0083640 1 Ener ER he} I us Ha .. ! “ * v Kerr RI INN b N RR 4 LEEREN Warren ar vb Lane ' ee DEE BEE EET SEI EEE TEEL IS EE SE a 5 “ x N iR 22) vu DEN Hr EHNENE anne * ways hhl Be DENE IE DU Tann acer EEE TR 72T ARMUT * bitenele |) vr rare da a tee ati “ PETE rn ame al Meta, net a} DT ET En I E v DE ER I MU I SE ELITE IL EEE IL EEL TEE EI RITTER TE STIEFEL ST FI TE} EC ER EC EEE IE LE “ wre a BER BSR 1b: RL RL 5 DELL “- Tune a nme ’ eenmne Far: ie ShN ws erh DEREN RER wi URN Musaene ruhe wre ee “ RE DICH te et . LIEBE PP Alttarenee RS LH ER wiyten Kann ER TEN gi ER ILRL HET Een TEE TE a He EL HELLER er TH wuiH Er v f . R ren EEE { vier . ’ ö . 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PROFESSOR DER HYGIENE AN DER UNIVERSITAT GRAZ MIT 21 ABBILDUNGEN IM TEXT DRITTE ERWEITERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1910 \5 IN AR x MAY 111971 %, S PErsiy ut > Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1910 by Gustav Fischer, Publisher, Jena. Weimar. — Druck von R, Wagner Sohn. Vorwort zur zweiten Auflage. In wesentlich erweiterter Form tritt dieses Buch zum zweiten Male vor seinen Leserkreis. Die mannigfaltigen Fortschritte, welche die Immunitätslehre seit dem Erscheinen der ersten Auflage aufzuweisen hat, haben nicht nur eine große Anzahl von Zusätzen und Einschiebungen nötig gemacht, die nach Möglichkeit organisch mit dem vorliegenden Text verbunden wurden, sondern haben es auch als zweckmäßig er- scheinen lassen, einzelne besonders wichtige Fragen aus dem bisherigen Zusammenhang zu lösen und in selbständigen Kapiteln zu behandeln. So wurde den Opsoninen ein besonderer Abschnitt gewidmet; ein anderes Kapitel beschäftigt sich mit den physikalisch-chemischen Gesetzen der Agglutinin- und Präzipitinreaktionen, ein drittes behandelt die in jüngster Zeit so wichtig gewordene Lehre von der Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. Aber auch abgesehen von diesen durch die Fortschritte der Wissenschaft gebotenen Erweiterungen wurden noch eine Reihe von anderen Ergänzungen in das Buch aufgenommen, welche dem Leser einen Überblick über die wichtigsten Anwendungen der Immuni- tätslehren verschaffen sollen. Demgemäß wurden in je einem weiteren Kapitel erstens die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie besprochen, dann die immunodiagnostischen Me- thoden nach Prinzip und Ausführung in Kürze geschildert, und endlich gewisse Anwendungen der Immunitätslehren auf Probleme der Physiologie und Pathologie vorgeführt. Ich hoffe, daß das Buch durch diese Veränderungen nicht nur nach der theoretischen Seite vervollständigt und dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens angepaßt worden ist, sondern auch für den praktischen Arzt an Brauchbarkeit gewonnen hat, dem ja vor allem an der Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in therapeutisch oder diagnostisch verwertbare Maximen gelegen sein mul. — Schließlich möchte ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne Herrn Dr. Ausust RıiNTELEN, Assistenten der hiesigen medizinischen Klinik, der mich bei der Besorgung der Korrekturen in wirksamster Weise unterstützte, auch an dieser Stelle meinen besten Dank aus- gesprochen zu haben. — Graz, Februar 1909. Der Verfasser. Vorwort zur dritten Auflage. Obwohl seit dem Erscheinen der letzten Auflage nur anderthalb Jahre verstrichen sind, haben sich doch auch diesmal wieder zahlreiche Änderungen, Zusätze und Ergänzungen als notwendig erwiesen, die den Umfang des Buches nicht unerheblich vermehrt haben. Besonders war es das Kapitel über die Anaphylaxie, das eine gründliche Umarbeitung und Erweiterung erfahren mußte. Denn gerade in der jüngsten Zeit hat sich die Arbeit der hervorragendsten Immunitätsforscher mit be- sonderem Eifer auf dieses biologisch so interessante Gebiet konzentriert und ist es den vereinten Bemühungen tatsächlich gelungen, das Problem der Anaphylaxie wenn auch nicht endgültig zu lösen, so doch ganz wesentlich zu klären und seines anfangs fast mystisch anmutenden Charakters zu entkleiden. Aber auch eine Reihe anderer Kapitel hat mancherlei Änderungen und Zusätze erfahren, die zum Teil in der Ab- sicht gemacht wurden, bereits bekannte Tatsachen durch neue schlagendere Beispiele zu illustrieren, zum Teil durch die im Laufe der Zeit un- merklich eintretenden Verschiebungen des wissenschaftlichen Stand- punktes und damit der Perspektive bedingt waren, unter der altbekannte Phänomene sich dem forschenden Auge darstellen, zum Teil endlich den neuesten positiven Ergebnissen der Wissenschaft Rechnung tragen sollten. So hoffe und wünsche ich denn, daf3 auch die neue Auflage des Buches ihren Zweck erfüllen möge, dem Studierenden wie dem prak- tischen Arzte nicht nur zur Einführung in das weite Tatsachengebiet der Immunitätslehre zu dienen, sondern ihnen auch die theoretische Einsicht in die hier obwaltende Mannigfaltigkeit biologischen Geschehens zu vermitteln, die hieraus sich ergebenden Konsequenzen für Therapie und Prophylaxe der Infektionskrankheiten klarzulegen und eventuell auch die Grundlage und Anregung zu weiteren selbständigen Forschungen zu bieten. = Zum Schlusse spreche ich Herrn Dr. Ausust RinTELEn, der mich auch diesmal wieder bei dem Lesen der Korrektur in bereitwilligster Weise unterstützte, für seine Bemühung meinen besten Dank aus. Graz, Oktober 1910. Der Verfasser. Inhaltsverzeichnis. I. Einleitung. Bedingungen der Infektion. Bedeutung epithelialer Defekte IH. m IV. ® Energetische Fassung des Infektionsproblems . . . Wege der Infektion. Ausscheidung der Bakterien mit den Fäzes. Ausscheidung mit dem Harn. Ausscheidung durch intakte Nieren? Ausscheidung durch andere Drüsen. Ausscheidung durch die Milch- drüsen. Ausscheidung durch Sputum. Stäubcheninfektion. Tröpfchen- infektion. Übertragung durch Insektenstich. Einfluß der Austrocknung auf die Bakterien. Einfluß der Belichtung. Morbidität und Sonnen- scheindauer. Einfluß der Temperatur. Einfluß des Nährstoffmangels. Konkurrenz mit Saprophyten. Haltbarkeit im Wirtstier. Kontagiöse Krapkheiten.‘ Eiktogene Infektionen .. . >» . . .. ua ra ua, au Die Bakteriengifte. Mechanische Wirkung der Bakterien. Chemische Wirkungen der Bakterien. Nahrungsentziehung. Giftwirkung. Nach- weis der Bakteriengifte. Einteilung der Bakteriengifte. Ptomaine. Intrazelluläre Gifte. Bakterienproteine. Chemotaktische Wirkung. Tuberkulin. Endotoxine. PrEIFFERs Choleragift. Buchners Plasmine. MacrAaDyEns Endotoxine. Toxine. Toxine als Bakteriensekrete. Toxine und Fermente. Aggressine . up: : Verteilung und Lokalisation der Gifte im Organismus. Lokalisation der Giftwirkung. Speicherung der Gifte in den Organen. Einfluß der Blutversorgung. Selektionsvermögen der Gewebe. Speicherung durch physikalische Kräfte. Verteilungskoeffizient. Enruıchs Farb- versuche. Neurotrope Pigmente. Einfluß der Reaktion auf die Speicherung. Neurotropie und Lipotropie. Vitale Färbung. Theorie der Narkose. Fettlöslichkeit und narkotische Wirkung. Weitere Gründe für die physikalische Speicherung. Speicherung durch che- mische Kräfte. Verschwinden der Toxine aus der Blutbahn. Gift- bindung in vitro. Giftbindung und Giftempfindlichkeit. Entgiftung durch Giftbindung. Chemische Giftbindung und Antikörperproduktion. Giftwanderung im Nerven. Giftempfindlichkeit und Giftzerstörung. Schicksal der Gifte im Darmkanal. Entgiftung im Darmkanal. Wir- kung der Darmbakterien. Wirkung der Fermente des Darmkanals Inkubationsdauer. Virulenz. Inkubationsdauer der Giftwirkungen. Einfluß der Applikationsstelle des Giftes. Einfluß des Resorptions- weges. Inkubationsdauer und Körpergröße. Einfluß der Giftmenge. Unterschied zwischen Toxinen: und chemisch definierten Giften. Trennung von Giftbindung und Giftwirkung. Toxinwirkung. Akut wirkende Toxine. Inkubationsdauer der Infektionskrankheiten. Ein- fluß der Toxinproduktion der Bakterien. Einfluß der Zahl der Bak- terien. Einfluß der Vermehrungsgeschwindigkeit. Einfluß der Re- aktionsfähigkeit des Organismus. Virulenz. Virulenzbestimmung. Virulenzschwankungen. Anpassung der Bakterien an den Organismus. Virulenzabnahme bei Züchtung in vitro. Virulenzsteigerung. Tier- passage. Säckchenpassage. Virulenzsteigerung in vitro. Virulenz- konservierung. Virulenzunterschiede gegenüber verschiedenen Tier- Seite 20 37 VI. VII. VIIL. IX Inhaltsverzeichnis. spezies. Barrs Einteilung. Halbpe* iten. Methoden der Virulenz- abschwächung: durch thermische, du andere physikalische, durch chemische Mittel: durch Sauerstoffzufuhr. Fehlerquellen bei Beur- teilung der Virulenzabschwächung. Zusammenfassung 2 j Verhalten der Mikroorganismen im infizierten Tierkörper. Eingangs- pforten der pathogenen Keime. Fähigkeit, im Blut und in den Ge- weben zu wachsen. Beschaffenheit der Schleimhäute. Giftempfind- lichkeit der Schleimhaut. Sekundärinfektion. Mischinfektion. Lokale Schutzvorrichtungen. Ausbreitung der Infektion. Einfluß der Bak- terienmenge. Virulenz und Ausbreitung im Organismus. Ver- schleppung einzelner Keime. Lokalisation in bestimmten Organen. Lokalisation in geschädigten Organen. Kryptogenetische Septikämie. Bakterienzerfall. PrEırrerscher Versuch. Färberischer Nachweis des Bakterienzerfalls: Fuchsinfärbung, Methylenblaufärbung. Bedeutung des Bakterienzerfalls. Gefahren des Bakterienzerfalls. Schutzwirkung des Bakterienzerfalls. Phagozytose. . Die Phagozytose. Phagozytose bei Protozoen, bei Metazoen. Ein- teilung der Phagozyten. Motilität und Sensibilität der Phagozyten. Chemotaxis; bei pathologischen Vorgängen. Chemotaxis im Meer- schweinchenperitoneum. Phagolyse. Chemotaxis in der Blutbahn. Aktive und passive Leukozytose. Einfluß des Milieus auf die Phago- zytose. Phagozytose und Resorption. Aufnahme artfremder Zellen; von Erythrozyten, von Spermatozoen, von Bakterien. Intrazelluläre Verdauung der Bakterien. Aufnahme lebender Bakterien. Abtötung der Bakterien in Phagozyten. Verschiedenes Verhalten der Bakterien- arten. Phagozytose und Krankheitsverlauf. Einfluß der Virulenz. Phagozytose bei unempfänglicher Tierspezies.. Bedeutung der Phago- zytose. Phagozytose bei Opiumnarkose Er WE ES A Die bakteriziden und globuliziden Wirkungen der Körperflüssig- keiten. Bakterizide Reagenzglasversuche. Methodik. Deutung der Ergebnisse. Einfluß der Bakterienart. Einfluß der Aussaatgröße, des unbehinderten Serumzutritts, des Nährstoffgehalts, der Alkaleszenz, des Salzgehalts. Inaktivierung des Serums. Osmotische Theorie der Serumwirkung. Permeabilität der Bakterienmembran. Verhalten un und impermeabler Arten. Plasmolyse. Plasmoptyse. ermeabilitätsänderung. Osmotische Störungen beim bakteriziden Versuch. Permeabilitätsänderung im Serum. Buc#xers Alexintheorie. Alexine und Fermente. Hämolytische Serumwirkung. Hämolytischer Versuch. Inaktivierung hämolytischer Sera. Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse. Absorptionsversuch. Komplexer Bau des Hämo- lysins. Komplement und Ambozeptor. Gegenseitige Komplettierung der Sera verschiedener Tierspezies. Wirkung des Komplements auf arteigene Blutkörperchen. Schwierigkeit des Nachweises der kom- ee. Natur der Hämolysine. Komplexer Bau der Bakteriolysine. nterokinase. Komplexität des Schlangengiftes? Schlangengift- hämolyse. „Komplettierende“ Wirkung des Lezithins. Einfluß der Bindung des Lezithins in den Blutkörperchen. „Kobraambozeptor.“ „Kobragiftlecithid.“ Kobralipase. Rolle der Lipoide bei der Haemo- Iyse. — Komplexe Natur des Komplements. ittelstück und End- stück des Komplements A Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. II. Präexistenz der Alexine im Blut. Wirkung des Blutplasmas von Vögeln und Säugetieren auf Bakterien; auf Erythrozyten. Komplement im humor aqueus. Bakteriolyse im Unterhautzellgewebe; im strömenden Blut; in der Bauchhöhle „präparierter“ Tiere. Ursprung der Serumkomple- mente. Bakterizide Leukozytenstoffe. Rolle der Mikrophagen und Makrophagen. Fehlen hämolytischen Komplements in lebenden Leuko- zyten. Alexine als Sekretions- oder Zerfallsprodukte der Leukozyten. Chemische Natur der Komplemente. Serumwirkung beim infizierten Tier. Milzbrandinfektion beim Kaninchen. Serumwirkung in der Agone. Aktueller und potentieller Vorrat an Schutzstoffen. Parallelis- mus von Bakterizidie und Widerstandsfähigkeit. Dynamische Fassung der Alexintheorie. Absorption von bakteriziden Ambozeptoren durch Gewebe. Nutzen der Leukozytenanhäufung i Slnscisarık Seite 74 . 100 . 122 Inhaltsverzeichnis. vu Seite X. Die Opsonine. Mertschsıkorrs Stimuline.e Phagozytose in vitro. „Phagocytic count.“ Phagozytosebefördernde Stoffe im Serum. Inakti- vierung derselben. Absorption durch Bakterien. Opsonine. Spontane Phagozytose. WRrısHts Einteilung der Bakterien. Mehrheit der Serumopsonine. Spezifische Absorption. Virulenz und Opsonierbarkeit. Konstitution der Opsonine; Beziehung zu Bakteriolysinen; Bedeutung und Ursprung. ÖOpsonischer Index; bei Gesunden und Kranken; Op- soninbindung in vivo; ÖOpsoninarmut als Ursache der Infektion. Hebung des Index durch Bakterieneinspritzung. Negative Phase. WerıeHts Erfolge. Autoinokulation. Rückblick. Verlauf der Infektion 140 XT. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. Die Antikörper. Natür- lich erworbene Immunität. Aktive und passive Immunität. Immu- nisierung mit abgeschwächtem und abgetötetem Virus; mit Bakterien- extrakten. Aggressinimmunisierung. Applikationsweise des Vakzins. Folgen: Veränderung des Blutserums in physikalischer und che- mischer Hinsicht. Biologische Veränderungen. Antitoxine. Bakterio- lysine. PFrEIFFErs Phänomen in vivo und in vitro. Agglutination. Fadenreaktion. Agglutination toter Bakterien. Wıpausche Reaktion. Spezifische Niederschläge. Präzipitine. Bakteriotropine. Antikörper. Erweiterung des Begriffs Immunisierung. Antigene. Allergie. Immun- hämolysine. Hämagglutinine. Hämotropine. Zytotoxine. Leukotoxine. Epitheliotoxine. Spermotoxine. Hepatotoxine. Nephrotoxine usw. Anti- hämolysine. Antifermente. Eiweißpräzipitine. Borpertsche Antikörper 156 XTl. Die Antikörper. 1I. Spezifität der Antikörper. Ausnahmen. Quan- titative Spezifität. Ausnahmen. Homologe und heterologe Agglu- tination. Erklärung der quantitativen Spezifität. Vielheit der An- tigene und Antikörper. Gemeinschaftliche Antigene bei verwandten Arten. Absorption der nicht spezifischen Antigene. ÜAsTELLANIscher Versuch. Diagnose der Mischinfektion. Artspezifität. Organspezifität. Zustandsspezifität. Chemische Natur der Antigene. Eiweißnatur? Lipoidnatur? Natur der Antikörper. Ammonsulfatfällung. Reinigung der Antikörper. Thermoresistenz. Diffusionsvermögen. Molekular- gewicht. Ursprung der Antikörper; aus Antigen? Quantatives Miß- verhältnis zwischen Antigen und Antikörpern. Antikörper als Zell- sekrete. Entstehungsort der Antikörper. Nachweis durch Organ- extraktion. Antikörperproduktion bei entmilzten Tieren. Anhäufung der Antikörper am Entstehungsort. Entstehungsort der Choleraschutz- stoffe. Rolle der Iymphoiden Organe. Entstehung in anderen Or- ganen: in der Bindehaut, der vorderen Augenkammer, am Ort der Antigeneinspritzung. Zeitlicher Verlauf der Antikörperproduktion. Phasen derselben. Negative Phase. Abkürzung der Latenzperiode bei vorbehandelten Tieren. Allergische Reaktionen. Gesteigerte Bindungs- fähigkeit (Aviditätssteigerung) der Organe. Veränderte Leukozyten Ei NETTE ee er u ne XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung zwischen Antigen und Antikörper. I. Verschiedene Möglichkeiten der Antitoxinwirkung. Antirizinwirkung in vivo und in vitro. Direkte Wirkung des Anti- toxins auf das Toxin. Giftzerstörung? Chemische Bindung des Toxins. Restitution des Toxins aus dem inaktiven Gemisch. Trennung durch Filtration, durch Salzsäurewirkung. Reaktionsgeschwindigkeit von Toxin und Antitoxin. Bindung der Antikörper an die Antigene. Restitution beider Komponenten. Quantitativer Ablauf der Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin. Gesetz der Multipla. Strenge Gültig- keit derselben. Fehlerquellen. Quantitative Gesetze der anderen Antikörperreaktionen. Absorptionsgesetzeder Agglutinine. Absorptions- koeffizienten. Unvollständigkeit der Absorption. Chemisches Massen- wirkungsgesetz. Anwendung auf die Agglutininbindung. Partial- agglutinine und -Agglutinogene. v. Dunserns Deutung der unvoll- ständigen Absorption. Koexistenz von unverbundenen Antigenen und Antikörpern. v. Dunserns Versuche. Einwände gegen die chemische Erklärung der Absorption. Verteilungsgesetz. Physikalische Deutung der Agglutininabsorption. Agglutininbindung als Adsorptionsphänomen. Chemische Deutung der Spezifität . . . 195 VII XIV * XY, Inhaltsverzeichnis. uantitativer Verlauf der Bindung zwischen Toxin und Antitoxin. Il. EHukuichs Toxinanalyse. u en von Toxin und Anti- toxin. Physiologische Gifteinheit. Normalgiftlösung. Normalserum. Immunitätseinheit. Konservierung von Toxin und Antitoxin. Test- ift. Verfahren der Serumprüfung. L, und L+}.Wert. Abschwächung er Toxine. Gegenseitige Unabhängigkeit von Giftigkeit und Neu- tralisierungsvermögen. Konstitution des Toxins. Haptophore Gruppen des Toxins, Toxophore Gruppen. Toxoide; Toxoide in frischen Gift- lösungen. Wahrer Neutralisierungswert einer I-E. Beziehungen zwischen L, und L}. Wert der Differenz L+—-L,. Toxone; Toxon- wirkung; Berechnung der Toxoneinheiten. Quantitativer Verlauf der Toxoidbildung. „Konstitutionsformel“ des Toxins. Methode der partiellen Toxinabsättigung. Giftspektrum. Interpretation ver- schiedener Giftspektra. — Einwände gegen Earrıchs Toxinanalyse, Analyse des Tetanustoxins vom Standpunkt des Massenwirkungs- gesetzes. Vergleich mit Borsäure und Ammoniak. Absättigungs- kurve. „Toxinspektrum“ des Ammoniaks. Anwendung auf das Diphtheriegift. Eurzıchs Abwehr gegen Arrkrxıus. Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Massenwirkungsgesetzes. Reversibilität der Reaktion von Toxin und Antitoxin. Danvszsches Phänomen. EurLicas Erklärung dafür. Deutung von ArrHENIus. Kritik der Berechnungen von ÄARRHENIUS a EN, Lysine und Antilysine. Komplexer Bau der Lysine. Quantitativer Unterschied zwischen normalen und Immunseren. Komplementgehalt der Immunsera. Ambozeptoren. Sensibilisierung der Blutkörperchen. Einwirkung des Ambozeptors auf die Zelle. Rezeptoren. Unfähigkeit der Erythrozyten, Komplement zu binden; Bindung durch sensibili- sierte Blutkörperchen. Cytophile und komplementophile Gruppe. Schema von EurLich und MoRGENROTH. Rezeptorenapparat der Ery- throzyten. Polyzeptor. Dominante Komplemente. BorDETs Sensi- bilisierungstheorie. Komplementablenkung; Deutung derselben. Avi- ditätsveränderungen bei der Besetzung haptophorer Gruppen. Wichtigkeit für die Komplementablenkung. Gründe für die Richtig- keit obiger Deutung. Antizytolysine. Antikomplement und Anti- ambozeptor. Schema der verschiedenen Hemmungswirkungen. Antiambozeptor der zytophilen Gruppe. Antikomplement. Anti- ag der komplementophilen Gruppe. Häufigkeit der ein- zelnen Hemmungstypen. Antiambozeptoren. Komplementoide. Ent- stehung von Antikomplement nach ine von Leukozyten. Komplementfixation durch Borpersche Antikörper. Fragliche Existenz echter Antikomplemente. Mechanismus der verschiedenen antikomplementären Wirkungen. Reaktionsbeschleunigung und -Ver- stärkung. Anticytolysine normaler Sera. Andere Antikörper normaler Sera. Entstehung der normalen Antikörper. Identität derselben mit den immunisatorisch erzeugten. Aviditätsunterschiede zwischen den- selben. Aviditätssteigerung im Verlauf der Immunisierung. Einheit- lichkeit der antigenetischen Zellfunktion . ur 2 XVI. Agglutinine und Präzipitine. Präzipitate. Quantitative Beteiligung von Präzipitin und Antigen an dem Präzipitat. Bau der Präzipitine und Agglutinine. Inaktivierung durch Hitze, durch chemische Ein- griff. Hemmungswirkung inaktiver Sera. Mechanismus desselben. Wirkung auf die präzipitable Substanz. Verlust der Agglutinier- barkeit, Verlust des Absorptionsvermögens. Agglutinoide und Präzi- ee Bindende und fällbare Gruppe der Antigene. Einfluß des salzgehaltes. Bindung des Agglutinins bei Salzmangel. Chemische Theorie der Salzwirkung. Physikalisch-chemische Theorie. Eigen- schaften der Kolloide. Kolloidale Flüssigkeiten und Suspensionen. Elektrische Ladung der suspendierten Teilchen. Stabilität der Sus- pensionen. Entladung der Teilchen. Ausflockung durch Kolloide entgegengesetzter Ladung; durch Elektrolyte; durch Kolloide und Elektrolyte. Ausflockung agglutininbeladener Bakterien durch Salze. Beziehung zwischen Salz- und Agglutininmenge. Agglutininbindung als Adsorptionsvorgang.. Hemmungszonen bei olloidfällungen. Zusammenwirken kolloidalerund chemischer Eigenschaften. Diffusions- beschleunigung bei Immunreaktionen. Meiostagminreaktion Seite 212 . 233 . 256 XVH. Inhaltsverzeichnis. EHRLICHs Seitenkettentheorie. Unfähigkeit der chemisch definierten Gifte, als Antigen zu wirken. Beziehung zwischen Giftspeicherung und antigener Funktion. Identität der zytophilen und antitoxino- hilen Gruppe des Toxins. Antitoxine als abgestoßene Rezeptoren. le der Spezifität. Ursache der Abstoßung von Rezeptoren. Leistungskern und Seitenketten des Protoplasmamoleküls. Ausschaltung der toxinbeladenen Rezeptoren. Regeneration und Überproduktion der Rezeptoren. Bindungsreiz. Versuche von Bruck, Stadien der Antitoxinbildung. Verlust der antigenen Funktion bei intakter Bin- dungsfähigkeit. EnrLichs Einteilung der verschiedenen Rezeptor- typen. „Verdauende“ Funktion der ergophoren Gruppe und des Komplements. Verschiedene Typen von Antikörpern. Normale und immunisatorische Antikörper. Aviditätssteigerung. Konsequenzen der Esrrıcaschen Theorie. Antitoxische Wirkung giftempfindlicher Organe; Wirkung der Organlipoide. Parallelismus von Giftempfäng- lichkeit und antitoxischer Wirkung. Immunisierung mit Toxoiden. Antitoxinproduktion in unempfindlichen Organen. Immunisierung mit neutralen Gemischen von Toxin und Antitoxin; mit Toxonen, mit agglutinierten Bazillen; mit sensibilisierten Erythrozyten. Er- klärung der antigenen Wirkung sensibilisierter Zellen. Zersetzung der Verbindung von Antigen und Antikörper im Organismus . XVII. Varianten der Seitenkettentheorie. LANDSTEINERsS physikalisch-che- XX. mische Theorie. Theorie von Kassowırz. Theorie der Giftwirkung. Unterschied zwischen Toxinen und chemisch definierten Giften. Er- klärung der Inkubationsdauer der Toxine. Theorie der Antitoxin- bildung. Theorie der Aviditätssteigerung. Reassimilierung toxophiler Gruppen. „Allergie.“ Erklärung der histogenen Immunität. Reassi- milierung toxophiler, mit Toxin verbundener Gruppen . Die Formen der antitoxischen Immunität. Angeborene und erworbene Immunität. Natürlich und künstlich erworbene Immunität. All- gemeine Einteilung der Immunitätsformen, Antitoxische Immunität durch Rezeptorenmangel; durch Giftfestigkeit der bindungsfähigen Zellen. Immunität infolge Giftabsorption in unempfindlichen Organen. Unterschiede der Giftempfindlichkeit bei verschiedenen Tierspezies. Histogene und humorale Immunität. Plazentare Übertragung der Antikörper. Übertragung durch Säugung. Aktive und passive Im- munität. Unterschiede zwischen beiden. Verschwinden der Anti- körper aus dem Blut. Wirkung der Präzipitine. Wahl der passiven oder aktiven Immunisierung. Latente antitoxische Immunität. Rezep- torenschwund bei Bakterien. Inagglutinable Typhusstäimme. Serum- feste Trypanosomenstämme. Theorie des Rezeptorenschwundes Die Uberempfindlichkeit (Anaphylaxie). Möglichkeiten vom Stand- punkt der Eurrichschen Theorie aus. Überempfindlichkeit hoch- immunisierter Tiere bei hohem Antitoxingehalt des Serums. KRE1rz- sches Phänomen. Tuberkulinempfindlichkeit. Anaphylaxie. RıcHETs Versuche mit Kongestin. Beschleunigter Krankheitsverlauf bei Rein- jektion. Serumanaphylaxie. Surtasches Phänomen. Anaphylaktischer Temperatursturz. Anaphylaktogene. Antigene und Anaphylaktogene. Sensibilisierende Dosis. Letale Dosis des Anaphylaktogens. Zeitlicher Verlauf der Sensibilisierung. Antianaphylaxie. Aktive Anaphylaxie. Passive Anaphylaxie. Anaphylaktischer Reaktionskörper. Vererbte Anaphylaxie. Theorien der Anaphylaxie. Natur und Wirkungs- weise des Reaktionskörpers. Beziehungen zwischen Präzipitingehalt und anaphylaktischer Wirkung der Sera. Komplementbindung im anaphylaktischen Tier. FRIEDBERGERs Anaphylatoxin. Hemmung der Komplementwirkung durch Kochsalz. Anaphylaxie gegen zellige Elemente. Entstehungsweise des Anaphylatoxins. Angriffspunkt des Anaphylatoxins.. Shockwirkung beim Hund; beim Meerschwein. Ähnlichkeit mit der Peptonwirkung. Serumkrankheit. Häufigkeit bei einmaliger Injektion; bei Reinjektion. „Sofortige“ und „be- schleunigte“ Reaktion. Deutung der verschiedenen Reaktionsweise. Anaphylaktische Reaktionen bei Vakzination, bei Lues, bei Tuberkulose. Bedeutung der Anaphylaxie. Rezidive el & tandc IX Seite . 272 . 291 . 300 316 4 Inhaltsverzeichnis. XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Resistenzverminderung. Immunität durch mangelnde ®ignung der Körpersäfte zum Kultur- medium; Atreptische Immu..st; Immunität durch bakterienfeindliche Vorrichtungen des Organismus. Künstliche, nicht spezifische Resistenz- steigerung. Pseudoimmunität. Schema der antibakteriellen Immunität. Änderungen der Widerstandsfähigkeit durch Hunger, Durst, Er- müdung, durch Temperaturänderungen, durch Vergiftung. Mecha- nismus der Resistenzverminderung. Regeneration der Komplemente. Experimentelle Ausschaltung durch ER durch Präzi- itatbildung, durch absorbierende Wirkung des Aleuronats, durch Tehambnl von Ambozeptoren bei der passiven Immunität. Versagen bakteriolytischer Sera infolge Mangel passender Komplemente. Komplementzufuhr. Wahl der zur Immunisierung dienenden Tier- spezies. Mischung der Immunsera verschiedener Herkunft. Im- munisierung mit Gemischen verschiedener Bakterienstämme. Poly- valente Sera. Einfluß des Alkohols auf den Ambozeptorgehalt des Blutes. Einfluß der Abkühlung und Überhitzung auf den Ambozeptor- gehalt. Einfluß verschiedener Eingriffe auf die Antikörperproduktion XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. Abtötung der Mikro- organismen. Innere Desinfektion. Ätiotrope und organotrope Stoffe. Mikrobizide Wirkung von Chinin und Quecksilber. Trypanrot, Para- fuchsin, Atoxyl, Arsazetin. Arsenophenylglyzin. Präparat Nr. 606 von Eurtich und Hara. Therapia sterilisans magna. Beseitigung der Gifte der Mikroorganismen. Wirkung zirkulierenden Antitoxins. Neutralisierung des bereits von den Zellen gebundenen Toxins. Ver- suche mit Tetanustoxin. Versuche mit Diphtherietoxin. Verschie- denes Verhalten von Tetanus- und Diphtherietoxin. „Heilungsversuche“ im Reagenzglas. Anordnung derselben. Bindungszeit der eben lösenden Dosis. Festigkeit der Bindung des Giftes an die Rezep- toren. Affinität zwischen Toxin und Antitoxin. Antitoxingehalt und Heilwert der Immunsera. Toxizität der verschiedenen Gifte. Verwendung antitoxischer Sera verschiedener Herkunft. Partial- toxine. Wertbestimmung antitoxischer Sera an verschiedenartigen Tieren. Polyvalente antitoxische Sera. Rezidive. Immunitas non sterilisans. Arzneifestigkeit mancher Mikrobenstämme. Halbimmunität XXIIH. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Aktive Immunisierung. Schutzpockenimpfung. Abnahme der Pocken- sterblichkeit. Pockensterblichkeit in verschiedenen Ländern; in ver- schiedenen Armeen; bei Geimpften und Ungeimpften. Lyssaschutz- impfung. Rabizides Immunserum. Sterblichkeit bei Lyssa. Schutz- impfung gegen Rindertuberkulose.. v. BeHrıes Immunisierung. Bovovakzin. Impfung von Heymanıs. Schutzimpfung gegen Milz- brand. Rauschbrandimpfung. Schutzimpfung gegen Schweine- rotlauf und Rinderpest. Typhus-, Cholera- und Pestschutzimpfung. Werisutsche Vakzinetherapie. Tuberkulinbehandlung. Passive Im- munisierung. Diphtherieheilserum. Prophylaktische und Heil- wirkung. Einfluß des Zeitpunkts der Serumeinspritzung. Tetanus- heilserum. Schutzwirkung und Heilwirkung. Dysenterieheilserum. Pestheilserum. Streptokokkensera. Pneumokokkensera. Meningokok- kenserum. Immunserum gegen Schweineseuche und Schweinerotlauf. Kombinierte Immunisierung gegen Schweinerotlauf, Maul- und Klauenseuche, Rinderpest, Milzbrand i ne ! XXIV.Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnostischen Zwecken. Allergische Reaktionen. Tuberkulinprobe. Dosierung. Lokale und allgemeine Reaktion. Pırauetsche Reaktion; beim Erwachsenen. Ophthalmoreaktion. Malleinreaktion. Anaphylaktische Reaktionen. Bakterizide Reaktionen. Preırrers Versuch. Identifizierung eines fraglichen Mikroorganismus. Serodiagnose eines abgelaufenen Krank- heitsfalles. Bakterizider Versuch in vitro. Präzipitinreaktionen. Blutnachweis nach UsLexnuurs. Nachweis von Fleischverfälschung. Luesdiagnose. Agglutinationsreaktionen. Wiparsche Reaktion. Typhusdiagnostikum. Komplementablenkung. Hämolytisches System. Einstellung desselben. Ablenkungsversuch. Nachweis anti- bakterieller Ambozeptoren. Luesdiagnose. Luesreaktion bei Tabes 357 . 375 Inhaltsverzeichnis. Ar Seite und Paralyse.. Opsoninbestimmung. Phagozytische Zahl. Op- PER EIERN a ie. 1a el ee ala a RT <> ARE XXV. Anwendungen der Immunitätslehren auf einige Probleme der Physio- logie, Pathologie und allgemeinen Biologie. Paroxysmale Hämo- globinurie. Autohämolysine. Isolysine. Enterogene Anämien. Bio- logische Verwandtschaftsreaktion. Blutsverwandtschaften im Tierreich. Wechselweise Immunisierung verwandter Arten. Heufieber. Pollen als Krankheitserreger. Pollatin. Graminol. Virulenzsteigerung bei Karzinomen. Krebsimmunisierung. Atreptische Immunität. Über- empfindlichkeit gegen nen ee WeicHAaRDTs Ermüdungstoxine. Kenotoxin. Antikenotoxin . . Dr N ER N a Re a A ee N ae I ERTHIESE Is Hier ee RE er BER ET Eee a ir I. Einleitung. Als Rogert Koch zu Beginn der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der medizinischen Wissenschaft seine genialen Methoden der Bakterienbeobachtung und Reinzüchtung geschenkt und mit Hilfe derselben in kurzem Zeitraum eine Reihe der wichtigsten Entdeckungen gemacht hatte, die bald von allen Seiten bestätigt und erweitert wurden, da hatte es den Anschein, als ob nunmehr mit einem Schlage das ganze Problem der Infektionskrankheiten wenigstens im Prinzip gelöst sei und als ob die mehr als ein Jahrhundert alte Frage nach der pathogenen Bedeutung der Mikroorganismen einer einfachen und klaren Beantwortung entgegengereift sei. Die mit fast unfehlbarer Sicherheit verlaufenden Laboratoriumsexperimente, die Konstanz des Vorkommens der einzelnen pathogenen Keime in den betreffenden pathologischen Produkten und viele ähnliche Tatsachen ließen einen Zweifel nicht mehr aufkommen, daß die einzige notwendige und zureichende Bedingung für das Zustandekommen einer Infektionskrankheit in der Anwesenheit der spezifischen Bakterien gelegen sei, und die einzige Aufgabe, die der Zukunft überlassen schien, war die, für alle möglichen infektiösen Pro- zesse die Erreger zu ermitteln und deren Eigenschaften zu studieren. Heute, wo der erste Entdeckerrausch verflogen ist, dem allerdings die eigentlichen Meister der Bakteriologie weit weniger unterlegen waren, als das größere ärztliche Publikum, sind wir, in dem Maße, als unsere Kenntnisse über Infektion und Infektionserreger sich vermehrt haben, viel bescheidener geworden; da, wo wir bereits alle Details klar zu durch- schauen glaubten, haben sich eine Fülle neuer Probleme aufgetan, viele klinische Erfahrungen, die man im ersten bakteriologischen Übereifer zum Gerümpel zu verweisen geneigt war, treten wieder in ihre Rechte ein, und wenn wir gewiß den ungeheuren Fortschritt anerkennen, den wir Kochs und seiner Schüler Entdeckungen verdanken, so müssen wir doch andererseits zugeben, daß wir derzeit noch weit von dem Ziele entfernt sind, das man bereits erreicht zu haben wähnte. Die Verhältnisse liegen nämlich viel komplizierter, als man sich Beine vor etwa 25 Jahren nbah vorgestellt hatte. Es kann heute keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die bloße Anwesenheit pathogener Keime auf der äußeren oder inneren Leibesoberfläche durchaus noch nicht aus- reichend ist, um eine Infektionskrankheit hervorzurufen. Auch wenn wir ganz dav on absehen, daß die Krankheitserreger während der Periode der Rekonvaleszenz oft noch lange Zeit in den” Se- und Exkreten ein saprophytisches Dasein zu führen. vermögen; daß z. B. die KocHschen Vibrionen in den wieder vollkommen normal gewordenen Faeces von Cholerarekonvaleszenten noch durch 48 Tage und länger nachweisbar sein können, oder daß nach überstandenem Typhus oft noch monate- lang und selbst jahrelang T'yphusbazillen im Harn und Kot ausge- schieden werden; wenn wir davon absehen, daß in der Mundhöhle von Personen, die an Pneumonie, Influenza oder Diphtherie erkrankt waren, Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 1 Bedeutung epithelialer efekte. 9 I. Einleitung. die betreffenden Erreger, und Br nicht etwa im abgeschwächten, sondern im vollvirulenten Zustande vegetieren können — wenn wir von allen diesen Tatsachen, die ja nicht ganz eindeutig sind und sich ja zum Teil durch eine erworbene Immunität der Wirtspersonen erklären dürften, absehen, so gibt es genug sichere Beweise dafür, daß die bloße Gegen- wart von Krankheitserregern noch nicht zur Entstehung einer Infektionskrankheit genügt. Auf der Haut der meisten Menschen, in der Gegend der Lippen und an den Nasenflügeln, die ja so häufig der Ausgangspunkt von Erysipelen sind, an den Fingern, unter den Nägeln finden sich regelmäßig die als Eitererreger bekannten Staphylo- kokken, manchmal sogar auch Streptokokken. Auf der vollkommen normalen Conjunctiva hat man in etwa 4°/, der untersuchten Fälle den Pneumokokkus angetroffen. In der Nasenhöhle fand man Staphylo- kokken, Streptokokken und Pneumokokken, bei Krankenwärtern, die viel mit Phthisikern zu tun hatten, sogar gelegentlich Tuberkelbazillen. In der Mundhöhle hat man, neben einer Fülle der verschiedensten teils pathogenen, teils unschädlichen Mikroorganismen, echte vollvirulente Diphtheriebazillen nachweisen können, und zwar bemerkenswerterweise viel häufiger (nämlich in S°/, der Fälle) bei Personen, die in der Um- gebung von Diphtheriekranken lebten, als bei solchen, die keine Ge- legenheit hatten, mit derartigen Kranken zu verkehren (ca. 21/, °,). Ja, ÖSTERMANN und andere Forscher haben sogar in überraschend zahl- reichen Fällen im Nasenrachenraum von vollkommen gesunden In- dividuen, die in der Umgebung von Genickstarrekranken lebten, Meningo- kokken nachweisen können derart, daß etwa 2—4 „Bazillenträger“ auf einen Kranken kamen; nach anderen Beobachtern ist dieses Verhältnis sogar unter Umständen noch krasser, indem 20, ja selbst 40mal soviel Bazillenträger ermittelt wurden als Genickstarrekranke. Besonders reich- lich ist aber die Ausbeute an pathogenen Mikroorganismen, wenn man die Bakterienflora des Darmkanals daraufhin einer Untersuchung unterzieht. Abgesehen von dem vulgären Bacterium coli, das ja unter Umständen auch pathogene Wirkungen entfalten kann, und von den gewöhnlichen Eitererregern, Staphylokokken und Streptokokken, die man gelegentlich im Darminhalte antrifft, finden sich besonders bei Pflanzen- fressern fast regelmäßig die Erreger des Tetanus und malignen Ödems in den Faeces vor, ohne daß diese so empfänglichen Tiere, die einer subkutanen Infektion mit den genannten Mikroorganismen unfehlbar er- liegen würden, irgendwelche Krankheitserscheinungen aufweisen. Ferner hat man zur Zeit von Choleraepidemien die Erfahrung gemacht, daß auch Individuen, die gänzlich verschont geblieben waren und nicht die geringste Verdauungsstörung erlitten hatten, ohne Schaden virulente Vibrionen in ihrem Darmkanale beherbergen können, und ähnliche Bei- spiele ließen sich noch in Hülle und Fülle beibringen. Das Gesagte genügt jedoch vollkommen, um uns davon zu überzeugen, daß neben der gewiß unumgänglich notwendigen Anwesenheit von patho- genen Keimen noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Infektionskrankheit zum Ausbruche kommt. Die vielfach ungenügende Berücksichtigung, die diese Verhältnisse besonders zu Beginn der bakteriologischen Ära gefunden haben, hat Veranlassung zu den mannigfachsten Mißverständnissen gegeben und manchem Gegner der Bakteriologie scheinbar wirksame Waffen in die Hand gedrückt. _ Man könnte nun vielleicht geneigt sein, anzunehmen, daß die Vor- edingung der Infektion in der Anwesenheit von Haut- oder Schleim- I. Einleitung. 3 hautverletzungen gelegen sei, daß also die pathogenen Mikroorganismen nur dann in den tierischen Organismus einzudringen vermögen, wenn die Kontinuität der schützenden Deckgebilde an irgend einer Stelle unterbrochen ist. Für manche Krankheitserreger dürfte diese Vermutung wohl tatsächlich das Richtige treffen; für viele Fälle ist dieselbe jedoch, wie zahlreiche Experimentaluntersuchungen gelehrt haben, sicher nicht stichhaltig. Wenn z. B. die österreichische Pestkommission, die zur Erforschung der Bubonenpest nach Indien entsandt worden war, die höchst wichtige Beobachtung gemacht hat, daß Pestbazillen, die in die rasierte, aber, soweit ersichtlich, sonst vollkommen unverletzte Bauch- haut von Meerschweinchen eingerieben werden, stets zur tödlichen Er- krankung führen — ein Verfahren zum diagnostischen Pestnachweise, das auch dann noch zum Ziele führt, wenn alle anderen Methoden ver- sagen — so kann ja allerdings gegen die Beweiskraft dieser Versuche der Einwand erhoben werden, daß denn doch durch das Rasieren der Haut kleinste, makroskopisch nicht mehr sichtbare Kontinuitätstrennungen gesetzt würden, welche den Pestkeimen das Eindringen ermöglichten. Auch gegen die altbekannten Versuche von GARRE und SCHIMMELBUSCH, die durch Einreiben von Staphylokokkenkulturen in ihre eigene gesunde Haut typische Furunkel erzeugten, könnte derselbe Einwand zur Not noch aufrecht erhalten werden. Ganz ausgeschlossen erscheint jedoch eine solche Deutung bei den zahlreichen gelungenen Versuchen, vom unverletzten Bindehautsack aus eine Allgemeininfektion hervorzurufen. Es sei gestattet, einige dieser interessanten und wichtigen Experimente kurz zu erwähnen. Schon in den achtziger Jahren hat BRAUNSCHWEIG den Nachweis erbracht, daß Kulturen von Staphylococcus aureus, Milz- brand, Mäuseseptikämie, Hühnercholera und Micrococcus tetragenus, die mittels einer Platinöse oder eines Glasstabes vorsichtig und unter Vermeidung jeder Verletzung in den Conjunctivalsack von Mäusen, Meerschweinchen, Kaninchen und Hühnern eingebracht wurden, stets ohne Wirkung blieben, während fast alle Versuche, die mit dem RısBErT schen Bazillus der Darmdiphtherie der Kaninchen angestellt wurden, zu schwerer, meist tödlicher Erkrankung führten. Nach kurzer, weniger als 24 Stunden betragender Inkubationsdauer entstand nämlich in allen Fällen zunächst eine diphtheritische Bindehautentzündung, dann trat eine Schwellung der regionären Lymphdrüsen auf, und von dort gelangten die Mikroorganismen ins Blut und in die inneren Organe, wo sie durch die mikroskopische und bakteriologische Untersuchung nachgewiesen werden konnten. (sALTIER machte die wichtige Ent- deckung, daß der Erreger der Hundswut bei Kaninchen, Meerschwein- chen und Schafen, abgesehen von den Schleimhäuten des Respirations- und Verdauungstraktes, auch von der unverletzten Conjunctiva aus Eingang finden kann, wenn in dieselbe eine Aufschwemmung der Me- dulla oblongata eines wutkranken Kaninchens eingeträufelt wird, und konnte späterhin diese Resultate auch auf den Rotzbazillus ausdehnen. CoxTE, der diese Tatsache bestätigte, fügte die weitere interessante Beobachtung hinzu, daß die Erkrankung ausblieb, wenn das betreffende Auge 5—10 Minuten nach der Infektion gründlich abgespült wurde; nach einer Berührungsdauer von !/;—1!/, Stunden erkrankte bereits ein erheblicher Prozentsatz der Tiere, nach 6!/,stündigem Kontakt war die Erkrankung überhaupt nicht mehr zu verhindern. Auch die In- fektion mit Pestbazillen gelingt nach den Forschungen der deutschen Pestkommission nicht nur bei kutaner, subkutaner und oraler Einver- 1* 4 I. Einleitung. leibung, sondern besonders leicht aucı. sem Bindehautsacke aus, wobei allerdings bereits betont wird, daß die Erkrankung vermutlich von jenem Teil der eingebrachten Mikroorganismen, welcher durch den Tränen- nasenkanal in die Nase gelangte, hervorgerufen wird, daß also nicht die Conjunctiva selbst, sondern die Nasenschleimhaut den Ort der Infektion darstellt. Daß diese Anschauung in der Tat zutrifft, hat dann RÖMER in einer interessanten Studie zeigen können, indem seine Infektions- versuche stets zu einem negativen Resultate führten, wenn er den Über- tritt der Mikroorganismen aus dem Bindehautsack in die Nase durch vorherige künstliche Verödung der Tränenwege unmöglich gemacht hatte. Durch diesen Nachweis wird somit allerdings der Schauplatz der Infektion verschoben, die Grundtatsache jedoch, daß auch unverletzte Schleim- häute der Infektion zugänglich sind, bleibt hierdurch unberührt. In der menschlichen Pathologie bildet übrigens auch das Verhalten des Micro- coceus gonorrhoeae ein ausgezeichnetes Beispiel für die eben ausge- sprochene Behauptung. Natürlich soll hiermit die große Bedeutung epithelialer Defekte für das Zustandekommen der Infektion nicht im geringsten geschmälert werden — konnte ja auch RÖMER bei seinen Versuchen auf den Einfluß gleichzeitig in den Bindehautsack eingeführten Staubes hinweisen, der durch kleine Verletzungen, die er in der Schleimhaut setzt, den Milz- brandbazillen den Weg zur Allgemeininfektion der Tiere eröffnet. Stellen wir die beiden bis jetzt besprochenen Gruppen von Tat- sachen einander gegenüber: nämlich die fortwährende Anwesen- heit pathogener Keime auf der gesunden Haut und Schleim- haut einerseits, die Fähigkeit dieser Keime, die völlig intakten Integumente zu durchdringen und zu infizieren, auf der an- deren Seite — so macht uns der scheinbare Widerspruch, der in dieser Gegenüberstellung liegt, noch deutlicher darauf aufmerksam, daß das Problem der Infektion doch weit komplizierter ist, als man in der ersten Entdeckerfreude über die Isolierung der verschiedenen Krank- heitskeime angenommen hatte, und daß der einseitige Standpunkt, welcher das Hauptgewicht auf die Mikroorganismen legt und die Eigenschaften des infizierten Tierkörpers in den Hinter- grund drängt, eine der so häufigen unerlaubten Vereinfachungen wissenschaftlicher Probleme darstellt. Man braucht sich nur die Frage vorzulegen: Wie kommt es, daß ein Mensch, der monatelang Pneumokokken in seiner Mundhöhle beher- bergt, ohne Schaden zu nehmen, dennoch plötzlich bei irgend einer Gelegenheit an Pneumonie erkrankt, oder daß die Streptokokken, die lange Zeit als harmlose Saprophyten in den Drüsenöffnungen der Ge- sichtshaut schmarotzten, auf einmal ein Erysipel hervorrufen, oder daß von zwei Personen, die beide Choleravibrionen in ihrem Darm beher- bergen, doch nur die eine erkrankt, die andere aber gesund bleibt — man braucht sich nur derartige Fragen vorzulegen, um zu erkennen, daß die ältere orthodoxe Bakteriologie, die nur die spezifischen Krank- heitserreger berücksichtigte, auf falschem Wege war. Energetische Es haben daher schon seit langer Zeit verschiedene Forscher, Kassung @es Jarunter Hueppe, RosENBACH und andere, gegen diese primitive Auf- problems. fassung der Infektionsvorgänge Front gemacht und, von allgemein ener- getischen Gesichtspunkten ausgehend, versucht, die einseitig ontologische Betonung der pathogenen Mikroorganismen als Krankheitsursachen durch eine rationellere, den naturwissenschaftlichen Prinzipien besser ent- I. Einleitung. 5 sprechende Formulierung des Infektionsproblems zu ersetzen. Heute ist die hierdurch angebahnte Umwälzung unserer Anschauungen bereits in vollem Gange, und nicht am wenigsten waren es die ausgedehnten Im- munitätsstudien der letzten Jahre, welche diesen Entwicklungsprozeb gefördert und beschleunigt haben. Faßt man nämlich die Infektion und die im Anschluß daran sich entwickelnde Erkrankung als einen biologischen Vorgang auf, der im Wesen auf der gegenseitigen Einwirkung zweier lebender Organismen aufeinander beruht, so ist es ganz selbstverständlich, daß die Art und Intensität dieses Vorganges durch dreierlei verschiedene Faktoren bestimmt wird: einmal durch die Gesamtheit der Eigenschaften des in- fizierten Organismus, zweitens durch die Eigenschaften des infizieren- den, pathogenen Keimes und drittens durch die Summe der äußeren Bedingungen, unter welchen die gegenseitige Beeinflussung der beiden Lebewesen stattfindet. Damit sind wir aber zu der Aufstellung des- selben Schemas gelangt, das ja auch für die weitaus einfacheren physi- kalischen oder chemischen Prozesse seine Gültigkeit hat. Auch bei der chemischen Einwirkung zweier Substanzen aufeinander ist ja der Ver- lauf der Reaktion, dessen Schnelligkeit, Vollständigkeit und Gesamt- charakter einerseits von der Konstitution der beiden Reagentien, andererseits von den speziellen Bedingungen abhängig, unter welchen dieselben zusammengebracht werden, also von deren Temperatur, Kon- zentration, von der Anwesenheit hemmender oder beschleunigender Bei- mengungen und so fort. Ja, der Vergleich läßt sich sogar noch weiter fortspinnen und vertiefen. Wie nämlich die genannten Reaktionsbedin- gungen chemischer Prozesse gewisse, auf den Verlauf Einfluß nehmende Eigenschaften der beiden Stoffkomponenten modifizieren, wie z. B. die Temperatur, bei welcher der Vorgang verlaufen soll, die Löslichkeit, die Dampfspannung, ja selbst die chemischen Affinitäten, die Absorptions- kräfte usw. der reagierenden Substanzen bedingt und bestimmt, so sind auch die für den Verlauf der Infektion in Betracht kommenden Eigen- schaften des Makro- und Mikroorganismus von den äußeren Bedingungen abhängig und können mit diesen innerhalb weiter Grenzen variieren. Und wie gewisse Bedingungen der Temperatur, des Druckes, der Kon- zentration erfüllt sein müssen, damit überhaupt eine für unsere Sinne wahrnehmbare chemische Reaktion abzulaufen vermag, so müssen auch gewisse äußere Umstände zusammentreffen, damit der biologische Prozeß der Infektion sich einleiten und abspielen kann. Wenn man die mathematische Einkleidung biologischer Probleme liebt, so kann man sagen, daß die Infektion nach Art und Intensität als Funktion dreier Variablen anzusehen ist, deren eine, unabhängige, durch die äußeren Bedingungen dargestellt wird, während die beiden anderen, die durch die pathogenen Eigenschaften der Mikro- organismen und durch die reaktiven Fähigkeiten des betreffenden Tier- leibes repräsentiert werden, gleichzeitig von der ersten Variablen abhängen und mit dieser sich in ihrem Werte ändern. Von den Größenverhältnissen dieser drei Variablen wird es dann im spe- ziellen Falle abhängen, ob die betreffenden Mikroorganismen dazu ver- urteilt sind, als harmlose Saprophyten die innere oder äußere Oberfläche des Tierleibes zu bewohnen, oder ob es ihnen gelingt, als Parasiten in denselben einzudringen, ihn zu infizieren und krank zu machen. Da ferner, wie bereits erwähnt, sowohl die Eigenschaften des Makroorga- nismus, also dessen Krankheitsanlage, Disposition, oder wie man sich 6 I. Einleitung. sonst ausdrücken will, als auch die I“shogenität der Mikroorganismen durch die äußeren Bedingungen bestimmt und verändert werden, so ist es klar, daß oft schon ein Wechsel dieser letzteren genügen kann. um die Infektion herbeizuführen, also, vom Standpunkt des zu infizierenden Organismus aus gesprochen, um aus dem resistenten oder immunen einen empfänglichen Organismus zu machen. Um nur ein einziges Beispiel anzuführen, auf das wir später noch zurück- zukommen haben werden, sei erwähnt, daß Frösche, die bei gewöhnlicher Zimmertemperatur gehalten werden, für Milzbrand unempfänglich sind. Bringt man dieselben jedoch in einen Brutschrank, der auf 35° einge- stellt ist, so erkranken und sterben die Tiere an typischem Milzbrand. Die bloße Temperaturänderung hat somit genügt, um das Verhältnis der invasiven Kräfte des Anthraxbazillus zu den reaktiven Kräften des Froschkörpers zu ungunsten der letzteren zu gestalten. — Resistenz und Disposition zur Erkrankung sind also, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gar keine prinzipiellen Gegensätze, sondern beide nur der Ausdruck eines gewissen dynamischen Gleichgewichtszustandes, der in jedem Augenblick nach der einen oder anderen Richtung verschoben werden kann. Daraus geht aber hervor, daß Infektion und Immunität weder praktisch noch theoretisch voneinander zu trennen sind, sondern nur zwei verschiedene Äußerungsformen desselben Komplexes von Beziehungen darstellen, welche zwischen den tierischen Zellen und den Bakterien bestehen. Wir wollen daher bei unseren Betrachtungen, dem natürlichen Zusammenhang entsprechend, Infektion und Immunität nicht streng ge- sondert behandeln, sondern dieselben nach Möglichkeit in ihren Wechsel- beziehungen darzustellen versuchen. Am vorteilhaftesten dürfte es sich dabei erweisen. wenn wir zunächst die pathogenen Eigenschaften der Mikroorganismen einer Analyse unterziehen, dann die angeborenen und erworbenen Abwehryorrichtungen des Tierkörpers an der Hand des vorliegenden experimentellen Materials kennen zu lernen suchen, um schließlich, soweit dies überhaupt derzeit möglich ist, die Nutzanwendung aus diesen meist im Tierversuche gewonnenen Tatsachen zu ziehen und zu untersuchen, inwieweit dieselben über Ausbruch, Verlauf und Heilung der spontanen, natürlichen Infektionskrankheiten Aufschluß zu geben imstande sind. Bevor wir jedoch an diese Aufgaben herantreten, müssen wir zu- nächst noch die verschiedenen Wege der Infektion kennen zu lernen suchen. Literatur. Rosent#AL, Hygien. Rundschau, 1906. Gark£, Fortschr. d. Medizin, 1885. SCHIMMELBUSCH, Arch. f. Ohrenheilk., 1888. Braunxsc#weiıs, Fortschr. d. Medizin, 1889. GALTIER, Compt. rend. de la soc. de biolog., 1890. CoxtE, Revue vet£erin., Tome XVIII, 1893 Röner, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXII, 189. Huvppe, Über Krankheitsursachen vom Standpunkt der naturwissensch. Medizin. Wiener med. Wochenschr., 1901. RosEnBAcH, Arzt contra Bakteriologe. Deutche Pestkommission. Arb. aus d.Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd.X VI, 1899. Österreichische Pestkommission. Akadem.d. Wissensch., Wien 1898 u. 1900. II. Wege der Infektion. Die Quelle der Infektion ist in letzter Linie fast ausschließlich der erkrankte tierische oder menschliche Organismus. Wollen wir daher die oft viel verschlungenen Pfade der Infektion näher kennen lernen, so müssen wir zunächst betrachten, auf welchem Wege die Infektions- erreger den kranken Organismus verlassen, welche Lebensbedingungen sie in den verschiedenen Medien vorfinden, mit welchen sie in der Außenwelt in Berührung zu kommen Gelegenheit haben, um schließ- lich zu erörtern, auf welche Weise sie ihren Kreislauf vollenden und wieder zu einem empfänglichen, infizierbaren Organismus zurückkehren. — Daß pathogene Mikroorganismen, deren Hauptentwicklungsstätte im Ausschei- Magendarmtrakt gelegen ist, wie z. B. der Vibrio der Cholera asiatica Parken oder der Typhusbazillus, mit den Dejekten der Kranken entleert werden, mit den ist eine altbekannte und nicht weiter auffallende Tatsache, die uns hier nicht näher beschäftigen soll. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß sich gerade in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit mit be- sonderem Nachdruck auf die bereits erwähnten Bazillenträger und Dauer- ausscheider gerichtet!) hat, die, ohne selbst krank zu sein, oft große Mengen von virulenten Typhuskeimen mit ihren Faeces absondern können und dadurch zu einer steten Gefahr für ihre ahnungslose Um- gebung werden. So konnte RosENTHAL zeigen, daß eine Göttinger Gre- müsehändlerin mehr als 10 Jahre lang eine fortwährende Infektions- quelle für ihre Umgebung gebildet hatte, derart, daß etwa 10°/, aller während dieser Zeit in Göttingen gemeldeten Typhusfälle auf den per- sönlichen Verkehr mit dieser Frau zurückgeführt werden mußten. Daß es sich dabei nicht etwa um einen exzeptionellen Fall, um ein Kuriosum gehandelt hat, sondern um eine Tatsache von größter epidemiologischer Bedeutung, lehrt die von verschiedenen Forschern an einem umfang- reichen Materiale gewonnene Erfahrung, daß bis zu 6°, aller Typhus- kranken zu Dauerausscheidern werden. Es scheint, daß in solchen Fällen die katarrhalisch erkrankte Gallenblase die Hauptbrutstätte der Typhusbazillen darstellt. Ferner hat man lange Zeit fast ganz unbeachtet gelassen, daß Ausschei- auch der Urin in manchen Fällen große Mengen von Krankheits- m Ham erregern mit sich führen kann, bis PETRUSCHKY im Jahre 1898 mit vollem Nachdruck auf diese epidemiologisch so außerordentlich wichtige Tatsache hingewiesen hat. PETRUSCHKY hat Fälle beobachtet, bei welchen Millionen lebender Typhuskeime im Kubikzentimeter Harn ausgeschie- den wurden, und zwar stellte diese Massenausscheidung der Krankheits- !) Zum Unterschied von den Bazillenträgern, welche pathogene Keime beherbergen und ausscheiden ohne jemals Anzeichen einer ne darge- boten zu haben, bezeichnet man als Dauerausscheider diejenigen Individuen, welche auch nach vollkommener klinischer Genesung von der betreffenden In- fektionskrankheit noch weiterhin Krankheitserreger absondern. Ausschei- dung durch intakte Nieren ? 8 II. Wege der Infektion, erreger nicht etwa ein passageres Bayer dar, sondern dieselbe hielt durch Wochen und Monate in unverändertem Maße an und erstreckte sich weit in die Periode der Rekonvaleszenz hinein, so dal) also unter Umständen Personen, welche von ihrer Umgebung bereits als vollkommen gesund und ungefährlich betrachtet werden, durch Infektion des gemein- sam mit anderen benutzten Hausrates, durch Verunreinigung von Ab- orten, Brunnen, Bächen, Flüssen zur Ausbreitung der Seuche Veran- lassung geben können. Nach neueren Untersuchungen tritt eine solche Bakteriurie, die sich häufig schon makroskopisch durch starke Trübung des Urins kundgibt, in etwa !/, bis !/, aller Typhusfälle auf. Daß in der Tat den durch den Harn ausgeschiedenen Keimen ein hoher Grad von Infektiosität zukommen kann, illustriert auf das schla- gendste ein gleichfalls von PETRUSCHKY mitgeteiltes eigenartiges Vor- kommnis. „Ein stark benommener Typhuskranker hatte eine auf seinem Tisch stehende Sektflasche in Abwesenheit der Schwester zum Urinieren benutzt. Als nun die Schwester ihm aus der Flasche zu trinken geben wollte, bemerkte sie die eigentümlich trübe Beschaffen- heit der Flüssigkeit beim Eingießen in das Glas und wollte erst selbst kosten, bevor sie dem Kranken zu trinken gab. Beim Hinunter- schlucken wurde sie erst gewahr, daß es sich um etwas anderes als Sekt handelte. Trotz alsbald eintretenden Erbrechens erkrankte die Schwester nach einer Inkubationszeit von etwa 12 Tagen an Typhus abdominalis.“ Auch hier sind natürliche Dauerausscheider von ganz besonderer Gefahr für ihre Umgebung, wie u. a. eine neuere Beobach- tung von NIEPRASCHK lehrt, nach der ein Sergeant, der im Jahre 1901 einen ziemlich schweren Typhus durchgemacht hatte, seither aber weder subjektive Beschwerden noch sonstige Anzeichen einer Erkrankung dar- bot, im Laufe der Jahre zu 31 schweren Typhuserkrankungen unter Mannschaften und Unteroffizieren Veranlassung gegeben hatte. Nach lange Zeit resultatlos gebliebenen Bemühungen, die Quelle dieser Infek- tionen aufzudecken, ergab sich schließlich, dab dieser Sergeant einen schwach sauren eiweißfreien aber leicht getrübten Urin entleerte, aus dem sich große Mengen von Typhusbazillen isolieren ließen. Wie haben wir uns nun den Mechanismus der Bakterienausschei- dung durch die Nieren — denn um eine solche handelt es sich bei diesen Beobachtungen ohne Zweifel — vorzustellen? In einigen Fällen begann die Bakteriurie ersichtlich im Anschluß an eine Nierenblutung, in anderen ließen wenigstens geringe im Harn nachzuweisende Eiweißmengen auf eine Erkrankung dieses Organes schließen. PETRUSCHKY hat jedoch auch Fälle beobachtet, bei welchen jedes Anzeichen einer Erkrankung der Niere und der Harnwege über- haupt fehlte, und wir müssen uns daher die Frage vorlegen: Kann die Ausscheidung im Blute zirkulierender Bakterien schon durch intakte Nieren oder- andere Drüsenparenchyme erfolgen oder ist hierzu stets eine Kontinuitätstrennung der Gefäßwandungen, bezw. eine Schädigung der sezernierenden Epithelzellen erforderlich? Nur das Experiment kann auf diese Frage Antwort geben. BıepL und Kraus haben zu diesem Zwecke Hunden oder Kanin- chen Bouillonkulturen verschiedener Bakterienarten, unter anderem von Staphylococcus aureus, Bacterium coli und anthracis in Mengen von 3—5 ccm und mehr in die Vena jugularis injiziert und haben den Harn, welcher aus den mit Kanülen montierten Ureteren abtropfte, sofort nach der Injektion kontinuierlich aufgefangen und auf Nähragar übertragen. II. Wege der Infektion. 9 Es ergab sich, daß die Mikroorganismen frühestens schon nach 5—12 Minuten im Harn erschienen; in der Mehrzahl der Fälle traten sie jedoch erst etwas später (nach 15—75 Minuten) auf. Dabei erfolgte die Ausscheidung nicht kontinuierlich, sondern schubweise in kleineren oder größeren Intervallen, häufig zeigten sich zeitliche Differenzen zwischen den beiden Nieren oder es versagte auch die eine Niere in dieser Be- ziehung vollständig. In allen Fällen war jedoch der Harn vollkommen normal und sowohl blut- als eiweißfrei. BıepL und Kraus schlossen daher aus ihren Versuchen, besonders mit Rücksicht auf die Schnellig- keit, mit welcher die Bakterien im Harn erscheinen, daß zu ihrem Durchtritt durch die Niere gröbere anatomische Läsionen der letzteren nicht erforderlich seien, daß vielmehr die intakte Niere physiologischer- weise die Fähigkeit besitze, im Blute befindliche Mikroben auszuschei- den. Es sind nun zwar diese Schlußfolgerungen von BiEepL und Kraus nicht ohne jeden Widerspruch geblieben, und man hat gegen dieselben besonders eingewendet, daß denn doch kleinste Gefäßläsionen und kapilläre Blutungen in der Niere stattgefunden haben dürften, welche erst den Durchtritt der Bakterien ermöglicht hätten. Soviel aber geht zweifellos aus diesen Experimenten hervor, daß schwerere entzünd- liche oder degenerative Veränderungen, die natürlicherweise nicht in wenigen Minuten zustande kommen, bei der Bakteriurie voll- kommen fehlen können, und diese Tatsache ist gewiß nicht ohne Interesse. Andererseits wird man aber zugeben müssen, dab gerade bei der Bakteriurie der Typhuskranken denn doch anatomische Läsionen der Niere vorliegen dürften, und zwar in Form kleinster metastatischer Herde, die man tatsächlich meist dicht unter der Nierenkapsel liegend angetroffen hat. Abgesehen vom Typhus abdominalis findet auch bei manchen an- deren Infektionskrankheiten, insbesondere bei Maltafieber, aber gelegent- lich auch bei Milzbrand, Tuberkulose, Rotz, bei Streptokokkeninfektionen und dergleichen eine Ausscheidung der spezifischen Erreger durch den Harn statt; ebenso ist der Urin bei schweren, letal verlaufenden Pest- fällen infektiös. Es bedarf ferner kaum einer Erwähnung, daß auch alle entzündlichen und insbesondere eitrigen Prozesse der Harn- und Geschlechtsorgane, die ihre Sekrete dem Harn beimischen, zur Ab- scheidung von Bakterien Veranlassung geben können. — Im Gegensatz zur Niere zeigen nun, ebenfalls nach Versuchen von BıepL und Kraus, weder die Speicheldrüsen, noch die Schleimdrüsen des Mundes, des Ösophagus, der Trachea, der Conjunctiva, noch auch die Tränendrüse und die Bauchspeicheldrüse die Fähigkeit, Bakterien aus dem Blute zu eliminieren. Hingegen werden durch die Leber, wenn auch nicht kon- stant, manche Arten von Mikroorganismen ausgeschieden, und besonders bei Cholera und Typhus waren die spezifischen Erreger nicht selten in der Galle nachweisbar, wobei allerdings meist an eine Einwanderung der Bazillen vom Darm aus in die Gallenblase zu denken sein dürfte. Ebenso treten manche im Blut zirkulierende pathogene Mikroben unter Umständen durch die Darmschleimhaut in das Lumen des Verdauungs- kanals über, wie man dies z. B. beobachten kann, wenn man Meer- schweinchen passende Dosen von Choleravibrionen intravenös injiziert. Hat man die Menge der letzteren richtig getroffen, so finden sich nach dem Tode der Tiere im Blute nur ganz vereinzelte Keime vor, während der dünnflüssige Darminhalt von Choleravibrionen förmlich wimmelt. Wie wenig übrigens diese Angaben über die Bakteriendurchlässig- Ausschei- dung durch andere Drüsen. 10 II. Wege der Infektion. keit der einzelnen Drüsen verallgem.sert werden dürfen, geht unter anderem aus der bekannten Tatsache hervor, daß das Virus der Toll- wut gerade durch die Speicheldrüsen am reichlichsten zur Ausscheidung gelangt: geschieht doch die Übertragung der Lyssa in praxi fast aus- schließlich durch den in die Bißwunde eindringenden Speichel wut- kranker Tiere. Es kommt eben zweifellos bei der Elimination patho- gener Keime durch drüsige Organe ganz besonders auf die Natur der- Fun selben an, eine Bemerkung, die auch für die Milchdrüse ihre (rültigkeit die Milch- besitzt. Während z. B. bei reiner unkomplizierter Milzbrandinfektion drösen. lie Milch meist steril blieb, traten bei Mischinfektionen, besonders wenn dieselben Hämorrhagien erzeugten, häufig Milzbrandbazillen in die Milch über, und BascHh und WELEMINSKI suchten auch für andere Mikro- organismen den Nachweis zu führen, daß dieselben nur dann das sezernierende Epithel der Brustdrüse zu durchbrechen ver- mögen, wenn sie die Fähigkeit besitzen, hämorrhagische Herde zu setzen. Für die Tuberkelbazillen ist der Übertritt in die Milch sowohl beim Rinde, als auch beim Menschen mit Sicherheit er- wiesen. Wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, ist dabei eine lokale Erkrankung der Milchdrüse durchaus kein unbedingtes Erfordernis, ja eine Ausscheidung durch die Milch kann selbst bei klinisch voll- kommen latent verlaufender und nur durch die Tuberkulinreaktion an- gezeigter Tuberkulose vorkommen. Besonders reichlich erfolgt jedoch der Übertritt in die Milch begreiflicherweise bei Tieren, die mit Euter- tuberkulose behaftet sind, und diese sind es denn wohl auch, welche die Hauptgefahr für die Infektion darbieten. Ausschei- Viel größere praktische Bedeutung als der Milch kommt jedoch m in bezug auf die Verbreitung infektiöser Keime den Absonderungen des erkrankten Respirationstraktes zu. Tuberkelbazillen, Pneumokokken, Infiuenzabazillen, Diphtheriebazillen, unter Umständen auch Typhus- und Pestbazillen werden mit dem Sputum nach außen befördert, und das- selbe gilt vermutlich auch von den derzeit noch unbekannten Erregern der akuten Exantheme. Nun kann aber das Sputum natürlicherweise im feuchten Zustand Stäubehen- nur bei direkter Berührung zu einer Übertragung pathogener Keime ‚sektion. Veranlassung geben, und man nahm daher an, daß dasselbe seine Hauptrolle als Infektionsträger erst nach seiner völligen Aus- trocknung zu spielen beginne, indem sich feinste bazillenhaltige Staubteilchen von demselben loslösen sollten, die durch den schwächsten Luftzug aufgewirbelt und fortgetragen werden sollten. Diese Annahme ist jedoch nur mit großen Einschränkungen als richtig anzuerkennen. Bereits CoRNET spricht sich nämlich über diesen Verbreitungsmodus der Bazillen in folgender Weise aus: „Wer einmal versuchte, selbst gut getrocknetes Sputum im Mörser zu zerreiben und sehr fein zu pulveri- sieren, der wird mir bestätigen, daß es gar keine so leichte Aufgabe ist, ein wirklich feines Pulver zu erhalten, das einige Zeit in der Luft suspendiert bleibt. Die darüber herrschenden Vorstellungen, als ob man nur mit dem Fuße über getrocknetes Sputum zu streichen habe, damit sich sofort eine ganze Staubwolke von Infektionskeimen erhebe, ist absolut falsch. Der Mucingehalt des Sputums hindert bis zu einem gewissen Grade die Pulverisierung.“ FrüssE, der von seinen Schilern ausgedehnte Untersuchungen über die Luftstaubinfektion anstellen ließ, kam genau zu derselben An- schauung. Es muß hiernach zwar zugegeben werden, daß eine II. Wege der Infektion. 11 Infektion durch verstäubtes trockenes Sputum zweifellos möglich ist, und sich sicher ab und zu ereignen wird. Anderer- seits muß jedoch hervorgehoben werden, daß man die Häufigkeit dieses Infektionsmodus früher sicher bedeutend überschätzt hat, indem die Bildung feinster, leicht durch die Luft transportabler Stäubchen nur aus völlig trockenem, wasserfreiem Sputum und auch da nur in recht beschränktem Umfang vor sich gehen dürfte. Dement- sprechend hat denn auch GorscHLich selbst in stark frequentierten Räumen (Wartesälen u. dergl.) unter 90 Proben flugfähigen Staubes keine einzige tuberkelbazillenhaltige gefunden, und WAGNER fand selbst in einer Tuberkuloseheilstätte unter 40 Proben nur 3mal Tuberkel- bazillen, wobei es sich übrigens, zum mindesten in einem Falle, nach- weisbar um ganz grobe Verunreinigung durch unvorsichtige Patienten gehandelt hatte. Hingegen hat FrLüssE auf die große Wichtigkeit eines zweiten Tröpfchen- Modus hingewiesen, wie Krankheitserreger von den Schleimhäuten des "**ton- Respirationstraktes in die Außenwelt gelangen können. Vornehmlich beim Husten, aber auch beim Räuspern, Nießen und lauten Sprechen lösen sich feinste, zum Teil bazillenhaltige Tröpfchen von der feuchten Schleimhautoberfläche los und werden durch die Exspirationsstöße weit in die Umgebung hinausgeschleudert, wo sie sich wegen ihrer Klein- heit lange in der Luft schwebend erhalten können, und durch mini- malste Luftströme weiter getragen werden. FrüssE hat nun nicht nur alle Einzelheiten dieses Vorganges, die Beschaffenheit und Zusammen- setzung der bazillenhaltigen Tröpfchen, ihre Flugfähigkeit und Schwebe- dauer, die bis 30 Minuten betrug, die Intensität der Luftströme, welche dieselben noch mit fortbewegten usw., einer eingehenden Untersuchung unterziehen lassen, sondern es konnte sogar direkt gezeigt werden, dab einzelne hustende Phthisiker zeitweise einen förmlichen Spraynebel infektiöser Partikelchen rings um sich verbreiten, deren hohe pathogene Wirksamkeit im Tierversuch erhärtet werden konnte. — Zweifellos wird eine ähnliche Verstäubung bazillenhaltiger Sputumtröpfchen noch bei vielen anderen, mit Affektionen der Respi- rationsschleimhaut einhergehenden Infektionskrankheiten stattfinden, und es stellt somit die Tröpfchenverstreuung neben der gewöhnlichen Form der Sputumentleerung eine der wesentlichsten Arten der Verbreitung infektiöser Keime dar. Daß neben den krankhaften Absonderungen des Verdauungskanals des Urogenitaltraktes und der Luftwege alle schuppenden ulzerativen oder eiterigen Prozesse der Haut selbst oder tiefer gelegene Eiterungen, welche die Haut durchbrechen und sich nach außen entleeren, zur Über- tragung und Ausbreitung pathogener Mikroorganismen Veranlassung geben können, ist ganz selbstverständlich und braucht an dieser Stelle übertrasung nicht näher ausgeführt zu werden. Fügen wir noch hinzu, daß durch durch In stechende Insekten pathogene Mikroorganismen direkt aus dem Blute erkrankter Individuen aufgesogen und in derselben Weise durch den Stich auf Gesunde übertragen werden können, wie dies beiMalaria regelmäßig durch eine Mosquitoart: Anopheles maculipennis bei Schlafkrankheit durch Stechfliegen: Glossina fusca u.tachinoides bei Gelbfieber durch eine Mücke: Stegomyiacalopus bei dem afrikan. Recurrens durch eine Zecke: Ornithodorus moubata bei Texasfieber des Rindes durch eine Zecke: Boophilus bovis Einfluß der Austrock- nung. 12 II. Wege der Infektion. geschieht, während bei einer Reihe „derer Erkrankungen wie Pest, Milzbrand, Typhus usw. mehr gelegentlich eine Übertragung durch Stechfliegen, Flöhe und Wanzen beobachtet wird, und bemerken wir schließlich noch, daß auch die bakterienhaltigen Leichenteile von an Infektionskrankheiten gestorbenen Menschen oder Tieren durch Fäulnis oder auf andere Weise Mikroorganismen in Freiheit setzen können, so haben wir die vielen Möglichkeiten, die zu einer Überführung pathogener Keime in die Außenwelt Veranlassung geben können, so ziemlich erschöpft. Sind nun die Krankheitserreger auf einem der geschilderten Wege in die Außenwelt gelangt und haben sie sich daselbst der Luft, dem Boden oder dem Wasser beigemischt, so beginnen nunmehr auf sie eine Reihe von Kräften einzuwirken, welchen sie entzogen waren, so- lange sie sich unter dem Schutze des infizierten tierischen Organismus befanden. Wir werden den Eintluß dieser Kräfte auf die pathogenen Keime in Kürze zu betrachten haben und zu untersuchen haben, welche Lebensbedingungen die letzteren in den genannten Medien vorfinden. Wie wir gesehen haben, verlassen die pathogenen Mikroorganismen den Tierkörper stets mit den Se- oder Exkreten, also im feuchten Zustande, und die erste Einwirkung, die sie daher im Freien erfahren, wenn sie nicht direkt in Flüssigkeiten gelangt sind, ist die Austrock- nung. Dieser gegenüber verhalten sich nun die einzelnen Arten von Krankheitserregern außerordentlich verschieden. Sind dieselben imstande, wie z. B. der Milzbrandbazillus, resistente Dauerformen, Sporen zu bilden, dann können sie im völlig trockenen Zustand anstandslos jahr- zehntelang lagern, ohne etwas von ihrer Lebensfähigkeit und Infektiosität einzubüden. Viel empfindlicher gegen die Austrocknung sind hingegen die vegetativen Formen der Bakterien, doch machen sich auch bei diesen, je nach ihrem Verhalten gegenüber osmotischen Schädigungen), außerordentlich große Verschiedenheiten geltend. Während z. B. Cho- leravibrionen, die an Seidenfäden angetrocknet wurden, meistens schon nach wenigen Stunden zugrunde gegangen waren, hielten sich Typhus- bazillen unter ähnlichen Verhältnissen bis zu 28 Tagen, Diphtherie- bazillen sogar bis zu 74 Tagen lebensfähig. Von größtem Einfluß auf die Lebensdauer der einzelnen Arten im trockenen Zustande ist dabei einerseits die Beschaffenheit der Unterlage, auf welcher sich die Mikroorganismen fixiert haben, andererseits die Qualität des flüssigen Mediums, das dieselben bei ihrem Austritt aus dem Tierleibe um- schließt, ganz besonders aber die Dicke der eintrocknenden Schicht. Alle Forscher, welche die Widerstandsfähigkeit der Bakterien gegen das Eintrocknen untersucht haben, machten die Beobachtung, dab sie auf Glasplatten viel schneller zugrunde gingen als etwa auf wolligen Ge- weben, in deren Maschen sie offenbar längere Zeit gegen die Wirkung der Austrocknung geschützt bleiben, daß sie sich in schleimigen oder eitrigen Sekretmassen länger halten als in wässerigen Flüssigkeiten, in dicker Schicht länger als in dünner. Endlich ist natürlich der Grad der Austrocknung von größter Bedeutung, da ja auch scheinbar trockene Massen immer noch größere oder geringere Feuchtigkeitsmengen hygro- skopisch gebunden enthalten, die von Einfluß auf die Lebensdauer der Keime sein müssen. Diese Vielheit von Faktoren, von denen die schäd- liche Wirkung der Austrocknung abhängt, ist die Ursache davon, daß ») Vgl. Kapitel VIII. II. Wege der Infektion. 13 trotz zahlreicher eingehender Studien über diesen Punkt die Zeitangaben der verschiedenen Autoren recht weit auseinandergehen und schwer miteinander vergleichbar erscheinen, weshalb wir auch hier auf eine Wiedergabe der mannigfaltigen einander scheinbar widersprechenden Daten verzichten wollen. Nur eine sehr instruktive Zusammenstellung von KırstEın mag hier Platz finden, und zwar deshalb, weil sich dieselbe auf die praktisch so wichtige Frage der Lebensdauer von Mikroorganismen in versprühten feinsten Tröpfchen bezieht und weil ihr ein durchaus einheitliches Ver- suchsmaterial zugrunde liegt. Kırsteis ließ nämlich Aufschwemmungen verschiedener pathogener Mikroorganismen — unter anderen von Typhus-, Diphtherie- und Milzbrandbazillen, ferner von Streptokokken und Staphylo- kokken — in einem geeigneten großen Blechkasten durch einen Spray- apparat zerstäuben und prüfte, wie lange die mit den feinsten Flüssig- keitströpfehen mitgerissenen Keime am Leben blieben. Die interessanten Ergebnisse dieser Versuche finden sich in der beistehenden Tabelle ver- zeichnet. Wie aus ihr zu entnehmen ist, gehen bei diesem Modus der Keimverschleppung der Typhusbazillus und der Diphtheriebazillus, die sonst gegen Austrocknung ziemlich resistent sind, auffallend rasch, nämlich bereits innerhalb 24 bis 48 Stunden, zugrunde; viel länger halten sich der Tuberkelbazillus, die Eitererreger und — selbstverständ- lich — der sporenbildende Milzbrandbazillus. Dauer der Lebensfähigkeit verschiedener, mit feinsten Tröpfchen verspritzter Mikroorganismen (nach KirSTEIN). Am zerstreuten Tages- Bakterienart Ent aufbewahrt Im Keller aufbewahrt Bac. prodigiosus 24 Stunden u Bac. typhi 24 Stunden = Bac. diphtheriae 24—48 Stunden 5 Tage Bac. cholerae gallinarum 10 Stunden 24 Stunden Bac. tuberculosis 5 Tage wenigstens 22 Tage Staphyloc. aureus 8—10 Tage 35 Tage Streptoc. longus | 10 Tage 38 Tage Milzbrandsporen 10 Wochen mindestens 3 Monate Rosahefe | 10—14 Tage _ Gleichzeitig läßt jedoch diese Tabelle den Einfluß eines zweiten höchst wichtigen Faktors, dem die in die Außenwelt gelangten patho- genen Keime in hervorragendem Maße unterworfen sind, aufs deut- lichste erkennen: nämlich den Einfluß des Lichtes. Während sich z. B. die verstäubten Tuberkelbazillen im zerstreuten Tageslichte nur 5 Tage lebend erhielten, blieben sie bei Aufbewahrung im dunklen Keller wenig- stens 22 Tage am Leben, und ähnliche Differenzen finden sich bei den anderen pathogenen Arten. Bei weitem energischer als die Wirkung des zerstreuten Tageslichtes ist natürlich die desinfizierende Kraft des direkten Sonnenlichtes, und zwar sind es weniger die ultraroten, roten und gelben Strahlen des Spektrums, als die kurzwelligen blauen, violetten und ultravioletten, welche an der bakterienfeindlichen Wirkung des Lichtes beteiligt sind. So fand Bır jenen Abschnitt des Spektrums, der von der Wellenlänge 200 bis 285 reicht und dem Uiltraviolett an- gehört, etwa 10—12mal so wirksam, wie das ganze übrige Spektrum, von der Wellenlänge 295 bis 760. Buchxer hat die seit langem be- Einfluß der Belichtung. Morbidität und Sonnen- scheindauer. Einfluß der Temperatur. 14 II. Wege der Infektion. kannte Wirkung der Sonnenstrahlen ın sehr eleganter Weise durch einen kleinen Versuch zur Darstellung gebracht. ‚‚Gewöhnliches alka- lisches Fleischpeptonagar wird zuerst durch Kochen verflüssigt, bei 40° gekühlt, dann mit einer bestimmten Bakterienart (Typhusbazillus, Bact. coli, pyocyaneus, prodigiosus, Choleravibrio etc.) geimpft, die Aussaat gleichmäßig verteilt und das Agar in eine Glasschale mit Rand aus- gegossen. Nach eingetretener Erstarrung befestigt man ein Kreuz aus schwarzem Papier (oder Buchstaben u. dgl.) an der Unterfläche der mit dem zugehörigen Deckel und mit einem ringförmigen Gummiband ver- schlossenen Agarplatte und exponiert letztere, die Unterfläche nach oben gerichtet, für 1—1’/, Stunden dem direkten oder für 5 Stunden dem diffusen Tageslicht. Nach dieser Zeit überläßt man die Platte an einem dunklen Orte ihrer Entwicklung. Nach 24 Stunden erscheinen dann die aufgeklebten Buchstaben vollkommen scharf, gebildet von den zur Entwicklung gelangten Bakterienkolonien, während der ganze übrige Teil der Platte steril bleibt.“ Es ist klar, daß diese desinfizierende oder wenigstens entwicklungs- hemmende Fähigkeit des Sonnenlichtes eine Tatsache von größter hygie- nischer und epidemiologischer Bedeutung darstellt. Besonders RuHE- MANN hat auf den Zusammenhang zwischen Sonnenscheindauer und Auftreten von Infektionskrankheiten an der Hand eines großen statisti- schen Materials hingewiesen und gefunden, „dab im großen und ganzen, natürlich unter gewissen, die verschiedenen Infek- tionskrankheiten betreffenden Differenzen, ein umgekehrt proportionales Verhältnis zwischen Morbidität bezw. Mor- talität und Sonnenscheindauer besteht“. Man wird KırstEixn wohl beipflichten dürfen, wenn er diese Tatsachen und besonders das vermehrte Auftreten gewisser infektiöser Erkrankungen im Winter damit in Zusammenhang bringt, daß die während dieser Jahres- zeit bestehende kürzere Tagesdauer das Absterben der mit feinsten Tröpfchen verspritzten Mikroorganismen verzögert und dadurch deren Infektionsgefahr erhöht. Ebenso wird man die hygienischen Nachteile dunkler Wohnungen, wenigstens zu einem Teile, auf die fehlende Des- infektionswirkung der Sonnenstrahlen beziehen dürfen. Ein interessantes Beispiel für den Einfluß der Belichtung auf die natürliche Verbreitung des Milzbrandes hat Kress beigebracht. Seit langem weiß man, dab gewisse Weideplätze immer wieder zur Milzbranderkrankung des Viehs Veranlassung geben und machte dabei die Beobachtung, daß beschattete Stellen der Entwicklung des Virus ganz besonders günstig waren. In manchen Fällen genügte nun schon die Entfernung des höheren Busch- werks, um die betreffenden Weideplätze zu assanieren und die Ent- wicklung des Milzbrandbazillus in den oberflächlichen Erdschichten und an den Gräsern unmöglich zu machen. Gegenüber dem ganz hervorragenden Einfluß der Austrocknung und Belichtung auf die Lebensdauer der in die Außenwelt gelangten pathogenen Keime spielen die sonst so wichtigen Temperatur verhält- nisse hier eine viel geringere Rolle. Denn einerseits kommt es — wenigstens in unseren Gegenden — wohl nur selten zu einer so starken Erwärmung der Unterlagen, auf welchen die Mikroorganismen haften, daß diese in ihrer Lebensfähigkeit geschädigt werden könnten, anderer- seits ist ja gerade die Winterkälte ein vorzügliches Konservierungs- mittel für viele pathogene Keime, so daß selbst sehr empfindliche Arten, wie der Choleravibrio, ohne Schwierigkeit in hartgefrorener Erde U. Wege der Infektion. 15 und dergl. überwintern können und selbst mehrfaches Gefrieren und Wiederauftauen ohne weiteres vertragen. Immerhin mag auch den Temperaturverhältnissen im Verein mit den anderen Faktoren ein ge- wisser Einfluß auf die Lebensdauer der pathogenen Keime zukommen, und es werden zweifellos manche Arten bei warmem Wetter eher die Gelegenheit zur Vermehrung vorfinden als in der Kälte. Doch sind gerade die Chancen für eine Keimvermehrung wohl für viele der an- spruchsvolleren und verwöhnteren pathogenen Mikroorganismen im Freien ziemlich geringe, und zwar deshalb, weil sie daselbst nicht die geeigneten organischen Nährstoffe vorfinden, auf welche sie bei ihrer parasitischen Lebensweise angewiesen waren. Solange sie freilich mit den meist eiweißhaltigen Sekreten in Berührung bleiben, mit welchen sie aus dem Tierkörper nach außen befördert wurden, leiden sie in dieser Beziehung absolut keinen Mangel, und es ist ja bekannt, dab Choleravibrionen sich in feucht gehaltener, mit den reiswasserähnlichen Dejekten beschmutzter Wäsche recht erheblich zu vermehren imstande sind. Sind jedoch diese Nährstoffe einmal durch Verdünnung und Zer- setzung entfernt, dann sind die Bedingungen für eine Vermehrung der Keime sehr ungünstige und weder der Boden noch das Wasser bietet in der Mehrzahl der Fälle hierzu ausreichende Gelegenheit dar. Dazu kommt noch ein weiterer Umstand, der die Chancen der patho- genen Keime noch erheblich verschlechtert: nämlich die gleichzeitige Anwesenheit großer Mengen von anspruchslosen Saprophyten, die ihrem Medium, dem Wasser oder dem Boden, ganz besonders angepaßt sind und daher die fremden Eindringlinge ohne weiteres zu über- wuchern vermögen. Von welch großer Bedeutung die Gegenwart der- artiger konkurrierender Bakterienarten ist, geht daraus hervor, daß man z. B. Typhusbazillen in sterilisierter Erde noch nach 11—16 Mo- naten mit Sicherheit nachzuweisen imstande war, während sie in nicht- steriler Erde bereits nach drei Monaten zugrunde gingen. Im Wasser bezw. im Schlamm halten sich die Typhusbazillen unter natürlichen Bedingungen etwa vier Wochen, Choleravibrionen bis zu drei Monaten lebensfähig. Nach neueren Untersuchungen kommt übrigens neben der Konkurrenz saprophytischer Bakterien auch der ausgiebigen Freßtätigkeit der im Wasser befindlichen Flagellaten eine wichtige Rolle bei der Vernichtung der pathogenen Mikroorganis- men zu. Daß schließlich diejenigen pathogenen Keime, welche auf irgend einem Wege in menschliche Nahrungsmittel, vor allem im Milch, Fleisch usw. gelangt sind, daselbst oft außerordentlich günstige Vegetationsbedin- gungen vorfinden werden, da ihnen ja hier die erforderlichen Nähr- stoffe in hinreichender Menge zur Verfügung stehen, ist nicht weiter verwunderlich und bedarf daher keiner eingehenderen Erörterung. Fassen wir unsere Auseinandersetzungen über das Schicksal der pathogenen Mikroorganismen in der Außenwelt nochmals kurz zu- sammen, so können wir also sagen, daß manche von ihnen, wie z.B. der Milzbrandbazillus, sich zweifellos daselbst zu vermehren imstande sind, daß jedoch die Mehrzahl der Krankheitserreger hierzu nicht die nötigen Bedingungen vorfindet, sich aber unter günstigen Umständen mehr oder weniger lange lebensfähig und virulent erhalten kann, während sicher ein großer Teil durch Austrocknung, Belichtung, durch Nahrungsmangel und durch die Konkurrenz sapro- phytischer Mikroben zugrunde geht. Einfluß des Nährstoff- mangels. Konkurrenz mit Sapro- plyten. Haltbarkeit im Wirtstier. Infektions- modus. 16 II. Wege der Infektion. Von außerordentlicher Bedeutvrg für die Verbreitung gewisser infektiöser Erkrankungen, deren Erreger durch Insekten übertragen werden, ist schließlich die in letzter Zeit vollkommen sichergestellte Tatsache, daß sich diese Mikroorganismen in ihren tierischen Wirten oft überraschend lange zu halten vermögen. So hat die englische Pest- kommission bei Versuchen über die Lebensdauer der Pestbazillen im Organismus der Flöhe noch nach 15 Tagen positive Resultate erhalten, und KLopxItzky und JorDanskY konnten feststellen, dal die Krank- heitserreger sich im Magen von Wanzen außerordentlich lebhaft zu vermehren imstande sind, und noch nach 3 Monaten infektionsfähig an- setroffen werden können. Noch interessanter ist jedoch, daß nach Versuchen von MöLLErRs Recurrenspirochäten durch Zecken, welche an erkrankten Tieren gesogen hatten, noch nach 1!/, Jahren auf gesunde Tiere übertragen werden konnten. Ja, noch mehr, selbst die von in- fizierten Zecken abstammenden ersten und zweiten Generationen von jungen Zecken, welche selbst niemals Recurrensblut zu saugen Gelegen- heit hatten, erwiesen sich als vollkommen infektionstüchtig und hatten somit ihre Infektiosität auf dem Wege der Vererbung erworben, eine Beobachtung, die abgesehen von ihrer großen epidemiologischen Wich- tigkeit auch nicht geringes biologisches Interesse darbietet. Über das letzte Glied des Kreislaufes der Infektionserreger, welches dieselben wieder mit einem empfänglichen tierischen oder menschlichen Organismus in Berührung bringt, können wir uns nun- mehr ganz kurz fassen. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß durch alle Vorgänge, bei welchen Menschen oder Tiere mit dem spezifischen, keimhaltigen Materiale in Berührung kommen, die Gelegenheit für eine Infektion gegeben wird. Ganz allgemein wird man daher eine Übertragung der Infektionskrankheiten durch direkte oder indirekte Berührung, durch Nahrungs- und Genußmittel, durch Einatmung und durch Insektenstich unterscheiden können. Inseiner Anwendung auf die einzelnen Infektions- krankheiten erfährt jedoch dieser Satz eine Reihe höchst wichtiger Ein- schränkungen, welche teils durch die Menge und Art der Ausscheidung der Mikroorganismen durch den kranken Körper, teils durch ihre Empfindlichkeit gegenüber den Schädlichkeiten der Außenwelt, teils endlich dadurch bestimmt werden, daß viele pathogene Keime nur dann zu einer Erkrankung Veranlassung geben können, wenn ihnen ganz be- stimmte Infektionspforten offen stehen. So kann die Malaria wohl kaum anders als durch Insektenstich, die Tollwut kaum anders als durch den Biß wutkranker Tiere übertragen werden, vorausgesetzt, daß man von zufälligen Kuriositäten sowie von dem absichtlichen Laboratoriums- experimente absieht. Ferner findet der Vibrio der Cholera asiatica oder der Typhusbazillus nur vom Magendarmtrakt aus, der Gonokokkus nur von der Urethralschleimhaut oder von der Conjunctiva, der Pneumo- kokkus fast nur von der Respirationsschleimhaut her seinen Eingang in die Gewebe, während wieder andere Mikroorganismen, wie z. B. der Pestbazillus oder die pyogenen Kokken an keine besondere Lokalität gebunden erscheinen und unter günstigen Umständen von jeder Körper- stelle aus gefährlich werden können. Aus dem Zusammenwirken aller dieser verschiedenartigen Faktoren resultiert für die mannigfaltigen, a priori denkbaren und möglichen In- fektionswege der einzelnen pathogenen Mikroorganismen ein sehr ver- schiedener Grad von Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit, welcher der II. Wege der Infektion. 17 ganzen Verbreitungsweise der betreffenden Infektionskrankheiten ihr charakteristisehes Gepräge verleiht. Um dieselbe auch durch einen be- sonderen Namen zum Ausdruck zu bringen, hat man diejenigen infekti- ösen Krankheiten, bei welchen die direkte unmittelbare Übertragung von Kranken auf den Gesunden vorzuherrschen pflegt, als kontagiöse zusammengefaßt, und ihnen jene anderen Infektionen gegenübergestellt, bei welchen die Krankheitserreger nur ausnahmsweise diesen Weg nehmen, vielmehr in der Regel aus den umgebenden Medien, z. B. aus der Erde (Tetanus) stammen, wenn sie nicht, wie manche Eitererreger, auf der normalen Haut als Saprophyten vegetieren. Eine Beziehung der Er- krankung zu früheren Krankheitsfällen, wie bei den eigentlich konta- giösen Prozessen, ist bei dieser Gruppe der „ektogenen“ Infek- tionen daher meist nicht nachweisbar. Im übrigen kann der Ver- breitungsmodus infektiöser Erkrankungen zu verschiedenen Zeiten je nach den äußeren Umständen auch einen sehr wechselnden Charakter darbieten. So ist z. B. von großem Interesse, daß nach den epidemio- logischen Beobachtungen GotscHLichs die im Sommer in Ägypten auftretenden Pestepidemien sich ganz verschieden von den Winter- epidemien gestalten, indem im Sommer Beulenpest, im Winter da- gegen Lungenpest vorwiegt und demgemäß im ersteren Falle nur sehr geringe Kontagiosität besteht, während es im Winter auch dem besser Situierten, dem es leicht fällt, die Berührung mit infizierten Ratten, Kehricht usw. zu vermeiden, nicht immer gelingt, der Tröpfcheninfektion zu entgehen. Die Krankheit wirkt eben unter diesen Umständen so ansteckend, wie etwa die Influenza. Es würde zu weit führen, wollten wir die einzelnen Krankheits- erreger und die Eigentümlichkeiten ihrer Übertragung hier im Detail zu schildern versuchen. Es mag vielmehr genügen, diesbezüglich auf die beistehende tabellarische Zusammenstellung zu verweisen, welche, mit geringfügigen Abänderungen, dem ausführlichen Artikel von GOTSCHLICH in KOLLE-WASSERMANNs Handbuch der pathogenen Mikro- organismen entlehnt ist und in sehr übersichtlicher Weise die Infek- tionswege der wichtigsten menschlichen Infektionskrankheiten zur An- schauung bringt. (S. Tabelle auf p.1S und 19.) Literatur. PETRUScHKY, Zentralbl. f. Bakt., 1898. Bıevr und Kraus, Zentralbl. f. die ges. Mediz., 1896; Arch. f. exper. Pathol,, 1895; Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXVI, 1897. BascH und WELENnIsKı, Jahrb. d. Kinderheilk., 1898. CoRNET, Zeitschr. f. Hyg., Bd. V, 1889. GoTscaLiıcH, Kolle-Wassermanns Handbuch, II. Ergänzungsbd. Früsse, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXX; ebenda LascHTscHENK0, HEYMANN, STICHER, BENINDE, 1899. Kısstein, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXIX, 1902. « Buc#ner, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XV, 1894. RuBenann, Zeitschr. f. diätet. u. physik. Therapie, Bd. I, 1898. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 2 Kontagiöse Krankheiten. Ektogene Infektion. 18 —______[[[ nn Unmittelbarer Kontakt Infektions- mit den inne a) manifeste Fälle e Wichtigster Tuberkulose Infektionsmodus Wichtigster Lepra Modus Malaria Häufig; langsame Ausbreitung Cholera asiatica Typhus abdom. | Relativ selten Paratyphus Relativ selten Weilsche Krankheit Dysenterie Häufig Meningitis cere- Wiıchtigster brospinalis Modus e £ Wichtigster Diphtherie Usdas Bneumonie Möglich Influenza, ER hen Einziger Modus Typhus recurrens | Einziger Modus Masern, Schar- Wichtigster lach, Pocken Modus > Wichtigster Trachom Madas Wichtigster Gonorrhoe Bi Fi Wichtigster Syphilis we Wundinfektions- krankheiten Häufig (Puerperalfieber) Pest Pestpneumonie Tetanus, Malig- nes Odem Milzbrand | Vorkommend Lyssa Rotz Vorkommend II. Wege der Infektion. Infektionswege der wichtigsten Mittelbarer Kranken Kontakt | b) latente an | Fälle Solange kein Taschentücher, Auswurf, keine | Teppiche, Woh- Gefahr nung ect ’D | Wahrscheinlich Wichtig! (Für Verbreitg. durch Mücken) Häufig; Wäsche, Kleider usw. Sehr wichtig! — Häufig; Wichtig! a ' BER Tonnen- und Bazillenträger! Grubeninhalt Wichtig | Wahrscheinlich at Bazillenträger Vorkommend Wichtig . £ } Belleit rer Taschentücher! | ee Häufig. Bettzeug, ee | Wäsche, Sn 5 zeug, Wohnung Wichtig? Seltener | Rekonvales- R zenten j a Häufig. Wichtig Tenazität in der | Wohnung Wichtig im Be- | Taschentücher, einn der Fälle Handtücher |Chron. Gonorrhoe Sehr selten Wichtig Glasbläser! Infektion Häufig. Wäsche, durch latente Verbandszeug. Keime Hebammen Wicht. Modus. Wohng., Wäsche, Kleider. Durch Verm. der Ratten Latente Pneu- | monie u. Rekon- valesz. Vorkommend Vorkommend Infektion durch Trinkwasser Wichtigster Modus Häufig Häufig Wichtigst. Mod. (auch beim Baden) Wichtigster Modus II. Wege der Infektion. 19 menschlichen Infektionskrankheiten. werten Luftinfektion en! Übertragung durch Tiere Nah Ben ittel durch Boden b) gesunde ahrungsmitte! | „) Stäubchen | b) Tröpfchen a) infizierte | (Zwischen- träger) e Durch auf- ? ? Wichtigster S . : : : 5 gewirbelten Rinder- Fliegen Ba Bokker Modus Staub tuberkulose Fliegen ? indirekt: _ _ -- Sümpfe mit Mücke _ Mosquitos | Häufig — | ? Kein Einfluß _ Fliegen 2 = | Aufgraben Fliegen Be aniee, ? ? von infiziert. —_ Flöhe ? ? Bodenstaub Wanzen ? Häufig Mi Fleisch Fl Fleisch! Wurst. kranker Tiere | Ep Wasserinfekt. Vorkommend ? von Hühner- ? epizootie Katzen ? Vorkommend _ (bei Amöben- Fliegen dysenterie) Aufgewirbelt. | Aufgewirbelt. . | Bodenstaub Wichtig | Staub F Fliegen ? Bei starkem . Milch “| Be | | Fliegen ? Wichtigster - | Keil ee Papageien! — = | Influenza — | Wichtigster | |Keuchhusten ? ?| Modus E je | er | = Stechende Insekten Kr z nn a Katarrhal. i x a Eu sehnppen Sekrete — Möglich ? | _ u _ Fliegen Streptokokken- enteritis durch Milch Häufig | Wichtig Bei Pest- Infizierter Ratten, Mäuse —. : Fußboden der AT pneumonie Wohnung Wichtig! Fliegen ? Flöhe Verunreinig. von. Wunden | Bodenstaub a | Fliegen Fleisch milz- Hadern- brandiger Tiere | krankheit 7 Typischer Modus III. Die Bakteriengifte. Obwohl die Haut und die meisten Schleimhäute, besonders die- jenigen des Verdauungstraktes, im beständigen innigen Kontakt mit den zahllosen Mikroorganismen stehen, welche als harmlose Schmarotzer in den Se- und Exkreten vegetieren, finden sich die inneren Organe ge- sunder Menschen und Tiere dennoch fast stets vollkommen keimfrei. Daraus geht hervor, daß diese saprophytischen Mikroben entweder über- haupt nicht die Fähigkeit besitzen, die sich ihnen entgegenstellende Schranke der Deckepithelien zu durchbrechen oder daß sie wenigstens im Falle des Eindringens in die Säfte und Gewebe sofort den Abwehr- vorrichtungen des Organismus zum Opfer fallen, welche wir in einer der folgenden Vorlesungen noch näher kennen zu lernen haben werden. Demgegenüber sind nun aber die pathogenen Mikroorganismen gerade durch die Fähigkeit charakterisiert, im Blut und in den Geweben zu vegetieren und diesen Schutzvorrichtungen des Organismus Widerstand zu leisten. Die erste Vorbedingung dafür, daß sich Mikroorganismen überhaupt im Innern des Tierkörpers entwickeln und vermehren können, ist natürlich die, daß sie sich den daselbst herrschenden Verhältnissen der Temperatur, des osmotischen Druckes, der Sauerstoffspannung usw. an- zupassen vermögen. Daneben müssen aber den pathogenen Keimen noch eine Reihe anderer Eigenschaften zukommen, welche mit ihren krankheitserregenden Wirkungen in innigem Zusammenhang stehen und sie von den unschädlichen Saprophyten wesentlich unterscheiden. Denn Mechanische die bloße Anwesenheit derselben in den Säften und Geweben reicht ng “er Inmöglich dazu aus, die mannigfaltigen Krankheitssymptome zu erklären, die wir bei den verschiedenen Infektionskrankheiten beobachten. In der Tat, würden die in den @eweben parasitierenden Mikroben lediglich mechanisch, also als Fremdkörper wirken, dann müßten alle Infek- tionskrankheiten im Wesen dasselbe Gepräge zeigen und könnten nur nach der Menge der vorhandenen Keime und nach dem hauptsächlichsten Orte ihrer Ansiedelung geringfügige Differenzen aufweisen. So kolossale Unterschiede, wie sie z. B. zwischen den wohlausgeprägten Krankheits- bildern des Tetanus, der pyämischen und septikämischen Prozesse, der Diphtherie usw. bestehen, wären jedoch nach dieser Auffassung un- denkbar und völlig unerklärlich. Ist also die bloße Fremdkörperwirkung der Mikroorganismen zweifellos nicht die einzige Ursache der verschiedenartigen lokalen und allgemeinen Erscheinungen, welche manche Infektionskrankheiten charak- terisieren, so kann andererseits doch nicht geleugnet werden, daß auch auf rein mechanischem Wege schwere Funktionsstörungen durch die III. Die Bakteriengifte. 21 pathogenen Keime ausgelöst werden können. Wegen ihrer meist außer- ordentlichen Kleinheit wird dies allerdings nur dann möglich sein, wenn dieselben nicht isoliert und vereinzelt, sondern in dichten kolonien- artigen Haufen und Ballen auftreten. So kann es kaum zweifelhaft sein, daß die dichtgedrängten Plas- modienmassen, welche in schweren Fällen tropischer Malaria die Kapil- laren ganzer Gefäßbezirke des Gehirns vollkommen verstopfen und aus der Zirkulation ausschalten, oder die geflechtartig verfilzten Pfröpfe von Milzbrandbazillen, die sich in den Gefäßen mancher lebenswichtiger Organe ansammeln, an dem Zustandekommen des schweren Krankheits- bildes wesentlich mit beteiligt sind. Andererseits bilden aber derartige Vorkommnisse doch nur eine nicht gerade häufige Ausnahme von der Regel, und wenn wir z. B. sehen, daß Diphtheriebazillen, die auf der gewiß nicht besonders lebenswichtigen Schleimhaut des Rachens und weichen Gaumens wuchern, ohne tiefer in die Gewebe oder gar in das Blut einzudringen, trotzdem so bedrohliche Allgemeinerscheinungen her- vorzurufen imstande sind, ja sogar, nach vollkommener Abheilung der lokalen Affektion, noch Lähmungszustände gewisser Nerven hinterlassen können, welche niemals direkt von den Mikroorganismen befallen waren, so drängt sich uns von selbst die Schlußfolgerung auf, daß bei der Infektion anders geartete und zwar chemische Wirkungen neben den erwähnten rein mechanischen Störungen eine Hauptrolle spielen müssen. Diese Störungen des normalen Gewebschemismus kann man sich nun in verschiedener Weise vorstellen. Indem man die Wirkungsweise der Mikroorganismen mit derjenigen höherstehender Parasiten, etwa der Eingeweidewürmer, in Analogie setzte, dachte man vielfach früher an die Möglichkeit, daß sich die infektiösen Krankheitserscheinungen durch eine Entziehung wichtiger Nahrungsstoffe oder des zum Leben notwen- digen Gewebssauerstoffes erklären könnten, welche von den pathogenen Keimen für ihr eigenes Wachstum und für ihre Vermehrung aufgebraucht würden. Wenn sich auch die Tatsache nicht ableusnen läßt, daß die Mikroorganismen, die ins Innere von Geweben eingedrungen sind oder in den Säften zirkulieren, tatsächlich von Bestandteilen derselben leben und auf Kosten derselben atmen und assimilieren, so lehrt doch anderer- seits eine einfache Betrachtung, daß der hierdurch gesetzte Verlust an Nahrungsstoffen absolut nicht ins Gewicht fällt. Man braucht nur wieder an das bereits einmal erwähnte Beispiel der Diphtherie zu denken oder sich zu erinnern, daß beim Tetanus nur eine äußerst spärliche lokale Vermehrung der Keime stattfindet, um sofort einzusehen, daß von einer Nahrungsentziehung durch dieselben auch nicht im entferntesten die Rede sein kann; ganz abgesehen davon, daß eine solche niemals zu derartigen Krankheitserscheinungen Veranlassung geben könnte, wie wir sie bei Diphtherie oder Tietanus beobachten. Übrigens ist man ja auch für die höher organisierten Parasiten des Tierkörpers in der letzten Zeit immer mehr zu der Erkenntnis gelangt, daß sie neben der Stoff- entziehung noch über ein anderes Mittel verfügen, um den Organismus zu schädigen. Dieses Mittel, das auch den pathogenen Mikro- organismen in hervorragendem Maße zu Gebote steht, ist die Produktion giftiger Substanzen. Es ist klar, daß alle jene Krankheitserreger, welche trotz streng lokalisiert bleibender Ansiedlung entweder allgemeine Krankheitserschei- nungen wie Fieber oder Temperaturabtall erzeugen oder gar in ent- Chemische Wirkungen der Bak- terien. Nahrungs- entziehung. Gift- wirkung. Nachweis der Bak- teriengifte. 22 III. Die Bakteriengifte. fernten Organen Reizzustände, Degenerationen oder andere Störungen hervorrufen, solche Wirkungen nur “urch Vermittlung löslicher Gifte zu erzielen vermögen, welche von dem Orte ihrer Produktion aus in den Kreislauf gelangen und mit dem Blute oder auf anderem Wege den giftempfindlichen Organen zugeführt werden. Daneben zeigen aber auch viele rein lokale Krankheitserscheinungen, wie Entzündungen, Eite- rungen, Nekrosen usw., unzweifelhaft toxischen Charakter, und man hat sich daher schon frühzeitig veranlaßt gesehen, der Frage der Bakterien- gifte näher zu treten, die einzelnen Giftstoffe nach Möglichkeit zu iso- lieren und ihre toxikologischen Eigenschaften zu studieren. Bevor wir jedoch die einzelnen Arten von Bakteriengiften näher kennen zu lernen und zu charakterisieren versuchen, müssen wir zu- nächst eine etwas allgemeinere Betrachtung darüber vorausschicken, wie man bei dem Nachweis derartiger giftiger Produkte vorzugehen hat, welchen experimentellen Schwierigkeiten man hierbei begegnen kann und vor welchen Fehlerquellen und irrtümlichen Deutungen man sich zu hüten hat. Auf den ersten Blick hin hat es den Anschein, als ob nichts leichter und einfacher sein könnte, als die Anwesenheit von Giften in irgend einer Bakterienkultur nachzuweisen. In der Tat braucht man in vielen Fällen nur den Einfluß der in der Kultur vorhandenen lebenden Mikroorganismen durch vorsichtige Abtötung — etwa durch Erwärmen auf 55—60° oder noch besser durch Einwirkung von Chloroform- oder Ätherdämpfen — auszuschalten, dann die auf ihre Sterilität geprüfte Flüssigkeit den Versuchstieren in entsprechender Weise beizubringen und abzuwarten, ob dieselben unter den gleichen Symptomen erkranken bezw. zugrunde gehen, welche für die Infektion mit den lebenden Mikroben charakteristisch sind. Ist dies der Fall, dann ist natürlich der toxische Charakter der betreffenden Infektionskrankheit so gut wie erwiesen. Da, wo die Krankheitserscheinungen so prägnante und auf- fällige sind, wie z. B. beim Tetanus, wird es gewiß nicht schwer fallen, auf Grund obiger Vorschrift zu einem klaren Ergebnis zu gelangen. Tatsächlich ist das gesamte Bild des experimentellen Tetanus, etwa bei der Maus, ein so charakteristisches, die zuerst eintretende Starre der der Impfstelle (Schwanzwurzel) benachbarten hinteren Extremität, die Rigidität des Schwanzes, das allmähliche Übergreifen der Erkrankung auf die Extremität der anderen Seite und schließlich auf die Vorder- beine, die krampfartigen Erschütterungen und Paroxysmen, die auf den geringsten äußeren Reiz hin erfolgen so typisch, daß eine Verwechselung für jemanden, der dieses Bild auch nur einmal gesehen hat, vollkommen ausgeschlossen erscheint. Andere pathogene Mikroorganismen rufen zwar keine so augen- fälligen Krankheitserscheinungen hervor, lassen sich aber doch, wie der Diphtheriebazillus, durch die an der Infektionsstelle eintretenden Infil- trationen und Nekrosen, sowie durch den typischen Sektionsbefund — intensive Rötung der Nebennieren, seröse Ergüsse in Pleura oder Perikardialhöhe usw. — genügend charakterisieren. Auch in diesem Falle wird es also nicht schwer halten, sich von der qualitativen Iden- tität der durch die lebenden und abgetöteten Kulturen hervorgerufenen pathologischen Veränderungen zu überzeugen. Es gibt nun aber eine Reihe von septikämischen und anderen Er- krankungen, welche weder durch besonders eigenartige klinische Er- scheinungen noch durch einen typischen und eindeutigen Sektionsbefund III. Die Bakteriengifte. 23 ausgezeichnet sind, und dann kann es mitunter nicht leicht sein, die Beteiligung giftiger Bakterienprodukte an der pathogenen Wirkung der Erreger mit Sicherheit nachzuweisen. Nicht etwa, als ob die Anwesen- heit toxisch wirkender Substanzen in den verwendeten Kulturen über- haupt zweifelhaft sein könnte. Darüber gibt natürlich das Experiment ohne weiteres klaren Aufschluß. Es sind jedoch in allen Bakterien- kulturen, auch in denen harmloser Saprophyten, neben den eigentlich so zu nennenden spezifischen Bakteriengiften noch viele andere Sub- stanzen, wie Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen, Spaltungspro- dukte und Abbauprodukte der Nahrungsstoffe usw., vorhanden, welche in geeigneter Menge Tiere ebenfalls krank zu machen und sogar zu töten imstande sind, obwohl sie unter natürlichen Verhältnissen im tierischen Organismus, niemals in solcher Menge ent- stehen, daß sie irgendwie für die Erklärung der Krankheits- symptome in Betracht kämen. Derartige Substanzen, zu welchen z. B. eine Reihe von giftigen Phenolen und anderen aromatischen Ver- bindungen gehören, sind natürlich für denjenigen, welcher die chemischen Leistungen der Mikroorganismen zu studieren beabsichtigt, von großem Interesse; bei der Ermittelung der Giftwirkungen jedoch, die im Ver- laufe der Infektionskrankheiten zustande kommen, wirken diese Stoffe in hohem Maße störend und irreführend, und es gelingt nur durch eine genaue Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse, solche Fehler- quellen auszuschalten. Insbesondere wird man vermeiden müssen, den tierischen Organismus mit allzugroßen Mengen der Kulturflüssigkeit zu überschwemmen und wird trachten müssen, dadurch, daß die zu injizierenden Quantitäten möglichst klein gewählt werden, den stören- den Einfluß giftiger Nebenprodukte möglichst zu eliminieren. Da diese letzteren sich meist in alten Kulturen relativ reichlicher anhäufen, wird man, soweit angängig, mit möglichst jungen Kulturflüssigkeiten arbeiten, eventuell auch in gleicher Weise behandelte Kulturen nichtpathogener Arten mit zum Vergleich heranziehen. Andererseits gehen aber viele Bakteriengifte, besonders intrazelluläre, erst bei längerer Digestion der Kulturen mit dem Zerfall der Zelleiber in die Flüssigkeit über, so daß die Ausbeute oft erst nach Wochen eine beträchtliche wird. Wie man sieht, erfordert also in solchen Fällen der Nachweis der Bakteriengifte nicht nur große Erfahrung und Umsicht, sondern auch ein gewisses wissenschaftliches Taktgefühl, und es ist daher nicht zu verwundern, daß in dieser Richtung manchmal recht ausgiebig gesündigt wurde. Der beste Beweis dafür sind die unzähligen Entdeckungen bakterieller Gift- stoffe, die nachträglich niemals von Nachuntersuchern mehr aufgefunden werden konnten und ebenso schnell wieder in Vergessenheit gerieten, wie sie aufgetaucht waren. Ist es nun auf dem geschilderten Wege gelungen, die Giftigkeit einer Bakterienkultur sicher nachzuweisen, dann kann man darangehen, das Studium dieser Gifte weiter zu vertiefen und zunächst durch Fil- trationsversuche zu eruieren, ob die Gifte an die Leibessubstanz der Bakterien gebunden sind oder sich in der Flüssigkeit gelöst befinden, dann aber durch verschiedene chemische Trennungsmethoden, Fällungen, Extraktionen usw. die giftigen Substanzen so weit es geht zu reinigen und zu isolieren versuchen. Wie nun aber, wenn diese Versuche kein positives Resultat er- geben und sich die zu studierende Bakterienkultur in entsprechenden Mengen nicht toxischer erweist, als die von unschädlichen Saprophyten? Einteilung er Bak- teriengifte. 24 III. Die Bakteriengifte. Ist dann der toxische Charakter der betreffenden Infektionssymptome in Frage gestellt? (Gewiß nicht. Auu.hier sind natürlich nur positive Ergebnisse beweisend, negative lassen eine ganze Reihe von Deutungen und Möglichkeiten zu, von denen nur einige hier kurz gestreift werden mögen. Zunächst ist es denkbar, daß die spezifischen Giftstoffe zwar von den Mikroorganismen in den künstlichen Kulturen gebildet werden, aber so rasch der weiteren Zersetzung unterliegen, daß sie sich dem direkten Nachweis entziehen. Im tierischen Organismus hingegen könnten dieselben durch die Diffusion und Säftezirkulation rasch genug vom Orte ihrer Entstehung fortgeschafft werden, um vor dem weiteren Ab- bau und dadurch vor ihrer Entgiftung bewahrt zu bleiben. Oder es können die gewöhnlichen, zur Bakterienzüchtung verwendeten Nähr- böden für die Giftproduktion ungeeignet sein; dann wird man unter Umständen durch Variation ihrer Zusammensetzung, durch Hinzufügen oder Weglassen gewisser Stoffe, durch Änderung des Alkaleszenzgrades, noch zu einem Resultat kommen können. Endlich ist die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen, daß manche Mikroorganismen ihre Gifte überhaupt nur unter den allergünstigsten Bedingungen, nämlich dann, wenn sie mit den lebenden tierischen Geweben und den Gewebs- säften in Berührung sind, zu bilden vermögen; in diesem Falle werden natürlich alle Versuche, die Existenz von Giften in vitro nachzuweisen, notwendig fehlschlagen müssen. So scheint es sich unter anderem bei dem Milzbrandbazillus zu verhalten. Obwohl nämlich wenige Mikro- organismen in dieser Hinsicht so genau untersucht worden sind, wie gerade der Bacillus anthracis, und obwohl manche der schweren Erschei- nungen bei der Milzbranderkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit auf toxische Ursachen hindeuten, sind doch lange Zeit mit Hilfe aller unserer bekannten und gebräuchlichen Untersuchungsmethoden weder intrazellu- läre, noch extrazelluläre Giftstoffe in den Kulturen zu entdecken gewesen. Aber auch der Versuch, eventuell nur im Tierkörper entstehende Gift- stoffe direkt in den Organen an Anthrax verendeter Tiere nachzuweisen, schlug vollkommen fehl, so daß Coxrapı sogar dafür plädiert, „daß der Milzbrand überhaupt keine giftigen Substanzen im Tierkörper erzeugt‘*. Allerdings muß demgegenüber betont werden, dab eine chemische Bindung der Gifte an gewisse Organe im Sinne der noch eingehend zu be- sprechenden EnrricHschen Theorie wohl geeignet wäre, den Nachweis derselben zu erschweren oder ganz unmöglich zu machen, abgesehen davon, daß die Extraktionsmethoden, welche zur Isolierung der Gift- stoffe aus den Geweben verwendet wurden und bei welchen Alkohol oder konzentrierte Salzlösungen eine wichtige Rolle spielen, für labile Substanzen denn doch nicht als indifferent betrachtet werden können. Wie dem auch sei, jedenfalls geht aus unseren bisherigen Ausführungen hervor, daß das Studium der Bakteriengifte unter Umständen auf be- trächtliche Schwierigkeiten stoßen kann, und man wird es daher be- greiflich finden, wenn unsere Kenntnisse über dieselben in manchen Punkten noch recht lückenhaft geblieben sind. Daher ist auch eine rationelle, d. h. auf chemischen und toxi- kologischen Prinzipien basierende Einteilung der bisher bekannt gewor- denen giftigen Bakterienprodukte derzeit noch nicht möglich. Vor- läufig kann man dieselben, wie bereits mehrfach angedeutet wurde, trennen in intrazelluläre und extrazelluläre; die letzteren, welche also nicht an die Bakterienleiber gebunden bleiben, sondern in die Kulturflüssigkeit übergehen, könnte man weiter einteilen in solche Stoffe, III. Die Bakteriengifte. 25 die nach Art von Sekreten abgesondert werden und daher gewisser- maßen das charakteristische Gepräge der betreffenden Bakterienindi- vidualität an sich tragen, und in solche, welche als Spaltungs- und Abbauprodukte der den Mikroben dargebotenen Nährstoffe anzu- sehen sind und daher hauptsächlich durch die chemische Konstitution dieser letzteren bestimmt werden. Zu der ersterwähnten Gruppe der intrazellulären Gifte gehören unter anderem die Bakterienproteine. Die zweite Gruppe, die der spezifischen extrazellulären Produkte, wird haupt- sächlich durch die echten Toxine repräsentiert; in die dritte Gruppe gehören die sog. Ptomaine. Da diese letzteren die einzigen bakteriellen Giftstoffe darstellen, deren chemische Zusammensetzung uns bekannt ist und da sie es waren, mit welchen sich die bakteriologische Forschung zuerst eingehender beschäftigt hat, wollen wir mit ihrer Besprechung beginnen. Die mannigfaltigen erfolgreichen Versuche mit faulenden, zersetzten Flüssigkeiten bei den Versuchstieren schwere Krankheitserscheinungen hervorzurufen, besonders aber die mancherorts beobachteten Vergiftungs- fälle bei Menschen, welche verdorbene Nahrungsmittel genossen hatten, hatten seit langem die Aufmerksamkeit der Forscher auf die Fäulnis- gifte gelenkt. Eingehende systematische Untersuchungen über die- selben verdanken wir jedoch erst BRIEGER, welchem es gelang, eine Reihe basischer, alkaloidähnlicher Substanzen aus faulendem Fleisch von Säugetieren und Fischen, sowie aus menschlichen Kadaverteilen zu isolieren und ihre chemische Konstitution zu ermitteln. Die Mehrzahl dieser Ptomaine, die sich in der beistehenden Zusammenstellung auf- geführt finden, gehört zu der Gruppe der Amine und Diamine, charak- terisiert sich also durch ihre Zusammensetzung bereits als Derivat der faulenden Eiweißkörper; andere, wie das Neurin, Neuridin, Muscarin, Mydatoxin, erscheinen als Zersetzungsprodukte der Lezithine resp. der lezithinhaltigen Protagone. Bemerkenswerterweise war nun aber nur ein recht kleiner Anteil dieser chemisch faßbaren Ptomaine durch gif- tige Eigenschaften ausgezeichnet. Stärkere toxische Wirkungen kamen nämlich nur dem Äthylendiamin, dem Neurin, Mydatoxin, Methylguanidin und dem bekanntlich auch in den giftigen Fliegenschwämmen enthaltenen Muscarin zu.') Ptomaine isoliert von BRIEGER aus: Fischfleisch Rindfleisch Re Miesmuscheln Cadaverin Neurin Cholin Mytilotoxin Putreszin Neuridin Neuridin Betain Methylamin Mydatoxin Cadaverin Cadaverin Dimethylamin Methylguanidin Putreszin Putreszin Trimethylamin Saprin Trimethylamin Diäthylamin Trimethylamin Äthylendiamin*) Mydalein Neuridin Mydin Muscarin Gadinin *) Die giftigen Ptomaine sind gesperrt gedruckt. So interessant und biologisch wichtig diese Befunde BRIEGERS waren, so brachten sie doch für die uns interessierende Frage nach den 1) Neuerdings :hat Faust eine äußerst giftige Vorstufe des Cadaverins, das Sepsin, aus faulender Hefe isoliert. Ptomaine. Intrazellu- läre Gifte. 26 III. Die Bakteriengifte. Giften pathogener Mikroorganismen wenig oder gar keinen Aufschluß. BRIEGER ging daher sofort an die witere Aufgabe, seine bei dem Studium der Fäulnisgifte ausgearbeiteten und bewährten Methoden auch auf die Isolierung der Toxine pathogener Arten anzuwenden. Leider nicht mit dem gleichen Erfolge. In Reinkulturen des Typhusbazillus konnte zwar BRIEGER ein sehr kräftiges Gift auffinden, das bei Meerschweinchen zunächst Speichelfluß und frequenter werdende Atmung hervorrief. Später verloren die Tiere die Herrschaft über ihre Extremitäten- und Rumpfmuskeln, ohne daß jedoch eine eigentliche Paralyse dieser Muskelgruppen bestand, und tielen hilflos auf die Seite; nach und nach nahm die Herzfrequenz und die Atmung ab und nach 24—48 Stunden trat der Tod ein. Während des ganzen Verlaufes dieser Erscheinungen entleerten die Tiere reich- liche Stuhlgänge von diarrhoischer Beschaffenheit. An eine ursächliche Beteiligung dieses Giftes an den klinischen Erscheinungen des Typhus abdominalis konnte jedoch wohl schon deshalb nicht gedacht werden, weil die Ausbeute auch nach vierwöchentlichem Verweilen der Kulturen im Brutofen nur eine äußerst geringe war und manchmal überhaupt ganz ausblieb. Ebensowenig kann die von BRIEGER aus Tetanuskulturen isolierte und mit dem Namen Tetanin belegte basische Substanz als Erreger der typischen tetanischen Krampfanfälle angesehen werden, obwohl dieselbe bei Mäusen, Fröschen und Meerschweinchen tonische und klonische Krämpfe hervorzurufen vermochte. Schon die bedeutend kürzere In- kubationsdauer und der bei weitem raschere Verlauf gegenüber der Wirkung des eigentlichen Tetanustoxins sprechen entschieden gegen diese Annahme. Da überdies BRIEGER selbst hervorhob, nicht mit Reinkulturen des Tetanusbazillus gearbeitet zu haben, so verlieren seine Befunde von vornherein jede zwingende Beweiskraft. Wir wollen nicht näher auf die übrigen, nach BrıeGEers Methoden isolierten Basen, die man aus den verschiedensten Bakterienkulturen gewonnen hat, eingehen, denn dieselben haben zumeist heute doch nur mehr historisches Interesse. Trotz größter Exaktheit der Methoden und unendlicher aufgewendeter Mühe haben sich auf diesem Wege keine Substanzen auffinden lassen, welche wir mit Sicherheit für die Intoxikationserscheinungen verantwortlich machen könnten, die im Ge- folge von Infektionen aufzutreten pflegen. Die Ursache dieses Miß- erfolges lag offenbar in der allzu spezialisierten Fragestellung, die nicht darauf ausging, zunächst festzustellen, an welche Art Substanzen die Giftwirkung der pathogenen Bakterien überhaupt gebunden ist, sondern gleich nach giftigen alkaloidartigen Substanzen fahndete. — Aber auch andere Zersetzungsprodukte der den Mikroorganismen dargebotenen Nahrungsstoffe, wie Fettsäuren, aromatische Säuren, oder noch niedriger stehende Produkte, die von einigen Autoren als Erreger schwerer Vergiftungserscheinungen bezichtigt worden waren, wie z. B. die Nitrite, die bei dem Choleraanfall eine wichtige Rolle spielen sollten, können heute nicht mehr als solche anerkannt werden, so daß also im Grunde genommen diese Kategorie von Bakteriengiften, die man damals als die einzige kannte, nunmehr ihren Inhalt vollkommen verloren hat. Der erste, welcher, nach bald in Vergessenheit geratenen Unter- suchungen von NENcKI, die Aufmerksamkeit in ausgedehntem Maße auf die intrabakteriellen Giftstoffe gelenkt hat, war BucHNER. BuCHNER hatte nämlich, wie schon andere Forscher vor ihm, gefunden, daß steri- III. Die Bakteriengifte. 27 lisierte Kulturen des FRrIEDLÄnDErRschen Pneumobazillus schon in ge- ringen Mengen beim Kaninchen und Meerschweinchen eine aseptische, keimfreie Eiterung hervorzurufen vermögen und konnte diese Tatsache im weiteren Verlauf seiner Forschungen noch für eine große Anzahl anderer Bakterienarten — es seien von denselben nur hervorgehoben: Staphylokokkus, Sarcina aurantiaca, Bac. prodigiosus, eyanogenus, me- gatherium, ramosus, subtilis, coli communis, acidi lactici, anthraeis, Pro- teus vulgaris, Vibrio Finkler-Prior, Kieler Wasserbazillus — bestätigen. Daß die eitererregende Wirkung dieser Mikrobenkulturen — es wurden stets Agarkulturen verwendet, die in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt waren — nicht an die Flüssigkeit gebunden ist, sondern an den Bakterienleibern haftet, war nicht schwer zu beweisen. Wurde nämlich der dicke Bodensatz, der sich in diesen Bakterienemulsionen nach längerem Stehen durch Niedersinken der Mikroben bildet, von der klaren überstehenden Flüssigkeit getrennt und beide Fraktionen gesondert injiziert, so zeigte nur der bazillenhaltige Teil eine pyogene Wirkung, während die Einspritzung der Flüssigkeit reaktionslos ver- tragen wurde. Diese pyogenen Substanzen der Bakterienleiber sind nun durch eine hochgradige Beständigkeit gegenüber den verschiedensten chemischen Eingriffen ausgezeichnet. Noch nach einstündiger Erhitzung auf 120° war ihre eitererregende Wirksamkeit nicht erloschen, und es war daher verhältnismäßig leicht, dieselben bis zu einem gewissen Grade zu reinigen und zu isolieren. Durch langanhaltende Digestion der Bazillen mit schwacher Kalilauge auf dem kochenden Wasserbade wurde ein beträchtlicher Teil des Inhaltes in Lösung gebracht; durch vorsichtige Ansäuerung entstand in dieser Flüssigkeit ein voluminöser Niederschlag, der, abfiltriert und wieder gelöst, alle Eigenschaften der Eiweißkörper darbot und daher von BucHxer als Bakterienprotein bezeichnet wurde. Die Ursache der pyogenen Wirkung dieser Bakterien- proteine sah BUCHNER in ihren hervorragenden chemotaktischen Eigen- schaften. Wurden nämlich Lösungen dieser Stoffe nach einer von PFEFFER angegebenen Methode in spindelförmige Kapillarröhrchen eingeschlossen, sterilisiert und unter aseptischen Kautelen unter die Rückenhaut von Kaninchen gebracht, so fanden sich 2—3 Tage, nachdem die Spitzen der Kapillaren abgebrochen worden waren, mehrere Millimeter starke Pfröpfe fibrinösen Eiters in denselben angesammelt. Einige der chemo- taktisch wirksamen Bakterienproteine besaßen außerdem die Fähig- keit, eine allgemeine Leukozytose hervorzurufen, eine Erscheinung, die ja auch bei vielen spontanen eitrigen Prozessen zu beobachten ist. Auf Grund dieser seiner Versuche kam daher BucHxEr zu der Auffassung, daß bei den natürlichen Eiterungsprozessen nicht die lebenden Mikro- organismen die Hauptrolle spielen, sondern im Greegenteil die Bakterien- leichen, die von den Säften des tierischen Körpers aufgelöst werden und hierbei ihren chemotaktisch wirkenden Inhalt in Freiheit setzen, der die weißen Blutkörperchen anlockt und dadurch zur Eiteransamm- lung Veranlassung gibt. Befremdend an dieser Theorie der Eiterung könnte nun vielleicht der eine Umstand wirken, daß die eitererregenden Proteine im Reiche der Bakterien so weite Verbreitung besitzen und sich auch bei Mikroorganismen vorfinden, die niemals im tierischen oder menschlichen Organismus vorkommen und daher auch niemals als Er- reger von Entzündungen und Eiterungen angetroffen wurden. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber in einfachster Weise durch die Bemerkung, daß natürlich nur solche Mikroben spontane Eiterungen Bakterien- proteine. Chemotak- tische Wirkung. Tuberkulin. 28 III. Die Bakteriengifte. zu erzeugen imstande sind, welche sic",in den Geweben zu vermehren vermögen. Denn nur in diesem Falle werden diejenigen Mengen von Proteinen gebildet und freigemacht, welche zur Auslösung der entzünd- lichen Reaktion notwendig sind, während die Saprophyten trotz ihres pyogenen Inhalts einfach deshalb nicht als Eitererreger in Betracht kommen, weil sie unter natürlichen Verhältnissen niemals in genügender Quantität in die Gewebe gelangen. Mit Bucuxers Anschauung über die universelle Verbreitung der pyogenen Proteine stimmt auch die bekannte Tatsache über- ein, dal pathogene Mikroorganismen, die sonst nicht zu den Eitererregern gehören, etwa die septikämieerzeugenden Bazillen der Hühnercholera, im weniger virulenten Zustande oder bei weniger empfänglichen Tieren (Meer- schweinchen, Schafen, Pferden) nur Lokalaffektionen, eitrige Infiltrationen, Abszesse und dergleichen hervorrufen, ein Beweis dafür, dab sie also neben sonstigen Giftstoffen offenbar auch die chemotaktischen Bakterien- proteine enthalten. Bemerkenswert ist, daß auch das ältere Kocasche Tuberkulin, das bekanntlich durch einstündiges Erhitzen der 4 Wochen alten Bouillon- kulturen, Einengen im Vakuum und nachträgliche Filtration von den abgetöteten Bakterienleibern dargestellt wird, zum Teil aus Proteinen des Tuberkelbazillus besteht. Da nun alle Bakterienproteine unter einander, wie wir gesehen haben, große Ähnlichkeiten aufweisen, so lag die Idee nahe, zu untersuchen, ob nicht auch die typische Wirkung des Tuberkulins auf den tuberkulösen Organismus — also die Erzeugung von Fieber und lokalen entzündlichen Reaktionen — bei anderen Bak- terienproteinen zu beobachten sei. In der Tat konnten nun RönmErR und nach ihm BucHhxer konstatieren, daß tuberkulöse Meerschweinchen in Leber und Milz genau dieselben Veränderungen zeigen, gleichgültig, ob ihnen die Proteine des Tuberkelbazillus oder etwa des Bac. pneu- moniae eingespritzt wurden: hämorrhagieähnliche braunrote Flecke in der nächsten Umgebung der tuberkulösen Herde, welche die weißgrau- lichen Tuberkelknoten oft wie breite Ringe umgaben und an Schnitt- präparaten durch eine kolossale Erweiterung und Anschoppung der Kapillaren mit roten Blutkörperchen bedingt erschienen. Auch erwiesen sich die tuberkulösen Tiere der Einspritzung anderer proteinhaltiger Extrakte gegenüber in gleicher Weise (wenn auch nicht in gleichem Grade) empfindlich wie der Einspritzung des Tuberkulins gegenüber und gingen, bei passend gewählter Dosis, wie tuberkulinisierte Tiere innerhalb weniger Stunden zu Grunde. BUcHNER sah daher, im Gegen- satz zu Koch, in der Tuberkulinreaktion nicht eine spezifische, nur den Leibessubstanzen des Tuberkelbazillus zukommende Wirkung, sondern eine ganz allgemeine Proteinreaktion, wenn er auch zugab, daß daneben dem Tuberkulin doch gewisse Eigenschaften anhaften, welche den ande- ren Bakterienextrakten fehlen und also für dasselbe charakteristisch sind. Ähnliches gilt für das von NocArp aus Kulturen des Rotzbazillus dar- gestellte Mallein. Es muß jedoch demgegenüber betont werden, daß nach KAsPArRER, FEISTMANTEL u. a. die Fieberkurve nach Protein- injektionen von der Tuberkulinkurve total verschieden ist und daß bis jetzt kein Stoff gefunden werden konnte, der in so minimalen Dosen imstande wäre, im tuberkulösen Organismus jene Reaktion aus- zulösen, welche für die Tuberkulinpräparate charakteristisch ist. Die diagnostische Verwertbarkeit der Tuberkulinprobe erleidet daher dadurch, daß das Tuberkulin gewisse Eigenschaften mit manchen anderen Pro- teinen gemein hat, nicht die geringste Einbuße. 2 Zu a I a u DZ ne Zu EZ a u > III. Die Bakteriengifte. 29 Schon diese Tatsache beweist, daß manche Bakterienleiber neben den im allgemeinen nicht mit spezifischen Eigenschaften begabten Pro- teinen noch andere spezifische Giftstoffe enthalten, die zweifellos in hervorragendem Maße an dem Zustandekommen gewisser Intoxikations- erscheinungen beteiligt sind, und deshalb, wenigstens soweit sie ausge- sprochenen Toxincharakter tragen und speziell bei der Immunisierung Antitoxine liefern, zweckmäßig als Endotoxine bezeichnet werden. Noch deutlicher geht die Existenz der spezifischen intrazellulären Gift- stoffe jedoch aus folgendem hervor. Filtriert man nämlich eine nur wenige Tage alte virulente Cholera- kultur durch ein Bakterienfilter, so findet man das Filtrat nur ganz wenig wirksam. Hingegen kommt den vorsichtig durch Chloroform- dämpfe abgetöten Bazillenleibern schon in der minimalen Dose von einigen Milligrammen eine hochgradig toxische Wirkung zu, welche ge- nügt, um Meerschweinchen unter schweren Kollapserscheinungen und Absinken der Temperatur akut zu töten. Überläßt man die Cholera- kulturen längere Zeit der Digestion bei 37°, so zerfällt, wie in allen älteren Kulturen, ein Teil der Vibrionen, löst sich auf und setzt da- durch seine Giftstoffe in Freiheit, welche sich der Flüssigkeit mitteilen und derselben dadurch ebenfalls giftige Eigenschaften verleihen. Im Gegensatz zu den Bakterienproteinen ist dieses intrazelluläre Choleragift gegenüber chemischen und thermischen Eingriffen äußerst wenig resistent und geht schon durch kurzes Erwärmen über 60° in weniger giftige, sekundäre Produkte über, welche jedoch bei Steigerung der Dosis auf das Mehrfache ähnliche physiologische Wirkungen hervorrufen, wie das primäre unveränderte Gift. R. PFEIFFER, einer der besten Kenner des ÜCholeragiftes und seiner Wirkungen, ist auf Grund von umfangreichen Studien zu der Überzeugung gelangt, daß das Stadium algidum der menschlichen Cholera, das ja durch eine zweifellos toxische Lähmung der Vasomotoren und des Wärmezentrums charakterisiert ist, durch eine rapide Resorption der giftigen Vibrionenleiber zustande kommt. Die Vorbedingung für eine solche ausgedehnte Aufnahme der Giftstoffe in den Kreislauf wird durch die stellenweise bis zur Nekrose gehende Schädigung der schützen- den Decke des Darmepithels geschaffen. Je umfangreicher diese Zer- störung des Epithelüberzuges ist, desto größere Mengen des Giftes werden natürlich unter sonst gleichen Umständen resorbiert werden müssen und um so heftiger werden die Intoxikationserscheinungen sein. Auch andere pathogene Mikroorganismen, so vor allem der Typhus- bazillus, sind durch besondere intrazelluläre Giftstoffe von ähnlicher Wirkung wie das Choleragift ausgezeichnet.!) Da es uns jedoch hier nur darauf ankommt, die verschiedenen Gifttypen im allgemeinen kennen zu lernen, so würde es uns zu weit von unserem Thema abführen, wollten wir die verschiedenen Krankheitserreger im einzelnen auf ihre Giftstoffe hin einer Besprechung unterziehen. Erwähnt möge nur noch werden, daß die ursprüngliche, immerhin etwas gewaltsame und gewiß nicht indifferente Methode BucHners, den Inhalt der Bakterienzellen in Lösung zu bringen, später eine sehr wesentliche Vervollkommnung erfahren hat. Wie Sie wissen, ist es Hans Buchners Bruder, Epvarp BucHNER, gelungen, den Inhalt der 1) In jüngster Zeit vertritt übrigens Kraus die Anschauung, daß auch bei Cholera und Typhus echte Toxine gebildet werden. Endotoxine, Pfeiffers Choleragift. 30 III. Die Bakteriengifte. | Hefezellen durch Auspressen unter hohem Druck in Form einer klaren gelblichen, leicht opaleszierenden eiweißreichen Flüssigkeit zu erhalten, welche ohne Anwesenheit und Mitwirkung irgendwelcher lebender Orga- nismen imstande ist, in zuckerhaltigen Flüssigkeiten echte alkoholische Gärung hervorzurufen. Diese merkwürdige Eigenschaft des Hefepreb- saftes bezieht man auf die Anwesenheit eines besonderen enzymartigen Stofies, dem man den Namen Zymase gegeben hat. Im Anschluß an diese hochwichtige und grundlegende Entdeckung hat dann Hans Buchner im Verein mit Hann, der sich um die Ausarbeitung der Methode besondere Verdienste erworben hatte, den Versuch gemacht, auch aus Spaltpilzen derartige Preßsäfte herzustellen. Massenkulturen der betreffenden Mikroorganismen — es kamen zur Verarbeitung Cholera- und Typhusbakterien, Milzbrandbazillen, Staphylokokken und Tuberkelbazillen — wurden mit Quarzsand und Kieselgur maschinell zerrieben, die hierbei entstehenden knolligen Haufen durch Flüssig- keitszusatz zu einer teigigen Masse verarbeitet, in ein Preßtuch ein- geschlagen und dann in geeigneten Behältern in eine hydraulische Presse gebracht, wo sie einem Druck von 4—500 Atmosphären aus- gesetzt wurden. Die hierbei erhaltenen, zunächst hellgelben, später an der Luft intensiv nachdunkelnden Flüssigkeiten enthalten viel koagu- Buchners Jables Eiweiß, das zum größten Teil schon durch Essigsäure in der Plasmine. Kilte fällbar ist und sich im wesentlichen wie ein Nukleoalbumin ver- hält. Buchner und Hany haben für diese nach ihrer Methode ge- wonnenen plasmatischen Zellsäfte die Bezeichnung „Plasmine‘ vorge- schlagen. Höchst bemerkenswert ist nun die Tatsache, daß das Cholera- plasmin bei Tieren genau die gleichen Erscheinungen hervorruft, wie man sie bei der peritonealen Infektion mit lebenden Bakterien auf- treten sieht: starker Temperaturabfall, lähmungsartige Schwäche, Krämpfe und schließlich Tod nach 12—24 Stunden. Da, wie wir früher hervor- gehoben haben, das Choleragift ziemlich labiler Natur ist, so kann es nach dem eben dargelegten nicht zweifelhaft sein, dab diese neuere Methode gegenüber dem alten Buchxerschen Verfahren einen sehr wesentlichen Fortschritt bedeutet und trotz der gewaltigen dabei in Aktion tretenden Druckkräfte doch viel schonender verläuft. Jedenfalls sind tiefgreifendere chemische Spaltungen, wie sie bei der stundenlangen Einwirkung von Alkalien bei höherer Temperatur unvermeidlich ein- treten, bei der rein mechanischen Zertrümmerung der Gewebszellen und der Filtration durch die feinporige Kieselgurmasse vollkommen aus- geschlossen. Endlich müssen wir hier noch eines Verfahrens Erwähnung tun, das in jüngster Zeit besondere Bedeutung erlangte, und zwar deshalb, Mac- weil dasselbe gestattet, sowohl aus Typhusbazillen wie aus Cholera- y2rs, vibrionen Endotoxine von außerordentlich heftiger Wirkung zu iso- lieren. MacrapyEn, von dem dieses Verfahren herrührt, benutzt zur Darstellung der giftigen Zellsäfte 18 Stunden alte Asarkulturen von möglichst virulenten Bakterien, die mit destilliertem Wasser abgewaschen und !/, Stunde lang kräftig zentrifugiert werden, um Beimengungen von extrazellulären Substanzen, Bakteriensekreten usw. vollkommen zu entfernen. Die Bakterienmasse wird dann in einem besonderen Apparat bei der Temperatur der flüssigen Luft (—180—190° ©) zerrieben, und das Produkt hierauf in 1promilliger Kalilauge aufgenommen und neuerdings durch 2 Stunden zentrifugiert, wobei man ein Extrakt von Zellsaft erhält, dem nur wenige lebende Bazillen mehr beigemischt sind. III. Die Bakteriengifte. 31 Diese letzteren werden durch eine halbstündige Behandlung mit Chloro- formdämpfen abgetötet. Wie wirksam die so gewonnenen Endotoxine waren, geht daraus hervor, daß zwei Ziegen MacrADyEns bereits nach einer intravenösen Einspritzung von !/,, cem binnen 12 Stunden zugrunde gingen, während andere dieser Tiere schwer krank wurden und akute Diarrhöen be- kamen. Die Zellsäfte verlieren jedoch außerordentlich rasch ihre enorme Giftigkeit, und zeigen sich nach längerer Aufbewahrung vollkommen wirkungslos. Nachdem wir nun die Grundeigenschaften der intrazellulären Bakteriengifte kennen gelernt und uns auch mit jenen extrazellulären Substanzen bekannt gemacht haben, welche aus der Spaltung und Zu- setzung der den Mikroorganismen zur Verfügung stehenden Nahrungs- mittel hervorgehen, bleibt nur noch die dritte und letzte Gruppe bak- terieller Gifte zu erörtern, die vielleicht die wichtigste, jedenfalls aber die am besten studierte ist: die Gruppe der giftigen Bakteriensekrete, der Toxine. Wir haben bereits angedeutet, dab die Toxine im Gegensatz zu den Ptomainen und anderen Spaltungsprodukten bis zu einem gewissen Grade unabhängig sind von der Zusammensetzung der Stoffe, welche den Bakterien zu ihrer Ernährung dienen und wesentlich nur durch den Artcharakter der letzteren bestimmt werden. Damit soll nun nicht etwa gesagt sein, daß die Zusammensetzung des Nährbodens, auf dem die Mikroben gezüchtet werden, die Anwesenheit oder das Fehlen ge- wisser Stoffe, ganz ohne Bedeutung für die Toxinproduktion sei. Der Einfluß des Nährmediums auf die letztere ist jedoch stets nur ein indirekter, nicht ein direkter. Während daher die verschiedensten Bak- terien imstande sind, aus einem und demselben Eiweißkörper die gleichen Ptomaine abzuspalten, gibt es nur eine einzige Spezies, die ein Tetanustoxin, ein Diphtheriegift, ein Botulismustoxin zu erzeugen ver- mag. Und während mit einem Wechsel des Nährbodens die Produk- tion gewisser Ptomaine aus einfach chemischen Gründen unmöglich wird, erzeugt der Diphtheriebazillus sein charakteristisches Gift auf den verschiedensten — selbst eiweißfreien — Nährböden in derselben Quali- tät und zeigt höchstens quantitative Differenzen. Damit erscheint die Auffassung der Toxine als Sekrete der Bakterien wohl gerechtfertigt. Bemerkenswert ist übrigens, daß nach neueren Untersuchungen von WALBUM wenigstens gewisse Tooxine nicht als solche sezerniert zu werden scheinen, sondern in Form von ungiftigen Protoxinen, die erst durch den Kontakt mit bestimmten in den Kulturmedien enthaltenen Stoffen, die aus den zu ihrer Herstellung benutzten Peptonpräparaten stammen, in die eigentlichen, wirksamen Gifte übergehen. Über die Zusammensetzung der Toxine wissen wir nichts, was über bloße Vermutungen hinausginge. Eine Zeitlang nahm man an, daß dieselben zu den Toxalbuminen, den giftigen Eiweißkörpern, zu rechnen seien. Da es jedoch gelang, die Toxine so weit zu reinigen, daß dieselben keine Eiweißreaktionen mehr darboten, ist man von dieser Auffassung wieder abgekommen. Allerdings wird man auf diese Tat- sache wohl nicht allzuviel Gewicht legen dürfen, da ja alles dabei auf die Empfindlichkeit der angewendeten Eiweißreaktionen ankommt und immer noch der Einwand möglich bleibt, daß denn doch bei weiterer Konzentration des Giftes noch eine positive Reaktion erzielt worden wäre. Diese Möglichkeit ist um so schwerer von der Hand zu weisen, Toxine. Toxine als Bakterien- sekrete. Toxine und Fermente, 32 III. Die Bakteriengifte. | als ja die Toxine zu den wirksamsten Substanzen gehören, die wir über- haupt kennen, und also durch den biologischen Versuch noch nach- weisbar erscheinen, wo unsere chemischen Hilfsmittel bereits versagen. Um dies zu illustrieren, sei erwähnt, daß aus Tetanuskulturen durch Fällung mit Ammonsulfat gifthaltige Präparate gewonnen werden können, welche gewiß nicht aus reinem Toxin bestehen, aber noch in Dosen von 0,0000001 g = von einem zehnmillionstel Gramm, ja selbst von 0,00000005 g oder von 5 hundertmillionstel Grammen imstande sind, eine weiße Maus zu töten. Nehmen wir an, dab diese Giftmenge in einem Kubikzentimeter Flüssigkeit gelöst enthalten ist, so würde dies einer Konzentration von 1:20000000 entsprechen. Demgegenüber lassen sich Eiweißßkörper durch die Biuretprobe höchstens in einer Ver- dünnung von 1:10000 mit Sicherheit nachweisen. Bedenken wir nun noch, daß durch die Ammonsulfatfällung aus den Bouillonkulturen des Tetanusbazillus neben dem Toxin große Mengen von Albumosen niedergeschlagen werden, die dem zur Bereitung der Nährflüssigkeit dienenden Witte’schen Pepton entstammen, daß also sicher nur ein kleiner Prozentsatz dieses Niederschlages aus Toxin besteht, so kommen wir zu ganz erstaunlichen und abenteuerlichen Vorstellungen über die Wirkungsstärke dieses Giftes, die nicht weit hinter den kühn- sten homöopathischen Phantasien zurückbleiben. Die außerordentliche Wirksamkeit der Toxine war es denn auch, welche in unserer fermentfrohen Zeit die Idee nahelegte, daß dieselben direkt als Enzyme anzusehen seien. In der Tat bestehen ja zweifellos große Analogien zwischen diesen beiden Arten aktiver Substanzen. Beide, die Fermente wie die Toxine, vermögen Gewichtsmengen fremder Stoffe zu verändern, zu zersetzen bezw. krank zu machen, welche ihrem eigenen Gewichte unendlich überlegen sind. Beide sind Substanzen unbekannter chemischer Konstitution, beide zeigen die Eigenschaft, durch indifferente Niederschläge, die in ihren Lösungen erzeugt werden, mechanisch mit- gerissen werden. Toxine wie Fermente sind chemischen und ther- mischen Eingriffen gegenüber außerordentlich empfindlich, beide ver- mögen endlich, wenn auch in sehr verschiedenem Grade, bei ihrer Ein- verleibung in den tierischen Organismus zur Bildung von Antikörpern Veranlassung zu geben. Trotz alledem glaube ich jedoch, daß mit der einfachen Identi- fizierung von Giftwirkung und Fermentwirkung so lange erkenntnis- theoretisch wenig gewonnen ist, als wir über die Natur des letzteren nicht besser unterrichtet sind, als dies heute der Fall ist. Überdies müssen wir uns doch wohl gestehen, daß die aufgezählten Ähnlichkeiten in keinem einzigen Punkte den Kern der Sache treffen und, soweit wir dies heute zu beurteilen in der Lage sind, mehr äußerlicher Natur sind oder wenigstens sein können. Ich halte es daher für vorsichtiger und zweckmäßiger, zwar auf die unleugbaren Analogien, die zwischen Toxinen und Fermenten bestehen, hinzuweisen, hieraus jedoch keine weiteren Schlüsse abzuleiten, die bei dem gegenwärtigen Stande des Wissens doch als verfrüht erscheinen würden. Während alle Versuche, die Toxine in irgendwelcher Weise durch rein chemische Merkmale zu charakterisieren, bis jetzt also vollkommen fehlgeschlagen sind, hat das biologische Experiment sich bei weitem fruchtbarer erwiesen und eine Reihe nicht unwichtiger Tatsachen über die Eigenschaften der Toxine zutage gefördert, die sogar, wie wir noch sehen werden, einen gewissen Einblick in den Bauplan dieser merk- III. Die Bakteriengifte. 33 würdigen Substanzen gestatteten. Da jedoch zum Verständnis dieser bio- chemischen Toxinanalyse die Kenntnis gewisser Tatsachen der Immunitäts- lehre, speziell der quantitativen Beziehungen zwischen Toxin und Anti- toxin unbedingt erforderlich erscheint, so müssen wir von ihrer Erörterung einstweilen noch absehen und-dieselbe einer späteren Vorlesung vor- behalten. Die Wirkung der toxischen Sekretionsprodukte der Mikroorganismen erstreckt sich nun auf die verschiedensten Organe, Gewebe bezw. Zell- arten, ganz im (Gregensatz zu den intrazellulären Giftstoffen, die meistens, wie wir gesehen haben, durch eine ziemlich gleichartige und einförmige Giftwirkung ausgezeichnet erscheinen. So wirkt eine Reihe von Toxinen, zu denen das Tetanustoxin und Botulismustoxin gehört, in erster Linie auf gewisse Partien des Zentralnervensystems. Andere, wie das von den Staphylokokken produzierte Staphylolysin, das Pyocyaneolysin, das Tetanolysin — letzteres vom Tetanusbazillus neben dem krampfer- zeugenden Gifte abgesondert — vermögen vor allem die roten Blut- körperchen zu schädigen, derart, daß es zum Austritt des Hämoglobins, zur Hämolyse kommt. Wieder andere, wie das ebenfalls von Staphylo- kokken stammende Leukozidin, vermögen die weißen Blutkörperchen zu lähmen und aufzulösen, oder wirken auf die Nierenzellen schädigend ein, oder rufen endlich, wie eine Komponente des Diphtheriegiftes, an der Apyplikationsstelle Nekrosen hervor. Nach ihrer verschiedenen Wir- kungsart unterscheidet man daher bakterielle Neurotoxine, Leuko- toxine, Hämotoxine, Nephrotoxine usw. (S. Tabelle p. 34.) Zum Schlusse müssen wir hier noch einer Gruppe von bakteriellen Produkten Erwähnung tun, deren Stellung im System allerdings zurzeit noch nicht mit Sicherheit anzugeben ist, wenn man auch vermutet hat, dab sich dieselben wahrscheinlich den echten Toxinen angliedern lassen werden: wir meinen die sog. Aggressine. Im Anschluß an ältere theoretische Anschauungen von Kruse hat nämlich Baır die Vorstellung entwickelt und experimentell zu begründen gesucht, daß gewisse infek- tiöse Mikroorganismen imstande sein müßten, die Abwehrkräfte des tierischen Organismus durch Produktion besonderer Stoffe, eben jener Aggressine, lahm zu legen. Als charakteristische Eigenschaft dieser Stoffe führt BaıL an, daß ihnen zwar an und für sich keine merkliche Giftwirkung zukomme, daß sie aber, gleichzeitig mit einer für sich allein nicht tödlich wirkenden Menge leben- der Bazillen eingespritzt, die Infektion zu einer letalen ge- stalten. Ferner gelinge es, die Schutzwirkung eines bakterientötenden Immunserums durch die Aggressine zu paralysieren und durch wieder- holte Einverleibung aggressinehaltiger Flüssigkeiten eine besondere Form von Immunität zu erzeugen, die von der antitoxischen und bakteriziden Immunität wesentlich verschieden sei. Die Aggressine werden nach den Versuchen von Baıt und seinen Mitarbeitern im infizierten Organismus besonders an solchen Stellen nachweisbar, wo sich pathologische Flüssigkeiten, Ödeme und Exsudate ansammeln; so z. B. in der Ödemflüssigkeit milzbrandiger Tiere, in den Peritonealergüssen von Meerschweinchen, die mit Typhusbazillen oder Choleravibrionen behandelt worden waren usw. Eine genauere Ana- lyse der Aggressinwirkung hat Bar und seine Mitarbeiter, besonders KıkucHı, davon überzeugt, daß dieselbe weder auf einer Schädigung Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 3 Wirkung er Toxine. Aggressine. 34 III. Die Bakteriengifte. Eigenschaften der wichtigsten Toxine bezw. Endotoxine (im Tierversuch). Toxin Applikationsweise Wirkung B. tetani Subkutan oder intra- | Tonische Starre der Muskulatur in der muskulär. Vom Darm | Umgebung der Infektionsstelle, erhöhte aus unwirksam. Retlexerregbarkeit. Dyspnoe, beschleu- nigte Herztätigkeit. Hämolysin. B. diphtheriae Subkutan oder intra-] An der Infektionsstelle: Ödem, Infiltrat, venös. Vom Darm | Nekrose. Haarausfall, — Erst Tempe- aus unwirksam. ratursteigerung, dann Abfall. Bei nicht tödlichen Dosen: Paresen, Paralysen, starke Abmagerung. B. botulinus Von allen Eingangs- | Ophthalmoplegia externa und interna. pforten, auch vom | Dysphagie, Aphonie. Urin- und Kot- Magendarm aus wirk- | retention. Atmungs- und Herzstörungen. sam. Kein Fieber. Keine Hirnerscheinungen. B. dysenteriae Intravenös. Vom Paresen. — Paralysen, besonders der Magendarmkanal hinteren Extremitäten. Blutige Diarrhöen. aus unwirksam. Hypothermie. Blutiges OÖdem. — Nekrosen an der Injektionsstelle. Erst Temperatursteige- rung, dann Abfall. Gesteigerte Reflex- erregbarkeit. Schließlich Lungenödem. Rauschbrandbazillus | Subkutan, peritoneal oder intravenös. Peritoneal ‘oder intravenös. Choleravibrio Temperaturabfall, Lähmungen. Rektal- prolaps. Tod tritt frühestens nach 5h ein. Kein Hämotoxin, Dyspnoe, lähmungsartige Schwäche, ter- minal Konvulsionen. Tod nach 3 bis 5 Minuten. Hämotoxin. Choleraähnliche Intravenös. Vibrionen (Vibrio El Tor, Vibrio Nasik) Typhusbazillus Diarrhöen. Hyperämien und Hämor- rhagien der Darmschleimhaut. Lähmung der hinteren Extremitäten. Intravenös (peri- toneal Wirkung un- sicher). Starker Temperaturabfall, Auftreibung des Abdoınens, Peritonitis, Dyspnoe. Peritoneal (sub- kutan viel weniger wirksam). B. pyoeyaneus Staphylococeus Subkutan. An der Injektionsstelle harte Infiltrate aureus und Nekrosen. Haarausfall. Nieren- läsionen. Hämolysin. Leukozidin. III. Die Bakteriengifte. 35 der Leukozyten noch auf einer Behinderung der Phagozyten an und für sich beruhe, sondern lediglich auf negativ chemotaktische Wirkungen zurückzuführen sei, welche die Leukozyten von dem Orte der Infektion fernhalten und auf diese Weise deren bakterienfeindliche und entgiftende Eigenschaften von vornherein ausschalten. Ob es sich nun hierbei tat- sächlich um die Aktion besonderer, bisher noch nicht bekannter Stoffe handelt. ist durch die zahlreichen Nachprüfungen, welche die Baıtschen Versuche erfahren haben, zum mindesten außerordentlich zweifelhaft geworden. Nicht nur konnten in den Exsudatflüssigkeiten — es ist dies ja eigentlich ganz selbstverständlich — reichliche Mengen von Extraktions- und Zerfallsprodukten der Bakterien nachge- wiesen werden, welche — wie wir noch im weiteren Verlaufe unserer Vorlesungen besprechen werden — die bakterienfeindlichen Stoffe der Körpersäfte bezw. der Immunsera unwirksam zu machen vermögen; es konnte sogar gezeigt werden, daß den Baıtschen ag- gressiven Exsudaten eine ganz erhebliche Toxizität zukommt, die BaırL anfangs übersehen hatte und die sicher mit dazu beitragen muß, die krankmachende Wirkung der betreffenden Mikro- organismen zu erhöhen und die Widerstandskraft des Körpers wesent- lich herabzusetzen. Überdies konnten Aggressinwirkungen auch mit einfachen Bakterienextrakten erzielt werden. Daß unter diesen Um- ständen für eventuell vorhandene wirkliche Aggressine im Baıtschen Sinne nicht mehr viel Spielraum übrig bleibt, ist leicht einzusehen, und so hat sich denn heute wohl die Mehrzahl der Immunitätsforscher der Anschauung zugeneigt, daß die Einführung eines neuen Namens und Begriffes für ihrer Wirkung nach schon seit langem bekannte Bakterien- produkte überflüssig sei, zumal auch die von BaıL behauptete Sonder- stellung der ‚‚Aggressinimmunität“ kaum aufrecht zu erhalten sein dürfte. Zum Schlusse geben wir noch eine schematische Übersicht über die verschiedenen in Bakterienkulturen enthaltenen Arten von Gift- stoffen. Bakteriengifte. A. Intrazellulär. 1. Nicht spezifisch: Proteine. 2. Spezifisch: a) ohne Toxincharakter b) mit Toxincharakter: Endotoxine. B. Extrazellulär. 1. Zersetzungsprodukte der Nährstoffe: Ptomaine usw. 2. Sekretionsprodukte der Bakterien: Toxine. Literatur. BRIEGER, Die Ptomaine. Berlin 1885 und 1886. Bucaxer, H., Münchn. med. Wochenschr., 1897, Röner, Berl. klin. Wochenschr., 1891; Wien. klin. Wochenschr., 1891. PFEIFFER, R., Zeitschr. f. Hyg., Bd. XI, 1892. BUcHNER, E., "Ber. d. Deutschen chem. Ges,, 1897. BucHxER und Harn, Münch. med. go ua: 1897, FEıstmanTeL, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXVI, ww 61 36 III. Die Bakteriengifte. Warsux, Communic. de l’instit. serothörap. de l’6tat danois. 1910. Baıt, Arch, f. Hyg., Bd. LII, LIII; Deutsche med. Wochenschr., 1905; Münch med. Wochenschr., 1905. WASSERMANN u. CITRon, Berl. klin. Wochenschr., 1905 u. Deutsche med. Wochenschr., 1905; Zentralbl. f. Bakt., Bd. XLIII, 1907. Kıucaı, Arch. f. Hyg., Bd. LI. Weır, Arch. f. Hyg., Bd. LII; Zentralbl. f£. Bakt., Bd. LXI, 1906. Hoxe, Wien. klin. Wochenschr., 1905 u. Zeitschr. f. H ’&, 24, 2 Crreox, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XI, 1905; Zeitschr. f. Hyg., Bd. LO, 1906; Zentralbl. f. Bakt., Bd. XL, 1906. SAUERBECK, Neue Tatsachen u. Theorien der Immunitätsforschung. Wiesbaden 1907. IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte im Organismus. Wie Sie sich erinnern werden, sind wir bei den Besprechungen der letzten Vorlesung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Hauptangriffs- waffen, welche den Mikroorganismen bei ihrer Invasion in den tierischen und menschlichen Organismus zur Verfügung stehen, giftige Substanzen, Toxine, Proteine, event. auch Produkte basischer Natur, sogenannte Ptomaine sind und daß somit ein nicht unbeträchtlicher Teil des Symptomenkomplexes, der die eingetretene Infektionskrankheit charak- terisiert, auf eine lokale oder allgemeine Vergiftung, eine Intoxikation, zu beziehen ist. Erwägen wir nun, wie mannigfaltig die Wirkung der verschiedenen von den Mikroorganismen produzierten Giftstoffe ist, wie verschiedene Organe von denselben befallen werden; wie das eine Toxin mit Vor- liebe gewisse Grebiete des Zentralnervensystems befällt, während das Lokalisation andere gewisse periphere Nerven, ein drittes wieder gewisse parenchy- er matöse und drüsige Organe bevorzugt, so drängt sich uns von selbst die Frage auf, wodurch denn diese so exquisit auswählende Lokali- sation der Giftwirkungen bedinst ist und ob sich für dieselbe nicht irgendwelche Gesetzmäßigkeiten ausfindig machen lassen. Bei dem Versuche, diese Frage, die, wie wir noch sehen werden, für den Ausbau der theoretischen Immunitätslehre von großer Bedeu- tung geworden ist, wenigstens im Prinzip zu beantworten, wird sich nun die Berührung gewisser toxikologischer Probleme schlechterdings nicht vermeiden lassen, und so muß ich Sie denn ersuchen, mir für diesmal auf ein scheinbar von unserem Thema etwas abliegendes Gebiet zu folgen und mir zu gestatten, Ihnen in Kürze die Grundzüge der modernen Lehren von der Verteilung und Wirkungsweise der verschie- denen aktiven Stoffe, seien es Gifte oder Arzneimittel, darzulegen. Die an irgend einem Punkte des Körpers entstandenen bakteriellen Gifte können entweder an Ort und Stelle liegen bleiben und daselbst zu lokalen krankhaften Prozessen Veranlassung geben oder sie können auf irgend einem Wege — gewöhnlich werden es die Lymph- und Blut- gefäße sein — fortgeschafft werden und fern von dem Orte ihrer Ent- stehung in anderen Organen ihre schädigende Wirkung entfalten. Der erste dieser beiden Fälle ist vollkommen klar und besitzt für unsere Fragestellung kein weiteres Interesse. Anders der zweite. Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß die betreffenden wirksamen Stoffe direkt oder auf dem Umwege über die Lymphbahnen in die Blutbahn gelangt seien und von da nun den verschiedenen Organen zugeführt werden. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß die Haupt- und Grundvorbedingung für jede Speicherung der Gifte in den Organen. Einfluß der Blutversor- gung. | 38 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. lokalisierte Gift- und Arzneiwirkung eine Aufspeicherung des wirksamen Stoffes in dem betreffenden Organe sein muß, denn nur da, wo sich derselbe in relativ größerer Konzentration an- sammelt, ist die Möglichkeit für eine intensivere Wirkung gegeben. Natürlich läßt sich dieser Satz nicht ohne weiteres umkehren: denn da die in einem Organe gesetzte Schädigung nicht nur von der abge- lagerten Giftmenge, sondern ebensosehr von dessen Empfindlichkeit abhängig ist, so braucht durchaus nicht überall da, wo eine starke Gift- speicherung stattfindet, auch eine bedeutendere Störung des Gewebs- lebens die Folge zu sein. Jedenfalls steht also die Lokalisation der Giftwirkung in inniger ätiologischer Beziehung zur Verteilung und Aufspeicherung der Gifte in den einzelnen Organen, und es drängt sich uns daher sofort die Frage auf, durch welche Kräfte denn diese ungleichmäßige Verteilung zustande kommt. Da die Gifte, wie wir voraussetzten, von der Blutbahn aus an die verschiedenen Organe gelangen, so könnte man zunächst an die Möglichkeit denken, Differenzen der Zirkulationsverhältnisse und der Gefäßversorgung hierfür verantwortlich zu machen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß diesen Faktoren im allgemeinen doch nur eine unter- geordnete Bedeutung für die Lokalisation der verschiedenen Gifte und anderer Substanzen beigemessen werden kann und daß dieselbe viel mehr durch innere, in den Geweben selbst gelegene Ursachen bestimmt werden dürfte, als durch die Verhältnisse der Blutversorgung. Es wäre ja sonst durchaus unverständlich — ein Beispiel, auf das EurLicH wieder- holt hingewiesen hat — daß beim Ikterus das Gehirn stets vollkommen frei von Gallenfarbstoff gefunden wird. während sich viele andere Ge- webe, Niere, Leber usw., mit Bilirubin imbibieren. Das kann nur auf besondere Affinitäten zwischen den Organen und dem Gallenfarbstoff bezogen werden. Immerhin gibt es jedoch Fälle, bei welchen die Blutversorgung zweifellos von mitbestimmendem Einfluß auf Lokalisation und Verteilung wirksamer Substanzen sein dürfte, und es ist vielleicht nicht uninteressant, einen derartigen sehr instruktiven Fall, den EHRLICH in seiner zusammen- fassenden Abhandlung „Über die Beziehungen von chemischer Konsti- tution, Verteilung und pharmakologischer Wirkung“ zur Illustration dieser Verhältnisse benutzt hat, hier näher kennen zu lernen. Füttert man nämlich Mäuse mit gewissen Derivaten des Paraphenylendiamins, so findet man bei der Sektion der Tiere sehr eigentümliche Verände- rungen des Zwerchfells: jene Teile des Diaphragmas, welche das Oen- trum tendineum umgeben, haben eine intensiv braune Färbung ange- nommen, während die peripheren Teile gewöhnlich farblos sind. Auch in anderen Muskelgebieten, und zwar an dem des Auges, Kehlkopfes und der Zunge, konnte Enrrıcn ähnliche Verfärbungen konstatieren, welche sich bei mikroskopischer Betrachtung nicht etwa als Infarkte, sondern als gleichmäßige Braunfärbung der betreffenden Muskelpartien bei erhaltener Querstreifung und geringer Verfettung dokumentierten. Es handelt sich hierbei um ein hochmolekulares Oxydationsprodukt des Paraphenylendiamins, das in den betreffenden Muskelfasern zur Ablage- rung gelangt, offenbar um ein ähnliches Produkt, wie es entsteht, wenn Paraphylendiamin oder Paramidophenol zur Braunfärbung von Haaren und Pelzwerk verwendet wird. Noch bei einer anderen Gelegenheit ist EnrLıcu auf genau die- selben Muskelgruppen gestoßen. Bei seinen ausgedehnten Experimenten A nn UL LU LU m u nn rn u in u u u en ee En. re ED IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 39 über die intravitale Methylenblaufärbung der Gewebe fand er nämlich, daß die folgenden Gewebselemente durch dieses Verfahren dargestellt werden: 1. alle sensiblen Nervenfasern; 2. die Geschmacks- und Greruchsendigungen ; 3. die Nerven der glatten Muskulatur und des Herzens; 4. gewisse Fasern im Zentralnervensystem. Im Gegensatz hierzu färben sich die motorischen Nervenendi- gungen der willkürlichen Muskulatur nicht mit Methylenblau. Eine Aus- nahme von dieser Regel machen wieder nur die genannten Muskeln des Auges, des Kehlkopfes und des Zwerchfells. Endlich muß erwähnt werden, daß dieselben Muskelgruppen noch von einem dritten Gesichtspunkte aus pathologisch-anatomisch besonders bevorzugt erscheinen, insofern sie nämlich die Prädilektionsstellen der Muskeltrichinen darstellen. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß dieses so merk- würdige Zusammentreffen verschiedenartiger Phänomene an derselben Lokalität nicht zufällig sein kann, sondern auf eine gemeinsame Ursache zu beziehen sein muß, und EHRLICH ist es in der Tat geglückt. diese Ursache aufzudecken. Fragt man sich nämlich, was die genannten Muskelgruppen vor allen anderen auszeichnet, so findet man, daß sie, als kontinuierlich arbeitende und biologisch höchst wichtige Organe, weit besser mit Blut versorgt werden, als andere Gebiete der Musku- latur, welchen eine geringere physiologische Dignität zukommt. Dem- entsprechend konnte EHRLICH auch bei seinen klassischen Untersuchungen über das Sauerstoffbedürfnis des Organismus feststellen, daß gerade diese Muskelgruppen es sind, bei welchen die Sauerstoff- sättigung den höchsten Grad erreicht und daher auch das Reduktionsvermögen am geringsten ist. Damit wird aber leicht verständlich, warum gerade an dieser Stelle die Oxydation des Para- phenylendiamins zu jenem erwähnten braunen Farbstoff vor sich geht, und auf ähnliche Weise erklärt sich die Methylenblaufärbung der Muskel- endplatten dieser Muskelsruppen teils durch die vermehrte Zufuhr des Farbstoffes, teils durch die hohe Sauerstoffsättigung. Ist also in der Tat nicht zu leugnen, daß unter Umständen die Gefäßverteilung und Blutversorgung eine wichtige Rolle bei der Ver- teilung und Lokalisation zirkulierender Stoffe zu spielen vermag, so muß andererseits doch betont werden, daß dies Verhalten nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellt und daß, wie schon ange- deutet, in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle in den Geweben selbst gelegene Ursachen für die ungleichmäßige Speicherung der Gifte in den verschiedenen Zellterritorien verantwortlich zu machen sind. Die Ursachen dieses Selektionsvermögens der Gewebe können selektions- nun wieder doppelter Natur sein: nämlich physikalische oder che- ‚ae, mische Kräfte. Daß beim Bestehen starker chemischer Affinitäten zwischen ge- wissen Organen und den im Blute kreisenden Giften oder Arzneimitteln derartige spezifische Lokalisationen zustande kommen müssen, indem die betreffenden Stoffe einfach, dem Zuge der Affinitäten folgend, in diese Zellterritorien eintreten und sich daselbst fixieren, ist vollkommen ein- Speicherung leuchtend und bedarf zunächst wohl keiner Erläuterung. Dagegen ist a es vielleicht nicht überflüssig, die physikalischen Vorgänge einer näheren Kräfte. Verteilungs- koeffizient. Ehrlichs rb- versuche. 40 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. Betrachtung zu unterziehen, durch welche eine solche lokale Anhäufung von Giftstoffen in gewissen Geweben zustande kommen kann. Denken wir uns zwei miteinander nicht mischbare Flüssigkeiten, beispielshalber Wasser und Äther, und nehmen wir an, daß beiden die Fähigkeit zukomme, das betreffende Gift, wenn auch mit verschie- dener Leichtigkeit und in verschiedenen Mengenverhältnissen, zu lösen. Gehen wir nun von einer derartigen wässerigen Lösung unseres Giftes aus und bringen dieselbe durch kräftiges Schütteln mit Äther in innige Berührung, so wird zum Schlusse dieser Operation ein gewisser Bruch- teil des Giftes in den Äther übergegangen, ein anderer Bruchteil jedoch in der wässerigen Flüssigkeit zurückgeblieben sein, und das Verhältnis der in den beiden Lösungsmitteln enthaltenen Giftmengen wird eine für das betreffende Gift im allgemeinen konstante, d. h. von der Aus- gangskonzentration unabhängige, hingegen mit der Temperatur veränder- liche Größe sein. Man bezeichnet diese Größe nach dem Vorgang von Nersst als den Verteilungskoeffizienten des betreffenden Stoffes für Wasser und Äther. Ist nun die Löslichkeit unseres Giftes in dem einen Fluidum, etwa im Äther, erheblich größer ri in dem anderen, C Äther C Wasser wird begreiflicherweise bei der eben geschilderten Prozedur fast die ge- samte Giftmenge in den Äther übergehen, d. h. es wird zu einer An- häufung des Giftes in diesem Medium kommen. Man bezeichnet das ganze, im chemischen Laboratorium sehr oft angewendete Verfahren als Ausschüttelung des Giftes durch Äther. Übertragen wir nun dieses einfache Experiment auf die Verhält- nisse im tierischen Organismus. Das eine hier in Betracht kommende Lösungsmittel ist die Blut- und Gewebsflüssigkeit, die den Zellen das betreffende Gift zuführt; das andere Lösungsmittel seien gewisse, zu- nächst noch nicht näher zu charakterisierende Bestandteile der Zellen selbst, welche, wie wir voraussetzen wollen, das Gift leichter und in größerer Menge in Lösung zu halten vermögen als die Säfte. Unter diesen Bedingungen ist leicht zu überblicken, was nun geschehen muß: bei der innigen Berührung, welche die beiden Lösungsmittel im Ver- lauf der Säftezirkulation erfahren, wird der Giftstoff aus dem schlechteren Lösungsmittel, dem Blute, allmählich in den besser lösenden Gewebs- bestandteil übergehen, wird sich, entsprechend dem Werte des Vertei- lungskoeffizienten, in den Zellen anhäufen und daselbst unter Umständen krankhafte Störungen hervorrufen können. Andere Gewebe hingegen, welche die betreffenden giftlösenden Substanzen nicht oder nur in ge- ringerer Menge enthalten, werden entsprechend weniger von dem in Rede stehenden Gifte aufzunehmen vermögen und daher auch dessen krankmachender Wirkung weniger oder gar nicht unterliegen. Damit sind wir aber, wie man sieht, zu einem einfachen physikalischen Er- klärungsprinzip für die ungleichmäßige Verteilung der Gifte auf die ver- schiedenen Organe und ÖOrganbestandteile gelangt, und es erübrigt nur noch zu zeigen, daß der geschilderte Verteilungsmechanismus tatsächlich zu Recht besteht und nicht etwa nur eine leere theoretische Speku- lation darstellt. Schon im Jahre 1887 hatte nun EnrriıcH bei seinen ausgedehnten Studien über die pharmakologische Wirkung und die Verteilung chemischer Stoffe im Organismus eine Reihe von höchst interessanten Tatsachen gefunden, welche eine Deutung in dem eben erwähnten Sinne zuließen. Daß diese Versuche der Hauptsache nach ist mit anderen Worten der Verteilungsquotient sehr groß, so IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 41 mit organischen Farbstoffen und nicht mit eigentlichen Giften angestellt wurden, hat seinen Grund darin, daß deren sinnfällige Eigenschaften begreiflicherweise eine Anhäufung in gewissen Organen ohne weiteres und auf den ersten Blick erkennen lassen, während ein chemischer Nachweis nicht gefärbter Verbindungen natürlich viel schwieriger ge- wesen und eventuell sogar, bei der Kleinheit der hier in Betracht kommenden Substanzmengen, ganz außerhalb des Bereiches der Mög- lichkeit gelegen gewesen wäre. EHrLIcH untersuchte nun eine außererdentlich große Zahl (viele Hunderte) von Anilinfarbstoffen auf ihre Fähigkeit, die nervösen Zen- tralorgane im lebenden Organismus zu färben, und konnte in der Tat auf diesem Wege eine ganze Schar von neurotropen Pigmenten, wie Neurotrope er sie nannte, eruieren. Dabei ergab sich nun die folgende sehr merk- "ments. würdige Tatsache: Wie Sie wissen, m. H., unterscheidet man unter den Anilinfarbstoffen saure und basische Pigmente, je nachdem die- selben in ihrem Moleküle saure Atomgruppen (wie z. B. die Karboxyl- gruppe COOH, die Hydroxylgruppe OH, die Nitrogruppe NO, usw.) oder basische Gruppen (wie die Amidogruppe NH,) enthalten. Fast alle neurotropen Farbstoffe gehörten nun der Kategorie der Farbbasen an; es seien nur hervorgehoben: Auramin, Chrysoidin, Bismarck- braun, Neutralrot, Phosphin, Flavanilin, Methylenblau, Äthy- lenblau und andere Thioninderivate. Nur ein einziger neuro- troper Farbstoff, nämlich das Alizarin, stammte hingegen aus der Gruppe der Farbsäuren. Dies gewiß auffallende Ergebnis gab EHRLICH zu denken, und er suchte sich dasselbe in folgender Weise zu erklären. Er setzte die beobachtete Färbung der nervösen Zentral- organe in Parallele mit dem Srtas-Orro’schen -Giftermittelungsverfahren, einer Methode des Giftnachweises, die im wesentlichen auf der früher geschilderten Prozedur der Ausschüttelung beruht. Nur kommt bei demselben noch ein weiteres Moment in Betracht, das wir bei unserer Einfluß der Darstellung bis jetzt geflissentlich außer acht gelassen hatten, nämlich Kara die saure oder alkalische Reaktion des betreffenden Lösungsmittels. Speicherung. Es. pflegen nämlich im allgemeinen basische Substanzen in sauren Lösungen fest gebunden und daher schwer extrahierbar zu sein; aus alkalischer Lösung hingegen, in welcher sie im freien Zustand existieren, sind sie leicht auszuschütteln. Umgekehrt sind Substanzen mit sauren Eigenschaften nur aus saurer Lösung leicht zu extrahieren, nicht aber aus alkalischer. Die Anwendung auf unseren speziellen Fall ist nun außerordentlich naheliegend. Da nämlich die Reaktion des Blutes und der Gewebsflüssigkeiten eine alkalische ist, so werden in denselben ent- haltene Farbsäuren relativ fest gebunden sein und daher nur schwer an die früher supponierten lösenden Bestandteile des Nervengewebes abgegeben werden können. Hingegen werden die Farbbasen im al- kalischen Blute durch keinerlei chemische Kräfte abgehalten werden, sich in das bessere Lösungsmittel der Nervensubstanz zu begeben und dieselbe zu tingieren. Daß auch ein saurer Farbstoff, das Alizarin, unter den neurotropen Pigmenten figuriert, steht mit dieser Erklärung durchaus nicht im Widerspruch, denn gerade das Alizarin besitzt nur ganz schwach saure Eigenschaften, indem seine Salze schon durch Wasser zum Teil dissoziiert und durch Kohlensäure sogar vollkommen gespalten werden. Offenbar findet daher schon im Blute eine teilweise Zerlegung des Alizarinnatriums statt, und das so freigewordene Alızarin kann ohne Schwierigkeit in die nervösen Organe übertreten. Daß diese Neurotropie und Lipotropie. Vitale Färbung. Theorie der Narkose. 42 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. ganze Auffassung der Phänomene richtig ist, dafür spricht noch eine weitere von EHRLICH gefundene Tatsache. Wird nämlich in die oben- erwähnten basischen neurotropen Farbstoffe synthetisch eine Schwefel- säuregruppe eingeführt, wodurch dieselben einen sauren Charakter er- langen, so geht ihre Fähigkeit, hirnfärbend zu wirken, vollkommen ver- loren; ebenso wirkt übrigens die Einführung der Sulfosäuregruppe in eine Reihe ungefärbter, toxischer Körper, wie Phenol, Anilin, Phenyl- hydrazin usw. exquisit entgiftend, was wohl eine ganz ähnliche Erklärung zuläßt, wie wir sie für die Färbung der Nervensubstanz eben entwickelt haben. Welcher Natur sind nun diese im Nervensystem anzunehmenden Substanzen, in denen sich die neurotropen Farbstoffe und auch, wie wir noch sehen werden, gewisse pflanzliche Gifte aufspeichern? Auch für die Beantwortung dieser Frage boten EurLicHhs Ver- suche deutliche Anhaltspunkte dar. Es stellte sich bei denselben näm- lich heraus, daß ein großer Teil der Farbstoffe, die von Hirngrau auf- genommen werden, gleichzeitig aueh im Fettgewebe in beträchtlichen Mengen zur Ablagerung kommt, mit anderen Worten, daß die neuro- tropen Farbstoffe in der Mehrzahl der Fälle auch lipotrope sind. Da nun gerade die nervösen Organe sehr reich an fettähnlichen Sub- stanzen, wie Cholesterin, Lezithin, Cerebrin und anderen Lipoiden sind, so lag es nahe, diese Stoffe für die Farbstoff- und Giftaufspeicherung im Gehirn verantwortlich zu machen, eine Auffassung, die, wie wir gleich sehen werden, in der Folgezeit eine glänzende Bestätigung und Erweiterung erfahren sollte. ÖvERTON untersuchte nämlich bei seinen Studien über vitale Fär- bung eine Reihe von Farbstoffen auf ihre Löslichkeit in Öl, Fetten und Fettsäuren, da er auf Grund anderer Beobachtungen zur Auffassung gelangt war, daß die Plasmahaut der Zellen eine ölärtige Membran darstelle und daß deren Beschaffenheit von prinzipieller Bedeutung für die intravitale Aufnahme der Farbstoffe sein müsse. Er fand nun, daß zwar die untersuchten Pigmente in den gewöhnlichen ölartigen Sub- stanzen unlöslich waren, daß sie sich aber den COholesterinen und Lezi- thinen gegenüber in dieser Beziehung ganz anders verhielten: sämt- liche vitalen Farbstoffe lösten sich mit großer Leichtigkeit in diesen Lipoiden, sowie in Protagon und Cerebrin auf, wäh- rend die nichtvitalen sulfosauren Farbstoffe darin unlöslich waren. Was also EHRLICH aus seinen farbenanalytischen Studien nur mit großer Wahrscheinlichkeit erschlossen hatte, sehen wir durch diese Untersuchungen OVERTONS direkt nachgewiesen: nämlich die Fett- löslichkeit der betreffenden Farbstoffe und ihre Bedeutung für die intra- vitale Färbung. Noch auf einem anderen Grebiete feierten jedoch diese Anschau- ungen EnHrLıcus über die Verteilung der wirksamen Stoffe im Orga- nismus glänzende Triumphe: nämlich auf dem Gebiete der Lehre von den Narkoticis. Nachdem bereits PouL im Jahre 1891 gezeigt hatte, daß die Aufnahmefähigkeit der roten Blutkörperchen für Cbloroform auf ihrem Gehalt an Cholesterin und Lezithin beruht, waren es beson- ders die grundlegenden Studien von Hans MEYER und ÖOVERTON über die Theorie der Alkoholnarkose, welche sichere Beweise in der genannten Richtung beibrachten. Hays MEYER kam nämlich auf Grund umfang- reicher und sorgfältiger Untersuchungen zu der Anschauung, daß die Wirkungsstärke der verschiedenen indifferenten Narkotika unabhängig IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 43 ist von ihren sonstigen chemischen Eigenschaften und nur bedingt wird durch den Verteilungskoeffizienten, der ihre Verteilung zwischen Wasser einerseits und den fettartigen Substanzen des Gehirns andererseits regelt. Ein Blick auf Tabelle A, welche die Versuchsresultate Bauns, eines Schülers von Hans MEYER, enthält, wird diese Verhältnisse klarer machen als eine längere Auseinandersetzung. Der erste Stab dieser Tabelle enthält die Werte der Verteilungskoeffizienten a, UWasser für eine Reihe von narkotisch wirkenden Mitteln der verschiedensten chemischen Konstitution. Da eine Bestimmung des Koeffizienten mit dem eigentlichen Nervenfett nicht durchführbar war, so wurde dasselbe durch Olivenöl ersetzt, in der allerdings bis zu einem gewissen Grade willkürlichen Voraussetzung, daß das letztere sich in seiner lösenden Kraft nicht allzusehr von den Lipoiden des Nervensystems unterscheiden dürfte. Der zweite Stab der Tabelle hingegen enthält die Schwellen- werte der einzelnen Narkotika, d. h. jene in Bruchteilen der Normal- lösung (1 Grammmolekül auf 1 Liter) ausgedrückten Konzentrationen, bei welchen die Versuchstiere, meist Froschlarven, die in der betreffen- den Flüssigkeit schwammen, eben in einen Zustand von Narkose ver- fielen, der an dem Aussetzen gewisser Reflexe leicht zu erkennen war. Der Vergleich der beiden Stäbe untereinander zeigt außerordentlich klar, wie mit Abnahme des Verteilungskoeffizienten und damit der relativen Fettlöslichkeit die Schwellenwerte immer größer werden, also die zum Eintreten der Narkose erforderliche Giftkonzentration immer mehr zunimmt. Die kleinen Abweichungen von der Regel, die sich bei einzelnen Gliedern dieser Reihe erkennen lassen, sind wohl nur durch Ungenauigkeiten in der Bestimmung der Verteilungsquotienten und der Schwellenwerte bedingt. Tabelle A. Verteilungskoeffizient: | Schwellenwert in C Fett Bruchteilen der C Wasser Normallösung NEnal sn: 4.46 0,0018 Habranal, - 0. 4,04 0,0013 Butylchloralhydrat . 1,59 0,0020 Bulfonalh 40 „ui! 111 0,0060 Bromalhydrat . . 0,66 0,0020 Teazalan N. 0,3 0,01 Haze 2. 4... 0,23 0,015 Chloralhydrat . . . 0,22 0,02 Athylurethan . . . 0,14 0,04 Monazetin . . . . 0,06 0,05 Methylurethan . . 0,04 0,4 Eine weitere sehr interessante Bestätigung hat Hass MEYERS Theorie durch die Versuche seiner Schüler Dourv und NackE erfahren, deren Resultate in Tabelle B aufgeführt sind. Da sich nämlich die Ver- teilung einer Substanz zwischen Wasser und Öl mit der Temperatur ändert, so mußte, wenn die Theorie richtig ist, auch die Wirkungs- intensität der betreffenden Narkotika mit der Temperatur variieren, eine Folgerung, die sich tatsächlich als richtig herausgestellt hat. So nehmen z. B. die Teilungskoeffizienten für Azeton, Äthylalkohol und Chlorhydrat Fettlöslich- keit und narkotische Wirkung. Weitere Gründe für die physi- kalische Speicherung. 44 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. Tabelle B. ! 1 Verteilungskoeffizient Wirkungsstärke 5 är bei 3° | 830--36° 3° | 30-36° Salizylamid . . .| 222 | 14,0 1300 600 Berzamid’. . . » 0,67 0,43 500 200 Monazetin . . . . 0,099 0,066 90 70 Äthylalkohol . . . 0,026 0,047 3 7 Chloralhydrat . . . 0,053 0,236 50 250 N2:,2 A 0,146 0,235 3 N) mit der Temperatur zu, und in gleicher Richtung bewegen sich die Wir- kungsstärken dieser Narkotika, gemessen durch das Reziproke ihrer Schwellenwerte.e Umgekehrt nehmen Fettlöslichkeit und Wirkungswert bei Salizylamid, Benzamid und Monazetin mit der Temperatur nicht un- beträchtlich ab. Endlich sei noch eine sehr interessante Beobachtung von PıuLı hier erwähnt, welche die Wichtigkeit der Lipoidlöslichkeit für die pharmakodynamische Wirkung gewisser Stoffe aufs schlagendste demonstriert: Während nämlich von dem — als Salz — nicht lipoid- löslichen Rhodannatrium 8—10 g in den Kreislauf eingeführt werden müssen, um beim Hund eine foudroyante tödliche Rhodanvergiftung zu erzeugen, genügen von dem Amylester der Rhodanwasser- stoffsäure schon wenige Tropfen, welche offenbar wegen ihrer leichten Löslichkeit in den Zellipoiden außerordentlich rasch gespeichert werden und so einen Effekt erzielen, der bei dem Rhodansalz erst durch einen kolossalen Überschuß erzeugt werden kann. — Alle diese Tatsachen, die wir hier kurz angeführt haben, sprechen vollkommen eindeutig dafür, daß die Lokalisation gewisser chemischer Sub- stanzen (Narkotika, Antipyretika und Farbstoffe) nicht durch che- mische Affinitäten, sondern durch die physikalischen Lös- lichkeitsverhältnisse bestimmt wird. Höchstens könnte noch von lockerer Salzbildung die Rede sein. In demselben Sinne ist zu deuten, daß die verschiedensten Gifte, Alkaloide, Phenole, Anilin, Antipyrin, Thallin usw. durch geeignete einfache Extraktionsmittel den Geweben, in welchen sie aufgespeichert waren, wieder entzogen werden können, was unmöglich wäre, wenn, wie LoEw angenommen hat, eine Fixierung derselben durch chemische Bindung stattgefunden hätte. Auch die große Flüchtigkeit der Wirkung der meisten dieser Stoffe, die Schnellig- keit der Elimination und andere Gründe mehr sprechen entschieden gegen eine feste synethische Verankerung derselben in den (Geweben. Bei den Farbstoffen gesellt sich hierzu noch ein weiteres Argu- ment, das durch die Farbnuance geliefert wird, in welcher die ver- schiedenen Organe intravital gefärbt erscheinen. Würde nämlich die Fixation dieser Pigmente in den Geweben durch substitutive chemische Prozesse bedingt sein, indem etwa hierbei Amidogruppen durch Aldehyd- reste ersetzt würden und dergleichen, so wäre zu erwarten, daß sich hierbei eine Farbenänderung einstellen würde, wie sie häufig zu beob- achten ist, wenn gewisse chemische Gruppen in Farbbasen eingeführt werden. E#rLiıch konnte jedoch niemals, trotz eigens auf diesen Punkt gerichteter Versuche, in irgend einem Falle und in irgend einem Or- gane eine solche durch substitutive Prozesse veranlaßte Farbenänderung IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 45 beobachten. Überdies sind manche der für die vitalen Färbungsversuche geeignetsten Farbstoffe, wie z. B. das Methylenblau, für synthetische Ein- griffe fast unzugänglich, so dab nur durch Einwirkung stärkster Rea- gentien, wie Schwefelsäure und hohe Temperaturen, neue Gruppen in das fertige Molekül eingeführt werden können. Es ist klar, daß unter diesen Umständen eine synthetische Bindung dieses Farbstoffes in den Geweben absolut ausgeschlossen ist und daß dessen Lokalisation in den verschiedenen Organen, wie bereits auseinandergesetzt, auf andere, näm- lich physikalische Kräfte zurückgeführt werden muß. — Wie wir sehen, kann also der geschilderte Verteilungsmodus der Gifte im Organismus als vollkommen sichergestellt gelten, und an Beispielen für denselben besteht absolut kein Mangel. Nicht ganz so leicht ist es, für die Verteilung giftiger Substanzen auf Grund chemischer Affinitäten sichere und ganz einwandsfreie Tat- sachen beizubringen. Zwar haben wir, wie aus dem folgenden hervor- gehen soll, allen Grund zu der Annahme, daß die meisten Toxine durch chemische Kräfte in den Zellen und Geweben fixiert werden, es läßt sich jedoch bis jetzt immer nur ein wenn auch gewiß sehr plausibler und einleuchtender Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür erbringen. Daß Gifte bakterieller Natur überhaupt von den (Geweben ge- bunden und dem Kreislaufe entzogen werden, ist nicht schwer zu zeigen und bereits seit langem bekannt. Bringt man nämlich entsprechende, nicht allzugroße Mengen von Toxinen in die Blutbahn empfänglicher Tiere, so verschwinden sie außerordentlich rasch aus dem Kreislauf, ohne jedoch etwa durch den Harn ausgeschieden zu werden. Wie Dösıtz zeigen konnte, beginnt diese Bindung des Giftes von dem Mo- mente ab, wo es im Blute erscheint, und geht so rasch vor sich, dab bei schwerer Vergiftung die tödliche Dosis bereits innerhalb 4—8 Mi- nuten durch die Gewebe absorbiert ist. Demgegenüber vermag das Gift sich im Blute unempfänglicher Tierspezies oft außerordentlich lange zu halten. So erwähnt METSCHNIKOFF, daß eine bei 20° gehaltene Ei- dechse, welcher man eine für Mäuse 500fach tödliche Tetanustoxin- menge eingespritzt hatte, noch 2 Monate nach der Injektion so viel Gift enthielt, daß 0,1 ccm des Blutes bei Mäusen Starrkrampf mit letalem Ausgange hervorrief. Bei unempfänglichen Warmblütern hält sich zwar das Gift bei weitem weniger lange im Blute, es kann aber, wie beim Huhne, dem Tetanusgift eingespritzt wurde, doch immerhin tagelang dauern, ehe es aus dem Kreislauf verschwunden ist. Auch in vitro läßt sich die giftbindende Fähigkeit gewisser Organe und Organbestandteile ohne Schwierigkeit nachweisen. Mischt man z. B., wie dies WASSERMANN und TaARARXI getan haben, eine Tetanusgiftlösung mit einer Emulsion frischer Gehirnsubstanz, zentrifugiert nach kurzem Stehen und benutzt das klare Filtrat zur Giftprüfung, so findet man dasselbe — geeignete Mengenverhältnisse vorausgesetzt — vollkommen ungiftig. Das Toxin muß also von den geformten Elementen der Ge- hirnaufschwemmung absorbiert und der Flüssigkeit entzogen worden sein. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, daß Emulsionen von ge- kochtem Gehirn sich als völlig unwirksam erwiesen und kein Gift mehr zu absorbieren imstande waren. Man muß also wohl annehmen, daß die giftbindenden Bestandteile des Gehirns durch die Siedetemperatur zerstört werden. Ein weiteres instruktives Beispiel für die Absorption von Toxinen durch tierische Zellen liefert das von den Staphylokokken produzierte, Speicherung durch chemische Kräfte. Verschwin- den der Toxine aus der Blut- bahn. Giftbindung in vitro. 46 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. blutkörperchenlösende Staphylolysin. Läßt man nämlich ein solches Toxin bei 0° einige Stunden lang auf Kaninchenerythrozyten einwirken, so ist aus der abzentrifugierten Flüssigkeit nach dieser Zeit alles Lysin verschwunden und so fest an die Blutkörperchen verankert, daß es ihnen selbst durch öfters Waschen mit physiologischer Kochsalzlösung nicht mehr entrissen werden kann. Ganz ähnlich verhält sich ein zweiter von den Staphylokokken produzierter Giftstoff, das sogenannte Leukozidin, den weißen Blutkörperchen gegenüber. Giftbindung Charakteristisch für diese Absorptionswirkung der Zellen und er (Gewebe ist nun, daß sie in vielen Fällen nachweislich in inniger lichkeit. Beziehung zu ihrer Giftempfindlichkeit steht. Einige Beispiele mögen diese wichtige Tatsache erläutern. Säugetiere sind im allgemeinen sehr empfänglich für das Tetanustoxin, während sich viele Kaltblüter, wie Eidechse und Schildkröte, vollkommen refraktär dagegen verhalten. Aus dem Früheren wissen wir auch bereits, daß nur beim empfäng- lichen Warmblüter eine rasche Entfernung des Giftes aus dem Kreis- laufe stattfindet, während es in der Blutbahn der Eidechse monate- lang im freien Zustande :zirkulieren kann. Dementsprechend ist die (Grehirnsubstanz vom Menschen, Pferd, Meerschweinchen und Kaninchen bei Versuchen in vitro mit sehr starker toxinbindender Kraft aus- gestattet, das Schildkrötenhirn jedoch in dieser Beziehung fast voll- kommen unwirksam. — Noch deutlicher tritt dieser merkwürdige Parallelismus zwischen Giftempfindlichkeit und Bindungsvermögen bei gewissen tierischen Giftstoffen hervor, die nach allen ihren Eigenschaften den Bakterientoxinen außerordentlich nahe stehen. So enthält die Kreuzspinne ein hämolytisches, blutkörperchenlösendes Gift, das speziell den roten Blutzellen des Kaninchens gegenüber von so eminenter Wirk- samkeit ist, daß der Giftgehalt einer einzigen Spinne von etwa 1!/,g Ge- wicht hinreichen würde, um ca. 2!/, Liter Kaninchenblut vollkommen zu zerstören. Meerschweinchen- und Hundeblut ist hingegen selbst für größere Mengen des Arachnolysins vollkommen unempfindlich. Sachs konnte nun zeigen, daß die Stromata der resistenten Blutarten nicht imstande sind, das Kreuzspinnengift aus seiner Lösung zu absorbieren, während die Stromata der Kaninchenerythrozyten sehr beträchtliche Absorptionswirkungen entfalten. Fast noch instruktiver ist jedoch die folgende, ebenfalls von SacHs gefundene Tatsache. Auch für das Blut erwachsener Hühner stellt das Arachnolysin ein außerordentlich wirk- sames Gift dar. Das Blut eben ausgeschlüpfter Hühnchen ist jedoch, wie das der obenerwähnten Säugetiere, dagegen absolut resistent. Prüfte nun Sachs die giftbindende Kraft dieser beiden Blutzellenarten gegen- über dem Arachnolysin, so ergab sich auch hier wieder derselbe typische Unterschied zwischen den empfindlichen und den unempfindlichen Ele- menten: nämlich starke Absorption durch die Erythrozyten der erwach- senen Tiere, vollkommenes Fehlen bindender Eigenschaften bei den Blutkörperchen ganz junger, eben ausgeschlüpfter Küchlein. Eindring- licher läßt sich die innige korrelative Beziehung, die zwischen Giftbindung und Giftwirkung besteht, wohl kaum demonstrieren, als durch diese interessanten Versuche, für die sich übrigens auch bei manchen anderen hämolytischen Giftstoffen Analogien beibringen ließen. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß auch manche für die Toxine vollkommen unempfindliche Organe und Zellen mit hohen giftbindenden Fähigkeiten ausgestattet sein können. Während z. B. alle Organe des Meerschweinchens mit 1V. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 47 Ausnahme des Gehirns sich vollkommen unfähig erwiesen, das Tetanus- gift zu binden, zeigten nach Versuchen von WAssERMANN Milz und Leber des Kaninchens deutliche absorbierende Eigenschaften, ein Unter- schied, der, wie wir noch sehen werden, nicht ohne Bedeutung für die verschiedene Giftempfindlichkeit dieser beiden Tierspezies sein dürfte. Wir wollen jedoch hier nicht länger bei diesen interessanten Ver- hältnissen, die uns noch bei der Besprechung der antitoxischen Immu- nität zu beschäftigen haben werden, verweilen, sondern wollen nur darauf hinweisen, daß die geschilderten eigentümlichen, sozusagen kapriziösen Bindungsverhältnisse der Toxine am ehesten durch Annahme chemischer Affinitäten ihre Erklärung finden dürften. In demselben Sinne spricht die außerordentliche Zähigkeit, mit welcher die einmal gebundenen Toxine von den Geweben festgehalten werden, und die es unmöglich macht, sie ihnen mit Hilfe der gewöhnlichen indifferenten Extraktions- mittel wieder zu entreißen, was ja, wie bereits erwähnt, bei den nur durch physikalische Kräfte festgehaltenen Alkaloiden ohne Schwierig- keit gelingt. Noch beweisender für die chemische Natur jener Vorgänge, die Entgiftung sich bei der Giftspeicherung zwischen Geweben und Toxinen abspielen, Gifkbindnng. scheint jedoch die hierbei eintretende Entgiftung der letzteren zu sein. Prüften Wasservass und Takakı bei ihrem früher geschilderten Experiment den abzentrifugierten und mit Toxin beladenen Gehirnbrei auf seine Giftigkeit, so fand sich derselbe ebenso unwirksam, wie die klare überstehende Flüssigkeit: mit der Giftbindung war also eine Inaktivierung des Tetanustoxins einhergegangen. Die Gehirn- substanz verhielt sich somit gegenüber dem Toxin ganz ähnlich wie ein typisches Antitoxin, und wir werden noch später des näheren auszu- führen haben, daß die zwischen Toxin und Antitoxin ablaufenden Re- aktionen mit größter Wahrscheinlichkeit als chemische aufgefaßt werden müssen und mit den KNeutralisationsvorgängen zwischen Säuren und Basen in Parallele zu setzen sind. Bei einer rein physikalischen Speiche- rung, wie sie etwa bei den Alkaloiden eintritt, wäre eine derartige Entgiftung kaum zu beobachten. Es lassen sich nun in der Tat Beispiele anführen, wo das Tetanus- gift zwar in gewissen Organen abgelagert, aber nicht entgiftet, also wohl auch nicht chemisch gebunden wird, ganz wie die Alkaloide. METSCHNIKOFF injizierte nämlich Skorpionen sehr bedeutende Mengen des Toxins und konnte konstatieren, daß das Blut der Tiere, die voll- ständig gesund blieben, schon nach wenigen Tagen absolut giftfrei war. Hingegen fand sich die Leber noch nach vielen Monaten toxinhaltig und vermochte bei Mäusen typischen Tetanus hervorzurufen. Obwohl also die Leber des Skorpions das Tetanustoxin in hohem Grade auf- zuspeichern vermochte, kamen demselben keine antitoxischen Eigen- schaften zu, woraus man schließen darf, daß in diesem Falle die Loka- lisation des Giftes durch andere Kräfte erfolgte, als bei dem mehrfach erwähnten Wassermannschen Versuche. Gerade dieser Gegensatz läßt also die chemische Natur des Absorptionsvorganges zwischen Toxin und Hirnbrei um so wahrscheinlicher erscheinen, und in der Tat hat sich eine große Anzahl namhafter Forscher dieser Auffassung rückhalt- los angeschlossen. Andererseits soll jedoch nicht verschwiegen werden. daß einige Forscher, darunter METSCHNIKOFFS Autorität, die entgif- tende Kraft der Gehirnsubstanz auf ihren Gehalt an Lipoiden beziehen, da in der Tat manche Fette ähnliche Wirkungen entfalten. So konnten Chemische Giftbindung und Anti- körper- produktion. Giftwande- rung in den Nerven. 48 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. KENPNER und SCHEPILEWsSKY nicht nur durch Gehirnbrei, sondern auch durch Lezithin, Cholesterin und Tyrosin die Wirkungen des Botu- lismustoxins paralysieren, und METSCHNIKoFF erklärt sich die geringe entgiftende Wirkung mancher Kaltblütergehirne geradezu durch deren geringen Fettgehalt. Auch die Fixation eines hämoiytisch wirkenden Giftes, des Saponins, durch die roten Blutkörperchen geschieht, wie Raxsom nachweisen konnte, durch das in diesen Zellen enthaltene Cholesterin, also wohl auf Grund physikalischer Kräfte, und es liegt daher nahe, die früher aufgezählten Tatsachen, die sich auf die Bindung des Staphylolysins und besonders des Arachnolysins bezogen, hierzu in Parallele zu setzen. Ob diese Analogisierung wirklich berechtigt ist, ist wohl heute noch nicht mit absoluter Sicherheit zu entscheiden. Es besteht jedoch zwischen den sicher auf physikalischem Wege gespeicherten Alkaloiden, Glykosiden usw. einerseits und den echten Toxinen andererseits noch ein, wie es scheint, fundamentaler Unterschied, der mit der Art der Bindung dieser beiden Giftkategorien in Zusammen- hang stehen dürfte. Nur die echten Toxine vermögen nämlich bei ihrer fortgesetzten Einverleibung in den Tierkörper die Bildung von Antitoxinen auszulösen. Dagegen ist es noch nicht gelungen, gegen irgend eine Substanz bekannter chemischer Konstitution ein Antitoxin zu erzeugen. Alle in dieser Richtung mit den verschie- densten Alkaloiden und Glykosiden, auch mit Saponin angestellten Ver- suche haben ein negatives Resultat ergeben, und wir werden bei Be- sprechung der EurricHschen Seitenkettentheorie noch darzulegen haben, daß gerade diese wichtige Tatsache mit für die chemische Natur der Toxinbindung durch die Gewebe sprechen dürfte. Einwandfreie Beweise gegen diese besonders von EHRLICH vertretene Auffassung liegen jeden- falls bis jetzt nicht vor. Bisher haben wir immer angenommen, daß die von den Mikro- organismen produzierten Toxine, deren Verteilung im Organismus wir studieren wollten, auf dem Wege der Lymph- und Blutkapillaren von ihrem Entstehungsort in den Kreislauf gelangen und von da aus den verschiedenen Organen zugeführt werden. Vor einiger Zeit haben wir nun einen weiteren, bis jetzt allerdings erst für ein ein einziges Gift, das Tetanustoxin, erwiesenen Verteilungs- modus kennen gelernt, bei welchem ein anderer im Organismus vor- gebildeter Weg benutzt wird, um das Toxin an die giftempfindlichen Organe heranzubringen: nämlich die motorischen Nerven. MEYER und Raysom konnten nämlich bei ihren schönen Untersuchungen über den Tetanus feststellen, daß das einem Kaninchen oder Meerschweinchen subkutan unter die Haut eines Hinterbeines eingespritzte Gift sich reichlich in dem Nerv. ischiadicus derselben Seite nachweisen läßt, wäh- rend Hirn, Rückenmark und die anderen Gewebe, auch in der unmittel- baren Umgebung des genannten Nerven, keine Spur davon enthalten. MorAXx und MARIE haben dann diese Befunde in mehrfacher Richtung erweitert, indem sie zeigen konnten, daß diese Giftaufnahme durch den Nerven an die Integrität des Achsenzylinders gebunden ist. Durchschneidet man nämlich den Ischiadicus vor der Toxininjektion, so kann derselbe noch etwa zwei Tage lang das Gift ebenso aufnehmen wie ein normaler Nerv, nur braucht er hierzu bedeutend längere Zeit. Während z. B. ein normaler Ischiadieus schon 1!/, Stunden nach der Injektion gifthaltig angetroffen wird, findet sich das Gift in dem durch- trennten Nerven erst nach 24 Stunden. Ist jedoch nach etwa IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte. 49 6 Tagen bereits eine Degeneration des durchtrennten Achsen- zylinders eingetreten, so findet überhaupt keine Giftaufnahme von seiten des Nerven mehr statt. Da nun bei dem durchschnittenen Nerven das Toxin stets nur in dem distalen Ende, das mit dem Muskelapparat noch in Verbindung steht, gefunden wird, niemals hingegen im proximalen Stücke, so folgt, daß das Gift nicht durch die Gefäßkapillaren, die ja auch in dem zen- tralen Stumpfe erhalten sind, in den Nerven gelangen kann, sondern nur durch die intramuskulären Endapparate. Aus weiteren Versuchen ergab sich, daß das Toxin nur in zentripetaler Richtung wandert und nicht umgekehrt. Ein sehr ingeniöser Versuch von MEYER und Rınsom ist geeignet, diese Verhältnisse anschaulich zu demonstrieren: wurde nämlich in den rechten Ischiadicus eines Kaninchens Tetanus- antitoxin injiziert und dann an beiden Beinen subkutan Tetanusgift ein- gespritzt, so blieb das rechte Bein vollkommen frei, während das linke in vollkommen typischer Weise tetanisch wurde. Es war also durch die Antitoxininjektion der im Nerven gelegene Weg zu den Rücken- markszentren für das Toxin gesperrt worden und auf diese Weise das rechte Bein vor dem Starrkrampf geschützt geblieben. Da nun derselbe Versuch auch bei intravenöser Applikation des Giftes ganz das gleiche Resultat ergab, so folgern Meyer und Ransom weiter, daß das Tetanusgift überhaupt nicht direkt durch die Blut- und Lymphgefäße an die Zentralorgane heranzutreten vermag, sondern unter allen Umständen nur auf dem Wege der Nerven dahin gelange, eine Auffassung, die, wie man sieht, von den bisherigen Anschauungen sehr wesentlich abweicht. Durch welche Art von Kräften das Toxin in die motorischen Nervenendi- gungen hineingetrieben wird, darüber äußern MEYER und Ransom keine bestimmte Vorstellung. Zur Erklärung des Gifttransportes nehmen jedoch die beiden Forscher die Existenz einer dauernden lebhaften Protoplasmaströmung in den Neuronen an und weisen darauf hin, daß auch für eine andere Erkrankung eine Wanderung des Virus längs der Nervenbahnen sehr wahrscheinlich gemacht wurde: nämlich für die Lyssa. Allerdings nimmt man in diesem Falle nicht einen Gifttrans- port, sondern eine Wanderung des Erregers selbst gegen die Zentren hin an. Ob endlich ein derartiger Strömungsvorgang im Nerven auch für andere toxische Erkrankungen, vielleicht auch für die lokalisierten Nervenstörungen bei chronischen Metallvergiftungen in Betracht kommt, werden spätere Forschungen lehren müssen. Jedenfalls bedeuten die grundlegenden Untersuchungen von MEYER und Ransom eine außer- ordentlich wertvolle Bereicherung unserer Kenntnisse über die Verteilung der Gifte im Organismus. Wir haben versucht, die Prinzipien der Giftverteilung und Gift- speicherung in den Geweben, soweit dies unsere heutigen Kenntnisse erlauben, in Kürze darzulegen. Dadurch ist natürlich aber nur ein wenn auch nicht unwesentlicher Teil der Giftwirkung dem Verständnis näher gerückt. Vom Momente der Gift- speicherung in den verschiedenen Zellterritorien an beginnen ja erst jene intimeren chemischen oder biologischen Vor- ‚gänge, welche die Funktionsstörungen und Schädigungen des Protoplasmas, also den eigentlichen Vergiftungsprozeß bedingen und deren Details sich einstweilen noch einer genaueren Analyse entziehen. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 4 50 IV. Die Verteilung und Lokalisation der Gifte, Giftempfind- Daß hierbei aber, neben der zu supponierenden spezifischen Gift- es empfindlichkeit des betreffenden Zellinhaltes, auch noch andere Fak- rung. toren in Betracht kommen können, lehrt eine interessante Mitteilung von Srraus. Bei Studien über das Eindringen von Alkaloiden in lebende Zellen, speziell in die Muskulatur des Ventrikels einer marinen Schnecke, Aplysia limacina, konnte Strauß nämlich kon- statieren, daß Strychnin trotz bedeutender Speicherung dennoch fast unwirksam blieb und konnte nachweisen, daß der Grund hiervon mit größter Wahrscheinlichkeit in der außerordentlich raschen Zer- störung dieses Giftes am Orte der Speicherung, also im Schneckenherzen zu suchen sein dürfte. Strauß unterscheidet daher auf Grund seiner Versuche folgende drei Gruppen von Alkaloiden: I. wirksame: sie werden maximal gespeichert und nicht zerstört (Typus: Veratrin); I. unwirksame: a) solche, die gespeichert, aber rasch zerstört werden (Typus: Strychnin); b) solche, die nicht gespeichert und nicht zerstört werden (Typus: Curarin). Daß derartige Tatsachen, wenn sich ihre allgemeine Gültigkeit herausstellen sollte, von größter Bedeutung für die Theorie der Gift- wirkungen sein müssen, ist wohl einleuchtend. — Schicksal Es obliegt uns nun noch, das Bild, das wir von dem Verhalten der Gifte im der Gifte im tierischen Organismus zu entwerfen versucht haben, nach einer Richtung hin zu vervollständigen, indem wir noch das Schick- sal der Bakteriengifte im Darmkanal einer kurzen Betrachtung unterziehen wollen. Seit langem ist bekannt, daß unsere Versuchstiere gegen die Ein- führung der meisten Toxine in den Verdauungstrakt ganz unempfindlich sind. So kann man, wie GIBIER gezeigt hat, enorme Dosen von Tetanus- gift Hunden, Kaninchen oder Meerschweinchen per rectum applizieren, ohne daß dieselben erkranken, und ganz ähnlich sind die Resultate bei stomachaler Einverleibung dieses und anderer Toxine. Auch das den bakteriellen Giftstoffen in vieler Beziehung außerordentlich nahestehende Schlangengift macht von dieser Regel keine Ausnahme und wird selbst in hohen Vielfachen der tödlichen Menge vom Magen aus ohne Anstand vertragen. Demgegenüber ist das Botulismustoxin nicht nur bei subkutaner und intravenöser Applikationsweise von außerordentlicher Wirksamkeit, sondern vermag auch vom Magen aus in ganz minimalen Dosen die schwersten Vergiftungserscheinungen hervorzurufen. 1—2 Tropfen einer Gelatinekultur oder 0,01 ccm einer Zuckerbouillonkultur bilden nach van ERMENGEM für den Affen und das Meerschweinchen die häufig schon binnen 24—36 Stunden zum Tode führende Dosis. Auch das Rizin, der wirksame Bestandteil der Rizinussamen, wirkt vom Verdauungstrakt aus, wenn auch bei weitem schwächer als bei direkter Einführung in die Gewebe; ja Eurtıch konnte sogar, wie wir noch sehen werden, Tiere durch Rizinfütterung in typischer Weise gegen die Wirkung dieses Giftes immunisieren. IV. Verteilung und Lokalisation der Gifte. 51 Worin haben nun diese Unterschiede zwischen den verschiedenen Giftstoffen ihren Grund? Zwei Hauptmöglichkeiten haben wir hierbei ins Auge zu fassen. Entweder sind nämlich diejenigen Toxine, welche vom Magendarmkanal aus unwirksam bleiben, nicht resorptionsfähig, vermögen also nicht die schützende Schleimhautschicht zu passieren; oder aber sie werden im Verdauungstrakte auf irgend eine Weise zerstört und unschädlich gemacht. Eine derartige Entgiftung könnte nun wieder durch ver- schiedene Agentien bewirkt werden: durch die mannigfaltigen Fer- mente und Sekrete, die vom Verdauungstrakt und seinen Drüsen abgesondert werden; oder durch die lebende Schleimhaut als solche, oder endlich durch die Tätigkeit der unzähligen Mikro- organismen, die im Darminhalt ihr saprophytisches Dasein führen und sich nachweisbar an der Zersetzung der Nahrungsstoffe mit be- teiligen. Welche von diesen verschiedenen Möglichkeiten tatsächlich zu Recht besteht, konnte natürlich nur das Experiment ergeben. ÜARRIERE hat nun zur Entscheidung dieser Fragen die folgenden Versuche angestellt. Zunächst erhielten Kaninchen mit Hilfe der Schlund- sonde etwa 20 ccm Tetanustoxin oder Schlangengift in den Magen ein- geführt, worauf ihnen das Rektum unterbunden wurde. Am nächsten Tage wurden die Tiere dann getötet, der Inhalt des Verdauungstraktes gesammelt, gewaschen, filtriert und das Filtrat auf seinen Giftgehalt geprüft. Es ergab sich, daß kein einziges der mit dieser Flüssigkeit be- handelten Tiere an Tetanus erkrankte, daß also das Gift vollkommen aus dem Darminhalt der gefütterten Tiere verschwunden war. Wäre nun bloß die mangelnde Resorptionsfähigkeit dieser Gifte als die Ur- sache ihrer Unwirksamkeit zu betrachten, so hätten sich dieselben natürlich unverändert in den Darmkontentis wiederfinden müssen. Da dies jedoch, wie gesagt, nicht der Fall war, so mußte also die erste der genannten Möglichkeiten mit Recht als unzutreffend ausgeschlossen werden, und es mußte also in irgendwelcher Form eine Ent- giftung oder Zerstörung der Toxine stattgefunden haben, deren Mechanismus noch weiter zu studieren war. Sind nun vielleicht die Darmbakterien an dieser Inaktivierung der eingeführten Gifte beteiligt? CArRIERE hat diese Frage in doppelter Weise zu beantworten gesucht: durch Versuche in vitro und in vivo. Brinst man zunächst Tetanusgift oder Schlangengift im Reagenz- glas mit Kaninchenfaeces zusammen und überläßt das Gemisch durch 24 Stunden der Brüttemperatur, so zeigt sich das Tetanustoxin zwar merklich in seiner Wirksamkeit geschwächt, das Schlangengift hingegen ist vollkommen unverändert geblieben. In vitro scheinen somit die Darmbakterien nur sehr unbedeutenden Einfluß auf die Aktivität der Toxine zunehmen. Aber auch die Tierversuche führten zu genau dem gleichen Ergebnis. Kaninchen wurden zu diesem Zwecke laparotomiert, eine Darmschlinge von 10—15 cm Länge abgebunden und in dieselbe eine entsprechende Toxinmenge eingespritzt. Nach 24 Stunden wurde dann der in der Schlinge zurückgebliebene Inhalt untersucht, wobei sich das Schlangengift wieder vollkommen un- verändert vorfand, während das Tetanustoxin auch bei dieser Versuchs- anordnung eine geringe Abschwächung erlitten hatte. Allerdings äußerte sich dieselbe nur darin, daß die mit dem filtrierten Schlingeninhalt injizierten Tiere etwas später unter den typischen tetanischen Krampf- 4* Entgiftung im Darm- Wirkung der Darm- bakterien. 52 IV. Verteilung und Lokalisation der Gifte. anfällen zugrunde gingen als die Kontrolltiere, welche entsprechende Mengen des reinen Toxins erhalten hatten. Da man somit nach diesen Experimenten weder der Tätigkeit Wirkungderder Mikroben noch der lebenden Darmschleimhaut eine wesent- wemen®#]iche Rolle bei der Giftzerstörung im Verdauungstrakt zuschreiben kann, kanals. so weisen bereits diese Tlatsachen mit gebieterischer Notwendigkeit auf die Fermente als die wahrscheinliche Ursache der besprochenen Ent- giftungsvorgänge hin. Durch eine letzte Reihe von Versuchen gelang es nun ÜARRIERE in der Tat, die Beweiskette zu schließen, indem er die genannten beiden Gifte direkt mit Ptyalin, Pepsin, Trypsin und mit Galle zusammenbrachte, was übrigens zum Teil schon vor ihm von anderen Forschern, wie NENCKI, SIEBER, SCHOUMOW-SIMANOWSKY geschehen war. Das Ergebnis dieser Experimente zeigt die nachstehende kleine Tabelle, aus welcher hervorgeht, daß in der Tat den Verdauungsfermenten eine sehr be- trächtliche giftzerstörende Kraft innewohnt, während sich die Galle erst bei Verwendung sehr großer Dosen wirksam erwies. Tetanusgift Schlangengift Ptyalin Starke Schwächung Starke Schwächung Pepsin Starke Schwächung Fast vollkommene Zerstörung Pankreatin Zerstörung Zerstörung Galle Geringe Schwächung Geringe Schwächung Darmbakterien Geringe Schwächung Fast unverändert | Die Hauptrolle bei der Entgiftung dieser beiden Sub- stanzen scheint somit dem Trypsin, dem Eiweiß spaltenden Fermente des Pankreas, zuzukommen. Von diesem Gesichts- punkte aus erscheint es gewiß) interessant, daß sowohl das Botulismus- toxin, das ja normalerweise vom Darmkanal aus zur Wirkung gelangt, als insbesondere das Rizin sich durch bedeutende Widerstandsfähigkeit diesen Fermenten gegenüber auszeichnet. Ist es doch JaKoBy vor nicht allzulanger Zeit gelungen, das Rizin durch anhaltende Trypsinverdauung so weit von den anhaftenden Eiweißkörpern des Rizinussamens zu trennen, daß es keine der üblichen Eiweißreaktionen mehr erkennen ließ. Es dürften somit nur jene Toxine oder toxinähnlichen Gifte imstande sein, vom Verdauungstrakt aus zu wirken, welche durch dessen Fermente keine Zerstörung und Ent- giftung erfahren. Literatur. EsuruiıcH, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus, Berlin 1885. Ders., v. Leyden-Festschrift (1898, 1902). OvErton, Studien über die Narkose, Jena 1901. MEYER, H., Arch. f. experim. Pathol. 1899—1901. OveErron, Jahrb. f. wissensch. Botanik, 1900. Dösıtz, Deutsche med. Wochenschr., 1897. METSCHNIKOFF, Die Immunität bei Infektionskrankheiten, übersetzt v. MEYER, 1902. WAssERMANN und Takxakı, Berliner klin. Wochenschr., 1898. Sacas, Hofmeisters Beiträge, Bd. II, 1902. MEYER und Ransom, Arch. f. experim. Pathol., 1903. IV. Verteilung und Lokalisation der Gifte. 53 Lic#twırz, Arch. f. experim. Pathol., Bd. LVIII, 1908. Morax und MARIE, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1902 und 1903. Straup, Pflügers Archiv, Bd. XCVIII, 1903. GIBIER, Sem. medic., 1896. vAN ERMENGEM, Kolle-Wassermanns Handbuch, 1903. CARRIERE, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1899; Compt. rend. de la societ& de biol., 1899. JaKoBY, Hofmeisters Beiträge, 1901. NENcKI und SCHOUMOFF-SIMANOWSKY, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXII, 1898. V. Inkubationsdauer. Virulenz. Inkubations- Wir haben im vorhergehenden Abschnitte die Verteilung der en. Giftstoffe im Organismus und deren Gesetze in den Grundzügen kennen wirkungen. oelernt und gesehen, wie dieselben zum Teil auf dem Wege der Blut- und Lymphbahnen, zum Teil auf dem Wege der Nervenfasern zu den giftempfindlichen Organen gelangen, um daselbst entweder durch che- mische oder durch physikalische Kräfte (Löslichkeitsverhältnisse und dergleichen) fixiert und aufgespeichert zu werden. Es geht aus dieser Darstellung mit Notwendigkeit hervor, daß zwischen der Einverleibung des Giftes, auf welche Weise dieselbe auch geschehen möge, und dem Momente, wo sich die ersten Wirkungen der Vergiftung zu offenbaren beginnen, eine gewisse Zeit vergehen muß, weiche zum mindesten für den Transport des Giftes vom Orte der Applikation bis zum Orte der Wirkung in Anspruch genommen werden muß. Damit sind wir aber bei einem wichtigen Begriffe angelangt, bei dem Begriffe der Inku- bationsdauer der Giftwirkungen, mit welchem wir uns nun etwas näher zu beschäftigen haben. Einfluß Es ist nach dem bereits Gesagten selbstverständlich, daß die In- er Arr.kubationsdauer nicht unwesentlich durch die Örtlichkeit beeinflußt wird, des Giftes. an welcher das Gift in den Organismus gebracht wird. Gelangt das- selbe z. B. in den Magendarmkanal, so hat es zunächst die Schleim- haut mit ihren verschiedenen Gewebsbestandteilen zu passieren, ehe es in die Blut- und Lymphgefäße übertreten und von da aus den einzelnen Organen zugeführt werden kann. Die bis zum Eintreten der Wirkung verstrichene Zeit wird natürlich erheblich gekürzt, wenn das Gift sofort in die Blutbahn gebracht wird. Vorausgesetzt ist dabei nur, daß das- selbe direkt aus den Blut- und Lymphkapillaren an die giftempfind- lichen Teile herantreten kann. Ist dies nicht der Fall, wie dies MEYER und Raxsom z. B. für das Tetanusgift behaupten, und muß das Gift etwa erst durch die peripheren Nervenendigungen in den Nerven ein- treten und von da längs der Achsenzylinder ins nervöse Zentralorgan fortgeleitet werden, dann kann natürlich auch die intravenöse Injektion die Inkubationsdauer nicht wesentlich verkürzen. Dies läßt sich in der Tat beim Tetanus konstatieren. Dagegen tritt hier, wie MEYER und Rıansom zeigen konnten, eine wesentliche Abkürzung der Inkubations- dauer ein, wenn das Gift direkt in den Nerven eingespritzt wird, und noch rascher treten die tetanischen Erscheinungen auf, wenn die Gift- injektion unmittelbar in das Lumbalmark vorgenommen wird. Einfluß des Da die Fortleitung des Giftes in den Achsenzylindern der Nerven, Reopöons auch wenn man in denselben mit Meyer und Ranxsom eine noch so lebhafte Protoplasmaströmung annimmt, zweifellos unter viel ungünstige- ren Bedingungen vor sich geht, als seine Verbreitung auf dem Lymph- V. Inkubationsdauer. Virulenz. 55 oder Blutwege, so erklärt sich hiernach wenigstens zum Teil die lange Inkubationsdauer, die man bei der Tetanusvergiftung etwa im (regensatz zur Strychninvergiftung beobachtet. Für die Katze beträgt z. B. die Zeit, die zwischen der Gift- applikation und dem Beginn der Muskelstarre und des Reflextetanus liegt, auch bei subkutaner oder intravenöser Einverleibung der vielfach tödlichen Dosis, nicht unter 28—30 Stunden. Begreiflicherweise ist hierbei auch die Länge der von dem Gifte zurückgelegten Weg- strecke mit von ausschlaggebender Bedeutung, und hierin liegt nach MEYER und Ransom auch der Grund, weshalb die Inkubationsdauer Inkubations- bei den Warmblütern im allgemeinen mit der Größe der Tiere zu- eg nimmt. Es geht diese Tatsache mit großer Evidenz aus einer von größe. CouRMoNT und Doyox aufgestellten Tabelle hervor. Die Inkubations- dauer beträgt nämlich für die aus nr ne anne a Sandan Meerschweinchen . . . . . 13—18 By Bsunchen. ... 47 „un 0,536 a nut 20 at ee 7 “ nr N ee 1 e Mensen. 0. -.00., u 22 war are Bel an ir an a rd Er N UT RR BR > BEN Abgesehen von der Länge des zu durchlaufenden Weges und von der Schnelligkeit des Transportmittels ist die Inkubationsdauer ferner bedingt durch die Menge des dem Organismus beigebrachten Giftes. Einfäus der Auch dies ist leicht zu verstehen; denn wir müssen wohl voraussetzen, Ferse. daß die Giftwirkung erst dann beginnen kann sich zu äußern, wenn die Konzentration des Giftes in den empfindlichen Organen einen gewissen minimalen Schwellenwert überschritten hat. Dieser Schwellenwert muß aber um so rascher erreicht werden, je größer die Konzentration des zirkulierenden Giftes ist. Ein charakteristisches Beispiel für die Abhängigkeit der Inkubations- dauer von der Höhe der einverleibten Giftdosis liefert wieder das Tetanus- toxin. Zur Erläuterung der beistehenden kleinen Tabelle sei voraus- geschickt, daß die Giftmengen, wie allgemein üblich, in tödlichen Dosen für 1 g Maus ausgedrückt sind und daß also etwa die Angabe 13+Ms jene Toxinquantität repräsentiert, welche imstande ist, 13 g Mäusegewicht oder, was dasselbe ist, eine Maus von 13 g Körpergewicht zu töten. Giftdosis Inkubationsdauer Maus 1 13+Ms . . . 36 Stunden ar 100+-Ms . . . 24 ei near 221. Bart Ms: 2.620 ” 2 4 20, 200-5 MS 2.0, 14 EEE NS, BR Me. u 4 12 Wie man sieht, nimmt die Inkubationsdauer mit steigender Gift- menge immer mehr ab, um schließlich nur noch den dritten Teil jenes Wertes" zu betragen, den sie bei Einverleibung der einfach tödlichen Dosis von 13-+Ms besaß. Da jedoch auch bei Verwendung größter Giftmengen die Schnellig- keit des Gifttransportes von der Länge des Weges und der Geschwin- digkeit des betreffenden Säftestromes abhängig bleibt, so begreift sich, Unterschied zwischen Toxinen und chemisch definierten Giften. Trennung von Giftbin- dung und Gift- wirkung. 56 V. Inkubationsdauer. Virulenz. daß die Inkubationsdauer auch unter diesen möglichst günstigen Um- ständen niemals unter eine gewisse Grenze herabgehen kann, die sich allerdings da, wo das Gift direkt durch die Blutbahn befördert wird, oft nur nach Sekunden bemißt. Hier ist es nun an der Zeit, auf einen wichtigen Unterschied zu sprechen zu kommen, der in dieser Beziehung zwischen den Giften be- kannter chemischer Konstitution und den meisten eigentlichen Toxinen besteht. Bringt man nämlich eine Substanz der ersteren Kategorie in die Blutbahn oder gar direkt an den Ort ihrer Wirkung, läßt man also z. B. ein Tier Äther oder Chloroform einatmen oder injiziert man dem- selben intravenös oder intramedullar Strychnin, so treten die charakte- ristischen Vergiftungserscheinungen fast momentan auf; es macht also vollkommen den Eindruck, als ob von dem Momente an, wo die ge- nügenden Giftmengen aufgenommen und in den empfindlichen Organen lokalisiert wurden, auch deren Wirkung sich zu äußern beginne. (ranz anders verhalten sich nun in dieser Richtung die meisten Toxine. Hier treten auch dann, wenn das Gift direkt mit den empfind- lichen Organen in Berührung gebracht wird, wenn also z. B. nach dem Vorgang von MEYER und Ransom Tetanusgift in das Lumbalmark von Katzen eingespritzt wird, die Krankheitserscheinungen erst nach Ablauf einer gewissen Inkubationsperiode hervor, die in diesem Falle etwa 3—5 Stunden dauert und während welcher die Tiere vollkommen ge- sund erscheinen. Da man kaum wird annehmen können, daß es bei dieser direkten Applikationsweise großer Toxinmengen so lange Zeit braucht, bis sich die empfindlichen Gewebsbestandteile bis zur Über- schreitung des Schwellenwertes mit Toxin beladen haben, so wird man wohl folgern müssen, daß Giftwirkung und Giftbindung bei diesen Toxinen, im Gegensatz zu den meisten Giften bekannter che- mischer Konstitution, zeitlich nicht zusammenfallen und da- her wohl auch bis zu einem gewissen Grade unabhängig von- einander sind. Zwar muß natürlicherweise eine Speicherung des Giftes in den empfindlichen Organen unter allen Umständen eingetreten sein, wenn eine Wirkung, d. h. eine Erkrankung gewisser Zellterritorien erfolgen soll; es wird aber nicht unbedingt die letztere sich unmittel- bar an die erstere anschließen müssen, und es sind Fälle denkbar, wo trotz erfolgter Giftbindung die Wirkung vollkommen aus- bleibt. Eine derartige Beobachtung hat nun MORGENROTH bei seinen schönen Untersuchungen über den Tetanus der Frösche machen können. Courmoxt und Doyox hatten gefunden, daß Frösche, die unter ge- wöhnlichen Temperaturverhältnissen für Tetanus unempfänglich sind, diesem Gifte erliegen, wenn sie auf 30—32° erwärmt werden; die In- kubationsdauer beträgt unter diesen Umständen 2—3 Tage. Trotzdem tritt, wie MORGENROTH zeigen konnte, auch bei niederen Temperaturen (8°) eine Bindung des Giftes im Körper der Frösche ein. Hält man nun die Tiere nach der Einverleibung des Giftes tagelang in der Kälte und setzt sie erst dann der höheren Temperatur aus, so verhalten sie sich genau so, als ob sie erst jetzt geimpft worden wären; d. h. obwohl die Nervenzentren das Gift bereits seit langem aufgespeichert haben und mit demselben in kontinuierlicher Wechselwirkung sein müssen, zeigt das Eintreten der Vergiftungserscheinungen doch keine wesentliche Beschleunigung. Bringt man ferner Frösche, die nach der Giftinjektion einen Tag lang bei höherer Temperatur gehalten worden waren, in den V, Inkubationsdauer. Virulenz. 57 Eisschrank, so erkranken sie nicht; bringt man sie aber nach Tagen oder Wochen wieder in die Wärme zurück, so tritt Tetanus ein, und zwar nach einer entsprechend abgekürzten Inkubationsperiode, derart, dab die gesamte bis zum Ausbruch des Starrkrampfes in der Wärme zugebrachte Zeitdauer unverändert bleibt. Bindung des Giftes und Giftwirkung haben sich also in diesem speziellen Falle durch die An- wendung verschiedener Temperaturgrade augenscheinlich voneinander trennen lassen, und nicht nur der erstere Vorgang, die Aufspeicherung des Toxins, sondern auch der letztere, die Entfaltung der Wirkung des bereits gebundenen Giftes, nimmt einen ganz bestimmten Zeitraum für sich in Anspruch. Wie wir noch sehen werden, bezieht EHRLICH diese beiden getrennten Funktionen auf zwei verschiedene Bestandteile, „Gruppen“ des Toxins, deren eine die Bindung an das Zentralnerven- system vermittelt, während der anderen die eigentlich krankmachenden Eigenschaften innewohnen sollen. Nur die bindende Gruppe kommt in diesem Falle bei niederer Temperatur zur Wirkung. wäh- rend die andere, die krankmachende, dabei inaktiv beibt und erst bei höherer Temperatur in Aktion tritt. Die mannigfachen Gründe, die für diese Eurtichsche Auffassung sprechen, werden wir noch im weiteren Verlaufe dieser Vorlesungen eingehend zu würdigen haben.!) Nur noch ein anderes Beispiel einer Giftwirkung mit besonders langer Inkubationsdauer sei gestattet, hier kurz anzuführen: Bekannt- lich enthält das Diphtheriegift eine Komponente — EHrLicH bezeich- net sie als Toxon — welche die sog. postdiphtheritischen Lähmungen veranlaßt. Im Tierversuch, beim Meerschweinchen, treten nun diese Paresen, im Gegensatz zu der akut einsetzenden nekrotisierenden Wirkung des Toxins, erst nach einer Latenzzeit von mehreren Wochen auf, also zu einer Zeit, wo die Toxinwirkung schon längst abgeklungen sein kann. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß auch hier das Toxon längst von den giftempfindlichen Teilen gebunden worden sein muß, ehe seine Wirkungen manifest werden. MORGENROTH und PAaxE haben übrigens vor kurzem noch auf eine weitere Möglichkeit hingewiesen, die für die Erklärung der langen Inkubationsdauer mancher Toxine zweifellos von Bedeutung sein kann. Die beiden Forscher hatten nämlich die hochinteressante Tatsache ge- funden, daß das Neurotoxin des Kobragiftes durch Einwirkung von !) Vom Standpunkt MEvers und Ransous, welche, wie erwähnt, nur eine intraneurale Giftwanderung für das Tetanustoxin zugeben, wären übrigens die Versuche MOoRGENROTHs noch einer anderen Deutung fähig. Man wird nämlich wohl ohne weiteres annehmen dürfen, daß die supponierte Protoplasmaströmung der Achsenzylinder, welche das Gift mit sich führen soll, bei niederer Tem- peratur viel langsamer erfolgt, als bei höherer, und daß daher auch der Gift- transport unter diesen Umständen ein viel weniger energischer ist. Eine Be- obachtung von MAarıE würde mit dieser Annahme in bestem Einklange stehen: MarıeE fand nämlich, daß auch Kältefrösche an Tetanus erkranken, wenn nur die Giftdosis genügend gesteigert wird, und daß dann die Inkubations- dauer bis zu 25 Tagen betragen kann. Die interkurrente Abkühlung der Frösche hätte demnach nur den Effekt, daß die Protoplasmaströmung wesent- lich verlangsamt und damit auch die Giftwanderung sehr gehemmt würde; daß bei kleineren Dosen die Erkrankung der Tiere in der Kälte ganz ausbleibt, das Gift also — nach dieser Auffassung — die Zentren gar nicht erreichen würde, dürfte sich unschwer durch die Annahme erklären lassen, daß in dieser langen Zeitperiode, die zur Wanderung erforderlich wäre, der größte Anteil des Giftes zerstört oder eliminiert wird. Toxon- wirkung. Akut wirkende Toxine. Inkubations- dauer der Infektions- krankbheiten. 58 V. Inkubationsdauer. Virulenz. Salzsäure in eine unwirksame Modifikation übergeführt wird, die je- doch — nach Neutralisierung der Säure — allmählich wieder von selbst zur Norm zurückkehrt, also eine reversible Veränderung des Toxins darstellt. Wurde nun eine solche modifizierte Giftlösung Mäusen sub- kutan beigebracht, so zeigte sich ihre Giftigkeit quantitativ erhalten; im Verlauf der Vergiftungssymptome war jedoch eine sehr merkliche Veränderung aufgetreten, indem nämlich der Tod der Versuchstiere nicht, wie bei Einverleibung des unveränderten Giftes, schon nach 12—15 Minuten eintrat, sondern erst nach etwa einer Stunde, also nach einer ungefähr fünfmal größeren Latenzzeit. Es kann nicht zweifel- haft sein, daß diese Latenzzeit jenen Zeitraum repräsentiert, welcher erforderlich ist, um mindestens eine Dosis letalis aus dem unwirksamen, modifizierten Kobratoxin freizumachen. Nimmt man nun an, die Toxine seien in ihrer ursprünglichen Lösung — etwa in der Bouillonkultur der betreffenden Bakterien — nur zum Teil oder garnicht als solche vorhanden, sondern als ungiftige Modifikationen der geschilderten Art oder als Protoxine im Sinne WAL- BUMS, welche hier nicht die Bedingungen für ihre Aktivierung vorfinden, dann könnte durch ihre Einführung in den tierischen Organismus und durch die damit verbundene Änderung der chemischen Eigenschaften des umgebenden Mediums der Anstoß zu ihrer Umwandlung in das eigentliche Toxin gegeben sein. Der Zeitraum, welchen die Um- wandlung in Anspruch nehmen würde, müßte dann einen wesentlichen Teil der Inkubationsdauer ausmachen, die somit durch einen ganz anders gearteten Mechanismus zustande käme, als wir bisher in Betracht gezogen haben. Außer diesen Toxinen mit langer Inkubationsdauer, die, wie gesagt, die Regel bildet, sind uns nun aber besonders durch die Arbeiten von R. Kraus einige Toxine bekannt geworden, welche von choleraähnlichen Vibrionen herstammen und, speziell bei intravenöser Einspritzung, ganz akut, bereits nach wenigen Minuten, zum Tode führen. Anderer- seits gibt es aber auch chemisch wohldefinierte, nichtbakterielle Gifte, wie gewisse Metallgifte und einige Saponinsubstanzen, welche inbezug auf die Länge der Inkubationsdauer den meisten Toxinen nichts nachgeben, so daß man also die noch vor einigen Jahren von manchen Forschern vertretene Anschauung, nach welcher die Wirkung mit langer Inkubationsdauer ein wesentliches und prinzipielles Unterscheidungsmerkmal der echten Toxine darstellen sollte, heute auf Grund unserer erweiterten Kenntnisse nicht mehr aufrecht erhalten kann. Haben wir somit gesehen, daß das, was man bei der Giftwir- kung unter dem Namen der Inkubationsdauer zusammenfaßt, keines- wegs eine einheitliche Größe darstellt, sondern sich zum mindesten aus drei verschiedenen Zeitabschnitten zusammensetzt, die für den Trans- port des Giftes, dessen Bindung und Speicherung in den Geweben und endlich für die eigentliche Entfaltung der krankmachenden Wirkung in Anspruch genommen werden — wobei allerdings die letztere Kom- ponente für die meisten pflanzlichen Gifte in Wegfall kommt — so finden wir eine noch weit größere Mannigfaltigkeit und Komplikation, wenn wir unsere Aufmerksamkeit der Inkubationsdauer bei den Infektionskrankheiten zuwenden. Es ist dies leicht zu verstehen, denn neben den bereits erwähnten, für die Latenz der Giftwirkungen maßgebenden Faktoren treten hier V. Inkubationsdauer. Virulenz. 59 noch eine Reihe weiterer bestimmender Umstände in Kraft, deren Be- trachtung wir uns nun zuzuwenden haben. Während nämlich bei den Experimenten mit den Toxinen und Alkaloiden die ganze zur Wirkung gelangende Giftmenge auf einmal in den Organismus eingeführt wird “und so die Blutbahn gewissermaßen mit den schädlichen Stoffen überschwemmt wird, müssen im Falle der eingetretenen Infektion die Giftstoife erst von den Mikroorganismen produziert resp. in Freiheit gesetzt werden, ein Vorgang, dessen Schnel- ligkeit natürlich durch eine Reihe’ weiterer Bedingungen bestimmt wird. Zunächst kommt hierbei die toxinbildende Kraft des betreffenden Bakterienstammes in Betracht, eine Eigenschaft, welche, wie so viele andere biologische Eigenschaften der Mikroorganismen, z. B. Farbstoff- bildung, Gärfähigkeit, Gelatineverflüssigung usw., nicht unerheblichen Schwankungen unterliegen kann. Je schneller also und je intensiver die Toxinproduktion von seiten des bakteriellen Einzelindividuums vor sich gehen wird, desto eher wird jene Schwelle der Giftkonzentration über- schritten werden, von welcher ab die lokalen oder allgemeinen Störungen der Zellfunktionen ihren Anfang nehmen. Andererseits ist natürlicherweise aber auch die Zahl der toxinliefernden Bakterien hierbei mit von Einfluß der Toxin- produktion der Bak- terien. Einfluß 1 1°, der Zahl d ausschlaggebender Bedeutung. Da nun die Infektion bei den gewöhnlich Fam ae und unter natürlichen Verhältnissen zu beobachtenden ansteckenden Krankheiten fast niemals mit großen Bakterienmengen geschieht, sondern immer nur mit vereinzelten Keimen, mögen dieselben etwa den Nahrungs- stoffen in Form von Üholeravibrionen anhaften, oder als Tuberkel- bazillen und Pneumokokken durch kleinste Wassertröpfcehen transportiert werden, oder endlich als Eiterkokken oder Pestbazillen in feinste Haut- risse und Wunden gelangen, so muß vor allem auch deren Ver- mehrungsgeschwindigkeit von größtem Einfluß auf die Inkubations- dauer sein, denn je mehr Mikroorganismen an der Vergiftung des be- Einfluß der Ver- mehrungs- fallenen Tieres aktiv — durch Toxinerzeugung, oder passiv durch esschwindig- ihren Zerfall und die damit verbundene Abgabe von Bakterienproteinen und Endotoxinen mitzuarbeiten Gelegenheit haben, desto rascher wird die- selbe erfolgen. Auch diese Eigenschaft ist sowohl bei den verschie- denen Arten von Mikroorganismen als auch bei den verschiedenen Rassen und Stämmen derselben Art eine außerordentlich wechselnde, und es könnten z. B. zwischen dem Tetanusbazillus, der sich in der infizierten Hautwunde kaum merklich vermehrt, und den Erregern der hämorrhagischen Septikämien, welche den ganzen Organismus in kurzer Zeit durchwachsen und überschwemmen, alle möglichen Zwischenstufen der Vermehrungsgeschwindiskeit aufgefunden werden. Die Notwendigkeit, daß eine Reihe von weniger toxischen Bak- terienarten sich erst im Organismus einige Zeit lang vermehren müssen, ehe deutliche Krankheitserscheinungen auftreten, läßt nun einem weiteren einflußreichen Faktor freien Spielraum, und das ist die Fähigkeit des infizierten Tierleibes, seine bakterienfeindlichen bezw. entgiftenden Ab- ufben der ktions- wehrvorrichtungen in Tätigkeit zu setzen. Der Organismus kann somit giniekeit des den sich vermehrenden und Toxine produzierenden Mikroorganismen Orzanismus. einen gewissen Widerstand entgegensetzen, dessen Stärke und Hart- näckigkeit ebenfalls von großem Einflusse auf die Inkubationsdauer sein muß. Endlich kommt noch hinzu die unter Umständen recht ver- schiedene Schnelligkeit, mit welcher der Organismus die Infek- tion durch die Bildung der betreffenden pathologischen Pro- dukte beantwortet. Ein treffendes Beispiel hierfür liefert der Verlauf Virulenz . 60 V. Inkubationsdauer, Virulenz. der Schutzpocken bei Erstimpflingen und bei Revakzinierten. Während nämlich bei den ersteren die am vierten Tage nach der Impfung auf- geschossene Papel sich vom fünften Tage ab in ein bläschenförmiges Gebilde umzuwandeln beginnt, das seine vollkommene Ausbildung zur Schutzpocke erst am Ende des siebenten Tages erfährt, zeigt sich bei Wiederimpflingen häufig ein überstürzter Verlauf des ganzen Prozesses derart, daß das Maximum der Entwicklung schon am fünften bis sechsten Tage erreicht wird und die Pusteln am siebenten Tage bereits in Rück- bildung begriffen sind. Die Inkubationsdauer, die ja nach dem Aus- bruch der Pusteln bemessen wird, hat somit bei den Revakzinierten eine wesentliche Abkürzung erfahren. — So erscheint uns denn die Inkubationsdauer als Funktion einer ganzen Reihe von teils miteinander zusammenhängenden, teils voneinander unabhängigen Größen, deren jede wieder innerhalb weiter Grenzen zu variieren vermag — kein Wunder daher, wenn dieselbe auch bei den verschiedenen Infektionskrankheiten selbst außerordentlich große Verschiedenheiten aufweist und bald, wie bei der Cholera, nach wenigen Stunden, bald, wie bei der Lepra, nach Jahren zählen kann. Wir wollen in beistehender Tabelle die Inkubationszeiten einiger der wichtigsten akuten Infektionskrankheiten zusammenstellen : Cholera asiatica . . Einige Stunden bis Tage Typhus abdomin.. . 7-—21 Tage Bahr, nen 8 0 rt Diphtherie . . . . 2-5 ,„ und länger Keuchhusten . . . 10—12 „ MBEOER. Ze. Scharlach. u. ie. zu Pocken:: l. „0 10 A025 Typhus recurrens . 5-8 Typhus exanthem. . 8-9 „ Gelbfieber. . . . 3—bil, „ Gonorrhoe . . . „2-8 n SYDRIBSN we ne BI Ulcus molle . . . 48 Stunden Es mag übrigens bemerkt werden, daß, streng genommen, diese verschiedenen Inkubationszeiten nicht miteinander vergleichbar sind, da der Ausbruch der Krankheit nach sehr divergenten Kriterien — bei inneren Erkrankungen meist nach dem Auftreten von Allgemein- erscheinungen, d. h. von Symptomen der Giftresorption, bei äußeren Erkrankungen, wie Erysipel usw., nach dem Auftreten der ersten lokalen Reizerscheinungen — beurteilt wird. Es handelt sich in diesem Falle eben um den praktisch-klinischen und nicht um den meist viel schwerer festzustellenden pathologisch-anatomischen Begriff der In- kubationsdauer. Wir haben im vorigen zwei Faktoren kennen gelernt, welche von entscheidendem Einfluß auf die Größe der Latenzperiode der Infektions- krankheiten sind: nämlich die Vermehrungsgeschwindigkeit und die Fähig- keit der betreffenden Erreger, Gifte zu produzieren. Diese beiden Eigen- schaften der Mikroorganismen im Verein!) mit ihrer Widerstandsfähigkeit !) Die Fähigkeit, Gifte zu produzieren, ist für sich allein nicht aus- reichend, um einen Mikroorganismus als „virulenten“ zu kennzeichnen. So ist V. Inkubationsdauer. Virulenz. 61 gegenüber den Abwehrvorrichtungen des Tierkörpers bilden den Inhalt dessen, was man gewöhnlich unter dem Begriffe der Virulenz zu- sammenfaßt, und mit dieser werden wir uns im folgenden eingehender zu beschäftigen haben. Die Virulenz oder Pathogenität der Mikroorganismen, d. i. ihre Fähigkeit, sich im Tierkörper zu vermehren und ihn durch ihre Stoffwechselprodukte krank zu machen, unterliegt, wie wir bereits hervorgehoben haben, ganz außerordentlichen Schwankungen und kann zwischen den Werten O und höchsten Virulenzgraden variieren. Wir wollen nun zunächst die Ursachen dieser Virulenzschwankungen etwas näher kennen zu lernen suchen und die Verfahren einer kurzen Be- trachtung unterziehen, mittels deren es gelingt, diese Eigenschaft der Mikroorganismen in beliebigem Sinne zu beeinflussen, wobei wir gleich- zeitig einen etwas tieferen Einblick in das Wesen der Virulenz ge- winnen werden. Dazu benötigen wir aber vor allen Dingen einen brauchbaren Maßstab für die Virulenz, da wir ja nur beim Besitze eines solchen imstande sind, Veränderungen der pathogenen Fähigkeiten einwandfrei zu konstatieren, und es erhebt sich daher sofort die weitere Frage, welche meDbaren Größen wir denn zu diesem Zwecke verwerten wollen oder können. Natürlich sind hierzu nur solche Größen geeignet, von denen man annehmen kann, daß sie mit der Virulenz in gleichem Sinne vari- ieren. Da eröffnen sich uns denn zwei verschiedene Wege zur Virulenz- bestimmung, deren jeder imstande ist, unter Umständen zum Ziele zu führen, ohne jedoch deshalb stets und bei allen Bakterienarten gangbar zu sein. Das eine Verfahren — und zwar ist dies das am häufigsten an- gewendete — beruht auf der Überlegung, daß ein Bakterienstamm um so virulenter sein muß, je geringer die Menge von Mikroorganismen ist, welche die Versuchstiere eben noch zu töten vermag, und sucht daher die minimale tödliche Dosis für die zu vergleichenden Kul- turen zu ermitteln. Da die Art der Applikation bei derartigen Ver- suchen oft von ausschlaggebender Bedeutung ist, so muß dieselbe natürlicherweise stets in genau derselben Weise und genau an dem- selben Orte vorgenommen werden. Ebenso müssen durch Verwendung von Versuchstieren gleichen Gewichtes und gleicher Rasse die stets vorhandenen individuellen Differenzen in der Empfänglichkeit, welche das Versuchsresultat trüben könnten, möglichst reduziert werden. Die Bestimmung der Bakterienmenge geschieht entweder durch direkte Wägung des von einer frischen Agarkultur abgekratzten Belages und nachträgliche Verteilung desselben auf ein bekanntes Flüssigkeitsvolum oder, wenn es auf geringere Genauigkeit ankommt, durch Entnahme des Bakterienbelages mittels einer kalibrierten, gewöhnlich 2 mg fas- senden Normalöse. Eine Serie von Versuchstieren wird dann mit ver- schieden abgestuften Mengen der erhaltenen Aufschwemmung geimpft und abgewartet, welche von ihnen zugrunde gehen, welche erkranken, um sich wieder zu erholen und welche von ihnen scheinbar gesund bleiben. Die Virulenz wird dann in Milligrammen oder in Bruchteilen von Ösen angegeben, und es bedeutet also z. B. die Angabe, die Virulenz z. B. der Erreger der Fleischvergiftungen, der Bac. botulinus, welcher sich im Tierkörper nicht zu vermehren vermag, nicht den virulenten, sondern den toxischen Bakterien zuzuzählen. Virulenz- bestimmung. Virulenz- schwan- kungen. Anpassung derBakterien an den Organismus. Kapsel- bildung. 62 V. Imkubationsdauer. Virulenz. eines Cholerastammes gegenüber Meerschweinchen betrage !/,. Öse, nichs anderes, als daß die hierdurch gekennzeichnete Bakterienmenge eben imstande ist, ein Meerschweinchen bei intraperitonealer Injektion zu töten. Bemerkt sei bei dieser Gelegenheit, dal von manchen be- sonders virulenten Mikroorganismen, wie z. B. dem Milzbrandbazillus, Pestbazillus und anderen Septikämieerregern, schon wenige Einzelindivi- duen genügen können, um bei einer empfänglichen Tierspezies tödliche Infektion zu bewirken. Die zweite Methode der Virulenzbestimmung, die von viel be- schränkterer Anwendbarkeit ist und auch kein so direktes zahlenmäßiges Resultat ergibt wie die eben besprochene, stützt sich auf den Einfluß, welchen die Virulenz der Mikroorganismen auf die Inkubationsdauer nimmt. Je größer nämlich die Virulenz, desto kürzer ist häufig die Inkubationszeit und desto rascher pflegt der Tod einzutreten. Wie groß hierbei die zeitlichen Differenzen sein können, geht daraus hervor, daß z. B. das höchst virulente „virus fixe‘‘ der Tollwut bei Kaninchen eine Inkubationsdauer von 7 Tagen besitzt, während das von einem der Wut erlegenen Hunde gewonnene „Straßenvirus‘‘ 12—21 Tage erfordert, bis die ersten Krankheitserscheinungen auftreten und noch weniger virulentes Material noch längere Zeit latent bleibt. Nicht selten werden übrigens auch noch andere Kriterien als die genannten zur Schätzung der Virulenz mit herangezogen — so etwa bei den Tuberkelbazillen die Ausbreitung der durch sie gesetzten patho- logisch-anatomischen Veränderungen und dergleichen mehr. — Wir haben hierauf bei Gelegenheit noch zurückzukommen. Nachdem wir nun so die Methoden der Virulenzbestimmung wenig- stens im Prinzip kennen gelernt haben, können wir uns wieder der früher aufgeworfenen Frage nach den Ursachen und Bedingungen der Virulenzschwankungen zuwenden. Da die pathogenen Mikroorganismen ohne Zweifel nicht von Anfang an die Fähigkeit besessen haben können, im Tierleibe zu wachsen und wohl ursprünglich an ein rein saprophy- tisches Leben gewöhnt waren, so kann es nicht fraglich sein, daß sie sich erst im Laufe der Zeit an die besonderen Lebensbedingungen, die ihnen der tierische Organismus auferlegt, akklimatisiert haben werden und daß also ihre Fähigkeit, sich daselbst zu ernähren und zu ver- mehren, die sie von den nichtpathogenen Arten scheinbar prinzipiell unterscheidet, das Resultat eines mehr oder weniger rasch verlaufenden Anpassungsvorganges darstellt, bei welchem die gleichzeitige natür- liche Auslese der am besten für die parasitische Lebensweise aus- gerüsteten Individuen eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Bei diesem Anpassungsvorgange, der sich natürlich bei jedem In- fektionsprozeß teilweise immer wieder von neuem wiederholt, dürfte der Ausbildung einer Kapsel, wie sie ja bei einer Anzahl von pathogenen Keimen beobachtet wird, eine wesentliche Bedeutung zukommen. Kapseln werden von den Mikroorganismen, die hier in Betracht kommen, ent- weder nur im tierischen Organismus oder doch auf Nährböden tierischer Provenienz, also auf Serum, Serumagar, Aszitesagar, Milch und dergl. mehr gebildet. Nach den zahlreichen vorliegenden Untersuchungen über die Genese der Bakterienkapseln, von denen nur die aus neuerer Zeit stammende Arbeit von Preısz erwähnt sein möge, entstehen die- selben durch eine schichtenweise auftretende Entartung, Aufquellung und Verschleimung der Bakterienmembranen, durch einen Vorgang, der im übrigen weder die Lebensfähigkeit noch das Vermehrungsvermögen V, Inkubationsdauer. Virulenz. 63 oder die Sporulationsfähigkeit der Bakterien irgendwie berührt, aber an das Leben derselben unbedingt gebunden erscheint. Denn abgetötete Bazillen vermögen sich selbst unter den günstigsten Bedingungen niemals mit Kapseln zu umgeben. Solche im Tierkörper auftretende Kapselhüllen hat man, abgesehen von den eigentlichen „Kapselbazillen“, dem Bacillus pneumoniae FRIED- LÄNDER, dem Bacillus rhinoscleromatis und anderen mehr, bei einer Reihe von Streptokokken (Str. involutus, vulvitidis vaccarum, mastitidis yaccarum, equi, mucosus) bei Diplococcus pneumoniae, Micrococcus tetragenus, Bac. anthracis, Bacterium pestis, Bact. cholerae gallinarum, bei pathogenen Hefearten usw. beobachtet. Aber auch bei anderen pathogenen Mikroorganismen, welche nicht zur eigentlichen Kapsel- bildung befähigt sind, hat man während ihres Aufenthaltes im infizierten Tierkörper morphologische Veränderungen nachweisen können, die zweifel- los auf ganz ähnliche Vorgänge hindeuten, wie sie sich bei der Ent- stehung der echten Kapseln abspielen: nämlich auf eine Verdickung und Quellung der Zellmembran bezw. des Ektoplasmas. So hat man bei Coli- und Typhusbazillen im Meerschweinchenperitoneum ein Größer-, Plumper- und Dickerwerden der Einzelindividuen beob- achtet und auch die Staphylokokken im infizierten Organismus größer und dicker gefunden als in Kulturen. Baır hat diese durch den Aufenthalt im Tierkörper veränderten und, wie wir gleich sehen werden, resistenter sewordenen Keime mit dem sprachlich vielleicht nicht ganz korrekten, aber jedenfalls sehr bezeichnenden Namen der „tierischen “Bazillen belegt. Erwägt man nun mit EisENBERG, dab „das Ektoplasma der Bak- terien ähnlich wie das Ektoderm der höheren Tiere oder die Rinden- schicht höherer Pflanzen seiner anatomischen Lage nach zum Schutz- organ des Bakteriums berufen erscheint“, so wird es leicht verständlich, daß eine „Hypertrophie‘“ dieses Organs eine erhöhte Resistenz der Bakterien gegenüber physikalischen, chemischen und osmotischen Schädlichkeiten zur Folge haben muß. Tatsäch- lich sind denn auch die virulenten, direkt aus dem Tierkörper isolierten Bakterien durch ihre Widerstandsfähigkeit sowohl gegenüber den bak- terienfeindlichen Wirkungen der Körpersäfte als gegenüber den An- sriffen der amöboiden Elemente, der Phagozyten, ausgezeichnet. So hat man wiederholt gefunden, daß virulente, aus dem Stuhl von Typhus- kranken oder auch von gesunden Bazillenträgern gezüchtete Typhus- bazillen und andere pathogene Arten sich als serumfest erwiesen, d. h. der später noch eingehender zu besprechenden keimtötenden „bakteriziden‘‘ Wirkung des Serums entweder überhaupt nicht unter- lagen oder doch zu ihrer Vernichtung weit größerer Mengen von Immun- serum bedurften, als zur Bakteriolyse weniger virulenter Stämme erforder- lich war. Und andererseits ist bekannt und durch zahlreiche Forscher bestätigt, daß virulente Stämme von Milzbrand, Hühnercholera, Schweinerotlauf, von Pneumokokken, Staphylokokken und anderen Bak- terienarten der Phagozytose, also der Freßtätigkeit der Leukozyten weit weniger unterworfen sind, als avirulente Stämme. Welche ungemein wichtige Rolle bei dieser Phagozytoseresistenz gerade die Bakterienkapseln spielen, das beweist die außerordentlich interessante Beobachtung von GRUBER und Furakı, nach welcher virulente aber nicht umkapselte Milzbrandbazillen sowohl in der Blutbahn des Kaninchens wie in vitro von den Leukozyten sofort auf das energischesteangefallen und umklammert werden, während Membran- verdickung der Bazillen im Tier- körper. Erhöhte Resistenz „tierischer“ Bazillen gegen die bakteriziden Serum- wirkungen. gegen die Phago- zytose. Schutz- wirkung der Kapselstoffe. 64 V. Inkubationsdauer. Virulenz. kapseltragende, in Meerschweinchen- oder Kaninchenserum gezüchtete Bazillen vollkommen frei bleiben und die Leuko- zyten nicht anzulocken vermögen. Dementsprechend hatte sich Drurscn bei der Milzbrandinfektion des Meerschweinchens direkt davon überzeugen können, daß im Organismus geradezu eine Auslese der zur Kapselbildung befähigtsten Bakterienindividuen statt- findet, indem die in die Bauchhöhle eingeführten kapsellosen Bazillen zunächst zum größten Teile von den Leukozyten vernichtet werden, worauf aber dann aus den wenigen am Leben gebliebenen Keimen eine neue kapseltragende Generation hervorgeht, die den Leukozyten erfolgreichen Widerstand leistet. Zweifellos sind in der Bakterienkapsel Stoffe enthalten, welche die Bakterien vor den schädigenden Einwirkungen der Körpersäfte zu bewahren vermögen und in der Tat hat denn Preısz den Nach- weis führen können, daß die Kapselsubstanz auch normale, nicht kapseltragende Bakterien vor der Einwirkung des Serums schützt. — Diese Schutzwirkung der Bakterienhüllen erstreckt sich übrigens noch auf ganz anders geartete Schädlichkeiten als die, welche im Tierkörper auf die Mikroorganismen einzuwirken Gelegenheit haben. Wurden nämlich von dem eben genannten Forscher kapsellose Milz- brandbazillen in 0,2 proz. Karbolsäurelösung gebracht, so waren dieselben bereits nach 10 Sekunden abgestorben, während kapseltragende Keime desselben Stammes noch nach 15 Minuten lebend und kulturfähig an- getroffen wurden. Ja, Danysz konnte sogar zeigen, daß der Milzbrand- bazillus bei stufenweiser Gewöhnung an immer konzentriertere Lösungen von Arsenik mächtige Schleimkapseln ausbildet, die bei ihrer all- mählichen Auflösung der Kulturbouillon die Eigenschaft verleihen, ge- wöhnliche, nicht an Arsenik angepaßte Bazillen vor dessen keimtötender Wirkung zu schützen. Alle diese Tatsachen legen denn die Annahme nahe, daß es sich in der Tat bei der „„Hypertrophie‘‘ des Bakterienektoplasmas, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Kapselbildung finde, um einen An- passungsvorgang der Bakterien an das Milieu des tierischen Organismus, speziell an seine ja in erster Linie an ihrer Oberfläche angreifenden keimfeindlichen Schutzvorricht- ungen handelt. Freilich ist der Mechanismus dieses Vorganges einst- weilen noch keineswegs klargestellt und dürften dabei sicher auch einfache Ernährungs- und Stoffwechselprozesse eine Rolle spielen, die durch die Gegenwart von Serumeiweiß in den Körperflüssigkeiten angeregt werden, in den eiweißfreien Kulturmedien aber ausbleiben. Wie dem auch sei, jedenfalls dürfte es nicht mehr zu bezweifeln sein, daß eine außerordentlich innige Beziehung zwischen der Virulenz der Bakterien und ihrer Fähigkeit zur Kapselbildung bezw. Membranver- dickung besteht, und tatsächlich haben denn weder Preısz noch EisEnBERG bei vollkommen avirulenten Milzbrandbazillen jemals Kapseln beobachten können. Nun wissen wir seit langem, dab die einzelnen Individuen einer Bakterienreinkultur keineswegs in ihren biologischen und morphologi- schen Eigenschaften vollkommen miteinander identisch sind, sondern daß stets lebenskräftigere und aktivere Exemplare neben weniger wider- standsfähigen in den Kulturen existieren. Die gleiche Bemerkung gilt nun aber auch von der Virulenz der Einzelindividuen und so hat denn Preısz vor kurzem zeigen können, daß aus einer und der- V. Inkubationsdauer. Virulenz. 65 selben Kultur von abgeschwächtem Milzbrand neben kapsellosen aviru- lenten auch einzelne hochvirulente Keime isoliert werden konnten. Je mehr solche zur Kapselbildung oder zur Anlage einer ana- logen Membranverdickung befähigte bezw. giftproduzierende Individuen eine Bakterienkultur enthält, desto größer werden somit die Ohancen sein, daß sich dieselbe im tierischen Or- ganismus zu behaupten vermag, desto größer wird also ihre durchschnittliche Virulenz sein. Wie man sieht, beruht also die früher besprochene Methode der Virulenzbestimmung durch Ermittlung der minimalen tödlichen Bakterien- dosis darauf, daß in den „virulenten* Kulturen eine größere Anzahl virulenter Einzelindividuen enthalten ist als in den wenig virulenten Kulturen, und daß daher von ersteren eine geringere Bakterienmenge in den tierischen Organismus eingeführt werden muß als von den letzteren, um den gleichen Effekt zu erzielen, i.e. um die gleiche Anzahl hoch- virulenter Einzelindividuen in Aktion zu setzen. Werden nun derartige virulente, durch die Kunst des Bakteriologen aus dem erkrankten Tierkörper isolierte Mikroorganismen wieder an die saprophytische Lebensweise gewöhnt, wozu natürlich nichts weiter er- forderlich ist, als dab sie regelmäßig und durch längere Zeit auf unsere künstlichen Nährböden übertragen werden, dann ist es begreiflich, Virulenz- wenn ihre erworbenen Anpassungseinrichtungen allmählich wieder ver- u loren gehen und anderen, für die neue Lebensweise zweckentsprechenderen Yt Einrichtungen Platz machen. Es ist dies eine Erfahrung, welche wohl jeder Bakteriologe schon gemacht hat, daß nämlich selbst die virulentesten Bakterienstämme mit der Zeit im Laboratorium ihre pathogenen Eigen- schaften vollkommen einbüßen. Obwohl nun aber zweifellos alle Arten von pathogenen Mikroorganismen diesem Gesetze unterworfen sind, macht sich die Abnahme der Virulenz doch bei den verschiedenen Spezies sehr verschieden schnell bemerkbar. Am resistentesten sind auch in dieser Beziehung die sporenbildenden Arten, wie der Milzbrand- bazillus, während im Gegensatz hierzu z. B. Diphtheriebazillen oder Rotzbazillen schon nach wenigen Generationen avirulent geworden sein können. Nur ein einziges besonders schönes Beispiel hierfür, das zugleich einen neuerlichen Beweis für die innige Beziehung zwischen Kapselbildung und Virulenz liefert, sei noch gestattet hier anzuführen. Horiuchi hatte einen hochvirulenten Stamm von Micrococcus tetragenus in Händen, die sowohl im Tierkörper wie auf Blutserum mächtige Kapseln bildete, der Phagozytose kaum merklich unterworfen war und von dem ca. 100 Keime hinreichend waren, um ein Meerschweinchen mit absoluter Sicherheit zu töten. Wurde dieser Micrococcus nun einige Tage lang auf vorgetrocknetem Agar gezüchtet, so zeigte sich, daß er das Vermögen der Kapselbildung dauernd verloren hatte. Gleich- zeitig hatte aber auch die Virulenz dieses Mikroorganismus so sehr ab- genommen, daß nunmehr bis 1000 Millionen Keime vom Meerschweinchen anstandslos vertragen wurden und der Phagozytose in ausgedehntem Maße zum Opfer fielen. Ist nun aber, wie gesagt, die Virulenz als ein Anpassungsphänomen vVirulenz- der Mikroorganismen aufzufassen, das an und für sich durchaus nicht *eiserung dahin tendiert, etwa bei den befallenen Tieren möglichst lebhafte Krank- heitserscheinungen hervorzurufen, sondern das nur den alleinigen Zweck hat, den Bakterien das Wachstum und die Vermehrung unter den Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 9 Tierpassage. Säckchen- passage. 66 j V. Inkubationsdauer. Virulenz. veränderten Verhältnissen zu sichern, so muß es natürlich ebensogut möglich sein, avirulente Keime durch Züchtung im Tierleibe virulent zu machen, als es gelingt, die Virulenz durch Züchtung auf toten Sub- straten abzuschwächen und zu vernichten. Damit sind wir aber zu dem am häufigsten angewendeten und wirksamsten Verfahren der Virulenz- steigerung und Virulenzkonservierung gelangt, nämlich zu dem Ver- fahren der Tierpassagen. Dasselbe beruht auf folgendem Prinzip. Von der betreffenden Bakterienart, deren Virulenz man zu erhöhen wünscht, werden empfänglichen Tieren möglichst große Mengen ein- gespritzt, so daß die Tiere sterben und entweder in allen Säften und Geweben oder wenigstens am Örte der Injektion reichlich Mikro- organismen enthalten. Mittels der üblichen Verfahren der Platten- kultur werden diese aus den Organen des verendeten Tieres isoliert und dann neuerdings einem Versuchstiere injiziert usf. Dabei beobachtet man, daß die Kulturmengen, die angewendet werden müssen, um die Tiere sicher zu töten, immer geringere werden, daß ferner auch die Inkubationsdauer immer mehr abnimmt, bis schließlich die Virulenz eine maximale geworden ist, und auch durch weitere Tierpassagen nicht mehr gesteigert werden. Nach PasrEurs Bezeichnung spricht man dann von einem Virus fixe. Die Zahl der Tierpassagen, die erforder- lich ist, um diesen maximalen Virulenzzustand zu erreichen, ist natürlich je nach dem Ausgangszustand der verwendeten Kultur eine sehr ver- schiedene; ist übrigens der betreffende Bakterienstamm schon allzulange an das saprophytische Wachstum gewöhnt und so avirulent geworden, daß auch die größten den Versuchstieren beizubringenden Bakterien- mengen keine tödliche Erkrankung mehr hervorzurufen vermögen, dann versagt auch dieses Verfahren, und es gelingt überhaupt nicht mehr, ihm pathogene Eigenschaften zu verleihen. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, im Laboratorium alle pathogenen Mikroorganismen von Zeit zu Zeit „durch den Tierkörper durch zu schicken‘, wie der Terminus technicus lautet, um ihre Virulenz, wenn auch nicht auf maximaler Höhe, so doch auf einer Stufe zu erhalten, von welcher aus eine weitere Steigerung erforderlichenfalls leicht möglich ist. Anstatt übrigens die injizierten Mikroorganismen nach jeder Tier- passage wieder aus den Körperflüssigkeiten rein zu züchten, kann man in vielen Fällen diese letzteren — besonders eignet sich hierzu das Peritonealexsudat von in die Bauchhöhle geimpften Tieren oder auch Herzblut — direkt weiter verimpfen; allerdings erhöht sich hierbei ganz wesentlich die Gefahr einer zufälligen Verunreinigung und ist daher in dieser Richtung besondere Aufmerksamkeit erforderlich. Ein zweites Verfahren der Virulenzsteigerung, das zuerst von METSCHNIKOFF, RoUx und TAURELLI-SALIMBENI angewendet wurde, beruht ebenfalls auf der zwangsweisen sukzessiven Anpassung der be- treffenden Mikroorganismen an die Verhältnisse im Tierkörper, nur ge- staltet sich in diesem Falle die Technik etwas anders. Die Bakterien werden nämlich hier den Versuchstieren nicht direkt einverleibt, sondern sie werden mit etwas Nährbouillon in kleine sterilisierte Säckchen aus dünnem Kollodium oder aus besonders präpariertem Schilfrohr einge- bracht, die exakt verschlossen und dann per laparotomiam in die Bauch- höhle eingeführt werden. Diese Säckchen haben den Vorteil, daß sie zwar die Diffusion der löslichen Stoffe, die in den Gewebsflüssigkeiten und Exsudaten enthalten sind, nicht behindern, wohl aber zellige Ele- mente, wie Phagozyten, welche die eingeschlossenen Mikroorganismen V. Inkubationsdauer. Virulenz. 67 schädigen könnten, am Durchtritt verhindern. Die Akklimatisation geht also hier unter günstigeren Bedingungen vor sich, als bei dem erst- genannten Verfahren, indem der Wechsel des Nährmediums kein so brüsker ist und gewisse Schädlichkeiten, die sonst auf die Bakterien einwirken können, ausgeschlossen erscheinen. Von Zeit zu Zeit — etwa alle 5—6 Tage — werden dann die Säckchen unter aseptischen Kautelen herauspräpariert, ihr Inhalt auf seine Reinheit geprüft und dann eine Übertragung auf neue Tiere in genau der gleichen Weise vorgenommen. Besonders französische Forscher haben sich dieser Methode der Viru- lenzsteigerung in ausgedehntem Maße bedient und heben rühmend her- vor, daß sie aus den eben angeführten Gründen häufig noch da zum Ziele führe, wo alle anderen Methoden versagen. Während nun die genannten beiden Verfahren eine Akklimati- sation der Mikroorganismen dadurch zu erzwingen suchen, daß sie die- Virulenz- selben direkt in den tierischen Organismus einführen und den Ein- Ynano® wirkungen der lebenden Gewebe und Zellen entweder unmittelbar oder wenigstens mittelbar — nämlich durch die von den letzteren produ- zierten diffusiblen Stoffe — unterwerfen, beabsichtigt eine dritte Me- thode, dieses Resultat in vitro und auf totem Nährsubstrat zu erzielen, indem sie die Zusammensetzung des Nährbodens möglichst der der Körperflüssigkeiten und Gewebe anzuähneln sucht oder gar in passender Weise sterilisierte tierische Flüssigkeiten zur Kultur verwendet. Flüssiges oder erstarrtes Blutserum für sich allein oder mit Bouillon resp. Agar- Agar gemischt, Agar mit Blut bestrichen, Eiereiweiß, koaguliertes pneu- monisches Sputum, ferner eine Reihe von Nährböden, die mit Organ- extrakten hergestellt wurden, so mit Lunge, Leber, Milz, Gehirn usw., haben sich in dieser Richtung bei den verschiedenen pathogenen Mikro- organismen mehr oder minder bewährt und leisten, wenn auch nicht Virulenz- gerade immer zur Steigerung, so doch jedenfalls zur Konservierung ke der Virulenz recht gute Dienste. Besonderer Beliebtheit erfreut sich aus diesem Grunde das von LÖFFLER angegebene Blutserumgemisch, bestehend aus 3—4 Teilen Serum und einem Teil leicht alkalischer Traubenzuckerbouillon (1°/, Zucker), auf welchem speziell Diphtherie- bazillen gut gedeihen und relativ lange ihre Virulenz erhalten. Von besonderem Interesse ist übrigens mit Rücksicht auf unsere früheren Ausführungen über die Beziehungen der Kapselbidung zur Virulenz, daß viele Bakterienarten gerade auf diesen serumhaltigen Nährböden auch typische Kapseln zu bilden vermögen. Nun kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Bakterien im Virulenz- Organismus verschiedener Tierarten im allgemeinen ziemlich verschiedene "emuner Lebensbedingungen vorfinden. Denn nicht nur ist die Zusammensetzung ‚sche der Säfte und Gewebe bei den verschiedenen Spezies niemals vollkommen spezies. identisch, sondern es sind auch die Abwehrvorrichtungen, über die sie einer Bakterienart gegenüber verfügen, sowohl ihrer Quantität als ihrer Qualität nach ungleich, und es ist somit einleuchtend, daß ein Mikroorganismus, der sich dem parasitischen Leben in einer bestimmten Tierart angepaßt hat, hiermit noch nicht die Fähigkeit erworben zu haben braucht, auch in einer an- deren Spezies zu wachsen und zu gedeihen. Mit anderen Worten: die Virulenzsteigerung, die sich im Verlauf der natürlichen An- passungsvorgänge eingestellt hat, oder die wir durch unsere künstlichen Tierpassagen erzielen, bezieht sich zunächst und in erster Linie nur auf die hierzu verwendete Tierspezies, und es ist a priori 5* Organ- virulenz. 68 V. Inkubationsdauer. Virulenz. gar nicht vorauszusagen, wie sich der so veränderte Mikroorganismus anderen Tierarten gegenüber verhalten wird. Drei Fälle sind hier denk- bar: entweder hat sich die Virulenz des betreffenden Bakteriums, die wir künstlich gesteigert haben, anderen Tierspezies gegenüber vollkommen unverändert erhalten, oder sie hat zugenommen, oder endlich sie hat abgenommen. Alle drei Fälle sind tatsächlich beobachtet worden, und es sei erlaubt, für jeden ein illustrierendes Beispiel anzuführen: Schickt man den Erreger der Hühnercholera durch das Huhn hindurch, so steigert sich zwar seine Virulenz für dieses Tier, bleibt aber nach VogEs für das Meerschweinchen vollkommen unverändert: der erste der drei möglichen Fälle, vermutlich auch der häufigste. Im Gegensatz hierzu sollen nach Pasreur die Schweinerotlaufbazillen durch Taubenpassagen auch für das Schwein virulenter gemacht werden können, während nach Kxorr und PETRUSCHKI Streptokokken ihrer Virulenz für das Kanin- chen verlustig gehen sollen, wenn sie an den Mäusekörper akklimatisiert werden. Aber nicht nur an einzelne Tierspezies kann eine Anpassung der pathogenen Mikroorganismen erfolgen, unter Umständen kann sich dieser Vorgang, wie EISENBERG vor kurzem in einer interessanten Studie über das Infektionsproblem betont hat, sogar nur auf einzelne Gewebe oder Organe einer Tierart erstrecken, derart, daß die Bakterien eine besondere Vorliebe für diese Organe, eine ganz spezielle Fähigkeit, sie zu ihrer Ansiedlungsstätte zu machen, erwerben. So hat Marrını bei Inhalationsversuchen mit Pestbazillen, bei denen in einer Serie von Tierpassagen der Lungensaft der eingegangenen Ratten immer wieder neuen Versuchstieren auf dem Wege des Respirationstraktes beigebracht wurde, nicht nur eine allgemeine Virulenzsteigerung der Bazillen be- obachtet, sondern auch feststellen können, daß sie die Fähigkeit er- langt hatten, auch bei subkutaner oder intraperitonealer Einverleibung immer wieder Pestpneumonie hervorzurufen. FORSSNER, der einen Streptococcus auf Nierenbrei züchtete, konnte zwar eine Abnahme seiner Virulenz im allgemeinen feststellen, fand aber, daß er nunmehr mit Vorliebe Nierenmetastasen hervorrief, eine Fähigkeit, die dem virulenteren Ausgangsstamme abgegangen war. Kruse und Krmp end- lich hatten ein Bakterium aus der Gruppe der Fleischvergifter, das zwar vom Magen aus hoch infektiös wirkte, bei subkutaner und intra- peritonealer Einverleibung dagegen nur geringe Virulenz zeigte, durch eine Reihe von Peritonealpassagen an diesen Modus der Einführung ge- wöhnen können, während es gleichzeitig seine Wirksamkeit vom Ver- dauungskanal aus eingebüßt hatte. Derartige und eine Reihe anderer analoger Tatsachen beweisen wohl mit aller Deutlichkeit, daß es in der Tat eine Organvirulenz gibt, die wir nach dem Gesagten mit Fug und Recht als einen speziellen Fall der allgemeinen Anpassungs- vorgänge auffassen dürfen, durch die sich die Bakterien an das physikalisch-chemische Milieu und an die Abwehrkräfte des tierischen Organismus zu akkommodieren vermögen. Man wird EisEnBERG wohl beistimmen dürfen, wenn er vermutet, daß gerade die bisher noch wenig beachtete Organvirulenz in Zukunft eine große Bedeutung für die Pathologie der ansteckenden Krankheiten erlangen dürfte. Diese Tatsachen sind nun von großer Bedeutung für unsere Auf- fassung von dem Wesen der Virulenz. Sie lehren uns, daß man kein Recht hat, wie es so oft geschieht, von der Virulenz eines Mikroorga- nismus schlechtweg und ohne weitere Angabe zu reden, sondern V. Inkubationsdauer. Virulenz. 69 daß man stets nur von seiner Virulenz für eine bestimmte Tierspezies sprechen darf. Daraus geht aber hervor, wie mißlich es ist, aus der im Tierversuche ermittelten Virulenz eines Mikroorganismus auf seine pathogenen Fähigkeiten dem Menschen gegenüber irgendwelche Schlüsse zu ziehen und wie wenig ferner die früher so beliebte Einteilung der Mikroorganismen in virulente oder infektiöse und nichtinfektiöse Arten den Tatsachen Rechnung trug. Die Unzweckmäßigkeit dieser eben er- wähnten Einteilung — vorausgesetzt nämlich, daß dieselbe mehr sein will als eine lediglich zu praktischen Zwecken vorgenommene grobe Rubrizierung — wird noch einleuchtender, wenn man bedenkt, dab eine ganze Reihe von gewöhnlich rein saprophytischen Mikroorganismen, wie Bac. pyocyaneus, proteus, prodigiosus, subtilis u. a. m. ab und zu auch im menschlichen und tierischen Organismus unter Verhältnissen angetroffen wurden, welche ihre pathogene Rolle außer Zweifel stellen mußten. Überdies ist es mehrfach gelungen, harmlosen Saprophyten — sog. obligaten Saprophyten, wie der Terminus lautete — durch Tier- passagen Virulenz zu verleihen, so dem Bac. megatherium, mesentericus vulgatus und prodigiosus, und es dürfte daher wohl kaum zweifelhaft sein, daß man mit einiger Mühe und Geduld auch bei den meisten anderen „nichtpathogenen‘‘ Mikroorganismen zum Ziele kommen könnte und daß jedenfalls prinzipielle Schwierigkeiten in dieser Richtung nicht bestehen. Es gibt eben keine unüberbrückbare Kluft zwischen den virulenten und nichtvirulenten Bakterien, sondern es existiert eine Fülle von Zwischenstufen und Übergängen, und jeder Mikroorganismus ver- mag sich auf dieser Stufenleiter der Virulenz unter geeigneten Ver- hältnissen in weitem Umfange aufwärts oder abwärts zu bewegen. Viel zweckmäßiger ist daher die neuerdings von BaıL aufgestellte Unter- scheidung der Mikroorganismen. 1. in echte invasive Arten, welche schon in den geringsten Mengen infektiös wirken: Parasiten; 3. in fakultativ invasive Arten, deren Haftenbleiben und Ver- mehrung im Tierkörper nur durch besondere Umstände (große Bakterien- dosen, Toxinproduktion und dergl.) ermöglicht wird: Halbparasiten, und endlich 3. in solche Arten, welche sich für gewöhnlich im Organismus überhaupt nicht zu halten vermögen: die eigentlichen Saprophyten. Denn durch die Einschiebung der Gruppe der Halbparasiten wird gerade die früher erwähnte tiefe Kluft, welche künstlich und in den Tatsachen nicht entsprechender Weise zwischen den beiden Extremen der Virulenz aufgerissen wurde, in sehr geeigneter Weise überbrückt. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen Mikroorganismen besteht, abgesehen von der Fähigkeit der Toxinproduktion, nur in der Leichtig- keit, mit welcher sie sich der parasitischen Lebensweise anzupassen vermögen. Wie geringe Veränderungen des äußeren Milieus aber oft schon imstande sind, die Virulenz eines Bakteriums zu steigern, dafür mag ein interessantes Beispiel, das wir Dirupoxx£ verdanken, Zeugnis ablegen. Der Milzbrandbazillus vermag unter gewöhnlichen Verhältnissen weder den Frosch noch die Taube zu infizieren, auch wenn er für gewisse Säugetiere sehr virulent ist. Nun weicht aber die Körpertemperatur sowohl der Amphibien als der Vögel nicht uner- heblich von derjenigen der Säugetiere ab, indem sie bei den ersteren weit unter 37° gelegen ist, bei den letzteren dagegen über 37°, nämlich 41—42° C© beträgt, beides Temperaturen, die sich von dem Wachstums- Bails Einteilung. Halb- parasiten. Methoden der Virulenzab- schwächung. Abschwäch- ung durch thermische Mittel. Abschwäch- ung durch andere phy- sikalische Mittel. 70 V, Inkubationsdauer. Virulenz. optimum des Milzbrandbazillus recht weit entfernen und bei welchen er schon recht schlecht zu gedeihen vermag. Es genügt jedoch nach DiıEeupDonN£, die Bazillen an die Temperatur von 10 bezw. 42° allmählich zu gewöhnen, um ihnen auch diesen beiden Tierspezies gegenüber Virulenz zu verleihen. Wie man sieht, liegen also hier die Verhältnisse der Akklimatisation ganz besonders einfach und durchsichtig. Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung nunmehr wieder zu den Methoden der Virulenzveränderung zurück, so haben wir, was die Steigerung derselben betrifft, mit dem oben Gresagten die vorhandenen Möglichkeiten so ziemlich erschöpft, und wir haben nur noch einige sehr gebräuchliche Abschwächungsverfahren in Kürze kennen zu lernen. Suchen die bisher besprochenen Methoden ihr Ziel durch Anpassung der Mikroorganismen an die parasitische oder saprophytische Lebens- weise zu erreichen, so arbeiten die nun darzulegenden mit wesentlich anderen Mitteln. Im Prinzip handelt es sich bei diesen Verfahren der Virulenzabschwächung darum, die Bakterien unter ungünstige Lebensbedingungen zu bringen und den verschiedensten Schädlichkeiten auszusetzen, derart, dab sie zwar nicht abgetötet, aber doch in ihren höchsten vitalen Leistungen beeinträchtigt werden. Eine Reihe derartiger Noxen, denen die zu mitigierenden Mikro- organismen unterworfen werden, sind thermischer Natur. So war es Toussaınt gelungen, durch 10 Minuten langes Erhitzen von Milzbrand- blut auf 55° den Anthraxbazillus wenigstens vorübergehend avirulent zu machen. Dauernder waren die Resultate, als PıstEUR, ÜHAMBER- LAND und Roux diesen Mikroorganismus wochenlang bei Temperaturen von 42—43° züchteten; von welchem bedeutenden Einfluß bei diesen hohen Temperaturen bereits Unterschiede von Zehntelgraden sein können, beweist die Tatsache, daß der vollkommene Virulenzverlust bei der Temperatur von 42° nach 43 Tagen 0 „ „ >>) „ en . 24 >) und 44 von „ „ 44° schon nach 9 Tagen eingetreten war. — ARLOING, ÜORNEVIN und TmomaAs erhielten durch verschieden lange dauernde Erhitzung von sporenhaltigem Rauschbrand- material auf 85—100° beliebige Stufengrade geringerer Virulenz, und auch beim Milzbrandbazillus hat man die Erfahrung gemacht, daß zur Abschwächung sporenhaltiger Bazillen höhere Temperaturgrade erforder- lich sind als für sporenfreie. Offenbar sind eben die Sporen infolge der Resistenz ihrer Membran und wegen ihres geringen Wassergehaltes viel schwieriger durch äußere Agentien zu beeinflussen als die sukku- lenteren Vegetationsformen. Viel geringere Bedeutung als diese thermischen Prozeduren, welche als Mittel zur Herstellung mancher Vakzins, wie wir noch sehen werden, eine gewisse praktische Rolle gespielt haben und zum Teil auch heute noch spielen, besitzt eine Reihe anderer, ebenfalls physikalische Kräfte benutzender Abschwächungsverfahren; so die Erhöhung des Atmo- sphärendruckes auf das Drei- bis Sechsfache, entweder für sich allein oder in Kombination mit Erwärmung angewendet; die Einwirkung des elek- trischen Stromes und des Lichtes. Allerdings ist gerade bei diesen letzteren beiden Verfahren ein wesentlicher Anteil der Wirkung chemi- schen (thermo-, radio- und elektrochemischen) Kräften zuzuschreiben, die übrigens ja auch bei der Abschwächung durch bloße Temperatur- erhöhung nicht vollkommen ausgeschlossen werden können. Dasselbe V, Inkubationsdauer. Virulenz. 71 dürfte für die beim Pneumokokkus nachgewiesene Abschwächung durch Austrocknung gelten. Diese Bemerkung leitet uns naturgemäß zu den eigentlichen che- Abschwäch- mischen Methoden hinüber, welche sich ihrer großen Wirksamkeit Bug aaDn wegen einer ausgedehnten Verwendung erfreuen. Da das Prinzip dieser Mittel. Verfahren, wie bereits auseinandergesetzt, eine innerhalb gewisser Grenzen beschränkt bleibende Schädigung der Mikroorganismen beabsichtigt, so werden zur Abschwächung besonders solche Substanzen verwendet, welche dieselben in stärkeren Konzentrationen zu töten vermögen; also in erster Linie die altbekannten Antiseptika: Karbolsäure, Chlor, Jodtrichlorid, auch Kaliumbichromat, Alkohol usw. Natürlich müssen die den Nähr- lösungen zuzusetzenden Mengen dieser Stoffe derartig vorsichtig dosiert sein, daß das Wachstum der Bakterien keine allzustarke Hemmung erfährt. Auch starke Azidität oder Alkaleszenz des Nährbodens, mag sie nun von vornherein absichtlich erzeugt worden sein oder sich erst im Verlauf der Entwicklung der Bakterien durch Zuckervergärung und Eiweißspaltung von selbst eingestellt haben, kann leicht zu einer Verminderung der Virulenz führen, und dieselbe Wirkung können andere Stoffwechselprodukte der Bakterien besitzen, die sich ın älteren Kulturen anhäufen. Doch scheint gerade die durch diese letzteren Substanzen hervorgerufene Abschwächung recht flüchtiger Natur zu sein und bei Überimpfung auf neue Nährböden rasch zu ver- schwinden. Nur eine Art chemischer Einwirkung, die zur Virulenzverminde- Abschwäch- rung führen kann, möge hier noch kurz erwähnt werden, teils ihres ler historischen Interesses wegen, teils deshalb, weil dieselbe doch wohl zufuhr. eine etwas andere Beurteilung verdient, als die bis jetzt genannten chemischen Verfahren: wir meinen die Abschwächung durch reichliche Sauerstoffzufuhr, wie sie PAstEur zuerst bei den Bazillen der Hühnercholera und des Schweinerotlaufes beobachtet hat. Man wird sich schwer vorstellen können, daß die Anwesenheit der mäßigen Sauer- stoffmengen, welche durch die ausgiebige Lüftung der Kulturgefäße ein- geführt werden, auf diese ohnedies aeroben Mikroorganismen ähnlich wirken solle, wie die Gegenwart eines Desinfiziens. Viel näher liegt es, sich die Abschwächung in diesem Falle durch den Verlust einer Anpassungsvorrichtung zu erklären, welche den Bazillen ermöglicht, im tierischen Organismus zu wachsen, und zwar führt hierzu die folgende Überlegung. Wie wir durch Eurticus Untersuchungen, die in seinem Buche über das Sauerstoffbedürfnis des Organismus niedergelegt sind, wissen, ist weder im Blute noch in den Geweben freier Sauerstoff zu- gegen; im ersteren ist er bekanntlich in wenn auch lockerer chemischer Bindung an das Hämoglobin gekettet; die Gewebe hingegen besitzen sogar ein mehr oder minder stark ausgeprägtes Reduktionsvermögen, das in manchen Organen sogar recht beträchtliche Grade annimmt. Es müssen somit pathogene Mikroorganismen, die im Blut und in den Geweben gedeihen, die Fähigkeit besitzen, auch ohne Sauerstoff oder wenigstens mit einem Minimum von freiem Sauerstoff auszukommen. Daß sie diese Fähigkeit und damit eine Vorbedingung für ihr para- sitisches Wachstum verlieren können, wenn sie an reichliche Sauerstoff- mengen gewöhnt werden, ist einleuchtend, und somit wäre eine wie mir scheint nicht unplausible Erklärung für die Pasteursche Beob- achtung gegeben, welche allerdings noch der experimentellen Bestätigung bedürfte. Fehler- quellen bei der Be- urteilung er Ab schwächung. Zusammen- fassung. 72 V. Inkubationsdauer. Virulenz. _ Zum Schlusse unserer Betrachtungen über dieVirulenzveränderung sei nur noch in Kürze auf eine Fehlerquelle aufmerksam gemacht, welche sich leicht bei den Abschwächungsversuchen einschleichen kann und deren Übersehen in der Tat auch die Unbrauchbarkeit mancher diesbezüglicher Angaben verschuldet hat. Geht nämlich unter dem Einflusse der Pro- zeduren, welche die Abschwächung bewirken sollen und welche ja, wie erwähnt, vielfach eine Schädigung der Bakterien bedingen, ein beträcht- licher Teil der letzteren zugrunde, so wird es den Anschein erwecken können, als hätte die betreffende Kultur an Virulenz eingebüßt, während tatsächlich die Ursache der abgeschwächten Wirkung nur in der ge- ringeren Anzahl lebender Individuen gelegen ist, die dem Versuchstiere einverleibt wurden. Auch kann durch das Abschwächungsverfahren eine Zerstörung von fertig gebildeten Giften, die sich in der betreffenden Kultur vorfinden, bewirkt werden und somit im Tierversuche ein schwächerer Effekt zutage treten, ohne daß deshalb eine wirkliche Ab- schwächung der Virulenz stattgefunden hätte. So hat z. B. Jodtrichlorid eine zweifellos giftabschwächende Wirkung gegenüber dem Diphtherie- und Tetanustoxin. Vor beiden Täuschungen kann man sich aber in sehr einfacher Weise dadurch bewahren, daß man nicht sofort mit derselben Kultur experimentiert, welche den schädigenden Agentien direkt aus- gesetzt wurde, sondern daß man von dieser auf einen neuen Nährboden abimpft und so zur Virulenzprüfung erst die zweite Bakteriengeneration heranzieht. Dann ist natürlich ein solcher Irrtum vollkommen aus- geschlossen und eine Verminderung der pathogenen Wirkung direkt für eine Abnahme der Virulenz beweisend. Wie aus allen diesen Betrachtungen hervorgeht, stellt also die Virulenz der Mikroorganismen keine einheitliche Eigenschaft dar, sondern kommt erst durch das Zusammenwirken einer ganzen Reihe verschiedenartiger Faktoren zustande, die wir nur in Kürze nochmals zusammenfassen wollen: Vorbedingung für die Entwicklung der Bakterien im tierischen Organismus ist zunächst ihre Anpassung an das dort herrschende osmotische Milieu,an die Temperatur-und Alkales- zenzverhältnisse, an die Salze und Nährstoffe usw. Ferner müssen aber die virulenten Mikroorganismen, um im Tierkörper gedeihen zu können, gegen die später noch näher zu betrachtenden bakterienfeindlichen Einrichtungen des Organismus, gegen die bakteriziden Wirkungen der Körpersäfte und gegen die Angriffe der weißen Blutkörperchen ge- wappnet sein, wobei, wie erwähnt, die Ausbildung einer Kapsel eine besondere Rolle spielen dürfte. Endlich können die Bakterien auch aktiv, durch Produktion von Giftstoffen der verschiedensten Art, die Widerstandsfähigkeit des befallenen Organismus herabsetzen, die Leuko- zyten in ihrer Tätigkeit lähmen, bezw. durch Aggressinwirkungen vom Kriegsschauplatze fernhalten und die Schutzstoffe der Körpersäfte paralysieren. Literatur. MEYER und Ransom, Arch. f. experim. Path., 1903. Courmoxt und Doyvox, Compt. rend. de la soc. de biolog. 1893, 1898. Le Tetanos, Paris 1899. MORGENROTH, Arch. internat. de Pharmacodyn., 1900. MaARıE, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1897, METCHNIKOFF, Roux und TAURELLI-SALIMBENI, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1896. PAsTEuR, Compt. rend. del’acad., 1882. V. Inkubationsdauer. Virulenz, 73 Vogks, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXIIT, 1896, DieuDonx£, Arbeiten aus dem Kaiser!l. Ges.-Amt, 1894. Toussaıt, Seance de l’acad. de med. de Paris 1880, 3 aoüt. ARLOING, CoRNEVIN und THomas, Le charbon s mptomat., 1887. PASTEUR, CHAMBERLAND und Roux, Compt. rend., Tome XCII. PAsrEur, Compt. rend. de l’acad. Tome XC. Baıt, Arch. f. Hyg. 1905, Bd. LIII u. ff. EisenBEre, Zentr. f. Bakt. Bd. 45, 1908; Bd. 47, 1908. Preısz, Zentr. f. Bakt. Bd. 49, 1909. Danvsz, Annal. de l’Instit. Pasteur 1900, Eingangs- pforte der pathogenen Keime. Fähigkeit, in Blut und Geweben zu wachsen. VI. Verhalten der Mikroorganismen im infizierten Tierkörper. Wir haben in einer der vorhergehenden Vorlesungen die Grund- prinzipien kennen zu lernen gesucht, welche die Lokalisation und die Verteilung der von den Mikroorganismen produzierten Giftstoffe im tierischen Körper beherrschen. Es bleibt uns nun noch übrig, auch die Verteilung und Lokalisation der Mikroorganismen selbst in den Organen und Geweben näher zu studieren und ihre weiteren Schicksale daselbst zu verfolgen. Wir haben gesehen, daß es zwei Gruppen pathogener Mikro- organismen gibt, deren eine von allen möglichen Punkten der Körperoberfläche aus in die Gewebe einzudringen und Infektionen hervorzurufen vermag, während die andere Gruppe einer ganz be- stimmten Infektionspforte bedarf, um pathogen wirken zu können. Ein Beispiel für die erste Kategorie bilden die pathogenen Kokken oder der Pestbazillus, während der Vibrio der Cholera asiatica, der Dysenteriebazillus als Repräsentanten der zweiten Gruppe von Mikro- organismen betrachtet werden können, indem sie nur auf der Darm- schleimhaut die günstigen Bedingungen für ihre erste Ansiedlung vorfinden. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es dann noch Arten, die, wie der Gonokokkus oder der Diphtheriebazillus, zwar eine be- stimmte Schleimhaut bevorzugen, aber doch auch von anderen Schleim- häuten aus in die Gewebe eindringen können, auf der Haut oder auf Wunden hingegen ohne Wirkung bleiben. Wir sehen also, daß bereits in den Eingangspforten, welche ver- schiedenen Mikroorganismen offen stehen, ein gewisses Auswahl- vermögen derselben zum Ausdruck kommt, und wir müssen uns daher fragen, wodurch dasselbe eigentlich bedingt wird. Stellen wir nun zwei der extremsten Vertreter der erwähnten beiden Gruppen einander gegenüber, etwa den Pestbazillus auf der einen, den Choleravibrio auf der anderen Seite, und vergleichen wir ihr Verhalten im menschlichen Organismus miteinander, so springt uns sofort ein ganz charakteristischer Unterschied in die Augen. Der Pest- bazillus ist ein typischer Septikämieerreger, der aufs trefflichste in allen Geweben und Körperflüssigkeiten gedeiht und sich speziell auch im Blut reichlich zu vermehren vermag. Dagegen hat man den Cholera- vibrio bei der menschlichen Cholera nur selten im Blute oder in den (seweben vorgefunden, obwohl angesichts der ausgedehnten Epitheldes- quamationen und oberflächlichen Nekrosen, die sich im Darm bei dieser Erkrankung finden, reichlich Gelegenheit für eine Resorption lebender Keime und einen Transport derselben in die Organe geboten wäre. Da überdies auch im Tierversuche nur dann eine Überschwemmung der VI. Verhalten der Mikroorganismen. 75 Blutbahn mit den Vibrionen stattfindet, wenn sie in sehr bedeutender Menge in den Peritonealsack eingespritzt werden, während sich bei Verwendung kleinerer Mengen eine Verbreitung über die Bauchhöhle hinaus nicht nachweisen läßt, so muß man also annehmen, daß der Choleravibrio für das Wachstum im Blut und in Geweben offenbar sehr wenig geeignet sein dürfte und daß ihm daher alle jene Pforten, welche aus der Außenwelt direkt in die Gewebe führen, wie feinste Hautver- letzungen, Rhagaden, Wunden u. dgl. verschlossen sein müssen. Hin- gegen ist es ganz verständlich, wie ein in den Säften und Geweben leicht fortkommender Mikroorganismus von der Art des Pestbazillus jede derartige minimalste Kontinuitätstrennung als Infektionspforte be- nutzen kann, ohne an irgend eine besondere Lokalität gebunden zu sein. Lassen sich also manche Eigenheiten der primären Lokalisation pathogener Keime zweifellos bereits durch ihre mehr oder weniger stark ausgeprägte Fähigkeit erklären, im Blut und in den tiefer gelegenen ' Geweben zu gedeihen, so wird hierdurch doch nur ein Teil dieser Phä- nomene dem Verständnis näher gerückt. Warum z. B. ein Schleimhaut- parasit, wie der Vibrio der Cholera asiatica, nur auf der Darmschleim- haut, nicht aber auf der des Mundes, Ösophagus, Magens, des Genital- traktes usw. zur Ansiedelung gelangt, wird hierdurch nicht ohne weiteres verständlicher, und es müssen also noch andere Umstände von wesent- lichem Einfluß auf die primäre .Invasionsstelle der Mikroben sein. Zweifellos wird die Beschaffenheit des betreffenden Deckepithels — ob Platten- oder Zylinderepithel — eine gewisse Rolle spielen: auch die Art und besonders die chemische Reaktion der betreffenden Schleim- Beschaffen- hautsekrete dürfte von großer Bedeutung sein. Nimmt man doch an, schleimhaut. daß die saure Reaktion des Mageninhaltes eine Entwicklung des gerade gegen Säuren sehr empfindlichen Choleravibrio daselbst unmöglich macht, wenn sie auch, bei dem kurzen Aufenthalt des Speisebreies im Magen, nicht immer hinreichen dürfte, um eingeführte Vibrionen sicher abzutöten. Zumal bei größerem Schleimgehalt des Magensaftes, wie er sich bei Magenkatarrhen leicht einstellt, sind die Bedingungen für die Vermehrung der Choleravibrionen keineswegs ganz ungünstige. Zu dieser Wirkung der Schleimhautsekrete gesellt sich die gleichzeitige Anwesenheit anderer rein saprophytischer Keime auf der Schleimhaut- oberfläche, welche eine stärkere Vermehrung gewisser pathogener Arten unterdrücken, ja dieselben sogar durch ihre eigenen Stoffwechselprodukte abtöten können. Abgesehen von diesen und anderen ähnlichen Momenten kommt schließlich aber noch in Betracht, daß auch die spezifische Giftempfind- Giftemp- lichkeit der betreffenden Schleimhäute eine Rolle bei der primären A Lokalisation der Mikroben zu spielen imstande sein dürfte. Es ist näm- haut. lich eine bekannte und vielfach beobachtete Tatsache, daß gequetschte, verätzte, entzündete oder in irgend einer anderen Weise geschädigte Gewebe einen besonders günstigen Boden für die Entwicklung patho- gener Keime darstellen. So wissen wir z. B., daß der Tetanusbazillus, der sich bei der Einimpfung in gesundes Gewebe absolut nicht zu ver- mehren vermag, hierzu die erforderlichen Bedingungen vorfindet, wenn vorher stärkere mechanische Läsionen der Impfstelle, Quetschungen der Weichteile, Frakturen der Knochen usw. erzeugt wurden. Es ist nun ganz gut denkbar und durchaus nicht unwahrscheinlich, daß manche Mikroorganismen nur auf jenen Schleimhäuten festen Fuß zu fassen vermögen, welche durch eine besondere Empfindlichkeit ihren giftigen 76 VI. Verhalten der Mikroorganismen, Produkten gegenüber ausgezeichnet sind und durch sie eine sozusagen präparatorische Schädigung erfahren, die sie erst für die Bakterien- ansiedelung geeignet macht. Wenn wir bedenken, daß z. B. nach Ver- suchen von Kraus und GROosZ u. a. die keimfreien Filtrate von Gono- kokkenkulturen auf der menschlichen Urethralschleimhaut eine schleimig- eitrige Entzündung hervorrufen, die allerdings nur kurze Zeit andauert und bereits nach 24—36 Stunden wieder verschwunden ist, so können wir uns wohl vorstellen, daß derartige reizende und schädigende Wir- kungen von Bakterienprodukten an gewissen, besonders empfindlichen Stellen eine Prädisposition für die Bakterieninvasion schaffen können, während andere Schleimhäute, die von den Giftstoffen weniger zu leiden haben, also giftfest sind, dadurch auch vor dem Eindringen der lebenden Krankheitserreger geschützt bleiben würden. Derartige präparatorische Schädigungen der Gewebe spielen auch Sekundär- sonst bei dem Zustandekommen von Infektionen eine hervorragende infektion. Rolle. Häufig sind sie durch die Einwirkung anderer pathogener Arten bedingt, welche den Boden für die Sekundärinfektion, wie man sich ausdrückt, vorbereiten, oder aber die Infektion kommt von vornherein durch das Zusammenwirken mehrerer Spezies zustande, deren giftige Stoffwechselprodukte in ihrem Vereine jene Gewebsläsionen erzeugen, die für ihr Gedeihen und ihre Vermehrung erforderlich sind: in diesem „Minch- Falle spricht man dann von einer Mischinfektion. Eins der bekanntesten und häufigsten Beispiele für eine Sekundär- infektion ist, wie Sie wissen, das Hinzutreten von Streptokokkenprozessen zu rein tuberkulösen Erkrankungen der Lunge, ein Vorkommnis, das sich bekanntlich durch die Ausprägung eines ganz charakteristischen Fiebertypus klinisch zu dokumentieren pflegt. Bezüglich der Misch- infektion sei wieder an das Beispiel des Tetanusbazillus erinnert, der ja unter den natürlichen Verhältnissen meist gleichzeitig mit Eiter- erregern in die Gewebe gelangt, die ihm dann durch ihre Tätigkeit jene Bedingungen zum Wachstum und zur Vermehrung schaffen, welche er, wie erwähnt, in den normalen Geweben nicht zu finden vermag. Lokale Rechnen wir endlich noch dazu, daß die verschiedenen Körper- Schutzvor- . 1 . . R . . richtungen. Stellen, die als Eingangspforte dienen können, eine sehr verschiedene Organimmunität besitzen, d. h. über sehr verschiedene Schutzvorrich- tungen verfügen, die natürlich ebenfalls von großem Einfluß auf den Ort der primären Bakterienansiedlung sein müssen, so erkennen wir, daß dieses Problem ein außerordentlich kompliziertes ist und durch eine große Anzahl von Faktoren bestimmt wird, die wir wohl nur zum kleinsten Teil kennen dürften, jedenfalls aber in ihrer relativen Tragweite heute noch nicht zu überschauen vermögen. — Die lokal zur Ansiedlung gelangten Mikroorganismen können nun entweder an den Ort derselben gebunden bleiben oder aber sich über ihn hinaus verbreiten und im Tierkörper weiter wuchern. Ausbreitung Diese Ausbreitung der Infektion zeigt sich — abgesehen von der der Infek- .p . r 3 tion. spezifischen Eigenart der betreffenden Krankheitserreger und vom Orte des Primäraffekts — in hohem Maße abhängig von der Menge der ein- verleibten Keime. Warsox ÜHEYNE, der diese Frage zahlenmäßig zu studieren unternahm, hat gefunden, daß 10000—300000 Hühnercholera- bazillen eines bestimmten Stammes, beim Kaninchen subkutan injiziert, nur eine lokale Affektion hervorzurufen vermochten, während größere Mengen von 300000 Keimen und darüber stets zur Allgemeininfektion führten. Ein anderes, sehr instruktives Beispiel über den Einfluß der VI. Verhalten der Mikroorganismen. 2% eingeführten Bakterienmengen auf ihre Ausbreitung im Organismus Einfluß der haben Kruse und Pansını beigebracht, welche mit einem sehr wenig en virulenten Pneumokokkenstamm arbeiteten. In sehr kleinen Dosen sub- kutan injiziert, machte derselbe Kaninchen überhaupt nicht krank; die Bakterien kamen offenbar in diesem Falle garnicht zur Entwicklung. Etwas größere Dosen riefen eine immerhin sehr begrenzt bleibende Bakterienwucherung und in ihrem Gefolge eine schwache Entzündung hervor, deren Produkte jedoch bald, ohne Spuren zu hinterlassen, resor- biert wurden. Mittlere Dosen erzeugten ein starkes Exsudat mit reich- licher Vermehrung der Pneumokokken, das in Abszedierung überging, große Dosen endlich töteten das Versuchstier unter den Erscheinungen der Septikämie. Begreiflicherweise tritt dieser Einfluß der einverleibten Bakterienmenge besonders bei Mikroorganismen hervor, welche durch eine geringere Infektiosität gekennzeichnet sind, während die stärksten Infektionserreger aus der Klasse der septikämischen Bakterien, wie be- reits erwähnt, oft schon in wenigen Einzelindividuen tödliche Allgemein- erkrankung mit schrankenloser Vermehrung und Ausbreitung der Keime im Organismus hervorrufen können. Doch kommt auch bei diesen so energisch wirkenden Arten der Einfluß der Bakterienmenge oft noch deut- lich in der Schnelligkeit des ganzen Krankheitsverlaufes zum Ausdruck. Damit sind wir aber bei der Würdigung der wichtigen Rolle an- Virulenz gelangt, welche dem Virulenzgrad der pathogenen Spezies bei ihrer petune m Ausbreitung im Organismus zukommt. Bereits anläßlich der Erörte- Orsanismus. rung der Frage, wie man die Virulenz eines Krankheitserregers be- stimmen kann, haben wir andeutungsweise darauf hingewiesen, daß unter anderem auch die Ausdehnung der durch ihn gesetzten Verände- rungen ein Maß für dieselbe abgeben kann. Kruse unterscheidet hier- nach etwa folgende Virulenzstufen: 1. Kleine Bakterienmengen erzeugen bereits Septikämie. Ein Bei- spiel hierfür liefert, wie schon erwähnt, der Milzbrand- oder der Pestbazillus. 2. Kleine Mengen erzeugen Lokalisationen mit Metastasen, größere Septikämie (Rotz bei Feldmäusen). 3. Kleine Mengen erzeugen einen Liokalaffekt, mittlere daneben Metastasen, größere Septikämie. Hierher gehört das bereits zitierte Beispiel der Pneumokokken- und Streptokokkeninfektion beim Kaninchen. 4. Kleine Mengen sind nicht wachstumsfähig, mittlere und große bewirken Lokalisationen und Metastasen. 5. Auch große Mengen entwickeln sich nur lokal. 6. Auch die größten Bakterienmengen sind nicht wachstumsfähig. Reine Saprophyten. Bei den großen Schwankungen, welchen, wie ausführlich dargelegt wurde, die Virulenz pathogener Keime unterliegt, ist es klar, daß die Stufe, die irgend eine Art auf dieser Virulenzskala einnimmt, nichts Festes und Unwandelbares darstellt, sondern ebenfalls nach den äußeren Schicksalen der betreffenden Kultur sich ändert. Dementsprechend gibt es auch alle möglichen Übergänge zwischen den von KrusE aufgestellten Virulenzstufen und alle möglichen Grade der Bakterienvermehrung und Ausbreitung im infizierten Organismus. Es ist nun vielleicht nicht überflüssig, zu erwähnen, daß auch in anderer Beziehung die Abgrenzung dieser verschiedenen Virulenzstufen Ver- schleppung einzelner Keime. Lokalisation in bestimm- ten Organen. 78 VI. Verhalten der Mikroorganismen. voneinander keine absolut scharfe ist. Auch bei streng lokalisiert blei- benden Affektionen kommt es nämlich sehr häufig zur Verschleppung einzelner Keime in das Blut und in andere Organe, wo sie, bei Anwen- dung geeigneter Züchtungsmethoden, lebend angetroffen werden können. Selbst bei einer Affektion, bei der stets nur eine so geringe Keim- vermehrung angetroffen wird, wie beim Tetanus, hat man im Blut und in der Milz und anderen inneren Organen die typischen Tetanusbazillen mit aller Sicherheit nachweisen können, und ZunpE hat das Herz einer an Tetanus verstorbenen Maus in toto in Nährbouillon gebracht und daraus die Erreger nach viertägiger Anreicherung isolieren können. Ebenso finden sich bei der lokalen Diphtherie die Bazillen, wenn auch stets nur spärlich, in den Lymphdrüsen, im Blut und in den parenchy- matösen Organen vor. Demnach dürfte also wohl der Übergang vereinzelter Keime vom Orte der primären Ansiedelung aus in die Saft- und Blutbahnen ein sehr häufiges, wenn nicht geradezu regelmäßiges Vorkommnis darstellen. Wenn nun gleichwohl nur in einem kleinen Teil dieser Fälle die in die Gewebe verschleppten Keime daselbst festen Fuß fassen, sich ver- mehren und zur Bildung von Metastasen Veranlassung geben, so sehen wir uns hier ganz ähnlichen Problemen gegenüber, wie sie uns bei Be- sprechung der Eintrittspforten der Mikroorganismen entgegengetreten waren, und es dürften daher an dieser Stelle analoge Betrachtungen anzustellen sein. Daß in der Tat manche Organe ganz hervorragend dazu disponiert erscheinen, im Blute zirkulierenden Krankheitserregern bestimmter Art eine Stätte der Zuflucht und Ansiedelung darzubieten, dafür gibt es eine große Zahl sehr interessanter Beispiele. Wir haben bereits einmal die Versuche von TnuowmaAs, KoLLE und IssaErr zitiert, nach welchen junge Kaninchen, denen virulente Choleravibrionen in die Ohrvene eingespritzt worden waren, in einigen Tagen unter Darmveränderungen zugrunde gingen, die den am menschlichen Choleradarm beobachteten nicht un- ähnlich waren. Dabei fanden sich die Vibrionen massenhaft in den Kontentis und in der Darmschleimhaut, während Blut und Gewebe bei passend gewählter Dosis der eingespritzten Kultur ganz steril gefunden werden konnten. Es stellte also in diesem Falle die Darmschleimhaut den Locus minimae resistentiae dar. Impft man das Virus der Lungenseuche, einer beim Rind vor- kommenden epidemisch auftretenden Erkrankung, jungen Rindern unter die Haut ein, so tritt eine entzündliche Affektion nur an den Serosen auf: die Synovialmembranen der Gelenke und Sehnen sind geschwollen und schmerzhaft, so daß bei den Tieren ein Krankheitsbild zustande kommt, das einem generalisierten Gelenkrheumatismus ähnelt. Manch- mal finden sich sogar die Wirbelgelenke von der Entzündung er- griffen. Die serösen Höhlen sind mit trüber Flüssigkeit erfüllt, ihre Wände mit Pseudomembranen bedeckt — alle übrigen Organe bleiben normal. Nicht selten zeigen bestimmte Rassen von pathogenen Mikroorga- nismen eine besondere Vorliebe für gewisse Organe, eine ausgeprägte Örganvirulenz, während andere dieser Eigenschaft entbehren. So haben Brzangon und GkIFFoN einen Staphylokokkenstamm isoliert, der im Tierversuche fast konstant Gelenkaffektionen hervorrief. Ebenso sollen nach Angabe dieser beiden Forscher mäßig virulente Pneumokokken gern die Gelenke befallen. VI. Verhalten der Mikroorganismen. 79 Sind wir bei dem Erklärungsversuche derartiger auswählender Lokalisationen fast gänzlich auf Vermutungen und Hypothesen ange- wiesen, so gibt es doch andere Fälle, bei denen die Verhältnisse bei weitem durchsichtiger sind und einen deutlichen Zusammenhang zwischen gewissen physiologischen oder pathologischen Zuständen mancher Organe und ihrer Prädisposition für die Bakterienansiedelung erkennen lassen. Bekanntlich sind jugendliche Individuen sowohl beim Menschen wie Lokalisation beim Tier ganz besonders für Osteomyelitiden disponiert, da sich in oranı. der Zeit des Knochenwachstums die Gegend der Epiphysenlinien im Zu- stand einer Hyperämie befindet, die man sogar als eine „physiologische Entzündung“ angesprochen hat. Dementsprechend kann man auch bei jungen Kaninchen durch intravenöse Injektion mäßig virulenter Staphylo- kokken Lokalisationen in der Nähe der Epiphysenknorpel hervorrufen. Noch leichter gelingt eine derartige experimentelle Erzeugung lokaler Bakterienansiedelungen durch Herstellung eines künstlichen Locus minoris resistentiae. Wenn man auf die Gelenke tuberkulöser Tiere Traumata einwirken läßt, so gelingt es zuweilen, einen echten Tumor albus zu erzeugen. Bekannt sind ferner die mannigfach modifizierten Versuche, durch Verletzungen der Herzklappen Endokarditiden mit lokalisierter Wucherung der intravenös eingespritzten Bakterien hervorzurufen, und ähnliche Experimente sind in großer Zahl angestellt worden. Erwähnen wir noch, daß es manche Krankheitserreger gibt, die sich niemals lokalisieren, sondern stets nur im Blute auftreten, wie die Rekurrensspirille, und daß nicht selten auch solche Mikroorganismen, welche wohl imstande wären, sich an irgend einer Stelle des Körpers anzusiedeln, im Zustande hoher Virulenz, ohne an der Eingangspforte stärkere Reaktion hervorzurufen, sofort in die Blut- und Lymphbahnen übertreten und so eine — wie man sich ausdrückt — kryptogene- Krypto- tische Septikämie erzeugen, so erkennen wir, wie außerordentlich re mannigfaltig die Bilder sind, die durch die verschiedenen Grade der Vermehrung und Ausbreitung der pathogenen Keime im Tierkörper zu- stande kommen. Nun stellt aber die mehr oder weniger ausgiebige Vermehrung, welche die pathogenen Keime im Blut und in den Geweben erfahren, nur die eine, und zwar die Lichtseite ihres Schicksals im infizierten Organis- mus dar. Hand in Hand mit dieser oft schrankenlosen Vermeh- Bakterien- rung geht jedoch stets gleichzeitig ein ausgedehnter Zerfall und ein massenhaftes Absterben der neuentstandenen Keime einher, ein Vorgang, dem man allerdings erst in der jüngsten Zeit die erforderliche Aufmerksamkeit zugewandt hat. Zwar haben wir bereits an- läßlich der Besprechung der intrazellulären Bakteriengifte erwähnt, daß schon BucHNEr dem Zerfall der eitererregenden Mikroorganismen und dem hierbei stattfindenden Freiwerden ihrer Bakterienproteine, nicht aber ihrer Lebenstätigkeit die Hauptrolle bei der Eiterung zuzuschreiben ge- neigt war, und daß in ähnlicher Weise PFEIFFER die schweren Ver- giftungserscheinungen, die das Stadium algidum der natürlichen und der experimentellen Cholerainfektion charakterisieren, auf eine Resorption zerstörter und aufgelöster Vibrionenleiber bezogen hat. Trotzdem standen jedoch diese Anschauungen der genannten Forscher lange Zeit ziemlich isoliert da und hatte man nicht gewagt, sie auch auf andere infektiöse Erkrankungen zu übertragen. Speziell was die septikämischen Prozesse betrifft, so glaubte man daran festhalten zu müssen, daß sie lediglich durch die ungehemmte Vermehrung der betreffenden Mikroorganismen Bakterien- zerstörung im Pfeiffer- schen Ver- such s0 VI. Verhalten der Mikroorganismen. gekennzeichnet seien, während man den im Laufe der Infektion ein- tretenden massenhaften Zerfall derselben gänzlich unberücksichtigt ließ. Erst RanzıEwsky hat vor einigen Jahren durch eine Reihe schöner Untersuchungen den Nachweis erbracht, dal gerade die Vernichtung und Auflösung der Mikroben bei den verschiedensten Infektionen — auch wenn sie tödlich verlaufen — eine äußerst wichtige Rolle spielt, und daß somit den Anschauungen, die PrEirrer aus dem Studium der experimentellen Cholera- und T'yphusinfektion geschöpft hatte, eine bei weitem allgemeinere Bedeutung und Anwendbarkeit zukommt. Bevor wir jedoch hierauf näher eingehen, wollen wir zunächst noch einiger wichtiger Tatsachen kurz Erwähnung tun, welche PFEIFFER bereits vor längerer Zeit gefunden hatte und welche den Ausgangspunkt für RıAD- ZIEWSKYsS weitere Studien darboten, die zum Teil unter der direkten Leitung des genannten Forschers angestellt wurden. Injizierten PFEIFFER und WaAssERMANN einer Anzahl möglichst gleich großer, kräftiger Meerschweinchen abgestufte Mengen frischer Cholerakultur in die Bauchhöhle, so konnte folgendes gesetzmäßiges Verhalten beobachtet werden. Minimale Mengen der Cholerakultur er- zeugten eine in wenigen Stunden ablaufende fieberhafte Steigerung der Temperatur ohne sichtliche Störung des Allgemeinbefindens der Ver- suchstiere (Stadium I). Etwas höhere Dosen bewirkten nach einem kurzen fieberhaften Intervall ein starkes Absinken der Körperwärme und deutliche Symptome der Choleravergiftung, Muskelschwäche, fibril- läre Muskelzuckungen und allgemeine Prostration. Diese Vergiftungs- erscheinungen bildeten sich dann gewöhnlich ziemlich rasch zurück und nach etwa 24 Stunden waren die Meerschweinchen vollständig wieder- hergestellt (Stadium II). Wurde die Quantität der injizierten Kultur- substanz vorsichtig weiter gesteigert, bis die Dosis letalis minima er- reicht war, so starben die Versuchstiere mit allen Erscheinungen der Choleraintoxikation, und man fand alsdann, auch wenn die Sektion so- fort post mortem vorgenommen wurde, das Peritoneum entweder voll- kommen steril oder es ließen sich in demselben vereinzelte Cholera- vibrionen nachweisen, die dann meist in Eiterzellen eingeschlossen lagen (Stadium IIT). Injizierte man endlich noch größere Mengen der lebenden Vibrionen, so fand sich in der Peritonealhöhle ein reichliches seröses, manchmal auch leicht hämorrhagisches Exsudat, das von unzähligen, äußerst lebhaft beweglichen Mikroorganismen geradezu wimmelte. Da nun natürlicherweise diese verschiedenen Stufen der Bakterien- wirkung durch alle möglichen Übergangsstadien miteinander verbunden sind und da kein Grund zu der Annahme vorhanden war, daß die Vorgänge bei diesen einzelnen Stadien prinzipiell voneinander ver- schieden seien, so lag die Vermutung nahe, daß der massenhafte Unter- sang der Vibrionen nicht nur dann zustande komme, wenn kleinere Kulturmengen zur Infektion verwendet werden, sondern auch bei sroßen Quantitäten eintrete, in diesem Falle jedoch durch die gleichzeitige schrankenlose Vermehrung der Mikroben ver- deckt werde. Es ist klar, daß unsere kulturellen Untersuchungsmethoden nicht imstande sind, über diesen Vernichtungsprozeß) der Mikroben, der ihrer rastlosen Proliferation parallel verläuft, Aufschluß zu geben. Denn unsere Züchtungsverfahren belehren uns natürlicherweise nur darüber, wieviel lebende Keime in dem zu untersuchenden peritonealen Ex- sudate enthalten sind. Wieviel Mikroorganismen jedoch gleichzeitig VI. Verhalten der Mikroorganismen. 81 zugrunde gehen, wie viele Bakterienleichen also neben den lebenden Individuen vorhanden sind, darüber vermag die Kultur- methode nichts auszusagen. Es war deshalb unbedingt nötig, beim Studium dieser Phänomene Färberischer seine Zuflucht zur mikroskopischen Untersuchung zu nehmen und sich es zur Erleichterung derselben geeigneter Farbstoffe zu bedienen. Wie !erienzer- wir nämlich noch sehen werden, sind nicht alle in der Bakteriologie gebräuchlichen Farblösungen zu diesem Zwecke zu verwenden. Rap- ZIEWSKY benutzte mit großem Erfolge Zıentsches Karbolfuchsin oder EurticHsches Gentianaviolett, das er mit destilliertem Wasser im Ver- hältnis 1:30 verdünnte und eine Stunde lang auf die in gewöhnlicher Weise angefertigten Ausstrichpräparate einwirken ließ. Wurden nun mittels feiner Glaskapillaren von Zeit zu Zeit Proben des Peritonealinhaltes von Tieren entnommen, welchen lebende Cholera- vibrionen, virulente Kolibazillen oder andere pathogene Keime einge- spritzt worden waren, so ergaben sich nach der Fuchsinfärbung sehr Fuchsin- überraschende Bilder. Schon kurze Zeit nach Einführung des Virus "rbuns- waren nämlich neben vollkommen normalen Stäbchen oder Komma- formen eine Menge deformierter und zerstörter Exemplare zu bemerken. Vor allem waren mehr oder minder regelmäßige kugelige Gebilde sicht- bar, deren Querdurchmesser die Dicke der umliegenden normal gefärb- ten Stäbchen um das Sechs- bis Achtfache übertraf. Daneben fanden sich auch kleinere Kügelchen in allen Größenabstufungen bis herab zur Punktform, die sich wie die Riesenkugeln alle sehr deutlich mit Fuchsin gefärbt hatten. Wir werden dieser eigentümlichen Form des kugeligen Bakterienzerfalls noch später unter dem Namen des PFEIFFERschen Phänomens in der Immunitätslehre begegnen. - Andere Individuen wichen in ihrer Gestalt sehr erheblich von der Kugelgestalt ab, zeigten sich eckig, unregelmäßig aufgebläht oder be- saßen Fortsätze nach den verschiedenen Richtungen hin. Dabei nahm in dem Maße, als sich ihre Form von der Kugelgestalt entfernte, auch ihre Tinktionsfähigkeit immer mehr ab, bis sich dieselben nur noch schattenhaft von dem schwach gefärbten Untergrund abhoben, um schließ- lich, nachdem ihre Auflösung vollendet war, vollkommen unsichtbar zu werden. Endlich fanden sich auch äußerst dünne Stäbchenformen, die in ihrer Gesamtheit kaum die Farbe annahmen und die also beweisen, daß ein Teil der Mikroorganismen ohne weitere Formveränderungen einfach zusammenschmilzt und schwindet. Andere solcher Stäbchen wiesen stellenweise intensiver gefärbte Verdickungen, Knotenbildungen oder auch polständige Kügelchen auf — Formen, wie sie A. FiscHER bei der Einwirkung osmotischer Schädlichkeiten auf Bakterien beobachtet und durch einen Austritt des Bakterieninhaltes aus der Membran, durch eine Plasmoptyse, wie er es nannte, zu erklären versucht hatte. Ganz andere Bilder erhielt jedoch RanzıEwsky, wenn er an Stelle Methylen- des Karbolfuchsins Künnesches Methylenblau zur Färbung dieser Präpa- Peufärbung. rate benutzte. Auch hier fanden sich zwar neben den normalen und vollkommen deutlich gefärbten Bazillen wohl auch degenerierte und offenbar im Beginn der Auflösung begriffene Formen; von der Fülle von aufgeblähten, deformierten und bizarr verzerrten Bakteriengestalten, die uns die Fuchsinfärbung enthüllt, war jedoch wenig zu sehen. Offen- bar ist eben das Methylenblau nur imstande, einen kleinen Teil jener mannigfaltigen Degenerationsstadien zu tingieren, welche die Mikroben Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 6 82 VI. Verhalten der Mikroorganismen. bis zu ihrer vollständigen Auflösung zu durchlaufen haben. Es führt uns also die Methylenblaufärbung, wie sich RAnzızwsKky an einer Stelle seiner Arbeit ausdrückt, nur die Blüte des Mikrobenlebens vor, während sie die absterbenden und zerfallenden Individuen der Beobachtung ent- zieht. Daß daher die ausschließliche Berücksichtigung der Methylenblau- präparate zu ganz irrigen Vorstellungen über den Umfang der Bakterien- zerstörung führen mußte, ist nach dem Gesagten einleuchtend. Wir wollen uns hier jedoch nicht länger mit der Schilderung der mannigfaltigen Degenerationsbilder aufhalten, welche sich RAnzıEwsKY beim Studium der verschiedenen pathogenen Mikroorganismen ergaben. Denn wenn auch im einzelnen bei diesen verschiedenen Arten mancherlei charakteristische Differenzen zu beobachten waren, die durch die Form und Größe der Keime, die Anwesenheit oder das Fehlen einer Kapsel und durch andere ähnliche Merkmale bedingt waren, so zeigte der Vor- gang der Bakterienauflösung doch im großen und ganzen überall den- selben Grundtypus. Wir wollen vielmehr sofort daran gehen, zu unter- suchen, welche allgemeinen Schlußfolgerungen sich aus diesen Beob- achtungen RıpzıEwKys ableiten lassen und welche Bedeutung denselben für die Erklärung gewisser Infektionserscheinungen zukommt. Wie wir gesehen haben, ist jede bakterielle Infektion — auch wenn sie zu einem tödlichen Ende führt — durch zwei gleichzeitig ver- laufende, aber einander direkt entgegengesetzte Prozesse charakterisiert: eine rastlose Vermehrung der betreffenden Mikroben einerseits, eine Vernichtung und Auflösung derselben andererseits. Zweifellos ist, daß die Mikrobenzerstörung während der Infektion Bedeutung in ganz kolossalem Umfang vor sich geht. Ist sie auch häufig in den Ban. ersten Stunden nach erfolgter Einverleibung der pathogenen Keime zerfalls. weniger ausgesprochen, so nimmt sie doch im weiteren Verlaufe immer mehr zu, um im Moment des Todes ihr Maximum zu erreichen. Dabei überwiegt in den späteren Stadien der Infektion die Zahl der zerfallenen Mikroben ganz bedeutend die Anzahl normaler Individuen: Daraus geht aber hervor, daß die zu einem bestimmten Zeitpunkt im infizierten Körper enthaltenen Mengen lebender Mikro- organismen nur einen Differenzwert darstellen, welcher angibt, wie viele von den unzähligen neuentstandenen Mikroben der Zerstörung entgangen sind und welcher daher in gar keinem direkten Verhältnis zur Vermehrungsenergie der letzteren zu stehen braucht. So kann es sich also ereignen, daß trotz unaufhörlicher, angestrengter Vermehrung der Mikroben doch zeitweise nur ganz wenige Keime am Leben ge- funden werden, was dann eintreten muß, wenn in der betreffenden Phase der Infektionskrankheit die Vernichtungsvorgänge über die Proli- ferationsvorgänge der Mikroben das Übergewicht erlangt haben. Dies ist in der Tat nicht selten beim experimentellen Milzbrand der Fall, wo die Tiere eingehen können, ohne daß sich im Blut oder in den Geweben mit Hilfe der üblichen Kulturmethoden mehr als vereinzelte Bazillen nachweisen ließen. Wüßte man nicht, dal trotzdem eine sehr ausgiebige Vermehrung der Anthraxbazillen stattgefunden haben muß, so wäre es ganz rätselhaft, wie diese spärlichen Keime, die doch nicht einmal besonders heftige Gifte zu produzieren scheinen, so schwere Krankheitserscheinungen hervorrufen und die infizierten Tiere sogar töten konnten. Da jedoch nach RanzıEwskys Untersuchungen das Schwer- gewicht bei den Infektionsvorgängen vielfach nicht auf die VI. Verhalten der Mikroorganismen. 83 lebenden, sondern auf die zugrunde gehenden und der Auf- lösung verfallenden Keime zu legen ist, deren intrazelluläre Gift- stoffe hierbei frei werden und zweifellos einer ausgedehnten Resorption unterliegen, so bieten derartige, früher schwer erklärliche Vorkomm- nisse dem Verständnisse keine besonderen Schwierigkeiten mehr dar. Die Vermehrungsenergie der pathogenen Keime spielt dann aber in dieser Richtung nur eine indirekte Rolle bei dem ganzen Infektions- vorgange, insofern sie nämlich das Material für einen ausgiebigen Mikrobenzerfall liefert. Dieser letztere und nicht die vitale Funktion der Mikroben stellt daher in vielen Fällen die Hauptursache der schweren Krankheitssymptome dar, wenn natürlich gewiß auch die wichtige Rolle der intra vitam sezernierten toxischen Substanzen nicht unterschätzt werden darf. Ich möchte hier nur noch ein — allerdings der Immunitätslehre Gefahren den FREE PR R - > i : Bakt = angehöriges — Beispiel anführen, das in sehr instruktiver Weise den Zertalls. bedeutenden Einflul des Bakterienzerfalles auf die Infektionsphänomene zur Anschauung bringt. Menschen, welche die Cholera asiatica über- standen haben, besitzen ein Blutserum, das noch in außerordentlich hohen Verdünnungen imstande ist, Meerschweinchen vor der tödlichen intraperitonealen Infektion mit dem Kochschen Vibrio zu schützen. Diese Schutzkraft ist nun nicht etwa eine antitoxische, sondern beruht, wie PFEIFFER und WASSERMANN gezeigt haben, einzig und allein auf der Fähigkeit des Serums, die Vibrionen abzutöten und zum Zerfall zu bringen. So vertrugen Tiere, welche nur Bruchteile eines Milligramms von solchem Serum erhalten hatten, die Injektion einer Öse virulenter Cholerakultur fast reaktionslos, während die Kontrolltiere schon nach dem vierten Teil dieser Dosis unter typischem Tremperatursturz zugrunde gingen. Steigert man nun aber die Menge der eingespritzten Cholera- kultur etwa auf das Drei- bis Fünffache, verwendet man also zur In- fektion der Tiere etwa 3—5 Ösen, so genügt selbst das 10000fache derjenigen Serummenge, die zum Schutze gegen eine einzige Öse aus- reichend ist, nicht mehr, um das Auftreten schwerer Vergiftungs- erscheinungen bezw. des Exitus letalis zu verhindern. Ja, der toxische Effekt machte sich sogar in einigen derartigen Versuchen PFEIFFERS ganz auffallend früh geltend, so dal bei diesen Tieren bereits 2 Stunden nach der Injektion die Temperatur bis auf 34,5 gesunken war, während bei den Kontrolltieren, die gleich große Mengen Cholerakultur erhalten hatten, aber kein „schützendes“ Serum, sich der Temperatursturz erst 4—5 Stunden post infectionem einstellte. Nach unseren früheren Auseinandersetzungen ist es nicht schwer, sich das außerordentlich überraschende und paradoxe Resultat dieser Versuche PFEIFFERs zu erklären. Offenbar vertragen die Meerschwein- chen eine gewisse Menge des intrazellulären Choleragiftes,!) die etwa durch den Gehalt einer Öse frischer Kultur dargestellt wird. Bringt man den Tieren kleinere Bakterienmengen bei, etwa !/,—!/a Öse, so werden sich diese sehr rasch vermehren, ohne schwere Erscheinungen hervorzurufen. Parallel mit dieser Vermehrung wird der uns bereits bekannte Vibrionenzerfall einhergehen. Erst von dem Moment an, wo die Menge der aufgelösten Vibrionen so groß geworden ist, daß dieselbe mehr als einer Öse Cholerakultur entspricht, werden !) Bezw. des bei der Bakteriolyse entstehenden „Anaphylatoxins“. Siehe Vorlesung XX. 6* Schutz- wirkung des Bakterien- zerfalls. Bakterien- zerfall und Phagozytose. 54 VI. Verhalten der Mikroorganismen. die charakteristischen Intoxikationserscheinungen einsetzen können. Verhindert man nun bei solchen Tieren, die etwa !/, Öse Cholera- kultur einverleibt erhalten hatten, durch gleichzeitige Applikation des wirk- samen Serums von vornherein jede weitere Vermehrung der eingebrachten Keime, so ist klar, daß die Menge der aufgelösten Vibrionen in diesem Falle niemals den Wert einer halben Öse überschreiten kann und daß daher auch die Quantität des frei werdenden intrabakteriellen Giftes unterhalb der tödlichen Dosis bleiben muß — die Tiere mit anderen Worten durch die Schutzwirkung des Serums vor dem Tode bewahrt bleiben. Anders, wenn den Meerschweinchen größere Kulturmengen von 3—5 Ösen beigebracht werden. Da, wie gesagt, dem Serum keinerlei antitoxische (bezw. antiendotoxische) Wirkungen zukommen, so wird es also in diesem Falle den tödlichen Effekt der freiwerdenden Cholera- gifte nicht zu verhindern imstande sein. Da aber überdies der normaliter eintretende Vibrionenzerfall durch die Serumeinspritzung ganz außer- ordentlich gesteigert und beschleunigt wird, so müssen die Intoxikations- erscheinungen sogar noch früher hervortreten, als bei den nicht mit Serum behandelten Kontrolltieren, wie dies ja in der Tat auch bei den zitierten Versuchen von PFEIFFER und WASSERMANN der Fall war. Aus alledem geht hervor, daß dem anscheinend so zweckmäßigen Vorgange der Bakterienvernichtung und -auflösung, der ja zweifellos auf eine Abwehrreaktion des infizierten Organismus bezogen werden muß, bei den geschilderten Experimenten doch nur eine verhältnismäßig geringe Schutzwirkung zukommen kann, wenn sich an denselben nicht ein zweiter Prozeß unmittelbar anschließt: die Entgiftung und Unschäd- lichmachung der gelösten Bakteriensubstanzen. Die Auflösung der pathogenen Keime vermag eben nur jene Gefahren zu beseitigen, welche durch ihre Lebensvorgänge bedingt werden. Dagegen ist dieselbe bei dem natürlichen Infektionsmodus, bei welchem nicht, wie bei den geschilderten Experimenten, von vornherein kolossale Bakterienmengen in den Körper gebracht werden, von der größten Bedeutung, indem sie unter günstigen Umständen die weitere Vermehrung der infizierenden Keime unmöglich macht und auf diese Weise eine Anhäufung giftiger Bakterienleiber von Anfang an ver- hindert. Die Bakterienauflösung, von der wir bisher immer gesprochen haben, fand ausschließlich in den Säften des Organismus, in der Flüssig- keit der Exsudate statt, die sich bei den Versuchen RADZIEWSKYS an der Injektionsstelle der Mikroben angesammelt hatten. Diese Exsudate enthielten nun meist auch Leukozyten in mehr oder weniger beträcht- licher Menge, und manche dieser weißen Blutkörperchen zeigten in ihrem Innern vereinzelte Mikroben, die zum Teil zerstört und offenbar abgestorben waren. Wie Sie wissen, bezeichnet man derartige bazillen- haltige Zellen als Phagozyten oder Freßzellen, da man annehmen muß, daß dieselben durch eine aktive Tätigkeit ihres Protoplasmas, durch eine Aussendung und Wiedereinziehung feiner Pseudopodien korpuskuläre Elemente, darunter auch Mikroorganismen, ihrem Innern einzuverleiben vermögen. Wir werden auf die genaueren Details dieses Vorgangs und auf seine Bedeutung für die Widerstandsfähigkeit des Organismus sofort zurückzukommen haben. Hier wollen wir nur einige wenige Tatsachen ganz kurz berühren. Die Zahl der Mikroorganismen, die sich bei Rapzıewskys Versuchen innerhalb der Phagozyten befanden, war im Vergleich zu der kolossalen Menge von Individuen, die der extrazellu- VI. Verhalten der Mikroorganismen, 85 lären Auflösung anheimfielen, so verschwindend klein, daß an eine Mit- wirkung der Freßzellen bei der Bakterienvernichtung im Verlaufe der tödlichen Infektion gar nicht zu denken war. Auch hier bewährt sich wieder die bereits einmal erwähnte Überlegenheit der Fuchsinfärbung gegenüber der so häufig verwendeten Tinktion mit Methylenblau auf das beste. Hätte man nämlich nur nach den Methylenblaupräparaten ge- urteilt, so wäre man, wie RanzırwsKy hervorhebt, zu einer ganz anderen Vorstellung über den Wert und die Bedeutung der Phagozyten gelangt. Man hätte dann bei Versuchen mit Typhus- oder Cholerabakterien innerhalb der Leukozyten runde, aufgeblähte blasse Kugelformen an- getroffen, die dem PFEIFFER schen Phänomen entsprechen würden, außer- halb der Leukozyten jedoch fast nur normale, intakte Stäbchen gefunden, so daß man also zu der irrtümlichen Meinung verführt worden wäre, der Mikrobenuntergang geschehe fast ausschließlich innerhalb der Poly- nukleären, während gerade das Gegenteil davon die Wahrheit ist. Der weitaus größte Teil der Mikroben, der im Verlaufe tödlicher Infektionsvorgänge der Auflösung anheimfällt, geht also nach RADzIEwskY extrazellulär, in der freien Gewebsflüssig- keit zugrunde. Andererseits gibt es jedoch gewisse Krankheitsprozesse, bei welchen die Phagozytose eine ganz hervorragende Rolle zu spielen scheint. So hat z. B. Kısskatt bei der Infektion künstlich gesetzter Schnittwunden mit Staphylokokken, Heubazillen, Tuberkelbazillen usw. stets eine aus- giebige Phagozytose beobachtet, derart, daß bereits 8 Stunden nach Beginn des Experimentes kaum mehr freie Mikroorganismen übrig ge- blieben waren, nach 12 Stunden jedoch alles mit Sicherheit von den Leukozyten aufgenommen war und in deren Innern der Zerstörung an- heimfiel. Weiterhin erinnere ich nur an das bekannte Bild, das gonor- rhoischer Eiter bei mikroskopischer Betrachtung darbietet und das uns große Mengen von Phagozyten vollgepfropft mit den charakteristischen Gonokokken zeigt, ferner an die meist intrazelluläre Lagerung der Meningokokken, Lepra- und Tuberkelbazillen usf. Wir werden daher im folgenden diese beiden wichtigen Prozesse, den extrazellulären Zerfall der Mikroben in den Körpersäften und die Phagozytose etwas eingehender zu betrachten haben und wollen mit der Besprechung der letzteren den Anfang machen. Literatur. Kraus und Grosz, Arch. f. Dermat., 1898, WATSoN CHEYNE, Brit. med. Journ., 1886. Kruse und Pansmı, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XI. Kruse in Flügges „Mikroorganismen“. ZumpE und v. ÖTTINGEN, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. LXIV. Besangon und GRIFFON, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1900. Rapzıewsky, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVII, 1901. PFEIFFER und WASSERMANN, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XIV, 1893. Kısskart, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XLV u. XLVII, 1903 u. 1904. VII. Die Phagozytose. Die Phagozytose, die Aufnahme geformter Partikelchen durch zellige Elemente, stellt die einfachste und primitivste Form der Ernäh- rung mit festen Stoffen dar und ist daher auch bei den niedersten tierischen Organismen ein außerordentlich verbreiteter und gewöhnlicher Phagozytose Vorgang. So besitzen bekanntlich die Amöben und andere Rhizo- zon. poden in hohem Grade die Fähigkeit, Fremdkörper mit ihren beweg- lichen Protoplasmafortsätzen zu umfließen, in ihr Inneres aufzunehmen und, wenn es deren chemische Natur überhaupt zuläßt, zu verdauen und aufzulösen, wobei, wie es scheint, saure, in Vakuolen abgeschiedene Sekrete eine wichtige Rolle spielen. Auch viele Infusorien, besonders Ciliaten, vermögen feste Nahrung in Form korpuskulärer Elemente auf- zunehmen. Die Nahrungsteilchen umgeben sich dabei im Protoplasma dieser Organismen mit durchscheinenden Vakuolen, deren Inhalt, wie mikrochemische Reaktionen ergeben haben, einen deutlich sauren Cha- rakter aufweist und z. B. kleine verfütterte Körnchen von blauem Lackmusfarbstoff nach kürzerer oder längerer Zeit rot zu färben vermag. Bemerkenswert ist dabei, daß neben anderen festen Partikelchen auch nicht selten Bakterien durch diese Protozoen aufgenommen werden und wie die übrigen Nahrungsstoffe der Verdauung unterliegen. Versuche, die Verdauungsfermente aus den Amöben zu isolieren, haben ergeben, daß diese Zellen ein trypsinartiges Enzym enthalten, das in alkalischer Lösung von großer Wirksamkeit ist, aber auch noch bei leicht saurer Reaktion proteolytische Eigenschaften besitzt; diese sog. Amöbendiastase ist sehr thermolabil, wird bei 58° schon merklich angegriffen, bei 60° jedoch vollkommen zerstört. Erwähnenswert ist. daß dieselbe auch abgetötete Bakterienleiber aufzulösen vermag, lebenden Kolibazillen gegenüber jedoch vollkommen versagte. Andere Fermente, speziell Invertase, welche Rohrzucker spaltet, und Lipase, welche Fette verseift, fanden sich in den Amöbenextrakten nicht vor. Eiagcaytons Auch bei den Metazoen spielt die intrazelluläre Verdauung eine zoen. außerordentlich große Rolle. METSCHNIKOFF, der die Phagozytose mit außerordentlichem Aufwand an Geist, Gelehrsamkeit und Energie durch das ganze Tierreich hindurch verfolgt hat, konnte feststellen, daß bei den allerniedersten Formen von Metazoen, bei denen die Zelldifferen- zierung noch nicht sehr weit vorgeschritten ist, noch alle zelligen Ele- mente die Fähigkeit der Aufnahme geformter Teilchen besitzen. Bei den etwas höher entwickelten Tieren verliert zunächst das Ektoderm die (sabe der intrazellulären Verdauung, während die dem Entoderm ange- hörigen Darmepithelien der niederen Wirbellosen, Spongien, Cölenteraten, Turbellarien und gewisser Mollusken noch ausgedehnter Phagozytose fähig sind. Auch der Amphioxus lanceolatus vermag noch mit seinen VII. Die Phagozytose. 87 Darmepithelien korpuskuläre Elemente aufzunehmen. ‚Je höher wir jedoch in der Entwicklungsreihe des Tierreiches aufwärts steigen, desto mehr verlieren auch die genannten entodermalen Zellen, die Abkömmlinge des inneren Keimblattes oder des Darmdrüsenblattes, die Fähigkeit der intrazellulären Digestion und desto deutlicher tritt jener andere Ver- dauungsmodus zutage, der durch die Sekretion fermenthaltiger Säfte in den Darmtrakt charakterisiert ist und zur extrazellulären Auflösung der festen Nahrungspartikelchen führt. So findet man unter den Gastro- poden noch Arten, bei welchen beide Formen der Verdauung im Darm- kanal nebeneinander vorkommen, während bereits bei den Nackt- schnecken und Weinbergschnecken der phagozytäre Verdauungsakt ganz verloren gegangen ist und die Spaltung der Nahrungsstoffe nur noch extrazellulär durch die Darmsekrete erfolgt. Im Gegensatz zu den Abkömmlingen des Ektoderms und Ento- derms, welche im Verlaufe ihrer fortschreitenden funktionellen und mor- phologischen Differenzierung die ursprünglich allen Zellen zukommende Fähigkeit der Phagozytose vollkommen eingebüßt haben, hat sich be- kanntlich das Mesoderm auch bei den höchstorganisierten Tieren auf einer viel niedrigeren Stufe der Entwicklung und Spezifizierung erhalten, und dementsprechend sehen wir denn auch, daß es gerade diese Ele- mente sind, welche sich den Verdauungstypus ihrer Urahnen, der Amöben, bewahrt haben. Die Phagozyten der Säugetiere, die uns ja hier fast ausschließlich interessieren, sind daher, mit wenigen unbedeutenden Ausnahmen, alle mesodermalen Ursprungs. Man kann diese, dem mittleren Keimblatt entstammenden Elemente nun in zwei große Gruppen einteilen: in bewegliche oder wandernde und in fixe Phagozyten. Zu den letzteren gehören unter anderem die Gefäßendothelien der Blut- und Lymphbahnen, zu den ersteren, den beweglichen Phagozyten, zählen die weißen Blutkörperchen des Blutes, der Lymphe, des Eiters usw. Einen natürlichen Übergang zwischen diesen beiden Gruppen vermittelt jene dritte Kategorie von Freßzellen, welche in den großen lymphoiden Organen, in Milz, Lymphdrüsen und Knochenmark in ungeheurer Zahl angehäuft sind, wo sie fortwährend neugebildet und in das Blut befördert werden. Hiermit ändern die- selben gewissermaßen ihren Charakter und verwandeln sich aus fixen in bewegliche Phagozyten. Unter den Leukozyten des Blutes hat man bekanntlich wieder eine Reihe von Formen unterschieden, welche ich Ihnen hier nur kurz ins Gedächtnis zurückrufen möchte: 1. Die Lymphozyten, kleine rundliche Zellen etwa von der Größe der roten Blutkörperchen, mit einem runden, fast die ganze Zelle ausfüllenden, sehr chromatinreichen Kerne und einer ganz schmalen Randzone von Protoplasma. Die Lympho- zyten sind im Gegensatz zu den anderen Leukozytenformen un- beweglich und keiner amöboiden Gestaltveränderung fähig. 2. Die mononukleären Leukozyten, auch Monokaryozyten genannt, große Elemente mit exzentrisch gelagertem bläschen- förmigen chromatinarmen Kern und mächtig entwickeltem Protoplasma. 3. Die polynukleären oder, besser gesagt, polymorphkernigen Leukozyten, charakterisiert durch ihren vielfach gelappten, un- Einteilung der Phago- zyten. Motilität und Sensi- bilität der Phagozyten. Chemotaxis. Chemotaxis bei patho- logischen Vorgängen. s8 VII. Die Phagozytose. regelmäßig geformten, chromatinreichen Kern; es sind dies die- jenigen Elemente, welche in erster Linie bei der Diapedese und Eiterbildung beteiligt erscheinen. Wie Sie wissen, enthalten diese verschiedenen Arten weißer Blut- körperchen in ihrem Zellprotoplasma mannigfache Granula, die EurLicH nach ihrem Verhalten zu gewissen Anilinfarbstoffen als eosinophile, indulinophile, basophile und neutrophile unterschieden hat. Auch ihrem Entstehungsort nach lassen sich die genannten Leukozytentypen von- einander trennen, indem sich Lymphozyten und Mononukleäre in der Milz und in den Lymphdrüsen, die polymorphkernigen Zellen hingegen im Knochenmark entwickeln. Bemerkt muß übrigens noch werden, daß METSCHNIKOFF die letzteren, also die Polynukleären, mit Vorliebe als Mikrophagen be- zeichnet und ihnen die großen Lymphozyten, die mononukleären sowie die Riesenzellen als Makrophagen gegenüberstellt. Als physiologische Eigenschaften müssen den Phagozyten neben ihrer Fähigkeit, Pseudopodien auszuschicken und wieder einzuziehen, also neben ihrer Motilität auch sensible Fähigkeiten zugeschrieben werden. Massarr und BoRDET haben an Leukozyten Beobachtungen gemacht, welche für die Existenz einer taktilen Sensibilität bei den- selben zu sprechen scheinen; sichergestellt ist jedoch seit langem deren Empfänglichkeit für chemische Reize, die in der sogenannten Chemo- taxis zum deutlichsten Ausdruck gelangt. Neben den beiden vorge- nannten französischen Autoren haben besonders LEBER, BUCHNER und andere Forscher eingehende Versuche über dieses biologisch so außer- ordentlich wichtige Phänomen angestellt und mit Hilfe der bereits einmal erwähnten Pr£Errerschen Kapillarröhrchenmethode eine große Reihe von chemischen Substanzen auf ihre chemotaktischen Wirkungen hin untersucht. Manche von ihnen, wie z. B. gewisse bakterielle Pro- dukte, Extrakte von Staphylokokkenkulturen usf. vermochten die Leu- kozyten bis in die Glasröhrchen hineinzulocken, die sich demgemäß mit einem leukozytären Pfropfe anfüllten. Dem üblichen Sprachgebrauche nach bezeichnet man dieses Phänomen als positive Ühemotaxis. Andere Substanzen verhielten sich demgegenüber chemotaktisch voll- kommen indifferent, während eine dritte Gruppe von Stoffen sogar ab- stoßend auf die Leukozyten zu wirken schien, also negative Chemo- taxis hervorrief. Im übrigen ist natürlicherweise der chemotaktische Effekt einer Substanz wesentlich von ihrer Konzentration abhängig, derart, daß — wie dies ja auch bei anderen Gift- und Reizwirkungen oft der Fall ist — verdünnte Lösungen gerade das entgegengesetzte Resultat hervorrufen können wie konzentrierte, und daß sich die Rich- tung der Chemotaxis mit steigender Konzentration oft völlig umkehrt. Wie allgemein bekannt, ist man geneigt, den Vorgängen des Chemotropismus und der Ohemotaxis eine große Bedeutung bei einer Reihe von pathologischen Prozessen zu vindizieren, die sich an bak- terielle Infektionen anzuschließen pflegen. Kommt es an irgend einer Körperstelle zur Ansiedelung pathogener Mikroorganismen, die entweder durch ihre Stoffwechseltätigkeit oder durch ihren Zerfall positiv chemo- taktisch wirkende Stoffe in Freiheit setzen, so folgen der herrschenden Lehre nach die im Blute zirkulierenden mobilen weißen Blutkörperchen dem durch diese Stoffe gesetzten Reize und treten durch die Wandun- gen der Kapillargefäße hindurch in die Gewebe aus, um sich am Orte VI. Die Phagozytose. 89 der Bakterienentwicklung anzusammeln und zur Bildung eines eitrigen Exsudates Veranlassung zu geben. Ein sehr geeignetes Objekt zum Studium derartiger lokaler Leuko- zytenanhäufungen bietet die Peritonealhöhle des Meerschweinchens dar, wenn man in dieselbe verschiedenartige mehr oder weniger reizend Chemotaxis wirkende Substanzen, Peptonlösungen, Bouillon, Salzlösungen und der- wu gleichen einspritzt. Bald nach der Injektion beobachtet man wichtige chenperi- Veränderungen an der peritonealen Lymphe, die man mit Hilfe von feinen, durch die Bauchwand hindurchgestoßenen Kapillarröhrchen ge- winnt. Während die Lymphe im normalen Zustand reich an weißen Blutkörperchen ist, verschwinden dieselben bald nach der Injektion fast vollständig aus der vollkommen klar aussehenden Flüssigkeit: nur hie und da findet man einige anscheinend normale Lymphozyten und klumpig zusammengeballte, unbewegliche Mikrophagen und Makrophagen. Diese Veränderungen haben, abgesehen von der durch die Flüssig- keitszufuhr bedingten Verdünnung des Peritonealinhaltes, eine doppelte Ursache. Einmal kommt es nämlich infolge der schädigenden Wirkung der eingespritzten Substanzen zu einem Zerfall der weißen Blutkörper- chen, zu einer Phagolyse, wie METSCHNIKOFF diese Erscheinung be- Phagolyse. zeichnet; andererseits aber häufen sich, wie PIERALLINI nachgewiesen hat, die früher gleichmäßig in der Lymphe verteilten Leukozyten in großer Menge in den Serosafalten an, wo sie unbeweglich liegen bleiben, um erst nach längerer Zeit ihre vollkommene Motilität wieder zu er- langen. Nach Pierauuıyıs Auffassung handelt es sich hierbei um eine negative Ohemotaxis. Durch die vereinte Wirkung dieser beiden Faktoren, durch die Phagolyse einerseits, die negative Uhemotaxis andererseits, erklärt sich also die auffallende Zellarmut des peritonealen Exsudates unmittelbar nach der erfolgten Einspritzung. Dieser Zustand hält etwa eine Stunde oder auch noch länger an, dann ändert sich das Bild ganz wesentlich. Es treten nämlich allmählich wieder Leukozyten in der Peritoneal- flüssigkeit auf, welche zum Teil aus den zu Klumpen verbackenen Häufchen stammen, die sich auf der Serosa niedergeschlagen hatten und sich jetzt wieder zu beweglichen Einzelindividuen auflösen; — zum Teil stammen dieselben jedoch auch aus dem Blute und sind durch die hyperämischen Gefäße des Bauchfells per diapedesin durchgewandert, so daß sich also die ursprünglich negative in eine positve Chemotaxis verwandelt hat. Ihr Maximum erreicht diese lokale Leukozytenansamm- lung etwa nach 20 Stunden, dann nimmt sie wieder langsam ab, um nach etwa drei Tagen wieder vollkommen normalen Verhältnissen Platz zu machen. Wiederholt man die Injektion der reizenden Substanzen zu einer Zeit, wo sich die lokale Leukozytose auf ihrem Höhepunkt befindet, wo also die negative Chemotaxis bereits in ihr Gegenteil umgeschlagen ist, so bleibt die Leukopenie, die Verminderung der weißen Blutkörper- chen im Peritonealinhalt, vollkommen aus — die Zellen haben sich offenbar an die Schädigungen, welche von den eingebrachten chemischen Stoffen herrühren, vollkommen gewöhnt und reagieren auf sie weder mit Zerfall und Auflösung (also mit Phagolyse) noch mit negativer Chemotaxis. Bringt man die chemotaktisch wirkenden Substanzen nicht an eine chemotaxis Stelle des Organismus, wo sie einige Zeit liegen bleiben, sondern direkt "= Ir Plut in die Blutbahn, wie dies RoEmEr, KantHAck und andere Forscher Aktive und passive Leu- kozytose. Einfluß des Milieus auf die Phago- zytose. 90 VII. Die Phagozytose. getan haben, so beobachtet man im Blute ganz dieselben Veränderun- gen, die wir eben bei dem Peritonealinhalt beschrieben haben. Zuerst kommt es auch hier zu einer mehr oder minder lange andauernden Ver- minderung der Leukozytenzahl, zu einer Hypoleukozytose, der dann eine Vermehrung der weißen Blutkörperchen, eine Hyperleukozytose, auf dem Fuße folgt. Der Höhepunkt der letzteren wurde etwa 9 Stunden nach der Einspritzung erreicht, ihre Dauer betrug 48 bis 72 Stunden. Wie allbekannt, gehen auch die meisten fieberhaften Infektions- krankheiten beim Menschen, Pneumonie, Pocken, Erysipel, Diphtherie, Meningitis, Eiterungen usf. mit Vermehrung der Leukozyten im Blute einher. Daß bei diesen Krankheiten ein prodromales Stadium der Leu- kopenie nicht zur Beobachtung kommt, hat seinen Grund wohl nur in der langsamen Produktion und Resorption der bakteriellen Giftstoffe, die nicht, wie bei den verhältnismäßig rohen Laboratoriumsversuchen, die Blutbahn mit einem Male überschwemmen, sondern sich ganz all- mählich in den Kreislauf einschleichen, so daß die Leukozyten von An- fang an Zeit finden, sich an dieselben zu gewöhnen. Einige andere Erkrankungen, wie Typhus abdominalis, Masern, Sepsis, zeigen im Gegensatz zu den früher aufgezählten regelmäßig eine mehr oder minder ausgesprochene Leukopenie, die ja bekanntlich auch diagnostische Verwertung findet. Wie die Schwankungen des Zellgehaltes der Peritoneallymphe, so faßt man auch diejenigen des Blutes als Ausdruck einer positiven oder negativen Chemotaxis auf und stellt sich vor, daß die Leukozyten im ersteren Falle aus den blutbildenden Organen in das Blut gelockt, be- ziehungsweise ausgeschwemmt würden, während sie im Falle negativer Chemotaxis in den Kapillaren dieser oder anderer Organe ihre Zuflucht fänden, wo sie durch die verlangsamte Zirkulation vor der Berührung mit den schädigenden Substanzen möglichst geschützt wären. Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, sieht man also in dem Phänomen der Leukozytose bezw. Leukopenie nur den Effekt einer ungleichmäßigen Verteilung der Leukozyten im Körper. Ob nebenbei aber auch eine absolute Vermehrung oder Verminderung der weißen Blutzellen statt- findet, ist noch eine strittige Frage, die übrigens für uns hier von keinem weiteren Interesse sein kann, weshalb wir auf dieselbe nicht näher eingehen wollen. Ebenso würde es uns zu weit von unserem Thema abführen, wollten wir die verschiedenen morphologischen Cha- raktere der Leukozytose bei den diversen Infektionskrankheiten hier näher besprechen. Wir wollen nur kurz darauf hinweisen, daß EHRLICH und Lazarus zwei Grundtypen derselben unterscheiden und als aktive und passive Leukozytose charakterisieren, je nachdem an derselben Elemente beteiligt sind, welche der Eigenbewegung fähig sind oder nicht. Nur im ersteren Falle kann natürlich eine aktive Einwanderung in das Blut auf Grund chemotaktischer Reize erfolgen. Unbewegliche Blutzellen hingegen, wie die Lymphozyten, können nur durch mechanische Kräfte, passiv, in die Blutbahn eingeschwemmt werden. Nach dieser kleinen Abschweifung, die uns mit den Lokomotions- erscheinungen der Leukozyten als der Vorbedingung jeder phagozytären Wirkung bekannt machte, wollen wir nunmehr wieder zur Phagozytose selbst zurückkehren und ihre Bedeutung im Haushalt des höheren tieri- schen Organismus abzuwägen versuchen. Wie die Lokomotionsfähigkeit der Leukozyten, so ist natür- lich auch ihre Freßtätigkeit geformten Elementen gegenüber in VII. Die Phagozytose. 9 hohem Grade von den Eigenschaften des umgebenden Mediums abhängig. Isoliert man die weißen Blutzellen aus den Körperflüssig- keiten, in denen sie enthalten waren und bringt sie in physiologische (0,9°/,ige) Kochsalzlösung, so bleibt allerdings ihr phagozytäres Ver- mögen, wie HAMBURGER und HErkMmA gefunden haben, unverändert. Schon durch geringen Wasserzusatz (von ca. 50°/,) jedoch erfährt das- selbe eine sehr wesentliche Abnahme, um bei einem Zusatz von 140 bis 200°/, Wasser vollkommen aufgehoben zu werden. Ebenso schädlich wie die Verdünnung des umgebenden Mediums erwies sich eine Stei- gerung der osmotischen Konzentration, indem schon ein Zusatz von 0,5°/, NaCl zu den in Serum aufgeschwemmten Leukozyten ihre phago- zytäre Tätigkeit auf Null herabsetzte. Beide Schädigungen sind aller- dings durch Wiederherstellung der Isotonie wenigstens zum Teil wieder aufzuheben. Schließlich werden die Phagozyten in ihrer Freßtätigkeit gelähmt durch Vermehrung oder Verminderung der im Serum ent- haltenen OH-Ionen, d. h. also durch Änderung des Alkaleszenzgrades, durch Fluor-, Zitronensäure- und schwefligsaure Ionen, erfahren da- gegen eine nicht unbeträchtliche Steigerung dieser Funktion durch Zusatz minimaler Mengen von Kalziumionen (0,005°/, CaCl,), eine Tatsache, die, wie HAMBURGER und HEKMA hervorheben, eine inter- essante Analogie in dem fördernden Einfluß dieser Ionen auf die Herztätigkeit besitzt. Wir haben bereits gesehen, daß bei den niedersten Tierformen Phagoaytose die Phagozytose zweifellos im Dienste der Ernährungsfunktionen steht, et ja vielfach die einzige Möglichkeit darstellt, wie feste Körperchen auf- genommen und verdaut werden können. Auch bei den höheren Tieren besitzen die Phagozyten nun in exquisitem Maße den Charakter von Resorptionszellen. Überall, wo Gewebe zugrunde gehen, eingeschmolzen und resorbiert werden, erscheinen diese Zellen, um sich mit den Zer- fallsprodukten zu beladen; bei der Metamorphose der Insektenlarven, bei der Rückbildung des Schwanzes der Kaulquappen, bei der Ein- schmelzung des kartilaginösen Knochens und bei vielen anderen physio- logischen und pathologischen Prozessen scheinen dieselben eine hervor- ragende Rolle zu spielen; nicht selten findet man auch Phagozyten, welche rote Blutkörperchen oder deren Degenerationsprodukte, ja selbst kleinere Leukozyten eingeschlossen haben und offenbar in ihrem Innern ebenso verdauen und auflösen wie andere Gewebspartikelchen. Mehr als diese phagozytäre Resorption körpereigener Substanzen Aufnahme und Gewebsbestandteile interessiert uns jedoch hier der Vorgang der "armer Aufnahme und Verdauung fremden Zellmaterials, das z. B. in die Bauch- höhle von Versuchstieren eingebracht wurde. Nach einer intraperito- nealen Injektion von Gänseblut hat nun METSCHNIKOFF beim Meer- schweinchen folgende Beobachtungen machen können. Zunächst tritt, wie wir dies bereits früher geschildert haben, ein kurzes, vorübergehen- des Stadium der Leukopenie oder Phagolyse auf. Nachdem dieses überwunden ist, beginnen die Leukozyten immer reichlicher in der Peri- tonealflüssigkeit zu erscheinen, und zwar fallen neben den gewöhnlichen Mikrophagen besonders große Mengen von Makrophagen auf. Etwa 2—3 Stunden nach der Blutinjektion beginnen die letzteren feine Proto- plasmafortsätze auszustrecken und mit ihnen die Wand der roten Blut- körperchen zu berühren; Makrophagen und Erythrozyten verbacken hierbei zu größeren Klumpen, derart, daß oft ein Leukozyt von einer ganzen Reihe roter Blutzellen wie von einem Kranze umgeben ist. or Aufnahme fremder Erythro- zyten. Aufnahme von Sperma- tozoen. Aufnahme von Bak- terien. 92 VII. Die Phagozytose. Damit ist der Anfang für die Aufnahme der Erythrozyten durch die Makrophagen gegeben. Bald findet man dann eine größere Zahl der kernhaltigen roten Gänseblutkörperchen innerhalb von Leukozyten ge- legen. wobei einzelne besonders große Makrophagen bis zu 20 Erythro- zyten verschlingen können. Die aufgefressenen Blutzellen erscheinen zunächst äußerlich vollkommen normal. Setzt man jedoch einen Tropfen Neutralrotlösung zu einem Exsudattröpfchen hinzu, so erkennt man, daß die intrazellulär gelegenen Erythrozyten doch bereits eine Ver- änderung erlitten haben müssen. Ihre Kerne färben sich nämlich sehr schön mit Neutralrot, während die der extrazellulären Blutkörperchen vollkommen ungefärbt bleiben, auch wenn die letzteren bereits in den Bereich der Pseudopodien gelangt sind, welche von den Makrophagen zum Erythrozytenfang ausgeschickt werden. Allmählich erfahren die aufgenommenen Blutzellen dann noch weitere Veränderungen. Das Hämoglobin tritt aus ihnen aus und diffundiert in die Makrophagen, das Zelloprotoplasma wird ziemlich rasch verdaut und aufgelöst und nur der resistentere Zellkern hält sich noch lange — bis wochenlang — in den Leukozyten, wobei er allerdings in immer kleinere Fragmente zerfällt und schließlich in einen kaum mehr agnoszierbaren Detritus übergeht. Diese letzten Stadien des Auflösungsprozesses findet man allerdings gewöhnlich nicht mehr im Peritonealinhalte vor, sondern in den Mesenterialdrüsen, in der Leber und Milz, wohin sich die blut- körperchenhaltigen Makrophagen begeben, um daselbst ihre Verdauung zu vollenden. Ähnlich verlaufen die Resorptionsvorgänge, wenn andere fremde Zellarten in das Peritoneum der Versuchstiere eingebracht werden. Besonders eignen sich zum Studium dieser Verhältnisse die Spermatozoen von verschiedenen Säugetieren, so vom Stier, Kaninchen, Meerschweinchen usw. Auch in diesem Falle werden die oft noch lebhaft beweglichen Spermatozoen hauptsächlich von den Makrophagen aufgenommen, während sich die Mikrophagen bei weitem weniger an der Phagozytose beteiligen. Die Verdauungsvorgänge, welchen die aufgefressenen Spermatozoen unter- liegen, machen sich zuerst an ihrem Schwanzteil bemerkbar, später verfällt auch der Kopf und das Mittelstück der Samentierchen der Auflösung. Wie aus alledem hervorgeht, zeigen also die Phagozyten in ganz hervorragendem Maße den Charakter von Resorptions- zellen, die abgestorbene oder biologisch minderwertig ge- wordene Zellen des eigenen Organismus oder fremde Gewebs- bestandteile aufnehmen, verdauen und weiter transportieren. Es ist daher ganz selbstverständlich und eigentlich a priori zu erwarten, daß sich ihre phagozytäre Tätigkeit nicht auf Gewebselemente tierischer Herkunft beschränkt, sondern sich auch auf pflanzliche Gebilde, speziell auf die Bakterien erstreckt, und in der Tat sind die Bilder der bakterien- haltigen Leukozyten schon seit langer Zeit, man kann sagen, seit Be- ginn der bakteriologischen Ära, allbekannt. R. Koch hatte in seiner klassischen Arbeit über den Milzbrand mitgeteilt, daß Milzbrandbazillen, die in den dorsalen Lymphsack von Fröschen eingespritzt werden, sich nach einiger Zeit innerhalb von Rundzellen befinden und seither hat sich eine große Zahl von Forschern, an ihrer Spitze METSCHNIKOFF und seine Schüler, mit der Phagozytose der Bakterien eingehend be- schäftigt und eine Fülle von wichtigen Tatsachen zutage gefördert, welche wir hier nur in ihren Grundzügen darlegen können. VII. Die Phagozytose. 93 Während, wie wir früher gesehen haben, bei der Aufnahme der tierischen Gewebselemente vorwiegend die Makrophagen beteiligt sind und die Mikrophagen mehr in den Hintergrund treten, ist das Verhältnis bei den Bakterien meist gerade das umgekehrte. Hier sind es besonders die Mikrophagen, speziell die polynukleären Leukozyten, welche vor allen anderen mit der Einverleibung und Verdauung der Mikroorganismen beschäftigt sind. Nur bei einzelnen chronischen Infektionsprozessen tuberkulöser und aktinomykotischer Natur spielen die Makrophagen eine dominierende Rolle. Das Schicksal der ins Zellinnere aufgenommenen Bakterien ist dabei ein ganz ähnliches, wie wir es bei den aufgefressenen Blutkörperchen oder bei den Spermatozoen beschrieben haben. Besondere Aufschlüsse über die intrazellulären Vorgänge liefert hier wieder die Anwendung des EnkLicnschen Neutralrots, das in 1proz. Lösung die lebenden und freien Bakterien vollkommen farblos läßt, während es die von den Phagozyten aufgenommenen deutlich rotbraun tingiert. Diese Rotfärbung der intrazellulär gelegenen Bazillen hält jedoch nur solange an, als die Phagozyten am Leben sind; sterben dieselben ab, so kommt es allmählich wieder zu einer Entfärbung der Bazillen, und benutzt man von vornherein zur Untersuchung Exsudate, in welchen die Leukozyten getötet sind, so färben sich überhaupt weder die intrazellulären noch die freien Mikroorganismen mit dem Neutralrot. METSCHNIKOFF, der diese von PLato in Breslau herrührenden Beobachtungen bestätigen konnte, ist der Ansicht, daß die intrazelluläre Rotfärbung der Bakterien mit dem Auftreten saurer Reaktion in den digestiven Vakuolen der Phagozyten zusammenhängt und nimmt an, daß mit dem Tode der letzteren eine Vermischung der sauren Vakuolensäfte mit dem alkalischen Protoplasma stattfinde, wodurch die saure Reaktion verschwinde und Entfärbung der Bazillen und Bazillentrümmer eintrete. Die Phago- zytenverdauung geht also nach METSCHNIKOFF meist in einem schwachsauren Medium vor sich. Während die Bakterien un- mittelbar nach ihrer Aufnahme noch normale Formen aufweisen, er- scheinen sie später wie angefressen und angenagt und zerfallen vielfach in Körnchen, die, im Gegensatz zu den normalen Individuen, eosinophil sind und sich mit Methylenblau färben. Auch ganz gebliebene Bazillen werden nicht selten in Eosin-Methylenblaupräparaten bezw. Gram- präparaten rotgefärbt angetroffen, haben also eine tiefgreifende Ver- änderung erfahren, welche wohl als Vorstadium ihrer Auflösung auf- gefaßt werden muß. Wie GRUBER hervorhebt, kann diese intrazelluläre Bakterienauflösung z. B. bei der Phagozytose abgeschwächter oder kapsel- loser Milzbrandbazillen so schnell vor sich gehen, daß die Phagozyten oft schon nach wenigen Minuten ganz durchsetzt von rundlichen Saft- vakuolen erscheinen, die nur da und dort noch Reste von Bakterien enthalten. Viel wichtiger als diese immerhin nicht ganz uninteressanten Details der intrazellulären Vorgänge bei der Bakterienauflösung ist jedoch für uns die lange Zeit strittig gewesene Frage, ob die Phagozyten im- stande sind, lebende Bakterien im vollvirulenten Zustande aufzunehmen oder ob sich ihre phagozytäre Tätigkeit ledig- lich auf abgestorbene, durch die Körperflüssigkeiten bereits abgetötete Mikroorganismen beschränkt. Da METscHNIKOFF im Gegensatz zu den meisten deutschen Forschern in den Phagozyten die hauptsächlichste Waffe des Organismus gegenüber den Bakterien und anderen Krankheitserregern sieht, so war es für ihn von größter Intrazellu- läre Ver- dauung der Bakterien. Aufnahme lebender Bakterien. 94 VII. Die Phagozytose. Wichtigkeit, den Nachweis zu erbringen, daß in der Tat lebende Mikroorganismen in die Phagozyten einzudringen vermögen, und er hat daher große Mühe auf die Feststellung dieser für seine Theorie fundamentalen Tatsache verwendet. Mesxın hat unter seiner Leitung die Immunität gewisser Süßwasserfische gegenüber den Milzbrand- bazillen studiert und gefunden, dab zu einem gewissen Zeitpunkt, wo bereits alle Bazillen von den Phagozyten aufgenommen sind, dennoch das betreffende, aus dem Peritoneum stammende Exsudat noch seine vollen infektiösen Eigenschaften besitzt und imstande ist, Meerschwein- chen an allgemeiner Milzbrandinfektion sterben zu lassen. Ebenso kann man aus solchen, angeblich nur noch intrazellulär gelagerte Anthrax- bazillen enthaltenden Exsudaten auf geeigneten Nährsubstraten noch üppige Milzbrandkulturen erzielen, und zwar bis zu neun Tagen nach der Infektion der Versuchstiere, so daß es also wohl keinem Zweifel unterliegen kann, daß wirklich lebende und virulente Keime in die Phago- zyten gelangen. In analoger Weise hat TRAPEZNIKOFF gefunden, dab die weißen Blutkörperchen des Frosches Milzbrandbazillen und Sporen im lebenden Zustande auffressen, wobei die ersteren bald der Auflösung verfallen, während die Speren noch lange Zeit keimfähig bleiben. Ent- nimmt man z. B. einem Frosche, der vor längerer Zeit sporenhaltige Milzbrandbazillen injiziert erhalten hat, etwas Lymphe aus dem dorsalen Lymphsack, so kann man die Sporen auf geeigneten Nährböden aus- keimen und sich zu vollständig normalen Anthraxkolonien entwickeln sehen. Noch demonstrativer sind jedoch die Versuche, die METSCHNI- KOFF mit der SacHAROFFschen Spirille angestellt hat, einem Mikro- organismus, der bei Gänsen eine septikämieähnliche Erkrankung hervor- ruft und äußerlich eine große Ähnlichkeit mit der Rekurrensspirille besitzt. Man kann nämlich, wenn man spirillenhaltiges Gänsenblut in die Bauchhöhle des Meerschweinchens einbringt, die Phagozytose an einem Tröpfchen des Exsudates direkt unter dem Mikroskop beobachten und sehen, wie die Spirillen von den Pseudopodien der Leukozyten — hier sind es die Makrophagen — ergriffen werden. Dabei machen die Mikroorganismen nach der Schilderung METSCHNIKOFFS äußerst heftige Bewegungen, als ob sie der Verfolgung der Phagozyten ent- gehen wollten. Ja selbst, wenn ein Teil der Spirillen bereits von dem Protoplasma der amöboiden Blutzellen umflossen ist, soll sich der freie Teil derselben noch lebhaft weiterbewegen, und diese Bewegungen sollen Abtötung erst dann zur Ruhe kommen, wenn das ganze Spirillum in dem Phago- gtem liest. Bei Versuchen mit Bacterium coli und typhi hat man die Phagozyten. Bazillen sogar innerhalb der Phagozyten, in den Ernährungsvakuolen, noch deutliche aktive Bewegungen ausführen gesehen. Nach alledem scheint also die Frage der intravitalen Aufnahme der Bakterien durch die Phagozyten zweifellos im Sinne METSCHNI- KOFFS entschieden zu sein. Damit ist jedoch natürlicherweise durchaus nicht gesagt, daß alle Mikroben im lebenden Zu- stand von den Freßzellen inkorporiert werden. Es ist vielmehr sicher, daß ein großer Teil derselben bereits extrazellulär geschädigt, getötet, ja bereits in Granula zerfallen sein kann, ehe er in die Phago- zyten gelangt. Dazu kommt noch, daß es als zum mindesten sehr zweifelhaft bezeichnet werden muß, ob die von den Phagozyten im lebenden Zustand aufgenommenen Bakterien wirklich inner- halb der Zellen abgetötet werden, eine Frage, die sich uns bereits bei der Erwähnung der früher mitgeteilten Experimente der METSCHNI- VI. Die Phagozytose. 95 Korrschen Schule aufdrängen mußte, und die von manchen Forschern, wie von BAUMGARTEN, auf Grund neuerer Experimente sogar strikte verneint wird, während andere Autoren, wie WERBITZKI sich etwas vor- sichtiger äußern und eine Vernichtung von Bakterien durch Phagozyten in vitro derzeit für unerwiesen erklären, die Möglichkeit einer intrazellulären Abtötung im Tierkörper aber zugeben. Jedenfalls ist sicher, dab es trotz möglichst gering bemessener Bakterienaussaat und trotz aller möglichen Modifikationen der Methodik fast niemals gelungen ist, durch Phagozytose im Reagenz- glas eine vollkommene Vernichtung der ausgesäten Keime zu erzielen, während dies, wie wir noch sehen werden, bei Anwendung selbst nur schwach bakterizider Sera leicht zu erreichen ist. Aber, wenn man auch diesen bakteriziden Reagenzglasversuchen Zerstörung geringere Bedeutung zuzuschreiben geneigt sein sollte und die Abtötung a der Bakterien durch die Phagozyten auf Grund der mikroskopischen die Pak- Befunde von intrazellulärem Bakterienzerfall für bewiesen erachtet, kann ; nicht geleugnet werden, daß sich die von den Phagozyten aufgenommenen Keime sogar unter Umständen in ihrem Innern lebhaft ver- mehren können und sie dann schließlich zu Grunde richten. So ist ja allgemein bekannt, daß die Phagozytose der Tuberkel- bazillen durch Riesenzellen meist zum Untergang der letzteren und nicht zur Auflösung der Bakterien führt. In solchen Fällen können die Phagozyten den durch die bakteriziden Körpersäfte bedrohten Bakterien geradezu eine schützende Zufluchtsstätte darbieten und durch ihre Wanderungen sogar der Metastasenbildung Vorschub leisten. Man hat übrigens allen Grund zu der Annahme, daß sich die verschiedenen Bakterienarten in dieser Beziehung sehr wesentlich von einander unter- scheiden und daß speziell Tuberkelbazillen, Leprabazillen und Staphylo- kokken der intrazellulären Vernichtung ganz besonders großen Wider- stand entgegenzusetzen vermögen. Ob daher der Phagozytose ein ausschlaggebender Einfluß auf den günstigen Verlauf einer Infektionskrankheit zuzuschreiben ist, läßt sich auf Grund der Beobachtungen METSCHNIKOFFS und seiner Schüler nicht einwandfrei entscheiden. Dazu gehört vielmehr der Nachweis, dab einerseits die Phagozytose wirklich quantitativ über die anderen Arten der Bakterienvernichtung, die dem infizierten Organismus zur Verfügung stehen, überwiegt, und daß sich andererseits ein unbedingter Parallelismus zwischen der Ausdehnung der phagozytären Vorgänge und dem Verlauf der Krankheit konstatieren läßt. Die erste dieser beiden Thesen wird, wie wir bereits gesehen haben, energisch von den deutschen Immunitäts- forschern bekämpft, und wir haben in einer unserer früheren Be- sprechungen eine aus dem PFEIFFERschen Institut hervorgegangene Arbeit von RapzıEwsky näher kennen gelernt, welche gerade das Über- wiegen der extrazellulären Bakterienauflösung über die intrazelluläre, innerhalb der Phagozyten sich abspielende, mit besonderer Energie betont. Hingegen hat METSCHNIKOFF im Verein mit seinen Schülern für den Parallelismus zwischen Phagozytose und Krankheitsverlauf ein un- Phagozytose geheures Tatsachenmaterial zusammengebracht, dem auch in Deutsch- ini Krk land die Anerkennung nicht versagt werden konnte. Selbst Kruse, der sonst METSCHNIKOFFS Anschauungen durchaus nicht teilt, konnte nicht umhin, in Früsses Handbuch der Mikroorganismen zu betonen, „daß es feststeht, daß der Prozeß der Phagozytose außerordentlich weit verbreitet ist und gerade da regelmäßig sich einstellt, 96 VII. Die Phagozytose. wo die Infektion für den Organismus eine günstige Wendung nimmt, d. h. im relativ unempfindlichen Tier und bei relativ schwachem Virus, während er zu fehlen oder zurückzutreten pflegt bei raschem, siegreichem Verlauf der Infektion“. Es sei gestattet, diese wichtige Tatsache durch einige Beispiele zu beleuchten. Wenn man bei einem Kaninchen unter die Haut des einen Ohres Einfiuß der abgeschwächte Milzbrandbazillen, ein sog. Milzbrandvakzin, injiziert, unter lag die Haut des anderen Ohres dieselbe Dosis virulenter Milzbrandbazillen, zytose. so ist die lokale Reaktion, die sich auf beiden Seiten einstellt, sehr auffallend verschieden. In dem mit Vakzin infizierten Ohr kommt es zu einem zirkumskripten eiterigen Exsudat mit massenhafter Phagozytose. Am anderen Ohre hingegen beobachtet man nur ein blutig-seröses Exsudat, das keine oder nur sehr wenig Leukozyten enthält und von welchem aus die Allgemeininfektion des Tieres ausgeht. Injiziert man einem Tiere nur das Vakzin, so bleibt die Erkrankung lokalisiert, und — wie METSCHNIKOFF annimmt — sind es gerade die Phagozyten, welche der Ausbreitung der Milzbrandbazillen eine unübersteigliche Schranke entgegensetzen. Daß hierbei die weißen Blutkörperchen ihre phagozytären Eigenschaften nur den abgeschwächten Bazillen gegenüber entfalten, die virulenten dagegen unberührt lassen, ist wohl nicht auf eine Schädigung der Leukozyten durch die Giftwirkung der virulenten Keime, auch nicht ausschließlich auf negativ chemotaktische Wirkungen derselben zu beziehen. Denn in vielen Fällen von vollvirulenter Milz- brandinfektion ist deutlich zu beobachten, daß zwar reichlich Leukozyten durch die Bakterien angelockt werden, daß sie aber trotz erhaltener amöboider Beweglichkeit und trotz intensiver Freßtätigkeit anderen, nicht virulenten Bakterienarten gegenüber, die Milz- brandbazillen unberührt lassen. Wir haben diese „Phagozytose- resistenz‘‘ virulenter Bakterien bereits in einem früheren Kapitel kennen gelernt und gesehen, daß sie höchstwahrscheinlich mit der Kapsel- hülle bezw. Membranverdickung zusammenhängt, welche die virulenten Keime im tierischen Organismus ausbilden, und welche sie sowohl vor den bakteriziden Serumwirkungen wie vor der Aufnahme durch die Phagozyten schützt. Läßt dieses Beispiel den Einfluß sehr deutlich hervortreten, den der Virulenzgrad der infizierenden Mikroorganismen auf das Zustande- kommen der Phagozytose ausübt, so soll das nachfolgende Exempel den Parallelismus zwischen der Unempfänglichkeit einer Tierspezies für einen bestimmten Krankheitserreger und der Aktivität seiner Phago- zyten dartun. Phagozytose Im Gegensatz zum Meerschweinchen und Kaninchen, die bekanntlich fänglichen für Milzbrand außerordentlich empfänglich sind, ist die weiße Ratte Tierspezies. Jurch eine gewisse Resistenz gegenüber diesem Mikroorganismus aus- gezeichnet, die zwar keine absolute ist, aber doch manchmal sehr hohe (Grade erreichen kann, so daß man diese Tiere lange Zeit für milz- brandimmun gehalten hat. Zwar hat Brnurıne darzutun gesucht, daß diese Immunität eine lediglich humorale sei, bedingt durch die starke bakterizide Kraft des Rattenserums; METSCHNIKOFF hat jedoch beobachtet, daß gerade bei den Ratten eine starke phagozytäre Reaktion gegen die Einimpfung des Anthraxbazillus stattfindet, die jedenfalls viel intensiver ist, als bei den beiden vorgenannten Tierspezies, den Kaninchen und Meerschweinchen. METSCHNIKOFF hält es daher für erwiesen, daß diese VII. Die Phagozytose. 97 starke Beteiligung der Leukozyten — in diesem Falle sind es die Mikro- phagen — für das Schicksal der Tiere das Ausschlaggebende sei und daß Kaninchen und Meerschweinchen nur deshalb so empfindlich gegen die Anthraxinfektion sind, weil ihre Phagozyten nicht die Kraft besitzen, die Bazillen erfolgreich anzugreifen. Es ist wohl überflüssig, noch weitere Beispiele für diesen Paral- lelismus beizubringen. Alle von METScHNIKOFF in dieser Richtung an- geführten Tatsachen zeigen genau dasselbe Gepräge, und wir könnten nichts anderes tun, als das bereits Gesagte für andere Mikroorganismen und Tierspezies umschreibend zu wiederholen. Dadurch würde aber unsere Darstellung in den Fehler der Eintönigkeit verfallen, ohne dabei irgend an Klarheit zu gewinnen. Wir wollen vielmehr sofort darangehen, diese Tatsachen kritisch zu beleuchten und zu erwägen, ob dieselben wirklich dafür beweisend sind, was METSCHNIKOFF und seine Schule aus ihnen herausliest. Sucht man dieselben ganz objektiv, ohne jeglichen Versuch einer Interpreta- tion, auszusprechen, so kann man sagen, daß eine gewisse Koinzi- denz besteht zwischen dem Grade der phagozytären Vorgänge und der Resistenz der Versuchstiere gegenüber dem betref- fenden Krankheitserreger. Welches der beiden koinzidierenden Phänomene jedoch das primäre, welches das sekundäre ist, mit anderen Worten: welches von beiden die Ursache des anderen ist und ob die- selben überhaupt zu einander in einem Kausalitätsverhältnisse stehen — das ist nicht ohne weiteres zu entscheiden und müßte erst besonders untersucht werden, eine Aufgabe, die allerdings nicht gerade zu den leichtesten gehört. METSCHNIKOFF nimmt es, wie wir gesehen haben, für erwiesen und selbstverständlich an, daß die Phagozytose die Ursache, der glück- liche Ausgang der Infektionskrankheit hingegen die Wirkung sei. Die meisten deutschen Immunitätsforscher, unter ihnen KRUSE und PFEIFFER, kehren jedoch dieses Kausalitätsverhältnis geradezu um und meinen, die Phagozytose trete erst dann ein, wenn das Schicksal der in- vadierenden Mikroorganismen bereits durch andere — näm- lich bakterizide Kräfte — entschieden sei. Da, wie wir gesehen haben, bei resistenten Tierspezies, besonders aber bei immunisierten Tieren, ein sehr ausgedehnter extrazellulärer Bakterienzerfall stattfindet, der an Schnelligkeit die Auflösungsvorgänge bei nichtimmunen Tieren weitaus übertrifft, so ist es leicht verständlich, warum bei den ersteren, wo in kurzer Zeit große Mengen der Bakterieninhaltsstoffe in Lösung gehen, die Leukozyten rascher angelockt werden, als im letzteren Falle. Das Erscheinen der Phagozyten auf dem Kampfplatze ist nach dieser Auffassung nur ein Symptom für die Tatsache, daß eine starke Bakte- rienauflösung vor sich geht. Zwar kann, wie Kruse zugibt, die Phago- zytose bereits beginnen, während der Kampf noch tobt, sie erreicht aber ihren Höhepunkt erst nach dem Ende desselben — mit anderen Worten: die Phagozyten spielen nicht, wie METSCHNIKOFF will, die Rolle von Kampfzellen, sondern sie sind die Totengräber, die die Bakterienleichen aufnehmen und forttransportieren oder, wie BAUMGARTEN sich sehr anschaulich ausdrückt, die Phagozyten erscheinen nur als die Hyänen des Schlachtfeldes, nicht als die Helden des Tages. Aber selbst wenn man die Richtigkeit dieser Auffassung von der Tätig- keit der Phagozyten zugibt, so darf man doch andererseits nicht ver- gessen, daß auch damit noch dem infizierten Organismus ein Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 7 Bedeutung der Phago- zytose. Phagozytose bei Opium- narkose. 98 VD. Die Phagozytose. außerordentlich wichtiger Dienst geleistet wäre, indem gleich- zeitig mit der Fortschaffung der bereits geschwächten oder abgetöteten Bakterien eine Entgiftung der Bakterienleiber, mindestens aber eine erheblich verlangsamte Resorption der Giftstoffe verbunden wäre, die an und für sich für den Verlauf des Krankheitsprozesses von aus- schlaggebender Bedeutung werden könnte. Dementsprechend hat denn auch PETTERSSON zeigen können, daß man Meerschweinchen ein bedeu- tendes Multiplum der dosis letalis minima von abgetöteten Cholera- vibrionen ohne Schaden in die Bauchhöhle injizieren kann, wenn man gleichzeitig große Mengen von lebenden Meerschweinchenleukozyten miteinspritzt, ein Beweis dafür, dal die weißen Blutkörperchen tat- sächlich die Fähigkeit besitzen, die Gifte der Vibrionenleiber unschäd- lich zu machen. Um übrigens den Parallelismus von Phagozytose und Krankheits- verlauf noch von einer anderen Seite her zu studieren, haben ÜAnTA- CUZENE und GHEORGIEWSKY, zwei Schüler METsScHNIKoFrFrs, Versuche an mit Opium behandelten Tieren angestellt, bei welchen die Diapedese der Leukozyten erheblich verzögert ist. Auch hier starben die narkoti- sierten Tiere regelmäßig an der Infektion, während die Kontrolltiere mit dem Leben davonkamen, und die beiden Autoren betrachten diese Experimente als weitere Stütze für METsScHnIKoFrrs Theorie. Bei Lichte besehen, beweisen dieselben jedoch nicht mehr, als daß zwei gleichzeitig einwirkende Schädigungen schlimmer sind als eine einzige und dab die- selben in ihrem Vereine imstande sein können, ein Tier zu töten, das jeder einzelnen von ihnen Widerstand zu leisten vermöchte. Zweifel- los ist ja bei der Opiumnarkose nicht nur die Diapedese, son- dern sicher auch eine große Zahl anderer feinerer Zellfunk- tionen gestört, und man kann daher garnicht beurteilen, welche dieser verschiedenen Störungen an der Herabsetzung der Resistenz der betreffenden Tiere Schuld tragen. Wie man daher die Sache auch drehen mag, es bleiben stets die beiden gegensätzlichen Auffassungen möglich und denkbar. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß sich gerade in jüngster Zeit auch unter den deutschen Immunitätsforschern ein ge- wisser Umschwung zugunsten der Phagozytenlehre bemerkbar zu machen beginnt, insofern als man heute der bakterienvernichtenden Wirkung der Leukozyten neben der der Körpersäfte denn doch eine größere Rolle im Kampfe mit den Mikroorganismen zuzuschreiben geneigt ist, als noch vor einigen Jahren. Besonders dürften hierfür die interessanten, später noch ausführlicher zu besprechenden Entdeckungen von WRIGHT und DousLas und von NEUFELD und Rımpau ausschlaggebend gewesen sein, welche im normalen wie im Immunserum phagozytosebeför- dernde Stoffe, die sog. Opsonine bezw. Bakteriotropine nachweisen konnten, Stoffe, welche die Bakterien zwar an und für sich nicht zu schädigen scheinen, wohl aber ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den Phagozyten bedeutend herabsetzen und sie für die Aufnahme durch die Leukozyten geeignet machen. Die Phagozytose, die sich im Verlaufe der Infektionsprozesse einstellt, erscheint infolge dieser wichtigen Ent- deckungen in einem ganz neuen Lichte und stellt sich somit nicht mehr als eine lediglich zelluläre Reaktion dar, sondern erscheint vielmehr bedingt und bestimmt durch die besondere Beschaffenheit der Körpersäfte. Es ist wohl zu erwarten, daß das Studium dieser merkwürdigen „opsonischen‘‘ Eigenschaften des Blutserums dazu beitragen wird, die VII. Die Phagozytose. 99 beiden in Fehde liegenden Schulen, die sich in der letzten Zeit bereits in manchen strittigen Punkten verständigen konnten, einander noch näher zu bringen. Allem Anschein nach war eben die Alternativfrage- stellung „Bakterizidie oder Phagozytose“, welche die Position dieser beiden Schulen lange Zeit hindurch charakterisierte, von vornherein eine verfehlte und einseitige, und mul) beiden Abwehrvorrichtungen bei einer alle bekannten Tatsachen berücksichtigenden Theorie der Infektion in gleicher Weise Rechnung getragen werden. Literatur. METSCHNIKOFF, Die Immunität bei Infektionskrankheiten, übersetzt von Meyer, 1902. MassarT und BorDET, Journ. p. p. la Soc. Roy. Bruxelles 1890. Leser, Fortschritte der Medizin, 1888. PIERRALLINI, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1897, Römer, Berliner klin. Wochenschr., 1891; Virchows Arch., 1892. E»ruich und Lazarus, Die Anämie, 1898. Praro, Arch. f. mikroskop. Anatomie, 1900. TRAPEZNIKOFF, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1891. v. BEBRınG, Zentralbl. f. klin. Med., 1888. CANTACUZENE, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1898. GHEORGIEwsKY, Ann, de l’Inst. Pasteur, 1899. BAUMGARTEN, Münchn. med. W. 1908; Biochem. Zeitschr. Bd. 11, 1908. WERBITzKI, Arch. f, Hyg. Bd. 70, 1909. 7r Bakterizide Reagenzglas- versuche. Methodik. VII. Die bakteriziden und globuliziden Wirkungen der Körperflüssigkeiten. I. Wir haben in einer der letzten Vorlesungen gesehen, daß ein recht beträchtlicher Teil der Mikroorganismen, welche sich im Verlaufe von Infektionskrankheiten im Tierkörper entwickeln und vermehren, daselbst einem extrazellulären Zerstörungs- und Auflösungsvorgang unterliegt, der auch dann stattfindet, wenn die Mikroorganismen in ihrem Kampfe mit dem Makroorganismus den Sieg davontragen und das erkrankte Individuum zugrunde richten. Da in den Reinkulturen solcher Mikro- organismen ein derartiger rapider Zellverfall, wenigstens in den ersten Tagen, wo die Ernährungsbedingungen für die Bakterien noch günstige sind und schädliche Stoffwechselprodukte noch nicht in größerer Menge gebildet wurden, nicht zu beobachten ist, so ist es klar, daß die be- sonderen biologischen Verhältnisse, die im Tierkörper obwalten, für diese Bakterienvernichtung verantwortlich zu machen sind, und wir müssen uns daher die Frage vorlegen, worin denn diese Verhältnisse bestehen und was wir als Ursache der beobachteten bakteriziden Wir- kungen anzusehen haben. Es hat diese Frage für uns eine um so größere Bedeutung, als sie, wie wir noch sehen werden, aufs innigste mit dem Problem der Immunität verknüpft erscheint. Da, wie gesagt, der Bakterienzerfall im Tierkörper zum großen Teil extrazellulär vor sich geht, also in der lokal angesammelten Ex- sudationsflüssigkeit bezw. im Blutserum, so lag es nahe, diese beiden Flüssigkeiten auch extra corpus, in vitro auf Bakterien einwirken zu lassen und festzustellen, ob auch in diesem Falle eine Abtötung und Auflösung derselben eintritt. In der Tat hat man sich schon seit langem bemüht, bei den verschiedenen Körpersäften bakterienfeindliche Eigen- schaften, bakterizide Wirkungen festzustellen. Wir wollen den histo- rischen Entwicklungsgang dieses Forschungsgebietes hier nicht im ein- zelnen darlegen, sondern nur hervorheben, daß sich die ersten eingehenden Studien über die bakterizide Kraft des Blutes an die Namen von FoDor, NvrraLL und Buchser knüpfen, im übrigen aber versuchen, die wich- tigsten sichergestellten Tatsachen in Kürze wiederzugeben. Die Methodik derartiger „bakterizider Versuche“ gestaltet sich im allgemeinen recht einfach. Einige Kubikzentimeter der zu prüfenden Flüssigkeiten werden mit einer bestimmten Menge einer Bakterienauf- “ schwemmung, die entweder mittels sterilisierter Pipette oder mittels kalibrierter Öse entnommen wird, versetzt, und dann werden sofort von dem gut durchschüttelten Gemische Gelatine- oder Agarplatten ge- gossen, um die Größe der anfänglichen Bakterienaussaat zu bestimmen. Vorteilhaft ist es dabei, gleichzeitig zur Kontrolle dieselbe Bakterien- menge in einen guten Nährboden, wie Bouillon, zu übertragen und VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 101 von demselben in gleicher Weise Platten anzulegen, eine Vorsichtsmaß- regel, deren Sinn noch später klar werden wird. Dann werden die in- fizierten Flüssigkeiten in den Brutschrank gebracht und in verschiedenen Zeitintervallen, !/,, 1, 2, 4 Stunden usw. neuerdings nach der Platten- methode auf ihren Keimgehalt untersucht. Nach 24 bezw. 48 Stunden werden dann die Platten, auf denen die ausgesäten Keime zu makro- skopisch sichtbaren Kolonien herangewachsen sind, entweder im WOLFF- HÜGEL’schen Zählapparat unter Zuhilfenahme der Lupe durchmustert oder aber nach NEIssER unter dem Mikroskope bei schwacher Vergrößerung gezählt. Da während des Zeitraums, welchen die infizierten Flüssigkeiten Deutung der im Brutschranke verweilen, nicht nur eine Abtötung von Mikroorga- ""#ebrisse. nismen vor sich geht, sondern gleichzeitig auch eine mehr oder minder lebhafte Teilung und Vermehrung stattfindet, so ist es klar — und wurde auch bereits bei einer anderen Gelegenheit hervorgehoben — dab die auf dem eben geschilderten Wege erhaltenen Keimzahlen kein direktes Bild von dem absoluten Werte des Bakterienzerfalls liefern, sondern nur anzeigen, um wieviel die Zerstörung der Keime deren Ver- mehrung überwiegt. Beispielsweise könnte also in dem Falle, wo die Keimzahl sich dauernd auf gleicher Höhe erhält, wo also ein bakterizider Effekt scheinbar nicht vorhanden ist, dennoch ein sehr beträchtliches Sterben unter den Bakterien stattgefunden haben, das aber durch eine ebenso rasche Vermehrung derselben verdeckt würde. Ergeben die Ver- suche jedoch eine deutliche Keimabnahme, so ist es im allgemeinen wohl zweifellos, daß eine starke Abtötung der Bakterien stattgefunden haben muß, die wegen der gleichzeitig eingetretenen Keimvermehrung sogar noch größer sein muß, als aus dem Resultate der Plattenzählung direkt abzulesen ist, und in diesem Sinne kann die Platten- methode sehr gut als Kriterium für die bakterizide Kraft der betreffenden zu prüfenden Flüssigkeiten gelten. Um eine ungefähre Vorstellung von dem Verlaufe eines derartigen bakteriziden Experimentes zu geben, habe ich in der beistehenden kleinen Tabelle einige Versuchsprotokolle wiedergegeben, welche BucHNER in seiner grundlegenden Arbeit über die bakterienfeindlichen Wirkungen des Blutes niedergelegt hat. Kolonienzahl Substrat Aussaat sofort nach nach nach Impfung 2 Stunden | 5!/, Stunden Hund, Peptonblut | Typhusbazillen 1253 129 | N) 4340 136 | 1 4510 68 | 2 I Defibriniertes Milzbrandbazillen 284 53 8 Kaninchenblut sporenfrei 512 21 8 375 12 | 0 Kaninchenserum Milzbrandbazillen 3326 | 5 0 Typhusbazillen 1162 | 29 0 Schweinerotlauf- bazillen 504 471 791 Einfluß der Bakterien- art. Einfluß der Aussaat- größe. 102 VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Wie wir aus dieser Zusammenstellung entnehmen können, hat so- wohl das Peptonblut, d. h. Blut von Tieren, welche eine Peptoninjektion erhalten hatten, um die Gerinnbarkeit desselben aufzuheben, als auch defibriniertes Blut und Blutserum eine ziemlich starke bakterizide Wir- kung auf Milzbrand- und Typhusbazillen ausgeübt, während die Schweine- rotlaufbazillen keine Keimverminderung erkennen ließen. Damit nun die keimtötenden Kräfte der tierischen Gewebssäfte möglichst deutlich in Erscheinung treten können, müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, auf welche wir jetzt etwas näher eingehen müssen. Erstens sind, wie schon aus dem eben erwähnten Verhalten der Schweinerotlaufbazillen hervorgeht, durchaus nicht alle Bakterienarten der Einwirkung dieser Grewebsflüssigkeiten zugänglich; besonders die Streptokokken, Pneumokokken und manche andere Krankheitserreger zeigen weder im normalen Blutserum, noch — wie ich gleich hinzu- fügen möchte — im Immunserum irgend eine Andeutung einer Schä- digung, geschweige denn Abtötung, und auch bei sonst empfindlichen Arten finden sich nicht selten sogenannte „serumfeste‘“ Stämme. Ferner ist selbstverständlich, daß die Zahl der Mikroorganismen, die durch eine bestimmte Serummenge abgetötet werden kann, eine ganz bestimmte und beschränkte ist und daß bei Überschreitung einer gewissen Aussaatgröße nach oben ein bakterizider Effekt nicht mehr oder wenigstens nicht mehr so deutlich auftreten wird. Auch für diesen Einfluß der Aussaatgröße auf den Ausfall der bakteriziden Versuche sei ein Beispiel aus BucHNErs Arbeit angeführt. Kolonienzahl Aussaatmenge Iyphusbazillen aokdkt nach nach nach $ 3 Stunden |6!/, Stunden | 48 Stunden Groß 14 273 50 10 [6°) 12 398 49 4 [6°) 18 938 42 7 fee) 539 12 524 6 Mittel 530 11 | 0 3 0 6 0 Dasselbe lehrt uns, daß zwar nach 6!/, Stunden der Keimgehalt auch bei jenen Röhrchen, die mit großen Bakterienmengen (Bac. typhi) beschickt worden waren, ganz beträchtlich gesunken ist, so daß sich um diese Zeit kein wesentlicher Unterschied gegenüber den Proben mit geringer Einsaat bemerken läßt. Ganz anders war jedoch das Ergebnis nach 48 Stunden. Die Proben mit kleiner oder mittlerer Aussaat waren vollkommen steril geworden. es hatte also eine vollkom- mene Abtötung der Typhusbakterien stattgefunden, bei jenen Proben hingegen, welche mit großen Bakterienmengen beschickt worden waren, war auf das anfängliche Stadium der Keimverminderung eine ausgiebige Vermehrung erfolgt, so daß nach 48 Stunden die Zahl der auf den VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 103 Platten zur Entwicklung gekommenen Kolonien nicht mehr bestimmbar war. Hätte man die Größe der Bakterieneinsaat noch weiter gesteigert, so wäre zweifellos das Stadium der Keimverminderung immer weniger deutlich ausgeprägt gewesen, bis schließlich von Anfang an nur eine Keimvermehrung zur Beobachtung gekommen wäre. Ein bestimmtes quantitatives Verhältnis zwischen Bakterienmenge und Serum- menge muß also eingehalten werden, um das Optimum der bakteriziden Wirkung zu erhalten. Eine dritte Bedingung ist die, daß das bakterizide Medium auch Einflus be- in genügend innige Berührung mit den Mikroorganismen treten kann. rerigg 2 BucHNeEr hat dies durch einen sehr instruktiven Versuch illustriert. Serums. In zwei mit gleichen Serummengen beschickte Röhrchen wurden je ein Tropfen einer Bakterienaufschwemmung eingebracht, und zwar in das eine Röhrchen direkt, in das andere in der Weise, dab er zunächst auf ein steriles Wattebäuschchen aufgetropft wurde, welches dann in die Flüssigkeit eingetaucht wurde. Während das erstere der beiden Röhr- chen eine sehr beträchtliche keimtötende Wirkung erkennen ließ, war in dem zweiten sogar eine Keimvermehrung eingetreten ; offenbar kann die bakterizide Flüssigkeit in den engen Maschenräumen des Wattebausches nicht genügend frei zirkulieren, so daß also nur eine ganz geringe Serummenge mit den Bakterien in Berührung kommt, die zu ihrer Abtötung bei weitem nicht hinreicht. Eine ähnliche Erklärung dürfte auch die vielfach bestätigte Tatsache finden, daß an Seidenfäden ange- trocknete Milzbrandbazillen im Gegensatz zu den freiliegenden in bak- terizidem Serum ohne jede Behinderung zum Auswachsen kommen können; nicht nur die in den kapillaren Spalten des Fadens gelegenen Keime, sondern auch die an der Außenseite desselben klebenden werden an der Seide, wie LINGELSHEIM sich ausdrückt, eine gewisse Rücken- deckung erfahren, die sie vor der Serumwirkung zu schützen vermag. Endlich sei noch bemerkt, daß starke Agglutination der Bakterien ebenfalls einen gewissen Schutz für die zentral gelegenen Keime dar- bieten dürfte. Ein weiterer wichtiger Faktor für den Verlauf bakterizider Ver- Eintus des suche ist der Nährstoffgehalt der betreffenden Flüssigkeit. Es ist ja ger einleuchtend, daß die Mikroorganismen bei ihrer großen Anpassungs- fähigkeit an die verschiedensten ungünstigen Lebensbedingungen die Schädigungen bakterizider Flüssigkeiten um so leichter überstehen werden, je günstiger gleichzeitig ihre Ernährungsverhältnisse liegen, je bessere Nährstoffe sie vorfinden. In der Tat kann man bakterizide Sera durch Zusatz von Peptonlösungen und dergleichen zu günstigen Nährsubstraten für die Bakterien machen, wofür wieder ein Versuch BucHNErs ange- führt werden mag. Kolonienzahl (Typhusbazillen) Substrat fort nach nach en 2 Stunden | 4°/, Stunden lcem Serum + 9 cem NaCl . = 1080 | 1 0 lccm Serum + 3 ccm Peptonlösung E= 6 cem Nall . 1130 1555 | 2575 lcem Serum + 6 ccm _ Peptonlösung H | 3 ccm Nall. . 20 | 768 | 783 000 104 VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Bakterienfeindliche und ernährende Wirkungen können also trotz ihrer Gegensätzlichkeit gleichzeitig in demselben Substrat nebeneinander bestehen, ein Satz, der in seinen Konse- quenzen wieder auf jene bereits mehrfach hervorgehobene Tatsache hin- führt, daß neben dem Absterben von Keimen in bakteriziden Flüssig- keiten auch eine Vermehrung stattfindet. Es ist dies um so weniger zu verwundern, als wir ja wissen, daß die Bakterien einer Kultur durch- aus nicht alle gleiche Beschaffenheit besitzen, sondern verschiedene Alters- und Resistenzstufen darstellen — die sich, nebenbei gesagt, auch durch ihre verschiedene Affinität zu den Farbstoffen unterscheiden — so dab also ein Teil derselben der schädigenden Wirkung des Serums erliegt. ein anderer Teil jedoch in den nährenden Eigenschaften der Flüssigkeit genügende Förderung findet, um die Schädigung mit Erfolg zu überstehen. Ähnlich wie ein Nährstoffzusatz zum Serum wirkt nach BucHxeEr mehrfaches Gefrierenlassen und Wiederauftauen von Blut, welches hier- durch lackfarben wird und seine bakterizide Wirkung einbüßt, indem Substanzen aus den Erythrozyten austreten, die das Bakterienwachstum befördern. Zellfreies Serum hingegen wird durch diese Prozeduren in seiner Wirksamkeit garnicht beeinfinßt; stellt ja doch das Einfrieren der Sera sogar das beste Mittel dar, um ihre Aktivität zu konservieren. Bemerkt sei übrigens, daß der Einfluß der Nährkraft des betref- fenden Substrates auf die bakterizide Wirkung nicht nur beim Serum hervortritt, sondern auch bei anorganischen und organischen Desinfek- tionsmitteln bekannter Konstitution zu beobachten ist, also ein ganz all- gemein gültiges Phänomen darstellt. So hat z. B. Buchner festgestellt, daß die tötende Wirkung des Natriumsalizylates mit wachsendem Zusatz nährender Stoffe allmählich erlahmt. Diese Art von Abschwächung der Wirkung bakterienfeindlicher Stoffe darf natürlich nicht mit derjenigen verwechselt werden, bei welcher das Desinfiziens selbst mit den Nähr- stoffen eine Verbindung eingeht und dadurch unwirksam gemacht wird, wie das z. B. für das Sublimat bekannt ist. Wodurch kann nun die bakterizide Wirkung des Serums beein- flußt werden? Auch über diese Frage hat Buchwer eine Reihe wich- tiger Aufschlüsse gegeben, die zugleich einen Anhaltspunkt für die Natur dieser Wirkungen geliefert haben. Zunächst hat Buchner festgestellt, daß Kaninchenserum, dessen Barünb, der alkalische Reaktion durch Essigsäurezusatz abgestumpft worden war, "* seine bakterizide Kraft gegen Typhusbazillen ganz unverändert bewahrt hat, daß die letztere also nicht direkt und ausschließlich durch den Alkaligehalt des Serums bedingt sein kann. von LinGELSHEIM, der diese Beobachtung bestätigen konnte, hat jedoch ge- zeigt, daß die tötende Wirkung des Serums gegenüber den Anthrax- bazillen sich in dieser Beziehung anders verhält und durch die Neutra- lisierung erheblich herabgesetzt wird, so daß also jedenfalls eine allgemeingültige Beziehung zwischen Alkaleszenz und bak- terizider Wirkung nicht besteht und die Bedeutung derselben für jedes Serum und jede Bakterienart gesondert festzustellen wäre. Immerhin ist von großem Interesse, daß nach Untersuchungen von HamBuRrGEerR das Serum, welches aus venösem Blute, besonders aber aus Stauungsblut gewonnen wird und das sich dem „arteriellen“ Serum gegenüber durch stärkere Alkaleszenz auszeichnet, auch gegen Staphylococcus aureus und gegen Milzbrandbazillen weit wirksamer ist. HamBURrGeEr hält es daher für unzweifelhaft, daß die günstigen Erfolge VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 105 der Bıerrschen Stauungsmethode auf einer Vermehrung des durch die Hyperämie frei gemachten, bakterizid wirkenden Alkalis beruhen. Weitere Experimente BucHners haben dann gezeigt, daß weder Einfus des der Kohlensäure- noch der Sauerstoffgehalt des Serums einen Einfluß auf dessen Bakterizidie ausübt, daß hingegen der Salzgehalt von aller- größter Bedeutung für die keimtötende Wirkung ist. Unterwirft man nämlich aktives Serum der Dialyse, so geht dasselbe seiner Wirksam- keit vollkommen verlustig, ein Effekt, den man auch durch Verdünnung mit destilliertem Wasser erzielen kann. Verdünnt man das Serum hin- gegen mit physiologischer Kochsalzlösung oder dialysiert man es nicht gegen reines Wasser, sondern ebenfalls gegen 0,7 °/, Salzlösung, so bleibt die bakterizide Kraft des Serums vollkommen erhalten. Welcher Art diese nicht zu bestreitende Bedeutung der Salze für die bakteri- ziden Wirkungen ist, darauf werden wir noch zurückzukommen haben. Endlich hat Buchser den Einfluß der Erwärmung auf die bak- terienfeindlichen Eigenschaften des Serums untersucht und in Überein- stimmung mit einer früheren Beobachtung NurrarLıs gefunden, dab längere Erhitzung auf 55— 60° die keimtötenden Wirkungen vollkommen aufhebt oder, wie man sich mit einem allgemein angewendeten Terminus technicus ausdrückt, das Serum inaktiviert. Auch mit diesem merk- würdigen Vorgange, der in der thoretischen Immunitätslehre eine große Bedeutung erlangt hat, werden wir uns noch zu beschäftigen haben. Bis jetzt haben wir die Tatsachen der bakteriziden Serumwirkungen lediglich beschreibend dargestellt und mit Absicht keinerlei Deutungs- und Erklärungsversuche einfließen lassen. Es sind daher die bisher mitgeteilten Angaben über die Bakterizidie lediglich als Ausdruck der beobachteten Tatsachen anzusehen und sind als solche frei von jedem Hpypothesenwerk. Man hat sich jedoch begreiflicherweise frühzeitig ver- anlaßt gesehen, weiter in die Analyse dieser Erscheinungen einzudringen und nach einer Erklärung derselben zu suchen, welche über die bei denselben ins Spiel kommenden Kräfte Aufschluß geben sollte. Hier beginnen nun sofort die Meinungsdifferenzen. Wir wollen hier nicht eine historische Entwicklung all der Streitfragen geben, die sich an das Problem der bakteriziden Wirkungen anknüpfen — wir wollen vielmehr die beiden heute noch einander gegenüberstehenden Standpunkte in Kürze darzulegen versuchen und dann erwägen, welcher von denselben am meisten Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann und mit den Tatsachen am besten übereinstimmt. Die eine Auffassung der beschriebenen Phänomene, welche Baux- GARTEN und seine Schule, sowie den Botaniker A. Fischer zu Ver- fechtern hat, basiert ungefähr auf folgenden Überlegungen. Wie andere zellige Gebilde, so stellen auch die Bakterien ein von einer semiper- meablen Membran umgebenes osmotisches System dar, das sich zwar innerhalb gewisser Grenzen durch seine vitalen Regulationsvorrichtungen an osmotische Schädigungen akkommodieren kann, bei Überschreitung dieser Grenzen hingegen zu Grunde geht. Nach Fischer zerfallen nun die Bakterien mit Rücksicht auf ihr osmotisches Verhalten zu den anorganischen Salzen, Zuckerlösungen usw. in zwei Gruppen, als deren Repräsentanten der Milzbrandbazillus einer- seits, der Choleravibrio andererseits aufgeführt werden. Die eine Gruppe umfaßt die permeablen Arten, deren Protoplasma bezw. Membran also für die genannten Stoffe vollkommen durchgängig ist (Bac. anthracis, subtilis, mesentericus, proteus, Sarcinen, Staphylokokken, wahrscheinlich Salzgehalts. Inaktivie- rung des Serums. Osmotische Theorie der Serum- wirkung. Permeabili- tät der Bakterien- membran. Verhalten permeabler Bakterien. Verhalten im- permeabler Bakterien. Plasmolyse. Plasmo- ptyse. 106 VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Tuberkel- und Diphtheriebazillen). Die zweite Gruppe hingegen ist die der impermeablen Arten, deren Wandung dem Durchtritt der Salze einen mehr oder weniger bedeutenden Widerstand entgegensetzt und der der Vibrio Cholerae, die Spirillen, Bact. typhi, coli, pyocyaneum usw. angehören. Diese beiden Gruppen von Mikroorganismen müssen sich nun osmotischen Störungen gegenüber, die durch Konzentrationsänderungen ihres umgebenden Mediums bedingt sind, sehr verschieden verhalten. Die permeablen Arten werden wegen der leichten Passierbarkeit ihrer Membran in Lösungen, deren osmotischer Druck weit von ihrem eigenen entfernt ist, rasch Salze aus der Umgebung aufnehmen bezw. an die- selbe abgeben und auf diese Weise schnell wieder ins osmotische Gleich- gewicht mit ihrer Umgebung gelangen, ohne schwerere Schädigungen da- vonzutragen. Es sind eben, wie sich FiscHER ausdrückt, rein osmo- tische Störungen, inLösungenaller Stoffe, für die die betreffende Bakterienart ganz permeabel ist, vollkommen ausgeschlossen. Von solchen Konzentrationen, bei welchen Giftwirkungen, Eiweißfällungen u. dgl. nicht mehr rein osmotische Vorgänge stattfinden, muß natürlich hier abgesehen werden. Anders die impermeablen Arten. Werden solche in hyper- osmotische Flüssigkeiten eingebracht, so kann ein Ausgleich der osmo- tischen Druckverhältnisse innerhalb und außerhalb der Zelle nicht durch Salzwanderung zustande kommen, für die die Zellmembran eben nicht befähigt ist. Hingegen tritt Wasser aus dem Bakterieninhalte aus, und zwar so lange, bis die Salzkonzentration im Innern ent- sprechend zugenommen hat und das osmotische Gleichgewicht wieder- hergestellt ist. Da bei diesem Wasseraustritt oft eine Schrumpfung und Ablösung des Protoplasmas von der Zellmembran stattfindet, so hat man diesen Vorgang als Plasmolyse beschrieben. Die bei manchen Bakterien so häufig zu beobachtenden „Polfärbungen“, bei denen die tingible Substanz an die beiden Pole des Stäbchens gerückt ist, während das Zentrum hell und farblos erscheint, sind nichts anderes als der Ausdruck einer Plasmolyse, die meist dadurch zustande kommt, daß beim Eintrocknen der auf das Deckgläschen ausgestrichenen bakterien- haltigen Flüssigkeit eine allmähliche Konzentrationserhöhung und damit eine Zunahme des osmotischen Druckes stattfindet. Wenn auch diese plasmolytischen Veränderungen der Mikroorganismen zweifellos unter günstigen Umständen wieder zurückgehen können, so stellen sie doch sicher eine nicht unbeträchtliche Schädigung des Zellebens dar und können bei höheren Graden sogar zum Absterben der Bakterien führen. Es kann aber auch geschehen, daß unter dem Einfluß des hohen osmotischen Außendruckes doch langsam Salz in die wenig permeable Zelle eindringt, und zwar allmählich in solcher Menge, daß es im Innern zu einer kolossalen Drucksteigerung kommt, welche die Membran sprengt und den Protoplasmainhalt in Form einer Kugel hervorpreßt — ein Vorgang, der natürlich von noch größerer Gefahr für das Bakterien- leben begleitet ist. FıscHEr bezeichnet denselben als Plasmoptyse. Bei manchen Mikroorganismen, wie bei Choleravibrionen, tritt die Plasmo- ptyse als eine häufig in älteren Kulturen zu beobachtende Involutions- erscheinung auf; auch das bereits mehrfach erwähnte PrEıiFFERsche Phänomen wird von FıscHEr als eine besonders lebhafte Plasmoptyse aufgefaßt. VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 107 Nun können aber osmotische Störungen noch auf andere Weise bei den Bakterien zustande kommen, als durch brüske Konzentrations- änderungen des umgebenden Mediums, nämlich durch eine plötzliche Änderung der Permeabilität ihrer Membran, wie eine solche durch manche Chemikalien hervorgerufen wird. Besonders scheinen in dieser Beziehung schwache Säuren und Alkalien eine Rolle zu spielen, die ja auch bei den Zellen höherer Pflanzen die Permeabilität ganz bedeutend erhöhen und dadurch bewirken, daß dieselben ihre Plasmo- lysierbarkeit vollkommen verlieren. Zweifellos muß eine derartige Alte- ration der normalen osmotischen Konstanten des Systems von schweren nutritiven Störungen begleitet sein, die sich zum mindesten in starker Schwächung und äußerster Empfindlichkeit gegen die geringfügigsten Schädigungen dokumentieren, welche im gesunden Zustand anstandslos überwunden werden. Aus dieser kurzen Abschweifung von unserem Thema dürfte klar geworden sein, daß in der Tat osmotische Störungen, sei es, dab sie als Konzentrationsänderungen der umgebenden Flüssigkeit oder als Permea- bilitätsänderungen der Bakterienmembran auf die Mikroorganismen ein- wirken, zweifellos imstande sein können, dieselben schwer zu schädigen und selbst zu vernichten. Wir haben nun nur noch die Anwendung auf die Verhältnisse zu machen, die bei den bakteriziden Experimenten mit Serum oder anderen Gewebsflüssigkeiten bestehen. Der Gang dieser Versuche erfordert, wie wir bereits gesehen haben, einen zweimaligen Wechsel des Nährsubstrates, in dem sich die Mikro- organismen befinden. Zuerst werden nämlich die Bakterien aus dem Kulturmedium, auf welchem sie sich entwickelt hatten, in das betreffende zu prüfende Serum übertragen, von diesem aber nach einiger Zeit be- hufs Anlegung von Plattenkulturen wieder auf unsere Nährböden zurück- gebracht. Nun entspricht der osmotische Druck des Blutserums nach Hınu- BURGER ungefähr einer 0,92°/,igen Kochsalzlösung. Unsere Nährbouillon, die in gewöhnlicher Weise unter Zusatz von 0,5°/, Kochsalz hergestellt wird, besitzt hingegen nach Analysen von v. LINGELSHEIM eine 0smo- tische Spannung, entsprechend einer 0,67 °/,igen Kochsalzlösung. Bei dem Wechsel des umgebenden Mediums, welchen die Bakterien im Ver- laufe des bakteriziden Experimentes erfahren, haben dieselben also beide Male eine Konzentrationsänderung entsprechend 0,25°/, — (0,92—0,67) Kochsalz zu überstehen, und es fragt sich nun, ob diese Konzentrations- änderung hinreicht, um den bakteriziden Effekt des Serums zu erklären, wie BAUMGARTEN und FISCHER behaupten. v. LinGELSHEIM hat zur Entscheidung dieser Frage eine große Reihe sehr sorgfältiger Experi- mente angestellt, von denen wir hier nur das Ergebnis anführen können, daß die bakteriziden Wirkungen von Salzlösungen nur bei sehr geringer Aussaat mit denen des Serums zu vergleichen sind, daß hingegen bei Verwendung etwas reichlicherer Bakterienmengen die Keimverminderung durch Salzlösung ganz in den Hintergrund tritt, meist sogar in Keim- vermehrung umschlägt, während die bakterizide Serumwirkung sehr deutlich zutage tritt. Noch deutlicher geht die Unzulänglichkeit dieses osmotischen Erklärungsversuches aber aus der Tatsache hervor, daß Erhöhung des Salzgehaltes bakterizider Sera — sei es, daß dieselbe durch Einengung oder durch Zusatz von Blutsalzen bewirkt wird — nicht, wie es die Theorie erfordern würde, die bakterizide Kraft des Serums vermehrt, sondern im Gegenteil beträchtlich herabsetzt und so- Permea- bilitätsände- rung. Osmotische Störungen beim bakteriziden Versuch. Permea- bilitätsände- rung im Serum. Buchners Alexin- theorie. 108 VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. gar vollkommen aufheben kann, obwohl der Konzentrationssprung, dem die Bakterien bei ihrer zweimaligen Überimpfung unterworfen sind, hierbei ein noch viel größerer ist, als bei Verwendung unveränderten Serums. In dieser Form ist also die osmotische Theorie der bakteri- ziden Wirkungen nicht aufrecht zu erhalten und FiscHer hat in seinen Vorlesungen über Bakterien nunmehr selbst zugegeben, daß er die Bedeutung dieser osmotischen Störung, die durch die Kon- zentrationsdifferenzen zwischen Serum und Kulturmedium bedingt sind, früher erheblich überschätzt habe. Um so größeres Gewicht legt jedoch Fiscuer auf die zweite Art osmotischer Schädigungen, die wir früher kennen gelernt haben, auf die Permeabilitätsänderung der Bakterienmembran. Das Serum enthält nämlich eine innerhalb ziemlich weiter Grenzen schwankende Menge alkalisch reagierender Salze, die das Protoplasma und die Wan- dung der Bakterien permeabel machen, ihren Turgor herabsetzen und dadurch das osmotische System stören sollen. Durch das Alkali ent- turgorisiert, wie sich FISCHER ausdrückt, „können die Bakterien nicht mehr wachsen, und sterben, weil das zum Leben unentbehrliche osmo- tische System vernichtet ist“. Daß den Alkalien in der Tat eine der- artige deletäre Wirkung auf Bakterien zukommen kann, geht aus der Tatsache hervor, daß Milzbrandbazillen, die in 0,92°/,iger Kochsalz- lösung keine Schädigung erfahren, durch Zusatz der geringen Menge von 0,04°/, Soda abgetötet werden können. Da die alkalische Reak- tion des Blutes etwa 0,1—0,2°/, Na,0O, entspricht, so wäre es also auf den ersten Blick durchaus nicht unplausibel, mit FiscHEr die Serumwirkung lediglich als Alkaliwirkung aufzufassen. Bei näherer Betrachtung stellen sich jedoch auch dieser modifi- zierten osmotischen Theorie nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten ent- gegen. Daß die Aufhebung der Serumalkaleszenz nicht konstant und nicht allen Bakterienarten gegenüber von einer Abnahme der bakteriziden Wir- kung gefolgt ist, haben wir bereits früher hervorgehoben. Weit schwer- wiegender ist jedoch, daß die genannte schädigende Wirkung der Alkalien überhaupt nur in nährstoffreier Lösung zutage tritt, daß hingegen eine entsprechend hohe Alkaleszenz im Serum an und für sich nicht bakterizid wirkt, da ein Zusatz der alkalisch reagierenden Blutsalze sogar die abtötende Fähigkeit des Serums auf- zuheben vermag. Die Alkaleszenz des Serums kann daher kaum die Ursache der bakteriziden Wirkung sein, wenn auch ihr Einfluß auf die- selbe ohne Zweifel zugegeben werden muß, und so kann uns denn die osmotische Theorie auch in ihrer erneuten Fassung keine befriedigende Deutung dieser Phänomene geben. Daraus ergibt sich für uns die Berechtigung, auch die zweite — der historischen Entwicklung nach ältere — Theorie der bakteriziden Wirkung kennen zu lernen und ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen. Es ist seit langem bekannt, daß im Blute und in den Gewebs- säften eine Reihe wirksamer Substanzen zirkulieren, die man allgemein als Fermente anzusprechen gewohnt ist. So spricht man von einem glykolytischen, d. i. zuckerzerstörenden, von einem amylolytischen, Stärke verzuckernden, von einem lipolytischen, d. i. fettspaltenden Blutfermente, wozu noch tryptische, peptische Fermente usw. hinzukommen. Es war daher von vornherein gewiß nicht unplausibel, auch die bakteriziden Serumwirkungen auf derartige aktive Substanzen zurückzuführen, und in der Tat hat Bucuxer die Hypothese aufgestellt, daß aktive Eiweiß- VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 109 körper oder — eine Auffassung, der er sich später zuneigte — direkt proteolytische Fermente die Ursache der Bakterienabtötung durch die Körpersäfte darstellen. Um die wichtige Rolle, welche diesen Fermenten im Kampfe des Organismus gegen die Infektionserreger zukommen müßte, auch äußerlich durch einen Namen zu charakterisieren, be- zeichnete BUCHNER diese hypothetischen wirksamen Stoffe als Alexine Alexine und oder Schutzstoffe, und seine Theorie hat daher ganz allgemein den ONE Namen Alexintheorie erhalten. In der Tat sind nun eine Reihe von Eigentümlichkeiten, die wir bei der Betrachtung der bakteriziden Wirkungen kennen gelernt haben, mit der Annahme fermentativer Pro- zesse recht gut vereinbar. Die große Empfindlichkeit der wirksamen Substanzen des Serums gegen Erhitzung, ihre Inaktivierbarkeit, ist eine Eigenschaft, die wir bekanntlich in ausgedehntem Maße bei den En- zymen zu beobachten Gelegenheit haben. Wir wissen ferner, daß die fermentativen Wirkungen, ebenso wie die bakteriziden, an die Anwesen- heit gewisser Neutralsalze gebunden sind, jedoch durch einen Über- schuß derselben gehemmt werden. Endlich ist ja der Einfluß der chemischen Reaktion auf den Verlauf der fermentativen Prozesse — man denke an die Pepsin- und Trypsinverdauung — eine ganz allgemein bekannte Tatsache und es wäre daher von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet durchaus nicht merkwürdig oder verwunderlich, wenn, wie wir gesehen haben, manche bakterizide Wirkungen des Serums an alkalische Reaktion geknüpft erscheinen. In dem Kapitel über die Anaphylaxie werden wir übrigens noch eine Reihe von Tatsachen kennen lernen, welche direkt dafür sprechen, daß bei den Iytischen Vorgängen fer- mentative Eiweißspaltungen stattfinden, die zur Entstehung von pepton- artigen Abbauprodukten führen. Nur eine Tatsache erscheint FiscHErR mit der Annahme eines besonderen wirksamen Stoffes, eines Alexins, unvereinbar, und wir müssen daher auf dieselbe kurz eingehen. Jedes Gift oder Ferment — so meint FiscHEr —, das in einer bestimmten Zeit, etwa in einer Stunde, x Bakterien zu vernichten vermag, muß a fortiori imstande sein, in der gleichen Zeit die geringere Zahl von 3 abzutöten. Nun begegnet man aber manchmal bei bakteriziden Versuchen Ver- hältnissen, wie sie etwa in der beiliegenden Tabelle zu beobachten sind. Versuch mit defibriniertem Blut. Aussaat: Choleravibrionen. nach in 2 Stunden | Bulant | 2 Stunden abgetötet I 9154 2 065 7089 II 24 800 11 481 13 319 III 40 096 19 203 26 893 Obwohl, wie aus derselben zu entnehmen ist, im Versuch III, also bei sehr großer Bakterienaussaat, 26893 Choleravibrionen vernichtet wurden, zeigte sich die gleiche Blutmenge doch nicht imstande, die un- gefähr dreimal geringere Aussaat des Versuches I vollkommen abzu- töten. Es wurden vielmehr in diesem Falle nur 7089 Vibrionen zer- stört. Dieser Widerspruch erscheint FiscHER so fundamental, daß er Hämo- lytischer Versuch. 110 VIOI. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. allein schon genüge, um das Alexin in den umfangreichen Kodex jener nicht bestehenden „ine“ zu verweisen, mit der die namensfreudige Forschung der letzten Jahre uns beschenkt habe. Dennoch ist dieser Widerspruch nur ein scheinbarer. v. Lin@ELs- HEIM macht mit vollem Recht darauf aufmerksam, daß das in Rede stehende Phänomen durchaus nicht die Regel bei bakteriziden Ver- suchen darstellt, sondern besonders dann zustande kommt, wenn, wie in dem oben speziell angeführten Falle, die keimtötende Kraft des Serums eine sehr geringe ist. Da nun, wie wir bereits mehrfach be- tont haben, das Bakterienmaterial in einer Kultur durchaus nicht ein- heitlich und homogen ist, sondern sich in derselben neben widerstands- fähigeren Exemplaren stets auch schwächlichere und empfindlichere Individuen vorfinden, so ist klar, daß einem wenig wirksamen Serum gegenüber nur die letzteren gefährdet erscheinen, die vollkräftigen Exemplare hingegen von der Schädigung verschont bleiben werden. Da nun aber weiterhin bei großer Bakterienaussaat naturgemäß auch eine größere Zahl derartiger dekrepider Individuen in das Serum über- tragen wird, als bei kleiner Aussaat, so ist es eigentlich ganz selbst- verständlich, daß im ersteren Falle mehr Keime abgetötet werden müssen, als im letzteren, und der fundamentale Widerspruch, den FiscHER in dieser prozentualen Abtötung gegenüber der Alexin- theorie zu sehen glaubte, löst sich somit in vollkommen befriedigender Weise auf. Noch deutlichere Anhaltspunkte für die Existenz besonderer bak- terizider Substanzen, als sie die eben erwähnten mannigfachen Analogien mit den Fermenten zu liefern vermochten, hat jedoch das Studium einer zweiten Eigenschaft des Serums zutage gefördert, die in vielen Punkten große Ahnlichkeit mit seinen keimtötenden Fähigkeiten aufweist, einer eingehenden Analyse jedoch viel leichter zugänglich erscheint: das Studium der hämolytischen Serumwirkungen. Bei dieser Gelegenheit mag zunächst daran erinnert sein, daß viele wohldefinierte chemische Substanzen imstande sind, Hämolyse hervorzurufen, wie Alkohol, Äther, Chloroform, Toluol, ferner alle Alka- lien, Seifen, die Grallensäuren, Sublimat und eine ganze Reihe von Saponinsubstanzen, wie Solanin, Saponin, Cyclamin, Digitalin usw. Es sind dies zum größten Teil Stoffe, die durch ein besonderes Lösungs- vermögen für die Zelllipoide ausgezeichnet sind. Wie man seit langem weiß, besitzt aber auch das Blutserum vieler Tiere die Eigenschaft, Blutkörperchen fremder Spezies zur Auflösung zu bringen oder, richtiger gesagt, derart zu schädigen, daß es zum Austritt des Hämoglobins, zum Lackigwerden der betreffenden Blutmischung kommt. Denn die Blutkörperchenstromata bleiben bei dem Vorgange der Hämolyse meist erhalten. Bei der großen Wichtigkeit, welche hämolytische Versuche heute für die ganze Immunitätslehre besitzen, sei es gestattet, die technische Ausführung derselben in Kürze zu skizzieren. Nach dem Vorgange von EurLıchn und MORGENROTH verwendet man ganz allgemein bei diesen Experimenten 5°/,ige Aufschwemmungen von defibriniertem Blut in 0,85 °/,iger Kochsalzlösung. Durch wieder- holtes Waschen mit der Salzlösung und nachfolgendes Zentrifugieren des Blutgemisches müssen jedoch die gleichzeitig vorhandenen Spuren von Blutserum vorher entfernt werden, da sie, wie wir später noch sehen werden, die Versuchsresultate unter Umständen zu trüben ver- mögen. VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 111 Eine Reihe kleiner Reagenzröhrchen wird nun mit je einem Kubik- zentimeter dieser Blutaufschwemmung beschickt und dann steigende Mengen des betreffenden hämolytischen Serums zugesetzt, worauf alle Röhrchen durch Zusatz entsprechender Mengen Kochsalzlösung auf gleiches Volumen gebracht werden. Dann kommen sie auf zwei Stunden in den Brutschrank, der auf 37° eingestellt ist, und schließlich in den Eisschrank. Während ihres Verweilens bei höherer Temperatur müssen dieselben wiederholt gründlich durchgeschüttelt werden, um alle Blut- körperchen mit dem wirksamen Serum möglichst in Berührung zu bringen; im Eisschrank setzen sich dieselben jedoch bald zu Boden, während die darüberstehende klare Flüssigkeit eine mehr oder minder intensive Rotfärbung aufweist. Der Vergleich der verschiedenen Reagenz- röhrchen miteinander läßt nun leicht zwei Grenzwerte der hämolytischen Wirkung unterscheiden: der eine derselben ist dadurch charakterisiert, daß eine komplette Lösung der Blutkörperchen stattgefunden hat und die Flüssigkeit vollkommen lackfarben ist. Der andere Grenzwert zeigt die Blutkörperchen eben noch vollständig erhalten, die überstehende Flüssigkeit ist klar und farblos. Um wieder einen ungefähren Begriff von dem Verlauf eines der- artigen Versuches zu geben, reproduziere ich hier ein Versuchsprotokoll, das sich auf die Einwirkung des Entenserums auf Kaninchenblutkörper- chen bezieht. Kaninchenblut | Entenserum (5°/,) een nach 2 Stunden 1 ccm 0,01 0 Er; 0.02 0 2 0,03 mäßige Lösung ie 0,04 sehr starke Lösung 194; 0,05 vollständige Lösung 1 ” 0,06 ” „ Wie man sieht, bildet 0,02 den unteren, 0,05 den oberen Grenz- wert der hämolytischen Serumwirkung. Schon BucHxer hatte nun bei seinen Alexinstudien festgestellt, daß die globuliziden Wirkungen des Blutserums ganz ähnlichen Gesetzen gehorchen wie die bakteri- ziden. Insbesondere zeigt sich die hämolytische Fähigkeit ebenso empfindlich gegen die Einwirkung höherer Temperaturen, wie die keim- tötende Kraft des Serums, und erlischt etwa bei halbstündiger Er- wärmung auf 55—60°. Diese Inaktivierbarkeit des Serums war nun von Anfang an eine besondere Schwierigkeit für die osmotischen Theorien. Für die bak- teriziden Wirkungen hatte man sich allerdings mit der gewiß wenig _ plausiblen Annahme über dieselbe hinweggesetzt, daß das Serum erst durch die Erhitzung zu einem guten Nährboden für die Bakterien werde, in dem die nicht assimilierbaren nativen Eiweißkörper bis zu einem gewissen Grade denaturiert und abgebaut würden. Oder man nahm an, daß beim Erhitzen die alkalische Reaktion des Serums herabgesetzt werde und dadurch auch dessen bakterizide Wirkung ab- nehme. Inaktivie- rung hämo- lytischer Sera. 112 VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Für die globuliziden Wirkungen des Serums sind natürlich alle die Erklärungen von vornherein hinfällig. Denn einerseits spielt ja natürlich die Assimilierbarkeit der im Serum enthaltenen Eiweißkörper hier, wo es sich um rote Blutkörperchen handelt, absolut keine Rolle, andererseits ist es unmöglich, die hämolytischen Vorgänge als Alkali- wirkung des Serums zu deuten, da ja die Erythrozyten an die Alka- leszenz des Serums angepaßt sind und da überdies die fünf- bis zehn- fache Verdünnung, welche das Serum bei dem Zusatz zur Blutauf- schwemmung erfährt, die Möglichkeit jeder derartigen grob osmotischen Störung von vornherein ausschließt. Die Unterschiede der Alkaleszenz und des osmotischen Druckes sind ja bei dem Blutserum der höheren Wirbeltiere, um die es sich zumeist bei diesen'hämolytischen Versuchen handelt, stets nur ganz minimale. Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, daß diese globuli- ziden Serumwirkungen in der Tat auf eine besondere, thermo- labile Substanz bezogen werden müssen, und die bereits er- wähnten großen Analogien mit den bakteriziden Wirkungen lassen einen ähnlichen Schluß auch für die letzteren als gerechtfertigt erscheinen. Buchxers Alexintheorie erhielt daher durch das Studium dieser hämo- Iytischen Phänomene eine nicht zu verachtende Stütze, und dies ist der Grund dafür, daß wir hier noch etwas tiefer in deren Wesen einzu- dringen versuchen, zumal sich hierbei Befunde ergeben werden, die für die Entwicklung der ganzen Immunitätslehre von größter Bedeutung geworden sind. Einfluß der Die blutlösende Wirkung der Sera geht am raschesten und ie sichersten bei Bruttemperatur, bei 37°, vor sich. Bei niederer Tem- Hämolyse. peratur verläuft die Hämolyse viel langsamer, und bei 0—3°, im Eis- schrank, kann man die Röhrchen stundenlang stehen lassen, ohne daß die Spur eines Hämoglobinaustrittes aus den Blutkörperchen zu be- obachten wäre. Bringt man nun eine derartige, längere Zeit im Eisschranke ge- standene Mischung von Blutkörperchen und Serum auf die Zentrifuge Absorptions- und prüft die klare ungefärbte Flüssigkeit, die sich hierbei ergibt, versuch. urch Zusatz frischer Blutkörperchen auf ihre hämolytische Kraft, so findet man bei Einhaltung geeigneter quantitativer Verhältnisse, daß die- selbe vollkommen unwirksam geworden ist. Die abzentrifugierten roten Blutkörperchen müssen also dem Serum irgend einen für die Hämolyse wichtigen Stoff entzogen haben, vielleicht sogar das wirksame Agens selbst, das sogenannte Hämolysin. Ganz analoge Beobach- tungen kann man für die bakteriziden Wirkungen des Blutserums an- stellen. Setzt man einem bakteriziden Serum eine bestimmte Menge abgetöteter und durch wiederholtes Waschen von den anhängenden Stoff- wechselprodukten befreiten Bakterien zu, läßt eine Weile einwirken und entfernt dann die Mikroorganismen wieder durch die Zentrifuge, so ist das Serum nicht mehr imstande, eine Einsaat der gleichen Bakterienart abzutöten. Also auch hier eine Absorption wirksamer Serum- bestandteile durch die zugesetzten geformten Elemente. — Mischt man nun aber ein derartiges, durch Absorption unwirksam ge- wordenes hämolytisches Serum mit einer gewissen Menge inaktivierten, auf 55—60° erhitzten Serums, das an und für sich selbst in sehr großen Dosen keine blutlösenden Eigenschaften besitzt, so beobachtet man nunmehr in vielen Fällen, d. h. bei den Seris vieler Tierspezies, prompte Hämolyse — eine äußerst wichtige Tatsache, die von EHRLICH VIH. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 113 und MOoRGENROTH zuerst festgestellt worden ist und von einer großen Zahl von Nachuntersuchern vollständig bestätigt werden konnte. Das Charakteristische und Auffallende dieses Phänomens liegt also darin, daß zwei für sich allein gegenüber den Blut- körperchen vollkommen inoffensive Flüssigkeiten bei ihrer Vermischung hämolytische Eigenschaften erwerben. Ösmotische Störungen und Alkaliwirkungen sind natürlich hier, wo es sich um Vermischung isotonischer Flüssigkeiten von dem für die Blutkörperchen zuträglichen Alkaleszenzgrade handelt, gänzlich ausgeschlossen, und die nächstliegende und einfachste Erklärung, die man für die in Rede Komplexer stehenden Tatsachen finden kann, ist daher wohl die, daß an der Hä- Hämolysins. molysinwirkung zwei verschiedene Komponenten beteiligt sind. Die eine derselben, diejenige, welche von den roten Blutkörperchen, wie wir früher gesehen haben, absorbiert wird, müßte hierbei als thermostabil angenommen werden, da sie in dem inaktivierten Serum noch enthalten ist, die andere Komponente hingegen wäre als thermolabil zu denken, und beide in ihrer Vereinigung würden nach dieser Auffassung erst jenes wirksame Agens darstellen, das wir als Hämolysin bezeichnet haben. Aus Gründen, die später noch klarer einleuchten werden, be- zeichnen EHRLICH und MORGENROTH die thermolabile Komponente als Komplement Komplement, die thermostabile als Ambozeptor oder Zwischen- Ambozeptor. körper. Da, wie früher bemerkt, der thermostabile Anteil des Hämolysins, der Ambozeptor, an die roten Blutkörperchen in der Kälte gebunden werden kann, das labile Komplement jedoch in der Flüssigkeit zurück- bleibt, so bietet sich uns eine zweite Modifikation des eben erwähnten Versuches dar, aus welchem wir auf die Komplexität des Hämolysins geschlossen haben. Man bringt frisches, aktives hämolytisches Serum bei 0° mit den gewaschenen Erythrozyten zusammen, zentrifugiert nach zwei Stunden ab und läßt dann die klaren Abgüsse einerseits auf ge- wöhnliche Blutkörperchen einwirken, andererseits auf solche, welche sich bereits mit dem Ambozeptor beladen haben. Im ersteren Falle bleibt dann die Hämolyse aus, da auf die Blutkörperchen nicht das volle Hämolysin einwirkt, sondern nur das für sich allein nicht lösende Komplement; im zweiten Falle hingegen, wo die Blutkörperchen schon den erforderlichen Ambozeptor gebunden haben, der durch den Zusatz des komplementhaltigen Zentrifugates zu dem ganzen Hämolysin ver- vollständigt wird, komplettiert wird, wie man sich ausdrückt, sind alle Bedingungen für die Hämolyse erfüllt, die denn auch ohne Zögern vor sich geht. Ein von Sachs, einem Schüler ErurricHs, mit- geteiltes Beispiel mag der größeren Anschaulichkeit halber hier Platz finden. Die zum Verständnis erforderlichen Daten sind in der Ta- belle selbst notiert, so daß wir keine nähere Erläuterung hinzuzufügen brauchen. (S. Tabelle p. 114.) Noch ein anderes Verfahren haben EurrıcH und seine Schüler Gegenseitige mit großem Erfolge angewendet, um die komplexe Natur der Hämoly- “nk ar sine des normalen Blutserums zu demonstrieren. Es gelingt nämlich Ser ver ohne Schwierigkeit, eine Reihe von Seren zu finden, die zwar selbst Tierspezies. nicht imstande sind, gewisse Arten von roten Blutkörperchen zur Auf- lösung zu bringen, aber im Verein mit inaktiviertem Serum anderer Tierspezies hämolytisch wirken. Die inaktiven Sera liefern hierbei, nach Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 8 Wirkung des Komple- ments auf arteigene Blut- körperchen. 114 VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Absorption des Kaninchenserums durch Hammelblut bei 0°. Komplett lösende Dosis Kaninchenserum: 0,25 ccm Menge des zur Lösungsfähigkeit der Abgüsse für Absorption verwendeten u Kaninchenserums b) Hammelblut, mit inaktiv. a) natives Hammelblut Kaninchenserum vorbehandelt 0,6 Spur komplette Lösung 0,45 komplette Lösung 0,35 fast komplette Lösung 0,25 0 | sßj m 02 mäßige Lösung 0,0 0 EnrrticHs Ausdrucksweise, die hämolytischen Ambozeptoren, die aktiven Sera hingegen fungieren als Komplementquellen, und so finden sich also bei dieser Versuchsanordnung die zur Hämolyse erforderlichen Kompo- nenten nicht, wie früher, aus dem Serum einer einzigen Tierspezies, sondern aus zwei verschiedenartigen Seren zu gemeinsamer Wirksam- keit zusammen. Um einige Beispiele hierfür anzuführen, so hat Sachs gefunden, daß 1. aktives Meerschweinchen-, Ochsen-, Ziegen- und Hammelserum Komplemente enthält, die den auf Kaninchen- blut wirkenden Ambozeptor des (inaktiven) Hundeserums zum vollen Hämolysin vervollständigen; 2. für den auf Kaninchenblut wirkenden Ambozeptor des Ochsenserums wirkt komplettierend: Meerschweinchen-, Kaninchen- und Rattenserum; 3. für den auf Meerschweinchenblut wirkenden Ambozeptor des Rinderserums enthält geeignete Komplemente: Meer- schweinchenserum, Menschenserum, Rattenserum, Pferdeserum und in geringerem Grade auch Hammel- serum. Wie man sieht, ist durchaus nicht jede Serumart zur Komplettie- rung jeder anderen geeignet; insbesondere pflegen die Sera von Tieren, die ihrem zoologischen Verwandtschaftsgrade nach sehr weit voneinander abstehen, wie z. B. die der Vögel und Säugetiere, sich gegenseitig nicht zu aktivieren. Besonders interessant ist aber, daß, wie aus dem letzten der eben angeführten Beispiele hervorgeht, ein Blutserum auch Komplemente ent- halten kann, welche durch Vermittlung eines geeigneten fremden inaktiven Serums die arteigenen Blutkörperchen zur Auf- lösung bringen. So aktiviert frisches Meerschweinchenserum den Ambozeptor des erhitzten Rinderserums und löst infolgedessen die Erythrozyten des Meerschweinchens auf. Da natürlich das aktive Serum für die Blutkörperchen desselben Tieres vollkommen unschädlich ist und auch das inaktive Rinderserum keine lösende Wirkung entfaltet, so de- monstriert diese Tlatsache noch eindringlicher als die früher vorgebrachten die charakteristische Eigentümlichkeit des Aktivierungsphänomens. Zu- gleich beweist sie aber, daß das Komplement erst dann auf die Blutkörperchen einzuwirken vermag, wenn es einen ge- eigneten Ambozeptor vorfindet. VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 115 Wenn nun auch für eine große Zahl von Serumarten die komplexe Natur ihres Hämolysins wahrscheinlich gemacht wurde, so hat sich doch für einige derselben dieser Nachweis bis jetzt noch nicht führen lassen. Besonders bei dem so intensiv wirksamen Aalserum sind bis jetzt alle daraufhin abzielenden Versuche gescheitert. Es wäre natürlich nicht undenkbar, daß gerade dieses Hämolysin nicht aus zwei Komponenten Schwierig- bestehen würde, sondern ähnlich wie man dies für die bakteriellen „at des achweises Hämolysine anzunehmen allen Grund hat, nur aus einer einzigen wirk- der kom- »E > . 2 : plexen Natur samen Substanz bestehen könnte. Es gibt jedoch eine Reihe von Um- "der Hämo- ständen, welche geeignet sind, die komplexe Natur eines Hämolysins — Nein wenigstens für unsere Untersuchungsmethoden — zu verdecken. Zu- nächst wissen wir, daß auch die Ambozeptoren nicht absolut unempfind- lich gegen höhere Temperaturen sind und daß manche von ihnen schon bei Temperaturen zerstört werden, welche sich nur wenig von der In- aktivierungstemperatur des betreffenden Serums, also derjenigen Tempe- ratur entfernen, bei welcher das Komplement seine Wirksamkeit ein- büßt. In solchen Fällen wird natürlich eine Reaktivierung des erwärmten Serums in keiner Weise gelingen, da eben auch der Ambozeptor mit zerstört ist, und das betreffende Hämolysin wird, trotz seiner Kom- plexität, als einheitlich imponieren. Ein anderer Grund, der den Nach- weis der Komplexität sehr erschweren kann, liegt in den Affinitäts- verhältnissen zwischen Komplement und Ambozeptor. Wie wir später noch sehen werden, hat man Grund zu der Annahme, daß der Ambo- zeptor Affinitäten einerseits zu den roten Blutkörperchen, andererseits zu dem Komplement besitzt. Daher sein Name. Nun ist klar, dab das Experiment der Kältetrennung, das wir früher besprochen haben, und das in der Absorption des Ambozeptors durch die Erythrozyten besteht, nur dann gelingen kann, wenn bei dieser Temperatur keine Absorption des Komplements stattfindet. Denn dieses Experiment basiert ja eben auf der Tatsache, daß bei 0° zwar eine starke Affinität zwischen Erythrozyten und Ambozeptor besteht, daß hingegen das Komplement bei dieser Temperatur meist ungebunden bleibt. Ist jedoch in einem speziellen Falle auch bei 0° eine starke Affinität zwischen Ambozeptor und Komplement vorhanden, so wird das letztere mit an die Blut- körperchen gebunden, und alle Trennungsversuche, die diesen Weg be- schreiten, müssen notwendigerweise erfolglos bleiben. Dies nur, um zu zeigen, welchen Schwierigkeiten die Hämolysinanalyse unter Umständen begegnen kann. Auch für die bakteriziden Substanzen des Serums, für die Alexine Komplexer Buch#ners, hat man nun in vielen Fällen die komplexe Zusammen- pe setzung nachweisen können. Schon vor längerer Zeit konnte R. PFEIFFER zeigen, daß inaktiviertes Ziegenserum innerhalb des Meerschweinchen- leibes, und zwar in der Bauchhöhle dieses Tieres, seine bakterizide Wirk- samkeit wiedererlangt --- wie wir heute wissen, findet es eben in dem Peritonealinhalte ein geeignetes Komplement vor, das seinen bakteri- ziden Ambozeptor zu aktivieren vermag. In vitro hat MoxTER zuerst diesen Versuch PFEIFFERS nachgeahmt und gezeigt, daß inaktives Serum durch Zusatz von nur ganz schwach vibrionenlösendem, verdünntem Bauchhöhlenexsudat eine sehr intensive Wirksamkeit gegenüber dem Vibrio der Cholera asiatica erhält, und NEIssEr und WECHSBERG haben die komplexe Natur der Bakteriolysine für eine ganze Reihe von Serum- arten nachweisen und dadurch ihre vollkommene Analogie mit den Hämo- lysinen dartun können. Nicht selten gelingt es hierbei, ähnlich wie bei 8* 116 VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. den Hämolysinen, zwei verschiedene, an und für sich unwirksame Sera durch Vermischen zu einem Lysin zu komplettieren, wie dies z. B. BaıL an dem für Milzbrandbazillen gänzlich inoffensiven Hundeserum beobachten konnte, das durch kleine Mengen Kaninchenserum sehr kräftige milzbrandtötende Eigenschaften erlangt. Wie wir noch im weiteren Verlauf dieser Vorlesungen sehen werden, erscheinen auch die auf immunisatorischem Wege erzeugten Hämolysine und Bakteriolysine nach genau demselben Typus gebaut. In jüngster Zeit hat man nun die Analyse der Serumhämolysine noch weiter treiben und zeigen können, daß auch das Komplement an und Komplexe für sich schon komplex ist und sich in zwei verschiedene Bestandteile : zerlegen läßt. Wie nämlich Ferrara unter MorGENRoTHs Leitung ments. sefunden hat, zerfällt das Komplement bei der Dialyse in zwei Kompo- nenten, deren eine sich in dem hierbei ausfallenden Globulinnieder- schlag befindet, während die andere in Lösung bleibt. Prüft man nun sowohl die überstehende Flüssigkeit als auch den mit Hilfe von etwas Aqua destillata aufgeschwemmten Niederschlag, so findet man beide für sich allein vollkommen unwirksam und ungeeignet, Ambozeptoren zu einem vollen Hämolysin zu ergänzen. Erst durch ihre Vereinigung wird die Komplementwirkung wieder hergestellt. Bringt man weiterhin beide Komponenten für sich allein mit ambozeptorbeladenen roten Blutkörperchen in Berührung, so zeigt sich nach den Versuchen von Braxp, daß nur die im Niederschlag enthaltene Komponente von den Erythrozyten gebunden wird, die gelöst bleibende Komponente dagegen keine direkte Beziehung zu den Blut- körperchen besitzt, sondern erst dann von denselben absor- biert wird, wenn die Niederschlagskomponente bereits vorher Mittelstück gebunden wurde. Hiernach hat es also den Anschein, als ob die Sick as letztere erst die Verankerung der gelösten Komponente an die Erythro- Komple zyten vermittle, weshalb man die Niederschlagskomponente auch als “ Mittelstück, die gelöst bleibende Komponente als Endstück des Komplements bezeichnet hat. — Welcher dieser beiden Bestandteile des Komplements für seine Thermolabilität verantwortlich zu machen ist, darüber bestehen noch Meinungsdifferenzen, indem FERRATA nur das Endstück, Braxp aber auch das Mittelstück bei der Erhitzung auf 55° C zu Grunde gehen sah. | Chemische Was endlich die chemische Natur der Komplemente betrifft, Be so wissen wir über sie derzeit noch gar nichts Sicheres, wie wir ja mente. bereits bei Besprechung der Buchxerschen Alexintheorie angedeutet haben. Nur das eine mag an dieser Stelle noch erwähnt werden, daß manche Forscher, z. B. voX LIEBERMANN, auf Grund ihrer Versuche zu der Ansicht gelangt sind, das hämolytische Komplement sei nichts anderes als ein Gemisch der Serumeiweißkörper mit den im Serum enthaltenen Seifen, also eine Substanz von relativ gut bekannter che- mischer Konstitution. In der Tat können künstlich hergestellte, hämo- lytisch wirkende Seifenalbumingemische, ganz ähnlich wie die echten Komplemente, durch Erwärmen auf 56—60° inaktiviert werden, ver- lieren beim längeren Stehen und bei der Einwirkung von Säuren oder Alkalien ihre Wirksamkeit, und zeigen auch sonst einige Analogien mit ihnen. Ein genaueres Studium hat jedoch andererseits manche be- trächtlichen Unterschiede zwischen beiden wirksamen Prinzipien auf- gedeckt, unter anderem z. B., daß es mit diesen künstlichen Komple- menten nicht gelingen wollte, hämolytische Ambozeptoren zu aktivieren, VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 117 so daß eine Identifizierung derselben miteinander einstweilen noch ab- gelehnt werden muß. Es kann nun nicht geleugnet werden, daß manche Autoren an- fangs dieser merkwürdigen Synergie zweier für sich allein gänzlich un- wirksamer Substanzen, die sich bei allen diesen Untersuchungen über Hämolyse und Bakteriolyse ergab, mit großem Mißtrauen begegneten, zumal eine derartige komplexe Natur wirksamer Agentien ohne Ana- logien in der Physiologie dastand. Die letzten Jahre haben jedoch auch hierin eine gewisse Wandlung geschaffen. PawLows Schüler ScHEPO- WALNIKOFF hat nämlich gefunden, daß der Darmsaft die höchst eigen- tümliche Fähigkeit besitzt, den an und für sich nur sehr schwach wirk- samen Pankreassekreten frisch operierter Hunde eine sehr beträchtliche Verdauungskraft zu verleihen. PawLow hat diese Wirkung auf ein besonderes Ferment bezogen, das er als Enterokinase bezeichnet und das bald darauf im Pasteurschen Institute durch DELEZENNE ein- gehender studiert wurde. Wir müssen uns hier versagen, näher auf diese interessanten Untersuchungen des genannten Forschers einzugehen und können hier nur hervorheben, dal dieselben zu ganz ähnlichen Vorstellungen über den Bau dieses Darmfermentes geführt haben, wie sie oben für die Lysine des Serums entwickelt wurden. Hiernach ver- hielte sich die Kinase genau so wie ein Ambozeptor, der die Ver- bindung des wirksamen Agens mit der zu peptonisierenden Eiweiß- substanz zu vermitteln hat, während der an und für sich unwirksame Pankreassaft ein Analogon des Komplements darstellen würde. Bemerkt sei nur noch, daß nach DELEZENNE die Aktivität der Kinase bei 70 bis 72°, die des Pankreassaftes schon bei 66—68° erlischt, so daß sich hier also sogar eine Andeutung des für die Lysine so charakteristischen Unterschiedes in der Thermostabilität der beiden Komponenten vorfindet. Zweifellos sind diese Befunde von größtem Interesse und durch- aus geeignet, der durch EHrLicH und seine Schüler angebahnten Auf- fassung von der Komplexität der wirksamen Serumsubstanzen den Charakter des Außergewöhnlichen zu benehmen. Erwähnenswert ist übrigens, daß nach Untersuchungen von KyEs und SıcuHs, welche im Euktich’schen Institute angestellt wurden, auch eine Reihe von hämo- lytisch wirkenden Schlangengiften einen ganz analogen komplexen Bau aufzuweisen schien, wobei als Komplement eine chemisch voll- kommen bekannte Substanz fungieren sollte, die in sehr vielen tierischen Flüssigkeiten enthalten ist: nämlich das Lezithin. Die große theoretische Bedeutung, welche dieser Tatsache zu- kommt, läßt es berechtigt erscheinen, wenn wir hier noch etwas näher auf dieselbe eingehen. Bereits FLEXxnER und NocuckHi hatten die interessante Beobachtung gemacht, daß das Schlangengift als solches auf gewisse rote Bkıtkörperchen nicht lösend wirkt, sondern daß erst dann Hämolyse eintritt, wenn sich eine zweite — wie man glaubte, nach Art eines Komplementes wirkende — Substanz an der Aktion beteiligt, die u. a. im Blutserum enthalten ist. Da nun aber diese -„„komplet- tierende‘‘ Funktion des Blutserums, wie CALMETTE gefunden hat, durch Erhitzung auf 65° und darüber nicht nur nicht zerstört wird, sondern in vielen Fällen sogar eine merkliche Steigerung erfährt, sich also wesent- lich anders verhält, als das gewöhnliche Komplement, so lag die Ver- mutung nahe, daß es sich in diesem Falle um eine Substanz besonderer _ Art handeln müsse, und in der Tat gelang es, wie erwähnt, KyEs und SacHs, eine solche in dem Lezithin zu entdecken. Das Lezithin des Entero- kinase. Komplexität es Schlangen- giftes ? Schlangen- gifthämo- lyse. „Komplet- tierende“ Wirkungdes Lezithins. Einfluß der Bindung des Lezithins in den Blut- zellen. „Kobra- ambozep- tor.“ „Kobragift- lezithid.* 118 VIII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. Serums ist bekanntlich mehr oder minder fest an Eiweißkörper ge- bunden und wird erst durch längeres Erhitzen abgespalten und in Freiheit gesetzt. Die Zunahme der komplettierenden Fähigkeit des Serums beim Erwärmen schien hierdurch seine einfache Erklärung zu finden, indem nach der Auffassung der genannten beiden Forscher eben nur das freie Lezithin imstande wäre, den Schlangengiftambozeptor zu einem vollen Hämolysin zu ergänzen. Noch eine andere Tatsache wurde scheinbar durch diese Entdeckung verständlich gemacht. Während nämlich, wie bereits erwähnt, eine Reihe von Erythrozytenarten — u.a. von Ochs, Ziege und Hammel — durch Kobragift für sich allein nicht zur Auflösung gebracht wird, sondern erst der gemeinsamen Wirkung von Schlangengift und komplettierender Substanz zum Opfer fällt, gibt es eine Anzahl anderer Arten von roten Blutkörperchen (Meerschwein- chen, Kaninchen, Hund, Mensch), welche direkt durch das Kobragift angegriffen werden. KyEs und SachHs führten nun dieses verschiedene Verhalten darauf zurück, daß die Bindung des Lezithins in den ver- schiedenen Erythrozytenarten keine gleich feste sei, daß dasselbe viel- mehr in jenen Blutkörperchen, welche durch das Schlangen- gift allein aufgelöst werden, so locker gebunden erscheine, daß es für die „Komplettierung“ des Kobragiftambozeptors disponibel sei, bei der anderen Gruppe von Erythrozyten dagegen so fest an das Stroma verankert, daß die Avidität des Kobragiftes nicht ausreiche, um die beiden Komponenten zu trennen, aus welchem Grunde dann eben die Aktivierung des Giftes unterbleibe. Im ersteren Falle liefert also die von dem Kobragift angegriffene Blutzelle aus ihrem Stoffbestande selbst jene Substanz, welche ihm zur deletären Wirkung verhilft, weshalb man zu einer Zeit, wo man noch nicht daran dachte, daß es sich um die „komplettierende“ Wirkung des Lezithins handle, auch von der Anwesenheit von Endokomplementen in den betreffenden Blutzellen gesprochen hat. Waren diese Tatsachen bereits von großem biologischem Interesse, so schien den weiteren Versuchen von Kyes, die wirksame Substanz, die man sich, wie gesagt, als Verbindung eines Kobraambozeptors mit dem Lezithin vorstellte, auf chemischem Wege zu isolieren, eine ganz besondere Bedeutung zuzukommen. Schüttelt man nämlich eine 1 ‚ige Lösung des Kobragiftes mit einer Lösung von reinem Lezithin in Chloroform, trennt dann mittels einer schnellaufenden Zentrifuge die wässerige Schicht von der Chloroformschicht und versetzt die letztere mit dem fünffachen Volumen chemisch reinen, über Na destillierten Äthers, so entsteht eine Fällung, welche man für das gesuchte Kobragiftlezithid hielt, während das überschüssige Lezithin im Äther gelöst bleibt. Dieses präsumtive Kobragiftlezithid — das übrigens nur die blutlösende Komponente des Schlangengiftes enthalten sollte, nicht aber die neurotoxische, die un- verändert in der wässerigen Schicht zurückbleibt — ist unlöslich in Azeton und Äther, dagegen löslich in Chloroform, Wasser, Alkohol und Toluol, unterscheidet sich also sehr wesentlich von seinen beiden Be- standteilen, dem Kobraambozeptor einerseits, dem Lezithin andererseits. Im Gegensatz zu dem lezithinfreien Kobragift wirkt nun das „Lezithid“ auf die Blutkörperchen sämtlicher untersuchter Spezies, gleichgültig ob dieselben disponibles Lezithin enthalten oder nicht, und zwar, was besonders merkwürdig ist, unter beträchtlicher Ab- kürzung der Inkubationsdauer. Dieses Verhalten beweist an- scheinend, daß die Inkubationsperiode bei der Wirkung des Kobragiftes VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 119 auf der langsamen Entstehung des eigentlich toxischen Agens, nämlich des „Kobralezithids“, beruht und daher fast vollkommen wegfällt, wenn das Lezithid bereits im fertigen Zustand mit den Blutkörperchen zu- sammengebracht wird. Da das ‚Kobragiftlezithid“ keine Biuretreaktion mehr gibt, also von den eiweißartigen Beimengungen vollkommen befreit ist, und über- dies die Neigung zeigt, sich beim Stehen der wässerigen Lösung in Form eines mikrokristallinischen Niederschlages abzuscheiden, so schien es also hier zum ersten Male gelungen, einen toxinartigen Körper chemisch rein darzustellen, was natürlich von der größten Bedeutung für die weitere Ausgestaltung der Immunitätslehre gewesen wäre. Leider hat sich jedoch diese Hoffnung als trügerisch erwiesen. Wie nämlich v. DungErn und Coca vor kurzem zeigen konnten, ist die Auffassung, die man von dem Chemismus der „Lezithid- bildung‘ gewonnen hatte und die dem Lezithin die Rolle eines akti- vierenden Komplements zuschrieb, zweifellos eine irrtümliche gewesen. Kobralipase. Denn es handelt sich bei der Entstehung des Kobralezithids gar nicht um die Verbindung eines Ambozeptors des Kobra- giftes mit Lezithin, sondern um die Wirkung eines in dem Gifte enthaltenen fettspaltenden Fermentes, welches Lezithin unter Abspaltung von Ölsäure und flüchtigen Fettsäuren zer- setzt und aus diesem Lipoid auf solche Weise hämolytisch äußerst aktive Derivate erzeugt. Die von Kyes dargestellten Präparate des „Kobragiftlezithids‘‘ bestanden nämlich nach den Unter- suchungen von v. DUNGERN und Coca lediglich aus einem Gemenge des genannten fettspaltenden Fermentes mit dem ölsäurefreien Rest des Lezithins, dem sogenannten Desoleolezithin, und enthielten außerdem nur mehr oder minder beträchtliche Mengen von Verunreinigungen, die aus dem käuflichen Lezithin stammten. Dementsprechend wurde auch aus verschiedenen Övolezithinpräparaten ohne Einwirkung von Kobragift eine hämolytische Substanz gewonnen, die sich in allen ihren Löslichkeitsverhältnissen genau ebenso verhielt, wie das „Lezithid“. Überdies konnten die genannten beiden Forscher feststellen, daß das Kobraantitoxin nur gegen das native Hämolysin desSchlangen- giftes wirkt, nicht aber das „Lezithid“, so daß dieses letztere wohl seine Bedeutung für die Immunitätslehre verloren hat und jenen lipoidlöslichen Stoffen zuzurechnen ist, welche nach Art von Saponin, Chloroform oder Äther auf die roten Blutkörperchen einwirken. Alle die früher mitgeteilten hochinteressanten Beobachtungen über die Rolle des Lezithins bei der Schlangengifthämolyse sind somit in einfachster Weise auf die Wirkung jener lezithinspaltenden Kobra- lipase zurückzuführen, und man hat nur an Stelle des nunmehr fallen zu lassenden Wortes „Lezithid‘“ in unseren früheren Darlegungen den Namen des hämolytisch wirkenden Spaltungsproduktes, nämlich des Desoleolezithins zu setzen, um den Tatsachen völlig gerecht zu werden. Damit erscheintaber natürlich die Analogie zwischen der hämolytischen Komponente des Schlangengiftes und den komplexen Lysinen des Blutserums zunächst voll- kommen aufgehoben. Trotzdem sind aber diese Studien doch nicht ohne Rückwirkung „Belle der auf die Immunitätsforschung geblieben, indem sie nämlich wieder von der Hämo- einer anderen Seite her die Aufmerksamkeit auf die wichtige Rolle ge- !r*- lenkt haben, die die Lipoide allem Anschein nach bei den hämolytischen 120 VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. — und vielleicht auch den bakteriolytischen Vorgängen zu spielen haben. Zweifellos darf man nämlich annehmen, daß es besonders Lipoide oder Lipoidverbindungen sind, welche den Austritt der wasserlöslichen Inhalt- stoffe der Blutzellen, speziell des Hämoglobins, in das umgebende Medium verhindern. Dementsprechend sind denn auch die exquisit fettlösenden Stoffe, wie Chloroform, Äther usw. vor allen anderen Sub- stanzen befähigt, Hämolyse hervorzurufen, indem sie entweder die mut- maßliche Lipoidhülle der Erythrozyten zerstören, oder in anderer Weise durch ihre lösende Wirkung die Beziehungen der Lipoide zu den übrigen Zellbestandteilen verändern. Aber auch Substanzen von geringer hämo- lytischer Wirkung, wie z. B. das Lezithin, vermögen unter bestimmten Bedingungen kräftige Hämolyse hervorzurufen, wenn sie nämlich durch Vermittlung einer anderen, nach Art einer Beize wirkenden Substanz auf der Oberfläche der roten Blutkörper- chen konzentriert werden. So erklärt sich zum Beispiel die inter- essante Beobachtung von LANDSTEINER und Jacıc, daß sehr verdünnte kolloidale Kieselsäure, die an und für sich nur Hämagglutination hervor- zurufen vermag, zusammen mit verdünnter Lezithinemulsion oder mit frischem Serum stark hämolytisch wirkt, ein Effekt, der in vielen Punkten große Ähnlichkeit mit der gewöhnlichen Serumhämolyse besitzt. Die Kieselsäure würde dabei gewissermaßen die Rolle eines hämolytischen Ambozeptors spielen, und in der Tat ist denn auch LANDSTEINER der Anschauung, daß dieser Ähnlichkeit mehr als eine bloß oberflächliche Analogie zugrunde liegt, und daß auch die Serum- und Toxinhämolyse auf einer „Beeinflussung von Lipoideiweißverbindungen oder Lipoid- hüllen‘‘ der Blutkörperchen beruhe. — Aber auch fettspaltende Fermente, Lipasen, können zur Hämolyse Veranlassung geben, wie wir bereits bei Besprechung des „‚Kobralezithids‘* gesehen haben und wie die Beob- achtung von NoGucHI zeigt, daß Pankreaslipase bei Gegenwart von Serum, das stets Spuren von Fetten suspendiert enthält, die roten Blut- körperchen der gleichen Tierspezies aufzulösen imstande ist. Daß man unter solchen Umständen daran denken konnte, auch die hämolytischen Serumwirkungen auf die Tätigkeit von Lipasen zurückzuführen, bei welcher Fettsäuren oder seifenartige Verbindungen, kurz Substanzen von blutlösenden Eigenschaften in Freiheit gesetzt werden, war gewiß naheliegend, zumal man ja gerade in dem eben erwähnten Beispiele ein weiteres ausgezeichnetes Analogon für die Tatsache hatte, daß zwei für sich allein unwirksame Substanzen (die Lipase und das Serum) durch ihre Mischung hämolytische Eigenschaften gewinnen können. So halten es denn z. B. NEUBERG und REICHER wie v. LIEBERMANN für möglich, daß) die hämolytischen Vorgänge durch eine Lipolyse eingeleitet werden, die erst sekundär zur Entstehung der eigentlich wirksamen Stoffe Ver- anlassung geben würde. — Sind nun auch alle diese und ähnliche Ver- suche, den Lipoiden eine besondere Rolle bei der Hämolyse zuzu- schreiben, kaum über das erste, noch unsicher umhertastende Vor- stadium hinausgekommen und noch weit davon entfernt, sich zu einer befriedigenden Theorie der Hämolyse zu verdichten, so ist doch mit ihnen zweifellos eine Forschungsrichtung eingeschlagen worden, von der man manchen näheren Aufschluß über die chemische Natur dieser merkwürdigen Serumwirkungen erwarten darf, und dies mag es rechtfertigen, wenn wir derselben hier wenigstens in Kürze Erwähnung getan haben. | VII. Die Wirkungen der Körperflüssigkeiten. 121 Literatur. Nurrarı, Zeitschr. f. Hyg., Bd. IV, 1888. Nissen, Zeitschr. f. Hyg., Bd. VI, 1889. Bucuner, Zentralbl. f. Bakt., Bd. V, 1889. Ders., Arch. f. Hyg., Bd. X, 1890, Bd. XVII, 189. v. LinsELsHEim, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVII, 1901. A. Fischer, Vorlesungen über Bakterien. Jena 1903. EarLıch und MORGENROTH, Berl. klin. Wochenschr., 1899 u. 1900. Sacas, Berl. klin. Wochenschr., 1902 u. 1903. Moxrter, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXVI, 1899. Baız, Zentralbl. f. Bakt., 1903. NeEISsER und WEcHsBERG, Münch. med. Wochenschr., 1901. DELEZENNE, Compt. rend. de la soc. de biol., 1901, 1902, 1903. SCHEPOWALNIKOFF, Physiologie des Darmsaftes, 1899, zitiert nach METSCHNIKOFF. FLExner und Noeucaı, Journ. of Experim. Medic., 1902. CALNMETTE, Compt. rend. de l’Acad. des Scienc., 1902. Kyes und Sacas, Berl. klin. Wochenschr., 1903. Kyes, Berl. klin. Wochenschr., 1903. v. Dungern und Coca, Münch. med. Wochenschr., 1907. FERRATA, Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 13. Branp, Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 34. Hecker, Arbeiten aus dem Königl. Institut für experimentelle Therapie, 1907. LANDSTEINER und JAsıc, Wien. klin. Wochenschr., 1904. v. LIEBERMANN, Arch. f. Hyg. 1907, Bd. 62. NEUBERG und REICHER, München. med. Wochenschr., 1907. Präexistenz der Alexine im Blut. Wirkung des Blut- plasmas. IX. Die bakteriziden und globuliziden Serum- wirkungen. II. Unsere bisherigen Betrachtungen über die bakteriziden Wirkungen der Körpersäfte bezogen sich fast ausschließlich auf das Blutserum oder auf defibriniertes Blut und haben daher zunächst nur für diese Flüssig- keiten ihre Gültigkeit. Da nämlich bei der Blutgerinnung und Fibrin- abscheidung eine Reihe von Veränderungen mit dem nativen, zirku- lierenden Blute vor sich gehen, deren Beziehungen zu der bakteriziden Wirkung nicht ohne weiteres klar sind, so ist natürlich ein Rückschluß von den Bestandteilen des geronnenen Blutes, speziell von dem Serum, auf das sozusagen lebende Blut, wie es in den Gefäßen kreist, nicht ohne weiteres erlaubt, und es muß daher erst Gegenstand einer be- sonderen Untersuchung sein, ob auch dem letzteren bakterizide Wir- kungen zukommen oder nicht. Diese für die Theorie der Immunität zweifellos außerordentlich wichtige Frage war nun längere Zeit hindurch das Objekt lebhaftester Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden fast in der ganzen Immuni- tätslehre einander feindlich gegenüberstehenden Schulen, der deutschen und der französischen. Da METSCHNIKOFF und seine Schüler die Haupt- waffen des Organismus im Kampfe mit seinen mikroskopischen Wider- sachern in dessen Phagozyten, den mit amöboiden Eigenschaften aus- gezeichneten zellulären Elementen des Blutes, sehen und den bakteri- zıden Wirkungen der Säfte nur eine untergeordnete Bedeutung zu- schreiben, so mußte diesen Forschern daran liegen, den Nachweis zu erbringen, daß die zweifellos sichergestellten bakterienfeindlichen Eigen- schaften des Serums nicht im nativen Blute präformiert seien, sondern erst bei der Blutgerinnung erworben werden, und zwar durch den hier- bei angeblich eintretenden — übrigens durchaus nicht erwiesenen — Zerfall von Leukozyten, welche die wirksamen Substanzen in Freiheit setzen sollten. In der Tat hat nun GENGOU angegeben, daß Blutplasma, das durch Aufsaugen des Blutes in paraffinierten Röhrchen und rasches Abzentri- fugieren der Körperchen erhalten wird und das infolge des Ausbleibens der Gerinnung dem normalen Blute bei weitem näher steht als das Serum, nur ganz unbedeutende bakterizide Wirkungen besitzt und hat daraus den Schluß gezogen, daß die bakterienfeindlichen Substanzen weder im Plasma des Blutes noch in demjenigen der Exsudate zirku- lieren, sondern erst durch die Zerstörung der Phagozyten oder durch andere pathologische Vorgänge frei werden. Diese Behauptung des französischen Forschers steht aber mit einer ganzen Reihe von Tatsachen in Widerspruch, die von den verschieden- | j IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 123 sten Seiten beobachtet wurden und sich gegenseitig auf das erfreulichste stützen und ergänzen. Wie wir bereits früher einmal erwähnt haben, hat man die Schwierigkeiten, welche sich derartigen Untersuchungen infolge der Ge- rinnbarkeit des Blutes entgegenstellen, bereits seit langer Zeit dadurch zu umgehen gesucht, daß man den betreffenden Versuchstieren vor dem Aderlaß Wırresches Pepton, Histon oder Blutegelextrakt in die Venen einspritzte, wodurch bekanntlich die Koagulationsfähigkeit des Blutes aufgehoben wird. Obwohl nun alle Experimentatoren, die mit dem Peptonplasma gearbeitet haben, dessen bakterizide Kraft übereinstimmend als ziemlich beträchtlich und von der des Serums nicht wesentlich verschieden ge- funden haben, wenn nur die eingespritzten Peptonmengen nicht allzu große waren, so möchte ich doch auf diese Versuche weniger Gewicht legen, und zwar deshalb, weil die Einführung derartiger gerinnungs- hemmender Substanzen in die Blutbahn zweifellos kein gleichgültiger Eingriff ist, sondern eine Vergiftung hervorruft, die bei Steigerung der Dosis sogar zum Tode führen kann und wohl imstande sein dürfte, die bakteriziden Verhältnisse des Blutes zu verändern. In der Tat hat HEWLETT vor kurzem überzeugend dargetan, daß das Peptonplasma keineswegs mit dem normalen Blutplasma auf eine Stufe zu stellen ist. Man kann sich jedoch bei Vögeln durch einen von DELEZENNE ange- Vogelblut- gebenen Kunstgriff, durch den jede Berührung des zu gewinnenden "*"* Blutes mit dem umliegenden Gewebe und seinen Säften ängstlich ver- mieden wird, ein Plasma verschaffen, das ohne jeden Zusatz fremder Stoffe mehrere Wochen lang vollkommen ungeronnen bleibt und daher wohl dem lebenden Plasma denkbarst nahe kommt. Nach Versuchen von HrwLETT ist die bakterizide Kraft dieses Vogelplasmas genau ebenso groß, wie die des zugehörigen Serums. Auf andere sehr ingeniöse Weise haben Farroıse und LAMBOTTE Säugetier- ein vollkommen unverändertes Säugetierplasma gewonnen, indem sie Pm+ beim Pferd oder Hund eine Vena jugularis freipräparierten, nach doppelter Ligatur aus dem Körper entfernten und 2—3 Stunden im Eisschrank vertikal hängend aufbewahrten. Nachdem sich die Blut- körperchen am unteren Ende des Gefäßes abgesetzt hatten, wurde das letztere durch eine Ligatur in zwei Hälften geteilt, aus der oberen mittels paraffinierter Pipette das vollkommen flüssige Plasma abgezogen und zur Entfernung etwa noch vorhandener geformter Elemente aus- giebig zentrifugiert. Auch dieses zellfreie Blutplasma erwies sich Choleravibrionen gegenüber genau ebenso wirksam wie das von dem- selben Tiere stammende Serum, vermochte bei denselben Verdünnungs- graden das typische Preırrersche Phänomen des granulären Bakterien- zerfalles hervorzurufen und inaktiviertes Choleraimmunserum zu kom- plettieren. Nach alledem kann also wohl kaum ein Zweifel mehr be- Stehen, daß wirklich schon im nativen Blutplasma jene Stoffe enthalten und wirksam sind, denen das Serum seine bakterien- feindlichen Eigenschaften verdankt, und daß es nicht erst der Blutgerinnung bedarf, um dieselben in Freiheit zu setzen. Ganz dasselbe gilt nun auch von den Hämolysinen der normalen ‚Eimaly- Sera, bezw. von den entsprechenden hämolytischen Komplementen. Auch a diese finden sich nach den übereinstimmenden Angaben einer ganzen Blutplasmas. Reihe von Forschern schon in dem möglichst unveränderten Blutplasma 124 IX. Die bakteriziden und globuliziden Seramwirkungen. vorgebildet und können daselbst genau in der gleichen Weise nachge- wiesen werden, wie wir dies eben für die Bakteriolysine beschrieben haben. Wir wollen daher, um nicht bereits Gesagtes nochmals wieder- holen zu müssen, uns mit dieser Feststellung begnügen und nicht näher auf die Details dieser Untersuchungen eingehen. Hingegen können wir uns nicht versagen, auf ein anderes, zu demselben Ergebnis führendes Experiment kurz zu verweisen, welches sowohl wegen seines biologischen Interesses als wegen der Originalität der eingeschlagenen Methodik alle Beachtung verdient. Komplement Entfernt man aus der vorderen Kammer eines Kaninchenauges "Aqueus. mit Hilfe einer sterilen Spritze den Humor aqueus und prüft denselben auf seinen Gehalt an hämolytischem Komplement, indem man ihn im Verein mit einem kräftigen (durch Immunisierung erzeugten) Ambo- zeptor auf die betreffende Art von roten Blutkörperchen einwirken läßt, so findet man denselben vollkommen inaktiv. Das normale Kammer- wasser des Kaninchenauges ist somit nicht komplementhaltig. Bald nach dem genannten Eingriff füllt sich jedoch die vordere Kammer wieder mit einer Flüssigkeit, die nunmehr ziemlich beträchtliche Komplementmengen enthält, ohne jedoch das Blutserum in dieser Beziehung zu erreichen. Mit der Zeit nimmt dann die komplettierende Fähigkeit des Humor aqueus wieder ab, um etwa nach 12 Stunden vollkommen verschwunden zu sein und normalen Verhältnissen Platz zu machen. Da nun Gerinnungsvorgänge in diesem Falle vollkommen ausge- schlossen erscheinen und auch das neugebildete Kammerwasser frei von Leukozyten gefunden wird, die nach METSCHNIKOFF allein als Komple- mentquellen in Betracht kommen könnten, so wird man SweET wohl recht geben müssen, wenn er in diesem seinem Experimente, das sich technisch an einen ähnlichen Versuch von Levapırı anlehnt, einen in- direkten Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Präexistenz der hämolytischen Komplemente erblickt. SweET erklärt sich die beobachteten Vorgänge ungefähr in folgender Weise: Unter den normalen im Auge herrschen- den Druckverhältnissen sind die Blutgefäße imstande, dem im Plasma enthaltenen freien Komplement den Eintritt in die vordere Kammer zu verwehren, daher das Kammerwasser bei der ersten Punktion voll- kommen komplementfrei gefunden wird. Durch die Druckherabsetzung, mit welcher nun aber die Aspiration des Kammerwassers notwendiger- weise verbunden ist, erweitern sich jedoch die Gefäße und werden in- folgedessen abnorm durchlässig, so daß eine komplementhaltige, plas- matische Flüssigkeit in die Kammer eintritt und allmählich den ursprüng- lichen Druck in derselben wieder herstellt. Da nunmehr die Blutgefäße wieder zu ihrem normalen Verhalten zurückkehren und ihre Undurch- gängigkeit für das Komplement wiedergewinnen, so wird die neugebildete abnorme Kammerflüssigkeit stufenweise wieder durch komplementfreien Humor aqueus verdrängt, bis nach etwa 12 Stunden alles wieder beim alten ist. Auffällig ist nur die eine Tatsache, daß Levavırı bei derselben Versuchsanordnung keine bakteriziden Komplemente in dem neuge- bildeten Kammerwasser zu entdecken vermochte. Es hat jedoch SCHNEIDER diese Beobachtung Levanırıs nicht bestätigen können, sondern das zweite Kammerwasser sowohl Typhusbazillen wie Vibrionen gegenüber sehr wirksam gefunden, so wirksam, daß es oft kaum hinter dem Blutserum zurückzustehen schien. IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 125 Wenn nun, wie wir gesehen haben, die Existenz freier bakterienfeindlicher Substanzen in dem zirkulierenden Blute als ziemlich sichergestellt gelten kann, so wird man wohl auch annehmen dürfen, dab sie intra corpus zur Wir- kung gelangen und die Ursache jener von PFEIFFER und seinen Schülern beobachteten bakteriolytischen Phänomene dar- stellen. Allerdings muß hervorgehoben werden, dab auch diese Beobach- tungen von französischer Seite nicht unangefochten geblieben sind. METSCHNIKOFF und seine Schüler haben sich nämlich bemüht, darzu- tun, dab der körnige Bakterienzerfall nur da zustande kommt, wo — wie in der Bauchhöhle — reichliche Leukozytenmengen Zutritt haben und durch ihre Auflösung (Phagolyse), die durch den groben Eingriff Bakteriolyse der Injektion hervorgerufen wird, Komplemente in Freiheit setzen. Hin- "hautell gegen soll das Preırrersche Phänomen überall da vollkommen aus- tee bleiben, wo, wie im Unterhautzellgewebe oder in Stauungsödemen, gar keine oder doch nur sehr wenige Leukozyten anwesend sind. Nachprüfungen haben jedoch ergeben, daß auch an den genann- ten Orten zweifellos eine extrazelluläre Bakterienauflösung stattfindet. wenn sie auch bei weitem langsamer abläuft als etwa in der Bauchhöhle. Das ist aber auch gar nicht wunderbar, wenn man bedenkt, daß die Zirkulationsverhältnisse ja im Peritoneum bei weitem günstigere sind als in dem relativ schwach vaskularisierten Unterhautzellgewebe oder gar an Ödematösen Stellen, und daß daher auch die Komplementzufuhr in der Bauchhöhle jene an den genannten anderen Orten weitaus über- treffen muß. Überdies ist ja ein Stauungstranssudat nicht ohne weiteres mit der Peritoneal- oder Gewebslymphe in Parallele zu stellen, da das- selbe ja zweifellos ganz anderen biologischen Vorgängen seine Ent- stehung verdankt und sich schon äußerlich durch seinen bei weitem geringeren Eiweißgehalt von den letzteren unterscheidet. Es erscheint daher nur selbstverständlich, wenn solche Transsudate — ganz ähnlich wie der Humor aqueus — sich auch durch ihre Komplementarmut als andersgeartet dokumentieren, und es dürfte daher weder notwendig noch zutreffend sein, zur Erklärung ihrer geringeren bakteriziden Wirksamkeit das Verhalten der Leukozyten heranzuziehen, wo bereits die gröberen anatomischen und physiologischen Unterschiede zum Verständnis aus- Bakteriolyse reichen. Besonderes Gewicht wird ferner von METSCHNIKOFF auf die "le pur Beobachtungen BorDETs und Levapırıs gelegt, nach welchen auch in der Blutbahn immunisierter Tiere kein granulärer Zerfall der Bakterien zustande kommen soll, sondern nur Phagozytose. Es ist jedoch höchst- wahrscheinlich, daß dieses Ergebnis nur dadurch vorgetäuscht wurde, daß die Hauptmenge der extrazellulär zugrunde gegangenen Mikroorganismen außerordentlich rasch aus der Blutbahn entfernt wird und somit nur diejenigen Keime zur Beobachtung ge- langen können, welche von den Leukozyten aufgenommen wurden und infolgedessen längere Zeit im kreisenden Blute verweilen. Ebensowenig haltbar dürfte ein weiteres, von METSCHNIKOFF gegen Bekteriolyso die Bedeutung der extrazellulären Bakterienauflösung vorgebrachtes Argu- Banchhöhle ment sein. Bereits bei der Besprechung der Phagozyten haben wir her- „präpazier vorgehoben, daß nach der Injektion einiger Kubikzentimeter Bouillon in die Bauchhöhle des Meerschweinchens zunächst eine energische Phago- lyse, ein Zerfall von weißen Blutkörperchen stattfindet, daß hingegen diese Schädigung der Leukozyten ausbleibt, wenn man die Tiere be- 126 IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. reits tags zuvor durch eine gleichartige Einspritzung vorbereitet hat. METSCHNIKOFF hat nun beobachtet, daß man bei solchen präparierten Meerschweinchen nach Injektion eines Gemisches von Choleravibrionen und Choleraimmunserum nicht, wie bei normalen Tieren, ausgedehnten körnigen Zerfall der Bakterien, also ein ausgeprägtes PFEIFFER sches Phänomen erhält, sondern daß unter diesen Umständen nur Phagozytose eintritt. Die Deutung, die METScHNIKOFF dieser seiner Beobachtung gegeben hat, ist nach dem, was wir bereits über die Anschauungen dieses Forschers kennen gelernt haben, leicht vorauszusehen: da bei den mit Bouillon vorbehandelten Tieren keine Phagolyse mehr eintritt, wenn sie eine zweite Injektion erhalten, so werden auch durch den Zellzerfall keine bakteriolytischen Komplemente mehr frei, und es kann daher auch keine extrazelluläre Bakterienauflösung zustande kommen, obwohl die Vibrionen unter dem Einflusse des im Immunserum reichlich . enthaltenen bakteriolytischen Ambozeptors stehen. In der Tat, wäre diese Beobachtung zutreffend, so würde sie gegen die Existenz der freien Komplemente in den tierischen Flüssigkeiten und deren intravitale Wirksamkeit sehr entschieden ins Gewicht fallen, und wir müßten MErscHxıKkorr beipflichten, der das PrEirrersche Phänomen lediglich als ein Kunstprodukt betrachtet, das nur dann zu- stande kommt, wenn durch den im Vergleich zu dem feinen Getriebe des Organismus gewiß außerordentlich rohen Eingriff der Bakterien- einspritzung Leukozyten zertrümmert werden, das aber ausbleibt, wenn diese Schädigung auf irgend eine Weise vermieden wird. Nun haben aber eine ganze Reihe von zuverlässigen Forschern, unter ihnen PFEIFFER, ABEL und in letzter Zeit AscHEr, die METSCHNI- KOFFschen Angaben unter Einhaltung aller notwendigen Kautelen nach- geprüft und haben sich nicht von der Richtigkeit derselben überzeugen können. Auch bei den präparierten Tieren war stets eine massenhafte Granulabildung in der freien Peritonealflüssig- keit, und zwar außerhalb der reichlich angesammelten Leuko- zyten nachweisbar. Wie selbstverständlich, wurden auch innerhalb von weißen Blutzellen stellenweise solche Granula aufgefunden, aber in relativ so geringer Zahl, dal das Phänomen der Phagozytose hierbei nur als eine ganz nebensächliche Erscheinung gedeutet werden konnte. Ist hiermit zweifellos der Einwand, welchen METSCHNIKOFF gegen die Lehre von der extrazellulären Bakterienauflösung erhoben hat, als solcher entkräftet, so muß doch andererseits zugegeben werden, daß die ganze Frage auch hierdurch noch nicht als vollkommen erledigt gelten kann. Denn es liegt ja die Vermutung außerordentlich nahe, daß die Resistenz der Leukozyten, die sich in der Bauchhöhle vorbehandelter Meerschweinchen ansammeln, vielleicht denn doch keine so große sein dürfte, als METSCHNIKOFF annahm, und daß bei der Bakterieneinspritzung doch wenigstens ein Teil derselben der Phagolyse verfällt, eine Annahme, deren Richtigkeit übrigens durch besondere Versuche von WOLFF-EISNER erwiesen wurde. Bedenkt man nun aber, daß es wohl überhaupt kaum möglich sein dürfte, eine Versuchsanordnung zu treffen, gegen welche der besagte Einwurf nicht erhoben werden könnte!) und bei welcher sich ein Zer- !) Dies gilt auch von einem geistreich ausgedachten Versuche GRUBERS, welcher die Präexistenz von Komplementen in den Körpersäften dadurch nach- zuweisen suchte, daß er Meerschweinchen inaktiviertes hämolytisches Immun- serum in die Bauchhöhle einspritzte und zeigte, daß dabei zunächst eine Er- IX. Die bakteriziden und globuliziden Seramwirkungen. 127 fall auch nur einiger weniger Leukozyten mit Sicherheit ausschließen ließe, so erkennt man, dal die weitere Verfolgung dieser Gedanken- gänge schließlich zu ganz ähnlichen Subtilitäten hinführen muß, wie sie uns bei der Erörterung der Phagozytosefrage entgegengetreten sind, und wir werden daher ebensowenig wie dort zu einem wirklich ab- schließenden Urteile gelangen können, sondern werden uns mit dem bescheideneren „non liquet‘“ begnügen müssen. Immerhin kann man aber, das bisher Gesagte zusammenfassend, betonen, dab 1. schon die möglichst unveränderten Körperflüssigkeiten sicher freie Komplemente enthalten, daß 2. auch an leukozytenarmen Körperstellen zweifellos eine extrazelluläre Bakterienauflösung beobachtet werden kann und dab 3. METSCHNIKOFFS Argumente gegen die Bedeutung des PFEirrer’schen Phänomens nicht als zwingend ange- sehen werden können. Einstweilen dürfte daher wohl für die deutschen Im- munitätsforscher kein Grund vorliegen, von ihren Anschau- ungen über die extrazelluläre Bakteriolyse abzugehen. Woher stammen nun die bei den Serumwirkungen beteiligten Komplemente und Ambozeptoren? Wir haben bereits mehrfach Gelegenheit gehabt, hervorzuheben, daß METScHNIKOFF ihren Ursprung in die Leukozyten verlegt, und zwar stützte sich dieser Forscher hierbei sowohl auf Arbeiten, die aus der Schule BucHNErs, wie auf solche, die aus seinem eigenen Labora- torium hervorgegangen sind. Ohne auf die historische Entwicklung dieser Lehre näher einzugehen, wollen wir hier nur die hauptsächlichsten Tatsachen kennen lernen, welche hierfür zu sprechen schienen. Erzeugt man bei Kaninchen durch intrapleurale oder intraperi- toneale Injektion von Aleuronatbrei sterile, leukozytenreiche Exsudate und prüft dieselben auf ihre bakterizide Wirksamkeit, so findet man, dab sie sich häufig dem Blute und Blutserum desselben Tieres beträchtlich überlegen erweisen. Beistehende Tabelle, welche eine Versuchsreihe BucHNERS wiedergibt, die mit Bacterium coli angestellt wurde, läßt diesen Unterschied deutlich erkennen. Bakterizider Versuch mit Bacterium coh. nach nach nach Proben Aussaat | 2 Stunden 6 Stunden | 24 Stunden BEER... 00.0.” 26 250 2760 6360 oO Exsudat, unverändert . . 24 120 3600 70 87 Exsudat, gefroren . . . 22 800 480 30 17 Exsudat, auf 60° erwärmt 28 560 sehr zahlreich [6'0) —_ Blutserum, auf 60° erwärmt 17 280 sehr zahlreich 009 — höhung, dann aber eine rapide Erniedrigung der Erythrozyten- menge im Blute (von 5,5 Millionen auf 0,9—0,8 Millionen im Kubikmillimeter) auftritt, welch letztere mit einer intensiven Hämoglobinurie ein- ergeht und schließlich zum Tode führt, also wohl auf eine Zerstörung großer engen von roten Blutkörperchen zurückgeführt werden muß. METScHNIKOFFS Schüler Levapırı nimmt jedoch auch in diesem Falle nicht ine extrazelluläre Auflösung der Erythrozyten an, sondern läßt dieselben vor- iegend in den Phagozyten zugrunde gehen. Ursprung der Serum- komple- mente. Bakterizide Leukozyten- stoffe. Rolle der Mikro- phagen. Rolle der Makro- phagen. 128 IX. Die bakterizider und globuliziden Serumwirkungen. Daß bei diesen Versuchen nicht etwa phagozytäre Vorgänge als Ursache der beobachteten Keimverminderung anzusehen waren, das be- weist die starke bakterizide Wirkung jener Exsudatproben, welche frieren gelassen und wieder aufgetaut worden waren, und deren Leukozyten, wie die genaue mikroskopische Betrachtung lehrte, durch diese Prozeduren ihre Lebens- und Bewegungsfähigkeit eingebüßt hatten. Setzt man derartige stark bakterizide Exsudate zu aktivem Serum hinzu, so wird dessen keimtötende Wirksamkeit noch erheblich ge- steigert. Aber auch eine Vermehrung der Leukozyten des Blutes, eine Hyperleukozytose, wie sie durch Einspritzung der verschiedensten Substanzen künstlich hervorgerufen werden kann, hat einen ganz ähn- lichen Effekt und vermehrt die bakteriziden Kräfte des Serums mehr oder weniger beträchtlich, so daß also zweifellos eine Beziehung zwischen dem Leukozytengehalt und der Wirksamkeit der betreffenden Flüssig- keiten zu bestehen scheint. Zentrifugiert man nun aus einem solchen Aleuronatexsudat, das fast ausschließlich polynukleäre Elemente oder Mikrophagen enthält, die weißen Blutkörperchen ab, wäscht sie so lange mit physiologischer Kochsalzlösung, bis sie von den anhaftenden Flüssigkeitsspuren voll- kommen befreit sind und tötet sie dann durch Gefrierenlassen und Wiederauftauen ab, so geben die Zellen bei längerer Digestion im Brutschranke reichliche Mengen bakterizider Substanzen ab, welche, wie die des Serums, bei höherer Temperatur ihre Wirksamkeit verlieren, also inaktiviert werden. Da man zunächst keinen Grund dazu hatte, an der Identität dieser aus den weißen Blutkörperchen ausgelaugten bakterienfeindlichen Stoffe mit den Bakteriolysinen des Serums zu zweifeln, so schien durch diese Versuche der leukozytäre Ursprung der letzteren zweifellos recht wahrscheinlich gemacht. GENGoU hat die eben dargelegten von Baıt, HAHN, SCHATTENFROH und anderen Forschern festgestellten Tatsachen vollauf bestätigt und hat eine neue sehr interessante Beobachtung hinzufügen können. Wie bereits er- wähnt, bestehen die nach Aleuronateinspritzung angesammelten Exsudate fast ausschließlich ausMikrophagen, also aus kleinen polymorphkernigen Leukozyten. Verschafft man sich nun aber Exsudate, die reich an Makrophagen sind, was ohne Schwierigkeit gelingen soll, wenn man Kaninchen ausgelaugte Meerschweinchenerythrozyten in die Pleurahöhle injiziert, und extrahiert die abzentrifugierten und gewaschenen Blut- zellen in derselben Weise, wie wir dies eben für die Mikrophagen der Aleuronatexsudate beschrieben haben, so findet man die so erhaltenen Flüssigkeiten nur ganz schwach bakterizid oder sogar vollkommen wirkungslos. Es scheint also, daß nur die polynukleären Leuko- zyten als Quelle der bakteriziden Substanzen des Serums an- zusehen sind, daß hingegen die mononukleären Makrophagen ent- weder gar keine oder nur sehr wenig bakteriolytische Komplemente produzieren. Dagegen sollen die Makrophagen nach METSCHNIıkoFFrs Schüler TArRASSEWITSCH die Ursprungsstätte der hämolytischen Komplemente darstellen, so daß sich also folgendes sehr einfache Schema ergeben würde: A. Mikrophagen: nehmen, wie wir in dem Kapitel über Phago- zytose gesehen haben, mit Vorliebe Bakterien auf; produzieren ein bakteriolytisches Komplement. (Mikrozytase nach METSCHNIKOFFS Nomenklatur.) XI. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 129 B. Makrophagen: nehmen besonders tierische Zellen, unter anderem rote Blutkörperchen, in ihr Inneres auf; produ- zieren ein hämolytisches Komplement. (Makrozytase.) Beide „Zytasen‘ sollen dabei ihre Wirksamkeit sowohl inner- halb der Phagozyten (also bei der Verdauung und Auf- lösung der aufgenommenen Formelemente) als auch außerhalb derselben (in Form der Serumhämolyse bezw. Bakteriolyse) zu entfalten imstande sein, so daß also die Zerstörung fremd- artiger Zellen stets durch ein und dieselbe wirksame Substanz bedingt wäre, gleichgültig. ob sie sich intrazellulär oder extra- zellulär abspielt. Leider hat jedoch eine aus dem EnrricHschen Institut hervor- gegangene Arbeit von KorscHhun und MOoRGENROTH gezeigt, dab Tarass£wItsch bei seinen Versuchen über die Makrozytase einer Täuschung unterlegen ist und daß die von ihm aus makrophagenhaltigen Organen gewonnenen Extrakte zwar hämolytische Eigenschaften besitzen, daß die wirksamen Substanzen derselben sich aber durch ihre Resistenz gegen einstündiges Erhitzen auf 100°, durch ihre Alkohollöslichkeit, durch die mangelnde Komplexität ihrer Wirkung sehr wesentlich von den Komplementen des Blutserums unterscheiden. Überdies hat NEv- FELD durch eine sehr einleuchtende Überlegung dargetan, daß die Fehlen Leukozyten hier unmöglich als Komplementquelle in Betracht kommen ;;, km Km- können, und zwar aus “dem einfachen Grunde, weil sie selbst intra Plements in vitam gar kein hämolytisches Komplement enthalten. Verfolgt Leukozyten. man nämlich das Schicksal von ambozeptorbeladenen und innerhalb der Phagozyten gelegenen roten Blutkörperchen, so findet man, daß ihre Auflösung und Verdauung ganz unvergleichlich viel langsamer vor sich geht, als ihre Hämolyse im zellfreien Serum, ja daß selbst nach Stunden und sogar nach mehreren Tagen noch völlig erhaltene Erythrozyten innerhalb der Freßzellen gelegen sein können, während sich die sensibilisierten roten Blutkörperchen im Serum schon bei An- wesenheit außerordentlich geringer Komplementmengen binnen wenigen Minuten vollkommen auflösen. Diese von allen Beobachtern festgestellte Tatsache ist aber mit der Annahme unvereinbar, daß die Leukozyten die Komplementbildner darstellen und das Komplement erst durch Sekretion oder durch ihren Zerfall an das Serum abgeben, denn dann müßten sie dasselbe notwendigerweise in bedeutend größerer Konzentration enthalten als das Serum, derart, daß ein Makro- phag nach den Berechnungen von NEUFELD imstande sein müßte, S000—10000 sensibilisierte Blutkörperchen fast momentan aufzulösen. Da dies, wie gesagt, durchaus nicht der Fall ist, so wird man NEUFELD recht geben müssen, der die intrazelluläre und extrazelluläre Zerstörung der Blutkörperchen für zwei völlig voneinander verschiedene Vorgänge erklärt und die erstere für einen vitalen VerdauungsprozeßB anzusehen geneigt ist, der sicher ohne Beteiligung von Komplement verläuft. Wir besitzen daher gegenwärtig keine sicheren Anhaltspunkte dafür, an welcher Stelle die hämolytischen Komplemente gebildet werden. Aber auch über die Herkunft der bakteriolytischen Serumstoffe Verschieden- sind, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, die Akten heute noch re keineswegs geschlossen. Es haben sich nämlich im Laufe der Zeit er immer mehr Tatsachen herausgestellt, welche mit der ursprünglich an- stof. genommenen Identität der Leukozyten- und der Serumstoffe unvereinbar erscheinen. Zwar, daß die wirksame Substanz der Leukozytenextrakte, Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 9 Endolysine 130 IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. wie schon SCHATTENFROH gefunden hatte, wesentlich hitzebeständiger ist, als die des Serums, wird man wohl nicht allzu hoch anschlagen dürfen, da ja die Inaktivierungstemperatur wirksamer Stoffe, z. B. der Fermente, sehr beträchtlich mit der Natur des umgebenden Mediums, speziell mit seinem Salzgehalt, zu schwanken pflegt. Auffallender ist schon, daß die Wirkung der Leukozytenextrakte meist eine wesentlich langsamere ist als die des Serums, und nicht an die Anwesenheit von Neutralsalzen geknüpft erscheint, die ja, wie wir bereits wissen, bei den Serumbakteriolysinen eine so wichtige Rolle spielen. Auch daß man die keimtötenden Eigenschaften des Serums gewissen Bakterien gegen- über durch wiederholtes Schütteln mit Äther aufheben kann, während die Leukozytenextrakte hierbei nichts von ihrer Wirksamkeit einbüßen, läßt sich wohl kaum mehr mit der Annahme vereinen, daß es sich in beiden Fällen um identische Stoffe handelt. Von ausschlaggebender Bedeutung erscheint jedoch die von verschiedenen Seiten gemachte Beobachtung, daß gerade solchen Bakterienarten gegenüber, die, wie der Typhusbazillus, der Choleravibrio oder der Vibrio METSCHNIKOFF, für die bakteriziden Serumwirkungen sehr em- pfänglich sind, die Leukozytenextrakte oft vollkommen ver- sagen. ; Alle diese Tatsachen haben denn auch eine ganze Reihe von Forschern bewogen, die Identität der bakterienfeindlichen Leukozyten- stoffe mit den Alexinen strikte zu leugnen und damit auch den leuko- zytären Ursprung der letzteren als zum mindesten unbewiesen abzulehnen. Aber auch als Quellen der bakteriolytischen Komplemente kommen die Leukozyten nach den neuesten Untersuchungen nicht oder wenigstens nicht ausschließlich in Betracht. Denn AscHER, PETTERSSON, KORSCHUN konnten zeigen, daß in den Leukozyten keine Stoffe enthalten sind, die imstande wären, inaktives Cholera- oder Typhusimmunserum zu komplettieren. Allerdings konnten auch andere Organe in diesen Fällen nicht mit Sicherheit als Komplementbilder angesprochen werden, so daß also die Frage nach der Ursprungsstätte dieser wirksamen Stoffe derzeit noch keine befriedigende Antwort erhalten kann. Sind also alle diese zum Teil recht mühevollen Versuche, die Quellen der bakteriziden Serumstoffe aufzudecken, wie man sieht, ge- scheitert, so haben sie doch ein anderes und zwar prinzipiell außer- ordentlich wichtiges Ergebnis gehabt. Sie haben uns nämlich gelehrt, daß die bakteriziden Substanzen des Blutserums, mit denen man sich lange Zeit fast ausschließlich be- schäftigt hatte, keineswegs die einzigen keimfeindlichen Stoffe des tierischen Organismus darstellen, sondern daß man neben ihnen noch bakterizide Leukozytenstoffe von z. T. recht bedeutender Wirksamkeit zu unterscheiden hat, die in vielen Eigenschaften wie in der Komplexität ihres Baues, ihrer Unlöslichkeit in Alkohol und Äther, ihrer Zerstörbarkeit durch die Siedehitze, mit den Serumalexinen übereinstimmen, in anderen aber von ihnen wesentlich abweichen. PETTERsson, der diesen wirksamen Substanzen der Leukozytenextrakte eine Reihe von wichtigen Unter- suchungen gewidmet hat, hat vorgeschlagen sie zum Unterschied von den Bakteriolysinen des Blutserums als Endolysine zu bezeichnen. Außerdem hat PETTERSsoN aber auch noch alkohollösliche kochbeständige Stoffe von keimtötender Wirkung aus den weißen Blutkörperchen isolieren können. IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 131 Noch einer Streitfrage müssen wir hier kurz Erwähnung tun, die Alexine als sich an die oben besprochenen Studien über die Herkunft der ‚‚Alexine* aus den Leukozyten angeschlossen hat. Während nämlich METSscHNI- KOFF, wie wir gesehen haben, die bakteriziden Substanzen nur durch Zerfall der weißen Blutkörperchen frei werden ließ, deren Übergang in das Blut somit als einen Absterbevorgang auffaßte, suchten BucHNER und seine Schüler darzutun, daß dieselben auch durch einen Sekretionsvorgang, nach Art von Verdauungssäften, von den lebenden und intakten Zellen abgesondert werden können. Man suchte diesen Nachweis dadurch zu erbringen, daß man Leukozyten in inakti- viertem Serum fremder Tierspezies aufschwemmte und zeigte, daß das Gemisch allmählich bakterizide Eigenschaften annahm. Da die Leuko- zyten in dem inaktiven Serum keinerlei Schädigung erleiden sollten, welche deren Tod und Auflösung hätten bedingen können, so folgerte man, dab sie jene bakteriziden Substanzen nur auf dem Wege einer aktiven Sekretion abgeschieden haben konnten. Nach unseren früheren Ausführungen ist es wohl klar, daß damit die Beweisführung wieder auf ein Gebiet hinübergespielt wurde, auf welchem selbst die subtilsten Experimente nicht zu einer Entscheiduug führen können, und in der Tat hat denn auch METSCHNIKOFF sofort gegen diese Versuche der Buchxerschen Schule seinen stereotypen, diesmal aber wohl sehr berechtigten Einwand erhoben, daß fremdes Serum auch nach dem Er- hitzen eben keine ganz unschädliche Flüssigkeit für so zarte Gebilde sei, wie es die Leukozyten darstellen. Da überdies die Zahl der intakten und lebenden Leukozyten bei diesen Versuchen nach Tromns- DORF nur 60—80°/, der Gesamtmenge betrug, also schlimmstenfalls 20—40 °/, derselben abgestorben sein konnten, so wird man wohl zugeben müssen, daß der versuchte Beweis für die Sekretionstheorie in der Tat mißlungen war. Ich möchte übrigens hier hervorheben, daß meines Erachtens der Frage, ob die Bakteriolysine durch Sekretionsvorgänge oder durch Zell- zerfall in Freiheit gesetzt werden, doch nur eine ziemlich untergeordnete Bedeutung zukommt. Der Grund, weshalb Bucher die Sekretions- theorie so sehr am Herzen lag, ist wohl darin zu suchen, daß er be- fürchtete, die wichtige Rolle der von ihm so eingehend studierten Serumwirkungen im Kampfe gegen die Infektionserreger könnte ge- schmälert erscheinen, wenn sich die aktiven Stoffe als Zerfallsprodukte der Leukozyten herausstellen würden. Bedenkt man nun aber, daß zweifellos schon im normalen Stoff- wechselgetriebe des Organismus Leukozyten zu Grunde gehen und ihre bakteriolytischen ‚„‚Endoenzyme‘ an das Blut abgeben können, daß ferner auch in Exsudaten, welche sich infolge lokaler Bakterieninvasion ' ansammeln, sicher ein Teil der fragilen zelligen Elemente unter dem Ein- flusse der bakteriziden Giftstoffe — z. B. der Leukozidine — der Auf- lösung verfällt, so leuchtet wohl ein, daß zu der obigen Befürchtung keinerlei Grund vorhanden ist. Denn, wie Haıny bei einer Gelegenheit sehr richtig hervorhebt, der Punkt, um den sich die Frage dreht, ist nur der: „Ist die Vernichtung der Bakterien an die Gegenwart der lebenden Zelle gebunden, kann diese Wirkung nur direkt von der organisierten Substanz ausgehen, oder sind die bakteriziden Substanzen auch von den Leukozyten abtrennbar, kann die bakterizide Wirkung auch ohne die Gegenwart der lebenden Zelle, durch gelöste Stoffe, die von den Leukozyten ausgeschieden werden, erfolgen?“ 9 Sekretions- oder Zer- fallspro- dukte der Leukozyten. „Leukine*. 132 IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. Ist das letztere der Fall, wie wir durch unsere Ausführungen zum min- desten wahrscheinlich gemacht zu haben glauben, dann erscheint der spezielle Vorgang, durch welchen die Bakteriolysine in die Körpersäfte gelangen, ziemlich irrelevant, vorausgesetzt nur, daß er schon phy- siologischerweise stattfindet und einen gewissen Gehalt an wirksamen Substanzen in diesen Flüssigkeiten aufrecht er- hält. Dieser Forderung dürfte aber die Annahme eines konstant vor sich gehenden Leukozytenzerfalles im Organismus wohl genau ebenso (renüge leisten, wie die Sekretionstheorie. In neuerer Zeit hat jedoch SCHNEIDER einige außerordentlich interessante Beobachtungen gemacht, welche denn doch ziemlich über- zeugend für eine Sekretion von bakterienfeindlichen Stoffen durch die Leukozyten zu sprechen scheinen. Zunächst konnte SCHNEIDER zeigen, daß Leukozyten von Kaninchen, Meerschweinchen, Hühnern und Gänsen bei etwa !/,—!/, Stunde lang andauernder Digestion mit physiologischer Kochsalzlösung, die eine Beimischung von 5°/, inaktiven Serums ent- hält, an ihre Suspensionsflüssigkeit große Mengen bakterizider Sub- stanz abgeben. Die Leistungsfähigkeit der weißen Blutkörperchen war unter diesen Versuchsbedingungen eine so bedeutende, daß selbst nach drei, ja nach fünf aufeinander folgenden Extraktionen noch immer aktive Stoffe aus ihnen gewonnen werden konnten. Wurden nun aber die Leukozyten während der Dauer des Digestionsversuches in gut verschlossenen Röhrchen gehalten, die mit gewaschener Kohlensäure angefüllt waren, so blieb die Abgabe der bakte- riziden Stoffe vollkommen aus, die erhaltenen Extrakte erwiesen sich als vollkommen inaktiv und gestatteten den eingesäten Bakterien eine fast uneingeschränkte Vermehrung. Daß die Leukozyten aber nicht etwa durch die Einwirkung der Kohlensäure getötet worden waren, sondern sich nur in einem vorübergehenden Zustand von Asphyxie befanden, war nicht schwer zu zeigen. Wurden dieselben nämlich in ein neues kohlensäurefreies Röhrchen übertragen und wurde ihnen Zeit gelassen, sich aus ihrer Narkose zu erholen, so erlangten sie nicht nur ihre vorübergehend geschädigten phagozytären Fähigkeiten wieder, son- dern sie vermochten auch von neuem wieder bakterizide Stoffe an die Serumkochsalzlösung abzugeben. Dab dieses schöne Ex- periment kaum anders als im Sinne einer aktiven Sekretion der bakterien- tötenden Stoffe durch die Leukozyten gedeutet werden kann, muß zuge- geben werden. Nach der Annahme von GRUBER und FurAkt hätte man sich diesen Vorgang dabei so vorzustellen, daß in dem Blutserum, aber auch in anderen Körperflüssigkeiten ein besonderer Stoff, ein Stimulin, vor- handen sei, das die Leukozyten zur Absonderung der bakteriziden Sub- stanzen reize. Ob dabei diese aktiv sezernierten Leukozytenstoffe, die SCHNEIDER als Leukine bezeichnet, mit den in etwas gewaltsamerer Weise isolierten PETTERSSoNschen Endolysinen identisch sind, ist heute noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Jedenfalls sind sie, wie diese, relativ thermostabil und haben sie nichts mit den bakteriziden Stoffen des Blutserums zu tun. Was nun aber den Leukinen bezw. Endolysinen eine ganz besondere Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, daß sie nicht etwa nur im Reagenzglasversuch eine Rolle spielen, sondern daß sie zweifellos auch bereits im Tierkörper zur Wirkung gelangen. Schon vor einigen Jahren haben GRUBER und FUTsAkI ge- IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 133 zeigt, daß solche bakterizide Stoffe leukozytären Ursprungs in der Zell- gewebslymphe enthalten sind, die man mit Leichtigkeit in größerer Menge gewinnen kann, wenn man etwas sterile Gaze oder Watte unter die Haut eines Versuchstieres bringt, und nach 1—2 Stunden wieder aus der Hauttasche entfernt. Durch Auspressen und Zentrifugieren kann man aus dem vollgesogenen Bäuschchen dann eine Flüssigkeit erhalten, die je nach der zum Versuche benutzten Tierspezies sich ver- schieden verhält und z. B. beim Huhne Milzbrandbazillen gegenüber eine sehr bedeutende keimtötende Wirkung entfaltet, beim Kaninchen und besonders beim Meerschweinchen aber fast jeder anthrakoziden Wirkung entbehrt. Wie leicht nachzuweisen war, stammen diese bak- terienfeindlichen Stoffe der Gewebslymphe des Huhnes nicht etwa aus dem subkutanen Bindegewebe, auch nicht aus dem Blutserum, das bei „Stimu- diesem Tiere fast wirkungslos für Milzbrandbazillen ist, sondern ledig- Wikene lich aus den Leukozyten, und zwar erwiesen sich die letzteren beit Sn kurzdauernder Digestion mit frischem oder aktivem Hühner- serum oder mit Stauungsödemflüssigkeit als eine fast uner- schöpfliche Quelle milzbrandfeindlicher Stoffe. Dagegen zeigten sich die Leukozyten des Kaninchens bei der Digestion mit der in der oben geschilderten Weise gewonnenen Gewebslymphe ganz unvergleich- lich ärmer an anthrakoziden Substanzen, so daß hiermit also eine befriedigende Erklärung für die verschiedene Wirksamkeit der Gewebs- flüssigkeiten bei den genannten Tierspezies gefunden erscheint, die, wie wir noch sehen werden, von größter Bedeutung für ihre Widerstands- fähigkeit gegenüber dem Milzbrandbazillus sein dürfte. Von ganz besonderem Interesse ist nun aber die weitere Tatsache, ,‚Stimu- daß Stauungslymphe sich als ein bedeutend wirksameres wirkuneder Mittel herausstellte, um den Kaninchenleukozyten ihre spär- er lichen milzbrandfeindlichen Stoffe zu entziehen, als die ein- fache Wattelymphe, und daß dementsprechend nach den Versuchen von SCHNEIDER auch vom Kaninchen und Meerschweinchen stark bak- terizide und gegen Milzbrandbazillen, Typhusbazillen und Staphylokokken aktive Gewebsflüssigkeiten gewonnen werden konnten, wenn die Extremi- täten der Versuchstiere der Brerschen Stauung unterworfen wurden. Wie es scheint, enthält also das Stauungsödem mehr von jenen hypothetischen Stimulinen GRUBERsS und FuTAkıs, die die Leukozyten zur Abgabe ihrer keimfeindlichen Sekrete zeigen sollen, als die gewöhn- liche „Wattelymphe“ und SCHNEIDER ist denn auch geneigt, gerade in diesen Eigenschaften der Ödemflüssigkeiten einen der wichtigsten Heil- faktoren bei der Bıerschen Stauung zu erblicken, der zu einer lokalen Anhäufung bakterizider Leukozytenstoffe führen muß. | Aber auch mit den eben besprochenen Leukinen oder Endoly- sinen ist die Zahl der bakterienfeindlichen Stoffe des Organismus noch nicht erschöpft. GRUBER nnd FuTakı haben nämlich beobachtet, daß das unter besonderen Kautelen gewonnene Blutplasma der Ratte und und des Kaninchens Milzbrandbazillen gegenüber vollkommen wirkungs- los ist, während das demselben Blute entstammende Serum, wie dies ja seit langem bekannt ist, starke anthrakozide Eigenschaften besitzt. Da nun aber dieses für Milzbrandbazillen vollkommen unschädliche Blut- plasma bei diesen Versuchen sowohl gegen rote Blutkörperchen wie gegen Typhusbazillen volle Wirksamkeit entfaltete, also den gleichen Gehalt an Hämolysinen und Bakteriolysinen aufwies, wie das Serum, so mußte hieraus notwendiger Weise der doppelte Schluß abgeleitet Bakterizide Stoffe der Blutplätt- chen. Serumwir- kung beim infizierten Tier. 134 IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. werden, daß einerseits die anthrakozide Wirkung des Serums nichts mit seinen sonstigen bakteriziden Eigenschaften zu tun hat, und dab andererseits das lebende Blut bezw. Blutplasma frei von milzbrandfeindlichen Stoffen ist. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, dab diese Stoffe erst bei der Grerinnung des Blutes freiwerden und sich dem Serum beimischen und tatsächlich gelang es denn auch GRUBER und Furakı bei ihren weiteren Untersuchungen festzustellen, woher diese Stoffe stammen. Der nächstliegende Gedanke, daß es sich um Substanzen leukozytären Ursprungs handeln könnte, mußte bald aufgegeben werden. Wurden dagegen gut gewaschene Blut- plättchen des Kaninchens oder der Ratte, wie sie durch fraktioniertes Zentrifugieren aus Zitratblut leicht frei von anderen geformten Blut- elementen gewonnen werden können, mit Watte- oder Stauungslymphe oder auch mit bei 65° inaktiviertem Serum zusammengebracht, so ver- mochten sie diesen Flüssigkeiten binnen kürzester Zeit kräftige anthra- kozide Wirksamkeit zu erteilen. Auf andere Bakterienarten, wie auf Erythrozyten, vermochten diese Plättchenstoffe aber nicht einzuwirken, ein Beweis, daß es sich hier nicht um die gewöhnlichen Serumbakte- riolysine, sondern um besondere Stoffe sui generis handelte. Wie die milzbrandfeindliche Substanz des Serums waren auch diese Blutplättchen- extrakte bei 56°C thermostabil und es kann nach alledem kaum zweifel- haft sein, daß das Serum der genannten Tiere seine Wirksamkeit gegenüber dem Anthraxbazillus in der Tat diesen Plättchenstoffen verdankt, die offenbar erst bei dem Gerinnungsvorgange des Blutes in Lösung gehen. Fassen wir alle die bisher besprochenen bakteriziden Schutzstoffe der Körpersäfte unter dem Namen der Alexine zusammen, eine Be- griffserweiterung, die wohl gestattet sein dürfte, da sie zweifellos im Sinne der ursprünglichen Wahl dieses Namens gelegen ist, so hätten wir also dreierlei Arten von Alexinen zu unterscheiden. 1. Serumalexine, i.e. die eigentlichen Bakteriolysine. 2. Leukozytenalexine, je nach der Art ihrer Gewinnung als Leukine oder Endolysine bezeichnet. 3. Blutplättchenalexine. Nachdem wir nun die Grundtatsachen der bakteriziden Wirkungen des Serums und der Gewebsflüssigkeiten in großen Zügen kennen ge- lernt haben, drängen sich uns sofort eine Reihe weiterer Fragen auf, welche uns wieder zu der Betrachtung des infizierten tierischen Orga- nismus zurückführen. Die Studien, deren Ergebnisse wir bisher kurz mitgeteilt haben, bezogen sich lediglich auf das gesunde Individuum. Wie verhalten sich jedoch die bakteriziden Kräfte des Blutes beim erkrankten, ins- besondere beim infizierten Tiere? Diese Frage ist von einer Reihe von Autoren für die Milzbrand- infektion experimentell in Angriff genommen worden und hat zunächst von den verschiedenen Seiten eine ziemlich widersprechende Beantwor- tung erfahren. Allmählich haben sich jedoch die Anschauungen geklärt, die einander scheinbar ganz unvermittelt gegenüberstehenden Versuchs- ergebnisse der Experimentatoren konnten unter gemeinsame Gesichts- punkte gebracht werden, und es dürfte heute folgende Darstellung des Sachverhaltes gegeben werden können. IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 135 Die Milzbranderkrankung des Kaninchens ist zunächst, wie auch Milzbrand- Coxkapı hervorgehoben hat, eine rein lokale. Wınve, der eine, wie !pktion es scheint, abschließende Untersuchung über diese Frage veröffentlicht Kaninchen. hat, schildert den Verlauf dieser Infektion in ungefähr folgender Weise: Ganz unabhängig vom Infektionsmodus gelangen die Milzbrandbazillen schon sehr bald in die Kapillaren der inneren Organe, besonders der Milz, welche ihnen wohl besonders günstige Wachstumsbedingungen bieten müssen; bei der hier erfolgenden Vermehrung werden immer einzelne der aus den Kapillaren in größere Gefäße hineinwuchernden Bazillen vom Blutstrom losgespült und gelangen so in das zirkulierende Blut, wo sie teils durch die Schutzstoffe vernichtet werden, teils sich in neuen Kapillargebieten derselben oder anderer Organe festsetzen. So bilden sich im Verlaufe der Erkrankung stets neue Infektionsherde, von denen aus immer größere Mengen von Bazillen in den Kreislauf gelangen, bis schließlich die Reservekräfte des Organismus erschöpft sind und eine förmliche Wucherung der Bazillen im zirkulierenden Blute stattfindet. Diese Überschwemmung des Blutes und aller Gewebe Serum-. mit Milzbrandbazillen tritt jedoch erst in der Agonie ein. In ee früheren Stadien finden sich zwar im Blute auch nicht selten vereinzelte Bazillen, welche durch die Plattenmethode nachgewiesen werden können, bei mikroskopischer Betrachtung erscheint dasselbe jedoch noch keimfrei. Solange dies nun der Fall ist, erweist sich auch die bakterizide Kraft des Serums vollkommen unge- schwächt, von dem Momente ab hingegen, wo sich mikro- skopisch größere Mengen von Anthraxbazillen im zirkulie- renden Blute nachweisen lassen, ist auch sein keimtötendes Vermögen entweder vollkommen erloschen oder doch in rapider Abnahme begriffen. Da nun, wie wir durch die bereits mehrfach zitierten Arbeiten von RADzIEWSKY wissen, im ganzen Verlauf der infektiösen Erkrankung beträchtliche Bazillenmengen der extrazellulären Auflösung verfallen, wobei die entsprechenden wirksamen Substanzen der Säfte aufgebraucht oder gebunden werd&n, so beweist uns das Konstantbleiben der bakteri- ziden Serumwirkung bis zum letzten Moment, wo die Agonie einsetzt, daß der Organismus so lange imstande sein muß, diese fort- währenden Verluste durch Neubildung von Bakteriolysinen zu decken, und daß erst dann, wenn seine regenerativen Kräfte erlahmen, ein Masseneinbruch von Anthraxbazillen in die Blutbahn erfolgt. Ganz analoge Verhältnisse scheinen auch bei anderen Infektions- krankheiten zu bestehen. So finden sich 2. B. bei der menschlichen Pest im Blute stets nur vereinzelte Stäbchen vor, solange sich die bak- terizide Wirkung desselben intakt erhält, und erst in den letzten Stadien der Erkrankung, wo die Schutzkraft des Serums erlischt, tritt auch in der Blutbahn eine reichliche Vermehrung der Mikroorganismen ein. Untersucht man daher das Blutserum von schwer septisch erkrankten Individuen auf seine lytischen Fähigkeiten, so findet man meist weder quantitative noch qualitative Unterschiede gegenüber dem normalen menschlichen Serum, indem die Schutzstoffe bis kurz vor dem Tode immer wieder regeneriert werden. Diese Tatsache ist für die Theorie der Infektion von größter Be- Aktueller und 3 U und po deutung, denn sie beweist uns, daß für die Vernichtung der einge- tiellerVorrat 9 an Schutz- drungenen Mikroben nicht nur der momentane Gehalt der Körper- stofen. 136 IV. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. säfte an bakterienfeindlichen Substanzen in Betracht kommt, sondern der ganze Vorrat, der überhaupt von dem Organis- mus mobil gemacht werden kann. Diese Erkenntnis zieht nun aber eine weitere, nicht weniger wichtige Konsequenz nach sich. Wenn nämlich nicht so sehr der aktuelle Gehalt der Gewebs- flüssigkeiten an bakteriolytischen Schutzstoffen als der potentiell auf- gespeicherte Vorrat für den Verlauf der Infektionskrankheiten ent- scheidend ist, dann wird man sich wohl auch nicht darüber wundern dürfen, wenn ab und zu Tiere, deren Blutplasma oder Serum normaler- weise gewissen Krankheitserregern gegenüber. nur sehr geringe Wirk- samkeit besitzt, ihrer Vermehrung und Generalisation im Organismus doch erheblichen Widerstand entgegenzusetzen vermögen. Es kommt eben im speziellen Falle nicht darauf an, wie groß der normale Gehalt der Säfte an diesen Schutzstoffen zu sein pflegt, sondern vielmehr darauf, welche Mengen von Schutzstoffen der Organismus im entscheidenden Moment an der Invasionsstelle der Bak- terien zu konzentrieren vermag. Dabei mag der bakterizide Wert der übrigen Organe und Säfte vermehrt, normal oder sogar vermindert sein — maßgebend für den Ausgang des Kampfes zwischen Geweben und Mikroorganismen kann immer nur die Konzentration sein, welche die Schutzstoffe am Orte der Bakterienansiedelung selbst, also am Kriegs- schauplatzel, besitzen. Parallelis- Es ist dies vielleicht nicht überflüssig, sich zu vergegenwärtigen, Bakterizidie da häufig von den Widersachern der Alexintheorie gegen dieselbe ins nd Wiger Feld geführt wurde, dal die bakterizide Wirksamkeit des Blutes einer En Er ER ARE keit. Tierspezies manchmal nicht mit ihrer Widerstandsfähigkeit gegen gewisse Mikroorganismen parallel einhergeht. Eines der bekanntesten und am meisten zitierten Beispiele dieser Art liefert das Verhalten des Hundes gegenüber der Milzbrandinfektion. Erwachsene Hunde sind nämlich gegen den Anthraxbazillus vollkommen immun, gleichwohl besitzt aber ihr Serum so gut wie keine keimtötenden Eigenschaften dieser Bazillenart gegenüber. Ganz analog liegen übrigens die Verhältnisse auch noch bei einer zweiten Tierspezies: nämlich beim Huhn. Wie aus dem Vorhergegangenen klar geworden sein dürfte, liegt jedoch darin vom Standpunkt einer erweiterten Alexintheorie, die das Problem der Resistenz gegen Infektionserreger nicht statisch, sondern Dynamische dynamisch auffaßt, gar kein Widerspruch, da ja die Möglichkeit nicht Alesin. von der Hand zu weisen ist, daß in diesen Fällen die Schutzstoffe erst theorie. nach erfolgter Infektion entstehen. In der Tat haben denn auch Denys und Kaısıy gefunden, daß das Serum des Hundes bald nach der Infektion energische bakterizide Eigenschaften gegenüber diesem Mikroorganismus annimmt. Übrigens hat Baıtn gezeigt, daß auch das Serum des normalen Hundes bezw. Huhnes denn doch nicht aller spezifischen Beziehungen zu dem Anthraxbazillus entbehrt. Es besitzt dasselbe nämlich einen, wie es scheint, nur zu dem Milzbrandstäbchen passenden Ambozeptor, der durch Zusatz minimaler Mengen von aktivem Kaninchenserum zu einem sehr wirksamen Bakteriolysin komplettiert wird. Wie man sieht, bedürfte es also an der Invasionsstelle nur der Produktion geringer Mengen eines geeigneten Komplementes, um die sonst wenig wirksamen Körpersäfte beider Tierspezies in stark bakterizide und milzbrandfeind- IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. 137 liche Flüssigkeiten zu verwandeln. Noch wichtiger, und wohl von ent- scheidender Bedeutung für die Widerstandsfähigkeit speziell des Huhnes gegen Milzbrand ist jedoch die bereits erwähnte Tatsache, daß die auf einen entzündlichen Reiz hin entstehende Gewebelymphe dieses Tieres eine ganz bedeutende anthrakozide Wirkung besitzt, die sie dem Freiwerden von Leukozytenstoffen, der Sekretion von Leukinen durch die weißen Blutkörperchen verdankt. Diesen erst im Moment der Infektion in größerer Menge herbeiströmenden Schutzstoffen ist es wohl zuzuschreiben, daß Milzbrand- bazillen, die in das Unterhautzellgewebe von Hühnern oder Hunden gebracht werden, daselbst außerordentlich rasch zugrunde gehen, ohne sich durch Ausbildung von Kapseln gegen die Wirkung der Körpersäfte schützen zu können. Auch das entgegengesetzte Verhalten mancher Tierspezies hat als Argument gegen die Bedeutung der bakteriziden Serumwirkungen im Kampf mit den pathogenen Keimen dienen müssen. So ist z. B. das Kaninchen recht empfänglich gegen Anthrax, trotzdem zeigt dessen Serum starke bakterizide Wirkung und LusArscH hat sogar nachge- wiesen, dal) dasselbe Kaninchen, dessen Blutserum im Reagenzglas 53700 Keime vernichtet hatte, nach einer Impfung mit ca. 16000 Keimen zugrunde ging. In diesem Falle liegt nun aber die Sachlage tatsächlich insofern anders, als, wie wir bereits wissen und wie GRUBER und FuTak1 gezeigt haben, das lebende Blutplasma des Kaninchens im Gegensatz zu dessen Serum frei von anthrakoziden Stoffen ist. Seine Blutflüssigkeit gewährt ihm also von vornherein nicht den geringsten Schutz vor der Milzbrandinfektion. Aber auch im Unterhautzellgewebe, am Orte der Infektion, begegnen die Milzbrandbazillen beim Meerschweinchen und Kaninchen keinen wirksamen Abwehrvorrichtungen, da ja die Zellgewebslymphe bei diesen Tieren keine milzbrandfeindlichen Stoffe enthält und auch die Leukozyten nur in sehr bescheidenem Ausmaße zur Abgabe solcher zu reizen vermag. So erscheint es denn ganz erklärlich, daß in diesem Falle die Milzbrandbazillen sich außerordentlich rasch an die Existenzbedingungen, die im Unterhautzellgewebe herrschen, anzupassen vermögen, sich binnen kurzem mit Kapseln umgeben und durch den Lymph- und Blutstrom in andere Organe verschleppt werden, wo sie sich dann in den Kapillargebieten anzusiedeln vermögen. Der wesentliche Unterschied, der hiernach zwischen Hund und Kaninchen zu supponieren wäre, wäre somit nicht in den Eigenschaften ihres Blutplasmas zu suchen, das ja in beiden Fällen der anthrakoziden Wirkung entbehrt, sondern darin, daß das Kaninchen nicht be- fähigt wäre, dem Vermehrungsbestreben der Milzbrandbazillen durch lokale Anhäufung von Schutzstoffen erfolgreich entgegenzu- treten. Der Ausgang der Infektion ist also auch hier nicht an einen momentanen Zustand der Gewebe und Säfte gebunden zu denken, sondern muß als das endliche Ergebnis zweier einander fortwährend entgegenarbeitender Prozesse aufgefaßt werden: der Bakterienvermehrung einerseits, der Produktion schützender, bakterienfeindlicher Stoffe am Orte der Invasion andererseits. Da wir nun aber gesehen haben, daß wenigstens ein Teil dieser Stoffe seinen Ursprung zweifellos in den weißen Blutkörperchen nehmen dürfte, so kann man wohl annehmen, daß gerade die Anhäufung der Nutzen der Leukozyten- anhäufung. 138 IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. letzteren in der Umgebung des Infektionsherdes, also deren positive Chemotaxis, mit zu der nötigen Konzentrierung der Schutzstoffe am Kampfplatze beitragen wird, und so hat denn schon BucHhxer den be- deutungsvollen Satz ausgesprochen, daß die Leukozyten eine wich- tige Funktion bei den natürlichen Abwehrvorrichtungen des Organismus besitzen, und zwar — wie erannimmt — weniger im Sinne einer Phagozytose, als im Sinne einer Produktion bakterienfeindlicher Substanzen. Die schönen Untersuchungen von GRUBER und Furakı haben die Richtigkeit dieser Vermutung auf das schlagendste bewiesen. Eine nicht uninteressante Ergänzung haben übrigens die Anschau- ungen BucHsers durch neuere Experimente von PETTERSSON erfahren, nach welchen durch kombinierte Injektion von Leukozyten und Immun- serum eine außerordentlich bedeutende Schutzwirkung gegen die intra- peritoneale Typhus- und Cholerainfektion des Meerschweinchens erzielt werden kann, eine Schutzwirkung, die viel beträchtlicher ist, als bei Ein- spritzung von Serum oder von Leukozyten für sich allen. Da für den unter diesen Umständen auftretenden gesteigerten extrazellulären Bakterien- zerfall weder eine Abscheidung von Komplement durch die Leukozyten noch auch die Mitwirkung anderer bakterizider Substanzen leukozytären Ursprungs verantwortlich gemacht werden konnte, so neigt PETTERSSON der Anschauung zu, daß die Anwesenheit der Leukozyten in der Bauchhöhle eine erhöhte Transsudation von Komplement durch die Blutgefäße veranlasse, wofür er auch einige direkte, experimentelle Beweise zu erbringen vermochte. Damit wäre aber eine neue Möglichkeit aufgedeckt, wie die Leukozyten von Nutzen für den infizierten Organismus werden könnten, wobei allerdings erst erwiesen werden müßte, ob diese Anziehung von Komplement auch unter den natürlichen Verhältnissen tatsächlich eintritt oder nur etwa durch die besonderen Bedingungen des geschilderten Experimentes hervorgerufen wurde. Daß man heutzutage aber auch der Freßtätigkeit der Leuko- zyten eine größere Bedeutung im Kampfe mit den Mikroorganismen zuschreibt als noch vor einigen Jahren, haben wir bereits mehrfach erwähnt und werden wir im nächsten Kapitel noch ausführlicher zu besprechen haben. Literatur. GeNn6sor, Annal. de l’Inst. Pasteur, Tome XV, 1901. HEWLETT, Arch. f. experim. Pathol. u. Therap., Bd. II, 1903. DELEZENNE, Arch. de physiol., 1897. Farrosse, Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 1903. LAnBoTTE, Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. XXXIV, 1903. Sweer, Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. XXXIII, 1903. Levapırı, Annal. de l’Inst. Pasteur, Tome XV, 1901. METSCHNIKOFF, Immunität bei Infektionskrankheiten. R. PrEIFFER, Deutsche med. Wochenschr., 1896. Aseı, Zentralbl. f. Bakt., 1896. WOorLrrF-Eisner, Berl. klin. W. 1903. AscHER, Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. XXXII, 1902, GRUBER, Münch. med. Wochenschr., 1901. Buc#xer, Münch. med. Wochenschr., 1894. HaBn, Arch. f. Hyg., Bd. XXV. SCHATTENFROH, Arch. f. Hyg., 1897. IX. Die bakteriziden und globuliziden Serumwirkungen. Baır, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXX, 1897. Tarass£wırsch, Annal. de l’Inst. Pasteur, 1902. NeEurELD, Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, 1908. KorscHun und MORGENROTH, Berl. klin. Wochenschr., 1902. TROMMSDORF, Arch. f. Hyg., Bd. XL, 1901. Coxrapı, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXIV, 1900, Wırpe, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVII, 1901. Rapzırwsky, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVII, 1901. Baır, Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. XXXIII, 1903. Lusassch, Zentralbl. f. Bakt., Bd. VI, 1889. PETTERsson, Zeitschr. f. Immunitätsforschung, Bd. I, 1908. Ders., Zentralbl. f. Bakt., Bd. XL u. LXII, 1906. GRUBER und Furakı, Münchn. med. W. 1907. SCHNEIDER, Münchn. med. W. 1908. BaıL u, Pertersson, Z. f. Bakt. I. Abt. Bd. XXXIV, 1903. 139 Metschni- koffs Stimuline. Phagozytose in vitro. „Phagocytic count.“ X. Die Opsonine. Im Anschluß an die bakteriziden Wirkungen der Blutsera, die wir in den vorangegangenen Vorlesungen genauer kennen gelernt haben, müssen wir nun noch einer Eigenschaft des Serums bezw. Plasmas ge- denken, welche gerade in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der Im- munitätsforscher in hohem Grade in Anspruch genommen hat, einer Eigenschaft, die in gewissem Sinne der bakterientötenden Fähigkeit der Körpersäfte nahesteht, sich aber dadurch sehr wesentlich von ihr unterscheidet, daß sie, um in Erscheinung zu treten, ge- formter zelliger Elemente, der Phagozyten, bedarf. Bereits vor längerer Zeit hatte METSCHNIKoOFF die Vermutung ausge- sprochen, dal) in den Körpersäften Substanzen vorhanden sein müßten. unter deren Einflusse die Phagozyten eine gesteigerte Tätigkeit entfalten und die er als Stimuline bezeichnete, da er sich vorstellte, daß diese Substanzen direkt anreizend auf die Leukozyten einwirken. Hat sich seine Anschauung wenigstens in dieser Form auch als unzutreffend er- wiesen, so hat dieselbe doch den Ausgangspunkt für eine Reihe von außerordentlich wichtigen Entdeckungen abgegeben, die zum größten Teil an den Namen WrıeHTs und seines Mitarbeiters DousLas ge- knüpft sind, wenn auch die ersten grundlegenden Experimente in dieser Richtung schon von DENYs angestellt und in vollkommen richtiger Weise gedeutet worden waren. WrısHT und DousLas studierten das Phänomen der Phagozytose im Reagenzglas mit Hilfe einer eigens zu dem Zwecke ausgearbeiteten Methodik, welche es gestattete, den Anteil der verschiedenen hierbei in Betracht kommenden Faktoren, nämlich der Leukozyten, des Serums bezw. Plasmas und der Bakterien gesondert zu ermitteln. Ihr Verfahren bestand im wesentlichen darin, daß Leukozyten (die aus Blut gewonnen wurden, das durch Zusatz von zitronensaurem Natron ungerinnbar ge- macht worden war), in gewissen Mengenverhältnissen mit Serum und einer nicht zu dichten Bakterienaufschwemmung gemischt und für 15 Minuten in den Brutschrank auf 37° © gebracht wurden. Darauf wurde dann ein Tröpfchen des Gemisches auf einen Objektträger vor- sichtig ausgestrichen, um nach Fixierung in Sublimatlösung schließlich mit Leısumanns Modifikation der Romanowskı-Methode gefärbt zu werden. Um an diesen Präparaten nun einen quantitativen Maßstab für die Intensität der Phagozytose zu gewinnen, wurde bei der mikroskopischen Betrachtung notiert, wieviel Bakterien von den einzelnen Leukozyten aufgenommen worden waren, und aus dem Ergebnis der Zählung bei einer größeren Anzahl (20—100) solcher Zellen ein Mittelwert be- rechnet, den Wrıcut als „phagocytie count“, als „Phagozytische X. Die Opsonine. 141 Zahl‘ bezeichnet. Diese Zahl gibt also an, wie viele Bakterien durch- schnittlich in einem weißen Blutkörperchen liegend gefunden wurden. Es ist selbstverständlich, daß dieselbe nicht nur von der Herkunft bezw. Freßfähigkeit der Leukozyten, sondern in hohem Grade auch von der Menge der verwendeten Bakterien abhängig ist und daß daher nur solche Werte des „phagocytic count“ miteinander verglichen werden können, welche — ceteris paribus — sich auch auf gleichen Bakterien- zusatz beziehen. Mit Hilfe dieser Methodik, die übrigens im Laufe der Zeit mancherlei, wenn auch unwesentliche Modifikationen erfahren hat, konnten nun WrıGHT und Douscras zunächst feststellen, dab tat- sächlich im Serum und Plasma Stoffe vorhanden sind, welche die Phagozytose befördern. Die Ergebnisse eines derartigen Ver- suches, bei welchem das Serum in verschiedenen Verdünnungen mit physiologischer Kochsalzlösung bis zur fast vollkommenen Unwirksamkeit in Anwendung kam, sind aus der folgenden Tabelle sehr deutlich zu entnehmen, so daß eine nähere Erläuterung wohl überflüssig sein dürfte. Verdünnung des Phagozytische . r Serums (Mensch) Zahl Bakterienart 3fach 34,2 » 27,2 2 $ an Staphylococceus 48 % 4.95 aureus 96 „ 0,8 192 „ 0,6 War also durch derartige Experimente die Vermutung METScHNI- KOFFS bis zu einem gewissen Grade bestätigt worden, so fragte sich doch andererseits, wie denn diese phagozytosebefördernden Stoffe eigentlich wirken; ob sie tatsächlich die Leukozyten beeinflussen, wie METSCHNI- KOFF meinte, oder ob ihr Angriffspunkt anderswo gelegen ist. Hier setzen nun die originalen Leistungen WRIGHTS und seiner Mitarbeiter DousLas, BuULLocCH und ATkıS ein. Zunächst konnte gezeigt werden, daß das Blutserum durch 15 Minuten lang dauernde Erwärmung auf 60—65° C seine Wirksamkeit fast voll- kommen einbüßt, daß also die phagozytosebefördernden Stoffe des nor- malen Blutserums — im Gegensatz zu denen der Immunsera — etwa ebenso thermolabil sind wie die Bucuxerschen Alexine. Läßt man nun aber das Serum vor seiner Erwärmung '/ı Stunde lang auf Bakterien ein- wirken und bringt das Gemisch beider erst dann auf höhere Temperatur, so zeigt sich keine Beeinträchtigung der Phagozytose; die wirksamen Substanzen des Serums scheinen also durch ihre Berührung mit den Bakterien vor der Inaktivierung geschützt zu werden. Weisen schon diese Erfahrungen mit großer Wahrschein- lichkeit auf eine nähere Beziehung der phagozytosebefördernden Stoffe zu den Bakterien hin, so wurde dieselbe durch eine Reihe weiterer Experi- mente zur völligen Gewißheiterhoben. Es gelang nämlich, in vollkommener Analogie zu den im vorhergehenden Kapitel besprochenen Absorptions- versuchen an Bakteriolysinen und Hämolysinen, aktives Blutserum durch Zusatz von Bakterien, die nach längerer Einwirkung bei 0° oder 37°C wieder mit Hilfe der Zentrifuge entfernt wurden, gänzlich seiner phagozytosebefördernden Kraft zu berauben. Somit kann es keinem Zweifel unterliegen, daß tatsächlich eine Fixierung der Phagozytose befördernde Stoffe im Serum. Inaktivie- rung dieser toffe. Absorption durch Bakterien. Opsonine. Spontane Phagozytose, 142 X. Die Opsonine. wirksamen Substanzen auf die Bakterien stattfindet, und da es überdies mit solchen, aus dem Serum abzentrifugierten und „sen- sibilisierten“ Bakterien möglich war, hochgradige Phagozytose zu er- zielen, so erscheint die Beweiskette geschlossen und dargetan, dal die fraglichen Stoffe nicht etwa auf die Leukozyten als solche stimulierend wirken, sondern daß sie die Bakterien, von denen sie absorbiert werden, derart beeinflussen, daß diese leichter von den Phagozyten aufgenommen werden können. Die Leukozyten geben also hier nur gewissermaßen einen Indi- kator für die eingetretene „Sensibilisierung“ der Bakterien ab und sind selbst nur indirekt bei dem ganzen Vorgang beteiligt. Dies macht es begreiflich, daß Bakterien, die der Einwirkung des Serums einer be- stimmten Tierspezies unterworfen wurden, nicht nur von den zugehörigen Leukozyten, sondern auch von denen einer beliebigen anderen Tier- spezies begierig aufgenommen werden; so tritt z. B. lebhafte Phago- zytose ein, wenn menschliche Leukozyten mit Staphylokokken zusam- mengebracht werden, die durch Serum von Meerschweinchen, Kaninchen, Hunden, Ziegen, Ratten, Pferden, Schweinen, Katzen, Hühnern, Schild- kröten, Fröschen, ja selbst von Holothurien und Seeigeln sensibilisiert wurden. Für den quantitativen Verlauf des Phagozytoseversuches freilich ist die Art der benutzten Leukozyten keinesweg gleichgültig und TscaıstowItscH hat z. B. zeigen können, daß bei Verwendung ein und desselben Serums und ein und derselben Bakterienaufschwemmung Hundeleukozyten ganz andere Freßzahlen ergaben, als Leuko- zyten vom Kaninchen. Da die phagozytosebefördernden Substanzen des Blutserums also die Bakterien gewissermaßen zum Schmause für die Phagozyten zubereiten und geniebar machen, so hat WRIGHT für sie den Namen Opsonine geprägt, der von dem Verbum „opsonare* — zur Nahrung zubereiten, abgeleitet ist und sich bereits in der Literatur Bürgerrecht erworben hat. Daß es sich hierbei nicht etwa, wie man vielleicht vermuten könnte, um eine primäre, extrazellulär vor sich gehende Abtötung der Mikroorganismen handeln kann, die dann erst sekundär von der Auf- nahme der Bakterienleichen durch die Phagozyten gefolgt wäre, haben NEUFELD und Rımpau durch besondere Versuche dargetan, die sich aller- dings zunächst nicht auf die Opsonine der normalen Sera, sondern auf Immunopsonine beziehen, aber wohl mit vollem Recht verallgemeinert werden dürfen. Eine ganze Reihe weiterer wichtiger Fragen knüpfte sich sofort an die Entdeckung der Opsonine. Zunächst war es nämlich von Inter- esse zu untersuchen, ob die Leukozyten ihre Freßtätigkeit den Bakterien gegenüber nur bei Anwesenheit von Opsoninen entfalten oder ob es auch eine spontane Phagozytose gibt, die in indifferenten Medien, z. B. in physiologischer Kochsalzlösung, vor sich geht. Schon a priori war zu erwarten, daß das letztere der Fall sein dürfte, da ja auch korpus- kuläre Elemente, wie Karminkörnchen und Tuschepartikelchen, von den Phagozyten aufgenommen werden, also Stoffe, bei denen man die Intervention besonderer Opsonine nicht wohl annehmen kann. In der Tat konnte LöHteın denn auch zeigen, daß selbst sorgfältig gewaschene und von allen anhaftenden Serumspuren befreite Leukozyten eine sehr intensive Phagozytose aufweisen können, wobei sich allerdings heraus- stellte, daß die Art der zu den Versuchen benutzten Bakterien von entscheidender Bedeutung für das schließliche Ergebnis war. Während X. Die Opsonine. 143 nämlich die eine Gruppe von Mikroorganismen schon an und für sich, ohne Mitwirkung des Serums, leicht von den Leukozyten aufgenommen wurde, war eine zweite Gruppe nur bei Anwesenheit von ÖOpsoninen phagozytabel, während eine dritte Gruppe selbst bei Gegenwart des Serums von seiten der Phagozyten verschmäht wurde. Noch in anderer Hinsicht konnten übrigens von WRIGHT wesent- liche Unterschiede in dem Verhalten der verschiedenen Bakterienspezies konstatiert werden. Ordnete er nämlich die von ihm untersuchten Arten von Mikroorganismen einerseits nach ihrer Empfindlichkeit gegen- über den opsonischen Serumwirkungen, andererseits aber nach ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber den bakteriziden bezw. bakteriolytischen Kräften des Serums, so waren vier Klassen von Bakterien zu unter- scheiden: 1. Bakterien, welche sowohl der bakteriziden wie der opsonischen Einwirkung des Serums in hohem Grade unterworfen sind: als Beispiel können der Choleravibrio und der Typhusbazillus gelten; 2. Bakterien mit hochgradiger Empfindlichkeit für die Opsoninwirkung, hingegen mäßiger Empfindlichkeit für die bakteriolytischen Serumwirkungen. Zu dieser Klasse gehören Bacterium coli und dysenteriae; 3. Bakterien mit hochgradiger Empfindlichkeit für die Opsoninwirkung, die jedoch der Bak- teriolyse nicht unterliegen; als Vertreter dieser Gruppe wären zu nennen: Staphylococcus pyogenes, Micrococcus Meli- tensis (der Erreger des Maltafiebers), Streptococcus lanceolatus und Bact. pestis: 4. endlich Bakterien, welche weder für die bakterio- lytische noch für die Opsoninwirkungempfäng- lich sind: als Beispiel dienen der Diphtherie- und der Xerosebazillus. Aus alledem geht also hervor, daß die Widerstandsfähigkeit der verschiedenen Bakterienarten gegenüber der spontanen wie der in- duzierten, d. h. durch Opsonine vermittelten Phagozytose eine sehr verschiedene ist und durchaus nicht mit ihrem Verhalten den Bakterio- lysinen gegenüber parallel geht. Jedenfalls erscheint, wie NEUFELD mit Recht hervorhebt, die opsonisierende Wirkung des Normalserums viel umfassender als seine direkte bakterizide Fähigkeit. Angesichts dieser Tatsachen war nun aber die weitere Frage naheliegend, ob denn die opsonische Substanz des Blutserums überhaupt einheitlicher Natur sei oder ob es sich vielleicht um die gleichzeitige Anwesenheit verschiedenartiger Opsonine im Blutserum handle, deren jedes seine Wirksamkeit nur auf eine bestimmte Bakterienart erstrecken würde, also, wie man sich ausdrückt, spezifisch wäre. — Burroc# und WESTERN suchten diese Frage durch ein sehr elegantes Experiment zu entscheiden. Brachten dieselben nämlich menschliches Blutserum einer- seits mit Tuberkelbazillen, andererseits mit Staphylokokken zusammen, und bestimmten sie dann, nach vollzogener Absorption, die opsonische Wirksamkeit jedes der erhaltenen Zentrifugate beiden Bakterienarten genüber, so ergab sich ein Resultat, das in der folgenden kleinen abelle verzeichnet ist. Wrights Einteilung der Bak- terien. Mehrheit der Serum- opsonine. Spezifische Absorption. Virulenz und Opso- nierbarkeit. 144 X. Die Opsonine. Phagozytische Zahl | Phagozytische Zahl für Tuberkelbazillen | für Staphylokokken | i | Serum, absorbiert mit A a a ee u: 3,0 12,45 Tuberkelbazillen.. 1... 7 { 0,45 9,61 Biaphylokokkin: 7 UF, nn 2,7 | 0,48 Tuberkelbazillen und Staphylokokken . . 0,46 0,19 Wie man sieht, hat die Absorption des Serums mit Tuberkel- bazillen nur seine Wirksamkeit gegenüber dieser Bakterienart wesent- lich herabgesetzt, seine opsonische Kraft gegenüber den Staphylokokken dagegen — innerhalb der Fehlergrenzen — unverändert gelassen, und ebenso war die Absorption mit Staphylokokken nur mit einem Verlust der Wirksamkeit gegen Staphylokokken verbunden. Der Kontakt mit beiden erwähnten Bakterienarten dagegen setzte dementsprechend auch die phagozytischen Zahlen für beide auf ein Minimum herab. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß dieses Ergebnis sich wohl am einfachsten und ungezwungensten durch die Annahme erklären läßt, daß in dem Blutserum mindestens zwei verschiedene Opsonine von spe- zifischer Wirkung und Affinität, einerseits zum Tuberkel- bazillus, andererseits zu den Staphylokokken, gleichzeitig nebeneinander vorhanden sind. Allerdings haben andere Forscher, z. B. KLıEn, die Spezifität der Normalopsonine neuerdings wieder be- stritten, so daß die Frage noch nicht als vollkommen entschieden betrachtet werden kann. Wenn nun manche Bakterien, wie wir bereits erwähnt haben, bisher überhaupt für die opsonischen Serumwirkungen unzugänglich be- funden wurden, und wenn andererseits das Serum mancher Tierspezies nur gewisse Arten von Mikroorganismen beeinflußt, andere dagegen nicht für die Phagozytose vorzubereiten vermag, so wird man wohl annehmen dürfen, daß es sich hierbei um einen Mangel an passenden Opsoninen für die fragliche Bakterienspezies handelt. Immerhin wäre es aber bei den absolut für die Phagozytose refraktären Bakterienarten nicht ausgeschlossen, daß hier Verhältnisse obwalten, welche selbst bei Anwesenheit von Opsoninen die Aufnahme durch die weißen Blutzellen unmöglich machen würden. Einer dieser Faktoren, der die Wirkung der Opsonine zu para- lysieren scheint, dürfte ın dem Virulenzgrad der betreffenden Bak- terien gelegen sein. HEKToEN hat nämlich eine Reihe von Stämmen einerseits im virulenten, andererseits im abgeschwächten Zustande auf ihre Opsonierbarkeit hin geprüft und hat hierbei folgende Resultate erhalten: Serum Phagozytische Zahl Phagozytische Bakterienart und Leukozyten für abgeschwächte | Zahl für virulente von Bakterien Bakterien Streptokokken . . . Menschen 40 Kaninchen 10 Meerschweinchen 16 Pneumokokken . . Menschen 33 Menschen 33 Staphylokokken . . Kaninchen 36 Milzbrandbazillen . Meerschweinchen 13 X. Die Opsonine. 145 Wie man aus dieser Zusammenstellung entnimmt, scheinen also virulente Bakterien durchgehend widerstandsfähiger gegen die Opsoninwirkung zu sein, als abgeschwächte, ein höchst wichtiger Befund, der übrigens wie so mancher andere in der noch so jungen Disziplin der Opsoninforschung einer eingehenden Bestätigung bedarf. Insbesondere wären auch vergleichende Bindungsversuche mit virulenten und avirulenten Stämmen von größtem Interesse. Nach RosEenow, der einige Versuche in dieser Richtung angestellt hat, waren frisch aus dem Blut isolierte virulente Pneumokokken, die selbst nach längerer Digestion mit Serum keine Phagozytose erlitten hatten, auch nicht imstande, Opsonin aus demselben zu absorbieren, so daß man also tatsächlich hier eine kausale Beziehung zwischen der ver- minderten Bindungsfähigkeit virulenter Bakterien und ihrer gesteigerten Resistenz gegenüber der Phagozytose anzunehmen berechtigt sein dürfte. Überdies hat Rosenow aus hochvirulenten Pneumokokken ein Extrakt hergestellt, das andere, wenig virulente Pneumokokken vor der Phago- zytose schützt, also antiopsonisch wirkt. Eine weitere wichtige Frage, die man sich im Anschluß an die Konstitution mannigfaltigen Experimente über die Opsonine schließlich vorlegen mußte, “ Orso war die Frage nach ihrer Konstitution. Hat man in den Opsoninen Substanzen von einheitlicher Wirkung zu sehen oder sind auch hier, wie bei den Bakteriolysinen, zwei verschiedene Komponenten, Analoga von Komplement und Ambozeptor, beteiligt? Das Experiment hat im Sinne der letzteren Möglichkeit entschieden. Wie es EHRLICH und MOoRGENROTH gelungen war, den hämolytischen Ambozeptor und das Komplement des Normalserums in günstig gelegenen Fällen durch den Absorptionsversuch bei 0° voneinander zu trennen, so haben CowIE und CHAPINn, MEYER, Hara u. a. das Normalopsonin in zwei Bestand- teile zerlegen können, deren einer bei 0° von den Bakterien gebunden wurde, während der andere, dem Komplement entsprechende, fast voll- kommen in dem Serum zurückblieb. Zweifellos müssen also auch die Opsonine als komplexe Substanzen angesehen werden. Um diese Tatsache durch ein Beispiel zu illustrieren, mag ein Versuch von Harı hier angeführt sein, bei welchem Staphylokokken in einer Kältemischung mit frischem Meerschweinchenserum zusammengebracht und nach längerer Einwirkung wieder durch die Zentrifuge von demselben getrennt wurden; gleichzeitig wurde auch mit inaktiviertem Serum ein ähnlicher Absorp- tionsversuch angesetzt. Der weitere Verlauf des Experimentes ist aus der folgenden Tabelle ohne weiteres verständlich. Staphylokokken | Serum | Freßzahlen T: unvorbehandelt _ 0,20 | Kontrollen 2. | mit aktiv. Ser. diger. - 2,60 mit den 3. | mit inaktiv. Ser. diger. _ 0,65 j Seren allein. 4. unvorbehandelt vollst. aktiv. Serum | 21,10 Kontrollen mit 5. ix absorb, aktiv. Serum 2,24 den Seren. 6. | mit aktiv. Ser. diger. |absorb. aktiv. Serum 21.10 Reaktivier.- 7. | mit inaktiv. Ser. diger.|absorb. aktiv. Serum 15,05 versuch. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 10 Opsonine und Bak- teriolysine. 146 X. Die Opsonine. Wie man sieht, unterlagen also sowohl die unvorbehandelten als die mit aktivem oder inaktivem Serum digerierten Staphylokokken für sich allein nur einer sehr geringfügigen Phagozytose. Ebenso gering war auch die opsonisierende Wirkung des bei 0° absorbierten Serums gegenüber gewöhnlichen, nicht vorbehandelten Staphylokokken. Wurden dagegen die mit aktivem oder inaktivem Serum digerier- ten Kokken mit absorbiertem aktivem Serum zusammen- gebracht, so trat die volle Opsoninwirkung zutage, die auch dem Gesamtserum zukommt, so daß also eine vollkommene Analogie mit dem Verhalten der komplexen Hämolysine und Bakterio- lysine hergestellt erscheint. Es ist selbstverständlich, daß sich mit diesem Nachweise sofort die weitere Vermutung aufdrängen mußte, daß die Opsonine überhaupt nicht neue, bisher unbekannte Substanzen darstellen könnten, sondern daß es sich vielleicht nur um eine neue Wirkungsweise alt- bekannter Serumkomponenten (z. B. der normalen Bakterio- lysine) handeln könnte. Zwar kann auch diese Frage derzeit noch nicht als völlig entschieden gelten; immerhin scheint nach den Untersuchungen von NEUFELD und Hünxe, Levavırı und Immann u. a. festzustehen, dab eine ganze Reihe von Prozeduren, welche erfahrungsgemäß geeignet sind, das Komplement aus dem normalen Serum zu entfernen bezw. zu zer- stören, auch die Opsonine zum Verschwinden bringen, wie längeres Stehenlassen bei Zimmertemperatur, Erhitzen auf 56°, Absorption mit „präparierten“, d. i. ambozeptorbeladenen Bakterien oder Ery- throzyten u. s. f£ Ferner sieht man Komplementwirkung und Opso- ninwirkung fast stets gleichzeitig miteinander auftreten oder fehlen. So sind im normalen Kammerwasser, wie schon früher erwähnt wurde, nicht nur keine Komplemente, sondern auch keine ÖOpso- nine nachweisbar, während sie nach erfolgter Punktion der vorderen Augenkammer sich beide in dem neugebildeten Kammerwasser ein- stellen. Nach alledem kann man also wohl behaupten, daß nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens die Identität beider wirksamer Prinzipien des Serums zum mindesten als wahrscheinlich angesehen werden kann. Man hätte sich hierbei die Wirkung der Opsonine als eine kombinierte Aktion kleiner Mengen von Normalambozeptoren und Komplement vorzustellen, welche, wie PFEIFFER annimmt, zu einer „Ändauung‘“ der Bakterien führen und gewisse Stoffe aus ihnen freimachen würde, die eine Reizwirkung auf die Leukozyten ausüben. Andererseits darf aber nicht verschwiegen werden. daß sich doch auch mancherlei kleine Differenzen in dem Ver- halten von Komplementen und Opsoninen herausgestellt haben, die ja allerdings zum Teile nur scheinbare sein dürften und darauf zurück- geführt werden können, daß die Opsoninreaktion im allgemeinen viel empfindlicher ist, als die lytische. Infolgedessen wird also der Fall eintreten können, daß sich minimale Komplementmengen, die im lyti- schen Versuch längst versagen, noch durch den Opsonisierungsversuch nachweisen lassen und dadurch ein verschiedenes Verhalten der beiden Serumwirkungen vortäuschen, obwohl diesen Wirkungen trotzdem ein einheitliches Substrat zugrunde liegen kann. Immerhin dürfte es aber zweckmäßig sein, einem Vorschlage NEuFELDs folgend, die Frage nach der Identität der Opsonine mit den Lysinen einstweilen noch offen zu lassen, und, ohne etwas zu präjudizieren, den komplexen Bau der ee X. Die Opsonine. 147 ÖOpsonine dadurch anzudeuten, daß man von opsonischen Ambo- zeptoren und opsonischem Komplement spricht. Im Gegensatz zu diesen „Opsoninen“ der normalen Sera scheinen die phagozytose-befördernden Stoffe der Immunsera oder, wie NEUFELD und Rımpau sie nennen, die Bakteriotropine mit den bakteriolyti- schen Substanzen nichts zu tun zu haben. Nicht nur unterscheiden sie sich von den Komplementen durch ihre bei weitem größere T'hermo- resistenz, sie lassen sich auch von den bakteriolytischen Ambo- zeptoren durch besondere Absorptionsmethoden trennen, ja, es ließen sich sogar Immunsera herstellen, welche nur Tropine, aber keine Lysine enthielten und umgekehrt, so dal wohl an der Sonderstellung dieser Substanzen kaum gezweifelt werden kann. In welcher Weise diese Tropine wirken, darüber sind wohl nur Vermutungen möglich. Jeden- falls bedürfen sie keiner Mitwirkung von Komplementen. NEUFELD neigt der Anschauung zu, daß sie „eine Änderung des physikalisch-chemischen Zustandes der Zelle“ hervorrufen, wobei ein bestimmter Bestandteil des Zelleibes in eine lösliche Modifikation über- geführt werde und nun das Bakterium mit einer ganz dünnen, nicht in die Umgebung diffundierenden Hülle umgebe, welche Reiz- oder Schmeckstoffe für die Phagozyten enthalte. Eine irgendwie geartete Schädigung der Zellen sei hiermit — im Gegensatz zu der verdauenden Wirkung, die PrEIFFErR für die normalen Sera voraussetzt — nicht verbunden. Was nun die Frage der phagozytosebefördernden Substanzen noch einigermaßen kompliziert, ist die von verschiedenen Seiten gemachte Beobachtung, daß auch in vielen Normalseris neben dem eigentlichen Opsonin noch thermostabile Stoffe von Tropincharakter, also Normal- tropine vorhanden zu sein scheinen, während man andererseits wieder in manchen Immunseris wie im Antityphusserum, Antiruhrserum, Anti- diphtherieserum und anderen, thermostabile Stoffe gefunden hat, die für sich allein nicht imstande sind, die Phagozytose zu befördern, sondern dazu geringer Mengen normalen Serums bedürfen, sich also ähnlich ver- halten, wie die Ambozeptoren eines bakteriolytischen Immunserums. Nimmt man an, daß diese komplexen Stoffe der Immunsera Analoga der ja ebenfalls komplexen normalen Opsonine darstellen, also als Im- munopsonine zu bezeichnen wären, so würde sich folgendes Schema der phagozytosebefördernden Stoffe ergeben: a) einfache: des Normalserums: Normaltropine, des Immunserums: Immuntropine. b) komplexe: des Normalserums: Normalopsonine, des Immunserums: Immunopsonine. Abgesehen von der Natur und Wirkungsweise der Opsonine, die, wie gesagt, noch kaum erforscht ist, herrscht auch über den Ursprungs- ort derselben noch keineswegs Klarheit, wenn auch Lörtem auf Grund gewisser Beobachtungen zu der Annahme hinneigt, daß wir die Leuko- zyten selbst als Opsoninbildner anzusehen haben. Jedenfalls scheint aber keinerlei Beziehung zwischen dem Leukozytengehalt des Blutes und seinem Öpsoningehalt zu bestehen. Wie man aus der großen Zahl von bisher unbearbeiteten oder nur eben aufgeworfenen Problemen grundlegender Art entnehmen kann, stehen wir also noch in den ersten Anfängen der Opsonin- und Tropin- forschung, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß uns schon die 10* Bakterio- tropine. Ursprungs- ort der Opsonine. Bedeutung der Opso- nine. Opsonischer ndex. Opsonischer Index bei Gesunden und Kranken. i allernächste Zeit mit einer Fülle neuer Tatsachen auf diesem interessanten Gebiet beschenken wird. Schließlich wollen wir uns, wie bei der Besprechung der bakteri- ziden Serumwirkungen, nun auch hier, mit Beziehung auf die Opsonine die Frage vorlegen, welche Bedeutung denn eigentlich diesen wirksamen Substanzen im Kampfe des Organismus mit den Bakterien zukommen dürfte. Da, wie wir gesehen haben, den Opsoninen eine selbständige Wirkung auf die Mikroorganismen, wenigstens soweit dies mit unseren Untersuchungsmethoden zu ermitteln war, vollkommen abgeht, sie vielmehr die Bakterien nur durch Vermittlung der Phagozyten zu schädigen vermögen, so ist klar, daß die Bewertung ihrer Wichtig- keit für den Organismus sehr wesentlich von der Anschauung abhängig sein muß, die man von der Bedeutung der Phagozytose überhaupt hegt. Wir könnten uns daher damit begnügen, auf unsere Ausführungen in dem Kapitel über Phagozytose zu verweisen, wenn nicht WRIGHT und seine Schüler und Mitarbeiter eine große Anzahl von Beobach- tungen am Krankenbett gemacht hätten, welche die Bedeutung der Opsonine und der durch sie ausgelösten phagozytischen Vorgänge in besonderem Lichte erscheinen lassen und geeignet sind, unsere Vor- stellungen nach manchen Richtungen hin zu ergänzen bezw. zu modi- fizieren. WrisHT, der von Anfang an bei seinen Opsoninstudien praktische, therapeutische Ziele im Auge hatte, konnte nämlich zeigen, daß bei einer ganzen Reihe infektiöser Erkrankungen, besonders bei Staphylokokkeninfektionen und bei Tuberkulose, der Opsoningehalt des Blutserums erheblich herabgesetzt zu sein pflegt. Um auch hierfür einen quantitativen Ausdruck zu gewinnen, bestimmte er für diese Fälle das Verhältnis des „phagocytic count“ zu dem normaler, gesunder Individuen, und gewann auf diese Weise einen Quotienten, den er als opsonischen Index bezeichnete, und der also angibt, um wie- viel größer oder kleiner die opsonische Kraft des Blutserums beim Kranken ist, als beim Gesunden. Es sei gestattet, nur einige instruk- tive Beispiele für die Wrieutschen Beobachtungen hier in summa- rischer Form anzuführen. 148 X. Die Opsonine. | (Tabelle s. p. 149.) Der Unterschied zwischen Gesunden und Kranken ist, wie man diesen Tabellen entnimmt, nicht unbeträchtlich. Spätere Nachuntersucher haben die WrısHTtschen Beobachtungen bestätigen können, zum Teil aber gefunden, daß für fortschreitende Tuberkulosen weniger eine dauernde Erniedrigung des opsonischen Indexals ein auffallend wechselndes, inkonstantes Verhalten des- selben, einSchwanken von einem Extrem zumanderen charakteristisch sei, wieesbeim normalenIndividuum nicht vorkommt. So fanden STRUBELL und FELBER bei Untersuchungen an 50 ge- sunden Menschen, daß sich als Grenzwerte der als normal anzusehenden Indices 0,9 und 1,1 ergaben, während bei 50 Twuberkulösen Werte zwischen 0,37 und 2,1 beobachtet wurden und nur 38°/, der Indices sich innerhalb der normalen Grenzen bewegten. Analoge Schwankungen des opsonischen Index (zwischen 0,3 und 2,2) haben KoHx und SCHIFF- MANN auch beim Puerperalprozeß beobachten können. Wir kommen auf die mutmaßliche Erklärung dieser Indexschwankungen noch zurück. — Es fragt sich nun, wie man die so oft bei chronischen Krankheiten festgestellte Herabsetzung des opsonischen Index zu deuten 7} X. Die Opsonine. 149 A. Staphylokokkeninfektionen (WRIGHT). Art der Erkrankung Zahl der Fälle rn Akne . 6 0.67 Sykosis 4 0,44 Furunkulosis x 7 0,71 Rezidivierende Sepsis 1 | 0,47 re ee Fe RE, | u | 1,0 B. eu KERN und BERBRERORE Art der Erkrankung Zahl der Fälle Opsonischer Index | (Mittel) Lupus oder Hauttuberkulose | 150 0,75 Lupus a 3 0,65 Tuberkulöser Abszeß . | 3 0,53 ne ame 09 hat und in welcher Beziehung sie zu dem Krankheitsprozesse steht. Denn auch hier, wie so oft, wenn in der Medizin zwei einander parallel laufende Phänomene beobachtet werden, muß es zunächst zweifelhaft bleiben, welches von beiden als Ursache und welches als Wirkung an- zusehen ist. Erinnern wir uns nun daran, daß die Bakterien imstande sind, Opsonine zu binden und dem Blutserum zu entziehen, und bedenken wir andererseits, daß bei allen infektiösen Prozessen Mikroorganismen entweder direkt in den Kreislauf gelangen oder doch wenigstens bei ihrem Zerfall Stoffe frei werden lassen, die in das Blut und in die Gewebssäfte übergehen, so liegt es gewiß außerordentlich nahe, anzunehmen, daß die bei den erkrankten Individuen gefundene Opsoninverminderung auf eine derartige Absorption durch resorbierte Bakterienbestandteile zurückzu- führen sein dürfte. In diesem Sinne schien denn auch die Beobachtung Opsonin- von WRIGHT zu sprechen, daß die phagozytische Zahl in pathologischen a bindung urch Bak- Exsudatflüssigkeiten, die in unmittelbarer Berührung mit den sich ver- win is mehrenden Bakterien stehen, weit geringer zu sein pflegt, als im Blutserum. So fand sich z. B. in dem Eiter eines durch Staphylokokken erzeugten Alveolarabszesses eine DSG, Zahl von . 5,1, im zugehörigen Blutserum . . Re ° *: im Eiter eines Patellarabszesses . . . » . . . 1,25, im zugehörigen Blutserum . . EEE RENE L. 3.\ im Exsudat bei Peritonitis tnbereulosa - . .. . 46, im zugehörigen Serum . -. . 2 2 2 2 2.2... 25,4. Ob freilich dieser Mangel an Opsoninen in den pathologischen Flüssigkeiten, speziell im Eiter, wirklich auf eine Bindung an die Bak- terien zurückzuführen ist, wie WRIGHT meinte, muß heute wohl als fraglich bezeichnet werden. Wahrscheinlicher ist es nach den Unter- vivo. Opsonin- armut als Ursache der Infektion. Hebung des opsonischen Index durch Bakterien- einspritzung. 150 X. Die Opsonine. suchungen von BÖHNME, daß dieselben entweder von den Leukozyten ab- sorbiert oder aber durch ihre proteolytischen Fermente zerstört werden. Aber trotzdem auch noch manche andere Befunde zu beweisen schienen, dal) der Vorgang der Opsoninbindung nicht nur in vitro, sondern auch im lebenden Organismus erfolgt, war WrıeHut doch von Anfang an der Überzeugung, daß das Kausalitätsverhältnis zwischen Opsonin- armut des Blutserums und infektiöser Erkrankung gerade das umge- kehrte ist, als wir eben angenommen hatten, daß also die Ver- änderung des Serumsnichtersteine Folgeerscheinung der Infektion darstellt, sondern vielmehr Ursache derselben ist, indem die abnorm geringe opsonische Kraft der Körpersäfte erst das Haften und die Ver- mehrung der pathogenen Mikroorganismen ermög- lichen soll. Was WRIGHT zu dieser Auffassung drängte, war vor allem die Tatsache, daß er die Opsoninverminderung häufig auch in solchen Fällen beobachten konnte, wo der Krankheitsprozeß ein so wenig ausgebreiteter und umschriebener ist, daß man ihm wohl kaum einen Einfluß auf den Opsoningehalt des Gesamtblutes einräumen konnte. Freilich ist es nicht ganz leicht, über die Beweiskraft dieses Argumentes ein objektives Urteil zu gewinnen, da ja unsere Kenntnisse über die Menge bakterieller Substanzen, die bei solchen Krankheitsprozessen resorbiert werden, nur sehr mangelhafte sind und da überdies, wie WrısHt selbst gefunden hat, schon relativ geringfügige Quantitäten einer Bakterienkultur hin- reichen können, um bei subkutaner Applikation den opsonischen Index deutlich herabzusetzen. Immerhin wird man die Annahme WRIGHTS als nicht unwahrscheinlich bezeichnen können. Aber auch wenn man hiernach zugibt, daß man in der Opsoninarmut des Serums von Kranken keine Folgeerscheinung der Infektion zu sehen hat, sondern ein primäres, der Erkrankung zeitlich vorangehendes Phänomen, so bleibt es doch immer noch fraglich, ob dasselbe wirklich auch, wie WrisHT glaubt, die unerläßliche Vorbedingung für die Infektion darstellt, ob mit anderen Worten wirklich ein Kausalnexus zwischen Blutbefund und Erkrankung bezw. Disposition zu statuieren ist. Denn es wäre ja ganz gut denkbar, daß die ÖOpsoninverminderung nur eine an und für sich für den Organismus wenig bedeutungsvolle Manifestation geschwächter Resistenz darstellen würde, die nur deshalb unser Interesse erweckt hätte, weil sie zufälligerweise gerade unseren Untersuchungsmethoden zugänglich ist. In diesem Falle würde das in Rede stehende Phänomen also zwar vielleicht diagnostische Bedeutung beanspruchen können und für die Prophylaxe gewisser In- fektionskrankheiten von Wert sein können, aber nicht zur Erklärung der herabgesetzten Widerstandsfähigkeit gegenüber den pathogenen Mikroorganismen herangezogen werden können. — Dies nur, um dar- zutun, daß wir hier bereits die Grenze betreten haben, wo das Reich der Hypothese beginnt. Schließt man sich nun aber der Hypothese Wrı6HTs an, so ergeben sich sofort eine Reihe praktisch außerordentlich wichtiger Folgerungen. Da nämlich die Ursache der herabgesetzten Widerstandsfähigkeit des Organismus nach Wrısnuts Anschauung in seiner unzureichenden Opsoninproduktion zu sehen ist, so ist die logische Konsequenz, die sich hieraus für den praktischen Arzt ableitet, offenbar die, daß er trachten muß, die Bildung dieser Schutzstoffe nach Möglichkeit anzuregen. Dies“ X. Die Opsonine. 151 geschieht nun am einfachsten dadurch, daß dem betreffenden Patienten zum Zweck der Immunisierung eine abgetötete Bakterienkultur derselben Art eingespritzt wird, die seine Erkrankung hervorgerufen hatte, wobei sich wieder am allerwirksamsten jene Stämme erweisen mußten, die aus den pathologischen Sekreten des Patienten selbst rein gezüchtet worden waren. Wie man sieht, machen wir hiermit eigentlich einen Übergriff auf das Gebiet der Immunitätslehre, dessen eingehendere Behandlung den folgenden Vorlesungen vorbehalten ist. Es lassen sich jedoch die nun zu besprechenden Tatsachen am einfachsten an dieser Stelle und im Zusammenhange mit der Lehre von den Opsoninen erörtern, weshalb wir ohne Schaden hier von dem vorgezeichneten Plane abgehen können. Die erste Wirkung, die nun die Bakterieneinspritzung unmittelbar nach sich zieht, ist uns nach den früheren Erörterungen bereits bekannt und vollkommen verständlich. Sie besteht darin, daß der opsonische Index noch eine weitere Abnahme erfährt, die allerdings nur vorüber- gehend ist und meist nach mehreren Stunden bis Tagen wieder aus- geglichen wird. WrıGHT bezeichnet diesen Zeitraum sehr treffend als „negative Phase‘ gegenüber der sich hieran anschließenden Negative „positiven Phase“, bei welcher sich der Opsoningehalt bezw. Tropingehalt des Serums über die Norm erhöht und somit das Ziel des therapeutischen Eingriffes, der Bakterieneinspritzung, erreicht ist. Es ist nur folgerichtig, wenn Wrı@GHT gerade der negativen Phase ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Denn da in dieser Phase der Opsoningehalt des Blutes, wie gesagt, ein besonders niedriger ist, so ist nach seiner Theorie gleichzeitig auch die Widerstandskraft des Organismus der betreffenden Bakterienart gegenüber auf ein Minimum gesunken, und es kann daher unter ungünstigen Umständen eine Ver- schlimmerung des Krankheitsbildes, ja sogar eine Generalisation der bestehenden Bakterienansiedelung im Anschluß an die Einspritzung eintreten, wenn nicht durch vorsichtige und passend gewählte Dosierung des Impfmateriales dafür gesorgt wird, daß die Opsoninverminderung sich innerhalb unschädlicher Grenzen hält. Jedenfalls darf aber auch eine neuerliche Einspritzung erst dann erfolgen, wenn die Blutuntersuchung lehrt, daß die negative Phase vollkommen überwunden ist. WRIGHT neigt der Anschauung zu, daß die mannig- faltigen Mißerfolge, die bei der Koc#schen Tuberkulinimpfung anfangs beobachtet wurden, wenigstens zum Teil von der ungenügenden Berück- sichtigung dieser eben dargelegten Verhältnisse herrühren, und also ent- weder durch unrichtige Dosierung oder durch zu frühe, noch in die negative Phase fallende Wiederholung der Injektion bedingt waren. Andere Forscher, besonders PFEIFFER und FRIEDBERGER sind dem- gegenüber allerdings auf Grund von umfangreichen experimentellen Studien zu der Überzeugung gelangt, daß diese ‚„‚Furcht vor der negativen Phase“ entschieden übertrieben sei, da wenigstens im Tierver- suche unmittelbar nach der Schutzimpfung nicht nur keine Erhöhung der Empfänglichkeit für die Infek- tion, sondern sogar eine Resistenzsteigerung zu ver- zeichnen war. Wie dem auch sei, jedenfalls hat WrısHuTt selbst seine therapeu- wWrights tischen Maßnahmen auf diese theoretischen Erwägungen basiert, und Frfole«. hat mit ihnen besonders bei Staphylokokkenkrankheiten, bei Kar- bunkeln, Furunkulose usw. Resultate erzielt, die von Augenzeugen geradezu als überraschend günstig bezeichnet werden. Natürlich müssen Steigerung des Index durch Auto- inokulation. 152 X. Die Opsonine. wir uns hier versagen, näher auf die interessanten Details der W rıGHT- schen Behandlungsmethode einzugehen. Wir wollen nur erwähnen, daß die richtige Auswahl der für dieselbe geeigneten Fälle sowie die Be- urteilung des Zeitmoments und der Dosis der Injektion nach dem Zu- geständnis WrIGHTS durchaus nicht immer einfach ist und daß selbst bei großer Erfahrung Mißerfolge unliebsamer Art mit unterlaufen können. Die Erhöhung des opsonischen Index, die WrısHt bei seiner Behandlungsmethode erzielte und die somit für den Heileffekt aus- reichend zu sein scheint, war keine sonderlich bedeutende. In der Regel stieg derselbe im Verlauf der Impfung auf das Doppelte, seltener auf das 3- bis 4fache des ursprünglichen Wertes an, ein Resultat, das weit hinter dem zurückbleibt, was sonst an Produktion von Schutzstoffen unter dem Einfluß von Bakterieneinspritzungen beobachtet wird. Der- artige Steigerungen des opsonischen Index finden sich übrigens auch bei nicht behandelten Kranken nicht selten, und es liegt gewiß nahe, auch hier dieselbe Ursache und denselben Entstehungsmechanismus da- für in Anspruch zu nehmen: nämlich eine reichliche Resorption bakte- rieller Substanzen aus den Krankheitsherden, also eine Art Auto- inokulation, die nach einem vorübergehenden Absinken des Index ebenso zu einer reaktiven Erhöhung der Opsoninproduktion führt, als wenn die Bakterien von außen in den Organismus eingebracht worden wären. Insbesondere bei Lungentuberkulösen im akuten Stadium wurden vielfach solche hohe opsonische Indices beobachtet, während im chronischen Stadium und bei rein lokalen Prozessen, wo offenbar nur geringe Mengen bakterieller Leibessubstanz in den Kreislauf übergehen und somit der Anreiz zur Opsoninproduktion nur ein sehr geringer ist, meist niedere Werte gefunden werden, wie wir ja schon besprochen haben. Daß übrigens durch dieses fortwährende Wechselspiel von Bakterien- resorption und Opsonin- bezw. Tropinproduktion starke Schwankungen des opsonischen Index hervorgerufen werden können, ist wohl leicht einzusehen. Selbstverständlich genügt aber ein hoher opsonischer Serumindex an und für sich nicht, um einen Krankheitsherd günstig zu beeinflussen, wenn nicht zugleich durch entsprechende Maßnahmen dafür gesorgt wird, daß die wirksamen Stoffe auch in hinreichender Menge an die Bakterien herantreten können, und gerade hierin sieht WrıGHT die Be- deutung gewisser seit langem geübter lokaler Behandlungsmethoden, wie heißer Umschläge, Sandbäder und nicht zuletzt auch der Bıerschen Stauungshyperämie. So hat also WrısHT die größtenteils von ihm selbst und von seinen Mitarbeitern begründete Lehre von den Opsoninen zu einer all- gemeinen Theorie der Infektion und der natürlichen Immunität gegen pathogene Mikroorganismen ausgebaut und auch die praktischen Kon- sequenzen aus derselben gezogen. Ob sich die Opsonintherapie in der ärztlichen Praxis einbürgern wird und ob die bisher erzielten, zum Teil sicher allzu optimistisch beurteilten günstigen Resultate sich auch weiter- hin, bei kritischer Beobachtung, bestätigen werden, muß mit Rücksicht auf manche bereits eingetretene Enttäuschungen wohl als fraglich bezeichnet werden. Jedenfalls stehen ihrer allgemeinen Verbreitung, wenigstens in ihrer ursprünglichen Form, eine ganze Reihe für den praktischen Arzt fast unüberwindlicher Schwierigkeiten gegenüber. Nicht nur bedeutet die fortwährende Kontrolle des opsonischen Index bei einer größeren Anzahl von Patienten eine Arbeitsleistung, der nur ein wohl ein- X. Die Opsonine, 153 gerichtetes Speziallaboratorium gewachsen sein dürfte, es hat sich viel- mehr überdies im Laufe der letzten Jahre herausgestellt, daß die Opsoninbestimmung nach Wrısurt manchmal recht bedeutenden Fehler- quellen unterworfen sein kann, und selbst in den Händen eines speziell auf diese Methode eingeübten Arbeiters nicht immer sichere Resultate liefert. Dementsprechend haben denn eine ganze Anzahl von Klinikern und in jüngster Zeit sogar WrıGHT selbst dieselbe bereits aufgegeben und darauf hingewiesen, daß sich die Bakteriotherapie mit einiger Vorsicht ganz gut auch ohne Kontrolle des opsonischen Index durchführen läßt. Aber selbst wenn sich die Wrısurtsche Behandlungsmethode in dieser vereinfachten Form bewähren sollte, dürfte man sich hierdurch keineswegs dazu verleiten lassen, günstige praktische Erfolge ohne weiteres als Bestätigung seiner Theorien zu betrachten. Denn, da ja die Einspritzung von Bakterien zweifellos noch eine ganze Anzahl anderer Veränderungen im Organismus hervorruft, als bloß die Steigerung der opsonischen Wirkung des Serums, so wäre es ganz gut möglich, daß sich die Wxrısutsche Bakteriotherapie zwar in praxi als sehr brauchbar und wertvoll erweisen, ihre bisherige theoretische Begründung aber trotzdem auf irrigen oder wenigstens zu einseitigen Voraussetzungen beruhen könnte. — Überblicken wir nunmehr nochmals die verschiedenartigen Tat- sachen, die wir im Verlaufe unserer bisherigen Besprechungen kennen gelernt haben und suchen wir dieselben zu einem einheitlichen und so- zusagen schematischen Bilde zu vereinen, so können wir den Verlauf der Infektion und der daran anknüpfenden Reaktion des Organismus etwa in folgender Weise schildern: Sind die Infektionserreger auf irgend einem Wege in die Gewebe des tierischen Organismus eingedrungen und finden sie daselbst die ge- eigneten physikalischen (osmotischer Druck usw.) und chemischen (Re- aktion, Nährstoffe usf.) Vorbedingungen für ihre Entwicklung, so be- ginnen sie sich zu vermehren. Ein Teil dieser neugebildeten Keime wird mit den bereits an dem betreffenden Orte vorhandenen bakteri- ziden Stoffen der Gewebssäfte in Berührung treten, von denselben ab- getötet werden und zerfallen. Die hierbei frei werdenden Inhaltsstoffe bezw. auch Sekrete der Mikroben locken aus den Blutgefäßen Leuko- zyten an, die entweder durch aktive Sekretion oder durch ihren Zerfall neue bakterienfeindliche Substanzen in die Gewebsflüssigkeit ge- langen lassen und so zu erneutem Absterben von Krankheitserregern Veranlassung geben. Ein Teil der abgetöteten Mikroorganismen wird dabei von Phagozyten aufgenommen und weiter transportiert, aber auch lebende Keime können, durch Opsonine präpariert, in das Innere der weißen Blutkörperchen gelangen und entweder daselbst zugrunde gehen oder aber sich in ihnen vermehren und, nachdem sie ihre Wirtszellen zerstört haben, wieder ins Freie treten. Sowohl die von den lebenden Mikroben produzierten Toxine wie die in Lösung gegangenen Proteine der Bakterienleichen rufen in der Umgebung des Krankheitsherdes mehr oder minder intensive patho- logisch-anatomische Veränderungen hervor, die sich je nach Art und Intensität des gesetzten Reizes als Entzündung, Eiterung, Nekrose, Gewebsproliferation usw. dokumentieren. Mit der Säftezirkulation ge- langen die genannten Giftstoffe aber auch in entfernter gelegene Organe und rufen durch deren Schädigung jene Intoxikationserschei- Rückblick. Verlauf der Infektion. 154 X. Die Opsonine. nungen hervor, die das Bild der schweren Infektionskrankheit charakteri- sieren. Unterdessen nimmt der Kampf an der Infektionsstelle seinen Fortgang, Jede neue Bakteriengeneration, die entsteht, erscheint ihrem Milieu etwas besser angepaßt, als die vorhergehende, die Virulenz der Mikroben nimmt also zu. Häufig umgeben sich dabei die Bakterien, deren erste Generationen noch keine Kapseln erkennen ließen, mit einer enorm dicken Hüllschicht, welche nicht nur ihre Widerstands- fähigkeit gegen die bakteriziden Serumwirkungen zu erhöhen scheint, sondern auch zu bewirken scheint, daß diese Kapselbazillen von den Leukozyten vollkommen unbehelligt gelassen werden. Andererseits wächst aber auch die Abwehrreaktion des Organismus, die Menge der produ- zierten Schutzstoffe vermehrt sich, das Phänomen der extrazellulären Bakteriolyse nimmt immer größere Ausdehnung an, auch die Phago- zytose kann deutlicher zutage treten, indem die Bakterien durch neu- gebildete Opsonine oder Tropine sensibilisiert werden. Allmählich be- ginnen vereinzelte lebende Keime in die Blutbahn zu geraten, wo sie entweder bald zugrunde gehen oder aber in den Kapillaren gewisser Organe stecken bleiben. Siedeln sie sich in diesen Organen an, so bilden sie Metastasen, erzeugen ähnliche Krankheitserscheinungen, wie am Örte ihrer primären Invasion und können ihrerseits wieder zur weiteren Verbreitung des infektiösen Prozesses beitragen. Der schließliche, günstige oder ungünstige Ausgang der Erkrankung hängt dabei, wie leicht einzusehen ist, von zwei verschiedenen Faktoren ab: einmal davon, ob es dem Organismus gelingt, der Bakterien- wucherung Einhalt zu gebieten und schließlich alle pathogenen Keime durch Bakteriolyse oder Phagozytose zu vernichten; zweitens aber davon, ob er die Giftwirkung zu überstehen vermag, die von den Stoff- wechselprodukten der Bakterien, von ihren Toxinen, wie von ihren Zer- fallsprodukten, den Proteinen und Endotoxinen, ausgeht. Aus dieser Darstellung ergibt sich daher, daß der letale Ausgang der Infektionskrankheiten in doppelter Weise begründet sein kann: ent- weder nämlich durch die relative Insuffizienz der Entgiftungs- vorrichtungen, über die der Organismus verfügt, und die sich noch geltend machen kann, wenn alle Mikroben bereits vernichtet und auf- gelöst sind, oder aber durch das allmähliche Versagen der bakterio- lytischen und phagozytären Abwehrvorrichtungen. Im ersteren Falle wird die bakteriologische Untersuchung in den Säften und (seweben des gestorbenen Individuums keine Krankheitserreger mehr auffinden können, im letzteren Falle hingegen werden gegen das Ende der Erkrankung immer größere Bakterienmengen in die Zirkulation ge- langen und schließlich den ganzen Organismus überschwemmen. Zwischen diesen beiden extremen Formen, der Toxinämie und der Bakteriämie, bestehen natürlich alle möglichen Übergangsstadien, je nach dem Grade der Ausbreitung, welche die Mikroorganismen, vom ersten Ort ihrer Ansiedlung ausgehend, im Tierkörper erfahren, und je nach den Ge- weben, in welchen sie sich zu lokalisieren vermögen. Damit dürfte der Verlauf des Infektionsvorganges in großen Zügen charakterisiert sein, und wir wollen uns nun in der nächsten Vorlesung mit den Veränderungen beschäftigen, die nach Überstehen der Infektions- krankheiten im Organismus zurückbleiben. X. Die Opsonine. 155 Literatur. SAUERBECK, Neue Immunitätstheorien. LuBAarsch-ÖSTERTAGS Ergebnisse, 1907, 11. Jahrg. Ausführliche Darstellung der Lehre von den Opsoninen mit zahlreichen Literaturangaben. WRIGHT und DousLas, Proc. royal soc. London, Vol. LXXTI—LXXIV, 1904 u. 1905. TscuıstowitscH, Journ. Prakt. Med. Festschr. z. Ehren von METScHNIKOFF. Burroc# und Arkın, Proc. royal soc. London, Vol. LXXIV, 1905. Löstem, Ann. de !’Inst. Pasteur, Tome XXII, 1905 u. 1906. HecroEn, The Journ. of Infect. Diseases, Vol. III, 1906. Weıs#r, Clinic. Journ., 1904; Lancet 1905. WerısH#tT und Doveras, Lancet 1905. NEUFELD und Hünxe, Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, 1907, Levapırı und Inmann, Compt. rend. de la soc. de biol., 1907. CowıEe und CHaPın, Journ. of med. Res., Vol. XVII, 1907. RosEntHAL, 3. Tagung der freien Vereinigg. f. Mikrobiolog., 1909. Hara, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LXI, 1908. Meyer, Berl. klin. Wochenschr., 1908. Eu Natürlich erworbenene Immunität. XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. Die Antikörper. I. Wir haben in den vorhergehenden Vorlesungen dargelegt, daß im Verlaufe infektiöser Erkrankungen eine nicht unbeträchtliche Menge von Bakterien zugrunde geht, aufgelöst wird und zur Resorption gelangt. Diese Resorption der zum Teil höchst giftigen Leibesbestandteile der Bakterien sowie ihrer giftigen Sekretionsprodukte, der Toxine, wird nun von dem erkrankten Organismus mit einer Reaktion beantwortet, welche die Entgiftung und Unschädlichmachung dieser Stoffe zum Ziele hat, also den deutlichen Charakter einer Abwehrvorrichtung besitzt. Diese Reaktion führt zu Veränderungen im Organismus, die ihn in vielen Fällen befähigen, einer erneuten Infektion mit dem gleichen Krankheits- erreger so energischen Widerstand entgegenzusetzen, daß entweder gar keine oder doch nur eine ganz leichte und abortive Erkrankung erfolgt. Es findet also — wie man sich ausdrückt — im Verlauf der ersten Erkrankung eine natürliche Immunisierung des Organismus statt, und ihr Resultat ist eben dessen erworbene Immunität. In der folgenden kleinen Tabelle finden sich die wichtigsten Er- krankungen des Menschen aufgeführt, deren einmaliges Überstehen eine erworbene Immunität zur Folge hat, während ihnen eine Reihe anderer gegenübergestellt wird, bei denen dies nicht der Fall ist, ja bei denen sogar eine gesteigerte Empfänglichkeit zurückbleibt. Überstehen einmaliger Erkrankung schafft Keine Immunität oder sogar Immunität. gesteigerte Empfänglichkeit. Blattern Streptok.-Infektion Lues Staphylok.-Infektion (Erysipel) Scharlach (Angina follicularis. Masern Pneumonie Rötheln (?) Gonorrhoe Schafblattern Influenza Mumps Dysenterie Keuchhusten Diphtherie Typhus Recurrens Cholera Malaria Typhus exanthematicus Ulcus molle Wir wollen uns einstweilen nicht näher mit den verschiedenen Formen der Immunität befassen, sondern eine eingehendere Analyse derselben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wo wir nämlich die außerordentlich mannigfaltigen Veränderungen kennen gelernt haben werden, welche die Abwehrkräfte des Organismus durch die Immuni- sierung erfahren. Eine rationelle Einteilung der Immunitätsphänomene a Xl. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 157 wird sich dann von selbst als natürliche Konsequenz dieser Vorstudien ergeben. Wir wollen vielmehr nur darauf hinweisen, daß man nach Enk- LıcHs Vorgang diese, durch Überstehen einer Krankheit erworbene Immu- nität, bei der sich der Organismus also durch Betätigung seiner eigenen reaktiven Kräfte gegen die infektiösen Schädlichkeiten zu schützen weiß, als aktive zu bezeichnen pflegt, im Gegensatz zu einer anderen Form der Immunität, bei welcher sich der Organismus rein passiv verhält und seine Widerstandsfähigkeit nur der Einverleibung schützender Substanzen verdankt, die in einem anderen Individuum durch aktive Immunisierung entstanden waren. Es wäre nun vielleicht naheliegend, anzunehmen, daß die Schwere der überstandenen Erkrankung in einem direkten Verhältnis zu dem Grade der erworbenen Resistenz steht. Diese Annahme wäre jedoch sicher eine irrige. Wie die Erfahrungen, die man bei größeren Epi- demien gemacht hat, lehren, verleiht eine ganz leichte ambulatorische Erkrankung an Typhus oder Cholera oft eine ebenso hochgradige Immunität gegen diese pathogenen Mikroorganismen, wie eine schwere Affektion mit hohem Fieber und bedrohlichen Allgemeinerscheinungen, und es erscheint daher die Schwere der letzteren für den Vorgang der Immuni- sierung von ziemlich geringer Bedeutung. Diese überaus wichtige Tat- sache bildet ja geradezu die Grundlage aller unserer Immunisierungs- bestrebungen, die beabsichtigen, den Menschen oder Tieren die Gefahren einer schweren Erkrankung zu ersparen und ihnen, ohne die Reserve- kräfte des Organismus in überflüssiger Weise in Anspruch zu nehmen, mit einem Minimum an Aufwand künstlich jene Widerstands- fähigkeit zu verleihen suchen, die, dem natürlichen Laufe der Dinge folgend, nur um den Preis hochgradiger Gesundheitsstörung erkauft werden kann. Da nun aber einerseits die schweren Krankheitserscheinungen, die im Verlaufe von Infektionsprozessen beobachtet werden, auf die Resorp- tion giftiger bakterieller Substanzen zurückgeführt werden müssen, ande- rerseits aber wieder gerade die Resorption dieser Gifte die Vorbedingung für die immunitätverleihende, heilsame Reaktion darstellt, so erhebt sich sofort die Frage, wie es denn möglich ist, diese beiden Vorgänge, die an dasselbe stoffliche Agens geknüpft erscheinen, voneinander zu trennen und die Schädigungen der Giftwirkung zu vermeiden, ohne zu gleicher Zeit des immunisatorischen Nutz- effektes verlustig zu werden. Dies gelingt nun durch sehr verschiedenartige Kunstgriffe. Wie alle Giftstoffe, haben natürlich auch die in den Bakterien- kulturen gebildeten eine untere Grenze ihrer quantitativen Wirksamkeit, von welcher abwärts keine Krankheitserscheinungen mehr ausgelöst werden. Erst wenn diese minimale krankmachende Dosis überschritten wird, treten Vergiftungssymptome auf. Während nun bei dem natür- lichen Verlauf der Infektionskrankheiten offenbar große Mengen giftiger Substanzen in den Kreislauf gelangen, ohne daß wir es in den meisten Fällen verhindern können, haben wir bei unseren künstlichen Immuni- sierungsversuchen die Dosierung der Giftstoffe bis zu einem gewissen Grade in der Hand, und wir können die einzuführenden Mengen der- selben so niedrig wählen, daß nur eben eine leichte Störung des Wohl- befindens, aber keine ernstliche Erkrankung eintritt. Es hat sich näm- lieh — man muß sagen glücklicherweise — gezeigt, daß auch derartig Aktive und passive Immunität. Immuni- sierung mit kleinen Dosen des Virus. Grund- immunität. Immuni- sierung mit abge- schwächtem Virus. 155 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. - kleine Giftdosen schon hinreichen können, um eine gewisse Grund- immunität, wie man sich ausdrückt, zu schaffen. Von dieser Grund- immunität ausgehend, kann man dann in der Giftdose in passenden Zeitintervallen immer mehr und mehr steigen, bis man zu hohen Viel- fachen der ursprünglichen, einfach letalen Giftdosis gelangt ist und bis von dem immunisierten Individuum Mengen reaktionslos vertragen werden, die ein normales mit voller Sicherheit töten würden. Leider hat diese einfachste Form der Immunisierung aber doch nur beschränkte Anwendbarkeit. Theoretisch genommen ist sie nämlich nur da möglich, wo intra corpus eine Vermehrung der einge- führten Giftmengen ausgeschlossen erscheint. Denn würde eine solche nach erfolgter Einverleibung des betrefienden Giftes noch stattfinden, so würde ja damit unser vorsichtig abwägender Dosierungsversuch von vornherein illusorisch gemacht sein. Daraus geht aber mit Notwendig- keit hervor, daß der geschilderte Immunitätsmodus für die hochgradig septikämischen Krankheitserreger, die schon in wenigen Einzelexemplaren Allgemeininfektion hervorrufen können, wie z. B. der Milzbrand oder der Pestbazillus, gänzlich unverwendbar ist und von vornherein nur bei jenen pathogenen Arten Aussicht auf Erfolg bieten kann, welche ent- weder garnicht vermehrungsfähig sind oder doch im menschlichen oder tierischen Organismus nur über eine sehr geringe Wachstumsenergie verfügen; also im Sinne Baırs bei Halbparasiten und Saprophyten. Nun haben wir aber in einer der früheren Vorlesungen gesehen, daß die Wachstums- und Vermehrungsenergie der Mikroorganismen und mit ihnen ihre Virulenz großen Schwankungen unterliegt und auch experimentell beeinflußbar erscheint, und es ist daher einleuchtend, daß man durch Verwendung abgeschwächter Bakterienrassen, die an das Vegetieren im tierischen Organismus weniger gut angepaßt sind und eventuell auch weniger aggressive Substanzen erzeugen, imstande ist, die oben dargelegte Schwierigkeit zu umgehen und einer gefahrbringen- den nachträglichen Giftvermehrung im Organismus vorzubeugen.!) Auf diesem Prinzipe der Immunisierung mit abgeschwächten Mikroorganismen beruht bekanntlich eine der ältesten Formen der Schutzimpfung, die schon lange Zeit vor einer genaueren Erforschung der Immunitäts- phänomene mit Erfolg geübt wurde: die Schutzimpfung gegen die Pocken. Und auch die neueren Immunitätsforschungen haben be- zeichnenderweise mit demselben Verfahren eingesetzt, indem PAsSTEUR in genialer Nachbildung der Jexwerschen Methode zuerst den Nachweis erbracht hat, daß es gelingt, Tieren durch Einverleibung abgeschwächter Hühnercholerabazillen wirksamen Krankheitsschutz zu verleihen. Seither ist das Verfahren der Immunisierung mit abgeschwächten Kulturen zu sehr allgemeiner Anwendung gelangt, und es sind die verschiedensten Prozeduren ausfindig gemacht worden, um virulenten Mikroorganismen den gewünschten Grad der Abschwächung zu verleihen. Dieselben beruhen alle im wesentlichen auf jenen allgemeinen Prinzipien, die wir in einer früheren Vorlesung als maßgebend für die Virulenzabschwächung kennen gelernt haben, und wenn die einzelnen Methoden auch im Detail den Besonderheiten des zu mitigierenden !) Auch durch Inokulation virulenter Erreger an Körperstellen, die ihnen ungünstige Wachstumsbedingungen darbieten, kann u. U. derselbe Effekt erreich werden. So bei der Schutzimpfung der Rinder gegen die Lungenseuche, welch mit vollvirulentem Material an der Schwanzspitze vorgenommen wird. XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 159 Mikroorganismus angepaßt werden mußten, so zeigen sie doch stets denselben Charakter einer physikalischen, chemischen oder biologischen Schädigung bezw. einer Desakklimatisation der pathogenen Keime. Diejenige Schädigung nun, welche zweifellos der Gefahr einer Immuni- Giftvermehrung i. e. Keimvermehrung im Organismus am wirksamsten shemtötetem vorbeugt, ist natürlich die vollkommene Abtötung der zur Virsj Immunisierung dienenden Mikroorganismen, und so sehen wir denn auch in verschiedenster Weise sterilisierte Bakterienkulturen recht häufig als Vakzins dienen. Die Art, wie die Bakterien abgetötet wurden, ist dabei für den Erfolg durchaus nicht ohne Bedeutung. Während z. B. bei dem schonendsten Sterilisierungsverfahren, bei welchem die Mikro- organismen nur den Dämpfen von Chloroform, Äther oder Formaldehyd ausgesetzt werden, die meisten in den Kulturmedien wie in den Bakterien- leibern selbst enthaltenen Stoffe vollkommen unverändert und, soweit sie giftiger Natur sind, auch vollkommen wirksam bleiben, bedingen andere deletäre Eingriffe, wie das Erhitzen auf 100° oder der Zusatz anti- septischer Stoffe, häufig eine Zerstörung oder wenigstens Alteration der toxischen Bakterienprodukte, wodurch natürlich die Schwere des immu- nisatorischen Eingriffes unter Umständen ganz erheblich gemildert werden kann. Da hierbei die immunisierende Wirkung dieser giftigen Substanzen intakt erhalten bleiben kann, so hat man sich des Vorteiles der Giftabschwächung gerade bei den hochtoxischen Bakterienarten, wie bei dem Tetanus- und Diphtheriebazillus, in ausgedehntem Mabe bedient. Besonders Jodtrichlorid und Lucorsche Lösung haben sich den Immunitätsforschern in dieser Richtung ganz vortrefflich be- währt und stellen das souveräne Mittel dar, um Toxine bei erhaltener immunisierender Kraft in ihrer Giftigkeit herabzusetzen. Es ist diese Eigenschaft der genannten Stoffe um so wertvoller, als gerade bei den Toxinen des Diphtherie- und Tetanushbazillus die Herstellung einer Grundimmunität oft auf sehr bedeutende Schwierigkeiten stößt und bei Verwendung vollwertiger Gifte entweder gar nicht oder nur mit den größten Opfern an Tiermaterial erkauft werden kann. Wie man sich übrigens die immunisatorische Wirksamkeit abgeschwächter Gifte theoretisch vorzustellen hat, darüber werden wir bei Besprechung von EnrLicHhs „Seitenkettentheorie‘‘ sehr interessante Aufschlüsse erlangen. Fügen wir dem Gesagten noch hinzu, daß man auch die ver- Immuni- schiedenartigsten Extrakte von Bakterienkulturen, die je nach der "Bakterien- Art ihrer Herstellung die wirksamen Substanzen in mehr oder minder **trakten. stark verändertem Zustande enthalten, zur Immunisierung verwenden kann und zum Teil auch in praxi verwendet, so haben wir die Möglich- keiten der aktiven Immunisierung so ziemlich erschöpft, und wir wollen hier nur noch eines Spezialfalles der Immunisierung mit Bak- terienextrakten in Kürze Erwähnung tun, da derselbe in der letzten Zeit größere theoretische wie praktische Bedeutung erlangt hat: wir meinen die Immunisierung gegen die Aggresine. Begriff und Natur Ageresin- der Barwschen Aggressine haben wir bereits an einer anderen Stelle sierung. (Vorlesung IIT) ausführlicher besprochen und auch erwähnt, daß man Gründe hat, sie für besonders geartete Bestandteile der Bakterien- leiber zu halten. Wenigstens ist es WAssERMANN und ÜITRoN gelungen, durch Extraktion frischer lebender Kulturen von Schweineseuche und Schweinepest im Schüttelapparat Flüssigkeiten zu erhalten, die sich in jeder Beziehung analog verhielten wie die Baın schen aggressinhaltigen Exsudate. Es ist nun möglich, sowohl mit den „natürlichen“ wie mit 160 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. den eben erwähnten „künstlichen“ Aggressinen aktive Immunität her- vorzurufen, und zwar gegen Mikroorganismen, bei denen sonst nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen Umständen günstige Immuni- sierungsresultate zu verzeichnen waren, wie bei Hühnercholera, den eben erwähnten beiden Erregern von Schweineepizootien, bei Bubonenpest und anderen mehr, kurz bei einer Reihe von Erregern hämorrhagi- scher Septikämien, die man, entsprechend der BaırLschen Einteilung, den Ganzparasiten zuzählen muß. Offenbar verdankt dieses Immuni- sierungsverfahren, dem wohl eine große Zukunft prophezeit werden darf, seine Wirksamkeit der besonderen schonenden Extraktion der lebenden Bakterienleiber, bei welcher die wichtigsten Substanzen aus ihnen ausgelaugt werden, ohne daß nennenswerte Giftmengen dabei in Lösung gehen. Es ist zweifellos ein großes und bleibendes Verdienst Baızs, durch seine Arbeiten die Entdeckung dieser neuen wirksamen Immuni- sierungsverfahren angeregt und gefördert zu haben, auch wenn seine theoretischen Anschauungen über die Natur der Aggressine sich, wie es den Anschein hat, als unhaltbar erweisen sollten. Zum Schlusse stellen wir die wichtigsten Formen der aktiven Immunisierung mit gleichzeitiger Angabe prägnanter Beispiele in der beiliegenden kleinen Tabelle nochmals übersichtlicher zusammen (nach DIEUDONNE.). Aktive Immunisierung. I. Mit lebenden, vollvirulenten Krankheitserregern: a) unter Wahl passender Dosen (Verdünnungsmethode der Tollwutimpfung von Hösyves): b) unter Wahl passender Lokalität der Inokulation (Impfung gegen Lungenseuche des Rindes und Schafpocken an der Schwanzspitze). IH. Mit lebenden, abgeschwächten Krankheitserregern: a) Abschwächung durch hohe Temperaturen (Züchtung bei 42°: Milzbrand, Rauschbrand); b) Abschwächung mittels Passage durch wenig empfindlichen Tierkörper (Schutzpockenimpfung); c) Abschwächung durch Eintrocknung (Tollwutimpfung nach PASTEUR); d) Abschwächung durch Zusatz von Antisepticis (Karbolsäure, Kaliumbichromat bei Milzbrand); e) Abschwächung durch physikalische Einwirkungen: lichtung, hoher Luftdruck, Elektrizität usw. (Kaum prak- tisch verwendet.) III. Mit abgetöteten Kulturen. (Typhus, Cholera, Pest.) IV. Mit Bakterienextrakten: a) mit Bakterienproteinen (Tuberkulin, Mallein); b) mit aus den Bakterien durch besondere mechanische Ein- griffe gewonnenen Produkten: | «) Tuberkulin TR (Koch); £) Bakterienplasmine (BucHxERr); y) Aggressine (Baıt, WASSERMANN und ÜITRON). V. Mit Stoffwechselprodukten der Bakterien. (Tetanus-, Diphtherietoxin.) XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 161 Für die Art, wie die eben erwähnten Impfstoffe und Vakzins in Appli-. den zu immunisierenden Organismus eingeführt werden, stehen ver- ka ame schiedene Möglichkeiten offen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle bedient man sich in der Praxis zu diesem Zwecke der subkutanen Injektion, seltener der Einspritzung in eine Vene, während der intraperitoneale Applikationsmodus wohl nur im Laboratoriums- experiment zur Anwendung kommt. Bei der Schutzpockenimpfung ge- schieht, wie allbekannt, die Einverleibung des abgeschwächten Virus durch kleine künstlich gesetzte Epitheldefekte der Haut; ja, Hormann hat sogar nachgewiesen, daß man Tiere schon durch einfaches Ein- reiben einer Bakterienkultur in die frischrasierte Hautoberfläche immu- nisieren kann. Schließlich hat man auch versucht, vom Verdauungs- kanal her und zwar entweder durch stomachale oder rektale Einver- leibung Immunität auszulösen, ein Verfahren, das aber meist nur bei Verwendung ganz enormer Dosen des Impfstoffes zum Ziele führt. Nachdem wir so die wichtigsten Möglichkeiten der aktiven Im- Folgen der munisierung kennen gelernt haben, müssen wir nunmehr darangehen, pre die Veränderungen näher zu studieren, die der tie- rische Organismus unter dem Einfluß dieser Proze- duren erleidet, da wir nur auf diese Weise hoffen können, einen tieferen Einblick in das Wesen der Immunitätsphänomene zu ge- winnen, die durch eine so rätselhafte Zweckmäßigkeit ausgezeichnet er- scheinen. Nun nehmen geformte und ungeformte Elemente, Zellen, bezw. Zellverbände und Gewebsflüssigkeiten in gleicher Weise Anteil an dem Aufbau des tierischen Organismus, und wir werden daher auf beide Rücksicht zu nehmen und beide, die Ge- webe wie die Säfte, getrennt zu untersuchen haben. Wir wollen mit dem Studium der letzteren beginnen, einmal, weil Verände- dies dem historischen Entwicklungsgange der Immunitätsforschungen Fiugerıms, entspricht, dann aber, weil die überwiegend große Mehrzahl der hierüber bekannt gewordenen Tatsachen sich auf die Körperflüssigkeiten, speziell auf das Blutserum bezieht und weil hier, wo es sich um ein struktur- loses, keinem selbständigen Stoffwechsel unterworfenes Material handelt, die Verhältnisse viel klarer und leichter zu übersehen sind, als bei den in fortwährender Umbildung begriffenen atmenden, Nährstoffe spaltenden und assimilierenden zelligen Elementen. Untersucht man nun, wie dies BELJAEFF getan hat, das Blutserum Änderung von in verschiedenster Weise und gegen die verschiedensten Krankheits- Br erreger immunisierten Tieren auf sein grob physikalisches Verhalten, Konstanten. indem man sein spezifisches Gewicht, seine Gefrierpunkt- erniedrigung, seine Leitfähigkeit für den elektrischen Strom und seinen Brechungsindex, also eine Reihe charakteristischer physikalischer Konstanten ermittelt und mit den entsprechenden Werten normaler Sera vergleicht, so findet man keine erheblichen und insbe- sondere keine konstanten Differenzen. Es schwanken diese Größen vielmehr innerhalb derselben Grenzen, welche auch für das Serum nor- maler Tiere Gültigkeit besitzen. Zwar haben Szoxta6GH und WELL- MANN, die ähnliche Untersuchungen an Diphtherieheilserum angestellt haben, eine Abnahme des elektrischen Leitvermögens und eine Er- niedrigung des Gefrierpunktes im Verlaufe der Immunisierung beobachtet, und Bursacın hat eine Zunahme des Brechungsindex konstatiert; wie BELJAEFF jedoch mit Recht hervorhebt, sind alle diese — übrigens Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 11 162 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. nicht erheblichen — Veränderungen in hohem Grade von dem Er- nährungszustande des betreffenden Tieres abhängig und nicht ohne weiteres mit dem eigentlichen Vorgange der Immunisierung in Beziehung zu setzen. Auch die rein chemische Untersuchung der Sera immuner Tiere Chemische hat zunächst keine irgend erheblichen Abweichungen von dem normalen ren Typus zutage gefördert. Der Trockenrückstand des Serums und der Grad der Alkaleszenz scheint allerdings nach BUTJAGIN meist um ein geringes erhöht zu sein, und auch der Gesamteiweißgehalt der Immun- sera dürfte meist etwas größer sein als bei dem Serum normaler Tiere. Man wird jedoch auch diesen geringfügigen Veränderungen keinerlei wesentliche Bedeutung zumessen können und in ihnen kaum mehr sehen dürfen als den Ausdruck der im Verlaufe der Immunisierung veränderten Ernährungs- und Stoffwechselverhältnisse. In neuerer Zeit jedoch hat JoacHm das Serum eines Pferdes vor und nach der Immunisierung mit Diphtherietoxin untersucht und dabei eine bedeutende Zunahme des Gesamtglobulins auf Kosten des Albumins konstatiert und auch Mor hat in dem Serum von Tieren (Kaninchen), die mit subkutanen Injektionen von Pferdeserum behandelt worden waren, eine gesetzmäßige Vermehrung des Globulins bei gleichbleibendem Gesamtgehalt an Eiweiß gefunden. Ob wir hierin wirklich ein typisches Merkmal der Immunsera zu sehen haben, werden weitere Forschungen lehren müssen. Mit Rück- sicht auf gewisse, später mitzuteilende Tatsachen scheint dies jedoch durchaus nicht unwahrscheinlich. Zweifellos ist aber, daß auch dieser Befund, wenn er sich bewahrheiten sollte, uns nichts zu sagen vermag, was wir irgendwie zur Erklärung der Immunität zu benutzen imstande wären, zumal ja gerade eines der rätselhaftesten Momente an dem ganzen Immunitätsphänomen, nämlich deren strenge Spezifität, im der gleichmäßig auf die verschiedenartigsten Immunsera verbreiteten Glo- bulinvermehrung gar nicht zum Ausdruck kommt. Während also, wie wir sehen, die gewöhnlichen physikalischen und chemischen Methoden bei dem Studium der Immunsera fast vollkommen versagt haben und uns keine merklichen Veränderungen gegenüber dem Serum normaler Biologische Tiere gewahr werden ließen, hat sich die Anstellung des biologischen Vanzen Experimentes von ganz außerordentlicher Fruchtbarkeit erwiesen und uns mit einer Fülle von Wirkungen bekannt gemacht, die dem Normal- serum fehlen. Die ersten Kenntnisse über diese biologischen Eigenschaften der Immunsera verdanken wir v. BEHRING und seinen Mitarbeitern WER- Antitoxische NICKE und Kırasarto; bei ihren Studien über die Immunität gegen das Diphtherie- und Tetanustoxin machten diese Forscher zum ersten Male die höchst wichtige und folgenschwere Beobachtung, daß die betreffen- den Immunsera eine sehr bedeutende Schutzwirkun g auszuüben vermögen, wenn sie den Versuchstieren gleichzeitig oder kurze Zeit nach der Infektion mit den betreffenden Giften beigebracht werden. Folgendes Beispiel mag einen Begriff von der Höhe dieser Schutz- wirkung geben: 5 ccm des Serums eines gegen Tetanus immunisierten Kaninchens wurden mit 1 ccm keimfrei gemachten Tetanustoxins ver- mischt, das Mäuse noch in der winzigen Dosis von 0,0001 ccm sicher zu töten vermochte. Vier Mäuse erhielten von dieser Mischung je 0,2 ccm, somit 0,033 ccm Toxin oder mehr als das 300fache der sonst für Mäuse tödlichen Dosis; die Kontrolltiere erhielten je 0,0001 ccm des Toxins A Im XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 163 ohne weiteren Zusatz. Während nun die letzteren binnen 36 Stunden sämtlich an typischem Tetanus zugrunde gingen, blieben die ersterwähn- ten vier Mäuse dauernd gesund und zeigten niemals eine Spur von tetani- schen Erscheinungen, so daß also durch die Beimischung des Immun- serums mehr als das 300fache der letalen Toxindosis vollkommen un- schädlich gemacht wurde. Versuche mit Blut und Serum nicht- immunisierter Kaninchen, sowie mit normalem Rinder-, Kälber-, Pferde- und Hammelserum verliefen vollkommen negativ, woraus folgt, daß die ge- nannte Schutzwirkung lediglich den Immunseris zukommt und eine spezifi- sche Eigenschaft derselben darstellt. Tızzonı und Carranı haben die zu sup- ponierenden wirksamen Substanzen, denen die Immunsera ihre Schutzkraft verdanken, als Antitoxine bezeichnet, ein Name, der sich bald volles Bürgerrecht verschafft hat und heute in den allgemeinen medizinischen und nichtmedizinischen Sprachgebrauch übergegangen ist. Seit den klassischen Untersuchungen von v. BEHRING, WERNICKE und Kırasato haben wir eine ganze Reihe von weiteren Antitoxinen kennen gelernt: Enkrıcr hat solche im Serum von Tieren aufgefunden, die er gegen die giftigen Planzen- eiweißstoffe Rizin, Abrin, Crotin immunisiert hatte; CALMETTE, PHIsAaLıx und BERTRAND sowie FRASER haben ein Antitoxin gegen Schlangengift, WASSERMANN gegen das Toxin des Bacillus pyocyaneus hergestellt; KENMPNER gegen das äußerst heftig wirkende Gift des bei Fleischver- giftungen gefundenen Bacillus botulinus, PRÖSCHER gegen das Phryno- lysin, das in gewissen drüsigen Organen der Krötenhaut enthalten ist, SacHs gegen das Gift der Kreuzspinne. Dagegen war es bis vor kurzem nicht einwandfrei gelungen, Antiendotoxine zu erzeugen, also durch Immunisierung Blutsera zu gewinnen, welche die giftig wirkenden Inhaltsstoffe der Bakterien zu neutralisieren vermochten, eine Tat- sache, der wir bereits bei anderer Gelegenheit (Vorlesung VI) begegnet sind. Erst in letzter Zeit scheint auch dieses Problem durch Mac- FADYEN, BESREDKA, Kraus und andere Forscher einer befriedigenden Lösung zugeführt worden zu sein, indem es nämlich gelang, bei Behand- lung von Versuchstieren mit Typhus- und Üholeraendotoxinen, kräftige antiendotoxische Sera zu erzielen. PFEIFFER und seine Schule steht freilich diesen Antiendotoxinen derzeit noch skeptisch gegenüber. — Nachfolgende Tabelle bringt eine Aufzählung der wichtigsten bekannt gewordenen Antitoxine. Antitoxine. a) gegen bakterielle Toxine: gegen Diphtherietoxin; » Tetanustoxin; 1 2. 3. „ Botulismustoxin; 4. „ Pyocyaneustoxin; 5. „ Rauschbrandtoxin; 6. „ Staphylotoxin; 7. „ Paratyphustoxin; 8 ,„ Typhustoxin; = Sa Choleratoxin und andere Vibrionentoxine; Endotoxine? 10. ,„ Dysenterietoxin; 11. ,„ Pesttoxin; b) gegen tierische Toxine: 1. gegen Schlangengift (Venin); 2. „ Fischgift; 3. „ Aalgift; 4 „ Salamandergift; 5. „ Krötengift (Phrynolysin); 11* Antitoxine. Bakterio- lytische Immunsera. Pfeiffer- sches Phä- nomen. 164 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 6. gegen Skorpionengift; m ne (Arachnolysin); ” espengift und Bienengift; „ Ermüdungstoxin? (Kenotoxin, WEICHARDT). Pa c) gegen pflanzliche Toxine: % Dans Rizin; s Abrin; ar Crotin; » Robin; Phallin, das Toxalbumin von Amanita phalloides; „ Pollengift (Heufiebergift). pw: Überblickt man die eben gegebene Zusammenstellung, so bemerkt man, daß also nicht nur bakterielle Toxine zur Entstehung von Antitoxinen Veranlassung geben, sondern auch die verschiedensten Giftstoffe pflanzlichen und tierischen Ursprungs. Schon hier- durch erhält die Tatsache der Antitoxinbildung ein viel allgemeineres biologisches Gepräge. Die entgiftenden Wirkungen sind nun aber durchaus nicht die einzigen neuerworbenen Eigenschaften, die den Immunseris zukommen. Manche Sera zeigen nämlich, obwohl bei ihnen antitoxische Kräfte nicht zu beobachten sind, dennoch eine sehr ausgesprochene Schutzwirkung, die sich jedoch gegen die lebenden Bakterien richtet und die sich darin äußert, daß eine rasche Zerstörung der letzteren eintritt, wenn sie zugleich mit dem Immunserum in die Bauchhöhle der Versuchstiere eingespritzt werden. Die gründlichsten Untersuchungen über diese eigenartige Wirkung der Immunsera verdanken wir Preirrer und Is- SAEFF, und zwar beziehen sich dieselben vornehmlich auf den Vibrio der Cholera asiatica und verwandte, zum Teil aus dem Wasser isolierte Vibrionenarten. Spritzt man einem Meerschweinchen eine gewisse Menge virulenter Agarkultur des Kocuschen Vibrio ein, etwa 1, oder 1 Öse, so erliegt es nach durchschnittlich 6—-7 Stunden unter charakteristischen Symp- tomen, die mit den klinischen Erscheinungen des Stadium algidum der menschlichen Cholera gewisse Analogien darbieten. Bei der Sektion zeigt sich die Peritonealhöhle der Tiere mit reichlichen Mengen seröser Flüssigkeit angefüllt, in der man bei mikroskopischer Beobachtung die Vibrionen sich äußerst lebhaft umherbewegen sieht. Ebenso finden sich im Herzblut und in allen Organen unter Umständen große Mengen der Mikroorganismen. Ganz anders verläuft das Experiment, wenn gleich- zeitig oder vorher eine minimale Menge wirksamen Immunserums in- jiziert worden war. Entnimmt man von Zeit zu Zeit mit Hilfe eines Kapillarröhrchens, das durch die Bauchdecken in die Peritonealhöhle eingeführt wird, einen kleinen Tropfen des daselbst angesammelten Exsudates und bringt denselben unter das Mikroskop, so kann man eine eigentümliche Veränderung an den Vibrionen beobachten, die PFEIFFER und IssaEerr in folgender klassischer Weise beschreiben. „Dieselben schrumpfen zu kleinen Kügelchen zusammen, welche zunächst den Farbstoff noch ziemlich stark aufnehmen und dann oft das Aus- sehen von Mikrokokken darbieten. Diese Kügelchen werden bald blasser und blasser, man kann direkt verfolgen, wie ihre Substanz i der Exsudatflüssigkeit sich auflöst; schließlich bleiben nur noch schwach sichtbare Schatten als Residuen der untergegangenen Vibrionen zurück, bis auch diese letzten Reste verschwinden.“ Die Schnelligkeit dieses XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 165 Zerstörungsprozesses ist annähernd proportional der Menge des an- gewendeten Serums; unter günstigen Umständen können ganz enorme Mengen der Vibrionen in der kurzen Zeit von 40—60 Minuten voll- kommen abgetötet werden. Dabei bleiben die Versuchstiere am Leben und reagieren auf die Infektion meist nur mit mehr oder weniger hoch- gradigem Teemperaturabfall. Normale Sera oder Sera von Tieren, die gegen andere Mikroorganismen immunisiert wurden, zeigen bei gleichem Ver- dünnungsgrad weder Schutzwirkungen noch jene eigentümlichen, unter dem Namen des PFEIFFER schen Phänomens bekannten Auflösungserscheinungen der Choleravibrionen, die WASSERMANN einmal in sehr treffender und charakteristischer Weise mit dem Schmelzen von Wachs in heißem Wasser vergleicht. Da diese bakteriziden Wirkungen der Immunsera bei den Versuchen PFEIFFERS und seiner Schüler immer nur im tierischen Organismus, niemals aber außerhalb desselben, in vitro, zu beobachten waren, so nahm PFEIFFER an, daß sie nicht durch einen Gehalt an präformierten bakteriziden Stoffen zu erklären seien, sondern dab infolge der Übertragung des Serums auf das Meerschweinchen eine Reaktion im Organismus dieses Tieres ausgelöst werde, wodurch die in- aktiv im Serum enthaltenen Antikörper in die aktive spezifisch-bakte- rizide Modifikation übergeführt würden. Später hat man jedoch das PFEIFFERsche Phänomen in vielen Fällen auch in vitro ohne Schwierig- keit hervorrufen können, so daß es also überflüssig erscheint, eine Intervention des lebenden Organismus anzunehmen. Wir werden auf die bakteriziden Wirkungen der Immunsera, die viel bedeutender sind, als die des normalen Serums, noch zurückzukommen haben und werden auch die Gründe kennen lernen, die bei den älteren Versuchen, sie in vitro nachzuweisen, so häufig zu negativen Resultaten geführt haben. Hier handelt es sich nur darum, uns mit den wichtigsten Eigenschaften der Immunsera bekannt zu machen, ohne auf ihre ge- nauere Analyse einzugehen. Nur dies eine sei noch erwähnt, daß wirk- same bakteriolytische Immunkörper unter anderem gegen folgende Arten gewonnen wurden. Bakteriolysine gegen: Vibrio cholerae asiaticae, „ Metschnikoff und andere Vibrionen, Bacterium typhi, + coli, o dysenteriae, % paratyphi, nn yocyaneum, Bacillus influenzae, Bacterium pestis bubonicae. Meist zeigen die antibakteriellen Immunsera noch eine zweite Art von Einwirkung auf die homologen Mikroorganismen, deren Kenntnis wir GRUBER und DURHAM verdanken und die, wie Sie wissen, unter dem Namen der Agglutination zu vielfacher praktischer Anwendung gelangt ist. Bekanntlich ist das Phänomen der Agglutination durch folgende Merkmale charakterisiert. Handelt es sich, wie so häufig, um beweg- liche Bakterienarten, so ist die erste Veränderung, die man nach der Mischung der Kultur mit dem betreffenden Serum beobachten kann, eine vollkommene Immobilisierung der einzelnen Individuen. Während Pfeiffers Phänomen in vitro. Agelu- tination. Faden- reaktion. Agglutina- tion toter Bakterien. Widalsche Reaktion. 166 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. dieselben vor der Einwirkung des Immunserums mit großer Lebhaftig- keit durch das Gesichtsfeld des Mikroskopes schwammen, stellen sie bei der Berührung mit den wirksamen Substanzen, den Agglutininen, fast momentan ihre Bewegungen ein und liegen nunmehr regungslos nebeneinander. In diesem Momente sind die einzelnen Bakterien noch gleichmäßig über das ganze Gesichtsfeld verteilt. Bald macht sich jedoch eine zweite und viel wichtigere Veränderung geltend, die auch bei un- beweglichen Arten zu beobachten ist und von der das ganze Phänomen seinen Namen hat: es bilden sich nämlich mehr oder weniger große Bakterienhäufchen, zwischen denen breite Straßen von Flüssigkeit freibleiben, die nur sehr vereinzelte oder auch gar keine Mikroorganismen enthalten. Beobachtet man das Phänomen nicht unter dem Miskroskop, sondern im Reagenzglas, so sieht man, wie sich in der zuerst vollkommen homogenen und gleichmäßig getrübten Bakterienaufschwemmung zunächst wolkenartige Schlieren bilden, die sich allmählich verdichten und in Form eines flockigen lockeren Niederschlages zu Boden sinken, während sich die überstehende Flüssigkeit vollkommen klärt. Eine Schädigung oder gar Abtötung der Mikroorganismen ist mit diesem Vorgange der Haufenbildung nicht verbunden; die agglutinierten Keime erweisen sich vielmehr als vollkommen lebensfähig und vermehren sich sogar nicht selten im agglutinierten Zustand, wobei sie manchmal zu eigentümlichen starren Fadenkonvoluten auswachsen, ein Phänomen, das PFAUNDLER als Fadenreaktion beschrieben hat. Ja, selbst so zarte und sonst leicht zu zerstörende biologische Funktionen wie die Lichtproduktion der Leuchtbakterien erleiden nach BıLLyer durch die Einwirkung der Agglutinine keinerlei Beeinträchtigung. Irgend eine schützende Wir- kung wird man daher diesen Stoffen im Gegensatze zu den Antitoxinen und Bakteriolysinen nicht ohne weiteres zuerkennen dürfen. Andererseits ist aber das Leben der Mikroorganismen durchaus kein unbedingtes Erfordernis für das Zustandekommen der Agglutination — die Reaktion gelingt vielmehr ganz ebensogut mit vorsichtig durch Chloroform oder Formaldehyddämpfe abgetöteten Mikroorganismen, eine Tatsache, die für ihre diagnostische Verwendung am Krankenbette natürlich eine bedeutende Vereinfachung gestattet, da man nicht nötig hat, sich jedesmal frische Kulturen zu verschaffen, sondern sich für längere Zeit mit einer formalinisierten Bakterienaufschwemmung ver- sehen kann. Wie die PreEirrersche Reaktion ist auch die Agglutinations- reaktion — die in ihrer praktischen Verwendung zur klinischen Typhus- diagnose auch als Wıparsche Reaktion bezeichnet wird — streng‘ spezifisch, d. h. sie erfolgt nur mit jenen Bakterienarten, die zur immunisatorischen Erzeugung des betreffenden wirksamen Serums ge- dient hatten. Auf einige scheinbare Abweichungen von diesem Gesetz der Spezifität und ihre mutmaßliche Deutung werden wir noch später zurückzukommen haben. Es sollen hier nur noch die wichtigsten Bakterienarten, mit welchen Agglutinine erzeugt wurden, aufgezählt werden. Agglutinine gegen: Bacillus typhi, Bacterium pestis, ” paratyphi A u. B, R iphtheriae, Bacterium coli, Bacillus tetani, dysenteriae, vr Friedländer, Bacillus lactis aerogenes, 4 scleromatis, XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 167 Bacillus enteritidis, Streptococcus pyogenes, n proteus, Staphylococcus aureus, . pyocyaneus, Pneumococcus, Bacterium influenzae, Meningococceus intracellularis, Bacillus tuberculosis, Micrococeus melitensis, pr mallei, Vibrio cholerae asiaticae. Auf eine weitere interessante Eigenschaft vieler antibakterieller Immunsera hat zuerst Kraus aufmerksam gemacht. Mischt man z. B. das bakterienfreie Filtrat einer älteren T'yphusbouillonkultur mit dem homologen Serum, so tritt in dem ursprünglich vollkommen klaren Gemisch nach längerem Stehen eine Trübung auf, die sich schließlich als lockerer Niederschlag zu Boden setzt. Kulturen anderer Bakterien- arten geben diese „spezifischen Niederschläge“ mit Typhusserum nicht. Da besonders ältere Kulturen das Kraussche Phänomen in voller Deut- lichkeit hervortreten lassen, so nimmt man an, daß es sich bei dieser Reaktion um freigewordene Bestandteile der Bakterienleiber handelt, die infolge des in allen älteren Kulturen eintretenden Zellzerfalls in Lösung gehen und von den wirksamen Substanzen des Immunserums gefällt oder, wie der technische Ausdruck lautet, präzipitiert werden. Die wirksamen Substanzen selbst bezeichnet man als Präzipitine oder Koaguline. Wie Parraur und Kraus durch eine Reihe von höchst ingeniösen Experimenten dargetan haben, stehen die Präzipitine in außerordentlich naher Beziehung zu dem früher erwähnten Agglutinationsphänomen, indem nämlich das Immunserum bei seiner Berührung mit den teils in Lösung befindlichen, teils den Bakterienkörpern noch anhaftenden „agglutinierbaren‘‘ Substanzen spezifische Niederschläge bildet, die die Bakterien miteinander verkleben lassen. Andere Forscher glauben aller- dings die Präzipitine und ihre Muttersubstanzen streng von den Agglu- tininen trennen zu müssen. Endlich haben wir noch der durch Immunisierung erzeugten Immunopsonine und Bakteriotropine zu gedenken, welche, wie wir bereits wissen, die betreffenden zelligen Elemente zur Phagozytose vorbereiten und sich von den ähnlich wirkenden Opsoninen der nor- malen Sera vor allem durch ihre größere Thermostabilität unterscheiden. Sie sind oft in so großer Menge in den Immunseris vorhanden, daß ihre Wirkung selbst noch bei 1000 facher Verdünnung derselben zutage tritt, was bei normalem Serum niemals der Fall ist. Da wir über ihre mutmaßliche Wirkungsweise bereits in einem der vorhergehenden Kapitel gesprochen haben, so können wir uns hier mit dem bloßen Hinweis begnügen, daß diese Tropine, unabhängig von den Arbeiten WrıscHts, durch NEUFELD und Rımpau im Pneumokokken- und Strepto- kokkenimmunserum entdeckt wurden und gegenwärtig mit besonderem Eifer von den Immunitätsforschern studiert werden. Spezifische Tropine wurden bereits durch Immunisierung mit folgenden Bakterienarten erzielt: Tropine gegen: Streptokokken, Choleravibrionen, Dysenteriebazillen, Pneumokokken, Typhusbazillen, Tuberkelbazillen, Staphylokokken, Paratyphusbazillen, Pestbazillen, Meningokokken, Milzbrandbazillen. Wie wir eben gesehen haben, kommen also den antibakteriellen Immunseren sehr verschiedenartige Wirkungen zu, die wir uns kaum anders als durch die Annahme erklären können, daß in ihnen be- Spezifische Nieder- schläge. Präzipitine. Bakterio- tropine. Antikörper. Erweiterung des Begriffs „Immuni- sierung“. 168 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. sondere wirksame Substanzen, „Antikörper“, wie wir sie zusammen- fassend nennen wollen, enthalten sind. Wenn es nun zunächst auch am einfachsten ist, für jedes der verschiedenen beobachteten Phänomene einen besonders gearteten Antikörper anzunehmen, und wenn wir daher dementsprechend von Bakteriolysinen, Agglutininen, Präzipitinen und Bakteriotropinen gesprochen haben, so ist doch zweifellos der Gedanke naheliegend, daß es sich hierbei doch nur um verschiedenartige Wir- kungen eines und desselben Antikörpers handeln könnte, und wir haben ja auch bereits darauf hingewiesen, daß speziell zwischen den agglutinierenden und präzipitierenden Eigenschaften des Serums ein solcher Zusammenhang tatsächlich bestehen dürfte. Es hat sich jedoch bei genauen vergleichenden Versuchen das zweifellose Ergebnis heraus- gestellt, daß im übrigen die verschiedenen Serumwirkungen durchaus nicht in ihrer Intensität miteinander parallel zu gehen brauchen, ja daß manchen sonst hochwirksamen Seren die eine oder andere Fähig- keit vollkommen fehlen kann, so daß also z. B. nur Bakterienauflösung und Asgglutination, aber keine opsonische Wirkung durch sie hervor- gerufen wird usf. Derartige und andere Tatsachen haben denn zu der Überzeugung geführt, die wohl von den meisten Immunitätsforschern heute geteilt werden dürfte, daß nämlich doch die Annahme ver- schiedenartiger Antikörper für die einzelnen Serum- funktionen derzeit als die weitaus wahrscheinlichste be- zeichnet werden muß. Die bisher besprochenen Immunsera erstreckten ihre Wirksamkeit, wie wir gesehen haben, entweder auf die Bakterienleiber und ihre Inhaltsstoffe oder aber auf die von ihnen produzierten Toxine, eventuell auch auf Giftstoffe pflanzlicher oder tierischer Provenienz, die den Toxinen in ihren Eigenschaften nahestehen. Damit wäre nun aber das Kapitel von den Wirkungen der Immunsera sensu strietiori, die sich ja naturgemäß nur gegen die Krankheitserreger oder gegen ihre Gifte richten können, erschöpft, wenn nicht die emsigen und erfolgreichen Studien der letzten Jahre zu einer ganz ungeahnten Erweite- rung des Begriffes der Immunisierung geführt hätten. Hatte man nämlich ursprünglich, wie das ja schon in dem Namen zum Ausdruck kommt, nur die künstliche Erhöhung der Resistenz gegenüber krankmachenden Agentien darunter verstanden, so stellte sich in den letzten Jahren immer mehr und mehr heraus, daß auch die systema- tische parenterale, d. h. nicht auf dem Wege des Magendarmkanals erfolgende Einverleibung ungiftiger Substanzen der verschiedensten Pro- venienz ganz ähnliche Veränderungen in dem Blutserum der damit behandelten Versuchstiere hervorzurufen vermag, wie wir sie eben bei den antitoxischen und antibakteriellen Immunseren beschrieben haben, und daß somit die Entstehung der Bakteriolysine, Agglutinine, Präzipitine und Antitoxine nur einen Spezialfall eines viel allgemeineren Gesetzes dar- stellt. In konsequenter Fortbildung des bestehenden Sprachgebrau- ches bezeichnet man daher auch die nach dem Typus der echten Immunisierung mit bakteriellen Substanzen vorgenommene Einführung derartiger ungiftiger Stoffe als Immunisierung, die gewonnenen Sera als Immunsera. Die hierbei entstandenen wirksamen Bestand- teile der Immunsera nennt man, wie schon gesagt, Antikörper. Die zur Immunisierung dienenden Stoffe, durch deren Einverleibung die Bildung der Antikörper ausgelöst wurde, kann man nach einem XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 169 von Deutsch herrührenden Vorschlage kurz und zweckmäßig als Antigene bezeichnen. Um übrigens den sprachlichen Widerspruch zu beheben, der in speziellen Fällen daraus entsteht, daß solche mit irgendwelchen giftigen oder ungiftigen Antigenen vorbehandelte Tiere als „immunisiert‘‘ bezeichnet werden, auch wenn ihre Widerstandsfähigkeit durchaus nicht zugenommen hat, ja sogar — wir werden auch dafür noch Beispiele kennen lernen — vielleicht wesentlich geringer geworden ist, hat PırquEr für diesen neuen Zustand des Organismus den Namen „Allergie“, d. h. veränderte Reaktionsfähigkeit, geprägt und be- zeichnet dementsprechend jene Stoffe, deren Einverleibung diesen Zu- stand hervorruft, als Allergene. Der Ausdruck „Immunität bliebe dann nur für jene Fälle von Allergie reserviert, wo wirklich Unempfind- lichkeit oder gesteigerte Widerstandsfähigkeit erzielt wurde. — Antigene bezw. Allergene finden sich nun in allen Geweben, Zellen und Körperflüssigkeiten organisierter Lebewesen. Vor allem haben die roten Blutkörperchen wegen ihrer besonderen Stellung im Haushalt des tierischen Organismus und wegen der großen Bequem- lichkeit, die sie als isolierte, unabhängige Zellen für das Experiment darbieten, seit längerer Zeit die Aufmerksamkeit der Immunitätsforscher auf sich gelenkt. BELFANTI und ÜARBONE haben zuerst gefunden, dab das Serum von Pferden, das normalerweise für Kaninchen vollkommen unschädlich ist, bei der Immunisierung mit Kaninchenblut hochgradig toxische Eigenschaften für diese Tierspezies erlangt und besonders bei intravenöser Applikationsweise Kaninchen schon in ganz minimalen Dosen zu töten vermag. Anderen Tierspezies gegenüber zeigte sich dieses Immunserum vollkommen indifferent und verhielt sich nicht anders wie normales Pferdeserum. BorpET hat dann die Eigenschaften solcher durch Blutinjektionen erzeugter Immunsera eingehender studiert hervorrufen, indem sie imstande sind, die homologen Blutkörperchen derart zu schädigen, daß es zu einem Austritt des Hämoglobins aus ihnen kommt. Das früher deckfarbene, undurchsichtige Blutgemisch wird infolgedessen lackfarben, es tritt, wie man sich ausdrückt, Hämo- lyse ein. Da jedoch bei diesem Vorgange die Blutkörperchenstromata vollkommen intakt und erhalten bleiben und durch Zentrifugieren des hämolysierten Blutgemisches leicht als Erythrozytenschatten nachgewiesen werden können, so ist im Grunde dieser jetzt so gebräuchliche Ter- minus technicus nicht ganz glücklich gewählt, indem er leicht die Vor- stellung einer vollkommenen Auflösung und Zerstörung der roten Blut- körperchen erwecken könnte. Das Wesentliche des Vorganges ist jedoch, wie bereits an anderer Stelle gesagt, nur der Austritt des Hämoglobins in die umgebende Flüssigkeit. Anderen Arten von Blutkörperchen gegenüber zeigen sich diese hämolytischen Immunsera entweder voll- kommen unwirksam oder doch nicht wirksamer als die Sera normaler, nicht mit Blut behandelter Tiere. Wie die spezifisch bakteriziden Sera, so zeigen auch die hämo- lytischen meist noch eine Reihe weiterer Eigenschaften. Auch bei den roten Blutkörperchen kommt es häufig zu einem klumpigen Zusammen- ballen der einzelnen Zellen, zu einer echten Agglutination; aus Gründen, auf die wir noch zurückzukommen haben werden, tritt jedoch dieses Phänomen bei frischen Immunseris weniger deutlich hervor als bei etwas älteren; häufig genügt es aber, sie kurze Zeit auf 55—60° zu erwärmen, um ihre agglutinierenden Eigenschaften zu Antigene, Allergie. Immun- hämolysine. und konnte nachweisen, daß sie auch in vitro ganz besondere Wirkungen . Hämagglu- tinine. Te ds de ET Pu a © 9 re er ee 7 Deren Hämo- tropine. Zytotoxine. Leuko- toxine. Epithelio- toxine. Spermo- toxine. 170 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. demonstrieren, die sonst durch die rasch eintretende Hämolyse verdeckt wurden. Auch Analoga der Krausschen Präzipitine sind bei den hämo- lytischen Immunseris nicht selten zu beobachten, indem sie beim Ver- mischen mit dem Blutserum der homologen Art Trübungen, bezw. oft sehr voluminöse Fällungen hervorrufen. Da derartige Präzipitine in noch reichlicherem Maße entstehen, wenn man die Immunisieruug statt mit Blut mit dem zugehörigen zellfreien Serum vornimmt, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch die Präzipitine der hämolytischen Sera wenigstens zum Teil auf die gleichzeitig mit den Blutscheiben eingeführten Serummengen zurückzuführen sind. Will man daher die Präzipitin- bildung bei der Immunisierung möglichst einschränken und möglichst reine Hämolysine erhalten, so mul man die roten Blutkörperchen vor der Injektion durch mehrfaches Waschen mit physiologischer Kochsalz- lösung und Zentrifugieren von den letzten anhaftenden Serumspuren zu befreien trachten. Endlich finden sich in diesen Immunseris auch phagozytosebefördernde Stoffe, also, wie wir sie nennen können, Hämo- tropine. Die roten Blutkörperchen sind nun aber durchaus nicht die ein- zigen Zellen des tierischen Organismus, gegen die auf immunisa- torischem Wege Antikörper hergestellt wurden. Wie man nämlich durch Injektion von roten Blutkörperchen hämolytisch wirkende Sera erzielen kann, so erhält man durch Einspritzung weißer Blutzellen bezw. leukozytenhaltiger Organe, wie Lymphdrüsen, Milz, Knochenmark, leuko- toxische Sera, welche, ganz ähnlich wie das von den Staphylokokken und anderen Bakterienarten produzierte Leukozidin, die weißen Blut- körperchen schädigen und abtöten. Diese letzteren verlieren infolge der Einwirkung solcher Sera ihre Beweglichkeit und ziehen ihre Pseudo- podien ein, um schließlich zu blasigen, durchscheinenden Kugeln zu degenerieren. v. DunGeErn hat ferner Trachealepithel vom Rinde in die Bauch- höhle von Meerschweinchen eingebracht und dabei die folgenden merk- würdigen Beobachtungen gemacht. Wenn die Versuchstiere normale, noch nicht vorbehandelte Meerschweinchen waren, so hielten sich die injizierten Flimmerepithelien noch mehrere Tage lang in ihrer Bauch- höhle am Leben, veränderten ihre Form, wurden kugel- oder tonnen- förmig und bewegten sich nach v. DungErns Beschreibung wie Geißel- infusorien in der Peritonealflüssigkeit umher. Wurden jedoch zu diesen Versuchen Tiere verwendet, welche bereits längere Zeit mit Epithel- injektionen vorbehandelt worden waren, oder wurden den normalen Versuchstieren zugleich mit dem Trachealepithel entsprechende Mengen des Immunserums beigebracht, so stellten die Zellen bald ihre Bewe- gungen ein und gingen nach bedeutend kürzerer Zeit zugrunde. Das Immunserum verhielt sich somit den Trachealepithelien gegenüber wie. ein lähmendes Gift. Ganz ähnliche Wirkungen zeigte das von METSCHNIKOFF un LANDSTEINER ungefähr gleichzeitig beschriebene spermotoxische Immun- serum den Samenfäden gegenüber. Während diese sich in normalem Meerschweinchenserum lange Zeit lebend und bewegungsfähig erhalten, werden sie durch das spezifische Serum bereits binnen weniger Minuten immobilisiert und abgetötet, ohne jedoch weitere Auflösungs- oder Zer- fallserscheinungen darzubieten. Höchst merkwürdig und beachtenswert ist dabei, dab die Versuchstiere nicht nur gegen die Spermatozoen XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 171 fremder Tierspezies immunisiert werden konnten, sondern auch gegen die arteigenen Samentierchen. Dabei richtete sich die toxische Wirk- samkeit des so erhaltenen Immunserums sowohl gegen die Spermatozoen anderer Individuen derselben Art, als auch gegen diejenigen des- selben Tieres, das das Immunserum geliefert hatte — eine zweifellos außerordentlich interessante und bedeutungsvolle Tatsache von großer biologischer Tragweite. Auch im tierischen Organismus ver- mögen übrigens, wie DE LESLIE gezeigt hat, die Spermotoxine ihre Wirkung zu entfalten. Männliche Mäuse konnten nämlich durch Be- handlung mit diesem zytotoxischen Serum steril gemacht werden, wobei ihr Sperma zugleich seine antigenetische Wirkung, also seine Fähigkeit, Spermotoxinbildung hervorzurufen, verloren hatte. Während die bis jetzt besprochenen Zytotoxine — so nennt man nämlich die auf immunisatorischen Wege erzeugten Zellgifte — vermöge der besonderen Eigenart der zelligen Gebilde, auf die sich ihre Wirksamkeit erstreckt, ohne Schwierigkeit auch im Reagenzglas- versuch studiert werden können, da sie sich durch sehr sinnfällige Ver- änderungen — Austritt des Hämoglobins bei den Erythrozyten, Ein- stellung der Bewegungen bei Flimmerepithelien und Spermatozoen — dokumentieren, ist eine Reihe weiterer zytotoxischer Wirkungen nur im Tierversuch nachzuweisen. DELEZENNE behandelte Kaninchen und Enten mit Injektionen von Hundeleber und erhielt hierbei Sera, die imstande waren, Hunde unter spezifischen Störungen der Leberfunktionen zu töten. Es kam bei diesen Versuchstieren zur Verminderung der Harnstoffausscheidung, Vermehrung des Ammoniaks, zum Auftreten von Leuzin und Tyrosin im Harn, bei reichlicher Zuckerzufuhr auch zu alimentärer Glykosurie. Die Autopsie ergab Nekrose bezw. fettige Degeneration der Leber, also einen Befund, der mit den Veränderungen bei akuter gelber Leber- atrophie große Ähnlichkeit aufwies. — LiNDEMANN injizierte Meer- schweinchen eine Emulsion von Kaninchennieren und fand, daß das so erhaltene Serum bei Kaninchen Albuminurie und urämische Erschei- nungen hervorrief, die zum Tode führten. Die mikroskopische Unter- suchung der Nieren dieser Versuchstiere ergab einen ausgedehnten Zerfall der Epithelzellen der Tubuli contorti. DELEZENNE erhielt von Enten nach Behandlung mit Emulsionen von Hundehirn ein wirksames neurotoxisches Serum, das Chromatolyse und Vakuolenbildung an den Ganglienzellen hervorrief, und ähnlicher Cytotoxine wurden noch eine ganze Reihe dargestellt, von deren Aufzählung wir jedoch, um nicht durch die Wiederholung analoger Tatsachen allzusehr zu ermüden, hier absehen wollen. Die unstreitig außerordentlich weitgehenden Analogien, welche nach unseren Ausführungen zwischen den giftigen Substanzen der Immunsera und den echten bakteriellen Toxinen bestehen, haben den Gedanken nahegelegt, ob es nicht auch möglich wäre, Antitoxine gegen sie zu erzeugen, ganz so wie dies bei den Bakteriengiften gelernen lungen ist. Diese Vermutung hat sich in der Tat bestätigt, und wir damit eine weitere Gruppe von Antikörpern kennen, nämlich die Anti- zytotoxine. Von diesen sind es besonders die Antihämolysine, also jene Antikörper, welche imstande sind, die Auflösung der Erythrozyten durch hämolytische Immunsera zu verhindern, die eine eingehehende Bearbeitung erfahren haben. Der typische Weg, den man einzuschlagen hat, um Hepato- toxine, Nephro- toxine. Neuro- toxine. Antizyto- toxine. Antihämo- lysine. Anti- fermente. Eiweiß- präzipitine. Bordet- scher Anti- körper. 172 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. derartige Antihämolysine herzustellen, ist ungefähr der folgende. Wir nehmen die roten Blutkörperchen einer Tierspezies A und injizieren sie in steigenden Dosen einer anderen Spezies B, die infolgedessen ein wirksames Hämolysin für das Blut von A produziert. Dieses blutlösende Immunserum wird dann vorsichtig zur Immunisierung der Spezies A verwendet, die nun ihrerseits das gewünschte Antihämo- lysin erzeugt. Man kann nun zwar auch zur Gewinnung des letzteren unter Umständen eine dritte Tierspezies Ü heranziehen; aus Gründen, die jedoch erst später auseinandergesetzt werden können, ist es jedoch sicherer und vorteilhafter, sich zu diesem Zwecke derselben Art zu be- dienen, welche das Blut geliefert hat, also gegenüber dem Hämolysin durch besondere Empfindlichkeit ausgezeichnet ist. Nach genau dem gleichem Schema hat man auch andere Antizyto- toxine gewonnen: Antispermotoxine, Antihepatotoxine, Antineurotoxine usf. Auf den Mechanismus der Wirkung aller dieser Antikörper, die sich insgesamt durch die Fähigkeit auszeichnen, die Wirkung der ent- sprechenden Zytotoxine zu paralysieren, werden wir noch an einer anderen Stelle einzugehen haben. Diesen Antitoxinen und Antilysinen reihen sich ihrer biologischen Wirksamkeit nach die verschiedenen immunisatorisch erzeugten Hemmungs- stoffe der Fermente, die sog. Antifermente an, deren wichtigste Ver- treter im folgenden zusammengestellt sind. Antifermente gegen: Labferment, Laccase, Pepsin, Tyrosinase, Trypsin, Cynarase, Fibrinferment, Steapsin, Urease, Bakterienfermente. Um das Bild, das wir von den Antikörpern entworfen haben, zu vervollständigen, erübrigt noch, mit ein paar Worten der Präzipi- tine zu gedenken. Wir haben bereits erwähnt, daß solche sich bei Immunisierung mit Blutserum oft sehr reichlich zu bilden vermögen. Aber auch eine Reihe anderer, meist eiweißhaltiger Substanzen können zur Präzipitinbildung Veranlassung geben. Milch, Eiereiweiß, albumin- haltiger Harn, tierische und pflanzliche Gewebsextrakte usw. erzeugen mit den entsprechenden Immunseris voluminöse Niederschläge, und zwar nicht selten in Verdünnungen, in welchen sich alle anderen Eiweiß- fällungsmittel bereits als unwirksam erweisen. Es gehören daher die Präzipitinreaktionen zu den allerempfindlichsten Reaktionen, die wir überhaupt kennen. Endlich müssen wir noch einer — vermutlich selbständigen und nicht mit den anderen wirksamen Stoffen der Immunsera identischen — Art von Antikörpern gedenken, die zuerst von BoORDET und GENGOU beobachtet worden sind und deren einzige sichtbare Manifestation darin zu bestehen scheint, daß sie Komplement an die betreffenden Antigene zu fixieren vermögen. Als solche fungieren nicht nur bakterielle Substanzen, sondern auch tierische und pflanzliche Zellen, Ei- weißkörper, kurz fast alle die bisher besprochenen Antigene. Wir kommen auf diese eigentümlichen „Komplementfixatoren‘ noch wiederholt zu- rück und wollen hier nur noch erwähnen, daß man vorgeschlagen hat, sie nach ihrem Entdecker als „Borpersche Antikörper“ zu be- nennen. Diese komplementbindenden Antikörper, bezw. die Präzipitine, | XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. 173 scheinen übrigens auch die Träger oder Erzeuger jener merkwürdigen Giftwirkungen zu sein, die wir in einem späteren Kapitel noch unter dem Namen des anaphylaktischen Symptomenkomplexes genauer kennen lernen werden. Um jedoch nichts über die Natur dieser Stoffe zu präjudizieren, hat man sie vielfach auch schlechthin als anaphylak- tische Reaktionskörper bezeichnet. Ehe wir nun die verschiedenen gemeinsamen Züge und Gesetz- mäßigkeiten, welche die Antikörper und ihre Entstehung auszeichnen, einer näheren Betrachtung unterziehen, wollen wir sie zur Erleichterung der Übersicht noch in einer kleinen Tabelle zusammenstellen. Antikörper | Antigene 1. mit entgiftender Wirkung: Antitoxine | Toxine 2. mit fermenthemmender Wirkung: Antifermente | Fermente [=] . mit koagulierender Wirkung: a) auf zellige Elemente: Agglutinine Bakterien, Erythrozyten | b) auf gelöste Substanzen: Präzipitine | Eiweißlösungen 4. mit Iytischer Wirkung: Hämolysine Erythrozyten Bakteriolysine Bakterien 5. mit toxischer Wirkung: | Nephrotoxine | Nierenzellen . Hepatotoxine Leberzellen Cytotoxine Leukotoxine Leukozyten . Neurotoxine usw. Nervensubstanz 6. mit „opsonischer“ Wirkung: Bakteriotropine Bakterien Hämotropine Erythrozyten 7. mit Antikörper paralysierender Wirkung: Antikoaguline | Antiagglutinine \ die entsprechenden Antizytotoxine Antikörper Antihämolysine usw. I 8. mit komplementbindender Wirkung: Borpersche Anti- die meisten Eiweiß- körper antigene 9. mit anaphylaktisierender Wirkung: Anaphylaktische | die meisten Eiweiß- Reaktionskörper antigene Literatur. BELJAEFF, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIII. SzoNTAGH und WELLMANN, Deutsche med. Wochenschr., 1898. Bursaeıs, Hyg. Rundschau, 1902. JoacHım, Pflügers Archiv, Bd. XCII. BERHRING und Kırasaro, Deutsche med. Wochenschr., 1890. Tızzoxı und Carranı, Riforma med., 1891. 174 XI. Die aktive Immunisierung und ihre Folgen. EartıcH, Deutsche med. Wochenschr., 1891. CALMETTE, Compt. rend. de la soc. de biol., 1894; Annal. de l’Inst. Pasteur, 1894, 1895, 1897, 1898. PsısaLıx und BERTRAND, Compt. rend. de la soc. de biol., 1894. FRAsER, Brit. med. Journ., 1895. WASSERMANN, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXII, 1896. KEnmPNER, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXVI, 1897. MacFADYEnN, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XLI u. XLI. PröscHErR, Hofmeisters Beiträge, 1901. Sıc#s, Hofmeisters Beiträge, 1901. PFEIFFER und Issaörr, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XVII, 1894; weitere Arbeiten von PFEIFFER und seinen Schülern: Zeitschr. f. Hyg., Bd. XIV, XVII, XX, XXI XXVLI. GRUBER und DurHAm, Münch. med. Wochenschr., 1896. PFAUNDLER, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIII, 1898. Kraus, Wien. klin. 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BeurinG hat diese Tatsache bei einer Gelegenheit in der Weise zum Ausdruck gebracht, daß er sagte, das Diphtherieantitoxin habe zu keinem anderen Dinge auf der Welt Beziehung, als eben nur zu dem Diphtherietoxin, und Eurtich hat nur denselben Gedanken aus- gesprochen, wenn er, unter Heranziehung eines vielzitierten Vergleiches von Emiıtn Fischer, das gegenseitige Verhältnis der Antikörper und Antigene zu einander in Parallele setzte mit dem Verhalten von Schlüssel und Schloß, die ja auch in ganz bestimmter Weise an- einander angepaßt erscheinen. Bei den agglutinierenden Immunseris hat jedoch der Glaube an die absolute Spezifität dieser Reaktion den ersten Stoß erlitten. Wie Sie wissen, hat man die GRUBER-WipAL sche Reaktion in doppelter Weise zur Beantwortung klinischer und bakteriologisch-hygienischer Fragen herangezogen. Wurde das Serum eines typhusverdächtigen Kranken mit einer zweifellos echten Typhuskultur zusammengebracht und trat dann das in der vorhergehenden Vorlesung ausführlich beschriebene Phänomen der Agglutination ein, so sah man sich auf Grund der Spezi- fität dieser Reaktion zu dem Schlusse berechtigt, daß der betreffende Patient wirklich an Typhus leide oder wenigstens vor einiger Zeit diese Erkrankung überstanden habe. War umgekehrt ein typhusähnlicher Bakterienstamm aus Faeces, Wasser, Erde u. dergl. Materialien isoliert worden, so konnte — wieder auf Grund der Spezifität besagter Reaktion — mit Hilfe eines sicheren Typhusimmunserums dessen Identität fest- gestellt und ermittelt werden, ob es sich wirklich um einen echten Typhusbazillus handle oder nicht. Bei den unzähligen Untersuchungen, die man nun an (Gesunden Ausnahmen. und Kranken zum Studium und zur Überprüfung dieser praktisch so | außerordentlich wichtigen diagnostischen Methode angestellt hat, ergab sich nun bald, daß manchmal auch das Serum zweifellos gesunder In- dividuen, die nachweislich niemals an Typhus gelitten hatten, ja auch das Serum mancher Tierspezies deutlich agglutinierende Wirkungen auf den | Typhusbazillus ausübten. Und andererseits zeigte sich, daß auch zweifel- /los echtes Typhusimmunserum unter Umständen nicht nur auf Typhus- bazillen, sondern auch auf andere, besonders nahe verwandte Bakterien- arten, z. B. den Enteritisbazillus oder auf Bact. coli, einzuwirken ver- Spezifität der Anti- körper. en (u Quantitative Spezifität. Ausnahmen. 176 XII. Die Antikörper. mochte, so daß also nach beiden Richtungen hin das Gesetz der absoluten Spezifität übertreten zu sein schien. Bei den Präzipitinen, die ebenfalls frühzeitig zur Beantwortung prak- tischer Fragen herangezogen wurden, indem UHLENHUTH sie dem forensi- schen Nachweise von Blutspuren nutzbar machte, ergaben sich bald ganz ähnliche Erfahrungen. Immunsera von Tieren, die mit mensch- lichem Blut oder Blutserum behandelt worden waren, geben nicht nur mit letzterem, sondern auch mit Serum von Affen, ja selbst von dem Menschen weniger nahestehenden Säugetierarten typische Präzipitate, und analoge Tatsachen haben sich auch bei den übrigen Antikörpern mehr oder weniger deutlich ausgeprägt vorgefunden. Ist damit nun wirklich die Spezifität der genann- ten Reaktionen in Frage gestellt und — was den Praktiker ja zunächst interessiert — ihre diagnostische Verwertbar- keit aufgehoben? Wie wir gleich sehen werden, muß diese Frage entschieden mit Nein beantwortet werden. Schon unmittelbar nach der Entdeckung der Serumreaktionen ist man nämlich darauf aufmerksam geworden, daß nicht nur deren quali- tatıve, sondern ganz besonders auch deren quantitative Seite Be- achtung verdient. Sucht man den Wirkungswert der agglutinierenden oder präzipitierenden Immunsera dadurch zu bestimmen, daß man sie so weit verdünnt, bis mit den dazu gehörigen Antigenen eben keine Reak- tion mehr auftritt, so kann man beobachten, daß manchen dieser Sera eine ganz überraschend hohe Wirksamkeit zukommt. Sera, die noch in Verdünnungen von 1:20000 bis 1:40000, ja sogar von 1: 100000 agglu- tinieren oder präzipitieren, sind gar nichts Seltenes und ohne Schwierig- keit durch fortgesetzte zweckmäßig geleitete Immunisierung zu erzielen. Vergleicht man nun die Verdünnungsgrade, bei welchen einerseits ein echter Typhusbazillus, andererseits ein beliebiger fremder Mikro- organismus, beispielshalber Bact. coli, durch ein hochwirksames Typhus- immunserum noch eben agglutiniert wird, so findet man ganz konstante und in die Augen springende Differenzen. Während der Typhusbazillus, wie gesagt, noch etwa bei 40000facher Verdünnung eine deutliche Reak- tion gibt, wird Bacterium coli etwa nur bei einer Verdünnung von 1:300 oder gar 1:50 agglutiniert, und andere Bakterienarten bedürfen vielleicht noch höherer Serumkonzentrationen, um einen sicher posi- tiven Ausfall der Agglutinationsreaktion hervorzurufen. Analog sind die Beobachtungen, die man anzustellen Gelegenheit hat, wenn man Serum verschiedener Menschen auf echte Typhusbazillen einwirken läßt. Während das Serum der meisten Menschen, die nicht an Abdominal- typhus leiden und auch früher nicht daran erkrankt waren, höchstens in Verdünnungen von 1:10 bis 1:20 wirksam gefunden wird, steigt der Agglutinationstiter im Verlaufe dieser Infektionskrankheit gewöhnlich über 50 und kann nicht selten Werte erreichen, die 1000 erheblich überschreiten. Hier kommt also die Spezifität der Serumreaktion nicht in ihrem qualitativen, sondern in ihrem quantitativen Ausfalle zum Ausdruck und man hat daher ziemlich allgemein die Anschauun akzeptiert, daß die klinische Diagnose auf Typhus abdominalis gesichert erscheint, wenn das Serum des betreffenden Patienten noch in Ver- dünnungen von 1:50 und darüber eine positive GRUBER-WipArsch Reaktion ergibt. Im allgemeinen wird diese Anschauung in der Tat zutreffen, immer- hin gibt es aber Ausnahmen von dieser Regel, und ich kann mir nicht BY a _ Las ——_—a nl 3 = non XI. Die Antikörper. 177 _ versagen, einen besonders instruktiven Fall dieser Art, den R. STERN mitgeteilt hat, hier kurz zu erwähnen. Es handelt sich um einen Paratyphus, wobei das Blutserum Typhusbazillen noch in einer Verdünnung von 1:300, ja selbst 1:600 agglutinierte.e Wäre nun dieser Fall, der klinisch wie ein schwerer Typhus verlief, nur serodiagnostisch untersucht worden, so hätte man ihn zweifellos für einen „echten Typhus“ halten müssen. Aus dem durch Venäpunktion gewonnenen Blute des Patienten ließ sich jedoch ein Bazillus züchten, der zwar morphologisch dem Typhusbazillus ähn- lich war, aber durch verschiedene kulturelle und biologische Eigen- schaften von demselben differenziert werden konnte. Dieser Bazillus wurde von dem Blutserum des Kranken noch in einer Verdünnung von 1:40000 agglutiniert. Es war also, wie auch noch auf anderem Wege festgestellt werden konnte, in diesem Falle der eigentliche Infek- tionserregereinParatyphusbazillus, und die Agglutinations- wirkung des Serums gegenüber dem echten Typhusbazillus war nur eine außergewöhnlich starke Nebenwirkung, was um so weniger auf- fallend erscheint, als ja auch dessen Wirkungswert gegenüber dem Er- reger in diesem Falle ein ganz außergewöhnlich hoher war. Die Spezifität der Serumreaktion war also auch hier wenigstens nach der quantitativen Richtung voll- kommen gewahrt, wenn allerdings auch erst eine genauere Unter- suchung des Falles darüber Aufschluß zu geben vermochte. In gewissen seltenen Fällen kann es aber sogar vorkommen, daß sich das Serum eines Patienten dem eigentlichen Krankheitserreger gegenüber als weniger wirksam erweist, als gegenüber einer verwandten Bakterienart, eine Beobachtung, die man gerade bei Infektionen mit dem GÄRTNERschen Enteritisbazillus einige Male machen konnte, indem hier der Typhusbazillus stärker agglutiniert wurde, als der Bacillus enteritidis. Freilich ist gerade dieser Mikroorganismus seinerseits wieder durch seine große Empfänglichkeit für die Wirkung der Typhusagglutinine ausgezeichnet. Neben den Mikroorganismen der Typhuscoligruppe können unter Umständen auch andere, fernerstehende Arten, wie Proteus oder Staphylokokken, eine derartige „Mitagglutination“ des Typhusbazillus hervorrufen und eventuell zu diagnostischen Täuschungen Veranlassung geben, indem es nicht immer leicht ist, in jedem bestimmten Falle zu entscheiden, ob eine „direkte“ d. i. „homologe“ oder eine „in- ‚Homologe direkte“, „heterologe* Agglutination. vorliegt. Noch komplizierter 10: ee A werden diese Verhältnisse dadurch, daß, wie BALLNER und v. SAGAssER beobachtet haben, unter Umständen sogar Bakterien, die selbst ent- weder gar kein oder nur sehr wenig homologes Agglutinin zu bilden vermögen, doch imstande sind, eine Steigerung der Produktion anderer, im Normalserum bereits vorgebildeter, heterologer Agglutinine zu be- wirken. So wurden z. B. durch das Serum eines mit rosa Hefe vor- behandelten Kaninchens Typhusbazillen noch in einer Verdünnung von 1:1000 agglutiniert, während die Hefezellen selbst keinerlei Be- einflussung erkennen ließen. BALLNER und v. SaGAssER nehmen zur Erklärung solcher — allerdings doch exzeptioneller Fälle an, daß der Organismus, unfähig hier spezifisch zu reagieren, auf die Einführung der Mikroorganismen „in einer ihm geläufigeren Form der Agglutininproduktion antwortet“. — Mit Recht betont da- her Stern, daß der Kliniker die agglutinierende Wirkung des Serums als ein Symptom anzusehen hat, das er Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 12 tination. hetero- gglu- 178 XII. Die Antikörper. ebenso zu verwerten hat, wie andere klinische Sym- ptome und dasebenso wie diese unter Umständen mehr- deutig und trügerisch sein kann. Natürlich erleidet die hohe diagnostische Bedeutung der Serumreaktion durch diese seltenen Ausnahmen von der Regel keinerlei Einbuße, wenn sich auch die ur- sprünglich gehegte Hoffnung, daß man in derselben ein gewissermaßen automatisch fungierendes und jede Gedankentätigkeit überflüssig machen- des Hilfsmittel gefunden habe, nicht bewährt hat. Erklärung Wie hat man sich nun aber zu erklären, daß die Spezifität der der anti Sorumreaktionen im allgemeinen nur bei genauer Berücksichtigung der Spezifität. quantitativen Verhältnisse zutage tritt, daß sie sich jedoch insbesondere bei niederen Verdünnungsgraden des Serums verwischt und daß hierbei auch eine Reihe fremder, nicht homologer Antigene der Ein- wirkung der Antikörper unterliegt? Mit anderen Worten, warum be- währt sich die Spezifität dieser Reaktionen nicht auch in quantitativer Hinsicht? Es ist nicht schwierig, auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu geben. Die Substanzen, die wir zur Immunisierung unserer Versuchstiere benutzen, sind durchaus keine einheitlichen chemischen Körper, sondern pflanzliche oder tierische Zellen bezw. Gewebssäfte, also Gemenge der verschiedensten Stoffe organischer und anorganischer Natur. Wenn nun gewiß auch nur ein kleiner Teil aller dieser verschiedenen, in den In- jektionsflüssigkeiten enthaltenen Substanzen befähigt ist, die Produktion von Antikörpern im Tierleibe anzuregen, so ist doch zweifellos — und auch durch besondere chemische Isolierungsversuche bewiesen — , dab jedes der genannten Gemische, ob es nun aus Bakterien und ihren Stoffwechselprodukten, oder aus tierischen Gewebsbestandteilen, oder aus Blutserum besteht, nicht nur ein einziges, sondern eine ganze Reihe Bon Antigenen enthält und daß jedes dieser Antigene sich bei der ünd Anti- [mmunisierung seinen besonderen Antikörper erzeugt. Der Schar körper. yon Antigenen, die sich in den injizierten Flüssig- keiten befindet, entspricht also eine ebenso große Zahl von verschiedenen Antikörpern in den Immun- seris. spezies sind nun natürlich im allgemeinen ihrer chemischen Natur nach nicht gleichartig. Wie jedoch auch sehr weit in der zoologischen Ver- wandtschaftsreihe voneinander abstehende Tierarten noch eine Reihe morphologischer und biologischer Eigenschaften miteinander gemein haben und gewisse Analogien in ihrem Bauplan und ihrem Stoffwechselgetriebe aufweisen, so wird man auch erwarten müssen, ähnliche Analogien in ihrer chemischen Zusammensetzung zum Ausdruck kommen zu sehen und wird daher mit Recht annehmen dürfen, dab unter den verschiedenen u Antigenen auch solche vorhanden sind oder sein können, die mehreren AntigenebiAArten gemeinschaftlich angehören. Dieselbe Betrachtung verwandten kann natürlich auch für die pflanzlichen Organismen und Mikroorganis- men, somit auch für die Bakterien, angestellt werden. Je näher die betreffenden Arten einander stehen, desto größer wird im allgemeinen die Wahrscheinlichkeit sein, daß sie eine Anzahl mit immunisierender Wirkung begabter Bestandteile miteinander gemein haben. Immerhin wird es jedoch nicht ausgeschlossen sein, daß auch ab und zu weniger nahe verwandte Spezies das eine oder andere Antigen gewissermaßen zufällig miteinander teilen. Die Hauptmenge der Antigene Die verschiedenen Gewebs- und Zellbestandteile differenter Tier- XII. Die Antikörper. 179 wird jedoch bei verschiedenen Arten zweifellos ver- schieden sein. Nach dem oben Gesagten ist es nun klar, daß diese Eigentüm- lichkeiten der Zusammensetzung des Immunisierungsmaterials sich bis zu einem gewissen Grade in der Beschaffenheit der zugehörigen Immun- sera wiederspiegeln werden. Neben jenen Antikörpern, welche auf die erwähnten art-spezifischen Antigene zu wirken vermögen, werden sich notwendigerweise auch solche vorfinden, die mit den nichtspezifischen Bestandteilen reagieren, und es muß) unter diesen Umständen nur selbst- verständlich erscheinen, wenn ein derartiges Immunserum nicht nur mit dem homologen, sondern auch mit heterologem Materiale die charakte- ristischen Fällungs- oder Agglutinationsphänomene zu geben vermag. Da jedoch, wie gesagt, in dem Ausgangsmateriale die spezifischen Elemente über die nichtspezifischen überwiegen, so wird im allgemeinen ein ähnliches Verhältnis auch für die entsprechenden Antikörper anzu- nehmen sein, und es wird daher das betreffende Immunserum die spe- zifischen Antikörper meistens in bei weitem größerer Menge und Kon- zentration enthalten müssen als die nichtspezifischen. Damit ist aber auf das einfachste erklärt, weshalb der spezifische Charakter der Serum- reaktionen nur in höheren Verdünnungen zutage tritt, da hierbei die in geringerer Menge vorhandenen nichtspezifischen Antikörper ausgeschaltet werden und nur die spezifischen zur Wirkung gelangen. Immerhin kann es aber andererseits nicht verwunderlich erscheinen, wenn in besonderen Fällen die nichtspezifischen Antikörper über die spezifischen das Über- gewicht erlangen und infolgedessen die heterologen Reaktionen ausnahms- weise eine ganz besondere Intensität annehmen. - Die Frage nach der Spezifität der Serumwirkungen läßt sich nach dem eben Auseinandergesetzten daher auch in folgender Weise beant- worten: Spezifisch ist zwar die Reaktion der Anti- körper mit ihren zugehörigen Antigenen. Hingegen sind nicht alle Antigene spezifischer Natur, sondern manche vonihnen finden sich in mehreren Arten vor, die dann natürlich alle mit dem betreffenden Immun- serum zu reagieren vermögen. Es ist nicht undenkbar, dab dabei die quantitativen Unterschiede, die die einzelnen Arten in dieser Beziehung aufweisen, einen Maßstab für ihren phylogenetischen Ver- wandtschaftsgrad abzugeben imstande wären. Für die Richtigkeit dieser Anschauungen, die, wie man sieht, auf der Annahme basieren, daß die zur Immunisierung dienenden Substanzen stets eine Vielheit von Antigenen enthalten, haben sich in der letzten Zeit eine große Menge von Beweisgründen aus den verschiedensten Ge- bieten der Immunitätslehre angehäuft, auf die wir hier nicht näher ein- ehen können. Nur an einem kleinen Beispiele sei es gestattet, diese erhältnisse zu erläutern. Vom Kaninchen durch Immunisierung mit enschenblut erhaltenes Präzipitinserum erzeugt auch in Pferdeserum ine Fällung und ebenso umgekehrt Pferdepräzipitinserum in mensch- ichem Blutserum. Setzt man nun, wie dies Kısrer und WEICHARDT etan haben, zu einer verdünnten Lösung menschlichen Serums Pferde- räzipitin hinzu, zentrifugiert von dem entstandenen Präzipitate ab und iederholt diese Operationen so lange, bis erneuter Zusatz des wirk- amen Serums keine Trübung mehr erzeugt, so kann man nunmehr urch Zusatz von Menschenpräzipitinserum noch deutliche Fällung ervorrufen. Es waren also durch Zusatz des Pferde- 12* Absorption der nicht spezifischen Antigene. Castel- lanischer Versuch. Diagnose der Misch- infektion. 180 XII. Die Antikörper. präzipitins alle darauf reagierenden Antigene des Menschenserums entfernt worden und nur jene spe- zifischen Elemente in ihm zurückgeblieben, die nur mit dem Menschenpräzipitinserum einen Nieder- schlag zu geben vermochten. Analog gelang es, aus Pferde- serum die nichtspezifischen, auch auf Menschenpräzipitin einwirken- den Bestandteile zu entfernen und auf diese Weise eine Flüssig- keit zu erhalten, die nur noch mit Pferdepräzipitin reagierte. Auf Grund dieser und ähnlicher Experimente machen die genannten beiden Autoren den gewiß sehr beherzigenswerten Vorschlag, durch die Ab- sorption derartiger nichtspezifischer Bestandteile der aktiven Sera ihre Wirkung gegenüber heterologen Blutarten aufzuheben und sie auf diese Weise streng spezifisch zu machen, wodurch es in der gerichtsärztlichen Praxis ermöglicht werde, eine in jedem Falle absolut einwandfreie Identifizierung der fraglichen Blutart vorzu- nehmen. Für die Agglutinine hatte schon vor den genannten beiden Autoren CASTELLANI die gleiche Gesetzmäßigkeit gefunden und gezeigt, daß das Serum eines immunisierten Tieres bei der Vermischung mit dem homologen Bakterienstamme sein Agglutinationsver- mögen sowohl für diesen wie für heterologe, „mit- agglutinierte“ Spezies einbüßt; daß hingegen die heterologen Arten nur die auf sie einwirkenden „Partialagglutinine‘“ absorbieren, das homologe „‚Hauptagglutinin‘‘ dagegen unberührt lassen. Es scheint, als ob dieser „CasterLanısche Versuch“, der bereits vielfach mit Erfolg zu diagnostischen Zwecken herangezogen wurde, in der Zukunft noch größere Bedeutung gewinnen sollte. Jedenfalls wird er in manchen zweifelhaften Fällen der früher geschilderten Art Aufschluß zu geben vermögen, welches von verschiedenen, in einem Serum a Asglutininen das Hauptagglutinin darstellt, und ob es sich im speziellen Fall um eine Mitagglutination oder etwa um eine Misch- infektion mit zwei verschiedenen Bakterienarten handelt. Ist näm- lich das letztere der Fall, liegt also z. B. eine Mischinfektion mit Bact. typhi abdom. und mit Bact. coli vor, dann wird das Serum des betreffenden Patienten bei der Berührung mit Bact. typhi nur die Typhusagglutinine, bei der Vermischung mit Bact. coli nur die Ooli- agglutinine verlieren; ist dagegen die Wirkung des Serums auf Bact. coli nur als Mitagglutination zu deuten, und liegt tatsächlich nur eine einfache Infektion mit dem T'yphusbazillus vor, dann wird der CASTELLANI- sche Versuch das oben geschilderte Ergebnis haben, und es werden bei Zusatz von Typhusbazillen alle vorhandenen Agglutinine (auch die auf Coli wirkenden) aus dem Serum verschwinden. Neben dieser gewiß außerordentlich einleuchtenden Erklärung für die ab und zu beobachteten Ausnahmen von dem Spezifitätsgesetz de Antikörper mag nun aber in vielen Fällen auch noch eine andere Deu tung berechtigt sein. Wie nämlich manche chemische Substanzen, sage wir z. B. die organischen Säuren, nicht nur mit Kalilauge sich zu ver binden imstande sind, sondern mit einer großen Anzahl basischer Sub stanzen der verschiedensten Art, und wie diese verschiedenen Reaktione mit außerordentlich ungleichen Affinitätskräften sich abspielen, so kan man wohl auch für manche Antikörper annehmen, daß sie zwa immerhin mit verwandten, nicht homologen Anti genen zu reagieren vermögen, daß aber ihre Spezifitä XII. Die Antikörper. 181 insofern zum Ausdruck kommt, als ihre Wahlver- wandtschaft zu diesen fremden Stoffen unvergleich- lich geringer ist als zu dem betreffenden homologen Antigen. Wir kommen hierauf bei Gelegenheit noch zurück und bemerken hier nur noch, daß natürlich auch in diesem Falle die Neben- wirkungen der Antikörper durch entsprechende Verdünnung ausgeschaltet werden können. Wenn wir bisher von der Spezifität der Serumreaktionen gesprochen hatten, so war damit stets die sogenannte Artspezifität gemeint gewesen, die wir wohl als Ausdruck des verschiedenen physikalisch- chemischen Protoplasmaaufbaues der verschiedenen Arten betrachten dürfen. Die mannigfaltigen Versuche, mit den Gewebsflüssigkeiten und den Organen höherer Tiere zu immunisieren, haben dabei ergeben, dab diese Artspezifität den Körpersäften und den meisten Geweben eines Organismus ein einheitliches Gepräge verleiht. Daneben finden sich ber auch einzelne Organe, wie die Kristalllinse des Auges, Hoden d Plazenta (sowie die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen), enen diese Artspezifität bis zu einem gewissen Grade mangelt, und die ine andere Form von Spezifität aufweisen, die man als Organ- pezifität bezeichnet hat. So vermag nach den Untersuchungen on UHLENHUTH ein Immunserum, das sich gegen die Linsensubstanz twa des Rinderauges richtet, mit keinem der übrigen Organe des indes eine Reaktion zu geben, wohl aber vermag es mit en Linsen der verschiedensten Säugetiere, ja so- ar von Vögeln und Fischen, zu reagieren. Da die enannten Organe also eine ganz exzeptionelle Stellung im Organismus inzunehmen und mit den übrigen Geweben des Organismus nur wenig emeinsames zu haben scheinen, so wird es begreiflich, daß es mit hnen gelingt, sogar dasselbe Individuum zu immunisieren, aus dem sie elbst herstammen, eine Tatsache, die wir bereits bei der Besprechung er Spermotoxine gelegentlich erwähnt haben. Zwischen den erwähnten eiden Extremen, den artspezifischen und den rein organspezifischen ntigenen gibt es übrigens auch noch Übergänge, die, wie dies z. B. ür die Milch zutrifft, zwar über eine gewisse Artspezifität verfügen, leichzeitig aber auch Organspezifität aufweisen, d. h. sich vom Serum- iweiß des Stammorganismus in Bezug auf ihr Verhalten zu den Anti- örpern wesentlich unterscheiden. Endlich hat ParLraur auch noch auf die Existenz einer soge- annten Zustandsspezifität der Serumreaktionen hingewiesen, ie sich darin äußert, daß Sera, die durch Einspritzung von in irgend elcher Weise veränderten, erhitzten, jodierten oder nitrierten Antigenen rzielt werden, mit diesem veränderten Ausgangsmateriale weit stärker eagieren, als mit dem nativen Antigen. Wir haben bis jetzt eine Reihe von Eigentümlichkeiten der Anti- örper und ihrer Reaktion mit den Antigenen kennen gelernt, ohne uns eiter zu fragen, welcher Natur denn eigentlich die beiden hierbei ins piel kommenden Komponenten seien, wo und woraus die Antikörper ebildet werden und welchen zeitlichen Verlauf ihre Entstehung zu ehmen pflegt. Über die chemische Natur der Antigene ist hier nur enig zu sagen. Soweit sie zu den Toxinen gehören, haben wir sere vollkommene Unwissenheit über deren Konstitution und moleku- en Aufbau bereits bei einer früheren Gelegenheit betont. Etwas, wenn Art- spezifität. Organ- spezifität. Zustands- spezifität. Chemische Natur der Antigene. Eiweibß- natur ? Lipoid- natur ? 182 XII. Die Antikörper. auch nicht viel größer sind unsere Kenntnisse über die anderen Anti- gene. Einige von ihnen, besonders diejenigen der präzipitierenden Sera, gehören zweifellos zu den Eiweißkörpern. So ist das Antigen des durch Milcheinspritzungen erzeugten Laktoserums in nichts anderem zu suchen als in dem Milchkasein, und alle Eingriffe, welche, wie die Trypsin- oder Pepsinverdauung, die Integrität dieses Eiweißmoleküls zu zerstören geeignet sind, vernichten nach P. Tu. MÜLLER auch dessen Fähigkeit, die Bildung eines Laktopräzipitins im Tierkörper auszulösen, eine Tatsache, die nach Micuaätıs auch für andere Eiweißantigene Gültigkeit hat. “Man wird diese Empfindlichkeit der Eiweißantigene gegen die Wirkung der Verdauungssäfte wohl als Ursache der sonst schwer erklär- lichen Tatsache ansehen dürfen, daß man im Serum normaler Menschen auch bei Aufnahme größerer Mengen nativen Eiweißes, z. B. von rohen Eiern, weder präzipitable Substanzen noch auch Präzipitine nachzuweisen vermag. Nur die Einwirkung des Labfermentes auf das Kasein ist eine so schonende, dal) dessen antigene Funktion erhalten bleibt. Immerhin tritt jedoch auch in diesem Falle eine gewisse Alteration des betreffenden antigenen Bestandteils auf, die dadurch zum Ausdruck kommt, daß das Laktopräzipitin, welches durch Lab-Parakaseininjektionen erhalten wird, etwas andere Eigenschaften besitzt als das echte, durch unverändertes Kasein erzeugte. Im Gegensatz hierzu sind einige andere Antigene gegen die Trypsinverdauung sehr resistent, wie z. B. das Rizin (JAKOBY), das Abrin und die Antigene des Eierklars (ÖBERMEYER und Pick). Pepsinverdauung pflegt jedoch auch manche dieser resistenteren Anti- gene innerhalb kurzer Zeit zu vernichten. Man wird im allgemeinen wohl geneigt sein, diese trypsinfesten Substanzen nicht mit den Eiweiß- körpern zu identifizieren, sondern als besondere Stoffe unbekannter Zu- sammensetzung anzusehen. Allerdings machen MıcHAELIS und ÖOPPEN- HEIMER demgegenüber geltend, daß noch eine zweite Möglichkeit in Betracht zu ziehen wäre, indem nämlich durch die Trypsinverdauung die spezifischen wirksamen Gruppen aus einem größeren Eiweißmolekül abgesprengt werden und dann im freien Zustand existieren könnten. Irgendwelche Anhaltspunkte für diese Hypothese haben sich jedoch bis jetzt nicht ergeben. Hingegen haben einige neuere Beobachtungen die Vermutung nahegelegt, daß gewisse Antigene zu den Lipoidsubstanzen in Beziehung stehen dürften. So haben Ban& und FOoRSsMANN, sowie LANDSTEINER und Daurwiz gezeigt, daß man mit dem Ätherextrakt von roten Blutkörperchen spezifische Hämolysinbildung auslösen kann; weitere Untersuchungen von Tarakı haben aber dann ergeben, daß das „Lysinogen“ nur durch Vermittlung gewisser azetonlöslicher Stoffe in den Ätherextrakt der Blutkörperchen übergeht, an und für sich aber in Wasser löslich ist. Die wässerigen Lösungen des Lysinogens zeigten keine der allgemeinen Eiweißreaktionen, gaben da- gegen deutlich die Mouischsche Ko hlehydratreaktion und hinterließen beim Verdampfen einen weißen Rückstand, der beim Glühen unter Geruch nach verbrennendem Fett verkohlte. Die Kohle erwies sich als stark phosphorhaltig. Scheint nach diesen Beob- achtungen nichts für die Eiweißnatur des Lysinogens zu sprechen, SO wird man andererseits aber auch seine Einreihung unter die Lipoid nur als eine vorläufige ansehen können, da es sicher ist, daß das Lysinogen überaus leicht sowohl von Eiweißkörpern wie von Lipoide in Niederschläge und Lösungen mitgenommen wird, und daß daher ei XI. Die Antikörper. 183 Schluß von den chemischen Reaktionen, die seine Lösungen darbieten, auf seine Natur nur mit größter Vorsicht gezogen werden darf. Auch über die Natur der Antikörper ist im ganzen nur wenig Sicheres bekannt. Wie viele andere wirksame Substanzen, so be- sitzen auch sie die Eigenschaft, mit den verschiedensten eiweißfällenden Agentien mehr oder minder vollständig niedergerissen zu werden, ohne daß sich hieraus natürlich irgendwelche Schlüsse auf ihre chemische Zugehörigkeit zu dieser Gruppe von Körpern ableiten ließen. Besonders charakteristisch ist jedoch ihr zuerst von E. P. Pıck eingehender stu- diertes Verhalten zu der fraktionierten Ammonsulfatfällung, jenem Verfahren der Trennung eiweißartiger Substanzen, welchem die physiologische Chemie der letzten Jahre bekanntlich eine Reihe der wichtigsten Fortschritte zu verdanken hat. In der beistehenden kleinen Tabelle findet sich nun zusammengestellt, wie sich die Antikörper über die verschiedenen, durch Ammonsulfat in dem Blutserum erkennbaren Fraktionen des Fibrinoglobulins, Euglobulins, Pseudoglobulins und Al- bumins verteilen. Pseudo- Immunkörper elobulin Euglobulin on Albumin Diphtherieantitoxin . . . . | 0 Ziege Pferd 0 Tetanusantitoxin 2 0 Ziege (Milch?) Pferd 0 Choleralysine 0 Ziege 0 0 er Zi Kaninch Typhusagglutinin 0 er en Pferd 0 Choleraagglutinin i 0 Pferd, Ziege 0 0 Streptokokkenagglutinin . 0 Pferd 0 0 Laktopräzipitin . 0 Kaninchen 0 0 Wie aus derselben zu entnehmen ist, finden sich bei den unter- suchten Immunseris weder in der Gruppe des Fibrinoglobulins noch in der des Albumins irgendwelche aktive Substanzen vor. Die Anti- körper beschränken sich vielmehr einzig und allein auf die beiden Fraktionen des Eu- und Pseudoglobulins, eine Tatsache, die um so auffälliger erscheinen muß, als sie nicht nur für die ver- schiedensten Tierspezies, sondern auch für die heterogensten Arten von Antikörpern ihre Gültigkeit besitzt. Wie man sieht, gestattet das Verfahren der Ammonsulfatfällung, die Antikörper von einem nicht unbeträchtlichen Teile der Eiweiß- substanzen, nämlich von dem gesamten Albumin, eventuell auch noch von dem Pseudoglobulin zu befreien und auf diese Weise ganz erheb- lich zu reinigen. Eine vollkommene Trennung von den Eiweißkörpern, etwa durch Peptonisierung der letzteren, ist jedoch in den meisten Fällen deshalb nicht durchführbar, weil mit der schrittweisen fermen- tativen Spaltung und Veränderung des Serumeiweißes meist auch eine mehr oder minder starke Abnahme des Gehaltes an Antikörpern ein- hergeht. Es ist jedoch Jacosy gelungen, eine Lösung von Antirizin, die durch Fraktionierung mit Ammonsulfat aus dem betreffenden Immunserum gewonnen worden war, durch siebentägige Digestion mit einer möglichst reinen Trypsinlösung ohne jeden Verlust ihrer anti- toxischen Wirksamkeit noch weiter von den begleitenden kolloiden Substanzen zu trennen, wobei sich die interessante Tatsache heraus- stellte, daß die Fällungsgrenzen des Antirizins durch die Verdauung Natur der Antikörper. Ammon- sulfat- füllung. Reinigung der Anti- körper. een u aa ee Thermo- resistenz. Diffusions- vermögen. Molekular- gewicht. Ursprung der Anti- körper. 184 XI. Die Antikörper. keinerlei Verschiebung erfahren hatten. Es scheinen also die ver- schiedenen Arten von Antikörpern mit einer ziemlich variierenden Resistenz gegen proteolytische Fermente begabt zu sein. Höheren Temperaturgraden gegenüber zeigen sich dieselben fast insgesamt recht widerstandsfähig und vertragen häufig stundenlanges Erwärmen auf 60—70°, ohne an ihrer Wirksamkeit einzubüßen. Das Diffusionsvermögen der Antikörper ist nach den Unter- suchungen von ARRHENIUS und MaApsEen ein recht geringes, wie aus der folgenden kleinen Tabelle hervorgeht, welche die Diffusionskonstanten einiger Toxine und Antitoxine und, des Vergleichs halber, auch des Kochsalzes für eine Temperatur von 12°C enthält. Natriumchlorid . . . 0,94 Diphtherietoxin . . . 0,014 Tetanolysin . . . . 0,037 Diphtherieantitoxin . 0,0015 Antitetanolysin . . . 0,0021 Wahrscheinlich hängt die langsame Diffusion der Toxine und be- sonders der Antitoxine mit ihrem hohen Molekulargewicht zusammen, das nach ARRHENIUS für die ersteren von derselben Größenordnung sein dürfte, wie das des Hämoglobins (48000), für die Antitoxine aber noch 10—100mal höher zu schätzen wäre. Woher stammen nun die Antikörper? Wo und aus welchem Materiale werden sie gebildet? Auch über diese so außerordentlich wichtigen Fragen ist heute noch keine volle Einigkeit unter den Immunitätsforschern erzielt worden. Da die Produktion der Antikörper sich an die Einverleibung artfremder Substanzen, teils tierischer, teils pflanzlicher, bakterieller Natur anschließt, so lag es gewiß am allernächsten, eine direkte genetische Be- Ursprungdrziehung zwischen ihnen und ihren Antigenen an- Antikörper aus Antigen? zunehmen und sich also vorzustellen, dal der Organismus in irgend einer Weise befähigt sei, die letzteren in die entsprechenden Antikörper umzuwandeln. Besonders die sonst so rätselhafte Spezifität der Serum- wirkungen wäre hierdurch zweifellos dem Verständnisse nähergerückt, da es gewiß nicht schwer zu begreifen wäre, wenn Substanzen, welche direkt voneinander abstammen, auch durch spezifische Beziehungen zu einander ausgezeichnet wären, wie sie ja gerade das Verhältnis zwischen den Antigenen und ihren Antikörpern charakterisieren. Hierbei mögen den Forschern, welche diese Auffassung vertraten, wohl Analogien aus der organischen Chemie vorgeschwebt haben, wie etwa das Verhalten stereoisomerer, optisch aktiver Verbindungen, die sich mit ihren optischen Antipoden zu inaktiven, razemischen Verbindungen zusammenlagern. Würden wir die Annahme machen, daß etwa eine derartige links- drehende Verbindung ein Toxin repräsentierte und würde unter dem Einfluß des tierischen Organismus dieses Toxin durch intramolekulare Umlagerung in die entsprechende rechtsdrehende Verbindung übergeführt werden, so wäre aus dem Toxin ein Antitoxin hervorgegangen, das die optische Wirksamkeit des ersteren aufzuheben vermag, und wir hätten damit ein grobes, aber sehr plastisches Bild für die Antikörper- produktion gewonnen, wie sie sich nach der eben dargelegten Auffassung darstellen würde. Allerdings läßt dieses Bild zugleich auch die schwachen Punkte aufs deutlichste hervortreten, welche dieser Theorie der Antikörper- XII. Die Antikörper. 185 produktion anhaften. Jedes Molekül des linksdrehend gedachten Toxins könnte nämlich hierbei nur in ein einziges Antitoxinmolekül übergehen, und es könnte somit absolut nicht mehr Antitoxin produziert werden, als Toxin in den Körper eingeführt worden war. Wenn wir nun auch natürlich von den speziellen Verhältnissen dieses Beispieles, das ja nur ein ungefähres Bild zu geben beabsichtigte, abstrahieren müssen und annehmen wollen, daß aus jedem Antigenmoleküle eine größere Zahl von Antikörpermolekülen hervorgehen kann, so müßte doch zweifellos eine bestimmte quantitative Beziehung zwischen der Menge der einverleibten Antigene und der daraus entstehenden Antikörper obwalten. Nun hat aber schon KoRr gezeigt, daß die Einspritzung einer „Qua. Toxineinheit bis zu 100000 Antitoxineinheiten produzieren kann. Ferner verhältnis weiß man durch Versuche von Roux und VaıLLarp, daß man einem nenn gegen Tetanus immunisierten Pferde durch wiederholte Aderlässe die Antikörpern. Gesamtmenge seines Blutes ablassen kann, ohne dal; die antitoxische Kraft seines Blutserums dauernd eine wesentliche Verminderung erfährt, beides Tatsachen, die mit einer direkten Umwandlung des injizierten Toxins in Antitoxin nur schwer vereinbar .erscheinen, da hierbei das quantitative Mißverhältnis zwischen diesen beiden wirksamen Substanzen doch wohl zu groß erscheint. Wie geringe Quantitäten fremder Sub- stanz unter Umständen schon zur Erzeugung beträchtlicher Mengen von Antikörpern hinreichen, geht ferner aus den schönen Untersuchungen von FRIEDBERGER und DorNER hervor, nach welchen schon mit !/;gno Oese abgetöteter Cholerakultur oder mit 0,5—2,0 mg 5°),iger Ziegenblut- aufschwemmung (entsprechend etwa 300000—900000 Erythrozyten) bei intravenöser Applikation deutliche Effekte zu erzielen waren. Be- denken wir schließlich, daß Menschen, welche z. B. einen Typhus über- standen haben, noch monate- und jahrelang in ihrem Blutserum Agglu- tinine und Bakteriolysine führen können, obwohl zweifellos auch im Harn und in anderen Sekreten kontinuierlich mehr oder minder be- deutende Mengen dieser Substanzen ausgeschieden werden, so verliert wohl die genannte Hypothese, so plausibel sie sich auch anhört, sehr viel an Wahrscheinlichkeit, und es erscheint wohl gezwungen, anzu- nehmen, daß alle diese bedeutenden Mengen von Antikörpern aus den im Verlaufe der typhösen Erkrankung resorbierten Bakterienleibern hervorgegangen sein sollen. Man hat daher auch in der letzten Zeit diese Anschauung mit wenigen Ausnahmen fast allgemein verlassen und sich einer anderen, befriedigenderen Hypothese, zugewandt, welche die Antikörper nicht als Antikörper Umwandlungsprodukte der Antigene betrachtet, sondern als abgestoßene rei Zellprodukte oder Sekrete, die unter der Einwirkung resorbierter fremd- artiger und reizender Substanzen abgesondert werden. Da diese reaktive Sekretion der betreffenden Zellterritorien, wie andere Reizerscheinungen, noch lange andauern kann, nachdem die auslösenden Antigene bereits im Stoffwechsel zerstört sind oder den Körper auf irgend einem Wege verlassen haben, so ergeben sich die früher erwähnten Tatsachen, welche mit der Umwandlungshypothese so schwer vereinbar schienen, als ein- fache und selbstverständliche Konsequenz der Sekretionstheorie. Denn betrachtet man die Produktion der Antikörper als ein Sekretionsphänomen, das zwar durch die Antigene ausgelöstwird,aber, wenneinmalim@Gange,nichtmehr an deren Anwesenheit unbedingt gebunden ist, so hat Ent- stehungsort der Anti- körper. Nachweis durch Organ- exstirpation. Antikörper- produktion bei entmilzten Tieren. 186 XII. Die Antikörper. weder die leichte Regeneration des Antitoxingehaltes nach profusen Aderlässen, noch die lange Persistenz der Serumreaktion im Blute von Typhusrekonvaleszenten mehr etwas Auffallendes und Unverständliches an sich, und es ist ganz begreiflich, wenn unter Umständen die produ- zierte Antitoxinmenge ganz unvergleichlich größer sein kann, als die Menge einverleibten Toxins. Wie jedoch die Sekretionstheorie sich mit der Spezifität der Serumreaktionen abzufinden vermag, das werden wir noch bei Be- sprechung von EnrrıcHs Seitenkettentheorie des näheren zu erörtern haben, welche gerade über diese so schwierige Frage so einfachen und verblüffenden Aufschluß zu geben imstande ist, daß man fast an das Ei des Kolumbus gemahnt wird. — Wir wollen daher hier nicht länger bei diesem interessanten Punkte verweilen, sondern uns sofort die weitere Frage vorlegen, wo denn der Ort der Antikörperproduktion zu suchen ist. Die experimentelle Beantwortung derselben kann nun auf zwei- fachem Wege erstrebt werden. Will man feststellen, ob irgend einem Organe eine bestimmte Funktion zukommt, so ist ‚wohl am naheliegendsten, in der Weise zu verfahren, daß man dasselbe auf operativrem Wege aus dem Körper entfernt und ermittelt, ob sich die betreffenden Vorgänge, die man mit diesem Organe in Verbindung zu bringen geneigt ist, auch jetzt noch in unveränderter Weise abspielen oder nicht. Allerdings wird die Mög- lichkeit, auf diesem Wege zu einem Resultate zu gelangen, zum Teil durch die technische Undurchführbarkeit mancher derartiger Operationen — man denke etwa an eine Exstirpation des Knochenmarks oder sämt- licher Iymphoider Organe — zum Teil aber auch dadurch noch sehr erheblich eingeschränkt, daß zur Antikörperproduktion, wie wir noch sehen werden, mindestens einige Tage erforderlich sind, während die Tiere nach gewissen Organexstirpationen oft nur durch wenige Stunden am Leben zu erhalten sind. Immerhin sind doch einige Versuche in dieser Richtung angestellt worden, von welchen wir nur diejenigen von L. Deutsch hier kurz erwähnen wollen. Deutsch, der unter der Leitung METSCHNIKOFFSs arbeitete, suchte nämlich festzustellen, ob auch splenektomierte Tiere imstande seien, Antikörper zu produzieren. Er fand bei seinen Versuchen, daß Meerschweinchen, denen die Milz vor längerer Zeit exstirpiert worden war, ganz genau so auf eine Injek- tion von Bact. typhi reagierten und ebensoviel Schutzstoffe produzierten, wie die normalen Kontrolltiere, woraus man zweifellos den Schluß ab- leiten muß, daß dieses Organ unmöglich die einzige Bil- dungsstätte der Antikörper darstellen kann. Daß der Milz aber doch eine gewisse Rolle bei der Entstehung der Antikörper zukommen muß, das geht aus einer weiteren Reihe von Experimenten hervor, bei welchen DeutscH die Milzexstirpation nicht vor der Injektion er Bakterien vornahm, sondern erst 4—5 Tage später. In diesem Falle zeigte sich die Bildung der Typhusschutzstoffe nicht unerheblich beeinträchtigt. Wurden nun aber diese herausgeschnittenen Milzen in die Bauch- höhle einer Reihe von normalen Tieren eingebracht, so begann deren Blutserum nach etwa sieben Tagen deutliche agglutinierende Eigen- schaften gegenüber dem Typhusbazillus zu zeigen, ein Beweis dafür, daß die Antigene in diesen Organen zur Ablagerung gelangt waren. Man kann wohl annehmen, daß die letzteren wenigstens zum Teil durch n XU. Die Antikörper. 187 Phagozyten in die Milz eingeschleppt worden waren, und man wird nicht leugnen können, daß auch diese Befunde mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit für die Beteiligung des genannten Organes an der Produk- tion der Antikörper zu sprechen scheinen. Überlegungen ganz anderer Art liegen dem zweiten Verfahren zugrunde, welches zur Ermittlung der Bildungsstätten der Schutzstoffe eingeschlagen wurde. Spritzt man jungen kräftigen Kaninchen ab- getötete Cholera- oder Typhuskulturen unter die Haut oder in die Bauchhöhle ein, so treten mit großer Regelmäßigkeit innerhalb weniger Tage überraschend starke spezifische Veränderungen in ihrem Blutserum auf, die sich zum Teil in einer energischen Schutzwirkung, zum Teil in einem hohen Agglutinationsvermögen desselben äußern. Es muß also in den ersten Tagen nach der Injektion eine außerordentlich lebhafte Produktion von Antikörpern an den betreffenden Orten statt- finden. Würden nun diejenigen Zellen, welche dieser Funktion vor- stehen, alles neugebildete Lysin oder Agglutinin sofort an das Blut- plasma abgeben, so könnte es natürlicherweise niemals zu irgend einer erheblicheren Anhäufung dieser Stoffe in den betreffenden Organen kommen. Gerade die große Schnelligkeit, mit welcher die Antikörper in den eben beschriebenen Fällen gebildet werden, ließ jedoch die Hoff- nung wach werden, daß vielleicht doch die Abgabe derselben an die Säfte mit ihrer Entstehung nicht gleichen Schritt zu halten vermöchte und daß es daher wenigstens zeitweise zu einer Änhäufung und Aufspeicherung der Antikörper an ihrer Bildungsstätte kommen könnte. Dann müßte es aber gelingen, in den betreffenden Organen ein Plus von Antikörpern nachzuweisen gegenüber jenen Be- standteilen des Körpers, welche nicht selbst Schutzstoffe zu produzieren vermögen, sondern dieselben nur von der Blutbahn aus zugeführt erhalten. In der Tat sind nun PFEIFFEr und Marx auf dem eben ange- deuteten Wege zu außerordentlich wertvollen Aufschlüssen über die Bildungsstätte der Choleraschutzstätte gelangt. Während sich zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür ergaben, daß die Leukozyten des Blutes oder der entzündlichen Exsudate als Matrix oder auch nur als Träger der Choleraschutzstoffe anzusehen seien, zeigte sich bei einer Reihe weiterer Versuche, „daß beim Kaninchen während des raschen An- steigens der Choleraimmunität Organe existieren, in welchen die Anti- körper in erheblich höherer Quantität nachweisbar sind als im zirku- lierenden Blute. Es sind dies in erster Linie Milz und Knochenmark, dann Lymphdrüsen und vielleicht die Lungen“. So zeigte sich in einem Falle die Milz etwa viermal wirksamer als das Serum und sogar achtmal wirksamer als das Blut. Töteten PFEIFFER und Marx nun ihre Versuchstiere in verschie- denen Zeitintervallen nach der Injektion der Cholerakultur, so ergab sich das höchst überraschende und unerwartete Resultat, daß in der Milz schon nach 24 Stunden die ersten Anfänge der Anti- körperproduktion nachzuweisen waren, also zu einer Zeit, wo das Serum noch vollkommen unwirksam befunden wurde, Nach 2 und 3>x24 Stunden erwies sich die Milz stets ganz erheblich wirksamer als das Serum, und erst nach einer weiteren Reihe von Tagen begann der Titer der Milz abzunehmen und unter den des Serums zu sinken. Nun war allerdings gegen diese Versuche noch der Einwand mög- lich, daß die in der Milz und in den anderen lymphoiden Organen Anhäufung der Anti- körper am Ent- stehungsort. Ent- stehungsort der Cholera- schutzstoffa. ———— m Rolle der lymphoiden Organe. Entstehung der Anti- körper in anderen Organen. „ Entstehung von Anti- körpern in der Binde haut. 188 XII. Die Antikörper. gefundenen Mengen von Antikörpern nicht an Ort und Stelle entstanden seien, sondern nur aus dem Blute vermöge einer besonderen Affinität zu diesen Organen abgelagert worden seien. Es ließ sich jedoch zeigen, daß Injektionen von Choleraserum bei normalen Kaninchen durchaus keine Anhäufung von Antikörpern in der Milz hervorriefen, sondern daß sich die Schutzstoffe auch auf die genannten Organe nur ent- sprechend ihrem Blutgehalte verteilen, so daß also die Existenz einer spezifischen Anziehung zwischen Milzparenchym und den im Blute kreisenden Antikörpern absolut ausgeschlossen erscheint. Wir haben somit allen Grund, in den blutbereitenden Organen, Milz, Lymphdrüsen und Knochenmark die Haupt- bildungsstätte der bakteriolytischen Antikörper zu sehen. Hingegen scheinen die anderen Organe, wie Gehirn, Rückenmark, Muskeln, Leber usw. nach diesen Versuchen entweder gar nicht oder doch nur bei weitem weniger lebhaft an dem reaktiven Vorgange be- teiligt zu sein. Nun beziehen sich die Untersuchungen von PFEIFFER und MARX allerdings zunächst nur auf die Choleraschutzstoffe. Es zeigte sich jedoch bald, daß dieselben auch für andere Krankheitserreger, wie Typhusbazillen und Pneumokokken, ja sogar auch für toxische Sub- stanzen nichtbakterieller Herkunft, wie z. B. für das Abrin, den wirk- samen Bestandteil der ‚Jequiritybohne, Gültigkeit besitzen. Trotzdem wäre eine Verallgemeinerung der oben ausgesprochenen Schlußfolgerungen wohl als voreilig zu bezeichnen, da z. B. für die Präzipitinbildung eine Beteiligung der lymphoiden Organe nicht nach- gewiesen werden konnte, vielmehr nach Versuchen von Kraus und Levapırı die Leukozyten des Netzes hierbei eine wichtige Rolle spielen. Aber auch eine Reihe von anderen Organen und Geweben können unter Umständen zur Produktion von Antikörpern befähigt sein. Ein außerordentlich instruktives Beispiel dieser Art hat vor einigen Jahren RÖMER beigebracht. RÖMER hatte Kaninchen durch Einträufe- lung einer Abrinlösung in den Bindehautsack eines Auges allmählich gegen hohe Dosen dieser toxischen Substanz immunisiert und hatte dann die verschiedenen Organe, unter anderem auch die beiden Kon- junktiven, auf ihre antitoxische Kraft untersucht. Dabei ergab sich nun die äußerst bemerkenswerte Tatsache, daß die Bindehaut desjenigen Auges, von welchem aus die Immunisierung eingeleitet worden war, Mäuse vor der 20fach tödlichen Abrindosis zu schützen vermochte, während die Conjunctiva der anderen Seite dazu nicht befähigt war. so daß die Versuchstiere, welche eine Verreibung derselben mit der erwähnten Testgiftdosis injiziert erhielten, prompt zugrunde gingen. Daraus geht aber hervor, daß im Verlaufe der konjunktivalen Immunisierung jene Bindehaut, welche in ständige Berührung mit dem Toxin gekommen war, sich lebhaft mit an der Antitoxinproduk- tion beteiligt haben mußte, während die andere sich hierbei voll- kommen passiv verhielt und das Antitoxin lediglich aus der Blutbahn zugeführt bekam, wo es jedoch in zu geringer Konzentration vorhanden war, um auch ihr einen entsprechenden Schutzwert zu verleihen. Ein anderes, vielleicht noch interessanteres Beispiel lokaler Anti- körperbildung verdanken wir v. Dungern. Es gelang diesem Forscher, bei einem Kaninchen, welchem einige Tropfen des verdünnten Blut- serums einer Krabbenart, Maja squinado, in die Kammer des rechten XII. Die Antikörper. 189 Auges injiziert worden waren, folgenden Befund zu erheben. Acht Tage Entstehung nach der Einspritzung zeigte das abgelassene, vollkommen klare Kammer- wasser des injizierten Auges, mit verdünntem Majaplasma zusammen- gebracht, einen außerordentlich starken spezifischen Niederschlag, wäh- rend das Kammerwasser der anderen Seite vollkommen ohne Wirkung war. Auch das Blutserum war zu dieser Zeit noch frei von Präzipitinen. Einen Tag später zeigte sich, was das Kammerwasser betrifft, derselbe Befund; das Blutserum dagegen besaß jetzt schwache präzipitierende Wirkung, die jedoch noch immer weit geringer war als die des Humor aqueus des anderen Auges. Es kann also auch in diesem Falle nicht zweifelhaft sein, daß die im Kammerwasser gefundenen Antikörper von den Zellen der vorderen Augenkammer geliefert worden sind, und es ist damit der beste Beweis dafür erbracht, daß nicht nur besondere Organe, sondern alle möglichen Gewebe unter Umständen zur Produktion der Antikörper herangezogen werden können. Welche Zellterritorien dabei im speziellen Falle die intensivste reaktive Tätigkeit entfalten, das mag, abgesehen von der besonderen Eignung, die gewisse Organe, wie die lymphoiden, für die Neubildung der Antikörper besitzen, zum Teil auch von der Örtlichkeit ab- hängen, welche zuerst mit den Antigenen in Berührung kommt und durch deren besondere anatomische Verhältnisse die weiteren Wege bestimmt werden, auf welchen diese Stoffe tiefer in den Organismus eindringen. Die Richtigkeit dieser Anschauung wird durch einen höchst inter- essanten Versuch dargetan, den WASSERMANN und ÜITRON angestellt haben. Drei Kaninchen erhielten je eine Injektion von !/, Öse lebender Typhuskultur, und zwar das eine intravenös, das zweite intra- pleural, das dritte intraperitoneal. Am 9. Tage darnach spritzte man allen drei Tieren zur Erzeugung von pleuralen und peri- tonealen Exsudaten 5 ccm Aleuronatbrei in die Brusthöhle und 10 ccm physiologischer Kochsalzlösung in die Bauchhöhle ein. 24 Stunden später wurden die Tiere verbluten gelassen, die in den genannten Körper- höhlen angesammelten Flüssigkeiten mittels Pipetten aufgesogen und in der üblichen Weise, im Plattenversuche, auf ihre bakterizide Wirk- samkeit geprüft. Das Resultat derselben findet sich in folgender Tabelle verzeichnet. Intravenöse Intrapleurale | Intraperitoneale Injektion Injektion | Injektion Titer des Serums . . . . [0,00028—0,00020 0,00200 0,00250 » » Pleuraexsudats . . | 0,00067—0,00056 | 0,00050—0.00041 0,00083 » „ Peritonealexsudats . | 0,00067—0,00041 0,00083 | 0,00041 Wie diese Tabelle außerordentlich klar erkennen läßt, übte bei dem intravenös vorbehandelten Tiere das Blutserum die stärkste bakterizide Wirkung aus, indem von ihm weit geringere Quantitäten erforderlich waren, um die eingesäten Typhusbazillen abzutöten, als von dem pleuralen und peritonealen Exsudate.. Dagegen besaß bei dem intrapleural vorbehandelten Kaninchen der Pleuraerguß, bei dem intraperitoneal injizierten das Exsudat der Bauch- höhle den höchsten bakteriziden Titer. Diese Tatsache ist kaum in der vor- derenAugen- kammer. ' Entstehung am Ort der Antigenein- spritzung. Zeitlicher Verlauf der Antikörper- produktion, Phasen der Antikörper- produktion. 190 XII. Die Antikörper. anders zu deuten, als daß jene Zellgebiete, welche bei dem jeweiligen Infektionsmodus zuerst mit den spezifi- schen Antigenen der Typhusbazillen in Berührung getreten waren und sich aus diesem Grunde besonders reichlich mit ihnen beladen haben mußten, auch an der Produktion der Antikörper in hervorragendem Maße beteiligt waren, und so die bakterizide Kraft der Exsudatflüssigkeiten, welche ihrem Territorium entstammten, auf eine besondere Höhe gebracht hatten. Daß dabei die Leukozyten eine wichtige Rolle spielen dürften, ist wohl nach dem früher Gesagten höchst wahrscheinlich. Natürlicherweise gleichen sich diese Differenzen bald wieder aus, so daß es bis zu einem gewissen Grade vom Zufall abhängig ist, ob man bei derartigen Ver- suchen gerade jenen Zeitmoment erhascht, wo die Unterschiede am deutlichsten ausgesprochen sind. Daß man dabei nicht selten auch rein negative Resultate zu verzeichnen hat, kann unter diesen Umständen nicht verwundern und vermag keineswegs die Beweiskraft der zweifel- los positiv ausgefallenen Experimente irgendwie zu beeinträchtigen. Es erübrigt nur noch, unsere bereits bei verschiedenen Gelegen- heiten gemachten Angaben über den zeitlichen Verlauf der Antikörperproduktion zu vervollständigen. | | Bi EEE BER a a Fa een Pe a = ELF he ee Er Pe ) o 2 Tag 0 2 4 6 12: ).16-..18. 20.22. „2a AB EBEN Fig. 1. Agglutininkurve nach JoERGENSEN und MADSEN, zeigt die I. bis IV. Phase der Agglutininproduktion. BRIEGER und Enkrich haben zum ersten Male an einer gegen Tetanus immunisierten Ziege genaue, in kurzen Zeitintervallen wieder- holte Bestimmungen des Antitoxingehaltes der Milch ausgeführt, welcher dem des Blutserums vollkommen parallel verläuft und haben auf Grund dieser exakten Daten eine Antitoxinkurve konstruiert, die die zeit- lichen Verhältnisse der Antikörperproduktion in sehr instruktiver Weise zur Anschauung brachte. Spätere Forschungen haben dann ergeben, daß auch die Immunisierung gegen andere Antigene im Prinzip den- selben Typus aufweist, wenn auch im einzelnen kleine Verschiedenheiten des Verlaufes nicht geleugnet werden können. Nach v. DUNGERN, JOERGENSEN und MaApsen kann man an der- artigen Kurven nun fünf verschiedene Phasen unterscheiden: 1. eine Latenzperiode, die bei den verschiedenen Antigenen innerhalb gewisser, nicht sehr weiter Grenzen schwankt, für die hämo- lytischen und agglutinierenden Antikörper etwa drei Tage, für das Anti- rizin sechs Tage, für manche Präzipitine etwa 41/,—6 Tage beträgt. Darauf erfolgt 2. ein kritischer Anstieg des Serumtiters, der in wenigen Tagen (meist 9—11) sein Maximum erreicht. Hieran schließt sich 3. ein erst rasch, dann immer langsamer erfolgender Abfall des Serumtiters, der 4. allmählich zu einer Periode des Äntikörpergleich- gewichts von verschieden langer Dauer führt, endlich aber 5. in die Phase des definitiven Abfalles übergeht. Dieser letztere erfolgt nicht selten stufenförmig, derart, daß ein be- stimmter, niederer Serumtiter eine Zeitlang hindurch festgehalten wird, bis wieder ein erneuter Abfall eintritt und schließlich die Antikörper vollkommen aus dem Serum verschwinden. Wird einem immunisierten Tiere, das bereits reichlich Antikörper in seinem Blute enthält, eine neuerliche Injektion der betreffenden Antigene beigebracht, so tritt häufig unmittelbar nach der Negative Einspritzung ein sehr erheblicher und rapider Ab- ze sturz des Serumtiters ein (WrıGHTs „negative Phase“); bald steigt jedoch der Gehalt des Serums an Antikörpern wieder an, über- schreitet das früher erreichte Niveau und erhebt sich zu einer gewissen maximalen Höhe, worauf sich wieder ein Zustand des Antikörpergleich- gewichts herstellt, der aber bei einem höheren Titer verharrt, wie vor der Injektion. : Beistehende graphische Darstellungen lassen diese Verhältnisse außerordentlich klar erkennen und bedürfen daher wohl keiner näheren Erläuterung. Von ganz besonderem Inter- com esse sind nun aber die Beobach- WuBmBe | 1 X G - 00 . 2 RE DE 3 sierten Tieren machen konnte, bei = denen die Antikörper bereits wieder gun Abkürzung vollkommen aus dem Blutserum ver- « schwunden waren und die daher scheinbar wieder vollständig normal a, geworden waren. Erhielten solche as Tiere nämlich neuerdings eine In- jektion der betreffenden Antigene — es handelte sich um das Blut- plasma von Maja squinado — so paeie ‚sich, daß die p Peaptherenden Fig.2. Hämolysinkurve nach Brr- Antikörper ganz erheblich rascher ‚ca (Bruchstück), zeigt den Titerabfall wieder in ihrem Blutserum auftraten nach erneuter Injektion. wie früher und daß also die Latenzperiode bei diesen vorbehandelten Tieren eine nicht unbeträchtliche Abkürzung erfuhr. Während zum Beispiel bei einem dieser Kaninchen zwischen der ersten Injektion von Majaplasma und dem Auftreten des Präzipitins ein Zeitraum von sechs Tagen verging, betrug die Latenzperirde nach einer zweiten Ein- | spritzung nur noch vier Tage, nach einer dritten nur noch drei. Dabei ergaben sich neben diesen zeitlichen Differenzen auch noch XIf. Die Antikörper. 191 pe vorbehandel- HRENRRHIIMENS.. hisfroh A ah 5 7930 8 BSn BQU 3 192 XII. Die Antikörper. erhebliche quantitative Unterschiede in der pro- duzierten Präzipitinmenge, indem diese nach der dritten In- jektion bei weitem größer war als nach der ersten. ÜCoLe, welcher diese Beobachtungen bei gegen Typhus immunisierten Kaninchen be- stätigen konnte, fand überdies, daß bei solchen Tieren bereits gering- fügige Bazillendosen, die bei normalen Kaninchen gar keine Reaktion hervorrufen, die Agglutininbildung auszulösen vermögen. Es ist klar, daß diese Tatsachen von der größten theoretischen Allergische Bedeutung sein müssen, da sie beweisen, „daß mit den Zellen Reaktionen. Jor immunisierten Tiere Veränderungen vorgegangen sind, welche auch nach dem völligen Verschwinden des produzierten Antikörpers noch fortbestehen und ihnen möglich machen, auf eine erneute Einwirkung der Antigene rascher und intensiver zu reagieren, als früher. Übrigens sei hier sogleich darauf hingewiesen, daß wir in diesem Phänomen nur eine Teilerscheinung der auch nach anderer Richtung hin gesteigerten „allergischen“ Reaktionsfähigkeit immuni- sierter Individuen zu sehen haben. | Bereits bei einer früheren Gelegenheit haben wir erwähnt, daß der Verlauf der Schutzpocken bei Revakzinierten ein gewissermaßen überstürzter ist, wobei auch die Inkubationsdauer, also der Zeitraum, der bis zum Auftreten sichtbarer Reaktionsvorgänge an der Impfstelle verstreicht, wesentlich verkürzt erscheint. Ebenso zeigt sich nach Fınger und LaxpstEiser bei Reinfektion mit Syphilis der Effekt wesentlich rascher, als nach Erstinfektionen, ja es kann — wie bei Fällen tertiärer Lues — sich sogar die Entstehung eines lokalen Erythems unmittelbar an die Reinokulation anschließen. Analogen Erscheinungen werden wir bei Besprechung des Phänomens der Überempfindlich- keit noch mehrfach begegnen. Daß diese im Laufe der Immunisierung erworbene Fähigkeit des Körpers, seine Schutztruppen schneller zu mobili- sieren, ihm unter Umständen eine bedeutende Überlegenheit im Kampfe mit den Infektionserregern sichern muß und daher eine sehr erhebliche Vermehrung seiner Widerstandsfähigkeit bedeutet, ist leicht einzusehen. Gesteigerte Noch eine weitere Veränderung hat nun v. DUNGERN bei seinen fähigkeit der Studien über die Präzipitine an den Zellen und Geweben der immuni- ee" sierten Tiere feststellen können, welche von nicht geringerer Bedeutung zu sein scheint. Spritzt man einem normalen Kaninchen Majaplasma in die Randvene des einen Ohres ein und verfolgt das Schicksal des selben im Kreislauf dieses Tieres, indem man von Zeit zu Zeit klein Blutproben aus der Vene des anderen Ohres entnimmt und durch Zusa von spezifischem Präzipitinserum auf die Anwesenheit von Majaeiwei prüft, so kann man feststellen, daß das letztere allmählich aus de Blutbahn verschwindet. Da nun eine Ausscheidung der eingeführte Eiweißkörper weder durch den Harn noch durch die Galle erfolgt, ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, daß sie durch gewisse einstweilen nicht näher bekannte — Gewebe und Gewebsbestandteil Aviditäts- absorbiert und auf diese Weise dem Kreislauf entzogen werden. Ver steigerung. \wondet man nun aber zu solchen Versuchen vorbehandelte Kaninchen und zwar wieder zu einer Zeit, wo das durch frühere Injektionen er zeugte Präzipitin aus dem Blute bereits verschwunden ist, so finde man, daß die präzipitablen Eiweißkörper des Maja XU. Die Antikörper. 193 plasmas bedeutend rascher aus der Zirkulation ent- fernt werden, als bei normalen, nicht vorbehandelten Tieren. Die absorbierende, bindende Kraft oder die Avidität der Körperzellen für das betreffende Antigen scheint also unter dem Einfluß der Immunisierung zuge- nommen zu haben, während, wie Kontrollversuche ergaben, anders- geartete Eiweißkörper nicht schneller aus dem Kreislauf verschwinden wie sonst.!) Die Bedeutung, welche diesen merkwürdigen Befunden zukommen dürfte, werden wir noch bei Besprechung der Enkrıch schen Theorie näher zu beleuchten haben. Hier sei nur noch erwähnt, daß wir ähnliche Aviditätsunterschiede, wie wir sie eben bei den Zellen normaler und immunisierter Versuchstiere kennen gelernt haben, auch bei den normalen und immunisatorisch erzeugten Antikörpern wiederfinden werden (vgl. Vorlesung XIV). Daßalsotatsächlich greifbare Zellveränderungen nachder Einverleibung von Äntigenen zurückbleiben, steht nach allen diesen Experimenten außer Zweifel. Dagegen hat sich die seiner Zeit von METSCHNIKOFF vorgetragene Ver- mutung, nach welcher die Leukozyten im Verlauf der Immunisierung allmählich zum Kampfe gegen virulente Krankheitserreger erzogen und trainiert würden, als unrichtig herausgestellt, indem Untersuchungen von DEnYs und LECLEF zweifellos erwiesen haben, daß sich die Leuko- zyten immunisierter Individuen ceteris paribus nicht anders verhalten als die normalen, und daß der wesentliche Unterschied in der Intensität der phagozytären Vorgänge bei denselben daher nicht auf eine Veränderung der zelligen Elemente, sondern nur auf Veränderungen des Blutserums bezogen werden darf. Literatur. UHLENHUTH, Deutsche med. Wochenschr., 1901. STERN, R., Berl. klin. Wochenschr., 1903, Nr. 30 u. 31. KısterR und WEICHARDT, Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 1902, Nr. 20, Mürter, P. Te., Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. XXXII, 1902. Jakopy, Hofmeisters Beiträge zur chem. Physiol., Bd. I, 1901. ÖBERMAYER und Pick, Wien. klin. Rundschau, 1902, Nr. 15. !) Allerdings wäre auch noch eine andere Möglichkeit hier zu berück- sichtigen, daß nämlich die immunisierten Tiere die Fähigkeit besitzen könnten, fremdartiges Eiweiß in der Blutbahn selbst rascher abzubauen und zu zerstören als die normalen Tiere, eine Annahme, die in der Tat durch manche neueren Beobachtungen nahegelegt wird. So haben vor kurzem ÄBDERHALDEN und Pıncussoan gefunden, daß das Plasma von Hunden, denen Eiereiweiß oder Pferdeserum injiziert worden war, zwar nicht diese Eiweiß- körper, wohl aber Glycyl-l-Tyrosin rasch zu spalten vermag, während dieses Dipeptid von normalem Hundeblutplasma kaum angegriffen wird und analog ergab sich bei den Versuchen von ABDERHALDEN und WEICHARDT, daß die arenterale Einverleibung von Seidenpeptonen im Serum der Versuchstiere ne auftreten läßt, welche diese Hiveiluhhägeudute weiter zersetzen, also peptolytisch wirken, ohne daß übrigens diese Wirkung eine spezifische zu sein scheint. Ob freilich diese interessanten Tatsachen auf den vorliegenden Fall anwendbar erscheinen und ob man zu der Annahme berechtigt wäre, daß zu einer Zeit, wo, wie bei den v. Dunsernschen Versuchstieren, bereits alle Antikörper aus dem Serum verschwunden sind, doch noch solche eiweiß- spaltende Fermente im Blute kreisen, muß derzeit wohl noch als sehr fraglich bezeichnet werden. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 13 Veränderte Leukozyten bei Immun- tieren ? 194 XI. Die Antikörper. MicHAELIs und OPPENHEIMER, Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., Supplement, 902 12. Pıck, E. P., Hofmeisters Beiträge zur chem. Physiol., Bd. I, 1901. Knorr, Fortschr. d. Med. Bd. XV, 1897. Experim. Unters. über die Grenze der Heilungsmöglichkeitdes Tetanus durch Tetanusheilserum. Habilitationsschr. Marburg 189. Roux und VaAıLLaRrD, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1893. Deutsch, L., Ann. de l’Inst. Pasteur, 1893. PFEIFFER und Marx, Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., Bd. XXVII, 1898. Römer, Arch. f. Ophthalm., Bd. LII, 1901. v. Duneern, „Die Antikörper“, Jena 1903. BRIEGER und Earrıch, Deutsche med. Wochenschr., 1892, No. 18; Zeitschr. f. Hyg., Bd. XIII, 1893. Burroca, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIX, 1901. WASSERMANN und CiIteox, Zeitschr. f. Hyg., Bd. L. FRIEDBERGER, Leyden-Festschrift. FRIEDBERGER und DOoRNER, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXVII. Fınser und LANDSTEINER, Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wiss., Wien 1906. Kraus und Levapırı, Compt. rend. de l’acad. des sc., Paris 1904. ABDERHALDEN und PıxcussoRn, Z. f. physiol. chem. Bd. 61, 1909. ABDERHALDEN und WEICHARDT, Z. f. physiol. chem. Bd. 62, 1909. XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung zwischen Antigen und Antikörper. I. In welcher Weise wirken nun alle diese verschiedenen Antikörper, deren Entstehung und Eigenschaften wir im vorigen kennen gelernt haben, auf ihre Muttersubstanzen ein? Spezieller gefragt: Wie kommt 2. B. die entgiftende Wirkung des Antitoxins zustande? Welches ist dabei das Schicksal des Toxins? Welche Rolle spielt das Antitoxin? Um alle diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zunächst die verschiedenen Möglichkeiten klar machen, die hier denkbar sind. Wie wir gesehen haben, ist das Antitoxin durch seine Eigen- schaft charakterisiert, die krankmachende, bezw. todbringende Wirkung des entsprechenden Toxins aufzuheben. Das könnte aber — a priori betrachtet — in doppelter Weise geschehen. Entweder könnte nämlich das Antitoxin direkt und unmittelbar auf das Toxin einwirken und es auf irgend eine — noch näher zu erörternde — Art und Weise unschädlich machen; oder aber, es könnte der Angriffspunkt des Antitoxinsnichtan dem Toxin selbst gelegen sein, sondern in den lebenden Zellen des betreffenden tierischen Organismus, die unter dem Einflusse des Antitoxins ihre Empfindlichkeit für das Gift verlieren und eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen dasselbe erlangen würden. Diese letztere Auffassung, die seinerzeit von Roux und auch von BUcHNER vertreten wurde und, wie gesagt, eine Art von Gift- festigung, von Immunisierung der Zellen durch das eingespritzte Anti- toxin, annahm, kann wohl heute als allgemein verlassen gelten, und nicht am wenigsten waren es die eleganten Versuche Eurrichs über die Rizinimmunität, die ihr den Boden entzogen und unsere heutigen Anschauungen fest begründet haben. Das Rizin, eine bis vor kurzem den Eiweißkörpern zugerechnete giftige Substanz der Rizinussamen, zeichnet sich durch eine außerordent- lich hohe Toxizität aus, indem es bei intravenöser Applikation schon in Dosen von etwa 0,03 mg pro Kilogramm Tier tödliche Wirkungen entfaltet. In erster Linie ist hierbei das Blut von der schädigenden Wirkung des Rizins betroffen; es treten Koagulationen der roten Blut- körperchen ein, die zu multiplen Thrombosen besonders in den Darm- gefüßen führen und ausgedehnte Darmhämorrhagien verursachen. Die Empfänglichkeit der verschiedenen Tierspezies diesem Gifte gegenüber ist nicht die gleiche. Speziell Meerschweinchen sind dafür so empfind- lich, daß 1 g des Handelsproduktes genügen würde, um 1'/, Millionen dieser Tiere zu töten. Neben diesen, im Tierversuch zutage tretenden Wirkungen besitzt nun aber das Rizin auch die Fähigkeit, die Blutkörperchen des defibri- 13* Ver- schiedene Möglich- keiten der Antitoxin- wirkung. Antirizin- wirkung in vivo und in vitro. 196 XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. nierten Blutes in vitro zusammen zu klumpen und zu agglutinieren, und es lag daher in diesem Falle die Möglichkeit vor, einen Teil der Giftwirkung dieses Stoffes auch außerhalb des Tierkörpers, im Reagenz- glas zu studieren. Es ist nun Enrric# gelungen, Tiere gegen das Rizin zu immunisieren und von ihnen ein hochwertiges Antiserum zu erzielen, das er sowohl im Tierversuche wie im Reagenzglas auf seine Schutzwirkungen prüfen konnte. Dabei stellte sich die wichtige Tat- sache heraus, dal dieses Antirizinserum beide Wirkungen des Rizins in vollkommen gleicher Weise zu paralysieren vermochte, womit also zunächst der unzweifelhafte Nachweis geliefert war, daß wenigstens die eine Komponente der Schutzwirkung, die sich auf die in vitro zu beobachtende Agglutination bezieht, auch ohne Be- teiligung des lebenden Organismus in Tätigkeit treten kann. Da nun ferner alle jene Mischungen von Rizin und Antirizin, die im Reagenzglas wirkungslos blieben, auch beim lebenden Tiere keine Ver- giftungserscheinungen hervorriefen und, wie ein genaues Studium der quantitativen Verhältnisse ergab, die Wirkungen, die in vitro zustande kamen, stets mit den in corpore ausgeübten vollkommen parallel gingen, so konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß eine Intervention des lebenden Organismus auch bei der entgiftenden Schutzwirkung des Antirizins nicht eintritt und daß daher Toxin und Antitoxin sich direkt und unmittelbar beeinflussen müssen. Ähnliche Verhältnisse haben bald darauf KosseL bei dem giftigen Aalserum, StEPHENs und Myers bei dem Kobragift, MORGENROTH bei dem Crotin und Esurrıch bei dem Tetanolysin, dem hämolytisch wirkenden Bestandteil des Tetanusgiftes, beobachtet, so daß es wohl erlaubt ist, bei allen bisher bekannten wöickte Antitoxinen eine direkte Einwirkung auf das entsprechende Antitocins Toxin anzunehmen. Es ist die Richtigkeit dieser Annahme um so auf das weniger zweifelhaft, als ja bei allen anderen, nicht toxinartigen Sub- “ stanzen, welche Antikörperbildung auszulösen vermögen (rote Blut- körperchen, Eiweißkörper, Bakterien usf.), die Einwirkung des Anti- serums ebenfalls schon in vitro zustande kommt und als Hämolyse, als Agglutination oder Präzipitation in Erscheinung tritt. Liegt also der Angriffspunkt der entgiftenden Antitoxinwirkung zweifellos an dem Toxinmolekül, so drängt sich sofort die weitere Frage auf, welcher Natur diese Einwirkung ist und welcher Art Kräfte dabei ins Spiel kommen. | i Die einfachste und der naiven Betrachtung zunächst sich auf- zerstörung? Ariingende Vorstellung ist nun gewiß die, daß das Toxinmolekül durch das Antitoxin zerstört, zersetzt, verdaut oder in irgend einer anderen Weise desintegriert wird, wobei das Antitoxin etwa die Rolle eines Fermentes spielen müßte, und in der Tat haben einige Autoren sich anfangs dieser Auffassung angeschlossen. Demgegenüber hat Eurtıca von Anfang an die Ansicht vertreten, ee daß die Entgiftung durch eine chemische Bindung des Toxins an das Torizs Antitoxin zustande komme und also etwa mit der Neutralisierung einer Säure durch Alkali in Parallele zu stellen sei, während Brurıne sich | mehr reserviert verhielt und zwar den Ausdruck, daß das Toxin durch das Antitoxin „‚zerstört‘*‘ werde, beibehielt, sich aber gegen eine chemische Deutung desselben verwahrte und unentschieden ließ, auf welchem Wege die Zerstörung erfolgen sollte. | Bald jedoch wurde eine Reihe von Tatsachen bekannt, die ge- eignet waren, Eurtıchs Auffassung der Antitoxinwirkung zu stützen. | XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung, 197 Roux und ÜALnMETTE hatten nämlich gefunden, daß das Schlangengift, das ja in vieler Hinsicht den bakteriellen Toxinen nahesteht, durch Siedehitze nicht zerstört wird, während dessen Antitoxin, wie alle Anti- körper, seine Wirksamkeit beim Kochen einbüßt. Wurde nun eine für Tiere unschädliche Mischung von Schlangengift und Gegengift aufge- kocht, so trat sofort wieder die typische Giftwirkung zutage, woraus man schließen mußte, dal das Gift in der an sich inaktiven Mischung nicht etwa zerstört oder zersetzt war, sondern offenbar nur in gebun- denem Zustand existierte und durch die Zerstörung des Antitoxins beim Kochen wieder in Freiheit gesetzt wurde. In ganz analoger Weise hat WASSERMANN für das Toxin des Bacillus pyocyaneus, das ebenfalls thermostabiler ist als das entsprechende Antitoxin, den Nachweis ver- sucht, daß es bei der Entgiftung nicht zerstört, sondern nur gebunden wird und durch Erwärmen wieder frei gemacht werden kann. Gegen diese Experimente haben nun aber Marrın und ÜHErrY einen gewich- tigen Einwand erhoben, der in der Tat geeignet erscheint, ihre Beweis- kraft wesentlich einzuschränken. Die beiden Forscher wiederholten nämlich den ÜALmETTEschen Versuch unter genauer Berücksichtigung der zeitlichen Verhältnisse und kamen dabei zu dem Ergebnisse, dab eine Restitution des Schlangengiftes nur dann gelingt, wenn Gift und Gegengift nicht allzulange aufeinander eingewirkt haben. Ist hingegen eine genügend lange Zeit nach der Mischung derselben verstrichen, so läßt sich die Giftwirkung durch Kochen nicht wiederherstellen, woraus MarTın und ÜHERRY die Folgerung ableiten, . daß das Carmertesche Verfahren überhaupt keine Restitution des Giftes bewirke, sondern nur jenen Teil des Toxins, der infolge des allzukurzen Kontaktes mit dem Antitoxin dessen ent- giftendem Einfluß noch gar nicht unterworfen war, durch die Zerstörung des letzteren vor einer weiteren Ver- änderung bewahre. Welcher Art aber diese Veränderung sei, ob es sich um eine wirkliche Zersetzung des Toxins oder nur um eine Neutralisierung desselben handle, sei von diesem Gesichtspunkte aus überhaupt nicht aus den genannten Experimenten zu entnehmen, so daß also die Beweisführung von Roux und CALMETTE als mißglückt an- zusehen sei. MARTIN und ÜHErRY betraten daher einen anderen, sehr origi- nellen Weg, um das Eintreten einer chemischen Bindung zwischen Toxin und Antitoxin zu beweisen. Zweifellos sind nämlich die Moleküle des Antivenins viel größer als die des Schlangengiftes, so daß das letztere noch imstande ist, durch Membranen hindurchzugehen, welche dem Antitoxin den Durchtritt verwehren. Martın und ÜHerry brachten nun entsprechende Mengen von Gift und Gegengift zusammen und unterwarfen sie verschieden lange Zeit nach der Mischung einer Filtration unter hohem Drucke. Dabei stellte sich heraus, daß das er- zielte Filtrat einen sehr hohen Grad von Giftigkeit besaß, wenn die beiden Substanzen nur kurze Zeit miteinander in Berührung gewesen waren, während mit der Dauer des Kontaktes die Toxizität immer mehr und mehr abnahm und schließlich nach etwa halbstündiger Be- rührung ganz erloschen war. Die Deutung dieser Versuche ist nach dem oben Auseinandergesetzten eine sehr einfache. Solange eine Bindung des Toxins an das Antitoxin noch nicht stattgefunden hatte, das erstere sich also im freien Zustande befand, wurde nur das Anti- toxin durch die filtrierende Schicht zurückgehalten, das Toxin aber Restitution des Toxins aus dem in- aktiven Ge- misch. Trennung von Toxin und Anti- toxin durch Filtration. Trennung durch Salz- säure- wirkung. Reaktionsge- schwindig- keit von Toxin und Antitoxin. 198 XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. wanderte durch dieselbe hindurch und bewirkte damit die Giftigkeit des Filtrates. Von dem Momente an jedoch, wo die Vereinigung ein- getreten und somit das kleine Toxinmolekül an das große Antitoxin- molekül gekettet war, blieb das Gift diesseits des Filters, und das Filtrat konnte somit kein Toxin mehr enthalten. Allerdings dürfte auch diese Versuchsanordnung, so ingeniös sie erdacht sein mag, eine Zerstörung des Toxins durch das Antitoxin doch nicht mit Sicherheit ausschließen lassen. Erst MOoRGENROTH gelang es, durch eine — freilich sehr wesentliche — Abänderung des CALMETTEschen Versuches den, wie es scheint, einwandfreien Beweis für die chemische Bindung von Toxin und Antitoxin zu erbringen. MORGENROTH konnte nämlich zeigen, daß ein vollkommen neutrales, tagelang aufbewahrtes Gemisch von Kobragift und -gegengift durch Zusatz geringer Salzsäuremengen in seine beiden Komponenten ge- spalten wird. Erhitzt man nun dieses saure Gemisch längere Zeit auf 100°, so wird das relativ empfindliche Antitoxin vollkommen vernichtet, während das thermostabile Kobragift, das in saurer Lösung, wie schon Kyes und SacHs gefunden hatten, gegen die Kochhitze viel wider- standsfähiger ist als in neutraler, vollkommen quantitativ wiedergewonnen werden kann und sich in seinem Verhalten, auch dem Antitoxin gegenüber, gänzlich unverändert erweist. Da hier aus einem völlig neutralen Toxin-Antitoxingemische, dessen Komponenten durch mehr als eine Woche Gelegenheit hatten aufeinander einzuwirken, der giftige Komplex mit allen seinen Eigenschaften wiederhergestellt werden konnte, so erscheint eine direkte Zerstörung des Toxins durch das Antitoxin mit voller Sicherheit ausgeschlossen, und es bleibt nichts anderes übrig, als anzunehmen. daß sich Gift und Gegengift zu einer inaktiven, durch Salzsäure dissoziierbaren Verbindung aneinander gelagert haben. Eine Tatsache aber geht aus den erwähnten Filtrationsversuchen von MARTIN und ÜHERRY mit Sicherheit hervor, daß nämlich die Entgiftung durch das Antiserum eine gewisse Zeitin Anspruch nimmt und nicht etwa momentan erfolgt. EHRLICH hat die näheren Umstände studiert, welche auf die Reaktions- geschwindigkeit von Toxin und Antitoxin Einfluß nehmen, und hat ge- funden, daß vor allem hierbei die Konzentration und die Tem- peratur eine große Rolle spielen. Die Entgiftung erfolgt nämlich in konzentrierten Lösungen und bei höherer Temperatur viel rascher als in verdünnter Lösung und in der Kälte, ein Verhalten, das ja bekannt- lich bei den meisten chemischen Reaktionen beobachtet wird und daher auch von EHRLICH als Argument für die chemische Natur der Bindung von Gift und Gegengift ins Treffen geführt wurde. Bemerkenswert ist übrigens noch, daß es ARRHENIUS und MADSEN sogar gelungen ist, auf direktem Wege die Wärmeentwicklung zu bestimmen, welche bei der Einwirkung des Antitoxins auf das Toxin stattfindet. Es fand sich, daß durch die Verbindung einer g-Molekel von Tetanolysin, dem Blutkörper- chen auflösenden Bestandteil des Tetanusgiftes, mit einer g-Molekel von Antitetanolysin 6600 Kal. in Freiheit gesetzt werden, eine Wärmeent- wicklung, die vom chemischen Standpunkt aus als nicht unbeträchtlich anzusehen ist, da sie nur ungefähr die Hälfte derjenigen Wärmemenge beträgt. welche bei der Neutralisation einer starken Säure durch eine starke Base freigemacht wird. — Der chemische Charakter der Reaktionen zwischen XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 199 Toxin und Antitoxin scheint also nach alledem nicht mehr zu bezweifeln zu sein. Analoge Tatsachen ergaben sich aber auch bei dem Studium der anderen Arten von Antikörpern, die ja aus verschiedenen Ursachen Bindung der einer eingehenden Analyse viel leichter zugänglich sind als gerade die Alkgper Antitoxine. Bringt man z. B. rote Blutkörperchen mit ihren spezifischen Antigene. Antikörpern, den hämolytischen Ambozeptoren, zusammen, läßt dieselben einige Zeit aufeinander einwirken und entfernt dann die Erythrozyten durch die Zentrifuge aus der Flüssigkeit, so kann man, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, nachweisen, daß die letztere günstigen- falls vollkommen frei von Ambozeptoren ist, während die Blutkörper- s chen sich mit ihnen beladen haben und daher der Auflösung ver- fallen, wenn ein frisches, komplementhaltiges Serum hinzugefügt wird — ein fundamentaler Versuch, den wir EHurrLıch und MORGENROTH verdanken. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den agglutinierenden und präzipitierenden Antikörpern. Setzt man zu einem wirksamen Typhus- immunserum eine genügende Menge von Typhusbazillen hinzu, wartet ab, bis sie sich durch Asgglutination zu Boden gesenkt haben und prüft die klare überstehende Flüssigkeit auf Agglutinin, indem man ihr neue Bazillen zusetzt, so findet man sie unwirksam: das Ag- glutinin wurde also von den Bazillen gebunden. Ebenso reißt das beim Vermischen von Milch mit spezifischem Laktoserum entstehende Präzipitat das Präzipitin mit sich und die vom Niederschlage befreite Flüssigkeit vermag nicht mehr Kasein zu fällen. Überall also, wo wir die Einwirkung der Anti- körper auf ihre Muttersubstanzen, denen sie ihre Entstehung verdanken, näher studieren, fällt unsals charakteristischer Zug die Tatsache auf, daß sie bei dieser Reaktion aufgebraucht und gebunden werden. Wie bei den Toxinen hat sich auch hier in einzelnen günstig liegenden Restitution Fällen die Analyse sogar noch weiter treiben und sich zeigen lassen, "Kommen daß die einzelnen Komponenten aus dem entstehenden Reaktionsprodukt nenten. wieder in wirksamer Form extrahiert werden können. So z. B. ist es HaHy und TROMMSDORF gelungen, aus agglutinierten Bazillen, die zur Entfernung von etwaigem anhaftenden freien Agglutinin sorgfältig ge- waschen worden waren, durch Digestion mit verdünnten Laugen und Alkalien das gebundene Agglutinin wieder freizumachen und also Ex- trakte zu gewinnen, welche wieder agglutinationskräftig waren, und das- selbe gelang bei dem Kaseinniederschlag, den das Laktoserum in der Milch hervorruft. Aber auch die Muttersubstanz, die mit dem Anti- körper in Reaktion tritt, ließ sich in unveränderter Form aus dem Laktopräzipitat wiedergewinnen: kocht man nämlich den sorgfältig ge- waschenen Kaseinniederschlag in physiologischer Kochsalzlösung, so löst sich derselbe auf, und man erhält so eine Flüssigkeit, die sich in jeder Beziehung wie eine Lösung unveränderten Kaseins verhält: sie wird durch Lab koaguliert, zeigt die chemischen Eigenschaften des Kaseins und kann sogar durch Zusatz neuen Laktoserums wieder gefällt werden (P. Tu. Mürter). Es unterliegt somit keinem Zweifel, daß die reagierenden Komponenten bei der spezifi- schen Einwirkung der Antisera zunächst keinerlei tiefgreifende Veränderungen erleiden, denn sonst wäre es ja nicht möglich, daß sie durch so einfache Prozeduren, wie die Extraktion mit verdünnten Laugen und Alkalien oder das Aufkochen, Quanti- tativer Ab- lauf der Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin. Gesetz derMultipla. 200 XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. wieder regeneriert werden können. Daher drängt sich ganz von selbst die Vermutung auf, daß, wie bei den Toxinen und Antitoxinen, auch bei den anderen Antikörpern eine lockere, unter ge- wissen Bedingungen „reversible“* Verbindung mit den entsprechenden Antigenen erfolgt, die oft schon durch geringfügige Eingriffe wieder gesprengt werden kann. Sekundär können sich allerdings dann an diesen Vorgang irreversible, zum Ab- bau oder zur Zerstörung der Antigene führende Prozesse anschließen, wie sie sich z. B. bei der Einwirkung von Komplement auf die immun- körperbeladenen Bakterien oder Erythrozyten abspielen. Diese sekun- dären Reaktionen haben aber begreiflicherweise mit der Bindung zwischen Antigenen und Antikörpern, also mit den eigentlichen Serum- reaktionen, nichts zu tun. Ob man diese Bindung übrigens als einen rein chemischen Vorgang anzusehen berechtigt ist, darauf kommen wir noch später zu sprechen. Hingegen wollen wir uns nun einer anderen Frage von großem wissenschaftlichen Interesse zuwenden: der Frage nämlich, wie sich die quantitativen Verhältnisse beider Giftneutralisation durch das Antitoxin gestalten. Wir haben bereits im obigen einmal den Vergleich gebraucht, daß Toxin und Antitoxin sich in ähnlicher Weise neutralisieren, wie etwa eine Säure mit einem Alkali zu einem Salz zusammentritt. Im- plieite ist in diesem Vergleiche bereits die Voraussetzung gelegen, daß bei diesem Neutralisationsvorgange konstante Mengenverhältnisse ob- walten und daß also zur Entgiftung der doppelten, dreifachen, zehn- fachen Toxinmenge auch das doppelte, dreifache, zehnfache Antitoxin- quantum erforderlich ist. Entspricht nun diese Annahme wirklich den beobachteten Tatsachen? — Wir wollen sehen. Von verschiedenen Seiten sind nun Befunde mitgeteilt worden, welche auf den ersten Blick mit dieser Auffassung unvereinbar scheinen. So hat BonstErs beobachtet, daß eine Mischung von Diphtherietoxin und Antitoxin in einer be- stimmten Menge (die etwa 10 tödliche Toxindosen enthielt), für Meer- schweinchen vollkommen unschädlich war: wurde jedoch die 2—5 fach größere Toxindosis mit dem Antitoxin im selben Mengenverhältnis ge- mischt, so gingen die Tiere sämtlich zugrunde. Das Gesetz der Multipla schien somit für das Diphtherieantitoxin bei diesen Ver- suchen keine Gültigkeit zu haben, und in der Tat glaubte BomsTEın auf Grund dieser Ergebnisse sogar eine direkte Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin ausschließen zu können. Dennoch war dieser Schluß ein voreiliger, und es gelingt, wie wir gleich sehen werden, ohne jede Mühe, die Ursachen dieser scheinbaren Abweichung von dem Gesetz der Multipla klarzulegen. Nehmen wir an, wir hätten genau jene Antitoxinmenge ermittelt, welche eben im- stande ist, eine bestimmte Giftmenge zu neutralisieren, so daß keine Spur von freiem Toxin in dem Gemische zurückbleiben würde. Unter diesen Umständen wäre es natürlicherweise ganz unmöglich, daß eine beliebige Steigerung der Toxindosis jemals Krankheitserscheinungen auslösen könnte, vorausgesetzt, daß auch die Antitoxindosis gleichzeitig im selben Verhältnis erhöht wird. Ganz anders jedoch, wenn auch nur eine Spur von Toxin in dem Gemische freigeblieben ist. Denken wir uns, um die Begriffe zu fixieren, daß die eben ermittelte Antitoxinmenge nicht vollkommen zur Neutralisierung des Giftes ausgereicht hätte, sondern etwa Yo, einer tödlichen Dosis übriggelassen habe. Diese Bi XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung, 201 geringe Giftmenge ist natürlich nicht imstande, irgendwelche Erschei- nungen hervorzurufen, und unser Gemisch würde daher trotzdem den Eindruck eines vollkommen neutralen machen, solange wir uns inner- halb gewisser quantitativer Grenzen halten. Erhöhen wir jedoch Toxin- und Antitoxinmenge auf das Hundertfache, so wird natürlich auch dieser unausgeglichene Giftrest mit 100 multipliziert und unser Gemisch, das nun eine ganze tödliche Dose im freien Zustand enthält, muß nun not- wendigerweise imstande sein, das Versuchstier zu töten. Meer- Antitoxin schw. in L-E. Resultat A 0,2 0,1 Absolut keine Reaktion. B 0,21 0,1 Kein Infiltrat. Gewichtsverlust. Vollständige Genesung. C 0,22 0,1 Ganz geringes Infiltrat; am 3. Tag verschwunden. Genesung. D 0,23 0,1 Kleines Infiltrat; am 9. Tag verschwunden. E 0,24 0,1 Geringe Infiltration; Genesung. F 0,25 0,1 Infiltration und Nekrose; Genesung. A’ 2,0 1,0 Keine Reaktion. B’ 2,1 1,0 Ganz geringes Infiltrat; am 5. Tag verschwunden. C 2,2 1,0 Geringes Infiltrat; am 6. Tag verschwunden. D’ 2,3 1,0 Großes Infiltrat; Tod am 10. Tag. E 2,4 1,0 Großes Infiltrat: Tod am 4. Tag. F 2,5 1,0 Großes Infiltrat; Tod in 67 Stunden. Daß diese Auffassung der Dinge die richtige ist, haben u. a. Cogertt und KantHack in einer sehr exakten Versuchsreihe zeigen können, deren Resultate in der beistehenden kleinen Tabelle wieder- gegeben sind. Die eine Serie der Versuchstiere (Meerschweinchen), welche in dieser Zusammenstellung mit A—F bezeichnet sind, erhielt je "Yo Immunitätseinheit Antitoxin gemischt mit stufenweise aufsteigen- den Toxinmengen injiziert, wobei die letzteren sich nur wenig von der eben zur Neutralisation ausreichenden Dosis entfernten. Die zweite Serie dagegen, A—F’, bekam von beiden Substanzen genau die zehn- fache Menge, wie die entsprechenden. denselben Buchstaben tragenden Tiere der ersten Serie. Dabei wurde mit größter Sorgfalt auf die minimalsten Krankheitserscheinungen, wie Abnahme des Körpergewichts, Entstehung kleinster Infiltrate und Hautnekrosen an der Injektionsstelle usw., geachtet und jedes derartige Vorkommnis in der letzten Kolonne der Tabelle notiert. Der Vergleich der beiden Versuchsreihen mit- einander ist nun äußerst lehrreich. Sowohl Meerschweinchen A wie A’ blieb, wie man sieht, vollkommen frei von jeder Erkrankung. Das Gemisch von 0,2 Toxin und !/,, Immunitätseinheit war somit vollkommen neutral und blieb auch bei Erhöhung der Dosis auf das Zehnfache ohne jede Wirkung. Tier B zeigte zwar noch kein Infiltrat, nahm aber beträchtlich an Körpergewicht ab, ein Zeichen, dab das Gift schon in _ dem Gemisch 0,21 Toxin + !/,, Immunitätseinheit nicht mehr vollkommen neutralisiert war; dementsprechend zeigte B’ eine viel stärkere Gift- wirkung und bekam ein geringes Infiltrat. Die folgenden beiden Tiere C und C zeigen dasselbe Verhältnis, nur in etwas gesteigertem Maße. D—-F endlich wiesen, entsprechend der stetigen Zunahme des unaus- geglichenen Giftrestes, immer stärkere Infiltrationen auf; bei den Parallel- Strenge Gültigkeit des Gesetzes derMultipla. v gan ni Fehler- quellen. ID 02 XIlI. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. tieren D’—F” dagegen, wo dieser Giftüberschuß zehnmal so groß war, trat der Tod, und zwar nach immer kürzerer Zeit ein; außerdem kamen bei diesen Tieren sehr ausgedehnte Intiltrationen zur Beobachtung. Ich glaube, klarer kann die strenge Gültigkeit des Gesetzes der Multipla kaum demonstriert werden, als durch diese Versuche, welche zugleich die Ursache der scheinbaren Abweichungen von demselben aufs deutlichste erkennen lassen und zeigen, dal nur da, wo eine wirklich exakte Neutralisation des Toxins stattgefunden hat, auch bei Erhöhung der Dosis jede Wirkung ausbleibt, während da, wo auch nur Spuren freien Giftes vorhanden sind, die Krankheitserscheinungen um so heftigere werden, je höher das angewendete Multiplum ist. Außer dieser Fehlerquelle, welche in der Schwierigkeit gelegen ist, die genaue Giftmenge zu bestimmen, die eben durch eine gegebene Antitoxinmenge neutralisert wird und welche leicht dadurch ausgeschaltet werden kann, daß man einerseits nicht zu hohe Multipla anwendet, andererseits sorgfältig auf die geringsten Anzeichen der Erkrankung achtet, besteht aber noch ein zweiter Punkt, dessen Nichtbeachtung bei diesen quantitativen Studien zu groben Irrtümern führen kann und wohl auch schon geführt hat. Der tierische Organismus vermag nämlich zweifellos eine gewisse (rftmenge auch ohne Zuführung von Antitoxin zu überstehen. Diese Giftquantität liegt natürlicherweise etwas unterhalb der einfach tödlichen Dosis. Wollen wir daher die einfach tödliche Dosis für das Tier un- schädlich machen, so brauchen wir durchaus nicht die gesamte darin enthaltene Giftmenge zu neutralisieren, sondern es genügt, nur die Differenz zwischen der eben tödlichen und der eben unschädlichen Giftdosis mit Antitoxin abzusättigen. Ist etwa a die einfach letale Dosis, b die eben noch vom Tiere bewältigte Giftmenge, so wird also das Tier am Leben bleiben, wenn wir (a—b) durch Antitoxin neutralisieren. Gehen wir nun zur 10fach letalen Dosis 10a über, so brauchen wir jetzt natürlich nicht 10mal mehr Antitoxin, also nicht 10(a—b) oder (10a—10b), sondern ein höheres Multiplum, da ja (a—b) nicht die ganze, sondern nur einen Bruch- teil der Dosis letalis repräsentiert und die zu neutralisierende Gift- menge nunmehr 10a—b beträgt. Die zur Neutralisation von einer und von zehn tödlichen Dosen erforderlichen Antitoxinmengen verhalten sich daher nicht zu einander wie 1:10, sondern en Verträgt also z. B. das Versuchstier ohne Schaden eine halbe tödliche Dose, a a ar. 9 d.h. stb=-, so wird das obige Verhältnis si: Ti 10a 5 188) Obwohl also strenge Proportionalität zwischen Giftmenge und Antitoxin- menge besteht, gelangt man zu offenbar unrichtigen Resultaten, wenn man bei der Anstellung der Versuche von der einfach tödlichen Dosis ausgeht. Es scheint, daß BomsTEın auch diese Verhältnisse niebt überall genügend besücksichtigt hat. CoBBErr und Kantaack hingegen haben in klarer Erkenntnis dieser Fehlerquelle nicht die einfache, sondern die es I.-E. neutralisiert wird, als Aus- gangspunkt gewählt. Das Verhältnis der Antitoxinmengen, die diese und zehnfach tödliche Dosis, die durch XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 203 ihr zehnfaches Multiplum zu entgiften vermögen, wird dann en a— ee oder für den willkürlich gewählten Spezialfall bescman on, i a 199 weicht somit nur sehr wenig von dem wirklich bestehenden Verhältnis 1 10 ab. Überall da also, wo den quantitativen Verhältnissen genau Rech- nung getragen wurde, hat sich auch die strenge Gültigkeit des Gesetzes der Multipla erweisen lassen, so dal wohl heute niemand mehr an dem- selben zweifeln dürfte.) Ja, dieses Gesetz bildet geradezu die Grund- lage der von BEHrınG und EnrricH bis ins feinste Detail ausgebildeten Methode der Wertbestimmung des Diphtherieheilserums, die mit einem Fehler von !/,°), bis höchstens 1°/, arbeitet und somit manchen rein chemischen mab- oder gewichtsanalytischen Bestimmungsmethoden an Genauigkeit nichts nachgibt. Wir werden dieses Prüfungsverfahren des Diphtherieserums in einer Quantitative der nächsten Vorlesungen noch genauer kennen zu lernen haben; Kr heute wollen wir uns nur noch mit der Frage beschäftigen, welche Antikörper quantitativen Gesetze denn die Vereinigung der anderen Antikörper, wie Agglutinine, Präzipitine usw. mit ihren jeweiligen Muttersubstanzen beherrschen. Wenn nun auch die Untersuchungen über diesen Punkt begreif- licherweise bei weitem nicht in gleicher Zahl und mit gleicher Sorgfalt angestellt worden sind wie bei den praktisch so wichtigen Toxinen, so kann doch andererseits kein Zweifel bestehen, daß das Gesetz der Multipla auch hier strenge Gültigkeit besitzt und dab also, wenn zur Agglutination einer bestimmten Bakterienmenge beispiels- weise a ccm eines gegebenen Immunserums erforderlich sind, für die doppelte Bakterienmenge 2a, für die zehnfache ceteris paribus, d.h. bei gleichbleibenden Konzentrationsverhältnissen, 10a ccm verbraucht werden. Trotzdem sind jedoch die Bindungsverhältnisse gerade bei den Agglutininen und Präzipitinen durch solche interessante Besonderheiten ausgezeichnet, daß wir nicht umhin können, auch hierauf etwas näher einzugehen. Wir haben bereits kurz angedeutet, daß sich diese Arten von Antikörpern viel mehr zum Studium gewisser quantitativer Beziehungen eignen, als beispielsweise die Antitoxine. Der Grund hiervon ist leicht einzusehen. Denn sowohl bei den Agglutininen als bei den Präzi- pitinen ist es ohne weiteres möglich, das Reaktionsprodukt, die mit Agglutinin beladenen Bakterien oder die mit dem Präzipitin in Ver- bindung getretenen gefällten Substanzen von der Suspensionsflässigkeit zu trennen und diese letztere daraufhin zu untersuchen, wieviel wirk- samer Substanz hierbei unverbraucht in Lösung geblieben ist. Bei den Antitoxinen hingegen, wo das Reaktionsprodukt, die ungiftige Ver- 1) Nur die Frage, ob auch die Antiendotoxine dem Gesetz der Multipla gehorchen, ist derzeitig noch strittig, wird jedoch von BeskEDKkA und MAoFADYEN bejaht. 204 XIll. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. | bindung von Toxin und Antitoxin, häufig ebenso löslich ist wie die beiden Komponenten, ist natürlich eine solche Trennung nicht durch- zuführen, und es gelang daher auch nicht, darüber Aufschluß zu ge- winnen, ob sich das Toxin nur in einem einzigen oder in verschiedenen Mengenverhältnissen mit dem Antitoxin zu vereinigen vermag, eine Frage, über welche wir hingegen bei den Agglutininen und Präzipitinen recht gut orientiert sind. Absorptions- Bezeichnet man mit EisENBERG und VoLK, den Autoren, welche ns sich besonders um die Klarlegung dieser Verhältnisse verdient gemacht haben, jene Quantität Immunserum als Agglutinineinheit, welche eben imstande ist, eine bestimmte, in 1 ccm Flüssigkeit aufgeschwemmte Bakterienmenge zu agglutinieren, so ist also die Frage die, ob die Bindungsfähigkeit dieser letzteren nur eine oder aber eine größere Anzahl von Agglutinineinheiten beträgt. Die beistehende kleine Tabelle gibt Antwort hierauf. Dieselbe ist einer Arbeit der genannten beiden Forscher entnommen und enthält in ihrem ersten Stabe jene in Agglutinineinheiten ausgedrückten Serummengen, die mit 1 ccm der erwähnten Bakterienaufschwemmung — es handelt sich um Bact. typhi abdomin. — in Berührung gebracht wurden; der zweite Stab gibt an, wie viele Agglutinineinheiten von den Bakterien gebunden wurden, der Absorptions- dritte enthält die entsprechenden Absorptionskoeffizienten, Kofi d.h. die Verhältniszahlen der absorbierten zu den hinzugefügten Agglu- tininmengen. Absorptionsverhältnisse d. Zoroaster-Ser. III. Aggl. Wert: 45000 Agg.-E. Agglutinations- Agglutinations- Absorptions- einheiten zugesetzt einheiten absorbiert koeffizienten 2 > 1,0 22 22 1,0 45 45 1,0 75 16) 1,0 90 89 0,99 225 210 0,93 450 400 0,88 2 250 1 650 0,73 11 250 6 750 0,60 22 500 12 500 0,56 45 000 22 500 0,50 | | | Zahl der ab- Wie man sieht, ist die Agglutininmenge, die von 1 ccm der ge- Vereee nannten Bakterienaufschwemmung absorbiert werden kann, eine ganz einheiten. kolossale und beträgt bestenfalls bis 22500 Agglutinineinheiten; ver- mutlich ist jedoch auch hiermit noch nicht das mögliche Maximum er- reicht. Bei den Präzipitinen und den hämolytischen Ambozeptoren liegen die Verhältnisse ganz ähnlich, nur daß hier das absorbierte Mul- tiplum der einfach präzipitierenden Dosis niemals so hohe Werte er- reicht, als bei den Agglutininen. So fand P. Th. MÜLLER, daß das Kasein nur etwa 8—10mal so viel Präzipitin zu binden vermag, als zu seiner Fällung eben erforderlich ist. Es sei übrigens hier schon be- merkt, daß diese hohe Absorptionsfähigkeit der Bakterien für Agglutinin durchaus keine konstante Eigenschaft darstellt, sondern für die ver- schiedenen Bakterienstämme derselben Art recht verschiedene Werte besitzt und auch direkt, auf experimentellem Wege, beeinflußt werden | % XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 205 kann. Wir werden auf diese theoretisch nicht unwichtigen Verhältnisse noch zurückzukommen haben. Unterziehen wir nun auch die letzte Kolonne der EıisENBERG- Vorkschen Tabelle einer näheren Betrachtung, so finden wir in der- selben eine weitere interessante Tatsache sich aussprechend: die Tat- sache nämlich, daß die Absorption nur bis zu einem gewissen, maxi- malen Agglutininzusatz eine — praktisch genommen — vollständige ist, daß sie aber von dieser Grenze ab, trotz zunehmenden abso- luten Wertes, immer unvollständiger wird und immer größere Agglu- tininmengen in der überstehenden Flüssigkeit zurückläßt. An dem Absorptionskoeffizienten äußert sich diese Tatsache in der Weise, daß derselbe nur unterhalb der erwähnten Grenze den maximalen möglichen Wert 1 besitzt, oberhalb derselben jedoch mit steigendem Asgglutinin- zusatz immer mehr abnimmt und schließlich nur noch die Hälfte des ursprünglichen Wertes beträgt. Wie ist nun diese Tatsache, die auch für die Präzipitine zu Recht besteht, zu erklären? Wie ist es zu deuten, daß ein und dieselbe Bakterienmenge, welche, wie wir bereits wissen, mindestens 22500 Ag- glutinineinheiten zu binden vermag, von 22500 dargebotenen Einheiten trotzdem nur 1650, von 22500 nur 12500 absorbiert und nicht die gesamte zur Verfügung stehende Agglutininmenge verankert? Da liegen nun verschiedene Möglichkeiten vor. Übersetzen wir diese Tatsachen in die Sprache der Chemie, so besagen dieselben nichts anderes, als daß sich zwei verschiedene Sub- stanzen, die sich unserer Annahme nach miteinander zu verbinden ver- mögen, das Agglutinin und die agglutinierbare Substanz der Bakterien- leiber, unter Umständen nicht vollkommen und restlos miteinander ver- einigen, sondern daß ein gewisser Teil derselben unverbunden neben- einander bestehen bleibt. In dieser Form ausgesprochen, verlieren aber die genannten Beobachtungen alles Auffallende und Besondere, wenn wir uns daran erinnern, dab ja ähnliche Erscheinungen in der reinen Chemie unzählige Male beobachtet werden und durch das GULDBERG- Wuaasesche Gesetz der Massenwirkung ihre theoretische Erklärung finden. Dieses Gesetz, welches, wie sein Name verrät, die Abhängigkeit des Verlaufes chemischer Reaktionen von den Mengenverhältnissen der in Aktion tretenden Komponenten zum Ausdruck bringt, sagt nun folgen- des hierüber aus: treten n Moleküle des Stoffes a mit m Molekülen des Stoffes b zu o Molekülen der Verbindung ce zusammen, und seien Ca, ©, und c. die jeweiligen Konzentrationen dieser drei Substanzen, so gilt für den endlichen Gleichgewichtszustand, also für den Zeitpunkt, wo das ganze chemische System zur Ruhe gekommen ist, die Gleichung (Ca)? + (p)® (Ce)® wobei k eine nur von der Natur der reagierenden Stoffe und von der Temperatur abhängige Konstante bedeutet. Tritt nur je ein Molekül der drei Substanzen in Aktion, lautet also die chemische Reaktions- gleichung einfach a—+ b = c, so vereinfacht sich auch der obige Aus- druck des Massenwirkungsgesetzes noch ganz bedeutend und wird ik an ® — x. In Worten ausgedrückt: nach Eintritt des Gleichgewichts- c zustandes steht das Produkt der noch vorhandenen Mengen beider an Unvoll- ständigkeit der Ab- sorption. Chemisches Massen- wirkungs- gesetz. 206 XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. der Reaktion beteiligten Komponenten a und b zu den entstandenen Mengen der Verbindung e in einem bestimmten, festen Verhältnis, das nur bei Änderung der Temperatur eine Verschiebung erfährt. Von dem Werte, den die Konstante k besitzt, hängt nun, wie wir gleich sehen werden, die Vollständigkeit resp. Unvollständigkeit ab, mit welcher die Reaktion a + b = ce verläuft. Inter- Hat k irgend einen beliebigen, aber endlichen Wert, so müssen nun natürlich auch, damit die obige Gleichung erfüllt sein kann, c,, c, und c, endliche, von Null verschiedene Größen sein; dann werden aber endliche Mengen der drei Substanzen a, b und c gleichzeitig nebeneinander exi- stieren und miteinander im Gleichgewicht stehen — mit anderen Worten, die Reaktion a—+ b = c verläuft dann nicht bis zur möglichst voll- ständigen Vereinigung von a und b, sondern macht schon früher Halt. Ist k unendlich klein oder gleich Null, dann muß natürlich auch der Quotient u. gleich Null werden; da nun c. der Natur der c Sache nach nur endliche und niemals unendlich große Werte annehmen kann, so ist dies nur möglich, wenn entweder c, oder c, oder aber beide Konzentrationen gleichzeitig gleich Null sind; das heißt aber nichts anderes, als daß unsere Reaktion so weit verläuft, bis der eine oder andere Stoff vollkommen aufgebraucht und verschwunden ist: mit anderen Worten, die Reaktion verläuft vollständig. Ist endlich drittens k unendlich groß, dann muß c. unendlich klein —= 0 werden. Dann tritt also eine Verbindung der beiden Stoffe a und b miteinander über- haupt nicht ein, sondern dieselben bleiben unverändert nebeneinander bestehen. Bemerkt sei hierzu nur noch, daß sich die beiden äußersten Grenz- fälle k=0 und k=o, wie das ja stets in der Natur der Fall ist, niemals in voller Strenge realisiert finden, sondern daß es sich nur darum handeln kann, daß k bald außerordentlich groß, bald sehr klein ist; dementsprechend gibt es im strengsten Sinne des Wortes über- haupt keine vollständig verlaufenden Reaktionen, und auch für die so energisch erfolgende Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff muß man annehmen, daß hierbei Spuren beider Elemente im freien Zu- stande übrig bleiben, wenn sie auch mit unseren Methoden nicht mehr nachweisbar sind. Vollständig und unvollständig verlaufende Reaktionen bilden daher keine prinzipiellen Gegensätze, sondern sind nur aus prak- tischen Gründen einander gegenübergestellt worden und sind durch eine schier unermeßliche Zahl von Zwischenstufen miteinander ver- bunden, die durch die vielen, zwischen Null und Unendlich variierenden Werte der Gleichgewichtskonstanten k bestimmt werden. Anwendung Machen wir nun die Nutzanwendung auf die quantitativen Bin- auf die. dungsverhältnisse bei der Agglutination, so brauchte es nach dem eben Area" Gesagten nur der Annahme, daß die Gleichgewichtskonstante k bei der Reaktion zwischen Bakteriensubstanz und dem Agglutinin einen gewissen endlichen, von Null verschiedenen Wert besitzt, um die beobachteten Tatsachen der unvollständigen Absorption verständlich zu machen. Aber auch, wenn man an einer — praktisch genommen — voll- ständigen Vereinigung der miteinander reagierenden Komponenten fest- hält, wäre eine Deutung der beobachteten Absorptionsverhältnisse nicht unmöglich. Wir haben bis jetzt immer stillschweigend vorausgesetzt, daß es sich bei der Agglutination resp. bei der Eiweißpräzipitation um die XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 207 Einwirkung zweier einheitlicher Substanzen aufeinander handle, und diese Annahme war es auch, welche die Heranziehung des GULDBERG- Waageschen Massenwirkungsgesetzes und die Anwendung der oben mitgeteilten mathematischen Formel ermöglichte. Wir haben demgemäß stets von „dem“ Agglutinin und von „der“ agglutinierbaren Substanz gesprochen. Dennoch ist diese zunächst nur zum Zwecke der ein- facheren Darstellung gemachte — Voraussetzung sicher unzutreffend. Schon durch die Arbeiten von EurtLicn und seinen Schülern war der experimentelle Nachweis erbracht worden, daß die durch Ein- spritzung des Blutes fremder Tierspezies erhaltenen hämolytischen Immunkörper nicht einheitlicher Natur sind, sondern sich aus einer Reihe von Partialambozeptoren zusammensetzen; ebenso entsteht gleich- zeitig auch eine Vielheit von Partialhämagglutininen, die sich durch bestimmte, hier nicht näher zu besprechende Absorptionsverfahren von- einander trennen lassen. Es war also per analogiam mit Sicherheit zu erwarten, dab auch die Bakterienagglutinine keine einheitlichen Sub- stanzen sein würden, sondern daß in den Immunseris eine Reihe ver- schiedener Teilagglutinine enthalten sein dürfte, und dieselbe Komplexität war mit größter Wahrscheinlichkeit auch für die agglutinierbaren Sub- stanzen der Bakterienleiber anzunehmen. Für die den Agglutininen nahestehenden Präzipitine und die präzipitablen Eiweißkörper hat v. DUNGERN diesen tatsächlichen Nach- weis erbracht und gezeigt, daß auch hierbei eine Vielheit von reagierenden Stoffen mit entsprechend verschiedenen Affinitäten ins Spiel kommen. Damit gewinnt aber das Phänomen der unvollständigen Absorption des Agglutinins durch die Bakterien ein ganz anderes Ansehen und wird, wie wir gleich zeigen wollen, auch unter der Annahme verständlich, Partial- agglutinine und Agglu- tinogene. v. Dun- gerns Deu- tung der unvoll- ständigen daß die verschiedenen Teilagglutinine des Serums sich mit den ihnen Absorption. entsprechenden Agglutinogenen vollständig — und wenigstens für unsere Methoden — restlos vereinigen. Es seien nämlich in den Bakterienleibern zwei voneinander ver- schiedene, agglutinierbare Substanzen A und B, und zwar, wie wir der Einfachheit halber annehmen wollen, in gleicher Menge vorhanden. Diesen mögen die Agglutinine a und b in dem betreffenden, zum Ver- suche dienenden Immunserum entsprechen. Nun haben die mannig- faltigsten Erfahrungen gelehrt, dal die Fähigkeit der verschiedenen Substanzen, Antikörper zu produzieren, eine sehr verschiedene ist und daß hierbei sehr bedeutende quantitative Unterschiede zu gewärtigen sind, so dal wir also mit Recht annehmen dürfen, daß die Agglutinine a und b sich in unserem Serum in anderen Mengenverhältnissen vor- finden werden als die Agglutinogene in den Typhusbazillen. Wir wollen, um die Unterschiede recht kraß zu machen, annehmen, daß von b zehn- nal soviel in dem Typhusserum enthalten sei als von a. Dann ergeben sich aber die folgenden Neutralisationsverhältnisse. Enthält die zum Versuch verwendete Bakterienmenge etwa je 100 Moleküle der Agglu- tinogene A und B, und setze ich zunächst 100b in Form des Immun- serums hinzu, so werden sich diese 100 Agglutininmoleküle mit den 100 B vereinigen und somit alle Agglutinogene B abgesättigt erscheinen. Nicht so die Agglutinogene A; denn unser Serum enthält auf 100 b nach unserer Voraussetzung nur 10 a, und es müssen somit 100 — 10 — 90 Moleküle A unbesetzt bleiben und imstande sein, weiteres Aggluti- nin a aufzunehmen. Füge ich daher zu obiger Mischung weiter Immun- serum hinzu, so wird folgendes eintreten: von den zugesetzten Aggluti- Koexistenz von unver- bundenen Antigenen und Anti- körpern. v. Dun- gerns Ver- suche. 208 XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. ninmolekülen a werden noch 90 gebunden werden können, von den gleichzeitig mit eingeführten Molekülen b jedoch kein einziges mehr, da alle Agglutinogene B bereits besetzt sind; habe ich also etwa 5a mit dem Serum hinzugebracht, so werden diese vollkommen ab- sorbiert, die dazugehörigen 50 b jedoch freigelassen, und wir haben somit das scheinbar paradoxe Phänomen, daß eine bestimmte Bakterien- menge, die im ganzen 200 Moleküle Agglutinin (nämlich 100a—+ 100b zu binden vermag, trotzdem von ihr dargebotenen 165 (d. i. 15a —- 150 N nur 115 (d. i. 15a +100b) Agglutininmoleküle absorbiert und 50 (b) im ungebundenen Zustand zurückläßt. Das ist aber das von EisEN- BERG und VOLK beobachtete Phänomen. EisENBERG hat nun in seinen Beiträgen zur Kenntnis der spezi- fischen Präzipitationsvorgänge mitgeteilt, daß sich in den von ihm unter- suchten Fällen stets neben dem Reaktionsprodukt, dem Präzipitum, Über- schüsse beider reagierender Substanzen in Lösung vorfinden, welche sich durch neuerlichen Zusatz der einen oder anderen Komponente nach- weisen lassen; es ist das ein vollkommenes Analogon der bei der Ag- glutination gefundenen Bindungsgesetze, und EISENBERG steht demnach auch nicht an, zu ihrer Erklärung das Massenwirkungsgesetz in der oben dargelegten Weise heranzuziehen. | Es hat sich aber merkwürdigerweise herausgestellt, daß andere Arten von Präzipitinen sich in dieser Hinsicht ganz abweichend ver- halten. P. Tu. MÜLLER hat die Bindungsverhältnisse des Laktoserums näher untersucht und hat gefunden, daß hier eine Zone, innerhalb welcher Kasein und Präzipitin nebeneinander in Lösung wären, entschieden nicht existiert. Zu dem gleichen Resultate kam v. DUNGERN, der mit Prä- zipitinen arbeitete, die gegen das Blutplasma gewisser Cephalopoden und kurzschwänziger Krebse gerichtet waren. In Lösung bleibende Über- schüsse beider reagierender Körper nebeneinander waren in keinem der von ihm untersuchten Fälle zu konstatieren, und beide Substanzen mußten sich also vollkommen quantitativ miteinander vereinigt haben, um in Form des Präzipitates aus ihrer Lösung auszufallen. Nur in den Seris von Kaninchen, welche eine große Menge von fremdem Blutplasma auf einmal injiziert erhalten hatten, konnte v. Dunx- GERN das EısEnßer@sche Phänomen beobachten, indem dieselben neben dem neugebildeten Präzipitin eine Zeit lang noch einen Teil der ein- geführten präzipitablen Substanz enthielten; diese Sera gaben dann sowohl mit der betreffenden fremdartigen Eiweißlösung als auch mit dem ent- sprechenden Präzipitinserum einen Niederschlag. Gerade für diese Fälle konnte nun aber v. DuUxGErN den Nachweis führen, daß es sich hierbei um eine Mehrheit von Präzipitinen handelte und daß diese Sera gar nicht zwei miteinander reaktionsfähige Sub- stanzen enthielten. Seien nämlich Pa und Pb die beiden Partial- präzipitine, a und b die beiden in dem fremden Blutplasma vorhandenen präzipitablen Substanzen, so konnte v. DuxGEern mit Hilfe von Ab- sorptionsversuchen dartun, daß stets nur Pa und b oder Pb und a sleichzeitig anwesend waren, niemals aber die einander zugehörigen Pa und a oder Pb und b. Damit ist aber wenigstens für eine Anzahl von Präzipitinen der Nachweis erbracht, daß deren Re- aktion mit den entsprechenden Eiweißkörpern voll- ständig und quantitativ verläuft, und man konnte daher wohl daran denken, daß auch die scheinbar unvollständige Bindung, ni XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 209 die EISENBERG und VoLK bei den Agglutininen beobachtet hatten, in der eben dargelegten Weise durch eine Vielheit der reagierenden Sub- stanzen zu erklären sein könnte. Übrigens ist ja der Gegensatz zwischen den beiden besprochenen Deutungen insofern keineswegs ein prinzipieller, als beide die Anwendbarkeit des Massenwirkungsge- setzes auf den Absorptionsvorgang der Agglutinine voraussetzen, denselben also als chemischen Prozeß auffassen und sich nur durch die verschiedene Bewertung der cha- rakteristischen Gleichgewichtskonstanten k voneinander unterscheiden. Gerade gegen die Richtigkeit dieser Voraus- Einwände setzung, die in der Absorption des Agglutinins Äne durch die Bakterien einen rein chemischen Vorgang Frklärung sieht, sind nun aber gewichtige Bedenken laut ge- sorption. worden. Wäre nämlich die Bindung des Agglutinins, wie wir bis jetzt angenommen haben, durch chemische Kräfte bedingt, so wäre notwendigerweise zu erwarten, daß mit steigender Konzentration des- selben schließlich eine Sättigung der Bakterien stattfinden würde, der- art, daß ein weiterer Agglutininzusatz von keiner Absorption mehr ge- folgt wäre. Die absorbierte Agglutininmenge müßtesich demnach mit steigender Serumkonzentration einem Grenzwerte nähern. Von einem solchen Grenzwerte ist aber bei den Versuchen von EISENBERG und Vork nichts zu erkennen, obwohl die Zahl der mit den Bakterien in Berührung gebrachten Agglutinin- einheiten von 2 auf 45000 gesteigert wurde, also ein kolossaler Über- schuß an Agglutinin in Verwendung kam. Es lassen sich nun aber die eigentümlichen Absorptionsverhältnisse vr der Agglutinine auch noch von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus rn betrachten, nämlich von dem Gesichtspunkte des Verteilungsge- setzes aus, das wir bereits in einer unserer ersten Vorlesungen kennen gelernt haben. ARRHENIUS hat nämlich darauf hingewiesen, daß die Zahlen von EISENBERG und VoLK die Annahme gestatten, daß das Agglu- tinin sich zwischen den Bakterienleibern und der Sus- pensionsflüssigkeit in ähnlicher Weise verteilt, wie etwa Benzoesäure zwischen zwei Lösungsmitteln, zwischen Wasser und Benzol, und hat sogar aus diesen Zahlen eine dementsprechende Formel abgeleitet, die folgendermaßen lautet: (Konzentration der Agglutinine in den Bakterien)? — Konstant. (Konzentration der Agglutinine in der Flüssigkeit)? Wie genau diese Formel den Beobachtungen entspricht, mag nach- stehende kleine Tabelle lehren: Absorbierte Agglutinine Agglutinations- einheiten zugesetzt beobachtet berechnet 2 2 1,98 20 20 19,3 40 40 37,9 200 180 180,3 400 340 347,1 2 000 1 500 1522 10 000 6 500 6110 20 000 11 000 10 840 Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 14 210 XII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. Ganz analoge Berechnungen hat übrigens ARRHENIUS auch be- züglich der hämolytischen Ambozeptoren und ihrer Absorption durch die roten Blutkörperchen angestellt und ist auch hier zu dem gleichen Er- gebnis gelangt, wie bei den Agglutininen. Hiernach hätte man also in der Absorption der Physika- Agglutinine durch die Bakterien nicht einen chemi- ce as schen, sondern einen physikalischen, durch die Lös- Ben lichkeitsverhältnisse bedingten Vorgang zu sehen, und gerade die große Geschwindigkeit, mit welcher diese Absorption vor sich zu gehen pflegt — sie hat meist schon nach wenigen Minuten ihr Ende erreicht — ist nach ARRHENIUS mit dieser Anschauung in bester Harmonie, während die Aufnahme eines Farbstoffes durch eine pflanzliche oder tierische Faser, mit der BorpET die Agglutininbindung verglichen hat, sehr langsam vor sich geht und bei Zimmertemperatur über zwei Tage in Anspruch nimmt. Nur die Spezifität der Agglutinationsreaktionen bietet für diese Auffassung gewisse Schwierigkeiten dar, welche ARrRHENIUS durch die Annahme zu beheben sucht, daß die Zellmembran z. B. des Typhus- bazillus nur für Typhusagglutinin durchgängig sei, andere Agglutinine aber nicht passieren lasse, daß also mit anderen Worten eine spezi- fische Permeabilität der Membran für die betreffenden Antikörper bestehe. Agglutinin- Die überraschend gute Übereinstimmung, die, wie wir gesehen er haben, zwischen den beobachteten Tatsachen und den auf dem Ver- phänomen. tejlungsgesetze fußenden Berechnungen von ARRHENIUS besteht, darf nun aber durchaus nicht dazu verführen, die Deutung, die der genannte große Physiker den vorliegenden Absorptionsphänomenen zuteil werden ließ, als sicher bewiesen und unumstößlich zu betrachten. Genau die gleiche Formel gilt nämlich — wie BıLrz hervorgehoben hat — auch für einen ganz anderes gearteten physikalischen Vorgang, nämlich für die sogenannte Adsorption, wie sie z. B. beim Schütteln einer Ei- weißlösung mit fein gepulverter Kohle beobachtet wird. Viele For- scher stehen denn auch nicht an, die Bindungsreaktionen zwischen Agglutininen und Bakterien als Adsorptionsphänomene zu deuten, die sich ja nicht selten zwischen Stoffen kolloider Natur abzuspielen pflegen. Diese mathematischen und physikalisch-chemischen Betrachtungen führen somit dazu, einen Unterschied zwischen denin Lö- sung, alsoin homogenen Systemen vor sich gehenden Reaktionen der Toxine mit ihren AÄntigenen und zwi- schen den in heterogenen Systemen sich abspielenden Absorptionsphänomenen der Agglutinine und hämoly- tischen Ambozeptoren zu statuieren. Während die erst- genannten Prozesse, wie bereits früher auseinandergesetzt wurde, meist als rein chemische angesehen werden, kämen nach ARRHENIUS u. A. bei der Absorption der Antikörper durch Erythrozyten oder Bakterien physikalische Kräfte in Betracht. — Da es nun aber zweifel- los eine große innere Unwahrscheinlichkeit in sich birgt, anzunehmen, dal sich die sonst so nahe miteinander verwandten Antikörper gerade in einem so wesentlichen Punkte, wie in ihren Beziehungen zu den Antigenen, von einander unterscheiden sollten, so haben manche For- scher versucht, auch die Reaktionen zwischen Toxin und Antitoxin als lediglich physikalische, zwischen Kolloiden sich abspielende Adsorptions- XIII. Natur und quantitativer Verlauf der Bindung. 211 vorgänge zu deuten, ohne freilich für die Tatsache der Spezifität irgend eine plausible Erklärung geben zu können. Demgegenüber sei nun Chemische darauf hingewiesen, dab man sich über diese Schwierigkeit vielleicht er zweckmäßiger durch die Annahme hinweghelfen kann, daß zwar bei der Aufspeicherung der Agglutinine und Ambozep- toren in den Zellen physikalische Kräfte tätig seien, daß sich daran aber unbedingt chemische Bindungs- vorgänge anschließen müssen. Denn nur die Existenz ausgesprochen chemischer Affinitäten wäre geeignet, bei dem heutigen Stande unseres Wissens die Spezifi- tät der Serumreaktionen begreiflich zu machen. Damit wäre aber einerseits die Einheitlichkeit der Re- aktionen zwischen Antigenen und Antikörpern gewahrt und andererseits doch den Besonderheiten Rechnung getragen, welche durch die Zellenstruktur der Bakterien und roten Blut- körperchen bei ihrer Wechselwirkung mit den entsprechenden Immunsubstanzen bedingt werden. Wir kommen übrigens auf die hier gestreiften Fragen in einem späteren Kapitel, das den Agglutinations- und Präzipitationsvorgängen gewidmet ist, nochmals zu sprechen. Literatur. Eurrich, Deutsche med. Wochenschr., 1891. Kosser, Berl. klin. Wochenschr., 1898. Myers, Trans. of the Path. Soc. of London, Vol. LI, 1900. STEPHEns und Myers, Journ. of Anat., Vol. XXIII, 1898. CALmeTTEe, Le venin des serpents, Paris 1896. WasserMann, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXII, 1896. MARTIN und CHeERRY, Proceed, of the Royal Soc., Vol. LXIII, 1898. MOoRGENROTH, Berl. klin. Wochenschr., 1905. Kyss und Sachs, Berl. klin. Wochenschr., 1903. Erkrich und MorgenkotH, Berl. klin. Wochenschr., 1899 und 1900. Hans und TRomMsDoRFF, Münch. med. Wochenschr., 1900. Mürzer, P. Tu., Arch. f. Hyg., Bd. XLIV, 1902; Münch. med. Wochenschr. 1902. Bonstem, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIV, 1898. CoßEeTtT und Kanrtuack, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIV, 1898. Eisengere und Vork, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XL, 1902. Axrnenıvus, Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. XLVI. Neısser, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXVI, 1904. MüLer, P. Tu., Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXIV, 1903. Joos, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXIII, 1903. v. DungeErn, Zentralbl. f. Bakt.. Bd. XXXIV, 1903. EıisenBers, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXI. 1902. ARRHEnIUs und Mapsen, Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. XLVI, 1903. ARRHEnIUs, Immunochemie, Leipzig. Akadem. Verlagsges., 1907. 14* XIV. Quantitativer Verlauf der Bindung zwischen Toxin und Antitoxin. II. EnrLichs Toxinanalyse. Die mannigfaltigen Kenntnisse, die wir in den vorhergehenden Vorlesungen über Natur und Eigenschaften der Antikörper gesammelt haben, setzen uns nun auch in die Lage, etwas tiefer in die Analyse der Toxine einzudringen. Auch hier, wie auf so manchen anderen Ge- bieten der Immunitätslehre, verdanken wir Enrtichs Scharfblick die ersten präzisen Fragestellungen und grundlegenden Aufschlüsse. Nun beruhen die überaus eingehenden und mühevollen Unter- suchungen des genannten Forschers fast durchweg auf einem genauen quantitativen Studium der Neutralisationsverhältnisse zwischen Toxin und Antitoxin. Da aber begreiflicherweise ein solches Studium ohne Fest- legung von geeigneten und immer wieder leicht zu rekonstruierenden Maßeinheiten kaum möglich erscheint, so müssen wir zunächst die Me- Wet- thoden der Wertbemessung toxin- und antitoxinhaltiger Flüssig- bemesup8 Keiten etwas näher kennen zu lernen suchen, die für den Arzt von um und Anti: so größerem Interesse sein dürften, als sie ja tagtäglich auch zu prak- tischen Zwecken, nämlich zur Prüfung und Bewertung der in den Handel kommenden Heilsera, ausgedehnte Anwendung finden. Wir werden uns hierbei im folgenden fast durchweg auf die Be- sprechung des Diphtherietoxins und -antitoxins beschränken können, welche weitaus am eingehendsten studiert worden sind und bei welchen die Analyse bis jetzt die meisten theoretisch interessanten und praktisch wichtigen Tatsachen zutage gefördert hat. Physiolo- Als natürliche, physiologische Gifteinheit kann man nun er “ jene in Kubikzentimetern ausgedrückte Toxinmenge betrachten, die eben hinreicht, um ein 250 g schweres Meerschweinchen — das Tier, das fast ausschließlich zur Analyse des Diphtheriegiftes Anwendung findet — im Verlaufe von 4—5 Tagen sicher zu töten. Diese Toxinmenge be- zeichnet man als dieeinfachletale Dosis. Enthält eine Giftbouillon in einem Kubikzentimeter 100 letale Dosen, so nennt v. BEHRING die- Normalgift- selbe eine Normalgiftlösung und kennzeichnet dieselbe durch die sung. folgende abgekürzte Schreibweise: DTN,M,,., welche bedeutet: Diph- therietoxin, normal, einfach, bezogen auf Meerschweinchen von 250 g Körpergewicht. Von diesem Normalgift genügen somit 0,01 ccm zur tödlichen Vergiftung der Versuchstiere. Würden von irgend einem an- deren Diphtherietoxin hierzu nicht 0,01, sondern etwa nur 0,005 ccm, also die Hälfte, erforderlich sein, wie von dem Normalgift, so würde dieses Toxin als zweifach normales zu bezeichnen sein und DTN,M,,. geschrieben werden müssen. Ein Heilserum, von welchem 1,0 ccm imstande ist, einen Kubik- zentimeter des besagten Normalgiftes zu neutralisieren, wird als Nor- 7. ZZ A Me ee Sue re See . L w XIV. Enruıcas Toxinanalyse. 213 malserum bezeichnet und sein Gehalt an Antitoxin beträgt eine Normal- Immunitätseinheit oder kurzweg 1 1.-E. im Kubikzentimeter, Normalgift nuunitäts. und Normalserum verhalten sich daher zueinander ganz ähnlich wie in der chemischen Maßanalyse Normalsäure und Normallauge, d. h. sie sind so aufeinander eingestellt, daß gleiche Mengen der beiden Lösungen einander äquivalent erscheinen. Nun sind weder die gifthaltigen Bouillonkulturen des Diphtherie- bazillus noch die Heilsera, was ihren Wirkungswert betrifit, besonders lange haltbar, sondern nehmen allmählich an Wirksamkeit ziemlich be- trächtlich ab, ein Übelstand, der begreiflicherweise bei der rein prak- tischen Zwecken dienenden Serumprüfung ebenso mißlich ist, wie bei exakten wissenschaftlichen Untersuchungen, da sich infolgedessen ja der als Grundlage dienende Maßstab unter den Händen des Experimentators fortwährend verändert. Enurriıch hat sich daher veranlaßt gesehen, nach einem geeigneten Konservierungsverfahren für diese wirksamen Stoffe zu suchen, das eine möglichst langandauernde und zuverlässige Halt- barkeit derselben gewährleistet. Wie EnrricH betont, sind es nach den Erfahrungen der Chemie besonders folgende Momente, die eine Zerstörung derartiger labiler, leicht zersetzlicher Stoffe bedingen: 1. die Anwesenheit von Wasser, welches hydratisierend wirkt; 2. die Anwesenheit von Sauerstoff, welcher Oxy- dationsprozesse vermittelt; 3. die Einwirkung von Licht und 4. von Wärme. Die letzteren beiden Schädlichkeiten lassen sich natürlich durch zweck- entsprechende Aufbewahrung der betreffenden Stoffe an kühlem Ort und im Dunkeln ohne Schwierigkeit beseitigen. Hingegen bedarf es, wie leicht einzusehen, besonderer Maßnahmen, um auch die beiden erstge- nannten Faktoren, Wasser und Sauerstoff, in ihrer schädigenden Wirk- samkeit nach Möglichkeit auszuschalten. EHRLICH ging zu diesem Zwecke von dem trockenen Diph- therieserum aus, wie es auf v. BEHRInGs Veranlassung in den Höchster Werkstätten hergestellt wird. Dieses Trockenserum wird in einen kleinen Apparat gebracht, der aus zwei durch ein Verbindungs- stück miteinander kommunizierenden Glasröhrchen besteht, deren eines mit dem Serum, deren anderes mit dem stärksten wasserentziehenden Mittel, mit Phosphorsäureanhydrid, beschickt wird. Hierauf wird die Öffnung des Serumröhrchens abgeschmolzen, dann der Apparat voll- kommen luftleer gepumpt und schließlich das ganze System durch Ab- schmelzen des zweiten, phosphorsäureanhydridhaltigen Röhrchens von der Außenwelt gänzlich abgeschlossen. Binnen wenigen Tagen ist dann die im Trockenserum noch enthaltene geringe Wassermenge von dem Phos- phorsäureanhydrid absorbiert, und es befindet sich nun das Serum wasserfrei in einem so gut wie luftleeren Raum, der nur noch äußerste Spuren von Sauerstoff enthalten kann. In diesem Zustand behält es, wie vielfache genaue Untersuchungen gezeigt haben, seine Wirksamkeit so vollkommen bei, daß es fast auf unbegrenzte Zeiten hin gestattet, den einmal willkürlich festgelegten Einheitsmaßstab zu konservieren. Da andererseits nach dem Obigen die Toxineinheit durch ihre Be- ziehung zur Immunitätseinheit genügend charakterisiert erscheint, so ist also hiermit gleichzeitig auch der Giftmaßstab in vollkommen einwand- freier und leicht zu rekonstruierender Weise festgelegt. Soll nun der Wirkungswert irgend eines, etwa für den Handel bestimmten Diphtherieserums ermittelt werden, so bedarf es hierzu zu- nächst eines Toxins von bekanntem Gehalt, eines sogenannten Test- einheit. Konser- vierung von Toxin und Antitoxin. Testgift. Verfahren der Serum- prüfung. Les und L+- wert. 214 XIV. Euruıeas Toxinanalyse. giftes, das der Serumprüfung zugrunde gelegt werden soll. Die Aus- wertung dieses Testgiftes muß also der Serumprüfung vorhergehen, und zwar geschieht sie mit Hilfe des erwähnten trockenen Standardserums, das in einer Mischung von gleichen Teilen 10 °,,iger Kochsalzlösung und Glyzerin aufgelöst wird, derart, dal etwa 4 ccm dieser Lösung gerade eine Immunitätseinheit enthalten. Diese Flüssigkeit wird dann mit möglichst mannigfach abgestuften Giftmengen versetzt und den Versuchstieren unter die Haut gespritzt. Jene in Kubikzentimetern ausgedrückte Quantität der fraglichen Giftbouillon, welche, mit 1 L-E. gemischt, gerade eben noch imstande erscheint, ein Meerschweinchen von 250 g binnen vier Tagen zu töten, stellt dann die Testgiftdosis dar, d. h. jene Giftdosis, welche zur Serumprüfung benutzt wird. | | Die eigentliche Serumprüfung gestaltet sich dann außerordentlich einfach. Je eine Testgiftdosis wird mit 4 ccm der dem angegebenen Werte des Serums entsprechenden Verdünnung vermischt und Meer- schweinchen von 250 g Körpergewicht unter die Haut gespritzt. Ist also z. B. das aus der Fabrik zur Untersuchung kommende Heilserum angeblich ein 100 faches, so werden 4 ccm der Verdünnung 1 :400, welche gerade eine Immunitätseinheit enthalten müßten, mit der Test- giftdose versetzt. Sterben die injizierten Versuchstiere innerhalb der ersten vier Tage, so besitzt das Serum nicht die angegebene Stärke. Gehen die Tiere erst innerhalb des fünften bis sechsten Tages zugrunde, so steht dasselbe knapp an der Grenze des eben noch Zulässigen, und bleiben sie am Leben, so ist dies ein Zeichen, daß das geprüfte Serum mindestens den von der Fabrik angegebenen Wirkungswert besitzt, also nicht zu beanstanden ist. Nach genau dem gleichen Schema ist nun EnrticHh auch bei seinen Studien über die Neutralisationsverhältnisse der Toxine vorge- gangen, nur daß natürlich hier die Titrierung viel sorgfältiger und mit einer bei weitem größeren Anzahl eingeschobener Zwischenstufen aus- seführt werden mußte, als für praktische Zwecke erforderlich erscheint. Bei diesen Untersuchungen ist EHRLICH zu der Aufstellung zweier charakteristischer Grenzwerte gelangt, denen man begegnet, wenn man eine Immunitätseinheit mit stufenweise ansteigenden Giftmengen versetzt. Der eine dieser Grenzwerte, den Enrtich als Limes Null (L,) be- zeichnet, stellt jene Giftdose dar, die durch die gewählte Serummenge (1 L-E.) eben vollständig neutralisiert wird. Der andere Grenzwert hingegen, der Limes Tod (L;), entspricht jener Toxinmenge, bei welcher trotz der Anwesenheit des Antitoxins ein solcher Giftüberschuß zugegen ist, daß der Tod des Versuchstieres eben innerhalb vier Tagen eintritt, so daß also gerade die einfach letale Giftdosis manifest wird. Wie man sieht, fällt der L;-Wert nach dieser Definition vollkommen mit jener Giftmenge zusammen, welche als Testgiftdosis bei der Serumprüfung Anwendung findet. | L,-Wert, L;-Wert und einfach letale Dosis sind demnach die drei charakteristischen Größen, welche die Wirksamkeit einer Giftbouillon in ganz bestimmter und eindeutiger Weise definieren. | In welcher Beziehung stehen nun diese drei Größen zu einander? Sind sie voneinander unabhängig oder kann man von der einen auf die anderen schließen? Wir haben bereits hervorgehoben, daß bei längerem Lagern der Giftlösungen eine allmähliche, oft nicht unbeträchtliche Abschwächung e" ihrer Wirksamkeit zu beobachten ist, die naturgemäß in einer Zu- nahme der einfach letalen Dosis zum Ausdruck kommt. So war die- selbe, um nur ein Beispiel zu zitieren, bei einem von EHkLıcH genauer untersuchten Gifte unmittelbar nach seiner Gewinnung — d. h. 22 Tage nach der Impfung der Nährbouillon mit Diphtheriebazillen — zu 0,003 cem gefunden worden; °, Jahr später betrug sie bereits 0,009 ccm, war also auf das Dreifache des ursprünglichen Wertes angestiegen, so daß die Giftigkeit dieser Bouillon auf ein Drittel heruntergegangen war. Damit hatte der Abschwächungsprozeß in diesem Falle sein Ende er- reicht, denn nach weiteren ®/), Jahren zeigte sich die Toxizität dieser Giftbouillon noch vollkommen auf der gleichen Höhe. Im Gegensatz zu diesem Ansteigen der einfach letalen Dosis waren XIV. Earuıchs Toxinanalyse. 215 Ab- schwächung der Toxine. nun die anderen beiden charakteristischen Größen dieses Tloxins von Gegenseitige Anfang an vollkommen gleich und unverändert geblieben, und es be- trug speziell die L,-Dosis auch zu einer Zeit, wo die Toxizität bereits ihren niedersten Stand erreicht hatte, noch immer 0,31 ccm, wie zu Beginn. Da nun aber die L,-Dosis nach ihrer Definition ein direktes Maß für das Bindungs- oder Neutralisierungsvermögen der Giftbouillon gegenüber dem Antitoxin darstellt, so beweist die eben genannte Tat- sache, daß dieses Bindungsvermögen des Toxins nicht mit seiner Giftigkeit abgenommen hat und daß daher diese beiden Größen, die durch die einfach letale und durch die L,-Dosis repräsen- tiert werden, bis zu einem gewissen Grade voneinander unab- hängig sein müssen. EHrLIcH hat dieselbe Beobachtung bei einer großen Zahl von Diphtheriegiften immer wieder zu machen Gelegenheit gehabt, so daß also die Richtigkeit der eben gezogenen Schlußfolgerung keinem Zweifel unterliegen kann. Man kann übrigens auch noch auf einem anderen Wege zu genau demselben Resultate gelangen. Vergleicht man nämlich die Anzahl der letalen Dosen, die bei Giften verschiedener Provenienz durch eine Immunitätseinheit abgesättigt werden, so findet man durchaus nicht immer die zu Beginn dieser Vorlesung angenommene Zahl 100, sondern man beobachtet oft ganz außerordentlich große Diffe- renzen, die durch die beiden Extreme von 15 und 160 letalen Dosen genügend charakterisiert sein dürften. Auch hieraus wird man wieder den Schluß ableiten müssen, dab Giftigkeit und Bindungsvermögen bei den Toxinen durchaus nicht parallel zu verlaufen brauchen und daß daher bei gleicher Toxizität zweier Giftlösungen ihre neutralisierende Fähigkeit sehr verschie- den sein kann. Ist dies aber der Fall, dann leuchtet ein, daß unsere als Standard aufgestellte Immunitätseinheit, die ja gerade dadurch definiert wurde, daß sie 100 tödliche Dosen eines bestimmten Toxins zu neutralisieren vermochte, nur eine rein willkürlich und zufällig gewählte Größe darstellt, die eben einem einzigen, Euktıch damals zur Ver- fügung stehenden Gifte gegenüber diese Bedingung erfüllt, und die jetzt, dank der geschilderten außerordentlich zuverlässigen Konservierungs- methode des Trockenserums, mit Leichtigkeit immer wieder reproduziert werden kann. Wie haben wir uns nun diese merkwürdige Unabhängigkeit von Giftwirkung und Bindungsvermögen bei den Toxinen zu erklären? Unabhängig- keit von Giftigkeit und Neutra- lisierungs- vermögen. Wir haben bereits in früheren Vorlesungen ausführlich auseinander- Konstitution gesetzt, daß wir allen Grund zu der Annahme haben, daß die Entgif- es Toxins. nn — Haptophore Gruppen des Toxins. Toxophore Gruppen des Toxins. Toxoide, 216 XIV. Earrıcas Toxinanalyse. tung des Toxins durch das Antitoxin auf einem chemischen Bindungs- vorgange beruht, der mit der Neutralisation einer Säure durch eine Base in Parallele gesetzt werden kann. Da nun eine derartige chemische Einwirkung zweier Stoffe aufeinander ohne die Existenz besonderer auf- einander passender Atomgruppierungen kaum denkbar erscheint, so müssen wir daher, ebenso wie wir dies früher für die Komplemente und Ambozeptoren getan haben, auch für die Toxine und Antitoxine das Bestehen besonderer haptophorer Gruppen voraussetzen, mit welchen sich diese beiden Antagonisten aneinanderlagern und so zu einer inaktiven Verbindung vereinigen. Wenn nun ein bestimmtes Toxin auch nach jahrelanger Aufbe- wahrung sein Bindungsvermögen noch vollkommen unverändert bewahrt hat und noch genau dieselbe L,-Dosis aufweist wie unmittelbar nach seiner Gewinnung, so heißt das im Sinne der obigen Auseinandersetzungen nichts anderes, als daß während dieser ganzen Zeit kein Verlust an haptophoren Gruppen eingetreten sein kann, sondern dab dieser wesentliche Bestandteil des Toxinmoleküls gänzlich intakt ge- blieben sein muß. Hingegen hat, wie wir gesehen haben, die toxische Wirkung der Giftbouillon schon nach ®/, Jahren eine sehr bedeutende Verminderung erfahren. Somit muß dieselbe notwendigerweise an einen anderen Atomkomplex geknüpft sein, als die antitoxinbindende Fähigkeit des Giftmoleküls, und wir gelangen daher auf Grund dieser Überlegung ganz von selbst zu der Annahme einer zweiten Gruppe, die wir als die Trägerin der Giftwirkung anzusehen haben und mit EHrricH als die toxophore Gruppe bezeichnen wollen. Demgemäß hätten wir also an dem Toxinmolekül eine hapto- phore und eine toxophore Gruppe zu unterscheiden. Nur die letztere ist es offenbar, welche bei dem Lagerungsprozeß der Giftbouillon all- mählich zugrunde geht, während die haptophore Gruppe dabei, wie schon früher ausführlich begründet wurde, vollkommen intakt und bindungs- fähig bleibt. Diese relativ große Unabhängigkeit der beiden charakte- ristischen Gruppen des Toxinmoleküls voneinander macht es wohl voll- kommen begreiflich, wie es möglich ist, daß ein Gift unter Erhaltung seiner neutralisierenden Eigenschaften in eine ungiftige oder weniger giftige Modifikation übergehen kann, und die spontane Abschwächung des Diphtheriegiftes stellt sich uns demgemäß prinzipiell als ein ganz ähnlicher Vorgang dar, wie wir ihn bei der Inaktivierung der Kom- plemente des Blutserums anzunehmen gezwungen waren. : Auch dort waren wir ja zu der Auffassung gelangt, daß die Annahme einer leicht zerstörbaren zymophoren und einer weit resistenteren haptophoren Gruppe des Komplements den beobachteten Tatsachen am besten Rech- nung zu tragen gestattet, und es bilden somit die unwirksamen, ihrer zymophoren Gruppe beraubten Komplementoide ein vollkommenes Analogon zu den in Rede stehenden ungiftigen Toxinderivaten, die Eur- rıcH deshalb auch durch den ganz ähnlich gebildeten Namen Toxoide gekennzeichnet hat. Unsere bisherigen Betrachtungen haben also zu dem tatsächlichen Ergebnis geführt, daß in älteren Diphtheriegiften neben dem eigent- lichen Toxin noch unwirksam gewordene Abkömmlinge desselben, die sogenannten Toxoide, enthalten sind. Nun sind natürlicherweise die Bedingungen für eine Toxoid- bildung auch in ganz jungen Kulturen, und zwar wegen der erhöhten XIV. Enkuicns Toxinanalyse. 217 Temperatur, bei welcher dieselben gehalten werden, sogar in gesteigertem Maße gegeben, und es ist daher nicht wunderbar, wenn man bereits bei 3—4tägigen Giften solche Toxoide hat nachweisen können. Auch diese ganz frischen Giftlösungen enthalten somit nicht reines Toxin, sondern bereits ein Gemisch desselben mit ungiftigen Substanzen, welche jedoch ebenso imstande sind, Antitoxine zu binden, wie das eigentliche Diphtheriegift. Je größer dabei die Menge dieser Toxoide ist, desto geringer mul die Zahl der letalen Dosen sein, welche in L,, in dem Äquivalent einer Immunitätseinheit, enthalten sind, denn nach allem, was wir bis jetzt über die Bindungsverhältnisse von Toxin und Antitoxin in Erfahrung gebracht haben, müssen wir unbedingt an- nehmen, daß die L,-Dosis der verschiedensten Diphtherietoxine stets die gleiche Anzahl von Bindungseinheiten repräsentiert, gleichgültig, ob diese letzteren durch giftige oder durch un- giftige Substanzen bedingt sind. Genau die gleiche Zahl von Bindungseinheiten müssen wir dann natürlich der Antitoxinmenge zu- schreiben, die eine Immunitätseinheit darstellt, ganz analog, wie ja auch äquivalente Mengen von Säuren und Basen stets dieselbe Zahl von chemischen Bindungseinheiten enthalten. Nun haben wir früher gesehen, daß das Maximum an letalen Dosen, das bis jetzt in der L,-Dosis eines Diphtheriegiftes beobachtet wurde, 160 betrug, und daraus ergibt sich die notwendige Folgerung, daß diesem durch L, bezeichneten Grenzwerte stets mindestens 160 Bindungseinheiten von dem Werte einer einfachen letalen Giftdosis zu- kommen müssen. Da jedoch, wie oben ausgeführt wurde, auch die jüngsten Diphtheriegifte bereits einen merklichen, nicht zu vernach- lässigenden Gehalt an Toxoiden besitzen, so ist klar, daß auch die Zahl 160 nicht die wirkliche Menge der in einer L,-Dosis enthaltenen Bin- dungseinheiten angeben kann, sondern offenbar noch zu niedrig gegriffen sein muß. Wie wir noch sehen werden, nimmt EHRLICH dementsprechend 200 als die richtige Zahl an, so daß also 1 I.-E. von einem Reingift, das vollkommen frei von Toxoiden wäre und nur aus Toxinmolekülen bestände, gerade 200 tödliche Dosen neutralisieren müßte. Sehr interessante Beziehungen ergeben sich nun weiterhin zwischen den beiden charakteristischen Grenzwerten L, und L;. Ihrer Definition nach unterscheiden sich diese beiden Giftdosen dadurch voneinander, daß beim Vermischen der L,-Dosis mit 1 I.-E. gerade vollkommene Neutralisation eintritt, während von L; so viel freies Toxin übrigbleibt, daß gerade eine einfach tödliche Wirkung resultiert. In dem Gemisch von 1 1.-E.+L; scheint somit gerade eine letale Dosis in Freiheit zu sein, und nichts wäre demgemäß plausibler als die Annahme, daß man nur nötig hätte, eine letale Dosis zu dem L,-Werte hinzuzu- fügen, um zu dem L;-Werte zu gelangen. Dennoch wäre diese Annahme, wie sich gezeigt hat, absolut un- zutreffend. Enrriıch hat nämlich bei einer großen Zahl von Diphtheriegiften die Differenz L;-—L,—D bestimmt und hat gefunden, daß dieselbe nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, eine, sondern meistens 5 bis 50 letale Dosen betrug. Nur in einem Falle war D hingegen tatsächlich annähernd gleich 1. Um also eine einzige freie letale Dosis zu erhalten, muß man unter Umständen bis zu 50 letale Dosen zu einem vollkommen neutralen Gemische von L, und 1 I.-E. hinzu- Toxoide in frischen Gift- lösungen. Wahrer Neutrali- sierungswert einer ].-E. Beziehungen zwischen IL und L r Wert der Differenz L+— Le. Toxone. Toxon- wirkung. Berechnung der Toxon- einheiten. 218 XIV. Esrrıchs Toxinanalyse. fügen, eine Tatsache, die gewiß sehr auffallend ist und für EurtıcH der Ausgangspunkt weiterer eingehender Toxinstudien wurde. Auf Grund dieser Studien ist EHRLICH nun zu einer sehr ein- fachen Erklärung für das eben erwähnte, anscheinend so paradoxe Phänomen gelangt, die auf der Annahme besonderer Aviditätsver- hältnisse basiert. Nehmen wir nämlich an, daß in einer Giftbouillon neben dem Toxin noch eine andere ungiftige oder weniger giftige Substanz mit analogen haptophoren Gruppen enthalten sei, welche jedoch zu dem Antitoxin eine geringere Affinität besitzt als das Toxin, so wird ein Giftzusatz zu dem neutralen Gemische von L, und I.-E. not- wendigerweise die folgende Wirkung haben müssen: zunächst wird das neu hinzugefügte Toxin, kraft seiner größeren Avidität, diesen weniger giftigen Körper, den wir Toxon nennen wollen, aus seiner Ver- bindung mit dem Antitoxin verdrängen und sich selbst an seine Stelle setzen, ganz ähnlich wie etwa eine starke Säure imstande ist, Kohlen- säure aus ihren Alkalisalzen auszutreiben. Das Resultat davon wird also sein, daß das zugeführte Toxin aus dem Gemisch ver- schwindet und dafür eine äquivalente Menge des weniger giftigen Toxons in Freiheit setzt. Dieser Vorgang wird sich bei weiterem stufenweisen Giftzusatz so lange wiederholen, bis alles Toxon aus seiner Verbindung mit dem Antitoxin vertrieben ist. Ist dieser Punkt erreicht, dann steht natürlich dem neu hinzukommenden Toxin kein Antitoxin mehr zur Verfügung, und erst von diesem Augenblicke an beginnt die Giftwirkung manifest zu werden. Ursprüglich hatte EHrrticH hierbei angenommen, daß es sich um eine wenig avide Modifikation des Toxins, um ein Toxoid handle, das er als Epitoxoid bezeichnete und durch Verlust der toxophoren Gruppe aus dem Toxin hervorgehen ließ. Später neigte sich jedoch EHrrıcH der Auffassung zu, daß dieses „Epitoxoid“ bereits ein pri- märes Sekretionsprodukt des Diphtheriebazillus vorstelle, das nur durch eine geringere Giftigkeit und Avidität dem Antitoxin gegenüber von dem eigentlichen Toxin verschieden sei und das er da- her, wie bereits gesagt, mit dem Namen Toxon belegte. Die Toxone unterscheiden sich übrigens nach EHrLıcH auch in qualitativer Hinsicht ganz wesentlich von den Toxinen, indem sie näm- lich auch bei Verwendung großer Dosen die Versuchstiere niemals akut töten, sondern erst nach langer Inkubationsdauer, nach 14 Tagen oder noch später, charakteristische Lähmungserscheinungen hervor- rufen. EuRrLicH ist daher der Ansicht, dal) die Toxone zwar in ihrer haptophoren Gruppe mit den Toxinen übereinstimmen, sich aber durch ihre toxophore Gruppe von ihnen unterscheiden. Die Gegenwart der Toxone in den Diphtheriekulturen erklärt so- mit, wie wir gesehen haben, in sehr plausibler Weise, woher es kommt, daß die Differenz D = L; — L, nicht, wie es bei einem vollkommen reinen Toxin der Fall sein müßte, nur eine einzige letale Dosis beträgt, sondern meist bei weitem größer ist. Hingegen ist leicht einzusehen, daß die gleichzeitige Anwesenheit von Toxoiden, die entweder die gleiche (Syntoxoide) oder sogar noch größere (Prototoxoide) Affinität zu dem Antitoxin besitzen, als das Toxin, nicht imstande ist, vergrößernd auf den Wert von D einzuwirken. Diese Vergrößerung von D über eine letale Dosis hinaus ist daher aus- schließlich auf die Toxone zu beziehen und, für den Fall, daß ein Gift » lediglich aus Toxin und Toxon bestehen würde, gäbe sogar D oder richtiger D-1 ein direktes Maß für die Anzahl der in L, ent- haltenen Toxoneinheiten ab. Denn, um von L, zu L; überzugehen, brauchten wir nach dem oben Auseinandergesetzten in diesem speziellen Falle nur so viel letale Dosen hinzuzufügen, als Toxonäquivalente zu- gegen sind, und noch eine letale Dosis mehr, welche eben frei bleiben und die tödliche Wirkung der Mischung L; + 1 I.-E. hervorrufen soll. Bedeutet daher t die Zahl dieser in L, enthaltenen Toxonäquiva- lente, so haben wir XIV. Enrrıchs Toxinanalyse. 219 he PA UT N Pe A 2ER Weit komplizierter werden die Verhältnisse natürlich, wenn neben gerechnung den Toxonen und Toxinen noch Toxoide von gleicher Avidität wie das der Toxon- Toxin zugegen sind. Doch kann man auch in diesem Falle durch eine einheiten. kleine rechnerische Überlegung die Zahl der Toxonäquivalente ermitteln, welche in einer L,-Dosis enthalten sind. Sei nämlich A die Zahl der Bindungseinheiten, welche durch 1 I.-E. oder, was dasselbe ist, durch die L,-Dosis repräsentiert werden — wie wir gesehen haben, ist es nach EHrrticH sehr wahrscheinlich, daß A = 200 gesetzt werden muß; sei ferner x die Zahl der Toxoideinheiten, y die der Toxineinheiten und schließlich z die der Toxoneinheiten, welche in der L,-Dosis eines be- stimmten Giftes enthalten sind, so haben wir also I, =x-+y+2z=A (= 200) Bindungseinheiten. Nun ist y, die Zahl der Toxineinheiten in L,, leicht experimentell zu bestimmen. Sie sei beispielsweise gleich « letalen Dosen. Ferner sei D—1 zu $ letalen Dosen ermittelt worden. — Da nun sowohl die Toxoide wie die Toxine zu dem Antitoxin größere Affinität besitzen als die Toxone, so werden also bei weiterem Giftzusatze zu dem neu- tralen Gemisch von L, + 1 L-E. beide Arten von Substanzen imstande sein, das Toxon aus seiner Verbindung mit dem Antitoxin zu verdrängen und in Freiheit zu setzen. Für die Verdrängung kommen nun nach obiger Gleichung von A Bindungseinheiten des Gesamtgiftes x—+-y oder, was dasselbe ist, A —z Bindungseinheiten in Betracht, da dies eben die Zahl der in L, ent- haltenen Toxin-Toxoidäquivalente darstellt. Würde ich also etwa eine ganze L,-Dosis, die, wie gesagt, & letale Giftdosen enthält, zu unserem neutralen Gemisch hinzufügen, so würde die darin enthaltene Menge von Toxin und Toxoid imstande sein, A—z Einheiten des Toxons frei zu machen. Würde ich hingegen nur einen beliebigen Bruchteil der L,-Dosis oder einen Bruchteil der darin enthaltenen letalen Giftdose «, & e : = n also etwa 3 oder z zu dem Gemisch hinzusetzen, so würde die Zahl der verdrängten Toxonäquivalente nur Mn — / _— Z u oder Er betragen. & A-—z äquivalent in Freiheit gesetzt werden. Um daher z-Toxoneinheiten ausihrer Verbindung mit dem Antitoxin zu verdrängen, mußich &z A—z 3 ’ A—z Setze ich endlich nur letale Dosen zu, so wird nur warn 1 Toxon- letale Dosen unserer Giftbouillon zu dem neutralen nn et © de El nn = % Quantita- tiver Verlauf der Toxoid- bildung. 220 XIV. Eurtıchs Toxinanalyse. Gemisch von L, + 1 L-E. hinzufügen. Dann bedarf es nur mehr einer einzigen weiteren letalen Dosis, um den L; - Wert zu erreichen. Folglich wird die gesamte zuzusetzende Toxinmenge, die erforder- — +1 letale Dosen betragen lich ist, um L, in L; zu verwandeln, % müssen oder Lore T ' VE ne 2 Nun ist aber L,—L,—1 oder D— 1 früher zu ß letalen Dosen bestimmt worden, woraus sich die Beziehung ergibt &z e =; Ras oder, nach z aufgelöst, BR __200 P\ NEBEN Te Nimmt man also mit Eurtich A zu 200 Bindungseinheiten an, so kann man auf Grund dieser Formel die Zahl der Toxonäquivalente aus den bekannten Größen « und ß berechnen. Da hiermit aus der oben aufgestellten Grundgleichung IL,,=x+y+z=A=200 sowohl y (=«) als z bekannt sind, so läßt sich schließlich durch eine einfache Subtraktion auch noch die Zahl der Toxoideinheiten x ermitteln und damit die Analyse der betreffenden Giftbouillon zu einem gewissen Abschluß bringen. Mit Hilfe der eben auseinandergesetzten Methoden und Berech- nungen hat nun Enurrich eine große Zahl von Diphtherietoxinen ge- nauer analysiert und ist hierbei zu sehr interessanten und relativ ein- fachen Ergebnissen über ihre Zusammensetzung gelangt. Zunächst hat sich nämlich herausgestellt, daß eine große Zahl, wenn nicht die meisten Gifte, im frischen Zustand in der Tat 100 Toxinäquivalente in einer L,-Dosis enthalten. Später, wenn bereits in größerem Umfange Toxoidbildung eingetreten ist, ist natürlich die Zahl dieser Toxinäquivalente eine bei weitem geringere, es läßt sich aber auch dann noch für die Mehrzahl der Gifte der Nachweis er- bringen, daß auch in ihnen ursprünglich 100 letale Dosen vorhanden waren. Der Zerfall des Toxins und der Übergang desselben in Toxoide erfolgt nämlich entweder nach dem Prinzip der Dreiteilung, derart, dab von drei Toxinmolekülen sich zwei in Toxoide umwandeln oder, nach dem Prinzip der Dichotomie, indem die eine Hälfte des Toxins erhalten bleibt, die andere hingegen in die ungiftige Modifikation über- geführt wird. Demgemäß steht die Zahl der in L, enthaltenen einfach letalen Dosen nach der spontanen Abschwächung des betreffenden Diphtherie- toxins stets in einem sehr einfachen numerischen Verhältnis zu der Zahl 100 und beträgt im Falle der trichotomischen Teilung = im Falle k A i Di; ß 2 der dichotomischen Teilung zZ eine Tatsache, die aus der beistehenden kleinen Tabelle sehr deutlich hervorgeht. Wenn man die außerordent- lichen Schwierigkeiten bedenkt, welche derartigen experimentellen Ar- beiten innewohnen, so wird man die Übereinstimmung der einzelnen XIV. Euruıchs Toxinanalyse. 221 Zahlenwerte, die sich bei den verschiedenen Giften ergeben haben, ganz überraschend groß finden. Dreiteilung. Zweiteilung. Gitt 1 33 x3= 9 Gift 5 47,5x2= 95,0 Gift 2 32 x3= % Gift 7 544x2= 108,3 Gift 3 33,2x3= 99 TIEF NETTES " Gift A 334% 3 — 1002 Mittel: 50,52 = 101,6 Gift 8 35,7x3= 1071 Mittel: 33,4><3 = 100,2 Derartige Beobachtungen waren es nun auch, welche EHRLICH „Konstitu- zu der bereits mehrfach erwähnten Annahme bestimmten, daß in einer nsnmel“ L,-Dosis bezw. in einer Immunitätseinheit gerade 200 Bindungsäqui- valente enthalten seien. Enktich hatte nämlich ein Gift von folgenden Eigenschaften gefunden: L;= 0,25 ccm = 100 letale Dosen Einfach letale Dosis = 0,0025 ccm ne 1125 .„.—=,50),, .. D =0,125ccem= 50 letale Dosen. Da also die L,-Dosis gerade 50 letale Dosen enthielt, so konnte nach den oben wiedergegebenen Erfahrungen kein Zweifel bestehen, daß es sich hierbei offenbar um ein dichotomisch abgeschwächtes Gift handelte, das somit neben den 50 Toxinäquivalenten noch ebensoviel Toxoidäquivalente enthalten mußte. Auch der Differenzwert D, der zu L, hinzugefügt werden mußte, um den L;-Wert zu erreichen, hat somit neben den 50 Toxindosen noch 50 Toxoiddosen. beherbergen müssen und repräsentierte daher im ganzen 100 Bindungseinheiten von größerer Avidität als die Toxone. Folglich mußten in diesem Gifte also noch 100 Toxonäquivalente vorhanden sein und die Konstitutionsformel desselben mußte daher lauten: 50 Toxoide + 50 Toxin + 100 Toxon —=L, —= 200 Bindungseinheiten. Durch spätere Untersuchungen, auf die wir jedoch hier nicht näher eingehen können, hat dann Enrrıc# die An- nahme der 200 Bindungseinheiten noch fester zu stützen vermocht. Ebenso konnte er für eine Reihe von Giften feststellen, daß auch ihr Toxongehalt zu der Zahl 100 in einfachsten Verhältnissen steht und, ähnlich wie wir dies früher für den Toxoidgehalt gesehen haben, ” 2 200 200 200 oder aber 200 bezw. au Bindungseinheiten Tr are 3 6 entweder betrug. War es also EnrLicH bereits auf dem bisher geschilderten Wege Methode der gelungen, wichtige Aufschlüsse über die Zusammensetzung des Diph- "yon theriegiftes zu erlangen, so hat doch eine zweite von ihm ausgearbeitete Methode gestattet, die Analyse noch ganz wesentlich zu vertiefen und noch eine Reihe weiterer interessanter Details zu enthüllen. Wir müssen uns leider hier damit begnügen, nur eben die Grund- prinzipien dieses scharfsinnigen Esrrıchschen Verfahrens in Kürze zu skizzieren. Setzt man zu einer L,-Dosis irgend eines Diphtheriegiftes eine Immuni- tätseinheit Antitoxin hinzu, so ist das resultierende Gemisch physiologisch vollkommen neutral. Fügt man jedoch an Stelle einer I.-E. eine etwas ge- 199 198 geringere Antitoxinmenge, sagen wir 300 I.-E oder 200 L.-E. zur L,-Dosis oxin- absättigung. Gift- spektrum. Interpreta- tion ver- schiedener Giftspektra. 222 XIV. Esarrıchs Toxinanalyse. hinzu, so wird die Neutralisation der Giftbouillon keine ganz vollkom- mene mehr sein, sondern es werden diejenigen Bestandteile derselben, welche die geringste Affinität zu dem Antitoxin besitzen, in Freiheit bleiben müssen. Vermindert man die zugesetzte Antitoxinmenge nun immer mehr und mehr, so wird man schließlich zu einem Punkt ge- langen, wo alle Toxone bereits im freien Zustande existieren, während Toxine und Toxoide noch vollkommen neutralisiert sind. Prüft man dieses Gemisch daher im Tierversuch, so wird man zwar deutliche Toxonwirkungen konstatieren können, wie spätes Auftreten von Lähmungs- erscheinungen, hingegen werden akute Toxinwirkungen, wie Hautnekrosen, Hydrothorax, Ascites, Rötung der Nebennieren usf. noch vollkommen fehlen. Erst wenn man die zugesetzte Antitoxinmenge noch weiter ver- ringert, werden nun auch Toxin- bezw. Toxoidäquivalente freibleiben müssen, und es leuchtet wohl ein, daß man auf diesem Wege zu einer vollkommen klaren und präzisen Vorstellung über die Zusammensetzung der Giftbouillon und über die relative Avidität ihrer verschiedenen Komponenten gelangen kann. Sehr wesentlich kann man sich hierbei den Überblick über die oft ziemlich verwickelten Versuchsergebnisse erleichtern, wenn man dieselben nach EurrLıchs Vorgang graphisch darstellt und sie zur Konstruktion eines sogenannten Giftspektrums benutzt. In den beistehenden Figuren 3—12 sind einige solcher Giftspektren reproduziert, an welchen das eben Gesagte noch etwas näher erläutert werden soll. Fig. 3. Frisches Gift: aus gleichen Teilen Toxin und Toxon bestehend. i Betrachten wir Fig. 3, das Spektrum eines frischen Diphtherie- giftes von idealer Zusammensetzung, das in seiner L,-Dosis 100 Toxin und 100 Toxonäquivalente enthält. “Auf den ersten Blick gestattet dieses Spektrum abzulesen, wie sich die Neutralisationsverhältnisse des be- treffenden Giftes bei Zusatz verschiedener Antitoxinmengen zu der L,- Dosis gestalten müssen. Setzen wir beispielsweise 150 Bindungsein- heiten Antitoxin hinzu. so werden nach diesem Spektrum alle Äqui- valente Toxine und außerdem noch 50 Toxoneinheiten neutralisiert, die restlichen 50 Toxoneinheiten bleiben frei. Zusatz von 100 Antitoxin- äquivalenten, d. i. von !/, I.-E. neutralisiert eben alles Toxin und läßt alles Toxon in Freiheit; 50 Antitoxinäquivalente neutralisieren nur 50 Toxineinheiten, der Rest des Toxins und das gesamte Toxon bleibt ungebunden usf. Etwas komplizierter werden die Verhältnisse bereits, wenn, wie in Fig. 4 angedeutet ist, das von uns betrachtete Diphtheriegift der natürlichen Abschwächung unterliegt und, etwa nach dem Prinzip d Dichotomie, der Toxoidbildung anheimfällt. ee XIV. Enruıcns Toxinanalyse. 223 Solange sich allerdings die zugesetzte Antitoxinmenge zwischen 100 und 200 Bindungseinheiten bewegt, wird, wie das Spektrum lehrt, die Neutralisation genau den gleichen Verlauf nehmen, wie bei dem frischen Gift: alle Toxoide und Toxine werden hierbei abgesättigt und nur die entsprechenden Toxonmengen werden, je nach der Menge der hinzugefügten Antitoxinäquivalente, freibleiben. Anders, wenn wir mit dem Antitoxinzusatz unter 100 Bindungseinheiten heruntergehen. Toxoid no ro 20 30 20 E74 60 0 P7 z - mo WO 130 10 150 160 170 180 190 2098 Fig. 4. Dasselbe Gift, gealtert. Toxoidbildung dichotomisch. Während nämlich in dieser Zone des Spektrums bei dem frischen Gifte jeder zugesetzten Antitoxineinheit eine Toxineinheit entsprach, hat sich dies Verhältnis bei dem gealterten Gift infolge der Toxoidbildung wesentlich geändert. Wie aus dem Spektrum abzulesen ist, bindet hier jedes Antitoxinäquivalent nämlich nur eine halbe Toxineinheit, gleich- zeitig aber auch eine halbe Toxoideinheit. = - en [4 nn» 20 30 0 50 0 0 0 MW 1o 110 120 130 140 150 60 170 180 0 29 Fig. 5. Dasselbe Gift, gealtert. Toxoidbildung, Modifikation «, Noch verwickeltere Bindungsverhältnisse kommen schließlich in den Spektren 5, 6 und 7 zum Ausdruck, welche die stufenweise Ab- schwächung eines komplizierter gebauten Giftes veranschaulichen. Zum besseren Verständnis sei bemerkt, daß EnrLic# auf Grund seiner ein- gehenden Analysen zu der Überzeugung gekommen ist, daß auch die RER. mas ve a Te Toxone zei | Prototoxin [= o 2” 20 0 50 0 m 0 5 10 10 120 no 10 O wo 179 180 190 209 Fig. 6. Frisches Gift, bestehend aus Proto-, Deutero- und Tritotoxin und Toxon. Toxine einer Giftbouillon nicht immer einheitlicher Naiur zu sein brauchen, sondern ein Gemisch von Körpern verschiedener Avidität darstellen, welche er je nach dem Grade derselben als Proto-, Deutero- 224 XIV. Eskrıchs Toxinanalyse. und Tritotoxine unterscheidet. Jede dieser verschiedenen Arten von Toxinen besteht dabei selbst wieder aus zwei Modifikationen, einer leicht in Toxoide übergehenden «-Modifikation und einer resistenteren ß-Modifikation, die jedoch, wie Fig. 7 lehrt, ebenfalls mit der Zeit wenigstens teilweise in Toxoide umgewandelt werden kann. ._— | _—— | — ._ ; — — . ... 1... .— .— —— —_——————— nn. ED HE MMO EMO M WO TO 120 130 10 150 60 170 180 190 200 Fig. 7. Weitere Abschwächung desselben Giftes. Toxoidbildung, Modi- fikation #. Diese wenigen Andeutungen dürften wohl hinreichen, um die Inter- pretation obiger Giftspektra zu ermöglichen und um darzutun, wie außer- ordentlich komplizierte Verhältnisse durch sie in relativ einfacher und übersichtlicher Weise dargestellt werden können. — Einwände Wir können dieses höchst interessante Kapitel nicht verlassen, Ehrlichs Ohne darauf hingewiesen zu haben, daß in der jüngsten Zeit von maß- ‚„oxin gebender Seite gewisse Einwendungen gegen diese Deutung erhoben “ worden sind, die EHrrtıch seinen ausgedehnten toxinanalytischen Ex- perimenten hat zuteil werden lassen. Bereits in einer früheren Vor- lesung, bei Besprechung der quantitativen Bindungsverhältnisse zwischen Antigenen und Antikörpern, haben wir Gelegenheit genommen, hervor- zuheben, daß manche der beobachteten Tatsachen einer mehrfachen Er- klärung zugänglich erscheinen. Entweder kann man nämlich in solchen Fällen annehmen, daß die Affinität zwischen Antigenen und Antikörpern eine so große ist, dab eine vollkommene und für unsere Untersuchungsmethoden restlose Ver- einigung derselben erfolgt — dann muß man eben zur Erklärung der in Rede stehenden Tatsachen eine Vielheit von Antigenen supponieren, wie dies z. B. v. DUNGERN für gewisse präzipitable Substanzen, EHRLICH für die giftigen und ungiftigen Bestandteile der Diphtheriebouillon getan hat. Oder aber man kann die Affinität zwischen Antigenen und Anti- körpern als eine relativ geringe betrachten, in welchem Falle dann die Vereinigung derselben nur sehr unvollständig erfolgen würde, derart, daß neben dem Reaktionsprodukt stets noch mehr oder minder erheb- liche Mengen der beiden regierenden Stoffe im freien Zustande vorhanden wären. Das quantitative Verhältnis zwischen diesen drei koexistierenden Substanzen, den Antigenen, Antikörpern und der inaktiven Verbindung beider, würde in diesem Falle durch das GULDBERG-WaAGEsche Gesetz der Massenwirkung geregelt erscheinen. Ansiyno des Von diesem Gesichtspunkt aus haben nun ARrRHENIUS, der be- toxins vom kannte physikalische Chemiker, und Mapsen, ein ehemaliger Schüler Standpunkt Wemrıchs, die Bindungsverhältnisse zwischen dem Tetanolysin und wirkungs- seinem Antitoxin eingehend studiert und sind auf Grund ihrer Unter- gesetzes- suchungen zu folgender Auffassung dieses Neutralisierungsvorganges gelangt. Toxin und Antitoxin verhalten sich bei ihrer Mischung ganz ähn- lich, wie etwa Ammoniak bei seiner Neutralisation durch eine schwache XIV. Enrrıcns Toxinanalyse. 225 Säure, z. B. durch Borsäure. Die Reaktion zwischen Toxin und Anti- toxin verläuft dabei derart, daß eine Molekel des Toxins mit einer Antitoxinmolekel zu zwei Molekeln der neu- tralen Verbindung zusammenzutreten scheint und daß der dementsprechenden Formulierung des Massenwirkungsgesetzes : Freies Toxin X Freies Antitoxin (Neutrale Verbindung)? — K — 0,115 mit ganz überraschender Genauigkeit entsprochen wird. Wie gut Be- obachtung und Berechnung übereinstimmen, zeigt folgende Tabelle, welche die Toxizität einer bestimmten Tetanolysinmenge nach Zusatz verschie- dener Antitoxinquantitäten wiedergibt. Kubikzentimeter Toxizität Antitoxin beobachtet berechnet 0 100 100 0,05 82 82 0,1 70 66 0,15 52 52 0,2 36 38 0,3 22 23 0,4 14,2 13,9 0,5 10,1 10,4 0,7 6,1 6,3 1,0 4,0 4,0 13 2.7 2,9 1,6 2,0 2,5 20 1,8 1,9 - Die eben zum Vergleich herangezogene Parallele mit der Neu- tralisation von Ammoniak durch Borsäure hat nun eine tiefergehende Bedeutung, als man vielleicht auf den ersten Blick hin anzunehmen ge- neigt sein könnte. Wie viele andere anorganische Substanzen ist nämlich Ammoniak imstande, das Hämoglobin aus den roten Blutkörperchen zum Austritt zu bringen, also hämolytisch zu wirken, und diese Fähigkeit wird durch die Neutralisation mit Borsäure aufgehoben. Das Ammoniak entspricht somit vollkommen einem Toxine, die Borsäure dem Antitoxin, und ARRHENIUS und Mapsen haben daher die Neutralisation der hämo- lytischen Wirkung des Ammoniaks durch diese schwache Säure in genau der gleichen Weise quantitativ verfolgt, wie die Bindungsverhältnisse zwischen Tetanolysin und Antitoxin. Das Ergebnis war eine voll- kommene Übereinstimmung beider Prozesse bis in das kleinste Detail, und der einzige Unterschied, der zwischen dem Verlauf der Reaktion in den beiden Fällen aufgefunden werden konnte, betraf den Wert der Reaktionskonstante K, der für Ammoniak und Borsäure 1,02, für das Tetanolysin hingegen 0,115 betrug. Die beiden genannten Forscher bedienten sich zur graphischen Dar- stellung ihrer Versuchsergebnisse eines etwas anderen Verfahrens als EnrricH. Beistehende Figur veranschaulicht die Neutralisationsverhält- nisse von Borsäure und Ammoniak. Die Abszisse gibt hierbei die An- zahl der Säureäquivalente an, welche zu einem Äquivalent Ammoniak behufs Neutralisation der hämolytischen Wirkung hinzugefügt werden, die Ordinaten hingegen repräsentieren (in zehnfach vergrößertem Maß- stabe) die entsprechenden hierbei frei bleibenden, also noch hämolytisch wirksamen Ammoniakmengen. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 15 Vergleich mit Borsäure und Am- moniak. Ab- sättigungs- kurve. 226 XIV. Esruıchs Toxinanalyse. Die gerade Linie, welche die hierdurch entstehende Kurve in ihrem Anfangspunkt tangiert, stellt die Neutralisation einer starken Säure durch eine starke Base, also etwa von Salzsäure durch Ammoniak dar, wobei die Vereinigung zwischen den beiden Komponenten praktisch ge- nommen eine vollständige ist, proportional der zugesetzten Säuremenge erfolgt und daher beendet erscheint, wenn die letztere den Wert von einem Äquivalent erreicht hat. Hingegen bleiben bei der Neutralisation durch Borsäure selbst dann noch relativ große Ammoniakmengen im freien Zustand übrig, wenn die zugesetzte Säuremenge ein hohes Vielfaches der vorhandenen gesamten Ammoniakmenge beträgt. Dabei zeigt nun eine genauere Betrachtung dieser Kurve, dab der neutralisierende Wert eines Säureäquivalentes gegen das Ende der Kurve zu immer mehr und mehr abnimmt. Während z. B. das erste Borsäureäquivalent 50°, des vorhandenen Ammoniaks absättigt, neutralisiert das zweite nur mehr 66,7—50 —./16.7°,, das dritte 75—66,7 — 8,3 °),, das vierte 80—75 — 5%, was natürlich nur ein anderer Ausdruck für die Tatsache ist, daß sich diese Kurve mit wachsender Abszisse immer mehr und mehr abflacht. EZZA72Z7ZEEEEENHEREEEEEREREEN ZEIRZEZNOEEEZNIRRIRE E22. BEBZRHEREBHERBZEREI ER... VBEHERZZARERRERBBEBBRIRAN NSHNEHENEHEHBEBFEEBNER at bi Ah (2 BIT 1 ee LENEEHNNERERZEDEIZTEDANETT. A 10 Babe ZELNdREENHEBEnRERm= =. EELBENENEEERRRNESBERRENE III WITT TI IT 1 1 1 anpeäne erden zen Bass JE [2 Fig. 8. Neutralisation von NH, durch HCl und H,BO, nach Arkkexıus und SEN. „Toxin- Würde man nun, so meinen ÄRRHENIuUs und MapseEn, für die spektrum“ Analyse des Ammoniaks als Hämolysin die Eurrtıcusche Darstellungs- moniaks. weise gewählt haben und das Toxinspektrum des Ammoniaks konstruiert haben, so würde man also annehmen müssen, daß die erste, durch ein Borsäureäquivalent neutralisierte Giftmenge dreimal so toxisch wäre wie die zweite, diese wieder doppelt so toxisch als der dritte Betrag usf. Mit anderen Worten, man würde zu der paradoxen Annahme ge- langen, daß Ammoniak kein einfacher Körper sei, sondern XIV. Euruıchs Toxinanalyse. 227 ein Gemisch aus mehreren, verschieden giftigen Bestand- teilen, deren Toxizitäten in den einfachen Verhältnissen von 30:10: 5:3—=(50:16,7:8,3:5) zu einander stehen müßten. Dabei würde das Toxin mit der größten chemischen Affinität zuerst durch die Borsäure neutralisiert werden, also ein Prototoxin darstellen, dem dann ein Deu- terotoxin und Tritotoxin usw. folgen würde, bis zum Schluß die Körper schwächster Avidität, die Toxone, übrigbleiben, ein paradoxes Resultat, durch das die Eurtichsche Betrachtungsweise ad absurdum geführt wäre. Auf Grund dieser Überlegungen und einer rechnerischen Bearbei- tung des vorliegenden Materials nehmen daher die beiden Forscher an, daß es sich wohl auch bei den von EurLicn untersuchten Diphtherie- giften um ähnliche Verhältnisse gehandelt haben dürfte, wie bei der Neutralisation von Ammoniak und Borsäure oder von Tetanolysin und Antitoxin, und daß daher die komplizierten Befunde Esukrıcas nicht der Ausdruck einer Vielheit von Giften und Giftmodifikationen sei, sondern lediglich die natürliche Folge davon, daß Toxin und Antitoxin nur mit schwachen Affinitäten aufeinander reagieren, wobei das klare Neu- tralisationsbild noch durch die relativ leichte Zersetzlichkeit des Diph- theriegiftes getrübt werde. Einen analogen Nachweis haben dann Map- SEN und WALBUM für die Neutralisierungsverhältnisse des Rizins durch Antirizin zu erbringen gesucht. Daß diese ganze Betrachtungsweise von ÄRRHENIUS eine beträchtliche Vereinfachung unserer Anschauungen über den Bau der Toxine bedeuten würde und speziell die kompli- zierten Annahmen Enrricus über die Toxoide und Toxone entbehrlich machen würde, liegt auf der Hand. EnHrtich hat nun zu dieser Auffassung von ARRHENIUS und Mıapsen Stellung genommen. Bezüglich des Tetanolysins gibt EHRLICH ohne weiteres zu, daß es nur schwache Affinität zu dem Antitoxin besitzt. Hat er doch selbst bereits vor vielen Jahren durch einen schönen Versuch zeigen können, wie gering das Vereinigungs- bestreben zwischen Tetanustoxin und -antitoxin ist, indem er feststellte, daß bei einem wenig konzentrierten Serumgiftgemisch die Wirkung des Serums 40 mal so groß sein kann, wenn man es zwei Stunden stehen läßt, als wenn man es sofort nach der Mischung zur Injektion der Versuchstiere benutzt. Für das Tetanolysin scheinen also dieBe- trachtungen von ÄARRHENIUS und MapsEN zutreffend zu sein, wenn immerhin auch hervorgehoben werden muß, daß deren Annahme, sie hätten in dem von ihnen verwendeten Toxin ein reines unzersetztes Gift in Händen gehabt, als durchaus unsicher bezeichnet werden muß, da gerade das Tetanusgift außerordentlich viel labiler ist als das Diph- theriegift und schon nach mehrstündigem Stehen seiner wässerigen Lösung vollkommen unwirksam werden kann. Ganz anders liegen hingegen die Verhältnisse nach EnrLicH bei dem Diphtheriegift. Hier ist die Affinität zu dem Antitoxin eine bei weitem höhere, derart, daß die in der Prüfungstechnik vorgeschriebene Bindungsdauer von 15 Minuten sicher schon überflüssig lang ist. In einem speziellen, besonders günstig und einfach liegenden Falle hat dann Eurtıc# zeigen können, daß die Absättigung des Diphtheriegiftes durch das Antitoxin genau in gleicher Weise erfolgte, wie die einer starken Säure durch eine starke Base, so daß also der Verlauf der Neutralisation, nach ARRHENIUS und Map- SEN kurvenmäßig aufgetragen, durch eine gerade Linie und nicht 15* An- wendungen auf das Diphtherie- gift. Ehrlichs Abwehr gegen Ar- rhenius. 228 XIV. Enktıchs Toxinanalyse. durch eine Bogenlinie dargestellt wurde. Dasselbe gilt nach Unter- suchungen von Kyes auch für das Schlangengift und sein Antitoxin. Ebensowenig wie man somit die Ergebnisse der Neutralisation von Borsäure und Ammoniak auf jede beliebige Kombination von Säure und Base übertragen kann, ebensowenig kann man nach Enrriıch die am Tetanolysin gewonnenen Erfahrungen insgemein auf die gesamte Toxinlehre beziehen. Man wird eben Toxine, welche mit schwachen Affinitäten zu ihrem Antitoxin ausgestattet erscheinen, von den avideren (Giften unterscheiden müssen und wird damit zugeben müssen, daß der Neutralisationsverlauf in verschiedenen Fällen einen ganz verschiedenen Typus aufweisen kann. Für das Diphtheriegift hält also Emurtıchn nach wie vor an der Richtigkeit seiner im Verlauf dieser Vorlesung ausführlich dargelegten Anschauungen fest. Bedenken Übrigens muß hier hervorgehoben werden, daß gegen die Auf- Ben. fassung von ARRHENIUS und MapsEn auch andere schwere Bedenken keit des theoretischer Natur erhoben worden sind, welche die Anwendbarkeit wirkungs- des GULDBERG-WaAAGEschen Gesetzes auf den vorliegenden speziellen gesees al] von vornherein fraglich erscheinen lassen. Es hat nämlich das Massenwirkungsgesetz anerkanntermaßen nur da Gültigkeit, wo es sich um reversible Reaktionen handelt, also um Reaktionen, welche unter gegebenen Verhältnissen ebensogut in dem einen wie in dem entgegen- gesetzten Sinne verlaufen können. So haben z. B. bei der Esterbildung Alkohol und Säure einerseits das Bestreben, sich miteinander zu dem Ester zu vereinigen, andererseits aber hat der entstandene Ester wieder die Neigung, in seine beiden Komponenten zu zerfallen, so daß sich schließlich ein Gleichgewichtszustand herstellt, bei welchem in der Zeit- einheit ebensoviel Ester neugebildet wird, als gespalten wird. NERNST, der bekannte Physiker und physikalische Chemiker, hat nun hervor- gehoben, daß es bei der labilen Natur der Toxine und Anti- toxine von vornherein wenig wahrscheinlich sei, daß die- selben reversibel miteinander reagieren, zumal reversible Reaktionen zwischen Kolloiden in homogener Lösung noch niemals beobachtet wurden, und es doch zum mindesten als sehr zweifelhaft bezeichnet werden müsse, ob man die genannten Stoffe den Kristalloiden zurechnen dürfe, ein Einwand, den allerdings ARRHENIUS mit Rücksicht auf die von ihm nachgewiesene Diffusionsfähigkeit der Toxine und Antitoxine zurückgewiesen hat. Beversibili- In der Tat haben nun aber Danysz, v. DusGEern und Sachs aktion von eine Reihe von Beobachtungen gemacht, die mit der Reversibilität der Toxin und Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin unvereinbar zu sein scheinen. Wir wollen in Kürze auseinandersetzen, worum es sich hierbei handelt. Reversible Reaktionen erreichen nämlich, bei Verwendung gleicher Mengen der reagierenden Substanzen, stets denselben Gleichgewichts- zustand, einerlei, ob man dabei den chemischen Prozeß in der einen oder der anderen Richtung ablaufen läßt, ob man von den reagierenden Komponenten oder von dem Endprodukt der Reaktion aus- geht. Mischt man z. B., um wieder auf den bereits erwähnten Fall der Esterbildung zurückzukommen, ein Grammolekül Alkohol und Essig- säure, welche nach der Formel C,H, OH-+CH,— C00H (C,H, C00-CH,+H,0 aufeinander einwirken, so erhält man dasselbe Endresultat, wie wenn XIV. Eurtıous Toxinanalyse. 229 man ein Grammolekül Äthylazetat mit einem Grammolekül Wasser zu- sammenbringt, nämlich ein Gemisch von folgender Zusammensetzung: + Mol. Alkohol + ” Mol. Essigsäure + rn Mol. Ester -+ 2 Mol. Wasser. Ebenso ist es natürlich für den schließlich erreichten Gleichgewichts- zustand vollkommen irrelevant, ob man die eine der beiden rea- gierenden Substanzen auf einmal oder fraktionenweise, nach und nach mit den anderen zusammenbringt. Kann man nun andererseits bei einer bestimmten Reaktion nach- weisen, dab sie dieses für die reversiblen chemischen Prozesse charak- teristische und gesetzmäßige Verhalten nicht zeigt, so wird man sie logischerweise auch nicht für eine reversible Reaktion erklären dürfen und wird daher auch das Massenwirkungsgesetz — wenigstens in seiner gewöhnlichen Form — nicht auf sie anwenden können. Diesen wichtigen Nachweis haben nun in der Tat die früher ge- nannten Forscher für eine ganze Reihe von Toxinen, nämlich für das Diphtherie- und Tetanustoxin, für das Staphylolysin, Arachnolysin und für das Labferment erbringen können. Der fundamentale Versuch, auf den dieser Nachweis beruht, ist der folgende. Fügt man zu einer gegebenen Antitoxinmenge das betreffende Toxin nicht, wie gewöhnlich, auf einmal, sondern in mehreren Frak- tionen zu, so kann man beobachten, daß man auf diese Weise eine er- heblich giftigere Flüssigkeit erhält, als bei sofortigem Zusatz der ge- samten Toxinmenge. Ja, wählt man die Quantität des Giftes so groß, daß sie bei sofortiger Mischung mit dem Gegengift eben vollkommen neutralisiert wird, so resultiert bei fraktioniertem Zusatz ein stark giftiges Gemisch (Dayvszsches Phänomen). Ein Beispiel mag diese ebenso wichtige wie interessante Tatsache näher erläutern. Sachs stellte aus einem höchst wirksamen Kreuz- spinnengift, dessen komplett lösende Dosis für 1 cem 5°/,iger Kaninchen- blutaufschwemmung 0,00015 ccm betrug, und seinem spezifischen Immun- serum folgende beiden Gemische her: Das Gemisch a) enthielt 0,444 Serum + 0,03 Arachnolysin, auf 4,3 ccm mit physiologischer Kochsalzlösung aufgefüllt; nach 20 Stunden wurden hierzu noch weitere 0,07 ccm Arachnolysin + 0,63 ccm Kochsalzlösung hinzugefügt, so daß also die gesamte Giftmenge nunmehr 0,1 ccm, das Volumen der Flüssigkeit 5 ccm betrug. Bei Probe b) dagegen wurde zur Zeit des zweiten Giftzusatzes in a) sofort 0,1 cem Arachnolysin mit 0,444 ccm Serum gemischt und mit Kochsalzlösung auf 5 cem aufgefüllt. Beide Flüssigkeiten enthielten also genau gleichviel Toxin und Antitoxin. Während nun aber von dem Gemisch a), bei dem der Giftzusatz in zwei Fraktionen geschehen war, 0,05 ccm ge- nügten, um vollkommene Hämolyse zu erzielen, war dazu von b) selbst die 20fache Menge, nämlich 1 ccm, noch nicht hin- reichend, wenn dieselbe auch eine mäßige Lösung der Blutkörperchen verursachte. Nach unseren früheren Auseinandersetzungen dürfte es wohl klar sein, daß ein solches Verhalten mit der strengen Reversibilität der Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin nicht vereinbar ist. Hingegen erklärt sich dasselbe, wenn man mit EmkticH die Existenz von wenig Danysz- sches Phä- nomen. Ehrlichs Erklärung des Danysz- schen Phä- nomens. 230 XIV. Euruıchs Toxinanalyse. aviden Toxonen bezw. Toxoiden in den Giftlösungen annimmt, deren Verbindung mit dem Antitoxin beim längeren Stehen eine derartige Verfestigung erfährt, daß sie auch durch Zusatz des avideren Toxins nicht mehr gespalten werden kann. Nehmen wir z. B. der Einfachheit halber an, das betreffende Gesamttoxin be- stehe zu gleichen Teilen aus dem (aviden) Toxin und dem (weniger aviden) Toxon, und setzen wir von diesem Gifte so viel zu einer gegebenen Antitoxinmenge zu, daß das Toxin eben noch vollkommen neutralisiert wird, das Toxon dagegen freibleibt, so wird das Gemisch nicht mehr akut tödlich wirken. Setzen wir dagegen zunächst nur die Hälfte des Gesamtgiftes zu dem Antitoxin, so wird dieses sowohl mit dem Toxin als mit dem Toxon in Verbindung treten. Würde man nun sofort neues Toxin zu dem Gemisch hinzufügen, so würde dieses kraft seiner größeren Avidität zu dem Antitoxin sofort die Verbindung mit dem Toxon sprengen und dasselbe in Freiheit setzen, um selbst mit dem Antitoxin in Reaktion zu treten. Setzt.man jedoch die zweite Hälfte des Giftes erst nach Verstreichen eines längeren Zeitraums hinzu, während welches die er- wähnte sekundäre Verfestigung der Verbindung von Toxon und Anti- toxin eingetreten ist und somit die Reversibilität aufgehoben wurde, so Deutung von findet das neu hinzugekommene Toxin kein disponibles Antitoxin mehr A vor, und das Gemisch bleibt infolgedessen giftig. — ARRHENIUS aller- dings sieht in dem Daxvszschen Phänomen bezw. in der nachträglich eintretenden Verfestigung der Verbindung zwischen den reagierenden Substanzen nur eine durch langsam vor sich gehende Zersetzungen der Giftlösung bedingte sekundäre Erscheinung, welche die Sachlage zwar kompliziere, aber die Anwendbarkeit der Gesetze vom chemischen Gleich- gewicht nicht beeinträchtige. Vorbedingung für die Berechnung sei dabei nur, daß die Zersetzung des Giftes so langsam vor sich gehe, daß die dadurch veranlaßte Störung der Regelmäßigkeiten, die aus der Gleichgewichtsformel hervorgehen, nicht in nennenswertem Grade zu verunstalten vermag. Ja, ARRHENIUS führt sogar ein Beispiel aus der organischen Chemie an, nämlich das Verhalten der Monochloressigsäure gegen Natronlauge, welches große Analogien mit dem Daxyszschen Phänomen erkennen läßt und weist schließlich die früher dargelegten Einwände gegen seine Anschauungen und Berechnungen in seinem Buche „Immunochemie“ mit folgenden Worten zurück: „Die Ver- kündung allgemeiner Sentenzen, wie: daß die untersuchten Substanzen Kolloide sind und daher den für andere Substanzen gefundenen allge- meinen Gesetzen nicht unterworfen sein könnten, oder daß die in der Biochemie untersuchten Reaktionen so außerordentlich kompliziert sind, daß man sich unmöglich vorstellen kann, daß sie allgemeinen, so ein- fachen Gesetzen gehorchen, oder daß zu viele verschiedene Substanzen zugleich anwesend sind, um überhaupt eine Regelmäßigkeit erwarten zu lassen; solche allgemeine Aussprüche haben gegenüber dem eindeutigen Resultate der quantitativen Untersuchung keine Bedeutung.“ Bee der Freilich sind — dies darf nicht verschwiegen werden — andere nungen von Forscher über den Wert der ARRHENIUSschen Berechnungen und ihrer Arrhe Deutung wesentlich anderer Meinung. Daß die Übereinstimmung der Beobachtung mit einer bestimmten mathematischen Formel nichts Sicheres über die Natur des beobachteten Vorganges auszusagen gestattet, haben wir bereits in dem vorhergehenden Kapitel bemerkt. Ja, MicHaernıs steht nicht an, am Schlusse einer XIV. Euruıchs Toxinanalyse. 231 eingehenden Kritik der Arrnenıusschen Berechnungen seine Meinung in folgenden Worten zusammenzufassen: „Die gute Übereinstimmung der gefundenen und berechneten Werte zeigt nach meiner Meinung nur, daß manbei einergenügenden Anzahl von willkür- lichen Konstanten auch aus einer unzutreffenden An- nahme herauszuempirischrichtigen Reaktionsgleich- ungen gelangen kann“, und an einer anderen, die Agglutinine be- treffenden Stelle: „Unter diesen Bedingungen scheint allerdings der innere Wert der von ARRHENIUS gefundenen Zahlengesetzmäßigkeiten gleich Null, und es bleibt nichts als eine grobe empirische Gesetz- mäßigkeit, über deren Genauigkeit bei der Roheit der quantitativen Methoden ein Urteil nicht möglich ist.“ Auf die verschiedenen Gründe, welche zu diesem Urteil geführt haben, können wir uns hier nicht näher einlassen. Nur einer derselben, der wichtigste, mag in aller Kürze gestreift werden. Die Grundvoraus- setzung aller Berechnungen von ÄRRHENIUSs, welche die Anwendung der erwähnten mathematischen Formeln erst möglich macht, ist die Einheitlichkeit der miteinander reagierenden Sub- stanzen. Eben um sich dieser Voraussetzung bedienen zu können, hatte ja, wie wir gesehen haben, ARRHENIUS die Anschauungen EHr- LicHs über die komplizierte Zusammensetzung der Toxine und über die Existenz von Toxoiden und Toxonen so heftig bekämpft. Natürlich mußte dabei diese Einheitlichkeit im Sinne von ARRHENIUS nicht nur für die Antigene, Toxine u. dgl., sondern ebenso auch für die Antikörper gefordert werden, wenn die Berechnungen gültig bleiben sollten. Wie P. Ta. MÜLLER nun aber gezeigt hat, ist diese Voraus- setzung unzweifelhaft eine irrige. Durch besonders ange- ordnete Absorptionsversuche, bei denen agglutinierende und hämoly- tische Antisera mehrmals hintereinander mit immer neuen Mengen von Bazillen bezw. Blutkörperchen in Berührung gebracht wurden, konnte nämlich sichergestellt werden, daß in diesen Seren Antikörper vonhöchst verschiedener Aviditätnebeneinander vor- handen sind und daß daher bei der ersten Absorption nur die avidesten Fraktionen derselben aus der Flüssigkeit entfernt werden, während Antikörper von weit geringerer Affinität darin zurückbleiben. Einen zahlenmäßigen Ausdruck für diese Tatsache bieten auch hier wieder die schon früher benutzten Absorptionsquotienten, die ja ein gewisses Maß für die Avidität abgeben, mit welcher die Ab- sorption der Antikörper durch die Antigene stattfindet. Diese Quotien- ten hatten z. B. bei einem der zahlreichen Versuche folgende Werte ergeben: 1. Absorption 0,62 2. 2 0,08 3. r 0,05 4. = 0,03 Wie man sieht, ist das sprungweise Absinken derselben nach der ersten Absorption ein außerordentlich auffälliges und nur durch die er- wähnten Aviditätsdifferenzen zu erklären, so daß also von einer Einheitlichkeit der Antikörper keine Rede mehr sein kann. Damit ist aber in der Tat diese Grundlage der ARRHENIUS- schen Berechnungen erschüttert. 232 XIV. Enurtıchs Toxinanalyse. Literatur. Eskrıch, Wertbemessung des Diphtherieheilserums, Klin. Jahrb., 1897, Bd. VI; Fischer, Jena 1897. Ders., Zur Kenntnis der Antitoxinwirkung, Fortschr. d. Med., 1897, Bd. XV; Deutsche med. Wochenschr., 1898, Bd. XXIV, Nr. 38; Berlin. klin. Wochen- schrift, 1903, Nr. 35—37; Münchn. med. Wochenschr., 1903, Nr. 33 u. 34. ARRHEnIus und Mapsen, Zeitschrift f. physik. Chemie, 1903, Bd. XLVI, Heft 1. Mapsex und Warsom, Zentralbl. f. Bakt- 1904, Bd. XXXVI. ARRHENIUS, Immunochemie. Leipzig, Akadem. Verlagsges., 1907. AscHoFFr, Ehrlichs Seitenkettentheorie usw., Fischer, Jena 1902. OPPENHEIMER in KoLLr-Wassermanss Handbuch der pathogenen Mikroorganismen: Die Bakteriengifte. v. Dusseern, Deutsche med. Wochenschr., 1904. Danysz, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1902. Nersst, Zeitschr. f. Elektrochem., 1904. Sıcas, Zentralbl. f. Bakt., 1904, Bd. XXXVL. Mürzer, P. T#., Arch. f. Hyg., 1908. Micnaruis, Physik. Chemie der Kolloide, in „Physik. Chemie u. Medizin“ von v. Koräsyı und RiıcHTer, Leipzig 1908. ” XV. Lysine und Antilysine. Nach unseren eingehenden Studien über die Toxine und ihre Beziehungen zu den Antitoxinen müssen wir uns jetzt der näheren Betrachtung zweier anderer Arten von Antikörpern zuwenden, die von ganz hervorragender Bedeutung für die Immunitätslehre geworden sind: der Betrachtung der Immunhämolysine und -bakteriolysine. Wir haben bereits bei Besprechung der analogen Wirkungen nor- maler Blutsera darauf hingewiesen, daß die dort beobachtete Beteiligung zweier durch ihre Resistenz gegen höhere Wärmegrade voneinander ver- schiedener Komponenten auch für die immunisatorisch erzeugten Lysine ihre Gültigkeit besitzt, und in der Tat ist der komplexe Bau dieser wirksamen Substanzen ja gerade zuerst an den Immunseris erkannt worden, während der gleiche Nachweis für die Normalsera wegen seiner weit größeren technischen Schwierigkeit erst viel später gelungen ist. Daß das Preirrersche Phänomen der Bakterienauflösung durch Immunserum in der ersten Zeit nur im Tierkörper, in der Bauchhöhle des Meerschweinchens beobachtet werden konnte, haben wir bereits erwähnt und auch der irrtümlichen Deutung gedacht, die PrEirrer damals dieser Tatsache gegeben hatte. Erst METSCHNIKOFF hat den körnigen Bakterienzerfall mit Sicherheit auch im Reagenzglas hervorrufen ge- lehrt, indem er dem Immunserum etwas frisches Peritonealexsudat 'beimengte, und sein Schüler Borper konnte darauf zeigen, daß schon vollkommen frisches Immunserum an und für sich imstande ist, die Choleravibrionen zu zerstören, daß jedoch diese Fähigkeit bei längerer Aufbewahrung des Serums, besonders bei höherer Temperatur, bald erlischt, um durch Zusatz frischen normalen Serums wiederhergestellt zu werden. Endlich hat BoRDET, dem das Verdienst zukommt, die ersten grundlegenden Versuche auf diesem Gebiete angestellt zu haben, die Synergie zweier verschiedener Komponenten, einer thermostabilen und einer thermolabilen, auch für die hämolytischen Wirkungen der Immunsera nachweisen können, und alle Forscher, die sich seither mit den spezifischen Hämolysinen beschäftigt haben, sind zu demselben Er- gebnis gelangt, das daher als vollkommen sichergestellt gelten kann. Während also die normalen und die durch Immunisierung er- Komplexer Bau der Lysine. re zeugten Lysine in ihrem Aufbau dem gleichen Plane zu folgen scheinen Unterschied und aus einem hitzebeständigen Körper, den wir früher als Ambozeptor bezeichnet haben, und aus einem leicht zerstörbaren Komplement be- in der Wir- kung der normalen und der stehen, zeigen sich in der Intensität ihrer Wirkung sehr beträchtliche immunsera. Unterschiede. Die Immunsera sind nämlich ganz unvergleichlich viel wirksamer als die Sera normaler Tiere derselben Spezies und vermögen daher oft noch in vielhundertfacher Verdünnung Blutkörperchen oder Komple- mentgehalt der Immun- sera. Ambo- zeptoren. Sensibili- sierung der Blut- körperchen. 234 XV. Lysine und Antilysine. Bakterien aufzulösen, wo die Normalsera absolut keinen Effekt mehr erkennen lassen. Wir müssen uns daher sofort die Frage vorlegen, welche der beiden wirksamen Komponenten denn durch den Vorgang der Immuni- sierung eine so hochgradige Vermehrung erfahren hat und ob etwa beide Bestandteile der Lysine an dieser immunisatorischen Anreicherung Anteil nehmen. BorDET und v. DunGErN haben über diesen Punkt sehr ein- gehende und genaue quantitative Untersuchungen angestellt. Als deren Ergebnis hat sich nun die wichtige Tatsache herausgestellt, daß deı Komplementgehalt der Immunsera absolut nicht größer ist als der normaler Sera und daß daher der bedeutende Unter- schied in der Wirksamkeit beider tierischer Flüssigkeiten nur auf ihren verschiedenen Gehalt an Ambozeptoren bezogen werden kann. In der Tat war stets die thermostabile Komponente der Hämolysine oder Bakteriolysine in den Immunseris ganz außer- ordentlich reichlich vorhanden, so daß oft noch 0,001 ccm des in- aktivierten Serums zur Lösung von 1 Tropfen Blut vollkommen ge: nügte, und es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß gerade dieser Serumbestandteil als der neugebildete angesehen werden muß, der unter dem Einfluß der Immunisierung entsteht und dem Serum erst den Charakter eines spezifischen Immunserums aufprägt Aus diesem Grunde hat man daher die thermostabile Komponente früher auch häufig als Immunkörper bezeichnet, ein Ausdruck, deı übrigens heute fast ganz hinter dem synonymen, aber bezeichnenderen Terminus Ambozeptor in den Hintergrund getreten ist, auf dessen Bedeutung wir gleich zurückzukommen haben werden. Noch ein zweites, besonders von französischen Forschern be- nutztes Synonymon müssen wir hier kurz erwähnen, da in ihm, wie in dem Namen Ambozeptor, theoretische Anschauungen über die Natuı der spezifischen Zytolyse zum Ausdruck gelangen. Hält man sich näm- lich vor Augen, daß z. B. rote Blutkörperchen in dem normalen art- eigenen Blutserum absolut keinen Schaden erleiden, dagegen nach Zu- satz einer Spur geeigneten hämolytischen Immunserums der Auflösung verfallen, so hat es ganz den Anschein, als ob die Blutkörperchen erst durch den an und für sich unwirksamen Ambozeptor für die Einwir- kung des Komplements empfänglich gemacht, sensibilisiert worden seien, und man hat, aus dieser Anschauung heraus, das in dem Immun- serum enthaltene Agens als Substance sensibilisatrice bezeichnet. Ganz ähnlichen Ideen folgend hat GRUBER dieser thermostabilen Sub- stanz den Namen Präparator gegeben. { In welcher Weise wirkt nun der Ambozeptor — wir wollen bei dem schon öfter gebrauchten Ausdrucke bleiben — auf die roten Blut- körperchen bezw. auf die Bakterien ein und welche Rolle ist bei dem sich schließlich abspielenden Auflösungsvorgange dem Komplement zu- Einwirkung zumessen? Wir sind dieser Frage, die sich manchem von Ihnen viel- des Ambo- zeptors auf die Zelle. leicht schon bei unserer Besprechung der normalen hämolytischen und bakteriziden Serumwirkungen aufgedrängt hat, bis jetzt geflissentlich ausgewichen, da ihre Beantwortung die Kenntnis einiger Eigenschaften der Antikörper voraussetzt und da das Studium derartiger schwieriger Probleme zweifellos bei den hochwirksamen Immunseris viel mehr Aussicht auf Erfolg bieten muß, als bei dem relativ nur wenig aktiven Serum normaler Tiere. * XV. Lysine und Antilysine, 235 Um nun in dieser Richtung zu Anhaltspunkten zu gelangen, müssen wir uns zunächst daran erinnern, daß die Ambozeptoren — und zwar gilt dies sowohl für die normalen wie für diejenigen der Immunsera — durch eine besondere Affinität zu jenen zelligen Ele- menten ausgezeichnet sind, auf welche sie einzuwirken vermögen, und daß es z. B. leicht gelingt, durch Zusatz roter Blutkörperchen zu dem betreffenden inaktiven Immunserum, dessen gesamten Gehalt an sensi- bilisierenden Substanzen an die Erythrozyten zu binden und mit diesen aus dem Serum zu entfernen. Nimmt man mit EnkuicH an, daß es sich bei dieser Bindung und Absorption um einen chemischen Prozeß handelt, der etwa mit der Neutralisation einer Säure durch eine Base oder mit der Addition einer Säure an ein Amin zu vergleichen wäre, so ergibt sich als notwendige Folgerung, daß das Molekül des. Ambozeptors eine oder mehrere Atomgruppen besitzen muß, welche die Verbindung mit dem roten Blutkörperchen vermittelt. EHrLıcH nennt diese einstweilen noch nicht bestimmter anzugebenden und chemisch zu definierenden Bestandteile des Ambo- zeptors — wie beim Toxin — dessen haptophore Gruppen. Ebenso muß an dem roten Blutkörperchen die Existenz derartiger, für die Verbindung mit dem Ambozeptor bestimmter haptophorer Gruppen vorausgesetzt werden, welche EurLica als Rezeptoren bezeichnet.!) Rezeptoren. Bringt man nun weiterhin Erythrozyten in das normale aktive Unfähigkeit Blutserum der gleichen Tierart oder auch in dasjenige anderer Tier- spezies, welches jedoch die roten Blutkörperchen nicht zu schädigen und aufzulösen vermag, und prüft nach längerdauernder Digestion des Ge- misches den Komplementgehalt der Suspensionsflüssigkeit, so findet man denselben unverändert. Versetzt man die abzentrifugierten roten Blutkörperchen mit etwas inaktivem Immunserum, fügt also hämo- lytischen Ambozeptor hinzu, so sieht man jede Hämolyse vollkommen ‚ausbleiben — beides ein Beweis dafür, daß die roten Blutkörper- chen für sich allein nicht imstande sind, das Komplement zu absorbieren oder, um es in Eurtıchs Sprache auszudrücken, dab das Komplement keine haptophoren Gruppen besitzt, welche in diejenigen der Erythrozyten einpassen würden. Nicht weniger instruktiv ist ein weiterer Versuch, den wir BORDET verdanken. Fügt man nämlich sensibilisierte, d. i. mit Ambozeptor be- ladene Blutkörperchen zu einem normalen, aktiven Serum hinzu, in dem sie der Auflösung anheimfallen, so findet man, daß dass Komplement hierbei vollkommen aus der Flüssigkeit ver- schwindet, so daß sie nicht mehr imstande ist, neuerdings zu- gesetzte sensibilisierte Erythrozyten zu lösen. Während also, wie wir eben gesehen haben, die normalen Blutkörperchen kein Komplement zu binden vermögen, werden sie durch den Vorgang der Sensi- bilisierung dazu befähigt. Der an die Erythrozyten gefesselte Ambozeptor vermittelt somit zweifellos die Aufnahme des Komplements, und die einfachste Vorstellung, die man sich von diesem Vorgange machen kann, ist wohl die, daß der Ambozeptor selbst mit !) Derartige Rezeptoren finden sich übrigens nicht nur an Zellen vor, sondern vielfach auch in den Körperflüssigkeiten gelöst, weshalb es auch ge- lingt, durch Einspritzung von zellfreiem Blutserum, ja selbst von Harn hämo- \ e Ambozeptoren zu gewinnen. Man bezeichnet diese, offenbar im Laufe er Stoffwechselvorgänge in die Gewebssäfte übergetretenen Rezeptoren als „freie Rezeptoren“, der Erythro- zyten, Kom- plement zu binden. Komple- mentbin- dung durch sensibilierte 236 XV. Lysine und Antilysine. Affinitäten zu dem Komplement ausgestattet ist und dasselbe dem um- gebenden Medium entreißt, um es auf die roten Blutkörperchen zu fixieren. Zytophile Schließt man sich dieser Auffassung von EHRLICH und MOoRrGEN- entorhie ROTH an, so ergibt sich daraus als weitere Konsequenz, daß man den Gruppe. Ambozeptoren nicht nur, wie bereits erwähnt, haptophore Gruppen für die Verbindung mit den Erythrozyten (bezw. Bakterien) zuschreiben muß, sondern auch solche, welche die Verankerung des Komple- ern eh ne sh TUR ia = ae Gruppe 3 Rezeptor des roten /..— Blutkörperchens ige 9, -... Komplement Komplement -- Mg b b’ verschiedene kom- Komplement plementophile Gruppen a zytophile Gruppe d d’ verschiedene Re- "2 zeptoren PR Folyzeptor . -—- Rezeptor Fig. 10. ments besorgen, und daß daher die Ambozeptoren als Gebilde ange- sehen werden müssen, welche nach zwei verschiedenen Seiten hin mit freien Affinitäten ausgestattet sind, wie dies auch in ihrem Namen zum Ausdruck gelangt. Bohemsa von Um ihre Anschauungen über die gegenseitigen Beziehungen von ind Komplement, Ambozeptor und Rezeptoren noch leichter verständlich zu Morgen machen, haben EurLıch und MORGENROTH zu dem Hilfsmittel einer “ schematischen bildlichen Darstellung gegriffen, die wir in Fig. 9 wiedergeben und die natürlicherweise nur den Wert eines Symbols für sich in Anspruch nehmen kann, trotzdem aber sich wegen ihrer u U XV. Lysine und Antilysine. 237 klaren Übersichtlichkeit sowohl als didaktisches als auch als heuristisches Hilfsmittel außerordentlich bewährt hat. Fig. 9 läßt sehr deutlich er- kennen, wie das (schwarz gezeichnete) Komplement, das mit einem Fort- satz in eine entsprechende Vertiefung (die komplementophile Gruppe) des Ambozeptors hineinpaßt, durch Vermittlung des letzteren an das Blutkörperchen bezw. an dessen Rezeptoren gebunden wird, die selbst wieder durch geeignete räumliche Formation befähigt erscheinen, den „zytophilen‘‘ Fortsatz des anderen Ambozeptorendes aufzunehmen und festzuhalten. Diese Vorstellungen bedürfen nun aber noch einer gewissen Er- weiterung, um mit den beobachteten Erfahrungstatsachen in möglichst vollkommenen Einklang gebracht zu werden. Wir haben in der vor- hergehenden Vorlesung, bei dem Studium der quantitativen Bindungs- verhältnisse zwischen Antikörpern und Antigenen, gesehen, daß z. B. die roten Blutkörperchen imstande sind, bei weitem größere Ambozeptor- apparat“ der mengen zu absorbieren, als zu ihrer Auflösung erforderlich wären. Halten wir diese Tatsache nun mit dem EmkrtıcH-MoRGENRoTH schen Schema zusammen, so ergibt sich hieraus die weitere Folgerung, daß das einzelne rote Blutkörperchen nicht nur einen einzigen Rezeptor für das betreffende Hämolysin besitzen kann, son- dern eine ganze Schar derselben enthalten muß. Bedenken wir nun aber weiter, daß jede Art von roten Blutkörperchen durch eine große Zahl verschiedenartiger Sera, ja auch durch gewisse bakterielle und pflanzliche Gifte aufgelöst wird, deren jedes wohl ganz spezielle Rezeptorenarten zum Angriffspunkte auswählt, so sehen wir uns zu der weiteren Annahme genötigt, daß die Rezeptoren des einzelnen Erythro- zyten nicht alle miteinander identisch sein können, sondern daß das scheinbar so einfach gebaute rote Blutkörperchen über einen ganzen komplizierten Rezeptorenapparat verfügen muß. Ferner: da die Ambozeptoren desselben Immunserums nicht nur durch ein einziges Komplement aktiviert werden können, sondern in dem normalen Serum ganz verschiedener Tierspezies passende Komplemente vorfinden, die man, wie besondere Studien gelehrt haben, nicht als identisch betrachten kann, so wird man weiterhin annehmen müssen, daß auch die Ambozeptoren mehr als eine komplementophile Gruppe enthalten werden und wird auf diese Weise zu dem Be- griffe des Polyzeptors gelangen, der in Fig. 10 durch die EHrricH- sche Zeichensprache versinnbildlicht ist. Wir müssen uns leider hier versagen, auf die interessanten Versuche von Enrrıch und MARSHALL des näheren einzugehen, welche die Existenz derartiger Polyzeptoren sehr wahrscheinlich machen, und müssen uns mit den obigen Andeu- tungen begnügen, die wohl hinreichen dürften, um die reichen Kom- binationsmöglichkeiten, die sich aus der Verteilung der verschiedenen haptophoren Gruppen ergeben, wenigstens ahnen zu lassen. Nur kurz erwähnt sei noch bei dieser Gelegenheit, daß häufig durch die Poly- zeptoren auch Komplemente verankert werden, die im speziellen Falle gar nicht zur Wirkung gelangen, also z. B. bei hämolytischen Versuchen auch Komplemente, die nur bakterizide Wirkungen auszu- lösen vermögen. EurticH bezeichnet daher die wirklich in Aktion \tretenden Komplemente zum Unterschied von den zwar gebundenen, aber unwirksamen, als dominante Komplemente. | Noch einmal kurz zusammengefaßt, stellt sich also nach der Auf- |fassung von Erktich und MoRGENRoTH die Beziehung zwischen den „Rezep. tor rythro- zyten. Polyzeptor. Dominante Komple- mente, 238 XV. Lysine und Antilysine. beiden Komponenten der Lysine und den der Lösung unterworfenen zelligen Elementen folgendermaßen dar: das eigentlich wirksame Agens, das vielfach fermentartig gedacht wird, ist das Kom- plement. Damit dieses aber auf die Bakterien oder auf die Erythro- zyten einzuwirken vermag, muß es mit gewissen Bestandteilen dieser Zellen in Verbindung gebracht werden, und diese Verbindung wird durch den Ambozeptor hergestellt. Wäre es erlaubt, den Fıscuerschen Vergleich von Schlüssel und Schloß, den Enkuıch, wie bereits erwähnt, mit Erfolg auf das Ver- halten der Antikörper zu den Antigenen übertragen hat, noch etwas weiter auszuspinnen, so könnte man das Zusammenwirken von Ambo- zeptor und Komplement vielleicht noch in folgender Weise verdeutlichen: Das wirksame Agens, welches das Schloß aufzuschließen vermag, ist die Muskulatur der Hand. Diese findet aber an dem Gefüge des Schlosses ebensowenig einen Angriffspunkt, wie etwa das Komplement an den roten Blutkörperchen. Es bedarf daher die Hand noch eines besonderen Werkzeuges, des Schlüssels (Ambozeptors), welcher einer- seits durch seinen Bart (die zytophile Gruppe) in den Mechanismus des Schlosses einzugreifen vermag, andererseits aber der Hand selbst durch seinen Griff (die komplementophile Gruppe) die nötige Stütze für ihre Aktion darbietet und auf diese Weise den Effekt der Muskelkontrak- tionen auf das Schloß überträgt. Diese Auffassung, die Enktıch und MORGENROTH vertreten, ist Bordets jedoch durchaus nicht die einzig mögliche. Besonders BorvET hat eine Erz andere Vorstellung hierüber entwickelt, die darauf hinausläuft, daß die theorie. Komplemente zwar direkt auf die betreffenden zelligen Elemente, Blut- körperchen oder Bakterien, einwirken sollen, dazu aber eines Mittels bedürfen, das dieselben erst für die Komplementwirkung empfänglich mache oder sensibilisiere, ganz ähnlich wie gewisse Farbstoffe erst dann an Geweben haften, wenn letztere durch geeignete Beizen präpa- riert worden sind. Es würde weit über den Plan dieser Vorlesungen hinausgehen, wollten wir hier alle die verschiedenen, z. T. sehr subtilen Versuche vorbringen, die BORDET ausgeführt hat, um seine Ansicht über die Funktion der „‚Substance sensibilisatrice‘“ zu stützen. Es sei nur so viel hier bemerkt, daß dieselben fast durchwegs auf der bis zu einem ge wissen Grade willkürlichen Voraussetzung fußen, daß in jedem Immun serum nur eine einzige Art von Ambozeptoren bezw. Komplementen enthalten sei. Schließt man sich jedoch der durch außerordentlich zahl- reiche Untersuchungen Erkrtichs und seiner Schüler wohlbegründeten Lehre von der Multiplizität dieser wirksamen Substanzen an, so fügen sich alle von BoRDET vorgebrachten Tatsachen zwanglos dem EHRLICH MOoRrGENRoTHschen Schema ein, so daß also bis jetzt keine Nötigung besteht, von demselben abzugehen. Ja, noch mehr: Enrtıchs Schüler haben eine Reihe von Tatsachen ermittelt, welche der BoRrDETschen Auffassung von der sensibilisierenden Funktion der Ambozeptoren direk zu widersprechen scheinen. Wir wollen nur eine derselben, welche auch anderweitig von außerordentlichem Interesse ist, hier kurz be- sprechen. Komple- NEISSER und WECHSBERG haben zuerst das schon früher gelegen ablenkung. lich beobachtete, aber bei dem damaligen Stande des Wissens voll kommen unverständliche Faktum, daß bei bakteriziden Versuchen manch- mal ein Zuviel des Immunserums eher schädlich als nützlich wirkeı XV. Lysine und Antilysine. 239 nd den keimtötenden Effekt sogar aufheben kann, einer eingehenden Intersuchung unterzogen. Wir geben in der beistehenden Tabelle eines ırer Versuchsprotokolle, das diese Verhältnisse außerordentlich deutlich lustriert, in extenso wieder. Es handelte sich bei diesem Experiment m das Serum eines Kaninchens, das gegen den Vibrio Metschnikoff nmunisiert worden war. Zur Komplettierung diente normales aktives ‚aninchenserum; das Immunserum kam im inaktivierten Zustande zur erwendung. Jedes der Röhrchen, welche verschiedene Mengen des mmunserums und stets 0,3 ccm Normalserum enthielten, wurde mit Tropfen Bouillon versetzt, mit physiologischer Kochsalzlösung auf eiches Volumen aufgefüllt und dann mit !/;ooo ccm einer eintägigen ouillonkultur von Vibrio Metschnikoff beschickt, worauf die Proben für Stunden in den Thermostaten gestellt und nach Ablauf dieser Zeit ı Agarplatten verarbeitet wurden. naktiviertes Immunserum Normales aktives Serum Kueaı in cem in cem nach 3 Stunden 1,0 0,3 oo 0,5 0,3 co 0,25 0,3 viele Tausende 0,1 0,3 einige Hunderte 0,05 0,3 ca. 100 0,025 0,3 ca. 50 0,01 0,3 0 0,005 0,3 0) 0,0025 03 0 0,001 0,3 oo 0,0005 0,3 oo 0 0.3 oo 0,01 0 (0) Wie man sieht, wurden also bei Verwendung von 0,01—0,005 cem mmunserum viele Tausende der ausgesäten Vibrionen vollkommen ab- tötet. Kleinere Ambozeptormengen zeigten einen schwächeren bakteri- den Effekt, der bei 0,001 ccm bereits ganz unmerkbar wurde und einer 'hrankenlosen Vermehrung der Mikroorganismen Platz machte. Aber auch eine Steigerung der zugesetzten Mengen des Immun- rums über den Betrag von 0,01 ccm hinaus ließ eine deutliche Ab- ;hwächung der bakteriziden Wirkung erkennen, die schon bei 0,25 bis 2 ccm vollkommen aufgehoben erschien. Trotzdem also in diesem alle 50—100-, ja 200mal soviel Ambozeptor in den betreffen- en Proben enthalten war, als zur Vernichtung der eingesäten (eime erforderlich gewesen wäre, blieb hier doch jede Bak- »riolyse gänzlich aus. Wie ist nun diese merkwürdige Erscheinung ı erklären? Daß dieselbe mit der Borperschen Annahme einer Sensibilisierung Deutung des ler Beizung der Mikroorganismen durch den Ambozeptor des Immun- rums unvereinbar erscheint, ist leicht einzusehen. Denn diese Sensi- lisierung müßte ja natürlicherweise um so intensiver sein, je größer ie Menge der angewendeten Beize ist, und um so lebhafter müßte dem- atsprechend auch die Bakterienvernichtung vor sich gehen. Wie jedoch 240 XV. Lysine und Antilysine. durch Vermehrung der zugesetzten Ambozeptormenge der bakterizide Effekt aufgehoben werden kann, darüber vermag die Sensibilisierungs- theorie absolut keinen Aufschluß zu geben. Wie stellt sich hingegen die Enrtica-MORGENROTHsche Auffassung der Ambozeptorwirkung diesem merkwürdigen Phänomen gegenüber? Wir haben gesehen, dal die zelligen Elemente zwar im allge- meinen mehr Ambozeptoren aufzunehmen vermögen, als zu ihrer Zer- störung erforderlich erscheint, daß aber diese Absorption für gewöhn- lich keine vollständige ist. Fügt man daher zu den betreffenden Bakterien einen beträchtlichen Überschuß an Immunserum hinzu, so wird sicher nur ein Teil des darin enthaltenen Ambozeptors an deren Rezeptoren Platz finden, ein mehr oder weniger großer Teil desselben wird jedoch frei in der Flüssigkeit gelöst bleiben. Nun besitzt aber das Komplement, das zur Aktivierung des Immunserums benutzt wird und das im Verhältnis zu den kolossalen Ambozeptormengen, die dabei ins Spiel kommen, nur in sehr geringer Quantität zugegen ist, nach Enrrrıch und MORGENROTHs Anschauung eine Affinität zu der kom- plementophilen Gruppe des Ambozeptors. Da jedoch die vorhandenen Komplementmengen nicht dazu ausreichen, um alle Ambozeptoren des im Überschuß zugesetzten Immunserums zu aktivieren, so werden sich also die ersteren in irgend einer Weise auf die Ambozeptoren ver- teilen müssen, und ein bestimmter Teil von diesen wird un- komplettiert bleiben. Nun sind aber in unserer Flüssigkeit neben jenen Ambozeptoren, welche an die Bakterien gekettet sind, wie wir gesehen haben, noch große Mengen freier Ambozeptoren vorhanden, welche ganz ebenso komplementgierig sind, wie jene und daher auch einen entsprechenden Bruchteil der vorhandenen Komplementmenge für sich in Anspruch nehmen. Dieser Bruchteil wird naturgemäß um so größer sein müssen, je mehr sich das gegenseitige Mengenverhältnis der fixierten und der freien Ambozeptoren zugunsten der letzteren ver- schiebt. Da das von den freien Ambozeptoren absorbierte Komplement aber gar nicht mit den Mikroorganismen in Wechselwirkung zu treten vermag, so ist es somit für die bakteriolytischen Vorgänge vollkommen verloren, und es ge langt nur jener Teil des Komplements zur Wirkung, welcher von gebundenen Ambozeptoren mit Beschlag belegt wurde Mit anderen Worten, der freibleibende Überschuß an Ambo- zeptoren lenkt das Komplement geradezu von den Bakterien ab, und es ist daher nur ganz begreiflich, wenn unter geeigneten quanti. tativren Verhältnissen der auf die Bakterien entfallende Komplemen anteil zu gering ist, um noch eine Auflösung derselben hervorzurufen. Damit ist aber das in Rede stehende paradoxe Phänomen anschei nend in einfachster Weise erklärt. Nur ein Punkt, den wir bisher übergangen haben, bedarf hierbei Aviditäts- noch einer kurzen Besprechung. Wir haben bei unserer obigen Ds urn vei Jegung die stillschweigende Voraussetzung gemacht, daß die Affinitäter setzung hap. Welche der Ambozeptor einerseits zu den Zellrezeptoren, andererseits ae "zu dem Komplement besitzt, durch Okkupierung einer seiner beider "PER haptophoren Gruppen keine Veränderung erleidet. Nun ist es aber eine ganz bekannte Tatsache, daß die Affinitäten chemischer Stoffe durecl Einführung mancher Atomkomplexe, die sonst deren Gresamtcharakter nicht wesentlich modifizieren, herabgesetzt oder erhöht werden können Es ist daher von vornherein durchaus nicht unwahrscheinlich XV. Lysine und Antilysine. 241 daß ähnliche Aviditätsveränderungen auch bei den Ambozep- toren eine Rolle spielen. Wir wollen nur zwei der möglichen Fälle hier einer kurzen Betrachtung unterziehen. 1. Fall. Es möge die Affinität der komplementophilen Gruppe Wichtigkeit des Ambozeptors abnehmen, wenn er an die entsprechenden Zell- tsverbält- rezeptoren gekettet wird. Was wird die Folge davon sein? Zweifel- nisse für die los wird in diesem Falle das Komplement ganz besonders an die freien ne Ambozeptoren, die noch über ungeschwächte Avidität ver- "rkuns- fügen, herantreten, und es wird ein großer Teil der verankerten Ambozeptoren ohne Komplement bleiben: mit anderen Worten, das Phänomen der Komplementablenkung wird in diesem Falle noch viel prägnanter hervortreten müssen, als wenn die Avidität zu dem Kom- plement durch die Verankerung der zytophilen Gruppe unverändert ge- blieben wäre. Wie aber, wenn umgekehrt die Avidität der komplementophilen Gruppe unter dem Einfluß der angelagerten Zellrezeptoren nicht ab-, sondern zunimmt? Auch in diesem zweiten Falle ist leicht vorher- zusehen, was geschehen muß. Hier wird das Komplement sich eben vor allem an die stärker aviden, gebundenen Ambozeptoren heran- drängen und diese gegenüber den freien bevorzugen. Folglich werden in diesem Falle fast alle gebundenen Ambozeptoren aktiviert werden, es wird energische Zytolyse auftreten und von einer Komplement- ablenkung wird nichts zu bemerken sein. Dieser zweite Fall scheint sich in Wirklichkeit bei den hämoly- tischen Immunseris realisiert zu finden, da es trotz vielfacher, eigens darauf gerichteter Bemühungen lange Zeit!) nicht gelungen ist, durch einen Überschuß an solchen Ambozeptoren Komplementablenkung zu erzeugen. Daß diese ganze, eben entwickelte Erklärung des in Rede stehen- Gründe für omens' tatsächlich ‘das Richtige treffen dürfte, dafür sprechen er ouire noch eine Reihe von wichtigen Kontrollversuchen, w elche ergaben, daß Deutung. nicht nur normales inaktives Serum in dieser Richtung vollkommen in- different ist und keine Spur von Komplementablenkung hervorzurufen vermag, sondern daß man auch einem wirksamen Immunserum seine ablenkende Fähigkeit nehmen kann, wenn man seine Ambozeptoren vorher durch zugesetzte Bakterienmassen ab- sorbiert und mit diesen durch die Zentrifuge entfernt. Dieser Ver- such beweist zur Evidenz, daß es in der Tat der relative Ambozeptor- überschuß des Immunserums ist, der die Ablenkung bedingt. Endlich kann man die ablenkende Kraft des Immunserums auch durch Zusatz genügender Komplementmengen zum Schwinden bringen, eine Tatsache, die sich nach dem oben Gesagten ganz von selbst versteht, da in diesem Falle eben auch für die verankerten Ambozeptoren genug Komplement übrigbleiben wird, um Bakteriolyse hervorzurufen. Offenbar kommt eben alles hierbei auf das richtige Mengenverhältnis der beiden Komponenten an, die sich gegenseitig zum Zytolysin ergänzen. Wir wären auf das Phänomen der Komplementablenkung nicht so ausführlich zu sprechen gekommen, wenn nicht manche Forscher die Vermutung geäußert hätten, daß dasselbe nicht nur in vitro bei 1) Erst durch eine besondere Versuchsanordnung gelang es MoRGENROTE, auch hier Komplementablenkungen zu erzeugen (Zentralbl. f. Bakt., 1904). Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 16 Anti- zytolysine. Anti- komplement und Anti- ambozeptor. 242 XV. Lysine und Antilysine. den bakteriziden Versuchen, sondern unter Umständen auch im leben- den Organismus eine Rolle zu spielen vermag. Denken wir uns näm- lich ein hochimmunisiertes Tier, in dessen Gewebsflüssigkeiten große Mengen bakteriolytischer Ambozeptoren kreisen, während ihr Komple- mentgehalt, der ja, wie wir gesehen haben, bei der Immunisierung keine Steigerung erfährt, relativ nur ein sehr geringer ist, so wären im Falle einer Infektion dieses Tieres mit den entsprechenden Mikroorganismen alle Vorbedingungen für das Zustandekommen der Komplementablenkung gegeben, und das Tier müßte trotz seiner hochgradigen Immunität oder richtiger, aber paradoxer ausgedrückt, gerade infolge seiner hochgradigen Immunität zugrunde gehen. In der Tat hat R. Preirrfer Beobachtungen machen können, die möglicherweise eine solche Deutung zulassen. Mehrfach gingen ihm nämlich hoch- immunisierte Meerschweinchen schon nach der Injektion mäßiger Vibrionenmengen ein, und es fand sich bei der Sektion, daß in der Bauchhöhlenflüssigkeit lebende Mikroben, gelegentlich sogar in beträcht- licher Anzahl enthalten waren. Trotzdem zeigte das Herzblut der Kadaver bei der Übertragung auf neue Meerschweinchen noch in minimalen Dosen die stärksten vibrionenauflösenden Wirkungen. Frei- lich muß hierzu bemerkt werden, daß diese Tatsachen auch eine ganz andere Deutung zulassen und daß es FRIEDBERGER bei eigens darauf gerichteten Versuchen selbst mit einem 15000 fachen Ambozeptorüber- schuß nicht gelingen wollte, Komplementablenkung im Meerschweinchen- peritoneum hervorzurufen. In der Komplementablenkung haben wir somit eine jener mannig- faltigen Ursachen kennen gelernt, durch die der normale Ablauf bakteriolytischer Vorgänge gehemmt werden kann. Einer zweiten Art von Hemmung haben wir bereits bei unserer allgemeinen Besprechung der Antikörper kurz Erwähnung getan, nämlich der Hemmung durch Antizytolysine, und wir müssen uns nun mit dem Mechanismus dieses interessanten Vorganges etwas eingehender befassen. Welche Vorstellung man sich auch von dem Wesen der Lysin- wirkung gebildet haben mag, ob man sich der BorpErschen Sensibili- sierungshypothese anschließt oder die EnrLich-MorGEnrorTusche Ambo- zeptorentheorie bevorzugt, jedenfalls wird man voraussetzen dürfen, daß eine derartige Hemmung durch Antizytolysine in zweifacher Weise zustande kommen kann, je nachdem nämlich diese Antikörper ihre Wir- kung auf die thermostabile Komponente des Lysins, auf den Ambozeptor, oder auf die thermolabile, das Komplement, erstrecken. Wir werden also eine Hemmung, die durch Antiambozeptoren bedingt ist, von jener durch Antikomplement zu unterscheiden haben. Das Enktichsche Ambozeptorenschema läßt diese Möglichkeiten jedoch noch weiter spezifizieren. Da nämlich die zytolytische Wirkung an die Intaktheit der Kette: Rezeptor— Ambozeptor—Komplement ge- knüpft erscheint, so ist klar, daß eine Unterbrechung derselben, an welcher Stelle sie auch statthaben mag, zu einer Hemmung der Lösungsvorgänge führen muß. Diese Unterbrechung wird dann zu- stande kommen, wenn irgend eine der hierbei ins Spiel kommenden haptophoren Gruppen nicht durch den entsprechenden Bestandteil des Zytolysins, sondern durch eine beliebige andere Substanz besetzt wird, die zufälligerweise über eine passende Gruppe verfügt. Bei der Lysinwir- kung kommen nun aber vier verschiedene haptophore Gruppen in Be- tracht: XV. Lysine und Antilysine. 243 die zytophile Gruppe des Ambozeptors, die komplementophile Gruppe des Ambozeptors, die haptophore Gruppe des Komplements, der Rezeptor der Zelle. PPDE | Jede dieser vier haptophoren Gruppen kann nun natürlich der Angriffs- punkt für eine Hemmungswirkung werden, indem sich an dieselbe eine Schema der nicht zu dem Zytolysin gehörige Substanz anlagert, und es ergeben sich Yirhiede- somit auf diese Weise rein theoretisch vier verschiedene Hemmungs- _mungs- ein ih ae Fin 5 - FR s wirkungen. modi, die in ihren näheren Einzelheiten durch die beistehenden Schemata illustriert werden. Wir wollen sie zum besseren Verständnis in Kürze erläutern. —Kı t “ Komplement omplemen “ Ambozeptor - Ambozeptor -- Antiambozeptor der zytophilen Gruppe -—- hemmende Substanz Fig. 11. — Schema 1. Fig. 13. — Schema III. -- Komplement en Antikomplement - Komplementoid (Antiambozeptor der komplemento- philen Gruppe) -- Ambozeptor — Ambozeptor My - Rezeptor N Rezeptor Fig. 12. — Schema II. Fig. 14. — Schema IV. Schema I. Die zytophile Gruppe des Ambozeptors erscheint durch Anti- einen schwarz gezeichneten Antiambozeptor besetzt, kann sich also ge er: nicht mit dem Zellrezeptor vereinigen, der somit frei bleibt. Zentrifugiert 2 man daher die zelligen Elemente von dem Gemisch von Ambozeptor, Antiambozeptor und Komplement ab, so zeigen sie sich für die Einwirkung des betreffenden Zytolysins vollkommen empfäng- lich. Hingegen vermag die abzentrifugierte Flüssigkeit nicht, neu hin- zugesetzte zellige Elemente aufzulösen. Schema II. Die haptophore Gruppe des Komplements erscheint durch ein Antikomplement gebunden, kann daher nicht mit dem anti- Ambozeptor in Verbindung treten. Hingegen steht der Verankerung des komplement, 16* "Anti- ambozeptor der komple- mentophilen Gruppe. Häufigkeit dereinzelnen Hemmungs- typen. Antiambo- zeptoren. 244 XV. Lysine und Antilysine. | Ambozeptors durch die Zellrezeptoren nichts im Wege. Die Zellen sind somit in diesem Falle „sensibilisiert“, und es genügt daher, sie durch Zentrifugieren von der überstehenden Flüssigkeit zu trennen und mit Komplement zu versehen, um vollkommene Zytolyse zu erhalten. Die abgegossene Flüssigkeit hingegen ist unwirksam. Schema III. Hier ist Komplement und Ambozeptor, also das gesamte Zytolysin, frei, nur die Zellrezeptoren sind verstopft. Die iso- lierten Zellen können durch Zusatz frischen Zytolysins nicht angegriffen werden. Hingegen zeigt die abzentrifugierte Flüssigkeit volle Wirk- samkeit. | Schema IV. Die komplementophile Gruppe des Ambozeptors er- scheint durch einen Antiambozeptor besetzt, das Komplement kann daher nicht an den letzteren herantreten und bleibt frei. Hingegen ver- bindet sich der andere Pol des Ambozeptors mit den Z ellrezeptoren. Zentrifugiertt man die Zellen ab, so zeigen sie sich weder für Kom- plementzusatz, noch für Zusatz des kompletten Zytolysins empfäng- lich. Die Flüssigkeit hingegen ist zwar an und für sich unwirksam, vermag aber noch neuen Ambozeptor zu aktivieren. Wie man aus dieser schematischen Darstellung entnimmt, gibt also das Verhalten der abzentrifugierten zelligen Elemente, sowie der klaren darüberstehenden Flüssigkeit einen deutlichen Anhaltspunkt da- für, welche der vier möglichen Hemmungsmechanismen im speziellen Falle vorliegen dürfte. Freilich gestaltet sich die Entscheidung in praxi durchaus nicht immer so einfach, wie es nach dem Schema erscheinen möchte, und es bedarf oft sehr subtiler Versuchsanordnungen, um dies- bezüglich zu einem klaren Resultate zu kommen. Nach unseren früheren Auseinandersetzungen dürfte es wohl ka noch erforderlich sein, besonders darauf hinzuweisen, daß die unumgäng- lich notwendige Vorbedingung für das Funktionieren derartiger Hem- mungsmechanismen ganz ebenso wie bei dem Phänomen der Komple- mentablenkung in geeigneten Aviditätsverhältnissen gesehen werden muß, indem natürlicherweise eine Verstopfung der entsprechen den haptophoren Gruppen durch die hemmende Substanz nur dann zu stande kommen kann, wenn deren Affinität zu diesen Gruppen srößer ist als die der entsprechenden Komponente des Zyto lysins, Fragen wir nun, welche dieser vier konstruierten Hemmungsmög; lichkeiten bei den antizytolytischen Serumwirkungen tatsächlich realisiert erscheinen, so finden wir, daß es besonders die Schemata II und sind, die in der überwiegenden Mehrzahl der untersuchten Fälle Beobachtung kamen. Viel seltener und meist nur bei ganz bestimmte Kombinationen treten hingegen andere Mechanismen in Kraft. Daraus geht also hervor, daß die antizytolytischen Sera nach EurLicas Termine logie entweder Antiambozeptoren oder, was noch häufiger der Fall ist, Antikomplemente enthalten müssen, wenn nicht etwa beide Arten von Antikörpern gleichzeitig nebeneinander vorhanden sind Was nun zunächst die Antiambozeptoren betrifft, so hat maı in der ersten Zeit der Hämolysinforschung die Häufigkeit des Typus L also der Antiambozeptoren der zytophilen Gruppe, entschieder überschätzt. Im weiteren Verlaufe der Untersuchungen hat sich je doch herausgestellt, daß die bei weitem überwiegende Mehrzahl det Antiambozeptoren sich nicht gegen die zytophile, sondern gegen di komplementophile Gruppe des betreffenden Ambozeptors richte XV. Lysine und Antilysine. 245 ılso seine Wirkung nach unserem Schema IV entfaltet. Hieraus er- zeben sich wichtige Folgerungen. Wir wir bereits erwähnt haben, können wir an den Ambozeptoren oder, richtiger gesagt, an den Poly- zeptoren neben der spezifischen zytophilen Gruppe einen großen Ap- parat komplementophiler Komplexe unterscheiden, welcher insofern nicht spezifischer Natur ist, als er entweder vollkommen yder doch teilweise einer ganzen Reihe verschiedenartiger Ambozeptoren desselben Tieres gemeinsam zukommt. Diese Gemeinsamkeit der komplementophilen Gruppen ist natürlich von ge- wisser ökonomischer Bedeutung für den biologischen Haushalt des Organismus, der auf diese Weise mit einer beschränkten Anzahl on Komplementen für ganz verschiedenartige Funktionen ausreicht. [mmunisiert man nun aber mit derartigen Ambozeptoren und entstehen iierbei Antiambozeptoren der komplementophilen Gruppe, so ergibt sich us dem eben Ausgeführten mit Notwendigkeit, daß diese Antikörper ich nicht nur gegen ihre speziellen Antigene richten werden, sondern sjegen alle Ambozeptoren mit identischem komplementophilen Apparat, gleichgültig, welche zytophile Gruppe dieselben be- itzen. So wird es also leicht verständlich, daß PrEıFrer und FrıEp- JERGER durch Vorbehandlung mit Choleraserum Antiambozeptoren jerstellen konnten, welche auch gegen Typhusserum (vom selben fiere) wirksam waren, und daß Borper solche Antiambozeptoren auch nit gleichartigem Normalserum erzielte. Dementsprechend gelingt s auch, die Antiambozeptorwirkung durch Zusatz normalen Serums ufzuheben. Die häufige Anwesenheit von Antikomplementen in den hem- Antikomple- nenden Antiseren gibt uns Veranlassung zu einer Reihe weiterer Be- """ rachtungen. Wir sind in einer früheren Vorlesung davon ausgegangen, laß die antizytolytischen Sera durch Immunisierung von Tieren gegen lie betreffenden Zytolysine erhalten werden. Wenn nun der Effekt lieser Immunisierung in vielen Fällen einzig und allein der zu sein cheint, daß Antikörper gegen das nichtspezifische, auch in nor- nalem Serum enthaltene Komplement entstehen, so muß es mög- ich sein, dieselben hemmenden Wirkungen auch mit einem Immunserum u erzielen, das nur durch Injektionen von normalem Serum gewonnen wurde. Dies ist in der Tat der Fall, und es genügt also, zur Er- eugung von antikomplementhaltigem Serum Tiere mit nor- nalem Blutserum einer fremden Tierspezies zu behandeln. Noch wichtiger und interessanter ist jedoch die folgende Tatsache. \ntikomplementär wirkende Substanzen entstehen nicht nur, wenn man u den immunitätsverleihenden Injektionen aktive Normalsera ver- endet, sondern auch nach der Einspritzung inaktivierter Sera, die Iso keine wirksamen Komplemente mehr enthalten. Dieses auffallende /erhalten hat man sich in folgender Weise zurecht gelegt. Wenn näm- ch auch die auf 55—60° erhitzten Komplemente noch als Antigene ungieren können, so mußte man dies wohl als einen Beweis dafür an ehen, daß sie trotz ihrer Unwirksamkeit nicht vollkommen erstört sein können, sondern daß gerade derjenige ihrer Bestand- eile, welcher zur Auslösung der Immunitätsreaktion erforderlich er- cheint, noch intakt geblieben sein muß. Man kommt somit auf diesem Vege naturgemäß zu der Annahme, daß die Komplemente zwei erschiedene „Gruppen“ enthalten müssen, an deren eine hre aktivierende Fähigkeit geknüpft erscheint, während Komple- mentoide. 246 XV. Lysine und Antilysine. der anderen Gruppe die antigenen Funktionen zugeschriebe: werden müssen. Nur die erstere Gruppe, die man als ergophore oder, wenn mai die Komplementwirkung als eine fermentative anzusehen geneigt ist als zymophore Gruppe bezeichnen kann, geht somit nach diese Auffassung bei dem Inaktivierungsvorgange zugrunde, die antigen Gruppe hingegen bleibt erhalten und kann erst durch viel höher Temperaturen (etwa gegen 80° C) zerstört werden. Eartichs Schule bezeichnet diese gewissermaßen verstümmelte Komplemente als Komplementoide. Nun ist es in einigen besonders günstig liegenden Fällen gelunger zu zeigen, daß solche Komplementoide noch imstande sein könner mit der komplementophilen Gruppe von Ambozeptoren in Verbindun zu treten und durch Verstopfung derselben Hemmungserscheinunge der Hämolyse hervorzurufen, die ihrem Mechanismus nach unserer Schema IV entsprechen würden. Die Komplementoide wirken som prinzipiell ganz analog wie die früher besprochenen Antiambozeptore der komplementophilen Gruppe. Daraus wird man aber den Schlu ableiten dürfen, daß die haptophore Gruppe des Komplements be der Inaktivierung ebenso unverletzt bleibt, wie wir dies soeben für di antigene Gruppe voraussetzen mußten, und unter diesen Umstände liegt gewiß die weitere Annahme außerordentlich nahe, daß dies beiden supponierten Gruppen überhaupt miteinander identisch und ein sind und daß wir also mit gewisser Wahrscheinlichkeit di haptophore Gruppe des Komplements als den Träger seine immunisierenden Eigenschaften auffassen dürfen, der zu Bildung der Antikomplemente Veranlassung gibt. Wie wir gesehe haben, findet diese Vermutung in gewissen Tatsachen, welche die al geschwächten Formen der Toxine, die Toxoide, betreffen, eine sel wesentliche Stütze. Entstehung Noch in anderer Richtung hat übrigens das Studium der Ant von Anti- komplemen nach Ein- spritzung tkomplemente nicht uninteressante Tatsachen zutage gefördert. Es i: nämlich WASSERMANN gelungen, durch Injektion von Exsudatleukozyter von Leuko- die durch sorgfältiges Waschen von den letzten anhaftenden Serun zyten. spuren befreit worden waren, Antikomplemente zu erzielen. Und i analoger Weise ist die Entstehung von Antikomplementen auch nac Einspritzung anderen Zellenmateriales beobachtet worden. Nur beiläuf sei übrigens hier noch erwähnt, daß gerade die immunisatorische Ei zeugung der Antikomplemente bis vor kurzem als der beste Bewe für die wirkliche Existenz der Komplemente angesehen wurde, die j: wie wir früher gesehen haben, von einer Anzahl von Forschern ar gezweifelt worden war. Allerdings haben nun die Arbeiten der jüngsten Zeit gelehrt, da in dieser Beziehung doch eine gewisse Einschränkung gemacht werde muß. Bereits im Jahre 1902 hatte nämlich GEnGoU die damals noc wenig beachtete Tatsache gefunden, daß die meisten präzipitinha tigen Sera die Fähigkeit besitzen, Komplement zu binden wenn sie mit den ihnen entsprechenden präzipitablen Substanzen, al: jeweilen mit Kasein, Eiweiß, Eigelb usw. zusammengebracht werden. D dieser Vorgang eine auffallende Ähnlichkeit mit der früher besprochene Bindung des Komplements an „sensibilisierte“ rote Blutkörperchen besitz so nahm GEnGoU an, daß auch bei der Immunisierung mit Eiweil körpern ein Ambozeptor, eine Substance sensibilisatrice entstehe, welel XV. Lysine und Antilysine. 247 die Fixierung des Komplements an die betreffenden Antigene vermittle („Borperscher Antikörper“. Siehe Vorlesung XT). Morksch hat dann diese Erscheinung experimentell weiter verfolgt und ist auf Grund seiner Versuche zu der Auffassung gelangt, daß mindestens ein großer Teil dessen, was man früher als Antikomplementwirkung an- zusehen geneigt war, lediglich auf einer Bindung des Kom- plements an ein Eiweißpräzipitat beruhe, das ja sehr häufig bei der Vermischung eines Immunserums mit seinem An- tigen — hier also mit dem komplementhaltigen Normalserum — ent- steht. Wenn sich nun auch diese Anschauung, wie Morescht selbst zeigen konnte, insofern als irrig erwiesen hat, als die GENGoU- sche Komplementbindung zwar regelmäßig bei der Reaktion zwischen Eiweißantigenen und ihren Antikörpern eintritt, aber keineswegs an das Ausfallen des Reaktionsprodukts in Form eines Niederschlages gebunden erscheint, so war doch durch diese Beobachtungen ein neuer Typus antikomplementärer Wirkung zu dem bisher bekannten und von uns besprochenen hinzugekommen, der sich seinem Mechanismus nach toto coelo von ihm zu unterscheiden schien, und es war daher nur berechtigt, wenn Morescui die Forderung aus- sprach, es müsse nun die Lehre von den Antikomplementen unter Berücksichtigung der neugewonnenen Erfahrungen einer gründlichen Revision unterzogen werden. Denn es war ja die Existenz wirklicher Antikomplemente hiermit vollkommen in Frage gestellt. Muß man, wie gesagt, die Berechtigung dieses Postulates ohne weiteres zugeben, so lehrt doch andererseits eine nüchterne Erwägung, daß der Unterschied, der zwischen dem Mechanis- mus dieses neuen Typus der Komplementausschaltung und demjenigen der Enrtichschen Antikomplemente besteht, denn doch kein so ge- waltiger ist, als es vielleicht auf den ersten Blick hin den Anschein haben könnte. Schon seit längerer Zeit haben nämlich E»rLich und seine Mit- arbeiter auf Grund von Tatsachen, die wir hier übergehen müssen, die Anschauung vertreten, daß die Antikomplemente nicht etwa nur eine einzige haptophore Gruppe besitzen, sondern daß sie neben der für das Komplement bestimmten Gruppe noch weitere Komplexe enthalten, die mit anderen Rezeptoren Verbindungen eingehen können, daß sie, mit anderen Worten, nach dem Typus von Ambozeptoren bezw. Polyzeptoren gebaut sind. Es sind also hiernach die Antikomple- mente als wahre Ambozeptoren aufzufassen, die sich nur insofern von den durch Einspritzung von Zellen erhaltenen unterscheiden, als ihr Antigen nicht, wie sonst, an der zytophilen, sondern an der komple- mentophilen Gruppe angreift. Schließt man sich dieser Auffassung an, so leuchtet zunächst ohne weiteres ein, daß der Mechanismus, nach welchem diese Anti- komplemente wirken, im Grunde genau derselbe ist, wie wir ihn bei der NEISSER-WEcHsBERGschen Komplementablenkung kennen gelernt haben. In beiden Fällen nehmen ja freie Ambo- zeptoren das Komplement entweder infolge ihres numerischen Überge- wichtes oder infolge ihrer stärkeren Affinität für sich in Anspruch und verhindern es auf diese Weise, mit den sensibilisierten Elementen in Berührung zu treten. Daß es dabei da, wo es sich um die eigentliche Komplementablenkung handelt, die gleiche Gattung von Ambozep- toren ist, welche die geformten Elemente sensibiliert und Komple- mentfixation durch Bordetsche Antikörper. Fragliche Existenz echter Anti- komple- mente, Mechanis- mus der verschiede- nen „anti- komple- mentären* Wirkungen. 248 XV. Lysine und Antilysine. welche das Komplement von den letzteren ablenkt, während bei den Antikomplementwirkungen die sen- sibilisierenden Ambozeptoren von den ablenkenden ihrem Ursprungnachverschieden sind, bildet einen Unter- schied, der natürlich für das Wesen dieses Vorganges ohne Bedeutung ist. Aber noch mehr. Es läßt sich leicht einsehen, daß auch die von MoRrESscHI beschriebene Komplementausschaltung demselben Grund- typus folgt, wenn man bedenkt, daß sie ja ebenfalls durch einen (BorpeErschen) Ambozeptor zustande kommt, der das Komplement an den betreffenden Eiweißkörper fesselt (vgl. Fig. 15). Einer Erklärung bedarf dabei nur, woher es kommt, daß dieser Ambozeptor nur in Gegenwart seines Antigens hemmend wirkt, also nur dann, wenn er Gelegenheit findet, sich mit diesem zu vereinigen, hingegen für sich allein nicht imstande ist, das Komplement mit solcher Gier an sich zu reißen, daß eine Hemmung zytolytischer Vorgänge in dem betreffenden „Komplement . N Fig. 15a. Fig. 15b. eg ee lH Komplementablenkung bei Gegenwart des zum Ei Antigens. antigen. Gemisch eintritt. Da müssen wir nun auf eine Bemerkung zurück- greifen, die wir bei Besprechung der NEISSER -WECHSBERGSschen Kom- plementablenkung gemacht haben, auf die Bemerkung nämlich, daß bei der Anlagerung eines Ambozeptors an sein Antigen eine Aviditäts- veränderung seiner — einstweilen noch unbesetzten — kom- plementophilen Gruppe eintreten kann. Ist dies bei dem GENxGouschen Eiweißambozeptor der Fall, nimmt seine Affinität zu dem Komplement unter dem Einfluß der Bindung an die betreffenden Eiweißkörper wesentlich zu, dann wird es auch leicht verständlich, warum er nur bei dem Zusammentreffen mit seinem Antigen ablenkend wirken kann, während er für sich allein nicht dazu imstande ist, da dann seine Affinität zu dem Komplement eben nicht stark genug ist. Wie man sieht, hängt hier alles von den Aviditätsverhältnissen der verschiedenen ins Spiel kommenden Ambo- zeptoren ab. iweißambozeptor gehörigen von Eiweißambozeptor und Eiweiß- XV. Lysine und Antilysine. 249 Soviel dürfte also, wie ich glaube, aus dem oben Auseinander- gesetzten klar geworden sein, daß alle drei besprochenen Typen der Komplementausschaltung im Grunde auf denselben Mechanismus zurück- zuführen wären: nämlich auf einen Konkurrenzkampf verschiedener Ambozeptoren um das Komplement, und daß ihr scheinbar verschiedener Charakter nur durch die Besonderheit der hierbei in Aktion tretenden Ambozeptoren und ihrer Aviditätsverhält- nisse bedingt wäre. — Immerhin muß aber zugegeben werden, daß gegenwärtig die Sachlage gegen früher insofern verändert erscheint, als die Existenz echter Antikomplemente in dem ursprünglichen Sinne zum mindesten als unbewiesen gelten muß, während die Komplementablenkung durch Borpertsche Antikörper als zweifellos sichergestellt angesehen werden kann. — Im Anschluß an die obigen Erörterungen müssen wir nun noch einer merkwürdigen Beobachtung von FRIEDBERGER und MorzscHi Er- wähnung tun, die zuerst außerordentlich rätselhaft erschien, bald aber sich auf Grund der früher auseinandergesetzten Prinzipien in einfacher Weise erklären ließ. Bringt man nämlich irgend ein Antigen — nehmen wir beispielshalber an, Erythrozyten oder Bakterien, — mit einem spezifisch auf dasselbe eingestellten Immunserum vom Kaninchen zusammen, digeriert einige Zeit, entfernt dann das überschüssige Immun- serum durch Waschen mit Kochsalzlösung und fügt nun ein von einer anderen Tierspezies herrührendes Antikaninchenserum (gewonnen durch Immunisierung mit normalem Kaninchenserum) hinzu, so zeigt sich, daß bei Komplementzusatz nicht nur eine beschleunigte, son- dern sogar eine verstärkte Zytolyse auftritt. Diese Ver- stärkung der zytolytischen Vorgänge bleibt jedoch aus und macht einer vollkommenen Hemmung Platz, wenn die zelligen Ele- mente nicht von dem Überschuß des mit ihnen zu- sammengebrachten, vom Kaninchen stammenden Im- munserums befreit werden, bevor man das Antikanin- chenserum auf sie einwirken läßt. Die Deutung dieser Beobachtungen ist nicht allzu schwierig. Die mit dem Immunserum digerierten und gewaschenen Zellen haben sich zweifellos mit den entsprechenden Ambozeptoren beladen, enthalten also gewisse Bestandteile des Kaninchenserums, die imstande sind, mit dem nachträglich hinzugefügten Antikaninchenserum unter Präzipitatbildung zu reagieren. Natürlich tritt die letztere in diesem Falle nicht in der freien Suspensionsflüssigkeit, sondern an den sensibilisierten Zellen selbst auf. Da mit dieser Präzipitatbildung aber, wie wir wissen, gleichzeitig auch eine Komplementverankerung verbunden ist, so ist einleuchtend, daß bei dieser Versuchsanordnung mehr Komplement auf die zelligen Elemente fixiert wird, als von ihnen bei der einfachen Sensibilisierung, ohne Zusatz des Antikaninchenserums, gebunden wird, und damit erklärt sich die verstärkte und beschleunigte Wirkung ohne weiteres. Sind die Zellen jedoch nicht von dem Im- munserum befreit worden, enthält die Suspensionsflüssigkeit also noch Kaninchenserum, dann tritt die Präzipitation bei dem Zusatz des Anti- kaninchenserums natürlich nicht nuran den Zellen, sondern in viel stärkerem Grade noch in der Flüssigkeit auf; damit wird aber ein Teil des Komplementes geradezu von den sensibili- sierten Zellen abgelenkt, indem er von den in der Flüssigkeit ent- stehenden Niederschlägen absorbiert wird, und der Effekt ist dann Reaktions- beschleunig- ung und-ver- stärkung. Anti- zytolysine normaler Sera. Andere Anti- körper nor- maler Sera. Entstehung der normalen Antikörper. 250 XV. Lysine und Antilysine. natürlich eine Verzögerung oder gar eine vollkommene Hemmung der Zytolyse. Übrigens hat man analoge Beobachtungen über Reaktionsbeschleu- nigung und -verstärkung auch bei den opsonischen und agglutinierenden Serumwirkungen machen können und in ganz ähnlicher Weise gedeutet. Wir haben bereits zu wiederholten Malen darauf hingewiesen, daß die bakteriolytischen und hämolytischen Substanzen der normalen Sera, was ihren Aufbau betrifft, genau den nämlichen Grundtypus auf- weisen, der auch den Immunzytolysinen zugesprochen werden muß, daß also die im Verlaufe der Immunisierung auftretenden wirksamen Stoffe des Blutserums durchaus nicht etwa prinzipiell etwas Neues darstellen. Ganz Ähnliches gilt nun auch von den Antizytolysinen. Antikom- plemente sind im normalen Blutserum verschiedener Tierspezies zuerst von P. Tu. MÜLLER und gleichzeitig von NEISSER und WEcHs- BERG nachgewiesen worden und kommen auch in Transsudaten und Ex- sudaten nicht selten vor; ebenso scheinen unter Umständen Antiam- bozeptoren im normalen Serum zu finden zu sein. Ja, auch die ver- schiedensten anderen Arten von Antikörpern hat man im Blute normaler Tiere gelegentlich angetroffen, so z. B. Tetanusantitoxin im Blut von Rindern, Diphtherieantitoxin im Serum von etwa 30°], aller Pferde, Antihämolysine, welche bakterielle Blutgifte zu neutralisieren vermögen, ferner Agglutinine, Präzipitine, eine Reihe von Antifermenten, wie Anti- trypsin, Antipepsin, Antilab und dergleichen mehr. Man könnte nun vielleicht geneigt sein, anzunehmen, daß diese mannigfaltigen Arten von Antikörpern, die sich in dem Serum normaler Tiere vorfinden, ihre Entstehung denn doch einem unbemerkt ver- laufenen Immunisierungsvorgange verdanken könnten. Wenn z. B. Bacterium coli, das ja regelmäßig in jedem tierischen Darmkanal enthalten ist und, wie man weiß, auch ab und zu pathogene Wirkungen zu entfalten vermag, durch viele Sera agglutiniert wird, so wird man in der Tat diese Möglichkeit kaum mit Sicherheit ausschließen können. Ebenso wird man das Vorhandensein von Tetanusantitoxin im Blute älterer Rinder, die ja in ihrem Darmkanal außerordentlich häufig Tetanusbazillen beherbergen, wohl auf eine Einwanderung einzelner Krankheitserreger in die Organe und auf eine Resorption geringer Gift- mengen beziehen dürfen, die zur Antitoxinproduktion angeregt haben. Viel unwahrscheinlicher wird diese Annahme jedoch schon in dem oben erwähnten Falle des Diphterieantitoxins, da ein so häufiges Vor- kommen diphtherischer Erkrankungen beim Pferde sich wohl kaum der Beobachtung hätte entziehen können. Ganz unmöglich und unhaltbar aber ist eine solche Deutung da, wo die betreffenden Antigene unter natürlichen Verhältnissen überhaupt niemals Gelegenheit finden, mit den entsprechenden tie- rischen Zellen in Berührung zu treten, wie z. B. für die Hämolysine der Vogelsera, welche Kaninchen- oder Meerschweinchen- erythrozyten aufzulösen vermögen, oder für den noch interessanteren, von v. DungErn beobachteten Fall, daß das normale Kaninchenserum einen Antikörper enthält, der gewisse, auf Seeigelspermatozoen wirkende Gift- stoffe der Seesterneier neutralisiert. Derartige Tatsachen zwingen unbedingt zu der Annahme, daß die Verwandtschaft, welche die aktiven Stoffe der normalen Sera zu gewissen fremden Antigenen besitzen, nur eine rein zufällige sein kann, und daß dieselben nicht etwa einem Im- munisierungsvorgange ihr Dasein verdanken, sondern offenbar XV. Lysine und Antilysine. 251 irgend eine, einstweilen noch nicht näher zu präzi- sierende Rolle indem normalen Stoffwechselgetriebe des Organismus zu spielen haben. Hieran schließt sich nun noch eine weitere, nicht uninteressante Identität der Frage. Sind die normalerweise vorhandenen „Anti- „"prmalen körper“ identisch mit den immunisatorisch erzeugten satorischen oder nicht? Schon Wassermann hatte dieses Problem für das nor- per. male Diphtherieantitoxin zu lösen versucht und hatte gezeigt, daß das- selbe in keinem wesentlichen Punkte von dem des Immunserums ab- zuweichen scheint. Für die bakteriolytischen Ambozeptoren des normalen Ziegenserums haben PFEIFFErR und FRIEDBERGER den gleichen Nachweis erbracht, und Forp, der unter Wassermanss Leitung arbeitete, konnte die Identität der normalen und immunisatorischen Hämagglutinine des Kaninchenserums, wenigstensin bezug auf ihre haptophore Gruppe, außerordentlich wahrscheinlich machen. Da die Art, wie solche Probleme mit Hilfe der spezifischen Antikörper in Angriff ge- nommen werden können, nicht ohne Interesse sein dürfte, so sei es ge- stattet, dieselbe an einem speziellen Beispiel — wir wählen das von Forp — zu illustrieren. Das Serum vieler normaler Kaninchen agglu- tiniert Hühnererythrozyten häufig bis zur Verdünnung von 1:5. An- dererseits erhält man durch Behandlung von Kaninchen mit Injektionen von Hühnerblut leicht ein agglutinierendes Immunserum, das noch in einer Verdünnung von 1:60 wirksam erscheint. Immunisiert man nun Hühner einerseits gegen das normale, ag- glutinierende Kaninchenserum, andererseits gegen das erwähnte Immun- serum, so erhält man auf diese Weise ohne Schwierigkeit zwei Arten von Antiagglutininen, die miteinander identisch sein müssen, wenn ihre respektiven Antigene identisch waren, die hingegen von- einander verschieden sein werden oder sein können, wenn das normale Hämagglutinin von dem Immunagglutinin verschieden ist. Wir sagten oben absichtlich „verschieden sein können“, denn es gibt, wie wir noch sehen werden, Tatsachen, die dafür zu sprechen scheinen, daß unter Umständen auch voneinander in gewissen Eigen- schaften abweichende Antigene bei ihrer Einverleibung identische Anti- körper zu erzeugen vermögen. Die Versuchsanordnung, die nun zur Entscheidung unserer Frage einzuschlagen ist, liegt nach dem Gresagten klar vorgezeichnet. Man hat nur nötig, die beiden Antiagglutinine auf jedes der beiden Agglu- tinine einwirken zu lassen und festzustellen, ob ihre Wirkung eine wechselweise ist oder nicht. Zeigt sich nämlich, daß der Antikörper des normalen Agglutinins unter genauer Berücksichtigung der quanti- tativen Verhältnisse imstande ist, auch das Immunagglutinin zu para- lysieren und umgekehrt, so ist die Identität der beiden Agglutinine, wenn auch nicht vollkommen erwiesen, so doch außerordentlich wahr- scheinlich gemacht, und in der Tat ist Forp auf diesem Wege zu dem Schlusse gelangt, den wir schon oben vorweggenommen haben, daß nämlich bei dem Vorgang der Immunisierung nicht ein qualitativ neuer Körper gebildet wird, sondern nur eine Vermehrung einer normaliter bereits vor- handenen Substanz stattfindet. Freilich ist dieser Schluß insofern ein zu weitgehender, als nach der ganzen geschilderten Versuchsanordnung bestenfalls eine Identität der haptophoren Gruppen bei beiden zu vergleichenden Ag- Aviditäts- unterschied zwischen normalen und immuni- satorischen Antikörpern. 252 XV. Lysine und Antilysine. glutininen behauptet werden kann, während sie im übrigen noch immer große Differenzen aufweisen könnten. Höchst interessant ist nun in dieser Richtung eine Beobachtung, die Kraus an einem Toxin anzustellen Gelegenheit hatte, das allerdings auch in anderer Beziehung eine exzeptionelle Stellung einnimmt: an dem bereits früher erwähnten akut wirkenden Toxin des Vibrio Naskin. e) Schon das normale Ziegenserum vermag in geeigneter Menge un bei entsprechender Einwirkungsdauer die tödliche Dosis dieses überaus akut wirkenden Bakteriengiftes zu neutralisieren. Während die ent- giftende Wirkung des Normalserums aber erst bei einem einstündigen Kontakt mit dem Toxin oder noch später in Erscheinung tritt, zeigt sich die Schutzwirkung eines von der Ziege stammenden Immun- serums sofort nach der Mischung, ja tritt auch dann noch ein, wenn das Antitoxin einige Zeit nach dem Toxin eingespritzt wird, so daß das Immunserum also auch ein bereits im Organismus kreisendes Gift unschädlich zu machen vermag. Die folgende kleine Tabelle ist geeignet, diese interessante Tatsache zu illustrieren. No. Toxin Serum | Zeitpunkt der Serumeinspritzung | Effekt Kan. 1 | 1,0 /|1,0 Normal- | Sofort nach Mischung mit dem Toxin | 7 in 10 Min. re 1.0. 40,00. 1 Std. nach Mischung bleibt am Leben 2a! 1,0 0,05 Immun- | Sofort nach Mischung mit dem Toxin : » 41 10 l00s 0 5 lin. nach der Toxineinspritzung || bleibt am Leben Hieraus geht unzweifelhaft hervor, daß die Reaktionsgeschwindig- keit zwischen Toxin und Immunantitoxin eine weit größere ist, als zwischen Toxin und normalem Antitoxin, daß mit anderen Worten das künstlich erzeugte Antitoxin durch eine größere Avidität zu dem Bakteriengifte ausgezeichnet ist. Trotz ihrer funktionellen Iden- tität, die sich in dem spezifischen Neutralisations- vermögen äußert, besitzen also diese beiden Anti- toxine doch verschiedene Eigenschaften, indem sie sich mit ungleicher Geschwindigkeit mit dem Vibrionengift verbinden. Was nun diesen speziellen, von Kraus studierten Fall noch merkwürdiger macht, ist die weitere Tat- sache, daß das Immunserum dem Serum normaler Ziegen nicht etwa in quantitativer Hinsicht überlegen war, wie man nach unzähligen Ana- logien hätte erwarten müssen, sondern daß die giftneutralisierende Dosis des Serums im Verlauf der Immunisierung gänzlich unverändert ge- blieben war. Kraus deutet dieses auffällige Faktum dahin, daß das normale Antitoxin, das physiologischerweise von dem Organismus der Ziege produziert wird, bei der Immunisierung nur eine qualitative Änderung im Sinne einer Aviditätssteigerung erfuhr, jedoch nicht in größerer Menge produziert wurde, als unter nor- malen Verhältnissen. Ähnliche Aviditätsunterschiede haben LanpstEiınER und REICH auch zwischen normalen und immunisatorischen Hämagglutininen nach- weisen können, indem sich nämlich bei Abspaltungsversuchen ergab, 1) S. p. 58. XV. Lysine und Antilysine. 253 daß die Immunagglutinine von den roten Blutkörperchen bei weitem stärker festgehalten werden und schwerer abtrennbar sind, als die entsprechenden Substanzen der normalen Sera, also auch mit stärkerer Avidität zu ihren Antigenen begabt sein müssen. Da solche Aviditätsunterschiede kaum anders als durch Diffe- renzen im chemischen Aufbau oder im physikalischen Zustande der be- treffenden Stoffe zu erklären sein dürften, so ist einleuchtend, daß hiernach von einer strengen Identität der normalen und der Immunprodukte der Sera nicht mehr die Rede sein kann, zumal LANDSTEINER und REIıcH in jüngster Zeit auch noch gewisse andere Unterschiede zwischen ihnen aufgedeckt haben, welche die Hitzebeständigkeit, die Absorptionsfähigkeit durch Kasein usw. betreffen. Damit soll nun aber keineswegs gesagt sein, daß nicht doch innige Aviditäts- genetische Beziehungen zwischen diesen Stoffen vorhanden sind. iu veraer Denn, wie Kraus und DoErr und P. Ta. MÜLLER nachgewiesen haben, der Immuni- bestehen auch zwischen den aus verschiedenen Phasen der Immuni- sierung stammenden Immunprodukten selbst beträchtliche Aviditäts- differenzen, die speziell bei den Agglutininen in den jeweiligen Ab- sorptionsquotienten sehr deutlich zum Ausdruck kommen. So wurden z. B. aus fünf verschiedenen Proben von Immunserum, die nach 1 bis 5maliger Bakterieneinspritzung entnommen und stets auf ungefähr gleichen Gehalt von 100—1000 Agglutinineinheiten verdünnt worden waren, durch eine gegebene Quantität von Typhusbazillen folgende Agglutininmengen absorbiert. Zahl der Zahl der zur Absorption F : Injektionen dargebotenen A.-E. Io absorbiert 1 17 2 45 3 100—1000 45 4 63 5 98 Wie man aus dieser kleinen Tabelle entnimmt, steigt also die Voll- ständigkeit der Absorption ceteris paribus mit der Anzahl der Injektionen ganz beträchtlich an, was natürlich nur auf die im Verlauf der Immunisierung immer stärker werdende Affinität der Immunprodukte zu den Antigenen bezogen werden kann. Auch während der Immunisierung ändert sich also die Be- schaffenheit der neugebildeten Antikörper fortwährend, so daß somit ein kontinuierlicher Übergang von den normalen Serumstoffen zu den avidesten Immunprodukten zu bestehen scheint und die gefundenen Differenzen ihre prinzipielle Bedeutung verlieren. Nach Untersuchungen von LannsTEINER und seinen Schülern nimmt übrigens auch die Spezifität der Immun- produkte im Verlauf der Immunisierung zu, eine Tatsache, die man vielleicht mit der eben besprochenen Aviditätssteigerung in Beziehung bringen darf. Man darf wohl mit P. Tu. MürLrer annehmen, daß es sich dabei um eine Art von Anpassungsvorgang handelt, durch den sich die antikörperproduzierenden Zellen immer präziser auf die Reaktion mit den einverleibten Antigenen einstellen, also um das Ergebnis einer 254 XV. Lysine und Antilysine. fortgesetzten Übung und Trainierung der Zellen in ganz bestimmter Richtung. Daß diese Übung und die daraus hervor- gehende Anpassung am deutlichsten ausgeprägt sein mußte, wenn die Zellen in der intensivsten Tätigkeit begriffen waren, mit der Abnahme derselben aber ge- ringer werden mußte, war nur eine einfache Konsequenz dieses (Gredankenganges, die sich in der Tat nun auch im Experiment verifizieren ließ. Denn es konnte gezeigt werden, daß wenigstens in den ersten Stadien der Immunisierung, wo die Vorgänge noch regelmäßig verlaufen und nicht durch Ermüdungsvorgänge und andere störende Momente unterbrochen werden, ein ausgesprochener Parallelismus zwischen der Intensität der Antikörperproduktion — gemessen durch die Höhe des Serumtiters — und den Aviditäten der gelieferten Immunkörper besteht, wie ihn z. B. die folgende kleine Tabelle von Bussox deutlich erkennen läßt, welche die Durchschnittswerte einer großen Anzahl von Versuchen wiedergibt. Titerhöhe [Agglutinin- | 500—5000 |5000 —10000 110000 -20 000) 20000—40 000 14000070000 einheiten] Absorp- tionsquo- | tienten 0,23 | 0,47 (Durch- schnittswerte) 0,50 0,61 0,79 | | | | Aus dieser Zusammenstellung ist auf den ersten Blick ersichtlich, wie bedeutend die Aviditätswerte mit steigendem Serumtiter anwachsen. Aber nicht nur in den Durchschnittswerten, die von einer größeren Anzahlvon Tieren stammen, zeigte sich dieser Parallelismus, auch beim Einzelindividuum ließ sich das gleich- zeitige Steigen und Fallen der Titerkurven und Aviditätskurven oft außerordentlich schön demonstrieren, wofür die nachfolgende graphische Darstellung einen guten Beleg bietet. BER IR AR BAR BEE © EA ABO er En Jrjeklio —Tuer = -Quotie Fig. 16. Parallelismus von Titer- und Aviditätskurven. Nach alledem darf man wohl die normalen unddie in den verschiedenen Stadien der Immunisierung ge- XV. Lysine und Antilysine. 255 bildeten SerumstoffealsProdukt einer und derselben, Einkeitlich- wenn auch durch äußere Einwirkungen modifizier- ieme baren Zellfunktion auffassen, die nur durch die einseitige en BER Inanspruchnahme bei der wiederholten Antigeneinspritzung eine quanti- tative Steigerung erfährt. Literatur. METScHNIKOFF, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1895. Borper, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1895, 1896. Ders., Ann. de l’Inst. Pasteur, 1898. v. Dunsern, Münch. med. Wochenschr., 1900, Nr. 20. Eurtıch und MorGEnRoTH, Berl. klin. Wochenschr., I-IV. Mitteilung über Hämolysine, 1899, 1900, 1901. GRUBER, Münch. med. Wochenschr., 1901, Nr. 48 u. 49, EurtıcH, Schlußbetrachtungen. Nothnagels spez. Pathol. u. Ther., Bd. VII, Wien 1901. Esrtıch und Mars#arı, Berl. klin. Wochenschr., 1902, Nr. 25. NeisserR, M. und WeEcHsBERG, Münch. med. Wochenschr., 1901. WAssERMANN, Zeitschr. f. Hyg., 1901. Moreschi, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 37, 1905; Nr. 4, 1906. Mürrer, P. Tu., Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., 1901. v. Dungern, Zeitschr. f. allgem. Physiol., Bd. I, 1901. PFEIFFER und FRIEDBERGER, Berl. klin. Wochenschr,, 1902, Nr. 1. Forp, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XL, 1902. Mürter, P. Te., Arch. f. Hyg., Bd. LXIV, 1907. LAnDSTEINER und ReıcH, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LVIII, 1907. Bussox, P. Te. Mürtre&£ und RiwteLen, Zeitschr. f. Immunit.f. Bd. III, 1909. Präzipitate. XVI. Agglutinine und Präzipitine. Wie wir im vorhergehenden Kapitel den Mechanismus der Ambo- zeptorwirkung und ihrer antagonistischen Hemmungsvorgänge analysiert haben, so müssen wir nun auch auf zwei andere biologisch höchst wich- tige Immunreaktionen näher eingehen: nämlich auf die Präzipitation und Agglutination. Wir hatten ausgeführt, daß man nicht selten bei der Vermischung von Immunseris mit ihren zugehörigen Antigenen spezifische Niederschläge, Präzipitate, auftreten sieht, die, wie leicht nachzuweisen ist, aus einer Verbindung von Antigen mit dem wirksamen Agens des Immunserums bestehen. Man hat nun des weiteren zu er- mitteln gesucht, in welchem Ausmaße sich denn diese beiden Bestand- Quantitative teile an dem Fällungsvorgang beteiligen, in welchen quantitativen Ver- Beteiligung von Prä- zipitin und Antigen an dem Prä- zipitat. hältnissen sie also in das entsprechende Präzipitat eingehen, und ist da zu sehr überraschenden Resultaten gelangt. Schon die von uns hervorgehobene außerordentliche Empfindlich- keit der Präzipitinreaktionen, die es unter Umständen gestattet, Eiweiß- körper, z. B. Blutspuren, noch bei einer Verdünnung von 1:50000 mit Sicherheit durch die entstehende Fällung nachzuweisen, ließ es nicht sehr wahrscheinlich erscheinen, daß hier das Antigen — also die hoch- gradig verdünnte Eiweißlösung — viel zur Entstehung des spezifischen Niederschlages beitragen könnte, sondern legte vielmehr die Annahme nahe, daß das Präzipitat wohlder Hauptmasse nach aus dem Immunserum selbst herstammen müsse. Mor hat dann diese Vermutung durch einen instruktiven Versuch zur Gewißheit erhoben. Er vermischte zu diesem Zwecke eine größere Quantität wirksamen Immunserums mit der hochgradig verdünnten Lösung des betreffenden Antigens — es handelte sich um Serumglobulin — brachte den nach einiger Zeit entstandenen Niederschlag aufs Filter und bestimmte dessen Gewicht zu 0,0724 g. Da nun aber die zu diesem Versuche dienende Globulinlösung im ganzen nur 0,0074 g Eiweiß enthalten hatte, so ist ohne weiteres klar, daß das Präzipitat hier zum allergrößten Teile a dem Immunserum hergerührt haben mußte, während das Antigen, da Globulin, das zur Immunisierung benutzt worden war, nur einen mini- malen Beitrag dazu geliefert haben konnte. Man hat versucht, dieser Tatsache — der übrigens keine B meine Gültigkeit zuzukommen scheint, da ja z. B. bei der Fällung de Kaseins durch Laktoserum das Antigen die Hauptmasse des Nieder schlags ausmacht — dadurch besonders prägnanten Ausdruck zu gebe daß man sagte, das Immunserum verhalte sich bei der Präz zipitinreaktion lediglich passiv, während das aktiv - XVL Agglutinine und Präzipitine. 257 fällende Agens durch das Immunisierungsmaterial, also das Antigen, dargestellt werde. Ich muß jedoch gestehen, dab mir diese Ausdrucksweise wenig glücklich erscheint. Denn solange wir nicht ganz genau über den Mechanismus der Präzipi- tinreaktionen im klaren sind — und wir werden im Verlaufe dieser Vorlesung noch sehen, daß wir von diesem Ziele noch weit entfernt sind — solange ist es offenbar vollkommen willkürlich, welche der beiden miteinander in Reaktion tretenden Substanzen wir als die fällende, welche wir dagegen als die gefällte betrachten wollen. Pflegen wir ja doch auch sonst in der Chemie keinen derartigen Unterschied zu machen und sehen uns nicht veranlaßt von zwei Stoffen, die mit- einander einen Niederschlag geben, dem einen eine aktive, dem anderen eine passive Rolle zu vindizieren. Die Berechtigung dieser Auffassung wird noch einleuchtender hervortreten, wenn wir die höchst merkwürdigen Analogien betrachten, die in dem Bau der Präzipitine einerseits, der Präzipitinogene (= prö- zipitablen Substanzen) andererseits zu bestehen scheinen. Wir haben bereits in der vorhergehenden Vorlesung die Tatsachen kennen gelernt, die bei der Inaktivierung der Komplemente beobachtet werden und die für die Existenz einer besonderen „haptophoren“ und einer davon verschiedenen „ergophoren‘‘ Gruppe im Komplementmolekül sprechen. Ganz ähnlich wie dieses letztere lassen sich nun auch die Präzipitine und — wir wollen es gleich hinzufügen — auch die Agglutinine durch Erhitzung auf höhere Temperaturen „inaktivieren“. TscHIsToVvITscH, E. P. Pıck, P. Tu. MüLLer, Kraus und PırQuET u. a. haben diese wichtige Tatsache an den verschiedensten präzipitinhaltigen Serumarten festgestellt und haben die Inaktivierungstemperatur je nach den Um- ständen zwischen 58° und 70-—75° © schwankend gefunden. Aber auch die verschiedensten chemischen Eingriffe, die Einwirkung von Salzen, Säuren, Alkalien, von Formol, gesättigter Harnstofflösung und dergleichen mehr, haben denselben Effekt und führen mehr oder minder rasch zu einer Inaktivierung der wirksamen Substanzen. Der Verlust der fällenden Eigenschaften ist nun aber nicht die einzige Veränderung, die an dem erhitzten oder anderweitig ge- schädigten Immunserum zu beobachten ist. EISENBERG und VoLk, P. Tau. MÜLLER und Kraus und Pırquver haben nämlich sowohl für die Präzipitine wie für die Agglutinine den Nachweis erbracht, dab dieselben gleichzeitigmit dem Verlustihrer Wirksam- keit eine ganz neue Eigenschaft erwerben, nämlich die Eigenschaft, dieWirkung frischen, nicht erhitzten Agglutinins bezw. Präzipitins zuhemmen. Cholerafiltrat | Choleraserum inaktiv | Choleraserum aktiv | Wirkung 5 ccm 0,5 ccm _ Kein Niederschlag 5, 05 „ 0,5 ccm „ „ 5 ccm 0,5 ccm = Kein Niederschlag ” 0,5 „ 1,0 ccm „ ” 5 ccm | 1,0 ccm — Kein Niederschlag 5 „ 1,0 „ | 1,0 com „ b}) 5 ccm _ 0,5 ccm | Typische Fällung Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 17 Bau der Präzipitine und Agglu- tinine. Inaktivie- rung durch Hitze. durch chemische Eingriffe. Hemmungs- wirkung inaktiver Sera. 258 XVI. Agglutinine und Prüzipitine. Obige kleine Tabelle, welche der Arbeit von Kraus und Pırquert entnommen ist, mag diese Verhältnisse veranschaulichen. Der darin wiedergegebene Versuch bezieht sich auf die Niederschlagsbildung, die bei der Vermischung von Choleraimmunserum mit dem bakterienfreien Filtrat einer älteren Cholerabouillonkultur eintritt, also auf die spezi- fischen Krausschen Bakterienpräzipitate. Mechanis- Natürlicherweise hat man sich im Anschluß an diese merk- würdigen Beobachtungen sofort die Frage vorgelegt, auf welche u wirkung. denn die hemmende Wirkung der inaktivierten Immunsera zustande kommt, und ist nun auch tatsächlich auf Grund von ingeniösen Ver- suchen zu einer befriedigenden Beantwortung dieser Frage gelangt. Zunächst waren zwei verschiedene Möglichkeiten denkbar, wie das inaktivierte Immunserum hemmend auf den Vorgang der Präzipitation einwirken konnte. Es konnte nämlich der Angriffspunkt der Hemmungs- wirkungen entweder an dem Präzipitin des hinzugefügten intakten Immun- serums oder aber an der präzipitablen Substanz, an dem Präzipitinogen, gelegen sein. Ein einfaches Experiment gestattete, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu entscheiden. Mischte man — um bei dem eben ange- führten Beispiel zu bleiben — 0,5 ccm aktiven Choleraserums mit 0,5 ccm des inaktivierten, liel3 die Mischung eine Zeitlang stehen, und setzte dann 5 ccm des Cholerafiltrates hinzu, so trat, wie wir bereits wissen, keine Nieder- Wirkung schlagsbildung ein, das aktive Präzipitin konnte somit nicht zur Wirkung präzipitable gelangen. Wurden jedoch zu diesem Gemische weitere Substanz. 45 ccm Cholerafiltrat hinzugesetzt, so bildete sich ein typisches Präzipitat. Was folgt nun aber aus dieser — auch an anderen Präzipitinen bestätigten Beobachtung? Da der nachträgliche Zusatz eines Filtratüberschusses zu einer Niederschlagsbildung führte, so mußte also wohl in dem anscheinend unwirksamen Gemische von 0,5 ccm aktivem, 0,5 com inaktivem Serum und von 5 ccm Filtrat freies Präzipitin vorhanden sein, denn sonst wäre es nicht denkbar, daß das im Überschusse hinzugefügte Präzipi- tinogen zur Fällung gebracht worden wäre. War dies aber der Fall, war in der Tat das Präzipitin in dem unwirksamen Gemische im freien und aktiven Zustande zugegen, dann konnte es nur an dem präzipitierbaren Komplex gelegen haben, wenn trotzdem vor Zusatz des überschüssigen Filtrates kein Niederschlag auftrat, mit anderen Worten, die Wirkung des inaktivierten hemmenden Serums konnte sich nur auf die präzipitablen Substanzen des Cholerafiltrates erstreckt haben, nicht aber auf das Präzipitin des Immunserums. Das Präzipitinogen mußte also durch das hemmende Serum derart beeinflußt worden sein, daß es nicht mehr durch aktives Präzipitin gefällt werden konnte. Wie aber hat man sich diese Beeinflussung vorzustellen? Aus rein technischen Gründen ist es vorteilhaft, diese Frage nicht an den Präzipitinen, sondern an den sich in dieser Beziehung ganz analog verhaltenden Agglutininen zu studieren. Verlust der Bringt man nun etwa T'yphusbazillen mit einem inaktivierten, also Arglntinier- nicht mehr agglutinierend wirkenden Typhusimmunserum zusammen, läßt die beiden eine Zeitlang bei 37° © aufeinander einwirken und be- freit dann die Bazillen durch ausgiebiges Zentrifugieren wieder von der Flüssigkeit, so findet man, daß diese Bazillen durch wirk- sames Immunserum nicht mehr agglutiniert werden. Das heißt aber mit anderen Worten, daß die Veränderung, die mit den XVI. Agglutinine und Präzipitine. 259 Bazillen bei der Berührung mit dem inaktiven Serum vor sich geht und die den Verlust ihrer Agglutinierbarkeit bedingt, nicht an die Anwesenheit des Serums geknüpft erscheint, sondern an den Bazillen fortbesteht, auch wenn dasselbe wieder entfernt wurde. Materiellgesprochen, bedeutetdiesabernichtsanderes, als daß die Bazillen das hemmende Agens des inaktivierten Immunserums gebunden oder absorbiert haben und auch nach ihrer Trennung von der Flüssigkeit noch weiterhin fest- halten. Welcher Natur kann nun aber dieses hemmende Agens, das wir uns nach dem eben Gesagten offenbar mit gewissen Affinitäten zu den entsprechenden Antigenen ausgestattet denken müssen, wohl sein? EisEnBERG und VoLk haben in ihrer bereits mehrfach zitierten Arbeit einen interessanten Versuch mitgeteilt, der geeignet ist, ein helles Licht auf diese Frage zu werfen. Wurde nämlich in ähnlicher Weise, wie wir das in einer früheren Vorlesung ausführlich besprochen haben, die agglutininbindende Kraft einerseits der normalen, andererseits der durch den Kontakt mit Inaktivserum veränderten T'iyphusbazillen bestimmt, so fand sich das folgende höchst interessante Ergebnis: Absorptionskoeffizient der | Absorptionskoeffizient der normalen Bakterien inagglutinablen Bakterien Serumverdünnung (aktiv) 1000 20/0 == 1,0 10/20 A 0,95 100 16/00 —> 0,8 7 20 — 0,65 B “ao = 0,55 2/90 = 0,10 Die inagglutinablen Typhusbazillen hatten hiernach nicht uner- heblich an ihrem Absorptionsvermögen für das Ag- glutinin eingebüßt. Betrug der Absorptionskoeffizient, d. h. das Verhältnis der gebundenen zu der gesamten vorhandenen Agglutinin- menge, bei einer bestimmten Verdünnung des aktiven Immunserums für die normalen Bazillen !t!/,,, war somit von denselben mehr als die Hälfte des dargebotenen Agglutinins absorbiert worden, so hatte der Koeffizient für die veränderten Bazillen nur den Wert von ?],,, und die Menge des gebundenen Agglutinins betrug somit nur !/,, der zur Ver- fügung stehenden Gesamtmenge. Hält man nun diese beiden Tatsachen, nämlich einerseits den Ver- lust an bindender Kraft, welchen die Bazillen unter dem Einflusse des hemmenden Serums erfahren, und andererseits die hierbei offenbar ein- tretende Bindung der hemmenden Substanzen an die Mikrobenleiber gegeneinander, so liegt es außerordentlich nahe, zwischen ihnen einen engen ätiologischen Zusammenhang zu vermuten und also anzunehmen, daß die Bazillen nur deshalb weniger Agglutinin zu ab- sorbierenimstande sind, weil sie bereits diehemmen- den Substanzen aus dem inaktivierten Serum auf- genommen haben. Diese Erkenntnis führt aber sofort zu der weiteren Schlußfolgerung, daß dann offenbar die Agglutinine an demselben Punkte der Bazillen- leiber angreifen müssen, wie die besagten hemmenden Substanzen, da es nur unter dieser Voraussetzung begreiflich erscheint, wieso eine Ab- sorption der letzteren die Aufnahmefähigkeit der Bazillen für Agglutinine zu beeinträchtigen vermag. Wenn nun aber Agglutinine und hemmende 17* Verlust des Absorptions- vermögens. “ 260 XVI. Agglutinine und Präzipitine. Substanz an den gleichen Rezeptoren der Mikrobenleiber angreifen, dann müssen sie offenbar gleichgeartete haptophore Gruppen besitzen, und dies wird am leichtesten ver- ständlich, wenn man die Annahme macht, dab die Agglutiniehemmenden Stoffe nichts anderes sind als Agglu- ninitoide. tinine, die durch die Inaktivierung ihre „ergophore* Gruppe verloren haben, aber ihre „haptophore* Gruppe sogar mit gesteigerter Avidität begabt, bei- behalten haben. Daß diese Auffassung die richtige ist, hat man in der Tat durch verschiedenartige Experimente dartun können. Zunächst hat man ge- zeigt, dab normales Serum, das entweder keine oder doch nur äußerst geringe Mengen von Präzipitinen oder Agglutininen enthält, beim Er- hitzen auch keine hemmenden Eigenschaften annimmt, eine Tatsache, die im Lichte der eben auseinandergesetzten Anschauung nur selbst- verständlich erscheint, da ja die lıemmenden Substanzen nach derselben direkte Abkömmlinge der Agglutinine und Präzipitine darstellen. t) Aber noch mehr. Es gelang nämlich, geradezu die Probe auf das Exempel zu machen und auch dem Immunserum seine Hemmungswirkung zu rauben, und zwar dadurch, daß man es vor der Inaktis vierung mit seinen entsprechenden Antigenen zu- sammenbrachte und auf diese Weise die Agglutinin bezw. Präzipitine durch Absorption aus demselben entfernte. Daß ein in dieser Art vorbehandeltes Immunserum beim nachträglichen Erhitzen keine hemmenden Eigenschaften mehr erwirbt, ist wohl der beste Beweis dafür, daß diese letzteren in der Tat von Derivaten der Agglutinine und Präzipitine ausgehen. Die Inaktivierung dieser Immunsera stellt sic somit prinzipiell als ein ganz analoger Vorgang dar, wie die von uns bereits ausführlich besprochene Inaktivierung der Komplemente und Toxine, und führ auch zu einem ganz entsprechenden Resultate, nämlich zu einer Zer störung der ergophoren, die Wirkung vermittelnden Gruppe bei e haltenem Bindungsvermögen der haptophoren Komplexe. Ja, die Ähn lichkeit geht sogar noch weiter, indem wir ja gesehen haben ?), da auch von den inaktivierten Komplementen, den sog Komplementoiden, unter Umständen analoge Hem mungswirkungen ausgehen können, wie von den Ag- glutinoiden und Präzipitoiden, Hemmungswirkungen, | im wesentlichen darin begründet sein dürften, daß die Affinität d inaktivierten Substanzen zu den ihnen entsprechenden haptophore Gruppen meist größer zu sein pflegt, als die der intakten Komplemente, Agglutinine und Pr äzipitine. 5 Bindende Von größtem Interesse ist es nun, daß nicht nur die bisher allein Gruppe a” in Betracht gezogenen wirksamen Stoffe der Immunsera einen derartig Antigene. komplexen Bau erkennen lassen, sondern daß man auf dem Wege der Inaktivierungsversuche auch für die entsprechenden Antigene zu der, d !) Ausnahmen von dieser Regel scheinen nur zu bestehen, wenn die nor- malen Sera bereits größere Agglutininmengen enthalten, was aber wiederum mit der Theorie in Übereinstimmung steht. ?) Siehe Kapitel XII. XVI. Agglutinine und Präzipitine. 261 gleichen Anschauung gelangt ist und eine „bindende“ und eine „fällbare“ Gruppe unterscheiden muß. Auch hier — wie bei den meisten anderen biologisch wirksamen Substanzen von komplexer Natur — pflegt die bindende, „‚haptophore* Gruppe die größere Resistenz gegenüber thermischen und chemischen Eingriffen zu besitzen, während die fäll- bare Gruppe leichter zerstört wird. Derartig ‚‚inaktivierte‘‘ Antigene vermögen dann zwar noch die betreffenden Antikörper zu binden und zu absorbieren, werden durch dieselben aber nicht mehr sichtlich in dem Sinne einer Agglutination oder Niederschlagsbildung beeinflußt. Abgesehen von der Intaktheit der betreffenden funktionell wichtigen Gruppen der Antigene und Antikörper, welche die Grundbedingung für den Eintritt der Immunitätsreaktionen darstellt, ist nun aber deren Zu- Einfluß des standekommen noch von einem weiteren Faktor abhängig, nämlich von kn dem Salzgehalt des Mediums, in dem sich die Vorgänge abspielen. Arslwi- Um die wichtige Rolle, welche den Salzen bei der Bakterien- Bas agglutination zukommt, zu erweisen, hat Joos folgenden interessanten Versuch angestellt. Eine dichte Aufschwemmung lebender Typhus- bazillen wurde in einen kleinen sterilisierten Dialysator gebracht und gegen einen langsamen Strom destillierten Wassers dialysiert. Auf diese Weise gelingt es binnen kurzem, „salzfreie‘“ Typhusbazillen zu erhalten, die im übrigen ihre vitalen Eigenschaften vollkommen bewahrt haben, unter dem Mikroskope, im hängenden Tropfen beobachtete, lebhafte Beweglichkeit zeigen, auf den üblichen Nährböden in der gewohnten Weise zu Kolonien auskeimen und auch die typischen Färbungs- reaktionen in unverändertem Maße darbieten. Setzt man nun zu diesen salzfreien Bakterien ein hochwertiges, aber ebenfalls dialysiertes Typhusimmunserum hinzu, das unter ge- wöhnlichen Verhältnissen, d. h. bei Anwesenheit von Salzen, momentane Asglutination hervorrufen würde, so bemerkt man, daß die Mischung selbst nach 24-48stündigem Stehen vollkommen ho- mogen und gleichmäßig trübe geblieben ist und auch bei weiterem Serumzusatz keine Ausflockung der Bakterien erkennen läßt. Dagegen tritt sofortige Agglutination ein, wenn dem Gemische eine Spur von Kochsalzlösung hinzugefügt wird, ein Beweis dafür, daß tatsächlich neben den beiden spezifischen Substanzen, nämlich dem Agglutinin des Serums und der agglutinier- baren Substanz der Bakterienleiber, auch eine nicht spezifische, das Salz, für das Zustandekommen der Reaktion unerläßlich ist. Welche Rolle spielt nun aber das Kochsalz bei der Agglutination? Es läßt sich ohne Schwierigkeit zeigen, daß die Bindung des Bindung des Agglutinins an die Bakterien auch bei Abwesenheit as des Salzes in vollkommen typischer Weise erfolgt. maneel. Man braucht zu diesem Zwecke nur die homogen gebliebene Mischung von salzfreiem Serum und Bakterien ausgiebig zu zentrifugieren und nun einerseits den Bodensatz, andererseits die klare Flüssigkeit näher zu untersuchen. Hat man die Serummenge nicht zu groß gewählt, so enthält die Flüssigkeit nach der Entfernung der Bakterien kein Ag- glutinin mehr, denn Zusatz von gewöhnlichen Typhusbazillen und etwas Kochsalzlösung ruft keine Agglutination hervor. Dagegen tritt sofort typische Flockenbildung auf, wenn die abzentrifugierten Bakterien in Wasser aufgeschwemmt und mit einer Spur Salz versetzt werden, woraus folgt, daß sie sich in der Tat mit dem Agglutinin be- laden haben müssen, Chemische Theorie der Salz- wirkung. Physi- kalisch- chemische Theorie der Salz- wirkung. Eigen- schaften der Kolloide. 262 XVI. Agglutinine und Präzipitine. Solange sich alles im salzfreien Medium abspielt, unterscheider sich diese agglutininbeladenen Typhusbakterien in keiner Weise vor normalen. Erst in dem Momente, wo das Kochsalz auf sie ein wirkt, tritt wie mit einem Schlage jene tiefgreifende Veränderung ein welche zur sofortigen Immobilisierung der Bakterien führt und sie ir Form des bekannten flockigen Niederschlages sich abscheiden läßt. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Vorgang die größte Ähnlichkeit mit den so ungemein häufigen chemischen Fällungsreaktionen besitzt, die dadurch zustande kommen, daß beim Vermischen zweien an sich löslicher Substanzen eine neue, unlösliche Verbindung entsteht die sich dann eben in Flocken absetzt, und Joos hat denn auch durch eine Reihe von Experimenten den Nachweis zu erbringen gesucht, daf das Kochsalz von den agglutininbeladenen Bakterier tatsächlich chemisch gebunden wird. Erst durch die Einwirkung des Salzes entsteht nach dieser Vor- stellung aus der wasserlöslichen Verbindung von Agglutinin und agglu- tinierbarer Substanz jene unlösliche Substanz, deren Abscheidung eben das Wesen der Agglutination ausmachen soll, eine Annahme, die aller- dings durch den von FRIEDBERGER erbrachten Nachweis, daß nicht nu Kochsalz, sondern eine große Anzahl anderer Salze, ja selbst gewisse organische Kristalloide, wie Asparagin oder Traubenzucker, die gleiche Wirkung entfalten, sehr an innerer Wahrscheinlichkeit verloren hat. Dieser chemischen Deutung des Agglutinationsphänomens, die natürlich mit entsprechenden Modifikationen auch auf die Präzipitations- vorgänge übertragen werden kann, hat sich nun von Anfang an eine physikalische bzw. physikalisch-chemische Theorie an die Seite gestellt, die gerade in der letzten Zeit immer mehr An- hänger gewonnen hat und aus diesem Grunde wohl eine eingehendere Darstellung verdient. Auch bei dieser Theorie spielt, wie billig, die Salzwirkung eine ganz besondere Rolle, nur ist dieselbe von ganz anderer Art, als bei der chemischen Theorie. Um verständlich zu machen, worum es sich bei dieser physikalisch- chemischen Betrachtungsweise der Immunitätsreaktionen handelt, müssen wir etwas weiter ausholen. Bekanntlich enthalten fast alle tierischen und pflanzlichen Gewebe und Flüssigkeiten neben kristalloiden Substanzen auch mehr oder minder beträchtliche Mengen von Kolloiden, unter denen als die biologisch wichtigsten nur die Eiweißkörper und gewisse hochmolekulare Kohlehydrate, wie das Dextrin und das Glykogen, erwähnt sein mögen. Da infolgedessen alle vitalen und auch viele in vitro ablaufenden bio- logischen Vorgänge sich entweder unter direkter Beteiligung kolloider Substanzen oder doch wenigstens bei Gegen- wart von Kolloiden abspielen, so hat man in den letzten Jahren dieser merkwürdigen Gruppe von chemischen Stoffen seine be- sondere Aufmerksamkeit geschenkt und sich eingehend mit ihren zum Teil sehr auffallenden Eigenschaften beschäftigt. Abgesehen von dem grundlegenden Kriterium der kolloiden Substanzen, das bereits ihr Entdecker GrAHAMm zu ihrer Abtrennung von den Kristalloiden benutzt hatte, nämlich von der mangeln- den Diffusionsfähigkeit, hat man im Laufe der Zeit noch eine Anzahl von anderen wichtigen und charakteristischen Merkmalen der- selben kennen gelernt, von denen nur die hauptsächlichsten hier an- geführt werden sollen. XVI. Agglutinine und Präzipitine. 263 1. Während die Lösungen kristalloider Stoffe einen von der An- zahl der gelösten Moleküle abhängigen osmotischen Druck ent- wickeln und dementsprechend auch eine beträchtliche Gefrierpunkt- erniedrigung undSiedepunkterhöhung aufweisen. sind diese osmotischen Eigenschaften bei den kolloidalen Lösungen so wenig aus- geprägt, daß man sich überhaupt noch nicht darüber einigen konnte, ob sie wirklich den Kolloiden als solchen zukommen oder ob sie etwa nur von geringen, schwer zu beseitigenden Verunreinigungen derselben mit kristalloiden Substanzen herrühren. 2. Die kolloidalen Lösungen zeigen das Tysvarzsche Phänomen, d. h. sie zerstreuen einfallendes Licht derart, daß es sich bei der Untersuchung als polarisiert erweist, eine Tatsache, die darauf hindeutet, daß die Lichtwellen beim Durchgang durch diese Flüssigkeiten Reflexionen erleiden. Lösungen von Kristal- loiden zeigen dieses Verhalten nicht, sondern erweisen sich, wie man sich ausdrückt, als „optisch leer“. Wir kommen auf die Bedeutung des TyspauLuschen Phänomens sofort zurück. 3. Ferner zeigen die kolloidalen Lösungen das Phänomen der Kataphorese, d. h. wenn man sie zwischen zwei Platinelek- troden bringt, die mit einer Batterie von hoher Spannung verbunden sind, so tritt eine — von der elektrolytischen Ionenwanderung streng zu unterscheidende — Wanderung oder ein Transport der Kolloide nach einer der beiden Elektroden hin ein, wo es dann zu einer Ab- scheidung oder wenigstens zu einer Ansammlung der betreffenden Stoffe kommt. 4. Endlich besitzen die kolloidalen Lösungen die gerade für unsere Fragen höchst wichtige Eigenschaft, durch Zusatz geringer Mengen von Elektrolyten — besonders von Salzen — ausgeflockt zu werden. Auf Grund aller dieser zunächst scheinbar miteinander nicht in Zusammenhang stehenden Eigenschaften ist man nun zu einer theo- retischen Vorstellung über das Wesen des kolloidalen Zustandes gelangt, die allerdings heute noch nicht unbestritten da- steht, aber doch zweifellos die größte Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen darf, eine Vorstellung, die besonders BreviG entwickelt und experimentell zu stützen gesucht hat. Wir haben bereits angedeutet, daß der Eintritt des Tyxpauz schen Phänomens bei den kolloidalen Lösungen den Schluß gestattet, dal das Licht bei seinem Durchgang durch dieses Medium Reflexionen erleiden müsse. Da nun, wie wir wissen, in den echten Lösungen der Kristal- loide keine Gelegenheit zu derartigen Reflexionen geboten ist, so bleibt nichts übrig als die Annahme, daß die kolloidalen Flüssig- keiten kleinste Teilchen enthalten, an denen die Ätherwellen reflektiert werden, daß sie also mit anderen Worten, trotz ihrer scheinbaren Homogeni- tät nicht wirklich homogene, echte Lösungen dar- stellen, sondern nur Suspensionen von allerdings ganz außerordentlich feinen Partikelchen. Tatsächlich geben nun eine Reihe von Flüssigkeiten, die ihrer ganzen Herstellungsweise nach unzweifelhaft als Suspensionen angesehen werden müssen, obwohl sie sonst alle Eigenschaften von Kolloiden auf- weisen, wie z. B. die Brepisschen „Metallsole“, die durch Zer- stäuben von Metallelektroden unter Wasser bei hoher Spannung entstehen, das Tysparusche Phänomen mit hervorragender Schönheit. Daß solche Wesen des kolloidalen Zustandes. Kolloidale Flüssig- keiten und Sus- pensionen. 264 XVI. Agglutinine und Präzipitine. Suspensionen, da sie ja keine gelösten Partikelchen enthalten, aucl keinen merklichen osmotischen Druck auszuüben imstande sind, steh mit dem, was wir früher über die osmotischen Eigenschaften der Kol loide erwähnt haben, in bestem Einklang. Endlich zeigen alle Suspen sionen auch die früher erwähnte Erscheinung der Kataphorese, de Transportes der suspendierten Partikelchen gegen eine der beiden Elek troden hin, so daß also auch in diesem Punkte vollkommene Überein stimmung mit den kolloidalen Lösungen besteht und der Suspensions charakter der letzteren wohl begründet erscheint. Diese Wanderung der Partikelchen im elektrischen Strome nac) Elektzische einer Elektrode hin beweist nun aber, daß sie gegen das flüssig “suspen- Medium, in welchem sie schweben, eine elektrische Ladung an quer genommen haben müssen, deren Vorzeichen aus der Richtun ihrer Fortbewegung erschlossen werden kann. Denn, wander: die Teilchen gegen die — negativ geladene — Kathode hin, so werde sie selbst eine positive Ladung besitzen müssen, und umgekehrt werde negativ geladene Partikelchen gegen die Anode wandern. So bewegt sich, um nur einige Beispiele anzuführen, kolloidale Gold, Platin, Silber gegen die Anode hin, ebenso meist auch Eiweil Durch Zusatz von äußerst geringen Alkalimengen läßt sich das letzter jedoch „umladen‘, derart, daß es nunmehr nach der Kathode wandert wie kolloidales Eisenoxyd und Silberoxyd. Be Diese elektrischen Ladungen, deren Träger die feinen schwebende pensionen. Partikelchen der kolloidalen Flüssigkeiten darstellen, erklären nun auc die relativ große Stabilität dieser Suspensionen. Denn da sich gleich namige Elektrizitäten bekanntlich abstoßen, so werden zwischen de suspendierten Partikelchen infolge ihrer gleichsinnigen Ladungen Kräft auftreten müssen, welche sich ihrer gegenseitigen Annäherun widersetzen und verhindern, daß sie sich unter dem Einfluss der Oberflächenspannung aneinander lagern und in Form eines Nieder schlages ausfallen, daß mit anderen Worten eine Entmischun der Kolloidsuspensionen auftritt. Diese Erkenntnis führt uns nun direkt zu einem Verständniss jener merkwürdigen Erscheinungen, die uns vom Standpunkte de Immunitätslehre aus ganz besonders interessieren, nämlich der Aus flockungserscheinungen. Entladung Sind nämlich die kolloidalen Lösungen, wie die Theorie besag dierten nichts anderes als Suspensionen besonderer Art, deren überaus fein Teilchen. Stoffpartikelchen nur durch ihre sich abstoßenden elektrischen Ladunge in Schwebe erhalten werden, dann muß eine Neutralisierung diese Ladungen, das ist eine Entladung der suspendierten Teilchen zur Folge haben, daß nunmehr die Kräfte der Oberflächenspannung i ihre Rechte treten, daß sich unter ihrem Einflusse die Partikelche einander nähern, zu immer voluminöseren Aggregaten aneinanderlager und schließlich in Form von groben Flocken abscheiden. Eine solche Entladung läßt sich nun tatsächlich bewerkstelliger Ausfiockuns und zwar zunächst in der Weise, daß man Lösungen von Kolloiden Kollside die im elektrischen Strome nach entgegengesetzten Richtungen wandern eateter deren suspendierte Teilchen somit entgegengesetzte elektrische Ladunge, Ladung. besitzen, miteinander mischt. Wie die Untersuchungen von PıcTo: und LisDNErR, von LOTTERMOSER, BirLtz und anderen gezeigt haben tritt in diesem Falle wirklich eine Ausfällung der Kolloide ein, währen gleichartig geladene Hydrosole sich nicht beeinflussen. Aller Te XVI. Agglutinine und Präzipitine. 265 dings ist bei diesen Ausflockungswirkungen entgegengesetzt geladener Kolloide noch ein wichtiges Moment zu beachten. Es ist nämlich zur gegenseitigen vollständigen Ausfällung die Innehaltung bestimmter Mengenverhältnisse zwischen den beiden rea- gierenden Kolloiden erforderlich. Wird dieses optimale Mengen- verhältnis nach der einen oder anderen Richtung hin überschritten, dann wird die Abscheidung immer unvollständiger, bis schließlich sogar jede Ausflockung unterbleibt, eine Tatsache, die von dem Standpunkte der Theorie aus leicht verständlich erscheint, da ja zur Neutralisierung der Ladungen des einen Kolloids eine ganz bestimmte elek- trochemisch äquivalente Menge des anderen erforderlich ist, während dessen Überschuß ein dem ursprünglichen System ent- gegengesetzt geladenes Gebilde erzeugt, das eben darum wieder stabil erscheinen muß. — Aber noch in anderer Weise als durch Kolloide entgegengesetzter Ausflockung elektrischer Ladung läßt sich eine Ausfloeckung von Suspensionen er- "Yale zielen, nämlich durch Elektrolyte, und Brevıs nimmt auch für diesen Vorgang einen ganz analogen Mechanismus an, indem er nämlich der Anschauung ist, daß an der Berührungsfläche zwischen den geladenen Teilchen der Suspension und der salzhaltigen Flüssigkeit eine Trennung der Salzionen stattfinde, wobei das Ion entgegengesetzten Vorzeichens die Entladung bewerkstellige. Damit stimmt überein. daß elektro-negative Kolloide im allgemeinen durch Säuren, das ist durch positiv geladene H-Ionen, elektro-positivre Kolloide dagegen durch Basen, das ist durch negativ geladene OH-Ionen ausgefällt werden und daß ferner die fällenden Eigenschaften der Salze wesentlich durch das Kation (+) oder das Anion (—) bestimmt werden, je nachdem es sich um negative oder positive Kolloide handelt. — Endlich gibt es noch eine Reihe von Ausflockungserscheinungen, Ausflockung die erst durch kombinierte Wirkung von Kolloiden und von Elektrolyten zustande kommen. So haben z. B. NEısser Elektrolyte. und FRIEDEMANN beobachtet, daß Mastixemulsionen durch geringe Mengen von Gelatine, von Serum, Blutegelextrakt und anderen eiweißhaltigen Flüssigkeiten, die an sich nicht imstande waren, Fällung hervorzurufen, ausgeflockt wurden, wenn man ihnen kleine, für sich allein ebenfalls unwirksame Salzmengen zusetzte. Da die genannten Eiweißkörper, wie wir bereits erwähnt haben, elektroamphoter sind, d. h. je nach der Anwesenheit von H- oder OH-Ionen nach der Anode oder nach der Kathode wandern und somit wohl Kolloide darstellen, welche gleichzeitig elektropositive wie elektronegative Eigenschaften besitzen, so nehmen NEISSER und FRIEDE- MANN zur Erklärung ihrer Beobachtung an, daß die kleinen zur Ausfällung erforderlichen Salzmengen genügen, um den amphoteren Kolloiden eine einsinnige Ladung zu erteilen; die so umgeladenen Eiweißpartikelchen würden dann in der früher auseinandergesetzten Weise ausflockend auf die Mastixteilchen einwirken. — Erinnern wir uns nun an alle die Tatsachen, die wir bei dem Studium der Agglutinine und Präzipitine kennen gelernt hatten, spe- ziell auch an die wichtige Rolle, welche den Salzen bei diesen Fällungs- und Ausflockungsreaktionen zukommt, so liegt es gewiß nahe, dieselben mit den eben besprochenen Kolloidfällungen in Beziehung zu Ausflockung agglutinin- beladener Bakterien durch Salze. 266 XVI. Agglutinine und Präzipitine. setzen, und in der Tat hat bereits vor einer Reihe von Jahren Bor- DET diese Auffassung mit aller Entschiedenheit vertreten. Sehr interessante experimentelle Untersuchungen in dieser Richtung verdanken wir BECHHOLD, NEISSER und FRIEDEMANN. Diese Autoren haben sich nämlich mit Rücksicht auf die erwähnten großen Analogien, die zwischen der Agglutination und den Ausflockungserscheinungen der Kolloide bestehen, die Frage vorgelegt, in welcher Weise sich denn die agglutininbeladenen Bakterien von normalen in bezug auf ihre Fällbarkeit durch Salze unterscheiden, und haben zu ihrer Beantwortung für eine große Anzahl verschiedenartiger Salze den Schwellenwert bestimmt, d. h. jene geringste Salzkonzentration, bei der nach 24 Stunden eben noch Ausflockung eintrat. Wir geben in der folgenden tabellarischen Zusammenstellung eine (sehr gekürzte) Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse dieser Versuche, wobei zum Vergleiche mit den verschiedenen Bakterienmodifikationen auch noch das Verhalten einer Mastixemulsion mit angeführt sei, deren Teilchen, ebenso wie die Bakterien, negative elektrische Ladungen besitzen, somit nach der Anode hin wandern. | Wertigkeit Normallösung der Mastix- Normale | FR des Kations R Verbindung emulsion Bakterien Agglutininbakt, H,S0, 0,005 0,001 0,001 HCl 0,005 0,001 0,001 Essigsäure _ 0,001 0,001 Amidobenzoesäure = 0,005 0,005 I NaCl 1,0 [eo) 0,025 NaN0, _ (ee) 0,025 Na,S0, _ (ee) 0,025 RbJ —_ co 0,025 AgNO, 0,05 0,025 0,001 HgNO, 0,0025 0,001 0,0005 MgSO, 0,1 00 0,0025 ZnSO, 0,1 0,01 0,001 CaCl, 0,05 [6'°) 0,005 Ba0l, 0,05 [6’e) 0,005 II Ni(CH,C0,)s 0,025 0,0250 0,0025 CA(NO,); 0,025 0,01 0,001 Cu(SO,) 0,01 0,0025 0,0001 Pb(NO,), 0,005 0,0025 0,0005 HgCl, 0,0025 0,0005 In Fe,(SO,)s 0,001 0,0005 0,0001 Al,(SO,); 0,0005 0,00025 0,00025 Die Resultate, die sich aus dieser Tabelle ablesen lassen, sind nun in mehrfacher Hinsicht von großem Interesse. Zunächst läßt sie das auch an anderen Kolloiden bereits beobachtete Gesetz erkennen, daß die fällende Wirkung der Ionen mit ihrer Wertigkeit steigt, daß also der zur Erzeugung eines Niederschlages erforderliche Schwellenwert im allgemeinen bei den Salzen der zwei- und dreiwertigen Metalle weit niedriger liegt, als bei den einwertigen Metallen. Richten wir nun aber weiterhin unser Augenmerk auf das Verhalten der beiden Bakterien- XVI. Agglutinine und Präzipitine. 267 modifikationen, nämlich auf die agglutininbeladenen und auf die agglutininfreien Bakterien, so finden wir, daß die ersteren durch weitaus geringere Salzmengen aus- geflockt werden, als die letzteren, eine Tatsache, die be- sonders deutlich bei jenen Salzen zu erkennen ist, die, wie das Koch- salz, das Magnesiumsulfat, das Kalzium- und Bariumchlorid, selbst in den stärksten (in der Tabelle durch co bezeichneten) Konzentrationen normale Bakterien nicht auszuflocken imstande sind. Dagegen besitzen die Säuren beiden Modifikationen der Bakterien- substanz gegenüber das gleiche Ausflockungsvermögen. Noch in anderer Weise als durch Agglutininzusatz gelang es nun den genannten Forschern, Bakterien für die ausflockende Wirkung von Salzen empfindlicher zu machen. Wurden die Bakterien nämlich mit Bleinitrat, Alkohol, Uranylazetat, mit Säuren u. dergl. ausgefällt und dann mit Wasser so lange gewaschen, bis keine Spur des Fällungsmittels mehr im Waschwasser nachweisbar war, so erhielt man Suspensionen, die in bezug auf ihre Ausflockungsfähigkeit Zwischen- stufen zwischen den normalen und den Agglutininbakterien ‚darstellten und speziell auch durch Salze der Leichtmetalle ausgefällt wurden, die, wie wir bereits wissen, gewöhnlichen Bakterien gegenüber selbst in hohen Konzentrationen ohne Wirkung sind. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Beobachtungen die größte Ähn- lichkeit mit der früher beschriebenen Fällung von Suspensionen ‚durch kombinierte Wirkung von Kolloiden und Elektrolyten darbieten, und in der Tat hat PoreEs in einer vor kurzem erschienenen ‚Arbeit mit Rücksicht auf diese Experimente den Satz aufgestellt: „Es handelt sich in diesem Falle um Bakterien, die mit geringen, an sich nicht ausflockenden Mengen eines kolloidalen Fällungsmittels beladen /sind und erst unter Vermittlung von Salzen zur Ausflockung gebracht werden.‘ Steht also nach diesen Experimenten nichts im Wege, die Rolle der Salze bei der Agglutination als eine physi- kalisch-chemische (und nicht als eine reine chemische in dem ‘Sinne von Joos) anzusehen, so wird diese Auffassung durch ‚folgenden schönen Versuch von PoRGEs noch wahrscheinlicher gemacht. | PorsEs bestimmte nämlich jene Salzmengen, welche bei wechselnden Quantitäten von Agglutinin erforderlich sind, um eine gegebene De Henmenge zu agglutinieren, und fand hierbei die folgenden Ver- ältnisse : Serumverdünnung Gehalt an NaCl 10 20 50 | 100 | 500 | 1000 | 2000 | 5000 | 10000 0 ++| (4 0 0 0 0 0 0 0 er Normallösung| ++ | + | (+) | 0 0 0 0 0 0 ), " 441441441441 +1] 0] 0 | 0 2,02 5 I U DE DE re a ED D2 ++ 44 |44 144 144 | 44144 | + | 2,6 » nr m ee Kama Ku ham ee a) iz. Beziehung zwischen Salz- und Agglutinin- menge. Agglutinin- bindung als Adsorptions- vorgang. Agglutinoid- hemmungen. „Hem- mungs- zonen“ bei Kolloid- fällungen. _, 268 XVI. Agglutinine und Präzipitine. Mit steigender Menge des zugesetzten Agglutinins nimmt, wie man sieht, die zur Agglutination notwendige Salzmenge ganz erheblich ab, eine Tatsache, die wohl mit einer chemischen Deutung der Salzwirkung schwerer vereinbar scheint als mit der eben auseinandergesetzten physikalisch-chemischen Auffassung des Asglutinationsphänomens. Aber auch die Bindung des Agglutinins an die Bakterien- leiber selbst hat man — wie wir bereits in einem früheren Kapitel dargelegt haben, — als einen physikalisch-chemischen Adsorptions- vorgang, der sich zwischen zwei Kolloiden abspielen sollte, aufgefaßt und hat sich dabei besonders auf die Experimente von LANDSTEINER und Jacıö und von BırLrz gestützt, nach welchen die Niederschlags- bildung zweier Kolloide nach ganz ähnlichen Gesetzen vor sich geht, wie sie EISENBERG und VOoLK für die Reaktion zwischen Bakterien und Agglutinin festgestellt hatten. (Siehe Vorlesung XIII.) Ja selbst für die zu Anfang dieses Kapitels besprochenen Agglu- tinoidhemmungen hat man Analogien aus der Lehre von den Kol- loiden beigebracht. Eine Reihe von Forschern, darunter auch EiısEn- BERG und VOoLk, hatten nämlich die Beobachtung gemacht, daß oft ganz frische Sera in hoher Konzentration schlechter agglutinieren, als bei stärkerer Verdünnung, und hatten diese Tatsache durch die Annahme zu erklären gesucht, daß bereits in den frischen Immunseris Abbauprodukte der Agglutinine, Agglutinoide, wenn auch in relativ geringer Menge, vorhanden seien. Wurde dann ein solches Serum in konzentriertem Zustand mit den Bakterien zusammengebracht, so trat nach dieser Auffassung Agglutinoidhemmung ein, während die Hemmungswirkung bei höheren Verdünnungsgraden des Serums aus- geschaltet wurde und nun das überwiegende Agglutinin zur Aktion ge- langte. Ebenso lassen sich natürlich auch durch Mischung von inakti- viertem mit frischem Immunserum agglutininhaltige Flüssigkeiten mit mehr oder minder ausgedehnten „Hemmungszonen“ herstellen. Solche Hemmungszonen finden sich nun aber auch, wie besonders NEISSER und FRIEDEMANN, BECHHOLD und Bıutz dargetan haben, bei der gegenseitigen Ausfällung von Kolloiden vor, und es ist in der Ta überrasehend, wenn man, wie dies in der folgenden Tabelle geschehe ist, einen derartigen Fällungsversuch von Zirkonhydroxyd gegen kolloi Fällung von Fällung von Bakterien durch Typhusimmunserum Zirkonhydroxyd durch Goldlösung Se Fällungserscheinung mg ZrO, Fällungserscheinung 10 | 0 32,5 0 100 | 0 16,25 0 1.000 fast vollkommen 6,5 0 500 | is en 3,25 0 10000 | unvollkommen 1,95 | starke Fällung 15000 | . 1,62 vollkommen 20000 | starke Spur 0,65 | feinste Flocken 2500 | Spur 0,325 “ r 30000 | Flocken 0,065 0 z 35000 | feinste Flocken j 40 000 „ „ \ 45 000 | 0 | XVI. Agglutinine und Präzipitine. 269 lale Goldlösung neben einen Agglutinationsversuch stellt, zu sehen, wie veit der Parallelismus beider scheinbar so verschiedenen Phänomene geht. Da also für alle wesentlichen Erscheinungen bei der spe- ifischen Agglutination und Präzipitation treffende Analogien ‚us der Lehre von den Kolloiden zur Verfügung stehen, so ıaben manche Forscher diese biologischen Reaktionen direkt ls Fällungs- und Ausflockungsvorgänge zwischen Kolloiden ‚ufgefaßt und haben demgemäß folgerichtig die früher, zu Beginn lieses Kapitels, auseinandergesetzten Theorien über den Bau der Agglu- inine und Präzipitine, über die Existenz von haptophoren und ergo- )horen Gruppen usw. als überflüssig erklärt. Nur eine Tatsache bereitet dieser physikalisch-chemischen Be- rachtungsweise große Schwierigkeiten, und das ist die strenge Spezifität, velche, wie wir gesehen haben, die Reaktion zwischen den Antikörpern ınd ihren Antigenen charakterisiert und wohl kaum in dem olloidalen Zustande dieser Substanzen ihre ausreichende örklärung finden dürfte. Aus diesem Grunde sind viele Forscher — denen wir uns hier anschließen möchten — zu der Überzeugung ;elangt, daß neben den unzweifelhaft bei den Immunreaktionen mit- virkenden kolloidalen Eigenschaften auch chemische Affinitäten zwischen len wirksamen Substanzen eine wichtige Rolle spielen, eine Anschauung, lie mit gewissen zeitgemäßen Modifikationen auf eine ältere Theorie ‚on BORDET zurückführt, nach der man bei diesen Phänomenen ‚wei verschiedene Phasen zu unterscheiden habe: eine „phase d’im- pression“, bei welcher das Antigen mit dem agglutinierenden )ezw. präzipitierenden Antikörper in Wechselwirkungtritt,und sine zweite Phase, in welcher dann auf Grund physikalisch- ;hemischer Kräfte eine Ausflockung der reagierenden Sub- stanzen stattfindet. Wie dem auch sei, jedenfalls dürfte aus unseren Ausführungen klar geworden sein, daß wir noch weit davon entfernt sind, die Vor- änge, die sich bei der Agglutination und Präzipitation abspielen, im einzelnen genau erklären zu können, und daß gerade von dem Studium ler Kolloide mancherlei Aufschluß in dieser Richtung zu erwarten sein dürfte. — Im Anschluß an diese Erörterungen wollen wir noch in Kürze einiger neuerer Beobachtungen Erwähnung tun, welche gewisse physikalisch- chemische Begleiterscheinungen der Reaktionen zwischen Antigenen und Antikörpern betreffen. Bereits vor einigen Jahren hatte WEıc#arpr behauptet, daß mit der Einwirkung dieser beiden, spezifisch aufeinander abgestimmten Kom- ponenten eine, wenn auch nur minimale Diffusionsbeschleunigung verbunden zu sein pflege. Der Nachweis derselben wurde in verschiedener Weise geführt: Bei der einen Versuchsanordnung waren an den Balken einer empfindlichen Wage zwei glockenförmige kleine Gefäße angehängt, die an ihrem unteren Ende mit einer Membran verschlossen und mit genau gleichen Mengen einer wässerigen Flüssigkeit gefüllt waren. Der Unterschied zwischen beiden Gefäßchen bestand nur darin, daß das eine derselben eine stark verdünnte Lösung von Diphtherieserum, das andere dagegen eine entsprechende Verdünnung von normalem Serum enthielt. Beide Gläschen tauchten in eine spezifisch schwerere Koch- salzlösung ein, der eine geringe Menge von Diphtheriegift beigemischt war. Während nun dieses ganze System sich zu Beginn des Versuches Zusammen- wirken kolloidaler und clıe- mischer Eigen- schaften. Diffusions- beschleuni- gung bei Immun- reaktionen. 270 XVI. Agglutinine und Präzipitine. im Gleichgewicht befand, der Balken der Wage also horizontal stand, zeigte sich nach einiger Zeit, daß derselbe sich nach derjenigen Seite zu neigen begann, auf welcher Antigen und Antikörper aufeinander einwirkten, ein Beweis dafür, daß auf dieser Seite mehr Flüssigkeit in das Innere der Glasglöckchen eingetreten war als auf der anderen und daß also die Diffusionsbewegung der konzentrierten Kochsalz- und Toxinhaltigen Außenflüssigkeit hier eine Beschleunigung erfahren hatte, Eine andere Methode, diese Diffusionsbeschleunigung zu demonstrieren, bestand darin, daß die beiden gegeneinander diffundierenden Flüssig- keiten in ein U-förmiges Rohr gefüllt wurden, dessen horizontaler Tei durch einen drehbaren Glashahn mit weiter Bohrung unterbrochen war, In den einen Schenkel dieses Apparates kam eine sehr schwache, durch Phenolphthaleinzusatz gerötete Ätzkalilösung, der etwas Diphtherieserum‘ zugesetzt war, in den anderen sehr verdünnte Salzsäure mit einem Zusa einer kleinen Menge von Diphtherietoxin. Ein zweiter, zur Kontrolle aufgestellter Apparat unterschied sich von dem eben beschriebenen n dadurch, daß er an Stelle des Immunserums entsprechend verdünntes Normalserum enthielt. Wurden nun die beiden zu Beginn des Ver suches geschlossenen Glashähne gleichzeitig geöffnet und damit die Diffusionsvorgänge eingeleitet, so zeigte sich, daß die Entfärbung der alkalischen Flüssigkeit durch die einwandernde Salzsäure da schneller vor sich ging, wo Toxin und Antitoxin miteinander in Berührung kamen, während in dem Kontrollsystem die Rotfärbung noch längere Zeit erhalten blieb. Ähnliche Resultate wurden übrigens auch mit einigen anderen Antigenen und Antikörpern erhalten. Meiostag- In jüngster Zeit hat nun AscoLı noch eine andere „physikalisch“ reaktion Chemische Immunitätsreaktion“ beschrieben. Auf Grund von theoreti schen Erwägungen zu der Anschauung gelangt, daß bei der Reaktion der Immunkörper mit ihren Antigenen Stoffe entstehen, die die Obe flächenspannung der Lösungsflüssigkeit zu beeinflussen imstande sind, bestimmte er mit Hilfe des Traugrschen Stalagmometers die Änderungen der Tropfengröße bezw. der mit ihr zusammenhängenden Tropfenzal die beim Zusammenbringen von verdünnten T'yyphusseren mit Bazillen- extraktion eintreten. Da sich hierbei eine regelmäßige, zwar nicht sehr beträchtliche aber doch weit über die Fehlergrenzen der Methode hinaus- gehende Zunahme der Tropfenzahl, also eine Abnahme der Tropfengröße feststellen ließ, bezeichnete Ascorı die neuentdeckte Reaktion Meiostagminreaktion, d. h. als Reaktion der verkleinerten Flüssig keitstropfen, und suchte nachzuweisen, daß es sich dabei um ein Phä- nomen von allgemeiner Bedeutung handle, das auch zur Serumdiagnose Tropfenzahl. Serum eines | Serum: eine 9ccm Serum (10fach ver- (Agglutin. 1 : 360) verdünnt) + 1ccm folgen- der Flüssigk. I nach 2» nach sofort | (Bruttemp.) sofort (Bruttemp.) physiol. Kochsalzlösung 0 Go Va 57,1 58 Typhusextr. 1000f. verd. 58,1 | 61,2 57,1 58,2 “ 10000f. verd. 58,2 | 60 57,1 58 » 100000f. verd. 58 592 57,1 58 „ 1000000f. verd. 57,4 58,5 57 58,1 XVI. Agglutinine und Präzipitine. 271 der Tuberkulose und Syphilis, sowie der Echinokokken- und Ankylostoma- krankheit herangezogen werden könne. Da die Erfahrungen mit dieser jüngsten Immunitätsreaktion noch zu geringe sind, um ein endgültiges Urteil zu ermöglichen, wollen wir uns hier damit begnügen, sie durch ein willkürlich aus der Reihe der Versuchsprotokolle Ascouıs heraus- gegriffenes Beispiel zu erläutern. Welcher Art die hierbei beteiligten Stoffe, die Meiostagmine, wie man sie nennen kann, sein dürften, und in welcher Beziehung sie zu den bisher bekannten Antikörpern stehen, das sind Fragen, die wohl bald eingehender diskutiert werden dürften. Literatur. Morr, Hofmeisters Beiträge, Bd. IV, 1903. Tekistovitch, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1899. Mörzer, P. Te., Münchn. med. Wochenschr., 1902 und Arch. f. Hyg.. Bd. XIV. Kraus, und v. Pırquer, Zentralbl. f. Bakt., 1902. EisEnBERG und Vomk, Zeitschr. f. Hyg., 1902. Joos, Zeitschr. f. Hyg., 1902. Brepıs, Anorg. Fermente, Leipzig 1901. Pıctox und LixDxer, Journ. of the chem. Soc., 1897. ERMOSER, Anorg. Kolloide, Stuttgart 1901. Bırrz, Zeitschr. f. physik. Chemie, 1904. NEISsER und FRIEDEMANN, Münchn. med. Wochenschr., 1904. BEcHBoLD, Zeitschr. f. physik. Chemie, 1904. BorpEt, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1896 und 1899. Porses, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XL, 1905. ANDSTEINER und JAGIC, Münchn. med. Wochenschr., 1904. ALTAUF und Kraus in dem Handbuch von Kolle-Wassermann. RIEDBERGER, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXX, 1901 und Bd. XXXI, 1902. AscorLı, Münchn. med. Wochenschr., 1910, Nr. 2. AscoLı und Izar, Münchn. med. Wochenschr., 1910, Nr. 18. WeıchArpT, Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 20; Zeitschr. f. Immunitätsf., 1910, Bd. VI. Ehrlichs Seiten- ketten- theorie. XVII. EnrLichs Seitenkettentheorie. Wir haben bis jetzt eine große Zahl verschiedenartiger Tatsacheı kennen gelernt, welche die Entstehung der Antikörper, ihre chemisch Natur und Eigenart, ihre qualitativen und quantitativen Beziehungen z den entsprechenden Antigenen usw. betreffen, ohne daß wir im große, und ganzen den Boden der rein beschreibenden Darstellung verlasse) und die Frage nach dem inneren Zusammenhang aller dieser merk würdigen Tatsachen aufgeworfen hätten. Diese Frage, soweit es überhaupt heute möglich erscheint, zu be antworten, die Beziehungen aufzudecken, die zwischen der Produktio der Antikörper und anderen physiologischen oder pathologischen Vor gängen des tierischen Organismus bestehen, die Gesetzmäßigkeiten, welch in den uns bisher bekannt gewordenen Tatsachen verborgen liegen, z enthüllen, mit einem Wort, eine Theorie der Antikörperproduktio; zu entwickeln, soll die Aufgabe dieser Vorlesung sein. Nun verdanken wir fast alles, was an klaren und präzisen Vor stellungen hierüber vorliegt, dem spekulativen Scharfblicke und experi mentellen Genie EHRLICHs, der seit einer Reihe von Jahren mit un ermüdlichem Eifer bemüht ist, seinen Anschauungen über das Wese der Antikörperproduktion ein breites wissenschaftliches Fundament z geben und sie an allen bekannt gewordenen Tatsachen zu prüfer Man kann wohl mit gutem Rechte behaupten, daß neben diesem groß artigen Erklärungsversuche EHRLIcHs, der allgemein unter dem Name der Seitenkettentheorie bekannt geworden ist, die spärlich ge äußerten anderweitigen Hypothesen kaum in Betracht kommen, da kein von ihnen auch nur im entferntesten auf ein ähnlich großes Tatsachen material gestützt erscheint und — was vielleicht noch wichtiger ist — da keine von ihnen sich in dieser kurzen Zeit so außerordentlich frucht bar erwiesen hat, wie die EnurLicHsche Theorie. Denn wir wisse! ja heute, daß alle Theorien und Hypothesen, selbst in de exakten Wissenschaften, in Physik und Ühemie, stets nur al Bilder und Gleichnisse aufgefaßt werden dürfen, die sich de Wahrheit nur bis zu einem gewissen Grade annähern un die ihren Zweck erfüllen, wenn sie ein großes Tatsachengebie zu überschauen gestatten und neue Tatsachen finden helfer Nach beiden Richtungen aber hat sich die EnrLicHsche Seitenketter theorie bis heute so sehr bewährt, wie wenige andere Hypothesen, un so ist es denn nicht verwunderlich, wenn eine theoretische Erörteru über das Wesen der Antikörperproduktion zunächst kaum etwas andere bringen kann, als eine möglichst objektive Darlegung dieser T'heori Um jedoch dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen wir etwä weiter ausholen. XVII Esruıchs Seitenkettentheorie. 273 Wir haben gesehen, daß eine ganze Reihe von Stoffen pflanzlicher und tierischer Provenienz, die zum Teil imstande sind, typische Gift- wirkungen hervorzurufen, zum Teil aber auch derartiger giftiger Eigen- schaften im gewöhnlichen Sinne entbehren, bei ihrer Einverleibung in den Tierkörper zur Antikörperproduktion Veranlassung geben, also als Antigene fungieren. Was die chemische Natur dieser Antigene betrifft, so fanden wir, dal sie entweder den Eiweißkörpern zuzurechnen sind oder aber zu jener großen Gruppe von bisher unerforschten Substanzen gehören, an denen die tierischen und pflanzlichen Gewebe so reich zu sein scheinen und zu der auch die Fermente gezählt werden müssen. Nun hat man sich natürlich in ausgedehntem Maße mit der Frage Unfähigkeit beschäftigt, ob nicht auch Gifte von bekannter chemischer Konstitution, jan mischen besonders Alkaloide und Glykoside, Antikörper zu produzieren vermögen. ‚ifte, als . . . . : P ntigen zu Wie wir gleich hinzusetzen wollen, durchweg mit negativem Er- wirken. folge. Zwar hat Pont vor wenigen Jahren mitgeteilt, dal es ihm ge- lungen sei, gegen Solanin zu immunisieren, und darauf hat Hırsch- LAFF über die Herstellung eines Antimorphinserums berichtet; es haben jedoch sorgfältige Nachprüfungen, die von verschiedenster Seite an- gestellt wurden, zur Evidenz erwiesen, daß diese Angaben sämtlich auf Irrtümern beruhen, so daß also bis heute keine einzige chemisch gut definierbare Substanz bekannt geworden ist, welche als Antigen zu fungieren vermöchte. Alles in allem macht es somit ganz den Eindruck, als ob diesem eigentümlichen Ver- halten der verschiedenen Giftstoffe ein allgemeines Gesetz zugrunde läge, und Eurrıchs Verdienst ist es, dieses in den Tatsachen verborgen liegende Gesetz zuerst erkannt, ausgesprochen und gedeutet zu haben. | Erinnern wir uns an die Anschauungen, die wir in einer der ersten Vorlesungen über Giftwirkung und Giftverteilung im Organismus /gewonnen haben. Wir waren daselbst auf Grund mannigfacher Tatsachen Jund Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Lokalisation der Giftstoffe am Orte ihrer Wirkung durch zweierlei verschiedene Arten von Kräften erfolgen kann. Einmal durch physikalische Kräfte, ent- sprechend den Löslichkeitsverhältnissen des betreffenden Giftes in ge- |wissen fettartigen, lipoiden Zellbestandteilen, welche es den wässerigen |Körperflüssigkeiten in ganz ähnlicher Weise entreißen, wie etwa der |Äther beim Stas-Orroschen Giftermittlungsverfahren. In diesem Falle Isind also die Gifte wenigstens zum Teil in den betreffenden Gewebs- |lipoiden einfach gelöst enthalten, ohne irgend eine innigere Verbindung |mit gewissen Zellbestandteilen einzugehen, eine Tatsache, die am besten |daraus zu entnehmen ist, daß es nur eines geeigneten, aber sonst chemisch vollkommen indifferenten Lösungsmittels bedarf, um sie aus den Zellen wieder in Freiheit zu setzen und zu extrahieren. Hingegen waren wir für eine Reihe anderer Gifte zu der Auf- |fassung gelangt, daß ihre Aufspeicherung in den empfindlichen Geweben | direkt auf chemische Affinitäten zurückzuführen sein dürfte, wobei es zu einer Bindung dieser Giftstoffe an bestimmte Zellelemente kommt, |die meist eine so feste ist, daß ihre Extraktion mittels indifferenter | Lösungsmittel erfolglos bleibt. Dabei stellte sich heraus, daß die meisten Gifte bekannter chemischer Konstitution, speziell Alkohole, Alkaloide, Glyko- side usw., zu der ersten Gruppe gerechnet werden müssen, deren Lokalisation, wie gesagt, auf rein physikalischem Wege erfolgt, während die Toxine und toxinähnlichen Gifte der Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 18 Beziehung zwischen Giftspeiche- rung und antigener Funktion. 274 XVII. Eurrıcahs Seitenkettentheorie. zweiten Gruppe angehören, also durch chemische Kräfte in den empfindlichen Organen gebunden und festgehalten werden. Durch die Bekanntschaft mit den verschiedenartigen Zytolysinen, die wir anläßlich der Besprechung der Antikörper zu machen Ge- legenheit hatten, hat sich nun der Kreis jener giftigen Substanzen, die durch besondere chemische Affinitäten zu Gewebselementen ausgezeichnet erscheinen, noch ganz wesentlich erweitert. Gerade bei diesen Zyto- lysinen tritt nämlich der Oharakter der chemischen Bindung zwischen dem Gift und den empfänglichen Zellelementen in ganz außerordentlich‘ deutlicher Weise zutage, da er hier nur als ein Spezialfall der allge- meinen Beziehungen erscheint, die zwischen Antikörpern und Antigenen bestehen. Demgemäß können wir also das Verhalten der beiden Gruppen von Giften in bezug auf ihre Fähigkeit, Antikörper zu erzeugen, auch in folgender Weise charakterisieren. Von jener großen Zahl von Giften, deren chemische Kon- stitution genau bekannt ist und deren Lokalisation in den Geweben der empfindlichen Organe durch physikalische Kräfte erfolgt, ist kein einziges imstande, als Antigen zu fungieren und die Bildung von Antitoxinen im Tierkörpe auszulösen. Alle wirklichen Antigene gehören dagegen zu jener zweiten Gruppe von Giften bzw. giftähnlichen Stoffen, von denen wir mit mehr oder minder großer Wahrschein- lichkeit annehmen dürfen, daß sie auf Grund chemischer Affinitäten zu gewissen Zellbestandteilen in den betreffen den Organen gespeichert werden. Bei dieser Formulierung der beobachteten Tatsachen tritt, wie mar sieht, die innige Beziehung, die zwischen der Art der Gift speicherung und der antigenen Funktion der betreffenden Substanzen zu bestehen scheint, sehr markant hervor, und es wird hier- nach wohl begreiflich und berechtigt erscheinen, wenn EHRLICH gerade auf diese Beziehung das größte Gewicht legt und in ihr den Aus druck eines allgemeinen (Gesetzes sieht, das man etwa in folgender Weise aussprechen könnte: Nur solche Substanzen, welche vom Zellproto plasma chemisch gebunden werden, sind fähig, zur Bildung von Antikörpern Veranlassung zu geben. Natürlich ist damit durchaus noch nicht gesagt, daß nun auch alle chemischen Substanzen, welche diese Bedingung erfüllen, imstande sein müssen, als Antigene zu fungieren; die anorganischen Ätzmitte welche ihre deletäre Wirksamkeit ja gerade auf Grund ihrer chemischen Affinitäten entwickeln, ohne jemals zur Bildung von Antikörpern zu führen, sind im Gegenteil der beste Beweis dafür, daß hierzu noch be- sondere andere Eigenschaften erforderlich sind, auf die wir noch später zurückzukommen haben. Nun haben wir bereits bei wiederholten Gelegenheiten auseinande gesetzt, daß wir an den Toxinen und anderen Antigenen die Existenz besonderer haptophorer Gruppen annehmen müssen, welche die che mische Verbindung mit ihren respektiven Antikörpern vermitteln. Eine ganz analoge Annahme werden wir somit auch für die Verbindung der Toxine mit den empfänglichen Zellelementen machen dürfen, so daß wi also zu der Aufstellung zweier verschiedener haptophorer Gruppen Aal | ! dem Toxinmolekül kämen, einer Gruppe für die Zellrezeptoren und einer anderen für die Antikörper. Es gestattet jedoch die folgende Über- legung, diese Annahme noch wesentlich zu vereinfachen. Das Antitoxin ist imstande, die Gewebe vor der Einwirkung des Identität der Giftes zu schützen, indem es sich mit dem Toxin zu einer ungiftigen "igPhen E i \ & > und anti- Verbindung zusammenlagert. Die einfachste Auffassung, die man sich texinophilen in von diesem Vorgang bilden kann, ist nun natürlich die, daß sich a, das Antitoxin direkt an jene Gruppe des Toxins an- lagert, welche sonst mit den Geweben in Verbindung getreten wäre und auf diese Weise ihre schädliche Einwirkung verhindert. Dann fallen aber naturgemäß die beiden supponierten haptophoren Gruppen des Toxinmoleküls in eine einzige zusammen, die eben mit den beiden Arten von Rezeptoren, denen der Zellen und denen des Antitoxins, in Verbindung treten kann. Schließt man sich nun dieser gewiß außerordentlich plausiblen Anschauung an, so ergibt sich mit Notwendigkeit sofort eine weitere überaus wichtige Konsequenz. Wir haben früher gesehen, daß die Beziehungen der Antigene zu den Antikörpern, speziell der Toxine zu den Antitoxinen, im allge- meinen spezifische sind und haben zur Erläuterung dieser Tatsache den vielgebrauchten Fiscuerschen Vergleich herangezogen, nach welchem diese beiden Substanzen mit ihren haptophoren Gruppen so zueinander passen, wie der Schlüssel zu einem kunstvoll gearbeiteten Schlosse. Da nun aber die haptophore Gruppe des Toxins nach unseren obigen Auseinandersetzungen sowohl mit der haptophoren Gruppe des Antitoxins wie mit den Zellrezeptoren in Verbindung zu treten vermag, so folgt daraus, daß diese beiden Arten von Atomkom- plexen den gleichen Bau besitzen müssen, gerade so wie zwei verschiedene Schlüssel, die ein und dasselbe Schloß zu sperren vermögen, in der Form und in den Zacken ihres Bartes übereinstimmen müssen. Antitoxin und giftempfindliche Zellen besitzen somit haptophore Gruppen von gleicher Struktur, die für die Verbindung mit dem Toxin bestimmt sind. Von diesem Standpunkte aus bedarf es nun nur noch eines kleinen Schrittes, um zu jener Annahme zu gelangen, welche den Kern der Eurrıchschen Hypothese ausmacht. E#krich nimmt nämlich an, daß die genannten beiden hapto- Antitoxine phoren Gruppen, diejenigen des Toxins und die der Zellen, nicht soene Re- nur ihrer Struktur nach miteinander identisch sind, ?*ptoren. sondern auch direkt genetisch miteinander zusammen- hängen, indem nämlich die Antitoxine nach seiner Auffassung nichts anderes darstellen, als freie, von ihrer Mutterzelle abgelöste oder abgestoßene Rezep- toren. Der einzige Unterschied, der hiernach zwischen den Antitoxinen und den Rezeptoren besteht, liegt darin, daß die letzteren sich noch in Zusammenhang mit ihren Mutterzellen befinden, die ersteren jedoch diesen Zusammenhang bereits aufgegeben haben und (als „freie‘‘ Rezep- toren) in den Körperflüssigkeiten gelöst sind. Nach der Ausdrucksweise v. Benrines: Dieselbe Substanz im lebenden Körper, welche, in der Zelle gelegen, Voraussetzung und Be- dingung einer Vergiftung ist, da sie das Toxin an dieselbe fesselt, wird Ursache der Heilung, wenn sie sich in der Blutflüssigkeit befindet und das daselbst vorhandene Toxin 18* XVII. Earuıcas Seitenkettentheorie, 275 Erklärung der Spezifi- tät der Antikörper. Ursache der Abstoßung von Re- zeptoren. 276 XVI. Esuruiıchs Seitenkettentheorie. durch seine Bindung und Neutralisation verhindert, an die empfänglichen Zellen heranzutreten. Nach einem äußerst treffenden Vergleich von WEIGERT verhält sich demnach das Antitoxin ganz ähnlich wie ein kunstgerecht ange- brachter Blitzableiter, der den Blitz von einem Gebäude fernhält, während dieselbe Eisenmasse, unrichtig verteilt, das gerade Gegenteil davon bewirken und den Blitz direkt in das betreffende Gebäude an- locken kann. Diese Hypothese Enrtichs verbreitete mit einem Schlage helles Licht über ein Problem, das von Anfang an die Immunitätsforscher ganz besonders beschäftigt hatte und das bis dahin als eines der dun- kelsten und rätselhaftesten gegolten hatte: das Problem der Spezifität der Antikörper. Wie man sieht, ist die Lösung dieses Problems nach Eurtichs Hypothese eine verblüffend einfache und fast selbstver- ständliche. Wenn nämlich die Antikörper, speziell die Antitoxine, nur frei- gewordene Rezeptoren sind, die, solange sie noch mit ihren Mutter- zellen in Zusammenhang stehen, deren Giftempfindlichkeit bedingen, so ist es ganz klar, dal sie auch nach ihrer Abstoßung noch ebenso wie früher befähigt sein müssen, die entsprechenden Toxine zu binden; und wenn die betreffenden Rezeptoren im sessilen Zustande nur imstande waren, ein bestimmtes, mit geeigneter haptophorer Gruppe versehenes Toxin zu verankern, so mul) dasselbe auch für die freigewordenen Rezeptoren, für die Antitoxine und Antikörper im allgemeinen gelten. Die Spezifität der Antikörper ist mit anderen Worten nu eine direkte Folge der spezifischen Giftempfindlichkeit bezw. Affinität der betreffenden Körperzellen. Waren dagegen die betreffenden Zellrezeptoren nicht streng spe zifisch auf ein einziges Antigen eingestellt, sondern vermochten sie mit einer größeren Anzahl verschiedenartiger Substanzen zu reagieren — man denke z. B. nur daran, dab eine Aldehydgruppe sich mit Amido gruppen, mit Hydrazin- und Methylengruppen zu paaren vermag dann werden die abgestoßenen Rezeptoren, wenigstens zunächst, dieselbe Vielseitigkeit ihrer Wirkung zeigen müssen. Im Verlauf der Immuni- sierung nimmt jedoch auch in solchen Fällen erfahrungsgemäß die Spe zıfität der gelieferten Antikörper erheblich zu, eine Tatsache, auf deren mutmaßliche Erklärung wir noch zurückzukommen haben werden. Nur ein Punkt dieser EnkLicHschen Hypothese bedarf noch einer näheren Erläuterung. Man muß sich nämlich naturgemäß die Frage vorlegen, wodurch denn eigentlich dieser Abstoßungsvorgang der Rezep- toren bedingt wird, der zur Entstehung der Antikörper führt, welche Art dieser Prozeß ist und wie es kommt, daß bei der Immunisie gerade immer nur diejenigen Rezeptoren in Freiheit gesetzt werden, welche zu den hierbei einverleibten Antigenen in spezifischen Bezieh ungen stehen. Auch auf diese Fragen hat EukrLich eine Antwort zu geben versucht, welche aufs innigste mit seinen Anschauungen über die Funktionsweise des Zellprotoplasmas in Zusammenhang steht. Bereits in seiner mehrfach zitierten Schrift über das Sauerstoff bedürfnis des Organismus, also vor mehr als 20 Jahren, hat EHrLick hierüber folgende Vorstellungen entwickelt. Jedes funktionierende Proto= plasma besitzt einen außerordentlich komplizierten chemischen Aufbau, an welchem sich eine große Anzahl von funktionell durchaus nicht gleichwertigen Atomkomplexen beteiligt. Da wir die überaus mannig- E* * D XVII. Enrrıchs Seitenkettentheorie. 277 faltigen Leistungen des lebenden Protoplasmas ohne Zweifel als Aus- druck seiner chemischen Organisation ansehen müssen, so werden wir bestimmten derartigen Atomkomplexen auch bestimmte Funktionen zu- zuschreiben haben, ganz ähnlich wie etwa bei gewissen organischen Farbstoffen, deren Farbcharakter an bestimmte Atomgruppen geknüpft erscheint, während andere Gruppen sich in dieser Beziehung indifferent verhalten. So ist, um ein von Enkticn angeführtes Beispiel hier zu zitieren, beim Phenolazobenzol nur die Azogruppe und die Hydroxyl- gruppe für seine Farbnatur von Bedeutung. [ Pau EEE SB Yuan 0T „Wird eine dieser Gruppen zerstört oder modifiziert, etwa die Azogruppe in die Hydrazogruppe umgewandelt oder etwa das Hydroxyl durch Ätherifizierung seiner salzbildenden Eigenschaften beraubt, so geht hierdurch auch der farbige und färberische Charakter verloren. Im Gegensatz hierzu ist in den substituierten Azophenolen, in denen eine oder mehrere Wasserstoffgruppen des Benzolkerns durch irgendwelche Gruppen ersetzt sind (Alkoholreste, Nitrogruppe, Ol, Br, NO,, COOH, HSO, usw.) der farbige Charakter erhalten.“ Überträgt man diese allgemein bekannten chemischen Tatsachen zeistunes- auf das Protoplasma, so wird man also mit EnrLıch annehmen dürfen, „m ud daß dasselbe gewisse Atomkomplexe von besonderer Struktur enthält, des Proto- die seine jeweilige spezifische und eigenartige Zelleistungen bedingen, ‚Fieküls. und daß neben diesen Atomkomplexen, die Euruicn als Leistungs- kern des Protoplasmas bezeichnet, noch andere Gruppen, „Seiten- ketten“, vorhanden sind, die zwar für diese spezifischen Zellfunktionen von untergeordneter Bedeutung sind, aber für die allgemeinen nutritiven Vorgänge, für die Assimilation und Verbrennung der Nahrungsstoffe in erster Linie in Betracht kommen. Nun besteht die Assimilation der Nahrungsstoffe, wie schon der Name anzeigt, offenbar in einer Aufnahme dieser letzteren in das che- mische Gefüge des Protoplasmas; mit anderen Worten, die Nährstoffe werden von den Zellen gebunden, und diese Bindung mul) nach Enr- LIcH als eine chemische angesehen werden. So kann man z. B. die Zuckerreste den Zellen nicht einfach mit Wasser entziehen, sondern muß dieselben erst durch verdünnte Säuren abspalten, um sie in Frei- heit zu setzen. Nun setzt aber eine solche chemische Verankerung, wie jede Syn- ese, das Vorhandensein zweier bindender Gruppen von maximaler chemischer Verwandtschaft voraus, die aufeinander eingestellt sind. Die in den Zellen gelegenen nährstoffbindenden Atomgruppen belegt Eur- Ich mit dem uns bereits bekannten Namen der Rezeptoren bezw. utrizeptoren, denen er die betreffenden bindungsfähigen Atom- komplexe des Nahrungsmoleküls als haptophore Gruppen gegenüber- tellt, so daß also die Assimilation der Nahrungsstoffe hiernach auf au das gleiche Schema gebracht erscheint, wie die Bindung der oxine an das giftempfindliche Protoplasma. In der Tat sieht Enkticn in diesem letzteren Vorgange ureinen besonders gearteten, speziellen Fall des allgemeinen ssimilationsprozesses, sodaß also die Toxine nach seiner Auf- Ausschal- tung der toxinbelade- nen Rezep- toren. Regenera- tion und Überproduk- tion der Rezeptoren. ? 278 XVII. Esruıcas Seitenkettentheorie. fassung Substanzen darstellen, die, ohne wirkliche Nahrungs- stoffe zu sein, doch zufälligerweise analoge haptophore Grup- pen besitzen wie diese und daher auch nach dem gleichen Mechanismus verankert werden. Die Toxine wären hiernach ge- wissermaßen verdorbene, schädliche Nahrungsstoffe, eine Anschauung, die um so plausibler wird, wenn man bedenkt, daß ja in der Tat eine Reihe wirklicher Nahrungsstoffe, wie das Kasein oder die Serumeiweiß körper, imstande sind, nach Art der Tooxine als Antigene zu fungieren und Antikörper zu erzeugen, wenn sie direkt, ohne vorhergehende Präparation durch die Verdauungssäfte, an gewisse Zellterritorien herantreten. Während nun aber die eigentlichen, für die Ernährung der Zelle bestimmten Substanzen bald nach ihrer Verankerung der Spaltung und Verbrennung zugeführt werden, wodurch die betreffenden Rezeptoren die zeitweise durch ihre Bindung an die Nährstoffmoleküle außer Funktion gesetzt waren, wieder frei werden, scheint in jenen Fällen, wo es sich um Gifte oder nicht genügend präparierte Nahrungsstoffe handelt, die Bindung eine länger andauernde zu sein, indem es der Zelle eben nicht ohne weiteres gelingt, dieser angelagerten Fremdkörper Herr zu werden. Infolgedessen werden die betreffenden Seitenketter oder Rezeptoren für längere Zeit physiologisch ausgeschaltet, und es entsteht ein Defekt, den die Zelle in vielen Fällen dadurch auszu gleichen sucht, daß sie die verloren gegangenen Gruppen regeneriert und durch neugebildete derselben Art und Konfiguration ersetzt. Im Verlauf des typischen Immunisierungsverfahrens wird nun aber die Zelle, welche immer wieder mit neuen Antigenen überlastet wird sozusagen trainiert, die betreffende Seitenkette in immer ausgedehnterem Maße zu erzeugen. Bei der artigen Regenerationsvorgängen ist nicht die Kom pensation, sondern eine Überkompensation die Rege und es wird bei den gewaltigen Steigerungen der Gift- dosen endlich zu einem Punkte kommen müssen, aı welchem ein solcher Überschuß an Seitenketten pro duziert wird, daß dieselben, um einen trivialen Aus druck zu gebrauchen, der Zelle selbst zu viel werden und als unnützer Ballast nach Art eines Exkretes a das Blut abgegeben werden.“ Hiermit erscheint also de rätselhafte Vorgang der Antikörperproduktion in einfachster Weise a bekannte und weitverbreitete physiologische und pathologische Prozesse zurückgeführt und als ein über das Ziel hinausgehender Regenerations vorgang charakterisiert. Es mag übrigens an dieser Stelle noch erwähnt sein, daß EHRLICH durchaus "nicht alle N utrizeptoren der Zelle für geeignet hält, nach dem eben geschilderten Modus als Antikörper ir das Blut überzutreten, sondern vielmehr nach ihrem immunisatorischen Verhalten drei verschiedene Arten derselben unterscheidet: 1. solche, die den allereinfachsten Funktionen des Stoffwechsels dienen, etwa der Aufnahme von Zuckerarten oder Fetten, und die nach Zerstörung der für kurze Zeit gebundenen Nahrungs stoffe wieder frei und funktionstüchtig erscheinen, ohne daß e zu einer Abstoßung derselben ins Blut käme; 2. solche, die infolge der physiologischen Ausschaltung, der sie durch die Bindung von Antigenen unterliegen, atrophieren und also einem Rezeptorenschwund verfallen (wir kommen XVII. Eurtions Seitenkettentheorie. 279 auf die Tatsachen, die zur Annahme eines Rezeptorenschwundes zwingen, noch in einem späteren Kapitel zu sprechen); und endlich 3. solche, die infolge der Verankerung der Antigene im Übermaße regeneriert werden und als Antikörper in das Blut übertreten. Es hat sich nun aber herausgestellt, daß die bloße Verankerung der Antigene an die Zellen noch nicht genügt, um die Antikörper- produktion in Gang zu bringen, daß vielmehr hierzu noch ein besonderer „Bindungsreiz“ erforderlich ist. Sehr deutlich geht dies aus Be- obachtungen hervor, welche Bruck unter der Leitung WAsSERMANNS angestellt hat. BrucK immunisierte Meerschweinchen mit zwei ver- schiedenen, mehrere Jahre alten Tetanusgiftlösungen, deren eine bereits vollkommen ungiftig geworden war, während die andere noch eine schwache Wirksamkeit besaß. Beide Giftsorten zeigten noch vollkommen intakte Bindungsfähigkeit für das Antitoxin, mußten also ihre haptophoren Gruppen unverändert bewahrt haben. Trotzdem gab nur das eine dieser beiden Gifte, nämlich dasjenige, welches noch schwache toxische Wirkungen entfaltete, bei der Immunisierung ein Antitoxin, während es mit dem gänzlich unwirksam gewordenen Toxin nicht gelang, die Antikörper- produktion anzuregen. Es scheint somit, dab für die letztere auch die Reizwirkung der toxophoren Gruppe mit in Betracht kommt und daß also die bloße Ausschaltung gewisser haptophorer Gruppen durch Bin- dung noch nicht mit Notwendigkeit zur Überproduktion und Abstoßung derselben zu führen vermag. Daß aber eine solche Ausschaltung von haptophoren Gruppen hier tatsächlich stattfindet, ja daß dieselbe sogar zu einer Neubildung von Rezeptoren führt, die jedoch infolge des mangelnden „Bindungs- reizes“ nicht abgestoßen werden. sondern am Orte ihrer Entstehung „sessil“ bleiben, hat Bruck durch eine Reihe weiterer Untersuchungen wahrscheinlich gemacht. Bruck stellte folgende Überlegung an: spritzt man einem Meerschweinchen jenes ungiftig gewordene, aber noch bin- dungsfähige Tetanustoxin (Tooxoid) ein, so wird ein Teil der spezifischen Rezeptoren dieses Tieres durch dasselbe abgesättigt, und es wird infolge- dessen die Avidität dieser Rezeptoren zu weiteren Bindungen herab- gesetzt sein müssen. Gibt man nun kurze Zeit nach dieser Injektion eine Dosis wirksamen Toxins, welche bei einem normalen Tier gerade noch tödlichen Tetanus verursacht, „so wird das Zentralnervensystem, dessen Rezeptoren ja zum Teil schon mit Toxoid besetzt sind, nicht befähigt sein, den gleichen Teil des Toxins zu binden, wie die Zellen des unvorbehandelten Tieres. Das Toxoidtier wird also zu einer töd- lichen Vergiftung mehr Toxin brauchen als ein normales; mit anderen Worten, die Dosis letalis für das Toxin wird nach Vor- hergabe von Toxoid erhöht sein müssen. Lassen wir nun aber der Toxoiddose nicht sofort eine Toxindose folgen, sondern warten wir 24 Stunden ab, so muß nach der Theorie folgendes eintreten. Die mit haptophoren Gruppen des Toxoids besetzten Zellen werden mit einer Neubildung und Überkompensation der unbrauchbar gewordenen Re- zeptoren geantwortet haben, die nun aber infolge des Reizmangels an der Zelle festsitzen und nicht abgestoßen werden können. Was wird geschehen, wenn wir nun eine eben tödliche Toxindose folgen lassen? Es wird sich das Bild gerade umkehren. Die Zelle wird durch die neugebildeten Rezeptoren an Avidität zum Toxin zugenommen haben Bindungs- reiz, Versuche von Bruck. 280 XVII. Esrrıchs Seitenkettentheorie. und infolgedessen schon auf geringere Dosen reagieren, d. h. es wir eine Überempfindlichkeit eintreten und die Dosis letalis wird herabgesetzt werden können. Stadien der In der Tat haben sich diese Schlußfolgerungen, die sich logisch laune aus der Enrtichschen Theorie ergeben, nun auch im Experiment veri- fizieren lassen, und Bruck gelangte auf Grund dieser seiner interessanten Untersuchungen dazu, bei der Antitoxinbildung drei verschiedene Stadien zu unterscheiden. Das erste Stadium ist durch die Bindung der hapto- phoren Gruppe des Toxins an die entsprechenden Rezeptoren charakte- risiert. Im zweiten Stadium erfolgt dann die Neubildung der ausge- schalteten Rezeptoren, die zunächst noch mit ihren Mutterzellen in Verbindung bleiben, um erst im dritten Stadium abgestoßen zu werden und in das Blut überzugehen. Nur die ersten beiden Stadien erscheinen hierbei lediglich als Funktion der hapto- phoren Gruppe des Toxins. Dagegen bedarf es zur Abstoßung der neugebildeten Seitenketten einer be sonderen Reizwirkung, die, wie wir oben dargelegt haben, von der toxophoren Gruppe des betreffenden Giftes aus- geübt zu werden scheint. Verlust der Es sind übrigens in der letzten Zeit noch manche andere hierher- antisenen gehörige Tatsachen bekannt geworden, welche, wie die eben erwähnten bei intakter Beobachtungen von Bruck, darauf hinweisen, daß Antigene ihre Fähig- re keit, die Produktion von Antikörpern auszulösen, verlieren können, ohne an bindender Kraft eingebüßt zu haben. So hat z. B. Coca vor kurzem gefunden, daß Rinderblutkörperchen, welche durch Osmiumsäure fixiert worden waren, zwar noch imstande waren, spezifische Hämagglutinine und hämolytische Ambozeptoren zu absorbieren, daß sie aber keine antigenen Eigenschaften mehr zeigten, wenn sie Kaninchen eingespritzt wurden. Ganz ähnlich verhielt sich auch osmiertes Hühnerserum, das zwar mit spezifischem Antiserum typische Niederschläge gab, aber kein präzipitierendes Serum mehr zu erzeugen vermochte. Ob man auch für diese Fälle die Wirksamkeit eines „Bindungsreizes‘ voraussetzen darf, der natürlich bei den durch die Osmierung veränderten Antigene fortfallen müßte, oder ob man, wie Bang und ForssmanN meinen, durch diese und ähnliche Beobachtungen zur Annahme zweier ver- schiedener Gruppen, einer antikörperbindenden und einer anti- körpererzeugenden genötigt wäre, mag dahingestellt bleiben. ‚Jeden- falls eröffnet sich hier ein weites Feld für interessante und aussichts- reiche Experimentaluntersuchungen. Der innige Zusammenhang, der nun nach Enrrıcas Auffassu zwischen den Vorgängen der normalen Assimilation und der Giftbindun und Giftwirkung besteht, gestattet, die Theorie noch etwas weiter aus zubauen und die Bedeutung der verschiedenen Arten von Antikörpe dem Verständnisse näher zu führen. Erich Wie bereits ausführlich auseinandergesetzt wurde, ist die Fixatio der verschie. der Nährstoffmoleküle nach EurLicH als die unerläßliche Vorbedingu ey» für die Ernährung der Zelle anzusehen. „Ein solches Riesenmolekü ist jedoch an und für sich für die Zellernährung unverwendbar un kann derselben erst nutzbar gemacht werden, wenn es durch fermen tative Prozesse in kleinere Bruchstücke zerlegt wird. In sehr zweck mäßiger Weise wird solches erreicht werden können, wenn der „Fang arm‘‘ des Protoplasmas gleichzeitig Träger einer fermentativen Grupp ist und diese daher sofort in nahe räumliche Beziehung zu der zu ver XVII. Eueuichs Seitenkettentheorie. 281 dauenden und assimilierenden Beute bringt. Derartige zweckmäßige Einrichtungen, daß der Fangapparat zugleich verdauende Wirkung aus- übt, finden wir ja in der ganzen Reihe der verdauenden höheren Pflanzen in der verschiedensten Art und Form. So sezernieren die Tentakeln der Drosera, also „Fangarme“ im allergröbsten Sinne, die das ge- fangene Objekt umgeben, eine Flüssigkeit, die stark verdauende Wir- kung ausübt.“ In ganz analoger Weise werden wir uns also vorstellen können, daß der „Fangarm“ des Protoplasmas, den wir uns ja als ein kompli- ziertes Gebilde zu denken haben, neben seiner haptophoren noch selbst Nährstoffmolekül Toxophore — Gruppedes T.: Sn Toxins ;p— Toxine % har Hapto- Gruppe phore Rezeptor -- Öruppe Zelle Figur 17. Fig. 18. Rezeptor I. Ordnung. Rezeptor II. Ordnung. Nährstoffmolekül "- Komplement Hapto- ... phore —— Komplementophile Gruppe Gruppe | Zelle Fig. 19. Rezeptor III. Ordnung. eine zweite aktive Gruppe besitzt, welche auf das Nahrungsmolekül im Sinne eines Fermentes (etwa gerinnungserzeugend) einzuwirken vermag. Wir haben diese aktive Gruppe bei früheren Gelegenheiten als ergo- phore charakterisiert. Ferner ist aber noch der weitere Fall denkbar, daß die Rezep- toren zwar selbst keine fermentative Gruppe enthalten, aber imstande sind, gewisse im Blute kreisende Stoffe von fermentähnlichen Wirkungen mittels einer besonderen zweiten haptophoren Gruppe an sich zu fesseln. Erst durch die Vereinigung mit diesen Stoffen, die Eurrich eben wegen ihrer ergänzenden Wirkung als Komplemente bezeichnet, er- hält diese Art von Rezeptoren die Fähigkeit zur fermentativen Ver- arbeitung ihrer Beute, und wir hätten demgemäß drei verschiedene Rezeptorentypen zu unterscheiden, welche auf beistehendem Schema in „Verdauen- de* Funk- tion der ergophoren Gruppe und des Komple- ments, 282 XVII. Esruıchs Seitenkettentheorie. der uns bereits bekannten bildlichen Darstellungsweise EurLıcHs ver- zeichnet sind. I. Rezeptoren I. Ordnung. Sie besitzen nur eine haptophore Gruppe für das Nahrungs- molekül, aber keine ergophore Gruppe. II. Rezeptoren Il. Ordnung. Sie besitzen eine haptophore Gruppe für das Nahrungsmolekül, daneben aber auch ergophore Gruppen. III. Rezeptoren III. Ordnung. Sie besitzen eine haptophore Gruppe für das Nahrungsmolekül, daneben aber noch eine zweite haptophore oder komple- mentophile Gruppe für die Verankerung der fermentähnlich gedachten Komplemente. ee: Es ist leicht zu ermessen, welcherart Antikörper entstehen müssen, von Anti. wenn diese drei Formen von Rezeptoren nach dem oben geschilderten körpern. Mechanismus abgestoßen werden und in die Körpersäfte gelangen: Die Rezeptoren I. Ordnung liefern die Antitoxine, Antikomplemente, Antifermente, Tropine. | die Rezeptoren II. Ordnung die Agglutinine, Koaguline, Präzipitine; die Rezeptoren III. Ordnung endlich die hämolytischen, bakterio- lytischen, kurz die zytolytischen Ambozeptoren, die Borpertschen Anti- körper usw.; auch die Immunopsonine. Somit gibt also die Emkuicma'sche Theorie nicht nur eine sehr befriedigende Deutung des ganzen Vorganges der Antikörperproduktion, sondern sie vermag sogar über die verschiedenen Formen der ent- stehenden Antikörper Rechenschaft zu geben und die Beziehung zu den normalen Stoffwechselvorgängen des Organismus herzustellen. Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint es besonders lehrreich, daß wir bereits Normaleundim vollkommen normalen Blutserum eine große Anzahl der verschieden- satorische Artigsten Antikörper, Ambozeptoren, Agglutinine, Präzipitine, Antifermente Antikörper. usw, angetroffen haben, denn diese Tatsache beweist uns, daß schon unter gewöhnlichen Verhältnissen gelegentlich gewisse Rezeptoren zur Abstoßung gelangen. Somit ist, wie wir bereits an anderer Stelle aus- geführt haben, die im Verlaufe der Immunisierung er folgende Neubildung von Antikörpern durchaus nicht als etwas prinzipiell Neues aufzufassen, sondern sie erscheint lediglich als eine einseitige Steigerung normaler und alltäglich sich abspielender Stoff- wechselvorgänge. Aviditäts- Daß bei diesem im Übermaß erfolgenden Regenerationsvorgange, sreigerung- wie wir wissen, schließlich Rezeptoren entstehen, die sich in manchen Beziehungen, besonders durch ihre größere Avidität zu dem Antigen und durch größere Spezifität ihrer Wir kung von den im normalen Zustand gelieferten Pro= dukten unterscheiden, ist zwar keine unmittelbare Konsequenz der Enkrticnschen Theorie, läßt sich mit derselben aber wohl ohne Schwierigkeit in Einklang bringen. Man wird sich nämlich vorsteller | können, daß diejenigen Rezeptoren, welche von vornherein mit den größten Affinitäten zu dem Antigen ausgestattet sind, auch zuerst und am ausgiebigsten mit diesem in Berührung treten, also der funktionellen | Ausschaltung am stärksten unterliegen und daher auch in größerem | Maßstabe regeneriert werden als die weniger stark be» i 1 & XVII. Euauıc#s Seitenkettentheorie, 283 troffenen Rezeptoren geringerer Avidität. Da sich dieser Vorgang bei jeder neuen Zufuhr von Antigen wiederholen muß, so wird es also gewissermaßen zu einer Auslese und Anreicherung der avidesten Rezeptoren kommen und die durchschnittliche Affinität der gelieferten Immunprodukte wird bis zu einem gewissen Grade steigen müssen. Aber auch eine direkte Aviditätserhöhung der produzierten Antikörper dürfte als Anpassungsphänomen der Zelle an die einseitige Inanspruchnahme gewisser lebenswichtiger Teile, also als regulatorische Abwehrmaßregel, die andere Zellbestandteile zu schützen bestimmt wäre, unschwer verständlich sein. — Man hat sich nun natürlicherweise bemüht, Erruıcnhs Theorie Konse- nach allen Richtungen hin auf ihre Konsequenzen zu prüfen und ins- Ehe besondere gewisse Grundvoraussetzungen derselben einer experimentellen „schen Bearbeitung zu unterziehen. Die zu diesem Zwecke unternommenen ih Untersuchungen haben an verschiedenen Punkten eingesetzt. Eines der wichtigsten Postulate der Enkrıcnschen Theorie ist, wie wir gesehen haben, ohne Zweifel die Identität der Antikörper mit den Rezeptoren der giftempfindlichen Zellen, von Antitoxische denen sie sich ja nur durch ihre leichtere Beweglichkeit, durch ihre Pe. Fähigkeit, in die Zirkulation überzutreten und im gelösten, freien Zu- a stand in alle Organe gespült zu werden, unterscheiden sollen. Ist diese Annahme richtig, dann muß es aber möglich sein, mit Hilfe der zerriebenen giftempfindlichen Organe ganz ähnliche antitoxische Wirkungen zu erzielen wie mit echtem, immunisatorisch erzeugtem Antitoxin, und WASSERMANN und TaRAkı haben daher, von dieser Überlegung ausgehend, das folgende von uns bereits bei anderer Gelegenheit zitierte Experiment ausgeführt. Frische Gehirnsubstanz von Meerschweinchen, die ja für das Tetanusgift sehr empfänglich sind, wurde zu einem feinen Brei verrieben und mit dem Toxin vermischt. Wurde dieses Gemisch dann gesunden Meer- schweinchen eingespritzt, so blieben sie am Leben, ohne auch nur eine Spur von Krankheitserscheinungen aufzuweisen, während viel ge- ringere Dosen des Giftes für sich allein, ohne Gehirnzusatz injiziert, die Versuchstiere unter den typischen tetanischen Krampfanfällen zu töten vermochten. Der Gehirnbrei besaß somit in der Tat, wie es die Theorie erforderte, deutlich antitoxische Eigenschaften, während alle anderen Organe des Meerschweinchens, wie Leber, Niere, Milz, Muskulatur usw., sich in dieser Beziehung vollkommen unwirksam verhielten. Ganz analoge Verhältnisse haben dann KErMmPNEer und ScHEPI- LEWSKY für das Botulismustoxin nachweisen können, das ja, wie das Tetanusgift, seinen Hauptangriffspunkt im Zentralnervensystem besitzt. Bemerkenswerterweise äußerte sich hierbei die giftparalysierende Eigen- schaft des Gehirnbreies nicht nur bei direkter Mischung mit dem Gifte, sondern auch dann, wenn beide Substanzen getrennt injiziert wurden, und war auch in diesem Falle kein anderes Organ frisch getöteter Meerschweinchen imstande, irgendwelchen hemmenden Einfluß auf diese Intoxikation auszuüben. Hingegen zeigte sich, daß neben dem Gehirnbrei noch eine Reihe antitoxische von chemischen Substanzen verschiedener Art einen gewissen Schutz ir gegen das Botulismustoxin zu verleihen vermochten. Ölemulsion, Tyro- lipoide. sin, Antipyrin, vor allem aber Cholesterin und Lezithin, beides Ver- bindungen, die ja normalerweise im Zentralnervensystem enthalten sind, erwiesen sich in dieser Beziehung mit ganz besonderer Wirksamkeit be- 254 XVII, Esruıchs Seitenkettentheorie. gabt, und es lag daher gewiß der Gedanke nahe, daß die entgiftenden Eigenschaften des Gehirnbreies auf diese Lipoide und nicht auf die Rezeptoren der Gehirnzellen zu beziehen sein könnten. Ein näheres Studium überzeugte jedoch die genannten beiden Forscher bald, daß diese Annahme nicht zutreffend ist. Denn erstens ist die Schutzwirkung dieser beiden Lipoide erheblich geringer als die des Zentralnervensystems, so dal es schon aus diesem Grunde unmöglich erscheint, die letztere durch die erstere zu erklären. Zweitens unterscheidet sich die Schutz- wirkung des Gehirns von der aller anderen Substanzen dadurch, daß sie sich auch bei zeitlich und örtlich getrennter Vor- behandlung, ja sogar auch noch in Heilungsversuchen geltend macht, bei denen also die Einverleibung des Gehirnbreies erst längere Zeit nach der Einführung des Giftes erfolgt; und drittens konnte festgestellt werden, daß das Gehirn bereits durch wenige Minuten langes Kochen seine Wirksamkeit vollkommen einbüßt, während Emulsionen von Cholesterin oder Lezithin hierbei ihre schützenden Eigenschaften vollkommen unverändert bewahren. Wenn demnach zwar nicht geleugnet werden kann, daß die ge- nannten und vielleicht noch einige andere Lipoide, wie z. B. das Pro- tagon, bei der Schutzwirkung des Zentralnervensystems eine gewisse Rolle spielen dürften, so haben die Versuche von KEMPNER und SCHEPI- LEWSKY doch zweifellos erwiesen, daß daneben noch thermolabile giftneutralisierende Substanzen in der frischen Nervensubstanz des Gehirns enthalten sind, die man wohl berechtigt ist, mit EnrLıcHs Rezeptoren zu identifizieren. Nach neueren Untersuchungen von TirFENEAU und MarıeE ist übrigens über °/,, der giftneutralisierenden Wirkung der Gehirnsubstanz auf diese thermolabilen „albuminoiden‘“ Stoffe zu be- ziehen, so daß also für die Wirkung der Lipoide tatsächlich nur wenig Spielraum mehr übrig bleibt. Während also, wie wir gesehen haben, die Gehirnsubstanz hoch- gradig giftempfindlicher Tierspezies (außer dem Meer- schweinchen kommen hier noch Kaninchen, Pferd und Mensch in Betracht) mit bedeutenden antitoxischen Eigenschaften ausgestattet er- scheint, entbehrt sie bei manchen wenig empfindlichen Arten oft jeder Schutzwirkung. So ist z. B. die Schildkröte vollkommen refraktär gegen das Tetanusgift und ihr Gehirn zeigt dementsprechend auch nur eine ganz schwache antitoxische Kraft, wenn es mit dem Toxin in vitro zusammengebracht und dann den Versuchstieren injiziert wird. Parallelis- Allerdings muß hervorgehoben werden, daßdieserParallelis- Giftemp- mus zwischen Giftempfänglichkeit des Zentralnerven- fänglichkeitsystems und Schutzwirkung durchaus nicht bei allen $ozischer Tierspezies zu beobachten ist. Der Grund davon ist ohne ®# Schwierigkeit einzusehen. Während nämlich die antitoxische Kraft des Gehirnbreies lediglich durch die Menge der entsprechenden Rezeptoren (bezw. der lipoiden Substanzen) bedingt wird. die er enthält und die das Gift zu verankern und neutralisieren vermögen, ist die Gift- empfindlichkeit des lebenden Organs außerdem noch von der be- sonderen Disposition seiner Zellen für die Einwirkung der betreffenden toxophoren Gruppe, von ihrer speziellen’ Vulnerabilität abhängig, und diese braucht natürlich in gar keinem bestimmten Verhältnis zu der Zahl ihrer bindenden Gruppen zu stehen. So kann es also vorkommen, daß die Gehirnsubstanz einer bestimmten R Spezies sehr reich an Rezeptoren ist, während sie trotzdem nur eine mäßige Giftempfindlichkeit aufweist und erst erkrankt, wenn ein großer Teil ihrer haptophoren Gruppen durch Toxinmoleküle besetzt wird. Und andererseits ist es denkbar, dal das Zentralnervensystem einer hoch- gradig empfindlichen Spezies doch nur relativ wenig Gift zu binden vermag, so wenig, dal seine antitoxische Wirkung bei derartigen Ver- suchen, wie sie WASSERMANN angestellt hat, gar nicht in Erscheinung zu treten brauchte. In diesem Falle würde also schon die Besetzung weniger Rezeptoren durch die Toxinmoleküle genügen, um zu einer schweren Erkrankung der betreffenden Gehirnzellen Veranlassung zu geben. So dürfte es sich wohl erklären, daß manche Toxine, die zweifel- los auf das Nervensystem einzuwirken vermögen, wie das Gift der Kobra- schlange oder das Diphtheriegift, dennoch von der Gehirnsubstanz des Meerschweinchens in vitro nicht merklich gebunden zu werden scheinen, wenn man nicht die Deutung v. DunGErns für solche Fälle vorzieht, daß nämlich beim Absterben der Zellen Umsetzungen erfolgen können, durch welche die giftbindenden Gruppen des Protoplasmas ihre Affinität zu dem Gifte verlieren. Wie dem auch sei, jedenfalls bieten derartige Tatsachen der Er- klärung keine besonderen Schwierigkeiten dar und sind jedenfalls weit davon entfernt, mit Eurrichs Theorie unvereinbar zu sein, wie man wohl hier und da auf der Seite ihrer Gegner angenommen hat. Hingegen bieten uns die eben angestellten Erwägungen die will- kommene Gelegenheit, noch einer wesentlichen Erweiterung der EuHr- zicHschen Theorie zu gedenken, die zwar implicite bereits in unserer Darstellung enthalten ist, aber wegen ihrer großen Wichtigkeit doch eine besondere Besprechung verdient. Ihrem Wesen nach legt nämlich die EnurLicusche Theorie das Hauptgewicht auf die Bindung der Toxine oder der anderen Antigene an gewisse Zellrezeptoren. Ob mit dieser Bindung gleichzeitig eine toxische Wirkung der verankerten fremdartigen Substanzen einhergeht, das ist bis zu einem gewissen Grade (vgl. oben p. 279) für die Pro- duktion der Antikörper gleichgültig, denn für diese kommt ja — abge- sehen von dem erwähnten Bindungsreiz — nur die funktionelle Ausschaltung gewisser haptophorer Gruppen in Be- tracht, nicht aber eine Schädigung der ganzen Zelle durch den toxophoren Komplex des Giftmoleküls. Hierin liegt zunächst die Erklärung für die sonst kaum verständliche Tatsache, weshalb abgesch wächte Toxine, deren toxophore Gruppe entweder im Verlaufe der Aufbewahrung spontan verloren gegangen ist oder durch chemische Eingriffe künstlich zerstört wurde, dennoch ihre antigene Funktion vollkommen bewahrt haben. Ja, es ist nach den Anschauungen EurLıchs sogar ganz selbstverständlich, daß derartig ab- geschwächte Gifte für die Immunisierung ganz erheblich geeigneter sein müssen, als die hochtoxischen unveränderten Gifte, da ja bei ihnen die nicht nur überflüssige, sondern sogar schädliche Wirkung der toxophoren Gruppe auf das Zellprotoplasma in Wegfall kommt, die zweifellos den normalen Ablauf der Regenerationsphänomene und somit der Antikörperproduktion nur zu stören vermag. Für die immunisierende Wirkung des Toxins ist eben nur dessen haptophore Gruppe von ausschlaggebender Bedeutung, während der toxische Effekt nur eine unerwünschte Nebenwirkung darstellt, die XVII. Esseuichs Seitenkettentheorie. 285 Immunisie- rung mit Toxoiden. 286 XVII. Euruıchs Seitenkettentheorie. sich bei Verwendung der ungiftigen Toxoide ohne weiteres elimi- nieren läßt. Antitoxin- Ist diese Anschauung zutreffend, dann leuchtet aber ein, daß produklon „orade die giftempfindlichen Organe, d. h. diejenigen, empind- welche dem Einfluß der toxophoren Gruppe am meisten unterworfen Organen. und zugänglich sind, nicht diebesten Antikörperbildner ab- geben werden, sondern im Gegenteil jene Organe, die zwar geeignete Rezeptoren enthalten, um das betreffende Toxin zu verankern, dabei aber für seine Giftwirkung nur sehr wenig empfänglich sind. Daß solche Organe in der Tat existieren, das wird nicht nur durch den normalen Gehalt des Blutserums an verschiedenartigen Antikörpern höchst wahrscheinlich gemacht, sondern auch durch Experimente von WASSERMANN und anderen Forschern direkt bewiesen, die zeigen konnten, daß das Kaninchen, im Gegensatz zum Meerschweinchen, nicht nur in seinem Zentralnervensystem, sondern auch in der Milz und Leber Rezeptoren für die Verankerung des Tetanusgiftes besitzt, also in Organen, welche durchaus nicht durch besondere Empfindlichkeit für dieses Toxin ausgezeichnet erscheinen. Nach dem eben Gesagten ist es ferner leicht einzusehen, daß solche Tiere, welche auch in weniger lebenswichtigen und empfindlichen Organen Rezeptoren für ein bestimmtes Toxin enthalten, für eine syste- matische Immunisierung mit demselben viel geeigneter sein werden als andere Spezies, bei denen sich diese haptophoren Gruppen auf ein einziges, besonders empfängliches Organ konzentrieren. Demgemäß sind auch Kaninchen viel leichter gegen Tetanus zu immunisieren als Meer- schweinchen, die, wie bereits ausgeführt, nur in ihrer Gehirnsubstanz genügende Mengen von Rezeptoren enthalten, um im WASSERMANNschen Versuche eine deutliche Schutzwirkung auszuüben. Noch bedeutend günstiger kann man übrigens nach Lorwı und MryErR die Immuni- sierungsverhältnisse beim Kaninchen gestalten, wenn man sich des Kunstgriffes bedient, die wichtigsten Nervenstämme in der Umgebung der Injektionsstelle durch Umschnürung für das Tetanusgift zu sperren. Nicht nur werden bei dieser Art der Behandlung viel größere Mengen des Tetanusgiftes vertrage als sonst, es kommt auch zu einer viel reichlicheren Antitoxinproduktion, offenbar deshalb, weil in diesem Falle die Nervenzellen vor der schädi senden Einwirkung des Giftes bewahrt bleiben und die Bildung de Antitoxine in den übrigen, nicht giftempfindlichen Organen um so un gestörter vor sich gehen kann. Welchen Einfluß diese verschiedene Verteilung der Rezeptore auf die Widerstandsfähigkeit der betreffenden Tierspezies zu nehme vermag, darauf werden wir noch später zurückzukommen haben. Wie man aus unseren bisherigen Ausführungen entnehmen kann haben also die Versuche, die Eurtichsche Theorie auf ihre Grund voraussetzung, die Identität der Antikörper mit den Rezeptoren, zu prüfen, keinerlei Tatsachen zutage gefördert, welche ihr widerspreche oder auch nur schwer mit ihr vereinbar erscheinen würden. Dasselbe gilt von einer weiteren Konsequenz dieser T'heorie, di zu nicht minder interessanten Experimenten geführt hat. Wenn nämlich die haptophore Gruppe des Antitoxins mit der jenigen der entsprechenden Zellrezeptoren identisch ist und wenn wirk lich, wie Errtich annimmt, das Antitoxin mit dem Toxin zu ein XVII. Eurrıchs Seitenkettentheorie. 287 inaktiven chemischen Verbindung zusammentritt, dann darf die In- jektion eines genau neutralen Gemisches von Gift und Gegen- gift von keinerlei Antitoxinproduktion gefolgt sein. Denn da die grundsätzliche Vorbedingung für die Entstehung von Antikörpern nach Eurrıchs Theorie in dem Vorhandensein bindungsfähiger Gruppen an dem injizierten Antigen zu sehen ist, die von den entsprechen- den Zellrezeptoren verankert werden, so ist klar, daß von vornherein jede Möglichkeit einer Antitoxinbildung abgeschnitten sein muß, wenn die haptophoren Gruppen des Toxins bereits vor ihrer Einführung in den Organismus durch das zugesetzte Antitoxin abgesättigt und ver- stopft sind. Derartige Immunisierungsversuche mit exakt neutralisierten Ge- mischen von Toxin und Antitoxin sind nun in der Tat von verschiedenen Forschern — ich nenne nur Krerz und Rernuns — angestellt worden und haben genau das von der Theorie geforderte Resultat ergeben. Es gelang nicht, mit solchen kompensierten Gremischen irgendwelche Anti- toxinproduktion hervorzurufen, wenn wirklich alle Komponenten des betreffenden Giftes, auch die Toxone, vollkommen durch das Antitoxin abgesättigt worden waren. Dagegen gelang es DREYER und MADseEn, mit unvollständig neu- alisiertem Diphtherietoxin, das nur noch freie Toxone enthielt, Antikörper zu erzielen, die sich in keiner Weise von dem echten Diph- herieantitoxin unterscheiden ließen und insbesondere das Diphtherie- oxin ebenso zu neutralisieren vermochten wie das Toxon. Da die giftigen Eigenschaften der Toxone weit weniger intensive und auffällige sind als die des Toxins und auch erst viel später in Erscheinung treten, so leuchtet hiernach ein, wie wichtig bei derartigen Versuchen eine voll- kommen exakte Neutralisierung durch das Antitoxin ist und wie eine Nichtbeachtung auch des geringsten freien Giftüberschusses zu gänzlich igen Resultaten führen kann. Etwas komplizierter liegen die Verhältnisse bei der Immunisierung mit zelligem Material. Als solches dienten bei den vorliegenden Experi- menten teils agglutinierte Typhusbazillen, teils sensibilisierte Erythro- yten. Wir geben nebenstehend in etwas gekürzter Form und anderer Anordnung einige der Versuchsprotokolle von NEISSER und LuBoWwskı wieder, welche sich auf Typhusbazillen beziehen, die mit einem 500- bis 1000 fachen Überschuß an Agglutinin zusammengebracht worden waren. Um ganz sicher zu gehen, zentrifugierten die genannten beiden Forscher die Typhusbazillen nach dieser ersten Absättigung von der serumhaltigen Suspensionsflüssigkeit ab und brachten sie neuerdings mit großen Asglutininmengen in Berührung, worauf die Bazillen mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschen und schließlich Kaninchen nter die Haut oder in die Bauchhöhle eingespritzt wurden. Etwa 7 Tage nach der Einspritzung wurde dann den Versuchstieren Blut aus der Ohrvene entzogen und dessen Agglutinationswert in der üblichen Weise festgestellt. Wie aus folgender tabellarischer Zusammenstellung hervorgeht, war es also zweifellos gelungen, auch mit agglutinierten Typhus- bazillen die Produktion von Agglutininen im Körper des Kaninchens anzuregen. Vergleicht man jedoch die hierbei erhaltenen Agglutinationswerte mit jenen, welche sich bei der Injektion normaler, nichtagglutinierter Bazillen ergaben, so springt dasabnorme Verhalten der agglutininbeladenen Mikro- I Immunisie- rung mit neutralen Gemischen von Toxin und Anti- toxin. Immunisie- rung mit Toxonen. Immuni- sierung mit agglutinier- ten Bazillen. 288 XVII. Esruıcas Seitenkettentheorie. organismen sofort in die Augen. Im Mittel hatten nämlich die letzteren nur etwa den 10. Teil jener Agglutininmenge entstehen lassen, welche nach der Einspritzung normaler, nichtagglutinierter Bakterien auftrat. In mehreren Fällen war sogar hierbei jede Agglu- tininproduktion vollkommen ausgeblieben. Agglutinationswert | Maximaler Agglut.- Mittel vor der Kinspritzung | Eingespritzte Menge Wert nachher Agglutin. Bazillen 1 0 2 Agarkulturen 0 2 0 “ 0 3 0 2 “ 0 4 1:30 2 n 1: 40 5 0 2 5 1: 20 1 6 0 2 5 1: 40 7 0 2 er 1: 320 8 0 2 gi 1: 160 g 1:20 2 N 1:320 10 1:40 2 ” 1: 160 Nicht agglutinierte Bazillen 1 0 0,8 Agarkulturen 1: 640 2 0 2 ‚N 1: 1280 ) 3 N) 12 7 1: 2560 1:1093 4 0 2 4 1: 160 5 0 1 + 1: 640 6 1:40 1,6 x 1: 1280 Immuni- (sanz analog verliefen die Versuche, welche v. DUNGERN und später sierung mit sensibilir SACHS mit immunkörperbeladenen Erythrozyten angestellt haben. Auch nn hier hatten zwar die mit Ambozeptor gesättigten roten Blut körperchen nicht immer völlig die Fähigkeit, Antikörper zu produzieren, verloren, es trat jedoch stets sehr deutlich eine starke Beeinträchtigung derselben durch die Absorption des Immunkörpers zutage. In quantitativer Hinsicht stehen somit die Ergebnisse aller dieser Versuche in bester Übereinstimmung mit Eurticns Anschauungen, indem sie beweisen, daß es in der Tat durch Absättigung und Verstopfung der haptophoren Gruppen dieser Antigene ge- lingt, ihre immunisierende Fähigkeit auf ein Minimum zı reduzieren. | Woher kommt es aber, daß im Greegensatz zu den früher erwähnten Experimenten mit neutralisiertem Toxin die antigene Funktion de Typhusbazillen und roten Blutkörperchen durch ihre Verbindung mit den betreffenden Antikörpern nicht vollkommen vernichtet wird? Weshalb kommt auch den agglutinierten Bakterien, den ambozeptorbeladener Erythrozyten noch eine, wenn auch nur geringe immunisierende Fähig- keit zu? Erklärung Auf diese Frage sind verschiedene Antworten möglich. Wie nn in einer früheren Vorlesung gehört haben, ist das Bindungsvermögen kung sen des T’yphusbazillus für die spezifischen Agglutinine ein ganz kolossales, Zellen. derart, daß unter Umständen das 22000fache jener Agglutininmenge absorbiert werden kann, welche eben zur Erzeugung der @RUBER-WIDAL- schen Reaktion ausreicht. Unter diesen Umständen ist es daher trotz A XVII. Esrrıchs Seitenkettentheorie. 289 der von NEISSER und Lusowskı gebrauchten Vorsichtsmaßregeln wohl nicht ausgeschlossen, daß denn doch ein Teil der Rezeptoren bei ihren Versuchen nicht vollkommen abgesättigt wurde und daß es gerade diese freigebliebenen haptophoren Gruppen waren, auf welche die geringe beobachtete Antikörperproduktion bezogen werden muß. Ähnliches gilt wohl auch von den Sacusschen Versuchen mit roten Blutkörperchen. Daneben ist jedoch noch eine andere Erklärung denkbar, die für gewisse Fälle große Wahrscheinlichkeit zu besitzen scheint. Wir haben bereits bei anderer Gelegenheit ausdrücklich hervorgehoben, daß die Verbindung zwischen den Antikörpern und Antigenen in vielen Fällen keine sehr feste ist, sondern schon durch relativ wenig eingreifende Prozeduren, durch einfaches Erwärmen oder durch Behandlung mit verdünnten Säuren oder Alkalien gesprengt werden kann. Es wäre nun gewil) nicht unplausibel, anzunehmen, daß eine der- Zersetzung artige Zersetzung der neutralen Verbindung von Agglutinin und agglu- „du von tinierbarer Substanz innerhalb gewisser Grenzen unter Umständen auch A im Tierleibe vor sich gehen könnte, so daß also haptophore Gruppen im Orzanis- des Antigens in Freiheit gesetzt würden, die dann ihre immunisierende "* Wirkung entfalten könnten. Wie man sich hierbei den Mechanismus dieses Spaltungsvorganges zu denken hätte, ist natürlich nicht ohne weiteres zu sagen. Es sei hier nur auf zwei verschiedene Momente hingewiesen, die hierbei in Betracht kommen könnten. Einmal wäre es nämlich denkbar, daß ein Teil des Immunkörpers, der ja meist weniger widerstandsfähig zu sein pflegt, als die Antigene, durch besondere digestive oder oxydative Kräfte des Orga- nismus zerstört würde, so daß sich also gewissermaßen im Tierleibe ein ähnlicher Vorgang abspielen würde, wie wir ihn bei der Erhitzung eines inaktiven Gemisches von Schlangengift und Gegengift beobachtet haben, das bei dieser Prozedur infolge der Vernichtung des Antitoxins seine Giftigkeit wieder gewinnt. Daneben gibt es jedoch noch eine zweite Möglichkeit. Erinnern wir uns nämlich an den bereits mehrfach von uns gebrauchten Ver- gleich, nach welchem Antigene und Antikörper aufeinander etwa so einwirken, wie Säure und Alkali, so leuchtet ein, dal das Antigen aus der neutralen Verbindung beider, die also einem Salze entsprechen würde, noch in anderer Weise in Freiheit gesetzt werden kann. Wie nämlich die Säure eines beliebigen Salzes durch Zusatz einer stärkeren Säure verdrängt werden kann, wie aiso z. B. die Kohlensäure des Marmors durch Salzsäure freigemacht wird, die sich dann selbst an Stelle der ersteren mit dem Kalk verbindet, so bedarf es auch in unserem Falle offen- bar nur einer haptophoren Gruppe von größerer Avidität zu dem An- tigen, um die Antikörper aus ihrer neutralen Verbindung zu verdrängen. Haben also die Gewebsrezeptoren des Versuchstieres im speziellen Falle eine größere Affinität zu den Antigenen, als die gleichzeitig mit ihnen eingeführten Antikörper, so ist ganz selbstverständlich, daß die neutrale Verbindung der beiden Antagonisten infolgedessen gesprengt werden muß und daß die be- treffenden Antigene der Bazillen oder Blutkörperchen mit den avideren Gewebsrezeptoren in Kontakt treten. Dann sind aber wieder die unerläßlichen Vorbedingungen für eine immunisierende Wirkung erfüllt und die Versuchsergebnisse der genannten Autoren in einfachster Weise aufgeklärt. Müller, Vorlesungen. 8. Aufl. 19 290 XVII. EurLicas Seitenkettentheorie. Welche dieser beiden Erklärungsmöglichkeiten nun auch tatsäch- lich realisiert sein mag, jedenfalls beweisen die angeführten Versuche zur Genüge, daß die supponierte Spaltung der Verbindung von An- tigen und Antikörper im Tierleibe niemals eine vollständige ist, sondern immer nur einen sehr kleinen Bruchteil der in- jizierten Menge betrifft. Auch die scheinbar abweichend verlaufenden Experimente fügen sich somit, wie man sieht, zwanglos in den weiten Rahmen der Eur- rıchschen Theorie ein, so daß also das Gesamtresultat aller der mannig- faltigen Versuche, die zur Prüfung ihrer Grundlagen und wichtigsten Konsequenzen unternommen wurden, zweifellos zu ihren Gunsten aus- gefallen zu sein scheint. Literatur. E»rLıcah, Die Wertbemessung des Diphtherieheilserums. Klin. Jahrbuch, 1897. Ders., Schlußbetrachtungen in Nothnagels Handbuch. Post, Arch. intern. de Pharmacodynam., Tome VII und VIII. HirschLAFF, Berl. klin. Wochenschr., 1902. BaAsHFoRD, Arch. internat. de Pharmacodynam., Tome VIII und IX. MOoRGENROTH, Berl. klin. Wochenschr., 1903. EurLıcH, v. Leyden-Festschrift, 1898. WASsSERMANN und Tarakı, Berl. klin. Wochenschr., 1898. Lorwı und Meyer, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm., Bd. LVII, 1908. KEMPNER und SCHEPILEwsKkIı, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXVII, 1898. v. Dungern, Die Antikörper. Fischer, Jena 1903. Krerz, Zeitschr. f. Heilkunde, Bd. XXII, 1901. RE»Ns, Compt. rend. de la Soc. de Biol., 1901. Neısser und Lusowskı, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXX, 1901. Sacas, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXX, 1901. Coca, Biochem. Zeitschr., Bd. XIV, 1908. TIEFFENEAU und MARIıE, Ann. de l’Inst. Pasteur, Tome XXII, 1908. XVIll. Varianten der Seitenkettentheorie. Daß gegen eine neue, umfassende und prinzipiell so außerordent- lich wichtige Theorie wie die EnrLicusche auch mancherlei Einwen- dungen erhoben worden sind, ist wohl selbstverständlich. Freilich sind diese Einwendungen ihrem Wert und ihrer Bedeutung nach sehr ver- schieden einzuschätzen. Eine ganze Reihe derselben beruhte auf offen- baren Mißverständnissen, die sich im Verlauf der Diskussion bald auf- klärten und damit gegenstandslos wurden. Andere waren darauf zurück- zuführen, daß sich einzelne Autoren allzu ängstlich an die von EHrLicH gelegentlich gebrauchten Ausdrücke klammerten und wörtlich nahmen, was nur bildlich gemeint war, oder daß sie gewisse nebensächliche Details seiner Theorie bekämpften und nun meinten, damit ihre Grund- lagen erschüttert zu haben. Wieder andere Gegner der Theorie wandten sich in ihrer Kritik weniger gegen EnrLichs Lehre selbst, als gegen gewisse Übertreibungen und Verballhornungen, welche sie durch über- eifrige und in spekulativer Richtung wenig begabte Anhänger er- fahren hatte. Es würde begreiflicherweise den Rahmen dieser Vorlesungen weit überschreiten, wollten wir auf alle derartigen gegen die EHrLic#sche Theorie ins Feld geführten Argumente näher eingehen. Neben diesen mißverständlichen und zum Teil ganz unberechtigten Einwänden sind nun aber auch von mancher Seite sehr beachtenswerte Vorschläge gemacht worden, die Eurrıchsche Theorie nach gewissen Richtungen hin zu modifizieren, sie den neugefundenen Tatsachen besser anzupassen und sie dadurch gegen die Angriffe zu sichern, die von besonderen Gesichtspunkten aus gegen sie gerichtet werden könnten. Von einigen dieser Versuche soll in dem vorliegenden Kapitel die Rede sein. — Wie wir bereits mehrfach zu erwähnen Gelegenheit hatten, sind manche Forscher, darunter LANDSTEINER und seine Mitarbeiter, der Überzeugung, daß die Reaktionen zwischen den Antikörpern und ihren Antigenen nicht als rein chemische Vorgänge anzusehen seien, sondern als physikalisch-chemische Reaktionen zwischen Stoffen kol- loidaler Natur. Ebenso ist es nach diesen Forschern „bei dem gegen- wärtigen Stande der Kenntnisse kaum angemessen, die Substanz des Protoplasmas als eine bestimmte Verbindung anzusehen, deren Konsti- tution durch ein Schema darstellbar wäre, das der Valenztheorie ent- sprechend aufgebaut ist“. Vielmehr scheine die andere Vorstellungs- weise zweckmäßiger zu sein, derzufolge das Protoplasma als ein System von (z. T. kolloidalen) Stoffen angesehen wird, ‚in dem wesentliche An- teile nicht nach fixen, sondern nach variablen Verhältnissen verbunden sind, und das sich in einem veränderlichen Gleichgewichtszu- 19* Land- steiners physika- lisch- chemische Theorie. Theorie von Kasso- witz. 292 XVII. Varianten der Seitenkettentheorie. stand befindet“. Treten nun Giftstoffe mit besonders ausgebildeten Affinitäten zu bestimmten Protoplasmateilen an die Zelle heran, so er- folgt nach der Anschauung LANDSTEINERS zwar keine chemische Bindung des Giftes an eine Seitenkette der Zelle, wie dies die Eur- rıchsche Theorie erfordern würde, wohl aber bewirkt der Eintritt der Giftmoleküle in das Protoplasma und die sich daran anschließenden Kolloidreaktionen eine Störung des gegebenen Gleichge- wichtszustandes. Nun gibt es bei derartigen chemischen Sy- stemen, wie sie LANDSTEINER für das Protoplasma postuliert, Vorgänge, welche darin bestehen, daß sie auf äußere Einflüsse so reagieren, als würden sie diese Vorgänge aufzuheben bestrebt sein. So ruft z. B. Temperaturerhöhung in solchen Systemen Prozesse hervor, bei denen Wärme absorbiert wird usf. Ebenso sei es eine Eigenschaft solcher im Gleichgewicht befindlichen Systeme, daß nach Aus- schaltung eines Teiles der an dem Gleichgewicht be- teiligten Substanzen Reaktionen eintreten, vermöge deren der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werde. und somit neue Mengen jener Stoffe entstehen. Damit sind wir aber bei demselben Vorgang angelangt, der nach der Eurric#schen Theorie zur Deckung des gesetzten Zelldefekts führt, nur daß derselbe hier nicht als Ersatz einer ausgeschalteten, den Proto- plasmamolekülen angehörigen Seitenkette auftritt, sondern als Neubildung eines an dem Gleichgewicht beteiligten und durch die Reaktion mit dem Gifte ausgeschalteten kolloidalen Zellbestandteils, und daß dieser Ersatz nicht als vitaler, auf einen Endzweck hin, also teleologisch arbeitender Vorgang aufgefaßt wird, sondern als ein nur scheinbar zweck- mäßiges Ausgleichsphänomen in einem gestörten chemischen System. Ob freilich mit dieser veränderten Fassung der Theorie der Gift- wirkung und Antikörperproduktion viel gewonnen ist, muß als ziem- lich fraglich bezeichnet werden. Jedenfalls macht sie die in großem Überschuß erfolgende Produktion von Antikörpern keineswegs verständ- lich, so daß LAnDSTEINER selbst meint, es müßten besondere Hilfs- annahmen gemacht werden, um erklären zu können, daß die Restitution der gesetzten Störungen in höherem Ausmaße erfolgt, als zur Wieder- herstellung des ursprünglichen Zustandes erforderlich sei. Daß hier die Enkruichsche Theorie mit ihrem Hinweis auf die biologischen Tatsachen der Überkompensation von Defekten und auf andere ähnliche vitale Vor- gänge anschaulicher und plausibler wirkt, scheint mir nicht zweifelhaft. (ranz anderer Art und in mancher Beziehung viel weitgehender sind die Reformvorschläge, die KassowItz in seiner Schrift „Meta- bolismus und Immunität‘ niedergelegt hat. Während Lanp- STEINER, wie wir gesehen haben, den Versuch gemacht hat, die Eur- rıcnsche Theorie dadurch zu modifizieren, daß er an Stelle chemischer‘ Kräfte und Affinitäten physikalische bezw. physikalisch-chemische Ad- sorptionskräfte setzte, sieht Kassowirz gerade darin das Hauptverdienst EHrLicHhs auf dem Gebiete der Immunitätslehre, „daß er von An- fang an die chemische Natur der hier zu erforschen- den Vorgänge erkannt und allen Anfechtungen gegen- über siegreich verteidigt habe“. Wie EnkuıcHh nimmt also Kassowiırz an, daß die Toxine durch chemische Verwandtschaftskräfte auf gewisse Protoplasmamoleküle ein- wirken. Hier beginnen aber sofort die Unterschiede in der Auffassung XVIII. Varianten der Seitenkettentheorie, 293 beider Gelehrter. Wie wir wissen, ist Erkrıch der Anschauung, daß das Toxin durch gewisse Gruppen der Protoplasmamoleküle verankert wird und sie einerseits durch diese chemische Bindung physiologisch inaktiv macht und aus dem Stoffwechselgetriebe ausschaltet, anderer- seits aber durch die Wirkung seiner toxophoren Gruppe Schädigungen bestimmter Art im Protoplasma hervorruft. Kassowırz sieht dagegen als die Grundvoraussetzung jeder Theorie der Giftwirkung, sei sie nun durch echte Toxine oder durch Gifte bekannter chemischer Konstitution bedingt, die Eigenschaft an, die Protoplasmamoleküle zu zersetzen und zum Zerfall zu bringen. Zwar gibt Kassowitz natürlich ohne weiteres zu, daß sehr viele giftige Substanzen lediglich auf Grund physikalischer Kräfte, auf Grund von Löslichkeitsverhältnissen u. dgl. in den Organen ge- speichert werden; wenn diese Stoffe nun aber aus den Zellipoiden, die ja nur eine Art von Reservestoffen darstellen, in das eigentliche, lebende Protoplasma übertreten, dessen ‚‚Riesenmoleküle* von außerordentlicher Labilität und Unbeständigkeit sein müssen, so sei auch hier ein mehr oder minder ausgedehnter Protoplasmazerfall, ein Einsturz der kom- pliziert gebauten Moleküle die Folge. Wodurch unterscheiden sich nun aber nach der Anschauung von Kassowırz die Toxine von den Giften bekannter chemischer Konstitu- tion? — Um hierüber zu einer klaren Vorstellung zu gelangen, stellt dieser Gelehrte folgende Betrachtung an. Vergleicht man die beiden Gifte, welche sich durch annähernd gleiche Wirkung auf das Zentral- nervensystem auszeichnen, nämlich das Strychnin und das Tetanus- gift, miteinander, so fällt sofort auf, daß „die tödliche Dosis des Te- tanospasmins viele tausend Mal kleiner ist als die zur Erzeugung töd- lichen Starrkrampfes notwendige Strychninmenge“. Auch die anderen Toxine sind ja bekanntlich in unvergleichlich viel kleineren Dosen wirk- sam, als die wohldefinierten chemischen Gifte. Wie ist es nun möglich — so fragt Kassowıtz — dab dieselbe Zahl von Protoplasmamolekülen, deren Zerstörung notwendig ist, damit die Reflexerregbarkeit der in Frage kommenden zentralen Nerven- wege den zur Entstehung der Krämpfe notwendigen Grad erreicht, das eine Mal durch eine bestimmte Zahl von Strychninmolekülen, das andere Mal durch eine vielleicht tausendmal kleinere Zahl von Molekülen des Tetanustoxins zum Zerfall gebracht wird? Die Antwort auf diese Frage kleidet KassowIrz zunächst in Form eines Gleichnisses. ‚Wenn 1000 Bäume gefällt werden sollen und diese Arbeit das eine Mal von 1000 Holzfällern, das andere Mal aber von einem einzigen geleistet werden soll, dann kann in dem ersten Falle jeder Arbeiter einen Baum übernehmen, in dem anderen aber bleibt nichts anderes übrig, als daß der eine Arbeiter einen Baum nach dem andern fällt.“ Verlassen wir diesen Vergleich und kehren wir wieder zu den Giften und Toxinen zurück, so ergibt sich daraus olgende Schlußfolgerung bezw. Nutzanwendung. „Die Strychninmoleküle ben eine chemische Verwandtschaft zu gewissen „toxophilen‘* Atom- omplexen der Protoplasmamoleküle und reißen diese Komplexe, wenn sie in ihre molekulare Nähe gelangen, aus ihrem losen Verbande mit en übrigen Komplexen heraus, und dabei geht das ganze Molekül in ie Brüche. Bleibt aber der durch das Giftmolekül losgerissene omplex mit diesem verbunden, so kann dasselbe Giftmolekül eine weitere Giftwirkung hervorrufen. So viele Giftmoleküle ı wirkung. Unterschied zwischen Toxinen und chemisch definierten Giften. Erklärung der Inku- bationsdauer der Toxine. 294 XVIII. Varianten der Seitenkettentheorie. | daher in Aktion treten können, so viele Protoplasmamoleküle würden zerstört werden... .* Ganz anders müssen sich aber die Vorgänge bei der Wirkung der Toxine gestalten. Wenn hier dieselbe Zahl von Protoplasmamole- külen zerstört werden soll wie von den chemisch definierten Giften, in unserem Falle also vom Strychnin, und wenn diese Wirkung durch eine viel geringere Zahl von Toxinmolekülen hervorgerufen werden soll, dann kann dies nur in folgender Weise geschehen: ‚„Jedes Toxinmolekül reißt in derselben Weise wie das Giftmolekül die Atomgruppe des Proto- plasmamoleküls, zu der es durch eine chemische Verwandtschaft hin- gezogen wird, mit einer gewissen Kraft an sich und bewirkt dadurch eine Zersetzung dieses hochgradig labilen Moleküls. Aber diesmal muß die Bindung des Toxinmoleküls an die losgerissene toxo- phile Gruppe eine dermaßen lockere sein, daß sie in dem Momente des allgemeinen Zusammenbruchs ebenfalls wieder gelöst wird und das frei gewordene Toxinmolekül wieder seine zerstörende Wirkung an dem nächsten und der Reihe nach an vielen anderen Protoplasmolekülen entfalten kann.“ Man sieht, Kassowıtz stellt sich also die Wirkungsweise der Toxine ganz ähnlich vor, wie man sich vielfach den Mechanismus der Ferment- wirkungen gedacht hat, bei denen man ja auch eine temporäre Bindung des Fermentmoleküls an ein Nährstoffmolekül anzunehmen geneigt war und dasselbe nach dem eingetretenen Zerfall dieses Nähr- stoffmoleküls wieder frei werden ließ, um es sofort auf ein weiteres Molekül überspringen und dort seine zersetzende Tätigkeit von neuem beginnen zu lassen. In der Tat haben ja die Fermente unter anderem gerade dien hier in Betracht kommende Eigenschaft mit den Toxinen gemein, daß sie nämlich ihre Wirkungen in unvergleichlich geringeren Substanz- mengen auszuüben imstande sind, als die gewöhnlichen, chemisch wohl- definierten Reagentien. Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich nun aber in ungezwungener Weise eine weitere wichtige Eigenschaft der Toxine. Da diese näm- lich, wie wir gesehen haben, wegen der geringen Zahl ihrer in Aktion tretenden Moleküle ihre Zerstörungsarbeit nicht mit einem Schlage, sondern nur nach und nach und an einem zersetzlichen Molekül nach dem andern vollziehen können, so ist einleuchtend, daß sich ihre Wirkung nicht momentan äußern kann, wie bei den Giften bekannter chemischer Konstitution, sondern daß sie eine gewisse Inkubations- dauer benötigt, um in Erscheinung zu treten. Vermehrung der wirksamen Toxinmoleküle würde, wie dies ja tatsächlich auch der Fall ist, hiernach zweifellos eine Abkürzung der Latenzzeit hervorrufen müssen. Völlig verschwinden würde dieselbe jedoch nach dieser Theorie erst dann, wenn so viele Toxinmoleküle zu gleicher Zeit tätig sein könnten, wie bei der Vergiftung mit den chemisch definierbaren Giften, was aber, wie Kassowırz meint, wohl nur ganz ausnahmsweise vor- kommen dürfte. Wie man sieht, bringt also diese Theorie der Giftwirkungen zwei charakteristische Eigenschaften der Toxine, ihre außerordentliche Wirk- samkeit in minimalen Substanzmengen und den zögernden, erst nach Ablauf einer bestimmten Inkubationsperiode erfolgenden Eintritt der Vergiftungssymptome, in sehr anschaulicher Weise unserem Verständnis XVIII. Varianten der Seitenkettentheorie. 295 näher, indem sie dieselben gleichzeitig in ein Kausalverhältnis zuein- ander zu setzen vermag. Nun muß jede Theorie der Toxinwirkungen, die Anspruch auf Beachtung erheben will, sich notwendigerweise auch mit den antigenen Eigenschaften der Toxine, also mit ihrer Fähigkeit, die Produktion von Antikörpern auszulösen, auseinandersetzen. Hören wir also, wie Kassowırz sich die Entstehung der Antitoxine vorstellt. Nach seiner eben dargelegten Theorie wird, wie wir gesehen haben, die toxophile Gruppe des Protoplasmamoleküls durch das Toxin vor- übergehend chemisch gebunden. Dabei wird das labile Protoplasma- molekül in seinem Bau derart erschüttert, daß es zerfällt, während sich das Toxinmolekül seinerseits wieder aus der lockeren Bindung mit der losgerissenen toxophilen Atomgruppe freimacht, um seine zerstörende Wirkung sofort auf das nächste Protoplasmamolekül zu übertragen, wo sich derselbe Vorgang wiederholt. Auf diese Weise werden also fortwährend neue toxophile Gruppen aus den Protoplasmamolekülen in Freiheit gesetzt, die an die Säfte abgegeben werden können und vermöge ihrer Affinität zu dem Toxin eben die Antitoxine darstellen. Wie man sieht, hat also Kassowırz den fundamentalen Gedanken Earuiıc#hs, daß die Antikörper nichts anderes seien, als die von der Zelle getrennten toxophilen Atomgruppen, vollinhaltlich akzeptiert und ist nur bezüglich des Mechanismus anderer Meinung, nach welchem diese Abstoßung der giftbindenden, im Kreislauf die Funktion von Anti- toxinen ausübenden Zellbestandteilen erfolgen soll. Kassowırz gibt dabei seiner Auffassung von dem Wesen der Antikörperproduktion deshalb vor der Eurzichschen den Vorzug, weil es ihm unwahrschein- lich vorkommt, daß eine Zelle, deren normale Nahrungszufuhr durch Besetzung und Ausschaltung gewisser Rezeptoren eingeschränkt ist, im- stande sein sollte, eine so kolossale Menge von Ersatzrezeptoren zu pro- duzieren, wie dies nach der Eurricaschen Theorie angenommen werden müßte. Dagegen wäre das bereits in einem früheren Kapitel ausführ- lich besprochene Mißverhältnis zwischen der einverleibten Toxinmenge und der Quantität der produzierten Antitoxine nach der Theorie von Kuassowrrz leicht verständlich, da ja nach derselben eine ganz geringe Zahl von Toxinmolekülen dazu hinreichen muß, der Reihe nach eine große Anzahl von Protoplasmamolekülen zum Zerfall zu bringen und daher auch eine große Menge von toxophilen Gruppen in Freiheit zu setzen. Kassowitz geht nun aber noch einen Schritt weiter und sucht auch für die von uns bereits mehrfach besprochene Aviditätssteige- rung der produzierten Antikörper, die im Verlauf der Immunisierungs- vorgänge zu beobachten ist, eine befriedigende Erklärung zu gewinnen. Nach seiner Auffassung muß, wie wir gesehen haben, jede frei- gewordene Seitenkette bezw. toxophile Atomgruppe vor ihrer Befreiung eine chemische Bindung mit der anti- genen Gruppe des Toxins eingegangen sein, da sie ja nur durch diesen Koppelungsvorgang aus dem (Gefüge des Protoplasma- moleküls herausgerissen wir. Nun kann man sich vorstellen, „dab zwei Atomkomplexe, die miteinander chemisch verbunden waren, nach der Lösung ihrer Verbindung nicht notwendigerweise dieselbe An- | ordnung ihrer Atome und daher auch nicht wieder genau dieselben chemischen Eigenschaften und Verwandtschaften haben müssen wie vor ihrer Vereinigung‘. Theorie der Antitoxin- bildung. Theorie der Aviditäts- steigerung. 296 XVIII. Varianten der Seitenkettentheorie. In welchem Sinne freilich diese Änderung der Eigenschaften der miteinander reagierenden Komponenten vor sich gehen muß, ob sie zu einer Steigerung oder zu einer Abschwächung der Affinitäten führen muß, darüber läßt sich natürlich a priori gar nichts Sicheres behaupten. Hier macht nun Kassowırz die bis zu einem gewissen Grade willkür- liche Annahme, dab der Effekt der von ihm postulierten Koppelung und Wiederloskoppelung von Toxin und toxophiler Gruppe in einer. beiderseitigen Steigerung der chemischen Anziehungs- kräfte, in einer Aviditätserhöhung bestehe, und sucht diese Annahme durch ein Gleichnis zu stützen, das sich an den von uns be- reits mehrfach zu Hilfe gezogenen Vergleich EmıL Fischers vom’ Schlüssel und Schloß anlehnt. ‚Denken wir uns nämlich“ — so meint Kassowitz — „Schlüssel und Schloß nicht aus starrem Metall, sondern aus einem etwas nachgiebigeren Material gebildet, und nehmen wir weiter an, daß sie zwar leidlich zueinander passen, aber doch noch ge- wisse Inkongruenzen aufweisen; und nun pressen wir den modellier- baren Schlüssel in das ebenfalls modellierbare Schloß und ziehen ihn dann wieder heraus, so wird das Resultat wahrscheinlich das sein, daß nunmehr zwischen beiden eine viel genauere Relation bestehen wird, als vor diesem Manöver, und zwar wird an dieser besseren An- passung sowohl der Schlüssel als auch das Schloß partizipieren.“ Es ist übrigens leicht einzusehen, daß in solchen Fällen, wo im’ Gegensatz zu der obigen Annahme die sich trennenden beiden Atom- komplexe eine Verminderung ihrer Affinitäten erfahren würden, so- wohl die Giftwirkung wie die Produktion der Anti- körper sehr bald zum Stillstand kommen müßte, da ja die chemische Verwandtschaft des Toxins zu den Protoplasmamolekülen nach wiederholter Bindung und Wiederlosreißung von der toxophilen Gruppe bald so gering werden müßte, daß überhaupt keine weitere Bindung mehr eintritt. Wie man sieht, ist also die Annahme von Kassowirz zweifellos in sich logisch begründet. Ob freilich der ganze Vorgang, der sich hiernach zwischen Toxin und toxophilen Atomkomplexen abspielen soll, vom chemischen Standpunkt aus möglich erscheint, wollen wir hier unerörtert lassen. — Wir wollen uns jedoch, ohne uns in dieser Richtung endgültig zu ent- scheiden, einmal versuchsweise auf den genannten Standpunkt stellen und mit Kassowırz erwägen, welche weiteren Folgerungen sich aus seiner Annahme für die Immunitätslehre ziehen lassen. Reassimilie- Betrachten wir zu diesem Zwecke ein Stadium des immunisierten “iler Organismus, wo bereits zahlreiche Seitenketten losgerissen sind und mit Gruppen. gesteigerten Affınitäten in den Gewebssäften flottieren. Da diese toxo- philen Seitenketten ja ihrer Provenienz nach Bruchstücke der Proto- plasmamolekiüle darstellen, so nimmt Kassowırz an, daß sie auch gelegentlich wieder zum Aufbau derselben verwendet werden, daß sie mit anderen Worten assimiliert oder, richtiger, reassimiliert werden können. Diese reassimilierten toxophilen Gruppen treten nun natürlich mit ihren gesteigerten Affınitäten zum Toxin in die Protoplasmamoleküle ein, und es ist somit klar, daß diese letzteren infolgedessen gegen früher einen etwas abweichenden Bau erlangen müssen. Bei den sich im Ver- lauf des Stoffwechselgetriebes einstellenden Wachstums- und Vermehrungs- vorgängen der Protoplasmamoleküle werden diese sich dann in der ge- änderten, neuen Form reproduzieren, und die notwendige Folge davon I 4 Av; . wird sein, daß sie nun, wenn sie aus irgend einem Anlasse, etwa bei ihrer physiologischen Funktion, zerfallen, wieder solche Seitenketten von hoher Affinität in Freiheit setzen werden. Mit anderen Worten: durch die Reassimilation der spezifisch avider gewordenen Seiten- ketten hat das Protoplasma nunmehr die Fähigkeit erlangt, Antitoxine zu sezernieren, ohne selbst mehr unter der direkten zersetzenden Einwirkung des Toxins zu stehen. So erklärt sich also nach Kassowıtz die langandauernde, oft viele Jahre hindurch anhaltende Produktion der Antikörper. Da ferner nach diesen Darlegungen die Körperzellen des immuni- sierten Organismus mit ungewöhnlich großer Avidität zu dem betreffenden Toxin ausgestattet sind, so ist einleuchtend, daß sich derselbe einer neuerlichen Einverleibung des Giftes gegenüber anders verhalten muß, als ein normaler. „‚Infolge der stärkeren Anziehung zu dem Antigen müßte die Zerstörung der Protoplasmamoleküle rascher und in der gleichen Zeiteinheit häufiger erfolgen, als in den noch nicht vorbehandelten Protoplasmen, und diese Beförderung des Protoplasmazerfalles müßte sich natürlich auch in einer früheren und reichlicheren Produk- tion von Antikörpern geltend machen“, eine Schlußfolgerung aus der Kassowitzschen Theorie, die vorzüglich mit den beobachteten und in einem früheren Kapitel von uns geschilderten Tatsachen überein- stimmt. Auch gewisse noch später eingehender zu betrachtende Phä- nomene der Überempfindlichkeit, die übrigens die Enkuicasche Theorie in genau der gleichen Weise zu deuten vermag, ergeben sich als einfache Konsequenz obiger Darlegungen. Endlich sucht Kassowırz auf Grund seiner Theorie der Toxin- wirkung und der Antikörperproduktion auch eine Erklärung für jene merkwürdige Form der Giftimmunität zu geben, bei der Antitoxine im Blute vollkommen fehlen und die man daher, da sie ja offenbar nicht durch die giftneutralisierenden Eigenschaften der Körpersäfte bedingt sein konnte, als histogene oder Gewebsimmunität be- zeichnet hat. Wie wir in einem späteren Kapitel noch ausführlicher darzulegen haben werden, stellt man sich vom Standpunkt der EHrLIcH- schen Seitenkettentheorie aus vor, daß es in solchen Fällen zu einem Verlust der toxophilen Protoplasmagruppen, zu enem Rezeptoren- schwund gekommen sei und daß in einem derartig veränderten und immun gewordenen Organismus die Toxine einfach deshalb nicht mehr zu wirken vermögen, weil sie eben keine passenden Rezeptoren mehr vorfinden. — Anders Kassowitz. Um seinem Gedankengang folgen zu können, müssen wir auch hier wieder von jenem bereits mehrfach erwähnten Vorgange ausgehen, der eine so wichtige Rolle in der Kassowırzschen Theorie spielt, nämlich von der abwechselnden Verankerung und Wieder- losreißung des Toxinmoleküls von den toxophilen Gruppen des Proto- plasmas. Wie wir früher auseinandergesetzt haben, nimmt Kassowitz an, daß beide Komponenten nach ihrer Trennung insofern verändert sind, daß sie nunmehr stärkere Affinitäten zueinander besitzen als vorher. Da sich nun dieser Vorgang der Verkoppelung der Toxine mit den Seitenketten immer wieder wiederholt, also die Aviditätssteigerung mit jeder neuen Bindung und Trennung weiter in die Höhe getrieben wird. so ist theoretisch jedenfalls die Möglichkeit gegeben, daß diese Aviditäten schließlich einen so beträchtlichen Stärkegrai er- reichen, daß die Koppelung nicht wieder gelöst werden kann. XVIII. Varianten der Seitenkettentheorie. 297 „Allergie“. Erklärung der histo- genen Immunität. - die bisher mit stark toxophilen Seitenketten ausgestattet und daher für 298 XVII. Varianten der Seitenkettentheorie. In den Zellsäften würden dann also die Verbindungen der Toxine mi den Seitenketten flottieren. Nun haben wir früher angenommen, daß die aus dem Protoplasma- molekül herausgerissenen freien, d. h. nicht mit Toxin verbundenen toxophilen Gruppen reassimiliert und wieder zum Aufbau der zerfallenen Moleküle verwendet werden können. Da nun aber in dem jetzt vom uns betrachteten Stadium der Immunisierung wenigstens ein Teil der losgerissenen Seitenketten nicht im freien Zustand existiert, sondern nur in Verbindung mit dem Toxin, so bleibt den Zellen nach der An- schauung von Kassowiıtz nichts anderes übrig, als sie eben im diesem Zustande, d.h. mit den an ihnen verankerten Toxingruppen zu assimilieren. % Stellt sich dieser Vorgang in größerem Ausmaße ein, so müßte dies folgende Konsequenzen nach sich Ziehen. Die Protoplasmamoleküle, das Toxin empfindlich, ja überempfindlich waren, erscheinen nun mit Atomgruppen garniert, die bereitssämtlich Tesızz moleküle verankert haben. Da somit alle Affinitäten der toxophilen Gruppen bereits „hi gesättigt erscheinen und die gleichgebauten Atomgruppierungen sich gegenseitig nicht anzuziehen und überhaupt miteinander nicht chemisch zu reagieren vermögen, so ist einleuchtend, daß die auf solche Weise veränderten Protoplasmamoleküle kein Gift mehr zu verankern imstande sein können, also gegen den Angriff der Toxine gefeit sein müssen. Aber auch noch eine weitere Folge müßte sich aus dieser abgeänderten Konstitution des Protoplasmas ergeben, daß nämlich keine freien toxophilen Seitenketten von demselben mehr sezernie werden könnten, daß also die Antikörperproduktion in diesem Stadium erlahmen müßte. Damit wären aber die beiden charakteristischen Grundphänomene der histogenen Immunitä aus den Prämissen der Kaıssowitzschen Theorie abgeleitet. — Wie wir gesehen haben, vermag diese Theorie also in der Ts von einer ganzen Reihe wichtiger Phänomene der Immunitätslehre iz anscheinend befriedigender Weise Rechenschaft zu geben. Freilich müssen manche andere Anwendungen derselben, die KassowIrz in seiner Schrift gemacht hat, als weniger glücklich und gelungen be zeichnet werden und verraten deutlich, daß ihm die eigene Anschauung, die ja nie durch Bücherstudium ersetzt werden kann, auf diesem Ge biete mangelt. Immerhin dürfte seine Theorie aber, als das Werk eines in spekulativer Richtung ungewöhnlich begabten Kopfes, einer gewisser Beachtung wert sein, und jedenfalls nicht die ignorierende Behandlung verdienen, mit der man sich bis jetzt über sie hinweggesetzt hat. Ob diese Theorie freilich jene ungeheure heuristische Fruchtba keit in sich birgt, welche die EsrLıcHsche Seitenkettentheorie ausg zeichnet hat und heute noch auszeichnet, ist schwer zu ermessen une muß der Zukunft überlassen bleiben. Nur diese Fruchtbarkeit aber i es, welche einer Theorie wirklichen Wert verleiht. und ich kann es mi nicht versagen, an dieser Stelle jene Worte zu zitieren, die EHR Lıca selbst zur Verteidigung seiner Lehre gegen mancherlei Angrifix ausgesprochen hat: „Man kann von einer Theorie nicht verlangen, daß sie mit einem Male alle verschlungenen Geheimnisse eines so schwierigen Gebiete enthüllt. Die Theorie soll in erster Linie heuristischen Wert haber ie Möglichkeit geben, zur Klärung komplizierter Verhältnisse gang- Be ınen einzuschlagen. Sie soll den Weg ebnen; ihn zu beschreiten dem wissenschaftlichen Forscher oft in mühevoller Arbeit vorbe- n bleiben. Nur die experimentelle Analyse kann dann die Wissen- ‚af Br fördern, nicht die hochfahrenden Worte einer irreführenden xp » Literatur. ANDSTEINER und Jasıc, Münchn. med. Wochenschr., an Nr. 18. iDSTEINER und Rezıca, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LVIII, 1908. \assowerz, Metabolismus und Immunität. M. Perles, Wien 197. IRLıcH, Münchn. med. Wochenschr., 1903, Nr. 33 und 34. Angeborene und erworbene Immunität. XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. Unter Immunität versteht man, wie allgemein bekannt, die Wider- standsfähigkeit gegenüber gewissen krankmachenden Agentien, speziell gegenüber den pathogenen Mikroorganismen und ihren Giften. In der ganzen dynamischen Fassung, die wir dem Infektions- problem in früheren Vorlesungen zuteil werden ließen, liegt nun schon implicite enthalten, daß weder die Immunität eines Organismus, noch deren Widerspiel, seine Empfänglichkeit für gewisse Krankheitserreger, eine fixe und unveränderliche Eigenschaft sein kann, sondern daß sie von den mannigfaltigen inneren physiologischen oder pathologischen Vor- gängen abhängig sein muß, die sich in dem betreffenden Organismus entweder spontan oder infolge der Veränderung der äußeren Lebens- bedingungen abspielen. Demgemäß unterliegt also die Immunität bezw. die Empfänglichkeit jedes tierischen Organismus, wie alle anderen phy- siologischen Funktionen, zweifellos schon unter normalen Verhältnissen fortwährenden Schwankungen und Veränderungen, die sich jedoch für gewöhnlich innerhalb gewisser Grenzen zu halten pflegen und deshalb meist unbemerkt verlaufen. Erst wenn aus irgendwelchen Ursachen die sozusagen physiologischen Grenzen überschritten werden, wenn die Amplitude dieser Schwankungen den gewöhnlichen Wert erheblich und auffällig übersteigt, pflegen wir diese Tatsache durch die Wahl eines besonderen Namens zum Ausdruck zu bringen, indem wir von einer erworbenen Immunität bezw. einer erworbenen Empfäng- lichkeit sprechen und ihr als Gegensatz die angeborene gegenüber- stellen. Tatsächlich bezeichnen jedoch diese Namen, wie leicht einzu- sehen ist, nicht wirkliche Gegensätze, sondern nur Extreme, zwischen denen alle möglichen stufenweisen Übergänge existieren, mit anderen Worten, quantitative und nicht qualitative Differenzen. Die angeborene, natürliche Resistenz kann nun entweder Erbteil einer ganzen Tierspezies sein, oder nur bestimmte Rassen betreffen, oder endlich sich auf einzelne Individuen beschränken. So ist z. B. der Mensch für Rinderpest, Schweinerotlauf, Rauschbrand und manche andere Tierseuchen vollkommen immun; einzelne Schafrassen, wie z.B. die algerischen Schafe, zeichnen sich durch besondere Widerstandsfähig- keit gegenüber Milzbrand und Pocken aus; endlich sind Beispiele von individueller Widerstandsfähigkeit oder Empfänglichkeit gegen- über gewissen Infektionskrankheiten besonders zur Zeit von Epidemien leicht zu beobachten und wohl auch jedem Arzte aus seiner eigenen praktischen Erfahrung gegenwärtig. Es genügen nun oft schon relativ außerordentlich geringfügige Veränderungen der äußeren Lebensbedingungen, um die natürliche Re- XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 301 sistenz des Menschen wie der Tiere zu beeinflussen bezw. herabzusetzen. Mangelhafte, qualitativ oder quantitativ unzureichende Ernährung, über- mäßige Anstrengungen, starke Erhöhung oder Erniedrigung der Körper- temperatur, körperliche oder psychische Traumen, Kummer und Sorgen, ferner gewisse Stoffwechselstörungen, chronischer Alkoholismus und noch eine Reihe von anderen Schädlichkeiten sind bekanntermaßen imstande, die Krankheitsdisposition sehr wesentlich zu erhöhen und den Organis- mus für Infektionserreger empfänglich zu machen, die sonst im Körper nicht zu haften vermögen. Andere Einwirkungen erzeugen dagegen eine Steigerung der Resistenz, eine erworbene Immunität. Am häufigsten entsteht eine solche allerdings im Anschluß an eine spontan aufgetretene Infektionskrankheit, und man spricht deshalb in diesem Falle geradezu von einer natürlich erworbenen Immunität, im Gegensatz zu der künstlich erworbenen, zu deren Erzeugung man sich planmäßiger Eingriffe in das Stoffwechselgetriebe des Organismus bedient, welche, wie wir gesehen haben, zumeist die im Verlaufe der natürlichen Infektions- prozesse auftretenden Vorgänge in milderer und gefahrloserer Form nachzuahmen suchen. Je nachdem sich weiterhin die erworbene Immunität gegen eine größere Zahl von Krankheitserregern oder Toxinen oder nur gegen eine einzige Art derselben richtet, unterscheidet man eine nichtspezifische und eine spezifische Immunitätsform, je nachdem sich endlich die Widerstandsfähigkeit auf die lebenden Mikroorganismen oder auf deren giftige Stoffwechselprodukte und Leibesbestandteile bezieht, eine anti- bakterielle und eine antitoxische Form. Hiernach ergäbe sich also das folgende, ziemlich allgemein ge- bräuchliche Einteilungsschema der Immunitätsphänömene: Immunität. A. Natürlich, angeboren B. Erworben a) antibakteriell I. Auf natürlichem Wege. a) antibakteriell: 1. nicht spezifisch, b) antitoxisch 2. spezifisch. b) antitoxisch, TI. Auf künstlichem Wege. «) aktiv a) antibakteriell: 1. nicht spezifisch, 2. spezifisch. b) antitoxisch. #) passiv a) antibakteriell b) antitoxisch spezifisch. Ohne die Zweckmäßigkeit dieses Schemas bezweifeln zu wollen, müssen wir jedoch betonen, daß es in den meisten Punkten nicht wirk- ich wesentliche Merkmale zu Einteilungsprinzipien benutzt, sondern iterien mehr zufälliger und sekundärer Natur, die mit dem speziellen Charakter und Mechanismus der verschiedenen Immunitätsformen jeden- s nur sehr indirekt zusammenhängen. Wir wollen daher im folgenden versuchen, im Anschluß an die ührlich dargelegten theoretischen Anschauungen EHRLICHs ein anderes Schema zu entwickeln, das gerade den verschiedenartigen Mecha- Natürlich und klinst- lich er- worbene Immunität. Allgemeine Einteilung der Immunitäts- formen. Antitoxische Immunität. Immunität infolge Rezeptoren- mangels. 302 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. nismus der Immunitätsphänomene zur Grundlage der Ein- teilung nimmt und das, indem es also das ätiologische Moment in den Vordergrund rückt, trotz seines zweifellos mehr hypothetischen Charakters doch vielleicht instruktiver sein dürfte. Wir wollen nur die Grundeinteilung der Immunität in eine anti- bakterielle und eine antitoxische Form von dem obigen Schema beibehalten und uns zunächst der Betrachtung der letzteren zuwenden. Nun wissen wir, dab die notwendige Voraussetzung jeder Toxin- wirkung in der Verankerung des Giftes an die giftempfindlichen Organe besteht und daher an die Existenz geeigneter Rezeptoren geknüpft er- scheint, ohne die ja nach Eurrıchs Auffassung eine solche chemische Bindung nicht zu denken ist. Fehlen daher in einem tierischen Or- ganismus alle Rezeptoren für ein bestimmtes Toxin, dann ist also auch jede Möglichkeit einer Giftwirkung desselben von vornherein ausge- schlossen, das betreffende Tier ist absolut giftfest. Hiermit hätten wir aber bereits eine erste und fundamentale Form der enter Immunität kennen gelernt: die Immunität infolge Rezeptoren- mangels. — Es ist leicht vorauszusehen, daß diese Art der Gift- festigkeit durch eine besondere und sehr wichtige Eigenschaft ausge- zeichnet sein muß. € Da nämlich nach Enrricas Theorie die Gegenwart geeigneter Re- zeptoren nicht nur als Vorbedingung für die Giftwirkung, sondern auch“ für die Produktion von Antikörpern angesehen werden muß, so ist klar, daß bei dieser Form der Immunität jede Entstehung von Anti- toxinen vollkommen ausgeschlossen ist, so oft man auch die Injektion des Toxins wiederholen mag. Das eingeführte Gift kreist dann eben, ohne gebunden zu werden, im freien Zustande so lange in den Gefäßen, bis es entweder durch Oxydations- oder Spaltungsvorgänge zerstört oder durch die Sekretionsorgane eliminiert wird, was natürlich je nach den besonderen Umständen des Falles sehr verschieden lange Zeit in Anspruch nehmen kann. Die beiden Hauptkriterien der Im- munität durch Rezeptorenmangel wären demnach: 1. vollkommene Unfähigkeit der Gewebe, das betreffende Toxin zu binden, und 2. Ausbleiben jeder Antitoxinproduktion, und es obliegt uns im Anschluß an diese Erwägungen nur noch, zu untersuchen, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dal diese zunächst lediglich theoretisch postulierte Immunitätsform tatsächlich auch in der Natur realisie erscheint. Nun hat METSCHNIKOFF in seinem umfassenden Werke über di Immunität bei Infektionskrankheiten eine Reihe von Tatsachen und B obachtungen mitgeteilt, die wohl kaum einer anderen Deutung fähi sein dürften. Wir wollen uns damit begnügen, aus der Fülle des Mat rials nur ein einziges besonders instruktives Beispiel hier anzuführen, Eidechsen, besonders aber Schildkröten, sind selbst gegen große Mengen von subkutan injiziertem Tetanustoxin vollkommen immun. Bei eineı im Aquarium gehaltenen Schildkröte konnte nun METSCHNIKOFF :nocl vier Monate nach der Toxininjektion so große Giftmengen im Blu vorfinden, daß es mit Leichtigkeit gelang, Mäuse durch Einspritz desselben unter tetanischen Erscheinungen zu töten, und bei einen anderen Exemplare derselben Spezies, das jedoch im Brutschrank 37° gehalten wurde, besaß das Blut noch zwei Monate nach der Ei spritzung deutlich toxische Eigenschaften. Es kann somit keinem Zweif unterliegen, daß bei diesen Tieren weder in der Kälte noch bei Brü = XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 303 temperatur eine Bindung des Tetanustoxins an die Gewebe stattfindet und daß daher nach Eurrıcns Auffassung ein Mangel an geeigneten Rezeptoren für dieses Gift bei der Schildkröte angenommen werden muß. Dementsprechend konnte auch niemals auch nur eine Spur von Antitoxinproduktion bei dieser Tierspezies beobachtet werden, so daß also alle erforderlichen Bedingungen dafür erfüllt erscheinen, um die Immunität der Schildkröte gegen das Tetanusgift in die erste Gruppe unseres Schemas einreihen zu dürfen. Diese Giftfestigkeit ist natürlicherweise eine angeborene. Es gibt jedoch, wie wir noch sehen werden, auch Fälle, bei denen erst im Verlaufe immunisatorischer Eingriffe ein Verlust gewisser Rezeptoren, ein Rezeptorenschwund oder wenigstens eine Abnahme ihrer Affinität zu dem Toxin zustande kommt, die dann natürlich eben- falls zu einer Herabsetzung der Giftempfindlichkeit führen kann. Nur der Vollständigkeit wegen mag hier übrigens auch noch an jene von Kassowitz supponierte Form der Giftunempfindlichkeit erinnert sein, welche durch Reassimilierung losgetrennter und mit Toxinmolekülen ver- bundener Seitenketten zustande kommen soll und welche sich in ihren Wirkungen genau so äußern müßte, wie die eben besprochene Form des Rezeptorenschwundes, da ja in beiden Fällen jede Affinität zu den haptophoren Gruppen des betreffenden Giftes vollkommen fehlen würde. Nun ist zwar, wie bereits auseinandergesetzt, die Anwesenheit der Immunität giftbindenden Rezeptoren eine unerläßliche Vorbedingung für das Zu- "enkenei standekommen jeder Toxinwirkung. Daneben muß jedoch noch eine „de. weitere Bedingung erfüllt sein, damit überhaupt Vergiftungserscheinungen fähigen auftreten können. Es müssen nämlich jene Zellen, welche das Toxin le zu verankern imstande sind, auch für die Wirkung seiner toxophoren Gruppe empfänglich sein und durch sie eine merkliche Schädigung und Beeinträchtigung ihrer normalen Funktionen erleiden. Denn fehlt diese Empfänglichkeit, so wird zwar das Toxin von den be- treffenden Zellen absorbiert und gebunden werden, aber trotzdem keine irgendwie auffälligen Funktions- und Gesund- heitsstörungen hervorrufen können. Es wird also in diesem Falle — und damit ist die zweite der möglichen Immunitätsformen harakterisiert — trotz der Bindung des Toxins an gewisse Gewebselemente, dennoch jede Erkrankung des vergifteten ieres ausbleiben. Es ist klar, daß sich diese zweite Form der Immunität in einem sehr wesentlichen Punkte von der früher geschilderten ersten Art unter- scheiden muß: dadurch nämlich, daß bei ihr die Fähigkeit der Antikörperproduktion in vollem Maße erhalten sein muß, a diese letztere ja nur von der Bindung des Toxins, nicht aber von seiner Giftwirkung abhängig erscheint, also zwar durch seine hapto- phore, nicht aber durch seine toxophore Gruppe bestimmt wird. Auch für diese zweite Kategorie unseres Schemas läßt sich ein von METSCHNIKOFF herrührendes Beispiel anführen. Der Kaiman (Alli- gator mississippiensis) ist gegen Tetanusgift ebenso unempfindlich wie die Schildkröte und vermag große Giftdosen ohne jede Krankheits- erscheinungen zu ertragen. Gleichwohl ist der Mechanismus der Im- imunität hier zweifellos ein ganz anderer, denn das eingespritzte Toxin verschwindet bei diesen Tieren sehr rasch aus dem Kreislauf, und es kommt binnen relativ kurzer Zeit zur Antitoxinproduktion. Besonders am Blute älterer Alligatoren konnte Merschsikorr oft schon 24 Stunden Immunität infolge Gift- absorption in un- empfind- lichen Organen. u 304 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. nach der Einverleibung des Giftes deutliche antitoxische Wirkungen nachweisen, während es vorher — wie das Blut dieser Reptilien über- haupt — vollkommen wirkungslos war. Es findet sich somit in diesem Falle — in bester Überein: stimmung ınit unserem Schema — starke Bindungsfähigkeit deı (sewebe für das Tetanustoxin und energische Antitoxin- produktion mit absoluter Giftimmunität vereint, eine Trias von Phänomenen, die wir nur durch die Annahme erklären können, dal bei dem Alligator eine vollkommene Unempfindlichkeit der Zellen für die Einwirkung der toxophoren Gruppe des Giftmoleküls bestehen muß. Einen ganz abweichenden Mechanismus weist eine dritte Forn von Giftimmunität auf. Wir haben bereits bei einer früheren Gelegen heit darauf hingewiesen, daß es Tiere gibt, die nicht nur in der giftempfindlichen Organen Rezeptoren für die Verankerung eines be stimmten Toxins besitzen, sondern auch in Geweben, die durch ein geringere physiologische Dignität und Empfindlichkeit ausgezeichnet er scheinen. Sind nun gerade in jenen Zellterritorien, welche durch di toxophore Gruppe des betreffenden Giftes nicht beeinflußt werden, be sonders große Mengen solcher Rezeptoren vorhanden oder ist ihr Affinität zu dem Toxin eine größere, als die der Rezeptoren empfin licher Organe, so ist klar, was geschehen muß, wenn von irgend eine Körperstelle her Toxin zur Resorption gelangt. Es wird sofort mi großer Gier von den avideren oder durch ihre Überzahl prä dominierenden Rezeptoren der giftfesten Gewebe absorbier werden, während die empfindlicheren Organe bis zu eineı gewissen Grade vor ihm bewahrt bleiben, so daß also die erster hier eine ganz ähnliche toxinablenkende Rolle spielen würden, wi etwa in der Blutbahn kreisendes Antitoxin, welches das Gift nicht den Ort seiner Wirkung gelangen läßt. Zwar wird die auf solche Weise zustande kommende Form d Immunität niemals eine absolute sein können, da bei steigender Gif dosis schließlich eine (Grenze erreicht werden muß, bei der die & lenkende Kraft der unempfindlichen (rewebe nicht mehr ausreicht, w den Zutritt des Toxins zu den empfänglichen Organen vollkommen verhindern. Immerhin wird sie unter günstigen Umständen doch rec! beträchtliche Grade annehmen können und zum Schutze der betreffend Tiere gegen die Infektionserreger und ihre Gifte sehr wesentlich be tragen. Nur unter einer Bedingung wird jedoch auch bei diesen relativ wide standsfähigen Tieren eine hochgradige Giftempfindlichkeit zu beobacht« sein: dann nämlich, wenn das Toxin auf solchem Wege in den Organism eingeführt wird, daß eine Absorption durch unempfindliche Organe nic stattfinden kann. Vor allem wird diese Bedingung dann erfüllt sei wenn das Gift direkt mit den empfänglichen Zellen Berührung gebracht wird, also beim Tetanustoxin z. B. wenn Injektion intrazerebral vorgenommen wird. Denn dann wird dassel natürlich sofort von den Rezeptoren des betreffenden Organes verank« werden müssen und seine deletäre Wirkung entfalten, ohne daß < Mechanismus der Giftablenkung überhaupt Gelegenheit hätte, in Funkti zu treten. Als charakteristische Merkmale dieser Immunitätsform wären sor zu verzeichnen: 1. eine starke Bindungsfähigkeit gewisser unempfär “ XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität, 305 licher Zellterritorien, 2. ausgiebige Fähigkeit zur Antikörperproduktion, 3. große Empfindlichkeit gegenüber bestimmten lokalen Applikations- ‚weisen des betreffenden Giftes. | Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die relative Immunität ‚des Kaninchens gegen Tetanus aller Wahrscheinlichkeit nach auf diesen Mechanismus zurückzuführen sein dürfte. Wie Roux und BorrEL nach- gewiesen haben, ist nämlich diese Tierspezies für die intrazerebrale In- jektion des Tetanusgiftes außerordentlich empfindlich, und es genügt, minimale Toxindosen direkt in die Gehirmsubstanz einzuspritzen, um mit Sicherheit tödlichen zerebralen Tetanus hervorzurufen. Hingegen kann man den Kaninchen relativ große Mengen des Starrkrampfgiftes unter die Haut injizieren, ohne daß mehr als leichte und bald vorüber- gehende tetanische Krampfanfälle eintreten würden. Dieser auffällige Gegensatz zwischen der intrazerebralen und sub- kutanen Wirkungsweise des Tetanusgiftes deutet wohl mit Notwendigkeit darauf hin, daß zwar im Gehirn des Kaninchens alle Vorbedingungen für eine intensive Toxinwirkung gegeben sein müssen, daß jedoch gleich- zeitig in anderen Organen Schutzvorrichtungen existieren müssen, die das subkutan eingeführte Gift verhindern, an die empfindlichen Nerven- elemente heranzutreten. Dementsprechend haben wir denn auch bereits in der vorhergehenden Vorlesung betont, daß gerade das Kaninchen auch in giftfesten Organen nachweisbar große Mengen von Rezeptoren besitzt, welche imstande sind, im Wassermannschen Versuch Tetanus- gift zu binden und nach Art des Antitoxins zu neutralisieren. Das Meer- schweinchen dagegen, das nur in Gehirn und Rückenmark die nötigen Rezeptormengen für dieses Toxin zu besitzen scheint, während sich alle anderen Gewebe als unfähig erwiesen, antitoxisch zu wirken, ist daher auch durch eine weit größere Giftempfindlichkeit ausgezeichnet und zeigt nach Roux und BorrEL keineswegs jene bedeutenden Unterschiede, welche beim Kaninchen je nach der Applikationsweise des Giftes zu- tage treten. Die Übereinstimmung mit der Theorie ist also, wie man sieht, auch in diesem Falle eine vollkommene. | Wie groß die Unterschiede der Giftempfindlichkeit sein können, Unterschiede | welche auf Grund dieser verschiedenartigen Mechanismen bei den diversen ee | Tierspezies zutage treten, das mag noch durch die folgende Tabelle deut- kei ba; vor | licher illustriert werden. Dieselbe gibt die tödlichen Dosen des Teetanus- Tierspezies. | giftes bei subkutaner Applikationsweise, bezogen auf 1 g Körpergewicht der verschiedenen Tierarten, an, wobei die letale Dosis für 1 g Pferde- gewicht als Einheit gewählt ist. So braucht man für en N 1 Gifteinheit. 1 „ Meerschweinchen . . . . 2 = De a a 4 S a a 13 4 BerBanmchen .» . . . . . 2000 > Be... 200000 E | Welcher Mechanismus dabei im speziellen Falle obwaltet, ist natür- | lich nicht immer leicht zu entscheiden. Vermutlich können jedoch auch | mehrere Mechanismen gleichzeitig in Kraft treten, zumal dann, wenn | das von den Mikroorganismen produzierte Toxin nicht einheitlicher Natur Jist, sondern aus einer Reihe von Partialtoxinen besteht, deren jedes | auf andere Zellrezeptoren einwirkt und mit anderen Affinitäten ausge- | stattet erscheint. Manche dieser Partialtoxine werden dabei nur bei Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 20 Histogene und hu- morale Immunität. Plazentare Sg trifft, so hat ihr unter anderen Forschern besonders STÄUBLI seine der Anti körper. 306 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. | gewissen Spezies geeignete Rezeptoren vorfinden, bei anderen aber infolge Rezeptorenmangels unwirksam bleiben können. Alle drei bisher von uns besprochenen Mechanismen, durch die) sich der Organismus gegen die schädigende Einwirkung der Toxine zu. schützen vermag, zeigen nun das gemeinsame Merkmal, daß sie sämt- lich auf der besonderen Art und Verteilung der Rezeptoren in den ver- schiedenen Geweben beruhen. Da somit das wesentliche, immunität-- verleihende Moment in diesen Fällen auf der besonderen Beschaffen- heit der Zellen und Gewebe beruht, so pflegt man diese Formen der‘ Immunität als zelluläre oder histogene zusammenzufassen und ihnen als humorale und hämatogene jene andere Art der Widerstands- fähigkeit gegenüber zu stellen, welche durch die Schutzwirkungen des Blutes bezw. der Körpersäfte bedingt erscheint. Wie sich aus unserer Darstellung ergibt, sind die histogenen Formen der antitoxischen Immunität fast durchweg angeboren, und nur in einzelnen speziellen Fällen, auf die wir zum Teil noch zurück zu kommen haben werden, mag durch Rezeptorenschwund, durch Ver- lust der Empfindlichkeit der Zellen für die toxophore Gruppe des Giftes oder auf andere Weise auch eine erworbene histogene Immunität zu- stande kommen. Demgegenüber ist die humorale antitoxische Immunität fast stets eine erworbene und verdankt ihre Entstehung entweder direkt oder indirekt fast ausschließlich jenen Regenerationsvorgängen, welche wir bei Besprechung der Eurtıchschen Seitenkettentheorie näher geschildert haben. Die bei den humoralen Formen der Giftimmunität im Blute zirku- lierenden Antitoxine können nun aber doppelter Herkunft sein. Ent- weder stammen sie nämlich aus den Zellen und Geweben des- selben tierischen Organismus, welcher ihnen seine Giftfestig- keit zu verdanken hat oder aber ihr Ursprungsort ist in einem fremden Individuum gleicher oder anderer Spezies zu suchen, und sie sind erst sekundär auf irgend einem Wege in die Blutbahn des betreffenden Tieres gelangt. Es sind dabei im letzteren Falle — wenn wir von der experi- mentellen, also künstlichen Einverleibung fremder Antitoxine durc intravenöse, subkutane oder intraperitoneale Injektion absehen, — be sonders zwei verschiedene Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, wie unter natürlichen Verhältnissen eine solche Übertragung von Antitoxine zustande kommen kann. Einmal kann sie nämlich bereits im in- trauterinen Leben stattfinden und auf dem Wege durch die Pla- zenta erfolgen; dann aber kann der Übertritt der Antitoxine auch durch die Darmwandungen des neugeborenen Tieres vermittel werden, das von der Mutter antitoxinhaltige Milch geliefert bekommt. Was zunächst die plazentare Übertragung der Antikörper be- Aufmerksamkeit gewidmet und hat gezeigt, daß aktiv immunisierte Muttertiere — es handelte sich um Meerschweinchen — die Agglutinine fast regelmäßig auf die Föten übergehen lassen. Sämtliche Junge desselben Wurfes zeigten dabei den gleichen Antikörpergehalt, der dem des mütter- lichen Blutes um so näher kam, je weiter die immunisierende Injektion vor dem Momente der Geburt zeitlich getrennt war. Dieser Übertritt deı Antikörper durch die Plazenta erfolgte übrigens auch dann, wenn de normalen, nicht vorbehandelten Muttertieren antikörperhaltiges Immun- XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität, 307 serum eingespritzt wurde, so daß also eine etwaige aktive Mitbeteiligung der Föten an der Antikörperproduktion, an die man mit Rücksicht auf manche Beobachtungen beim Menschen denken konnte, hier vollkommen ausgeschlossen ist. Über die Vererbung der Immunität durch Säugung hat be- Übertragung reits vor vielen Jahren EHrLicH grundlegende und hochinteressante Ver- suche veröffentlicht, die unter dem Namen der „Ammenversuche“ bekannt geworden sind. Diese Experimente, die mit Mäusen angestellt wurden, welche gegen Rizin und Abrin hochimmunisiert waren, hatten folgende Anordnung. Es wurde dafür Sorge getragen, daß eine hoch- immune und eine Kontrollmaus ungefähr zu gleicher Zeit befruchtet garden, was sich in einem größeren Zuchtbetriebe natürlich leicht er- möglichen läßt. Nach erfolgtem Wurf wurden dann die Mütter vertauscht, so daß also die Jungen des Immuntieres eine normale Amme bekamen, die Jungen der Kontrollmaus dagegen die immunisierte Amme, und es wurde dann nach einiger Zeit die Giftfestigkeit der jungen Tiere experimentell geprüft. Dabei zeigte sich nun, daß diejenigen Säug- linge, welche der immunisierten Amme unterlegt worden waren, einen relativ hohen Grad von Giftfestigkeit erworben hatten; dagegen hatte das Kind der hochimmunen Mutter während der Säugung an der indifferenten Amme beträchtlich an Immunität eingebüßt, so daß sich die Giftfestigkeit dieser beiden Gruppen von Tieren etwa 10:1 verhielt. Damit ist aber mit aller Sicherheit bewiesen, „daß in der Tat die Milch als solche imstande ist, dem saugenden Organismus Antikörper zuzu- führen und ihm eine hohe, mit der Dauer der Säugung wach- sende Immunität zu verleihen“. Wie bedeutende Werte dieselbe dabei annehmen kann, das beweisen die analogen, mit tetanusimmunen Mäusen angestellten Versuche Enrrichs, bei denen durch die Lak- \tation eine mindestens 1200fache Immunität erreicht wurde. | Es scheint nach Versuchen von RömER und Muca, daß die ‚Durchlässigkeit der Darmschleimhaut des Neugeborenen für die Anti- Itoxine bei weitem größer ist als die erwachsener Individuen und daß /es einen Unterschied macht, ob die Antitoxine mit der Muttermilch zugeführt werden, also aus einem artgleichen Organismus stammen, loder ob sie in Form eines fremdartigen Immunserums dargereicht /werden. Beim Menschen dürfte übrigens unter physiologischen Ver- |hältnissen weder die Übertragung der Antikörper durch Säugung noch der plazentare Übertragungsmodus eine besondere Rolle spielen. Da sich in allen diesen eben besprochenen Fällen der Organismus lediglich rezeptiv und passiv verhält und seine Immunität nicht seiner eigenen Anstrengung verdankt, sondern gewissermaßen nur die Früchte fremder Arbeit einheimst, hat EnurLich, wie wir bereits wissen, diese /Form der Immunität als passive bezeichnet und ihr als Gegensatz /die aktive gegenüber gestellt, bei der die Schutzstoffe als Produkte der Jeigenen reaktiven Tätigkeit des Organismus entstehen und an das Blut \abgegeben werden. Auch den näheren Mechanismus dieser humoralen antitoxischen /Immunität haben wir bereits zur Genüge erörtert und gesehen, daß das im Kreislaufe befindliche Antitoxin das zur Resorption gelangte Toxin |sofort an sich fesselt, neutralisiert und auf diese Weise unfähig macht, Jauf die giftempfindlichen Zellen einzuwirken. Es ist selbstverständlich, daß dieser Mechanismus für die aktive Immunität genau der gleiche ‚sein muß, wie für die passive, da es ja im allgemeinen für sein 20* durch Säugung. Aktive und passive Im- munität. Unterschiede zwischen aktiver und passiver Immuni Ver- schwinden fremder Antikörper aus dem Blut. Wirkung der Prä- zipitine. ‚ voraussetzt, “durch eine ganz außerordentliche Stabilität ausgezeichnet 308 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. Funktionieren gleichgültig sein muß, ob das giftablenkende Antitoxin in demselben oder in einem fremden Tierleibe erzeugt wurde. Nichtsdestoweniger ist jedoch leicht einzusehen, daß in anderer Beziehung ein sehr bedeutender praktischer wie theoretischer Unter- schied zwischen diesen beiden Formen der Immunität bestehen muß. Während nämlich die aktive Immunität, die ja eine tiefgreifende Veränderung und Umstimmung des Stoffwechsels gewisser Zellgebiete erscheint und monate-, ja selbst jahrelang anhalten kann, ist die | passive Giftfestigung stets von relativ kurzer Dauer, da das einge- führte Antitoxin ja mit der Zeit durch die verschiedenen drüsigen Or- gane zur Ausscheidung gelangt oder auch im Organismus selbst zer- stört wird, ohne daß neues Antitoxin von den betreffenden Zellen nach- geschafft würde. | So hat Enrrıch z. B. beobachtet, daß eine Maus, die infolge der Einspritzung von 3,5 ccm hochwirksamen Antirizinserums eine passive, Immunität von ungefähr 1300 erlangt hatte, 39 Tage später bereits nach Injektion der zweifach tödlichen Rizindosis in typischer Weise zugrunde” ging, so daß man also annehmen muß, daß in dieser Zeit die große Menge des zugeführten Antitoxins fast vollständig aufgebraucht worden” Impfschutz sogar noch erheblich kürzere Zeit — etwa 10-14 Tage — an und pflegt nur dann von etwas größerer Dauer zu sein, wenn das eingespritzte Immunserum von einem Tiere der gleichen Spezies her- rührt, der auch das zu immunisierende Individuum angehört. Offenbar sucht sich eben der Organismus von den einverleibten fremdartigen energischer zu befreien, als von dem gleichartigen Blutserum. MapsEn hat übrigens gezeigt, daß das Verschwinden der Antikörper gesetzmäßig und nach einer mathematischen Formel vor sich geht, die’ besagt, daß die Geschwindigkeit des Abfalls in jedem Momente pro portional einer Potenz der momentanen Konzentration der Antikörpe im Blutserum ist, also: Abfallsgeschwindigkeit — Konst. X (Konzentration) " wobei der Exponent n für verschiedene Tierspezies und verschiedene Antikörper verschiedenen Wert besitzt. Für die Zerstörung der Anti- körper im menschlichen Körper z. B. fand Mapsen in vielen Fällen n=—2. So interessant diese Berechnungen und Beobachtungen von MapsEn auch sein mögen, so wenig geben sie uns Aufschluß übeı das eigentliche Wesen des besprochenen Vorgangs, weshalb wir nich näher auf sie eingehen wollen. Wohl aber müssen wir einer Reihe von anderen Experimenten gedenken, welche gerade den Mechanis mus des Verschwindens der Antikörper aus dem Blute klarzulegen suchen. Wie nämlich Deune und HAmBURGER und im Anschluß da SACHAROFF nachgewiesen haben, spielt bei diesem Vorgange das Auf- treten von Präzipitinen, die das eingespritzte Immunserum auszufäller vermögen, eine wichtige Rolle. Denn es hat sich gezeigt, daß das Verschwinden des einverleibten Antitoxins mit dem Eintretet der Präzipitinreaktion im Serum des passiv immunisierten Individuums vollkommen parallel geht und daß auch in vitro ein vom Pferde herstammendes Tetanusantitoxin durch präzipitierende - v ” “ n - et u zer g. 3 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 309 Antipferdeserum ausgefällt werden kann. Man erklärt sich diese Tat- sache durch die gewiß plausible Annahme, daß die Antitoxine eben an jenen Bestandteilen des Serums haften, welche Präzipitinbildung auszulösen vermögen, und daß sie daher bei der Entstehung der spezifischen Niederschläge mitgerissen werden. — Unter diesen Um- ständen erscheint es sehr begreiflich, daß das Verschwinden des ein- geführten Antitoxins ganz besonders rasch bei solchen Individuen vor sich geht, die bereits vorher einmal eine Einspritzung von normalem oder von Immunserum der betreffenden Tierspezies erhalten hatten und die infolgedessen viel rascher mit Präzipitinbildung zu reagieren vermögen, als nicht vorbehandelte Individuen (vgl. Vorlesung XT). So war z. B. nach SaAcHARoFF der Antitoxingehalt des Serums bei einem mit normalem Pferdeserum vorbehandelten Kaninchen einige Tage nach der Antitoxineinspritzung 15mal niedriger, als bei dem nicht vorbehandelten Kontrolltiere, das dieselbe Menge von Diphtherieantitoxin erhalten hatte, Andererseits wird auch die längere Haltbarkeit des Immunserums, das von der gleichen Tierspezies herrührt, von diesem Gesichtspunkte aus leicht verständlich, da ja in solchem Falle die Präzipitinbildung ausbleibt. Die große praktische Bedeutung dieser Verhältnisse liegt auf der Hand./7}) Ist also die Schutzwirkung, die durch die passive Immunisierung erzielt wird, stets von erheblich kürzerer Dauer, als die der aktiven, so hat sie doch andererseits den großen Vorteil vor ihr voraus, dab sie bei weitem rascher einsetzt und daß es nicht. wie bei jener, mehrere Tage erfordert, bis genügende Antitoxinmengen produziert und an das Blut abgegeben sind, um eine deutliche Giftfestigung hervorzurufen. Handelt es sich also im speziellen Falle darum, mög- lichst rasch hohe Immunitätsgrade zu erreichen, so wird man sich zweckmäßig der passiven Immunisierung be- dienen. Will man jedoch eine möglichst andauernde Gift- festigung erzielen, so wird man zweifellos zur aktiven Immunisierung greifen müssen, wenn man nicht vorzieht, beide Verfahren miteinander zu kombinieren."| Noch in einer anderen Hinsicht unterscheiden sich aktive und passive Immunität sehr wesentlich voneinander. Ist nämlich aus dem passiv immunisierten Organismus einmal alles Antitoxin verschwunden und eliminiert, so verhält sich derselbe einer erneuten Toxinzufuhr gegenüber nicht anders wie ein normaler Organismus. Die passive Immunität ist also mit dem Antitoxin, ohne Spuren zu hinter- lassen, einfach verloren gegangen. | Ganz anders liegen die Verhältnisse hingegen bei der aktiven Immunität. Wartet man nämlich bei einem aktiv immunisierten Tiere jenen Zeitpunkt ab, wo sich keine Antikörper mehr im Blutserum vor- finden, so ist dasselbe, wie v. DuNGERN gezeigt hat, durchaus noch nicht als normal zu betrachten, da es auf eine neuerliche Zufuhr der betreffenden Antigene nicht nur rascher mit der Produktion von Antikörpern zu reagieren vermag, als normale, nicht vorbehandelte In- dividuen, sondern auch absolut größere Mengen derselben erzeugt, und da es die im Blute zirkulierenden Antigene viel schneller an die Ge- webe verankert bezw. zerstört, als vor der Immunisierung. Auch wenn die aktiv immunisierten Tiere also aufgehört haben, Antikörper zu erzeugen, wenn der hierzu erforderliche Reizzustand der Gewebe abgeklungen ist, bleiben somit wichtige Veränderungen im Organismus zurück, die ohne Zweifel für den Verlauf einer neuer- Wahl der passiven oder aktiven Immuni- sierung. 310 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. lichen Infektion oder Intoxikation von größter Bedeutung sein müssen, da sie ihn instand setzen, sich außerordentlich rasch wieder zu der ursprünglichen Höhe der aktiven Immunität zuer- heben. ; Man wird diesen veränderten Zustand der immunisierten Tiere, der zwar an und für sich keine Schutzwirkung zu entfalten vermag, in dem aber dennoch gesteigerte Abwehrkräfte schlummern, Latente vielleicht nicht unzweckmäßig als latente und potentielle Form re der antitoxischen Immunität bezeichnen können, die rasch in die manifeste Form übergeht, sowie der Anstoß zur Antitoxinproduktion gegeben’ wird. Natürlicherweise stellt auch diese latente aktive Immunität nur eine Steigerung der schon bei normalen Tieren vorhandenen Fähigkeit dar, Antitoxin zu produzieren. Es ist jedoch leicht einzusehen, daß gerade unter den Verhältnissen, die bei den natürlichen Infektions- krankheiten obwalten, bei denen ja nicht, wie bei unseren Laboratoriums- experimenten, große Toxinmengen auf einmal in den Kreislauf gelangen, sondern die von den Mikroorganismen produzierten Giftstoffe nur lang- sam und nach Maßgabe ihrer Entstehung resorbiert werden — daß unter diesen Verhältnissen eine Beschleunigung und Steigerung der antigenetischen Reaktion des Organismus ein besonders wertvolles Hilfs- mittel im Kampfe mit den Infektionserregern darstellen muß. Denn je schneller der Organismus imstande ist, sich gegen die ersten resor- bierten Toxinspuren zu immunisieren, je größer der Antitoxinüberschuß ist, den er gegen die Giftwirkung der Mikroorganismen zu mobilisieren vermag, desto weniger werden seine Gewebe unter ihr zu leiden haben und desto größer werden die Chancen sein, daß der Infektionsprozeß in Genesung übergeht, bezw. bereits im Keime erstickt wird. | Schließt man sich der gewiß sehr plausiblen Auffassung von v. DuUNGERN an, nach welcher die vermehrte Bindungsfähigkeit der Ge- webe aktiv immunisierter Tiere auf die Neubildung spezifischer Rezep- toren in deren Zellen zurückzuführen ist, so könnte diese Veränderung‘ übrigens auch noch in anderem Sinne für diese Tiere von größtem Nutzen sein. Sitzen nämlich die neugebildeten Rezeptoren hauptsächlich an weniger lebenswichtigen und vor allem an weniger giftempfänglichen Zellterritorien, so werden sie im Falle einer erneuten Toxin- zufuhr nach genau dem gleichen Mechanismus giftablenkend wirken müssen, den wir früher, bei Besprechung des Typus 3 unseres Schemas, ausführlich erörtert haben. Die nach Ablauf der Immunisierung und nach dem Verschwindi des Antitoxins aus dem Blute zurückbleibenden Veränderungen lassen sich demgemäß, soweit sie das Verhältnis der Gewebe und Zellen zu dem Toxin betreffen, in doppelter Weise charakterisieren. Erstens kann nämlich durch die an geeigneter Stelle eingetretene Neubildung spezifischer Rezeptoren eine erworbene histo- gene Immunität geschaffen worden sein, zweitens aber hat eine Erhöhung der antitoxinbildenden Fähigkeiten des Orga- nismus stattgefunden, es hat sich, wie wir uns ausgedrückt haben, eine latente Immunität ausgebildet, die jeden Augenblick in die manifeste Form umgesetzt werden kann, indem es nur einer geringen Toxinzufuhr bedarf, um außerordentlich rasch große Antitoxinmengen entstehen zu lassen. Damit hätten wir die verschiedenen Mechanismen der antitoxischei XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 311 Immunität, soweit sie heute bereits unserem Verständnis zugänglich er- scheinen, so ziemlich erschöpft, und wir wollen sie nur nochmals, in übersichtlicher Form, tabellarisch zusammenstellen. Es ergibt sich dann das folgende Schema: Antitoxische Immunität. I. Histogen. A. Durch Rezeptorenmangel a) angeboren, b) erworben (Rezeptorenschwund). B. Durch Unempfindlichkeit für die toxophore Gruppe des Giftes a) angeboren, b) erworben (?). C. Durch ablenkende Wirkung unempfindlicher Gewebe a) angeboren, b) erworben. (Entstehung neuer Rezeptoren in unempfäng- lichen Geweben.) II. Hämatogen. A. Aktiv. a) Manifeste Form: Reichliche Anwesenheit von Antitoxin im Blut, b) latente Form: Kein Antitoxin, aber gesteigerte Fähigkeit, solches zu produzieren. B. Passiv. Die Übertragung erfolgt a) durch die Plazenta, b) durch Säugung, c) experimentell durch Injektion. Damit könnten wir diesen Gegenstand verlassen und uns der Be- sprechung der antibakteriellen Immunität zuwenden, wenn nicht das früher erwähnte Phänomen des Rezeptorenschwundes wegen seiner Rezeptoren- besonderen biologischen Bedeutung noch einer kurzen Erörterung be- "und. dürftig wäre. Zuerst sind EHRLICH und MOoRGENROTH bei ihren Isolysinstudien auf diese wichtige Erscheinung aufmerksam geworden. Diese beiden Forscher fanden nämlich, daß das Blut einer Ziege, das sich für ein bestimmtes Isolysin sehr empfindlich gezeigt hatte, nach einigen Wochen vollkommen resistent gegen dasselbe geworden war, und zwar, wie sich durch Bindungsversuche leicht feststellen ließ, infolge des voll- kommenen Verlustes jener Rezeptoren, welche früher den Zwischen- körper des Isolysins verankert hatten. Analoge Tatsachen haben dann KosseL, Camus und GLEY und TenıstovitcH bei den Erythrozyten von Kaninchen beobachten können, die gegen das giftige Aalserum immunisiert worden waren. Während nämlich die roten Blutkörperchen der normalen Kaninchen durch dieses heftige Blutgift sehr energisch zerstört werden, zeigten sich die Erythro- zyten der immunisierten Tiere, auch wenn sie in völlig antitoxin- freier Flüssigkeit suspendiert wurden, absolut unempfindlich dafür und hatten ihre giftbindenden Eigenschaften vollkommen eingebüßt. Es hatten somit diese Tiere neben ihrer ausgesprochenen humoralen anti- toxischen Immunität auch eine sehr deutliche histogene oder zellu- läre Immunität erworben, und zwar, wie man sieht, auf dem Wege des Rezeptorenschwundes. | Noch leichter und bequemer als an diesen immerhin exzeptionellen Fällen lassen sich jedoch die Erscheinungen des Rezeptorenschwundes „Rezep- toren- schwund* bei Bak- terien. 312 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. an niederstehenden pflanzlichen Organismen, vor allem an den Bakterien studieren. Daß Bakterien, welche längere Zeit in spezifischem Immunserum fortgezüchtet werden, ihre Agglutinierbarkeit mehr oder weniger voll- ständig verlieren können, haben Ransom und Kırasnıma und späte WALKER an Üholeravibrionen und Typhusbazillen beobachten können, P. Tu. MÜLLER hat dann den Mechanismus dieser Veränderung näher untersucht und hat gefunden, daß mit der Abnahme der Agglutinier barkeit dieser Bakterien auch eine Verminderung ihrer Bindungsfähigkeit für die spezifischen Agglutinine einhergeht. In EurricHhs Sprache aus- gedrückt heißt dies aber, daß eine Verminderung der Zahl der Rezep- toren, an welchen diese Antikörper anzugreifen pflegen, kurz, ein Rezeptorenschwund eingetreten ist oder daß die Affinitäten dieser Rezeptoren zu den ihnen entsprechenden Anti- körpern eine wesentliche Abschwächung erfahren haben. Welche dieser beiden Eventualitäten tatsächlich vorlag, ließ sich allerdings begreiflicherweise hierbei nicht entscheiden. Es sei ge- stattet, einen derartigen, genau quantitativ durchgeführten Versuch de Anschaulichkeit halber hier wiederzugeben. Ein und derselbe Typhusstamm wurde einerseits auf gewöhnlicher Nährbouillon, andererseits auf der 50fachen Bouillonverdünnung eines Immunserums vom Wirkungswerte 1:20000 gezüchtet, so daß also zwei verschiedene Varietäten erhalten wurden, die in der nachfolgender Tabelle als Typhus s (Serum) und Typhus b (Bouillon) bezeichnet sind. Nach einer Anzahl von Überimpfungen — in unserem Falle handelte es sich um die 16. Generation — wurde dann sowohl die Agglutinier- barkeit als de Bindungsfähigkeit der beiden Stämme quanti tativ miteinander verglichen. Letzteres geschah in der Weise, daß die agglutinierten Bakterien beider Varietäten durch die Zentrifuge vor ihrer Suspensionsflüssigkeit getrennt wurden, worauf diese dann durch Zusatz einer bestimmten Quantität gewöhnlicher, in Bouillon gezüchteter Typhusbazillen auf ihren restlichen Agglutiningehalt geprüft wurde War tatsächlich die Absorptionsfähigkeit der beiden Varietäten eine verschiedene, so mußten also auch verschieden große Agglutininmengen in den ent sprechenden abzentrifugierten Flüssigkeiten zurück- geblieben sein und diese somit einen sehr ungleichen Agglutinationstiter aufweisen. Agglutiningehalt der Flüssigkeit nach Absorption mit es: Tyb Tys Tyb 1: 100 1:10 000 2000 200 Agglutinierbarkeit des Stammes Betrachtet man nun die ersten zwei Stäbe dieser Tabelle, so e@ kennt man sofort die beträchtliche Differenz, welche zwischen den beiden Varietäten in bezug auf ihre Agglutinierbarkeit besteht. Aber auch die letzten beiden Stäbe, welche den Agglutiningehalt der Suspensions flüssigkeiten nach erfolgter Absorption durch die beiden Bakterien: varietäten angeben, zeigen bedeutende Unterschiede. Es hatter nämlich die im Serum gezüchteten Bazillen etwa 10ma XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 313 so viel Agglutinin in der Flüssigkeit zurückgelassen, als die normalen, in Bouillon kultivierten, mit anderen Worten, die Bindungsfähigkeit der ersteren war erheblich geringer, als die der letzteren. Diese Tatsache entbehrt übrigens, abgesehen von ihrem großen theoretischen Interesse, auch nicht aller praktischen Bedeutung. Denn da, wie wir gesehen haben, der längere Kontakt des T'yphusbazillus mit den spezifischen Agglutininen zu einer Verminderung seiner Agglutinier- barkeit führt, so darf man erwarten, daß ähnliche Vorgänge sich auch im Organismus des Typhuskranken abspielen werden, der ja im Verlauf seiner Krankheit reichliche Agglutininmengen produziert. In der Tat ist denn auch häufig beobachtet worden, daß direkt aus dem Blute oder aus den Organen von Typhusleichen gezüchtete Ba- zillen sich anfangs vollkommen indifferent gegen das spezi- fische Serum verhielten, allmählich aber, bei wiederholter Über- tragung auf unsere gebräuchlichen Nährböden, ihre Agglu- tinierbarkeit vollkommen wiedererlangten und sich daher auch in dieser Beziehung wie in ihrem kulturellen und morphologischen Ver- halten als echte Typhusbazillen dokumentierten. Man wird hieraus mit Notwendigkeit die praktische Konsequenz ziehen müssen, daß es nicht angeht, auf Grund eines negativ ausgefallenen Agglutinations- versuches bei einer frisch isolierten typhusähnlichen Kultur von vornherein die Diagnose auf Bakt. typhi abzulehnen, sondern daß man erst versuchen muß, durch eine Reihe von Über- impfungen die etwa verloren gegangene Agglutinationsfähigkeit wieder- herzustellen, ehe man zu einem abschließenden Urteil berechtigt ist. Auch die Empfindlichkeit für die bakteriziden Serumwirkungen ist nach Versuchen von EisEnBERG bei den frisch aus dem Organismus isolierten Bakterien geringer als bei länger im Laboratorium fort- gezüchteten Stämmen. Noch interessanter sind jedoch die Beobach- tungen, die EHkLich mit RöntL und GULBRANSEN an Trypanosomen machen konnte. Behandelt man nämlich Versuchstiere, die mit einer bestimmten Trypanosomenart infiziert wurden, mit einer Dosis von Arsanil, Arsazetin oder von Arsinophenylglyzin, die nicht vollkommen dazu hinreicht, die Trypanosomen sämtlich abzutöten, so verschwinden dieselben für einige Zeit aus dem Blute und es kommt zur Bildung spezifischer trypanozider Antikörper. In den Organen der Tiere bleiben jedoch noch vereinzelte Mikroorganismen zurück, die sich allmählich an die im Serum enthaltenen Antistoffe anpassen, serumfest werden, und dann nach einiger Zeit wieder ins Blut einbrechen und den Tod der Tiere herbeiführen. Diese Serumfestigkeit des „‚Rezidivstammes‘“ kann viele Monate hindurch bei fortwährenden Passagen durch normale Tiere erhalter. bleiben, und äußert sich unter anderem auch darin, daß er Tiere, die die Infektion mit dem primären Trypanosomenstamm überstanden haben und gegen ihn immun geworden sind, gleich schnell zu töten vermag, wie normale Versuchstiere. Wie man annehmen darf, haben also die Rezidivparasiten ihre Rezeptoren für die Antikörper, die den Ausgangsstamm ab- zutöten vermögen, vollkommen eingebüßt. Gleichzeitig muß aber noch eine andere wichtige Veränderung bei der Anpassung der Parasiten an die trypanoziden Antikörper eingetreten sein. Es gelingt nämlich mit Beihilfe der früher genannten Stoffe, Tiere auch von der Infektion mit dem Rezidivstamme der Trypanosomen zu Inaggluti- nable Typhus- stämme. Serumfeste Trypano- somen- stämme, 314 XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. heilen und gegen ihn immun zu machen. Infiziert man diese Tiere nun aber mit dem primären Stamme, so kann man die über- raschende Entdeckung machen, daß sie dieser Infektion ohne weiteres erliegen, daß also mit anderen Worten diejenigen Antikörper, die gegen den Rezidivstamm wirksam sind, den Ausgangsstamm ganz unbeeinflußt lassen. Man kann sich diese Tatsache wohl kaum anders erklären als durch die Annahme, daß in dem Rezidivstamme bei der Anpassung an die Antikörper der primären Infektion nicht nur gewisse Rezeptoren zugrunde gegangen sein müssen, daß also nicht nur ein Rezeptoren- schwund eingetreten ist, sondern daß gleichzeitig auch ganz neue Rezeptortypen entstanden sein müssen, die dem pri- mären Stamme gefehlt hatten. Aus allen diesen Beobachtungen geht wohl zur Genüge hervor, welche wichtige Rolle der Rezeptorenschwund bezw. der Aviditätsverlust unter Umständen als Schutz- und Regulationsvorrichtung des tierischen oder pflanzlichen Organismus zu spielen vermag, und wir müssen uns nur noch fragen, auf welche Weise derselbe zustande kommen dürfte, ‚Thooria dee Auch hierfür ist es nicht schwer, an der Hand der Enrtıchschen schwundes. Seitenkettentheorie eine plausible Erklärung zu finden. Züchten wir nämlich — um bei einem der besprochenen Beispiele zu bleiben — Typhus- bazillen längere Zeit hindurch in spezifischem Immunserum, so werden die betreffenden Rezeptoren dieser Mikroorganismen naturgemäß unter dem beständigen Einfluß der Antikörper des Serums stehen und mit ihnen in innige Verbindung treten müssen. Da nun nach Enrrıcas Anschauungen diese Rezeptoren eine wichtige Rolle bei der Ernährung und bei den normalen Stoffwechselvorgängen des Bazillus zu spielen haben, so ist klar, daß ihre dauernde Besetzung durch Agglu- tinine oder andere Antikörper einer dauernden Ausschaltung ihrer physiologischen Funktionen gleichkommen muß. Nun scheinen die Bakterien nach allem nicht die Fähigkeit zu besitzen, sich dieser untauglich gewordenen Rezeptoren in ähnlicher Weise zu ent- ledigen, wie die Zellen der höheren Tiere. Eine echte Antikörper- produktion ist bei ihnen bis jetzt wenigstens noch nicht einwandfrei nachgewiesen worden. Unter diesen Umständen liest aber die Vor- stellung gewiß sehr nahe, daß diese außer Funktion gesetzten Rezep- toren allmählich einer Art von Inaktivitätsatrophie verfallen müssen, indem sie infolge ihrer Okkupation durch die Agglutinine auf die Stufe von überflüssigen Zellanhängseln herabsinken. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse nach der Anschauung von EHRLICH auch bei dem früher besprochenen Beispiele der Trypanosomen. Wie durch be sondere Experimente wahrscheinlich gemacht werden konnte, wirken nämlich die Trypanosomenantikörper keineswegs an sich schädigend oder abtötend auf die Parasiten ein. sondern sie scheinen dieselben nur dadurch zu beeinflussen, daß sie ihnen durch Besetzung lebenswichtiger Protoplasmagruppen die Zufuhr und Verarbeitung der Nah- rungsmittel abschneiden und unmöglich machen. Es ist ein- leuchtend, daß die Parasiten diesen antinutritiven, einen Hungerzustand des Protoplasmas hervorrufenden Antikörpern nur dann erfolgreichen Wider- stand entgegensetzen können, wenn es ihnen gelingt, für die außer Funktion gesetzten und atrophierten Rezeptoren Ersatz zu schaffen und durch Aus- bildung neuer, nicht zu diesen Antikörpern passender Rezeptortypen den Stoffwechsel aufrecht zu erhalten, eine Überlegung, die eine sehr plausib XIX. Die Formen der antitoxischen Immunität. 315 Erklärung für die früher mitgeteilten interessanten Befunde Enruicns darbietet. Enruich ist übrigens der Überzeugung, daß diesen antinutri- tiven Immunkörpern, den Atrepsinen, wie er sie nennt, auch sonst eine überaus wichtige Rolle in der Biologie zukommen dürfte. Etwas anders wird man sich dagegen in manchen Fällen den Vor- Theorie des > ° K ne Rezeptoren- gang des Rezeptorenschwundes bei den höher organisierten Lebe- gchwundes wesen, etwa beim Warmblüter, vorzustellen haben. Erinnern wir uns beim Warm- an das Beispiel der gegen Aalblut immunisierten Kaninchen, welche neben reichlicher Antitoxinproduktion einen deutlichen Rezeptoren- schwund an ihren roten Blutkörperchen erkennen ließen. Die Rezep- toren haben — so muß man mit EmkLıich annehmen — unter physio- logischen Verhältnissen die Aufgabe, ein bestimmtes Zwischenprodukt des normalen Stoffwechsels an sich zu fesseln und der weiteren Ver- arbeitung zuzuführen. Wird nun aber durch die Immunisierung mit einem Gifte, welches zufälligerweise zu den nämlichen Rezeptoren Be- ziehungen besitzt, ein Antitoxin erzeugt und in die Zirkulation gebracht, so wird dieses natürlicherweise nicht nur imstande sein, das Toxin an sich zu reißen und zu neutralisieren, sondern es wird auch dieses sup- ponierte Stoffwechselprodukt, das ja die gleiche haptophore Gruppe be- sitzen muß, wie das Toxin, verankern und auf diese Weise verhindern, an die Erythrozyten heranzutreten. Mit anderen Worten, das Antitoxin wird in diesem Falle nicht nur das Toxin, sondern auch dieses normale Zwischenprodukt von den Zellrezeptoren ablenken. Auch auf diesem Wege werden somit die betreffenden Rezeptoren dauernd außer Funktion gesetzt, und das Resultat wird das gleiche sein müssen wie früher: In- aktivitätsatrophie und Rezeptorenschwund. Literatur. METScHNIKoFF, Die Immunität bei Infektionskrankheiten. Übersetzt von J. Meyer, Fischer, Jena 1902. Roux und BorkeL, Ann, de l’Inst. Pasteur, Tome XII, 1898. Eartıcn, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XII, 1892. v. Dunsern, „Die Antikörper“. Fischer, Jena 1903. StäusLı, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXVI, 1904. Römer und Muca#, Jahrb. f. Kinderh., III. Folge, Bd. XIII und XIV. UFFENBEINMER, Jahrb. f. Kinderh., III. Folge, Bd. XIV. Mapsex, Festschrift VIII, Kopenhagen, zit. nach ArrHEnIUs, Immunochemie, EurLıch und MOoRGENROTA, Berl. klin. Wochenschr., III. Mitteilung, 1900. Kossez, Berl. klin. Wochenschr., 1898. Camus und GLey, Arch. intern. de pharmacodyn., 1898. Dies., Ann. de l’Inst. Pasteur, 1899. TokıstovitcH, Ann. de l’Inst. Pasteur 1899. Ransom und Kırasaıma, Deutsche med. Wochenschr., 1898. WaLker, Zentralbl. f. Bakt., 1. Abt., 1902. Mürrer, P. Te#., Münchn. med. Wochenschr., 1903. Eueric#h, Schlußbetrachtungen zu Nothnagels Handbuch, Bd. VIII, 1901. EisenBeEre, Zentralbl. f. Bakt., 1903. Eurticn, Münchn. med. Wochenschr., 1909. XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. Im Anschluß an die Erörterungen des vorigen Kapitels, die uns mit den wichtigsten Formen der Resistenzsteigerung gegenüber den Toxinen bekannt gemacht haben, müssen wir nun auch des nicht selten zu beobachtenden gegenteiligen Phänomens gedenken, des Phänomens der gesteigerten Giftempfindlichkeit, der sogenannten Überempfind- lichkeit. Möglich- Halten wir uns zunächst wieder an die Vorstellungen, die uns ne die Enkrichsche Theorie zur Erklärung der Giftwirkung an die Hand der Ehr gibt, so ist klar, daß es der Hauptsache nach drei verschiedene Mecha- Theorie aus. nismen geben wird, durch die eine Steigerung der Empfänglichkeit zustande kommen kann. Zunächst könnte es sich hierbei um eine Erhöhung der Empfindlichkeit jener Gewebe, die das Toxin zu verankern vermögen, für seine toxophore Gruppe handeln, ein Vorgang, der uns seinem Wesen nach einstweilen voll- kommen dunkel bleiben müßte, da wir ja derzeit nicht in der Lage sind, anzugeben, wodurch diese Empfindlichkeit bedingt wird und wie es kommt, daß die eine Art von Zellen durch die Verankerung des Toxins eine schwere Schädigung erleidet, während andere zellige Elemente trotz Absorption und Bindung der gleichen Giftmenge doch vollkommen | intakt bleiben. # Ferner wäre es denkbar, daß eine Steigerung der Giftempfindlich- keit dadurch zustande kommt, daß die Zahl der Rezeptoren, die an den empfindlichen Organen haftet, sich vermehrt, | oder daß wenigstens ihre Affinität zu dem Toxin zunimmt. Denn in dem Falle würde natürlich ein größerer Bruchteil des im Blute zirkulierenden Toxins durch diese Organe gebunden werden als sonst, und es würde daher bereits eine geringere Giftdosis ausreiobEug um die gleichen Vergiftungserscheinungen hervorzurufen. Endlich müßte auch eine Verminderung der an den unem- pfindlichen Geweben sitzenden Rezeptoren, die eine gift- ablenkende Wirkung entfaltet hatten, den gleichen Effekt haben, indem dann die Hauptmenge des eingeführten Toxins nicht mehr in gleichgültigen und widerstandsfähigen Organen gebunden würde, sondern direkt an die empfindlichen Stellen des Organismus gelangen müßte, um dort seine deletäre Wirkung auszuüben. a Das Phänomen der Überempfindlichkeit stellt sich nun nach den hochimmu. übereinstimmenden Beobachtungen der verschiedensten Autoren, unter »isierter denen nur v. BEHRING, KnoRR, RansoM, BRIEGER hier genannt sei mögen, besonders bei 'hochimmunisierten Tieren ein und äußert sich darin, daß dieselben trotz sehr bedeutenden Antitoxingehaltes ihres Blutserums oft schon nach relativ geringfügigen Giftdosen zugrunde gehen, 9 j' e und zwar unter den gleichen, typischen Vergiftungssymptomen, die sich an normalen, nicht vorbehandelten Tieren zu äußern pflegen. So war bei den Versuchen v. BEurınGs bereits bis „4, der tödlichen Dosis von Diphtheriegift imstande, die vorbehandelten Meerschweinchen unter den charakteristischen Erscheinungen zu töten. Da hierbei die Gesamtmenge des den Tieren beigebrachten Toxins nur etwa 0 der Dosis letalis minima betrug, so ist natürlich eine Erklärung dieser merkwürdigen Beobachtungen durch Annahme kumulativer Wirkungen von vornherein ausgeschlossen. Hingegen zeigten passiv immunisierte Tiere keine derartige Überempfindlichkeit, so daß man also wohl annehmen muß, daß die- selbe innig mit den bei der aktiven Immunisierung eintretenden Ver- änderungen zusammenhängen dürfte und zweifellos auf histogene und nicht auf rein humorale Ursachen zurückzuführen ist. Welcher der drei oben geschilderten Mechanismen tritt nun aber bei diesem merkwürdigen Phänomen der Überempfindlichkeit immuni- sierter Tiere in Kraft? Einen ersten Anhaltspunkt für die Beantwortung dieser Frage Übsremp- liefert uns zunächst die bereits erwähnte Tatsache, daß die Hyper- lichkeit bei hohem sensibilität bei Tieren zu beobachten ist, welche in ihrem Blutserum Antitoxin- große Antitoxinmengen führen. Da unter diesen Umständen das a eingespritzte Gift zweifellos reichlich Gelegenheit findet, mit dem zirkulierenden Antitoxin in Berührung zu treten und daher sicher neutralisiert wird, lange bevor es an die gift- empfindlichen Organe gelangt, so bleibt vom Standpunkt der Eurrichschen Theorie nur eine einzige Annahme zur Erklärung dieses paradoxen Phänomens übrig: die Annahme nämlich, daß jene Rezep- toren, welche an den giftempfindlichen Zellen haften, eine größere Affinität zu dem Toxin besitzen als das Antitoxin selbst und daß daher die neutrale Verbindung dieser beiden Antagonisten, die sich im Blute gebildet hat, in den betref- fenden Geweben wieder zerlegt wird. Da, wie P. Tu. MÜLLER gezeigt hat, Antikörper, die längere Zeit hindurch im Blut zirkulieren, tatsächlich eine beträchtliche Aviditätsverminderung erfahren, so liegt in dieser Annahme durchaus nichts Unwahrscheinliches. Dabei würde also das gebundene Antitoxin wieder in Freiheit gesetzt werden, das Toxin aber mit den avideren Gewebsrezeptoren in Verbindung treten, womit demnach alle Vorbedingungen für das Zustandekommen einer Giftwirkung erfüllt wären. Auf ähnliche Weise erklärt man auch das sog. KRETZsche „para- Kretzsches doxe Phänomen“. KRrETz zeigte nämlich, daß normale Tiere auf ein ?iromen- gewisses, genau äquilibriertes Toxin-Antitoxingemisch nicht reagieren, wohl aber Tiere, welche vorher gegen das betreffende Toxin aktiv immunisiert worden waren. Öffenbar hat also unter dem Einflusse der Immunisierung eine derartige Aviditätssteigerung der Gewebsrezeptoren stattgefunden, daß das eingespritzte neutrale Gemisch zerlegt und das Toxin an die Zellen gebunden wird. Unterstützend wird dabei ein gleichzeitig eingetretener Rezep- torenschwund in unempfindlichen Organen mitwirken können, durch den der oben geschilderte Mechanismus der Giftablenkung ausge- schaltet und die Bindung des Giftes auf die höchstempfänglichen Zell- territorien eingeschränkt wird. Daß ein derartiger Rezeptorenschwund XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 317 318 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. wirklich bei hochimmunisierten Tieren eintreten kann, dafür spricht die mehrfach beobachtete Tatsache, daß solche Tiere bei lange fort- gesetzter Behandlung mit dem Toxin schließlich in ein Stadium gelangen, wo sie kein Antitoxin mehr produzieren und auch ihre Gift- empfindlichkeit vollkommen verloren haben — sich also ganz ähnlich verhalten, wie etwa die Schildkröte gegenüber dem Tetanustoxin. Man wird wohl annehmen dürfen, daß in solchen Fällen die betreffenden, einseitig überanstrengten Zellgebiete schließlich die Produktion der ent- sprechenden Seitenketten vollkommen einstellen und sich vor der weiteren Belastung ihres Stoffwechsels durch definitive Abstoßung dieser hapto- phoren Gruppen zu schützen suchen. Eine Erhöhung der Giftempfindlichkeit in den betreffenden Nerven- zentren, sei es, daß es sich dabei um eine Vermehrung oder Aviditätssteigerung der sessilen Rezeptoren oder um andere lokale Veränderungen handle, muß wohl auch bei der von LoEwI und MEYER beschriebenen Form der Überempfindlichkeit angenommen werden. Nach diesen Forschern zeigen nämlich Kaninchen und Katzen, denen man geringe Mengen von Tetanusgift intraneural injiziert hatte und die infolge dessen einen leichten lokalen Tetanus überstanden hatten, bei nachfolgender subkutaner Vergiftung mit unterschwelligen Toxinmengen schweren lokalen, ja mitunter allgemeinen tödlichen Tetanus, eine Tatsache, die bei der Kleinheit der verwendeten Gift- dosen nicht als einfache Summationswirkung gedeutet werden kann, sondern, wie gesagt, auf eine unmittelbare Zustandsänderung der grauen Substanz des Rückenmarks hinweist. Tuberkulin- Noch eines anderen Beispiels von Überempfindlichkeit müssen wir gnremp-, an dieser Stelle Erwähnung tun, da sich dasselbe vielleicht ebenfalls zwanglos in das oben entwickelte Schema einfügen läßt, das die ver- schiedenen Entstehungsmöglichkeiten dieses Phänomens veranschaulichen sollte: wir meinen die lokale Überempfindlichkeit, die sich beim tuber- kulösen Menschen und Tiere vorfindet und die ja bekanntlich der Tuberkulinreaktion zugrunde liegt. Wie wir bereits seit Kocns ersten epochemachenden Mitteilungen wissen, ist diese Reaktion vor allem dadurch charakterisiert, daß tuberkulöses Gewebe schon auf ganz minimale Mengen von Tuberkulin oder von anderen Leibesbestandteile des Tuberkelbazillus mit heftigen Reizungs- und Entzündungserschein ungen antwortet, die bei normalem Gewebe erst durch unvergleich lich viel höhere Dosen hervorgerufen werden können, eine Tatsache, die sich sicher zum Teil durch die gesteigerte „allergische“ Reaktions- weise des erkrankten Gewebes erklären dürfte. Bedenkt mar nun, daß bei einem tuberkulösen Individuum schon 1 mg Tuberkulin subkutan beigebracht, hinreichen kann, um einen irgendwo im Körpeı befindlichen spezifischen Herd kräftig zu beeinflussen, und überlegt mar ferner, welche kolossale Verdünnung diese winzige Menge wirksameı Substanz in den Säften und Geweben eines etwa 75 kg schwerer Mannes erfahren muß, wie gering also die Tuberkulinmenge wäre welche Gelegenheit hätte, mit dem erkrankten Gewebe, z. B. einen Lupusknötchen, in Berührung zu treten, so drängt sich wohl ganz vor selbst die Überzeugung auf, daß das Tuberkulin auf irgend eine Weis von dem Krankheitsherde abgefangen und aufgespeichert werden mul und nur infolge dieser lokalen Konzentration zu so intensiver Wirkunj gelangen kann. Es glückte nun WAssErMANnN und BRUCK vor kurze der wichtige Nachweis, daß diese Überlegung tatsächlich das Richtig Ye XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 319 treffen dürfte und dab in tuberkulösen Organen spezifische Substanzen, Antikörper bezw. Rezeptoren, enthalten sind, welche Tuberkelbazillen- präparate zu binden vermögen; Substanzen, welche in normalen Organen nicht vorkommen. „Die Ursache der spezifischen Reaktion des tuberkulösen Gewebes besteht also nach der Anschauung der beiden genannten Forscher darin, daß der in demselben vorhandene Antikörper kraft seiner spezifischen Avidität das injizierte Tuberkelbazillenpräparat in den tuberkulösen Herd hineinzieht.“ Nach Wourr-Eisser hätte man dabei nur noch die weitere Annahme zu machen, daß diese Antituberkulin- substanzen den Charakter bakteriolytischer Ambozeptoren tragen, die aus den „Tuberkelbazillensplittern“ des eingespritzten Tuberkulins endotoxinartige Giftstoffe freimachen und dadurch eine erhöhte Gift- wirkung bedingen. Wie man sieht, entspricht dieser Mechanismus — wenn die ge- gebene Erklärung richtig ist — fast vollkommen dem zweiten Falle un- seres Schemas, bei welchem die Steigerung der Giftemp- findlichkeit durch Vermehrung der Rezeptoren be- dingt gedacht wird, die in den betreffenden Organen sitzen. Offenbar hätte man es hier also mit einem Beispiele „lokaler Anti- körperproduktion“ zu tun, welche jedoch nicht bis zu dem Stadium der Abstoßung der Seitenketten fort- geschritten wäre,sondernnurzur vermehrten Bildung sessiler Rezeptoren geführt hätte. Dementsprechend haben WASSERMANN und BrUcK das kreisende Blut tuberkulöser Menschen immer, dasjenige tuberkulöser Rinder und Meerschweinchen in der Mehrzahl der Fälle frei von „Antituberkulin‘* gefunden. Auch die zweifel- los feststehende Tatsache, daß es eine rein regionäre Tuber- kulinüberempfindlichkeit der Haut und Schleimhäute E>:; die sich z. B. bei oftmaliger Wiederholung der utanreaktion oder Ophthalmoreaktion, also bei Vor- gängen einstellt, die zu einer lokalen Immunisierung der betreffenden Gewebe führen müssen, steht mit dieser Auffassung in bestem Einklange. Wie man sieht, macht es also die Enrtıchsche Theorie möglich, sich wenigstens in einzelnen günstig gelegenen Spezialfällen eine plau- sible Vorstellung von dem Mechanismus des so paradoxen Phänomens der Überempfindlichkeit zu bilden. In der jüngsten Zeit hat man nun gerade dieses interessante (e- biet experimentell ganz besonders eifrig bebaut, und hat dabei eine Fülle von außerordentlich merkwürdigen Tatsachen gefunden, die uns mit einem ganz neuen T'ypus der Überempfindlichkeit bekannt gemacht haben. Da dessen Mechanismus von dem der bisher besprochenen Formen grundverschieden ist und da er nicht nur theoretisches Interesse /darbietet, sondern auch bereits zu großer praktischer Bedeutung gelangt list, so können wir das vorliegende Thema nicht verlassen, ohne uns auch mit diesen neuesten Forschungen eingehender beschäftigt zu haben. Ihren Ausgangspunkt nehmen die Studien über de Anaphylaxie |— so bezeichnet man nämlich die nun zu besprechenden Phänomene \der Überempfindlichkeit im Gegensatz zur Immunität oder Prophy- |laxie — von einer interessanten Beobachtung RıcHEts. Dieser For- |scher konnte nämlich aus den Tentakeln gewisser Aktinien einen eiweiß- Jartigen Stoff extrahieren, den er, seiner physiologischen Wirkung nach, als Aktinokongestin bezeichnete und der Hunde noch in der Ana- phylaxie. Richets Versuch mit Kongestin. Beschleu- nigter Krankheits- verlauf bei Reinjektion. lauf eines längeren Latenzstadiums unter Erbrechen, Diarrhöen und unter den Erscheinungen einer fortschreitenden Respirationslähmung zu töten vermochte. Auch bei intravenöser Applikation eines Multiplums der tödlichen Dose trat dabei niemals ein rascher Exitus ein, sondern der Tod erfolgte stets erst nach einigen Tagen. Ein ganz Ähnlich wirkendes Gift, das Mytilokongestin, konnte RıcHEr bald darauf aus den Miesmuscheln isolieren. Spritzt man nun geringe, d.h. subletale Dosen des Mytilokongestins in die Vena saphena von Hunden ein, so ruft dasselbe nach kurzer In- kubationsperiode Erbrechen hervor. Läßt man dann die vergifteten Tiere sich wieder erholen und ermittelt nach einer Reihe von Tagen neuerdings die brechenerregende Dosis, so findet man, daß sie nun- mehr ganz erheblich herabgesetzt ist und etwa nur mehr ein Viertel bis ein Fünftel des ursprünglichen Wertes be- trägt. Die Tiere sind also, mit anderen Worten, gegen die emetische Wirkung des Kongestins überempfindlich geworden. e (Ganz besonders interessant waren nun aber jene Versuche, bei denen die neuerliche Vergiftung der Tiere nicht wieder, wie bei der ersten Einspritzung, mit subletalen, bloß emetisch wirkenden Dosen des Kongestins erfolgte, sondern mit Dosen, welche eben dazu hinreichten, um den Tod herbeizuführen. Auch hier zeigte sich zunächst bei allen reinjizierten Tieren das bereits beschriebene Phänomen der gesteigerten (riftempfindlichkeit, indem bei ihnen die Dosis letalis des Aktinokongestins, die bei den unbehandelten Tieren im Mittel 0,078 g oder etwas darüber betrug, auf 0,0055—0,001, also etwa auf den zehnten Teil herabgesetzt erschien. Viel wichtiger ist jedoch noch die weitere Tatsache, daß da- bei der ganze Verlauf der Krankheitssymptome eine durchgreifende Veränderung erfahren hatte. Während nämlich, wie bereits angedeutet, bei den normalen, nicht vorbehandelten Versuchstieren die Krankheitserscheinungen erst nach Ablauf einer gewissen Latenzzeit zum Ausbruch kamen und der Tod niemals vor dem Ende des dritten Tages nach der Einspritzung des Giftes einzutreten pflegte, machten sich die Folgen der Rein- jektion fast momentan bemerkbar. Die Erscheinungen waren geradezu foudroyante; innerhalb weniger Sekunden begannen die Tiere zu erbrechen, wurden dyspnoisch und verfielen schließlich in einen Zustand lähmungsartiger Schwäche, der binnen 12—24 Stunden zum Tode führte. Diese Veränderung in der Reaktionsweise des Organismus schließt sich nicht sofort und unmittelbar an die erste Einspritzung des Kon- gestins an, sondern braucht zu ihrer Entwicklung eine bestimmte Zeit, tritt also erst nach einer gewissen Inkubationsperiode auf; der anaphylaktische Zustand erreicht dann nach Ablauf einer weiteren Frist emen gewissen Höhepunkt, um schließlich wieder ab- zuklingen und einer Phase gesteigerter Giftresistenz Platz zu machen. Die Vereinigung von gesteigerter Giftempfindlichkeit, die in der Herabsetzung der Dosis efficax bezw. der Dosis letalis zum Aus- druck kommt, mit dem überstürzten, fast ohne Inkubations- periode einsetzenden und meist rasch zum Tode führenden Ablauf der Krankheitssymptome bildet nun, wie wir im folgend sehen werden, auch das charakteristische Merkmal einer ganzen Rei von anderen anaphylaktischen Phänomenen. 320 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. minimalen Dosis von 0,0042 g pro Kilogramm Körpergewicht nach Ab- | Te XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 321 | Es hat sich nämlich bald herausgestellt, daß es sich bei den ‚soeben geschilderten Vorgängen nicht etwa um ein exzeptionelles Ver- halten des Aktinien- bezw. des Miesmuschelgiftes handelt, sondern um Erscheinungen von viel allgemeinerer biologischer Bedeutung, und dab es auch mit anderen, zum Teil giftigen, zum Teil aber auch vollkommen ungiftigen Stoffen gelingen kann, Anaphylaxie zu erzeugen. Das größte Interesse in dieser Beziehung beanspruchen wohl die Versuche mit artfremdem Serum. Wie nämlich Arrnus zuerst beobachtet hat, zeigen Kaninchen, die mit subkutanen Injektionen von Pferdeserum be- handelt werden, das sie zu Anfang selbst in großen Dosen anstands- los vertragen und in kurzer Zeit resorbieren, etwa nach der 4. oder 5. Einspritzung lokale Ödeme, Infiltrationen, ja selbst tiefgreifende Haut- nekrosen an der Injektionsstelle, also Erscheinungen einer intensiven Reaktion, welche — und dies ist von ganz besonderer Be- deutung — streng spezifisch ist. Denn spritzt man solchen, einigemale mit Pferdeserum behandelten Tieren das Serum einer an- deren Tierspezies oder etwa Milch oder Hühnereiweiß unter die Haut, so bleibt jede Reaktion aus. Daß diese durch die Vorbehandlung ent- standene Überempfindlichkeit dabei nicht etwa an den Ort der vor- bereitenden Serumeinspritzungen geknüpft ist, sondern offenbar auf einer allgemeinen Umstimmung bezw. Sensibilisierung des Organis- mus beruht, beweist die Tatsache, daß man die Tiere nicht nur durch subkutane, sondern auch durch intraperitoneale und intravenöse Ein- spritzungen in den gleichen Zustand versetzen kann. Schon ArTHUS hat ferner beobachtet, daß solche anaphylaktisch gewordene Kanin- ‚chen nach intravenöser Einspritzung des Serums oft binnen kürzester ‚Zeit unter dyspnoischen Erscheinungen, Diarrhöen, Krämpfen und \schließlich eintretenden Lähmungen zugrunde gehen. | Ganz außerordentlich viel häufiger und regelmäßiger sind jedoch | diese schweren, offenbar auf akute Giftwirkungen zurückzuführenden ! Krankheitssymptome bei Meerschweinchen beobachtet worden, die vor jeiniger Zeit mit Mischungen von Diphtherietoxin und Antitoxin be- |handelt worden waren. Tu. SuirH hat nämlich die Beobachtung ge- | macht, daß solche Versuchstiere, welche bereits einmal zur Auswertung | von Diphtherieantitoxin nach der uns bereits bekannten Enrticaschen | Methode benutzt worden waren, bei einem Versuche, sie zu einer neuer- lichen Wertbestimmung zu verwenden, statt, wie das erstemal am Leben zu bleiben, außerordentlich schnell unter charakteristischen Erscheinungen |eingehen. Orro, welcher das Smirusche Phänomen zum Gegenstand | umfassender Studien gemacht hat, schildert diese Erscheinungen folgender- | maßen: „Meist einige Minuten nach der Reinjektion beginnen die Tiere unruhig zu werden und sich heftig und lebhaft an ihren Pfoten zu }knabbern und an der Nase zu jucken, wie wenn sie an diesen Stellen einen unausstehlichen starken Juckreiz verspürten. Dieses krankhafte Jucken dauert in der Regel nur kurze Zeit, dann beginnt das Tier meist ziemlich plötzlich unter gesteigerter Unruhe eigentümlich zu würgen und sich im Käfig bald hier-, bald dorthin zu legen und schließlich an einer Stelle ermattet liegen zu bleiben. Wenn man es nun aufrichtet, ist es nicht mehr imstande, sich aufrecht zu halten. Meist erfolgt jetzt | gleich unter Erbrechen und Abgang von Kot und Urin eine Reihe schwerster stoß- und ruckweise auftretender Krampfanfälle, bei denen es häufig durch den ganzen Käfig geschleudert wird.“ Schließlich bleiben die Tiere auf der Seite liegen, ziehen den Kopf nach hinten, machen Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 21 Serum- anaphylaxie. Smith- sches Phänomen. Anaphylak- tischer Temperatur- sturz. 322 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie, Laufbewegungen und verenden nach vier oder fünf tiefen terminalen Atemzügen. Dieses ganze Krankheitsbild spielt sich meist innerhalb weniger Minuten ab. Freilich ist der Ausgang der Versuche durchaus nicht immer der gleiche, und es kann vorkommen, daß sich anscheinend in Agonie liegende Tiere überraschend schnell wieder erholen und voll- kommen gesund und munter erscheinen, um erst nach Wochen kachek- tisch zugrunde zu gehen. } In anderen Fällen sinddie Krankheitserscheinungen von vornherein viel weniger stürmisch, ja sie können sich unter Umständen auf ein einziges Symptom reduzieren, auf dessen allgemeine und prinzipielle Bedeutung zuerst H. PFEIFFER aufmerksam gemacht hat: nämlich auf einen kritisch einsetzenden an die Reinjektion sich anschließenden. Temperatursturz, der bis zu mehreren Graden betragen kann und ebenso wie die anderen anaphylaktischen Symptome streng spezifisch ist, weshalb er, wie wir noch sehen werden, mit Vorteil zur forensischen a Eiweißdifferenzierung herangezogen wurde. Jedenfalls gestattet die Be- obachtung der Körpertemperatur bei den Versuchstieren, feinste ana A phylaktische Krankheitserscheinungen selbst dann noch exakt nachzuweisen, wenn alle anderen Beobachtungsmetho- den im Stiche lassen, und gerade darin liest die große praktische Bedeutung der PFEIFFERschen Entdeckung. Um einen Be- griff von dem Verlauf der (durch rektale Messungen ermittelten) Temperaturkurve wäh- rend des anaphylaktischen Shocks zu geben, sei es gestaltet, einen von PFEIFFER und MITA publizierten Versuch als Beispiel hier wieder- zugeben, bei welchem es sich um ein Meer- 7° 2% 3% z» 5” g* schweinchen handelt, das eine minimale Menge Zeit nach der Reinjektion von Schweineserum injiziert erhalten hatte und a dann nach 16 Tagen mit !/, ccm desselben Fi De en Serums reinjiziert wurde (Fig. 20). Wie man sieht, ist der an die Reinjektion sich an- schließende Temperatursturz sehr deutlich ausgeprägt und beträgt in diesem Falle beinahe 5° C. Welche Rolle übrigens das Diphterietoxin bei dem Zustande- kommen des Suituschen Phänomens zu spielen hat, darüber sind der- zeit kaum Vermutungen möglich. Sicher feststehend scheint nur das eine zu sein, daß das Tooxin weder für sich allein imstande ist, diesen Zustand hervorzurufen, noch auch dazu unumgänglich notwendig ist, d es andererseits aber den Eintritt der Überempfindlichkeit wesentlich be- günstigt, und die Intensität der Krankheitssymptome erhöht. — Be- merkenswert ist noch, daß nicht alle Versuchstiere sich in gleicher Weise zu anaphylaktischen Experimenten eignen; jedenfalls ist das Meerschweinchen dasjenige Tier, das nicht nur am empfindlichsten für die anaphylaktischen Giftwirkungen ist, sondern auch die größte Kon- stanz und Gesetzmäßigkeit in seinem diesbezüglichen Verhalten aufwei weshalb es heute wohl von allen Versuchstieren am häufigsten benu wird, wo es sich darum handelt, genaue und besonders ziffernmäßige Resultate zu erhalten. Die eifrigen Anaphylaxiestudien der letzten Jahre haben uns nun nicht nur die Bedingungen genauer kennen gelehrt, unter denen ie. In u ’ XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie, 323 anaphylaktischen Erscheinungen eintreten und uns dadurch in die Lage versetzt, sie mit größerer Sicherheit hervorzurufen als dies früher mög- lich war, sondern sie haben uns auch noch mit einer großen Anzahl von weiteren Substanzen bekannt gemacht, mit denen es gelingt, Über- empfindlichkeit hervorzurufen. Erythrozyten, Milch, Harn, Schweiß, Galle, Extrakte von normalen menschlichen Organen oder von Neo- plasmen, Inhalt von Echinokokkenzysten, Extrakte aus höheren oder niederen Tieren, aus Pflanzen, speziell auch aus Bakterien, haben sich in dieser Beziehung von ähnlicher Wirksamkeit erwiesen, wie die er- wähnten Blutsera, so daß man heute wohl berechtigt ist, ganz allgemein die Behauptung aufzustellen, daß alle Eiweißantigene auch im- stande sind, Anaphylaxie zu erzeugen. Um diese Eigenschaft des- selben durch einen besonderen Namen zu charakterisieren, hat man sie dann in neuerer Zeit vielfach auch als Anaphylaktogene bezeichnet. Alle Anaphylaktogene rufen bei der Reinjektion die gleichen Krankheits- erscheinungen hervor, die wir früher, bei Beschreibung des Smit#schen Phänomens kennen gelernt hatten, und zwar ist ihre Wirkung im all- gemeinen eine spezifische, d. h. sie tritt nur dann ein, wenn zur Reinjektion dieselbe Eiweißart benutzt wird, die schon zur ersten, sensibilisierenden Einspritzung gedient hatte. | Wie aus der oben gegebenen Aufzählung der wichtigsten Anaphy- laktogene hervorgeht, brauchen dieselben von vornherein durchaus keine toxischen Wirkungen zu besitzen, ja es scheint sogar, daß die eigent- lichen, echten Toxine überhaupt nicht befähigt sind, Anaphylaxie zu erzeugen, sondern daß da, wo mit toxinhaltigen Bakterienkultur- filtraten positive Resultate erzielt wurden, nicht das Toxin, sondern die gelösten Bakteriensubstanzen als wirksames Prinzip anzusprechen sind. Neben den ungiftigen Anaphylaktogenen gibt es nun aber auch zweifellos eine Reihe von primär toxischen Eiweißkörpern, denen sensi- bilisierende Wirkung zukommt, wie das Aktinien- und Miesmuschelgift, mit dem, wie wir schon wissen, RICHET seine ersten Versuche angestellt hatte; das Aalserum; manche toxische Phytalbumine; die im Milchsaft von Hura crepitans, einer brasilianischen Euphorbiacee, enthaltene wirksame Substanz, das sogenannte Krepitin usw. Es ist einleuchtend, daß bei Experimenten mit diesen Stoffen nicht die reine Anaphylaxie- wirkung zutage treten wird, sondern daß sich dieselbe in mannig- faltiger Weise mit ihren primär toxischen Wirkungen kombi- nieren muß, ein Umstand, der gerade bei den ersten anaphylakti- schen Studien wesentlich dazu beigetragen hat, die Sachlage zu kom- plizieren und die Klärung der wichtigsten, grundlegenden Fragen zu er- schweren. Ein wesentlicher Fortschritt in der Lehre von der Ana- phylaxie ist daher erst von dem Momente an zu verzeichnen, wo man sich dem Studium der ungiftigen Anaphylaktogene und der durch sie erzeugten reinen Form der Anaphylaxie zuzuwenden begann. Von den antigenetischen Eigenschaften der Eiweißkörper haben wir in einem früheren Kapitel gehört, daß sie gegen Eingriffe der ver- schiedensten Art, besonders gegen die Einwirkung der Verdauungssäfte, ziemlich empfindlich sind. Genau das gleiche gilt nun auch von ihrer Fähigkeit, Anaphylaxie zu erzeugen. Erhitzen auf 60—80° setzt die sensibilisierende Wirkung verdünnten Serums bedeutend herab, Tem- |peraturen von 90—120° reduzieren sie auf ein Minimum, ohne sie jedoch vollkommen zu vernichten, und in ganz analoger Weise wirken die tryptischen und peptischen Enzyme auf die Anaphylaktogene ein. 21° Anaphylak- togene. Antigene und Anaphy- laktogene. 324 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. Wie wir bei Besprechung der Theorie der anaphylaktischen Phänomene noch eingehender darzulegen haben werden, dürfte diese Übereinstimmung zwischen dem Verhalten der antigenetischen und sensibilisierenden, d. i. anaphylaxieerzeugenden Eigenschaften der Eiweißkörper keine zufällige sein, sondern auf dem innigen Zusammenhang beider Eigen- schaften, ja auf ihrer prinzipiellen Wesensgleichheit be- ruhen. | Sensibilisie- Die Eiweißmengen nun, die den Tieren beigebracht werden müssen, sende Dosis. Im Anaphylaxie zu erzeugen, sind ganz erstaunlich geringe. So genügen von Pferdeserum nach RosEnaU und AnDERSoN 0,000001 g Rinderserum nach DoERR und Russ . . 0,00001 kristallisiertem Eieralbumin nach WerzLs . 0,00000005 g subkutan injiziert, um Meerschweinchen zu sensibilisieren und in den Zustand der Anaphylaxie zu versetzen. Größere Serumdosen vermögen dagegen den Eintritt der Überempfindlichkeit zu verzögern, ja unter Umständen sogar direkt zu verhindern. Im Gegensatz zu diesen minimalen „sensibilisierenden“ Eiweißmengen sind die Dosen, die bei der Reinjektion angewendet werden müssen, um den charakte- ristischen anaphylaktischen Symptomenkomplex hervorzu- Letale Dosisrufen, bei weitem größere. So waren nach den Versuchen von ee DoERR und Russ erst 0,01—0,02 g Rinderserum, nach den analogen Experimenten von Werıs 0,0001—0,0002 g Eieralbumin bei intra- venöser Applikation imstande, die in entsprechender Weise sensibili- sierten Tiere zu töten, sodaß also die Dosis letalis minima in diesen Fällen 1000—2000 mal größer war, als die kleinste sensibilisierende Dosis der betreffenden Eiweißkörper. Diese Tatsache macht es verständlich, daß es mit sehr antigen- armen Substraten unter Umständen zwar gelingen kann, Tiere zu sensibilisieren, nicht aber bei der Reinjektion auch toxische Erschei- nungen hervorzurufen, da in solchen Fällen die hierzu erforderlichen Substratmengen so große wären, daß sich ihre Einverleibung in den Organismus aus praktischen Gründen von selbst verbietet. Denn wäre beispielsweise von einer solchen antigenarmen Flüssigkeit 1 ccm gerade zur Sensibilisierung eines Meerschweinchens hinreichend, so würde die letale Dosis des Anaphylaktogens erst in 1—2 Litern dieser Flüssig- keit enthalten sein, während die maximale, für Injektionen praktisch in Betracht kommende Flüssigkeitsmenge von 5—10 ccm begreiflicher- weise ganz unwirksam und ungiftig erscheinen müßte. Derartige Be- obachtungen hat man in der Tat wiederholt zu machen Gelegenheit gehabt und zwar besonders bei dem Studium der Veränderungen, welche die tryptische oder peptische Verdauung an den Anaphylaktogenen her- vorruft und bei der Beantwortung der Frage, ob auch die chemisch wohl definierten Abbauprodukte der Eiweißkörper wie Peptone, Tyrosin, (lykokoll usw. imstande sind, Anaphylaxie zu erzeugen. Enthielten nämlich diese Substanzen, die, wie sich bald herausstellte, an und für sich vollkommen unwirksam sind, auch nur minimale Spuren von Eiweiß- körpern von ihrer Darstellung aus eiweißhaltigem Ausgangsmateriale her beigemischt, so gelang es leicht, mit ihnen die Versuchstiere & phylaktisch zu machen; die toxischen Erscheinungen waren jedoch i diesen Fällen nicht mit den betreffenden Abbauprodukten, sondern n mit dem bei weitem eiweißreicheren Ausgangsmateriale, also etwa mit XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 325 dem entsprechenden Blutserum, hervorzurufen. — Daß derartige Befunde zu einer Zeit, wo man auf die früher erwähnten quantitativen Unter- schiede zwischen Sensibilisierungsvermögen der Eiweißkörper und toxischen Wirkung bei der Reinjektion noch nicht zu achten gelernt hatte, zu der irrtümlichen Deutung verführen konnten, daß beide Eigen- schaften entweder auf zwei ganz verschiedene Substanzen oder doch wenigstens auf zwei ganz verschiedene Atomgruppen einer und derselben Substanz zurückzuführen seien, ist nach dem Gesagten wohl begreiflich und entschuldbar. Die eingehenden Untersuchungen von DoErrk und Russ haben jedoch gezeigt, daß alle Eingriffe, welche das Sensibilisierungsvermögen der Eiweißantigene herabzusetzen vermögen, auch ihre toxische Wirkung beim Reinjektionsversuch im gleichen Maße vermindern, so daß man wohl mit Recht annehmen darf, daß beide Fähigkeiten ein und dem- selben Eiweißmolekül zuzuschreiben sind, eine Auffassung, die zuerst von RosENAU und ANDERSON ausgesprochen wurde und der sich wohl die Mehrzahl der Immunitätsforscher heute ange- schlossen hat. Auch dem zeitlichen Ver- lauf des anaphylaktischen Sensibili- sierungsvorganges müssen wir schließ- lich noch eine kurze Betrachtung widmen. Schon bei dem Studium des Suituschen Phänomens hatte man gefunden, daß der veränderte Zustand des Organismus bereits 10—12 Tage nach der Einspritzung kleiner Serum- mengen vollkommen deutlich ausge- 5 MM O3 MS prägt war und ziemlich lange anzuhalten __ Tage pflegte, sodaß er jedenfalls nach Mo- Fig-21-. — Versuche BT naten, ja unter Umständen sogar n och Vorbehandlung m 0,01 ccm Serum, nach 11/,—2 Jahren nachgewiesen Reinjektion mit 1 bezw. 2 ccm. werden konnte. Mit Hilfe einer ge- naueren Methode, die gestattet, die anaphylaktischen Phänomene messend zu verfolgen, hat dann MırA versucht, die zeitlichen Verhältnisse der Sen- sibilisierung zu studieren, indem er die Größe der Shockwirkung zu bestimmen suchte, die bei einer Reihe von Versuchstieren eintritt, wenn unter sonst gleichen Versuchsbedingungen die Reinjektion in verschiede- nen Zeitabständen von der sensibilisierenden Antigeneinspritzung vor- genommen wird. In der Erwägung, daß der anaphylaktische Shock um so größer sein müßte, je größer einerseits der hierbei beobachtete Tem- peratursturz war, je länger andererseits das Tier zu seiner Erholung und zur Widerherstellung der normalen Körpertemperatur brauchte, wurde als Maß für die Größe des beobachteten Shocks das Produkt aus der in Zehntelgraden ausgedrückten Temperaturabnahme und der in Minuten gezählten Erholungsdauer gewählt. Wie die vorstehende kurvenmäßige Darstellung der "Ürgebnisse Mıras (Fig. 21) zeigt, war bis zum 5. Tage nach der sensibilisierenden Injektion durch die erneute Einverleibung des Antigens überhaupt keine anaphy- laktische Shockwirkung zu erzielen, von da ab stellte sich jedoch eine immer stärker werdende Reaktionsfähigkeit ein, die ihr Maximum um Zeitlicher Verlauf der Sensi- bilisierung. Anti- anaphylaxie. Aktive Ana- phylaxie. Passive Ana- phylaxie. Anaphylak- tischer Reaktions- körper. 326 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. den 20. Tag herum erreichte, um dann allmählich wieder abzusinken. Schon an dieser Stelle mag darauf hingewiesen sein, daß diese Kurve in ihrem ganzen Verlauf, in dem Vorhandensein eines mehrere Tage betragenden Latenzstadiums und eines nach 2—3 Wochen erreichten Maximums eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Kurve der Anti- körperproduktion aufweist, die wir in einem früheren Kapitel kennen gelernt hatten. Auch hier finden wir also wieder eine zweifellose Ana- logie zwischen den antigenetischen und anaphylaktogenen Eigenschaften der Eiweißkörper vor, deren Bedeutung uns im Verlauf der folgenden Zeilen bald klar werden wird. Schließlich mag noch erwähnt sein, daß es Orro und anderen Forschern gelungen ist, die Überempfindlichkeit der entsprechend vor- behandelten Versuchstiere durch einmalige intraperitoneale Injektion von großen Serumdosen aufzuheben und in einen refraktären Immuni- tätszustand zu verwandeln, den man als Antianaphylaxie bezeichnet hat, eine Beobachtung, die wohl mit der früher erwähnten Tatsache in Zusammenhang zu bringen ist, daß die Einspritzung großer Dosen von Antigen den Eintritt der Überempfindlichkeit von vornherein zu verzögern bezw. sogar zu verhindern vermag. Der antianaphylaktische Zustand schließt sich fast unmittelbar an die schützende Injektion an, und ist nur vorübergehender Natur, wenn auch, je nach Umständen, Monate vergehen können, bis wieder vollkommen normale Verhältnisse Platz greifen und die Tiere neuerdings anaphylaktisiert werden können. Alle diese bisher besprochenen Formen der Anaphylaxie haben das eine gemeinsam, daß sie in derselben Weise entstehen wie die aktive Immunität, d. h. also durch direkte Einführung jener Stoffe in den Organismus, gegen die sich die Überempfindlichkeit richtet. Man faßt sie daher zweckmäßig unter dem Namen der „aktiven Anaphylaxie‘ zusammen. Wie sich nun aber herausgestellt hat, gelingt es, die Überempfindlich- | keit auch auf passivem Wege zu übertragen, und zwar wieder in genau der gleichen Weise, wie bei der Immunität, nämlich durch Ein- spritzung des Serums eines aktiv anaphylaktisierten Tieres. So konnten NICOLLE, OTTO, FRIEDEMANN und andere Experimentatoren eine „pas- sive Anaphylaxie‘“ gegen Serumeiweißkörper, gegen Bakterienprodukte und andere Antigene erzeugen, eine Tatsache, die mit Notwendigkeit zu dem Schlusse drängt, daß die Überempfindlichkeit in diesen | Fällen auf der Wirkung eines besonderen im Serum be- findlichen Stoffes beruhen muß. Man hat für diesen hypothetischen Stoff verschiedene Namen vorgeschlagen. RiıcHET nannte ihn, da er un- giftige Substanzen giftig zu machen scheint, Toxogenin; BESREDKA sprach von Sensibilisinen, während OrTTo den nichts präjudizierenden Namen der „anaphylaktischen Reaktionskörper‘ vorzog. DoERrr und Russ haben nun versucht, eine quantitative Best der anaphylaktischen Reaktionskörper, die j ja zur Beantwortung manche wichtiger Fragen unumgänglich notwendig ist, durchzuführen, indem sie, einer Reihe von Meerschweinchen gleiche Mengen, nämlich je 1 com, des zu prüfenden Immunserums in die Bauchhöhle einspritzten und dann, nach 24 Stunden, die Tiere mit verschieden abgestuften Mengen des betreffenden Anaphylaktogens intravenös reinjizierten. Als anaphylak- tische Einheit wurde dabei 1ccm eines Immunserums gewählt, das bei Anwendung der geschilderten Methodik ein Meerschweinchen von 250g Körpergewicht so empfindlich macht, daß die intravenöse Reinjektion 4 | ı ] } | | \ 1 u f XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 327 von 0,2 ccm Antigen (Serum oder 10°], Lösung der betreffenden Ei- weißart) gerade noch akut tödliche Wirkung hervorruft. Ein Kubik- zentimeter eines „1Ofachen“ Immunserums würde dann so stark sensi- bilisieren, daß noch 0,02 ccm des Anaphylaktogens bei intravenöser Ein- spritzung tödlich wirken würde. Bei diesen Versuchen hat sich nun herausgestellt, daß das Kaninchen, das wie wir bereits wissen, für die anaphylaktische Giftwirkung bedeutend (nach FRIEDBERGER sogar 400 mal) weniger empfänglich ist, als das Meerschweinchen, gleichwohl zur Ge- winnung der „Reaktionskörper‘‘ sehr geeignet ist und relativ hoch- wertige Sera liefert, eine Tatsache, die mit der sonstigen ausgezeich- neten Befähigung dieses Tieres zur Antikörperproduktion in bestem Einklang steht. Von großer Wichtigkeit ist dabei die bereits von zahlreichen Forschern bestätigte Beobachtung Orros, daß der volle Effekt der passiven Anaphylaktisierung beim Meerschweinchen nur dann zu Tage tritt, wenn die intraperitoneale Injektion des Immunserums 24 Stunden vor der Antigeneinspritzung stattfindet. Ist das Intervall zwischen beiden Einspritzungen dagegen zu kurz, so bleiben meist alle Krankheitserscheinungen aus, ein Beweis, daß der Zustand der passiven Anaphylaxie nicht sofort mit der Serumzufuhr einsetzt, sondern erst einige Zeit zu seiner vollen Entwicklung bedarf. Weit kürzer kann dieses Intervall übrigens sein, wenn die Zufuhr des Immunserums nicht intraperitoneal, sondern intravenös erfolgt, denn in diesem Falle kann man bereits nach 1!/, Stunden schwere, nach 4 Stunden aber tödliche Wirkungen durch die Antigeneinspritzung erzielen. All dies hat jedoch nur für das klassische Versuchstier der Anaphylaxiestudien, für das Meerschweinchen Geltung; beim Kaninchen ist dagegen nach FRIEDE- MANN die Anaphylaxie am deutlichsten ausgesprochen, wenn Antigen und Immunserum gemischt injiziert werden. Nicht uninteressant ist schließlich, daß die Anaphylaxie, eben- so wie die Immunität, auch durch Vererbung übertragen werden kann und vom Muttertier auf die Jungen übergeht, ja daß selbst die Jungen von Müttern, welche zwar mit großen Serumdosen vorbehandelt worden waren, aber zurzeit selbst refraktär sind, eine sehr ausgeprägte Überempfindlichkeit aufweisen können. Diese ererbte Anaphylaxie ver- schwindet häufig schon nach kurzer Zeit, konnte aber in manchen Fällen doch noch am 44. Lebenstage unzweifelhaft festgestellt werden. — Wir haben bisher die mannigfaltigen Tatsachen der Anaphylaxie, mit welchen uns die letzten Jahre in rascher Folge bekannt gemacht haben, lediglich beschreibend wiedergegeben, ohne auf die von ver- schiedenen Seiten her unternommenen Versuche einzugehen, diese Tat- sachen von einheitlichen Gesichtspunkten aus zu ordnen und zu er- klären. Jede Theorie der Anaphylaxie muß nun notwendigerweise vor allem der Tatsache Rechnung tragen, daß es möglich ist, die Überempfind- lichkeit auf passivem Wege zu erzeugen, und wir haben ja dementsprechend auch bereits bervorgehoben, daß die verschiedenen Forscher in der Annahme eines im Serum der anaphylaktischen Tiere vorhandenen besonderen „Reaktionskörpers“ miteinander über- einstimmen. Nun haben wir bereits wiederholt hervorgehoben, daß die Anaphylaktogene aller Wahrscheinlichkeit identisch mit den Eiweiß- antigenen sind und haben auf die mannigfaltigen Analogien hingewiesen, die zwischen dem Vorgang der anaphylaktischen Sensibilisierung und der Antikörperproduktion bestehen. Es lag daher gewiß die Annahme Vererbte Ana- phylaxie. Theorien der Ana- phylaxie. 328 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. Nator und nahe, daß der „anaphylaktische Reaktionskörper‘ Wirkung „oinem Wesen nach nichts anderes darstellt als einen 2, Immunkörper besonderer Art, der infolge der sensi- “ bilisierenden Antigeneinspritzung gebildet wird. Iı der Tat hat sich auch nachweisen lassen, daß der „Reaktionskörper‘* ebenso wie die meisten Antikörper ziemlich thermostabil ist, und 1 Stunde lang auf 56°C erhitzt werden kann, ohne an Wirksamkeit einzubüßen, und daß er ferner wie diese an die Globulinfraktion des Serums ge- bunden erscheint. Wie hat man sich nun aber die Wirkung dieses Antikörpers vorzustellen? Die einfachste diesbezügliche Annahme ist wohl die, daß er auf das betreffende Antigen im Sinne einer Toxin- bildung einwirkt, weshalb ja auch, wie wir bereits wissen, RıcHET für ihn den Namen eines Toxogenins vorgeschlagen hatte. Dunkel bleibt dabei nur, in welcher Weise denn aus den meist völlig harm losen und ungiftigen Antigenen so heftig wirkende Giftstoffe entstehen können, wie sie zur Erklärung der Symptome der Überempfindlichkeit angenommen werden müssen. RıcHET selbst suchte über diese Schwierig- keit durch den Vergleich mit dem Emulsin hinwegzukommen, das ja aus dem unwirksamen Amygdalin ein furchtbares Gift, die Blau- säure, zu erzeugen vermag, also gewissermaßen auch als „Toxogenin* fungiert, und andere Forscher stellten sich den fraglichen Reaktions körper direkt als ein Ferment vor, welches unter dem Einfluß de parenteralen Einverleibung des Antigens im Organismus entstehen sollte. NıcoLLE und Worrr-EisnEer dagegen nahmen an, daß es sich hierbei um die Wirkung lysinartiger Antikörper handeln müsse, die bei ihrer Reaktion mit den betreffenden Antigenen durch eine Art von chemischer Aufschließung, Verdauung oder Dekoagulation giftige Sub stanzen frei machen würden. Präzisere Vorstellungen über die Entstehungsweise des anaphylak tischen Giftes verdanken wir jedoch erst den emsigen Forschungen der jüngsten Zeit. Da, wie bereits mehrfach betont, die Anaphylaktogene ihrer Natur nach als Eiweißantigene anzusehen sind, so war der Ge danke naheliegend, daß ihre Antikörper, die anaphylaktischen Re aktionskörper, mit den typischen Antikörpern der Eiweißsubstanzen, mit den Präzipitinen und komplementbindenden Ambozeptoren identisch sein könnten. In der Tat gelang es nun auch, eine Reihe von gewichtigen Be- Beziehungen weisgründen für die Richtigkeit dieser Vermutung beizubringen, die Präzipitin. Zuerst von FRIEDBERGER ausgesprochen worden war. DoERR konnte ehylan. nämlich im Verein mit Russ und Morpovan zeigen, daß ein auffälliger Be Parallelismus zwischen dem Präzipitingehalt und der ans der Sera phylaktisierenden Wirkung der Immunsera besteht, und daß die gegenteiligen Versuchsergebnisse mancher Autoren, die behauptet hatten, daß es Immunsera gebe, die kein Präzipitin, wohl aber Re aktionskörper enthalten, auf ungeeigneter, zu wenig empfindlicher Me- thodik beruhten. Ferner konnte FRIEDEMANN durch das Studium der quantitativen Verhältnisse bei der passiven Anaphylaxie weitgehende Analogien derselben mit der spezifischen Präzipitatbildung aufdecken Wie nämlich der von einer bestimmten Menge Immunserum gelieferte Niederschlag von einer gewissen Grenze ab immer geringer wird, je größere Antigenmengen zu dem Serum hinzugesetzt werden, so nehmen auch die Symptome der Anaphylaxie kontinuierlich an Heftigkeit ab je größer ceteris paribus die Dosis des Anaphylaktogens bemessen wird. XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 329 Noch interessanter und beweisender ist jedoch die von SLEESWIJK, FrIED- BERGER und HarrocH gefundene Tatsache, daß bei der gegenseitigen Einwirkung von Anaphylaktogen und Reaktionskörper im sensibilisierten tierischen Organismus ebenso Komplement gebunden wird, wie bei der in vitro sich abspielenden Prä- zipitinreaktion. So fand sich der Komplementgehalt des Blutserums beim anaphylaktischen Meerschweinchen kurz nach der Reinjektion auf 1/„—!/, des ursprünglichen Wertes herabgesetzt, und ähnliche Be- obachtungen hat man auch bei passiver Sensibilisierung der Versuchs- tiere zu machen Gelegenheit gehabt. Da nun nach den eingehenden Versuchen von FRIEDBERGER die Zufuhr selbst reichlicher Komplementmengen nach der Reinjektion nicht imstande ist, den Ausbruch des anaphylaktischen Shocks zu verhindern, so ist einleuchtend, dab derselbe nicht etwa durch die Verarmung des Organismus an Komplement bedingt sein kann, sondern daß das Komplement offenbar mit Antigen und Reaktionskörper unter Bildung einer giftigen Substanz, des sogenannten Anaphyla- toxins, reagieren muß. In der Tat ist es nun FRIEDBERGER gelungen zu zeigen, daß diese Schlußfolgerung richtig ist, und daß man aus ge- waschenen spezifischen Präzipitaten durch mehrstündige Digestion mit Meerschweinchenkomplement genügende Mengen von Anaphylatoxin extrahieren kann, um Meer- schweinchen unter akuten anaphylaktischen Symptomen zu töten. Wird dagegen die Digestion mit inaktivem Serum vorgenommen, so findet eine kaum nennenswerte Giftabspaltung statt, ein Beweis, daß dem Komplement wirklich eine wesentliche, aktive Rolle bei der Ent- stehung des Anaphylatoxins zukommt. Wie ein näheres Studium des gewonnenen (iftes lehrte, ist es gegen kurzdauerndes Erhitzen auf 65° sehr empfindlich, vermag jedoch Temperaturen von 58° längere Zeit hindurch ohne Schädigung zu ertragen. Besonders interessant ist nun die weitere Tatsache, daß bei Einverleibung des fertigen, im Reagenzglas unter Einwirkung von Komplement hergestellten Toxins in den tierischen Organismus jene früher erwähnte Komplementkbindung ausbleibt, eine Beobachtung FRIEDBERGERS, die gewissermaßen die Probe auf das Exempel bildet und die Richtigkeit seiner Anschauungen von einer anderen Seite her bekräftigt. Noch einen weiteren, sehr merkwürdigen Beweis haben FRIEDBERGER und HarTocH für diese Theorie der toxo- genetischen Komplementwirkung beizubringen vermocht. Da es nämlich im Reagenzglasversuche gelingt, die Bindung des Komplements durch Salzzusatz, also durch Erhöhung des osmotischen Druckes des Reaktions- gemisches zu verhindern, so versuchten die genannten Forscher, ob ähnliche Hemmungen auch im Tierversuche zu erzielen seien, und fanden in der Tat, daß sowohl aktiv wie passiv sensibilisierte Meerschweinchen durch Vorbehandlung mit großen Kochsalzmengen vor den tödlichen Folgen der Rein- jektion geschützt werden können. Auch in diesem Falle blieb nun die sonst bei der Reinjektion so prompt auftretende Kom- plementverminderung im Blutserum entweder aus oder war doch nur ganz wenig ausgeprägt, eine Tatsache, die, wie man sieht, vollkommen den Erwartungen entsprach, mit denen man an dieses Experiment herangetreten war und wohl zweifellos beweist, daß durch die Salz- wirkung diefürdas Entstehen des Anaphylatoxins er- Komple- mentbindung im ana- phylakti- schen Tier, Fried- bergers Ana- phylatoxin. Hemmung er Komple- mentwir- kung durch Kochsalz. Anaphylaxie zeige Eie- für die Anaphylaxie gegen gelöste Eiweißkörper. Da hingegen, wo mente. Ent- stehungs- weise des Anaphyla- toxins. 330 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. forderliche Bindung des Komplements an die beiden anderen Komponenten, das Antigen und seinen ÄAnti- körper verhindert worden war. Noch eine andere indirekte Bestätigung für die wichtige Rolle, die das Komplement bei den anaphylaktischen Vorgängen zu spielen hat, mag hier kurz erwähnt werden. Wie wir bereits bei Besprechung der hämolytischen Serumwirkungen angedeutet haben, ist nicht das Komple- ment jeder Tierspezies imstande, die Ambozeptoren jeder beliebigen ande- ren Art zu komplettieren. sondern es scheint, daß besonders bei weit in der Verwandtschaftsreihe von einander abstehenden Arten (z. B. Vögeln und Säugetieren) keine genügende Übereinstimmung zwischen den betreffenden haptophoren Gruppen besteht, um eine Bindung des Komplements an die Ambozeptoren zu ermöglichen. Unter diesen Um- ständen dürften aber dann auch, wenn die früher dargelegten Anschau- ungen richtig sind, keine anaphylaktischen Symptome auftreten, wenn man das sensibilisierende Serum der einen Art in den Organismus der anderen einführt und dann mit Antigen reinjiziert, da ja dann infolge mangelnder Eignung des Komplements seine gifterzeugende Wirkung ausbleiben müßte. In der Tat haben nun auch FRrıED- BERGER und HARTOocH zeigen können, daß es nicht gelingt, Tauben mit vom Kaninchen stammenden Immunserum passiv zu anaphylaktisieren, während die Sensibilisierung mit Vogelseren keine Schwierigkeiten darbietet. Und umgekehrt haben UHLENHUTH und HäxpeL vergeblich versucht, Meerschweinchen mit Immun- serum vom Huhne zu sensibilisieren, so daß sich also auch hier die Versuchsergebnisse in vollkommener Übereinstimmung mit den aus der Theorie abgeleiteten Folgerungen befinden. Alle diese eben aufgezählten Tatsachen gelten nun zunächst nur es sich um zellige Elemente, um rote Blutkörperchen oder um Bakte- rien handelt, scheinen nach den Untersuchungen von FRIEDEMANN u. 4. nicht Präzipitine oder Eiweißambozeptoren, sondern die zytolytischen Ambozeptoren als anaphylaktische Reaktionskörper zu fungieren. Dementsprechend konnte denn auch FRIEDEMANN aus ambozeptorbeladenen Rinderblutkörperchen durch kurzdauernde, nicht zur Hämolyse führende Einwirkung von frischem Kaninchenserum, also von Komplement, Anaphylatoxin gewinnen. Daraus geht aber hervor, daß wir es offen- bar auch hier prinzipiell mit den gleichen Vorgängen zu tun haben wie bei der Anaphylaxie gegen gelöste Eiweißsubstanzen und daß wir daher als das gemeinsame Ergebnis aller dieser zum Teil seh mühsamen Studien die wichtige Erkenntnis zu verzeichne haben, daß das anaphylaktische Gift in allen Fällen aus der Einwirkung von Komplement auf die Verbindung von Antige und Antikörper hervorgeht. Natürlich soll damit aber nicht gesagt sein, daß nun diese Ein- wirkung unter allen Umständen im Blute oder in den Körpersäften vor sich gehen muß; es scheinen im Gegenteil manche Tatsachen dafür z sprechen, daß auch sessile Rezeptoren, die also von den Zellen noch nicht an das Blut abgegeben wurden, zur Entstehung des anaphylakti- schen Giftes Veranlassung geben können, und so dürfte z. B. die vo verschiedenen Seiten beobachtete Tatsache zu erklären sein, daß akti anaphylaktisierte Meerschweinchen zu einer Zeit, wo noch kein aktionskörper in ihrem Serum nachweisbar ist, doch schon a ala. Am "Ai Mu. ie Te u eos >. en ME al > A u. XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 331 die Reinjektion mit schweren Krankheitserscheinungen reagieren können. — Weitere wichtige Aufschlüsse über die Natur der anaphylak- tischen Phänomene verdanken wir nun den Versuchen, die Wirkung des Anaphylatoxins pharmakologisch zu analysieren. Der Angriffs- Angriffs- punkt des anaphylaktischen Giftes und der Mechanismus seiner Pi,ce Wirkung ist uns derzeit nämlich noch keineswegs in allen Fällen Pphrlatoxins. klar. Gewiß war es mit Rücksicht auf den ganzen Symptomen- komplex des anaphylaktischen Shocks zunächst am plausibelsten, anzu- nehmen, daß die ganzen Erscheinungen auf eine Reizung bezw. Lähmung des Zentralnervensystems zurückzuführen seien, und BESREDKA hat denn auch versucht, einige experimentelle Beweisgründe dafür beizubringen. Vor allem die Tatsache, daß das anaphylaktische Gift sich durch ganz besonders starke Wirksamkeit auszeichnet, wenn es intrazerebral injiziert wird, dann aber die hochinteressante Entdeckung, daß es durch die Narkose mit Äther, Chloräthyl, und durch andere Hyp- notica wie Urethan, Paraldehyd und Chloralhydrat gelingt, die anaphylaktischen Krankheitserscheinungen zu unter- drücken oder wenigstens zu maskieren, schienen ganz in diesem Sinne zu sprechen. BrepL und Kraus haben nun aber die anaphylak- tischen Erscheinungen beim Hunde einer eingehenden Analyse unter- zogen, und haben dabei gefunden, daß hier eine primäre Schädigung des Zentralnervensystems schon aus dem Grunde mit größter Wahr- scheinlichkeit auszuschließen war, weil beim Hunde sowohl Lähmun- Shock- gen als auch Respirationsstörungen vollkommen fehlten und auch die peim Hunde, Reflexe vollkommen erhalten waren. Dagegen fanden sie als konstantes Phänomen bei der anaphylaktischen Shockwirkung eine durch peri- phere Lähmung der Vasomotoren bedingte beträchtliche Blut- drucksenkung von 120—150 mg Hg (in der Arteria femoralis ge- messen) auf 80, 60, ja auf 40 mm, ein Phänomen, das von einer ganzen Reihe von Forschern wie Scott, ARTHUS, FRIEDBERGER u. a. auch beim Kaninchen und Meerschweinchen beobachtet wurde. Es ist gewiß nahe- liegend, anzunehmen, daß diese Blutdrucksenkung die Ursache des anaphylaktischen Temperatursturzes darstellt; aber auch die anderen Symptome, wie Erbrechen, Stuhl- und Harnabgang, Anurie, Muskel- schwäche usw. glauben BıepL und Kraus auf die verminderte Strom- intensität des Blutkreislaufes zurückführen zu können, die zur Hirnanämie und damit zu einer Reihe von Reizungs- und Lähmungserscheinungen Veranlassung gibt. Die Wirkung der Narkotika würde nach dieser Auffassung nur darin bestehen, daß sie die Empfindlichkeit des Zentral- nervensystems für die durch die Anämisierung gesetzten Reize herabsetzt, während sie das Hauptphänomen, die Blutdrucksenkung, nicht zu beein- flussen vermag. — Wenn diese Theorie des anaphylaktischen Symp- tomenkomplexes, soweit sie die Verhältnisse beim Hunde betrifft, zweifel- Shock- los viel für sich hat, so scheint sie doch nicht ohne weiteres auch auf eg andere Tierspezies, wie auf das Meerschweinchen, anwendbar. Hier schwein. stehen vielmehr im Vordergrunde des Krankheitsbildes heftige Atem- bewegungen, bei denen jedoch keine Luft in den Thorax einzudringen vermag, sodaß die nachgiebigen Teile der Brustwandungen jedesmal inspi- ratorisch eingezogen werden. Schließlich gehen die Tiere unter Er- stickungskrämpfen zugrunde, während das Herz noch eine zeitlang weiter schlägt. Auer und Lewis nehmen zur Erklärung dieser Krankheits- symptome an, daß die Ursache der Erstickung in einer tetanischen Ähnlichkeit mit der Pepton- wirkung. Serum- krankheit. 332 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. Kontraktur der glatten Bronchiolenmuskulatur gelegen sei, also peri- pherer und nicht zentraler Natur sei. Wie man sieht ist also eine allgemeine für alle Tierspezies geltende Theorie der anaphylaktischen Shockwirkung nicht zu geben. Trotzdem lassen sich aber die Krankheitserscheinungen, durch die sich der anaphylaktische Shock bei den verschiedenen Tierarten charak- terisiert, auf ein einheitliches Prinzip zurückführen. Wie nämlich BıepL und Kraus zeigen konnten, stimmen dieselben in jeder Beziehung mit dem Vergiftungsbilde überein, das man bei den genannten Versuchstieren — Hund und Meerschweinchen — durch parenterale Einverleibung von Wırtes Pepton hervor- rufen kann. Speziell zeigte sich auch bei der Peptonvergiftung derselbe fundamentale Unterschied zwischen den erwähnten beiden Tierspezies, dem wir bei der Besprechung der anaphylaktischen Symptome begegnet waren, so daß Bıepu und Kraus in ihrer jüngsten Arbeit den all- gemeinen Satz aufstellen konnten: „die anaphylaktische Intoxika- tion wird durch ein Gift hervorgerufen, das physiologisch als identisch mit dem Wırre-Pepton zu betrachten ist“. Daß von diesem Gesichtspunkte aus dem Befunde von PFEIFFER und MırA, nach dem aus dem anaphylaktischen Reaktionskörper und seinem Antigen in vitro Eiweißabbauprodukte von Peptoncharakter abgespalten werden, eine ganz besondere Bedeutung zukommt, braucht wohl nicht erst auseinandergesetzt zu werden. Fassen wir alle diese Tatsachen, die zur theoretischen Klärung des Anaphylaxieproblems beigebracht wurden, nochmals in kurzer Form | zusammen, so können wir also sagen, daß sich die Anaphylaxie als eine unter bestimmten Versuchsbedingungen im Körper verlaufende Eiweiß-Antieiweißreaktion charakterisiert, bei der es infolge der Iytischen Wirkung des Komplements zur Entstehung äußerst giftiger, den Peptonen nahestehender Abbauprodukte kommt. Damit ist aber der schroffe Gegensatz, der zwischen ihr und den Immunitätsphänomenen lange Zeit zu bestehen schien, vollkommen behoben, und die Anaphylaxie als ein Spezialfall der „parenteralen‘“‘ Eiweißverdauung erkannt, die je nach den quanti- tativen Verhältnissen des speziellen Falles zur Beseitigung der in die Blutbahn gelangten fremdartigen Antigene, speziell auch zur Vernichtung pathogener Mikroorganismen führt und sich demgemäß als Immuni- tät darstellt, oder aber so große Giftmengen bei diesen lytischen Vorgängen in Freiheit setzt, daß eine tödliche Er- krankung die Folge ist. Damit könnten wir das Thema der Anaphylaxie füglich verlassen, wenn ihr nicht auch noch eine ganz besondere praktische Be- deutung zukäme, die durch das Vorkommen des unter dem Namen der Serumkrankheit bekannt gewordenen Krankheitsbildes bedingt wird. PıRQauET und ScHick haben das Verdienst, zuerst darauf hin- gewiesen zu haben, daß manche Individuen schon nach einmaliger In- jektion größerer Mengen von Diphtherie- oder Scharlachserum mit einer Inkubationszeit von etwa 6—12 Tagen erkranken, daß aber auch hier die Erscheinungen bei den Reinjizierten viel konstanter auftreten, viel stürmischer verlaufen und sich entweder sofort oder doch schon nach wenigen Stunden einstellen, wobei ganz geringe Serummengen (1 ccm) bereits zur Auslösung der Krankheitssymptome hinreichen. Diese be- stehen vornehmlich in einem intensiven Ödem an der Injektionsstelle, u m u ee Be Be Art rt as 3-ek 5 2. zu JS- XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 333 in Fieber, allgemeinen Exanthemen von Urtikariacharakter, Ödemen, Gelenkschmerzen und Lymphdrüsenschwellungen. Im Gegensatz zu den früher beschriebenen Tierexperimenten sind jedoch beim Menschen ernstere Zufälle selbst bei wiederholten Serumeinspritzungen nur außer- ordentlich selten beobachtet worden und haben kaum jemals zu dauernden Schädigungen geführt. Bei der praktischen Wichtigkeit des Gegenstandes möge es ge- Häufigkeit stattet sein, der eben gegebenen summarischen Schilderung hier noch maliger einige nicht uninteressante nähere Daten über die Serumkrankheit in Injektion. Kürze folgen zu lassen. Was zunächst die Häufigkeit ihres Auf- tretens bei einmaliger Seruminjektion betrifft, so scheint die- selbe, wie bereits Daur und RıTTERSHAIN betont hatten, sehr wesent- lich von der Menge des eingespritzten Serums abhängig zu sein. So fanden sich in der ersten Zeit der Diphtherieserumtherapie, wo ge- wöhnlich Quantitäten von 10—30 ccm Pferdeserum in Anwendung kamen, Krankheitssymptome der geschilderten Art in 22°/, der Fälle. Als dann später die Menge des injizierten Serums auf 6-15 ccm heruntergesetzt wurde, nahm auch die Häufigkeit der Erkrankungen beträchtlich ab und ging auf 6,45°/, herunter. Steigerten jedoch PırquET und ScHick die Serumdosis auf 100—200 ccm, also auf ganz enorme Höhe, so konnten sie in über 85°/, der Fälle Serumerscheinungen be- obachten, so daß man ihnen wohl recht geben muß, wenn sie annehmen, daß bei noch weiterer Erhöhung der eingespritzten Serummenge schließ- lich jedes Individuum erkranken würde. Es nimmt übrigens, wie leicht begreiflich, auch die Intensität der Krankheitserscheinungen mit steigen- der Serumdosis deutlich zu, was insbesondere in der weitaus längeren Dauer der Krankheitssymptome zu sehr entschiedenem Ausdruck gelangt. Bei mehrmaliger Injektion von Diphtherieserum steigert sich paufiekeit nun aber der Prozentsatz der Serumerkrankungen ganz gewaltig, so daß en die typischen Krankheitserscheinungen mindestens dreimal so häufig auftreten, als sie — die üblichen Dosen vorausgesetzt — bei einmaliger Serumeinspritzung vorzukommen pflegen. Dabei spielt der Zeitpunkt der Reinjektion eine ganz besonders Zeitpunkt wichtige Rolle, und es ist nicht uninteressant, zu sehen, wie derselbe a bei den von PirQauET und Schick beobachteten Fällen in der ver- schiedenen Sicherheit zum Ausdruck kommt, mit welcher die zweite Serumeinspritzung von dem Ausbruch der Krankheitssymptome gefolgt wird. Von 20 reinjizierten Kindern hatten nämlich 6 bereits 1—6 Tage nach der ersten Einspritzung neuerdings kleine Serumdosen erhalten, 12 andere waren erst 3—8 Wochen nach derselben reinjiziert worden, während die übrigen zwei erst nach Ablauf von 6 bezw. 9 Monaten wieder eine Seruminjektion erhielten. Die hierbei erzielten Resultate zeigt die folgende kleine Zusammenstellung. Intervall zwischen Zahl Serumkrankheit 1. u. 2. Injektion der Kinder in 1—6 Tage 6 16,6°/, 3—8 Wochen 12 91,6°/, 6—9 Monate | 2 | 594:%% Dieselbe lehrt augenscheinlich, daß auch hier, wie bei den Tier- versuchen, nach der ersten Serumeinspritzung eine gewisse Frist ver- „Sofortige Reaktion.“ „Be=- schleunigte Reaktion.“ 334 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. streichen muß, bis jene „Umstimmung‘“ des Organismus eingetreten ist, welche bewirkt, dal er auf eine neuerliche parenterale Einführung geringer Serumdosen mit Krankheitserscheinungen reagiert. An diesen Zeitraum schließt sich dann eine Periode an, innerhalb welcher sich die veränderte Reaktionsfähigkeit fast regelmäßig voll entwickelt vorfindet, bis sie schließlich wieder verloren geht und einem normalen Ver- halten Platz macht. Nach Currıes Beobachtungen war diese veränderte Reaktionsfähigkeit übrigens noch 6 Monate nach der ersten Einspritzung nachweisbar. — Wie wir nun bereits aus den früher besprochenen Tierversuchen über die Serumanaphylaxie wissen, äußert sich die Umstimmung des Organismus, seine veränderte Reaktionsfähigkeit bei der Reinjektion in doppelter Weise: einmal darin, dal hier bereits minimale Serumdosen, die bei normalen Individuen keine Spur einer Reaktion auszulösen ver- mögen, kräftige Wirkungen hervorrufen; und dann zweitens in einer Änderung des Reaktionsverlaufes, die unter anderem auch durch eine beträchtliche Abkürzung der Inkubationszeit cha rakterisiert ist. | In dieser Beziehung muß man nun nach PiRQUET und Schick bei der Serumkrankheit zweierlei Typen der veränderten Reaktions- weise auseinanderhalten. Bei dem einen Typus schließen sich die Krankheitserscheinungen fast unmittelbar an die Serumreinjektion an oder sind von ihr doch nur durch wenige Stunden getrennt, so dal) man füglich von einer „sofortigen Reaktion“ sprechen kann. Klinisch kann sich diese sofortige Reaktion dabei sowohl als Lokal- reaktion äußern, die in den spezifischen ödematösen Anschwellungen in der Umgebung der Einstichstelle besteht, als auch in der Form” der Allgemeinreaktion, die durch Fieber, Exantheme und die übrigen, bereits aufgezählten Symptome der Serumkrankheit charakte- risiert ist. Den zweiten Typus der veränderten Reaktionsweise dagegen be- zeichnen PIRQUET und ScHick als „beschleunigte Reaktion“. Hier kommt es etwa 5—6 Tage nach der erneuten Serumeinspritzung zu dem Ausbruch der Serumkrankheit, also nach einer deutlich abgekürzten Inkubationsperiode, die ja, wie erwähnt, bei Erstinfizierten meist 8s—12 Tage beträgt. Zugleich sind die Krankheitserscheinungen stürmischer, als bei den letzteren, klingen dafür aber auch rascher wieder ab. Diese beiden Typen können nun sowohl für sich allein bei den zum zweitenmal injizierten Patienten auftreten, als auch miteinander kom- biniert sein, derart, daß sich zuerst die Erscheinungen der „sofortigen Reaktion“ einstellen, die nach ihrem Abklingen wieder einem voll- kommenen Wohlbefinden Platz machen, um nach Ablauf von weiteren 4—5 Tagen von dem Ausbruch einer neuerlichen Erkrankung, der „be schleunigten Reaktion“, gefolgt zu werden. Welche der drei sich hier- aus ergebenden Möglichkeiten dabei im speziellen Falle eintritt, ob beide Typen der veränderten Reaktionsweise oder nur die sofortige bezw. die beschleunigte Reaktion zur Beobachtung kommt, das hänge nach PIrRQuET und ScHick wieder von der Länge des Zeitintervalls ab, das sich zwischen erste und zweite Serumeinspritzung einschiebig Beträgt dieses Intervall nämlich 12—40 Tage, so beobachtet man nur die „sofortige Reaktion‘; beträgt es XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 335 11/,—6 Monate, so erhält man sowohl die „sofortige wie die beschleunigte Reaktion“; beträgt das Intervall endlich über 6 Monate, so findet man nur mehr die „beschleunigte Reaktion“, während die sofortige Reaktion vollkommen ausbleibt. Es braucht wohl kaum besonders bemerkt zu werden, daß diese drei Perioden natürlich nicht scharf voneinander getrennt sind, sondern allmählich ineinander übergehen. Alle diese Besonderheiten und verschiedenen Typen der Serum- Deutung der krankheit sind nun nicht schwierig zu deuten, wenn wir uns an die YÜrsehiede- theoretischen Vorstellungen halten, die wir früher, bei der allgemeinen !ionsweise. Erörterung der anaphylaktischen Phänomene, entwickelt haben. Was zunächst die Inkubationsdauer der Serumkrankheit bei den Erst- injizierten betrifft, so fällt sie zweifellos mit der Latenzzeit der Anti- körperproduktion zusammen, denn erst wenn Präzipitine bezw. Re- aktionskörper in hinreichender Menge gebildet worden sind und auf das noch von der ersten Einspritzung her im Blute kreisende Antigen ein- wirken, ist die Möglichkeit zur Erkrankung gegeben. Da ferner die Antikörperproduktion zunächst ziemlich langsam vor sich geht, so wird auch das Anaphylatoxin in diesem Falle nur langsam und in geringen Mengen in Freiheit gesetzt werden und die Vergiftungserscheinungen werden demgemäß bei den Erstinjizierten einen milden und wenig stürmischen Charakter aufweisen. Anders bei der Reinjektion. Hier treffen unter Umständen große Mengen fertiger Präzipitine mit den eingespritzten Serumeiweißkörpern zusammen, das Anaphylatoxin wird explosionsartig und in großer Menge aus ihrem Reaktionsprodukt abgespalten und das Resultat ist eine sofortige, äußerst stürmisch verlaufende Vergiftung. Wird jedoch die Reinjektion erst spät und zu einer Zeit vorgenommen, wo die entstandenen Antikörper bereits wieder aus dem Blute verschwunden sind, dann kann es natür- lich nicht mehr zu einer „sofortigen“ Reaktion kommen. Da jedoch der durch die erste Injektion präparierte Organismus, wie wir wissen, auf die zweite Antigenzufuhr mit beschleunigter und verstärkter Anti- körperproduktion zu antworten vermag, so ist klar, daß es in diesem Falle wenigstens zu einer beschleunigten Reaktion kommen muß. — Zweifellos spielen nun die anaphylaktischen Phänomene noch bei Anaphylak- einer ‚großen Anzahl anderer pathologischer Prozesse eine wichtige Rolle, ren ur” und in einigen Fällen ist es in der Tat bereits mit mehr oder minder der Vakzina- Glück versucht worden, die beobachteten Erscheinungen auf Über- empfindlichkeitsreaktionen zurückzuführen. So haben wir bereits mehr- fach auf den verschiedenen Reaktionstypus verwiesen, den Erstimpflinge und Revakzinierte bei der Schutzpockenimpfung darbieten, und betont, daß bei letzteren der lokale Prozel3 der Papelbildung ein überstürzter ist, daß sich die Pusteln nicht erst am 8.—11. Tag, sondern durch- schnittlich schon 4 Tage früher mit einem breiten entzündlichen Hofe — der sogenannten Area — umgeben, und dab endlich der ganze Krankheitsprozeß bei ihnen viel rascher zum Abschluß kommt, als bei den zum ersten Mal geimpften Personen. Wir wollen auf die Theorie dieser Erscheinungen hier nicht näher eingehen und uns mit der einen Andeutung begnügen, daß man nach v. Pırqurr in dem Auftreten der entzündlichen „Area“, die sich in der Umgebung der Pustel etabliert, die Wirkung von Antikörpern zu sehen hat, welche aus den im Pustel- Anaphylak- tische Reak- tionen bei Luetikern. Anaphylak- tische Reak- tionen bei Tuber- kulose. 336 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. inhalt wuchernden Mikroben Giftstoffe (Endotoxine oder Anaphylatoxin?) frei machen, die dann in die umliegenden Gewebe diffundieren und die lokalen Reizerscheinungen hervorrufen. Findet diese Produktion der Antikörper, wie bei den Revakzinierten, in beschleunigtem Tempo statt, dann wird auch die Ausbildung der Area eine beschleunigte sein, und da die entzündliche Reaktion dem weiteren Wachstum der Pocken- erreger Einhalt gebietet, so wird in diesem Falle der Krankheitsprozeß rascher zum Stillstand kommen als bei der ersten Pockenimpfung. Bildet diese „beschleunigte Areareaktion“ also ein voll- kommenes Analogon zu der früher besprochenen „beschleu- nigten Reaktion“ der Serumkranken, so hat man, bei kurzem Intervall zwischen den beiden Impfungen, auch „vakzinale Früh- reaktionen“ beobachtet, die in kleinen, juckenden, 24 Stunden nach der Revakzination auftretenden und rasch wieder verschwindenden Papeln bestehen, und offenbar der „sofortigen Reaktion“ bei der Serumüberempfindlichkeit entsprechen. | Ähnliche Verhältnisse hat man nun auch bei Syphiliskranken beobachtet. Während man früher angenommen hatte, daß Syphilitiker gegen Neuinfektionen vollkommen unempfindlich seien, haben FINGER und LANDSTEINER gezeigt, daß sie in allen Stadien der Erkrankung auf die Einführung von Luesvirus mit spezifischen Erscheinungen reagieren, die den deutlichen Charakter von Überempfindlichkeits- reaktionen tragen. Nicht selten zeigten dabei Tertiärsyphilitiker, von denen wir annehmen dürfen, daß sie große Mengen von Antikörpern im Blute führen, unmittelbar nach der Reinfektion eine ganz markante „sofortige Reaktion“ in Form von örtlich umschriebenen Hauterythemen, an die sich dann häufig die Entstehung scharf begrenzter Infiltrate vom Charakter tertiärer Hautsyphilide anschloß. Ebenso führten die In- okulationen im Stadium der zweiten Inkubation und im sekundäre Stadium der Syphilis zur Entstehung von braunroten, bis zu Linsen größe heranwachsenden, schuppenbedeckten Knötchen, die jedoch nich wie der Primäraffekt durchschnittlich 24 Tage zu ihrer Entwicklun brauchten, sondern meist schon nach 10—14 Tagen ausgebildet waren, al als Produkte einer „beschleunigten Reaktion‘ aufzufassen sein dürften Schließlich müssen wir nochmals der bereits zu Beginn diese Kapitels besprochenen Tuberkulinüberempfindlichkeit gedenken, und au: einige Manifestationen derselben in Kürze eingehen, die dort noch nich erwähnt werden konnten, und die erst im Zusammenhang mit unsere letzten Auseinandersetzungen verständlich werden. Bereits vor lange Zeit hatte KocH auf den verschiedenen Verlauf aufmerksam gemach den die Impfung mit einer Reinkultur von Tuberkelbazillen beim g sunden und beim tuberkulösen Meerschweinchen nimmt. Während beir gesunden Tier die Impfstelle zunächst verheilt und erst nach 10—1 Tagen ein hartes, bald darauf geschwürig zerfallendes Knötchen en stehen läßt, tritt beim tuberkulösen Meerschweinchen bereits in de ersten Tagen nach der Reinfektion eine zirkumskripte Hautnekro auf, die, nach Abstoßung des Schorfes, eine flache Ulzeration zurück läßt, aber bald wieder vollkommen vernarbt. Die Analogie mit de früher erwähnten lokalen Erscheinungen der Überempfindlichkeit lies wohl auf der Hand. Noch deutlicher sind dieselben jedoch beim tube: kulösen Menschen ausgeprägt, dem zu diagnostischen Zwecken Tuberkul: subkutan eingespritzt, in die Haut eingerieben oder auch in den Bind hautsack eingeträufelt wird. In allen diesen Fällen stellen sich nämli XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 337 binnen 24 bis höchstens 48 Stunden spezifische Entzündungen am Orte der Tuberkulinwirkung ein, die sich, je nach der Art und der Stelle der Applikation entweder als schmerzhafte, intensiv gerötete Schwellungen um die Einstichöffnung oder als entzündliche Impfpapel bezw. als ört- liche Dermatitis, oder endlich als heftige Konjuntivitis charakterisieren. Wir werden auf diese verschiedenen Formen der lokalen Tuberkulin- reaktionen, die sich bereits unter dem Namen der v. Pirgurrschen Kutanreaktion, der Moroschen Salbenreaktion und der ÜALMETTEschen Ophthalmoreaktion in der Praxis eingebürgert haben, in einem späteren Kapitel noch näher einzugehen haben. Handelt es sich in allen diesen Fällen um eine direkte Wechsel- wirkung der ins Gewebe eingebrachten Tuberkulinsubstanzen mit ihrer unmittelbaren Umgebung, also um rein lokale Vorgänge, so gibt es be- kanntlich noch eine Reihe anderer Manifestationen der Tuberkulinüber- empfindlichkeit, die auf resorptivem Wege zustande kommen, und wir haben auch bereits die gesteigerte Reaktionsfähigkeit tuberkulösen Ge- webes auf minimale, in den Kreislauf gebrachte Tuberkulinmengen be- sprochen und ihre mutmaßliche Erklärung gegeben. Aber auch Erscheinungen allgemeinerer Natur stellen sich bei der Einführung von Tuberkulin in den spezifisch erkrankten Organismus ein. Wieder war es Roßerr Koch, dem wir die grundlegende und folgen- schwere Entdeckung verdanken, dal) größere Tuberkulindosen von etwa 0,5 g, die von normalen Meerschweinchen ohne merklichen Schaden vertragen werden, tuberkulöse Tiere bei Einführung in die Bauchhöhle binnen 24 Stunden zu töten vermögen. Wird die Injektionsdosis da- gegen wesentlich kleiner bemessen und das Tuberkulin nicht in die Bauchhöhle, sondern subkutan eingespritzt, so bleiben die Tiere am Leben, zeigen aber vorübergehend eine Reihe von Krankheitserscheinungen, deren auffälligstes und konstantestes Symptom in einer Steigerung der Körpertemperatur besteht. Dal) diese Beobachtungen, die, wie allgemein bekannt, die Grundlage für die KocHsche Tuberkulinreaktion abgegeben haben, in vielen Details an die typischen Erscheinungen der Eiweiß- anaphylaxie erinnern, kann nicht geleugnet werden. Immerhin muß es aber einstweilen doch noch als sehr fraglich angesehen werden, ob man das Recht hat, diese Äußerungen der Tuberkulinüberempfindlichkeit wirklich als anaphylaktischen Symptomenkomplex zu deuten. Denn gerade das charakteristischste Phänomen der Eiweißanaphylaxie, der typische Temperatursturz, fehlt ja hier und ist sogar in sein direktes Gegenteil, eine konstante Temperatursteigerung, verkehrt. Da überdies auch die passive Übertragung der Tuberkulinüberempfindlichkeit mit dem Serum trotz vieler auf dieses Ziel gerichteter Versuche bis jetzt noch nicht einwandsfrei gelungen ist, wenn es auch Baıt geglückt zu sein scheint, normale Meerschweinchen durch Einspritzung tuberkulösen Ge- webes gegen die Tuberkulinwirkung empfindlich zu machen, so kann also der Mechanismus dieser Reaktionen einstweilen noch nicht als voll- kommen geklärt angesehen werden. Zum Schlusse nur noch einige Worte über die Bedeutung der Überempfindlichkeit für den Ablauf der Infektionskrank- heiten. Daß die gesteigerte „allergische Reaktionsfähigkeit‘, die es dem immunisierten Organismus ermöglicht, die Einführung klein- ster Antigenmengen mit ungewöhnlich rascher und intensiver Produktion von Antikörpern zu beantworten, einen bedeutenden Vorteil für ihn | bedeuten muß, indem sie ihm z. B. gestattet, die eingedrungenen Krank- Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 22 Bedeutung der Ana- phylaxie. Rezidive. 338 XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie, heitserreger bereits in einem Stadium des Infektionsprozesses zu ver- nichten, wo sie sich noch nicht hinreichend vermehrt haben, um durch ihre frei werdenden Toxine und Endotoxine schwere Schädigungen des Organismus hervorzurufen, haben wir bereits an anderer Stelle aus- geführt. Dagegen haben die mannigfaltigen Phänomene der Anaphylaxie, wenigstens soweit wir bis jetzt beurteilen können, eher den gegenteiligen Effekt und scheinen auf den ersten Blick eher dazu angetan, die Wider- standsfähigkeit des Organismus herabzusetzen, als sie zu erhöhen. Freilich muß man sich aber, wie Moro mit Recht betont, dessen bewußt sein, daß der serumanaphylaktische Tierversuch hier mit besonders groben Mitteln arbeitet und künstlich ungünstige Verhältnisse setzt, die bei dem natürlichen Invasionsmodus der bakteriellen Antigene kaum realisiert sein dürften. Immerhin erscheint es nach dem Gesagten ganz plausibel, wenn WOLFF-EISNER die Anschauung äußert, daß die bekannte Neigung vieler Infektionskrankheiten zu Rezidiven auf derartige anaphylaktische Veränderungen des Organismus zurückzuführen sein könnte, Verände-, rungen, die man sich durch die im Verlauf der ersten Erkrankung er- folgte Resorption bakterieller Antigene bedingt vorzustellen hätte und die eine Begünstigung für die weitere Ansiedelung und Vermehrung der Mikroorganismen bedeuten müßten. | Wie dem auch sei, jedenfalls wird man der weiteren Entwicklung der Lehre von der Überempfindlichkeit mit berechtigten und hochge- spannten Erwartungen entgegensehen dürfen. — Des leichteren Überblickes halber geben wir schließlich hier noch eine von OTTo herrührende, etwas erweiterte Tabelle wieder, welche die verschiedenen Formen der Überempfindlichkeit bezw. der "allergischen Reaktionen in sehr anschaulicher Weise vor Augen führt. Ueberempfindlichkeit. I. Bei wiederholter Injektion mit vermehrungsfähigen Substanzen a) bestimmter tierischer Gifte: 1. Aktinokongestin, 2. Mytilokongestin, 3. Ostreokongestin; b) gewisser Fermente: 1. Papain, 2. Lab; c) verschiedener Eiweißsubstanzen tierischer Herkunft: 1. Blutserum von Pferd, Rind, Schaf, Hund, Katze, Schwein, 2. Milch, 3. Hühnereiweiß, 4. Erythrozytenextrakte vom Hund, 5. Organextrakte; d) verschiedener Stoffe pflanzlicher Herkunft: 1. Polleneiweiß, 2. Bohnenextrakt, 3. Rohes Leinöl, 4. Kokosbutter; e) abgetöteter Bakterien und Bakterienprodukte: 1. Leiber und Extrakte von Bact. coli, Bac. anthracis, Bac. typhlı Bac. paratyphi, Bac. subtilis, dysenteriae, Vibrio cholerae, Vibrio asik; Hefezellen. EEE DEE DEE LEE DEE DELL LER XX. Überempfindlichkeit und Anaphylaxie. 339 II. Bei wiederholter Infektion (Reinfektion) mit lebendem Virus: 1. Experimentelle Syphilis, 2. Pockenvakzination, 3. gewisse akute Infektionskrankheiten, 4. Einspritzung lebender Hefezellen. III. Bei abwechselnder Einführung von lebendem Virus und seinen (leblosen) Stoffwechselsprodukten: 1. Tuberkulin- und Malleinreaktion erkrankter Individuen. 2. Beschleunigter Infektionsverlauf bei Tieren, die mit Filtraten von Tuberkelbazillenkulturen vorbehandelt wurden. 3. Rezidive bei Pneumonie, Erysipel, Varizellen, Bronchitis, Rhinitis, Influenza durch Überempfindlichkeit infolge Resorption von Bakterieneiweiß (?). IV. Bei Vorbehandlung mit Serum oder Organen allergischer Tiere (passive Anaphylaxie). Literatur. v. BEHRInG und Kırasaıma, Berl. klin. Wochenschr., 1901. Knorr, Münch. med. Wochenschr., 1898, Ransom, Berl. klin. Wochenschr., 1901. Ders., Deutsche med. Wochenschr., 1898. Mürzer, P. Tr., Zentralbl. f. Bakt., 1908. WASssERMANN und Bruck, Deutsche med. Wochenschr., 1906. Worrr-Eisner, Deutsche med. Wochenschr., 1907. Rıc#Et, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1907, 1908. Ders., Compt. rend. de la Soc. de Biol., 1902 ff. Arraus, Compt. rend. de la Soc. de Biol., 1903. Sıita, T#., Journ. of med. Res., 1904. Orro, Beurer und Serumkrankheit, in Kolle-Wassermanns Handb., II. Erg.- „„ 1908. Moro, Ergebnisse d. pathol. Anatomie u. Laborat., Ostertag 1910. DoERR, Kritische Literaturübersicht; Zeitschr. f. Immunit.f. Referate, 1910. FRIEDBERGER, Zeitschr. f. Immunit.f. Bd. 2 und 3. Ders., Berl. klin. Wochenschr., 1909, Nr. 6. FRIEDBERGER und Harroca, Zeitschr. f. Immunit.f. Bd. 3. FRIEDEMANN, Zeitschr. f. Immunit.f. Bd. 2. BievL und Kraus, Wien. klin. Wochenschr., 1909; Zeitschr. f. Immunit.f. Bd.4; Ref. Bd. 1. DoErR und Russ, Zeitschr. f. Immunit.f. Bd. 2 und 3. BEsREDKA, Compt. rend. de la Soc. de Biol., 1907. Rosenau und ANDERson, Public Health and Marine Hospit. Bull., 1907. PirRquer und Scaick, Die Serumkrankheit, Deuticke 1905. CurRriE,. Journ. of Hyg., 1907. NicoLze, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1907. FRIEDEMAnN, Münch. med. Wochenschr., 1907. Levapırı, Anaphylaxie, Sammelreferat in WeıcHarprs Jahresber. über 1907. 22* Immunität durch mangelnde Eignung zum Kultur- medium. spezifische uchs- stoffe“. XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Resistenzverminderung. Wollen wir nun auch die verschiedenen Formen der antibakteriellen Immunität nach dem Mechanismus ihrer Wirksamkeit klassifizieren und systematisch zusammenstellen, so können wir uns mit Rücksicht auf die mannigfachen Andeutungen, die wir diesbezüglich bereits bei ver- schiedenen Gelegenheiten gegeben haben, ziemlich kurz fassen. Das wesentliche Charakteristikum der antibakteriellen Immunität liegt, wie dies schon in dem Namen deutlich zum Ausdruck kommt, darin, daß die auf irgend einem Wege in den Organismus eingedrungenen i Keime daselbst nicht die Möglichkeit vorfinden, sich in genügendem Maße zu vermehren und vom Orte der Invasion weiter zu verbreiten, um durch ihre verschiedenartigen giftigen Produkte eine schwerere Er- krankung hervorzurufen. Diese Behinderung des Bakterienwachstums kann nun prinzipiell H in doppelter Weise zustande kommen. Einerseits kann nämlich der Organismus mit seinen verschiedenartigen Geweben und Säften ein un- günstiges Kulturmedium für die betreffenden Keime darstellen, das sich in dieser Beziehung ebenso verhält, wie andere ungeeignete Nährböden lebloser Natur, ohne selbst irgendwelche direkt aggressive Eigenschaften zu besitzen; andererseits aber kann es sich hierbei um direkt bakterienfeindliche, keimtötende Qualitäten der Zellen, Gewebe und Flüssigkeiten handeln, die als zweckmäßige Ab- wehrvorrichtungen des Organismus aufzufassen sind. So können, um zunächst bei der ersteren dieser beiden Möglichkeiten zu verweilen, die im tierischen Organismus herrschenden Temperaturverhältnisse, der osmotische Druck der Gewebssäfte, ihr Alkaleszenzgrad, die Beschaffenheit der zur Verfügung stehenden stickstoffreien und stickstoffhaltigen Substanzen derartige sein, daß gewisse Mikroorganismen in diesen Medien von vorn- herein nicht gedeihen können, sondern, um einen naheliegenden Vergleich aus der Physiologie der höheren Lebewesen zu gebrauchen, in ihnen verhungern oder ersticken müssen. Besonders leicht wird dieser Fall eintreten, wenn die Mikroorganismen zu ihrem Wachstum ganz besonderer, nicht überall zur Verfügung stehender Nahrungsstoffe bedürfen. Ein vortreffliches Beispiel für die bedeutsame Rolle solcher „spezifischer Wuchsstoffe“, wie sie Eur- LICH nennt, liefert der Influenzabazillus, dessen Wachstum ja, wie be- kannt, an die Anwesenheit minimalster Hämoglobinmengen geknüpft erscheint. Fehlen in dem betreffenden tierischen Organismus diese auxiliaren Wuchsstoffe für eine bestimmte Bakterienart, so ist eine Vermehrung der Keime ausgeschlossen und der Organismus bietet eine Form von Immunität dar, die man mit EHrLicH als atreptische | XXI]. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 341 bezeichnen kann. Die Immunität der meisten Tiere gegenüber der Atreptische großen Zahl harmloser Saprophyten, die ihre unmittelbare Oberfläche "mitt und ihre Umgebung bevölkern, ist wohl zum Teil auf derartige Mecha- nismen zurückzuführen, zumal in jenen Fällen, wo die Bakterien, wie gewisse im Wasser lebende Arten, überhaupt nicht bei Blut- temperatur zu wachsen vermögen. Aber auch bei echten pathogenen Bakterienarten scheint er, in besonderen Fällen wenigstens, mitzu- wirken, und wir haben bereits in einer früheren Vorlesung das hierher gehörige Beispiel des Milzbrandbazillus zitiert. der für gewisse Kaltblüter und Vögel — also für Tiere, deren Bluttemperatur nicht unerheblich von der der Säugetiere abweicht — normalerweise nicht pathogen ist, sondern nur durch systematische Gewöhnung an diese für ihn ungünstigen Temperaturverhältnisse die Fähigkeit erlangt, sie zu infizieren und unter den typischen septikämischen Erscheinungen zu töten. Man wird wohl annehmen dürfen, daß die Immunität der genannten Tiere in der Tat auf die abnormen Wachstumsbedingungen zurückgeführt werden muß, die der Anthraxbazillus in ihrem ungewöhnlich niedrig oder hoch temperiertem Organismus vorfindet. Speziell wird man daran denken können, daß der Milzbrandbazillus normalerweise nicht die Fähigkeit besitzt, die ihm in diesen Tieren gebotenen Nahrungsstoffe in ent- sprechender Weise zu verwerten, daß er aber durch seine Akklimati- sation an die betreffenden Temperaturen diese Fähigkeit erwirbt und so die atreptische Immunität überwindet. Allerdings läßt sich aber doch nicht mit Sicherheit ausschließen, daß daneben nicht noch ge- wisse Abwehrvorrichtungen in Kraft treten, da ja der Anthraxbazillus ohne Zweifel unter ungünstigen Ermnährungsverhältnissen für Schädi- gungen aller Art, also auch für die bakterienfeindlichen Einwirkungen des Serums und der Phagozyten, bei weitem empfindlicher sein dürfte als unter optimalen Wachstumsbedingungen und der Einfluß der Tem- peratur daher in diesem Falle ganz gut auch ein indirekter sein kann. Wie man sieht, läßt sich also in praxi nicht immer eine scharfe Trennung zwischen den beiden genannten Mechanismen durchführen und nicht immer entscheiden, welcher von ihnen im gegebenen Falle für das Zustandekommen der Immunität maßgebend ist. Es kann jedoch keinem Immuzität Zweifel unterliegen, daß derjenige Mechanismus, bei dem bakterien- terienfeind- feindliche Abwehrvorrichtungen des Organismus in Aktion treten, nicht ehtanren. nur der weitaus interessantere, sondern auch der biologisch wichtigere sein dürfte. Haben wir das Schicksal der Mikroorganismen in einem ungünstigen Nährboden mit dem Ersticken oder Verhungern verglichen, so werden wir die Einwirkung der bakterienfeindlichen Stoffe des Tierleibes auf die Krankheitserreger mit einer Vergiftung oder chemischen Zerstörung derselben in Parallele setzen dürfen und werden nach den Ausführungen früherer Vorlesungen zwischen einer intrazellulären und einer extrazellulären Bakterienvernichtung unterscheiden müssen. Erstere setzt, wie wir wissen, als vorbereitenden Vorgang die Aufnahme der pathogenen Keime durch die zelligen Elemente, also Phagozytose voraus, letztere hingegen bedarf keines derartigen einleitenden Aktes, sondern kann sofort nach ihrem Eindringen in die Gewebe vor sich gehen, vorausgesetzt, daß am Orte der Invasion genügende Mengen bakterizider Substanzen angehäuft sind. Manche Stellen der äußeren oder inneren Körperoberfläche, von denen aus die Mikroorganismen Eintritt in die Gewebe finden, sind nun 342 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. schon normalerweise durch die Anwesenheit großer Mengen von Phago- zyten ausgezeichnet, die zu lymphoiden Organen angeordnet sind. Andere Körperstellen hingegen verfügen über keine derartigen Iympha- tischen Schutzapparate, und in diesem Falle kann eine wirksame Phago- zytose nur dann eintreten, wenn große Mengen von Wanderzellen durch die positiv chemotaktischen Stoffe angelockt werden, welche die Mikro- organismen produzieren. Scheiden die letzteren jedoch Substanzen ab, die nach Art der Aggressine negativ chemotaktisch wirken und die Leukozyten fernzuhalten vermögen, dann wird es zu einer intensiven Vermehrung der krankheitserregenden Keime kommen können, voraus- gesetzt, daß die Wirkung dieser Stoffe nicht durch rechtzeitig mobili- sierte Antiaggressine aufgehoben wird und also trotzdem Phago- zytose eintritt. Auch die Anwesenheit oder das Fehlen von Opsoninen und Tropinen in den Körpersäften muß in dieser Richtung von ent- scheidender Bedeutung für das Schicksal der eingedrungenen Mikroben sein. Wie die Leukozyten können auch die bakteriolytischen Stoffe (Serumbakteriolysine, Leukine, Endolysine) und die Opsonine entweder schon normalerweise am Orte der Bakterieninvasion zugegen sein oder aber daselbst fehlen und erst von einer anderen Stelle des Körpers be- schafft werden. Da die Bakteriolysine, wie wir wissen, zum Teil kom- plexer Natur sind und aus zwei verschiedenen, in ihren Mengenverhält- nissen voneinander unabhängigen Komponenten bestehen, so ist also die Gegenwart beider Bestandteile, des Komplements sowohl wie der Ambo- zeptoren, an der Infektionsstelle unerläßlich, wenn das Wachstum der eingedrungenen Mikroorganismen erfolgreich unterdrückt werden soll. Fehlt jedoch, wie das in manchen Fällen wahrscheinlich ist, die eine oder die andere dieser beiden Komponenten am Orte der Bakterien- niederlassung, dann werden sich die Keime in der ersten Zeit ungestört vermehren können und lokale Schädigungen hervorrufen, die zu reaktiven Vorgängen Veranlassung geben und bewirken, daß die fehlenden Schutz- stoffe in möglichster Eile herbeigeschafft werden. | Dieser reaktive Prozeß wird rascher zum Ziele führen, wenn die Schutzstoffe bereits an anderen Stellen des Organismus fertig vorgebildet sind und also nur des Transportes nach dem Invasionsherde bedürfen; er wird längere Zeit in Anspruch nehmen, wenn diese Stoffe von den zelligen Elementen erst neu produziert werden müssen. | Für den Transport der bereits normalerweise im Organismus vor- handenen Schutzstoffe kommen nun einerseits die Gewebsflüssig- keiten, also Blut, Lymphe und die Exsudät- und Transsudatflüssigkeiten, in Betracht, die unter dem Einflusse des Reizes, den die Stoffwechsel- produkte der Bakterien auf die Gefäße des lädierten Bezirkes ausüben, in reichlicherer Menge herbeiströmen, andererseits aber die weißen Blut- körperchen, die Wanderzellen, die wir ja in früheren Vorlesungen als die mutmaßlichen Quellen mancher Arten von bakteriziden Stoffen (Endolysinen, Leukinen), vielleicht auch von Ambozeptoren und Opso- ninen kennen gelernt haben und die ihren Vorrat an wirksamen Sub stanzen entweder durch einen Sekretionsvorgang oder bei ihrem Zerfall an die Gewebssäfte abgeben. Da aber eine derartige Reizwirkung durch‘ entzündungserregende Stoffe verschiedenster — nicht nur bakterieller — Herkunft ausgeübt werden kann, so leuchtet ein, daß es möglich sein muß, durch Einverleibung solcher Substanzen künstlich eine oka standsfähigkeit hervorzurufen. XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 343 In der Tat ist es seit langem bekannt — und Issarrr hat diese Künstliche, Tatsache in sorgfältig durchgeführten Experimenten studiert — daß „lkhe man durch intraperitoneale Einspritzung von physiologischer Kochsalz- rn; lösung, von Harn, Bouillon, Serum, Nukleinlösung, Tuberkulin, Pyo- Ki; cyanase usf., eine erhöhte Resistenz gegenüber verschiedenen Krankheits- erregern schaffen kann, die ihrer Entstehung nach natürlich nicht- spezifischer Natur ist. Ebenso selbstverständlich ist ferner, daß diese vermehrte Widerstandsfähigkeit, die ja, wie gesagt, nur auf der lokalen Konzentration antibakterieller Substanzen bezw. auf der Ansammlung von Phagozyten und nicht auf einer Veränderung des Gesamtorganismus beruht, auch nur dann in Erscheinung zu treten vermag, wenn die Vor- behandlung mit einem der genannten Stoffe an derselben Körperstelle erfolgt, wie die nachträgliche Infektion. So kann man z. B. Meer- schweinchen durch solche intraperitoneale Injektionen derart präpa- rieren, daß sie die mehrfach tödliche Dosis virulenter Typhusbazillen ohne weiteres vertragen, wenn dieselbe in die Bauchhöhle eingeführt wird. Hatte hingegen die präparatorische Einspritzung subkutan statt- gefunden, so ist ihr schützender Effekt gegenüber der intraperitonealen Infektion zum mindesten ein sehr zweifelhafter. Es ist jedoch PrEIFFER und FRIEDBERGER gelungen, bei Meerschweinchen durch subkutane Einspritzung sehr großer Dosen von Choleravibrionen auch gegen die intraperitoneale Infektion mit Typhusbazillen eine nicht unbeträchtliche Resistenzsteigerung hervorzurufen, die bereits 12 Stunden nach der schutzverleihenden Einspritzung deutlich ausgeprägt war. In diesem Falle scheint also doch neben der lokalen auch eine allgemeine Zustandsänderung des Organismus eingetreten zu sein, die jedoch strenge von der erst viel später auftretenden spezifischen Immunität zu scheiden ist, da sich die letztere ja nur gegen Choleravibrionen, nicht aber gegen andere Bakterienarten richtet. — Endlich ist leicht einzusehen, daß diese gesteigerte Resistenz nur ein vorübergehender Zustand sein kann und häufig schon nach 48 Stunden im Abnehmen begriffen ist, da sie ja, wie gesagt, meist lediglich an die lokalen, ent- zündlichen Veränderungen geknüpft erscheint und daher mit ihnen spur- los wieder verschwindet. Wie man sieht, unterscheidet sich also diese Form der gesteigerten Widerstandsfähigkeit in verschiedenen Punkten, vor allem aber durch den Mangel der Spezifität sehr wesentlich von der echten Immunität, und PFEIFFER hat, um diesen Unterschied auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen, den Vorschlag gemacht, sie von ihr ganz abzutrennen und als Pseudoimmunität oder als künstliche Resistenz zu _ Pseudo- bezeichnen. Es ist bekannt, daß man sich neuerdings in der Chirurgie "At gerade dieser künstlichen Resistenzvermehrung oft mit bestem Erfolge bedient und bei Laparotomien die Infektionsgefahr durch Einführung von sterilem Serum oder von Nukleinsäure in die Bauchhöhle wesent- lich zu verringern imstande ist. Sind die zur Abtötung der betreffenden Keime erforderlichen Stoffe — fast stets wird es sich hierbei um Ambozeptoren oder Opsonine bezw. Tropine handeln — im Organismus entweder gar nicht oder doch nur in ungenügender Menge vorhanden, dann kann eine möglichst rasche Neubildung derselben noch imstande sein, den Infektionsprozeß zu lokalisieren und zum Stillstand zu bringen. Diese Neubildung kann sich, wie wir wissen, an verschiedenen Stellen des Organismus vollziehen: entweder nämlich am Orte der Infektion selbst oder aber fern von dem- 344 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. selben, in den blutbildenden, Iymphoiden Organen, Milz, Knochenmark und Lymphdrüsen. Bei der Besprechung des zeitlichen Ablaufs der Antikörperproduktion haben wir ferner gesehen, eine wie beträchtliche Beschleunigung dieser Vorgang durch die spezifische Immunisierung er- fahren kann, und betont, daß ein derartig präparierter Organismus, auch wenn sich zur Zeit der Infektion keine bakteriolytischen Ambozeptoren oder Opsonine mehr in seinen Säften vorfinden, doch durch die größere Schnelligkeit, mit welcher er sie im Notfalle herbeizuschaffen ver- mag, dem nichtimmunisierten überlegen sein muß. Zweifellos wird auch der Ort der Antikörperproduktion hierbei unter Umständen von Einfluß sein können. Denn damit z. B. in den fernliegenden lymphoiden Or- ganen eine antigenetische Reaktion ausgelöst werden kann, muß zuerst eine genügende Menge bakterieller Substanzen am Orte der Invasion frei werden, in die Säftezirkulation geraten und diesen Organen zuge- führt werden. Ist dann die Antikörperproduktion im Gange, dann muß der Gehalt des Serums an Schutzstoffen erst eine gewisse Höhe er- reichen, bis sich ihre Wirkung auch an der Läsionsstelle geltend machen kann, und es vergeht also vom Momente der Infektion bis zum ersten Eintreffen der bakteriolytischen Substanzen relativ viel Zeit. Dieser Zeitverlust ist natürlich ein bedeutend geringerer, wenn die Antikörper am Orte der Invasion selbst entstehen, da sie sich ja in diesem Falle sofort in innigem Kontakt mit den abzutötenden Mikroorganismen be- finden und nicht erst eines langen Transportes bedürfen, um ihre Wirk- samkeit entfalten zu können. Je länger natürlich das Eintreffen der antibakteriellen Substanzen auf sich warten läßt, desto weiter werden unterdessen die lokalen Ver- änderungen fortschreiten, die durch die Wucherung der Bakterien her- vorgerufen werden, desto intensiver und ausgeprägter werden die Krank- heitserscheinungen sein und desto niederer wird der Immunitätsgrad sein, den wir dem betreffenden Organismus zuerkennen können. Wie man sieht, ergeben sich also, je nach der Intensität und Schnelligkeit der geschilderten Vorgänge, alle möglichen Übergangsstufen zwischen der absoluten Unempfänglichkeit eines tierischen Organismus für einen bestimmten Krankheitserreger und dem entgegengesetzten Extrem, seiner höchsten Empfindlichkeit. Es ist wohl einleuchtend, daß unter diesen Umständen die genaue Analyse, welcher der genannten Mechanismen im speziellen Falle die Widerstandsfähigkeit veranlaßt, noch erheblich schwieriger sein muß als bei der antitoxischen Immunität, und daß daher auch, wenn wir von der spezifischen Immunität, die ja ein sehr eingehendes Studium erfahren hat, absehen, nur wenige Fälle wirklich als geklärt gelten können. Besonders auf dem Gebiete der natürlichen Immunität bleibt also der Zukunft die Beantwortung noch mancher wichtigen Frage vorbehalten. me Der Übersichtlichkeit halber wollen wir die bei der antibakteriellen bakteriellen Immunität ins Spiel kommenden Faktoren und die Art, wie sie in Immanität. Funktion treten, nochmals schematisch zusammenstellen. Antibakterielle Immunität N bedin gt W I. durch mangelnde Eignung des Organismus, als Nährboden zu dienen; Il. durch antibakterielle Abwehrvorrichtungen. ; Diese können sein: XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 345 A. Natürlich, angeboren, nicht spezifisch. 1. Phagozytose mit intrazellulärer Bakteriolyse. a) Phagozyten bereits am Ort der Invasion anwesend, b) Phagozyten wandern erst später hinzu, c) Normalopsonine und Tropine bereits am Ort der Invasion an- wesend, d) Normalopsonine erst später, durch vermehrte Saftzirkulation, durch Neubildung oder durch Wanderzellen herbeigeschafft. 2. Bakteriolyse. a) Normalambozeptoren und Komplement am Ort der Invasion an- wesend, b) Normalambozeptoren in genügender Menge zugegen, Komple- ment wird erst durch Neubildung, durch vermehrte Zirkulation oder durch Wanderzellen herbeigeschafft, c) Komplement in genügender Menge zugegen. Normalambozeptor wird neugebildet, und zwar lokal oder in den Iymphoiden Or- ganen usw. d) alumne und Leukine, von den anwesenden Leukozyten ge- liefert, e) Endolysine und Leukine, von den zuwandernden Leukozyten geliefert. B. Künstlich vermehrt, nicht spezifisch (Pseudoimmunität). Lokale Anhäufung von Phagozyten, Bakteriolysinen bezw. Endo- lysinen und Leukinen oder ÖOpsoninen, bedingt durch Injektion reizender Stoffe, C. Natürlich oder künstlich erworben, spezifisch. 1. Passiv; die wirksamen Stoffe, in fremdem Organismus entstanden und von außen her zugeführt. a) Immunambozeptoren; das nötige Komplement entweder am Ort der Invasion zugegen oder wird erst durch vermehrte Zir- kulation, Neubildung oder Wanderzellen herbeigeschafft, b) Immunopsonine und Tropine; Leukozyten entweder zu- gegen oder wandern erst hinzu. 2. Aktiv. Die wirksamen Stoffe im selben Organismus entstanden. a) Immunambozeptoren. Entweder 1. schon im Organismus vorhanden oder 2. mit Beschleunigung neugebildet, und zwar lokal oder in den lymphoiden Organen. Das erforderliche Komplement entweder am Ort der Invasion zugegen oder durch Neubildung, durch vermehrte Zirkulation und Wanderzellen herbeigeschafft. b) Immunopsonine und Tropine. Entweder 1. schon im Organismus vorhanden oder 2. mit Beschleunigurg neugebildet, und zwar lokal oder in den lymphoiden Organen. Die Leukozyten entweder am Ort der Invasion zugegen oder wandern erst hinzu. Wir haben nun bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß der Änderungen Immunitätsgrad des Einzelindividuums keine unveränderliche Größe dar- Ser ran. stellt, sondern unter Umständen recht beträchtlichen Schwankungen keit unterliegen kann. Damit war nicht nur die Möglichkeit einer aktiven oder passiven spezifischen Immunisierung gemeint, sondern vor allem auch jene Variationen der natürlichen nichtspezifischen Widerstandsfähigkeit, welche durch die verschiedensten äußeren oder inneren Ursachen hervorgerufen werden können. Die klinische Erfahrung wie das Tierexperiment haben eine große Reihe von Einflüssen auf den Organismus kennen gelehrt, die eine derartige Änderung — meist eine Verminderung der Resistenz, einen Verlust der Immunität, eine Erhöhung der Empfänglichkeit bedingen. durch Hunger. durch Durst. durch Er- müdung. durch Temperatur- änderungen. 346 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Daß ungünstige Lebensbedingungen, wie mangelhafte, qualitativ oder quantitativ unzureichende Ernährung, übermäßige Anstrengungen, ungesunde, unreinliche Wohnungen, Erkältungsschädlichkeiten, ferner auch psychische Traumen, Kummer, Sorgen usf. imstande sind, die Disposition des Menschen für manche Infektionskrankheiten — z. B. für die Tuberkulose — zu erhöhen, ist eine zu allbekannte Tatsache, als daß wir nötig hätten, länger bei ihr zu verweilen. Hingegen wollen wir einige der mannigfaltigen Versuche, diese Verhältnisse auch ° im Tierexperimente nachzuahmen und die Immunität gewisser Spezies gegenüber bestimmten pathogenen Bakterien zu brechen, hier in Kürze erwähnen. Vor allem verdienen hier die vielzitierten Versuche von CAnALıs. und MorPURGO angeführt zu werden, die ergaben, daß Tauben durch andauernde Nahrungsentziehung ihre sonst sehr beträchtliche Wieder- standsfähigkeit gegenüber dem Milzbrandbazillus einbüßen. Dauerte hierbei die Hungerperiode nur wenige Tage, so war es noch möglich, die Tiere durch nachträgliche Nahrungszufuhr zu retten; hatten sie jedoch einmal 8—9 Tage gehungert, so war der Verlust der Immu- nität ein definitivrer und konnte auch durch reichliche Fütterung nicht mehr wettgemacht werden. Viel geringer war der Einfluß der Nahrungsentziehung beim Huhn. Hier gelang es niemals, tödlichen Milzbrand hervorzurufen, wenn die Tiere erst vom Augenblick der In- fektion ab hungern gelassen wurden, sondern es bedurfte hierzu stets einer vorläufigen 3—7tägigen Hungerperiode. Weiße Ratten waren durch Nahrungsentziehung überhaupt nicht für Milzbrand empfänglich zu machen. Noch energischer als die Nahrungsentziehung wirkte bei den Ver- suchen von PERNICE und Auxssı die Wasserentziehung, indem es mög- lich war, durch Durstenlassen sowohl Hunde als Tauben und Hühner ihrer Immunität gegenüber dem Anthraxbazillus zu berauben. Hin- gegen zeigten sich wiederholte energische Aderlässe in dieser Beziehung vollkommen wirkungslos, wohl der beste Beweis dafür, daß es sich bei dem Verluste der Immunität in diesen Fällen nicht einfach um eine Herabsetzung des allgemeinen Kräftezustandes, um eine Schwächung der vitalen Energie, sondern um ganz bestimmte qualitative und quan- titative Änderungen des Stoffwechselgetriebes handeln dürfte. CHARRIN und RoGER ließen Ratten in einer Tretmühle bis zur hochgradigen Ermüdung laufen und konnten sie in diesem erschöpften Zustande erfolgreich mit Milzbrandbazillen infizieren, obwohl diese Tiere normalerweise recht widerstandsfähig gegen sie zu sein pflegen. GIBIER machte die interessante, von anderen Forschern vollauf bestätigte Beobachtung, daß Frösche bei 37° C ihre natürliche Immuni- tät gegenüber dem Milzbrandbazillus verlieren, und umgekehrt konnte ERNST zeigen, daß diese Amphibien, die bei niedriger Temperatur einer Infektion mit dem Bacillus ranicida unfehlbar erliegen, durch Einbringen in einen auf 25° © eingestellten Brutschrank gegen diesen Mikroorganismus immun gemacht werden können. Auch bei höheren Tieren sind derartige Temperaturänderungen des umgebenden Mediu oft von einem Verluste der Widerstandsfähigkeit gegen manche Krank- heitserreger gefolgt. PAstEur und JJOUBERT und später WAGNER habe z. B. Hühner durch Eintauchen in Wasser von 25°C, also durch Wärm entziehung, für Milzbrand empfänglicher machen können, Lıparı hal gefunden, daß vorübergehend abgekühlte Tiere der Infektion mit Pneumo- XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 347 kokken leichter erliegen als die normalen Kontrolltiere, und Lope ist bei seinen Studien über die Beeinflussung der individuellen Disposition zu Infektionskrankheiten durch Wärmeentziehung für eine ganze Reihe von Krankheitserregern zu analogen Resultaten gelangt. Endlich sind noch eine Anzahl von Giftstoffen, von denen wir hier nur die Narkotika, wie Opium und Chloralhydrat, und vor allem auch den Alkohol hervorheben wollen, imstande, die Immunität vieler Tierspezies zu brechen und sie für Mikroorganismen empfänglich zu machen, denen sie unter normalen Verhältnissen ohne weiteres Wider- stand zu leisten vermögen — eine Tatsache, die ja auch in der mensch- lichen Pathologie mannigfaltige und allbekannte Analogien besitzt. Fragen wir uns nun, nach welchem Mechanismus denn dieser Ver- lust der Immunität eigentlich vor sich geht, so müssen wir gestehen, daß wir darüber nur recht wenig Sicheres auszusagen vermögen. Bei dem übermächtigen Interesse, welches die Erscheinungen der erworbenen spezifischen Immunität in den letzten Jahren für sich in Anspruch ge- nommen haben, ist die Erforschung der natürlichen nichtspezifischen Widerstandsfähigkeit und ihrer Alterationen etwas in den Hintergrund gedrängt worden und hat mit den übrigen Gebieten der Immunitäts- lehre nicht gleichen Schritt halten können. Dazu kommt noch, daß gerade bei dem Problem der Resistenzverminderung eine Verallge- meinerung noch weniger zulässig erscheint als sonst und daher eigent- lich jeder einzelne Fall besonders untersucht und beurteilt werden müßte, eine Aufgabe, deren Lösung natürlich einen ganz außerordent- lichen Aufwand an Mühe und Scharfsinn erfordern würde und de facto bis jetzt nur in ganz geringem Umfange in Angriff genommen wurde. Unter diesen Umständen bleibt uns daher nichts anderes übrig, als an der Hand des oben gegebenen Schemas die verschiedenen Möglichkeiten durchzugehen, welche eine Resistenzverminderung bedingen könnten, die verschiedenen Mechanismen des Immunitätsverlustes zu konstruieren und an geeigneter Stelle die wenigen Tatsachen einzuflechten, welche hierüber bekannt geworden sind. 1. Eine Verbesserung der Wachstums- und Ernährungsbedingun- gen, die der betreffende widerstandsfähige Organismus den Krankheits- erregern darbietet, wird wohl nur in exzeptionellen Fällen für den Ver- lust der Immunität verantwortlich gemacht werden können. Wir haben einen derartigen Fall, bei welchem dieser Mechanismus wenigstens mit- beteiligt sein dürfte, bereits zu Beginn dieser Vorlesung erwähnt und betont, daß daneben aber noch andere Deutungen möglich sind. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird man annehmen dürfen, daß bei der oft beobachteten gesteigerten Empfänglichkeit von Individuen, die an Magenkatarrh leiden, für die Cholerainfektion ähnliche Faktoren im Spiele sind, da man weiß, daß die Anwesenheit größerer Schleimmengen im Magensaft das Wachstum der Vibrionen in diesem ihnen sonst wenig zusagenden Medium erheblich begünstigt. 2. Ein Versagen phagozytärer Schutzeinrichtungen müßte eben- falls geeignet sein, die Widerstandsfähigkeit des tierischen Organismus zu brechen. Wie wir bei Besprechung der Phagozytose erwähnt haben, bezieht in der Tat die MErschnikorrsche Schule die resistenzvermin- dernde Wirkung der Narkotika auf eine Lähmung der weißen Blut- körperchen, die während der Dauer ihrer Narkose nicht imstande sein sollen, Mikroorganismen oder andere geformte Elemente in ihr Inneres aufzunehmen und zu zerstören. Allerdings haben wir schon damals durch Ver- giftung. Mechanis- mus der Resistenz- verminde- rung. 348 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. darauf hingewiesen, daß auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen der durch die genannten Giftstoffe hervorgerufenen Motilitäts- störung der weißen Blutkörperchen und der Resistenzverminderung durchaus nicht bewiesen erscheint, sondern höchstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann, und daß andere Erklärungsversuche mindestens ebenso berechtigt sein dürften. 3. Hingegen wäre eine durch Mangel an Opsoninen und Tro- pinen bedingte Insuffizienz der phagozytären Abwehrvorrichtungen des Organismus nach dem, was wir im X. Kapitel auseinandergesetzt haben, zweifellos in manchen Fällen zur Erklärung gesteigerter Krankheits- disposition heranzuziehen. Interessant ist in dieser Hinsicht, daß nach KoEssLer und NEUMANN in der Schwangerschaft, die ja bekanntlich eine gewisse Prädisposition für den Ausbruch tuberkulöser Prozesse schafft, der opsonische Index eine besondere Labilität aufweist, indem er nur bei 48%, der untersuchten Frauen normale Werte ergab, wäh- rend sich bei gesunden, nicht tuberkuloseverdächtigen Menschen etwa 87°, normale Indizes zu finden pflegen. 4. Eine Reihe weiterer Mechanismen, die den Verlust der Immu- nität bedingen können, würden auf der mangelhaften Funktion der bak- teriolytischen Schutzvorrichtungen des Organismus beruhen. Vor allem käme hier die verminderte Produktion von Komple- menten in Betracht, die tatsächlich bei manchen schweren Schädigungen des Organismus beobachtet wurde. So haben EHrLich und MORGEN- ROTH bei phosphorvergifteten Tieren gewisse hämolytische Komplemente aus dem Blutserum verschwinden sehen, METALNIKOFF bei chronischen Eiterungen, BEnDIvEGNa und Carısı bei Hunger und bestimmten Ver- giftungen, ABBoT und BERGEY bei chronischem Alkoholismus. Es ist jedoch die Wirkung solcher Schädigungen durchaus nicht immer die gleiche, und nicht selten findet man bei derartigen schwer erkrankten Tieren gleichwohl normalen oder sogar vermehrten Komplementgehalt, wie dies z. B. TRroMMSDORFF bei seinen ausgedehnten Versuchen an abgekühlten Tieren neuerdings wieder bestätigt hat. Auch beim er- wachsenen Menschen hat übrigens LünkE weder unter physiologischen noch unter pathologischen Verhältnissen stärkere Abweichungen vom normalen Komplementgehalt beobachten können und infolgedessen keiner- lei prognostische oder diagnostische Schlüsse aus seinen Komplement- bestimmungen ziehen können. Regeneration Diese Tatsache wird leichter verständlich, wenn man bedenkt, daß der Kom- .„. E 5 2 5 . plemente. die Regeneration der Komplemente im allgemeinen ziemlich rasch vor sich zu gehen scheint. Beweisend hierfür sind die interessanten Ver- suche von SCHÜTZE und SCHELLER, die große Mengen gewaschenen Ziegenblutes in die Ohrvene von Kaninchen einspritzten und hierbei be- obachten konnten, daß deren Serum binnen ganz kurzer Zeit seine lösenden Eigenschaften gegenüber dieser Art von Erythrozyten voll- kommen verloren hatte. Wie eine genauere Analyse lehrte, war hier- bei der ganze Komplementgehalt des Serums durch die eingeführten Blutkörperchen gebunden und aufgebraucht worden. Schon nach 2—4 Stunden, vom Moment der Bluteinspritzung an gerechnet, war jedoch in der Regel wieder vollständige Regeneration eingetreten und die globulizide Wirksamkeit des Serums wiederhergestellt, und es dürfte wohl ohne Bedenken gestattet sein, diese an den hämolytischen Komplementen beobachteten Tatsachen zu verallgemeinern und auch auf die ganz analog funktionierenden bakterio- Y XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 349 lytischen Komplemente zu übertragen. Dagegen fand TIrROMMSDORFF die Regeneration der Komplemente bei resistenzschwachen, ermüdeten oder stark abgekühlten Versuchstieren meist wesentlich herabgesetzt. Aber auch wenn die Versuchstiere vor der Injektion der Ziegen- erythrozyten mit dem Bazillus der amerikanischen Schweineseuche (Hog- Cholera) infiziert worden waren, welcher Kaninchen binnen 2—4 Tagen zu töten vermag, zeigte sich die Regeneration der Komplemente ‚stets ganz erheblich verzögert, wenn nicht vollkommen auf- ‚gehoben. SCHÜTZE und SCHELLER sehen in dieser Beobachtung mit Recht ein neues Erklärungsmoment für die klinisch feststehende Tat- sache, daß der infizierte Organismus dem Fortschreiten einer sekun- dären Infektion, gegen die ein gesunder, nicht geschwächter Organis- mus sich resistent verhält, nur erheblich geringeren Widerstand zu leisten vermag. Daß aber in der Tat der Verlust oder die künstliche Ausschaltung der bakteriolytischen Komplemente imstande ist, die Widerstandsfähig- keit gegenüber gewissen Krankheitserregern zu vernichten, das hat WASSERMANN in einer sehr interessanten Versuchsanordnung zu zeigen unternommen. WASSERMANN hat einer Reihe von Meerschweinchen die 40 fach tödliche Dosis von Typhusbazillen zugleich mit einer entsprechenden Menge normalen Kaninchenserums injiziert und gefunden, daß diese Tiere, wohl infolge der Schutzwirkung, die von den bakteriolytischen Ambozeptoren des einverleibten Serums ausgeht, am Leben bleiben. Wurde jedoch gleichzeitig Meerschweinchenantikomplement injiziert, das durch Behandlung von Kaninchen mit frischem Meerschweinchen- serum erhalten worden war, so gingen die Tiere ausnahmslos zugrunde. Beistehende kleine Tabelle gibt einen derartigen Versuch von WAssERr- MANN in extenso wieder. Meerschw. I Meerschw. IT Meerschw. III | Meerschw. IV 1 Öse Typhus + 1 Öse Typhus + | 3 cem Antikompl.- 1 Öse Typhus in 3 ccm Antikompl.- 3 ccm normales Serum intraperit. 1 ccm Bouillon Serum intraper. Kaninchenserum Nach 1 Std. massenh. | Nach 1 Std. Peri- Munter, lebt Abends + bewegl. Typh.-Baz., ! toneum fast steril zahlr. Leukozyten Abends + Tags darauf: munter, lebt Es hat also bei diesen Experimenten nach der Deutung WAssER- MAnNs eine Bindung des normalerweise vorhandenen Komplements durch das eingeführte Antikomplement stattgefunden, und dieser Kom- plementmangel ist nach seiner Auffassung die Ursache davon, daß die Versuchstiere der Infektion trotz Einverleibung der Ambozeptoren des Kaninchenserums erliegen mußten. Allerdings ist von seiten der Anhänger der Phagozytentheorie, besonders von BESREDKA, gegen diese Interpretation der WASSERMANN- schen Versuche Einspruch erhoben worden. BESREDKA macht nämlich — zweifellos nicht mit Unrecht — darauf aufmerksam, daß das Anti- komplementserum, das in der geschilderten Weise durch Vorbehandlung von Kaninchen mit Meerschweinchenserum erzielt wird, neben seiner Experimen- telle Aus- schaltung des Kom- plements durch Anti- komplement. Komple- mentaus- schaltung durch Präzipitat- bildung. 350 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Fähigkeit, Komplement zu binden, noch eine Reihe weiterer Eigen- schaften besitzt, die für den Organismus des Meerschweinchens nicht gleichgültig sein können. Besonders kommt hierbei seine Fähigkeit in Betracht, die Phagozyten zu lähmen und an der Aufnahme geformter Partikelchen zu verhindern. Injizierte nämlich BEsrepkA einem Ver- suchstiere normales inaktiviertes Kaninchenserum, einem anderen hin- gegen inaktives Antikomplementserum zugleich mit Karminpulver in i die Bauchhöhle, so trat im ersteren Falle intensive Phagozytose ein, während sie im letzteren Falle fast vollkommen ausblieb. BnsrEDKA ist daher auf Grund dieser und anderer Experimente der Meinung, daß es sich bei dem WassermAansschen Versuche gar nicht um eine Aus schaltung der bakteriolytischen Vorgänge durch die Bindung des Kom- plements handle, sondern um eine Ausschaltung der Phagozytose, und er glaubt daher, daß diese Experimente sich zwanglos in den Rahmen der METscHNIKoFrschen Theorien einfügen lassen. Dieser Einwand BESREDKAs kann nun aber gegen eine von Reihe neueren Experimenten, die PrEırrer und Morkscht — allerdings in ganz anderer Absicht ; als WASSERMANN — unternahmen, nicht mehr erhoben werden. Die beiden genannten Forscher konnten nämlich das bereits in einer früheren Vorlesung!) erwähnte Phänomen der Komplementausschaltung durch Präzipitatbildung auch im Tierkörper hervorrufen und zeigen, daß durch dasselbe eine Hemmung der bakteriolytischen Vorgänge bedingt wird, die den Tod der Versuchstiere zur Folge haben kann. Die interessante Versuchsanordnung von PFEIFFER und MoRESCHI war die folgende. Eine Reihe von Meerschweinchen erhielten in die Bauchhöhle eingespritzt: 1. 1 Öse Cholerakultur; 2. eine bestimmte Menge Oholeraimmunserum vom Kaninchen, die zum Schutze gegen die eingespritzte Vibrionendosis hin- reichend war; 3. normales Menschenserum in verschieden abgestufter Menge, endlich 4. Antimenschenserum vom Kaninchen, welches das Menschenserum präzipitieren und dadurch das in der Bauchhöhle befindliche Komplement von den sensibilisierten Choleravibrionen ablenken sollte. Zur Kontrolle diente ein Meerschweinchen, das zwar a, b und d, nicht aber c injiziert erhielt, bei dem also keine Niederschlagsbildung auftreten konnte. Folgende kleine Tabelle gibt über die quantitativen Verhältnisse und das Ergebnis dieser Versuche Aufschluß. Normal- | Choleraserum a Anti- menschenserum menschenserum kultur 0,0006 = 3 1.-E. 1 Öse Ei nach 4 Std. 0,05 0,01 0,0006 12, 0,05 0,0075 0,0006 1. 0,05 0,005 0,0006 iD 0,05 en 0,0006 1 Öse | lebt !) Vorlesung XV, p. 247. XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 351 Man sieht, daß jene Tiere, bei denen Gelegenheit zur Präzipitat- bildung gegeben war, bei denen also im Peritoneum die Morkscnısche Komplementausschaltung eintrat, der Cholerainfektion erlagen, während das Kontrolltier mit dem Leben davonkam. Da bei dieser Ver- suchsanordnung von einer Schädigung der Leukozyten natürlich nicht die Rede sein kann und die injizierten Spuren von normalem Menschenserum an sich voll- kommen harmlos sind, so beweisen diese Versuchein der Tat, daß man durch Ausschaltung der bakterio- lytischen Komplemente allein imstande ist, einer an sich nicht tödlichen Infektion zum letalen Ausgange zu verhelfen, wie dies schon WASSERMANN zu zeigen versucht hatte, Ganz analogen Verlauf nahmen auch die Versuche von WILDE, durch ab- bei welchen die Ausschaltung des Komplements auf andere Weise, näm- Wırkuneae, lich durch die absorbierende Wirkung eingespritzten Aleuronats, erzielt Aleuronats. wurde. Verwendete WıLpE dagegen ein Aleuronat, dessen komplement- bindende Kraft durch längeren Kontakt mit aktivem Rinder- oder Ka- ninchenserum erschöpft worden war, so zeigte sich dasselbe nicht mehr befähigt, die Widerstandskraft der Versuchstiere gegen die Cholera- infektion herabzusetzen, wohl der beste Beweis dafür, daß der einge- spritzte unlösliche Eiweißkörper nicht etwa an und für sich schädliche Wirkungen entfaltete, sondern nur insofern wirkte, als er imstande war, Komplement zu absorbieren. Wir wollen bei dieser Gelegenheit noch einiger anderer Formen durch Über. der Komplementausschaltung gedenken, die allerdings weniger für die en natürliche als für die künstliche, und zwar passive Immunität in Be- Penis tracht kommen dürften. Einen dieser Mechanismen haben wir bereits Immunität. bei früherer Gelegenheit unter dem Namen der NEıssEr-WECHSBERG- schen Komplementablenkung kennen gelernt und haben gefolgert, daß eine Einverleibung großer Überschüsse von Ambozeptoren unter bestimmten Mengen- und Affinitätsverhältnissen nicht nur keinen Schutz gegen die infizierenden Mikroorganismen verleihen dürfte, sondern sogar die Empfänglichkeit für sie erhöhen könnte, indem sie die im Orga- nismus vorhandenen Komplemente verhindern würde, mit den Bak- terien in Berührung zu treten. Allerdings ist es höchst zweifelhaft, ob diesem Modus der Komplementausschaltung wirklich auch praktische Bedeutung zukommt. Noch aus anderen Ursachen kann die Schutzwirkung bakterio- Versagen Iytischer Immunsera trotz der Anwesenheit von Komplementen in den ferien Körpersäften ausbleiben: dann nämlich, wenn die Komplementesen ee nicht zu den eingeführten fremden Ambozeptoren re passen und sie nicht zu einem vollen Bakteriolysin RR u ergänzen vermögen. Dies wird besonders in jenen Füllen intreten, wo die serumspendende Tierspezies von der zu schützenden in der zoologischen Verwandtschaftsreihe sehr weit absteht. So onnte z. B. WECHSBERG im Reagenzglasversuch zeigen, daß vom inchen stammendes Immunserum gegen Vibrio Metschnikoff nicht urch Taubenserum aktiviert werden kann, weil offenbar die Tauben- omplemente nicht zu dem spezifischen Ambozeptor des Kaninchens sen. Dementsprechend war dieses Immunserum auch nicht imstande, (Tauben gegen die Infektion mit dem MErschnixorrschen Vibrio zu schützen, obwohl es, in vitro mit normalem Kaninchenserum gemischt, sehr bedeutende bakterizide Wirkungen entfaltete. 352 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Man könnte nun vielleicht meinen, daß nichts leichter sein müßte, als einer solchen Schwierigkeit, die ja auch bei einander näherstehenden Tierspezies eintreten kann und begreiflicherweise die Erfolge der sero- therapeutischen Bestrebungen sehr beeinträchtigen muß, zu begegnen. Man brauchte nämlich nur neben dem Immunserum Komple- entsprechende Mengen eines geeigneten Komplements mentzufohr. 5) den passiv zu immunisierenden Organismus ein- zuführen, um die volle Schutzwirkung hervortreten zu lassen. Leider hat sich jedoch dieses an sich gewiß richtige Räsonnement in praxi doch nur in sehr beschränktem Maße bewahrheitet, und zwar aus verschiedenen Gründen. Wie nämlich P. Tu. MÜLLER, NEISSER und WECcHSBERG und andere Forscher gefunden haben, enthält das Serum vieler Tierspezies Antikomplemente, welche die mit dem Immunserum eingeführten fremdartigen Komplemente binden und so die oben angedeutete Maßnahme illusorisch machen können. Außerdem sind nach den Untersuchungen v. DUNGERNS die meisten Körperzellen im- stande, fremde (und eventuell auch eigene) Komplemente mit großer Begier an sich zu reißen. Unter diesen Umständen würde also das” mit dem Immunserum eingespritzte Komplement nicht, wie es für das Zustandekommen der bakteriolytischen Wirkungen erforderlich wäre, an die betreffenden Ambozeptoren herantreten können, sondern entweder von den Antikomplementen des Serums oder von gewissen Zellen mit Beschlag belegt und damit für die Schutzwirkung wertlos gemacht werden. Dazu kommt noch der weitere Übelstand, daß der Komplement- gehalt der meisten Sera kein sehr hoher ist und sich auch nicht, wie ihr Gehalt an Ambozeptoren, künstlich steigern läßt, so daß also, selbst die, wie wir wissen, nicht ganz unbedenklich ist. | Wahl der, Man wird also meistens, von ganz besonders günstig gelegenen ne" Füllen abgesehen, auf die Komplementzufuhr vollkommen verzichten ee, müssen und wird trachten müssen, die Wirkung der bakteriolytischen | Immunsera in anderer Weise zu sichern. Durch passende Auswahl der zur Serumgewinnung dienenden Tierspezies wird es nämlich häufig möglich sein, spezifische Ambozeptoren zu erzielen, die auch in dem! zu schützenden Organismus geeignete Komplemente vorfinden und also daselbst tatsächlich zur Wirkung gelangen. R Am idealsten wäre natürlich dieser Forderung Genüge geleiste h wenn es möglich wäre, die gleiche Tierspezies zur Herstellung des Im- munserums zu verwenden, die passiv durch dasselbe geschützt werden soll. Es liegt jedoch auf der Hand, daß diese Möglichkeit nur in der Tierheilkunde in größerem Maßstabe gegeben erscheint, beim Menschen‘ jedoch aus leicht begreiflichen Gründen nur in ganz exzeptionellen Fällen — etwa in Form der Verwendung von Rekonvaleszentenserum — realisierbar wäre. Auch die Heranziehung dem Menschen nahestehender Tierarte — etwa der anthropoiden Affen — zur Serumgewinnung dürfte wohl derzeit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen und im großen überhaupt kaum durchführbar sein. Hingegen wird man eventuell „Mischung durch Vermischung der Immunsera, die von verschiedenen sera ver- Lierspezies geliefert wurden und die daher, wie wir wissen, von- schiedener einander mehr oder minder abweichende Ambozeptoren enthalten, die Wahrscheinlichkeit, daß diese in dem zu schützenden Or- XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 353 ganismus passende Komplemente vorfinden, sehr wesentlich erhöhen können. Es ist vielleicht nicht überflüssig, daran zu er- innern, dal alle diese eben besprochenen Schwierigkeiten natürlich nur für die bakteriolytischen Immunkörper Geltung haben, nicht aber für die phagozytosebefördernden Bakteriotropine, die ja, wie wir in einer früheren Vorlesung gehört haben, von den Kom- plementen vollkommen unabhängig sind. Die Ohancen für eine erfolgreiche Anwendung antibakterieller Immunsera werden sich aus diesem Grunde zweifellos erheblich günstiger gestalten, als es viel- leicht nach den eben gemachten Erörterungen den Anschein haben könnte. — Aber auch für die Wirkung tropinhaltiger Sera würde zweifellos die Verwendung von Mischungen verschiedener Provenienz von gewissem Vorteil sein müssen. Wird nämlich dieselbe Zellart — seien es nun rote Blutkörperchen oder Bakterien — verschiedenen Tierspezies einverleibt, so entstehen als Reaktion auf diesen Eingriff Ambozeptoren bezw. Tropine mit sehr verschiedenen haptophoren Gruppen. Es sucht sich eben der Organis- mus jedes der verwendeten Tiere aus dem Gemische von Substanzen, das in diesen Zellen enthalten ist, jene Antigene heraus, für die er passende Rezeptoren besitzt, um nur gegen sie gerichtete Antikörper zu erzeugen, die übrigen Antigene aber unberücksichtigt zu lassen. Ver- wendet man daher Gemische derartiger Immunsera, so treten also Ambo- zeptoren und Tropine mit sehr verschiedenen haptophoren Gruppen in Aktion, die Zahl der Bakterienrezeptoren, an denen dieselben anzu- greifen vermögen, wird infolgedessen eine bei weitem größere sein und die schützende Wirkung erheblich an Sicherheit gewinnen. Ein ähnlicher Effekt kann noch durch eine weitere, bei der Her- stellung der Immunsera nicht selten in Anwendung kommende Maßnahme erzielt werden. Da nämlich auch die verschiedenen Stämme einer und derselben Bakterienart in ihrem Bau nicht vollkommen miteinander identisch zu sein brauchen, sondern neben gemeinsamen Rezeptoren auch voneinander verschiedene Antigene enthalten können, so wird es vorteil- haft sein, nicht nur einen einzigen Bakterienstamm, sondern ein Gemisch möglichst verschiedener Stämme zur Immuni- sierung zu verwenden, da man auf diese Weise erwarten kann, Anti- körper zu erhalten, welche imstande sind, selbst stark voneinander ab- weichende Varietäten oder Rassen derselben Bakterienart zu beeinflussen. Auch diese polyvalenten Sera werden die Sicherheit der Schutz- wirkung begreiflicherweise beträchtlich erhöhen müssen, und zwar besonders gegenüber solchen Mikroorganismen, die, wie die Strepto- kokken, von vornherein große Neigung zur Bildung von Varietäten be- sitzen. In der Tat hat sich herausgestellt, daß das Serum eines gegen einen bestimmten Streptokokkenstamm immunisierten Tieres meistens nur auf diesen einzuwirken vermag, heterologe Stämme jedoch viel weniger beeinflußt, daß aber die polyvalenten Sera sich in dieser Be- ziehung bedeutend besser bewähren. 5. Kehren wir nach dieser Abschweifung wieder zu unserem Thema zurück, so können wir als weitere eventuelle Ursache des Resi- stenzverlustes eine Verminderung der bakteriolytischen Ambozeptoren annehmen, die sich normalerweise im Blute und in den anderen Körper- flüssigkeiten gelöst finden. Da Assor und BERGEY beobachtet haben, gegen Rinderblut immunisierte Meerschweinchen bei fortgesetzter Miller, Vorlesungen. 3. Aufl. 23 Immunisie- rung mit Ge- mischen verschiede- ner Bak- terien- stämme. Polyvalente Einfluß des Alkoholsauf den Ambo- zeptorgehalt des Blutes. Einfluß der Abkühlung und Über- hitzung auf den Ambo- zeptorgehalt. Serumtiter vor dem eigentlichen „Erkältungsversuch“ genau bestimmt Einfluß ver- schiedener Eingriffe aut Beobachtungen vor. So hat P. Tu. MÜLLER festzustellen versucht, welchen die Anti- körper- produktion. 354 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. Behandlung mit Alkohol die spezifischen Ambozeptoren sehr rasch aus ihrem Blute verlieren, so wird man wohl ohne Bedenken annehmen dürfen, daß auch die normalen bakteriolytischen Zwischenkörper unter Umständen einem ähnlichen Schicksal unterliegen und in abnorm geringer Menge produziert oder abnorm rasch ausgeschieden werden können. Besonders interessant sind jedoch in dieser Beziehung die Ver suche, die LıssauEr mit abgekühlten Tieren angestellt hat. Kaninchen, die gegen Hammelblutkörperchen immunisiert worden waren und deren worden war, wurden für 3—10 Minuten in kaltes Wasser von zirka 10°C eingetaucht und dann sofort neuerdings auf den Ambozeptor- gehalt ihres Blutes untersucht. Es fand sich dabei in fast allen Fällen eine sehr bedeutende Abnahme desselben, indem die haemolytische Kraft des Serums im Durchschnitt auf etwa !/, des ursprünglichen Wertes herabgesetzt war. i hierzu zeigten Tiere, die für 2—10 Minuten in heißes, 4 das 4—6fache. Wie diese fast momentan auftretenden Veränderungen des Serumtiters zu erklären sind, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. © in der Produktionsgeschwindigkeit der Ambozeptoren, als um geänderte Ausschwemmungsverhältnisse der fertigen Anti- körper aus ihren Bildungsstätten handeln, die durch die ge- waltigen Zirkulationsstörungen gegeben wären, wie sie bei der Abkühlung bezw. Überhitzung des Organismus auftreten. Wie dem auch sei, jeden- der Erkältungskrankheiten, sondern auch die Wirkungsweise mancher therapeutischer Prozeduren wie der heißen Bäder und der Schwitzkuren von einer ganz neuen Seite her zu beleuchten. 6. Endlich wird auch die Schnelligkeit, mit der die Neubildung der Antikörper erfolgt, durch die verschiedensten schädigenden Ein- flüssse eine Beeinträchtigung erfahren können. Einfluß bestimmte Eingriffe in das normale Stoffwechselgetriebe auf die Agglutininproduktion ausüben und hat zu diesem Zwecke eine Reihe von Versuchstieren durch einige Zeit hindurch auf ein bestimmtes Kostregime gesetzt bezw. hungern gelassen oder mit Phloridzin oder Alkohol vergiftet und während dieser Zeit mit Einspritzungen bestimmter‘ Bakterienarten behandelt. Dann wurde der Agglutinationstiter dieser Tiere ermittelt und mit dem der Kontrolltiere verglichen, die unter gewöhnlichen Versuchsbedingungen gehalten wurden. Analoge Versuche, die sich jedoch auf die Neubildung bakteriolytischer bezw. hämolytischer Ambozeptoren beziehen, haben FRIEDBERGER und FRAENKEL an alkoholi- sierten, TROMMSDORFF an übermüdeten, abgekühlten und hungernden Tieren angestellt, während Lüpke die Wirkung sowohl der direkten Wärmezufuhr wie den fiebererzeugender Substanzen studiert hat. Das Ergebnis aller dieser mannigfach variierten Experimente läßt sich etwa in folgender Weise zusammenfassen. Es ist bei denselben zweifel- los gelungen, die Antikörperproduktion sehr merklich durch die genannten Eingriffe zu beeinflussen. So fand sich die Ag- glutininproduktion bei den längere Zeit hindurch mit großen Alkohol- Te ß „ XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. 355 dosen behandelten Tieren durchschnittlich auf !/,, die der bakterio- lytischen Ambozeptoren bei den Versuchen FRIEDBERGERS sogar auf etwa !/,, gegenüber den Kontrolltieren herabgesetzt. Ebenso wirkte starke Ermüdung durch forzierte Muskelarbeit wie sie beim Laufenlassen der Versuchstiere in einer Tretmühle zustandekommt, und starke Ab- kühlung entschieden schädigend auf die Bildung der antibakteriellen Schutzstoffe ein. Kurzdauernde Zufuhr kleiner Alkoholdosen und vor- übergehende, nicht zur Erschöpfung führende Ermüdung war dagegen von einer deutlichen Vermehrung der Antikörperproduktion gefolgt, und die gleiche Wirkung übten nach den Versuchen von FRIEDBERGER und Dorner nicht zu profuse Aderlässe aus. Auch ein Einfluß verschieden- artiger Ernährung war bei den an Tauben angestellten Versuchen P. Tu. MürrLers nicht zu verkennen. So hatten dieselben bei Fütterung mit Milch und Brot etwa siebenmal soviel Agglutinine für den Bacillus pyocyaneus erzeugt, als bei Kartoffelfütterung. Es hat sich jedoch bei diesen und ähnlichen Experimenten noch die weitere biologisch inter- essante Tatsache herausgestellt, daß nicht nur die Art des betreffenden Eingriffes, sondern auch die Art der zur Immunisierung ver- wendeten Mikroorganismen von ausschlaggebender Bedeutung für das schließliche Ergebnis ist, indem z. B. bei den Hunger- versuchen mit Bact. typhi und pyocyaneum gerade der entgegengesetzte Effekt erzielt wurde als mit Dysenteriebazillen und mit Vibrio METscH- NIKOFF, und indem bei Immunisierung mit Proteusbazillen nicht jener bedeutende Unterschied zwischen Milchkost und Kartoffelkost gefunden werden konnte, der bei der Behandlung mit Bact. pyocyaneum zutage getreten war. Wenn also hiernach der Einfluß der verschiedenen äußeren Ein- wirkungen auf die Antikörperproduktion im Einzelfalle keineswegs immer so einfach und leicht zu überblicken ist, so dürfte doch andererseits die Möglichkeit einer Resistenzverminderung durch Schäd- lichkeiten, die geeignet sind, die Enstehung der Antikörper zu beeinträchtigen, nach all diesen Versuchsergebnissen sichergestellt sein. Literatur. Issa&rr, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XVI. Canarıs und MorPUuR6o, Fortschr. d. Med., 1890. Pernıce und Auzssı, Riform. med., 1891 (zitiert nach Baumgarten). CHARRIN und RosErR, Sem. med., 1890. GiBIeR, Compt. rend., Tome XCIV, 1882. Erxst, Zieglers Beitr. z. path. Anat., Bd. VIII, 1890. PAsteuR und JouBERT, Bullet. de l’acad. de med. de Paris, 1879. Lirarı, Il Morgagni 1888 (nach Baumgarten). KoessLer und NEUMANN, Wien. klin. Wochenschr., 1908, No. 14. Lone, Arch. f. Hyg., Bd. XXVIIL, 1897. cH und MOoRGENROTH, Berl. klin. Wochenschr., 1901. METALNIKOFF, Zentralbl. f,. Bakt., Bd. XXIX, 1%1. BENDIvEsnAa und Carını, Lo sperimentale, Vol. LIV, 18%. AsBBotTtT und BeEreEr, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXII, 1902. Moro und Porpeschniee, Wien. med. Wochenschr., 1908. SCHÜTZE und ScHELLER, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVL 1901. WAassermann, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXVII, 1901. BEskEDKA, Ann. de l’Inst. Pasteur, Tome XV, 1901. 23* 356 XXI. Die Formen der antibakteriellen Immunität. PrEirFEer und Morkschı, Berl. klin. Wochenschr., 1906. Wıroe, Habilitationsschrift, München, Oldenbourg. WECHSBER®, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXIX, 1902. Mürrzer, P. Tr., Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXIX, 1901. Neısser und WEcHsBERG, Münch. med. Wochenschr., 1901. v. Dunseern, Münch. med. Wochenschr., 1900. Mürter, P. T#., Wien. klin. Wochenschr., 1904. FRIEDBERGER, Berl. klin. Wochenschr., 1904. Mörrer, P. Ta., Arch. f. Hyg., 1904. XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. Zum Schlusse unserer Betrachtungen müssen wir nun auch noch die Vorgänge bei der Heilung der Infektionskrankheiten einer kurzen Betrachtung unterziehen. Es ist wohl selbstverständlich, daß eine genaue Schilderung aller jener pathologisch-anatomischen Prozesse, welche zur Restitution der mannigfaltigen Gewebsschädigungen führen, die, wie die Nekrosen, Eiterungen, entzündlichen Infiltrationen usw., im Gefolge der Bakterieninvasion auftreten, weit über die Grenzen dieser Darstellung hinausgehen würde. Wir müssen daher den Begriff der Heilung für unsere Zwecke etwas enger fassen. Wir wollen darunter die Gesamt- heit aller jener Vorgänge verstehen, durch die ein Weiterfortschreiten der betreffenden Läsionen, sowohl der Extensität wie der Intensität nach verhindert, der infektiöse Prozeß zum Stillstand gebracht und auf diese Weise der Boden für die definitive Restitutio ad integrum vor- bereitet wird. Zu diesem Zwecke müssen nun eine Reihe verschiedenartiger Ab- wehrvorrichtungen des Organismus in Funktion treten. Zu allererst muß selbstverständlicherweise der fortgesetzten Ver- mehrung und Giftproduktion der Krankheitserreger Einhalt geboten werden, damit zu den bereits vorhandenen Zell- und Gewebsläsionen keine neue Schädigungen mehr hinzutreten können. Die Rolle, die hierbei den bakteriziden und phagozytären Schutz- einrichtungen des Organismus zukommt, haben wir bereits mehrfach und ausführlich besprochen, so daß wir hier nur auf das bereits Ge- sagte zu verweisen brauchen. Neben der therapeutischen Unterstützung dieser beiden wichtigen natürlichen Heilfaktoren, zu der wir auch die Einspritzung antibak- terieller Immunsera rechnen wollen, hat man nun aber bereits seit länge- rer Zeit versucht, durch Einverleibung von gewissen künstlich herge- stellten bakterienfeindlichen Stoffen, von chemischen Desinfektionsmitteln, einen direkten Einfluß auf die im Gewebe und in den Säften des kranken Organismus befindlichen Keime auszuüben und seine Abwehrkräfte durch eine wirksame „innere Desinfektion‘ zu verstärken. Da diese Be- strebungen gerade in jüngster Zeit eine Reihe von ausgezeichneten und vielversprechenden Erfolgen gezeitigt haben, so sei es gestattet, etwas näher auf sie einzugehen. Einer erfolgreichen ‚inneren Antisepsis“ stellen sich vor allem zwei verschiedene, wenn auch im Wesen z. T. miteinander zusammen- hängende Schwierigkeiten entgegen. Einmal nämlich versagen eine ganze Reihe von extra corpus außerordentlich wirksamen Desinfektionsmitteln in dem Moment, wo sie mit den eiweißhaltigen Körpersäften in Be- rührung treten, und zwar, wie man annimmt, aus dem Grunde, weil sie Abtötung der Mikro- organismen. Innere Des- infektion. 358 XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. mit den Eiweißkörpern lockere Bindungen eingehen, die sich übrigens dem Auge durchaus nicht immer durch Niederschlagsbildung zu verraten brauchen. So hatte, um nur ein Beispiel zu zitieren, EHRLICH in Ge- meinschaft mit BEcunoLp einen Stoff gefunden, das Tetrabrom-o-Kresol, der sich durch eine ganz außerordentlich große Wirksamkeit gegenüber den Diphtheriebazillen auszeichnete und überdies so ungiftig war, daß es möglich war, „dem Tierkörper ohne Schaden Dosen einzuverleiben, von denen schon weniger als der hundertste Teil genügt haben würde, die Bakterien in vitro in der weiteren Entwicklung zu hemmen bezw. abzu- töten“. Trotzdem versagte dieser Stoff beim Tierversuche, und zwar, wie sich herausstellte, infolge der hemmenden Wirkung des Blutserums, obwohl er in demselben keine Eiweißfällungen hervorzurufen vermochte. Offenbar war eben seine Affinität zu den Albumin- stoffen des Serums größer als zu dem Bakterien- protoplasma. # Ähnliche Affinitätsverhältnisse sind es nun auch, die bei der zweiten erwähnten Schwierigkeit eine Rolle spielen. Sehr viele desinfizierend Ätiotrope wirkende Stoffe werden nämlich nicht nur von den betreffenden Para- . siten begierig aufgenommen — worauf ja ihr bakterizider Effekt beruht — sondern sie besitzen auch namhafte Affinitäten zu gewissen Zellen und Geweben des Organismus, mit anderen Worten, sie sind nicht nur bakteriotrop bezw. ätiotrop, sondern auch organotrop. Das Problem der inneren Desinfektion liest nun darin, daß eine Substanz gefunden werden muß, die bei großer Verwandtschaft zum Protoplasma der Parasiten nur sehr geringe Organotropie besitzt und somit schon in Konzentrationen mikrobizid wirkt, die für die Gewebe des Organis- mus unschädlich sind. Daß die Auffindung solcher Substanzen bis zu einem gewissen Grade immer vom Zufall abhängig sein wird, ist leicht einzusehen, und so haben denn EnrLıcn und andere Forscher viele Hunderte chemischer Präparate durchprobiert, ohne auf die gewünschte Kombination von Eigenschaften zu stoßen. Hat doch schon Koch vor langer Zeit — um wieder ein klassisches Beispiel anzuführen — ge- funden, daß man mit Milzbrand infizierten Tieren so große Mengen Sublimat injizieren kann, daß die Bazillen nach dem Ausfall der Reagenz- glasversuche durch die resultierende Konzentration dieses Desinfektions- mittels abgetötet werden müßten, ohne etwas anderes zu erzielen, als daß die Tiere rascher zugrunde gehen wie die nicht mit Sublimat be- handelten Kontrolltiere. Trotzdem ist man nun in der letzten Zeit durch beharrliche Fort- führung dieser Untersuchungen doch auf einige Substanzen gestoßen, die den erwähnten Bedingungen Genüge leisten. Interessanterweise richten sich diese Stoffe in ihrer Wirkung fast sämtlich nicht gegen pflanzliche Parasiten, gegen Bakterien, sondern gegen tierische Krank- heitserreger, speziell gegen gewisse Protozoen, Spirochäten und Mrd Trypanosomen, also gegen diejenige Gruppe von Mikroben, gegen Chinin and welche wir bereits seit langem zwei bewährte spezifische Heilmittel be- Quecksilber. sitzen, nämlich das Chinin und das Quecksilber. Daß das erstere dieser beiden Spezifika die Malariaplasmodien aus dem Blute verschwinden macht und vernichtet, ist sattsam bekannt. Daß aber auch das Queck- silber nicht nur die Symptome der Lues beseitigt, sondern auch das syphilitische Virus abtötet, dieser Nachweis wurde erst in jüngster Zeit durch Neisser erbracht. Der berühmte Syphilidologe konnte nämlich zeigen, daß die Organe von syphilitischen Affen, die in ausreichender XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 359 Weise mit Quecksilber behandelt worden waren, nicht mehr infektiös sind, während sie bei den unbehandelten Kontrolltieren stets imstande waren, die Lues weiter zu übertragen, also lebende Syphiliserreger ent- halten mußten. Was nun die in jüngster Zeit entdeckten neuen Substanzen mit innerer Desinfektionswirkung betrifft, so verdanken wir sie zum größten Teil den außerordentlich umfangreichen und miühsamen chemothera- peutischen Studien Enrtichs. Diese Stoffe, die vor allem gewissen Trypanosomen gegenüber wirksam sind, gehören ihrer chemischen Natur nach sehr verschiedenen Kategorien an. Einer der aktivsten, das soge- nannte Trypanrot, entstammt der Benzopurpurinreihe; ein anderer, das Parafuchsin, gehört, wie das Fuchsin, in die Gruppe der Triphenyl- methanfarbstoffe; eine dritte Gruppe endlich wird durch eine Reihe von Arsenpräparaten dargestellt, als deren wichtigste Vertreter das Atoxyl (das Natronsalz der Paramidophenylarsinsäure), das Arsenophenyl- glyzin und das in jüngster Zeit zu so großer Bedeutung gelangte Dichlorhydrat-dioxydiamidoarsenobenzol (Präparat No. 606 von EHrLIcH und Hara) zu nennen sind. Injizierte EurLicH einer Reihe von Mäusen, die mit den hoch- virulenten Trypanosomen des „Mal de Caderas“ infiziert worden waren, zu einer Zeit, wo sich im Blute bereits einzelne Parasiten zeigten, Trypanrot, so fand er das Blut am nächsten Tage steril. In der großen Mehrzahl der Fälle war durch diesen einen Akt eine definitive Heilung der Tiere eingetreten, indem sie bei dauernder, sich über ein halbes Jahr erstreckender Beobachtung vollkommen gesund blieben. Somit war also der tierische Organismus mit einem Schlage von den bereits in beträchtlicher Menge vorhandenen Parasiten befreit worden, also eine vollkommene „Sterilisation“ desselben erzielt worden. Ähn- liche günstige Erfolge hat dann Enrrıc# durch Verfütterung von Para- fuchsin gegenüber den Naganatrypanosomen erzielt. Was ferner das Atoxyl betrifft, so ist heute wohl allgemein be- kannt, daß es ein außerordentlich wirksames Heilmittel der Schlaf- krankheit des Menschen darstellt, das „auch bei schweren Fällen eine ganz wunderbare Besserung des Befindens“ hervorzurufen vermag. Das Fieber schwindet, der Kräftezustand hebt sich, und — was für uns hier das Wichtigste ist, — die Parasiten verschwinden aus dem Blut, aus den Lymphdrüsen, weniger leicht aus der Zerebrospinalflüssigkeit, und es gelingt tatsächlich durch eine konsequente Atoxylmedikation, in einem Teil der Fälle eine definitive Heilwirkung zu erzielen. Auch im Tierversuch bewährte sich demgemäß das Atoxyl ausgezeichnet; weit überlegen war ihm jedoch noch das Arsenphenylglyzin, das fast bei jeder Tierart und bei jeder Art von Trypanosomeninfektion sich als geradezu ideales Heilmittel erwies. Von unvergleichlich größerer Bedeutung ist jedoch noch die Tat- sache, daß die Arsenpräparate, das Atoxyl, das Arsazetin, ganz be- sonders aber das neue Präparat No. 606 von Enkrich und Hara auch in der Therapie der Syphilis eine immer größere Rolle zu spielen be- ginnen. Es konnten nämlich nicht nur im Tierversuche, beim Kanin- chen, Schankergeschwüre durch einmalige intramuskuläre oder intra- venöse Injektion dieses Präparats innerhalb weniger Tage zur Rück- bildung gebracht werden, es ließ sich vielmehr auch in bereits nach Tausenden zählenden Fällen frischer menschlicher Syphilis und meta- syphilitischer Erkrankungen des Zentralnervensystems ein ganz über- Trypanrot, Parafuchsin, Atoxyl. Arseno- phenyl- glyzin. Präparat 0. 606 von Ehrlich und Hata. 360 XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. raschend prompter Rückgang, selbst der hartnäckigsten und allen anderen Behandlungsweisen trotzenden Krankheitserscheinungen erzielen, sodaß wir also zweifellos vor einer fundamentalen Umwälzung in der Syphilistherapie stehen. Erwähnt sei nur noch, daß das „Präparat No. 606“ auch die Rekurrensspirillen rasch aus dem Blute infizierter Tiere zum Verschwinden bringt, und daß z. B. von 52 mit demselben be- handelten Rekurrenskranken nur 4 leichte Rezidive bekamen, die übrigen aber durch die einmalige Einspritzung endgültig von ihrer Krankheit befreit waren. Wie man sieht, haben also die modernen Studien über innere Desinfektion bereits eine Reihe außerordentlich wertvoller Bereicherungen unserer Therapie geliefert und es ist daher wohl mit Zuversicht zu er- warten, daß die allernächste Zukunft uns die Realisierung eines Ideales bringen wird, das Enruich bei seinen Bemühungen schon seit langer Therapia Zeit vorschwebte, nämlich der Therapia sterilisans magna, bei der orena durch eine einmalige Injektion eine vollkommene Heilung der Infektions- krankheiten erzielt werden kann. Beziehen sich die bisher erreichten Fortschritte nun auch — wie bereits erwähnt — lediglich auf Protozoenerkrankungen, so ist doch damit die Hoffnung gegeben, daß sich durch beharrliche Fort- führung der chemotherapeutischen Untersuchungen Stoffe finden lassen werden, welche auch auf die bakteriellen Parasiten einwirken; und ein vielversprechender Anfang scheint in der Tat in dieser Richtung bereits gemacht zu sein, indem ja die günstigen Erfolge, die man bei der Behandlung septischer Erkrankungen mit Argentum colloidale zu verzeichnen hatte, wenigstens zum Teil durch innere Desinfektionswirkung zu erklären sein dürften, zum Teil aber auf Entgiftungsvorgänge und vor allem auf gesteigerte phagozytäre Prozesse bezogen werden. Übrigens nehmen UHLENHUTH und Gross auch für das Atoxyl keine direkte parasitentötende Wirkung an, sondern nur eine Wachstumshemmung der Parasiten, eine Beschleunigung der Produktion von Schutzstoffen und eine Beförderung der Phagozytose. Nach EHRLICH wird jedoch das Atoxyl, das im Reagenzglas überhaupt keine abtötende Wirkung auf Trypanosomen ausübt, im Körper durch energische Reduktionsvorgänge in zwei Produkte umgewandelt, deren eines, das p-Aminophenylarsen- oxyd Trypanosomen noch in Lösungen von 1:1000000 abzutöten ver- mag; das ihm nahestehende p-Oxyphenylarsenoxyd ist sogar noch wirk- samer und besitzt noch in Verdünnungen von 1:10000000 trypanozide Eigenschaften. Mit der erfolgreichen Vernichtung der pathogenen Keime ist nun aber, wie wir bereits früher einmal ausgeführt haben, der glückliche Ausgang der Erkrankung, insbesondere bei schwereren toxischen Pro- zessen, durchaus noch nicht gewährleistet, da ja die zur Resorption ge- langten primären oder erst durch Bakteriolyse entstandenen sekundären (Giftstoffe für sich allein hinreichen können, um den Exitus letalis her- beizuführen. Beseiligung Es muß sich somit an die Vernichtung der lebenden Krankheits- ‚der Gifte erreger auch die Ausscheidung, Zerstörung oder Neutralisation ihrer organismen. (Hiftstoffe anschließen, sei es, daß die letzteren sich noch im Kreislaufe befinden oder bereits mit den entsprechenden Zellrezeptoren in Ver- bindung getreten sind. Solange nun die von den giftempfindlichen Zellen verankerten Toxinmengen ein gewisses Maß nicht überschreiten und sich daher auch XXIH. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 361 die durch sie hervorgerufenen Funktionsstörungen innerhalb gewisser Grenzen halten, werden die natürlichen reaktiven Kräfte dieser Zellen hinreichen, um die gebundenen schädlichen Substanzen zu eliminieren und die etwa entstandenen Defekte auszugleichen. Wie wir uns hier- bei diese regenerativen Zellvorgänge zu denken haben, darüber sind wir wohl gegenwärtig kaum imstande, mehr als rein hypothetische Be- trachtungen anzustellen, weshalb wir füglich an dieser Stelle von einer näheren Erörterung derselben absehen wollen, zumal ja eine solche weit eher in den Rahmen eines Werkes über allgemeine Biologie oder Pathologie passen würde, als in eine Vorlesung über Infektion und Immunität. Sind dagegen die von den giftempfindlichen Geweben gebundenen Toxinmengen sehr beträchtliche, dann wird es den normalen reparato- rischen Kräften nicht mehr gelingen, diese Giftstoffe unschädlich zu machen und die Heilung anzubahnen, und es wird zu schweren irre- parablen Funktionsstörungen, ja zum Zellentode kommen müssen, wenn nicht andere Hilfskräfte in Aktion treten, und zwar in Form von zirkulierendem Antitoxin. Ob dieses letztere dabei aus den unempfindlichen, aber toxinver- ankernden Zellterritorien desselben Organismus stammt oder aber in einem fremden Tierleibe produziert wurde, ist dabei zunächst für das Zustandekommen der Heilwirkung vollkommen gleichgültig. Hingegen leuchtet nach alledem, was wir in früheren Vorlesungen über die Wir- kungsweise des Antitoxins gehört haben, ein, daß es nur dann imstande sein kann, einen Heileffekt zu erzielen, wenn es vermag, den gift- bindenden, empfindlichen Geweben das verankerte Toxin wieder zu entreißen, wenn mit anderen Worten die Affinität des Toxins zu dem Antitoxin eine stärkere ist als zu den be- treffenden Zellrezeptoren. Ob diese Bedingung tatsächlich unter natürlichen Verhältnissen realisiert erscheint, darüber konnte natürlich nur das Experiment bezw. die klinische Erfahrung Aufschluß geben. Daß jedoch unter Umständen auch das gerade Gegenteil davon eintreten kann, das scheinen jene Beobachtungen von Kxorr und anderen Forschern zu lehren, nach denen im Blut von tetanusinfizierten Kaninchen reichliche Antitoxin- mengen nachweisbar sein können, obwohl sich die Extremitäten dieser Tiere wochenlang in tetanischer Kontraktion befinden. Gibt man zu, daß das im Blute zirkulierende Antitoxin überhaupt an die Nervenzellen herantreten kann — eine Voraussetzung, deren Richtigkeit allerdings durch MEyErR und Raxsom bestritten wurde — so ist diese Beobach- nur unter der Annahme verständlich, daß in solchen Fällen die Avidität der Gewebsrezeptoren zu dem Starrkrampfgift eine abnorm ge- steigerte ist und jedenfalls größer sein muß, als dessen Affinität zu dem Antitoxin. Es erhebt sich somit die außerordentlich wichtige Frage, ob es überhaupt möglich ist, daß ein von giftempfindlichen Zellen be- reits verankertes Toxin noch nachträglich durch die Ein- wirkung des Antitoxins unschädlich gemacht werden kann oder nicht? Wir verdanken Dönıtz eine Reihe von interessanten Versuchen, die der Beantwortung dieser Frage gewidmet sind. Döxttz spritzte zu diesem Zwecke einer Anzahl von Kaninchen entsprechende Mengen von Tetanusgift in die Ohrvene ein und suchte festzustellen, wie lange Wirkung zirkulieren- den Anti- toxins. Neutrali- sierung des bereits von den Zellen gebundenen Toxins. 362 XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten, Zeit nach dieser Injektion es noch möglich sei, die Tiere durch Ein- verleibung von Antitoxin vor dem Tode zu erretten. Das Ergebnis dieser Versuche war ein außerordentlich lehrreiches. Versuche War bei gleichzeitiger Applikation der beiden antagonistischen mit Teamus- Substanzen, des Toxins und des Antitoxins, !/\g9u cem eines bestimmten Tetanusimmunserums erforderlich, um das Tier am Leben zu erhalten, so wurden nach 4 Minuten dauernder Einwirkung des Giftes bereits "/,oon ccm 1 1 } ” Re) b) ” ” >) ” ” f 30023 | 100 ccm ” 30 ” ” „ „ » P)) | so CCM desselben Serums gebraucht, also nach einer halben Stunde etwa 24mal so viel Antitoxin als zu Anfang des Versuches. Da sich nun zeigen ließ, daß unter den obwaltenden Versuchs- bedingungen bereits 4—8 Minuten nach der Einverleibung des Giftes mindestens die einfach tödliche Toxindosis an die empfindlichen Organe gebunden worden war, so läßt diese Beobachtung nur die eine Deutung zu: nämlich daß in der Tat das bereits verankerte Toxin durch das nachträglich in die Blutbahn eingeführte Antitoxin aus seiner Verbindung mit den Geweben losgelöst und neutralisiert werden kann und daß so- mit das letztere ein echtes Heilmittel darstellt, das sich selbst dann noch als wirksam erweist, wenn das Toxin bereits Verbindungen eingegangen ist, die sonst unfehlbar zum Tode führen würden. N Daß jedoch die Antitoxinmengen, die zur Heilung erforderlich sind, um so größer werden, je längere Zeit nach der Einverleibung des Giftes verstrichen ist, das erklärt Döxıtz in sehr plausibler Weise durch die Annahme, daß die Verbindung des Toxins mit den Geweben in der allerersten Zeit nur eine lockere ist, später aber immer fester und fester wird und also mit zunehmender Avidität erfolgt, so daß ein immer größerer Antitoxinüberschuß gebraucht wird, um, dem Gesetz der Massen- wirkung entsprechend, diese Verbindung zu sprengen und das Toxin in Freiheit zu setzen. ö Diese heilende Wirkung des Antitoxins tritt sogar dann noch zu tage, wenn bereits die ersten Symptome des Tetanus sich eingestellt haben, und Dönttz konnte Meerschweinchen und Mäuse in diesem Stadium noch durch intraperitoneale Seruminjektionen am Leben erhalten, während alle Kontrolltiere ausnahmslos zugrunde gingen. Versuche Allerdings liegen die Verhältnisse nicht bei allen Toxinen in dieser nn Beziehung so günstig. Dönırz hat nämlich seine Heilversuche auch auf das Diphtherietoxin ausgedehnt und hat gefunden, daß auch hier eine außerordentlich rasche Bindung des Giftes an die Gewebe statt- findet, daß sie aber von einem gewissen Zeitpunkte ab auch durch ganz enorme Antitoxinmengen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Während es z. B. bei einer schwachen Intoxikation mit der 1'J,fach tödlichen Dosis gelang, die Tiere noch nach 6—8 Stunden zu retten, war hingegen bei einer 7fachen Giftmenge bereits nach 1—1!/, Stunden, bei einer 15fachen Dosis nach 30 Minuten und bei einer 60fachen schon nach 7 Minuten jener Zeitpunkt erreicht, wo die Giftwirkung so fest geworden war, daß sie auch durch große Serummengen nicht mehr gesprengt werden konnte und die Versuchstiere nicht mehr am Leben zu erhalten waren. Daß unter diesen Umständen die Resorptionsverhältnisse des ein- XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 363 geführten Heilserums eine hervorragende Rolle spielen müssen und daß je nach der Art seiner Einverleibung der Heileffekt sich ganz verschieden gestalten wird, ist nach dem gesagten wohl einleuchtend und a priori zu erwarten. Trotzdem dürfte man durch die wichtigen Versuchs- ergebnisse von BERGHAUS einigermaßen überrascht werden, welche ge- eignet sind, die Bedeutung der Applikationsweise des Serums in ganz besonders helles Licht zu stellen. Während nämlich eine Stunde nach der Injektion einer bestimmten Menge von Diphtherietoxin bei subkutaner Injektion 40,0 I. E. zur Heilung bezw. Rettung des Tieres erforderlich waren, wurden bei intraperitonealer Injektion nur 7,0 I. E. bei intrakardraler nur 0,08 I. E. benötigt, so daß also die Heilwirkung eines Serums bei direkter Einverleibung in die Blutbahn 500mal größer war als bei der subkutanen Injektion. Welche große praktische Bedeutung dieser Tatsache innewohnt, braucht wohl nicht } besonders hervorgehoben zu werden. | Merkwürdigerweise ist somit nach dem vorigen das Verhalten der beiden in Rede stehenden Antitoxine im Tierversuche genau das ent- | gegengesetzte wie in der ärztlichen Praxis. Denn obwohl, wie wir ge- | sehen haben, das Diphtherieheilserum im Laboratorıumsexperiment | hinter dem Tetanusserum erheblich an Heilkraft zurücksteht, hat sich | dasselbe gerade am Krankenbett in der Hand der meisten Ärzte ganz / außerordentlich gut bewährt, während das Tetanusantitoxin nach den | übereinstimmenden Angaben der meisten Serotherapeuten an Wirk- | samkeit noch viel zu wünschen übrig läßt. Abgesehen davon, daß die Aviditäts- und Bindungsverhältnisse der | beiden Toxine im Tierkörper denn doch andere sein können als im mensch- | lichen Organismns, wird man die Ursache dieses Widerspruches mit Dönıtz wohl darin sehen dürfen, daß zu einer Zeit, wo die ersten Krankheits- erscheinungen der Diphtherie sich bemerkbar machen und die lokalen | Entzündungsherde auftreten, noch relativ wenig Toxin von den Organen | gebunden ist und das neu hinzutretende Gift sofort von dem einge- | spritzten Antitoxin mit Beschlag belegt wird, während beim Tetanus, | wo rein lokale Symptome fehlen, die Diagnose häufig erst dann gestellt werden kann, wenn die empfindlichen Zellen bereits eine Zeitlang unter | dem Einfluß der tödlichen Giftdosis gestanden haben und eine Serum- therapie bereits zu spät kommt. MEYER und Ransom erklären allerdings die wenig günstigen Re- sultate, welche die Antitoxinbehandlung des Tetanus in der Praxis zu verzeichnen hat, auf ganz andere Weise. Da nämlich nach der An- schauung dieser beiden Forscher das Tetanustoxin weder auf dem Blut- | wege noch auf dem Lymphwege an die giftempfindlichen Zellen des Zentralnervensystems heranzutreten vermag, sondern einzig und allein | auf die Bahn der motorischen Nerven angewiesen erscheint, auf der "| ihm jedoch das Antitoxin nicht zu folgen vermag, so ist klar, daß eine "| subkutane oder intravenöse Einspritzung des Antitoxins zu einer Zeit, | wo bereits tetanische Symptome aufgetreten sind, wo also das Gift be- | reits bis zu den Nervenzentren vorgedrungen ist, keinen kurativen Effekt | mehr entfalten kann, sondern im allergünstigsten Falle nur verhindern kann, daß von der Infektionsstelle her fortwährend neues Toxin durch , die Nervenendplatten aufgesogen wird. Bei jenen Laboratoriumsexperi- Verschiede- nes Ver- halten von Diphtherie- und Tetanus- toxin. 364 XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. menten hingegen, bei denen, wie bei den Versuchen von Dönıtz, Gi und Gegengift intravenös appliziert werden, sind begreiflicherweise di Heilungsbedingungen von diesem Gesichtspunkte aus bei weitem günstigere da ja auf dem langen Wege von den Blut- und Lymphgefäßen bis z den Nervenendigungen noch eine Neutralisation des Toxins stattfin- den kann und eventuell bereits von ihnen aufgenommenes Gift dure das nachträglich hinzutretende Antitoxin unschädlich gemacht wird. In diesem Falle gelangt dann nur ein minimaler Bruchteil des einge- spritzten Giftes auf dem Wege der Achsenzylinder bis ins Zentralorgan, und die Nervenzellen bleiben daher von der tetanischen Erkrankun bewahrt. Hingegen müßte nach der Auffassung von MEvER und Rıan- sSOM eine rechtzeitig vorgenommene Antitoxininjektion in die große Nervenstämme der infizierten Extremität auch bei dem natürlichen Te- tanus des Menschen von Erfolg begleitet sein, weil hierdurch die zentral- wärts gerichtete Wanderung des Toxins unterbrochen und der Ne gewissermaßen für dasselbe gesperrt würde. Ob diese Annahme richtig ist und ob die intraneurale Antitoxin- einspritzung berufen erscheint, sich neben den anderen bisher üblichen serotherapeutischen Prozeduren eine Stelle zu erobern, wird die Zukunft lehren müssen. „Heilungs- Mapsen hat nun den Versuch gemacht, die komplizierten und eramae schwer zu beherrschenden Bedingungen des Tierexperimentes durch die weit einfacheren Verhältnisse des Reagenzglasversuches zu ersetzen und so das Problem der Heilung in seiner primitivsten Form, d.h. an isolierten lebenden Zellen, zu studieren. Aus verschiedenen Gründen, die uns von unseren Besprechungen der hämolytischen Phäno- mene her geläufig sind, eignen sich zu derartigen Zwecken am aller- besten die roten Blutkörperchen, und an diesen hat denn auch MapsEn seine interessanten und wichtigen Experimente angestellt. Das Gift, dessen schädigende Wirkung durch Zusatz von Antitoxin paralysiert werden sollte, war das Tetanolysin, die hämolytische Komponente des Tetanustoxins; die Vergiftungserscheinungen bestanden demgemäß in dem Austritt des Hämoglobins aus den durch das Toxin geschädigten Erythrozyten, also in dem Auftreten der Hämolyse. Der Vorteil, den diese Versuchsanordnung darbietet, liegt auf der Hand. Er besteht darin, daß man in jedem beliebigen Momente der Giftwirkung imstande ist, 1. mit Sicherheit zu bestimmen, ob und in welcher Stärke Ver- giftungserscheinungen aufgetreten sind und 2. genau anzugeben, wieviel Gift in dieser Zeit an die roten Blut- körperchen gebunden ist, daß man also in der Lage ist, zu analysieren, worin eigent- lich im gegebenen Augenblick die Wirkung des Antitoxin- zusatzes besteht. Baunne Die Ausführung dieser Versuche gestaltete sich nun folgender- suche m maßen: zunächst wurde diejenige Giftmenge ermittelt, welche bei einer Reagenzglae. T’omperatur von 13° imstande war, in 10 ccm einer 5°/,igen Kaninchen- blutaufschwemmung starke Hämolyse hervorzurufen. Der Grad der Schädigung, welchen die roten Blutkörperchen hierbei erlitten, wurde auf kolorimetrischem Wege festgestellt, indem durch Auflösung ver- schieden abgestufter Blutmengen in einem Gemisch von Glyzerin und Wasser eine Farbenskala hergestellt wurde, mit der dann die Farben- Li XXII Die Heilung der Infektionskrankheiten. 365 | muance der betreffenden Probe verglichen werden konnte. Entsprach diese Farbennuance dann etwa einer Lösung von 1 Teil Blut und 120 Teilen Flüssigkeit, so wurde sie durch den Bruch !/,,, charakterisiert, und in analoger Weise sind die übrigen Zahlenangaben in der folgenden ) Tabelle zu interpretieren. Da die angewendete Blutaufschwemmung stets 5°),ig war, so entsprach somit ihre vollkommene Lösung einer Farben- | nuance von !/,,, die Lösung des dritten oder sechsten Teiles aller Blut- | körperchen den Nuancen !/,, bezw. !/,ao- Die zu diesen Versuchen dienende, stark hämolytisch wirkende Giftmenge war nun derart gewählt, daß die resultierende Farbennuance | etwa !/;, betrug, daß also ungefähr der dritte Teil der Erythrozyten hierbei der Auflösung verfiel. In einer zweiten Versuchsreihe wurde diejenige Antitoxinmenge | bestimmt, welche imstande war, die genannte Giftmenge bei gleich- zeitigem Zusatz vollkommen zu neutralisieren, so daß überhaupt keine Hämolyse auftrat und die Suspensionsflüssigkeit der roten Blutkörperchen ) vollkommen farblos blieb. Daneben wurde auch jene Antitoxindosis ermittelt, bei der die Giftwirkung nur zur Hälfte neutralisiert war, also eine Farbennuance von !/,., entstand, und endlich die vollkommen un- wirksame Dosis mit der Nuance !/,.. Die dritte Serie von Experimenten schließlich war den eigentlichen ) Heilversuchen gewidmet. Zu diesem Zwecke wurde eine große Zahl von Röhrchen mit Blut und der betreffenden, früher definierten Gift- | menge beschickt, denen dann nach 5, 10, 15, 30, 60 und 120 Minuten abgestufte Antitoxinmengen zugesetzt wurden. Zur Ergänzung dieser Versuche wurde natürlich festgestellt, welche Menge von Blutkörperchen ) bereits vor Zusatz des Antitoxins in Lösung geraten war und welche Gift- menge die roten Blutkörperchen in diesem Augenblicke verankert hatten. Das Ergebnis einer solchen Versuchsreihe findet sich in der nach- folgenden Tabelle (S. 366) zusammengestellt. Aus ihr geht zunächst her- vor, daß es noch nach 15 Minuten lang andauernder Einwirkung des Toxins, also zu einer Zeit, wo noch keine Lösung der Blutkörperchen eingetreten ist, gelingt, durch Antitoxinzusatz jede Giftwirkung zu verhindern. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, als zu dieser Zeit bereits beträchtliche Mengen Tetanolysin von den Erythrozyten gebunden sind. Aber auch später, wenn die Lösung der Blutkörperchen bereits begonnen hat, kann das weitere Fortschreiten des Ver- Igiftungsprozesses noch durch Antitoxinzusatz kupiert werden, so daß die definitive Farbennuance dieser Proben nicht stärker ist, als ‚bei den sofort untersuchten Kontrollproben. | Es kann somit zweifellos das bereits verankerte Gift durch nachträglich zugesetztes Antitoxin unschädlich ge- macht werden, also ein vergiftetes Blutkörperchen der Hei- lung zugeführt werden. Allerdings werden — und dies geht eben- falls aus der nachstehenden Tabelle mit großer Deutlichkeit hervor — hierzu ‚Jimmer größere Antitoxinmengen nötig, je länger das Toxin Gelegenheit hatte, auf die Erythrozyten einzuwirken, je später mit anderen Worten der Heilungsversuch vorgenommen wird. So war, um die Lösung nur bis zur Farbennuance /,,, gedeihen zu lassen, sofort 0,1 cem !/,o0 '/,iges Antitoxin nach 5 Minuten 0,2 „ 5 H ” 15 n 0,3 » ” n „ 30 „ 0,5 Dh) )) ” 366 XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. erforderlich, also nach 30 Minuten etwa das Fünffache jener Antitoxin- menge, die zur sofortigen Neutralisierung des toxischen Effekts not- wendig gewesen wäre. Wie man sieht, haben also diese Heilungsver- suche im Reagenzglas in allen Einzelheiten genau zu dem gleichen Ergebnisse geführt, wie die Tierversuche, welche Döxıtz mit dem | Tetanospasmin angestellt hatte. 4 Eine sehr wertvolle Bestätigung und Erweiterung dieser Experi- mente Mapsens haben wir Kraus und Lipschürz zu verdanken. Diese Zugesetzte Antitoxin- na re 2 en Nr auge! are Das Antitoxin wurde nach dem Giftzusatze hinzugefügt Kon- unmittel- zentration Meng bar vor !/ıo Jo 5 Min. | 15 Min. | 30 Min. | 60 Min. | 120 Min, (wie die | (wie die | rotgelb Kontrolle) | Kontrolle) 0 (wie die | Kontrolle) - | u | ‚200 ./z0 - SOOOoOoOHHmm er PO SIODOW-O oO oO - er schwach | rotgelb | er we. 0,3 0,25 schwach 0,2 schwach | rotgelb | 0,1 7 rotgelb - !/1oo °/o tn !/120 - "/i2o w !/ı2o wu. HOOOoooo0- OHDwWPe On 100 0 "1000 7 !/ı20 - beiden Forscher bezogen nämlich noch zwei andere Bakteriengifte in den Kreis ihrer Betrachtungen ein, und zwar das Hämolysin des Staphyloecocus aureus und eines choleraähnlichen Vibrio, und haben dabei gefunden, daß sich auch in vitro ähnliche Differenzen in der Heilwirkung der verschiedenen Antitoxine beobachten lassen, wie sie Dösıtz bei seinen Tierexperimenten zwischen dem Tetanus- und Diph- therieheilserum angetroffen hatte. So war, um nur ein Beispiel zu zitieren, bei den Versuchen mit Staphylolysin nach 5 Minuten langer Einwirkung des Giftes auf die roten Blutkörperchen die zehnfach neu- tralisierende Antitoxindosis eben ausreichend, um die Hämolyse voll- kommen zu verhindern, während die mit Vibriolysin vergifteten Erythro- zyten selbst durch das Tausendfache dieser Antitoxinmenge nicht mehr’ gerettet werden konnten. Bindungr- Kraus und Lirschürz sind nun den Ursachen dieser großeh zeit der eben Unterschiede experimentell näher getreten und konnten hierbei folgendes Giftdosis. ermitteln. Bestimmt man die Zeit, welche bei den verschiedenen Giften erforderlich ist, um die eben lösende Dosis an die roten Blutkörperchen XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 367 zu ketten, so findet man recht bedeutende Differenzen. Während z. B. bei dem Vibriolysin die lösende Dosis bereits nach 5 Minuten voll- kommen gebunden ist, findet sich beim Tetanolysin noch nach 30 Minuten ein Teil der letalen Giftdosis in freiem Zustand vor. Es ist einleuchtend, daß diese Unterschiede von größter Bedeutung für den Heileffekt des nachträglich hinzugesetzten Antitoxins sein müssen. Denn wenn von zwei verschiedenen Toxinen das eine ceteris paribus rascher durch die Erythrozyten gebunden wird als das andere, so hat ersteres natürlich längere Zeit hindurch Gelegenheit, auf die Zellen einzuwirken, und es wird daher in einem gegebenen Moment die Vergiftung hier bereits viel weiter vorgeschritten sein als bei dem anderen Gifte, das langsamer mit den Blutkörperchen in Verbindung tritt. Demgemäß ist dann auch der Zeitraum, der zwischen der Bindung des Giftes und dem Zusatz des Antitoxins verstreicht, im ersteren Falle ein bei weitem längerer als im zweiten, und schon dadurch erklärt sich, wie man sieht, wenigstens zum Teil, weshalb die Heil- wirkung des Antitoxins je nach der Art des Giftes eine so ver- schiedene ist. Dazu kommt jedoch noch ein anderer, vielleicht noch wichtigerer Umstand. Ohne Zweifel ist nämlich die größere Geschwindigkeit, mit der das Toxin durch die Zellen verankert wird, nur ein Zeichen ®n, seiner stärkeren Affinität zu den giftempfindlichen Elementen und gibt somit einen gewissen Maßstab für die Festigkeit der hierbei ent- stehenden Verbindung zwischen dem Toxin und den betref- fenden Rezeptoren ab. Wenn dem aber so ist, dann erscheint es nur selbstverständlich, daß zur Sprengung dieser festeren Verbindung, also zur Heilung der vergifteten Erythrozyten, hier auch ein bei weitem größerer Antitoxinüberschuß erforderlich ist, als bei einem Gifte von geringerer Avidität und Bindungsgeschwindigkeit. Wie man sieht, er- fahren also die Beobachtungen von Dönıtz, Kraus und LipscHürz durch diese eingehende Berücksichtigung der Aviditätsverhältnisse eine sehr einfache und plausible Erklärung. Aber auch die Affinität des Antitoxins zu dem Toxin ist begreiflicherweise von größter Bedeutung für den Heilungsvorgang, der ja durch eine nachträgliche Neutralisation des bereits gebundenen Giftes eingeleitet werden soll. Besonders interessant sind in dieser Beziehung die bereits bei anderer Gelegenheit besprochenen Beobachtungen von Kravs, nach denen zwischen den normalen und immunisatorisch er- zeugten Antitoxinen des Vibrio Naskin und der El-Tor-Vibrionen sehr bedeutende Affinitätsunterschiede bestehen. Mischt man nämlich nor- males Pferdeserum in entsprechender Menge mit dem akut wirkenden El-Tor-Toxin und läßt die Mischung etwa !/, Stunde bei 37° stehen, so erweist sich dieselbe als ungiftig. Injiziert man das Gemisch jedoch sofort, ohne es erst längere Zeit stehen zu lassen, so gehen die Tiere ebenso akut zugrunde, als ob sie nur Gift allein erhalten hätten. Da- gegen ist das Immunserum imstande, das Toxinschon nach ganz kurzem Kontakt in vitro zu neutralisieren, obwohl sein Bindungswert, d. h. die in ihm enthaltene Anti- toxinmenge, nicht höher zu sein braucht, wie beim Normalserum. Schon diese Tatsache weist sehr deutlich auf die wichtige Rolle hin, welche die Avidität des Antitoxins bei den Ent- giftungsvorgängen zu spielen hat. Injiziertt man nun aber den Ver- suchstieren Toxin und Antitoxin nicht miteinander gemischt, sondern Festigkeit der Bindung des Giftes an die Re- toren. Affinität zwischen Toxin und Antitoxin. 368 XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. getrennt und an verschiedenen Körperstellen, so kann man eine weitere interessante Beobachtung machen. Während nämlich das Antitoxin des normalen Serums und jener Immunsera, die nur durch kurzdauernde Vorbehandlung der Tiere gewonnen wurden, selbst in großen Dosen vollkommen versagt, vermag das aus einer späteren Immu- Antitexin nisierungsperiode stammende Antitoxin auch bei ge- gehalt und Heilwert drtrennter Applikationsweise ebenso kurativ zuwirken, maus wie bei kurzdauerndem Kontakt in vitro. Ähnliche Be- obachtungen haben Kraus und DoErR dann auch bei dem Dysenterie- antitoxin machen können und haben daraus die wichtige Folgerung abgeleitet, daß zwischen Antitoxinmenge und Heilwert eines antitoxischen Serums keine unmittelbare Be- ziehungzu bestehen braucht. Daraus ergibt sich aber mit Not- wendigkeit die weitere von Kraus aufgestellte Forderung, bei der Wertbemessung eines Serums nicht nur, wie bisher, lediglich seine Antitoxingehalt zu berücksichtigen, sondern auch die Avidität der Antitoxine zur Beur- teilung seiner Leistungsfähigkeit mit heranzuziehen. © Ob diese Forderung verallgemeinert werden darf, werden weitere experi- mentelle und klinische Beobachtungen lehren müssen. Für das Diph- therieheilserum scheint dieselbe jedoch nach den sorgfältigen Untersuchungen von BERGHAUS keine Berechtigung zu besitzen. | Toxizität der Aber auch hiermit sind noch nicht alle bei der Heilwirkung in versenete Betracht kommende Faktoren erschöpft. Kraus und LipscHürtz weisen nämlich darauf hin, daß die Erfolge bei den Versuchen mit Staphylo- lysin, von welchem schon innerhalb weniger Minuten große Mengen an die roten Blutkörperchen gebunden werden, trotzdem relativ günstigere sind als bei dem langsamer absorbierten Tetanolysin und schließen daraus ohne Zweifel mit vollem Recht, daß neben der Raschheit der Bindung auch die Art des betreffenden Giftes und seine Toxizität ent- scheidend für den zu erzielenden Heileffekt mit ins Gewicht fallen. Was schließlich den Mechanismus dieser Heilwirkungen betrifft, so besteht er nach der Anschauung von Kraus und AmırapZıpı darin, daß unter dem Einflusse des in der Gewebsflüssigkeit enthaltenen Antitoxins Toxin aus den vergifteten Zellen austrete und daß sich der eigentliche Neutralisierungsvorgang also außer- halb der Zellen abspiele. Dabei soll der bereits bei einer anderen Gelegenheit erwähnten Diffusionsbeschleunigung, die das Toxin” bei Gegenwart von Antitoxin erfährt, eine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Fassen wir die wesentlichsten Punkte unserer bisherigen Erörte- rungen über die Heilwirkung der Antitoxine nochmals kurz zusammen, so können wir also sagen, daß die Uhancen für eine vollkommene Wiederherstellung der vergifteten Zellen um so ungünstiger sein werden: 1. je längere Zeit seit der Bindung des Toxins durchihre Rezeptoren verstrichenist, 2. je größer die verankerten Giftmengen sind, 3. je größer die Avidi tät des Giftes zu den empfindlichen Elementen, ] fester also die resultierende Verbindung ist, 4. je geringer andererseits die Avidität des Antitoxins zu dem Gifte ist, das es den geschädigten Zellen ent- reißen soll, und endlich 5..je rascher sich die Vergif- tungserscheinungen nach der Verankerung des Toxins$ XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 369 einstellen, mit anderen Worten, je kürzer die Inkubationsdauer des gebundenen Giftes, je höher seine Toxizität ist. Für die praktischen serotherapeutischen Bestrebungen ergibt sich hieraus mit Notwendigkeit die Forderung, nicht nur mög- lichst große Antitoxinmengen hoher Aviditätin den erkrankten Organismus einzuführen, sondern auch die Serumbehandlung möglichst frühzeitig einzu- leiten, beides Postulate, welche sich zu allererst der Beobachtung am Krankenbette aufgedrängt hatten, und erst hinterdrein, wie wir gesehen haben, auch ihre theoretische Begründung und Rechtfertigung erfahren haben. — Wir haben in der vorhergehenden Vorlesung ausgeführt, daß es für den Heileffekt der bakteriziden Immunsera durchaus nicht gleich- gültig ist, welcher Tierspezies sie entstammen, da ihre Wirkung wesentlich davon abhängt, ob die bakteriolytischen Ambozeptoren in dem menschlichen Organismus auch die geeigneten Komplemente vor- finden, um ihre bakterienfeindlichen Eigenschaften entfalten zu können. Passen diese Komplemente nicht zu der komplementophilen Gruppe des betreffenden Immunkörpers, was leicht der Fall sein kann, wenn die beiden hierbei in Betracht kommenden Tierspezies zu weit in der zoologischen Verwandtschaftsreihe voneinander abstehen, dann muB natürlich auch jede Heil- oder Schutzwirkung des einverleibten Serums ausbleiben. | Dagegen haben wir, was die antitoxischen Immunsera anbe- Verwendung trifft, bis jetzt stillschweigend vorausgesetzt, daß ihre Provenienz ohne ""oxischer Bedeutung für den Eintritt des Heileffekts sein dürfte und nur ihr schisdener Antitoxingehalt bezw. ihre Avidität hierbei in Betracht käme. Dennoch wäre diese Voraussetzung eine irrige. (Ganz abgesehen davon, daß die Antikörper verschiedener Herkunft sich in dem art- fremden menschlichen Organismus sehr verschieden lange zu halten vermögen, also sehr verschieden lange Zeit zu ihrer Zerstörung oder Ausscheidung bedürfen, ist auch zu bedenken, daß die Affinität der von verschiedenen Tierspezies herstammenden Antitoxine zu dem Toxin nicht überall die gleiche sein dürfte. Je höheren Wert aber diese Avidität eines bestimmten Antitoxins besitzt, desto geeigneter wird es natürlich unter sonst gleichen Umständen sein müssen, bereits ver- ankertes Toxin wieder frei zu machen und zu neutralisieren, desto größer wird also auch seine Heilwirkung sein. Auf einen weiteren, vielleicht noch wichtigeren Unterschied zwischen den antitoxischen Serumarten verschiedener Provenienz hat vor einiger Zeit WECHSBERG hingewiesen, und es möge daher gestattet sein, in Kürze darzulegen, worin derselbe besteht und von welcher Bedeutung er für die serotherapeutischen Bestrebungen sein dürfte. Zu diesem Zwecke ist jedoch erforderlich, ein wenig weiter auszuholen. Aus unseren früheren Auseinandersetzungen dürfte klar geworden Partial- sein, daß wir in den Toxinen ebensowenig einheitliche Substanzen zu sehen haben wie etwa in den verschiedenen wirksamen Substanzen der normalen und der Immunsera, den Hämolysinen, Bakteriolysinen, Agglu- tininen usw. Wir werden also wohl annehmen dürfen, daß in den Bakterienkulturen eine ganze Reihe von differenten Partialtoxinen vor- handen ist, die zum Teil allerdings ihre Wirkung auf ganz ver- schiedenartige Zellelemente erstrecken, wie etwa das Tetanolysin und das Tetanospasmin, zum Teil aber wohl auch die gleichen Angriffspunkte Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 24 370 XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. besitzen. Insbesondere liegt aber von diesem Gesichtspunkt aus die Annahme nahe, daß die Schädigungen, welche das Gift einer und derselben Bakterienart bei den verschie- denen Tierspezies hervorruft, auch wenn sie das gleiche Organ betreffen, doch unter Umständen auf solche voneinander verschiedene Partialtoxine zu- rückzuführen sein können. So könnte also beispielsweise das Tetanustoxin eine Komponente enthalten, die nur auf die Nervenzellen des Meerschweinchens wirkt, eine zweite, die nur beim Kaninchen, eine dritte, die nur beim Pferde geeignete Rezeptoren im Zentralnervensystem vorfindet usf. Da nun selbstverständlicherweise nicht alle diese verschiedenen Partialtoxine in gleicher Quantität in dem (esamtgift enthalten sein werden, so leuchtet ein, daß, ganz abgesehen von der sehr verschiedenen Giftempfindlichkeit, schon aus diesem Grunde die Wirkung einer und derselben Toxinmenge bei den differenten Tier- spezies nicht die gleiche sein kann. Ebenso wie nun aber die Toxine ein Gemisch vieler wirksamer Partialgifte darstellen, so werden natürlich auch die zuge- hörigen Antitoxine aus einer Reihe entsprechender Partialantitoxine zusammengesetzt sein, deren jedes nur zu seinem Antigen spezifische Beziehungen be- sitzt, also auch nur diese einzige G@iftkomponente zu neutralisieren vermag. } Ist dem aber so, dann ergibt sich daraus eine theoretisch wie praktisch nicht unwichtige Konsequenz. Nehmen wir beispielshalber an, 1 ccm eines bestimmten Toxins enthalte a tödliche Dosen der für Meer- schweinchen allein wirksamen Giftkomponente, dagegen 10 a tödliche Dosen von jenem Partialtoxin, das nur bei Kaninchen Vergiftungs- erscheinungen hervorzurufen vermag. Der Einfachheit halber möge da- gegen 1 ccm des antitoxischen Serums gleiche Mengen beider Partial- antitoxine, und zwar entsprechend a tödliche Dosen, enthalten. Bestimmen wir nun den Wirkungswert dieses Immunserums ein- mal unter Benutzung von Meerschweinchen, das andere Mal von Kanin- chen als Versuchstieren, so werden wir notwendigerweise sehr verschie- Wert- dene Resultate erhalten müssen. Denn ein Gemisch von 1 ccm Toxin mn und 4 ccm Antitoxin wird nach den eben gemachten Voraussetzungen antitoxischer Sera an zwar für Meerschweinchen vollkommen neutral und ungiftig sein müssen, en für Kaninchen dagegen noch 9 a tödliche Dosen enthalten, und es Tieren. wird somit die neutralisierende Kraft dieses anti- toxischen Serums demselben Toxin gegenüber um das Zehnfache differieren müssen, je nach der Art der zur Wertbestimmung verwendeten Tierspezies. Daß diese Betrachtungen nicht nur müßige Spekulation darstellen, sondern in der Tat unter Umständen von praktischer Bedeutung sein können, hat WECHSBERG durch interessante Reagenzglasversuche mit Staphylolysin zu zeigen versucht, auf die näher einzugehen wir uns je- doch versagen müssen. Diese Tatsachen sind nun in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung für die serotherapeutischen Bestrebungen. Während man nämlich bis- her ohne weiteres den im Tierversuch ermittelten Wirkungswert der antitoxischen Immunsera als Maßstab für ihre Heilwirkung am Men- schen anzusehen geneigt war, zeigen die Versuche WECcHSBERGs, daß dies nicht überall und unter allen Umständen zuzutreffen braucht und a XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 371 daß die im Laboratoriumsexperiment gefundenen Titerzahlen nur dann einen Schluß auf die therapeutische Leistungsfähigkeit eines bestimmten Serums beim Menschen gestatten, wenn bereits ausgedehnte klinische Beobachtungen gelehrt haben, daß ein derartiger Parallelismus tatsäch- lich zu Recht besteht. Für das Diphtherieheilserum kann dieser Nach- weis wohl durch die tausendfältigen Erfahrungen am Krankenbette als erbracht gelten. Für jedes neu in die Therapie einzuführende Anti- toxinserum wird man jedoch mit WeEcHsBErG verlangen dürfen, daß erst besonders festgestellt werde, ob in der Tat der Tierversuch den richtigen Maßstab für seine Wirk- samkeit beim Menschen abgibt oder nicht. Ferner liefern uns die obigen Auseinandersetzungen über die Viel- heit der Giftstoffe, die von einer und derselben Art von Mikroorga- nismen produziert werden, einige wichtige Fingerzeige für eine Ver- besserung der Antitoxingewinnung. Da nämlich die ein- zelnen Stämme gewisser Bakterienspezies zweifellos weder quantitativ noch qualitativ vollkommen miteinander übereinstimmende Produkte liefern dürften, sondern bald das eine, bald das andere Partialtoxin in größerer Menge erzeugen, auch wohl einzelne Giftkomponenten absondern, die in den Kulturfiltraten anderer Rassen vollkommen fehlen, so ist klar, daß das Ziel einer rationellen Antitoxingewinnung sein muß, Heilsera zu gewinnen, welche möglichst alle diese verschiedenen Partialtoxine zu neutralisieren ver- mögen. Dies wird aber nach dem eben Gesagten nur dann gelingen, wenn zur Immunisierung in solchen Fällen nicht nur ein einzelner Bak- terienstamm, sondern eine ganze Reihe derselben verwendet wird, wenn man sich also bemüht, polyvalente antitoxische Sera her- Polyvalente zustellen, die unter günstigen Umständen ähnliche Vorteile darbieten ""gishe dürften, wie wir dies früher von den polyvalenten bakteriziden Seren auseinandergesetzt haben. Ebenso wird man, wie bei den bakteriziden Immunseren, durch Mischung der von verschiedenen Tierspezies herstam- menden Antitoxine imstande sein, möglichst differente Partial- antitoxine zu vereinen und so die Heilungschancen wesentlich zu verbessern. Welche Spezies sich dabei für diese Zwecke am meisten eignen werden, das wird natürlich für jeden besonderen Fall von neuem untersucht werden müssen. Wie man sieht, harren also auch auf dem so gründlich durchgearbeiteten Gebiete der Antitoxingewinnung noch manche Aufgaben und Probleme der Lösung, und es wird noch eines eifrigen Studiums bedürfen, bis jene Prinzipien, die man von einzelnen besonders günstig gelegenen Fällen abzuleiten in der Lage ist, allgemeine Anwendung gefunden haben werden. — An diese Betrachtungen über die Heilungsvorgänge der Raaidive. Infektionskrankheiten müssen wir nun noch einige Bemerkungen über das Auftreten von Rezidiven anknüpfen. Zweifellos stellt ein Teil jener Neuerkrankungen, die man als Rezidive zu bezeichnen pflegt, nichts anderes dar, als eine neuerliche Infektion von außen her und verdient daher den Namen des Rezidivs höchstens im uneigent- lichen Sinne. Lassen wir diese Reinfektionen hier gänzlich außer tracht, so ist einleuchtend, daß Rezidive nur dann zu- stande kommen können, wenn in dem erkrankten und wiederhergestellten Organismus Krankheits- keime zurückgeblieben sind, die gelegentlich sich 24* 372 XXII. Die Heilung der Infektionskrankheiten. wieder vermehren und ihre schädlichen Wirkungen entfalten können. Besonders werden solche Parasiten zu diesem latenten Leben im Organismus befähigt sein, welche im Kontakt mit den Körpersäften eine gewisse Serumfestigkeit erworben haben und daher durch die im Verlauf der Heilung sich abspielenden Immuni- sierungsvorgänge zwar zurückgedrängt und gewissermaßen in Schach gehalten werden, aber doch nicht vollkommen erliegen. EnurticH hat Immunitas diesen Zustand des Organismus sehr treffend als Immunitas non non ste ©terilisans bezeichnet. Nimmt dann der Grad der erreichten Immunität H über kurz oder lang wieder ab, so kommt schließlich ein Moment, wo die zurückgebliebenen und akklimatisierten Parasiten das Übergewicht über die Abwehrvorrichtungen des Organismus erlangen, und damit ist die Vorbedingung für das Eintreten des Rezidives gegeben. Eine aus- gezeichnete Illustration für die Richtigkeit dieser Anschauungen geben die hochinteressanten Experimente von Levapırı und Rockft, die mit dem Erreger der afrikanischen Recurrens, der Spirochaete Durroxı an- gestellt wurden. Dieser Mikroorganismus ruft bei der Ratte eine dem menschlichen Rekurrensfieber sehr ähnliche Erkrankung hervor, deren erster Anfall kritisch mit dem Verschwinden der Parasiten aus dem Blute endigt, während in den Organen noch infektionstüchtige Spiro- chaeten zurückbleiben, von denen dann nach wenigen Tagen die neuer- liche Überflutung des Blutes mit Krankheitserregern ausgeht. Nach der Krise finden sich nun im Serum der erkrankten Tiere reichlich spirillizide und spirillotrope Substanzen vor, die jedoch — und dies ist das Merkwürdige — nur auf die Spirillen des ersten Anfalles wirken, während sie die bei dem zweiten Anfalle auftretenden Mikroorganismen nur relativ wenig zu schädigen vermögen. Es haben sich also die nach dem ersten Anfall in den Organen zurück- gebliebenen Spirochaeten binnen kurzer Zeit so sehr an die spirillen- feindlichen Schutzstoffe des Blutserums angepaßt und einen solchen Grad von Serumfestigkeit erworben, dal sie nunmehr neuerdings in die Blut- bahn einbrechen und damit ein typisches Rezidiv hervorrufen. Daß sich die verschiedenen Infektionskrankheiten in bezug auf die Häufigkeit dieses Vorkommnisses voneinander sehr merklich unterscheiden, ist all- gemein bekannt, und wohl auf die sehr verschiedene Dauer und Höhe der erworbenen Immunität sowie auf gewisse Erscheinungen der Über- empfindlichkeit zurückzuführen. Von hohem Interesse ist es nun, daß eine solche Anpassung de Parasiten nicht nur an die natürlichen Schutzkräfte des Organism Arznei- stattfinden kann, sondern auch an gewisse Arzneistoffe, an parasitizid festigkeit Medikamente, wie wir sie zu Eingang dieses Kapitels besprochen on haben. Enxrrtıch und seinen Mitarbeitern ist es nämlich gelungen “ Trypanosomen an alle die verschiedenen aufgezählten Typen von trypan feindlichen Stoffen zu gewöhnen, und so arzneifeste Stämme zu er: zielen, die der abtötenden Wirkung dieser Substanzen nicht meh! unterworfen waren. Während z. B. gewöhnliche Naganatrypanosomel bei Mäusen, die kurze Zeit hindurch mit Parafuchsin gefüttert wordeı waren, überhaupt nicht angingen, wirkten sie nach ihrer Fuchsin festigung bei solchen Tieren schon binnen 3—4 Tagen absolut tödlie verhielten sich also genau so, wie gewöhnliche Parasiten gegenüber de nicht vorbehandelten Mäusen. Von Wichtigkeit ist dabei, daß die Arzneifestigkeit bis zu einem gewissen Grade spezifisch war, inde z. B. ein gegen Atoxyl unempfindlich gewordener Trypanosomensta XXI. Die Heilung der Infektionskrankheiten. 373 anderen Mitteln gegenüber keine Spur erhöhter Resistenz aufwies. Daß diese Tatsache von eminent praktischer Bedeutung ist und eine Erklärung dafür liefert, weshalb nicht selten bei Kombination ver- schiedener Arzneimittel oder bei abwechselndem Gebrauch der- selben weitaus günstigere Heilresultate erzielt werden, als bei fort- gesetzter Anwendung selbst hoher Dosen ein und desselben Medikamentes, liegt auf der Hand. Können also, nach diesen Ausführungen, im Organismus zurück- bleibende, akklimatisierte und gefestigte Parasiten unter günstigen Be- dingungen zu Rezidiven Veranlassung geben, so ist damit andererseits doch nicht gesagt, daß dieses Ereignis mit unbedingter Notwendigkeit eintreten müßte. Abgesehen von lokalen Ursachen — Einschließung der Mikroben in abgekapselten Herden u. dgl. —, welche die Wieder- aussaat der schlummernden Krankheitskeime zu verhindern vermögen, kann nämlich durch die dauernde gegenseitige Beeinflussung von Wirt und Parasit schließlich eine Art von Symbiose zustande kommen, die sich darin äußert, daß sich in dem Organismus große Mengen virulenter Mikroben aufhalten, die jedoch den eigenen Wirt nicht mehr zu schädigen imstande sind. Es entwickelt sich dann _ Halb- ein Zustand des Wirtsorganismus, den man auch als Halbimmunität "WW bezeichnet hat, und der sich z. B. beim Texasfieber des Rindes beobachten läßt: anscheinend vollkommen gesunde Tiere beherbergen in ihrem Blute ständig große Mengen von Parasiten und geben so zur Weiterverbreitung der Seuche Veranlassung. Ähnliche Beobachtungen hat KocH dann auch an Rindern gemacht, die mit abgeschwächten Trypanosomen immunisiert worden waren. Auch hier zeigten sich oft noch nach langen Jahren Parasiten im Blute, während die Tiere sich vollkommen wohl befanden und anscheinend geheilt waren. Daß es sich hierbei zwar um eine Heilung im klinischen Sinne handelt, nicht aber im bakterio- logischen, ist nach dem Gesagten einleuchtend. Auch für die bereits mehrfach erwähnten Bazillenträger und Dauerausscheider, die bei einer Reihe menschlicher Infektionskrankheiten eine so wichtige Rolle spielen, wird man wohl analoge Verhältnisse an- nehmen dürfen. Nach der Ansicht von Forxer handelt es sich aber gerade bei den Typhusbazillenträgern meist nicht um ein Zurückbleiben der Krankheitserreger im Organismus, sondern um eine Reinfektion desselben, die jedoch nicht zu einer wirklichen Neuerkrankung, sondern nur zu einer latentbleibenden Ansiedelung und Vermehrung der pathogenen Keime im Körperinnern führe. Wie dem auch sei, jedenfalls wird man auch in diesem Falle nur durch die Annahme einer gewissen im Laufe der ersten Infektion erworbenen Immunität der Bazillenträger zu einem Verständnis dieses merkwürdigen gegenseitigen Anpassungsverhältnisses zwischen Organismus und Krankheitserregern gelangen können. Literatur. Dönıtz, Deutsche med. Wochenschr., 1897. BeEreHaAus, Zentralbl. f. Bakt. Knorr, Münch. med. Wochenschr., 1898. Meyer und Ransom, Arch. f. exper. Pathol., 1903. Maposen, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XXXII, 1899. Kraus und Lirschürtz, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XLVI, 1904. Kraus und DoErr, Wien, klin. Wochenschr., 1904. 374 XXL. Die Heilung der Infektionskrankheiten. Kraus und Amımapzıeı, Zeitschr. f TS Srzer” 1910, Bd. 6. Wec#sBErs, Zentralbl. f. Bakt., Ba. XXXIV 1903. EaruıcH, Berl. klin. Wochenschr., 1907. Earuich und Bec#HoLD, Zeitschr. $2 physiol. Chemie, Bd. XLVII. UsLENHUTE, Deutsche med. Wochenschr., 1907. UALENHUTH und Gross, Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, ne Fa pe a Compt. rend. de la soc. de biol., 1908, us, lagung der freien Vereini für Mikrobiologie 1908 Be. f, Bakt., Beil. zu Bd. XLII, Rei)” 4 ai % LoEFFLER, Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr. 34. Ders,, Tagung der freien Vereinigung für Mikrobiologie 1908 (Zentralbl. f. Bakt., Bd. XLII, Ref. Levapırı und Rocat, Compt. rend. soc. de Biol., 1907. ForxET, Zeitschr. f. Hyeg., 1909, Bd. 64. XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Nachdem wir nunmehr die theoretischen und experimentellen Grund- lagen der Schutzimpfung und Serumtherapie kennen gelernt haben, er- übrigt es nur noch, auch die praktischen Erfolge derselben einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Auch hier wollen wir uns, wie in den vorher- gegangenen Vorlesungen, nur auf die Besprechung des Wichtigen und Wesentlichen beschränken, und nicht etwa alle verschiedenen, im Laufe der Zeit versuchten Immunisierungsverfahren aufzählen, die sich oft nur durch geringe technische Details voneinander unterscheiden. Es erscheint diese Zurückhaltung umsomehr geboten, als ja das vorliegende Kapitel dem Wesen der Sache nach ohnedies nur eine bloße Aneinanderreihung der gegen die verschiedenen Krankheitserreger angewendeten Impf- methoden bringen kann und daher bei allzu großer Überladung mit tat- sächlichen Details nur ermüdend wirken müßte. Die natürlichste Gruppierung für den Stoff dieser Vorlesung er- gibt sich wohl, wenn man als Einteilungsprinzip den Charakter der erzeugten Immunität benutzt, so daß wir also der Reihe nach zuerst die aktiven, dann die passiven und schließlich die kombinierten Immunisierungsverfahren zu besprechen haben werden. I. Aktive Immunisierung. Wir wollen mit der Erörterung des aktiven Impfschutzes beginnen. Über das älteste und für alle späteren vorbildlich gewordene Schutz- impfungsverfahren, das Verfahren der Pockenimpfung von JENNER, brauchen wir wohl nur wenige Worte zu verlieren, da es sowohl seinem Prinzipe als seiner Ausführung nach allgemein bekannt und Ge- meingut nicht nur der Ärzte, sondern auch des Laienpublikums ge- worden ist. Es sollen daher an dieser Stelle nur einige Daten über die Wirksamkeit der Schutzpockenimpfung Platz finden. Der Erfolg einer derartigen Maßregel läßt sich nun auf Grund statistischer Erhebungen in verschiedener Weise demonstrieren. Der einfachste und nächstliegende Weg, den man hierbei ein- schlagen kann, ist vor allem der, daß man festzustellen sucht, wie sich die Sterblichkeit an der betreffenden Krankheit seit der Einführung der fraglichen Schutzmaßregel geändert hat. Ist von diesem Zeitpunkte an ein deutliches Absinken der Mortalitäts- ziffern zu bemerken, und erscheint es ausgeschlossen, dab dieses Ab- sinken etwa durch ein Nachlassen oder ein Milderwerden der Epidemie bedingt wird, dann wird man darin wohl mit großer Wahrscheinlichkeit einen günstigen Erfolg der betreffenden Maßregel sehen dürfen. In Schutz- pooken- impfung. Abnahme er Pocken- sterblich- keit. 376 XXIII Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. diesem Sinne sind nun die beiden folgenden statistischen Zusammen- stellungen außerordentlich instruktiv. I. | In Berlin starben jährlich von 100000 Einwohnern an Pocken, in dem Zeitraum 1758—1762 407 1805—1809 306 1763— 1767 364 1810—1814 31 1768—1772 294 1815—1819 40 1773—1784 ? 1820— 1824 4 1785—1789 360 1825—1829 13 1790—1794 310 1830—1834 19 1795—1799 239 1835—1839 18 1800—1804 261 1840—1844 13 Anmerkung: In den Jahren 1801—1810 begann sich die Impfung in Berlin auszubreiten. U. In Deutschland starben von 100000 Einwohnern an Pocken, in den Jahren 1886 0,4 1893 0,31 1887 0,35 1894 0,17 1888 0,2 1895 0,05 1889 0,43 1896 0,02 1890 0,12 1897 0,01 1891 0,09 1897 0,03 1892 021 Während z. B. in Berlin vor der Einführung der JENNERschen Impfung von 100000 Einwohnern jährlich etwa 250-400 an Pocken zugrunde gingen, ist mit der Ausbreitung der Vakzination, die in die Jahre 1801—1810 fällt, ein starkes Absinken der Pockentodesfälle auf 4—40 zu konstatieren; ja, in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts beträgt die Pockensterblichkeit sogar nur mehr 0,01 bis 0,4 von 100000 Einwohnern Deutschlands, wobei die von den Grenzen eingeschleppten Fälle noch mit eingerechnet sind. Mit anderen Worten, seit Einführung der JEnnerschen Impfung sind die Pocken in Deutschland zu einer sehr seltenen Erkrankung geworden, so selten, daß heute viele Studenten selbst an großen Universitäten während ihrer Studienzeit kaum einmal Gelegenheit haben, einen Pockenfall zu sehen. Pocken- Die zweite Möglichkeit, sich von der Wirksamkeit der Schutz- serbiehk* pockenimpfung zu überzeugen, besteht darin, daß man die Pocken- jenen sterblichkeit der Geimpften und Ungeimpften direkt mit- "®®" einander vergleicht. Das beste Material für diesen Vergleich würden begreiflicherweise umfangreichere Epidemien liefern, und in der Tat berichtet denn auch Amako von der in den Jahren 1907—1908 in Kobe herrschenden Pockenepidemie, daß die Mortalität bei 1607 geimpften Kranken . . 7,2°), bei 1856 nicht geimpften dagegen 45,8 |, betragen habe. Da aber solche Epidemien wenigstens bei uns in Europa doch zu den größten Seltenheiten gehören, so mußte man sich hier vielfach damit begnügen, die Pockensterblichkeit solcher Länder, in denen die Impfung nicht obligatorisch ist, mit derjenigen in Parallele zu setzen, welche in Ländern mit Impfzwang beobachtet wird. XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 377 Folgende kleine Tabelle gibt einen sehr interessanten Aufschluß über die relative Sterblichkeit in den Städten von Deutschland und von verschiedenen anderen europäischen Staaten. 189%. Relative Pockensterblichkeit in Städten des Deutschen Reichs . . . . 1 der Niederlande .:.:, . sılule« 1a Dokziana . : r14 Wa BYOHEICHONN .' .. „u. aan co MAR OVsterreichet MR AR Ein noch besseres Vergleichsmaterial liefern jedoch die Statistiken Pocken- sterblichkeit der verschiedenen Armeen, die in den nachstehenden beiden Tabellen in verschie- niedergelegt sind. Zahl der Pocken- Armee Zeitraum | Erkrankungen deutsche . . SM ER 1875— 1892 13 österreichische ddl 1875—1886 9864 nach Ein- führung des re 1886— 1893 1000 französische . 1875—1892 8356 ıkaltenısche.. - ... . . 1875—1894 2565 - Zahl der Pocken- Armee Zeitraum Todesfälle deutsche. . IE 1875—1898 1 österreichische a Fa a 1875 —1886 595 a RAT NR 1886—1893 44 französische ER TIE ANTUTS 1875—1892 705 stalsenıische ! ,: . .ı1.,; 1875—1894 193 Die Überlegenheit der deutschen Armee gegenüber den sich nicht eines vollen Impfschutzes erfreuenden Armeen Frankreichs und Italiens ist aus diesen Tabellen außerordentlich deutlich abzulesen; ebenso geht aus ihnen der günstige Einfluß hervor, den die im Jahre 1886 erfolgte Einführung des Impfzwangs in der österreichischen Armee aus- geübt hat. Am krassesten aber sind die Unterschiede, die sich zwischen der deutschen und französischen Armee in den Kriegsjahren 1870/71 er- geben haben. Obwohl nämlich beide Heere unter annähernd gleichen sanitären Verhältnissen lebten, starben in der deutschen Armee nur 459 Mann an Pocken, während die französische Armee 24469 Mann an dieser Krankheit verloren haben soll. Endlich gibt es noch einen dritten, indirekten Weg, sich ein Ur- teil über die Wirksamkeit der Pockenimpfung zu verschaffen, den Körösı, der bekannte ungarische Statistiker, betreten hat. Derselbe ging von folgender Überlegung aus: wäre die Schutzpockenimpfung eine voll- kommen indifferente Maßregel, welche die Pockensterblichkeit in keiner Weise, weder nach der einen, noch nach der anderen Richtung beein- flussen würde, so müßte sich unter den an Pocken Gestorbenen ein gleicher Prozentsatz von ungeimpften finden, wie unter den an irgend einer anderen Krankheit zugrunde Gegangenen. Ist dagegen die enen Armeen. 378 XXII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Pocken- Impfung von wesentlichem Einfluß auf die Pocken- enee‘sterblichkeit, dann muß dies vor allem darin zum Aus- impften. druck kommen, daß unter den an Pocken Gestorbenen ein besonders hoher Prozentsatz Ungeimpfter sich be- findet. Dies ist nun auch tatsächlich der Fall. Während, wie Körösı zeigte, unter 13373 an irgend welchen Krankheiten (mit Aus- nahme der Pocken) gestorbenen Menschen 1839, also 13,8°/, nicht Greeimpfte angetroffen wurden, waren unter 1305 Blattern- todesfällen 1054, d. i. 80,8°/, Ungeimpfte, eine Tatsache, welche die hohe Bedeutung der Vakzination besonders eindringlich demenstriert. Alle diese verschiedenartigen Betrachtungsweisen des vorliegenden statistischen Materials führen also in völlig übereinstimmender Weise zu dem Schlusse, den bereits der deutsche Ärztetag im Jahre 1879 als Ergebnis seiner Beratungen ausgesprochen hatte: daß nämlich die Impfung eine auf wissenschaftlicher Basis beruhende, praktisch wohl- bewährte prophylaktische Maßregel darstellt, vielleicht die wichtigste prophylaktische Maßregel, welche die Gesundheitspflege überhaupt besitzt. Lyssa- Fast ebenso günstig sind die Erfolge bei einer anderen Art der ke Schutzimpfung, welche, wie die eben besprochene, durch die Einver- leibung lebender Krankheitserreger bewerkstelligt wird: die Schutz- impfung gegen Tollwut. Als Impfmaterial dient hierbei bekanntlich das 3—14 Tage lang getrocknete Rückenmark von Kaninchen, die mit Virus fixe geimpft worden waren, wobei zu Beginn der Behandlung das älteste, am längsten getrocknete Mark verwendet wird, und sukzessive immer frischeres Material zur Verimpfung kommt. Neben dieser von PASTEUR ausge- arbeiteten Methode, die mit mannigfachen Modifikationen in der Dosie- rung des Impfmaterials in einer großen Zahl von Impfanstalten ge- handhabt wird, hat sich ein anderes, von Höcyes angegebenes Ver- fahren ausgezeichnet bewährt. bei welchem vollvirulentes Wutge- hirn in hochgradiger, nicht mehr infektiös wirkender Verdünnung zur Impfung benutzt wird, weshalb die Methode auch kurzweg als Dilutionsmethode bezeichnet zu werden pflegt. Beide Verfahren aber bezwecken, da sie ja lediglich bei Infizierten, also von wütenden Tieren Gebissenen angewendet werden, in möglichst kurzer Zeit eine hochgradige Immunität hervorzurufen, die bereits vollentwickelt sein muß, ehe das Virus seine tödliche Wirkung zu entfalten vermag. Die relativ lange Inkubations- dauer der Lyssa, die beim Menschen etwa 20—60 Tage beträgt, kommt dabei diesem Impfverfahren trefflich zu statten, ja macht es überhaupt erst möglich. Denn die Dauer der Behandlung ist bei der Pasteurschen Methode auf durchschnittlich 3 Wochen zu ver- anschlagen. Der Mechanismus der bei der Lyssaimpfung erzielten Immunität ist noch nicht vollkommen klargestellt. So viel ist jedoch sicher, daß im Rabizides Serum immunisierter Tiere „rabizide Substanzen‘ vorhanden er sind; Substanzen, die nach Art der bakteriziden Immunkörper wirken, und das einstweilen noch unbekannte Virus abzutöten vermögen. Diese bereits seit längerer Zeit bekannte Tatsache hat BAaBes sogar der prophy- laktischen Schutzimpfung dienstbar zu machen gesucht, indem er gleich- zeitig mit dem Virus auch Immunserum einverleibte, also ein so- genanntes „Simultanverfahren“ einschlug, das sehr gute Erfolge aufzu- weisen hatte. XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 379 Hingegen hat die Verwendung dieses Immunserums als Heilmittel bei bereits ausgebrochener Erkrankung versagt, eine Tatsache, die wohl begreiflich erscheint, wenn man bedenkt, daß die schwersten Symptome der Lyssa toxischer Natur sind, und daß das Immunserum zwar wie gesagt, mikrobizid, aber nicht merklich antitoxisch wirkt. Wollen wir nun ein Urteil über den Wert der Lyssaschutzimpfung gewinnen, so müssen wir auch hier zunächst wieder die Sterblichkeit der Nichtbehandelten in Betracht ziehen. Folgende Tabelle gibt hierüber genügenden Aufschluß. Zahl der | Zablder | Sun Beobachter Gebissenen er Prozent FABER 18,27 r 145 19,30 Hösves 470 9,30 Es ib 855 | 119 13,91 Zuammen| 1574 | 210 | 183 Wie man sieht, schwankt die Prozentzahl der Personen, welche von lyssakranken Tieren gebissen wurden und ohne spezifische Be- handlung an Tollwut zugrunde gingen, etwa zwischen 9—19, so daß die Mortalität im Mittel also ca. 13°, der Gebissenen beträgt. Ganz außerordentlich viel geringer ist dagegen die Sterblich- keit bei den Geimpften, wie die nachstehende, von SZEKELY herrührende Zusammenstellung beweist. Nach den Aufzeichnungen des Pariser Pasteurinstitutes entfallen nämlich auf 100. von wütenden Tieren Gebissene, welche der Schutzimpfung lege artis unterworfen wurden, nur 0,42 Todesfälle, und im Budapester Institute, das mit der Dilutions- methode arbeitet, ist die Prozentzahl der trotz der Impfung Gestorbenen sogar noch niedriger und beträgt nur 0,29°|,. Pariser Pasteurinstitut (Trocknungsmethode) Budapester Pasteurinstitut (Dilutionsmethode) Jahr Zahl der Todes- Zahl der Todes- Geimpften fälle Prozent Geimpften fälle | Prozent 1886 2671 25 0,94 _ | E= | - 1887 1 770 14 0,79 — | —_ | En 1888 1 622 9 0,55 _ Wie _ 1889 1830 7 0,38 _ —_ | — 1890 1540 6 0,32 _ _ | — 1891 1559 4 0,25 _ _ | —_ 1892 1 790 4 0,22 2 I 1893 1648 6 0.36 er zu Mage 1894 1387 7 0,50 _ : vr =, las 1895 1520 5b | 03 1 305 4 0,30 1896 1308 4 0,30 1589 3 0,18 1897 1521 a 1 660 7 0,42 1898 1 465 3 | 020 1 922 7 0,36 1899 1614 ı | 08 204 | 3 0,14 1900 1420 4 | . 0,36 2121 6 0,28 1901 32H 6 0,38 2547 10 0,39 1902 1105 B 0,18 2549 a AB. 1903 628 2 0,32 285 |ı 1 ' 0,38 1904 755 3 0,39 2 757 | 9 0,32 Sterblich- keit bei Lyssa. Schutz- impfung gegen Rinder- tuberkulose. Behrings Jennerisie- rung. Bovovakzin. 380 XXIII Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Nicht viel ungünstiger lauten die Ergebnisse, die in den Pasteur- instituten anderer Städte erzielt wurden, so daß die Lyssaimpfung also, ganz wie die Schutzpockenimpfung, als eine durch jahrelange praktische Erfahrungen vollkommen sichergestellte und bewährte hygienische Maß- regel anerkannt werden mub. Eine Reihe weiterer aktiver Immunisierungsverfahren, bei denen lebende Mikroorganismen verwendet werden, richtet sich gegen ge- wisse epidemisch auftretende Erkrankungen unserer Haustiere. Von größter, und zwar nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch sanitärer Bedeutung für den Menschen ist hier vor allem das von v. BEHRING ausgearbeitete Verfahren der Präventivimpfung gegen die Rindertuberkulose. Wie groß das Bedürfnis nach einer derartigen Methode ist, lernt man wohl erst dann recht ermessen, wenn man hört, daß in manchen Gegenden die Tuberkulosedurchseuchung der Rindvieh- bestände eine so hochgradige war, daß 80—100°/, der 2jährigen und älteren Tiere auf Tuberkulin reagierten, also als infiziert angesehen werden mußten. Was dies, bei der nun ziemlich sicherstehenden Empfänglichkeit des Menschen für den Perlsuchtbazillus, für eine Gefahr bedeutet, braucht wohl nicht näher auseinandergesetzt zu werden. v. BEHRINGS Impfverfahren fußt nun auf ganz ähnlichen Grund- lagen, wie die JExsersche Schutzpockenimpfung, weshalb denn auch die Rindertuberkulose-Schutzimpfung von ihrem Erfinder direkt als Jennerisierung bezeichnet wird. Das gemeinsame dieser beiden Methoden liegt nämlich darin, daß beide mit lebenden Krank- heitserregern arbeiten, die jedoch durch den Aufent- halt in einer fremden Tierspezies abgeschwächt sind und deshalb den zu schützenden Lebewesen ohne Schadeneinverleibt werden können. Bei der Schutzpocken- impfung werden, wie bekannt, die Erreger der Kuhpocken auf den Menschen übertragen; bei der v. Beurinsschen Tuberkuloseimpfung dagegen werden die Rinder mit vom Menschen stammenden Tuberkel- bazillen, und zwar intravenös, injiziert, wobei bemerkt sei, daß die Bazillen zum Zwecke bequemerer Applikation in Trockenform über- geführt sind (Bovovakzin). Die Erstimpfung wird bei den Tieren im Alter von 3 Wochen bis 4 Monaten und zwar mit einer Dosis von 0,004 g vorgenommen; 3 Monate später erfolgt eine weitere Impfung mit fünffach so großer Dosis des „Trockentuberkulins“. h Obwohl v. BERRING sein auf umfangreichen experimentellen Studien und Vorarbeiten fußendes Verfahren erst im Jahre 1901 publiziert hat, hat dasselbe doch bereits auf einer Reihe von großen Gütern eine systematische Durchführung und Prüfung erfahren und zum Teil an- scheinend geradezu glänzende Erfolge gezeitigt. Nur ein Beispiel sei“ zur Illustrierung dieser Tatsache herangezogen. Auf den Gütern des“ Prinzen Ludwig von Bayern zu Sävär in Ungarn wurden vom Jahre 1902 an bis Dezember 1904 590 Rinder geimpft. Nur 5,6%, derselben reagierten auf Tuberkulin, während vor der Einführung der v. BEuriseschen Schutzimpfung 68,1°/, positive (bezw. zweifelhafte) Reaktionen zur Beobachtung gekommen waren. Dagegen hat EBEr bei seinen außerordentlich sorgfältigen und kritischen Versuchen auf einer Reihe von sächsischen Gütern bedeutend weniger günstige Resultate er- zielt, ja auf einigen Gütern sogar die Schutzimpfung vollkommen versagen gesehen, wenn von ihm auch zugegeben wird, daß möglicherweise bei den geimpften Tieren eine gewisse Zeit hindurch eine er- XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie, 381 höhte Widerstandsfähigkeit nicht nur gegen die expe- rimentelle, sondern auch gegen die natürliche An- steckung bestehe. Der Impfschutz reiche jedoch in der über- wiegenden Zahl der Fälle bei fortgesetzter oder in längeren Pausen wiederholt eintretender natürlicher Infektionsgefahr nicht aus, um die Impflinge vor den Folgen der Ansteckung zu bewahren, und es er- scheine aussichtslos, mit Hilfe des v. Berurıısschen Schutzimpfungsverfahrens allein die Rindertuber- kulose in stark verseuchten Beständen zu bekämpfen, eine Anschauung, die auch von einer Reihe anderer, unvoreingenommener Beobachter geteilt wird. Auch bezüglich eines anderen von Heymanns Schutz- in Gent ausgearbeiteten und in Belgien bereits im großen Stile yon’nes. praktisch angewendeten Schutzimpfungsverfahren rät EBER zur Skepsis. wenns. Das Verfahren besteht in der subkutanen, mit Hilfe eines Trokars be- werkstelligten Einführung lebender, in Schilfsäckchen eingeschlossener Tuberkelbazillen, deren Stoffwechselprodukte bezw. Toxine durch die Wandung der Säckchen hindurchdiffundieren und die Immunisierung der Tiere bedingen, während die Bazillen selbst nicht imstande sind, die Membran zu passieren. Als Vorteil dieser Methode gegenüber dem v. Beurineschen Verfahren wird jedoch hervorgehoben, dal) sie bei auf Tuberkulin reagierenden und nicht reagierenden Tieren jeden Alters anwendbar ist und jede beliebige Wiederholung gestattet, ohne irgend ein Risiko für das Wohlbefinden des Impflings mit sich zu bringen, so daß also die Möglichkeit gegeben ist, „den, wenn auch an sich geringen Impfschutz beliebig oft in Anwendung zu bringen und so namentlich im Beginn der Tuberkulosebekämpfung die Gefahren der natürlichen Ansteckung für die Impflinge dauernd herabzusetzen“. Neben der Rindertuberkulose kommt für uns hier vor allem der Sehutz- Milzbrand in Betracht, der bekanntlich besonders Pferde, Rinder, geger Milz. Schafe und Ziegen befällt und gegen den bereits PASTEUR ein sehr brand. ' wirksames Impfverfahren ausgearbeitet hat. Zur Einspritzung dienen außerordentlich geringe Mengen (0,25 ccm beim Rind) zweier ver- schiedener Vakzins, deren erstes, das „Vakzin I“, durch 24tägige Kultur des Milzbrandbazillus bei 42,5° C© hergestellt wird, während das „Vak- zin II“ der abschwächenden Einwirkung der höheren Temperatur nur durch 12 Tage ausgesetzt wird. Dementsprechend vermag das schwächere Vakzin I nur das für Milzbrand empfänglichste Versuchstier, die weiße Maus, zu töten, nicht aber Meerschweinchen und Kaninchen; dagegen besitzt Vakzin II zwar noch Meerschweinchen gegenüber infektiöse Eigenschaften, vermag aber nicht mehr Kaninchen tödlich zu infizieren. — Vakzin II wird 12 bis 14 Tage nach Vakzin I eingespritzt; nach weiteren 14 Tagen ist die Immunität bereits vollkommen ausgebildet und hält ungefähr ein Jahr lang an. Während in der ersten Zeit die Erfahrungen, die mit dieser Pısteurschen Methode gemacht wurden, relativ ungünstige waren, hat sich dieselbe doch allmählich immer größere Anerkennung zu erwerben gewußt. Besonders die früher häufiger eintretenden, nicht unerheblichen Impfverluste sind mit zunehmender Vertrautheit mit der Methode immer geringer geworden und betragen kaum mehr 1 pro Mille der behandelten Tiere. Dagegen sind die Impferfolge, wie die folgende französische Statistik lehrt, sehr befriedigende. 382 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 1882—1899. Zahl der Zahl der Prozent. Verluste| Prozent, Verluste Tierspeziea geimpften Tiere | gefallenen Tiere | ‚der Geimpften |d. Nichtgeimpften Schafe . . . 1 870 806 17210 0,91, 10° Rinder . 215 447 715 0,33%), 5°, Analog, ja sogar noch etwas günstiger lauten die von HuryrA mitgeteilten Zahlen, die sich auf die Pasreurschen Impfungen in Ungarn beziehen. 1889— 1900. . . Zahl der Zahl der Prozent. Verluste Fierspempn geimpften Tiere | gefallenen Tiere | der Geimpften Pferde. . . 39 506 77 0,19°/, Rinder. . . 718 266 318 0,04 °/, Schafe . . . 1248 231 6518 0,59], zeueh Auch die zuerst von ARLOING, ÜORNEVIN und THOMAS angewendete impfung. Schutzimpfung gegen den Rauschbrand des Rindes hat im allgemeinen günstige Resultate ergeben. Wie beim Milzbrand, so wird auch hier mit zwei verschieden stark abgeschwächten Vakzins immunisiert, welche — in der Weise gewonnen werden, dal getrockneter Fleischsaft von Rausch- brandtieren im schwach angefeuchteten Zustand 6 Stunden lang einer- seits auf 100—104° C, andererseits auf 85—90° erhitzt wird. Die in’ dem Safte enthaltenen sehr widerstandsfähigen Sporen des Rauschbrand- bazillus werden durch diese Prozedur nicht getötet, sondern nur abge- schwächt. Die Verimpfung wird subkutan und zwar am Schweife der Tiere, 2—3 Handbreiten oberhalb der Schwanzquaste vorgenommen, wobei zwischen der Einverleibung der beiden Vakzins ein Zeitraum von 10—14 Tagen zu verstreichen hat. Einige andere, auf demselben Prinzip beruhende Impfverfahren unterscheiden sich von dem eben ge- schilderten zum Teil durch die Art der Herstellung des Vakzins, zum Teil durch den Ort der Applikation (Schultergegend), endlich auch durch die Zahl der Injektionen, die möglichst auf eine einzige beschränkt wird, was gewiß eine sehr dankenswerte Vereinfachung des Verfahrens darstellt. Auch mit Reinkulturen des Rauschbrandbazillus gelang es sowohl Kırr als LECLAINCHE und VALLfE günstige Impferfolge zu erzielen. Um nur einen ungefähren Begriff von der Wirksamkeit der Rausch- brandimpfung zu geben, sei erwähnt, daß nach einer Statistik von STRE- BEL gleichzeitig 129705 geimpfte und 234560 ungeimpfte Rinder auf dieselben infizierten Rauschbrandweiden getrieben wurden. Während nun von den ersteren 550 Stück, also 0,42 °/, an Rauschbrand eingingen, fielen von den Ungeimpften 4136, d. i. 1,76 °;, dieser Seuche zum Opfer, so dal also die Mortalität unter dem Einfluß der Vakzination auf weniger als ein Viertel abgesunken war. Endlich mag in Kürze noch zweier weiterer aktiver Immuni- sierungsverfahren gedacht sein, welche mit lebenden Krankheitserregern na operieren: die Impfung gegen Schweinerotlauf und gegen Rinder- em pest. Erstere erfolgt nach dem Vorgange von PAsTEUR mit einem gege “our Virus, das durch Kaninchen- bezw. Taubenpassage abgeschwächt wurde } = XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 383 und hat merkwürdigerweise nicht im Vaterlande ihres Entdeckers, son- dern in Ungarn die größte Verbreitung gefunden. Zur Charakteri- sierung ihres Wertes sei erwähnt, daß in den Jahren 1886—1897 in Frankreich 118229 Schweine nach dieser Methode geimpft wurden, wobei nur 1992 Stück, d. i. 1,68%, an Rotlauf zugrunde gingen, wäh- rend die Mortalität vor der Impfung ca. 20°/, betragen hatte. Be- merkenswert ist jedoch, dal) die Schutzimpfung nur bei resistenten, un- veredelten Schweinerassen zu empfehlen ist, daß die Erfolge dagegen da, wo feinere Rassen gezüchtet werden, wie in Deutschland, weniger zuverlässige Resultate ergeben hat. Die Schutzimpfung gegen Rinderpest erfolgt, nach den Angaben von R. Koc# mit Galle rinderpestkranker Tiere. Wie KoutE nach- weisen konnte, ist der Erreger der Rinderpest in der Galle nicht etwa im abgeschwächten Zustand vorhanden, sondern vollvirulent, wird jedoch durch einstweilen noch nicht näher bekannte Bestandteile derselben, die der Galle normaler Tiere fehlen, an seiner allgemeinen Verbreitung ge- hindert. Der einzige Effekt der Impfung ist daher eine lokale harte Infiltration an der Applikationsstelle, die sich im Laufe weniger Wochen wieder zurückbildet, aber eine vollkommene Immunität hinterläßt. Wir wollen es uns, mit Rücksicht auf die früher auseinander- gesetzten Gründe, hier versagen, noch weiter auf diese interessanten Impfverfahren einzugehen und wollen uns vielmehr sofort der Betrach- tung einiger für den Menschen außerordentlich wichtiger Immunisierungs- methoden zuwenden, die mit abgetöteten Bakterien arbeiten: nämlich der Schutzimpfung gegen Typhus, Cholera und Pest. Eine Vakzination gegen Typhus wird in unseren Gegenden wohl nur bei solchen Personen in Betracht kommen, die infolge ihres Berufes genötigt sind, sich häufiger in der Umgebung von Typhus- kranken aufzuhalten und zu betätigen, wie Krankenwärter, Ärzte u. dgl., und auch dies nur in ausgesprochenen Epidemiezeiten. Dagegen hat sich in den Kolonialarmeen sowohl Englands, wie, seit Ausbruch des südwestafrikanischen Feldzuges, auch Deutschlands das intensive Be- ürfnis nach einer wirksamen Typhusschutzimpfung geltend gemacht, ad in der Tat sind solche Impfungen in beiden Heeren bereits in sroßem Umfange ausgeführt worden. Wir wollen von den verschiedenen Impfverfahren, die im wesent- ichen alle auf denselben Prinzipien beruhen, nur diejenigen beiden hier wähnen, über welche die meisten praktischen Erfahrungen vorliegen: 5 sind die Methoden WrıcHr und PrEIFFER und Korze. Beide Methoden arbeiten mit Typhuskulturen, welche durch 1!,—2 stündiges örhitzen auf 60° abgetötet wurden; nur mit dem Unterschiede, dab WrıieHT hierzu Bouillonkulturen benutzte, während PFEIFFER und Korte den Agarkulturen wegen ihrer genaueren Dosierbarkeit den Vorzug gaben. Der auf seine Sterilität geprüfte, durch Zusatz von ),3°/, Phenol haltbarer gemachte Impfstoff wird am besten auf der Brust, und zwar in der Mitte zwischen Brustwarze und Schlüsselbein, Injiziert, worauf sich meist nach 4—6 Stunden eine intensive, etwa handtellergroße Schwellung und Rötung der Haut in der Umgebung der {mpfstelle bemerkbar macht, die jedoch in der Regel binnen 24 Stunden wieder verschwindet. Auch Allgemeinerscheinungen, Schüttelfrost, Tem- beratursteigerung, Mattigkeit, Erbrechen, wurden relativ häufig beob- tchtet, niemals sind jedoch trotz der großen Zahl von Menschen, lie bisher diesem Impfverfahren unterworfen wurden, dauernde Schutz- impfung gegen Rinderpest. Typhus- schutz- impfung. 384 XXII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Schädigungen der Gesundheit beobachtet worden. Übrigens sind die Reaktionserscheinungen nach der 2. und 3. Einspritzung erheblich ge- ringer als nach der ersten Impfung. Unter dem Einflusse dieser Injektion treten im Blutserum der Geimpften bakterizide Antikörper von großer Wirksamkeit auf, deren Anwesenheit wohl mit der erzielten Immunität in Beziehung gebracht werden darf. Um nun eine Vorstellung von den Erfolgen der Typhusschutz- impfung zu bekommen, wollen wir hier eine Tabelle betrachten, die sich im wesentlichen an die von WRIGHT in seiner Abhandlung „über Antityphusinokulationen“ mitgeteilte Statistik anschließt, und die sich auf ca. 20000 Geimpfte und 150000 unter denselben Verhältnissen lebende Ungeimpfte bezieht. A. Zahl der Personen Zahl der Typhusfälle Zahl der Todesfälle geimpft | nicht geimpft | geimpft | nicht geimpft | geimpft | nicht geimpft 20 086 | 151 834 | 276 | 3927 | 42 | 957 B, Von 100 Personen Von 100 Personen Von 100 Erkrankten | erkrankten starben starben geimpft | nicht geimpft | geimpft | nicht geimpft | geimpft | nicht geimpft 1,37 | 2,58 | Wie man aus dieser Zusammenstellung entnehmen kann, ist nicht nur die Morbidität und Mortalität an Typhus unter den Geimpften e heblich geringer gewesen als unter den nicht Geimpften, es hat viel mehr, wie aus dem dritten Stab der Tabelle B hervorgeht, auch die Letalität der Erkrankung unter dem Einfluß der Schutzimpfung wesent lich abgenommen, so daß der Verlauf des typhösen Prozesses sich vie milder anließ und seltener zum Tode führte, als dies sonst der Fal war. Besonders deutlich ist diese Tatsache auch aus einer kleinen Zusammenstellung von Kuun zu entnehmen, die sich auf die Ergeb- nisse der Typhusschutzimpfung bei der südwestafrikanischen Schutz-' truppe bezieht, und nach der Lu 0,20 . | 0,63 15,2 | 24,3 bei den bei den ungeimpften Typhuskranken geimpften Typhuskranken 36,55 °/, leichte Fälle, 50,13 °/, leichte Fälle, 24,85 °/, mittelschwere Fälle, 25,88 °/, mittelschwere Fälle, 25,80 °/, schwere Fälle, 7,52 °/, schwere Fälle, 4 12,80 °/, letale Fälle, 6,47 °/, letale Fälle beobachtet wurden. 4 Ähnlich günstige Erfahrungen haben auch andere zuverlässige Beobachter gesammelt, so daß die T'yphusschutzimpfung, besonders ir Anbetracht ihrer vollkommenen Ungefährlichkeit, wohl in Zukunft noe eine große Rolle spielen dürfte. Die Dauer der erzielten Immunitä wird von WrısHt auf mehr als drei Jahre geschätzt. h 5 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 385 Auf genau den gleichen Prinzipien basiert auch die Choleraschutz- impfung, die in Indien bereits vor mehr als 10 Jahren von Harr- KINE, und zwar mit lebenden Kulturen, im großen Maßstabe durch- geführt worden war, aber erst durch KoLuk zu einer wissenschaftlich gut fundierten Methode ausgearbeitet wurde. HarrkınE hatte, dem Paısteurschen Schema der Immunisierung folgend, zwei verschieden virulente Cholerakulturen (Vakzin I und II) zur Einspritzung benutzt; Korte dagegen bedient sich einer Agarkultur, deren Bakterienbelag in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt und eine Stunde lang auf 58° erhitzt wird, um dann in der Menge von 2 mg unter die Haut gespritzt zu werden. Die lokalen und allgemeinen Reaktionserschei- nungen, welche nach dieser Behandlung eintreten, sind ähnlicher Natur wie bei der Typhusschutzimpfung und nahmen niemals einen irgend bedrohlichen Charakter an. Ein großer Vorzug des Kouseschen Ver- fahrens vor der Harrkıyeschen Methode liegt vor allem darin, daß man mit einiger einzigen Injektion auskommt, und daß die in praxi immerhin nicht unbedenkliche Manipulation mit lebenden virulenten Cholerakulturen vollkommen fortfällt. Bereits am zehnten Tag nach der Injektion zeigt das Blutserum der geimpften Personen das Maximum seiner bakteriolytischen Wirksamkeit, und behält dieselbe über ein Jahr lang bei. So lange ist ungefähr auch die Dauer des Impfschutzes zu veranschlagen. Zur Bewertung der mit diesen Methoden erzielten Impferfolge wollen wir hier nur zwei Statistiken reproduzieren, deren eine sich auf das Harrkıingsche Verfahren bezieht, während die andere die Schutz- impfung nach Korte betrifft, ohne daß wir ihnen irgend ein Wort der Erläuterung beizufügen genötigt wären. A. Impfung nach Harrkıne. Epidemie in Cachar. Frühjalır 1895. Zahl der Persone Zahl der Erkrankungen Zahl der Todesfälle geimpft | ungeimpft geimpft | ungeimpft geimpft | ungeimpft 2936 3276 | 3 | 47 | 2 | 20 a | a | 0,10°/, 1,43 97, | 0,06 %/, 0,61 /, B. Impfung nach Korır. Epidemie im japanischen Regierungsbezirk Hiogo 1902. Zahl der Personen Zahl der Erkrankungen Zahl der Todesfälle ee 0 i geimpft | ungeimpft geimpft | ungeimpft geimpft | ungeimpft 77 907 | 825 287 47 | 1152 20 | 863 nn - = | - [oo | oe. | 902%. | 010% Müller, Vorlesungen. 3, Aufl. 25 Cholera- schutz- impfung. Pestschutz- impfung. 386 XXIII Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Auch von der Choleraschutzimpfung gilt das, was wir früher von der Typhusvakzination bemerkt hatten, daß sie nämlich in Europa nur zu Epidemiezeiten und bei besonders exponierten Personen am Platze sein dürfte, daß dagegen das Hauptfeld ihrer Wirksamkeit in den Tropen, speziell in Indien gelegen zu sein scheint, und daß sie sich voraussichtlich auch in den Armeen bewähren dürfte. Allerdings ist das statistische Material einstweilen noch nicht ausreichend, um zu einem abschließenden Urteile über die Cholera- und Typhusschutzimpfung zu gelangen. | Ähnlich steht es mit der Bewertung der aktiven Pestimmuni- sierung. Auch auf diesem Gebiete hat sich HarrkınE große Ver- dienste erworben und hat an einem bedeutenden Menschenmateriale in Indien reiche Erfahrungen gesammelt. HarrkınE bereitet seinen Impf- stoff aus 6 Wochen alten Pestbouillonkulturen, die durch Erhitzen auf 65° getötet werden, und zu 3—3!/, ccm, eventuell auch noch in höheren Dosen (bis zu 20 ccm) unter die Haut gespritzt werden. Da- gegen bevorzugt die deutsche Pestkommission auch hier wieder Agar- kulturen. Als Dosis für den Erwachsenen gilt eine ganze Agarkultur, also, im Gegensatz zu den meisten anderen Impfverfahren, eine sehr erhebliche Quantität bakterieller Leibessubstanzen, die demgemäß auch recht heftige lokale Entzündungserscheinungen und hohes Fieber hervorruft. Was nun die Wirkung der Pestvakzination betrifft, so begnüger wir uns mit der Anführung eines einzigen, allerdings sehr instruktiven Beispiels, das sich auf die in Hubli im Jahre 1898 ausgeführten Harrkıyeschen Impfungen bezieht, welche so gründlich und in so großem Stile betrieben wurden, daß zum Schlusse von den ca. 40 000 Einwohnern nur noch 603 ungeimpft geblieben waren. Geimpft Ungeimpft Zahl der | Zahl der ER Zahl der | Zahl der Be- Todes- Be Be- Todes- völkerung| fälle völkerung| fälle 0,03 | 44573 47 0,05 | 41494 22 0,01 | 39042 29 11. Mai bis 14. Juni 1898 2 854 1 15. Juni ,„ 21. Juni 1898 5 588 3 22. Juni „ 28. Juni 1898 8443 1 29. Juni „ 5.Juli 1898 | 10517 6 0,05 | 36020 55 6. Juli „ 12. Juli 1898 | 13263 6 0,04 | 33 255 34 13. Juli „ 19. Juli 1898 | 15524 7 0,04 | 29716 82 20. Juli „ 26. Juli 1898 | 19697 15 0,07 | 24112 100 27. Juli „ 2. Aug. 1898 | 22 676 16 0,07 | 21031 140 3. Aug. „ 9. Aug. 1898 | 27184 19 0,07 | 15584 272 10. Aug. „ 16. Aug. 1898 | 29 756 61 0,20 | 10685 386 17. Aug. „ 23. Aug. 1898 | 33 033 41 |0,12 | 6367 371 | 24. Aug. „ 30. Aug. 1898 | 34116 28 1008 | 409 328 31. Aug. „„ 6. Sept.1898 | 35469 34 1009 | 2731 227 7. Sept. „ 13. Sept.1898 | 37292 46 |012 | 1116 138 14. Sept. „ 20. Sept.1898 | 38 205 35 10,09 937 106 21. Sept. „„ 27. Sept.1898 | 38 712 20 |00 603 58 Trotzdem sich also schließlich nur ein relativ kleiner Bruchteil der Bevölkerung der Impfung entzogen hatte, war doch die Anzahl der | | | Pesttodesfälle unter den Ungeimpften absolut genommen weit | | XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 387 größer als unter den Geimpften, ein Befund, der sich natürlich auch in den Prozentzahlen der Mortalität außerordentlich deutlich ausspricht. Der günstige Einfluß der Schutzimpfung ist also nach dieser Zusammen- stellung unverkennbar. Andererseits haben aber kritische Nachunter- sucher mit Recht darauf hingewiesen, daß man in dieser und in anderen Statistiken Harrkınes denn doch keinen zahlenmäßigen Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse erblicken dürfe, da es in den in Betracht kommenden Gegenden außerordentlich schwer halte, wirklich zuver- lässiges statistisches Material zu gewinnen. Immerhin wird auch von diesen Forschern, u.a. von den Mitgliedern der indischen Pestkommission, die Wirksamkeit des Impfverfahrens keineswegs geleugnet. Der Impfschutz hält sicher einige Monate lang an, ist aber kein absoluter, da auch Geimpfte nicht selten an Pest erkrankten. — Endlich mögen hier noch einige Worte über die Wrıautsche Vakzinetherapie Platz finden, deren Prinzip wir ja bereits in einem früheren Kapitel erörtert haben und die im großen und ganzen ja eben- falls auf eine aktive Immunisierung hinausläuft. Wenn auch das Ideal der Vakzinetherapie darin bestehen würde, zur Behandlung jedes Krank- heitsfalles den aus den Krankheitsprodukten isolierten eigenen Bakterien- stamm (ein sogenanntes „Autovakzin“) zu benutzen, so hat es sich doch aus naheliegenden Gründen für viele Fälle als praktisch erwiesen, fertige Vakzins in den Handel zu bringen. Meist werden diese Vakzins in der Weise hergestellt, daß die Bakterienkulturen unter fortgesetztem maschi- nellen Schütteln in Kochsalzlösung suspendiert, auf 60° erwärmt und dann mit !/, Prozent Lysol versetzt werden. Durch ein besonderes Zählungsverfahren wird die Anzahl der Bakterien festgestellt, welche in der Volumeinheit der Aufschwemmung enthalten ist und hiernach die einzuspritzende Dosis des Vakzins bemessen. Nach einer Zusammen- stellung von WoLrr-Eisxner sind gegenwärtig folgende fertige Vakzins im Handel erhältlich: Typhusvakzin (bisher nur zu präventiven Zwecken benutzt); Oolivakzin (bei Colisepsis, Colipyelitis, Colizystitis, Coliendometritis, Cholezystitis); Staphylokokkenvakzin (bei Furunkulose, Akne, Sykosis, Osteomyelitis, Panaritien, Mastitis, chronischem Ekzem); Streptokokkenvakzin (bei lokalisierten Streptokokkenerkrankungen, Erysipel, Phlegmone, besonders aber bei Mischinfektionen mit Tuberkulose); Gonokokkenvakzin (bei chronischen gonorrhoischen Gelenksaffek- tionen, bei Gonokokkenkonjunktivitis);; 6. Tuberkulinvakzin. Dasselbe besteht aus der Kocuschen Bazillen- emulsion, die in minimalen Dosen injiziert wird. Während die käufliche Stamm-Emulsion der Höchster Farbwerke in 1 ccm 5 mg zerriebener Tuberkelbazillen enthält, enthält 1 ccm des Wrıs#tschen Vakzins nur 0,0002—0,0005 mg. — Das Vakzin wird bei chronischen, lokalisierten, fieberfreien Tuberkulosen, bei Lupus, Scrophuloderma, Hauttuberkuliden usw. injiziert.) u > a Zahlenmäßige Angaben über die Wirksamkeit der WrısHTschen Vakzinetherapie sind begreiflicherweise einstweilen noch schwer zu machen. Immerhin scheint es nicht zweifelhaft, daß sie bei manchen Infektionsprozessen chronischen Charakters ganz Vortreffliches leistet, und dies mag es rechtfertigen, wenn wir ihrer auch an dieser Stelle wenigstens in Kürze gedacht haben. 25° Wright- sche Vak- zinetherapie. 385S XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Bemerkt sei übrigens noch, daß die Anwendung der Wrıcatschen Vakzinetherapie auf die Tuberkulose nichts anderes als eine Modifikation Tuberkulin- der Kochschen Behandlungsmethode mit Tuberkulin bezw. behandlung. Noutuberkulin darstellt, die ja, nach den ersten scheinbaren Miß- erfolgen, neuerdings von einer großen Anzahl von Ärzten wieder auf- genommen wurde und heute, wo man ihre Indikationen schärfer zu präzisieren gelernt hat und über die für sie geeigneten Fälle — fieber- freie, nicht durch Mischinfektionen komplizierte Frühstadien der Tuber- kulose — genügende Erfahrungen sammeln konnte, bereits vielver- sprechende Heilungserfolge gezeitigt hat. Bei dem vorwiegend klinischen Interesse der Tuberkulintherapie können wir uns wohl auf diesen kurzen Hinweis beschränken, und wollen nur noch hinzufügen, daß neben dem „Alttuberkulin“ (s. S. 25) und dem aus den zerriebenen Bazillen- leibern durch Aufschwemmung in 50°/,igem Glyzerinwasser hergestellten „Neutuberkulin“ noch eine Reihe anderer Bazillenextrakte, wie das Laxpmanssche Tuberkulol, Verwendung finden, welch letzteres aus viru- lenten Tuberkelbazillen durch fraktionierte, bei stufenweise ansteigenden Temperaturen vorgenommene Extraktion dargestellt wird und die ver- schiedenen in den Bakterienleibern enthaltenen Giftstoffe in mög- lichst unveränderter Form enthält. Im prinzipiellen Gegensatz zu diesen toxischen Tuberkulinpräparaten steht das in jüngster Zeit von GORDON warm empfohlene Endotin, das aus dem Kochschen Alttuberkulin durch Vorbehandlung mit Alkohol, Xylol, Äther und Chloroform und schließlich Einwirkung von heißer verdünnter Lauge gewonnen wird und seine Darstellung dem Bestreben verdankt, die spezifisch wirksame Substanz möglichst von den nichtspezi- fischen Giftstoffen der Tuberkelbazillen zu befreien. Dem- entsprechend sollen bei der Endotinbehandlung alle toxischen Neben- erscheinungen, die bisher bei der Tuberkulintherapie beobachtet wurden, wie die fieberhafte Allgemeinreaktion, und die oft sehr lästigen sub- jektiven Symptome, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Herzklopfen usw. voll- kommen wegfallen, obwohl die therapeutische Wirksamkeit des Endo- tins der des Alttuberkulins sogar beträchtlich überlegen sein soll. Freilich liegen bisher noch zu wenig Erfahrungen über dieses neue Präparat vor, um ein Urteil über dasselbe zu gestatten. Hiermit wollen wir unsere Erörterungen über die Erfolge der aktiven Immunisierungsverfahren, natürlich ohne irgend auf Vollständig- keit Anspruch zu machen, beschließen, und wollen uns nun der Be- sprechung des passiven Impfschutzes zuwenden. II. Passive Immunisierung. Während wir nun bei den aktiven Immunisierungsmethoden, von der WriısHtschen Vakzinetherapie und der Kocuschen Tuberkulin- behandlung abgesehen, kaum Gelegenheit fanden, von einem thera- peutischen Effekt derselben bei bereits ausgebrochener Erkrankung zu sprechen, steht aus Gründen, die in einer früheren Vorlesung eingehend dargelegt wurden, bei der passiven Schutzimpfung vielfach das thera- peutische Moment im Vordergrund des Interesses. Wir werden daher im folgenden, wo es notwendig ist, sowohl die prophylaktische wie die Heilwirkung der verschiedenen Immunsera, die zur passiven Immunisierung dienen, in gleicher Weise zu berücksichtigen haben. XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 389 Wir wollen an der sich von selbst ergebenden Einteilung der Sera in antitoxische und antibakterielle festhalten und mit der Be- sprechung der ersteren beginnen. Die beiden antitoxischen Sera, die sich am meisten Eingang in die Praxis verschafft haben, sind bekanntlich das Diphtherie- und das Tetanusheilserum. Über die Herstellung des fast ausschließlich vom Pferde gewonnenen Diphtherieheilserums, über seine Wertbestimmung und Prüfung haben wir bereits in dem Kapitel über die Enkvicnhsche Toxinanalyse aus- führlich gesprochen, so dal) wir uns diesbezüglich hier sehr kurz fassen können. Das Heilserum wird von den verschiedenen Produzenten (in Deutschland sind es: die Höchster Farbwerke, die Scheringsche Fabrik in Berlin, Merck in Darmstadt und Rüete-Enoch in Hamburg; in Öster- reich das Wiener Serotherapeutische Institut, in der Schweiz das Berner Seruminstitut) meist in mehreren Sorten in den Handel gebracht, die sich durch die Zahl der in ihnen enthaltenen antitoxischen Immunitäts- einheiten unterscheiden. So liefert beispielsweise die Firma Merck folgende Präparate: Nr. O0 Orig.-Glas (gelber Umschlag) 200 1.-E. n„ 1 » (grüner » )= 600 „ a. 2 (weißer EHER RÜCER Tor | is (roter er a" “ (violetter 620000 „ a) $ (blauer “ Ye (B000 N, Zur Immunisierung reicht man erfahrungsgemäß mit der Ein- spritzung von 200—250 I.-E. vollkommen aus, nur muß, mit Rücksicht auf die rasche Vergänglichkeit des erzielten Impfschutzes, die Injektion zur Zeit der Ansteckungsgefahr alle 3 Wochen wiederholt werden. Dagegen ist von größter Bedeutung, daß zu Heilzwecken von vornherein sehr große Serumdosen, am besten sogleich 1000 1.-E., jain schweren Fällen sogar 15003000 I.-E. eingespritzt werden müssen, wobei man, um Zeit zu gewinnen, gut tut, nicht erst das Re- sultat einer bakteriologischen Untersuchung abzuwarten, sondern die Behandlung sofort nach ausgebrochener Erkrankung zu beginnen. Über den Erfolg der prophylaktischen Serumeinspritzungen liegen derzeit nur relativ wenige umfangreichere Statistiken vor. Immerhin scheinen die Resultate sehr ermutigende zu sein. So zitiert METSCHNIKOFF in seinem Buche ‚Über die Immunität bei In- fektionskrankheiten‘ einen Bericht von Ouspexnsky, nach dem im (zouvernement Woronesch in Rußland bei 738 Geimpften nur in 2,2°/, der Fälle Diphtherie auftrat „ein sehr günstiges Resultat, wenn man die große Ausdehnung der Krankheit in jener Gegend berücksichtigt‘. erner erkrankten nach Nerrker von 152 auf 50 Familien verteilten indern, von denen 99 prophylaktische Seruminjektionen erhalten hatten, ein einziges an Diphtherie, während in 39 anderen Familien, in denen ie Kinder nicht geimpft wurden, 52 Erkrankungs- und 10 Todesfälle n Diphtherie vorkamen. Jedenfalls wird also die Schutzimpfung be- onders da, wo viele Kinder dicht zusammengedrängt wohnen, imstande ein, Massenerkrankungen an Diphtherie wirksam zu verhindern. Dagegen ist das statistische Material über die Heilwirkung des iphtherieserums ein geradezu kolossales, und wir wollen uns daher Diphthorie- heilssrum, Prophylak- tische Wirkung. Heil- wirkung. 390 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie, auch hier, wie bisher, mit der Anführung einiger besonders prägnanter Beispiele begnügen. | Todesfälle an A ä in deutschen Städten über 15000 Einwohner. Auf, 100000 ae Absolute Zahl starben an Diphtherie Jahr der Todesfälle an Diphtherie im Durchschnitt 1886 12211 124 1887 10 970 107 1888 10 142 9 1889 11919 108 1890 11915 105 106 1891 10 484 84 [ 1892 12 365 97 1893 16 557 130 1894 13 790 101 1895 7511 53 1896 5.262 43 44 1897 5.208 35 Diese von KosseL herrührende Statistik lehrt, wie man sieht, in außerordentlich eindringlicher Weise, daß die Diphtheriesterblichkeit, die in den Jahren vor der Einführung der Serumtherapie in den größeren deutschen Städten durchschnittlich 106 pro mille betragen hatte, seit 1895 ganz erheblich abgesunken ist, und sich jetzt nur mehr auf 0,44 pro mille, also auf weniger als die Hälfte beläuft. Freilich, ob diese Verminderung der Mortalität tatsächlich auch in kausalem Zusammen- hang mit der Einführung der Schutzimpfung steht, und ob sie nicht etwa nur durch ein zufälliges Nachlassen der Epidemie beding ist, das ist eine andere Frage, die auf Grund dieser und ähnliche Statistiken nicht ohne weiteres beantwortet werden kann, weshalb denn auch die Gegner der Serumtherapie gerade hier mit ihrer Polemik ein- gesetzt haben. Allerdings ohne viel Glück; denn es konnte gezeigt werden, daß dieses Absinken der Diphtheriemortalität auch an dem Material einer großen Anzahl von Krankenhäusern zu beobachten ist, das sich zu einem sehr erheblichen Bruchteile gerade aus schweren Fällen zusammensetzte. Vollkommen einwandfrei ist jedoch in dieser Beziehung die große Statistik von SIEGERT zu nennen, die sich u. a. auf etwa 37000 Fälle von operierten Larynxstenosen mit und ohne Serumbehandlung bezieht also auf Erkrankungen schwersten Grades, deren Charakterisierung nicht etwa dem subjektiven Ermessen des Statistikers anheimgegeben war, sondern in der unabweisbar gewordenen Operation objektiv zum Aus- drucke kam. Auch hier, wo also ein Einfluß eines milderen „Genius epidemicus‘ vollkommen ausgeschlossen ist, zeigt sich die Verminderung der Diph theriesterblichkeit ungefähr in dem gleichen Ausmaße, wie bei der früher angeführten Statistik, so daß also kein Zweifel mehr bestehen kann, daß wir es hier wirklich mit einem glänzenden Erfolge der Serum: therapie zu tun haben. In der Tat sind denn auch die Stimmen der XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 391 Vor Einführung des Serums | Nach Einführung des Serums Zahl Zahl Zahl Zahl | der Operierten u Todesfälle Prozent Ider Operierten der Todesfälle Prozent 17 673 | 10 701 | 60,55 18 524 | 4828 | 35,70 Gegner in der letzten Zeit so ziemlich verstummt und der Wert des Diphtherieheilserums allgemein anerkannt. — Wir wollen daher hier nur noch eine von Dıeuposn£ herrührende, Eintuß des wichtige Zusammenstellung reproduzieren, welche die bereits von uns Ze'punkts bei anderer Gelegenheit besprochene Tatsache in ausgezeichneter Weise einspritzung. illustriert, daß die Erfolge der Serumtherapie um so günstiger sind, je früher die erkrankten Kinder zur Behandlung kommen. Zahl Sterblichkeit in Prozent Statistiker Pa ehe { bei Behandlung der Erkrankung am |pach dem Fälle % Tag |2. Tag |3. Tag |4. Tag |5. Tag| 6. Tag | 6. Tag Weich. . 1498 | 2,3 | 81 135 | 190 | 293 | 3411| 33,7 Sammelforschung d. | | Americ. Pädic.Soc. 5794 49 | 7,4 88 | 20,7 | 35,3 _ _ Hnser . .. .| 228 |22 | oe | wıl38| 3839| 3141| 382 Sammelforschung d. Österr. Sanitäts- | wesen . . 1108 | 80 |66 | 98| 35 ass | 307 | 212 Sammelforschung d. Kaiserl. Ges.-Amts 9581 6,6 8,3 | 12,9 | 17,0 | 23,2 _ 26,9 | Diese Tabelle bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung und bildet sicher ein wertvolles indirektes Argument für die Wirksamkeit des Heilserums, die sich übrigens auch der unbefangenen ärztlichen Beobachtung mit überzeugender Kraft aufgedrängt hat, wenn es freilich im einzelnen Falle manchmal schwierig sein kann, zu einem klaren Urteil über den Effekt der Serumeinspritzung zu gelangen. Immerhin wird besonders die Beeinflussung des örtlichen Krankheitsprozesses, die rasche Abstoßung der diphtheritischen Membranen und die Beschränkung des Fortschreitens der Entzündung hervorgehoben, während eine Ein- wirkung auf das Auftreten von postdiphtheritischen Lähmungen sicher nicht besteht. Leider lauten die therapeutischen Erfolge, die mit dem Tetanus- Tetanusheil- heilserum erzielt wurden, bei weitem weniger günstig. Das Tetanus- """" serum wird in Deutschland von den Höchster Farbwerken, von Siebert und Ziegenbein in Marburg und von Merck in Darmstadt, in Österreich von dem Wiener Serotherapeutischen Institut, in der Schweiz von ‘dem Berner Seruminstitut hergestellt und in den Handel gebracht und zwar sowohl in flüssiger wie in fester Form. Das feste Präparat, das den Vorteil großer Haltbarkeit besitzt, kann nicht nur gelöst und zu Ein- spritzungen benutzt, sondern auch als Streupulver auf infizierte Wunden gebracht werden. "Als einfache Heildosis sind nach v. BEHnkıse beim Menschen wie beim Pferde, das ja bekanntlich der tetanischen Infek- Schutz- wirkung. Heil- wirkung. 392 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. tion sehr häufig zum Opfer fällt. etwa 100 Antitoxineinheiten anzusehen, wobei bemerkt sei, daß eine A.-E. imstande ist, 40000000 tödlicher Dosen des Tetanusgiftes für Mäuse zu neutralisieren. Dagegen reicht man für prophylaktische Injektionen gewöhnlich mit 20 Tetanus-A.-E. aus. Die Schutzimpfung gegen Tetanus hat nun bei Pferden, Schafen und Ziegen, wo sie besonders von NocarD im Großen angewendet wurde, sehr zuverlässige und günstige Resultate ergeben, indem z. B. von 2705 Tieren, die nach einem chirurgischen Eingriff (Kastration) oder nach einer zufälligen Verletzung passiv immunisiert worden waren, nur ein einziges Pferd leicht erkrankte, während gleichzeitig bei den nicht ge- impften Tieren 259 Fälle von Tetanus zur Beobachtung kamen. Auch beim Menschen wird daher die prophylaktische Impfung bei Ver- letzungen, die erfahrungsgemäß oft zur Tetanusinfektion Veranlassung geben, als aussichtsreich bezeichnet werden müssen, und es wird in der Tat auch bereits von verschiedener Seite über günstige Ergebnisse berichtet. Dagegen sind, wie schon angedeutet, die Erfolge der Serum- therapie im allgemeinen wenig erfreuliche. So starben nach dem preußischen Veterinär-Sanitätsbericht von den im Jahre 1897 behandelten Pferden 70,9°, an Tetanus. Für den Menschen existieren nun zwar, wie die folgende kleine Zusammenstellung lehrt, einige weniger trost- lose Statistiken, aber dieselben bieten doch Mortalitätszahlen dar, wie sie auch vor Anwendung der Serumtherapie von einzelnen Forschern beobachtet wurden, so daß es außerordentlich schwer ist, zu einem klaren Urteil zu gelangen. Dazu kommt noch, daß diese relativ günsti- gen Zusammenstellungen sich lediglich auf die in der medizinischen Literatur niedergelegten Fälle von Tetanus beziehen, wobei es ganz selbstverständlich ist, daß mehr Fälle von Heilungen als von tötlichem Verlaufe zur Veröffentlichung gelangten. Überdies existieren auch Stati- stiken aus einigen großen Krankenhäusern, nach denen die Mortalität trotz energischer Serumbehandlung doch noch immer mehr als 80%, betrug, so daß also die Hoffnungen, die man derzeit auf die Serum therapie des Tetanus zu setzen berechtigt ist, jedenfalls nicht zu hoch gespannt werden dürfen. Stellt man übrigens aus den beiden nachstehenden Tabellen diejenigen mit Serum behandelten bezw. nicht behandelten Teetanusfälle neben- einander, welche ungefähr gleichlange Inkubationsdauer (nämlich 1 bis 10 Tage) aufzuweisen hatten, also ungefähr gleich schweren Intoxikationen entsprachen, so erhält man für die ersteren etwa 49,8°/, Mortalität, für die nicht behandelten Fälle dagegen 96,1%, was also immerhin einen gewissen therapeutischen Effekt der Serum behandlung erkennen läßt. A. Behandlung ohne Serum. Statistiker Inkubationsdauer | ne | Todesfälle Prozent R \ |! Frieprich (1837). . ? 252 133 53 Pf CuRscHmann (1889) . ? 912 407 44,6 | Be . ._ “u; 1—10 Tage — | _ 96,7 Rıcater (1877) . . 6—10 Tage | 224 214 | 95,6 ' | | | XXIII, Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 393 B. Behandlung mit Serum. Statistiker Inkubationsdauer Zahl | Todesfälle Prozent der Fälle | Könner (1898) . 1-10 Tg | 8 a 11 Tage und mehr | 27 5 | 18,6 Tsuzuxı (1900) . . 1-10 Tage 39 21 | 588 11 Tage und mehr | 12 3 25,0 | Man wird sich daher durch die mannigfaltigen Mißerfolge im ge- gebenen Falle nicht abhalten lassen dürfen, von dieser gewiß rationellen Therapie Gebrauch zu machen und wird jedenfalls trachten müssen, möglichst frühzeitig große Dosen von Antitoxin in den vergifteten Organismus einzuführen, wobei die intravenöse, intraneurale und vor allem die spinale Applikationsweise, wie die günstigeren Erfolge der letzten Zeit lehren, besonderen Vorzug verdienen dürfte. Auch des Dysenterieheilserums müssen wir an dieser Stelle gedenken, nachdem die ursprüngliche Annahme, es handle sich bei dem- selben lediglich um antibakterielle Wirkungen, auf Grund der Unter- suchungen von Kraus und Dörr fallen gelassen werden mußte und festgestellt worden war, daß dieses Serum seine Heileffekte sicher auch seinem beträchtlichen Antitoxingehalte verdankt. Die erste praktische Anwendung in größerem Maßstabe hat das Dysenterieheilserum in Japan durch den Entdecker des Ruhrbazillus, SmiGa gefunden. Die dort im Verlauf einer schweren Epidemie erzielten Erfolge waren ver- hältnismäßig recht günstige, indem die Krankheitsdauer bei den mit Serum behandelten Fällen, die in Heilung übergingen, von ca. 40 auf durchschnittlich 25 Tage herabgesetzt wurde und die Mortalität pro- zentuell nur ein Drittel von derjenigen betrug, welche bei den lediglich medikamentös behandelten Kranken beobachtet wurde. Ähnliche Ergeb- nisse hatten auch Kruse, RosEntHAL und andere Forscher zu ver- zeichnen. Nachdem nun, wie erwähnt, die Grundlage der Serumtherapie der Ruhr durch Kraus und Dörr auf eine neue Basis gestellt worden war und man in bewußter Weise darauf ausgehen konnte, möglichst hochwertige antitoxische Dysenteriesera herzustellen, haben sich die Erfolge noch bei weitem günstiger gestaltet, so daß die Mortalität von 10-—50°/, auf 2—5°), herabgedrückt werden konnte. Besonders vorteilhaft erwies sich dabei mit Rücksicht auf die Existenz verschiedener Varietäten des Dysenteriebazillus (Typus Shiga-Kruse, Flexner, Y-bazillus) die auch bei einer und derselben Epidemie nebeneinander auftreten können, die Verwendung von polyvalenten Heilseren, wie sie z. B. Smiga neuerdings hergestellt und auch bereits im Großen an- gewendet hat. Nur nebenbei sei erwähnt, daß durch die Wirkung des Antitoxins gerade die quälendsten Symptome der Ruhr, der Tienesmus und die Durchfälle, die mit Sicherheit als Giftwirkungen zu deuten sind, binnen kürzester Zeit zum Verschwinden gebracht werden. Wir wollen auf die übrigen, weniger wichtigen antitoxischen Sera, die sich gegen das Gift des Bac. botulinus, des Erregers gewisser Fleischvergiftungen, ferner gegen das Schlangengift und gegen bestimmte andere Toxine richten hier nicht näher eingehen, sondern sie nur er- wähnen, um uns sofort den antibakteriellen Heilseris zuzuwenden. Dysenterie- heilserum. Pestheil- serum. 394 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Da die bisherigen Versuche einer Serumbehandlung des Typhus und der Cholera keine nennenswerten praktischen Erfolge aufzuweisen haben, so können wir sie mit Stillschweigen. übergehen. Dagegen er- heischt das Pestheilserum eine, wenn auch kurze Besprechung. Das Pestheilserum wird entweder, wie dies in den Seruminstituten zu Bern und Paris geschieht, nach dem Vorgange von YErsIn durch Immunisierung von Pferden mit abgetöteten und lebenden Pestkulturen gewonnen, oder aber nach Lusrtı mit Hilfe eines aus den Pestkulturen durch Alkaliextraktion dargestellten Nukleoproteides bereitet. Das YERSIN- sche Serum ist seiner Hauptwirkung nach wohl sicher als bakterizid zu betrachten, während dem Lustisschen Pestheilserum auch geringe anti- toxische Eigenschaften zugeschrieben werden. Beide Arten des Pestserums haben nun sowohl im Laboratoriums- experimente wie in praxi eine ausgedehnte Anwendung und Prüfung erfahren, wobei sich jedoch leider bei weitem nicht so günstige Resultate ergeben haben, als im Interesse der Menschheit zu wünschen gewesen wäre. Zwar war bei den an über 500 Tieren ausgeführten Versuchen von KorLE und MarrTInI eine spezifische Serumwirkung insofern nicht zu verkennen, als bei Verwendung von Pariser Serum . . 31°), von normalem Serum . 7%, und ohne Serum . . . 0% der mit Pest infizierten Tiere mit dem Leben davon kamen; wurden jedoch diejenigen Versuche ausgeschaltet, bei welchen die Serumein- spritzung vor der Infektion vorgenommen worden war, wurde also die Heilwirkung des Serums allein in Betracht gezogen, so überlebten von den mit Pestserum behandelten Tieren nur 13,1°/, von den mit normalem Serum behandelten . . 5,7%, und von den unbehandelten Kontrollen . . . 0,0%. Noch ungünstiger gestalteten sich die Versuchsergebnisse, wenn auch von jenen Fällen abgesehen wurde, bei welchen nur wenig virulentes Pestmaterial zur Infektion verwendet worden war, obwohl auch hier ein gewisser Einfluß des Serums auf den Krankheitsverlauf nicht geleugnet werden konnte. Niemals gelang es jedoch, ein Tier, das bereits schwere Krankheitserscheinungen aufwies, selbst durch die größten Serummengen zu retten. Ganz analog sind nun auch die in Indien am Menschen gesammelten Erfahrungen ausgefallen, und die indische Pestkommisson hat sich auf (rund ihrer überaus sorgfältigen und eingehenden Erhebungen und Beobachtungen dahin ausgesprochen, daß sowohl das Lustiesche wie das Yersinsche Heilserum zwar einen günstigen Einfluß auf den klinischen Verlauf der Pest erkennen lasse, daß die Erfolge jedoch keineswegs so schlagende seien, wie etwa beim Diphtherieheilserum. Trotzdem wird man sich wohl, bei dem Fehlen jeder anderen therapeutisch wirksamen Maßregel, nicht davon abschrecken lassen dürfen, an der Vervollkommnung der Serumgewinnung weiterzuarbeiten, zumal ja eine präventive Schutzimpfung durchaus nicht aussichtslos er- scheint, wenn auch die so erzielte Immunität nachweislich nur wenige Tage anhält. — | Auch gegen die Streptokokken und Pneumokokken hat man XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie, 395 Immunsera hergestellt, die bereits im größeren Umfange beim Menschen Anwendung gefunden haben. Was zunächst die Streptokokkensera betrifft, so kann man zwei prinzipiell voneinander verschiedene Typen derselben unterscheiden: Der eine Typus, welchem u. a. das Marmorecksche und das ARONsox- sche Serum angehören, wird mit Hilfe von Streptokokkenstämmen ge- wonnen, die durch wiederholte Passagen durch den Organismus eines empfänglichen Tieres — z. B. der Maus — auf einen hohen Grad von Tierpathogenität gebracht wurden. Der andere Typus dagegen, welcher durch das Taversche, Mosersche und Mexzersche Serum und einige andere weniger wichtige Präparate repräsentiert wird, wird durch Im- munisierung mit solchen Stämmen erzeugt, die möglichst direkt und ohne Einschaltung von Tierpassagen aus dem menschlichen Organismus gezüchtet wurden, daher, wie man annehmen muß, menschenpathogen sind, nicht selten aber Tieren gegenüber jede Virulenz ver- missen lassen. Es ist leicht zu ersehen, daß man mit der Verwendung derartiger menschenpathogener Streptokokken zur Herstellung des Immun- serums die Hoffnung verbindet, daß die erzielten Antikörper sich gerade mit besonderer Spezifität gegen die Wirksamkeit dieser Stämme richten würde, eine Annahme, die eine gewisse Verschiedenheit zwischen den tierpathogenen und menschenpathogenen Kettenkokken als wahrschein- lich voraussetzt. Übrigens hat man, um Sera von möglichst vielseitiger Wirksam- keit, also polyvalente Sera zu erhalten, nach dem Vorgang von ARoNsoN, BESREDKA und Rupper auch mit Gemischen von Menschenstreptokokken und Passagestämmen immunisiert, und damit einen 3. Typus von Anti- streptokokkenseren geschaffen. | Ist eine Prüfung des Heil- und Schutzwertes bei der ersteren Gruppe von Seren im Tierversuche mit großer Leichtigkeit und Präzision ausführbar, indem man ja nur festzustellen hat, welche Serummenge erforderlich ist, um etwa Mäuse gegen die 24 Stunden nach der Serum- einspritzung erfolgende Infektion mit einer sicher tödlichen Streptokokken- dosis zu schützen, so ist begreiflicherweise bei den Präparaten des zweit- genannten Typus infolge der geringen Tiervirulenz der vom Menschen stammenden Streptokokken eine genaue Orientierung über ihren Wir- kungswert ganz unmöglich oder doch wenigstens außerordentlich unsicher, ein Umstand, der gewiß der praktischen Anwendung dieser Sera recht hinderlich im Wege steht. Andererseits darf man aber auch mit gewisser Berechtigung Zweifel hegen, ob Sera, die, wie diejenigen des Typus I, mit tierpathogenen Stämmen hergestellt wurden, überhaupt auf die menschenpathogenen Streptokokken eine Wirkung auszuüben imstande sind, so daß also die Grundlagen, auf denen die Serumtherapie der Strepto- kokkenerkrankungen des Menschen bisher ruht, noch als recht unsichere bezeichnet werden müssen. Leider hat aber auch die praktische Prüfung dieser Sera am Krankenbette bisher wohl noch keine Resultate ergeben, die zu einem endgültigen Urteil über ihren Wert berechtigen könnten. Denn bei dem überaus wechselnden Verlauf und der so verschiedenen Prognose der Streptokokkenerkrankungen ist eine sichere Entscheidung darüber, ob die Serumtherapie im gegebenen Falle wirklich einen spezifischen Erfolg gehabt habe, nur mit größter Vorsicht und mit einer Reserve zu treffen, welche erfahrungsgemäß nicht alle Ärzte imstande sind, sich bei Strepto- kokkensera. Pneumo- kokkensera. 396 XXI. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumthe. der Prüfung neuer Mittel und Methoden aufzuerlegen. Daher ist auch eine Statistik. die ja, wie wir an einer ganzen Reihe von Beispielen bereits gesehen haben, bei anderen Erkrankungen ausgezeichnete Auf- schlüsse über den Wert der Immuntherapie zu geben vermochte, be i den Streptokokkenaffektionen nur auf Grund eines sehr umfangreichen und kritisch gesichteten Materials möglich, das derzeit noch nicht vor- zuliegen scheint. Immerhin soll aber nicht verschwiegen werden, daß manche nüchterne Praktiker doch von der Serumtherapie deutliche Er- folge gesehen haben, so daß sie also durchaus nicht als aussichtslos be- zeichnet werden kann, und jedenfalls verdient, weiter ausgebaut und auf sicherere Grundlagen gestellt zu werden. Hat doch die Prüfung des Aroxsoxschen Serums im Tierversuche ganz hervorragende schützende Wirkungen ergeben, die z. T. auf direkt bakterizide, z. T. aber auch auf phagozytosebefördernde (,opsonische‘) Eigenschaften des- selben zurückzuführen waren, und jedenfalls zu der Hoffnung berech- tigen, daß sich auch beim Menschen mit irgend einem in zweckmäßiger Weise gewonnenen Streptokokkenserum ähnliche Erfolge erzielen sc werden. Auch über die Wirksamkeit der von einer ganzen Reihe von Forschern hergestellten Pneumokokkensera läßt sich zurzeit ein ab- schließendes Urteil noch nicht gewinnen. Sie wurden nicht nur zu Therapie der kroupösen Pneumonie, sondern in letzter Zeit besonders von RÖMER auch zur Behandlung des gleichfalls durch Pneumokokker hervorgerufenen Ulcus serpens corneae herangezogen, und ergaben in den Händen der verschiedenen Beobachter im allgemeinen ziemlich wider- sprechende Resultate. Sowohl bei Ulcus serpens wie bei Pneumonie wird die Wirkung meist als eine unsichere und unvollkommene beschrieben, wenn auch in manchen Fällen ein unverkennbarer günstiger Einfluß ver- zeichnet wird. Jedenfalls dürfte es mit der von RöuEr angekündigten „Vollendung der Serumtherapie des Ulcus serpens‘‘ einstweilen noch gute Wege haben. Doch muß Röuwers Versuch, bei der Beurteilung des Heileffektes seines Serums die Virulenz der im einzelnen Falle aus dem Kornealgeschwüre gezüchteten Pneumokokken zugrunde zu legen, immer- hin als wichtiger methodischer Fortschritt begrüßt werden. Von einer Wiedergabe statistischer Daten können wir hier wohl ebenso wie bei dem Streptokokkenserum mit Recht absehen, da ja bei Erkrankungen, die so oft spontan eine plötzliche günstige Wendung nehmen und so außer- ordentlich verschiedenen Verlauf zeigen, nur ganz große Zahlenreihen beweisend wirken können. Im Gegensatz zu den eben besprochenen beiden Serumarten hat - das Meningokokkenheilserum, das besonders von KorrE und WASSERMANN, von JOCHMANN, RUPPEL, FLEXNER hergestellt wurde und u. a. von Merck in Darmstadt und von den Höchster Farbwerken i | Mortalität der Mortalität der nie Zahl der Bockachäss behandelten Fälle | Behandelten | Behandelten Fızxser-JosLse . . 400 25%, 58—80°), 1 BASE © 40 22,5%, Demmin; Sauhiauft 402 16,44°), \ 65°, Levr. 164 18,29, ! _ Nerree . 68 235° 48,5%, Vanısrn 24 16,6 °/, 66,6°/, ‚XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 397 _ den Handel gebracht wird, in praxi bereits recht erfreuliche Erfolge gezeitigt. Vorstehende kleine Zusammenstellung, die natürlich durch- aus keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen will, mag einen un- ee Begriff von der Leistungsfähigkeit des Meningokokkenserums geben. Levy, der Gelegenheit hatte, das Heilserum in Essen systematisch anzuwenden, hat ferner die folgenden äußerst wichtigen und in- struktiven Daten publiziert: Meningitisfälle in Essen (1907). 1. bei systematischer intralumbaler Behandlung . . . . . ... 17 mit 2 Todesfällen — 11,76°% 2. bei unvollkommener (subkutaner) Behandlung mit unzureichenden le ae rn en — 8. bei Behandlung ohne Serum . . 14 „ 11 . — 78,57 °o Aus dieser Tabelle geht mit großer Deutlichkeit die auch von anderer Seite energisch betonte Forderung hervor, das Serum in nicht zu kleinen Dosen (20—40 ccm) und zwar in den Duralsack einzu- spritzen, da die subkutane Applikationsweise viel weniger günstige Re- sultate ergibt. Über die Wirkungsweise des Meningokokkenserums besteht der- zeit noch keine Einigkeit unter den Immunitätsforschern, indem die einen sie auf bakteriolytische Ambozeptoren beziehen, andere, wie NEU- FELD, sie auf spezifische Bakteriotropine zurückführen, während Kraus und Dörr an antitoxische Wirkungen denken. Dementsprechend hat man auch die Wertbemessung des Meningokokkenserums in verschiede- ner Weise durchzuführen gesucht, da das direkte Tierexperiment wegen der schwankenden Virulenz der Meningokokken zu unzuverlässige Re- sultate ergab. Am meisten Beachtung dürfte von den vorgeschlagenen Prüfungsverfahren wohl die Methode von KoLLE und WAssERMANN verdienen, die auf der BorDET-GENGouschen spezifischen Komplement- bindung beruht. Schließlich wollen wir noch in Kürze der Immunsera gegen Schweineseuche und Schweinerotlauf Erwähnung tun. Während man sich lange Zeit hindurch vergeblich bemüht hatte, . . . . . .. ” 8 gegen die Schweineseuche ein sicher wirksames Präventivserum zu er- zeugen (DE SCHWEINITZ, BECK, SCHREIBER), gelang es WASSERMANN und ÖOSTERTAG nach umfangreichen Vorstudien endlich diesem Ziele näher zu kommen, und zwar auf Grund der Erkenntnis, daß nur ein poly- valentes Serum hier Aussicht auf Erfolg haben könne. Die genannten Forscher immunisieren zur Erzeugung ihres Serums mit einer großen verschiedener Stämme des Bacillus suisepticus, und zwar derart, daß die einzelnen, zu diesen Versuchen dienenden Pferde nicht alle, sondern nur eine bestimmte Anzahl der betreffenden Stämme injiziert erhalten. Die gewonnenen Einzelsera werden dann miteinander gemischt, um auf diese Weise möglichst verschiedenartige Immunkörper, die den verschiedenen Varianten der Hogcholerastäimme entsprechen, in dem Präparate zu vereinigen. Praktische Versuche mit diesem polyvalenten Immunserum haben nun tatsächlich sehr günstige Resultate ergeben, indem z. B. von 3681 Ferkeln und 798 älteren Schweinen, die geimpft worden waren, Schweine- seuche. Immun- serum gegen Sehweine- rotlauf. Schweine- rotlauf. Maul- und Klauen- seuche, 398 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. nur 5 Fe Ferkel u. 0,4°/, ältere Tiere zugrunde gingen, »„ 0,6% 5 „0,8% „» ,„ notgeschlachtet werden mußten, 6 3. lo: ‚ar 0,8 Lu „ Kümmerer wurden, während BAR N 5 Maren „ gesund blieben. Wenn auch die Verluste vor der Einführung der Impfung meist nicht zahlenmäßig bestimmt worden waren, so konnte hiernach doch nicht der geringste Zweifel bestehen, dal ihr Erfolg sich ganz über- raschend günstig gestaltet hatte, zumal, wenn man bedenkt, dab ja auch von normalen Ferkeln nicht 100°), aufgezogen werden können, und dab in vielen Fällen der oben reproduzierten Statistik von WAssER- MANN und ÖSTERTAG bei den zugrunde gegangenen Impflingen keine Sektion gemacht wurde, weshalb denn noch ein Teil der verende- ten Tiere als nicht an Schweineseuche gestorben in Abzug gebracht werden muß. Was endlich die Heilsera gegen Schweinerotlauf betrifft, so sind auch über ihre Wirksamkeit die Akten noch nicht vollkommen geschlossen, eine Tatsache, die wohl z. T. mit der verschiedenen Wertig- keit der in den Handel gekommenen Präparate zusammenhängt. Immer- hin wird aber dem Serum, vor allem dem „Prenzlauer“, dem „Lands- berger“ und dem „Höchster Serum“ (dem sog. Susserin), von manchen Seiten eine ganz hervorragende kurative Wirkung zugeschrieben, die sich selbst noch in vorgeschrittenen Stadien der Erkrankung äußern und über 80°/, Heilungen erzielen soll; auch soll das Serum, wenn es nach Ausbruch der Seuche auf die noch gesunden Tiere verimpft wird, imstande sein, die Weiterverbreitung der Epidemie mit Sicherheit zu verhüten. Hiermit wollen wir die summarische Besprechung der Erfolge der passiven Immunisierungsverfahren verlassen, um uns, dem zum Eingang dieser Vorlesung gesteckten Ziele entsprechend, noch einer kurzen Betrachtung der kombinierten Schutzimpfungsmethoden ZUZU- wenden. III. Kombinierte Immunisierung. Wie wir bereits ausgeführt haben, bezweckt die Kombination von passiver und aktiver Immunisierung, die Vorteile beider Verfahren zu vereinigen und möglichst rasch hohe Immunitätswerte von langer Dauer zu erreichen. Dies geschieht im allgemeinen dadurch, daß zuerst eine Einspritzung von hochwirksamem Immunserum gegeben wird, der man dann nach einer Reihe von Tagen eine Injektion von Bakterienmaterial folgen läßt, welche erst eine dauerhafte aktive Immunität hervorruft. Dieses Verfahren, das man in Frankreich sehr treffend als Sero- vakzination bezeichnet, hat z. B. Lorenz bei der Bekämpfung des Schweinerotlaufs mit nicht ungünstigem Erfolge verwendet, indem von 14320 Schweinen, welche im Jahre 1899 in Posen in dieser Weise behandelt wurden, nur 23, also 0,16°/, an Impfrotlauf eingingen, und indem ferner nach einer Statistik von Jorst und HELFERSs, die sich auf 217376 Impfungen erstreckte, nur 0,042°/, der Tiere im Anschluß an die Einspritzung der lebenden Kultur erkrankten und nur 0,058°% trotz der Schutzimpfung nachträglich an Rotlauf zugrunde gingen. Lörrter und Frosch haben dann ihr auf ähnlichen Prinzipien basierendes Verfahren der Immunisierung gegen Maul- und Klauen- seuche ausgearbeitet, bei welchem ein unter dem Namen Seraphthin in den Handel gebrachtes Gemisch von infektöser Lymphe mit Immun- XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. 399 serum zur intravenösen bezw. intramuskulären Einspritzung benützt wird. Obwohl es den genannten Forschern auf diese Weise in der Tat gelang, hohe Grade von Immunität zu erzielen, so hat sich die Methode doch leider in praxi nicht genügend bewährt, und zwar deshalb, weil die Virulenz der verwendeten Lymphe ganz außerordentlichen Schwankungen unterlag, derart, daß bei zu hoher Virulenz des Impfstoffes statt der erhofften Immunität eine schwere Erkrankung resultierte, während bei zu geringer Virulenz wieder der erzielte Impfschutz zu unzuverlässig war, weshalb denn das Verfahren einstweilen als aufgegeben gelten kann. Dagegen hat die von KoLLe und TUrNER eingeführte Simultan- impfung gegen Rinderpest ganz ausgezeichnete Erfolge aufzu- weisen. Dieselbe wird in der Weise gehandhabt, daß Immunserum und Virus, letzteres in Form von Rinderpestblut, zwar gleichzeitig, aber nicht gemischt, sondern getrennt, an verschiedenen Körperstellen eingespritzt werden, worauf der größte Teil der geimpften Tiere mit vorübergehen- der Temperatursteigerung reagiert und eine lang andauernde Immunität erwirbt, während nur etwa 1°/, Impfverluste zu beklagen sind. Von 9077 in der Kapkolonie nach der Simultanmethode behandelten Tieren gingen nachträglich nur 128 — 1,4°/, an Rinderpest zugrunde, wogegen die Mortalität in einer nicht vorbehandelten Herde niemals wesentlich unter 85°), zu sinken pflegte, ein Erfolg, der der Methode auch bei den viele Hunderttausende von Rindern umfassenden Impfungen in Rhodesia und im Sudan treu geblieben ist. — Die Simultanmethode hat sich somit neben der bei den aktiven Immunisierungsverfahren beschriebenen Koc#- schen Gallenmethode vollkommen bewährt; wird die letztere besonders zu Beginn der Epidemien, wo noch keine immunisierten Tiere für die Serumgewinnung zur Verfügung stehen, ihre Hauptrolle spielen, so wird bei weiterer Ausbreitung und längerem An- halten der Seuche das KortLe-Turxersche Verfahren in seine Rechte treten, und der vereinten Wirkung der beiden Methoden dürfte es bei systematischer Anwendung gelingen, binnen kurzer Zeit der ver- heerenden Seuche unter dem Rindvieh Herr zu werden. Auch zur Bekämpfung der in Südfrankreich und besonders in Algier und Tunis verbreiteten und gefürchteten Seuche der Schafpocken hat sich ein kombiniertes Immunisierungsverfahren, eine Serovakzination, wie es scheint, vortrefflich bewährt, und das gleiche dürfte von dem neuerdings von W AssER- MANN und ÖSTERTAG angewendeten Verfahren der kombinierten Schutz- impfung gegen Schweineseuche gelten, die der präventiven Serumein- spritzung zweifellos überlegen zu sein scheint. Endlich mag noch erwähnt werden, daß SOBERNHEIM auch gegen Milzbrand ein Simultanverfahren ausgearbeitet und damit bei Rindern, Pferden und Schafen bemerkenswerte Resultate erzielt hat. Damit wollen wir die Aufzählung der einzelnen Immunisierungs- methoden, die vielleicht schon das zulässige Maß etwas überschritten hat, beschließen, in der Hoffnung, es möge uns gelungen sein darzu- legen, daß zwar noch auf manchen Gebieten der Immunitätstherapie angestrengte Arbeit und mühevolle Untersuchungen notwendig sein werden, um zum Ziele zu gelangen, daß aber doch schon viel Großes erreicht wurde und daß wir daher mit berechtigten Erwartungen der weiteren Entwicklung der Immunitätsforschung entgegensehen dürfen. Rinderpest. Milzbrand, 400 XXIII. Die praktischen Erfolge der Schutzimpfung und Serumtherapie. Literatur. PEIPER, Die Schutzpockenimpfung. Urban und Schwarzenberg, 1901. Marx, Lyssaimmunität. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV, 1904. v. BEHRING, Beitr. zur experim. Ther., H. 5; Zeitschr. f. Tiermed., Bd. VI, ne Immunität bei Tuberkulose Kolle-Wassermanns Handb., LE EBer, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XLIV, 1907; Bd. XLII, Ref., 1908. SOBERNHEIM, Immunität bei Milzbrand. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Huryra, Ung. Vet.-Ber., zitiert nach Baumgartens Jahresber., 1901. LEcLAINCHE et NocArD, Les maladies microbiennes des animaux. Paris, Masson et Cie., 1903. Kırr, Immunität und Schutzimpfungen bei Rauschbrand des Rindes. Kolle- Wassermanns Handb., Bd. IV. Preısz, Immunität beim Rotlauf der Schweine. Kolle-Wassermanns Handb., Bad. IV. SOBERNHEIM, Immunität bei Typhus. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Lextz, Immunität bei Typhus. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Wrıs#r, Über Antityphusinokulationen. G. Fischer, Jena. Ders., A short treatise on Antityphoidinoculation. Westminster 1904. DiEuponn£, Immunität bei Pest. olle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Hersca, Choleraimmunität. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. MurATA, Zeitschr. f. Bakt., Bd. XXXV. a Ant De Immunität bei Infektionskrankheiten. Übersetzt von J. Meyer, ena 1902. WERNICKE, Immunität bei Diphtherie. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. v. LInGELSBEIM, Immunität bei Tetanus. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Kraus Pr DoErR, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LV; Wien. klin. Wochenschr. 1906, r. 30. RosENTHAL, Zentralbl. f. Bakt., 1904. Lextz, Immunität bei Ruhr. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Kruse, Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 8 und 9. v. LinGELSHEIM, Streptokokkenimmunität. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. KorzE und Orro, Zeitschr. f. Hyg., Bd. XL. KortE und Marrını, Deutsche med. Wochenschr., 1901, Nr. 1—4. WEICHSELBAUM, Pneumokokkenimmunität. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Römer, Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 34. Levy, Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 4. Kraus und DorrR, Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 1, NEUFELD, Med. Klinik, 1908, Nr. 30. JoEsTt, Immunität bei Schweineseuche und Schweinepest. Kolle-Wassermanns Handb., Bd. IV. Fun en ale beim Rotlauf der Schweine. Kolle-Wassermanns Handb,., KEN, ats ni bei Maul- und Klauenseuche. Kolle-Wassermanns Handb,., d. IV XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnostischen Zwecken. Um die zu diagnostischen Zwecken benutzten Immunitätsreaktionen in möglichst übersichtlicher Weise zu gruppieren, wollen wir unserer Darstellung die folgende Einteilung zugrunde legen, welche auf der Natur der betreffenden Vorgänge fußt. 1. Allergische Reaktionen, d.s. also solche, bei denen die veränderte biologische Reaktionsweise des immunen oder er- krankten Organismus als diagnostisches Kriterium benutzt wird. Hierher gehören die Tuberkulinreaktion in ihren verschiedenen Modifikationen, die Malleinreaktion, und die anaphylak- tischen Reaktionen. 2. Bakterizide Reaktionen, die wieder in zwei Gruppen zerfallen, je nachdem sie in vivo angestellt werden (PrEIrFER- scher Versuch), oder in vitro. 3. Präzipitinreaktionen. 4. Agglutinationsreaktionen. 5. Hämolytische Reaktionen. (Klinische Alexinprobe nach Moro. 6. Antihämolytische Reaktionen. Hemmung der Kobra- gifthämolyse durch Serum von Geisteskranken. (,‚Psycho- reaktion‘‘ von MucH und Horzmann.) 7. Reaktionen der Komplementablenkung. 8. Antifermentative Reaktionen. (Bestimmung der anti- tryptischen Kraft des Blutserums) endlich 9. Phagozytäre Reaktionen, welche die Ermittlung der opsonischen Kraft des Blutserums zum Ziele haben. 1. Allergische Reaktionen. Von den auf dem Prinzipe der allergischen Reaktionen beruhenden diagnostischen Verfahren verdient wohl an erster Stelle die Tuberkulinprobe eine kurze Besprechung. Da wir über ihr Wesen bereits an einer früheren Stelle ausführliche Mitteilungen gemacht haben, können wir uns hier damit begnügen, in großen Zügen ihre Technik, wie sie sich durch jahrelange Erfahrung herausgebildet hat, zu schildern. Für diagnostische Zwecke kommt beim Menschen fast ausschließlich das Tuberkulin Kock (auch Alttuberkulin genannt) in Betracht, das zum Gebrauch mit !/,°/,iger Karbolsäurelösung zu verdünnen ist, derart, daß eine 1°/,ige und eine 1°/,‚ige Tuberkulinlösung resultiert. Diese Verdünnungen halten sich, im Dunkeln und an einem kühlen Orte auf- Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 26 Tuberkulin- probe. Dosierung. Lokale und allgemeine Reaktion. 402 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. bewahrt, etwa eine Woche lang unverändert. Getrübte Lösungen sind natürlich unter allen Umständen zu verwerfen. | Die einzig zuverlässige Art der Applikation des Tuberkulins, die zugleich praktisch am brauchbarsten ist, ist bis jetzt die subkutane Injektion mit Hilfe einer vollkommen sterilisierbaren (am besten nur aus Glas bestehenden Lurrschen) Spritze, deren Kanüle, aus Platin- Iridium verfertigt, in der Flamme ausgeglüht werden kann. Als In- jektionsstelle wähle man die Rückengegend, unterhalb der Schulter- blätter, etwa in der Höhe der letzten Rippen, wobei man bei wieder- holter Injektion zwischen rechts und links abwechselt. Die geeignetste Zeit zur Injektion bilden die Vormittagsstunden, zwischen 8 und 10 Uhr; abends zu injizieren ist dagegen nicht empfehlenswert, da leichte Re- aktionen bereits nach 6 Stunden, also während des Schlafes auftreten und so der Beobachtung entgehen könnten. Die Temperatur der Patienten, bei welchen die Injektion gemacht werden soll, soll sich einen oder zwei Tlage lang innerhalb von 37° (in der Achselhöhle gemessen) bewegen; bei Mundhöhlenmessung wird als höchste, zulässige Grenze eine Temperatur von 37,2°—37,3° anzunehmen sein (dreistündige Messungen). Natürlich darf die Temperatur nicht durch Antipyretika künstlich herabgedrückt werden. F Was die Dosierung betrifft, so kann nach den vorliegenden Er- fahrungen hierfür folgende Regel aufgestellt werden. Man beginne mit einer Anfangsdosis von 0,2—0,5 mg. Nur wenn diese vollkommen re- aktionslos vertragen wird, steigert man die Dosis auf 1 mg, andernfalls wird die erste Injektion wiederholt. Als zweite Steigerung wären 5 mg, als Grenzdosis 10 mg zu betrachten, eine Wiederholung der Grenzdosis wird dagegen als unzweckmäßig erklärt. Bei schwächlichen Personen, bei Patienten in den Entwicklungsjahren usw. kann man sich bereits mit 5 mg als Grenzdosis zufrieden geben, bei Kindern sind die für den Erwachsenen angegebenen Tuberkulindosen auf die Hälfte herabzusetzen. Die Antwort des tuberkulösen Organismus auf die Tuberkulin- einspritzung besteht erstens in einer lokalen Reaktion an der In- jektionstelle, die sich einerseits als Rötung und Schwellung der Haut um die Einstichstelle (Stichreaktion), andrerseits als ent- zündliche schmerzhafte Infiltration des subkutanen Gewebes (Depot- reaktion) dokumentiert; zweitens stellt sich eine lokale Reaktion aller tuberkulös offizierten Gewebe ein; und drittens kommt es zu einer All- gemeinreaktion, als deren Hauptsymptom eine Temperatursteigerung auftritt. Da dieses Symptom von allen Erscheinungen der Tuberkulin- reaktion am regelmäßigsten eintritt und am leichtesten und objektivsten zu beobachten ist, so wurde ihm bis in die jüngste Zeit die ausschlag- gebende Bedeutung dabei zugemessen. Im allgemeinen wirdeine Reaktion als positiv angenommen, wenn die vor den Injektionen festgestellte Höchsttemperatur um min- destens 0,5° gesteigert ist. (Manche Praktiker fordern eine Temperatursteigerung von mindestens 1—1!/,°.) Der Fieberanstieg be- ginnt meist 6—8 Stunden nach der Injektion, erreicht sein Maximum etwa nach 12 Stunden und dauert 30 Stunden und noch länger. Neben der Temperatursteigerung treten noch eine Reihe anderer Störungen des Allgemeinbefindens ein; zuerst Schüttelfrost mit nachfolgendem Hitze- gefühl, Schwindel, Übelkeit, Brechreiz. Auf der Höhe der Reaktion gesellt sich dazu gewöhnlich heftiger Kopf- und Gliederschmerz, Ziehen und Stechen in dem erkrankten Organ, Herzklopfen, Mattigkeit, Schlaf- DR Ge PR Eee ee ae Se _ XXIV. Die Anwendung der Immunitütsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 403 losigkeit, kurz ein allgemeines Krankheitsgefühl, das mit dem Sinken der Temperatur wieder abnimmt. Wirkliche Schädigungen der Kranken kommen dagegen bei sorgfältiger Auswahl des Materiales und strenger "Beachtung der geltenden Vorschriften nicht vor. Daß man übrigens in _ der jüngsten Zeit geneigt ist, nur den lokalen Herdreaktionen spezifischen Oharakter zuzuschreiben, die Allgemeinerschein- ungen und das Fieber aber als unerwünschte Nebenwirkungen der im _Alt-Tuberkulin vorhandenen nicht spezifischen aber toxischen Bei- mengungen betrachtet, mag nur kurz hier erwähnt sein, ebenso wie die bereits an anderer Stelle besprochene Tatsache, daß man sich bemüht hat, das wirksame Prinzip des Tuberkulins zu isolieren und von den nicht spezifischen Stoffen zu befreien. Natürlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, Indikationen und Kontraindikationen der Tuberkulinreaktion an dieser Stelle näher zu besprechen. Ebenso können wir uns ersparen, die Bedeutung der Tuberkulinreaktion für die Bekämpfung der Tuberkulose hier breiter zu erörtern, da dieselbe ja längst von allen Seiten anerkannt und in das Bewußtsein des praktischen Arztes übergegangen ist. Nur das eine sei noch erwähnt, daß zwar aus dem positiven Aus- fall der Reaktion auf die Anwesenheit von Tuberkelbazillen bezw. von tuberkulösem Gewebe im Körper geschlossen werden darf, daß die Reaktion an sich aber keinen Unterschied zwischen einer latenten inaktiven, obsoleten, und zwischen einer latenten ak- tiven Tuberkulose erkennen läßt, daß vielmehr zur Entscheidung dieser für das weitere therapeutische Handeln so wichtigen Frage stets der klinische Befund mit herangezogen werden muß, der allein darüber Auf- schluß gibt, ob es sich um ein tuberkulöses oder um ein tuber- kulös erkranktes Individuum handelt. Daß die Tuberkulinreak- tionen übrigens auch in der Veterinärmedizin eine wichtige Rolle spielen und eines der wirksamsten diagnostischen Hilfsmittel zur frühzeitigen Erkennung der Rindertuberkulose darstellen, mag hier nur nebenbei erwähnt sein. Eine andere Form der Tuberkulinreaktion wurde vor einiger Zeit von v. PIRQUET beschrieben, die zweifellos einen wesentlichen Fortschritt bedeutet, da ja die Methode der subkutanen Injektion mit vielfach un- angenehmen, ja unter Umständen sogar direkt gefährlichen Folgeer- scheinungen verknüpft ist. Bringt man nämlich das Tuberkulin, statt es unter die Haut zu spritzen, durch Impfung nur in die obersten Schichten der Kutis, so scheint keine irgend erhebliche Resorption des Giftes stattzufinden, die Fieberreaktion und die Allgemein- erscheinungen fallen vollkommen fort, und als einzige Wirkung der Tuberkulinimpfung stellt sich beim Tuberkulösen eine lokale Rötung und Schwellung der Impfstelle ein, die bereits binnen 24 Stunden zur Entstehung einer Papel von etwa 10 mm @uerdurchmesser führt. Manchmal tritt allerdings die entzündliche Reaktion etwas verspätet, erst nach 48 Stunden ein, wie v. PırquErT vermutet, in solchen Fällen, bei welchen die Tuberkulose klinisch schon ausgeheilt ist. Im letzten Stadium der Tuberkulose versagt übrigens diese „‚Allergieprobe‘‘ ebenso wie die bisher gebräuchliche Form der Tuberkulinreaktion. Die Technik dieser Tuberkulinimpfung gestaltet sich nach Pır- Quers Beschreibung folgendermaßen: nach Reinigung der Haut an der Außenseite des Unterarms mit Äther werden auf dieselbe mittels einer Pipette oder eines Lymphröhrchens in einiger Entfernung von einander 2 Tropfen einer Tuberkulinmischung gebracht, die mit einem Teil 26* Pirquet- sche Reaktion. 404 XXIV. Die Anwendung der Immunitütsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 5°),igen Karbolglyzerins und 2 Teilen physiologischer Kochsalzlösung her- gestellt wurde. Diese vierfache Verdünnung gewährleistet nach den Erfahrungen PIRQUETS einerseits eine sichere, andererseits aber doch vollkommen unschädliche Reaktion. Dann wird der „Impfbohrer‘, eine ziemlich schwere Lanzette mit rundem dünnen Stiele zur Hand ge- nommen, dessen Platiniridiumspitze in einer Spiritusflamme erhitzt und nun zunächst zwischen den Tropfen eine Bohrung zur Kontrolle ange- legt, indem die wieder erkaltete Spitze leicht auf die Haut aufgedrückt und der Stiel der Lanzette zwischen den Fingern gerollt wird. Darauf wird in derselben Weise auch innerhalb der beiden Tuberkulintropfen manipuliert, die danach mit einer Spur Watte bedeckt werden, damit sie nicht abfließen. Das Tuberkulin muß dann noch einige Minuten mit der Impfstelle in Berührung bleiben, dann kann man die Watte abnehmen, ohne dal ein weiterer Verband nötig wäre. Die Inspektion der Impfstelle geschieht am besten an 3 aufeinander folgenden Tagen. — Was nun der Anwendbarkeit der Kutanreaktion — wenigstens in der eben beschriebenen Form — eine sehr wesentliche Schranke setzt, ist die Tatsache, daß nur gesunde, neugeborene oder ganz junge Kinder sicher negativ reagieren, daß jedoch schon_bei gesunden Pirquets Kindern im Alter von 5—8 Jahren 30°/, positive Impf- akt erfolge zu verzeichnen sind, die im Laufe der weiteren Lebens- wachsenen. jahre noch erheblich an Zahl zunehmen, so daß schließlich fast alle Erwachsenen, auch wenn sie vollkommen frei von tuberkulösen Leiden befunden werden, energisch auf die kutane Impfung reagieren. Man wird diese allgemeine Verbreitung der Reaktionsfähigkeit beim Erwachsenen wohl mit der voll- kommen sichergestellten Tatsache in Beziehung bringen dürfen, daß aus- geheilte tuberkulöse Herde auch bei anscheinend vollkommen Gesunden ungemein häufig sind und in 91 bis 97°/, der Fälle bei der Sektion als zufälliger Nebenbefund beobachtet werden. Daß unter diesen Um- ständen an eine diagnostische Verwendung der Kutanreaktion beim Er- wachsenen nicht zu denken ist, und daß sie auch beim Kinde nur mit einer gewissen Vorsicht benutzt werden darf, liegt auf der Hand. Je jünger jedoch ein Kind ist, desto bedeutsamer ist ein positives Ergebnis der PırquErtschen Reaktion. Es hat übrigens in Jüngster Zeit ERLANDSEN versucht, durch eine kleine Modifikation der Methodik die allzu große Empfindlichkeit der Kutanreaktion zu vermindern, indem er statt der von PIRQUET vorgeschriebenen stärkeren Konzentration nur eine 1°/,ige Tuberkulinlösung verwendete, wodurch die Reaktion auch für den Er- wachsenen brauchbar gemacht sein soll. Es wäre sehr erfreulich, wenn sich diese Beobachtung von ERLANDSEN tatsächlich bestätigen würde. Eine gelegentlich mit Vorteil benutzte Modifikation der Kutan- reaktion, die wir Moro verdanken, besteht darin, daß das Tuberkulin in Form einer 60°,igen Salbe in die Haut eingerieben wird (Perkutan- oder Salbenreaktion). Die Leistungsfähigkeit derselben dürfte jedoch hinter der PrrauEtschen Reaktion zweifellos etwas zurückstehen. Ophthalmo- Endlich muß hier noch eine dritte Applikationsweise des Tuber- reaktion. kulins erwähnt werden, welche von CALmErTE und WoLrF-EisxER zu einer besonderen diagnostischen Methode ausgearbeitet worden ist, zu dersog. Ophthalmoreaktion; sie beruht darauf, daß sich an tuber- kulösen Individuen nach Einträufelung einer verdünnten Tuberkulin- lösung in den Bindehautsack Rötung des Auges, Schwellung der Kon- junktiva und seröse, ja selbst eitrige Sekretion einstellt, während bei XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 405 gesunden Individuen jede Reaktion ausbleibt. CaLmerte benutzte hierzu ein Tuberkulinpräparat, das durch Fällung mit 95°/,igem Alkohol in die Form eines trockenen, wasserlöslichen Pulvers gebracht worden war und in 1°),iger Lösung (besser noch in !/, °/,iger Lösung) verwendet wird. Die Reaktion tritt 5—10 Stunden, seltener erst 24—48 Stunden nach der Applikation auf und kann mehrere Tage, ja selbst eine Woche lang anhalten. In Deutschland benutzt man, nach dem Vorgange Cırroxs am besten das käufliche Alttuberkulin (eventuell das von P. Altmann in Berlin in den Handel gebrachte „Ophthalmodiasnostikum für Tuber- kulose“ oder das „Tuberkulin zur Ophthalmoreaktion“ von RuETE- Enoch#). Konzentration und Applikationsweise wird von den verschie- denen Ärzten, die das Verfahren angewendet haben, etwas verschieden angegeben. Wir wollen uns hier an die Beschreibung von Üıtrox halten, nach welcher 1°\,ige, 2°\,ige und eventuell 4°/,ige Lösungen des Tuberkulins, täglich frisch hergestellt, in Verwendung kommen. Nachdem man sich davon überzeugt hat, daß weder am Auge selbst noch an der Konjunktiva Entzündungserschei- nungen bestehen, die eine Kontraindikation bilden würden, träufellt man mit Hilfe eines Tropfgläschens zunächst 1 Tropfen 2°,iger Tuberkulinlösung in den Bindehautsack des linken Auges ein. Ist nach 24 Stunden deutlich positive Reaktion eingetreten, so wird nunmehr in das rechte Auge 1 Tropfen 1°/,iger Lösung gebracht. Fällt auch dieser Versuch positiv aus, so kann Tuberkulose als sichergestellt gelten, fällt er negativ aus, so ist dieselbe immerhin noch als sehr wahrscheinlich anzunehmen. War dagegen die erste Ein- träufelung mit 2°/,iger Lösung ohne Erfolg geblieben, so wird das rechte Auge nun mit 1 Tropfen 4°/,iger Lösung beschickt, wobei einem nega- tiven Ausfall jedoch größere Beweiskraft zuzuschreiben ist, als einem positiven. Wichtig ist, daß Wiederholung der Instillation an demselben Auge unbedingt vermieden werden muß, da sie auch beim Gesunden Überempfindlichkeit der Bindehaut erzeugen kann. — Um eine Vorstellung von der Leistungsfähigkeit der Ophthalmo- reaktion zu geben, seien die Ergebnisse, welche einige Forscher mit derselben erzielt haben, in folgender kleinen Tabelle zusammengestellt. Positive Ophthalmoreaktion. Sichere Tuberkulose I Nicht Autor Tuberkulose | verdächtig | Tuberkulose %e | %o | °%o AupkouD . er 94,6 | s1 8,3 CIrrox . Sag. 80,7 80 2,2 EprpenstenN . . . . 72,3 40 | 0 SCHENK und SEIFFERT. 73,6 30 5,8 Cirrox . A 75,0 55,5 6,0 Levr . 85.0 | 60.0 2,5 Mittel 81,0 57.7 | 4,1 Das Verhältnis der konjunktivalen zur kutanen Reaktion ist nach Worrr-Eisser dahin zu charakterisieren, daß die letztere die „Neben- befunde des Sektionstisches“ schon in vivo ans Tageslicht bringt, die Mallein- reaktion. Anaphylak- tische Reak- tionen. 406 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. Ophthalmoreaktion dagegen die klinisch allein interessierenden aktiven tuberkulösen Prozesse anzeigt, nicht dagegen ausgeheilte, abgekapselte, d. h. unschädlich gewordene Krankheitsherde. Es mag übrigens bemerkt sein, daß über die praktische Verwendbarkeit der Ophthalmoreaktion noch keineswegs volle Einigkeit unter den Arzten herrscht und daß manche Beobachter sie nicht nur als unbrauchbar, sondern wegen der manchmal auftretenden stürmischen Reizerscheinungen sogar direkt als gefährlich bezeichnen. In der Tiermedizin hat sich dagegen die Ophthalmoreaktion ebenso wie die Kutanreaktion rasch eingebürgert, wobei besonders das aus Rindertuberkelbazillen ge- wonnene Bovotuberkulol Verwendung findet. Im Anschluß an die eben besprochenen verschiedenen Formen der Tuberkulinreaktion müssen wir nun auch noch der nahe damit verwandten, in der Veterinärmedizin bereits außerordentlich bewährten diagnostischen Malleinreaktion gedenken. Nach pE Haase und HooGMAKER soll die Dosis des verdünnten Malleins für Pferde, ja nach der Größe derselben, 2—3 ccm betragen. Greesunde oder nicht rotz- kranke Tiere reagieren auf diese Einspritzung nach etwa 12—16 Stunden mit einer zuweilen bedeutenden Temperatursteigerung, die jedoch bald wieder nachläßt. Die Temperatur steigt dann gewöhnlich etwa 34 Stunden nach der Malleinisation von neuem wieder etwas an, aber nicht höher als auf 38,4°. Rotzkranke, nicht fiebernde Pferde zeigen nach 12 bis 16 Stunden gleichfalls eine Temperatursteigerung von 1,5—-2° und mehr, dann wieder einen Rückgang der Temperatur, nach 34 Stunden aber eine neuerliche, mindestens 1,5° betragende Steigerung über die mittlere Körpertemperatur, die erst langsam wieder ab- klingt. Nicht selten ist die Temperatur noch am Morgen des dritten Tages deutlich erhöht. Hiernach kann also ein Pferd dann als rotz- frei betrachtet werden, wenn am zweiten Tage nach der Mallein- behandlung die Temperatur nicht über 38,4° ansteigt, ungeachtet der absoluten Steigerungen, die am ersten Tage auftreten. Schließlich müssen wir auch noch in Kürze der anaphylakti- schen Reaktionen gedenken, die ebenfalls gelegentlich zu diagnosti- schen Zwecken verwendet werden. Da es sich bei ihnen um Vor- gänge der Eiweißüberempfindlichkeit handelt, die zur Erkennung und Differenzierung von Eiweißantigenen verschiedener Herkunft die Hand- habe bieten, so deckt sich der Bereich ihrer Wirksamkeit zum Teil mit dem Gebiete der später noch eingehender zu besprechenden Präzipi- tinreaktionen sowie der sogenannten Komplementablenkung. Wie H. PFEIFFER, der die Verwendung der Anaphylaxiereaktion zur foren- sischen Blutdiagnose wärmstens befürwortet, jüngst hervorgehoben hat, wird ihre Heranziehung besonders da von Vorteil sein, wo infolge hoch- gradiger Veränderung und Zersetzung einer Blutspur die Präzipitin- reaktion im Stich läßt, oder wo es sich um selten praktisch in Betracht kommende Blutarten handelt, für welche hochwertige Immunsera nicht zur Verfügung stehen. Das Verfahren, das man zu diesem Zwecke einzuschlagen hat, ist nun folgendes. Vier Meerschweinchen im Gewicht von mindestens 350 g werden mit sehr verdünnten Extrakten der betreffenden Blutspur intraperitoneal injiziert, die mit physiologischer Kochsalzlösung, eventuell mit schwacher Sodalösung (t/,°/,) hergestellt wurden. Von Blutserum kann man zur Sensibilisierung etwa 0,01 cm, ja noch geringere Quanti- täten verwenden. Nach 14—21 Tagen, eventuell nach vier Wochen s > soo >> 3 Mn. = [= Ji cd co a | = Ba. (Sa Sur M XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 407 erfolgt dann die Reinjektion mit dem Serum jener Tierspezies, von der vermutlich die zu untersuchende Blutprobe herstammte, und zwar wird das Serum im inaktivierten Zustand und auf Körpertemperatur vorge- wärmt in die Bauchhöhle der Versuchstiere eingespritzt. Die zu inji- zierenden Dosen betragen 0,5, 1,0, 1,5 und 2,0 cem. Überdies erhalten zwei normale, nicht vorbehandelte Meerschweinchen, die zur Kontrolle dienen, 1,5 bezw. 2,0 ccm des betreffenden Serums. Nun werden mit Hilfe eines kleinen Thermometers viertelstündlich rektale Temperatur- messungen vorgenommen, welche solange fortgesetzt werden, bis die Tiere entweder wieder vollkommen normal geworden sind und sich von dem anaphylaktischen Shock erholt haben, oder bis der Tod eingetreten ist. Aus Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen können, wird die Größe dieses Shocks von PFEIFFER in folgender Weise zahlenmäßig aus- gedrückt: Haben sich die Tiere wieder erholt, so ist die Temperaturabnahme X Shockdauer 2 ’ wobei die Temperatur in Zehntelgraden, die Zeit in Minuten gerechnet ist. Wurde also z. B. eine Temperaturerniedrigung von 4,5° Ü beobachtet, und war die Temperatur erst nach drei Stunden wieder normal geworden, so wäre die Shockgröße Shockgröße — Bei tödlichem Verlauf des Versuches muß dagegen eine andere Berechnungsweise Platz greifen, für die PFEIFFER die empirische Formel aufstellte: Shockgröße — 30000 + | 20000 _ u X Lebensdauer Geht also das Meerschweinchen z. B. 45 Minuten nach der Antigen- einspritzung unter einer Temperaturabnahme von 5,2° Ü zugrunde, so ergibt sich daraus eine Shockgröße S = 30000 + (20000 RA 2 Erhält man somit bei den oben erwähnten vier Versuchstieren große Werte für S, während die nicht sensibilisierten Kontrolltiere nur geringfügige Shockgrößen aufweisen, so kann das Ergebnis als positiv bezeichnet werden. Ein Beispiel PFEIFFERs, das sich auf den Nachweis von Rindereiweiß bezieht, wird dies besser als eine lange Auseinander- setzung zu illustrieren vermögen. — 48830. Injektion von 2 ccm Rinderserum. Shock. RE A AED NP 480 Sensibilis. Tier, nach 27 Tagen reinjiziert: 48650 ” ” „ 27 ” ” 48740 Damit dürfte das Prinzip der Anaphylaxiereaktionen wohl deut- lich gemacht sein. Auf die feineren Details der Ausführung und Be- rechnung, die in einzelnen Fällen zur Anwendung kommen müssen, können wir hier natürlich nicht näher eingehen. 2. Bakterizide Reaktionen. Die theoretische Bedeutung des PrEIFFErRschen Versuchs haben P£eifter- wir bereits an anderer Stelle ausführlich erörtert und es erübrigt sich ° her Ver- such. 405 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. daher nur noch seine Verwendung zu diagnostischen Zwecken kurz zu besprechen und die Art seiner praktischen Ausführung anzudeuten. Fast ausschließlich kommt die PrEirrersche Reaktion für die Diagnose von Typhus und Cholera in Betracht und zwar, ganz analog wie die Agglu- tinationsreaktion, in doppelter Hinsicht: einmal nämlich zur Identi- fizierung eines irgendwo gefundenen verdächtigen Mikro- organismus und dann zweitens zur Diagnose eines zweifelhaften Krankheitsfalles, dessen Blutserum auf seine bakteriolytische Wirkung gegenüber echten Tiyphus- oder Choleraerregern geprüft wird. Tdentifizie- Zur Anstellung der erstgenannten Modifikation des PFEIFFER- frarlichen schen Versuchs, die also die Sicherstellung der Natur eines fraglichen R ns Mikroorganismus zum Ziele hat, ist ein Immunserum von bekanntem und unveränderlichem Wirkungswert erforderlich, wie es, im Vakuum getrocknet und in Mengen von je 0,2 g in kleinen braunen Glas- röhrchen aufbewahrt, von dem Kgl. preuß. Institut für Infektionskrank- heiten in Berlin an amtliche bakteriologische Institute abgegeben wird. Die Wertigkeit des Serums muß derart sein, daß mindestens 0,0002 g davon genügen, um 2 mg einer 18stündigen Choleraagarkultur von konstanter Virulenz binnen einer Stunde im Peritoneum eines Meer- schweinchens zum körnigen Zerfall zu bringen. Ebenso muß das für die Typhusdiagnose zu verwendende Serum möglichst hochwertig sein. Zur Ausführung des Versuchs sind ferner erforderlich vier Meer- schweinchen von je 200 g Körpergewicht, und zwar erhält: Tier A das 5fache der Titerdosis des Serums (also 1 mg eines Serums mit dem Titer 0,0002), Tier B das 10fache der Titerdosis (in dem angenommenen Falle also 2 mg), Tier © endlich, das als Kontrolltier dient, das 50fache der Titer- dosis, also 10 mg, vom normalen Serum derselben Tierart, von welcher das bei A und B benutzte Immunserum herstammt. Alle diese Serumdosen werden, gemischt mit je einer Öse der zu untersuchenden, 18 Stunden bei 37° auf Agar gezüchteten Kultur, in 1 cem Fleischbrühe in die Bauchhöhle eingespritzt. Tier D schließlich erhält nur !J, Öse der Kultur, um zu ermitteln, ob dieselbe für Meerschweinchen virulent ist. Zur Einspritzung bedient man sich einer Hohlnadel mit abge- stumpfter Spitze; dieselbe kann, nach Durchschneidung der äußeren Haut, ohne Schwierigkeit in den Bauchraum eingestoßen werden. Die Entnahme des Peritonealexsudats zur mikroskopischen Untersuchung im hängenden Tropfen erfolgt mittels eines zu einer Kapillare ausgezogenen Glasröhrchens an derselben Stelle der Bauchwand, und zwar 20 Minuten und 1 Stunde nach der Einspritzung. Ist bei Tier A und B spätestens nach einer Stunde typischer körniger Zerfall und Auflösung der Vibrionen eingetreten, während die Bauchhöhlenflüssigkeit von Tier © und D große Mengen lebhaft be- weglicher und in ihrer Form gut erhaltener Bazillen bezw. Vibrionen aufweist. so ist die Reaktion als positiv anzusehen und die Diagnose auf Typhus bezw. Cholera gesichert. Serodiagnose Handelt es sich umgekehrt um Feststellung eines abgelaufenen nnfenen Cholerafalles, so ist die Preırrersche Reaktion in folgender Weise aus- Krankheite- zuführen: Verdünnungen des von dem betreffenden choleraverdächtigen “ Individuum herrührenden Blutserums mit 20, 100 und 500 Teilen Bouillon werden zu je 1 ccm mit einer Öse=2 mg 18stündiger Agar- XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 409 kultur virulenter Choleravibrionen vermischt je einem Meerschweinchen von 200 g Gewicht in die Bauchhöhle eingespritzt. Ein Kontrolltier erhält !/, Öse der gleichen Kultur ohne Serum in 1 ccm Bouillon auf- geschwemmt. Fällt die Reaktion bei den mit Serum beschickten Tieren nach 20 bezw. 60 Minuten positiv aus, so ist anzunehmen, daß es von einem Menschen herrührt, welcher die Cholera überstanden hat. Während nun bei der eben geschilderten Preırr£erschen Methode die bakteriolytischen Immunkörper der verwendeten Sera im Tierkörper, in der Bauchhöhle des Meerschweinchens, zur Wirkung gelangen, haben STERN und KorTE den Versuch gemacht, den Schauplatz der bakterien- tötenden Wirkung ins Reagenzglas zu verlegen, und auf den Aus- fall der in vitro angestellten bakteriziden Versuche eine Serodiagnostik speziell des Abdominaltyphus zu begründen. Die bakterizide Reaktion des Blutserums sollte besonders in jenen Fällen zur Diagnosestellung herangezogen werden, wo die Agglutinationsreaktion versagt. In ihrer Versuchsanordnung schlossen sich die genannten beiden Forscher der Methodik an, die bereits NEISSER und WECcHSBERG bei ihren Unter- suchungen über die Wirkungsweise bakterizider Sera verwendet hatten. Das Prinzip dieser Versuchsanordnung ist folgendes: zu einer an sich unwirksamen Kombination von frischem, d. i. komplement- haltigem normalem Serum und Typhusbazillen werden fallende Mengen des zu prüfenden, durch Erhitzen auf 56° inaktivierten Serums hinzugefügt. Es wird untersucht, bis zu welcher Verdünnung des zu prüfenden Serums eine bakterizide Wirkung nachweisbar ist. Im Detail gestaltet sich die Ausführung folgendermaßen: die Blutentnahme kann aus der mit Alkohol und Äther gereinigten Finger- beere erfolgen, sofern nicht Venenpunktion vorgezogen wird. Da sich bei Vorversuchen gezeigt hatte, daß Typhussera meist noch in 1000- facher und noch höherer Verdünnung wirksam zu sein pflegen, haben STERN und KorTE das zu prüfende menschliche Serum von vornherein mit steriler 0,85 °',iger Kochsalzlösung auf das 50- und 100fache oder noch stärker verdünnt. Von der Anfangsverdünnung aus wird eine geometrische Reihe weiterer Verdünnungen zu !/,, !/,, !/;s usw. der ur- sprünglichen Serumverdünnung hergestellt und stets durch Kochsalz- lösung auf 1 cem ergänzt. Alle diese Verdünnungen werden in sterilen, mit Wattepfropf verschlossenen kleinen Reagenzgläsern vorgenommen. Als Komplement kann Kaninchenserum benutzt werden, und zwar je 0,5 ccm einer 10—15fachen Verdünnung desselben; zur Aussaat dienen 0,5 ccm einer 5000fachen Verdünnung von 24stündiger Typhus- bouillonkultur. Der bakterizide Versuch wird nun in der Weise ange- setzt, daß zu den verschiedenen Verdünnungen des menschlichen Serums zunächst die Typhusbazillen (0,5 ccm) und dann das frische Kaninchen- serum in der gewählten Verdünnung (ebenfalls 0,5 ccm) hinzugefügt werden, so daß also die Gesamtflüssigkeitsmenge jedes Röhrchens 2 ccm beträgt. Als Kontrolle dienen 1. die Aussaat, d.i. 0,5 ccm Typhusbouillon- verdünnung, mit Kochsalzlösung auf 2 cem aufgefüllt, für sich allein, und zwar a) sofort und b) nach Beendigung des Versuches zu Platten ausgegossen. 1a zeigt die Zahl der eingesäten Bazillen, 1b ihre Ver- mehrung im Laufe des Versuches an. 2. Als weitere Kontrolle dient die gleiche Aussaat mit der früher genannten Menge Kaninchenserum versetzt, aber ohne menschliches Serum. Sie gibt die bakterizide Wirkung an, welche dem Kaninchenserum für sich allein zukommt. Sämtliche Röhrchen kommen nunmehr in den Brutofen (37° ©), Bakterizider Versuch in vitro. 410 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. und bleiben darin meist 3—4 Stunden stehen, worauf ihr ganzer Inhalt zu Agarplatten ausgegossen wird. Die bei 37° gehaltenen Platten können bereits nach 12 Stunden besichtigt werden. Eine Auszählung der Kolonien ist vollkommen überflüssig, da nur auf große, ohne weiteres erkennbare Unterschiede Gewicht zu legen ist. Zur Veranschaulichung sei ein Versuch von STERN und Korte mit einem sehr hochwertigen Typhusserum hier wiedergegeben. Nach 3 Stunden Platten gegossen: 1 ccm Ty.-Ser. 35 + 0,5 Ty.-Kultur + 0,5 Kan.-Ser. ;; | 1 ; 100 a aa a „ | 0—100 Kolonien RR I tt +05 El Bei vom +05 x +05 bee DE RT IE UBER EEIOB SIEBEN I A NOISTU FRE INVEIRTE Ale v von u 5 ur i u 100—1000 Kolonien In ” m + 0,5 ” + 0,5 ” 12 | In „ zs0om +08 ” +05 ” re ER si sro + 0,5 n + 0,5 a 5 mehrere 1000 Kolonien it, Pe Tome +05 He +05 » 73 | weniger als bei Kontr.2 17,2, es mm + 0,5 ° + 0,5 m 5 weniger als bei Kontr.2 ne rn nn u 0a “ +05 5 Hr alir..e wie Kontr. 2 Kontrollen: 1a) 1,5 ccm NaCl + 0,5 Ty.-Kultur sofort gegossen 35000 Kolonien 2 R 11 Jon BL: DE a 0 03) u nach 3 Std. gegossen co Kolonien See er0 = + 0,5 Kan.-Ser. — nach 3 Std. gegossen oo Kolonien Wie man sieht, gestattet diese Methode nicht nur die Diagnose auf Typhus zu stellen, sondern gibt zugleich eine quantitative Vor- stellung von dem Wirkungswert des betreffenden Serums. Wie bei der Agglutinationsreaktion kommen übrigens auch hier ab und zu ab- norm hohe Werte bei nicht typhösen Individuen zur Beobachtung. Bei über 2), der untersuchten nicht typhösen Sera (69 unter 100) war jedoch nach den on. von Hann auch in der stärksten untersuchten Konzentration (sn) m Zwischenkörperwirkung nachweisbar, und über die Verdünnung = hinaus zeigten überhaupt nur sehr wenige, von nicht an Typhus erkrankten Personen herrührende Sera einen deut- lichen bakteriziden Effekt. Dagegen waren die von STERN und KoRTE geprüften Sera fiebernder oder kürzlich entfieberter Typhuskranker sämtlich in mehr als 1000facher, ja in der Mehrzahl der Fälle sogar noch in 50000facher Verdünnung wirksam. Je höher daher der bak- terizide Titer eines zu untersuchenden Serums über die normalen Werte ie, q XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 411 hinausgeht, desto wahrscheinlicher ist es, daß es sich um eine Infektion mit Typhusbazillen handelt. Da übrigens die Anstellung der bakteriziden Reaktion erheblich größere Anforderungen an die Technik und Zeit des Untersuchers stellt als die Prüfung der Agglutination, so empfehlen sie KorTE und STERN- BERG, wie bereits erwähnt, nur in solchen Fällen, in denen die Agglu- tination keine oder zweifelhafte Resultate geliefert hat. 3. Präzipitinreaktionen. Wohl die wichtigste Anwendung der biologischen Präzipitin- reaktionen zu diagnostischen Zwecken bildet das besonders von ÜHLEN- HUTH ausgearbeitete Verfahren zur Erkennung und Unterscheidung von Menschen- und Tierblut sowie anderer, für die forensische Praxis in Betracht kommenden Eiweißsubstanzen. Ist durch eine der üblichen chemischen Proben die Anwesenheit von Blut in dem zu untersuchenden Material nachgewiesen, so empfiehlt es sich nach UHLENHUTH zunächst festzustellen, ob das Blut vom Menschen herstammt oder nicht, um erst nach Erledigung dieser Vor- frage weitere, eventuell vom Richter aufgeworfene Fragen zu beantworten. Von besonderer Wichtigkeit ist für die Ausführung der biologischen Reaktion die Benutzung eines hochwertigen und vollkommen klaren Antiserums, welches seinen Effekt nicht etwa erst nach stundenlanger Einwirkung auf das Antigen sichtbar werden läßt, sondern die spezifische Trübung schon bei Zimmertemperatur und so rasch erzeugt, daß die Reaktion nach spätestens 20 Minuten als abgeschlossen angesehen werden kann. Bei Zusatz von 0,1 cem dieses Serums zu 2,0 ccm der be- treffenden Blutlösungen von einer Verdünnung 1: 1000, 1:10000 und 1:20000 muß die beginnende Reaktion in der 1000fach verdünnten Lösung fast momentan, in der Lösung 1:10000 nach 3, in der 1:20 000 nach 5 Minuten deutlich sichtbar sein, und zwar am Boden der - nach dem Serumzusatz nicht durchgeschüttelten — kleinen Reagenz- gläschen. Die Gewinnung solcher hochwertiger Sera ist nicht immer einfach. Am besten eignen sich hierzu Kaninchen, schon deshalb, weil zu ihrer Vorbehandlung nur geringe Mengen menschlichen Rlutes bezw. Serums erforderlich sind. Man gibt 4—5 Injektionen zu 2—3 ccm Serum in Intervallen von 5—6 Tagen intraperitoneal oder auch intra- venös. Allerdings liefern auch hier von 10 immunisierten Tieren häufig nur 1—2 verwendbare Sera. Dieselben werden sofort nach der Ge- winnung durch BERKEFELD-Filter hindurchgeschickt und ohne jeden konservierenden Zusatz in Mengen von je 1,0 ccm in kleine braune Röhrchen eingeschmolzen, wobei natürlich jede Erhitzung der Sera streng vermieden werden muß. In dieser Weise aufbewahrt können die Sera monatelang ihre Wirksamkeit bewahren. Die Präzipitinreaktion wird entweder in den — in der Serodiagnostik üblichen — kleinen Reagenzgläschen angestellt oder aber, wenn nur minimale Substanzmengen zur Verfügung stehen, wie bei der Unter- suchung winziger Blutspuren, in feinen, sauber gereinigten Kapillaren. Die zu prüfende Blutlösung wird in diesem Falle durch die Kapillare attrahiert und dann durch spezifisches Serum unterschichtet, und zwar ebenfalls durch Kapillarwirkung. An der Berührungsstelle von Serum und Blutlösung bildet sich dann bei positivem Ausfall der Reaktion ein inten- siver, durchEiweißfällung bedingter grauweißer Ring, der weithin sichtbar ist. Blutnach- weis nach Uhlen- huth. Nachweis von Fleisch- ver- fälschung. Lues- diagnose. 412 _XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. Die zu untersuchenden Blutlösungen, also etwa mit physiologischer Kochsalzlösung hergestellte Extrakte von Blutspuren usw., sollen so stark verdünnt sein, daß sie einer Verdünnung von ca. 1:1000 ent- sprechen „wie man sie an der nach Kochen und Zusatz eines Tropfens Salpetersäure entstehenden ganz leichten Eiweißtrübung erkennt“. Natür- lich müssen auch die Blutlösungen, wie das spezifische Serum, voll- kommen spiegelklar sein, und eventuell durch BERKEFELDsche oder SILBERSCHMIDTsche Mikrofilter hindurchgeschickt werden. Als unumgänglich notwendige Kontrollen müssen neben der eigent- lichen Hauptreaktion noch folgende Proben angestellt werden: 1. Spezifisches Antiserum ohne jeden anderen Zusatz, als physio- logische NaCl-Lösung, 2. die zu untersuchende Blutlösung ohne jeden Zusatz, 3. spezifisches Antiserum — Menschenblut in entsprechender Ver- dünnung, 4. spezifisches Antiserum + Blut anderer Tierspezies (Rind, Pferd, Schaf usw.) in entsprechender Verdünnung. Nur wenn Kontrollprobe 1, 2 und 4 negativ, 3 dagegen positiv ausfällt, kann eine positive Hauptreaktion als beweisend gelten, und als sicher angenommen werden, daß die betreffende Blutspur von Menschen herrührt. Hat die Reaktion dagegen ein negatives Ergebnis, so wird man mit Hilfe anderer Antisera in vollkommen analoger Weise zu er- mitteln suchen, welcher Tierspezies das Blut angehört. Bemerkenswert ist, daß auch mit hochgradig gefaultem Blut, welches durch 2 Jahre im Reagenzglas gestanden hatte, noch positive Resultate erzielt wurden, ja daß selbst Blutflecken, die 66 Jahre alt waren, noch mit Sicherheit ihre Herkunft erkennen ließen. — Erweist sich also die Präzipitinreaktion nach dem Gesagten als ganz außerordentlich empfind- lich, so sind ihrer Leistungsfähigkeit doch andererseits bestimmte Grenzen gesetzt, und zwar besonders insofern, als sie eine einwandfreie bio- logische Differenzierung der verschiedenen Eiweißkörper eines und desselben Tieres meist nicht gestattet. So gibt das Blutimmunserum auch in anderen Sekreten und Organsäften, ja selbst in Spermaflüssigkeit deutliche Niederschläge, eine Tatsache, die begreif- licherweise für die forensische Verwendbarkeit der Präzipitinreaktion manchmal sehr hinderlich sein kann. Endlich sei noch erwähnt, daß die biologische Methode auch mit Erfolg bereits für die Fleischbeschau nutzbar gemacht wurde, und daß die Reaktionen auch mit geräuchertem und gepökeltem Fleisch noch gelingen, es also z. B. ermöglichen, die Provenienz von Wurstwaren zu ermitteln. Auch für die Beurteilung des Bienenhonigs und seiner Ver- fälschungen hat LAnGEr vor kurzem die Präzipitinreaktionen dienstbar zu machen gewußt. Nur anhangsweise seien hier noch einige andere Anwendungen der Präzipitinreaktionen erwähnt, die übrigens zum Teil gar nicht als spezifische Eiweißfällungen anzusehen sind, sondern als Kolloidausflockungen anderer Art. Zunächst haben ForNET und SCHERESCHEWSKY gezeigt, daß das Serum von Tabikern und Paralytikern mit dem Serum von Lue- tikern positive Präzipitinreaktion gibt und haben auf diese Tatsache eine Serodiagnostik der Syphilis aufgebaut. Die Sera kommen teils un- verdünnt in 5- und 10facher Verdünnung zur Verwendung und werden in engen Reagenzröhrchen vorsichtig übereinander geschichtet, wobei man > Er u u a iD IF» XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 413 mit Hilfe einer Pipette zuerst die spezifisch schwerere, weniger stark verdünnte Flüssigkeit einfließen läßt und dann, unter Schrägstellung der Röhrchen, die spezifisch leichtere Flüssigkeit daraufbringt. Zur Kontrolle dienen Sera von sicher luetischen und sicher nicht luetischen Individuen. Nach 2stündigem Aufenthalt bei Zimmertemperatur zeigt sich bei posi- tivem Ausfall der Reaktion ein feiner Ring an der Grenze der überein- andergeschichteten Flüssigkeiten, der bei dem sicher nicht luetischen Serum fehlen muß, wenn die Reaktion beweisend sein soll. Handelt es sich in diesem Falle möglicherweise doch noch um eine Reaktion von syphilitischem Antigen, das in dem luetischen Serum enthalten wäre, mit spezifischen Antikörpern des Tabiker- oder Para- lytikerserums, so ist eine derartige spezifische Beziehung bei dem von PorGEs angegebenen Verfahren der Lezithinausflockung vollkommen ausgeschlossen. Hier wird nämlich das auf syphilitische Antikörper zu prüfende Serum mit dem gleichen Volum einer 0,2°/,igen wässerigen Lezithinlösung gemischt, und gibt nach 5 stündigem Verweilen bei Brut- temperatur bezw. nach 20stündigem Aufenthalt bei Zimmertemperatur eine flockige Fällung, die bei normalem Serum ausbleibt. Eine andere Modifikation dieser Methode verwendet an Stelle der Lezithinemulsion eine 1°/,ige Lösung von glykocholsaurem Natron. Bemerkenswert ist noch, daß auch hier, wie bei den Präzipitinreaktionen überhaupt, nur klare und möglichst hämoglobinfreie Sera verwendet werden dürfen. 4. Agglutinationsreaktionen. Die Asgglutinationsreaktion wird entweder zur Identifizierung von fraglichen, aus irgend welchen infektionsverdächtigen Materialien isolierten Bakterienarten benutzt, oder aber zur Serodiagnostik der Infektions- krankheiten, speziell des Typhus abdominalis, herangezogen, in welch letzterer Form sie sich als Wınpausche Reaktion heute bereits allgemeiner Verwendung am Krankenbett erfreut. Die Beobachtung der aggluti- nierten Bakterien kann dabei im hängenden Tropfen, also bei starker Vergrößerung, oder aber im Reagenzglas erfolgen. An dieser Stelle soll nur die von PRÖSCHER angegebene Methodik wiaalsche der Wiparschen Reaktion in Kürze beschrieben werden. ne Die Blutentnahme geschieht mittels U-förmig gebogenen Röhrchen aus dünnem Glase von etwa 2 mm äußerem Durchmesser, welche an den Enden ein wenig ausgezogen sind. Es wird nun am äußeren Rande des Ohrläppchens, nahe der Spitze, nach vorhergegangener Reinigung mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch, ein Schnitt von etwa 1 cm Länge und mäßiger Tiefe mittels eines scharfen Skalpells ange- legt und dann die U-Röhre an den hervorquellenden Tropfen angesetzt oder auch direkt in den Schnitt hineingehalten, wobei das Blut durch Kapillarität rasch angesogen wird. Tritt — was vorkommen kann — Verstopfung der Kapillare ein, so ist sofort ein anderes Röhrchen an- zusetzen. Die gefüllten Kapillaren werden dann durch einen Tropfen Siegellack, Wachs oder dgl. verschlossen. — Nicht unzweckmäßig ist es übrigens auch, sich der von ÜZAPrLewskı beschriebenen, nach unten spitz zulaufenden kleinen Zentrifugenröhrchen aus starkem Glase zu be- dienen, die mit einem Korkpfropfen verschlossen sind, in dem ein mit Wattebausch armierter Draht steckt. Das Blut wird hier mittels des Wattebausches aufgefangen. Die so mit Blut beschickten Röhrchen werden dann im Laboratorium 414 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. zentrifugiert, wobei sich das Serum von dem Blutkuchen trennt und nun an der Grenze dieser beiden Schichten ein Feilenstrich angelegt, der es gestattet, die Röhrchen an dieser Stelle abzubrechen. Ein Ausfließen des Serums ist dabei nicht zu befürchten, da dasselbe durch die Ka- pillarität genügend festgehalten wird. Ebenso werden auch die mit Siegellack verschlossenen Enden der Röhrchen abgebrochen. Man er- hält also auf diese Weise eine Reihe von Bruchstücken der Kapillare, die mit Serum gefüllt sind. Bei dem Ozarızwskischen Röhrchen sind diese Manipulationen überflüssig, da sich das Serum beim Zentrifugieren direkt in der Spitze der Glasröhrchen ansammelt. Zur Messung des erhaltenen Serums bedient man sich einer in 100 Teile eingeteilten 1 ccm-Meßpipette, in die das Serum aus den einzelnen Röhrchen direkt eingegossen werden kann, indem man sie an die mit der Spitze nach oben gehaltene Pipette einfach anlegt, wobei wieder die kapillare Attraktion zur Wirkung kommt. Nun werden die erforderlichen Verdünnungen des Serums in fol- gender Weise angelegt. In eines der kleinen Reagenzgläschen wird 1 ccm physiologischer Kochsalzlösung gebracht und, nach Ablesung der in der Pipette enthaltenen Serummenge, diese in das Reagenzglas aus- geblasen, worauf dann noch soviel Kochsalzlösung hinzugefügt wird, dab eine Serumverdünnung von 1:10 resultiert. Die weiteren Verdünnungen erhält man dann in einfacher Weise, indem man in eine Reihe kleiner Reagenzröhrchen je 0,5 ccm Kochsalzlösung einfüllt, das erste Röhrchen aber frei läßt. In Röhrchen 1 und 2 kommt dann je 0,5 ccm der 10fachen Serumverdünnung, in Röhrchen 3 kommt 0,5 ccm aus 2, in Röhrchen 4 entsprechend 0,5 cem aus 3 usf., wobei natürlich jedesmal gründliche Mischung und Durchblasen der Pipette erforderlich ist. So enthält schließlich jedes Röhrchen 0,5 ccm, und zwar von den Serum- verdünnungen 1:10, 1:20, 1:40 usw. Gewöhnlich legt man 5—6 Ver- dünnungen an!) und außerdem eine Kontrolle ohne Serum, nur mit 0,5 ccm Kochsalzlösung. Nun erfolgt der Zusatz der Typhuskultur (bezw. der Bakterien- art, um die es sich im speziellen Falle handelt), und zwar am besten einer 24 Stunden alten Bouillonkultur, welche durch Zusatz von 1°/, Formalin (40°/,) oder von 0,5°), Karbolsäure abgetötet und von dem hierbei entstehenden Bodensatz abgegossen wurde. Diese Bakterien- suspension hält sich, im Kühlen aufbewahrt, monatelang gebrauchsfähig und muß nur vor der Verwendung jedesmal aufgeschüttelt werden. Da es nun für die klinische Typhusdiagnose meist von größter Bedeutung ist, festzustellen, ob überhaupt eine durch typhusähnliche Bazillen hervor- gerufene Erkrankung vorliegt, so empfiehlt es sich, die Reaktion nicht nur mit dem Typhusbazillus, sondern gleichzeitig auch mit Kulturen des Bac. paratyphi A und B anzusetzen. Fügt man nunmehr zu jedem Röhrchen 0.5 ccm der Bouillonkultur hinzu, so ist natürlich nun die Serumverdünnung verdoppelt worden, und man hat die Verhältnisse 1:20, 40, 80, 160 und 320 vor sich. Entweder kann man die Reaktion direkt in den benutzten Reagenz- röhrchen beobachtet werden, oder man gießt dieselben sofort in kleine gläserne Blockschälchen aus, die aufeinander gestellt und in den Brut- !) Es ist dies deshalb notwendig, weil bei sehr hochwertigen Seren manchmal Agglutinationshemmungen auftreten, wenn sie in höherer Konzen- tration benutzt werden, und infolgedessen negative Resultate vorgetäuscht werden können. XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 415 schrank gebracht werden. Die Besichtigung erfolgt im ersteren Falle mit freiem Auge, im letzteren dagegen mit dem schwachen Trocken- system bei etwa 50facher Vergrößerung und gesenktem Kondensor, nach 1—2stündigem eventuell auch noch längerem Aufenthalt der Proben bei 37°O im Brutschrank. Eine Agglutination in den 1:40 und weiter verdünnten Serumproben kann nach PröscHEr als sicheres positives Ergebnis angesprochen werden, während andere Forscher aller- dings erst höhere Agglutinationswerte als beweisend gelten lassen. In zweifelhaften Fällen ist es zweckmäßig, die Reaktion nach Ablauf von 2—3 Tagen zu wiederholen, da dann häufig der Agglutiningehalt des Serums zugenommen hat, wenn es sich um Typhus handelt. Auf die verschiedenen Modifikationen, welche für die Ausführung der Winır- schen Reaktion vorgeschlagen wurden, soll hier nicht näher einge- gangen werden. Nur das eine mag noch erwähnt sein, daß man nach GAETHGENS in vielen Fällen durch etwa 10 Minuten lang fortgesetztes Zentrifugieren die Sedimentierung der agglutinierten Bakterien (Meningokokken, Typhus-, Paratyphusbazillen) wesentlich beschleunigen kann, so daß man bereits nach weniger als einer Viertelstunde zu einem abschließenden Urteil zu gelangen imstande ist. Um nun auch dem praktischen Arzt, der ja in der Regel nicht in der Lage ist, sich die erforderlichen Kulturen selbst zu bereiten, die Anstellung der Wıpauschen Reaktion zu ermöglichen, hat Fıck£r durch die Firma Merck in Darmstadt ein sogenanntes Typhusdiagnostikum herstellen lassen, eine Flüssigkeit, die die wirksamen Antigene der Typusbazillen enthält, und, wie die Bakteriensuspension, zu dem zu prüfenden Serum zugesetzt wird. Ebenso ist auch ein Paratyphus- diagnostikum A und B erhältlich. | Nach Karka gestaltet sich die Typhusdiagnose unter Verwendung der genannten Bakterienextrakte folgendermaßen: In kleine Standgläschen von 3—5 ccm Flüssigkeit werden von jedem „Diagnostikum“ 0,5, 1,0 und 2,5 ccm eingefüllt. Dann wird überall mit Hilfe einer Kapillar- pipette je 1 Tropfen des Patientenserums hinzugefügt, wodurch die Ver- dünnungen von 1:40, 1:80 und 1:200 entstehen, durch Umkippen der Gläschen gründlich durchgemischt und dann bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Als Mindestmaß für die Diagnose eines bestehenden Abdominaltyphus wird von Karka gefordert, daß nach 24 Stunden noch in der Verdünnung 1:200 mit dem Typhusdiagnostikum deutliche Agglu- tination eingetreten sei, während die Paratyphusdiagnostika niedereren Titer ergeben. Zeigen die letzteren dagegen ebenfalls noch bis zur Verdünnung 1:200 Agglutination, so muß das Serum entsprechend verdünnt und neuerdings eine Titration vorgenommen werden. 5. Hämolytische Reaktionen. („Klinische Alexinprobe‘ nach Moro.) Um den „Alexingehalt‘‘ des Serums zu ermitteln, hat Moro eine Methode ausgearbeitet, die auf folgendem Prinzip beruht: zu einem Ge- misch von gewaschenen Hammelblutkörperchen (0,1 cem einer 10°/,igen Aufschwemmung) mit einer zur Lösung hinreichenden Menge inakti- vierten hämolytischen Ambozeptorserums wird das zu untersuchende aktive menschliche Serum in der Menge von 0,025 cem (= 0,1 ccm 4fach verdünnt) hinzugesetzt. Nach 2stündigem Aufenthalt der Proben im Brutschrank zeigt sich entweder vollkommene Hämolyse, oder aber Typhus- diagnosti- um. 416 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. es bleibt ein ungelöster Erythrozytenrest zurück. Dieser wird abzentri- fugiert, und nach Abgießen der obenstehenden Flüssigkeit in 0,1 ccm "/,, Salzsäure gelöst, wobei eine gelbe bis braune Verfärbung eintritt, die von der Überführung des Hämoglobins in salzsaures Hämatin her- rührt. Die so erhaltene Flüssigkeit wird nun quantitativ in das dem Instrumentarium des Santıschen Hämometers beigegebene graduierte Gläschen übertragen und ihr Farbenton mit dem der Sanurıschen Stan- dardlösung verglichen. Die Intensität der Färbung gibt einen brauch- baren Maßstab für den Komplementgehalt des Serums ab. Zahlenmäßig läßt sich derselbe in der Weise ausdrücken, daß angegeben wird, in welcher Flüssigkeitsmenge der Blutkörperchenbodensatz ge- löst werden müßte, um gleiche Farbennuance zu geben, wie die Standardlösung. Es hat sich herausgestellt, daß Werte von 0,0—0,1 einem gesteigerten, von 0,1—0,4 einem normalen und von 0,4—0,75 einem verminderten Komplementgehalt entsprechen. Der Komplementgehalt des Blutserums Erwachsener ist im allge- meinen nur geringen Schwankungen unterworfen; doch fand Moro bei sporttreibenden Menschen erhöhte Werte. Fieber, Anämien, selbst schwere Lungentuberkulose vermochten dagegen nach LüpkeE und ande- ren Forschern keinen wesentlichen Einfluß auf den Komplementreichtum des Blutes zu nehmen, so daß also heim Erwachsenen weder diagnostische noch prognostische Schlüsse aus den Resultaten der „Alexinprobe‘ gezogen werden können. Beim natürlich ernährten Kind nimmt nach Moro der Komplement- gehalt des Blutes kurz nach der Geburt gleichmäßig zu, um etwa am 5. Tage denselben Wert wie beim Erwachsenen zu erreichen; beim künstlich er- nährten Kind dagegen zeigten sich häufiger subnormale Alexinwerte. Bei alimentärer Intoxikation, bei Überfütterung, ferner bei Infektionskrank- heiten, besonders bei Pneumonie und Typhus, wurde abnorm hoher Kom- plementgehalt des Blutes beobachtet, während Komplementarmut oder gar Komplementschwund sich von übler prognostischer Bedeutung erwies. 6. Antihämolytische Reaktionen. (Hemmung der Kobragifthämolyse durch Serum von Geisteskranken. „Psychoreaktion‘“ von Muc# und Horzuann.) Zur Ausführung der „Psychoreaktion‘ stellt man sich zunächst aus einer 1°/,igen Stammlösung von Kobragift durch 50fache Ver- dünnung die eigentliche Versuchslösung her, und bringt dann in eine Reihe von Reagenzgläschen je 0,35 ccm Patientenserum und 1,0, 0,5, 0,25 und 0,1 ccm des verdünnten Kobragiftes. Weiterhin kommt in jedes Gläschen noch 0,5 ccm einer mehrfach mit physiologischer Koch- salzlösung gewaschenen 10°),igen Aufschwemmung von defibriniertem Menschenblut (am besten Plazentarblut), worauf dann das Gesamt- volumen mit Kochsalzlösung auf 1,35 cem ergänzt wird. Als Kontrollen dienen Röhrchen, die nur mit der Giftlösung beschickt werden, aber kein Serum enthalten. Nach gründlicher Durchmischung werden alle Proben durch 2 Stunden bei 37° C gehalten und dann weitere 22 Stunden auf Eis gestellt. Soll die Reaktion positiv sein, so muß jenes der mit Serum versetzten Röhrchen, welches die kleinste eben noch lösende Kobragiftdose enthält, vollkommene Hemmung der Hämolyse zeigen. — Nach den ersten Angaben von Much und Horzmann sollte die Psychoreaktion für manisch depressives Irresein und für Demen- her ER EN: SE HE SUR. rohen XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 417 tia praecox charakteristisch sein und die Unterscheidung dieser Krank- heiten von anderen ähnlichen Zuständen, wie Neurasthenie, Hysterie, Imbezillität, Idiotie, sensile Demenz, Paralyse usw. gestatten. Umfang- reiche Nachprüfungen haben jedoch ergeben, daß die Reaktion nicht nur bei Geisteskranken der verschiedensten Art, sondern selbst bei unzweifelhaft Gesunden vorkommt, ja dab sie sogar bei Neugeborenen fast konstant zu beobachten ist, so daß also von einer praktischen Verwendung derselben derzeit noch keine Rede sein kann. Immerhin scheint die „Psychoreaktion“ tatsächlich bei Ner- ven- und Geisteskrankheiten häufiger positiv auszufallen als bei anderen Leiden. Welcher Art von Stoffen man die Hemmung der Kobragifthämolyse zuzuschreiben hat, ist heute noch nicht mit Sicher- heit zu sagen, wenn auch Grund zu der Vermutung besteht, daß Lipoide, besonders Lezithin, bei ihr beteiligt sein dürften. 7. Verfahren der Komplementablenkung. Ein in neuerer Zeit viel und mit Vorteil verwendetes Verfahren der biologischen Eiweißdifferenzierung, das jedoch auf anderen Prin- zipien beruht als das UHLENHUTHsche, ist von M. NEISSER und Sachs ausgearbeitet worden. Dasselbe hat zur theoretischen Grundlage die Komplementbindung, welche nach den Untersuchungen von GENGOU und Moreschı stets dann zu beobachten ist, wenn eiweißartige Anti- gene bei Gegenwart aktiven Normalserums mit ihren spezifischen Anti- körpern in Berührung treten. — Wir halten uns bei der Beschreibung dieses ingeniösen, wenn auch technisch nicht ganz einfachen Verfahrens an die kürzlich von Rıckmann gemachten ausführlichen Angaben, welche die Art, wie diese „Ablenkungsmethode“ im Frankfurter Institut für experimentelle Therapie gehandhabt wird, vortrefflich veranschaulichen. Zur Ausführung der Reaktion ist nun erforderlich: 1. Ein hochwirksames Antiserum gegen jene Eiweißart, deren An- wesenheit in dem zu untersuchenden Material, z. B. einem Blutfleck fraglicher Provenienz, nachgewiesen werden soll. 2. Frisches, komplementhaltiges Normalserum vom Meerschweinchen. 3. Gewaschenes Rinderblut in 5°|,iger Aufschwemmung. 4. Inaktives, vom Kaninchen gewonnenes Immunserum gegen Rinder- blut (Ambozeptorserum). — Blutkörperchen, Normalserum und Ambozeptorserum bilden zusammen ein hämolytisches System, in welchem Auf- lösung der Erythrozyten stattfindet, vorausgesetzt, daß das Komplement nicht von anderer Seite her mit Beschlag belegt wird. Dies tritt aber, wie gesagt ein, wenn gleichzeitig mit dem Komplement ein Eiweißkörper, z. B. Menscheneiweiß und dessen Anti- körper in dem Gemisch zugegen ist. In solchem Falle bleibt dann, infolge einer Ablenkung des Komplementes, die Hämolyse aus und dies gestattet, da die Natur des verwendeten Eiweißimmunserums bekannt ist, einen Schluß auf die Provenienz des fraglichen eiweiß- haltigen Materials. Da nun bei der Ausführung des Ablenkungsversuches die quanti- tativen Verhältnisse der einzelnen dabei verwendeten Reagentien von großer Wichtigkeit sind, so muß ihr eine sorgfältige Wertbestimmung der letzteren vorausgeschickt werden. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 27 ablenkung. Hämoly- tisches System. Einstellung des Systems. 418 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. Zuerst erfolgt die Einstellung des Ambozeptors.. Je 1 ccm 5°],- iger Rinderblutaufschwemmung werden mit je 0,1 ccm Meerschweinchen- serum und absteigenden Mengen des inaktivierten Ambozeptorserums gemischt, wobei in allen Röhrchen durch Auffüllen mit physiologischer Kochsalzlösung gleiches Volumen (2,1—2,5 ccm) hergestellt wird. Die (remische werden 2 Stunden bei 37°C gehalten. Danach wird das Resultat notiert. Die Einstellung des Ambozeptors veranschaulicht folgende Tabelle. Ambozeptor Komplement ® Blut on Sam Hämolyse | l ccm 5°/,iges Rinderblut 0,0025 0,1 komplett do. 0,0015 0,1 us do, 0,001 0,1 2 do. 0,00075 0,1 „ do. 0,0005 0,1 fast komplett do. 0,00035 0,1 stark do. 0,00025 0,1 % do. 0,00015 0,1 5: do. 0,0001 0,1 mäßig do. _ 0,1 — Er Die komplettlösende Dosis liegt hiernach zwischen 0,0005 und 0,00075 ccm des Ambozeptors.. Zu den weiteren Versuchen wird in der Regel das 1!,—2fache Multiplum der komplettlösenden Dosis, hier also 0,001 ccm, benutzt. Für diese Ambozeptormenge wird nun, nach dem aus der nächsten Tabelle ersichtlichen Schema, der erforderliche Komplementbedarf fest- gestellt. Ambozeptor Komplement z Blut | Bo | Som Hämolyse 1 cem 5°/,iges Rinderblut 0,001 0,1 komplett do. 0,001 0,075 ” do. 0,001 ‚05 fast komplett do. 0,001 0,035 stark do. 0,001 0,025 mäßig do 0,001 0,015 * do 0,001 0,01 wenig do 0,001 — _ Die komplettlösende Dosis des benutzten Meerschweinchenserums liegt demnach zwischen 0,05 und 0,075 ccm. Wir verwenden wieder ein 1?/,—2faches Multiplum, im vorliegenden Falle 0,1 ccm. Das zu verwendende hämolytische System besteht also aus: 1 ccm 5°),iges Rinderblut, 0,001 com Ambozeptorserum, 0,1 ccm Meerschweinchenkomplement. Unter Verwendung dieses Systems wird nunmehr der Wirkungs- wert des Eiweißantiserums, das zur Identifizierung der fraglichen Substanz dienen soll, bestimmt. Wir wollen annehmen, es handle sich um den Nachweis, ob ein auf einem Kleidungsstück befindlicher Blut- fleck vom Menschen herrühre oder nicht. Das zu benutzende Anti- serum wird dann ein solches sein müssen, das durch Behandlung von 2 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 419 Kaninchen mit Menschenblut oder -Serum gewonnen wurde, und es muß nun festgestellt werden, bis zu welchen Verdünnungen dasselbe noch imstande ist, beim Zusammentreffen mit Menscheneiweiß die Ab- lenkungsreaktion zu geben, d. h. die Hämolyse in obigem System zu verhindern. Zu diesem Zweck werden drei Parallelreihen mit absteigen- den Mengen des Antiserums und je 0,1 ccm Meerschweinchenserum an- gelegt. Außerdem erhält Reihe a) je 0,1 ccm eines 1:100 verdünnten Menschenserums, „ b)„ 01 „ „ ,1:1000 » »„ €) „ 91 „ physiologische Kochsalzlösung. Diese drei Reihen werden 1 Stunde bei 37° gehalten, damit ge- nügende Bindung des Komplements eintreten kann. Dann erst werden alle Röhrchen mit 1 ccm Blutaufschwemmung und 0,001 ccm Ambozeptor- serum beschickt. Das Ergebnis zeigt die folgende Tabelle. Hämolyse von 1ccm 5°|,igem Rinderblut Antiserum a b c 0,001 ccm 0,0001 cem kein ccm Menschenserum | Menschenserum | Menschenserum 0,1 Spur Spur 0,075 „ „ 0,05 5 0 0,035 0 0 0,025 0 0 komplett 0,02 0 Spur 0,015 0 wenig 0,01 Spur wenig 0 komplett komplett Um nun die für das Ablenkungsverfahren geeignete Dosis des Antiserums auszuwählen. ist noch folgendes zu bedenken. Da man für die praktische Anwendung fordern muß, daß das Antiserum mindestens 0000 ccm des fraglichen Serums (hier des Menschenserums) nachzu- weisen erlaubt, so werden in der Reihe b jene Mengen in Betracht kommen, die eine vollständige Aufhebung der Hämolyse bewirken, wo- bei andererseits aber auch das notwendige Minimum nicht allzusehr überschritten werden soll. Deshalb ist im vorliegenden Falle als Test- dose des Antiserums etwa 0,033 cem (d. i. 0,2 ccm einer 6fachen Ver- dünnung desselben: !/,-0,2—= 0,033) zu wählen. Das Antiserum ist durch die einmalige Bestimmung für alle Ablenkungs- weiteren Untersuchungen eingestellt, und damit sind die Vorarbeiten "uch für den eigentlichen Ablenkungsversuch erledigt, der nun sofort be- ginnen kann. Die Versuchsanordnung gestaltet sich folgendermaßen: wir wählen exempli causa zwei verschiedene, zu identifizierende Flüssigkeiten, näm- lich einerseits Menschenserum a), andererseits Schweineserum b), welche das zu untersuchende Material darstellen mögen. Je 0,2 ccm !/, Anti- serum werden nun mit 0,1 ccm Meerschweinchenserum und absteigenden Mengen der fraglichen Flüssigkeiten a und b gemischt, und dann nach einstündigem Aufenthalt im Brutschrank mit 1 ccm 5°/,igem Rinder- blut und 0,001 Ambozeptor versetzt. Außerdem sind noch analoge Kontrollen, aber ohne Antiserum, anzulegen, die somit nur das Di Nachweis 420 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 4 zu prüfende Antigen und Komplement enthalten, und nach 1 Stunde, | wie die übrigen Röhrchen, mit Blut und Ambozeptor beschickt werden. Das Ergebnis zeigt folgende Tabelle: Menge Hämolyse Hämolyse der fraglichen Flüssigkeit , a Flüssigkeit a i Flüssigkeit b ccm (Menschenserum) Kontrolle (Schweineserum) Kontrolle 0,1 0 0,01 0 001 0 00001 0 komplett komplett komplett 0,00001 Spur 0 komplett Wie man sieht, tritt das Phänomen der Komplementablenkung nur bei der Flüssigkeit a, also bei dem Menschenserum auf, und zwar derart, daß selbst die minimale Menge von 0,00001 ccm noch eine fast vollkommene Hemmung der Hämolyse erzeugt, während selbst ein 10000 faches Multiplum dieser Menge bei Verwendung von Schweine- serum nicht die geringste Reaktion gibt. Damit ist die Diagnose ge- sichert, die somit dahin lautet, daß a tatsächlich Menschenserum ent- halten muß, b dagegen keine Spur von einer derartigen Beimengung erkennen läßt. Als besonderen Vorteil des Verfahrens der Komplementablenkung gegenüber der UHnLennuTKHschen Präzipitationsmethode wird die größere Spezifität desselben hervorgehoben, die wenigstens z. T. daher rührt, daß hier das Antieiweißserum in größerer Verdünnung benutzt werden kann und muß, wodurch die störende Wirkung der stets vorhan- denen heterologen Partialantikörper wesentlich eingeschränkt wird. Bei der Präzipitationsmethode ist dagegen eine beträchtliche Verminde- rung der Antiserummenge nicht tunlich, da dann auch die homologe Reaktion an Intensität soviel einbüßt, daß die Wahrnehmung der Fällung bei starken Verdünnungen des Antigens, wie sie besonders die forensische Praxis fordert, erschwert sein kann. Dagegen stellt die größere Umständlichkeit des Verfahrens der Komplementablenkung zweifellos einen nicht geringen Übelstand dar, der allerdings für Laboratorien, die für solche Zwecke eingerichtet sind, weniger in Betracht kommt, da ja sowohl das Antieiweißserum wie das Ambozeptorserum im eingefrorenen Zustand beliebig lange unverändert konserviert werden kann und somit vor jedem Versuch nur die Wertig- keit des komplementhaltigen Meerschweinchenserums bestimmt zu werden braucht, wenn der Titer der beiden anderen Sera einmal festgelegt wurde. ‘ Besonders hervorgehoben muß noch werden, daß die Methode der baktarielter Komplementablenkung mit großem Erfolg auch zum Nachweis bak- terieller Eiweißstoffe bezw. antibakterieller Ambozeptoren im Blute Infektionskranker verwendet worden ist, und wohl berufen er- scheint, noch eine große Rolle in der Serodiagnostik zu spielen. Zum Nachweis solcher spezifischen Ambozeptoren ist, neben dem früher erwähnten hämolytischen System (also Blut, Komplement und hämolytischem Immunserum), nur ein entsprechendes Bakterienextrakt erforderlich, das, nach der von Leuchs für Bact. typhi und seine Ver- XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken, 421 wandten gegebenen Beschreibung, in folgender Weise herzustellen ist: Korrtesche Schalen, deren beimpfbare Oberfläche etwa der von 10 Agar- röhrchen entspricht, werden mit den betreffenden Bakterienarten, deren Antikörper im Serum nachgewiesen werden sollen, infiziert, der Bak- terienrasen nach 24stündiger Bebrütung bei 37° mit je 5cem sterilem destillierten Wasser abgeschwemmt, diese Aufschwemmung dann zur Abtötung der Bakterien 24 Stunden bei 60° gehalten und dann weitere 24 Stunden im Schüttelapparat bei Zimmertemperatur der Autolyse überlassen. Hierauf wird die Aufschwemmung energisch zentrifugiert und die klare überstehende Flüssigkeit mit 0,5°, Phenol versetzt im Eisschrank konserviert, wo sie sich mindestens 68 Wochen unver- ändert brauchbar erhält. Bei Vermischung entsprechender Mengen dieser Extrakte mit dem zu prüfenden Serum des Patienten tritt in dem hämolytischen System dann Komplementbindung ein, wenn das Serum. tätsächlich die spezi- fischen Antikörper für die betreffende Bakterienart beherbergt. — Auf diese Weise gelang ein sicherer Nachweis der Immunstoffe nicht nur bei einer Reihe von Typhusfällen, sondern auch bei verschiedenen Fällen von chronischer Gonorrhöe, bei Arthritis, Epididymitis, Iritis, bei gonorrhöischen Adnexerkrankungen, bei Lepra, Tuberkulose, Variola, Rhinosclerom, Rotz usw. Ja selbst bei parasitären Erkrankungen, welche nicht durch Mikroorganismen hervorgerufen werden, wie bei der Echinokokkeninfektion des Menschen und der Tiere hat sich die Methode der Komplementbindung bereits als außerordentlich wertvolles diagnostisches Hilfsmittel bewährt, wobei als Antigen in diesem Falle der Inhalt von Echinokokkusblasen fungierte. Besonderes, und zwar berechtigtes Aufsehen machte endlich die von WASSERMANN, NEISSER und Bruck zuerst bewiesene Anwendbarkeit der Methode zur Serodiagnostik der Syphilis, der wir, ihrer praktischen Wichtigkeit halber, noch eine kurze Besprechung widmen müssen. Die genannten Forscher konnten nämlich zeigen, daß das Serum syphilitischer Menschen oder auch Affen bei der Vermischung mit Extrakten aus luetischen Organen (Plazenten, Flöten usw.) ebenfalls Komplement ab- sorbiert, und schlossen hieraus auf die Anwesenheit spezifisch syphili- tischer Stoffe in den Gewebsextrakten einerseits, von spezifisch anti- syphilitischen Immunkörpern in dem Serum andererseits. Als hämolytisches System empfehlen die genannten Forscher für die Zwecke der Serumdiagnostik der Syphilis Hammelblut, ein Ambo- zeptorserum, das durch Vorbehandlung von Kaninchen mit gewaschenen Hammelerythrozyten gewonnen wurde und Meerschweinchenkomplement. Das Ambozeptorserum soll so stark sein, daß) bei Zusatz von 0,1 ccm frischen Meerschweinchenserums 0,001—0,0005 ccm noch imstande sind, 1 cem 5°),iger Hammelblutaufschwemmung nach 2stündigem Aufent- halt bei 37° vollkommen zu lösen. Ebenso wie das zu untersuchende Serum des luesverdächtigen Patienten muß das Ambozeptorserum voll- kommen klar zentrifugiert und sofort nach der Gewinnung inaktiviert werden. Nachträglich sich bildende Trübungen sind ebenfalls sorgfältig zu entfernen. Das Komplementserum muß stets am Versuchstage frisch gewonnen sein und darf keine Hämoglobinbeimengungen oder Trübungen enthalten. Die Gewebsextrakte endlich werden (nach MicHAELISs) in fol- gender Weise hergestellt. Die Leber eines syphilitischen Fötus wird in eingefrorenem Zustande beliebig lange aufbewahrt und einige Tage Lues- diagnose. 422 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. vor Anstellung der Versuchsreihen teilweise zu Extrakt verarbeitet. Zu diesem Zweck wird ein Teil Leber nach gründlicher Verreibung unter Zusatz von etwas Seesand mit 5 Teilen physiologischer Kochsalzlösung und !), Teil 5°/,iger Karbolsäurelösung mehrere Stunden im Schüttel- apparat behandelt und dann noch etwa weitere 4 Tage oder länger im Eisschrank (aber nicht unter 0°) sich selbst überlassen. So wird der Extrakt auch weiterhin, ohne zu filtrieren oder zu zentrifugieren, auf- bewahrt. Für den eigentlichen Versuch werden dann nach Bedarf kleine Mengen durch scharfes Zentrifugieren geklärt und stellen in gebrauchs- fertigem Zustand eine opaleszierende aber von sichtbaren Inhomogeni- täten freie Flüssigkeit dar, die das Syphilisantigen enthalten soll. Der Extrakt muß zu 0,2 ccm imstande sein, mit 0,1 ccm sicher lueti- schen Serums vollkommene Hemmung hervorzurufen, darf dagegen mit 0,2 cem normalen menschlichen Serums keine Hemmung erzeugen und muß auch für sich allein in der Menge von 0,5 ccm unwirksam sein, widrigenfalls er mit physiologischer Kochsalzlösung passend zu ver- dünnen wäre. Der entscheidende serodiagnostische Versuch wird dann in der gleichen Weise angestellt, wie früher ausführlich beschrieben wurde. Als Beispiel diene ein derartiges Experiment von WASSERMANN und MEYER. Zur Untersuchung kam die Spinalflüssigkeit eines auf Lues zu untersuchenden Individuums und zwar in der Menge von 0,2 ccm; als Kontrolle diente Lumbalflüssigkeit eines sicher nicht syphilitischen In- dividuums und eines Patienten mit zweifelloser Lues. Diese Serum- mengen wurden nun mit 0,1 ccm Meerschweinchenkomplement und mit 0,2 cem Organextrakt eines syphilitischen Kindes versetzt, und aber- mals eine Kontrolle mit Extrakt von einem sicher nicht luetischen Kinde hinzugefügt, worauf die verschiedenen Gemische eine Stunde lang bei 37° Ö stehen gelassen, und dann sämtlich mit 1 ccm 5°/,iger Hammel- blutaufschwemmung und mit 0,001 cem Ambozeptorserum (d. i. der doppelten lösenden Dose) beschickt wurden. Das Resultat war folgendes: el Kom- | Hämol. Lumbalflüssigkeit Extrakt | ‚Pie a nn Ergebnis 1:10 |1:1000 0,2 ccm (des Patienten)| luet. Leber 0,2|1 ccm| 1 ccm |1 cem|vollk. Hemmung 02%, 5 a norm. Leber 0.2.1177, 1 Lu NEN, vollk. Lösung O2un, L; # I:cemiphys.:Nabl "8 .,. | Alı Galisen,, r Rn 04 „ „ „ ” ” >) 1, LS Burn ann ” ” 4. ’Natl Iuet. "Leber 0,2377, hi: sen. R H 1 „ 2” : „ „ , 1: +] 1 „ 1 „ „ „ 0,2 ,, nicht luetisch ns NONE SA 5 „ 0,2 , sicher luetisch ., u 2\1’ „11 „ |1l.,„ jvollst Hemmuzs 03 u RN norm.. Leber. G. 241,11. : „1. vollk. Lösung 1 „ phys. NaCl Lcemphys.NaCl | E71 1, 10, Rn ” Wie man sieht, gab nur das Serum des Luetikers und des zu untersuchenden Patienten bei seiner Vermischung mit dem luetischen Gewebsextrakt das Phänomen der Komplementablenkung, während sonst überall, auch bei den verschiedenen Kontrollproben, die wohl keiner be- XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 423 sonderen Erläuterung bedürfen, vollkommene Lösung beobachtet wurde. Nach dem Ausfalle dieses Versuchs wäre also die Frage, ob das vor- liegende Serum von einem syphilitischen Individuum stamme, zu bejahen, das Ergebnis der Serodiagnostik also als positiv zu verzeichnen. Die Brauchbarkeit dieser serodiagnostischen Methode der Syphilis, die übrigens neuerdings die verschiedensten Modifikationen und Ver- einfachungen erfahren hat, kann heute wohl als vollkommen sichergestellt gelten, und es gelang z. B. Cırron der Antikörpernachweis fast in allen Fällen von Syphilis jeglichen Stadiums; dabei stellte sich heraus, daß der Antikörpergehalt des Serums meist um so größer war, je länger das Virus auf den Körper einzuwirken Gelegenheit hatte und je häufiger Rezidive aufgetreten waren, daß derselbe hingegen durch die Queck- silberkur herabgesetzt, wenn nicht ganz aufgehoben wurde. Aber auch Lussreaktion bei den syphilitischen Folgekrankheiten, bei Tabes und Paralyse, uniparalyee. ergab sich in einem hohen Prozentsatz der Fälle ein positives Resultat, wie aus den folgenden, von WASSERMANN kürzlich mitgeteilten Daten zu entnehmen ist. Hiernach gelang der Nachweis der syphilitischen Antikörper bei manifester Lues aller Stadien in über 90° bei progressiver Paralyse n . . . . . 96° Beimkabes-ın. au ee er 70500, der untersuchten Fälle. Um so merkwürdiger erscheint demgegenüber die Tatsache, daß trotz der praktischen Zuverlässigkeit der Reaktion die theoretischen Grundlagen derselben irrige gewesen zu sein ‚scheinen. Denn, wie MicHAELIS, WEIL und Braun und andere Forscher zeigen konnten, gelingt die Reaktion auch bei Anwendung nicht syphilitischer Leber- extrakte, wenn auch graduelle Unterschiede gegenüber den syphilitischen Extrakten nicht geleugnet werden können. Es erweckt dies gewiß be- rechtigte Zweifel, ob die Reaktion wirklich das Vorhandensein eines Antikörpers gegen den Syphiliserreger oder seine Gifte an- zeigt, und ob es sich nicht vielmehr, wie MiıcHAELIıs meint, um einen Stoff handelt, der zwar mit dem Spphiliserreger nichts zu tun hat, aber in syphilitischen Organen reichlicher vorhanden oder aus ihnen besser extrahierbar ist als aus normalen. Es liegt nahe, dabei an Substanzen lipoider Natur zu denken; denn es hat sich gezeigt, dab man an Stelle des Leberextraktes alkoholische Auszüge aus Meer- schweinchenherzen, Lezithin, ja sogar oleinsaures Natron und gallen- saure Salze verwenden kann, eine Tatsache, die man zu wesentlichen Vereinfachungen der Methodik benutzt hat, worauf wir jedoch an dieser Stelle nicht näher eingehen können. Erwähnt sei nur noch, daß die Firma Merck ein von v. DUNGERN angegebenes „‚Syphilisdiagnostikum für die Sprechstunde‘ in den Handel bringt, welches aus dem in alkoholischer Lösung befindlichen Organ- extrakt, aus einer abgewogenen Menge getrockneten Ambozeptor- serums von bekanntem Titer, und aus Meerschweinchenkomple- ment besteht, das auf Papier eingetrocknet ist. Das Diagnostikum soll gestatten, die Reaktion ohne besondere Vorkenntnisse und vor allem ohne Laboratoriumseinrichtungen anzustellen, 424 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 8. Antifermentative Reaktionen. (Bestimmung der antitryptischen Kraft des Blutes.) Zur Ausführung dieser von MÜLLER und JOcHMANN angegebenen Reaktion benutzt man nach Marcus eine Trypsinlösung, die durch Auf- lösen von 0,1 g Trypsin (Kahlbaum) in einem Gemisch von 5 ccm Glyzerin und 5 ccm destilliertem Wasser hergestellt wird. Diese Tryp- sinlösung wird mit dem zu untersuchenden Blut bezw. Serum in ver- schiedenen Mengenverhältnissen zusammengebracht, derart, daß etwa je 1 Öse Blut mit !/,, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 Ösen Trypsinlösung in kleinen Schälchen gemischt wird. Von jeder dieser Mischungen kommen 6-—-8 Ösen getrennt auf eine Löftlersche Serumplatte. Eine Testplatte erhält zur Kontrolle nur einige Ösen der Trypsinlösung ohne jeglichen Blutzusatz. Sämtliche Platten werden 5 Stunden lang im Brutschrank gehalten, und darauf beobachtet, ob sich infolge der ver- dauenden Wirkung des Trypsins auf ihrer Oberfläche flache Dellen gebildet haben oder ob die Dellenbildung durch den Blutzusatz gehemmt wurde. Ist beispielsweise auf diese Weise festgestellt worden, daß bei dem Gemisch von 1 Teil Blut mit 3 Teilen Trypsinlösung noch Dellen- bildung auftritt, daß sie aber bei einer Mischung von 1 Teil Blut mit 2 Teilen Trypsinlösung bereits ausbleibt, so wird dem Blute ein Titer von 3:1 zugeschrieben. Durch Vergleich mit dem Titer normaler Blutproben läßt sich dann ermitteln, ob in dem speziellen vorliegenden Falle eine Erhöhung oder Erniedrigung der antitryptischen Kraft des Blutes besteht. Eine etwas genauere, wenn auch kompliziertere Methode der Anti- trypsinbestimmung haben v. BERGMANN und MEYER ausgearbeitet. Bei derselben wird als Indikator nicht die Dellenbildung auf einer Serum- platte, sondern die vollkommene Verdauung einer verdünnten Kasein- lösung benutzt, die dann beim Ansäuern mit Essigsäure keine Fällung oder Trübung mehr geben darf, sondern vollkommen klar bleiben muß. Die antitryptische Kraft des Serums wird hierbei durch die Anzahl von ccm Trypsinlösung ausgedrückt, welche 1 ccm des Serums in ihrer ver- dauenden Wirkung zu paralysieren vermag. So bedeutet also z. B. die Angabe 0 Antı T Er I, St. ar daß 1 ccm des fraglichen Serums bei !/,stündiger Bebrütung bei 37° imstande ist, 130 cem der verwendeten (1°/,‚igen) Trypsinlösung unwirk- sam zu machen. — Wie sich herausgestellt hat, findet sich eine oft recht beträchtliche Steigerung der antitryptischen Kraft des Blutes besonders bei Karzi- nomkranken, aber auch bei Patienten, die an anderen konsump- tiven Krankheiten, Tumoren, schweren Lungentuberkulosen und der- gleichen leiden. Es scheint, daß der vermehrte Antitrypsingehalt des Blutes in diesen Fällen mit dem gesteigerten Gewebszerfall, bezw. mit Vorgängen der Gewebseinschmelzung zusammenhängt, wenn es auch noch als fraglich dahingestellt bleiben muß, ob hierbei der Untergang von Leukozyten und das damit verbundene Freiwerden von tryptischem Leukozytenferment in der Tat, wie manche Forscher anzunehmen ge- neigt sind, im Sinne einer Autoimmunisierung zu wirken vermag. XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 425 9. Phagozytäre Reaktionen (Bestimmung der opsonischen Kraft des Blutserums). Wir halten uns bei der Beschreibung der Technik der Opsonin- bestimmung an die ausführlichen Angaben, die vor kurzem von BıxE und Liısswer gemacht wurden. Es sind zu diesem Zwecke erforderlich: 1. das zu untersuchende Blutserum des Kranken. 2. Serum normaler Individuen als Kontrolle, 3. gewaschene Blutkörperchen, 4. eine Bakterienemulsion. Das Serum gewinnt WRIGHT mit Hilfe eines kleinen Glasröhrchens von der in Fig. 22 abgebildeten Form, indem er mit dem spitz aus- gezogenen Ende desselben nahe der Nagelwurzel in den Finger sticht, in dem das Blut durch Umwicklung der zentralen Partie angestaut worden war. Dann werden beide Enden des Röhrchens abgebrochen, das Blut durch A angesogen und dann das Ende B etwa 4—5 cm unterhalb der Ampulle des Röhrchens vorsichtig abgeschmolzen. Natür- lich muß jede stärkere Erwärmung des Blutes unbedingt vermieden werden. Hat sich dann beim Erkalten des abgeschmolzenen Endes das Blut weiter in das Glasröhrchen zurückgezogen, so kann auch bei B abgeschmolzen werden und nun, nach erfolgter Gerinnung des Blutes, das Röhrchen mit dem gebogenen Ende an den Rand eines Zentrifugen- gläschens angehängt werden. Hat sich durch kräftiges Zentrifugieren das Serum vom Blutkuchen getrennt, so wird das gebogene Ende des Röhrchens abgeschnitten und das Serum mit Hilfe einer Glaskapillare entnommen. (Natürlich kann das Serum aber auch unter Umständen auf andere Weise gewonnen werden.) Zur Gewinnung der Blutkörperchen werden einige Blutstropfen eines gesunden Individuums in eine kleine Glastube gebracht, die zu 2/, mit einer (täglich frisch zu bereitenden) 1,5°/,igen Lösung von zitronsaurem Natron gefüllt ist. Nach gründlicher Mischung werden die Blutkörperchen abzentrifugiert, die klare Flüssigkeit abgegossen oder abpipettiert und durch 0,85°/,ige Kochsalzlösung ersetzt, worauf neuer- dings zentrifugiert wird. Nachdem auch die Hauptmasse der Kochsalz- lösung durch Abpipettieren entfernt worden, verteilt man die Blut- körperchen durch Schütteln in dem Rest der Flüssigkeit und hat hier- mit die gebrauchsfertige Aufschwemmung hergestellt, die natürlich auch jedesmal erneuert werden muß, da sich die Zellen schon bei mehr- stündigem Stehen verändern. Was endlich die Bakterienemulsion betrifft, so ist ihre Herstellung nach der Art der verwendeten Mikroorganismen verschieden. Meist wird man eine Öse 24 stündiger Agarkultur mit physiologischer Koch- salzlösung verreiben und das Gemisch dann durch weiteren Zusatz dieser Lösung passend verdünnen. Für Untersuchungen bei Tuberkulose wird empfohlen, die getrockneten abgetöteten Bazillen zu benutzen, die von den Höchster Farbwerken zu beziehen sind. Nachdem eine geringe Quantität dieses Präparats in einem Achatmörser zu einem feinen Pulver zerstoßen wurde, verreibt man dasselbe unter tropfenweisem Zusatz von 1,5°/,iger Kochsalzlösung zu einer diekflüssigen Emulsion, die dann 1 Stunde lang bei 60° sterilisiert wird. Sie kann am besten in einem Glasröhrchen, dessen eines geschlossenes Ende dünn ausge- zogen ist, aufbewahrt werden, bleibt aber höchstens 10 Tage lang Opsoninbe- stimmung. Phagozyti- sche Zahl. 426 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. benutzbar. In dem nach unten gerichteten dünnen Ende setzen sich etwaige gröbere Bakterienklumpen ab und können durch Abschneiden des Röhrchens entfernt werden. Vor dem Gebrauch muß die Bakterien- emulsion noch darauf geprüft werden, ob sie eine genügende Zahl von Bazillen enthält. „abbrechen. Sind nun die drei zur Anstellung des A Versuchs notwendigen Flüssigkeiten, nämlich Serum-, Blut- und Bakterienemulsion, vorge- richtet, so wird mittels einer 16 cm langen Kapillare je ein Teil dieser Flüssigkeiten ab- gemessen und aufgesogen. Zu diesem Zweck wird die Kapillare (Fig. 23), deren oberes Ende entsprechend der Weite des Glasrohrs, aus dem sie durch Ausziehen hergestellt wurde, in eine Erweiterung von etwa !/, cm Durch- messer übergeht und mit einer Gummikappe armiert ist, an ihrem unteren Ende mit einer willkürlichen Marke versehen. Mit Hilfe der Gummisaugkappe wird nun erst die eine der erwähnten drei Flüssigkeiten bis zu dieser Marke angesaugt, dann etwas Luft nachgesaugt; dann folgt die zweite Flüssigkeit, die somit zunächst von der ersten durch eine Luftblase getrennt bleibt; endlich wird, nachdem wieder etwas Luft eingesaugt wurde, auch die dritte Flüssigkeit bis zur Marke nachsteigen gelassen, so daß sich in der Kapillare nun vollkommen gleiche Volumina von Serum, Blutkörperchen- und Bakterienemulsion vorfinden. Die Kapillare wird sofort gegen einen Objektträger ausge- blasen, die Flüssigkeit auf demselben möglichst rasch aber gründlich gemischt, wieder ange- saugt und das untere Ende des Röhrchens ab- geschmolzen. So kommt die gefüllte Kapillare für 20—30 Minuten in den Brutschrank, der auf 37° © eingestellt ist. Nach Ablauf dieser Zeit wird das zuge- schmolzene Ende des Röhrchens abgeschnitten und der Inhalt zur Untersuchung benutzt, indem ein Tropfen desselben auf einen, durch Abreiben mit Schmirgelpapier rauh gemachten Öbjektträger gebracht und auf diesem ausge- strichen wird. Der Ausstrich geschieht mittels eines sog. „Ausbreiters“, eines Objektträgers, der an seinem schmalen Rande etwas konkav ausgebuchtet ist. Am Ende des Ausstrichs, wo die Schicht am dünnsten ist, liegen erfahrungs- gemäß) die meisten Leukozyten beisammen. Die Fixierung des Ausstrichs geschieht durch 2—3 Minuten währende Einwirkung einer gesättigten Sublimatlösung, die Färbung je nach der Art der verwendeten Bakterien nach ZiEHL-NEELSEn, oder mit Karbolthionin, verdünnter Giemsalösung usw. — Nun schreitet man zur Bestimmung der „phagozytischen Zahl“, und zwar durch Aus- WG E um. » -/L--abbrechen XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. 427 zählung der Bakterien in mindestens 100 Leukozyten, wobei etwa 2—8 Bazillen auf einen Phagozyten kommen sollen. Sind weniger oder mehr Bakterien vorhanden, so ist die Zählung schwieriger bezw. ungenau. Berechnet man nun hieraus die durchschnittlich von einem Leukozyten aufgenommene Anzahl von Bakterien, so erhält man die phagozytische Zahl, wobei als Norm jener Wert angenommen wird, der sich im Mittel bei der Untersuchung von mindestens drei ge- sunden Personen ergibt. Die phagozytische Zahl des betreffenden Patienten geteilt durch Opsonischer die normale phagozytische Zahl liefert dann den opsonischen Index des Patienten, den ja WRIGHT, wie wir wissen, zur Richtschnur seines therapeutischen Handelns nimmt. Die Opsoninbestimmung wird aber nicht nur zur klinischen Beur- teilung des Krankheitszustandes bei infektiösen Prozessen und zum Zwecke einer fortwährenden Kontrolle der therapeutischen Maßnahmen, speziell der Wrıeutschen Bakterieneinspritzungen, ausgeführt, sondern sie kann auch rein diagnostischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Auf Grund der Wrıs#tschen Theorien und Beobachtungen gelten hierfür die folgenden Regeln. Ist der opsonische Index einer bestimmten Bakterienspezies gegenüber dauernd normal, so ist eine Infektion mit derselben als ausgeschlossen zu betrachten; ist der Index dauernd herab- gesetzt, so handelt es sich um einen lokalen Prozeß, ist er dauernd erhöht, so ist die Infektion überwunden oder eine künstliche Impfung vorangegangen. Da die Immunopsonine thermoresistenter sind als die normalen, so beweist ferner eine große Differenz zwischen den In- dices des erhitzten und nicht erhitzten Serums, daß es sich um normale, nicht durch Bakterienresorption veränderte Opsoninverhältnisse handelt, während im gegenteiligen Falle, wenn also die Wirksamkeit des Serums durch die Erhitzung nicht wesentlich beeinflußt wird, Infektion oder Immunisierung anzunehmen wäre. Es sei noch besonders hervorgehoben, daß die beschriebene Technik mit größter Genauigkeit eingehalten werden muß, da bereits geringe Abweichungen der Temperatur, der Brutdauer, die Verwendung unge- nügend gewaschener Blutkörperchen usw. die Resultate unzuverlässig machen können. Eine ganze Reihe von Forschern steht infolgedessen heute bereits auf dem Standpunkt, daß die Wrıs#tsche Methode sich weder in die Privatpraxis noch in die Klinik dauernden Eingang ver- schaffen dürfte, sondern daß die Bestimmung des opsonischen Index im besten Falle besonderen Speziallaboratorien mit eigens geschultem Personal vorbehalten bleiben müsse. Eine wesentliche Vereinfachung und Erleichterung der Methode dürfte übrigens der von verschiedenen Seiten gemachte Vorschlag be- deuten, nicht mehr den opsonischen Index zu ermitteln und also aus- zuzählen, wieviele Bakterien durchschnittlich von einem Phagozyten gefressen werden, sondern sich mit der Feststellung zu begnügen, wie viel Prozent der polymorphkernigen Leukozyten über- haupt bei der Aufnahme der Bakterien beteiligt waren. Diese Prozentzahl geht, wie durch besondere Untersuchungen festgestellt wurde, im allgemeinen mit dem opsonischen Index parallel, ihre Bestimmung ist jedoch weit geringeren Fehlerquellen unterworfen. 4285 XXIV. Die Anwendung der Immunitätsreaktionen zu diagnost. Zwecken. Literatur. on und Rorpke, Lehrb. d. spezif. Diagn. u. Ther. d. Tuberk. Würzburg 1908. Wourr-Eisner, Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 22. Cırros, Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 8. ErLAnDsEn, Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 38. H. PFEIFFER, Das Problem der Eiweißanaphylaxie. G. Fischer, 1910. Poress, Wien. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 6. v. PırquEr, Wien. med. Wochenschr., 1907, Nr. 28. DE Haan und HooakAMmER, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LV, 1906. STERN und KorrE, Berl. klin. Wochenschr., 1904. Hann, Deutsches Arch. f. klin. Med., 1905. UHLENBUTH, Beihefte zur Med. Klinik, 1907, H. 9. Ders., Das biologische Verfahren zur Erkennung und Unterscheidung von Menschen- und Tierblut usw. Gustav Fischer, Jena 1905. LANGER, „Deutscher Imker“ aus Böhmen, 1908. Arch. f. Hyg. 1909. FoRNET und SCHERESCHEWSKY, Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 41. Dies., Münch. med. Wochenschr., 1907, Nr. 30. Neisser und Sachs, Berl. klin. Wochenschr., 1905 und 1906. Geneotv, Ann. de l’Inst. Pasteur, 1902. Moresc#ı, Berl. klin. Wochenschr., 1905. RıckmAnn, Arbeiten aus dem König]. Institut f. experim. Ther. in Frankfurt, 1907. BAUER, ebenda. WASSERMANN, NEISSER, BRUCK und ScHucHT, Zeitschr. f. Hyg., Bd. LV, 1906. Cırron, Berlin. klin. Wochenschr., 1907. Mic#Aeuıs, Berlin. klin. Wochenschr., 1907. WASSERMANN, Jahrervers. d. Gesellsch. d. Nervenärzte, Heidelberg, Oktober 1908. PröscHER, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XXXI, 1902. Karka, Zentralbl. f. Bakt., Bd. XL, 1906. Moro, Münchn. med. Wochenschr., 1907, Nr. 21 und 31. Muc# und Horzmann, Münchn. med. Wochenschr., 1909, Nr. 20. Bine und Lissner, Münchn. med. Wochenschr., 1907, Nr. 51. XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme der Physiologie, Pathologie und allgemeinen Biologie. Begreiflicherweise haben die außerordentlichen Fortschritte, welche die Immunitätslehre in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte, reich- lich Veranlassung gegeben, die neugewonnenen Anschauungen und experimentellen Methoden auch auf eine Anzahl ferner abliegender physiologischer bezw. pathologischer Probleme anzuwenden und somit auch auf anderen Gebieten ihre Leistungsfähigkeit zu erproben. Zum Teil mit recht erfreulichem Erfolge. Es sei gestattet, einige der wichtigsten dieser Anwendungen, die von allgemein medizinischem Interesse sein dürften, hier in Kürze zu besprechen. Am naheliegendsten und daher auch am frühesten studiert waren die Beziehungen der Hämolysine zu gewissen pathologischen Prozessen, speziell zu der paroxysmalen Hämoglobinurie, jener merkwürdigen Er- krankung, bei der es unter dem Einflusse von Erkältungsschädlich- keiten zum Zerfalle roter Blutkörperchen und zur Ausscheidung von Hämoglobin im Harne kommt. Hatte man zur Erklärung dieser offenbar im Blute sich abspielen- den hämolytischen Vorgänge eine Zeitlang angenommen, dab es sich hierbei um besonders leicht zerstörbare rote Blutkörperchen handle, die unter dem direkten Einfluß der Abkühlung ihr Hämoglobin ab- geben sollten, so mußte diese Auffassung doch bald verlassen werden, als von den verschiedensten Seiten festgestellt wurde, daß die Ery- throzyten dieser Kranken in vitro gegen Abkühlung nicht empfindlicher sind, als die normaler Individuen. Konnte also die Ursache der Hämoglobinämie nicht in dem Verhalten der roten Blut- körperchen selbst gesehen werden, so lag die Vermutung außerordentlich nahe, daß bei derselben toxische Substanzen, eventuell Hämolysine eine Rolle spielen könnten und man hat sich denn auch vielfach bemüht, solche Substanzen im Blute der Kranken entweder zur Zeit des An- Talles selbst oder in dem anfallsfreien Intervalle nachzuweisen. Freilich ‘ ergaben diese Versuche zunächst außerordentlich schwankende und un- sichere Resultate, die erst zu einem sicheren Ergebnis führten, als sich DonaTtH und LANDSTEINER einer besonderen Versuchsanordnung be- dienten, welche die Verhältnisse. wie sie in vivo während des Anfalles bestehen, in sehr glücklicher Weise auf den Reagenzglasversuch zu über- tragen gestattet. Nimmt man nämlich das Blut eines solchen Patienten, das im anfallsfreien Intervall entnommen und durch Zusatz von Kaliumoxalat ungerinnbar gemacht wurde, und läßt es längere Zeit in der Kälte stehen, so zeigt sich an ihm keinerlei Veränderung, die Hämolyse Paroxysmale Hämoglo- binurie. 430 XXV. Anwendang der Immunitätslehren auf einige Probleme. bleibt also vollkommen aus. Dasselbe Ergebnis hat man zu verzeichnen, wenn das Blut bei 37°C aufbewahrt wird. Wird jedoch das Blut zuerst auf 5—10° abgekühlt, und erst dann in den auf 37°C eingestellten Brutofen gebracht, so tritt regelmäßig inten- sive Hämolyse ein. Daß bei diesem Vorgange dem Blutserum eine wichtige Rolle zukommt, war leicht zu zeigen: denn unterwarfen die genannten beiden Forscher gewaschene, vom Serum getrennte Blut- körperchen der gleichen Temperaturveränderung, so blieb der Eiffekt aus; ebenso auch, wenn die Blutkörperchen in inaktiviertem, auf 55°C erhitzten Serum zur Verwendung kamen. Ja, noch mehr; die mit in- aktivem Serum abgekühlten Blutkörperchen waren nunmehr durch Zusatz geringer Mengen normalen aktiven Serums und Erwärmen auf 37°C zur Auflösung zu bringen, verhielten sich also genau so wie Erythrozyten, die durch einen hämolytischen Ambozeptor sen- sibilisiert worden waren. In der Tat konnte denn auch durch eine Reihe weiterer Experimente sichergestellt werden, daß im Serum der Hämoglobinuriker ein Hämolysin komplexer Natur vorhanden ist, das sowohl auf die eigenen wie auf fremde Erythrozyten ein- zuwirken vermag, allerdings nur dann, wenn die erwähnten Tempe- raturbedingungen eingehalten werden. — Wie hat man sich nun aber die Wirkung dieser Temperatureinflüsse auf den hämolytischen Vorgang zurechtzulegen? Auch auf diese Frage konnten Doxaru und LanD- STEINER eine befriedigende Antwort geben, indem sie nämlich direkt zeigen konnten, daß der — wohl als Ambozeptor anzusprechende — Bestandteil des Patientenserums nur bei niedriger Tempe- ratur von den Erythrozyten gebunden wird, bei Bluttempe- ratur dagegen entweder gar nicht oder nur in unzureichender Menge, eine Tatsache, die mit der Zunahme der Dissoziation bei steigen- der Temperatur zusammenhängen dürfte. Auch für gewisse Agglutinin- verbindungen hat man ja nachweisen können, daß die Bindung der Antikörper durch die Zellelemente bei niedriger Temperatur vollständiger verläuft als bei Körpertemperatur, ja daß sogar die Asgglutination in speziellen Fällen bei 37° vollkommen ausbleibt, und erst bei der Ab- kühlung in Erscheinung tritt, also ganz ähnliche Verhältnisse darbietet, wie die Hämolyse der Blutkörperchen des Hämoglobinurikers. Daß es aber bei unserem hämolytischen System, das ja nach er- folgter Abkühlung wieder erwärmt werden muß, um die Komplement- wirkung hervortreten zu lassen — nicht wieder zu einer Abgabe des bereits von den Blutkörperchen gebundenen Ambozeptors kommt, läßt sich wohl im Anschluß an die mannigfaltigen an anderen Antikörpern gemachten Erfahrungen ungezwungen auf eine unvollständige Re- versibilität bezw. nachträgliche Verfestigung der einmal ein- getretenen Bindung zurückführen. Der Vorgang beim Auftreten des Anfalls wäre somit, nochmals kurz zusammengefaßt, der folgende: bei der Abkühlung des Blutes wird der im Serum des Patienten enthaltene Ambozeptor, der bei normaler Temperatur frei bleibt, von den Erythro- zyten aufgenommen und gebunden. Ist nun aber der Kälte- insult vorbeigegangen und hat die Bluttemperatur wieder 37° erreicht, so beginnt nun das Komplement auf die sensibi- lisierten Blutkörperchen, die den Ambozeptor auch weiterhin festhalten, einzuwirken, und damit sind die Bedingungen für ihre Auflösung gegeben. XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 431 Haben also diese eben dargelegten Hämolysinstudien zweifellos den Mechanismus des hämoglobinurischen Anfalls klargelegt, so ist doch andererseits eine außerordentlich wichtige Frage durch sie un- beantwortet geblieben, nämlich die Frage nach der Herkunft dieses Hämolysins.. Ob es als ein Produkt einer wirklichen Autoimmunisie- rung aufgefaßt werden darf oder ob es als ein mehr zufälliges Produkt eines krankhaften, in abnorme Bahnen gelenkten Stoffwechsels anzusehen ist, und ob etwa Beziehungen zu vorausgegangenen Infektionskrankheiten (Syphilis!) bestehen, das zu ermitteln wird Aufgabe weiterer Forschungen sein müssen. Im Anschluß an diese Betrachtungen mag übrigens noch erwähnt sein, daß Autohämolysine, also Hämolysine, die ihre Wirksamkeit gegen die Erythrozyten desselben Organismus richten, dem sie selbst entstammen, bisher in keinem anderen Falle, weder bei Gesunden noch bei Kranken, nachgewiesen werden konnten, und daß es auch experi- mentell, durch Einführung körpereigenen Blutes nicht gelang, solche künstlich hervorzurufen. Wohl aber haben Enrktıcn und MORGENROTH schon vor längerer Zeit beschrieben, daß z. B. bei einem Ziegenbock, dem große Mengen gelösten Ziegenblutes eingespritzt wurden, ein Isolysin auftrat, das zwar gegen die eigenen Erythrozyten des Tieres unwirksam war, jedoch die Blutkörperchen anderer Ziegen zur Auf- lösung brachte, ein schlagender Beweis für die Verschiedenheit des Blutes einzelner Individien derselben Spezies. Auch im menschlichen Serum hat man übrigens gelegentlich Isolysine beobachtet, ohne daß diesem Befunde jedoch eine besondere Bedeutung beizumessen wäre. Zwar nicht unmittelbar dem Gebiete der Immunitätslehre angehörig, aber duch aus ihrem ganzen Gedankenkreise hervorgegangen sind die neueren Studien über die hämolytischen Gifte der Darmparasiten und ihre Beziehung zu den enterogenen Anämien. Tırrquist hat nämlich den wichtigen Nachweis erbracht, daß zwar die frischen, lebenden Proglottiden von Bothriocephalus latus keine löslichen, hämolytischen Substanzen abgeben, daß sie aber bei der rasch nach ihrer Abstoßung eintretenden Autolyse und Mazeration ein hämolytisch wirkendes, koktostabiles Lipoid in Freiheit setzen, das die Blutkörperchen von Fischen, Vögeln und Säugern aufzulösen vermag und dem Blute von Mensch und Kaninchen gegenüber von besonders starker Wirksamkeit ist. Eine nähere Analyse dieses Lipoids führte dann TırLauıst in Gemeinschaft mit Faust zu dem interessanten Er- gebnis, daß der wirksame Bestandteil desselben in der Ölsäure zu sehen sei. Was nun dieser Entdeckung ihre besondere, klinische Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, daß es gelingt, durch Verfütterung des Bothriocephaluslipoids Anämien zu erzeugen, ein Effekt, der auch durch Verabreichung von Ölsäure bezw. von ölsaurem Natrium zu erzielen ist. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß auch unter natürlichen Verhältnissen, bei den Bothriocephalusträgern, eine Resorption dieses Lipoids stattfindet, daß dasselbe in die Lymphe des Ductus thoracieus übergeht, wie bei den Fütterungsversuchen, und dann im Blute seine zerstörenden Wirkungen entfaltet. Auch bei einigen anderen anämie- erzeugenden Wurmkrankheiten hat man übrigens ähnliche Verhältnisse aufgedeckt. So hat man bei Anchylostomum duodenale ein alkohol- und ätherlösliches, koktostabiles Hämolysin gefunden, und ebenso hat man im Kochsalzauszug des beim Pferde vorkommenden Palissaden- wurmes (Strongylus armatus) eine blutlösende Substanz nachweisen können, Auto- hämolysine. Isolysine. Enterogene Anämien. Biologische Verwandt- schafts- reaktion. Blutver- wandt- schaften im Tierreich. 452 _XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. während Extrakte aus einer Reihe von anderen Darmparasiten des Pferdes, wie Oxyuren, Ascariden, Taenien, sich als unwirksam erwiesen. Ob auch bei anderen Formen von Anämie Lipoide eine Rolle spielen, kann heute wohl noch nicht als sichergestellt gelten. Interessant ist in dieser Beziehung die Vermutung von TArLauist, nach der die perniziöse Anämie durch eine chronische Entzündung des Verdauungs- kanals bedingt sein könnte, die mit Absonderung und darauffolgender Resorption von hämolytisch wirkenden Substanzen verbunden wäre. Auch hat man daran gedacht, daß die bei manchen Anämieformen beobachtete starke Ausscheidung von Üholesterin durch die Faezes mit der Erkrankung in ätiologischem Zusammenhang stehen könnte, indem die hierdurch eintretende Verarmung des ganzen Organis- mus, besonders aber des Blutes an Cholesterin bewirken könnte, daß die schon normalerweise aus dem Darm aufgenommenen hämolytischen Lipoide nicht in genügender Weise unschädlich gemacht werden. Eine gewisse Stütze würde diese Hypothese jedenfalls in der Beobachtung von MORGENROTH und REICHER finden, daß man im Stande ist, künst- lich erzeugte Anämien, wie die Kobralezithidanämie, durch Cholesterin- zufuhr günstig zu beeinflussen und zu heilen, ja daß auch bei anämischen Menschen durch Darreichung von Cholesterin eine Anreicherung des Blutes an dieser Substanz und eine Besserung der Krankheitserscheinungen er- zielt werden kann. Auch die Präzipitine haben zu hochinteressanten Studien Ver- anlassung gegeben, die, ganz abgesehen von ihrer forensischen Bedeu- tung, auch vom allgemein naturwissenschaftlichen Standpunkt größte Beachtung verdienen, indem sie neues Beweismaterial für die Richtig- keit der Deszendenzlehren zutage gefördert haben. Bereits in dem Kapitel über die Spezifität der Immunreaktionen haben wir darauf hingewiesen, daß die Verwandtschaft der verschiedenen Tierspezies nicht minder wie die der Bakterienarten sich zweifellos in gewissen Analogien der chemischen Zusammensetzung ausdrücken wird, und dab daher die verschiedenen Spezies neben bestimmten, nur ihnen allein zukommenden Antigenen auch andere ent- halten werden, die mehreren Arten gemeinsam sind. Aus diesem Grunde ist ja eben die Spezifität der Serumreaktionen keine absolute, sondern zeigt eine gewisse Wirkungsbreite, wenn auch in quan- titativer Hinsicht fast immer die spezifischen Antigene die nichtspezifischen überwiegen, und somit die homologe Reaktion viel intensiver ausgeprägt zu sein pflegt als die heterologen Reaktionen mit den Antigenen ver- wandter Spezies. Es war nun gewiß ein sehr glücklicher Gedanke, ge- rade diese Tatsachen zum Ausgangspunkt systematischer Untersuchungen zu machen und an der Hand der biologischen Reaktionen die verwandt- schaftlichen Beziehungen unter den Tieren genauer zu studieren. Be- sonders UHLENHUTH und NurraL haben sich dieser zum Teil recht mühevollen Aufgabe unterzogen, und speziell der letztgenannte Forscher hat seine Studien auf 900 verschiedene Blutarten — vom Menschen bis zu den Arthropoden hinab — ausgedehnt und auf Grund von 16000 Präzipitinreaktionen ein umfängliches Tatsachenmaterial zur Beantwortung der Frage nach den Blutverwandtschaften im Tierreich gesammelt. Das Ergebnis dieser Experimente war nun in der Tat ein auber- ordentlich lehrreiches. Wie zu erwarten war, äußerte sich die nähere bezw. entferntere Verwandtschaft unter den Tieren durch die Intensität der Präzipitinreaktion, für die NuTTAL XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 433 einen quantitativen Maßstab in der Menge des entstandenen Nieder- schlages gewonnen hatte. So konnte, um nur einige von UHLENHUTH aufgeführte Beispiele hier wiederzugeben, „die Blutsverwandtschaft zwischen Pferd und Esel, zwischen Schwein und Wildschwein, Hund und Fuchs, zwischen Hammel, Ziege und Rind durch die biologische Reaktion zum sichtbaren Aus- druck gebracht werden“. Am interessantesten waren jedoch die Ver- suche über die Verwandtschaft zwischen Menschen und Affen. Das Serum eines mit Menschenblut vorbehandelten Kaninchens gab mit 34 verschiedenen Blutproben vom Menschen stets einen starken Nieder- schlag; fast ebenso intensiv war jedoch die Reaktion bei 8 Blutproben von anthropoiden Affen (Orang, Gorilla, Schim- panse) während von 36 Blutsorten, die von Meerkatzen und Hunds- affen stammten, nur 4 eine volle Reaktion erkennen ließen, und bei den Affen der neuen Welt (Cebiden, Hapaliden und Lemuren) über- haupt kein Niederschlag mehr auftritt, sondern höchstens, nach längerem Stehen, eine leichte Trübung zu verzeichnen war. Auch die biologische Reaktion läßt somit aufs deutlichste erkennen, daß tatsächlich innige verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Affen und Menschen vor- handen sind, daß besonders die anthropoiden Affen, wie sie sich in ihrem anatomischen Bau und in ihrem Intelligenzgrad am meisten dem Menschen annähern, ihm auch in der Zusammensetzung ihres Blutes am nächsten stehen, und daß endlich im allgemeinen die Affen der alten Welt dem Menschen näher verwandt sind als die der neuen Welt. „Dieser biologische Beweis für die Blutsverwandtschaft zwischen Menschen- und Affengeschlecht“ — so meint UHLEN- HUTH — „ist also allen übrigen, die aus der Paläontologie, vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte sich ergeben, würdig an die Seite zu stellen.“ Begreiflicherweise ist nun aber diese Einschränkung der Spezifität, wie sie in den biologischen Verwandtschaftsreaktionen zum Ausdruck kommt, bei allen serodiagnostischen Bestrebungen außerordentlich störend, da ja z. B. in der forensischen Medizin oft die Notwendigkeit vorliegt, mit aller Schärfe festzustellen, ob es sich bei einer zu untersuchenden Blutprobe um Pferde- oder Eselblut, um Hammel- oder Ziegenblut usw. handelt. Auf geringfügige quantitative Differenzen in dem Ausfall der Präzipitinreaktionen wird man aber da, wo, wie es in der Praxis fast stets der Fall ist, angetrocknete Blutspuren vorliegen, die eine exakte Dosierung unmöglich machen, keine sichere Unterscheidung der ver- wandten Blutarten basieren können. So hat denn UHLENHUTH auf anderem Wege versucht, eine Differenzierung in solchen Fällen zu ermög- lichen, und zwar durch eine wechselweise Immunisierung der be- treffenden Tiere mit dem Serum der verwandten Tierspezies. Als es sich nämlich in einem speziellen Falle darum handelte, zu entscheiden, ob die vorliegende Blutspur vom Hasen oder vom Kaninchen stamme, stellte sich UHLENHUTH durch Behandlung von Kaninchen mit Hasen- blut ein Immunserum her, das natürlich Kaninchenblut voll- kommen unverändert ließ, mit Hasenblut dagegen sehr aus- gesprochene Präzipitinreaktion gab, während die von anderen Tierspezies gewonnenen Immunsera beide Blutarten in ungefähr gleichem Grade beeinflußten. Ebenso konnten von mehreren Affenarten der alten Welt Immunsera gegen Menschenserum erhalten werden, die nur mit letzterem, nicht aber mit Affenserum reagierten. Der UHLEN- Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 28 Wechsel- weise Immu- nisierung bluts- verwandter Arten. Heufieber. Pollen als Krankheits- erreger. 434 XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. HurHusche Kunstgriff gestattet somit auch in derartigen schwierigen Fällen eine sichere Unterscheidung zwischen den Antigenen nahestehender Tier- spezies, und es ist gewiß biologisch von ganz außerordentlichem Interesse, zu sehen, daß trotz der hochgradigen Blutsverwandtschaft doch anderer- seits wieder genügende Unterschiede in der Zusammensetzung der Serum- eiweißkörper bestehen, um eine erfolgreiche „wechselweise Immunisierung“ zu ermöglichen und Präzipitinbildung auszulösen. Freilich kann unter Umständen die Verwandtschaft zweier Tier- arten eine so große sein, daß auch die Präzipitinbildung gänzlich aus- bleibt, also das feinste bisher bekannte Reagens auf Unterschiede in der Blutzusammensetzung versagt. So gelang es nicht, Pferde durch Einspritzung selbst enormer Dosen von Eselserum zur Präzipitinbildung anzuregen, und in gleicher Weise mißlangen die Versuche bei Behand- lung von Hammeln mit Ziegenblut und umgekehrt. ÜUHLENHUTH ist der Anschauung, daß diesen Tatsachen vielleicht insofern eine biologische Bedeutung zuzumessen sei, als Kreuzungen nur zwischen Tier- spezies möglich seien, deren Blut auch bei der wechselweisen Immunisierung keine Differenzen mehr aufweist, wie dies ohne Zweifel für Pferd und Esel, vielleicht auch für Hammel und Ziege zu- trifft. Jedenfalls dürfte aber da, wo biologisch eine Verschie- denheit des Bluteiweißes nachzuweisen ist, eine Kreuzung von vornherein ausgeschlossen sein. Daß man übrigens auch versucht hat, das Blut verschiedener Menschenrassen, ja selbst einzelner Individuen derselben Rasse voneinander durch die biologische Reaktion zu differenzieren und dab man dabei auf Unterschiede in der biochemischen Struktur des Blutes gestoßen ist, die sich nach der Mrnxpeuschen Regel zu vererben scheinen und die eine forensische Verwertung etwa zur Beurteilung der Zuge- hörigkeit eines Kindes zu einer bestimmten Familie oder zur Ermittlung des Vaters eines Kindes unter mehreren Männern nahe legen, soll hier nur anhangsweise erwähnt werden. Eine sehr interessante Anwendung haben die Lehren von der Anaphylaxie, die ja in der Immunitätsforschung der letzten Jahre eine so wichtige Rolle spielen, auf einem scheinbar ganz abliegenden Gebiete gefunden, und zwar bei einem Krankheitsprozeß, der unter dem Namen des Heufiebers oder Heuschnupfens bekannt ist. Schon seit langem waren sich hier zwei Theorien gegenübergestanden, welche versuchten, diesen so eigentümlichen, an gewisse Jahreszeiten geknüpften Symptomen- komplex zu erklären: die eine, die Bakterien für die Krankheitserschei- nungen verantwortlich machen wollte, ohne allerdings den Nachweis derselben in einwandfreier, den Kocuschen Postulaten Genüge leistender Weise führen zu können; und eine zweite Theorie, die die Pollen ge- wisser Blüten, besonders der Gräser- und Getreidearten als Heufieber- erreger beschuldigte.. Es gelang nun in der Tat DunxsAr, durch eine Reihe systematischer Untersuchungen die Richtigkeit dieser „Pollen- theorie“ endgültig zu beweisen und mit dem unter besonderen Kautelen gewonnenen Pollenstaub von Grashalmen bezw. Getreideähren bei Heu- fieberpatienten einen typischen schweren Krankheitsanfall auszulösen, während derselbe auf der Konjunktiva oder der Nasenschleimhaut von normalen Individuen, abgesehen von dem geringen Fremdkörperreiz, keine Krankheitserscheinungen hervorzurufen vermochte. Neben dem Pollen der Gramineen zeigten sich — bei den europäischen Heufieber- patienten — noch mehr oder minder wirksam: die Pollen einiger Lilia- XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 435 ceen, von Maiglöckchen, Knöterich, Rübsaat, sowie einigen Kompositen ; Rosen, Linden und Flieder waren dagegen unwirksam. Daß zur Zeit der gehäuften Heufieberanfälle tatsächlich genügende Pollenmengen in der Luft schwebend vorhanden sind, um als Krankheitserreger ange- sprochen werden zu können, ist durch systematische, über längere Zeit fortgesetzte Zählungen der Pollenkörner, die sich auf mit Klebstoff bestrichenen Objektträgern aus der Luft ablagern, sichergestellt worden. Es stellte sich (in Hamburg z. B.) heraus, „daß die Zahl der Gramineen- pollen Ende Mai — also zur Zeit der Heufieberprodrome — rasch zu steigen beginnt, und im Laufe des Juni eine beträchtliche Höhe erreicht, um in der ersten Hälfte des Juli allmählich wieder abzufallen.... Erst Ende August verschwinden sie ganz von der Bildfläche* (PrAUSNITZ). LiEFMANN konnte ferner zeigen, daß in der Nähe eines Kornfeldes in 12 Minuten etwa 500 Pollen eingeatmet wurden, also mit jedem Atem- zug zwei oder drei Pollen. — Nachdem so die Erreger des Heufiebers mit Sicherheit festgestellt waren, suchte DuxßAr im Verein mit seinen Schülern einen Schritt weiter vorzudringen und die Art ihrer Wirkung genauer zu präzisieren. Da rein mechanische Reizwirkungen, die etwa von der rauhen stacheligen Oberfläche mancher Pollenarten hätten her- rühren können, mit Rücksicht auf die Tatsache, daß gerade die glatten Arten sich am wirksamsten erwiesen, von vornherein ausgeschlossen werden mußten, so blieb nur die Annahme übrig, daß es sich bei dem Heufieber um die Aktion besonderer Gifte handeln müsse, und diese waren nun aus den Pollen — allerdings erst nach sehr mühsamen chemischen Voruntersuchungen — tatsächlich zu isolieren. Weder den lipoiden, wachsartigen bezw. ölartigen Bestandteilen der Pollenkörner, noch den in ihnen enthaltenen Stärkekörnern, noch endlich den proteo- lytischen, oxydierenden und sacharifizierenden Fermenten konnte die spezifische pathogene Wirkung zugeschrieben werden. Dagegen war durch geeignete Form der Extraktion aus den Pollen eine opalisierende eiweißhaltige Flüssigkeit zu gewinnen, aus der man durch Alkohol- fällung oder durch Aussalzen ein Albumin niederschlagen konnte, das sich als alleiniger Träger der Giftwirkungen herausstellte, während die anderen Eiweißfraktionen sich vollkommen indifferent erwiesen. Das Gift ist relativ widerstandsfähig, hält sich im Dunkeln viele Monate lang unverändert und verträgt selbst in Lösung eine einstündige Er- hitzung auf 70°, ohne meßbare Abschwächung zu erleiden. Seine Wirk- samkeit ist eine ganz außererdentlich hohe: !/,ooo Mg, ja, bei empfind- lichen Heufieberpatienten sogar !/y50,u mg und noch geringere Dosen des Pollenproteins waren bereits imstande, auf der Konjunktiva binnen weniger Minuten „Jucken, Brennen und eine vom Limbus corneae aus- strahlende Injektion nebst starker Tränenabsonderung hervorzurufen*, Mengen, die etwa einer Anzahl von 50 bezw. 20 Roggenpollenkörnern entsprechen würden. Bemerkt sei noch, daß das Gift nicht etwa nur vom Respirationstrakt aus imstande ist, Krankheitserscheinungen hervor- zurufen, daß sich vielmehr auch bei Applikation am Anus, beim Ein- reiben in die Haut und ganz besonders bei subkutaner Injektion mehr oder minder heftige lokale Symptome (z. B. urtikariaartige Quaddel- bildung und Ödem) sowie Allgemeinerscheinungen (Husten, krampf- haftes Niesen, asthmatische Beschwerden, Pruritus, universelles urtikaria- artiges Exanthem, Herzklopfen, Schwäche und Mattigkeit) einstellen können, so daß also das typische Bild des schweren Heufieberanfalls auch von dem im Kreislauf zirkulierenden Gifte ausgelöst werden kann, 28* Pollantin. Graminol. 436 XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. und nicht nur durch lokale Einwirkung desselben zustande kommt. Daß dieser ganze Symptomenkomplex eine überraschende und auffallende Ähnlichkeit mit den Erscheinungen der anaphylaktischen Reaktion dar- bietet, wie wir sie in einem früheren Kapitel kennen gelernt haben, ist nicht zu leugnen, denn auch hier stehen ja zweifellos angioneurotische Störungen im Vordergrunde des Krankheitsbildes.. Woher es freilich kommt, daß nur gewisse Menschen diese Pollenüberempfindlichkeit auf- weisen, und auf welchen Mechanismus dieselbe zurückzuführen ist, darüber sind heute kaum Vermutungen möglich. Bemerkenswert wegen ihrer Analogie mit den neueren Theorien der anaphylaktischen Gift- wirkungen ist jedoch die Anschauung von WOLFF-EiIsxEr, nach der die Heufieberkranken in ihrem Serum „albuminolytische* Antikörper ent- halten sollen, die unter der Mitwirkung von Komplement aus dem an und für sich unwirksamen Polleneiweiß erst das eigentliche Heufiebergift freimachen, ein Vorgang, der, wie man sieht, vollkommen der Entstehung des Anaphylatoxins entsprechen würde. Wie dem auch sei, jedenfalls scheint festzustehen, daß den Inhalts- stoffen der Gramineenpollen Antigencharakter zugeschrieben werden muß, und daß es daher möglich ist, mit ihnen ein Immunserum herzu- stellen, das von DuxBAR unter dem Namen Pollantin zu therapeutischen und prophylaktischen Zwecken empfohlen wurde. Wie es scheint, hat sich dieses Heilserum wenigstens in einem nicht unbeträchtlichen Pro- zentsatz der Fälle gut bewährt, indem es die Kranken entweder dauernd vor dem Auftreten jeder Heufiebererscheinung zu schützen vermochte oder doch wenigstens jeden ausgebrochenen Anfall prompt zu kupieren imstande war. Nach der Anschauung von DuxBar und seinen Schülern handelt es sich hierbei um die Wirkung eines echten Antitoxins, während aller- dings WEICHARDT und WOLFF-EisxER dem Immunserum zytolytische und albuminolytische Wirkungen zuschreiben, und seine Schutzwirkung auf — im übrigen völlig hypothetische — „reaktionshemmende“ Stoffe kolloidaler Natur beziehen. — Auf diese lytischen Vorgänge, durch welche unter Mitwirkung von passenden Komplementen aus dem ungiftigen Pollen- eiweiß Heufiebergift abgespalten werden soll, ist nach den letztgenannten beiden Forschern auch die Tatsache zurückzuführen, daß das Pollantin in manchen Fällen von Heufieber vollkommen versagt, ja sogar eine Verschlimmerung der Krankheitssymptome hervorzurufen vermag. Aus diesem Grunde hat WEICHARDT ein anderes Serumpräparat, das Grami- nol empfohlen, das durch ein Einengungs- und Konzentrationsverfahren aus nativem Tierserum hergestellt wird und Immunkörper enthalten soll, „die sich angeblich schon im normalen Blutserum vorfinden, aber zur Zeit der Gramineenblüte in besonderer Menge produziert werden.“ Wie dem auch sei, jedenfalls gelang es erst auf Grund der bei den Immunitätsstudien gewonnenen Erfahrungen und theoretischen Er- kenntnisse, das so lange Zeit vollkommen dunkle Problem der Heufieber- ätiologie wesentlich zu klären und die Basis für eine spezifische, kausale Therapie zu gewinnen. Neben der Überempfindlichkeit gegen Polleneiweiß gibt es übrigens noch eine ganze Reihe anderer Idiosynkrasien, die, wie diese, an- geboren sind und z. T. auch zu ganz ähnlichen Krankheitserscheinungen Veranlassung geben, wenn die pathogene Substanz — Kuhmilch, Hühner- XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 437 eiweiß, Fleisch von Hummern, Krebsen, Fischen, Austern u. dergl. — in den Verdauungstrakt gelangt. Auch in diesem Falle kommt es meist zu urticariaähnlichen, mit intensivem Juckreiz verbundenen Hautaffek- tionen, zu asthmatischen Erscheinungen, eventuell zu Leibschmerzen, Diarrhöen, ja selbst zu kollapsähnlichen Schwächezuständen, die jedoch in der Regel rasch vorübergeben, um wieder vollkommenem Wohl- befinden Platz zu machen. Daß beim Bestehen einer solchen Idio- synkrasie die zu therapeutischen Zwecken vorgenommene Einspritzung artfremden Serums — etwa von Diphtherieheilserum — von fast momen- tan einsetzenden, überaus bedrohlichen Krankheitserscheinungen gefolgt sein kann, ist wohl einleuchtend; es sind jedoch diese recht seltenen Vorkommnisse nicht mit den bereits früher beschriebenen Fällen von „primärer“* d. h. nach einmaliger Seruminjektion auftretender Serum- krankheit zu verwechseln, die sich nicht nur durch die weit längere Inkubationsdauer, sondern auch durch den unvergleichlich milderen Ver- lauf von jenen foudroyanten Reaktionen der Idiosynkrasiker unter- scheidet. Ob man auch die schon seit langem bekannten Idiosynkrasien gegen Medikamente (Chinin, Salizylsäure, Quecksilber, Jodoform) mit den eben besprochenen Formen der Überempfindlichkeit in eine Reihe stellen darf, ist einstweilen noch sehr zweifelhaft. Immerhin ist der jüngst unternommene Versuch von Bruck, die Jodoformidiosynkrasie als eine Anaphylaxie gegen jodiertes Eiweiß zu deuten, das im Organis- mus durch die Einwirkung des eingeführten Jodoforms entstehen und zur Produktion eines „‚Reaktionskörpers‘‘ Veranlassung geben soll, aller Beachtung wert, da er einen neuen und vielleicht fruchtbaren Weg zeigt, wie auch die Überempfindlichkeit gegen gewisse chemisch wohl- definierte Substanzen in letzter Linie auf eine typische Eiweißanaphy- laxie zurückgeführt werden könnte. Auch die Krebsforschung hat in jüngster Zeit außerordentlich Virulenzstei- fruchtbare Anregungen von der Immunitätslehre empfangen, die zum Kerenemen. Teil bereits zu sehr überraschenden experimentellen Ergebnissen geführt haben. Wenn wir auch begreiflicherweise hier nicht näher auf dieselben eingehen können, so mag doch erwähnt sein, daß es unter anderem EHrricH und seinen Mitarbeitern gelungen ist, bei überimpfbaren Mäuse- karzinomen eine ganz bedeutende Steigerung der Proliferationsenergie zu erzielen. Die genannten Forscher verfuhren dabei „genau wie der Bakteriologe, der durch Tierpassagen eine Virulenzsteige- rung der Bakterien zu erzielen sucht“, indem sie das von den Anfangsimpfungen herstammende Tumormaterial in toto zu Weiter- impfungen benutzten, und dann von den verschiedenen Serien geimpfter Tiere immer diejenigen Tumoren auswählten, die sich bei einzelnen Mäusen am schnellsten entwickelten. ,‚So gelang es, zu Tumoren von einer Wachstumsenergie zu gelangen, wie sie bisher wohl weder in der Praxis noch im Experiment beobachtet worden sind. Diese erhöhte Wachstumenergie zeigte sich erstens in einer großen, fast 100°), erreichenden Impfausbeute — von 20-—-30 mit der primären Geschwulst geimpften Mäusen gingen gewöhnlich nur ganz vereinzelte Exemplare, 1—3, selten 6—7, an — zweitens aber in dem außer- ordentlich rapiden Wachstum.“ Schon nach 8 Tagen konnten in einzelnen Fällen Tumoren von Mandelgröße beobachtet werden. Es ist einleuchtend, daß erst durch diese Virulenzsteigerung der Tumoren ein sicheres experimentelles Arbeiten mit ihnen möglich ge- 438 XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. Krebsimmu- macht worden ist. In der Tat gelang es denn auch auf diesem Wege W698 zum ersten Male, der Lösung eines wichtigen Problems näher zu treten, das bereits unzählige Forscher vergeblich beschäftigt hatte: des Problems der Krebsimmunisierung. Impfte nämlich EurLicr solche Mäuse, welche die Inokulation des avirulenten, primären Tumormaterials überstanden hatten, ohne daß es zur Entwicklung gekommen wäre, nach einiger Zeit mit den hochvirulenten, bei normalen Mäusen fast in 100°/, der Fälle angehenden Karzinomen, so zeigten sich diese Tiere in der überwiegenden Mehrzahl (66—94°/,) als immun, ein Zustand, der rasch, schon 7—14 Tage nach der ersten Impfung ein- trat, und wochen- und monatelang anhielt. Daß seine Wirksamkeit sich übrigens auf eine Reihe verschiedener Geschwülste gleichmäßig erstreckte (so neben Karzinom auch auf Sarkom und partiell wohl auch auf COhondrom), ist eine Tatsache, die gewiß theoretisch von größtem Interesse ist, und später einmal vielleicht auch praktisch von Bedeutung werden kann. Atreptische Ob es sich hierbei um eine durch Antikörper bedingte echte Immunität. Sorumimmunität handelt, muß wohl einstweilen noch als mindestens sehr zweifelhaft bezeichnet werden. Dagegen ist EnrLicH bei seinen fort- gesetzten höchst originellen Karzinomstudien auf ein vortreffliches Bei- spiel einer atreptischen Immunität gestoßen, das wir hier noch in Kürze besprechen wollen, da es zweifellos auch für das Verständnis mancher Formen von antibakterieller Immunität von Bedeutung sein kann. Bisher waren Karzinome mit dauerndem Erfolg stets nur auf Tiere der gleichen Spezies übertragbar gewesen und die Grenzen der Übertragbarkeit deckten sich vollkommen mit denen der Bastard- bildung. Da sich nun EsarrıcH aber, wie wir wissen, im Besitz von Mäusekarzinomen von enormer Virulenz befand, so konnte er sich die Frage vorlegen, wie sich denn diese Tumoren bei Übertragung auf das der Maus phylogenetisch am nächsten stehende Tier, auf die Ratte, ver- halten. Das Resultat der Überimpfungsversuche war nun ein ganz un- erwartetes und überraschendes, indem nämlich die Tumoren in den ersten 8—10 Tagen im Körper der Ratte kaum ein geringeres Wachs- tum zeigten als im Mäuseorganismus, und erst später zu wachsen auf- hörten, um allmählich vollkommen resorbiert zu werden. Wurde nun von dem auf der Höhe der Entwicklung stehenden Rattentumor auf eine neue Ratte überimpft, so wurde stets ein negatives Ergebnis erhalten: dagegen gingen die Rückimpfungen von der Ratte auf die Maus stets ohne weiteres an, ja es konnte die Zick- zackimpfung Maus-Ratte—Maus-Ratte beliebig oft wieder- holt werden, ohne daß im mindesten eine Abnahme der Viru- lenz und Wachstumsenergie des Tumors zu bemerken gewesen wäre. Die Erklärung, die EHRLICH für diese merkwürdige Beobachtung gibt, ist nun eine sehr einfache und einleuchtende. Nach seiner An- nahme brauchen nämlich die Zellen des Mäusekarzinoms, die ja als „Mäusezellen‘ zu betrachten sind, zu ihrem Wachstum nicht nur die gewöhnlichen Nährstoffe, die ihnen auch im Rattenkörper in reichlichem Maße zur Verfügung stehen, sondern daneben noch einen ganz be- stimmten Stoff, der eben nur im Mäuseorganismus vorhanden ist. „Sie können sich daher nur so lange in der Ratte vermehren, als von dem spezifischen mit der Impfung mit übertragenen Wuchsstoff noch etwas vorhanden ist. Ist derselbe verbraucht, so kann das Wachstum nur durch Zuführung neuen Stoffes, d. h. durch XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 439 Rückimpfung auf die Maus, wieder angeregt werden.“ Wie also die Immunität der Ratte gegen das Mäusekarzinom zweifellos auf das Fehlen eines bestimmten Nahrungsstoffes in ihrem Organismus zurück- zuführen ist, so dürfte das atreptische Moment auch bei der natür- lichen Resistenz gewisser Mäuserassen eine wichtige Rolle spielen; denn es wurde wiederholt beobachtet, daß selbst sehr virulente Mäuse- tumoren bei Übertragung auf fremde Mäuserassen entweder vollkommen versagten oder doch nur sehr geringe Impf- ausbeute gaben, die erst durch allmähliche Adaption an den fremden Nährboden verbessert werden konnte. Wie EHrLıch annimmt, handelt es sich dabei um eine Steigerung der Zellaviditäten zu den betreffenden Nährstoffen, die überhaupt eines der wich- tigsten Charakteristika der Tumorzelle ausmache. Daß die erworbene Geschwulstimmunität, von der wir früher sprachen, übrigens mit einer ausgesprochenen Überempfindlichkeit gegen das Tumorgewebe verbunden sein kann, ja mit ihr viel- leicht sogar in ätiologischem Zusammenhang steht, haben die schönen Experimente von v. DunGErRNn und Coca ergeben. Diese Forscher konnten nämlich ein von einem Feldhasen stammendes Sarkom in mehreren Generationen auf das Kaninchenohr übertragen, wobei sich zeigte, dab eine zweite Inokulation bei jenen Tieren, bei welchen das Sarkom gehaftet hatte und zur Entwicklung gelangt war, regelmäßig fehlschlug, daß die Tiere also mit anderen Worten immun geworden waren. Trotzdem war aber die lokale Reaktion, die sich nach der Implantation des Tumorgewebes einstellte, bei den zum zweitenmal ge- impften Kaninchen ganz erheblich gesteigert und bestand in einer hoch- gradigen Anschwellung der Ohrwurzel, die erst am dritten Tage wieder zurückging, während die nur einmal injizierten Tiere lediglich eine ge- ringe zirkumskripte Verdickung an der Impfstelle aufwiesen. v. DUNGERN und Ooca sind der Anschauung, daß die reinjizierten Tiere ihre Im- munität gegen das Tumorgewebe gerade dieser gesteigerten Reaktions- fähigkeit, also ihrer Überempfindlichkeit, zu verdanken haben. - Bei dieser Gelegenheit mag noch der interessanten neueren Unter- suchungen von PFEIFFER und FINSTERER gedacht sein, welche glauben, im Serum von Karzinomkranken in der Tat einen anaphy- laktischen Reaktionskörper nachgewiesen zu haben, indem sie Meerschweinchen mit den betreffenden Seren sensibilisierten und dann, bei der 18 Stunden später erfolgenden Reinjektion mit Tumor- preßsäften, typischen Temperaturabfall und schwere anaphylaktische Allgemeinerscheinungen beobachten konnten. Bei 23 mit Karzinom- serum vorbehandelten Tieren fand sich so nach der Einspritzung von Karzinompreßsaft eine durchschnittliche Temperaturabnahme von 4,3°C, während diejenigen Versuchstiere, die mit Normalserum, mit dem Serum von Sarkomkranken oder von Trägern benigner Tumoren behandelt worden waren, nur mit einem Temperaturabfall von etwa 0,6° reagierten. Ob sich diese interessanten und wichtigen Befunde bestätigen werden und die Grundlage für eine neue serodiagnostische Methode des Karzi- noms abgeben werden, muß der Zukunft überlassen bleiben. Im Verein mit der von v. DungErn festgestellten Tatsache, daß Karzinomatöse auf die Einspritzung ihres eigenen auf 56° erhitzten Tumorgewebes, mit Ödem und entzündlichen Erscheinungen reagieren, die bei Gesunden fehlen, würden die Beobachtungen von PFEIFFER jedenfalls beweisen, daß das Karzinomeiweiß seiner biologischen Struktur nach Über- empfindlich- keit gegen Tumor- gewebe. Wei- chardts Ermüdungs- toxine, Kenotoxin. 440 XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. von dem des Wirtsorganismus weit genug abweicht, um bei seiner Resorption immunisatorische Veränderungen in ihm hervorzurufen. Endlich soll noch eine Anwendung der Immunitätslehren hier be- sprochen werden, die im Gegensatz zu den bisher aufgeführten, auf rein physiologischem Grebiete gelegen ist und, wenn auch vieles an ihr noch als höchst zweifelhaft bezeichnet werden muß, doch zum mindesten Interesse und Beachtung verdient. Wir meinen die WEICHARDTschen Theorien über die „Ermüdungstoxine“. Daß die Ermüdung ganz unverkennbare Analogien mit Vergiftungs- erscheinungen darbietet, ist eine Tatsache, die den Physiologen seit langem aufgefallen war und zu der Anschauung geführt hatte, daß ge- wisse Stoffwechselprodukte, vor allem die Milchsäure, die sich im ar- beitenden Muskel bildet, diese Erscheinungen hervorrufen. WEICHARDT ist nun auf Grund seiner Experimente zu der Überzeugung gelangt, daß die Ermüdungsstoffe nicht unter den chemisch wohl definierten Eiweißabbauprodukten zu suchen seien, sondern toxinartige Stoffe dar- stellen, denen vor allem auch die fundamentale Eigenschaft aller echten Toxine zukomme, nämlich die Fähigkeit, Antitoxinbildung im Organismus auszulösen. Diese „Ermüdungstoxine“ finden sich vor- nehmlich in den Muskeln von Tieren, welche durch eine besondere von WEICHARDT ausgearbeitete Versuchsmethodik bis zur Erschöpfung überanstrengt wurden, sind außerordentlich thermolabil, indem sie bereits nach zweistündigem Erwärmen auf 56°C unwirksam werden, und zeigen, insofern sie nicht dialysabel sind, die Eigenschaften hochmolekularer Verbindungen, deren Eiweißnatur jedoch nicht erwiesen werden konnte. Im Blut und Blutserum finden sich diese „Ermüdungstoxine“ merk- würdigerweise nicht, dagegen im Urin übermüdeter sowie mit Arsen, Phosphor oder Zyankalium vergifteter Tiere und in der Exspirationsluft. Spritzt man das Toxin Versuchstieren in kleinen Dosen unter die Haut, in die Bauchhöhle oder in eine Vene ein, so tritt Ermüdung bis Schlaf- trunkenheit ein, die Tiere, die sich sonst auf das energischste wehren, wenn man versucht, sie auf den Rücken zu legen, bleiben in dieser Stellung längere Zeit unbeweglich liegen. Größere Dosen rufen an- dauernden Temperaturabfall und schließlich den Tod hervor, erzeugen also einen Symptomenkomplex, wie er auch durch direkte Übermüdung der Tiere hervorgerufen werden kann. Bemerkenswert ist noch, daß das Gift auch sehr leicht von den Schleimhäuten aus resorbiert wird und daß man z. B. Mäuse schon durch einfaches Aufstreichen der Gift- lösung auf die Konjunktiven vergiften kann. Die große Labilität seiner Toxinpräparate, insbesondere ihre außer- ordentliche Empfindlichkeit gegenüber Spuren von Sauerstoff brachte WEICHARDT auf den Gedanken, es könnte die Entstehung des Toxins vielleicht mit Reduktionsvorgängen im Organismus zusammenhängen, und so versuchte er denn zuerst durch Einwirkung von Reduktions- mitteln auf das Plasma ermüdeter Muskeln die Ausbeute von Toxin günstiger zu gestalten. Da dies tatsächlich ohne Schwierigkeiten gelang, so ging WEICHARDT noch einen Schritt weiter und erzeugte in der- selben Weise auch aus nicht ermüdeten Muskeln und schließlich sogar auch aus einer ganzen Reihe anderer Eiweißarten pflanzlicher und tierischer Provenienz toxische Stoffe von ganz ähnlicher Wirkung wie die eigentlichen Ermüdungssubstanzen, die er neuerdings als Keno- toxine bezeichnet. Obwohl sich die verschiedensten chemischen Re- XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. 441 duktionsmittel, wie schwefligsaures und salpetrigsaures Natron, Phenyl- hydrazin usw. in dieser Richtung wirksam erwiesen, so gelangen diese Versuche doch am allerbesten mit naszierendem Wasserstoff, wie er durch Natrium- oder Aluminiumamalgam entwickelt wird, und mittels Elektrolyse. Merkwürdigerweise stellte sich aber nun im weiteren Ver- lauf dieser Untersuchungen heraus, daß man denselben Effekt auch durch Einwirkung kräftiger Oxydationsmittel, von Wasserstoffsuperoxyd, verdünnter Salpetersäure oder Chlorwasser, auf Eiweiß erzielen kann, so daß WEICHARDT sich zu der von seiner ursprünglichen Auffassung abweichenden Annahme gedrängt sah, daß seine künstlichen Kenotoxine jedenfalls nicht in unmittelbarer Beziehung zu den ÖOxydations- und Reduktionsprozessen stehen, sondern nur als Nebenprodukte bei der Auf- spaltung der Eiweißmoleküle durch irgendwelche chemische Agentien gebildet werden. Wie das natürliche, so sind auch die verschiedenen künstlich erzeugten Kenotoxine zwar wasserlöslich, aber nicht dialysier- bar, und dokumentieren ihre nahe Verwandtschaft untereinander und mit dem echten Ermüdungstoxin durch ihr gleichartiges Verhalten gegen- über dem spezifischen Antikenotoxin. Durch wiederholte Einspritzung von Ermüdungstoxin kann nämlich ein Immunserum gewonnen werden, das alle die verschiedenen Kenotoxine in vitro und im Tier- körper abzusättigen imstande ist, somit ein Antitoxin enthält, das, wie sich des weiteren herausstellte, dialysierbar und außer in Wasser auch in Toluol und Azeton löslich ist, sich also wesentlich anders ver- hält als die bisher bekannten Antitoxine. Nach WEICHARDT wird dieses Ermüdungsantitoxin vom Darmkanal aus resorbiert und vermag, wenn es prophylaktisch angewendet wird, nicht nur eingespritztes Tooxin zu neutralisieren, sondern die Versuchstiere sogar vor den Wir- kungen der Ermüdung zu schützen, indem sie auch bei intensiver Arbeitsleistung vollkommen frisch bleiben und keinen Temperaturabfall aufweisen, wie die schwer überan- gestrengten Kontrolltiere. WEICHARDT und WOoLrr-EisnER vertreten nun die Auffassung, daß dieses Antikenotoxin nicht nur beim immunisierten, d. h. mit Toxin- einspritzungen behandelten Tier, eine Rolle spielt, sondern auch unter natürlichen Verhältnissen, beim systematischen Training gebildet wird, und wenigstens mit die Ursache davon ist, „daß ausgebildete, d. h. trainierte Sportradfahrer, Turner, Schwimmer, Ruderer Leistungen voll- führen können, welche schon’nach kurzer Zeit für Rekruten oder Nicht- trainierte den Tod zur Folge haben würden, oder, wie es in der Immu- nitätssprache ausgedrückt heißt, Multipla der Dosis letalis bedeuten“. Der Geübte verfügt nach dieser Anschauung eben über ein Antitoxin, welches die Ermüdungsstoffe gleich bei ihrer Entstehung neutralisiert. — Ja, von den genannten Forschern wird sogar die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß das Antitoxin beim Menschen unter Umständen in der Praxis zur passiven Immunisierung benutzt werden könnte und besonders da, wo es sich um größere plötzliche Strapazen handelt, wie sie z. B. bei Feldzügen vorkommen, gute Dienste leisten könnte. Es ist zweifellos, daß diese WeıchArpTschen Theorien einerseits manches Bestechende an sich haben, andererseits aber wieder Momente aufweisen, die allen bisherigen Vorstellungen über das Wesen der Er- müdung direkt widersprechen, ja sogar einen gewissen abenteuerlichen Zug nicht verkennen lassen. Dies mag denn auch z. T. die Ursache davon gewesen sein, daß, trotzdem die WeEıcharprschen Arbeiten be- Anti- kenotoxin. 442 _XXV. Anwendung der Immunitätslehren auf einige Probleme. reits eine Reihe von Jahren publiziert sind, doch eine eigentliche Nach- prüfung derselben bisher nicht stattgefunden hat. Jedenfalls machen die neuesten Mitteilungen dieses Forschers, nach welchen Ermüdungs- toxine auch in normalen pflanzlichen Stoffen, wie Mohnköpfen, im Opium und Kurare enthalten sein sollen, Antikenotoxin dagegen in den ver- schiedensten Immunseren (z. B. im Immunserum gegen Hefezellen) nachweisbar sein soll, ja nach welchen es sogar gelingen soll, Anti- kenotoxin künstlich, durch „chemische Erschütterung bei Siedehitze“* aus Eiweißkörpern herzustellen, es nur um so wünschenswerter, daß durch eine eingehende objektive und kritische Nachuntersuchung klargelest werde, inwieweit diese merkwürdigen Befunde und die Deutung, die ihnen WEIcHARDT gibt, aufrecht er- halten werden können. Ein Anfang in dieser Richtung erscheint übrigens in neuerer Zeit bereits gemacht, und zwar durch die Untersuchungen von PFEIFFER und Presr, durch welche die von WEIcHARDT beschriebene Keno- präzipitinreaktion ihrer Spezialität vollkommen entkleidet und auf an- ‘organische Kalkfällungen zurückgeführt wurde. Literatur. DoxaT# und LANDSTEINER, Münch. med. Wochenschr., 1904. Tarrauist, Zeitschr. f. klin. Med., 1907, Bd. 61. Tarrauıst und Faust, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., 1907, Bd. 57. MOoRGENROT# und REICHER, Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 38. Reıc#er, Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 41 und 42. UEBLENHUTH, Beiheft zur Med. Klinik, 1907, H. 9. Nurrar, Blood immunity and blood relationship ete. Cambridge. University press 1904. DvxsaR, Berlin. klin. Wochenschr., 1903, Nr. 24, 26, 28. PrausnItz, Die Heufiebergifte. Handb. d. Technik usw. d. Immunitätsforschung. Gustav Fischer, Jena 1908. Worrr-Eisxer, Das Heufieber. Lehmann, München 1906. EagLich, Experim. 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Behring, v. 96, 162, 163, 203, 212, 275, 316, 380. Belfanti u. Carbone 169. Beljaeff 161. Bendivegna u. Carini 348. Berghaus 363, 368. Besancon u. Griffon 78. Besredka 163, 326, 331, 349, 350, 39. Bie 13. Biedl u. Kraus 8, 9, 331, 332. Biltz 210, 264, 268. Bine u. Lissner 424. Böhme 150. Bomstein 200, 202. Bordet 125, 169, 233, 234, 235, 238, 239, 242, 245. Bordet u. Gengou 172. Brand 116. Braunschweig 3. Brieger 25, 26, 316. — u. Ehrlich 190. Bruck 279, 280, 436. Buchner, H. 13, 26, 27, 28, 88, 131. — E. 29, 100, 102, 104, 105, 108, 111, 112, 127, 138, 195. Bulloch u. Atkin 141. — u. Western 143. Butjagin 161, 162. Calmette 117, 197, 337, 404. — Phisalix u. Bertrand 163. Camus u. Gley 311. Canale u. Morpurgo 346. Cantacuzene u. Gheorgiewsky 98. Carriere 51, 52. Castellani 180. Charrin u. Roger 346. Cheyne 76. Citron 405, 422. Cobett u. Kanthack 201, 202. Coca 280. Conpradi 24, 135. Cornet 10 Courmont u. Doyon 55. Cowie u. Chapin 145. Czaplewsky 413ff. Danysz 228, 229 Daut u. Rittershain 333. Dehne und Hamburger 308. Delezenne 117, 123, 171. Denys 140. — u. Kaisin 136. — u. Leclef 19. Deutsch 169, 186. Dieudonne 69, 70, 391. Dönitz 361, 362, 363, 364, 366, 367. Doerr u. Ruß 324, 325, 326 — Ruß u. Moldovan 328, Dohrn u. Nacke 43. Donath u. Landsteiner 428ff. Dreyer u. Madsen 287. Dunbar 433. Dungern, v. 170, 188, 190, 191, 207, 208, 228, 234, 250, 285, 288, 309, 310, 352, 422. — u. Coca 119, 438. Ehrlich 38, 39, 40, 42, 44, 48, 71, 88, 113, 117, 159, 163, 186, 195, 196, 198, 203, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 227, 228, 234, 242, 244, 246, 247, 272, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281, 282, 285, 287, 291, 292, 295, 297, 298, 301, 302, 303, 306, 307, 308, 312, 314, 315, 316, 317, 340, 358, 359, 372, 436, 437. - Zur Hat 359: — u. Lazarus 90. — u. Marshall 237. 44 Namenregister. Ehrlich u. Morgenroth 110, 113, 199, | Kafka 415. 235, 237, 238, 240, 311, 430. Kanthack 89. — Roehl u. Gulbranson 313. Kasparek 28. Eisenberg Kassowitz 292, 293, 294, 295, 296, 297, — u. Volk 204, 208, 209, 257, 259, 268. 298. Erlandsen 404. Kempner 163. Ermengem, van 50. — u. Schepilewsky 48, 283, 284. Ernst 346. Kikuchi 33. Kirstein 13, 14. Falloise u. Lambotte 123. re area 179. Faust 430. Kitasato 162. Feistmantel 28. Kitt 382 Ferrata 116. Kiens 14 se 415. Klier 144 inger u. Landsteiner 192, 336. TEE Fischer, A. 105, 106, 107, 108, 109. a a 16: — E. 175, 238, 275, 296. Koch 1, 28, 318, 336, 337, 373, 383. Flexner 396. a Koessler u. Neumann 348. — u. Noguchi 117. Kohn u. Schiffmann 148. Flägge 10. Kolle 383, 385. ‚ Fodor 100. — u. Turner 399. Ford 251. — u. Wassermann 306, 397. Fornet u. Schereschewsky 412. Korchun 30 i Fraenkel 354. — u. Morgenroth 129. Fraser 163. Kossel 311, 390. Friedberger 262, 327, 328, 354, 355. Kraus 58, 163, 167, 170, 252, 257, 367. — u. Dorner 185. — u. Amiradzibi 368. — u. Hartoch 329. — u. Doerr 252, 393, 397. — u. Moreschi 249. Be ee Friedemann 326, 328, 330. kt — u. Lipschütz 366, 367, 368. Galtier 3. — u. Pirquet 257, 258. Garr& u. Schimmelbusch 3. Kretz 287, 317. Gengou 122, 128, 246, 247. Kruse SE 3, a 392. Gibier 346. — u. Pansini 77. Gordon 388. Kyes u. Sachs 117, 118, 198, Gotschlich 11, 17. Graham 262. Landmann 388. Landsteiner 120, 170, 250, 291, 292. Gruber 93, 126, 234. ‚ D — u. Durham 165. — u. Dautwiz 182. — u. Futaki 63, 132, 133, 134. — u. Jagi© 120, 268. — u. Reich 252. Leber 88. Haase, de u. Hoogmaker 406. Leclainche u. Vallee 382. Haffkine 385, 386, 387. Leuchs 419. Hahn 30, 128, 131, 410. Levaditi 124, 125. — u. Trommsdorf 199. AN u. Immann 146. Hamburger 104. SE erS, — u. Hekma 91. Mey - 396. 397 ü y; » . Hata 145. Liebermann, v. 116, 120 Hektoen 144. Lindemann 11. Heymanns 381. Lingelsheim, v. 103, 107, 110. Högyes 378. Lipari 346. Hofmann 161, Lissauer 354. Horiuchi 65. De Lode 347. - Löffler 67. Hutyra 382. — u. Frosch 398. Löhlein 142, 147. Jakoby 182, 183. Loew 44. Joachim 162. Loewi u. Meyer 286, 318. Jochmann 396. Lorenz 398. Joergensen u. Madsen 190. Lottermoser 264. Joest u. Helfers 398. Lubarsch 137. Joos 261. Lüdke 348, 554. Issaeff 243. Lustig 393. Namenregister. Macfadyen 30, 31, 163. Madsen 308, 364. Marmoreck 394, Martin u. Cherry 197. Martini 68, Massart u. Bordet 88, Metallnikoff 348, Metschnikoff 45, 47, 48, 86, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 122, 124, 125, 126, 127, 131, 141, 170, 193, 233, 302, 303, 347, 350, 389. — Roux u. Taurelli-Salimbeni 66. Meyer, H. 42. — u. Overton 42. — u. Ransom 48, 49, 54, 55, 56, 57, 361, 363. Michaelis 230, 420, — u. Oppenheimer 182. Mita 325. Möllers 16. Moll 256. Morax u. Marie 48. Moreschi 247, 248, 351. Morgenroth 56, 196, 198, 241. Moro 338, 404, 415. Moxter 115. Much u Holzmann 416. Müller, P. Th. 182, 199, 204, 208, 231, 250, 252, 257, 312, 352, 354, 355. — u. Jochmann 423. Neisser 258. — u. Friedemann 265, 266, 268. — u. Lubowsky 287, 289. — u. Sachs 416. — u. Wechsberg 115, 238, 247, 250, 351, 352, 409. Nernst 40, 228. Netter 389. Neuberg u. Reicher 120. Neufeld 129, 143, 146, 396. — u. Hüne 146. — u. Rimpau 98, 142, 147, 167. Nicolle 326, 328. Niepraschk 8, Nocard 392. Nuttall 100, 105, 431ff. Obermeyer u. Pick 182. Ostermann 2. Otto 321, 326, 327, 338. Ouspensky 389. ÖOverton 42. Paltauf 181. u. Kraus 167. Pasteur 66, 71, 158, 378, 381. — Chamberland u. Roux 70. — u. Joubert 346. Pauli 44. Pawlow 117. Pernice u. Alessi 346, Petruschky 7. Pettersson 98, 130, 132, 138. Pfaundler 166. 445 Pfeffer 27. Pfeiffer, H. 322, 405, 406, 438. — u. Finsterer 438. — u. Mita 322, 332. — u. Pregl 441. Pfeiffer, R. 29,79, 80, 81,83, 97, 115, 125, 126, 146, 147, 163, 165, 233, 242, 343, 406ff. . Friedberger 151, 245. . Issa&ff 164. . Kolle 383. . Marx 187, 188. . Moreschi 350. — u. Wassermann 80, 83, 84. Pick 183, 257. Pieton u. Lindner 264. Pierrallini 89. Pirquet 169, 335, 337, 403, 404. — u, Schick 332, 333, 334. Plato 9. Pohl 273. Porges 267. Prausnitz 434. Preisz 62, 64. Pröscher 163, 413. BESBSRES Radziewsky 81, 82, 84, 85, 9. Ransom 48, 316. — u. Kitashima 312. Rehns 287. Richet 319, 320, 326, 328. Rickmann 416. Römer 4, 89, 188, 396. Rosenau u. Anderson 324, 325. Rosenbach 4. Rosenthal 7, 392. Roux 19. — u. Borrel 305. — u. Calmette 197, — u. Vaillard 185. Ruppel 394, 395, 396. Saccharoff 308, 309. Sachs 46, 228, 229, 288. Schattenfroh 128, 130. Schepowalnikoff 117. Schreiber 397. Schneider 124, 132. Schütze u. Scheller 348, 349. Shiga 393. Siegert 3W. Smith 321. Sobernheim 399. Stäubli 306. Stephens u. Myers 196, Stern u. Korte 410ff. Straub 50. Strubell u. Felber 148. Sweet 124. Szekely 379. Szontagh u. Wellmann 161. Takaki 182. Tallquist 430, 431. Tarassewitsch 128. 446 Namenregister. Tavel 39. Wassermann u. Bruck 318. Tcehistowitch 311. — u. Citron 159, 189. Thomas, Kolle-u. Issaeff 78, — u. Meyer 421. Tiffeneau u. Marie 284. — Neisser u. Bruck 420, Tizzoni u. Cattani 163, — u, Ostertag 396, 397, 399. Toussaint 70. — u. Takaki 45, 47, 283. Trapeznikoff 94. Wechsberg 351, 369, 371. Trommsdorf 131, 199, 348, 349, 354. Weichardt 269, 435ff., 439, 440, Weigert 276. Uhlenhuth 176, 181, 411, 431ff. Wells 324. — u. Groß 360. Wernicke 162, 163. — u. Haendel 330, Wilde 135, 351. Wolff-Eisner 126, 319, 328, 338, 403, 404, 405, 439. ee Wright 142, 143, 149, 150, 151, 152, Walker 312. 153, 167, 191, 387. Wassermann 47, 163, 165, 197, 246, | _ % Douglas 98, 140, 141. 251, 285, 286, 305, 349, 350, 351, 422. Yersin 393. Sachregister. Aalserum 311, 323, Abrin 163, 188. Absättigungskurve 225, 226. Absorptionskoeffizient 204, 231, 259. Achsenzylinder 48. Adsorption 210, 268. Aetiotrope Stoffe 358. Affinität s. Avidität. Agglutination 165, 196, 412 ff. Asglutinierbarkeit 312. Agglutinine 166, 185. 190, 199, 203ff., 206, 256ff., 287, 289, 312. Agglutinoide 260. Agglutinoidhemmung 260, 268. Aggressine 33, 159, 342. Aggressinimmunität 35, 159. Aktinokongestin 319. Aktive Immunität 307 ff. Albumin 183. Alexine 108ff., 131ff., 134, 141. Alexinprobe (von Moro) 41löff. Aleuronat 127, 189, 351. Alizarin 41. Alkaleszenz des Serums 104, 108. Alkaloide 48, 50, 273. Alkoholismus 348. Allergene 169. Allergie 169, 192, 297, 318, 400. Allergische Reaktionen 401 ff. Ambozeptor 113ff., 136, 147, 199, 234ff., | 240, 288, 352, 353, 417, 429. Ammenversuch 307. Amöben 86. Amöbendiastase 86. Anaemie 430, 431. Anaphylaktische Reaktion 406. ee, Reaktionskörper 173, 26 ff. — Shock 325, 406, 407. — Temperatursturz 322. Anaphylaktogene 323ff., 329ff. Anaphylatoxin 329ff., 435. Anaphylaxie 316ff. Angeborene Immunität 300ff. Ankylostomum duodenale 271, 430. Antiagglutinine 251. Antiambozeptor 242ff., 250. Antianaphylaxie 326. Antibakterielle Immunität 301. Antiendotoxine 163, 203. Antifermente 172, 423. Antigene 169, 178ff., 181ff., 195£f., 260, 273, 289, 323. Antihaemolysine 171, 242ff., 250. Antikenotoxin 440. Antikörper 156ff., 168, 183ff., 195£f., 251ff., 289, 295ff., 306 ff. Antikomplement 242ff., 349, 352. Antikörperproduktion 186ff., 254, 274, 282, 285ff., 295, 297, 298, 310, 319, 326, 344, 354, 355. Antimorphinserum 273. Antinutritive Antikörper 314. Antiseptika 71. Antirizin 183. Antitoxine 48, 162ff., 190, 195ff., 252, 274ff., 286ff., 307, 361ff. Antitoxingewinnung 371. Antitoxische Immunität 301ff. Antitrypsin 423. Antituberkulin 319. Antizytolysine 242. Antizytotoxine 171. Arachnolysin 46. Areareaktion 336. Arsazetin 313, 359 Arsenik 64. Arsinophenylglyzin 313, 359. Arzneifeste Stämme 372. Atoxyl 359, 360. Atrepsine 314, 315. Atreptische Immunität 340, 341, 437. Artspezifität 181. Ausflockung 263ff. Ausscheidung der Bakterien 7ff. Austrocknung 12, 71. Autohaemolysine 430. Autoinokulation 152. Avidität 193, 218ff., 224, 230, 231, 241ff., 248, 252, 260, 282, 297, 304, 316, 317, 358, 367, 368. Aviditätssteigerung252,253, 282, 295,296. Bac. cholerae gallinar. 28, 63, 71, 76, 158. — enteritidis Gaertner 177. Bact. coli 14, 81, 127, 176, 180. — pyocyaneum 14, 163, 197, 355, Bakteriengifte 21ff., 157. Bakterienmembran 62ff., 107 ff. Bakterienproteine 27. Bakterienzerfall 79ff., 100ff., 125, 333. 448 Bakteriolyse 79ff., 100ff., 125, 127. Bakteriolysine 100ff., 130ff., 133, 135ff., 143, 146, 164, 233 ff. Bakteriotherapie 150ff. Bakteriotropine 98,147, 167,342, 348,353. Bakterizide Seramwirkung 63, 96, 97, 100ff., 122ff., 143, 313. Bakterizide Reaktionen 407ff. Bazillenträger 7, 373. Bazillus der Darmdiphtherie der Ka- ninchen 3. Bedingungen der Infektion 1ff. Beschleunigte Reaktion 334ff. Beulenpest 17. Bier’sche Stauung 105. Bindehautsack 3, 4, 188. Bindungseinheit 217. Bindungsfähigkeit 312. Bindungsreiz 279ff. Blutegelextrakt 123. Blutplasma 122ff., 137. Blutplättchen 134. Blutsverwandtschaft 431ff Bordet’sche Antikörper 172, 247. Borsäure 225. Bothriocephalus 430. Botulismustoxin 33, 48, 50, 163, 283. Bovotuberkulol 406. Bovovakzin 380. Brechungsindex 161. Castellanischer Versuch 180. Cerebrin 42. Chemotaxis 27, 28, 881f. Chinin 358. Chloralhydrat 347. Cholera 29, 157, 347. Choleragift 29, 79, 80, 83, 84, 163, 366. Choleraschutzimpfung 385 ff. Choleraschutzstoffe 187ff. Choleravibrionen 1, 2, 4, 7, 9, 12, 14, 15, 16, 29, 30, 33, 59, 74, 75, 78, 79, 81, 83, 84, 85, 98, 105, 106, 115, 124, 130, 138, 164, 165, 185, 233, 258, 312, 343, 347, 350, 366, 407. Cholesterin 42, 48, 283, 431. Ciliaten 86. Crotin 163, 196. Danysz’sches Phaenomen 229. Darmbakterien 51. Dauerausscheider 7, 8. Dementia praecox 415. Depotreaktion 402. Desoleolezithin 119. Diffusionsbeschleunigung 269, 270. Diffusionsvermögen 184. Diphtherie 1, 20, 90. Diphtherieantitoxin 161, 200ff., 213ff., 250, 321, 363, 38%. Diphtheriebazillen 2, 10, 13, 21, 22, 65, 74, 78, 213, 358. Diphtherieheilserum 161, 213, 269, 333ff., 363, 371, 389ff. Diphtherietoxin 33, 57, 72, 200, 213ff., 217ff., 227, 285, 317, 321, 363. Sachregister. Diphtherietoxon 57. Disposition 150ff. Dysenterieheilserum 393. Echinokokken 271, 420. Eintrocknung 12. Eiterung 27. Eiweißpräzipitine 172. Ektogene Infektion 17. Ektoplasma 63. ' Elektrolyte 265. Emulsin 328. Endokomplemente 118. Endolysine 130, 133, 342. Endotin 388. Endotoxine 29, 30. Endstück des Komplements 116. Enterokinase 117. Entgiftung 47, 98. Epitheliotoxin 170. Epitoxoid 218. Erde 15. Ergophore Gruppe 257, 282. Erkältung 354. Ermüdungstoxine 439ff. Erworbene Immunität 300ff. Erysipel 90. Euglobulin 183. Exsudate 149. Extrazelluläre Verdauung 87. F'adenreaktion 166. Farbbasen 41. Farbsäuren 41. Fermente 32, 51, 52, 109, 182, 193, 281, 294, 323. Flagellaten 15. Fleischverfälschung 411. Fliegen 12. Flöhe 12. Fremdkörperwirkung der Mikroorganis- men 17, 18. Furunkel 3. Galle 9, 52. Gallenblase 9. Gallenfarbstoff 38. Gefrierpunkterniedrigung 161. Gehirnsubstanz 45, 47, 283ff. Gelbfieber 11. Gesetz der Multipla 200ff. Gewebsimmunität 297. Gewebslymphe 137. Giftabschwächung 159, 215. Giftbindung 46ff. Gifteinheit 212. Giftspeicherung 38ff. Giftspektrum 222 ff. Giftwanderung 48, 49, 54. Gleichgewichtskonstante 206. Globulin 162. Globulizide Serumwirkung 111ff., 122ff. Glykocholsaures Natron 413. Glykoside 273. Gonokokken 16, 74, 76, 85. Graminol 435. Sachregister. Grundimmunität 158. Guldberg-Waage’sches Gesetz 205, 207, 224, 228. Haemagglutination 120, 169. Haemoglobinurie 127, 328ff. Haemolyse 33, 109, 110#ff., 120, 169, 229, 233ff., 364, 365, 414. Haemolysine 112ff., 123ff., 133, 182, 185, 233ff., 250. Haemotropine 170. Halbimmunität 373. Halbparasiten 69. Haptophore Gruppe 216, 235ff., 251, 257, 260, 274ff. Harn 7, 8, 9. Heilwert der Immunsera 368. Hemmungszonen 268. Hepatotoxin 171. Heterologe Agglutination 177. Heufieber 433. Heufiebergift 435. Histogene Immunität 297, 298, 306, 310ff. Histon 122. Hoden 181. Homologe Agglutination 177. Hühnercholera 28, 158. Humor aqueus 124. Humorale Immunität 306. Hyperleukozytose 90, 128. Hypoleukozytose 90. Idiosynkrasie 435. Immunisierung 156ff., 168. Immunität 156ff. Immunitätseinheit 214. Immunkörper 334. Immunopsonine 147, 167. Immunsera 168. Immuntropine 147. Impermeable Bakterienarten 105, 106. Inagglutinable Stämme 313. Inaktivierung des Serums 105, 141, 146, 216, 257 ff. Inaktivitätsatrophie 314, 315. Influenza 1. Influenzabazillen 10. Inkubationsdauer 54ff., 320, 334. Innere Desinfektion 357. Insekten 16. Insektenstich 11. Intrazelluläre Verdauung 87, Invertase 36. Jodtrichlorid 72, 159. Isolysine 311. Kalziumionen 91. Kammerwasser 124, 189. Kapselbazillen 63. Kapseln der Bakterien 62ff. Karzinom 423, 436. Kasein 182, 199. Kataphorese 263, 264. Kenopraezipitin 441. Kenotoxin 439ff. Kieselsäure 120. Müller, Vorlesungen. 3. Aufl. 449 Knochenmark 186, 187, Koaguline 167. Kobragift 58, 118, 196, 285, 416. Kobralezithid 118ff. Kobralipase 119. Kochsalz 330. Kolloide 210, 228, 262ff., 291. Komplement 113ff., 116, 124ff., 126, 129ff., 136, 138, 146, 147, 234, 237 £f., 281, 329, 342, 348, 349ff. Komplementablenkung 238ff., 247, 350, 406, 416ff. Komplementbindung 235ff., 329ff. Komplementfixatoren 172, Komplementoide 216, 246. Komplementophile Gruppe 237, 241. Kontagiöse Krankheiten 17. Krebsimmunisierung 437. Krepitin 323. Kreuzspinnengift 46, 163, 229. Kristallinse 181. Krötengift 163. Kutanreaktion 319, 337. Laktopraezipitin 182, 199, 208. Leber 9, 46, 47. Lezithin 42, 48, 117, 283, 422. Lezithinausflockung 413. Leitfähigkeit 161. Leprabazillen 85. Leuchtbakterien 166. Leukine 132, 133, 137, 342. Leukopenie 89, 90, 91. Leukotoxine: 170. Leukozidin 33, 46. Leukozyten 35, 87ff., 126, 127, 133, 138, 142, 147, 170, 187, 193, 351, 426. Leukozytenextrakte 127ff., 132. “ Licht 13, 70. Lipase 86, 120. Lipoide 110, 119ff., 284, 422. Lipotrope Farbstoffe 42. Lokalisation der Gifte 37 ff. Luftstaubinfektion 10. Lugol’sche Lösung 159. Lungenpest 17. Lungenseuche der Rinder 78. Lymphoide Organe 187ff., 344. Lymphozyten 87. Lysine 333 ff. Lyssa 3, 9, 10, 16, 62, 378. Lyssaschutzimpfung 378ff. Maja squinado 188, 192. Makrophagen 88, 91, 92, 93, 128. Makrozytase 129. Malaria il, 16. Malleinreaktion 405. Masern 9. Massenwirkungsgesetz 205, 207ff. Maul- und Klauenseuche 398. Meiostagminreaktion 270, 271. Meningitis 90, 396. Meningokokken 2, 85. Meningokokkenheilserum 396 ff. Metallsole 263. 29 450 Metazoen 86. Methylenblaufärbung 39. Micrococcus tetragenus 65. Mikrophagen 88, 91, 92, 93, 128. Mikrozytase 128. Milch 10, 307. Milchdrüse 10. Milz 186ff. Milzbrand 9, 14, 33, 82, 134ff., 300, 398. Milzbrandbazillen 6, 9, 12, 13, 15, 24, 30, 63, 64, 65, 69, 70, 82, 92, 94, 96, 102, 104, 105, 116, 133, 135, 136, 137, 341, 346, 358. Milzbrandgifte 24. Milzbrandschutzimpfung 381, 399. Milzbrandvakzin 96. Mischinfektion 76, 180. Mitagglutination 180. Mittelstück des Komplements 116. Monokaryozyten 87. Mundhöhle 2. Muskeltrichinen 39. Mytilokongestin 320. Nagana 359, 372. Narkotika 42ff., 331. Nasenrachenraum 2. Negative Phase 151, 191. Nephrotoxine 171. Neuronen 49. Neurotoxine 171. Neurotrope Farbstoffe 40. Neutralrot 93. Neutuberkulin 388. Niere 8, 9, 68. Normalgift 212. Normalopsonine 147. Normalserum 213. Normaltropine 147. Nutrizeptoren 277. Oedemflüssigkeit 33. Ophthalmoreaktion 319, 404ff. Opium 98, 347. Opsonine 98, 140ff., 342, 348, 424. Opsonischer Index 148ff., 426. Organimmunität 76. Organotrope Stoffe 358. Organvirulenz 68, 78. Organspezifität 181. Osmiumsäure 280. Osmotischer Druck 105ff., 263. Osteomyelitis 79. Paradoxes Phaenomen 317. Paralyse 412, 422. Paraphenylendiamin 38. Parasiten 69, Paratyphus 177. Partialtoxine 305, 369, 370, 371. Passive Immunität 307ff. Pepsin 52. Permeabilität 105ff., 210. Permeable Bakterienarten 105, 106. Pest 12, 17. Pestbazillen 3, 12, 16, 59, 68, 74, 75. Sachregister. Pestheilserum 39. Pestschutzimpfung 386. Pfeiffer'sches Phaenomen 80, 81, 106, 125, 126, 127, 164, 165, 333, 407. Pfeiffer’scher Versuch 80, 407. Phagocytic count 140. Phagolyse 89, 91, 125. Phagozyten 35, 63, 65, 84, 86ff., 122, 125, 343. Phagozytische Zahl 425. Phagozytose 85, 86ff., 126, 138, 140ff., 145, 341, 347, 424. Phrynolysin 163. Pirquet’sche Reaktion 403. Plasmine 30. Plasmolyse 106. Plasmophyse 81, 106. Plazenta 181, 306. Pneumobazillus Friedländer 27. Pneumokokken 4, 10, 63, 71, 77, 78, 102, 145, 188. Pneumokokkenserum 396 ff. Pneumonie 1, 90. Pocken 90, 158, 375ff. Pockenschutzimpfung 158, 375 ff. Polfärbung 106. Pollen 433 ff. Polymorphkernige Leukozyten 87, 128. Polyvalente Sera 353, 371, 39. Polyzeptor 237, 247. Praeparator 234. Praezipitine 167, 168, 175, 179, 189, 192, 199, 203ff., 208ff., 246, 249, 256ff., 308ff., 328, 335, 350, 406, 431. Praezipitinreaktionen 406, 411ff., 419. Praezipitoide 260. Protoxine 31. Pseudoglobulin 183. Pseudoimmunität 343. Psychoreaktion 416. Ptomaine 25. Ptyalin 52. Puerperalprozeß 148. Pyocyaneolysin 33. Quecksilber 358. Rabizide Substanzen 378. Rauschbrand 300, 382. Rauschbrandbazillen 70. Rauschbrandschutzimpfung 382. Recurrens 11, 360, 372. Recurrensspirochaeten 16. Resistenzverminderung 345ftf. Revakzination 60. Reversible Reaktionen 200, 228. Rezeptor 235ff., 275ff., 289, 305, 310, 313, 316, 330, 367. Rezeptorenmangel 302. Rezeptorenschwund 278, 297, 303, 311ff., 313. Rezidive 313, 314, 338, 371, Rezidivstamm 313, 374. Rhizopoden 86. Rhodannatrium 44. Sachregister. Riesenzellen 9. Rinderpest 300, 383, 399. - Rindertuberkulose 380. - Rizin 50, 52, 163, 182, 195. Rotz 9. Rotzbazillen 3, 9, 69. Sacharoff’sche Spirille 94. Salbenreaktion 337. Salizylsaures Natron 104. Salzgehait des Serums 105, 107. Saponine 58, 110. Saprophyten 15, 69, 75. Sauerstoff 71. Säugung 307. Schafpocken 399. Schlafkrankheit 11, 359. Schlangengift 51,117 ff.,163, 197,198,289. Schleimdrüsen 9. Schutzpocken 60. Schweinerotlauf71,300,382,396,397,398. Schweinerotlaufbazillen 102, Schweinerotlaufserum 397, 398. Schweineseucheserum 397, 398. Schwellenwert 55. Seifen 116. Seitenkettentheorie 186, 272ff., 291ff. Sekundärinfektion 76. ' Selektionsvermögen der Gewebe 39. Sensibilisierung 234, 238, 324ff. Seraphthin 398. Serumanaphylaxie 321ff. Serumfestigkeit 63, 102, 313, 372. Serumkrankheit 332ff. Smith’sches Phaenomen 321ff. Sofortige Reaktion 334 ff. Sonnenlicht 13. Sonnenscheindauer 14. Speicheldrüsen 9, 10. Spermatozoen 92, 170. Spermotoxine 170. Spezifische Niederschläge 167, 258. Spezifität 162, 175ff., 186, 211, 253, 276, 301, 419, 432. Spirochaeten 358. Sputum 10, 11. Stadium algidum 29, 79, 80. Staphylokokken 2, 3, 63, 78, 79, 85, 141,143, 144, 145, 146, 149, 151, 366. Staphylolysin 33, 46. Stauungsödem 133. Stichreaktion 402. Stimulin 132, 140. Straßenvirus 62. Streptokokken 2, 4, 63, 68, 76, 102, 353. Streptokokkenheilserum 394, 395ff. Strychnin 56, 293, 294. Substance sensibilisatrice 234, 238. Syphilis 271, 336, 358. Syphilisdiagnose 411ff., 420ff. Syphilisdiagnostikum 422. Tabes 412, 422. Testgift 213, 214ff. Tetanolysin 33, 196, 224, 227, 364. Tetanus 20, 21, 22, 56, 305. 451 Tetanusantitoxin 162, 185, 250, 361, 362, 363, 391. Tetanusbazillen 26, 59, 75, 76, 78. Tetanustoxin 26, 32, 33, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 54, 55, 56, 72, 279, 283, 286, 293, 302, 303, 304, 305, 318, 361, 362, 363, 370, 391f. Tetrabrom-o-kresol 358. Texasfieber 11, 373. Therapia sterilisans magna 360. Tierpassagen 66. Toxalbumine 31. Toxine 31ff., 45, 47ff., 52, 195ff., 293, 294, 360. Toxogenin 326, 328. Toxoide 216ff., 279. Toxone 218ff., 230, 287. Toxophore Gruppe 216, 284, 304. Trypsin 52, 423. Tränenwege 4. Tröpfcheninfektion 11, 17. Trypanosomen 313, 358ff., 372. Tuberkelbazillen 9, 28, 30, 85, 143, 144, 388, 403. Tuberkulin 28, 151, 318, 336 ff. Tuberkulinreaktion 28, 318, 336 ff., 401 ff. Tuberkulol 388. Tuberkulose 9, 76, 148, 152, 271. Tyndall’sches Phaenomen 263. Typhus 7, 12, 90, 157, 175, 420. Typhusbazillen 1, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 26, 29, 30, 33, 63, 85, 95, 102, 104, 124, 130, 133, 138, 175, 177, 178, 180, 186, 188, 189, 199, 258, 312, 343, 355, 409, 419. Typhusdiagnostikum 415. Typhusgift 26, 29, 163. Typhusschutzimpfung 383ff. Tyrosin 48. Überempfindlichkeit 192, 297, 316ff. Ulcus serpens 396. Vakzinetherapie 387. Vakzins 70, 159. Vasomotorenlähmung 331. Vermehrungsgeschwindigkeit 59. Verteilungsgesetz 40, 43, 209. Verteilungskoeffizient 40, 43. Vibrio Metschnikoff 130, 355. Vibrio Naskin 252, 367. Virulenz 54ff., 77, 96, 144, 158. Virulenzbestimmung 61. Virulenzsteigerung 6öff. Virus fixe 62, 66. Wanzen 12, 16. Wasser 15. Widal’sche Reaktion 166, 413ff., Witte’s Pepton 123, 332. Wuchsstoffe 340, 437. Zecken 11, 16. Zellipoide 110. Zustandsspezifität 181. Zymophore Gruppe 246. Zytolysine 170ff., 274. Zytophile Gruppe 237. Zytotoxine 170ff. 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