend t*n. Ihre Spärlichkeit oder ihr gänzlicher Mangel bei nordasiatisclien Mongolen, bei amerikanischen und malayischen Stämmen sowie bei Hottentotten und Buschmännern gehört zu den beharrlichsten und bewährtesten Racenkennz eichen, nur muss hinzu- gefügt werden , das^ die natürliche Kahlheit des Körpers noch durch sorgsames Auszupfen vereinzelter Haare künstlich gesteigert zu werden pflegt. Auch der Bartwuchs mangelt oder ist auf das äusserste beschränkt bei allen Völkern mit straffem groben Haar, also bei Amerikanern, Nord- und Ostasiaten, sowie bei Malayen. Kümmerlich entwickelt ist er bei den Hottentotten, reichlicher und häufiger kommt er bei mittel- wie südafrikanischen Negern vor. Bei allen diesen Measchenstämmen iet obendrein der Backenbart nicht oder nur als Sehenheit anzutreffen. Durch einen massigen Bartwuchs können die Australier, durch reichlichen Bartwuchs die Papuanen leicht von ihren malayo-polynesischen Nachbarn unter- schieden werden. Eine üppige Haarbekleidung des Körpers gehört zu den Kennzeichen der Semiten wie der indoeuropäischen Volker-

1) Ueber den Ursprung des NamcDB Cafuz s. MartiuE, Ethnographie. 1,150. In Guayana werden sie Cabocie» oder Capucres genannt. Appun im Aus- land. 1871. S. 967.

2) l'runcr Bey, Chevelore. p. 4.

3) Callin, Indianer Nordamerika's. 2. Ausgabe. 1851. S. 34.

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Haut und Haar des Menschen. loi

i) Der bekannten Tänzerin Pastrana, welche fast unter die dicht behaarten Geschöpfe gehörte, soll auch ein wenig die berüchtigte Lola Montez geglichen haben. Ausland. 1861. .S. 503.

2) Laperouse (Voyage autour du monde. Paris 1798. tom. HI, p. 125.) begnügt sich indessen, von den Bewohnern Saghaliens an der Crillon-Bai zu behaupten, dass Bärtigkeit und Behaarung von Armen, Nacken, wie sie bei Europäern zu den Seltenheiten gehöre, bei ihnen die Regel sei.

3) H. Heine, China, Japan und Ochotzk. Bd. 2. S. 223. Wie H. Heine äusserte sich auch H. v. Brandt, deutscher Consul in Japan, am 16. Decbr. 187 1 in der Sitzung der Berliner anthropologischen Gesellschaft (vgl. deren Verhandlungen, Berlin 1872, S. 27). Bei Francis L. Hawks (Narrative of the expedition under Comm. M. C. Perry. Washington, 1856. tom. li p. 454.) wird nur von dem starken Bartwuchs und der reichUchen Haarbedeckung der Beine bei Ainos in der Nachbarschaft von Hakodadi gesprochen.

4) Gould, Investigations. New- York. 1869. p. 568 569.

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familie. Bei Südeuropäern, namentlich Portugiesen und Spaniern, soll dieses Merkmal am stärksten sich entwickeln*). Von allen Völkern der Erde standen aber die Aino, die Bewohner von Jezo Saghalien und den Kurilen, seit dem Besuche Lap6rouse*s, in dem Rufe, eine Art thierischer Behaarung am Oberkörper zu besitzen*). Neuere Beobachter haben diese Uebertreibung beträchtlich gemil- dert, so dass die Aino nicht einmal völlig den Vergleich mit euro- päischen Matrosen bestanden. Heinrich Heine fand die Barte der Aino nur 5 6 Zoll lang, Brust und Nacken waren kahl und nur £

bei einer einzigen Person zeigten sich an den genannten Körper- stellen etliche Haarbüschel). Immerhin wird selbst dieser massige Grad einer zottigen Haut in der Nachbarschaft so bartarmer Völker, wie der Japanen und Chinesen uns in Verlegenheit setzen, wenn wir den Aino in unsrer Raceneintheilung einen schicklichen Platz anweisen wollen, denn das Auftreten der Leibhaare sind wir genöthigt, zu den beharrlichsten Kennzeichen der Menschenracen zu zählen. Wenn nun bei 2129 Mulatten und Negern des 25. Armeecorps, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges beim Baden von Aerzten beobachtet wurden, nur 9 als ganz kahl sich zeigten, 21 dagegen beinahe die höchste Stufe, zwei Drittel aber die mittlere Häufigkeit der Behaarung wie bei weissen Soldaten wahrnehmen Hessen*), so dürfen wir doch nicht daraus schliessen, dass eine Vertauschung des afrikanischen Wohnortes mit der neuen Welt das Hervorsprossen des Leibhaares bei den Negern veranlasst habe. Es ist hier vielmehr der Ort, den Irrthum

102 Haut und Haar des Menschen.

Ell widerlegen, als gehörten die Neger zu den Völkern mit glatter Haut. \\'ohl ist ihr Bartwuchs nicht so reich entwickelt wie bei den mittelländischen Völkern , aber besser wie bei den Koi-koin (Hottentotten) und ungleich mehr als bei allen mongolenähnlichen Stämmen der allen und der neuen Welt. Selbst der Backenbart fehlt niclit gänzlich, wie i-iele haben behaupten wollen und die Brust der Männer ist bei einigen Stämmen bisweilen, bei anderen durchgehends bewachsen').

Werfen wir jetzt noch einen Blick rückwärts, so werden wir uns eingestehen müssen, dass weder die Form des Schädels, noch andre Abschnitte des Skelettes scharfe Abgrenzungen der Menschen- racen veistatteten . dass auch die Hautfarbe nur verschieden ab- gestufte Dunkeluns zeigt und dass allein das Haar, aber auch dieses nicht immer und niemals scharf genug unseren systemati- schen Bestrebungen nu Hilfe kommt. Wer sollte also den Huth besitzen, von der Un Veränderlichkeit des Racentypus zu reden? Auf das Haar allein, wie Ernst Haeckel es gethan hat, eine Glie- derung des Menschengeschlechts zu begründen, war von vornherein ein Wagniss und mus^te enden, wie alle künstlichen Systeme ge- endet haben. Bei der Scheidung der Koi-koin von den Bantu- negern hat dieses Verfahren zu Missgriffen geführt und die Ver- einigung der Australier, als angeblich straffhaariger Menschen, mit den Mongolen beruht auf Unkenntniss der Thatsachen.

i| Vj^l. den Barulong-Neget bei Fritsch, Eingebome Südafrikas. Atlas. Taf. XVI, und die BeschreibunE der Kissamaneger von Hamilton im Journal of Ihe Anlhropül. Ine-litute. London 1872. lom. I. p. 187.

DIE SPRACHMERKMALE.

1. Die Entwickelungsge schichte der menschlichen Sprache.

Versteht man unter Sprache das Mittel, anderen Geschöpfen Erregungen oder Absichten mitzutheüen , so besitzen sogar die wirbellosen Thiere solche Fähigkeiten.^ Insecten, die in sogenannten Staaten beisammen leben, wie die Ameisen, sehen wir wie auf Verabredung planvolle Kriegsunternehmungen und Ueberfalle aus^ führen. Wenn ein Scarabäus den Düngerball, der das Ei ein- schliesst, beim Rollen in eine Bodenvertiefung gerathen lässt und die Anstrengungen des Käfers nicht ausreichen, ihn wieder auf eine glatte Bahn zu bringen, so fliegt er fort, um nach einiger Zeit mit etlichen Helfern wieder zu kehren, die nun gemeinsam die Kugel an den Wänden des Abhangs hinaufwälzen. Ohne Zweifel müssen also diese Geschöpfe Mittel besitzen, sich über eine Ver- einigung zu einer solchen Leistung zu verständigen. Bei unsern Singvögeln können wir nach kurzer Beobachtungszeit schon die verschiedenen Töne unterscheiden, welche sie ausstossen, wenn sie die Jungen vor einer Gefahr warnen, zum Futter herbeirufen oder sich gegenseitig zur Paarung locken wollen. Diese Thiere verfügen also für eine kleine Anzahl von Lebensbedürfnissen über eine gleiche Anzahl von Signalen , welche ihre erforderliche Wirkung nicht versagen und diese Signale sind, wie wir vorläufig nicht anders vermuthen könnnen, von ihnen wie die Instinkte erworben und vererbt worden. Die Bedürfnisse der Mittheilung sind be keinem Thiere mannigfacher und dringender als beim Hunde. Wir verstehen vollständig sein Bellen, ob es Freude, Missbehagen, War- nung vor Gefahr, einen bestimmten Wunsch oder eine Kriegs- erklärung bedeuten soll. Der Hund beschränkt sich nicht blos auf

104 ^'^ Entwicketungsgeschichle ä,ei menschlichen Sprache.

seine Stimme, sondern er scharrt oder fletscht die Zähne, bedient sich also auch einer Art von Gebärdensprache. Mit gewisser Be- rechtigung hat man daher das Bellen des Hundes als den ersten Sprechversuch eines Thieres bezeichnet'). Diese Fertigkeit erwarb jedoch dieses Thier durch seinen Umgang mit dem gesprächigen Menschen, denn europäische Hunde, die auf einsamen Inseln aus- gesetzt wurden, entwöhnten sich des Bellens und erzeugten eine stumme Nachkommenschaft, die erst durch erneuten Umgang mit dem Menschen zu dem verlornen Gebrauch der Stimmwerkzeuge zurückkehrte.

Die menschliche Sprache aber unterscheidet sich von den Verständigungslauten der Thiere nicht etwa blos durch einen grösseren Spielraum der Rlittheilungen, sondern dadurch, dass sie etwas zu verkündigen vc-miag, was jenseits des thierischen Denkver- mögens liegt, nämlich nicht blos Wahrnehmungen, sondern Er- kenntnisse. Ist das Bellen des Hundes der erste Sprechversucii, so können wir auch hinzusetzen, dass der Versuch bisher noch immer misslungen sei. Nicht einmal so weit gelangte das Thier, dass es einen Lockruf für eine bestimmte Person sich aneignen konnte. Wenn das Kind so weit gereift ist, dass es zum ersten Mal bewusst Vater oder l\[utter ruft, so ist ihm der erste Sprech- versuch völlig geglückt. Ein Thier wird niemals solche einfache Erkenntnisse rnittheilen, wie sie in den Worten hell, warm, süss, hart, spitz, blau, roth enthalten sind.

Da nun die Geschichte und die täglichen Erfahrungen uns lehren , dass die Sprachen sich ändern und dass sie zugleich an Umfang wachsen, ihre Bildung also nie stillsteht, und die Umbil- dungen und Neubildungen jedenfalls von uns selbst herrühren , so sollte eigentlich nie ein Streit sich erhöhen haben, dass der Mensch der Schöpfer seiner Sprache gewesen sei. Dennoch hat man die ersten Anfange einem übernatürlichen Vorgange zuschreiben wollen. Wenn aber gerade in der menschlichen Sprache der einzige sprung- artige Unterschied zu suchen ist, der uns innerhalb der Thierwelt von unsern Mitgeschijpfen absondert, so erniedrigen diejenigen unsre geistigen Fähigkeiten und schmälern jene Kluft, welche be- haupten, der Mensch habe nicht aus sich selbst seine höchste Aus- zeichnung erworben, (lieschieht diese Verneinung aus krankhafter

] L. Geiger, Ursprung der Sprache. StuUgsrt 1869. S. 190,

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. 105

Frömmelei, so braucht man nur daran zu erinnern, dass unsre heilige Schrift selbst entschieden die Sprache als eine Schöpfung des Menschen bezeichnet (Gen. II, 19 20).

Wer aber über die ersten Anfänge der menschlichen Sprache zur Klarheit gelangen will, der muss zunächst gewarnt werden, dass ihn dabei alle Vergleiche aus den jetzt vorhandenen Wort- schätzen in die Irre führen müssen. Wenn wir die früheren For- men unsrer Ortsnamen nur wenige Jahrhunderte zurückverfolgen, finden wir, dass sie mit der 2jeit bis zu trügerischer Unkenntlich- keit entstellt wurden, Wildenschwerdt ist aus Wilhelmswerda, Wald- see (Württemberg) aus Walchsee, Oehringen aus Oringau, Welzheim aus Walenzin, Holzbach aus Heroldsbach entstanden, wie A. Bac- melster uns belehrt hat. Martin Luther durfte vor 300 Jahren noch schreiben: Gott thue nichts als schlechtes und das Evangelium sei eine kindische Lehre ^). Damals bedeutete also wie noch heute in unsrer Redensart recht und schlecht, das Schlechte etwas Schlichtes, das Kindische etwas Kindliches. Im Süden Deutschlands wird jedes männliche Kind ohne Arg ein Bube genannt, im Norden bezeichnet dieser Ausdruck nur noch einen verworfenen Menschen, gerade so wie die entsprechenden Laute des Englischen für Knabe fknave) diesen üblen Sinn {knavery, Büberei) sich zugezogen haben. Wir gewinnen damit die wichtige Erfahrung, dass der Sinn durch- aus nicht fest an einer Lautgruppe haftet, sondern sich ihr inner- halb derselben Sprachgenossenschaft unmerklich entzieht und sogar auf andre Lautgruppen übergeht.

Diese Unabhängigkeit des Gedankens von seinem Schallaus- druck widerlegt die oft gehörte Behauptung, dass wir nur in innerlich gesprochner Rede denken sollen. Sprachloses Denken begleitet vielmehr fast alle unsre häuslichen Verrichtungen. Ferner baut der Musiker seine Schöpfungen aus einer rhythmischen Ton- folge auf, der Maler wählt die Farbe zum Ausdruck seiner Stim- mungen oder Gedanken, der Bildhauer die menschliche Gestalt, .der Baumeister Linien und Flächen, der Geometer Begrenzungen des Raumes, der Mathematiker Ausdrücke der Quantität. Wäre die Sprache dagegen eine strenge und nothwendige Lautverkörperung

I) L. Geiger a. a. O. S. 64. S. 72.

lo6 I^ic Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.

des Gedankens, so müsste dieser überall durch dieselben Schall- erregungen sich uns offenbaren*).

So müssen wir also das Begegnen eines gewissen Sinnes mit einer gewissen Lautgruppe nur als etwas flüchtiges betrachten. Sprachforscher, welche die Entwickelung der indoeuropäischen Sprachen rückwärts so weit verfolgt haben, als überhaupt Urkunden es verstatteten, konnten schliesslich einen Schatz von Wurzeln zu- sammenlesen, den wir als den ältesten erreichbaren Stoff der Sprach- forschung betrachten müssen. Gleichwohl haben wir keine Ge- wissheit, dass diese Wurzeln das Uranfangliche gewesen seien, wir dürfen wohl eher annehmen, dass auch sie schon lautliche Um- wandlungen erlitten, ehe sie auf uns gelangten. Zwar haben mahche Völker die Gabe, die Lautgruppe länger und schärfer festzuhalten, während andre viel unstäter mit dem Werkzeuge des Gedankenausdruckes wechseln, dennoch lässt sich wohl als allge- mein giltig behaupten, dass die Befestigung einer Sprache mit der Zahl der Sprechenden und zugleich mit der strengeren Gliederung der Gesellschaft wächst. Die ausserordentliche Vielheit der Sprachen in Amerika hängt genau zusammen mit der unstäten Lebensweise wandernder Jägerstämme. Wo dagegen wohlgeordnete Gesell- schaften bestanden wie im alten Peru, da konnte auch die herr- schende Ketschuasprache sich über mehr als zwanzig Breitengrade erstrecken.

Es ist von früheren Schriftstellern bereits erläutert worden, dass der Glaube an eine Fortdauer nach dem Tode die Umbil- dung der Sprache beschleunigt hat. Die Namen der Abgeschie- denen werden nicht mehr genannt aus Furcht, das Gespenst des Gerufenen herbeizuziehen. Viele Volker wagen nicht einmal, den wahren Namen ihrer Gottheit auszusprechen und etwas Aehnliches wenigstens verordnet das zweite sinaitische Gebot. Als unter den Dayaken Borneo's die schwarzen Blattern ausbrachen, floh Alles erschreckt in die Waldeinsamkeiten. Die Krankheit wagte man nicht mehr beim Namen zu nennen , sondern man hiess sie Dschengelblatt oder Datu (Häuptling) oder sagte schlechtweg: ist er abgezogen^). Da nun die Eigennamen bei der Mehrzahl der

2) Steinlhal, Psychologie u. Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. i. S. 54. S. 361. Whitney, Language and the study of language. London 1867. p. 413—420.

2) Spenser St. John. Far East. London. 1862. tom. L p, 61 62.

Die Entwickelungsgescliiclite der meo schlichen Sprache.

107

halbentwickelten Völker aus Worten des täglichen Gebrauchs zu- sammengesetzt werden, so müssen für diese letzteren neue Aus- drücke ersonnen werden. Als König Pomare auf Tahiti gestorben war, verschwand des Wort po (Nacht) aus der Sprache. Den nämlichen Gebrauch huldigen oder huldigten die Papuanen Neu- Guinea's, die Australier, die Tasmanier, die ostafrikanischen Wasai, die Samojeden und die Feuerländer. Doch darf man die Trag- weite dieser Gewohnheit bei Umwandlung der Sprache nicht über- schätzen, denn wenn ein neues Geschlecht, welches den Verstor- benen nicht mehr kannte oder nicht- mehr fürchtete, heranwuchs'), kehrte es wohi zu dem alten Worte zurück, oder wo das Verbot sich nur über eine Horde erstreckte und das verpönte Wort in einer andern Horde fortlebte, konnte es ebenfalls durch Zwischen he irathen wieder eingeschleppt werden. Auch darf man nicht denken, dass neue Lautgruppen ersonnen wurden, sondern man fügte aus den Bestandtheilen des Sprachschatzes nur neue Worte zusammen. Bei den Abiponen am westlichen Ufer des Paraguay Stromes Südamerika's war den alten Frauen das Geschäft anvertraut, die neuen Benen- nungen festzustellen. Der Name des Tigers (Jaguars) wurde wegen eingetretner Todesfälle drei Mal in sieben Jahren von ihnen abgeän- dert, zuletzt in laprireirae oder der „Fleckige", ,, Buntscheckige'"). Weit bedenklicheren Umwandiungen ist die Sprache solcher Menschenstämme ausgesetzt, die in Banden von weni^'cn Köpfen oder auch wohl nur in Familien dünn bewohnte Jagdreviere durch- streifen. Jeder Angehörige einer grossen Gesellschaft wird durch das tägliche Bedürfniss streng zu einer deutlichen Aussprache ge- (11 .-Mlfi] viT^Laiiklcii ivi-rciu. ^-chlecht erzogene . Lautgruppen, die eine Zeitlang innerhalb de-*

und die sich für ii Wrkehr 5i;c nicht wie iJic Kinilei

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79J. t<im IV. p. 1011 1 Verstoibtnm :iii- e1 oder Grcjssenkel Lif^jefrischl werde.

Io8 ^ic Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.

Eii^ensinn jeder an seiner Sonderaussprache festhält. Der Reisende Martins klagte daher, dass unter seinen Begleitern, obgleich sie der nämlichen Horde angehörten, ein jeder kleine dialektische Ver- schiedenheiten in Betonung und Lautumwandlung festhielt. Seine Genossen verstanden ihn, wie er seine Genossen verstand"). Bei einem solchen Hange verändern sich natürlich die Lautgruppen in

der kürzesten Zeit

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Wenig Mühe kostet es unserm Nachdenken , sich das all- mähliche Wachsthum der Sprachen auszumalen, sobald nur aer erste grosse Sprung ausgeführt war, dass durch irgend einen be- stimmten Schallausdruck die Mittheilung eines Gedankens oder nur eines Bedürfnisses von dem Sprechenden beabsichtigt und von einem Mitgeschöpfe erkannt worden war. Dieser erste Sprung bleibt aber noch immer von tiefem Dunkel umhüllt, denn die An- knüpfung irgend eines Gedankens mit einem Laute der mensch- lichen Stimme beruht auf einem Vertrage des Sprechers und des Hörers, und wie Hess sich der erste Vertrag oder die erste Ver- ständigung über das erste Wort schliessen, wenn es eben noch keine Verständigungsmittel gab? Nach der ältesten Vermuthung hätte sich der Vorgang auf dem Wege der Tonmalerei vollzogen und durch die Wahl der nachahmenden Laute sei die Aufmerk- samkeit des Zuhörers auf irgend einen Gegenstand von Sinnes- wahrnehmungen gelenkt worden. Da nun alle Sprachen reich sind an Lautbildungen, die uns, was sie ausdrücken sollen, gleichsam musikalisch schildern, so dachte man sich den ersten Anfang als einen onomatopoetischen Versuch. Es wurde indessen in Folge der raschen Lautveränderungen den Gegnern dieser Ansicht sehr leicht, sie dadurch zu widerlegen, dass den älteren Formen der gegenwärtigen Nachahmungsworte jede Absicht einer Tonschilde- rung mangelt. Wie leicht lassen wir uns täuschen, dass unser Wort rollen^ besonders wenn wir dabei an den rollenden Donner denken , aus dem Versuche einer Geräuschschilderung ent- sprungen sei? Dennoch fiel es L. Geiger*) nicht schwer, dieses Zeitwort von dem französischen rouler, dieses vom lateinischen rotulare und das letztere endlich von rota (Rad) abzuleiten, bei dem die Schallnachahmung völlig erlischt. Allein jener geist- reiche Sprachzergliederer übersah gerade hier einen wichtigen Um-

1) Ausland 1869. S. 891. Nach einer mündlichen Mittheilung des Reisenden.

2) Ursprung der Sprache. S. 27.

Die Ent Wickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. lOQ

stand, denn aus rouler hätte beim Uebergang in unsre Sprache ein Wort entstehen müssen, welches etwa ruhlen lautete. Dass nun aus ruhlen rollen gebildet wurde, verräth uns ein Bemühen, dem Worte durch eine Lautveränderung onomatopoetische Kraft und damit eine grössere Verständlichkeit zu geben. Wie die Geologen aber nun schliessen, dass die gegenwärtig an und in unsern Planeten sich vollziehenden Gestaltenwechsel von Anfang an in gleicher Art sich vollzogen haben, so können auch wir aus der bis in die Neuzeit unverminderten Lust zur Lautschilderung mit Recht vermuthen, dass derselbe Hang auch bei den ersten Anfangen der Sprachbilduug sich geregt haben müsse. Diese Erklärung hat Max Müller auf schnippische Weise abzufertigen gesucht, indem er sie eine Bau-wau-Theorie nannte, weil bei den ersten Sprach- schöpfungen die Kuh Muh und der Hund etwa Bauwau in Nach- ahmung ihres BrüUens und Bellens genannt worden seien. Er selbst aber sucht den Vorgang ins Mystische hinüberzuspielen. Jeder Körper, meint er, habe seinen besondern Klang, wie Glas und Glocken und so habe auch der Gedanke die Sprach Werkzeuge gleichsam zu den angemessenen Schwingungen genöthigt. Mit Anspielung auf den Glockenton ist daher Max Müllers Erklärung als Bimbaumtheorie (ding-dong) von anderen wieder verspottet worden. In neuerer Zeit neigt man sich der älteren Auffassung mit Vorliebe zu. Als der Sprachforscher A. Pott über die örtlich verschiednen Ausdrücke für Donner eine linguistische Heer- schau in allen Welttheilen hielt, ergab sit:h am Schlüsse, dass die Mehrheit der Völker den Eindruck jener Schallerscheinung durch einen Nachhall im Ausdruck wieder zu geben versuche'). An andern Beispielen hat Tylor gezeigt, dass Menschenstämme in weit abgelegenen Erdräumen dieselben Lautgruppen für geräuschvolle Bewegungen gebrauchen. Das Hervorbrechen stark gespannter Luftarten, alles was heflig geblasen wird, bezeichnen Malayen, Australier, Afrikaner, Asiaten und Europäer mit Lauten, die pu und puf sehr nahe kommen. Auch der Name für das Rind §ovq^ bos, bou, bo findet sich bei Hottentotten und Chinesen wieder*). Ferner darf nicht übersehen werden, dass unsre Kinder bei ihren ersten Sprechversuchen einen gehörten Schal^ mit ihren Stimm-

i) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1865. Bd. 3. S. 359.

2) Anfänge der Cultur. Bd. i. S. 202 210.

HO Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.

Werkzeugen nachzuahmen und Thiere fast ausschliesslich mit den Thierlauten zu bezeichnen pflegen. Der Kreis der Wahrnehmun- gen, die sich durch Tonmalerei ausdrücken lassen, ist aber be- schränkt auf diejenigen Vorgänge, welche mit Schallerregungen verknüpft sind, denn es gibt ja keine Tonmalerei für das, was wir durch das Gesicht oder den Tastsinn wahrnehmen.

Erleichtert dachte man sich die ersten Anfänge der Sprach- bildung durch die unwillkürlichen Thätigkeiten unsrer Stimmwerk- zeuge bei starker innerer Erregung. Der Schrei der Freude und des Entsetzens ist noch jetzt Eigenthum selbst der gebildeten Völker. Wir bringen den Schrei bei der Geburt mit auf die Welt, denn das erste Lebenszeichen eines Kindes besteht in einer Thätigkeit seiner Stimmwerkzeuge. Der Schrei ist uns allen ver- ständlich, obgleich nie Unterricht oder Uebung stattfindet, ja das Schreien genügt in den ersten Monaten des Lebens vollständig zur Ankündigung der verschiedenen Bedürfnisse. Ohne dass eine Absicht des Sprechens vorhanden ist, wird doch das Schreien ver- standen und Kinder bedienen sich noch eine Zeit lang, ja noch lange Zeit, sehr bald mit Bewüsstsein und Absichtlichkeit des Schreiens zur Verständigung. Ebenso mag das Schreien der Er- wachsenen in den ersten Anfängen der Sprachbildung noch lange Zeit das Sprechen vertreten haben und Schreilaute haben sich als Ausrufungen noch bis in die Gegenwart erhalten. Nur muss auch hier wieder gewarnt werden, dass wir unser Ach! und Weh! nicht ableiten dürfen aus der Zeit der ersten Sprachursprünge, denn es ist unzählige Male schon gelungen, solche Rufe, die scheinbar unwillkürlich sich dem gepressten Herzen entringen, als abge- kürzte Worte, ja Redensarten zu entlarven. Das englische zounds entsprang aus by GocTs woundsl und alas aus Oh me lassoH) Der westafrikanische Neger ruft vor Furcht oder Staunen mämd mdmd, der Indianer Neucalifomiens and! Beides bedeutet Mutter und wie unerwachsene Kinder rufen sie also die Schützeria ihrer Jugend zu Hilfe ^). Bedeutsam ist nur, dass solche Lautausbrüche noch in keiner gebildeten Sprache völlig entbehrt werden können. Die Sprache der Thiere ist aus Nichts zusammengesetzt als aus

i) Whitney, Language and the study of language. London 1867, p. 277. 2) Tylor, Anfange der Cultur. I, 176 77.

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. m

solchen hervorbrechenden Lauten der Stimmwerkzeuge und dass der Mensch zu allen Zeiten seine inneren Bewegungen, Schmerz, Freude, Schreck, Ueberraschung, Abscheu durch solche Signale ausgedrückt habe, bedarf nur des Nachdenkens, nicht des Be- weises ').

Dazu gesellt sich als wichtiges Hilfsmittel die Betonung. Unser Ja und unser Nein verstatten eine Stufenleiter der Aussprache, aus welcher der Fragende oder Bittende deutlich heraushören kann, ob die Bewilligung oder Zustimmung eine freudige oder saure, die Ver- neinung eine schwankende oder eine entschiedne sei, überhaupt in welcher Stimmung beide Aeusserungen erfolgen. Der Sinn des Rufeö P/ut\ wenn er klanglos ausgesprochen wird, dürfte jedem, der des Deutschen nicht mächtig wäre, völlig dunkel bleiben, mit voller Betonung des Abscheues ausgestossen, würde aber selbst ein Feuerländer errathen können, dass diese Lautgruppe den Gegensatz einer Billigung ausdrücken solle. Die Betonung aber, die etwas ursprüngliches, nichts erworbenes und andrerseits nichts beabsichtigtes, sondern etwas unwillkürlich hervorbrechendes ist, konnte bei dem Beginn der Sprachbildang das gegenseitige Ver- ständniss mächtig fördern. Es 'ist gewiss nichts zufalliges, dass gerade die formlosen, einsylbigen Sprachen die Betonung noch immer als wichtige Aushilfe zur Unterscheidung gleichlautender Wurzeln benutzen.

Aehnüch wirkte, nicht auf das Gehör, sondern auf das Auge das Mienenspiel und die Gebärdensprache. Die sogenannten wilden Völker üben ungelehrt und unbewusst oder wenigstens nur halb bewusst die Kunst, welche unsere Schauspieler durch müh- same Uebung vor dem Spiegel sich von neuem aneignen müssen. Die Buschmänner, bemerkt Lichtenstein, verständigen sich unter einander mehr durch Gebärden als durch Reden *). Es gibt jedoch eine Mehrzahl solcher Körperbewegungen, deren Sinn keineswegs von allen Menschenstämmen übereinstimmend gedeutet wird, es sind sogar Zweifel verstattet, ob in dem Ballen der Faust überall auf Erden eine Drohung, im Stampfen mit dem Fusse ein Aus- bruch des Unwillens erkannt werden sollte. Wird doch bei den

1) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 367). hält die Interjectionen für ReflexJaute.

2) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 82.

112 Die EntwickeluQgsgeschichte der menschlichen Sptache.

Basutonegem ein glücklicher Volksrednei durch Zischen belohnt, also von den Zuhörern nicht ausgezischt, sondern bezischt'). Viele Gebärdet! haben vielmehr nur durch gegenseitige Verständigung ihren Sinn erliallen. Unter anderm bejahen die Türken durch Kopfschütteln und verneinen durch Nicken. Im alten Griechen- land wurde ein Bittender durch Zurückwerfen des Hauptes (ava' VfveivJ abgewiesen und in Süditalien winkt man heran, wenn die Hand mit dem Rücken an die Brust gelegt wird und die Finger nach* dem Herbeizuziehenden spielen*). Dennoch schlummert in jedem Menschen die Gabe, sich durch Zeichen zu verständigen. Alle Seefahrer, die ein fremdes Gestade betraten, eröffneten mit den Eingebornen einen Verkehr durch diese Mitlei und es gelang ihnen dann immer, Wasser oder Nahrung zu erhalten. Ueberall auf Erden ist der Mensch auf dieselbe Gebärdenmalerei zum Aus- druck seines Gedankens gefallen. Die Taubstummen sind die Erfinder ihrer eignen Zeichensprache gewesen, woraus wir den schönen Satz gewinnen, dass der Mensch auch ohne Sprechwerk- zeuge zu einem Verständiglingsmittel gelangt wäre. Die Mehrzahl ihrer Sprach zeich en , vor allen die Luftzeichnungen, bedürfen zum Verständnisa keiner weiteren Erklärung, so dass man sagen durfte, die Taubstummen bedienten sich derselben Gebärden, die im stummen Verkehr der Indianer von der Hudsonsbai bis zum mexi- kanischen Golfe üblich waren. Auch konnte sich schon ein taub- stummer Engländer durch seine tagesgewohnten Zeichen mit den Lappländern in einer Schaubude verständigen. Endlich soll sich die unglückliche Laura Bndgman, eine blinde Taubstumme, bei welcher jede äussere Anleitung hinwegfiel , was freilich gerechten Zweifehl unterliegt, derselben pantomimischen Bewegungen bedient haben, wie sie bei anderen Menschen gesehen werden ^j.

So gab es denn in der Zeit der ersten Sprachentwickelung eine Anzahl von Hilfsmitteln zur Mittheilung des Gedankens, zu- gleich aber, da der Mensch von allen Geschöpfen am stärksten zur Geselligkeit sich neigt, trieb ihn das Bedürfniss, sich irgendwie mit seinem Nächsten zu verständigen. Trotzdem ist es noch

l) CasalLs, Los BasEüutof. Paris 1859. p. 247.

1} Kleinpaol, zur Theorie der Gebärdensprache. Zeitschr. f. Völker- psychologie. Betlio 1869. Bd. fi. S. 36a.

3) Tylor, Urgeschichie der Menschheil. S. 21. S. 44. S. 69. S. 86.

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. n^

schwierig, sich den ersten Sprechversuch zu erklären. Eine Ab- sicht, durch die Stimmwerkzeuge einem andern einen Gedanken mitzutheilen, darf nicht angenommen werden, dazu hätte ja gehört, dass der Sprechende sich bewusst gewesen wäre, dass ein Laut überhaupt zur Gedankenmittheilung dienen könne. Selbst wenn aber der erste Sprecher mit einem bestimmten Laut einen be- stimmten Gedanken verknüpft haben würde, so hatte er doch, da sich an jede Verlautbarung jeder Gedanke knüpfen lässt, gar keine Aussicht, verstanden zu werden'). Eine Aufhellung dieses dunklen Vorganges wäre nicht denkbar, wenn nicht ein jeder von uns selbst einmal aus dem sprachlosen Zustande sich hätte emporarbeiten müssen. Ein jedes Kind muss die Sprechversuche der Menschheit wiederholen, nur dass bei seinem Entwicklungsgang durch das Ent- gegenkommen der Erzieher eine Anzahl Mittelglieder übersprungen werden. Das Erwachen des Sprachverständnisses und die Sprach- schöpfung lassen sich deshalb bei jedem Kinde neu beobachten. Zu den übereilten Behauptungen L. Geigers gehört es auch, dass keine neuen Worte mehr erfunden werden sollen. Die jugendlichen Ame- rikaner hätten ihn vom Gegentheil belehren können. Der Partei- narae Locofoco, der Geheimbundname Kluklux, der Sectenname Mor- monen sind willkürliche Erfindungen. Schurlemurle, wie ein Getränk au« gemischtem Wein in Würzburg genannt wird und Pic-nic lassen sich wohl schwerlich von älteren Ausdrücken ableiten. Wer aber Kinder beobachtet hat, der wird über den Zweifel, dass Sprach- laute nicht zu neuen Gruppen zusammengestellt werden sollten, nur staunen können^). In Südafrika verlassen die Bewohner öder Strecken ihre Ortschaften, in denen die Kinder unter Aufsicht von etlichen altersschwachen Leuten zurückbleiben. Die Jugend beginnt nun eine eigene Sprache sich zu schaffen, die lebhafteren fügen sich dabei den minder entwickelten und im Laufe eines einzigen Geschlechtes vermag sich auf solche Weise das Wesen der Sprache zu ändern^). Zwei Worte, die in allen Sprachen der Erde erklingen, sind von Kindern geschaffen worden 'und werden

1) Steinthal, Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 84.

S. 370 ff.

2) S. einen solchen Fall bei Steinthal, Psychologie u. Sprachwissen- schaft. Bd. I. S. 382. § 510.

3) Max Müller, Science of language, tom. II, 54. PcscheU Völkerkunde. 8

114

■: Entwickelungsgeschichle der menschlichen Sprache.

von jedem Kinde aufs Neue wieder geschaffen, nämlich die Laute Papa und Mama. Der anfängliche Ma- oder /"a-Laul des Kindes ist durchaus kein Sprechversuch , sondern nur eine Uebung der Sprach Werkzeuge, hervorgegangen aus einem inneren physischen Drange, ohne Absicht und Bewusstsein, um nichts besser oder höher als der Schüll ! scAü//. '-Ruf unsrer Buchfinken. Die Eltern- Uebe hat aber, so iange Menschen auf Erden wandeln, stets in süsser Täuschung das Kind missverstanden , als sei ein Lockruf beabsichtigt gewesen, als verlange das Kind nach Vater oder Mutter. Dass nun diese ersten Uebungen der Stimmwerkzeu^'e den Laut des künftigen Wortes, die Deutung der Eltern aber den Sinn der t^ute bestimmten, erkennen wir daraus, dass in einer Anzahl von Sprachen der ^n-Laut für Vater, der ma-Laut für Mutter gi!t und in einer g^eicVicn Anzahl das Umgekehrte eintritt'). Andere Kinderl.iute für Watter sind ai/hef (gothisch) und a//a (sanskr.), letzterer auch für die ältere Schwester giltig, Al/a sieht im Latein und Griechischen, auch im Gothischen für Väterchen, wohin auch iic/fi- für Grossvater in deutschen Mundarten gehört'). Das lallende Kind hat nun verschiedne Stufen des Sprach Verständnisses KU ersteigen, denn es muss zunächst die Erfahrung erwerben, dass bei seinen ma- oder /'rr-Uebungen entweder die Eltern herbeikom- men oder den gegenwärtigen Freude bereitet wird. Dann erst Äird der Laut von dem Kinde absichtsi'oll geäussert, aber erst \iel später und nicht ohne entgegenkommende llemühung der Ehern ifHingt es endlich, dass der eine Laut für den Vater, der andere für die Mutter als Lockruf angewendet werde, Monate, ja Jahre verstreichen, ehe hierauf die Erkenntniss durchbricht, dass Jifüiiia und Papa nicht Eigennamen sind, sondern für alle Kinder zu- nächst die Ernährer und Erzieher bezeichnen. Erst bei einer späteren Reife entdeckt das Kind weiter, dass jene Xamen den Erzeugern zukommen und den wahren vollen Inhalt erfassen selbst lue Erwachsenen erst dann, wenn sie die Freuden und Sorgen von Vätern oder Müttern gekostet haben. Wenn auch nicht vollständig, t.o doch annähernd gleicht der Entwicklungsgang im zarten Lebens- alter den ersten Sprech versuchen unsros Geschlechts,

I) Eine Muslening iler Vater- und MultcrTufe aus Spr:ichen aller Welt- theile findet sich bei d'O TliiKny, rilomme amiricain. p. 79.

3j A. BacmcLsfer in der Ailgem. Zeitung. 1871. Beilage 29. Octbr

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. i\^

Ueber den Reichthum der Sprache entscheidet immer nur das Bedürfniss nach MittheUung und dieses müssen wir uns bei den Entwicklungsanfängen unsres Geschlechts sehr gering denken. Die Engländer rühmen sich eines Schatzes von 100,000 Wörtern, ihre Feldarbeiter aber sollen sich angeblich nur mit 300 begnügen. Nicht mehr will ein Geistlicher bei einem Tagelöhner seines Kirch- spiels auf einer friesischen Insel gezählt haben. Ein Mann von Durchschnittsbildung, so belehrt uns Kleinpaul'), verfügt über 3 4000, ein grosser Redner über 10,000 verschiedne Wörter und in den Berliner Taubstummenanstalten kommen nicht weniger als 5000 Zeichen zur Anwendung. Dass mit dem Bedürfniss nacb Ausdruck auch die Menge der Ausdrücke wachse, beweisen uns die Zahlwörter, die gewöhnlich nicht über zwanzig bei rohen Menschen- stämmen hinausreichen. Alex. v. Humboldt war der erste, der das Entstehen von Zahlengruppen zu 5, 10 und 20 Einheiten auf die Anzahl der Glieder an Händen und Füssen zurückführte, so dass wir mit sechsfingrigen Händen zum Duodecimalsystem gelangt wären ^). Indessen gibt es doch Ausnahmen namentlich bei einem australischen Stamme, der nur zwei Zahlworte verwendet, so dass gesagt wird für i netaf * für 2 naes ; für 3 naes-netat; für 4 nacs- naes ; für 5 naes-naes-nctat ; für 6 naes ^naes" naes ^), Andere australische Mundarten besitzen einen unabhängigen Ausdruck für drei und in einem der dortigen Sprachgebiete reichen die Zahl- wörter bis 15 oder 20 ^). Orton behauptet, dass die Zaparos in Ecuador am Napöstrome nur -bis drei zählen können und höhere Mehrheiten nur durch Aufheben der Finger ausdrücken 5), und das nämliche versichert der Prinz zu Neuwied^) von den Bo- tocuden. Nach näheren Untersuchungen möchten sich aber bei den meisten der genannten Völkerstämme günstigere Thatsachen ermitteln lassen , denn auch den Abiponen sind Zahlwörter über drei abgestritten worden. Jn Wahrheit aber sagen sie statt vier ,,Straussenzehen", für Fünf gebrauchen sie zwei Ausdrücke, für zehn

1) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1869. Bd. 6. S. 354.'

2) A. V. Humboldt's Leben, herausgegeben von Carl Bruhns. Bd. 3. S. 9.

3) Latham, Opuscula. p. 228.

4) Tylor, Anfange der Cultur. Bd. T. S. 24T.

5) James Orton, The Andcs and the Amazon. London 1870. p. 170. 6^ Reise nach Brasilien. Frankfurt 1825. Bd. 2. S. 41.

Il6 Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.

sagen «ie „Finger zweier Hände**, für Zwanzig „Finger und Zehen an Händen und Füssen** *). Uns selbst fehlt ein Ausdruck für zehntausend, wie ihn die griechische Sprache, ein andrer für hun- derttausend (Lak), oder für zehn Millionen (Kror), wie ihn die indische Sprache besitzt, die reichste der Erde an Ausdrücken für hohe Ziffern bis zu solchen mit 51 Stellen, weil diese bei den Zahlenspielereien der Sankhjäphilosophen und der Buddhisten viel- fach * zur Anwendung gelangten. Das Wort Million war den Völkern des classischen Alterthums fremd und der Ausdruck Milliarde ist erst in ^unserm Jahrhundert in Umlauf gesetzt worden. Ein Vergleich der Sprachen dürftig entwickelter Menschen- stämme lässt uns die Erfahrung gewinnen, dass die Wahrnehmung der Arten unterschiede um vieles früher eintrat, als die Erkenn tniss der übereinstimmenden Merkmale innerhalb der Gattung. Die rohen Jägerstämme benennen den Biber, Wolf und Bär, sie haben aber keinen Namen für Thier*). Den Sprachen der Australier fehlen Ausdrücke für Baum, Fisch und Vogel, wohl aber ist an Bezeichnungen der einzelnen Arten kein Mangel^). Das Gleiche lässt sich von den sogenannten Rothhäuten Nordamerikas sagen, denn in der Tschoctasprache gibt es .wohl Bezeichnungen für die Weiss-, Roth- und Schwarzeiche, aber keine für die Eichengattung. Wenn wir Nahrungsmittel zu uns [nehmen , sei es Suppe , Brod, Fleisch, Gemüse oder Brei, bedienen wir uns stets des Wortes essen, die Huronen aber wechselten den Ausdruck je nach der Verschiedenheit des Genossenen^). Die Eskimo wieder besitzen Sonderausdrücke für das Fischen, je nach den angewendeten Ge- räthen^). Die Malayen unterscheiden roth, blau, grün, weiss, aber es fehlt ihnen das Wort für Farbe. Die Tasmanier haben keine Eigenschaftswörter, sondern statt hart sag^n sie „steingleich**, statt rund „mondgleich**, statt hoch „mit langen Beinen**.

i) Dobrizhoffer, Gfeschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 202.

2) Auch die griechische Sprache hat insofern kein "Wort für Thier, als (^(3ov den Menschen mit einschliesst, weswegen sich das Lied „Mensch und Thiere schliefen feste" (freilich kein beklagenswerther Uebelsland) nicht in das Griechische übersetzen lässt. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsycho- logie. 1869. Bd. 6. S. 480.

3) Lubbock, Prehistoric Times. 2. ed. p. 437.

4) Charlevoix, Nouvelle France. Paris 1744. tom. III, p. 197.

5) La t harn, Varieties of Man, p. 376.

Der Bau der menschlichen Sprache. ny

An Lauten sind die Sprachen verschieden ausgestattet. Den Arabern fehlen die Schnalzlaute der Hottentotten, uns selbst fehlen wieder viele arabische Consonanten, die grÖsste Armuth aber wird wohl in der Südsee angetroffen. Die Polynesier verfügen nämlich nur über die zehn Consonanten f, k, 1, m, n, ng, p, s, t, v, welclie wiederum bloss auf Fakaafo und Vaitupu rein und vollständig vor- handen sind^), während die Bewohner der Tupuai-Gruppe südlich von Tahiti nur acht m, n, ng, p, r, t, v und einen mit ' be- zeichneten Kehllaut festgehalten haben*). Die gleiche Lautarmuth auf den Sandwichinseln ist durch Verfall entstanden, nichts ursprüng- liches und einfaches, denn andre polynesische Sprachen, die reicher an Consonanten geblieben sind, haben sich desto mehr alterthüm- liche Formen bewahrt. Wird damit die Thatsache verknüpft, dass die Sprache der Buschmänner namentlich wegen ihrer Schnalzlaute zur Verlautbarung den Sprach Werkzeugen die höchsten Anstrengungen auferlegt, so könnte man zu dem Schluss ^verleitet werden, dass bei den uranfanglichen Sprechversuchen ein grösserer Vorrath an Lauten zur Verwendung gekommen sei^). Doch gibt es auch Ge- lehrte, die das Gegentheil behaupten^), so dass eine allgemein giltige Regel vorläufig noch nicht ausgesprochen werden darf.

2. Der Bau der menschlichen Sprache.

Die fremden Sprachen, mit welchen wir Europäer in unsern Schuljahren uns beschäftigen, seien es ältere oder neuere, besitzen alle mehr oder weniger grammatische Formen, mit Hilfe deren den Wurzellauten eine bestimmte Verrichtung im Satze zugewiesen wird. So entsteht die Täuschung, dass jede Sprache nothwendig durch zugefügte Sylben oder Laute deutlich Hauptwort, Fürwort,

1) V. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen in den Abhandl. der phiL hist. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch. Bd. 3. Leipzig 1861. S. 253.

2) Haie, Ethnogr. p. 142.

3) W. H. J. Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868.

s. 53.

4) Whitney, Language and the study of I-anguage. p. 467. The ten- dency of phonetic change is always towards the increase of the aiphabet.

IlS Der Bau der menschlichen Sprache.

Zeitwort, Präposition, Conjunction erkennen lassen müsse. Die -erste Ueberraschung wird dem Neuling durch die semitischen Sprachen bereitet, denen es zwar an den Formen nicht fehlt, die sich aber ungewohnter ]Mittel zu ihren Sinnbegrenzungen bedienen. Das Staunen wächst, wenn die Erkundigung sich über afrirkanische und nordasiatische Sprachen erstreckt, bei denen nicht blos die Unterscheidung eines grammatischen Geschlechtes, sondern sogar des Zeitwortes völlig wegfällt. Dass es aber Sprachen geben sollte^ die nicht einmal bis zur Wortbildung sich erhoben haben, versetzt uns anfangs in ungläubige Rathlosigkeit, besonders wenn hinzuge- setzt wird, dass ein hochstehendes Culturvolk in einer solchen Sprache Werke von tiefer Lebensweisheit und Erzählungen von hohem künstlerischen Schliff und Feinheit abgefasst habe. Gleich- wohl sind die besten Beweise vorhanden, dass alle Sprachen einst aus diesen rohen Anfängen hervorgegangen seien.

Bei allen einsylbigen Sprachen mangeln jene Laut- oder Sylben-- Zusätze, durch welche anderwärts Hauptwort, Eigenschaftswort oder Zeitwort, und noch vielmehr solche, an denen der Träger einer Handlung von ihrem Gegenstande unterschieden wird, denn es sind überhaupt noch keine Worte, sondern nur Wurzeln vorhanden. Warnen möchten wir jedoch sogleich den Unvorbereiteten, dass er nicht etwa die einsylbigen Klänge unsrer Sprache mit der wurzel- haften Einsylbigkeit verwechsle. Wohl können wir lange Sätze bil- den mit einsylbigen Worten, wie etwa: Der Mann ging auf die Jagd und schoss ein Reh u. s. w., allein in diesem Beispiele ist die Einsylbigkeit von gin-g, von Jag-d nur eine scheinbare und die von schoss eine zufällige. Noch weit mehr als unsre Mutter- sprache ist das Englische durch Lautverwitterung und Abschlei- fung einem Zustande starrer Einsylbigkeit nahe gebracht worden^ allein aus seinem früheren Zustande hat es sich doch die klare Unterscheidung der grammatischen Categorien gerettet') und nur bei etlichen Fällen, wie butttr^ oil^ P^'PP^r^ cudgel muss der Hörer oder Leser aus dem Sinn der Rede errathen, ob das Hauptwort Butter, Oel, Pfeffer, Knüttel oder das Zeitwort mit Butter be- streichen, einölen, pfeffern oder prügeln angewendet werden sollte'}.

Das Chinesische ist die Sprache, welche aller grammatischen

I) Whitney, Language and the study of langnage. p. 264, ',\ Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 80.

Der Bau der inenschUclien Sprache. 119

Sinnbegrenzungen entbehrt. Ihr fehlen alle Beugungen, jede Unter- scheidung von Hauptwort und Zeitwort, jede Wortbildung über- haupt. Die Lautgruppe sin kann Ehrlichkeit, ehrlich; ehrlich sein, ehrlich handeln, ja sogar trauen bedeuten. Was es in einem ^ge- gebenen Falle bedeuten solle, entscheidet die Stellung im Satze und der Sinn der ganzen Rede'). Durch die Berührung von Wurzel mit Wurzel wird der Sinn begrenzt und es entsteht auf diese Weise ein ähnliches Verständniss bei den Hörenden wie bei der Wort- bildung. Der Deutlichkeit wegen werden auch im Englischen bis- weilen Synonymen wie ivay-paih gehäuft, oder Classificationszusätze wie fnaple-iree angewendet^). Auch im Deutschen sagen wir Haifisch, Tannenbaum, Elenthier. Doch gewähren diese Beispiele nur entfernte Analogijen, denn Wortzusammenfügungen dürfen streng genommen nie mit Wurzelgruppirungen verglichen werden. Die lateinische Sprache schreibt kein« Wortstellung im Satzbau vor, oder sie überlässt die Stellung der Redetheile der künstlerischen Absicht des Sprechers, das Chinesische dagegen folgt den strengsten Vorschriften im Satzbau. Alle Wurzeln, die für eine nähere Be- stimmung (Attribut) dienen sollen, sei es als Eigenschaftswort oder Genitiv, müssen dem zu Bestimmenden, sei es nun ein Subject oder ein Zeitwort, vorausgehen. . Alle Ergänzungen (Objecte) aber müssen hinter dem zu ergänzenden (Zeitwort) nachfolgen. Wie fast zu errathen, lässt die Gruppirung zweier Wurzeln in unzähl- baren Fällen einen Doppelsinn zu. Werden ischung treu und kyün Fürst vereinigt, so könnte ein Europäer zweifeln, ob damit Fürsten- treue oder Unterthanentreue gemeint sei. In allen solchen Fällen hat aber längst der Redebrauch fest entschieden, in welchem Sinne ausschliesslich eine' solche Gruppirung statthaft ist und da der Chinese überhaupt nur Unterthanenpflichten kennt, so bedeutet jene Gruppe Loyalität. Die chinesischen Wurzelgruppen bestehen oft aus mehreren Gliedern. Für nicht übereinstimmen sagt der Chinese; ich Ost, du West ni hing wo si und für plaudern: du fragen, ich antworten ni wen zvo ia. Gewicht heisst leicht «schwer

1) Stein thal, Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprach- baues. Berlin 1860. S. 117. Ueberhaupt ist der obige Abschnitt, wo nicht andere Nachweise beigebracht werden, diesem nicht hoch genug zu schätzen- den Buche entlehnt worden.

2) Whitney, Study of Language. p. 335.

I20 I^er ßau der menschlichen Sprache.

khing tschung und Abstand fern-nahe ywan kin, Aehnliche Wortbil- dungen in unsrer Sprache sind Helldunkel, Pianoforte, im Spani- schen calofrio warmkalt für Fieber und altihajo hochniedrig für einen Hieb von oben nach unten'). Da ihnen ein Wort für Tugend fehlt, sagen die Chinesen Unterthanentreue , Ehrfurcht gegen Eltern, Mässigung, Gerechtigkeit tschun hyau tsye /", sie zählen also auf, was sie für die höchsten Pflichten des Chinesen halten. Bei allen solchen Wurzelzusammenfügungen ist die Reihenfolge stets vorgeschrieben. Wer in Wurzeln spricht, also der Chinese, kann auch nicht einfach sagen: lesen oder essen, sondern er muss sagen Buch lesen oder Reis essen.

Es gibt indessen selbst im Chinesischen schüchterne Aniange zur Wortbildung. Allerdings bewahren alle Wurzeln immer ihre Selbstständigkeit, doch gibt es einzelne, durch deren Beifügung andere Wurzeln zu einem Hauptwort erhöht werden. Die Wurzel thau Kopf hat diese Wirkung überall. So kann tschi je nach seiner Stellung zeigen oder Finger bedeuten, ischi^thau aber heisst stets Finger. Wiederum wird eine Wurzel mit der Bedeutung Sohn tsz zu Verkleinerungen verwendet, so dass aus Schwert tau Schwert- sohn tau-tsz mit der Bedeutung Messer gebildet wird. Beim Zählen von Gegenständen wird stets ein Stückname hinzugefügt, wie wir etwa auch im Deutschen sagen ein Laib Brot, ein Blatt Papier, ein Bund Heu, eine Elle Leinwand. Handelt es sich um Götzen- bilder, Gelehrte oder Beamte, so setzt der Chinese zur Zahl noch die Prädicäte Ehrwürden, Würden, Kleinode bei*). Bei Thieren wird das Geschlecht durch Beifügung zweier Wurzeln angedeutet, die in dieser Verbindung den Sinn von Mann oder von Mutter verleihen. Die Mehrzahl aber bilden die Chinesen durch Zusatz der Wurzeln, die den Sinn von viel oder von allen besitzen.

Das Stellungsgesetz reicht also hin, um mit einsylbigen Wurzeln der Rede völlige Klarheit zu geben.* Der Stolz der Chinesen kann also sein, mit diesem einfachen Mittel die höchsten Anforderungen des

i) Tobler, psycholog. Bedeutung der Wortzusammensetzungen in Zeit- schrift für Völkerps)'chologie. Bd. 5. Berlin 1868. S. 209.

2) Die Mexicaner und Malayen fügen dem Zahlwort immer noch Stein hinzu, die Javanen Korn, die Niasmalayen Frucht. Man sagt also in diesen Sprachen nicht drei Hühner, vier Kinder, fiinf Schwerter, sondern drei Steine^ Hühner, vier Kömer Kinder, fünf Früchte Schwerter. Tylor, Urgeschichte, S. 208.

Der Bau der menschlichen Sprache. 12 1

Gedankenaustausches befriedigt zu haben. Dennoch müssen wir das Chinesische unter allen Sprachen der Erde auf die niedrigste Ent- wicklungsstufe stellen. Es belastet das Gedächtniss mit dem Fest- halten einer übergrossen Anzahl von Wurzelgruppen, denen allein der Gebrauch ihren unabänderlichen Sinn verliehen hat und 'er- schwert dadurch unnöthig den Erwerb der Sprache selbst. Unbe- greiflich ist es daher, dass der scharfsinnige Steinthal das Chine- sische zu seinen Formsprachen rechnen konnte, nachdem er doch selbst eingesteht: „Berücksichtigt man allein den morphologischen Bau, so würde die Ordnung eine andre werden müssen. Vorzüg- lich würde das Chinesische, welches jetzt eine so hohe Stelle ein- nimmt, an die imterste gerückt werden müssen')". Was würde Steinthal von einem Zoologen halten, der die hochbegabte Ameise, weil sie durch ihre psychischen Vorzüge weit über dem Lanzett- fischchen steht, unter die W^irbelthiere reihen wollte? Und gleicht er nicht selbst einem solchen Systematiker?

Bei den südlichen Nachbarn der Chinesen, den Bewohnern von Siam und Birma finden wir ebenfalls nur einsylbige Sprachen. Doch sind sie bereits reicher als das Chinesische an Wurzeln, die zur Sinnbegrenzung verwendet werden. Ihr Stellungsgesetz schreibt indessen vor, dass im Siamesischen die Hilfswurzel der Hauptwurzel stets vorausgehe, im Birmanischen ihr folge*). Durch die Beifügung dieser Wurzeln werden nun Hauptwörter und Zeitworter, sowohl solche, die in eine Thätigkeit, wie solche, die einen leidenden Zu- stand ausdrücken, unterschieden. Wir dürfen wohl annehmen, dass, wenn diese beiden Sprachen ungestört ihrer Entwicklung überlassen werden, die Wortbildung bei der einen vorherrschend durch Wurzel- vorsätze (Präfixe), bei der anderen durch Wurzelzusätze (Suffixe) sich vollziehen würde.

An das Birmanische und Siamesische schliessen sich örtlich die malayisc'hen Sprachen an, die theils die sinnbegrenzenden Laut- gruppen der Hauptwurzel vorausschicken, theils sie ihr, jedoch minder häufig hinzufügen. Eine grosse Kluft trennt sie bereits von den bisher geschilderten Typen, da wir bei ihnen mehrsylbigen Wurzeln begegnen. Noch immer aber werden keinerlei Redetheilc streng unterschieden, so dass dieselbe Wurzel oder Wurzelgruppe

i) Typen des Sprachbaues. S. 328. 2) Steinthal, 1. c. S. 148.

122 I^cr Bau der menschlichen Sprache. '

die Verrichtung eines Hauptwortes, Eigenschaftswortes, Thätigkeits- wortes, ja selbst einer Präposition vollziehen kann. Keinerlei Laut- gruppen sind vorhanden, durch deren Beifügung Geschlecht, Casus, Zahl, Zeit, Modus oder Person ausgedrückt werden könnte. Bios Fürwörter, hinweisende Partikeln und einige Präpositionen ver- richten bereits ihre besonderen grammatischen Aufgaben. Nur die persönlichen Fürwörter sind durch Verbindung mit den Zahlaus- drücken einer Art von Mehrheitsbestimmung fähig und zwar ent- steht dadurch nicht blos ein Dual und Plural, sondern beide For- men können einschliessend oder ausschliessend gebraucht werden,, je nachdem der oder die Angeredeten mit einbegriffen werden sollen oder nicht. Ein achtes Zeitwort fehlt noch gänzlich, es treten vielmehr an seine Stelle Plauptwörter, die eine Thätigkeit ausdrücken, etwa wie wenn wir den Gedanken: ich gehe nach Osten, durch die Worte: mein Gang nach Osten wiedergeben wollten. So liegt in dem Präfix ba des Dayakischen der Sinn, mit etwas behaftet sein. Aus iiroh^ Schlaf entsteht batiroh, schlafen, aus kahovut Decke, bakahovut^ bedeckt, also batiroh bakahovut^ wörtlich: er mit Schlaf mit Decke, vertritt den Gedanken: er schläft bedeckt.

Eigenthümlich ist diesen Sprachen der häufige Gebrauch von Wiederholungen und Verdoppelungen, die auf älteren Entwicklungs- stufen auch sehr hoch gestiegenen Sprachen eigen gewesen sind, wie im Lateinischen sich in quisqtiis noch ein Rest solcher Wort- bildungen, sowie in dedii \in^ peperit ähnliche Trümmer aus der Vorzeit erhalten haben. Die malayischen Sprachen unterscheiden übrigens die einfache Wiederholung, bei welcher die Betonung un- verändert bleibt, von der Verdoppelung, bei welcher das vordere Wort die Betonung verliert. Durch die Wiederholung drücken sie Vervielfachung, Steigerung oder Dauer, durch die Verdoppelung aber eine Abschwächung oder Flüchtigkeit aus, so das UndäUndä oft, Undä Undä dagegen von Zeit zu Zeit innehalten bedeutet') Diese Spärlichkeit von sinnbegrenzenden Hilfsmitteln schliesst aber nicht einen Reichthum an Ausdrücken aus. Im Malayischen gibt es nicht weniger als zwanzig Lautbildungen für den Begriff schlagen, je nachdem mit einem dünnen oder dicken Holz, sanft, von obeir

I) Steinthal, Sprachtypeii. S. 156. Whitney, Study of language, Lon* tlon 1867. p. 338.

Der Bau der menschlichen Sprache. 123

I

nach unten, von unten nach oben, in ebner Richtung, mit der Hand, mit der flachen Hand, mit der Faust, mit einer Keule, mit einer scharfen Kante, mit einer Fläche, etwas gegen etwas, mit einem Hammer geschlagen oder etwas wie ein Nagel einge- schlagen wird.

Ueber den Norden Asiens und Europas in fünf grossen Gruppen, der tungusischen , mongolischen, türkischen, samo- jedischen und finnischen hingelagert , finden wir einen Sprachbau, der sich streng auf Wurzelzusätze (Su(fixe) beschränkt. ■Mittelst dieser Zusätze wird die grammatische Verrichtung eines Wortes im Satze schon ziemlich scharf bestimmt. Der Zusatz ~sif bezeichnet eine Person, die m^t dem Gegenstand der vorausgehen- 4en Wurzel sich beschäftigt. Aus ati Waare bildet der Jakute ati'sit Kaufmann, aus ayi Schöpfung ayi-sit Schöpfer. Durch An- fügung von ~ir wird eine Thätigkeit bezeichnet und aus tial Wind wird daher tialir wehen. Dieser Gruppirung von Wurzeln ist keine Grenze, gesetzt, so dass, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu erinnern, der Osmane den Gedanken : nicht dazu gebracht werden können sich einander zu lieben, durch die Gruppirung sewsch^-dir- il-eme in einem Worte aussprechen kann. Uebrigens gestatten auch Formsprachen eine ausserordentliche Anhäufung der sinnbe- grenzenden Lautglieder, z. B. das Englische in folgender Reihe, true^ tru'th, truth^ful^ truth/ul-ness^ tm-iruth/ulness. Die Einfach- heit des suffigirenden Verfahrens und die Aussicht, einen ver- wickelten Gedanken in einer einzigen Sylbengruppe auszusprechen, mag anfangs bestechen, dennoch sind diese Sprachen nie dahin ge- langt, ein Zeitwort zu bilden, sondern sie begnügen sich mit Be- nennungen der Thätigkeitsträger (Nomina verbi), etwa wie wir sagen ^ie Mitlebenden (Nomen praesentis), die Verstorbenen (No- men perfecti), der Gefangene, der Absender'). Im Türkischen bedeutet

dog-mak schlagen

Jog'ur ein schlagender

dog'ur-uvi ein schlagender ich = ich schlage

dog'ur-lar schlagende (Schläger) sie == sie scWagen^). Die Sprachen der ural-altaischen Völker bereichern uns mit

i) Steinthal, Sprachtypen. S. 193.

2) Whitney, Study of Language. London 1867. p. 319.

124 ^^^ ^^^ ^^^ menschlichen Sprache.

einem Einbhck in die Vorgänge der Wortbildung. Ihr Sprachbau begnügt sich nämlich nur mit der Anlöthung (Agglutination) von Lautgruppen. Etwas .ähnliches kommt selbst in solchen Sprachen noch vor, bei denen sonst Verschmelzungen üblich sind. Treten zwei Lautgruppen zusammen , ohne sich zu verändern und ohne ihren selbstständigen Sinn zu verlieren, so sind sie »ur locker ge- einigt (agglutinirt). Wenn wir solche Wörter wie muth-voll, geist^ reiche laui~arm in ihre beiden Hälften zerschneiden, können das Hauptwort wie der sinnbegrenzende Zusatz für sich allein fortbe- stehen. Auf solche Bildungen beschränken sich die uralaltaischen Sprachen, überhaupt alle solche, die sich mit der Anlöthung be- gnügen. Wurden aber längere Zeit dieselben Wurzeln vorzugsweise nur zur Sinnbegrenzung verwendet und verloren sie durch den Gebrauch ihre Selbstständigkeit, so dass sie nur noch zur Aus- hilfe dienten, entschwand später ihre ursprüngliche Bedeutung dem Bewusstsein der Sprechenden , so wurde bereits eine höhere Gliederung des Sprachbaues erreicht. Diesen Fall vertreten Bil- dungen in unsrer' Sprache, wie tugend^haft^ irag-bar, un^deuilichy Die Anhängsel -äö/7, ^har ^und die Vorsatzsilbe un- können in unsrer Sprache nicht mehr selbstständig auftreten, sondern sie haben ihre Freiheit eingebüsst, seit ihre ursprüngliche Form und ihre ehemalige Bedeutung dem Sprachverständniss entrückt wurden. Endlich ist noch ein dritter Fall denkbar, dass in Folge der An- löthung die sinnbegrenzende Wurzel eine Lautabänderung in der Hauptwurzel voDzog und beide Gruppen derartig verschmolzen, dass nun keine von beiden selbstständig mehr bestehen kann, wie etwa in solchen Bildungen als hölz-ern^ lüsi-ern^ schzvier-ig^ bläu-lich. Ein KeiiÄ zu Lautverwandlungen ist nun schon in den uralaltaischen Sprachen vorhanden , wenn er auch nur . durch das Bestreben nach Wohlklang (Vocalharmonie) herbeigeführt wurde. Die acht Vocale jener Sprachen zerfallen nämlich in schwere, leichte, harte oder weiche und nach dem Sprachgebrauch darf in der nachfolgenden Zusatzwurzel entweder nur derselbe oder irgend ein bestimmter andrer Vocal folgen. So besteht im Jakutischen die Nachsatzwurzel, welche die Mehrheit ausdrückt, aus der Laut- gruppe Ar, welcher Vocal aber zwischen / und r hineinzutreten ' habe, wird durch den Vocal der Hauptwurzel entschieden, so dass aja4ar die Väter, o%o4or die Kinder, äsä4är die Bären gebildet werden muss. Dieses musikalische Bestreben könnte bewirken, dass

Der Bau der menschlichen Sprache. 125

vielleicht in späterer Zeit die Verschmelzung der Begrenzungszusätze (Suffixe) mit dem herrschenden Wort sich gänzlich vollzöge.

Lehrreich ist es daher, dass wir auf einem andern Sprachge- biete, nämlich bei den nichtarischen Bewohnern Südindiens oder der Dravidagruppe. ebenfalls lautharmonische Gesetze, jedoch mit rückwärts gerichteter Wirkung antieffen. Dort nämlich tritt der Vocal der sinnbegrenzenden Sylbe als Herrscher auf und zwingt den Vocal der vorausgehenden Hauptwurzel, sich mit ihm in Wohl- klang zu setzen. Die W^orte katti Messer und puli Tiger, ver- wandeln sich durch den Begrenzungszusatz /«, der eine Mehrheit ausdrückt, nicht in katii^lii und puli-luy sondern in kattulu die Messer und pulalu die Tiger').

Wenn die uralaltaischen Sprachen die sinnbegrenzenden Wur- zeln stets der Hauptwurzel nachfolgen lassen, also zu den nach- setzenden (suffigirenden) Sprachen gehören, so finden wir in ganz Südafrika bis zum Aequator mit einziger Ausnahme der Hotten- totten und Buschmänner innig verwandte Sprachen, welche sämmt- lich die sinn begrenzenden Sylben der Hauptwurzel vorausschicken, jedoch auch Zusätze (Suffixe) nicht ausschliessen. Wenn wir bei der Delagoabai an der Ostküste beginnen und nach Süden fort- schreiten, stossen wir auf Flüsse mit den Namen Um-komanzi, Um-zuti, Um-kuzi, üm-volosi, Um-hlutane, Um-lazi, Um-gababa, üm-kamazi,. Um-tenta u. s. f.^) Daraus könnte man schliessen, dass das Präfix Um Wasser bedeute, wie im Deutschen das Suffix -ach in Namen wie Bacharach, Aichach, Stockach, Lörrach, Elzach. Doch finden sich auch südafrikanische Namen für Berge und Ortsnamen, denen die Sylbe um vorausgeht. Hordennamen werden gebildet durch die Vorsatzsilbe wa, ^la-tebele, Ma-sai, Ma-kua, Ma-ravi, Ma-kololo, oder durch das Doppelpräfix ö-wa, wie Ama-)(Osa, Ama-pondo, Ama-tonga, Ama-zulu, wofür wir setzen könnten: die Leute des Häuptlings Xosa, Pondo, Tonga, Zulu. Vielleicht gab es in einer nicht allzugrossen Vergangenheit einen Häuptling Namens Suto, nach ihm benannten sich die Ba-suto als Leute des Suto, der einzelne hiess ein Ma-suto, ihr Land nannten sie Le-suto und ihre Sprache Sc-suto. Aus diesem Beispiele erkennen wir, welche sinnbegrenzenden Wirkungen

1) Dr. Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Linguistischer Theil. S. 81. "*

2) Bac nie ister im Ausland. 1871. No. 25. S. 577.

126 I^er Bau der menschlichen Sprache.

die Vorsatzsylben Ba-^ Ma-^ Le- und Se- nach sich ziehen. Da, wo sich diese Präfixen in Vollständigkeit erhalten haben, finden wir' deren i6, vielleicht 18, von denen die meisten entweder nur eine Mehrheit oder nur die Einheit anzeigen. Nur zwei von diesen Vor- satzsylben unterscheiden unzweideutig natürliche Unterschiede, nämlich Mu und Ba^ beide werden für Personen, die eine für die Einheit, die andre für die Mehrheit gesetzt und vielleicht bedeutete ehemals Mu Person und Ba Leute *). Jedes Hauptwort und ebenso jeder Thätigkeitsausdruck, um nicht zu sagen* jedes Zeitwort ist mit einer vorgesetzten Sylbe versehen, so dass ein Präfix ein so uner- lässlicher Bestandtheil eines Wortes in diesen Sprachen ist, wie ein Suffix in den altern Zweigen der arischen Sprachenfamilie ^). Dass die Vorsatzsylben ehemals selbstständige Worte waren, dürfen wir vertrauensvoll aussprechen, aber ihre Bedeutung ist aus dem Be- wusstsein der jetzigen Geschlechter entschwunden und die Sprach- gliederung ist hier bereits so weit gediehen, dass Lautgruppen aus- schliesslich nur zu grammatischen Leistungen verwendet .werden. Der Gebrauch der Präfixe erfordert unter anderm, dass das Eigen- schaftswort die nämliche Vorsatzsylbe wie das Hauptwort em- pfängt. Wäre das Lateinische eine präfigirende Sprache, so würde es statt vitt'-um hon-um heissen müssen um-vin um-bon. Im Zulu bedeutet tyi Stein und bi hässlich, i ist der unbestimmte Artikel und li das unerlässliche stellvertretende Präfix. Daher entsteht i4i-tyi i'li'bi e'm hässlicher Stein. Ja sogar der Genitiv wird durch das Präfix des Nominativs ausgedrückt, so heisst im Zulu i-si-iya s-o-m- fazi die Schüssel der Frau und u^ku-dhla kw-o^n^/azi die Nahrung der Frau, S^chm^fazi und hv-o-m-fazi sind die Genitive von u-m-fazi Frau, die mit dem Hauptwort im Präfix zusammenklingen^). Uebrigens verwenden die südafrikanischen Sprachen auch Suffixe zu vielgliedrigen Wortbildungen^).

i) W. H. Bleek, Comparative Grammar of South African Languages. London 1869. S. 95.

2) Whitney, Study of language. London 1867. p. 345. In der Suto- sprache sagt man ba-ntu (Menschen), ba-otle (alle), ha-molemo (gute), ba-lefatse (der Welt), ba-ratoa (die Geliebten), was so viel bedeutet, wie: in der Welt werden alle guten Menschen geliebt. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859.

P. 339.

3) Bleek im Joum. of the Anthrop. Institute. London 1872. tom. I- p. LXXI.

4) Aus bomtj sehen wird isi-bonn, Gegenstand des Sehens, isi-boniso'

Der Bau der menBchlicIien Sprache, 127

Eine neue Art des Sprachbaues treffen »ir L>ei den Völkern Amerikas mit Ausschluss der Eskimo. Wilhelm v. Humboldt hat ihr Verfahren das einverleibende genannt, weil dabei die Satzbildnng völlig von der Wortbildung verdrängt werden kann. Der auicrika- nische Eingeborne vermag nämhch einen verwickelten Gedanken in ein -einziges Wort zusammenzumauern. In der Tschirokispraclir kann man sagen : ivi-m-tmtt-li-ge-gi-na-U-skaiv-lung-ia-naiü-ne-ie-ii-fi-sli, was soviel bedeutet wie : sie werden um diese Zeil zu Ende gekommen sein mit ihren (Gunst-) Bezeugungen an dich und mich'). S.lbsl in solchen amerikanischen Sprachen, die nur einen massigen Gebraucli der Einverleibung verstatten, wird doch stets zwischen das SuLijt-ct und Zeitwort das Object hineingeschoben. Obendrein werden noch Sylben der eingeschobenen Wörter verschluckt, so dass dann die verstümmelte Lnutgruppe nur noch im Zusammenhang verslii 11dl ich bleibt. In der Del awaren spräche wird aus opik weiss und ,siuiiiii Stein, opussuun, also Weissstein gebildet und damit das SüIkt be- zeichnet^), Ist es auch nicht strenges Gesetz, dass wir bei hoch- gesitteten Völkern auch hochentwickelte Sprachen finden, da wir ja kurz zuvor das Gegentheil bei den Chinesen eintreten sahen und umgekehrt das Hottentottische uns sogleich überzeugm koII, dass einer höher entwickelten Sprache nicht immer eine Gosilliing von gleicher Würde entspricht, so erregt gleichwohl eine hnchrnt- wickelte Sprache die Erwartung, in ihrem Gebiete bürgerliclio Zu- stande von höherer Reife anzutreffen. In Amerika redrif d:is höchste Cuhurvolk, die Altraexicancr , auch die besten twicki.lte Sprache, das Nahuall. Schon der letztere Name deutet durch die Endlaute -// auf einen günstigen Fortschritt, Die Sprr.cljr ii aus dem uralaltaischen Kreise waren noch gar nicht zur rechtrii Wort- bildung gelangt, während im Altmexicanischen an dem .Ait-ilaute -// Hauptwörter kenntlich werden. Das Wort teo'fl, Gctt verliert bei Zusammensetzungen die angehängten Laute, wie Iri'-calli, Gotteshaus, Tempel oder Uo-Ilallolli, Gottes Wort. Aus diesen Beispielen gewahrt man zugleich, dass noch nicht alle nalmatla-

Vision, bon-akala, erscheinen, isi-bonatala, Erscheinung, üi'bonatnl.y harung. Ft. Müller, Reise der Fregafte Novata. Anlhropologie.

ey, Sludy of LanRuauc il traft bei Tyliir, L'r;;i

{

128 I^er Bau der menschlichen Sprache.

kischen Hauptwörter mit dem //-Suffix versehen sind*). Das Alt- mexikanische bedient sich zwar wie alle amerikanischen Sprachen der Einverleibung und schiebt das Object zwischen Subject und Zeitwort ein, wie aus schotschi-tl^ Blume und ni-temoa^ ich suche, ni" sckotschi'temoa, ich suche Blumen gebildet wird, doch ist daneben auch ein andrer Satzbau im Gebrauch, dass nämlich zwischen Subject und Zeitwort nur das Pronomen es k oder Jemand ie oder etwas Ua eingeschaltet \yird und dann erst das Object folgt. Aus ni ich, k es, mikiia tödten, se ein, ioiolin Huhn, bildet der Nahuatlake den Satz ni-k^miktia se ioiolin, ich es tÖdte ein Huhn. Auf diese Weise wurde dann wieder dem Uebermaasse der Ein- verleibung gesteuert. Die Plurale, die nur bei belebten Dingen, zu denen auch die Sterne gezählt werden, vorkommen^), werden auch im Nahuatl durch Anfügung der Suffixe m^ und iin ausge- drückt, wie lischka^il Schaf, itschka^mS Schafe, oder ta^ili Vater, ia^tin Väter. An geistreichen Wortbildungen ist ebenfalls kein Mangel ; aus ome, zwei und yolli, Herz entsteht omeyolloa, zweifeln; aus nakasiliy Ohr und isaisi, schreien, nakaisaisa^il, einer dem ins Ohr geschrieen wird, ein Tauber.

Bei den Präfixsprachen der südafrikanischen Neger bedeutet uvi'iu einen Mann, uvi-fazi eine Frau, um^ti einen Baum. Die nämliche Vorsatzsylbe dient also für Gegenstände, die doch als männlich, weiblich und als geschlechtlos hätten aufgefasst werden sollen. Wird erst das Hauptwort vom Zeitwort durch wahrnehm- bare Lautzusätze unterschieden, so kann auch das Geschlecht der Hauptwörter getrennt werden. Bisher handelte es sich nur um Sprachen, welche grammatische Geschlechter nicht unterschieden^ etzt aber wenden wir uns zu denen, welche die Sexualität aus- drücken. Wie wirksam bei der Mythenbildung dieser Sprachvor- zug gewesen sei, kann erst später erläutert werden, Jiier wollen wir nur andeuten, dass überhaupt die Forderung ' eines gramma- tischen Geschlechtes zu schärferer Beobachtung der Aussendinge

i) Steinthal, Charakteristik. S. 203.

2) Auch in der Algonkinsprache wird zwischen einem belebten und un- belebten Geschlecht unterschieden, zu ersterem aber die Sonne, der Mond, die Sterne, Blitz und Donner, die Opfersteine, die Adlerfeder, der Kessel, die Tabakspfeife, die Trommel und das Wampun gezählt. Tylor, Anfange der Cultur, I, 299.

Der Bau der menschlichen Sprache. I2Q

anregte. Spuren einer Geschlechtsunterscheidung, wenigstens beim Fürwort der dritten Person, sind im Tarawa^), der Sprache auf den Gilbert- oder Kingsmill-liiseln anzutreffen, andre finden sich in Süd- amerika bei den Abiponen*), den Arowaken undMaypuren^), endlich im Khasi, der Sprache der Khasia des indischen Assam^). Durch ein doppeltes grammatisches Geschlecht zeichnen sich in Afrika die Sprachen der Hottentotten, der Haussa-Neger , endlich der Alt- ägypter aus. Die Sexualität ist überhaupt der wichtigste Fortschritt im Sprachbau dieses letzteren Culturvolkes. Sonst sind die Wurzeln des Altägyptischen vorwiegend einsylbige und manche unter ihnen können wie im Chinesischen als Hauptwort, Zeitwort und Eig'en- schaftswort auftreten. Dieselbe Lautgruppe bezeichnet schreiben, eine Schrift und einen Schreiber, dieselbe leben, lebendig und das Leben. Andre Wurzeln jedoch dienen nur als Haupt- oder als Zeitwort. Ein vorgesetzter Artikel, der freilich nur locker ver- bunden ist, lässt indess das Hauptwort deutlich erkennen, eine Declination ist aber noch nicht vorhanden , sondern wird durch vorgesetzte Präpositionen vertreten. Bei der Bildung des Zeitwortes werden übrigens die Fürwörter locker dem Stamme angefügt, Zeit und Modus aber durch vorgesetzte Hilfsworte ausgedrückt. Da aber diese pronominalen Suffixe auch an Hauptwörter angehängt werden und dann den Besitz ausdrücken, so wird die Trennung des Zeitwortes vom Hauptworte noch immer nicht streng vollzogen. Ran^i kann übersetzt werden : ich nenne, aber auch: mein Name, wörtlich bedeutet es mein Nennen^). In manchen ihrer Wortbildungen ist diese Sprache so kahl wie das Chinesische, ja mitunter zweideutiger als das letztere, wekhes durch seine strengen Stellungsgesetze für Klarheit des Verständ- nisses sorgt. Doch erhaben ist es wiederum über diese Sprache, insofern die sinnbegrenzenden Zusatzlaute ganz unselbständig sowie ihre ursprünglichen Formen und Bedeutungen durch Verschluckung und

i) Horatio Haie, Unit. States Explor. Expedition. Ethnography. Phila- delphia. 1846. p. 441.

2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 200 206.

3) Bleek im Journ. of the Anthropol. Institute, vol. I. p. 93.

4) Bleek, 1. c. Proceedings p. LXVII.

5) Whitney, Study of language« London 1867. p. 342. PescheK Völkerkunde. 9

jTQ Der Bau der menschlichen Sprache.

Abschleifung meist bis auf einen einzigen Consonanten ganz un- kenntlich geworden sind, so dass sie also nur noch zu gramma- tischen Zwecken dienen.

Eine breite Kluft liegt zwischen den höchst entwickelten der niederen Sprachen und denen des semitischen und arischen Völker- kreises. Hier sind die sinnbegrenzenden Lautbestandtheile meistens fest zusammengeschmolzen mit dem Hauptstamme. Die Wurzel- haftigkeit ist am Hauptwort und Zeitwort völlig verschwunden, eine wahre Beugung und eine wahre Wandelung sind vorhanden, nur werden sie bei den Ariern und Semiten auf ganz verschiedne Art vollzogen. Die Sprachen Vorderasiens oder die semitischen sind kenntlich daran, dass ihre Stämme stets drei Consonanten zeigen, wenn auch oft genug der dritte Consonant dürftig oder kümmerlich vertreten ist. Vor, nach oder zwischen diese Con- sonanten werden Vocale eingeschoben, welche die Sinnbegrenzung vollziehen. Der Consonant ist, wie Steinthal es glücklich aus- spricht, der Stoff des Gedankens und der Vocal verleiht ihm die Gestalt. Man könnte auch den ersteren mit dem Marmorblock vergleichen, den andern mit dem Bildhauer. Ein oft benutztes Beispiel wird das eben Gesagte erläutern. Für alles, was sich auf das Vergiessen von Menschenblut bezieht, verwendet die arabische Sprache die Dreiconsonantengruppe ^-/-/. Daraus bildet sie

qatala er tödtet

qutila er wurde getödtet

qutilu sie wurden getödtet

uqtul tödten

qatil tödtend

iqtal Tödtung verursachen

quatl Mord

qill Feind

qutl mörderisch. Bei dem Zeitwort verleiht der mittlere Vocal eine transitive oder intransitive Bedeutung, am Vocal der ersten Stammsylbe wird das Activum (ö) vom Passivum («) unterschieden, und am Vocal des letzten Consonanten der Modus, wobei u den Indicativ, a den Conjunctiv ausdrückt, während beim Jussiv, der eine Aufforderung enthält, der Vocal gänzlich wegfallt. Die anderen Wandlungen des Zeitwortes werden durch Präfixe und Suffixe vollzogen, die aber ebenfalls eine Lautwirkung auf die Vocale der Sylben, denen sie

Der Bau der menschlichen Sprache. iii

vorgesetzt oder angehän^;! werden, ausüben. Endsylben bezeichnen Einheit oder Mehrheit, sowie die drei Casus (Nominativ» Genitiv und Accusativ),

Wir dürfen mit Recht bewundern und staunen, wie es im Hau der semitischen Sprachen dem menschlichen Verstand gelungen ist. den 'Lauten der Sprach Werkzeuge eine sinnbildliche Bedeutung vtr- liehen zu haben und dieses Werkzeug des Gedankenaustiusclies auf das höchste zu vergeistigen. Die Entwicklungsgeschichte dicsus Vorganges bleibt uns vorläufig völlig dunkel, da nicht einmal \"lt- muthungen vorhanden sind über die früheren Stufen , weicht- die Sprachbildung überstiegen hat.

Eine ebenbürtige oder, wie Viele wollen, eine höhere Stelliin- nehmep die Sprachen ein , welche sich um das Sanskrit als ' 'nj- schwister Schaaren , die Sprachen der Indogermanen oder der arischen Völker. Ihr Vorrang vor der semitischen Gruppe l:i-st sich zunächst darauf begründen, dass nicht wie bei diesen .;>vc-i, sondern drei Geschlechter oder vielmehr geschlechtliche und L^e- schlechtslose Dinge unterschieden werden. Dieser Vorzug ist aber im Laufe der Zeiten zum Theil wieder verloren gegangen. Das Nlu- engli sehe unterscheidet mit wenigen Ausnahmen die Geschleciiter nur noch bei Menschen und Thieren, sowie die geschlechtlosen DiriLje. Auch für die deutsche Sprache sind, wie Steinthal bemerkt, die sjln'.iiien leiten vorüber, wo wir noch sagten, je zweene für ein Ä'aiiiii r- paar, je zwo für ein Frauenpaar, je zwei für ein Kinderpaar iJlt für Mann und Frau zusammen. Das Armenische endlich kninl keine grammatische Geschlechtsunterscheidung '). Viel bedeutsLimur ist es aber noch, dass die arischen Sprachen aliein ein ZeitMon sein besitzen, welches selbst den semitischen Sprachen fehlt, dw den Gedanken der Güte Gottes nicht durch die Worte ausdrÜLki-ii können, Gott ist gütig, sondern sagen müssen, Gott der Gii(i;;e, oder Gott, er der Gütige, in welchen Sprachen daher auch iui.ht die Behauptung möglich war: ich denke, folglich bin ich.

Die Entwicklungsgeschichte innerhalb dieses Sprachenliroi^e.'i ist weit durchsichtiger, als bei dem semitischen. Alle Untersuch uiiLieii haben dahin geführt, dass unsre Ahnen in einer grauen \orKcii

, Alleem. Zig. 1871. S. 6374.

172 Der Bau der menschlichen Sprache.

mit einem massigen Schatze einsylbiger Wurzeln ihren Gedanken- austausch vollziehen konnten und ihre Sprache auf einer Stufe stand, wie noch jetzt das Chinesische. Doch trat die Scheidung der Wurzeln für die Pronomina so früh ein, dass sie manchen Beobachtern sogar als etwas ursprüngliches erscheint*). Die Ansicht Jacob Grimms, dass der Stamm der Wurzel tu auf den Begriff gross sein, wachsen zurückführe, so dass du eigentlich Grösse bedeutet oder etwa heutige Prädicate, wie Euer Gnaden vertrete, wird je- doch von Kleinpaul durch die Beobachtung gestützt, dass der Chinese aus Höflichkeit im Gespräche sich selbst erniedrigt und statt ich habe sich ausdrückt Diener hat, Knecht hat, Dumnikopf hat% Im Deutschen hört man ganz ähnlich das Wort ich durch meine Wenigkeit ersetzen. Die Wortbildung geschah ursprünglich durch Anlöthung der sinnbegrenzenden .Wurzel am Ende, während Präfixe nur sehr spärlich angewendet wurden, nämlich hauptsäch- lich bei Verneinungen durch un in un-dankbar oder a in Atheis-" mus, dann durch vortretende Präpositionen, wie jwjdehnen, z'orschlagen, e///rfÄschauen, endlich durch das vorausgehende a oder a des sogenannten' Augmentes bei dem ursprünglichen Tempus der Vergangenheit •5). Die deutsche Sprache ist übrigens reich an Präfixen, deren ursprüngliche Bedeutung dem Verständniss ent- schwunden ist, wie ^^schreiben, <?rgründen, s^rfieischen, i'<?rkaufen u. s. w. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Hilfswörtchen gehört längst der Vergessenheit an und so treten sie nur noch in Dienst- barkeit als sinnbegrenzende Lautgruppen an oder vor die Haupt- wurzel. In neueren Zeiten aber trat ein Verfall der Formbildungen namentlich in den germanischen Sprachen ein. Nachd<em die Flexionsendungen bis zur Unkenntlichkeit sich abgestumpft hatten, griff die Sprachbildung zum Ersatz für bedeutsame Affixe und Re- duplicationen zu einem früher nur zufallig und beiläufig angewen- deten Mittel der Sinnbegrenzung, zu dem Vocalwandel. Sie be- nutzte den Umlaut von a, o, u in ä, ö, ü zur Bildung theils der Plurale theils der Conjunctive (Vater, Väter, Mutter, Mütter oder konnte, könnte, trug, trüge) sowie den Ablaut zu verschiednen Ver-

1) Whitney, Study of language. London 1867. p. 261.

2) Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1869. Bd. 6. S. 363.

3) Whitney, Study of language. p. 256. p. 267.

Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde. ji-i '.»,

richtungen vorzüglich zur Zeitabstufung bei Thätigkeitsausdrücken {hebe, hob, Abhub; gebe, gab, gibst; graben, Grube). So ge- wöhnte sich der deutsche Sprachsinn an einen Vocalwandel, ^ast wie der semitische, vielleicht dass die semitischen Sprachen auf ähnlichen Wegen zu ihrer sinnbildlichen Vocalisirung ge- langt sind.

3. Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.

Um die vielgestaltigen Erscheinungen innerhalb des IMenschen- geschlechtes zu sondern und in Gruppen zu ordnen, bedürfen wir Merkmale, die dauernd auftreten. Wenn also die Sprachen sich beständig ändern , nicht blos der Sinn gewisser Lautgruppen sich in bedenklich rascher Zeit verwandelt, sondern auch der Sprachbau selbst ein andrer werden kann, so sinkt die Hoffnung tief herab, dass die Sprache für Classificationszwecke uns Dienste leisten könne. Wir wissen nur zu genau, dass die Bewohner Frankreichs vor der römischen Herrschaft eine keltische Sprache redeten, diese aber mit einer neulateinischen vertauschten. Die Bewohner Deutsch- lands östlich von der Elbe gehörten vor etwa tausend Jahren zur slavischen Familie. Umgekehrt redeten die Bewohner Islands und Norwegens noch vor acht Jahrhunderten die nämliche Sprache. In Island hat sie sich beinahe unverändert erhalten, in Norwegen hat sich aus ihr das Dänische entwickelt. Selbst wenn uns hier noch der Trost bliebe, dass diese Wandlungen sich innerhalb desselben urverwandten Sprachenkreises vollzogen haben, so dass der Ueber- gang ausnahmsweise erleichtert war, so fällt auch diese Stütze hin- weg, wenn die Abkömmlinge von Afrikanern, die als Sklaven nacli den Vereinigten Staaten gebracht wurden, englisch und zahlreiche Eingeborne Amerikas spanisch reden. Wollten wir also die Völker nur nach den Sprachen ordnen, so müssten wir Neger mit Angel- sachsen und reinblütige Indianer mit den Abkömmlingen roma- nischer Europäer in die nämliche Abtheilung versetzen.

Daraus ergibt sich die Nothwendigkeit, dass, ehe wir aus der Sprachengleichheit oder Sprachenähnlichkeit auf irgend eine Ver- wandtschaft schliessen, geschichtlich zuvor untersucht werden muss» ob nicht die Uebereinstimmung der Sprache nur durch einen ge- sellschaftlichen Zwang erzeugt worden sei. Selbst wo eine solche

1^4 Die Sprache als Classiiicationsroittel der Völkerkunde.

Besorgniss fehlt, darf die Sprache nur als Merkmal zweiter Ord- nung betrachtet werden. Sprachgemeinsamkeit zwischen Horden und Völker Stämmen beweist nichts weiter, als dass in irgend einer Vorzeit die Glieder einer Sprachengruppe eine gemeinsame Heimath bewohnten und innig unter einander verkehrten. Damit ist jedoch auch hinreichend viel bewiesen, denn da alle Menschenstämme unter einander fruchtbare Mischlinge erzeugen, so genügt der Aufenthalt in einer Heimath, um selbst aus physisch verschiednen Bruchtheilen des Menschengeschlechts eine neue Mischrace zu erzeugen. Es könnte sich aber das Bedenken auch hier wieder regen, dass eine gemeinsame Heimath von zwei physisch getrennten Racen bewohnt werden, beide eine herrschende Sprache vereinigen und den- noch keine oder doch nur eine spärliche Blutmischung statt- haben könne. Wir sehen diese Fälle in den Vereinigten Staaten und in Indien verwirklicht, wo nur ausnahmsweise zwischen Weissen und Farbigen, zwischen Ariern hoher und Eingebornen niedrer Kaste Blutmischungen eintreten. Dieses Bedenken ist allerdings nicht aus dem Auge zu verlieren, aber jene Beispiele stehen auch ver- einzelt. Weder die Semiten, noch die Hamiten, noch unter den Europäern Spanier, Portugiesen und Franzosen haben eine gleiche Abneigung gegen Ehen mit Negern gezeigt, wie die Angelsachsen. Nur sehr hochgestiegene Völker neben sehr niedrigstehenden wer- den durch Kastenbewusstsein von einer^ Blutmischung abgehalten. Bei jugendlichen Menschenstämmen ist nichts derartiges zu be- fürchten. Da ferner der Sprachbau zu seiner Entwicklung lange Zeit- räume erfordert, während dereh die Glieder einer-linguistischen Familie im engstenGedan kenverkehr standen, so wird bei Völkerschaften, welche eine Gemeinschaft der Wortbildung und der Redetheile verknüpft, mit einiger Sicherheit auf eine gemeinsame Abkunft oder eine fortge- setzte Verschwägerung geschlossen werden dürfen. Dass die so- genannten Indoeuropäer , dass die Semiten , dass die südafrikani- schen Bantuvölker in derselben Heimath durch innigen Verkehr die Grundzüge ihres Wort- und Satzbaues entwickelten und sich eines gemeinsamen Wurzelschatzes bedienten, daran zweifelt jetzt kein Unterrichteter mehr. Niemals aber wäre es durch Verglei- chung von Körpermerkmalen gelungen, in den Bewohnern Islands und den Hindu hoher Kaste, in den Bewohnern Madagaskars und der Osterinsel Abkömmlinge von Vorfahren zu erkennen, die eine gemeinsame Heimatl^ bewohnten und unter einander heiratheten.

Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde. 13 ^

Nach Erfüllung aller kritischen Vorsichtsmassregeln die Sprache auch dann als Classificationsraittel verschmähen oder sich über die Ergebnisse der linguistischen Forschungen unsrer Tage hinweg- setzen wird nur der, welcher sich über die Ausdauer der Körper- merkmale überspannte Vorstellungen gebildet hat. Wo aber die Sprachvergleichung sich mit den flacenmerkmalen in Widerspruch befindet, da müssen wir nothwendig an eine Blutmischung denken. Wir werden daher nicht zögern , die Bewohner Kaschgariens zu den türkischen Mischvölkern zu zählen, denn nach ihrem Gesicht s- typüs müssten sie sonst unter die Indogermanen gereiht werden. Wir haben nämlich bei ihnen anzunehmen, dass der herrschende, türkisch redende Völksstamm mit den unterworfnen Tadschik, iranischer Abkunft, so stark sich vermischt habe, dass seine ur- sprünglichen Körpermerkmale völlig sich verloren.

Die Sprachverwandtschaften, die sich auf Gemeinsamkeit der sinnbegrenzenden Hilfssylben begründen , werden unangefochten von allen Linguisten anerkannt. Bedenklicher sind die Fälle und getheilter die Meinungen bei Aehnlichkeiten, die nur auf dem übereinstimmenden Wesen des Sprachbaues beruhen. Selbst hier aber herrscht Einmüthigkeit , wenigstens in Bezug auf die Einge- bornen Amerikas. Noch allen Linguisten hat die Gemeinsamkeit des einverleibenden Verfahrens genügt, um sie als Glieder einer Menschenfamilie zu betrachten und von ihnen die Eskimo abzu- sondern, die ihre Worte durch Suffixe bilden, zumal auch bei den ersteren keine scharfen körperlichen Sondermerkmale zu irgend einer tiefgreifenden Trennung ermuthigen könnten. Viel besorgter müssen wir auf die Zusammenfassung der uralaltaischen Völker blicken, bei denen das Gemeinschaftliche der einzelnen Gruppen nur im Typus des Sprachbaues beruht, in ihrer Beschränkung auf suffigirte Formelemente. Selbst bei ihnen nehmen wir noch die Abkunft aus einer gemeinsamen Heimath an, weil wenigstens die Besonderheit ihrer lautharmonischen Gesetze nur ihnen allein eigen ist und wir vermuthen dürfen, dass, wenn ihre Sprachdenkmale nicht, wie es der Fall ist, nur wenige Jahrhunderte, sondern ein paar Jahrtausende zurückreichten, wahrscheinlich stärkere Verwandt- schaftsmerkmale sich entdecken Hessen und endlich weil die Körpcr- merkmale zu einer solchen Vereinigung ermuthigen. Unzulässig dünkt uns dagegen, die uralaltaische Gruppe wieder zu einer turanischen Familie zu erweitern und die Dravidasprachen der eingebornen

1^6 I^ie Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.

Indier deswegen ihnen beizugesellen , well auch sie Wohlklangsge- setze bei Wortbildungen beobachten. Weil aber diese Gesetze andre sind als in den uralaltaischen Sprachen , und auch die Körpermerkmale uns dazu zwingen, werden wir je^e südindischen Bevölkerungen als ein getrenntes Glied der menschlichen Familie behandeln.

DIE TECHNISCHEN, BUERGERLICHEN UND RELIGIOESEN ENTWICKLUNGSSTUFEN.

I. Die Urzustände des Menschengeschlechtes.

Als die älteren und neueren überseeischen Entdeckungen den erstaunten Europäern die Zustände sogenannter wilder Völker nahe gerückt hatten, fehlte es nicht an überspannten Gemüthern, welche sich unser Geschlecht bdi seinem ersten Auftreten mit den höchsten körperlichen, geistigen und sittlichen Vorzügen ausgestattet dachten und ihren Mangel bei den farbigen Wald- und Inselbewohnern einem verschuldeten Herabsinken aus jenen goldenen ^Zuständen zuschrieben. Zur Widerlegung dieser längst unschädlich gewor- denen Verstandesverirrung wird es heutigen Tages wohl genügen, hier auf die Sinnesänderung eines so verdienten Fachgelehrten, wie Hrn. V. Martins zu verweisen. Auf der Versammlung deutscher Naturforscher zu Freiburg im Jahre 1838 konnte er noch äussern: „Jeder Tag, den ich noch unter den Indianern Brasiliens zubrachte, vermehrte in mir die Ueberzeugung, dass sie einstens ganz anders gewesen und dass im Verlauf dunkler Jahrhunderte mancherlei Katastrophen über sie hereingebrochen seien, die sie zu ihrem der- maligen Zustand, zu einer ganz eigenthümlichen Verkümmerung und Entartung herabgebracht haben.** Ehe noch dreissig Jahre voll abgelaufen waren, hören wir dagegen aus seinem Munde über die nämlichen Völkerschaften die Worte: „Es liegen bis jetzt keine Gründe vor, dass der dermalige barbarische Zustand in diesen Gegenden ein secundärer, dass ihm hier ein anderer von höherer Gesittung vorausgegangen , dass dieser Tummelplatz ephemerer unselbständiger Haufen jemals Schauplatz eines gebildeten Volkes gewesen sei')**.

Ebenso wenig haben sich die Anschauungen der Reisenden

1^3 ^ic Urzustände des Menschengeschlechtes.

aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts bewährt, die wie Georg Forster, erfüllt von Rousseau'schen Träumereien, die Südseebevöl- kerungen als ein glückliches, dem Naturzustande treues, von Cultur- verirrungen noch nicht um das Menschenideal betrogenes Ge- schlecht beneideten. Lamanon, der Begleiter La Perouse'ai^ be- hauptete eines Abends im Gespräche mit seinen Begleitern, dass die Wilden viel besser seien, als wir Culturmenschen. Am andern Tage wurde er von ihnen erschlagen*). Die oft gerühmten Kör- perreize zwanglos einherschreitender Naturkinder werden gewöhn- lich auf den photographischen Nachbildungen vermisst, die jetzt so reichlich in unsere Hände gelangen. Selbst dort, wo sie wirklich vorhanden sind und den hässlichen Bedrohunj^en entgehen, die ein irre geleiteter Geschmack ihnen auferlegt, fehlt sehr häufig die beste Pflege des menschlichen Körpers, nämlich die Sauberkeit. Das Haar bleibt ungeordnet und die Zähne ungereinigt. Gewisse Laster suchen wir nur bei hochgestiegenen und tief gesunkenen Völkern, bei den Hellenen und im späteren Rom. Wer aber ein wenig vertraut ist mit den älteren spanischen Berichten über amerikanische Stämme, der weiss r.echt gut, dass sie Verfeinerungen kannten, an die weder die Römer, als Tiberius auf Capri weilte, noch die Byzan- tiner gedacht haben, als Theodora, die spätere Gemahlin des Kaisers Justinian, mit Schauspielerbanden umherzogt). Fügen wir noch hinzu, dass fast allen diesen Bevölkerungen die Gifte bekannt waren, die den befruchteten Menschenkeim zerstören und dass sie mit gedankenloser Leichtfertigkeit gebraucht wurden^). Aus allen diesen Nachtseiten unmündiger Völker haben rohe und lieblose Ansiedler in überseeischen Gebieten sich das Recht angemasst.

i) Ethnographie. Bd. i. S. 5. S. 375.

2) Schaaffhausen im Archiv für Anthropologie. Bd. i. S. 166. Genau ebenso schrieb Helfer einen Tag, hevor ihn die Andamanen ermordeten', in sein Tagebuch: „Das also sind die so gefürchteten Wilden! Sie sind furcht- same Kinder der Natur, froh, wenn ihnen nichts Böses zugefügt wird". Joh. Wilh. Helfers Reisen in Vorderasien und Indien. Leipzig 1873. Bd. 2. S. 260.

3) Vespucci, Quattuor Navigationes, passim. Geschlechtliche Verirrungen der Aleuten hei Erman, Zeitschrift für Ethnologie. 1871. Hefl 3. S. 164; der Tschuktschen, bei W rangell, Reise in Sibirien, Bd. 2, S. 227; der Itelmen, bei Stell er, Kamtschatka. S. 289.

4) Eine Musterung über die Völker, bei denen dioses Verbrechen ge- duldet wird, ist unlängst im Archiv für Anthropologie (Braunschweig 1872^ Bd, 5. S. 452) abgehalten worden.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. i^

die Eingebornem von ihrem Erbe hinweg zu cultiviren und den Racenmord als einen Sieg der Gesittung zu betrachten.

Andre Schriftsteller, berauscht von Darwinischen Glaubens- sätzen, wollten "Bevölkerungen entdecken, die einen ehemaligen thierischen Zustand gleichsam zur Belehrung unsrer Zeit noch fest- gehalten hätten. So sollen nach den Worten einer Schöpfungs- geschichte im Modegeschmack unserer Tage „in güd-Asien und Ost-Afrika Menschen in Horden beisammen leben, grösstentheils auf Bäumen kletternd und Früchte verzehrend, die das Feuer nicht kennen und als Waffen nur Steine und Knittel gebrauchen, wie es auch die höheren Aifen zu thun pflegen." Diese Behauptungen sind nachweisbar aus der Schrift eines Bonner Gelehrten über den Zustand der wilden Völker^) geschöpft worden und beruhen dort auf den Aussagen eines afrikanischen Sklaven von den Doko, einem angeblich zwergartigen Volke im Süden von Schoa*), oder sie beziehen sich auf Mittheilungen bengalischer Pflanzer •*) oder Erlebnisse eines Jagdabenteurers, dass in Indien einmal Mutter und Tochter, ein anderes Mal Mann und Frau in halb thierischem Zustande angetroffen worden waren ^). Völkerschaften dagegen oder nur Horden in affenähnlichen Zuständen ist nirgends ein glaubwürdiger Reisender der Neuzeit begegnet. Es sind viel- mj?hr selbst diejenigen Menschenstämme , welche nach den ersten oberflächlichen Schilderungen tief unter unsere eigene Gesittungs- stufe gestellt worden waren, bei genauerer Bekanntschaft den ge- bildeten Völkern merklich wieder näher gerückt worden. Noch soll irgend ein Bruchtheil des Menschengeschlechts entdeckt wer- den, bei welchem nicht ein mehr oder weniger reicher Wortschatz mit Sprachgesetzen, bei welchem nicht künstlich geschärfte W^affen und mannigfaltige Geräthe, sowie endlich die Kenntniss der Feuer- bereitung angetroffen worden wäre.

Wohl hat ein in England gefeierter Anthropolog, Sir John Lubbock, in seinem Buche über die vorgeschichtlichen Zeiten etlichen Bewohnern der Inseln des stillen Meeres jeden Umgang mit dem Feuer abgesprochen, aber nicht ohne Unwillen bemerken

1) Archiv für Anthropologie. Bd. i. Braunschw. 1866. S. 166 68.

2) Krapf, Reisen in Ostafrika. Ed. i. S. 76 79.

3) G. Pouchet, The plurality of the human race. London 1864. p. 18.

4) Ausland 1860. S. 935.

laO Die Urzuslände des Menschengeschlechtes.

wir in seiner Aufzählung auch die Eingebomen von Van Diemens Land, da Sir John nur den Bericht Abel Tasmans nachzuschlagen gebraucht hätte'), um zu finden, dass bereits der erste Entdecker Rauchsäulen aus dem Innern der Insel habe aufsteigen sehen. Ganz genau so verhält es sich, wenn Lubbock den Bewohnern von Fakaafo die Bekanntschaft mit dem Feuer abspricht. Diese Süd- seeinsol gehört zur Unionsgruppe und hegt im Norden des Samoa- Archipels, dessen Bewohner wegen ihrer nautischen Geschicklich- keit und ihrer weiten Seefahrten die Kavigatorcn genannt worden sind und welche daher längst ihren Nachbarn auf Fakaafo das Feuer und die Feuerentzündung über bracht haben würden, wenn es nöthig gewesen wäre, Dass in der Mundart der Fakaafo- Leute dasselbe Wort für Feuer vorkommt, welches je nach den verschiedenen Tonarten der Malayen-Sprache api, afi, ahi lautet, wäre für jeden Anderen eine hinreichende Warnung gewesen'). Sir John Lubbock dagegen beruhigt sein Gewissen mit der Aus- rede, das Wort möge, wie in der verschwisterten Maori-Sprache, nur für Licht und Hitze stehen. Zur Begründung seiner Behaup- tung kann er sich nur auf den bekannten amerikanischen See- fahrer Wilkes berufen, der auf Fakaafo Feuerplälze allenthalben vermisste und desshalb vermuthete, die Eingebornen möchten ihre " Nahrung roh verzehren. Ein Jahr nach Veröffentlichung von Wilkes' Entdeckerbe rieht erschien jedoch das grosse Werk seines Begleiters Horatio Haie über die Sudseesprachen. Dieser hoch- geschätzte Anihropolog bezeugt nicht nur, dass ein Wort für Feuer auf jener Insel vorhanden gewesen sei, sondern bemerkt ausdrück- lich, um Wilkes' Irrthum zu widerlegen, dass er und seine Ge- fährten am Abend 'vor der Landung eine Rauchsäule von Fakaafo liaben aufsteigen sehen^. Getrost vertreten wir daher den Satz, dass auf der ganzen Erde noch der Menschenstamm gefunden werden soll, der keinen Verkehr mit dem Feuer unterhielte.

Das I'Vuer ist aber ein gelehriger und starker Gehilfe des

1} Buiney, Discoveries, tom. III. p. 7a Uebrigens besissen die Tas- inier eine Sage über Herabkunft des Feuers, s. Tylor, Urgeschichte. S. 301.

2) Nach dem Wörietbuche zu Mariner's Tonga Islands bedeutet lalo-afi ■11er reiben und tolonga das Rinnenholi, in dem es gerieben wird.

j) Uniled fitstes Exploring Expedition. Etbnography. Philaielphia 1846.

Die Urzustände des Menschengesclilechtes. 141

tierischen. Es ist ein unersetzliches Mittel, um solche Stoffver- änderungen herbeizuführen, ohne welche die wichtigsten unserer Nahrungsmittel ungeniessbar wären. Mit dem Beistande des Feuers gelang es zuerst und gelingt es noch jetzt, Baumstämme in Fahr- zeuge auszuhöhlen. Das Feuer allein verscheucht die grimmigen Raubthiere des Waldes und der Wüste, den afrikanischen Löwen, den asiatischen Tiger, den amerikanischen Jaguar. Am Feuer härteten die Menschen der Urzeit ihre rohen Waffen, die Spitzen ihrer hölzernen Speere. Das Feuer als Steppenbrand muss den Jägerstämmen in Australien, Süd-Afrika, sowie in der neuen Welt in Ermangelung abgerichteter Hunde das Wild in Schussbe- reich treiben. Reste von verkohltem Holz und Asche sind aber sowohl in den Höhlen des P^rigord^), als auch, was noch schwerer ins Gewicht fällt, bei der Schussenquelle unter den Geräthen aus Renthierhorn angetroffen worden, die noch in die nordeuropäische Eiszeit gehören^).

Ueberlegen wir nun, auf welche Art der Mensch sich ursprüng- lich in den Besitz des Feuers gesetzt haben möge, so wird der erste Gedanke wohl sein, dass er es als ein Geschenk aus der Höhe empfangen habe durch einen Blitzstrahl, der einen Baum in Flammen setzte. Allein um das Feuer als einen brauchbaren Ge- hilfen an sich zu fesseln , dazu hätte eine Kenntniss aller der Leistungen gehört, zu denen es der Mensch erst abrichten muss. Der Aufbewahrung des Feuers musste also e\n vertraulicher Um- gang vorausgegangen sein. Wenn ein Schluss erlaubt ist aus den Beobachtungen derer, die Völker im halben Naturzustande be- lauscht haben, dürfen wir hinzufügen, dass der Mensch der unbe- kannten Vorzeit mit Entsetzen sich von dem Schauspiele des auf- lodernden Baumes abgewendet hätte, so oft etwa ein zuckender Strahl aus der drohenden Wolke zündend herabfuhr. Das höchste Maass innerer Wahrscheinlichkeit besitzt daher die Vermuthung, dass in der Nachbarschaft von Lavaergüssen aus Vulcanen die Menschen zuerst und dauernd mit den Wohlthaten des Feuers be- kannt wurden^). Noch zwanzig Jahre nach dem Ausbruche des JoruUo vermochte man in den Spalten seiner Hornltos oder Mi-

i) S. oben S. 39.

2) S. oben S. 42.

3) Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen. Bd. r. S. 44.

112 Die Urzustände des Menschengeschlechtes.

niaturkrater Späne zu entzünden , wie Alexander v. Humboldt uns , berichtet'). Ein Menschenalter spendete also die Lavamasse die Möglichkeit, immer von Neuem mit Feuer sich zu versehen. Auf dem Boden mancher Krater, wie bei den Havai-Vulcanen oder wie bei der sogenannten Holle von Massaya hat aber die glühende Lavatnasse ohne Unterlass durch seculäre Zeiten gebrodelt. Ferner fehlt es einzelnen Gegenden nicht an sogenannten Feuerquellen, das heisst an Ürunnen, die entzündliche Luftarten, nämlich Kohlen- wassers tolf gas aushauchen. Wir wollen an solche Erscheinungen in den Vereinigten Staten, in China, in Italien, vor Allem aber an die ewigen Feuer der Halbinsel Abscheron bei Baku am caspischen Meere erinnern, welche Tag und Nacht, Winter und Sommer 15 bis 20 Fuss hoch auflodernde Gasstrahlen ausstossen') und zu denen aus dem indischen Gudscherat und Multan fromme Parsi oder Feueranbeter waltfahrten, um ihrer Flammengottheit ins Angesicht zu schauen.

Im geschichtlosen Alterthum muss jedoch eine Zeit eingetreten sein, wo der entzündete Gasbrunnen erlosch oder der Lai'abach erkaltete und der Mensch auf eine künstliche Feuer berejtung be- dacht sein musste. Das Gelingen dieser Aufgabe , ein grosser Wendepunkt in unserer Sittengeschichte, wurde später erklärt durch den Mythus von Prometheus, der dem höchsten der Götter das Feuer entwendete. Da d^ese Sage als ein Nationalgut bei den Osseten oder Iron im Kaukasus fortlebt und die Sprache dieses Bergvolkes zur indogermanischen Familie zählt, so muss sie schon vor den späteren Trennungen der arischen Menschen stamme vor- handen gewesen sein; da aber bereits in der Eiszeit an der Schussen- quelle, fern von allen vulkanischen Erscheinungen, Feuer künstlich erzeugt wurde, so dürfen wir in jenem Mythus nicht die Rettung einer geschichtlichen Begebenheit suchen. Wir können uns dafür sogar auf Aeschylus berufen, der im verlornen Schlussstücke seiner Trilogie dem Tronistheus die Worte in den Mund legt: 30 Jahr- tausende habe er in Fesäeln geschmachtet-'), so dass also auch von ihm der Feuerraub. weit über die Grenzen menschlicher Zeit- erinnerung zutückverlegt wird.

4 S. 334- S. 341-

Gsognosie. 2. Aufl. Bd. 1. 5. 282.

oi, Prolegomenen zu Aestbylus' Tragödien. Leipiij; 1869.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. I^^

Das älteste Verfahren der Feuerentzündung hat sich bei den Polynesiern erhalten. Ein Stab wird schräg in der Rinne eines ruhenden Holzstückes so lange hin und her gerieben, bis dieses zu glühen beginnt. Solche Feuergeräthe traf Chamisso auf den Sandwichinseln und der mikronesischen Radakgruppe ') , sie waren jedoch auch unter den übrigen Polynesiern auf Tahiti, Neuseeland, der Samoa- und Tongagruppe*), ja selbst auf Baladea oder Neu- •Caledonien verbreitet^). Mindere Muskel anstrengung erforderte der Feuerbohrer. Die alterthümlichste Vorrichtung dieser Art wird uns auf den Antillen und an den Küsten des südamerikanischen Fest- landes von Spaniern beschrieben. Zwei Hölzer wurden zusammen geschnürt, zwischen sie ein zugespitzter Stab geklemmt und durch quirlartige Bewegung Feuer entzündet*). Bald jedoch wurde er- kannt, dass als Unterlage ein einziges Stück genüge, wenn vorher in* dieses eine Vertiefung zum Einsetzen des Feuerbohrers einge- schnitten wurde. Dieses Werkzeug, eine der ältesten Erfindungen unsres Geschlechts, kehrt in allen Welttheilen wieder. Wir erkennen es auf bekannten Bildwerken der Altmexicaner^), es befindet sich noch jetzt in den Händen der Indianer Guayana's^), sowie der Botocuden Brasiliens^), in Südafrika bedienen sich seiner die Busch- männer *), die Kafirn und die Hottentotten '), auf Ceylon die Vedda*°) und in Australien die dortigen Eingebornen "). Das Gelingen der Feuerentzündung darf man sich nicht allzuleicht vor- stellen. Die Arbeit ermüdet so stark, dass sich bei den Botocuden am Belmonte immer mehrere beim Quirlen abzulösen' pflegten**).

i) O. V. Kotzebue's Entdeckungsreisen. Weimar 1821. Bd. 3. S. 154.

2) Tylor, Urgeschichte. S. 303.

3) Knoblauch im Ausland 1866. S. 448.

4) Oviedo, Historia general de la^ Indias. lib. VI, cap. 5. Madrid 185L tom. I, fol. 172 u. Taf. II fig. 2.

5) Neuerlich wieder abgebildet von O. Caspari, Die Urgeschichte der Menschheit. Leipzig 1873. Bd. 2. S. 55.

6) C. F. Appun im Ausland 1872. S. 968.

7) J* !• ^' Tschudi, Reisen durch Südamerika. Leipzig 1860, Bd. 2. S. 278.

8) F ritsch, Eingebome Südafrikas. S. 440.

9) Kolben's Vorgeb. d. G. Hoffnung. S. 449.

10) Emerson Tennent, Ceylon, tom. II, p. 451.

11) A. Lortsch im Ausland. 1866. S. 7(X).

12) Prinz zu Neuwied, Reise nach Brasilien. Bd. 2. S. 18 19.

I^^ Die Uriuslände des Menschengeschlechtes.

Genau das nämliche berichtet Theophilus Hahn von den Kafirn'), die doch sehr trockne Erdstriche bewohnen. Bei seinen Streif- zügen im Himalaya bemerkte Hermann v, Pchlagintweit zuerst bei den Leptsdia ein solcbes Feuerzeug, welches nur darin etwas Be- sonderes zeigte , dass die Unterlage aus hartem , der Quirl aus weichem Holze bestand. Auch er fügt hinzu, dass die Arbeit staik ermüde und der Erfolg bei grösserer Sättigung der Luft mit Wasscr- dampf unsicher sei').

Vergegenwärtigen wir uns, dass die Schwierigkeit, durch Rei- bung Feuer zu entzünden, so gross ist, dass selbst im trockenen Süd-Afrika in die raich tTmüdende Arbeit sich mehrere theilen, so setzt die künstliche Feuerbereitung eine Verständigung zwischen den Theilnehmern voraus, unJ es kann gegen die Strenge des Schlusses wohl nichts eingewendet werden, dass die menschliche Sprache vorhanden gewesen sein müsse, bevor ein Feuer künstlich bereitet werden konnte, dass somit die früher erwähnten Schwaben der Eiszeit im Genuss einer solchen Sprache sich befunden haben müssen, also damals bereits die psychische Kluft schon vorhanden war, die Mensch und Thier von einander trennt. Tief erregt werden wir gleichzeitig durch die Frage, ob die künstliche Ent- zündung des Feuers eint Erfindung oder nur eine Entdeckung ge- wesen sei. Würde sich etwa ein gewaltiger Denker der Vorzeit von der Vermuthung haben leiten .lassen: durch Reibung - werde Wärme erzeugt, sollte nicht auch das Feuer durch die höchste Steigerung der Reibungswärme gewonnen werden können? so hätte in ihm die Wahrheit gedämmert, dass die leuchtende Wärme sich durch nichts als ihre Quantität und ihre Wirkung auf den Seh- nerven von der dunklen Wärme unterscheide und sein darauf be- gründeter Entzündungsversuch durch Reibung wäre ein Ja der Natur auf eine richtig gestellte Frage gewesen. An Schärfe des Verstandes wäre ein solcher Prometheus der Eiszeit nicht hinter einem Kopernikus oder Kepler, einem ChampoUion oder Grote- fend , einem Kirchliotf oder Faraday zurückgeblieben und wir gewännen damit den Salz, dass das höchste Waass der Denkkraft, welches einzelnen auserwählten Menschen hin und wieder zu Theil wird, in unsern Tagen nicht grosser sei, als es bei den Völkern

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. l^.c

des classischen oder biblischen Alterthums, bei diesen nicht grösser als es zur Eiszeit gewesen ist. Uebersehen darf . bei einer solchen Erwägung nicht werden, dass in den Zeiten der mittelalterlichen Scholastiker eine Abnahme des menschlichen Fassungsvermögens eingestanden wurde, insofern damals die geistigen Grössen der Griechen und Römer selbst auf dem Gebiete der strengen Wissen- schaften als nicht mehr erreichbare Vorbilder galten. Gegenwärtig werden die Chinesen, deren geistige Entwickelung neuerdings nur sehr träge fortschreitet, von der Anschauung beherrscht, dass die geistigen Kräfte der Denker ihrer Vorzeit den heutigen Maasstab weit überschritten hatten. Die Vermuthung eines Wachsthumes oder einer Abnahme des menschlichen Fassungsvermögens wird daher schwanken mit dem Selbstgefühl oder dem Mangel an Selbstgefühl der einzelnen Zeiträume, und in der Gegenwart, wo durch die ausgebildete Gliederung der Gesellschaft jedes geistige Licht, methodisch ernährt, viel leichter dazu gelangt, Klarheit um sich zu verbreiten, werden wir uns zu der Annahme neigen, dass der menschliche Scharfsinn in der Mittagshöhe schwebe.

Der goldenen Regel eingedenk, dass nur aus dem Bekannten auf das Unbekannte geschlossen werden dürfe, müssen wir aber eingestehen, dass die Culturanfänge unseres Geschlechtes noch viel zu dunkel vor uns liegen, um nicht auch die Vermuthung gelten zu lassen, dass ein gnädiger Zufall die Erzeugung leuchtender Wärme durch Reibung offenbart habe. Wir denken dabei nicht wie Adalbert Kuhn, dass ein dürrer Rankenschoss in einer Asi- höhlung vom Sturme so lange gepeitscht worden wäre, bis er Feuer gefangen habe. Wir zweifeln sogar an der physischen Möglichkeit, dass nach Aussage der Wogulen im Ural ein umgeknickter Baum gegen einen Nachbarstamm bis zur Entzündung gerieben werde und Waldbrände verursachen könne. Da bei allen Völkern beider Welten ursprünglich die nämliche Art der Feuerbereitung und das nämliche Entzündüngsgeräth angetroffen worden sind, so musste die zufallige Entdeckung bei einem Bohrversuche erfolgt sein und durchbohrten Werkzeugen freilich nur aus Hörn begegnen wir schon unter den Resten der Bewohner Europa's zur Eiszeit. Nur bliebe immerhin unerklärt, da die Ermüdung des Einzelnen früher eintreten musste, als die Entzündung, während jeder Unter- brechung aber die Wärme wieder entwich, wesshalb der Bohrver- such ohne Pause fortgesetzt wurde. Das Reich der Möglichkeiten

Ptsckel, Völkerkunde. lO

1^.6 Die Urzustände des Memchengeschlechtes.

ist indessen nicht zu erschöpfen, und wir müssen verzichten, genau die Verkettung aller Vorgänge in jenen uns weit entrückten Zeiten schon jetzt durchschauen zu wollen.

Das alte Feuerreibzeug, welches seine Dienste bisweilen ver- sagte und zu seiner Handhabung immer wenigstens zwei Bundes- genossen erforderte, erhielt seine höchste Vollendung durch den glücklichen Einfali, dass der Bohrstift durch eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung versetzt werden konnte. Diese Erfindung hatte sich Über den Norden Amerikas verbreitet bis zu den Sioux oder Dacota"), sowie zu den Irokesen'). Noch sinn- reicher pflegten die .^ISuten den Drehstift mit der Spitze in das Feuerholz einzusenken, sein oberes Ende aber in einem beinernen Mundstück zwischen den Zähnen festzuhalten. Bei raschem An- ziehen der Schnur sah Chamisso das Tannenholz in wenigen Se- cunden schon Feuer geben *). Dieses nämlichen Werkzeuges haben alle Volker des Abendlandes in der Vorzeit sich bedient. Selbst Plinius spricht noch von Feuerreibung wie von .einer gut be- kannten Thatsacho'), Nach den Untersuchungen Adalbert Kuhns pflegten die brahmanischen Hindu einen Stab, Pramaniha geheissen, eingeklemmt zwischen zwei anderen Hölzern, Namens Arani, durch eine sicli auf- und abwickelnde Schnur in Drehung zu setzen, Der genannte Sprachforscher überlässt uns sogar die Entschei- dung, ob wir den Namen Prometheus von Pramätha Raub oder von dem Drehstift Pramantha ableiten wollen und erinnert uns zugleich, dass die Thurier vormals einen Zeus Promantheus ver- ehrten^. Wie dem auch sei, nicht anders als die Indier zur Zeit der Hymnen dichtungen bereiteten die alten Griechen das Feuer. Ihre Pyreia oder Feuerzeuge bestanden ebenfalls aus zwei Stücken, einer Unterlage aus weichem, am liebsten aus Epheuholz, Esckdra geheissen, und dem aus Lorbeer geschnittenen Trypanon, was füglich mit Bohrstift übersetzt werden kann^). Diese Bereitung des Feuers hat sich in unserer Heimath noch bis in die jüngste

]] Tylor, Urgeschichte, S. Jil.

2) Wail!, Anthropologie. Bd. 3. S. 97.

31 O, V. Kolzebuc's Reisen, Weimar l8ll. Bd. 3. 5. t54.

4) Hist. nat. lib, IL cap. in. liumani ignes . . stlrita inter se ligna.

5) A. Kuhn, Die HeribkODfl des Feuers. Berlin 1859. S. 15—17,

6) Theophraalus, Hist. pbrnanim V, q ed. Wimiaer. tom., I. p. i<

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. i^j

Zeit erhalten, denn einem Feuer, auf diese ehrwürdige Weise be- reitet, legte der Volkswahn Wunderkräfte bei. Der englische Ausdruck wUlfire bezieht sich ebenfalls auf eine Entzündung durch Reibhölzer. In Deutschland wurde eine Walze aus Eichenholz in den Vertiefungen zweier eichener Pfahle durch ein auf- und ab- rollendes Seil zur Erzeugung eines sogenannten Nothfeuers ge- dreht, welches letztere die Seuchen abwenden sollte. Noch im Jahre 1828 wurde beim Ausbruche der Bräune unter* dem Borsten- vieh und des Milzbrandes unter den Kühen im Dorfe Edesse, Amt Meinersen in Hannover, ein Nothfeuer angezündet^). Auch bei anderen indogermanischen Geschwistervölkern musste jedes Feuer, sollte es eine gewisse Weihe besitzen, durch Reibung angezündet worden sein. War im Tempel der Vesta zu Rom durch Verschul- dung einer Priesterin das Feuer erloschen, so durfte nicht durch Stahl und Stein, die längst in Gebrauch waren, sondern nur durch Reibung auf geweihtem Brett eine neue Gluth angezündet werden*). Das Feuer am Beginn eines kleinen Jahrhunderts wurde von den Altmexicanern wieder frisch gerieben und im ähnlichen Sinne löschten die Suaheli am Tage des Neujahres ihr Feuer aus und entzündeten ein neues durch Feuerbohren ^). Das Funken schlagen aus spröden Steinen mit oder ohne Feuerstahl gehört in Europa dem nachhomerischen Alterthum an und Plinius hat uns noch den Namen eines angeblichen Erfinders aufbewahrt*).

Ist noch nie eine Bevölkerung im feuerlosen Zustande über- rascht worden, so passt auch für keine von ihnen die Bezeichnung als Wilde, die einer irrigen Anschauung entsprungen ist. Ebenso wenig dürfen wir von Naturvölkern, höchstens von Halbculturvöl- kern sprechen, denn sicherlich ist der Naturzustand des Men- schengeschlechtes unsrer Beobachtung, ja sogar unsrer Ahnung entrückt. Stellen wir uns lieber vor, es stiesse jemand, der noch -nie Rosen gesehen hätte, auf eine Gesträuchgrupjje dieser Pflanze in einem vorgerückten Zustande des Wachsthums, dann wird er zugleich neben reifenden Früchten abwelkende Blumen, Blüthen

1) Kuhn, 1. c. S. 45.

2) Hermann Göll, Die Geheimnisse der Vesta. Ausland 1870. S. 177.

3) S teere im Joum. of the Anthropol. Institute, vol. I, p. CXLVIII.

4) Das Obige wurde zum grössten Theil, jedoch ohne Quellennachweise, vom Verfasser in der österreichischen Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft 1872 veröffentlicht.

IG*

1^.8 I^ic Urzustände des Menschengeschlechtes.

in jeder Stufe der Entwicklung, aufspringende und geschlossene Knospen, Sprossen mit schwellenden Knoten und schliesslich in in den Achselhöhlen der Blätter neue Augen entdecken. So liegt, wenn er den allmähligen Uebergängen sorgsam nachgeht, der Lebenslauf der Pflanze völlig aufgeschlossen vor ihm da: Ver- gangenes, Gegenwärtiges und Künftiges folgt hier nicht nach, son- dern nebeneinander. Behält man in diesem Falle nur die Reihen- folge des Gestaltenwechsels im Auge, so lässt sich, wie seltsam es auh klingen mag, behaupten, dass die Frucht jünger sei als die Rose, und die Rose jünger als die Knospe; denn die Frucht folgte nach der Blüthe und den Blumen ging die noch blattähnliche Knospenanschwellung voraus, wie man auch im morphologischen Sinne hinzusetzen darf, dass der Knabe jedenfalls eine ältere Er- scheinung ist als der Greis. Auch im Knospenzustand werden wir Völker nicht mehr anzutreffen erwarten dürfen, doch lässt sich immer aussprechen, bei welchen Menschenstämmen die ältesten oder vielmehr die alterthümlichsten Zustände sich noch jetzt be- obachten lassen. Die niedrigsten Gesittungszustände suchte man bisher gewöhnlich bei den Hottentotten und Buschmännern in Südafrika^ bei den Vedda auf Ceylon, bei den Mincopie auf den Andamanen, bei den Australiern und den geschwisterlichen Tasmaniern, endlich bei den Eskimo, sowie bei den Feuerländern und den Botocuden Brasiliens. Mit Ausnahme der letzteren finden wir alle aufgezählten Bevölkerungen am äussersten Rande der Festländer, vorzugsweise an ihrer Südspitze, oder auf abgelegnen Inseln und Weltinseln, sei es nun, dass sie als schwache Stämme bis in die Endglieder der Ländermassen verdrängt wurden, oder dass sie sich vorzeitig von dem andern Menschengeschlechte absonderten und von dem wachsenden Cultursegen nicht mehr erreicht werden, ja vielleicht erworbne Gesittungsschätze nicht länger wegen einer Verminderung ihrer Kopfzahl festhalten konnten. Nur der MissgrijQf Unkundiger konnte aber unter diese alterthümlich gebliebenen Menschen geistig so hochstehende Völker wie die Hottentotten und die Eskimo mischen. Ob die Australier sammt den Tasmaniern in das Musterbuch der niedrigsten Menschengeschöpfe gehören, wird sich zur Genüge aus einem späteren, ihnen gewidmeten Abschnitt ergeben. At>er auch die übrigen vorher genannten Völker haben alle bei näherer Bekanntschaft beträchtlich gewonnen.

Die Buschmänner oder San, um mit ihnen zu beginnen, dienten

Die Urzustände des Menschengeschlechtes, j^g

bisher dazu, um das fehlende Glied in der Kette zwischen Affen und Menschen auszufüllen und der Verfasser bekennt gern, dass er im Jahre 1852 zu London Buschmänner gesehen hat, die durch ihr thierisches Aeussere wohl Jeden von dem guten Wahn geheilt haben würden, dass alle Menschen das Ebenbild eines erhabnen Wesens vertreten sollten. Livingstone hat aber bald darauf seine Landsleute gewarnt, in jenen zur Schau gestellten Jammergestalten echte Typen eines Zweiges der afrikanischen Menschheit zu er- blicken, da nur auserlesen Hässliche zur Befriedigung der Neugierde nach Europa gebracht werden^). Nur ^in der Kahalariwüste ver- kümmert der Stamm der Buschmänner bis zu einem zwerghaften Wuchs. Weiter nördlich beim Ngami-See beschrieben Livingstone*) und Chapman^) hochgewachsene und schöne Menschen unter ihnen. Ihre Haltung und ihr Auftreten zeigt von dem hohen Selbstgefühl, welches allen in ungeschmälerter Freiheit lebenden Stämmen eigen ist^). Obwohl nackt, herrscht doch unter ihnen strenge Keuschheit und die Zartheit, wie sie um ein Mädchen freien, sowie, dass sie Ehen nur aus Zuneigung schliessen, stellt sie hoch über unzählige andre Völkerschaften. Chapman erzählt uns gerührt, dass ihn Buschmänner eines Morgens mit einer Schale Wasser überraschten, der köstlichsten Gabe in jenen durstigen Erdstrichen, aus Dank- barkeit, weil er vorher mit ihnen seine Jagdbeute getheilt hattet). Merkwürdig ist es, dass diese niedrigen Menschen gleichwohl Freude an künstlerischen Versuchen finden. Mit grosser Sicherheit der Hand haben sie vom Cap bis über den Orangefluss hinaus die Felsen mit Thier- und Menschenbildern in rother, brauner, weisser oder schwarzer Farbe bemalt oder auch auf dunklem Grunde hell ausgekratzt und die Abbildungen, die wir davon besitzen, berech- tigen den Ausspruch, dass die Umrisse naturgetreuer erscheinen, als auf vielen ägyptischen Denkmälern^). Lichtenstein bestreitet, dass die Buschmänner Vorstellung von einem höchsten Wesen be- sitzen 7), allein spätere Reisende wollen den Glauben an eine männ-

1) Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika. Bd. I. S. 64.

2) a. a. O. S. 99. S. 200. S. 207.

3) Travels into the Interior of South Africa. London 1868. tom. I, p. 320.

4) G. Fritsch, Drei Jahre in Süd-Afrika. S. 295.

5) Chapman, 1. c. I, 250.

6) G. Fritsch, Die Eingebomen Südafrikas. S. 426 u. Tat 50.

7) Reisen im südlichen Afrika. Berlin i8n. Bd. 2. S. 328.

jcQ Die Urzustände des Menschengeschlechtes.

liehe und weibliche Gottheit*) bei ihnen wahrgenommen haben und jedenfalls weilen unter ihnen Zauberpriester*). Da sie sprüchwört» lieh sagen, der Tod sei nur ein Sehlaf, so ist es fast selbstver- ständlich, dass sie auch zu den Abgeschiedenen beten, wie Living- stone sich davon überzeugen konnte^). Unmässigkeit und Schmutz sind die einzigen Laster, deren sie geziehen werden.

Einen anderen alterthümliehen Menschenschlag finden wir in den ungelichteten Wäldern Ceylons. Dort leben angeblich bis auf 8000 Köpfe zusammen geschmolzen die Vedda, ein beinahe nackter Jägerstamm, dessen Sprache ein altes, von Sanskrit und Pali unbe- flecktes Singhalesisch sein soll. Ihre Schädel sind schmal (Breiten- index 66 bis 78), aber stets ansehnlich hoch, erträglich mesognath und mit wenig vorstehenden Jochbeinen versehen*). Sie treiben mit den Nachbarn einen stummen Handel und erwerben von diesen gegen Elfenbein und Wachs, Werkzeuge und Geräthe, die sie in die Eisenzeit versetzen. Sie verschmähen nicht die ekelhafteste Nahrung, wie faulendes Fleisch, binden sich aber wiederum an Speiseverbote, berühren auch nie eine Kost, die ein Kandianer zubereitet hat, aus Furcht, ihre Kaste zu verlieren, denn seltsamerweise beanspruchen sie und wird ihnen von ihrenNachbarn ein höherer Racen- adel zugestanden. Wenn sie als Teufelsanbeter bezeichnet werden, so haben wir uns darunter zu denken, dass sie schädliche Mächte durch ihre Verehrung zu besänftigen suchen. Ihre Jagdreviere sind als strenges Eigenthum unter die Familien vertheilt.^). Femer fallen die Vedda in der Umgebung von polygamischen Völkern dadurch auf, dass sie nur ein Weib ehelichen und bei ihnen das Sprüchwort gilt: der Tod allein könne Mann und Frau scheiden^).

Ebenso wie über die Vedda sind wir nur sehr dürftig über die Mincopie oder die Bewohner der Andamanen unterrichtet, obgleich die Engländer seit beinahe zwanzig Jahren nach diesem Archipel ihre indischen Verbrecher zu verbannen pflegen. Da es auf jenen Inseln an vierfüssigem Wild nicht mangelt, so gehört die

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 346.

2) Fritsch, Eingeborne. S. 427.

3) a. a. O. Bd. i. S. 200.

4) Barnard Davis, Thesaurus craniorum. p. 132 134.

5) Sir Emerson Tennent, Ceylon, vol. II. p. 439 451.

6) Tylor, Anfange der Cultur. I. S. 51. und Lubbock, Prehistoric Times 1869. p. 424.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. 15 1

Jagd zu dem Nahrungserwerb der Eingebornen, welche auch als Pfeilschützen von ihren Gegnern gefürchtet werden '). Zum Fisch- fang verfertigen sie bewundemswerthe , Netze ^) und noch mehr eeichnen sie sich aus durch den zierlichen Schnitt ihrer Kähne, die sie aus Baumstämmen aushöhlen bis die Wände nicht dicker sind, als die einer hölzernen Hutschachtel^). Mit ihnen wagen sie sich weit auf die See hinaus, um beim Fackelglanze Fische zu Speeren. Da ihre Sprache noch undurchforscht ist, war es höchst übereilt, ihnen religiöse Regungen abzusprechen. Unter sich verkehren sie freundlich und liebreich, besonders zärtlich ist die Zuneigung zwischen Eltern und Kindern. Zu den niedrigen Menschenstämmen hat man sie wegen ihrer Nacktheit gerechnet und wahrscheinlich auch, weil sie sich den Landungsversuchen stets mit den Waffen widersetzt haben. Als Schreckbilder der Menschheit sind von allen Seefahrern die Bewohner der ewig feuchten, gleichmässig kühlen Magalhaes- strasse beschrieben worden. Ihre nächsten ethnographischen Ver- wandten sind die Araucanier, jedenfalls haben wir sie als eine physisch schwache Horde zu denken, die nur in dem unwirthlichen Feuerlande eine Rettung vor stärkeren Bedrängern fand. Zwei Erfindungen, die ihnen ausschliesslich angehören, dürfen uns keinen Zweifel übrig lassen, dass es auch diesen geringsten aller Menschen nicht gänzlich an Scharfsinn fehlt. Wie wir später in dem Abschnitt über die nautischen Leistungen der Küstenbevölkerungen zeigen werden, sind die Feuerländer die einzigen Südamerikaner, die von Ecuador bis zum Cap Hörn und^von Cap Hörn bis weit über den La Plata das Meer in hohlen Baumstämmen befahren. Auf diesen Kähnen unterhalten sie beständig ein Feuer, woher ihr Land und sie selbst ihren Namen von Europäern empfangen haben. Beider hohen Dampfsättigung der Luft gelingt es nämlich sehr schwer Holz in Brand zu stecken. Der Feuerbohrer würde also seinen Dienst wahrscheinlich versagen und daher gehören die Bewohner der Magalhaes'schen Inselwelt zu den wenigen Menschenstämmen, welche Fimken aus Eisenkiesen schlagen und sie in Zunder auf- fangen*). Ferner befolgen sie bei der Vermehrung ihrer Jagdhunde

i) Frederic Mouat, the Andaman Islanders. London 1863. p. 321.

2) 1. c, p. 326.

3) 1. c. p. 316—318.

4) W. Parker Snow, OfF Tierra del Fuego. London 1857, tom. II, p. 360. Vielleicht haben sie aber diese Erfindung erst den Patagoniem ab*

IC 2 Die Urzustände des Menschengeschlechtes.

die Regeln derRacezüchtung^). Leider todten sie aber auch bei Hungers- nöthen die alten Frauen vor den Hunden, weil [diese, sagen sie, See- ottern fangen, jene aber nicht *). Daran wollen wir noch die Bemer- kung eines der besten Beobachter unsrer Tage knüpfen. „Als ich, am Bgvd des Beagle, versichert Charles Darwin, mit den Feuer- ländern zusammenlebte, ward ich unaufhörlich überrascht von kleinen Charakterzügen, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Eigenschaften den unsrigen waren" ^). Fitzroy endlich schreibt ihnen den Glauben an eine gerechte Gottheit zu, welche Unheil sendet, als Strafe für begangene Verbrechen*).

Unter allen Bewohnern der Erde stehen vielleicht die Boto- cuden Brasiliens dem Urzustände noch am nächsten. Wohnen sie auch nicht an der Südspitze eines Festlandes, so ist doch ihre Heimath unwirthlich und am spätesten von allen Küstenstrichen Brasiliens durch Europäer besiedelt worden. Die Botocuden leben in gänzlicher Nacktheit und entstellen sich durch Lippen- und Wangenhölzer, wodurch sie sich ihren Namen zugezogen haben, der von dem portugiesischen hotoque (Stöpsel) ^abzuleiten ist, denn unter sich heissen sie Engkeräkmung. Ihre Nahrung erwerben sie sich mit dem Pfeil, tragen übrigens, was andere Horden versäumen, die linke Hand mit einer Schnur umwickelt, um sie vor Verletzung durch die zurückschnellende Sehne zu schützen. Sie leben im Zeitalter der geschliffnen aber undurchbohrten Steingeräthe, bauen Hütten, schlafen auf Bastmatten, kochen in Thongeschirren und sollen im Monde den Urheber der Schöpfung verehren 5). Die Nutzung der Jagdreviere wird nur den Eigenthümern verstattet und Wildfrevel durch duellartige Zweikämpfe gerächt^). Auf ihren Ge- bieten sorgen sie für Verkehrsmittel, denn sie erbauen schwebende Seilbrücken aus Schlingreben (^ipo)^). Setzen wir noch hinzu, dass ihre Sprache einen Ausdruck für Schamröthe besitzt*), sowie dass

gelauscht, welche sich nach europäischer Art des Feuersteines und Stahles bedienen. Musters im Journal of the Anthropol. Institute, vol. I. p. 198.

1) Darwin, Domestication. tom. II, p. 207.

2) Darwin, Journal of Researches. London 1845. p. 214.

3) Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 209.

4) W. P. Snow, 1. c. tom. II, p. 358.

5) Prinz zu Neuwied, Reise nach Brasilien. Bd. 2. S. 18, 21, 27, 35.

6) 1. c. Bd. I. S. 368.

7) 1. c. Bd. 2. S. 37. >8) 1. c. Bd. 2. S. 312.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. icx

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1) J. J. V. Tschudi, Reisen durch Südamerika. Leipzig 1860. Bd. 2. S. 285.

2) Alexander V. Humboldt. Eine wissenschaftl. Biographie. Heraus- gegeben von Karl Bruhns. Leipzig 1872. Bd. i. S. 379.

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sie ihre Gelage durch Gesänge beleben, die freilich roh und ge- dankenarm sein mögen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun- derts, waren die Engkeräkmung noch so kräftig, dass sie drei Hafenplätze zerstören und die Portugiesen völlig aus der Provinz Porto Seguro vertreiben konnten , was ihnen doch niemals ohne ';^

ein nationales Gemeingefühl und ^ein Bündniss der verschiednen V^j

Zweige ihres Stammes gelungen wäre. Als ihre höchste Leistung ij

lässt sich noch mittheilen, dass die Nakenuk, eine ihrer Horden, ^^"l

drei Jahre nach einander genau am 6. Sptbr. bei einer brasilia- nischen Niederlassung sich einstellte, um dort vertragsmässig mit einem jährlichen Festschmaus bewirthet zu werden, so dass sie also irgend eine Zeitrechnung sich angeeignet haben müssen').

Vielleicht haben wir nur Missgriffe begangen, jene eben ge- schilderten Menschenstämme unter alle andren zu erniedrigen. *"r Ihre Sprachen sind nur sehr unvollkommen gekannt und ehe dies nicht der Fall ist, wird Niemand in den Kreis ihrer geistigen Vor- stellungen eindringen können. Flüchtige Reisende sind stets die- jenigen gewesen, welche uns die traurigsten Gemälde der soge- nannten wilden Völker entworfen und namentlich die Beschränktheit ihrer Sprache behauptet haben. So war es auch beispielsweise dem Caribischen ergangen, bis Alexander v. Humboldt aussprach: „Es verbindet Reichthum, Anmuth, Kraft und Zartheit. Es fehlt ihm nicht an Ausdrücken für abstracte Begriffe, es kann von Zukunft, Ewigkeit, Existenz reden und hat Zahlwörter genug, um alle mög- lichen Combinationen unsrer Zahlzeichen anzugeben*).**

Die oben genannten Völker leben von Jagd oder Fischerei, sie bewohnen auch meistens Inseln und werden aus allen diesen Gründen im Kurzen dem Racentode verfallen. Damit wollen wir nicht ausschliessen, dass nicht auch Hirtenstämme aussterben sollten, wie es das sichere Loos der Hottentotten und sämmtlicher nord- sibirischer Nomaden sein wird. In Nordamerika haben sich bis jetzt auf den Gebieten der Hudsonsbaigesellschaft durch gute Schutz- gesetze die Jäger gesund erhalten, jetzt wo die Privilegien jener Gesellschaft erloschen sind, droht auch ihnen das Verhängniss. Die Eröffnung der grossen Westbahnen nach Californien wird das Aus-

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1^4 ^ic Urzustände des Menschengeschlechtes.

Sterben der Bisonheerden und der noch übrigen Reste von India- nern ausserordentlich beschleunigen, und das neue Jahrhundert in den Vereinigten Staaten nicht mehr für Rothhäute anbrechen oder es werden sich höchstens einzelne als bezähmte Merkwürdigkeiten noch ein paar Jahre hinschleppen. Dieser paläontologische Process sollte für uns nichts geheimnissvolles besitzen.

Vor allen Dingen ist nicht etwa an eine blutige Unterdrückung^ zu denken. Oft genug wird den Spaniern besondere Grausamkeit vorgeworfen. Wir wollen durchaus nicht abläugnen, dass sie sich reichlich mit Indianerblut befleckt haben, es geschah diess aber nur aus Habsucht, nicht aus Mordlust ; die Ausrottung wurde auch stets beklagt und durch milde, wenn auch ohnmächtige, Gesetze ihr entgegengewirkt. Die überseeische Geschichte Spaniens kennt keinen Fall, der sich an Verworfenheit mit dem messen könnte, dass Portugiesen in Brasilien die Kleider von Scharlach- oder Blatterkranken auf die Reviere der Eingebornen abgelegt haben ^), um die Pest künstlich unter ihnen zu verbreiten, oder dass die Brunnen in den Wüsten Utahs, welche von den Rothhäuten besucht zu werden pflegten, von Nordamerikanern, mitStrychnin vergiftet wurden *), oder wie in Austra- lien, wo zu Hungerszeiten die Frauen von Ansiedlern Arsenik unter das Mehl mischten^), mit dem sie die bettelnden Eingebornen beschenkten, oder endlich wie in Tasmanien, wo englische Ansiedler die Eipgebornen niederschössen, wenn sie kein besseres Futter für ihre Hunde fanden*). Doch haben nicht Grausamkeit oder Bedrückung irgendwo einen Menschenstamm völlig ausgerottet, selbst neue Krank- heiten, die Pocken mit eingeschlossen, haben nicht Völker vertilgt, und noch weniger die Branntweinseuche, sondern ein viel seltsamerer Todesengel berührt jetzt einst fröhliche und glückliche Menschen- stämme, nämlich der Lebensüberdruss. Die unglücklichen Bewohner der Antillen tödteten sich auf Verabredung gemeindeweise theils durch Gift, theils/ durch den Strick^). Ein Missionär in Oaxaca vertraute dem spanischen Historiker Zurita, dass sich Horden der

i) Prinz zu Neuwied, Reise nach Brasilien. Bd. 2. S. 64. v. Tschudi^ Reisen durch Südamerika. Bd. 2. S. 262.

2) R. Burton, The city of the Saints. London 1862, p. 576,

3) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6, S. 824 und £yre, Central Ausbalia. London 1845. tom. II, 175.

4) Bonwick, The last oft the Tasmanians. London 1870. p. 58.

5) Las Casas, Hist. de las Indias, IIb, III. cap. 81.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. jcc

Chontalen und Mijes verabredet hatten jedem Umgang mit ihren Frauen zu entsagen, oder die ungeborne Leibesfrucht durch Gift zu entfernen'). Darin liegt denn auch die wahre Ursache des Aus- sterbens so vieler bunter Menschenracen, dass kein neues Geschlecht mehr unter ihnen keimt. Es ist die Abnahme der Geburten auf den Sandwich-Inseln *) und auf Tahiti, welche das Abschiednehmen von Völkerstämmen befördert. Auf Taio-Hae, einer Insel der Men- danagruppe, verminderten sich im Laufe von drei Jahren die Ein- wohner von 400 auf 250 Köpfe, während in dieser Zeit nur 3 4 Geburten vorkamen 3).

Warum diess geschieht, darüber können uns einige missver- standene Fälle belehren. Ein junger Botocudenknabe wurde von einer brasilianischen Familie in Bahia erzogen, besuchte die Gym- nasien, die Universität, erwarb sich das Doctordiplom , und prak- ticirte eine Zeitlang als Arzt in Bahia. Eine tiefe Schwermuth war immer der Grundzug seines Charakters gewesen. Eines Tages ver- schwand er, und nach Jahren erhielten seine Pflegeeltern die sichere Kunde, dass er Kleider und Erziehung abgestreift und nackt mit seiner Horde in den Wäldern umherstreife*). Einen ähnlichen Fall erlebte Dobrizhoffer unter den Abiponen, ja er erzählt uns oben- drein von einer spanischen Edeldame, die mit ihren Kindern in die Gefangenschaft jenes streitbaren Stammes gerieth und unter ihnen blieb, bis endlich ein Lösegeld für sie eintraf. Ihr Sohn Raimund jedoch und ihre Tochter, die unter den Rothhäuten auf- gewachsen waren, verzichteten freiwillig auf jede Rückkehr 5). Der verstorbene Admiral Fitzroy hatte einen Feuerländer nach England mitgebracht, wo er Jemmy Button getauft, erzogen und eine Zeil- lang in vornehmen Gesellschaften als Schosskind verhätschelt wurde. Um ihn nach seiner Heimath zurückzubringen, wurde eine Expe- dition gerüstet, auf der Charles Darwin seine Fahrt um die Erde voll- zog, Jemmy Button, der in Europa stets Handschuh und blankgeputzte Stiefeln getragen hatte 6), wurde, in seine Heimath zurückgekehrt,

1) Zurita, Chefs de la Nouvellc Espagne, ed. Temaux-Compans, p. 272.

2) Auf den Sandwichinseln wurden bei der ersten Volkszählung im Jahre 1832 130,315 Köpfe ermittelt, die 1853 auf 73,138 und 1872 auf 49,044 ge- sunken waren. Globus. 1873. Juni. Bd. XXIII, S. 334.

3) Quatrefages, Rapport, p. 358.

4) J. J. V. Tschudi's Reisen in Südamerika. Bd. 2. S. 286.

5) Geschichte der Abiponer. Wien 1783. Bd. 2. S. 176. 6)CharlesDarwin, Journal of Researches. 2d. edit. London 1845. p. 207.

ijö Die Urzustände des Men sehen geBcUechtes.

sogleich ein nackter, ungewaschener und ungekämmter Feuerländer. wie er gewesen war, und unterschied sich 1855 nicht mehr von den Seinigen'}. Ein anderer bekannter Fall dieser Art betrifft einen Australier, Namtn^ Bimgati, der in Sydney erzogen wurde, auf dem Gymnasium Preise sich erwarb und ein gutes Latein sprach, dennoch aber später aus der Civilisalion in den Busch entsprang, und hinterdrein geäussert hat, die Erziehung habe ihin_^nichts ge- nützt, als dass er sein Elend gewahr geworden sei'). Ganz ähnlich erzählt der Hydrograph Neumayer, dass er, verirrt am untern Murray 1861 von den Eingebornen zu einem nackten Schwarzen geführt wurde, der ihm in sein Taschenbuch in fehlerlosem Eng- lisch die Namen der wichtigsten 0 ertlichkeiten eintrug, die er zur Rückkehr berühren sollte. Der seh reib kund ige Australier, damals 24 Jahr alt, war auf einer Missionsschule in Adelaide erzogen worden 3), Eine lieblose Anthropologen schule hat aus sok:hen Fällen den Beweis schöpfen wollen, dass die anders gefärbten Menschen einer von uns verschiedenen Species angehören. Jene Beispiele beweisen aber zunächst, dass das Maass der geistigen Fähigkeiten nicht un- gleich vcrtheilt sei, nur bemerken wir staunend, dass der soge- nannte wilde Mensch das Leben in der Freiheit allen Vortheilen und Bequemlichkeiten der Gesittung vorzieht. Die Schwierigkeit, Jägerstamme an ein sesshaftes Leben zu gewöhnen, besteht nicht darin, dass sie nicht nach unserer Art leben konnten, sondern dass sie nach ihrer Art leben wollen. Sie betrachten jede Arbeit als erniedrigend und nur die Jagd als standesgemäss und mannes- würdig'). Der schwarKe Wann arbeitet nicht, sagen die Australier, denn er ist von edler Geburt'}. Als die britischen und holländi- schen Ansiedler an der Ostküste der Vereinigten Staaten sich niederjiessen , bemerkte man dann und wann einen Eingebornen

l) Philipps, the Missionar)- 0! Tierra dsl Fuego. London 1861. p. 69 5q. u. Parker Snow, OiT Tietra dcl Fuego, II, p. 27—31.

j) Bonivick, the lost of Ihe Taamaniaaa. London 1870. p. 359.

31 Neumayer in der Siliun;; der unthropologischen Geseilschaft iu Berlin am 15. April 1871.

4I So die AlRonkinen und Irokesen nach Charlevoix, Nouvelle Franc«. Paris 1744. tom. ItL p. 334. Grossen Fleiss /ei^en sie dagegen bei der An- fertigung ihrer Jagd- und Fischereigeräthe.

5) White fcUows work, nol block feUow; black fellow gentleman. Haie, UaiL Stalcs Exiiliiring Exped. tlllinoGr.iphy. p. 109.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes. icj

der von einer Anhöhe zuschaute, wie der Neubauer hinter seinem Pfluge herging, nicht etwa um iKto seine Geheimnisse abzulauschen, sondern um 6rst verwundert drein zu schauen, und dann bedauer- lich ihm den Rücken zu kehren, als habe er im Stillen gedacht wie der lateinische Dichter, dass unmöglich das Leben mehr werth sein könne als die Lebensreize (non propter vitam vivendi perdere causas). Dass diess der letzte Gedanke sei, können wir auch durch eine andere Betrachtung inne werden. Die rothen Indianerstämme Nordamerika's denken sich das Jenseits als eine Fortdauer des irdischen Lebens. Der grosse Geist, so hoffen sie, werde sie in wildreiche Gefilde versetzen*). So stellen sich auch die streitbaren Maori Neu-Seelands das Leben nach dem Tod als eine fortgesetzte Reihe von Gefechten und Fehden vor, aus denen die Seligen immer wieder erneuert als Sieger hervorgehen. Unsere germanischen Vor- eltern hegten die gleichen Hoffnungen. Folglich erscheint dem wenig cultivirten Menschen das Leben, welches er lebt, so genuss- reich, dass er sich ein anderes nur als eine Steigerung zu denken vermag. Fragen wir uns nun selbst, ob uns mit einem gesteigerten Diesseits 'irgend wie gedient wäre, ob sich etwa ein Lohnarbeiter das Leben nach dem Tode vorstellen möchte, als eine meilenlange Garnmühle ? Oder können wir glauben, dass ein Londoner Cockney, der jährlich nur wenigemal, manches Jahr gar keinmal, in das Freie gelangt, das Jenseits sich vorstellen könnte als ein ver- grössertes London ? Wir müssen also schliessen, dass das physische Wohlbehagen auf den niedersten Gesittungsstufen viel grösser, der Schätz ungs werth des Lebens viel geringer sei, dass der sogenannte Wilde lieber auf das Dasein verzichtet, als die Lasten der Gesittung sich zuzuziehen. Wäre die Heimath der alten Deutschen, wie sie Ta- citus schildert, in Nordamerika gelegen gewesen, allem Vermuthen nach wären sie nach der Entdeckung durch die Europäer dem nämlichen Verhängniss verfallen, wie die Algonquinen oder die Fünf Nationen. Der Uebergang von Jagderwerb zum strengen Ackerbau muss durch mehrere Geschlechter sich langsam voll- ziehen, sonst stellt sich der Racentod ein. Wir sehen daher, dass in der neuen Welt diejenigen Eingebornen, welche schon einen höheren Culturgrad erreicht hatten, wie die Bewohner Mexico's^

1) Charlevoix, Nouvelle France. Paris 1744. •tom. III. p. 352 353.

jcg Die Nabnings mittel und ihre Zubereitung.

Yucatans, Mittel amerika's, Ecuadors, Peru's und Chile's, nicht nur nicht aussterben, sondern dass sie jetzt nach etwa 300 Jahren in ihrer Heimath wieder die herrschenden Racen werden, freilich zu- n^ichst mit einem Rüiischritt ihrer Gesittung.

Wenn wir Jät'erstämme mit schriftgelehrten Völkern vergleichen, sollten wir eins nie vergessen. Wir alle sind Knechte der Ge- sellschaft, mühsam abgerichtet von unsrer Jugend auf um den Dienst eines RaJes im Räderwerke des bürgerlichen Lebens, oft genug nur den einer Spindel oder Schraube zu vollziehen, Freiheit allein geniesst der Botocude, der Australier, der Eskimo. Den Verlust der natürlichen Freiheit fühlen wir nie, weil man nicht ver- lieren kann, was man nie besessen hat. Damit man nicht in diesen Worten den Ausbruch von Klagen um ein verlornes Paradies im Geschmack von Georg Forster zu vernehmen glaube, wollen wir gleich hinü u setze n , dass der Mensch der Culturstaaten andrerseits eine Freiheit geniesst, um die ihn die farbigen Jäger wohl beneiden dürften, nämlich seine geistige Freiheit, Man hat oft gefragt, ob bei allen sogenannten Wilden religiöse Regungen gefunden werden. Ein VÖlkerkundiger wird diese Frage nicht stellen. Er weiss, dass mit der Annäherung an den Naturzustand immer mehr und mehr geglaubt wird. Die Herrschaft des Unglaubwürdigen ist nirgends stärker, als im Gemüthe des sogenannten Wilden und er zittert durch das ganze Leben vor den Gebilden seiner eignen Imagina- tion. So war unser Geschlecht vor die Wahl gestellt; Sklaven zu werden innerhalb einer bürgerlichen Ordnung aber frei zu sein von den Bedrängnissen der Einbildungskraft, oder alier geselligen Fes- seln ledig, als einzige Freiherren Jagdreviere zu durchschreiten, aber dafür eingeschüchtert zu werden von Jedem fratzenhaften Traum und eine Beute zu bleiben der kindischen Gespensterfurcht.

2, Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

Ais man über die früheste Entwicklung des Menschenge- schlechtes nachzudenken begann, galt es als selbstverständlich den Schauplatz seiner ersten Ausbreitung dorthin zu verlegen, wo von der Natur die Tagesnahrung freigebig jeder ausgestreckten Hand dargeboten wurde. Nur zwischen den Wendekreisen fand man diose Voraussetzung erfüllt und nicht anders als mit den Feder-

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. i^q

krönen von Palmen geschmückt, konnte man sich den gesegneten Garten vorstellen, wo unsre Stammeltern mit Ernährungssorgen noch nicht zu kämpfen hatten. Doch ist es noch heutigen Tages kleinen Gemeinden vergönnt zu ernten, wo sie nicht gesäet, zu pflücken, wo sie nicht gepflanzt haben. Im Gebiete der Sagopalme, also in der Banda See finden Malayen und Papuanen immer Nah- rungsvorräthe , die ihrer warten. Auf etlichen Korallengruppen der Südsee und des indischen Oceanes bestehen die Mahlzeiten zu jeder Tagesstunde und im Laufe des ganzen Jahres nur aus Co- eosnüssen, höchstens dass der Fischfang gelegentlich eine Abwech- selung gewährt. Unter den Palmen finden wir überhaupt die willigsten Nährmütter des Menschen. Zu den Bäumen, welche die Eingebornen des tropischen Südamerikas pflegen, gehört die Gui- lelma speciosa^ welche die apricosen- oder eierpflaumenartigen Pu- punhas trägt. Sie muss seit uralten Zeiten schon gezüchtet und durch Edelreiser fortgepflanzt worden sein, da der ursprünglich steinharte Samenkern entweder in Fasern zerschmolzen ist oder sich gänzlich zu Fruchtfleisch aufgelöst hat^). Einem herrenlosen Obstgarten gleichen die Wälder am Amazonenstrom, wo die bra- silianische Kastanie (Beriholletia excelsa) ihre mandelähnlichen Samen reift, der Cacao, die Ananas, der Breiapfel (Achras SapotaJ^ die Avagate fPerseß gratissima)^ sowie eine Anzahl beeren-, pflau- men- und kirschenartiger Früchte wild wachsen, zu denen die Miriti oderMoriche/^i^«r/'//'(ayff Jtrwöjoy denPalmwein und dieTageskost liefert. Dort ist also der Tisch beständig gedeckt und für Abwechselung reich- lich gesorgt*). Mehr als 200 orangengrosse sättigende Nüsse trägt alljährlich in Mittelafrika der Dum- oder PfefFerkuchenbaum (Hy^ phaena thehaicaj ^ die einzige Palme, welche abtrünnig dem Fami- lientypus ihren Stamm verzweigt 3). Neben ihr ernährt die Dattel in den saharischen Oasen nicht bloss den» Reiter, sondern sogar das Ross, das ihn trägt. Freilich ist sie nirgends mehr wild an- zutreffen, erfordert sie doch sogar, damit die Ernte gesichert sei, dass die Blüthen der männlichen Bäume mit denen der weiblichen durch kundige Hand vermählt werden.

Von seiner Heimath auf den Molukken und Philippinen ist

1) Martins, Ethnographie I, 136.

2) Martins 1. c. S. 449—451. L. Gnmilla, Orinoco. cap. 9. p. 84.

3) Samuel Baker in Proceedings of the R. Geogr. Society 1866. p. 260.

l6o Bie Nahrungsmittel und ihre Zubeieitung.

der Brotfruchtbaum mit den Polynesiern über die Südsee vorgerückt. Seine melonengrossen Früchte bringt er acht Monate des Jahres hinter einandtr nur Reife, auch lassen sie sich, unter der Erde aufbewahrt, nocli die andern vier Monate geniessbar erhalten'). Uebrigens ist das letztere gar nicht strenger Brauch, denn wie der jüngere Pritchard') bemerkt, gelangen gerade in den sechs Mo- naten, wo die Brotfrüchte zur Neige gehen oder fehlen, die Yams- wurzeln zur Reite, welche letztere allerdings schon Ackerbau voraus- setzen. Es genügen aber nach J. R. Forsters Berechnung 27 Brot- fruchtbäume, die freilich auch einen enghschen Acker mit ihrem Schatten bedecken würden, zur Ernährung von 10 12 Personen, während der acht Monate ihres Fruchttragens J). Wüssten wir endlich mit Sicherheit die ursprüngliche Heimath des Pisang an- zugeben'), der dreimal im Jahre seine ya 80 Pfund schweren Trauben zur Reife bringt und der nach einer oft benützten Be- rechnung A, V. Humboldts auf einem gleichen Flächenraum fünfzig mal mehr Nahrungswerth liefert, als der Waizen, dann würden wir am liebsten unter den malerisch zerfetzten Ruderblättern der Mu- saceen die Voreltern unsres Geschlechtes auftreten lassen.

Doch gibt es auch ausserhalb der Tropen gesellig wachsende Bäume, die essbare und leicht aufbewahrte Früchte für arbeits- scheue Menschen herabschütteln. Zollhoch bedeckt sich der Boden in den nord amerikanischen Mezquitewäldern mit den abgefallenen Schoten, die nicht blos von Pferden und Maulthieren gierig ge- fressen, sondern aus denen auch für den menschlichen Genuss ein säuerliches Qelränk bereitet und deren Bohnen in Mexico ver- mählen und zu Brod verbacken werden sollen*). Gewiss ist wenig- stens, dass diese Samen der Algarrobia oder Prcsopis gtandulos:i von den Mohavestämmen am westlichen Colorado, vorsichtig in Korbe verpackt imd aufbewahrt werden um bei einem Miarathen

1) Charles Martins, von SpitzbeigcD zur Sahaia. Bd. 1. S. 33.

2) PolyncaiiiQ RcmiDiscenceii. Loodon 1866. p. 127.

3) Bem«tkuii£en auf einer Reise um die Welt Berlin 1783. S. 195.

^) GiihebAtli, Vegetation der Erde bezeichnet Bd. 3, S.16 mitR. Bro wn Btitisch Indien als das Vaterland von Musa paradisiaca (Pisang) u.-M. sa- pientium (Banane), hält eE aber für möglich, dass diese Gewächse schon vor der Entdeckung Ametihas in diesen Weltlheil gelangt seien. Diese letztere VermulitDDg muss freilich die Völkerkunde als völlig unbegründet verwerfen.

5) J. Froebel, Au5 Amerikj. Bd. 2. S. 446.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. l6i

der beliebteren Früchte als Aushilfe zu dienen'). Aehnlich ge- staltete Schoten, wie diese Acazie des trocknen westlichen Nord- amerika bringt auf den Pampas der Laplatagebiete die Prosopis horrida hervor. Ihre Früchte werden von den jetzigen Bewohnern Johannisbrod (algarr6ba) genannt, äie ha|^n aber ausser dem Namen nichts gemein mit den Schoten der südeuropäischen Ceratonia si- Itqua, Zweimal im Jahre wurden von den Abiponen die Früchte aufgelesen und entweder trocken genossen oder mit Wasser ver- mengt durch Gährung in ein weinartiges Getränk verwandelt").

Gehören die bisher aufgezählten Nahrungsmittel vorzugsweise den Ebenen an , so sind auch Gebirgsabhänge nicht gänzlich' leer ausgegangen. In ^^n chilenischen Cordilleren tragen die Arau- carien, welche dort unsere Nadelhölzer vertreten, in ihren menschen- kopfgrossen kugeligen Früchten nicht weniger als 2 300 Nüsse, doppelt so gross als eine Mandel und frisch geröstet vom Ge- schmacke der Kastanien. Da 200 dieser Nüsse dem stärksten Esser eine reichliche Tagesnahrung gewähren, so genügen ihm 18 Araucarien für einen Jahresunterhalt 3). . Wir brauchen aber solche Beispiele nicht in den Anden von Antuco zu suchen, auch die Pinienwälder Südeuropas könnten angeführt werden, ja selbst in der Zirbel unsrer Hochgebirge, welche nicht gern und nur ver- einzelt tiefer als 4000 F. herabsteigt, besitzen auch wir einen Nähr- baum der Freiheit. Es sei uns an dieser Stelle verstattet, noch daran zu erinnern, dass auf den Hochlanden Chile's die Kartoffel wild gefunden worden ist und auf Montblanc-Höhe in Peru die Kinoahirse (Chenopodium Quinoa) wächst, ohne deren Gegenwart es gar nicht denkbar gewesen wäre, dass am Titicaca See eine jedenfalls dichte Bevölkerung die berühmten, dem Sonnendienst geweihten Tempel erbaut hätte.

Während noch immer vergeblich nach der Heimath unsrer Getreidepflanzen gesucht wird, gibt es in seichten stehenden Ge- wässern noch wild wachsende Körnerfrüchte, welche der Cultur sich bisher entzogen haben. In Nordamerika sammelten und sammeln noch jetzt die Eingebornen die Aehren der Surapfhirse (Zizania

1) Möllhausen, Tagebuch. S. 397.

2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 74. S. 139.

3) Pöppig, Reisen. Bd. i. S. 400.

Peschel, Völkerkunde. IT

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1^2 ^^ NAhningBinillel und ihre Zubereitung,

aquaiica)''). An den Weihern, Stauwassem und Igarapes (Neben- armen) des brasilianischen Rio Negro wächst als Grasteppich der wilde Reis (Oryza subnlalaj, dessen reife Körner der Ansiedier im Vorüberfahren nur in seinen Kahn abzustreifen braucht'). Erst kürzlich hat Georg Schweinfurth 3) eine andre Art Reis (Oryza punclala) erwähnt, die zur Regenzeit in allen Teichen des Bongo- landes im Gebiete des Oazellenflusses sich einstellt, von den dor- tigen Negern zwar nicht gesammelt, wohl aber von den Baggara- Arabern und in Darfur ais wohlschmeckendes Nahrungsmittel ge- schätzt wird. Selbst die trocknen Ebenen der Kalahari in Sud- afrika bringen eine Anzahl essbarer Wurzeln, Knollen, Bohnen, saftige Früchte und die geniessbare, durch ihre Milch den Durst stillende Maguli hervor*).

Die angegebnen licispiele erschöpfen die Zahl aller Nähr- pflanzen der Wildniss keineswegs, sondern ein nachsichtiger Fach- kenner wird im Stillen vieles zu ergänzen haben, mancher besser Bewariderte sogar erstaunt sein, dass wichtige Erscheinungen tiber- sehen wurden. Allein das Angeführte wird für den Zweck unsrer Untersuchung völlig ausreichen. Auch sollte keineswegs bei der Ijisherigen Aufzählung von Nahrungsmitteln der Gedanke vertreten n-erden, als habe der Mensch auf seinen ältesten Entwicklungs- stufen ausschliesslich das Pflanzenreich um Nahrung angesprochen und sei wie Brahmanen und Buddhisten mit heiliger Scheu an der Thierwelt vorübergegangen. Nur insofern mussten zuerst die Er- zeugnisse der Gewächse erwähnt werden, als der Mensch seinem GebisB und seinen Verdauungs Vorrichtungen nach auf vegetabilische Kost angewiesen ist, so dass ihn nur der Hunger zur Aenderung seiner Nahrungsweise getrieben haben möchte. Aber auch Thiere, die nach den I-ehren der vergleichenden Anatomie unter die Pflanzenfresser gehören, beobachten nicht streng die ihnen zu- kommende Diät. Da die Affen der alten Welt im Zahnbau, wo- rauf es hier zunächst ankommt, mit den Menschen völlig überein- stimmen, so ist es für uns von Wichtigkeit, wenn auch bei ihnen

1) Der Acclimatisaüonsverein in Berlin hat sich seit 1S70 mit dem Anbau des Indinnerreiscs, wie es scheint, mit Glück beschäfligt. Ausland 1872. S. 741.

2) V. Martius, Ethnogiaphie. Bd. I. S. 679. i) Globus, Bd. XXn. S. 76.

4) Chapman, Travels inlo the Inteiior of South-Africa. London 1868.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. 163

eine gleichsam regelwidrige Ernährung beobachtet wird. So pflücken nach Otto Kerstens Schilderung') die Paviane Blätter und Blatt- knospen, Blüthen und halbreife Früchte, graben Knollen und Wur- zehi aus, stellen aber auch Thieren nach, die sie bewältigen können. Sie drehen Steine um in der Erwartung auf der Rückseite Kerb- thiere zu finden. Puppen von Ameisen und Schmetterlingen, Käfer- larven, glatthäutige Raupen, Fliegen und Spinnen sind willkommene Beute. Endlich gehören sie noch zu den schlimmsten Nesträubern, verzehren Eier und Nestlinge aller nicht zu grosser Vögel, ja fangen die flüggen Jungen oder greifen Mäuse um sie mit sicht- lichem Behagen zu verspeisen. Nicht viel anders wie diese Be- schreibung ostafrikanischerjp Hundsaffen klingt es , wenn Alfred Lortsch von den Australiern bemerkt, sie verzehrten ausser den Beutelthieren alle Vögel, selbst Aasgeier, Aale und Fische jeder Art, Fledermäuse, darunter auch fliegende Hunde, Frösche, Ei- dechsen, Schlangen und Würmer*). Einer ähnlichen Aufzählung begegneten wir unlängst bei G. Schweinfurth, der von den Bongo- oder Dornegern versichert, dass sie mit Ausnahme von Hund ur.d Mensch kein thierisches Nahrungsmittel, auch nicht Ratten, Schlangen, Aasgeier, Hyänen, fette Erdscorpione, geflügelte Termiten und Kaupen sich entgehen lassen^). Wiederum berichtete kürzlich

F. Appun über die Indianer Britisch Guyana's: „Wild und Fische bilden ihre Hauptnahrung]; doch verschmähen sie auch Ratten, Aff'en, Alligatoren, Frösche, Würmer, Raupen, Ameisen, Larven und Käfer nicht^)." Der Ekel vor irgend einer Kost beruht nur auf Uebereinkommen oder auf dem „Grauen vor dem Un- bekannten*^ Auch haben gesittete Europäer wenig Berechtigung zu schaudern, dass Chinesen Schwalbennester und Trepang (Holo- thurien) zu den besten Leckerbissen rechnen oder in Arabien die Heuschreckenzüge wie ein gottgesendeter Fcstschmauss begrüsst werden, da sie selbst weder vor den Verdauungsrückständen der Schnepfen noch vor Hummern und Flusskrebsen zurückweichen, welchen letzteren doch zur Reinigung ihrer W^assergcbiete das Ge- schäft obliegt, gleichzeitig als Grab und Todtengräber zu dienen.

1) Reisen des Baron v. d. Decken in Ostafrika. Bd. I. S. 158,

2) Ausland 1866. S. 700.

3) Globus Bd. XXII. Xo. 5. S. 76.

4) Ausland. 1872. No. 27. S. 635.

if)^ Die Nflhningsniillel und ihre Zubereitung.

Wollen wir uns also ein Bild von der Ernährungsweise der Urstämme unsres Geschlechtes vor der Erhebung zum Ackerbau, ja vor dem IJetrieb der Jagd entwerfen, so dürfen wir nicht den- ken, dass Pllan7.enkost allein den Hunger gestillt habe, sondern dass vielmehr alles ergriffen wurde, was geniessbar erschien. Be- geben wir uns zunächst an die See, so lassen sich dort von den Watten oder vom Meeresgrund selbst nahrhafte Muscheln, sowie Schnecken in ergiebiger Menge und zu jeder Jahreszeit auflesen. Die Anhäufungen von Schalen und Gehäusen essbarer Weichthiere, die sich bankartif; längs den Ufern der dänischen Inseln erstrecken und den Archäolo^'en als Küchenabfälle (Kjökkenmöddingfr) wohl bekannt sind, bestehen aus den Schalen von 4 Mollusken arten der Ostsee, die in der Zeit der ungeglätteten bis zur Zeit der abge- glätteten Steingerädie baltische Strombewohner ernährten '), Sobald das Auge für solche Erscheinungen geschärft war, haben andre Forscher ganz gleiche Muschelanhäufungen in Schottland, den Vereinigten Staaten, in Brasilien und in Australien erkannt.

Erbeutung voi Fischen ohne Fischereigeräthe, also ohne Netze oder Angelschnur gehört zum Alltagsleben in Kamtschatka. Fünf- zehn Meilen im Innern dieser Halbinsel fand Kennan'j dir schwachen Gewäster durch die Leiber von todten und faulenden Lachsen verpestet. Solche Fische von 18 20 Zoll Länge sah er in Bächen, die kaum ihre Rücken mit Wasser völlig bedeckten, sich mühsam aufwärts winden, so dass sie mit Händen herausge- hoben worden konnten. In Kambodia, wo Fischereigeräthe fehlten, bemerkte Adolf Hastian^), dass die Elngebornen das Wasser des Tasavai in einen Kanal leiteten, dann es abdämmten und wieder ausschöpften, um die mittlerweile eingetretnen Fische mit den Händen zu fangen. Ganz ähnlich verfuhr ein Chinese bei Calumpit auf der Insel Luzon, den F. Jagor*) beobachtete. Mehr Ueber- iegung und längere Naturbeobachtung setzt schon das Vergiften von Fischwassern voraus, wie es vorzüglich in Südamerika betrieben wird. Am ausführlichsten ist das Verfahren in Guayana von F, Appan geschildert worden*), der übrigens bei den dortigen

1} S. oben. S. 44.

]) Teilt Life in Siberia. London 1871. p. loS,

3) Völker Oslasisns. Jena 1868. Bd. 4. S. 49.

4) Reisen in ilen Philippinen. Berlin 1873. S. 47.

5) Ausland 1870. S. 1139- ß. "S*".

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

165

Indianern, wie in Cambodia, ebenfalls das Abdämmen und Aus- schöpfen von Fischwassern anwenden sah.

Wie man sich längst gestanden haben wird, wäre es eine hoff- nungslose Aufgabe, irgend emen Erdraum als denjenigen zu be- zeichnen, der durch leichten Erwerb des Tagesbedarfs sich für die Ileimath der frühesten, noch nicht durch Nachdenken und Uebung erstarkten Stammeltern mehr als andre geeignet haben sollte, viel- mehr war unser Planet an unzähligen Strecken beider Festlande für den Empfang des Menschen vorbereitet. Dagegen können die von uns verknüpften Thatsachen dazu dienen, uns von dem alten Irrthum zu erlösen, dass die Ausbreitung unsres Geschlechts von irgend einem Schöpfungsherd nach entlegenen Festlanden nur bei reiferen Zuständen habe stattfinden können. An Nahrung hat es wenigstens nirgends gefehlt, ja die örtlich wechselnde Fülle und die ursprünglich engen Verbreitungsgebiete wohlschmeckender Ge- nussmittel, die als etwas Neues von ausgeschwärmten Horden entdeckt werden mussten, mögen viel dazu beigetragen haben, dass mensch- liche Bewohner bis in die äussersten Winkel des Erdkreises gelockt wurden. So weit Geschichte und Erforschung vorgeschichtlicher Zeiten reichen, waren die Völker beständig auf der Wanderung begriffen, ja das Verwachsen mit dem Boden gehört erst sehr vor- gerückten gesellschaftlichen Zuständen an.

Nicht gänzlich darf an dieser Stelle eine Entartung des Menschengeschlechts verschwiegen werden. Während es bei Thieren selten vorkommt, dass- sie ihre eigene Art verzehren, stossen wir auf die Anthropophagie fast in allen Welttheilen. Einige dieser Fälle werden dadurch gemildert, dass der entsetzlichen Gewohnheit nur der schlimme Wahn zu Grunde liegt, als könne man schätzens- werthe Eigenschaften des Verzehrten in sich aufnehmen. Zur Zeit des Taipingaufstandes traf ein englischer Kaufmann in Shanghai seinen Diener auf der Strasse, der das Herz eines Rebellen nach Hause trug und eingestand, es verzehren zu wollen, um seinen .Muth zu stärken'). Bisweilen ist es nicht sinnliche Gier, sondern Rachsucht, um dem erschlagnen Feinde die schimpflichste aller Bestattungsarten zu bereiten. Manchmal wird die Gottheit selbst zur Theilnahme herabgezogen, wenn auf das Menschenopfer der

^

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I) J. B. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 167.

l66 Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

empörende Menschen sc hinaus nachfolgt, wie im alten Mexico*). Gänülith unzulässig ist es dagegen, die Menschenfresserei aus einem physiologischen Zwang rechtfertigen zu wollen, als erfordere unsre Leib es wohl fahrt dringend einen Wechsel zwischen Fleisch- und Pflanzenkost, während doch in Indien mehr als hundert Mil- lionen Bewohner sich ausschliesslich mit letzterer begnügen. Ge- wöhnlich beruft man sich auf die Maori, welche in Neuseeland kein vierfüssiges Landthier vorfanden und von einem unbezwing- lichen Naturtrieb erfasst, zum Genuss von Menschenfleisch getrieben worden wär^^n'). Allein die Anthropophagie ist allen andern Po- Ij'aesiern gemeinsam. Sie ist auf den Marquesasinseln, der Hawai- gruppe, Tahiti^) und anderwärts nachgewiesen worden, wo doch überall Schweine und Hunde zur Fleisch erzeugung gezüchtet wur- (ien, so dass sicherlich die Maori, ehe sie sich von den Geschwister- slämmen trennten , schon mit dem grauenhaften Laster befleckt waren. Dazu kommt, Uass von diesem Gräuel nicht einmal vieh- zuchttreibende Völker, nämlich in Südafrika die Itnmithlanga , ein Zulustamm, frei waren^) und er bei den ihnen nahe stehenden Basuto erst von dem Häuptling Moichesch unterdrückt wurde*). Täuschung wäre es ferner, diese Verworfenheit bei den sogenannten niederen und minder zu rech nungsfiili igen Völkern zu suchen. Sind auch die Australier nicht gänzlich rein zu sprechen*), so gehören sie doch nicht unter die Gewohnhc.tscanibalen. Hottentotten und Busch- männer sind unsres Wissi-ni noch nie verdächtigt worden, dagegen

1( PreBcoll, Conqucst of Mexico, lom. I. p. 78.

3) Das Gleiche konnte vor. den Bewohnern Rapi nui's der Osterinsel gelten. Revue miritime et coloniale. Tome XXXV. Novbr. 1872. p. iiO,

3) Meinicke äussert (Zeilschr. für Etdkundu 1870. No. 19. S. 396) bei Erwähnung der ThaUauhe, dass auf den wcsllichen Paumotu-Inseln die An- thropophagie durch Tahitier unterdrückt worden sei, die Vermuthung, dass lelilere nie jenes Lasier gekannt hätten. Uerland [Waitz, Anthropologie. Bd. 6. S. 158! hal indessen mehrere Zeugnisse dafür beigebracht.

41 Waili, AnlhtupoloEic. Bd. 1, S. 352.

51 Casalis, Lcs Bassoulis. Paris 1851). p. II. p. 319- '^u Je" Höhlen- canibalcn gehörten iwci Beläcliuanenhorden , die Ba-fukeng oder Ba-hukeng und die Ma-kalla sowie zwei Kafirstämme, die Ba-makakana und die Ba- maUapatlapa. Ihr Schlupfwinkel lag in der Nähe von Thaba-Bosigo bei den yuellen des Caledonflusscs. Anthropological Review. April 1869. No, 25. YOL Vn. p. 121— 1;8.

6) Pelermann's Miuhcilungen. 1870. S. 1+8.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. 157

kann über die Anthropophagie derBotocuden kein Zweifel aufkommen. Weit zahlreicher sind jedoch die Fälle, dass wir die grauenhafte Ge- wohnheit gerade bei Völkern und Völkergruppen antreffen, die sich durch Begabung und reifere gesellschaftliche Zustände vor ihren Nachbarn auszeichnen, wie die Altmexicaner, deren schon gedacht wurde. So sind auch sämmtliche Papuanen, also die Bewohner Neu-Guineas mit seinem Zubehör an Inseln, der Salomonen, der neuen Hebriden, Neu-Caledoniens und der Fidschigruppe Men- schenfresser aus Lüsternheit und doch müssen wir sie als Race geistig so hoch oder höher stellen als die Polynesier. Unter den asiatischen Malayen sehen wir die Batta auf Sumatra so hoch ge- stiegen, dass sie sich ein eignes Alphabet, wenn auch nach indi- schen Mustern, erschufen*). Was ein holländischer Statthalter von Padang dem Reisenden Bickmore*; über den angeblich späten Ursprung des empörenden Lasters mittheilte, ist eine selbsterfundene Sage der Batta, denn sie waren Anthropophagen bereits zu Nicolo Conti's^), selbst schon zu Marco Polo's^) Zeiten, ja wenn die Insel Ramni der alten arabischen Reiseberichte richtig als Sumatra er- kannt worden ist, so würden schon vor tausend Jahren die Batta die Würde des Menschengeschlechtes durch ihr Laster geschändet habend). Im äquatorialen Afrika finden wir zwei eben so tief ge- sunkene Stämme, nämlich an der Westküste die von Du Chaillu zuerst und später von Burton beschriebenen Fan, die sich durch ihre Eisenindustrie und einen höheren Grad von Intelligenz aus- zeichnen^), so wie im Gebiete das Gazellen-Nils dip beträchtlich über ihre Nachbarn an Cultur hervorragenden Niamniam oder Sandeh, deren Anthropophagie uns nacheinander von Petherick und Piaggia bestätigt worden ist. Endlich hat Georg Schweinfurth

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 114.

2) Reisen im ostindischen Archipel. Jena 1869. S. 340.

3) Seine Worte lauten nach dem «unzig richtigen Texte des Poggio den Fr. Kunstmann neu herausgegeben hat (Indien im 15. Jahrhundert. München 1863. S. 40) In ejus itnuJae (nämlich Sumatra), quam dicunt Bathech parte anthropophagi hahitant.

4) lib. III, cap. II.

5) Peschel, Gesch. d. Erdkunde. S. 107.

6) Winwood Reade (Savage Africa. London 1863. p. l6i) nennt die Fan „eioen äusserst höflichen und liebenswürdigen Menschenstamm." Nach Zucchelli (Missione di Congo XI, i. Venezia 171 2. p. 198) gehören auch die Congoneger unter die Menschenfresser.

(

l68 *I^e Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

die erste Kunde von ihren südlichen Nachbarn am Uelle, den hell- farbigen Monbuttu, nach Europa gebracht, deren Halbcultur neben den Urzuständen der Nilbevölkerungen auf das höchste überraschen muss und über deren Canibalenthum kein Zweifel übrig bleibt. Es bestätigte sich auch bei ihnen eine alte Erfahrung, dass nämlich der Genuss von Hundefleisch der erste Schritt zur Anthropophagie / und ihr Begleiter zu sein pflege '). Dass selbst Europäer in unserm Jahrhundert vor Menschenfleisch nicht zurückschauderten, behauptet H. Schaaff"hausen ^) , dem wir freilich überlassen müssen, die Glaubwürdigkeit seiner Quelle zu vertreten. Bei der letzten' Be- lagerung von Messina soll nämlich das Fleisch der gefangenen Soldaten afuf der Giudecca verkauft worden sein und zwar das der Schweizer um einen höheren Preis als das der Neapolitaner.

Aus der Summe dieser Thatsachen ergibt sich, dass mit Aus- nahme der Papuanen und Polynesier die Anthropophagie nicht über ganze Völkergruppen verbreitet ist, sondern nur sehr verein- zelt in Afrika und in Amerika auftritt, in Asien beinahe gänzlich fehlt, in Europa einer vmsichern Vorzeit angehört. Die Ansicht, dass alle menschlichen Gesellschaften auf ihren roheren Stufen dieses Laster einmal gekannt und überwunden haben sollten, lässt sich daher nicht streng begründen, zumal neuerdings erkannt worden ist, dass die Sagen von Menschenfressern sich von einem Volke zum andern mit grosser Leichtigkeit verbreitet haben, so dass ihr örtliches Vorkommen durchaus nicht eine Anthropophagie in der Vorzeit andeutet. Auch wurde früher mit unberechtigter Hast vorausgesetzt, dass, wo Menschenopfer im Gebrauche waren, ehe- mals auch Menschenfleisch verzehrt worden sei, als habe man auf die Altäre der Götter nur dasjenige gesteuert, dessen Genuss auch den Darbringern schätzbar erschien. Mit den zahlreichen Menschen- opfern in Khondistan war jedoch niemals Anthropophagie verknüpft. Sie fielen der göttlich gedachten Erde, um die Gunst ergiebiger Ernten zu gewinnen, wie man aus Campbell's ausführlichen Schilderungen sich überzeugen kann. Die Opfer von Frauen und Hausgesinde auf den Gräbern Verstorbener haben ebenfalls keinen Zusammen- hang mit anthropophagen Gewohnheiten. So beruht die Ada oder „grosse Sitte" in Dahöme ebenfalls auf dem Unsterblichkeitsglauben.

1) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1873. Bd. 5. S. 10.

2) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1870. Bd. 4. S. 247.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. i6o

Am Grabe des Königs fallen dort Hunderte von Menschen dem Wahne, dass ihre Geister als dienstbare Gehilfen dem Abgeschie- denen nachfolgen oder ihm Botschaften über die jüngsten dies- seitigen Begebenheiten ins Jenseits überbringen sollen^). Die Hindu enthalten sich schon seit Jahrtausenden jeder Fleischnahrung und dennoch haben sie sich ehemals bei den grossen Dschaggernauth- festen, von religiöser Raserei ergriffen, zu Dutzenden unter die Räder des grossen Götzenwagens geworfen, um sich selbst zum Opfer zu bringen. Wenn also Abraham seinen Sohn auf den Holzstoss bindet, so folgt daraus noch nicht, dass" die Hebräer vor Abraham, oder wenn Plinius*) erwähnt, dass im Jahre 657 u, c. in Rom ein Verbot der Menschenopfer erlassen worden war, dass die Römer ehemals Canibalen gewesen sein müssten. Wir dürfen vielmehr beruhigt annehmen, dass nur hin und wieder nicht blos rohe-, sondern selbst hochgestiegene Menschenstämme der ent- setzlichen Versuchung unterlagen und die Anthropophagie gewiss * nicht zu den unerlässlichen Entwicklungskrankheiten unsres Ge- schlechtes gehört habe.

Sehr schwierig ist es, den Einfluss der Ernährung auf die Sittigung der einzelnen Völker nachzuweisen. Mit Zuversicht lässt sich nur aussprechen, dass ungenügende oder ungeeignete Kost stets eine physische und geistige Verkümmerung zur Folg© gehabt hat. Auf den reichen Jagdgründen Australiens haben die Reisenden nicht die dürren Missgestalten wie an der Westküste, sondern rüstige und wohlgebildete Menschen angetroffen. Nur in den Wild- nissen der Kalahari sind die Buschmänner klein und zu Gespenstern abgemagert.

Was dagegen die Wahl der Kost betrifft, können wir nur einen Satz wiederholen, der längst Gemeingut geworden ist. In kalten Ländern werden kohlenstoffreiche Nahrungsmittel mit grösserm Verlangen ergriffen werden, als in warmen. Der Polar- kreis wäre für einen Hindu ohne Aenderung. seiner Speisevor- schriften unbewohnbar, wie es andrerseits einem Eskimo schwer fallen dürfte, nach Indien versetzt, Seehundsspeck roh in unaus- sprechHchen Mengen zu verschlingen. Fügen wir noch die gewiss treffende Bemerkung Moritz Wagners -5) hinzu, dass in Südasien,

I) Ausland. 1861. S. 407. ' 2) Hist. nat. XXX, 3—4. 3) Allgem. Zeitung. Beilage. 1871. S. 2887.

170 ^'E Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

J sowie in Mittel- und Südamerika überall wo Fleischkost mangelt, Leguminosenfrüchte stark verzehrt werden und wo Reis die Tages- nahrung bildet, der Fischfang eifrig betrieben wird, so haben wir ' bereits erschüpft, was als sicher ermittelt betrachtet werden darf. Streng erwiesen ist dagegen nicht, dass Korperstärke, physischer Mutb oder \'erst an des schärfe bei Fasten kost nicht in gleichem Maasse wie bei Fleischkost erwartet werden dürfen. Von allen Polynesiern, die Bewohner einsamer Inseln abgerechnet, waren die Rlaori Neu-Seelands die einzigen, welche weder Schweine noch -Hunde mäsleten und wenn man nicht annehmen will, dass ihre gelegentlichen Mahlzeiten von Menschenfleisch diesen Hangel er- setzt haben könnten, so muss man zugeben, dass sie bei ihrer Fisch- und Wurzelkost der kräftigste, muthigste, streitbarste und in gesellschaftlichen Künsten am weitesten gestiegene Stamm ihres \ ölkerkreiaes geworden sind.

Gewiss hat schon ein jeder von uns einmal die Wirkungen alcoholischer uad narcotischer Genussmitte] an sicli erfahren und vielleicht bemi.-rkt, dass ein massiger Genuss von Wein uns über unser prosaisches Werkeltags-lch zu erheben vermag. Noch mäch- tiger ist bei Vielen die Anregung durch Thee oder Kaffee, Sobald wir uns durch sie gestärkt fühlen, ist es, als ob wir heller zu sehen und scliärfer zu schüessen vermöchten, Gedanken, welche vorher eifrig aber erfolglos gesucht wurden, eilen nun in raschem Fluge herbei und neuen Wahrheiten scheinen wir bis zum Erfassen nahe gerückt. SfclJtjn nicht also die Bewegungen, die wir in unsem Denk Vorrichtungen hervorrufen, durch die narkotischen Gcnussmittel beschleunigt oder ihre Schwingungsweite vergrösscrt werden? Und sollten nicht auch die geistigen Fortschritte innerhalb der mensch- lichen Gesellschaft seit Entdeckung dieser Zaubertränke merklich raschere geworden sein ?

Lassen wir uns die Irrfahrten l'homas Buckle's als Warnung dienen, der vun solchen Trugbildern verlockt, aus den chemischen Bestandthcilen der Nahrung die geschichtlichen Verhängnisse von Culturvülliern des höchsten Ranges erklären zu können, sich und einer gern getäuschten Menge vorspiegelte. Die Geschwindigkeit der geistigen Fortschritte in unsem Tagen ist zunächst nur den Einrichtungen der modernen Gesellschaft zuzuschreiben, die der Wissenschaft unendlich mehr Jünger und alle viel besser vorbereitet als früher zuführt. Die grössten Erfindungen des Menschen, Bilder-

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.

und Lautschrift, die Theilung der Zeit, Maasse und Gewichte, Stellenwerth der Zahlen sind älter als die Kenntniss der narco- tischen Genussmittel und nur dem Wein könnten wir daran ein* Verdienst zuschreiben. Der mosaische Gottesgedanke, der zoro- astrische Dualismus, Christenthum und Islam, indische Sagenwelten und Philosophien sind sämmtlich ohne narkotische Nachhilfe ans Licht getreten. Der Thee war dem erfindungsreichen alten China, also dem China der drei ersten Dynastien nicht, bekannt. Coper- nikus hat sein System erdacht , Galilei es begründet und Kepler es durch s'eine Gesetze bewiesen, ohne dass sie je den Kaffee auch nur dem Namen nach gekannt hätten. Es ist daher wohl vorsichtiger, das dunkle Gebiet der Forschung über die Erregbar- keit unsres Denkvermögens durch geniessbare Reizmittel nicht zu betreten.

Nicht minder wichtig als die Nahrung ist ihre Zubereitung. Der Genuss rohen Fleisches und Speckes kommt ausnahmsweise allenthalben, als Gewohnheit nur bei den Eskimo vor. Sonst wird die Aschengluth oder ein hölzerner Bratspiess gewöhnlich zum Rösten verwendet. Als Trihkgefässe dienen meistens die Rinden- gehäuse melonenartiger Früchte, die Schalen der Nüsse oder ge- egentlich den Buschmännern die Eier südafrikanischer Strausse. Ihre Nachbarn, die Betschuanen und Kafirn flechten Körbe so dicht, dass sich Flüssigkeiten darin aufbewahren lassen*). Hölzerne Gefässe dienten aber schlecht dazu , Wasser ins Sieden zu ver- setzen und doch half sich der menschliche Scharfsinn dadurch, dass Steine bis zum Glühen erhitzt und dann in das Wasser des Holzgefässes geschüttet wurden. Auf diese Weise ist das Kochen zuerst betrieben worden. Noch einfacher ist das Verfahren eines Stammes der Rothhäute im Norden der Prärien. Sie gruben eine Höhlung in die Erde, kleideten sie mit dem Felle des erlegten Wildes aus, gössen Wasser darauf und erhitzten dieses mit glühen- den Steinen. Deshalb nannten die Odschibbewäer diese Stämme Assinniboin oder Steinkocher*). Seitdem sie der Handel mit Thon- geschirren und Kesseln versehen hat, wird die alferthümliche Zu- lereituTi^ des Fleisches nur bei festlichen Gelegenheiten noch an-

-^1

-t.

1) Gas aus, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 145. I. G. Wood, NatuAl History of man. Africa. London 1868. p. 63.

2) Catlin, Indianer Nordamerikas. Leipzig 1851. S. 38.

172 Die Nahrungsmidel und ihre Zubereilung.

gewendet'). Jenseits der Fdsengebirge bedienen sich die Aht der Vancouverinsel *), sowie die Tschinuk in Oregon erhitzter Steine und Holzgefässe beim Kochen-') und die nordlicher sitzenden Koloschen verwenden sogar, wenn es gilt, grössere Fische zu sieden, ihre Kähne als Geschirr, Auch die Kamtschadalen kochen in ihren hölzernen Trogen mit glühenden Steinen'). Selbst in Europa hatte sich noch bis 1732, wie Linnö berichtet, das Kochen mit Steinen als Rest einer grauen Vorzeit im finnischen Ostbotlande erhalten*). Wie 1'ylor ermittelt hat, wurden in Irland noch um 1600 glühende Steine num Erwärmen von Milch benutzt und auf den Hebriden wurde im 16. Jahrhundert das Fleisch noch in der Haut des Thieres gekocht^). Dieses letztere Verfahren war zu Herodots Zeit in den hclzarmen südrussischen Steppen im Gebrauche, Seine Skythen benuttten die Knochen als Brennstoff und die Haut des Thieres als Gefäss, welches das Fleisch und Wasser beim Kochen aufnahm'). Die Polynesier, welche keine Thongeschirre besassen, bereiteten ihre Nahrung in Erdgruben, die, mit Blättern ausgefüllt, Fleisch oder Pflanzenkost samt den glühenden Steinen aufnahmen, dann wieder mit Blättern zugedeckt und mit Erde überschüttet wurden. Wenn daher von einem Volke gesagt wird, dass es mit Steinen koche oder 'dass ihm Thongeschirre fehlen-, so er- halten wir eine klare Vorstellung von der Zubereitung seiner Kost. Zur Erfindung der Thongeschirre können die Menschen der Vorzeit auf verschiednen Wegen gelangt sein. Sir John Lubbock erinnert nämlich daran, dass Capt. Cook auf Unalaachka bei den Aleuten Steine sah, die mit einem Lehmrand umgeben waren, doch könnte dies auch als eine Nachahmung von europäischen Geschirren betrachtet werden, mit weichen letzteren jene Inselbe- wohner durch russische Seefahrer damals schon bekannt geworden

I) Auch diu FalagonieT verfahren bei ihren Jagdiügen noch auf die gleiche Weise, wenn sie auch daheim sich eiserner Töpfe bedienen, Musters im Journal of ihe Anlhropol. Institute. London 1872, fom. 1. p. 199.

3) Ausltnd jS6S. S. 6SS.

3) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 336.

4) G. W. Sleller, Kamtschatka. Frankfurt 1774. S. 322. s) LinnEus bei Tylor, Urgeschichte. S. 341.

61 Tylor, Anfange der Cultur. Bd. I. S. 45. 7} Herod. üb. IV. 61.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. 173

^aren. Auch dass die Australier am untern Murray Erdaushöh- lungen mit Thon ausstreichen und darin Speisen kochen, hätte vielleicht einen erfinderischen Kopf auf die Verfertigung von Ge- schirren führen können. Besser erklärt uns den Vorgang jedoch der Bericht des französischen Seefahrers Gonneville, der in dem Jahre 1504 an einer südatlantischen Küste, wahrscheinlich in Brasilien, landete*) und bei den Eingebornen, in welchen H. d'Avezac bra- silianische Carijö zu erkennen glaubt, hölzerne Kochgeschirre be- schreibt, die zum Schutze gegen das Feuer mit einer Lehmschicht umkleidet waren ^). Löste sich durph Zufall die Holzschale von der irdenen Umkleidung ab, so blieb ein Thongeschirr übrig. Bei Untersuchung einer alten Töpferwerkstatt der Rothhäute am Ca- hokia, der unterhalb St. Louis in den Mississippi mündet, entdeckte Carl Rau halbfertige Gefasse, nämlich Körbe aus Binsen oder Weiden, die innerlich mit Thon ausgestrichen waren. Wurde das Geschirr gebrannt, so verzehrte das Feuer von selbst das ausser- liehe Gehäuse. In den südlichen Staaten der Union hat man an halbfertigen Gelassen wieder wahrgenommen, dass nicht Geflechte, sondern Kürbisschaleri innerlich mit Thon ausgekleidet wurden^). Die Töpferkunst ist daher in Amerika selbständig erfunden worden und ebenso in der alten Welt ah einem für uns unbekannten Culturheerd. Sie hatte sich von ihm aus aber nicht bis in den äussersten Nordosten Asiens und nicht über die Beringstrasse ver- breitet, wohl aber durch ganz Afrika, mit einziger Ausnahme des Buschmännergebietes. Dass nun auch die Europäer der Vorzeit ursprünglich Korbgeflechte mit Thon auskleideten, lassen die Ge- schirre der Steinzeit an ihren Verzierungen wahrnehmen, die nur aus Reihen von Nägeleindrücken bestehen, als sollten sie die hinter- lassnen Spuren des Korbgeflechtes vertreten*). Als nämlich ein verwegner Kopf anfing, aus freier Hand den Thon zu formen, mag sein irdnes Geschirr als nicht echt, oder von angeblich minderer Güte verschmäht worden sein, weil ihm der alterthümliche Ursprung fehlte, und so erlaubte er sich wohl zur Beruhigung der vermeint- lichen Besorgnisse, die Rutheneindrückc mit dem Nagel zu falschen.

i) Pierre Margry, Les navigations fran9aises. Paris 1867. p. 167.

2) d'Avezac, Voyage du Capitaine de Gonneville. Paris 1869. p. 97.

3) Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Bd. 3. S. 24.

4) G. Klemm, Allgemeine Culturgeschichte. Leipzig 1843. Bd. i. S. 188.

174 ^'^ Nahriingsinittel und ihre Zubereilung.

In Südamerika bedienen sich der Thongeschirre selbst die Boto- cuden, überhaupt alle Eingebornen bis auf einige Horden in den Pampas'). Sie fehlen auch nicht den Papuanen, wohl aber, um es zu wiederholen den Polynesiern und Australiern.

Zum Zerlegen des Fleisches in grössere Stücke bedienten sich alle Menschenstämme ihrer schneidenden Werkzeuge, rohe Völker gewöhnlich mit anatomischer Meisterschaft. Die Gabeln die, wie wir später sehen werden, noch vor wenigen Jahrhunderten selbst in Nordeuropa mangelten"), hat man nur bei reifen Culturvolkern und ausserdem bei papuanischen Fidschiinsulanern angetroffen^). Das erste Vorbild zum Loflel gab die Muschel, die noch jetzt an der atlantischen Küste Maroccos seine Dienste verrichten muss'). Am weissen Nil essen die Bari-Neger ihren Mehlbrei mit Holz- löffeln und die Kitschneger mit Flussmuschelschaten^). In Süd- afrika verfertigen die Hottentotten ihre Löffel aus Perlmutter oder aus Schildpat"; und bei Hantunegern schnitzen Künstler diese Ge- räthe aus Holz und schmücken sie mit Thierliguren'). Endlich sind Essstähchen, nach chinesischer Art, und Kochlöffel bei den Papuanen Neuguineas in Gebrauch*),

Alexander v, Humboldt bemerkt in Bezug auf die rohen Ein- gebornen Südamerikas, dass sie' auf einerlei Pflanzenkost beschränkt, wie die Raupen, bei Ucbersiedlung schwer an andre Nahrung sich gewöhnen und meistens erkranken. Der Jahreszeitenwechsel in den gemilderten Erdvicrteln, fährt er fort, reizte den Menschen auf verschiedene Art und zwang ihn Verschiedncs verdauen zu lernen, zugleich erwarb er aber auch dadurch grössere Freiheit in der Wahl seiner Wohnorte^). Die Zubereitung der Nahrungsmittel

j] d'Orhicny. l'njiiime amfirieain. p, ')S.

2) Lieber den Gebrauch der Gabeln in Europa JBl noch vieles dunkel. Wie Tylor belebt hat, waren Gabeln ia Riiysbraek's Zeilen |i2;jl sowohl im Abendlande wie bei den Mongolen schon im GebTiiuch. Urgeschiclite, S. 22.

3) Williims, Fiji, tom. I. p, 212.

4I G erhard Ruhlf^, liistct Aufenthalt in Marokko, Bremen 1873. S. 75.

5) W. V. Harnicr'B Reise am obern Nil. S. +9-

6) Kolben's Reise an das Vorpeb. d. G. Hofftiung. S. 456.

7) Casnlis, Les Bassoutos. Paris l8)(j, p. I47-

S) Otto Finsch, Xeu.Guinea. Bremen 1865. S. 100 und Nieuw Guinea, elhnoEiaphisch en naiuurkuiidig onderzochl, uilEegcvcn door het kon. Institut vQor taal-, land- en voikenkunde. Amsterdam 1862. Tafel VV. lig. 2.

9) Hiinilüchriflen. Bd. IIT. UiRene Gedanken, g. 10. S, 30,

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. lyc

gewinnt dadurch für die Völkerkunde ein höheres Gewicht und wir freuen uns über die Angabe, dass auf der Freundschaftsinsel Tonga- tabu aus den wenigen Nahrungspflanzen doch 40 verschiedne Ge- richte durch kunstvollen Wechsel der Zubereitung ersonnen worden waren *). Künftige Beobachter sollten . immer genau aufzeichnen, ob auch die Einwohner ihre Nahrungsmittel salzen. Diess geschieht beispielsweise weder von den Papuanen^) noch von vielen Malayen- völkern«*) und ebenso in Südafrika nicht von den Hottentotten^). In den Negerreichen des Sudan fehlt es an Steinsalz, aber aus der Sahara wird es von den Karawanen zugeführt und die Neger zwischen Gambia und Niger saugen an Salzstücken mit gleicher Begier, wie unsre Kinder an Süssigkeiten. Von reichen Leuten sagt man dort, sie essen Salz zur Mahlzeit 5). Der Missionär Zucchelli beschreibt an der Küste von Congo das Verfahren der Eingebornen Seewasser abzudampfen, doch sind wir nicht sicher, ob diese Erwerbsart' des Salzes schon vor der Niederlassung von Portugiesen dort in Gebrauch war^). In Südamerika haben die brasilianischen Küsten^ölker erst durch europäisches Beispiel das neue Genussmittel sich angeeignet und seinen Werth rasch be- griffen. Die Patagonier verzehren viel Salz, welches sie ohne Mühe aus den natürlichen Salzweihern ihrer Heimath erwerben 7). Schon zur Zeit der Entdeckung diente aber bei den Küstenbevölkerungen am caribischen Golfe Salz in Ziegelform, wie es aus natürlichen Pfannen an der Halbinsel Araya gewonnen wurde, im Verkehr als Geld^). Am Orinoco musste salpeterreiche Pflanzenasche das fehlende Salz ersetzen 9). P. Charlevoix bemerkt ausdrücklich, dass die von ihm besuchten Algonkinen und Irokesenvölker ihre Kost nicht zu salzen pflegten'^). Dagegen wurden die Indianer der heutigen Südstaaten

1) Quatrefages, Rapport, p. 390.

2) Otto Finsch, Ncu-Guinea. S. 69. S. 81. S. 100.

3) Waitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 129.

4) Kolbe a. a. O. S. 491.

5) Mungo Park, Reisen ins Innere Afrikas. Berlin 1799. S. 250.

6) Zucchelli, Relazioni del viaggio e Missione di Congo. Venezia 1712 xni, 15. p. 136.

7) Musters in Journal of the Anthrop. Institute, I, 199.

8) Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. I. cap. 8.

9) Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. I, cap. 20. p. 209.

10) Nouvelle France, tom. III, p. 364.

j-fg Bekleidung und Obdach.

in Nordamerika wahrend de Soto's abenteuerlichen Kriegszügen von einheimischen Kaufleuten mit Saiz aus der Landschaft Cayas versorgt").

3. Bekleidung und Obdach.

Wo europäische .Secfahrei' an frisch entdeckten Küsten die Bewohner in nacktem Zustande gewahrten, waren sie gleich bereit diese, auf die niedrigste Stufe menschhcher Entwicklung zu stellen. Eine Verhüllung der kurperlichen Blossen, als erster Schritt zur Erhebung aus der sogenannten Wildheit, wird übrigens nicht blos von den hochgesitteten Vi'dkern gefordert. Von einem Schamanen oder Priester aus Somosomo, also einem Fidschi Insulaner, der sich wie seine Landsleute mit dem Masi oder^ einem dürftigen Hüften- schurz begnügte, erzählt der Missionär Williams er habe bei einer Schilderung der nackten Keu-Caledonier und ihrer Götzen, ver- ächtlich ausgerufen : „nicht im Besitz eines Masi und wollen Götter haben!" je vertrauter wir aber mit fremden Sitten durch gründ- liche Forschungen geworden sind, desto häufiger ergab sich, dass Nacktheit und Sittsarakeit sich durchaus nicht ausschliessen und vor allen Dingen, dass bei verschiednen Völkern das Schamgefühl bald diesen bald jenen Körpertheil zu verhüllen gebietet. Wenn ein frommer Muslim aus b'erghana unsern Bällen beiwohnen, die Entblössungen unserer trauen und Töchter, die halben Um- armungen bei unsern kundtanze wahrnähme, so würde er im Stillen nur die Langmuth Aüah's bewundern, der nicht schon längst über dieses sündhafte und schamlose Geschlecht Schwefelgluthen habe herabregnen lassen. Gleichwohl war vor dem Auftreten des Propheten die Verschleierung der Frauen im Morgenlande nicht gebräuchlich. Im königlichen Harem von Maskat erregte die Gräfin Pauline Nostiz die Verlegenheit fürstlicher Damen, weil sie ohne Drahtmaske sich ihnen näherte. Nicht einmal' die Mutter sieht dort nach dem zwölften Jahre ihre Tochter mit unbedecktem Ge- sicht, dagegen lassen die durchsichtigen Gewänder Leib und Glieder deutlich erkennen 'l. Frauen die bei Basra am Euphrat

1) Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Bd. 5. Brannschw. 1871. S. 8.

2) Joh. VVilh. Helfern Reisen in Vorderasien und Indien. Leipzig '873. Bd. 2. S. 10— ij.

Bekleidung und Obdach. 177

und in einem Bade Constantinopels von Männern überrascht

wurden, bedeckten, wie der ehrwürdige Carpte« Niebuhr anführt,

*

nur das Gesicht'). Ebenso entblossen sich in Aegypten Fellah- frauen vor Männern ohne" Scheu, wenn nur das Antlitz verhüllt bleibt*). „Die Araberin", sagt Georg Ebers, „wird Fuss, Bein und Busen ohne Verlegenheit sehen lassen, dagegen gilt die Ent- blössung des Hinterhauptes für noch unanständiger als die des Gesichtes, welches letztere jede ehrbare Frau sorgsam verbirgt^)." Aehnlich dachte man in den ältesten Christengemeinden, denn der Apostel befiehlt den Frauen bei Andachtsübungen das Haupthaar zu verhüllen '^). Seltsamerweise tragen auch die Hottentottenfrauen stets ein Tuch als Haube auf dem Kopfe und manche lassen sich durch nichts bewegen, es zu entfernen *). Bei Völkern- der ma- layischen Race stellt das Schamgefühl wieder eine andere For- derung. Der Reisende Jagor erzählte dem Verfasser, dass, als er auf der Philippineninsel Samar ein kleines nacktes Mädchen zeich- nete, die Mutter scheltend dazwischen fuhr und das Kind nöthigte ein Hemd anzilziehen, welches freilich nach unsern Anstands- begriffen ebensogut hätte wegbleiben können^). Dennoch verhüllte es das Nöthigste nach den Landessitten, nämlich den Nabel. Auch bei den Bewohnern der Schifferinseln gilt es als höchste Beschä- mung, wenn diese Körperstelle sichtbar wird^). Für eine grosse Frechheit wird es in China angesehen, dass eine Frau einem Manne ihren künstlich verkümmerten Fuss zeige, gilt es doch sogar für unschicklich von ihm zu sprechen und bleibt er auch auf züch- tigen Gemälden immer unter dem Kleide versteckt s). Longobar- dische Frauen hielten sich ebenfalls für tödtlich beschimpft, wenn Männer ihre Füsse bis zu den Knien sahen 9). Zu diesen wunder-

i) Reisebeschreibung nach Arabien. Kopenhagen 1774. Bd. i. S. 165.

2) Waitz, Anthropologie. Bd. i. S. 359.

3) Durch Gosen zum Sinai. Leipzig 1873. S. 45.

4) I. Corinther ii, 5—6.

5) F ritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 311.

6) S. d. Abbildung der Kleinen in Ja gor 's Reisen in den Philippinen.

S. 192.

7) Waitz, Anthropologie. Bd. i. S. 359.

8) Wilh. Stricker im Archiv für Anthropologie. Bd. 4. Braunschweig

1870. S. 243.

9) Chron. Salernit. cap. 76. bei Pertz, Monumenta. Hannover 1839,

tom. V. fol. 505.

Pesc/icl, Völkerkunde. 12

irg Bckicidiini; Und Obdach.

liehen Sprüngen des Schamgefühls gesellt sich noch der Wider- spruch, dass wir Entblüssungen als Zeichen der Ehrerbietung for- dern. So ziehen wir den Hut zum Griisse auf der Strasse, in der Kirche, überhaupt in jedem bedeckten Räume. Die britischen Be- amten in Indien wiederum fordern aufs strengste von jedem Ein- gebornen, welcher Kaste er auch angehöre, dass er ihre Amtszimmer nur nach Ablegung seiner Schuhe bettete.

Brauch und Sitte entscheiden also über Verstattetes und An- stössiges, und erst nachdem sich eine Ansicht befestigt hat, wird irgend ein Verstoss zu einer verwerflichen Handlung. Das Scham- gefühl hat sich noch gar nicht geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter bei den Australiern, bei den Andamanen, bei etlichen Stämmen am weissen Nil, bei den rothen Negern des Sudan und bei den Buschmännern. Auch die Guanchen oder die alten Bewohner der Canarien, wenigstens die von Gomera und Palma gehören auf diese Liste'). Als gänzlich nackt werden von den ersten spanischen Entdeckern die Bewohner der Bahamainseln, der kleinen Antillen und eine Anzahl von Küstenstämmen des heutigen Venezuela und Guayana bezeichnet, denen vielfach mit Unrecht der Name Cariben beigelegt wird. Zu Eschwege's und Manius' Zeiten war die Zahl der nackten Brasilianer wie der Puris, l'acachos, Coroados viel grösser als gegenwärtig, wo nur noch die Botocuden keine Bekleidung an!,'e!egt haben '}.

Durchaus irrig würe die Annahme, dass sich das Schamgefühl irüber beim weiblichen Geschlechte rege als beim männlichen, denn die Zahl solcher Menschenstämme, bei denen die Männer allein sich bekleiden , ist nicht unbeträchtlich. Am Orinoco versicherten Missionäre unserm A, v. Humboldt^), dass die Weiber weit weniger Scliamijcfühl zeigten als die Münner, Bei den Obbo Negern, öst- lich von dem Ausflusse des grossen Baker'schen Nilsees, besteht die Bedeckung der Frauen in einem Laubbüschel, während die Männer einen Fellachurz trajjen'). In dem merkwürdigen Staate der Monbuttuneger am Helle bedeckten sich die Männer

1) Kunstnuiiiii, Anika vor iIcq Entdeckungen der Forlugiesen. Mün- chen lHs3, S. 4(j.

2) Uclier die heutige Bekkidung der, Curoados s. Burmeisler, Rcipe nach Br..silicn. Bertin 185]. S. 246,

31 Reisen in die Acijuino:;tialgegeQden, Stuttgart 1860. Ed. j. S, 95. 4 üikrjr, Albe« Nyania, Bd. 1. S. 273.

:

Bekleidung und Obdach. l^o

mit einem Gewand aus Baumrinde, das von der Brust bis auf die Kniee reicht, ihre Frauen dagegen befestigen blos ein handgrosses Stück Bananenlaub an der Lendenschnur*). Ausserordentliche Strenge in Bezug auf sittsame Kleidung fand Speke am Hofe Mtesa's des Königs von Uganda. Waren auch die Besorgnisse seines Freundes Rumanika unbegründet, dass man ihm und Grant das Betreten jenes Landes verweigern werde, weil beide nur Bein- kleider trügen, nicht lange fliessende Gewänder, wie die Araber, so ergab sich doch später, dass der König mit dem Tode jeden Mann bestrafte, der in seiner Gegenwart auch nur ein Zollbreit seines Beines unbedeckt Hess, während doch gleichzeitig völlig nackte Frauen Kammerdienste verrichten mussten^). Der arabische Rei- sende Ibn Batuta versichert , dass sich dem König des Mandingo- reiches von Melli Frauen, selbst Prinzessinnen nur unbekleidet nahen durften^). In Südafrika empfing die Königin der Balonda- neger Livingstone im Zustande völliger Nacktheit und nicht anders erscheinen die Frauen der benachbarten Kissamaneger bei Fest- lichkeiten'^). Bei halbgekleideten Menschenstämmen wird gewöhn- lich die Bedeckung erst mit der Altersreife angelegt und es ist ein Ausnahmsfall, der überdies noch einer Bestätigung bedarf, dass bei Australierinnen die EntblÖssung der Frauen erst nach der Ehe stattfinden solle 5).

Hellfarbige Völker empfinden viel lebhafter als dunkle das Bedürfniss einer Umhüllung. Die Afrikaner sind sich auch der Vorzüge ihrer dunklen Hautfarbe recht wohl bewusst^). Wir er- innern uns bei Adolf Bastian gelesen zu haben, dass ihm beim Baden neben braunen Asiaten, seine weisse Haut als etwas krank- haftes erschienen sei, und als geschähe durch sie der Schönheit Abbruch, Genau so äussert Hr. v. Maltzan: „die Nacktheit steht bei der schwarzen Haut immer gut, bei hellhäutigen Menschen kam sie mir stets widerwärtig vor 7)." In gleichem Sinne schildert

1) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1873. Bd. 5. S. 16.

2) Speke, Entdeckung der Nilquellen. Bd. i. S. 262. S. 283. S. 284. S. 293.

3) Voyages d'Ibn Batoutah. Paris 1858. tora. IV. p. 418-

4) Livingstone, Missionsreisen. Bd. i. S. 315. Hamilton im Journ. of the Anthropol. Institute, tom. I. S. 189.

5) Dumontd*Urville, Voyage de TAstrolabe. Paris 1830. tom. I. p. 47 '•

6) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 2. S. 303 304.

7) Globus 1872. Bd. 21. S. 26.

12*

igQ Eekleutung und Obdach.

F. Jagor uns seinen Kutscher in Singapur, einen schwarzen Kling von der indssclien Koromantlelküste, der 'nur' mit Turban und Lemlentuch bckli;idct war, mit dem bedeutsamen Zusatz: „er sah nicht unanständig aus, da die dunkle Farl>e den Eindruck des Nackten fast aufhebt')." Bei der Mehrzahl der Indianer Amerikas wird die Kleidung durch Hautmalerei ersetzt. Wo diess der Fali ist, regt sich das Schamgefühl bei Frauen und Männern, wenn sie unbemalt eiblickt werden. * A. v. Humboldt, dem wir diese Be- merkung verdanken , füjft hinzu, liass man am Orinoco die grösste Dürftigkeit mit den Worten ausdrücke: ,,der Mensch ist so elend, dass er seinen Leib uiclit einmal zur Hälfte ' bemalen kann"'). Einen andren Ersatz für die Bekleidung gewährt die Tätowirung, die entweder durch Einspritzung bunter Farbstoffe unter die Haut besteht oder die durch künstliche Narbenbildung erhabne Zeich- nungen auf dem Leib hervorruft. Dass sie wirklich bis zu einem hohen Grade" den Eindruck der Nacktheit aufhebt, werden alle bezeugen, welche den völlig tätowirten Albanesen zu sehen Ge- legenheit hatten. Die Tätowirung ist mit Ausnahme Europas noch jetzt in allen Welttheiien anzutreffen. Auf den Südseeinsdn dient sie nicht blos zur Verzierung, sondern hat auch da, wo sie sich über verhüllte Korperräume erstreckt und wo die einyeätzten Zeich- nungen Sinnbilder von Gottheiten vorstellen, eine religiöse Be- deutung.

Dass die Bekleidung oft nur zur Zier oder zum Schutz gegen Kälte getragen wird, aeigt sich an den gut verhüllten Maorjs Neuseelands, die von Scham haftigkeit keinen Begriff haben ^). Das gleiche gilt von den hochgestiegnen Japane;ien, denen das gemeinsame Baden beider Geschlechter in geschlossnen Räumen*), sowie im Freien, erst neuerlich von den Behörden untersagt worden ist. Die Eskimo, zu Winterszeiten bis zum Gesicht in Pelze ge- hüllt, legen gleichwohl in Owen unterirdischen Bauten, wie Kane es so drastisch beschrieben hat, ihre Kleidung völlig ab, wie denn auch das Benehmen der Frau des Eskimo Hans an Bord von Hayes' Entdeckerschiff deutlich bekundet, dass ihr jede Schall fremd war. ja selbst die christliche, des Lesens durchweg kun-

I) Rciseski;ien. S. 14.

I) Reisen in die Aequinuclialgegenden. Bd. 3. S. 9:.

3) Waitz, Amhropulugie. Bd. i. S. 357.

4) Wilhelm Heine, Japan. Bd. I. S. 34.

Bekleidung und Obdach. l8i

dige Bevölkerung Islands ist nach den Erlebnissen G. G. Winklers*) noch nicht bis zu der Erkenntniss gelangt, welche die biblischen Eltern des Menschengeschlechtes (Gen. III, 7) schon im Eden sich erwarben,

Di^se Reihe von Thatsachen sollte uns zur höchsten Vorsicht stimmen, den sittlichen Werth irgend eines Volkes nur nach dem Bedürfniss seiner Körperverhüllung abzuschätzen. Obgleich aber, wie wir gezeigt haben, Keuschheit und Sittsamkeit ganz unabhängig sind von dem Mangel oder der leichten Erregbarkeit des sexuellen Schamgefühles, so bezexhnet doch das Erwachen des Letzteren eine Erhebung bei jeder Völkerschaft. Bevor irgend ein Mensch auf den Einfall gerieth sich zu bedecken, muss von ihm Schönes und Hässliches [unterschieden worden sein. Die Bekleidung ver- danken wir daher den ältesten ästhetischen Regungen des mensch- hchen'^^öeschlechtes und insofern die Verehrung des Schönen veredelnd auf uns wirkt, förderten auch jene Regungen die Erziehung des Menschen. Umgekehrt stellte sich mit dem Verfall strenger Sitten im alten Rom eine Missachtung der Anstandsvorschriften ein. Das Bedürfniss sich zu kleiden er- wacht erst mit dem Bewusstsein einer höheren- Würde und verkündet uns das Bestreben die Scheidewand zwischen Mensch' und Thier zu erhöhen. Nicht blos Eitelkeit ist es, die etwa den Verlust von Jugendreizen in höherem Alter den Blicken zu ent- ziehen sucht, sondern noch viel früher regt sich der Wunsch einen Schleier zu werfen über alle gleichsam unverdienten Erniedrigungen, die uns der Haushalt unsres thierischen Leibes auferlegt und vor Andern zu erscheinen als seien wir so rein und sehenswürdig wie die Lilien in der Sprache der Evangelien. Trotz aller oben auf- gezählten Sonderbarkeiten des Schamgefühles, hat doch die über\^'ältigende Mehrzahl der Völker immer genau gewusst, was einer Hülle am meisten bedürfe. Wie leicht verletzt im alten Ly- dien die Frauen waren, ist aus Herodots Erzählung von der Ge- mahlin des Candaules hinlänglich bekannt*) und wie sorgsam die Schamhaftigkeit des weiblichen Geschlechtes in Nordamerika von den Mandanen geschützt wurde, rühmt uns der Maler Catlin^).

1) Island. S. 107— iii.

2) Lib. I, 8—12.

3) Die Indianer Nordamerikas. 2. Aufl. S. 70.

iB; Bekleidung und Obdach.

Bei den lialbpapunnischen Bewohnern der Palauinseln geniessen die Frauen ein unbegrenztes Recht jeden Mann, der in ihre Bade- plätze eindringt, ku schlafen, mit Geldbussen zu strafen oder, wenn es sogleich geschehen kann, zu tödten').

Bis in die sogenannte Renthierzeit Europas können wir das Vorkommen von Bekleidung' nachweisen, da in den Höhlen des P^rigord beinerne Nadeln entdeckt worden sind'), ja ein gleicher Fund in der Culturschicht an der Schüssen quelle zeigt uns, dass die Bewohner Schwabens in der F.iszeit schon genäht haben ^}. In beiden Fällen deutet aber das Vorkommen mennigrother Farben- knollen gleichzeitig auf Haütmalerei.

Die Wahl der BekleidungsstofFe hing immer ab von dem Kah- riingser\verb der Menschen stamme. Bei Jägern und Hirten sind es daher die Felle der erlegten Thiere, welche verwendet werden. Belehrend ist aber auch, dass die Erfindungsgabe auf weit ge- trennten Räumen dasselbe Auskunftsniittel ersann. Die einfachste Art einer Bedeckung besteht darin, dass, wie oben bereits gezeigt wurde, Blätter oder Laubbüscliel in eine Lendenschnur gesteckt werden. An eine solche Lendenschnur werden anderwärts wie diess von papuani- schen Frauen auf Neu-Guinca, oder den Palauinseln geschieht, Schilfe oder Binsen aufgereiht. Da in den letzteren Fällen eine allzuhäufige Erneuerung nothig war, ersetzte man die Grashalme durch Bast- schnüre oder Lederriemen und so entstand für das weibliche Ge- schlecht der Fransenyürlel am Colorado Nordamerikas bei den Mohavestämmen und ihren Nachbarn, in der Südsee bei den Fidschi, wo er Liku heisst, so wie bei den Neucaledonietn') und endlich in Südafrika bei den Kafirn^). Ausschliesslich den Poly- nrsiern gehört die Tapa an, bekanntlich nichts weiter als die weich geklopfte Kinde de? Papiermaulbeerbaums (Broussone/ia pa- Pyrifcraj. Das Flechten von Körben und Matten führte dann, wo Verfeinerung eintrat und höhere Ansprüche sich regten, zur We- berei, Als die polynesischen Maori nach Neu-Seeland wanderten, brachten sie aus der Heimath schon alle Geheimnisse der Matten- verfertigung mit. Sie fanden an ihrem neuen Wohnorte in den Blatt-

1) Karl Semper, Die PJnuinseln. Leipzig 1873. S. G8.

2) S. üben S. 40.

3) S. oben. S. 4a.

4) Vgl. Knot.l.,uch im Ausland 1866. S. 447-

5) S. die Zulumädchen bei O. F ril seh, die Eingeborneii Südafrikas. S. 24.

Bekleidung und Obdach. 183

rosetten des Phormium tenax oder neuseeländischen Hanfes einen vorzüglichen Faserstoff und erfanden selbständig die Kunst der Zubereitung und die Anfertigung einer Art Leinwand. Die Nutz- barkeit der Baumwolle . ist in beiden Welten erkannt worden, denn die Bewohner Amerikas sind durch eignes Nachdenken, nicht durch fremde Anleitung, dazu gekommen aus ihrem einheimischen Er- zeugnisse Faden zu drehen und diese in Gewebe zu verwandeln. Im alten Aegypten war die Baumwolle heimisch und wurde eben- falls zu Zeugen verwebt*). Doch drängte die Vorliebe für Lein- wand sie völlig in den Hintergrund. Selbst in Syrien finden wir schon in den frühesten Zeiten die Baumwolle eingebürgert. Wenn nämlich unser Wort Kattun zunächst vom englischen cotton abzu- leiten ist, so stammt doch dieses wieder von keton^ was mit ge- ringen vocalischen Abweichungen in allen semitischen Sprachen Baumwolle bezeichnet und im Neuarabischen noch kutn lautet'). Baumwollengewebe, nicht Leinwand, brachten daher unter dem Namen kitonet oder ke tonet phönicische Seefahrer nach griechi- schen Häfen und von jenem Ausdruck entstanden dann Wörter wie xvtdv und xi^cSv. Das Wort für Lein, im Griechischen und Lateinischen ursprünglich- schwankend gebraucht, geht wenig ver- ändert von seiner lateinischen Form durch die baskische, die kel- tischen und die germanischen Sprachen^), scheint also von Südost- europa nach Nord- und Westeuropa sich verbreitet zu haben. Wenn wir übrigens dem Spinnwirtel bereits in den dänischen Mu- schelüberresten begegneten und der Webstuhl schon auf den Schweizer Pfahlbauten stand*), so reicht die Kunst des Spinnens und Webens in Zeiten hinauf, wo sich nicht mehr entscheiden lässt, welches Volk oder welcher Menschenstamm der erste Erfinder gewesen sein mag. Der Hanf ist jedenfalls ein Culturgewinn, der den sogenannten barbarischen Völkern verdankt wird. Schon bei medopersischen Skythen fand Herodot^) den Hanfbau.

1) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 478.

2) H. Brandes, anüke Namen der Baumwolle. Fünfter Jahresbericht des Ver. für Erdkunde in Leipzig 1866. S. 103. iio. 116.

3) V. He hn, Kulturpflanzen und Hausthiere. S. iii.

4) S. oben S. 44 und Wilhelm Baer, der vorgeschichtliche Mensch. Leipzig 1874. S. 232.

5) Lib. IV. cap. 74.

iS^ Bekleidung und Obdach.

Hemd, Hut, Haube, Schuhe, Rock und Hosen, glaubte A. Bac- meister behaupten zu dürfen, seien uralte Worte unsrer Sprache'), Merkwürdig' ist, dass das Beinkleid zuerst von Nordeuropa über die classischen Mittelmeergestade und dann über den ganzen Erdkreis skh verbreitet hat. Doch ist auch dieser Bekleidungsschnitt an •verschiedenen Orten erfunden worden, Hosen tragen und trugen, so weit wir zurückdenken und zurückschliessen dürfen, alle Nord- asiaten, Wollte man auch annehmen, dass Eskimo diese Neue- rung aus ihrer alten westKchen Heimath bei ihrer Wanderung nach Amerika mitgebracht hätten , . so ünden wir doch auch im Norden der neuen \\'elt bei den sogenannten Rothhäuten diese Tracht verbreitet, Di« amerikanischen Eingebornen haben auch darin vor den alten Culturvölkern einen kleinen Vorzug, dass sie bereits eine treffliche Fussbekleidung nicht etwa Sandalen, sondern Hatbstiefeln oder Jlocassin zu verfertigen pflegten, Me;kwürdiger- woise bedienen sich auch der lelzteren die Patagonier, im äussersten Süden dei neuen Welt, während sie in Mittelamerika und im übrigen Südamerika vermisst werden, Schuhe sahen die Römer zuerst bei den Barbaren; auch bleibt bei den Götterbildern der alten Aegyptcr der Fusü unbekleidet. Ebenso fehlten in Babylon, wo doch nach dem walzenförmigen Petschaft des Königs Uruch (2326 V. Chr.) schon ein grosser Luxus in Kleidertrachten herrschte, Schuhe und Sandalen noch gänzlich'). Barfüssige Volker sind noch jetzt überall unter niedrigen Breiten anzutreffen, während da, wo der Schnee liegen bleibt, wo es friert oder wo der Boden wenigstens durch Ausstrahlung stark erkaltet, frühzeitig auf den Schutz der Füsse gedacht werden muss. In Afrika wird des Ge- brauches von Sandalen bei den Wandingonegern in Musardo^), ja auffallend erweise bei den sonst nackten Barinegern am weissen Ni!*), bei den Kissama in Angola'), bei den Kafirn*) sowie an- deren Bantunegern und endlich bei den Hottentotten') gedacht,

1) Ausland. iSjr. Ü. 604. Hemd ist doch wohl von ifiäiiov abzuleiten, z) G. RawlinEon, Great manarclües. tom. I. 105.

31 Aus Andersou's Joumey lo Musardo in den Mittheil, der Wiener geogr. Gesellschaft. 1871. S. 363. S. 415.

1) W. V. Harnier's Reisen am obem Nil. S. 37.

5) Hamilton in Juum. of Ibe Anlhropol. Inctilute. lom. I. p. iSS.

6] G. Frilsch. Eingebome Südafrikas. S. 60. S. 2J2.

7) Kolbe, Kap der Guten Hoffnung. S. 479-

Bekleidung und Obdach. igr

Da sehr viele Thiere und zwar sogar niedrige Thiere gegen die Unbilden der Witterung einen künstlichen Schutz sich ver- schaffen, und kein Menschen stamm auf Erden ohne irgend ein Obdach getroffen worden ist, so sind die ersten Regungen der Baulust so alt, wie unser Geschlecht selbst. Den ältesten Spuren unsrer Vorfahren sind wir in Höhlen begegnet, aber wir dürfen darum nicht schliessen, dass solche natürliche Zufluchtstätten, die doch nur felsigen Strichen und zwar vorzugsweise dem Kalk- gebirge angehören, die ältesten VVohnstätten des Menschen ge- wesen sein oder die Anregung zu den ersten künstlichen Deckungs- mitteln gegeben haben sollten. Die Buschmänner, wenn sie auf ihren Streifzügen ihre Höhlen verlassen, bedecken sich mit Sand so oft sie im Freien übernachten oder flechten sich im Dickicht aus Aesten und Reissig ein Wetterdach. In der milden Jahreszeit schützen sich die Australier mit Windschirmen aus Laub, sonst aber spannen sie abgelöste Baumrinden, oft u Fuss lang und 8 lo Fuss breit, über ein kegelförmiges Gerüst zelt- artig aus *). Ein ähnliches Sommerzelt, aus Birkenrinde zu- sammengenähet, genügt den Ostjaken Sibiriens ^) und nicht viel besser beschreibt der Jesuit CharlevoLx das Obdach vieler Jäger- stämme in Canada^).

Im äussersten Norden der alten und der neuen Welt jenseits der Baumgrenze oder schon dort, wo die Baumstämme nicht mehr die nöthigen Durchmesser besitzen, oder endlich auf den baum- losen Steppen werden die Rindenwände durch Thierfelle ersetzt. So reicht das Lederzelt von Lappland ^) durch ganz Sibirien, bis in die Prairien der Vereinigten Staaten zum 35. Breitengrade s). Im äquatorialen und im südlichen Amerika verschwindet es, um noch einmal bei den Patagoniern wiederzukehren, die ein Geripp aus Stangen mit zusammengenähten Guanacohäuten bedecken ^). Das Zelt aus Filz, eine Erfindung der uralaltaischen Völker, gehört

1) Dumont d'Urville, Vöyage de TAstrolabe. tom. I. p. 407. Atlas pl. 18.

2) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. 'p. 57.

3) Nouvelle France, tom. III., p. 334.

4) Siehe die Abbildung lappländischer Sommerzelte bei J. A. Frijs im Globus. 1873. Bd. XXIII. Nr. 3. S. 34.

5) MöUhausen, vom Mississippi nach der Südsee. S. 134.

6} Musters, im Journ. of the Anthropol. Institute, tom. I. p. 197.

igg tichleUluDg und Obdach.

ohne Zweifel einem liolien Alterthume an. Aus Innerasien hat es sich mit dem Passatmndc und innerhalb der Pasaatzone über die Sahara bis zu dem Waldgebiete Mittelafrikas verbreitet, aber unter- wegs in ein luftiges Zelt aus gewebten Stoffen verwandelt und ist im arabischen Bausfyl mit seinen Kuppeln und dünnen Säulen- schäften, welche letztere die Zeltstangen vertreten, architectonisch geworden.

Im tropischen Hoehwalde Amerikas schützt die wandernden Jäger gegen den Regen ein schräges Dach aus Palmwedeln oder raderartigen Blättern, die schuppenartig über einander gelegt werden. Wenn Völkerschaften sich endlich festsetzen, begnügen sie sich zunächst mit einem viereckigen oder runden Unterbau aus Stangen, die mit Flechtwerk oder Rindenstücken verbunden werden. Ein giebel- oder kegelförmiges Dach, das mit ßlättern, Grasbüscheln oder Binsengarben bedeckt wird, vollendet die ein- fache Hütte. Oft wohuen dann ganze Horden in einem einzigen klosterartigen Bau, innerhalb welchem für jede Familie eine Zelle abgetheilt wird. Zwei solcher Gebäude zusammen für 150 Per- sonen beschreibt Dumont d'Urvilie t}ei den Arfaki Neu-Guineas, und ähnliche kommen ebendaselbst am Utanatefluss vor '). Spenser St. John traf auf Gorneo ein Gebäude der Dayaken von 534 Fuss Länge'). Solche Zellenan reihungen sind auch bei den Ostjaken ge- bräuchlich-'), aber die geräumigsten Holzbauten dieser Art werden im Nordwesten Amerikas von den Haidah auf den Königin-Char- lotte-lnseln und den Colquiith auf Vancouver bewohnt, die PlatE für 2 300, ja am Nutka Sund sogar für 800 Kopfe bieten'), Nicht so stark bevölkert aber immerhin für etliche Familien aus- reichend sind die Rindenhütten der Indianer im Osten der heu- tigen Union, die Charlevoix beschreibt ä). Selbst in Südamerika fehlen solche Gemeindehäuser nicht. Wallace traf sie am Uaup^s (Rio Negro) bei dem Stamme gleichen Namens bis zu 115' Länge und 75' Breite*).

Die Verwendung von knetbarer. Erde zur Verdichtung der

1) Ollo Finsicli, Ncii -Guinea. S. (,o.

2) Life in ihe Far Kapt. 10m. I. p, 7. 31 Pallas. 1. c. p. 58.

4) Waili, Anthropulogie. Bd. 3. S. 332.

5) Nouvelle France, loni. III. p. 33V

f>} V. Martins. Ellinot;raphic. Bd. 1. S. S97-

Bekleidung und Obdach. iSy

geflochtnen Wände fehlt in Australien und in der Südsee gänzlich. Der Bau mit Luftziegeln oder Adoben ist ein Eigenthum der trocknen Hoch- und Tiefländer Neu-Mexicos, Mexicos und Mittel- amerikas, während Mittelafrika wieder seine Thonhütten besitzt, deren Mauern aus gestampftem Lehm bestehen, auf welchen zu- letzt ein Strohdach aufgesetzt wird. Der Steinbau wagte sich an- fangs nur an die niedrigsten Aufgaben, weil sich einer lothrechten Aufthürmung von Bruchstücken zu Mauern unbesiegbare Schwie- rigkeiten entgegensetzten. Alte Tempelbauten in Mittelamerika wie in Mesopotamien bestanden aus Treppen pyramiden und die ersten Versuche zu solchen Kunstwerken mögen den einfachen Terrassen oder Morai auf den polynesischen Inseln geglichen haben, ihre höchste Vollkommenheit erreichten sie aber in den glatten Pyramiden Aegyptens. In trocknen waldentblössten Erd- räumen wurden die Bewohner zuerst zu Mauerbauten angeregt, weil dort am früliesten auf einen Ersatz für die mangelnden Balken gedacht wurde. Daher ist die Baukunst Aegyptens fast um viertausend Jahre älter, als die indische, die sich in den Felsentempeln zuerst regte, deren Decken aber noch mit Eisenholzstämmen gestützt wurden, während freistehende Steinbauten nach Fergusson's For- schungen erst unter König A^'oka, also um die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. aufgeführt wurden. Das Durchbrechen der Mauern um der Luft und dem Licht sowie den Bewohnern selbst Eingang zu gewähren, setzte den Scharfsinn auf eine neue und harte Probe. Sie wurde dadurch gelöst, dass die Bausteine treppen- artig nach Oben vorsprangen, bis die Mauerränder sich so weit näherten, dass ein breiter Stein querüber als Brücke die Oeffnung nach oben schliessen konnte. Dass die Kunst der Aegypter und Hellenen auf dieser Stufe ehemals gestanden sein muss, bezeugen uns ihre Tempelpforten, die an der Schwelle breiter sind als am Gesims, in dem man selbst später, als rechteckige Zugänge längst durch die Leistungen der Steinmetzarbeit sich herstellen Hessen, doch aus Anhänglichkeit oder aus künstlerischer Vorliebe das Alterthümliche beibehielt. Auf die gleiche Weise, nämlich durch vorspringende Backsteinlagen wurden im alten Babylonien schräg zulaufende unechte Gewölbe oder auch falsche Spitzbogen aus- geführt ').

i) Rawlinson, Monarchies of the Eastern World, vol. I. p. 86. p. 329.

l8g Die BcwaffnunE.

Aus diesen schüchternen Versuchen erkennen wir das hohe Verdienst einer Erfindung wie die des Steinbogens, der sich selber trügt. Die Assyrier waren in der alten Welt wohl die ersten, die zu diesem Hilfsmittel griffen und die Römer diejenigen, die vom Thur- und Fensterbogen fortschritten zu Gewolb- und Kuppel- bauten. Um jedoch sogleich diese Verirrung auf das Gebiet der Kunstgeschichte zu rechtfertigen, wollen wir nur erinnern, dass diese Thatsachen uns wichtig werden bei Abschätzung des gei- stigen Ranges amerikanischer Bevölkerungen. Steinhütten und Stein- gräber ') finden wir auf den Puna oder den Hochebnen zwischen den Cordilleren , in dem Gebiete der ine aperuanischen Cultur. Bei Caxamarca hat aber Humboldt im Palaste des Atahuallpa auch BogengewBlbe abgezeichnet °) und südlich In Tiahuanaco, so- wie am Sonnentempel in Cuzco sind Gewolbebauten und Rund- bogen von Desjardins U7id J. J, v, Tschudi beschrieben worden ^).

Nicht gering dürfen ^vi^ es den Eskimo anrechnen, dass sie die Zugänge zu ihren Hütten und die Hütten tunnetartig aus Steinen wölben*). Der Gedanke dazu stellte sich leichter bei ihnen ein, als bei den Bewohnern milderer Erdgürtel, weil sie sich früh- zeitig üblen, Grotten in den Schnee oaer domförmige Hütten ans Schneeblöcken aufzuthürmen *).

4. Die Bewaffnung.

Wenn wir vor Capt. Cooks Zeiten irgend einen alten spani- schen, holländischen oder englischen Entdecker anf einer Zrdfahrt über die Südsee begleiten, so gerathen wir in grosse Verlegenheit, so oft wir den Inseln, die er sah, den richtigen Namen in der Sprache der heutigen Erdkunde geben sollen. Waren auch die Messungen der geographischen Breite bis auf einen halben Grad

1) Cl, Waithani, Proceedings of Ihe R. Geogr. Soc, 1871. Vol. XV. No. 5. p. 371.

2) Alexander von Humboldt. Eine wissenschafUiche Biographie ed. Karl Bnihns. I^ipiig 1873, Bd. l. S. 381.

3) F. V. Hellwald im Ausland 1871. No. 41. S, 956.

4) Wailz, AnHiTopologie. Bd. 3. S. 306.

51 Die Bcsthreibung ihre^ Verfahrens bei Charles Francis Hall. Life u-ilh Ihe üsquiniaux. London IS65. p. 461.

Die Bewaffnung. i8q

■etwa genau, so können dagegen bei den Längenangaben die Fehler auf das zwanzigfache anwachsen und wir müssen daher in Schwär- men von Inseln herumsuchen, die sich obendrein sämmtlich ähn- lich sehen, denn entweder sind es nur Korallenbauten oder die Gerüste von jüngeren wie älteren Vulcanen. Unsere Aufgabe wäre also hoffnungslos, wenn wir nicht die geographische Länge an 2wei Wahrzeichen ermitteln könnten. Schildert uns nämlich der Seefahrer auf seiner Fährt gegen Westen Eingeborne 'mit Haar- kronen , so befinden wir uns mindestens hart am iSosten Green- wicher Mittagskreise, weil die Zwillingsinseln Hoorne und Alofa die östlichsten Punkte sind, zu denen sich die Papuanen verbreitet haben, denen jenes Merkmal ausschliesslich zukommt. Lesen wir aber , dass zu Wasser oder zu Land der Seefahrer von den Ein- gebornen mit Pfeilschüssen begrüsst worden sei, so dürfen wir mit Sicherheit schliessen, dass wir uns bereits in der Nähe von Neu- Guinea befinden.

Nie haben sich gegen Europäer polynesische Stämme der Südsee des Bogens und der Pfeile als Waffe bedient, und der Grund, wesshalb sie es nicht thaten, ist, so seltsam es auch klingen mag, schliesslich ein geologischer. Wollte jemand diesen Umstand damit erklären, dass die Polynesier, gleich den andern ma- layischen Völkern, jene Schiessgeräthe nicht gekannt hätten , weil, bevor sie aus Südostasien nach ihren Wohnplätzen in den Stillen Ocean hinausfuhren, das Schiessen mit dem Bogen über- haupt noch nicht erfunden gewesen wäre, so würden wir ent- gegnen, dass es als Spielwerk für Knaben auf Nukufetau der Ellicegruppe und noch weit im Osten selbst auf Tahiti bekannt sei'). Es waren daher die malayischen Polynesier beim Antritt ihrer Wanderungen mit jenem Schie^sgewehr bereits vertraut, und es kam erst später ausser Gebrauch. Genau so verhält es sich mit den Papuanen, in deren Urheimath, Neu-Guinea, Bogen und Pfeil von den Männern nie aus der Hand gelegt werden, während bei den ihnen verschwisterten Neu - Caledoniern diese Waffen gänzlich fehlen. Dagegen brachten die Fidschi - Insulaner, ein Stamm mit Haarkrone, wie die Papuanen Neu'Guinea's, aller- dings Bogen und Pfeile mit auf ihre Inseln, allein sie bedienen

I) Waitz, Anthropologie der Naturvölker. Bd. 5, II. Abth. S. 131.

[go Die Btwaffnung.

sich ihrer nur noch um Brandgeschosse in eine befestigte Ortschaft zn werfen, oder sie überlassen sie den Frauen, um damit zur Ver- theidigung der Pfalilwerke das Ihrige beizutragen. Die Männer dagegen führen als Lieblingsw äffen die Keule und den Speer'). Von ihren Nachbarn auf der Fidschigruppe wurden auch die Ton- ga'ner aufs Neue wieder mit Bogen und Pfeilen t>ekannt "),

Wesshalb aber Bogen und Pfeile auf den Inseln der -Südsee in Vergessenheit gerathen mussten, lässt sich leicht aussprechen. Die Fuhrung dieser Waffen erfordert , eine grosse Gest:hicklichkeit und bestandige Uebung. Wo sie bei wilden Völkern im Gebrauche sind, berichten uns die Reisenden, dass schon die Knaben sich mit Kindergeräthen im Schiessen üben. In der Hand des Vir- tuosen ist aber der Bogen aul' der Jagd weit zweckmässiger als unsere Feuerrohre, weil er mit Verschwiegenheit mordet. Ein Pfeil der nicht trifft bleibt unbeachtet, daher der Schütze zwei bis drei Geschosse senden kann, oline das Wild zu verscheuchen. Wir dürfen daher nicht erstaunen, dass der Reisende Marcou in Neu-Mexico Jäger von weisser Haut und spanischer Abkunft an- traf, welche ihre Flinten beseitigt und dafür Indianerwaffen er- griffen hatten, die sie für das \V'aidwerk geeigneter hielten ^). Zu weiterer Bestätigung berichtet Reinhold Hensel von den brasilia- nischen Coroados, dass sie es ablehnten, Bogen und Pfeile mit Schiessgewehren zu vcriauschcn, weil letztere .wegen ihres Knalles, ihrer Schwere, des Zeitverlustes beim Laden und der schwierigen Beschaffung von Pulver und Blei sich schlecht für die Jagd in tropischen Wäldern eigneten'').

Die Meisterschaft auf diesem Instrument setzt aber voraus, dass die Uebung nie aufhöre, und zur Uebung allein werden unter den wilden Völkern nur diejenigen veranlasst sein, die vom Ertrag der Jagd leben. Ursprünglich dienten ja die rohen Geräthe des Menschen allen Zwecken; der Jäger griff nach seinen Geschossen, um einen Feind abzuwehren, und die Steinaxt des Wilden, welche den Baum fällte, spaltele im Gefecht auch den Schädel eines Geg-

I) Thomas WilUamB, Fiji and the Fijians.

P- 75-

J| Muriner, Tonga Islands. Hdinburgh 1827. 3) Lattcl aaä Chrisly. Reliquiae A.qui 41 Zeiisdirifl fiit Elhnologic. Berlin 1869.

Die Bewaffnung. igi

ners. Die älteste, echteste und edelste Kriegswaffe ist daher das Schwert, weil es nie amphibisch für Krieg und Handwerk gebraucht werden kann '). Hinzufügen wollen wir gleich hier^ dass in Europa bis jetzt die Erfindung der Schwerter nicht höher hinaufreicht als in das .Bronzezeitalter, während wir später anderwärts einen Fall kennen lernen werden, dass es .auch Schwerter in der Steinzeit geben kann.

Bogen und Pfeil müssen überall dort verschwinden, wo die Jagd nicht mehr ein Lebenserwerb ist, oder wo es Jagd überhaupt gar nicht geben kann. Sowie wir uns aber von Neu-Guinea öst- lich, nördlich oder süd-süd-östlich bewegen, hört die Jagd auf, weil allen diesen Inseln die Landsäugethiere fehlen, abgesehen von den Fledermäusen, den gezähmten Schweinen, den Hunden und Ratten. Es erregte desshalb nicht wehig Aufsehen, als vor etlichen Jahren Haast auf der Südinsel Neu-Seelands ein wildes Säugethier, frei- lich wieder ein schwimmendes, nämlich eine Fischotter entdeckte. Dass es auf jenen Inseln aber keine Säugethierwelt geb^n kann, erklärt sich einfach aus ihrem Ursprung, denn die Koralleninseln entstehen erst, wenn von der Flur eines früher versunkenen Fest- landes aus seichten Untiefen Polypen mit ihren Kalkästen wall- artige Riffe heraufbauen. Oder wir haben es mit vulcanischen Bauwerken zu thun, die zunächst unterseeisch gebildet, und dann allmählich durch Auswürfe über den Spiegel des Meeres aufge- schüttet wurden. Alle jene Inseln standen nie, oder doch wenig- stens nicht mehr seit den tertiären Zeiten, auch Neuseeland nicht, mit irgend einem Festlande in Verbindung, so dass also alle solche Säugethiere, die nicht zu fliegen und nicht zu schwimmen ver- mögen, jene Inseln nicht erreichen konnten. Folglich hängt das Verschwinden von Bogen und Pfeil mit dem geologischen Ursprung jener Inseln zusammen.

Dass dies der wahre und letzte Grund sei, wird uns auf einem andern Schauplatz bestätigt. In Westindien haben wir nicht kleine und schmale Korallenbauten vor uns, sondern geräumige Körper wie Cuba, Haiti, Jamaica und Puertorico. Aber selbst diesen ge- räumigen Inseln fehlten, mit Ausnahme von Cuba, alle grössere Landsäugethiere, denn zur Zeit der Ankunft der Spanier gab es ausser den Fledermäusen überhaupt dort nur fünf Arten von kleinen

I) D. h. das Schwert der Bronzezeit, welches nur für <len Stoss geeignet war.

192

i Bewaffnung.

Nagern, von denen die grosste an Wuchs ein wenig die Ratten übertraf. Jene Inseln, die Ueberreste grosserer Landmassen, müssen ihren Zusammenhang, mit dem nächsten Festlande, nämlich mit Südamerika, früh am Anbruch der Tertiärzeit schon verloren haben, Nordamerika aber lag ihnen noch weit ferner, denn die Halbinsel Florida ist eine ganz junge hoch unfertige Schöpfung von Korallen. Da es auf jenen Inseln keine Jagd geben konnte, so bedienten sich auch die Einwohner nicht der Bogen und Pfeile, obgleich alle Stämme des ihnen so nahe liegenden Festlandes diese Geschosse führten. Doch muss zur \'erschätfung des Gesagten hinzugefügt werden, dass doch auf den Antillen, nämlich an dem Ostrande Haitis, auf der östlichen Hälfte Puertorico's, sowie auf den „Inseln über dem Winde" Völkerschaften sassen, die mit Meisterschaft jene Waffen führten. Allein es waren frische Ankömmlinge, nämlich Cariben, die, seetüchtig wie kein anderer Völkerstaram Amerikas, die harmlosen Bewoiiner der Antillen heimsuchten,' die Männer er- schlugen und die Frauen in Gefangenschaft schleppten, daher sich bei ihnen eine gesonderte Männer- und Frauensprache ausbildete. Die Cariben aber kamen vom Festlande, wo sie vom Ertrag der Jagd lebten, und daher erklärt sich, dass sie bei ihrer Verbreitung über die Antillen flogen und Pfeile noch nicht gänzUch abgelegt hatten.

Eine andere eigenthumliche Schusswaffe ist das Blasrohr, wel- ches von malayischen Stämmen auf Borneo, dann aber auch auf dem asiatischen Festlande von den m al ay ochin es i sehen Laotiern am Mekong, sowie den Orang kubit") und den Semang der Halbinsel Malaka geführt wird'). \'on Malayen mögen es auch die Papuanen auf Neu-Guinea sich angeeignet habend). Das Blasrohr ist aber nicht bloss in Südoslasien erfunden worden, sondern wir treffen es auch in den Händen der Indianer des Amazonas, die damit bis auf 250 Fuss Entfernung ihres Zieles sicher sind*). Vor andern Waffen besitzt das Blasrohr den Vorzug eines Rückladungsgewehres,

T.) Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 217.

3) Mouliot, Travels in TndD-China, Cambodja and Laos. London 1864.. lom. II, p. 14-t- F. Jagor. Singapur, Malacca, Java, Berlin 1866. S. 107. Latham, VarielieE uf man. London 1850. p. 136.

31 W-iiti (GcrLinil), AntlitiipolöSie. Bd. 6." S. 55y-

41 V. Martius, tlhnoytjpliie. Bd. 1. S. 660.

Die Bewaffnung. IQ7

«

SO dass in einer Minute von geübter Hand mehrere Ge- schosse abgesendet werden können. Die kleinen dünnen Bolzen entziehen sich noch leichter als die Pfeile- den Blicken der Be- drohten, und aus seinem Versteck Jtann der Schütze so lange seine Geschosse entsenden bis eines trifft. Da ihre Tragkraft von den Muskeln des Thorax herstammt, so ist ihr PercussionsvermÖgen ein sehr geringes. Damit der Bolzen tödtlich wirke, ist daher erforder- lich, dass er mit Gift gesalbt werde. Das Gift selbst also ist hier die Waffe und das Geschoss nur der Ueberbringer. Auf den ma- layischen Inseln dient dazu das Ipo oder die Milch des Upas- baumes (Antiaris tQxicaria) ^ die zwar sehr bösartige, aber selten tödtliche Wunden erzeugt. Wenigstens behauptet Dr. Mohnike, dass es zur tetanischen Erstarrung alter Orangutang einer be- trächtlichen Anzahl Pfeile bedürfe*). Andrerseits versichert Spenser St. John, dass die Engländer 1859 in einem Gefecht gegen die Kanowit-Dayaken auf Borneo 30 der Ihrigen an den kleinen kaum bemerkbaren Wunden verloren*), welche die Giftbolzen hinterlassen hatten, und Lieutn. Crespigny sah einen Eingebo^nen Borneos, der auf solche Art in der Wade und der Schulter verwundet worden war, in zwei Stunden sterben«'). Aehnlich wirkte eine Giftsalbe, deren sich die streitbaren und blutgierigen Bewohner der Küsten des caribi sehen Golfes bedienten. Nach der Schildenjng der alten spanischen Seefahrer trat der Tod der Verwundeten unter Rase- reien und Qualen ziemlich spät, oft erst nach 24 Stunden ein. Sie behaupten, dass zu dem Gift die Milch des Manschinellenbaumes (Hippomane Mancimlla) mit Zusatz von Schlangengift verwendet worden sei*), doch ist alles sehr dunkel und zweifelhaft, was sie darüber mittheilen.

Um so besser sind wir unterrichtet über das unheimlichste aller Gifte, nämlich über das Urari, Curare oder Wurali der In- dianer am Amazonasstrome 5) und in Guayana. Weder Lacon-

1) Ausland 1872. Bd. 45. No. 38. S. 894. *

2) Far East, tom. I: p. 46.

3) Proceedings of the R. Geogr. Soc. 1872. vol. XVI. p. 173— rS-

4) Oviedo, Historia general y natural de las Indias, lib. XXVII. cap. 3.

5) Am Amazonenstrome wird das giefurchtete Gift von den Stämmen be- reitet, welche die Quellengebiete der nördlichen Nebenflüsse zwischen dem Rio Negro und Japura bewohnen (Bat es, the Naturalist on the Amazons« 2d. edit. pag. 370). Die Indianer des Napöflusses holen das Urari von den

Peschcl, Völkerkunde. 13

läi ( J*ie BewafFnung,

damine noch Spis und TMartius haben diises Pfeilgift bereitöi sehen; erst Alex. v. Humboldt drang am Orinoco in das Labl- ratorium eines Giftkoches ein, und brachte Muster von Curatö nach Europa. Der Zubereitung der Salbe wohnte aber erst der jüngere Schomburgk in Pirarä bei'). Daa^rari, wie er es nennt, wurde aus verschiedenen PflanzenstofTen feekocht, der eigentliche Giftträger aber sind Rinde und Splint dev^S/rychnos loxifera. Bei der geringsten Verwundung erfolgt der Tod kleiner warmblutiger Thiere augenblicklich, und selbst grössere taumeln und sinken zu- sammen, ja Humboldt versichert, dass die erdessenden Otomaken durch Eindrücken des vergifteten Daumen nageis ihren Gegner tödten'). Proben von Urari oder Curarö gelangten vor etwa zehn Jahren nach Paris, und wurden dort von dem geschätzten Physio- logen Claude Bernard^) zu Versuchen benutzt. Es ergab sich damals, dass das Gift nur wirkt, wenn es sich mit dem Blute mischen kann. Dann tritt zunächst die Aufhebung der Nerven- kraft bei den willkürlichen Mnskelbewegungen ein, zuletzt aber hört auch die Thätigkeit von Lunge und Herz auf, und der Tod erfolgt ganz schmerzios durch den denkbar höchsten Grad der Er- müdung, ähnlich dem Ausschwingen eines Pendels, wenn das Uhr- werk abgelaufen ist. Ist das Gift frisch, so sinken selbst so grosse Geschöpfe, wie Tapire, nach wenig Schritten zusammen.

Auch in Afrika ist die Vergiftung der Geschosse weit ver- breitet. Nach den Berichten der portugiesischen Entdecker sollen vormals in Guinea die Jolotfer, sowie die Neger am Rio Grande ihre Pfeile vergütet haben'). So geschah es auch noch zu Mungo Park's Zeiten von den Mandingonegem*) und geschieht es noch heutigen Tages nach Benjamin Anderson von den Mandigo zu Musardo*"). Am weissen Nil werden die Moro-Xeger, die etwa unter N. Br. sitzen'), sowie die Barineger, des Salbcns der

Tgcudss und brauchen 2ui Rückkehr in ihre Heimath mil den Kähnen nicht weniger aU drei Monate, tla^ Gift w^d freilich in ihrer Heimath mit Silber aufgewogen. James Orion, the Andes and the Amazon. London 1870. p. 197.

1) Richard Schomburgk, Reisen in Guayana. Leipzig 1847. Bd. i. S. 100.

s) Ansichten der Natur. 3. Aufl. ßd. I. S. 247-

3) Revue des deux mondes. Paris 1864. tom. LIXI. p. 164.

4) Peichcl, Zeitalter der Enldecltungen. S. 77—78.

5) Mungo Park, Reisen im Innern v. Afrika. Berlin 1799. S. 251. 61 Globus 1B71. Sptbr. Bd. XX. No. 9. S. 142-

7) Pctherick, CeniraJ-Africa. London 1869. p. 276.

Die Bewaffnung. ige

Pfeile mit Schlangen- oder Pflanzengift geziehen*). In Südafrika bedienen sich nach Du Chaillu die Fanneger dieses verwerflichen Mittels*). Ferner erzählt Ladislaus Magyar 3) von den südlichen Nachbarn der Kimbunda in Bihö, dass sie ihre Speerklingen ver- gifteten. Livingstone berichtet von einem Gifte Namens Kombi, welches die Anwohner des Schire aus einer Strophanthus-Art be- reiten, sowie von einer andern Pfeilsalbe, die am Nyassa-See an- gewendet wurde, endlich, dass die Buschmänner der Kalahari aus den Eingeweiden einer kleinen Raupe unter dem Namen Nga ein Gift für ihre Geschosse gewinnen'*). Nach Theophüus Hahn da- gegen sollen diese Letzteren das Gift für die Jagdpfeile aus den Zwiebeln von Haemanthus toxtcarius, für die Kriegswaffen aber aus den Giftdrüsen der Schlangen und dem Saft einer Wolfsmilchart (Eu- phorbia candelabrumj bereiten 5). Bei Kolbe's Anwesenheit salbten auch die Hottentotten ihre Pfeile mit dem Gifte der Brillen- schlangen^). Plinius nennt uns arabische Piraten im troglody- tischen Afrika, also am Gestade des südlichen rothen Meeres unter den Pfeilvergiftern, zu denen wir noch einen asiatischen Stamm, nämlich die Bhutia im himalayischen Bhutan, der Vollständigkeit wegen anschliessen wollen 7).

Vergleichen wir die Wohnorte aller genannten Völker, so fallen sie sämmtlich zwischen die Wendekreise oder wenigstens in die subtropischen Gürtel. Ganz Nordamerika ist rein von diesem Frevel, welcher nach Moriz Wagner in der neuen Welt seine nördliche Begrenzung an der dariensischen Landenge und im Choco am Atrato erreichen würdet). In der That ist auch uns bisher nur eine einzige Ausnahme bekannt geworden,/ nämlich, dass die Ceres oder Seris am californischen Meerbusen solcher

i) W. V. Harnier, Reise am obern Nil. S. 50.

2) Explorations and Adventures in Equatorial Africa. London 1861.

p. 77—78.

3) Reisen, Bd. i. S. 357.

4) Livingstone, Zambesi. p. 466 sq. Eine Abbildung der Insecten- larve bei Wood, Natural History of man. tom. I. p. 286.

5) Th. Hahn, im Globus 1870. 2. Sem. S. 100. Gustav Fritsch, Ein- geborne Südafrikas. S. 431.

6) Vollständ. Beschreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung. Nürn- berg 1719. S. 532.

7) H. V. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 143.

8) Naturwissenschaftliche Reisen. Stuttgart 1869. S. 314.

jg^ Die Bewaffnung.

verpönter Waffen sich bedienen'). In Südamerika wurde bereits des Blasrohres gedacht, hier wollen ^vir nur noch erinnern, dass auch die Chiquiten in Paraguay, wie Dobrizhoffer berichtet, ihre Geschosse mit einem so mörderischen Gifte salbten, dass, wenn nur Blut floss auch die geringste Verletzung den Tod nach wenig Stunden herbeiführle.

Irrig wäre es aber, wollte man diese Wahl der Mordwerk- zeuge nur in heissen oder warmen Erdstrichen suchen. Chine- sische Schriftsteller gedenken im 3. jahrh. n. Chr. bei einem Tungusenstamm und im 5. Jahrhundert bei den Mongolen der Waffonvetgifiung '}, Sie wird noch heutigen Tages von den bär- tigen Aino^) auf SaghaUen und den Kurilen nicht verschmäht, zu Stellers Zeiten bedienten sich die Itelmen Kamtschatkas zu gleichem Zwecke des Sturmhutes fAconitum NapellusJ'') und selbst die Be- wohner der Alcuten kannten und benutzten ein Pfeilgifi*).

Auch auf dem ßoden des classischen Alterthums begegnen wir solchen unedlen Mordgeräthen. Horaz gedenkt ihrer in einer seiner gefeierten Oden"), Ovid beschuldigt pontische Völkerschaften in der Nähe seines Verbannungsoites dieses Frevels'). Plinius hat uns Gegenmittel für Giflwuiiden aufgeschrieben und dabei zugleich einen Blick in den finslern Abgrund der menschlichen Natur geworfen, insofern v d Scharfe des Eisens noch mit derWirkung desSchlang'en- stiches auszustatten suchen"). Selbst die Kelten Galliens verschmähten gelegentl ch n ht d es s Jlittel'), und das gleiche geschah sogar noch vo den apan acl en Arabern im granadensischen Kriege 1484 '").

So ^e vahren r denn, dass jener Brauch über alle Erdräume mit einziger Ausnahme Australiens und der polynesischen Inseln, wo Bogen und Pfeile fehlton, sich verbreitet hatte. Wir verweilen aber deswegen länger, ah gewöhnlich bei diesem Gegenstand, von

1) Wiiiz, Anthropologie der Nalurvölker. Bd. 4. S. 223.

2) Ales. Caslrdn, Eilinol. Votlesungen. S. 26—27.

3) Nach einem Vorlrafje iles Hrn. v. Brandt, deutschen Consuls in Japan, vor der Berliner antlito|)ol. Gesellschaft am 10. Decbr. 1871, |Verhind- lungen. 1872. S. 2S.I

4) Kamtschatka. Frankfurt 1774. S. 236. 51 Waiti, Anthropologie. Bd. 3. S. jrö.

6) Lib. I, 22.

7) Triiüuin lib. in, EleB- X. v. 62.

*i) Hisi. not. hb. XX, 8l. lib. XVIII, 1.

<)) Forbiger, Il.indbuch der alten Geogrjphie. Bd. 3. S. 147,

]uj Hern^iiidii Je Pulgat, Crönica, Valencia ijSa P. III. cap. 33.

Die Bewaffnung. ig 7

dem wir die erste Ueberschau gegeben haben ^), weil die Unter- drückung dieses Frevels uns zugleich einen der seltnen Fälle ge- währt, dass der Mensch nicht blos seinen Geselligkeitstrieb zur sittlichen Richtschnur erhoben hat, sondern dass er über diesen hinaus nach Veredlung strebt, denn der rohe Selbsterhaltungstrieb würde sicherlich auch den Gebrauch vergifteter Waffen verstatten. Dass aber die Völker anfingen sich einer solchen Wehr zu schämen und sie unvereinbar hielten mit ihrer W^ürde, lässt uns eine Stelle bei Homer erkennen. Odysseus will nämlich von llos in Ephyra ein tödtliches Pfeilgift einhandeln, der es ihm jedoch aus Scheu vor den ewigen Göttern verweigert^). Der Grund dieser Weigerung lässt uns ahnen, woher es komme, dass wir die Giftwaflfen jetzt nur noch xmter den Tropen oder in ihrer Nähe finden, weil eben dort die rohesten Menschenstämme sitzen, die sich noch nicht um den Zorn der 'ewigen Götter kümmern.

Ein anderes Wurfgeschoss , die Schleuder, kann gewiss nur dort erfunden worden sein, wo es Steine gibt. Steine gibt es nicht überall. Sobald der Amazonas oder seine gewaltigen Nebenströme aus den Abhängen der Cordilleren heraustreten, durchziehen sie eine Niederung, eben wie eine Tafel mit fast unmerklichem Ge- fall, wo sich kein Geschiebe mehr findet, denn Modererde lagert klaftertief über fein zermalmtem Lehm oder Thon^). Könnten wir uns also denken, dass alle Erdvesten jenen südamerikanischen Ebenen glichen, so hätten die Menschen nie zum Steinzeitalter sich erheben können, sondern bei Holz und Hörn verharren müssen. Auch werden wir uns im voraus sagen, dass in einem amazonischen Waldland ohnehin die Schleuder nicht anwendbar wäre. Wir finden Schleudern nicht in Nordamerika, ausser bei den Eskimos. Sehr häufig sind sie dagegen auf den Südseeinseln, so bei den Bewohnern der Marianen'^), auf der Samoagruppe^), auf Tahiti und den Sandwichinseln ^). Die papuanischen Bewohner der

1) Ausland 1870. No. 19. Ueber den Einfluss der Ortsbeschaffenheit auf einige Arten der Bewaffnung. S. 432. flg.

2) Odyss. I, 259 flg. Ephyra muss entweder in Epirus oder in einer nsel des argolischen Meerbusens gesucht werden.

3) Ed. Pöppig, Chile, Peru und der Amazonenstrom. Bd. 2. S. 340.

4) Waitz, Anthropologie, Bd. 5. II. Abth. S, 130.

5) Fr. Müller, Reise der Fregatte*' Novara. Anthropol. Bd. 3. S. 39.

6) Heinr. Zimmermann, Reise um die Welt mit Capt. Cook. Mann- heim 1781. S. 75.

jgg Die Sewaffnuag.

Fidschigrappe und Neu-Caledoniens .fährten sie ebenfalls*). Aaf diesen Inseln diente sie zugleich einem lägUchen BedürfnJss, denn es wurden die Kokosnüsse durch Steinwürfe von den Palmen herab- geholt. Weniger klar ist es, weshalb gerade die Guanchen, ode' die ausgestorbenen Bewohner dpr canarischen Inseln sich dieser Waffe bedienten, rielleicht, dass sie die Schleuder aus ihrer früheren nordafrikanischen Heimath auf den Archipel mitbrachten. Auch die besten Schleuderer im classiöchcn Alterthum stammten von einer Inselgruppe, den Balearen'). Im Sudan und im südlichen Afrika kommt die Schleuder entweder gar nicht oder nur als Seltenheit vor, um so reichlicher bei Völkern der biblischen Ge- schichte, Uerühmt waren unter den Hebräern die Schleuderer des . Stammes Benjamin, die mit der Rechten und Linken fochten und mit ihren Steinwürfen das Ziel nicht um Haaresbreite fehlten^), Auch wurde ja durch einen glücklichen Steinwurf gegen einen riesenhaften Philistäer die Dynastie der Konige in Juda begründet. Steinige Weidotriften, me sie in Palästina nirgends fehlen, waren herausfordernd zur Ucbang des Schleuderns, zumal alle Hirten- völker im Werfen geübt sind, theils zur A'ertheidigung ihrer Thiere, theils zur Bestrafung der Hunde oder zerstreuter Heerdenstücke. Förmlichen Uebungen im Scheiben schiessen und im Steinewerfen wohnte Adolph v. \\'rede unter Beduinen des arabischen Hadh- ramaut bei*). National- und Lieblingswaffe ist die Schleuder aber in Sudamerika geworden. Während die Ebenen Östlich von den Anden, mit Wald bedeckt, nur Jägerstämme kennen, die überall den Bogen führen, treffen wir im Reiche der Inca oder Sonnen- söhne, bei den Cultur volkern, den Ketschua und Aymara, auf den baamlosen Puna oder Hochebenen zwischen den Cordilleren die Schleuder als Jagd- und Kriegswaffe, Sämmtliche Völker in den Anden Südamerikas führen die Schleuder bis südwärts herab zum Cap Hom, wo sich ihrer die Feuerländer zu ihren Jagden auf Llamas oder vielmehr Guanücos bedienen. Anthropologisch ver- wandt mit den Völkern der Anden sind die Patagonier der Steppen im Süden imd Westen des Silberbundes. Dort hat das Schleudern'

T) F. Knoblauch, Ausland l»66. S, +(.6. 2| Forbiger, alle GenEraphie. Bd. 3, S. loQ. jl Judit. XX, 15— :6.

4j V. Wrede's Reisen im Hadhramaul. Herausg. von H. v. Mallmn. Brannschweig 1870. S. 195.

Die 6^i«^nung. Iqq

und die Schleuder ihre höchste Vollkomrpenheit erreicht. Die Steine sind nämlich gerundet, und werden ^ an einem Leder- riemen befestigt, über dem Kopf geschwungen. So entstand die Wurfleine mit den Kugeln oder Bolas*). Ja mit der Zeit verwendete man sogar die Wurfleine ohne jeden Stein i und noch jetzt schwingen die Gauchos oder halbblütigen Hirten der Argentina ihren Lasso so meisterhaft, dass sie ihn zur Bewältigung eines Gegners sogar dem Feuerrohr vorziehen^). Auch im alten Aegypten war an die Stelle der gewöhnlichen. Schleuder die Leine mit den Wurfkugeln getreten, denn unter den Jagdscenen, welche uns die Denkmäler erhalten haben, erblicken wir einen pharaoni- schen Waidmann, der einem Büflfel die Leine mit der ^ugel um die hinteren Füsse wirft ^). Es ist wohl nicht zu besorgen, dass jemand den kühnen Schluss ziehe, die Patagonier stammten von den Altägyptern ab, oder es hätten sich Aegypter vielleicht von der phönicischen Flotte, die unter dem Pharaoh Neku Afrika um- schiffte, nach Südamerika verirrt. Wir stossen vielmehr hier auf eines der unzähligen Beispiele, dass die nämlichen Geräthe von ganz entfernten und sich ganz entfremdeten Völkern selbständig erfunden worden sind.

Haben wir bisher nur die Technik der Waffen mit der Be- schaffenheit der Erdräume verglichen, so wenden wir uns jetzt einer ernsteren Seite des Gegenstandes zu. Wie die vergleichende Ana- tomie den lateinischen Sinnspruch zur wissenschaftlichen Wahrheit erhoben hat, dass aus der Klaue der Löwe sich erkennen lasse, so kann die Völkerkunde aus den Waffen mit grosser Sicherheit auf die Gesittungsstufe eines Volkes schliessen. Die Vorbedingung aller höheren gesellschaftlichen Zustände ist die räumliche Ver- dichtung der Bevölkerung, weil sie eine Theilung der Arbeit ver- stattet. Aus der Kopfzahl und dem Flächeninhalt, welchen 1825

i) Ueber die Verbreitung der Bolas bei den Ketschuavölkem in Peru, vgl. Markham, Proceed. of the Royal Geogr. Soc. vol. XV. No. 5. Sitzung vom 10. Juli 1871.

2) V. Tschudi, Reisen in Südamerika. Bd. 4. S. 287. Dass er von den Alliirten im Kriege gegen die Paraguiten angewendet wurde, darüber vergl. Ausland 1870. S. 320 und Max v. Versen, Reisen in Amerika und der südamerikanische Krieg. Breslau 1872. S. 119.

3) Wilkinson, ancient Egyptians, tom. III, p. 15, sowie in Lepsius* Denkmälern.

200 ^^ Bewaffnung.

die Rothhäute der Vereinigten Staaten inne hatten, ist berechnet worden, dass Jägerstämme zu ihrem Unterhalte für jeden Kopf i^/^ engl. Q. Meilen nöthig haben, während in einem vergleichbaren Erdstrich, nämlich in Belgien, 320' Köpfe auf einer engl. Q. Meile wohnen ^).

Nur eine blühende Landwirthschaft verstattet eine hohe Ver- dichtung. Der Ackerbauer aber kann nicht Waffen führen, die eine beständige Uebung und seltene Fertigkeiten erfordern. Um sich gegen ferne Geschosse von Jägerstämmen zu sichern, wird er vielmehr seinen Körper durch eine Bedeckung von Watte, wie in Amerika, oder durch Leder, oder durch Metall schützen. Ferner wird er das zerstreute Gefecht, welches mit Jägerart viel Aehn- lichkeit hat, aufgeben und in Gliedern sich zusammenschliessen. In Amerika sehen wir diese Neuerung bei allen Culturvölkern voll- zogen. Die Mexicaner und Yukateken hatten nicht bloss Schutz- waffen, sondern sie führten das Schwert des Steinzeitalters aus Holz geschnitzt und mit einem Falz versehen, in welchen stück- weise die Klinge aus scharfen Obsidi anscher ben eingefügt wurde. Wie weit wären überhaupt sämmtliche Nahuatlvölker Mittelamerikas zurückgeblieben, wenn sie nicht den Obsidian oder das Iztli unter den Laven ihrer Vulcane gefunden hätten? ein Mineral, das bei jedem geschickten Hammerschlag, wir möchten sagen, in lauter Messerklingen zerspringt, so scharf, dass noch lange nach der Er- oberung die Spanier sich von einheimischen Barbieren mit Obsi- dianscherben rasiren Hessen. Bei den Incaperuanern treffen wir hölzerne Helme, mit Watte gepolsterte Wämser, Schwerter aus Kupfer, Streitäxte, Speere und Wurfspiesse*), sowie Fahnen, letztere« das beste Zeugniss für eine bereits vorhandene taktische Ein- theilung.

Die Uebergänge bedurften jedenfalls grosser Zeiträume. Hirten- völker legten die Jagdwaffen nicht plötzlich ab, sondern nur nach und nach. Im trojanischen Kriege begegneten sich Völker, die halb Ackerbau, halb Viehzucht trieben. In den Reihen der Achäer treffen wir daher nur zwei oder drei Virtuosen, die Bogen und Pfeil führen, und in der Odyssee fordert die schlaue Penelope ihre Freier zu einem Probeschiessen auf, wobei sich ergibt, dass sie alle

1) Sir John Lubbock, Prehistoric Times. 2d ed. p. 582. sq.

2) Prescott, Conquest of Peru. tom. I, p. 72 sq.

, Die Bewaffnung. 20I

mit dem altmodisch gewordenen Gewehre nicht mehr umgehen können. Aehnliche Uebergänge werden jetzt in Afrika beobachtet. Bei allen viehzuchttreibenden Negern am weissen Nil finden wir Keulen, Lanzen und Schilder wie bei den Schilluk und den Nuer'), oder, weil Jagd noch betrieben wird. Bogen und Pfeile wie bei den Kitsch-, Dschur-, Moro- und Niamniamnegern *). Ausnahmsweise traf Georg Schweinfurth bei den merkwürdigen Monbuttu am Uelle Schild und Speer mit Bogen und Pfeilen, aber er fügt ausdrück- lich hinzu, dass eine solche Vereinigung von Waffen in den Neger- landen zu den Seltsamkeiten gehöre^). Die rechten Kafirn,'Sagt Theophilus Hahn^), bedienen sich nie des Bogens und der Pfeile, sondern sie fechten abgetheilt in Legionen zu 600 1000 Mann. Der grosse Zulukönig Tschaka liess sogar die 5 6 Wurfspeere der alten Bewaffnung entfernen und führte eine kurze Lanze zum Stosse, sowie lange Schilde ein, unter deren Schutz seine Krieger gegen ihre Feinde stürmten und ihnen mit der kurzen Waflfe zu Leib gingen. Hottentotten und Buschmänner gehören zu einer scharf gesonderten Familie und sind unter sich verwandt. Die Hottentotten sind Hirten, die Buschmänner Jäger, die Hottentotten bedienen sich mit spärlichen Ausnahmen nicht mehr des Bogens und Pfeiles, der bei den Buschmännern die einzige Waffe ist. Die Kelten Galliens und unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars und Tacitus' Zeiten waren ebenfalls keine Bogenschützen mehr 5).

Als Einwand gegen diese Auffassung könnte man, abgesehen von den Chinesen, geltend machen, dass wir ja auf ägyptischen Denkmälern, auf den Sculpturen von Chorsabad, Niniveh und Ba- bylon unzähligemale Bogenschützen abgebildet finden. Warum aber jene ehrwürdigen Culturvölker die alten Jägerwaffen führten, darüber gewährt' uns das alte Testament willkommenen Aufschluss. Der Sieg, den die Philistäer über König Saul gewonnen hatten, wurde auf Rechnung ihres Schützencorps geschrieben, und David, obgleich selbst der beste Schleuderer seines Volkes, liess zur Aus-

1) Petherick, Central Africa, L 98, 99, 100, 120, 319.

2) 1. c. I, 194, 217, 247, 248, 276, 280.

3) Zeitschrift für# Ethnologie. Berlin 1873. Bd. 5. S. 18.

4) Globus 1871. Septbr. Bd. XX* No. 11. S. 163—165.

5) Wenigstens wurde von den Kelten Galliens nur gelegentlich noch von Bogen und Pfeil Gebrauch gemacht. Strabo, Geogr. üb. IV. cap. 4. ed. Tauchn. I, p. 317.

202 l^is Bewaffnung.

gleichung des Nachtheüs die Kinder Juda im Bogenschiessen wieder einüben, und seit dieser Zeit wurde diese Kunst nicht mehr von ihnen vernachlässigt'). Die Kriege, die damals in Vorderasien ge- führt wurden, galten meist den Städten. Die Mauern der Städte wurden aber bereits von Thürmen flankirt. Auch war zur Deckung von Belage rungsarbeiten oder der Stürmeuden selbst damals ein fernwirkendes Geschoss, wie der Pfeil, unentbehrlich. Finden wir ja selbst in der römischen Schlachtordnung ein Schützencorps für besondere Gefechtsaufgaben, obgleich die wahre Legionswaffe nur das Schwert und der Wurfspiess gewesen sind"). Nicht unbeab- sichtigt wurde oben angeführt, dass die Fidschi-Insulaner bei Be- lagerung ihrer festen Ortschaften , sowie bei Vertheidigung der Pfahlwerke immer noch Bogen und Pfeil beibehalten haben. Allein in allen diesen Fällen tritt das nämliche Werkzeug nicht mehr als ein W ai d man nsge wehr auf, sondern wir möchten fast sagen als eine gelehrte Waffe. Jene alten Denkmäler aus dem Bereich der bib- lisclien \'ülker zeigen uns sämmtlich die Krieger geordnet. Die Theilung der Arbeit hat schon begonnen, und der Krieg wird ent- weder von eingeübten Milizen oder von einer Kaste geführt, nicht mit dem Handwerkszeug des täglichen Erwerbs, sondern mit spe- ciaiisirten Watten. So wie aber der Krieg methodisch eingeübt wird, muss der Einfluss der Ortsbeschaffenheit auf die Bewaffnung mehr und mehr schwinden, ja bei modernen Culturvolkern kann von ihm kaum noch gesprochen werden. Immerhin wird selbst heutigen Tages niemand die Bevölkerung der Kosakensteppen oder, der ungarischen Pussten mit Vorliebe au Scharfschützen ausbilden, ebenso wenig als wir in den Bewohnern unserer Hochgebirge einen bevorzugten Stoff für leichte Reiterei erblicken wertlen.

5. Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.

Wenn auch die Seetüchtigkeit der Völker am spätesten zu reifen pflegt, so hat sie doch auf die Geschichte der menschlichen Gesellschaft die höchsten Folgen geübt, denn wie hoch man auch

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 203

die Schöpfungen eines Volkes auf dem Gebiet der Kunst, wie hoch man seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, oder seine Religions- satzungen stellen mag, die That eines einzigen kühnen und be- harrlichen Seemanns verdunkelt, wenn wir nur an die physische Geschichte unserer Erdvesten denken, alles andere an Wirksamkeit. Wenn wir von einer fremdartigen Natur und fremden Welten auf unserm Erdball reden, so meinen wir nichts anderes als die fremd- artigen Gewächse und fremdartigen Thiergestalten die ihnen eigen- thümlich sind. Wären aber der Verbreitung' von Thieren und Pflanzen keine räumlichen Hindernisse in den Weg getreten, so würden alle klimatischen Gürtel der Erde die nämlichen Formen belebter Wesen zeigen. Die Meere sind die wirksamsten Hinder- nisse gewesen, aber der Seemann, der die Alte Welt mit der Neuen verknüpfte, hob diese Hindernisse, und vernichtete an Amerika die Eigenschaft eines gesonderten Erdraumes. Amerika ist seit der Entdeckung nicht bloss von Europäern, sondern zugleich von allen europäischen Culturgewächsen und Hausthieren, von Weizen, Korn, Hafer, Gerste, von Rind, Ross und Schaf betreten worden, und diese einwandernden Pflanzen und Thiere waren so mächtig, dass sie in kurzer Zeit den landschaftlichen Anblick grosser Erd- räume, ja sogar ihr Klima umgestalteten, indem sie aus einer schattigen Wildniss ein sonniges Getreideland schufen. Um so lebhafter muss aber unsere Wissbegierde zu der Untersuchung an- geregt werden, ob nicht auch Aussicht vorhanden gewesen sei, dass von andern Theilen unserer Erdveste Amerika, oder ob nicht von den Amerikanern selbst die Alte Welt hätte gefunden werden können, und wie gross die Keime im jenseitigen Welttheil waren, die zu einer solchen Hoffnung hätten ermuthigen können. Diess alles lässt sich allein auf dem Wege geschichtlicher Vergleiche finden, und wir müssen daher diejenigen Erdräume aufsuchen, wo sich seetüchtige Völker am höchsten entwickelt haben.

In der alten Welt haben grosse Ströme die nautischen Fertig- keiten bei den Uferbewohnern nicht ausgebildet und das gleiche gilt auch von Amerika. Wenn der Anblick der Stromgebiete des Mississippi, des Amazonas und der La Plataströme auf einem Länderbilde uns gegenwärtig mit der Ahnung einer unberechen- baren Culturgrösse berauscht, wenn wir im Geiste ihre Wasser mit belasteten Schiffen bedeckt , ihre Ufer mit Städten besäumt und dicht bevölkert erblicken, so sagt uns doch schon unsere heimische

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yahrzeugc und Seetüthtigkeil

Geschichte-, dass Ströme erst im Mittelalter die Städtebegründung forderten und als grossartige Verkehrsmittel erst nach Benutzung der Darapfkräfte ihre heutige Geltung erlangten. Wohl sind auch im Alterthum grosse CulturschÖpfungen durch Ströme hervorgerufen worden, wie durch den Nil und die Geschwisterfiüsse Mesopo- tamiens. Ailfin in beiden Fällen dienten sie hauptsächlich nur zur Benetzung von Fluren in trockenen Ländern. Eine günstige Regenzeit hätte den Euphrat und Tigris entbehren lassen, und selbst das Nilwasser, wenn auch nicht den Nilschlamm, zu ersetzen vermocht. Die Eingebornen Amerika's waren aber noch weit ent- fernt , dass ihre grossartigen Stromnetze als Cultur Verbreiter sich \virksam hätten zeigen können. Breite und tiefe Flüsse sind bei den jugendlichen Anfängen der Gesellschaft eher Schranken und Hindernisse, wie ja noch zu Cäsars Zeiten der Rhein die Deutschen und die Kelten schied und trennte. Dem Jäger, der in dem Rindenkahne sich be\vegt, sind kleine und stille Flussläufe will- kommener, ja als Fischwasser bieten sie ihm sogar die grosse Be- quemlichkeit, dass er sich durch ihre Vergiftung seiner Beute rascher zu bemächtigen vermag. Daher kommt es, dass die Nähe des Mississippi sich gar nicht und die des Amazonas nur durch sehr geringe Fortschritte in der Gesittung der wilden Stamme ver- kündigt.

Das gleiche gilt von der grossen Kette Binnenseen in Nord- amerika, denn die Jägerstämme, welche ihre Ufer bewohnten, standen durchaus nicht hoher i-^s die übrigen. Nautische Ge- schicklichkeit dürfen wir auch anderwärts nicht auf Binnen- gewässern suchen. In Asien haben der Balchasch-, Baikal- und Aral-See, ja nicht einmal das kaspische Meer anregend auf die Ausbildung der Uferbewohner zur SchifTfahrl gewirkt. Fand man doch noch vor kurzem und findet man noch jetzt, wo die Eng- länder aus Liebhaberei bessere Muster nicht eingeführt haben, auf allen Seen der Alpen nur Fahrzeuge von der niedrigsten und zweck- widrigsten Bauart, die seit Jahrtausenden jeder Verbesserung ge- trotzt haben. Nicht an Flüssen und noch weniger an Binnenseen, sondern nur an den Küsten dürfen wir uns nach den Völkern umsehen , die Länder mit Ländern verknüpfen , wie denn in der Cult Urgeschichte mehr als anderswo der Sinnspruch bei den eleu- sinischen Geheimfeiern gilt; Ans Meer, ihr Mysten!

Von den Völkern die im Alterthum durch ihre Unterneh-

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 205

mungen zur See glänzten, nennen wir vorläufig zwei : die Phönicier und die Bewohner der Südküsten Arabiens. Die Nähe dankbarer überseeischer Ziele wirkt vor allem anregend zu den ersten Ver- suchen die Küste zu verlassen. Den PhÖniciern winkte als leicht erreichbarer Gegenstand die Kupferinsel (Cypern), den Arabern das nahe gelegene Afrika. Die Küste Syriens wie die des ara- bischen Yemen, Hadhramauts und Omans erstrecken sich mehr oder weniger in gerader Richtung. Hinter einem schmalen Küsten- saume erhebt sich das Land, und hinter der Erhebung breiten sich sogenannte Wüsten aus. An solchen Küsten ist nicht nur der Weg zu Wasser gewöhnlich der kürzeste, oft der einzige zwischen den bewohnten Orten, sondern es bürgt auch die Regel- mässigkeit der Land- und Seewinde zugleich für bequeme Fahrten. So wie sich die Bevölkerung des engen Küstensaumes verdichtet, muss der Fischfang mehr und mehr zur Ernährung beitragen, imd wenn auch er nicht ausreicht, ein Theil des Volkszuwachses über das Meer hinausstreben. Wie auf diese Art Phönicier nach Cypern, von Cypern nach Kreta, von Kreta nach Carthago, Spanien und bis zum Senegal gelangt sind, darf als bekannt gelten. In gleicher Lage wie sie befuhren die Bewohner Südarabiens die Ostküste Afrika's (Adschan jetzt, Azanien von den Griechen genannt), in älterer Zeit wahrscheinlich bis Kilwa am Eingang der Mozambique- strasse und Rhedern aus Aden verdankte Claudius Ptolemäus seine Kenntnisse nicht nur jener Küste, sondern auch der grossen Nil- seen, die damals wie jetzt vom heutigen Sansibar aus durch ara- bische Kaufleute besucht worden sind^). Später erstreckten sich Pflanzstädte der Araber von Hadhramaut und Oman am Gestade Afrika's bis Sofala, was für einen Küstenfahrer just so weit war wie aus einem phönicischen Hafen bis zu den Säulen des Her- cules*).

Spähen wir in der neuen Welt nach Küsten ähnlicher Bildung, mit schmalem Ufersaume, begränzt von aufsteigenden Gebirgen und verhältnissmässig dicht bevölkert, so dürfen wir nur am West- rande Südamerikas, von der chilenischen Gränze angefangen, gegen Norden bis zum Gestade von Ecuador die Phönicier Ameri-

1) Ptolemaeus, Geogr. lib. i. cap. 17. ed. Wilb. p. 57.

2) Peschel, Geschichte der Erdkunde. S. iii.

ao6 Fahrzeuge und Seetüchligkeil.

kas suchen. Auf dem grössten Theile dieses Gestades fallt be- Itanntiich kein Tropfen Regen, sondern es herrschen während der feuchten Jahreszeit nur Nebel die auf dem Sand und den wan- dernden Dünen einen vergänglichen Hauch von Pflanzen hervor- rufen. Nur längs der kleinen Küstenflüsse, die von den Cor- düleren herabeilen, vermag der Ackerbau die Bevölkerung zu er- nähren. Man ist daher ku der Erwartung berechtigt, dass sich dort Fischerei und Küsten schifl"fahrt hätten entwickeln sollen. Leider ist das Festland völlig entblösst von Inseln die zu Fahrten auf die hohe See hätten verlocken können, denn die GalÄpagos liegen vom nächsten Küstenpunkte weiter entfernt als vom Cap St. Vincent die Insel Madeira, von der es nicht streng erwiesen ist, dass sie im Alterthum besucht wurde und mit der wir daher genauer erst seit dem 14. Jahrhundert bekannt geworden sind. Ausserdem fehlt es den Ufern des ehemaligen incaperuanischen Reiches an Baum- stämmen die sich hätten zu Fahrzeugen aushöhlen lassen.

Dennoch herrschte gerade längs jener Küste ein Seehandel wie er sich in der neuen Welt vor der Entdeckung nur noch an wenigen Stellen wiederfindet. Als Francisco Pizarro 1526 von Panama her unter der Fährung des Piloten Bartolomeo Ruiz an der Küste des heutigen Ecuador die Bucht San Mateo nördlich und östlich vom Cap San Francisco erreicht hatte, fielen ihm in- caperuanische Kauffahrer in die Hände, die aus Tumbez Llama- wollentücher und Juwelierarbeiten brachten. Es war kein Schiff, sondern nur ein Floss auf dem sie eine Küstenfahrt von go deut- schen Weilen zurückgelegt hatten. Nicht Mangel an Fertigkeiten oder Erfindungsgabe, sondern Mangel an Scbiflfsbauholz ') allein zwang die Küstenbewohncr zur Erbauung so roher Verkehrswerk- zeuge; mit denen sie übrigens noch heutigen Tages Fahrten von Guayaquil bis nach Lima (Callao), 180 deutsche Meilen weit, unter- nehmen. Gegenwärtig dienen an der Wüste Atacama, wo die Baumstämme noch seltener sind, nicht einmal Flösse, sondern Stangen mit aufgeblasenen Schläuchen den Eingeborne» zum Be- trieb ihrer Fischerei'). Das Floss aus Tumbez, welches die Spanier

) d'Orbigoy, l'Homme amiricain. Paris 1839. p. 135. i) J. J. V. Tschudi, Reisen durch Süd- Amerika. '. on, Voj-ape autowr du monde. Paris 1839. 'lom. I. p. $t

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 207

aufgriffen, wurde aber bewegt durch ein Segel und gelenkt durch ein Steuerruder. Zur Zeit der Entdeckungen wurde die Segelkraft von den Eingebe rnen Amerikas nur spärlich angewendet, und dess- halb gehören auch jene Fortschritte der Peruaner zu den höchsten nautischen Leistungen in der neuen Welt'). \ Auf unserer Erdveste begegnen wir aber nicht bloss an Küsten

vom Charakter Syriens oder Südarabiens schifffahrtskundigen Be- völkerungen, sondern die verwegensten Seefahrei; hat jedenfalls Norwegen erzogen, denn sie gingen im 9., 10. und 11. Jahrhundert ohne Bekanntschaft mit der Nordweisung der Magnetnadel nach Island, Grönland, Labrador und bis zu den heutigen Neu-England- staaten Nord-Amerikas. Norwegen gehört in das Klima, wo die rauhe Witterung die Küsten in Inseln und Fjorde zu zertrümmern vermag^). Keine Schule erzieht bessere Seeleute als eine ver- witterte Steilküste und ein so rauhes aber auch ergiebiges Meer wie die Nordsee. Fand doch schon zu Plinius' Zeiten eine Schiff- fahrt zwischen Norwegen und der Shetlandsgruppe statt 3), wozu eine längere Ueberfahrt nöthig war als von irgend einer Mittel- meerinsel bis zur nächsten Uferstelle. Küsten mit Fjorden und einem Inselsaume dürfen wir daher als treffliche Erziehungsmittel zur nautischen Geschicklichkeit ansehen, und wenn wir wiederum suchend unsern Blick nach der Neuen Welt kehren, so finden wir ähnliche Uferbildungen zwar nur am stillen Ocean, dort aber so- wohl an dem inselreichen Gestade des britischen und des früher russischen Nord-Amerikas von der Vancouverinsel bis zum Berings- meer, als auch im Süden von der chilenischen Gränze bis zum Feuerlande.

Auf dem letztgenannten Schauplatz bewährt sich eine War- nung, die wir anderwärts schon ausgesprochen haben, dass näm- lich den physischen Begünstigungen des Wohnortes nicht unbedingt die Leistungen der Bevölkerungen entsprechen werden,* sondern dass die Bewohner selbst Anlagen besitzen müssen, um aus den

i) Der sonst sehr genaue Prescott (Conquest of Peru, I, 65) bezeichnet die peruanischen Segelflosse als the only instance of this higher kind of navi- gation among the American Indians, Wir werden sehen mit welchem Rechte.

2) Peschel, Neue Probleme. S. 9.

3) Hist. nat. lib. IV. cap. 30.

2oS Fahrzeuge und Seelüchtigkeit.

dargebotenen \' ort heilen den höchsten Nutzen zu ziehen. Das Südhorn Amerikas nach allen Richtungen zerklüftet und gespalten in Inseln und schluchtenähnliche Sunde, wo die Gletscher herab- reichen bis zum Meeresspiegel und gleichwohl Papagaien fliegen, ja Colibri sogar die Schneegestober nicht fürchten, die Heimath immergrüner Fuchsien und undurchdringlicher Wälder konnte' denk- barer Weise überhaupt nur \'on seekundigen Stämmen bewohnt werden. Was die Abstammung der heutigen Bewohner des Feuer- landcs betrifft, so wiederholen unsere Ethnographen nur d'Orbigny's Worte'), dass nämlich ihre Sprache dem Kiange nach der pata- gonischen und puelchischen, dem Bau nach der araucanischen sich nähere. Für unsere Untersuchungen ist es ganz gleichgültig, ob man die Bewohner des Feuerlandes und der magelhaesschen Insel- welt von dem patagonischeii oder araucanischen Volkerzweige ab- leitet, zumal beide sich wiederum sehr nahe stehen, und es unter den Feuerländern sogar nachweisbar echte Patagonier gibt. Die Patagonier sind Jäger, und so wenig mit dem Wasserleben ver- traut, dass sie nicht das armseligste Floss besitzen, um auch nur einen Fluss zu überschreiten. Die Araucaner sind ebenfalls Jäger, nur dass sie nicht Grasfluren, sondern Gebirge bewohnen. Auch auf den grossen Strömen der Pampas oder Steppen suchen wir vergebens nach Rindenkähnen, In alter Zeit wurde eine Ochsen- haut an ihren Rändern aufgeklappt und in den Ecken mit Riemen zusammengebunden, so dass sie einem flachen, offnen Kasten glich. Einer Pelota, wie die eben geschilderten Lederflosse hiessen, wurden so oft ein Strom überschritten werden sollte, die Habseligkeiten anvertraut. Der Sohn der Steppe spannte sich mit einem Riemen vor die Ochsenhaut und zog sie schwimmend von Ufer zu Ufer"). Vom La Plata angefangen bis zum Cap Hörn und vom Cap Hörn längs der Westküste Südamerikas bis fast zur Landenge von Pa- nama gab es zur Zeit der Entdeckung keinen Volksstamm der auf den Einfall gerathen wäre, andere Fahrzeuge zu verfertigen als Flösse, folglich musste die Erbauung von Kähnen in den magal- haesschen Gewässern von neuem erfunden werden und die Erfinder waren die Pescheräh des Bougainvüle oder die Feuerländer in der jetzigen Sprache der \"ölkerkunde. Immerhin hat also die

II L'hommi: .imiriciiii. p. iSS,

2) Dobrizhuffi-T, Gesdiithte der Abiponer. Bd. 2. S. 150.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 209

«

Küstengestaltung hier gewisse Lebensgewohnheiten und Fertigkeiten hervorgerufen. Bei den Chonos-Inseln sind nur rohe Flösse^ in Gebrauch, und die Feuerländer, mit denen Capitän Wilkes ver- kehrte, besassen ebenfalls nur Kähne aus Baumrinden, die über ein Gestell gespannt und zusammengenäht waren, des Ausschopfens aber fortwährend bedurften. Anderwärts sind jedoch bessere Fahr- zeuge gesehen worden, C6rdova rühmt sogar ihre Kalfaterung und beschreibt bei Cap Providence Kähne, die aus Baumstämmen ge- schnitten worden waren. Wenn wir bei den Feuerländern nur solche schwache Versuche antreffen, so müssen wir bedenken, dass ^ sie erst Anfänger im Seemannshandwerk waren, denn dass Sie früher auf dem Festland wie Araucaner oder Patagonier von der Jagd gelebt haben, dürfen wir mit grosser Sicherheit daraus schliessen, dass sich in ihren Händen eine Waffe befindet, die sonst nirgends bei maritimen Stämmen angetroffen wird und ihnen auch wenig Dienste leisten kann, nämlich die Schleuder. Doch treiben die Feuerländer auch noch jetzt ein wenig Jagd, da sich Guanaco- heerden auch auf den magalhaesschen Inseln (auf Navarin unter andern) aufhalten. Wir werden also nicht fehl schliessen, wenn wir in den Feuerländern eine ehemalige schwache Horde von Jägern erkennen, die durch stärkere Nachbarn von ihren Revieren verdrängt, schliesslich zu dem Wagniss einer Ueberfahrt nach der nächsten Küsteninsel und zur Jagd auf Seethiere genöthigt wurde. Ehemals waren im Feuerlande die Seehunde an Arten wie an Häuptern ausserordentlich zahlreich, seit den Verheerungen uner- bittlicher Robbenschläger müssen aber die Feuerländer sich mit Schalthieren und Fischen begnügen, gehen auch, wie so viele andere Stämme, einem raschen Ende entgegen.

Zeigt uns die Welt der patagonischen Fjorde und Scheeren nur schwache Anfänge des Seegewerbes, so können wir dafür im Norden von der Vancouverinsel bis zu den Aleuten eine Reihe kleiner sprachlich gesonderter Stämme von Rothhäuten mustern, die wir als die Normannen der Neuen Welt bezeichnen dürfen, insofern sie eine Küste von gleichartiger Bildung wie Norwegen bewohnen und in ihrer Welt als kühne Seeleute nicht leicht zu übertreffen waren. Die schlanke Bauart und der scharfe echt nautische Schnitt der Fahrzeuge im Nutka-Sund der Vancouver-

^) United States Exploring Expedition, tom. I. p. 124. Peschel, Völkerkunde. ' H

2IO Fahrzenge unil Seetüchtigkeit.

iflsel, ist erst kürzlich wieder vom Maler CaÜin bewandert worden, uad iwar findet man dort Fahrzeage von 53 Fiias Länge und ge- räumig für 100 Menschen '). Nicht übersehen darf es werden, dass südlich von der De Fuca-Strasse, wo die Küste ihren Fjordcha- rakter verliert, bis zu den Gränzen des alten Peru bei allen Ein- gebornen nur die rohesten Muster von Fahrzeugen sich gefunden haben, während umgekehrt^ von Nutka-Sund nordwärts, und je mehr, man sich dem asiatischen Festlande nähert, die Bauart der Kähne immer kunstvoller, ihre Führung immer bewundernswerther wird. Bei den Inseln des ehemals russischen Amerika, die von Thlinkiten bewohnt werden, begegnen wir bereits dem echten Es- kimoschnitt der Jagdboote, dort Baidaren genannt, nur für einen Einzelnen eingerichtet mit geschlossenen Verdecken, so dass nur ein Sitzranm übrig bleibt , den obendrein der Bootsmann mit sei- nem Schurz dicht liedeckt, Einrichtungen die, so weit es anging, in Europa nachgeahmt worden pind. Alle Küstenstämme von der De Fuca-Ptrasse bis zu den Aleüten unterscheiden sich sehr scharf von den sogenannten rothen Jägerslämmen östlich der Felsen- gebirge, und man hat sogar die Wahl, sie entweder in Jüngern Zeiten aus Nordasien sich eingewandert zu denken oder anzu- nehmen, dass sie ihre nautischen Geschicklichkeiten ihren asia- ti.schen Nachbarn abgelauscht und sie bis nach der Vancouverinsel verbreitet haben. Eddes erscheint zulässig, aber in dem einen wie in dem andern Falle erstreckte sich die günstige Wirkung nicht über die Gränze der Fjorde hinaus.

Für die gegenwärtige Untersuchung ist es nicht wesentlich, ob asiatische Völker oder nur asiatische Cultur an der Nordwest- küste Amerikas bis zur De Fuca-Strasse sich verbreiteten, denn beides ward erleichtert durch eine bedeutungsvolle Gliederung des amerikanischen Nordens. Bei Australien war es die Carpentaria- (Cap Vork-J Halbinsel, welche, nach Neu-Guinea sich erstreckend, noch die Möglichkeit eines Verkehrs mit der alten Welt aufrecht erhielt, und es gelingt uns vielldcht noch die Freunde der Völker- kunde zu überzeugen, dass jene Continental zu nge das geographische Organ gewesen sei, welches eine Hebung der gesellschaftlichen Zustände unter den Eingebornen Australiens hervorbrachte. Der Nordwesten Amerikas besitzt eine ähnliche Gliederung in der Halb-

1) Waili, Anlhiapologie. Bd. 3. S. JJI.

* Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 211

insel Aljaska, die wie ein Arm nach Nordasien sich hinüber- streckt, ja an dem ausgebreiteten Arm schwebt noch wie eine Schnur Perlen die Inselkette der Aleuten, welche einen, wenn auch lückenhaften Uebergang nach Kamtschatka vermittelt Diess war, wenn man von Prädestination reden dürfte, der vorausbeschiedene Pfad einer Culturvereinigung zwischen der alten Welt und der neuen Welt, und wenn nicht schon im Jahre 1492 Amerika unter spanischer Flagge entdeckt worden wäre, sondern wenn Europa die Reife des Jahres 1492 erst ein halbes Jahrtausend später er- reicht hätte, so wären uns asiatische Culturvölker, nämlich die Japanesen, mit der Entdeckung Amerikas auf dem östlichen See- wege zuvorgekommen. Wir denken dabei an nichts weniger, als dass japanische Seefahrer über den Stillen Ocean verweht worden sind wie 1832 und 1833 nach den Sandwichinseln und nach Ame- rika selbst in die Nähe der De Fuca-Strasse, denn die Geschichte kennt keinen Fall, dass durch Entdeckungen verschlagener oder schiffbrüchiger Seeleute irgend eine folgenschwere Verbindung mit fremden Erdräumen eingeleitet worden wäre*). Wir beziehen uns vielmehr darauf, dass schon vor den Russen die Japanesen die Kurilen besuchten, ja die südlichen Inseln bereits besetzt hatten, und drei Mal 1697, 17 10 und 1729 Kunde nach Russland gelangte, dass japanesische HandelsschijBfe bis nach Kamtschatka vorgedrungen waren, so dass,* wenn ihnen die Russen nicht zuvorgekommen wären, sie gerade so wie diese im Laufe der Jahrhunderte durch den Pelzhandel von den Kurilen nach den Aleuten und von dort nach Amerika geführt worden wären.

Nichts begünstigt die Ausbildung der Seetüchtigkeit besser als Inseln, die einer Küste nahe liegen. So hat die Nähe Elbas

i) Allerdings könnte man vielkicht an die Fahrt von Bjame Herjulfsson denken, der im Jahre looo Grönland aufsuchen wollte und durch einen ver- fehlten SchifFslauf Amerika, wahrscheinlich Labrador, entdeckte. Allein dieses zufallige Bekanntwerden der Normannen mit Amerika ist ohne einen cultür- geschichtlichen Erfolg geblieben. Dann möchte vielleicht auch des Portu- giesen Cabral gedacht werden, der auf der zweiten Fahrt nach dem asia- tischen Indien begriffen, Brasilien entdeckte. Es war jedoch kein Zufall, sondern wegen der im atlantischen Meer herrschenden Passate eine physische Nothwendigkeit, dass die Nachfolger Vasco da Gamas auf ihren Fahrten nach dem Cap der guten Hoffnung früher oder später in Sicht von Südamerika ge- rathen mussten.

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JII2 ^Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.

und von Elba aus die Nähe Corsicas die Etrusker viel zeitiger als die Römer hinausgezogen in das Mittelmeer. Oesterreich bemannt seine Kriegsflotte noch jetzt mit den trefl'lichen Matrosen, die ihm die inselreichen Küsten Dalmatiens hefern, und Genuas ehemalige Grösse beruht nicht bloss auf der Geräumigkeit seines natürlichen Hafens, sondern auch auf dem Umstand, dass bei klarem Wetter von der Riviera aus Corsica sichtbar ist, das erste Ziel einer län- geren Seefahrt für ügurische Fi scher barken. Die britischen Inseln haben in früheren Jahrhunderten nach und nach Bevölkerungen an sich gezogen, die sich an Seetüchtigkeit überboten. Vor den Normannen, Dänen und Sachsen haben sich schon die Kelten in atlantische Fernen gewagt, denn wir wissen, dass die ersten Nor- mannen, die auf Island landeten, dort irische AJterlhümcr ans der christlichen Zeit vorfanden, die eine vorausgehende Besiedlung durch fromme keltische Einsiedler bezeugten.

Werden daher irgendwo durch die Senkung von Landennassen grosse Stücke von Festlanden abgetrennt, so entstehen aus den Bruchstücken Inselgesellschaften auf seichten Meeren '). In der alten Welt begegnet uns diese Erscheinung zwischen Südasien und Australien, die ehemals fest verbunden waren, bis sich ihr Zu- sammenhang in die Sunda-, Banda- und Molukkeninseln auflöste. Von dort aus hat eine Menschenrace von ungewöhnlicher See- tüchtigkeit, die Malayen die Oceane durchschwärmt auf mehr als eine halbe Aequatorlänge , sie hat sich im stillen Meer gegen Norden bis zu der Havai- oder Sandwichgruppe, gegen Osten bis zu der Osterinsel, gegen Süden bis Ncu-Seeland , im indischen Ocean aber bis nach Madagascar ausgebreitet, -Da wo sich durch Annäherung Asiens und Europas das Mitte! meerbecken zu den Dardanellen verengt, ist als Rest eines ehemaligen Zusammen- hangs beider Welttheüe die griechische Inselwelt übrig geblieben, die nach den Phüniciern das seekundigste Volk des Alterthums ausbildete, das mit der Zeit seine Tochterstädte und Handelsplätze über beide Lecken des Mittelmeeres , im Pontus bis zur Mündung des Don, auf dem Wege durch das rothe Meer bis nach Ostindien . ausdehnte. Im Kleinen finden wir eine solche Inselauflösung noch z\vischen dem norddeutschen und dem skandinavischen Festlande, wo die Dänen erwuchsen, denen ein Mischungstheil am britischen

1} I'esLiiel, Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. S. ii(.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. 213

Blute zukommt, und die daher auch Antheil haben an dem nau- tischen Ruhm der grÖssten europäischen Seemacht. Endlich be- wohnen die Holländer ebenfalls ein Inselgebiet, welches durch eine Senkung entstanden ist, und nicht vorhanden war, als die britischen Inseln noch dem nordeuropäischen Festlande angehörten.

Wir dürfen also auf denjenigen Räumen der neuen Welt, die einem gleichen Ursprung ihre Gestaltung verdanken, auch eine gleiche Entwicklung ihrer Bewohner erwarten. Aus anderwärts mitgetheilten physischen Vergleichen ergab sich aber, dass auch die Inselwelt der sogenannten nordwestlichen Durchfahrt als Trümmer eines ehemaligen Zusammenhanges zwischen dem kleinen Welttheil Grönland und dem Festlande Nord-Amerikas angesehen werden muss, und ferner, dass da, wo sich Nord- und Südamerika nähern, am atlantischen Rande der seichten caribischen und mexicanischen Golfe, als Reste eines ehemaligen Zusammenhanges die Antillen stehen geblieben sind. Ist also die Entwicklung der menschlichen Gesittung abhängig von der Gunst örtlicher Gestaltungen, so müssten wir im amerikanischen Polarmeere und in den beiden central-amerikanischen Golfen, die der neuen* Welt einen Ersatz für unser einst so beglücktes Mittelmeer gewährten, die höchsten Blüthen der SchifTfahrtskunde antreffen. Und irt der That werden unsere Erwartungen nicht völlig getäuscht.

Inselwelten haben jedoch auch vielfach als letzte Asyle für schwache oder veraltete Schöpfungsgestalten gedient, denen auf dem Festlande der Kampf um das Dasein zu heiss geworden war, und die nur dort noch länger bestehen konnten, wo das Meer sie vor ihren rüstigen Bedrängern schützte. Die kleinen und grossen Antillen , so wie die Bahamä-Gruppe waren vor 1492 von einem sanften aber höchst unkriegerischen Menschenschlag bewohnt, den Herr v. Martins Taini genannt hat. Die wenigen erhaltenen Reste ihrer Sprache, meistens Ortsnamen, verstatten keine feste Begrün- dung ihrer Abkunft, doch nimmt man in neuester Zeit an, dass sie in Verwandtschaft standen mit den Arowaken Südamerikas, die noch gegenwärtig die Guayanas bewohnen. Sie unternahmen keine weiten Seereisen, höchstens dass die Bewohner im Süden Haiti's sich gelegentlich nach Jamaica oder die von Jamaica nach Haiti wagten ^). Von ihren Inseln aber waren sie schon 1492 theil-

i) Auf Jamaica wurden die grössten Fahrzeuge der Antillen bis zu 96 Fuss Länge und 8 Fuss Breite erbaut. Bernaldez, Reyes Catöl. cap. 124. p. 310.

214 Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.

weise durch einen ausserordentlich begabten, physisch und gdstjg geadelten Menschenstamtn , durch die Cariben , verdrängt worden, denen wie ihre vollige Nacktheit, den Hang zum Seeraub, das Gelüste nach Menschenfleisch und das Salben ihrer Pfeile mit Gift nicht allzulioch anrechnen dürfen, Die Inselcariben, deren Sprache ' sich nur als Hundart von dem Caribischen des Festlandes unter- schied, hatten bereits die sogenannten kleinen Antillen erobert, die östliche Hälfte von Puertorico' besetzt, und erstreckten ihren Menschenraub sogar bis nach Haiti, wo einzelne ihrer Abenteurer Reiche gegründet und ältere Ankömmlinge sich der Landschaften am Ostrande bemächtigt hatten. Ihre Kriegsschiffe oder Piroguen, 40 Fuss lang, und so breit, dass ein spanisches Fass (pipa) über quer darin Platz hatte, trugen 50 Seeleute, und wurden entweder mit Baumwollen segeln oder durch Ruder nach dem Tacte eines Vorsingers bewegt. Dass sie Seeräuber waren, darf niemanden anstössig erscheinen, er müsste sonst bei Thucydides nachlesen, wie die Hellenen durch das gleiche Gewerbe zur Seemacht ge- worden sind. Das Piratenhanihverk gehört in der^That zu den Entwicklungskrankhtiten des \'öiker Verkehres. Daher sind auch bis auf unser Jahrhundert die Seegebräuche noch äusserst roh geblieben. Viele der gefeierten britischen Weltumsegler und Ent- decker des 16. und 17. Jahrhunderts waren zugleich Seeräuber, ja die westindische Handelsgesellschaft der Holländer konnte nur deswegen ihren Theiinebmern fabelhafte Gewinne bezaTilen, wdl ihre .Schiffe die spanischen Siiberflotten abfingen. Der damalige Kriegsgebranch adelte freilich den .Seeraub.

Wie sich an der Berührungsstelle der Antillen und des süd- amerikanischen Festlandes die fariben für ihre Piratenzüge aus- bildeten, so begegnen wir da, wo Cuba sich dem mittel amerika- nischen Gestade nähert, den Vucateken, einem sehr hohen Cultur- volk. \"on Seeraub ist hier schon nicht mehr die Rede, wohl aber stiess ColAn, der Entdecker Amerikas, auf seiner vierten Reise, als er von der Fichteninsel Guanaja (Bay Islands) nach der Küste von Honduras steuerte, auf ein yucatekisches Marktschiff, welches, wenn es der Küste entlang fuhr, mindestens 90 deutsche Meilen zurücklegen musste, ehe es den nächsten^ nationalen Hafen er- reichte. Es war 8 Fuss breit und so gross „wie eine Galeere", auch mit einem Palm blätterdach versehen zum Schutz der Waaren, tlie in Zeugen und K!eid\ingsstücken, hölzernen Schwertern mit

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit . 215

Obsidianklingen, Geräthen aus Erz und Thongeschirren, also Ge- werbserzeugnissen bestanden, für welche die Kauffahrer als Rück- Tracht Cacao eingetauscht hatten. Eifrig sah man sie nach jeder herabgefallenen Bohne sich bücken, denn schon damals vertraten diese Samen oder „Mandeln", wie sie die Entdecker nannten, die Stelle der Scheidemünze in Mexico wie Yucatan, nach welchem letztern Lande sie lebhaft aus Honduras eingeführt wurden^). Auch Cuba müssen die Yucateken zuweilen besucht haben, denn am I. und 29. November 1492 bemerkt Col6n in seinem Schiffs- buche: dass er ein Stück Silber und einen Kuchen Bienenwachs bei den dortigen Eingebomen fand, beides Gegenstände, die zu- nächst nur aus Yucatan dorthin gelangt sein konnten. Ob die Segelkraft bereits von den Mayastämmen angewendet wurde, lässt sich leider nicht mit Sicherheit behaupten^).

Die Inselwelt zwischen Nordamerika und Grönland würde zur Ausbildung von maritimer Tüchtigkeit sich unvergleichlich eignen, wenn ihre Gewässer, nicht vom arktischen Winter gefesselt, nur wenige Wochen lang offene Wasserstreifen zeigten. Dennoch hat sich gerade dort eine der seekundigsten Völkerschaften, nämlich die Eskimo, verbreitet, über deren Leistungen das genauere noch an einer späteren Stelle mitgetheilt werden soll.

Wir haben unsere Aufgabe gelöst, wenn es uns gelungen sein sollte zu überzeugen, dass dieselben Küstengestalten in der alten •wie in der neuen Welt auf ähnliche Weise tiie nautischen Lei- stungen ihrer Bewohner gefordert haben, und dass wir in Amerika nur auf sehr begränzten und besonders begünstigten Strecken die ersten Keime der Schifffahrt antreffen. Wer die Fahrten im Stillen

i) Oviedo, Historia de las Indias. Madrid 1853. tom. III. p. 253.

2) Bei der Beschreibung der yucatekischen Galeere an der Küste von Honduras erwähnt Don Fernando Colon in der Lebensbeschreibung seines Vaters (Vida del Almirante, cap. 89) nicht das Vorhandensein eines Segels. Dagegen erzählt Bernal Diaz, also ein Augenzeuge, dass im Jahre 1517, als Francicco Feniandez de Cördova Yucatan bei der Punta de Catoche zuerst entdeckte, fünf grosse Kähne, 40 50 Personen fassend, sich mit Rudern und Segeln ramo y vela) näherten (Histor. verdadera, c. 2). Bei Herrera, Dec. II. Üb. II, 17, lauten die Worte aber cinco canoas con gentCt que ihan al remo also mit Ruderkraft. Auch bei Oviedo und Peter Martyr suchen wir vergebens nach einer Bestätigung von Bemal Diaz' Angabe.

2[6 Fahrzeuge und Seetüchtigkeit

Heer seit Scheuten und Le Maire's 'Zeiten bis auf Wilkes oder noch spätere Entdecker kennt, der ist gewöhnt als unentbehrliche Staffage der dortigen Wasserräume die europäischen Schiffe um- schwärmt zu sehen von Fahrzeugen mit neugierigen und zudring- lichen Eingebnmen, ja an gewissen günstigen Stellen der Südsee sieht man sogar dort, wo Land noch nicht in Sicht ist, in der Ferne die Mattensegel polynesischer Seefahrer vorüberziehen. In den Berichten der Entdecker Amerikas sind dagegen die Fälle äusserst selten , wo Europäer Eingebornen auf der See selbst jn der Nähe der Küsio begegnen, und die merkwürdigsten Fä!le haben wir selbst angeführt. Die vergleichsweise geringen Leistungen der Amerikaner in der Schifffahrt darf man vielleicht dem Mangel eines Mittclmeeres oder einer Ländergestalfung wie an unserer Nordsee zuschreiben. Doch hat sich überhaupt in Amerika das Menschen- geschlecht viel langsamer entwickelt als in der alten Welt. Wenn wir die technischen Leistungen der grossen amerikanischen Cultur- volker, der Mexicaner und Incaperuaner , zusammenfassen, als wären sie neben, nicht, getrennt von einander angetroffen worden, so würde selbst ibre Summe uns noch nicht das Bild einer Civili- sation gewähren, wie sie in Aegypten bestand zur Zeit der vierten Dynastie, der ältesten von der wir Denkmäler besitzen. Mit andern Worten, die amerikanisclie Menschheit hatte selbst an ihren höch- sten Blüthcn ständen im Jahre 14Q2 noch nicht jene Reife erreicht, wie die örlhdi höchste Menschengesittung der alten Welt drei Jahrtausende vor Christus. Denken wir uns aber, dass im Jahre 3000 V. Chr. aus Amerika y.uf gedeckten Segelschiffen Entdecker mit dem Coropass in der Hand nach Europa gekommen wären, schwerlich würden sie die Gewässer am Nordrande unseres Welt- theiles durch bessere Seeleute bevölkert gesehen haben als etwa die Eskimo und die Koloschen oder Thünkiten in Nordamerika, im Mittelmeer aber hätten sie wohl noch nicht phönicische Thar- sisschifi'e angetroffen, sondern vielleicht solche Galeeren mit Kauf- fahrern wie die Vucateken sie nach Honduras schickten, oder caribische Segelpiroguen mit den kleinasiatischen Piraten im ersten buche des Thucydides.

EinEuss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. 217

6. Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung

der Völker.

Es ist nicht leicht den Segen zu ffberschätzen , der sich an den Austausch der örtlichen Erzeugnisse knüpft Mit den Waaren und ihren Verkäufern werden auch Kunstmuster, Erfindungen, Erkenntnisse, Sitten, Gewohnheiten, dichterische Schöpfungen ver- breitet und den Fussstapfen des Kaufmannes folgt gewöhnlich der Missionär. Doch soll von allen diesen Wahrheiten hier nicht weiter die Rede sein, sondern statt dessen gezeigt werden, in wie fern hochgeschätzte Erzeugnisse der Erdräume die Verbrei- tung von Völkern und Sprachen beherrscht haben. Zuvor wollen wir nur erinnern, dass der Handel schon zu den Zeiten vorhanden war, bis zu denen wir die ältesten Spuren unsers Geschlechtes zu verfolgen vermögen. Durch Tausch allein können die Bewohner der Höhlen des P6rigord zur Renthierzeit in den Besitz von Berg- krystallen, atlantischen Muscheln und von Hörnern der polnischen Saigaantilope gelangt sein^). Werfn in alten Gräbern östlich vom Mississippi Obsidianscherben hin und wieder angetroffen werden, so gelangten sie an den Fundort durch Tausch entweder aus Mexico ode^ vom Snake River, einem Nebengewässer des Colum- bia, westlich von den Felsengebirgen*). Es wäre ganz irrig, woll- ten wir denken, dass der einzige Verkehr zwischen den sogenannten Rothhäuten der Union in blutigen Fehden bestanden hätte. Handelsfahrzeuge befuhren die grossen Ströme und Durchgangs- abgaben wurden von den Häuptlingen erhoben^). In Südamerika bildete das Pfeilgift oder Curare dessen Zubereitung nur wenige Horden verstanden, einen kostbaren Handelsgegenstand unter den Amazonasindianern und die Anwohner des Nap6 mussten drei- monatliche Bootfahrten unternehmen, um es sich zu verschaffen^). Selbst wo nicht zünftige Hausirer die Länder durchzogen, wurde von Horde zu Horde Ueberfluss gegen Ueberfluss ausgetauscht und es konnte dann die Kette dieses Verkehres einen ganzen

i) S. oben S. 40.

2) Carl Rau im Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1871. Heft i. S. 10.

3) Lafitau, Moeurs dessauvages am6riquains. Paris 1724. tom. II. p. 224.

4) V. Martins, Ethnographie. Bd. i. S. 504. u. oben S. 193. n. 5.

2t8 Einfluss des Handels auf die raumliche Verbreilung der Völker.

Welttheil umspannen. Englische Waaren, die in Mombas, also an

[der Ostseite Südafrikas abgesetzt worden waren, sind in Mogador, also an der Westküste N'ordafrJkas wieder erkannt worden '). Dürfen wir daher den Satz vertreten, dass zu allen Zeiten und von allen Bewohnern der Erde HaiHJel getrieben worden ist, so erhalten neuere Weltbegebenh eilen auch Werth für die dunkeln Zeiten der Völkerkunde. Als im jähre 1492 drei spanische Segel atlantischen Fernen westwärts e ntgegen strebte n , fand am 7. Oct. eine Art Kriegsrath zwischen den beiden Häuptern des Unternehmens, Christoval Colon und Martin Alonso Pinzon, an Bord der Santa Maria statt. Bis daiiin war ein streng westlicher Curs eingehalten worden, das Geschwader befand sich zwischen dem 25 und 26° n. Breite, und in vier oder fünf Tagen musste es der Passatwind entweder nach der nördlichsten Bahama-lnsel oder nach Florida tragen. Der ältere Pinzon bestand jedoch darauf den Curs nach Südwesten zu richten, wofür er keine andern Gründe vorbringen konnte als eine Eingebung seines Herzens fd corazon me-daj. Aus Friedfertigkeit, nicht aus Ueberzeugung, liess nun wirklich der Entdecker der neuen I Welt die Richtung mn ein Kreisachtel auf einige Tage ändern,

und so geschah es, dass am 11, Octobcr, einem Freitag, die lio- ralleninsel Guanahani in Sicht kam. Nun hat unser grosser Alexander v. Humboldt geäussert, dass, wenn jene Cursänderung W nicht stattgehabt hatte, die Schüfe nach Florida gelangt wären,

\ und die Spanier nicht Mittelamerika , sondern die Vereinigten

Staaten bevölkert haben würden, so dass ohne jene Herzensein- gebung des Pitizon die neue Welt heute andere ethnographische Gesichtszüge uns darbieten würde').

Und dennocD war es ganz glei ch giltig , an welcher Stelle Amerika zuerst gesehen werden sollte, denn die Ausbreitung der spanischen Ansiedler war schon vor der Entdeckung ziemlich streng t>cgrenzt durch die Vcrtheilung der edlen Metalle, Kaum nämlich gewahrte Colin den goldenen Ohr- und Nasenschmuck der harm- losen Lucayer, als er durch Gebärden zu erforschen suchte, wo sich die Fundstätte des edlen Metalles befinden möge. Von Insel zu Insel tastete er sich bis nach Cuba, ging anfangs nach Nord-

1) Waili, Anlhropcilogie. Bd. 2. S. lOI.

2) Kusmos. Slullijail 1847. Bd. 2. S. 301,

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. 2IQ

Westen hinauf, und kehrte, als ihn diese Richtung nicht befriedigte, nach Südosten um, bis er endlich Haiti erreichte. Von dorther hatte sich das Gold über die Antillen verbreitet, und dort be- gründete er die erste Niederlassung. Ueber den Golddurst der Spanier ist viel erbauliches schon geschrieben worden, allein wenn» sie den Spuren des Goldes nicht nachgegangen wären, niemals hätten schon am Schluss des 15. Jahrhunderts überatluntische An- siedelungen entstehen können. Alle Ackerbaucolonien, welche Franzosen und Engländer an der Küste der Vereinigten Staaten im 16. Jahrhundert zu gründen versuchten, sind buchstäblich am Hunger zu Grunde gegangen. Abgeschnitten von der Heimath, wo bereits eine Theilung der Arbeit durchgeführt worden war, mussten die Ansiedler, nachdem sie die mitgebrachte Aussteuer aus der alten Welt verzehrt hatten, nothwendig zurücksinken auf die Gesittungsstufe der rothen Eingebornen, wenn ihnen nicht jmmer wieder frisclie Vorräthe von Gewerbserzeugnissen aus der alten Welt zugeführt wurden. Solche Zufuhren verlangten aber eine hohe Bezahlung, da die Ueberfahrt nach der Neuen Welt noch mit schweren Gefahren verknüpft war. Mit Brodfrüchten liessen sich damals die Sendungen nicht decken, denn sie waren die Kosten der über:>eei9chen Verfrachtung noch nicht werth. Daher kam es denn auch, dass die älteste reine Ackerbau -Colonie der Neuen Welt, nämlich Virginien, am Beginn des 17. Jahrhunderts erst auf- blühen konnte, als eine frachtwürdige Rimesse nach Europa in dem Tabak gefunden worden war. Dem Tabak also und dem Pelz- handel vielleicht verdafikt es Nordamerika zunächst, dass seine heutige Gesellschaft angelsächsischen Ursprungs ist. Wenn Canada vormals rein .französisch, jetzt noch halbfranzösisch war und ist, so trägt dafür ein anderes Naturerzeugniss die Verantwortung. An und um Neufundland liegen unglaublich reiche Gründe für den Kabliaufang, der Stockfisch aber lohnte schon am Beginn des 16. Jahrhunderts eine atlantische Ueberfahrt, da er schon im Mittelalter von Island geholt werden musste. Nord französische Fischer, die dem Cap Breton ihren Namen gegeben haben, be- suchten alljährlich Neufundland schon seit 1503. Von jenen gut gekannten Gewässern aus entdeckte Jacques Cartier dann den Lorenzostrom, und in seinem Kielwasser sind die Franzosen nach Canada gekommen. Dass die erste Niederlassung keime, dazu bedarf es einer werthvollen Rimesse, hat sie aber einmal Wurzel

220 i-influss des Handels auf die täwniiche Verbreitung der Völker.

geschlagen, dann wächst sie wie das Senftorn in den Evangelien. Die Spanier haben den Andedlungen der Franzosen und Eng- liuiütr in den \tTciiiigliii Staaten kein Hinderniss in den Weg gelegt, so lange sie sich nicht in allzu bedrohliche Nähe ihrer süd- lichen Besitzungen wagten. Warum hätten sie auch die frommen Puritaner stören sollen? Trugen doch die heutigen Gebiete der Vereinigten Staaten auf den Seekarten der alten spanischen Ent- decker die Legende: u-erllilose Gebiete (lierras de ningun prcvecho), eben weil sie kein Gokl liervorbrachlen. Daran erkennt wohl ein jeder mit uns, dass es gMz gleichgilttg für die Geschichte der Gesittung war, ob ;im 7. OLtober 1492 die spanischen Schiffe von Westen nach Südwtsten nbl)Ogen oder nicht. Die Spanier gingen dem Golde uach, und wenn sie einem Landstrich seine Schätze fc entrissen hatten, verliessen sie ihn wieder, wie die Landenge von

& Darien, währerd Pflanzercolonien auf tropischen Inseln erst auf-

wuchsen als durch die Ki\li r^klaverei der Zuckerbau Gewinn ab- 1^ warf. Man wird nichts i uwenden dürfen, wenn wir behaupten,

dass Amerika spanisch ;^n -.irirden und spanisch geblieben ist, so

weil die Verbreitung von i;old und Silber, reicht, und dass sich

^k nur spätere Ansiedelungen auch auf solche Räume erstreckten, wo

tropische Pflanzer wirthschalt oder wo ergiebige Viehzucht getrieben werden konnten.

Seltsames Vc-rlii'mgni?'^! Das reichste Goldland der neuen Welt kannten die Spanier ^chon 250 Jahre lang ohne seine Schätze

Izu ahnen. Califoniien gehiirte ihnen, dort predigten ihre Heiden- bekehrer, dort überwaclitLii in Castellen (Presidios) ihre Soldaten I die raubgierigen ComaiHscian und Apatschen, dass sie aber mitten

in dem viel und vergeblicli gesuchten Lande des Doiado sich be- fänden, ahnte keiner von ihnen. Doch können sie sich mit den . Russen trüsten, die ja auch Californien eine Zeitlang gehalten

haben und die es wenige Jahre zuvor räumten, als der Name I dieses Landes wie Posaun tu schall alle Abenteurer beider Welten

an den Sacramento zog. Wäre das Gold Californiens schon am Schluss des \b. Jahrhundert.; entdeckt worden, dann allerdings wäre der Gang der Weltgeschichte vielleicht einer andern Strömung ge-

1 folgt. Californien und Australien sind zwei Kamen, die dem

L jetzigen Geschlecht laut unsern Satz predigen, dass die räumliche Ausbreitung der Völker von der Vertheilung hoher Lockmittel an

Einfluss des Handels auf die räuiriHche Verbreitung der Völker. 22 1

und in der Erde abhängt. Gold und Gold waren die Fingerzeige zu den Völkerwanderungen nach dem Stillen Meere.

Mit Australien ist es ähnlich gegangen wie mit Californien Eine alte Karte im Britischen Museum, die kürzlich aufgefunden worden ist, hat die überraschende Enthüllung gebracht, dass die Portugiesen im Jahr 1601 ' einen nördlichen Punkt jenes Festlandes besucht hatten ^). 4 Nach ihnen gelangten Niederländer häufig an die West- und Nord-, sowie zu zwei' verschiedenenmalen an die Südküste, daher noch jetzt vielfach nach ihnen jener Erdtheil Neu- HoUand genannt wird. Doch waren für sie jene Länderräume das nämliche, was den Spaniern im 16. Jahrhundert die Vereinigten Staaten gewesen sind: werthlose Gebiete tierras de ningun provecho. Mit dem gleichen Auge betrachteten die Engländer ihre Entdeckungen an der Ostküste Australiens, als sie am Schluss des vorigen Jahrhunderts sie' zu einem Verbannungsort für Sträflinge erhoben. So blieb Australien vernachlässigt von Portugiesen, Hol- ländern und Briten, bis der Ruf Gold erschallte, und flugs eine neue Zeit der Völkereinwanderung anbrach.

Vor etwa fünf Jahren hörten wir, dass die Russen unter dem Namen Aliaska ihren Antheil an der Neuen Welt der grossen Union verkauft hätten. Wie kamen aber die Russen nach Aliaska? Liefen sie etwa aus der Ostsee oder dem weissen Meer um das Cap Hörn oder um das Cap der guten Hoffnung? Gewiss nicht! Sie stiegen vielmehr im Jahre 1577 über den Ural nach dem Ob hinab, nicht etwa, weil es damals schon zu eng geworden wäre in ihrer Heimath, sondern weil sie die Aussicht auf raschen Gewinn in die Niederungen trieb. Wie die Spanier den Caziken der neuen Welt ihre goldenen Ringe und Spangen von den Knöcheln ab- streiften, so fanden die Kosaken, wie die Conquistadoren Sibiriens genannt werden, bei den Häuptlingen der nordasiatischen Jäger- stämme Vorräthe an edlen Rauchwaaren. Die Beutelust trieb sie mit unglaublicher Geschwindigkeit gegen Osten, und wir sehen sie um 1639 schon das ochotskische Gestade erreichen. Im Berings-Meer fanden sie das geschätzteste aller Pelzwerke, die Seeotter, zu Stellers Zeiten noch äusserst zahlreich, jetzt im Aussterben be- griffen oder ausgestorben. Natürlich mussten immer neue jung-

1 i) R. H. Major, Discovery of Australia by the Portuguees in 1601.

London 1861.

222 Einflu^s dts Handels auf die rämntiche Verbreitung <ler Völker.

frauliche Reviere aufgesucht werden, und so gelangten russische Pelzhändler auch nach der neuen Welt, wo sie Neu-Archangel auf Sitcha gründeten. Bis zu dem kürzlichen Vordringen der Russen über die Kirgisenstoppe kann man sagen, dass ihre Macbterweite- rung über Nordasien genau durch die Verbreitung der Pelzthiere bestimmt war,

Ueberzeugtcn wir uns bisher, dass das Verhängniss grosser Erdräume und grosser Volker durch die Vertheilung kostbarer Güter aus dem Stein- und Thierrejch bestimmt wurde, so haben auch manche I'flanzenerzeugnisse einen ähnlichen Zauber ausgeübt, zumal in früheren Zeiten, wo noch nicht die Geschickhcbkeit im Uebersiedeln von Gewächsen wie gegenwärtig erworben worden war. Die Begierde nach den Schätzen des indischen Morgenlandes war es, welche die Portugiesen am atlantischen Gestade Afrikas zuerst nach Süden gelührt hat. Indien, worunter die Sprache der damaligen Erdkunde ganz Südasien sammt China und Japan ver- stand, galt irrlhümlicherweise für ein metallreiches Land, während es an Silber untf Gold doch noch viel ärmer ist als selbst Afrika. Nur die Edelsteine Ceylons, sowie des spätem Golconda, die Perlen- bänke im IManaargolfe, im persischen Meerbusen und im Rothen Meere waren keine Erdichttmgen der Abendländer. Zu ihnen ge- sellten sich etliche kostliche Gewürze und geschätzte Droguen. Aeusserst folgenreich wirkte nun die Thatsache der Pflanzen- geschichte, dass gerade Gewürze, Arzneimittel und Wohlgerüche ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet besassen. Der Pfeffer, im kaufmännischen Range damals das vornehmste Gewürz, war nur von der Maiabarküste in Indien oder von der Insel Sumatra 2U holen. Die Muskatnüsse und ihre Blüthen blieben noch auf die Inseln der Handa-See beschränkt, und die Gewürznelken fanden sich sogar nur auf fünf kleinen Inselvulcanen vor der Insel Gilolo, den eigentlichen Molakken, Ferner wurde und wird noch jetzt der echte Kampher auf zwei beschränkten Revieren, dem einen auf Sumatra, dem andern aui Borneo gewonnen. Bis an das Ende des damaligen Erdkreises mussten also die Portugiesen segeln, b(*V0T sie die Ursprungsorte jener vegetabilischen Seltenheiten er- reichten. Es mag beschämend erscheinen, dass es solcher Lock- mittel bedurfte, damit auf die Portugiesen die Holläsder, auf die Holländer Franzosen und Briten nach Sudasien gezogen wurden, allein immerhin war es für die Verbreitung der Cultur höchst

Einflttss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. 223

günstig, dass jene Schätze so eigensinnig vertheilt, so spärlich vor- handen waren, denn ohne sie wären die Europäer nicht oder noch nicht allgegenwärtig auf dem Erdball geworden. Die Portugiesen finden wir überall an den UrspTungsstätten der Gewürze, also auf der Westküste, nicht auf der Ostküste Hindostans, auf den grossen Marktplätzen der Malayen und auf den Aromateninseln des äusser- sten asiatischen Ostens verbreitet.

Den Beweggrund zu ihrer Besiedelung Brasiliens erzählt der Name dieses Reiches selbst. Der Papst hatte 1493 den Erdball getheilt zwischen Spanien und Portugal und unter die westliche Grenze des letztem oder unter „den ersten Mittagskreis**, wie man damals sagte, fiel noch ein mächtiges Stück südamerikanischen Gebietes? welches nach der Entdeckung und lange Zeit nachher das LMid des heiligen Kreuzes hiess. Brasilien aber oder das Land des Rothfärberholzes wurde es genannt nach der wichtigsten und ersten Rimesse, die es heimsenden konnte, denn dass hinter dem Küsten- gebirge Gold und Diamanten zu erbeuten seien, ahnte lange Zeit niemand.

Afrika hat nach Australien immer als ein Stiefkind der Ge- sittungsgeschichte gegolten. Karl Ritter erklärte die niedrige Stufe seiner Bewohner aus der geringen Entwicklung der Küsten im Verhältniss zu dem äusserlichen Umfang. Wirklich ist es auf- fallend roh gegliedert, insofern ihm Halbinseln fehlen, und seine Golfe nur so schwächlich angedeutet sind wie die Syrten oder nur aus einspringenden Winkeln bestehen wie der Meerbusen von Guinea oder die Gestade des rothen Meeres mit der Somaliküste. Aber selbst das rothe Meer ist der SegelschifFfahrt so schwer zu- gänglich, dass es unter den Verkehrsmitteln seiner Art auf einer sehr tiefen Stufe steht. Würden grosse Ströme wie in Amerika der Mississippi oder der Amazonas oder die La Platageschwister, Afrika aufgeschlossen haben, so hätte die Civilisation rascher in das Innere vordringen können, wie ja der Nil es beweist, dessen Gestade verklärt sind durch eine höchst reife, ja, wie wir noch immer vermuthen dürfen, eine älteste Gesittung. Zu allen aufgezählten Hindernissen gesellte sich aber noch der Umstand, dass es fast völlig entblösst war an den wirksamen Lockmitteln für fremde Besiedelung. Gold findet sich nur in den Quellengebieten des Senegal und Niger, sowie in etlichen Küstenflüssen des Meer- busens von Guinea, sonst aber in Ostafrika ehemals bei Sofala,

224 ^nfluss des Handels auf die läumliche Vetbreilung der Volker.

sowie jetzt auf Gebieten des Kafirlandes, allenthalben jedoch nur in sehr spärlichen Menden, so dass Afrika ohne goldenes VUess niemals Argonauten an sich gezogen hat, denn vergebens würden wir uns dort umsehen nach Ländern, die sich an Metallreichthum mit i'eru, Mexico, Californien oder nur mit den Minas Geraes messen konnten. Daher sind auch bis heutigen Tags alle euro- päischen Niederlassungen der Pojtayiesen, Franzosen, Briten und der Niederländer in Afrika dürftig und bedeutungslos geblieben, im Vergleich zu dem, was im benachbarten Südamerika sich zuge- tragen hat. Nur die Caplande, zuerst als Zwischenplatz für die Indienfahrer, dann als Ackerbaucolonien, haben sich seit der Zeit der überseeischen Völkerwanderung günstig entwickelt. Ohne Me- talle, ohne Gewürze, ohne Droguen, ohne irgendeine vegetabilische Seltenheit blieb Afrika verschont von Conquistadoren , aber . auch u'ngeleckt von der Cullur und musste europäischen Tand und europäische Eerauschungsmittel drei Jahrhunderte lang, traurig yenug, mit seinen eigenen Kindern bezahlen. Der Sklavenhandel wird daher zwar nicht yerechtfertjgt, doch einigermassen erklärt durch den Mangel einer grossen Rimesse. Allein der Sklaven- handel führt wohl von dem Innern an die Küste, er führt aber nicht eine höhere Gesittung von der Küste nach dem Innern. Endlich nach langen Zeiträumen ist in unsern Tagen selbst für Afrika ein Lockmittel gefunden worden, welches in berechenbarer Zeit jenem Festlande seine lange bewahrten Geheimnisse völlig entreissen wird. Es ist diess weder ein Erzeugniss des Stein- nocli des Pflanzen reich et, sondern es sind die Stossiäbne der Elephanten. Elfenbeinjäger durchs ch wärmen auf den Spuren Livingstones Süd- afrika nach allen Richtungent und ilinen folgen dann Missionare, Handelsleute und die ersten Ansiedler. Ferner ist alles was west- lich und östlich liegt vom weissen Nil entdeckt worden, und wird alljährlich durchstreift von italienischen Elfenbeinjägern, die jedes Jahr immer tiefer vordringen müssen, weil sie hinter sich ausge- leerte Reviere zurücklassen.

Wurden unsere bisherigen Beispiele aus der neueren Ge- schichte geschupft, so könnten wir aus- der alten noch anführen das frühe Auftreten der Phönicier oder ihrer Abkömmlinge, der Carthaginienser in Spanien, wo sie durch die Ausbeutung der Silbererze festgehalten wurden. IMehr noch als das Silber hat in früheren Entwicklungsstufen das Zinn die menschliche Gesittung

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. 225

gefordert, denn ohne Zinn lässt sich die Bronze nicht darstellen. Die Fundorte des Zinns sind aber nicht häufig, und im Alterthum blieben viele der jetzigen völlig unbekannt. Geschichtlich fest- gestellt ist es, dass das Zinn des Erzgebirges erst im Mittelalter gewonnen wurde, und zweifelhaft erscheint es noch jetzt, ob das Zinn auf Kreta, sowie das transkaukasische in Georgien zu den alten Mittelmeervölkern gelangte. Spanisches Zinn aus Galicien befand sich jedoch zu Plinius' x Zeit im römischen Handel. In Gallien wuide an der Aurence Zinn gewaschen, ebenso hat man alte Zinngruben im Limousin, im Departement Loire Inferieure und im Morbihan entdeckt'). So kundig waren die alten Kelten in Me- tallarbeiten, dass erst die Römer von ihnen das Verzinnen der Geschirre erlernten. Keltische Bergleute schürften auf den wich- tigsten der alten Fundstätten, auf den Sorlingischen Inseln und in Cornwallis. Es ist eine gänzlich unbegründete Vermuthung, dass phönicische Seefahrer den alten Einwohnern Grossbritanniens ihre Erfahrungen beim Bergbau oder bei der Verhüttung mitgetheilt oder gar die Lager der Zinnerze entdeckt haben sollten. Nie sind vor Abel Tasmans Zeiten Entdeckungsreisen nach unbekannten Erdräumen auf das Gerade wohl ausgeführt worden. Immer hatten die Seefahrer irgend ein Ziel vor Augen, immer trachteten sie die Märkte oder den Ursprungsort hochgeschätzter Handelsgüter zu erreichen. Gelangten also jemals carthaginiensische oder phö- nicische Schiffe bis an die Westküste von Frankreich oder bis in den Canal, so konnten sie nur bereits entdeckte Ursprungsstätten des Zinnes aufgesucht haben, folglich musste dieses Metall zuvor abgebaut worden sein, und nicht bloss abgebaut, sondern es musste auch durch den Handel über Land schon das Mittelmeer erreicht haben. Dass es einen solchen Landhandel gab, beweist die frühe Grün- dung und das Aufblühen von Marseille, übrigens konnten ja die Klumpen metallischen Zinnes, die unter den schweizerischen ,Alter- thümefn aus der Bronzezeit gefunden worden sind, nur durch einen Binnenverkehr nach Helvetien gelangt sein, und eben so leicht wie sie Helvetien erreichten, konnten sie auch ihren Weg nach Mar- seille gefunden haben. Dem Zinne müssen wir es auch theilweise zum Verdienste anrechnen, dass die Kelten in Gallien und Bri-

)

i) F. V. Rougemont, Die Bronzezeit. Gütersloh 1869. S. 85.

Peschel» Völkerkunde. 15

f

SS des Handeiä auf die rrmmlic}ie Verbreitung der Völker.

I eine vM höhere gesellschaftliche Entwicklung aufwiesen als unsere eigenen Vorfahren zu Cäsars Zeiten. Die Römer fanden bei den alten Briten schon eine sehr durchgebildete Landwirth- schaft, bei welcher ^iir Steigerung der Felderträge bereits ein mi- neralisches Düngemittel, nämlich der Mergel, mit'Nutzen ange- wendet wurde, auch bedienten sich die Britannier im Gefechte künstlicher Kriegswerkzeuge eigener Erfindung, nämlich der Sichel- wagen. Der Besitz einer so unersetzlichen und so gesuchten Ri- messe, wie das Zinn in iler Bronzezeit es war, an sich schon ein Förderungs mittel der Gesittung, näherte sie dnrch den Handel frühzeitig den Mittelmeervölkern und trug zur beschleunigten Reife ihrer Zustände bei.

Etwas ähnliches besassen die Uferbewohner der Nordsee und nocli mehr der Ostsee in dem Bernstein. Der Bernstein muss frühzeitig die Ufer des Mittelmeeres erreicht haben, wenn er auch anfänglich nur von Horde zu Horde ausgelauscht wurde. Hätten die Römer sich nicht als Eroberer schon an den Mündungen der Weser und Ems gezeigt, und hätte nicht Driisus schon seine Schiffe bis zur Nordspitze von Jutland vordringen lassen, gewiss würde der Bernslein alTcin die Mittelmeercuitur nach dem Norden zu ziehen vermocht haben, unternahm doch zu Nero's Zeiten (56 n. Chr.) ein römischer Ritter als Festlandsenidetker eine Reise über die Kar- pathen bis zu den Bernstein lim dem Ostpreussens', und kehrte mit einer Ladung jener geschätzten Fosihen nach der Hauptstadt des Erdkreises zurück. Dem Bernstein verdanken wir tanz sicherlich die Wahrzeichen einer vorzeitigen Cultur an dem Gestade der Ostsee, denn in Beziehung zu ihm stehen die zahlreichen Funde von griechischen und römischen Münzen, sowie von Bronzearbeiten an den baltischen Küsten, und jene Metallgeräthe dienten wahr- scheinlich den einheimisclien Künstlern als Vorbilder und Muster, Ml dass es dem Bernstein vielleiiht zugeschrieben werden darf, dass im Norden Europas das Bronze^lter eine erfreuliche Reife zeigt

Wir lernen also als Verbreit ungsmittet der menschlichen Ge- sittung und als Lockmittel für Viilkenvanderungen die Seltenheiten und Kostbarkeiten der drei Reiche verehren, und wir' gewahren, dass diejenigen I-änderräume, die durch den Besitz solcher Schätze begünstigt waren, früher als andere in den Kreis einer höheren Gesittung hineingezogen wurden, so dass der Ortsbewegung der Cultur dadurch vielfach ihre Bahnen vorgeschrieben worden sind.

Ehe und väterliche Gewalt.

227

An welche Gesetze die Verbreitung der mineralischen Schätze ge- bunden ist, davon wissen wir noch sehr wenig, die Kostbarkeiten der Thier- und Pflanzenwelt dagegen sind zwar auf klimatisch begrenzte Zonen beschränkt, aber ihre örtliche Häufigkeit, Selten- heit oder gänzliche Abwesenheit innerhalb der Zonen ihres mög- lichen Auftretens ist nicht sowohl etwas gesetzmässiges als etwas geschichtliches, in sofern sie abhängig erscheinen von dem Ort des ersten Auftretens der Arten, sowie von dem Wanderungsvermögen der letzteren und den geographischen Hindernissen , welche ihrer Ausbreitung entgegentraten.

7. Ehe und väterliche Gewalt.

Der nächste und höchste Zweck der Ehe, nämlich die Er- zeugung eines Nachwuchses kann nur nach dem Eintritt der Geschlechtsreife erfüllt werden, die bei dem weiblichen Geschlecht etwas früher als beim männliphen, in Nordeuropa etwa im 14. und 17. Lebensjahre, in Südeuropa etwas beschleunigter erreicht wh-d. In heissen Erdstrichen stellen sich die bekannten Merkmale noch zef- tiger ein, in Aegypten bei Knaben von 12 bis 15, bei Mädchen von II bis 14 Jahren *). Klunzinger, ' der kürzlich die Hoch- zeit eines solchen Kinderpaares in Oberägypten beschrieben hat*), lässt daselbst Knaben von 15 bis 18 Jahren, Mädchen von 12 bis 14 Jahren heirathen und fügt bedeutsam hinzu, dass solche in unsern Augen verfrühte Ehen doch in Bezug auf Kindersegen keine üblen Wirkungen wahrnehmen lassen. Im nördlichen Persien treten beim weiblichen Geschlechte die Wahrzeichen der Fruchtbarkeit mit dem 13., im südlichen Persien schon zwischen dem 9. und 10. Jahre ein^). Auf den Philippinen werden 12 Jahre als das gesetz- liche Alter für das weibliche Geschlecht vorgeschrieben, im Kirchen- buche von Polangui fand jedoch Jagor*) die Trauung eines Mäd- chens von 9 Jahren und 10 Monaten eingetragen. Unter den

i) Hartmann, Nilländer. S. 215.

2) Ausland 1871. No. 40. S. 952.

3) Polak, Persien Bd. i. S. 202.

4) Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 129.

15»

228 Ehe und välerliche Gewalt.

Negern Afrikas wird ebenfalls frühzeitig- zur Ehe geschritten, nur lassen sich dort die Aiterstufen schwer bestimmen, weil die sorg- losen Bewohner ihre Lebensdauer durch Zeitbeobachtnngen nicht genau festzusetzen pflegen. Bei den Hottentotten sah Kolbe Mütter von 13 Jahren'). Die Australier liefern ihre Tochter mit dem 12. Jahre, oft noch früher ihren Männern aus'). Es ist jedoch erst noch strenger festzustellen, ob Jas, was für uns den Anstrich einer Hochzeit besitzt, nicht eine vorausgehende feierliche Verlobung sei, der erst später die Vollziehung der Ehe nachfolge^),

Die bisherigen Thatsachen, meist schon anderwärts mitgetheilt, werden keinen Sachkundigen überraschen. Ebenso wenig durfte es neu sein, dass aucli Polarviilker frühzeitig das Vermögen der Geschlechtserneuerung erwerben. Bisher wurde diess hauptsäch- lich bei den Esiiimo beobaclitet, aber Adolf Erman hat neuerdings wieder daran erinnert, dass auf der alüutischen Insel Aicha der Kiiabe, sobald er die Baidare lenken, das ßlädchen, sobald es fertig nähen kann, beide gewöhnlich mit dem 10. Lebensjahre zur Ehe schreiten*). Eine physiologische Erklärung, warum bei grösserer Annäherung an den Aequator und an den nördlichen Polarkreis der Zeitraum der Unreife sich verkürze, ist- noch nicht gegeben worden. Wahrscheinlich hat die Polhöhe des Wohnorts zu dieser Erscheinung gar keine Beziehung, viel näher liegt es an die Dun- kelung der Haut zu denken, denn auch' bei anderen nord- amerikanischen Stämmen heirathen die Mädchen ipi 12. bis 14., ja bisweilen schon im 11. Jahre^). Anders halten es im Süden die Patagonier, welche erst eine Reife von 16 Jahren abwarten^).

Wo sich der Trieb der Natur zeitig regt, da welken auch früher die Reize und erlischt mit 30 oft mit 25 Jahren schon jeder Segen des weiblichen Körpers. Tacitus spricht sicherlich eine richtige Erfahrung aus, wenn er die lange Jugenddauer bei unsern

1) Vorgebirge der Guten Hoffnung. S. 424.

2) Eyre, Ceatral Auslraüa. loni, II, p. 319.

3) lieber ans lleirathsaher bei verscbiednCD Menschenstämmen vgl die erSLhiipfcnde Arbeit von Dr. Ploss in dem Jahresbericht des Leipz, Vereins für Erdkunde 1872.

4) Zeitschrift för Ethnologie. B«lin 1871. Heft 3. S. 162. 51 Catlin, Die Indianer Nordamerikas, cap. 17. S. 89- fj) Musters, Unter den Palagudern. Jena 1873. S. 190.

Ehe und väterliche Gewalt, 220

Vorfahren ihren späten Eheschliessungen zuschreibt^). Wo also durch Gewohnheit oder Satzung eine Verspätung des Heirathsalters gefordert wird, da müssen wir einen grossen Fortschritt in der Selbsterziehung, der Völker anerkennen. Im alten Peru wurde den Männern erst im 24., den Frauen im 18. Lebensjahr die Begrün- dung eines Hausstandes gestattet*). Die sittenstrengen Abiponen, welche die südliche Hälfte des Gran Chaco" am Paraguaystrome innehatten, duldeten ebenfalls Ehen nur in reifem Alter.

Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass sehr vielj Menschenstämme grosse Gleichgiltigkeit gegen jugendliche Unkeuschheit zeigen und erst mit der Ehe den Frauen strengen Wandel auflegen. Als unberechtigt müssen wir es aber bezeichnen, wenn man aus Mangel eines sprachlichen Ausdruckes, durch wel- chen Jungfrau und Frau unterschieden werden, auf eine Gleich- giltigkeit gegen geschlechtliche Reinheit geschlossen hat, wie es von Lichtenstein ^) in Bezug auf die Buschmänner gewagt wurde, während Chapman gerade ihre Sittsamkeit rühmt und hinzufügt, dass bei ihnen Ehen nur aus Neigung geschlossen werden. Auch die Abi- poijen besitzen kein eignes Wort für das jungfräuliche Weib^) und doch rühmt Dobrizhoffer beständig ihre Sittenstrenge und Unver- dorbenheit. Eher lässt sich der gleiche sprachliche Mangel un- günstig bei den Comantschen deuten, da sie Gastfreunden ihre

m

Frauen überlassen 5). Diesen schnöden Gebrauch treffen wir in Nordamerika noch bei den Aleuten.^), die auch sonst durch ihre widernatürlichen Ausschweifungen berüchtigt sind, dann bei Eskimo, und endlich erzählt Adolf Erman, dass er bei seinen Wanderungen durch Kamtschatka auf die nämliche Sitte gestossen sei 7). Sucht man nach einem Fall, der die tiefste Verworfenheit in dieser Rich-

1) Sera juvenum Venus, eoque inexhausta pubertas, nee virgines festi- nantur. Germ. cap. 20.

2) Prescott, Conquest of Peru. tom. L p. 113.

3) Reisen im südlichen Afrika. Bd. 2. S. 81.

4) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponcr. Bd. 2. S. 218. 5} Waitz, Anthropologie. Bd. 4. S. 216.

6) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 314.

7) Marco Polo I, cap. 37. berichtet dasselbe von der Oase Kamul (Hamil) in der Gobi. Dort wie in der ebenfalls von Karawanen berührten Oase Fezzan beruht jedoch diese Sittenlosigkeit auf einer gewerbsmässigen Prostitution. A. Erman, Reise um die Erde. Bd. 3. S. 426.

Jä(>i Ehe und vüleiliche Gewalt.

tung bezeichnen könnte, so braucht man nur auf die sogenannten Dreivierteliieirathen zu vens-eisen, die im nubischen Afrika unter den Hassan iyeh-Arabern vorkommen, bei denen nämUch die Ehe- frau jeden vierten Tag frei über sich verfügen kann'). Die Ge- schichte ertheilt uns übrigens die Lehre, dass alle hochgestiegenen Völker die eheliche und überhaupt die geschlechtliche Reinheit streng gehütet haben, soivie dass jeder Lockerung der Sitten die Zerrüttung der Gesellschaft auf der Ferse folgte.

Polygam oder polyandrisch werden bekanntlich die Ehen ge- nannt, je nachdem der Mann seinen Hausstand mit mehreren Frauen theilt oder die Frau mehreren Männern gleichzeitig an- yiehört, Vielweiberei ist über ganz Afrika verbreitet, sie war ebenfalls fast allen asiatischen Völkern verstattet, in Amerika da- gegen auffallend selten anzutreffen. Nun halien bisher alle Volks- zählungen uns belehrt, dass die Ziffern beider Geschlechter im Gleichgewicht stehen, und der Ueberschuss des einen über das andere meist nur ein geringer ist. Der grösste der beglaubigten Zahlenunterschiede trifft auf die europäischen Juden"), bei denen die männlichen Geburten stark überwiegen. Wenn nach den «Be- hauptungen von Reisenden unter den Ladinos oder Mischlingen von Europäern mit den Ureinwohnern 'des spanischen Amerika die Zahl der Mädchen die der Knaben um die Hälfte, nach Stephens in Yucatan sie um das Doppelte üttertreffen, in Cochabamba sogar das Fünffache betragen soIPj, so begründen sich solche Angaben nicht auf stattgefundene Zählungen, sind also für die Wissenschaft wenig brauchbar. Ein cfurchaus glaubwürdiger Beobachter, näm- lich Campbell konnte dagegen bezeugen, dass in den siamesischen Harem Knaben und Mädchen in gleicher Anzahl geboren werden*).

i) Ausland 1870. S. 1058.

2) Nach Waitz I, 117 und Darwin, Abslammung des Menschen I, 267: Geburten in jüdischen Familien Knaben MSdchen

in PreusEc

T13 : 10.

Breslau

11+ : 10.

., Berlin

loSl?) : 10.

Livorno

iw i 10.

Livlond

120 : io<

Vnlhropoloeie. Bd.

I. S, 117-

Abstammung des

Menschen. Bd.

Ehe und väterliche Gewalt. 231

Diess widerlegt den oft geäusserten Satz, dass bei Polygamie die weiblichen, bei Polyandrie die männlichen Geburten vorwalten sollen und die Natur sich gleichsam den. örtlich herrschenden ehe- lichen Satzungen anbequeme. Auch di^ Erfahrungen der Thier- Züchter sind dieser Verrauthung nicht günstig, denn bei Rennpferden, Windspielen und Cochinchinahühnern bleibt das Zahlengleichgewicht der Geburten ungestört, obgleich die strengste Polygamie herrscht^), Gut bezeugt durch die Statistik in Deutschland ist dagegen das Ueberwiegeh von Knaben bei Erstgeburten').

Als gesellschaftliche Geschöpfe unterliegen wir aber auch einer sittlichen Ordnung und diese ist der polygamen Ehe entschieden abhold. Die Geschichte morgenländischer Königshäuser lehrt uns, dass die geringe Dauer der dortigen Herrschergeschlechter immer auf 4ie Ränke ehrgeiziger Gemahlinnen zurückzuführen ist, und dass dort gänzlich das veredelnde Gefühl der Geschwisterliebe fehlt, jeder Fürstensohn vielmehr im Halbbruder seinen grimmigsten Gegner hasst. Selbst in bürgerlichen. Familien entfremdet Neid und Eifersucht die Abkömmlinge verschiedener Mütter.

Spärlicher verbreitet ist die Polyandrie, welche jedoch nicht verwechselt werden darf mit der Frauengemeinschaft von Krieger- k^sten, denen Ehelosigkeit als Ordensgelübde vorgeschrieben war, wie den Najern^) im malabarischen Indien und ehemals den sapo- ragischen Kosaken^). Echter Vielmännerei begegnen wir dagegen unter den Völkern, welche den Uebergang bilden zwischen Asiaten

i) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 272:

Geburten männl. weibl. Zahl der Fälle

25,560 Rennpferde 99,7 100

6,878 Windspiele no,i 100

Unter I00£ ausgeschlüpften Cochinchinahühnern befanden sich 487 Hähne und 514 Hennen.

2) Welcker, Bau und Wachsthum des Schädels S. 69. Nach den Halle*schen Entbindungsprotocollen fanden sich unter 871 Erstgeburten auf je 100 Mädchen 114 Knaben und nach dem genealog. Taschenkalender in fürst- lichen deutschen Häusern bei Erstgeburten 116 männliche auf 100 weibliche, während die Zahlenverhältnisse bei sämmtlichen Geburten in Deutschland nur 106 : 100 lauten.

3) Graul, Ostindien. Bd. 3. S. 230. S. 338—340.

4) C. V. Kessel, im Ausland. 1872. No. 37. S. 865.

212 Ehe und väletUche Gewall.

und Arnerikanern, nümlich bei den Eskimo, den Aleuten, Konjaken und Koluschcn '), bei denen auch andere geschlechtliche VerIrrungen nicht mangein. Sonst werden in Amerika die IrolTesen und etliche Stämme am Orinoco der Vielmännerei von Sir John Lubbock be- schuldigt. In der Südsee soll sie bei den Maori Neu-Seelands und auf etlichen kleinen Inseln angetroffen worden sein. Häufiger kommt sie im südlichen Indien unter einzelnen Stammen der Keilgherri- gebirge vor, 'bei welchen letzteren die Sitte verstattet, dass alle Lrfider, wenn sie erwachsen, die Manner der Frau des ältesten Bruders^), und umgekehrt die jüngeren Schwestern der Gemahlin die Frauen der Ehegenossenschaft werden.' Fast genau so hielten es auch die alten Bewohner Britanniens zu Cäsar's Zeiten*). Auf Brüder und andere Verwandte beschränkt sich die Frauengemein- schafi in Tübet, und dort sind es Sparsamkeitsrücksichten, welche diese Widernatürlichkeit uns erklären-*). ,\uch bei den Herero in Südafrika verursacht es Armuth, dass Vielmännerei bisweilen vor- kommt').

Zu den dunkelsten aber auch lehrreichsten Fragen der Völker- kunde gehört es, wie es Brauch geworden sei, Ehen zwischen Blut- verwandten zu vermeiden. Wohl dürfen wir auf neije Erkenntnisse gestützt, die Schädlichkeit solcher Mischungen vermuthen, denn wenn beide Gatten unter demselben körperlichen Mangel leiden, so werden sie ihn gesteigert ihren Nachkommen vererben. Taubheit, Augenschwächc, Unfruchtbarkeit, Blödsinn und Geistesstörungen müssen sieb bei Kindern von Eltern, welche die Keime zu diesen Störungen geerbt haben, früh einstelien oder heftiger ausbrechen').

i) WailK, Anthropologie. Bd. 3. S. 308. S. 313.

2) Öaierlein, Nach und aus Indien. .S, 249.

31 De beUa gallico, lib V. cap. 14.

4) V. Schlagintweit, Indien. Bd. 2. S. 47.

5) G. Frilsch, Die EinEcbornen Südafrikas. S. lij.

6) Selbst diese Vermuihung ist nicht vur allen Zweifeln eesjchett. In der Gemeinde Bat/ (3300 Einwohner], nördlich von der Loitemündung auf einer Halbinsel gelegen und auf die Ausbeulung natürlicher Salipfennen angewiesen, gehörten von jeher Htjralhen iwisclien Bluls verwandten zu den hergebrachten Dingen. So musslen im Jahre [S65 nicht weniger als 15 Kirchendispense für Heimtheu von Geschwisterkindern erwirkt werden. Dennoch fand Voisin, der e nen ganien W na dort labrachle, bei 40 Ehen unter Blutsverwandten, deren V lle '^ mmtafeln er sammelte, nicht einen einzigen Fall der Uebel, mit denen he komm] h Iche Vermählungen bedroht werden. Anthropological Review. London 1868 n Vt, p. 231—23;.

Ehe und väterliche Gewalt.

233

Allein solche Erfahrungen, die langwierige Beobachtung voraus- setzen, konnten unstäte und kindlich sorglose Menschenstämme nicht gewinnen und gerade bei ihnen ist der Abscheu vor Blut- schande am schärfsten entwickelt. Gewiss sollten wir in diesem Smne nichts strenger vermeiden als die Ehe mit der Schwester, die uns, was die Blutmischung anbetrifft, ganz gleich und noch einmal so nahe steht, als Mutter oder Tochter, mit denen unser Organismus, seiner Ableitung nach, doch nur zur Hälfte über- einstimmt. Dennoch war gerade diese Ehe dem Inca im peruanischen Reiche vorgeschrieben^), und ebenso konnte' der Pharao in Aegypten keine schicklichere Gemahlin erwählen, als seine Schwester*). Bei den Altpersern war die Ehe mit der Schwester oder der Mutter nicht nur erlaubt^), sondern die Hei- rathen unter Verwandten wurden sogar als ein verdienstliches Werk angesehen'^), endlich ist es ja bekannt, dass die Hellenen die Ver- mählung von Halbgeschwistern zuliessen, wenn auch nicht billigten. Während diese hochgestiegenen Völker vor solchen Verbindungen nicht zurückschauderten, empfanden gerade die zurückgebliebenen eine wahrscheinlich heilsame Furcht und es ist geradezu auffallend» wenn ausnahmsweise die Vedda auf Ceylon dem Bruder verstatten, seine jüngere Schwester zu ehelichen^). Viel weniger befremdet eSj dass bei den Aleuten und Konjaken wahrscheinlich auch bei andern Anwohnern des Beringsmeeres jegliche Blutschande als er- laubt gilt^), da alle diese Völkerschaften durch ihre Ausschweifungen berüchtigt sind.

Die Australier dagegen hielten streng an dem Verbot, dass kein Mann eine Frau heirathen durfte, die mit ihm auch nur den gleichen Familiennamen führte''). Ehen unter Leuten von gleichen Geschlechtsnamen wurden ebenso bei Samojeden und Ostjaken streng vermieden 8). Die Huronen und Irokesen duldeten gleich-

1) Garcilasso, Commentarios reales, tom I. libro IV, cap. 9. p. 86b. Nur in Ermangelung einer Schwester kamen die nächsten weiblichen Verwandten an die Reihe.

2) Ebers, Von Gosen zum Sinai. S. 82.

3) Duncker, Gesch. d. Alterthums. Bd. 2, S. 356.

4) Martin Haug in der Beil. zur AUgem. Ztg. 1872. No. 364. S. 5573.

5) Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. I. S. 51.

6) V. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 58.

7) Capt. Gray bei Eyre, Central Australia. tom. II, p. 330.

8) Castr^n, Vorlesungen. S. 107.

I

m

vaterliche Gewall.

falls keine Ehen zwischen Verwandten"), Die Koluschen, die in

die beiden Zweige des Raben und des Wolfes sich theilen, verbieten alle Heirathen von Mitgliedern desselben Stammes*). Ganz im gleichen Sinne verstauen die Arowaken in Südamerika keine Ver- mählungen innerhalb ihrer Clanschaften-'), und zwar gih bei ihren sorgfaltig geführten Stammbäumen die Regel, dass die Kinder der Mutter in Bezug auf ihre S tarn mesgenossen schall folgen. Um auch einige Beispiele aus Afrika anzuführen, bestrafen die Hottentotten Blutschande mit dem Tode^), und ihre Nachbarn, die Kafirn be- drohen mit Vermögens Verlust die Heirath zwischen den entfernte- sten Verwandten, verstatten übrigens die Doppelehe mit Schwe- stern'). Die fanneger endlicli im westlichen Aequatorialafrika, berüchtigte Menschenfresser, betrachten Ehen bei der geringsten Blutnähe als Frevel und holen ihre Frauen stets aus einem andern Stamm^). Andere, ebenfalls anthropophage Stämme, die Batta auf Sumatra, bestrafen die Ehe zwischen Angehörigen der- selben Horde mit dorn Tode an beiden schuldigen Theilen'). Bei den Hindu erstreckt sich das \' erbot bis auf die sechste Stufe der Verwandtschaft, ja die Gleiclibeit des Namens wird auch tei ihnen als ausreichendes EhehinUerniss angesehen*). Das letztere gilt endlich von den Chinesen^), welche sich als Nation Pih-sing, die hundert Familien nennen. Gleichwohl gibt es in neuerer Zeit 400 Fa- miliennamen, welche letztere nicht von der Mutter, sondern wie in Europa vom Vater ererbt werden. Ein amerikanischer Missionär Namens Talmadge kannte ein Dorf, dessen 5000 Bewohner bis auf wenige Ausnahmen denselben Familiennamen führten und die deswegen unter sich keine Ehen schiiessen durften"). Reste sol- cher weiten Begriffe vom Incesl haben sich bei solchen Völkern erhalten, die dem Frauenraub huldigen, denn da Feindschaft ge- il Charlcvois, Nouv. France, lom. III, p. JS*. I) Waiti, Anlliropologic. Bd. J. S. 329. 31 Morliiis, Ethnographie. Bd. t. S. 690.

4) Kolbe, Vorgebirge der Guten Hoflniiag. S. 457,

5) Ausland 1859. S. 631.

6) Du Chaillu, Ashangü-Lnnd, p. 427.

7) Tylor, Urgeschichte. S. 359,

8) Coiebruoke, Essays □□ the rel^ion and phUosophy o[ the Hindus. London 1S58. p. 142.

9) Huc, Das chineeische Reich, Bd. 2. S. 16B.

la) Morgan, .Systems or Consangoinity. Waihington 1871. p. 41S.

Ehe und väterliche Gewalt. 2 55

wohnlich die fremden Horden trennte, konnte nur eine gewaltsame Entführung die Ehe begründen. Sehr schwache Kenntnisse verrathen uns daher solche Ethnographen, welche den Australiern diese Sitte als Rohheit anrechnen, zumal ihre Frauen den Vollzug des alten Brau- ches nicht als Misshandlung, sondern als eine Huldigung betrachten, und er zu den beliebten Jugendspielen zwischen Knaben und Mäd- chen gehört'). Die gleiche Sitte herrschte bei den ausgestorbenen Tasmaniern ^) , sowie bei den Papuanen Neu-Guineas^) und der Fidschiinseln ^), ferner bei den Ainos auf den Kurilen s) und bei den Feuerländern ^). Jeder Ostjake und Samojede^» j^'der Lappe 8) noch heutigen Tages ,^ wie in Vorzeiten die Finnen (Suomi) muss sich mit List oder Gewalt eines Mädchens aus fremdem Stamm be- mächtigen. Kein Völkerkundiger wird uns wohl widersprechen, wenn wir die Erzählung des Livius vom Raub der Sabinerinnen als die verdunkelte Erinnerung einer alten römischen Sitte deuten, welche auch bei ihnen die Heirathen innerhalb der Stammes- gemeinde verbot. In späteren bequemeren Zeiten wurde der Raul» nur noch als eine Hochzeitsposse beibehalten. Campbell sah eines Abends in Khondistan einen Burschen, auf der Schulter eine Last in Scharlachtuch gehüllt, davon tragen, verfolgt von einem Haufen Frauen und Dirnen, die ihm Steine, Bambustücke und andere Ge- schosse nachschleuderten. Es ergab sich dann später, dass der Dulder, auf der Hochzeitsreise begriffen, in dem Scharlachzeuge sein junges Weib trug, und das Ganze als Schaustück die Ver- folgung eines Frauenräubers bedeutete^). Zuletzt wird aus dem Raub nur ein Fangspiel zwischen Braut und Bräutigam, dessen Ausgang stets im Voraus verabredet wird, doch soll bei den Maori Neu-Seelands ein Mädchen, die bei einer solchen Gelegenheit zu entschlüpfen den ernsten Willen hat, einem unwillkommenen Bc-

1) Dumont d'Urville, Voyage de TAstrolabe. Paris 1830. vol. i. p. 411-

2) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 813.

3) 1. c. S. 633.

4) Williams im Ausland. 1859 S. 113.

5) Mitlheilungen der Wiener geogr. Gesellschaft. 1872. No. 12. Bd. 15. (Neue Folge.) S. 561.

6) W. Parker Snow, Off Tierra del Fuego. vol. II, p. 359.

7) Castr^n 1. c. S. 10.

8) J. A.^Frijs, Wanderungen in den drei Lappländern. Globus X872. Bd.. XXII. No. I. S. S2.

9) Campbell, Khondistan. p. 44.

236 Ehe und väterliche Gewalt.

Werber sich entziehen dürfen '). Kennan , der einem ähnlichen Hochzeitsspiele bei den Korjaken beiwohnte, überzeugt uns, dass die Braut immer im Stillen in ihre Besiegung einwilligen muss. Auch in Europa wird noch vielfach als Hochzeitsfeier ein drama- tischer Ueberfall ausgeführt, bei den Slovenen zogen sogar der Bräutigam und seine Genossen bewaffnet gegen das Haus der Braut, welches wie zu einer Belagerung verschlossen wurde'). In Ahbayern lebt die Sitte der Entführung noch in einem Hochzeits- spiele fort, welches Brautlauf heisst und wofür im Altnordischen Qliänfang (Frauenfang) gesagt wurde^). Bei den Patagoniern, unter denen Husters verweilte, wird den Eltern heimlich ein Kaufpreis entrichtet, die Braut selbst aber plötzlich geraubt^).

Wo alliugrosse Blutnähe nicht gescheut und der Raub nicht gefordert wurde, liiusste der Werber die Braut den Litern abkaufen. Das Weib geht hier in das Eigenthum des Wannes über und kann von ihm auf einen Rechtsnachfolger übertragen werden. Bei den Cariben Venezuelas*}, wie im äquatorialem Westafrika erbt der älteste Sohn alle Erauen seines abgeschiedenen Vaters, mit ein- ziger Ausnahme der leiblichen Mutter^). Das Gleiche berichtet O. Schweinfurth von Hunsa, dem Könige des merkwürdigen Neger- reiches Monbuiiu am Utile'). An der Goldküste gelangte sogar derjenige unter den Prinzen auf den erledigten Thron , der sich vor den andern Brüdern in den Besitz des väterlichen Harems setzte*). Diess erläutert uns zugleich einige Vorgänge aus der alt- testamentlichen Geschichte, Wenn Abshalom im Angesicht von ganz Jerusalem sich der Frauen seines Vaters bemächtigte, so sollte damit allem Volke kund werden, dass er David vom Thron ge- stossen habe*). Im gleichen Geiste befiehlt Salomo den Adonija hinzurichten, weil er Abisag, Davids letzte Favoritin als Gemahlin sich erbeten und damit geheime Thron an Sprüche verrathen hatte'°).

t) Waiti. Anthropologie. Bd. i. S. 360.

2) Klun, Die Slovenen, im Ausland 1872. No. 23, S. 545.

3) Sepp, Die Schimmelkirchen, Beil. zur AUg. Ztg. 1873. S. 1154

4) Ausland. 1872. No. 9. S. iq6.

%) GumilU, £1 Orinoco ilusttado. Madrid 1741. P. I, cap. 14. p.

6) Du Chaillu, Ashangoland. p. 4:7-

7) Zeilschrift für Ethnologie. Berlin 1873. Bd, 5. S, 12,

8) Bosman, Guinese Goud-Tand-en Slivekust, Tom, II. p. 1:5. 91 2. Regum, XVI, 21—12.

lo| 3. Regum, II, 19 25,

Ehe und väterliche Gewalt. 237

Wo der Kauf der Braut noch ein ernstes Geschäft ist, werden vergleichsweise hoheWerthe entrichtet, wie bei den Kafirn*), und dann befragt man die Neigung der Erwählten gar nicht. Bei edleren Völkern, wie bei den Abiponen und noch jetzt bei den Patagoniern, wird der Verkauf dagegen ungiltig oder rückgängig, wenn das Mädchen nicht einwilligt*). Auch bei den Deutschen war die Ehe ursprünglich ein Kauf und zwar entrichtete der Freier einen Preis demjenigen, in dessen Gewalt sich die Jungfrau oder Wittwe befand, also dem Vater, Bruder oder Tutor ^), Da die Frau dadurch unter die Vormundschaft des Mannes gerieth, nannte man auch diesen Rechtsact einen Mundkauf. In Island und Norwegen wurde die Frau ebenfalls erkauft "*), wie bei den Angelsachsen, ja selbst das englische Eheritual, welches bis 1549 in Kraft blieb, enthielt noch Anklänge an die alte Rechtsgewohnheit 5). Wir erinnern nur an längst Bekanntes, wenn wir noch hinzufügen, dass die feierliche Form der Eheschliessung (confarreatio) im alten Rom nur bei Patriciern gebräuchlich war, die Plebejer dagegen ihre Ehen durch einen Scheinkauf (coemtio) abschlössen. Wo der Islam herrscht, muss noch heutigen Tages die Frau gekauft werden^). Eine hohe Verfeinerung und Milderung der Sitten verräth es, wenn schon durch Manus Gesetz im alten Indien, die ehemalige Brautgabe, ein Joch Ochsen nämlich, streng abgeschafft wurde?). Der Bräutigam wird vielmehr am Tage der Vermählung vom Schwiegervater als Gast willkommen geheissen und empfängt die Braut unter der bei allen feierlichen Schenkungen gebräuchlichen Form 8). Scheidungen sind überall, wo Polygamie herrscht, der Willkür des Ehemanns überlassen.

1) Gustav Fritsch, Die Eingebomen Südafrikas. S. 112.

2) Dobriz hoffer, Gesch. der Abiponer. Bd. 2. S. 257. Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.

3) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer. Göttingen 1854. S. 420»

4) Paul Labaud in der Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1865. Bd. 3. S. 152.

5) Friedberg, Das Recht der Eheschliessung. S. 33, S. 38. Auch in den Niederlanden, in Spanien nach Westgothenrechte, im longobardischen Rechte sind Reste des Brautkaufes noch vorhanden. 1. c S. 66. S. 71. S. 75.

6) Warnkönig, Juristische Encyclopädie. S. 167.

7) Duncker, Geschichte des Alterthums. Bd. 2. S. 134.

8) Colebrooke, Essais on the religion and philosophy of the Hindus. London 1858. p. 141— 142.

238 Ehe und väterliche Gewalt.

Sir John Lubbock hat zu behaupten gewagt, dass die Men- schen in dem Urzustände eheliches Zusammenleben nicht gepflogen haben, sondern dass die Frauen einer Horde Gemeingut aller Männer gewesen sein sollen. Für diesen hässlichen Gedanken hat er auch das hässliche Wort gefunden, denn er bezeichnet solche Zustände als Hetärismus. Reste davon will er noch in Austra- lien wieder erkennen , indem er sich auf Aeusserungen John Eyre's bezieht '). Allerdings könnte ein besserer Gewährsmann kaum gefunden werden, denn beseelt von Theilnahme für jene aussterbenden Menschenstämme würde er gewiss nicht aus Ge- hässigkeit oder Leichtsinn ungiinstige Thatsachen über sie berichtet haben. John Eyre überzeugt uns wirklich, dass die Australier, mit welchen er bekannt geworden war, auf die eheliche Treue ihrer Frauen keinen Werth legten. Was er aber mittheilt, bezieht sich doch nur auf Stämme in der Nähe des Murrayflusses, die mit europäischen Ansiedlern schon vielfach verkehrten. Ein sol- cher Verkehr hat aber fast allerorten die besten Sitten der Ein- gebornen verdorben. Ausserdem steht, in Widerspruch mit den angeblich hetäristischen Gewohnheiten, dass nach Eyre*s eignen Worten *) die väterliche Gewalt eine ganz unbeschränkte sein soll, sowie andrerseits die von ihm mitgetheilten Züge leidenschaftlicher Zärtlichkeit von Vätern für ihre Kinder. Von andern Beobach- tern werden gerade die australischen Männer der Eifersucht ge- ziehen und behauptet, dass sie sich am Ehebrecher blutig räch- ten ^). Neumayer endlich, der oft unter Eingebornen übernachtete, will nie eine Verletzung des Anstandes oder besserer Sitten wahr- genommen haben ^). Erinnern wir uns ferner, dass die Australier aus Scheu vor Blutnähe nur Frauen mit einem andern Familien- namen ehelichen, so werden hetäristische Zustände sehr unwahr- scheinlich und wir dürfen die von Eyre mitgetheilten Thatsachen als eine örtliche Sittenverwilderung betrachten, die nur dem Süden des Welttheiles angehört, denn dort giebt es wirklich Stämme, unter denen die Brüder des Mannes der Ehefrau den gleichen Namen geben ^).

1) Central Australia. London 1845. ^^m. II, p. 320.

2) 1. c. tom. II, p. 307.

3) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 774.

4) Zeitschrift fiir Ethnologie. Berlin 1871. S. 71.

5) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 774.

Ehe und väterliche Gewalt. 239

»

Sehr unglaubwürdig wird die Annahme eheloser \'orzeiten des Menschengeschlechtes, insofern wir schon bei Thieren eine strenge Paarung finden, nämlich bei Aflfen *) , bei Raubthieren, Hufthieren, Wiederkäuern, bei Sing-, Hühner- und Raubvögeln. Auch Charles Darwin hat die Wahrscheinlichkeit einer Frauen- gemeinschaft bei den vorgeschichtlichen Menschen aus dem Grunde bestritten, dass die Männchen vieler Säugethiere sehr eifersüchtig und mit Waffen zum Kampfe um die Weibchen ausgerüstet sind. Gerade die Vedda auf Ceylon, bei denen wir noch die meisten Reste der Urzeit anzutreffen hoffen dürften, führen, wie wir sahen, das schöne Sprüchwort im Munde, nur der Tod vermöge Mann und Weib zu scheiden % Da ferner die Jagd, die ursprünglichste Art des Nahrungservverbes , nur ausnahmsweise von Frauen be- trieben wird ^), so lag darin ein Zwang, dass die Aufzucht von Kindern nur glückte, wo Vater und Alutter sie in den zarten Jahren ernährten. Ist es doch eine bekannte statistische Thatsache, dass auch in der modernen Gesellschaft die Sterblichkeit unehe- licher Kinder, für welche nur eine Mutter und diese nicht genü- gend sorgen kann, eine vielfach vergrösserte ist, als. die der ehe- lichen, welche in einem Elternhiiuse auferzogen werden.

Neuerdings hat indessen ein transatlantischer Gelehrter Lewis Morgan eine höchst verdienstvolle Arbeit über die Verwandt- schaftsbestimmungen bei verschiedenen \"ölkern veröffentlicht, die sich auf den Thatbestand aus nicht weniger als 139 Sprachen meistens amerikanischer, aber auch asiatischer, malayischer und europäischer, stützt ^). Durch diese neuen Hilfsmittel der Wissen- schaft glaubt Morgan auch den Schleier von dem Geschlechtsleben in der grauen Vorzeit ein wenig heben zu können. Bei allen mongolen - ähnlichen Völkern Asiens, bei den Dravida in

i) Lieutn. C. de Crespigny stiess zwischen dem Padass und Papar im nördlichen Bomeo auf eine Familie von Mias (Orang utang), bestehend aus dem Männchen, dem Weibchen, einem grösseren und einem kleinen Jungen. Ihr Bündniss musste also schon längere Zeit bestanden haben. Proceedings of the R. Geogr. Soc. 22. Jan. 1872. vol. XVI. No. 3. S, 177.

2) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 2. S. 318 319.

'3) z. B. von den Koluschen an der Küste des ehemals russischen Ame- rika. V. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 113.

4) Systems of Consanguinity and Affini ty in the Human Family. Was- hington. I87I.

240

Ehe und väterliche Gewalt.

Indien, bei den Eingebornen Amerikas und bei Völkern der malaylschen Familie finden wir nämlich eine völlig von der unsri- gen abweichende Bezeichnung der. Blutsverwandten. Die Abkömm- linge eines gemeinsamen Ahnherrn oder einer gemeinsamen Ahn- mutter geben sich, wenn sie derselben Geschlechtsfolge angehören, den Namen Bruder oder Schwester, sie nennen sämmtliche Zu- gehörige der nächst frühern Geschlechtsfolge Väter und die der nächstfolgenden Söhne. Es wird also ein Mann Bruder nennen: nicht blos alle Söhne seines Vaters, sondern auch die Söhne des Vaterbruders und alle Enkel seines Grossonkels. Er wird ferner als Sohn nicht blos anreden den eignen Leibeserben, sondern alle Söhne seiner Brüder, alle Enkel des Vatersbruders, alle Gross- enkel des Grossonkels. Die Kinder seiner Schwester dagegen be- grüsst er als Neffen oder Nichten, die Brüder der Mutter als Onkel. Umgekehrt wird eine Frau nicht blos ihre Erzeugerin, sondern auch deren Schwestern , sowie die Töchter der gross- mütterlichen Schwester als Mutter anreden. Alle Kinder ihrer Schwestern, alle Enkel ihrer Mutterschwester, alle Grossenkel der grossmütterlichen Schwester nennt sie ihre Kinder, die leiblichen Nachkommen der Brüder dagegen ihre Nichten oder Neffen *). Uebersehen dürfen wir aber nicht, dass in allen diesen Sprachen keine Sonderbezeichnungen für Bruder oder Schwester vorhanden sind, sondern eigne Worte für den älteren und jüngeren Bruder, für die ältere und jüngere Schwester gebraucht werden müssen. Selbst das Ungarische hat keine Sondernamen für Bruder und Schwester, sondern muss sich mit Umschreibungen helfen *).

Die unendliche Mehrheit der Völker unterschied also sprach- lich weniger die Blutnähe als die verschiedenen Geschlechterstufen und innerhalb dieser wieder den Vorrang der älteren von den' jüngeren Gliedern. Diese einfachste Gestalt der Dinge, wie sie bei Irokesen und Seneca sowie bei den Tamulen herrscht, war verschiedener Ver- feinerungen und Abänderungen fähig, so dass unser Wissenszweig durch Morgan's Tafeln neue Einblicke über die Geistesverwandt-

1) Schon Lafitau (Moeurs des sauvages am^riquains. Paris 1724. tom. I. p. 552—553) hat b^i den Irokesen und Huronen dieses System genau be- schrieben.

2) Steinthal in der Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1868. Bd. 5. S. 97-

Ehe und väterliche Gewalt.

24 E

Schaft der einzelnen Volksstämme gewonnen hat. Bedauern müssen wir nur, dass der amerikanische Gelehrte in dieser uns fremdartigen Auffassung der Verwandtschaftsgrade die Reste einer ehelosen Vorzeit zu erkennen glaubt^). Auch er vermuthet, dass anfänglich die Begattung durch zufallige Begegnung, also in hetä- ristischer Art erfolgte. Später seL ein Zustand eingetreten, wo die Söhne einer Mutter mit allen ihren Schwestern gemeinsam lebten. Als Erbtheil jener Vorzeit Hesse ^ich vielleicht die Schwager- pfiicht betrachten, welche dem Hebräer auferlegte, der Wittwe seines Bruders Nachkommen zu erwecken, eine Satzung, die wir bei unendlich vielen Völkern schon angetroffen haben ^) und zu denen wir auch noch die Neger der Goldküste hinzufügen müssen 3). Andrerseits könnte man noch erinnern, dass der Erzvater Jacob nach einander zwei Schwestern heimführt. Noch wichtiger ist es, dass, wie wir selbst mitgetheilt haben % im südlichen Indien Ehen von einer Brüderzahl mit mehreren Schwestern geschfossen werden. Ferner herrschte ehemals bei den Kanaken der Havaiinseln unter dem Namen Pinalua die Sitte, dass Brüder gemeinsam ihre Frauen, Schwestern gemeinsam ihre Männer besassen^). Sehr ge- wagt bleibt es vorläufig, diese vereinzelten Bräuche, welche eben- sogut als örtliche Verirrungen sich auffassen lassen, als noth- wendige Vorstufen zur strengen Ehe zu bezeichnen. Dass jemals irgendwo längere Zeit di^ Kinder einer Mutter geschlechtlich sich vermehrt haben sollten, klingt gerade in neuester Zeit höchst un- glaubwürdig, seitdem es feststeht, dass selbst bei blüthenlosen Pflanzen die gegenseitige Befruchtung von Nachkommen derselben Eltern möglichst verhindert wird. Die eigen thümlichen Verwandt- schaftsstufen ," welche malayische , asiatische und amerikanische Mongolenvölker, sowie die indischen Dravida und etliche Neger sprachlich unterscheiden, begünstigen keineswegs jene Auffassung, denn unmöglich kann auf eine geschlechtliche Erzeugung ange- spielt werden, wenn jemand den Grossenkel seines Grossonkels Sohn, oder wenn eine Frau die Grossenkelin ihrer Grosstante

1) Systems of consanguinity, p. 480.

2) S. oben S. 24.

3) Bosman, Guinese Goudkust. Utrecht 1704, tom. I. p. 201.

4) S. oben S. 232.

5) Morgan, Systems of consanguinity. p. 453.

Peschel, Völkerkunde. l6

212 Elle und väterliche Gewalt.

Tochter nennt. Fügen wir hinzu, dass bei den 80 amerikanischen Sprachen, die Morgan untersucht hat, mit nur zwei Ausnahmen Sonderausdrücke vorhanden sind, mit denen die Frau den Bruder ihres Mannes und den Gemahl ihrer Schwester als Schwager be-

t

zeichnet *), folglich zwischen Brüdern keine Frauengemeinschaft^ zwischen Schwestern keine Gattengemeinschaft bestand. Gerade bei Völkerschaften mit urzeitlichen Zuständen haben wir eine ausserordentlich entwickelte Scheu vor blutschänderischen Ehen bemerkt. Ferner konnte Frauengemeinschaft oder Vielmännerei unter solchen Menschenstämmen nicht bestehen, bei denen das männ- liche Kindbett*) vorgeschrieben wurde. Erwägen wir ferner, dass sämmtliche Sprachen, in denen die Anrede Vater, Bruder, Sohn, Familiengliedern zukommt, je nachdem sie von einem gemein- samen Ahnherrn in einem höheren, gleichen oder ferneren Grade abstammen , mit Sondernamen den altern und Jüngern Bruder oder Vatersbruder, die ältere oder jüngere Schwester oder Mutter- schwester unterscheiden, so muss es uns klar werden, dass nicht die Grade der Blutnähe, sondern die Zeitfolge der Geschlechter und der Rang innerhalb der Familie bezeichnet werden sollten, weil sich an diese Stufen wichtige Folgen für den häuslichen Um- gang, nämlich das. höhere Ansehen der Aelteren und was noch wahrscheinlicher ist, strengere oder schwächere Pflichten der Blut- rache knüpften. Es ist obendrein bekannt, dass die Eingebornen der heutigen nordamerikanischen Union blutige Kriege führten und feierliche Verträge zu dem Zwecke schlössen, welche Nation der andern die Anrede Grossväter, Onkel, jüngere Brüder zu ertheilen habe. Anderwärts bildeten die Abkömmlinge eines gemeinsamen Ahnherrn oder einer gemeinsamen Ahnmutter eine Rechtsgenossen- schaft mit gegenseitiger Haftbarkeit. Wurde bei den Negern der Goldküste einem Verurtheilten eine Geldbusse auferlegt, und konnte er sie nicht erschwingen, so wurde der Vater und der Onkel oder andre Verwandte in Mitleidenschaft gezogen, erforderlichen Falls als Sklaven verkauft -J). Aehnlich hatte auf den Palau-Inseln jedes älteste Familienhau{)t für die Seinigen einzutreten*).

1) Morgan, Systems, p. 378.

2) S. oben S. 26.

3) Bosman, Guinesc Goud-Tand-en- Slavekust. Utrecht 1704. tom. I. 195 u. Winwood Reade, Savage Africa. London 1863. p. 135.

4) C. Sem per, Palau-Inseln. S. i8t.

Ehe und väterliche Gewalt. 2±Z

Gegenwärtig gebührt fast allerorten dem Erzeuger die väter- liche Gewalt über seine^ Nachkommen , auch übt er bei roheren Völkern fast stets über die Frau die Rechte eines Leibherrn aus. Dennoch gibt es eine Mehrzahl von Völkerschaften, bei denen alle Familienrechte von der Mutter abgeleitet werden. Wie Bosman von der Goldküste berichtet, folgen der Mutter alle Kinder in dem gleichen Stand, wer auch immer der Vater sei. Sie werden für frei erachtet, w^nn ihre Mutter frei, und für Sklaven, wenn sie eine Sklavin war*). Dasselbe Recht galt bei den alten Lyciern, die sieb auch nicht nach ihrem Vater, sondern nach ihrer Mutter nannten '). Ebenso vererben in Australien die Familiennamen immer von mütterlicher Seite sammt der Kaste ^).|j^ Nicht anders halten es die Fidschi^), die Maori Neu-Seelands, sowie die Mikronesier des Marshall-Archipels, bei denen Adel oder Rang von der Mutter ererbt wird ^). Aehnliche Rechtsanschauungen gelten dort, wo der junge Ehemann das Haus seiner Schwiegereltern bezieht und in ihre Familie übertritt. Dies ge- schieht bei den Dayaken Borneos und recht bezeichnend ist es, dass dort der Schwiegervater höher geehrt wird als der eigne Er- zeuger^). Bei den Itelmen Kamtschatkas gehörte ebenfalls der Gatte zum Ostrog seiner Frau 7). Solche Familiensatzungen waren auch weit verbreitet in Amerika. In Guayana folgte das Kind in allen bürgerlichen Beziehungen der Mutter, so dass die Nachkommen einer Macuschi-lndianerin und eines Wapischiana zur Horde der Macuschi, nicht zu dem väterlichen Stamm, gerechnet würden»). Noch schärfer gestalteten sich diese Rechtsanschauungen unter den nordamerikanischen [Irokesen und Huronen. Die Verwandtschaft zum Vater wurde als sehr schwach angesehen, und die Kinder blieben von der Mutter abhängig 9). Dieser allein stand das Recht

1) Guinese Goud-Tand-en Slave-kust. Utrecht 1704. p. 184.

2) Herodot, lib. I. cap. 173.

3) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 788. Einige andere Beispiele dieser Art finden sich bei A. Bastian, Rechtsverhältnisse. Berlin 1872. S. 171

4) Ausland. 1859. S. 89 nach Williams.

5) D. G. Monrad, Das alte Neuseeland. Bremen 1871. S: 24. Journal des Museum Godeffroy. Hamburg 1873. Heft i. S. 36.

6) Spenser St. John, Life in the forests of theFarEast. London 1862.

vol. L p. 50^51.

7) G. Stell er, Kamtschatka. S. 346.

8) Appun im Ausland. 1872. S. 683.

o) Charlevoix, Nouvelle France, tom. HL p. 287.

16*

244

Ehe und väterliche Gewalt.

der Adoption zu, um die Lücke eines erschlagnen Sohnes im Hause wieder auszaftillen. Daher entschieden die Frauen, ob die Kriegs- gefangenen am Marterpfahle enden oder in den Stamm aufge- nommen werden sollten'). Zur Huldigung wurde ihnen sogar die Entscheidung über Krieg oder Frieden eingeräumt, da ja der erstere Gelegenheit zum Erwerb von Kriegsgefangenen bieten konnte. Doch wurde es damit nicht ernst genommen, denn in Wahrheit erhielten sie gar keine Kenntni^s von wichtigen politischen Unter- nehmungen'). War auch der junge Gatte in den ersten Jahren seinen Schwiegereltern Dienstleistungen schuldig, so wurde doch andrerseits wiederum die Ehefrau verpflichtet, auf den Feldern ihrer Schwiegereltern zu arbeiten und deren Haushalt mit Holz zu ver- sorgen^). Es trübt daher die klare Auffassung dieser Verhält- nisse, dass solche Familiensatzungen von dem Jesuiten Lafitau mit einem straboniscben Worte''), nämlich mit Gynäkokratie bezeichnet worden sind, als hätten jemals irgendwo in der rauhen Vorzeit die Frauen im Haus geherrscht und die Männer unter ihrer Gewalt gestanden. In einem umfangreichen Werke hat J. J. Bachofen so- gar die wenig glaubwürdige Ansicht zu verbreiten getrachtet, dass in den Anfängen der menschlichen Geseilschaft die Mütter als Fa- milienhäupter gegolten hätten, als ob von den sogenannten Natur- menschen nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Recht des Schwächeren anerkannt worden wäre. Auch hat Bachofen seine Be- hauptung nicht anders beglaubigen können; als durch Mythen des Alterthums , denen er eine erzwungene Deutung widerfahren lässt. Ihm genügt schon, dass die Männer in Altägypten am Webstuhl Sassen, als Beweis einer Weibefherrschaft'), ja den erschöpfenden Untersuchungen von Martins gegenüber, fährt er noch immer fort zu behaupten, dass es in Südamerika nicht blos in der erhitzten Phan- tasie spanischer Entdecker, sondern in Wirklichkeit Amazonen- gemeinden gegeben habe*).

Die Satzung, dass die Kinder in allen bürgerlichen Beziehungen

1) Charlevoix, Nouvelle France, tom, III. p. 244—245.

2) 1. c. p. 269.

3) Lafitau, nioeuis def sauvages. Paris 1724. tom. I. p. 561. p. 577.

4) Strabo, Geogr. Üb. HI, cap. IV. ed. Tauchn. I, 266.

5) J. j. Bachofen, Dcis Mutletrecht. Stuttgart 1861. g. 53. i>. 102.

6) :^. a. O. §. 62. S. 1-7.

Ehe und väterliche Gewalt.

245

der Mutter angehören, deutet nicht nothwendig darauf, dass die' Vaterschaft als etwas unsicheres angesehen wurde, sondern dass die leiblichen. Beziehungen zur Mutter als ungleich stärker galten, wie denn selbst noch bis in die neuen Zeiten herein Physiologen an der Ansicht festhielten, dass die Thätigkeit des Vaters bei der Erzeugung der Kinder als eine ganz untergeordnete betrachtet werden müsse. Welche seKsame Vorstellungen der sogenannte Wilde von der Zeugung hat, lehrt uns der Aberglaube der Saliva- indianer am Orinoco, dass nämlich eine Frau die Zwillinge gebärt nothwendig Ehebruch begangen haben müsse'). Aus o/ger Auf- fassung erklärt sich das Vorkommen des Neffenerbrechtes, das heisst des Rechtes, den Bruder der Mutter mit Ausschluss von dessen Nachkommen zu beerben. So wird bei den Tuareg die Häuptlingswürde stets auf die Schwestersöhne übertragen*). An der Goldküste beerbte der Sohn den Bruder der Mutter, die Tochter die Schwester der Mutter 3) und noch heutigen Tages geht der Thron im Königreich der Aschanti nicht auf den nächsten Leibeserben, sondern auf den Bruder oder Schwestersohn über*). Ein Neffenerbrecht fand Livingstone auch bei den Kebrabasa- Negern am Sambesi 5). Auf den Antillen schlössen wenigstens die Schwesterkinder die Bruderkinder als näherstehend von der Erb- folge aus 6). Sonst finden wir das Neffenerbrecht in Amerika bei den Koluschen und andern Küstenstämmen im Nordwesten 7), bei den Montagnais in Labrador s), sowie bei den Huronen und Irokesen 9). Uebrigens ist diese Familiensatzung gewiss noch viel weiter verbreitet gewesen und mag bei allen Völkerschaften gegolten haben, bei denen die Kinder dem Stamm der Mutter folgten. Wurde von Europäern nach der Ursache dieser Familieneinrichtung geforscht, so' lautete in Afrika wie in Amerika stets die Antwort, dass über die Ver- wandtschaft mit den Schwesterkindern nie ein Zweifel bestehen könne^

1) Jos. Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. P. I. cap. 13. p. 127.

2) Bulletin de la Soc. de G6ogr. Paris 1863. Fevr. p. 123.

3) Bosman, Guinese Goud-kust. Utrecht 1704. tom. I. p. 193 194.

4) Winwood Reade, Savage Africa. London. 1863 p. 43-

5) Zambesi. p. 162.

6) Oviedo, Historia general. lib. V. cap. 3.

7) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 328. S. 340.

8) Youle Hind, Labrador. London 1863. tom. IL p'. 17.

9) Charlevoix, Nouv. France, tom. IIL p. 267.

2a6 ^l^e und väterliche Gewalt.

wohl aber über die auf väterlicher Seite. Dies klingt freilich, als ob keine eheliche Treue beobachtet worden sei und die lockersten Sitten geherrscht hätten, doch sind wir noch immer geneigt, diese Auffassung lieber einer verkehrten physiologischen Ansicht über die Vaterschaft zuzuschreiben, da das Neffenerbrecht bei so vielen sittenstrengen Völkern, wie den eben genannten Koluschen vor- kommt. Winwood Reade, der uns von den Negern des westlichen Afrika ungünstig gefärbte Schilderungen geliefert hat, verschweigt doch nicht, dass unbeschadet des Neffenerbrechtes in Dahome und bei den Adiya der Insel Fernando Po der Ehebruch so- gleich oder im Wiederholungsfall mit dem Tode bestraft wird, ja er gesteht, dass in Westafrika, wenn ein Mädchen durch Fehltritte ihre Familie beschimpft hat, Ausstossung aus dem Hordenverband erfolgt^). Wir begegnen dem Neffenerbrecht ferner bei Völkern, wie den Irokesen und Huronen, die Proben strenger Enthaltsam- keit ablegten, denn junge Ehegatten mussten ein ganzes Jahr wie Bruder und Schwester zusammenleben, um zu beweisen, dass edlere Neigungen als die Befriedigung von Sinnenlust sie zusammengeführt hätten'). So äussert auch' Joseph Gumilla^) von den Indianern des Orinoco : „Alle empfinden schwer die Untreue ihrer Frauen, doch die Cariben allein bestrafen sie exemplarisch, denn die ganze Gemeinde erschlägt die Schuldigen auf dem öffentlichen Platze". Ein anderes Mal aber erzählt er von einer Indianerin, die sich vergiftete, um nicht die Ehe zu brechen. Ungewissheit über die Vaterschaft kann auch bei solchen Stämmen nicht zum Neffenerbrecht geführt haben, welche den Brauch des männlichen Kindbettes beobachten^). Die Bevorzugung der Schwesterkinder vor den eigenen Leibeserben, und die Verehrung des Mutterbruders darf also, so lange nicht strenge Beweise beigebracht werden, nicht als ein Merkmal* von ehelicher Sittenlosigkeit gelten.

Da sich ein schicklicher Platz anderwärts nicht finden dürfte, sei uns an dieser Stelle der Zusatz verstattet, dass das Küssen nicht allerorten Brauch ist. Darwin hat bereits mitgetheilt, dass

1) Savage Africa. London. 1863. p. 48. p. 61. p. 261.

2) Lafitau, moeurs des sauvages, tora. I. p. 574- Charlevoix, Nou- velle France, tom. III. p. 286.

3) S. oben S. 26.

4) El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. p. 7^- P- 342. Uebrigens kamen auch grobe Verachtungen der ehelichen Treue vor. 1. c. p. 72.

Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. 247

in der Südsee die Maori Neuseelands, die Tahitier, die Papuanen, endlich die Australier diesen Ausdruck der Zärtlichkeit nicht, in Ame- rika aber weder Eskimo noch Feuerländer ihn kennen. Winwood Reade erregte das Entsetzen eines Negermädchens als er sie geküsst hatte, denn in ganz Westafrika sind solche Liebkosungen ungebräuch- lich*), und ebenso stiessBayard Taylor bei den Frauen Lapplands auf eine entschiedene Abneigung gegen jede derartige Berührung^). Sie ist selbstverständlich ausgeschlossen bei allen- Völkern, welche die Lippen aufschlitzen und kleine Hölzer einsetzen, wie es die Stamme an den Küsten des Beringsmeeres und ihre Nachbarn die Koluschen, ferner die Botocuden in Brasilien und die südafrikani- schen Nieger thun, deren Frauen das Pelele tragen.

8. Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft.

Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft liegen eingeschlossen in der Familie. Diesen Verband haben, unter allen Völkern der Erde die Chinesen am stärksten befestigt, denn die Verehrung der Eltern steigert sich bei ihnen fast zu einem religiösen Dienst Zu den heiligsten Pflichten, welche die Familienglieder verknüpfte, ge- hörte die Blutrache, eine Satzung, die nicht etwa unsern Abscheu verdient, sondern in der wir den ersten Versuch zur Begründung eines Rechtsschutzes zu verehren haben. Alle Völker der Erde haben in Vorzeiten dieses Gebot beobachtet, das in Europa auf Corsika und unter den Albanesen sich noch bis in unsere Tage behauptet hat. Confutse legte dem Sohne die Pflicht auf, so lange Waffen zu tragen, bis er den Mörder seines Vaters erreicht und erschlagen habe. Auch die ausgestorbenen Tasmanier beobachteten die Rachepflicht*) und ebenso hafteten bei den ihnen blutsverwandten Australiern alle Glieder einer Horde für jede Blutthat, die einer

i) Auch die Marquesasinsulaner (v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. I. S. 98) und wahrscheinlich alle Polynesier , vielleicht alle Völker, bei denen der Malayenkuss (S. oben S. 24) gebräuchlich ist, verschmähen diese Liebkosung. Vgl. auch Jagor, die Philippinen. S. 132.

2) Savage Africa. London 1863. p. 193.

3) Nordische Reise. S. 135.

4) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 814.

2J.8 I^ie Keime der bürgerlichen Gesellschaft.

der Ihrigen begangen hatte*). Martins bezeichnet diese Rechtssitte als ein Gemeingut aller Eingebornen Brasiliens und gedenkt ihrer auch bei den Macuschi und Arowaken Guayanas*). Unter den Bewohnern der Fidschigruppe vererbte die Rache vom Vater auf den Sohn und von diesem auf die nächsten Verwandten^). Die günstigen Wirkungen dieser Schutzpfiichten äussern sich auch, wenn der strafende Arm nicht den Thäter selbst ereilt, sondern nur auf einen fallt, der mit ihm in gleichem Racheverband steht.

Wunderlich mag es lauten, dass der Völkerkundige mit inniger Freude der Ausbildung dieser Pflichtenlehre nachforscht, aber eine Begebenheit, deren Schauplatz das nördliche Arabien ist, wird jedes Befremden in Zustimmung verwandeln. Im Jahre 1863 wurde der Italiener Guarmani vom Kaiser Napoleon III. nach dem Nedschd geschickt um Edelrosse einzukaufen. Er zog am Beginn des März 1864 mit den Beni Ehtebe, einer Beduinenhorde umher, als diese von ihrem Feinde dem Emir Abdallah Ihn Feisal ibn Sa*ud ange- griffen wurde. Der Kampf währte mehrere Tage, bis zuletzt den Beni Ehtebe ein unerwarteter Helfer erschien, mit dem sie ihre Gegner in die Flucht trieben. Zu den Hilfsvölkem des Emir ge- hörten auch die Beni Kahtan, welche während der Gefechtstage vom 9. bis 14. März beständig gegen die Beni Ehtebe geplänkelt, aber zugleich in vorsichtiger Ferne sich gehalten hatten. Als die Sieger den Walplatz musterten, fanden, sie unter den Erschlagenen nicht einen einzigen der Kinder Kahtan, welche übrigens die erste schickliche Gelegenheit zur Flucht ergriffen hatten. Da das Gesetz der Blutrache eine genaue Buchführung nicht blos über alle Tödtungen, sondern auch über die Körperverletzungen erfordert, so war es bedeutsam, dass andererseits keiner der Beni Ehtebe seine Ver- wundung einem der Beni Kahtan zuschrieb'^). Das Räthsel übrigens war für die Beduinen leicht zu lösen. Die Kahtan-Horde hatte mit den Ehtebe bisher in Frieden gelebt und nur gezwungen dem Emir in den Kampf folgen müssen. Wie auf Verabredung war zwi- schen diesen Stämmen nur zum Schein gefochten worden und wenn

i) Waitz, 1. c. S. 744 if.

2) Ethnographie. Bd. I, S. 127. S. 650. S. 693.

3) H. Greffrath in Zeitschrift für Erdkunde. Berlin 1871. Bd. 6. S. 543.

4) Guarmani, Itin^raire au Neged septentrional, im Bulletin de la Soci^t^ de G6ogr. Paris. Septbr. 1865. V^me Sirie. tom. X. p. 283.

Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. 249

daher beiderseitig kein Blut floss, so erwies sich gerade das Rache- gesetz als wohlthätige Ursache, denn wäre es auch nur zu Ver- wundungen gekommen, so hätte sich daraus eine Kette von Ge- waltthaten bis auf ferne Geschlechter vererbt. Wir erkennen da- raus, dass die Blutrache zum Lebensschutz ersonnen worden ist. Wer daher unter Arabern seinen eigenen Verwandten umbringt, verfällt keinem Rächer, da er sich selbst geschädigt hat, und ebenso wenig zieht die Tödtung eines Vogelfreien oder äUis dem Stamm- verband Gestossenen irgendwelche Folgen nach sich^). Wo die Rache zur Pflicht wird, trifft Verachtung denjenigen, der sie nicht vollzieht*). Eben weil die Vergeltung jsur Ehrensache erhoben wird, stösst aber die Beilegung der Blutfehden auf grosse Schwierig- keiten. Am leichtesten gelingt sie, wenn die Zahl der TÖdtungen und Verwundungen auf beiden Seiten eine gleiche Höhe erreicht hat. Der Rest muss dagegen durch Geldeswerth gesühnt werden. Die Aneze Beduinen fordern für das Blut eines Freien 50 weibliche Kamele, ein Reitkamel, eine Stute, einen schwarzen Sklaven, einen Panzer und eine Flinte ; andere Stämme verlangen Geld iin Werthe von 50 Pfd. Sterl., noch andere nur die Hälfte^).

Mildern sich die Sitten, so wird die Sühnung durch Geldes- werth zur Gewohnheit and es entwickelt sich daraus der Brauch des Wer- oder was dasselbe sagen will des Leutgeldes. Wo solche Bussen auferlegt werden, hat vormals überall Blutrache ge- herrscht. In Guinea wurde zu Bosmans*) Zeiten, also am Beginn des i8. Jahrhunderts der Todtschlag jedes Freien mit schwerem Gelde gesühnt, welche« den Verwandten zufiel. Wenig verträglich mit unserm Rechtsgefühl ist es, dass in Slam auf die Tödtung eines Greises eine geringere Summe, als auf die l^dtung von rüstigen Männern gesetzt wird 5). Unsere Vorfahren entrichteten das Wer-

1) V. Maltzan, Sittenschilderungen aus Südarabien. Globus 1872. Febr. Bd. XXI. S. 123.

2) Bei den Kuki, einem südasiatischen Stamm galten die Angehörigen des von einem Tiger Zerrissenen so lange entehrt, bis sie einen Tiger getödtet hatten. Tylor, Anfange der Cultur. Bd. i. S. 282.

3) Burckhardt, Notes on the Bedouins. London 1830. p. 87.

4) Guinese Goud-Tand-en Slave-kust. Utrecht 1704. p. 159.

5) Brossard deCorbigny»in Revue maritime et coloniale. tom. XXXIII. Aoüt 1872. p. 73.

250 I^ic Keime der bürgerlichen Gesellschaft.

geld theils an die Familie des Erschlagenen, theils an das Gemein- wesen^). Unter den Kafirn ist die Rechtsentwickelung schon so weit fortgeschritten, dass die Sühngelder nicht dem Beschädigten, sondern dem Häuptling zufallen, gleichsam als sei durch den Friedensbruch der Gesellschaftsverband, oder "derjenige, der ihn vertritt, verletzt worden*). Dass die Angehörigen leer ausgehen, rechtfertigen sie nait dem schönen Worte: man könne sein eigen Blut nicht essen "5). Die Blutrache fordert eine entsprechende Wieder Vergeltung, nämlich nach den Bibel worten: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben. Auch in der römischen Ge- sellschaft hat sich das Strafrecht aus dieser Vorstellung entwickelt, denn zur Zeit der Zwölftafelgesetze wurde noch immer, wenigstiens bei schweren Körperverletzungen die Wiedervergeltnng vollstreckt, wenn der Beschädigte' nicht vorzog, sich abfinden zu lassen^).

Wo irgendwo auf Erden der Mensch zu Brauch oder Genuss eine Sache ergriffen hatte, da hielt er sich von jeher für ihren Eigenthümer. Ahnungen von den Rechten des Besitzers mangeln * selbst in der Thierwelt nicht, in ßezug auf das Nest sind sie bei nistenden Vögeln vorhanden. Im Londoner Thiergarten .^bediente si^h ein Aife mit Sjchwachem Gebiss eines Steines zum Oeffnen von Nüssen, und verbarg ihn nach jedesmaligem Gebrauch im Stroh, liess ihn auch von keinem andern Affen berühren 5). Unser Fuhr- mannsspitz bewacht die Güter seines Herrn, und gebärdet sich aufs deutlichste als Schützer des Eigen thums. Ein Beobachter, wie Appun, der viele Jahre unter den Eingebornen Guayanas gelebt hat, versichert, dass die Habe des Einzelnen von allen Mitbe- wohnern einer Hütte heilig gehalten werde 6). Aber selbst Vor- stellungen vom Recht an unbeweglichen Sachen entstehen in einer sehr frühen Zeit. Bei Jägern gilt das Revier immer als Gesammt-

1) Tacitus, Germ. cap. 12. pars multae regi, vel civitati, pars ipsi', qui vindicatur, vel propinquis ejus absolvitur; vgl. dazu J. Grimm, deutsche Rechtsalterthümer. 2. Ausgabe. S. 652. u. G. Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechtes. Leipzig 1861. S. 156.

2) Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 97.

3) Maclean, Kafir Laws and Customs. Mount Coke. 1858. p. 35. >

4) Si membrum rupit, ni cum eo pacit, talio esto. Tab. VIII. fr. 2. H. E. D.irksen, Uebersicht der Zwölf tafel-Fragmente. S. 517.

5) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. i. S. 44.

6) Ausland 1872. No. 29. S. 682.

*" Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. 25 1

eigenthum der Horde. Flüsse, Wasserfalle, Berge, Felsen und Bäume werden als Grenzzeichen von den Brasilianern benutzt^). Ein Duell zwischen zwei Botocudenhorden , welchem der Prinz zu Neuwied beiwohrfte, sollte als Sühne für einen Einbruch in ein fremdes Jagdrevier dienen*). Bei den Australiern, auf welche die ältere Völkerkunde am tiefsten niederzublicken pflegte, wurde das Eigenthum an Grund und Boden streng beachtet.. Benilong, ein Eingeborner von Neu Süd-Wales, hatte die Insel' Memel (Goat Is- land der Engländer) von seinem Vater geerbt undj;' gedachte sie einem Freunde zu hinterlassen^). Es kommen sogar Theilungen des Erbes bei Lebzeiten unter ihnen vor, und so streng wurden die Rechte [des Eigenthümers geachtet, dass Niemand ohne Kr- laubniss auf dessen Gebiete Bäume fällen oder Feuer anzünden durfte. Zustände, wo unter Menschen Eigenthum nicht unter- schieden worden wäre, liegen also jenseits der Grenze unsres For- schens. Wo der Acker von sesshaften Bewohnern bebaut wird, da sorgt man bereits für eine scharfe Theilung der Fluren. Auf den .dichtbesiedelten nördlichen Nicobaren trifft man^ Grenzsteine, auf den südlichen, wo noch Raum genug ist, fehlen sie*). Unter den alten Bewohnern von Cumanä am caribischen [Golfe sahen die Spanier die Felder mit baumwollnen Schnuren abgegrenzt und jede Verletzung dieser Schranken wurde als ein Frevel angesehen^). Don Diebstahl betrachteten die Bewohner der Küste Venezuelas und der Antillen als das verwerflichste Verbrechen und bestraften ihn mit qualvollem Tode^). Zu den Ueberschwenglichkeiten despotischer Reiche gehört es, wenn die Krone auch in so dicht bevölkerten Gebieten, wie im britischen und im malayischen Indien zum allei- nigen Eigenthümer von Grund und Boden erhoben, das Land aber an die Unterthanen nur verpachtet wird. Auch im alten China be- stand diese Staatseinrichtung 7). Ebenso war zur Incazeit in Peru kein Eigenthum denkbar, denn es herrschte dort eine strenge Gütergemeinschaft oder besser, es gab nur einen einzigen Eigen-

1) Martius, Ethnographie Bd. i. S. 81 82.

2) Reise nach Brasilien. Frankf. 1820. Bd. i. S. 370.

3) Dumont d*Urville, Voyage de TAstrolabe tom. I. p. 469.

4) Waitz, Anthropologie. Bd. i. S. 440.

5) Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. VIII, cap, 6.

6) Gomara, Historia de las Indias. cap. 28. cap. 68.

7) Plath, Gesetz und Recht im alten China. München 1865. S. 18.

2C2 Die Keime der büigerlicHen Gesellschaft.

thümer, den Sonnensohn, der durch seine Beamten die Frohndienste den Unterthanen auferlegte und alle Erzeugnisse der Arbeit wieder unter sie vertheüen liess. Uebrigens war diese Ordnung der Dinge nicht auf Peru beschränkt, sondern wie die Inca verfuhren die Caziken der Antillen*) und die Häuptlinge der Otomaken im heu- tigen Venezuela'). Wo den Häuptlingen göttliche Abkunft zuge- schrieben wird und sie für höhere Wesen gelten, da kann ihnen gegenüber das Eigenthum-nicht streng aufrecht erhalten werden. Bei den Polynesiern und polynesischen Mischvölkern wird alles was der Fürst betastet oder betritt tabu oder unberührbar für Jeder- mann und es ist oft- schon dargestellt worden, welchen lästigen Vorsichtsmass regeln die Häuptlinge sich unterziehen mussten, um die unerwünschten Rechtsfolgen zu vermeiden, dass sie beispiels- weise über Fluren hinweg getragen wurden, um deren Tabuirung abzuwenden.

Mit der Art des Nahrungserwerbes hängt am innigsten die Gliederung des Gemeinwesens zusammen. Wo sich der Mensch zum Manschen gesellt, da erhebt sich auch stets eine Obrigkeit. Am lockersten sind alle gesellschaftlichen Fesseln der herumstrei- chenden Jägerhorden Brasiliens, die aus wenigen, oft nur aus einer einzigen Familie bestehen. Aber auch diese haben ihr Revier zu beschützen und bedürfen wenigstens eines Anführers im Kriege. Bei allen Jägern und Fischern ist die Macht der Häuptlinge sehr beschränkt, oft nicht einmal erblich. Die Indianer Nordamerikas, die Australier, die Buschmänner, die Eskimo haben ihren Ober- häuptern nur den Schatten von Macht gegönnt. Die Jagd und der Fischfang sind eben diejenigen Erwerbsarten, zu denen der Einzelne am Wenigsten den Beistand von Mitmenschen bedarf. „In jedem Ameisenstaat, ruft der Pater Gumilla^) mit Bezug auf die Indianer am Orinoco aus, herrscht mehr Ordnung und Obrigkeit, als bei den Völkerschaften, über die ich geschrieben habe". Gunstiger urtheilt ein anderer Jesuit, Charlevok^), über die Indianer

el, Zeitalter der Entdeckungca. S. igz.

«. Gumilla, Et Orinoco ilustrado. Madrid 174t.

3) El Orinoco iluslrado. P. I, cap. 8. p. 70.

4) NouveUe France, lom. III, p. 341.

Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. 253

Nordamerika's. Ohne sichtbare Beherrscher, sagt er, gemessen sie alle Vortheile einer wohlgeordneten Regierung. Hirten- stämme treffen wir meistens unter patriarchalischen Häuptern, denn die Ileerden gehören gewöhnlich nur einem Herrn, dem als Gesinde seine Stammesangehörigen oder ehemalfg unabhängige, später verarmte Heerdenbesitzer dienstbar geworden sind. Dem Hirtenleben sind vorzugsweise, wenn auch nicht ausschliesslich die grossen Völkerbewegungen eigen, sowohl im Norden der Alten Welt wie in Südafrika, die Geschichte Amerikas kennt dagegen nur Einbrüche von rohen Jägerstämmen in die lockenden Gefilde von Culturvölkern. Dass ganze Völkerschaften ihre bisherigen Wohnstätten abbrechen, vorwärts drängen und grosse Erdräume durchwandern, ist überhaupt nur denkbar ii; Begleitung von Heer den, welche auf dem Marsche die nöthige Nahrung gewähren. Die Viehzucht auf Steppen nöthigt ohnehin zum Wechsel der Weide- plätze. Mit dem Ses^haftwerden und dem Ackerbau regt sich aber sogleich die Begierde nach Sklavenarbeit. Jäger, die nur unter beständiger Anstrengung sich und ihre Familien ernähren^ können Unfreie nicht in ihrem Hausstande ver^venden. Anders verhält es sich schon, wo Fischfang betrieben wird, denn dann treffen wir hin und wieder schon Sklaverei, wie an der Nordwestküste Ame- rikas bei den Kodjaken und Koluschen, sowie bei den Aht der VancouverinseP), welche letztere, beiläufig bemerkt, ihren Leibeigenen das Haar kurz scheeren. Früher oder später führt die Sklaverei stets zur Willkürherrschaft, denn derjenige, welcher die grÖsste An- ;zahl Sklaven besitzt, wird mit ihrem Beistande leicht alle Schwächeren unterdrii^en. Sklaverei ist die Regel in ganz Mittelafrika, daher auch dort, wohin wir blicken, nur Despotien auf den Trümmern von Despotien erwachsen sind.

Mit der Unterscheidung von Freien und Unfreien gliedert sich die Gesellschaft in Stände und selbst unter Negern, wenn auch selten, wie an der Goldküste oder im Congolande entsteht ein Adel^). Das gleiche geschieht dort, wo eine erobernde Race sich

1) Waitz, Anthropologie Bd 3. S. 313, 329 und Sproat im Anthropol. Review. London 1868. tom. VI, p. 369. .Selbst bei den Botociiden will man kriegsgefangene Sklaven gesehen haben. Prin^ zu Neuwied, Reise nach Brasilien. Frankfurt 1821. Bd. 2. S. 45.

2) Antonio Zucchelli, Missione di Congo. Venezia 1712. IX, 7. p. 14Ö.

254 ^^^ Keime der bürgerlichen Gesellschaft.

einen fremden Volksstamm unterwirft. Dann werden die physi- schen Merkmale gewöhnlich zu Wahrzeichen der besseren Abkunft erhoben, wie ja der indische Ausdruck für Kaste, varna, soviel wie Farbe'), Hautfarbe nämlich, bedeutet. Wenn die Könige von Spanien einen eingebornen Amerikaner in den Adelstand erhoben^ so lautete die Formel, „er möge sich forthin als einen Weissen be- trachten". Dass auch unter Jägerstämmen eine Scheidung nach vornehmer und niederer Abkunft eintreten solle , ist schwierig zu ^erklären. Bei den Australiern gibt es gleichwohl drei Kasten, die keine Zwischenheirathen verstatten*), obgleich nirgends beobachtet worden ist, dass Mitglieder einer Horde irgendwelche Bevorzugung genossen. Uebrigens ist noch sehr dunkel, was über das angeb- liche Patriciat unter diesen Menschenstämmen mitgetheilt wird^). Sollte diese Einrichtung nur auf die Coburg-Halbinsel im Norden beschränkt sein ^) , dann wäre sie einer Einwanderung aus den Inseln im Nordeu zuzuschreiben. Unter den Malayen nämlich, sowie bei den ihnen verschwist^rten Polynesiern findet sich ein Adelstand, welcher letzterer sich meistens wieder in viele Stufen gliedert 5). Bei den Tonganern traf Mariner ausser den Fürsten einen hohen und niedern Adel und zwei Classen von Plebejern^). Adclsvorrechte und Kastenwesen stehen auch bei papuanisch-polynesischen Misch- völkern, wie bei den Bewohnern' der Fidschigruppe oder der Palau- inseln in üppiger Blüthe. Da wir über die Zustände der unverialschten Papuanen in Neu-Guinea noch lange micht genügend unterrichtet sind, die Macht der Häuptlinge dort übrigens als sehr schattenhaft geschildert wird, die Neu-Caledonier ferner, welche übrigens der Blutmischung nicht unverdächtig sind, ausser der Häupd|pgswürde, keine Standesunterschiede anzuerkennen scheinen, so dürfen wir es nur polynesischem Einflüsse zuschreiben, wenn so viele papuanische Mischstämme nach Kasten sich gegliedert haben.

In Amerika treffen wir -den Geburtsadel zunächst bei den

i) Adalbert Kuhn in "Webers indischen Studien. Bd. i. S. 331.

2) Earl in Joum. of thc R. Geogr. Soc. vol. XVI, p. 240.

3) Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. 3. S. 8.

4) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 789.

5) Beispielsweise in d^r Landschaft Holontalo in Nord-Celebes nach Riedel in Zeitschr. für Ethnologie. 1871. S. 255.

6) Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II, p. 87 sq.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 255

Koluschen an der Küste des jetzigen Gebietes Alaska, sowie be ihren Nachbarn, den Haidah der Charlotteinseln. Hier wie dorti führen die Familien ihre Wappen, die aus Thierbildern bestehen'). Bei den südlicher sitzenden Stämmen der Nordwestküste Amerikas wurde die adelige Geburt an der künstlichen Abflachimg des Kopfes erkannt, denn diese Auszeichnung gebührte nur, wie wir gesehen haben, den Freigeborenen % Die Irokesen duldeten keine Standesunterschiede, die Algonkinen und ihre südlichen Nachbarn dagegen sonderten sicK streng in Edle, Gemeine und Sklaven 3)^ In Südamerika gründeten die Sonnensöhne Perus in ihrem Reiche einen doppelten Adel, denn ausser den zahlreichen Incas •oder Abkömmlingen des königlichen Blutes*), setzten sie in den er- oberten Provinzen die Curacas oder Ortshäuptlinge als Obrigkeiten ein, denen verstattet wurde sich das Ohr zu durchbohren, wie die Sonnenkinder 5). Endlich finden wir bei den Guaranistämmen und bei den Abiponen am rechten Ufer des Paraguay eine scharfe Unterscheidung zwischen Leuten vornehmer und niederer Abkunft. Alte Frauen, berichtet Dobrizhoffer , deren Reichthum nur in den Rifnzeln ihrer Gesichter bestand, rühmten sich mit hohen Worten, dass sie nicht- von gemeinen Eltern abstammten. Im Gespräche mit Adeligen wurden allen Zeit- und Hauptwörtern die Sylben in oder en hinzugefügt, je nachdem die angeredete vornehme Person ein Mann oder eine Frau war^).

9. Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

Auf allen Gesittungsstufen und bei allen Menschenstämmen werden religiöse Empfindungen stets von dem gleichen inner n Drang erregt, nämlich von dem Bedürfniss, für jede Erscheinung und Begebenheit eine Ursache oder einen Urheber zu erspähen.

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 329. Ausland 1868. S. 957.

2) S. oben S. 23.

3) La fit au, Moeurs des sauvages amöriquains. Paris 1724. tom. I, p. 563.

4) Clements Markham vermuthet, dass der Incatitel ursprünglich nicht blos dem Herrscherhause, sondern allen Stammhäuptern des Incavolkes zuge- kommen sei. Journal of the R. Geogr. Soc. London 1871. vol. XCI. p. 288.

5) Garcilasso, Commentarios, lib. I, cap. 21 u. 22.

6) Geschichte der Abiponer. Wien 1783. Bd. 2. S. 128. S. 236.

256 ^ic religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

Dazu gesellt sich bei den kindlich gebliebenen Völkern das Unver- mögen, die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmungen anders als beseelt zu denken. Dass sie selbst Steinen und Felsen Willenshand- lungen und menschliche Empfindlichkeit zutrauen, werden wir sofort zu erwähnen haben. Nicht blos den Thieren, sondern auch den Gewächsen schreiben die Dayaken Borneos ein seelenhaftes Wespn, semungat oder semungi geheissen, zu. Kränkelt eine Pflanze, so sehen sie darin eine zeitweilige Abwesenheit ihres un- sichtbaren Ichs und wenn der Reis verfault, so ist seine Seele ent- wichen'). Als der Missionär Phillips an einem schwülen Tage geg^n einen jungen Feuerländer über die Tageshitze klagte, rief der Knabe ängstlich: „Sprich nicht die Sonne sei heiss, gleich verbirgt sie sich und der Wind weht kalt!"^ Werden daher die Dinge der Aussenwelt als beseelt, als willensmächtig und als leiden- schaftlich vorgestellt, so können sie auch als Anstifter von Unfällen gelten, deren wahre Ursache sich dem Denkvermögen entzieht. Was bei solchen Stimmungen unter unentwickelten Menschen- stämmen im Dunkel der Gemüther sich vollzieht, wird durch eine oft benutzte Mittheilung des afrikanischen Reisenden Lichtenstein 3) hell beleuchtet. Der Häuptling einer Kafir-Horde, der Ama^osa, hatte von einem gestrandeten Anker ein Stück abbrechen lassen. Bald nachher starb der Mann, welcher seinen Befehl ausgeführt hatte, und da nun, wie wir beiläufig hinzusetzen wollen, eine ganze Reihe von Völkern aller Erdtheile, zu denen auch die Kafirn ge- hören, jeden Tod eines Menschen übernatürlichen Ursachen zuschreibt, so genoss der verletzte Anker von jener Zeit an stets die Efirfurchtsbezeugungen der Amayosa. Die Australier in Neu -Süd -Wales halten es für einen Frevel in der Nähe von Felsen zu pfeifen, denn, so erzählten sie Dumont d'Urville*), es hätten einst etliche der Ihrigen am Fusse einer Steinwand gepfiffen, und wären deshalb durch herabstürzende Blöcke erschlagen worden 5).

1) Spenser St. John, Life in the forests of the Far Easl. London 1862. tom.. I. p. 177 178.

2) Ausland 1861. S. lOii.

3) Reisen im südlichen Afi-ika. Berlin 18 ii. Bd. i. S. 411.

4) Voyage de TAstrolabe, tora. I, p. 463.

5) Sehr merkwürdig ist es, dass auch auf den Tongainseln jedes Pfeifen, als unehrerbielig gegen die Götter, vermieden wurde. Mariner, Tonga- Islands, tom. II. p. 124.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 257

Die Redensart, dass sich schon vom Klange der Glöckchen am Halse der Maulthiere die Lawinen lösen sollen, beruht ganz sicherlich nicht auf Erfahrung, sondern deutet auf einen alten Aberglauben im Style des eben erwähnten australischen. Ferner gehört hierher, dass die papuanischen Bergvölker oder Wuka in ^feuguinea ihre Schwüre bei einem hohen Berge ablegen, der sie im Falle des Meineides überschütten möge'). Am Attaranflusse in Pegu sollte etwa 40 Jahre vor dem Besuche der Gräfin Nostiz^) ein gewaltiger Thinganstamm zum Aushöhlen eines Kriegsbootes gefallt werden. Beim Umsinken erschlug er unglücklicherweise über hundert Men-. sehen. Sogleich wurde die Stelle als ein Zauberort betrachtet, und auf dem Stumpfe des Baumes eine Kapelle für die Nat oder Waldgeister errichtet. Als im Jahre 1698 der König von Cu- massie starb, und ihm bald nachher sein bitterer Feind, der holländische Oberfactor des Forts Elmina, ins Grab nachfolgte, sahen die Neger, die ihre Abgeschiedenen als göttliche Wesen verehren, in dem Tod des X.etzteren ein Werk ihres voraus- gegangenen Fürsten 3). Sehr leicht erkennen wir in allen diesen Fällen eine Schwäche des Denkvermögens, als müssten Begeben- heiten, die der Zeit nach auf einander folgen, in einem ursäch- liehen Zusammenhang stehen. So verehrten auch die Itelmen Kamtschatkas die Bachstelzen als Verbreiter des Frühlings, weil mit ihrer Ankunft die bessere Jahreszeit sich einstellte*), und unsre Vorfahren müssen einen ähnlichen logischen Fehler begangen haben, wie uns die Red^sart bezeugt, dass eiije vereinzelte Schwalbe den Sommer nicht bringe. Stets also waren es die Urheber er- schreckender oder ersehnter Begebenheiten, welche die religiöse Verehrung auf sich zogen. Von dem viel gefeierten König Tez- cucos Netzahualcoyotzin versichert uns ei» eingeborner mexicani- scher Geschichtschreiber, er habe einen unbekannten Gott yerehrt unter dem Namen Ursache der Ursachen s). Es ist also der Drang nach einem unsichtbaren Urheber, der dazu führt, auch

i) O. Finsch, Neu-Guinea. S. 86.

2) Helfer' s Reisen in Vorderasien und Indien. Leipzig 1873. Bd. 2.

S. 155-

3) Bosman, Guinese Goud-kust. Utrecht 1704. tom I. p. 152.

4) Georg Steller, Kamtschatka. S. 280.

5) Ixtlilxochitl, Histoire des Chichim^ques. tom. I. p. 354; Prescott,

Conquest of Mexico, vol. I. p. 193.

Pitchel, Völkerkunde. 17

2S& Die religiösen Regungen bei unenl wickelten Völkern,

leblosen Gegenständen, da sie für beseelt gehalten werden, eüje göttliche Verfügung üöer die Schicksale der Menschen beizumessen. So erklärt sich ungezwungen der Ursprung des Fetisch- Wesens.

Was die geisterspähenden Blicke des Wilden an sich zieht, kann ihm zum Sitze einer Gottheit werden. Stücke von Pflanzen, Schlangen- häute, Federn, Klauen, Muscheln, steinerne Pfeifen, lebendige Ge- schöpfe, ganze 'Thieratten, kuiz was immer den rothhäutigen In- dianer nach vorausgehenden Fasten zuerst als Traumbild zu fesseln vermag, erkennt und verehrt er fortan als seinen Schutzgeist'). Die Wahl der angebeteten Dinge ist jedoch nicht gleichgiltig, weil sie vom Niedrigen zum Erhabenen fortschreitend den Fetisch- dienst bis zu dem Glauben an ein höchstes und sittlich vollkom- menes Wesen zu verklären vermag. Unveredelt bleibt der Mensch nur, so lange sich seine Anbetung tragbaren Sachen zuwendet, weil diese sammt ihrer vermeintlichen göttlichen Kraft in den Besitz eines Inhabers übergehen können. Die Dienstfenigkeit solcher Schutzgeister geniesst dann der Eigenthümer. Laban, der seine Hausgötzen vennisst, jagt dem Erzvater Jacob nach, und Rahel, die sie entwendet hat, weiss auch durch Schlauheit sie dem Nach- suchenden zu verbergen. Länge nach der mosaischen Gesetz- gebung, bis zu Davids Zeiten hüteten die Hebräer ihre Seraphim oder Penaten noch im Hanse'). Selbst wo die reinsten Gottes- gedanken schon die Gemüther gewonnen haben, hängt das Herz doch immer noch mit Zähigkeit an dem alten Hausrath seiner kindischen Verehrung fest^ und es soll das Volk noch gefunden werden, welches sich völlig vom Aberglauben, das heisst von den Ueberresten früherer Religionsschöpfungen gereinigt hätte.

Einem Slädteerbauer aus der nebelhaften Vorzeit Turkestans, Namens Sekedschket, brachte seine chinesische Gemahlin als Aus- steuer etliche Fetische mit und in Bochara wurden zu Zeiten Götzen- märkte abgehalten^). Gehört der Fetisch zum beweglichen Eigen- thum oder gleichsam zum Gesinde des Hausherrn, so wird er für seine angebliche Verstocktheit oder Bosheit bestraft, so oft er die Wünsche des Bittenden nicht erhört. Wenn dem Ostjaken ein

I] Charl«voiz, Nouvelle Frimce, lom. III. p. 346.

2) I. Kegum, C4ip. 19 v. 13 16 u. £wald, isnielitisclie Geschichte. Bd. I S. 372. Bd. 3. S. 107.

3) Vimbety, Geschichte Bocharas, Bd. 1. S. 2. S. 16.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 250

Unglück widerfahrt, wirft er seinen Götzen zu Boden, schlägt, misshandelt oder bricht ihn in Stücke^). Der letzte heidnische Lappe in Europa, Namens Rastus, hatte vor etlichen zwanzig Jahren etwa, seinem göttlichen Bautasteine einmal das gewohnte Brannt- weinopfer entzogen. Kurz nachher verlor er durch Blitzstrahl zwei Rene. Zornig warf er die Fleischstücke der zerlegten Thiere dem Götzen zu mit den Worten : „nimm ! was du dir geschlachtet hast!" und kehrte ihm den Rücken um zum Christenthum über- jsutreten^;. Vor jedem grossen Unternehmen schreitet der Neger Guineas, wenn kein älterer und erprobter vorhanden ist, zur Wahl eines neuen Fetisch, und worauf sein Auge beim Heraustreten aus dem Hause fällt, sei es ein Hund, eine Katze oder ein anderes Geschöpf, das erwählt er zum Abgott, dem sogleich Opfer gebracht werden. Glückt das Unternehmen, so steigt das Ansehen des Fetisch, misslingt es, so kehrt er wieder in den vorigen Stand zurück ^).

Zu den leblosen Dingen, welche menschliche Andacht auf sich zogen, gehörten allerorten die Steine. Niemand wird überrascht werden, dass Meteoriten, die beim Herabfallen glühend in den Erdboden einschlugen, gern angebetet wurden. Ein Stein, der bei Chicomoztotl oder den Sieben Höhlen, einem wichtigen Ort in der mythischen Topographie der Alt-Mexicaner, herabfiel, wurde von diesen als ein Sohn des Götterpaares Ometeuctli und Ome- cihuatl verehrt^). Der schwarze Stein, das grösste Heiligthum der Mohammedaneri^n Mekka, soll anfangs hell geleuchtet, wegen der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts sich aber bald ^hwarz ge- färbt haben 5). Er ist ganz sicherlich der Rest eines Fetisch-Dienstes der vorislamitischen Araber^ wie der Stein, welcher jetzt eingemauert in der Omar-Moschee zu Jerusalem den Propheten gen Himmel getragen und dann herabgefallen sein oder vielmehr noch jetzt in der Luft schweben soll^). Aus anderen leicht zu deutenden Vor- stellungen werden Steine von Phallusgestalt, vielleicht vereinzelt gebliebene Säulen eines Basaltganges auf den Fidschi-Inseln ver-

1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 79.

2) Globus 1873. Jan. Bd. XXIII. No. 3. S. 35.

3) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. lom. II. p. 153.

4) J. G. Müller, Amerikanische Urreligionen. S. 5x7,

5) Sepp in der Allgem. Ztg. 1872. S. 4462.

6) Baierlein, Nach und aus Indien. S. 125.

17»

26o I^ic religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

ehrt'). Noch kürzlich wurde Theodor Kirchhoff in Oregon ein Felsblock gezeigt, zu welchem die Umpkwa-Indianer wallfahren. Die Propheten in Israel und die frommen Könige in Juda eiferten unablässig gegen den Dienst der Höhen, worunter ein hoher Steinkegel, das Sinnbild des Heiligsten zu verstehen ist*). Schon Jacob salbte den Stein zu Bethel, auf dem er geruht hatte. Im keltischen Europa begegnen wir den Steinkreisen als Andacht- stätten und den trilithischen Cromlech oder Steintischen, die ent- weder als Opferstätten dienten, oder unter denen der Gläubige hindurchkriechen sollte. Noch im Jahre 567 musste ein Concil in Tours den Kirchenbann gegen die Fortsetzung des Steindienstes androhen, ja in England ergingen solche Verbote im 7. Jahrhundert von Theodorich, Erzbischof von Canterbury, im 10. von König Edgar, im 11. noch von Cnut^). Verzeihlicher wird in unseren Augen diese Verirrung, wenn die Andacht sich auf Bergspitzen erstreckt. Wir denken dabei weniger an Heiligung gewisser Gipfel, wie des Olymp als Sitz der epischen Götter oder wie des Sinai als Berg der Gesetzgebung, wollen aber nur in Bezug auf Letzteren erwähnen, dass auf der Höhe des Serbäl ein Stein- kreis sich befindet, den die Beduinen nur mit abgelegten Schuhen betreten*). Das Gleiche ist der Fall mit dem benachbarten Dschebel Munädschät, den die Araber den Berg des Zwie- gesprächs (nämlich Mosers mit Jahve) nennen und in dessen Steinkreis sie Weihgeschenke niederlegen s). Die Verehrung von Fussabdrücken , wie der des Gottes Tezcatlipocai) den die Alt- Mexicaner bei Quauhtitlan zeigen^), oder der des Tiitii auf Samoa in der Schifferinselgruppe \ oder endlich der des Buddha auf dem Adamspic Ceylons gehferen jedoch nicht hierher, sondern sind nur Spielarten der Reliquienverehrung. Wir erwähnen dagegen den Schamanenstein der mongolischen Buräten, einen Felsen auf der Halbinsel Olehon im Baikal-See, sowie den Berg Tyrma oder Tirmak, bei dem die Guanchen oder Urbewohner der canarischen

1) Williams, Fiji and the Fijians, tom. I. p. 220.

2) Ewald, Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl. Bd. 3. S. 418.

3) Sir John L üb bock, Origin of civilization, p. 209.

4) Rüppell, Reise in Abyssinien. Frankf. 1838. Bd. i. S. 127.

5) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 204.

6) J. G. Müller, Urreligionen. S. 578.

7) Tylor, Urgeschichte. S. 147.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 26 1

Inseln ihre höchsten Eide schwuren und von dem Begeisterte frei- willig als Opfer sich herabstürzten^). Wenn Pausanias Verehrung von Steinen bei den Bewohnern Pharäs noch vorfand und ein andres Mal äussert, in Vorzeiten hätten sämmtliche Hellenen statt Bildern Steine verehrt^), jedoch hinzufügt, dass sie ihnen die Namen ihrer vergötterten Naturkräfte beilegten, so ist es fraglich, ob wir es hier mit einem echten oder auch nur mit der Hinter- lassenschaft eines echten Steindienstes zu thun haben.

Hat die Verehrung von Steinen für deutsches Verständniss etwas Fremdartiges, so regt sich viel beifälliger in uns das alte Heidenblut, so oft wir vernehmen, dass Bäume oder Haine als Gottheiten oder Sitze von Gottheiten aufp^efasst wurden, denn noch heute verstehen wir die Empfindungen unserer Voreltern, als der heilige Bonifacius die Sachseneiche fällte. Das Flüstern im stillen, das Rauschen im erregten Walde, das Brechen oder Knarren des Holzes, der sichtliche Kampf einer entlaubten Krone mit ihren knorrigen, gelenkreichen Aesten im Sturme erweckt die Täuschung, als stehe man einer belebten Persönlichkeit gegenüber, und nur allzu willig gönnen wir uns den Trug, übersinnlichen Mächten uns physisch nähern zu dürfen. Ehemals war der Baura- dienst über die ganze Erde verbreitet. Noch jetzt steht am Loch Siant auf der schottischen Insel Skye ein Eichengehölz, von dem seiner Heiligkeit wegen kein Zweig gebrochen werden darf^). Wo eine Ceder im Föhrenwalde vereinzelt aufragt oder wo sieben Lärchen eine Geschwistergruppe bilden, naht sich ihnen der Sa- mojede in ehrfürchtiger Stimmung, dem Ostjaken wiederum sind Bäume heilig, auf denen Adler^ mehrere Jahre nach einander ge- nistet habend). In den Hainen der Mundakhol, eines drawidischen Volksstammes Indiens, darf kein Zweig verletzt werden 5). Noch jetzt trifft man jenseits des Jordans Bäume, von denen Weih- geschenke, vorzüglich Haarflechten, herabwehen ^). Auf seinem

i) Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 54.

2) Pausanias VII, 22, ed. Walz, tom. II, p. 615 616.

3)SirJohnLubbock, Origin of civilization. p. 192.

4) Caströn, Ethnolog. Vorlesungen. S. n5. Pallas, Voyages, tom. IV. p. 81.

5) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. S. 333.

6) Wolff, im Ausland 1872. S. 308.

ztz Die religiösen Regaogen bei unentwickelten Völkern,

Marsche nach Sardes in Lydien behing Xerxes eine heilige Pla- tane mit Golds chrtiMck und bestellte zu ihrem Schutze einen Hüter '). Im äquatorialen [Afrika empfangen wiederum die ge- waltigen Affen btodbäume oder Adansonien fromme Gaben, Adolf Bastian sah den gleichen Gebrauch in Birma'), in Mexico wird nach Tylor eine heilige Cypresse auf 'diese Weise verehrt, am west- lichen Colorado nach Möühausen^) eine Eiche, am Ausfluss des ulicren See's steht die grosse Esche, wek^her die rothhäutigen In- dianer ihre Opfer bringen, wie dem vereinzelten Wailitschu-Baum auf den Pampas unweit Patagones (Carmen), welchen Charles Darwin*) besuchte. Wir erinnern schhesslich an den Hain von Doilün;t, an die homerische Platane zu Aulis, von der Pau san las ^) noch KestP sah, an die Verehrung der Pipal (Ficus reltgiosa) und der in- diachcn Feige (F. indicaj von Seiten der brahmanischen Hindu und der Buddhisten, an die geweihte Espe der Kirgisen*), an den letzthin gelullten Birnbaum auf dem Walser-Felde, sowie an die Weltesche Yggdraiil in unsern Mythen, Etwas Anderes ist es, wenn sich die bäum Verehrung an das Verweilen geheiligter Personen knüpft, wie es der Kall war mit dem Hain bei Mambre, weil Abraham dort rastete, oder mit der Sykomore bei Matarieh, unter deren Schatten die Ma- donna auf der Flucht nach Aegypten geruht haben soll. Je nach der Art der Weihgeschenke hatte die V'erehrung der Bäume einen andern Sinn. Wenn die Araber in den heidnischen Zeiten vor den B:Lumen opferten und ihre Waffen an ihnen aufhingen'), so galt ihnen der Baum als Sitz einer Gottheit oder als Gott selbst, wenn dagegen Mungo Park*) in den Mandingoländern Bäume mit Lfipjichen und ZeugfeUen beladen sah, so bemerkt schon Bos- maii'*,i, dass in Guinea die heiligen Haine oder Bäume besonders

1} Herodot, lib, VU. cap. 31.

::| Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprach Wissenschaft. Berlin 1S6S. BJ. j. :i. 191. Bowers, BhaniQ-ExpedilioQ. Berütt 1871. S. 27, .

3I Vom Mississippi nach der Südsee. 5. 3S7.

41 lournal of Researches. London 1S4J. 2d ed. p. 68.

j) Pausanias, lib. IX, cap. 19 u- Hiad. %. v. 307— JI6.

ti| ?Joschel, Reise in die Kirgisen steppe. Beiträge zur Kenntniss des Kuss, Heiches. Bd. 18. S. 154.

71 L, Krehl, Die Religion der vorislamitischen Atabcr.Leipiig 1873, S. 73.

8) Reisen im Innern von AAika. Berlin 1799, S. 36. 5. 59.

ij) Tiuinese Goud-Tand- en Slave-kast. Utrecht 1704. tom. I, p. 144- lum, II. p. 155. p. 170.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 263

ZU Zeiten von Seuchen besucht werden. Tylor hat uns belehrt, dass auch in Europa der Wahn herrscht, man könne aus dem Hause des Kranken sein Uebel mit einem Stück seiner Habe hinweg und auf einen andern Gegenstand, einen Baum, am liebsten wohl auf einen Menschen übertragen. In Südeuropa bieten junge Räd- chen dem Reisenden oft Blumensträusse feil, die aber aus dem Hause eines Kranken stammen^). Der Verfasser erinnert sich, dass man ihn in der Knabenzeit streng gewarnt habe, nie eine Blume aufzuheben, die auf dem Wege liege, „denn* man könne nicht wissen, mit welcher Krankheit derjenige behaftet gewesen sei, der sie weggeworfen habe". Wohlverstanden erstreckte sich dieses Verbot ausschliesslich nur auf Blumen. Die Suaheli in Ost- afrika bringen den Krankheitsdämonen Opfer in Lebensmitteln, die sie aber nicht selbst gemessen, sondern irgendwo an einem Fussweg niedersetzen, damit ein Vorübergehender sie verzehre und somit die Seuche sich auflade*).

Von allen Thieren haben die Schlangen am häufigsten Ver- ehrung genossen, nirgends aber war die Schlangen anbetung oder die Naga-Religion so weit verbreitet als in Indien, wovon Orts- namen wie Nagapur, Widschanagara, Baghanagara Zeugniss ab- legen. Noch heutigen Tages empfangen die Cobra oder Brillen- schlangen am Nagapanschmi-Feste öffentliche Verehrung von den Brahmanen. Auch Mose hat in einer schwachen Stunde die eherne Schlange anfertigen lassen, die mit den anderen Heiligthümern nach Jerusalem wanderte, wo sie erst der fromme König Hizqia um 720 V. Chr. aus dem Tempel entfernte. Selbst innerhalb des Christenthums treffen wir auf die Secte der Ophiten, welche den Schlangendienst fortsetzten oder erneuerten, wenn nicht das Meiste, was ihnen aufgebürdet wird, auf Verläumdung beruht^). Die Schlangenverehrung erfreut sich noch voller Lebenskraft im Neger- reiche Dahome*) und hat sich mit der Sklaverei nach der Neuen Welt verbreitet, wo sie neuerlich auf Haiti wieder üppig aus den Wurzeln getrieben haben soll.

Das fliessende Wasser ist, abgesehen von der weitverbreiteten

1) Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 150.

2) Journal of the Anthropological Institute, vol. I. p. CXLVIII.

3) Tylor, Anfange der Cultur. Bd. 2. S. 243.

4) B OS man, Guinese Goud-kust. tom. II, p. 155 170.

264 ^^^ religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

Verehrung von Quellen und namentlich der Gesundbrunnen, als etwas Göttliches, hauptsächlich von den Hindu, betrachtet worden. Da, wo Ganges und Dschamna aus Gletschern hervorbrechen, also in grossartiger Hochgebirgseinsamkeit , oder auch im Flachlande über dem Weiher mit der Narbada -Quelle stehen Heiligthümer und Wallfahrtsorte'). Dem Baden in den heiligen Strömen wird eine beseligende Wirkung zugeschrieben, und es fehlt nicht an frommen Hindu, die Ganges -Wasser von Benares bis zu Ra- messeram, nahe der Südspitze Indiens, eiae Entfernung, um we- niges kürzer als die zwischen Madrid und Berlin, zu den Ab- Waschungen der heimathlichen Götzenbilder herbeitragen*). Auch den Altpersern war das fliessende Wasser heilig, aber im Gegen- satze zu den Hindu suchten sie jede Verunreinigung von ihm ab- zuwenden, so dass die Errichtung von Brücken, welche das Durch- waten der Flüsse beseitigte, zu den frommen Werken gehörte^).

Wenn selbst die Gottheiten der Meere nicht ganz sicher waren vor den Züchtigungen des rohen Menschen, wie der persische Grosskönig den liellespont mit Ruthen peitschen liess^), so ver- sprach es Besseres als die Menschen den Blick erhoben, um im gestirnten Himmel die unbekannten Urheber zu suchen. Der Cultus von Sonne, Mond und Sternbildern, bei mongolischen Völ- kern Nord-Asiens vielfach anzutreffen, hat sich von dort über beide Hälften Amerikas verbreitet. Wenn auch die religiösen Erregungen viel früher innerhalb der menschlichen Gesellschaften auftreten als die Unterscheidung zwischen dem Guten und Bösen, also durchaus nichts zu schaffen haben mit etwaigen Sittengesetzen, so werden doch, sobald einmal zwischen Gliedern desselben Verbandes der Verkehr durch strenge Gewohnheiten geordnet worden ist, die menschlichen Satzungen aus Geboten der Gottheit abgeleitet und von diesem Wendepunkte an wird die Religion das wirksamste aller Erziehungs- und Veredlungsmittel 5). Unbewusst, indem er

1) H. V. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. i. S. 161.

2) K. Graul, Reise nach Ostindien. Bd. 4. S. 43.

3) Duncker, Geschichte des Alterthums. Berlin 1853. Bd. 2. S. 372. '-• 4) Herodot, üb. VII, cap. 35, 54.

5) Aehnlich äussert Fritz Schnitze (ller Fetischismus. Leipzig 1871. S. 123): „Darin, dass der Wilde so knechtisch unter der Gewalt seines Mo- kisso (Fetisch) und seines Gelübdes steht, liegt ein grosses pädagogisches Element des Feiischismus. Der Wilde legt sich Pflichten auf— er zügelt sich".

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. - 265

die Gottheit sittlich zu verherrlichen strebt, arbeitet der Religions- trieb an der Läuterung der menschlichen Gesellschaft. Erweitern wir den Begriff des Fetisch auf alle sichtbaren Gegenstände, so verspricht unter allen Fetischen die Sonne, als Sinnbild alles Reinen und Klaren die Würde des menschlichen Verkehrs am kräftigsten zu heben. Wir denken dabei vorzüglich an die Herrschaft der peruanischen Inca, die sich eine Abstammung von dem Tages- gestirn beilegten und durch Eroberungen ihre strengen Staats- gesetze und eine achtungswürdige Halbcultur von Quito bis nach Chile ausgedehnt haben. Aber schon der Apatsche zeigt auf die Sonne und spricht zu dem weissen Manne : „Glaubst Du nicht, dass diese Gottheit sieht was wir thun und uns bestraft, wenn es böse ist?"') Eine Huronenfrau, die aus dem Munde eines christlichen Priesters die Vollkommenheiten Gottes hatte preisen hören, brach in die Worte aus : „Immer hatte ich im Stillen gedacht, dass unser Areskui (womit sie die Sonne und den grossen Geist bezeichnete) so sein sollte, wie Du Gott geschildert hast*)**.

Die Sonne ist nicht bloss ein sichtbarer Gegenstand, sondern auch der Sitz von Naturkräften und daher führt der Sonnen- dienst hinüber zur Anbetung von Erscheinungen, die nicht mehr unmittelbar wahrgenommen, sondern nur an ihren Wirkungen erkannt werden konnten. Dieses fortrücken des Causalitäts- dranges bezeichnet einen grossen und erfreulichen Entwicklungs- abschnitt bei jedem Volke, das ihn erreichte. Den Verehrern von Bäumen konnte auf die Dauer nicht die Erfahrung erspart bleiben, dass Alterserschöpfung oder vor dieser die Verheerung durch holzzehrende Parasiten oder ein Wetterstrahl den Pflanzen- gott vernichtete. Im letzteren Falle namentlich musste man sich eingestehen, dass über geringeren und vergänglichen noch höhere Mächte walteten. Völker, die Naturkräfte verehren, müssen aber schon desswegen eine grössere geistige Reife erlangt haben, weil nur solche Erscheinungen in der Körperwelt auf göttliche Thätig- keiten zurückgeführt werden, deren natürliche Ursachen zu er- gründen dem menschlichen Verstände nicht gelungen war. Es musste also der Versuch einer Erklärung vorausgegangen sein, während gedankenlose Gemüther überhaupt nicht auf solche Unter-

i) Froebel bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. i. S. 286. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages am^riquains. tom. I. p> 127.

266 I^ic religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. ,

suchungen sich einlassen. Nur bei ackerbautreibenden Völkern, wenn auch nicht bei allen, finden wir eine Verehrung der Natur- kräfte. Ihnen waren aber die Vorgänge im Luftkreise die wich- tigsten, weil von ihnen Ueberfluss oder Mangel abhing. Die Ver- götterung der Kraft, also von etwas sinnlich nicht. mehr Wahrnehm- baren, konnte sich nur innerhalb einer Priesterkaste oder als Geheim- lehre rein erhalten, für die Uneingeweihten aber, welche die sinnige Räthselsprache des Naturdienstes nicht verstanden, und die Allegorien als buchstäbliche Wirklichkeiten auffassten, musste das Unsichtbare Fleisch und Blut annehmen. Aus einem Eigenschaftsworte, welches der Kraft beigelegt wurde, entstand ein Eigenname dfes Göttlichen, aus dem Namen entsprang wieder die Vorstellung eines Geschöpfes, welches sogleich männlich oder weiblich gedacht wurde, je nach dem grammatischen Geschlechte der üblich gewordenen Benennung, und die einmal erfegte Phantasie träumte nun den Götterronian weiter. Es zeigt sich dabei sogleich, dass der Typus der Sprache bei diesen Schöpfungen thätig eingriff. Sprachen also, die ein grammatisches Geschlecht . unterscheiden , wie die des arischen, semitischen, und hamitischen Völkerkreises, enthalten grosse Ver- lockungen zur Mythenbildung. Nur darf man die Leistungen der Sprache selbst nicht überschätzen, denn wir finden Mythen von Göttern und Göttinnen bei Völkern mit geschlechtsloser Grammatik, wie bei den Polynesiern und bei den Bewohnern Mittel-Amerikas. So ist auch der geistvolle Bleek *) in den Irrthum gerathen, Ahnen- dienst nur bei Völkern zu suchen, die sich der Präfixpronominal- Sprache bedienen, während er sich doch bei den Chinesen findet, deren Sprache alle grammatischen Formen entbehrt.

Wie aber die Sprache den Mythus gleichsam automatisch aus- bildet, hat Delbrück mit grossem Scharfsinn an dem Heroenmärchen Hippolyt und Phädra gezeigt, dem ursprünglich nichts zu Grunde lag, als die Erscheinungen am Abendhimmel vom ersten Sichtbar- werden der Sichel bis zum Vollwerden der Mondscheibe. Es sei uns daher erlaubt, die Beweisführung kurz zu wiederholen. Hip- polyt ist, wie auch ein schwacher Hellenist es errathen kann, die Bezeichnung für jemand, der mit gelösten oder ungeschirrten Rossen fahrt. In der Welt der Dichtung thut dies allein der Son- nengott. Als Phädra dagegen, als die leuchtende oder glän-

i) Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868. p. XVI.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 267

zende, wird der Mond gepriesen, denn die unendliche Mehrzahl der Völker hat die Sonne immer als männlich, den Mond imfher als weiblich gedacht und nur wenig andere, zu denen die Deut- schen und Hottentotten gehören, die Geschlechter umgekehrt ver- theilt. Es bleibt bekanntlich die Mondsichel jeden späteren Tag hinter der westwärts eilenden Sonne um ein beträchliches Bogen- stück zurück. Nach längstens zwölf Tagen geschieht es dann, dass die Sonne eben sinkt, wenn der Vollmond ihr gegenüber am Ge- sichtskreise aufsteigt. Der wachsende Mond eilt also der Sonne scheinbar nach, vermag die schnellere aber nicht einzuholen. In der Sprache des aufkeimenden Mythus lautet aber die Schilderung dieses Vorganges : Hippolyt flieht Phädra. Als nun ein Geschlecht aufwuchs, welches Sonne und Mond mit andern Eigenschafts- wörtern bezeichnete, dem die ursprüngliche Bedeutung von Hip- polyt und Phädra aus dem Gedächtnis« entschwunden war, dem aber vielleicht .ein Sprüchwort das Fliehen des Hippolyt vor der nacheilenden Phädra erhalten hatte, dann durfte sich wohl die Frage regen, warum mag wohl Hippolyt Phädra fliehen, wenn sie, wie ihr Name es anpreist, in aller Schönheit ihres Geschlechtes leuchtet? Bei diesem Stande der Vorstellungen war nun, wie Delbrück hinzufügt, nichts weiter nöthig zur Vollendung des Sagen- gewebes als der Gedanke: sollte vielleicht Phädra die Stiefmutter des Hippol)^ gewesen sein? Einmal in diesem Sinne gestaltet, wurde der Mythus dann in die Schicksale von Theseus' Haus ver- flochten und eignete sich ganz vorzüglich als Stoff für ein Trauer- spiel. Euripides, Racine und der Uebersetzer des Letzteren, unser Friedrich Schiller, würden aber wahrscheinlich tief betroffen gewesen sein, wenn ihre Heldenpaare^ sich vor ihnen als Sonne und Mond entschleiert hätten. Etwas willkürlich darf es genannt werden, dass Hippolyt gerade aus Furcht vor einer Blutschande Phädra flieht, denn näher hätte es gelegen, sich zu denken, dass er bereits ein andres Mädchen geliebt habe. Sehr merkwürdig ist es daher, dass auch in andern Völkerkreisen genau die nämlichen Deutungen der erwähnten Naturbegebenheit gegeben werden. Die Khasia im nord- westlichen Indien erzählen, dass der Mond bei jedem neuen Wechsel in Liebe zu seiner Schwiegermutter, der Sonne entbrenne, die ihm aber aus Abscheu Asche ins Gesicht wirft, daher auch seine

268 ^ie religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

Scheibe uns befleckt erscheint'). Die Eskimo wiederum lassen die Sonne , die sie als weiblich denken , , dem Monde , ihrem Bruder, das Gesicht mit Russ beschmutzen, als er sie mit seiner Liebe be- drängt. Aehnlich behaupteten die Bewohner der Landenge von Darien, der sogenannte „Mann im Monde" habe Blutschande an seiner Schwester verübt^).

Die Thätigkeit der Mythenbildung musste mit der Zeit, na- mentlich solange die Schrift noch nicht im Gebrauch war, den ursprünglichen Kern eines Naturdienstes völlig verdunkeln, so dass es schliesslich nöthig wurde, die nämliche Ksaft unter einem an- deren Namen zur Göttlichkeit zu erheben, um sie abermals in menschenähnliche Gestalt einzukleiden. Daher kommt es wohl, dass bei den arischen Völkern so viele Gottheiten für das näm- liche Rollenfach vorhanden sind und namentlich die Thätigkeiten des Luftkreises so vielfältig vertreten erscheinen. Alle diese Götter- kreise aber verrathen ein Streben nach einem höchsten Wesen, dem sich die anderen Mächte früher oder später unterordnen müssen. Es ist beispielsweise nicht möglich, dass ein geistig sich entwickelndes Volk beim Dienste der Sonne verharren könne, weil früher oder später ein Zweifel sich rdgen muss, den der Inca von Peru Huayna Capac (f 1525 n. Chr.) ausgesprochen hat^), dass nämlich das Tagesgestirn unmöglich der Schöpfer all^r Dinge sein könne, weil ja während der Nachtzeit die Entwicklung des Leben- digen ohne Unterbrechung fortschreite. An diesem Falle bewährt sich auch wieder unser Satz, dass alle religiösen Regungen nur aus dem Drange nach Erkenntniss eines Urhebers hervorgehen, und dass jede Verehrung einer Gottheit in dem 'Augenblicke er- lischt, wo sie das Causalitätsbedürfpiss nicht mehr befriedigt. Besser und länger als bei der Sonne gelang es, an der Göttlichkeit des lückenlosen, beständig sich selbstbewegenden Himmels festzuhalten. Er wurde immer als männlich gedacht im Gegensatz zu der weib- lichen fruchttragenden Erde. Himmel und Erde verehrten die Huronen, verehren noch jetzt die Chinesen, und Himmelsverehrung kommt auch bei Negern an der Westküste Afrikas vor^). Im

i) Dalton Hooker, Himalayan Journals. London 1854. vol. II, p. 276.

2) David Cranz, Historie von Grönland. Bd. i. S. 295; Petrus Martyr, de Orbe novo. Dec. VII, cap. 10.

3) A. V. Humboldt, Ansichten der Natur. 3. Aufl. Bd. 2. S. 385.

4) Tylor, Anfänge der Cultur. Bd.i. S. 322— 323, Bd. 2. 8.256, S. 258—259.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 269

i) sub divo oder sub dio hiess soviel wie unter freiem Himmel.

2) Sahagun bei Prescott, Conquest of Mexico, tom. III. p. 424.

3) Mariner, Tonga Islands, tom. II. p. iio.

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Lateinischen gab es für Gott und Himmel*) dasselbe Wort, und dass uns Deutschen in der Vorzeit der Himmel und die höchste Gottheit zusammenfielen, daran mahnen uns noch jetzt die arglos heidnischen Redensarten: der Himmel behüte dich, oder: der Himmel erhalte, dir dieses Kind. Dass bei einer Vielheit der Götter eine Rangordnung Bedürfniss wird und dieses Ordnen un- willkürlich für monotheistische Anschauungen empfänglich stimmt, bemerken wir selbst im alten Mexico. In den berühmt gewordenen Ermahnungen einer aztekischen Mutter an ihre Tochter wird auf einen Gott verwiesen, „der auch im Verborgenen jeden Fehltritt /»*

sieht" '). Sahagun, der uns dieses sittengeschichtlich so merk- würdige Stück erhalten hat, ist' zwar verdächtigt worden, christ- liche Anschauungen in das altmexicanische Heidenthum hinein- geschwärzt zu haben, allein Waitz hat mit Recht die Glaubwürdig- keit der Aufzeichnung vertreten, weil spanische Geistliche weit eher bestrebt waren, die vorchristlichen Zustände der Amerikaner wie Teufelswerke gehässig darzustellen als sie zu idealisiren.

Wird der Werth einer Religion einzig nach ihren Leistungen als Erziehungsmittel abgeschätzt, so kann auch der Dienst der Naturkräfte die menschliche Gesellschaft auf höhere Stufen heben. Bei sittenstrengen Völkern finden wir auch eine sittenstrenge Götter- welt und die Vorstellung einer gerechten Weltordnung, während im andern Falle Lockerheit und Laster aus den Religions- schöpfungen durchblicken , welche letztere sich stets zum sitt- lichen Werthe der gesellschaftlichen Zustände verhalten, wie ein spectroskopisches Farbenbild mit dunklen Streifungen zu seinem Lichtquell. Die polynesischen Tonganer oder Freundschaftsinsulaner glauben fest daran, dass ihre Götter einen Tugendwandel billigen und über Laster zürnen, so wie dass die Schutzgeister nur so lange über die Menschen wachen, als sie sich ehrbar betragen, verworfene aber alsbald verlassen ^). Zur gesellschaftlichen Er- ziehung der Völker wird aber eine Verehrung der Naturkräfte auf die Dauer nur sehr Weniges leisten. Hat einmal das göttlich Ge- dachte menschliche Züge in der Vorstellung gewonnen, so setzen

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210 Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

sich mit der Mythenbildung fast immer die darstellenden Künste in Bewegung und es mag dann der Bildhauer oder Maler noch so sehr in der Gottdarstellung die Menschengestalt verklären, das sinnliche Abbild wird vor der verehrungsgierigen Menge alsbald zum Abgott, der seine Wunder verrichtet, der als bewegliche Sache in das Eigenthum einer Gemeinde übergeht und schliesslich durch die Thorheit der Mehrzahl zum Fetisch' herabsinkt.

Eine andere Richtung schlägt die religiöse Verehrung ein, wenn sie sich mit dem Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode verknüpft. Dieser Glaube ist bei den amerikanischen Urbewohnern fast ausnahmslos, dann auch bei Polynesiern, Papuanen und Australiern, bei der Mehrzahl der Asiaten, bei den Bewohnern Europa's im Alterthume, bei allen Hamiten Nord-Afrika's vom Nil bis zu den Canarien angetroffen, worden. Wo unmittelbare Zeugnisse fehlen, kann aus der Bestattungsweise der Todten auf den Unsterblichkeitsglaub'en geschlossen werden. Wenn wir über die Vorstellungen der Aegypter von einem künftigen Leben nicht besser unterrichtet wären, würden wir doch aus dem Umstände, dass sie ihre Mumien mit Weizen versahen, um sie mit dem Saat- korn nach der Auferstehung auszustatten, deutlich ihre Erwartungen erkennen. So wird uns auch die Hoffnung ' auf ein Jenseits bei •den Altbabyloniern dadurch bestätigt, dass in ihren Gräbern sich stets Dattelkerne vorfinden ^) und das Gleiche gilt von den An- wohnern des caribischen Golfes, die ihren Todten Maiskörner in die Hand geben. Die Opfer von Menschen an den Gräbern von Häuptlingen oder Königen, wie es die Ada oder „grosse Sitte** vorschreibt, bezeugt uns den Unsterblichkeitsglauben in Dahome und das Erdrosseln der Frauen beim Tode eines Fürsten bestätigt uns das Nämliche für die Fidschi -Inselgruppe. Oder wenn wir nfchts Näheres über die Ansichten der geistig so hoch begabten, irüher so gröblich unterschätzten Hottentotten *) wüssten, so würde es schon genügen, dass sie den Verstorbenen vor der Beerdigung dieselbe Stellung geben, die sie einst als Keim im Mutter- schoosse eingenommen hatten^ denn die Bedeutung dieses sinnigen Brauches ist es, dass die Todten einer neuen Geburt im Dunkel der Erde entgegen reifen sollen. Da unentwickelte Völker, wie

1) Rawlinson, The five great monarchies, tom. I. p. 107.

2) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 578.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. 271

wir sahen, alle Dinge als beseelt betrachten, so erstrecken sie auch die Fortdauer nach dem Tode nicht blos auf die Menschen. Die Itelmen Kamtschatka's glaubten an eine Erneuerung aller Ge- schöpfe „bis auf die kleinste Fliege". Die Jesuiten Acosta, La- fitau und Charlevoix haben bereits ausgesprochen, dass die Inca- peruaner*), die Irokesen und andere Nordamerikaner genau nach Art der platonischen Träumereien, in der unsichtbaren Welt für alle Seelen irgend einer Art ein Urbild oder ein Mutterwesen vor- handen sein lassen^). Die Fidschi-Insulaner gehen noch, weiter, denn sie glauben nicht blos an ein Paradies für Menschen und Thiere, sondern sie hoffen, dass dort auch jede Cocosnuss wieder erneuert werde ^).

Nur bei Negern ist man bisher auf eine Läugnung der Un- sterblichkeit gestossen. Kann ein todter Mensch aus seinem Grabe kommen, wenn man ihn nicht herausscharrt? äusserte der Häupt- ling Commoro im Latukalande östlich vom weissen Nil, als ihn Sir Samuel Baker ^) vergeblich durch Kreuzfragen zur Anerkennung einer Fortdauer nach dem Tode nöthigen wollte. Traum- erscheinungen sind es wohl immer gewesen, welche den ersten Gedanken an eine Unsterblichkeit wachriefen. So lange ein Neger von einem Verstorbenen träumt, flösst ihm sein Andenken Furcht ein, der scheinbar Zurückgekehrte begehrt nach Nahrung und droht den Hinterlassenen Beschädigung an, während das Andenken an den Grossvater längst erloschen ist und keine Unruhe mehr ein- flösse Fragt man im äquatorialen Westafrika, sagt du Chaillu^), nach einem lange Verstorbenen, so lautet die Antwort, es sei aus mit ihm. Mit dem Tode sei Alles vorbei, gehöre dort zu den geläufigen Redensarten. Vielleicht gelang es im letzten Falle dem angeführten Gewährsmann nur nicht, das Vertrauen' der Neger zu gewinnen. Sproat, ein Völkerkundiger ersten Ranges, der beinahe in ähnliche Irrthümer gerathen wäre, wie wir sie bei du Chaillu vermuthen, bemerkt sehr treffend : „Ein Reisender muss Jahre lang

1) Clements Markham, on the tribes forming t^e Empire of the Yncas, im Joum. of the R. Geogr. Soc. London. 1871. vol. XU p. 291.

2) Lafitau, Moeurs des sauvages, p. 360. Charlevoix, Nouvelle France, tom. III. p. 353, vgl. dazu Tylor, Anfänge der Cultur Bd. 2. S. 245. S. 247.

3) Horatio Haie, United States' Explor. Exped. Ethnography. p. 55.

4) Der Alhert Nyanza. Bd. i. S. 216.

5) Explorations and Adventures in Equatorial Africa. p. 336.

272 I^ie religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

unter Wilden wie einer der ihrigen gelebt haben, ehe seine An- sieht über ihre geistigen Zustände irgend einen Werth beanspruchen kann"*).* Gerade in Mittel- und Südafrika bewegt der Unsterb- lichkeitsgedanke sehr lebhaft die Gemüther. i Die Neger der Gold- küste opfern Sklaven bei einer Beerdigung, damit sie dem Abge- schiedenen im Jenseits dienen % Im Congolande, versichert Winwood Reade^), soll ein Sohn seine alte Mutter nur deshalb getödtet haben, weil er erwartete, dass sie ihm als verklärter Geist mächtigeren Beistand leisten könne. So weit- die Bahtusprachen reichen, ,also durch ganz Südafrika, werden die Seelen der ver- storbenen Eltern um Hilfe angerufen. Ein derartiges Gebet aus dem Munde eines Negers im Dschaggalande, also an der Ostküste, hat Rebmann aufgezeichnet^), ein anderes der Kafirn aus Natal,. an einen abgeschiedenen Häuptling gerichtet, lautet wörtlich „O Moss6, Sohn des Motlanka, wirf Deinen Blick auf uns! Du, dessen Hauch (fumce?) von Jedermann gesehen wird, richte heute Deine Augen auf uns und beschütze uns, Du unser Gott!"^^ Auch die Buschmänner beteten in Gegenwart Livingstone's am Grabe eines Vorfahren ^). Da in Polynesien den Häuptlingen gött- liche Abkunft zugeschrieben wird, so überrascht es gewiss nicht, wenn ihnen nach ihrem Tode Heiligthümer errichtet werden, wie diess Mariner bezüglich der Tonganer öfter erwähnt. Polynesischem Einflüsse ist es ferner zuzuschreiben, wenn auf Tanna, einer Insel der Neuen Hebriden, den verstorbenen Häuptlingen als Schutzgott- heiten für den Erntesegen gedankt wird 7).

Die dauernde Verehrung von Abgeschiedenen ist sehr ange- messen als Ahnendienst bezeichnet worden. So erblickten die Cariben der westindischen Inseln in den Sternbildern ihre fort- lebenden Helden wieder. Besonders stark entwickelt hat sich der Cultus der Abgeschiedenen bei den Chinesen, die den verstorbenen

i) Anthropological Review, London 1868. tom. VI. p. 370.

2) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 14, vgl. auch Tylor, Anfänge der Cultur Bd. II. S. 116.

3) Savage Africa. London. 1862. p. 247.

4) Krapf, Reisen in Ostafrika Bd. 2. S. 28.

5) Casalis, les Bassoutos. Paris 1859. p. 260.

6) Südafrika. Bd. i. S. 200.

7) Aus Turner bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 114; vgl. auch Schirren, neuseeL Wandersagen. Riga 1856. S. 90.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.

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Kaisern eigene Tempel errichten. Als Confutse, der Moralphilosoph, selig gesprochen worden war, empfing er 194 v. Chr. das erste Opfer aus der Hand eines Kaisers und im Jahre 57 n. Chr. wurden für ihn reli4;iöse Feste eingesetzt und Heiligthümer errichtet. Auch auf Religionsstifter erstreckt sich gern der Heroencultus und so ist ja nach und nach der Buddhismus gänzlich seiner ursprüng- lichen Reinheit entfremdet worden und zu einer Reliquienverehrung ausgeartet '). Selbst Napoleon III. , der sich wie die alten fran- zösischen Könige so gern als ältester Sohn der Kirche gebärdete, hat dem Ahnendienst gehuldigt, wenn anders das Testament vom 24. April 1865 , welches unlängst veröffentlicht wurde J) , ganz echt sein sollte. „Man muss sich sagen", schreibt der Kaiser, „dass von der Himmelshöhe herab diejenigen, die wir geliebt haben, auf uns herabblicken und uns beschützen. Die Seele meines grossen Oheims war es , die mich stets geleitet und aufrecht erhalten hat So wird es auch meinem Sohn ergehen, denn er wird stets seines Namens würdig sein."

Stellen wir uns jetzt die Frage, ob irgendwo auf Erden ein Volksstamm ohne religiöse Anregungen und Vorstellungen jemals angetroffen worden sei, so darf sie entschieden verneint werden. Auf jeder Stufe seiner geistigen Entwickelung fühlt der Mensch den Drang, für jede Erscheinung einer Thätigkeit und für jede Begebenheit einen Urheber zu ermitteln. Bei geringen Ver- standeskräften befriedigt schon ein Fetisch das Causalitätsbedürfniss, aber mit der geistigen Schärfe der Völker verengert sich der Kreis des Glaubwürdigen und wächst der Gottesgedanke an Würde, um zuletzt das edelste und höchste Erzeugniss menschlichen Nach- sinnens zu werden. Ebenso führen die ersten rohen Versuche, die unbekannten Urheber zu ermitteln, so lange das Denkvermögen noch erstarkt, immer zur Verwerfung der ersten Nothhilfe und zu- letzt zu der Annahme eines höchsten unerfasslichen Wesens. Allein die Geschichte und die Völkerkunde kennt ungezählte Menschen- stämme, die sich nie bis zu einer solchen Höhe aufschwangen, ja viele, die von den errungenen besseren Vorstellungen zurück- sanken zu groben Verstandestäuschungen, denen sie sich Jahr- hunderte, ja wohl Jahrtausende nicht zu entziehen vermochten.

1) Justi im Ausland. 1871. S. 878.

2) Allg. Zeitung. 1873. S. 1875.

Peschel. Völkerkunde. l8

274

Der Schamanismus.

Diese Verirrungen wollen wir als Schamanismus bezeichnen und ihren Ursprung zn ergründen versuchen').

lO. Der Schamanismus.

Wenn wir fernerhin von Schamanismus sprechen, so muss man sich diesen Begriff stets so weit ausgedehnt denken, dass er alles Zauber- und Ritualwesen einschliesst. Der Name selbst ist aus einer Verderbung von (^ramana entstanden, wie in Indien die buddhistischen Einsiedler und Büsser geheissen wurden. Schamanen nannte man indessen bisher nur die 'Wunderkünstler bei den nordasiatischen Stämmen. Ihre Verrichtungen bestehen hauptsächlich in Zauberkuren, denn bei allen rohen Völkern der Gegenwart oder der Vergangenheit werden Krankheiten und Todes- fälle nur einer Verhexung zugeschrieben*), gegen welche der Schamane seine Geheimmittel aufbieten muss.

Herkömmlich ist es in Sibirien wie in beiden amerikanischen Festlanden, dass der herbeigerufene Meister an der schmerzenden Körperstelle des Kranken saugt und aus dem Munde bald einen Dorn, bald einen Käfer, bald einen Stein oder irgendeinen un- erwarteten Gegenstand hervorbringt, den er als den ertappten und besiegten Verursacher des Uebels der ängstlich harrenden Menge zeigt. Nicht anders verfahren die Schamanen unter den Dayaken Borneos ^), wie in Südamerika am Orinoco *), und eine Priesterin unter den Fingokafirn denn es fehlt auch nicht an weiblichen Künstlern , welche eine Anzahl Maiskörner trügerischerweise aus dem Leib des Patienten herausgesogen hatte, wurde von der Frau eines Evangelienverkündigers entlarvt. Sie hatte nämlich um sich Brechreiz zu erregen vor dem Possenspiel Tabakblätter verschluckt 5).

i) Der obige Abschnitt erschien abgekürzt und ohne Quellenangabe bereits früher in der Oesterreich. Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft. 1872.

2) So von den Australiern (Latham, Varieties, p. 244), von den Kutschin- oder Loucheux-Indianern der Hudsonsbaygebiete (Ausland. 1863. S. 579), von den Hottentotten (Kolbe, Cap der guten Hoffnung S. 438) vu a. m.

3) Spenser St. John, Life in the Far East. London 1862. tom. I. p. 177. p. 201.

4) P. Jos. Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. II, 3; p. 311.

5) Tylor, Urgeschichte. S. 355.

Der Schamanismus.

275

Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen steigert *). Die Schamanen alier Welttheile wählen daher mit Vor- liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen ausgesetzt sind % Zwerge oder Albino's werden von den Negern bevorzugt ^),

Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr- zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen Medicinmann*) besteht nur darin, dass derErstere sich bei seinem Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika unter den Namen Piaje, Piai', Paye wieder und auch er führt eine Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd- Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in

i) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A.Bastian, die Völker des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergL F ritsch, Hingeborne Südafrika's. S. 99.

2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus 1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schnitze der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.

3) Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.

4) Catlin, die Indianer Nordamerika's. cap. 6. S. 28.

5) P. Gumilla, El Orinoco iluslrado. I, 9. p. 9L Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appunim Ausland 1872. No. 29. S. 684.

18*

276

Der Schamanismus.

jenen trockenen Ländern den heiss ersehnten Regen herbeizu- rufen *).

Wird eine Erkrankung der P'ernewirkung^ eines Zauberers zu- geschrieben, so muss auch der Tod, selbst wenn er bei Alters- schwäche eintreten sollte, nur durch die Wirkung böser Künste herbeigeführt worden sein. Daher entdecken wir zu unserer Be- troffe»heit überall in allen Erdräumen, wo der Schamanismus sein Unwesen treibt, die Herrschaft des Wahnes, dass der Mensch bis in ungemessene Zeiträume die Dauer seines leiblichen Daseins verlängern könnte, wenn es ihm nicht durch die Tücke eines Zauberers verkürzt würde. Dieser Wahn beherrscht nicht blos Menschenstämme, die wie die Australier ^) freilich mit Unrecht sehr tief gestellt werden, sondern selbst die hochstehenden Abipouen versicherten dem Jesuiten Dobrizhoffer •^) , dass die Todesfälle auf- hören müssten, wenn die Hexenmeister auf ihre traurigen Künste verzichten wollten. Der Patagonier Casimiro gestand dem Lieute- nant Musters"*), dass er nach dem Ableben seiner Mutter ein Weib ermorden Hess, deren bösen Werken er jenen Todesfall zu- schreiben musste. Versetzen wir uns weit hinweg von den Pata- goniern in die Südsee auf die Insel Tanna unter den neuen Hebriden, die von. Papuanen bewohnt werden, einem Menschen- schlage, der körperlich und sprachlich nichts gemein hat mit Nord« Asiaten, Amerikanern oder Süd -Afrikanern. .Auch dort sind die Schamanen anzutreffen, auch sie beschäftigen sich damit, den Regen herbeizuziehen, und gelten als die Schöpfer von Fliegen und Stechmücken. Anziehend für uns werden sie aber vorzugs- weise dadurch, dass sie Krankheiten und Tod zu verhängen ver- mögen, so oft sie von irgend jemandem ein Nahak erbeuten. Dieses Wort bedeutet ursprünglich so viel wie Kehricht, wird aber bestimmter angewendet auf vernachlässigte Nahrungsüberreste, die nämlich nicht weggeworfen, sondern sorgsam und heimlich ver- brannt oder verscharrt werden sollen. Findet irgendein papuanischer Zauberer eine Bananenschale, so rollt er sie sammt einem Blatte

i) Auch in Amerika unter den Natchex des heutigen Louisiana be- schäftigten sich die Schamanen mit Wetterbeschwörungen. Charlevoix, Nouv. France tom. III. p. 426.

2) Eyre, Central- Australia. London. 1845. tom. II. p. 219.

3) Geschichte der Abiponer, Bd. 2. S. 106.

4) Unter den Patagoniern. Jena 1873. S, 195.

Der Schamanismus.

277

in Baumrinde und wenn die Nacht herabsinkt, setzt er sich an ein Feuer und lässt das Nahak langsam verbrennen. Ist Alles in Asche verwandelt, so hat der Zauber Kraft und der Tod dessen, von dem der Fruchtabfall herrührte, ist besiegelt. Allein die Kunde von dem nächtlichen Vorhaben verbreitet sich rasch und bei Zeiten» Weilt also in der Nähe irgendwer, dem das Gewissen mit Ver- nachlässigung seiner Speisereste belastet ist oder d«r schon krank darniederliegt, so lässt er von einem der Seinigen auf dem Muschel- horn blasen, zum Zeichen, dass dei Schamane mit seinem Ver- nichtungswerk innehalten möge. Am nächsten Morgen werden dann Lösegelder für die Rückgabe des Nahak angeboten. Der Missionär Turner ') erzählt, dass ihm manche Nachtruhe durch jene unheimlichen Muschelhorn klänge gestört worden sei; waren doch bisweilen mehrere solcher klagenden Signale gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen hörbar. Dass die papuanischen Scha- manen ernsthaft auf ihre Kunst vertrauen, ist desshalb nicht zu bezweifeln, weil, so oft einer aus der Zunft von Krankheit und Todesfurcht befallen wird, er seinerseits ebenfalls einen Muschel- bläser ins Freie schickt. Nur gegen die Krankheiten, welche die Europäer auf die Inseln eingeschleppt haben, gestanden sich die Eingeborenen, seien alle Gegenzauber unwirksam geblieben. Die Nahakceremonie kehrt mit kleinen Abänderungen auf der Marquesas- insel Nukahiwa wieder *), also unter reinen Polynesiern ; sie findet sich ferner auf den Fidschiinseln unter dem Titel „ein Vollbringen mit Blättern*'^), ja sogar in Australien wird der Tod eines Er- krankten mit Sicherheit erwartet , wenn ein feindseliger Schamane das Pringurru, ein heilig gehaltenes Stück Bein, welches auch beim Aderlassen dient, verbrannt haben sollte*).

Begeben wir uns von Australien fast umein Drittel des Erdkreises nach Süd -Afrika, so erfahren wir, dass die Kafir- Fürsten, bevor sie zum Krieg ausrücken , vor den Augen der Ihrigen , um deren* Muth zu erhöhen, einen Kleidungsfetzen, einen Speerschaft, eine Tabaksdose, kurz irgendeinen Gegenstand vorzeigen, den sie sich aus der Habe ihres Gegners zu verschaffen gewusst haben. Der

i) Nineteen Years in Polynesia. p. 89 92.

2) V. Langsdorff, Reise um die Welt. Frankfurt 1812. Bd. i. S. 135.

3) Nach Williams im Ausland 1858. S. 587.

4) Eyre, Central- Australia. tom. II. p. 360.

2y8 Der Schi

Hofschamane hält einen Zaubertrank schon in Bereitschaft und würzt ihn vor der vetsumraelten Gemeinde damit, dass er ein wenig von dem erbeuteten Kleinode hineinschabt. Sobald aber der Häuptling den Trank ausgeleert hat, besitzt er unfehlbare Macht über seinen Geg"^''- ^^''' verstehen daher, warum jeder Kafir-König, so oft er eine neue Hütte bezieht, die alte sorgfältig ausfegen lässt; ist doch sogar, wie Theophilas Hahn erzählt, schon der Fall vorgekommen, dass ein ganzer Kraal (Ort) nieder- gebrannt wnrde, nur damit die Feinde sich nicht irgendeines Hausgerälhes zur Verübung eines Zaubers bemächtigen sollten').

Verweilen wir noch ein wenig bei dieser gewiss seltsamen Uebereinstimmung solcher Truggebilde, Wir könnten sie viel- leicht erklären, wenn wir uns vorstellen, dass papuanische und ka- firische Menschen stamme einst eine gemeinsame Heimat bewohnt und dann durch fortgesetzte Wanderungen sich von einander ent- fernt hätten. Es würde uns aber diese Annalime in Zertriiume zunick versetzen , die nach Jahrtausenden gezählt werden müssen, denn die Racenunterschiede zwischen diesen Stämmen gehen sehr tief und soiche Aenderungen erfolgen nur mit einer Langsamkeit, wie sie etwa bei geologischen Vorgängen beobachtet wird. Auch darf man sich nicht damit beruhigen, dass nur das ungeschätfte Denken der sogenannten wilden Volker solchen Verirrungen unterliege. Wie lange ist es her, dass nicht unter uns selbst der Aberglaube in Blüthe stand, man solle abgeschnittene Nage! und Haare sorgßitig vernichten? Eine italienische Gelehrte, Caroline Coronedi, hat erst kürzlich gezeigt, dass in Bologna noch heutigen Tages die ausgekämmten Haare sorgfiiltig verbrannt werden, weil sich an ihnen Hex'-nkünste am leichtesten verüben lassen *). Tylor schenkt sogar einer Nachricht vollen Glauben, dass noch 1860 zu Camargo in Mexico eine Hexe verbrannt worden sei 3). Fast überfällt uns' bei diesen übereinstimmenden Verstandesirrungen die trostlose Vorstellung , als sei das menschliche Denkvermögen ein Mechanismus, der bei der Einwirkung gleicher Reize immer 2u den gleichen Rösselsprüngen genöthigt werde.

1) Tlie.iphilus Halm im Globus 1871. Bd. XX. N'o. 1

2) Iiia V. Düriiigsfelt] im Ausland 1872. No. n- S.

3) Anranke der tlultur, Bd. 1. S. 138.

Der Schamanismus. 27g

Am schwersten leiden unter der schamanistischen Geistes- krankheit die südafrikanischen Bantu-Völker. So oft ein Todesfall eingetreten ist, wird der Mganga oder Ortsschamane nach dem Urheber befragt. Ihm nämlich wird ein höheres Wissen zuge- traut, wie denn alle Zeichendeuterei, alles Orakelwesen, auch das Geisterklopfen unserer Tage 2um Wahne des Schamanismus ge- rechnet werden müssen. Bezeichnet der Seher einen Verdächtigen, so wird ein gottesgerichtliches Verfahren eingeleitet. Hier begegnen wir zugleich einer neuen Seite des Zauberwesens, denn der Glaube an gottesgerichtliche Wahrsprüche beruht auf dem Irrthum, dass eine unsichtbar ordnende Macht, kunstgerecht befragt, imtrügliche Bescheide ertheilen müsse. Das Gottesgericht ist aber noch gegen- wärtig in Indien bei Dravida - Stämmen ') wie bei brahmanischen Hindu verbreitet, ebenso, jn Süd - Arabien ^) und war auch bei unseren deutschen Vorfahren noch lange nach der christlichen Zeit, die W^asserprobe bei Hexenverfolgungen sogar |bis ins 16. und 17. Jahrhundert in Gebrauch, ja Jacob Grimm will noch die letzten Spuren dieses Wahns in dem modernen Duell erkennen ^). Auch die Papuanen Neu -Guineas glauben die Schuld oder Un- schuld eines Angeklagten durch Untertauchen ermitteln zu können*) und desselben Verfahrens bedienen sich die Neger der Goldküste 5). Sonst wird das Gottesgericht in Südafrika, wo es sich von den at- lantischen Stämmen bis zu den Masai erstreckt, vorzugsweise dutch Ausleerung eines Bechers mit Mbundu-Saft [vollzogen. Erbricht der Angeschuldigte nicht rasch den Gifttrank, so ist seine Schuld erwiesen. Als im Jahre 1865 am Rembo in Mäyolo (2° südl. Br., II** östl. L. Greenw.) die Blattern ausbrachen, fielen bei Du Chaillu's Anwesenheit durch das gottesgerichtliche Verfahren zu den Opfern der Seuche auch die Opfer des schamanistischen Truges ^).

Gerichtsscenen mit Folterungen von Verdächtigen unter den Ama)(^osakafim werden bei Maclean 7) sehr ergreifend geschildert. Der

1) Jellinghaus in der Zeitschr. für Ethnologie. Bd. 3. Berlin. 1871.

s. 337.

2) V. Maltzan im Globus. Bd. 21, 1872. Ni). 10. S. 139.

3) Deutsche Rechtsalterthümer. S. 925 927.

4) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht. 1704. tora I. p. 137.

5) Otto Finsch, Neu-Guinea. S. 113.

6) Du Chaillu, Ashango-Land. p. 173—177.

7) Kafir laws and customs. Mount Coke. 1858. p. 89—92.

2So ^ci' Schamanismus.

Glaube an die Wirksamkeit böser Künste ist um so schwerer zu vertilgen, als hin und wieder Ueberführte geständig werden, Zauber verübt zu haben. Dass solche Versuche wirklich stattfinden, darf nicht bezweifelt werden, hat doch der Reisende Martins ') in einer brasilianischen Indianerhütte eine rachsüchtige Sclavin bei ihren nächtlichen Beschwörungen auf frischer That ergriffen. Aus diesem bösen Kreis ist nicht leicht der Ausweg zu erkennen, denn schlagen auch oft genug die Wunderwerke der Schamanen fehl, so wird dadurcii in den Augen der Befangenen nicht etwa die Nichtigkeit der angewendeten Mittel bewiesen, sondern es heisst vielmehr, die Arzneien oder Beschworungen seien zu schwach gewesen, um die schlimmen Werke eines entfernten Schamanen zu brechen. Alle Beobachter fremder Menschenstämme versichern uns überein- stimmend, daas die Zauberärzte selbst zu den Betrogenen gehören und fest an ihre Künste glauben "). Die sibirischen Schamanen, die nordamerikanischen Medicinraänner , die brasilianischen Piai, die südafrikanischen Mganga, die australischen und papuanischen Zauberer leben abseits von ihrer Horde, erziehen sich ihre Schüler unter Fasten und Selbstpeinigungen und überliefern ihnen dann erst die Schätze ihres Geheimwissens.

Der letzte, unter allen seinen verschiedenen Namen undTrachten immer gleiche Grundgedanke des Schamanismus beruht auf dem Irrthum, dass der Mensch mit unsichtbaren Mächten in Verkehr treten und sie zur Folgsamkeit zwingen könne. Beides geschieht durch die Anwendung von sinnbildlichen Gebräuchen und ge- heimen Kraflsprüchen , die sich gut bewährt haben , insoferne nämlich bei der Schwäche des menschlichen Urtheils eine einzige günstige Erfahrung, die sich unverwüstlich dem Gedächtniss ein- prägt, neun andere widersprechende Erfahrungen, die rasch ver- gessen wurden, vollständig aufwiegt. Dieser Selbstbetrug in seiner höchsten Verfeinerung vernSäg in die reinsten Gemüther sich ein- zuschleichen. Er hängt sich an alles Symbolische und Rituelle und ist überall thätig, wo von einer sinnbildlichen Handlung eine bestimmte, nicht streng noihwendige Wirkung erwartet wird. Wenn

i) Ethnographie. Bd. i. S. 4.

i) 3u DcibiUbtittci iti ßtiu^ auf dit Abiponen (GMcWchle der Abi- poner, Bd. 2. S, 91) und Mariner (Tonta Islands, tom. I. p. 102) in Bezug auf die [lülynesisclien Bewohner dtt Frcundschiftsgiuppe.

Der Schamanismus. 28 1

in protestantischen Ländern fromme Gemüther bei Lebensbedrang- nissen eine Offenbarung sich erzwingen wollen, so pflegen sie das Gesangbuch aufzuschlagen und im ersten Liede oder Verse, auf welche ihr Blick fallt, eine Antwort von oben zu erwarten. Un- bewusst haben sie mit dem Gott in ihrem Innern den Vertrag geschlossen, dass er, auf diese gläubige Weise befragt, ihnen Rede zu stehen schuldig sei.

Nichts wird leichter schamanistisch missbraucht als das Gebet, denn es wird in dem Augenblicke zur Zauberformel, sobald man seinen Worten irgendeine Wirkung auf den göttlichen Willen zuschreibt. Ob irgendwo eine solche Verirrung um sich gegriffen habe, lässt sich leicht daran erkennen, dass das Gebet möglichst vervielfältigt wird, und in diesem Selbstbetrug sind die Buddhisten so tief gesunken, dass sie ihre Gebetrollen ersannen, drehbare Walzen, über welche ein Papier mit den aufgeschriebenen Gebeten gerollt wird. Mit dieser Vorrichtung gedenkt man die Gottheit zu überlisten, indem man ihr zumuthet, bei jeder Umdrehung der Trommel die Gebete als gesprochen in Empfang zu nehmen. Erfinderische Mongolen haben sogar die Gebetrollen durch Wijid- oder Wasserräder in Drehung versetzt und durch solche Mühlen- werke sich Frömmigkeitsbelohnungen zu erwerben getrachtet.

Noch schlimmer droht den Menschen der Opferdienst zu verwirren. Die reinsten Beweggründe, ein Ueberströmen des Dankes, die Anerkennung eines Fehltrittes und der Wunsch nach einer Sühne führt die Gläubigen vielleicht zu dem Altar. Unmerk- lich, ja fast unausbleiblich schleicht aber eine andere Auffassung des Opfers jeher reinen nach. Die Gottheit erscheint sehr bald als der beschenkte Theil und der Geber erwartet eine Gegen- leistung für seine Wohlthaten *). So erinnern homerische Helden, wenn sie die Hilfe ihrer unsichtbaren Beschützer anrufen, an die vielen saftigen Opfer , die sie ihnen dargebracht haben *). Am verderblichsten aber wirkt die Verirrung, wenn sich zu dem Opfer noch symbolisches Gepränge gesellt. Nirgends hat ein solcher Selbstbetrug verständige, ja scharfsinnige Denker so völlig über-

1) Mit Recht erinnert Tylor (Anfänge der Cnltur, Bd. 2. S. 400) daran, dass Opfer (sacrifice) im Englischen (und im Deutschen, dürfen wir hinzu- setzen) einen selbstauferlegten Verlust bedeutet.

2) Ilias I, 37 -42.

282 Det

wältigt als in Indien, denn an der Spitze aller Schamanen, me- tliodisch geschult, verfeinert durch Gedankentiefe, gestützt auf tausendjährige Uefaung, stehen die Bralimanen. Ihr höchstes Zaiibermitlel ist der Saft der Soma-Pflanze (Sarcostemma viminalt), mit dem sie ihre Opfer kräftigen. Gleich den Mganga oder süd- afrikanischen Regendoctoren bringen sie das ersehnte nasse Wetter herbei, denn erst, wenn der Donnergott Indra durch ihre heiligen Riten gestärkt worden ist, vermag er die Wolken zu spalten und ibnen den befruchtenden Niederschlag zu entreissen. Dem Opfer selbst wurde eine schöpferische Kraft beigelegt, denn in ihm sollte der Brahma allgegenwärtig sein '). Nach ihren Lehren verleihen auch Bussübungen, wenn sie in ungemeasene Zeiten fortgesetzt werden, wie die des Wisch wfliiii tra , dem Dulder zuletzt so hohe Kraft, dass die epischen Götter von ilim eine Zerstörung des Himmels und der Erde fürchten '). Wenn aber nach der scha- manistischen Hypothese durch Gebete und Hymnen, wenn vor Allem durch Opfer, begleitet von wirksamen sinnbildlichen Hand- lungen, die Gotter zu den erwünschten Leistungen gezwungen werden können, so musste ein folgerichtiges Denken zu dem Satze führen, dass Bussübungen, Gebt'te und Opfer über den Göttern stehen. So gelangten die Indier :!U dem Begriffe Brahma, der geistigen Macht nämlich, welche in den ritualistischen Geheim- mitteln ruhte und die über den Göttern schwebte. Die Brab- manen selbst, als die Wissenden, denen allein der geheime Sinn und die Wirkungskraft der Bräuche und Sprüche bekannt war, mussten sich selbst schliesslich übermenschliche Eigenschaften bei- messen und sich zu fleischgewordenen Göttern erbeben. Nach ihren Lehren hing alles Glück \'0n der richtigen Vollziehung der Opfer ab. Dieser Kunst verdankten sie ihren Rang und ihren Lebensgenuss. Die Opfer selbst, anfangs einfach, wurden immer verwickelter. Bald erforderten sie mehr als einen Tag, dann Wochen, Monate und Jahre und zugleich stieg die Zahl der dienst- thuenden Priester durch beständige Vervierfachung bis auf vier- undsechzig, wie man liies alles bei Martin Hang finden wird, der

1) Marlin llaug, in der Reilage inr Allgsm. Zeitung 1873. No. 156. ^. 2390.

:) Martin Haug, Brahma und die Brahmanen. München 1871. S. :2.

Der Schamanismus. Die Lehre des Buddha. 283

von allen Europäern zuerst hinter die letzten Geheimnisse der Brahmanen gedrungen ist.

Besteht das Wesen des Schamanismus in der Ausübung irgend- eines Zaubers, der seinen Zwang auf göttlich gedachte Mächte erstreckt, ihnen die Erfüllung irgendeines Begehrens oder die Offenbarung künftiger Begebenheiten abnöthigt, so ist es offenbar ganz gleichgiltig , ob das angewendete Mittel im Rühren einer Trommel, im Schütteln einer Klapper, in Opfern, in Gebeten, in Fasten oder Bussübungen, im Befragen thierischer Eingeweide oder des Vogelfiuges bestehe. Alle Völker sind diesem Wahne erlegen, wenige haben ihn völlig abgestreift; er treibt sein Spiel noch in Amerika, in Sibirien, im buddhistischen Asien, im brah- manischen Indien, als Amulet bei den Mohammedanern, im Gottes- gericht und im Regenzauber bei den Afrikanern, als Nahak-Spuk bei den Papuanen. Wir selbst sind erst seit kurzer Zeit die Hexenprocesse los geworden, noch unser grosser Keplei musste in seine schwäbische Heimat reisen und es kostete ihm schwere Mühe, seine alte Mutter vor dem Feuertode zu retten, mit welchem ihr protestantische Schamanistenriecher drohten. Klar aber ist Avohl nach allem Gesagten, dass die sittliche Erziehung des Menschen durch die Religion nirgends einer grösseren Gefahr begegnet als dem schamanistischen Wahn. Man lege irgendeiner sinnbildlichen Handlung irgendeine übernatürliche Wirkung bei und der Ritus thront als Brahma über dem Göttlichen ^).

II. Die Lehre des Buddha.

Als die Arier über das Fünfstromland und die Gangesebenen sich ausbreiteten, geschah es auf Kosten einer rohen Urbevölkerung, der sie an geistiger Begabung und körperlicher Schönheit über- legen waren. Das Innewerden dieser Racenvorzüge führte in Manus Gesetzgebung zum Verbot der Zwischenheirathen und zu der lieblosesten Kastenordnung. Die Priester oder die Wissenden hatten die Kenntniss der schamanistischen Gebräuche, der Gebete

i) Der Inhalt dieses Abschnittes wurde, abgesehen von den Quellen- angaben und neueren Zusätzen, bereits in der Beilage zur Wiener Zeitung, 1873. Xo. 49 und 50, abgedruckt.

284 Die Lehre des Buddha.

und der Opfer, wie wir sahen, bis nur Macht über die alten Götttr gesteigert, die zur dienenden Roile als Welthüter herabgedrückt wurden. Die geschichtlich älteste Bedeutung von Brahma ') war Gebet und Brahmanen hiessen ursprünglich die Betenden, Männ- lich gedacht erschien dann Brahma als Gott des Gebetes und weiterhin als Weitenschöpfer. Priesterlicher Dialectik wurde nun die Aut'gabe gestellt, in den Brahmana- oder Ritualbüchern durch künsUiche Auslegung die Lehren der Veden bis zur Ueberein- stimmung mit den Keugcburten der Religionspbilosophie zu ver- renken ').

Brahma oder die Allseele wurde als das einzig Seiende, die sinnlich wahrnehmbare Welt dagegen nur ais ein Scheingebilde erklärt, als ein Werk der Maja oder des Truges, unkörperiich wie das stille Bild des ^Mondes auf einer spiegelnden Wasserfläche. Diese Täuschung zu durchschauen, ihr zuzurufen, dass sie nicht sei, Brahma als das Seiende mit Du zu begrüssen und sich selbüt mit ihm als Eins zu erkennen, führte zur Befreiung des Ich aus alleh Irrsalen der Sinnenwelt und zum Zurückfallen in den Brahma. Aehnlich wie diese Lehrt' des Vedänta, suchte auch die Sänkhja- Philosophie eine Erlösung der Seele aus dem Kerker des mensch- lichen Leibes, aucli sie erkannte in allen Sinn es Wahrnehmungen nur eine Täuschung, aber üe erwartete eine Befreiung nicht durch ein Zerschrhelzen in die Gottheit, sondern durch einen Rückzug der Seele in sich selbst und durch ihre Abtrennung von der . Körperwelt, Der grosse Spruch desVSdänta lautete: Ich bin das Das, ich bin das Brahma ; die Sänkhjaschule sagte hin^^egen : ich bin nitht das I^as (die Natur)*).

Die Gemüther durlndier wurden und werden noch beherrscht von der Vorstellung einer Unzerstörbarkeit der Seele. Neigung zum Trübsinn und zum Lebensüberdruss hat sie schon in den ältesten Zeilen beschüchen. Ein endloses Echo von Wanderungen der Sci>!e begleitete sie [als Drohung bei allen Schritten. Wie äusserst wenigen leicht gestimmten Herzen begegnen wir unter uns. die gern noch einmal ihr eignes Leben mit seinen Ent- täuschungen und Unstern Stunden von frischem beginnen möchten?

i| J. Muir, Siinikril teils. 2A. ed. London. 187z, tom. I, p. 241. ;) Duncker, Geschichte des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 156. i) Koppen, Religion des Buddha. Berlin 1857. Bd. 1. S. 69.

Die Religion des Buddha. 285

Nach Erlösung seufzt die Creatur, lauten auch die Worte des Apostels. Auf dem Hindu lastete als Judasqual die Vorstellung einer rastlosen Erneuerung, ohne Rettung, dass das ewig rollende Rad jemals still stehen könnte und seine Einbildungskraft sah, beunruhigt von unheimlichen Zahlenausdrücken, in eine Zeit ohne Grenzen hinaus, die mit jedem Schritt vorwärts ihren Horizont ebenfalls um einen Schritt vorwärts schob. Wenn nun schon die höchsten Kasten nach einer Entfesselung [der Seele sich sehnten, so war für die Gedrückten das Dasein ohne Absrhluss eine Folter ohne Ruhepause.

Da trat nun nach den überlieferten Angaben im 6. Jahr- hundert vor unserer Zeitrechnung der Sohn ^uddhödana's des Königs von Kapilavastu, aus dem Stamme Gautama und dem Hause (^äkja Namens Siddhärtha mit einer Hoffnung auf Erlösung unter das indische Volk*). Der Anblick von körperlichen Uebeln, von Krankheit, Alter und Tod hatten ihn zum Nachdenken an- geregt, wie der Mensch sich wohl dem Elend des irdischen Daseins entziehen möchte. Die Lehren brahmanischer Schulen befriedigten ihn nicht. Er erkannte vielmehr die Nichtigkeit des (jebetes, der Opfer und der Bussübungen. Schon diese Ver- nichtung der schamanistischen Verirrungen sichert ihm einen hohen Rang unter den Religionsstiftern. Er verkündete ferner seine Lehre nicht an Geweihte und wie ein Geheimniss, sondern er wirkte ganz im Gegensatze zu den Brahmanen durch die öffentliche Predigt in der Volkssprache*); er wendete sich auch nicht an auserwählte Kasten, sondern an die gesammte Mensch- heit. Niemals ist der Buddhismus national gewesen, sondern weltbürgerlich geblieben bis auf den heutigen Tag. Laut ver- kündete vielmehr der ^'äkjamuni, um diesen Beinamen des neuen Religionsstifters hier einzuflechten , dass seine Lehre ein Gesetz <Jer Gnade für Alle sei^), und bekannt ist die schöne Legende von seinem Lieblingsschüler Änanda, welche so ähnlich klingt, wie die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen im vierten Evangelium. Er begehrt nämlich von einem Tschändäla-Mädchen, das Wasser schöpft, einen Trunk, und als es zögert, um ihn nicht durch Berührung zu beflecken, spricht er : „Meine Schwester,

i) Chr. Lassen, Indische Alterthumskunde. Bd. 2. S. 66.

2) Burnouf, Inlroduction, tom. I. p. 195.

3) Burnouf, 1. c. loni. I. p. 198.

286 ^c Religion des Buddha.

ich frage nicht nach Deiner Kaste und Deiner Abkunft, ich bitte um Wasser , wenn Du es mir geben kannst" '). Anklänge an chriatliclie Texte enthält auch die Legende von dem Annen, welcher den Almosentopf Buddha's mit einer Handvoll Blumen füllt, wäh- rend Reiche mit zehntausend Scheffeln nichts ausrichten; oder wenn die Lampen, welche, Könige und Kanzler zu Ehren des Buddha angezündet hatten , verlöschen, aber nur die einzige , die ein dürftiges Weiö dargebracht hat, die ganze Nacht hindurch brennt ').

Der Lebenslauf des Keligionsstifters , wie er uns überliefert worden ist, verstrich ziemlich eintönig. Durch Entsagung der weltlichen Macht und der sinnlichen Genüsse, den Almosentopf im Arm , gab der indische I'rinz Beweise von der Aufrichtigkeit seiner Pflichtenlehre. Hochbetagt sollte er noch erleben, dass der Feind seines Hauses die Vaterstadt KapiJavastu verwüstete. E et; leitet von Änanda durchwanderte er bei Sternenlicht ihre rauchenden Trümmer , stieg er in den Gassen über die Leichen Erschlagener und die Leiber verstümmelter Mädchen, Trost den Sterbenden spendend. Von dort wollte er sich noch nach Kugina- gara schleppen, erreichte aber die 70 Meilen entfernte Stadt nicht völlig, sondern sank unweit davon unter einem i^alabaum mit Klagen über heftigen Durst nieder. Bald stellte sich der Todes- kampf ein und bei gebrochenen Augen verschied er mit den Worten: ,, Nichts ist von Dauer" ^).

Die Erlösung, die Buddha ersann, bezog sich nur auf den Wahn der Wiedergeburt; Heilung wird also in dieser Lehre nur derjenige finden , welcher diesen Wahn theilt. Die Wiedergeburt entspringt immer aus dt-r Verschuldung in einem früheren Dasein, daher ist die Sünde der Grund alles irdischen Elends *). Durch ihr Haften und ihre Begier am Dasein wird die Seele beim Tode zu einem neuen Kreislauf gezwungen. Es bleibt nämlich beim Erlöschen des Lebens von ihr nichts zurück als die Summe ihrer

1) E. Burnoiif, Introduction ä l'hbtoire du BuddhUme indien. PbHs 1844. tom. I, p. 105.

3) Koppen, die Reügion des Buddha. Bd. 1. S. 131.

3] O. Palladius, Das Leben Buddha's. Arbeiten der russ. Gesandt- schaft iu Peking. Berlin 1858. Bd. 2. S. 163— 165,

4) Koppen. 1, .:, Bi. 1. S. :i)0— 293,

Die Religion des Buddha. 287

guten und bösen Werke, und diese letzteren ziehen als eine gesetz- liche Folge eine Neugeburt nach sich *).

Die buddhistische Weltanschauung, wie sie (^dkjamuni selbst oder vielleicht nur seine Jüngerschaft gelehrt . haben mag, hat bei- nahe die Züge einer Gemüthskrankheit. Das Leben selbst erscheint als die höchste Last und seiner Erneuerung sich zu entziehen, „die Schale des Eies zu durchstossen**, hinauszutreten aus dem Zwang der ewigen Wiedergeburten, galt als die höchste Stufe der Erlösung. Der Grundgedanke des Buddhismus war in den soge- nannten vier Wahrheiten zusammengefasst : dass aus dem Sein unser Elend quelle, dass dieses Elend nur durch die fortgesetzte Anhänglichkeit an die Sinnenwelt entstehe, dass ein Abstreifen dieser Anhänglichkeit vom Dasein erlöse und endlich, dass es einen Pfad zu einer solchen Erlösung gebe. Dieser Pfad zur Buddhahöhe forderte Entsagung und regungsloses Versenken in sich selbst. Nirväna heisst der letzte und höchste Zustand, den der Fromme zu erreichen vermag, nur ist immer gestritten worden, ob Nirväna überhaupt ein Zustand genannt werden darf. Zum Nirväna gelangte Buddha selbst stufenweise. Zuerst genoss er das Gefühl der Befreiung von der Sünde , hierauf vernichtete er die Befriedigung darüber im Verlangen nach dem höchsten Ziele, dann erlosch ihm auch dieses Verlangen bis zu völliger Gleich- giltigkeit, in welche letztere sich aber noch ein Behagen über diese mischte. Auch dieses Behagen musste verschwinden, Freude, Qual, Erinnerung in die Unendlichkeit des Raumes oder das Nichts zerfliessen; im Nichts aber blieb ihm doch noch dass Bewusstsein des Nichts, endlich erstarb auch dieses in den Gebieten der völligen Ruhe, die weder durch das Nichts, noch durch etwas, was das Nichts nicht wäre, gestört wird. Das Nirväna oder höchste Ziel des Buddhismus über dessen Be- deutung die verschiedenen Secten sich nicht geeinigt haben, war also ursprünglich und wörtlich ein Verlöschen, eine gänzliche Ver- nichtung, welche jede Wiedergeburt ausschloss. Die nördlichen oder neugläubigen Buddhisten gingen daher so weit, im Denken selbst die Wurzel der Unwissenheit, durch Zulassung eines Begriffes eine Verfinsterung des Geistes anzunehmen und Be-

i) Koppen. 1. c. Bd. i. S. 300.

2gg Die KeligioD des Buddhi.

IVeiung von Unwissenheit darin zu suchen, dass man nichts denke ').

Die Siltenlehro des Buddha war eine durchaus reine und lautere und fällt mit der christlichen vielfach zusammen. Obenan steht das \*erbot, etwas lebendiges zu tödten. Es hat zur Ab- schaffung der Todesstrafe in Indien gefiihrt, wenigstens zur Zeit, wo der Buddhismus die weltliche Herrschaft besass, gleichzeitig aber die Vertilgimg der reissenden und der parasitischen Thiere verhindert. Achtung des Eigenthums, eheliche Treue, Wahr- haftigkeit, Vermeiden von Verleumdung, Kränkung und Schmähung, Bekämpfen aller habsüchtigen und neidischen Regungen , des Zornes und der Rachsucht w^den allen Bekennern eingeschärft, Nächötenliebe wie im Christenthum ist die höchste Pflicht des Buddhisten, nur erstreckt sie sich auf alle Geschöpfe, so dass die Errichtung oiler Erhaltung von Schutzorten und Heilstätten fiir Thiere ebenso zu den frommen Werken gehört, wie die Stiftung von Armenhäusern für bedürftige Menschen. Sich selbst besiegen, lautet ein alter Sittenspruch, sei der beste aller Siege'). Zu Milde, Sanftmuth und Nachsicht sollten die Menschen erzogen werden und der Buddhismus selbst ging darin mit gutem Bei- spiel voran, dass er religiöse Duldsamkeit übte und beinahe nie mit \ erfolgung von Andersgläubigen sich befleckte^) Demuth sollte auch die Priester zieren ganz im Gegensatz zu der Selbst- überhebung der Brahmanen. Keine Worte sind d_aher hoch genug, um die günstigen Wirkungen des Buddhismus auf die Milderung der Sitten auszusprechen. Man hat aber auch diese Religion ge- priesen, dass sie den Menschen erziehe, ohne zur Gotlesidee, ohne zum Gebet, ohne zu Verheissungen oder Drohungen im Jenseits ihre Zuflucht zu nehmen, und dass es ihr dennoch gelungen sei, vierhundert Millionen Bekenner zu gewinnen. Scheinbar wurden die Buddhisten der Götter los oder vielmehr diese letz- teren wurden erniedrigt zu willigen Gehilfen des Religionsstiflers, auf dessen Gedanken schon sie diensteifrig herbeieilen. Wie aber iclie Weisheit die Btahmauen über die Götter stellte

1} Fr. Spiegel über Wassiljiew's Forschungen. Ausland 1860. S. lOlJ.

2) Koppen. 1. c. Bd. I. S. 451.

3) Vgl. die .mf Toleranz bezüglichen Felseninschriften des Königs A^oka Mai Müller, Essays. Leipzig 1869. Bd. I. S. 222—113.

Die Religion des Buddha. 289

durch Kenntnisse der Gebete und durch die Kraft der Riten und

Bussübungeh, so erlangte auch Buddha durch seinen tugendhaften

Wandel und durch die Stärke seiner Andacht eine Natur weit « c

über den vedischen Göttern , er verrichtete Wunder und durch- schaute Vergangenheit und Zukunft '). Getrost mögen ihn daher Bedrängte anrufen; er wird die Schiffsleute erhören und sie aus

dem Sturm erretten *). Den Buddhismus , wie er sich gestalten musste, um von vierhundert Millionen ergriffen zu werden, wird die Völkerkunde niemals als einen ethischen Atheismus aner- kennen, sondern nur als einen Ahnendienst oder Heroencultus. Bald nach dem Tode des Lehrers begann nicht ohne Anstiften seiner Schüler eine Reliquienverehrung,' die als ein Zurücksinken in den Fetischdienst bezeichnet werden darf. Acht Städte erhielten bei der Theilung die Asche des Abgeschiedenen und über den Reliquien erhoben sich dann Heiligthümer und Wallfahrtsorte 3). Da der Buddha vor seiner Verklärung in früheren Erdenläufen nicht blos als Mensch, sondern auch als Thier geboren worden war, so werden in manchen Tempeln sogar Haare, Federn oder Knochen verehrt, die von seinen früher verlassenen Thierleibern herrühren sollen^). Nicht blos der Religionsstifter, sondern ein Schwärm heilig gesprochener Bodhisattvas empfing Verehrung und so sehen wir den vielgepriesenen chinesischen Pilger Hiuen- thsang zu den Bildern solcher Schutzpatrone wallfahrten und in andächtiger Verzückung auf rituelle Fragstellung ihre Orakelzeichen erbitten 5). Das Gebet, das heisst der schamanistische Zauber- spruch, war allerdings dem (^akjamuni oder Gautama in der Seele fremd, aber gerade im Schoosse seiner vierhundert Millionen An- hänger sind die Rosenkränze und die Gebettrommeln erfunden worden. Seltsam klingt es, wenn dem Buddhismus von über- schwenglichen Verehrern nachgerühmt worden ist, dass er weder verheisse , noch drohe. Die diesseitige Welt selbst ist ihm ja schon ein Fegefeuer, ein Rad, das sich von Ewigkeit dreht, und die Wiedergeburten in den Wonneräumen von Göttern oder in

1) Burnouf, Introduction. tom. I. p. 134—135» I53» 353-

2) Burnouf, Introduction, tom. I. p. 132.

3)Stanislas Julien, Histoire de la vie de Hiouen-thsang. Paris. 1853. p. 131. Lassen, Ind. Alterthümer. Bd. 2. S. 77.

4) Tylor, Anfange der Cultur, Bd. i. S. 408.

5) Stanislas Julien, 1. c. p. 173.

Peschel, Völkerkunde. 19

•4

niltel niclit verschmäht.

2co Qi* Religion des Buddha.

den Schaudern der Hölle, im unreinen Thierleib a^^ endlich in niedcrur wie in häherer Kaste dienten hinlänglich; Mximme oder Sünder zu lucken oder zu ängstigen. Die Furcht vor eineoH- ;n Vergeltung hat auch die Buddhalebijr alstfZuwt- ve r schmäh t, ^^'t '

J)cr Ijuddhismus hat auch nichts gethan, dielq^er von dem Wahn der Wiedergeburten zu heilen, er hielt rfies^Lefire viel- mehr fest, ja hat sie wie einen Krankheitsstoff aiicIi'iAf .fremde Völker übertragen. Die Kastenunlerschiede stiess er nicht um, sondern liess sie gesellschaftlich besteben, wenn er auchmiP^**" , liebe den Gedrückten und Missachteten das Nahen der ErUKung verhiess. Seine gepriesene Duldsamkeit anderen Reiigio»en gegen- über hat doch einen zweifelhaften Werth, insofern sie nnthatig bKeb, um fremde Gotte&gedanken aus ihrer Erniedrigiing zu heben. Der Buddhismus behielt den Götterhimmel der Veden bei und gönnte den mongolischen Stämmen ihre Lust am Schamanen spuk'. Reinere und reifere Vorstellungen können aber nur zur Herrschaft gelangen, indem sie unreinere und unreifere verdrängen. Werfen die Bekenner der Lehre Gautama's auf mehr als 400 MiHionen geschätzt, »o rechnet man dazu das gesammte chinesische Volk, welches dem Dienst von Himmel und Erde, sowie dem der Abgeschie- denen huldigt, Confulse aber noch immer als den sittlichen Ge- setzgeber verehrt und eigentlich vom Buddhismus nur das Buddha- bUd, zu andern Götzen einen Götzen mehr angenommen hat").

Die Buddhalehre wurde nicht einem erwählten Volke, sondern ider gesammten Menschheit verkündigt und me das Christenthum m jüdischen, so ist sie auch im indischen Volke, freilich nach vielen Jahrhunderten einer unbestrittenen Herrschaft, erloschen oder wenigstens vom Festlande selbst verdrängt worden und nur auf Ceylon noch anzutreffen. In seinem westlichen Verbreitungsgebiet, in Kabul, Taberistan und Kurdistan, bat den Buddhismus das Schwert des Islam ausgerottet. Früh spaltete er sich in eine süd- liche und eine nörUUch Schule. Der südlichen oder älteren, deren in PaU verfasste Schriften aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem dritten buddhistischen Concil im 3. Jahrhundert v. Chr. festgestellt worden sind, gehört die Insel Ceylon, dann Birma, Slam, überhaupt die Länder der Malayochineseo, an. Auf Java, wo der Buddhismus

1) Mnx .Müller. Fssays. Leipzig iSfg. Bd. 1. S. 339.

Die Religion des Buddha. Die dualistischen Religionen. 201

das Brahmanenthum glücklich verdrängt hatte, ist er im 15. Jahr- hundert dem Islam erlegen. Die Schriften der nördlichen Schule, obwohl im Sanskrit verlasst ,. dennoch die jüngeren, erhielten erst auf dem vierten Concil, etwa um Chr. Geburt, ihre endgiltige Fassung. Dem neugläubigen Buddbismus folgt Nepdl und andere Ilimalayägebiete, Tübet, die mongolischen Menschenstämme, China und Japan. Nach China soll der erste Missionär schon 217 v. Chr. gelangt sein, aber erst vom Kaiser Ming-ti im Jahre 65 n. Chr. wurden die Lehren des Gautama als eine berechtigte Religion anerkannt 'j. Die Neugläubigen verehren eine grosse Anzahl Bodhisattvas , Wesen, die nur um eine Stule von den Buddha unterschieden sind, auch in das Nirväna eingehen könnten, aus Barmherzigkeit aber und zur Erlösung ihrer Mitmenschen darauf verzichten, um frommen Seelen, die sie im Gebet anrufen, zu helfen. Seit den Mongolenkaisern gilt das Oberhaupt der Kirche in Tübet, das seine Residenz in Läsa hat, als eine Verkörperung des Bodhisattva Padmapäni. Sein Titel Dalai Lama oder Welt- meer-Lama*) entstand erst im 15. Jahrhundert, als sich die nörd- liche Kirche über den- priesterlichen Cölibat spaltete. Das Ober- haupt derer, welche den Geistlichen die Ehe verstatten, hat unter dem Titel Bogda Lama seinen Sitz zu Täschilhünpo. Auch dieser Lama gilt als die Verkörperung eines Bodhisattva, nämlich des Amitdbha oder tübetisch Odpagmed und führt den Titel Pan-tschen-rin-po-tsche ^). Beide Kirchenhäupter haben sich versöhnt und schicken sich in echt buddhistischer Duldung gegen- seitig ihren Segen.

12. Die dualistischen Religionen.

Alles, was dem Menschen drohend gegenübertritt, bezieht er auf sich und beseelt daher auch das, was sein Wohlbehagen stöit, sei es Hitze oder Kälte, seien es Dürre, Hunger, Schmerz, Krank- heit oder Tod. Ein unsreschärfter Verstand wird nicht leicht cie

1) Max Müller, Essays. Leipzig 1869. Bd. i. S. 223.

2) Tübeüsch bla-ma Oberer, von bla oben. Friedrich Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. III. Abtheilung. S. 180.

3) V. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 86.

19*

2^2 Die duilUlisehen Religionen.

Schwierigkeiten bewältigen , die sich der Vorstellung widersetzen, dass aus einer Hand das Erfreuliche und das Ge/ürchtete hervor- gegangen sein solle. Wir stossen -in der Geschichte wie in der Schöpfung auf Widersprüche, die sich mit der Annahme einer gutigen und gerechten Weltordnung schwer vereinigen lassen. Derselbe Gott, der das erhabene Firmament mit seinen Licht- reizen, der alle Lieblichkeiten der Erde,, die stillen Blumen, den Thau mit seinen FarbL-n blitzen, das Kinderauge erschuf, erfüllte seine eigne Welt mit FieLier, mit Gift, mit Ungeziefer, mit Krieg, mit Grausamkeiten im Thierreich, wo oft das eine Geschöpf sich nicht entwickeln kann, ohne die Eingeweide eines andern unter Qualen aufzuzehren. Weit und mülisam ist der Weg zu der Erkenntniss eines Leibnitz, dass die sinnlich erfassbare Welt mit ihren Nacht- seiten nicht sowohl nach menschlichem Ermessen die beste, son- dern unter den rnfp^lichen Welten nur die beste sein möge'}. Menschen mit ungeschullcm Denkvermögen gelangen nie zur Ein- sicht, dass alles Ungemach doch nui eine lieschränkung der Süssig- keit des Daseins ist und unersättlich im Geniessen, fragen sie, weshalb die Lebensfreuden überhaupt gestört, beschränkt oder beendigt werden sollen. Noch weniger erkennen sie, dass selbst der leibliche ^;chme^! in einer Mehrzahl von Fällen nichts anderes als ein freilich unerbetener, aber gewissenhafter Warner vor. nahen- den Gefahren ist, welche unser Leben oder unsre Gesundheit be- drohen.

Aus der' Verlegenheit, Wohlbehagen und Unbehagen aus einer Quelle ableiten zu sollen, haben sich alle Völkerstämme auf früheren Stufen der geisli^'en Enlwickelung damit geholfen, dass sie die Gegensätze auf unsichtbare Wesen übertrugen und neben freund- lichen lieschützern sich auch von einer .'^chaar von Schaden Stiftern umlauert wähnten. Sobald Jiese .'Schöpfung der Einbildungskraft vollzogen war, konnte nun die Veredelung des Menschen ver- schiedene Stufen durchlaufen. Auf der ersten und niedrigsten wird eine Versöhnung der unsichtbaren Bedränger versucht. In einem Hymnus der Madagassen werden Zamhor und Niang als Welt- erschaffer angerufen und hinzugefügt, dass an Zamhor keine Gebete gerichtet würden, da ja der gütige GoU deren nicht bedürfe').

[) Tenum,

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II- § 168. § 194- §

J. Roskuf

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des Teufels. Bd. I.

Die dualistischen Religionen. 293

Einen Dienst des bösen mit Vernachlässigung des guten Geistes finden wir bei den Congo-Afrikanern') und bei den Hottentotten*). Die Neger der Sklavenküste bekennen: Gott sei so erhaben und gross, dass er sich um die niedrige Menschenwelt nicht kümmere^). Genau von denselben Vorstellungen lassen sich in Amerika zu- nächst*'die Patagonier beherrschen, denn auch sie verehren nur tlen schädlichen Gualitschu'*). Da auch die Abiponen nur den finsteren Gottheiten dienten, bezeichnet sie Dobrizhoffer als Teufels- anbeter^). Appun^), der uns die Namen der guten und der bösen Geister bei den Arovvaken-, Warrau-, Arekuna-, Macuschi-, Cariben- und Atorai-Stämmen Guayana's mittheilt, fügt ebenfalls hinzu, der Schöpfer selbst werde als ein so unendlich erhabenes Wesen ge- dacht, dass es sich um den P-inzelnen nicht kümmere. Sonne und Mond vertreten bei den Botocuden die beiden Naturen des Göttlichen 7). Dualistische Rollen vertheilten die alten Aegypter zwischen Hesiri (Osiris) und Set, die Chaldäer unter die Planeten : Jupiter und Venus waren die günstigen, Saturn und Mars die schädlichen Gestirne, der wankelmüthige Merkur aber schloss sich stets den jeweiligen Beherrschern des astrologischen Himmels an. Die Verehrung des schrecklichen ^iva in Indien darf eben- falls als ein Versöhnungsversuch betrachtet werden und ein so- genannter Teufelsdienst hat sich in Vorderasien bei den Jesidi noch erhalten können, obgleich rings herum reinere Religionen zur Herrschaft gelangt sind. Gewiss muss im Menschen eine grosse sittliche Veredelung vor sich gegangen sein, bevor er sich entschliesst, der gutgesinnten Gottesmacht seine Verehrung darzu- bringen; es ist dann nicht mehr Furcht, die ihn bewegt, sondern ein dankbarer Drang. Auf dieser Stufe finden wir zu unserer Ueberraschung die Australier in Neu -Süd -Wales, die nicht dem übelgesinnten Potoyan, sondern einer gütigen Macht unter dem

1) WinwoodReade, Savage Africa. London 1863. p. 250.

2) Kolbe, Cap der guten Hoffnung, S. 414.

3) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht 1704. tom. II. p. 154-

4) Musters. Unter den Patagoniem. Deutsch von J. K A. Martin. Jena 1873. S. 193.

5) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 87.

6) Ausland 1872. No. 29. S. 683 684.

7) V. Martins, Ethnographie. Bd. i. S. 327.

2Q4 Bie dualistischen Religionen.

Namen Koyan ihre Opfer bringen*). Auch von einer Anzahl Indianerstämme des Orinocogebietes , welche einen bösen Geist annahmen und ihn verschieden benannten, versichert der P. Gu- milla*), dass sie ihm keine Verehrung gezollt hätten. ^

Wenn auch geistig unreife Menschenstämme die Gesinnung der unsichtbaren Mächte als gut oder bÖs bezeichnen, so unter- scheiden sie damit doch nicht das Sittliche und Unsittliche. Das Gute und das Böse ist vorläufig nichts weiter, als das Erfreuliche und das Widerwärtige. Zur Genüge bekannt ist wohl die Antwort des Buschmann, der dem fragenden christlichen Glaubensboten als Beispiel einer bösen That bezeichnete, dass ein anderer ihm sein Weib raube, und als Beispiel einer guten, wenn er selbst das Weib eines Andern sich gewaltsam aneigne^). Als ein ge- selliges Geschöpf aber erkennt und begreift der Mensch sehr früh und später immer schärfer, dass das Zusammenleben ihm Pflichten ^egen seinen Nächsten auferlege. Auf der untersten Stufe schon wird die Verletzung der socialen Gebote als eine Versündigung angesehen. Die Vorschriften der geselligen Geschöpfe sind aber enthalten in den Sitten der Horde, des Stammes oder des Volkes. Die Ausübung der Blutrache ist daher überall dort, wo sie noch nicht durch bessere Einrichtungen ersetzt worden ist, gewiss eine sittliche That. Die brasilianischen Tupinamba hoffen, dass die Tugendhaften zu ihren Vätern in den glücklichen Gärten des Jen- seits versammelt werden. Unter Tugend aber verstehen sie, tapfer das Eigenthum der Horde zu vertheidigen, viele Feinde zu er- legen und die Erschlagenen canibalisch zu verzehren*). Ihre höchste Vollendung empfangen erst die Sittengebote, wenn sie sich über die gesammte Menschheit erstrecken und auch an frem- den Völkern die Menschenrechte geachtet und gegen sie Men- schenpflichten erfüllt werden. Auf allen nahen oder entfernten Strecken zu diesem im Christenthum erkannten, aber in der christ- lichen Welt noch unerreichten Ziele, begegnet dem Menschen die Versuchung, seinen Genuss und Vortheil höher zu schätzen,

1) Dumont d'UrviUe, Voyage de TAstrolabe. tom. I, p. 464.

2) El Oiinoco ilustrado. Madrid 1741. II, 3. p. 308.

3) Waitz, Anthropologie. Bd. i. S. 376.

4) Lery bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 80.

Die dualistischen Religionen. 205

als das auferlegte gesellschaftliche Gebot. So wie aber die sitt- lichen Begriffe die Vorstellungen von der Gottheit erfüllen, wirkt die Religion als der stärkste Hebel der Veredelung; der unsichtbare X7i"heber des Seienden erscheint als der Gesetzgeber und als der Richter über Recht und Unrecht. Am frühesten nun haben die Eränier in Persien Göttliches und Sittliches innig zu- sammengeschmolzen.

Die Erforschung ihrer Alterthümer hat übereinstimmend dazu geführt, dass die persischen und indischen Arier in einer nach Jahresmaassen noch nicht befestigten Vorzeit eine gemeinsame Heimath bewohnten und die nämlichen Religionsvorstellungen theilten. Sie dachten- sich das Unsichtbare erfüllt mit Wesen, die auf das Menschenschicksal Einfluss übten und die sie Deva und Ahura nannten. Mag nun in Folge der Trennung eine Religionsspaltung oder in Folge der Religionsspaltung eine Tren- nung eingetreten sein, später fassten die Eränier die Ahura als gütige, die Deva (neupersisch div, englisch devüj als feindliche Mächte auf. Umgekehrt werden bei den indischen Ariern die Deva (lateinisch deusj zu den heilbringenden und die eränischen Ahura zu den verderbenbringenden Gewalten gerechnet*).

Unter den Eränlern gab es eine geweihte Kaste, in den ältesten heiligen Schriften Soschianto geheissen, die in Vorzeiten mit den indischen Atharva genau übereinstimmten: beide nämlich waren Feuerpriester*). Die Magier, deren Name erst auf den Inschriften des Darius vorkommt, vertreten im alten Medien die Verrichtungen der genannten Soschianto und Atharva^). Sie trugen weisse Gewänder, enthielten sich der Fleischkost und dienten per- .sönlich gedachten Naturkräften oder den hohen Formen von Fetischen, der Sonne (Mithra), dem Monde, den Sternen, der Erde, dem fliessenden Wasser, vor allem dem Feuer. Unter diesen Priestern erhob sich ein Religionsstifter Namens Zoroaster

i) In den ältesten Stücken des Rigveda Samhitä wird der Ausdruck Asura noch in einem guten und hohen Sinne gebraucht. Martin Hang, Religion of the Parsees. Bombay 1862. p. 226.

2) Von den letzteren stammt der Atharva Veda, Hang, 1. c. p. 250. Atharva bedeutet: mit Feuer versehen;

3) Fr. Spiegel, das Leben Zarathustra*s , in den Sitzungsberichten der phÜos.- historischen Classe der Münchner Akademie. München 1867. S. 70 —80.

206 Die dualisiischen Religionen.

oder richtiger Zarathustra '). Er wird unter den Griechen etwa um 470 V. Chr. von Xanthus dem Lydier zuerst erwähnt und sein Auftreten Jahrhunderte oder Jahrtausende vor Xerxes gesetzt. Sicherlich gehört er einem sehr hohen' Alterthume* an '). Auch die Ermittelung seines Geburtsortes ist auf Schwierigkeiten ge- atossen, und wenn er gewöhnlich nach Ragha oder dem heutigen Rai bei Teheran verlegt wird, so muss sogleich hinzugefügt werden» dass er später in Bactrien weilte und dort wahrscheinlich seine Lehre die ersten Wurzeln schlugt).

Zarathustra verkündete nun, dass es unter den vielen gütigen Ahura einen Mazdäo oder WeJtensch Opfer *) gebe, einen Vergelter des Guten und Bösen. Dieses höchste Wesen vereinigte doppel- seitig in sich einen weissen oder heiligen ffpen/o mamyu.tj und einen dunklen oder finsteren Geist fangro marnfusj, sodass also die Zwei- theilung in Ormazd und Ariman der reinen Lehre Zoroaster's nicht angehörte'), sondern nach ihr aus derselben Schöpferkraft Böses wie Gutes hervorgegangen war. In einem alten Liede der par- sischen Liturgie tritt die Seele der Natur vor Gott und klagt, dass die Erde verwüstet werde durch das Drängen des Bösen, Zugleich verlangt sie die Schöpfung eines Wesens, stark genug, um sie für immer von ihrem Schmerze zu erlösen. Gottes Rath- sdiluss war es aber nicht, die Sterblichen von dem Kampfe mit dem Bösen zu entheben, damit sie die ihnen verliehene Kraft des Guten stählen sollten. Auf die Bitte der Naturseele zeigt er dieser aber das Urbild Zarathustra's , durch dessen Erscheinen

II Der Name wird verschieden übetsetit von Windischmann (Zo- roastrische Studien. Berlin 1863. S. 46), von Fr. Spiegel (Leben Zara- thustra's. S. 10) und von Martin Haag (Religion o( the Parsees. p. 252), welcher letztere ihn als den Titel eines Hohenpriesters erklärt und dem Religionsstifter den Familiennamen Spitama pl"''

2) MartinHaug (Leclure on an original Speech of Zoroasler. Bombay 1865. p. 27) glaubt ihn nicht jünger aoselien in dürfen, als 1300 Jahre v. Chr.; Rapp (Religion und Sitte der Perser, in der Zeitschrift der D. moicenl. Gesellschari, Leipzig 1S65. Bd. 19. S. 27) dagegen hat viele Gründe herbei- gebracht für die Zeil vom II. bis rj. Jahrhundert v. Chr.

3) Was für Baclra als Geburtsort sptieht, hat wiederum Rapp (1. c. S. ji) mit grossem Geschick auseinandergesetzt.

4) Haag, Religion of the Parsees, p. 100.

5) Hang, Religion of Ihe Parsees, p. ijS.

Die dualistischen Religionen. 207

den Streitern für das Gute ein solcher Beistand geleistet werden solle, dass der Sieg des Lichtes für immer gesichert sei').

Diese tiefere Lehre aber verdunkelte sich im Verlaufe der Zeiten. Die Lichtseite und die Nachtseite des göttlichen Willens trennten sich ab als doppelte Wesen. Die Herren des Lichtes und der Finsterniss streiten sich seitdem um den Sieg, der übrigens von Anbeginn entschieden ist. Ormazd allein weiss um das Dasein Arimans, und ehe dieser sich regt, hat er 3000 Jahre Zeit sich eine Schaar unsterblicher Helfer auszubilden. Als Ariman endlich zum Kampfe sich erhebt, stösst er auf einen wohlgerüsteten Gegner. Dreitausend Jahre währt das Ringen ohne Entscheidung. Erst in dem nächsten und letzten dreitausendjährigen Abschnitt sinkt Ariman zur Machtlosigkeit herab'). An diesem Streite soll nun der sterbliche Mensch theilnehmen, zwischen Licht und Finsterniss wählen, den Sieg des Guten durch das Gewicht seiner Werke herbeiführen und nicht durch böse Thaten die Siegesaussicht Ari- mans vergrössern. Gewiss konnte nicht leicht etwas heilsameres ersonnen werden,' die besseren Regungen im Menschen wach zu erhalten, als die Verheisbung von Gott selbst als Helfer zum Siege angesehen zu werden.

Daran schloss sich die Lehre von der Auferweckung der Todten, ein echt zoroastrischer Glaubenssatz, von dem die älteste Kunde am Schluss des 4. Jahrhunderts durch Theopompus in das Abendland gelangte^). Die Abgeschiedenen dachte man sich er- standen zu einem unvergänglichen, dem Stoffwechsel entzogenen, reinen Leben in Leibern, die keinen Schatten warlen und der Sättigung nicht bedurften. Drei Tage nach dem letzten Hauche des Sterbenden schwebt die Seele noch in der Nähe ihrer körper- lichen Hülle. Um die vierte jMorgcnröthe aber schleppt sie ein Todesgenius zu der Brücke des Seelenhäschers (Tschinwat Peretu)^ und vor den Richter Sraoscha, der die guten und bösen Werke auf der Wage prüft. Dem Frommen tritt mit himmlischem Grusse die Verkörperung seines guten Wandels entgegen in Gestalt eines Mädchens von strahlender Jugend, (schlank und hochbusig mit weissen Armen und edelem Antlitz. Dem Gottlosen erscheint die

1) Ferdinand Jnsti im Ausland 1871. No. 10. S. 221.

2) Windischmann, Zoroastr. Studien. S. 58.

3) Windischmann, 1. c. S. 235—239.

2q8 ^i' dualistischen Religionen-

Verkörperung seines Wandels in Gestalt einer hässlichen Dirne und bei ihrem Anblick erwacht ihm die Erinnerung an alle seine Lügen und Ungerechtigkeiten. Je nach dem Richtspruch wandelt die Seele über die Brücke in die Behausung der Lobgesänge fgarS demänaj oder sie wird hinafagestossen von bösen Geistern in den Schlund der Vernichtung (drudichö demänaj.

Es sei uns verziehen, wenn wir hier auf-kurze Zeit die Erä- nier verlassen, um einzuflechten, dass über die ganze Erde ähn- liche Vorstellungen von den Prüfungen der Seele nach dem Tode verbreitet sind. Bei dem Todtengericht der Aegypter, als etwas hinreichend Bekanntem, brauchen wir nicht zu verweilen. Nach dem Glauben der Badagas im tamulischen Indien aber müssen die Seelen an einer Feuersäule vorüber, welche die Sündhaften ver- zehrt, und gelangen erst nach bestandener Gefahr auf einer Faden- brücke in das Land der Seligen"), Ganz ähnlich berichten Jesuiten- predij^er, dass nach dem Glauben der Huronen die Seelen der Verstorbenen auf einem Baumstamm über den Todesfluss gehen mussten, wobei manche von dem Wächter der Brücke oder einem Hunde angegriffen und herabgestürzt werden*), Tylor, der eifiig noch andere Beispiele des Mythus von der Seelenbrücke gesam- melt hat, fand ihn auch in einem altenglischen Leichengesang, wo es heisst: The brig of dread no bradtr Ihan a threadi).

Die ergreifende Vorstellung der Eränier von einer sittlichen Weltordnung hinderte nicht das Fortbeslehen eines alten Fetisch- wahns, der übrigens geschickt mit dem Grundgedanken des Mazda- yasna oder der Lehre Zoroasters versöhnt wurde. So verehrte man Mithra, die Sonne, als Auge Ormaid's, aber von ihm ge- schaffen. Der seh a man istische Haomatrank behielt gleichfalls seine ungeschwächte Zauberkraft, wie in der Vorzeit. Vor allem aber wurde und wird bis auf den heutigen Tag das Feuer als Ormazd- sohn angebetet, keine Feuersbrunst darf daher anders als mit Erde erstickt, kein Licht ausgeblasen werden, weil jeder Hauch verun- reinigt, weshalb auch die Priester bei heiligen Handlungen, und die anderen Tarsen beim Gebet den Mund verhüllen. Das Feuer wird durch das Kochen und durch das Schmiedehand werk be-

ll Baierlein, Nach und ans Indien, 5. 153. j) Tylor, Anfinge der Cultur. Bd. 2. S. 92. J) Urgescbichle der MenEcbheit. S. 451.'

Der israelitische Monotheismus.

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Schmutzt, und auf Reinheit dringt überall das Sittengebot der Parsen. Gleichen Schutz vor Befleckung genoss das fliessende Wasser. Deshalb war es verdienstlich Brücken zu erbauen, um das Durchwaten der Ströme abzuwenden. Da die Todten weder verbrannt noch ins Wasser geworfen,' noch die ebenfalls heilige Erde durch sie besudelt werden durfte, gab man die Leichen in ummauerten ringförmigen Plätzen, den Thürmen des Schweigens, den Vögeln preis*). ^

Der Begriff" der Sünde war bei den Anhängern Zarathustra's ein sehr gemischter, denn sie konnte in einem Verstoss gegen die schamanistischen Vorschriften, also einer Verunreinigung oder in ■einer sittlich verwerflichen Handlung bestehen. Unter letzteren galt ihnen das Lügen als eine schwere Schande*), der Betrug noch schlimmer als der Raub, der Diebstahl schon deswegen als Ver- brechen, weil er im Geheimen betrieben wird, selbst Geld zu leihen, schien sträflich, weil es mit einem Betrüge des Gläubigers zu enden drohte^). Auf Redlichkeit und Reinheit drang und dringt das par- sische Sittengesetz, und keine Religionsstiftung hat wie das Maz- 4ayasna bis auf den heutigen Tag die Achtung der Andersgläubigen in so hohem Masse genossen. Freundlich gedenkt auch das erste Evangelium der Magier, die aus dem Morgenlande kamen.

13. Der israelitische Monotheismus.

Für die Sittengeschichte des menschlichen Geschlechtes ist liichts bedeutungsvoller als die Entwicklung des Gottesgedankens in monotheistischer Richtung. Das alte Testament in seinen arglos und treuherzig gegebnen Sagen und Erzählungen lässt uns als treuer Spiegel das langsame Reifen dieser oft aufs höchste be-

i) Auch "in Medien wurden nicht eher die Leichen mit Wachs Übergossen in die Erde gelegt oder wie in den Königsgrüften bei Persepolis bestattet, als bis die Knochen vom Fleisch entblösst waren. Dass Cyrus, als Feuer- anbeter, den Crösus zum Holzstoss verurtheilt haben sollte, ist wenig glaub- haft, viel eher ist zu vermuthen, dass der lydische König sich seinem Gotte Sandon verbrennen wollte. F. Justi a. a. O. S. 223. Rapp dagegen nimmt an, dass im westlichen Erän die oben angeführten Bestattungs- gebräuche nicht üblich waren, sondern nur dem Osten angehörten.

2) Herodot I, 138.

3j Dune leer, Gesch. des Alterthums. i. Aufl. Bd. 2. S. 350 359.

300 ^^' israelilircho Monolheisinas.

drohten Frucht beobachten. Weil wir alle schon in der Jugend die Wahrheit eingesogen haben, dass das Heilige und Ewige nur ein untheilbares sein könne, übersehen wir die SchwierigkeiteD, welchen die Ausbreitung dieses Gedankens begegnen musste, als er neu, schwankend und unklar von Wenigen getheilt, von der Mehrzahl anderen und älteren Vorstellungen zu lieb zurückgewiesen wurde. Ein Volk, welches zum Glauben an die gottliche Einheit gelangen soll, muss überhaupt vorher lange Zeiträume geistiger und sittlicher Entwickelung zurückgelegt haben, denn wie Tylor richtig bemerkt'}, ist nie bei einem Stamm sogenannter Wilder der Mono- theismus angetroffen worden. Kritisches Vertrauen kann jedoch die biblische Geschichte er!>t von dem Zeitpunkt an geniessen, wo das Volk Israel die Kunst der Schrift sich angeeignet hatte, also seit der Zeit des Auszuges aus Aegypten, aber auch nicht viel früher').

In ihrem höheren Alterthume gebrauchten die Hebräer andere Namen als Jahve für das höchste Wesen, und einer darunter (Elohim), trägt bedenklich erweise die Pluralform, auch werden bei einer feierlichen Eidesleistung sogar drei Götter nach einander an- gerufen^). Es wurde auch trüber schon erwähnt, dass Hausgötzen (Seraphim) noch unter David'} Verehrung genossen. Erst kurz vor der babylonischen Gefangenschaft liess Josia zwei Altäre mit heiligen Steinen vor den Thoren Jerusalems vernichten 5). Dass überhaupt in den ältesten Zeiten die Juden nicht der reinen Gottes- religion anhingen, bezeugt ausdrücklich die heilige Schrift. Wenn daher die Aegypter ein höchstes Wesen unter dem Namen ich bin, der ich bin, verehrten*), so ist die Vermuthung zwar nicht ganz verwerflich, dass erst Mose, eingeweiht in die Geheimnisse des ägyptischen Gottesdienstes, zur monotheistischen Auffassung sich aufgeschwungen habe; bei dem Dunkel jedoch, weiches über der Vorgeschichte des Volkes Israel schwebt, lasst sich gegenwärtig

1) Anfänge der Cullut, Bd. 2. S. 333.

2) Die Erwähnung von Siegelringen zu Josephs Zeit (Gen. 38. t. 18. v. 25) würde noch elw»s höher hinauf fuhren. _

3) Vergl. zu Genesis XXXI, 53. Ewald, Israelilisehe Gesthichte. I. Aufl. Bd. I. S. 371.

4) Siehe oben S, 358,

51 Ewald, Israelitische Geschichte. 3. Auti. Bd. 3. S. 757, 6) G. Ebers, Durch Gosen lum Sinai. S. 97, S. jiS,

Der israelitische Monotheismus.

301

•eine solche Behauptung weder streng begründen, noch streng wider- legen. Wenig glaubwürdig aber erscheint es, dass ein einzelner, wenn auch noch so feuriger und hochbegabter Geist die Gemüther eines Volksstammes zu einer völlig neuen Welterklärung bekehrt haben sollte, wenn sie nicht schon für diese Wendung vorbereitet gewesen > wären. Der Gedanke an den untheilbaren Gott erforderte aber, wie alle irdischen Vorgänge, eine lange Entwickelung. Das aite Testament zeigt uns diesen Gedanken oft dem Erlöschen nahe, verdimkelt wie die Sonne durch vorüberziehendes Gewölk an einem trüben Tage. Selbst Mose ist nicht unerschütterlich gewesen, sonst hätte er nimmer die eherne Schlange in der Wüste zur Abwehr gegen den Guineawurm auf der sinaitischen Halbinsel errichten lassen. Erst unter dem frommen König Hizqia, als eine viel reinere und schärfere Auffassung des Gottesgedankens zur Geltung gelangt war, wurde dieser Fetisch vernichtet. Spuren von Schamanismus wiederum enthält das gottesgerichtliche Verfahren bei Anschuldigung des Ehebruches. Das verdächtigte Weib soll Wasser trinken, in welchem ein Papier mit schriftlichen Verfluchungen abgespült worden war ^) , genau wie mohammedanische Priester heutigen Tages Kranke durch Wasser heilen wollen, mit welchem auf- geschriebene Qoränsprüche abgewaschen wurden*). Dass auch Frauen sich mit Todtenbeschwörungen abgaben, bezeugt uns der heimliche Besuch Sauls bei der Zauberpriesterin von Aendör, und noch zu Josia*s Zeiten bestand ein geehrtes Orakel in Jerusalem. Gleich nach Joshua*s Tode hatte sich eine traurige Verwilderung der Gemüther bemächtigt, und der Jahvedienst besudelte sich mit Menschenopfern, die noch bis in die Königszeit fortdauerten"^). Auch galt in den älteren Zeiten Jahve nur als der ausschliessliche Hort des Hebräerstammes, als ein Schutzpatron von grösserer Macht wie die Gottheiten der feindlichen Stämme*). So lässt Jiftah dem Amonäerkönig durch seine Botschafter sagen: „Gehört nicht Dir

1) Nume;-. V, 19 ff.

2) Wie die schamanistischen Wahngcbilde zur Zeit des Exils um sich griffen, ist aus Tob. VI, 6—10 ersichtlich.

3) Keine Sophistik vermag das menschliche Grauen zu mildern, welches uns bei der Erzählung von Jiftah's Töchterlein (Jud. XI, 34 ff.) ergreift. Uebcr die Menschenopfer unter Saul und David vgl. i. Regum XIV, 23 45. und 2. Regum XXI, 6.

4) Exod. XV, II u. KVrri, II.

302 ^c isiaelitische MoDotheiBmus.

von Rechtswegen Alles, was Dein Gott Chamos besitzt? Sollte nicht auch alles, was unser Golt als Sieger erwarb, zu unsrer Herrscliafl gehören?"') Auch wird der Machtbereich Jahve's noch Örtlich beschränkt gedacht, denn Gott willigt ein mit Jacob „hinab- zuziehen nach Aegypten"'). Oft geht die sinnliche Auffassung so weit, dass die Naturkräfle als Lebensäusserungen Gottes aufgefassl werden und der Gottesfje danke fast herabsinkt zu einem mono» theistischen Naturdienst. Wir dürfen uns nicht durch die Erhaben- heit der Sprache berauschen lassen, wenn im Donner eine hörbare Stimme, im Frost und Thauwetter der kühle oder warme Hauch Jahve's wahrgenommen werden^). Allerdings nöthigen uns die Fesseln unsres Denkvermögens, das unerfassliche Wesen Gottes immer wieder in Menschennatur zu kleiden, selbst die Evangelien sprechen von väterlichen Erregungen, nur ist es etwas andres wenn wir uns immer bewusst bleiben, dass wir nur aus Nothbehelf anthropomorphosiren, ähnlich wie auch die strengen Wissenschaften nicht immer bildliche Ausdrücke vermeiden können. Wenn aber die Bibel jahve durch den Opfergeruch erquickt werden lässt*), so redet sie die Sprache Homers. Kindlich, aber darum auch ohne Erhabenheit ist die Vorstellung von Jahve, den Mose auf dem Sinai an gegebene Versprechen erinnern muss und der wankel- müthig zurücknimmt, was er gedroht hat'). Auch hier fühlen wir uns gemahnt an Auftritte, wie sie in der epischen Zeit der Hel- lenen im Olymp spielten. Selbst die Trachten der Priester mit Putz und Stickereien werden noch auf göttliche Anordnungen zu- rückgeführt^), und mit Bedauern müssen wir sogar lesen, dass Jahve zur Veruntreuung geliehener silberner und goldener Gefässe die Israeliten angeleitet haben solle'). So dürftig, so unrein, so mensch- lich schwach waren und blieben lange die Vorstellungen des höch- sten Wesens.

Darin liegt aber auch die hohe Bedeutung der Geschichte Israels, dass dieses Volk nim durch das, was es erleben und

1) Jud. XI, 24.

2) Gen. XLVI, 4.

3) Job, cap. 37 u. 38.

4) Levil. I, 9.

5) Eiod. XXXII, 9—14.

6) Eiod. XXVIII, 33—34.

7) Eiod. XI, 1.

Der israelitische Monotheismus. ^03

dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er- fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt- ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst,') in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver- wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu geblieben, wo iromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab- trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner- schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für uns streitet*). So mahnt auch den verzweifelnden Jjob Elisba da- ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche zu Grunde gegangen seien •^). Mit voller Klarheit hatten die Juden erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen^). Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im Unstern Thal, fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir.

Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln

1) Nach Ewald Israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung.

2) 2. Paralipom. XXXII, 7—8.

3) Job. IV, 7—9.

4) Judith, V, 15.

ß04 ^cr israelitische Monotheismus.

und Urenkeln rächte, j kennt Hezeqiel nicht mehr. Weder soll der Vater unter den Verirrungen des Sohnes, noch der Sohn unter denen des Vaters leiden. Ja der Schuldbelastete selbst, wenn er in echter Reue sich bessert, soll Vergebung hoffen, denn, lässt der Prophet den Herrn sagen, nicht an der Vernichtung des Frevlers ist mir gelegen, sondern an seiner Umkehr^). Väter- liches Erbarmen verheisst auch allen Gottesfürchtigen ein Lied*), welches David zugeschrieben wird, und zu den vorauseilenden Schatten des Christenthums gehört der Spruch des Sirach 3), dass man dem Nächsten zuvor vergeben müsse, ehe man selbst Ver- zeihung erbitte. Den Propheten dankten die Israeliten unter andren auch die Beseitigung von schamanistischen Verirrungen. War es uns zuvor*) klar geworden, mit welchen Gefahren jedes Opferwesen die sittliche Wendung der religiösen Regungen be- droht, so sei es uns verziehen, wenn wir die oft bewunderten Mahnworte aus Jesaia ^) noch einmal wiederholen : „Eure Fluren, ruft der Prophet, werden veröden, eure Städte eingeäschert liegen, eure Saaten vor euren Augen von Fremdlingen aufgezehrt werden, nichts wird mehr übrig bleiben von der Tochter Sion als gleich- sam ein Sonnendach in Weinbergen oder eine Nachthütte im Gurkenfelde, oder der Schutt der Verheerung. Wenn uns der Herr nicht einige Nachkommenschaft aufgespart hätte, so würden wir Sodom gleichen und Gomorrha. Höret nun das Wort des Herrn ihr Häupter der Sodomiter, vernimm den Befehl unsres Gottes Du Volk von Gomorrha^). Was bedarf ich eurer zahllosen Opferthiere? Mir ekelt's! Die Schlächtereien von Widdern, das Fett der Mastthiere, das Blut von Kälbern, Lämmern und Böcken, eure Neumondtage, Sabbathe und andre Feste sind mir uner-

1) Ezech. XVIII, 20 sq.

2) Ps. 102. V. 13.

3) c. XXVIII, V. 2.

4) S. oben S. 281—283.

5) cap. 1. V. 7. ff.

6) Zu dieser Stelle bemerkt Steinthal: Der Uebergang von der Ver- gleichung des Unglücks zur Gleichstellung der Sündhaftigkeit Judäas und Sodoms ist mir immer von einer so erschütternden Kraft erschienen, dass ich zweifle, ob in der sämmtlichen rhetorischen Literatur sich eine gleich ergrei- fende Stelle findet. Zeitschr. für Völkerpsychol. und Sprachwissenschaft. BerHn, 1866. Bd. IV. S. 228.

Der israelitische Monotheismus. ^05

träglich und eure Jubelfeiern und schändlichen Gelage bis in die Seele verhasst. Wenn ihr eure Hände aufhebt kehre ich meine Blicke ab; mögt ihr eure Gebete noch so oft wiederholen, ich er- höre sie nicht, denn eure Hände sind mit Blut befleckt. Reiniget, säubert euch, beseitigt eure schuldvollen Gedanken vor meinem Antlitz, verabschiedet eure Verkehrtheiten, übt euch im Wohlthuri, trachtet nach Gerechtigkeit, helft den Gedrückten, setzt die Waisen in das Ihrige und schützt die Wittwen. Dann kommt mich anzu- rufen, spricht der Herr. Und wenn eure Versündigungen dem Scharlach glichen, sollten sie wie der Schnee leuchten, und wenn sie wie Purpur glühten, sollten sie wie Vliesse erbleichen."

Uebrigens werden schon Samuel die Worte in den Mund ge- legt, dass Jahve am Gehorsam mehr Wohlgefallen habe als am Opfer*). Dass letzteres nicht etwa als eine Art zweiseitigen Ver- trages die Gottheit binde, wurde ausdrücklich von den Propheten verneint und dem Wahne gesteuert, als konnte durch irgend welchen Ritus auch der leiseste Zwang auf den göttlichen Willen ausge- übt werden. Sobald die innere sittliche Läuterung und die Abstellung gesellschaftlicher Gebrechen als ein göttliches Gebot gefordert werden, fallt das ethische Gebiet mit dem religiösen zusammen. Soll die Verehrung dem höchsten Wesen durch strengen und gerechten Wandel bezeugt werden, dann strebt durch Verklärung des Gottes- willens der Mensch, bewusst oder unbewusst, mit der Erfüllung höherer Pflichten nach einem höheren Werthe seines eignen Daseins.

Auch die Vorstellungen von Gott selbst werden mehr und mehr der rohen Sinnlichkeit entrückt. Wenn Jahve noch wie ein Nomad abwärts zieht mit Jacob in ägyptisches Gebiet, so kann dagegen niemand mehr dem allgegenwärtigen Gott des Psalmen- dichters entrinnen, selbst nicht mit den Fitigeln der Morgenröthe*). Der räumlich unbeschränkte Gott wird auch als ewig anerkannt. Vor der sichtbaren Körperwelt wird er als vorhanden gedacht und menschlichen Zeitvorstellungen wird der entrückt, dem ein Jahrtausend wie der gestrige Tag oder eine Nachtwache sind.

So offenbart sich nicht plötzlich wohl aber unvermerkt und

1) I. Reg. XV, 22. und Ewald israelit. Geschichte 3. Aufl. Bd. 3. S, 55. ebenso Ps. 51. v. 18 19.

2) Ps. 138, V. 7. ffe. Pesckel, Völkerkunde.

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3o6 I*" israelitische Monotheismus.

in leisen Uebergängen ein immer neuer und neuerer Gott rdner und ethischer, entsprechend den reineren und ethischeren Auf- lassungen, £u welchen das jüdische Volk heranreifte, gross gezogen und geläutert durch harte Prüfungen.

Die heilige Schrift liegt für jedermann geöffnet, um noch ein- mal selbst historisch zu durchleben, was die Hebräer an sich er- fahren mussten. Wenn ihr Monotheismus, wie ihn die Propheten lehrten, ein echter Gewinn gewesen wäre, so musste er sich be- währen in der Stunde des namenlosen Elends, als auch die Be- wohner Judäas, wie von den Assyriern früher die Zehnstämme, hinweggeführt wurden in die Gefangenschaft nach Babylonien. Von Sion und dem l'empel stand nur noch kahles Gemäuer, eine Besatzunj; lag an dem verödeten Platze um jeden zu ver- scheuchen, der es wagen sollte vielleicht verstohlen auf den ge- weihten Stätten seine Andacht zu verrichten. Die Zukunft war eine völlig lichtlose, nicht der fernste Schimmer einer Hoffnung glimmte noch, dass das einst starke und beneidete V^olk, nunmehr versprengt und ausgetheilt in dem weiten babylonischen Reiche sieh jemals sammeln werde. Als sie, mit den Worten ihres Sängers") zu reden, hinabweinten in die Wasser von Babylon, ihre Harfen an die Weiden hingen, weil der Lobgesang in fremdem Lande er- sticken musste, da gaben sich die geängstigten Gemüther auf alle Fragen an die Zukunft, immer nur die rauhe Antwort: es ist Alles vorbei 1 £3 ist vorbei mit Judäa und Sion, wie das Zehn- stämmereich schon zerflossen war bis auf die Schatten, welche etwa noch die Chroniken heraufbeschworen mochten.

Als die Zeit ihrer Könige, wo sie vom Meere bis zur Wüste die Gebieter waren mit ihrem schrecklichen Ende wie ein ver- wehter Traum ihnen entfloh, sahen sie sich beim hellen Er- wachen versetzt unter die asiatischen Wunder Babylons vor eine Tafel voller sinnlichen Genüsse und wer herzhaft Zugriff, konnte damals mit der geniessbaren Wirklichkeit, mit dem bunten Luxus und in der Vergnügungssucht der schwelgerischen Grossstadt unter den Dattelhainen am Euphrat und in der Ueppigkeit kunstvoll be- wässerter Gärten jedes Heimweh nach dem steinigen Palästina er-

) Psalm 1)6, V. 1.

li Hepworlh Dixon, Das heilige Land. Jena, 1S70. 5. 48— 50.

Der itraelitische Monotheismus,

307

sticken. So thaten auch die Meisten, sie nützten das Exil zum gesteigerten Lebensgewinn aus und priesen es wohl als gün- stige Fügung, dass sie ihrem ärmlichen Einerlei entrissen worden waren. Hätten alle in ihre neue Lage so nüchtern und welter- fahren sich geschickt, so wäre vom Judenthum jetzt nichts mehr übrig, als ein 'Völkername in den Keilschriften, den die heutige Wissbegier hebr oder ähnlich lautend entziffern würde. Ein Name mehr zu andern kalten Namen.

Der unverdorbene Kern des jüdischen Volkes vergass aber nicht und vererbte auf das nächste und zweite Geschlecht die Sehnsucht nach den Orten, wo er von besseren Regungen durchschauert worden war. Wenn die Verbannten ihre neuen Ge- bieter in der Nähe besahen, wenn das stärkere, klüger beherrschte, von der Natur begünstigte, durch Geschick und technische Fertig- keit bereicherte Volk dennoch durch die Albernheiten eines Bilder- dienstes täglich sich erniedrigte, durften sie sich im Stillen gestehen, dass sie noch immer das auserwählte Volk geblieben waren. Uns aber, die wir den weiteren Gang der Geschichte überschauen, gleicht das Exil nur der Krümmung einer Parabel um ihren Brennpunkt. Nicht vorbei war es mit dem Judenthum sondern gerade das, was ihm den höchsten Werth verliehen hatte, der Gedanke an die Gotteseinheit, sollte nur die Richtung seiner Bahn zu höherer Ver- klärung ändern. Das Unglück verhärtete die Juden nicht, sondern stimmte sie, die selber ihr Brod mit Thränen assen, nur milder gegen alles Leiden was sie um sich erblickten. Jeder Einzelne unter uns der nach Klarheit gerungen hat, gelangt zu irgend einer Welterklärung, die nicht bloss die Summe dessen ist was er durch eigene Einsicht oder durch die Erfahrungen anderer sich ange- eignet hat, sondern auch alles dessen, was an ihm vorüber und über ihn hinweggegangen ist. Die historischen Schicksale eines Volkes fallen mächtig ins Gewicht, wenn es eine eigene Religion erschaffen, eine fremde annehmen, eine angenommene festhalten soll. Ein leider allzufrüh uns entrissener Orientalist konnte daher zeigen'), dass bereits in den älteren Schriften des Talmud die Neigung zur Milde und Menschlichkeit durchbreche, die das Christen- thum vorzugsweise zu einer idealen Trostlehre der Gedrückten

I) Emanuel Deutsch imQuarterly Review, tom. CXXIII. Octbr. 1867.

P- 417

20*

-,}■

308 ^ic christlichen Lehren.

erhob und aus der es seit mehr als i8 Jahrhunderten seine besten Kräfte geschöpft hat. Jene talmudischen Stellen aber stammen aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, der Mühseligkeit und Beladenheit, und es war die läuternde Schule des eigenen Un- glücks, die gerecht und weich, die zart und liebevoll gegen andere stimmte.

14. Die christlichen Lehren.

Als die Hebräer vor den Gefangenschaften mehr oder weniger genau, in der Gefangenschaft selbst aber aufs genaueste mit den Weltanschauungen und den Gottesbegriffen der Eränier vertraut geworden waren, konnte diese geistige Berührung und Befruchtung nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Ihr müssen wir zunächst zu- schreiben, dass in vereinzelten Stücken des alten Testamentes plötzlich ein verkörperter Unheilstifter auftritt, wenn auch der bereits erstarkte Begriff von der Einheit Gottes den Teufel nicht als ebenbürtigen Ariman, sondern nur als einen Diener des Herrn und als ein Werkzeug seiner Absichten duldet'). Aber weit be- deutungsvoller als der nur spärlich ausgenützte Erwerb des Satans wirkte die Bekanntschaft mit den eränischen Ansichten von der Unsterblichkeit der Seele, sowie mit den Lehren von der Auf- erstehung der Todten und eines Gerichtes über ihren Lebens- wandel. Diese Vorstellungen waren ursprünglich den Israeliten so fremd, dass noch zu Christus* Zeiten die Sadducäer") eine Fort- dauer nach dem Tode als schriftwidrig verwarfen. Den Jüngern aber war die Lehre so neu, dass sie bei ihrer ersten Erwähnung betroffen fragten: was soll das Auferstehen von den Todten

i) Ewald, israelit. Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 704. setzt die Ent- stehung des Buches Ijob in die Zeit der letzten Könige in Juda, allein Bd. 4. S. 237 zeigt er, dass die Bekanntschaft mit zarathustrischen Lehrsätzen schon seit dem 10. und noch merklicher seit dem 8. Jahrhundert auf die religiösen Vorstellungen der Hebräer namentlich in einer freieren Auffassung des Gegen- satzes von Gutem und Bösem zur Geltung gelangte. Ueber die wenigen Stellen des Alten Testamentes ausser Ijob, wo der Satan auftritt, vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels. Leipzig 1869. Bd. i. S. 186.

2) Matth. XXII, 23.

Die christlichen Lehren.

309

heissen ? ^) Eine Mehrzahl von Stellen des alten Testamen f es vernichtet sogar jede Hoffnung auf ein Jenseits. Mit Verheissung eines langen Lebens und reichen Kindersegens wird der Fromme belohnt oder wohl gar irdischer Ueberfluss in Scheune und Keller für religiöse Ehrfurcht und strengen Gottesdienst ihm in Aussicht gestellt*). Was nützt Dir, ruft der Psalmist ^) dem Herrn zu, mein Leib, wenn er zur Verwesung hinabsteigt? Wird etwa Staub und Asche Dich anrufen oder Deine Wahrheiten verkündigen? Bei Ijob finden wir die geradezu hoffnungsleere Stelle, dass wohl der abgehauene Baum noch einiital grünen könne, dass aber den Erdensohn, wenn er sich niedergestreckt hat, nichts mehr aus seinem Schlummer wecken werde*). So kann auch der Schluss dieses dramatischen Gedichtes uns nicht befriedigen. Auf die Prüfungen des Dulders öffnet sich nicht, wie wir erwarten, der Blick auf eine Welt der Verklärung, sondern Ijob wird mit Ge- sundheit erfrischt, mit Heerden und Nachkommenschaft neu aus- gestattet und stirbt dann lebenssatt (plenus dierum), Wohl spricht das alte Testament wiederholt von einer Behausung der Todten, die in der lutherischen Uebersetzung zwar eine Holle genannt wird, aber nicht als ein Ort der sittlichen Verbüssung gedacht werden darf, sondern wie Ijob es ausmalt, als lichtloser Raum, erfüllt mit ewigem Grausen. Ja dieses Sh6ol, welches überein- stimmt mit dem Hades der Griechen, wird nirgends in gesetzlichen Aussprüchen des Alten Testamentes erwähnt 5). Erst in späteren Stücken keimt eine andere erhabene Ansicht. Es wird nämlich der Trost ausgesprochen, dass der Mensch ein Gedanke Gottes, also zugleich von Anbeginn vorhanden gewesen sei. Da wir diese Lehre sonst nur in Schriften von minderem Ansehen antreffen, so ist es wichtig, dass wir ihr auch bei Jeremja (I, 4) begegnen. Wollte man ferner einen schönen Abschnitt (cap. 2)

1} Marc. IX, 10.

2) Proverb. III,. 9— 10.

3) Psalm 30, 10.

4) Job. XIV, 7—12.

5) Ewald, israelit. (jeschichte. Göttingen 1845. Bd. 2. S. 122. Wie E. B. Tylor (Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 81) richtig bemerkt, übersetzen die LXX Sh^ol mit Hades und tJlfilas mit Halja, welches letztere in der alten Bedeutung ein Schattenreich der Todten unter der Erde war.

[^ 3IO

Die christlichen Lehren.

y.

^

1. 1

g, im Buche der Weisheit*), wo das Erwarten eines Nirväna als

f^: Lehre der Gottlosen verworfen wird, wegen seines apokryphen

P' Ursprungs nicht anerkennen, so haben wir andererseits die Lehr^

ti von einer Präexistenz des Menschen vor der Geburt als Gottes-

gedanke bereits in dem Psalm 138 (139), den Ewald dem Zerubbabel zuschreibt"). In den Sprüchen^) wird dieselbe Anschauung in dichterischem Schwung und zugleich in erhabenen Bildern vorge- tragen, die wie eine Vorahnung unserer heutigen kosmogonischen Erkenntnisse klingen. Gott, heisst es dort, hat mich besessen nranfanglich ; vor seinen Schöpfungen von Ewigkeit war ich vor- bereitet ehe die Erde entstand, ehe die Tiefen einsanken, ehe die Wasser hervorquollen , vor dem Aufsteigen der Gebirge , vor den Hügeln war ich schon geboren. Noch gab es weder Fest- land, noch Ströme, noch stand der Erdkreis nicht in seinen Angeln. Als er den Himmel wölbte und in gesetzmässigen Curven die Tiefen faltete, als er den Aether in der Höhe festigte, die Wasser der Brunnen löste, das Meer eingrenzte und dem Flüs- sigen gebot, seine Ränder nicht zu übersteigen, da war ich bei ihm und spielte vor seinen Augen.

Aus diesen Stellen gewahren wir, dass an einen wohl be- rechneten Schöpferplan geglaubt wurde, innerhalb welchem auch bereits an den Einzelnen gedacht worden war. Als Gottesgedanke aber musste er auch dann in alle Ewigkeit fortleben. Sollen wir aber nun in aller Kürze aussprechen, worin die Völkerkunde das innere Wesen der christlichen Lehre von den religiösen Regungen anderer Zeiten oder der Hcidenwelt zu unterscheiden habe, so muss zuerst betont werden, dass die Verkörperung der Natur- kräfte in Gott, wie sie sich noch im alten Testament findet^), mit dem Satze beseitigt wird, dass Gott als etwas geistiges auf- zufassen sei 5). Wohl legen die Evangelien dem Religionsstifter noch immer eine' anthropomorphosirende Sprache in den Mund, insofern Gott als ein Vater bezeichnet wird, allein dies recht-

i) £s soll nach Ewald dem zweiten Jahrhundert v. Chr. angehören. Israelit. Geschichte Bd. 3. S. 436.

2) Israelit. Geschichte Bd. 4. S. 163.

3) Proverb. VIII, 22—31.

4) Job. cap. 37 u. 38.

5) Joh. IV, 24. rivtujxa 0 !&£oV

Die christlichen Lehren.

311

fertigt sich durch die Schranken des menschlichen Denkvermögens. Einen Geist uns vorzustellen sind wir unfähig, denn was wir so zu nennen belieben, gleicht immer einem denkenden Geschöpf, wie wir selbst sind, gebunden an die Arbeit eines Organismus. So lange wir Menschen bleiben, werden wir immer gezwungen, das Göttliche in Menschenform uns vorzustellen, doch geschieht dies in den Evangelien mit einer Einschränkung des Sprachgebrauches. Darf Gott als Vater angerufen werden, so spUen wir doch den also geheiligten Vaternamen nur auf Gott allein anwenden*).

Eine Lehre aber ist es vorzüglich, die im Christenthum zuerst und einzig nur mit ihm auftritt, nämlich die Annahme einer gü- tigen Vorsehung. Es ist, um mit Leibnitz zu reden, der Plan der möglichst besten Schöpfung bis auf das Kleinste durchdacht, bis zur Zahl der Haare auf dem Menschenhaupte und bis auf das Dasein der schwächsten Geschöpfe^. So wie die Erkenntniss einer solchen Vorsehung feststeht, wird die gefahrlichste Verirrung des Menschen, nämlich aller Schamanismus beseitigt. Ueberwindet auch vielleicht das menschliche Nachdenken die gröberen Ver- suche, durch Spruch und Zauber sich eine vorgespiegelte Macht über den Lauf der Naturvorgänge anzumassen, so bleibt doch noch viel länger das Vertrauen in die Wirksamkeit der sinnbild- lichen Handlungen, der Opfer, der Fasten, Bussübungen und Ge- bete zurück. Die indischen Brahmanen gelangten, wie wir sahen, durch scharfsinnigen Selbstbetrug bis zu dem Wahne, dass sie, als Inhaber solcher Mittel, göttliche Naturen geworden seien. War in der Gefangenschaft bei den Hebräern das Gebet zuerst zur Bedeutung und Macht gelangt^), so musste doch schon Zakharja^) gegen das erzwungene Fasten und Trauern warnen, durch welches man sich einbildete, die Rathschlüsse Gottes zu ändern. Der strenge Christ darf bei der Annahme einer güti«:en Vorsehung keinen Eingriff Gottes in den gesetzlichen Ablauf der Naturvor- gänge begehren. Unser Religionsstifter hat im Gegentheil be- stimmt verboten, nichts irdisches erflehen zu wollen, da, bevor

1) Matth. XXIII, 9. Kai TCax^pa |xtj xaki(n\Tt ifiuiv iizX Ttj; y^«* «^« yaip ^OTiv 0 icarfp vijkJv, 0 ir xoi^ cupavoi;.

2) Matth. X, 29—30.

3) Ewald, Israelit. Geschichte. Bd. 4. S. 32.

4) cap. VII, 5-6.

l-

|. ßl2 Die christlichen Lehren.

^' die Bitte sich noch geregt habe, für alle wirklichen Bedürfnisse

des Menschen schon gesorgt sei'). Durch diese nothwendige Schlussfolgerung aus der Lehre von einer gütigen Vorsehung unterschied sich das Christenthum von allen anderen Religions- schöpfungen. Nicht die Erfüllung des kleinsten, des heissesten,, des reinsten Herzenswunsches verspricht das Christenthum. Man kann sich daher nicht weiter vom Ziele der ursprünglichen und reinen Religion verirren, als wenn, da irdische Wünsche iiicht mehr zu dem himmlischen Vater empordringen sollen, eine An- zahl polytheistischer Mittelwesen zu Fürbittern ersonnen werden und auf einem Umwege wieder das schamanistische Gebet zurück- kehrt.

Die Gebetworte, welche Christus seine Jünger lehrte, ent« halten nichts weiter als eine Anleitung, gleichsam wie in einem Spiegel, die jeweiligen sittlichen und religiösen Zustände unseres Ichs wahrzunehmen, sich selbst zu bestärken in der Heiligung durch die Gottesidee, in dem Wunsche, dass das Reich der christ- lichen Anschauungen uns durchdringen möge, sowie in der Er- innerung daran, dass Alles, was uns widerfahren mag, der Wille einer gütigen Vorsehung ist. Es ergeht die Mahnung an uns selbst, denen zu vergeben, die sich etwa im Unrecht gegen uns befinden*), endlich die Bitte, dass der christliche Glaube nicht in uns erschüttert, sondern die Zweifel mehr und mehr zurück- gedrängt werden mögen. Der einzige irdische Klang in diesem Gebete ist das Erflehen des täglichen Brodes, wenn wir nicht auch dabei uns selbst mahnen sollen, dass wir Dank schuldig sind für jeden Tag, der uns gegönnt wird. Das Vaterunser verlangt die höchste innre Sammlung, wenn sein Inhalt nicht spurlos durch das menschliche Gemüth ziehen soll. So * unverwüstlich aber kehrten die schamanistischen Gelüste zurück, dass trotz der War- nung des Religionsstifters vor gedankenlosen Wiederholungen 3), welche der Mittheilung des Vaterunsers hart vorausgeht, es doch

1) Matth. VI, 8. Olöe yap o itaTTjp ufiuiv, oiv XP^^^ ^X^^e, wpo toü ufiac CLlrriooLi autcv.

2) In gleichem Sinne heisst es bei Jesus Sirach (28, 2): Vergieb Deinem Nächsten, was er Dir zu Leide gethan hat, imd bitte dann, so werden Dir Deine Sünden auch vergeben.

3) Matth. VI, 7. Mt| ßaTToXoYi^cTiTe waicep d tövixot* Öoxovgt y«P Ott £v rn TCoXuXoY(qt auTwv eJaaxouaäiijovTat.

Die christlichen Lehren.

315

als Paternoster in unverständlicher Sprache Jahrhunderte lang nicht mehr gebetet, sondern nach Buddhistenart') unter Abzahlung der Rosenkranzperlen hergesagt worden ist.

Der Schwerpunkt dieses Gebetes oder dieses Verkehres mit sich selbst liegt in der sogenannten dritten Bitte, die alles, was diesseits und jenseits über den Menschen verfügt werden möge^ als erwogen in gütiger Vorsehung, geduldig und dankbar uns empfangen heisst. Selbst harte Schicksalsschläge können sich zu innerem Gewinn verwandeln, da sie, abgesehen von den Fällen, wo sie verhärten und erbittern, die Gemüther in diejenige Stim- mung zur Milde und Vergebung setzen, in welcher sie den christ- lichen Wahrheiten am zugänglichsten sind. Nicht für die gesunden und starken, sondern für dje gebrochenen Herzen war ja der Trost der neuen Lehre bestimmt*). Die Selbsterziehung des sitt- lichen Menschen aber sollte mit der Einsicht in die eignen Fehler beginnen. Nachsicht gegen die Mitmenschen, Bekämpfen der eigenen Härte und der Lieblosigkeit, sind die immer wiederholten Vorschriften der Evangelien. Die Satzungen des alten Testamentes wurden nicht umgestossen, sondern verschärft und verfeinert. Nicht blos der Mord, sondern jede Gehässigkeit, nicht der Ehe- bruch, sondern jedes sträfliche Begehren sollte unterdrückt werden. Kein Verdienst sei darin zu suchen, Liebe mit Liebe zu vergelten, denn das geschehe auch von den heidnischen Völkern, sondern Gott ähnlich, der Gerechte und Ungerechte mit seinem Licht er- quickt, Fluch mit Segen, Hass mit Wohlthaten, Kränkungen mit Fürbitten zu vergelten, wurde als neue Pflichtenlehre den Christen auferlegt^), üeberall wird eine lieber win düng der menschlichen Natur gefordert, ein Anstreben des göttlichen Reiches und eine Veredelung der irdischen Gesellschaft geboten. Dem Jüngling, der seinen Vater noch bestatten möchte, ruft der Religionsstifter zu, er solle die Todten den Todten begraben lassen ♦), gleichsam als sei ein Jeder, dem nicht die eigene Verklärung über alles gehe,

i) Da der ähnlichen Erscheinung buddhistischer Gebetmühlen bereits ge- dacht worden ist, so wollen wir noch hinzufugen, dass selbst bei den Alt- eräniem gewisse Gebete in 100- und looofacher Wiederholung vorgeschrieben wurden. Duncker, Gesch. des Alterthums. Bd. 2. S. 334.

2) Luc. V, 31.

3) Matth. V, 44—46.

4) L c. Vlir, 22.

31.4

Die christlichen Lehren.

ein lebendiges Gespenst. Die Liebe zu Eltern und Kindern oder Geschwistern, die im Grunde nichts ist als eine erweiterte Selbst- liebe, soll sich auf das ganze Menschengeschlecht ausdehnen*).

Innerhalb der menschlichen Gesellschaft erzwingt sich das bürgerliche Recht von selbst seine Beachtung. Die Fortschritte unseres Geschlechtes beruhen auf einer so durchgebildeten Glie- derung von Arbeiten und Leistungen, dass sie nicht denkbar sind ohne strenge Beobachtung der Rechte Anderer. Wo sich der Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit abstumpft, geht jede Gesell- schaft zu Grunde und die Weltgeschichte wird für sie zum Welt- gericht, So ist schon durch diese unerbittliche sittliche Ordnung für die bürgerliche Erziehung unseres Geschlechts gesorgt. Das Christenthum aber erstrebt noch höheres als eine Verfeinerung des menschlichen Geselligkeitstriebes. Von dem Reisenden Kennan wird uns das milde Herz der Korjaken gerühmt: nie sah er ein Kind schlagen, nie horte er ein hartes Wort gegen eine Frau fallen, aber die Altersschwachen und die hoffnungslosen Kranken werden durch Lanzenstiche mit anatomischer Meisterschaft, Vater oder Mutter gewöhnlich vom Sohne, umgebracht, denn die harte Nothwendigkeit des Hirtenlebens verstattet keine Belastung der wandernden Gemeinde mit den Hinfälligen, und der gesellige Instinct setzt das Wohl der Genossenschaft über das Erbarmen gegen den Einzelnen. Erkennen wir, dass solche Satzungen unverträglich sind piit Christenpflichten, so gestehen wir damit, dass unsere Sittenlehre sich über und bisweilen gegen den Gesellschaftstrieb erhebt. Dass wir für Geisteskranke sorgen, kann als eine egoistische Vorsicht betrachtet werden, denn Niemand weiss voraus, ob er nicht selbst von diesem Schutz der Gesellschaft Nutzen ziehen möchte. Wir verpflegen aber auch menschliche Missbildungen, wie die Cretinen und Microcephalen. Sicherlich wäre es für die Gesellschaft viel erspriesslicher, solche Geschöpfe ihrem Schick- sal preiszugeben und den Aufwand, den ihre Pflege erheischt, lieber zu nutzbringenden Zwecken zu verwenden. W>nn wir es dennoch nicht thun, so befriedigen wir ein Pflichtgefühl, das sich nicht aus unserem socialen Instincte ableiten lässt*). Die Sklaverei

1) Matth. X, 37; Marc. III, 33.

2) Bei den Altmexikanem kommt die Pflege der Cretinen ebenfalls vor (Oviedo, Historia general lib. XXXIII, cap. IX, tom. III, p. 307), allein sie

Die christlichen Lehren.

315

der Neger und viele Leibeigenschaftssatzungen Hessen sich damit rechtfertigen, dass die Unfreien der Zucht, namentlich des Zwanges zur Arbeit bedurften, dass sie selbst unter dem Drucke viel besser gediehen und ein grosser Theil ihrer Leistungen nach der Frei- sprechung für das Gesammtwesen verloren ging. Dennoch wird jedes veredelte Herz diese schnöden Vortheile als zu theuer erkauft halten, weil jeder Zwang ihm gehässig ist Diese Empfindsamkeit unseres Gewissens verdanken wir aber den Lehren der Evangelien, welche uns in der Jugend eingefiösst worden sind.

Werden dem Christenthume seine Ketzerverfolgungen, seine Inquisitionen, seine Religionskriege, überhaupt seine Unduldsamkeit zur Last gelegt, so treffen die Vorwürfe doch nur diejenigen, welche die Lehren der Milde in ihr Gegentheil verwandelten. Um den sittlichen Inhalt des Christenthums hat sich aber nie Streit erhoben, sondern nur um die Glaubenssätze, wie sie durch Con- cilienbeschlüsse festgesetzt wurden. Christus selbst kämpfte mit dem, was sich das rechtgläubige Judenthum hiess, er, der den Sabbath um des Menschen willen vorhanden erklärte und ^egen Dogmenverfertiger das vernichtende Wort hinterlassen hat ^: „Ver- geblich dienen sie mir mit dem Verbreiten ihrer Lehrmeinungen, Satzungen menschlichen Ursprungs".

Die Verächter der evangelischen Lehren in unserer Zeit über- sehen gewöhnlich, dass alle menschenfreundlichen Bestrebungen immer in der christlichen Lehre ihren stärksten Helfer gefunden haben. Der Abschaffung der Negersklaverei wurde bereits gedacht, aber auch die Bewilligung gleicher Rechte im öfifentlichen Leben für Alle hatte im christlichen Pflichtgefühl seinen wärmsten Für- sprecher gefunden. Dem Gebote, Hungrige zu speisen und Nackte zu kleiden, verdanken wir unsere heutige Armenpflege. Manches andere, was uns in Evangelienlehren befremden mag, kann vielleicht auf einem Missverständniss der Jünger beruhen oder der Sinn der syrisch gesprochenen Worte hat beim Uebergang in die griechische Sprache mehr oder weniger gelitten, oder die

beruht sicherlich auf abergläubischer Scheu oder geschah aus Liebhaberei, wie die Häuptlinge der Fidschi- Inseln zu ihrem Vergnügen Krüppel futterten. Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 626.

I) Marcus VII, 7. ManQv 81 a^ßcvraC |xe, 8i8(xaxovTec ^i^aaitaklixq,

^l6 Die christlichen Lehren. Der Islam.

Dunkelheit der Gleichnisse kann bei besserem Verständniss des* Morgenlandes sich noch in Klarheit verwandeln, wie es mit dem Bilde vom Kamel und dem Nadelöhr geglückt ist*). Nur auf Entstellungen beruht es, wenn zur Verdunkelung des Christen- thums der Buddhismus ihm vorgezogen wird, der angeblich 400 Millionen Bekenner gewonnen haben soll, ohne weder eine Be- lohnung guter Werke, noch Bestrafung böser Handlungen zu ver- heissen. Wie es sich in Wirklichkeit verhält, haben wir bereits dargestellt. Der Buddhismus der 400 Millionen entbehrt weder eines reich ausgeschmückten Himmelreiches, noch einer Hölle mit erfinderischen Qualen. Auch in seiner anfanglichen Reinheit diente ihm schon die Wiedergeburt als Schreckmittel gegen Uebertreter seiner Gebote, denn Av'oka's Sohn erlitt nur deswegen eine grau- same Blendung, weil er nach buddhistischer Deutung in einem früheren Dasein Hunderten von Gazellen die Augen ausgestochen hatte ^).

15. D e r I s 1 ä m.

Vor dem Auftreten ihres Propheten lagen die Stämme der arabischen Halbinsel noch in den Fesseln des Fetisch wahnes. Sie verehrten Steine, Felsen, Bäume und Bilder, aber auch die Sonne, den Mond und die Gestirne^), Mohammed selbst gesteht, dass er in seiner Jugend die Götter seiner Väter angebetet habe. Der Meteorstein in der Ka*^aba zu Mekka war schon längst das Ziel von Wallfahrten gewesen, an die sich gewinnreiche Messen knüpften und um diese Erwerbsquelle seiner Vaterstadt nicht zu entziehen, verschmähete der Religionsstifter es nicht, die Steinverehrung in den

i) Die edle leider zu friih verstorbene Lady Duff Gordon schreibt (Letters from I^gypt. London 1865. p. 133) glückseligen Herzens: „Gestern habe ich ein Kamel durch ein Nadelöhr schlüpfen sehen. So nennt man nämlich die niedrigen Thore eines Pferches. Das Thier muss dabei auf den Knieen rutschen und seinen Kopf beugen, um hindurch zu kommen'*. Auch in den südalgerischen Oasen heissen Nadelöhre die kleinen Pförtchen neben den grossen * Thoren in den Mauern. F. Desor, Aus Sahara und Atlas. Wiesbaden 1865. S. 28.

2) Burnouf, Introduction ä Thistoire du Buddhisme. Paris 1844. tom. I,

p. 414.

3) L. Krehl, Religion der vorislamischen Araber. Leipzig. 1863. S. 45.

Der Islam. 317

neuen Gottesdienst mit hineinzuflechten. Ausserdem wurde an un- sichtbare nicht menschliche Geschöpfe, an Dschinnen und an Engel geglaubt und ihre Gewogenheit durch Verehrung zu erwerben ge- sucht. Die Beduinen übrigens erkannten schon in älteren Zeiten einen Schöpfer des Himmels und einen Weltherrscher unter der Bezeichnung Allah, ein Name, der von dem Zeitwort Idh abge- leitet wird, welches ein Zittern und ein Leuchten bedeutet"). Sonst wird auch seine Verwandtschaft mit dem hebräischen El oder Eloah und mit Alähah, dem altarabischen Namen für die Sonne vermuthet'). Eine Fortdauer nach dem Tode wurde verneint, so dass gerade mit seiner Auferstehungslehre Mohammed bei den Angesehenen unter seinen Landsleuten verstiess^).

Der Prophet, eine frühe Waise, in der Jugend zur erniedrigen- den Beschäftigung als Schaf- und Ziegenhirt gezwungen, verbesserte seine Lebensstellung dadurch dass er 24jährig eine mindestens 14 Jahre ältere begüterte Wittwe heirathete. Er litt Zeit seines Lebens an hysterischen Anfällen und wäre schon deswegen unter afri- kanischen, nordasiatischen oder amerikanischen Menschenstämmen sicherlich ein mächtiger Schamane geworden. Wie diese allerorten glaubte auch er " fest daran, dass seine Offenbarungen ihm von aussen zukämen un(' eine höhere Macht aus ihm redete. Als im späteren Alter die Begeisterung allmählig erkaltete und die Uebung ihm die Meisterschaft gewährte, seine krampfhaften Verzückungen, die sich bis zum Schäumen des Mundes steigerten, beliebig hervor- zurufen, veranstaltete er Offenbarungen zu den schmählichsten Zwecken. Bevor er seine achte Gemahlin heimführte, verlangte diese, dass ihre Ehe durch ein göttliches Wort befohlen werde, das auf diese Bestellung nicht ausblieb*). Nachdem er einer andren Gemahlin zugeschworen hatte, eine koptische Geliebte zu Verstössen und das Versprechen ihn hinterdrein reuete, liess er sich von Gott offenbaren, dass solche Eide vor Frauen nicht ver- bindlich sein sollten 5). So wurde aus dem jugendlichen schama- Jiistischen Selbstbetrogenen in den dürren Jahren ein schlauer

1) A. Sprenger, Das Leben des Mohammad. Bd. i. S. 250. S. 291.

2) V. Krem er, Herrschende Ideen des Islam. S. 3. 3> Sprenger, Mohammad. Bd. i. S. 358.

4) Sprenger, Mohammad. Bd. 3. S. 76.

5) Sure LXVI. Wahl, der Qorän. S. 609—610.

ßl5 Der Islam.

Volksbetrüger. Um die Wunder der Offenbarung mit der Wirk- lichkeit zu versöhnen, wurde angenommen, dass der Wille Gottes nur dem Sinne nach dem Propheten .kund werde, dieser aber Zeit behalte, den Inhalt in jene dichterische Prosa umzuformen, welche die Gemüther der Gläubigen bald so tief erschütterte, dass wieder- holt fromme Moslimen, wenn sie unvorbereitet die Drohworte eines Qoränverses vernahmen vor Schrecken bewusstlos umsanken, ja sogar getödtet worden sein sollen^). Der Prophet durfte daher, um die Göttlichkeit seiner Eingebungen zu beweisen, den Zweiflern zurufen, wenn der Qorän nur von ihm, Mohammed erdacht sei, so möchten sie es versuchen nur eine einzige Sure zu verfertigen, die den seinigen gliche*).

Der Qorän selbst enthält 114 Psalmen oder Suren von ver- schiedner Ausdehnun., von einem einzigen Vers bis zur Länge einer Predigt. Wie in einem ordnungslosen Haufenwerk sind Er- zählungen von Strafgerichten nach biblischen oder altarabischen Legenden, mit bürgerlichen Vorschriften und den eigentlichen göttlichen Offenbarungen durcheinander gemengt. Werden sie nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet, so erlangen wir Ein- blick in das Wachsthum und die Entwicklung des neuen Glaubens, der nur eine Umprägung Jüdischer und christlicher Gedanken ge- wesen ist. Die Vorläufer des Propheten unter den Arabern waren die Hanyfe, welche einen Schöpfer verehrten und bei einer künf- tigen Auferstehung der Todten ein sittliches Strafgericht erwarteten, Mohammed nannte sich selbst einen Hanyfen, und Abraham den Stifter des Hanyfenthum, welches in seinem Munde einen gerei- nigten Monotheismus bedeuten soll und dem der Name Islam ge- bührt, ein vieldeutiges Wort, welches den scharfen Gegensatz gegen die Gottesläugnung, wie gegen die Vielgötterei enthält^). Grossen Einfluss auf den Propheten hatten die Glaubenssätze der ebioni- tischen Judenchristen zu Jerusalem und Pella, welche nur das erste Evangelium als echt anerkannten und die Lehre von der Mensch- werdung wie von der Erlösung verwarfen*). Mohammed selbst besuchte mehr als einmal Jerusalem, er verehrte Christus und

1) Beispiele bei v. Krem er, Ideen des Islam. S. 80—81.

2) Wahl, Qorän. Sure X. S. 164.

3) Sprenger, Mohammad. Bd. i. S. 72.

4) Sprenger, Mohammad Bd. i. S. 22.

Der Islam.

319

dessen Schwester, für welche er den heiligen Geist ansah, ja selbst die fleckenlose Empfangniss der Jungfrau Maria gehörte zu seinen Glaubenssätzen *). Der Prophet war anfangs auf dem Wege eine judenchristliche Gemeinde unter den Arabern zu stiften. Da er aber wahrscheinlich nie lesen konnte, widerfuhr es ihm häufige dass er sich auf das alte Testament und die Evangelien aus Miss- verständniss berief. Als ihm solche Irrthümer vorgehalten wurden, rettete er sich durch die Ausflucht, die seitdem im Munde aller Moslimen fortlebt, dass die Offenbarungen im alten und neuen Testament zwar göttlichen Ursprungs gewesen, aber aus Eigen- nutz und Lasterhaftigkeit von Juden und Christen dermassen ver- dreht und verdorben worden seien, dass sie nun frisch und un- verfälscht wieder dem Propheten offenbart werden mussten. „Dir Mohammed, heisst es in der fünften Sure, haben wir das Buch der Wahrheit gegeben welches das Gesetz Mose's und das Evan- gelium bestätigt. Hätte es Gott beliebt, so hätte er aus euch, ihr Völker, ein Volk gemacht; so aber hat er euch durch verschiedne Gesetze von einander unterschieden, um eines jeden Gehorsam gegen das ihm offenbarte Gesetz zu prüfen^)." Später jedoch war von dieser Duldung und Gleichberechtigung nicht mehr die Rede. Am 16. Januar 624 befahl der Prophet die Qibla oder die Richtung in welcher die Gebete gesprochen werden sollten zu ändern, früher musste das Gesicht gegen Jerusalem, jetzt sollte es gegen Mekka gekehrt werden, obgleich der Prophet noch in der- selben Sure, die diese Anordnung einschärft, wie zur Beruhigung seines Gewissens hinzufügt: Ihr mögt euer Gebet richten, wohin ihr wollt: überall ist Gott da, denn Gott ist allgegenwärtig und allwissend^). Gegen christliche Glaubenssätze, vorzüglich gegen die Dreieinigkeitslehre wurde die 112. Sure geschleudert, welche das Bekenntniss der Moslimen erschöpft und bei dem heiligsten Momente der Pilgerfahrt, beim Küssen des schwarzen Steines in der Ka'aba gesprochen werden soll. Sie lautet bekanntlich: „Sprich: Gott ist einer! Der ewige Gott! Er zeugt nicht, ist auch nicht gezeugt! Kein Wesen ist ihm gleich!**

Die sittliche Ordnung, welche der Prophet auf seine Sendung

1) Qorän, Sure 21. ed. Wahl. S. 284.

2) Qorän, übersetzt von Wahl. S. 91.

3) Qorän, übersetzt von Wahl. S. 20'*-24.

grtiiidLie, ist mit Nachahmung der. sinaitischen Gesetzgebung in folgeiRien zwei mal fünf Vorschriften abgefasst:

i) Neben "Gott keine andern Götter zu erkennen; 2) Ehr- furclit den Eltern zu bezeigen; 3) Kinder aus Besorgmss vor NahriKiosraangel nicht zu tödten; 4) Keuschheit zu beobachten; 5) D;i-. Leben andrer zu schonen ausser in den Fällen wo die Ge- rechliiikeit es anders verlangt. Dieser ersten Reihe liess er noch als Bfichle folgen: 6) Unverletziichkeit des Vermögens der Waisen, 7I rt-dliches Maass und. Gewicht; 8) keine Ueberbürdung der fiklavt)! ; 9) Unparteilichkeit der Richter; 10) Heilighaltung des Ekle^ und des Bundes mit Gott'). An Einfachheit ist das raosa- ischL- i>esetz jedenfalls diesem Zehngebote überlegen. Um die liLTkfiiiimliche Zahl zu erreichen hat der Prophet sichtlich auf der Folter gelegen und zuletzt noch marktpoiizeiliche Vorschriften t'ingc-:clit>ben. Eine Heiligung des Sabbaths wurde nicht vorge- schrii'iji'n; sie sei den Juden, behauptete Mohammed, nur wegen ihrer Hartnäckigkeit aufgebürdet worden, weil sie die Feier des Sumsiags, nicht wie Mose gewollt habe, die des Freitags durch- g('set/-i hätten").

Die Verstattung von vier gesetzlichen Frauen und einer un- besLkr.inkten Zahl 'von Sklavinnen zeigt uns die Schwäche des Prüjiliiten, der seiner eignen Genusssucht keinen Zügel anlegte. Nur mit Unrecht aber würde man in der Polygamie den wesent- liulini Gegensatz zwischen dem Islam und unsrer Religion finden. Dil- j.inzelehe war lange vor dem Christenthum Gesetz bei vitlin Völkern und ist es noch jetzt bei heidnischen Stämmen, ja ii) ilir. ältesten Zeiten konnte man der christlichen Kirche ange- hiirnj. und doch mehrere Frauen besitzen. Wie alle Völker auf Iriihrr. Ji Entwicklungsstufen hatten sich die Araber in ihrer Heiden- /('il >.rlir verwickelte Speiseverbote auferlegt Der Prophet be- sijlir.iiikte sie auf das Fleisch der Schweine sowie der gefallenen 'Il.H'ii- und den Genuss des ausgeflossenen Blutes^).

l in s«nen Offenbarungen Glauben zu verschaffen, suchte der l'riJiilii ! seine Anhänger mit den Schrecken der Auferstehung und (■im.- uingsten Tages zu ängstigen. Hier kam ihm die Flammen-

ijatin, übencUI von Wahl. Sure VI, S. 114—115-

. San XVI, ns. Wahl, Qorän. S. IIJ. I sute VI, 146. Wahl, gorftn. 5. 114.

I>er Islim. ^^i

vV-'«

seiner dichterischen Sprache su statten und er versäumte keine Gelegenheit an die bereits vollstreckten Strafgerichte tabH*^ sdier nnd aitarabtscher Legenden zu mahnen. Andrerseits ver^ hiess er in ermüdenden Wiederholungen den Glaubigen und den Gerechten einen Wonneaufenthalt nach volksthümlichem Geschmack, einen schattigen Garten mit sprudelndem Wasser, kostlichen Frachten« schwdlenden Ruhekissen und einem Frauengeschlecht, das aDe geforderten Reize vereinigte, um ewige Begierden ewig zu stufen. Allerdings enthält der QorÄn Stellen, welche jene b<^ rauschenden Schilderungen nur auf Gleichnisse für menschliches A'erständniss herabsetzen"), andre bezeichnen das Anschauen der Herrlichkeit Gottes als den Lohn des Frommen •>, aber die un- heimliche Anziehungskraft des Isl5m gründete sich auf das buch- stäbliche Verständniss jener sinnlichen Verheissungen und die späteren Ueberlieferungen haben nicht gesäumt, die gierigen Er- wartungen der Gläubigen mit märchenhaften Schilderungen des Paradieses zu sättigen^).

Der bedenklichste Inhalt des QorUn betrifft die Läugnung der menschlichen Willensfreiheit. Das Schicksal eines jeden Men- schen ist vorher bestimmt und aufgezeichnet, so dass der Lebens- wandel sich zu dieser Schritt verhält wie das Schauspiel zu dem Texte einer dramatischen Dichtung*). Die Verdammniss ist nacii •einem unwiderruflichen Rathschluss Gottes über diejenigen vor- hängt die sie treffen wird; denn, fahrt der Qorftn fort, hätte Allah gewollt, so würden alle Menschen geglaubt haben, ohne seinen Willen aber gelange keine Seele zum Glauben*). Die Lehre von der Gnadenwahl wurde von den Rechtgläubigon immer festgehalten und wenn auch die freieren Secten die Un- vereinbarkeit der Schicksalsbestimmung und des Strafgerichtes mit der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit klar erkannten und mildere Ansichten vertraten 6), so blieb wie anderwärts die

i) Wahl, Qorän, Sure II, S. 7.

2) SureLXXV. Wahl, Qoran. S. 649.

3) vgl. die Beschreibung des Paradieses bei M. Wolff, Muhammedaniiche Eschatologie. Leipzig 1872. cap. 45—49. S. 185—207.

4) Sprenger, Mohammad. Bd. 2. S. 307.

5) Qorän, Sure X, übers, v. Wahl. S. 168—169. vgl. auch Sure LXXVT» 30 u. V. Kremer, Ideen des Islams. S. 9.

6) V. Krem er. Herrschende Ideen des Islams. S. 280. Peschel, Völkerkunde. 21

^^22 ^^^ Islam.

gedankenschwache Masse der Gläubigen an dem Buchstaben hängen. Neben dieser Lehre konnte auch niemals in der islamitischen Gesellschaft ein Priesterstand zur Macht gelangen, da er nichts zu binden und zu lösen hatte. Obendrein standen die Chalifen und ihre Nachfolger immer an der Spitze der Gläubigen.

Ausser dem Qorän hat die Sunna oder das Herkommen und die Rechtsgewohnheit, wo sie nicht der Offenbarung widerspricht, volle Kraft und enthält Rechtssätze in bürgerlichen oder peinlichen Sachen, sowie Nahrungs- und Kleidungsvorschriften. Neben ihr geniesst auch die Nachricht oder Hadyth, das heisst die lieber- lieferung von Aussprüchen des Propheten, wenn sie durch gute Zeugen bis auf Mohammed zurückreicht, rechtsverbindliche Kraft *).

In Persien wurden beide Gesetzesquellen nicht anerkannt und daher trat eine Spaltung unter den Gläubigen in Anhänger der Sunna oder Sunniten, und in Abtrünnige oder SchyVten ein.

Kurz nach der Stiftung überfluthete der Islam Aegypten und Nordafrika, überschritt an der Schwelle des 8. Jahrhunderts die Meerenge von Gibraltar und erhielt sich bis zum Falle von Gra- nada 1492 im westlichen Europa. In dem nämlichen Jahrhundert, wo er aus Spanien nach Afrika zurückgedrängt wurde, hatte er Südeuropa an der Östlichen Halbinsel siegreich betreten und im Jahre 1453 errang er die Herrschaft über die Meerengen die un- sern Welttheil von Kleinasien scheiden.

Am Beginn des 8. Jahrhunderts drangen die Araber erobernd in das Indusgebiet, aber ihre Fürstenthümer Multan und Mansura fielen bald vom Chalifate ab. Arabische Gemeinden gab es in allen Küstenstädten an der Malabarseite Ostindiens, aber vor- läufig genoss der Islam dort nur Duldung. Erst um das Jahr 1000 n. Chr. unter den Ghazneviden fasste er festen Fuss in Indien*) und unter Baber, dem Stifter des grossmongolischen Thrones, fiel die Hauptmacht der Halbinsel an mohammedanische Fürsten. Auf Sumatra gelangte die Lehre des Propheten erst im Reiche Atschin 1206 zur Herrschaft und in dem Reiche Malaka kurz nach der Stiftung im Jahre 1253, während sie auf Java erst nach dem Sturze des Staates Madschapahit im Jahre 1478 den Buddhismu« verdrängte. Nach Celebes gelangte sie 1512, doch

i) Sprenger, Mohammad. Bd. 3. p. LXXVII sq.

2) Reinaud, Geographie d'AboulfMa. Introduction, p. CCCXLIII. sq.

Der Islam. ^2^

widerstanden noch um 1640 wiewohl vergeblich, die Buginesen ihrer dortigen Ausbreitung. Noch immer setzt der Islam seine Wanderung gegen Morgen fort. Sein äusserstes östliches Ziel be- zeichnet vorläufig eine kleine Moschee auf Dobo unter den Aru- inseln, einem Zubehör von Neu Guinea'). Doch gibt es auf Neu Guinea selbst unter den Papuanen der Landschaft Namototte eine Anzahl Neubekehrter*).

In Afrika hat die Lehre des Propheten ^ich zuerst in dem Mittelmeergebiete eingebürgert. Ueber die Wüste drang sie 1086 ^^1097 n. Chr. in Bornu ein, am Beginn desselben Jahr- hunderts hatte sie sich aber schon nach dem grossen Reiche der Sonrhay am mittleren und am Beginn des 13. Jahrhunderts am oberen Niger unter den Herrschern von Melli verbreitet 3). Nach Wadai, Darfur und Kordofan gelangte sie erst am Beginn und um die Mitte des 17. Jahrhunderts*). Ob die Tuareg vormals Christen waren, wie Barth vermuthete, bedarf noch strengerer Be- stäti^ung, ebenso ob im ehemaligen Reiche Ghana, welches west- lich von Timbuctu lag, das Christenthum erst 1075 dem Islam er- legen sei, wie in Nubien, wo es nach guten Berichten noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts herrschte 5), Noch gegen- wärtig verdrängt der Islam in Abessinien langsam das Christen- thum. In unseren Zeiten haben ihn die Fellatah weit ins Innere des heidnischen Afrika bis nach Adamaua hineingetragen. Die Lehre des Propheten legt den Afrikanern keine Aenderung der Lebensgewohnheiten auf. Dem Neger, der den Islam ergreift, wird obendrein verheissen, dass er höher steige und wegen seiner reinen Lehre Gott näher stehe, als die Christen. Die Verkündiger der Prophetenlehre in Afrika endlich sind unbesoldet und arm, während die christlichen Missionäre, obgleich sie Geringschätzung des Reich- thums predigen, mit Ueberfluss sich umgeben. Dies sind nach der Ansicht eines klaren Beobachters die Ursachen, weshalb unter deu

i) Wallace, Malay Archipelago. tom. II, p. 278.

2) Otto FinsQh, Neu Guinea. Bremen 1865. S. 76.

3) Heinrich Barth, Nord- und Cenlralafrika. Bd. 2. S. 309. Bd. 4. S. 417, 603, 609.

4) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 21.

5) Fr. Kunstmann, Afrika vor den Entdeckungen der Portupiestn. München 1853. S. 28.

21*

ß24 ^^^ Islam, Die Zone der Religionsstifter.

Negern die christliche Lehre dem Islam unterliegt*). Erobernd tritt diese Lehre neuerdings auch in China auf. Dorthin hatte sie sich frühzeitig verbreitet, theils über Kaschgarien und die frucht- baren Striche am Südabhange des Thianschan, theils zur See den grossen morgenländischen Handelsstrassen folgend nach den Küsten- platzen» bis gegen das Ende des neunten Jahrhunderts mit dem Sturze der Thang -Dynastie eine Fremdenverfolgung und Aus- rottung der Moh^ftnmedaner eintrat*). Eben jetzt hat sich aber im Südwesten des himmlischen Reiches in Talifu unter muhamme- danischen Chinesen ein Herrscher aufgeworfen und ein Stück der Provinz Yünnan losgerissen. Die Briten, die über Birma mit diesem neuen Reiche Handelsverbindungen angeknüpft haben, sind bis jetzt voller Lob über die Redlichkeit und Sittenstrenge der Panthay, wie diese neuen Bekenner des Islam genannt werden^). So ist im räumlichen Wachsthum dieser Lehre noch kein Stillstand bemerkbar.

16. Die Zone der Religionsstifter ^).

„Die Kenntniss von dem Naturcharakter verschiedener Welt- f«genden", so lautet eine der tiefsten Stellen in A. v. Humboldt's Physiognomik der Gewächse 5), „ist mit der Geschichte des Menschen- geschlechts und mit der seiner Cultur aufs innigste verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Cultur nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt wird, so hängt doch die Richtung der- selben, so hängen Volkscharakter, düstere oder heitere Stimmung der Menschheit grossentheils von klimatischen Verhältnissen ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel 6) auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in dem schönen und glücklichen Erd- striche zwischen Euphrat, dem Halys und dem ägäischen Meere

1) Gerhard Rohlfs, im Ausland 1870. S. 485.

2) Peschel, Geschichte der Erdkunde. S. 108.

3) A. Bowers, Bhamo-Expedition. Berlin 1871. S. 72.

4) Der nachfolgende Abschnitt, abgesehen von Kürzungen, Zusätzen und Aenderungen, wurde bereits abgedruckt im Ausland. 1869. S. 409 ff.

5) Ansichten der Natur. Bd. 2. S. 18.

6) Humboldt wollte offenbar schreiben: Wie mächtig hat der Himmel Griechenlands auf dessen Bewohner gewirkt!

Die Zone der Religionsslifler. ^c

die sich ansiedelnden Völker früh zu sittlicher Anmuth und zar- teren Gefühlen erwacht! Und haben nicht, als Europa in neue Barbarei versank und religiöse Begeisterung plötzlich den heiligen Orient öffnete, unsere Voreltern aus jenen milden Thälern von neuem mildere Sitten heimgebracht? Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker verdanken grösstentheils ihren eigenthümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere, den Gebirgsthälern , die den Dichter um- gaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht, um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders gestimmt in dem dunklen Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen bekränzt sind, oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birke säuselt? Melancholische, ernst erhebende und fröhliche Bilder rufen diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns hervor. Der Einfluss der physischen Welt auf die moralische, das geheimnissvolle Ineinanderwirken des Sinn- lichen und Aussersinnlichen gibt dem Naturstudium, wenn man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen noch zu wenig^ erkannten Reiz.**

Hier liegt also die verführerische Aufgabe vor uns, auf dem Wege vorsichtiger Vergleiche zwischen den grössten Begebenheiten in der menschlichen Gesellschaft und den Schauplätzen, auf welcheif sie sich zutrugen, einem Innern Zusammenhange nachzuspüren. Bei wem könnten wir uns aber besser vorbereiten für solche Unter- suchungen als bei Thomas Buckle, der nicht bloss, bei seinen Landsleuten, sondern auch bei uns eine ungeschwächte Beliebtheit noch geniesst und vielen als ein Born des klarsten Lichtes gilt? Geben wir ihm Gehör, so wäre nichts einfacher und fasslich er^ als die Rückwirkungen des Wohnortes auf die Erscheinungen der Gemüthswelt. Da, wo die Natur mit grossen Schreckmitteln den Menschen beängstigt, wird die Einbildungskraft stärker entwickelt werden als der Verstand, imd dort wird der Wunderglaube am üppigsten ins Kraut schiessen. Italien, Spanien und Portugal, sagt Buckle *), werden in Europa unter allen Ländern von Erdbeben am meisten heimgesucht; Erdbeben schüchtern das menschliche Gemüth ein, folglich hat sich bei den Bewohnern Südeuropa's zäher als anderwärts der Glaube an Eingriff"e übersinnlicher Mächte

I) History of civüization in England. Leipzig 1865. ^^^* ^* P* ^^3- P* ^^^*

^jf, Die Zone der Religio ns Stifter.

in die physische Weltordnung erhalten. Dass Portugal unter die erdbelii'nreiclisten Länder gerechnet wicd , mag die schwere Kata- strophe, welche Lissabon vor mehr als lOO Jahren betraf, einiger- massci) rechtfertigen, obgleich sie in ihrer Grossartigkeit vereinzelt steht, aber Spanien, obgleich nicht gänzlich verschont, gehört doch nicht unter die vorzugsweise oder nur streng heimgesuchten Länder. Japan, welches so oft unter dem Dreizack des Poseidon erzittern muss, wird von einem heilern , zu Schelmerei und Kurz- weil stfts aufgelegten und in religiösen Dingen sorglosen Menschen- schlag bewohnt. Russland wiederum ist fast gänzlich frei von Erdbeben, aber von einem Exorcismenspuk, wie er in der grie- chisclifii Kirche noch vorherrscht, ist Italien doch schon längst ' gereinigt.

Unter den Tropen, fährt Buckle fort, trete die Natur gewalt- samer und schrecklicher dem menschlichen Kleinmuth gegenüber, daher habe sich bei den Bewohnern Indiens die Einbildungskraft am meisten mit Wahngeburten bevölkert. „Dort waren", behauptet er, „Lebenshindernisse jeder Art so zahlreich, so beunruhigend und scheinbar so unerklärlich, dass die Tagesbeschwerden nur durch beständiges Gnaden erflehen an die unmittelbare Thätigkeit übernatürlicher Kräfte gehoben werden konnten". Dort erschaute Hie beängstigte Einbildungskraft solche Schaudergestalten wie l,"iva oder seine Gemahlin Durga-Kali, deren innere HandDächen von friscliem Blute sich beständig rölheten und deren Nacken eine Schnur von Menschenschadeln zierte.

Da sich die indische Cultur vorzugsweise im eigentlichen Hindoslan, also in dem Gangesgebiet mit Ausschluss Bengalens, entwickeile, so hätte nach Buckle die Natur dort ganz besonders die Gcraüther der Bewohner mit Furcht und Grausen erfüllen müssen. Erdbeben kommen freilich nicht vor, einen Ersatz für sie sollen wir jedoch in den furchtbaren Orkanen finden. Ganz sicherlich ist auch der bengalische Meerbusen die Brutstätte jener Cyklone oder Wirbelstürme, welche im votigen Jahrzehnt zweimal die Stadt Caicutta heimsuchten. Die Tragweite jener Geissein ist jedoch nur auf die Küste beschränkt und ihre Verheerungen über- schreiten nie die Grenze Bengalens, Auch der Himalaya soll nach Buckle einschüchternd gewirkt haben , allein er ist von den dicht bewohnten Strichen entweder gar nicht sichtbar oder nur als eine anmuthige Begrenzung des nördlichen Horizonts. Wenn

Die Zone der ReligionsstiAer. 327

Buckle Pestilenzen in dem tropischen Asien mit vorzugsweise zer- malmendem Tritt einherschreiten lässt, so dachte er dabei doch nur an die Cholera, die, just als er schrieb, in Europa einen er- neuten Umzug hielt. Allein unser Welttheil ist in vorigen Zeiten von Würgengeln betreten worden, die mit der ziemlich modernen Brechruhr in Indien sich leicht messen können, von dem schwarzen Tod und der Pest, es wurde also die gemässigte Zone nicht mehr verschont als die tropische. Seltsamerweise nennt der Schotte gar nicht Indiens schrecklichsten Genius, nämlich den Hunger, den rüstigsten der Todtengräber, der zeitweise, wenn die Regen fehlen oder die Ströme sparsam rinnen, selbst noch heutigen Tages grössere Verheerungen anstiftet, als alle Pestilenzen und Wirbel- stürme, ja dicht bevölkerte Striche in Einöden verwandelt, wie gleich am Beginn der britischen Herrschaft in Folge eines Miss- wachses, 1770, zehn von fünfundzwanzig Millionen Bengalesen dahin- sanken. Ueben die Drohungen und Beängstigungen , welche mit irgend einem Wohnort verknüpft sind, über die Gemüther einer Be- völkerung jene Herrschaft aus, die ihnen Buckle zumuthet, so müssten die Holländer viel wundergläubiger sein, als die Belgier. Ihnen droht beständig und ganz vorzüglich zur Zeit der Syzygien des Mondes ein Gegner, der so wenig Erbarmen kennt als das Erd- beben, nämlich das Meer, das sie als Bewohner unterseeischer Fluren um ein Erbstück geschmälert haben. Oft genug schon hat sich die verdrängte Macht gerächt, wie damals, als die Zuyder See und der Dollart durch plötzliche Einbrüche sich füllten und alle Ortschaften sammt ihren Bewohnern hinabschlangen. Endlich sollten in dem nämlichen Volk unter allen Gewerbtreibenden den meisten Aberglauben die Seefahrer und die Bergleute nähren, weil sie mehr als andere sich den Launen unberechenbarer Natur- gewalten preisgeben, und doch hat niemand behauptet, dass so etwas in bemerkbarer Stärke der Fall wäre.

Wir müssen also wohl eingestehen, dass die grösseren Lebens- bedrohungen an irgend einem Wohnorte nicht die übermässige Entwicklung der Einbildungskraft verschuldet haben. Selbst Alexander v. Humboldt's schöne Worte von der Rückwirkung des griechischen Himmels auf die hellenische Gemüthsstimmung erregen uns Bedenken. Wenn einem Fleck der Erde vor andern der Name eines Paradieses gebührt, so ist es sicherlich Mexico mit seinen Seen, seinem Pflanzenschmuck, seinem landschaftlichen

^28 ^^c Zone der Religioosstifter.

Hintergrund^ den Schneevulkane zieren, seinem ewig heitern Wetter ^und seiner erquickenden Höhenluft. Und dennoch hat unter diesem Wonnehimmel der schwermüthige Sinn der Eingebornen Andhuacs- alle Schrecken eines finstern, blutigen Götterdienstes ausgebrütet» Versuchen wir darum lieber zu ergründen, ob nicht die übliche Volksernährung mit den Gemüthserscheinungen in einem ursächlichen Zusammenhange stehe. Hindostan, der Heerd der brahmanischen Religion, und Mittelchina, die Heimat des Con- futse, bescheint beinahe die nämliche Sonne und bedeckt ein ahn- liches Pflanzenkleid. Die Natur, müsste Buckle zugeben, ist an beiden Orten gleich gross und fast gleich schrecklich, von Süd- china wenigstens lässt sich dies mit grosser Strenge behaupten, und doch hat die Einbildungskraft im Reiche der Himmlischen eineR ganz andern Flug genommen, wie in Indien, oder sie hat vielmehr beinahe keinen Flug genommen. Nun sind die Chinesen panto- phag, das heisst sie essen alles, selbst Holothurien (Trepang), bei deren Anblick schon den Ungewohnten ein Schauder überläuft.. Die strenggläubigen Hindu der höheren Kasten verabscheuen da- gegen aufs strengste alle Fleischnahrung. Doch hielten sie es nicht immer so. In den Zeiten der Veden war der Genuss ani- malischer Kost noch nicht verboten und zugleich war die vedische Religion noch nicht verdüstert durch die Schöpfung blutgieriger Götzen, noch nicht erfüllt mit Schrecken und Grauen, wie in den späteren epischen Zeiten. Die Belastung der Gemüther, die Nei- gung zum Ungeheuerlichen und Grotesken, die Lebensübersättigung, das Grauen vor der endlosen Kette der Wiedergeburten begann sich bei den Hindu zu entwickeln mit dem gleichzeitigen Ueber- gang zur reinen Pflanzenkost. Dass unsere geistige Thätigkeit aber von der Ernährung .abhängig sei, kann jedermann an sich selbst wahrgenommen haben, denn der tiefe erquickende Schlaf» der echte Schlaf ohne Bewusstsein, flieht uns bei stark überladenem Magen, Aber auch der Hunger, die halbe und ungenügende Be- friedigung, erstrecken, wie alle Begierden, ihre Herrschaft über die Einbildungskraft. Auf dieser biologischen Wahrnehmung beruhten und beruhen noch die strengen Fastenübungen, die von so ver- schiedenen Religionssatzungen [vorgeschrieben werden und deren sich die Schamanen aller Welttheile bedienen, wenn sie mit un- sichtbaren Mächten in Verkehr treten wollen. So oft der Kreis- lauf der gewöhnlichen Ernährung unterbrochen oder nur gestört

Die Zone der ReligionsstifLer. ^20

wird, sobald er kein regelrechter ist, gewinnt die Einbildungskraft ungewöhnliche Macht und der Mensch in diesem erschütterten oder geschwächten Zustand ist empfanglicher für alles, was er über» sinnlichen Wirkungen zuschreibt.

Hier also glauben wir endlich den Schlüssel gefunden zu haben, der uns einen Einblick gewährt in das Walten physischer Gesetze auf dem Gebiete der geistigen Erscheinungen, doch wollen wir wieder zu Buckle unsere Zuflucht nehmen, diesesmal aber soll er uns nicht mehr als Rathgeber, sondern als warnendes Beispiel dienen. „Was die Tagesnahrung betrifft", bemerkt er"), „so sind die Datteln für Afrika das nämliche, wie der Reis in den frucht- barsten Theilen Asiens. Die Dattelpalme ist heimisch in allen Ländern vom Tigris bis. zum atlantischen Meere, und sie versorgt . Millionen menschlicher Geschöpfe mit täglicher Nahrung in Arabien und beinahe ganz Nordafrika**. Nachdem er noch hinzugefügt^ dass an verschiedenen Orten die Kamele sogar mit Datteln ge- füttert würden, was ausnahmsweise auch der Fäll ist, bemerkt er weiter^), dass der Reis eine ungewöhnliche Menge Stärkemehl enthalte, nämlich zwischen 83,3 bis 85,^7 Proc, und dass die Dat- teln genau die nämlichen Nährstoffe besitzen, mit dem Unter- schiede nur, dass bei ihnen die Stärke bereits in Zucker umge- setzt sei. Diese Wahrnehmung wird für ihn zur Offenbarung, denn in Indien wie in Aegypten sieht er das Volk sich willenlos in die Knechtung durch Priesterkasten fügen.

Dass die Nahrungsmittel ihre Rückwirkung auf die Denkkräfte der Menschen äussern, dass manche von ihnen eine entschieden gefärbte Gemüthsstimmung hervorrufen, darf nur derjenige läugnen^ der noch nicht an sich oder an dritten die Wirkungen von Wein und andrer alkoholischer Getränke, von Thee, Kaffee und Tabak, überhaupt der narkotischen Genussmittel beobachtet hat. Wir sind indessen noch weit entfernt, etwas über die dauernde Wirkung der täglichen Nahrung ergründet zu haben, zumal der mensch- liche Leib in grossem Umfang die Befähigung besitzt, sich ver- schiedenen Ernährungsweisen anzubequemen, so dass selbst die narkotischen Stoffe mit dem Gebrauch viel von ihrer Wirkung verlieren. Buckle endlich führt sich selbst und leichtgläubige Leser

1) 1. c. tom. I. p. 76.

2) 1. c. p. 65.

330 Die Zone der Religionsstifter.

in die Irre, wenn er behauptet, dass die alten Aegypter dactylo- phag gewesen seien. Dass sie die Dattelpalme kannten und an- bauten, sind wir weit entfernt zu bestreiten, denn eine erste Musterung ihrer Denkmäler, die uns wie Bilderbücher den Lauf ihres täglichen Lebens vorführen, müsste uns schon beschämen. Wir läugnen aber, dass die Dattel ein beständiges oder nur ein wichtiges, wir behaupten vielmehr, dass sie nur ein aushelfendes oder ergänzendes Nahrungsmittel des pharaonischen Volkes ge- wesen sei'). Oder dachte Buckle etwa, dass der biblische Joseph während der sieben fetten Jahre in den Speichern des Königs Datteln aufgehäuft hätte? Meint er vielleicht, dass Jakob seine Söhne zur Zeit der sieben magern Jahre nach Aegypten gesendet hätte, um Datteln zu kaufen? Als in Mose's Tagen göttliche Plagen über Aegypten verhängt wurden, zerstörte ein Hagelschlag nicht die Dattelhaine, sondern die Gerste und den Leinen gänz- lich, verschonte aber die andern Saaten, weil sie noch nicht hoch standen. Nur in den Datteloasen Arabiens, aber noch weit mehr in denen Nordafrika's , im Fezzan und im Süden Algeriens, also am Rande und im Schoosse der Sahara, ist die Dattel die täg- liche Nahrung, und gerade dort zieht sie unabhängige und streit- bare Wüstenstämme gross, die nicht die entfernteste geistige Verwandtschaft und eine völlig veränderte Sinnesart wie die reis- essenden Hindu zeigen.

Wir vermögen sogar auf einem Umwege zu ermitteln, dass <lie religiösen Schöpfungen in keiner Abhängigkeit stehen von der Ernährungsweise der Bevölkerung. Dieselben Indier nämlich, welche durch ihre ungezügelte Phantasie die Schaudergottheiten in der epischen Zeit erschufen, waren auch die grössten Märchen- dichter, die es jemals gegeben hat. Es ist längst ergründet worden, dass der Schatz von Erzählungen der unter dem Namen Tausend und eine Nacht durch die Araber ins Abendland gekommen ist, in Indien ersonnen worden sei, und dass es ausser dieser Samm- lung ganze Reihen von Erzählungen gibt, die bald aus dem Munde eines Todtengerippes, bald aus dem eines klugen Papageien, bald

i) Erst die arabischen Eroberer haben sich anerkannte Verdienste um die Hebung und Ausbreitung der Dattelcultur in Aegypten erworben. H. Ste- phan, das heutige Aegypten. Leipzig 1872. S, 82.

Die Zone der Religionsstifter. 771

aus dem plötzlich belebter Holzbilder gesprochen werden. Wenn Buckle in den Zahlenschwelgereien der Hindu, mit ihren endlosen Weltaltern, in ihrer Sprache selbst, die einen Ausdruck hat für Ziffern , die mit 51 Stellen geschrieben werden , eine knechtische Demuth für das hohe Alterthum erkennen will, so möchten wir doch viel eher dahinter eine Art arithmetischer Liebhaberei suchen, denn das Volk, welches mit hohen Grössenbegriifen so gierig spielte, hat zugleich der menschlichen Gesittung auch das höchste Bildungsmittel nach Erfindung der Schriftzeichen geschenkt, näm- lich die Kunst, den Werth der Zahlen durch ihre Stellung zu be- zeichnen, oder wie wir nachlässig uns auszudrücken gewöhnt haben, die Erfindung der arabischen Ziffern.

Es liegt sehr nahe und wird hier nicht zum erstenmale ausgesprochen, dass die Schöpfung der religiösen und der profanen Märchen nur als verschiedene Aeusserungen derselben geistigen Befähigung zu denken sind. Völker von epischer und dramatischer Zeugungskraft, Völker, die gern bauen, malen und meiseln, besitzen auch die Gabe und den Drang, einen Olymp mit mancherlei Gestalten zu bevölkern, mit heiteren oder düsteren, je nach den vorherrschenden Gemüthsstimmungen. Nun aber lässt sich leicht zeigen , *dass die Märchenschöpfung nicht ein aus- schliessliches Eigenthum von reisessenden Hindu sei. Märchen und Sagen von ergreifender Wirkung werden namentlich in Island gesammelt unter einer an Zahl sehr spärlichen Bevölkerung, In Island reift kein Getreide mehr und wächst nur Buschwerk, denn ein einziger geschützt stehender Maulbeerbaum in Akreyri wird von den Eingebornen mit Stolz als der Baum der Insel gezeigt. Die Bewohner leben daher nur vom Ertrag der Viehzucht und der Fischerei, also ausschliessend von Fleischkost. Wollte man auch zugeben, dass viele der schönen Sagen von den Isländern nur gehütet und aufbewahrt worden wären und dass sie aus der altnordischen Heimath stammten, so lässt sich doch von einer Mehrzahl nachweisen, dass sie in Island selbst ersonnen worden sind, und selbst wenn sie aus Norwegen herrühren sollten, so herrschte auch dort Fischfang und Viehzucht entschieden vor, in früheren Zeiten noch viel .stärker als jetzt. Daraus gewinnen wir aber die Einsicht, dass die Thätigkeit der Phantasie ganz unab- hängig davon ist, ob die tägliche Nahrung ausschliesslich aus Pflanzen- oder Thierstoffen bestehe.

ji2 ^'f Z""' '^" Religionsstifter.

So wären wir denn zu dem Ergebniss gelangt, dass sich krin Zusammenhang zeige zwischen der höheren Lebensgefährdung an einem Wohnsitze oder der Vollcsnahrung und den örtlichen Reli- gion sschöp fangen. Vielleicht finden wir aber etwas brauchbares, wo wir es am wenigsten erwarten , bei den alten arabischen Geo- graphen. Schüler der alexandrinischen Griechen and mit der Gradeintheüung des Ptolemäus wohl vertraut, zerlegten sie gleich- wohl die Erde, wenn sie populär ihre Wissenschaft vortragen wollten, in Klimate, oder wie wir zu sprechen gewohnt sind, in JJonen. Diese Gürtel besassen nicht immer eine gleiche Breite, sondern ihre Abstände betragen bald mehr, bald weniger wie sieben Grad, jedem Gürtel, so meinte man, gehörten gewisse Erzeugnisse der drei Reiche in besonderer Vollkommenheit an^ und noch am Schlüsse des Mittelalters wussten es auch unsere Scholastiker nicht uesser, als dass schwarze Menschen nur dicht über oder unter dem Aequator sich finden könnten, und dass Gold in Fülle sowie Edelsteine sich nicht über die Grenze des zweiten Klima's verirrten. In der Sprache dieses methodischen Irr- thums äussert Schemseddin'), nach seiner Vaterstadt Dimeschqi ge- heissen , dass die Völker heller Hautfarbe und hoher geistiger Begabung nur auf das dritte und vierte Klima oder zwischen den 20°und 33 "49' n.Br. beschränkt wären und dass unter dieser Zone alle grossen Religionsstifter, Weltweisen und Gelehrten (auch unser Damascener) geboren worden seien. Diese Zone beginnt etwas südlicher als der Parallel von Mekka (21° 2i'), um vieles südlicher als der Parallel von Kapilavastu (lat, 27°}, dem Geburtsort des Buddha Gautama; dagegen umfasst ihr Nordrand nicht mehr Rai (Raghes) bei Teheran und noch weniger Balch (Bactra). In einer dieser beiden Städte erblickte, wie wir schon anführten, Zoroaster das Licht dieser Welt. Jedenfalls liegt eine Wahrheit in der Beobachtung des arabischen Geographen, dass die Stifter der höheren und jetzt noch bestehenden Religionen, Zoroaster, Mose, Buddha , Christus und Mohammed , der subtropischen Zone ange- hören, denn nur der Gebunsort des jüngsten der Propheten fallt noch innerhalb des Wendekreises, liegt jedoch immerhin nur etwa 16 deutsche Meilen von dessen Grenze entfernt. Wenn wir Confutse nicht nennen, so geschieht es nicht wegen der Polhöhe seines

I) Nouvelles Annales des voyages. Paris 1860. 6*"" sirie, tom. VI. p. 309.

Die Zone der Religionsstifter. 727

Geburtsortes im Kreise Yentschau der Provinz Schantung, sondern vreü wir die andern Religionsstifter herabsetzen würden, wollten wir den chinesischen Sittenlehrer ihnen beizählen.

Dass die Zone der Religionsstiftung sich fern hält von den gemässigten Erdgürteln, könnte darin eine Erklärung finden, dasg nur wo reifere geistige Zustände bereits bestanden, die Bevölke- rungen empfänglich dafür waren, dem menschlichen Dasein durch Unterlegung idealer Zwecke eine höhere Würde zu verleihen, und dass gerade in den subtropischen Klimaten die ältesten höheren Gesellschaftsgliederungen entstanden. Doch selbst nachdem die fortschreitende Gesittung schon entschieden von den Wendekreisen sich entfernt hatte, blieb immer noch das subtropische Asien der fruchtbare Schooss der Religionen. Nicht in dem überfeinerten europäischen Reiche der Römer, sondern in Palästina trat das Christenthum, nicht in Byzanz, sondern in Arabien trat sechs Jahr- hunderte später der Islim auf. In der kühlen gemässigten Zone hat von jeher der Mensch sauer kämpfen müssen um sein Dasein, weit mehr arbeitend als betend, so dass ihn die Last der Tages- geschäfte beständig wieder abzog von einer strengen innerlichen Sammlung. In den warmen Ländern dagegen, wo die Natur leicht hinweghilft über den Erwerb der Nothdurft und die heissen Tagesstunden ohnehin körperliche Anstrengungen verhindern, sind die Gelegenheiten zu innern Vertiefungen viel reichlicher gegeben.

Der Wohnsitz ist jedoch nicht gänzlich entscheidungslos für die Richtung, welche das religiöse Denken einschlägt. Die drei monotheistischen Lehren, Judenthum, Christenthum und Islam, entstanden im Schoosse semitischer Völker , allein der Hang zum Monotheismus war nicht ausschliesslich eine Racenbegabung, denn andere Semiten, wie die PhÖnicier, Chaldäer und Assyrier, gingen andere Wege, und selbst bei den Juden traten immer Rückschläge iur Vielgötterei ein, in Aegypten zumal versanken sie völlig in den Bilderdienst, Wenn der Monotheismus stets aufs neue sich ver- jüngte, so leistete ihm dabei ein benachbarter Naturschauplatz mächtiijen Beistand.

Wer immer die Wüste betreten hat, rühmt ihren wohlthätigen Einfluss auf das körperliche Befinden. Aloys Sprenger gesteht, dass ihre Luft ihn mehr gestärkt habe, als die unserer Hochalpen oder die des Himalaya, und in einem Briefe an den Verfasser heisst es: „Die Wüste hat den Arabern ihren merkwürdigen welthistorischen

334 ^^® Zone der Religionsstifter.

Charakter aufgedrückt. Die Phantasie, welche die Menschen in ihrer Kindheit leitet, wird in den unbegrenzten Ebenen mit ganz anderen Bildern erfüllt, als in Wäldern. Sie sind wenig zahlreich^ aber grossartig, und zwar schafft sich der Mensch aus seinem eigenen Kraftbewusstsein eine kühnere Persönlichkeit, auf die er bei seinen Wanderungen angewiesen ist, einen persönlichen Gott**» Im Nomadenleben endlich trägt es sich häufig zu, dass ein Hirt wochenlang allein, von Hunger und Durst gequält, herumirrt. Dann leidet auch der Gesündeste an Sinnestäuschungen. Sehr oft kommt es in dieser Lage vor, dass verlassene Wanderer sich, rufen und Stimmen zu sich sprechen hören; daher ist für solche Stimmen in der arabischen Sprache ein eigenes Wort Hält/ vor- handen. In Afrika wiederum bedeutet Ragl^ abgeleitet von Radscholy der Mann, menschenähnliche Phantome, die sich dem getäuschten Auge darbieten^).

Jeder Reisende, der noch die Wüsten Arabiens und Klein- asiens durchzog, spricht begeistert von ihren Schönheiten, alle rühmen sie Luft und Licht, preisen sie das Gefühl der Erquickung und eine merkliche Steigerung der geistigen Spannkraft, noth- wendig muss daher zwischen dem gewölbten Himmel und den unbegrenzten Flächen eine monotheistische Stimmung die Kinder der Wüste beschleichen. Mose, ein Priester von Heliopolis, vergass erst das Getümmel des äpyptischen Götterkreises, die schönen Bilder aus Stein, die geheiligten Thiere, die Menschengestalten mit den Hieroglyphenköpfen und Symbolen, als er nach dem Sinai entwichen war, dem ältesten Steine, den die Geologie kennt, den nach Oscar Fraas') auch nicht der kleinste Fetzen von Bildung irgend eines späteren Zeitalters bedeckt, als ob er sich nie ins Meer getaucht, nie sich emporgerichtet, niemals gewankt hätte. Dort in der Wüste musste erst das alte Judengeschlecht mit seinem ägyptischen Heidenthum begraben werden, ehe sich bei einem neuen unter Wüstengedanken und Wüstenbildern erwachsenen der Monotheismus verhärtete. Auch sonst wird in der heiligen Schrift die günstige Wirkung der Wüste bestätigt. Der feurige Elia zog sich in die Wüste zurück, der Täufer wieder predigte in der Jordanswüste in Beduinentracht, nämlich in einem Gewand aus

i) A. Sprenger, das Leben des Mohammad. Pd. i. S. 216.

2) Aus dem Orient. Geolog. Beobachtungen. Stuttgart 1867. S. 7—8.

Die Zone der Religionsstifter. 37c

Kamelshaaren, und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Auch Christus bereitete sich vor zu seiner Laufbahn vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste. MoKammed end- lich war zwar ein Stadtkind, sog aber die Milch einer Beduinen- amme ein , war lange Zeit Hirt und durchzog auf seinen Kara- wanenreisen . die Landstriche zwischen seiner Heimat und Pa- lästina. Die Pilgerfahrten nach Mekka, obgleich sie weit älter sind als der Islam, dienen nicht wenig zur Befestigung des Glau- bens, insofern ihnen eine Wüstenreise voranzugehen pflegt. Doch sitzen die Bekenner des Propheten ohnedies schon in der Nähe von Wüsten, denn die Lehre Mohammed*s hat sich fast nur in der Zone des Ostpassates verbreitet und erst sehr spät in Afrika bis zum Sudan erstreckt. In Indien konnte sie aber nur eine be- schränkte Verbreitung gewinnen, und auch diese nur durch politische Nachhilfe.

Das ist so ziemlich alles, was sich streng ermitteln lässt über die Rückwirkung der Ländernatur auf die Richtung des reli- giösen Sinnes der Bevölkerung. Die Wüste ist zur Weckung des ^lonotheismus sehr hilfreich, weil sie bei der Trockenheit und Klarheit der Luft die Sinne nicht allen jenen reizenden Wahn- bildern des Waldlandes aussetzt, den Lichtstrahlen, wenn sie durch Lücken der Baumkronen auf zitternden und spiegelnden Blättern spielen, den wunderlichen Gestalten knorriger Aeste, kriechender Wurzeln und verwitterter Stämme, dem Knarren und Seufzen, dem Flüstern und Rauschen, dem Schlüpfen und Rascheln, über- haupt allen jenen Stimmen und Lauten in Busch und Wald, bei denen uns so gern das Truggefühl unsichtbarer Belebtheit über- schleicht. In den Wüsten schleppen und schleichen auch keine Nebelschweife über feuchten Wiesengrund. In solchen Dunst- gebilden, wenn sie über den Wäldern Neu-Guinea's aufsteigen, verehren die Eingebornen Doreh's das Sichtbarwerden Narvoj6*s, ihres guten Geistes*). Wohl lässt sich daher behaupten, dass mit der Ausrottung der Forste nicht blos das örtliche Klima verändert, sondern auch Poesie und Heidenthum mit der Axt getroffen worden seien. Begünstigt aber auch ein sonniges Land die monotheistischen Regungen, so ist doch zugleich jede Religionsschöpfung wiederum ein Ausdruck der Racenbegabung. Die Semiten haben keine

i) O. Finsch, Neu-Guinea. S. 107.

-?^6 I^ic Zone der Religionsstifter.

rechte epische urfd eine weniger als dürftige dramatische Literatur besessen, da für solche Erzeugnisse ihnen die arische Gestaltungs- kraft fehlte. Ueberhaupt würde es auf Irrwege führen, wenn man alle inneren Erzeugnisse der Völker nur aus physischen Vor- bedingungen ableiten wollte. Gewiss sind auch sie einem gesetz- lichen Entwickelungsgang unterworfen und nichts anderes als der nothwendige Ausdruck einer Kette von Ursachen. Zu diesen Ur- sachen gehören aber auch ganz sicher die geschichtlichen Ver- hängnisse der Völker. „Es ist ein alter Satz**, äussert in diesem Sinne Delbrück^), „dass die Erfahrungen des .Lebens jeden Ein- :eelnen seinen Gott finden oder verlieren lassen".

i) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Bd. 3. S. 488.

DIE MENSCHENRACEN.

In einem früheren Abschnitt gelangten wir zu dem Ergebniss, dass alle körperlichen Merkmale, die Schädelform, die Grössen- verhältnisse der Gliedmassen, die Farbe der Haut innerhalb der nämlichen Menschenrace beträchtlich schwanken, dass selbst die Beschaffenheit des Haares nicht zu den beharrlichen Wahrzeichen gerechnet werden dürfe und dass daher bei der Vertheilung des Menschengeschlechtes in grössere Gruppen oder Racen alle vor- herrschenden Eigenthümlichkeiten berücksichtigt werden müssen. Die Grenzen solcher Gruppen sind oft leicht, noch öfter sehr schwierig zu ziehen. Unstatthaft aber ist es , sie dort zu ziehen, wo die gemeinsamen Kennzeichen einer Gruppe durch leise Ab- stufungen zu den gemeinsamen Kennzeichen einer andern Gruppe übergehen, es müssten denn solche Abstufungen mit geschichtlicher Glaubwürdigkeit auf Zwischenheirathen sich zurückführen lassen und durch Mischlinge vertreten werden.

Wenn wir diesem Grundsatze huldigen, werden wir genöthigt, das Menschengeschlecht in sieben Gruppen, Racen, Unterarten oder Arten, wie man sich ausdrücken will, zu sondern. Es sind dies erstens die Bewohner Australiens und Tasmaniens, zweitens die Papuanen Neu-Guinea's und benachbarter Inseln, drittens die mongolenähnlichen Völker, zu denen wir nicht blos Festlandsasiaten, sondern auch die Malayopolynesier und die Eingebornen Amerika's zählen, viertens die Dravida oder die Bewohner Vorderindiens von nichtarischer Abkunft, fünftens die Hottentotten und Buschmänner, sechstens die Neger, siebentens die mittelländischen Völker, welche den Kaukasiern Blumenbaqh's

Petchth Völkerkunde. 22

^^8 I'ie Mensche nracen.

entsprechen. Die Rechtfertigung der Abgrenzung wie der Zu- sammenstellung der sieben Gruppen muss den einzelnen Ab- schnitten vorbehalten bleiben. Wir betrachten ferner die Ab- schätzung der bürgerlichen, sittlichen und geistigen Entwickelung der einzelnen Racen als eine unerlässliche Aufgabe der Völker- kunde. Die Reife der verschiedenen menschüchen Gesellschaften entspricht jedoch nicht streng der wechselnden Begabung der Racen, sondern sie steht auch in Abhängigkeit von der Gunst oder Ungunst des Wohnortes, so dass auch dessen Rückwirkung auf die Culturgeschicke der einzelnen Men sehen gruppen erwogen und wo möglich abgewogen werden soll.

I.

DIE AUSTRALIER.

Die Bewohner des australischen Festlandes, sammt den Küsten- inseln und Tasmanien, bilden ihrer Körpermerkmale wegen eine scharf abgesonderte Menschengruppe. Bei einem mittleren Breiten- index von 71 und einem Höhenindex von 73 gehören sie zu den hohen Schmalschädeln. Sie sind zugleich prognath un4 phanerozyg. Die Nase, an der Wurzel schmal, verbreitert sich stark nach ab- wärts, krümmt sich jedoch nicht wie bei den Papuanen. Der Mund ist weit geöffnet und unförmlich. Der dritte obere Backzahn besitzt regelmässig drei Wurzeln, eine Erscheinung, die unter Europäern zu den Seltenheiten gehört*). Der Körper ist reichlich behaart. Die schwarzen Haare selbst, im Querschnitt stark eUiptisch, bilden abstehend um das Haupt eine zottige Krone, nur schwächer wie bei den Papuanen, kräuseln sich und zeigen sogar Anlage zur Verfilzung. Wenn an der Coburg -Halbinsel auch schlichte Haare und schief gestellte Augen unter den Eingeborncn angetroffen werden, so sind diese Wahrzeichen einer Mischung mit Malayen zuzuschreiben, die sich dort als Trepangfischer einfinden. Wird doch daselbst von vielen Eingebornen macassarisch gesprochen ^) und bezeugen uns Felseninschriften mit buginesischen oder ma- cassarischen Buchstaben die Anwesenheit von Malayen^).' Die Farbe der Haut ist immer dunkel, bisweilen schwarz, bisweilen

i) Latham, Varieties of man. p. 244.

2) Carl, im Journal of the R. Geographical Society. London 1846. vol. XVI. p. 244. Daraus erklären sich auch die oben (S. 254) erwähnten unaustralischen Adelssatzungen

3) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 762.

22*

340

Die Australier.

wie an der Süd- und Südostküste hell kupferroth *). In allen diesen Merkmalen glichen die Tasmanier den Australiern vollständig, nur war ihr Haarwuchs noch papuanischer, das heisst zum büschel- förmigen Wachsthum noch mehr geneigt*). Auch zeigen die wenigen Schädel, die bis jetzt gemessen worden sind, höhere Pro- cente bei Breite wie Höhe, nämlich beiderseitig 74^). Wie sie auf ihre Insel gelangt seien, hat vielen ein Räthsel geschienen, weil irrigerweise die Tasmanier gar keine Fahrzeuge besessen haben sollen. Flossartige Kähne waren indessen vorhanden "*) und eine Einwanderung von Australien her über die inselreiche Bass-Strasse erforderte keine hohen Leistungen. Dass solche Fahrten unter- nommen wurden, bezeugt der Umstand, dass die Tasmanier die- selben symmetrischen Hautnarben trugen, wie die Australier s). Im Jahre 1803 wurde ihre Insel von Europäern besiedelt, 1869 starb der letzte Eingeborne. Die Geschichte ihrer gewissenlosen Aus- rottung hat uns ein Bewohner Tasmaniens wahrheitsgetreu ge- schildert^).

Als Verwandte stehen den Australiern und Tasmaniern nicht etwa die afrikanischen Neger, noch weniger die Urbevölkerung Vorderindiens, sondern die Papuanen am nächsten. Ausser körper- lichen Verschiedenheiten trennt sie aber von diesen der Bau ihrer Sprachen, denn alle Präfixe fehlen den Australiern, die vielmehr den Sinn der Wurzeln nur durch nachgesetzte Sylben begrenzen. Aehnlichkeiten zwischen den australischen und südindischen oder dravidischen Sprachen, die zwar in den Fürwörtern, jedoch nur sehr schwach vorhanden sind, haben Bleek'), wenn auch sicher nicht mit hinreichender Berechtigung, eine Sprachverwandtschaft zwischen jenen Bevölkerungen vermuthen lassen. Die Worte in den australischen Sprachen sind mehrsylbig, beginnen mit einem Consonanten und lauten mit einem Vocal oder Halbvocal aus*^).

i) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 711.

2) Lehrreiche Abbildungen nach Photographien bei Mantegazza Archivio per TAntropologia. Firenze 1871. vol. i. Tav. i 3.

3) Barnard Davis, Thesaurus craniorum. p. 272. p. 358.

4) Waitz. 1. c. S. 812.

5) Waitz. 1. c.

6) James Bonwick, The last of the Tasmanians. London 1870.

7) Journ. of the Anthropol. Institute. London 1872. vol. L p. 90,

8) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. S. 187.

Die Australier.

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Den Wortschätzen nach zerfallen aber die Sprachen der Australier in unendlich viele Bruchtheile. Um so merkwürdiger ist es, dass dieselben Familiennamen zugleich in Westaustralien und in Süd- australien, wie auf der Carpentariahalbinsel angetroffen worden sind'). Wenn viele australische Mundarten arm sind an Zahlen- ausdrücken, so folgt daraus doch nicht, dass die Eingebornen grössere Mehrheiten nicht hätten überblicken können , denn sie bedienen sich 18 verschiedener Worte zur Benennung von Kindern, je nachdem der erst- bis neuntgeborne Knabe oder die erst- bis neuntgeborne Tochter bezeichnet werden solP).

Bevor wir uns mit ihren geistigen und gesellschaftlichen Zu- ständen beschäftigen, wird es rathsam sein, einen Blick über ihren Wohnort zu werfen. Nirgendwo lässt sich nämlich die verspätete Entwickelung des Menschengeschlechtes durch die missliche Ge- staltung der Erdräume besser rechtfertigen als in Australien, Hinausgerückt in abgelegene Planetenräume und doch wiederum zu klein, um eine Welt für sich zu bilden, erlitt Australien die Missachtung, dass sich ihm nie bis vor kurzer Zeit ein Cultur- pfad genähert hatte. Von allen Festlanden wurde es zuletzt ent- deckt, von allen Entdeckungen blieb es am längsten, nämlich volle zwei Jahrhunderte vernachlässigt, und als es von Europäern zuerst besiedelt wurde, erschien es nur tauglich zur- Entfernung der Unverbesserlichen aus der Gesellschaft. Seine wagrechte Glie- derung oder, was dasselbe sagen will, seine Küstenumrisse nähern sich unter allen Welttheilen, nach Afrika, am meisten der Kreis- form, bei welcher der Umfang die geringste Entwickelung zum Flächeninhalt besitzt. Nur an zwei Stellen zeigt es den Ansatz von Gliedmassen: es ist dies die Carpentaria- oder Cap-York- Halbinsel und die Insel Tasmanien, welche letztere, wie wir es anderwärts schon ausgesprochen haben, eine überfluthete Zunge des Festlandes ist, und die pyramidalen Zuspitzungen der andern südlichen Festlande, nämlich Südamerika's und Südafrika's, als Homologie kümmerlich genug vertritt.« So ungenügend auch die eben genannten Gliederungen erscheinen mögen, so hat doch wenigstens die eine ihren Zauber bewährt, denn die Carpentaria- Halbinsel blieb bis in die neuesten Zeiten das einzige Organ, wo-

i) Grey bei Eyre, Central- Australia. tom. II. p. 329. 2) Journal of the Anthrop. Inst. 1. c. p.' 97.

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Die Australier.

durch Australien sich noch einen, wenn auch schwachen Verkehr mit höhern Gesittungen rettete. Das dortige Cap-York verlängert sich nämlich als eine Kette hoher felsiger Inseln bis nach Neu- Guinea, und da wir gezwungen sind, Australien ursprünglich als menschenleer, seine heutige dunkle Bevölkerung aber als einge- wandert zu denken, wenn auch dieses Ereigniss in eine vorläufig unermessbare Vergangenheit zurücktritt, so ist der Uebergang über die Torresstrasse der bequemste Weg für eine Einwanderung wenig seetüchtiger Stämme. Wir könnten sogar die Australier von Neu-Guinea aus trocknen Fusses hinüberführen in ihre jetzige Heimat, denn gerade längs jener Inselkette beträgt die Meerestiefe der Torresstrasse nirgends über lO Faden (60 Fuss)'), und ihre Sohle kann sich seit dem Auftreten der Menschen leicht um diesen

. Abstand gesenkt haben, wenn auf Sardinien, 60 M^tres über dem Meere, Thonscherben mit Seeschalthieren und Schlamm fossü ver- backen angetroffen worden sind.

Aus den Wortschätzen, die auf der Erforschungsexpedition unter Capt. Blackwood gesammelt wurden, ergibt sich ferner deut- lich, dass die Stämme am Cap York eine verwandte Sprache reden wie die Bewohner der Inseln in der Endeavourstrasse, dann auf den Murray-Inseln, ferner auf Masid und auf Errub, lauter Eilande Östlich vom Eingang in die Torresstrasse*). Verfolgen wir also diese linguistische Fährte, so werden wir hinübergeführt bis hart an die Küste Neu-Guinea's. Zwar sind die Papuanen, die Bewohner jener Insel, von den Australiern durch so scharfe Racenmerkmale getrennt, dass ein geübtes Auge, wie Jardine bemerkt hat, unter den Australiern am Cap York die herkulischen Gestalten von ein- zelnen Auswanderern Neu-Guinea's leicht herauskennen wird; immerhin sehen wir doch aus diesen Wanderungen, die noch

^heutigen Tages vorgehen, und aus den oben angeführten Spuren der Sprachverwandtschaft, dass von Neu-Guinea herüber die Ver- bindungen mit der Carpentaria- Halbinsel beständig fortgewirkt haben, und diese Thatsachen sind die einzigen Fingerzeige nach dem Pfade, auf welchem die ersten Menschen das australische Festland dermaleinst betreten haben mögen. Hier rechtfertigt sich zugleich, dass wir oben der Carpentaria- Halbinsel eine cuJtur-

i) Jukes, Voyage of H. M. S. Fly. vol. I. p. 153. 2) Latham, Opuscula. p. 234.

Die Australier.

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historische Wichtigkeit beigemessen haben, da sie das einzige Organ war, womit das australische Festland seine jetzt vielfach zerstückte Verbindung mit der alten Welt einigermassen noch aufrecht zu erhalten strebt. Hat es. von dorther seine ersten menschlichen Bewohner aufgenommen, so empfing es noch bis zur Gegenwart auf jenem Weg etliche Schätze einer rohen Civilisation. Denn die Papuanen Neu-Guinea's sind, unbeschadet ihrer Blutgier und Menschenfresserei , im Vergleich zu den Australiern verfeinerte Völkerschaften, deren geräumige Wohnungen neben den Laub- hütten der Australier als stattliche Paläste erscheinen , und von denen einige Ueberläufer die Stämme am Cap York bereits mit dem Gebrauche von Bogen und Pfeil vertraut gemacht haben, also mit Wurfmaschinen, welche die Sicherheit des Treffens be- trächtlich steigern. Gleichzeitig hat durch sie ein wesentlicher Aufschwung im Schiffbau stattgefunden, denn die alten Rinden- kähne sind jetzt durch lange ausgehöhlte Piroguen mit Auslegern nach papuanischem Muster verdrängt worden, endlich haben sich bereits die ersten Anfange von Feldbau, wenn sie sich auch vor- läufig nur auf die Anpflanzung von Knollen- und Wurzelgewächsen erstrecken, von Neu-Guinea auf die Inseln nördlich von Cap York verbreitet*). Wären daher die Europäer um etwa 500 Jahre später im indischen Ocean erschienen und den Australiern noch länger ihre Inselruhe gegönnt gewesen, so würden sehr leicht durch die Einwirkung der papuanischen Stämme die Bewohner des Fest- landes auf eine Stufe gehoben worden sein, die sie etwa gleich- stellen möchte den edlern Jägerstämmen Südamerika's.

Nach der Vermuthung eines unserer besten Kenner Australiens würde ein Steigen des Meeresspiegels von wenigen Hunderten von Füssen genügen, um jenes Festland in Gruppen zahlreicher Inseln aufzulösen, denn die Bergländer, welche vorzugsweise am Rande um den Kern herumlagern, sind durch Einsenkungen oder Arme der Tiefländer vielfach getrennt*). Doch sollte damit nicht der völlige Mangel von inneren Hochebenen behauptet werden 3).

i) Jardine, Journal of the R. Geographical Society. London 1866. vol. XLVI. p. 76—86.

2) Mein icke, Australien. Ergänzungshefte zu Petermann's Mit- theilungen. No. 29. Gotha 1871. S. 21.

3) Vergl. die Beobachtungen von Forrest im Innern Westauslraliens. Peterm. Mitth. 1870. S. 151.

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Die Australier.

So weit wir bis jetzt Australien kennen, ist die Abwesenheit von erhabenen Gebirgsketten und folglich auch der Mangel grosser Ströme der auffallendste Zug. Es gesellt sich also zur tellurischen Abgelegenheit und zum Mangel an aus- und einspringenden Um- rissen auch eine Vernachlässigung der plastischen Gliederungen. Ja als hätte Australien uns das w^arnende Beispiel eines verkehrt angelegten Erdraumes bieten sollen, finden sich seine kräftigsten Bodenerhebungen , die sogenannten Alpen , mit Gipfelhöhen von 7000 Fuss gerade wieder an der am meisten entlegenen Ecke des Festlandes, und in Folge dessen hat sich auch sein einziges grosses Stromsystem, auf dem etliche tausend engl. Meilen für Dampfer schiffbar gefunden worden sind, nach einer von den Culturräumen der alten Welt abgekehrten Seite des Festlandes entwickelt. Die höhern Gebirge Australiens oder vielmehr die Abstürze des öst- lichen Festlandes, eine ähnliche plastische Erscheinung wie die Ghat in Indien, sind aber geradezu zum Nachtheil für das leewärts liegende Festland aufgestiegen, denn die hoch aufgerichteten Ost- küsten fangen den feuchten Passat auf und zwingen ihn, seine Wasserdämpfe an ihren Abhängen fallen zu lassen, so dass er beträchtlich ausgesogen die Hochebenen erreicht und diesen nur wenig Benetzung zuführen kann'). Wäre statt dessen, wie in Südamerika, eine hohe Gebirgskette am Westrande des Festlandes aufgestiegen, der Ostrand dagegen flach gewesen oder massig an- geschwollen, so würde sich ein Strom, wenn auch nicht von der Herrlichkeit des Amazonas, doch wenigstens von der Mächtigkeit des Orinoco entwickelt haben, und die Eingebornen hätten sich an seinen Ufern vielleicht auf die Stufe der brasilianischen Jäger- völker schwingen können.

Jetzt, wo wir etwa auf zwei Dritteln des Flächenraums die Natur Australiens kennen, ist das alte Trugbild verscheucht worden, als sei das Innere völlig von einer pflanzenleeren Wüste ausge- füllt. Besässe Australien wirklich eine Sahara, so ist sie jedenfalls nur eingeschränkt auf den Kern der westlichen Ausbauschung des Festlandes. Alles übrige Gebiet geniesst eine zwar kurze, aber

l) Die Küstenflüsse richten daher durch ihre Ueberschwemmungen oft grosses Verderben an, wie der Hawkesbury 1867 plötzlich um 62' über seinen mittleren Spiegel stieg. Peter m. Mitth. 1868. S. 347. Oberländer und Christmann, Australien. S. 332—339.

Die Australier.

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heftige Regenzeit. Mitten im Continent sah sich Mac Kinlay*) von Regenfluthen gefesselt, wenn nicht ernstlich bedroht, denn beinahe auf der Hälfte des Gesichtskreises war nichts als eine unbegrenzte Wasserfläche zu' sehen, aus der nur höhere Bäume und inselartig etliche Bodenerhebungen hervorragten. Aehnliches erlebte J. M. Gilmore im äussersten Westen von Queensland^). Auf eine solche jähe Entladung des Wasserdampfes aus den Luft- strömen folgt eine ebenso hastige Verdunstung, und wenige Wochen nach den Ueberfluthungen gähnt der Boden wieder vor Dürre. In Folge dieser ungeregelten Vertheilung der Nieder- schläge ist Australien, so weit wir es kennen 2), vorzugsweise ein Grasland mit parkartigem oder die Flüsse säumenden Baumwuchs, wenn es auch nirgends an grossen Oasen [von Buschland fehlt. Diess wäre an sich der Entwickelung der menschlichen Gesell- schaft nicht hinderlich gewesen, wenn sich nicht dazu das geo- logische Verhängniss Australiens gesellt hatte.

Soweit die bisherigen Forschungen reichen, hat man bis jetzt ein Auftreten von tertiärem Gebiet nur an zwei Stellen wahrge- nommen^). Die Gebirgsarten sind entweder krystallinisch oder ihre Versteinerungen gehören den frühesten Erdaltern an, da sie selten über die Kohlenzeit und kaum bis zu den bunten Sand- steinen reichen. Mit andern Worten will dies heissen, dass der grösste- Theil jener Planetenstelle seit den secundären und tertiären Zeiten nicht mehr unter das Wasser tauchte, sondern ohne Wieder- geburt oder Erholung allen Unbilden des Luftkreises seit dieser Zeit ausgesetzt blieb und darüber mehr und mehr von seinen plastischen Jugendreizen verlor. Denn die hohen Gebirgszüge der primären und secundären Zeit müssen durch die lange Dauer der Verwitterung und Abwaschung herabgeschleift und dem Boden näher gebracht worden sein. Selbst dieses Loos wäre noch er-

1) Journal of the R. Geogr. Soc. London 1863. vol. XXXIII. p. 45 47.

2) Vergl. Petermann's Mittheil. 1872. Tafel 22.

3) Ein Schäfer Namens John Ross will allerdings unter 24^ 30' s. Br. und 137® östl. L. Greenw. nicht blos reiche Weidegründe, sondern auch auf einer Strecke von 60 d. Meilen ausdauernde fliessende und stehende Gewässer entdeckt haben, die sich für DampfschüFfahrt eignen sollen. Sir. R. Mur- chison in Proceedings of the R. Geogr. Soc. 22. Mai 1871. tom. XV. p. 297,

4) F. V. Hochstetter in Petermann's Mittheilungen. 1859. S. 208.

3|6 Die Australier.

träglich gewesen, wenn nicht Australien zugleich seinen -ehemaligen trockenen Zusammenhang mit dem grossen Länderbau der alten Welt eingebüsst hätte. Die Trennung oder das Selbständigwerden Australiens erfolgte aber in einem unreifen Zeitpunkte, nämlich schon damals, als die Entwickelung der Fauna erst bis zu den Beutel- und Nagethieren, noch nicht aber bis zu den Hufthieren fortgeschritten war. Während in der alten Welt und in Amerika durch den fortdauernden Kampf um das Dasein immer höhere Geschöpfe hervorgerufen wurden, denen die alterthümlichen Mar- supialgestalten beinahe gänzlich weichen mussten, bewegte sich in Australien der Kampf in einem viel engeren Kreise, und daher blieb seine Thierschöpfung mit geringen Aenderungen auf der Stufe stehen , die sie erreicht hatte, als die Abtrennung als Insel erfolgte. Das älteste Festland der Erde ernährt auch die ältesten Säugethierformen. Vor allem vermissen wir die reissenden Thiere, denn der Dingo oder australische Hund wanderte wahrscheinlich erst mit den Menschen ein, wenn er auch jetzt verwildert in Jagd- genossenschaften angetroffen wird. Sollte er aber auch, wie man aus den Funden von Dingoresten in alten Knochenhöhlen*) schliessen möchte, schon vor den Menschen Australien betreten ha- ben, so ist dies doch wohl immer nur in einer, geologisch gesprochen, kurzen Vergangenheit geschehen. Da die Raubthiere als grosse Gegner günstig auf die Erziehung des Menschen einwirken, so gehört ihr Mangel unter die Nachtheile des Wohnortes. Noch bedauerlicher aber erscheint die Abwesenheit aller Hufthiere, wo- durch von vornherein für die Menschen die Möglichkeit ausge- schlossen war, sich zu den höchsten Gesittungen zu erheben, denn mit Ausnahme des Hundes hätte sich wohl kein australisches Säugethier zähmen lassen, da ein gewisses Mass von Intelligenz nothig scheint, wenn die Thiere als Ernährer oder Gehilfen von dem Menschen in seine Gesellschaft aufgenommen werden sollen, die Beutel thiere aber wegen ihrer Geistesarmuth dieses Mass nicht besitzen. Wie wir alle wissen , ist Australien zur Zucht von Schafen, Rindern, Pferden, Kamelen wie auserlesen, aber alle diese wichtigen Culturgeschöpfe konnten das Festland nicht mehr erreichen , seitdem es keine Brücke mit der alten Welt mehr ver- knüpfte. So kann man denn füglich von Australien behaupten,

\) Pagenstecher, in Petermann's Mittheilungen. 1866. S. 133.

Die Australier. ^^-j

es sei eine Insel ohne die Vortheile eines Inselklima's, ein nahrungs- reiches Steppenland ohne Steppenhufthiere , ein Land der Insel- ruhe oder eines schläfrigen Kampfes um das Dasein und daher ein Asyl für die Thier- und Pflanzentrachten der Vorzeit. Fried- fertigkeit, wenn wir die Vorgänge der belebten Schöpfung richtig verstehen, bedeutet aber so viel wie Erstarrung, denn verglichen mit den hoch gestiegenen Säugethieren der alten Welt erscheinen uns die australischen wie hüpfende Fossilien. War die Uhr dann abgelaufen, landete das erste Schiff Geschöpfe aus der alten Welt, hörte mit der Absonderung Australien auf eine Insel zu sein, gab es wieder eine Brücke, wenn auch nur eine fliegende, die es aber- mals mit der alten Welt verband, und sollte nun der allzufrüh abgebrochene Kampf um das Dasein von neuem beginnen, aber zwischen streitgewohnten und streitgerüsteten gegen kampfent- wöhnte Wesen, so mussten in kurzer Zeit die letzten überlebenden und überlebten Formen der Vergangenheit erliegen, Australiens Fauna in das paläontologische Buch geschrieben werden, und mit dem Känguruh auch der Känguruhjäger verschwinden. So hat es von jeher die neuerungssüchtige Natur gehalten: ihr gilt nur die Berechtigung des Stärkeren, und das Stärkere muss immer auch etwas Neueres sein, denn wäre das Neuere schwächer, so würde es unterdrückt ehe es nur aufkäme.

Wo immer Australien von europäischen Wanderern betreten wurde, sind sie den Eingebornen oder ihren Spuren begegnet. Wenn der eine Entdecker vielleicht eine Einöde zu durchschreiten meinte, sah sich der nächste auf demselben Räume von Schwarzen umschwärmt. Wo Sturt einen menschenleeren Raum vermuthete, wurde Mac Kinlay') bei seiner Wanderung durch das Festland 1861 62 in dem merkwürdigen Seengebiet durch die Dichtigkeit der Bevölkerung überrascht, und wenn er wiederum weiter nörd- lich zwischen 26° und 22^ südl. Br. auf keine Eingebornen mehr stiess, so traf Mac Douall Stuart'), der fast gleichzeitig, aber mehr als 6 Grad östlicher, Australien zum zweitenmale durchzog, am 3. März 1862, just als er den Wendekreis überschritt, wo er sich im mathematischen Mittelpunkte Australiens befand, mit Ein-

i) Journal of the R. Geogr. Society, London 1863. vol. XXXIII. p. 21. 2) 1. c. p. 282.

^^8 ^i® Australier.

gebornen zusammen. Ebenso sahen Burke und Wills*) am 5. Ja* nuar 186 1 kurz bevor sie den Wendekreis berührten, frische Spuren von Eingebornen, denen sie weiter nördlich dann wirklich be- gegneten.

Abgesehen von den Bewohnern der Carpentaria - Halb- insel , finden wir die Stamme des übrigen Festlandes auf sehr verschiedenen Stufen der Gesittung, wie sie denn auch physisch sich wesentlich unterscheiden. Bisher galten uns die Jammergestalten am King George -Sund an der Südwestecke des Festlandes, welche Dumont d'Urville hatte abbilden lassen, al& Muster der australischen Menschen, die wir uns abgezehrt bis auf das Knochengerüste, mit schmalen Becken selbst bei Frauen, dünnen, schwächlichen Gliedmassen und aufgeschwelltem Unter- leib vorzustellen pflegten. Im Innern des Festlandes aber bessert sich nach den Aeusserungen aller Entdecker der Typus. Mac Kinlay*) fand in dem Seengebiet an der Nordostgrenze Süd- australiens die schönsten Stämme, die er je auf dem Festland ge- sehen hatte. Landsborough ^) stiess im April 1862 unter 23® s. Br. weit von der Küste am Thompson-River und Stuart*) im Norden auf Eingeborne, die beide fast mit denselben Worten als stattliche und urkräftige Erscheinungen schildern. Ebenso werden die Stämme an den Küsten von Queensland als gut gebaut und stark gegliedert von dortigen Ansiedlern uns beschrieben. Was aber die gesell- schaltliche Entwickelung betrifft, so nimmt sie sichtlich ab, zugleich von Nord nach Süd, wie von Ost nach West, d. h. von Cap York, dem Punkte, welcher noch am meisten an einer Verbindung mit der alten Welt festgehalten hat, wird die Lebensweise, der sich die Eingebornen unterwerfen, immer niedriger. So besassen vor Einführung der papuanischen Piroguen die Stämme der Carpen- taria- Halbinsel von alter Zeit her schon Fahrzeuge, wenn auch die besten Muster davon sich höchstens nur mit den Rindenkähnen der nord amerikanischen Rothhäute messen konnten. An der Ost- küste von Queensland vermochten die Beobachter an Bord der Fly südlich von Rockingham-Bay (18** 5' S. Br.) keine derartigen

1) Petermann's Mittheilungen. 1862. S. 74.

2) Journal of the R. Geogr. Soc, London 1863 vol. XXXIII. p. 30.

3) 1. c. p. 113.

4) 1. c. vol. XXXII. p.. 355.

Die Australier.

349

Xähne mehr zu entdecken*). In der Botany-Bay fand Cook die £ingebornen nur im Besitz von Rindenstücken, die als Fahrzeuge <lienen mussten, und nicht besser waren die Stämme am Murray versehen*). Roher Flösse bedienten sich die Bewohner in der Umgebung von Port Essington an der Nordküste, und der Bo- taniker Ferd. Müller 3), der mit August Gregory 1856 von der Nordküste den Victoriafluss und den Sturts Creek entdeckte, be- merkte bei den Binnenstämmen ebenfalls nur Flosse aus zwei oder drei Stämmen , denen man sich aus Furcht vor den Alligatoren aum Ueberschreiten von Gewässern anvertraute. Endhch wurde Gregory's Schiff Dolphin, als es hinter den Dampier -Inseln der Nordküste lag (1861), von Eiugebornen besucht, die unausgehöhlte Baumstämme als Fahrzeuge benutzten. An der Südküste sind die ' Australier noch nicht zur See angetroffen worden und von den West-Australiern am Swan River versichert James Browne^), dass ihnen nicht blos alle Fahrzeuge fehlen, sondern sie sogar des Schwimmens unkundig sind.

Am King George-Sund besteht das Obdach der Eingebornen nur aus Lauben. Ueber Stäbe, die gebogen und deren Enden in die Erde gesenkt werden, breiten sie Blätter als Bedeckung aus. In Neu- Süd -Wales, in Queensland und am Carpentariagolf dient auch die abgelöste Rinde eines Baumes, halb aufgerollt auf den Boden gestellt, einer einzigen, oder etliche Rindenstücke über ein Ge- stell aus Stäben ausgebreitet mehreren Personen zum Wetterschutz. Der Australier baut also kein ständiges Obdach, sondern als herum- streifender Jäger lebt er in einem Zelt aus Blättern oder Rinden verfertigt. Doch finden sich Holzhütten in West -Australien und geräumige Gebäude an der Coburg -Halbinsel, sowie solche mit zwei Stockwerken am Carpentariagolf^). An den beiden letzteren Räumen freilich ist an einen günstigen Einfluss von Malayen und Papuanen zu denken.

Die Australier befanden sich zur Zeit der Entdeckung im Zeit- alter der undurchbohrten Steingeräthe. Ihre Waffen und Jagd-

1) Jukes, Voyage of H. M. S. Fly. vol. II. p. 243.

2) George French Angas, Australia and New Zealand. vol. I. p. 90.

93.

3) Ausland. 1859. S. 1018.

4) Petermann* s Mittheilungen. 1856. S. 452:

5) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 730.

7=0 Die Australier.

gewehre sind Wurfgeschosse, vor. allen Dingen der Speer, dessen Spitze entweder am Feuer gehärtet zur Jagd, mit eingekerbten Widerhaken versehen als Fischharpune, oder mit scharfen Kieseln oder Muscheln bewehrt für das Gefecht dient. Der Bumerang be- findef sich in den Händen aller Stämme der Nord-, West-, Süd- und Ostküste, mit Ausnahme der Bewohner der Carpentariahalbinsel und einiger Stämme am untern Murray. Schilder als Schutzwaffen werden bei sämmtlichen Stämmen an der Küste wie im Innern angetroffen und nur in Westaustralien vermisst. Die Bewohner der Ostküste verfertigen für den f ischfang Schnüre und Angel- haken, die letzteren aus Vogelklauen oder Muschelschalen, während an der Westküste, wo das Angelgeräth fehlt, Netze gebraucht werden '). Ein ästhetisches Bedürfniss nach Verhüllung des Körpers ist noch nirgends erwacht, zum Schutze gegen rauhe Witterung aber- werden kragenartige Mäntel aus Thierfellen an der West-, Süd- und Ostküste umgeworfen. Sonst gürten sich viele Stämme die Hüften mit Schnüren, die zur Zeit von Nahrungs- mangel fester zusammengezogen werden, um die Empfindimg der Leerheit zu unterdrücken. Spuren von Bekleidung treten erst auf, wo der gute Einfluss der Papuanen fühlbar wird, nämlich auf der CarpentariahalbinseP). Die Kunstwerke und Denkmale, welche die Australier hij;iterlassen haben, bestehen fast nur in Vei- zierungen von Grabstätten oder in den kahnartig ausgehöhlten Särgen, die nicht blos an der Ostküste vorkommen, sondern von denen eins mit einer Kinderleiche von Mac Douall Stuart am 12. Mai 1861 im Ashburton - Gebirge nördlich vom Centrum des Festlandes wahrgenommen und von ihm als das höchste bis- her gesehene Meisterstück der Eingebornen bezeichnet wurde ^)» Sonst erinnern wir noch an die Menschen- und Thiergestalten, die mit Kreide und Ocher an Felsen des Victoriaflussbettes von den Eingebornen gezeichnet und von Gregory und Müller^) 1856 bemerkt worden waren, sowie an die noch merkwürdigeren zoll- tiefen Einritzungen von Felsen an der Ostküste, unter andern bei

1) Lubbock, Prchistoric times. 2d. edit. p. 430.

2) Waitz, 1. c. S. 738.

3) Journal of the R. Geogr. Society, London 1862. vol. XXXII. p. 350.

4) Ausland. 1859. S. 1017.

Die Australier.

351

Camp Cove, unweit Sydney, welche in rohen Umrissen Menschen- und Thiergestalten erkennen lassen'). Endlich zeigten auch die Frauen der Stämme am Murray so wie in Neu-Süd-Wales grosse Fingerfertigkeit im Flechten von Binsenkörben.

Bei der früheren Aufzählung der Waffen wurde absichtlich noch nicht des Wurfbrettes gedacht, einer Erfindung, die allen Stämmen ohne Ausnahme gemeinsam ist und die viel grösseren Scharfsinn verräth als der Bumerang, der mehr durch die Seltsam- keit seiner Flugbahnen überrascht ^ stets aber ein unsicheres Ge- schoss bleibt und dessen Bekanntschaft wahrscheinlich nur einem Zufall verdankt wird. Das Wurfbrett, auf der Innenfläche der Hand befestigt oder mit den drei letzten Fingern festgehalten, am freien Ende aber mit einem Querfalz zum Einlegen des Speeres versehen, vermehrt die Schleuderkraft des menschlichen Armes um das Doppelte. Man denke sich, sagt Jukes"), dass einer unserer Finger an Länge dem Wurfbrett gleich käme, und dass, während wir mit dem Daumen und dem Mittelfinger den Speer hielten, er sich mit dem äussersten Gliede um das Ende des Speeres krümmen könnte, so ist das Geheimniss erklärt, um wie viel durch das Wurfbrett die Anfangsgeschwindigkeit des Speeres beschleunigt werden kann. Leider lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob die Australier nicht vielleicht diese Erfindung entlehnt haben, denn auch die Neu-Caledonier gebrauchen wenn auch nicht das Wurfbrett, doch eine Wurfschlinge. Wir finden übrigens dieses Hilfsmittel noch anderwärts, nämlich bei den Aleuten und den ihnen benachbarten Eskimo, sowie bei den AltmeXicanern«').

Die nicht geringe geistige Begabung der Australier ist erst zur Anerkennung gelangt, seitdem wir einen Einblick in ihre Sprachen gewonnen haben. Wenn der Reichthum von Formen zum kurzen Ausdruck feiner Beziehungen über den Rang einer Sprache entscheiden sollte, so müssten uns und allen Völkern Westeuropa's die beinernen Menschenschatten am King George- Sund Neid einflössen, denn ihre Sprache besitzt nicht blos soviel.

1} G. F. Angas, Auslralia and New Zealand. tom. II. p. 203. p. 275.

2) Voyage of H. M. S. Fly. vol. I. p. I12.

3) V. Langsclorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 40. David Cra*-' Historie von Grönland. Bd. i. S. 194. Tylor, Anfänge der Cultur.

S. 67.

ßC2 Die Australier.

sondern sogar vier Casusendungen mehr als die lateinische, und ausser Einheit und Mehrheit noch einen Dual. Das Verbum, an Zeiten so reich wie das lateinische, hat ebenfalls Endungen für den Dual, ja drei Geschlechtsforraen für die dritte Person, sonst aber ausser den Activ- und Passiv-, noch Reflexiv-, Reciprocal-, Determinativ- und Continuativformen *). Was die Gabe der .Sprach- bildung betrifft, so müssen also vor dem erfinderischen Australier selbst die hochgesitteten Polynesier, ja noch mehr ein graues Culturvolk wie die Chinesen ^ich beugen. Wir finden auch bei ihnen poetische Versuche und hochgefeierte Dichternamen. Sind ihre Gesänge auch roh, so enthalten sie doch Ausdrücke, die nicht mehr im Tagesverkehr vorkommen*). Sie haben ferner für Fixsterngruppen manche hübsche Bildernamen erdacht. In der Milchstrasse sehen sie eine Abspiegelung des DarUngstromes , an dessen Ufern ihre verklärten Abgeschiedenen Fischfang treiben, in den Magalhaes' sehen Wolken aber zwei alte Zauberinnen, die wegen ihrer Verbrechen an den Himmel geheftet wurden 3). Am meisten überrascht uns, dass sie Namen für acht verschiedene Windstriche besitzen*), denn mit der Theilung des Horizontes in Azimuthe be- ginnt überhaupt die Theilung des Kreises. Ungemein erfinderisch sind sie in Höflichkeitsausdrücken, die sie im Verkehr fordern und freigebig ertheilen.

Schon anderwärts haben wir mitgetheilt, dass bei ihnen grosse Scheu vor Blutschande, daher auch Frauenraub herrscht, dass sie die Pflichten der Blutrache heilig halten, Eigenthum an unbeweg- lichen Sachen anerkennen und von der Mutter den Familiennamen erben 5). Selbst auf der Stufe der Australier ist der gesellige Ver- band schon durch mancherlei Satzungen geregelt. Zwar soll den Sprachen der Australier jeder Ausdruck für Häuptling fehlen^), auch suchen wir vergebens, dass bei den westlichen Stämmen irgend etwas vorkomme, was man mit starker Dehnung des Be-

1) Reise der Fregatte Novara. Linguistischer Theil von Fricdr. Müller. S. 241 ff.

2) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 756 759.

3) Br. Charnock im Journal of the Anthropological Institute. London 1872. vol. L p. 147.

4) Waitz, 1. c. S. 763.

5) S. oben S. 233. S. 235. S. 243. S. 247. S. 251.

6) Wilkes, Unit. States Exploring Expedition, tom. IL p. 186.

Die Australier. -jc^

griffes noch einen Priesterstand nennen könnte. In Neu-Süd-Wales und in Queensland, also an den bevorzugten Cultur streifen Austra- liens, begegnen wir dagegen den Koradschi oder Leuten, welche den Pöbelschauder vor dem Finstern so weit abgestreift haben, dass sie auf den Gräbern Verstorbener eine Nacht ausharren. Auch vermögen sie den Kranken durch ihre Schamanenkunststücke Trost und neue Zuversicht einzuflössen und wissen dabei rohe Linderungs- mittel, unter andern das Aderlassen, anzuwenden.' Ueberrascht wer- den wir, dass bei den Menschengespenstern der Westküste die Unver- letzlichkeit von Botschaftern als Völkerpflicht beobachtet wird, solange eine klaßende Verwundung, durch welche der Abgesendete gezeichnet zu werden pflegt, nicht völlig vernarbt ist*). Dass ferner die heutigen Australier zur Hebung auf die nächsten höheren Zu- stände völlig befähigt waren, beweisen die Erfahrungen in Queens- land und Neu- Süd -Wales, wo viele Eingeborne rasch und richtig das Englische sprechen lernten, zu gewandten und kühnen Reitern sich ausuildeten, als Hirten wegen ihrer Brauchbarkeit im Busche den Europäern vorgezogen wurden, und dass man aus ihnen eine sehr wirksame Sicherheitswache für entlegene Weideplätze sich erziehen konnte.

Wenn sie dennoch ihre Zustände nicht veredelt haben, so trägt einen Theil der Schuld die Abgelegenheit ihres Welttheiles, welche eine Berührung mit andern Völkerschaften erschwerte. Am frühesten wurden daher die Bewohner der Carpentaiiahalbinsel durch einwandernde Papuan en geweckt uncf wirkten wieder günstig auf ihre südlichen Nachbarn, wie sich denn alle neuen Volks- gesänge und alle dabei aufgeführten Tänze nach Angas*) an der Ostküste von Norden nach Süden fortgepflanzt haben. Was aber de Australier so tief erniedrigt, ist die Unkenntniss eines Acker- baues, ohne dass sie etwa streng maritime Völker gewesen wären, wie die Feuerländer oder die Eskimo. So musslen sie sich mit dem Ertrag der Jagd, an den Küsten der See und den Ufern der Flüsse mit dem des Fisch- und Muschelfanges und mit den Nähr- stoffen wildwachsender Wurzeln begnügen. Bei dieser Abhängig- keit vom Tagesglück schaudert der Mensch noch nicht vor kaltem

i) Browne, in Petermann*s Mittheilungen. 1856. S. 449. 2) Australia and New Zealand. tom. II. p. 216. Peschel, Völkerkunde. 23

3^

Die Auflralier.

Gethier, wie Raupen, Eidechsen, Ameisen und Würmer. Als Jäger wären sie, ohne Bogen und Pfei) zu führen, selbst mit dem Wurfbrett Zeiten weis grossen Miss erfolgen ausgesetzt gewesen, wenn sie nicht das Mittel der Grasbrände reichlich zum Zutreiben des Wildes angewendet hätten. Die Jagd selbst nöthigle sie aber zu raschem Wechsel der Wohnsitze. Wenn die Lachen der letzten Regenzeit zu versiegen begannen, mussten sie ihre Reviere ver- lassen und die wohlbekannten Stellen aufsuchen, wo in tiefen natürliclieii Becken noch dauerndes Wasser zurückgeblieben war. So konnte es vielleicht die Steppennatur des Festlandes zu ver- antworten haben, dass die Eingebornen von jedem Gedanken eines Feldbaues aufgescheucht worden seien.

Wenn man die Berichte der neuen Erforscher jenes Festlandes, ungehärteter und verdienstvoller, aber meistens ungebildeter Männer liest, so hört man oft von ihnen die australischen Gramineen als „Hafer-" und als „Gerstengras" bezeichnen'). Von vornherein wäre zu vermuthen gewesen, dass auf einem so ausgedehnten sonnigen Steppengebiet wilde Gelreidearten sich finden sollten. Sie sind auch wirklich vorhanden, und allem Anschein nach viel- leicht in absolut. Jedenfalls in relativ grösserer Mannichfaltigkeit als in Amerika. So fand der Botaniker Ferdinand Müller^ am Sturts-CVtek und am Victoria auf Sumpfland wilden Reis, den die Eingebornen zu Mehl zwischen Steinen verrieben, ferner essbare Samen einer wilden Getreideart aus der Gattung Panicum, zu der auch unsere Hirse zahlt , und im Kordwesten Australiens hin und wieder eine Art wüden Hafers. Ebenso hat Mac Douall Stuart'J) am 28. April 1861 bei seinem zweiten Versuch, das Festtand zu kreuzen, am Tomkinson Creek (etwa 18° 20' s. Br.) eine Ge- ireideart entdeckt , die dem Weizen völlig glich , nur dass die Körner kleiner, das Stroh aber um vieles zäher war. Ferner be- merkte Mac Kinlay*}, als er im Herbst 1861 an dem merkwürdigen .'■ecngebiet zwischen 28° und 26° s. Br. etwas üstÜch vom Me-

I) Landsborough, im Journal of tlie R. Geogr. Sotiely. vol. XXXIII.

II Autland. 1859. S. 1016.

3] J'iumal of Ihe R. Geogr. Socielj". London 1862. vol. XXXII. p. 343.

4) 1. c. London 1863. i-ol. XXXIII. p. 24.

Die Australier.

355

ridian Adelaide's verweilte, dass auf den Fluren, welche die Ueber- schwemmungen der Regenzeit zu bedecken pflegen, eine Hülsen- frucht wuchs, die den Wicken glich. D!e Eingebornen fegten die ausgefallenen Körner zusammen, reinigten sie durch Worfeln, zer- rieben sie zu Mehl und buken daraus flache Kuchen. Wahr- scheinlich ist dies die nämliche Frucht, aus welcher die Stämme am Cooper Creek das Nardubrod bereiteten, womit sie den beiden vom Unglück verfolgten ersten Durch wanderern des Festlandes, Burke und Wills, auf der Rückkehr vom Carpentariagolf eine Zeit- lang das Leben fristeten. Howitt, der ihren letzten überlebenden Begleiter King dort rettete, beschreibt am i. September 1861 am Cooper Creek wahrscheinlich das Muttergewächs der Nardukörner, nämlich eine Pflanze, die dem Laub nach dem Klee gleiche, nur dass sie mit einem silbernen Flaum überzogen sei , wie auch die Samen, so lange ^ie noch frisch sind. Letztere, flach und beinahe eirund, verdecken, wenn das Kraut abstirbt, buchstäblich den Boden und werden, nachdem sie vom Sand gereinigt worden sind, von den Eingebornen zermalmt und in Brod verwandelt^).

Diese Thatsachen bereichern uns um eine wichtige Erkenntniss, dass nämlich die Mehlbereitung und das Brodbacken älter sind als der Ackerbau. Wie es aber gekommen sei, dass die Einge- bornen nicht auf den Gedanken verfielen, jene nützlichen Früchte durch künstlichen Anbau zu vervielfältigen, sich auf diese Art Vor- räthe zu schafl'en und ihre Abhängigkeit vom Ertrag der Jagd zu lockern, vom Zwange des Umherziehens sich zu befreien und zu- gleich eine zahlreiche Nachkommenschaft aufziehen zu können, dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen.* Australien besitzt eine grosse Mannichfaltigkeit von Fruchtbäumen, ganz besonders der tropische Theil, so dass fast keiner der Erforscher heimkehrt, ohne irgendeine neue oder vermeintlich neue Entdeckung dieser Art heimzubringen; selbst Bananen werden im Carpentarialand als wildwachsend aufgeführt, und Ferdinand Müller stiess im Norden auf eine traubentragende Rebe, die er identisch hält mit unserm Weinstock. Im Süden aber war die sogenannte Hottentotten feige, das heisst die Frucht einer Mesembryanthemum-Art, ein Nahrungs- geschenk der Natur. Mehr noch als Obst, dessen Geniessbarkeit auf eine kurze Dauer eingeschränkt blieb , verzögerte das Vor-

l) Peter mann's Mittheilungen. 1862. S. 79 80.

23*

356

Die Australier.

kommen essbarer Wurzeln, die nicht wie die Cerealien einer müh- samen Aufbewahrung bedürfen, den Fortschritt der australischen Menschen zum Ackerbau. So erzeugt die Carpentariahalbinsel echte Yam (Dioscorea CarpentariaeJ^ der Süden aber die Wurzeln des Sorrel, einer OxaLs-, und des Grasbaumes, einer Xanthorrhoea- Art, die von den Frauen mit spitzigen Hölzern ausgegraben wurden und immer eine letzte Zuflucht gegen Misserlolge der Jagd blieben. Am Swan River der Westküste ist übrigens die örtliche Dichtigkeit der Känguruh so gross, dass die Fingebornen, als man ihnen 9 Pence (7*12 Silbergr.) für das Stück versprach^ so viel

einlieferten, dass die Ansiedler damit ihr Borstenvieh fütterten*).

Ebenso versicherte ^der unlängst verstorbene James Moriil, der 17 Jahre lang unter Küstenstämmen Queenslands, in der Nähe von Cap Bowling Green (19° 17' s. Br.) leute, dass es ihnen an Nahrung nicht gefehlt hätte. Daher Hesse sich mit (}lück der Satz vertheidigen, dass die australische Ge.-.cllschatt lür den lieber- gang zum Ackerbau noch nicht reif gewesen sei, d. h. noch nicht die erforderliche Dichtigkeit besessen hätte, denn die Bevölkerung ist nicht hoher als auf 200,000, von manchen sogar nur auf 60,000 Köpfe geschätzt worden, für welche die Jagdgiünde mehr als ausreichten.

Doch ist das Ausgraben von Wurzeln so mühsam und die Wurzelkost so wenig nahrhaft, dass es immerhin befremden müsste, warum die Australier, nachdem ihnen doch die Natur deutlich durch das gesellige Wachsthum der ooen aufgezählten Brodfrüchte den Weg und die Vortheile des Acker oaues zeigte, nie auf den Gedanken kamen, den Boden mit Saaten zu bestellen. Aber nur weil uns die Gewohnheit gegen das Ausserordentliche abgestumpft hat, übersehen wir meistens, welche ungewöhnliche Begabung dazu erforderlich gewesen sei, dass ein JMensch die ersten Samen- körner ahnungsvoll ausstreute. Den alten Hellenen, welche den ersten Regungen menschlicher Gesittung näher standen als wir^ und die sich die grossen Anfänge noch nicht von eineni Schwärm kleiner Neuigkeiten in den Hintergrund der gemeinen Dinge drängen Hessen, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues für menschliche Vcrstandeskräfle zu unerfasslich und sie schrieben es daher einer Gottheit zu, gerade so wie üie Aegypter auf ihren

I) Ferdinand Müller. Ausland. 1859. S. 1018.

Die Australier. ^cn

Osiris zu andern Ehren auch noch den Ruhm häuften, die Men- schen zur Bestellung der Saaten angeleitet zu haben. Mit dem ersten Pflanzenbau, selbst wenn er nur von Wanderhorden am Sommerlagerplatz betrieben wird, sind alle künftigen Fortschritte im Keime gegeben, denn der Mensch hört auf, als Almosen- empfanger in den Wild- und Wurzelgärten der Natur von der Laune und dem Zufall des Tages abzuhängen, und weil die An- strengung der Jagd seine Kräfte nicht gänzlich erschöpft, bleibt ihm noch Zeit, über besseres nachzusinnen. Die hohen geistigen Anlagen, die man bei vielen Jägerstämmen antrifft, werden näm- lich durch die Jagd selbst vollständig erschöpft, da sie scharf und beständig auf die äusserliche Beobachtung der Natur des Wildes wie des Reviers gerichtet bleiben müssen, auch ermüdet dieser Nahrungserwerb den Menschen zugleich körperlich. Ehe er nicht auf eine andere Ernährungsweise verfallt, ist an eine geistige Ent- wickelung, die stets eine physische Ruhe erfordert, nicht zu denken.

if.

DIE AUSTRALISCHEN UND ASIATISCHEN l'APUANEN.

Zu den australischen I'apuanen gehören die Bewohner Keu- ' Guinea's, der Palau-lnselti, Tombara's (Neu-lrlands) und Bicara's,

I der SalomonengTuppe , der Neuen Hebriden, Baladea's (Neu-Cale-

idoniens) mit den vorliegenden Lojalitats-Inseln , endlicli des Viti- oder Fidschiarchipelp. Am reinsten hat diese Race ihre Werkmale auf Neu -Guinea bewahrt, obßleich auch dort schon, namentlich auf der westlichen Hälfte, seit neuerer Zeit Rlijchungen mit asia- tischen Malayen sich vollzogen haben. Auf den andern genannten Inseln sind es dagegen Polynesfer, die sich unter die ältere Be- völkerung gedrängt und besonders auf Sprache, wie Sitten, viel weniger aber auf die körperlichen Kennzeichen gewirkt haben, so dass die Bewohner der Palau- und Fidschigruppe sowie Baladea's noch unbedenklich zu der papuanischen Race gezählt werden dürfen. Auf den Carolinen und Marianen hat sich ebenfalls polj- nesisches und papuanisches I?lut gekreuzt, aber das erstere über- wiegt, so dass jene sogenannten Mikronesier als Mischvölker richtiger in die nächste Völkergruppe gestellt werden.

Das beste Kennzeichen der australisvhen Papuanen besteht f in dem stark abgeplatteten, üppigen, langen Haupthaare, welches

sich zu Büscheln vereinigt und das Haupt per rückenartig als eine 8 Zoll mächtige Krone umgibt, wozu allerdings die beständige Pflege mit Hilfe eines dreizinkigen Kammes sehr viel beitragen mag'). Die büschelartige Vereinigung der Haare haben die Pa- puanen mit den Hottentotten gemein, deren Haar jedoch nicht so lang und reichlich wächst, vielleicht anch bei scharfer mikroskopischer

'allace, Malayiocher Archipel. Bd. 2. S. 283.

Die australischen und asiatischen Papuanen. ^^q

Vergleichung andere Ursachen der Yerfilzung erkennen lassen möchte. Auch durch ihren starken Bartwuchs und durch ihre sonstige reichliche Behaarung unterscheiden sich die Papuanen von der Urbevölkerung der Capländer^). Die Haut aller Papuanen ist dunkel, fast schwarz in Baladea, braun oder chocoladefarbig auf Neu-Guinea, blauschwarz bei den Fidschi, letzteres eine FärbuiiL;, welche dem Wachsthum eines hellen Flaumes auf der Haut zu verdanken ist*). Welcker's Messungen, die bei Neu-Caledonieru einen Breitenindex von 70, einen Höhenindex von 77, bei andern Papuanen aber die Ziffern 73 für den einen, 75 für den andern ergeben, würden die Schädelform als schmal und hoch erkennen lassen. Damit stimmen die Ergebnisse bei Barnard Davis tiir die Bewohner der Salomonen, Neuen Hebriden und Baladea^ überein, nämlich 72 als Breiten-, 76 79 als Höhenindex. Auch nach diesen Ziffern gehören die Papuanen unter die hohen Schmal- schädel. Die Kiefern sind prognath, wenn auch nicht in ^o starkem Grade, als dies bei Negern in äussersten Fällen vor- kommen kann. Die Lippen sind fleischig und etwas aulj^e- schwoUen. Die breite Nase krümmt sich mit der Spitze nach unten, wodurch der Gesichtsausdruck einen jüdischen Anstric:i erhält, der keinem Beobachter bisher entgangen ist. Er ist dem Bewohner Baladea's so gut eigen, wie dem Aneytum's unter cUu Neuen Hebriden^), ferner den Fidschi-Insulanern, den Bewohnern von Errub und von Darnley Island '^), der Nordküste von Neu- Guinea bei Doreh5), der Südküste am Utanatafluss^) , sowie end- lich der Palau-lnseln 7). Abgesehen von örtUchen Schwankungen gehören die Papuanen nach den Ausdrücken, deren sich ihre l^e- schreiber bedienen, unter die Völker von mittlerem Wuchs*, jedenfalls nicht unter die grossen Völker.

1) Nieuw Guinea ethnographisch en natuurkundig onderzocht en bc- schreven. Amsterdam 1862. p. 118. p. 170 171.

2) Waitz (Gcrland), Anthropologie. Bd. 6. S. 535.

3) Waitz (Gerland), 1. c. Bd. 6. S. 525.

4) Jukes, Voyage of H. M. S. Fly. tom. I. p. 170. tom. II. p. 236.

5) Wallace, a. a. O. Bd. 2, S. 412.

6) Natuurlijke geschiedenis der nederlandsche ovefzeesche bezittingen. Land en volkenkunde door Salomon Müller, p. 44. PI. 6 u. 7.

7) Karl Semper, Die Palau-Inseln. I^ipzig 1873. S. 362.

mw

■^[lu Dio aiiiiralisohcn und uEiaiischen Papuanen.

Während die Bewohner üer Inseln an der neu guineischen Küsle, wie Wageu und Misole, ferntT der Aru- und Kei-Gruppe, sowie von Lara! und Timorlaut von W'allace noch zu den reinen Papuanen gerechnet werden"), finden wir auf den westlicher lie- genden Inseln , auf der Moiukkengruppe mit Halmahera , den Banda-lnseln, der Östlichen Hälfte von Floris, ferner auf Pulo Tschindana und auf allen Inseln , die östlich von den letztge- nannten üegen, Reste einer Urbevölkerung, stark vermischt mit malayischem Blut, die der papuanischen Race angehört haiien. Weit schwieriger ist die Stellung der Urbevölkerung auf den Phi- lippinen sowie auf denjenigen Inseln lu bestimmen , die aus geo- logischen Gründen zu Asien und nicht mehr zu Australien zu rechneri sind^). Wir bezeichnen sie nicht, wie dies häufig ge- schieht, als Melanesier, Alfuren. Harafuren, Negritqs oder Austrai- neger, denn alle diese Benennungen sind durch schwankenden Gebrauch so zweideutig geworden , dass die Völkerkunde , wenn sie sich eine klare Sprache antignen will , sie streng verpönen muss. Es werden uns nämlich auf der Insel Celebes Alfuren be- schrieben-'), die nach den mitgetheilten Körpermerkmalen deutlich als Malayen zu erkennen sind und es hat sich im niederländischen Indien der Sprachgebrauch verbreitet, unter Alfuren nur soge- nannte Wilde zu verstehen, auch wenn ^über ihre malayische Abkunft, wie bei den Batta Pumatra's und bei den Dayaken Eorneo's, gar kein Zweifel besieht',). Deshalb nennen wir die Reste der Urbevölkerung auf jenen Inselgebieten asiatische Pa- puanen. Zu ihnen gehören die Aijta der Philippinen, die noch völlig rein ihre Kacenmerkmale bewahrt haben, doch gilt dies nur von den wenig zahlreichen Banden an der Ostküste des nörd- ichen Luzon, Karl Semper fand dort die Körpergrösse bei den Männern durchschnittlich 4 F. 7 Zoll (par.), bei den Weibern 4' 4". Mit den australischen Papuanen, haben sie die „glanzlose wollig-krause Haarkrone", die Hache unten breite Nase gemein. Ihre Körperfarbe ist nicht, wie der malayische Name Acta es er-

1) Der Malayisclie Archipel. Bd. i. S, 415.

2) Ueber die Naturgrenie zwischen Asien und Australien s. P 1 ;ue Probleme der vergl. Erdkunde. Leipzig 1869. S. 26.

3) Waili ' Anlhiopologie. Bd. 5. S. 103. 4) Riedel, in der Zeilschrifl für Kthnologie. 1871. S. 364.

Die australischen und asiatischen Papuanen. 361

warten lässt, schwarz, sondern du nkelkupferf arbig. Die Lippen sind ein wenig wulstig und die Kiefern zeigen einen milden Prognathismus. Man findet bei diesen Jägerstämmen Bogen und Pfeil, die sonst nicht bei Malayen vorkommen*).

Nach den angeführten Merkmalen können auch die Negrito von Mariveles und die Negrito des nördlichen Luzon nach einer Photographie, welche Jagor abgebildet hat*), zu den Acta ge- rechnet werden. Soweit stände kein Hinderniss im Wege, diese von Malayen verdrängte und beinahe ausgerottete Urbevölkerung mit den australischen Papuanen zu einer Race zu vereinigen. Wenn wir sie wieder als eine besondere Abtheilung von ihnen trennen, so geschieht es aus Vorsicht, weil erst künftige genauere Untersuchungen uns volle Klarheit über ihre Racenstellung bringen können. Einige Schädel nämlich, die durch Schetelig unter den Namen von Negritos der Insel Luzon nach Berlin gelangten, zeigten nach den Messungen von Virchow eine relative Breite von 8o,g bis 90,5 bei einer relativen Höhe von 77,^ bis S2, , Es waren also Breitschädel von geringer Höhe, bei denen ausser- dem der Prognathismus, hauptsächlich durch die Stellung der Zahnlacher, stark hervortrat und deren Jochbogen weit vorsprangen. Die Schädelform weicht hier zu stark in brachycephaler Richtung ab, um uns nicht über die Verwandtschaft mit den australischen Papuanen zu beunruhigen. Doch besteht die Hoffnung, dass jene Kopfbildungen nur künstlichen Ursprunges seien, wie dies aus- drücklich von Virchow vermuthet wird 3). Obendrein behauptet Karl Semper, dass die fraglichen Schädel sämmtlich aus den Ge- birgen von Mariveles in der Nähe Manila's herstammen, deren Bevölkerung längst durch Mischung ihre Reinheit verloren habe'*). Versprengte Reste einer ehemaligen papuanischen Urbevölkerung sind noch bei Sohoe (Sohu) und Galela auf Halmahera von Wallace gesehen worden. Sie haben die Haarkrone der Papuanen, sind bärtig, am Leibe behaart, aber dabei so hell wie die Malayen 5).

i) Karl Semper, Die Philippinen. Würzburg 1869. S. 49 52.

2) Reisen in den Bhilippinen. S. 63. S. 376.

3) Virchow im Anhang zu Jagor, Reisen in den Philippinen.

s. 374.

4) Die Palau-Inseln. S. 364.

5) Der malayische Archipel. Bd. 2. S. 415.

-j62 Die australisiiben und asiatischen Papuanen.

Endlich stossen wir weit westlich noch auf die Mincopie') der Andauianinseln, einen kleinen Menschen stamm mit papuani- schem Haarwuchs, Da sie sich den Kopf mit den Scherben zer- brochner Flaschen, wenn solche an den Strand gespült werden oder mit Muscheln ganz glatt scheeren, so darf diese Angabe emigermassen befremden'), doch wurde die büschelförmige Grup- pirung der Haare an geianjjenen Mincopie von A. Fytche in Moulmein beobachtet, der ausserdem ihre Haut als „russig nicht tief schwarz" beschreibt und bei ihnen jeden Bartwuchs vermisst^). Wer sich ausschliesslich nach der Beschaffenheit des Haarwuchses richtet, katm die Mincopie als den westlichen Vorposten der papu- anischen Race bettachten und muss annehmen, dass diese letztere aus dem siid asiatischen Festlande, in einer grauen Vorzeit ost- wärts nach dem australischen Oeean sich verbreitet habe. Dies würde als gut bestätigt gehen, wenn die Semang auf der Halb- insel Halaka, ein kleiner, körperlich und geistig schwach entwickel- ter, im Aussterben begriffener Menschenstamm , wegen ihres star- ken Bartwuchses und ihres krausen Haares bei brauner bis schwar- zer Hautfarbe nach Logan's üeschreibung') ebenfalls zu den asia- tischen Papuanen gezählt werden dürfen. Latham, der ihre Sprache untersucht hat und sie unter die Negritos zählt, was bei ihm eine Verwandtschaft mit den philippinischen Acta bedeutet, will fast gar keine Aehnlichkeit mit dem Andamanischen entdecken und stellt sie unbefangen unter die malayische Gruppe*).

Die Sprachen der australischen Papuanen bedienen sich ein- und mehrsylbiger Wurzeln und vollziehen die Sinnbegrenzung durch Präfixe und Sufüxe, deren ursprüngliche Bedeutung meist dem Sprachverständniss entschwunden ist. Hr. v, d, Gabelenlz, der zehn papuanische Inselsprachen untersucht und verglichen hat entdeckte bei aller sonstigen Verschiedenheit der Wurzelschätze

i) S. oben S. 150 ihre SiHen Schilderung,

j) Helfer beschreibt indessen In seinem Tagebuch einen Mincopie unler iindem tnil. den Worten: „Sein Haar, zu beiden Seilen abgeschoren, bildete einen krausen wolligen Kamm." Gräfin Pauline Nostii, J. W, Helfer's Reisen in Vorderasien und Indien. Leipzig 1873. Bd. 2. S. 159.

3) Fytche in Pelennanns Miltheilungen 1862. S. 236.

4I Waiti, AnlhropoloEic. Bd. 5. S. 88.

5) Opuscula. Londun 1860. p. L92. p. 205. p. 218.

Die australischen und asiatischen Papuanen. 363

eine Uebcreinstimmung in den Hilfsmitteln zur Wortbildung. Ausserdem zeigte sich überall Verwandtschaft mit den polynesi- schen Sprachen, wenigstens stimmten die personlichen Fürwörter überein, ebenso etl'che Ortsadverbien und eine Anzahl von Prä- fixen. Zu den letzteren gehört auch /aka, welches in allen papua- nischen und polynesischen Sprachen nur als Präfix auftritt, im Fidschi dagegen noch als selbstständiges Wort, sowie obendrein als Suffix gebraucht werden kann'). Die Untersuchung führte überhaupt zu dem Schluss, dass die papuanischen Sprachen mehr mit den polynesischen gemein haben, als aus einer blossen Ent- lehnung der einen aus den andern hervorgehen kann. Diese vor Zweifeln gesicherten 1 hatsachen enthalten ein grosses Räthsel, denn es würde durch die Uebereinstimmung der Sprachen auf eine gemeinsame Abstammung geschlossen werden müssen zwischen zwei Racen, die durch Körpermerkmale sehr scharf geschieden sind. Doch verstatten die Ergebnisse des Hrn. v. d. Gabelentz noch eine andere Auslegung. Die Sprachenschätze, welche er untersuchte wurden nämlich auf der Fidschigruppe, auf den neu- hebridischen Inseln Annatom, Tanna, Erromango und Mallikolo, auf den Loyalitätsinseln IMare und Lifu, sowie auf dem benachbarten Baladea, endlich auf Eauro (San Christoval) und Guadalcanar der Salomonengruppe gesammelt. Auf allen diesen Inseln sind Misch- ungen mit Polynesiern nachgewiesen worden und in Folge dessen haben die Papuanen auch polynesische Gebräuche und Sitten sich angeeignet. Erst eine genauere Untersuchung papuanischer Sprachen auf Neuguinea würde daher genügendes Licht über die lingu- istische Verwandtschaft bringen können, sie fehlt aber unsers Wjs- sens noch gänzlich.

Durch sein lärmendes, geschwätziges, ausgelassnes, wissbe- gieriges Wesen und seine rastlose Beweglichkeit unterscheidet sich der Papuane Neuguineas scharf von dom verschlossnen und be- dachtsamen asiatischen Malayen. Die Papuanen Neuguineas, wie der Fidschigruppe und Baladea*s kochen in irdnen Geschirren, die allen Polynesiern fehlen. Ihre Erfindungsgabe bekunden die Fidschi- leute damit, dass sie ihre Kleiderstoffe aus Baumrinde (Tapa) lär-

i) V. d. Gabelentz, über die melanesiscben Sprachen, in Abhandlungen der philoL-histor. Classe der kgl. sächs. Gesellsch, der Wissenschaften. Leipzig 1861. Bd. 3. S. 254—266.

^^1 Die aiislmli seilen und asiatischen Papuanen.

ben und wie Kattun mit hölzernen, ausgeschnitzten Modeln oder mit Schablonen aus Uananenblättern bunt zu mustern verstehen. So zeichneten auch die Bewohner der Humboldtsbay (Neu-Guinea) ab ihnen holländische Seefahrer Papier und Bleistift gaben, ol>- glcich sie beides sicher ziiin ersten Male sahen, mit fester Hand Fische und Vögel'), Wallace legt grosses Gewicht darauf dass der Papuane sein Haus, sein Fahrzeug und seine Geräthe mit Schnilzwerk verziert und daher einen Kunsttrieb verräth, den er der nialayischen Race fast gänzlich abspricht'). Allein das Letztre giU hüclistens nur von den asiatischen Malayen und kann auch bei diesen dem Umstände zugeschrieben werden, dass die Gewerbe und Künste der Haibcultur nach längerem Handelsver- kehr mit verfeinerten Völkern vernachlässigt werden und erlöschen. Die polynesischen Malajen dagegen überbieten durch kunstsinnige Schnitzereien und Tälowimngen leicht alle Papuanen. Die letz- teren haben sich wie ihre weite überseeische Verbreitung bezeugt, frühzeitig und vielleicht vor den Malayen auf die See gewagt, sind aber von diesen an nautischer Geschicklichkeit später weit überboten worden. Die Werkzeuge der Papuanen sind undurch- bohrte Stein geräthe 3), doch hat sich über den Westen von Neu Guinea bereits die Kenntniss der Eisenerze und ihrer Ausschmel- zung verbreitet. Da bei letzterer der raalayische Blasbalg mit Röhren und Pumpen angewendet wird*), so wissen wir auch, dass jener Fortschritt aus dem Westen stammt.

Das weibliche Geschlecht bedeckt sich nach der Altersreife stets mit dem Liku oder t'ransengürtel, bei den Männern ist ein Lendentuch gebräuchlich, doch genügt an den abgelegnen Küsten und Inseln oft ein Stück Bambusrohr, ein zusammengerolltes Blatt, ein Kürbis, eine Muschel um das Geschlechtswerkzeug zu ver- stecken und es an einer Hüftenschnur festzubinden s). Gänzliche

i) Nieuw Gainea, elhnogtaphisch onderioocht, Amslerdam 1862. p: 178. 1) Der Malayische Archipel. Bd. 2. S. 413,

3) J. G, Wood, Natural History of man. London 1870. tom. IL p. 315.

4) O. Finsch, Ncu-Guinea S. 113.

5) Dieselbe Sitte herrschte zur Zeit der EnldeckuuE am caribischen Golf in Cumani und auf der Landenge von Darien s. Peschel, Zeitaller der Ent- deckungen, S. 3JI. S. 454. Das Zusammenschnüren der Vorhaut, ebenfalls eine papuanische Sitte wiederholt sich l>ei den brasilianischen Machacaris am Belmunle sowie bei den Patachos. Frini v, Neuwied, Reise nach Brasilien. Frankfurl 1820. Bd. i. S. 377.

Die australischen und asiatischen Papuanen. 365

Nacktheit der Männer gehört zu- den Seltenheiten, soll aber auf Neu-lrland vorkommen*). Bogen und Pfeile dürfen wir als Jagd- waffen nur auf und in nächster Nähe von Ney-Guinea suchen. Dort an der Südküste wurde schon von Capt. Cook aber nur aus der Ferne in den Händen der Eingebornen ein Rohr wahrgenom- men, welches die letzteren wie zum Zielen anlegten und aus dessen Mündung sie plötzlich eine Wolke hervorstiessen. Wäre auch ein Knall gehört worden, so hätte man den Papuanen den Besitz von Feuergewehren zuschreiben müssen. Nach Salomon Müllers Er- klärung wird aber aus dem Rohr nur ein feiner Staub heraus- geblasen , um je nach der Richtung der W^olke weithin sichtbare Signale zu geben*).

Die Papuanen leben vom Ertrag des Ackerbaus wie der Baumzucht und zwar findet sich der. Brodfruchtbaum in dem Papu- anengebiet nur in samenlosen Spielarten, demnach als Cultur- geschöpf und entlehnt von fremden Völkern'*). Die Felder und Gärten werden eingezäunt; zu ihrer Benetzung erbauen oben- drein die Neu Caledonier auf Baladea Wasserleitungen nach weiten Entfernungen*). Nur ihnen fehlt das Schwein, neben dem Hund das einzige, sonst überall vorhandne Hausthier der Papuanen.

Durch Menschenfresserei die auf Neu-Guinea, Baladea und den Fidschiinseln, auch wohl noch an den andern Verbreitungs- orten herrscht, hat sich diese Race tief entwürdigt.

Sonst werden die Papuanen Neu-Guineas und der kleineren Inseln wegen Keuschheit und Sittsamkeit, wegen ihrer Ehrfurcht vor den Eltern und ihrer Geschwisterliebe gerühmt 5). Wenn Greise auf den Neuen Hebriden lebendig begraben werden, so geschieht es wahrscheinlich, wie auf den Fidschinseln, auf ihr eignes Ver- langen. Der Glaube an die Fortdauer nach dem Tode herrscht nämlich unerschütterlich und wie der Mensch das Diesseits ver- lässt, so denkt man sich seine jenseitige Erneuerung, daher ein frühzeitiger Tod der gänzlichen Entkräftung vorgezogen wird.

1) P. Lesson, Voyage autour du monde. Paris 1839. tom. II. p. 37.

2) Natuurlijke Geschiedenis der nederlandsche overzeesche bezittingen, Land en Volkenkunde. Leiden 1839 44. fol. 55.

3) Waitz (Gerland) Anthropologie. Bd. 6. S. 521.

4) F. Knoblauch im Ausland 1866. S. 448.

5) O. Fi n seh, Neu-Guinea. S, loi.

■■(,() Die australischcD und asiatischen Papuänen.

Tü'.e Schauderscenen die Williams') bei der lebendigen Ueerdigung eines Fidschihäuptlings beschre'bt, dessen Frauen gleichzeitig er- drosselt wurden, erklären sich nicht ungünstig aus jenem Wahn, wird docli auch rührender Weise auf den Loyalitätsinseln beim 'I'ode eines geliebten Kindes, damit es n'.cht ganz im Jenseits verlassen sei, die Mutter oder die Tante getödtet'J. Damit verknüpft sich eng ein Dienst der Abgeschiednen, deren Schädel als Hausgötzen aufgestellt, um Wahrzeichen befragt und um Unterstützung in schwierigen Unternehmungen angeruTen werden. Da diese Sitte bei den Papuanen Neu-Gu^neas beobachtet worden ist*), so kann sie nicht von den Polyneslern entlehnt worden sein. Man trifft ebendaselbst grosse hohe leere Gebäude auf Tlahlrostcn, die als Andachtstätten oder Tempel dienen. Die Papuanen huldigen da- bei i dualistischen Aniichten . denn sie schreiben einem bösen Wesen Manuwel alles Unheil zu, verehren und opfern aber nur dem guten SchutEgeist unter dem Namen Narvojü*). Berufsscha- manen fehlen den unvermisditen Völkerschaften, ein jeder verlegt sich vielmehr auf das Errathen der Zukunft. Die Unschuld eines Angeklagten wird gottesgerichtlich, entweder durch die Probe mit siedendem Wasser oder durch 'langes Untertauchen ermittelt*). Auf Neu-'juinea und üjerall dort wo die polynesischen Eindring- linge nicht ihre Gebräuche und gesellschaftlichen Anschauungen eingebürgert haben, herrscht Freiheit und Gleichheit, die Macht der Häuptlinge ist daher schattenhaft.

Die höchste geistige und gesellige Entwickelung hat die papu- anische Kice auf den Fidscliünseln sich erworben, freilich indem sie durch den innigen Verkehr mit den Tonganern polynesische Erfindungen und S atz ungen]gel ehrig sich aneignete. Dahin gehört das Trinken der Vakona oder des Kawa, die Eintheilung in Zünfte und in Kasten, endlich die Tabusatzung, welche die Häupt- linge zur Mehrung ihrer Macht eifrig verbreitet haben, jetzt brauchen sie nur ihr Gewand über die Fluren schleppen zu lassen, um alle berührten Fcldfriichtc für ihren eignen Genuss zu heiligen.

Ij Fiji and llie Fijians. loni. I, p, 193 a) Wailz, (Gcrland) Anlhiapolagie.

3) Finsch, 1. c. S. 105.

4) Fitisch, 1. c. S. 107.

;, !■ iu-l:!,, 1, c. S. 113.

Die australischen und asiatischen Papuaneu. ihn

Die Häuptlinge von Mbengga, eines Eilandes an der Südküste von Gross-Fidschi führten den Titel Gali-cuva^ki-lagi oder „nur dem Himmel unterthan". Die kleinen Inseldespoten lagen beständig in Fehde und ihre Geschichte bietet vielen Stoff zu Vergleichen mit dem peloponnesischen Kriege. Eine Art von diplomatischem Corps war an den einzelnen Höfen vertheilt und verstand sich auf alle macchiavellistischen Künste'). Bei Sendungen von Bot- schaften waren zur Nachhilfe des Gedächtnisses Stäbchen und Netze im Gebrauch, worin wir einen ersten Versuch zur sinnbildlichen Befestigung des Gedankens und ein Bedürfniss nach Schrift er- blicken müssen. Auf den Palau-Inseln . dienen Schnüre mit Knoten und Verschlingungen um sich gegenseitig Nachricht zu geben oder irgend einen Auftrag, den ein Dritter überbringen soll, zu beglau- bigen. Sie heissen in der Ortssprache rusl und bedeutsam ist es, dass dieses Wort jetzt auch für die Briefe der Europäer angewen- det wird*). Im geselligen Um^^anje sind die Fidschileute bedacht ihrer Rede gefallige Formen und glatten Schliff zu geben, ihre Sprache enthält nach der Versicherung von Williams Ausdrücke die dem Französischen Monsieur und Madame genau entsprechen^;. Selbst den Europäern gegenüber haben sie sich noch immer ein hohes Nationalbewusstsein bewahrt, das freilich uns nur dünkel- haft vorkommt.

Ausserordentlich^reich sind sie an mythologischen Dichtungen die in gebundner Rede und gereimt, sowie in einer gehobenen Sprache vorgetragen werden. Ein Europäer, der ihnen die Märchen aus Tausend und einer Nacht erzählte, erwarb sich viel Geld von den Zuhörern'*). Der Glaube an eine Fortdauer nach dem Tode ist in ihnen wie in allen Papuanen so mächtig, dass er zu Selbst- mord und zu Menschenopfern am Grabe der Verstorbnen führt. Selbstverständlich herrscht daher auch eine Verehrung der Abge- schiedenen, neben denen aber auch ein Welt- und Menschen- schöpfer Ndengei, sinnbildlich als Schlange, angebetet wird 5).

Zu ihren gewerblichen Erfindungen gehört auch ein Netz zum Schutze gegen die Moskitos, welches wir bei den benachbarten

i) Horatio Haie, Kthnography. p. 51.

2) K. Sem per, Die Palau-Inseln. Leipzig 1873. S. 138. S. 263. S. 323

3) Williams, Fjji and the Fijians, tom. I. p. 155.

4) Waitz (Gerland), Anthropologie Bd. 6. S. O05.

5) Williams, 1. c. tom. I. p. 217.

TjjÜ Die auMralischen und asiatischen Papuanen.

Polynesiern ebenso vergL'bens suchen würden, wie irdne Geschirre die aus rotheni oder blauem Thon von den Fidschi verfertigt, durch reine und geralUye Umrisse sich auszeichnen. Sind sie auch im Schiffbau Schüler der Polynesier, so zimmern sie doch Fahrzeuge bis zu 118' Länge und 24' Breite, versehen sie mit einem Mast von 68' Hohe und schmüclten sie reichlich mit Schnitzwerit. Dazu bedienen sie sich nur der undurch bohrten Steinäxte, ferner der Rattenzähne zu feineren Skulpturen, der Pilzkorallen und der Haut des Stachel rochens als Feilen, sowie endlich des Bimssteines zum Poliren.

In ihrer Kriegsltunst waren sie so weit gekommen, dass sie Canälc oder Wassergräben nur Befestigung ihrer Ortschaften zogen und darin Muntivorräthe angeblich auf vier Jahre aufspeicherten'). Lrider zeigen sie mehr Nt-ijung zur List als zu heldenhaftem Muth, auch wird ihnen allgemcm \ erschlage nheit, Falschheit und Sucht zu Argwohn schuld gfgeben. Gerade bei diesem gewiss geistig hoch begabten und strebsamen Volke herrschte und herrscht noch jetzt die Jlcnsdienfrc sserei aus Lüsternheit.

t (Gerland), Anlhropologie. Bd. 6. S. 642-

III.

DIE MONGOLEXÄHNLICHEN VÖLKER,

Zu dieser Race zählen die polynesischen und asiatischen Ma- layen, die Bevölkerungen im Südosten und Osten Asiens, die Be- wohner Tübets, sowie etliche Bergvölker des Himalaya, ferner alle Nordasiaten sammt ihren Verwandten in Nordeuropa, endlich die amerikanische Urbevölkerung. Gemeinsam ist allen das lange, straffe, im Querschnitt walzenförmige Haar, Armuth oder gänz- licher Mangel an Bartwuchs wie an Leibhaaren, eine Trübung der Hautfarbe, von Ledergelb bis zum tiefen Braun, bisweilen ins Röthhche spielend, vorstehende Jochbogen begleitet bei den mei- sten von einer schiefen Stellung der Augen. Für alle sonstigen Merkmale sind Uebergänge vorhanden, so dass die örtlichen Typen in einander verschmelzen, wie diess bei jeder Gruppe gezeigt werden soll. Die Sprachmerkmale allein gewähren die Mittel zur Aufstellung von Unterabtheilungen.

I. Der malayische Stamm.

Die malayischen Sprachen vereinigt eine Gemeinsamkeit der Wurzeln^), nicht der Worte. Das bedeutet dass die Glieder dieser Völker-Familie sich früher trennten, ehe die Sprachbildung schon zu einem festeren Gefüge gelangt war. Die Ursprache selbst ent- wickelte sich selbständig und stand vereinzelt auf der Erde. Ihre sinnbegrenzenden Wurzeln werden theils vorgesetzt, theils ange- hängt. Die polynesischen Mundarten sind ärmer an Lauten und

i) Ueber das Typische der Malayensprachen S. oben, S. I2i 122. Peschel» Völkerkunde. 24

•'Q Der malay(sche Stamm.

alterlSiümlicher geblieben, die westlichen oder asiatischen Mund- arten sind reicher und zugleich werden bei ihnen durch I-aut- veränderungen die J-'orm und Stoffelemente der Wurzelgruppen inniger mit einander verbunden"). Die Heimat wo jene Ursprache sich entwickelte, lag im südöstlichen Asien, entweder auf dea grossen Snndainseln oder auf den Ausläufern des Festlandes. Von diesem Herde aus, scliwürmte ein Theil der seetüchtig geworde- nen Familie gegen Osten aus und bevölkerte die Eilande der Südsee bis zur Havaigruppe gegen Nordost und "der Osterinsel im äussersten Osten. Dieser Uruchtheil der Malayen kam in viel- fache Berührung mit Papuanen und es entstanden dadurch Misch- linge die wir jetzt als Mikronesier zusammenfassen.

Die Zeit, wann sich die polynesischen Malayen von ihren asiatischen Geschwistern trennten, lässt sich bis jetzt auch nicht annäliernd begrenzen, Wohl bemerkte schon ein geistvoller, vor- zeitig uns entrissener Botaniker, Berthold Seemann, dass der Palm- ■wein, der aus den Wunden der Cocosblüthenscheide abgezapft wird, Toddy oder 'laddy bei den Jlalaycn der Sundainseln heisse. Dieses Wort stammt aus dem Sanskrit, folglich haben brahma- nische Hindu die wichtige Kunst der Palmwein bereit ung erst auf den ostasiatischen Inseln eingebürgert'). Da nun die Cocospalme wahrscheinlich von Ost nach West sich verbreitet hat, keiner tropischen Insel der Süd^ee fehlt, ihre Nuss den Bewohnern der Atolle oder Korallengruppen als tägliche Nahrung, ja oft als das einzige Mittel zur Stillung des Durstes dient, so ist es kaum glaublich dass die Polynesier, wenn sie vor ihrer Auswanderung das Geheimniss der Palmwcinbereitung gekannt hätten, letztere jemals wieder aufgegeben haben sollten. Da ihnen aber zur Zeit der ersten europäischen Besucher jenes Genussmittel völlig fremd war, SD muas ihre Auswanderung vor der Ankunft sanskritredender Indier auf Java erfolgt sein, also jedenfalls vor dem Beginn der Zeitrechnung des Saka oder Salivana, die etwa um das Jahr 78 V. Chr. eingeführt wurde-'). Wir gelangen mit dieser Schluss- folgerung aber nur zu liner allzukurzen Vergangenheit. Weit

1} Fr. Müller, Reise du: Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Abth.

0. S. 45-

;) Berihold Seemann, Dotlings on the toadäide. p. 153.

3) CrnwfiiTii, Dktionjry of the Indian Islands, p. IJ7,

Der malayische Stamm. 171

längere Zeit erforderte die Ausbildung der Sprachverschiedenheiten. Wir können noch hinzufügen, dass die Kunst Thongeschirre zu fertigen beim Ausschwärmen der Polynesier in der Urheimat noch nicht bekannt war, denn alle Polynesier kochen ihre Nahrung mit erhitzten Steinen. Dagegen herrschte im Ursitze bereits der Brauch, Personen oder Gegenstände bis zur Unberührbar- keit zu heiligen, denn Ueberreste der Tabusatzungen in der Form von Interdicten haben sich auf der Insel Timor und unter den Dayaken Borneos noch erhalten*).

Der Ausbreitung der Polynesier von West nach Ost erwuchsen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten durch die herrschenden Ost- passate und westlich gerichteten Strömungen, denn es fehlt nicht an gelegentlichen Gegenwinden und Gegenströmungen. Die ältere Ueberschätzung jener Hindernisse beseitigt vollständig die von J. R. Forster veröffentlichte, von Horatio Haie aber zuerst richtig erklärte Karte') eines Polynesiers Tupaia der alle Inselgruppen zwischen den Marquesas im Osten und dem Fidschi-Archipel gegen Westen kannte, so dass also zu Capt. Cooks Zeiten von Tahiti aus immer noch ein Verkehr bestand, der sich über vierzig Längengrade erstreckte. Obendrein gewähren die Vergleiche polynesischer Mundarten und die Ueberlieferungen der Eingebor- nen uns die jNIittel die Reihenfolge der einzelnen Besiedelungen festzustellen.

Die L*ewohner von Rapa-nui oder der Osterinsel wollen von Oparo oder Rapaiti (27 ^35' s. Br. 144^20' w. L. Green w.) ab- stammen, und werden daher auf der Fahrt nach ihrer Heimat Pitcairn berührt aber wieder verlassen haben, weil auf dieser Inse Reste von alten Steinbauten stehen "5). Nach den Ueberlieferungen der Eingebornen landeten sie, an Zahl 400, unter einem Anführer oder König Tu-ku-i-u oder Tocuyo, der auch Hotu oder Hota motua genannt wird^). Seit ihrer Ankunft bis auf unsre Tage

i) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 355. Spenser St. John^ Life in the Far East. London 1862. tom. L, p. 175—176.

2) United States Exploring Expedition. Ethnography. Philadelphia 1846. p. 122.

3) AVaitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 224.

4) Bericht von Hrn. de Lapelin in Revue maritime et coloniale. Novbr. 1872. tom. XXXV. Paris 1872. p. 105. u. Palmer, Visit to Easter Island im Journal of the R. Geogr. Society. London 1870. vol. XL. p. 108.

24*

-•-2 Her m.iliyisclie Slamm.

waren 22 Häuptlinge zur Herrschaft gelangt, so dass wenn die mittlere Dauer jeder Regierung auf 20 Jahre bemessen wird, die Ik'Biedelung der Insel höchstens in das Jahr 1400 n. Chr. hinauf- reicht. Die Ueberlieferung würde an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn die drei Holztafeln mit Bilderzeichen, die neuerlich bei den O Sterin sul aliern gefunden inid von Europäern ihnen entfülirt worden sind, als rohe Schriftversuche die Namenfoige der Konige ent- hielten ').

Die Einwohner haben liohe aber äusserst rohe Steinbilder mit I^Ienschengesichtern aus einer leicht zerreiblichen Trachytlava zu Hunderten verfertigt') und auf der Insel zerstreut aufgestellt, vielleicht zur Erinnerung an Verstorbne. Auch erbauten sie grosse steinerne Terrassen, die an die Morai der übrigen Polynesier er- innern. Endlich fand man auf der Insel Trümmer ehemaliger geräumiger Gebäude au^ Steinplatten, die jetzt verfallen liegen, aber noch vor 150 Jahren bewohnt gewesen sein müssen, denn an ihren Wanden stellen Bilder mit weisser, rother und schwarzer Farbe Pcliafe, Pferde und Schüfe mit ihrem Tackelwerk dar^), RoggpWL-en aber war der erste Seefahrer, der 1721 einen Verkehr mit den Bewohnern eröffnete. Es hat natürlich nicht au \'er- rauthungen gefehlt, dass vor der Ankunft der heutigen polynesi- schen Uewohnev ein Culturvolk die Osterinsel besessen habe und dann ausgestorben sei. bis heutigen Tages aber sind sie ohne Begründung geblieben. Die Bewohner Rapanui's bestätigen uns im Gegontheil die Erfahrung, dass wenn sich eine Handvoll Jleiischen in eine oceanische Einsamkeit verirrt und dort ohne anregenden - Verkehr verharrt, ihre bei der Trennwig noch vorhandnen Fertig- keiten und Fähigkeiten allraählig einschlummern. Die übrigen Polynesier errichten zwar heutigentags nur hölzerne Gebäude, aber Reste vormaliger Steinbaulen sind auf verschiednen Süd'see- inseln aufgefunden worden*).

1) Meinicke in der Zeitschiifl fiir ErdkuaJc, Bd. 6. Berlin i87r. S. 5^8.

3) Nach den Abbildungen in der Revue maritime et coloniale 1. c. und nachJPliDtograpliien, die uns iugekomnlen sind, gleichen jene Skulpturen seht stark den bekannten neuseeländischen hölzernen Tikibildem.

31 Palmer. 1. t. p. i;6,

41 Eine Aufiähiung solch« Alterthümer gibt Waitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 21+.

Der malayische Stamm. 375

Auf dem Sandwicharchipel kehren in Insel- und Ortsnamen wie Havai , Upolu und Lehua Inselnamen der Schiffer- oder Samoagruppe (Sevai, Upulu, Lefuka) wieder. Doch kamen die ersten Besiedler der Havaiinseln nicht unmittelbar von der Samoa- gruppe, wenn auch ihre Vorfahren dort ihren Ursitz gehabt haben^ In ihren alten Gesängen werden nämlich auch Inseln des Mar- quesasarchipels wie Nukahiva und Tahuata, ausserdem aber auch Tahiti erwähnt'). Da ferner die Mundart der Kanaken oder Havaier sich eng an diejenige der Marquesaner anschliesst, so lässt sie deshalb Horatio Haie von letztern abstammen, während ihre Sagen und Sprüchwörter wieder nach Tahiti zurückverweisen'). Ihre König slisten enthalten 67 Namen, doch müssen davon min- destens die ersten 22 als sagenhaft wegfallen, so dass nur 45 übrig bleiben, die bei einer durchschnittlichen Regierungsdauer von 20 Jahren die Eesiedelung der Gruppe in die Mitte des 10. christlichen Jahrhunderts zu setzen erlauben^). Die wichtige Entdeckung, dass die Brotfrüchte, wenn man sie einer Gährung. überlassen hat, lange Zeit aufbewahrt werden können, wie dies auf Tahiti und auf den Marquesas-Inseln geschieht '♦), fällt erst nach der Auswanderung der Kanaken; denn auf den Sandwichinseln war sie nicht bekannt^). Wir gewahren dabei abermals, wie un- günstig die räumliche Absonderung nach schwer zugänglichen Inseln wirkte, weil sie die Verbreitung glücklicher Gedanken ver- zögern musste.

Beträchtlich früher landeten .die ersten Seefahrer auf der Marquesasgruppe , in deren Mundarten tonganische und tahi- tische Eigenthümlichkeiten wiederkehren, weshalb auf eine Be- siedelung sowohl von den Gesellschafts-, wie von den Freund- schaftsinseln geschlossen werden darf. Von Vavau oder- einer Insel der letztern Gruppe leitete der nukahivische Häuptling

') J* J' Jarves, History of the Hawaian or Sandwich Islands. Boston 1844. p. 26.

2) Waitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 220:

3) H. Haie (United States Explor. Exped. Ethnography p. 129 136.) nimmt 30 Jahre für die Dauer einer Herrschaft an. Wem das besser gefällt, der kann danach die obige Rechnung umgestalten.

4) V. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. i. S. 107.

5) Tylor, Urgeschichte. S. 229.

3,U

DtT ■mali7i5rht SWmm.

Gattanewa. richtiger KeatanuL die ersten Bewohner seiner hei- matlichen Gruppe her. und nicht weniger als 88 Herrschernamen konnten noch aufgezählt werden"). Dies würde nns in die ersten Jahriiundcne vor unserer Zeitrechnung zurückführen, wenn nicht auch hier am Beginn der Liste sagenhafte Gestalten bese.tigt werden müssten.

Keine Ueberliefemngen sind über die Anfange der Besiedelung von Paumotu oder der Inselwolke vorhanden, auch enthält der dortige Sprachschatz ausserordentlich viele Besonderheiten, dagegen stimmt er im Satzbau mit der tahitischcn Mundart gut zusammen, sodass also wahrscheinlich eine Einwanderung von den Gesellschafts- inseln stattfand';. In frischem Schmucke glänzen dafür die Ueber- liefertmgen der Jlaori Neu-.Seelands, denn sie wollen noch Zahl und Namen der Schiffe festgehalten haben und die Küstenstellen kennen, wo ihre Vorfahren landeten. Es war die Nordinsel, welche zuerst und von Osten her erreicht worden war, doch nennen die Maoti ihre Urheimat Havaiki und deuten damit auf die Samoagruppe , wenn auch später unter Havaiki ein weit ent- rücktes glückliches Land verstanden wurde, wohin die Seelen der Abgeschiedenen heimkehrten^). Die Maori brachten die Hausthiere der Urheimat nicht mit nach ihren neuen Sitzen, doch hat sich in ihrer Sprache das polynesische Wort für Schwein puaka er- erhalten'). Ferner müssen ihre Vorfahren die Cocospalrae gekannt haben, denn das polynesische Wort für die Nuss hat sich die Maorisprache bewahrt, aber nur für ein Werkzeug der Wahr- sagung'), Die Verzeichnisse der neuseeländischen Häuptlinge er- strecken sich rückwärts auf i6 2Q Geschlechter, so dass also kaum 400 Jahre seit der ersten Besiedelung verstrichen waren. Uebrigens sollen Nachzügler noch vor etwa einem Jahrhundert aus Havaiki

1) H, Ilale, 1. c. p, t77— i:y.

2) Waili iGerlnnd), Amhropologle. Bd. 5, S. Sil.

3) .Schirren (Wandcrsayen der Neuseeländer, Riga 1856. S. 98) und nach ihm F. v. Hochatelter (Neu-Seelanil . S. 5;) verlegen Havniki nach der Unterwelt und wollen ihm nur eine sagenhafie Bedeutung zugestehen. GtrUnd hat jedoch geschickt die ältere Ansicht von H. Haie wieder zn Khren Eebracht. Waiti, Anlhropologit. Bd. j, S. 205.

I [GerLind), I. L. S, zm.

ofäoge <let Cultut. Bd. I, S. üi.

Der malayische Stamm. ^^5

«ingetroflfen sein und die Kumara oder süsse Kartoffel nach Is^euseeland eingeführt haben ').

Für die kleineren Inselgruppen sind ebenfalls frühere oder •spätere Besiedelungen nachgewiesen worden, und wenn man auch auf obige Zeitberechnungen kein grosses Gewicht legen darf, so ist doch die Thatsache vor jedem Zweifel gesichert, dass die Inselwelt des stillen Meeres von Samoa oder den Schüferinseln nach und nach bevölkert wurde und dass dies nicht in einer allzu entfernten Zeit geschehen sein kann, da Ueberlieferungen von einer Einwanderung nirgends völlig verklungen waren.

Die Polynesier konnten keine Jagd betreiben*), wohl aber Fischfang. Sonst lebten sie vom Ertrage der Cocoshaine, der Brotfrucht uncf einiger Knollengewächse, wie des Taro und der süssen Kartoffel. Hund und Schwein waren ihre Hausthiere und fehlten auf Neuseeland wahrscheinlich nur deswegen, weil bei der langen Ueberfahrt die mitgeführten Zuchtthiere schon an Bord aufgezehrt werden mussten, sonst nämlich wurde die Besiedelung neuer Inseln stets vorbedächtig ins Werk gesetzt. Die Vertheilung des Flüssigen und Festen im Südosten Asiens enthielt an sich schon den Antrieb zum Aufsuchen überseeischer Wohnplätze, denn nirgends auf Erden haben sich ehemalige Festlande zunächst in geräumigere, dann in immer mehr verkleinerte Inseln auf- gelöst. Die niedrigen Korallenketten sind nur ungenügend gegen Sturm und Brandung gesichert, bald wird dieses, bald jenes Atoll zerstört und sein Bewohner genöthigt, eine neue Heimat aufzu- suchen. Wie alle Malayen sind die Polynesier geschickte See- fahrer und ihrem Scharfsinn verdanken sie die Erfindung der einfachen oder doppelten Ausleger, welche ihre schmalen Segel- fahrzeuge vor dem Umschlagen bei heranrollenden Wogen sichern.

Ihre gewerblichen Leistungen gehörten der Stufe geschliffener aber undurchbohrter Steingeräthe an. Speer und Keule sind die gewöhnlichen Kriegswerkzeuge. Thongeschirre fehlten, daher die Nahrungsmittel mit glühenden Steinen gekocht wurden. Die Woh- nungen bestanden aus Pfählen mit einem Blätterdache und die Kleidung aus der Rinde des Maulbeerbaumes, obgleich die Baum- vroUenstaude auf den Inseln heimisch ist.

i) Haie, Ethnography. p. 14^. 2) S. oben S. 190.

376 -D" makyiathe Slarani.

Die relijjiÖscn Regungen der Polynesier äusserten sich in Ver- ehrung von Naturkräften, die in menschlicher Gestalt gedacht und deren Thaten und Wandel mit geologischen Sagen verwebt, vom Mythus eben so sinnig und erfinderisch ausgeschmückt wurden, wie es von den Hellenen mit ihrer epischen Gotterwelt geschah. Die Maori Neuseelands, sonst so verabscheuungs würdig wegen ihrer canibali- schen Laster, besitzen gleichwohl nnmuthige Schöpfungssagen, denen zufolge in der Urnacht zuerst als Feinstes der Gedanke keimte, auf welchen dann das Begehren folgte, oder nach einer abgeänderten Erzählung zuerst der Gedanke sich regte, dann der Geist und zuletzt die Kürperstoffe entstanden'). Neben den Naturkräften genossen auch die abgeschiedenen Häuptlinge göttliche Verehrung') und Orakel befanden sich an ihren heiligen Stätten! Eine Priester- zunfit war in allen schamanistischen Gaukeleien wohl geübt, stand aber an Ansehen tief unter den Fürsten, die sich einer göttlichen Abkunft rühmten und einer gottlichen Verehrung nach dem Tode sicher waren. Eng knüpfte sich daran ihre Macht zu tabuiren, kraft welcher sie durch Berührung Fluren als unbetretbar und Ernten als ungeniessbar zu erklären vermochten. Uebrigens konnte manches Tabu auch von Plebejern verhängt werden. Es diente ferner zum Schutz des Eigenthums und zur Beobachtung nütz- licher Polizeivorschriflen^). Ein Bruch dieses Hannes war unerhört, weil,zeiüiche und ewige Strafen den Ruchlosen bedrohten. Die unbewusste Uebertretung dieser Satzung führte zu blutigen Rache- thaten der Eingebornen gegen Europäer, und Capitain Cook, ob- gleich von den Sand wichins ulanern als Gott vor und nach seiner Ermordung verehrt, fiel zur Sühne für einen Tabubruch. Aus Missverständniss dieser Gebr.^che ist lange Zeit auf die Ge- müthsart der Polynesier ein tiefer Schatten gefallen. Ein Maori ^ kam vielleicht verdurstet an das Haus eines europäischen An-

siedlers und bat um einen Trunk, der ihm in einem Kruge oder ' Glase gereicht wurde. Hatte er sich gelabt, so zertrümmerte er

I entweder das Gefäss oder steckte es ruhig ein, denn durch seine

Berührung war es geheiligt, also jedem Gebrauch durch einen andern entzogen*), während der Beraubte seitdem wegen der ver-

1) Waiti (Getland), Anlhropologie. B. 6. S. 147.

2) Mariner, ronga Islands. EdinborEh 1827, lom. II. p. 73. p. 84. f 3) V. Langsdorff, Reise um <Jic Well. Bd, i. S. 114 If.

4) D. G. ilonr.iJ, Das alte Neu-SecTand. Bremen 187I. S, JI.

Der malayische Stamm. yjj

meintlichen schnöden Undankbarkeit einen tiefen Groll gegen alle Neuseeländer nährte. Den Störungen im täglichen Verkehr, welche jene wunderliche Einrichtung nach sich ziehen musste, wurde dadurch abgeholfen, dass kriegsgefangene Sklaven von Tabusatzungen befreit galten.

Die polynesische Gesellschaft zerfiel in Fürsten, Adelige und' Plebejer. Nach diesen Abstufungen richteten sich die Umgangs- formen und durch strenge Etikette war für die Befriedigung aristokratischer Eitelkeit hinreichend gesorgt. Auf den Gesell- schaftsinseln treffen wir ausserdem den Bund der Areoi, halb Ordens-, halb Künstlerbrüderschaft zur Aufführung dramatischer Tänze. Zu ihnen gehörten, in sieben Stufen abgetheilt und durch Tätowirung kenntlich, Fürsten, Adelige und Gemeine, Männer wie Frauen, deren Kinder nach der Geburt getödtet werden mussten. Die Areoi zogen zur Aufführung ihrer Festspiele von Insel zu Insel und wurden überall mit Gelagen bewirthet. Gewiss wird ihnen mit Recht nachgerühmt, dass sie als Pfleger der Kunst höhere Bildung und geselligen Schliff verbreitet haben ^).

Die asiatischen Malayen, welche den Ursitzen näher blieben, sind noch auf der Halbinsel Malaka anzutreffen oder dorthin zu- rückgewandert. Sie bewohnen die grossen Inseln , welche jetzt unter holländischer Herrschaft stehen, ebenso die Philippinen, ja selbst Fprmosa. In Bezug auf letztere Insel war schon längst bekannt, dass die gesitteten ackerbauenden Strandbewohner eine malayische Sprache redeten*). Es gibt aber in den inneren Ge- birgen einen unbezähmten streitbaren Stamm, den die Chinesen als Chinwan oder „rohe Wilde" bezeichnen. Man vermuthete bis- her in ihnen Verwandte der Philippinenbevölkerung. A. Schetelig der zuerst ihre Sprache untersucht hat, gelangte jedoch zu dem Ergebniss, dass jene Chinwan nur den sechsten Theil ihres Wort- schatzes von ihren malayischen Nachbarn entlehnt haben, sonst aber durch ihre Sprache sich von ihnen trennen und der Bevölkerung des nahegelegenen chinesischen Festlandes körperlich sehr nahe stehen ^).

i) Waitz (^Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 363.

2) La t harn, Opnscula. London 1860. p. 193.

3) Schetelig in der Zeitschrift für Völkerpsychologie nnd Sprachwissen- schaft. Berlin 1868. Bd. 5. S. 436—450-

r

3^0 Det malayisthe Stamm.

Gegen Westen, sollte man verrauthen, halten die inselleeren Uäume des indischen Oceans dem Wandertrieb der Malayen eine Grenze setzen sollen. Schon Joseph Banks, dem botanischen Be- j^leiter Cooks auf der ersten Reise, iinJ dem Sprachforscher Herväs war jedoch die Aehnlichkeit mal agassiä eher Worte mit malayischen nicht entgangen, aber erst seit Wilhelm v. Humboidt's Untersuchungen über die Kawisprache ist die Thatsache fest begründet worden, dass Mada- gaskar von Malayen bevölkert worden sei"), während die Inseln Rodriguez, Mauritius und Bourbon leer von europäischen See- fahrern angetroffen wurden, Spuren von Tabugebräuchen fehlen nicht gänzlich, denn die Fetischhiiter vermögen durch ein Kiady, welches aus einem Grasbüschel an der Spitze einer aufgesteckten Stange besteht, das Betreten geheiligter Orte durch Ungeweihte ab- zuwehren'). Keine Ueberlieferung hat sich bei den Malagassen selbst erhalten und dennoch gehört ihre Einwanderung vielleicht einer viel näheren Vergangenheit an, als die Abtrennung« der Polynesier von ihren asiatischen Geschwistern, Nach Ellis'^) Beschreibung bedienen sich nämlich die Hova auf Madagaskar beim Aus- schmelzen der Eisenerze eines Blasebalges aus zwei Bambusrohren, durch welche abwechselnd mit einer Pumpenbewegung Luft heraus- gedtiickt wird. Diese scharfsinnige Erfindung kommt sonst nir- gends anders als auf den malayischen Inseln vor und Tylor*) erschemt daher zu dem Schluss berechtigt, dass die Besiedelung I\Iadagaskara erst stattgefunden habe, nachdem die Eisengewerbe auf den Sunda-lnseln bekannt wurden. Dazu gesellt sich noch der Umstand, dass die Hova das Zebn oder den indischen Buckel- ochsen züchten, während die einheimischen Rinder Madagaskars der afrikanischen .\rt gleichen '). Verknüpfen wir damit die Thatsache, dass der südliche Rand der Insel Ceylon sowie die Malediven malayisch sprechende Bevölkerungen besitzen, so erhalten wir

1) Bnoks inHjwkuiworlli. Discoveries in IhcSoulh-Sea, London 1773. n. in. p. 776. I-Ierväs, Caliloga de las lenguas. Madrid 1800. vol. II. la W. V. Hnmbuldt, Uebei die Ka«ispiaclie. Berlin i8j0. Bd. 2. S. 213.

j) Lient, Oiiver. im loum. iif llie Anlhropol. Sodeiy. London 1868. 11. VL p. CXXIU.

3) Thrcc visitE lo Madagascar. London i8j8. p. 35;.

41 Urg eich ich tc der Jiensclilieil. S. 215.

;! Lieut. Oliver, I. t. p. CXXIV.

Der malayische Stamm. 3yg

■etwas Licht darüber, auf welchen Wegen die Vorfahren der Hova nach Madagaskar gelangten.

Es ist sehr schwierig, die Begabung der asiatischen Malayen für bürgerliche Gesittung richtig abzuschätzen, denn sie verloren frühzeitig ihre Selbständigkeit. Erst brahmanische und später buddhistische Ansiedler brachten indisches Wissen, indische Reli- gionen, indische Kunst und indische Schriftzüge, sowie eine Zeit- rechnung nach Java'); auch Sumatra und die Halbinsel Malaka blieben von ihrem Einflüsse nicht unberührt. Mit dem Erlöschen des Buddhismus sanken auch die ehemaligen Tempelbauten auf den Sunda-lnseln in Trümmer. Seitdem ergaben sich die Malayen dem Islam, dessen Vorschriften jetzt den Inhalt des bürgerlichen Rechtes bilden. Die ältesten Begebenheiten ihrer geschriebenen Geschichte gedenken eines Reiches auf Sumatra, das in Menang- kabao seinen Brennpunkt besass und von wo aus seekundige Abenteurer auszogen, um sich angeblich 1160 n. Chr. auf Singapur festzusetzen. Seitdem waren es vorzüglich die Araber, welche ihre Bildung auf die Völker der Sunda-lnselwelt übertrugen. Unberülirt von fremden Einwirkungen haben sich nur die Dayaken Borneo's und die streitbaren Batta auf Sumatra erhalten. Die ersteren haben sich durch eigene Entfaltung kaum hoher gehoben, als die Polynesier *). Bei ihnen galt, ehe der Radscha Sir James Brooke ihr ein Ende bereitete, die alterthümliche Sitte des Schädelraubes, früher wahrscheinlich allen asiatischen Malayen eigenthümlich, denn sie ist neuerlich von Bechtinger auf Formosa bemerkt worden^) und herrschte noch im 15. Jahrhundert bei den Batta Sumatra's^). Der Sinn der seltsamen Sitte, sich irgendwoher durch Gewalt oder List einen Kopf oder einen Schädel zu verschaffen und ihn wie ein theures Besitzthum mit in das Grab zu nehmen , erklärt sich durch den Volkswahn, dass in der Behausung der Abgeschiedenen der vormalige Träger des Schädels dem späteren Inhaber Sklaven- dienste leisten werde 5). Von den anthropophagen Batta endlich

i) Fried r. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab- theilung. S. 90.

2) Ueber ihre Sitten S. oben S. 193. S. 243. S. 256. S. 274. 3) -Ausland 1872. No. 24. S. 559.

4) Kunstmann, Indien im 15. Jahrhundert. München 1863. S. 40.

5) Tylor, Anfänge der Cultur. tom, I. p. 452.

380 D" miilayische Stamm.

haben wir bereits gerühmt, dass sie ein eigenes Alphabet, freilich nur eine Kachbildung indischer Schriftzeiclien, sich erworben haben').

Der asiatische Malaye gewährt bei seiner Verschlossenheit, seinem Schweigen, seinem Knechtssinn gegen Obere, seiner Härte gegen Niedere, seiner Grausamkeit, seiner Rachsucht und seiner leichten VerleUlichkeit kein freundliches Gemälde, doch gewinnt er wieder durch seine Sanflmuth gegen Kinder, seinen wärdevollen Anstand und sein geschlijTenes Betragen. Wallace, der lange Zelt unter Malayen und Papuanen lebte, hält die letzteren für begabtere Menschen.

Die dritte Gruppe von Malayenvolkern finden wir Östlich von den Philippinen, nordlich vom oder hart am Aequator auf den Marianen, der Palaugruppe, der Carolinenkette, sowie den Ralik- Rattake und den Gilbert-Atollen. Neuerdings fassl man sie zu- sammen unter den Namen Mikronesier. Die Bewohner jener Inseln sind Mischliiige von Polynesiern und Papuanen; der Sprache, den Sitten und den bürgerlichen Einrichtungen nach aber gehören sie zu den Polynesiern, Bei den Üewohnern der Palau-Inseln überwiegt jedoch das papuanische Blut, weshalb sie besser nicht zu dem malayi sehen Stamme gezählt werden'). Weiter nach Osten aber wird der Typus polynesischer, immerhin aber unterscheiden sich selbst noch an den äussersten Grenzen ihres Wohngebietes die Mikronesier durch Kräuselung des Haares von den reinen Polynesiern, während wieder mit der Annäherung an Japan die- schiefe Stellung der Augen häufiger wird.

Unter asiatischen wie polynesi. sehen Malayen sind Schmal- schädel sehr selten; wo sie vorkommen, wie auf den Carolinen, be- stätigen sie nur den Satz, dass die Mikronesier als Misch bevölkerung ungesehen werden müssen. Der Breitenindes der Polynesier ist indessen merklich niederer, als bei den asiatischen Malayen, daher diese zu den Brachycephalen, jene zu den Mesocephalen gehören^). Bei beiden Abiheilungen der malayischen Familie ist die Höhe des Schädels ebenso_ gross oder auch wohl ein wenig grösser als

1) Junghuhn, die Baltaländer. Berlin 1847- Ed. 2. S. 255 ff.

2) Semper, die P.ilau-Inseln. Leipiig 1873. S. 361.

3) vgl. die Tafel bei Barnard Davis, Tliesaurus Cranioram p. 359" unJ üben S. 5;.

Der raalayische Stamm. ^8l

die Breite '). Der Prognathismus bleibt innerhalb massiger Grenzen und die Jochbogen sind mehr oder weniger vorstehend. Alle Völker dieser Familie haben eine dunkle, nie völlig schwarze, bei den asiatischen Malayen sogar nur schmutzig gelbe Haut. Schwarzes, langes, straffes Haupthaar, Spärlichkeit des Bartwuchses und des Leibhaares, welches übrigens künstlich entfernt wird, sind die Merkmale, die sie mit andern Gliedern der mongolischen Race gemein haben. Je näher ihre Sitze dem asiatischen Festlande liegen, desto häufiger wird die schiefe Stellung der Augen. Durch diese Besonderheit rücken sie den Bevölkerungen im Osten der alten Welt sehr nahe. Nicht nur sind sie ihnen ähnlicher, als irgend andern Menschenstämmen, sondern es ist überhaupt gar keine feste Grenze zwischen ihnen zu ziehen, das Typische fliesst vielmehr in einander über. Den Bewohnern der Nias- und Batu- Inseln vor der Westküste von Sumatra ist deswegen, wenn auch ganz unberechtigt, eine chinesische Abkunft zugeschrieben worden^). Semper glaubt bei verschiedenen Stämmen der Philippinen wie bei den Iraya chinesische oder japanische Aehnlichkeiten durch Blutmischung erklären zu müssen , obgleich er gesteht, dass nur in ,, einigen wenigen Fällen ein schwacher historischer Beleg sich auffinden lasse" ^). Entscheidend ist es, wenn Wallach ^) schreibt: ,,Sehr betroffen war ich, als mir auf der Insel Bali chinesische Händler zu Gesichte kamen, welche die Sitten jenes Landes an- genommen hatten und von den Malayen nicht unterschieden werden konnten. Andererseits habe ich Eingeborne, von Java gesehen, die in Bezug auf ihre Physiognomie sehr gut für Chinesen gelten konnten". Latham bezeichnet die Körpermerkmale der Malayen als ,,echt indochinesisch" ^) und an einer andern Stelle sagt er wieder, bei den Mikronesiern finde sich der Mongolentypus aus- geprägter als bei den Chinesen^), was jedoch nur von den Be- wohnern der Marianen zugegeben werden darf. Wir begegnen

i) Bei den Welck er 'sehen Messungen tritt dieses Merkmal schärfer hervor, als bei Barnard Davis, aber nur deswegen, weil der letztere die „grösste Breite" gemessen hat.

2) Waitz, Anthropol )gie. Bd. 5. S. 92—93. .

3) Die Philippinen. S. 54—55.

4) Der raalayische Archipel. Braunschweig 1869. Bd. 2. S. 419.

5) Man and his migrations. London 1851. p. 188.

6) Varieties of man. p. 186.

■i,fi2 De< malayisLlie Slarnm. Südoslasiilen mit einsylbigen Sprachen.

daher iinsern eigenen Gedanken in Moritz Wagner's Worten, wenn er änssert: „Schädelbildung, Form und Farbe des Gesichtes, wie überhaupt die ganze Körperbeschaffenheit der malayischen Race, sind der mongolischen so nahe verwandt, dass man bei gleicher Tracht beide Racen kaum von einander unterscheiden kann" '). Wir werden daher auf kdnen Widerstand stossen , ' wenn wir den malayischen Stamm unter die mongolenähnlichen Völker zählen. Doch gebührt ihm wegen sdner Sprachmerkmale eine abgesonderte Steile. Wir trennen ihn weiterhin in mikronesische Mischvölker und dann in polynesische oder wenn man lieber will in pacifische und in astatuschc Malayen. Diese letzteren aber lassen sich am besten mit Friedrich Älüller'j wiederum zergliedern in: i) die Be- wohner der Philippinen, Tagalen und Kisaya genannt; z) die Ma- laien im engsten Sinne, als Bewohner der Halbinsel Malaka, auf Sumatra als Aiachinesen , Pa^sumah, Retschang und Lampong; 3) die Sundanesen im westlichen, 4) die Javanen im Östlichen Theile Java's; 5) die Batta auf Snmatra; 6) die Dayakcn Borneo's; 7) die Macassaren und Buginesen auf der Insel Celebes. Als ver- sprengte Glieder endlich gehören zu diesem Stamme die einge- wanderten Ansiedler der Inseln Formosa, Ceylon und Madagaskar.

2. Südostasia tL- n ni;t einsylbigen Sprachen.

Zu dieser Gruppe gehören zunächst die Bewohner von Hinter- indien, die wir Jlalayochinesen nennen wollen, damit endlich der unpassende Name Indochinesen verdrängt werde, ts schliessen sich an sie gegen Westen die Bevölkerungen vqn Tübet und der südlichen Abhäni^e des Himalaja an und gegen Norden und Nord- osten die Chinesen. Ihnen allen sind straffes , schwarzes Haar, Mangel an Bartwuchs und Leibeshaar, eine farbige, meist leder- gelbe Haut und schicfgestellte Augen eigen. Schmalschädel ge- hören unier ihnen zu den grös?ten Seltenheiten ; ihrem Breitenindex nach ordnen sich vielmehr diese Völker theils unter die Meso- ccphalen, theiis unter die Brachycephalen. Die Hohe des Kopfes ist entweder der Breite gleich oder überbietet sie nicht selten.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. 783

Prognathismus tritt nicht überall und stets in massigem Grade auf. Doch ist die Zahl der gemessenen Schädel ausserordentlich dürftig. Selbst Barnard Davis verfügte nur über 21 Chinesenköpfe beiderlei Geschlechtes, und was sind 21 Köpfe, wenn es sich darum handelt, die mittleren Grössenverhältnisse bei 350 Millionen Men- schen, zerstreut über eines der grössten Reiche der Erde, fest- zustellen?

Bei der guteft Uebereinstimmung der wichtigsten Racen- merkmale können diese Völker nur nach ihren Sprachen geschieden werden. Die Sprache der Bod-dschi oder der Bewohner Tübets, obgleich streng einsylbig, besitzt doch Präfixe, die zwar nicht aus- gesprochen, wohl aber geschrieben werden'), und bietet daher der vergleichenden Linguistik noch ein dunkles, ungelöstes RäthseP). Im Himalaya, vorzüglich an den südlichen Abhängen, sitzen eine Anzahl kleiner Stämme, deren Namen aufzuzählen hier nicht beab- sichtigt wird. Sie stehen leiblich wie sprachlich den Tübetern sehr nahe , sind aber nur theilweis rein geblieben , meistens sonst mit indischem Blute gemischt. Zu den rein gebliebenen gehören die Leptscha, welche Sikkim beherrschen«*). Nicht unbeachtet darf es bleiben, dass auch die nomadischen Sifan in den chinesischen Pro- vinzen Schensi und Sse-tschuen sprachlich noch zu dem tübetischen Völkerkreise gehören.

Eine andere Gruppe von Völkern schaart sich um die Bir- manen, deren Sprachtypus uns schon beschäftigt hat"^). Ver- schwistert mit ihnen sind die Bewohner Arakans, die Khyeng, in dem Grenzgebirge zwischen Arakan und der Irawadi und die kleinen Stämme zwischen Irawadi und Brahmaputra. Eine andere Abtheilung bilden die Thai oder Siamesen, von denen die Laos- völker im Innern Slams nur durch mundartliche Verschiedenheiten getrennt werden. Die roh gebliebenen Miaotse oder Miautsi in den hochgelegenen Theilen der Südhälfte des chinesischen Reiches, welche dort als Urbewohner gelten, sollen ebenfalls zur Thaigruppe

i) Die Städtenamen Thashilhünpo und Tassisudon werden beispielsweise geschrieben b Kras shis Ihiin po und b Kras shis chhos krong. v. SchJajjint- weit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 44.

2) "Whitney, Language and the study of languafje. p. 337.

3) V. Schlagintweit , 1. c. S. 46.

4) S. oben S. 121.

tR± SüdüslaaJAteii mit einsylbigen Sprachen.

gehören '). Vereinzelt stehen dagegen die Annamiten in Tongking und Cochinchina.

Ausserdem lassen sich noch nicht irgend einer der vorigen Gruppen anschliessen die Karan in Pegu und im südlichen Birma, die Mon im Delta der Irawadi, die Khomen oder Urbewohner von Cambodscha, die Tschampa an der Küste östlich von den Mekong- mündungen, die KU IMarco Polo's Zeiten ein Königreich errichtet hatten, die Kwanlo, Urbcwoliner von Tongking und verschieden von den Annamiten, die Moi öder Mjong in den Gebirgen, welche dep Mekong von Tonking trennen'). Die Khösprache in Cam- bodscha und die Mönsprachc in Pegu sollen sich übrigens viel näher stehen, als die zwischen ihnen ausgebreitete Thaisprache 3). Diese kleineren Stämme üben auf den Völkerkundigen wenig Anziehung aus. Sie stehen nicht mehr auf alterthümlichen Stufen, was sie aber an Gesittung sich angeeignet haben, ist fremden Ursprunges, ein Edelreis auf wildem Stamme. Dies gilt sogar von den grösseren Reichen Birma, Slam und Tongking. Sind auch in allen drei Ländern ansehnliche Rc-sle grossarliger,- jetzt meist verfallener Bauten entdeckt worden, so tragen sie doch sämmtlich das Ge- präge indischer Herkunft und indischen Geschmackes, welcher letztere mit dem Buddhismus sich eingebürgert hatte. Uebrigens gehören sie sämmtlich der nachchrisdichcn Zeit, überhaupt keinem sehr hohen Alterthume an. Tongking hat dagegen seine Cultur- schätze vorzugsweise aus China empfangen, wie denn auch Siam zu den indischen Bildun^-s mittein in neuerer Zeit' chinesische aufgeiioinmen hat. Dürfen wir also rasch von den Malayochinesen hinwegeilen, so müssen wir imi so länger bei dem grössten Cultur- volke der mongolischen Race, bei den Chinesen verweilen, über deren Sprache bereits das Nöthigste mitgetheilt wurde').

Bei einer bedauerlichen Mehrheit unserer Landsleute beschränkt sich das Wissen vom himmlischen Reich auf den Zopf, den die Chinesen doch erst seit 1644 tragen, und ablegen werden, sobald die Mand8chu-D)nastie fällt, sowie auf die grosse Mauer, wc-lclie

1) Fi. Müller, Allgemeine Ethnographie. S, 361.

2) Friedrich Müller, Reise der Fregatte Novar Bd. 3. S. 149 ff-

31 Lalham, Man anil liis inigrations. p. 195. 41 S. oben S. 118 iT.

Südostasiaten mit einsylbigcn •Sprachen. ^gc

gegenwärtig weder bewacht noch ausgebessert wird, und von der man .sprüchwörtlich, aber falschlich behauptet, sie sei von den Chinesen als eine Art spanischer Wand zur Abwehr gegen abend- ländische Belehrungen errichtet worden. Seit Jahrhunderten, sagen die Bescheidenen, seit Jahrtausenden die Dreisteren, sei China China geblieben, ohne sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen, so dass zur Widerlegung dieses Irrthums bei der späteren Auf- zählung von Neuerungen, die im himmlischen Reiche so wenig ausgeblieben sind als anderwärts, stets Zeitangaben beigefügt werden sollen, aus denen sich stillschweigend ergeben wird, dass die Bewohner des himmlischen Reiches fort und fort, theils durch

eigenes Nachdenken, theils durch Aufnahme fremder Gedanken,

§

ihre Zustände verbessert haben.

Wohl haben uns die Chinesen bis zur Eroberung Pekings „Barbaren" und „Teufel" geheissen. Ob wir aber als Chinesen nicht das nämliche gethan und mit Recht gethan hätten, soll ein jeder entscheiden, nachdem er sich von einem gerecht und mensch- lich fühlenden Gelehrten der Vereinigten Staaten über die Roh- heiten der Europäer in China hat unterrichten lassen. Ein auf- gefrischter Dampfer, erzählt Pumpelly*), sollte von Schanghai aus seine erste Probe bestehen, und was sich in der Stadt an ange- sehenen Namen befand, wurde zu der Spazierfahrt eingeladen. Zu den Geladenen gehörte auch unser amerikanischer Gewährs- mann. Der Dampfer ging den Wusangfiuss hinauf und fegte mit voller Kraft durchs Wasser, al§ oberhalb ein chinesisches Fahrzeug bemerkt wurde, bis zum Bord mit Backsteinen beladen, so dass es den Rudern der vier einheimischen Schiffsknechte schwer ge- horchte. Da das Fahrwasser sehr schmal war, trachteten die Chinesen seitwärts auszuweichen und arbeiteten aus Leibeskräften. Trotzdem wich das bleierne Fahrzeug nicht völlig bei Seite. Der Lootse fragte daher: „Soll \ier Dampfer halten?" „Nein", schrie der Capitän, „vorwärts!" Athemlos harrte Pumpelly der Dinge. Die Spitze des Schiffes stiess an das Ziegelboot und der Stoss drehte letzteres so heftig, dass es gegen den Radkasten geschleudert wurde. Der Dampfer bebte beim Zusammenstoss, fuhr aber lustig weiter» Als Pumpelly auf dem Hintertheil über Bord schaute, sah er von Schiff und Schiffern nichts mehr als einen einzigen

i) AcTOss America and Asia. London 1870. p. 206. Petcktl, Völkerkunde.

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4Ä^ SüdosUsiaten mit einsylbigen Sprachen.

Chinesen anscheinend bewegungslos im Wasser. Das Vergnügen der Spazi erfahrenden litt übrigens nicht das rgindeste unter diesem Zwischenfalle, besonders nachdem die OfBciere mit gutem Ergebniss untersucht hatten, ob etwa der Radkasten erheblich beschädigt worden sei.

Als Gegenstück wollen wir hier ein anderes Erlebniss ein- schalten'}. Wir belinden uns mit Pumpelly im Norden auf der Heimkehr aus den Gebieten des Steinkohlenbergbaues. Dort gab ihm und seinem Gefährten Murray von der britbchen Gesandt- schaft, einem meisterhaften .'Sinologen, der Strassenpöbel von Ta- hwei-tschang das Geleite. Pöbel bleibt Pobel! Der chinesische er- götzte sicli durch Witze an den fremden Gestalten, geradeso wie eng- lischer und amerikanischer Pöbel an bezopften Chinesen sich ergötzt haben würde. Nach dem Lachen aber wurde die Stimmung saurer, denn die Himmlischen warfen allerlei widerwärtige Pro- jectile yegen die fremden Teufel, unbekümmeit dass diese unter der Obhut dreier Mandarinen reisten. Da kehrte Murray sein Koss um, erhob die Hand um der Menge Schweigen zu gebieten, und begann in trefflichem Chinesisch ; ,,0, Volk von Ta-hwei-tschang,-- übst du so die Gastlichkeit? Befolgst du so die Vorschriften deiner Philosophen, dass man den Fremdling in den Mauern sanft behandeln solle? Hast du den Spruch deines grossen Meisters Confutse vergessen : Was ich nicht will dass ein anderer mir zu- füge, das soll auch ich ihra nicht thun?" Im Nu änderte sich der Auftritt, die alten Chinesen schüttelten wohlgelällig den Kopf, die Buben aber bemühten sich durch Gefälligkeit den Eindruck ihrer früheren Unarten wieder zu verwischen. Nun frage sich ein jeder, was hätte eine amerikanische oder englische Strassenbevöl- kerung getlian, wenn ein Chinese, um sich gröblichen Belästig- ungen zu entziehen, ihr einen Satz aus der Bergpredigt vorge- halten hätte?

In der alten Welt sind vorzugsweise die Chinesen dasjenige Volk, von welchem mit Sicherheit sich behaupten lässt, dass es äeiue Erkenntnisse beinahe vollständig aus sich selbst geschöpft habe. Abgesehen von den undeutlichen Nachrichten bei den Ge- schichtsschreibern und Geographen des Alterthums über ein Volk im fernen Worgenlande welches Seidenzeuge webte, besitzen wir

1) Purupcll)-. 1. t. p. agg.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. 3S7

in den Berichten arabischer Reisenden aus den letzten Zeiten der Abbasiden die ersten Beobachtungen der gesellschaftlichen Zustände China's, welche Staunen zugleich und Bewunderung der Zeitgenossen erregten. Etwa ein halbes Jahrtausend später kehrten die Poli aus China nach Venedig zurück, und ihre Mittheilungen von der Bevölkerungsdichtigkeit und den Riesenstädten des himmlischen Reiches klangen so unglaubwürdig, dass man den jüngsten der Reisenden, Marco, als einen Millionenschwätzer (Messer Milione) verspottete. Jetzt ist es längst entschieden, dass der Venetianer ein treuer und genauer Berichterstatter dessen gewesen ist was er gesehen oder gehört hatte. An der Schwelle des 14. Jahrhunderts, als Marco Polo die Wunder der ostasiatischen Gesellschaft be- schrieb, hatte Europa in der That das chinesische Reich noch um vieles, China in Bezug auf bürgerliche Ordnung und technische Leistungen Europa noch um weniges zu beneiden.

Ihre Seidenzeuge, welche bereits der Prophet Hezeqier) er- wähnt, zogen den Chinesen den ersten Völkernamen zu, und das Wort für Seide in den Sprachen des Abendlandes stammt, wie Klaproth*) längst gezeigt hat, aus dem Chinesischen. Irdenes Geschirr kannten die Bewohner des himmlischen Reiches nach ihrer freilich künstlichen und darum unzuverlässigen Chronologie schon im Jahre 2698 v. Chr., aber die Porcellanbäckerei entwickelte sich nach Stanislas Julien erst in der Zeit von 185 87 v. Chr. Wenn im Schuking schon unter Thai-kang oder 2188 59 v. Chr. von süssem ,,Wein" gesprochen wird, so muss zunächst daran erinnert werden, dass erst ein chinesischer Feldherr, Tschang-khien, im 'Jahre 130 v. Chr. den Rebstock und die Rebenzucht ins Reich der Mitte einführte"^), dass aber heutigen Tages die Himmlischen die Trauben wohl essen, aber nicht keltern. Der süsse Wein des Schuking ist daher nichts anderes als das Gährungserzeugniss aus Reis unter Zusatz eines Sauerteigs aus Weizen, während die Branntweinbrennerei erst unter den Mongolenhenschern sich aus- breitete^). Auch der Thee wurde im alten China, also unter

1) Cap. XVI, V. 13 u. Fr. Spiegel im Ausland. 1867. S. 1023.

2) Tableaux historiques de l'Asie. Paris 1826. p. 58.

3) Plath, im Ausland 1869. S. 1213. Ucber den wilden Weinstock (F/V/j flWMr<?wj'«-J in Nordchina vgl, Peter manns Mittheilungen. 1869. S. 304.

4) Huc, Chinesisches Reich. Bd 2. S. 20f> ff.

25*

,g8 Siidoslasiaten mil emsylbigen Sprachen.

den drei ersten Dynastien, schon desawegen nicht gebaut und nicht getrunken, weil sich die Reicbsgränzen noch nicht über die botanische Heimat des Tsc ha Strauches, nämlich über den Süden erstreckte. Auch soll das Theetrinken erst durch buddhistische Mönche aufgebracht worden sein und ist vielleicht nicht älter als unsere Zeitrechnung. Ebenso gehört das Papier in China unter die Neuerungen, denn seine erste Verbreitung fällt um das Jahr 153 n. Chr., während vorlicr Bambutafeln seine Dienste ersetzen mussten. Die Tusche wird noch jetzt am vorzüglichsten in China zubereitet, wenn auch ihre Güte in neuerer Zeit, seitdem Büffel- anstatt Hirsch- hornlcim zum Bindemittel des Fettrusses verwendet wird, gesunken ist. Ihre erste Erfindung gehört der Zeit von 220 419 n. Chr. an. Der Druck mit geschnittenen Holztafeln wurde in China 593 oder 583 n. Chr. erfunden, und bereits im Jahre 1310 in Raschid eddin's .JDschemma et tewarikh" beschrieben. Wir werden sogar von Stanislaa Julien und Paul Champion unterrichtet, dass in der Periode King-li {1041 49 n. Chr.) die Kunst mit beweglichen Lettern zu drucken erfunden worden sei'). Natürlich handelte es sich dabei nicht um Buchstaben, sondern es waren die abgekürzten Sylbenbildei der chinesisclien Schrift, die auf beweglichen Stücken aus Porcellan zusammengesetzt wurden. Diese Kunst musstc wieder in Verfall gerathen, weil der Letterndruck doch nur bei Buchstabenschrift mit grossem Erfolge sich anwenden lässt. Bei einer einsylbigen Sprache, wie das Chinesische ist, war es zwar leicht für jede Wurzel eine Hieroglyphe zu ersinnen, aber man kam auch, eben weil in der Sprache selbst kein Zwang vorlag, nicht Idazn die Wurzel in ihre einzelnen Laute zu zerlegen, und den Laut zh symbolisiren. Von allen Völkern der Erde sind die. Chinesen das einzige, welches liest, schreibt und druckt ohne das Buchstabiren erfunden zu haben.

Die Nordweisung der frei schwebenden Magnetnadel war den Chinesen schon seit 121 n. Chr, bekannt'), «nd Brillengläser haben sie sicherlich früher geschliffen als die Abendländer. Das Pulver kannten sie ebenfalls längst vor den Europäern, wenn sie es auch nur zu Feuerwerken verwendeten. Geldmünzen, d. h. geprägte

I) Slaniilas Julien el Pai;l Champion, Industries anciennes et modernes de l'empire chinois. Paris 1870. p. 153. sq.

3) Klaprolh, Lettre sur rinvenüon de la boussole. Paris l834- P- 6*-

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. 389

Stücke aus edlem Metall, gebrauchen die Chinesen noch heutigen Tages nicht, sondern Wage und Gewicht entscheiden allein im Handelsverkehr, Papiergeld dagegen haben sie schon seit 119 v. Chr. in Umlauf gesetzt. An der Assignatenwirthschaft sind die letzte und vorletzte, die Ming- und die Mongolen - Dynastie zu Grunde gegangen, und wenn uns die Pekinger Staatszeitung jemals die Nachricht bringen sollte, dass auch die Mandschu Schatz- scheine auszugeben begonnen hätten, dann dürfen wir sicher an- nehmen, dass in ihrem Stundenglase die letzten Körner abrinnen^). Mit Zahlen wissen die Chinesen geschickt umzugehen. Sie sind nicht nur die Erfinder des Rechnenbrettes, sondern nach Angaben Sir John Bowrings verwenden sie beim Rechnen im Kopfe die Glieder an den Fingern der linken Hand als Ziffern bis zu einer Grösse von 99,999, und zwar so dass jeder Finger vom kleinen angefangen einen höheren decimalen Stellenwerth besitzt als der nächste^. Das sogenannte Macadamisiren der Strassen ist eine uralte Erfindung der Chinesen, (^' ^ wir ihnen erst seit 1820 nach- geahmt haben ^). Wenn wir im . iarcusevangelium die Abendmahls- feier nachlesen, so lässt uns der griechische Ausdruck keinen Augenblick im Zweifel, dass Christus und ^eine Jünger mit den Fingern assen. Von den Chinesen erfahren wir, dass sie sich be- reits unter der zweiten Dynastie, also im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung der Essstäbchen aus Bambu und bald nachher aus Elfenbein bedienten^)«

Werden wir endlich nach dem Alter der chinesischen Cultur befragt, so müssen wir damit beginnen, die Chinesen als treue und eifrige Geschichtschreiber zu preisen. Ihre beglaubigte Geschichte reicht zurück bis auf Yao oder nach der herkömmlichen Zeitrech- nung bis zum Jahre 2357. Die letztere Ziffer bedarf jedoch einer kritischen Abkürzung. Bis zum Jahre 826 v. Chr. ist nach Legge in der chinesischen Chronologie alles in strengster Ordnung; Plath, von dem man Uebereilungen nicht zu befürchten hat, geht sogar

i) Klaproth, sur Torigine du papier-tnonnaie , im Journal asiatique. Paris 1822. tom. I, p. 259 259.

2) Ausland 1868. S. 719.

3) Schmoller, Geschichte der deutschen Kleingewerbe. Halle 1870« S. 167.

4) Plath, im Ausland. 1869. S. 1214.

3QO SiidosUsiaten mit einsylbigen Sprachen.

bis zum Jahre 841 zuriick. Schon beim Auftreten äer dritten Dy- nastie schwankt!! aber die Zeitangat>en um 11 Jahre, nämlich entweder müssen wir diese Begebenheit in das J. 1122 oder iiii v. Chr. ver- setzen. Die Zeiten der ersten Dynastie endlich, sowie der Regie- rungen Yao's oder Schün's können die Sinologen genauer nicht befestigen, als dass die letzteren in das ig. oder das 20. Jahrhun- dert") V, Chr. gehören. Jahreszahlen also, die noch in das dritte Jahrtausend zurückgehen, sind kritisch zu verwerfen.

Das chinesische Reich hat gleichwohl eine Dauer von beinahe 4000 Jahren genossen, innerhalb welcher Zeit eine Art Entwicklungs- krankheit genau wie sie das deutsche Reich im Mittelalter erlitt, nämlich ein Zerfall der kaiserlichen Gewalt und das Emporkommen ' von kleinen SoTiUer- und Raubstanten überstanden werden ftiusste, bis unter den Thsin die künigliclie Gewalt stärker denn je wieder aufgerichtet wurde. Neben dieser Zeitdauer, erscheinen die Staats- scht'ipfungen der mittelländischen Sacen, erscheint das Chaldäerreich, die Herrschaft der Assyrier, das nc' Babylon und die Monarchie der Achaemeniden, erscheint selbst da, . Ömische Reich als eine vergäng- liche Gestaltung, nur Aegypten allein mit seinen bis ins 3g. Jahr- hundert V, Chr. noch zu verfolgenden Kon igsgeschl echtem gewährt uns noch einen würdigeren Gegenstand für unsere Ehrfurcht. Wie aber im Nilthale vor Wenes schon Völker in gesellschaftlicher Ordnung lange Zeiträume hindurch gelebt haben müssen, so beginnt auch die chinesische Reichschronik mit geordneten Zuständen. Unter Vü, dem Stifter der ersten Dynastie werden bereits Canäle ausgestochen, im Käthe der Krone geniesst der Minister- der cjifentiichcn Arbeilen eine bevorzugte Stellung und das Ackerland wird nach Bonilätsklassen besteuert"). Es gab im alten China schon eine geschäftige Pohzei, Passwesen und Thorschreiber, Jagd- verbote zur Brut- oder Werfezeit, Schutz der Eier im Neste der

I) Legge. Chinese cla^sics. Pari m. Prolofomena p. loj. Joho Cbalmers hat Eüieiel, dass für China in der leil von 1154 bis 1718 v. Chr. nicht weniger als 16 VerfinsleranKcn der Sonne in dem Zeichen des Scorpions lichtbar waren, und es ist daher ganz willkürhch, welche von diesen Vertin- tterungen als diejenige gellen soll die sich zur Regierungszeit von Tschudg-kang

I) J. H. Plalh, VerrasEung und Verwaltang Chin»i anter den drei etsicti Dynaslien. München 1865, S. 32. S. 37. tf.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. igi

Singvögel vor räuberischen Händen, Verbote gegen das Tragen von Waffen oder das scharfe Reiten durch die Gassen der Städte, Wollten wir einer Angabe aus dem Jahre 282 n. Chr. folgen, so hätte schon zu Yü's Zeiten China eine Bevölkerung von 13,553,923 Köpfen besessen, allein James Legge hält alle VolksziiFern aus dem alten Reiche [nur für müssige Rechnungsübungen späterer chinesi- schen Gelehrten '). Das Gebiet des ersten Herrscherhauses hatte noch Raum in dem grossen Ellenbogen den der Hoangho in der Provinz Schaiisi bildet und lange Zeiträume verstrichen, ehe es sich bis zum Yangtsekiang erstreckte. Erst 537 v. Chr. wurde Tschekiang einverleibt und Südchina, das heisst Fokien, Kuang- tung, Kuangsi, Kueitscheu im Süden der Nanlingkette durch Colonisten seit 214 v. Chr. erworben, ebenso friedlich oder viel- mehr friedlicher als die Unionsstaaten unter unsern Augen über den Mississippi in den fernen Westen hinausgewachsen sind. An Ausbreitung hat China noch 1255 n. Chr, gewonnen, als die Mon- golen Yünnan ihm hinzufügten, ja die Insel Formosa ist erst 1683 in den ßej^itz des Reiches gekommen*). Wenn dagegen seit den letzten zwanzig Jahren nicht bloss das transamurische Gebiet, sondern grosse Bruchstücke Mandschuriens an Russland abgetreten wurden, wenn Kaschgarien durch eine Empörung verloren ging und im Süden Yünnans ein mohammedanisches Reich entstanden ist, so muss man erwägen, dass diese Verluste in eine Zeit innerer Zerrüttung .fallen. Die Mandschu sind offenbar entkräftet worden und China reift einem Dynastienwechsel entgegen, einer gesell- schaftlichen Krankheit wie es deren schon manche erlitten und überstanden hat, um stets wieder unter einem neuen Herrscher- geschlechte frisch zu erblühen.

Ehe wir zur Untersuchung schreiten, inwiefern die Länder- beschaffenheii den Entwicklungsgang der chinesischen Gesellschaft

«

gefördert habe, müssen wir zuvor über die körperlichen und gei- stigen Befähigungen, sowie über die Gemüthsart des Volkes uns unterrichten. Es ist zunächst aii die Biegsamkeit des chinesischen Menschenschlages zu erinnern, der, allen Gegensätzen der Luft- erwärmung zum Trotz, in Kiachta oder genauer in Maimatschin

1) Chinese Classics. vol. III, part. i. p. 77 79.

2) J. H. Plath, Verfassung und Verwaltung China's unter den drei ersten Dynastien. München 1865. S. 8.

jQ2 Südoslasiaten mit eiDsylbigeii Sprachen.

an der sibirischen Grenze, wo das Quecksilber jeden Winter in d(.-r Tliermometerrübre gefriert, ebenso unangefochten gedeiht wie n der Treibhauswärme Singapurs, wo die Muskatnuss vor dem Ausbruch der letzten Seuche als Handelsgewächs gebaut wurde. Der Chinese vereinigt sodann alles in sich was bei ruhigem Ge- währenlasseti zur raschen Uebervölkerung führen müsste: er ist ein zärtlicher Vater der seine höchste Freude im Kindersegen sucht, genügsam bis zum Uebermass, von musterhafter Sparsam- keit, ein nie ermüdeter Arbeiter, der jede Sabbathruhe verschmäht im Handel aber pfiffiger als ein Grieche. Schon die Kinder be- sorgen Marktgeschäfte; Keuschen und auf Pfander leihen sind ihre beliebten Spiele'),

Der Chinese hängt noch fest und zäh an der ersten Stufe, auf welcher sich die menschliche Gesellschaft zu gliedern beginnt tin jeder Befehl in China kommt aus väterlichem Munde, Ge- - horsam ist die erste heilige Kindespflicht, und Todesstrafe droht jedem der sich an seinen Eltern vergreifen wollte. Die unbe- dingte Macht der Monarchen gründet sich auf den Rechtssatz, dass sie die \'äter der chinesischen Gesellschaft sind. Die Macht- fälle der bürgerlichen Oürigkeit aber beruht wesentlich auf dem moralischen Ansehen, denn China hat als stehendes Heer nur seine acht Banner Mandschu-Soldaten, jedes von 10,000 Mann, die sich in dem weiten Reiche vollständig verlieren. Die Diener der öffentlichen Sicherheit siad an Zahl ebenfalls verschwindend klein, so dass der IMandarin feiner Provinz oder Stadt von physi- schen Zwangsmitteln viillig entblosst ist. Wohl darf es unsere Bewunderung, fast unseren ;Neid erregen, dass 350 Millionen Menschen mit einem geradezu geringfügigen Aufwand von Staats- söldnern ohne Stijrung ihren Beruf verfolgen. So etwas ist nur denkbar innerhall) einer GeselUchaft die seit Jahrtausenden bereits den Schulzwang eingeführt hai, welche kein Amt verleiht ohne günstig bestandene Prüfung, wo jedes Verdienst erworben sein will, und wo es keinen erblichen, sondern nur einen persönlichen Adel gibt. Freilich müssen wir auch der Schattenseiten gedenken welche diese Sparsamkeit am Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Der Amerikaner Pumpelly geiieth mehrmals durch die gänzliche Machtlosigkeit der Mandarinen bei einer Aufregung des Städte-

3) Huc, U..S chinesische Reich. Bd. 2. S. g\.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. ^q^

pöbeis in ernste Gefahren. Leben und Eigenthum geniessen in China nur eine mangelhafte Sicherheit, die Küstengewässer werden ohne Unterlass von Piraten beunruhigt, und es hat fast nie eine Zeit gegeben wo in dem grossen Reiche nicht irgend ein Aufruhr geherrscht hätte. Der Hang zu geheimen Gesellschaften, den die Chinesen auch als Auswanderer überall mitbringen, trägt das meiste dazu bei, dass die Fackel des Bürgerkriegs bald da, bald dort auflodert.

In China reichen die Familiennamen hinauf in ein ehrwür- diges Alterthum. Während in Europa selbst Dynastien ihre Stifter urkundlich höchstens ein Jahrtausend zurückverfolgen kön- nen, leben in China noch Nachkommen des Confutse, die nicht bloss ihren Stammbaum bis auf diesen Weltweisen zurückführen, sondern sich auch rühmen dürfen dass ihr Ahnherr selbst wieder seinen Familiennamen schon 1121 v. Chr. nachweisen konnte. So erklärt 'sich der Sinn der spöttischen Frage welche die Chinesen an die europäischen Fremdlinge richten: „Habt ihr auch Fami- liennamen?" nämlich so altbegiaubigte wie wir*).

Es wurde schon früher bemerkt, dass Confutse, keine Religion gestiftet habe. Er hielt sich an die Verehrung von Himmel und Erde, wie er sie in den sogenannten classischen Büchern aus dem alten Reiche fand. China war zur Zeit seiner Geburt (551 V. Chr.) in 13 grössere Fürstenthümer und eine Anzahl Raub- staaten zerfallen. In einem der ersteren stieg der Weltweise zum Bürgermeister, dann zum Justizminister auf, verliess aber «den Staatsdienst aus Verdruss über die herrschende Maitressenwirth- schaft und beschäftigte sich als Staatspensionär des Herzogthums Wei mit schriftstellerischen Arbeiten über die Alterthümer seines Volkes. Er lebte in Fülle, wenn auch ohne Verschwendung und reiste stets im eignen Wagen. Hoch betagt starb er 478 v. Chr. gefasst aber ohne Gebet, nicht getröstet von Weib und Kind, enttäuscht über die geringe Wirksamkeit seiner Lehren und ohne Hoffnung auf bessere Zeiten. Als ihn einer seiner Schüler über die Fortdauer nach dem Tode befragte, verweigerte er ein auf- richtiges Bekenntniss. „Würde ich sagen, äusserte er dabei, dass die Abgeschiednen Bewusstsein hätten, so möchten fromme Söhne

i) James Legge, Life of Confucius. London 1867. p. 55.

inj Südostasialen mit einsylbigen SpTBcheo.

ihr Vennögen in Todtenfeiern zerrütten, und würde ich jenes Bewusstsein läugnen, so meierten herzlose Söhne ihre Eltern un- beerdigt lassen')." Seine Sittenlehren hatten immer den bürger- lichen Nutzen zum höchsten Zweck und daher stehen sie tief unter den buddhistischen. Auf die Frage eines Jüngers ob sich nicht in einem Worte die Menschen pflichten zusammen fassen lieasen, gab er die Antwort: „Ist nicht Vergeltung ein solches? Was du nicht willst, das andre dir zufügen, das thue ihnen auch nicht")." Als ein andrer Schüler zu wissen begehrte, ob nicht Unrecht mit Wohlwollen vergolten werden solle, antwortete der Meister: „Womit willst du dann Wohlwollen vergelten? Vergilt Unrecht mit Gerechtigkeit und Wohlwoilen mit Wohlwollen^)." Ganz in diesem Sinne schärfte er, wie wir bereits gesehen haben, die Pflichten der Blutrache ein. Um lästige Besucher abzuhahen, gab er sich oft mit Verletzung der Wahrheit für krank aus und einstmals brach er gelassen ein feierliches Versprechen. Als er darüber aur Rede gesetzt wurde, äusserte er kühl: Es war ein erzwungner Eid und die Geister hören solche Eide nicht.

Von minderem Einfluss wie Confutse war sein Zeitgenosse Laotse, derein höchstes logosartiges Wesen als Schöpfer der Körpcrwelt lehrte in einer Sprache, ..von platonischer Hoheit und Unverständlich- keit^)" wie Ri^musat sich ausdrückt. Der Taoteking, das Glaubens- buch Laotse's und seiner Anhänger, der Taosse leidet in der That so sehr an Dunkelheiten, dass schon der Name Tao oder der des höchsten Wesens eine Menge Deutungen zulasst*). Die Sitten- lehre des Weltweisen war sonst eine durchaus reine, sie predigte Sanftmuth und Duldung wie die buddhistische. Seine Schüler und Nachfolger aber die sich Doctoren der Vernunft nannten, brachten sich und die Taolehre durch verächtlichen Schamanisten- betrug bald in Missachtung und sind seitdem zur Zielscheibe des öffentlichen Spottes geworden'').

0 I'^EE^i Life of Confucius. London 1S67. p. loi.

2) Legge, Confncius. Anal. XV. c. 23. p. 112.

3) 1. c. p. 113.

4) Abel Remu^at, in den.MilanBes asialiques, tom. I, p. 91, bei Huc

5) Lao-lse Tao-le-Uing ed. R. v. Plaenckoer. Leipzig. 1870. p. VII. 61 GälzlaiC, Gesthithle des chinesischen Reiches. Slutleart 1847. S. 75.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. ^nc

Betrachten wir nun den Schauplatz dieser eigenthümlichen Gesittung, so ergibt sich schon nach einem hastigen Blick, dass die Gliederung der wagerechten Umrisse nichts bessern und nichts verschulden konnte. Die Küste und die Küstengewässer sind zur SchifFfahrt nicht verlockend. Wenn aber bis auf den heutigen Tag die Chinesen ebenso traurige Matrosen wie Schiffsbauer ge- blieben sind, so darf nicht übersehen werden, dass sie ursprünglich ein Binnenvolk waren und dass sich ihr Reich erst spät bis an das Meer und längs dem Meere ausbreitete. Nicht mit chinesischen, sondern mit indischen und javanischen Fahrzeugen reiste der Buddhist Fabian am Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. von Ceylon über Java nach China zurück. Erst in den Jahren 630 n. Chr. kamen Muscatfrüchte, Kampher, Aloeholz, Kardamomen und Nelken durch den Seeverkehr nach China'). Bis Sumatra erstreckten sich die Kenntnisse der Chinesen erst um 950 n. Chr. Aus diesem ,und aus dem nächsten Jahrhundert stammen ihre Blechmünzen die auf Singapur gefunden werden*). Wenn be- hauptet worden ist, dass die Chinesen nie über Malaka ihre Schiff- fahrt erstreckt hätten, so haben wir ja bei den arabischen Rei- senden die beste Widerlegung. Wir wissen ferner aus Marco Polo, dass sie unter Kublai Chan bereits an Unternehmungen gegen Madagaskar dachten, und aus Makrisi's Angaben, dass so- gar 1429 n. Chr. ein chinesisches Schiff welches in Aden keinen Absatz für seine Waaren fand, ins Rothe Meer hinauflief bis zum Hafen Dschidda*^). Da aber längst vor diesen nautischen Regungen China im vollen Culturglanze gestanden »war, dürfen wir behaupten dass die Ufergestaltung erst spät und nie entscheidend die Ge- sittung des himmlischen Reiches gefördert habe.

Weit bedeutungsvoller ist die Thatsache, dass das Gebiet der Chinesen der alten Welt angehört, so dass innerhalb seiner Grenzen die besten Culturgewächse und die wichtigsten Haus- thiere entweder einheimisch vorhanden waren oder sich dahin von Volk zu Volk verbreiten konnten. In dieser Beziehung war für die Cultur in China weit besser gesorgt als in Amerika, von Au- stralien gar nicht zu reden. Unter den Bodenschätzen des Landes

1) Plath, im Ausland. 1869. S. 1213.

2) Waitz, Anthropologie. Bd. 5. S. 119.

3) Et. Quatremere, Memoires sur 1' Egypte, tom. II, p. 291.

j4cj5 Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.

müssen wir seiner Kupfer- und vor allen seiner Zinnerze gedenken. Die Lagerstätten des letztereTi Metalls sind nämlich in weiten Ab- standen auf der Erde zerstreut, ohne Zinn aber lässt sich keine BronüC darstellen, die der Bekanntschaft mit dem Eisen überall vorausging und mit deren Anwendung stets ein neuer Culturab- sclmitt begonnen hat. Da aber im Lande selbst die erforder- lichen Erze brachen, so erregt es keine kritischen Bedenken, wenn die Chinesen die Bearbeitung der Metalle in die mythische Zeit zurückversetzen.

Es lag femer der anfängliehe Kern der chinesischen Gesell- schaft auf einem fruchtbaren Niederland welches gegen Norden der Absturz der Gobi umrahmt. Dem Rande dieses Absturzes entlang läuft bekanntlich die grosse Mauer. „Sie bezeichnet» äussert A. v. Humboldt') in einer Bemerkung zu Bungf's Reisen, im eigentlichsten Verstände eine natürliche Grenze, und eine trefflichere Wahl des Ortes als politische Grenze war nicht zu treffen. Alles war todt in der Steppe, und nur einen Schritt mehr, so stand der Reisende an dem jähen Abstürze Hochasiens, wo ihm das üppigste Leben entgegen lächelte." So weit Pumpelly der grossen Mauer gegen ^Vesten folgen konnte, zeigte der Absturz Vorsprünge und Golfe genau als ob die See einstmals ein steiles Ufer ausgenagt habe. Die östlichen Provinzen China's sind daher ein junges aufgeschwemmtes Tiefland und ihr Boden wird durch- schnittlich als höchst fruchtbar angesehen.

Zu diesen Vorzügen der Boden beschaffenheit gesellte sich aber noch eine seltene meteorologische Begünstigung, nämlich während des Vorsommers der regelmässige Krguss reichlicher Mousunregen, die dem warmen und trockenen Frühling folgen, wodurch die Pflanzenweh in der Wachsthumsperiode belebt und gleichsam mit einer Gabe der Tropenzone ausgestattet wird'). Ihr verdankt es China, dass auch die Bambusen, deren Schilfe für den Haushah so mannichfaltigc Dienste gewähren, in China bis zu ungewöhnlichen PolhÖhen sich zu erheben vermögen. Die Canäle welche das Tiefland durchziehen, bezeugen ferner, dass sich das Land ohne grosse Schwierigkeiten bewässern liess. An Mehlfruchtarten wird es in China nie gefehlt haben, oder sie

1) Briefwechsel mit Berghaus, Bd. 1. S. 30.

2) Grisebach, die VeBCtalion der lirJe. Bd. 1, S. 4H9. ff.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. 207,

konnten sich' als Culturgewächse ungehindert dahin verbreiten. Flath 0 nennt als Hauptgetreide im alten Reiche zwei hirseähnliche Gräser wie Müium globosum, Panicum verticilatum^ dann Holcus sorghum und vor allem den Weizen. Der Reis wird erst in der südlichen Hälfte die herrschende Feldfrucht, gelangte obendrein spät nach China. Nur im Süden, etwa mit dem 30. Breitegrad, beginnt auch der Theebau und die Seidenzucht. Dass übrigens die Chi- nesen nicht hartnäckig Gaben aus fremder Hand zurückweisen, dafür zeugt dass sie Roggen, Hafer und Buchweizen durch Ver- mittlung mongolischer oder wahrscheinlicher türkischer Stämme, und seit der Entdeckung Amerika's auch den Mais bei sich ein- geführt haben. Sonst fanden sich im alten Reiche noch Erbsen und Bohnen, Gurken und Melonen, Zwiebeln und Lauch. Auch die wichtigsten Hausthiere der alten Welt waren vorhanden, das Rind, das Schaf, das Pferd, das Schwein, das Huhn und der Hund* Vermisst werden in dieser Liste das Kamel, der Esel und die Ziege. Vielleicht aus buddhistischen Sknipeln wird das Rind selten genossen, und auflfallenderweise gibt es in China keine Milchwirth- schaft. Den Grundbestandtheil der Fleischnahrung muss in China das Schwein liefern, welches, wie wir erinnern möchten, einer andern wilden Art fSus indtcus, Pallas) als das europäische Zucht- schwein entsprungen ist*), also von den Chinesen ohne Zweifel selbständig gezähmt wurde.

Zuchtwürdige Thiere und nahrungspendende Pflanzen waren also vorhanden oder konnten sich frühzeitig in China einstellen. Diess aber, sowie die oben geschilderte Begünstigung des Acker- baues und die vorhandenen Schätze an Erzen sind alles was der Lebensraum zur Entfaltung der chinesischen Cultur freiwillig bei- getragen hat. Die tellurische Lage des Reiches war aber nur in- soweit vortheilhaft, als den Chinesen Jahrtausende ruhiger innerer Entwicklung vergönnt blieben ehe sie von überlegenen Völkern Störungen zu befürchten hatten. Sie waren rings umgeben von Nachbarn gleicher Abstammung, die sie frühzeitig durch ihre Ge- sittung überragten. Die Einfalle von Wanderhorden unterbrachen nur auf kurze Zeit das stetige Wachsthum, denn der siegreiche Fremd- ling auf dem Thron fügte sich bald der geistigen Ueberlegenheit

i) Nahrungsweise der alten Chinesen, Ausland 1869. S. 1212. 2) V. Nathusius, der Schweineschädel. S. 175.

2g8 Südostasialen mit einsylbigen Sprachen.

der De herrschten. Mongolen und Mandschu mochten Dj'nastien stiften, geändert wurde aber in China damit nichts als der Name des Herrscherhauses.

Arbeitsamkeit und Treude am Kindersegen, haben die Chine- sen zu einem Volke von mehr als 350 Millionen Köpfen anschwellen lassen. Mit dieser Verdichtung war zugleich die sociale Zucht geboten. Jede Vermehrung der Bevölkerung auf einer gegebenen Fläche legt dem l\ren?chen den Zwang auf seine gesellschaftlichen Instincte weiter auszubilden. Ohne Schutz des Lebens und Eigen- thums, olme Beobachtung e'helicher Treue, ohne strenge Wahr- haftigkeit vor Gericht konnte eine zahlreiche Gesellschaft gar nicht gedeihen, sondern müsste an innerer Zerrüttung zu Grande gehen. Jn den Bevölkerungsziffern liegt an sich schon die Gewähr ges eil scbaflU eher Verfeinerungen. Gleichzeitig sind mit ihnen auch die technischen Fortschritte ganz unausbleiblich. Wo wir es mit Jahrtausenden und Millionen Menschen zu thun haben, spielt der Zufall als Vater der Erfindungen gewiss eine grosse Rolle. Er wird zum Lehrmeister der K.unstgrifVc, und er vermehrt beständig den Schatz der Erfahrungen. So war es unvermeidlich dass die Chinesen, die schon z.wei Jahrtausende vor Christus nach Millionen zählten, ihre Gewerbe auf eine noch jetzt iheilweise staun enswerthe Hohe empor heben konnten.

Dabei blieb es aber. Ueberall bemerken wir dass die Chinesen nicht über eine gewisse Höhe y^istiger Entwicklung hinaus ge^ laugen. Sie haben selbständig eine eigne Schrift, aber nur Sj-lben- zeichen, nicht Lautzeichen erfimden; sie hatten den Platiendruck längst gekannt, aber die früh benutzten beweglichen Typen wiedf r aufgegeben. Sie hatten die Nordweisung der Magnetnadel ent- deckt, aber benutzten sie nie als Compass, sie kannten das Pulver, aber nie die Feuerrohre"), sie haben das Rechnenbrett, aber nicht den Stellenwerth der Zahlen erfunden, astronomische Vorgänge seit Jahrtausenden beobachtet, aber die Thierkreistheilung von auswärts sich zuführen lassen.

Carl Ritler hat sieh vielfach mit dem Gedanken beschäftigt, dass der Gang der Culturge schichte ein anderer geworden wäre wenn das chinesischf und das riimische Kaiserreich sich inniger

1) Der cliinesisehe Ausdruck für Kanone iu ein Fremdwort aus dem Ahendlaiide. Hut, tljs diinesische Rcn;h. Bd. j. s. 78.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. ^qq

hätten berühren können. Der Orientalist Reinaud, lange Zeit Vorsitzender der asiatischen Gesellschaft in Paris, hat in seinem letzten Werke uns überreden woUen, dass man in Rom schon unter den ersten Kaisern von der bevorstehenden Annäherung an China gesprochen habe, wie etwa gegenwärtig über den Zusam- jnenstoss der britischen und russischen Macht im Innern Asiens viel überflüssige Schriften gedruckt werden. Vielleicht hat man sich die FoJgen eines Culturaustausches der römisch -chinesischen Kaiserreiche allzu grossartig vorgestellt. Sie würden für Europa wohl nur darin bestanden haben, dass die Seidenwürmerzucht um ein paar Jahrhunderte früher in Gebrauch gekommen wäre.

Erspriesslicher hätte eine solche Berührung auf China zurück- wirken können. Seine ostasiatische Abgeschiedenheit, so günstig sie für eine friedliche Vermehrung in der Vergangenheit gewesen war, hat sich zu einem drohenden Verhängniss für die Zukunft umgewandelt. Fast wörtlich passt auch hier, was Adolf Bacmeister in Bezug auf südafrikanische Völker geäussert hat: „Für die Auf- rollung des ursprünglichen Wesens eines Volkes in der Geschichte ist es ein gewaltiger Unterschied ob es nur oder beinahe nur mit den Völkern seines Gleichen sich trifft und reibt und messen lernt, oder ob es ihm die Geschichte vergönnt und geboten hat sich mit fremden Mächten in der Arena zu tummeln, und im er- frischenden Kampfe mit immer neuen Gewalten sein Dasein zu gründen, zu erweitern, zu vertiefen, vielleicht auch ruhmvoll zu verlieren ').**

Die Achtung vor den Culturleistungen der Chinesen kann kaum grösser sein als beim Verfasser. Sie unter allen hochge- stiegenen Völkern verdanken am wenigsten fremden Anregungen, wir, das heisst die Europäer, und vorzugsweise die Nordeuropäer verdankten bis etwa um das 13. Jahrhundert fast alles, mit Aus- nahme unserer Sprache, der Belehrung fremder Völker. Wir sind Zöglinge geschichtlich begrabener Nationen, die Chinesen sind Autodidacten. Vergleichen wir aber unsern Entwicklungsgang mit dem ihrigen, so werden wir uns bewusst was ihnen fehlt und worauf unsere Grösse beruht.

Seit unserem geistigen Erwachen, seit wir als Mehrer der

I) Ausland 18 71. S. 580.

^OO Koreaner und Japanesen.

Culturschätze aufgetreten sind, haben wir unverdrossen mit den Schweissperlen auf der Stirn nur nach einem Ding gesucht, von dessen Dasein die Chinesen keine Ahnung haben, und für das sie auch schwerlich eine Schüssel Reis geben würden. Dieses eine unsichtbare Ding nennen wir Causalität. An den Chinesen haben wir eine ungezählte Menge von Erfindungen bewundert,, und von ihnen uns angeeignet, aber wir verdanken ihnen nicht eine einzige Theorie, nicht einen einzigen tieferen Blick in den Zusammenbang und die nächsteh Ursachen der. Erscheinungen.

3. Koreaner und Japanesen.

Die Bewohner der Halbinsel Korea und des japanischen Archipels theilen mit den Völkern des vorigen Abschnittes die Merkmale der mongolischen Race. Die Japanesen gehören mit einem Breitenindex von 76 unter die Mesocephalen und die Höhe ihres Schädels ist fast so gross wie die Breite. Nur ihre mehr- sylbigen Sprachen verhindern es, dass sie in die nämliche Gruppe wie die Chinesen und Malayochinesen gestellt werden. Näher stehen sie linguistisch dem altaischen Typus, mit dem sie die lockre Zusammenfügung der Formelemente und andre Regeln des Wortbaues gemein haben. In solchen ^ Grundzügen stimmt das Japanische mit dem Koreanischen so weit überein, dass beide Sprachen eine gemeinsame Herkunft besessen haben könnten, doch ist bis jetzt keine Thatsache dafür entdeckt worden, dass sie eine gemeinsame Herkunft besessen haben müssten').

Die Japanesen sind in ihre heutigen Wohnsitze vom Fest- lande eingewandert und haben dann weiter gegen Süden auch die L!u-kiu Inseln bevölkert. Auf Nippon und den südlichen Inseln verdrängten sie ältere Urbewohner, mit höchster Wahr- scheinlichkeit Aino, die sich jetzt nur noch auf Jezo und auf den Kurilen behaupten. Auch mit den Japanesen kann sich die Völkerkunde nicht lange beschäftigen. Wohl sind sie ein geistig hoch begabtes Volk, welches sich rasch fremde Culturvorzüge aneignet. Fuhr doch schon im Januar 1860 ein Dampfer nur

i) Whitney, Langnage and the study of language. p. 329.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. 4.01

mit Japanesen bemannt und von ihnen befehligt , über das Stille Meer nach San Francisco und zurück. Allein ihre einigermassen glaubwürdige Geschichte reicht nur bis Zinmu oder in das 7. Jahr- hundert V. Chr.*) hinauf und ihre Gesittung entlehnten sie bisher immer aus China. Doch haben sie das Empfangene selbständig weiter gebildet. So erfanden sie ein Lautalphabet von 47 Buchstaben, behielten aber daneben die chinesischen Sylbenbilder bei. Viele ursprünglich chinesische Gewerbszweige haben sie eigenartig weiter entsvickelt, wie die Porzellanbäckerei und die Stahlerzeugung. Ihr Humor und ihre Schalkhaftigkeit drückt sich in ihren Caricaturen aus, die bei hoher Lebendigkeit und glücklicher Beobachtung der Natur nur an Verzeichnungen leiden. Unter allen Asiaten sind sie die einzigen, bei denen wir ritterliches Ehrgefühl von hoher Reizbarkeit, nach Art des spanischen Pundonor, antreffen. Auch sonst sind sie von den mongolenähnlichen Völkern diejenigen, welche an Sinnesart den Abendländern am nächsten sich an- schliessen und durch ihren. Reinlichkeitstrieb wieder am günstigsten von den Chinesen abstechen.

Die Bewohner Korea's verdanken ebenfalls ihre heutigen bürgerlichen Zustände den Chinesen; über ihre ältere Gesittung sind wir aber nicht unterrichtet.

4. Die mongolenähnlichen Völker im Norden der

alten Welt.

Vom ochotskischen Meerbusen bis nach dem europäischen Lappland sitzen, abgesehen von den ostwärts vorgedrungenen Russen, Bevölkerungen, die von Jagd, Fischfang und Viehzucht leben, beständig, seitdem sie geschichtlich beobachtet werden konnten, ihre Wohnsitze verändert und sich durch einander ge- schoben haben. Wiederholt traten unter ihnen Eroberer auf, welche die herrenlosen Horden zu einer gemeinsam handelnden Masse zusammenschmolzen. Ob ehemals jenes geräumige Gebiet von Menschen verschiedener Race bewohnt war, lässt sich gegen- wärtig weder verneinen noch bejahen. Jedenfalls hat die be- ständige Mischung des Blutes frühere Unterschiede verwischt, und so finden wir daher in den Körpermerkmalen alle Uebergänge von

1) E. Kämpfer, Geschichte von Japan. Bd. i. S. 173. Pescheh Völkerkunde. 26

402 I^i® mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.

den streng mongolischen Erkennungszeichen bis zur gänzlichen Uebereinstimmung mit den gesitteten Bewohnern des Abend- landes. Diese V^ölkergruppe, welche Castren Altaier genannt hat, schliesst sich eng an die Ost- und Südostasiaten an. Die Haut- farbe ist eine gelbe oder gelbbraune; das Kopfhaar walzenförmig, straff und schwarz; der Bartwuchs und das Haarkleid des Leibes sprosst nur spärlich oder fehlt ganz ; die Augen sind meistens schief gestellt, die Jochbeine stark vorspringend, die Nase platt, der Schädel sehr breit und auffallend niedrig. Je weiter wir aber den Nordasiaten nach Westen folgen, desto mehr leidet die Rein- heit der mongolischen Merkmale. Während die Samojeden in ihrer Gesichtsbildung mit den Tungusen übereinstimmen, gleichen die Ostjaken den Finnen und den Russen*).

Unter diesen Umständen bleibt nichts übrig, als diese Gruppe des Menschengeschlechtes der Sprache nach in fünf grosse Aeste zu theilen, wie es von Alexander Castren geschehen ist, nämlich in Tungusen , in wahre Mongolen , in Türken, in Finnen und in Samojeden. Glücklicherweise ist der Sprachbau aller dieser Volker in den Hauptzü en völlig übereinstimmend. Die Sinnbegrenzung der Wurzeln erfolgt dadurch, dass eine zweite Wurzel nachgesetzt wird, also stets durch Suffixe. Niemals wird ein Präfix geduldet. Dazu gesellen sich eine Anzahl von gemeinsamen Wurzeln , die jedoch nicht zahlreich genug« sind, um als Beweise für eine Ur- sprache zu gelten, die vielmehr ebenso gut durch Entlehnung er- worben worden sein können. Ferner sind diesen Sprachen mehr oder weniger strenge Wohllautgesetze eigenthümlich. Im Mokscha jedoch ist die Vocalharmonie nicht so vollständig, wie im Tür- kischen oder Finnischen ausgebildet oder wahrscheinlich durch fremden Einfiuss verloren gegangen. Doch haben sich immer noch deutliche Spuren jener Lautgesetze erhalten'). Zwei Con- sonanten dürfen nie ein Wort beginnen oder beschliessen und der Stammvocal bestimmt den EndungsvocaP). Auch diese gewiss auffallenden Uebereinstimmungen könnten vielleicht erst später sich entwickelt haben, doch fällt demjenigen, der diese Ansicht be-

1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 90.

2) A. Ahlquist, Mokscha- mordwinische Grammatik. Petersburg 1861.

§ 14. S. 3.

3) A. Castr6n, ethnologische Vorlesungen über die altaischen Völker, herausgegeben von Anton Schiefner. Petersburg 1857. S. 18.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. 403

haupten wollte, die Beweislast zu. Die gemeinsame Abkunft aller dieser Sprachen steht nicht so fest, als etwa die des arischen Sprachenkreises, und bedeftklich erschien Einigen namentlich die Kluft zwischen dem Mongolischen und den Mandschu-Sprachen *). Andrer- seits dürfen wir nicht übersehen, dass alle diese Völker keine alte Literatur besitzen. Könnten wir die Sprachen in ihrer ehemaligen Gestalt vergleichen, so würden wir leicht ins Klare kommen, ob wir sie als ein Ganzes zusammenzufassen berechtigt waren oder nicht.

Zu dem tungusischen Aste dieser Völkergruppe gehören zu- nächst die Mandschu, welche seit 1644 als Eroberer dem chine- sischen Reiche ein Herrscherhaus aufgedrängt haben. Den ge- schwisterlichen Tungusenstämmen haben sie den Namen Orotschonen gegeben, was soviel bedeutet wie Renthierhirten. Etliche Tungusen nennen sich selbst Boje oder Menschen, andere wieder Donki oder Leute. Lamuten heissen die tungusischen Bewohner an den ochotskischen Gestaden, von lamu das Meer. . Am weitesten von allen Tungusen nach Westen, nämlich zwischen Jenissei und Tun- guska, sind die Tschapogiren und am weitesten nördlich, nämlich bis an die Chatangabucht des Eismeeres, andere Tungusenhorden vorgedrungen. Verdienste um die Gesittung unseres Geschlechts lassen sich diesen Völkern nicht nachweisen, doch ist es sehr wahr- scheinlich, dass die Chinesen manches von den Tungusen gelernt haben mögen, was wir ihrem Erfindungsgeiste jetzt zuschreiben.

Der zweite Ast der Nordasiaten sind die Mongolen. Bis- weilen werden sie Tataren, oder wohl gar nach einem Wortspiel Ludwigs des Heiligen Tartaren genannt. Diese Bezeichnung muss aus der Völkerkunde gestrichen werden, da sie so oft missbraucht und so vieldeutig geworden ist, dass wir im^ner erst aus Neben- umständen schliessen, oft auch nur errathen müssen, ob wir unter Tataren türkische oder mongolische Völkerschaften uns zu denken haben. Auch der mongolische Name blieb im Sprachgebrauch der Völkerkunde lange Zeit sehr schwankend, denn wir besitzen ein Verzeichniss der Horden, die ursprünglich und die später

i) Whitney, Language. p. 315. vgl. dagegen W. Schott, in Ab- handlungen der Berliner Akademie. 1869. S. 267. S. 285.

26*

404 ^^^ mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.

missbräuchlich Mongolen genannt wurden*). Die Geschichte gab diesen Namen den Schaaren, die unter Tschingischan und seinen Nachfolgern in das Abendland hereinbrachen, unter denen aber die Mehrzahl türkisch redeten.

Die heutige Völkerkunde rechnet zu den eigentlichen Mon- golen mir vier Zweige : Die Ostmongolen, die Kalmüken, die Bur- jäten und die Hazareh oder Aimaq. Die Ostmongolen sind diejenigen, welche ursprünglich von Chinesen den Spottnamen Tata empfingen, später, nämlich seit dem 8. Jahrhundert, Mungku (Mongolen) genannt wurden^). Sie bewohnen die östliche Hälfte der Gobi und theilen sich in zwei Horden , die südlich sitzenden Schara und ihre nördlichen Nachbarn, die Kalka. Als geschichts- losen Völkern können wir ihnen keine Verdienste um die Gesittung nachweisen. Der zweite Zweig, die Kalmüken-»), nennt sich selbst Oelöt, die Abgesonderten, oder Durban oirad, die vier Ver- bundenen. Die Namen dieser vier Horden lauten: Dschungar, Turgut, Choschod , Turbet. Ein Kalmükenreich wurde 1671 ge- stiftet, bestand aber kein volles Jahrhundert, sondern verfiel der chinesischen Herrschaft. Die Kalmüken »haben noch bis in die neuesten Zeiten ihre Wanderungen fortgesetzt. Nach dem euro- päischen Russland kamen sie erst 1616 und wanderten theilweise von dort unter namenlosen Gefahren und Drangsalen 1771 nach dem chinesischen Reiche zurück. Etliche Horden sind auch über den Südrand der Gobi ausgeschwärmt^).

Nur sprachlich von ihnen unterschieden sind die Burjäten, die schon unter Tschingischan am Baikal -See und in dessen Umgebung sassen und ohne grossen Widerstand 1644 sich den Kpsaken unterwarfen. Alle diese drei mongolischen Zweige haben

1) F. V. Erdmann, Temudschin der Unerschütterliche. Leipzig 1862. S. 168.

2) Castr^n, Vorlesungen. S. 37.

3) Dieser Name wird bald abgeleitet von dem türkischen "Wort Khali- mak die Zurückgebliebenen, bald voi dem mongolischen Gholaimak Feuer- horde, bald endlich von Kalmuck, feurige Leute. Liadoff im Jonm. of the Anthrop. Institute, tom. I. p. 401.

4) Es geschah nach dem Sturze der Yuen - Dynastie, dass ein Schwärm Kalmüken, gemischt aus Ds(;hungaren , Turgutcn und Choschoden, nach dem Koko-ncor auszog. Howorth, im Journal of the Anthropol. Institute, tom. I. p 232.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten "Welt. 405

den Buddhismus angenommen, ohne jemals ihren schamanistischen Gaukeleien zu entsagen. Es sind durchgängig phlegmatische, aber gutartige Menschenstämme. Um so ausserordentlicher war die Erscheinung eines Tschingischans unter ihnen, der sich doch aus so unscheinbaren Anfängen bis Eum Welteroberer aufschwingen sollte.

Weit versprengt von den andern mongolischen Geschwistern sind die Hazareh, welche zwischen Herat und Kabul als Hirten wandern und noch zu Sultan Babers Zeit mongolisch sprachen*). Auch tragen ihre Gesichtszüge so scharf den mongolischen Typus, dass die Reisenden nie über ihre ethnographische Stellung in Zwiespalt gerathen sind. Die Hazareh zerfallen in westliche und östliche Stämme, von denen die ersteren Sunniten, die anderen Schiiten sind. Bisweilen werden die westlichen Ha- zareh Aimaq genannt, doch bedeutet dieses Wort soviel wie Horde *), und da es auch andern als mongolischen Stämmen beigelegt worden ist, müssen wir vor seinem ferneren Gebrauche in der Völkerkunde warnen.

Tungusen und Mongolen sind wenig zahlreich und viele ihrer Zweige im Aussterben begriffen. Ganz anders verhält es sich mit dem dritten Aste der nordasiatischen Gruppe, mit den Türken. Nach alten morgenländischen Ueberlieferungen hiess einer von den acht Söhnen Japheth's Turk. Er sass am lli und Issikol, und von einem seiner Nachkommen stammen die Zwillinge Tatar und Mongol. Solche Sagen haben wir als Versuche einer ethno- graphischen Classification anzusehen und sie deuten uns an, wie nahe verwandt sich selbst die Centralasiaten hielten. Die west- lichen Türken sind so stark mit arischem und semitischem Blute gemischt, dass ihre ursprünglichen Körpermerkmale bis auf die letzten Spuren verloren worden sind und nur die Sprache noch ihre ehemalige Abkunft bezeugt. Turkmanen, Oezbegen, Nogaier und Kirgisen nähern sich schon beträchtlich den Mongolen; bei den Buruten und Kiptschaken ist höchstens die Gesichtsfarbe ein wenig verschieden. So äussert sich Vdmb^ry, doch setzt er hinzu, dass die mongolische Sprache in der Grammatik mit der tür-

1) Fr. Spiegel, Eränische Alterthümer. Bd. i. S. 344.

2) Castrin, Vorlesungen. S.' 42.

j.o6 I^ie mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.

kischen keineswegs völlig übereinstimme, wenn sie auch deren Wortschatz sich bis zu drei Vierteln angeeignet habe').

Heutigen Tages unterscheiden wir unter den Türken folgende Völkerschaften: Uiguren, Oezbegen, Osmanen, Jakuten, Turk- manen, Nogaier, Basiaiien, Kumüken, Karakalpaken und Kir- 8:isen. Ein türkischer Chacan, von den Byzantinern Dissabulos, von den Chinesen Ti-theu-pu-li geheissen, der in Talas, einem wichtigen Handelsplatz des Mittelalters, auf dem heutigen Buruten- gebiete sein Hof lager aufgeschlagen hatte, ist uns durch die Reiae des griechischen Botschafters Zemarch im Jahre 569 n. Chr. be- kannt geworden*). Dieses ältere türkische Reich zerstörten die Uiguren, von den Chinesen Kaotsche geheissen, ein ehrwürdiges Culturvolk, bei dem Spuren der zoroastrischen Lehre sich erhalten haben, das aber später dem Buddhismus 3), endlich dem Islam hul- digte, im 5. Jahrhundert n. Chr. schon eine eigene Schrift und Literatur besass und beide Abhänge des Thianschan bewohnte und theilweise noch jetzt bewohnt. Zu westlichen Nachbarn in Kaschgarien hat es jetzt die Oezbegen, einen Türkenstamm, der sich nach Oezbeg, einem Beherrscher der goldnen Horde (1312 bis 1342), benennt, nicht ohne Beimischung mongolischen Blutes geblieben ist, bei seinem geschichtlichen Auftauchen am Nordrtde des kaspischen Meeres weilte, unter den späteren Timuriden am Sir Darja sich ausbreitete^), seit dem 16. Jahrhundert sich Turkistan unterwarf und noch gegenwärtig in den Chanaten Chiwa, Bochara und Kokand, sowie in Kaschgarien den herrschenden Volksstamm bildet. Aus dem gleichen Gebiete stammen auch die Seldschuken, welche noch um 1030 n. Chr. die heutige turk- manische Wüste bewohnten, bevor sie nach dem Abendlande auf- brachen und zuletzt als Osmanen erobernd ihren Fuss auf drei Welttheile setzten.

Ein Osmane aus Constantinopel , heisst es wohl etwas über- schwenglich, könne sich mit einem Jakuten an der Lena leicht verständigen. Gewiss ist wenigstens, dass die türkischen Sprach- zweige in dieser ungeheuren Entfernung weniger Verschiedenheiten

i) Geschichte Bochara*s. Bd. i. S. 130.

2) Menandri excerpta de legat. Corpus Script. Hist. Byzant. ed. Nie buhr. P. L p. 295—302. p. 380—384.

3) Stanislas Julien, im Journal asiatique. Paris 1847. p. 58.

4) Vdnib^ry, Geschichte Bochara's. Bd. 2. S. 35 ^36.

Die raongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. j.07

bieten, als wir erwarten sollten. Von der Abhärtung der Jakuten war bereits*) die Rede gewesen. Der amerikanische Reisende Kennan schildert sie nicht nur als arbeitsame Leute, sondern er fügt noch hinzu, dass von allen Urbewohnern Sibiriens sie die einzigen sind, welche nicht zusammenschmelzen, sondern vielmehr an Kopfzahl wachsen. Auch war ihre Sprache , als Erman *) in Sibirien weilte, von Irkutsk bis Ochotsk und vom Eismeer bis zur chinesischen Grenze die allgemeine Umgangssprache für Reisende und Kaufleute, für Russen, Tungusen und Burjäten geworden.

Der fünfte oben aufgezählte Zweig sind die Turkmanen in den Steppen und Wüsten Östlich vom kaspischen Meere und süd- lich vom Aral-See, gefürchtete Menschenräuber, die, gut beritten, chorassanische Ortschaften zu überfallen, vordem auch auf Piraten- booten die Bewohner der Gestade von Mazenderan heimzusuchen pflegten, bis die Russen diesen schändlichen Erwerbszweig unter- drückten. Sie versorgten die Sklavenmärkte in Chiwa, Bochara und Kokand und förderten dadurch eine fortgesetzte Kreuzung des türkischen mit eränischem Blute. Diese hat wohl seit den ältesten Zeiten stattgefunden, denn als die türkischen Stämme sich Kaschgarien , Fergana und Charezm unterwarfen, fanden sie dort eine altpersische StädtebevÖlkerun^ , die Tadschik der heutigen Völkerkunde, die von früheren Reisenden auch Sarten geheissen wurden, während Robert Shaw vor einer solchen Verwechselung gewarnt hat. Die Sarten in Kaschgarien besitzen zwar alle Körper- merkmale einer eränischen Abkunft, aber sie reden türkisch. Schon früher und ganz unabhängig von Shaw hatte der deutsche Reisende H. v. Schlagintweit in den kaschgarischen Städtebewohnern das Gepräge der arischen Abkunft erkannt^). Solche Fälle, dass nämlich Menschenstämme ihrer Sprache nach in eine andere Stellung gehören, als nach den Kennzeichen der Race, setzen die Völker- kunde in die nämliche Lage, in der sich die Mineralogie den pseudomorphischen Erscheinungen gegenüber befindet. Wird näm- lieh ein Krystall von Sickerwasser aufgelöst und mitten aus dem Muttergestein hin weggeführt, so kann sich ein anderes Mineral in

1) S. oben S. 22.

2) Reise um die Erde. Berlin 1848. Bd. 3. S. 51.

3) H. V. Schlagintweit, Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 40. und R. Shaw, Reise nach der hohen Tatarei. Jena 1872. S. 17.

AoS I^ie mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.

den Hohlraum eindrängen, ihn ausfüllen und nun als Trugkrystall auftreten. So geschieht es auch, dass Völker in dem Sprachen- kreis einer fremden Race heimisch werden, oder umgekehrt die Sprache unverändert in einem Ländergebiete herrschend bleibt, während sich langsam durch Blutmischung die Race verändert.

Die Völkerstrahlen, welche Centralasien von Zeit zu Zeit gegen das Abendland hinaussendete, hinterliessen hin und wieder Bruchstücke von Bevölkerungen, denen der Kaukasus mit seinen Hochthälern und Tafelbergen vor Ausrottung Schutz gewährte. Zu solchen Ueberresten aus der türkischen Gruppe gehören die Nogaier am linken Uier des Kuban und auf der Insel Krim, dan^ die Basianen Östlich und westlich vom Elbrus , für deren Schick- sale Freshfield, der erste Ersteiger des Elbrus, unsere Theilnahme zu gewinnen gesucht hat, endlich die Kumüken am untern Laufe und rechten Ufer des Terek, sowie an der Küste des kaspischen Meeres. Ein anderer türkischer Völkerstamm, die Karakalpaken oder Schwarzmützen, ist aus einem früheren Wohnsitze an der Wolga zu dem unteren Lauf des Sir Darja herabgezogen. Die Kirgisen endlich, das heisst die drei Horden zwischen Ural und dem Balchaschsee, einschliesslich der Buruten, stehen von allen Türken an Körpermerkmalen den Mongolen am nächsten und ihre Geschlechternamen, wie Kyptschak, Argyn, Naiman, bezeugen sogar mongolische Herkunft oder wenigstens Mischung mit Mon- golen*). Nach einer Deutung Radioff 's ist ihr Name dadurch ent- standen, dass eine ihrer Horden Kyrk, die Vierzig, eine andere yiis (Dschiis), die Hundert, hiess^). Sie selbst nennen sich Ka- saken oder Reiter.

Es ist schwer, den türkisch - mongolischen Völkern ihren gei- stigen Rang in der Gesittungsgeschichte anzuweisen. Gewiss ist, dass viele dieser Stämme noch bis auf den heutigen Tag wan- dernde Hirten geblieben sind und wahrscheinlich verschwinden werden, ohne jemals sesshaft geworden zu sein. Die achtungs- werthe Bildung der Oezbegen in Kaschgarien und Turkistan, end- lich der europäischen Osmanen könnte ihrer Blutmischung mit arischen und theil weise semitischen Bevölkerungen zugeschrieben

i) W. Radioff, Türkische Volksliteratur in Südsibirien. Bd. 3. St. Petersburg 1870. p. XIV.

2) Zeitschrift für Erdkunde, Bd. 6. Berlin 1871. S. 505.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. 409

werden. Allein die frühe Gesittung der alten Uiguren und die bürgerliche Tüchtigkeit der Jakuten zwingt uns zur Anerkennung, dass auch in den rein gebliebenen türkischen Stämmen früh alle nothwendigen Anlagen zu den höheren Gesellschaftsformen vor- handen waren. Die Erfindung des Lederzeltes und der Filz- bereitung, die Zucht der Rosse als Milchthiere, die Zähmung der Schafe mit Fettschwänzen und vielleicht des bactrischen Kamels sind Leistungen , die wir wahrscheinlich nach Centralasien und zugleich in ein hohes Alterthum zu verlegen haben. Nur ist es schwer zu sagen, welchem Zweige unter den Nordasiaten diese Verbesserungen des menschlichen Haushaltes zum Verdienst an- zurechnen sind.

Die vierte Abtheilung, mit der wir uns jetzt zu beFchäftigen haben, sind die Völker der gliederreichen finnischen Gruppe, die sich wieder in vier Zweige, nämlich in den ugrischen, bulgarischen, permischen und im engern Sinne finnischen gliedert. Ihre Ursitze lagen zum Theil östlicher und südlicher als gegenwärtig im Ural und im Altai, weshalb auch der gesammte Stamm vielfach als Ural -Altaier bezeichnet wird*). Als Ugrier vereinigte Castr^n die Ostjaken am rechten Ufer des Ob, die Wogulen am Ostabhang des nördlichen Ural und die Magyaren. Dass die letzteren zur finnischen Familie gehören, wurde schon von Sajnovics, einem Reisebegleiter des P. Hell, vor hundert Jahren nachgewiesen *) und über die Stellung ihrer Sprache hat kürzlich wieder eine ver- gleichende Grammatik nähere Aufschlüsse gegeben^). Zu dem bulgarischen Zweig sind nicht mehr die Bulgaren an der Donau zu rechnen, denn sie gehören der Sprache und den körperlichen Wahrzeichen nach zur slavischen Familie, haben auch völlig die Reste der ehemaligen Bulgaren des Mittelalters in sich aufgesogen. Während nämlich die Wolgabulgaren ihren Staat bis zum 13. Jahr- hundert und ihre Nationalität bis zur bleibenden Unter\Verfung unter die Czaren von Moskau behaupteten, büssten die Donau-

1) Vgl. die Wanderkarten bei Ujfalvy, Migrations des peuples touraniens. Paris 1873. p. 120. p. 130.

2) Saijnovics schrieb 1770 ein Buch unter dem Titel: Idioma Unga« rorum et Lapponum idem esse.

3) Michael Weske, Untersuchungen zur vergleichenden Grammatik des finnischen Sprachstammes. Leipzig 1872.

^.lo Die moDEcleDälinlidlieii Völker im Norden der allen Welt.

bulgaren ihre Sprache schon im zehnten Jahrhundert, ihre Selbst- ständigkeit am Anfang: des elften ein'). Andere Bruchtheile des Bulgaren t hu mes sind die inselartig an der Wolga von Russen ein- geschlossenen Gebiete der Tscheremissen , Mordwinen und Tschu- waschen. Der Name der Tscheremissen bedeutet in der Mordwa- sprache die Oestlichen, Die Mordwinen selbst nennen sich wieder im Osten Mokschanen und im Westen Ersanen. Ruysbroek hat sie Mbxel, Merdas und Jferduas, Herbersteio Mordva genannt. Bei ihnen wird noch je tat ein mehr oder weniger verstecktes Heidenthum angetroffen"), und wegen dieser AlterthümUchkeiten sind sie ein anziehender Gegenstand für den Völkerkundigen geblieben,

Der permische Zweig hat seinen Namen von den Permiern erhalten, die an den Gewässern der Kama, im Bjarmaland, nach altscandinavischer Sprechweise wohnten. Als Geschwister gehören zu ihnen die Sirjänen, weiter nördlich dem Eismeere zu, und die Wotjaken am Norduler der Wjatka, welche letztere sich aber selbst Udy oder Ut-murt nennen.

Der vierte oder eigentlich finnische Zweig hatte sich über die nördlichen und östlichen Gestade des baltischen Meeres verbreitet und von deutschen Naclibarn seinen europäischen Namen erhalten, der mit Veen oder Torf und Hochmoor zusammenhängt 3). Nennen sie doch ihre Heimath Suomi oder Sumpf- und Seenland , sich selbst aber Suomalaisia''). Es unterliegt keinem Zweifel mehr, dass Tacitus und Ptolemäus jene Völkerschaften unter den Namen Fenni und Phinni ungeiähr in ihren heutigen Wohnsitzen gekannt haben'), Ihren Jlundarten nach zerfallen sie in die Suomi am finnischen und bolhnisclien Meerbusen, die nachbarlichen Karelen, die Wepsen oder Nordlsdiuden am Südwestufer des Ladogasees, die Woien oder Südtschnden nordöstlich von der Stadt Nanva, bAde im Aussterben begriffen, die seit 1846 in Kurland erloschenen

i) Roben Roesler, Romanische Studien. Ixipzig 1871. S. 239.

2) V. HEKlhausen, Studien über Russland, Bd. 2. S, if.

3) H. Gulhe, die Lande Braunschweig und Hannover, S. 62.

41 Prof. Hjelt in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für An- thropologie, 1871. S, 117. Neuerdings isl diese Ableitung von Sjögren bc- striuen und der Eigenname der Finnen als vorläufig uneiklärl hingestellt worden.

51 Forbiger, Alte Gtoeraphie. Bd. 3. S. III4.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. 411

Krewinen, die auf 2000 Köpfe zusammengeschmolzenen Liven, ebenfalls in Kurland am Gestade des Meerbusens von Riga, und die noch zahlreichen und geschlossen sitzenden Ehsten. Ver- schwistert dem Blute nach mit diesen Stämmen sind die Lappen oder Kwänen Scandinaviens und Russlands , deren Sprache nach dem Urtheile Castr^n's noch vor 2000 Jahren dieselbe war, wie die der Suomi. Erst sehr spät sind sie in ihre jetzigen Wohn- sitze eingewandert*).

Die Blutsverwandtschaft der finnischen Gruppe mit den Vol- kern des mongolischen Astes ist bei den Wogulen am deutlichsten zu erkennen, denn sie nähern sich weit mehr als die Ostjaken den Kalmüken*). Selbst unter den Lappen Norwegens erkannte aber Carl Vogt in den schmal geschlitzten, jedoch horizontal ge- stellten Augen , den breiten Backenknochen , dem weiten Mund^ der abgestumpften Nase und der gelblichen Gesichtsfarbe die Wahrzeichen der mongolischen Race wieder^). Von den teuto- nischen und slavischen Nachbarn haben die Ostseefinnen eine An- zahl Wörter für Culturwerkzeuge und mit den Worten auch die Gegenstände selbst entlehnt. Daraus lässt sich ein Bild von ihren Zuständen vor Empfang jener Hilfsmittel entwerfen. Als Haus- thiere züchteten sie nur den Hund, das Ross und das Rind; von Getreidearten bauten sie nur die Gerste. Im Sommer lebten sie in Lederzelten, im Winter in halbunterirdischen Jurten, wie alle Polarvölker der alten Welt. Demnach können die heutigen Ost- jaken und Wogulen uns noch jetzt ein Gemälde gewähren, wie die Zustände ihrer westlichen Geschwister in der Vorzeit beschaffen waren ^). Leider reichen die ältesten Sprachdenkmäler der Ostsee- finnen nicht über das Jahr 1542. Ihre epischen Dichtungen aber, die im Kalevala gesammelt vorliegen, gehören sicherlich, wenigstens in der jetzigen Fassung, einer sehr nahen Vergangenheit an. Während die mongolischen und tungusischen Sprachen reiner aber auch dürftiger geblieben sind , das Mandschu sogar sich wenig von einsylbiger Steifheit entfernt, haben sich unter der ugrischen

1) Uj falvy, Migrations des peuples toiiraniens. p. 118 120.

2) Castr^n, Vorlesungen. S. 128.

3) C. Vogt, Nord-Fahrt. Frankfurt 1863. S. 166.

4) Prof. Ahlquist über die Culturwörter in den westfinnischen Sprachen. Ausland 1871. No. 3L S. 741 ff.

112 I^iL' niangolenähnlichen Völker im Norden iler allen Welt,

Gruppe liiis Magyarische und das Ostseefinnische bis zu einer solclien Il.ihe aufgeschwungen, dass sie beinahe Anspruch haben, ■/,\x tlen fli.'ctirenden gerechnet zu werden'),

Nücli bleibt zu erinnern übrig, dass wir unter den Namen Baschkiren, Meschtscherjäken und Teptiären auf dem europäischen Abliun^' des mittleren und südlichen Ural Bevölkerungen antreffen, die türkijL'he Sprachen reden, ihrer Körpefmerkmale wegen aber au dem finnischen Aste gerechnet, also für türkisch - finnische WisdivrilkiT gehalten werden müssen.

Plt fünfte Ast der sogenannten aitai sehen VÖlkergruppe, Jen dif Hiissen Samojeden genannt haben, hatte seinen Ursitz im »iijanijchiii Gebirge, sowie im Quellengebiet des Jenissei und des Ob. Dort finden wir noch die samojedischen Sojoten, dann am Nurdabliang der sajanischen Kette die Karagassen und Kamas- siiizcn, nstlich vom Jenissei die Koibalen'). Von diesen südlichen (jpscbwi Stern haben sich die Samojeden als Renthierzüchter nach den nüniUchsn Tundren des Festlandes verbreitet, vom Weissen IMecre au.^efangen bis zur Chatangabucht. Im alten Jugrien zu beiden SL'iten des Obischen Meerbusens sitzt der Stamm der Jurak, weiter uBtlich hausen die Tawgi. Da unter diesen nördlichen Sa- mojeden dieselben Familiennamen vorkommen , wie bei den süd- lidien Kamassinzen , so muss die Auswanderung den Jenissei entlang abwärts erlolgt sein. Der Sprache nach haben die Sa- mojeden ilire nächsten Verwandten unter den Völkern des finnischen Astes zu suchen, und zwar stehen sie dem bulgarischen Zweige näher als einem andern. Die Samojeden schliessen ferner aus Furcht vor Blutschande keine-Ehe mit den Ostjaken, wenn die Ge^uhk'ditsnamen die nämlichen sind, was vorkommen kann und aul eini' nahe Verwandtschaft deutet^). Leicht möglich ist es, das5 bi'i L'iner künftigen Ordnung der Völker die Samojeden nicht aU ein getrennter Ast des altaischen Stammes, sondern nur als ein Zwv^ der finnischen Gruppe ihre Stellung finden werden. Die Ueneichnung als Altaier stammt, wie bemerkt wurde, aus Ciislrt'n's IVIunde, und die Vermuthung, dass selbst die Finnen den Altai ehemals bewohnt haben sollen, gründet sich auf die

ilney, Language and the study of language.

'as. Voyages. tom. IV. p. 433.

Irin, Vorlesungen. S. 82. S. 84- S. 107.

Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung. ^.i^

Thatsache, dass Namen von Gewässern im Jenisseigebiete , wie Oja, Joga, Kolba, sich aus dem Finnischen und Lappischen als Bach, Wasser und Fischwasser erklären, sowie dass der Jenissel selbst im oberen Laufe Kem heisst, was in keiner andern Sprache als der finnischen in der Form Kemi oder*Kvmi Strom bedeutet»

5. Nordasiaten von unbestimmter systematischer

Stellung.

Es handelt sich in diesem Abschnitt nicht um die Schilderung einer neuen Gruppe innerhalb der mongolischen Menschenstämme, sondern vielmehr nur um das offene Bekenntniss, dass unser Lehr- gebäude in unfertigem Zustande übergeben werden muss, insofern wir drei vereinzelte Völkerschaften nicht einer der grösseren Ab- theilungen anzuschliessen vermögen. Es gilt dies zunächst von den Jenissei-Ostjaken, die mit den Ostjaken am Obi jedoch nichts gemein haben, als ihren unglücklich gewählten Namen. Sie wohnen am obern Laufe des Jenissei bis zur Mündung der untern Tun- guska, anfangs nur auf dem linken, später auch auf dem rechten Ufer. Ihre Sprache , die mit der uralaltaischen keine typische Ge- meinschaft besitzt, zerlallt in sechs Mundarten, von denen wir nur das Assan, Arinzi und das Kottische nennen wollen, letzteres zu Castr^n's Zeiten nur noch von fünf Personen gesprochen, wie denn überhaupt dieser Bruchtheil sibirischer Stämme bis auf 1000 Köpfe zusammengeschmolzen ist und einem gänzlichen Erlöschen ent- gegengehen muss, schon weil Jagd und Fischfang seinen einzigen Nahrungserwerb bilden^). Durch Leibesbeschaffenheit sind übrigens die Jenissei-Ostjaken keineswegs von ihren sibirischen Nachbarn zu trennen, so dass sie jedenfalls zu der mongolischen Race ge- hören, innerhalb dieser aber eine selbständige Stellung einnehmen.

Beides gilt auch von den Jukagiren, die jetzt die Tundren am sibirischen Eismeer von der Jana ostwärts bewohnen. Heden- ström fand im Jahre 1809 auf den neusibirischen Inseln Spuren von ehemaligen, damals aber schon ausgestorbenen jukagirischen

I) Latham, Varieties. p. 268. Castr^n, Vorlesungen. S. 87—88.

1 j< NorJasixten von unbestimmtcT Eysteraatischer Stellung.

Ansiedlern '). Ihre Sprache ist gänzlich verschieden von denen der uTalaltaiBchen Gruppe'). Sich selbst nennen sie Andon domni.

Weit scliwieriger lässt sich die Stellung des dritten Volks- Btamines bestimmen , der sich den Namen Aino oder Ainu , das heisst die Menschen," gegeben hat, Sie waren, wie wir bereits bemerkten, die ältesten Bewohner der japanischen Inseln, sind aber jetzt nur noch auf jezo anzutreffen. Zu ihnen zählen auch die Bewohner des südlichen Saghahens, der Kurilengruppe und die Giljaken am untern Amur^), so wie im nördlichen Saghalien*). Ihre Sprache hat man mit der japanischen verwandt erklären wollen, jedoch ohne hinreichende Berechtigung').

In der Sitzung der BerUner anthropologischen Gesellschaft am 16. December 1871 , überreichte Hr. v. Brandt, deutscher Con- sul in Japan, Photographien von Aino, die nach dem Gesichts ausdruck viel Aehnlichkeit mit Japanern verriethen. Die Bewohner der Insel Paramuschir, nahe an der Südspitze Kamtschatka's , die t'ine kurilische Mundart reden, haben „schiefgeschnittene Augen", besitzen also eines der Merkmale, an welchen die Mongolenrace leicht erkannt wird^). Die Schädel dieses Volksstammes zeigen fast den nämlichen Breitenindex, 76,, 78,9, wie die japanischen, sind aber bei einem Höhenindex von 69 76 merklich niederer, doch wurde dieser Unterschied nicht allzuschwer ins Gewicht fallen'). Weit mehr setzt uns in Verlegenheit ihr üppiger Bart- wuchs, das buschige, lockige Haupthaar und das reichliche Haar- kleid am Leibe*), welches letztere, wenn auch nicht stärker als bei

1) F. V. Wrangell, Reisen längs der Nordküsle von Sibirien. Berlin 1839. Bd. 1, S. 100.

2) Whilnty, Study of language. p. 330.

3] Pelermanti's Mitiheilungen. 1857. S. 305. 1860. S. qg.

4) I. c 1869. S. 433. Wenjukoff versichert dagegen, dass die Sprache der Giljaken sowohl vom Tungnsischen wie vom Kurilisclien, welches die Aino reden, verschieden seL Journal o( the R. Ceogi. Society. London 1872. vol. XLn. p. jSs.

51 Whilnty, Study of language. p. 329.

6) Nach russischen Quellen in der Zeitschriß der Wiener geogr. Gesell- schaft. 1872. Bd^ XV. Heft 11. S. 538.

7) Vcrhundlungen der Berl, Gesellsch. Tür Anthropologie. 1871. S. 27

8] S. oben S, loi und Blakiston, Joumey in Yezo, im Journal of ihe R, Geographien! Society. London 1872. vol. XLII. p. 80.

Die Beringsvölker. ajs

Europäern, doch mitten unter Völkern von glatter Haut höchst bedeutsam wird. Dieses Sondermerkmal würde allein genügen, die Aino als eine eigene Race völlig von den andern Asiaten ab- 2utVennen, wenn nicht alles, was wir von ihnen wissen, auf so spärlichen und flüchtigen Angaben beruhte, dass erst spätere besser unterrichtete Völkerkundige über ihre Stellung entscheiden können. Nicht völlig undenkbar wäre es auch, dass sie zu den Aeta der Philippinen in Verwandtschaftsbeziehungen stehen könnten, wenn sich nämlich die asiatischen Papuanen über die Liu - kiu - Inseln bis zu den Kurilen ehemals ausgebreitet hätten. Wir sprechen diese Vermuthung jedoch ohne grosse Zuversicht und nur zu dem Zwecke aus, dass die Mundarten der Aeta mit den Ainosprachen verglichen werden mögen. Erst wenn diese Untersuchung zu irgend einem Ergebniss, sei es bejahend oder verneinend, geführt hätte, könnte den Aino ihr Platz in einem Lehrgebäude mit grösserer Beruhigung angewiesen werden.

6. Die Beringsvölker,

Unter diesen Namen vereinigen wir eine Anzahl nordasiatischer und amerikanischer Volksstämme, die meistens entweder die Ufer des Beringsmeeres bewohnen oder sich von diesen Ufern durch Wanderung wie die Eskimo bis nach Grönland verbreitet haben. Der Name hyperboreische Mongolen, den Latham gebraucht, ist für unsere Gruppe nicht angemessen, da wir auch Völkerschaften bis zur Juan- de -Fuca- Strasse ihr beizählen wollen. Ein gemein- samer Sprachtypus verbindet nur einzelne dieser Stämme , aber nicht die Gesammtheit. Besser dagegen steht es mit den Körper- merkmalen, die einen Uebergang bilden von den mongolenähnlichen Sibiriern zu den Eingebornen Amerika's. Dieser Uebergang recht- fertigt zugleich unser Vorhaben, die Amerikaner selbst nicht als eine getrennte Race zu vereinzeln , sondern sie den mongolischen Asiaten anzuschliessen. Bei allen obigen Völkern finden wir eine röthliche oder bräunliche Dunkelung der Haut, straffes, walzen- förmiges Haupthaar, mit einer einzigen Ausnahme Mangel an Bartwuchs und eine beinahe gänzliche Kahlheit am übrigen Leibe.

4i6 I^ie Beringsvölker,

a. Itelmen oder Kamtschadalen.

Diese Merkmale im Verein mit den schmalgeschlitzten Augen bewogen Georg Steller, den Itelmen oder Kamtschadalen eine entschiedene Mongolenähnlichkeit zuzuschreiben*). Die Worte in ihrer Sprache entstehen durch lose Zusammenfügung von Wurzeln, und wenn richtig ist, was Kennan behauptet, dass sie sich der Präfixe bedienen, so trennen sie sich damit sowohl von den Ural-Altaiern, wie von den Eskimo*). Der Fischfang ist ihr haupt- sächlicher Nahrungserwerb, und der Hund, den sie vor den Schlitten spannen, ihr Hausthier. Im Vergleich zu den andern Beringsvölkern ist ihre Seetüchtigkeit eine sehr mittelmässige. Ihre gesellschaftliche Entwickelung ging nicht weiter, als dass sich die Pflichten der Blutrache über die Bewohner eines Ostrog erstreckten. Der Ehemann gehörte zur Familie der Schwiegereltern. Schama- nistische Künste wurden eifrig betrieben, doch gab es keine eigent- liche Kaste von Zauberern, sondern ein jeder versuchte die Geister auf eigene Gefahr. Der Glaube an die Fortdauer nach dem Tode führte häufig zum Selbstmord ; Väter Hessen sich von ihren Kindern erdrosseln oder den Hunden vorwerfen. Im Jenseits dachte man sich die Armen für ihre diesseitigen Leiden durch Ueberfluss belohnt^). Die musikalische Begabung der Itelmen müssen wir sehr 'hoch schätzen, denn sie haben sogar mehrstimmige Lieder componirf*). Ausserdem fand Steller bei Ihnen Tänze und dra- matische Vorstellungen, die gewöhnlich in komischen Nachahmungen der fremden Gäste bestanden 5). Adolf Erman^) rühmt ihre Recht- lichkeit, Sanftmuth und „angeborne Feinheit der Sitte".- Rührend ist vieles, was er uns über ihre aufopfernde Gastfreundschaft mit- theilt, die auch Kennan neuerdings wieder zu erproben Gelegen- heit hatte. Wasser war zu Steller's Zeiten ihr einziges Getränk, so dass der Genuss von Fliegenschwamm sich erst später verbreitet hat.

i) Steller, Kamtschatka. S. 298.

2) Latham, Varieties. p. 274. behauptet ohne es näher zu begründen, dass die kamtschatkische Sprache mit der koreanischen und japanischen Ge- meinschaft im Wortschatz habe. Wahrscheinlich sind es nur Culturwörter, die im Verkehr entlehnt wurden.

3) Stell er, Kamtschatka. S. 277. S. 294. S. 270. S. 271.

4) a. a. O. S. 332.

5) a. a. O. S. 341.

6) Reise um die Erde. Bd. 3. S. 422.

Die Beringsvölker. aij

b. Korjaken und Tschuktschen.

Von den Korjaken, welche am Ochotskischen Meere sitzen und sich bis in die nördlichen Theile von Kamtschatka verbreiten, behauptet Georg Steller, sie seien an Körpergrösse, Gesicht, Haar- wuchs, der Aussprache aus vollem Halse den Itelmen „so ähnlich, wie ein Ei dem andern" *). Wir dürfen dies nur von der Fischer- bevölkerung an der Küste gelten lassen, denn die Korjaken des Binnenlandes, die vom Ertrag ihrer Renthierheerden unter Zelten in patriarchalischer Gliederung leben, werden als Leute von mehr als mittlerem Wuchs beschrieben ; sie sind also stattlicher als die Itelmen, denen sie sonst an Gastfreiheit sowie an dienstfertiger und gutherziger Behandlung von Fremden nicht nachstehen. Kennan nennt sie wegen ihrer physischen Merkmale Stämme von nord- amerikanischem Typus'*). Von allen Beringsvölkern sind sie un- befleckt von erotischen Lastern und zugleich eifersüchtige Gatten. Leider berauschen sie sich nur allzugern mit dem Absud aus Fliegenschwamm, der ihnen trotz der scharfen russischen Verbote von gewissenlosen Kaufleuten zugeführt wird. Auch bei ihnen und bei den sogleich zu nennenden Tschuktschen-^) lassen sich die alten Leute von den eigenen Kindern durch Lanzenstiche tödten, vermuthlich in dem Wahn, dass der Mensch auf gleicher Altersstufe erneuert werde, wie er die Erde verlasse, und dass es daher besser sei, den Becher nicht bis zur Hefe zu leeren.

Sprachlich mit ihnen so eng verwandt, wie Spanier und Por- tugiesen, sind die Tuski oder Tschuktschen, welche die asiatischen Küsten an dem Beringsmeer noch in beinahe völliger Freiheit als Renthierzüchter, die Gestade des Eismeeres aber als Fischer bewohnen. Sie werden bisweilen als Renthiertschuktschen von den NamoUo unterschieden, mit denen sie in älterer Zeit zusammen- geworfen wurden. Es sind starke Männer, die unter Lasten von 200 Pfund noch leichten Ganges dahinschreiten. Ein Tschuktschen-

i) Kamtschatka. S. 251.

2) Tent-life in Siberia. p. 117. p. 218.

3) Whymper, Alaska. Braunschweig 1869. S. 98.

Peschel, Völkerkunde. 27

i]S Die Beringsvülker.

bursche, erzählt Whymper, den Obrist Bulkley von der Ploverbay nach San Frandsco mitnahm, wurde dort stets für einen Chinesen gehalten und mit zwei Matrosen, yeöornen Aleuten, trugen sich öfter ähnliche Missverständnisse in einer' Stadt zu, wo man doch auf jeder Strasse Chinesen und Japanern begegnet"). Fügen wir noch zum Schiuss hinzu, dass die Tuslti das Beringsmeer in Leder- booten mit einem Geripp aus Walfischknochen befahren und sich dabei auch eines Segels beäieneo, wahrscheinlich in Nachahmung europäischer Schiffe. Sie binden zugleich aufgeblasene Seehunds- häute an die äusseren Wände der Fahrzeuge, damit sie wie die polynesischen Ausleger das Umschlagen verhüten.

c. Die Numollo und die Eskimo.

Ganz in der äussersten Nordostecke Asiens, an der Bering- strasse und längs dem Eismeer, grenzen an die Tschuktschen die früher mit ihnen verwechselten NamoUo. Durch Sitten und Lebens- gewohnheiten unterscheiden sie sich nur wenig von ihren Nac'h- barn. Lütke') fand bei ihnen ausgeprägte mongolische Gesichts- züge , vorstehende Backenknochen , kleine Nasen und viell'ach schiefgestellte Augen. Wir wissen fetner, dass die Sprache der Namollo mit der Eskimosprache versciiwlstert ist^). Chamisso, der Namollo in der St. Lorenzbuciit und Eskimo am Kotzebuesunde vergleichen konnte, bemerkt, dass die Bevölkerung der Kordost- spilze Asiens, sowie alle Amerikaner von der Beringstrasse bis zu den Eskimo der Baffinsbay, „demselben Menschenschlag von ausgezeichnet mongolischer Gesichtsüildung angehören"*). Die Eskimo, deren Name vun Esquimantsic aus der Abenaki- oder von Ascbkimeg aus der Odschibwä^prachc stammt und in beiden Fällen Rohileischesser bedeutet^), nennen sich selbst In-nu-it, eine Plural- form von iii-nu der Jlenseh. Die Wortbildung in ihrer Sprache geschieht immer auf dem Wege der Suffigirung'; und insofern

1) Whymper, Alaska. S. 273.

2) Voynge .lulour du monde. Paris 1835. chap. XI. lom. II. p. 264.

3) Waitz, AolhtopolQgie. Bd. 3. S, 301.

4) Otto V, Kotiebuc's Entdetkungsreise. Weimar 1821. Bd, 3. S. 176.

5) Charlevoix, NouveUe Frjnce. Igm. III. p. 17B.

6) SIeinthal, Typen de« Spraclibaues. S. 220.

Die Beringsvölker. aiq

hätte sie Aehnlichkeit mit dem Verfahren innerhalb der uralaltai- schen Gruppe, deren wichtigstes Merkmal aber, nämlich die Laut- harmonie, bei den Innuit fehlt. Zwar kennt die Eskimosprache nicht die strenge Einverleibung, gleichwohl wird sich bald zeigen, dass sie einen Uebergang zwischen dem uralaltaischen und dem amerikanischen Typus darstellt. Die Innuit sassen zur Zeit der Normannenbesuche Amerikas also um looo n. Chr. noch ziemlich südlich an der atlantischen Küste und Hessen sich am Anfang des vorigen Jahrhunderts noch gelegentlich auf Neufundland sehen ^. Nach Grönland sind sie erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts eingewandert *). Barnard Davis gibt als Schädel indices den grön- ländischen Eskimo eine Breite von 71 und eine Hohe von 75, den Eskimo im östlichen Nordamerika 70 und 75 für die obigen Verhältnisse. Allein diese Merkmale sind werthlos, weil der Schädel künstlich geformt wird^). Die westlichen Innuit aber, gegen welche ein gleicher Verdacht bis jetzt noch nicht vorliegt und die uns daher die ungestörte Schädelform darbieten, haben 75 zum Breiten-, 77 zum Höhenindex. Es sind also Mittelschädel von grösserer Höhe als Breite^). Sonst stimmen sie in den mass- gebenden Körpermerkmalen mit den nordasiatischen Bevölkerungen völlig überein, namentlich was Haut und Haar betrifft. Die schiefe Stellung der geschlitzten Augen, die flachen breiten Gesichter sind selbst noch bei den Eskimo Grönlands zu erkennen s), obgleich dort Mischungen mit germanischem Blut vielfach stattgefunden haben. Die Namollo und Eskimo gehören zwar nicht unter die hochgewachsnen Völker, aber widerlegt wurden bereits die älteren irrigen Angaben über ihre Zwergenhaftigkeit^). Ihre Frauen sind nicht fruchtbar 7) oder vielmehr der Kindersegen gilt als uner- wünscht, daher auch dieser Volksstamm dem Erlöschen nicht mehr entgehen wird.

i) Charlevoix L c.

2) S. oben S. 62. und David Cranz, Historie von Grönland. Buch 4, I. Abschn. § 8. Barby 1770. Bd. L S. 333 ff.

3) S. oben S. 62.

4) Barnard Davis, Thesaurus craniorum, p. 219 224.

5) Die zweite deutsche Nordpolarfahrt. Leipzig 1873. Bd. i, S. 135.

6) S. oben S 86.

7) D. Cranz, Historie von Grönland. Buch IH, 2 §. 14- Bd i. S. 212.

27*

^20 Die BeiingSTÖlker,

\\"ir treffen bei ihnen unter den Namen Angekok echte nord- asiiitii^clie Schamanen, die sich zu den herkömmlichen Zaubercnren und Geisterbeschwörungen in Einsamkeit und unter Fasten so lanjjp vo'bereiten „bis ihre Einbildungskraft, wie Cranz treuherzig bemerkt, in Unordnung geräth')." Sie verehren einen gutigen Schilpfi-r Torngarsuk oder Anguta ') geheissen. Wenn sie aus dem Munde der Heidenbe kehrer einen allmächtigen Gott preisen hören, so denken manche, dass ihr Torngarsuk gemeint sei*). Ihm g-fgenüber steht eine schadenstiftende weibliche angeblich namenlos; Gottheit, Nicht nur an eine Fortdauer nach dem Tode, sondern auch an eine jenseitige Bestrafung der Verbrecher und der Lieblosen wird geglaubt*). Die Innuit haben sich in ihren Sagen ein arctisches Paradies Namens Akillnek geschaffen und besitzen Erzählungen von Reiseabenteuern, bei denen der orientalische Vogel Roch durch RiesenmÖven ersetzt wird. Auch hat man unter ihnen das Märchen von den badenden Jungfrauen angetroffen, die sich bei ihnen da der Schwan fehlt in Enten verwandeln^). HaH der so lange unter ihnen weilte, nennt sie dns gutherzigste Volk auf dem Erdlioden, Für ihren scharfen Verstand spricht die Thatsache, dass sie sehr rasch Domino- und Bretsjiide, unter letzteren auch das Schach erlernten*). Als Leo- pold V. Buch im arktischen Norwegen reiste, überzeugte er sich dass ilie menschliche Gesellschaft von den dortigen Bewohnern keine geistige Bereicherung beanspruchen dürfe, denn die volle Kraft des Menschen werde gänzlich aufgezehrt durch den Kampf mit einer strengen Natur um die kümmerliche Nothdurft des Lebens. Noch viel mehr aber wie von Norwegen, muss dasselbe im polaren .Amerika gelten." Die Eskimo haben freilich aus gewissen Störungen des I\Iond!aufes nicht die Abplattung der Erde berechnet, sie haben auch nicht das Wasser in seine beiden Luftarten zerlegt, ebensowenig

T I, c. Buch nr, cap. 5, §, 41, Bd. I. S. »68.

2) So nennt ihn Hall, Life wilh the Estjuimaux. p. 524.

j) David Cranz, Historie von Grönland. Buch j, cap. 5. §. 39. Bd. i

■i) Hall, 1. c.

.;: 11. Rink. Eskimoisk Diglekonst, in For Ide og Virkelighed. Kjoben l-n. Jlarts. 1870. p. 212. flg. 6) Hall, p. 52J.

Die Berings Völker. a21

eine Weltregion gestiftet, aber sie haben dafür zuerst durch eigene Kraft und Kunst sich Wege gebahnt nach Gürteln der Erde, wo Tag und Nacht über die Dauer von Jahreszeiten sich erstrecken, sie haben bewiesen, dass der Mensch sich noch behaupten kann wo ein neunmonatlicher Winter das Land versteinert, wo kein Baum mehr wächst, ja wo nicht so viel Holz angeschwemmt wird, um nur als Schaft zu einem Speer zu dienen. Sie haben sich bemüht aus den Knochen arktischer Säugethiere, ihrer Jagdbeute, durch Aneinandei stücken Schlitten zu erbauen und Lanzen zusam- menzufügen, die, mit Thiersehnen festgeschnürt, Dauerhaftigkeit genug besitzen dass ein unerschrockener Jäger im Handgemenge den weissen Bären zu erlegen vermag. Sie haben es ersonnen wie man aus Schnee ebenso rasch Hütten bauen kann, wie tropische Völker aus Zweigen und Blättern, ja sie haben aus Steinen Bogen- gewölbe ausgeführt, woran keines der Culturvölker Mexico*s ge- dacht hat. Sie verstanden auch ihre Hütten durch Thranlampen zu erwärmen, über ihnen Schnee und Eis zum Fliessen zu bringen, damit sie ihren Durst löschen konnten. Sie besassen, was in ganz Amerika nirgends sonst der Fall war, ein Verkehrswerkzeug auf festem Grunde, den Schlitten, und sie hatten zu seiner Bewe- gung Thiere, nämlich Hunde, vorgespannt, während die höchste Stufe solcher technischen Fortschritte in Amerika nur noch bei den Incaperuanern angetroflfen wurde, welche die Llama zwar nicht zum Ziehen, aber doch wenigstens zum Tragen abrichteten. So ist es denn an sich schon eine culturgeschichtliche Leistung den hohen Norden der Erde bevölkert zu haben, und zwar lösten die Eskimo diese unbeneidete Aufgabe als sie selbst noch im Zeitalter der Steingeräthe sich befanden. Jetzt freilich erhandeln sie von den Dänen Eisen zu Lanzen und Harpunenspitzen, allein Nord- grönland wurde längst von ihnen bewohnt ehe sich Europäer in ihre Nähe wagten. Das erste Schiff welches 1616 unter Capt. By- lot in die Baffinsbai drang, knüpfte dort einen Verkehr mit den Eingebornen an. Erst 1818 zeigte sich der ältere Ross als zweiter Seefahrer unter jenen Breiten, und auf seinen Spuren folgten dann die Waljäger, welche das erste Eisen brachten. Die Eskimohorde aber welche jenseits 'des Smithsundes wohnt, sitzt dort sicherlich seit etlichen Menschenaltern, vielleicht seit Jahrhunderten.

Nicht geringe Verdienste haben sich aber um die Vermeh- rung europäischer Wissenschaft die Eskimo dadurch erworben,

A22 Dis Beringswölker.

dass sie den altern und neuern Seefahrern auf dem Schauplatz der nordwestlichen Durchfahrt ihre Dienste liehen. Einer merk- würdigen Eskimofrau, lligliuk, verdankte Sir Edward William Parry eine Landkarte, die ihm den We^ zeigte zur Entdeckung der Fury- und Heclastrasse '). Der Eskimo Hans, der den unvergess- lichen Kane und seinen Nachfolger Hayes twgleitete, fährte den Matrosen Morton bis über den 8i. Breitengrad zu dem nördlichsten Punkte der je an der Küste Grönlands erreicht wurde. Wenn wir den Berichten der älteren und neueren Seefahrer auf dem Gebiet der nordwestlichen Durchfahrt folgen, und wir sehen ihre Schiffe vor uns in der Gefangenschaft des winterlichen Eises, es senkt sich dann auf siedle arktische Nacht herab, die drei oder vier Monate dauern soll, so beschleicht uns jedesmal die Bangigkeit, dass selbst der Europäer mit aller seiner Herrschaft über Stoff und Kraft doch jener strengen Natur nicht gewachsen sei und sein Leben und seine Freiheit abhänge von der Laune der künftigen Jahres- zeit, Wenn dann am Bord der Ruf ertönt: die Eskimo sind an- gekommen! so ist es uns als «-ürden von befreundeter Hand die Thüren des arktischen Kerkers geöffnet. Wie die Helfer im Dunkeln erscheinen Wesen unseres Geschlechtes, denen weder die Kälte noch die Nacht ihre Lebensheiterkeit rauben, und die ver- gnügt noch wandern und umherziehen, wo die Natur mit allen Schaudern eines Dante'schen Höllenringes') gepanzert erscheint.

Von ihren nautischen Geschicklichkeiten brauchen wir nicht lange zu reden. Sie besitzen bekanntlich zwei Arten von Fahr- zeugen: grosse und geräumige, die sogenannten Frauenboote (Umiak), worin die Familien ihre Wanderungen antreten, und die Männerboote (Kayaken), mit denen der einzelne Jäger die See- thiere aufsucht. Was den Bau und die Führung von Booten be- trifft, so giebt es keine grösseren Kenner als die Briten und die Amerikaner der Vereinigten Staaten. Beide aber reden mit Be- wunderung, mit Neid sogar von dem Eskimo, der mit seinem Doppelruder und den Gleichgewichtskünsten eines Seiltänzers seine Kayake über die rauhen Wogenkämme hüpfen lässt.

1) Capt. Lyon, Private Jouma]. p. 160. p. ii6. Hall hat zwei Eakiroo- karten abbilden lassen, die kaum von Europäern nalurgelreuer hallen gezeich- net werden können.

2) Inferno, XXXII, v. 21—30.

Die Beringsvölker. 423

Ihre Sprachähnlichkeit mit den Namollo, ihre nautische Ge- schicklichkeit, ihre Bezähmung des Hundes, ihr Gebrauch des Schlittens, ihre mongolische Gesichtsbildung, ihre Anlagen zu höherer Gesittung lassen die Frage, ob hier eine Wanderung aus Asien nach Amerika oder umgekehrt stattgefunden habe, mit einem hinreichenden Mass von Wahrscheinlichkeit für das erstere entscheiden, doch muss eine solche Wanderung von Asien über die Beringstrasse viel später erfolgt sein als die erste Besiedelung der neuen Welt aus der alten.

Sprach- und blutverwandt mit den Namollo und Eskimo sind die Bewohner in dem nördlichen und westlichen Theile des ehe- mals russischen Amerika, die man wohl auch aliaskische Eskimo genannt" hat, Sie bewohnen die Ufer des Beringmeeres, die Halb- insel Aliaska und die angrenzende Küste gegen Osten bis etwa zum Eliasberg. Sie zerfallen in 13 Horden, zu denen die Kon- jaken oder Konäken der Insel Kadjak, die Tschugatschen am Prinz-Williamsund und auf der Kenai-Halbinsel, sowie elf andere Horden zählen'), deren Namen sämmtlich auf mjuien oder muten endigen. Zu letzteren gehören Whymper's Malemuten, die wie alle übrigen nur durch ihre Mundart von den Eskimo und Namollo sich unterscheiden. Unter ihnen sieht man Männer -bis zu 6' engl. Leibeshöhe, woraus sich ergibt, dass die Körpergrösse innerhalb dieses Volksstammes beträchtlich schwankt. Zwischen den asiatischen und amerikanischen Beringsvclkern hat beständig Handelsverkehr geherrscht. Die Tschuktschen ziehen nach der Diomedes-Insel und die Malemuten setzen von der äussersten Nord- westspitze Amerikas über, um Renthierfelle gegen Pelze umzu- tauschen. Der Handel geht so flott, dass die Kleidungen der Eingeborenen am Yukonstrome einige hundert Meilen (miles) auf- wärts aus asiatischen Fellen bestehen die von den Tschuktschen stammen^). O. v. Kotzebue, der beide Ufer des Beringmeeres befuhr, bemerkt dass die Bewohner der St. Lorenz-Insel die näm- liche Sprache reden, wie die Stämme auf dem amerikanischen Ufer und sie Brüder nennen. „Ich finde überhaupt", heisst es an einer andern Stelle, „einen so unmerklichen Unterschied

i) s. ihre vollen Namen bei Waitz,' Anthropologie. Bd. 3. S. 301. 2) Whymper, Alaska. S. 149.

^A Die Berings Völker.

zwischen diesen beiden Völkern, dass ich sehr geneigt bin, sie von einem Stamm entsprossen zu halten^)." Ganz ähnlich äussert un- ser berühmter Georg Steller, dass die Bewohner der Schumagin- Inseln an der Südküste von Aliaska den Itelmen Kamtschatkas „wie ein Ei dem andern gleichen*)." Alle diese Zeugnisse erhärten die Thatsache, dass Wanderungen aus der alten Welt in die neue stattgefunden haben, dass dagegen die Eskimo aus Amerika nach Asien sich verbreitet haben sollten, ist deswegen nicht wahrschein- lich, weil sie von allen Amerikanern die meiste Uebereinstimmung in Bezug auf Racenmerkmale mit den mongolenähnlichen Völkern der alten Welt sich bewahrt haben und ihre Wanderungen in der geschichtlichen Zeit noch immer westwärts gerichtet waren.

d. Die Aleuten.

Von der Halbinsel Aljaska zieht nach Kamtschatka in einem schön geschwungnen Bogen eine Kette von Inselvulkanen, baum- los und meistens in Nebel eingehüllt. Sie heissen die Aleuten, wie ihre Bewohner. Letztre verknüpft mit den Eskimo nur eine Anzahl gemeinsamer Wörter die aber nur eingetauscht sein mögen, soust stehen sie linguistisch bis jetzt noch vereinsamt«^). Es ist ein mongolischer Menschenschlag"^), dessen wir schon einmal gedacht haben in Bezug auf seine frühzeitigen Ehebündnisse 5). Zwar sind alle Beringsvölker mehr oder weniger seetüchtig, doch scheinen die Aleuten selbst die Eskimo noch durch ihre Fertigkeit zu über- bieten. Ihre einluckigen Fellbote haben, wie Erman es erläutert, etwa 60 Pfund Eigengewicht und bestiegen von einem 140 Pfund

i) Entdeckungsreise in die Südsee. £d. 2.'S. 105. Bd. i. S. 159.

2) Steiler, Kamtschatka. S. 297.

3) Nach dem kurzen Abriss, den Lütke (Voyage autour du monde, chap. VI. Paris 1835. tom. I, p. 243) mittheilt, bedienen sie sich zur Wort- bildung auch der Präfixe, die völlig der Innuitsprache fehlen.

4) Ein deutscher Reisender (Allgemeine Zeitung 1873. S. 4300) will sie sogar wegen ihrer Gesichtsbildung von verschlagenen Japanern ableiten.

5) S. oben S. 228. Bei ihnen herrschen dieselben erotischen I^ster (Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 43. W. H. Dali, Alaska. Boston 1870. p. 402.) wie bei den NamoUo (Lütke, I.e. chap. XI. tom. ü, p. 197) oder bei den Itelmen (Steller, Kamtschatka S. 289. S. 351) oder bei den (Renthier-) Tschuktschen (v. Wrangeil, Reisen längs der Nordküste Sibiriens. Bd. 2. S. 227).

Die Beringsvölker. 425

schweren Aleuten immer noch einen so geringen Tiefgang, dass der eingetauchte Querschnitt nur 0,056 Meter Widerstandsfläche bietet. Mit einer solchen Baidarke legte ein Eingeborner in 27^2 Stunde 214,® Kilometer oder. etwas mehr als eine deutsche Meile in der Stunde zurück, während ein Fussgänger eine Last von 60 Pfund, höchstens 2 3/^ deutsche Meilen weit in einem Tage ge- tragen, also II Tage zu der obigen Entfernung gebraucht haben würde*). Die Baidarke befähigt den Aleuten zu den Leistungen der mächtigsten Seethiere und die Jagd auf solche gehört zu seinem täglichen Nahrungserwerb *).

e. Die Thlinkiten und Vancouvers^ämme.

Vom Süden des Eliasberges an der Küste und an den Küsten- inseln bis zum Dixon-Sund sitzen Völker welche die Russen Kaljuschen oder Koluschen, die sich selbst aber Thlinkiten oder „Menschen" nennen. Südwärts von ihnen bewohnen die Haidah die Königin-Charlotte Inseln. Am Festland gegenüber vom 53° ^a bis 50° N. Br. erstrecken sich die Hailtsa oder Hailtsuk. Auf der Insel Vancouver endlich werden vier verschiedene Sprachen geredet. Einige Stämme wie die Cowitschin und Clalam bewohnen nicht blos Vancouver sondern das Festland am Fraserfluss und am Puget-Sund. Schädel aus dieser Küstengegend sind nur spärlich vorhanden, auch könnten sie uns nur wenig Belehrung bringen, denn ihre künstliche Verunstaltung in der Jugend gehört auf Vancouver wie in Oregon zur Mode, auch kommt nicht blos das Flachdrücken sondern auch eine erzwungne Dolichocephalität vor 3). Die Hautfarbe ist fast so hell wie bei Südeuropäern, das Haar dagegen schwarz und straff.

Bei den Thlinkiten und den Haidah^) zeigt sich hin und

i) A. Er man in der Zeitschrift für Ethnologie. 1871. Bd. 3. Heft 3. S. 167.

2) Eine genaue Zeichnung und Beschreibung der Bauart dieser classischen Fahrzeuge hat v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 2. S. 39 gegeben.

3) Barnard Davis, Thesaurus craniorum, p. 231.

4) R. Brown in Reports of the British Association held at Norwich 1868. London 1869. p. 133.

J26 ^'^ Beringsvolker.

wieder ein wenig mehr liartwuchs als es bei asiatischen und amerikanischen Mongolen sonst der Fall ist. Starke vorstehende Backenknochen, tiefliegende Nasenwurzel, breite fleischige aufge-- stülpte Nasen herrschen noch immer vor"). Die Tschinuk, welche Oregon im Süden des Pugetsundes bewohnen und den Kopf künstlich abflachen, haben auch noch die schief geschlitzten mon- golenähnlichen Augen '), die den Haidah wiederum fehlen ^). Sprachlich lassen sich die Bewohner der Küste nicht mit den Völkern jenseits der Felsengebirge vereinigen, auch unter sich verknüpft sie kein linguistisches Band, Da aber die Körpermerk- male keine Abtrennung in verschieflne Racen vei statten, auch ein Beobachter wie Lütke*), ausdrücklich bezeugt, dass sich die Bewohner der Königin Charlolteinsein nicht vor den Anwohnern des Beringsmeeres in dieser Hinsicht unterscheiden, so er- scheint es angemessen sie mit den Bewohnern des äussersten Nordostens von Asien zu vereinigen, zumal sie an Sitten und Lebensgewohnheiten ihnen weit mehr gleichen als den Jäger- stämmen über den Felsengebirgen. Auch sie- sind seetüchtig, und verstehen es ihren Fahrzeugen gefällige Formen und einen wohl- überdachten Schnitt zu geben. Doch ist es sicherlich die Küsten- . beschaffenheit, welche die nautischen Geschicklichkeiten geweckt und ausgebildet hat^), wir dürfen sie daher nicht einer Racen- anlage zuschreiben und deshalb auf gemeinsame Abkunft schliessen. Auch das Durchbohren von Wangen oder Lippen und das Ein- setzen kleiner Pflöcke welches bei der amerikanischen Küsten- bevölkerung von dem Kotzebue-Sund bis zur Vancouver-Insel herrscht, würde höchstens auf gegenseitigen innigen Verkehr deuten, welcher eineAnsteckung mit dieser Geschmacksverirrung ver- ursachte. Die amerikanischen Beringsvölker kannten vor Ankunft der Russen oder Capt. Cooks Küstenbern hrungen das Eisen. Vorläufig, ehe gründliche Untersuchungen etwas besseres auszu- sprechen gestatten, wollen wir vermuthen, dass Japanesen, welche

1) So bei den KolUEchen nach v. Laagsdorfr, Reise um die rrankfnrl i8l2. Bd, 2. S. 96.

I) Waiti, Anthropologie. Bd. J. S. 324.

3) R. Brown. 1. c.

4) Voyage autour du rnonde, cliap. V. Paris 1835. tom. I, p. 1S8.

5) S. oben S. 209 210.

Die Beringsvölker. 427

vor den Russen die Kurilen und Kamtschatka besuchten Eisen oder eiserne Geräthe nach dem Norden gebracht und dass letztere sich dann durch den Küsten verkehr nach Amerika weiter ver- breitet haben. Mit Ausnahme der Koluschen, deren eheliche Sittenstrenge v. Langsdorff' ) uns rühmt, begegnen wir bei sämmt- lichen Beringsvölkern selbst bei den Eskimo erotischen Verirrungen, Knabenliebe und Frauenlastern, Gleichgiltigkeit gegen eheliche Treue, Bewirthung des Gastfreundes durch Preisgeben von Frauen und Schwestern, zugleich mit einem vorzeitigen Heirathsalter *). Wenn Georg Steller berechtigt war die Anlage zu solchen Aus- schweifungen der vorherrschenden Fischnahrung zuzuschreiben, so würde diese Uebereinstimmung zwischen den Beringsvölkern eben- falls nur dem Wohnort entsprungen sein. Anders verhält es sich schon, dass wir bei ihnen allen mehr oder weniger grossen Kunstsinn antreffen, der sich in Schnitzereien äussert. Bei den Koluschen führt jedes grosse Fahrzeug den Namen von irgend einem Gegenstand, meist einem Thier, dessen hölzernes Bild den Schnabel schmückt. Besonders gelungne Verzierungen dieser Art werden sehr hoch im Werth gehalten und mit einem Sklaven be- zahlt 3). Die Adeligen imter den Haidah der Charlotte Inseln wiederum tragen kupferne Schilder auf welchen ihr Wappen ein- gegraben ist*). Dazu gesellt sich bei allen noch die Vorliebe zu dramatischen Tänzen und theatralischen Vorstellungen die mit Masken aufgeführt werden, wie diess von den Thlinkiten, ja sogar einigen Stämmen in Oregon s) und von allen Bewohnern der Vancouverinsel gilt^). Die bürgerlichen Zustände bei den Thlinkiten und V^ancouverstämmen hatten sich ungleich höher ent- wickelt als jenseits der Felsengebirge. Die Wohnsitze waren wie es der Fischfang vorschrieb feste, die Häuser bisweilen casernen- artig. Die Häuptlinge besassen grosse Gewalt, eine Scheidung

1) Reise um die Welt. Frankf. 1812. S. 113.

2) S. oben S. 424. not. 5.

3) Lütke, Voyage autour du monde, chap. V. Paris 1835. tom. I, 212. W. Dali, Alaska. Boston 1870. p. 413. p. 417.

4) R. Brown, 1. c.

5) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 335.

6) Whymper, Alaska. S. 58.

A2^ I^ie amerikanische Urbevölkerung.

in Adel und Volk war vollzogen und Sklaverei bei den Koluschen, Haidah und den Vancouverstammen vorhanden*).

7. Die amerikanische Urbevölkerung.

Hat das menschliche Geschlecht von einem Schöpfungsherde aus die Erde bevölkert und dürfen wir in Amerika nicht seine Wiege suchen*), so muss die neue aus der alten Welt ihre ersten Bewohner empfangen haben. Als diese das westliche Festland betraten, standen sie sicherlich noch auf einer sehr rohen Stufe, wenn auch ihre Sprache bereits die Anlage zu ihren künftigen Grundzügen besass, die Feuerbereitung ihnen kein Geheimniss mehr war, Bogen und Pfeil sich in ihren Händen befanden. Weite Seefahrten dürfen wir freilich diesen Einwanderern nicht zumuthen, sondern sie höchstens über das Beringsmeer ziehen lassen. Nicht unerlaubt wäre sogar die Behauptung, dass die ersten Wande- rungen zu einer Zeit stattfanden als die Beringstrasse noch nicht eine Meerenge sondern eine Landenge vorstellte. Damals würde auch das Klima jener nördlichen Gestade viel milder gewesen sein als heutigen Tages, weil keinerlei Strömung aus dem Eismeere in den Stillen Ocean eindringen konnte. Dass die Absonderung Asiens von Amerika einer geologisch gesprochen sehr nahen Ver- gangenheit angehöre, bezeugt die Thatsache, dass sowohl die Strasse 3) wie das Meer welche Berings Namen führen, ausser- ordentlich seicht sind, pflegen doch mitten im letzteren die Wal- fischianger vor Anker zu liegen^). Doch bleibt es immer misslich auf geologische Vorgänge sich zu stützen, die selbst noch strengere Beweise entbehren. Wir setzen daher lieber voraus, dass zur Zeit des Ueberganges der Asiaten nach Amerika die Beringsenge schon ihre jetzigen Züge besass. Erinnern müssen wir aber an die erste Frage welche unser grosser Mathematiker Gauss 1828

i) S. oben S. 186. S. 253. S. 254.

2) S. oben S. 32—33.

3) Lütke, Voyage autour du monde. Paris 1835. tom. Ü. p, 209.

4) Whymper, Alaska. S. 94.

Die amerikanische Urbevölkerung. 429

in Berlin an den Erdumsegler Adalbert v. Chamisso*) richtete, ob nämlich von einem Punkte Asiens aus die Küste von Amerika sichtbar sei, so dass dermaleinst durch ein Dreiecknetz beide Welten verknüpft werden könnten. Da nun Chamisso mit Recht diese Frage bejahen durfte, so erforderte es also keine Entdeckung aufs Geradewohl, sondern den Asiaten der Beringstrasse als sie nach Amerika übersetzten, lag ihr Ziel sichtbar vor Augen. Frei- lich beunruhigt verwöhnte Europäer das Bedenken, ob es Völker- schaften, die wir uns doch entblösst von Schutzmitteln denken müssen, gelingen konnte, in jener strengen Natur auszudauern. Uebersehen wird dabei dass gerade die Polarkinder an rauhem Wetter ein grösseres Behagen empfinden, als am schwülen. „Wenn ich im Winter, schreibt der unvergessliche Georg Steller, unter meinem Bette und meinen Pelzdecken am Morgen fror, sah ich dass die Itelmen, sogar ihre kleinen Kinder, bis an die halbe Brust nackend und blos in ihrer Kuklanka ohne Decken und Betten lagen und wärmer anzufühlen waren, ale ich." An einer andern Stelle fügt er hinzu, dass die Kamtschadalen stets neben ihr Nacht- lager ein grosses Gefäss mit Wasser stellen, dieses durch Eisstücke abkühlen und es, ehe der Morgen anbricht bis zum letzten Tropfen geleert haben*). Noch bessere Beruhigung gewähren uns aber die Feuerländer, denn so niedrig wie sie müssen wir uns die ersten Einwandrer in Amerika denken. Horden unter ihnen harren in gänzlicher Nacktheit bei jedem Wetter aus. Darwin der eine Frau in dieser Entblössung gewahrte, fügt hinzu: „Es regnete heftig und das süsse Wasser mit dem Gischt des salzigen rann an ihrem Leibe herunter. In einem zweiten Hafen, nicht weit von dem vorigen, besuchte eine andre Frau mit einem kürzlich gebornen Säugling an der Brust das Schiff und trieb sich aussen herum aus lauter Neugierde, während Schlössen fielen, und auf ihrem Busen wie auf der Haut des Kleinen thauten," An einer späteren Stelle heisst es: „Wir alle waren warm bekleidet und obgleich dem Feuer sehr nahe, doch keineswegs von der Hitze geplagt, während unsre nackten Wilden obgleich sie viel ferner sassen, von Schweiss überströmten und eine Art Röstung erlitten ^).**^

i).Chamisso's Gesammelte Werke. Leipzig 1836.' Bd. i. S. 146.

2) Kamtschatka. S. 303. S. 325.

3) Darwin, Journal of researches. London 1845. 2^3- 220.

^ßO I^ie amerikanische Urbevölkerung.

Das wird wohl Jedermann überzeugen, dass selbst für Menschen auf der Stufe der Feuerländer das Klima der Beringstrasse eine Wanderung aus Asien nach Amerika nicht verhinderte.

Der Beweis aber, dass die Urbewohner Amerikas jene Strasse zogen, liegt in ihren mongolenähnlichen Merkmalen. Dass asiati- sche und amerikanische Beringsvölker bis zum Verwechseln ähn- lich sind, wurde bereits im vorigen Abschnitt gezeigt. Selbst An- hänger der Lehre von der Artenmehrheit des Menschengeschlechts in den Vereinigten Staaten, haben doch eingestanden, dass alle Ureinwohner Amerika's sich unter einander so gleichen „wie Voll- blutjuden" und dass die einzige Race zu der sie vernünftiger Weise in nähere Verbindung gesetzt werden können, die mongo- lische sei^). Wir berufen uns ferner auf A. v. Humboldt, der den Eingebornen Mexicos mit einziger Ausnahme der Nase alle Mon- golenmerkmale bis auf die schief gestellten Augen beilegt*), welches letztere Wahrzeichen er auch den Chayma im nordöstlichen Vene- zuela zuschreibt^). Schiefgestellte Augen im Verein mit vortreten- den Jochbogen beobachtete Moritz Wagner bei Bewohnern Vera- guas und von vier Bayano Indianern Dariens besassen nach seiner Schilderung drei strenge Mongolenzüge, auch die platten Nasen ^). Dem Reisenden James Orton^) wiederum fielen die Zaparo am Nap6strome östlich von den Cordilleren Quitos durch ihre Chi- nesenähnlichkeit auf. Ein Officier des Sharpshooter, des ersten britischen Kriegsschiffes welches im August 1866 in den Parästrom Brasiliens einlief, bemerkt fast mit den nämlichen Worten von den dortigen Indianern, dass sie ihn „lebhaft durch ihre Gesichtszüge an die Chinesen erinnert hätten^).** Burton beschreibt in Brasilien die Eingebornen am Cachauhyfall mit „dicken runden Kalmücken- köpfen, platten . Mongolengesichtern, breiten scharf vortretenden Jochbeinen, schiefen bisweilen geschlitzten Chinescnaugen und dünnen Lippenbärten 7)/* Ein anderer Reisender, J. J. v. Tschudi®)

1) Morton, Types af mankind. p. 275.

2) Essai politique sur la Nonv. Espagne. Paris 1811. tom. I, p. 3S1.

3) Reisen in die Aequinoctialgegenden. Stuttgart 1859. Bd. 2. S. 13.

4) Naturwissenschaftliche Reisen. Stuttgart 1870. Bd. i. S. 313. S. 128

5) The Andes and the Amazon. London 1870. p. 170.

6) Nautical Magazine. London 1867. vol. XXXVI, p. 564.

7) R.' Burton. Higblands of Brazil. London 1869. tom. IL p, 403. S) Reisen durch Südamerika. Bd. 2. S. 299.

Die amerikanische Urbevölkerung. 431

erklärt wörtlich, „er habe Chinesen gesehen, die er auf den ersten Anblick für Botocuden gehalten habe" und seitdem theile er die Ueberzeugung „dass die amerikanische Race von der mongolischen nicht getrennt werden dürfe". Sein Vorgänger St. Hilaire') fand bei den Malali Brasiliens schmale schiefgestellte Augen und stumpfe Nasen. Von den Coroados bemerkt wiederum Reinhold HenseP), dass ihre Gesichtszüge, namentlich durch die vortretenden Joch- beine einen mongolischen Typus erhalten, eine schiefe Stellung der Augen sei jedoch nicht zu bemerken. Wohl sollen aber die schiefen Augenschlitze, die zu den guten wenn auch nicht strengen Merkmalen der mongolenähnlichen Völker gehören allen Guarani- stämmen in Brasilien eigen sein^). Selbst im äussersten Süden unter den Huillitschen Patagoniens fand King noch sehr viele mit schief gestellten Augen"*).

Vergebens wird man auch bei solchen Schriftstellern welche die Amerikaner als besondere Race hinstellen nach Unterscheidungs- merkmalen suchen, die sie von den asiatischen Mongolen trennen würden und allen gemeinsam wären. Das straffe, lange, im Quer- schnitt walzenförmige Haar fehlt keinem einzigen Stamm. Der Bartwuchs ist stets spärlich, mangelt auch wohl gänzlich, wie das Leibhaar 5). Die Hautfarbe schwankt beträchtlich, wie wir dies bei einer Ausbreitung über iio Breitegrade nicht anders erwarten dürfen, nämlich von leichter südeuropäischer Bräunung bei den Botocuden bis zur tiefsten Dunkelung' bei den Aymara^), oder bis zu kupferfoth bei dem sonorischcfii Völkerstamm 7). Doch ist es Niemanden bisher eingefallen wegen solcher Farbenstufen Racen- grenzen zu ziehen, zumal jeder nur denkbare Uebergang vertreten

1) Voyage au Brasil tom. I. p. 424.

2) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1869. Bd. 3. S. 128.

3) d* Orbigny, 1' Homme am^ricain. p. 62.

4) Latham, Varieties. p. 415. *

5) Dies bemerkte schon der Jesuit Charlevoix (Nouvelle France, tom. III, p. 311) und Catlin (Indianer Nordamerikas. S. 323), sowie neuerdings Musters (Unter den Fatagoniem. S. 172). Wenn unter den Comantschen bärtige Männer hin und wider vorkommen (Waitz, Anthropologie, Bd. 4. S. 213) so wird derjenige gewiss nicht überrascht werjlen, welcher weiss, wie viele Spanierinnen diese Raubhorden in die Sklaverei geschleppt haben.

6) S: oben S. 94.

7) Waitz, Anthropologie. Bd. 4. S. 2CO.

432 I^ie amerikanische Urbevölkerung.

ist. Die Schädel der Amerikaner zeigen nicht selten vorspringende Kiefern, aber wie bei den asiatischen Mongolen hält sich der Prognathismus immer in massigen Grenzen. Pruner Bey *) äussert» dass die Gestalt der amerikanischen Schädel bedeutend schwanke. „Die Köpfe der Botocuden, fahrt er fort, unterscheiden sich nicht wesentlich von den chinesischen, die des toltekischen Völkerkreises nähern sich den javanischen, und die der Neuseeländer lassen sich mit denen der Rothhäute vergleichen." Wollten wir uns auf Weickers Schädelmessungen berufen, so würden die Zahlen für die mittlere Breite von 74 bei Brasilianern bis zu 80 bei Cariben und Patagoniern heraufsteigen. Sie bieten also Schwankungen wie sie innerhalb der Gruppe der asiatischen Mongolen ebenfalls vor* kommen. Doch hat Barnard Davis gar nicht gewagt Breiten- und Höhenverhältnisse für die Urbevölkerung Amerikas mit einziger Ausnahme der Araukaner*) anzugeben, obgleich er über eine be- trächtliche Anzahl andrer Schädel verfügte. Auf beiden Festlanden wurden nämlich die Köpfe der Kinder künstlich umgestaltet* Diess geschah in Nordamerika nicht etwa blos bei den Flachköpfen der Vancouverinsel und Oregons 2), sondern kam selbst unter den Algonkinstämmen im Osten der Vereinigten Staaten vor^)* Im südlichen Festlande huldigten dieser Mode alle Culturvölker der Anden und daher finden wir bei Schädeln der Muysca, der alten Bewohner Quito's und Perus Breitenindices die bis zu 100 ja über 100 reichen. Gegenwärtig lässt sich daher gar nicht an- geben innerhalb welcher Procentsätze die Breite und Höhe unver- dorbner amerikanischer Schädel schwankt, wo diess aber aus- nahmsweise bei einzelnen Stämmen doch gelang, zeigte sich ent- weder Mesocephalität oder Brachycephalität, wie es zu erwarten war, wenn sie zu der mongolischen Race gehören sollten.

Die schmal geschlitzten und häufig schief gestellten Augen die in beiden Festlanden bis zum äussersten Süden bei einzelnen

1) Resultats de craniom^trie, in Mdm. de la Soc. d'Anthropologie, tom.

II, p. 13-

2) Breite 80, Höhe 80. Thesaurus craniorura. p. 357.

3) S. oben S. 425.

4) Die Franzosen benannten deshalb Stämme mit künstlich und zwar ganz nind gestalteten Schädel tetes de boule. Charlevoix, Nouvelle France, tom. III, p. 324«

Die amerikanische Urbevölkerung. axx

Stämmen beobachtet werden, dürfen als ein mongolisches Ahnen- merkmal (Atavismus) gelten. Wenn sie auch nicht zu den strengen Wahrzeichen aller nord asiatischen Völker gehören, so sind sie doch nur innerhalb der mongolischen Race anzutreffen, nachdem Fritsch überzeugend bewiesen hat, dass sie bei Hotten- totten nicht vorkommen und ihr beschränktes örtliches Auftreten in Australien einer Blutmischung mit Malayen zugeschrieben werden darf^). . Nur durch ein einziges Körpermerkmal entfernen sich manche amerikanischen Stämme von den asiatischen Mongolen, Diesen ist nämlich ein niedriger Nasensattel sowie eine kleine auf- gestülpte Nase eigen. Bei den Jägerstämmen der Vereinigten Staaten, namentlich bei Häuptlingen begegnen wir dagegen Nasen mit hohem Rücken. Ferner ist es ja bekannt, dass die Mexicaner und andre Culturvölker Mittelamerikas den Gesichtern ihrer Götzen sehr stark vortretende Nasen verliehen, so dass also auch unter ihnen hin und wieder Leute mit einer solchen bevorzugten Bildung aufgetreten sein müssen. Auch in Südamerika bis unter hohe Breiten kommt diese Abweichung von dem Mongolentypus vor^ denn sowohl unter den ausgestorbnen Abiponen wie unter den gegenwärtigen Patagoniern gehörten und gehören sogenannte Adlernasen nicht zu den Seltenheiten^). Doch kann eine nuf örtlich auftretende Besonderheit nicht als Racenmerkmal gelten, sonst müsste sie allen Eingebornen der neuen Welt zukommen.

Eine völlige Abtrennung der amerikanischen von den asiati- schen Mongolen könnte sich höchstens auf die innere Verschieden- heit der Sprachen stützen. Die grossen Abschnitte in unserm Lehrgebäude sind jedoch nur auf Unterschiede der Körpermerk- male begründet worden. Auch drängt es uns jetzt zu fragen, ob nicht der Sprachtypus der Amerikaner gerade darauf hindeute, dass sie vor ihrer Einwanderung in die neue Welt mit uralaltaischen Völkern auf einer gemeinsamen Entwicklungsstufe gestanden sind, Eigenthümlich ist den amerikanischen Sprachen wie wir sahen ^), dass. bei ihnen die Satzbildung in der Wortgestalt aufgeht, wes-

i) S. oben S. 339.

2)" Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 24. Musters, Unter den Patagoniern. Leipzig 1873. S. 172. 3) S. oben S. 127. Pesckel, Völkerkunde. ^g

A^A Die amerikanische Urbevölkerung.

halb man sie auch poly synthetische genannt hat. Ist das richtig,

so beging man bisher einen grossen Fehler der Sprache der Innuit eine ganz vereinsamte Stellung anzuweisen. Wie die uralaltaischen Sprachen bedient sie sich zur Sinnbe^renzung nur der Suffixe, zugleich aber ist sie befähigt einen vielgliedrigen Satz in ein einziges Wort zusammenzufassen, also polysynthetisch zu ver- fahren. Der Grönländer bildet ein einziges Wort, wenn er den Ge- danken ausdrücken will: Er sagt dass auch Du eilig hingehen wollest, um Dir ein schönes Messer zu kaufen ^). Nicht rasch genug können wir jedoch hinzusetzen, dass die' lockere Zusammenfügung von Wurzeln noch nicht der echten Einverleibung gleiche, da in den amerikanischen Sprachen die zusammengefügten Sylben stets um etliche Laute verkürzt werden. Die höchste Ausbildung der Einverleibung schreibt Steinthal wie wir sahen*) dem Nahuatl in Mexico zu, welches das Object zwischen Subject und Thatwort einschiebt und alle drei zu einem Ganzen zusammenschmilzt. Dieses Verfahren ist aber nicht den amerikanischen Sprachen aus- schliesslich eigen, sondern kommt auch in der uralaltaischen Familie und zwar bei den ugrischen und bulgarischen Gruppen im Magyari- schen, Ostjakischen, Wogulischen und im Mordwinischen vor. •In der letztgenannten Sprache und zumal in der IVIokscha Mund- art sind die Verbalflexionen und objectiven Personalpronomina völlig nach mexicanischem Muster auf das dichteste verwebt^). Diese Thatsache belehrt uns, dass im Schoosse von streng suffi- girenden Sprachen etliche zur Einverleibung fortschritten und dies§ zeigt uns eine innere Verwandtschaft der amerikanischen mit den uralaltaischen Sprachen.

Ausserdem fehlt es nicht an einer Fülle von Erfindungen, Ge- bräuchen und Mythen welche die Nordasiaten mit den Eingebor- nen Amerikas theilen. Wir wollen jedoch keinen Werth darauf

i) Nämlich: Messer schön kaufen hingehen eilen wollen ebenfalls Du auch er sagt: sauig' ik- stnt' ariartok' asuar- omar- y- otit- tog- og, David Cranz, Historie von Grönland. Buch III, cap. 6. § 44. Bd. i. S. 286.

2) S. oben S. 128.

3) Im Mokscha heisst palasamak du küssest mich, und palaftärämak, wenn du mich nicht geküsst haben würdest. Ahlquist, Mokscha- mord- winische Grammatik. Petersburg 1861. S. 60.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^^c

legen, dass das Lederzelt auf beiden Festlanden wiederkehrt, weil zu einer solchen Erfindung wenig Nachdenken gehört. Auch dass der sibirische Schamane dem nordamerikanischen Medicinmann in allen Zügen gleicht, hat wenig Gewicht, weil auch die Schamanen andrer Welttheile ihnen ähnlich sind. Ernster stimmt uns schon der Umstand, dass die Waffentänze und Schamanenbräuche der Ostjaken sich bis auf die kleinsten Besonderheiten bei den Kolu- schen wiederholen*). An Märchen der alten Welt, die sich nach der neuen verirrt haben ist kein Mangel. Unter andern tritt die Erzählung von einem Abenteurer der an einem hohen Baum bis in den Himmel klettert und sich wiederum bald an einem Riemen, bald an einem Strohseil, bald an Haarflechten, wohl auch an der Rauchsäule einer Hütte auf die Erde niederlässt, bei ugrischen Volksstämmen*) und bei den athabaskischen Hundsrippen-Indianern im äussersten Norden der neuen Welt auf^). Märchen werden indessen wie geflügelte Samen oft über weite Strecken verweht und zählen wenig wenn es sich um Beweise gemeinsamer Abkunft handelt. Immerhin deuten sie auf einen alten Verkehr. Weit weniger wahrscheinlich ist es aber, dass abergläubische Vorschriften eingetauscht worden seien. Nun halten es die Itelmen Kamtschatkas für eine grosse Sünde ein brennendes Holzscheit anders anzu- fassen, als mit den Fingern, namentlich nicht mit der Messer- spitze*) und ebenso ist den Sioux richtiger den Dacota verboten glühende Brände oder Kohlen mit einer Ahle oder einem Messer aus der Gluth zu nehmen^). Die Stämme an der Hudsonsbai, berichtet Charlevoix ^), erweisen den Bären grosse Ehrfurcht. Haben sie ein solches Thier getödtet, so wird sein Kopf unter Feierlichkeiten bemalt und dem Erlegten durch Absingen von Lobliedern . gehuldigt. In ganz Sibirien finden wir die Verehrung des Bären so bei den Giljaken am Amur 7), bei den Aino*), bei

i) Adolf Erman, Reise um die Erde. Berlin 1833. Bd. i. S. 675.

2) Ahlquist, 1. c. p. 109.

3) Tylor, Urgeschichte. S. 443.

4) Stell er, Kamtschatka. S. 274.

5) Tylor, Urgeschichte. S. 354.

6) Nouvelle France, tom. III, p. 300.

7) Petermann's Geograph, Mittheilungen. 1857. S. 305.

8) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. S. 195.

28»

436 Dio amerikanische Urbevölkerung.

den Jenissei - Ostjaken '), endlich bei den echten Ostjaken, die sein Fell an einen Baum hängen, ihm 'alle erdenklichen Huldig- ungen erweisen und das Thier um Verzeihung bitten, dass sie es getödtet haben. Auch schwören sie beim Bären ihre Eide'), Wollte man auch diese Ue berein Stimmung nur einem alten Verkehr zuschreiben, so wäre es doch im höchsten Grade bedenklich, dass durch einen aolchen Verkehr sich nicht auch nützliche Erfindungen verbreitet hätten, wie die Anfertigung des Thongeschirres, während doch die llelmen Kamtschatkas, die Altuten und die Koluschen, theilweise auch noch die Assiniboin zur Zeit der ersten euro- päischen Besuche nur mit Steinen kochten^).

Dass der amerikanische Mensch seinen körperlichen Merk- malen zufolge einer einzifjen Race angehöre, darüber hat sich glücklicherweise kein Streit erhoben, doch lassen sich bei den Be- wohnern beider Festlandshälften auch manche Gemeinsamkeiten in den geistigen FamQienzügen nachweisen. Der Ue berein Stimmung der nord amerikanischen Medicinraänner mit den brasilianischen Schamanen wurde bereits gedacht'). Die merkwürdigen Masken- spiele denen Spix und Martius, sowie neuerdings Bates bei den Tecunastämmen am Amazonas beigewohnt haben ^), trafen wir schon bei den Koluschen*), sie finden sich wieder bei den Aht der Vancouverinsel') und bei den Moqui Indianern der „sieben DBrfer"8), Geschlechtlichen Verirrungen hassens würdiger Art, näm- lich verbunden mit dem Auftreten von Männern in Frauen kl ei düng, begegnete Hr. v. Martins bei den Guaycuru in den Laplata- staaten ^), die ersten spanischen Entdecker bei den Volke rschaflet»

1) Caslrfn, EthnotogiscliG Vorlesungen. 5, SS.

2) Pallas, Voj-apes tom. IV, p. 75. p. 85. A. Erman, (Rei- Erde. Berlin 1833. Bd. i. S. 5;o.l berichtet gani AcbnlJches.

i) S. oben S. 171. 4] S. oben S. 275.

5) Martius, Ethnographie. Bd. i. S. 445. Bates. Am Ama/oi Leipzig [866. S. 409.

6) S. oben S. 427.

71 Whymper, A]i.ska, p. 58. 8) Waili. Anthropologie, Bd. 4. S. 208. , 9) Eihnogrophie, B.l. i. S. 75.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^yj

auf der Landenge von Darien*) und Cabeza de Vaca*) bei den Stämmen in Louisiana und Texas, wobei übrigens wieder zu er- innern ist, dass wir auf diese Laster bei allen Beringsvölkern, selbst bei den Tschuktschen an dem sibirischen Eismeere, genau in der nämlichen Art gestossen sind 3). Auch unter den Jäger- stämmen der Vereinigten Staaten kommen Beispiele von Männern in Frauenkleidung vor und zwar sehr merkwürdiger Weise bei den alten lllmois, die nach ihren Ueberlieferungen von Westen her in ihre späteren Sitze eingewandert sein wollen^). Zu den Eigen- thümlichkeiten der Indianer gehören die vorschriftlichen Anreden der Völker untereinander, wie sich die Delawaren von ihren Nach- barn durch Verträge den Titel Grossväter hatten zusichern lassen und die Irokesen den besiegten Huronen die Bedingung auferlegten, künftig als jüngere Brüder angesprochen zu werden 5), In Brasilien begegnen wir den näjnlichen Bräuchen, denn auch dort reden sich die Horden als Grossväter oder als Oheime an. Bei den Mexicanern und den Bewohnern der Antillen kommen Sagen vor, dass die belebten Geschöpfe aus Höhlen hervorgegangen seien und die nämliche Rolle spielen die Höhlen wieder in den Schöpf- ungssagen der Tehueltschen^). Diese Beispiele würden schon ge- nügen um eine Geistesverwandtschaft zwischen den Bewohnern der beiden Festlande nachzuweisen, ausserdem aber haben wir noch die Aehnlichkeit im Bau der Sprachen, die auf eine gemein- same Abstammung hindeutet.

Es sei ims nun verstattet zunächst einen Blick auf die Erd- räume zu werfen, welche die Amerikaner inne haben. Wenn die Bewohner der alten Welt zu einer viel grösseren Beherrschung der Natur gelangt waren, als die Bewohner der neuen zur Zeit wo beide in Berührung traten, so schrieb man dies bisher aus-

i) Gomara, Hist. de las Indias, cap. 68. Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. III, cap. i.

2) Ramusio, Navigation! et Viaggi. Venetia i6o6. tom. III. fol. 270. verso.

3) S. oben S. 424. not. 5. S. 427.

4) Charlevoix, Nouvelle France, tom. III, p. 303.

5) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 22.

6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 99.

.^8 Die amerikanische Urbevölkerung.

schliesslich der sichtbar reicheren Gliederung und der mannigfal- tigen Individualisirung des Abendlandes zu. Diese Begünstigung war jedoch nur auf zwei Räume der alten Welt beschränkt, näm- lich auf Europa sammt den asiatischen und afrikanischen Mittel- meergesladen und auf den Südosten, da wo sich Asien und Australien durch Halbinseln und Inselketten zu nähern suchen, ohne dass diese letzteren Räume jemals eine besonders hervorleuchtende Ge- sittung beglückt hätte. Man darf sich sogar bedenken ob nicht, als Ganze verglichen, die neue Weit günstiger gegliedert erscheine als die alte. An Zierlichkeit der Umrisse und an anmuthiger Schlankheit erweckt der Anblick des Landes auf der sogenannten westlichen Halbkugel eine viel grössere ästhetische Befriedigung als die etwas unbehilflichen Ländermassen der alten Welt. Wenn wir aber auch in dem senkrechten Bau und der wagerechten Gliederung Euiopa's einen genügenden Aufschluss finden wesshalb die abendländische Gesittung so beträchtlich alles überragte was sich in Amerika, an Cultur im Jahre 1492 vorfand, so passt diese Erklärung gar nicht zu der Thatsache dass auch eine fast ebenso beträchtliche Ueberlegenheit in China sich entwickeln konnte, wo die Vortheile einer glücklichen Gliederung nicht vorhanden waren oder erst zur Geltung kamen als die dortige Cultur längst schon höher stand als etwa die Gesittung im mexicanischen Anähuac oder im Reiche der peruanischen Inca.

Es müssen daher den verschiedenen Gebieten der alten Welt andere Vorzüge gemeinsam sein, weiche die Erziehung der Menschen weit mächtiger förderten als diess in den beiden Amerika der Fall gewesen ist. Befremden muss es aber wohl jeden dass noch nie- mand die Ursache der Ueberlegenheit darin gesucht und gefunden hat worin sie doch am sichtbarsten vor uns Hegt, nämlich in der grösseren Geräumigkeit. Asien allein ist ein wehig grösser als die neue Welt, und da Europa und Afrika zusammen fast so gross sind als Asien, so folgt daraus, dass die neue haln so geräumig ist als die alte Welt. Um die Werthe genauer übersehen zu lassen, benützen wir die Ziffern in E. Behms geographischem Jahrbuche"). Dort finden wir für die:

Die arocrikanische Urbevölkerung. 42g

Alte Welt: Neue Welt:

Europa 178,150 Q. M. Nord-Amerika 416,450 Q. M.

Afrika 543.570 Süd-Amerika 327,369

Zusammen 721,720 Q. M. Zusammen 743,819 Q. M.

Asien 814,995 Q. M.

Zusammen 1,536,7 15 Q. M.

Indem wir vorläufig noch die Augen schliessen in welchem Sinne der doppelt grössere Raum der alten Welt anders als in der neuen vertheilt sei, wollen wir uns zuvor über die nächsten Folgen der grösseren Geräumigkeit klar werden. Vor allen Dingen dürfen wir vermuthen dass aflf dem doppelt grösseren Raum die doppelt grössere Anzahl von Pflanzenarten und von Thierarten vorhanden sein möge. Bei dem gegenwärtigen unfertigen Zustand der botanischen Statistik musste leider ihr bester Kenner, der jüngere Decandolle, ausdrücklich erklären dass sich jetzt noch nicht die Zahl der Gewächsarten in der alten und in der neuen Welt vergleichen liesse, doch hätten die Botaniker das berech- tigte Vorgefühl, als ob sich" schliesslich ergeben werde, dass Amerika wegen der vorherrschenden Richtung seiner Gebirge von Nord nach Süd im Verglei-ch zu seiner Grösse etwas reicher an Pflanzenarten sein möchte als die alte Welt. Dieses Vorgefühl würde uns also auf die Erkenntniss vorbereiten dass Amerika, ob- gleich um die Hälfte an Raum kleiner, doch nicht um die Hälfte an Pflanzenarten ärmer sei als die alte Welt. Immerhin aber bleibt die alte Welt reicher.

Ist aber diese reicher an wilden Arten, so wird sie wohl, schliessen wir weiter, auch reicher sein an Culturgewächsen. Bis- weilen hört man behaupten die neue Welt habe an bezähmten Pflanzen und Thieren der alten nichts zugeführt als den Mais, die Kartoffel, den Truthahn, das Meerschweinchen und die Moschus- ente. Wir werden uns jedoch rasch überzeugen, dass die Armuth der neuen Welt nicht so gross sei als man sie darzustellen liebt. Wenn wir uns nämlich nur an die wichtigsten Culturpflanzen halten, so fallen auf

die Alte Welt.

die Neue Welt.

Mehl-Hülsenfrüchte u. a.

Weizen

Mais

Roggen

Mandiocca

Gerste

Kartoffel

Hafer

Chenopodium Quinoa

440

Die amerikanische Urbevölkerung.

die Alte Welt : die Neue Welt :

Hirse

Batate

Buchweizen

Negerhirse Reis

Linsen

Erbsen Wicken

Mezquitebaum.

Bohnen

Igname Banane

Igname (?) Banane (?)

Obstsorten der gemässigten Zone.

Rebstock

Catawbatraube

Aepfel Birnen

Pflaumen

Kirschen

Aprikosen Pfirsiche

'Orangenarten

Feigen

Datteln.

Pflanzen mit Faserstoff.

Baumwolle

Baumwolle

Flachs

Agave americana

Hanf

Maulbeerbaum

mit dem Seidenwurm.

Gewürze.

Pfeffer

Vanille

Ingwer Zimmet

Span. Pfeffer {Capsicum annuum)

Muscatnuss

Gewürznelken

Zuckerrohr.

Narcotische Genussmittel.

Thee Paraguaythee

Kaffee Cacao

Mohn (Opium) Tabak

Hanf (Hadschisch) Coca;

Auf beiden Seiten ist die Liste lückenhaft, allein wenn wir auch das minder wichtige aufzuzählen fortfahren wollten, so würde sich doch immer wieder der nämliche Eindruck erneuern, nämlich dass die alte Welt der menschlichen Gesellschaft durch ihre Culturgewächse weit mehr Dienste geleistet hat als die neue.

Die amerikanische Urbevölkerung. 441

Obendrein haben wir die Igname der neuen Welt ebenfalls gut geschrieben, obgleich wahrscheinlicher Hinterindien ihr Vaterland ist, und ebenso gönnten wir ihr die wichtige Banane, weil es immer noch Botaniker gibt die sich nicht von der Ansicht trennen können als sei wenigstens eine Abart, die sie als Musa paradisiaca unterscheiden wollen, ein Geschöpf der neuen Welt. Wir haben aus Schonung für den Leser die tropischen Obstsorten der alten und der neuen Welt nicht verglichen und überlassen es andern ZM entscheiden, ob durch ihren gegenseitigen Austausch die neue oder die alte Welt mehr gewonnen habe. Wenn wir dagegen in unsern Obstrevieren uns umschauen, begegnen wir nicht einem einzigen Geschenk Amerika's. Diess beweist jedoch keineswegs dass die neue Welt in dieser Beziehung kümmerlicher von der Natur ausgestattet sein sollte als die Östlichen Festlande, denn alle unsere Obstbäume sind in ihrer jetzigen Gestalt Gewerbs- erzeugnisse, die durch lange Pflege, sorgfaltige Zuchtwahl und künstliche Vermehrung veredelt worden sind. Wer wollte also- verneinen, dass sich nicht auch im gemässigten Amerika Bäume und Gesträucher finden möchten, aus deren unschmackhaften wilden Früchten durch geduldige Zucht sich ein geniessbares Obst erziehen Hesse?

Bei einjährigen Pflanzen die sich durch Samen vermehren, ist aber die menschliche Cultur meistens machtlos gewesen. Zu ihnen gehören unsere Getreide-Arten, von denen wir eine ganze Reihe besitzen, während Amerika allein nur den Mais hervor- gebracht hat Da sie nach ihren gemeinsamen Familienzügen zu den Gräsern gehören, so ist es nicht unwichtig, dass nach Decan- doUe's statistischen Musterungen die alte Welt, vorzüglich Asien, an Gramineen vergleichsweise reicher ist als die neue, denn wäh- rend sie dort in den einzelnen Pflanzengebieten selten 10 Procent, gewöhnlich nur 9, ja bisweilen nur 7 Procent aller blühenden Arten umfassen, erheben sie sich in den östlichen Festlanden ge- wöhnlich zu 10, häufig zu 12 Proc. Unter den Grasarten liebt das Getreide vorzugsweise sonnige Standorte, die neue Welt da- gegen ist vergleichsweise auf viel grösseren Räumen von Waldland beschattet als die alte.

Ungleicher noch ist der diesseitige und jenseitige Artenreich- thum bei den Thieren. Wenn wir in einer Uebersicht nur die beiderseitigen Haustliiere vereinigen, d. h. Thiere die wirklich ge-

442 I^ic amerikanische Urbevölkerung.

zähmt worden sind, und solche von denen man vermuthen darf^ dass sie hätten gezähmt werden können, so muss die Armuth der neuen Welt jedem dem sie neu sein sollte, einen tiefen Eindruck hinterlassen. Es finden sich nämlich in der

Alten Welt: Neuen Welt:

Renthier Renthier

Rinderarten Bison

Kamel ) ( Llama

Dromedar ) ( Vicuna

_ , . ( Nabelschwein

Schwem j ,Tr i.

( Wasserschwein

Elephant Tapir

Hund Stummer Hund

Katze

Schaf

Ziege,

Ross

Esel

Haushuhn

( Truthahn

Hoccoshühner

Gans Ente Moschusente.

Nicht übersehen sollte man, dass bei obigem Vergleiche von den Culturtbieren der neuen Welt das Renthier, der Bison, der Truthahn und die Moschusente ausschliesslich Nordamerika ange-» hören; ferner dass den Hausthieren der alten Welt durch ihren vielseitigen wirthschaftlichen Nutzen ein höherer Rang gebührt. Abgesehen nämlich dass sie alle mehr oder weniger wegen ihres Fleisches gezüchtet werden, finden sich darunter als Milcherzeuger das Renthier, das Kamel, das Ross, die Ziege und das Rind. Wir könnten selbst das Schaf und den Esel noch hinzufügen, wenn nicht bei ihnen die Milch nur einen Nebengewinn gewährte. Mit WoUthieren ist Amerika durch seine Llama -Arten gut versorgt; wir haben jedoch das Schaf, die Ziege, das Kamel, das Dromedar. Von Last- und Arbeitsthieren besass die neue Welt nur das Llama sowie das Renthier und den Bison , wenn die beiden letztern be- zähmt worden wären, wir dagegen ausser dem Rind und dem Renthier die Kamele, den Esel, das Ross und den Elephanten, vom Hund zu schweigen, den die Eskimo wenigstens als Zugthier benutzt haben. Der Mangel an Zugthieren bedeutet aber dieAb* Wesenheit des Pfluges, des Schlittens und des Wagens. Da nun

Die amerikanische Urbevölkerung. aax

alle oben aufgezählten Thiere nicht den Wald, sondern Grasfluren bis an und in die Wüste bewohnen, und wir die neue Welt vor- zugsweise als ein Wald- und die alte vorzugsweise als ein Steppen- land kennen gelernt haben, so ist auch erklärlich, warum ein grösserer Artenieichthum an grasfressenden Säugethieren bei uns sich finden konnte, unter denen das scharfe, nach seinem Vortheil spähende Auge des Menschen bald diejenigen auswählte, die ihn nähren, kleiden, seine Lasten tragen oder seine Arbeiten verrich- ten konnten.

Allen denjenigen die sich seit Zimmermann mit der Ortskunde der Thiere beschäftigt haben, ist es aufgefallen, dass die alte Welt an grossen und an kräftigen Gestalten unter den Säugethieren viel reicher sei als Amerika. Das grösste Thier Südamerika's ist der Tapir, das gewaltigste des nördlichen Festlandes der graue Bär. Es fehlen daher der neuen Welt unsere grossen Thierge- stalten, der Elephant, das Nashorn, das Nilpferd, die Giraffe, das Kamel. Nicht minder bezeichnend ist es aber wie sich andere Thiere gegenüberstehen, nämlich in der

Alten Welt: Neuen Welt:

Löwe Puma

Tiger Unze

Krokodil Alligator

Katarrhine Aflfen, darunter menschen- platyrrhine Affen mit Roll- und ähnliche nngeschwänzte Greifschwänzen.

Neben unserm Löwen würde der feige Puma wie eine Jam- mergestalt erscheinen. Wie hätten auch so kleine Festlande als Nord- oder Südamerika sind einen so fürstlichen Waidmann her- vorbringen können? Wenn unser Dichter den Löwen einen Wüsten- könig nennt, so hat er uns zu einem glücklichen Worte geholfen. Dem Monarchen gebührt aber auch ein königliches Revier, welches selbst jetzt noch, vielfach geschmälert, durch ganz Afrika und Vorderasien reicht, ehemals aber auch europäische Gebiete mit einschloss. Ebenso hat der Tiger, oder der Königstiger, wie man die schauerlich schöne Thiergestalt mit Recht nennt, einen halben Welttheil zum Revier, denn vom kaspischen Meer streift er bis an den Amur, wo die Russen bei ihrem Vordringen im vorletzten Jahrzehnt wahrnahmen, dass sein Gebiet bis an und theilweise über die Grenzen der Pelzthiere reiche, südwärts aber ist er bis zur äussersten Spitze Asiens in der Halbinsel Malaka vorgedrungen,

AAA ^ie amerikanische Urbevölkerung.

ja er durchschwimmt sogar einen Meeresarm um auf der Insel Singapur alljährlich Hunderte von Menschen zu morden. Was ihm die neue Welt entgegenzusetzen vermag, ist die kleinere, blutgierige, aber viel minder beherzte Unze, die nur aus Noth- wehr den Menschen anzugreifen pflegt.

, Auch sind diese Gegensätze schon längst erkannt und klar in dem Satze ausgesprochen worden, dass die neue Welt dem Pflanzen-, die alte dem Thierleben günstiger sei. Der Hochwald der gemässigten Zone wie der tropische sogenannte Urwald schliessen die Entwicklung einer reichen Fauna aus, oder ver- statten nur eine solche die sich zum KUettern oder zum Leben in den Wipfeln entschliesst. In den dichten Forsten am West- abhang der Felsengebirge herrscht nach Viscount Miltons Schil- derung eine tiefe Stille, die nie ein Thierlaut unterbricht. Umge- kehrt finden wir auf den Grasländern, besonders dort wo der Wald nur inselartig noch auftritt oder sich parkartig lichtet, wie auf den Prairien Nordamerika*s, die grossen Bisonheerden, in Afrika Geschwader von Antilopen und Gazellen. Der grössere Reich- thum an Steppen in der alten Welt würde uns nun wohl erklären dass das Thierreich auf der östlichen Erdveste an Zahl der Arten und der Einzelwesen das amerikanische übertreffe, noch nicht aber dass auch die grössten, die stärksten und die klügsten Thierarten sich bei uns zusammengefunden haben. Und doch ist auch hier wiederum die grössere Geräumigkeit die entscheidende Ursache insofern sie einen lebhafteren Kampf um das ^Dasein zur Folge hat. Dieser Kampf sollte uns aber nicht sowohl als ein noth- wendiges Uebel, sondern weit eher als ein nothwendiger Segen erscheinen, weil er es ist der die Geschöpfe stählt und schwäch- lich gewordene Individuen oder Arten zwingt den Schauplatz für bessere Erscheinungen zu räumen, dass er überhaupt genau das in der Natur vertritt, was wir innerhalb der bürgerlichen Gesell- schaft den freien Mitbewerb nennen, der dem vorwärts Drängenden alle Glücksgüter zuwirft, den Zurückbleibenden ohne Mitleid unter- drückt. Für unsere Aufgabe jedoch ist es eine besonders wichtige Wahrnehmung, dass auf kleinen abgeschlossenen Räumen, wie es die Inseln sind, der Kampf um das Dasein bald erlischt und das Gleichgewicht sich so^lange ungestört erhält bis ein neuer Streiter auf dem Walplatz erscheint. Wir dürfen diesen Satz auch so ausdrücken, dass die Heftigkeit des Kampfes um das Dasein mit

Die amerikanische Urbevölkerung. 445

der Grösse der Räume wachse, dass er also auch viel nachdrück- licher auf der alten wie auf der neuen Welt geführt worden sei, dass eben als eine Folge dieses fortgesetzten Vorwärtsdrängens und einer rascheren Modernisirung der organischen Gestalten die grössten, stärksten und klügsten Geschöpfe in der alten Welt sich finden mussten. Dass auf einem grösseren Räume seltener und nur auf kurze Zeit ein Stillstand des Kampfes eintreten kann, lässt sich leicht einsehen. Lange vor Charles Darwin hatte Leop. V. Buch') schon bemerkt: „Die Einzelnwesen der Arten auf Fest- landen breiten sich aus und bilden mit der wachsenden Entfernung und der Aenderung des Standortes Abarten welche in den grossen Abstand den sie gewonnen haben, nicht mehr mit den andern Ab- arten gekreuzt und zu dem Hauptypus zurückgeführt, endlich zu dauernden Eigenarten werden, die auf andern Wegen vielleicht neuerdings wieder andern ebenfalls veränderten Abarten begeg- nen, beide als sehr verschiedene und nicht mehr sich mischende Arten. . . . Nicht so auf Inseln."

Wenn also auf einem grösseren Länderraum der Kampf um das Dasein heftiger entbrennt, weil jeder Abart rasch eine andere auf der Ferse folgt, so besitzen wir darin die einfachste Erklärung weshalb die Geschöpfe der alten denen der neuen Welt einen Vor- sprung abgewonnen haben, denn nicht allein dass die Quadrat- meilenzahl der Ländermassen auf unserer Seite doppelt so gross ist, muss man auch beachten dass Amerika in zwei völlig getrennte Schlachtfelder, in zwei Festlande mit gesonderten Naturreichen, zerfallt, und dass jedes dieser Festlande wiederum mehr von Norden nach Süden sich ausdehnt, anstatt wie die Ländermassen in der alten Welt von West nach Ost zu streben. Beim Bau der neuen Welt herrscht die Neigung möglichst viele Breitengrade in beiden Halbkugeln zu bedecken, in der alten Welt das Bestreben möglichst viel Längengrade unter gleichen Polhöhen zu durchlaufen. Da nun die meisten Arten und Gattungen der beiden Reiche zwischen Polar- und Aeqöatorialgrenzen (richtiger zwischen isother- mischen Maximal- und Minimalgrenzen) eingefangen bleiben, so wird auf der alten Welt jeder Einzelart offenbar ein viel grösserer Spielraum ^eröffnet als in der neuen. Wie beträchtlich die Ge- räumigkeit des Kampfplatzes in der alten Welt zunimmt wegen

I) Physikal. Beschreibung der canarischen Inseln. Berlin 1825. Bd. i. S. 133.

725

d.

S-

Meilen.

575

»

450

»

I450

if

l620

n

1690

•1

^^6 I^ie amerikanische Urbevölkerung.

der ostwestlichen Erstreckung der grossen Axe gewahrt man

aus nachstehendem Vergleiche der Grössenverhältnisse unter gleichen

Breiten. Es beträgt die Ausdehnung von West noch Ost:

in Nordamerika unter 50* n. Br. Parallel der Vancouverinsel und Neu- fundlands 40* Parallel von Philadelphia 30* ,i Parallel von Xew-Orleans

in der alten Welt 50* f, Parallel der Südwestsspitze Englands 40* ,f Parallel von Neapel und Peking 30* » Parallel von Kairo

Wäre es aber begründet dass auf grösseren Räumen der Kampf um das Dasein mit grösserer Erbitterung geführt werde, so müssten auch die Sieger auf dem geräumigen Walplatz den Siegern auf dem engeren Räume überlegen sein. Sollten also beispielsweise Gewächse der alten Welt heimlich in der neuen landen, oder sollten sie dort aus der Aufsicht des Menschen, das heisst aus Gärten ins Freie entspringen, so müssten sie viel rüstiger die amerikanischen Arten verdrängen als umgekehrt amerikanische Arten auf der östlichen Erdveste unsere Gewächse; mit andern Worten: wiide oder verwilderte Gewächse Europa's sollten in Amerika viel rascher sich verbreiten als amerikanische in Europa oder überhaupt in der alten Welt. Und wirklich bestätigt auch die Erfahrung alle Forderungen des Lehrsatzes, haben doch selbst transatlantische Botaniker Amerika den Garten für europäisches Unkraut genannt. Von Buenos-Ayres, ihrem Landungsplatze, aus haben wilde Gewächse Europa's, wie der Schneckenklee, die Marien- distel, die Kardonen-Artischoke meilenweit die Steppen bekleidet, und die einheimischen Gräser müssten dort vor unsern Raigras- arten (Lolium perenne und Z. multiflorunt) sowie vor Hordeum maxi- mum und Ä pratense zurückweichen. In Nordamerika aber hat einige Küstenstreifen das kleinblumige Wollkraut und die gemeine Brunelle siegreich besetzt. Ueberhaupt sind seit 1492 in Amerika 138 Arten aus Europa und 8 aus anderen Welttheilen eingedrungen, in Europa aus allen Welttheilen nur 38 Gewächse.

Im Stillen wird bereits jeder geneigte Leser auch in der un- widerstehlichen Ausbreitung der Racen unserer Erdveste über die neue Welt nur eine Wiederholung des siegreichen Auftretens unserer sogenannten Unkräuter gefunden haben. Recht lebhaft

Die amerikanische Urbevölkerung. 447

entbrannte der Kampf um das Dasein bei den grossen Wande- rungen, wie sie sich nur auf der östlichen Erdveste zutragen konnten. Gewöhnlich werden allerdings die Einbrüche roher Völker- horden in die Gebiete gesitteter Völker als grosse Drangsale der Menschheit angesehen. Vielleicht genügt aber ein wenig Nach- denken zu der Ueberzeugung, dass die meisten, wenn nicht alle, erspriesslich gewesen sind. Einstweilen erinnern wir nur an die vorletzte dieser grossartigen Erscheinungen, nämlich an den Ein- bruch der Mongolen, die sich von ihrer Heimat am Onon und Kerulün im sibirischen Daurien in unglaublich rascher Zeit bis an die Donau ergossen, und deren Auftreten für Europa wenn nicht in gleichem Maasse doch in ähnlichem Sinne günstig wirkte, wie die plötzliche Ausbreitung der Araber, Wo solche Kämpfe um das Dasein sich entzünden, wird unser Geschlecht ruckweise einer höheren Entwickelung näher gebracht, sie mögen endigen wie sie wollen, denn entweder gelingt es den älteren Culturvölkern , dem Vordringen der neuen Völkerfluth eine Mauer zu ziehen , und sie erstarken während der Bewältigung, oder es gilt, wenn sie aus Schwäche unterliegen, die Regel, dass der Verdrängende rüstiger gewesen sein müsse, als der Verdrängte. Stürzt selbst eine edle Cultur in Trümmer, werden ihre Herrlichkeiten vom Erdreich bedeckt, und geht zuletzt der Pflug über das verschüttete Mosaik- getäfel, eins hatte jedenfalls der siegreiche Barbar vor dem be- drängten Römer voraus, nämlich seine Jugend und die Anwartschaft auf eine höhere Zukunft*).

a. Die Jägerstäinme im nördlichen Festlande.

Da alle Eingebornen Amerika's einen einzigen Stamm inner- halb der , mongolischen Race bilden , so geschieht es nur zur besseren Uebersicht, wenn die Bewohner der nördlichen von der südlichen Hälfte getrennt werden und wiederum eine Scheidung in sogenannte Jägerstämme 'und CulturvÖlker eintritt. Innerhalb dieser Gruppen kann nur nach der Sprache eine letzte Theilung vollzogen werden. Von vornherein müssen wir aber auf eine grosse Anzahl von Sprachen gefasst sein, denn die Jagd bedingte an sich eine weite Ausbreitung in kleine Horden, die mit ihrer Absonderung und Zerstreuung, wie dies schon gezeigt wurde').

1) Das obige von S. 337 347 wurde abgedruckt aus dem Ausland. 1867. S. 937.

2) S. oben S. 107.

aaR Die amerikanische Urbevölkerung.

erst mundartlich, dann bis zur völligen Unähnlichkeit ihre Sprache umgestalteten. Doch bedurfte es nur ernster Forschungen, um wiederum für eine Mehrzahl von Sprachen eine gemeinsame Her- kunft zu ermitteln. Dies ist bis jetzt in Nordamerika besonders durch die Arbeiten Buschmann's gelungen, auf welche Waitz seine Eintheüung gründete, die wiederum auf einer Karte von Otto Deutsch dargestellt worden ist. Wir brauchen uns daher nicht mehr mit einer Aufzählung todter Namen zu belästigen, sondern es wird genügen, die grossen Gruppen anzugeben.

Begrenzt von den Eskimo und den anderen Beringsvölkern der Nordwestküste, stossen wir zunächst auf die Gruppe der Kenai und Athabasken, die trotz ihrer starken Entfremdung immer noch eine ehemalige Sprachverwandtschaft verrathen. Die Kenai, unter denen die Yellow-Knife oder die Ahtna-Horde^) am besten bekannt ist, wohnen hauptsächlich am Yukonstrome. Die Athabasken dagegen sitzen östlich von ihnen und erfüllen den Raum zwischen der Hudsonsbai und den Felsengebirgen, soweit etwa die britischen Grenzen reichen. Bekanntere Horden sind die Tschepewyan- (verschieden von den Odschibwä), die Kupferminen-, Hundsrippen- und Biberindianer. Aus ihrer Urheimat im Norden haben sich ausserdem durch Wanderungen bis nach Oregon nahe der Meeres- küste die TIatskanai, Umpkwa und Hupah verloren. Noch weiter nach Süden, östlich vom Colorado, in das Hochland Neu-Mexico*s wanderten die athabaskischen Navajos, ja selbst die gefürchteten Apatschen, die vom westlichen Colorado bis nach den mexicanischen Provinzen Chihuahua und Coahuila streifen, gehören noch zu dieser Gruppe. Endlich entdecken wir nördlich von der Mündung, des Rio grande del Norte eine Athabaskenhorde , die Lipani, so dass also das Verbreitungsgebiet dieser Völkerstämme jenseits des Polarkreises beginnt und bis an den mexicanischen Golf reicht.

Von den Felsengebirgen angefangen, im Quellengebiete des Missouri bis zum atlantischen Meere, besonders aber in den nörd- lichen Staaten der Union vom Mississippi gegen Osten sitzen oder sassen vielmehr zur Zeit der Entdeckung die Algonkinen. Der

I) Eigentlich Ah-tend; tend oder tinneh bedeutet nämlich „Leute", und mit diesem Suffix werden die Hordennamen stets bekleidet, daher die Kenai- besser Tendstämme genannt würden. W. Dali, Alaska and its resources. Boston 1870. p. 428.

Die amerikanische Urbevölkerung. aaq

äus^erste Westen ihres Verbreitungsgebietes wird von den Schwarz- Füssen eingenommen, die Gestade um den obern See von den Odschibwäern, die Räume südlich und westlich von der Hudsonsbay von den Knistino oder Kri. Oestlich vom Mississippi gehörten zu den Algonkinen die Leni Lenape, die den Fünfvölkerbund der Delawaren bildeten, der auch die Mohikaner einschloss. Ihrer Sprache verdankt die Länderkunde unter andern Namen, wie Massachusetts, Connecticut, Alleghany, Savannah, Mississippi. Andere bekannte algonkinische Horden sind die Susquehannoc, Pamptico, Schawano oder Schawnie, Illinois, Sank, Musquakkie oder Füchse, Menomennie oder Wildreisleute.

Inselartig wurde von den Algonkinen eine dritte Gruppe, die Irokesen Canada's, eingeschlossen. Um das Jahr 1700 bildeten die Horden der Senekä, Cayuga, Onondago^ Oneida und Mohawk den Fünfvölkerbund, dem 1712 als sechstes Glied die Tuscarora

beitraten. Die Huronen oder Wyandot, die sprachlich ihnen ver- schwistert waren, lebten gleichwohl mit dem Irokesenvölkerbunde beständig im Kriege. Früher genossen sie von den geschwisterlichen Horden die Ehrenbezeichnung „Väter", besiegt aber mussten sie einwilligen, die anderen Irokesen als „ältere Brüder** anzureden. Die Irokesen gestanden auch den Delawaren, die von den übrigen Stämmen al^ Grossväter begrüsst wurden, durch einen Vertrag vom Jahre 1591 nur den Titel Onkel zu.

Die vierte Gruppe bilden die Dacota oder die „sieben Rath« feuer", besser gekannt mit ihrem Spottnamen Sioux. Sie be- wohnen auf dem Gebiete der Vereinigten Staaten die Grasfluren zwischen den Felsengebirgen und dem Mississippi, bis südwärts an den Arkansas. Zu ihnen gehören die Assiniboin, die Winebago oder Winipeg, die Eiowä (Jowa), Omaha, Osagen, Kansas, Arkansas, Menitärri, die Krähen oder Upsaroka, endlich die Mandaner.

Vereinzelt - stehen die Pawnie und Riccara in und an den Felsengebirgen zwischen den Oberläufen des nördlichen Platte und Arkansas. Im Südosten der Vereinigten Staaten waren die Tschocta und Tschikasa der Sprache nach verwandt den Muskogie oder dem Bunde der Krikstämme, zu dem die edlen Seminolen, deren Name Flüchtlinge bedeutet, ehemals als ältestes Glied gehörten. Süd- und Nordcarolina wiederum wurden früher von den Tscheroki- stämmen bewohnt, die ihrer Sprache nach ganz einsam stehen« Ebenso haben sich die ehemaligen Bewohner von Texas weder zu

Pfsckel, Völkerkunde. 29

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Die amerikanisclie Urbevölkcnin;;.

tintr gemeinsamen Gruppe vereinigen, noch andern Gruppen an- schliessen lassen. Dort finden wir die Keiowäh, die Paduca, die r'aildo oder Cadodaquiu, zu denen die Tejas oder Texas ge- ]i>',ri-.'n, endäch die merkwürdigen Natchei; am untern Mississippi.

b. Die Jägerstämme in Südamerika,

Höhere Gesittungen dürfen wir im südlichen FesÜande nur auf uml a:i den Anden suchen. ]n Brasilien, den Guyanagebieten und in \cnezuela sitzen dagegen lauter sogenannte J äger stamm e , die zum Theil noch auf den niedrigsten Stufen der geselligen und !;u^ügen Entwicklung verharren. Ihre Sprachen sind noch mehr zirspli^tert als in Nordamerika, doch hat bis jetzt noch kein Konner ernstlich versucht, in dieses Getümmei einige Ordnung zu iirin^'ei, Aeltere Sprachenkarten haben den Irrthum genährt, als hf rräche in ganz Brasilien nur eine einzige, die allgemeine Indianer- spradie (Imgoa geral) oder das Guarani. Hr. v. Martius zeigte tla.L;t'sen zuerst, dass diese Sprache der Tupi zwar von Einzelnen in ji'der brasilianischen Horde verstanden wird, aber nur auf zwei wr-.i von einander entlegenen Gebieten wirkl:ch herrscht, nämlich zwi-clien den Nebenflüssen des Amazonas Tapajos und Xingu iiiiil in der Provinz Chiquitos. Sonst finden wir eine dichtere 'i uiiibevolkerung noch in Paraguay, auf einer Strecke am rechten 1_ "1^ r des mittleren Paran4. Einzelne Tnpihorden wiederum sind bi,^ zur aüantischen Küste geschwärmt, wie überhaupt nur in we- lii^rn Provinzen Brasiliens ihre Spuren vermisst werden. Nordlich viJiii Amazonas fehlen sie dagegen völlig.

Ausserdem vereinigt Martius zu einer Gruppe die Lenguas oder Zungenindianer, so geheissen, weil sie die Unterlippe durch- bohren, Sie führen bei den Tupi den Namen Guaycuru oder ."^L-linelUäufer, bewohnen die westlichen Ufer des Paranä und Pa- raguay und sind durch ihre Rohhe^t berüchtigt Anderen Stämmen zvi-chen dem Quellengebiete des Paranä und des Madeira gibt .M.rtlus den Sammelnamen Parexis oder Poragi, .was Oberländer bi'li'ulet. Das ungeheuere VVassergebiet des TocantJns erfüllen (iii G';s, auch Cräns, das heisst „Häupter" oder „Söhne" ge- hi' -seil. Sie unterscheiden sich von den Tupi dadurch, dass sie iii';ht wie diese in einer Hängematte, sondern stets auf einem nifilcron Gestell schlafen. Ihnen nahe stehen die Cren oder

Die amerikanische Urbevölkerung. ^^I

Gueren, zwischen Parahiba und Rio das Contas ausgestreut. Crcn bedeutet wie Cran „die Häupter". Zu den Cren gehören die Botocuden, die Coroados, Puris und Malalis. Im Innern der Pro- vinzen Bahia, Pernambuco und Piauhy fasst Martins etliche Indianer- stämme als Guck- oder Cocohorden zusammen, weil sie sämmtlich mit diesen Worten den Mutterbruder bezeichnen. Zu ihnen ge- hören am Amazonas Indianer, die sich Ore Manoas, das heisst wir die Manoas^ nennen, in Guayana und Venezuela die Macusi und die Maypures. Hatten wir in Nordamerika doch wenigstens etliche Völkernamen gefunden, so stossen wir in Brasilien nur auf Hordennamen, deren Hr. v. Martins allein am Rio Negro nicht weniger als io6 sammelte. Das Bewusstsein, einem Volke anzu- gehören , setzt bereits eine höhere gesellschaftliche Entwickelung und gemeinsame geschichtliche Thaten voraus, die dort fehlen. Nur wenig bessern sich die Zustände am Amazonas. Dort finden wir die kriegerischen Mandrucu, als Mischlinge den Tupi verwandt, die sich durch strenge Mannszucht , durch den Gebrauch von Trompeten Signalen im Gefechte und einen geordneten Vorposten- dienst in Kriegszeiten auszeichnen. Am Rio Negro sitzen die Miranhas, ehemals Menschenfresser, sonst bekannt als Verfertiger hochgeschätzter Hängematten, von denen jede sechs Wochen Arbeit kostet. Da wo der Amazonas der peruanischen Grenze sich nähert, stossen wir auf die Tecuna, deren Maskenspiele uns bereits wichtig geworden sind, und an der venezuelanischen Grenze auf die Uapes, deren geräumige Bauten wir gerühmt haben"). In Guayana durcheinander gestreut wohnen hauptsächlich zwei Völker, die Arowaken oder „Mehlleute**, so geheissen, weil wir in ihnen die Erfinder der Tapiocabereitung zu verehren haben, und die Cariben, missbräuchlich seit dem 17. Jahrhundert Caraiben ge- nannt, denen die Spanier alles Hassenswürdige zugeschrieben haben und die wegen ihrer Rohheit verrufen blieben, bis sie seit A. V. Humboldt's und der Brüder Schomburgk Reiseerfahrungen als ein unverdorbener Volksstamm voll besserer Regungen erkannt wurden*).

i) S. oben S. 186.

2) Wie Richard Schomburgk bemerkt, vergiften sie ihre Pfeile nicht, obgleich auf ihrem Gebiete die Curarepflanze [Strychnos toxi f er a) vor- kommt. Reisen in Britisch-Guiana. Leipzig 1848. Bd. 2. S. 429.

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Aii2 I^ic amerikanische Urbevölkerung.

Das nördliche und südliche Festland von Amerika gleichen sich in vielen grossen Zügen , von vornherein schon in den Um- rissen, denn beide sind grosse Dreiecke, mit den -Spitzen nach Süden gerichtet. Aber auch ihr senkrechter Bau stimmt darin überein, dass am Westrande vom Stillen Meer aus die Cordilleren aufsteigen und zwischen ihren Kämmen Hochebenen eingeschaltet liegen. Als nothwendige Folge dieses gleichförmigen Baues finden wir östlich von den Abhängen der Felsengebirge und der Cor- dilleren oder in ihrem „Regenschatten" keinen Wald, sondern offene Steppen, in Nordamerika Brairien, in, Mittelamerika Savanen, in Venezuela Llanos, am Silberstrom Pampas geheissen. Erst auf die Steppen gegen O^ten folgen dann grosse Waldgebiete^ welche im Norden und Süden die atlantischen Hälften beider Welttheile bedecken. Auf den Grasebenen im Süden wie im Norden Amerika's suchen wir vergeblich nach den gesellschaftlichen Erscheinungen, die in der alten Welt auf den entsprechenden Länderräumen allenthalben hervorgerufen werden. Wir vermissen dort Völker, welche die Berberstämme Nordafrika's , die Beduinen Arabiens, die Türken in Turkistan, die Mongolen in der Gobi, die Lappen und Samojeden auf den Tundern des hohen Nordens in Amerika vertreten möchten. Wenn man es sehr häufig als einen Mangel der amerikanischen Menschheit bezeichnen hört, dass sie die Vieh- zucht vernachlässigt habe, so ist diese Behauptung ungenau, denn streng genommen fehlte ihr nur die Milchwirthschaft gänzlich^ Wie Hr. v. Martins*) uns belehrt hat, gibt es in der Tupisprache oder Lingoa geral Brasiliens für Bezähmung einen eigenen Aus- druck mit dem Sinne, dass die Thiere zur Ablegung ihrer Wildhei^ gebracht werden sollen. Die meisten Eingebomen Brasiliens zeigen Freude am Umgang mit Thieren; sie wissen Afien und Papageien an sich zu fesseln, und rufen unter anderen durch Ernährung mit Fischen bei grünen Papageien rothe und gelbe Federn hervor"), auch gleichen ihre Hütten oft einer Menagerie. Culturgeschichtlich gewinnt jedoch die Thierzucht erst dann eine höhere Bedeutung, wenn der Mensch vorsorglich durch sie seinen Unterhalt erwirbt und sich abgewöhnt, von den Gnadengeschenken der Natur aus der Hand in den Mund zu leben. Am Amazonas könnte die Jagd

i) Ethnographie. Bd. i. S. 672.

2) Charles Darwin, Domestication. tom. II. p. 280.

Die amerikanische Urbevölkerung. 453

auf Schildkröten den Uferbewohnern Nahrung für das ganze Jahr liefern, allein ihr Fang ist nur auf die trockene Zeit beschränkt, wo sich die Thiere ans Land begeben. Desshalb besitzt fast jede Familie neben ihrer Behausung einen geschlossenen Weiher, um eine Anzahl lebendiger Thiere für die nasse Zeit aufzusparen*), häusliche Vorkehrungen, welche Orellana, der Entdecker des Amazonenstromes, bereits bei den Eingebornen *) antraf. Ausser- dem wurden ehemals und werden noch jetzt Hoccoshühner (Crax) von vielen brasilianischen Stämmen wegen ihres schmackhaften Fleisches gezüchtet. An der venezuelani^hen Küste bei den Eingebornen Curianas sahen die spanischen Seefahrer Hausthiere, die sie als Kaninchen, Gänse und Tauben bezeichneten 3). Auf den Antillen wurden der stumme Hund und auf Haiti das Meerschweinchen als Hausthiere gezogen. Nabelschweine und Tapire gewöhnen sich sehr leicht an die Nähe des Menschen, wurden und werden auch noch jetzt bezähmt bei den Brasilianern angetroffen, allein sie vermehren sich nicht in der Gefangenschaft^).

Dagegen fehlen uns glaubhafte Berichte, dass die Stämme des nördlichen Festlandes östlich der Felsengebirge, immer mit Ausnahme der Eskimo, vor der Entdeckung Thiere zum häus- liehen Nutzen gezüchtet hätten. Gerade Nordamerika war aber vor dem südlichen Festland durch ein gesellig lebendes Thier bevorzugt, welches zur Entwickelung eines Hirtenlebens völlig ge- nügen konnte. Wir meinen den Büffel oder Bison, der mit Aus- nahme eines ganz kleinen Reviers auf dem westlichen Abhang der Felsengebirge nicht vorkommt und ebenso gegen Osten vom Mississippi sich nicht allzu weit entfernt. Jung eingefangen, lässt sich der Bison zähmen und abrichten und hat auch mit dem europäischen Rinde eine brauchbare Mischrace geliefert. Wenn er dennoch von den Eingebornen weder gezüchtet, ja nicht einmal gehegt worden ist, so hat es offenbar den Rothhäuten an der Neigung oder an der Geduld zur Thierbezähmung gefehlt. Auch die einheimische wilde Ente wurde von ihnen nicht, wohl aber von den europäischen Ansiedlern gezähmt; der Truthahn, in

i) Bat es, Amazons, p. 321.

2) Oviedo, Historia general. Üb. L. cap. 24. tom. IV. p. 553.

3) Gomara, Historia de las Indias. cap. 75.

4) Darwin, Domestication. tom. II, p. 153.

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Mexico ein Hausthier, wurde nur wild auf dem Gebiet der Ver- einigten Staaten angetroffen. Im Norden des Festlandes streift das Renthier (Caribu), welches in der alten Welt allenthalben, in der neuen aber von den Canadiern nicht gezähmt worden ist. Allerdings trifft man bei den Stämmen der Hudsonbaigebiete den Hund als Hausthier und zur Jagd abgerichtet, doch möchten wir fast vermuthen, dass die Zähmung dieses Geschöpfes erst nach der Einwanderung der Eskimo, die .den Hund als Zugthier in ihrer asiatischen Heimat gekannt hatten, sich verbreitet habe. War aber bei den Rothhäuten des nördlichen Festlandes die I^eigung zur Thierzucht ohnehin sehr schwach, so ist nicht leicht denkbar, was sie hätte in Versuchung führen sollen, den Bison zu zähmen, da ihnen die Jagd so viel Fleisch und so viel Häute lieferte, als sie je bedurften. An den Genuss thierischer Milch aber hat kein Volk in Amerika gedacht. Die Milchwirthschaft gehört überhaupt einer sehr späten und hohen Entwicklungsstufe des Hirtenlebens an. Ncch heutigen Tages liefern die grossen Rinderh^erden auf den Pampas und Llanos nichts als Fleisch und Häute, wie denn die reichliche Absonderung von Milch bei dem Heerdenvieh erst in Folge einer langen Bezähmung eintritt. Während in England eine Kuh täglich 40 Finten Milch liefert^), erhalten die Damara in Südafrika, also ein Hirtenvolk, höchstens zwei bis drei Finten von ihren Thieren, und ihre Kühe verweigern sogleich die Milch, sowie man ihnen das Kalb nimmt ^). Daraus dürfen wir folgern, dass die Völker, welche zuerst Thiere in Heerden versammelten, zunächst nur an den Fleischertrag dachten und die Ausbeutung der Milch erst nach langer Zeit und in Folge kunstvoller Zucht- wahl eintrat! So finden wir denn in der neuen Welt die Steppen so gut wie das Waldland nur von Stämmen bewohnt, die Jagd und Feldbau als Ernährungszweige betrieben.

Baureste mangeln in Südamerika östlich von den Anden gänzlich, in Nordamerika dagegen bestehen sie in kegelförmigen Grabhügeln, in runden, oben flachen Erdaufwürfen (mounds) und in kreisrunden Verschanzungen, zum Theil mit Gräben und ge- deckten Wegen, Sie siift sehr spärlich in den Neu-England-

i) Darwin, Domestication. tom. II. p. 300.

2) Andersson, Südwestafrika. Bd. 2. S. 54. B a r r o w (South Africa , tom. I. p. 315) rechnet zwei Quart Milch auf eine südafrikanische Kuh.

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Die amerikanisclie Urbevölkerung. acc

Staaten und selten im Westen des Mississippi, erstrecken sich aber vom Oberlaufe des Missouri und den grossen Seen nach Süden auf beiden Abhängen der Alleghanies bis nach Florida. Am allerdichtesten finden sich solche Reste am Ohio. Die Mehr- zahl der Alterthumskenner schrieb sie früher und schreibt sie t'.och jetzt einem ausgestorbenen Volke von Hügelbauern fmound" tuildersj zu, das sie entweder von Mexico nach dem Nordosten oder vom Nordosten nach Mexico wandern lassen. Wären jene Baudenkmäler nichts anderes als ein Culturstrahl der nahuatla- kiachen Gesittung gewesen, so müssten die Verschanzungen immer häufiger werden, je "mehr man sich dem Hochlande von Andhuac näherte, aber gerade in Texas verlieren sich ihre Spuren, und dort wie im mexicanischen Chihuahua sassen auch nach Cabeza de Vaca's^) Mittheilungen äusserst rohe und halb verhungerte Stämme, die sich von Fischen, Wurzeln und den Früchten der Feigendisteln (Opuntia tuna) ernährten. Die Beschreibungen der Spanier von den verschanzten Ortschaften der Indianer iji den ehemaligen Sklavenstaaten und das Bild, welches uns Jacques Cartier*) von der Irokesenstadt Hochelaga, jetzt Montreal in Ca- nada, entworfen hat, entsprechen genügend den Vorstellungen von jenen Erdwerken, wie wir sie aus den zahlreichen Grund- rissen und Querschnitten in Schoolcraft's umfangreichem Werke über die Alterthümer der Vereinigten Staaten uns bilden können. Wir theilen deshalb vollständig die Ansicht Samuel F. Haven's^), der in den Vorfahren der jetzigen Indianer die Urheber jener Baureste vermuthet und der uns nachgewiesen hat, dass noch im Jahre 1800 ein Schutthügel fmoundj über der Leiche eines Omahahäuptlings errichtet wurde, sowie dass am obern Missouri von Lewis und Clarke eine ganze Reihe frischer Schanzwerke ange- troffen worden sind. Wohl haben Europäer nicht mehr beobachtet, dass die rothen Jäger Bauten errichteten, wie den walled lake, eine künstliche Anspannung von Wasser zu Berieselungszwecken, in der Grafschaft Wight (Jowa) ^) ; allein Charlevoix 5) unterrichtet

i) Ramusio, Navigationi et viaggi. Venetia 1606. tom. III. fol. 266. verso.

2) Relation originale de Jacques Cartier. (Zweite Reise.) ed. d'Avezac. Paris 1863. p. 23 sq.

3) Archaeology of the United States, s. 1. 1855. p. 157. •4) Kapp, Vergleichende Erdkunde. 2. Aufl. S. 615.

5) Nouvelle France, tom. III. p. 335.

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^^6 * ^ic amerikanische Urbevölkerung.

uns andrerseits, dass die Irokesen vor seiner Zeit viel geräumigere Wohnungen sich erbauten , also auch sie , wie unzählige andere halbentwickelte Menschenstämme , nach der Berührung mit Euro- päern ihre alten Künste vernachlässigten. Die Hügel- und Schanzenerbauer waren also die Voreltern jener Rothhäute, welche von den europäischen Ansiedlern verdrängt wurden i sie lebtei wie diese von der Jagd und mögen in den nämlichen Zustände! schon vor der Ankunft der Entdecker eine Reihe von Jahr- hunderten verharrt haben').

Die Jagd ist aber unverträglich mit dem Aufschwung zu einem erhöhten Culturleben, denn die sittliche Entwickelung der Völker steht in strenger Abhängigkeit von ihrer Ernährungsweise. Nur dort finden wir die frühesten und lange Zeit vereinsamten Lichtpunkte der menschlichen Gesellschaft, wo sich die Bevölkerung mit Leichtigkeit verdichten konnte, wie am Nil und in China; denn erst nach Eintritt eines engeren Zusammenrückens der Be- völkerung vollzieht sich eine Theilung der Arbeit, die bei sehr vielen Culturanfangen durch eine Abscheidung in Kasten sich ausgedrückt hat. Die Jagd auf einem Gebiet von gewissem Wild- reichthum kann dagegen nur eine genau und karg bemessene Bevölkerung ernähren. Mehrt sich ein Stamm über den Fleisch- ertrag seiner Reviere hinaus , so werden die Männer theils vom Mangel, theils vom Bewusstsein ihrer überlegenen Zahl getrieben, die Jagdgründe ihrer Nachbarn betreten. Die unausbleibliche Folge sind dann Fehden, wo der stärkere Stamm den schwächeren entweder aufreibt oder verdrängt, in welchem letzteren Falle dieser wiederum verdrängen oder ausrotten muss. Starke Jägerstämme können sich daher wohl ausbreiten, nicht aber sich verdichten.

Ein VVachsthum der Gesittung, wenn es nicht durch Ankunft der Europäer unterbrochen worden wäre, konnte in Amerika nur dann stattfinden, wenn die Ernährung durch Feldfrüchte mehr und mehr die Ernährung durch Jagdbeute ersetzt hätte. So weit die Polargrenze des Mais in Nordamerika reicht, nämlich bis zum und über den Lorenzostrom und den grossen Seen, ja nördlich

i) Das Obige wurde bereits veröffentlicht im Ausland. 1868. S. 291. Wichtig ist es, dass seitdem ein so zuverlässiger Beobachter wie Tylor (Anfinge der Cultur. Bd. i. S. 57) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt ist

Die amerikanische Urbevölkerung. 4^y

von diesen wenigstens auf dem Gebiete der Huronen*), finden wir auch hoffnungsreiche Anfange von Ackerbau bei den Jäger- völkern. Gänzlich mangelt der Feldbau nur auf den Hudsons- baigebieten östlich von den Felsengebirgen bei den meisten At- habaskenstämmen , die aber auch an Rohheit tief unter den süd- licher wohnenden Völkern stehen. Die Natur gewährte auch auf dem Waldgebiete einige frei\villige Nahrungsmittel, nämlich ausser Beeren und Wurzeln den Wasserreis (Zizania aquatica) an den canadischen Seen und am obern Mississippi , den Zuckersaft der Ahornbäume im Frühjahr, endlich die Früchte wilder Pflaumen und wilder Reben. Mais, Bohnen, Kürbisse und Tabak werden ausdrücklich von Cartier *) als Ackerfrüchte canadischer Irokesen bei Montreal erwähnt, und im allgemeinen lässt sich aussprechen, dass beim Fortschreiten von höheren nach niederen Breiten der Ackerbau in Nordamerika immer vorwiegender die Bedürfnisse der Eingebornen deckte. Auf der Stufe aber, wo Ackerbau, Jagd und Fischfang sich gegenseitig ergänzen, sind die Rothhäute so lange stehen geblieben, als Zeit verstrichen sein mag von der Errichtung der ältesten Schanzwerke bis auf die Ankunft der Europäer. Dass sie noch nicht zum reinen Ackerbau sich erhoben hatten, darf uns nicht verleiten, ihnen jede Anlage zu höherer Gesittung abzusprechen. Man übersieht nur allzuhäufig, dass auch die Jagd die geistigen Kräfte der Völker entwickelt, aber zugleich aufzehrt. Zur Meisterschaft im Waidmannsgewerbe gehört eine genaue Kenntniss des Wildes und seiner Sitten. Der rothe Mann besass die innigste Bekanntschaft mit seinen Jagd- gründen und ihrem Wildstand, es gelang ihm leicht, auch die schlauesten Thiere noch zu überlisten , und durch seine scharfen Beobachtungen, wie durch seine glücklichen Deutungen der kleinsten Lebenszeichen in der fireien Natur hat er noch immer die sinnes- stumpfen Kinder der Civilisation in tiefes Erstaunen gesetzt. Aus unbedeutenden Spuren den Zusammenhang und die Einzeln- heiten irgendeiner Begebenheit der W^ildniss zu enträthseln, dazu hat es ihm nie an Scharfsinn gefehlt, aber aller Scharfsinn wurde auch nur zur Verfolgung eines Wildes oder eines Feindes ver-

1) Rau im Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1870. Bd. 4. 8.8.

2) Voyage de Jacques Cartier au Canada en 1534, (Erste Reise.) ed. Michelant et Ram^. Paris 1867. p. 39.

458 ^ie amerikanische Urbevölkerung.

wendet. Sicherlich sind auch bei jenen Völkern so häufig wie bei uns Männer von ungewöhnlicher Begabung aufgetreten, allein es wurden daraus weder Religionsstifter, noch Weltweise, noch Ordner der Gesellschaft, sondern immer wieder nur gefeierte Jäger, glück- liche Anführer oder geschätzte Redner bei Volksversammlungen. Dazu gesellt sich noch, dass die Erbeutung von Wild mit einem hohen Lebensgenuss verbunden ist, und für die Aufregungen und Reize der Jagd der Ackerbau keine Entschädigung zu bieten hat.

Suchen wir nun nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen den Ländergestalten und den Gesittungsstufen, so müssen wir die Frage lösen, warum wir bei den Bewohnern der Steppen und Wälder Nordamerika's eine grössere Reife der Gesellschaft wahr- nehmen, als in Südamerika. Allerdings betrieben auch dort alle Stämme der Steppen und der Wälder mit äusserst spärlichen Aus- nahmen, wie etwa die Muras am Amazonenstrom, neben Jagd und Fischfang auch den Ackerbau. Ihre angebauten Feldfrüchte waren sogar mannichfaltiger als im Norden, denn zum Mais gesellt sich noch die Maniocwurzel , die eine sorgfaltige Auspressung des grftigen Saftes verlangt, ehe sie geniessbar wird. Ausserdem müssen wir der einheimischen Palmenzucht gedenken. Da nun die Palmen viel später Früchte tragen, als ein- oder zweijährige Gewächse, so zeigt ihr Anbau eine Vorsorge für ferne Zeiten und zugleich einen Verzicht auf das Wanderleben. Obendrein hat sich ergeben, dass die Pupunhabäume (Guilelma speciosaj auf einigen Gebieten nur kernlose Früchte trugen, folglich musste diese Palme schon seit einem hohen Alter unter der Zucht des Menschen gestanden und die kernlose Spielart nicht anders als durch Wurzelschösslinge vermehrt worden sein. Wenn also die südamerikanischen Jägerstämme in Bezug auf den Ackerbau den Nordamerikanern nicht nachstanden, durch ihre Baum- und Haus- thierzucht sich sogar über sie erhoben, so blieben sie doch in andern Leistungen weit hinter jenen zurück.

Die rohesten Stämme der Hudsonsbai-Gebiete stehen immer noch weit höher, als etwa die Botokuden Brasiliens, die. in der neuen Welt auf dem niedrigsten Theilstrich der Gesittung haften geblieben sind. In ganz Südamerika (natürlich immer die Cordilleren- vülker ausgenommen) war eine, starke oder auch gänzliche Ent- blössung bald des einen, bald des andern) bald beider Geschlechter die Regel, in Nordamerika ist sie nur Ausnahme. Auch ist es

Die amerikanische Urbevölkerung. 450

kein Vorzug für die Südamerikaner, dass wir bei ihnen Gespinnste und Gewebe aus Baumwolle antreffen, denn erstens trugen zu De Soto's Zeiten die Frauen der Eingebornen Georgiens weisse Gewänder, verfertigt aus dem Bast Von Maulbeerbäumen*), wie die Spanier meinten, dann aber war von jeher die dortige Zu- bereitung des Leders eine meisterhafte und seine Verarbeitung zu Kleidern, die mit Federn reich geschmückt waren, weiss man sogar noch jetzt zu schätzen. Auch darin unterscheiden sich die Nordamerikaner nicht nur von allen Stämmen ihres Gleichen, sondern von vielen Cülturvölkern , dass sie eine Fussbekleidung, nämlich ihre Mocassin oder Halbstiefeln, trugen*). Der Gebrauch von Schneeschuhen dagegen ist vielleicht nicht älter, als das Auf- treten der Eskimo, die wahrscheinlich zuerst diese Erfindung aus Asien nach der neuen Welt gebracht haben.

Bei den Jägerstämmen in Südamerika hat man keine Spur von Bergbau getroffen. Dagegen fanden die ersten Entdecker bei den Eingebornen der Vereinigten Staaten eine Menge kupferner ' Zienathen und Geräthe. Kupfer wurde östlich vom Mississippi an verschiedenen Orten gebaut, wie in Alabama^), allein die wichtigsten Gruben lagen am Erie-See. Einige Alterthumsfreunde haben etwas vorschnell geschlossen, dass dort ein uraltes Cultur- volk, völlig verschieden vor den Jägerstämmen der modernen Zeit, gesessen haben solle. Doch unterschätzte man beständig die Leistungen der alten Nc damerikaner. Selbst die rohen Atha- baskenstämme haben auf Kupfer gegraben, denn im i8ten Jahr- hundert pflegten sie solche Erze nach Fort Churchill, dem äusser- sten westlichen Posten der Hudsonsbaigesellschaft, zu bringen, und hauptsächlich um die Lagerstätte dieses Metalls aufzuspüren, unternahm Samuel Hearne*) 1770 seine Wanderungen, die zur Entdeckung des Kupfergruben -Flusses und seiner Ausmündung ins Eismeer führten. Der Eigenthümer der Grubengebiete am Erie-See war ein Häuptling der Fond du Lac -Horde, und nach

1) Oviedo, Historia general. lib. XVII. cap. 25. tom. I. p. 556.

2) Die Patagonier bedienen sich indessen ebenfalls des Schuhwerkes. Musters, Unter den Patagoniem. S. 174. Catlin, Rambles. p. 259

3) Herrera, Historia de las Indias occidentoles. Dec. VII. lib. 2. cap. I.

4) Reise zum Eismeer. Berlin 1797. S. 4. S, 14.

460 I^ie amerikanische Urbevölkerung.

der Zahl seiner Ahnherren, die er namhaft machen konnte, reichte sein Stammbaum bis zum Anfang des 12 ten Jahrhunderts zurück '). Ein deutscher Bergmann, der eine der dortigen Gruben- bauten als Director geleitet hatte , belehrt uns *) , dass die alten Rothhäute durch Feuersetzen und Besprengen mit Wasser das Gestein mürbe machten, von den Blöcken des gediegenen Metalls aber Stücke mit Steinhämmern lösten und ihnen durch Beschneiden mit Feuersteinmessern und- mit Hammerschlägen ihre Formen gaben, denn „ein Schmelzverfahren hatten die Alten nicht ge- kannt". Wenigstens war dies nicht am Obern See nachweisbar, denn andererseits wird behauptet, dass gelegentlich auch gegossene Kupfergeräthe entdeckt worden sein sollen-^). Es besteht also nicht die mindeste Nöthigung, den alten Irokesen, auf deren Ge- biet die berühmten Kupfergruben lagen, jene bergmännischen Leistungen abzusprechen und sie mit den Azteken Mexico's in einen abenteuerlichen Zusammenhang zu verweben. Wohl ist uns nicht unbekannt, dass Klingen aus Obsidian in Gräbern östlich vom Mississippi und sogar am Ontario-See gefunden worden sind, und jenes Mineral dorthin nur aus IMexico gelangt seui kann. Allein jene Obsidianstücke beweisen so wenig eine Wande- rung der Azteken, als man aus dem Fund von Münzen mit ku- fischer Schrift einen Besuch Islands durch die Araber geschlossen hat. Sind doch selbst zur Renthierzeit schon bei Schussenried Nephritgegenstände getroffen worden, die aus grosser Entfernung stammten und uns beweisen, dass der Handel schon damals seine Hand weit ausstreckte. Wollte man aus dem Funde von Obsidian- klingen in den Vereinigten Staaten auf innigere Beziehungen mit aztekischer Cultur schliessen, so Hesse sich mit gleicher Berech- tigung ein Einfluss der alten Bevölkerung Polens auf die Fran- zosen der Renthierzeit behaupten, weil man in den Höhlen der letzteren Hörner der Saiga-Antilope ausgegraben hat"*).

Die Ueberlegenheit der Gesittung bei den Jägerstämmen des

1) Schoolcraft, Indian Tribes. Part. I. fol. 95.

2) Ausland. 1866. S. 424.

3) Doch hat Rau (Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1871. Bd. 5. S. 3 7) neuerdings wieder sich verbürgt, dass die alten Bewohner der Vereinigten Staaten die Kunst des Kupfergusses nicht gekannjt haben.

4) vgl. oben S. 40. S. 217.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^51

nördlichen Festlandes im Vergleich zu denen im südlichen zeigt sich am stärksten durch ihre gesellschaftlichen Gliederungen. Im Norden ist es den Ethnographen geglückt, durch Sprachenvergleiche die Stämme zu Völkern zu vereinigen und die Sitze dieser Völker abzugrenzen. In Brasilien, Guayana und Venezuela lässt sich eine solche Aufgabe gar nicht streng lösen, weil wir Völkern dort überhaupt nicht begegnen, sondern nur Banden, und erst künst- liche Namen geschaffen werden müssen, um sprachverwandte Horden als Gruppen zu bezeichnen. In Nordamerika dagegen wohnten in geschlossenen Gebieten die Algonkinvölker, iij die sich die Irokesen am Westabhange der Alleghany hineingeschoben haben. Geschichtlich treten solche Völkerschaften bereits zu Con- föderationen vereinigt auf, die Krieg und Frieden, sowie Staats- verträge schliessen; ja bisweilen gelingt es, wenn auch nur auf kurze Zeit, sämmtliche Jägerstämme zu einem grossen Bündniss gegen die europäischen Bedränger aufzubieten. Auch wurden von allen Stammen gewisse völkerrechtliche Satzungen beobachtet, wie z. B. dass ewiger Frieden auf dem geheiligten Gebiet der Brüche des rothen Pfeifensteines herrschen sollte. Endlich, und dies ist in unsern Augen das höchste, bemerken wir bei den Nordameri- kanern Anfange von Gedankenmittheilung durch eine Bilderschrift. Lesbar waren diese Aufzeichnungen freilich nur für diejenigen, denen der' Sinn der Bilder und ihre Beziehungen auf eine be- stimmte Begebenheit bekannt war. Immerhin dienten solche Ur- kunden zur Auffrischung des Gedächtnisses. Von ähnlichen An- fangen gewahren wir aber in Südamerika, östlich von den Cordilleren, nicht das mindeste, und es lässt sich daher nicht be- streiten, dass die Bewohner des nördlichen Festlandes (abgesehen von ihren Culturvölkern , für die übrigens das nämliche gilt) eine weit höhere Gesittung sich errungen hatten, als die Bewohner Südamerika's. Somit erwächst uns die Aufgabe, zu ermitteln, in wiefern etwa die Ländergestalt auf die ungleiche Vertheilung der Gesittung Einfiuss geübt habe.

Darin aber erkennen wir die grösste Bevorzugung Nord- amerika's, dass es der alten Welt näher liegt als Südamerika, so dass Pflanzen, Thiere und Menschen, die über die Beringstrasse wanderten, zunächst im nördlichen Festlande sich ausbreiten mussten, wenn sie das südliche erreichen sollten. So gut wie die Eskimo aus Asien in einer späteren Zeit einwanderten und so gut

^.62 ^ie amerikanische Urbevölkerung.

wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Aleuten an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be- völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be- völkert als das südliche.

Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk- lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch- stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai- rien Nordamerika's , deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als ihre Nachbarn [östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt sich aus Cabeza de Vaca's Erlebnissen, dass die Urbewohner von Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.

Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander, so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern, oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd- amerika's , wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix und Martins auf \vichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu- ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher freilich nichts wahrgenommen , und selbst wenn sie vorhanden waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen

Die amerikanische Urbevölkerung. ^^63

angehörten, die aus dem Culturreiche der Inca vertrieben worden waren. Nördlich vom Amazonas sitzen die sanften Arowaken, bei denen das Weib bereits im Haus eine würdevolle Stelle einnimmt *) und deren Priester die Geschichte der Stämme zum Unterricht der Jugend aufbewahren. Neben und unter ihnen bis zu dem nach ihnen benannten Golf hatten sich die Cariben ausgebreitet, die ihre Felder mit Hilfe künstlicher Wasserleitungen benetzten, ihre Pflanzungen mit Baumwollenschnüren abgrenzten und Märkte hielten , ' auf denen das Salz die Stelle des Geldes vertrat. So bessern sich dort beständig in der Richtung, von Süd nach Nord die äusserlichen Zustände der menschlichen Gesellschaften.

Umgekehrt folgen im nördlichen Festland von Nord nach Süd auf die rohen Athabaskenstämme der Hudsonsbaigebiete zu- nächst die ackerbauenden Blgonkinvölker , von denen wiederum die südlicher sitzenden Irokesen durch ihre Bergbauten am Erie- See, sowie in Michigan und Indiana durch die sorgsame Anlage ihrer Felder, von den Archäologen als Gartenbeete (gardenheds) bezeichnet, sich günstig erheben, auch werden auf ihrem Gebiet bereits die Spuren verschanzter Dörfer angetroffen , die besonders dicht und zahlreich am Ohio werden. Gegen Süden hatten die Irokesen als Nachbarn die sogenannten appalachischen Völker- schaften , von deren Zuständen wir durch Hernando de Soto's Freibeuterzug das älteste Gemälde erhalten haben. Bei ihnen stiessen die Spanier auf Tempel, die etwas besseres gewesen zu sein scheinen, als die sogenannten „Medicinhütten" der nördlichen Rothhäute. Ihre Häuptlinge genossen ein weit grösseres Ansehen, als bei den übrigen Jägerstämmen, und in Süd -Carolina oder Georgia herrschte sogar eine Frau, mit der die Spanier wie mit eint; Monarchin verkehrten, ein Umstand, der uns klar beweist, dass die Häuptlingswürde in den Familien erblich geworden war und die Frauen bereits nicht mehr zu häuslichen Lastthieren niedergedrückt wurden. Bei den Seminolen der Halbinsel Florida fanden die Spanier befestigte Flösse, die als Brücken zur Ueber- schreitung der Lagunen dienten, und wirkliche Brücken*) werden im Lande Appalache, also in Georgien oder Süd-Carolina, erwähnt.

i] Richard Schomburgk, Reisen in Britisch Guiana. Leipzig 1848« Bd. I. S. 227. Bd. 2. S. 514.

2) Herrera, Indias occidentales. Dec. VII. libro I. cap. 12.

464 I^ie amerikanische Urbevölkerung.

Es hat also nichts überraschendes für uns, wenn in Florida auch Reste alter Strassen entdeckt worden sind , denn wo Brücken an- getroffen werden , muss schon ein starker Verkehr das LandP belebt haben.

Weiter westlich am Ohio liegen die Reste alter ringförmiger Umwallungen der Indianerortschaften oft sehr dicht neben ein- ander. Etwas übereilt hat man daraus geschlossen, dass ehemals das Ohiothal sehr stark von Ackerbauern bevölkert gewesen sein müsste, die vor der Entdeckung durch wilde Jägerstamme vertilgt worden sein sollten. Doch haben andere Alterthumsforscher zu bedenken gegeben, wie oft kfndliche Völkerschaften ihre Wohnsitze theils aus Gespensterfurcht, theils wegen des Ausbruchs einer Krankheit aufzugeben pflegten^. Wurden also sicherlich alle bereits aufgefundenen alten Schanzdörfer auch nicht gleichzeitig bewohnt, so ergibt sich immerhin, dass die heutigen Südstaaten der nordamerikanischen Union ehemals viel dichter bevölkert waren, als zur Zeit, wo die europäischen Einwanderer von jenen Gebieten Besitz ergriffen, nämlich so dicht als die Spanier etwa um 1540 unter Hernando de Soto das Land bevölkert sahen. Es gab nämlich damals nicht blos Dörfer, sondern wirkliche Städte. Die grösste darunter scheint Mavila, das heutige Mobile, gewesen zu sein. Es war von einer hölzernen mit Lehm beworfenen Mauer umgürtet und von Thürmen, wahrscheinlich nur Ge- rüsten mit Brustwehren, geschützt. Innerhalb der Mauer standen 80 grosse Häuser oder vielmehr Casernenbauten , die je 1000 Köpfen Obdach gewährt haben sollen, und von deren flachen Dächern oder Söllern herab die Spanier mit Geschossen über- schüttet wurden. Hernando de Soto hatte dort mit seiner Vorhut ein neunstündiges Gefecht zu bestehen und die Schlacht wurde erst entschieden, nachdem das Hauptheer, damals noch 600 Streiter stark, eingetroffen war. Die Berichte der Spanier sprechen von 11,000 Feinden, die durch Schwert und Feuer umkamen, während die ]£roberer 45 Rosse und 83 Soldaten theils sogleich, theils in Folge der Verwundungen verloren. Wo bereits solche volkreiche Ort- schaften wie Mavila erwachsen waren, kann von einem Jägerleben nicht mehr die Rede sein, denn Jägerstämme haben nie Städte gebaut.

I) P. Gumilla, £1 Orinoco ilustrado. tom. I. p;i4f P- U3>

Die amerikanische Urbevölkeninsr.

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4^5

Konnten wir uns also überzeugen, das.s nach den Rändern des amerikanischen Mittelmeeres, d. h. des mexicanisch-caribischen Doppelgolfes, zu, die Bevölkerung auf beiden Festlanden sich verdichtete und dem Jägerleben halb und halb entsagt hatte, so ist es die Begünstigung des Ackerbaues durch ein milderes Klima, zugleich mit der Nähe der See, welche jenen wichtigen Ueber- gang zu höheren Zuständen erleichterte. Wäre daher die An- kunft der Europäer in der neuen Welt um ein oder zwei Jahr- tausende verzögert worden, so möchten die Culturvölker Mexico's und Yucatans mit den appalachischen und caribischen Nationen in Verkehr getreten sein , und sich vielleicht auch in der neuen Welt Gesittungen entfaltet haben, die mit denen an unserem Mittelmeer etwa zu Herodots Zeiten hätten verglichen werden dürfen.

c. Die Culturvölker Nordamerika's und ihre Stammes- angehörigen.

Bei dem Ueberblick über die Jägervölker Nordamerika *s blieben die Stämme Oregons', Californiens, Neu-Mexico's und Mexico's unberücksichtigt. Eine Aufzählung trockener Namen, die viel besser auf einer Völkerkarte eingesehen werden, beab- sichtigen wir auch dieses Mal nicht. Wohl aber müssen wir eines wichtigen Ergebnisses gedenken, zu welchem Buschmann durch seine FcJrschungen gelangt ist. Er vereinigte nämlich eine grosse Anzahl von Sprachen Neu-Mexico's und Nord-Mexico*s zu einer von ihm sonorisch genannten Familie, Besonders unter- suchte er die Lautsysteme, die Zahlwörter und die Grammatik des Tarahumara, Tepeguana, Cora und Cahita'). Alle diese Sprachen zeigen gemeinsame Familienzüge, alle haben mehr oder weniger einen Wortschatz aus dem Nahuatl oder dem Altmexicanischen aufgenommen. Dies gilt auch von der Sprache der Moqui, welche sechs von den berühmten „sieben Städten" (Dörfern) nordwestlich von Zuni bewohnen. Sprachverwandt sind der sonorischen Fa- milie die Utah, Pah Utah, die Digger Californiens jund die Scho- schonen oder Schlangenindianer, welche letztere vormals, ehe sie

I) Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften; Berlin 1865. S. 369. 1867. S. 23. 1869. S. 66 u. S. 131 ff.

Pesckel^ Völkerkunde. -^

^55 Die amerikanische Urbevölkerung.

von den Schwarzfüssen verdrängt wurden , diesseits der Felsen- gebirge sassen, jetzt jenseits an dem nach ihnen benannten Snake River hausen. Fügen wir hinzu , dass in die nämliche Gruppe die Comantschen gehören , jetzt gefürchtete Räuberstämnie Nord- Mexico's. Nach Maillard beobachten sie eine Jahrestheilung von 18 Monaten zu 20 Tagen; sie befinden sich also im Besitze des mexicanischen Calenders. Ob wir in den sonorischen Sprachen, die übrigens unter sich wieder weit auseinander gehen, die fort- entwickelten Zweige eines gemeinsamen Stammes, einer nahu- atlakischen Ursprache, zu erkennen haben, lässt Buschmann noch unentschieden, aber sicher ist es, dass sie alle Spuren eines innigen Verkehres mit den Altmexicanern zeigen. Das Nahuatl, die Sprache der letzteren, trat unvermischt nur in dem und um das Seengebiet des Hochlandes von Mexico auf. Wie aber die aztekischen Ortsnamen bezeugen , waren nahuatlakische Sprach- inseln ausserordentlich weit ausgestreut. Sie ziehen sich in der Nähe der Südsee durch Guatemala, sie treten auf zugleich mit alten Tempelruinen mexicanischen Styles in Honduras und reichen südwärts bis an und in den Nicaragua-See. Sie hören dagegen gänzlich auf in Costarica. Nach Norden zu sind sie verbreitet über das heutige mexicanische Reich , jedoch mit Ausnahme von Cohahuila, Sie treten aber wieder auf in Texas und endigen in Neucalifornien unter dem 37.® n. Br.'), abgesehen davon, dass versprengte Namen selbst noch unter den 50. Parallel sich verirrt haben. Sogleich wollen wir hier bemerken , dass weit binnen- wärts unter dem 35.° n. Br. beim heutigen Zuni in Neu -Mexico, Cibola oder das „Land der sieben Gemeinden" gesucht wer- den muss, das von einem Mönche Fra Marco aiis Nizza entdeckt, kurz nachher im Jahr 1540 von dem Spanier Fran- cisco Vasquez de Coronado besucht und beschrieben worden ist. Er fand dort kleine Ortschaften mit steinernen Häusern, zwei oder drei Stockwerke hoch, festungsartig ohne Eingang erbaut, so dass die Söller auf beweglichen hölzernen Sprossen- leitern erstiegen werden mussten. Die Einwohner bauten Mais und Bohnen, züchteten Truthühner, kleideten sich in Zeuge, deren Fäden aus einer andern Pflanzenfaser als Baumwolle gesponnen waren, und trugen eine Kopfbedeckung genau wie die Azteken

1) Buschmann, Aztekische Ortsnamen. Berlin 1853. S. 11.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^5?

in Mexico*). Die nämliche Bauart hat sich noch heute bei den sogenannten Pueblos-lndianern erhalten und ist zuletzt von Möll- hausen*; beschrieben und abgebildet worden. Die Sprache der Pueblos-Indianer steht jedoch in keinem näheren oder entfernteren Zusammenhang mit dem Nahuatl. Aehnlich wie diese Gebäude waren wohl die südwärts gelegenen sogenannten Casas grandes in der Nähe des Gila und in Chihuahua, über deren Bewohner so viel geschrieben worden ist, weil wir noch nichts von ihnen wissen. Es sassen also Culturvölker im Norden des heutigen Mexico bis zum 35. Parallel.

Die theilweise Gemeinschaft des Sprachschatzes der Nahu- atlaken und der heutigen Schlangenindianer verlockt zu der An- nahme, dass die ersteren vorzeitlich den Schoschonen geglichen haben mögen, denn entweder haben sich die Schoschonen nach ihrer Berührung mit den Nahuatlaken in südlichen Räumen nach Norden gewendet, oder die Nahuatlaken sassen mit den Scho- schonen ursprünglich im Norden, bevor sie nach Mexico aus- wanderten. Für die letztere Annahme spricht wenigstens, dass wir von einigen nahuatlakischen Stämmen mit Sicherheit wissen, dass sie aus dem Norden kamen. Als die Macht der Ihnen ver- schwisterten Tolteken zerfallen war, brachen beständig Barbaren- horden vom Uten bis zum I4ten christlichen Jahrhundert nach Mexico herein. Unter diesen befanden sich auch die nahuatlaki- schen llasdalteken und die nahuatlakischen Azteken. Beide kamen vom Norden, d. h. nicht etwa aus dem Norden des Fest- landes , sondern zunächst nur aus dem Norden des heutigen Mexico, doch genügt es schon, dass ihre Wanderung südwärts gerichtet war. Bei ihrem ersten Auftreten in Mexico sollen sie noch im Vergleich zu den verfeinerten Tolteken sehr roh gewesen sein, doch beweist dies nur, dass jene Nahuatlaken nicht aus ihrer nördlichen Heimat schon ihre höchste Gesittung mitgebracht haben, sondern sie erst im Süden entfalteten, obgleich sie schon beim Einbrüche eine Culturstufe erreicht haben konnten, wie etwa die Bewohner der Casas grandes am Gila oder die Stadtindianer von Cibola im Jahr 1540.

1) Coronado in Ramusio's Navigation! et viaggi. tom. III. fol. 302.

2) Moll hausen, Reise nach der Südsee. S. 215.

30*

^.68 . I^ic amerikanische UrbevÖlkerang^

Ks lässt sich dagegen nicht entscheiden, ab die Tolteken im heutigen Mexico, oder in Guatemala, oder in Honduras, oder in Nicaragua zuerst ihre Sitze aufgeschlagen haben. Doch ist für Nicaragua wohl noch niemand eingetreten, da die dortigen azte- kischen Ortsnamen wahrscheinlich von einer späteren Colonisation herrühren, was auch voil Honduras gelten mag. In Guatemala, wo einer der äjtesten Brennpunkte zu suchen ist, finden wir neben den aztekischen Ortsnamen und Sprachinseln ein anderes Culturvolk, die Quiche, welche wiederum sprachverwandt sind mit ihren Nachbarn auf der Halbinsel Yucatan, den Maya. Die ge- sellschaftliche Entwickelung der Yucateken und der Quiche zu Zeiten der Entdeckung stand auf der nämlichen Höhe, wie in Mexico. Die Quich^ und die Maya mochten auch, als die 'J'olteken sie mit ihrer Cultur berührten, sich selbständig schoa uiif eine höhere Stufe der Gesittung erhoben haben. Auf die Xahuatlaken , wenn sie von Norden kamen, muss daher die Be- rührung mit so' gesitteten Völkern, wie die Maya und Quiche jedenfalls gewesen sind, befruchtend gewirkt haben. Bemerken wir nebenbei, dass aztekische Ortsnamen in Yucatan vollständig fehlen, woraus sich mit einiger Sicherheit ergibt, dass die Maya- volker beinahe ebenbürtig in Cülturfortschritten den Nahuatlaken gewesen sein müssen, denn Ansiedlungen werden immer mit Vor- liebe unter niedriger stehenden Völkern begründet werden.

Im Reiche Mexico selbst wurden neben dem Nahuatl völlig" verschiedene Sprachen von den Otomi, den Mixteken und Zapo- teken, den Matlazinken und Tarasken gesprochen^).

In Südamerika sitzen alle CulturvÖlker entweder auf den Hochebenen zwischen den Cordillerenketten oder am Gestade des Stillen Meeres. So entwickelte sich auf dem Hochlande von Bogota am rechten Ufer des Magdalenenstromes der Staat der Muysca oder richtiger der Chibcha. Weiter nach Süden, immer auf den Rücken der Hochebenen bis nach Chile, sassen Völker die verwandte Sprachen redeten, nämlich in Quito und Peru die

1) Orozco vBerra hat iSii seiner Geografia de las lenguas de Mexico (Mexico 1864) eine Sprachenkarte Älexico's entworfen, das einzige Verdienst des C'^nzen Buches, dessen Verfasser offen bekennt, die Sprachen linguistisch nicht untersucht zu haben , der uuch unbekannt ist mit den Forschungen Buschtnann's und längst widerlegte Irrthümcr von neuem wieder verbreitet.

Die amerikanische Urbevölkerung. 460

sogenannten Quichuastämme, und um den Titicaca-See die Colla, heutigen Tages besser gekannt unter dem Namen Aymara, der ihnen irrthümlich beigelegt worden ist'). Vormals wurden diese letzteren als das älteste Culturvolk angesehen, ihre Sprache sollte die so- genannte Hofsprache der Kaiser in Peru^) und die Sonnen- tempel am Titicaca-See die frühesten Bauwerke der Culturstämme t>üdamerika's gewesen sein. Jetzt jedoch müssen wir den .Ursitz in Cuzco selbst suchen. Die Cara oder Bewohner von Quito, die ebenfalls eine Quichua-Mundart redeten, waren angeblich den Rio Esmeraldas heraufgestiegen und hatten sich der Hochebene bemächtigt^). Sie verfertigten künstliche gegossene Arbeiten aus Gold**), aber auch Werkzeuge aus Bronze, und beobachteten deu Eintritt der Sonnenwenden wie die Peruaner an weithin sichtbaren Steinsäulen 5). Völlig verschieden von den ^Quichuavölkern sind die Yuncastämme, welche die Küstenfiüsse am Westabhang der Anden bewohnten, sich aber landschaftlich in getrennte Staaten absonderten. Sie haben unzählige geräumige Baureste von ver- gleichsweise hohem Kunstwerth hinterlassen und hatten mit Meister- schaft ihr Land bewässert^.). Sicherlich haben die Incaperuaner ebenso viel von ihnen erlernt, als sie ihnen mitzutheilen hatten 7). Der Rio Maule bildete zu den Kaiserzeiten die Grenze zwischen Peru und Chile^ Von ihm angefangen gegen Süden sassen die Araucaner und die ihnen nahe stehenden Patagonier. Im heutigen Chile nannten sich diese Völker Pehuentschen oder die „West- lichen", von Valdivia bis zum P'euerland^) Huillitschen oder die „Südlichen", in Patagonien Tehueltschen, endlich auf den Pampa

i) Clements Markham im Journal of the Royal Geogr. Society. 1871. vol. XLI. p. 330—331-

2) Gründlich widerlegt von Markham, 1. c. p. 312 313.

3^ Velasco, Histoire du royaume de Quito. Paris 1840. tom. I. p. U). p. 184—185.

4) Benzoni, Mondo nuovo. Venetia. 1565. lib. III, cap. i.p. 168 169.

5) Joseph de Acosta, Hi?toria natural y moral de las Indias. Üb. VT. cap. 3. Madrid 1792. tom. IL p. 96.

6) Markham, 1. c. p. 321—324.

7) Alte Regentenlisten von Yuncaherrschern und einen Abriss ihrer Geschichte gibt Miguel Cavello Baiboa. (Histoire du P^rou, ed. Ternaux- Compans. Paris 1840. p. 86—9$.)

8) Ueber die Feuerländer selbst s. oben S. 15 r.

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Die amerikanische Urbevölkerung.

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zwischen dem Rio Negro und La Plata Pehueltschen oder die „Oestlichen". An Sinnesart und Sitten mit ihnen aufs engste verwandt waren die alten Abiponen und die heutigen Bewohner des Gran Chaco oder der Wildniss westlich vom Paraguaystrom. Araucaner und Patagonier haben noch von dem Segen der inca- peruanischen Gesittung einigen Antheil genossen'); jedenfalls stehen sie den Bewohnern der Hochebenen zwischen den Cor- dilleren viel näher, als den Jägerstämmen Brasiliens, wenn sie auch nicht zu den Culturvölkern selbst gezählt werden dürfen.

Betroffen über die Höhe der gesellschaftlichen Zustände im alten Mexico und im Reiche der peruanischen Inca, haben gar manche, weil sie die Anlagen des sogenannten rothen IMannes unterschätzten , als Ausflucht angenommen : es seien die besten Keime der Gesittung aus der alten in die neue Welt auf den Flügeln des Zufalls getragen worden. Bald Hess man Aegypter aus der platonischen Insel Atlantis oder zur Zeit der Umschiffung Afrika's unter Neku, bald Carthaglnienser aus den Pflanzstädten an der Küste des heutigen Marocco nach Ikasilien, bald Nor- mannen auf ihren Entdeckerfahrten nach dem ,, guten Weinland" (V^irginien) bis nach Mittelamerika vordringen, und glaubte schon in V'otan, einem Heros- oder Götzennamen der Chiapaneken, einen altnordischen Wodan entlarvt zu haben; bald mussten ma- layische Polynesier, über die Südsee verschlagen, ihren Fuss an das westliche Gestade Amerika*s setzen; bald schmeichelte man sich, in chinesischen Berichten von einem oestlichen Lande, Namens Fiisang, eine Schilderung von Theilen der neuen Welt zu erkennen. Alle diese flüchtigen Vermuthungen waren nur so schwach zu begründen, dass sie, leicht widerlegt, nie zu ernster Geltung gelangt sind. Die Möglichkeit übrigens, das? aus der alten Welt Seefahrer bis nach Amerika verschlagen werden konnten, darf nicht bestritten werden, weil wir wenigstens einen Fall dieser Art wirklich kennen. Im Deccmber 1731 gelangte nämlich nach Trinidad, bemannt mit fünf oder sechs Köpfen, eine Barke, die mit einer Weinladung auf der Fahrt von Teneriffa nach einer westlichen Canarieninsel von einem Sturm ergriffen und schliesslich

0 Bis zu den Pehueltschen haben sich Ausdrücke für höhere Zahlen aus der (Juichuasprache verbreitet. d'Orbigny, L'horame amer. p. 218.

Die amerikanische Urbevölkerung.

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vom Passatwind nach VVestindien getragen wurde ^). Nur ein selbstgefälliger Wahn ist es aber, dass irgendein Einzelner oder Einzelne die Cultur ihrer Heimat als Fracht im Hohlräume eines Fahrzeuges nach fernen Welten führen können. Wenn wir Euro- päer uns mit dem Australier vergleichen, dünken wir uns Halb- götter neben Halbthieren, Ein jeder von uns träumt wohl gern, dass er, unter einen Stamm solcher Wilden geworfen, diesen einen Antheil am Segen unserer Gesittung zubringen werde, dass ihn die Beglückten dermaleinst als ihrpn Wohlthäter und Erlöser ver- ehren, ja dass das Auftreten des ,, bärtigen Mannes" als religiöse Sage unter ihnen fortleben und von seiner zweiten Rückkehr der Anbruch eines neuen beglückenden Weltalters erwartet werden möchte, wie die Azteken von dem Wiedererscheinen Quetzalcoatls eine Verjüngung und Verklärung ihrer Zustände sich versprachen. Was aber in einem solchen Falle sich wirklich zuträgt, das lehren uns mit Genauii^keit die Schicksale James Morills, eines verun- glückten Matrosen , der 17 Jahre unter australischen Stämmen lebte ^). Nach Ablauf dieser 17 Jahre führten die Eingebornen genau das nämliche Leben wie vorher, Morill aber ass wie sie Muscheln, schlief wie sie unter einer lockern Laubhütte, hatte die Kleidung abgeworfen, fast gänzlich seine Muttersprache vergessen, und er, der Halbgott, war zum Australier herabgesunken. Auch sollte man sich nicht damit trösten, dass, wenn auch der Einzelne diesem Schicksal erliegen musste, doch eine Mehrheit, die Mann- schaft eine^ Fahrzeuges beispielsweise, das nach der neuen Welt verschlagen worden wäre, grössere Erfolge errungen hätte. Denn auch dagegen sprechen geschichtliche Beispiele. C61on (Columbus) Hess auf seiner ersten Fahrt 40 Spanier, wohl ausgerüstet,* in einer kleinen Burg unter einer gutmüthigen, fast unbewehrten Be- völkerung auf Haiti zurück, und als er nach wenigen Monaten wieder kam, fand er nichts als Leichen und die Trümmer einer Feuersbrunst. Noch belehrender ist das Schicksal Hemando de Soto*s und seiner Gefährten auf ihren Querzügen im Süden der Vereinigten Staaten. Sie landeten 1540 wohlausgerüstet, erhielten aber nie Zufuhren aus der Heimat. Ihre Rosse fielen, ihie Feuer- rohre wurden nutzlos, weil es an Pulver fehlte, ihre Degen rosteten

1) P. Gumilla, El Orinoco ilustraio. Madrid 1741. IT. cap. 6; p. 327.

2) Vgl. Ausland. 1866. S. 237.

1-9 I^ie amerikanische Urbevölkerung.

und zerbrachen, ihre Kleider und Schuhe zerrissen, und zuletzt sehen wir sie wie Indianer gekleidet und bewaffnet marschiren und fechten. Auch ist es leicht auszusprechen , warum sich höhere Gesittung nicht durch wenige übertragen lässt, denn die Fort- schritte der Cultur entstehen nur unter einer verdichteten Be- völkerung durch eine fortgeführte Theilung der Arbeit, die jeden Einzelnen hineinfügt in eine höchst verwickelte, aber äusserst wirksame Gliederung. Wird aus diesem Ganzen der eine oder der andere abgesondert, so erscheint er noch viel hilfloser als der Naturmensch, ja er ist nicht mehr werth, als etwa zur Theilung der Zeit das weggeworfene Rad einer zertrümmerten Uhr.

Die Culturerscheinungen Amerika's sind also unabhängig aus eigener Kraft entsprossen, ja, was noch viel schyi^erer wiegt, die Gesittungen des nördlichen und des südlichen Festlandes haben sidi völlig ohne gegenseitige Berührung und Befruchtung ent- wickelt, denn die Mexicaner wussten so wenig etwas vom Reiche der Inca , als die Peruaner von den Herrlichkeiten Tenochtitlans oder Palenque's. Bis zum Nicaragua - See , aber nicht weiter, erstreckte sich die Ortskunde der Azteken, bis dorthin reichte auch noch ihre Sprache oder waren einzelne Ansiedlerschwärme gedrungen, welche das Nahuatl redeten. Andererseits soll der Inca Huayna Capac , nach einer jedoch schwach beglaubigten Nachricht, Kunde von dem Erscheinen bärtiger Fremdlinge (unter Baiboa 1513) am pacifischen Gestade der Landenge Dariens em- pfangen haben. Erwägt man jedoch, dass kurz vor der Entdeckung Amerika's die peruanischen Inca das Reich Quito erobert hatten (1487), und ihrer fortgesetzten Ausbreitung keine sonderlichen Schwierigkeiten entgegenstanden , so hätte vielleicht , ohne das Zwischentreten der Europäer im i6ten oder ijten Jahrhundert, eine Berührung der süd- und der mittelamerikanischen Culturvölker und ein Austausch ihrer Hilfsmittel sich zutragen können. Be- läuft sich der Abstand Mexico's von Cuzco auf 630 deutsche Meilen, während Babylon, Ninive, Athen, Sidon und Tyrus von Memphis am Nil nur 70 170 Meilen entfernt lagen, so werden wir an dieser ungleich grossen räumlichen Trennung der beiden Brennpunkte amerikanischer Gesittung inne, dass für die Be- schleunigung der Culturfortschritte selbst bei gleichen Begabungen der Bewohner die neue Welt in Folge ihrer Absonderung in zwei Fesdande weit ungünstiger gestaltet war, als die östliche Erdveste.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^.y^

Eine eigene Anziehungskraft haben in der neuen Welt die Landseen und vor allen die Hochlandseen' auf ihre Culturvölker geübt. Am Titicaca-See hat man früher, doch mit Unrecht, die ältesten Sitze der Quichuacultur gesucht, wohl aber befanden sich unter den späteren Inca dort die berühmten Webereien, welche das Cumbi oder die feinsten der Llamatücher lieferten'). In den Seen Andhuacs spiegelten sich die Tempel pyramiden der Tolteken, am Guatavita-See befanden sich Heiligthümer der Chibchastämme,* und an seine Gestade knüpft sich die Sage vom goldenen Herrn fei dorado)^ der sich den Metallpuder beim Baden in seinen Ge- wässern abwusch. Die Inseln im Peten-See Guatemala's wurden nach der Zerstörung des Reiches Mayapan im Jahre 1420 von den südwärts wandernden Itzaes als Wohnsitz erwählt*), und am Nicaragua-See hatte sich vor der Entdeckung eine verfeinerte Be- völkerung ausserordentlich verdichtet. Bei einer anfänglichen flüchtigen Untersuchung verspürt man daher eine grosse Neigung, den Landseen eine besondere Beförderung der gesellschaftlichen Zustände zuzutrauen. Doch bald gelangt man dahin, ihren Ein- fluss wieder einzuschränken. Die neue Welt südwärts vom 40. nördlichen Breitenkreise ist auffallend arm an Binnenseen, nament- lich gilt dies von Südamerika, verglichen mit dem geschwisterlich so ähnlichen Afrika. Es ist daher denkbar, dass vom Anblick solcher Spiegel im Binnenland manche auf der Wanderung be- griffene Culturstämme gefesselt stehen blieben. Ein kleiner Ge- birgsweiher auf dem berühmten Andenpass von V^alparaiso naoh dem zerstörten Mendoza, dessen eriiabene Natur nie besser ge- schildert worden ist als von Pöppig, heisst bei den Bewohnern ,,das Auge des Inca", und dieser Ausdruck scheint uns anzu- deuten, dass der sogenannte rothe Mann nicht völlig unberührt blieb von den Eindrücken landschaftlicher Reizmittel^). Seen auf Hochebenen füllen meistens flache Einsenkungen aus, an ihren Rändern werden daher Fluren sanft aufsteigen, die zum Feldbau sich vorzugsweise eignen. Die Seen selbst bieten zugleich Nah- rung, in ihren Fischen, die mexicanischen beherbergen sogar in

i) J. A Costa, Hist. natural y moral. libr. IV. cap. 41. Madrid 1792. lom. II. p. 284.

2) Morelet, Reisen in Central- Amerika. Jena 1872. S. 162.

3) Pöppig, Reise in Chile, Peru u. s. w. X^ipzig 1835. ^d. i. S. 242.

iji Die amerikanische Urbevölkerung.

ihren Schilfsäumen Millionen essbarer und schmackhafter Insecten- eier von Corixa viercenariay die sich zu Kuchen verbacken lassen. So mögen daher an den Gestaden solcher Binnengewässer etwas leichter als anderwärts die Bevölkerungen sich verdichten, doch wäre es völlig verkehrt, ihnen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwlckelung der amerikanischen Menschheit zuzuschreiben. Das spätere rasche Wachsthum des Incareiches aus geringen Anfängen im Laufe von höchstens fünf, vielleicht nur von drei Jahrhunderten hat Squ'.er*) sehr befriedigend erklärt. Der Keim des peruanischen Staates entwickelte sich nämlich auf dem Puno oder den kahlen, lO bis 16,000 Fuss hohen Hochebenen zwischen den doppelten oder dreifachen Ketten der Anden. Zwischen dem westlichen Abhänge dieser Gebirge und dem Stillen Meere erstreckt sich ein schmaler Küstensaum, auf dem fast nie oder sehr selten Regen fällt, und der höchstens während sechs Monaten im Jahr von Nebeln befeuchtet wird. Nur wo von den Anden Küsten- flüsse der Südsee zuströmen, ist Feldbau und Baumzucht über- haupt möglich. Die Küstenflüsse folgen jedoch auf einander in grossen Entfernungen und in dem Zwischenraum herrscht völlige Einöde. So konnten sich entlang jenen Gewässern wohl einzelne Stämme lange Zeit getrennt und unabhängig von einander be- haupten, sowie aber auf den Hochebenen der erste kräftige Staat erstand, wurden die Bevölkerungen der Küstenflüsse, getrennt und schwach wie sie waren, der Reihe nach unterworfen und durch .ihren Zuwachs die Macht des Reiches auf den Hochebenen ver- mehrt. Da wo im Süden der regenlose Küstensaum aufhörte, nämlich bei dem heutigen Chile, erreichte auch die Herrschaft der Inca die Grenze ihrer Ausbreitung. Ebenso wenig hat sie sich binnenwärts an den Ostabhang der Anden durch den Wald- gürtel zu den Ebenen des Amazonas herabzusenken vermocht, wo noch jetzt rohe Jägerstämme in ungestörter Wildheit um- herstreifen.

Alle südamerikanische Cultur, auch die nichtperuanische der Chibcha auf den Hochebenen von Bogota und Tunja am rechten Cfer des Magdalenenstromes, stand daher in strenger Abhängigkeit von beträchtlichen senkrechten Erhebungen, und ähnliches wieder- holt sich, wenn auch nicht mit gleicher Genauigkeit, im nördlichen

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I) Bulletin de la Soc. de G^ogr. Paris 1868. p. 7 Fq.

Die amerikanische Urbevölkerung. ^-^e

Amerika. Nun ist es leicht verständlich, namentlich für uns, die wir in der gemässigten Zone leben und die heissen Erdstriche fliehen, den Hochlanden unter den Tropen einen günstigen Ein- fluss auf den Gang der Gesittung zuzuschreiben. Ihre ^^wohner, sagen wir uns, waren der erschlaffenden Luftwärme in den heissen Niederungen entzogen , sie mussten sich zugleich gegen rauhe Witterung durch Kleidung und Obdach schützen, sie waren, um nieht zu verhungern, frühzeitig genöthigt, das Feld zu bestellen und Vorräthe anzuhäufen, ja sie mussten sich auch bald zu- sammenschaaren und bürgerliche Gliederungen begründen, um leichter den höheren Anforderungen ihres Wohnortes genügen zu können. So wahr dies alles klingt, löst es doch nicht das grössere Räthsel , warum Völker freiwillig Erdräume aufgesucht haben , wo sie auf erhöhte Schwierigkeiten der Ernährung stiessen? Auch folgte in der alten Welt die Cultur stets den Niederungen. Wir treffen sie bei äusserst geringen Meereshöhen an grossen Strömen, wie der Nil, der Tigris, der Euphrat. Auch die Chinesen be- haupten, dass ihre Gesittung sich erst entfaltet habe, als sie zu dem Jangtse und dem Hoangho herabgestiegen waren. Die brah- manischen Arier haben sich, als sie Indien betraten, zunächst in den Gangesebenen ausgebreitet, sie erhoben sich nicht an den Abhängen des Himalaya, wohl aber verdrängten sie die älteren Ureinwohner in die Vindhyagebirge , sowie in die Dschengel der Hochebene des Dekhan, wo sie noch jetzt in unzugänglichen Ein- öden unverändert in ihrer Lebensweise seit vielleicht drei Jahr- tausenden sich forterzeugen. Ueberall bewährt sich in der alten Welt demnach die Regel, dass die Culturvölker, als die stärkeren die bequemeren Niederungen aufsuchen und die schwächeren Ur- sassen in die Gebirge vertreiben. Diess gilt selbst noch für alle Inseln und Halbinseln Südostasiens, wo die Malayen stets die Küsten in Besitz genommen haben , während in das innere Ge- birgsland die rohen Papuanen sich flüchten mussten. Gebirge treten auch sonst immer als Hindernisse der Civilisation entgegen. Sie verstatten nicht wie die Ebenen ein engeres Zusammenrücken der Bewohner, sie verbieten oder erschweren einen regen Verkehr der versprengten Gemeinden, und steigt man in ihren engen Thälern hinauf bis zum Centralkamm , so ist es , als näherte man sich zwar nicht dem Ende der Welt, doch dem Saalbande der höheren Gesittung. Günstiger wie Kettengebirge sind zwar die Hoch-

M^6 ^ic amerikanische Urbevölkerung.

ebenen gestaltet, immerhin aber sollten wir erwarten, dass sie nur von denjenigen Völkern erstiegen worden seien, die von stärkeren aus den bequemeren Niederungen verjagt wurden. Man könnte sich nun wohl dabei beruhigen, dass auch ein schwacher Stamm iti den höheren Luftschichten und in der strengen Natur wieder erstarkt sei, allein nirgends in der Geschichte der alten Welt lässt sich nachweisen, dass die Cultur von den Höhen herab- gestiegen sei auf die Ebenen. Es müssen also in Südamerika absonderliche Verhältnisse die Cultur nach den Hochebenen ge- zogen haben.

Drei Naturproducten der peruanischen Hochlande verdanken wir die Erziehung der südamerikanischen Culturvölker, nämlich dem Vorkommen der Llama-Arten, der Kartoffel und der Kinoa- hirse (Chenopodium Quinoa), Der Inca Garcilasso'), der uns die Gesittungsstufe im alten Peru so ausführlich beschrieben hat, be- merkt wiederholt, dass ein ausserordentlicher Mangel an Fleisch- nahrung dort herrschte. Nur bei den grossen Treibjagden, welche die Inca veranstalten Hessen, erhielt das unterworfene Volk^Llama- fleisch, wahrscheinlich weil es ausserdem verdorben wäre; an sonstigen Festtagen wurde als Leckerbissen von ihnen ein kleines Säugethier , nach Garcilasso's Angabe ein Kaninchen , verzehrt, welches sie sorgsam hegten, das auch nach Spanien frühzeitig ausgeführt, dort aber wegen seiner Unschmackhaftigkeit der Auf- züchtung nicht werth gehalten wurde. Auf dem regenlosen Küstensaume vollends bestand die Fleischkost nur in dem, was der Fischfang gewährte. Dadurch gewinnen wir die Beruhigung, dass es nicht nothwendig schwächliche Bewohner gewesen sein müssen, die, von stärkeren Stämmen verdrängt, auf die Punos von Peru oder Quito flüchteten, sondern dass vielmehr kühne und beherzte Männer zuerst die Cordillerenkette erstiegen haben mögen, um auf den Hochebenen die flüchtigen Llama-Arten zu jagen und zu zähmen. Doch hätten sie niemals auf jenen luf- tigen Ebenen Wohnsitze zu gründen und auf den Inseln des Titicaca-Sees der Sonne ehrwürdige Tempel zu erbauen vermocht^ da der Mais dort nur an wenigen geschützten Stellen reift, wenn i.icht die Kartoffel und die Kinoahirse selbst auf Höhen gediehen, wie unsere höchsten Berggipfel. Dass übrigens nicht von der

i) Commentarios Reales, libro VI. cap. 6. Lisboa 1609. totn. I. p. 134..

Die amerikanische Urbcvölkerütig. 4J7

atlantischen Seite her brasüianiscl^e Jägerstämme nach dem Hoch- lande von Peru gekommen sind, sondern umgekehrt vom paci- fischen Küstensaume aus der Puno erstiegen wurde , dürfen wir deswegen voraussetzen, weil wir in den Händen der Andes- bewohner bis hinab zum Feuerlande eine ungewöhnliche Waffe finden, die kein waldbewohnender Jägerstamm jemals erfunden hat, die wir dagegen vorzugsweise bei Hirten antreffen, nämlich die Schleuder und ihre Spielarten, den Lasso und die Bolas, oder die Wurf leine ').

Sollen wir nun entscheiden, welchem von den vier selbst- ständigen Culturkreisen, dem toltekisch-mexicanischen, dem yuca- tekischen, dem inca-peruanischen oder dem der Chibcha Cundina- marca's, der höhere Rang gebühre, so müssen wir zunächst anführen , dass allen der Maisbau gemeinsam war , in Mexico kam dazu noch die Cultur der Maguey und des Cacao., in Peru und Bogota wieder die der Kartoffel, der Kinoahirse und des Cocastrauches. Künstliche Bewässerungen finden wir überall, die Guanodüngung dagegen nur in Peru. Die Mexicaner haben den IVuthahn gezüchtet, die Peruaner das Llama zum Lastthier ab- gerichtet. Brücken und Kunststrassen wurden von allen oben- genannten Völkern erbaut, doch gebührt den mit Steinplatten bedeckten sowie von Baumalleen beschatteten^) Heerstrassen der Peruaner weitaus der höhere Preis -5). Ein Postdienst war in Mexico wie im Incareiche eingerichtet worden*). Steinbauten fehlen in keinem der vier Culturkreise , aber Bogen wölbten nur die Peruaner 5). Die Chibcha lebten noch im Zeitalter der un- durchbohrten Steingeräthe. Dies darf man sogar noch von den Yucateken und Mexicanern behaupten, denn wenn sie auch Kupfer und Bronze kannten, so war doch der Gebrauch me-

1) S. oben S. 198.

2) Francisco deXerez, Conquista del Peru, bei Barcia, Hiätoriadores* tom. III, fol 191.

3) vgl. die Schilderung der Kaiserstrasse von Cuzco nach Quito bei (parate, Historia del Peru, libro I. cap. 10.

4) Die Tschaski oder Schnellläufer brachten in die kaiserliche Küche zu Cuzco Seefische innerhalb 48 Stunden, eine Entfernung von etwa 70 d- Meilen. Acost.t, Hist. natural y moral. libro VI. cap. 17.

5^ Rivcro y TschuJi. Anti.tjued.ides peruanus, Vienji 1851. p. 241.

q.j8 Die •amerikanische Urbevölkerung.

tallener Geräthe noch ein sehr sparsamer, allerdings weil die i^dasscharfen Späne und Messerklingen aus Obsidian ihre Dienste hinreichend ersetzten. Die Waflfen waren bei allen vier Cultur- völkern die nämlichen, nur fehlten den Peruanern die Holz- schwerter der drei anderen Völker, wogegen wiederum nur sie ^Morgensterne und Lanzen mit Bronzeklingen führten. Bei den nördlichen Völkern dienten Goldstaub in Federkielen, Zinn- und Kupferbarren, endlich die Cacaobohnen als Geld. Die Inca- peruaner kannten dafür Waage und Gewichte und die Chibcha behützten obendrein goldene Scheiben als Tauschmittel. Würden wir die Musterung nicht weiter fortsetzen, so möchte das Ergebniss dahin lauten, dass die Peruaner den Chibcha um viele, den nörd- lichen Culturvölkern um manche Fortschritte vorausgewesen seien. Allein die letzteren besassen eine Kalenderrechnung von 36574 Tagen , während die Peruaner sich nur mit der Beobachtung der Aufgangsorte (Azimuthe) des Tagesgestirnes zur Zeit der Sonnen- wenden durch Steinpfeiler begnügten. Die Mexicaner verfertigten r.andkarten, aus denen die spanischen Eroberer wichtige Be- lehrungen schöpften, die Peruaner nur Stadtpläne in erhabener Arbeit. Weit ärmer aber waren die Peruaner darin., dass sie ausser einer Bilderschrift*) nur eine Quippu- oder Knotenschrift besassen, wie in Vorzeiten die Chinesen^) oder wie wir sie bei Papuanen schon angetroffen haben ^), wie sie selbst bei den Jager- stämmen am Orinoco vorkam, denn dort hinterliess der Ehemann beim Antritt einer Reise seinem Weib eine Schnur mit so vielen Knoten, als er Tage wegbleiben wollte, und sie löste jeden Abend einen von ihnen auf. Oder eine solche Schnur mit Knoten diente dort als Schuldbekenntniss und der Gläubiger knüpfte bei jedem zurückgezahlten Stück des Darlehens einen Knoten wieder auf^)^ Die Quippuschrift ist aber wenig geeignet zur Aufbewahrung von Begebenheiten und Namen , weswegen auch die Glaubwürdigkeit der Geschichte des inca-peruanischen Reiches beträchtlichen Zwei-

1) A Costa, Historia natural y moral. libro VI. cap. 8. Ein Muster solcher Urkunden hat J. J. v. Tschudi (Reisen durch Südamerika. Bd. 5. S. 284) mitgetheilt.

2) Whitney, Language p. 450.

3) S. oben S. 367.

4) G um lila, £1 Orinoco ilustrado. tom, 11. 23. p. 505.

Die stmerikanische Urbevölkerung. a^q

fein ausgesetzt ist. Die Mexicaner dagegen besassen theils Schrift- zeichen, die rebusartig Sylben ausdrücken sollten , theils einen Vorrath von Sinnbildern, die einen Gedanken vertraten. Noch höher waren die Maya Yucatans gestiegen. Hatten sie auch ihren Kalender aus Mexico entlohnt, so schufen sie dafür eine Lautschrift, bestehend aus 27 zum kleinsten l'heil homophonen Buchstaben und- etlichen Sylbenzeichen ').

Die örtliche Vertheilung der Gesittuugsanfange in der neuen Welt führt uns nun mit Leichtigkeit zu etlichen wichtigen Ergeb- nissen. Es zeigt sich mit strenger Regelmässigkeit in Süd- wie in Nordamerika, dass die atlantische Hälfte den rohen Jägervölkern, die Stirnseite nach der Südsee den Culturvölkern gehörte. Aus den abenteuerlichen Wanderungen des Spaniers Cabeza de Vaca wird sich wohl mancher erinnern, dass, sowie er, von Texas aus west- lich wandernd, die atlantische Wasserscheide überschreitet, er das unbeneidete Elend der Rothhäute hinter sich lässt, und unter freundliche , wohlgenährte Ackerbauvölker geräth , bei denen seine schliessliche Rettung gesichert ist. Man könnte höchstens ein- wenden, dass in Yucatan ein Culturgebiet , der Regel zum Trotz, einer Ostküste des Festlands, und geographisch dem atlantischen Rand angehöre , allein den wahren Ostsaum der neuen W'elt in Mittelamerika bilden doch wohl die Antillen, und es ist völlig er- laubt, die caribischen und die mexicanischen Golfe als zwei Mittel- meere anzusehen, deren gänzliches Zusammenströmen eben durch das Zwischentreten von Yucatan verhindert wird eine Gliederung, welche an sich ausreichte, jene Halbinsel zu einem erwählten Erd- raum für eine beschleunigte Gesittung zu erheben. Der physische Grund aber, weshalb die Westhälfte Amerika's ausschliesslich den Culturvölkern gehörte, ist in ihrer vergleichsweise grösseren Trocken- heit zu suchen. Ein Uebermaass von Regen ergiesst sich auf die Westküsten der beiden Festlande nur unter hohen Breiten, und vom reichlichen Regen wird immer die Bildung geschlossener Waldungen abhängen. Alle grossen zusammenhängenden Wälder füllten dagegen die Räume des Ostens aus, in Brasilien so gut wie in den Vereinigten Staaten.

1) Diego de Landa, Relation des choses de Yucatan. Paris 1864. p^ ^16 322. V. Hellwald im Ausland. 1871. S. 243.

i8o I^ic amerikanische Urbevölkerung.

Auf dem paciüschen Abhang Amerika's lässt sich ferner beob- achten, dass die Zustände der Bewohner bei Annäherung und l'eberschreitung der Wendekreise sich merklich bessern, was sich selbst bei den Jägerstämmen noch bewährt und übereinstimmt mit den geschichtlichen Erfahrungen in der alten Welt Warme Länder l)ei ausreichender Bewässerung werden immer den Feldbau am reichsten belohnen , und nur bei einer grösseren Fülle leicht er- worbener Nahrungsmittel werden die Bewohner dicht auf engen Räumen zusammenzurücken vermögen. Erst wenn unter niederen Breiten schon eine gewisse Beherrschung über die Natur durch menschlichen Scharfsinn und gesellschaftliche Gliederung gewonnen worden ist, vermag die Cultur auch in rauhere Erdstriche vorzu- dringen. Wichtig war es auch, dass Mexico dort liegt, wo sich das nördliche Festland sehr rasch nach einem Isthmus zu verengert. Da sich die Völker selbst im reifen und noch mehr im Jugend- zustand der Cultur zur Aenderung ihrer Wohnsitze leicht ent- schliessen, so mussten, da vom nördlichen Festlande nach Süden zu kein anderer Raum offen stand als jene Verschmälerung des Festlandes, dort viel häufiger als anderwärts die Völker aufeinander drängen. So fehlte es in Mexico nie an Zuströmen von frischem }>lute, wie ja auch eine Verjüngung der gealterten Toltekenherr- schaft durch die Wanderungen jugendlicher Nahuatlvölk^r von Norden her erfolgte.

Die senkrechte Gliederung Nordamerika's begünstigte aber ganz ungemein Wanderzüge in der Richtung der Mittagskreise. Die Verbreitung der menschlichen Cultur zeigt so manche Ueber- einstimmungen mit der Wanderung der Thier- und Pflanzenarten, dass wir auch in der neuen Welt auf eine Aehnlichkeit stossen. Die Hochlande und Cordilleren Nordamerika's haben es Ge- wächsen und Thieren der kälteren Erdstriche erlaubt, sich weit nach Süden zu erstrecken. Sie führten in höheren und kühleren Luftschichten als Brücken über den Wendekreis hinüber. Süd- amerika besitzt keine Tannen oder Fichten, wohl aber haben sich von Nordamerika aus auf dem Rücken der Gebirge die Nadel- hölzer bis zur mittelamerikanischen Landende verbreiten können und Andreas Wagner') lässt daher die Thierwelt Nordamerika's

i) Abhandlungen der bayerischen Akademie der Wissenschaften. München

1840. Bd. 4. S. 7h.

Die amerikanische Urberolkerung. . 481

dort endigen, wo Schouw die Südgrenze der Kiefernarten bestimmt hatte. Ganz ähnlich konnten auch Bevölkerungen des Nordens ihre Wohnsitze wechseln und rasch den Wendekreis überschreiten, ohne dass sie gezwungen waren , nach dem heissen Fiebersaum an der Küste hinabzusteigen, der für sie erst nach längerer Ge- wöhnung und einer Reihenfolge von Geschlechtern bewohnbar ge- wesen wäre.

Ein begünstigter Erdraum wird aber nicht bloss die geistige Entwicklung seiner Bewohner beschleunigen, sondern er wird auch ötets früher oder später den fähigsten Völkern zur Beute fallen, denn auf den Fähigkeiten beruht zum grossen Theile die ge- schichtliche Stärke. Warum aber die Nahuatlakenvölker auf ihren Wanderungen das Hochland von Mexico als Sitz allen übrigen Gebieten vorzogen, ^darüber gibt uns ihre Landwirthschaft Auf- schluss. Sie bauten, wje alle Amerikaner, die einzige Halmfrucht der neuen W^elt, den Mais, der zwar äusserst reiche Ernten in Mexico trägt, doch aber auch vielfach anderwärts mit gleichem Erfolge gewonnen werden konnte. Dagegen gesellt sich zum Mais auf «den dortigen Hochebenen die Maguey f Agave mexicanaj^ aus deren Blüthenknospen in staunenswerthen Mengen ein Saft ge- zapft wird, den die alten Mexicaner in ihr Lieblingsgetränk, das Metl (Pulque) verwandelten/'). Ausserdem lag hart zu ihren Füssen der heisse Küstenstrich, der sie mit allen Früchten der Tropen versah, unter anderen mit dem Cacao, den sie bereits mit den Schoten der Vanille zu mischen verstanden.

So iöt es uns also erklärlich, warum auch von den vielen Stämmen, die jemals nach einander Mittelamerika durchzogen haben, die begabtesten sich das Hochland von Mexico erwählten, wo sie zugleich in günstige Berührung traten mit den Maya und den Quiche der Halbinsel Yucatan und Guatemala's. Die Orts-

i) Decandolle betrachtet Mexico als die botani&che Heimat jener Agave. Die Verbote des Trinkens von Pulque und die harten Strafen, die auf Trunkenheit im spätem Aztekenreich erfolgten, beweisen besser als alles andere, wie verführerisch dieses Getränk gewesen sein mag. (Prescott, Mexico, tom. I. p. 137. p. 157.) Vielleicht ist es ein übermässiger Genuss des Metl gewesen, welcher die Kraft der alten Tolteken zerrüttete.

Peschel, Völkerkunde. ,j

A^ Die amerikanische Urbevolkeiung.

läge der jugendlichen Culturen in beiden amerikanischen Welt- theilen war also keine zufallige, sondern sie war durch die senk- rechte wie wagrechte Gestaltnng und Stellung der Länder, sowie durch die von ihnen abhängige Verbreitung von Thieren und Pflanzen gegeben und bis zu emem gewissen Maasse ein unab- änderliches Verhängniss, als die ersten Asiaten den Nord w^ten der Neuen Welt erreichten.

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IV.

DIE DRAVIDA ODER URBEWOHNER VORDERINDIENS.

Vorderindien und Belutschistan wurde vor dem Einfall der brahmanischen Arier von einer Race bewohnt, die jetzt allgemein Dravida genannt wird. Ihre Haut ist meistens stark gedunkelt, oft geradezu schwarz. Darin würden sie den Negern gleichen, doch fehlt ihnen der widerliche Qeruch der Letzteren. Vor allem aber haben. sie langes schwarzes, niemals büschelförmiges, auch nicht straffes, sondern krauses oder gelocktes Haar. Dadurch lassen sie sich leicht von den mongolenähnlichen Völkern trennen, zumal bei ihnen auch das Bart- und Leibhaar reichlich sprosst. Grobe wie feine, edlere und unedlere Gesichtsbildungen kommen untermischt vor. Die wulstigen Lippen erinnern bisweilen an die Neger, aber die Kiefern sind nie vorspringend *). Alle Kenner des indischen Alterthums sind einig, dass wenn auch die Kasten- gliederüng in der Zeit der Hymnendichtung schon bestand^), doch erst später die Zwischenheirathen streng verboten wurden. Mischun- gen mit der Urbevölkerung müssen vorher vielfach Stattgefunden haben und finden zwischen männlichen Brahmanen und Sudra- frauen noch jetzt im südlichen Indien reichlich statt. 'Daher unter- scheiden sich auch die hohen Kasten, bei denen wir das arische Blut noch am reinsten suchen müssen , durch keine strengen Merkmale von der Urbevölkerung. Der Brahmanenschädel, bemerkt Barnard Davis ^) gestützt aufzahlreiche Messungen, zeigt keine Verschieden-

i) H. V. Schlagintweit, Indien u. Hochasien. Bd. i. S. 546.

2) Martin Hang, Brahma und die Brahmanen. München 1871. S. 13. S. 22.

3) Thesaurus Craniorum. London 1867. p. 149.

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Ag\ Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.

heit von den übrigen Hinduschädeln. Zu dem nämlichen Ergeb- nisse gelangte Welcker*), der für hohe wie niedere Kasten einen Breitenindex von 73 ermittelte, während Davis 75 fand, eine seltene Uebereinstimmung, da der Unterschied um 2 Procent nur eine Folge des verschiedenen Messungsverfahrens ist. Die Hohe der Schädel übertrifft die Breite nicht immer, oder höchstens nur um wenige Procente. Die Indier gehören also noch unter die Schmal- schädel von mittlerer Plöhe. Neuerdings hat auch Isidor Kopernicki^) die Maasse von 83 Hindu- mit 15 Zigeunerköpfen verglichen und uns Ziffern vorgelegt, die mit den obigen übereinstimmen. Die Bewohner Indiens gehören also jetzt einer einzigen Race an und die Abtrennung der Bevölkerungen zwischen dem Himalaya und Vindhiagebirgen von den Dravida des Dekan gründet sich nur darauf, dass erstere Töchter- oder Enkelsprachen des Sanskrit reden.

Die nicht arischen Bewohner der Halbinsel und Belutschistans zerfallen sprachlich in die Dravida im engern Sinne und in die Bevölkerungen des inneren Kerns der. Halbinsel vom Ganga süd- wärts bis etwa zum 18. Breitegrade, welche letztere wir, um nicht abermals einen neuen Namen zu ersinnen, mit Friedrich Müller den Munda-Stamm nennen und unter diesem Namen die Horden der Kolh, der Santal, Bhilla sowie kleinere Stämme zusammenfassen wollen. Ihre Abtrennung rechtfertigt sich dadurch , dass ihre Sprachen, unter sich verwandt "5), einer ganz anderen Gruppe wie der dravidischen angehören^). Diese sogenannten Dschengelstämme nähren sich vom Ertrage der Jagd und des Ackerbaues und bedienen sich noch vielfach der Steingeräthe. In Sinbonga ver- ehren sie einen gütigen Schöpfer, opfern aber auch bösen Mächten. Ausserdem glauben sie an Zauberei, daher auch Hexenprocesse imd gottesgerichtliches Verfahren bei ihnen im Brauch sind. Obendrein hat sich auch noch der ^ivadienst eingeschlichen^). Zu den Dravida im engeren Sinne gehören die Brahui in

i) Kraniologische Mittheilungen S. 157. Vgl. Appendix A.

2) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1872. Bd. 5. S. 285.

3) Jellinghaus (Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 3. Berlin 1871. S. 328) bemerkt, dass die Sprache der Santal und die der Munda Khol sich noch näher stehen, wie das Hoch- und das Plattdeutsch.

4) W. D. Whitney, Language and the study of lar>gu»^ge. p. 327.

5) Jellinghaus a. a. O. S. 329. S. 335. S, 337.

Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens. 485

Belutschistan, während die Belutschen .selbst zu den Eräniern zählen ^). Die Sprache der ersteren, welche schon längst von Chr. Lassen den Dravida beigezählt wurde ^), reicht von Shal im Norden bis nach Jalavän im Süden und von Kohak im Westen bis Harrand im Osten. Die Brahui sind ein roher, abgehärteter und unver- dorbener Stamm, dabei gastfreundlich und von unerschütter- licher Treue. Von ihnen räumlich weit geschieden ganz im Süden der vorderindischen Halbinsel entwickelten sich fünf dra- vidische Cultursprachen, nämlich am Saume der Westküste das Tulu oder Tulwa, welches nur noch um Mangalore von etwa 150,000 Bewohnern gesprochen wird, dann angrenzend auf einem schmalen Küstenstrich bis zur Südspitze das Malayalam oder Ma- labarische, drittens von Cap Comorin bis über die Polhöhe von Madras und von dem Kamm der westlichen Ghat bis zum ben- galischen Golf das Tamil, die Sprache der Tamulen, welcher auch ncch die Nordhälfte von Ceylon angehört^). Sie wird von 10 Millionen gesprochen und besitzt eine reiche alte Literatur, wurde dorh schon nicht lange nach Beginn unserer Zeitrechnung in Ma- dura unter' einem Kenige des Pandja Reiches eine tamulische Akademie gestiftet"*). Das Auftreten Tiruvalluvers , des Dichter- königs der Tamulen fällt dagegen in die Zeit von 200 bis 800 n. Chr. Sein Hauptwerk, der Kural oder „Kurzzeiler" mit vicr- und dreifüssigen Strophen , Anfangsreimen und Alliterationen in der Mitte, ist ein gnomonisches Gedicht, mit Sprüchen über die sittlichen Ziele des Älenschen, voll zarter und wahrer Gedanken, aber krankend an "dem Wahn der 'Wiedergeburt, von der ailf buddhistischem Wege eine Erlösung erstrebt werden soll 5).

Die vierte dravidische Cultursprache, das Telugu, von dtn Briten Gentoo oder Heidensprache genannt, wird von 14 Millionen gesprochen und behauptet sich längs der Ostküste vom 14. bis ig. Breitegrad, von dem es sich binnenwärt« bis etwa zum Mittags- kreise des Cap Comorin erstreckt. Von diesem angefangen gegen

i) Fr. Spiegel, Eränische Alterthumskunde. Bd. i. S. 333.

2) Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes. Bd. 5. S. 408.

3) vgl, die Sprachenkarte in Berghaus, Physikal. Atlas. 2. Aufl. Üthnogr. Blatt 14.

4) K. Graul, im Ausland. 1855. S. 1160.

5) K. Graul, Eibliotheca Tamulica. Leipzig 1856. tom. III. p. XIII.

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^86 I^ie Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.

Westen hat sich die fünfte Dravidasprache, das Kannadi oder ca- naresische, die Sprache Karnatas über 5 Millionen Köpfe ausge- breitet. Nur mundartlich von ihm verschieden ist die Sprache der Tuda, eines kleinen Stammes in den Nilagirigebirgen unter dem II. Breitegrade. Ferner gehören noch zu den Dravidavölkern die Gond in Gondwana und die Khond in Khondistan. Letztere waren traurig berühmt wegen der Menschenopfer, die sie jährlich der göttlich gedachten Erde darbrachten. Einem britischen Officier, Capitain Campbell, gelang es jedoch, in der Zeit von 1837 1852 durch feierliche Verträge einen Stamm nach dem andern zur Ent- sagung dieses grauenvollen Gottesdienstes zu vermögen*).

Endlich schliessen sich noch an die Vorigen in Bengalen südlich vom Ganga in dem Gebirgszuge bei Radschmahal die Paharia an.

Alle diese Sprachen und Mundarten stehen sich geschwister- lich nahe, während das Singhalesische oder Elu, welches auf der südlichen Hälfte der Insel Ceylon im Innern herrscht, ihnen fremdartig gegenüber tritt. Es hat nämlich weder die Fürwörter noch die Flexionselemente mit den Dravidasprachen gemeinsam und behauptet somit eine vereinzelte Stellung, wenn auch der Sprach- typus sich nicht ändert, die Verbindung der einzelnen Satzglieder vielmehr ganz ähnlich wie in jenen erfolgt*). Somit besteht, zu- mal sich die Körpermerkmale nicht ändern, keine Nöthigung, die Singhalesen Ceylons zu einer besonderen Race zu erheben.

Die Dravidasprachen begrenzen den Sinn der Wurzel durch angehängte Lautgruppen und beobachten dabei Gesetze der Laut- harmonie ^), die von den Vocalen des Suffixes auf den Vocal der Stammwurzel zurückwirkt, also umgekehrt sich äussert, wie in den altaischen Sprachen. Wenn trotzdem wegen der übereinstimmen- den Verfahrungsweise bei der Wortgestaltung die Dravidavölker unter die Glieder einer ;,turanischen" Familie haben gezählt wer-

1) Er selbst erzählt uns alle Vorgänge in einem umfangreichen Werke, Thirteen years Service amongst thewild tribes of Khondistan by John Camp- bell, London 1864. Was er über den Frauenraub unter den Khond berichtet, wurde bereits oben S. 235 mitgetheilt.

2) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologiscl er Theil. Bd. 2. S. 218.

3) S. oben. -S. 125.

Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens. aSj

den sollen, so ist dieser gewagte Schritt schon von Sprachkennern *)

gemissbilligt worden, eine Völkerkunde aber, welche den Körper- merkmalen das entscheidende Gewicht beilegt, kann nur vor diesem Irrthum warnen. In den Dravidasprachen stossen wir bereits auf Keime zur Unterscheidung eines grammatischen Geschlechtes, in- sofern nämlich die Hauptwörter in solche einer „hohen" und in solche einer „niedern Kaste" zerfallen. Alle Wörter, die höhere Wesen, Menschen, Götter oder Geister bezeichnen, gehören in die hohe, alle anderen, die Thiere, sonstige sichtbare Gegenstände und Be- griffe ausdrücken, in die niedere Kaste*).

Die männliche Form wird durch die Endsylbe <f», oH, 6n zu- sammengezogen aus avan dieser, die weibliche durch die Endsylben <f/, al zusammengezogen aus aval^ diese, gebildet, es heisst daher magan^ der Sohn, magal die Tochter, Ulan der Hausherr, illäl die Hausfrau^).

1) Whitney, Language and the study of language. p. 327.

2) K. Graul, Tamil Grammar § ii. Biblioth. Tamulica. tom. IL p. 17.

3) Fr. Müller l. c. S. 85.

V.

HOTTENTOTTEN UND BUSCHMÄNNER,

In den südlichen Theilen Afrika's, der atlantischen Küste nahe, vom indischen Ocean nach Westen verdrängt, zum Theil in Horden verstreut, sitzt eine Menschenrace , die in zwei Abtheilungen zer- fällt, in die Hottentotten und in die Buschmänner. Der eine Name bedeutet Stotterer und wurde ersteren wegen ihrer Schnalz- laute zum Spott von den Holländern gegeben. Gegenwärtig ersetzt man ihn durch Koikoin, was die Menschen heisst, und womit die Hottentotten sich selbst bezeichnen. Der Ursprung des Namens Buschmänner ist noch völlig dunkel, von den Hottentotten werden sie San (Plural von Sab) geheissen. Gemeinsam ist beiden Abtheilungen der büschelförmige Haarwuchs, der aber auch bei den anderen Südafrikanern, wenn auch minder scharf ausgeprägt, auftritt. Von diesen trennt sie zunächst die ledergelbe oder leder- braune Farbe der Haut, welche letztere durch frühe und starke Runzelung auffällt. Auch sind ihre Fingernägel nie hell gefärbt wie bei den Bantunegern ^).

Die Frauen dieser beiden Abtheilungen zeichnen sich durch Steatopygic aus*), eine Eigenthümlichkeit , die darin besteht, dass die Fettpolster des Gesässes oben treppenartig vorspringen , dann aber allmälig in den Schenkel übergehen, also umgekehrt^), wie bei allen übrigen Menschenracen gestaltet sind. Ein weniger gutes

i) G. F ritsch, Eingeborene Südafrika's. S. 264. S. 279.

2)Theophilus Hahn erzählt jedoch, dass auch bei Männern im Jugendalter diese Fettbildung auftritt. Globus 1867. Bd. XII., Nr. ii. S. 332.

3) Nach dem Sectionsbefund der Afandy, die 1866 als Leiche nach Tü- bingen gelangte. Archiv für Anthropologie. Bd. 3. S. 307.

Hottentotten und Buschmänner. ^^S i)

Merkmal ist die Verlängerung der /adia minora und des praeputiuvi clitoridis (Hottentottenschürze) bei Frauen, da ähnliche Abweichungen nicht blos in Afrika, sondern auch in Amerika vorkommen'). Der Bart keimt nur spärlich und die andere Haarbekleidung des Körpeis grenzt an Kahlheit. Nach den Welcker'schen Messungen beträgt das Breitenverhältniss der Köpfe nur 69, da sich aber der Schädel nach rückwärts sehr stark verbreitert, so würde der Index, wenn man an der breitesten Stelle den Tasterzirkel einsetzen wollte, noch um ein paar Procente höher steigen. Noch schärfer aber unterscheiden sich die Schädel bei der Betrachtung des Hinter- hauptes, weil die Höhe selbst noch hinter der so geringen Breite zurückbleibt, so dass also diese Völker zu den niederen Schmalschädeln gehören. Die Kiefern drängen in der Regel nach vorwärts, doch hält sich der Prognathismus innerhalb massiger Grenzen. Auch die Jochbogen treten seitlich hervor. Die Lippen sind zwar sehr voll, aber nie so wulstig wie bei südafrikanischen Negern. In der Gegend der Nasenwurzel heben sich öfters die Nasenknochen f^t gar nicht über ihre Umgebung hervor, so dass die aufgestülpte Nase erst kurz über dem Munde hervortritt. Die Augen sind schmal geschlitzt, aber nicht schief gestellt, wie Barrow^) behauptet hat, der sich wahrscheinlich dadurch täuschen Hess, dass die Koi-koin zum Schutze gegen das blendende Sonnen- licht^) ihre Brauen zusammengezogen halten. Die. Buschmänner, die alle diese Merkmale mit den Koi-koin gemein haben, unter- scheiden sich von diesen wieder durch Besonderheiten zweiter Ordnung. Ihre Grösse ist beträchtlich geringer als die der Koi- koin"^), doch werden die Horden westlich vom Ngami See als stattlicher beschrieben. Künftigen Reisenden bleibt es überlassen, zu untersuchen, ob nicht die Obongo schmutzig gelbe, kleine, 4' 4" bis 5' hohe Menschen mit büschelförmig wachsenden Haaren, aber nicht kahler, sondern mit Flaum stark bedeckter Haut, die

i) Dr. Ploss in der Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Bd. 3. S. 381.

2) Travels into the interior of Southern Africa. London 1801. tom i. p. 157.

3) Fritsch, Eingeborene Südafrika's. S. 289.

4) Barrow gibt als Maxima der Leibeshöhe unter einer Horde Busch- männer nahe am Orange River 4' 9" engl, für die Männer und 4' 4" für die Frauen an. Travels into the interior of South Africa. tom. I. p. 277.

4QO Hottentotten und Buschraämier.

Du Chaillu im äquatorialen Westafrika') als scheue Waldbewohner antral", ferner die zwergenhaften Acka oder Ticki-Ticki, deren Sitze in den Süden des UeUe, also nicht mehr in das Nilgebiet von Dr. Schweinfurth verlegt werden"} und endlich die kleinen Doko iin Süden von Kaffa, über welche Krapf freilich aus einem nicht allzu glaubwürdigen Munde Erkundigungen einzogt), die zu- siimmengeschmolzenen letzten Reste einer ehemals weitverbreiteten Urbeifilkerung seien, die den Buschmännern sehr nahe stehe*).

f'if letzteren unterscheiden sich auch darin von den Hotten- totten, dass die Geschlechtsmerkmale zweiter Ordnung bei ihnen mit einziger Ausnahme der Steatopygie völlig fehlen. Die Männer überra^'L-n nicht durch ihre Grösse die Frauen und die beider- seitigen Becken sind zum Verwechseln ähnlich, ja selbst die übrigens schwache Entwicklung der Brustdrüsen gleicht sich bej beiden 'leschlechtern der Buschmänner in auffallender Weise^.

Buschmänner und Koi-koin bilden eine gemeinsame Race, sie sind, wie Theophilus Hahn bemerkt, Geschwister einer Mutter. -Sjirachlich allerdings haben sie nur die Schnalzlaute gemein, die durch oin Anlegen der Zunge an die Zähne oder an verschiedene Stellen des Gaumens und durch ein rasches Zurückschnellen her- vorgebracht werden. Einen dieser Schnalzlaute gebrauchen Euro- päer, um ihren Verdruss auszudrücken, einen anderen hören wir bei Fuhrleuten, die ihre Rosse ermuntern. Ausser den Schnalz- lauten besteht zwischen den Sprachen der San und Koi-koin^) keine Aehnlichkeit, abgesehen von wenigen Worten, die beiderseitig aus- getauscht worden sind'). Die Mundarten der Buschmänner weichen wie bei allen Jägervölkern stark auseinander, doch bleibt eine ge- wlific ^'crwandtschaft noch immer kenntlich*); auf welche Art sie

il Ashango-Laod, p. 316—330.

:) Pctermann'E Mittbeilnng. 1871. pag. 138.

ii J. L. Krapf, Reisen in Oslafrika, Komthal 1858. Bd. i. S. 76—79.

4) üehrn über das Buschmännergebiel in Felercaann's Miltheilangen. L838. S. 21II; über die ZwergTÖlker in Ardka ebendaselbEl. 1871. S. 139 ff.

51 Fritsch, Eingebome Südafrika's. S. 407. S. 415-

h\ Thcophilns Hahn, im Globus 1870. 3. Sem. S. 84-

71 Fritsch, drei Jahre in Südafrika. S. 253— 2S4-

«] Iheaphilus Hahn, VI. u. VII. Jahresbericht des Dresdener Verein» für lirdl^unde. S. 71.

HoltentoUen und Buschmänner. 4QI

aber bei der Wortgestaltung verfahren, darüber fehlt uns noch jede Belehrung').

Die Sprache der Koi-koin ist dagegen eine grosse Merk- würdigkeit der Völkerkunde. Der Missionär Moffat war der erste, welcher entdeckte, dass sie Aehnlichkeit mit der altägypti sehen zeige. Dies war auch die Ansicht 'von Lepsius*), der wieder Pruner Bey huldigte^). Selbst Max Müller hat diese Behauptung verfochten^) und sogar Whitney sie wiederholt 5). Bleek endlich gibt zwar zu, dass die Hottentottensprache in den Lautzeichen für die Geschlechter mit dem Altägyptischen und Koptischen inniger übereinstimme, als mit anderen Sprachen, dass sich aber auch wieder Anklänge an semitische Forftien finden^). Gegen die Ver- wandtschaft haben sich v. d. Gabelentz, Pott, Friedr. Müller und Theophilus Hahn ausgesprochen und wir wären nicht zu dieser erledigten Streitfrage zurückgekehrt, wenn sich nicht deutlich aus ihr ergeben würde, dass die Mundarten der Koi-koin eine sehr hohe Entwicklung haben müssen und zwar eine so hohe, dass ein Sprachforscher wie Martin Haug ihre höheren und feineren Be- standtheile „nur durch Berührung mit einem civilisirten Volke" «ich erworben denken kann. Ob dieses Volk das altägyptische gewesen sei, müsse vorläufig unbeantwortet bleiben 7). Für eine solche Berührung spricht jedoch bis jetzt keine einzige Thatsache. Ehe daher nicht strenge Beweise für solche Vermuthungen beige- bracht werden, müssen wir vielmehr darauf bestehen, dass Sprachen auch durch solche Völker verfeinert werden können, welche ohne

i) Eine Sittenschilderung der Buschmänner wurde schon auf S. 148 fl. gegeben.^

2) S. G. Morton, Types of mankind. Philadelphia 1854. p. 233.

3) L'origine de Tancienne race 6gyptienne. Memoire lue ä la Soc. d'An- throp. I. aoüt 1871. p. 430. (Nach einem Separatabdruck wahrscheinlich aus

de-m Bulletin der Pariser anthropoL Gesellschaft.)

4) Science of Language. London 1864. tom. II. p. ii.

5) Language and the science of language. London 1867. p. 341.

6) Reineke Fuchs in Afrika. Weimar 1870. p. XXVIII. Bleek hielt bis zu seinem Tode an der gemeinsamen Abkunft der Hottentotten- und der semito- haraitischen Sprachen fest. Journ. Anthrop. Inst. tom. I., p. LXXIX.

7) Anthropologisches Correspondenzblatt 1872. S. 31.

:r.v,

492

Hottentotten und Buschmänner.

Berechtigung Wilde genannt worden sind. Die gesellschaftliche» Zustände unsrer Vorfahren zu Tacitus* Zeiten waren nur wenig besser als die der Koi-koin und dennoch besass ihre Sprache schon damals arische Hoheit.

Das Nama und die anderen Mundarten der Koi-koin befestigen die starkabgeschliffenen Formlaute am Ende der Wurzel. Aus koi Mensch wird koi-b Mann, ^ot-s Weib, koi-gu Männer, koi-ti Weiber. koi'i Person, koi-n Leute. Wir wählen dieses Beispiel, um hinzuzu- fügen, dass aus kot Mensch koi^si freundlich, koi-si-ö Menschen- freund und kot'Si'S Menschlichkeit entsteht^). Da sehr viele lieb- lose Anthropologen den alterthümlichen Volksstämmen vorgeworfen haben, dass sich in ihren Sprachen keine Ausdrücke für Abstrac- tionen, oder kein Wort für Gott oder Moral finde, so wollen wir daran mahnen, dass die Hottentotten einst auf die tiefste Stufe gestellt, das obige Wort für Humanität besitzen.

Da sie seit etlichen Jahrhunderten schon mit Europäern und Mischlingen verkehren, so müssen wir uns über ihre Sitten und Gewohnheiten durch die älteren Schilderungen unterrichten lassen und unter diesen ist die beste jedenfalls die von Kolbe aus den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.

Die Hottentotten waren|^Rindcrhirten zur Zeit, als sie die Portugiesen zuerst zu Gesicht bekamen*), betrieben aber keinen Ackerbau, sondern begnügten sich mit den wild wachsenden Früchten und Wurzeln, welche letztere nicht eher ausgegraben werden durfteft, als nachdem die reifen Samen ausgefallen waren ^). Als Obdach diente ihnen ein niedriges, halbkugelförmiges Gestell aus Stäben, die in die Erde gesenkt, gebogen, zusammengebunden und mit Binsenmatten gedeckt wurden. Lederne Schürzen und Mäntel bildeten die Bekleidung, auch gehörten die Hottentotten zu den Sandalen- trägern und es bedeckten sich beide GeFchlechter, die Frauen aus Schamhaftigkeit den Kopf mit einer Fellmütze. Speere, Wurfstecke (Ki'n) und Fechterstäbe zum Pariren waren ihre Waffen und da sie

i) Xama Grammatik von Th. Hahn, in dem VI. und VII. Jahres- bericht des Dresdner Vereins für Erdkunde. S. 32.

2) Die Angra dos Vaqueiros oder der Landungspunkt des Bartho- lomeu Dias (Barros, Da Asia, Dec. I., livro III., cap. 4) war die heutige Algoabni. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 94.

3) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 460.

Hottentotten und Buschmänner. 4g3

jagten , führten sie auch Bogen und Pfeile , welche letztere ver- giftet wurden. Wie alle Afrikaner verstanden sie Eisenerze aus- zuschmelzen und das Metall zu verarbeiten. Ebenso war das Ab- richten der Reitochsen von Alters her bei ihnen gebräuchlich. Gekocht wurde in Thongeschirren. Aus Honig bereiteten sie ein berauschendes Getränk, wie denn \hr starker Hang zu solchen Genussmitteln das Branntweintrinken später bis zu einem natio- nalen Laster hat ausarten ' lassen. Dazu gesellte sich schon seit Janger Zeit das schädliche Rauchen von Dacha oder Hanf, welches sie mit den B^ntunegern gemein haben. Durch ihre Unreinlich- keit haben sie sich wohl am meisten die Geringschätzung der Europäer zugezogen. Der unglaublich klingende Gebrauch, dass beim Abschluss einer Heirath der Schamane das Brautpaar mit seinem Urin besudelt, soll wirklich bei dep Namastamme noch jetzt fortdauern*). Vergessen wir jedoch nicht, dass die Neapoli- taner und Iren, sowie die Zigeuner trotz ihrer Unsauberkeiten zu den Gliedern der arischen Völkerfamilie gehören, sowie dass dem brahmanischen Hindu als Reinigung von allerhand Sünden das Trinken von Rinderharn vorgeschrieben worden war. Rachsucht, geringe Ehrfurcht vor den Eltern und das Aussetzen der Alters^ schwachen in Einöden sind ebenfalls Flecken im Charakter der Hottentotten. Ihr Hang zur Freiheit oder deutlicher gesprochen zum Müssiggang hat ihre Kopfzahl stark vermindert und ihr gänz- liches Aussterben wird sich schwerlich abwenden lassen. Sie lebten in Horden unter Häuptlingen, die ihr Ansehen mit den Aeltesten einer Gemeinde theilten. Bisweilen haben wohl auch die einzelnen Horden Bündnisse zur Abwehr gemeinsamer Feinde geschlossen. Noch jetzt nennen sich die Kei-j^^hous oder das „rothc Volk" einen königlichen Stamm*), woraus vielleicht geschlossen werden darf, dass ehemals die Koi-koin wenn auch nur kurze Zeit zu einer Nation von einem begabten Herrscher vereinigt waren. Die. Vielweiberei ist verstattet, aber selten. Kolbe rühmt, dass nie eine Frau misshandelt werde ^), doch bestätigen neuere Beobachter nicht das Gleiche; vielleicht, dass die besseren alten Sitten durch

i) Kolbe S. 453. Theophilus Hahn, VII. Jahresbericht der Dresd- ner Geogr. Ges. S. 9.

2) Fritsch, Eingeborne. S. 361.

3) 1. c. S. 552.

494

Hottentotten und Buschmänner.

das schlechte Beispiel der Boeren verdorben worden sind. Wie die benachbarten Bantuneger zeigen sich die Koi-koin bei öffent- lichen Gerichtsverhandlungen in allen forensischen Künsten be- wandert. Die Pflichten der Blutrache sind nicht völlig erloschen, doch begnügt man sich meistens mit Entrichtung von Wergeldern.

Ueber die Religionsschöpfungen dieser merkwürdigen Be- völkerung herrscht noch grosse Dunkelheit. Gewiss ist nur, dass die Koi-koin den männlich gedachten Mond verehren. Ihren Glauben an eine Fortdauer der Entschlafnen bezeugt die Sitte, dass sie den Leichen bei der Beerdigung eine Stellung wie im Mutter- schoosse geben, auch brechen sie ihren Kraal sogleich nach jedem Todesfall ab, um sich aus der Nähe des Grabes z\i entfernen. Ahnendienst ist streng nachgewiesen worden bei der Koranahorde, welche im Tsui-^pab einen grossen Häuptling früherer Zeiten ver- ehrt *). Weit schwieriger ist es zu entscheiden , ob der hotten- tottische Heitsi -Eibib ein geschichtlicher Held gewesen sei. Zu seinem Andenken häufen sie Steine auf Steine zu Grabhügeln und ihm zu Ehren werden Tänze aufgeführt, sodass die Namaqua von Stammesgenossen sagen „sie tanzen noch'* oder „sie tanzen nicht mehr**, je nachdem sie ein Verharren im Heidenthum oder eine Bekehrung zum Christenthume ausdrücken wollen.' Wenig Aufschluss gewähren die Fabeln, welche über Tod und Thaten dieses räthselhaften Wesens erzählt werden*). Mehr als einmal soll er gestorben und wieder geboren worden sein, so dass Viele ihn mit der Mondgottheit für eins halten^). Unter den Hottentotten, gab es auch Schamanen, die über Regen und Sonnenschein Ge- walt ausübten und die Geister der Krankheiten austrieben. Natür- lich fand sich auch der Glaube an Zaubermittel vor, doch stiftete die Hexenverfolgung lange nicht soviel Unheil an, wie bei den Bantunegern.

Wer die hohe Entwicklung ihrer Sprache zu würdigen ver- steht, wer ausserdem zu schätzen weiss, dass die Hottentotten fremde Sprachen leicht erlernen und tadellos sprechen, wer nach den Mustern im Reineke Fuchs von Bleek ihre Gabe bewundert.

1) Fiitsch, Eingeborne. S. 338.

2) Bleek, Reineke Fuchs. S. 59—64.

3) Theophilus Hahn, Die Nama-Hottentotten. Globus 1867. Bd. 12. S. 276.

Hottentotten und Buschmänner.

495

Thierfabeln fremden Ursprungs für afrikanisches Verständniss um- zugestalten, der wird nicht länger dulden, dass die Koi-koin zu den niedrigsten Menschenracen gezählt werden, ja er wird ihnen sogar unter den Ilalbculturvölkern eine möglichst hohe Stellung zuerkennen. Gewiss besassen sie für gesellschaftliche Verbesserungen alle Anlagen, aber die Wasserarmuth Südafrika's, welche seine Bewohner zwingt, immer wieder zu wandern, hat ihr Sesshaft- werden verhindert und damit war auch eine grössere Verdichtung der Bevölkerung ausgeschlossen.

Ehe wir diesen kurzen Abriss schliessen, möchten wir noch auf ein merkwürdiges Zusammentreffen absonderlicher Aehnlich- keiten zwischen den Koi-koin und den Fidschipapuanen aufmerk- sam machen. Nicht nur ist der büschelförmige Haarwuchs und die schmale Schädelform beiden gemeinsam, sondern es ist auch innerhalb der papuanischen Race bei Frauen Neigung zur Steato- pygie vorhanden '). Weniger Gewicht dürfen wir darauf legen, dass bei beiden Menschenstämmen Männer und Frauen getrennt speisen, denn dieser Brauch kehrtauch häufig anderwärts wieder. Merkwürdiger ist es schon, dass die Fidschi-Frauen zur Trauer über Todte sich Fingerglieder abschneiden und dass diese Verstümmelung auch bei den Koi-koin vorkommt und zwar in der Regel vorzugsweise beim weiblichen, seltener beim männlichen Geschlecht. Seltsam ist aber geradezu das Zusammentreffen der Sagen über die Sterblichkeit des Menschengeschlechtes. Zwei Götter, erzählen die Fidschi, stritten darüber, ob nicht den Menschen ein ewiges Leben zu- kommen solle. Ra-Vula, der Mond, wollte uns einen Tod gönnen, wie den eignen, das heisst, wir sollten eine Zeit lang verschwinden, und dann erneuert wiederkehren. Ra-kalavo, die Ratte jedoch verwarf den Vorschlag. Die Menschen sollten vielmehr sterben, wie die Ratten sterben und Ra-kalavo behielt Recht ^). Die Koi- koin dagegen haben nach Andersson^) die Sage folgendermaassen gestaltet. Der Mond trug dem Hasen die Botschaft an den Menschen auf: wie ich sterbe und wieder erneuert werde, so sollt auch ihr

i) Wenigstens Lei den Anwohnern des Utanataflusses in Neuguinea. Natuurlijke Geschiedenis der nederlandsche overzeesche bezittingen. Land- en Volkenkunde door Salomon Müller, fol. 45.

2) Williams, Fiji and the Fijians. tom. I. p. 205.

3) Lake Ngarai. London 1856. p. 342.

|(i() Hottentotten und Buschmänner.

sterben und wieder lebendig werden. Der Hase richtete die Bot- schaft jedoch verkehrt aus, denn er gebrauchte die Worte: wie ich sterbe und nicht wieder geboren werde. Als er dem Monde seinen Missgriff gestanden hatte, schleuderte dieser ergrimmt einen Stecken nach dem Hasen, der diesem die Lippen aufschlitzte. Auch ergriff der ungetreue Bote die Flucht und streift noch heute flüchtig auf der Erde*).

Wie verführerisch ist es nun, das Zusammentreffen entscheiden- der Körpermerkmale, sonderbarer Sitten und sogar einer eigen- thümlichen Sage entweder dadurch zu erklären, dass die Koi-koin und papuanischen Fidschi von gemeinsamen Voreltern der Urzeit abstammen oder wenigstens, dass sie ehemals so nahe neben ein- ander sassen, um Sitten und Sagen auszutauschen. Dennoch ist weder das eine noch das andere glaubwürdig. Bei schärferer Unter- suchung unterscheiden sich die Koi-koin durch die Farbe der Haut, durch den Mangel an Leibhaaren, durch die geringe Höhe ihrer Schädel hinreichend von den Fidschi. Das Abschneiden der Fingerglieder wird bei den Koi-koin in der Jugend vollzogen und scheint irgend ein abergläubisches Schutzmittel gewähren zu sollen *), kommt übrigens auch bei Polynesiern und auf den Nikobaren vor ^). Somit bleibt nur die übereinstimmende Verknüpfung des Mondes mit der Unsterblichkeitshoffnung übrig. Allein sie bestätigt blos den alten Satz, dass derselbe Gedanke bei den verschiedenen Spielarten unsers Geschlechtes in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten durch die nämlichen Gegenstände angeregt worden sei. Das psychische Einerlei der Menschennatur sollte also fernerhin nicht mehr bestritten werden.

1) Eine andere Wendung des UnsterbUchkeitsmythus findet sich bei den Bantiinegern. Casalis, Les Bagsoutos. Paris 1859. p. 255.

2) Bei Maclean, Kafir laws and customs, p. 93, wird derselbe Gebrauch von Kafim berichtet. Auch die Buschmänner sollen die vorderen Glieder der Finger vom kleinen an der linken Hand angefangen bei Erkrankungen opfern in der Meinung, dass mit dem abrinnenden Blute die Krankheit sich ent- fernen werde. Barrow, Travels, tom. I., p. 289.

3) Tylor, Anfange der Cultur. Bd. 2. S. 402.

VI.

DIE NEGER.

Die Neger bewohnen Afrika vom Südrande der Sahara an- gefangen bis in die andere Halbkugel zu dem Gebiete der Hotten- * totten und Buschmänner, sowie vom atlantischen Meere bis zum indischen Ocean, nur dass d^r äusserste Osten ihres Welttheiles von eingedrungenen Hamiten und Semiten ihnen abgerungen worden ist. Die meisten Neger tragen hohe und schmale Schädel. Die mittleren Procentsätze der Breite beginnen nach Welcker bei 68 und erheben sich bis 71, sinken in einzelnen Fällen unter 63 und steigen in anderen bis 78 herauf.- Die Schwankungen ge- niessen einen solchen Spielraum, dass Barnard Davis') unter 18 Köpfen des äquatorialen Afrika nicht weniger als vier Breitschädd fand. Bei der Mehrzahl gesellt sich dazu ein Vortreten des Ober- kiefers und eine schiefe Stellung der Zähne, doch gibt es wiederum ganze Völkerschaften, die völlig mesognath sind. Einer gehässigen Schule von Völkerkundigen war der Neger zum Inbegriff alles Rohen und Thierartigen geworden. Jede Entwicklungsfähigkeit suchte sie ihm abzustreiten, ja seine Menschenähnlichkeit in Zweifel zu ziehen. Der Neger, wie ihn das Lehrbuch erforderte, vereinigte mit einem eirunden Schädel, einer flache- Stirn und einer Schnauzen- form wulstige Lippen, eine breitgequetschte Nase, kurzes ge- kräuseltes Haar, falschlich Wolle genannt, schwärzliche oder schwarze Hautfarbe, lange Arme, dünne Ober-, wadenlose Unter- schenkel, allzu stark verlängerte Fersenbeine und Plattfüsse. Den vollen Zubehör dieser Hässlichkeit besitzt wohl kein einziger afrikanischer Stamm*). Die Hautfarbe durchläuft vielmehr alle

1) Thesaurus crapiorum. p. 210.

2) Der typische Neger, sagt Winwood Reade (Savage Africa, p. 516) ist selbst unter Negern eine seltene Spielart.

Peschel, Völkerkunde. 32

498 i^ie Neger.

Stufen von Ebenholzschwärze wie bei den Joloffern bis zur hellen Mulatienfarbe bei den Wakilema, während Barth ^) sogar kupfer- rothe Neger in Marghi beschreiben kann. Am Schädel ver- schwinden bei vielen Stämmen wie bei den erwähnten Joloffern die vorstehenden Kiefern sammt den wulstigen Lippen^). Die Nasen sind bei manchen Horden zugespitzt^), gerade oder gebogen'*), man spricht sogar von „griechischen Profilen" und Reisende äussern betroffen, dass sie unter Negern „nichts vom sogenannten Neger- typus" wahrnehmen körinen^).

Nach den Untersuchungen Paul Broca's^) sind die oberen Glied- massen des Negers verglichen mit den unteren viel kürzer, demnach minder affenartig als beim Europäer und wenn auch der Neger durch die Länge der Speiche sich den Affenverhältnissen mehr nähert, so ent- fernt er sich von diesen wieder durch die Kürze des Oberarmbeines mehr als der Europäer. Vorherrschend ist bei den Negern aller- dings der schmale mehr oder weniger hohe Schädel. Als be- harrliches, allen gemeinsames Merkmal aber lässt sich nur eine mehr oder weniger starke Dunkelung der Haut, nämlich, gelb, kupferroth, olivenfarbig, dunkelbraun bis ebenholzschwarz angeben. Immer übersteigt die Farbe eine südeuropäische Bräunung. Dazu gesellt sich das meistens kurze Haar, elliptisch im Querschnitt, häufig der Länge nach gespalten und stark gekräuselt. Bei den Negern Südafrika's, besonders bei Kafirn und Betschuanen verfilzt es sich büschelförmig, wenn auch nicht so stark wie bei den Hottentotten 7). Das Haar ist schwarz, im Alter weiss, doch gibt es auch Neger mit rothen Haaren , rothen Brauen und rothen Wimpern*), ja Schweinfurth hat sogar graublonde Neger unter den

i) Nord- und Centralafrika. Bd. 2. S. 465.

2) Mungo Park, Reisen. Berlin 1799. S. 14.

3) Bei den Batonga zwischen den Camerunbergen u. dem Gabun. Win- woüd Reade, Savage Afrika, p. 515.

4) Bei den Quissamanegern in Angola. Hamilton, Journal of the Anthropol. Institute. London 1872. tom. I., p. 187.

5) z. B. Hugo Hahn bei den Ovakuengama und Ovambo. Petermann's MiitheDungen 1867. S. 291.

6) Anthropological Review. London 1869. tom, VH, p. 199 200.

7) S. oben S. 99.

8) z. B. am Gabun, vgl. Walker im Journal of the Anthropological So- ciety. London 1868. vol. VI, p. LXII.

Die Neger. ^gg

Monbuttu am Uelle entdeckt'). Leibhaar und Bartwuchs sind vor- handen, wenn auch nicht reichlich, Backenbärte selten, wenn auch nicht ganz unerhört*).

Die Neger bilden nur eine einzige Race, denn die vorherrschen- den wie die beharrlichen Merkmale kehren in gleicher Weise in Südafrika so gut wieder wie in Mittelafrika, es war daher ein Missgriff, die Bantuneger als eine besondere Race abzutrennen, Wohl aber kann - man der Sprache nach die Südafrikaner sehr streng als eine grosse Familie von den Sudannegern absondern.

I) Bantuneger.

Ihnen gehört Südafrika, soweit es überhaupt bekannt ist, vom Aequator angefangen, ja ihre Sitze reichen sogar noch bis in die nördliche Erdhälfte bis etwa zum 5. Breitegrade hinauf. Ihre Sprachen kennen wir bereits^) an ihren eigenthümlichen sinnbe- grenzenden Präfixen, ausserdem aber ist ihnen allen eine grosse Anzahl von Wurzeln gemeinsam. Zur bessern Uebersicht kann man sie in " Ost-, West- und Binnenstämme eintheilen *). Die Ost- stämme zerfallen wieder in sansibarische, zu denen die Suaheli gehören, in Mosambique-Völker von der Küste bis zum Nyassa- See, in die Betschuanen weiter im Innern, endlich in die soge- nannten Kafirn. Zu den Binnenstämmen werden die noch wenig bekannten Horden der Ba-yeiye, Ba-lojazi, Ba-toka, Barotse u. s. w. gezählt. Gliederreicher sind die Weststämme in den atlantischen Gebieten. Sie zerfallen erstens in die Bundavölker, zu denen die Herero^) (fälschlich Damara genannt), die Ovambo und ihre Verwandten, die Nano oder Ba-nguela in Benguela, die A-ngola in Angola, zählen. Das zweite Glied der westlichen Gruppe vertreten die Kongoneger, nämlich die eigentlichen Kongo und die Mpongwe. Endlich gehören zu einer dritten Abtheilung

1) S. oben S. 97.

2) S. oben S. loi 102. Gerhard Rohlfs. Keise von Kuka nach Lagos. Petermann's Mittheilungen. Ergänzungsheft Nr. 34. S. 15.

3) S. oben S. 125 ff.

4) vgl. A. Bacmeister im Ausland 1871. S. 580.

5) Ihre Sprache dient im Verkehr auch vielen anderen Stämmen. Hugo Hahn, Petermanns Mittheilungen 1867. S. 290.

32*

500

Die Negei.

eine Anzahl Nordwestsprachen, wie die der Ba-kele im Di-kete, der Benga am Gabun, der Dualla in den Camerun bergen, der Isubu und der neu eingewanderten ganz nackten Adiya der Insel Fer- nando I'o'). Endlich sind hier auch noch die merkwürdigen Ba- fan oder Fanneger zu erwähnen, welche vor nicht langer Zeit aus dem Inoern nach der Küste wanderten und sonderbar gezackte Wurfeisen'), wie fiie Sandeh oder Niamniam sowie hamitische Stämme- in Nubien verfertigen.

2. Die Sudanneger.

Wir beginnen ihre Aufzählung am Niger und schreiten nach Westen fort, um uns dann hufeisenförmig nach dem Gebiet des weissen Nils zurück zu wenden. Im unteren Laufe des Niger wird die Ibo-, vom Benue aufwärts die Nuffisprache geredet, die Licide noch nicht untersucht sind. Westwärts folgt die Ewlie- sprachc, die als Mundarten das Joruba, das Dahome und das binneiiM'ärts von diesem auftretende Mahi umfasst. Linguistisch verwandt sind den vorigen die Sprachen der Neger an der Gold- küste, \velche das Odschi reden wie die Aschanti, Akim, Akwa- pim, Akwambu, sowie die Akra. An der Zahn- und PfefTerküste sitzen eine Menge Horden, unter denen die Kru wegen ihrer heroischen KörpergrÖsse und ihrer Seetüchtigkeit am bekanntesten sind. Sprachlich stehen sie den Aschanti und Fanti näher als den Mandini^'o, von denen sie indessen viele Worte entlehnt haben. Das Miinde oder die Sprache der Letztern zerialit in eine Menge Mundarten. Zu diesen gehört die der schriftkundigen Vei^), so «ie das Soso und Bambara. Diese letzteren Sprachen gestalten

gefunden. Die Adiya dagegen stammen aus

dem Gsbungebiel, von wo sie

durch diid Mpongwe vetiirängt wurden. Wi

nwood Rcade, Savage Africa.

]i. 6j. Dui Marne Adiya soll indessen nur Dorfbewohner bedeulcn. Bastian,

San SaK.idiir. Bremen 1859. S. 317.

ZJ Utj ChaiHu. Euploralions and advc

nlures, London 1861. p. 79. Es

ist mÖEii.h, dass ihnen der Name Ba-fan r

ur von ihren Nachbarn gegeben

worden isl, dann aber würden sie vielleichl

in eine gani andere Gruppe ge-

stellt neiden müssen.

31 S. -«-. Koelle, Outline- of a Gram

nar of tlie \"ei Language. Lon-

Die Neger. 501

das Wort durch Wurzelansätze und zwar treten ihre Suffixe zum Theil noch selbstständig auf, so dass sich aus ihrem Gebrauch die Bedeutung ihrer Sinnbegrenzung erklären . lässt '). Die Mande- neger haben sich etwa zwischen dem 10. u. 15. Breitegrade von der Küste bis an den Oberlauf des Niger verbreitet. Zwischen Gambia und Senegal, welcher letztere Strom wie in Vorzeiten Neger und Berber scheidet, sitzen die Joloffer, die schönsten Negerstämme, deren Sprache noch vereinzelt steht. Auf dem kleinen Raum zwischen dem Gambiastrom und Scherboro sind die glieder- reichen Sprachen der Sererer oder Sdrar- und Fulupfamilie zu- sammengedrängt, bei denen Präfixe ähnlich wie bei den Bantu- negern auftreten*).

Begeben wir uns nun binnenwärts in die Länder, die zum Gebiete des Nigerstromes gehören, so stossen wir sogleich auf einen räthselhaften Volksstamm, der erobernd bis tief in das Innere vorgedrungen ist. Es sind die Fulbe (Singular Pulo), von den Mandingo Fulah, von den Haussaua Fellani, von den Kanuri Fellata genannt. Der Name Fulbe bedeutet die „Gelben" oder „Braunen" und sollte den Gegensatz zu schwarzen Negern aus- drücken^). Mungo Park^), der sie im Westen sah, rühmt ihre helle Farbe und ihr seidenglänzendes Haar. Eine wohlgebildete Nase und kleine Lippen werden ihnen allgemein zugeschrieben, aber derartige Besonderheiten kommen auch bei anderen Negern vor und wechseln zu stark, um für eine Racenbestimmung zu ge- nügen. Obendrein bemerkt Barth 5), dass schon im Alter von 20 Jahren „ein affenartiger Ausdruck ihre kaukasischen Gesichtszüge verwische**. Durch Würde, Schliff, strenge Achtung des Eigen- thums, sowie Kunstgeschmack unterscheiden sich die Fulbe sehr günstig von den übrigen Afrikanern. Ihr Typus hat übrigens durch Mischung mit Negerfrauen seine Reinheit längst eingebüsst. Imifierhin fand Rohlfs^) im mittleren Theile des Reiches Sokoto, also tief im Innern unter den Fulbe noch etliche von gelber, fast

r) Ste-inthal, Die Mandenegersprachen. Berlin 1867. §. 129. S. 67.

2) Koelle, Polyglotta africana. London r854. foL r.

3) Koelle, Polyglotta africana. fol. 18. 4] Reisen im Innern von Afrika. S. 14.

5) Nord- und Centralafrika. Bd. 2. S. 544.

6) Ergänzungsheft Nr. 34 zu Petermann's Mittheilungen 1872. S. 45.

502 I^i« Neger. *

weisser Farbe und „europäischer Gesichtsbildung**. Nur das Haar war „glänzend schwarz und kraus***). Wenn wir also allein von der Beschaflfenheit des Haares uns leiten lassen wollten, müssten wir diese Fulbe zu den Negern zählen. Rohlfs erwartet übrigens nur von den Spracherforschungen Aufschluss über die Stellung dieses Stammes m einem Lehrgebäude der Völkerkunde. Ihre Sprache hat aber nach Barth's*) Ausspruch zwar viel Gemeinsames mit dem Hausa, allein dies beruhe auf späteren Entlehnungen. Ferner sind in den Zahlwörtern wieder Anklänge zu den Präfix- sprachen in Südafrika zu erkennen und endlich besteht eine jwirk- liche Verwandtschaft zu der Sprache der Joloffer, die echte Neger sind, 'so wie mit dem Kadschaga, der Sprache des ehemaligen Reiches Ghana, welche gänzlich vereinsamt steht. Am Senegal waren die Fulbe nicht heimisch , sondern sie lebten als Viehzüchter und Jäger im 7. Jahrh. nach Chr. noch in den Oasen von Tauat und südlich von Marokko, empfingen auch Erziehungsmittel, wie den Anbau von Reis und der Baumwolle aus den Händen der Kadschaga. Entweder stellen sie also eine extreme Abweichung der Negerrace oder ein frühzeitiges Mischlingsvolk von halb ber- berischem, halb sudanischem Blute dar. Eine eigene Race aus ihnen zu bilden oder in grauen Vorzeiten eine Einwanderung aus Asien ihnen zuzumuthen, muss anderen mit Einbildungskraft besser ausgestatteten Völkerkundigen überlassen werden.

Am mittleren Laufe des Niger sitzen die Sonrhay, deren Sprache gänzlich isolirt steht. Zu bemerken ist jedoch, dass nach Barth's Ansichten die Sprachen der Völker, die dem Südrande der Sahara zunächst sitzen, ihre grammatische Ausbildung erst durch Berührung mit Berbern und Arabern empfingen. Vor dieser Zeit „besassen sie weder Declination noch Conjugation, sondern knüpften die Infinitive oder Substantive Verbalwurzel einfach an einen Gegen- stand oder eine Person an**. Das Berberische wirkte übrigens in diesem Sinne ungleich . mächtiger als das Arabische 3).

Zwischen dem Niger und Bornu wird das wohlklingende und formenreiche Hausa gesprochen. Es besitzt einige Verwandtschaft

i) Cailli6 (Voyage ä Tembouctou. Paris 1830. tora. I, p. 328) sagt das nämliche von den Fulbe in Futa-Djalon.

2) Petermann's Mittheilungen 1863. S. 373.

3) Heinr. Barth. Centralafrikanische Vocabularien. Gotha 1862. pag. XXV ITI sq.

i.-

Die Neger. ^03

in den Zahlwörtern mit dem Altägyptischen und wird von Lepsius') sogar zu den libyschen Sprachen gezählt, doch beruhen diese Aehn- lichkeiten wohl nur auf Entlehnung. Merkwürdig ist es, dass Herodot die Hausa unter dem Namen Ataranten schon in ihren heutigen Sitzen kannte"). In Logone wird eine Sprache geredet, die zur Masagruppe gehört. Das Wandala oder Mandara fand Barth mit dem Hausa verwandt, Rohlfs hingegen mit dem Kanuri^). Letzteres, die Sprache im Reiche Bornu, hat Aehnlichkeiten mit dem T6da, die „bis in das innerste Wesen der Wortbildung hinab- reichen" ^). Die T6da, Tebu oder Tibbu sitzen bekanntlich west- lich von der libyschen Wüste, haben die Salzgruben von Bilma im Besitz sowie die Oase Fesan, wo ihre Vertreter den Negertypus zeigen^). Da sie Barth mit den Garamanten der alten Geo- graphen vereinigt, so hätten wir also den linguistischen Beweis, dass ein Glied der Negerrace durch die Wüste bis in die Nähe des Mittelmeeres sich verbreitet habe. Barth hat jedoch den Thatbe- stand wahrscheinlich falsch gedeutet. Der Negertypus der Fesaner lässt sich nämlich auf Blutmischungen mit Sudanerinnen zurück- führen. G. Nachtigal, der die T^da weit gründlicher kennen lernte, fand nichts negerartiges in ihren Gesichtszügen^), während die Kanuri dem Hässlichkeitsideal der Race recht gut genügen. Die Sprachverwandtschaft der Letzteren erklärt aber Nachtigal 7) dadurch, dass das Kanuri sich durch Aufnahme von Tedaformen entwickelte. Die Teda gehören demnach nicht unter die Neger.

Besondere Sprachen weiter nach Osten sind das Bagrimma in Baghirmi und eine Sprachenfamilie in Wadai, die Maba ge- nannt wird 8). In den Städten von Darfur und Kordofan wird

i) Zeitschrift für ägypt. Sprache und Alterthumskunde. Juli-Septbr. 1870. S. 92.

2) Barth, Vocabularien p. C. leitet «TotpavTe; bei Herodot (IV. 184) ab von a-tara die Versammelten (Eidgenossen), tara nämlich bedeutet im Hausa versammeln.

3) Ergänzungsheft zu Petermann*s Mittheilungen. Nr. 34. S. 21.

4) Barth, Vocabularien. p. LXVI p. XCIV.

5) V. Maltzan, Tunis u. Tripolis. Leipzig 1870. Bd. 3. S. 325.

6) Petermann*s Mittheilungen 1870. S. 280.

7) Zeitschrift für Erdkunde. Berlin 1871. Bd. 6. S. 344.

8) Dr. Nachtigal in Petermann's Mittheilungen 1871. S. 328.

504 ^^^ Neger.

theils arabisch, theils barabrisch gesprochen, während über die linguistische Stellung der Landbewohner nichts bekannt ist. Im Gebiet des weissen Nils sitzen die niedrigsten aller Negerstämme. Vom II. Breitegrade angefangen gegen Süden finden wir die Schilluk, die Nuehr, die Dinka , weiter westwärts von diesen die Luoh (Djur), die Bongo (Dohr), die Sandeh (Niamniam) ^). Auf Sprachverwandtschaft ist noch nicht geprüft worden, nur sovie^ weiss man, dass die Luoh (Djur) und die Bellanda ausgeschwärmte Schülukstämme sind^). Die Bongo- (Dohr-) Sprache endlich soll einestheils Verwandtschaft mit dem Maba in Wadai und dem Bag- rimma andererseits mit dem Nuba zeigen^). Unclassifizirt sind die Sprachen der EUiab-, Bohr- und Baristämme, sowie der merk- würdigen Monbuttu'*), die, auf eine Million Köpfe geschätzt, sehr dicht ein Gebiet von 250 Qu.-Meilen a^ Uelle bewohnen.

Die Dinka- und Schillukneger gleichen ihren körperlichen Merkmalen nach völlig den Fundjnegern am blauen Nil, die im 16. Jahrhundert das Reich Sennär stifteten, welches eine drei- hundertjährige Dauer genoss. Die Fundj sind Mesocephalen, aber stark prognath, ihr Haar erreicht die Länge etlicher Zolle und kräuselt sich, die stark riechende Haut ist braun bis bläulich schwarz mit Ausnahme der fleischrothen Hand- und Fussteller, auch erscheinen die Fingernägel achatbraun. Die Lippen sind nur fleischig, nicht wulstig, die Nase gerade oder leicht gebogen wie bei vielen Negern West- und Südafrika's^).

Man hat die Fundj als eigne Race von den Negern absondern wollen und zwar als nubische Race. Unglücklicher konnte ein Name wohl nicht gewählt werden, denn Nuba oder Nöbah heissen die Bewohner der Gebirgsgegenden und des flachen Landes in Kordofan, die sich in allen obigen Merkmalen den Fundj an-

i) Wir folgen der Sprachenkarte von G. Schwein furth und seinen Bemerkungen im Globus 1872. Bd. XXII. Nr. 5. S. 75. Die eingeklammer- ten Namen sind der Dinkasprache entlehnt.

2) G. Schwein furth, Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1872. Bd. 4. Supplement S. 61.

3) Hart mann, Nilländer. S. 210.

4) Nach der Ansicht von Reinisch soll ihre Sprache der nubisch-liby- schen Gruppe angehören. Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1873. Bd. 5. S. 16.

5) Hiirtmann, Nilländer. S. 273.

Die Neger. ^05

schliessen, nur dass sie noch negerhafter als Dolichocephalen mit sehr stark gekräuseltem Haare sich darstellen'). Gänzlich un- verständlich bleibt es aber, dass sie mit den Fulbe in Westafrika in Verbindung gesetzt werden konnten. Unmittelbar durch körper- liche Merkmale, Sprache und Sitten reihen sich die Berthätneger an die Fundjstämme an*).

Es möchte manchem verfrüht erscheinen , jetzt schon zu untersuchen, in welchem Maasse die wagrechte und senkrechte Gliederung Afrika's seinen Bevölkerungen zum Segen oder zum Verhängniss gereicht habe, da jener Welttheil immer noch grosse Räume uns verbirgt, über die uns alle Kenntnisse fehlen, Allmählig ist indessen das völlig unbekannte Afrika auf einen etwa kreisförmigen Raum zusammengeschrumpft mit dem Aequator als Durchmesser, der sich, je nachdem man streng oder milde rechnet, auf ein Gebiet von 66,000 oder 56,000 deutschen Quadr» Äleilen beschränkt. Australien mit den Küsteninseln erstreckt sich über eine Fläche von 138,529 Quadr.-Meilen, so dass also die afri- kanische terra incogniia dem Räume nach noch nicht der Hälfte jenes Weltheils gleichkommt. Afrika selbst wird mit 543,570 Quadr.- Meilen berechnet, wovon 11,000 für die zugehörigen Inseln abzu- ziehen sind, der unbekannte Kern bildet also etwas mehr als l\^ oder \q des Festlandes, je nachdem zuvor reichlich oder knapp gemessen worden war. Dieser Hohlraum unserer Kenntnisse ver- mag des Unerwarteten noch vieles einzuschliessen , hohe Tafel- länder vielleicht oder Schneegebirge, Seen bis zur Grösse des kaspischen Meeres, oder Ströme, die ein geschlossenes Binnen- system bilden. Es kann dort zu den bereits bekannten afrikanischen Racen noch eine neue entdeckt werden, die entweder gar nichts mit den übrigen gemeinsam hätte, oder die vielleicht als ein ver^ sprengtes anthropologisches Bruchstück sei es mit Nordafrikanern, sei es mit der südlichen Hottentottenfamilie eine gemeinsame Ab- kunft verriethe. Endlich wäre es nicht ausgeschlossen, dass in jenem verschleierten Innern auf einem Hochlande sich eine afri- kanische Cultur entwickelt hätte von gleichem gesellschaftlichen

1) Hartmann, Nilländer. S. 291. E. Rüppell, Reisen in Nubien. Frankfurt 1829. S. 153.

2) Hartmann a. a. O. S. 283.

506 Die Neger.

Werthe wie die toltekische in Mittelamerika, oder die incaperqa- nische auf den Hochebenen zwischen den Andenketten. Uebrigens erwarten wir selbst keine der angeführten grossen Ueber raschungen, mit Ausnahme der Entdeckung neuer Seen und grösserer Strom- gebiete im Bereiche des Aequators, weil dort die echt tropischen Regen nicht fehlen können, und im Innern geschlossene Becken einen TKeil dieser Niederschläge zurückhalten müssen, denn sonst würden reichere Flüsse als die bereits gekannten die Küsten er- reichen.

Unwegsamkeit ist der Grundzug des afrikanischen Welttheils. So ungelenk sind seine wagrechten Umrisse zugeschnitten , dass es nicht blos gänzlich an Halbinseln, sondern auch an ein- und ausspringenden Winkeln fehlt. Das Hörn der Ostküste bei Dschard- liafun, das Vorgebirge der Gewürze, wie es in der -alten Erd- kunde heisst, ist die einzige Halbinsel, der offene Meerbusen von fxuinea das einzige, was man einen oceanischen Golf nennen könnte, und die beiden flachen Syrten die einzigen grossen Küsten- einschnitte Afrika's.

Sind die oceanischen Umrisse schon ungünstig, s'o fehlt es auch an aufschliessenden Strömen wie etwa der Amazonas. Als X'erkehrsmittel haben alle Ströme Afrika's einen sehr niedrigen Rang, selbst den Nil nicht ausgenommen. Der Niger durchströmt dichtbewohnte Gebiete, und dennoch belebt ihn keine nur redens- werthe SchifFfahrt. ' In Bezug auf nautische Leistungen stehen aber auch die Bewohner keines anderen Welttheils so tief als die Afri- kaner. Die Kru-Neger an der Körnerküste sind die einzigen see- tüchtigen Schwarzen, die sich willig als Matrosen auf europäische Schiffe verdingen. Ein Strom zweiten Ranges genügt schon in Südafrika, um vor feindlichen Bedrängern sich zu sichern. Die Horden des grossen Eroberers Mosilikatse dehnen ihre Streifzüge imr bis zum rechten oder südlichen Ufer des Zambesi aus, weil sie an die Uebersch reitung eines solchen Flusses nicht zu denken wagen. Da in allen Strömen Afrika's, mit Ausnahme des Nordens und des äussersten Südens, Krokodile hausen, so sollte man ver- muthen, an allen volkreicheren Ortschaften Fährboote anzutreffen. Diese Erwartung wird jedoch vielfach getäuscht, um so häufiger hat sich der Afrikaner zum Bau von Brücken bequemt. Ob es zu. Cäsars oder Tacitus' Zeiten Brücken nicht-römischen Ursprungs in unserer Heimath gegeben habe, möchten wir fast bezweifeln.

Die Neger. ^oj

In Afrika sind sie eine gemeine Erscheinung. Dass Livingstone ihrer wiederholt auf seinen Märschen gedenkt, darf uns nicht in Verwunderung setzen, da er das Gebiet ziemlich begabter Volker- stämme durchzog, allein wir finden selbst bei Negerstämmen an den westlichen Seitenarmen des weissen Nil, also schon auf der tiefsten Stufe der afrikanischen Entwickelung , hölzerne Brücken von „fabelhafter Länge" ^).

Zu der nautischen Verschlossenheit Afrika's gesellt sich noch als Verschärfung die Unwegsamkeit grosser Binnenräume. Der Wüstengürtel , der sich vom atlantischen Meer quer durch den Norden des Festlandes selbst über den Nil hinweg bis zum arabi- schen Golf verbreitet, scheidet den Welttheil für die Gesittungs- geschichte in zwei streng gesonderte Hälften , denn während der nördliche Saum für alle Segnungen des mediterraneischen Bildungs- ganges empfanglich war, blieb die südliche Hälfte mehr auf sich selbst angewiesen. Zur Zeit der römischen Ansiedlungen über- schritt eine einzige geographische Unternehmung die Sahara und Zweifel sind noch jetzt jedermann verstattet, ob sie bis zum Sudan selbst oder nur bis zu einer der grossen Oasen vordrang*). Die Schwierigkeiten einer Ueberschreitung der Sahara waren ehemals viel grösser, da erst nach Beginn unsrer Zeitrechnung das Kamel als Lastthier in den Berberlanden eingeführt wurde eine denk- würdige Neuerung und für das grosse Festland so folgenschwer wie für uns der Beginn des Eisen bahnbaues. Selbst die Gewächse werden von Wüsten in ihren Wanderungen viel wirksamer zurück- gehalten als von schmalen Meeresarmen, denn während die Floren des nördlichen Afrika und der Mittelmeerränder Südeuropa's aufs innigste übereinstimmen, tritt jenseits der Sahara eine neue der nordafrikanischen entfremdete Pflanzenwelt auf. Diesen Schwierig- keiten und Schranken begegnete auch die Gesittung, wenn wir darunter alle durch menschliches Nachsinnen der Natur abgerunge- ^ nen Vortheile, die Veredelung ihrer Gaben, den leichteren Erwerb und die Verbesserung der Nährstoffe, die Erfindungen zur Abkürzung

1) Petherik, Central- Africa, tora I. p. 236.

2) Vivien de Saint-M artin (Le Nord d*Afriqu6, p. 222). Doch er- wähnt P tolemäus (Geogr. lib. I, cap. 8) das Nashorn in Agisymba, daher dieses Land schon dem Sudan angehört haben muss.

508 I^ie Neger.

der Arbeit, die Einrichtungen zu einem geordneten Beisammen- leben, endlich die höchsten Güter des Menschen, die Erkenntniss unserer selbst, das Streben nach höherer Würde, nach idealen Vorbildern, mit einem Worte die Religion, zusammenfassen. An- dererseits aber nöthigt uns auch eine richtige Schätzung gerade jener absondernden Gewalt der Wüsten, dass wir sehr viele, wenn auch nicht alle günstigen bürgerlichen und sittlichen Erscheinungen*, deren neuere Reisende im Sudan gedenken, als eigene Schöpfungen der dortigen Afrikaner gelten lassen, und .danachs, wie diess von Gerhard Rohlfs geschehen ist, unser Urtheil über die Entwicklungs- fähigkeit der Negerstämme gerechter als bisher bemessen.

Der Werth eines Welttheiles als Schauplatz menschlicher Ge- sittung richtet sich aber nicht bloss nach seiner eigenen Gestaltung sondern er steigt und fällt mit seiner Nähe oder seiner Entfernung von andern besonders bevorzugten Erdräumen. Afrika ist in diesem Sinne eine Halbinsel der östlichen Erdvest^. Dürften wir uns vor- stellen, dass die Landenge von Suez eine Meerenge wäre und dass ganz Afrika um etwa zehn Grad südlicher und westlicher in den Ocean hinausgerückt läge, so dass es als Inselwelttheil seines Zu- sammenhanges mit der alten Welt beraubt gewesen wäre, so würden dort Zustände herrschen müssen, die noch viel unerquick- licher wären als die jetzigen, viel näher denen, die uns Australieri zur Zeit seiner Entdeckung gewahren Hess. Durch seine trockene Verknüpfung mit Kleinasien , seine ^Annäherung an Arabien wie an Südeuropa genoss Afrika Vorzüge, die der amerikanischen Menschheit gänzlich versagt blieben. Es stand wenigstens durch seinen Nordrand und seine östlichen Gestade einer günstigen Ein- wirkung asiatischer Gesittung offen.

Als eine Wirkung dieser bevorzugten terrestrischen Lage dürfen wir es betrachten, dass durch den ganzen Welttheil hin- durch die Kenntniss vom Ausschmelzen der Eisenerze und ihrer Verarbeitung zu Werkzeugen und Waffen sich verbreitet hat. Wo immer Reisende in's Innere gedrungen sind, haben sie die Afri- kaner mitten im sogenannten Eisenzeitalter angetroffen. Keinem der Stämme, auf deren Gebiete Eisenerze brechen, ist die Erfindung fremd, durch einen einströmenden Luftstrom eine Kohlengluth bis zur Hitze der Löthrohrflammen zu steigern. Der afrikanische Blasebalg besteht aus einem Paar ausgehöhlter Holztrommeln oben mit ledernen Beuteln geschlossen, unten in eine thönerne Röhre

Die Neger. ^09

tndigend, aus welcher die Luft durch abwechselndes Emporziehen und Einstossen der Beutel herausgepresst wird. Das Metall, im Holzkohlenfeuer ausgeschmolzen, ist von vorzüglicher Güte, so dass sehr viele Neger mit Recht ihre eigenen trefflichen Eisengeräthe den englischen Einfuhren aus unreinem Metall vorziehen.

Da wo die Natur einem frühen Reifen der menschlichen Ge- sellschaft hilfreich entgegenkam, sehen wir auch die ältesten Culturheerde entstehen. Für die alte Welt lag ein solcher Brenn- punkt in der wie durch gütige Vorsicht angelegten Planetenstelle zwischen den geschwisterlichen Strömen Mesopotamiens und dem Nil. Mit der Entfernung von dieser Lichtquelle hätten sich in Afrika die Zustände verschlimmern sollen und die wirklich beobachte- ten Erscheinungen bestätigen auch diese Voraussetzung im Grossen, denn am Nil bis zu den ersten Naturhindernissen treffen wir in ältesten Zeiten die höchsten Verfeinerungen, an der Südspitze des Festlandes die niedrigsten Stufen menschlicher Gesellschaft.

. So lange die Weltmeere nicht durch gesteigerte Seetüchtig- keit überwältigt worden waren, was doch erst seit wenigen Jahr- hunderten als völlig gelungen betrachtet werden darf, sassen die alten Bewohner der atlantischen Ränder Afrika's ohne Nachbarn im Rücken am Ende der Welt, oder wenigstens an der Grenze des Unbetretbaren. Im Allgemeinen bewährt es sich .daher, dass im Innern Afrika's weit bessere Zustände gedeihen als an der at- lantischen Küste. Erst seit etwa zwei Ja^hrhunderten haben stärkere und begabtere Binnenstämme sich nach dem Meere vorgedrängt. Die Portugiesen fanden in ganz Guinea nur sehr rohe Horden, während binnen wärts am Niger bereits grosse Reiche zertrümmert worden und auf ihren Trümmern verjüngte entstanden waren. Noch jetzt gilt für die atlantische Seite Afrika's durchschnittlich der Satz, dass der Binnenafrikaner höher steht als der Küstenafrikaner. Bezüglich des Sudan brauchen wir nur an Rohlfs' lebendige Schil- derungen zu erinnern^), aber auch in Südafrika wiederholt sich die gleiche Erscheinung. Die Negerreiche der Makololo, von Lunda, des Mosilikatse, des Cazembe liegen alle 'weit binnenwärts, auch erscheinen in Speke's und Grant's Berichten die Negerstaaten von Karagwe und Uganda weit geordneter und günstiger als alles was auf dem Wege dorthin und auf der Heimkehr beobachtet wurde.

i) Petermann's geogr. MUtheilungen. Ergänzungsheft Xr. 25. S. 60.

51 0 I>ie Neger.

Gehen Reisende den Nil aufwärts und liegt Charlum ihnen im Rücken , dann bewegt sich ihr Fahrzeug nur durch nackte und rohe Negerstämme an beiden Ufern. Man sollte nun erwarten, dass mit dem weiteren Vordringen nach Süden und nach Westen, also besser in's Innere, die Zustände die nämlichen bleiben würden, allein Spuren vom Gegentheil fehlen nicht gänzlich. Die Niamniam z. £., das äusserste Vo^k im Südwesten , welches wir kennen , ist den Stämmen am weissen Nil, den Schilluk, Dinka, Nuehr, Kitsch und wie sie sonst heissen, weit überlegen durch reichliche Bekleidung^ kunstvolle Eisenarbeiten, bessere Bauwerke und strengere gesell- schaftliche Gliederung. Sind sie nur die Vorposten anderer höher entwickelter Negerstämme, so schimmert uns die Hoffnung, ^i im Süden von Darfur noch einige grössere afrikanische Reiche anzu- treffen ').

Vergleichen wir das transsaharische Afrika mit den beiden amerikanischen Festlanden vor Ankunft der Europäer, so entdecken wir eine Reihe grosser Verschiedenheiten zwischen ihren Gesittungen^ In beiden amerikanischen Welttheilen stossen wir auf eine Mehrzahl von Horden, die ausschliesslich von der Jagd oder vom Fischfang leben, dann auf Stämme, die neben der Jagd Ackerbau treiben, endlich auf reine Ackerbauvölker in Mexico, Yucatan, den Isth- musstaaten, in Peru und auf der Hochebene von Bogota, So niedrig stehenden Beispielen der Menschheit, wie einige Athabas- kahorden in den Hudsoiisbaigebieten oder in Südamerika die Botocuden, Coroados, Purls oder die Feuerländer, begegnen wir in Afrika nicht. Andererseits aber hat sich weder ein Neger- noch ein Kaiir* oder noch weniger ein Hottentotten-Stamm auf eine gleiche Höhe gehoben wie die Nahuatlvölker Mexico's, die Yucateken, die Peruaner. Wir begegnen bei ihnen keinen selbst- ständigen Versuchen, das gesprochene Wort durch Bilder oder Lautzeichen zu befestigen. Im Sudan suchen wir vergebens nach Denkmalen, die sich auch nur entfernt messen könnten mit der Treppenpyramide von Cholula, den überschwenglich verzierten Bauwerken in Yucatan, den steinernen 'Strassen der Incas oder den Ruinen der Sonnentempel am Titicaca-See. An geistigen

i) Das Obige wurde schon gedruckt im Ausland 1870. S. 508. Seitdem hat G. Schwein furth uns mit dem Monbuttureiche bekannt gemacht.

Die Neger. cu

Anlagen ist die mongolenähnliche Race der neuen Welt den transsaharischen Afrikanern weit überlegen gewesen, zumal alle Culturleistungen . in Amerika von dem Verdacht fremder Anleitung völlig befreit sind.

Dafür war in Afrika die Entwicklung viel gleichförmiger, denn überall treffen wir dort Ackerbau und Viehzucht, ja nicht bloss Viehzucht, sondern recht eigentliche Milchwirthschait. Als Halb- insel der alten Welt war Afrika auch für diese Fortschritte in der Ernährungsweise vor Amerika begünstigt. Dieses besitzt als einzige Getreideart den Mais, in Afrika finden wir dafür zwei, die Neger- hirse oder Dochn (Panicum oder Penniseium distichum und P, dy^ phoideumj und das Kafirkorn (Holcus sorghum oder Sorghum vulgare). Leider versagt die Pfianzengeographie noch immer uns ihren Beistand, um entscheiden zu können, ob jene jetzt durch und durch afrikanischen Getreidearten in Afrika selbst zu Cultur- pflanzen veredelt oder nur eingeführt worden sind. Das tropische Amerika hat ferner an essbaren Wurzeln die Mandioca, und in den kühleren Theilen die Kartoffel, zu welcher sich auf den höch- sten Hochlanden als Getreideart noch die Quinoahirse gesellt. Afrika besitzt dafür die „Brodwurzeln" (sp.?), von denen Barth uns mittheilt, dass sie in einigen Landschaften Adamauas zur Tagesnahrung dienen, ausserdem die Erdmandeln. Leider wissen wir auch in Bezug auf letztere (Arachis hypogaeaj nicht genau, ob sie in Afrika zuerst angebaut worden sind. In Bezug auf -die Fruchtbäume halten sich beide Theile das Gleichgewicht, wenn nicht Amerika für bevorzugt gelten darf. Doch gehören Afrika die Dum- und Oelpalmen, sowie der Butterbaum (Bassia ParknJ, Sollten auch die Neger keine ihrer einheimischen Getreidearten zuerst veredelt haben, so griffen sie doch bereitwillig nach allen Culturgeschenken, die Fremde ihnen boten. Mögen sie aus Ae- gypten oder Abessinien die erste Aussaat empfangen haben, rasch ist sie durch den ganzen Welttheil gewandert, gerade so wie jetzt der Mais, die Maniocwurzel '), der Weizen, die Gerste, das Zucker- rohr u. a. sich oft weit in's Innere schon verbreitet haben. Selbst

i) Selbst bei den Bongonegem westlich vom weissen Nil sah Schwein- fnrth (Globus 1872. Bd. XXII. Nr. 5. S. 76) Maisfelder und bei den Mon- buttu am Uelle den Anbau von Jatropha Manihot, (Zeitschrift für Kthnologie. 1873. Heft I. S. 5.)

^12 Die Neger.

dort wo Europäer zuvor noch nicht gesehen worden waren, am -Zambesi, gewahrte Chapman*), dass die Eingebornen auf wilde Obstbäume Edelreiser gepfropft hatten.

Von Viehzucht gab es in der neuen Welt nur dürftige An- fänge, durch ganz Afrika finden wir dagegen Ziegen, Schafe und Rinder verbreitet. Gewiss sind sie dort nicht bezähmt, sondern schon als Hausthiere den Negern übergeben worden, so dass also auch hier wieder die Begünstigung Afrika's durch seine Halbinsel- verbindung mit der alten Welt fühlbar wird. Mit Unrecht hat man dagegen den Afrikanern vorgeworfen, dass sie den Elephanten nicht abgerichtet haben wie die Hindu, denn der afrikanische Ele- phant ist eine andere Art als die asiatische und vermuthlich nicht 50 leicht zu bemeistern wie diese*).

Die Ernährungsweise im Sudan und in Südafrika entspricht ziemlich genau dem, was die Landesnatur erwarten lässt. Das Sudan, von der senkrechten Sonne beschienen und von den tropi- schen Regen bewässert, ist ein Wald- und Kornland, dort herrscht also vorwiegend Feldbau und wenig Viehzucht, die Bevölkerung vermag sich beträchtlich zu verdichten und die Form der Re- gierung ist eine strenge Alleinherrschaft. Grosse Reiche und grosse Städte entstehen und vergehen wieder in jähem Wechsel, weil jeder Despotismus nur so lange währt als die Tüchtigkeit der Despoten, diese aber sich nicht inftner auf das nächste, höchst selten auf das dritte Glied vererbt. Ausserdem bedroht die Viel- weiberei die Sicherheit der Thronnachfolge und erzeugt beständig Prätendentenkriege. Unter allen echten Negern treffen wir ent- weder einen rohen Thier- und Fetischdienst oder den Islam.

Südafrika, soweit es bisher erforscht worden ist, lässt sich als ein Hochland schildern mit Rändern, die nach beiden Oceanen zu aufgerichtet sind. Es fallt^ in die Zone der Passatwinde mit un- sicheren Regenzeiten, hat daher wenig geschlossene Wälder, son- dern parkartige Steppen. Dort herrscht daher vorzugsweise Vieh- zucht und weniger Ackerbau. In Folge dessen sind seine Be- völkerungen' nicht streng gegliedert, sondern, wie alle Nomaden,

i) Travels into the interior of South-Africa, tom. II., pag. 202.

2) Livingstone will aus römischen Münzen schliessen, dass vormals der" afrikanische Elephant gezähmt worden sei, ob sich aber deutlich die Merk- male der afrikanischen Spielart erkennen lassen, erregt einige Zweifel.

Die Neger, e£^

locker zusammengefügt; der Kraal vertritt dort häufig das Dorf mit Pfahlwerk oder die Städte, wie sie dem Sudan eigen sind. An Despoten von grosser räumlicher Macht aber kurzer Regierungs- dauer fehlt es zwar nicht-, dennoch entbehrt Südafrika einer fort- laufenden Geschichte, wie sich die Negerreiche im Süden der Sa- hara einer solchen rühmen dürfen.

Das Fetischwesen in Mittelafrika, der Vorfahrendienst der Bantuneger, das Treiben ihrer Schamanen und ihre Gottesgerichte haben uns schon an früheren Stellen beschäftigt*). Ebenso hatten wir schon Gelegenheit, von den Kafirn zu rühmen, dass sie das Wergeid an ihre Häuptlinge entrichten. Hier müssen wir noch hinzufügen, dass von allen Halbculturstämmen die Neger am eif- rigsten das bürgerliche Recht ausgebildet haben. Afrikanische Gerichtsverhandlungen ziehen obendrein die Neugierigen eben so mächtig an als bei uns ein Theaterstück und an dramatischer Spannung sowie an Aufwand von Beredsamkeit oder von Schlau- heit ist bei den streitenden Parteien kein MangeP). Meisterhaft verstehen die Bantu durch Kreuz- und Querfragen einen Gegner in \'erwirrung zu setzen •5). Hat doch Bischof Colenso in Natal versichert, dass er erst durch die Einwände seiner Kafirzöglinge zum Zweifler an der mosaischen Schöpfungsgeschichte geworden sei. In bürgerlichen Streitigkeiten kann gegen die Entscheidung des Dorfrichters der Rechtsfall zunächst an den Districthäuptling und von diesem wieder an das Oberhaupt gebracht werden*). Die Urtel werden gefallt durch einen Rath alter rechtskundiger Männer nach dem Herkommen und nach den Grundsätzen, die bei früheren Sprüchen beobachtet wurden. Gleicht der Fall keinem älteren, so wendet man sich um Belehrung an die Rechtskundigen in andern Stämmen. Es hat sich sogar zugetragen, dass bei einer schwierigen Rechtsfrage auch die fremden Richter keinen Präcedenz- fall kannten und es wurde schliesslich der Urtelsspruch gänzlich versagt , um nicht einen neuen vielleicht irrigen Grundsatz zur Geltung zu bringen 5). Ein geschärftes Rechtsverständniss der

i^ S. oben S. 259. S. 272. S. 279.

2) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 242—243,

3) Ausland. 1863. S. 1044.

4) Macleaii, Kafir L«ws and Customs. Mouot Coke 1858. p. 143.

5) Fried r. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab- theilung. S. 108.

Fesckel, Völkerkunde. 33

514 ^ic Neger.

Bantuneger offenbart sich darin, dass sie die Abtreibung der Leibesfrucht') für strafbar halten und auch den Arzt, der dabei behilflich war, mit einer Busse bedrohen. Bei Verläumdungen muss dem Verletzten eine Entschädigung gezahlt werden, denn „guter Ruf gehöre zum Vermögen"").

Rührend ist bei Negerkind^rn ihre Elternliebe, die sich je- _ doch nur wenig dem Vater zukehrt. Die Herero (Damara) schwören „bei den« Thränen ihrer Mütter** 3). Aus dem Munde eines Man- dingoburschen hörte Mungo Park*) die Worte: Schlage mich, wenn Du willst, nur schmähe meine Mutter nicht. Auch verdienen,, fährt der genannte Reisende fort, Mandingomütter diese Liebe, denn sie sorgen streng für das sittliche Gedeihen ihrer Kinder. Der höchste Preis aus dem Munde einer solchen Mutter lautet: Niemals hat mein Sohn gelogen! Ihre Dichter und Barden brauchen nie zu hungern, denn die Mandingo beschenken sie reichlich für Gesänge , in denen sie die Thaten des Volkes ver- herrlichen^). An Sprichwörtern voll goldner Lebens reg ein ist bei Sudan- und Bantunegern kein Mangel. Im Joruba sagt man zur Bezeichnung eines Schwachkopfes: er weiss nicht, wie viel neun mal neun ist^).' Der Mandingo ersehnt nichts heisser, als dort zu sterben, wo er geboren wurde. Kein Wasser dünkt ihm so süss, wie daheim, kein Schatten so erquicklich als der des Tabbabaumes in seinem Dorfe. Stirbt ein Neger der Goldküste auswärts, so trachtet man danach, seine Leiche am Geburtsort zu beerdigen 7). Wenn auch einige oder mehrere Stämme durch Trägheit unser Missfallen erwecken, so führt Otto Kersten^) Beispiele von ost- afrikanischen Negern an, um zu zeigen, dass sie freiwillig durch Fleiss ihre Zustände zu bessern suchen. Ihre Geduld und ihre Geschicklichkeit zeigen die Bewohner der Goldküste bei Anfertigung

1) Maclean, I. c. p. iii.

2) Ausland. 1863. S. 1069.

3) Andersson, Reisen in Südwestafrika. Bd. i. S. 247.

4) Reisen im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 237. ^

5) Mungo Park 1. c. S. 249.

6) Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. i. S. 240.

7) Mungo Park 1. c. S. 261. Bosman, Guinese Goud-kust tom. II. pag. 15.

8) V. d. Decken*s Reisen in Ostafrika. Bd. 2. S. 302—303.

Die Neger. ^I^

von Ketten aus dem feinsten Golddratb, die wie Bosman^) richtig bemerkt, kaum in Europa nachgeahmt werden können. Stählerne Ketten der Monbuttu erklärt wiederum Schweinfurth ebenbürtig allen dergleichen Erzeugnissen in Europa*). Im Sosolande, einem süd- lichen Gebiete des Reiches Sokoto pflastern die Neger das Innere ihrer Höfe mosaikartig^). Wenn Ladislas Magyar von Stein Schlossgewehren spricht, die in Bih6 von den Eingebornen verfertigt werden, so hat Hamilton*) bei den Quissama-Negern ebenfalls Flinten gesehen, die nach portugiesischen Mustern gearbeitet worden waren, während in Bambara, in Bambuk und in Bornu die Neger Schiesspulver erzeugen und sich den Salpeter dazu im Lande zu verschaffen wissen 5). Fügen wir noch hinzu, dass die Hausa und Fulbe in Sokoto, sowie die Joloflfer aus einem Absud von Erdnüssen ge- mischt mit einer Lauge aus Holzasche, brauchbare Seife erzeugen^). Die scharfsinnigste That irgend eines Negers ist aber die Schöpfung einer eigenen Schrift durch einen Vei, theils aus Sylben-, theils aus einfachen Lautzeichen bestehend. Der Erfinder wurde zwar in seiner Jugend von Europäern erzogen und konnte lesen, immerhin blieb ihm doch übrig, seine eigene Sprache zunächst alphabetisch zu zergliedern., ehe er die Schriftzeichen erdenken konnte 7).

Die Neger besitzen im hohen Grade die Gabe und Neigung, sich fremde Gesittungsschätze anzueignen. Dagegen sind sie äusserst arm an eignen Erfindungen. Während Reisende in an- dern Welttheilen viel von fremdartigen Werkzeugen zu berichten wissen, sind sie in Afrika sehr schweigsam. Alle Geräthe im Haushalt der Neger kommen auch anderwärts vor. Wir wüssten zum Beleg der Erfindungsgabe bei Negern nichts anderes aufzu- zählen als die Marimba, ein Musikwerkzeug aus hohlen Kürbissen,

i) Guinese Goud-Tand-en Slave-kust. tom I. p. 123.

2) Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 5. S. 19.

3) Gerhard Rohlfs in Petermann's Miltheilungen. Ergänzungsheft Nr.

34. S. 72.

4) Journal of the Anthropologicai Institute. London 1872. p. 191.

5) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 97. Barth, Nord- und Central- afrika. Bd. 3. S. 245.

6) Gerhard Rohlfs 1. c. S. 56, Mungo Park, 1. c. S. 305.

7) Die Kenntniss dieser merkwürdigen Thatsachen verdanken wir dem Lieutn. F. E. Forbes, cf. S. W. Koelle, Gramraar of the Vei-Language. London 1854. p- V.

33*

^l6 Die Neger.

die abgestuft nach der Grösse auf einem Reifen befestigt werden, den der Künstler an einem Riemen trägt. Mit Hammerschlägen setzt er die Schalen in Schwingung und entlockt, wie man schon errathen haben wird, den grösseren Holzbechem tiefere, den kleineren höhere Töne'). Selbst die Abrichtung der Ochsen zum Reiten ist nicht noth wendig eine Erfindung der Neger, sondern viel eher den Galla oder andern Völkern hamitischer Abkunft am Nil zuzuschreiben.

Nach allem Mitgetheilten den Neger einer Erhebung auf höhere Zustände für unfähig zu erklären, wäre bare Willkür, allein für die niedrigen Stufen der bis jetzt vorhandenen Gesittung einzig nur die Natur des Festlandes anzuschuldigen, hiesse gänzlich die Verschiedenheit in der Begabung der Menschenracen verkennen. Afrika's Vorzüge bestanden, wie wir sahen, darin, dass es von der alten Welt aus, wenn auch mühsam, erreichbar blieb. Von dort aus haben die Neger fast alles bezogen, was ihre Zustände besserte. Könnten wir uns denken, dass diese Menschenstämme in Australien aufgetreten wären, schwerlich hätten sie dort, sich selbst überlassen, über die Zustände australischer Eingeborner sich erhoben. Daher müssen wir sie bei Abschätzung der Anlagen weit tiefer stellen als die Urbewohner Amerika's, die völlig aus sich selbst zu grosser geistiger Reife gelangten. Wäre dagegen Afrika zierlicher gestaltet, wäre es so aufgeschlossen gewesen wie Europa, so würden auch die Neger viel früher sich gehoben haben und möchten jetzt viel- leicht gesellschaftliche Verbesserungen geniessen, wie etwa die M alay och inesen .

I) Livingstonp, Reisen in Südafrika. Bd. i. S. 332.

VII.

X DIE MITTELLiENDlSCHE RACE.

Elumenbach hatte den Völkern, mit denen sich vorzugsweise die alte und die neuere Gesittungsgeschichte des Abendlandes beschäftigt, den Namen Kaukasier ertheilt, der aber wieder auf- gegeben werden musste , weil er zu Miss Verständnissen verleitete. Da für Blumenbach's Kaukasier* gegenwärtig die Bezeichnung mittelländische Völker Anklang gefunden hat, so wollen auch wir sie beibehalten. Zur mittelländischen Race gehören alle Europäer, soweit sie nicht mongolenähnlich sind, alle Nordafrikaner und alle Vorderasiaten, endlich sind als Mischvölker wegen ihrer Sprache die Hindu im nördlichen Indien noch mitzuzählen.

Die vorherrschenden Schädelformen sind die mesocephale und die brachycephale, doch überschreiten die mittleren Breitenindices nach dem Welcker'schen Messverfahren nur in einem vereinzelten Falle 82. Die Höhe des Schädels sinkt gewöhnlich mit der wachsenden Breite. Prognathismus gehört ebensosehr zu den Seltenheiten, wie das Vortreten der Backenknochen. Die Farbe der Haut ist bei den nördlichen Völkern ganz hell, trübt sich in Südeuropa, wird gelb, roth und braun in Nordafrika und Arabien sowie bei den Zigeunern. Das Kopfhaar ist nie so lang und so walzenförmig , wie bei den mongolenähnlichen Völkern , nie so elliptisch im Querschnitt und so kurz wie bei den Negern, sondern meistens gelockt. Innerhalb dieser Racen finden sich die bärtigsten und am besten behaarten Völker, nur die Nordafrikaner sind schwächer mit Bart- und Leibhaar ausgestattet. Die Nase hat stets einen hohen Rücken und wird nie platt- oder breitgequetscht wie bei Negern oder Mongolen. Die Lippen sind gewöhnlich schmal, nie wulstig. In keiner andern Race kommen feine und edle Ge-

ci8 Die mittelländische Race.

Sichtszüge so häufig vor, nirgends wird so oft wie in dieser das Schönheitsideal erreicht, welches übrigens auch bei anderen Racen das nämliche ist, denn Rohlfs *) bemerkt sehr bedeutsam, dass auch unter den Negern des Sudan eine Frau mit sogenannten kaukasi- schen Gesichtszügen als eine Schönheit gefeiert wird. Mit wenigen Ausnahmen sind die Sprachen aller mittelländischen Völker durch grammatische Geschlechter und einen hochentwickelten Formen- bau ausgezeichnet. Die Race selbst zerfallt wieder in den hami- tischen, den semitischen und den indoeuropäischen Stamm. Ver- einsamt stehen die Basken und unbestimmt bleiben noch etliche Völker im und am Kaukasus.

I. Die Hamiten.

Dieser Stamm erfüllt ganz Nordafrika bis zum Sudan, so wie die Küstengebiete Ostafrika'-s nördlich vom Aequator. Er theüt sich in drei Aeste, nämlich in die Berber, die Altägypter und die Ostafrikaner. Zu den Berbern gehören abgesehen von den aus- gestorbenen Guanchen oder Urbewohnern der Canarien die Libyer, Mauren, Numidier und Gaetulier der alten Geographen, welche letztere bereits den rechten Eigennamen aller dieser Völker, näm- lich Amaziken oder Maziken kannten, Amazigh oder Amazirgh bedeutet nämlich in den berberischen Sprachen die Freien oder Unabhängigen*). Nordafrika hat zwar viele andere Völker, vor- züglich semitische, aber auch nordeuropäische Eroberer aufge- nommen, dennoch konnte sich auf dem flachen Lande allenthalben der alte berberische Menschenschlag in voller Reinheit erhalten. Jn Marocco nennen sich idie von arabischem Blut un vermischt gebliebenen Berber noch immer Mas lg, ihre Sprache aber das Schellah oder Tamasight^). Zu ihnen gehören zunächst dieSan- hadscha der westlichen Sahara, die Azanaguen der portugiesischen Entdecker. Das Mittelgebiet der grossen afrikanischen Wüste be- haupten dagegen die Tuareg, die sidh selbst Imoschagh, ihre Sprache das Ta-Masheg (Mazikensprache) oder Ta-Mashigt nennen. In Algerien gehören zu den reinen Berbern die Kabylen der

1) Ergänzungshefl Nr. 34 zu Petermann's Mittheilungen. S. 48.

2) Movers, Das phönizische Alterthum. 2. Thl. S. 390 395.

3) Rohlfs, Krster Aufenthalt in Marokko. S. 56. S. 62.

Die mittelländische Race.

519

Franzosen, eine Wortverstümmelung aus qabäil, was die „Stämme" bedeutet. In Tunis führen die Berber den Namen Suawua, zu denen auch noch im Südosten dieses Gebietes die Stämme hinzu- zuzählen sind , welche Dschebaliya heissen '}. Berberischer Abkunft sind fern^ die Bewohner von Siwah, der Jupiter-Ammons- oase, also die Garamanten der alten Erdkunde. Endlich werden •wir ihnen auch noch Idie T6da oder Tibbu der östlichen Sahara beizuzählen haben'). Alle diese libyschen Völker führen auf den hieroglypbischen Inschriften den Namen Temhu und sind auf den äg)'ptischen Denkmälern kenntlich an Tätowirungen in Form eines Kreuzes, die noch jetzt bei Kabylenfrauen gebräuchlich sein sollen^).

Die Altägypter, hieroglyphisch Retu genannt, werden noch jetzt mehr oder weniger rein von der Bauernbevölkerung am un- tern Nil, den Fellähln, am reinsten von den städtebewohnenden christlichen Kopten vertreten*).

Von den ostafrikanischen HamitenJ nähern sich den Alt- ägyptern am meisten die Bewohner der nubischen Nilländer, die sich Beräbra also Berbern nennen^). Sie waren vormals Christen bis zum Falle des berberischen Nilreiches Dongola im Jahre 1320. Zwischen dem nubischen Nil und dem rothen Meere sitzen Stämme, die von den alten Geographen Blemmyer^), von den axumitischen Inschriften und arabischen Geographen Bedscha geheissen werden. Am reinsten vertreten werden sie von den Bischarin, Hadendoa und theilweis den Beni Amer, die neben einem verdorbenen Ara- bisch noch eine ältere hamitische Sprache mit drei grammatischen Ge- schlechtsformen, das Tobedauie, reden 7). Zwischen dem blauen Nil und dem Atbara bis nach Sennär nomadisiren die Awläd Abu Simbil und die Schukuri^h, welche letztere, obgleich sie ein ver- derbtes Arabisch reden, nicht von Arabern abstammen*.) Zwischen

1) V. Maltzan, Tunis und Tripolis. Leipzig, 1870. Bd. i. S. 106.

2) S. oben S. 503.

3) Recherches sur Torigine des Kabyles. Le Globe. Genöve. 1871. tom X, p. 48.

4) R. Hartmann, Nilländer. S. 215. S. 235.

5) Hartmann, 1. c. S. 238.

6) Lepsius /Standard Alphabet. 2. ed. p. 203.

7/ Werner Munzinger, Ostafrikantsche Studien. Schalfliausen. 1864. S. 341. S. 344.

8) Hart mann, 1. c. S. 263 ff.

520

Die mittelländische Race.

dem Nil und Kordofan wohnen als Hirten die Kababisch und auf beiden Ufern des weissen Flusses oberhalb der Mündung des blauen sitzen die Hassanieh. Beide werden für Araber erklärt, dennoch gehören sie ihrem Typus nach noch zu den ostafrik»ni« sehen Hamiten. Die Niamniam oder Sandeh haben langes schlichtes Haar und sind kupferfarbig*). Vielleicht werden künftige Völker- kundige auch sie zu den Hamiten rechnen. Ferner gehören noch in die ostafrikänische Gruppe die Dankali (Sing. Danakil), welche die südlichsten Gestade des Rothen Meeres auf der afrikanischen Seite bis zum Bab el Mandeb bewohnen. Es folgen dann theils versprengt in Abessinien, theils geschlossen im Östlichen Binnenafrika^ von S^ nördlicher bis s. Breite die Galla. Dieser Name, der soviel wie Eingewanderte bedeuten soll, ist ihnen selbst völlig fremd, sie nennen sich vielmehr Orma oder Öroma, das' heisst „starke tapfre Männer'**). Mit Ausnahme der südlichen Stämme treten sie, auch ihre Frauen, sei es auf Rossen sei es auf Ochsen, stets beritten auf. Mit den Negern haben sie nur die Farbe der Haut ge* mein, doch fehlt letzterer jeder widerliche Geruch^). Auch lockt sich ihr langes Haar, der Bart wächst ihnen ziemlich üppig, die Gesichts« Züge sind regelmässig und gefällig, nicht selten scharf geschnitten, eher europäisch als semitisch*). Die Galla sind. ein streitbares, männliches, kraftbewusstes, sittenstrenges und edles Volk.

Unsichrer ist die Stellung der Somali, die das Osthorn Afri- ka's beinahe vom Bab el Mandeb bis zum Dschub am indischen Meere einnehmen und die Gallagegen Westen verdrängen. Ganz über- einstimmend wie Guillain^) die medschertinischen beschreibt uns Otto Kersten^) die Somali Bardera's, als hohe Gestalten (Männer -i m. 70, Frauen i m. 60) mit länglichen mageren Gesichtern, bartlosem Kinn, stechenden Augen und „einer 6 8 Zoll langen Wollperücke von dichtem steifen Haar", welches stets kraus sein soll. Guillain fügt hinzu, dass ein lockiges Haupt unter den Somali stets auf eine Kreuzung mit arabischem Blute deute. Einige Stämme der

1) G. Seh wein furth im Globus. Bd. 21. Nr. 9. S. 131. S. 133.

2) Krapf, Reisen in Ostafrika. Bd. i. S. 94.

3) Otto Kersten, v. d. Deckens Reisen in Ostafrika. Bd. a. S. 374.

4) Richard Brenner in Petennann's Mittheilungen 1868. S. 462.

5) L'Afrique Orientale. Paris, s. a. II Partie, tom. I. p. 412—413.

6) 1. c. Bd. 2. S. 318—325.

Die Tnittelländische Race. 52 1

Somali wollen von Koreischiten in Mekka, andere von den Ansari aus Medina abstammen. Somit ist leicht möglich, dass bei stren- geren Untersuchungen, die Somali gänzlich ihre Stellung als ha- mitischc. Völker verlieren und künftig als Bastarde zwischen Negern und Semiten betrachtet werden möchten. Es ist wichtig, dass Kersten uns ihren edlen und männlichen Characler rühmt, obgleich gerade die Unternehmung des Baron v. d. Decken blutig unter ihnen enden sollte. Sehr dunkel ist ferner die Stellung der Eloikob oder Wakuafi, sowie der Masai, welche beiden Völker durch ihre Kriegszüge und ihren Menschenraub der Schrecken aller Neger- stämme im äquatorialen Ostafrika geworden sind.

Beklagen müssen wir den Mangel an Schädelmessungen inner- halb des hamitischen Stammes. Aegyptische Mumien- und Kaby- lenköpfe zeigen nach Welcker eine Höhe von 75 und .eine Breite von 74 bis 75. Sie stehen also auf der Grenze zwischen Dolicho- und Mesocephalie. Schon bei den Aegyptern treten die Kiefern ein wenig vor, der Prognathismus wächst aber, je weiter wir nil- aufwärts uns bewegen. Die waizengelbe Hautfarbe dunkelt all- mälig mit abnehmender Breite zu rothbraun, tiefer Bronze oder dunkelem Braun. Das Haar wird gleichfalls mit Annäherung an den Aequator kürzer und der Bartwuchs spärlicher. Wie Robert Hartmann es gewiss richtig darstellt, findet daher eine Annähe- rung an den Negertypus statt, je weiter wir uns von den Mittel- meergestaden entfernen. „Bei genauer Beobachtung, äussert Munzinger*), weiss der aufrichtige Reisende nicht mehr, wo der eigentliche Neger anfangt und der Glaube an die absolute Racen- trennung schwindet mehr und mehr.** Vorläufig empfiehlt es sich indessen, diese Uebergänge der Vermischung mit Negersclavinnen zuzuschreiben und weitere Aufklärungen von einer künftigen strengen Sprachvergleichung zu erwarten. Versuchen wir es lieber die Frage zu lösen, warum unter den Gliedern der mittelländischen Race gerade der hamitische Stamm am frühesten eine hohe Ge- ' sittung sich erwerben und zum Lehrmeister aller Nachbarvölker werden sollte.

Blättern wir zunächst in den Denkmälern von Rosellini und Lepsius, oder lassen wir diese Werke wegen ihres ungeniessbaren Formats besser bei Seite und greifen wir nach Wilkinson, so kön-

1) Ostafrikanischc Studien. Schaffhausen 1864. S, 540.

522

Die mittelländische Race«

nen wir noch immer die Altägypter bei ihren Tagewerken belau* sehen. Die Backsteine werden, wie noch heutigen Tages in For« men gestrichen, in die Mauern Thüren eingesetzt, die sich in senk- rechten Angeln drehen und mit Riegeln verschlossen werden. Im Innern der Wohngebäude erkennen wir alte Bekannte in den Hausgeräthen wieder, den grossväterlichen Lehnstuhl, sowie den Feldstuhl der sich in Form eines griechischen Kreuzes auseinan- der klappen lässt. Dort drehen die Frauen die Spindel, ander- wärts wird ihr Gespinnst zu gestreiftem oder gewürfeltem Zeuge verwebt. Treten wir in eine Schreinerwerkstatt, so führen Meister und Gesellen Beile, Holzhämmer, Handsägen, Meisel, Glätteisen und Drillbohrer*). Was dort zusammengesetzt wird, bestreicht mit Fimiss ein andrer Handwerksmann und in seiner Hand erkennen wir den breiten Pinsel, wie ihn noch jetzt unsere Bürstenbinder feil halten. Gehen wir weiter zu einem Goldschmied, so finden wir bei ihm nicht blos Feilen und Zangen von allen Sorten, sondern auch mit Erstaunen das Löthrohr*), nur der Blasbalg, der mit Füssen getreten wird, ist der Verbesserung sehr bedürftig. Steigen wir in die Keller hinab, so gewahren wir, wie Küfer, bekannt mit der Heberbewegung durch gebogene Röhren Flüssigkeiten aus einem Gefässe in das andere abrinnen lassen^). Ohne Zweifel handelt es sich um Wein, denn der Rebstock wurde im alten Reiche eingeführt, im neuen fleissig gebaut und hielt sich selbst nach dem Eindringen des Islam noch im Fayüm, wo er erst unlängst in Folge der Traubenseuche verschwand*). Wir be- lauschen weiter im Frauengemach ägyptische Damen, die vor einem Metallspiegel ihr Haar mit einem hölzernen Kamm ord- nen, bemerken auch, dass schon für Perrücken und falschen Haarschmuck gesorgt ist. Am Nil selbst gewahren wir Fischer, die ihre Schleppnetze auswerfen, genau so wie wir es daheim ge- sehen haben. Ist das Glück uns günstig, so kommen wir gerade rechtzeitig zu einem Fest, bei dem sich die Fischer mit Stangen

1) Brugsch, Gräberwelt. S. 24.

2) Wilkinson, Manners and customs of the ancient Egyptians. London

1837. ^oin- 11^» P- 224. flg. 375-

3) Wilkinson 1. c. p. 341. Das Denkmal gehört der Zeit voa 1450

V. Chr. an.

4) R. Roesler im Ausland 1867. S. 776.

Die mittelländische Race. ^23

von ihren Booten herabzustossen suchen. Jedenfalls heimelt uns dieses Fischerstechen mehr an, als die Stiergefechte, die ebenfalls veranstaltet werden; hinzufugen wollen wir bei dieser Gelegenheit dass das Heerdenvieh bereits auf der Haut das eingebrannte Zeichen des Eigenthümers trägt. An Zeitvertreib ist überhaupt kein Mangel. Hier lassen sich Flöten hören, begleitet von Lauten, Guitarren, Cithern und Harfen *). Anderswo wird Mora gespielt oder gewürfelt oder auf einem Brett mit Damensteinen gezogen. Selbst für die Kinderwelt ist hinlänglich gesorgt, erkennen wir doch sogleich den Lederball wieder, zusammengenäht aus acht Kugelsegmenten oder im Arme zärtlicher Mädchen hölzerne Puppen oder sogar die Ziehfigur, die am Faden Arme und Beine in die Luft schlenkert, zur Beruhigung des schreienden Kindes im Schoosse der Wärterin. Was hier der hölzerne Mann am Faden leistet, wird dort in Schauvorstellungen von gymnastischen Künstlern wiederholt, bei denen die V^irtuosen unserer Messbuden in die Lehre gegangen zu sein scheinen. Kurz, wohin wir, uns drehen und wenden, stossen wir auf Dinge, die zu unsern ersten und ältesten Beobachtungen in der Heimath .gehören und wenn die erste Musterung vollendet ist, gestehen wir uns im Stillen, dass bis zur Zeit wo bei uns Maschinen- und Dampfkräfte in Bewegung gesetzt wurden, die Aegypter in Bezug auf. Handwerkgeräth sich vor uns nicht zu schämen hätten, wir vielmehr die wichtigsten Stücke unserer häuslichen Ausstattung erst von ihnen geerbt haben.

Doch war dieser Schluss etwas zu hastig, denn auch die Aegypter hatten gar manches ihren Nachbarn in Vorderasien un- mittelbar oder mittelbar zu danken. Zwar belehren uns die Denkmäler, dass Tauben und Enten bereits gezüchtet und die Mastgänse künstfich gestopft wurden^), doch wird ein spätes Cul- turgeschenk des Morgenlandes, nämlich das Huhn, vermisst. welches auch Homer und Hesiod, sowie das alte Testament nicht kennen, wenn auch schon Aristoteles und Diodor die künstlichen Brutanstalten der Aegypter beschreiben 3). Selbst das Kamel und

1) Lauth, über altägyptische Musik. Sitzungsberichte der Münchener Akademie. 1873. Heft IV. S. 529 flF.

2) Brugsch, Gräberwelt. S. 14.

3) V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere. Berlin 1870. S. 226.

524 I^ie mittelländischie Race.

das Schaf suchen wir vergebens auf den Denkmälern des alten Reiches, und das Pferd fehlt sogar in den „steinernen Bilder- büchern** vor dem Einfall der Hirtenkönige'). Das Ross bezähmt zu haben, ist nämlich das Verdienst eines weit von Aegypten ent- legenen Völkerkreises. Ausserhalb Aegyptens vollzog sich auch die Erfindung des Wagens, eine hohe Verbesserung der Walzen- bewegung, die ihrer Zeit einen ebenso entscheidenden Vortheil gewährte, wie in unserm Jahrhundert die Eröffnung von Eisen- bahnen. Da der aegyptische Name für Wagen semitischen Sprachen entlehnt ist*), so wissen wir, aus welchen Händen jenes Cultur- geräth nach dem Nil gelangte. Das Reiten der Pferde war in Altaegypten nicht gebräuchlich, wenn auch griechische Gelehrte dorthin den Ursprung dieser Kunst verlegen 3). Ehrfurchtvolles Staunen erregen noch jetzt die Bauwerke des Nilvolkes, seine Tempel, seine Sphinxalleen, seine steinernen Riesenbilder, seine Pyramiden. Letztere betrachten wir als gute Denksteine für die frühe Reife gesellschaftlicher Zustände, denn sie setzen einen Ueberschuss von Arbeitskräften, Anhäufung grosser Mundvorräthe an der Baustelle, bequeme Verkehrsmittel, Frohndgesetze und ge- regelte Besteuerungen voraus. Dies wird mittelbar noch dadurch bestätigt, dass im neuen Reiche der Rechtsstaat verwirklicht wurde durch die Unabhängigkeit des Richterstandes, der eidlich gebunden war, das Gesetz gegen Despotenlaune zu schützen*). Der Bau der ersten Pyramiden wird dem dritten Nachfolger des Menes, des Gründers von Memphis zugeschrieben. Sie standen noch zur griechischen Zeit und Lepsius^) glaubt, dass ihre Schuttreste noch immer vorhanden sind. Die schüchternste Zeitberechnung führt Menes zurück bis auf 3892 v. Chr.^) und unter ihm waren die

1) H. Brugsch, Histoire d'Egypte. tom. i. p. 25.

2) G. Ebers, Aegypten und Mose. Bd. i. S. 222.

3) Nach dem Scholiasten zu Apollon. Rhod. 4, 272. 276. (Aigonautica ed. Schaefer. Leipzig 1813. tom. II« p. 289.) soll König Sesonchosis zuerst das Reiten erfunden haben.

4) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 543—544.

5) Zeitschrift für ägypt. Sprache u. Alterthumskunde. 1870. S. 91.

6) Nach dem Canon bei Heinrich Brugsch (Histoire d*£gypte, tom I, p, 287 ) würde vielmehr seine, Regierungszeit in die Jahre 4455 4395 fallen.

Die mittelländische Race. caS

Aegypter längst schon Baumeister, Bildhauer, Maler, Mythologen, und Gottesgelehrte.

Für ein ausserordentlich hohes Alterthum der ägyptischen Gesittung bürgt am strengsten ihre Zeitrechnung. Sie gründete sich auf ein bürgerliches Jahr von 12 Monaten zu je drei Wochen von zehn Tagen, denen noch 5 Schalttage hinzugefügt wurden. Dass diese 365 Tage nicht genau das wahre Sonnenjahr ausfüllten, ■war den Aegyptern genau bekannt, denn sie wussten, dass es 1461 Jahre bedurfte, ehe der Sirius von Memphis aus am ersten Thoth vor Sonnenaufgang sichtbar wurde. Dieses Zusammenfallen der Frühaufgänge führte sie zu den Sothis- oder Siriusperioden von 1461 bürgerlichen Jahren. Einer dieser Zeitabschnitte endigte im Jahre 1322 v. Chr., folglich fallt sein Beginn auf das Jahr 2782 und mindestens einmal vorher musste die Dauer einer solchen Periode festgestellt worden sein. Demnach trifft die erste Beob- achtung eines Frühaufganges des Sirius am Neujahrstage auf das Jahr 4242 V. Chr.*)

Die Vermuthung, dass in jenen ältesten Zeiten die Aegyptei nur der Steingeräthe sich bedienten, stützt sich hauptsächlich da- rauf, dass die Beschneidung mit Steinmessern vollzogen wurde, wie bei den Hebräern, welche diesen Brauch den Aegyptern ent- lehnten. Diese Thatsache berechtigt jedoch nur zu einem andern Schluss, nämlich dass die Beschneidung schon in der Steinzeit ein- geführt worden war. Nicht gern werden nämlich die Werkzeuge bei feierlichen Handlungen gewechselt, weil diese sonst die Weihe des Alterthümlichen einbüssen würden. Feuersteinmesser verwenden übrigens noch jetzt die Araber der Sinaihalbinsel zum Abkratzen der Schafe nach der Schur'). Schon in frühen Gräbern findet man Geräthe aus Bronze mit einem Gehalt von 12 bis 14 Procent Zinn. Reines Kupfer oder Bronzemischungen bezogen die Aegypter von semitischen Völkern, und ob sie das Zinn als reines Metall früh gekannt haben, darf bezweifelt werden. ^) Woher das Zinn nach Vorderasien gelangte und wer es dahin brachte, bleibt gegen- wärtig noch völlig dunkel. Eisen und vielleicht auch Stahl, beide

i) Lepsius, Chronologie der Aegypter. i. Theil. S. 165 180. 2) G, Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 531. - 3) Lepsius, Die Nfetalle in den ägyptischen Inschriften Berlin 1872. S. 105. S. 114.

C26 ^ic mittelländische Race.

ursprünglich weit kostbarer, als Bronze, kommen im alten Reiche nicht vor, sondern erst im neuen*). Wenn man behauptet, dass die Bildhauerarbeiten aus Granit, die schon' unter der vierten manethonischen Dynastie ausgeführt wurden, ohne eiserne Werk- zeuge sich nicht hätten herstellen lassen, so übersieht man gänz- lich, dass die Incaperuaner ebenso grosse Leistungen im Behauen und Glätten von Steinen ausgeführt haben, in völliger Unbekannt- schaft mit dem Eisen*).

Es ist schon längt ausgesprochen worden, dass die jährlichen Ueberschwemmungen des Nils vielfach die Feldmarken verwischten und die Aegypter frühzeitig genöthigt Wurden, sich in der Mess- kunde zu üben. Indessen dürfen wir uns ihre Leistungen nicht allzu günstig vorstellen. Die Untersuchungen von Lepsius^) über die altägyptische Elle haben erwiesen, dass die Maasseinheit nicht streng bestimmt wurde und die Bauwerke oft grosse Ungenauig- keiten in der Quantität wahrnehmen lassen. Gleichwohl ist es nach einer Arbeit von Aloys Sprenger^) sehr glaubwürdig gewor- den, dass die Aegypter etwa 700 v. Chr. einen Erdbogeh von Syene längs dem Nil gemessen haben. Wie am Beginn unsres Jahrhunderts deutsche Gelehrte in Paris sich die höheren Weihen holen zu müssen glaubten, so pilgerten auch wissensdurstige Hel- lenen nach dem Nillande. Wir wissen es von Pythagoras, Thaies Solon, Anaxagoras, Eudoxus und Herodot, erst Democrit aus Ab- dera überzeugte sich, dass die Griechen von ägyptischen Geometern nichts mehr zu lernen hätten.

Aber alle aufgezählten Verdienste der Aegyptej um Kunst und Handwerk, um bürgerliche Gesittung und Wissenschaften treten in den Hintergrund vor einer Erfindung, welche die Reife der Gesittung im Abendlande um Jahrtausende beschleunigen sollte. Am Ausgang des vierten Jahrtausend v. Chr. finden wir bereits hieroglyphische Inschriften des Königs Snefru, also beim Uebergang von der dritten zur vierten Dynastie^). Die hierogly-

1) Lepsius, 1. c. S. 112.

2) Rivero y Tschudi, Antiguedades peruanas. p. 212. p. 231—232.

3) Die altägypüsche Elle. Berlin. 1865. S. 5. ff. .

4) Ausland 1867. S. T020.

5) Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 138 139.

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phischen Bilder waren bereits Vertreter theils von Lautgruppen oder Sylben, theils schon eines einzigen Lautes. Erläutert wurde vielfach noch das geschriebene Wort durch ein beigegebenes Bild oder Sinnbild, das sogenannte Determinativzeichen. Obgleich auch die ältesten Urkunden bereits Lautschrift enthalten, so ist es doch erlaubt, aus dem Auftreten jener Determin^tivzeichen zu schliessen dass in einem Zeitraum, vor den ältesten Urkunden, die Aegypter sich noch mit der reinen Bild- und Sinnbildschrift begnügten.

Aus der Zeit der XH. Dynastie, also vor dem Einfall der HyksQS besitzen wir eine nach Prisse benannte Papyrusrolle mit abgekürzter, cursiv gewordener Hieroglyphenschrift, die im 14. Jahr- hundert V. Chr., also vor dem Auszuge der Juden ihre höchste Vollendung erreichte. Au^ ihr entstand im 8. Jahrhundert v. Chr. das demotische , also eine Schrift mit Buchstabenlauten , zuvor aber hatten sich die Semiten etliche davon angeeignet, wenigstens sind 13 wenn nicht 15 phönicische Buchstaben aus dem hieratischen abzuleiten*).

Nun brauchen wir nur die Frage zu stellen, ob zu dieser frühzeitigen Blüthe der Gesittung auch die Landesnatur hilfreich beigetragen habe, so richtet sich der Blick sogleich auf den Nil, und denkt ein Jeder an dessen rhythmische Spiegelschwankungen. Nach den Beobachtungen von 1848 61 beim Nildamm an der* Spitze des Delta*) befindet sich der Strom im Mai in seiner tief- sten Schwäche. Die Sonne hat aber bereits seit Februar unter n. Breite die Regen erweckt, welche die Betten der Gewässer des weissen Stromes füllen, die stärksten Wasserfluthen ergiessen sich jedoch erst vom April bis August. Im Unterlande beginnt der Nil in der zweiten Hälfte des Juni bis zur zweiten Hälfte des Juli erst sanft, von da ab äusserst hastig anzuschwellen. Mittlerweile haben sich nämlich die tropischen Regen auf Habesch herab- gesenkt und sind der blaue Nil und etwas später der Atbara herbeigestürmt. Mitte August erreicht der Nil seinen Hochwasser- stand und bewahrt ihn bis Ende der dritten Octoberwoche, nach- dem im Anfang des ebengenannten Monats im Hochwasser selbst wieder ein Maximum eingetreten und wieder verschwunden ist. Ende

i) Ebers. Aegypten und die Bücher Mosc*s. Bd. i. S. 147 148. 2) Heinrich Barth in der Zeitschrift für Erdkunde. Neue Folge. Bd. XIV. Berlin 1863. S. 114 ff. u. Tafel II.

£28 ^^^ mittelländische Race.

October sinkt der Spiegel fast gleichmässig, anfangs nur wenig rascher als später. Etwa das zwanzigfache seines Wasser- Ergusses im Mai fasst der Nil im October oder er fasst ihn nicht mehr zwischen den Uferdämmen, sondern sendet ihn links und rechts nach der Wüste. Befruchtend wirkt der Nil durch die schwebenden Bestandtheile seines Wassers. Chemisch ist sein Schlamm wieder- holt untersucht worden^), neuerdings wieder von W. Knop*), wel- cher letztere sehr wenig organische Stoffe vorfand, dafür aber bei dem ägyptischen Schlamm von allen bekannten Fein- erden die höchste Absorption (135) im Verein mit- der grossten Menge (13,42) aufgeschlossener Silicatbasen, demnach den höch- sten landwirthschaftlichen Nutzrang antraf. Nun wissen wir, iass der weisse Nil, da er durch Seen hindjurchgeht, die wie ein Filter wirken, arm an schwebenden Mineralien ist und seine grünliche Farbe nur von Pflanzentheilen herrührt. Seine Wasser dienen also nur zur Füllung des Bettes, sowie zur Benetzung in den trockenen Zeiten, aber nicht zur Befruchtung. Diese bringen der blaue Nil und der Atbara herbei«*). Auch andere Ströme überfluthen ihr Mündungsgebiet, keiner jedoch verbreitet reicheren Seg'en, als der Nil. Der hydraulische Mechanismus des grossen Stromes wieder- holt sich aber nicht zum zweiten Male auf der Erde. Unter dem Mikroskop gewährt der Nilschlamm den Anblick vollkommen gleich- artiger Körner von V30 ^is 7xoo Millim. Durchmesser, welche bei durchfallendem Lichte in reizenden prismatischen Farben spielen*). Bekanntlich nimmt der Nil den Atbara als letztes Nebengewässer auf und durchströmt 6"förmig gekrümmt 14 Breitegrade, während Wüstenwinde begierig an seiner Oberfläche saugen. Auf dieser Strecke ist gesorgt, dass nicht etwa ein Nebenstrom mit grobem Gerolle die 'Feinerde aufs neue wieder verderbe. Von Assuan oder dem letzten Cataract bis Kairo beträgt das Gefalle ii, von Kairo abwärts nur 4 Fuss auf [oo.ooo; ja schon von Wadi-Halfa dem zweiten Cataract bis Assuan hat sich das Gefall bereits

1) Acht verschiedne Analysen gibt Leonhard Homer, Philosophical Transactions. vol. 145. London 1855. p. 128.

2) I^ndwirthschaflliche Versuchsstationen. Bd. 1$, 1872. S. 16 18.

3) S. Baker, Die Nilzuflüsse in Abyssinien. Braunschweig r868. Bd. i* S. 48. S. 84. Bd. 2. S. 185.

4) Oscar Fraas, Aus dem Orient. S. 210—211.

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ZU 9 Zoll auf die engl. Meile vermindert daher selbst auf die.-er Strecke nur wenig grober Sand noch vorwärts geschoben wird*). Von der geringen Geschwindigkeit^) hängt es aber ab, dass nur noch die kleinsten schwebenden Bestandtheile also Feinerden weiter getragen werden. Bedenken wir jedoch dass, wenn die Geschwindig- keit des Stromes bis auf o, ^ Fuss in der Secunde sich mindern sollte, auch die feinsten Bestandtheile zu Boden sinken müssten, so würde der Nil, wenn er jemals bis zu diesem Betrage ermattete, Unter- ägypten nicht mehr chocoladebraun, sondern als klares Gewässer erreichen. Einen solchen Zustand aber kann die Wissenschait voraussehen. Mit der Minderung des Gefälles auf der letzten V Strecke muss auch die Geschwindigkeit sinken. Bestände nun das Nilbett bei den Cataracten nicht aus hartem Syenit, sondern aus weichem Sandstein, so würde der Nil längst schon sein Bett vertieft und sein Gefalle bis auf das äusserste Minimum einge- schränkt haben. Die Härte der Felsarten auf der Cataracten- strecke hat ^^n Eintritt dieses Uebelstandes verzögert. Oberhalb Philä sieht man auch wirklich einen Nilstand 28 38' (f^^O ^^^^ dem jetzigen Spiegel und unter Amenemha IIP) aus der XII. Dynastie fioss der Strom wirklich in einem um 25' höherem Bette"*). Die Zeit der' Nilwunder ist also jedenfalls eine begrenzte.

Noch heutigen Tages wirft der Fellah vom Boot aus ohne vorherige Arbeit die Saat in den nassen Schlamm, wenn das Was- ser sich streifenweise von seinen Fluren zurückzieht^), doch wur- den schon in der Pyramidenzeit die Felder g'epflügt oder mit der Hacke gelockert^), die Saat selbst aber eingetreten. Wohl wird in neuerer Zeit beim Bau von Handelsgewächsen stark gedüngt, aber im Alterthum geschah es sicherlich nicht. Gegenwärtig erntet man vom Waizen das 8. bis 20., von der Gerste das 4. bis 18.,

i) Leonh. Homer. 1. c. p. 117.

2) Die mittlere Geschwindigkeit des Nils, die freilich, weniger in Betracb kommt, als die höchste, beträgt eine halbe deutsche Meile in der Stunde Sir John Herschel,, Physical Geography § 196.

3) Nach Brugsch (Histoire d'Epypte, p. 289), regierte er von 2653—2611 V. Chr.

4) Lauth, Aegyptische Reisebriefe. Allgem. Ztg. 1873. S. 1334.

5) Leonh. Homer, Philosophical Transactions for 1858. vol. 148. S. 67. A. V. Krem er, Aegypten. Leipzig 1863. Bd. i. S. 180 181.

6) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 468.

Peschel» Völkerkunde. ^^

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vom Mais das 14. bis 20., von der Durrah (Sorghum vulgare) das 36. bis 48. Korn'). Das Kafirkorn wird uns unter den Feld- früchten nicht genannt, fehlte vielleicht im Alterthum^) und würde in diesem Falle von Negern der Cultur gewonnen worden sein. Was man auch sagen mag, Herodot^) behält Recht, dass nirgends als in Unterägypten die Erde um so wenige Mühe die Acker- früchte gewährte und die Saat vielfältiger zurückgab. So war denn dafür .gesorgt, dass sich im Delta des Nils die Bevölkerung aufs höchste verdichten konnte. Gesorgt war aber auch anderer- seits, dass jene Vergünstigung der Natur in würdige Hände fallen sollte. Würde sich nämlich der nilotische Bewässerungs- und Be- fruchtungsapparat an der Westküste von Südafrika befunden haben, so hätte er sicherlich wohl ebenfalls Wunder, aber nicht so hohe Wunder der Gesittung verrichtet wie in Aegypten. Der Nil nämlich mündet hart vor der Landenge welche Asien mit Afrika verbindet. Seine Wohlthaten konnten sich also nie lange dem menschlichen Auge entziehen. Mochten Völkerbeweß:ungen aus Afrika nach Asien gerichtet sein oder wurden Stämme aus dem bereits über- füllten Vorderasien nach Afrika gedrängt, immer gelangten sie an den Nil und zuletzt musste demjenigen Stamm v. der Besitz des Unterlandes zufallen und verbleiben, der es zu einer raschen Volksverdichtun^ am besten auszubeuten verstand.

2. Die Semiten.

Dieser Stamm der mittelländischen Völker bewohnt Vorder- asien und Theile von Ostafrika. Er besitzt aDe Merkmale der mittelländischen Völker, ist bärtiger als die Hamiten und häufiger als diese mit ausdrucksvollen Gesichtszügen, schmalen Lippen, hohen, meist gebogenen Nasen und scharf gezeichneten Brauen ausgestattet. Die Hautfarbe schwankt zwischen einer leichten Dunkelung bis zum tiefen Braun. An Schädelmessungen herrscht grosser Mangel. Nach der Welcker*schen Scala stehen die Juden an der Grenze der Mesocephalie, gehören aber noch unter die niedrigen Breitschädel. Die Araber dagegen nähern sich der

i) Heinrich Stephan, Das heutige Aegypten. Leipzig 1872. S. 82.

2) F. Unger, Botanische Streifzüge. Sitzungsberichte der Wiener Aka- demie. Wien. 1860. Bd. XXXVIII. S. 100.

3) lib. II, cap. 14.

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Grenze der Schmal schade), zählen aber noch zu den hohen Meso-r cephalen, die Abessinier endlich mit einem Breitenindex von 69 und einem Höhenindex von 76^ besitzen hohe negerartige Schmal- schädel. Wer aber bürgt uns, dass Schädel aus Habesch Ab- kömmlingen von echten unvermischten semitischen Einwanderern angehören ?

Kenner des Altägyptischen wie Kenner der semitischen Sprachen *) haben längst die Vermuthung geäussert, dass in einer der Forschung vorläufig entzogenen Vorzeit Hamiten und Semiten in gemeinsamen Ursitzen ihre Sprachen wenigstens bis zu den Stämmen der Für- wörter entwickelten. Das alte Testament hat uns ausserdem den Entwurf einer Ethnographie für die mittelländischen Völker in einer älteren und einer jüngeren Fassung') erhalten, wobei es in der naiven Sprache der patriarchalischen Zustände Länder-, Völker- oder Städtenamen auf künstlich geschaffene Stammväter überträgt. So leiten ihren Stammvater Eber die Juden als Enkel von Arpha- kschad ab, Arphakschad aber ist die Landschaft Arrhapachitis bei Ptolemäus, in der Nähe des Ararat gelegen und jetzt noch Albak genann^-J).

Zur Zeit, als die Völkertafel der Genesis entstand, konnte man vielleicht - viel besser als jetzt noch Aehnlichkeiten zwischen Volksstämmen erkennen, die sich später mehr verwischten. Wenn daher die Kuschiten von Ham abgeleitet werden, die .Canaaniten aber als Nachkommen des Kusch galten und die phönicische Stadt Sidon als der älteste Sohn Canaan's bezeichnet wird, so huldigt auch das alte Testament der Ansicht, dass semitische und hami- tische Stämme sich in Vorzeiten sehr nahe gestanden seien. Doch widerspricht sich der Bibeltext mehr als einmal; unter andern ^ird Havila bald zu den Kuschiten, bald wieder zu den joktani- schen Arabern gezählt*). Hätte nun gar der Ethnograph, oder hätten die elohistischen und jahveistischen Ethnographen der Genesis bei ihrem Lehrgebäude sich nur von der Hautfarbe leiten lassen, 'wie diess vielfach von den Kennern biblischer Alterthümer be-

i) Ausdrücklich verwahren wir uns, dass die obigen Worte auf ein Buch bezogen werden, welches in Gotha 1872 unter dem Titel „Die Semiten in ihrem Verhältniss zu Chamiten und Japhetiten" erschienen ist.

2) Gen. X. I 32. Paralip. lib. i, cap. I.

3) Fr. Spiegel im Ausland. 1872. Nr. 44. S. 1035.

4) Gen. X. V. 7 u v. 29.

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hauptet Avird, so kann die heutige Wissenschaft ihren Angaben keinen Werth beilegen, denn die ohnehin schwachen Farbenab- stufungen wechselten sicherlich damals wie gegenwärtig vQn Land- schaft zu Landschaft und innerhalb der nämlichen Horde musuten ebenfalls wieder Uebergänge die äussersten Vorkommnisse ver- mitteln.

Die heutige Völkerkunde darf sich nur an die Sprachen und die Sprachreste halten, deren Typus schon geschildert worden ist*;. Sie verstatten zunächst eine ziemlich strenge Scheidung in nörd- liche und südliche Semiten. Die nördlichen Völker zerfallen wieder in Aramäer , Hebräer und Kanaanäef , Assyrier und Babylonier^ Das Aramäische wurde im Norden Syriens und Assyriens gesprochen» ist aber jetzt erloschen bis ^auf zwei mundartlich verschiedene Sprachinseln. Zwischen Mosul und Diarbekr bis nordöstlich zu den Van- und Urmia-Seen wohnen nämlich nestorlaniscflb Christen, die sich, unberechtigt ohne Zweifel, Chaldäer nennen und ein ver- dorbnes Aramäisch reden ^). Die zweite aramäische Sprachinsel liegt bei Damaskus^), welches al% der alte Brennpunkt des Aramäer- thums von der Bibel bezeichnet wird^). ^

Sprachlich standen die Hebräer den Kanaahitern, vorzüglich den Phöniciern so nahe, dass phönicische Inschriften mit Leichtig- keit aus dem Hebräischen sich erklären lassen s). Im Jahre 400 V. Chr. erlosch das Hebräische als Volkssprache und wurde von dem Syrischen oder Aramäischen verdrängt, während das Samari- tanische, eine Mischsprache aus Aramäisch und Hebräisch, noch eine Zeitlang zwischen beiden eine Brücke bildete. Der dritte Zweig des nordsemitischen Astes ist das assyrisch-babylonische, die Sprache der Keilschriften dritter Gattung ", deren Entzifferung seit der Entdeckung der erklärenden Täfelchen in Niniveh-Koyyun- dschik festen Boden gewonnen hat. Jene Schrift ist nicht überall eine Lautschrift und wo sie es ist, eine Sylbenschrift. Sie besitzt, wie die hieroglyphische und hieratische Schriit Determinativzerchen»

1) S. oben S. 130.

2) Ritter, Erdkunde Bd.. IX, S. 679 ff. Bd. XI. S. 211 fr.,S. 390.

3) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. S. 194.

4) 2. Sam. VIII, 5 u. Knobel, Völkertafel. 'S. 226.

5) Whitney, Language and the science of language. p. 295—297.

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jedoch conventionclle, nicht bilderschreibende, endlich eine Anzahl schwieriger, aber j^zt schon vielfach erklärter Ideogramme'), wahr- scheinlich alte Wortbilder oder Wortsinnbilder, die dur6h Keil- zeichen abgekürzt worden waren. Gegenwärtig sind alle Zweifel geschwunden, dass die Assyrier und Babylon ier eine gemeinsame Sprache redeten und diese zu den semitischen gehörte^;. Sie stand dem Aramäischen ferner, als dem* Hebräisch-kanaanäischen und vermittelte zugleich die nord- mit der südsemitischen Gruppe 3).

Wenn die Völkertafel der Genesis Nimrod, den Stifter von Babel, Erech, Acad und Chalne als einen Sohn von Kusch bezeichnet, so ist diese Stelle als ein späterer Zusatz längst erkannt worden*). Dass sich in Babylonien einwandernde Semiten mit einer älteren hamitischen Bevölkerung gemischt haben, stützt sich demnach allein auf die Angaben der Genesis und erscheint daher vor Zweifeln nicht gesichert. Die assyrischen Inschriften haben bezeugt, dass mindestens schon um 900 v. Chr. die Bewohner Babyloniens Kaldi (Chaldäer) hiessen-^).

Bevor aber im 18. Jahrhundert v. Chr. die semitischen Chaldäer in Babylon ihre Herrschaft gründeten, bestand am Mündungsgebiet des Euphrat ein Reich mit der Hauptstadt Ur, dessen Könige nicht semitische Namen führten^). Dort wurde die älteste Gattung der Kellschrift erfunden, welche die einen die akkadische, andre wieder die sumerische nennen, von der jedoch ohne Streit und Zweifel die assyrisch-babylonische Schrift erst abgeleitet worden ist. Die Sprache jenes ehrwürdigen Volkes wurde zuerst von J. Oppert als eine „turanische", das heisst unzweideutiger ausgedrückt, als eine uralaltaische bezeichnet und zwar schliesst sie sich, was die Zahlwörter und Fürwörter betrifft, dem finnischen Aste näher an

X) Eberhard Schrader, Die assyrisch -babylonischen Keilinschriften Leipzig 1872. S. 6t. S., 83.

2) Schrader 1. c. S. 24.

3) Eberhard Schrader, in Zeitschr. der D. Morgenland. Gesellschaft. Bd. XXVII. Leipzig. 1873. S. 406. S. 412. Ohne die Arbeit Schrader's zu kennen, ist A. H. Sayce (An Assyrian Grammar. London. 1872. p. VII, p. I 15) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt.

4) A. Knobel, Die Yölkertafel der Genesis. Giessen 1850. S. 339.

5) Schrader in der Zeitschr. der D. Mgld. Ges. 1. c. S. 398.

6) Lenormant, Etudes accadiennes. Paris 1873. tom. I, p. 3^*"^^ p. 76.

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als dem türkischen *). Während aber seltsamerweise die Wortbildung immer sonst durch lose Verknüpfung von Suffixen, wie in dem altaischen Sprachkreise erfolgt, gestaltet das Zeitwort seine Sinn- begrenzungen vorzugsweise durch Präfixe*), entfremdet sich also vollständig dem Typus nordasiatischer Sprachen. Leider ist die Erforschung des Akkadischen oder Sumerischen völlig ab- hängig von den Fortschritten der assyrisch-babylonischen Schrift- kunde. Wir werden daher noch lange der völligen Klarheit ent- behren, dann aber sicherlich Aufschluss gewinnen über das an- ziehendste Räthsel der Völkerkunde.

Als zweiter Ast haben sich von dem gemeinsamen Stamme die südlichen Semiten abgesondert. Sie redeten in der geschicht- lichen Vorzeit das vorarabische^ welches sich spaltete i) in das Arabisch der Ismaeliten, von welchem die alte Schriftsprache und die neuarabischen Mundarten abstammen, und 2) in die Sprache der Qahtäniten, welche letztere wieder zerfiel in das himyaritische^ von welchem da§ heutige Ehkyly in Südarabien entsprossen ist und in das Altäthiopische, von dem das jetzt erloschne Ge*ez oder die Reichssprache und .das noch jetzt lebendige Amharische in Habesch abgeleitet werden^). Vor der Eroberung Aegyptens durch die Araber hatten also bereits Südsemiten aus Jemen und Hadh- ramaut das rothe Meer überschritten und Abessinien bevölkert. Jedenfalls geschah diess in vorchristlichen Jahrhunderten , deren strenge Zeitbegrenzung vorläufig sich nicht aussprechen lässt. Die arabische Sprache hat sich jetzt, wie wir im letzten Abschnitte bemerkten, auch nach Nubien über hamii:ische Stämme verbreitet^ die sich seitdem gern eine semitische Abkunft zuschreiben möchten* Die einzigen, welche dazu hinreichend berechtigt erscheinen, sind die Schua oder Schiwa'*), sowie die Djalin und Schukuri^h 5).

Wir Europäer haben wie in den hamitiscljen Aegyptern auch in den Semiten ältere Culturvölker zu verehren , denen wir un-

1) Lenurmant, 1. c. p. 133 ff.

2) J. Oppert, Journal asiatique. Paris 1873. 7 ferne s6rie. tom. i. p. 116 sq.

3) V. Maltzan, in der Einleitung zu A, v. Wrede's Reise in Hadhra- maut. Braunschweig 1870. S. 33.

4) Hartmann, Nilländer. S. 269,

5) W. Munzinger, Ostafrikanische Studien. S. 563. S. jedoch oben S. 519.

Die mittelländische Race. e^e

zählige geistige Anregungen und Hilfsmittel der Gesittung bis in die neueste Zeit verdanken. Der Einbruch der Araber verscheuchte zuerst die mönchische Finsterniss, in welche Europa zu versinken drohte und frische Helligkeit durchströmte unsern Welttheil, als die Kreuzfahrer aus Palästina Erfindungen und Wissens- schätze heimbrachten. Eines der ältesten Culturvölker Vorder- asiens, die Chaldäer im Lande Sinear, von denen die späteren Assyrier abstammen, gehörte nach den vorausgehenden Erläuterungen zu den Semiten. Wie die Aegypter bewohnte es eine Wiiste, wie diese den Nil, benutzte es die Hochwasser der mesopotamischen Ströme, des Euphrat vorzugsweise, zu künstlichen Bewässerungen. Im obern und mittleren Laufe besitzt dieser Strom so starke Ge- schwindigkeiten, dass die Lederboote noch jetzt wie im Alterthum ') nur zui* Thalfahrt benutzt, am Ziele angelangt aber auf Lastthiere geladen und wieder zum Oberlauf zurückgetragen werden. Weiter gegen Süden beruhigt sich der Euphrat und zieht als stiller aber tiefer Strom dem persischen Golfe zu. Jetzt tritt er im April über sein rechtes Ufer, um in den Bodensenkungen Lachen und Sümpfe zu hinterlassen , aus denen speerhohe Schilfe aufsprossen. Von Mai bis November wölbt sich über Sinear ein eherner Himmel, die Luftwärme steigt auf 39° R., selbst hinter dicken Mauern noch auf 30°, ohne dass, so wenig wie in Aegypten , Indien und in Yucatan, die Denkkraft der Bewohner unter diesen Temperaturen erschlafft wäre. Von November bis December fallen wieder leichte Regenschauer.. Baumwuchs ist nur auf die Ufersäume beschränkt und besteht aus Tamarisken, Acacien, Pappeln, Granatbäumen mit ihren Feuerblüthen , sowie* aus Palmen , beladen mit Trauben bernsteingelber Datteln. Auf grossen Strecken ist der einstmals so frohlockende Euphrat jetzt beängstigend still. Der Wind hebt mit seinen Fittigen Sandwolken empor, um den fetten Marsch- boden zu ersticken, ohne dass ihm Jemand wehrte. Weit über das flache Land hin ragen seltsam gestaltete Hügel, die bei besserer Annäherung als ungeheure Trümmer von Backsteinen erkannt werden. An Lehm zu Luftziegeln fehlte es nirgends, einen treff- lichen Mörtel aber lieferten die noch jetzt fliessenden Erdpech-

I) Herodot. lib. i. cap. 194. vgl. auch Ritter, Erdkunde. Thl. XI. S. 64.

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quellen bei Hit*). Jene Trümmer gehören den ältesten und ersten Städten an, welche die Verfasser der Genesis kannten, nämlich dem chaldäischen Ur, jetzt Mugheir, Erech jetzt Warka, Nipur oder Calneh in der Sprache der Bibel, jetzt Kiffer, endlich Bab-il jetz^ Hillah mit Borsippa, dem „Thurm der Sprachen"*).

Diese Städte entstanden unter dem zweiten Herrscherhause des Berosus, welches, freilich mit künstlichen Ergänzungen einer lückenhaften Chronologie in die Zeit von 2286 " v. Chr. gesetzt wird 3). Die grossen Bauwerke von Ur erhoben sich terrassenartig. Ihre Mauerflächen schmückten blauer Schmelz, polirte Achate, Alabaster, Marmorstücke, Mosaikarbeiten, Kupfernägel und Gold- bleche.^ Balken aus Palmenholz trugen die Dächer, doch zeigten sich frühzeitig schon Versuche von Bogenwölbungen. Steigen wir in die Gräber hinab , so stossen wir auf Särge , das heisst auf zwei zusammengeklappte thönerne Schalen, und neben den Todten auf geschliffene Feuersteingeräthe, sowie Bronzewerkzeuge, goldene Ohrringe und eherne Armspangen. Zu den ältesten Ur- kunden aber zählt das walzenförmige Petschaft des uralten Kö- nigs Uruch, weniger weil es die damaligen Hoftrachten '^) uns noch aufbewahrt, sondern weil das Siegeln selbst auf das Vorhanden- sein einer Schrift hinweist. Gehörten auch die Erfinder dieser ältesten Schriftgattung einem nicht semitischen Völkerkreise an, so bleiben den Chaldäern doch ihre Verdienste um die Metrologie unbestritten. Noch jetzt verkündigt uns der Anblick jedes Ziffer- blattes chaldäische Weisheit s). Das erste metrische Gewicht wurde am Euphrat bestimmt, denn das babylonische Talent entspricht genau einem babylQnischen Kubikfuss Wasser bei der mittleren Landestemperatur ^). Die Theilung des Jahres in Monate und Wochen, die Namen unsrer sieben Tage verdanken wir den Chaldäern.

1) Pauline v. Nostiz, Helfer's Reisen. Bd. i. S. 256.

2) J. Oppert, Inscription de Nabuchodonosor. Reims. 1866. p. 13 15.

3) G. Rawlinson, The five great monarchies. vol. I, p. 153.

4) S. oben S. 184. '

5) J. Brandis, Münz-, Maass- und Gewichtssystem. Berlin 1866. S. 20.

6) J. Brandis, 1. c. S. 33. ff. Nach J. Oppert, Journal asiatique. Paris 1872. 6erae serie. tom. XX. p. 157. besass der babylonische Fuss 315 Millim. Länge.

Die mitlelländische Race. ^37

Sie sind es gewesen, die den Kreis in 360 Grade und jeden von diesen in 60 Bruchtheile zerlegten. Ihre Ziffern reichten zwar bis hundert, do*ch besassen sie auch besondere Zeichen für 60 oder einen Sossüs, sowie für das Quadrat des Sossos oder den Saros. ThontäTel- chen, die bei Senkareh gefunden worden sind, enthalten sogar die Anleitung, Einer und Sossos durch die Stellung von rechts nach links zu unterscheiden, also die Erfindung des Stellenwerthes der Zahlen, ja die Chaldäer besassen sogar eine Schreibweise, die wesentlich unsern Ausdrücken für Decimalbrüche glich. Fügen wir noch hinzu, dass die Babylonier mitjihrer Sexagesimaltheilung die Talente, Minen und Seckel, also die Valuta Vorderasiens ge- schaffen haben. Freilich waren es nur [Barren [aus Silber und Gold, die beim Verkehr abgewogen und auf Feinheit geprüft wer- den musslen. Dem Gelde einen leicht erkennbaren Werth gege- ben, Silber und Gold in Münzen ausgeprägt zu haben, blieb da- gegen den kleinasiatischen Griechen vorbehalten, während die Semiten und ihre Töchtervölker noch lange nach dieser Erfindung beim Barrenverkehr ausharrten.

Anderen semitischen Völkern als den Chaldäern verdankt das Abendland seine religiöse Erziehung. Haben diese Schöpfungen bereits früher ihre Würdigung gefunden, so bleibt uns nur zu untersuchen übrig,, welcher Antheil dem Sprachentypus an der Begründung des Monotheismus zukomme. Die alten Arier be- nannten Naturerscheinungen oder Naturkräfte nach den sinnlichen Eindrücken , die sie hinterliessen und da sehr bald die radicalen und bedeutsamen Lautbestandtheile in jenen Sprachen sich ver- wischten, so geschah es, wie wir bereits früher zeigten*), dass der Name unverständlich und dadurch der Keim zu endlosen Mvthen geweckt wurde. Die Semiten dagegen gaben ihren Göttern Namen, die sich auf abstracte Eii^enschaltcn bezogen, wie El der Starke, Bei oder Baal der Herrscher, Belsamin Herr des Himmels, Moloch König, Eliun der Höchste, Ram oder Rimmon der Erhabne*), Im Typus der dreiconsonantischen Sprachen lag es, dass die ent- scheidenden Laute unversehrt von der Abschleifung blieben und sie mahnten daher den Semiten unaufhörlich an die Ableitung

i) S. ohen S. 266 ff.

2) Max Müller, Essay?. Leipzig 1869. Bd. i. S. 310—318.

c^g Die mitteljändische Race.

des Wortes. Dennoch wurden auch die semitischen Götternamen, obwohl anfangs nur [Eigenschaftswörter, später persönliche Be- nennungen, so dass die verschiednen Bezeichnungen eines Wesens in Bezeichnungen verschiedener Wesen sich verwandelten. Hätten die Juden die Bedeutung von El dem Allmächtigen nicht vergessen, so würden sie Baal den Herrn nicht als eine andre Gottheit neben ihm verehrt haben. Somit schützten selbst die semitischen Sprachen nicht vor den Verirrungen in Vielgötterei, wenn auch bei ihnen die Versuchung seltener sich einstellte. Dass aber von vornherein alle Semiten ihren Göttern abstracte Namen beilegten, dazu nöthigte sie nicht sowohl ihre Sprache als vielmehr der Trieb, alles zu ver- geistigen.

In die ernste Untersuchung unsrer Zeit, ob nämlich vor der strengen typischen Ausbildung ihrer Sprachen die Semiten mit den Indoeuropäern eine engere Heimat bewohnt und einen Schatz, einsylbiger Wurzeln gemeinsam besessen haben, darf eine Völker- kunde heutigen Tages sich noch nicht einmischen , so heiss sie auch ein bejahendes Ergebniss herbeisehnen mag. Selbst der neueste Versuch dieser Art*), der sich durch eine strenge Methode vor den früheren auszeichnet, hat noch keine Entscheidung her- beigeführt, sondern nur die Hoffnung stärker denn je belebt, dass der völlige Beweis einer vorzeitlichen Sprachgemeinschaft der drei grossen , leiblich sich so nahe stehenden Stämme mittelländischer Race früher oder später noch gelingen werde.

3) Europäische VÖlkerstäm'me von unbestimmter Stellung.

Unter den Bewohnern Europa's gehören mehrere Völker ihrer Körpermerkmale wegen jedenfalls zu der mittelländischen Race, müssen aber wegen ihrer Sprachen abgesondert aufgezählt werden. Es sind diess die Basken und etliche Stämme kaukasischer Länder.

a.* Die Basken.

4.

0

So nennen wir jetzt die Bevölkerung der nordöstlichen Pro- vinzen Spaniens und eines kleinen Winkels im Südwesten Frank-

I) Friedr. Delitzsch, Studien über indogermanisch-semitische Wuizel- verwandtschaft. Leipzig 1873.

Die mittelländische Race. s^^q

reichs. Etwa eine halbe Million Köpfe stark, sprechen sie das Eiiscara und nennen sich selbst Euscaldunac. Bei den Geographen des Alterthums hiessen sie Iberier und bewohnten ganz Spanien^ sowie das südwesth'che Frankreich ^ wurden aber von den Kelten frühzeitig gegen Westen und Süden verdrängt und bildeten ver- mischt mit ihnen auf dem Gebiete der heutigen catalanischen Mundart die Keltiberier. Grosser Meinungszwiespalt herrscht über die" Grössenverhältnisse ihres Schädels. Nach Paul Broca's^) Er- mittelungen würden die spanischen BasJ^en zu den gemischten Halbschmalschädeln gehören, während unter den französischen Basken die Breitschädel . das Zahlenübergewicht besässen. Das Euscara, ihre Sprache, steht ganz vereinzelt oder hat nur Aehn- lichkeit in der Wortgestaltung mit dem amerikanischen Typus, in- sofern es eine Menge pränominale Beziehungen dem Zeitwort ein- verleibt und zugleich Bruchstücke als Vertreter von Wörtern zu- sammensetzt. Doch geht bei ihm der volle Satz nicht in einem einzigen Worte auf, auch erleiden seine Hauptwörter eine Inflexion die nichts mit dem amerikanischen Verfahren gemein hat^). Die Basken müssen wir vorläufig für die ältesten Bewohner Europa's halten.

b. Kaukasische Bevölkerungen.

Neben zerstreuten Stämmen im oder am Kaukasus, die bereits, dem türkischen Zweige zugezählt wurden oder noch dem indo- europäischen Stamm hinzuzufügen sind, stossen wir auf Völker der mittelländischen Race, deren Sprachen völlig geschwisterlos bis jetzt dastehen. So bewohnen Daghestän oder den nördlichen Abhang des östlichen Kaukasus- die Avaren, Kasikumüken (nicht zu verwechseln mit den türkischen Kumüken), die Akuscha, die Kürinen und die Uden, welche sämmtlich von den Georgiern Lekhi, von den Armeniern Leksik und von uns Lesghier ge- nannt werden. Ihre Nachbarn gegen Westen, welche die Dag-

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hestäner Mizdscheghen heissen, nennen sich selbst Nachtschuoi. Zu ihnen zählen als Stamm die Tschetschenzen, welche unter dem Emir Schamyl hartnäckig für ihre Unabhängigkeit kämpften und

i) Anthropological Review, vol. VII, London 1869. p. 382—383. 2) Whitney, Study of language. p. 354.

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nach denen von den Russen die gesammtc Gruppe benannt wird, während sie bei den Georgiern Kisten heissen. Die westlichen Bergvölker zerfallen in die Abchasen, welche beide Abhänge des Kaukasus und den grössten Theil des Küstensaumes vojn Ingur bis zum Kuban inne haben und in die Adige oder Tscherkessen, welche ^ westlicher und nördlicher sitzen.

Zwischen Kaukasus und Antikaukasus, wie Palgrave glücklich den nördlichen Absturz des armenischen Hochlandes genannt hat, wohnen Völker mit verschwis teerten Sprachen, Es sind diess im Südwesten auf türkischem Boden die Lazen, im nordwestlichen Küstenlande die Mingrelier, dann im Längenthal des Ingur, süd- lich von den Pässen, die zum Elbrus führen, die rohen, fast noch unabhängigen, von Freshfield trefflich beschriebenen Suanen, e.id- lieh als Binnenvölker im Gebiete des oberen und mittleren Kur die Georgier, die sich selbst Karthuhli heissen, von den Russen aber Grusen genannt werden').

4. Der indoeuropäische Stamm.

Die Sprachverwandtschaft dieser hohen Völker längst vorher geahnt , ist zuerst von Franz Bopp bewiesen und seitdem immer schärfer erkannt worden. Sie müssen sämmtlich eine Urheimat bewohnt und eine gemeinsame Ursprache geredet haben. Wie allmählig aus dem Stamm die Aeste, aus den Aesten die Zweige ablenkten , hat August Schleicher^) durch einen Stammbaum, zur Anschauung gebracht, der selbst heute noch nur weniger Ver- besserungen bedarf.

Der indoeuropäische Stamm theilte sich früh in die asiatischen und die europäischen Arier. Zu der asiatischen Hälfte gehören als Hauptäste die brahmanischen Indier und die Eränier. Aus dem Sanskrit der brahmanischen Hindu sind als Töchter die neuindi- schen Sprachen , . das Bengali und Orija in Bengalen und Orissa, das Nipali und Kaschmlri in Nepal und Kaschmir, das reine Hindi

1) Die Sprachenkarte in Berghaus, Physikal. Atlas. Ethnographie. Bl. 15. genügt noch vollständig für die heutige Völkerkunde auf kaukasischem Gebiete.

2) Die Darwin'svhe Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar 1863. Tafel I.

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sowie das mit vielen freftiden Stoffen gemischte Urdu oder die Lagersprache der Grossmongolen, das Pendschabi und Sindhi, lerner das Marathi oder die Mahrattensprache , hervorgegangen. Zu diesem Aste gehören ferner die Sprache der Siaposch oder Schwarzbekleideten in Kafiristan'), sowie die der räthselhaften Zigeuner, die nicht vor dem Jahre 1000 n. Chr. Indien verliessen, in Griechenland unsern VVelttheil betraten, 1322 auf Creta, 1346 auf Corfu und um 1370 in der Walachai nachgewiesen worden sind/). Der zweite Ast der asiatischen Arier umfasst die Völker» welche das Zend, die Sprache des Avesta oder ,der altp^rsischen heiligen Schrift sowie der Keilinschriften erster Gattung persischer Grosskönige vormals geredet haben oder zu ihm in geschwister- licher Beziehung stehen. Gemischt mit semitischen Stoffen ging aus dem Zend das Pehlewi, aus diesem das Neupersische hervor. Der Zendgruppe schliessen sich an die Karduchen der alten Geo- graphen, die Kurden der neueren 3), Gebirgsvölker Vorderasiens, dann die Armenier, deren Sprache sich dem Pehlewi nähert und denen die Phrygier und Kappodocier verwandt gewesen sein sollen, drittens die Iron oder Osseten des Kaukasus, welche höchst be- deutungsvoll in der und an beiden Ausgängen der Darielschlucht wohnen, welche letztere tief die Centralkette des Kaukasus, sowie die nördliche Vorkette, überhaupt als einzige natürliche Strasse das grosse Gebirge spaltet; ferner die Belutschen in Belutschistan, endlich die Awghanen Awghanistäns, die sich Puschtaneh oder Puchtaneh , ihre Sprache aber das Paschto oder Pachto nennen ; nur ist zu bemerken, dass nach den neuesten Erforschungen dieses Paschto als selbstständiger Seitenzweig aus der Gabelung des dä- nischen und sanskritischen Astes hervorgesprosst ist. Zum Schluss sind noch die Tadschik in l'urkistan zu nennen , die ackerbau- treibende und der Leibeigenschafl verfallene Bevölkerung der oez- begischen Chanate oder Emirate Chiwa, Bochara, Kokand und Kaschgarien^).

1) Trumpp, Sprache der Kafirn in Zeitschrift der D. Mgld. Gesell- schaft. Bd. 20. S. 391.

2) F. Miklosich, Zigeuner Europa*s. Wien. 1873. Heft III. S. ".

3) Die Namen der einzelnen Horden gibt A. Schläfli in Petermann's Mittheilungen. 1863. S. 62.

4) S. oben S. 407.

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Die europäischen Arier theilten sich zunächst wieder in Nord- und in Südeuropäer. Unter Nordeuropäern sind hier der letto- slavische und der germanische Ast zu verstehen. Die Lettoslaven verzweigten sich als Letten und Slaven, die Letten wieder in reine Letten und in Litthauer, welchen letzteren auch die sprachlich verschwundenen Preussen angehörten. Die Slaven wiederum müssen als Ost- und Südslaven von den /Westslaven getrennt werden. Unter die Ostslaven gehören die Russen, mundartlich geschieden als Grossrussen, Weissrussen, Kleinrussen oder Ruthenen, wie sie in Galizien heissen. Zu den Südslaven dagegen zählen die slovenischen Bewohner der Südostalpen in Oesterreich, ferner die Bewohner Croatiens, Serbiens und Bosniens mit der Herzego- wina. Während geringe Sprachunterschiede diese ebengenannten Bevölkerungen trennen , hat sich das Bulgarische der Donau- bulgaren ihnen stärker entfremdet. Romanisirte Südslaven sind dagegen die Bewohner der Moldau und Walachei. Sprachlich stehen sich Südslaven und Ostslaven näher als beide den West- slaven. Zu letzteren gehören abgesehen von den deutsch gewor- denen Elbeslaven zunächst die Wenden, welche in der Lausitz eine rasch abmagernde Sprachinsel bilden*), dann die Polen in Posen, in dem ehemaligen Königreich Polen und im westlichen Galizien, drittens die Tschechen in Böhmen und Mähren, endlich die Slovaken in den nördlichen Grafschaften Ungarns.

Der andere Ast der Nordeuropäer , der germanische , ver- zweigte sich als Gothen, Skandinavier und Teutonen. Die gothische Sprache ist längst verklungen und nur bewahrt in Ulfilas Bibel- übersetzung. Die altnordische Sprache der Skandinavier hat sich dagegen auf Island und den Faröern noch lebendig erhalten, in der festländischen Heimat aber das Dänisch-norwegische und das Schwedische erzeugt. Die Sprache der Teutonen zerfällt in die nord- oder niederdeutschen Mundarten, wie das Friesische, Sächsi- sche, Angelsächsische, Plattdeutsche, Holländische und Vlämische und in das Mittel- und Süddeutsche, welches seit der Reformation als Schriftsprache in Deutschland zur Herrschaft gelangt ist

I) Das Zusammenschwinden dieser Sprache seit 1550 und 1750 hat Richard Andrie {Das Sprachgebiet der Lausitzer Wenden. Prag 1873.) auf einer lehrreichen Karte zur Anschauung gebracht.

Die mittelländische Race. 5^^

Gliederreicher waren die Südeuropäet. Von ihnen sonderten sich zunächst die Altgriechen ab, deren Sprache im Neugriechisch noch gut erhalten fortlebt. Zu nördlichen Nachbarn hatten die Bewohner des Hellas in Thracien und lllyrien Völker, deren Sprache jetzt verschwunden ist, bis auf einen Abkömmling im heutigen Albanien. Dort sitzen nämlich die Schkipetaren oder ,, Bergbewohner", von den Türken Arnauten, von uns Albanesen genannt. Ihre Sprache gehört; jedenfalls zu dem indoeuropäischen Stamm, stellt aber ohne geschwisterliche Beziehung zu irgend einem der üorigen Glieder völlig vereinsamt. Als dritter Ast der Südeuropäer sind die Italier zu nennen, die früher die umbrischen, lateinischen und ostischen Mundarten redeten. Einem neuen Sprachforscher, Corssen, soll es geglückt sein, auch das etrus- kische als eine altitalische Sprache entziffert zu haben, doch er- warten wir noch immer mit Spannung die Veröffentlichung der Beweise. Die Römer erhoben zur Sprache ihres Weltreiches das Lateinische, als dessen Töchter das Portugiesische, Spanische, Ca- talanische, Proven^alische , Nordfranzösische , Italienische und die ladinschen wie romanschen Mundarten in den schweizer und tyroler

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Alpen, ferner das stark mit keltischen Stoffen gemischte Furlanische in Friaul und im Venetianischen, endlich in Siebenbürgen , etlichen ungarischen Grafschaften sowie in der Walachei und Moldau unter slavischen Bevölkerungen das Rumänische aufgeblüht ist. Den letzten Ast der Südeuropäer vertreten die Kelten, welche ehemals die Alper>länder und Süddeutschland bewohnten, in Frank- reich die Basken weit zurückdrängten und die britischen Inseln bevölkerten. Fast überall sind sie vertrieben oder theils romani- sirt, theils germanisirt worden. Nur im äussersten Norden und Westen ihres Gebietes hat sich in der Bretagne und in Wales die kymrische Mundart erhalten , während in den westlichen Graf- schaften Irlands, auf der Insel Man und in Schottland') noch Be- völkerungen die gaelische oder gadhelische Mundart reden.

Die Indoeuropäer besitzen die Racenmerkmale der mittel-

i) Unvermischt gesprochen wird das Gaelische nur noch an der Nord- ostecke von Schottland, vermischt mit Englisch dagegen westlich von einer Linie, die vom Moray Firth gewölbt gegen Osten nach der Clydemündung führt. Murray, Map of Scotland showing the present limits of the Gaeli: language in Transactions of the Philological Society. 1870—1872.

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ländischen Völker in höchster Vollkommenheit, mit Ausnahme je- doch der Hindu, die durch starke Blutmischungen mit Dravida ihre Reinheit verloren haben ^). Die Gestalt des Schädels schwankt in Europa von der Mittelform bis zu hohen Breitenindices*). Stets ist die Höhe geringer, oft merklich geringer als der Querdurch- messer. Bei Nordeuropäern waren blondes Haar und blaue Aut^en sehr häufig, selbst bei den Kelten Galliens, wie sie uns noch im Alterthufn beschrieben * werden, während ihre Nachkommen, d'.e Franzosen, uns den Beweis liefern, wie vergänglich jene Merk- male sind.

Die geistigen Vorzüge und die bürgerliche Entwickelung der indoeuropäischen Völker , zu schildern, ist eine Aufgabe, welche die Geschichtschreiber längst zu lösen begonnen haben. Uns fallt nur die Ermittelung zu, welchen günstigen oder ungünstigen Ein- fluss die Natur des Wohnortes und vor allem Europa's auf die frühe Reife unsrer Gesittung ausgeübt habe. Leider können wir bis jetzt nur errathen, wo die Ursitze der Indoeuropäer gesucht werden sollten. Mit Unwillen muss jedoch von jedem Erdk'uhdigen die alte Ansicht verworfen werden, nach welcher vom Hochlande Pamir unsre Voreltern herabge^^tiegen sein sollen. Selbst jetzt noch gehört jenes Gebiet zu den unbekanntesten Erdräumen, jedenfalls waren unwirthliche nur der Viehzucht nutzbare Hoch- ebenen am schlechtesten gewählt als Ursitz einer hohen Cultur und Cultursprache.

Weit verführerischer wirkt die Wahl Turkistans hauptsächlich Bactriens auf die Erforscher indischer und eränischer Sprachen •>)• \Mrd nun durch eine Auscheidung der allen Gliedern gemeinsamen Wurzeln der alte Sprachschatz der arischen Urzeit neu hergestellt, so gewinnen wir zugleich ein Gemälde von den gesellschaftlichen Zuständen jener Völker im höchsten Alterthume. Wir erfahren dadurch, dass sie bereits den Acker bauten, ihn mit Rindern pflü^^ten, Wagen mit Rädern gebrauchten, Milchwirthschaft trieben, und ein nahes Meer mit Ruderbooten, nicht mit Segelkraft be-

i) S. oben S. 483—484.

2) S. oben S. 58—61.

3) J. Muir, Original Sanskrit Texts. Part. II, cnp. 2. sect. VII. pag. 304—322.

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fuhren*). Ob sie Metalle schon ausgeschmolzen haben, ist mehr als zweifelhaft, zumal der Name für Blasebalg') nicht aus der Ur- heimat stammt. Da sie dort altafrikanische Hausthiere, den Esel und die Katze ^) nicht kannten, so hatten sie mit Aegyptern noch keine Culturschätze ausgetauscht. Dass sie ferner den Namen für das Kamel später aus semitischen Sprachen entlehnten, spricht entschieden gegen Ursitze in Bactrien. Da gemeinsame Worte für Schnee und Winter vorhanden waren^ die anderen Jahreszeiten aber spätier verschiedene Namen empfingen, so wechselten in Alt- arien sicherlich heisse mit rauhen Monaten. In jenen Ur sitzen hausten Bären, Wölfe und Ottern*), dagegen fehlten Löwen und Tiger 5). Nach diesen Andeutungen können wir sehr genau die Heimat der Indoeuropäer begrenzen. Sie lag östlich vom Nestus, jetzt Karasu in Macedonien, wo zu Xerxes' Zeiten das Verbreitungs- gebiet des europäischen Löwen aufhörte^). Sie lag auch nörd- licher als Chuzistan, Irak Arabi, ja selbst als Assyrien 7), wo Löwen noch jetzt vorkommen. Ferner konnte sie die Hochlande West- irans und die Südgestade des kaspischen Meeres nicht umfasst haben , weil dorthin noch die Tiger gegenwärtig ihre Raubzüge erstrecken 8). Nach allen angeführten Thatsachen wird wohl jeder Erdkundige sich dahin entscheiden, dass die Indoeuropäer beide Abhänge des Kaukasus, auch die merkwürdige Darielschlucht be- wohnten und den Pontus oder das kaspische Meer, wenn nicht beide gleichzeitig kannten. Gegen diese Schlussfolgerung wird gewöhnlich eingewendet, dass die europäischen Stämme auf ihren Wanderungen sich aus dem Gebiete des Löwen oder des Tigers entfernten und mit den Thieren auch ihre Namen vergassen. Dies bedarf jedoch erst noch einer strengen

1) Adolphe Pictet, Les origines indo-europdennes. Paris 1859 und 1863. tom. I, p. 271. p. 333. tom. II, p. 25. p. 75. p. 94. p. 108 ff. p. 179.

2) Pictet 1. c. tom. II, p. 142.

3) Pictet, 1. c. tom. I. p. 356. p. 381.

4) Pictet, 1. c. tom. I, p. 427. p. 431. p. 443-

5) Pictet 1. c. tom. I, p. 425. p. 426.

6) Herodot. lib. VII, cap. 125— ,126.

7) Ueber die Verbreitung der Löwen in Vorderasien vgl. Layard, Ni- neveh and its remains. 2d. ed, tom. II, p. 48*

8) Carl Ritter, über die Verbreitung des Tigers, in der Zeitschrift für Erdkunde. Berlin 1856. Neue Folge. Bd. i. S. 99.

Pesckel, Völkerkunde" 35

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Begründung, denn die Maori haben den Namen für das Haus- schwein und die Cocosnuss beibehalten, obgleich auf Neu- seeland beide fehlten*). Hätten die Altarier in ihrer Heimat solche heroische Raubthiere wie Tiger und Löwe gesehen und bekämpft, sicherlich wären ihre Namen in irgend einer anderen Bedeutung erhalten geblieben. Der Beweis aber, dass dies nicht geschehen sei, fällt als Last auf diejenigen, welche Bactrien als die schicklichste Heimat der -Indoeuropäer erwählt haben.

Es bleibt uns nur noch die Untersuchung übrig, ob 'Europa als Wohnort zur Beschleunigung der Gesittung beigetragen habe oder nicht. So ausdrucksvoll haben sich aber Land und Meer in diesem Erdraum abgesondert, dass schon Strabo*), der doch die nächsten Festlande noch so unvollständig kannte, Europa als reichgegliedert {noXvüx^' (i(av) gepriesen hat. Unser Welttheil, selbst eine halbinselartige Verlängerung Asiens, hat alle seine Um- risse wieder halbinselartig ausgebildet, denn irn Süden tritt er mit drei solchen Gestaltungen in das Mittelmeer, im Norden berühren sich nahezu Scandinavien und die cimbrische Landzunge, ja selbst die britischen Königreiche lassen uns noch erkennen, dass, bevor der seichte Aermelcanal vom Meer ausgefurcht worden war, auch sie als vorspringende Landmassen mit dem Hauptkörper vereinigt waren. In Folge dieser zahlreichen rhythmischen Vorsprünge un- seres Festlandes tritt das Meer immer mehr oder weniger golfförmig in das Festland herein.

Meerengen, die durch Annäherung des Festen an das Feste entstehen, sind ebenso selten als bedeutungsvoll. Miss- achtet musste daher dasjenige Festland am längsten bleij^en, das keine besitzt, nämlich Australien. Amerika wiederum erhielt seine ersten Bewohner höchst wahrscheinlich über die Berings-Enge. Europa endlich kann nicht nur sein Kattegat mit dem Sund auf- weisen, sondern es bildet mit Afrika und Asien die Meerengen von Gibraltar, von Sicilien, und den Hellespont sammt dem Bos- porus, welche das Mittelmeer in drei gesonderte Becken trennen. An jede dieser drei Zusammenschnürungen knüpfen sich zeiten- verändernde Weltbegebenheiten. Dort, wo Sicilien sich dem Saum von Afrika nähert, musste die grösste Seemacht des Alterthums

i) S. oben S. 374.

2) Geogr. lib. II, cap. 5. (Tauchn. cdit. tom. I, p. 201.)

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entstehen, denn von dort Hessen sich beide Becken des Mittel- meeres um so strenger beherrschen, als in früheren Zeiten der Schiffer aus Verzagtheit nie das Gestade aus dem Gesicht zu ver- lieren wagte. ^ Dort an jener Stelle erstand, wuchs und fiel Car- thago. Die andere Meerenge führt ihren heutigen Namen vom Dschebel-Tarik, dem Tarikfelsen, weil Tank dort mit den Arabern aus Afrika nach Spanien übersetzte, ein Unternehmen, das bei den damaligen schwachen Leistungen der Schifffahrt nie versucht worden wäre, wenn nicht eine Enge, sondern ein geräumiger Meeresarm die beiden Festlande getrennt hätte. Mit den Arabern aber kam da- mals das reifere Wissen morgenländischer Völker, ja zum Theil auch von neuem die verschollene Gelehrsamkeit des griechischen Alterthums nach Europa. An die dritte Meerenge knüpft sich die Jahreszahl 1453, der Fall von Konstantinopel, der durch eine wundersame Fügung zum Segen uns ausschlagen sollte, denn, von den Osmanen verscheucht, brachten Byzantiner nicht blos längst vermisste literarische Schätze der hellenischen Blüthezeit in das mittelalterliche Europa, sondern es wurde auch durch sie die griechische Sprache ein Gemeingut der Gelehrten und aus diesem Quell strömte das neue Licht des 16. Jahrhunderts. Noch jetzt drohen diese Meerengen den Bewohnern Europa*s mit neuen Prüfungen. Im Hintergrunde der modernen Begebenheiten ist ein ziemlich hochbegabtes Volk zum russischen Reich erstarkt und möchte sich vorwärts drängen nach dem offenen Weltmeer, Seine Ufer liegen aber nur an zwei Binnenmeeren, die sich mit Kammern vergleichen lassbn, zu denen andere Völker die Schlüssel besitzen. Im Winter gefriert die Ostsee und Schweden wird dann fest mit den dänischen Inseln, so dass die Schifffahrt eingestellt bleibt. Der Pontus dagegen fliesst durch ein doppeltes so enges Thal ab, dass sich jede Stelle unter ein Kreuzfeuer von Artillerie bringen lässt. Jedes Volk von gleichem W^uchse wie die Russen würde nach einem offeneren Meere sich vorzuarbeiten suchen, und darum, so oft der Gefangene ungeduldig am Gitter seines geographischen Kerkers rüttelt, wird es den westlichen Völkern um ihren Frieden bange.

Wiegen seines Gliederreichthums besitzt unser Welttheil die grösste Küstenlänge im Vergleich zu seiner Oberfläche. Nun ver- dichtet sich, wie die neue schöne Karte von E. Behm') über die Ver-

i) Ergänzungsheft Nn 35. Taf. 2. zu Petermann's Mittheilungen.

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theilung der Bevölkerung Europa's es offenbart hat, in unserem Fest- lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen Küste'* }ütlands stets die Bewohnerzalil am Meeresgestade im Ver- gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die geringste mittlere Höhe besitzt ^). Eine räumliche Annäherung der Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung zur Erhöhung der JCulturstufen.

Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro- logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er- trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit Dove'schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über- zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden Er d räumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich- massigen Vertheilung der Niederschläge* ist die peninsulare Schlank- heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils aufs höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er- strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder an der Westküste Nordamerika's ihre Feuchtigkeit absetzen, da folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an- gegebenen Fällen. * Nichts derartiges kann sich in Europa zu- tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer voi liegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften: in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste

I) A. V. Humboldt. Kleine Schriften. Bd. i. S. 438.

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das Laub fällt und in einen mediterraneischen Küstensaum mit immergrünenden Sträuchern und Gewächsen, der eine bewohnt von Völkern, die Bier brauen und Butter bereiten, der andere von Völkern, welche Mie Trauben keltern und^die Früchte des Oel- baumes pressen. Erst in den Östlichen Fernen des Welttheiles, an den Gestaden des Pontus und des kaspischen Meeres ent- wickelt sich ein dritter Gürtel mit andern Lebensbedingungen, nämlich die Steppe, anfangs eine schmale Zunge, später an Raum- grösse rasch anwachsend. Solche scharfe Uebergänge zu klima- tischen Gegensätzen mussten frühzeitig einen Völkerverkehr er- wecken, weil die Bewohner des Nordens wie des Südens Erzeug- nisse zu bieten hatten , welche die Begierde schon durch den Reiz des Fremdartigen erweckten.

Die Vortheile höherer Gliederung äussern sich aber einfach darin, dass verschieden begabte Völker bequemer das beste aus- tauschen können, was sie erworben haben. Die besten Erzeug- nisse des Menschen sind aber seine glücklichen und beglückenden Gedanken, die, einmal gedacht, befruchtend oder tröstend fort- wirken von Geschlecht zu Geschlecht durch Jahi;tausende. Zu den beglückenden Gedanken gehören die Religionsschöpfungen, zu den glücklichen unter andern solche Erfindungen, die über unsern Haushalt und unsere Tagesgewohnheiten eine strenge Herr- schaft behaupten. Was wir unter Civilisation , Cultur, Gesittung verstehen, ist nichts anderes als eine Summe heller Gedanken, gröstentheils von uns ererbt und asiatischen Ursprungs. Kein Culturvolk steht hoch genug, dass es nicht irgend etwas neues selbst von sogenannten wilden Völkern sich aneignen könnte, oder schon angeeignet hätte. Der Gebrauch der Gabeln beim Genuss der Speisen hat sich beispielsweise in Nordeuropa erst im 17. Jahr- hundert verbreitet '), und wurde anfangs als eine sittenverderbliche Neuerung angesehen. Hätten uns dieses Tischgeräth nicht schon die Völker des Alterthums hinterlassen, oder würden wir, wie die Chinesen, noch heutiges Tages uns der Essstäbchen bedienen, so hätten unsere Seefahrer von den anthropophagen Fidschi-Insulanern die Gabel als eine Neuigkeit nach Europa bringen können. Durch den Umgang mit den Kelten Galliens war gar mancherlei für die

i) Lubbock, Prehistoric Times 2^ ed. 1869. p. 443.

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Römer zu erlernen, denn von ihnen empfingen sie zuerst die Seife*), und erfuhren sie, wie sich metallene Geschirre verzinnen und ver- silbern Hessen"). Vom keltischen Adel erlernten sie die Hetz- jagd im freien Feld und unsere deutschen Vorfahren die Falken- beize^). Die alten Bewohner Britanniens dagegen hatten zuerst bei der Landwirthschaft mineralische Dünger, nämlich den Mergel , angewendet, und zufolge einer etwas dunkeln Beschreibung bei Plinius das Getreide schon mit Maschinen und mit Pferdekraft geschnitten*). Umgekehrt sollten erst nach Tacitus* Zeiten die kühnsten Seefahrer der Welt, die Normannen, mit dem Gebrauche der Segel bekannt werden 5).

An unsere wichtigsten narkotischen Genussmittel sind wir erst vor drei oder vier Jahrhunderten durch fremde Völker gewöhnt worden; an den Thee durch die Chinesen und an den Kaffee durch fromme Araber. Die erste Chocolade tranken spanische Eroberer aus der Hofküche des mexicanischen Kaisers Mocteuzoma oder Montezuma^) und als im Jahre 1492 spanische Kundschafter aus dem Innern von Cuba zurückkehrten, erzählten sie dem Ent- decker der neuen Welt, dass die harmlosen Indianer der Insel zusammengerollte Krautblätter, welche sie Tabacos nannten, in den Mund steckten, um von dem anderen entzündeten Ende her den Rauch einzuschlürfeji. Waren auf den Antillen Cigarren ia Gebrauch, so sahen Europäer bei den Rothhäuten Nordamerika's den Tabak aus steinernen Pfeilen rauchen und im alten Peru^), sowie anderwärts in Südamerika, ihn schnupfen.

Das Schlafen in aufgeknüpften Netzen ist eine Erfindung der neuen Welt und unser Ausdruck Hängematte eine Uebersetzung und zugleich Lautnachahmung des Wortes „Äö/^iara" aus der Sprache der Urbevölkerung Haiti's, welches das Französische als „Äawjr" noch treu bewahrt hat. Die Verwendung künstlicher

1) Ausland 1866. S. 139.

2) Mommseii, Römische Geschichte. Bd. 3. S. 217.

3) Hehn, Culturpflanzen. S. 270.

4) Plin. H. N. lib. XVII. 4, lib. XVIII. 72.

5) Germania, cap. 44. Die Suionen des Tacilus sind die Bewohner von Schonenland.

6) Prescott, Conquest of Mexico, tom. I, p. 135. p. 155.

7) Prescott, Conquest of Peru. tom. I, p. 140.

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Insecten beim Fischfang mit der Angel und die Wahl dieser Phantome je nach der erwünschten Fischart, der Jahreszeit oder dem Wetter haben die Engländer zuerst den Indianern an den Flüssen Guayana's abgelauscht und von den rohen Naturkindern Brasiliens wurden Portugiesen in der Zubereitung der Tapioca unterrichtet'). Das einfachste und zugleich ein ungemein maleri- sches Männergewand, nämlich der Poncho, welcher im spanischen Amerika heutzutage allenthalben getragen wird, war die Volks- tracht der tapfern Araucaner*). Selbst im Bau von Fahrzeugen konnten wir erst in unseren Tagen von fälschlich missachteten Völkern, wie den Eskimo, etwas lernen, denn ihre Kayaken wurden die Muster zu unsern Lustgondeln mit geschlossenen Räumen am Schnabel und Stern.

Wenn also selbst bei unseren reifen Zuständen ein Umgang mit jugendlichen Stämmen immer noch Nutzen trägt, wie ent- scheidend musste es für uns gewesen sein, als unsere Lehrjahre begannen, dass die Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit unseres Welttheils den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und Afrikas erleichterte? Ein Misskennen der Culturgeschichte aber wäre es, wollte man schliessen, dass die Europäer, weil sie einen reich gegliederten Welttheil bewohnten, nothwendig durch ihre Leistungen zu allen Zeiten hätten hervorleuchten sollen. Für jene Franzosen, welche in den Höhlen der Dordogne hausten, mit Stein- werkzeugen das wilde Pferd um seines Fleisches willen jagten, zu einer Zeit, wo der vorweltliche Elephant noch Nordeuropa durch- schritt, war es völlig unerheblich, ob ihr Welttheil halbin selförmig gestaltet, sowie mit Sunden und Golfen reich gesegnet war. Auf den niedrigsten Stufen unserer Entwickelung, wo die Sorge für den täglichen Unterhalt fest den ausschliesslichen Lebenszweck bildet, wo das einzige nicht thierische Bedürfniss, merkwürdiger Weise ein ästhetisches, vorläufig nur. darin Befriedigung sucht, dass etwa hübsche Muscheln, an eine Schnur gereiht, den Hals oder die Knöchel zieren sollen, haben weder wagrechte noch senkrechte Gliederungen oder andere geographische Charakterzüge irgend einen Werth zur Besänftigung der rohen Menschennatur besessen.

1) S. oben S. 451.

2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. 510.

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Die mittelländische Race.

Bestand die Gunst der Gliederung Europa's in seiner Zu- gänglichkeit für fremde Cultur, so sind auch seine Bewohner, so weit unser geschichtliches Wissen zurückreicht, bis auf vier oder fünf Jahrhunderte rückwärts noch immer der empfangende Theil geblieben. Aus diesem Grunde war es wichtig, dass Europa als asiatische Halbinsel der alten Welt angehörte, denn geräumige Ländermassen sind vorzugsweise reich an solchen Thier- und Pflanzenarten, die zu den Bewohnern in irgend eine gesellige Be- ziehung treten können, und wirklich stammt mehr als die Hälfte dessen^ was den Gestaden des Mittelmeeres ihre landschaftlichen Zierden gewährt, aus dem Morgenlande. Nur der Weinstock, der Feigenbaum, der Lorbeer des Apoll (Laurus nohilis)^ der Oleander, werden bereits fossil in der Provence angetroffen*). Die immer- grüne Eiche, die Myrte und die Pinie gehörten ebenfalls wohl unter die einheimischen Gewächse. Der Oelbaum dagegen, der auf der griechischen Insel Santorin unter einer sehr alten Lava- schicht angetroffen wird, kam erst mit hellenischen Ansiedlern 600 V. Chr. zu Schiff nach Italien. Die Rebe, welche den süd- lichen Feuerwein spendet, wanderte von den Südabhängen des Kaukasus über Thracien ein, ihr folgte der Fasan von den Ufern des Phasis und die Apricose aus Armenien. Aus Persien kam die Platane, der Pfirsich, die Rose und die Lilie, während Melonen^ Gurken unc Kürbisse, lauter Steppen fruchte, aus Turkistan erst spät durch die Hände der Slaven nach dem Abendlande gelangten. Dattelpalmen sahen die Hellenen zuerst in Phönicien, als unzer- trennliche Begleiter der Araber wanderten sie in das eroberte Spanien und landeten mit saracenischen Piraten an dem gefeierten Gestade zwischen Genua und Nizza. Aus dem semitischen Asien stammt auch die Cypresse, der Paradiesapfel, Kümmel und Senf^ während Nordeuropa die Linse den Römern, die Erbse den Griechen verdankt, /on italienischen Gärtnern lernten unsere Vorfahren ihre wilde Schlehe durch Aufsetzen von Damascener Reisern zur Zwetschge zu veredeln und zu dem wilden Süss- kirschenbaum kam von Cerasus am Pontus die Weichsel. Der Haushahn wanderte aus Indien über Persien zunächst nach Griechenland und den Pfau brachten die hieramsalomonisrhen

i) Charles Martins in der Revue des deux Mondes, tom. LXXXV. pag. 633.

Die mittelländische Race. ^^j

Indienfahrer aus Ophir, dem Abhira an der Indusmündung'). Es waren also die östlichen Ländergebiete, welche ihr Füllhorn haupt* sächlich über Südeuropa umstürzten und im Vergleich zu ihren Gaben konnte die neue Welt nur wenig mehr hinzufügen: eine einzige Getreideart, den Mais, eine einzige Knollenfrucht, die Kar- toffel, als häufige Zierde südlicher Landschaften noch die Agave und die Feigendistel.v

Aber nicht bloss Gaben der Ceres, nicht bloss die stillen Zierden unserer Gärten oder Haine, die lockenden Früchte unserer Obstreviere mussten erst aus dem Morgenlande nach dem Mittel- meere wandern, auch die höchsten geistigen Schätze schlugen den- selben Weg ein. Die Kunst, das gesprochene Wort in seine ein- zelnen Laute zu zerlegen, und diese Laute durch Symbole sicht- bar werden zu lassen, empfingen die Griechen zuerst aus Klein- asien. Durch ägyptische und assyrische Muster wurden sie zuerst angeregt, den Stein in Bild- und Bauwerken zu beseelen. Endlich verbreiteten sich aus dem Orient, aus der Wüste zumal, wo Sonne und Gestirne durch reine Luft beständig ungetrübt strahlen und funkeln, fromme Begeisterung sich häufiger regt und Sehergabe leich- ter sich entzündet, verklärtere Religionen und durch sie eine merk- liche Müderimg der Sitten. Selbst vof wenig länger als tausend Jahren brachten uns noch die Araber aus Indien die scharfsinnig- ste Erfindung nach der Lautschrift, nämlich unsere neuen Zahl- zeichen und die Kunst, ihren Rang in der Decimalordnung durch den Stellenwerth zu bestimmen.

Während wir das Morgenland als die Mutter der höchsten Erfindungen, aller freundlichen Verbesserungen des häuslichen Da- seins, aller geistigen Verklärungen verehren müssen, blieben da- gegen bis auf den heutigen Tag seine Völker auf niederen Stufen der menschlichen Gesellschaft stehen, nämlich auf der Herrschaft der Einzelnwillkühr, mehr oder weniger gemischt und gemildert durch Theokratie, nie befreit von dem Unsegen der Vielweiberei, bei welcher Geschwisterliebe nie zu keimen vermag und Harems- umtriebe und Palastrevolutionen einen beständigen Wechsel der Herrscherhäuser nach sich ziehen. Diesem Mangel gegenüber war vorauszusehen, dass, wenn in einer andern Völkerfamilie, wenn

I) Näheren Aufschluss gewährt V. Hehn, die Culturpflanzen und Haus- thicre. Berlin 1870.

254 ^^^ mittelländische Race.

bei den Ariern die Fähigkeit schlummerte, der menschlichen Ge- sellgchaft eine bessere und würdigere Gliederung zu verleihen, früher oder später nothwendig die höchsten Entwicklungen ihren Sitz ver- legen mussten.

Unter allen arischen Völkern leuchteten unbedingt die Römer durch staatsmännische Begabung am hellsten. Wie ein Gemein- wesen durch Gesetze zu ordnen, wie ein Heer zu schulen, wie im friedlichen Verkehr die Zweifel über Eigenthum und Leistungen nach gesunder Auffassung des Rechten und Billigen zu schlichten seien, verstand niemand besser wie sie. Im Orient entstanden nur Despotien auf den Trümmern von Despotien, bei den Ariern des Abendlandes entwickelten sich die ersten Keime einer bürger- lichen Gesellschaft. Zum Heil für die Menschheit hatten aber gerade die Römer auf einer mittleren Halbinsel ihre Heimath ge- funden, denn wie schon Strabo einsah, beruhte auf der centralen Lage Italiens die lateinische Weltherrschaft. So kam es, dass kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zum erstenmale der Schwerpunkt der Gesittung von den Südufern des Mittelmeeres nach dem .nördlichen Rande, von seinem äussersten Osten nach der Mitte und obendrein vom levantischen Becken in das abend- ländische verlegt wurde.

Würdigen wir den Gang der Geschichte von dem entlegenen Abstände der Erd- und Völkerkunde, so gilt uns als die höchste Verrichtung des Römerreichs die langsame Bekämpfung Spaniens, die rasche Eroberung Galliens sowie der britischen Inseln und das theilweise Vordringen nach Deutschland. Unscheinbare, und all- tägliche Leistungen der Römer sind es, die wir in diesem Sinne am höchsten stellen müssen: sie errichteten Strassen, Meilensteine und Posten, sie lehrten, wie unsere Sprache es bezeugt, die ersten steinernen Häuser erbauen und vereinigten sie durch Gräben und Brustwehr zu einem Ring. Durch ihre Städtegründungen wurden zum erstenmal die Bewohner in eine bürgerliche und eine länd- liche Bevölkerung geschieden und gleichzeitig die erste Anleitung ertheilt, wie solche Gemeinden sich verwalten lassen. Bei den gallischen und britischen Kelten war dieser Umschwung schon vorbereitet, aber der längere Genuss der Römerherrschaft musste dort mit dem Verluste der einheimischen Sprache gebüsst werden, so dass sich nur in den unzugänglichen Gebirgen, in den abge- legenen Landschaften Aquitaniens das Baskische, in der Bretagne,

Die mittelländische Race. ccc

in Wales, in Schottland und in Irland das Keltische längere Zeit behaupten konnte. Dass die germanischen •Stämme ihre Sprache retteten, verdankten sie der grösseren Rauheit ihres Klima's, der Unwegsamkeit des Flachlandes, der kürzern Dauer der Römerherr- schaft, ihrer mannhaften Gegenwehr, aber auch dem Schutze ihrer mächtigen Gebirge, denn während in das offene und heitere, darum auch einer zeitigeren Gesittung erschlossene Gallien das Lateinische bequem einzog und sich ausbreitete , konnte es nicht auf dem nächsten Wege, nämlich von Süden herauf, sondern es musste aus dem Südwesten und aus dem Westen, also auf Umwegen, nach Deutschland eindringen, so dass wir der Unzugänglichkeit der deutschen Alpen es zu danken haben, wenn unsere Sprache sich siegreich behaupten durfte.

Mit dem Wachsthum bürgerlicher Gesittung in Nordeuropa veränderten sich allmählich Werth und Würde der geographischen Gliederungen. Die Ströme wirkten städtebildend, Gewerbe und Handel blühten und die nördlichen Mittelmeergestade erhielten jetzt, was sie vorher nur schwach besassen , ein staatswirthschaftliches Hinterland. In dieser Zeit erneuert sich die Blüthe von Marseille, wird Barcelona ein Platz ersten Ranges, erhebt sich etwas später Sevilla und entsteht die Seemacht von Genua, welche nach Ueber- wältigung Pisa's die Herrschaft auf dem Mittelmeer anstrebt. Um aber alle diese Schöpfungen zu verdunkeln und alle Nebenbuhler zu überleben, war in unvergleichlicher Lage, nämlich in der Ver- tiefung des adriatischen Golfes, als dessen verlängerte Axe wir das Rothe Meer, den ältesten Seeweg nach Indien, betrachten dürfen, Venedig gegründet worden, dem zuletzt das Uebergewicht zur See verblieb.

Wenn damals der Südrand Europa's als die am meisten be- vorzugte Gliederung des Erdkreises erschien, so sollten die italieni- schen Seemächte selbst eine Wendung herbeiführen, welche die culturgeschichtliche Bedeutung dör Umrisse Europh*s gänzlich ver- ändern musste, ja wir können sogar die Zeit streng bezeichnen, in welcher der Glanz der Mittelmeerufer zu erbleichen begann. Im Jahre 1318 brachten zuerst venetianische Galeeren indische, das heisst morgenländische Waaren auf dem Seeweg durch die Meer- enge von Gibraltar nach dem Markte von Antwerpen. Wohl waren einzelne Fahrzeuge früher diesen Weg gezogen, allein wegen der See- und Piratengefahr musste bis dahin kaufmännisch die Ver-

556 I^ie mittelländische Race.

frachtung zu Lande dem Seewege vorgezogen werden. Mit jenem nautischen Fortschritt wurden die Schiffer hinausgeführt in den atlantischen Ocean. Fast unmittelbar erfolgte darauf die Wieder- entdeckung der Canarien und das Auffinden^der Azoren, letztere auf zwei Fünfteln des Weges nach Amerika gelegen. Nicht unbe- merkt zogen Mittelmeer-Seefahrer an Portugal vorüber, welches für oceanische Verbindungen unvergleichlich günstig gelegen war. Lissabon erhob sich zu einem Seeplatz ersten Ranges; die anfangs verzagten Portugiesen und Spanier übten sich an den afrikanischen Küsten für Fahrten auf der hohen See; eine neue Welt im Westen, ein ocean ischer Weg nach Indien wurden gefunden und während das Mittelmeer erst langsam, dann immer rascher hinabsank zum Charakter eines Binnensee's, genossen die höchsten geographischen Vergünstigungen fortan diejenigen Völker, welche an den Welt- meerufern Europa's sassen und deren nautische Anlagen nur eines Weckers bedurft hatten, je wichtiger seitdem mit jedem Jahr- hundert die überseeischen Gebiete, als ein verjüngtes und ver- doppeltes Europa, wurden, desto höher stieg der Rang der oceani- sehen Küsten.

So oft wir diese Lehren der Geschichte fest in's Auge fassen, vermögen sie uns immer auf's neue in Staunen zu versetzen. Wir erkannten zuvor, dass zur Renthierzeit die Umrisse unseres Welt- theils noch todte Vergünstigungen für seine Bewohner waren, wir überzeugten uns später, dass der älteste Aufschwung zu höherer Gesittung sich dort zutrug, wo unweit der Berührung von Afrika und Asien der Nil strömte, dass ferner zur Aufnahme morgen- ländischer Cultur der Südrand Europa's durch seine geographischen Gliedmaassen und Gefässe gleichsam vorsorglich ausgestattet wor- den war, dass aber diese Verrichtungen aufhörten, als durch eine Steigerung menschlicher Leistungen der Werth der gegebenen Naturverhältnisse sich änderte. Höher demnach als alle Umrisse von Land und Meer, als das höchste sogar, müssen wir die That verehren.

Diese geschichtlichen Erkenntnisse predigen uns den Satz von der Vergänglichkeit aller geographischen Vergünstigungen. In der Kette der Gesittungsgeschichte war das Mittelmeer bloss ein Glied, welches der stärkste Glanz nur eine begrenzte Zeit um- floss. So wird auch Europa selbst nur vorübergehend der Schau- platz der höchsten Leistungen des Menschengeschlechts bleiben

Die miltelländische Race.

557

können. Die alten Hellenen, als Bewohner von Inseln, scharf ge- schnittener Halbinseln, Landengen, durch Gebirge streng abge- schiedener Thäler und Landschaften , genossen alle Reize und Vorzüge der politischen Klein wir thschaft, günstig für Entfaltung geistiger Mannichfaltigkeit, hinderlich aber für grossere nationale Leistungen. So versanken sie in geschichtliche Vergessenheit, als ihre Zeit abgelaufen war. Ganz ähnlich ist Europa jetzt der schick- lichste Erdraum zur Ausbildung von Völkern . mit scharf ausge- geprägter Persönlichkeit. Es konnte kaum anders kommen, als dass Spanien, die britischen Inseln, Skandinavien, Italien, die illyrische Halbinsel, dass Frankreich mit natürlichen Grenzen auf drei und Deutschland mit natürlichen Grenzen auf zwei Seiten geschlossene Staaten oder Gesellschaften bilden sollten, selbst das europäische Russland erscheint uns als ein leidlich abgeson- derter Länderraum. Nur regt sich die Besorgniss, ob die Ent- wicklung einer Mehrzahl stark individualisirter Völker nicht bald so kleinlich erscheinen möchte wie das Sonderleben von Athen, von Lakedämon, Korinth und Böotien erschien, als die Zeit für grössere geschichtliche Schöpfungen eingetreten war.

Im Westen von uns in einer Welt, der eine alte und alternde gegenübersteht, auf Gebieten zwischen zwei Oceanen gelegen, er- füllt ein junges Völkergemisch bald den Raum eines Festlandes, das leicht die dreifache Einwohnerzahl China's , nämlich looo Millionen, ernähren könnte, wächst eine neue Gesellschaft auf, alle Jahrzehnte ihre Kopfzahl um ein Drittel vermehrend, so dass sie voraussichtlich das zwanzigste Jahrhundert mit loo Millionen an- treten wird. Wenn dermaleinst auf jenem Schauplatz höhere Aufgaben gelöst •werden, dann müssen die Völker Europa's aus dem geschichtlichen Vordergrund zurücktreten. Sobald bei uns die Sonne im Mittag steht, röthen ihre ersten Strahlen die Küsten- landschaften der neuen Welt. So ist es auch mit der mensch- lichen Cultur. Europa steht jetzt im Mittag ihrer Bahn und drüben dämmert bereits der Morgen. Die Sonne aber rückt weiter, sie steht nicht gefesselt wie auf Joshua's Geheiss, und wie die Gliederungen unseres Welttheiles, geologisch aufgefasst, nur eine flüchtige Er- scheinung sind, so wird auch ihr sit.tengeschichtlicher Werth dem Loose alles Vergänglichen sich nicht entziehen können.

Appendix A.

Schädelmessungen aus Welckers Kraniologischen Mittheilungen.

Arch. für Anthropologie. Bd. i. S. 157. Länge des Schädels 3= xoo.

I.

Carolineninsulaner

Neu-Caledonier . Australneger

Papuas . . . Neuseeländer

Alfurus . .

Insel Bligh . .

Marquesasinsulaner Nicobaren . . , Tahitier . . , Chathaminsulaner Sandwichinsulaner

II.

Dajaks . . Balinesen . Amboinesen Sumatraner Macassaren Javanesen . Bu^inesen .

70,77|+ 7

70 75+ 5 73'7Ö+ 2

73 76-1- 3

7479'+ 5

74;79'+ 5

7476 + 2

7478!+ 4

75'80'-|-. 5

76 79' f 3

77 8l'-u 4

1 1 ^'

75 77;+ 2

76 77|+ 1 77,77,+^/ 77,78!+ 1 ,78 78Uo,* 79 80]+0,* 7980+0,*

Menadaresen . . Maduresen . .

111.

Moravi-Neger . . Sennaar und Darfur Ashantis . . . Kaffern . . . Donko-Neger Hottentotten , . „Neger" . . . Mozambique-Neger Sudan-Neger . . Südguinea-Neger .

IV.

Abessinier . . Fellahs . . . Neuägypter Araber . , . Aegyptische Mumien Cabylen . . .

«'S

PQ I X

82 82_o,.

68,74,-1- 6

68 721-j- 4

69 75;4. 6 69|74-1- 5 ■69|76-^- 7 69|70-|- 1

7073-}- 3

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74j75 75,75

-1-0.

4-0,«

Appendix A.

559

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X

a

s

Guanchen . Juden . . .

V.

Rajputs .... Lepchas . . . Ganges Mussalmans „Hindus" . . , Thakürs . . . Sikhs .... Bhots aus Tibet . Kashmiris . . . Mittel a. 4 Hindukast. Bhils, Gods und Kols Nagas und Khassias Bais . . Singhalesen * Gorkhas Brahmanen Sudras . . Himalaya-Bhots Zigeuner . .

VI.

'75 72 78 71

3 7

66 72+ 6

69 73-1- 4.

69 72-1- 3

70 75-f- 5

70 74+ 4 ,7175+ 4 72 75 + 3

I7273+ 1

72 73 + 1 73175;+ 2 7374+ 1 7373+0,3

73 77 + 4

74 74 + 0,5

74 74 03, 7573— 2

'7575J— 0,4

'76 74!- 2

Sion .... Schweden . . Holländer . . Urk und Marken Engländer Isländer . . Dänen . . Schweizer . . Bündner . .

175 72 7571 75 71 7670 7673

7671, 76,71. 81 75

85 77

3 4 4 6 3 5 5 6 8

vn.

I

Hannoveraner . 77 72

Gegend von Jena 77 72,

Holsteiner . . . 77 71

Bonn und Köln . 77 72

I

Oesterreicher . |79 75

Hessen . . . |7972

Schwaben . . . 79 73

Gegend von Halle '80 74

Baiern .... 18O74;

Franken . . . |80|73'

Breisgauer . . . 80 73

vui. I I

Letten .... |75 72

Neugriechen . . |77 74

Serben .... 7976

Kleinrussen . . 79 75

Polen . . . .' 7975,

Rumänen . . , ,8076

Grossrussen . . 80 77

Ruthenen . . . ,8077

Slowaken . . . |8176

Croaten . . . 82 78

Czechen . , . J82 76

IX. ; I

Irländer ... 7370

Altrömer ... 7471

Spanier . . » . 74 73

Altgriechen . . 75 74'

Schotten . . . 7673

I

Portugiesen . . 76 75

Italiener . . . 79 75

Franzosen ... 79 75

5

5

6

5

4

7

6

6

6

7

7

3

3

3

4

4

4

3

3

5

4

6

3

3

1

1

3

1

4

4

560

Appendix B.

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4)

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oi

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1-1

rS

£

X.

Ehsten .

Japanesen

Chinesen

Tataren

Finnen .

Magyaren

Baschkiren

Kalmüken

Tungusen

Türken ,

|75 74— 1 i76 75— 1

7678 4- 2 77,76— 1 79 75— 4 8076— 4 8076— 4 |8li74[— 7 81i7l'— 10 l8278l— 4

Lappen ... . Buräten . . .

XI. Eskimos . ' . . Brasilianer . . . Mexicaner ... Nordam. Indianer Patagonier . . Nordwestamerikaner Cariben . . . Altperuaner . , Flatheads . . .

82 73 9

83 76— 7

I

I 70 74+ 4

74 75+ 1

76 78+ 2

77 75— 2 80 77— 3 80 76— 4 80 74— 6 95 87— 8

100 87 13

Appendix B.

^ Schädelmessungen aus Barnard Davis' Thesaurus cramorum.

P- 352—359.

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Indices

Indices

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s= xoo.

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Länge = xoo.

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3

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TP-»

1 1

Alte Römer und Ro-

1

Europa.

1

mano-Britanier .

43 76 73

Alte Britahier . ,

17 79 71

Angelsachsen . .

36 76 72

Alte Britanier . .

81 79 75

1

Angelsachsen . .

1175 74

Alte Britanier . . 1

i

146; 77 75

Engländer -. . .

39 77 ' 73

Alte Schotten . . 1

7' 79 72

Irländer . . . . |

3175

71

Alte Romano-Britanier

14 76; 71

Merovinger Franken

5i74

75

Alte Römer und Ro-

1

Franzosen .. . ,

26 78 ' 73

mano-Britanier

8i

76'

70

Spanier ....

5

78

74

AppeiKfix B.

56t

Italienische Alt-Römer

Ligurier

Italiener

Lappen

Schweden

Friesen

Amsterdammer

Niederländer

Preussen

Deutsche

Finnen

Russen

Türken

Asien.

Hindu hoher Kasten

Hindu

Hindu niedrer Kasten

Hindu

Hindu '

Mohamedaner Indiens

KhondstAmme

Nepalesen

Leptschas

Bodos .

Bod-dschi

Mischmi

Thai

Chinesen

Afrika.

Berber

Guanchen

Neger

Peschel, Völkerkunde.

8 76 77

4 85 79 7 75 73

9 80 73 12 75 72

5 78 73 579.74

23 80 73 880I74 2 79 71

8 82

10 78

3:84

78 73

78

6. 75 78

3 20 27 54 22 2 6 13

75 75

76 75 75 74

78 74 76 75

73 74

76 76

77 77

121 76. 78

14

3 6

76

78 ,84 2li76

75

79 87 79

4 22 17

73 75 73

74 74 74

Dahomeneger , .

Ibo-Xeger . . .

Jorubaneger . . . Aequatonalstämnie

Hottentotten . . .

Zulukafim . . ,

Buschm&iner . .

Amerika.

Eskimo, ösüiclie Eskimo, westliche . Eskimo, grönl&ndische .

<

Araukanier . . . :

12 72 73 373 77 4 69 74

17 76 70

3 76 73 472 76

4 73' 72

I I ! ! i 6|72|75

475I77

10 "ji ; 75

7 80

80

Australien. | Australier . . , Tasmanier . . . .

Oceanische Völker

Sumatraner . . . Javanen .... Maduresen . . . Eingeborne v. Celebes Dayaken . . . . j Bisaya . . , . I Negrito .... Papuanen . . . ! Salomonen Insulaner ,

Neu-Kaledoniör . . ;

I

Eingeborne der neuenj Hebriden . . . , Maori .... Marquesas-lnsulaner Kanaken ....

15 71 73 10 74 74

7 76 78

25 81 80

7 81 81

6 79179

14 8 3 3 3

77 80

80 79

77I77

9

7

27

77 72 70

72 75

78

77 76 79

77 80 77

ii6i80 81

36

tarnen- und Sachregister.

Abchasen 540.

Abessinier 531.

Abiponen 27. 90, 470.

Acka 86. 490.

Adige 540.

Adiya 5po. '

Aegypten, Nilablagerun- gen 46 ; Altägypter (Retu) 519 ; Kultur 521.

Acta 360.

Affe» Greifüiss, Stimmen- werkzeuge , Gebiss, Gehirn i.

Afrika 223. 505.

Agassiz 15 Anm.

Agglutination 124.

Ahnendienst 272.

Ahtna 448.

Ahura 295.

A-imaq 405.

Aino lOl. 400. 414.

Akim 500.

Akkadische Keilschrift

533. Akra 500.

Akuscha 539.

Akwambu 500.

Akwapim 5CK).

Albanesen ( Amanten )

543. Aleuten 424.

Alfuren 360.

Algonkinen 448.

Aliaska 221. Allah 317. Altftier 402. 412. Altäthiopische Sprache

534. Amaziken 518.

Amerika, Eingeborne 22. 428 ; Sprachen 30. 127. 433; Jägerstämme im nördlichen Festlande 447, in Südamerika 504 , Cultur - Völker Nordamerika*s 465.

Amharische Sprache 534.

Angekok 420.

Angolaneger 499.

Annämiten 384.

Anthropophagie 165.

Apachetas 25.

Apatschen 448.

Appalachen 463.

Araber, Seefahrer 205; vorislamische Reli- gion 205 ; Schädel- bildung 530; Sprache

534.

Aramäer 532.

Araucaner 208. 469.

Areoi 377.

Arier, asiat. u. europäi- sche 540; europäische 542; arische Sprachen 131; Urheimat 545.

Ariman 296. Arkan^a 449. Arm 88. Armenier 541. Arowaken 45 f. Arphakschad 531 Artenbegriff 7. Ashanti 500. A«siniboin 449. Assyrisch - babylonische

Sprache 532. Atavismus 68. Athabasken 448. Auerhahn 44. Auferstehungs - Lehre,

christliche 308, Wo-

hammed*& 317.

Augenschlitze 79.

Ausdünstung 92.

Ausleger 375. Australien, Thierwelt 32;

Entdeckung 221; Au- stralier 293. 338-

Avaren 539.

Awghanen 541.

Awläd Abu Simibil 5'^-

Aymara 431. 469.

Azteken 465.

Babylon 306; ChaltlJer 533-

Baian 500. Bagrimma 503. Baidarken 424. Ba-kde soa Bambara 500. Banane 441. Bantn 279. 499. Bari 504. Bartwuchs 100. Baschkiren 412. Basianen 406. Basken 26. 539. Bastarderzeugnngen 11. Batta 379. Batninseln 381. Baukünste 185. Baumdienst 26L Baumwolle 183. Bau-wau-Theoric 109. Bedscha 519. Behaarun«; 100. Bekleidung 175 , Bc-

kleidungsstoffe 182. Bellanda 504. Belutschen 485. 541. Benga 500. Bengali 540. Beni Amer 519. •Berber 518. Beringsstrasse 428,

-Völker 415. Bernstein 226. Berthät 505. Beschneidung 23. Besitz 250. Betonung iii. Betschuanen 99. 499. Bewaffnung 188. BhUla 484. Biberindianer 448. Bimbaumtheurie 109. Birma 121. Bisaya 382. Bischarin 519. Bison 453. Blasebalg , malayischer

378.

Namen- and Sachregister.

Blasrohr 192. Blvmenbach 8. Blutrache 247. Blutschande 322. Bodhisattvas 289. 291. Bogda-Lama 291. Bogen 189. Bohr 504. Bongo 504. Botocuden 152. 451. Brachycephalen 54. Brahma 282; Brahma-

nen 282. 284. Brahui 484. Brasilien 223. Britannier, alte 225. Brotfruchtbaum 160. Buckle 325. Buddhismus 285. Buginesen 382. Bulgaren 409. 542'. Bumerang 350. Bunda 499. Burjäten 404. Buschmänner 83. 148.

488.

Caddo 450. Califomien 220. Calori 73. Canaaniten 531. Canarische Inseln 29. Cara 469.

Cariben 192. 214. 451. Caribu 42. Carpentaria - Halbinsel

341. Carthager 224. Cayuga 449. Gelten s. Kelten. Ceylon 378. Chaldäer 533. 536 ; nesto-

rianische Christen 532. Chajrma 430. Chibcha 468.

Chinesen 22. 118. 319. 384. Chinwan 377. Chocolade 550. Christenthum 308. (Jiva 293, Clalam 425. Coco 4SI.

CoUa 469. Comantschen 46^^. Confutse 393. Coroados 431. 451. Cowi&diin 425. Crans 450. Cren 450. Cuvier 8. 20.

Dacota 449. Dalai Lama 291. Damara 454. Dankali 52a Darwin, Charles, Dogma

Dasein, Kampf um, t6.

Dattel 329.

Dayaken i6. 57. 3^6.

379. 382. Delawaren 449. Denken, sprachloses 105. Deutsche, Schädel 58. Deva 295. Digger 465. Dinge 346. Dinka 504. Disentisschädel 70. Djalin 534. Doko 490.

Dolichocephalen 40. 54. Dravida 125. 483. Dreiviertelheirathen 230. Dschengel 484. Dualistische Religionen

291. Dualla ,500. Dunkelung d. Haut 94.

36»

564

Namen- und Sachregister.

Ebenmaass 86.

Ebioniten 318.

Eden 35.

Ehe 227.

Ehsten 4IT.

Einv^erlelbungsverfahren der amerik. Sprachen 127.

Eiowä 449.

Eiszeit 43.

Ehtyly 534.

Elfenbein 224.

Elliab 504.

Elobim 300.

Eloikob 521.

Ein 486.

Eng^keräkmung 153.

Erdbeben 325.

Eränier 295. 540. ,

Ernährung 169.

Eskimo 21. 61. 418; alias- kische 423. s. Innuit.

Etruskische Sprache 543,

Euphrat 535.

Europa, Culturschätzung 546.

Europäer, Schädel 70; europäische Völker- stämme von unbe- stimmter Stellung 538.

Euscaldunac , Sprache das Euscara 539.

Ewhe 500.

Fahrzeuge 202. Fanti 5c». Fellähin 13. 61. 519. Fetisch- Wesen 258.

Feuer 139.

Feuerbohrer 143.

Feuerland, nordische Ge- wächsarten 33 ; Be- wohner 151«

Fidschipapuanen 366.

495-

Finnen, Gliederung 409 ; eigentliche Finnen 410; mongolische Ra- cenmerkmale 409. 411.

Fischerei 164.

Flachköpfe 23.

Flösse 206.

Formosa 377.

Frauen , Becken 80 ; mittlere Körpergrösse 85; Frauenraub 234.

Fruchtbarkeit, der Menschen 9.

Fulbe 501.

Fundj 504.

Furlanische Mundart

543.

Gabeln 174.

Gaelische (gadhelisclic)

Mundart 543. Galla 520. Garamanten 519. Gattanewa 374. Gauss, Gehirn 65. 71. Geberdensprache IIT. Gebet 281. 312.

Ge'ez 534.

Genesis, Völkertafel 531. Georgier (Grusen) 540. Germanische Sprachen

132. 542.

Gehirn, Grössen Verhält- nisse des Gehimschä- dels 49; das mensch- liche Gehirn 63; Ge- hirnwindungen und Gehirnrinde 65 j Him- gewicht 67; Gehirn - messungen 69; weib- liches Gehirn 71.

Gemeindehäuser 186.

Geographen , arabische

332. G^s 450.

Geschlechtsleben , der Vorzeit 239.

Geschlechtsreife 227.

Geschlechtsunterscheid- ung 128.

Gesichtsschädel, -winkcl,

74. Gewürze 222.

Gifte 193. Giljaken 414. Glieder , Maassverhält- nisse 87; obere 88. Gnadenwahl des Islam

321. Goethe 7. Gold 218. Gond 486. Gorilla, Fusswurzel-

knochen i ; Gehirn 67. Gothen 542. Gottesgericht 279. Guancben 96. 518. Guarani 450. Guaycuru 450. Guck 451. Gueren 451. Gynäkokratie 244.

Haar, Farbe 95 ; Gestalt 97; Leibhaar 106.

Hadendoa 519.

Hadyth 322.

Hängematte 550.

Haidah 415.

Hailtsa 425.

Hamiten, Gliederung 5x8; Culturentwickcl-

ung 521. Handel, Einfluss 217. Hanf 183. Hanyfe 318. Hassanieh 520. Hansa $02.

Namen- und Sachregister.

565

Haut , Schichten 90; Farbe 91, Einfluss der Polhöhe auf die Haut- färbung 93.

Havai, Besiedler 373.

Havaiki 374.

Havila 531.

Hazareh 405.

Hebräer 532; s. Juden.

Heitsi-Eibib 494-

Hellwerden, der Haut 94.

Herero 499.

Hetärismus 238.

Hexenprocesse 283.

Himyaritische Sprache

534. Himmelsverehnmg 268.

Hindu 13; Hindi 540.

Hipparion 20.

Hippolyt 266.

Htt, Erdpechquellen 535.

Hiuenthsang 289.

Hohbergtypus 70.

Höhlenbewohner 3q; Höhlenfauna 41.

Holland 327.

Hosen 184.

Hottentotten, halbblütige 10; Grrösse 82; Kultur 488; Hottentotten- schürze 489. s. Koi- koin«

Hova 378.

Hügelbauer 455.

Huillitschen 431, 469.

Hund 103.

Hundsrippenindianer

448. Hupah 448. Huronen 449.

Jagd 191. Jahve 300. Jakuten 22. 406. Japanesen 400. Jayanen 387.

Ibo 500.

Jenissei-Ostjaken 413.

Igname 441.

Iliglink 422.

Illinois 449.

Inca 469.

Indien , Reichthümer

222; indische Religion

und Kultur 284. 326;

indischer Ocean 34 ;

brahmanische Indier

540.

Indoeuropäischer Stamm 5 40 ; Racenmerkmale 543; Ursitze 544.

Innuit 418. 434.

Inselgesellschaften 212,

Jochbogen, Hervortreten als Merkmal 79.

Joloffer 501.

.Iraya 381.

Irokesen 449. 463.

Iron 541.

Islam 318.

Island , erste Ansiedler 28; Isländer 542.

Isubu 500.

Italier, Sprachen 543.

Itelmen 416.

Juden, Geburtenverhält- nisse 230; Monotheis- mus 299; Schädel 530; Sprache 532; schwarze

. Juden 13. Anra.

Jukagiren 413.

Jurak 412.

Kababisch 520.

Kabylen 518.

Kadschaga 502.

Kafim, Körpergrösse 82 ; Haarverfilzung 99 ; Ge- biet 499.

Kaljuschen 425. ^

Kalka 404.

Kalmüken 404.

Kamassinzen 412.

Kamtschadalen 416.

Kanaken 373.

Kannadi 486.

Kansas 449.

Kant 14 Anm.

Kappadoder 541.

Karagassen 412.

Karakalpaken 406.

Kanuri ^03.

Karduchen (Kurden) 541.

Karelen 410.

Karen 384.

Karthuhli 540.

Kaschmiri 540.

Kasikumüken 539.

Kastenbewusstsein 134.

Kaukasier, unpassender Name 517 ; Völker zwischen Kaukasus u. Antikaukasus ,540.

Kayaken 422.

Keilschrift , erster Gattung 541, zweiter 533; dritter 532.

Keiowäh 450.

Kei-)(^hous 493.

Kelten 212.225. 543. 550.

Kenai 448.

Khomen 384.

Khond 486.

Khyeng 383.

Kieselgeräthe 37.

Kirgisen 406.

Kisten 540.

Knistino 449.

Knochenhöhlen 38.

Koibalen- 412.

Koi-koin 102. 488. 40T.

Koluschen 425.

Kolh 484.

Kongo 499,

Konjaken 423.

Kopten 61. 519.

Koradschi 353.

Koreaner 400.

566

Namen- und Sachregister.

Koijäken 417. Körpergrössc, alsRacen-

merkmal 81. Kreuzköpfe 50. Krewinen 411. Kri 449. Km 5<x). Kuangola 499. KüchenabföUe 44. 164. Kumüken 406. Kupfenninenindianer

448. Kürinen 539.

Kuschiten 531. Küssen 246. Kwänen 411. Kwanto 384. Kymrische Mundart 543.

Ladinos 10. Lamuten 403. Laotse 394. Lappen 411.

Lateinische Sprache 543. Laute, g[egliederte der

Affen 3; Lautarmuth mancher Sprachen T17.

Lazen 540.

Lederhaut 90.

Lemuria 35.

Lenguas 450.

Leni Lenape 449.

Leptscha 383.

T^sghier (Lekhi, Leksik)

539i ,

Lettoslavischer Ast 542.

Lipani 448.

Litthauer i;42.

Liven 411.

Ix)we 443.

Luoh 504. ^

/

Maba 503 J Macassaren 382. Macusi 451.

Madagaskar 378.

Magier 295.

Magyaren 409,

Malali 431. 4 51.

Malayalam 485.

Malayen, Verbreitung 29. 212; Körpergrosse der asiatischen und poly- nesischen Malayen 83; malayische Sprachen I2T. 369; Heimat 370 ; Malayen im engsten Sinne 382.

Malayochinesen , Racen- merkmale 382.

Malayenkuss 24.

Malemuten 423.

Mandesprachen 501.

Man daner 449.

Mandingo 500.

Mandschu 403.

Manioc Wurzel 458.

Maori 374.

Marathi 541.

Märchen 330.

Marco Polo 387.

Marquesas 373.

Masai S2i-

Mavila 464.

Matlazinken 468.

Matrosen , Gliedmaas sen 88.

Mauer, chinesische 396.

Maya 468.

Maypures 451.

Medicinmänner 275.

Melanismus 91 Anm.

Menangkabao 379.

Menitärri 449,

Menomennie 449.

Mensch, Stellung in der Schöpfung I ; Gebiss 4; Arteneinheit des menschl. Geschlechts 7; Schöpfungsheerd d. A^nschengeschlechtes 28; Alter d. Menschen*

geschlcchtes 37; Kör- permcrkmale der Men- schenracen 49 ; Sprach - merkmale 103 ; Ent- wicklungsstufen 137 ; Menschenracen 337 ; Menschenopfer 168.

Mergel, Düngemittel 550.

Meschtscherjäken 412.

Mesocephalen 57*

Mexico 327; Sprache der Altmexicaner 127.

Mganga 275.

Miaotse 383.

Mienenspiel in.

Mikrocephalen , Gehirn 68.

Mikronesier 380.

Mincopie 150. 362.

Mingrelier 540.

Miranhas 45T.

Mithra 298.

Mittellandische Race 517.

Mixteken 468.

Mizdscheghen f;39.

Mohammed, Lehre 317-

Mohawk 449.

Mohikaner 449.

Monbnttu 504.

Mongolenrace, Merkmale 369 ; die mongolen- ähnlichen Völker im Norden der alten Welt 401; wahre Mongolen 402.

Monotheismus 299.

Moqui 465.

Mordwinen 410.

Morton 15 Anm,

Mose 300.

Mpongwe 499.

Mulatten , angebliches Aussterben 9.

Munda 484.

Mundrucu 451.

Mungku 404.

Muras 458.

Namen- nnd Sachregister.

567

Müskogie 499. Mnsqnakkie 449. Mntterrecht 245. Maysca 468.

Nuchr 504. Nuffi 500.

Nahak 276.

Nahrungsmittel , Zube- reitung 158.

Nachtschuoi 539.

NahuatI 434. 465.

Namensaastausch 25.

Namollo 418.

Nano 499.

Nase 79.

Natchez 450.

Naturkrafte, Verehnmg 266.

Navaios'448.

Neanderthalschadel 41.

Neffenerbrecht 245.

Neger , Hautfarbe 91 ; Haarbekleidung loi ; Sitze , Gliederung, Kultur 497.

Negrito 361.

Neugriechen 61; Sprache

543. Neupersische Sprache

541. Niamniam 520.

Niasinseln 381.

Nil 527.

Nimrod 533.

Nipali 540.

Nirv&na 287.

Nogaier 406.

Nordamerika, Thier- und Pflanzenwelt 33; Ur- bevölkerung 428 ; Kul- turvölker 465.

Nordasiatische Sprachen

123. Norweger 207. Nuba 504.

Oberhaut 9a

Oberschenkel 87.

Obongo 85. 489.

Obrigkeit 252.

Obsidian 200. 460.

Odschi 500.

Odschibwäer 449.

Oezbegen 406.

Omaha 449.

Oneida 449.

Onomatopoetica 108.

Onondago 449.

Opferdienst 281.

Orang, Auftreten 3 ; Ge- hirn 66 ; Längenver- hältniss des Vorder- armes zum Oberarm 89.

Ore Manoas 451.

Orija 540.

Ormuzd 296.

Orotschonen 403.

Orthocephalen 57.

Ortsnamen, Entstellung 105.

Osagen 449.

Oskiche Sprache 543

Osmanen 406.

Osseten 541.

Osterinsel 371.

Ostjaken 409.

Ostmongolen 404.

Ostseeünnen 41t.

Otomi 468.

Ovambo 499.

Paduca 450. Paharia 486. Pah Utah 465. Palaeotheriura 2(v Palauinseln 380.

Palmen 159. 458; Palm- weinbereitung 370. Pamptico 449. Panthay 324. Papier, in China 388.

Papuanen , Verhaltniss zu den Australiern und Tasmaniem 340; au-, stralische Papuanen, Kennzeichen 358 ; Sprachen 362; asiati- sche Papuanen 360.

Paradies, biblisches 35 ; Mohammed's 321.

Paramuschir 414.

Parexis 450.

Patagonier 208. 469.

Paumotuaner , Schädel 58; Sprache 374.

Pavian, Nahrung 163.

Pawnie 449.

Pehlewi 541.

Pehueltschen 470.

Pehuentschen 469.

Pelota 208.

Pelzthiere 221.

Pendschabi 541.

Permier 410.

Pfafteninsel 28.

Pfahlbauten 45.

Pfeifen 256.

Pfeile 189.

Phaedra 266.

Phönicier 205.

Phrygier 541.

Piraten 214.

Pinalua 241.

Pisang 160.

Polen 542.

Polhöhe 93.

Polyandrie 230.

Polygamie 230; der Mo- hammedaner 320.

Polynesier , Schädel - messungen 58. 380. Bewaffnung 189 ; poly- nesische Malayen 370;

568

Ausbreitung 371; Kul- turgrad 375 ; Gesell- schaftsstufen 377.

Poragi 450.

Praeexistenzlehre , Alter

310. Preussen 542. Prognathismus 74. 78. Projection des Schädels

75; Pueblos 467.

Puris 451.

Puschtaneh 541.

Qahtftniten 534. Qorän 318. Quich* 468. Quichua 469. Quippuschrift 478.

Ramses, Kopf 14; Ram- sesbild 46. .

Rapa-nui 371.

Reis 162.

Reizmittel , narcotische 170.

Religion 255; Zone der Religionsstifter 332.

Riccara 449.

Renthier 39. 41. 454-

Römer 554.

Rumänische Sprache

543. Russen 542.

Saigaantilope 40. Salz 175. Samaritanische Sprache

532- Samojeden 402. 412.

San 488.

Namen- und Sachregister.

Sandeh 504.

Sanhadscha 518.

Sänkhjaphüosophie 284.

Santal 484.

Saros 537.

Sarten 407.» *

Sattelwinkel 76.

Satzbau n9.

Sauk 449.

Scarabäus 103.

Schädel, Grössenverhält- nisse $0; Messver- fahren 54; Breitenin- dex 56; Höhe 62; Schädelraub 379.

Schamanismus 274.

Schamgefühl 176, ,

Schara 404.

Schawnie 449.

Schilluk 504.

Schimpanse, Auftreten 3.

Schkipetaren 543.

Schlangenanbetung 263.

Schleuder 197.

Schoschonen 465.

Schreilaute iio.

Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes 28.

Schua (Schiwa) 534.

Schuhe 184.

Schukurieh 519. 534.

Schussenried, Funde aus der Eiszeit 42.

Schwagerpflicht 24. 241.

Schwarzfusse 419.

Schwert 191.

Schyiten 322.

Seetüchtigkeit, Einfluis auf die Entwickeluug der menschlichen Ge- sellschaft 202.

Seldschuken 406.

Seminolen 449. 463.

Semiten, Sprachen 130; Merkmale, Gliederung u. s. w. 530.

Semang 362.

Senekä 449.

Sererer 501.

Shiol 309.

Siamesen 383; Sprache 121.

Siaposch 541.

Sidon 531.

Sinai 334.

Sindhi 541.

Sinear 535.

Singhalesen 486.

Sionkopf 71.

Sioux 449.

Sirjänen 410.

Sittlichkeitsbegriffe 294.

Skandinavier 542.

Sklaverei 253. 315; Skla- venhandel 224.

S.aven 59. 542.

Slovaken 542.

Sojoten 412.

Somali 520.

Sonnendienst 264.

Sonorische Sprachfamilie 465.

Sonrhay 502.

Soso 500.

Speiseverbote , Moham- meds 320.

Sprache, Entwickelungs- geschichte 103 ; Um- wandlungen 106 ; erster Sprachanfang 108 ; Reichthum d. Sprache 115 ; Sprachbau 117 ; Sprache als Clasaiü- kationsmittel d. Völ- kerkunde 30. 133.

Steindienst 259.

Steinklingen, nicht durch, bohrte 45.

Stimmwerkzeuge 17.

Stockfisch 219.

Strafrecht, römisches 230.

Suaheli 499.

Suawua 519.