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Wanderungen

durch die

nordöſtlichen und centralen

Provinzen Spaniens.

Reiſeerinnerungen aus dem Jahre 1850

von

Dr. Moritz Willkomm,

Privatdocenten an der Univerfität zu Leipzig.

———

Leipzig, Arnoldiſche Buchhandlung. 852.

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Inhalt zum zweiten Theile.

Erſtes Kapitel. Zaragoza und das Ebrobecken.

Zweites Kapitel. Die Abtei Beruela und das . bing .

Drittes Kapitel. Die Aragon. bennett. ea. Die, LER

Viertes Kapitel. Reise von benden us Molina de Aragon und Teruel. i ES.

Fünftes Kapitel. Das Thal von ech Balencie zur Zeit der Seebäder.

Sechſtes Kapitel. Cuenca und 5 Wölder. Reife ei Madrid. e

Siebentes Kapitel. Bilder aus Madrid und Umgegend. (Die Feria de las Calles. Der Namenstag der Kö— nigin. Die Eröffnung der Cortes. Die Vispera de los Difuntos (Tag aller Seelen). Die Eiſenbahn nach Aranjuez. Die Forſtacademie von Villavicioſa.)

Achtes Kapitel. Das Guadarramagebirge und Segovia.

Neuntes Kapitel. Pt nach Toledo, Walle und Sa⸗ lamancaa 2 85 .

Zehntes Kapitel. Die Silbergruben von 1 8

Seite

295 359

VI Inhalt.

Seite

Elftes Kapitel. Vergleichende Schilderung der Volksſtämme von Leon, Eſtremadura, Neu- und Altcaſtilien . 380

Zwölftes Kapitel. Winterreiſe von Madrid nach Prun. Abſchied von Spanien e

Anhang. I. Die wandernden Schaafbeerden n Gen. tralſpaniens 446

II. Spanien im Jahre 1850. (Schilderung der De

maligen politiſchen, ſocialen, induſtriellen, in⸗ tellectuellen ꝛc. Zuſtände ))) 1424

Erſtes Kapitel.

Reiſe nach Zaragoza und Aufenthalt daſelbſt.

Der Name Zaragoza gehört zu denjenigen, bei deren Nennung die Phantaſie der Bewohner des Nordens unwillkührlich erregt, gleichſam galvaniſirt zu werden pflegt. Zaragoza, die alte hochberühmte Römerſtadt, die üppige Reſidenz orientaliſcher Fürſten, das reiche Hoflager mäch— tiger Könige; Zaragoza, der Gegenſtand ſo mancher lieb— lichen Dichtung, ſo mancher Romanze und Novelle; Za— ragoza, der Schauplatz des größten Heldenkampfes eines edlen, für ſeine Unabhängigkeit ſich aufopfernden Volkes, deſſen die Geſchichte der Neuzeit gedenkt; Zaragoza, in dem glücklichen Klima und unter dem heitern Himmel des Südens, am Ufer eines der gefeierteſten Ströme Europa's inmitten weiter Gefilde gelegen „wo die ſchattigen Kaſtanien rauſchen an des Ebro Strand“ wie Geibel eben ſo ſchön als unwahr dichtet: wer dächte bei Nennung dieſes Namens nicht an eine Stadt

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. A

2 Zaragoza in der Phautaſte und in der Wirklichkeit.

voll Palläſte, mit breiten Straßen und impoſanten Plätzen; wer ſtellte ſich nicht unter dem Ebro einen majeſtätiſchen Strom, von ſchweren Schiffen und eleganten Gondeln wimmelnd, vor; wer träumte da nicht von duftenden Blumengärten, von Rebenhügeln, von Lorbeer- und Myr⸗ thengebüſchen, von dunkeln Orangenhainen, mit einem Worte, von einem irdiſchen Paradieſe? Aber wie gar anders ſieht es in der Wirklichkeit aus! Da iſt nichts von Palläſten, nichts von breiten, ſchönen Straßen, nichts von großartigen Plätzen zu gewahren; kein Kahn, ges ſchweige denn ein Schiff, furcht die trüben Gewäſſer des ſchmalen, von Sandbänken wimmelnden Ebro; vergeblich ſucht das Auge die üppigen Orangenhaine, die ſchattigen Lorbeergebüſche und Kaſtanienwälder, die duftenden Gär- ten, die weiten, von Fruchtbarkeit ſtrotzenden Fluren: Zaragoza, die alte Cäſar-Auguſta, die üppige Mauren⸗ ſtadt, das moderne Numantia, iſt ein Gewirr von ſchmu⸗ zigen, krummen, finſtern Gaſſen, und liegt im Schooße einer baum- und waſſerloſen, öden und unbewohnten Steppe! Einige wenige Bemerkungen über die Natur des gewaltigen, vom Ebro durchſtrömten Beckens werden hinreichen, um meine Leſer zu überzeugen, daß die oben ausgeſprochene Behauptung, die Hauptſtadt Aragoniens liege inmitten einer Einöde, keine Unwahrheit iſt.

Es dürfte im Süden von Europa ſchwerlich zwei andere unmittelbar an einander gränzende Landſtriche

Bodenbeſchaffenheit des Ebrobaſſins. 3

geben, welche ſo grell contraſtirten, wie Hocharagonien und das Ebrobecken. Während noch der letzte Abſatz der maleriſchen, den Pyrenäen gegenüber liegenden Bergter— raſſe das Auge durch das anmuthige Grün ſeines reichen Buſchwerkes erfreut, tragen bereits die längs ſeines Fußes ſich hinziehenden Ebenen den Stempel der traurigſten Oede und Nacktheit, und je mehr man ſich dem Ebro nähert, deſto ſteriler wird der Boden, deſto kahler das Land. Der bei weitem größte Theil der gewaltigen Ebe— nen, durch welche der Ebro in vielfach gekrümmtem Laufe dem Meere entgegeneilt, beſteht nämlich aus ſandigen Mergeln, aus Thon und Lehm, aus Geſchieben, die häufig durch ein erdiges, kalkiges Bindemittel zu einem lockern Conglomerat verkittet ſind, und aus mächtigen Ablagerungen von Gyps. Letztere, desgleichen die Mergel— und Thonſchichten, pflegen mit Salz geſchwängert zu ſein, bisweilen in einem ſo hohen Grade, daß ſich nach Regen— güſſen bei heißem Sonnenſchein die Oberfläche des nack— ten Erdreichs mit einem weißen Ueberzuge kryſtalliſirten Koch- und Glauberſalzes bedeckt und die durch ſolches Terrain fließenden Bäche geſalzenes Waſſer führen. In dergleichen ſalzgeſchwängerten Gegenden trifft man häufig meilenweit im Umkreiſe nicht einen Tropfen Trinkwaſſer; kein einziger Baum ſchützt gegen die verſengende Son— nengluth, keine gaſtliche Hütte bietet dem einſamen Wan— derer ein Aſyl bei dem im Ebrobaſſin nicht ſeltenen, oft

1 *

4 Salzſteppen des Ebrobaſſins.

urplötzlich entſtehenden Gewitterſtürmen dar; kein freunde liches Grün, keine bunten Blumen, ſondern nur mißfar⸗ bige, in ſparſam zerſtreuten Büſcheln wachſende Steppen—⸗ pflanzen bedecken den nackten, hellfarbigen Boden: kahl und öde dehnt ſich die ebene oder hügliche Fläche, oft ſo weit das Auge reicht, nach allen Seiten hin aus, eine wüſte, dem Ackerbau unzugängliche, und deshalb unbe— wohnte Salzſteppe! Solche Salzniederungen erfüllen beſonders die ſüdliche Hälfte des Ebrobaſſins, doch auch in der nördlichen beſitzen dieſelben eine große Ausdeh— nung. So zieht ſich längs des Fußes des das Ebro— becken gegen Weſten begränzenden Abhanges des centralen Tafellandes eine breite Salzſteppe hin, welche ſich nord— wärts bis nach Navarra hinein, in ſüdöſtlicher Richtung aber bis an die Thore von Zaragoza erſtreckt. Eine andere, nicht ſo ſtark geſalzene, aber deshalb nicht minder kahle und öde Fläche breitet ſich auf der entgegengeſetzten Seite zwiſchen Tudela und Huescar aus, und gelangt zwiſchen Alagon und Zaragoza bis an die Geſtade des Ebro, weshalb jener Theil des Ebrothales öde und baumlos iſt und des Anbaues und der Bevölkerung faſt gänzlich entbehrt. Ueberhaupt ſind die Ufer des Ebro innerhalb Aragoniens mit Ausnahme der unmittelbaren Umgebungen von Zaragoza und des rechten, durch den kaiſerlichen Kanal bewäſſerten Uferſaumes kahl und me bebaut, und deshalb nichts weniger als anmuthig; ja

„Mangel an Bevölkerung und Anbau. 5

von Pina an, einem kleinen, einige Meilen unterhalb der Hauptſtadt gelegenen Städtchen, bis Me quinenza, wo der Fluß in die Gebirge von Catalonien eintritt, ſtrömt derſelbe faſt ununterbrochen durch eine nackte und entvölkerte Salzſteppe, die der Beſchreibung nach zu den furchtbarſten Einöden gehören muß, welche Spanien auf— zuweiſen hat!) Es iſt jedoch nicht die Sterilität des Bodens allein, welche die geräumigen Ebenen des Ebro— beckens oder Niederaragoniens zu einem der unwirthlich— ſten und traurigſten Landſtriche Europa's macht, ſondern auch der große Mangel an Bevölkerung und die Trägheit der vorhandenen. Viele jetzt wüſt und unbebaut liegende Ländereien, beſonders der nordöſtlichen Gegenden, könn— ten alle Früchte des Südens in reicher Fülle hervorbrin— gen, wenn der Boden bewäſſert würde, was mittelſt der vielen, von den Pyrenäen herabſtrömenden, durch Waſſer— reichthum ausgezeichneten Flüſſe und Bäche mit größter Bequemlichkeit geſchehen könnte. Allein es fehlt in jenen Gegenden an Menſchen, und die wenigen Bewohner der— ſelben fühlen ſich nicht veranlaßt, Kanäle und Waſſerlei— tungen, deren Anlegung immer mit Koſten verknüpft iſt, zu bauen, um ihren Wohnungen fern liegende Fluren dem Ackerbau zugänglich zu machen, da ſie dies längs der Ufer

) Mehr über die Bodenbeſchaffenheit des Ebrobaſſin findet ſich in meiner Schrift: „Die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel und deren Vegetation“. Leipzig, 1852.

6 Einzelne Gegenden durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet.

der Flüſſe, in deren unmittelbaren Nähe die meiſten Ort⸗ ſchaften gelegen ſind, viel leichter haben können. Auch hier beſchränkt ſich die Betriebſamkeit der Bewohner meiſt blos darauf, Getreide zu ſäen und Oelbäume zu pflanzen, welche letztere gewöhnlich ſich ſelbſt überlaſſen werden. Nur einzelne Landſtriche machen eine rühmliche Ausnahme. Dahin gehören der nächſte Umkreis der Hauptſtadt im Durchmeſſer von etwa einer halben Stunde, ferner der ſchmale, zwiſchen dem Ebro und dem Kaiſerkanal gelegene Streifen Landes und die breiten Thalflächen des Rio Bällego, Huerva und anderer Flüſſe. Hier gedeihen ſo— wohl der Weizen, als der Oelbaum, Maulbeerbaum und die Weinrebe auf das Ueppigſte, auch werden daſelbſt Gemüſe und Baumfrüchte aller Art, beſonders Pfirſichen, welche in ganz Spanien berühmt ſind, in Menge produ— cirt. Dieſe Gegenden machen auf den Reiſenden den Eindruck von Oaſen in einer Wüſte, und in der That, verglichen mit den ungeheuern Einöden, welche den bei weitem größten Theil der Ebroebene einnehmen, ſind ſie auch nichts weiter als Oaſen. In Zaragoza ſelbſt be— merkt man wenig von der wahren Beſchaffenheit des Bodens, weil ein breiter, von einem Walde von Oelbäu— men beſchatteter Gürtel üppigen Gartenlandes die Stadt auf drei Seiten umgiebt; nur gegen Norden erinnert das kahle, baumloſe linke Ebroufer, begränzt in geringer Ent— fernung von einer niedrigen Reihe ſteil abfallender, nack—

Zaragoza liegt in einer Einöde. Abreiſe von Jaca. 7

ter, weißgrauer Mergelhügel, an die Nähe des Steppen— bodens. Allein ein kurzer Spaziergang genügt, um ſich zu überzeugen, daß man von einer Einöde umringt iſt, denn ſobald man den kaiſerlichen Kanal oder die Thal— fläche des Gaͤllego überſchritten hat, verſchwindet augen— blicklich alle Cultur, und auf die ſchattigen Olivenhaine und grünen Gemüſefluren folgen nackte, ſtaubige, ſonnen— verbrannte, baumloſe Ebenen, welche ſich unüberſehbar ausbreiten und ſich ſcheinbar bis an den Fuß der das Ebrobaſſin umwallenden Gebirge und Plateaus hinziehen. Die Huerta oder das Gartenland von Zaragoza ſelbſt macht trotz ihrer ſorgfältigen Bebauung keinen ſo ange— nehmen Eindruck, als man erwarten ſollte, weil in der— ſelben den entſchieden vorherrſchenden Theil der Vegeta— tion der Oelbaum bildet, deſſen mattes, graues Grün nicht dazu dienen kann, die Landſchaft zu beleben und zu verſchönern.

Nach dieſen Bemerkungen über die Lage Zaragoza's und die Beſchaffenheit des Ebrobeckens will ich, bevor ich weiter von der Hauptſtadt Aragoniens ſpreche, eine kurze Erzählung meiner Reiſe von Jaca nach den Ufern des Ebro einſchalten. Ich verließ jene Stadt am frühen Morgen des 5. Juli, in Begleitung eines Arriero mit einem Maulthiere, da mein Packpferd zum Transport meiner gewaltig angeſchwollenen Sammlungen nicht aus— reichte. Es war ein ſchöner Morgen, ich aber ſehr ver—

8 Unangenehmes Abenteuer mit Carabineros.

ſtimmt, weil mich der Wirth der Poſada in Jaca auf unverſchämte Weiſe geprellt hatte. Mein Mißmuth ſtieg aber noch höher, als ich bei der Venta de Fontezo— nes, einem einſamen, an dem weſtlichen Fuße der Pena de Oroél, zwei Stunden von Jaca gelegenen Wirths— hauſe, einen unerwarteten, höchſt unangenehmen Aufent⸗ halt erfuhr. In der genannten Venta befindet ſich näm— lich das Contraregiſtro der Route von Jaca nach Zuras goza. Der commandirende Cabo, ein, wie ich ſpäter erfuhr, ſchlechter, habſüchtiger und ränkevoller Menſch, verlangte gerichtlich beglaubigte Ausweiſe über meine Pferde, darüber, wo ich dieſelben gekauft habe, zu ſehen, und wollte mich, da ich dergleichen nicht beſaß, durchaus nicht paſſiren laſſen. Vergeblich verſuchte ich ihm aus meinem Paſſe nachzuweiſen, daß ich ſeit meinem Eintritte in die baskiſchen Provinzen die Gränze Frankreichs nicht wieder überſchritten habe, umſonſt betheuerte mein Be— dienter, in deſſen Paſſe ausdrücklich bemerkt war, daß er mich als Reitknecht begleite, die Pferde ſeien in Bilbao gekauft worden: der Cabo wollte von alle dem nichts hören, erklärte die Pferde für aus Frankreich eingeſchmug— gelte Waare, berief ſich auf eine Menge mir unbekannter Verordnungen, verſchanzte ſich hinter die auf ihm laſtende Verantwortlichkeit und verſicherte, mich nicht paſſiren laſ— fen zu können, bis ich ihm einen Paſſirſchein vom Zoll- amte zu Jaca überbrächte. Wohl ließ einer der anwe—

Unangenehmes Abenteuer mit Carabineros. 9

ſenden Carabinero's merken, daß man mich ſofort weiter reiſen laſſen würde, wenn ich dem Cabo ein paar Fünf— frankenſtücke in die Hand drücken wollte; ich konnte dies aber nicht thun, da die unverſchämte Prellerei des Wir— thes zu Jaca meine Kaſſe dergeſtalt erſchöpft hatte, daß ich mich in jeder Weiſe einſchränken mußte, um mit mei— nem Gelde bis Zaragoza zu reichen. Auch war ich ſo aufgebracht über die offenbare Geldgier des Cabo, daß ich keine Luſt hatte, mein Geld an einen ſo gemeinen Wicht zu verſchwenden. Nach einer ſehr heftigen Scene zwiſchen mir und dem Cabo, welcher Miene machte, mich arretiren zu laſſen, befahl ich daher, mein Packpferd ab— zuladen, ließ mein ſämmtliches Gepäck unter Aufſicht des Arriero in der Venta, beſtieg mein Pferd und ſprengte mit meinem Bedienten wieder nach Jaca zurück. Hier angelangt, ward ich von einer Behörde zur andern ge— ſchickt, ehe es mir gelang, eine Ordre an den Cabo, mich ſofort ungehindert ziehen zu laſſen, auszuwirken. In der glühendſten Mittagshitze ritten wir hierauf wie— der von Jaca fort und waren um zwei Uhr wieder in der Venta. Der Cabo konnte mir nun freilich keine weitern Hinderniſſe in den Weg legen und betrug ſich jetzt ſehr artig; ich ſah es ihm aber an, daß er im höch— ſten Grade darüber erbittert war, daß er kein Geld von mir hatte erpreſſen können. Da ſowohl er, als die an— dern Carabinero's mein verpacktes Barometer mit miß—

10 Das Thal des Gällego. Der Flecken Adſaneta.

trauiſchen Blicken betrachteten, ſo öffnete ich die Kapſel, nahm das Inſtrument heraus, erklärte den Gebrauch deſ— ſelben, fo gut es ging, und machte die nöthigen Beob- achtungen, um die Höhe der auf einem Bergkamme lie— genden Venta berechnen zu können. Ich packte dann das Inſtrument wieder vorſichtig ein, ſtellte es an einen ſichern Ort und legte mich, da ich von dem ſchnellen Ritte in der Mittagshitze furchtbar erſchöpft war, nieder, um Sieſta zu halten, ſchlief auch wirklich vor Ermüdung ſehr bald ein.

Um 1 Uhr ſetzte ich meine Reiſe weiter fort, ohne das Barometer vorher zu unterſuchen, welches mein Be— dienter, wie gewöhnlich, ſich um die Schulter hing. Der Weg führte durch einſames, meiſt dicht mit Buſchwerk bedecktes Hügelland, welches den ſüdlichen Fuß der rie— ſigen Pena de Oroél umgiebt, nach dem Thale des Gäͤl— lego hinab. Es war 11 Uhr, als wir den großen Flecken Ad ſaneta erreichten, woſelbſt wir in einer ſchmuzigen Poſada einige Stunden raſteten. Sobald der Tag graute, brachen wir wieder auf. Adſaneta liegt recht maleriſch zu beiden Seiten des breit dahinſtrömen— den Gallego, über den eine hölzerne Brücke geſchlagen iſt. Dieſer Fluß fließt in einem viel engern Thale, als der Aragon; die mit Wieſen und Getreidefeldern bedeckte Sohle des Thales iſt kaum eine Viertelſtunde breit, die ſteilen Gehänge find dünn mit immergrünem Geſträuch“)

*) Beſonders mit der Kermeseiche, Quercus coceifera L.

Der Paß und die Venta von Béquera. 14

und einzelnen Bäumen“) bekleidet. Nachdem wir eine Zeit lang im Flußthale hinabgeritten waren, lenkte der Weg links in einen waldigen Grund, aus dem er bald in vielen Zickzacks an dem ſteilen Thalgehänge zu einem hohen Bergkamme emporſtieg. Man nennt dieſen Paß die Vuelta de Bͤquera. Bon feiner Höhe überſchaut man einen großen Theil des Gallegothales, ſowie ein weites, theils bewaldetes, theils bebuſchtes, theils kahles Bergland, allein die Ausſicht iſt nicht anmuthig, indem es der Landſchaft an Ortſchaften und Anbau fehlt. Nach kurzem Hinabſteigen kommt man in eine von Triften und Aeckern erfüllte Ausweitung, woſelbſt die Venta de Begquera, ein einſames Gehöft, am Rande einer ſehr ſchönen, großen, baſſinartigen Quelle, eines ſogenannten „Nacimiento“, ſteht. Während meine Begleiter das Frühſtück zubereiteten, ſchickte ich mich an, die Höhe der Venta barometriſch zu beſtimmen. Wie groß war aber mein Schreck, als ich bemerkte, daß mein Barometer zerbrochen ſei! Aus dem Umſtande, daß das meſſingene Gehäuſe der Röhre ein großes Stück von dem Gefäße losgeſchraubt, die Röhre unmittelbar über dem Gefäße abgebrochen und das Queckſilber gänzlich ausgelaufen war, leuchtete es deutlich ein, daß irgend Jemand das Inſtru— ment in den Händen gehabt und damit handthiert haben müſſe. Nun erzählte mir der mich begleitende Arriero,

) Quercus lex, Quercus Tozza, Fraxinus angustifoliä u. a.

12 Verluſt meines Barometers,

er glaube bemerkt zu haben, daß, während ich in der Venta de Fontezones ſchlief und er ſelbſt vor derſelben im Schatten der Bäume gelegen habe, die Carabineros ſich mit dem Inſtrumente im Garten beſchäftigt hätten. Möglich, daß dieſelben es aus Ungeſchick zerbrochen hat— ten; es kann aber auch ſein, daß der Cabo dadurch, daß er das Inſtrument, welches ich unvorſichtigerweiſe als ein ſehr koſtbares und theures bezeichnet hatte, zertrümmern ließ, Rache an mir dafür nehmen wollte, daß ich ihm kein Geld gegeben hatte. Dieſe fatale Entdeckung raubte mir allen Muth und Frohſinn, um ſo mehr, als ich mit Grund vermuthete, daß es mir unmöglich ſein werde, das Inſtrument nochmals repariren zu laſſen, und daß ich folglich auf fernere Höhenbeſtimmungen würde verzichten müſſen. In der That beſtätigte ſich dieſe Vermuthung, denn ich konnte in Zaragoza keinen Mechanteus finden, der geſchickt geweſen wäre, ein ſo delicates Inſtrument wieder in guten Stand zu ſetzen. Ich entſchloß mich deshalb, es von dort aus nochmals nach Bordeaux zu ſchicken, von wo aus ich es erſt, kurz bevor ich Spanien verließ, in Madrid erhielt, und zwar abermals zerbrochen!

Bald hinter der Venta de Beégquera windet ſich der Weg durch eine felſige Schlucht abermals zu einer Berg— kette empor, welche die ſüdlichſte der Parallelketten Hoch— aragoniens bildet und an der entgegengeſetzten Seite in mehrern treppenartigen Stufen zu den weiten Ebenen

Los Mudos del Niglo. Ueberblick des Ebrobaſſins. 13

des Ebrobaſſins abfällt. Das wenig bewaldete Gebirge beſteht der Hauptſache nach aus Kreidekalk und einem weichen, rothen Sandſteine. Letzterer iſt in dicke Bänke geſchichtet, welche von zahlloſen Klüften und Riſſen ſenk— recht durchſpalten ſind. An einer Stelle, in einem tiefen Thale, rechts vom Paſſe, unweit des Dorfes Riglo —, haben ſich dieſe Spalten, wahrſcheinlich durch die Gewalt der Regenwäſſer, zu großen Schluchten er— weitert, weshalb die Gebirgsmaſſe in eine Reihe iſolirter Felskoloſſe von meiſt kegelförmiger Geſtalt zertheilt er— ſcheint. Dieſe intereſſanten Felsgeſtalten führen den ſelt— ſamen Namen „Los Mudos del Riglo“ (die Stummen von Riglo), eine wahrſcheinlich auf einer Volksſage be— ruhende Benennung. Nachdem wir mehrere parallele Kämme, die terraſſenförmig über einander liegen, über— ſtiegen hatten, kamen wir auf den letzten Abſatz des Gebirges, der die Geſtalt eines kleinen Plateau's beſitzt. Auf dieſem Plateau erhebt ſich ein ſteiler, nackter Hügel, welcher einen verfallenen Thurm von mauriſcher Bauart und daneben eine Hermita auf ſeinem Scheitel trägt. Hier ward ich nicht wenig durch den plötzlichen Anblick der gewaltigen Ebenen des Ebrobeckens überraſcht, welche ſich nach Süden, Oſten und Weſten hin ausbreiten. Man überſchaut ein enormes Stück Land, allein die Ausſicht iſt nicht ſchön zu nennen, da die endloſen Ebenen wegen der hellen Farbe ihres nur ſpärlich mit Vegetation bedeck—

14 Eintritt in die Ebenen Niederaragoniens. Das Dorf Saſa.

ten Bodens ein graues, düſteres Colorit beſitzen. Dazu kam an jenem Tage, daß die Horizonte durch jenen, den Ebenen Central- und Südſpaniens während des hohen Sommers eigenthümlichen Hitzedunſt, den die Spanier „Calina“ nennen, getrübt waren und daher die grauen Flächen faſt überall unmerklich mit dem fahlen Blau des Himmels verſchwammen. Nur gegen Nordweſt erſchienen dieſelben undeutlich durch die ungewiſſen Umriſſe des hohen Moncayogebirges begränzt.

Der Saumpfad ſenkt ſich nun raſch abwärts und bald gelangten wir an den Fuß des Gebirges, woſelbſt der Flecken Saſa, ein ſchlecht gebauter Ort von erdfah- lem Ausſehen, umringt von einigen dürftigen Oliven⸗ pflanzungen, liegt. Hier ändert ſich die Scenerie der Landſchaft. Die Laubgehölze und Grasmatten, welche die Thäler und Gründe der hocharagoneſiſchen Gebirge aus— kleiden, ſind verſchwunden; kurzbegraſte Triften oder mit einzelnen Büſcheln aromatiſcher Halbſträucher und Diſteln dünn beſtreute Gerölle-, Thon- und Sandfluren bedecken, ſo weit das Auge reicht, das flache Land, deſſen Mono— tonie nur ſtellenweiſe durch eine ärmliche Oelbaumpflan⸗ zung oder ein lichtes Gehölz kleiner, dürftiger Immer— grüneichen (Quercus Ilex L) unterbrochen wird. Nach einer mehrſtündigen, höchſt ermüdenden Wanderung durch völlig unbewohnte und faſt ganz unbebaute Ebenen er⸗ reichten wir gegen Mittag eine elende, ſchmuzige Venta,

Unfruchtbarkeit des Bodens. Nacht in Gurrea. 15

woſelbſt wir bis um drei Uhr blieben, um die Zeit der größten Hitze vorübergehen zu laſſen. Das Wirthshaus liegt zwiſchen dürren, nackten Mergelhügeln, welche einen Abſatz, eine Stufe der Ebene, krönen und einen niedrigen Höhenzug bilden. Von hier an wird das Land immer ebener, der Boden immer ſteriler. Der Weg führt lange Zeit am Rande eines großen, aus ſtrauchartigen Immer— grüneichen beſtehenden Gehölzes, deſſen Boden mit Ros— maringebüſch bedeckt iſt, hin, ſpäter durch daſſelbe hin— durch, worauf man ganz kahle Fluren betritt. Ueberall war hier die ſpärliche Vegetation von der Sonnengluth verſengt und mit Staub überzogen. Die Landſchaft iſt entſetzlich triſt; rechts in geringer Entfernung gewahrt man nackte, weiße Mergelabhänge, welche das flache Thal des Gallego begränzen, und darüber den Caſtellär, einen niedrigen, bebuſchten Höhenzug, der ſich zwiſchen dem genannten Fluſſe und dem Ebro erhebt. Wir über— nachteten in Gurrea, einem ſchmuzigen Flecken von häß— licher Bauart, welcher auf dürrem, ſtaubigem Boden über dem ſteilen Rande eines waſſerloſen Barranco, umringt von Weizenfluren, liegt. In ſeinen Umgebungen bemerkt man nicht einen einzigen Baum! Ich war froh, als der Morgen graute und ich die ſchmuzige Poſada, in deren niedrigen Gemächern eine erſtickende Hitze herrſchte, und ihre mürriſchen, unhöflichen Bewohner verlaſſen konnte. Es war ein Sonntag, der 7. Juli. Die ganze Gegend

16 Der Barranco ſalado. Das Städtchen Zuera.

lag bereits vom frühen Morgen an in den Nebel der Calina gehüllt, und bot daher einen ſehr trüben, faſt unheimlichen Anblick dar; die Hitze war ſchon um ſechs Uhr Morgens ermattend. Nach einem zweiſtündigen Ritt über nackte, ſalzhaltige Mergelebenen gelangten wir nach der großen, am Rande des Gaͤllegothales gelegenen Venta de la Camarera, und einige Stunden ſpäter in eine von Erdhügeln umgürtete Schlucht, wo wir am Rande einer aus dem Gaͤllego kommenden Waſſerleitung, die auf einer Brücke über den Barranco geführt iſt, raſteten, um unſer Frühſtück einzunehmen. Die Erdwände der Schlucht waren faſt überall mit fingersdicken Salzkruſten überzogen, und ſowohl das Waſſer des die Schlucht durch— ſtrömenden Baches, als das der Tümpel, welche hier und da am Fuße der ſteilen Abhänge lagen, ſtark geſalzen. Deshalb führt dieſe Schlucht den Namen Barranco ſalado. Gleich darauf ſenkt ſich der Weg zu den Ufern des Gallego hinab, deſſen breiten und tiefen Waſſerſpie— gel man in einer ſchlechten Fähre überſchreiten muß. Am jenſeitigen Ufer liegt das Städtchen Zuera, in deſſen Umgebungen die Weizenernte in vollem Gange war. Der Ort iſt von einigen Bäumen umgeben und ziemlich gut gebaut, aber von eben ſo erdfahler Farbe, wie Gurrea und Saſa. Zuera iſt mit Zaragoza durch eine Fahrſtraße verbunden. Dieſelbe folgt bis Villanueva dem Fuße der kahlen Erdhügel, welche die Ebene des Gällegothales

Villanueva del Ebro. Anſicht von Zaragoza. 17

gegen Weſten fortwährend begränzen. Dieſe iſt gut an— gebaut, doch anfangs ziemlich kahl, erſt um Penaflor, einem von einer olivenreichen Huerta umringten Städt— chen mit ſehr hohem Kirchthurme, welches hart am Gäl- lego liegt, beginnen zahlreiche Oel- und Maulbeerbaum— pflanzungen, ſowie Weingärten. Villanueva del Ebro iſt ein hübſch gebauter Flecken mit reinlichen, weiß an— geſtrichenen und mit Balcons geſchmückten Häuſern, um— ringt von einer Menge von Oelbäumen. Wir verweilten hier ein paar Stunden, da die Hitze auf's Höchſte ge— ſtiegen war und wir daſelbſt ein gutes Wirthshaus an— trafen. Sobald man aus den Olivenplantagen heraus— tritt, erblickt man vor ſich in einigen Stunden Entfernung, aus einem Walde von Oelbäumen emportauchend, die Hauptſtadt Aragoniens.

Zaragoza nimmt ſich aus der Ferne von keiner Seite weder maleriſch, noch großartig aus, weil man wegen der die Stadt umgebenden und größtentheils höher als ſie gelegenen Olivenpflanzungen Nichts ſieht, als eine Reihe hoher Thürme, die wegen ihrer abgeſtumpften Spitzen wie Eſſen ausſehen, und weil es dem Bilde an einem Hintergrunde gänzlich gebricht. Bald entzogen mir die Baumpflanzungen des Gällegothales den Anblick der Stadt, die man von dieſer Seite nicht eher wieder ſieht, als bis man ſich dicht vor ihren Thoren befindet. Eine Reihe von Mühlen und Gartenhäuſern verkünden den

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 2

18 Die Vorſtadt Arrabal. Der Ebro.

Anfang des Arrabal oder der am linken Ufer des Ebro gelegenen Vorſtadt, welche fat nur von Bauern, Hand⸗ werkern, Gaſtwirthen und Arrieros bewohnt, aber regel— mäßiger gebaut iſt, als die eigentliche Stadt, mit der ſie durch eine hohe Steinbrücke von ſieben Bogen in Ver⸗ bindung ſteht. Dieſe Vorſtadt beſitzt mehrere Kirchen und Klöſter, zum Theil von ſchönen architectoniſchen Ver⸗ hältniſſen, macht aber wegen ihrer ſchmuzigen Gaſſen und der fahlen Farbe ihrer Gebäude keinen freundlichen Ein- druck. Es herrſcht hier fortwährend ein ſehr reges Le— ben, indem der Arrabal der Hauptſammelplatz der zahl- reichen, aus Hocharagonien und Frankreich kommenden Arrieros und der noch zahlreicheren cataloniſchen Fuhr— leute iſt, deren leichte Wagen durch ihre bunt bemalten Wachstuchplanen und ihre einzeln hinter einander geſpann⸗ ten Maulthiere ſich eben ſo grell von den ſchwerfälligen Ochſenkarren uuterſcheiden, die bei den Bewohnern des Ebrobaſſin beliebt ſind, als die blutrothen Sackmützen und die buntcarrirten Manteldecken der lebhaften, fröh— lichen Catalonier von den ſchwarzen, breitkrämpigen Filz— hüten und den dunkeln Mänteln der gebräunten, düſter blickenden Aragoneſen. Ich war froh, als ich die wegen der vielen Zug- und Laſtthiere fortwährend mit dicken Staubwolken erfüllten Straßen des Arrabal hinter mir hatte und mich am Ufer des Ebro befand, den ich hier zum erſten Male erblickte; denn von fern kann man den⸗

Ankunft in Zaragoza. 19

ſelben, weil er meiſt in einem tief eingeriſſenen Bette fließt und eine geringe Breite beſitzt, faſt nirgends ſehen. Von dem linken Ebroufer aus bietet die Hauptſtadt Ara- goniens einen impoſanten Anblick dar. Lang hin ziehen ſich dicht am gegenüber liegenden Ufer hohe, ſtolze Ge— bäude, unter denen ſich namentlich die große, oberhalb der Brücke gelegene, mit vielen Thürmen und Kuppeln geſchmückte Kirche der Madonna del Pilar, und der weit— läufige, unterhalb der Brücke befindliche erzbiſchöfliche Pallaſt, überragt von dem hohen Thurme und den go— thiſchen Zinnen der hinter demſelben ſtehenden Cathedrale, am meiſten auszeichnen. Schade, daß der Ebro eine ſo geringe Breite beſitzt (er iſt kaum halb ſo breit, als die Elbe bei Dresden) und des bunten Lebens der Schifffahrt entbehrt; ſonſt würde der Anblick von Zaragoza vom Arabal aus noch viel großartiger ſein, als er es gegen— wärtig iſt. Durch ein hohes Thor gelangt man am jen— ſeitigen Ufer auf einen kleinen, unregelmäßigen, von alten, finſtern Gebäuden umringten Platz, der durch eine kurze Gaſſe mit der großen regelmäßig viereckigen Plaza del Pilar, dem ſchönſten Platze, den die innere Stadt aufzuweiſen hat, in Verbindung ſteht, woſelbſt ich in einem alterthümlichen, aber leidlich eingerichteten Gaſthofe mein Quartier nahm.

Zaragoza gehört zu den älteſten Städten der Halb— inſel. Ueber den Urſprung der Stadt iſt nichts Sicheres

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20 Geſchichte von Zaragoza.

bekannt: der Sage nach ſoll ſie von den Phöniziern er⸗ baut worden ſein. In der Geſchichte wird ſie zuerſt zur Zeit der römiſchen Kaiſer genannt, die ſie zu einer rö— miſchen Colonie unter dem ſchon erwähnten Namen Cä— jar-Augufta erhoben. Den alten Geſchichtsſchreibern zufolge war dieſe Colonie eine große und blühende, einen ausgebreiteten Handel treibende Stadt; doch iſt dieſelbe ſchwerlich ſo groß geweſen, als die gegenwärtige, da die Hauptſtraße von Zaragoza, der Coſo, an deren Stelle ſich der Wallgraben der ehemaligen Römerſtadt befunden haben ſoll (der Name Coso ſoll nämlich durch Corruption aus fossa entſtauden fein), jetzt mitten in der Stadt liegt. Im Jahre 467 ward die Stadt von dem Weſtgothenfür— ſten Eurich erobert, und im Jahre 712 von den Ara⸗ bern unter Muſa, welche den römiſchen Namen in den jetzigen corrumpirten. Während der arabiſchen Herrſchaft gehörte Zaragoza zuerſt zu dem großen Reiche der Ka— liphen von Damascus, ſpäter zum Kaliphat von Cordova, bis es im Jahre 1047 die Hauptſtadt eines kleinen, un⸗ abhängigen Königreichs wurde, welches ſich beinahe ein ganzes Jahrhundert lang inmitten der zahlloſen Revolu— tionen, innern und äußern Kriege, die im elften Jahr⸗ hunderte das arabiſche Spanien erſchütterten, durch die Tüchtigkeit ſeiner Fürſten erhielt und allen Angriffen der Chriſten Trotz bot. Endlich am Ende eines fünfjährigen Krieges und einer neunmonatlichen Belagerung öffnete

Geſchichte von Zaragoza. 21

die ausgehungerte Stadt am 18. October 1448 dem Kö— nige Alphons J. von Aragonien die Thore. Der letzte Maurenkönig, Abdelmelek Ammaddola, hatte ſich ſchon einige Monate vorher aus der Stadt und aus dem Lande geflüchtet. Nun wurde Zaragoza die Reſidenz der Könige von Aragonien und bei der raſchen Vergrößerung dieſes Reiches bald die größte und mächtigſte Stadt des damaligen chriſtlichen Spanien. Dies blieb ſie bis in das funfzehnte Jahrhundert, bis zur Vereinigung der Reiche Aragonien und Caſtilien durch die Vermählung Ferdinands mit Iſabella. Dieſes für das geſammte chriſtliche Spanien ſo überaus günſtige Ereigniß, welches den Grundſtein zu der weltbeherrſchenden ſpaniſchen Mo— narchie legte, war für Zaragoza ein empfindlicher Schlag, weil Ferdinand ſeiner Gemahlin zu Liebe das Hoflager nach den großen Städten Caſtiliens verlegte, wo es auch für immer blieb. Seit jener Zeit nahm der Glanz von Zaragoza mehr und mehr ab. Der hohe Adel ſiedelte nach den neuen Reſidenzen über, und nach der Entdeckung von Amerika wanderte auch der reiche Handelsſtand aus, indem ſich in Folge derſelben der geſammte Handel Spa— niens in Sevilla, und überhaupt in Südſpanien, concen— trirte. So hörte Zaragoza auch auf, ein Emporium des Handels zu ſein, was es Jahrhunderte lang geweſen war und wozu es durch ſeine Lage an einem ſchiffbaren Strome, im Centrum weiter, eine allſeitige Communication begün—

22 Geſchichte von Zaragoza.

ſtigender Ebenen, berechtigt zu ſein ſcheint. Der geringe Verkehr lohnte nicht mehr die Koſten, welche man bisher auf die Flußſchifffahrt verwendet hatte, und bald verſan— dete der Ebro, ſich ſelbſt überlaſſen, ſo ſehr, daß an eine Schifffahrt gar nicht mehr zu denken war. In dieſem Zuſtande iſt der Strom bis auf den heutigen Tag ge— blieben. Noch ſchwerere Schläge drohten aber der Haupt⸗ ſtadt Aragoniens in den kommenden Jahrhunderten. Der ſpaniſche Succeſſionskrieg, während dem die Aragoneſen dem Haufe Oeſtreich anhingen, beraubte fie und ihre Haupt⸗ ſtadt ihrer uralten Freiheiten, Vorrechte und Privilegien. Endlich kam der napoleoniſche Krieg und mit ihm ein na— menloſes Elend über die unglückliche Stadt durch die bei— den furchtbaren Belagerungen von 1808 und 1809, in Folge deren ganze Straßen in Schutthaufen verwandelt wurden und ein Drittheil der heldenmüthigen Bevölkerung durch die Waffen, durch Hunger und Seuchen zu Grunde ging. Noch erinnern zahlloſe Spuren an jene Schreckensjahre, wo Zaragoza mehr gelitten hat, als irgend eine andere Stadt Europa's in neuerer Zeit, an jenen ungleichen Kampf, welcher um ſo mehr Bewunderung verdient, als die Hauptſtadt Aragoniens keine Feſtung iſt, und es größ⸗ tentheils nicht waffengeübte Krieger waren, welche die offene Stadt gegen die überlegene Macht ſieggewohnter, in hundert Kämpfen erprobter Truppen Monate lang ver⸗ theidigten, ſondern friedliche Bürger. Zaragoza hat ge⸗

Einwohnerzahl und Bauart von Zaragoza. 23

zeigt, was ein wehrloſes, aber edles Volk vermag, wenn es will, hat aber ſeinen unſterblichen Ruhm auch theuer erkauft, denn noch jetzt blutet die Stadt aus den Wunden, die ihr jene Kämpfe ſchlugen.

Wenn man die Schickſale von Zaragoza in Erwä— gung zieht, ſo iſt es nicht wunderbar, daß dieſe Stadt gegenwärtig nicht den Erwartungen entſpricht, zu denen ihre große Vergangenheit berechtigt. Zaragoza iſt zwar noch immer, was den Umfang anlangt, eine der größten Städte Spaniens; allein hinſichtlich der Einwohnerzahl gehört es jetzt zu den Städten zweiten Ranges. Sie zählt nämlich gegenwärtig mit Inbegriff der Vorſtädte nur gegen 60000 Seelen, d. h. kaum die Hälfte der Be— völkerung, die ſie ihrer Größe und Bauart nach faſſen könnte. Denn allein die eigentliche Stadt, d. h. der am rechten Ebroufer gelegene und von Mauern umſchloſſene Theil von Zaragoza, mißt eine Stunde im Umfange, und da das Innere, wie das aller ſpaniſchen Städte, die Jahrhunderte lang unter der Herrſchaft der Mauren ge— ſtanden haben und dieſen ihre Größe verdanken, eng zu— ſammengebaut, ein Gewirr kleiner Plätze und enger Gaſ— ſen iſt, und aus hohen, mehrſtöckigen Gebäuden beſteht, ſo liegt es auf der Hand, daß die Stadt eine ſehr große Menge von Bewohnern zu faſſen im Stande ſein muß. In der That reicht ein Spaziergang durch die von dem belebten Centrum entfernteren Theile der Stadt hin, um

24 Spuren der Belagerungen durch die Franzoſen.

ſich von dem Mangel an Bevölkerung zu überzeugen. Da ſtößt man auf ganz verödete Gaſſen, auf in Ruinen lie— gende oder verlaſſene, den Einſturz drohende Häuſer, auf Schutthaufen und Brandſtellen. Die meiſten dieſer Rui— nen rühren noch von den Bombardements und den Stra= ßenkämpfen der erwähnten Belagerungen her. Selbſt in den belebteren Stadttheilen trifft man noch häufige Spu— ren von jenen wiederholten furchtbaren Straßenkämpfen. Manche Häuſer, die weniger den Kugeln des ſchweren Geſchützes, als dem Kleingewehrfeuer ausgeſetzt geweſen ſein mögen und deshalb nicht zerſtört worden ſind, hat man zum Andenken an jene Schreckenstage gelaſſen, wie ſie waren, oder wenigſtens die Kugelſpuren nur mit Mörtel zugeſtrichen, ohne die zerſchoſſenen Wände abzu⸗ putzen. Dergleichen Gebäude, die ganz ſo ausſehen, wie die Häuſer mancher Gaſſen in Dresden nach den Maita— gen von 1849, habe ich beſonders auf dem Coſo getroffen, dem Hauptſchauplatze des Kampfes während beider Bela— gerungen. Hier, desgleichen an einigen andern Stellen des Centrums der Stadt, liegen auch ganze Gebäude noch in Ruinen, zumal Klöſter; denn dieſe haben am meiſten gelitten, weil ſie theils wegen ihrer feſten Bau— art, theils wegen ihrer relativen Lage die ſtrategiſch wichtigſten Puncte ſowohl für die Belagerten als für die Belagerer bildeten“). Unter denſelben verdient nament—

) Unter den öffentlichen Gebäuden wurden während der bei⸗ den Belagerungen gänzlich zerſtört: elf Klöſter, eine Kirche und der

Das Kloſter Santa Engracia. 25

lich das ehemals durch ſeine Pracht und feine Kunſtſchätze berühmte Hieronymiterkloſter Santa Engracia, dicht am Thore gleiches Namens in der Nähe des Coſo gele— gen, eine Erwähnung, weil es während beider Belage— rungen das Centrum des Kampfes und der Schauplatz zahlloſer Heldenthaten ſowohl als Gräuel geweſen iſt. Das Kloſter Santa Engracia war eines der feſteſten Gebäude von Zaragoza und bot, da es im höchſten Theile der Stadt liegt und dieſe deshalb beherrſcht, den geeig— netſten Punet dar, um die Stadt aus der Nähe zu be— ſchießen. Die Franzoſen richteten daher gleich während der erſten Belagerung ihr Augenmerk ganz vorzüglich auf dieſes Kloſter. Nach monatelangem Kampfe gelang es ihnen endlich, deſſelben habhaft zu werden, nachdem ſeine Vertheidiger bis auf den letzten Mann gefallen waren. Als die Franzoſen die Belagerung aufheben und ſich zu— rückziehen mußten, ſprengten ſie das Kloſter in die Luft, wahrſcheinlich, um ſich für das nächſte Mal einen ſo viel Zeit und Menſchen raubenden Kampf zu erſparen. Allein fie hatten ſich verrechnet; denn die Zaragozaner beeilten ſich, ſofort nach dem Abzuge der Franzoſen die Ruinen des Kloſters durch Schanzen und Gräben, welche noch jetzt exiſtiren, in einen feſten und haltbaren Punct zu verwandeln, Auf dieſen Wällen war es, wo während der

Pallaſt der „Audiencia real“ (königlicher Gerichtshof). Mehrere der zerſtörten Klöſter ſind weggeriſſen worden, die andern liegen noch jetzt in Ruinen.

26 Aguſtina de Aragon. Die Kirche der heiligen Märtvrer.

zweiten und furchtbarſten Belagerung die ſchöne Aguſtina de Aragon, jene unter dem Namen „das Mädchen von Zaragoza“ ſo berühmt gewordene Heldenjungfrau, als Kanonier in die Reihen der Kämpfenden trat, nachdem ihr Bräutigam durch die feindlichen Kugeln gefallen war, ja nach Tödtung der Offiziere die ganze Batterie eine Zeit lang commandirte, eine Bravour, für welche ihr ſpäter von der Centraljunta das Adelsdiplom und der Oberſtenrang verliehen wurde. Von dieſem ewig denk— würdigen Kloſter entging blos die unter der Kirche be— findliche Katakombe, die ſogenannte Kirche der heiligen Märtyrer, der Zerſtörung. Es ſollen ſich daſelbſt viele Koſtbarkeiten befinden, wie z. B. eine Menge Reliquien und das Haupt der heiligen Engracia, umſchloſſen von einer ſilbernen, mit Edelſteinen verzierten Kapſel, des— gleichen ein Brunnen, welcher der Sage nach aus dem Blute der Chriſten, die Dacian enthaupten ließ, entſtan⸗ den iſt, und andere Dinge; ich ſelbſt habe dieſe Kata— kombe nicht geſehen, da ſie bei meiner Anweſenheit un— zugänglich war. Die eigentliche Kirche des Kloſters ſtürzte nur theilweis ein und iſt deshalb wieder hergeſtellt wor— den. In derſelben befindet ſich das Grabmal des be— rühmten aragoneſiſchen Geſchichtsſchreibers Geronimo Zurita. Der Reſt des Kloſters liegt in Ruinen und ſoll in dieſem Zuſtande, zum Andenken an jenen Helden— kampf, auf ewige Zeiten verbleiben. Neben die Kirche

Das Caſtillo de la Aljaferia. 27

und zwiſchen die koloſſalen Ruinen iſt eine Artillerieka— ſerne gebaut worden.

Die Wälle von Santa Engracia ſind die einzigen modernen Feſtungswerke, welche die Stadt ſelbſt beſitzt. Der bei weitem größte Theil derſelben iſt blos von einer hohen und dicken alten Mauer, und zwar nur auf der dem Ebro entgegengeſetzten Seite, umſchloſſen. Einzelne Stücke dieſer Mauer ſcheinen, der Bauart nach zu ur— theilen, noch aus der Zeit der Römer und Araber her— zurühren. Außerhalb der Stadt, an ihrer weſtlichen Seite, liegt ein altes, mit Wall und Graben verſehenes Schloß, das Caſtillo de la Aljaferia, die ehemalige Reſidenz der Könige von Aragonien. Dieſes Schloß gilt zwar noch jetzt für eine Citadelle, iſt aber viel zu wenig befeſtigt und liegt auch viel zu tief, um die Stadt im Falle eines Angriffes beſchützen oder bei einem Aufruhr bezwingen zu können. Seiner ungünſtigen Lage halber hat es ſich auch während beider Belagerungen nur kurze Zeit gehalten. Sonſt wird Zaragoza durch kein Außen— werk vertheidigt; im Gegentheil iſt die Stadt gegen Weſt, Südweſt und Nord von nahe gelegenen Höhen vollkom— men beherrſcht. Um ſo unbegreiflcher iſt es, wie ſich dieſelbe gegen die kriegserfahrenen Truppen des napo— leoniſchen Heeres binnen einem Jahre zweimal mehrere Monate lang halten konnte. Es läßt ſich dieſer uner— hörte Widerſtand nur aus dem glühenden Haſſe gegen alles

28 Die Calle del Coſo und ihre Umgebungen.

Fremde, aus dem unzähmbaren Trotze und hohen Un— abhängigkeitsſinne erklären, welcher die Bewohner Ara- goniens ſeit den älteſten Zeiten charakteriſirt hat und dieſelben noch jetzt bewegen würde, lieber Hab' und Ver—⸗ mögen, Weib und Kind zu opfern, als ihren Nacken un— ter das Joch der Fremdherrſchaft zu beugen.

Unter den Gaſſen und Plätzen der innern Stadt nimmt die ſchon mehrfach erwähnte Calle del Coſo die erſte Stelle ein. Dieſelbe erſtreckt ſich in krummer Linie faſt durch die ganze Stadt und bildet, da die Mehr— zahl ihrer Gebäude während der zweiten Belagerung gänzlich eingeäſchert wurde und daher von Neuem erbaut werden mußte, gegenwärtig den ſchönſten und eleganteſten Theil von Zaragoza. Namentlich zeichnet ſich der mitt— lere Theil des Coſo durch bedeutende Breite, ſchöne Trot— toirs und ſtattliche Häuſer aus, deren geſchmackvolle Kauf— hallen einen Culturzuſtand zur Schau tragen, von dem man ſonſt in Zaragoza wenig bemerkt. Eine breite, in ihrer Mitte mit einer Promenade geſchmückte Straße erſtreckt ſich von dem mittlern Theile des Coſo bis zu dem ſchönen, neuerbauten Thore von Santa Engracia. An dieſer Straße liegen mehrere ſchöne, ganz moderne Gebäude, unter andern ein von einem Schweizer erbautes, mit großem Luxus eingerichtetes Kaffeehaus, welches der Reunionspunkt der faſhionablen Männerwelt von Zara goza und der Fremden iſt. Da, wo die Straße in den

Der Blutbrunnen. Die Caſa de los Gigantes. 29

Coſo einmündet, befindet ſich ein geſchmackvoller Marmor— brunnen, von dem Volke der „Blutbrunnen“ (fuente de la sangre) genannt, weil an dieſer Stelle, der tiefſten des Coſo, während des Kampfes von 1809 das Blut der Gefallenen zu einem großen Tümpel zuſammenfloß. Die übrigen Parthieen des Coſo ſind weniger ſchön, in— dem ſich daſelbſt mehr alte Gebäude erhalten haben. Unter denſelben fällt ein weitläufiger, finſterer Pallaſt von alterthümlicher Bauart am meiſten in die Augen, welcher den ſeltſamen Namen Caſa de los Gigantes führt. Sein großes Portal wird nämlich von zwei koloſ— ſalen männlichen Figuren in mauriſchem Coſtüme getragen. Dieſes merkwürdige Gebäude, über deſſen Urſprung nichts Sicheres bekannt zu ſein ſcheint, war das Hauptquartier des General Palafox. Noch jetzt dient es als Reſidenz der Generalcapitäns von Aragonien.

Mehr als die Straßen und Plätze zeugen von dem ehemaligen Glanze Zaragoza's die öffentlichen Gebäude, namentlich die Kirchen und Klöſter. Erſtere, an Zahl einundzwanzig, ſind ſämmtlich groß und prachtvoll, nur leider faſt alle durch Ueberladung mit geſchmackloſen Zier— rathen verunſtaltet. Unter ihnen verdienen beſonders zwei den Beſuch des Fremden, nämlich die Metropolitan— kirche San Salvador und die Kirche Nueſtra Se— flora del Pilar. Die Metropolitankirche, vom Volke la Catedral de la Seo genannt, die älteſte Kirche von

30 Die Metropolitankirche San Salvador oder la Seo

Zaragoza, ſteht auf einem leider ſehr kleinen Platze hart

neben dem erzbiſchöflichen Pallaſte, einem weitläufigen Gebäude von geringem architectoniſchem Werthe. Das Aeußere des Domes iſt ſehr einfach, gothiſch, das Haupt⸗ portal mit korinthiſchen Säulen und den lebensgroßen Statuen des Erlöſers und der Apoſtel Petrus und Pau— lus geſchmückt. Neben demſelben erhebt ſich der Thurm, welcher erſt im ſiebzehnten Jahrhunderte erbaut wurde und eine bedeutende Höhe beſitzt. Er iſt gänzlich aus Ziegeln ausgeführt, viereckig, und endet in eine Plate— form, auf welcher vier koloſſale Steinbilder, allegoriſche Figuren der vier Cardinaltugenden, ſtehen. Das Innere der Kirche, eine weite, düſtere, in fünf hohe Schiffe zer— fallende Halle ſtammt aus den beſten Zeiten der gothi— ſchen Architectur. Schade, daß die Harmonie der hohen Spitzbogengewölbe durch große, vergoldete, jedenfalls erſt in ſpäterer Zeit hinzugefügte Roſetten, die man an den Schlußſtein befeſtigt hat, geſtört wird. Die im Verhält— niß zur Größe des Domes ſehr kleinen und meiſt nur zur Hälfte ausgeführten Fenſter enthalten alte Glasge— mälde, welche das wenige Licht, das in die Kirche ge— langen kann, ſo ſehr dämpfen, daß es unmöglich iſt, die in den zahlreichen Kapellen befindlichen Gemälde und andern Kunſtſchätze ordentlich zu ſehen. Die Kapellen und die Umgebungen des Chor, welcher ſich nach ſpani—

ſcher Sitte im Centrum der Kirche befindet, umſchließen

Die Kirche der Madonna del Pilar. 31

die Grabmäler vieler Könige und Prinzen von Aragonien. Die Außenſeite des Chor iſt mit Heiligengeſchichten vor— ſtellenden Basreliefs aus weißem Marmor geziert. Auch befindet ſich hier das Altar des Criſto de la Seo, einer ſehr ſchön gearbeiteten Holzſtatue, von der die Gläu— bigen behaupten, daß fie mit einem Canonicus der Kirche, Namens Funes, deſſen Figur neben dem Crucifix in knieen— der Stellung zu ſehen iſt, geſprochen habe! Ueber dem Platze zwiſchen dem Chor und dem Hochaltar erhebt ſich eine hohe achteckige Kuppel, die der Gegenpabſt Luna, welcher Erzbiſchof von Zaragoza war, hat erbauen laſſen. Der Boden der Kirche iſt ſehr ſchön mit polirtem Mar— mor von verſchiedener Farbe getäfelt.

Bei weitem nicht ſo ſchön, aber viel berühmter und beſuchter, als die Metropolitankirche, iſt die Kirche der Madonna del Pilar oder die Catedral de la Vir— gen, wie ſie das Volk ſchlechtweg nennt. Die Madonna del Pilar de Zaragoza erfreut ſich in ganz Spanien, ja ſelbſt in den benachbarten katholiſchen Ländern, einer gro— ßen Verehrung; bei den Aragoneſen aber concentrirt ſich das ganze Chriſtenthum, die ganze Religion lediglich in dem Cultus dieſes wunberthätig fein ſollenden Marien— bildes. In Aragonien trifft man keine Hütte, wo nicht ein Bild, ſei es auch noch ſo ſchlecht, von dieſer Madonna hinge, und den Ablaßprivilegien zufolge, welche die Päbſte zu Rom und die Erzbiſchöfe von Zaragoza der Kirche der

32 Verehrung der Madonna del Pilar in Aragonien.

Jungfrau bewilligt haben, reicht es, um ſich die ewige Seligkeit zu ſichern, vollkommen hin, täglich ein Pater⸗ noſter und Avemaria in gläubiger Andacht vor einem ſolchen Bilde zu beten. Den Aragoneſen iſt folglich der Himmel gewiß, zumal den Zaragozanern, welche das Glück genießen, dieſe unvergleichliche Madonna in ihren Mauern zu haben. Dieſelbe hilft auch für Alles, für Krankheit, Gebrechen aller Art, Armuth, Hagelſchlag, Dürre, Theu— rung, Feuers- und Waſſersnoth, kurz, für alles Elend, was es auf Erden giebt. Nur ein Uebel ſcheint ſie nicht heilen zu können, das iſt die Blindheit, denn für dieſes Uebel giebt es eine beſondere Heilige, nämlich Santa Lucia, welche in Aragonien ebenfalls eine bedeutende Gunſt und Verehrung genießt. In dem Dome der Jungfrau werden alltäglich, außer den gewöhnlichen Meſſen am Hochaltar, von früh drei Uhr an bis Mittags zwölf Uhr ununterbrochen Meſſen an dem Altar des Madonnenbildes geleſen, und man mag in dieſen Tempel kommen, zu welcher Stunde man wolle, immer wird man den Platz vor jenem Altare mit einer Menge Menſchen beiderlei Ge— ſchlechts bedeckt finden, die, auf den Knieen liegend, ihr Gebet verrichten. Selbſt die vornehmſten Damen, die höchſten Beamten und Offiziere, die Profeſſoren der Uni— verſität, kurz, die gebildetſten Leute, knieen gleich dem zerlumpteſten Bettler täglich, oder wenigſtens alle Sonn— tage, vor dieſem Bilde, ob aus Bedürfniß, oder aus An⸗

Einfluß des Madonnendienſtes auf die Aragoneſen. 33

gewohnheit, ob aus Glauben, oder aus Klugheit, will ich dahin geſtellt ſein laſſen. Der Name Gottes oder Chriſti wird in Zaragoza und überhaupt in Aragonien kaum gehört, ſondern blos der der „Santiſima Virgen del Pilar“. Wird man angebettelt, ſo iſt es dieſe Ma— donna, die das Herz zur Mildthätigkeit erweichen ſoll, und dankt ein Bettler, ſo iſt ſie es wieder, welche die Wünſche deſſelben verwirklichen ſoll. Dieſer ſeit undenk— lichen Zeiten von der Geiſtlichkeit gehegte und gepflegte Madonnendienſt iſt jedenfalls die Haupturſache der Igno— ranz, der Unduldſamkeit und Bigotterie, durch welche ſich das ſonſt ſo treffliche und begabte Volk der Aragoneſen ſo unvortheilhaft von den übrigen Volksſtämmen Spaniens unterſcheidet. Denn die Aragoneſen ſind der einzige ſpa— niſche Volksſtamm, der ſich noch gegenwärtig durch reli— giöſen Fanatismus und grimmigen Ketzerhaß auszeichnet. Die beiſpielloſe Verehrung, welche der Madonna del Pilar erwieſen wird, hat ihren Grund in der folgenden Legende, deren Wahrheit durch päbſtliche Bullen u. ſ. w. verbrieft und beſiegelt iſt. Nach Chriſti Tode kam die heilige Jungfrau in Perſon nach Spanien, als Führerin des Apoſtels Jacobus, welcher die Spanier zum Chriſtenthum bekehren ſollte, was er auch der Behauptung des Clerus zufolge wirklich gethan hat, und wofür ihm die Ehre zu Theil geworden iſt, Schutzpatron der geſammten ſpaniſchen Nation dieſſeits und jenſeits des Meeres zu ſein. Nach—

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 3

34 Legende von der Madonna del Pilar.

dem die Jungfrau die ganze Halbinſel durchſtreift hatte nur in die Mancha iſt ſie der Volksſage nach nicht gekommen, weil ihr dieſelbe gar zu ſchlecht war —, kam ſie zuletzt auch nach Zaragoza, wo es ihr ſo gefiel, daß ſie beſchloß, daſelbſt zu bleiben, wenn nicht in Perſon, doch wenigſtens in effigie. Kurz, fie bezeichnete dem Apoſtel Jacobus die Stelle, wo ſie wünſche, daß ihr Haus er⸗ baut werde, und ſiehe da, an derſelben Stelle fand ſich in ſpäterer Zeit ein überaus wunderbares Madonnenbild,“ denn daſſelbe beſtand nicht, gleich andern, aus Stein oder Holz, nein, aus Fleiſch und Bein, und heilte die Kranken] und Krüppel, welche zufällig bei deſſen Auffindung zu⸗ gegen waren, auf der Stelle durch das bloße Anſchauen.“ Das Bild wurde neben oder unter einem Waſſertroge am Ufer des Ebro gefunden, und daher kommt ſein Name, denn pilar heißt ein Waſſertrog. | Die Catedral de la Virgen ſtammt erſt aus dem ſiebzehnten Jahrhunderte und tft ein wunderliches Ge- bäude. An Größe mangelt es ihr nicht, denn fie bilden ein längliches Viereck von 500 Fuß Länge, auch nicht ar Pracht und an Kunſtſchätzen, wohl aber an Geſchmack und an Styl. Das Innere der Kirche, aus drei geräumiger Schiffen beſtehend, iſt nämlich entſetzlich mit Verzierun gen überladen, welche, da ſie meiſt in Stein gehauen ſind Unſummen von Geld gekoſtet haben müſſen, und, wie dae ganze Gebäude, in einem Style ausgeführt, der ſich nich

Bauart der Catedral de la Virgen. 35

anders, als mit dem Namen Perückenſtyl charakteriſiren läßt. So beſtehen die Kapitäle der gewaltigen Pfeiler, welche das Gewölbe der drei Schiffe tragen und zu bei— den Seiten derſelben ſieben geräumige Kapellen von einan— der ſcheiden, aus Engelsköpfen und Blumenwerk und ſind die zum Theil mit herrlichen Fresken geſchmückten Kuppeln der Kapellen mit en hautrelief ausgeführten Guirlanden umzogen! Anſtatt gewöhnlicher Kirchenfenſter beſitzt jede Kapelle eine kreisrunde Oeffnung hoch oben am Gewölbe, durch welche das Licht in die Kirche hereinfällt. Da dieſe runden Fenſter faſt immer mit Vorhängen verhüllt zu ſein pflegen, ſo herrſcht in der Kirche beinahe dieſelbe Dunkelheit, wie in der Catedral de la Seo. Ueber jeder Kapelle wölbt ſich eine kleine Kuppel empor, die mit einem Thürmchen gekrönt iſt. Je zwei der ſieben Kapel- len einer jeden Längenſeite dienen als Eingangshallen, zwei von der Seite des Ebro, die beiden andern von der Seite der Plaza del Pilar. Ein Hauptportal giebt es ſeltſamerweiſe nicht; kurz, die ganze Kirche iſt nach einem allen Geſetzen der Architectur Hohn ſprechenden Plane gebaut. Auch die einzelnen Parthieen des Innern, wie die Kapellen, das Hochaltar und der Chor tragen dieſen Charakter von Verkehrtheit und Geſchmackloſigkeit. Das Hochaltar z. B. iſt ein mixtum compositum aus allen mög— lichen Stylen, überladen mit Sculpturen, welche, für ſich betrachtet, zum Theil Meiſterwerke der Bildhauerkunſt und 3 *

36 Kunſtſchätze dieſer Kirche.

ſämmtlich in Marmor und Alabaſter ausgeführt ſind. Eine

beſondere Zierde deſſelben ſind drei marmorne, von dem | valencianiſchen Künſtler Damian Format herrührende |

Basreliefs, von denen das mittelſte die Geburt Chriſti, die beiden andern die Präſentation Chriſti im Tempel und die Himmelfahrt Chriſti darſtellen. Der Chor, wel— cher ſich hier am weſtlichen Ende des Hauptſchiffes, dem

Hochaltar gegenüber befindet, verdient wegen der pracht⸗

vollen Holzſchnitzereien, welche die Lehnen und Seiten—

wände der 145 aus Eichenholz verfertigten Armſeſſel der Canonici bedecken, alles Lob; der Kunſtgenuß, den der Anblick dieſer herrlichen Seulpturen gewährt, wird aber

durch die abgeſchmackten Verzierungen des koloſſalen bron— zenen Gitterthors, das den Chor von dem Schiffe der Kirche abſperrt, bedeutend geſtört. Die Gitterſtäbe ſind nämlich mit einer Menge kleiner vergoldeter Vögel, Am— phibien, Fiſche, Blumen, Arabesken u. ſ. w. beſetzt. Sehr ſchön iſt ein in der Kapelle des heiligen Joachim ſtehen— des Grabmonument, welches Karl III einem feiner ver— dienteſten Generale, dem 1747 verſtorbenen Herzoge von Montemar, Don Joſef Carillo de Albornoz, ſetzen ließ. Daſſelbe beſteht aus einem Obelisken, der auf einem geſchmackvollen, mit den allegoriſchen Figuren der Tapferkeit und Gerechtigkeit geſchmückten Sockel ruht, und iſt ganz und gar aus weißem, carrariſchem Marmor ausgeführt. Der Bildhauer war ein Spanier, Namens

Die Kapelle der Jungfrau. 815

Lamberto Martinez. Der ſehenswertheſte oder viel— mehr der durch ſeine Pracht imponirendſte Theil der Kirche iſt die Kapelle der Jungfrau. Dieſelbe befindet ſich hinter dem Hochaltar am öſtlichen Ende der Kirche und bildet einen Tempel für ſich, ſo zu ſagen, ein Aller— heiligſtes. Sie hat eine ovale Form und ſoll nach der Caſa ſanta di Loretto gebaut fein. Korinthiſche Säulen von prachtvollem buntem Marmor mit vergoldeten Kapi— tälen, welche drei von Rundbogen überwölbte Eingänge zwiſchen ſich laſſen, tragen eine impoſante Kuppel, durch deren Laterne das Licht von oben her in das Heiligthum hereinfällt. Im Umkreiſe dieſer großen Kuppel ſind noch vier kleinere, ebenfalls in Laternen endigende Kuppeln angebracht, weshalb die Kapelle der Jungfrau von Außen als ein Conglomerat von Kuppeln und Thürmchen er— ſcheint. Alle fünf Kuppeln ſind mit den prachtvollſten Fresken, von der Meiſterhand der berühmten ſpaniſchen Freskomaler des achtzehnten Jahrhunderts, Franziseco Bayeu, Franzisco Goya und Antonio VBelazquez geziert. Die Fresken der Hauptkuppel ſtellen die Jung— frau, umgeben von einer Glorie himmliſcher Heerſchaaren, vor, die der vier Seitenkuppeln myſteriöſe Scenen aus ihrem Leben. Die Geſimſe, Wände und Fußböden des Tempels ſind gänzlich aus den koſtbarſten Marmorarten verfertigt und ſpiegelblank polirt. An der dem mittlern Eingange gegenüber liegenden, dem Hochaltar zugekehrten

38 Das wunderthätige Madonnenbild.

Seite erheben ſich drei Altäre neben einander. Das mit: telfte beſitzt anſtatt eines Gemäldes ein ſehr ſchönes Bas— relief von weißem Marmor in Geſtalt eines großen Me— daillons, welches den Augenblick verewigt, wo die heilige Jungfrau dem Apoſtel Jacobus die Stelle zeigt, an der ſie ihren Tempel erbaut wiſſen wollte. Auf dem Altar rechts daneben befindet ſich der Gegenſtand der ſtupiden Verehrung der Aragoneſen, das wunderbare und wunder— thätige Marienbild, welches man nicht gut anders, als knieend zu betrachten wagen darf, will man nicht Gefahr laufen, von den bigotten Gläubigen inſultirt zu werden. Die Madonna del Pilar iſt eine Puppe von der Größe eines vierjährigen Kindes, mit einem recht hübſchen friſchen Mädchengeſichte, welches nur durch die enorme goldene Krone, die ſie auf dem Haupte trägt, verunſtaltet iſt, ſowie durch den glockenförmigen Mantel, der die ganze Figur bis an das Kinn verhüllt. Dieſer Mantel iſt von ſchwerer Seide und ſtrotzt von Perlen und Edelſteinen. Eine Menge Kerzen auf hohen Leuchtern von maſſivem | | |

Silber brennen fortwährend auf dem Altar der Jungfrau, wodurch es möglich wird, ſowohl das Bild, als das er— wähnte Basrelief, ſowie die übrigen Verzierungen und Kunſtſchätze der Kapelle zu ſehen; denn das von oben hereinfallende Licht iſt zu ſchwach, um die geräumige Halle vollſtändig zu erleuchten. Außer dem beſchriebenen Medaillon giebt es noch andere Basreliefs an den Wän—

Runſtſchätze der Kapelle der Jungfrau. Klöfter von Zaragoza. 39

den des Tempels, welche Myſterien aus dem Leben der Jungfrau veranſchaulichen, ſowie acht Heiligenſtatuen, Alles von weißem Marmor, Werke der ſpaniſchen Bild— hauer Manuel Alvarez, Carlos Salas, Joſef Ramirez, Juan de Leon und Leon Lozano. Kurz, es herrſcht eine unbeſchreibliche Pracht in dieſem Tempel, aber ſchön dürfte ihn das prüfende Künſtlerauge trotz der Vortrefflichkeit ſeiner Einzelnheiten ſchwerlich finden. Un— ter der Kapelle der Jungfrau befinden ſich die Grüfte der Canonici. Am weſtlichen Ende der Kirche erhebt ſich der Glockenthurm, welcher wie das ganze Gebäude aus Ziegeln erbaut iſt und mit einem ebenfalls ziegelge— deckten Dache von der Geſtalt einer flachen, vierſeitigen Pyramide endet. An Höhe kommt dieſer Thurm dem der Metropolitankirche ziemlich gleich.

Zaragoza beſaß ehedem 41 Klöfter, nämlich 28 Mönchs— und 13 Nonnenklöſter. Letztere exiſtiren noch, mit Aus— nahme des Kloſters der Kapuzinerinnen, welches im Fran— zoſenkriege zerſtört und ſpäter weggeriſſen wurde; die Mönchsklöſter dagegen ſind, wie überall in Spanien, ſämmt— lich aufgehoben. In vielen derſelben ſollen große Kunſtſchätze enthalten, oder, vielleicht richtiger, enthalten geweſen ſein. Unter den öffentlichen, nicht für religiöſe Zwecke beſtimm— ten Gebäuden iſt namentlich die Lonja oder der alte Börſenpallaſt ſehenswerth. Derſelbe liegt an der Puerta del Angel und bildet ein großes Viereck von alterthüm—

40 Der Pallaſt der Lonja. Die Torre nueva.

licher Bauart. Die Außenwände des von der Zeit ge— ſchwärzten Gebäudes ſind mit den koloſſalen Bruſtbildern der Könige von Aragonien geſchmückt; im Innern befindet ſich eine große Halle, welche durch funfzig doriſche Säulen von vierzig Fuß Höhe in drei Schiffe geſchieden iſt. Hier verſammelten ſich zur Zeit des aragoneſiſchen Königthums, als Zaragoza's Handel noch blühte, die Kaufleute; jetzt dient dieſe Halle dem Rathe der Stadt, dem Ayunta⸗ miento, als Sitzungslocal. Ein anderes der Beachtung würdiges Bauwerk iſt die Torre nueva, der höchſte Thurm von Zaragoza. Derſelbe ſteht vollkommen iſolirt auf einem kleinen Platze und iſt außer ſeiner Höhe und der großen, in ſeiner durchbrochenen Spitze hängenden Glocke, welche als Seigerſchelle dient, beſonders deshalb berühmt, weil er bedeutend nach der einen Seite hin überhängt, ähnlich wie der ſchiefe Thurm zu Piſa. Doch iſt die Torre nueva keineswegs abſichtlich ſchief gebaut, wie der Thurm zu Piſa, ſondern hat ſich blos auf der einen Seite geſenkt, befindet ſich aber ſeit undenklicher Zeit in dieſem Zuſtande. Dieſer Thurm gehört jeden— falls, trotz ſeines Namens, zu den älteſten Gebäuden von Zaragoza. Er iſt achteckig, mit gothiſchen Verzierungen bedeckt und von ſehr bedeutender Dicke. Eine bequeme ſteinerne Wendeltreppe führt in ſeinem Innern zu dem Kranze empor, über welchem ſich eine hohe, ſteile, mit

Kupferblech gedeckte und mit gothiſchen Zierrathen aus

*

Promenaden von Zaragoza. Salou de Santa Engracia. 44

Zink geſchmückte Spitze erhebt. Der Kranz bietet eine ſehr weite Ausſicht dar, die ſchöner ſein würde, wären die Ebenen des Ebrobaſſins weniger ſteril und mehr bevöl— kert. Bei heller Luft ſieht man die Pyrenäen ſehr deutlich.

Obwohl Zaragoza im Mittelpunkte einer öden Steppe liegt, ſo ſind ſeine nächſten Umgebungen, ſo weit die baumreiche und wohlangebaute Huerta reicht, doch ſehr anmuthig. Auch iſt durch Anlegung von Promenaden ſehr viel für die Verſchönerung der Stadt gethan wor— den. Faſt rings um ihre Mauern ſchlingen ſich ſchattige Alleen; der ſchönſte Spaziergang befindet ſich aber vor der Puerta de Santa Engracia. Hier verſammelt ſich allabendlich die elegante Welt von Zaragoza auf dem geräumigen Platze des Salon de Santa Engracia, einer großen, von Alleen umringten und in ihrer Mitte mit einem hübſchen Blumengarten gezierten Rotunde. Mehr, als dieſe, wie es ſcheint, erſt vor wenigen Jahren angelegte Promenade, gefiel mir der Paſeo del Monte Torrero, eine prächtige vierfache Allee alter, ſtattlicher Ulmen, welche ſich, von dem Ufer des Huerva, der nahe bei der Puerta de Santa Engracia vorbeifließt, ſanft anſteigend, eine halbe Stunde weit bis zum Kaiſerkanal erſtreckt und ihren Namen von dem Kloſter Monte Tor— rero erhalten hat, das dicht am Rande des Kanals, an einer der höchſten und anmuthigſten Stellen der Huerta, im Schooße fruchtbarer Gärten, Oliven- und Obſthaine

142 Das Kloſter Monte Torrero.

liegt. Dieſes Kloſter ſieht ſehr modern aus und iſt in florentiniſchem Style erbaut. Die mit zwei ganz gleich geformten Glockenthürmen verzierte Façade würde noch ſchöner fein, wären die Kapitäle der fie ſchmückenden Säu⸗ len nicht verunſtaltet. Sie ſind nämlich korinthiſch, ha— ben aber anſtatt der maleriſchen Acanthusblätter geſchmack— loſe Blumenguirlanden. Ueber dem Innern der Kirche, einer ſchönen, doch ebenfalls mit Verzierungen überlade— nen Rotunde, wölbt ſich eine große und ſehr edel geformte Kuppel empor, die mit jenen blos in Spanien gebräuch⸗ lichen glacirten Buntziegeln, welche „Azulejos“ genannt und vorzüglich in Valencia in großer Menge fabrizirt werden, gedeckt iſt. Dieſe Azulejos ſind gewöhnlich dun— kelblau (daher der Name) und beſitzen einen eigenthüm⸗ lichen, in's Goldige ſpielenden Glanz, weshalb eine mit dergleichen Ziegeln gedeckte Kuppel, wenn die Sonne auf dieſelbe ſcheint, einen ungemein ſchönen Anblick darbietet, beſonders, wenn ſie ſich zwiſchen üppigem Baumwuchſe erhebt oder gar von Palmen umringt iſt, wie man dies häufig im Königreiche von Valencia ſehen kann. Nahe bei dem Monte Torrero erheben ſich am Ufer des Kanals eine Reihe ſtattlicher Gebäude, welche Niederlagen, Ma— gazine, Tabernen, ein Wachlocal u. ſ. w. enthalten. Es befindet ſich hier nämlich der Hafen von Zaragoza, der | Hauptſtapelplatz des kaiſerlichen Kanals. Da man diefen | Kanal außerhalb Spaniens wenig kennt, ſo will ich hier

Der kaiſerliche Kanal von Aragonien. 43

einige Bemerkungen über denſelben einfchalten. Der Ca— nal imperial de Aragon wurde auf Befehl Kaiſer Carls V. zu bauen begonnen, in der doppelten Abſicht, die durch die Verſandung des Ebro unmöglich gewordene Schifffahrt wieder herzuſtellen und den Boden zu bewäſ— ſern, um ihn dadurch zum Anbau fähig zu machen. Nach dem Tode des Kaiſers, während deſſen Regierung er auf eine Strecke von zehn Leguas vollendet worden war, wurde der Bau eingeſtellt und der angefangene Kanal ſeinem Schickſal überlaſſen. Erſt zweihundert Jahre ſpä— ter nahm man die Arbeiten wieder auf, reſtaurirte das angefangene Stück und führte den Kanal achtzehn Leguas weiter, d. h. ſo weit, als er ſich gegenwärtig erſtreckt, denn ſeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts iſt nicht mehr daran gebaut worden. Dem urſprünglichen Plane nach ſollte er noch zehn Leguas weiter, bis zur Mündung des Fluſſes Martin, geführt und von dort aus der Ebro wieder ſchiffbar gemacht werden. Der Kanal von Ara— gonien beginnt in Navarra eine Meile unterhalb Tudela. Dort hat man ein rieſiges Wehr, Bocal del Rey ge nannt, errichtet, durch welches der Ebro hoch aufgeſtaut und dadurch eine hinreichende Waſſermaſſe in den Kanal geleitet wird, um denſelben gleichzeitig zum Transport und zur Bewäſſerung benutzen zu können. Von dort läuft der Kanal fortwährend in einer Entfernung von einer halben bis zwei Meilen von dem rechten Ufer des Ebro

44 Die Caſa blanca. Anficht der Stadt vom Ufer des Kaiſerkanals.

im Zickzack bis einige Meilen unterhalb Zaragoza's, wo—⸗ ſelbſt er aufhört. Auf ſeinem Wege überſchreitet er drei Flüſſe und mehrere Thäler auf koloſſalen Brücken. Er iſt 10 ½ ſpaniſche Fuß tief, an ſeiner Oberfläche 74½ Fuß breit, trägt große Fahrzeuge und bewäſſert mehr als 30000 Morgen Landes. Gegenwärtig wird dieſes groß— artige Werk faſt nur zum Transport von Getreide und Gemüſe, ſowie von Kriegsmaterial benutzt. Die Ufer des Kaiſerkanals, beſonders das Stück zwiſchen dem Monte Torrero und der Caſa blanca, einem großen Gaſthofe nebſt Mühle und Waſſerkunſt, von wo aus die Gaſſen und Gärten der Stadt mit Waſſer verſorgt werden, bie— ten die ſchönſte Anſicht von Zaragoza dar. Man überſieht hier nämlich die in der Tiefe ruhende Stadt faſt ganz und gar, ſowie einen großen Theil der baumreichen, von weißgetünchten Landhäuſern wimmelnden Huerta; auch fehlt es hier dem Bilde nicht an einem Hintergrunde, indem die ſchöngeformten Gebirge Hocharagoniens, welche bei heller Luft, namentlich in der duftigen Beleuchtung des Morgens, viel näher erſcheinen, als ſie wirklich ſind, den Horizont, jo weit er ſichtbar it, begränzen. Auch in den Umgebungen des Arrabal exiſtiren einige Prome— naden, die jedoch denen der Stadt an Schönheit weit nachſtehen. Noch am meiſten verdient die Allee beſucht zu werden, welche ſich längs der Straße von Catalonien bis zur Brücke über den Gaͤllego erſtreckt, weil fie durch

Promenaden und Umgebungen des Arrabal. 45

einen der ſchönſten Theile der Huerta von Zaragoza führt, welche hier, mehr als anderwärts, mit freundlichen Land— häuſern, von den Zaragozanern „Torres“ genannt, über— ſät iſt, und außer Oliven, Obſt und Gemüſe auch Süd— früchte, beſonders Feigen und Mandeln, in Menge her— vorbringt. Dieſe Ebene war am 20. Auguſt 4740 der Schauplatz der blutigen Schlacht von Zaragoza, in wel— cher Philipp V. von dem ſpaniſch-deutſchen Heere des Erzherzogs Carl von Oeſtreich total geſchlagen wurde.

Zweites Kapitel.

Die Abtei Beruela und der Montayo.

Unter den Gebirgen, welche das geräumige Flachland des Ebrobaſſins umgeben, zeichnet ſich die anderthalb Tagereiſen weſtlich von Zaragoza auf den Gränzen von Aragonien, Navarra und Altcaſtilien gelegene Sierra de Moncayo durch Umfang und Höhe am meiſten aus. Dieſes Gebirge iſt zugleich außerordentlich berühmt, theils wegen ſeines Reichthums an vortrefflichem Waſſer und

an heilſamen Kräutern, theils wegen eines wunderthä-

tigen Madonnenbildes, welches dort gefunden worden ſein ſoll und in einer am aragoneſiſchen Abhange erbauten Hermita aufbewahrt wird. Noch jetzt wallfahren alljähr⸗ lich eine Menge von Gläubigen, beſonders aus Aragonien, nach jener Kapelle, obwohl bei weitem nicht mehr ſo viele,

wie in früherer Zeit, wo oft Tauſende von Wallfahrern |

aus allen Landſchaften Spaniens dort zuſammengeſtrömt ſein ſollen. Da ich zwei Wochen in Zaragoza verweilen

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i |

Weg von Zaragoza nach Alagon. 47

mußte, und deſſen Umgebungen im hohen Sommer dem Botaniker ſo viel wie gar nichts darbieten, ſo verwendete ich fünf Tage auf einen Ausflug nach dieſem in jeder Hinſicht höchſt intereſſanten Gebirge.

Ich verließ Zaragoza am Mittage des 12. Juni in Begleitung meines Basken und brachte die Nacht in der kleinen, aber recht freundlichen Stadt Alagon zu, welche, vier Leguas von Zaragoza entfernt, zwiſchen dem Ebro und dem Kaiſerkanal inmitten einer fruchtbaren, großen— theils von Oelbäumen bedeckten Ebene liegt. Der Weg iſt bis dahin die ſchön gebaute und gut gepflegte Heer— ſtraße nach Navarra und recht anmuthig, da die genannte Chauſſee fortwährend durch die vom Kaiſerkanal bewäſ— ſerte Ebene führt. Selbſt der Anblick der nackten, jen— ſeits des Ebro ſich hinziehenden, von den Regenwäſſern bizarr zerriſſenen Mergelhügel, welche die Nähe der Steppe verrathen, beleidigt das Auge nicht, da dieſelben wegen der warmen, duftig violetten Beleuchtung, welche dem nach— mittäglichen Sonnenlichte im Süden Europa's eigenthüm— lich iſt, gar nicht ſo unfruchtbar, öde und traurig aus— ſehen, als ſie es in der That ſind. Ueberhaupt liegt ein Hauptreiz aller ſüdlichen Landſchaften in der Beleuchtung. Viele der geprieſenſten Landſchaften Südeuropa's würden, wenn man ſie in das kalte, matte Licht des Nordens ver— ſetzen könnte, unendlich an ihrer Schönheit verlieren und vielleicht mancher, viel weniger beachteten Landſchaft des

48 Einfluß der Beleuchtung auf die Landſchaften des Südens.

Nordens weit nachſtehen. Denn was verleiht denn eigent— lich den Landſchaften des Südens einen ſo eigenthüm—

lichen, den Bewohner des Nordens ſo mächtig ergreifen-

den Reiz? Es iſt der Contraſt zwiſchen der Kahlheit der Berge und dem üppigen Vegetationsſchmucke der Thäler und Niederungen, gemildert durch den farbenreichen Duft

des hellen Sonnenlichts. Man nehme den zauberifchen -

Landſchaften des Golfs von Neapel oder der Vega von Granada die Beleuchtung und laſſe die nordiſche Sonne

ſie erhellen: gewiß, auch dann noch würden ſie reizend

ſein wegen der ſchönen Contouren ihrer Berge, wegen der anmuthigen Gruppirung der Vegetation, der Städte, Flecken und Villen; allein dieſelben Gebirge, welche jetzt in der wunderbaren, unaufhörlich wechſelnden Farbenpracht des ſüdlichen Sonnenlichts, die hier ein Thal in ſchwarz— violette Schatten vergräbt, dort eine nackte Felskuppe in das zarteſte, duftigſte Himmelblau taucht und purpurne Flammenmäntel um die Schultern der höchſten Schnee— koloſſe legt, den hervorſtechendſten Reiz jener Landſchaften bilden; dieſelben Gebirge würden dann kalt, finſter und unheimlich die durch Vegetation und Menſchenwerke ſo prächtige Gegend beherrſchen; der Contraſt, den ihre Sterilität mit der Ueppigkeit der Thäler hervorbringt, würde dann viel zu grell ſein und daher nicht mehr das Auge erfreuen, ſondern es beleidigen. Der unbeſchreib— liche Farbenduft der ſüdlichen Beleuchtung, den kein Pinſel

Einfluß der Beleuchtung auf die ſüdlichen Landſchaften. 49

in ſeiner ganzen Wahrheit wiederzugeben im Stande iſt, verſöhnt das Auge ſelbſt mit der wüſteſten und unſchön— ſten Gegend. Ich habe mehr als eine Landſchaft in Spa— nien geſehen, welche wegen der fürchterlichen Dürre des Bodens, wegen des völligen Mangels an menſchlichen Wohnungen, an Anbau und überhaupt an vegetativer Scenerie die endloſen braunen Moorbrüche der Lünebur— ger Heide an Oede und Verlaſſenheit noch weit übertref— fen: und dennoch, wie intereſſant, ja ſogar wie ſchön er— ſcheinen jene unwirthlichen Einöden in dem warmen, viel— tonigen Lichte der ſpaniſchen Sonne; ſei es am Morgen, wo die Fernen hellblau gefärbt und zart von Roſenroth angehaucht erſcheinen; ſei es am Mittage, wo ein blen— dendes Lichtmeer über das ganze Land ausgegoſſen iſt und alle Gegenſtände ſcharf contourirt und dennoch von weichem Duft umfloſſen hervortreten; oder gar am Abend hei Sonnenuntergang, wenn tiefblaue Schatten ſich über die kahlen, hellen Gefilde hinwälzen und alle Hügel und hervorragenden Puncte, je nach ihrer Lage und Entfer— tung, von einer vom hellſten Roſenroth bis zum dunkel— ten Violettpurpur nuancirten Lichtglorie umſtrahlt find, Dieſe farbenreiche Beleuchtung, welche am ſtärkſten, am harakteriſtiſchſten in jener Länderzone der alten Welt hervortritt, die man in geographiſcher Hinſicht wegen des n ihrem Schooße ſich ausbreitenden Beckens des mittel— ländiſchen Meeres mit dem Namen der „mediterranen“

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. k

50 Auftreten der ſüdlichen Beleuchtung in Spanien.

bezeichnet hat, beginnt auf der pyrenäiſchen Halbinſel erſt in viel niedrigeren Breiten, als im Centrum Europa's. Denn während ſich z. B. das ſüdliche Tyrol und die ſüdliche Schweiz bereits einer völlig italieniſchen Beleuch⸗ tung erfreuen, laſſen die um volle drei Breitegrade ſüd⸗ licher gelegenen Gegenden des cantabriſchen Litorale den Farbenduft der ſüdlichen Sonne noch nicht ausgeprägt erkennen. Zwar iſt die Beleuchtung in den prachtvollen Gebirgslandſchaften der baskiſchen Provinzen eine andere, eine hellere und wärmere, als in den Landſchaften des ſüdlichen Deutſchland und der nördlichen Schweiz, denen jene Gegenden hinſichtlich des Vegetationsſchmuckes und ihres ganzen landſchaftlichen Charakters jo auffallend glei⸗ chen; dennoch aber noch ganz verſchieden von dem Farben- reichthume, welcher ſich in den Ebenen von Navarra, des Ebrobaſſins und Altcaſtiliens zu entzünden beginnt und jenſeits des centralen Scheidegebirges mit jeder Meile, die man gen Süden reiſt, immer wechſelvoller und glü⸗ hender hervortritt, bis er endlich in den Mediterranpro⸗ vinzen, zumal in Südvalencia, Murcia und Andaluſien jene unbeſchreibliche Pracht und Wärme erreicht, deren ſich eben nur die ſüdlichſten Gegenden der mediterranen Zone rühmen können. Noch bemerke ich, daß ſich die Farbenpracht der ſüdlichen Beleuchtung am reinſten und ſchönſten im Herbſt und Winter zeigt. Im Frühlinge iſt ſie bei weitem nicht ſo ausgeprägt, und im Sommer

Alagon. Unruhige Nacht. 54

wenigſtens in Spanien oft Wochen, ja Monate lang durch den fahlen, in Folge der furchtbaren Hitze ſich er— zeugenden Nebel der Calina ſo ſtark gedämpft, daß die ganze Landſchaft in ein monotones, unheimliches Grau gehüllt erſcheint.

Ich traf in Alagon wider Erwarten eine recht gute, ſogar reinliche Poſada, eine Seltenheit in Aragonien! —, nur, wie überall in dieſer Provinz, mürriſche, unhöfliche Leute mit mißtrauiſchen Geſichtern. Da kurz vor unſerer Ankunft eine Compagnie Soldaten eingerückt war, welche die dienſtbaren Schönen des Ortes in den zahlreichen Weinkneipen bis Mitternacht mit unmelodiſchem Geſang und ſchrillendem Guitarrenſpiel unterhielten, auch eine Menge Fuhrleute, die in den Poſaden keinen Raum ge— funden hatten, auf dem Platze vor unſerm Gaſthofe bi— vouakirten: ſo konnte ich die ganze Nacht hindurch kein Auge ſchließen. Dazu kam, daß ich, wahrſcheinlich in Folge der Erhitzung beim Botaniſiren in der Sonnen— gluth, hefitge mit Fieber verbundene Anfälle von Kolik bekam, die mich bis zum Morgen peinigten. Noch mit vollem Fieber behaftet, beſtieg ich am Morgen mein Pferd, in der Hoffnung, daß mir durch die Bewegung in der freien Luft beſſer werden würde, was auch wirklich der Fall war. Vielleicht mochten auch die Eislimonaden, welche ich nach Landesſitte gegen jenes durch die Hitze erzeugte Uebel genommen hatte, das Ihrige zur Beſeiti— 4 *

32 Die Salzſteppe von Plaſencia.

gung deſſelben beigetragen haben. Wir verließen in Ala- gon die Straße nach Navarra, da dieſelbe, den Ufern des Ebro folgend, einen ſehr bedeutenden Umweg bis nach der Stadt Borja, die unſer nächſtes Ziel war, macht, und ſchlugen einen Saumpfad ein, welcher in ziem⸗

lich gerader Richtung dahin führt. Nach einſtündiger Wanderung zwiſchen Olivenhainen und gut angebauten Ackerfluren überſchritten wir den Kaiſerkanal und betraten nun jenes früher erwähnte Steppengebiet, welches ſich von Zaragoza an zwiſchen dem Kanal und den das Ebro⸗ baſſin gegen Weſten umſchließenden Gebirgen bis Tudela hinzieht und zum Theil unter dem Namen der Llanura de Plaſencia bekannt iſt. Die Cultur und die Bäume hörten augenblicklich auf; wohin wir blickten, nirgends

war ein grüner Halm zu ſehen; nur halb verdorrte Diſteln,

vertrocknete Grasbüſchel und graugrüne Steppenkräuter bedeckten dünn zerſtreut den von Eiſenoxyd rothbraun gefärbten, unter der Sonnengluth zerſprungenen Mergel- boden des wellenförmig geſtalteten Terrains. Nachdem wir bei einer ſchlechten Venta vorbeigekommen waren, die am Rande eines aus dem Kanal abgeleiteten Waſſer⸗ grabens neben einigen Gemüſefeldern liegt, wurde die Farbe des Bodens allmälig heller und heller, und endlich kreideweiß. Die Oberfläche des Bodens erhob ſich nun in Form niedriger, abgerundeter Hügel mit ſteilen Ab⸗

hängen; Stücke von Fraueneis (blättrigem Gyps) und

Die Salzſteppe von Plaſencia. Wirkung der Calina. 33

Knollen ſchneeweißen, dichten Gypſes zeigten ſich in die horizontalen Schichten des grauweißen Mergels einge— bettet, und die Riſſe und Spalten des Bodens erſchie— nen häufig mit einem weißen, kryſtalliniſch glänzenden Pulver erfüllt, welches ſich bei genauerer Unterſuchung als ein Gemiſch aus verſchiedenen Salzen zu erkennen gab. Die Hitze erreichte bald einen furchtbaren Grad in dieſem nackten, kreideweißen Hügellande, deſſen triſter Charakter noch durch den Nebelſchleier der Calinag geſtei— gert wurde, welcher die Horizonte gegen Weſten und Oſten in ungewiſſe Dämmerung hüllte, ſo daß die Steppe gegen dieſe Himmelsgegenden hin von endloſer Ausdehnung zu fein ſchien. Wie ein rieſiges Gefpenft dämmerte gerade vor uns der hohe Wall des immer näher rückenden Mon— cayogebirges durch den Hitzenebel, der ſeine Baſis gänz— lich verſchleierte, ſelbſt das Himmelsgewölbe war von einem durchſichtigen grauen Dunſt erfüllt, durch den das Licht der Sonne ſo gedämpft wurde, daß die Schatten aller Gegenſtände grau erſchienen; eine lautloſe Stille ruhte über der todten, unter der Sonnengluth ſchmach— tenden Einöde: es war eine intereſſante, aber unheim— liche Landſchaft! Endlich gelangten wir an den Rand eines aus ſieben ſteilen Hügeln gebildeten und deshalb „die ſieben Köpfe“ (los siete cabezos) genannten Ab— ſatzes des Plateau's und erblickten von hier aus zu uns ſern Füßen eine breite Niederung, durch deren gelbgrün

34 Ein gefalzener Bach. Magallon. Der Rio Huecha.

gefärbten, ſcheinbar mit hohem, halbverwelktem Graswuchs bedeckten Grund das Silberband eines Baches in anmu⸗ thigen Krümmungen ſich hinſchlängelte. Die durſtigen Pferde wieherten vor Freude beim Anblick des klaren Waſſers; allein die armen Thiere hatten ſich getäuſcht, denn das Waſſer war ſtark geſalzen. Die ganze Niede- rung beſtand aus ſchwarzem, zähem, ſalzigem Schlamme und das dieſelbe bedeckende Grün rührte nicht von Wie⸗ ſengräſern, ſondern von den ſteifen, binſenartigen, dem Vieh ſchädlichen Blattbüſcheln eines in den ſalzigen Nies derungen Central- und Südſpaniens in unglaublicher Menge geſellig wachſenden Steppengraſes (das Lygeum Spartum Löfl.) her. Von neuem nahm uns das nackte Gypsgelände in ſeinen glühenden Schooß auf; doch er— blickten wir nunmehr in der Ferne einige von ſpärlichem Baumwuchs umringte Ortſchaften, unter denen ſich na mentlich das Städtchen Ma gallon durch feine Lage auf einem iſolirten Mergelhügel auszeichnet. Nach fünfſtün⸗ diger Wanderung durch die unwirthliche Steppe erreichten wir endlich um 11 Uhr bei größter Sonnengluth die grü— nen Ufer des Rio Huecha, eines klaren Gebirgswaſſers, welches bei einem ſchmuzigen Dorfe vorbeiſtrömt, und das einzige Trinkwaſſer iſt, das man zwiſchen der eben erwähnten Venta und Borja, d. h. innerhalb eines Rau⸗ mes von ſechs Stunden Weges, trifft. Nach kurzer Raſt ſetzten wir unſere Wanderung weiter fort. Bald ſtiegen

Die Stadt Borja und ihre Huerta. 35

die hohen Zinnen des wohlerhaltenen mauriſchen Caſtells von Borja hinter den kahlen, das grüne Thal des Huecha

einfaſſenden Gypshügeln empor, an deren Abhange unſer

Weg hinlief. Eine Viertelſtunde ſpäter trafen wir in

Borja ein, wo wir bis zwei Uhr verweilten, um die

größte Hitze vorübergehen zu laſſen.

Borja iſt eine kleine, aber wohlhabend ausſehende und ſehr lebhafte Stadt, deren krumme und enge Gaſſen die Herkunft ihrer Gründer verrathen. Sie liegt am Abhange eines nackten, ſteilen Kalkhügels, auf dem das

ſchon erwähnte, noch jetzt als Bergveſte dienende Caſtell

ſteht, und am Anfange einer äußerſt fruchtbaren und ziem—

lich ſorgfältig angebauten, von einem Walde von Oelbäu—

men umringten Ebene, welche ſich zwiſchen dem Gyps— hügellande der Steppe und der Sierra de Moncayo aus— breitet und durch das klare Waſſer des auf dem genannten Gebirge entſpringenden Huecha befruchtet wird. Schattige, mit ſteinernen Ruhebänken verſehene Ulmenalleen umringen die alterthümlich gebaute Stadt, deren Inneres mehrere

ſtattliche Kirchen und Klöſter beherbergt, faſt auf allen

Seiten und bieten herrliche Ausſichten über die zum größ— ten Theil mit Hanf- und Gemüſefeldern bedeckte und des— halb ſelbſt während der heißeſten Sommermonate im üp— pigſten Grün prangende Niederung der Huerta und auf die Kette des Moncayogebirges dar, welches ſich hier in ſeiner ganzen Majeſtät entfaltet und in einer Entfernung

56 Landſchaftliche Contraſte.

von blos zwei Leguas den weſtlichen Horizont weithin umwallt. Wie ganz verſchieden iſt der Charakter dieſer

ſchönen Gebirgslandſchaft von dem der öden Steppe,

welche Borja von der Thalebene des Ebro ſcheidet und ſelbſt noch das linke Gehänge des reizenden Huechathales bildet! Hier, wie an vielen andern Stellen Central- und Südſpaniens, liegen die üppigſte Fruchtbarkeit und die traurigſte Sterilität unmittelbar neben einander und brin-

gen einen Contraſt hervor, der an der Gränze der beiden Landſtriche wegen feiner Grellheit von entſchieden unan-

genehmer Wirkung iſt, in der Ferne dagegen durch den Duft der ſüdlichen Beleuchtung, welche gerade an ſolchen nackten Erdhügeln, ſobald dieſelben vielfach von Schluch—

ten durchfurcht ſind, ihren ganzen Farbenzauber in unge—

ahnter Pracht zu entwickeln pflegt, ſo gemildert wird, daß er nicht nur das Auge nicht beleidigt, ſondern im Gegen— theil den Reiz der Landſchaft bedeutend erhöht. Noch viel ſtärkeren landſchaftlichen Contraſten begegnet man in den ſüdlichen Provinzen Spaniens. So iſt z. B. ganz Murcia nichts als ein Aggregat von fruchtbaren, Orangen und Südfrüchte aller Art in unglaublicher Menge produ⸗ zirenden Thälern und nackten, öden Steppenplateaus oder kahlen, unwirthlichen Felsgebirgen.

Borja iſt fünf Stunden von Bera entfernt, einem nahe am Fuße des höchſten Theiles des Moncayogebirges gelegenen Flecken, den wir zu unſerm Nachtquartier erko⸗

Weg von Borja nach Bera. 57

ren hatten. Der Weg führte uns am Fuße der dürren Erdhügel längs einer Acequia hin, welche den größten Theil der Waſſermaſſe des Huecha aufnimmt und die ein— zelnen Felder der fruchtbaren Thalebene bewäſſert. Mit Ausnahme eines kleinen Dorfes berührt der Pfad keinen einzigen bewohnten Ort. Nach einigen Stunden gelangten wir an den Ausgangspunct der Waſſerleitung. Die ſchö— nen dunkelgrünen, von ſchattigen Nußbäumen umringten Hanffluren hörten hier auf und es begannen Weinpflan— zungen, die von hier an die ganze Thalebene und die benachbarten Abhänge, im Ganzen wohl mehr als eine Quadratmeile Landes, gänzlich bedecken. Es wächſt hier eine der beſten Sorten des dunkelfarbigen, durch bedeu— tenden Spiritusgehalt ausgezeichneten, und deshalb ſehr chweren und feurigen aragoneſiſchen Rothweins. Da ich in Bera, einem finſtern, ſchlecht gebauten und entſetzlich ſchmuzigen Flecken, welcher auf einem nackten Kalkhügel über dem linken Ufer des Huecha liegt, kein Unterkom— men finden konnte, indem die einzige Poſada, die es daſelbſt gab, ſammt ihren Bewohnern von Schmuz und Ungeziefer ſtarrte, ſo ritt ich wieder fort, um in dem blos eine Viertelſtunde entfernten Beruela (Klein-Berah, einer ehemals ſehr berühmten, jetzt in den Händen eines Privatmanns befindlichen Abtei des Ordens der Bern— hardiner ein Nachtquartier zu ſuchen. Eine ſchattige Ul— menallee führt von Bera ſchnurgerade nach dieſem Kloſter,

58 Die Bernhardinerabtei Beruela.

welches mit ſeinen weitläufigen Nebengebäuden und ſeiner feſtungsartigen, von drei Thürmen mit Azulejosſpitzen überragten Ringmauer einer kleinen Stadt gleicht und im Schooße einer äußerſt fruchtbaren und ſorgfältig an⸗ gebauten, von vielen Ulmenalleen durchkreuzten Ebene, etwa eine halbe Stunde in gerader Richtung vom Fuße des Moncayogebirges entfernt, höchſt anmuthig gelegen iſt. Die Allee von Bera mündet in einen großen, run⸗ den, von hohen alten Ulmen umgebenen und in ſeiner Mitte mit einem ſteinernen Kreuze von koloſſaler Größe geſchmückten Platz, von dem nach drei Seiten hin eine Menge Alleen ſtrahlenförmig ausgehen, die zu den ver— ſchiedenen Abtheilungen des umfangreichen, zu der Abtei gehörigen Territoriums führen. Dieſem Platze gegenüber erhebt ſich ein dicker, mit einer hübſchen gothiſchen Stein- ſpitze gezierter Thurm, unter dem ſich der Eingang zum Kloſter, ein hohes gothiſches Thor von ſehr ſchönen archi— tectoniſchen Verhältniſſen befindet. Es war in dem wei— ten, beiderſeits von Wirthſchaftsgebäuden eingeſchloſſenem Hofe, deſſen Hintergrund die Kirche bildet, kein Menſch zu ſehen. Erſt nach längerem Rufen erſchien der Pfört⸗ ner, welcher uns die Pferde abnahm und eine Magd her beirief, die er beauftragte, für mein Unterkommen zu ſor⸗ gen. Sie führte mich durch den weitläufigen Kloſtergar⸗ ten zu einer gothiſchen Pforte, durch die man in den Kreuzgang gelangt. Die Kloſtergebäude ſehen von außen

Der Kreuzgang, das Treppenhaus und die Mönchszellen. 59

ziemlich unſcheinbar aus. Um ſo mehr war ich überraſcht, als ich den Kreuzgang betrat, denn dieſer iſt eines der ſchönſten gothiſchen Bauwerke, die ich je geſehen habe. Zahlloſe ſchlanke Säulenbündel löſen ſich in hohe, ſich kreuzende und unter einander zierlich veräſtelnde Spitz— bögen auf und bilden eine große Menge von prächtigen Hallen, die ſich zu langen Gallerieen an einander reihen. Noch impoſanter iſt die Halle der Haupttreppe mit ihrem erhabenen, von alten berühmten Meiſtern auf das Pracht— vollſte al fresco gemalten Kuppelgewölbe. Die flüchtig vorauseilende Dienerin geſtattete mir nicht, mich aufzu— | halten, und geleitete mich die breiten Stufen der doppel— ten, ganz und gar aus weißem Marmor erbauten Treppe hinauf bis in einen weiten, über dem Kreuzgange befind— lichen, mit polirtem ſchwarzem und weißem Marmor zier— | lich getäfelten Corridor, wo mich der Wirthſchaftsinſpector empfing und mir eine der ehemaligen Mönchszellen zu meiner Wohnung anwies. Beſſer als hier haben Mönche wohl ſchwerlich gewohnt. Jede Zelle beſteht nämlich aus einem großen gewölbten Gemache nebſt einem Vorzimmer, einem Alkoven und einer kleinen Küche. Eine hohe Glas— thüre führt auf eine offene, oben bedeckte Gallerie, welche die herrlichſte Ausſicht, ſei es nach dem Moncayogebirge, ſei es nach Bera zu, gewährt. Der gegenwärtige Beſitzer der Abtei hat eine Anzahl Zellen ausmalen und meubli— | ren laſſen, um fie als Fremdenzimmer benutzen zu können.

60 Zuſammentreffen mit Fremden in der Abtei.

Eine ſolche wurde auch mir zu meinem Quartier ange wieſen, und ich muß geſtehen, daß ich in Spanien ſelten bequemer und angenehmer logirt habe, als in jener ehe— maligen Mönchszelle.

Ich war nicht der einzige Gaſt in jener Abtei. Be⸗ ruela wird nämlich wegen ſeiner angenehmen Lage, ſeines vortrefflichen Waſſers und ſeiner erfriſchenden Bergluft während der heißeſten Monate von den bemittelten Be— wohnern von Zaragoza und den benachbarten Städten häufig als Sommeraufenthalt benutzt. Es waren bereits mehrere Familien aus Zaragoza und Tarazona zugegen, und noch mehr wurden erwartet. Da das Kloſter einige funfzig Zellen der beſchriebenen Art enthält, ſo kann es viele Familien faſſen, ohne daß eine die andere incom— modirt. Es dauerte nicht lange, ſo machte mir der Pfar— rer der Abtei, der einzige, welcher von den Mönchen übrig geblieben iſt, aber jetzt als Weltgeiſtlicher fungirt, ſeine Aufwartung, wahrſcheinlich um zu erfahren, wer ich ſei und was ich wohl in Beruela wollte, und lockte durch ſeine Geſchwätzigkeit und ſeine lauten Ausrufe der Ver— wunderung, die er über meine Inſtrumente und Samm— lungen äußerte, auch die übrigen Gäſte herbei. Anſtatt an meinen Sammlungen arbeiten zu können, wie ich be— abſichtigt hatte, mußte ich nun Rede ſtehen, erzählen und erklären, zumal da ſich unter den Gäſten einige junge Damen befanden, welche die Neugierde ſehr zu plagen

Geſchichte der Abtei. Die Kloſterkirche. 6A

ſchien. Glücklicherweiſe gehörten die anweſenden Familien ſämmtlich den höhern Ständen an, ſonſt würde mir dieſe zahlreiche Geſellſchaft bald ſehr läſtig geworden ſein. Die Abtei Beruela gehört zu den älteſten Klöſtern Aragoniens. Sie wurde gegen das Ende des elften Jahr— hunderts von dem Prinzen Don Pedro el Atares, Urenkel des Königs Ramiro J. von Aragon, genannt El eriſtianiſimo, gegründet, und führt deshalb den Titel einer königlichen Abtei: Real abadia de San Bernardo de Beruela. Die in Form eines Kreuzes aus Sandſtein erbaute Kirche, welche den älteſten Theil des Kloſters bildet, beſteht aus drei geräumigen Schiffen, deren ſchlanke, zierliche Pfeiler und hohe Spitzbogengewölbe das Gepräge des reinſten gothiſchen Styles tragen. Ein prächtiger, halbkreisförmiger Säulengang geht hinter dem Hochaltar weg, welches ebenfalls von gothiſchem Geſchmack und aus verſchiedenen koſtbaren Marmorarten conſtruirt iſt. Die hohen, prächtig geſtäbten Fenſter mögen in früherer Zeit mit Glasgemälden geſchmückt geweſen ſein, worauf noch einige bunte, in denſelben ſteckende Scheiben deuten; da— mals waren ſie mit ölgetränktem Papier verklebt! Die Betſtühle der Mönche im Chor ſind aus Eichenholze ver— fertigt und zeichnen ſich, wie die ganze Kirche, durch Ein— fachheit, aber ſchöne Formen aus. Unter den zahlreichen Grabdenkmälern, welche dieſes Gotteshaus enthält, feſſel— ten namentlich zwei, die ſich zu beiden Seiten des Hoch—

62 Grabdenkmäler. Excurſion nach dem Moncayogebirge.

altars befinden, wegen der ſchönen Marmorſculpturen, mit denen ſie geſchmückt ſind, meine Aufmerkſamkeit in hohem Grade. Das eine birgt die Gebeine des ſchon genannten Gründers dieſes Kloſters, welcher zugleich erſter Abt von Beruela war und im Jahre 1440 hier beſtattet wurde; das andere umſchließt die Reſte des Infanten Don Alonſo, älteſten Sohnes des kriegeriſchen Königs Ja— cob I. von Aragonien, welcher der Inſchrift zufolge im Jahre 1260 während ſeiner Hochzeit ſtarb. Außerdem

ruhen in dieſer Kirche die Gebeine mehrerer Fürſten und

Granden von Aragonien, ſowie die ſämmtlichen Aebte von Beruela. Die Außenſeite der Kirche iſt, mit Aus⸗ nahme des Portals, gar nicht verziert. Der Glockenthurm hat früher wahrſcheinlich eine durchbrochene gothiſche Py- ramide beſeſſen; jetzt iſt die Spitze blos mit Azulejos gedeckt.

Den folgenden Morgen, Sonntags, den 14. Juli —, verließ ich, nachdem ich der Frühmeſſe beigewohnt hatte, die Abtei wieder, um den Moncavyo zu beſteigen. Ein zweiſtündiger Ritt über felſige, mit aromatiſchem Labiaten⸗ geſträuch bedeckte Kalkhöhen brachte uns nach dem Flecken

Pasmö, welcher zwar ſehr dürr, aber ungemein male⸗

riſch am ſteilen Abhange eines nackten Felshügels gelegen iſt, deſſen Scheitel die Ruinen einer großen Burg von arabiſcher Bauart krönen. Hier betritt man wieder das grüne Thal des Huecha, an welchem Bache der Pfad nach

Der aragoneſiſche Abhang des Moncayo. Die Hermita. 63

der Hermita des Moncayo emporführt. Dicht am Fuße des Gebirges liegt noch ein Dorf, Namens Alitau. Der dem Ebrobaſſin zugekehrte Abhang des Moncayo tft bis zur halben Höhe des Gebirges mit Laubwaldung bedeckt. Bis zu einer Höhe von ungefähr 2000 Fuß beſteht die— ſelbe aus Eichen mit filzigen Blättern (Quercus Tozza P.), weiter hinauf aus unſerer gemeinen Rothbuche. Schon von fern gaben ſich dieſe beiden, ſcharf von einander ab— gegränzten Waldzonen durch das verſchiedene Grün ihres Laubes deutlich zu erkennen. Die obere Hälfte des Ge— birges iſt völlig kahl, von waſſerloſen Schluchten durch— furcht und mit grauem Gerölle und Felsblöcken überſchüt— tet. Bald oberhalb der Baumgränze liegt hart am Fuße | einer rieſigen, ſenkrecht aufragenden, fait würfelförmigen Felsmaſſe, auf deren höchſtem Puncte ſich ein eiſernes Kreuz erhebt, ein langes, ſchuppenähnliches, einſtöckiges, mit Ziegeln gedecktes Gebäude. Es iſt der berühmte Wallfahrtsort, die Hermita de Nueſtra Senñora del Moncayo. Da hier fortwährend ein Pfarrer und Sa— kriſtan nebſt dem erforderlichen Dienſtperſonale leben, auch nicht ſelten Reconvalescenten von den Aerzten hier— her geſendet werden, um ſich durch die Bergluft und das herrliche Waſſer, welches nahe bei der Hermita in reich— licher Menge quillt, zu ſtärken, ſo pflegt die Hermita immer gut verproviantirt zu ſein. Von Wallfahrern wird ſie jetzt nur im Auguſt, am Jahrestage der Auffindung des wunder—

64 Die Hermita. Zuſammentreffen mit Prieftern.

baren Madonnenbildes, beſucht. Dann aber reicht der Raum der Hermita, obwohl dieſelbe eine ziemliche Anzahl von Gemächern und geräumige Stallungen enthält, nicht hin, um die Menſchen und die Reit- und Laſtthiere zu faſſen, weshalb dann Zelte und Hütten in den Umge— bungen der Hermita errichtet werden. Die Hermita des Moncapo eignet ſich wegen ihrer Lage am obern Abhange des Hochgebirgs wie kein anderer Punet zum Standquar- tier für einen Naturforſcher, welcher den Moncayo unters ſuchen will. Man logirt daſelbſt ganz gut und verhält— nißmäßig billig. Auch hier wurde ich durch die Neugierde ſehr geplagt. Es waren nämlich außer dem Pfarrer, einem höchſt unwiſſenden und ganz ungebildeten Menſchen, meh— rere Prieſter aus Tarazona zugegen, welche, wie ich aus ihren Geſprächen entnahm, gleich vielen andern Geiſtlichen Spaniens, in Bergwerksactien ſpeculirten. Da dieſelben bemerkt hatten, daß ich mineralogiſche Werkzeuge bei mir führte, Steine zerſchlug und Beobachtungen mit dem Kom— pas machte, ſo mochten ſie auf den Gedanken kommen, ich ſei ein Bergingenieur oder Minenſpeculant. Wenig⸗ ſtens folgten ſie mir auf jedem Schritte und Tritte, und ließen mich keinen Augenblick aus den Augen, wahrſchein— lich, um gleich zugegen zu ſein, wenn ich etwa einen der fabelhaft reichen Gold- oder Silbergänge, die der Volks— ſage nach in den Eingeweiden des Moncayo exiſtiren, auffinden ſollte. N

Höhe und Geftaltung der Sierra de Moncayo. 65

erheben. Ihre Höhe iſt noch unbekannt; ich ſelbſt habe fie leider, da ich mein Barometer nicht beſaß, nicht meſ— ſſen können. Der Vegetation ihres Gipfels nach zu ur— theilen, dürfte fie indeffen mehr als 5000 Fuß über den Spiegel des Meeres aufragen. Der Moncavo bildet den eulminirenden Theil einer längern Gebirgskette, welche ſich in faſt nordſüdlicher Richtung aus der Gegend von Fitero in Navarra (vom 42. Breitegrade an) bis nahe Jan das Thal des Rio Jalon, der die Mauern von Calataynd beſpült und durch die Steppe von Plaſen— eia ſtrömt, erſtreckt und ungefähr eine Länge von acht geographiſchen Meilen beſitzt. Das Hochgebirge iſt eine chroffe, ungegliederte, blos von ſeichten Gründen durch— furchte, wallartige Maſſe, deren breiter, aus fanft gewölb— ten Plateaus gebildeter Kamm an ſeinen gen NNO. und SS W. ſchauenden Endpuncten zu zwei flachen pyramida— len Kuppen anſchwillt, von denen die nördliche die größte Höhe erreicht. Gerade über die Mitte des Kammes läuft die Gränze zwiſchen den beiden Landſchaften Aragon und Alteaſtilien. Der öſtliche oder aragoneſiſche Abhang iſt lang und ſteil, der weſtliche oder caſtilianiſche dagegen kurz und ſanft geneigt. Die Verſchiedenheit des Neigungs— winkels beider Abhänge erklärt ſich aus der Lage der das

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 5

66 Verſchiedenheit der Abbänge. Zuſammenſetzung des Gebirges.

Gebirge zuſammenſetzenden Geſteinsſchichten; der im erſten Augenblicke auffallende Umſtand dagegen, daß gerade der ſanft geneigte Abhang am kürzeſten, der ſteile am längſten iſt, hat feinen Grund in der bedeutenden Niveauverſchie⸗ denheit der Ebenen des Ebrobaſſins und Alteaſtiliens. Denn während das Flachland am öſtlichen Fuße des Mon— cayo höchſtens eine abſolute Höhe von 1000 Fuß beſitzt, iſt das am entgegengeſetzten Fuße ſich ausbreitende Pla— teau von Soria mindeſtens 3500 Fuß über den Spiegel des Meeres erhaben. Jedermann, der den Gipfel des Moncavyo beſucht, muß dieſe bedeutende Niveauverſchieden— heit beider Flachländer auf den erſten Blick wahrneh— men, und in der That entging ſie auch weder meinem Bedienten, noch den Hirten, die ich auf dem Gebirge traf.

Die Sierra de Moncayo beſteht, ſo weit ich fie kenne, aus einer ziemlich undeutlich geſchichteten Grauwacke, welche häufig in Grauwackenſchiefer und durch dieſen in Thon— ſchiefer übergeht. Da die dichte Grauwacke, welche die Hauptmaſſe des Gebirges ausmacht, eine hellgraue Farbe wenigſtens an ihrer der Atmoſphäre ausgeſetzten Ober— fläche und eine unregelmäßig-polyedriſche Abſonderung beſitzt, ſo ſehen die Fels- und Geröllemaſſen von fern aus, als beſtünden ſie aus Granit, wofür auch die ſanft con— tourirten Formen des Gebirges zu ſprechen ſcheinen. Die nach Norden und Süden gekehrten Verlängerungen des Hochgebirges, welche die Höhe von 3500 Fuß kaum über⸗

zuſammenſetzung des Gebirges. Beſteigung des höchſten Gipfels. 67

teigen dürften, find mehr gegliedert und haben ſcharf ge— zackte Contouren. Dieſelben follen aus Kalk und rothem Sandſtein (wahrſcheinlich der devoniſchen Formation) zu— ammengeſetzt fein und mehrere bauwürdige Erzgänge edler Metalle in ihrem Innern beherbergen. Noch will ch erwähnen, daß der Moncayo nicht blos die Waſſer— cheide zwiſchen den Gebieten des Ebro und Duero, und olglich zwiſchen dem mittelländiſchen und atlantiſchen Meere, ſondern auch eine entſchiedene Wetterſcheide bil— det. Die im Ebrobaſſin äußerſt häufig entſtehenden Ge— vitter pflegen nämlich nur ſelten oder faſt nie den Mon— zayo zu überſchreiten, wohl aber ſehr oft daſelbſt ihren Anfang zu nehmen. Letztere ſind wegen ihrer Furchtbar— eit, beſonders wegen des fie gewöhnlich begleitenden Ha— zelſchlags, das Schrecken der am Fuße des Gebirges ge— egenen Ortſchaften Aragoniens.

Ich beſtieg den höchſten Gipfel des Moncayo am Vormittage des 45. Juli. Die Beſteigung iſt zwar mit ‘einer Gefahr verbunden, aber höchſt ermüdend, da enorme Maſſen von loſem Gerölle, welches auf jeden Tritt unter ben Füßen wegrollt, den ſchroffen Oſtabhang faſt gänzlich bedecken. Es befinden ſich hier mehrere künſtliche Neve— kas und Schneegruben, welche der Stadt Tarazona ge— hören. Es ſind dies tiefe, trichterförmige Löcher, die nan in das Gerölle gegraben und an ihrem Rande mit einer Mauer von Steinblöcken umgeben hat. Dieſe Löcher 5

68 Schneegruben. Ausſicht vom Gipfel.

füllt man in den Frühlingsmonaten, wo noch Schnee an den obern Abhängen des Gebirges vorhanden tft, bis zum Rande der Mauer mit feſtgeſtampftem Schnee an und bedeckt die Oberfläche deſſelben mit grünem Geſträuch und Reißig. Unter einer ſolchen Decke erhält ſich der Schnee den ganzen Sommer hindurch, ohne zu ſchmelzen. Der nöthige Bedarf wird bei Nacht aus den Neveras her- ausgeholt. Um 10 Uhr erreichten wir den Kamm. Es war windiges, kühles Wetter und die Atmoſphäre nicht frei von Wolken. Mehrmals ſtrichen dieſelben über das Gebirge hinweg und hüllten uns eine Zeit lang in ihren feuchten Nebel. Doch waren die Luftſchichten kla- rer, als an den vergangenen Tagen und deshalb die Fer- nen deutlich zu erkennen. Die Ausſicht iſt ſehr umfaſf- ſend, doch keineswegs ſchön. Die den Horizont begrän⸗ zenden Gebirge ſind nämlich, mit Ausnahme der vom Moncayo ſelbſt auslaufenden Bergreihen, viel zu ſehr fi entfernt, um einen maleriſchen Anblick zu gewähren, und # die zu beiden Seiten des Gebirges ſich ausbreitenden Ebenen zu kahl, als daß ſie das Auge erfreuen könnten. Dies gilt beſonders von den Ebenen des Ebrobaſſins, fi welches man vom Moncayo aus beinahe in feiner ganzen Ausdehnung überſchaut. Die angebauten Strecken ver bergen ſich nämlich, da fie meiſt in den Flußthälern lie— gen, faſt gänzlich, fo daß man nichts erblickt, als die . öden, nackten, unbewohnten und unbebauten, oder höch—

Ausſicht vom Gipfel des Moncayo. 69

tens mit Getreidefeldern bedeckten Fluren der die Fluß— haler und Niederungen ſcheidenden Plateau's und Hügel— zelände. Beſſer und heiterer iſt der Anblick der Hochebene yon Altcaſtilien. Dieſe iſt hier, fo weit man fie über— chauen kann, faſt überall angebaut und mit zahlloſen Ortſchaften beſtreut. Unter letzteren zeichnet ſich die dicht im nördlichen Fuße des Hochgebirges aus einer üppig— zrünen Huerta emporblickende Stadt Agreda durch ihre naleriſche Lage und die vielen alterthümlichen Kirchen ind Klöſter, die ihr Inneres zieren, aus. Weſtwärts, n größerer Ferne, ſchimmern die Thürme der Biſchofs— tadt Soria, die an der Stelle des alten hochberühmten Rumantia ſteht. Am freundlichſten nehmen ſich die mmittelbaren Umgebungen des Moncayo auf der arago— eſiſchen Seite aus. Eine ununterbrochene Reihe von Zaumpflanzungen, Gemüſefeldern und Weingärten ſchlingt ich gleich einem breiten, grünen Gürtel um den Fuß des ebirges herum und beherbergt eine Menge Ortſchaften, velche dieſen grünen Fluren ein ſehr heiteres Anſehen erleihen würden, beſäßen dieſelben nicht das in Arago— den und auch in Caſtilien gewöhnliche erdfahle Colorit. Inter denſelben verdienen die Städte Borja, Tara— ona, Cascante und Tudela genannt zu werden. Der Horizont wird in weiter Ferne, gegen Oſten und Nord— ſten durch die Gebirge Hocharagoniens und die Kette ger Pyrenäen, gegen Norden durch die Gebirge von Na—

70 Rückkehr nach Zaragoza.

varra und Vizcava und gegen Südweſt durch die Sierra de Guadarrama und die übrigen Glieder des großen cen— tralen Scheidegebirges begränzt. Gegen Weſten und Sü⸗ den verſchwimmen die hüglichen, in endloſe Ferne ſich ausbreitenden Plateau's allmälig mit dem Blau des Him⸗ mels. Um zwei Uhr kam ich wieder nach der Hermita zurück, welche ich einige Stunden ſpäter verließ, um mich abermals nach der Abtei zu verfügen. Von dort reiſte ich den folgenden Tag über Borja und Plaſencia nach Zaragoza zurück.

Drittes Kapitel.

Reife nach Molina de Aragon und Teruel.

Die Verpackung und Verſendung der in Hocharago— nien und auf dem Moncayo geſammelten Naturalien hielt mich länger in Zaragoza zurück, als es meine Abſicht ge— weſen war. Ich konnte deshalb die Hauptſtadt Arago— niens erſt am Morgen des 24. Juli verlaſſen, an wel— chem Tage ich bereits in der Serrania de Cuenca zu ſein gehofft hatte. Ich wollte nämlich urſprünglich von mei— nem nächſten Reiſeziele, Molina de Aragon, aus die innerhalb des wilden, waldbedeckten Berglandes der Ser— rania de Cuenca gelegenen Quellen des Tajo beſuchen, von dort über Albarrarin nach Teruel gehen und ſodann die Gebirge des nördlichen Valencia bereiſen. Alle dieſe ſpeciellen Unterſuchungen mußte ich aus Mangel an Zeit und auch an Geld aufgeben und mich entſchließen, von Molina auf geradem Wege über Teruel und nie nach Valencia zu reifen. 3

72 Die Straße nach Valencia. Das Thal des Huerva.

Der Weg nach Molina de Aragon iſt bis Daroca die von Zaragoza nach Teruel und Valencia führende aragoneſiſch-valencianiſche Heerſtraße. Dieſelbe beſtand damals noch aus einem weder gepflaſterten, noch chauſſir- ten, bald ſchmalen, bald breiten Fahrwege; gegenwärtig dürfte die neue Chauſſee vollendet ſein, an welcher bereits damals an vielen Stellen, beſonders innerhalb des Kö- nigreichs Valencia gebaut wurde. Es war ein ſchöner, wenn auch heißer Morgen, auch die Luft rein, da Tags zuvor ein heftiges Gewitter den Dunſt der Calina ver— trieben hatte. Bei der Caſa blanca tritt die Straße aus der Huerta von Zaragoza heraus und geht nun durch baumloſes und meiſt unangebautes Terrain, iſt jedoch recht unterhaltend, da ſie fortwährend am Rande eines flachen, ſehr gut angebauten Thales hinläuft, durch deſſen mit Getreide- und Gemüſefeldern, mit Wein- und Baumpflan⸗ zungen und beſonders mit Olivenhainen erfüllten Schooß der Rio Huerva fließt. Unter den Ortſchaften dieſer anmuthigen, auf der entgegengeſetzten Seite von nackten, ſteilen, oft wunderlich geſtalteten Mergelhügeln eingefaß⸗ ten Thalfläche zeichnet ſich beſonders ein großes Kloſter mit einer prächtigen Azulejoskuppel aus, welches inmit⸗ ten einer äußerſt baumreichen Huerta ruht. Die übrigen meiſt ſehr kleinen Oerter kleben an dem Abhange der ſchon erwähnten Hügelreihe und unterſcheiden ſich wegen i ihrer erdfahlen Farbe kaum von dem Boden, auf dem ö

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Steppenboden. Wüſte Gegend. Die Flecken Mueln. Longares. 73

ſie ſtehen. Nachdem die Straße das Dorf Maria ge— kreuzt hat, erhebt ſie ſich allmälig zu einem Höhenzug, der aus nackten, dürren, völlig unfruchtbaren Erdhügeln beſteht, die aus Schichten von Mergel, Thon und Gyps— klumpen zuſammengeſetzt und ſalzhaltig ſind. Dieſe Hügel bezeichnen den erſten Abſatz der breiten Terraſſe, welche | der Oſtabhang des Plateau's von Neucaftilien gegen das Ebrobaſſin zu bildet. Es liegt hier zwiſchen dieſen dür— ren Mergelhügeln der Flecken Muél, ein ſchmuziger, un— freundlicher Ort, woſelbſt wir in einer des Ortes wür— | digen Poſada einige Stunden raſteten, um ein kaum | genießbares Mittagsbrot uns zubereiten zu laffen. Hinter | Muel wird die Gegend ſehr triſt, obwohl kein eigentlicher Steppenboden vorhanden iſt. Es fehlt hier blos an An— N bau, dem ſich allerdings wegen des Mangels an Waſſer unüberſteigliche Hinderniſſe entgegenſtellen. Mehrere Stun— den weit, nach allen Richtungen hin, breitet ſich eine völlig baumloſe und unangebaute, nur mit Diſteln und | aromatischen Labiatengeſtrüpp beſtreute, kieſige Ebene aus, in welcher man kein Obdach, auch keinen Bach oder Brun— | nen findet. Dieſe Einöde erſtreckt ſich bis in die Nähe des wegen ſeines hohen Kirchthurms weithin ſichtbaren Fleckens Longares, der von alterthümlichen Mauern um— gürtet, groß und ziemlich gut gebaut iſt. Der erwähnte Kirchthurm iſt von unten bis oben viereckig und endet in eine von Mauerzinnen umgebene Plattform. Unmit—

74 Die Stadt Carinena. Die Garnacha.

telbar hinter Longares beginnen einzelne, gut gepflegte Weingärten ſich zu zeigen, welche die Nähe der durch ihre vorzüglichen Weinſorten berühmt gewordenen Stadt Carinena verkündigen. Bald betritt man das eigent- liche Campo de Carinena, eine weite, gleich einem Tiſche ebene Fläche, die faſt gänzlich, ſo weit das Auge reicht, mit Weinreben bedeckt iſt, und daher einen ſehr heitern Anblick darbietet. Gegen Südweſt erſcheint dieſe fruchtbare Ebene von einer niedrigen, aber maleriſch ge- formten und theilweis bebuſchten Bergreihe begränzt, uns weit deren Fuße Carinena in einem Kranze von Oliven: hainen, Obſt- und Gemüſegärten liegt, woſelbſt ich zu mei— ner Freude eine recht wohnliche und reinliche Poſada antraf. Garitiena iſt eine kleine, freundliche, ziemlich regelmäßig gebaute Stadt von etwa viertehalb tauſend Einwohnern, welche meiſt vom Weinbau leben, der hier mit größerer Sorgfalt betrieben wird, als es ſonſt in Aragonien zu geſchehen pflegt. Unter den Weinen von Carinena nimmt die ſogenannte „Garnacha“ den erſten Rang ein. Es iſt dies ein öliger, ſüßer, feuriger Wein von roſenrother Farbe, von höchſt aromatiſchem Geruch und Geſchmack. Derſelbe wird vorzüglich in Centralſpanien, beſonders in Madrid, conſumirt, woſelbſt er, und mit vollem Rechte, in großem Anſehen ſteht. Den folgenden Morgen reiſte ich bis Daroca. Eine hügliche, faſt durch— gängig von Olivenplantagen und Rebenpflanzungen bedeckte

Der Puerto de San Martin. Dede Gegend. Maynar. 75

und mit einzelnen Häuſern beſtreute und deshalb ſehr hei— tere Gegend von etwa einer Stunde Durchmeſſer trennt Carinena von der bereits erwähnten Bergreihe, welche die zweite Stufe der Terraſſe von Neucaftilien bildet. Dieſelbe erhebt ſich ſteil aus dem eben geſchilderten Hü— gellande, während ſie ſich auf der entgegengeſetzten Seite in ſanften Abhängen zu dem darauf folgenden, mindeſtens um 500 Fuß höher als das Campo de Carinena gelege— nen Plateau abdacht. Sie beſteht aus Grauwackenſchiefer, einem Geſtein, welches auch bereits in der Ebene von Carinena häufig zu Tage ausgeht, und iſt theilweis mit niedrigen Immergrüneichen und Gebüſch (beſonders mit Cistus laurifvlius L) bedeckt. Die Schlucht, durch welche ſich die Straße nach dem Kamme emporwindet, führt den Namen Puerto de San Martin und war ehedem eine wegen der vielen Raubanfälle, die daſelbſt verübt wurden, ſehr berüchtigte Localität. Die auf dem Puerto folgende Hochfläche iſt hüglich, baumlos, ſehr wenig angebaut und noch ſpärlicher bevölkert, und erſtreckt ſich nach allen Him— melsgegenden hin als eine triſte graue Fläche, deren Con— touren in der Ferne mit dem Blau des Himmels ver— ſchwimmen. Einige elende Venta's, von Getreidefeldern umgeben, ſind die einzigen bewohnteu Orte, welche die Straße berührt. Wir machten Mittag in Maynar, einem großen, aber ſehr ſchlecht gebauten und entſetzlich ſchmuzigen Flecken, welcher in ganz Aragonien wegen der

76 Die Rüben von Maynar. Das Dorf Retascon.

vorzüglichen Rüben, die in ſeinen Umgebungen in großer Menge erbaut werden, eine gewiſſe Berühmtheit erlangt hat. Er liegt innerhalb der beſchriebenen Ebene, nahe bei einem andern Flecken, Namens Villareal. Beide Orte ſind von einem breiten Gürtel von Getreidefeldern umringt; dagegen bemerkt man nur ſehr wenige Bäume in ihren Umgebungen. Nachdem wir in Maynar der ſengenden Hitze halber eine lange Sieſta gehalten hatten, ritten wir in der vierten Nachmittagsſtunde weiter. Bald verſchwand der Anbau, und abermals folgte eine weite, nackte, mit Diſteln und Geſtrüpp bedeckte Fläche. Gegen Südweſt zeigte ſich dieſelbe in der Ferne von einer Hü- gelreihe begränzt, welche ganz dieſelben Contouren und daſſelbe Anſehen beſitzt, wie die Kette des Puerto de San Martin. Nach einer Stunde geſtaltet ſich die Oberfläche des Bodens wellenförmig und ſchwillt bald zu größern Hügeln an. Nachdem die Straße einige derſelben über⸗ ſtiegen hat, ſenkt ſie ſich in eine enge, von ſteilen, nack— ten Abhängen eingeſchloſſene Schlucht, in welcher die zer— ſtreuten Häuſer des Dorfes Retascon auf und zwiſchen Sandſteinklippen von kreideweißer Farbe zwar entſetzlich dürr, doch nicht unmaleriſch, gelegen ſind. Die Schlucht von Retascon öffnet ſich bald in eine kleine, von Hügeln umringte Ebene, welche mit Getreide und Wein bedeckt iſt. Dem Ausgange der Schlucht gegenüber erblickt man auf einem Hügel die Mauern und Thürme des mauriſchen

Ankunft in Daroca. Lage, Bauart, Thore der Stadt. 77

Caſtells von Daroca, wohin wir um ſechs Uhr ge— langten.

Daroca, eine Stadt von 6000 Einwohnern, liegt zwiſchen zwei ſteilen Hügeln in eine tiefe Schlucht ver— ſteckt, welche in das fruchtbare Thal des Giloca mün— det. Es ſoll von den Celtiberern erbaut worden fein und wurde im Jahre 1423 durch König Alphons I. von Aragonien den Mauren entriſſen, an deren Herrſchaft der Hufeiſenbogen des Portals der Hauptkirche noch jetzt er— innert. Außer dieſer Hauptkirche, deren Inneres aus drei gothiſchen Schiffen beſteht, beſitzt die Stadt noch fünf andere Kirchen, ſowie ſechs Klöſter, welche aber gegen— wärtig aufgehoben ſind. Daroca iſt ziemlich gut gebaut, aber ſehr abſchüſſig gelegen, indem ſich die Sohle der Schlucht raſch nach dem Thale des Giloca hinabſenkt. Es iſt ganz und gar von alterthümlichen Mauern um— gürtet, die bis zum Kamme der beiden, die Schlucht ein— ſchließenden Hügel emporſteigen, die Stadt mit dem: Caſtell verbinden und mit einer Menge dicker, viereckiger Thürme verſehen ſind. Doroca beſitzt blos zwei Thore, ein oberes und ein unteres, welche ſich an den beiden, dem Ein- und dem Ausgange der Schlucht entſprechenden Enden der Stadt befinden. Beide Thore zeichnen ſich durch ihre pittoreske alterthümliche Bauart, das obere vorzüglich durch ſein ſchönes gothiſches Gewölbe aus, und ſind mit zwei dicken, viereckigen, zinnengekrönten Thür—

78 Die Hauptſtraße. Die Alameda.

men geſchmückt. Von einem Thore zum andern erſtreckt ſich eine breite, zum Theil von ſtattlichen Häuſern ein⸗ gefaßte, aber entſetzlich ſchlecht gepflaſterte und ſchmuzige Gaſſe, welche die ſchmale Stadt in zwei ziemlich gleiche Hälften ſcheidet. In der Mitte dieſer Gaſſe befindet ſich der Conſtitutionsplatz, an welchem die Hauptkirche ſteht. Vor dem untern Thore liegt ein großer Brunnen, wel— cher aus zwanzig bleiernen Röhren gleichzeitig armsdicke Waſſerſtrahlen ergießt. Hier beginnt die Alameda, eine vierfache Ulmenallee, die ſich bis an das Ufer des Jiloca erſtreckt. Da gerade ein hoher Feſttag war, als ich nach Daroca kam, nämlich das Feſt St. Jacobi, des Schuß: patrons von Spanien, ſo wimmelte dieſe Promenade von ſonntäglich gekleideten Spaziergängern, beſonders aus den höhern Ständen. Ich bemerkte unter denſelben mehrere ſehr hübſche und elegant gekleidete Damen, wie ich ſie in dem alterthümlichen Daroca nicht vermuthet hätte. Daroca iſt wegen ſeiner eigenthümlichen Lage ſehr häufig Ueberſchwemmungen ausgeſetzt. Da nämlich die baſſin— artige Ebene, welche ſich zwiſchen Daroca und Retascon befindet, keinen andern natürlichen Ausgang nach dem Thale des Giloca hin hat, als die Stadtſchlucht, ſo er— gießt ſich bei heftigem Platzregen, von dem in jenen Ge— genden faſt alle Gewitter begleitet zu ſein pflegen, alles Waſſer, welches ſich in jenem Thalbecken anſammelt, in dieſe Schlucht, wo es wegen der geneigten Sohle der—

Die Mina de Daroca. Das Thal des Giloca. 79

ſelben ſehr bald zu einem reißenden Bache anwächſt. Um dieſem Uebelſtande, durch den in früherer Zeit die Stadt ſehr gelitten haben ſoll, abzuhelfen, hat man, ich glaube, im 17. Jahrhunderte, vor dem obern Thore einen Tun— nel von 2340 ſpan. Fuß Länge und 24 Fuß Höhe und Breite durch den die linke Wand der Stadtſchlucht bil— denden Bergwall gebrochen, durch den jetzt im Falle eines ſtarken Regenguſſes alles im obern Thalbeckeu ſich an— ſammelnde Waſſer nach dem Thale des Giloca abfließt. Man nennt dieſen ſehenswerthen Tunnel die Mina de Daroca. Sein Baumeiſter war ein Franzoſe, Na- mens Pierres Vedel.

Daroca liegt, wie ſchon bemerkt, am Rande des Gilocathales. Dieſes etwa eine Viertelſtunde breite, unter dem Namen der Ribera de Daroca bekannte und berühmte Thal iſt einer von jenen von der Natur privi— legirten Diſtricte, wie man dergleichen in Europa nur in der Mediterranzone findet. Während die benachbar— ten aus rothem und weißem tertiären Mergelſandſtein zuſammengeſetzten Plateau's, deren ſteile, von vielen Schluchten tief durchfurchten Abhänge die beiden Thal— wände der Ribera bilden, der Bäume faſt gänzlich ent— behren und faſt nur die Cultur des Getreides geſtatten, prangt die aus ſchwarzer Dammerde beſtehende und fort— während durch das in eine Menge von Kanälen und Gräben zertheilte Waſſer des Giloca getränkte Ebene der

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I

80 Das Thal des Giloca oder die Ribera de Daroca.

Ribera mit der üppigſten Vegetation. Gartenfrüchte und Gemüſe aller Art, Lein und Hanf bedecken den Boden, welcher von Tauſenden von Pfirſich-, Aprikoſen-, Nuß⸗, Maulbeer-, Mandel- und Feigenbäumen beſchattet iſt. Um die Stämme der Ulmen, welche längs der Wege und Waſſerleitungen nach ſüdeuropäiſcher Sitte gepflanzt zu ſein pflegen, ſchlingt ſich die Weinrebe in reichbelaubten Guirlanden, oft bis zu den Wipfeln emporſteigend und von hier in langen, maleriſchen Feſtons bis wieder auf den Boden herabhängend. Auch die das Thal einfaſſen⸗ den Mergelhügel ſind zum Theil mit Reben bepflanzt, deren Trauben einen faſt eben ſo guten Wein liefern, wie die des Campo de Carinena. In dieſem reizenden Thale verließen wir die Straße nach Teruel, welche ſich ſüdwärts wendet, und ſchlugen einen Saumpfad ein, der bald an der Daroca gegenüber liegenden Thalwand em— porſteigt. Von der Höhe aus genießt man einen reizen— den Ueberblick des prachtvollen Thales; auch nimmt ſich hier Daroca mit ſeiner terraſſenförmig aufſteigenden Häu— ſermaſſe und ſeinen alterthümlichen Kirchen, Klöſtern und Mauern zwiſchen den beiden rothbraunen Felsbergen, von denen der nördliche das ſchon erwähnte Caſtell auf ſeinem Scheitel trägt, ſehr hübſch aus. Sobald man die Wein— gärten paſſirt hat, welche den obern Rand des Thalge— hänges bedecken, entſchwindet dieſe ſchöne Landſchaft dem Auge und man ſieht ſich abermals von dürren, kahlen,

Anficht des Moncayo. Dede Plateau's. Eintritt in Neucaſtilien. 84

wellenförmigen Flächen umgeben, die gegen Südweſt all— mälig anſteigen und in einigen Stunden Entfernung von der ſchon erwähnten Hügelreihe begränzt ſind, welche Nichts als der Abhang der dritten Stufe der caſtiliani— ſchen Terraſſe iſt und gleich der Kette von Carinena aus Grauwackenſchiefer beſteht. Dieſes Plateau iſt ſehr öde und bietet wenig Ausſicht dar; nur der Moncayo, der ſich am nördlichen Horizont erhebt und den man von hier aus en profil erblickt, in welcher Weiſe er täuſchend aus— ſieht wie der Brocken von Halberſtadt aus, gewährte in der duftigen Morgenbeleuchtung eine ſchöne Gebirgsan— ſicht. Etwas beſſer wird die Gegend, nachdem man jene, die dritte Terraſſenſtufe krönende Hügelreihe überſtiegen hat, deren dem Ebrobaſſin zugekehrter Abhang ſpärlich mit Immergrüneicheu bewachſen iſt. Man befindet ſich nun auf einem welligen Plateau, welches von einer be— waldeten Hügelreihe umgeben und mit Getreidefeldern bedeckt iſt. Jene Hügelreihe bildet die Gränze zwiſchen Aragonien und Neucaſtilien. Nachdem man dieſelbe in— nerhalb eines flachen Thales paſſirt hat, in welchem ein kleines Dorf, die letzte aragoneſiſche Ortſchaft, verſteckt liegt, gelangt man auf eine ſehr geräumige, gegen Nor— den und Süden ſich endlos ausdehnende Ebene von wel— lenförmiger Geſtaltung, die einen ſehr triſten Eindruck hervorbringt, da ſie faſt gar nicht bewohnt und daher auch nur ſehr wenig bebaut iſt. Salvien, Thymian und

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 6

82 Die Laguna de Gallocauta. Der Flecken Layunta.

andere aromatiſche Halbſträucher ſproſſen in ſpärlichen Büſcheln aus dem thonigen Boden, welcher an manchen Stellen einen ſtarken Salzgehalt verräth, indem die Lachen und Teiche, die ſich hier und da in ſeinen Depreſſionen befinden, ſämmtlich geſalzenes Waſſer führen. Gegen Süden erblickt man in der Ferne den Spiegel der La— gung de Gallocanta, eines ziemlich großen Sees, deſſen Waſſer eine ſo geſättigte Salzauflöſung iſt, daß der See als Saline benutzt werden kann. An ſeinen

baumloſen, von ſchwarzem Schlamme umringten Ufern

liegen mehrere einzelne Häuſer, auch ein kleines Dorf.

Nach einer mehrſtündigen, wegen der Oede der Ge— gend und der Sonnengluth höchſt ermüdenden Wanderung nahm uns ein lichtes Gehölz von Immergrüneichen auf, welches eine Grauwackenhügelreihe überzieht. Auf Die ſelbe folgte eine weite, theilweiſe mit Weizenfeldern, die hier noch nicht gemäht waren, bedeckte Ebene; allein außer einigen leer ſtehenden, aus loſen Steinen errichte— ten und mit Stroh gedeckten Hütten war weit und breit keine menſchliche Wohnung und auch kein Menſch zu ſehen. Endlich, nachdem wir ein zweites Eichengehölz durchritten hatten, öffnete ſich eine gänzlich mit Getreidefluren er⸗ füllte, gegen Süd und Weſt von bebuſchten Felshügeln umſchloſſene Ebene, in welcher innerhalb eines die Ebene

durchſetzenden Barranco die erſte Ortſchaft Neucaſtiliens,

Lay unta, ein großer, aber häßlicher, aus Lehmhütten

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Armſeligkeit des Ortes und der Poſada. 83

beſtehender Ort von armſeligem Ausſehen, der nichtsdeſto— weniger den Titel einer „villa“ führt, gelegen iſt. Es war gerade zur Zeit der größten Hitze, als wir dort an— kamen. Außer einigen Kindern, die im Naturzuſtande ſich in dem Straßenkothe herumwälzten, war kein Menſch in den engen, ſchmuzigen Gaſſen zu ſehen, indem alle Welt Sieſta hielt. Die einzige Poſada, ein ſchuppen— ähnliches Gebäude, welches blos aus einem Stalle und einem Küchenraume beſtand, war verſchloſſen und wurde erſt nach wiederholtem Pochen von einer entſetzlich ſchmu—

zigen Magd geöffnet, welche, ſich den Schlaf aus den Augen reibend, mürriſch nach unſerm Begehren fragte. Mit Noth und Mühe wurden ein paar Eier und etwas Sallat zu einem kärglichen Mittagsbrode aufgetrieben; da nicht einmal Eſſig in der Kneipe vorhanden und auch nicht bei dem einzigen Krämer des Ortes zu bekommen war, ſo mußte mein Bedienter den Pfarrer aus dem Schlafe pochen, der, wie die Magd ſchnippiſch bemerkte, die einzige Perſon in der „Stadt“ ſei, welche den Sallat mit Eſſig zu eſſen pflege! Auch meinen Pferden erging es nicht beſſer. Aguſtin mußte erſt den halben Ort durch— wandern, ehe er Gerſte bekommen konnte, denn in der Poſada war blos Hechſel zu haben. Den Durſt mußten die armen Thiere in einem eine halbe Viertelſtunde ent⸗ fernten Teiche ſtillen, da weder ein Bach, noch Quell⸗ waſſer in der Nähe iſt. Dieſer letztere Uebelſtand wie⸗

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84 Cubillejo de la Sierra. Buntſandſteinplateau's.

derholt ſich bei ſehr vielen Ortſchaften Centralſpaniens. Ich muß geſtehen, daß Layunta mir keinen hohen Be- griff von dem Culturzuſtande Neucaſtiliens beibrachte, denn ſo erbärmlich, wie hier, hatte ich es ſelbſt in Ara⸗ gonien, wo die Cultur doch auf einer ſehr niedern Stufe ſteht, nirgends gefunden. Indeſſen ſind nicht alle Ort— ſchaften Neucaſtiliens fo ſchlecht beſtellt, wie Layunta, deſſen Uncultur ſich aus ſeiner einſamen, verſteckten Lage in einer vom Weltverkehr ganz unberührten Gegend hin⸗ länglich erklärt, und im Allgemeinen muß man zugeben, daß in Neucaſtilien mehr Cultur zu Hauſe iſt, als in Aragonien.

Zwei Stunden weſtlich von Layunta liegt am Fuße der erwähnten waldigen Bergkette der Flecken Gubil- lejo de la Sierra, der ein beſſeres Ausſehen hat, als Layunta. Es beginnt hier ein hügliches, aus einem ſehr feſten, weißen, quarzreichen Sandſteine zuſammengeſetztes Terrain, welches mit Immergrüneichen und Buſchwerk bedeckt iſt. Es dunkelte ſchon, als wir aus dieſem wal- digen Gelände heraustraten. Nun folgte eine aus hoch— gewölbten Plateau's von Buntſandſtein gebildete Gegend, in der ich faſt gar keine Spur von Anbau und, mit Aus⸗ nahme einer einſamen, verlaſſenen Venta, kein einziges Haus, geſchweige denn ein Dorf entdecken konnte. Dieſe öde Gegend, deren rother Ockerboden nur ſehr ſpärlich mit Vegetation beſtreut iſt, erſcheint gegen Süden von

Ankunft in Molina de Aragon. Das Kaſtell. 85

niedrigen, felſigen Gebirgsketten begränzt, welche bereits zu der Serrania de Cuenca gehören, gegen Norden von mit Nadelholz bedeckten Höhenzügen. Nachdem wir etwa eine Stunde weit geritten waren, tauchten die Thürme des Caſtells von Molina hinter den braunen Hügeln empor und bald öffnete ſich zu unſerer Linken das tiefe und weite Thal des Gallo, in welchem Mo— lina liegt. Es war beinahe neun Uhr, als wir in die— ſer Stadt eintrafen, in welcher ich zu meiner Freude einen großen, ziemlich bequem eingerichteten, recht guten und billigen Gaſthof fand.

Molina de Aragon, ſo genannt, weil es unweit der Gränzen Aragoniens liegt, um es von andern Ort— ſchaften gleiches Namens zu unterſcheiden, iſt eine kleine, aber ſehr alte, lebhafte und auch wohlhabende Stadt von etwa 5000 bis 6000 Einwohnern, welche zur Provinz von Guadalajara gehört. Ihre ſehr alterthümlichen, je— doch mitunter recht ſtattlichen, von der Zeit und dem Wetter geſchwärzten Gebäude ziehen ſich terraſſenförmig am Fuße eines hohen, dürren Hügels empor, auf deſſen Gipfel das Caſtell ſteht, welches noch jetzt als Feſtung dient und deshalb mit Geſchütz und mit einer Garniſon verſehen iſt. Daſſelbe iſt ganz unregelmäßig gebaut, von alten Mauern umringt, in der ſich mehrere dicke, vier— eckige, zinnengekrönte Thürme mit kleinen gothiſchen Fen— ſtern erheben und beſitzt eine kleine Kirche von gothiſcher

86 Lage und Bauart der Stadt. Das Thal des Gallo.

Bauart. Ohne einen Paſſirzettel von Seiten des in der Stadt wohnenden Commandanten wird man in dieſe Bergveſte nicht eingelaſſen. Die Stadt ſelbſt beſteht aus einem Gewirr enger, finſterer Gaſſen mit hohen, zum Theil aus Holz erbauten Häuſern, iſt von Mauern um⸗ ringt, beſitzt einen großen Marktplatz, fünf hochgethürmte Thore und mehrere anſehnliche Kirchen und Klöſter, ſämmtlich von gothiſcher Bauart. An ihrer ſüdlichen, dem Caſtellberge entgegengeſetzten Seite fließt der Rio Gallo vorbei, ein kleiner Fluß, welcher von Süden her, aus der Serrania de Cuenca, kommt, einige Leguas un- terhalb Molina's wieder nach Süden umbiegt und in den Tajo mündet. Derſelbe bewäſſert ein ziemlich weites Thal, deſſen ebene Sohle recht gut angebaut iſt und bes | ſonders Gartenfrüchte, Gemüſe, Kartoffeln, Hanf, auch etwas Obſt erzeugt. Oelbäume giebt es hier nicht, da der Winter wegen der bedeutenden Höhe des Plateau’s, welches der Gallo durchfurcht, (Molina liegt 3250 par. Fuß über dem Spiegel des Meeres!) zu kalt und ſtreng iſt, als daß der Oelbaum gedeihen könnte; dagegen be— merkte ich an geſchützten Stellen noch einige Mandel- und Feigenbäume. Die Hauptproducte des Bodens ſind Gartenfrüchte, Hanf und Getreide, beſonders Weizen, welcher auf den wellenförmig geſtalteten Plateau's und in den dieſelben trennenden Niederungen, die Molina umringen und ſich zu beiden Seiten des ſtark bevölkerten

Höhe, Vegetation und Klima des Plateau’? von Molina. 87

Gallothales ausbreiten, in großer Menge erbaut wird,

obgleich jene Plateau's mitunter bis nahe an 4000 Fuß emporſchwellen. Die gewaltige Höhe der Gegend von

Molina verräth ſich theils in der Vegetation, theils in dem

dieſelbe bedingenden Klima. Der ſpärliche Pflanzenwuchs, welcher die unbebauten, mit Geſchieben und Kies beſtreu— ten Höhen bedeckt, beſteht faſt aus lauter niedrigen, oft kaum handhohen Halbſträuchern und dem Boden ange— drückten Kräutern, wie man dergleichen auf den Kämmen höherer Gebirge zu ſehen gewohnt iſt. Das Klima iſt ein ächt continentales, d. h. durch Trockenheit der Luft und ſchroffe Temperaturwechſel ausgezeichnet. Dieſe un— angenehme Eigenſchaft habe ich während meines kurzen Aufenthaltes in Molina zur Genüge kennen gelernt. Den erſten Morgen, den ich daſelbſt zubrachte, herrſchte noch eine erſtickende Hitze; Nachmittags ſetzte der Wind plötz— lich nach Norden um und den folgenden Tag zeigte das Thermometer zu Mittag blos + 14° R. im Schatten- Später ſank die Temperatur noch tiefer, ſo daß ich in Molina Ende Juli gezwungen war, im Mantel gehüllt auszugehen; denn wenn man Wochen lang an Tempera⸗ turen von + 20% bis 25° R. im Schatten gewöhnt ge— weſen iſt, ſo wirkt eine ſo plötzliche Temperaturerniedri— gung von mehr als 10 Graden höchſt nachtheilig auf den

Körper ein.

Der eigentliche Zweck meiner Reiſe nach Molina

88 Geognoſtiſche Beſchaffenheit des Plateau von Molina.

war, die in deſſen Nachbarſchaft befindlichen, von Alters

her berühmten Kupferminen zu beſichtigen und Beobach⸗ tungen über die geologiſchen Verhältniſſe jenes geſamm⸗ ten Hochlandes zu machen. Letzteres veranlaßte der Um⸗ ſtand, daß die Umgebungen Molina's in ganz Spanien als eine an Verſteinerungen überaus reiche Gegend be— rühmt ſind. Ich verweilte deshalb vier Tage in dieſer Stadt und unternahm mehrere Ausflüge in die Umgegend, um die Geſteine, aus denen das Plateau von Molina

beſteht, und deren Lagerungsverhältniſſe kennen zu lernen.

Das Reſultat meiner Unterſuchungen war, daß die ge—

ſammten Plateau's, welche ſich vom Thale des Gallo an

ſüd⸗ und weſtwärts ausbreiten, aus Kalkſchichten zuſam⸗ mengeſetzt find, die den von ihnen eingeſchloſſenen Ver- ſteinerungen zufolge der älteſten Epoche der juraſſiſchen Periode angehören. Dieſe Kalkſchichten ruhen, wie man im Thale des Gallo an vielen Stellen deutlich ſehen kann, auf bunten Mergeln, die mit Stücken faſrigen, bunt gefärbten Gypſes vermengt ſind und offenbar der Keuperformation angehören. Unter denſelben liegt das älteſte Glied der Triasperiode, der in Spanien ſo mäch⸗ tig entwickelte Buntſandſtein, welcher die nord- und oft- wärts von Molina ſich erhebenden Plateau's zum großen Theil zuſammenſetzt. Was die Verſteinerungen des Jura- kalkes anlangt, ſo gehört die Mehrzahl derſelben den Conchylien an, beſonders den zweiſchaligen Muſcheln.

Geognoſtiſche Beſchaffenheit des Plateau von Molina. 89

An manchen Stellen erſcheint der Kalk gänzlich aus Muſcheln zuſammengeſetzt, wie z. B. zwiſchen den Dör— fern Torremochuela und Torrecuadrada, wo auch der Boden, weil derſelbe aus verwittertem, zerſetztem Jurakalk beſteht, mit loſen Petrefacten vermengt iſt. Solche loſe, aus dem Geſtein herausgefallene Muſcheln finden ſich auch in großer Anzahl auf den Feldern und unbebauten Höhen um Pardos und Anchuelas nord— weſtlich von Molina, um Anchuela del Pedrigal öſt— lich von Molina und an vielen andern Orten. In den Thälern und Niederungen, welche das juraſſiſche Plateau durchſchneiden, ſind an manchen Stellen, wie z. B. in dem Thale des Gallo unmittelbar bei Molina, Tertiär— bildungen zur Entwickelung gelangt, die vorzüglich aus einem weichen, weißen, ſchiefrigen Kalke beſtehen, der ſich wegen der in ihm eingeſchloſſenen Schnecken als ein Süß— waſſergebilde zu erkennen giebt. Solcher tertiärer Kalk bedeckt den Fuß des Caſtellberges von Molina, welcher größtentheils aus einem halbkryſtalliniſchen Dolomit ge— bildet iſt. Merkwürdig ſind in der Jurakalkformation von Molina, welche ſich ſüdwärts bis Albarracin, nord— weſtlich bis an den Fuß des Moncayo und weſtwärts bis in die Gegend von Guadalajara erſtreckt, die vielen gangartigen Maſſen von Urkalk (Marmor), die gewöhn— lich eine fleiſchrothe Färbung beſitzen und Klüfte erfüllen, deren Bildung an mehreren Stellen zu bedeutenden Ver—

90 Die Kupferminen in der Gegend von Molina. Ihr Director.

werfungen und Störungen der Kalkſchichten Veranlaſſung 4 gegeben hat. Die Mächtigkeit der Marmorgänge wechſelt zwiſchen vier Zoll und drei Fuß; doch tritt das Geſtein auch, ähnlich wie der Gyps, in ſtockartigen Maſſen auf. Die Kupferminen, die ſchon zu Anfange des acht⸗ zehnten Jahrhunderts ausgebeutet wurden, befinden ſich innerhalb des Uebergangsgebirges, welches im Norden von Molina in mehrern Kuppen aus den juraſſiſchen und Triasſedimenten emportaucht. Zu Bowles Zeit“) wur⸗ den die Arbeiten auf königliche Koſten betrieben; die gegenwärtig in Arbeit befindlichen Gruben ſind nicht kö— niglich, ſondern Eigenthum verſchiedener Actiengeſellſchaf⸗ ten. Die bedeutendſten liegen drei Stunden nordweſtlich von Molina zwiſchen den Dörfern Herreria und Par— dos. Der Zufall wollte es, daß ich in meinem Gaſthofe mit dem Director derſelben zuſammentraf, in dem ich zu meiner Freude einen Deutſchen entdeckte. Er hieß Weſter— meyer und war aus dem Elſaß gebürtig, hatte aber ſein Vaterland ſchon als neunjähriger Knabe verlaſſen und ) Der Engländer William Bowles bereiſte Spanien als Berginſpector im Dienſte der ſpaniſchen Regierung um die Mitte des vorigen Jahrbunderts. Die Reſultate ſeiner ſehr genauen Be⸗ obachtungen legte er in einem Werke, betitelt: „Introduecion à la historia natural y la geografia fisica de Espana‘ (Madrid, 1775) nieder, welches als Grundlage der geſammten Phyſiographie Spa⸗ niens zu betrachten iſt. In dieſem Werke befindet ſich auch eine

ſehr ſorgfältige Beſchreibung der damals exiſtirenden Kupfergruben von Molina und der daſelbſt vorkommenden Mineralien.

>

Weg nach den Kupferbergwerken. 94

daher ſeine Mutterſprache ziemlich vergeſſen. Seine mi- neralogiſchen und geognoſtiſchen Kenntniſſe ſchienen nicht ſehr groß zu ſein; über ſeine bergmänniſche Befähigung kann ich nicht urtheilen, doch hörte ich ſpäter in Madrid, daß ihm die Direction jener Gruben entzogen worden ſei. Er hatte die Bergwiſſenſchaft nicht ſtudirt, ſondern blos empiriſch durch die Praxis kennen gelernt und mochte deshalb das Mechaniſche des Bergbaues recht gut ver— ſtehen, dagegen aus Unkenntniß der Geognoſie manche | Fehler bei der Anlage und Direction der Gruben begehen. Sei dem, wie ihm wolle, ich für meinen Theil bin dem Manne zu großem Danke verpflichtet, da er ſich äußerſt gefällig gegen mich bezeigt hat. In ſeiner Begleitung unternahm ich den Beſuch der Bergwerke am dritten Tage meines Aufenthalts in Molina. Der Weg dahin iſt recht angenehm. Man folgt zuerſt eine Zeit lang der Straße nach Guadalajara, welche im Thale des Gallo, deſſen breite Sohle hier durchgängig angebaut iſt und wegen der vielen Hanffelder im üppigſten Dunkelgrün prangte, abwärts führt. Bald verließen wir dieſe Straße und wählten einen Saumpfad, der in ein weites, waſſerloſes Seitenthal einbog, wo drei elende Ortſchaften, Rillo, Herreria und Canales, liegen, in deren Umgebungen blos Getreide erbaut wird. Die dieſes Thal einſchließen— den Höhen beſtehen ebenfalls aus Jurakalk und ſind zum Theil, beſonders der weſtliche Kamm, mit lichter Kiefern—

92 Ausſicht über das Plateau von Neucaſtilien.

waldung bedeckt. In Herreria vertauſchten wir den er⸗ wähnten, nach Siguenza führenden Saumpfad mit einem andern ſehr ſchlechten und wenig betretenen, der im Zid- zack über den langen Abhang des nordweſtlichen Thalge— hänges zu einem hohen Plateau emporſtieg, welches von Hügelreihen und Höhenkämmen durchzogen iſt und an- fangs aus Jurakalk, ſpäter aus Buntſandſtein, zuletzt aus Grauwacke und Quarzit beſteht. Es eröffnete ſich mir hier eine gewaltige Ausſicht über das Tafelland von Neu- caſtilien, welches in dieſen ſeinen öſtlichen Gegenden, ſo weit man ſehen kann, aus hüglichen, durch Thalſchluchten geſchiedenen Plateau's zuſammengeſetzt iſt. Gegen Süden erſcheint daſſelbe von den nördlichen Ketten der Serrania de Cuenca begränzt, die ſich nur als unbedeutende Berg— züge präſentiren, obwohl ihre Gipfel ſchon eine Höhe von 4500 bis 5000 Fuß erreichen, weil die Baſis, auf der fie ſtehen, bereits an 3000 bis 4000 Fuß über den Spie- gel des Meeres erhaben iſt. In nördlicher Richtung un⸗ ſere Wanderung durch völlig unbebautes Land fortſetzend, gelangten wir bald auf die Formation des Buntſandſteins. Dieſe bildet hier ein hügliches, von felſigen Barrancos durchfurchtes Gelände, deſſen Niederungen und Thalſohlen mit graſigen Weiden ausgekleidet ſind, während ſchöne Nadelwaldung, der Hauptſache nach aus dem langblättri⸗ gen Pinus Pinaster beſtehend, die Kämme und Abhänge der Hügelreihen bedeckt. Wäre dieſe Gegend bevölkert

Charakter der nordöftlichen Gegenden Neucaſtiltens. 93

und angebaut, ſo würde dieſelbe eine ſehr anmuthige Landſchaft bilden. Manche Stellen der ſie durchſetzenden Thalſchluchten ſind ſogar romantiſch zu nennen, indem der Buntſandſtein in maleriſchen, oft abenteuerlich ge— formten Felsmaſſen an den Thalgehängen zu Tage aus— geht. Ueberhaupt darf man ſich unter Neucaſtilien im Allgemeinen gar kein ſo langweiliges, einförmiges Land vorſtellen, wie man den Schilderungen der meiſten Rei— ſenden zufolge, die jene weite Landſchaft nur von den großen Straßen aus geſehen haben, anzunehmen geneigt iſt. Das Tafelland Neucaſtiliens kann man nur da lang— weilig und einförmig nennen, wo es, wie in der Mancha und in ſeinen centralen Parthieen, kurz in den Gegenden, durch welche die Straßen von Madrid nach Valencia und Andaluſien führen, wirklich vollkommen eben iſt. Allein fene Ebenen bilden kaum ein Drittheil der geſammten Landſchaft. Alle übrigen Theile des Plateau's von Neu— aftilten beſtehen aus wellenförmig geſtalteten oder hüg— ichen Geländen oder aus gewölbten Hochflächen, welche son tiefen Thälern und Schluchten durchſpalten find, in deren Grunde die Flüſſe und Bäche ſtrömen, die von den Reucaſtilien umringenden Gebirgen herabkommen. Nicht elten, wie beſonders in den nördlichen und öſtlichen Ge— zenden Neucaſtiliens, ſind die Gehänge ſolcher Thäler nit den maleriſchſten Felsparthieen beſetzt und mit der ippigften Vegetation geſchmückt, und da der obere Rand

94 Beſuch der Kupfermine Santa Barbara.

der Thalwände ſich immer mehr oder weniger in Geftalt von Kuppen und Bergen zu erheben pflegt, ſo glaubt man, wenn man ſich in einem ſolchen Thale befindet, oft inmitten eines romantiſchen Gebirges zu ſein. Erſt, wenn man die Thalwand erſtiegen hat und ſich nun auf ein, oft ſcheinbar in weite Ferne ſich erſtreckendes Plateau ver: ſetzt ſieht, verſchwindet dieſe Täuſchung. | Die geſchilderte Buntſandſteinformation zieht ſich nordwärts allmälig zu einem von einer Reihe ſchroffer, nackter Quarzitfelſen gekrönten Grauwackenkamm empor, an deſſen Abhange die jetzt im Baue brgriffenen Kupfer— bergwerke liegen. Die alten, längſt aufgegebenen Baue, welche Bowles beſchreibt, befinden ſich weiter oſtwärts an dem ſogenannten Cerro de la Platilla, einem höhern, ebenfalls mit Quarzitfelſen gekrönten Bergkamme. Ich fuhr in Begleitung des Directors in der Hauptgrube an, die den Namen Mina de Santa Barbara führt, erſt ſeit wenigen Jahren exiſtirt und kunſtgerecht angelegt iſt. Die Hauptmaſſe des in Grauwackenſchiefer aufſetzen⸗ den Ganges beſteht aus Kupferfahlerz, Kupferlaſur und Malachit. Die beiden zuletzt genannten Mineralien er⸗ ſcheinen häufig in ſchönen kryſtalliniſchen Ueberzügen, wohl auch vollkommen kryſtalliſirt in den Spalten und Höhlun⸗ gen des Fahlerzes. Der Abbau des Ganges iſt mit ge⸗ ringen Koſten verbunden, da das wenige in den Gruben befindliche Waſſer wegen der Lage derſelben an einem

Das Dorf Pardos. Das Haus des Alcalden. 95

Bergabhange mit Leichtigkeit nach dem benachbarten Thale abgeleitet werden kann. Ueber den Betrag der Ausbeute konnte mir der Director nichts Beſtimmtes angeben, da unregelmäßig an den Gruben gearbeitet wird, ebenſowe— nig über den Kupfergehalt des Erzes. Das zu Tage geförderte Erz wird verkauft; eine Schmelzhütte war we— nigſtens damals noch nicht vorhanden.

Nachdem ich die genannten Gruben in Augenſchein genommen und eine reiche Sammlung von Erzſtufen und Geſteinsproben zuſammengebracht hatte, ritten wir nach dem blos eine gute Stunde entfernten Dorfe Pardos, woſelbſt mich Herr Weſtermeyer in dem Hauſe des Al— calden einquartierte, da ſeine eigne Wohnung nicht für den Beſuch eines Fremden eingerichtet war. Pardos, ein nur aus wenigen Gaſſen beſtehender Ort, liegt ganz nackt auf einer ebenen, kalten Hochfläche, welche gegen Norden von breiten, aus Jurakalk zuſammengeſetzten Höhenkäm— men, gegen Süden von bewaldeten Buntſandſteinhügeln begränzt iſt. Das Haus des Alcalden war das ftatt- lichſte Gehöft des Dorfes und ſtammte, einer über dem Hofthore befindlichen Inſchrift zufolge, bereits aus dem ſiebzehnten Jahrhunderte. Die Männer waren ſämmtlich in der Weizenernte beſchäftigt, die hier auf dieſem hohen kalten Plateau, deſſen Kuppen ſich gewiß bis gegen 4000 Fuß über das Meer erheben, eben erſt begonnen hatte. Es war daher blos die Hausfrau zugegen, welche mich

96 Das Haus des Alcalden. Der Alcalde.

ſehr gaſtfreundlich aufnahm und mir das beſte Gemach des Hauſes, die im obern Stockwerke befindliche Sala, zum Quartier anwies. Das aus Nußbaumholz verfer⸗ tigte Meublement dieſes Gemachs war zwar altväteriſch und vom Alter geſchwärzt, aber ſolid gearbeitet und ver— rieth, wie das ganze Haus, den Wohlſtand des Beſitzers. So gab es einen Glasſchrank, deſſen Thüren und Läden mit zierlichen Holzſchnitzereien bedeckt waren und in dem ich porzellanene Geſchirre und ſilberne Löffel und Gabeln bemerkte, welche letztere mir auch beim Eſſen vorgelegt wurden. Unter den rohen bunten Bildern, welche nach ſpaniſcher Sitte die Wände ſchmückten, fiel mir ein klei— ner, aber ſehr ſchöner Kupferſtich nach einem Gemälde von Raphael Mengs, auf, ein Kunſtwerk, welches ich in dieſem abgelegenen Winkel Neucaſtiliens wahrlich nicht vermuthet hätte! Ich benutzte die noch übrigen Stun— den des Nachmittags, um in Begleitung meines Bedien— ten die nahe gelegenen Jurahöhen auf Petrefacten zu unterſuchen. Leider zwang uns plötzlich einfallendes und ſehr heftiges Regenwetter, welches uns bis auf die Haut durchnäßte, bald nach Pardos zurückzukehren. Kurze Zeit darauf trafen auch der Alcalde und ſeine Knechte ein, die der Regen ebenfalls in der Erntearbeit geſtört hatte. Der Alcalde, ein ſchlichter Bauer und bereits ältlicher | Mann von ftrengem Anſehen und, wie es ſchien, jehr choleriſchem Temperament, begrüßte mich mit ächt caſtilia⸗

Der Alcalde von Pardos. Uneigennützigkeit feiner Frau. 97

niſcher Förmlichkeit, wies mir den Ehrenplatz am Heerd—

|

feuer an, den ich auch den ganzen Abend nicht verlaffen habe, da ich in Folge der ſtarken Durchnäſſung und der tief geſunkenen Temperatur (mein Thermometer zeigte blos 8“ R.!) ſehr fror, ließ ſich aber weiter in kein Ge—

ſpräch mit mir ein, ja, fragte mich nicht einmal, wer ich ſei, was ich in Pardos wolle und woher ich komme. Als

Alcalde hatte er das Recht, meinen Paß zu verlangen; er machte aber keinen Gebrauch davon, ſondern meinte, als ich ſelbſt davon ſprach und ihm den Paß zum viſiren vorlegen wollte, er brauche denſelben nicht zu ſehen, er ſehe es mir an, daß ich ein „caballero“ ſei. Billiger, als beim Alcalden von Pardos habe ich ſelten logirt! Als ich am andern Morgen die Rechnung verlangte, wußte die Frau der Alcalde war ſchon auf das Feld gegan— geu erſt gar nicht, was ſie verlangen ſolle, und be— rechnete mir dann Alles im Einzelnen nach den in ihrem Dorfe gewöhnlichen Preiſen, die freilich ſehr niedrig wa— ren. Sie verlangte demgemäß für drei Metzen Gerſte, die meine Pferde gefreſſen hatten, ein aus Suppe, Fleiſch mit Gemüſe und Deſert (Roſinen, Mandeln und getrock— nete Feigen) beſtehendes Mittagsmahl, einem aus Eiern mit Schinken, gebratenem Huhn mit Sallat und ebenfalls Deſert zuſammengeſetztes Abendeſſen und der in Spanien gebräuchlichen Frühchocolade mit geröſtetem Weißbrod für mich und meinen Bedienten, ſowie zwei Betten und Quar—

Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 7

98 Abreiſe von Molina. Chera und Caſtilnuevo.

tier Alles in Allem 17 Realen, d. h. 1 Thlr. 4 Silber⸗ groſchen! und war ſehr dankbar, als ich noch ein paar Realen Trinkgeld für die Bedienung hinzufügte. Bei regneriſchem Wetter kehrte ich auf einem andern Wege, der keine Ortſchaft berührt, nach Molina zurück.

Noch denſelben Nachmittag trat ich meine Reiſe nach Teruél an. Geleitet von einem Führer begab ich mich zunächſt in die Gegend von Torremochuela und Tor—

recuadrada, um Petrefacten zu ſammeln, und ritt ſo— dann nach dem wieder im Thale des Gallo auf dem Wege

nach Teruél gelegenen Dorfe Chera, woſelbſt ich über— nachtete. Da in der Poſada kein Unterkommen zu finden war, ſo wurde ich durch den Alcalden, deſſen Beruf es

mit ſich bringt, Fremden Quartier zu verſchaffen, im Hauſe des Pfarrers einlogirt. Chera liegt am Abhange

eines nackten, dürren Kalkhügels, am Ende der anmuthig grünen Ebene von Prados-Redondos, welche das

ſeichte Thal eines Baches auskleidet, der unweit des

Fleckens Caſtilnuevo, zwei Stunden oberhalb Molina,

in den Gallo fällt. In Caſtilnuevo, über welchen Ort der Weg von Molina nach Torremochuela führt, ſteht

auf einem Hügel mitten im Dorfe ein altes, von Außen

armſelig ausſehendes Grafenſchloß, welches nebſt dem Dorfe einem italieniſchen Herzoge, einem Couſin der Kö⸗ nigin Criſtina, gehört. Das Thal des Baches verengt ſich zwiſchen Caſtilnuevo und Prados-Redondos, wie ich

Nachtquartier beim Pfarrer von Chera. Sein Kaplan. 99

auf einer einige Tage früher in die Nähe des letztgenann— ten Ortes unternommenen Excurſion zu beobachten Ge— legenheit hatte, zu einer ſchmalen Felſenſchlucht, an deren Wandungen die Schichtung des Jurakalkes ſehr ſchön blosgelegt iſt. Bei dem Pfarrer von Chera fand ich eine ſehr gaſtliche Aufnahme. Da er ſelbſt, ein achtzigjähriger Greis, wegen Krankheit verhindert war, mich zu ſprechen, ſo hatte er ſeinen Kaplan beauftragt, mich zu unterhal— ten. Dieſer war ein eben ſo neugieriger, als unwiſſen— der und ungebildeter Menſch. Da die Kunde von der Ankunft eines „estrangero“, einer in jener abgelegenen Gegend Neucaſtiliens ſeltenen Erſcheinung, die Honora— tioren des Ortes herbeigelockt hatte, ſo packte er ſeine ganze Gelehrſamkeit aus, wahrſcheinlich, um ſeinen Beicht— kindern zu imponiren, verrieth aber dabei die graſſeſte Ignoranz, was freilich die einfachen, natürlich noch un— wiſſenderen Bauern nicht zu beurtheilen vermochten. So erzählte der Kaplan unter Anderm mit wichtiger Miene als etwas ganz Neues, daß in Preußen das Cölibat von dem Pabſte aufgehoben und den Prieſtern erlaubt worden ſei, zu heirathen, wobei er unverhohlen die Hoffnung aus— ſprach, daß in Spanien dieſe Aenderung wohl auch bald erfolgen werde! Da er ſowohl, wie die übrigen Anweſen— den mich offenbar für einen Katholiken hielten“) und mir

) Ich bemerke hierbei, daß das Volk in Spanien im Allge— meinen gar keine Ahnung davon hat, daß es in der chriſtlichen

7 *

100 Das Plateau von Chera.

der Kaplan einigen Aeußerungen zufolge ein bigotter Menſch zu ſein ſchien, ſo hielt ich mich nicht für berufen, denſelben über ſeinen großen Irrthum aufzuklären.

Den folgenden Tag, am 1. Auguſt, brach ich bei Zeiten auf. Es war ein ſchöner, heller Morgen, aber die Luft auf jenem hohen Plateau empfindlich kühl, fo daß ich bis um 10 Uhr in den Mantel gehüllt bleiben mußte. Der Weg führt an der nackten Felslehne, an deren Fuße Chera liegt, zu einer wellenförmig geſtalte— ten, ebenfalls aus Jurakalk zuſammengeſetzten Hochfläche empor, welche faſt ganz unangebaut und ohne Bäume iſt. Links, gegen Oſten, begränzt den Horizont in geringer

Kirche verſchiedene Confeſſionen giebt. Der gemeine Spanier kennt außer Heiden, Muhammedanern, die er ſämmtlich „Moros“ (Maus ren) nennt, und Juden blos „Cristianos“ und „Hereges“ (Ketzer). Mit letzterem Namen belegt er, den Lehren der Prieſter gemäß, alle Criſtianos, welche Zweifel in die Wahrheit irgend eines Lehr: ſatzes der chriſtlichen, d. i. der katholiſchen Kirche, ſetzen, nicht den Vorſchriften des Clerus nachkommen, nicht in die Kirche, nament⸗ lich nicht zur Beichte und zum Abendmahl gehen, überhaupt ſich nicht an den Cultus binden. In dieſem Sinne gehört jetzt freilich die Mehrzahl der gebildeten Spanier zu den „hereges“. Die Proteſtanten und Reformirten gehören natürlich ebenfalls zu den Ketzern, allein dieſe kennt der gemeine Spanier weder dem Namen noch dem Weſen nach. Ja, er nennt ſich ſelbſt nicht einmal einen Katholiken, ſondern blos einen Chriſten und kennt den Begriff „katholiſch“ blos aus dem Titel des Königs, weſcher in Spanien bekanntlich das Prädicat „katholiſche Majeſtät“ führt. Mit Aus⸗ nahme der Aragoneſen fällt es übrigens jetzt keinem Spanier ein, ſich über einen ſogenannten Ketzer zu erboßen, oder gar einen ſol— cheu zu inſultiren. i

Gegend zwifchen Chera und Setiles. 104

Entfernung eine niedrige, mit nackten Felszacken beſetzte Bergkette, die wahrſcheinlich aus Grauwacke und Quarzit beſteht. Dieſe unbedeutend erſcheinende Kette iſt jeden— falls dieſelbe, welche man auf den meiſten Karten unter dem Namen Sierra de Molina als ein hohes, mächtiges Gebirge dargeſtellt findet. Ihre abſolute Höhe dürfte allerdings wegen der bedeutenden Erhebung des Plateaus, auf dem ſie ſteht, mehr als 4000 Fuß betragen. Bald ſenkte ſich der Weg in ein weites, flaches Thal hinab, deſſen ebene Sohle mit graſigen Weideplätzen erfüllt war, auf denen Heerden von Merinoſchaafen weideten. Kein Bach durchrauſcht dieſes Thal, eben ſo wenig iſt weit und breit die geringſte Spur von Anbau oder Bevölke— rung zu bemerken. Die Wände des Thales beſtehen zum Theil aus ſteilen Jurakalkfelſen, welche durch viele Schluch— ten wunderlich zerklüftet ſind. Die Vegetation iſt höchſt ſpärlich, Bäume ſind gar nicht vorhandeu. Nachdem wir eine Zeit lang in dieſem einſamen Thale hingeritten waren, führte uns der Weg wieder zum Plateau empor und brachte uns über mehrere unbebaute und kahle Höhenkämme nach dem Flecken Setiles, wo wir eine Stunde raſteten, um unſern Pferden Futter zu geben. Eine gute Stunde öſt— lich von dieſem Orte erhebt ſich ein niedriges, mit Epheu— gebüſch bedecktes Grauwackengebirge, in welchem ſich eine Eiſengrube befindet, die ſchon ſeit Jahrhunderten ausge— beutet wird. Da der Weg nach Terueél unweit des Fu—

102 Beſuch der Eiſengrube von Setiles.

ßes dieſes Gebirges vorbeigeht, fo machte ich einen Ab- ſtecher nach jenem Bergwerke. Daſſelbe baut auf einen mächtigen Gang von Brauneiſenſtein, oder richtiger, auf ein ganzes Schichtenſyſtem, denn das Gebirge beſteht dort auf eine weite Strecke hin aus einem feinkörnigen, von Brauneiſenerz gänzlich durchdrungenen Sandſteine, wel⸗ cher große Neſter von dichtem Brauneiſenerz umſchließt. Die Grube iſt unregelmäßig, planlos angelegt, aus gro— ßen Excavationen, wie die Veneras von Somorroſtro, zuſammengeſetzt. Aus Mangel an Zeit und an künſtlicher Beleuchtung es wurde nicht gearbeitet konnte ich blos den Eingang der Mine, ſo weit derſelbe vom Tages— lichte erhellt wurde, in Augenſchein nehmen. Derſelbe hat ganz das Anſehen einer natürlichen Felshöhle und bildet eine weite und hohe Halle, deren Felsgewölbe durch Pfeiler von maſſivem Erz getragen wird. Von hier aus gehen mehrere, ebenfalls ganz unregelmäßige, in das Ge- ſtein gehauene Gallerieen aus, welche theils in horizon⸗ taler Richtung verlaufen, theils ſich abwärts ſenken. Schächte ſcheint es gar keine zu geben.

Zwiſchen Setiles und Pozondön ſind auf den meiſten Karten, ſelbſt noch auf der im Jahre 1849 er⸗ ſchienenen Specialkarte von Neucaſtilien des Atlas na- cional de Espana, hohe Gebirgsketten verzeichnet, welche von einem gemeinſamen, im Centrum der Serrania de

Cuenca gelegenen Gebirgsknoten auslaufen ſollen. Dieſe a

Geſtaltung des Plateaus von Setiles und Rodenas. 403

ö Terraindarſtellung iſt grundfalſch. Es exiſtirt in jener ganzen Gegend, die man von den Wellen des Terrains aus nach allen Richtungen hin viele Meilen weit über— ſchauen kann, gar kein Gebirge, ſondern blos ein immer höher anſchwellendes Plateau, auf dem ſich hier und da niedrige Höhenzüge und kurze, felſige Hügelreihen erheben. Zwiſchen Setiles und Pozondön ſelbſt kommt man auch nicht über einen einzigen Hügel von Bedeutung, geſchweige denn über eine Gebirgskette, denn die etwa vorhandenen Bergreihen bleiben links und rechts vom Wege, indem ſie in derſelben Richtung, in welcher der Weg läuft, d. h. von Weſt nach Oſt, ſtreichen. Die Gegend iſt öde, einſam, meiſt unangebaut und ſehr kahl. Bald hinter Setiles überſchreitet man wieder die Gränze Aragoniens. Der erſte Ort, den der Weg berührt, iſt der Flecken Ro— denas, welcher hart am weſtlichen Fuße einer nackten, niedrigen, mit einzelnen pittoresken Felsmaſſen beſtreuten Bergkette von Buntſandſtein zwiſchen Klippen deſſelben Geſteines liegt. Ein Stück weiter von dem öſtlichen Ende jener Bergreihe, ſüdöſtlich von dem Orte, erhebt ſich ganz iſolirt ein ſteiler, felsumgürteter Hügel von Kegelgeſtalt, welcher eine Hermita auf ſeinem Gipfel trägt, höher als die eben erwähnte Buntſandſteinkette iſt und wahrſcheinlich den culminirenden Punct jenes enorm hohen Plateau's bildet. Meine Zeit erlaubte es mir leider nicht, denſelben zu beſteigen, da er über eine Stunde vom Wege

104 Der Flecken Pozondön. Höhe und Klima der Gegend.

abliegt, was ich um ſo mehr bedauere, als jener Berg eine umfaſſende Ausſicht darbieten und deshalb ein ſehr geeigneter Punct fein muß, um ſich über die eigenthüm⸗ liche Geſtaltung jener Gegend zu orientiren. Fortwäh— rend durch ebenes, meiſt wüſt liegendes Land reitend, gelangten wir gegen Abend nach dem großen Flecken Po— zondön, wo ich eine leidliche Poſada fand. Ich über- nachtete hier, da die nächſte Ortſchaft fünf ſtarke Stunden entfernt und dazwiſchen kein Obdach vorhanden iſt. Po⸗ zondön liegt im Schooße einer weiten Ebene, die nur gegen Weſten und Oſten von niedrigen Bergreihen be— gränzt erſcheint. Das Tafelland von Neucaſtilien erreicht hier ſeine größte Höhe. Die Ebene von Pozondön liegt nämlich den vorhandenen Meſſungen zufolge 4209 par. Fuß über dem Spiegel des mittelländiſchen Meeres, alſo ſo hoch wie der Kamm des Rieſengebirges! Dieſe enorme Höhe mag die Kartenzeichner veranlaßt haben, hierher ein hohes Gebirge zu verlegen. Allerdings hat kein anderer Theil Europa's ein ſo hohes Plateau aufzuwei⸗ ſen. Selten iſt hier die Luft ſtill, meiſt heftig bewegt und im Winter ſehr kalt. Deshalb entbehrt dieſe Hoch— fläche der Bäume, indem die ſonſt als Bäume auftreten⸗ den Gewächſe ſtrauchartig bleiben. Schon von Rodenas an iſt das ganze Plateau mit der unter dem Namen Sa⸗ debaum bekannten Wachholderart (Juniperus Sabina L.) beſtreut; allein dieſes ſonſt zu ziemlich anſehnlichen Bäu⸗

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Das Plateau von Pozond on u. die nordvalencianiſche Terraſſe. 405

men anwachſende Gewächs bleibt hier ganz niedrig, in— dem die Stämme auf dem Boden hinkriechen, gerade ſo, wie bei der Zwerg- oder Knieholzkiefer. Trotz der ge— waltigen Höhe des Plateau's von Pozondön kann auf demſelben noch der ſchönſte Weizen gebaut werden, weil der Sommer ſehr warm iſt. Während des Winters da— gegen pflegt jene Hochfläche mehrere Monate lang mit tiefen Schneemaſſen bedeckt zu ſein.

| Das Plateau von Neucaſtilien ſendet von feiner öft- lichen Ecke aus, d. h. da, wo es den ſüdlichſten Theil des Ebrobaſſins begränzt, zwei Vorſprünge aus, die ſich beide ziemlich parallel gen O No erſtrecken und jeder für ſich ein beſonderes Plateau von unebener, doch nur an einzelnen Stellen zu wirklichen Bergen ſich erhebender Oberfläche darſtellen. Auf dem nördlichen dieſer beiden Vorſprünge oder Fortſätze ſteht Pozondöon. Wenige Mei— len öſtlich von dieſem Orte ſenkt ſich derſelbe raſch in das Flachland Niederaragoniens hinab; der füdliche Fort— ſatz dagegen erſtreckt ſich bis an den Ebro, umgiebt das Flachland Niederaragoniens gegen Süd und Südweſt in Geſtalt eines hohen Walles und iſt auf ſeinem entgegen— geſetzten Abhange mit gewaltigen, parallel verlaufenden, im Allgemeinen von Weſt nach Oſt oder von Nordweſt nach Südoſt ſtreichenden Gebirgsmauern beſetzt, welche das nördliche Drittheil der wilden, das Königreich von Valencia erfüllenden Gebirgsgruppe bilden und in ihrem

106 Das zwiſchen beiden gelegene Becken von Teruel.

kulminirenden Gipfel, dem kühnen Pik der Peñagoloſa, bis zu einer abſoluten Höhe von 7000 par. Fuß aufra⸗ gen. Eine weite und tiefe beckenförmige Aushöhlung trennt die beiden eben geſchilderten Vorſprünge des neu— caſtiliſchen Tafellandes. Gegen Nord, Weſt und Süd iſt dieſelbe von den treppenförmig terraſſirten Abhängen dieſer Vorſprünge faſt vollkommen geſchloſſen, gegen Oſt dagegen nur theilweis durch einen kurzen, felſigen Berg— wall, welcher ſich iſolirt aus dem Flachlande Südarago— niens erhebt und, wenn ich nicht irre, den Namen Sierra de las Baylias führt. Dieſes ſehr geräumige Becken wird durch die Flüſſe Alfambra und Turia oder Gua— dalaviar (arabiſch: weißer Fluß) bewäſſert. Letzterer entquillt der Muela de San Juan bei Albarraein, einem der höchſten Gipfel der vielverzweigten Serrania de Cuenca, welcher ungefähr an der Stelle gelegen iſt, wo die beiden beſchriebenen Fortſätze des Plateau's von Neucaſtilien beginnen. Der Turia ſtrömt bis zum Cen⸗ trum des Beckens in faſt nordöſtlicher Richtung. Anſtatt“ aber, wie es naturgemäß ſcheint, ſeinen Lauf weiter in dieſer Richtung fortzuſetzen und ſich mit dem Ebro zu vereinigen, biegt er, nachdem er den Rio Alfambra auf⸗ genommen hat, plötzlich unter rechtem Winkel nach Süden um und durchbricht den ungeheuern Wall des füdlichen Plateaufortſatzes und der nordvalencianiſchen Gebirge, um ſeine befruchtenden Gewäſſer dem Garten Spaniens, der

Abreiſe von Pozondön. Anſicht des Beckens von Terusl. 407

Huerta de Valencia, zuzuführen. Da, wo der Turia ſei— nen Lauf ſo plötzlich ändert, liegt über ſeinem linken Ufer auf einem ſteilen Mergelhügel, hart am Fuße des Ab— hanges des valencianiſchen Plateauwalles, die uralte Stadt Teruél, der Hauptort der ſüdlichſten Provinz von Ara— gonien.

Der das Becken von Teruél begränzende Abhang des neucaſtiliſchen Tafellandes beginnt eine halbe Stunde ſüdlich von Pozondön. Hier bot ſich uns ein überraſchen— der und eigenthümlicher Anblick dar. Vor uns öffnete ſich das weite Becken von Teruel, deſſen beinahe andert— halb tauſend Fuß tiefer als Pozondön gelegene Sohle wir jedoch nicht erblicken konnten, da die breiten, gegen ihre Ränder zu Hügeln anſchwellenden und bewaldeten Stufen des Abhanges, auf deſſen oberſtem Rande wir uns befanden, den Anblick derſelben entzogen. Rechts war das Becken amphitheatraliſch von demſelben terraſſir— ten Abhange umgeben, der hier mit wallartigen Gebirgs— zügen, den erhabenſten Gliedern der Serrania von Cuenca und Albarracin, gekrönt erſchien, links dagegen weit ges öffnet gegen das Tiefland des Ebrobaſſins, aus dem in geringer Ferne das oben erwähnte iſolirte Gebirge, eine maleriſch zerklüftete Buntſandſteinmaſſe, duftig von der Morgenſonne beleuchtet, ſchroff emporſtieg. Uns gerade gegenüber, jenſeits des breiten Beckens, begränzte die Ausſicht der hohe Wall des bereits geſchilderten ſüdlichen

408 Impoſanter Anblick der valencianiſchen Terraſſe.

Plateauaſtes, hinter dem die nördlichſten Ketten der va⸗ lencianiſchen Gebirge emportauchten. Da dieſe ganze Parthie im Schatten lag, ſo erſchienen die einzelnen Terraſſenſtufen des dem Becken von Terusl zugekehrten Abhanges als eben ſo viele Gebirgsketten und deshalb die hinter denſelben emporragenden Gebirgsgipfel Balen- cia's viel höher, als fie in der Wirklichkeit find, ein Um⸗ ſtand, welcher der ganzen uns gegenüber liegenden Ge— birgsmaſſe ein höchſt impoſantes Ausſehen verlieh. So⸗ wohl die Abhänge des Plateau's von Pozondön als der zur Rechten gelegenen amphitheatraliſchen Terraſſe ſind von tiefen Gründen durchfurcht, völlig unbewohnt und“ mit lichter Waldung bedeckt, die der Hauptſache nach aus“ einer außer in Südſpanien nur noch in Nordafrica, auf Sizilien und im Orient vorkommenden Wachholderart beſteht, (dem Juniperus sabinoides Griseb. oder Juni- perus thurifera L.), die dem Sadebaum fehr ähnlich ift, aber größere Beeren trägt und viel größer wird. Ich“ bemerkte Bäume dieſes Wachholders, der von den Ein— geborenen gleich dem Sadebaum „Sabina“ genannt wird,“ mit Stämmen von drei bis vier Fuß Durchmeſſer, dreißig bis vierzig Fuß Höhe und gewaltigen Kronen“). In Pozondön kennt man gar kein anderes Feuerungsmaterial, als Sabinaholz. Daſſelbe iſt roth und weich und giebt

Ss) Bowles, welcher durch dieſe Gegend auch gekommen iſt, nennt dieſe großen Sabinabäume Gedern.

Sabinawälder. Der Flecken Celda und feine Huerta. 409

wegen ſeines bedeutenden Harzgehaltes eine ſtarke Hitze, verbrennt aber ſehr raſch. Auf dieſe Sabinagehölze fol— gen dürre, nackte Mergelhügel, welche ſich ſüdwärts, eine halbe Stunde weit, bis Celda erſtrecken. Dieſer große Flecken liegt an einem ſogenannten Nacimiento, einem großen Baſſin des klarſten, herrlichſten Waſſers, aus dem der Rio de Celda hervorſtrömt, welcher, gen Norden flie— zend, bald in den Jiloca fällt. Celda tft ſchlecht gebaut und ſchmuzig, beſitzt aber eine herrliche, durch das Waſſer des Naeimiento befruchtete Huerta, die ſich namentlich urch ihren Reichthum an Nußbäumen auszeichnet. Dieſe Huerta macht, wenn man Tage lang nur hohe, nackte, irre, faſt baumloſe Plateau's geſehen hat, einen unbe— chreiblich heitern Eindruck. Nachdem wir in der großen, ber ſehr unwohnlichen und ſchmuzigen Poſada des Ortes Siefta gehalten hatten, ſetzten wir unſere Reiſe weiter ort und gelangten in Kurzem auf ein offenes welliges zerrain, das ſich ſanft zu den Ufern des Turia hinab— eht und faſt gänzlich mit Weizenfluren, die hier bereits bgemäht waren, bedeckt iſt. Es dauerte nicht lange, ſo sigte ſich die lang hingeſtreckte Häuſermaſſe von Teruél n dem entgegengeſetzten Gehänge des weiten Thalbeckens. dieſe Stadt nimmt ſich von fern ſehr ſchlecht aus wegen er grauen Farbe ihrer Gebäude und des völligen Man— 18 an Grün in ihren unmittelbaren Umgebungen, deren Narbe mit dem Colorit der Häuſer faſt gänzlich überein—

110 Anſicht von Terusl.

ſtimmt. Anders geſtaltet ſich das Bild von Teruel, wenn man näher kommt, beſonders von den ſteilen, nackten Mergelhügeln aus, welche das rechte Ufer des Alfambra einfaſſen. Hier bietet Teruel einen impoſanten Anblick dar. Majeſtätiſch thront die alterthümliche Stadt, über⸗ ragt von zwölf Thürmen und mehreren ſtattlichen Gebäu- den, unter denen ſich beſonders das auf einem ſteilen Felsvorſprunge gelegene Jeſuitercollegium durch feine Größe und durch feine einfach-edle Architectur auszeich net, auf einem felſigen, ſchroff anſteigenden, über 200 Fuß hohen Mergelhügel jenſeits der breiten, im üppigiter Grün prangenden und mit zerſtreuten Bauernhäuſern ge ſchmückten Thalebene, durch welche die klaren Gewäſſe des Alfambra und Turia in vielfach gekrümmtem Lauf dahinziehen. Dicht hinter der Stadt ſteigt eine in ſteil Kegel maleriſch geſpaltene Mergelhügelkette in Form eine Circus empor, welche den unterſten Abſatz der valeneic niſchen Plateauterraſſe bildet. Die Anſicht von Terue würde noch ſchöner fein, wären ſowohl der Stadtberg all die denſelben gegen Süden umgebenden Kegel des Cirer mit Bäumen oder Gebüſch bewachſen. Dies iſt aber nid der Fall; im Gegentheil, es entbehren jene Hügel, d öſtlich von der Stadt hinziehenden ausgenommen, wo e ſchlechter Wein wächſt, der Vegetation faſt vollkomme Dieſe fürchterliche Sterilität, die auch den Mergelhüge eigen iſt, welche die Sohlen der beiden Flußthäler ei

Landſchaftliche Contraſte. Ankunft in Terusl. 114

| faſſen, contraſtirt ſeltſam mit der üppigen Fruchtbarkeit der wohlbewäſſerten und durchgängig angebauten Thal- ebene, die beſonders Hanf und Wallnüſſe in großer Menge producirt. Der Contraſt iſt um ſo ſtärker, als die Thal- ſohlen wegen der eben genannten Gewächſe ein prächtiges dunkles Grün beſitzen, während die nackten Mergelhügel kreideweiß oder braunroth gefärbt ſind, und würde einen unangenehmen Eindruck hervorbringen, würde derſelbe nicht durch die ſchönen Formen und namentlich durch die farbenreiche, duftige Beleuchtung jener nackten Erdhügel bedeutend gemildert. Die Beleuchtung war um ſo glü— hender und wechſelvoller, als ich gerade bei untergehender Sonne an die Ufer des Alfambra gelangte. In den Morgenſtunden iſt die Anſicht von Teruél von jener Seite aus bei weitem nicht fo ſchön. Am Eingange der Stadt, vor der Puerta de Zaragoza, befindet ſich über dem Ab— 0 hange des Turiathales die Alameda, ein recht hübſcher, mit Ulmen bepflanzter Spaziergang, und dabei eine Reihe von Poſaden, in deren beſte ich mich auf einige Zeit einmiethete.

f Teruél iſt in grauer Vorzeit jedenfalls eine viel bedeutendere Stadt geweſen, als gegenwärtig. An ihrer Stelle ſtand nämlich ehedem Turdeto, die Hauptſtadt der Turdetani, eines Volksſtammes, welcher den Rö— mern viel zu ſchaffen gemacht hat. Zweimal wurde die Stadt von den Römern erobert, das erſte Mal im Jahre

U

142 Geſchichte von Teruel. Lage und Bauart der Stadt.

244 vor Chriſto während des zweiten puniſchen Krieges nach der Schlacht bei Munda, welche die Macht Cartha— go's in Spanien brach; das zweite Mal im Jahre 195, wo die Turdetani einen die römiſche Herrſchaft in Spa— nien gefährdenden Aufſtand angezettelt hatten. Das erſte Mal wurde Turdeto von den Römern völlig zerſtört und ſeine Einwohnerſchaft zur Sklaverei verdammt und ver— kauft, zur Strafe dafür, daß die Turdetani Hannibal gegen das unglückliche Sagunt herbeigerufen hatten. Ueber die ſpätern Schickſale Turdeto's iſt Nichts bekannt. Je⸗ denfalls ſind die Römer von der zweiten Unterwerfung an im ungeſtörten Beſitz jener Stadt, von welcher der Turia ſeinen Namen erhalten haben dürfte, der Name Teruel ſelbſt vielleicht abzuleiten iſt, geblieben, bis ihr Reich in Trümmern ſtürzte. Aus der Zeit der Römer ſcheint keine Spur mehr vorhanden zu ſein; dagegen ver— räth die winklige Bauart der jetzigen Stadt, daß auch ſie Jahrhunderte lang der Herrſchaft des Halbmonds un— terworfen war, dem fie durch König Alphons I. von Ara— gonien entriſſen wurde. Terusl beſitzt gegenwärtig an 14000 Einwohner. Die Stadt iſt höchſt unregelmäßig gebaut und ſehr bergig gelegen; ich wüßte kaum ein Pläß- chen, welches horizontal läge. Die meiſten Gaſſen ſind ſchmuzig und ſchmal, die Plätze klein und winklig, die Privathäuſer von alterthümlicher, finſterer, unwvhnlicher Bauart. Nur der Haupt- oder Conſtitutionsplatz und

Kirchen und Klöfter von Teruel. 113

die auf denſelben mündenden Hauptgaſſen haben freund— liche und regelmäßig gebaute, mit vielen Balconreihen geſchmückte Häuſer. Die am Conſtitutionsplatz befind— lichen derſelbe liegt, beiläufig bemerkt, 2858 par. Fuß über dem Spiegel des mittelländiſchen Meeres ſind außerdem mit Colonnaden (ſogenannten Lauben) verſehen. Die Zahl der Kirchen und Klöſter beläuft ſich auf ſech— zehn. Unter denſelben ſind die Cathedrale, die Kirche San Pedro und das Nonnenkloſter Santa Tereſa beſon— ders hervorzuheben. Die zuerſt genannte Kirche iſt, wie faſt alle übrigen, gothiſch, jedoch nicht fo groß, wie die Cathedralen in andern ſpaniſchen Städten deſſelben Ran⸗ ges zu ſein pflegen. Der Eindruck, den die edle Ein— fachheit der drei hohen, von ſchlanken Säulen getragenen Schiffe hervorbringt, wird leider durch die geſchmackloſen Verzierungen der zahlreichen Kapellen und Seitenaltäre unangenehm geſtört. Die Kirche San Pedro verdient in acchitectoniſcher Hinſicht gar keine Beachtung und Erwäh— nung, wohl aber in hiſtoriſcher. Sie birgt nämlich die wohlerhaltenen Leichname jenes in ganz Spanien unter em Namen „die Liebenden von Teruél“ berühmten un glücklichen Paares, deren rührende Geſchichte der be— kannte geiſtvolle Dichter und Literat Don Eugenio artzembuſch zu einem Trauerſpiele benutzt hat, wel— hes zu den ſchönſten Erzeugniſſen der neueſten dra— natiſchen Literatur Spaniens gerechnet zu werden ver— Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 8

114 Geſchichte der Liebenden von Terusl.

dient.“) Das St. Thereſienkloſter ſoll eine ſchöne Kirche beſitzen und reich an Kunſtſchätzen ſein. Ich habe ſein

) Da der Mehrzahl meiner Leſer die Geſchichte der Liebenden von Terusl noch unbekannt fein dürfte, ſo will ich hier dieſelbe kürzlich mittheilen. Zu Anfange des 13. Jahrhunderts lebten in Teruél zwei mächtige Adelsfamilien, Namens Marſilla und Segura. Das Haupt des erſtgenannten Hauſes, Don Martin Garcés de Marſilla, hatte einen Sohn, Don Diego; das des zweiten, Don Pedro de Segura, eine Tochter, Doñ a Iſabel. Beider Kinder, gleich ausgezeichnet durch Geiſt und Schönheit, waren mit einander aufgewachſen und aus gegenſeitiger Neigung in ein inniges Verhältniß getreten, welches von den El— tern eher begünſtigt, als verhindert wurde. Da verarmte Marfilla plötzlich durch Schickſalsſchläge verſchiedener Art und gleichzeitig trat ein Bewerber um die Hand der ſchönen Iſabella in der Pers ſon eines jungen Ritters, der einem der reichſten und mächtigſten Geſchlechte Aragoniens angehörte, Namens Don Rodrigo de Azagra, auf. Dem alten Segura, der auch nicht ſehr begütert war, gefiel dieſer neue Freier beſſer, als der arme Don Diego; da er jedoch wußte, wie leidenſchaftlich dieſer von ſeiner Tochter geliebt wurde, ſo ſetzte er einen Termin feſt, bis zu welchem er nicht über die Hand ſeiner Tochter verfügen wolle und dieſe dem Don Diego gehören ſolle, wenn derſelbe bis dahin ein reicher Maur würde. In Folge deſſeu nahm Don Diego de Marſilla Kriegsdienſte focht gegen die Ungläubigen im heiligen Lande und war wirklich fr glücklich, bedeutende Schätze zu erwerben. Allein auf der Rückkehr nach Spanien wurde fein Schiff an die Küſte von Valencia verſchla— gen, daſelbſt von den Mauren gekapert und Don Diego nicht nuf feiner Schätze beraubt, ſondern als Sklave an den mauriſchen Ko: nig von Valencia verkauft. Hier erregte ſeine Schönheit und ſein nobler Anſtand die Aufmerkſamkeit der Sultanin. Diefe verliebt: ſich in ihn, und ließ ihn, während ihr Gemahl ſich auf einen Streifzuge abweſend befand, in den Harem bringen. Don Diego Iſabellens eingedenk, ging auf die Wünſche der Maurin nicht ein und theilte derſelben ſeine Lebensgeſchichte und ſein Verhältniß zi

Geſchichte der Liebenden von Teruel. 115

Inneres nicht geſehen; von außen imponirt es durch ſeine Größe und ſteht in dieſer Hinſicht nur dem ſchon

Iſabella mit. Die Königin ließ ſich hierdurch nicht irre machen, ſuchte den Ehrgeiz des jungen Spaniers zu erregen, indem ſie ihm das Scepter von Valencia anbot und ihm mittheilte, daß Alles bereits vorbereitet ſei, um ihren ihr verhaßten Gemahl ans dem Wege zu räumen. Don Diego wieß ſchaudernd dies Anerbieten zurück, wußte aus dem Harem zu entkommen und den eben zurück gekehrten Sultan von der Treuloſigkeit und dem Mordanſchlage feiner Gemahlin zu benachrichten. Aus Dankbarkeit ſchenkte der— ſelbe dem Spanier die Freiheit und ließ ihm die geraubten Schätze wiedergeben; allein die verſchmitzte Sultanin hatte ſich der Rache ihres Gemahls durch Flucht zu entziehen gewußt, war verkleidet nach Teruel geeilt und hatte der Dona Iſabel ſcheinbar unzweideutige Beweiſe überbracht, daß ihr Geliebter geſtorben ſei. Dies geſchah wenige Tage vor dem Ablauf des von Don Pedro de Segura feſtgeſetzten Termins. Beſtürmt von dieſem, verſprach die unglückliche Iſabella, dem Don Rodrigo ihre Hand zu geben, ſobald die letzte Stunde der bewilligten Friſt verſtrichen ſei. An dem verhängnißvollen Tage kommt Don Diego nach Teruel; allein im Angeſicht der Stadt wird er von Räubern überfallen, welche die rachſüchtige Sultanin von Valencia gedungen hatte. Während des Kampfes kommt ihm ſein Vater, der durch einen von Don Diego vorausgeſchickten Bo— ten von deſſen bevorſtehender Ankunft in demſelben Augenblicke benachrichtigt worden war, als man Iſabella zur Trauung mit Don Rodrigo in die Kirche geführt hatte, und welcher deshalb keine Zeit gehabt hatte, Iſabella oder deren Vater zu benachrichtigen, zu Hülfe und befreit ihn und ſeine Schätze aus den Händen der Wegelagerer. Allein mittlerweile war die Trauung bereits vollzogen worden, und da der Termin vorher abgelaufen war, hatte Don Diego keine rechtlichen Anſprüche mehr auf Iſabella. Von den Furien der Rache getrieben, fordert er noch denſelben Abend ohne Wiſſen Iſabella's deren Gemahl zum Zweikampf und verwundet denſelben zum Tode. Hierauf eilt er zu ſeiner Geliebten, welche durch Gram und Ver— zweiflung bereits dem Tode nahe gebracht iſt. Iſabella weigert 8

446 Der Aquäduct los Arcos.

erwähnten Jeſuitercollegium nach, welches gegenwärtig als Caſerne dient. Mehrere Kirchen und desgleichen eines der ſieben Thore zeichnen ſich durch die Bauart ihrer Thürme aus. Dieſelben ſind nämlich von unten bis oben viereckig, anſtatt der Spitze mit einer von hohen Mauer⸗ zinnen umringten Plattform verſehen und an ihrer Außen⸗ ſeite über und über mit erhabenen Verzierungen von halb gothiſchem, halb mauriſchem Geſchmack bedeckt. Das Sehenswertheſte von Teruél iſt aber ohne Zweifel der unter dem Namen los Arcos bekannte Aquäduct, ein kühnes Bauwerk der Neuzeit, welches lebhaft an die ähn— lichen Bauwerke der Römer erinnert. Da nämlich der Hügel, auf welchem die Stadt liegt, des Quellwaſſers vollkommen entbehrt, ſo mußte der geſammte Waſſerbe⸗ darf aus den beiden Flüſſen geholt werden, was eben ſo beſchwerlich, als koſtſpielig war. Um dieſem großen Uebel⸗ ſtande abzuhelfen, wurde im ſiebzehnten Jahrhunderte eine

ſich, ihm zu folgen, mit ihm zu entfliehen, wie er verlangt, um ihre Frauenehre nicht zu beflecken, und da der verzweifelte Diego nicht abläßt, heuchelt ſie Abſcheu und Widerwillen, um ihn zu ent⸗ fernen. Don Diego, in der Meinung, ſie ſpreche die Wahrheit, finkt, vom Schlage getroffen, todt zu Boden. Als Iſabella dies ſieht, ſchwinden ihre letzten Kräfte; fie ſinkt, nachdem ſie noch ihre Eltern herbeigerufen hat, beſinnungslos an der Leiche des Gelieb— ten nieder und giebt bald darauf ihren Geiſt auf. Die Körper der beiden Unglücklichen wurden einbalſamirt, und in einem Sarge in der Kirche San Pedro beigeſetzt, wo ſie noch ruhen. Dieſes tragiſche Ereigniß trug ſich im Jahre 1217 zu.

Der Aquäduct los Arcos. Anſicht der Stadt von Süden her. 447

nie verſiegende Quelle der benachbarten valencianiſchen Bergterraſſe herbei geleitet und, um das Waſſer in die Stadt zu bringen, der genannte, an ihrem öſtlichen Ende befindliche Aquäduet erbaut. Derſelbe führt über den tiefen Barranco, welcher den Stadtberg gegen Süden und Oſten umgiebt, ihn von dem bereits erwähnten Circus von Mergelhügeln ſcheidet und die Thäler des Alfambra und Turia verbindet. Die Arcos beſtehen aus zwei über einander geſetzten Reihen von Rundbogen. Die unterſte Reihe zählt blos zwei, die oberſte dagegen ſechs Bogen, alle von koloſſaler Größe. Ueber die untere Bogenreihe führt ein ſchmaler, blos für Fußgänger beſtimmter Weg, weshalb die Pfeiler der oberen Bogenreihe, welche den Waſſerkanal trägt, durchbrochen ſind. Die größte Höhe des Aquäducts beträgt 150 Fuß bei einer Breite der untern Bogenreihe von kaum 140 Fuß! Der Baumeiſter dieſes großartigen Werkes war der ſchon bei der Mina de Daroca erwähnte Pierre Vedel. Das Thal, über welches die Arcos geſchlagen ſind, iſt eine der maleriſch— ſten Parthieen in den unmittelbaren Umgebungen von Teruél. Namentlich bietet der ſchon mehrfach erwähnte, das Thal gegen Süden einſchließende Circus, den man am beſten von dem ſüdlichen Ende der Alameda über— ſchaut, einen höchſt intereſſanten Anblick dar, theils wegen der kühnen Formen ſeiner Kegel, die ihre Entſtehung offenbar der zerſtörenden Einwirkung der atmoſphäriſchen

118 Geognoſtiſche Bemerkungen.

Gewäſſer verdanken, welche allmälig die tiefen Schluchten auswühlten, die jetzt das weiche, erdige Geſtein des fchrof- fen Abhanges durchſetzen und die einzelnen Kegel von einander ſcheiden; theils deshalb, weil an jenen nackten Wänden die Schichtung und Zuſammenſetzung der ganzen das Becken von Teruel ausfüllenden Sedimentärforma⸗ tion, die der tertiären Periode angehört, ſo außerordent⸗ lich ſchön blosgelegt iſt, wie man es nur ſelten bei von der Natur gemachten Profilen beobachtet. Dieſe Forma⸗ tion beſteht der Hauptſache nach aus abwechſelnden Schich— ten von weißem, erdigem Kalkmergel, rothem, kalkigem, erdigem Sandſtein, grünlichem Thon und grauem Ge⸗ ſchiebeconglomerat, weshalb die Wände jener Kegel und Schluchten wie gebändert ausſehen. Von dem oberen Rande des Circus aus hat man die maleriſchſte Anſicht von Teruél. Nirgends gruppiren ſich die Häuſerreihen, Klöſter und Kirchen der alterthümlichen Stadt ſo ſchön, wie dort; auch trägt das kühne Werk des Aquäducts, durch deſſen weite Bogen man in das üppig grüne Thal des Alfambra hinaus ſchaut, nicht wenig dazu bei, den Reiz des Bildes zu erhöhen. Schade, daß die maleriſch geformten Wandungen des Grundes ſo entſetzlich dürr ſind. Wären die Schluchten mit reichem Baumwuchs erfüllt, fo würde jene Anſicht von Terusl eine der pitto⸗ reskeſten Städteanſichten ſein, die es in Europa giebt. Auf der ziemlich breiten Sohle des im Sommer völlig

Ausflug nach Conend. 119

waſſerloſen Grundes und in ſeinen größern Seitenſchluch— ten liegen viele Häuſer und Gehöfte, welche eine Vor— ſtadt bilden, ſowie die Eras (Ausdreſchungsplätze) des geſammten, zur Stadt gehörigen Ackerlandes.

Noch intereſſanter, als dieſer Barranco, ſind für den Naturforſcher die Umgebungen des zwei Stunden von Teruél entfernten Dorfes Concud. Es werden dort nämlich große Maſſen foſſiler Knochen vorweltlicher Qua— drupeden gefunden, unter einem 50 bis 400 Fuß mäch— tigen Schichtenſyſteme, welches ſeinen zahlreichen Verſtei— nerungen zufolge eine Süßwaſſerablagerung aus den jüng— ſten Epochen der tertiären Periode iſt. Ich verwendete einen Nachmittag auf den Beſuch jener merkwürdigen Gegend. Concud liegt nordweſtlich von Teruél in einer ebenfalls ſehr ſchön angebauten Seitenſchlucht des Alfam— brathales, im Schatten alter, prächtiger Nußbäume. Un— gefähr eine Viertelſtunde von dem Orte entfernt, gegen Norden zu, erſtreckt ſich eine kahle, aus breiten, abgerun— deten Kuppen beſtehende Hügelkette einige Stunden weit in der Richtung von NW nach SO. Dieſe Hügelreihe ent— hält, wie es ſcheint, ein ſtetig fortſetzendes Knochenlager, denn an mehrern weit von einander entfernten Punkten des Concud zugekehrten Abhanges ſieht man daſſelbe zu Tage ausgehen. Die beſte Gelegenheit, dieſe Knochenablage— rung, ſowie überhaupt die ganze Zuſammenſetzung jener Hü— gelreihe zu beobachten, bietet ein kleines, eine halbe Stunde

120 Der Schädelgrund. Geognoſtiſche Bemerkungen.

in NNW h von Concud befindliches Querthal dar, welches den ſchauerlichen Namen el Barranco de calaveras, d. h. der Schädelgrund, führt. An den faſt ſenkrechten Wänden dieſes kaum eine Viertelſtunde langen und un⸗ gefähr hundert Fuß breiten Grundes kann man deutlich drei über einander liegende Syſteme vollkommen hori- zontaler Schichten unterſcheiden. Die oberſte, nur noch ſtellenweis vorhandene, meiſt in Form großer Blöcke über den Kamm und die Abhänge der Hügelkette zerſtreute Schicht beſteht aus einem erdigen, gelblich-weißen Mergel, welcher eine große Menge von Süßwaſſer- und Land⸗ ſchnecken umſchließt, die bisweilen noch ſo friſch ausſehen, als wären ſie erſt vor Kurzem daſelbſt abgelagert worden und welche zum Theil noch jetzt lebenden Species angehören. Unter dieſer Schicht liegt ein Syſtem von einem bis drei Fuß mächtigen, durch zwei bis drei Zoll dicke Lagen wei- ßen, erdigen Thonmergels geſchiedenen Schichten eines harten, von völlig verſteinerten Süßwaſſer- und Land⸗ ſchnecken wimmelnden rauchgrauen Kalkes. Hierauf folgt ein Syſtem zahlreicher Schichten, deren Mächtigkeit zwi⸗ ſchen zwei Zollen und einem Fuß wechſelt. Dieſelben beſtehen theils aus einem weichen, erdigen, ſehr ſandigen Mergel oder kalkigem Sandſteine von ziegelrother Farbe, theils aus weißem, erdigem Mergelthon, theils aus einem graugrünen, ebenfalls erdigen Mergelſandſtein. Letzterer beherbergt die foſſilen Knochen, welche ohne Ordnung unter

Foſſile Knochen. Abreiſe von Terusl. 124

und durch einander liegen. Die meiſten ſind zertrümmert und bilden mit den ſie trennenden Geſteinsfragmenten eine Art lockern Conglomerats. Vollſtändige Gerippe, oder nur Gliedmaßen oder Schädel ſind meines Wiſſens noch nicht aufgefunden worden, wohl aber Zähne, die ihrer Größe und Form nach großen fleiſchfreſſenden Thie— ren angehört zu haben ſcheinen. Die Knochen pflegen, caleinirt, ſehr weich zu ſein, und daher an der atmoſphä— riſchen Luft zu zerfallen, weshalb es ſelten gelingt, ein größeres ganzes Stück von ihnen zu bekommen. Dieſes Knochen führende Syſtem ruht auf dicken Bänken des ſchon erwähnten ziegelrothen Mergelſandſteins, welcher ſich nach unten zu durch immer zahlreicher beigemengte Roll— ſteine von Quarz und Kalk allmälig in ein Geſchiebe— conglomerat verwandelt, das auf Jurakalk zu ruhen ſcheint. Es wäre intereſſant, durch Nachgrabungen an verſchiede— nen Stellen jener Hügelkette die Erſtreckung und die Gränzen dieſer merkwürdigen Knochenablagerung genau zu beſtimmen. Vielleicht fänden ſich dann auch vollſtän— dige Ueberreſte der Thiere, welche das Material dazu geliefert haben.

Nach dreitägigem Aufenthalte in Teruel ſetzte ich meine Reife nach Valencia weiter fort. Bevor ich aber von Ara- gonien ſcheide, will ich noch meine Leſer einen Rückblick auf deſſen Bewohner thun laſſen.

Diertes Kapitel.

Die Aragoneſen.

Spanien iſt das Land der Contraſte, nicht blos in

landſchaftlicher Beziehung, ſondern auch in Hinſicht auf den Charakter, die Sitten und Gebräuche, die ſocialen und politiſchen Zuſtände, die materiellen und intellectuel- len Verhältniſſe des Volkes! Schon während meiner erſten Reiſe hatte ich oft Gelegenheit, dieſe Bemerkung zu machen (ich erinnere an den auffallenden Unterſchied, welcher in Geſichtsbildung, Charakter und Sitten zwiſchen den Valencianern und Manchegos, zwiſchen den Andalu— ſiern und Algarbiern u. a. ſtattfindet): noch niemals aber war mir ein ſo greller Contraſt aufgeſtoßen, wie der zwiſchen den Aragoneſen und ihren Nachbarn, beſonders den Valencianern und Basken. Wenn man aus Navarra, Catalonien oder Valencia kommt, ſo glaubt man ſich in ein fern von dieſen Provinzen gelegenes Land, unter eine ganz andere Nation verſetzt, ſobald man den Boden Ara-

Ä— —— . r ——

Düſterer Charakter und Uncultur der Aragoneſen. 423

goniens betritt. Da iſt keine Spur mehr von dem Cul⸗ turzuſtande der eben genannten Landſchaften; vergeblich ſucht man die ſorgſam angebauten Fluren, die zierlich beſtellten Felder der Valencianer, die ſtolzen Fabrikge— bäude der Catalonier, die freundlichen Caſerio's und wohl— habend ausſehenden Ortſchaften der Basken; die harm— loſe Fröhlichkeit und das zutrauliche Weſen der Basken, die kecke Lebhaftigkeit der Catalonier, die Gaſtfreiheit und die zuvorkommende Artigkeit der Valencianer ſind ver— ſchwunden: die kahlen, ſpärlich bevölkerten, wenig und ſchlecht angebauten Ebenen und die romantiſchen Wald— gebirge beherbergen einen verſchloſſenen, abſtoßenden Mens ſchenſchlag; düſter und ernſt, wie das Land, iſt fein Bes wohner, der ſtolze, finſtere, bigotte Aragoneſe. Doch unter der rauhen Hülle wohnt ein ehrenwerther Charak— ter, begabt mit herrlichen Eigenſchaften, und ich will da— her recht gern glauben, was mir von Spaniern verſichert worden iſt, nämlich daß man den Aragoneſen lieben und achten muß, wenn man ihn erſt verſtehen gelernt hat. Das aragoneſiſche Volk iſt ein noch völlig ungeſchliffener Edelſtein, oder richtiger, ein verwahrloſtes, nnartiges Kind. Nicht das Volk iſt daran ſchuld, daß ihm euro— päiſche Geſittung faſt gänzlich fremd geblieben iſt, ſondern ſeine Leiter und Vormünder, die es ſeit Jahrhunderten abſichtlich in Unwiſſenheit gelaſſen haben; die Vertreter der Kirche ſind es, welche die Schuld tragen, die Prieſter,

* 124 Urſprung des aragoneſiſchen Volksſtammes.

die allenthalben mehr oder weniger der Intelligenz, dem Fortſchritte des Zeitgeiſtes hemmend entgegen treten. Die jetzigen Bewohner Aragoniens find ein gemifch- ter Volksſtamm, keine urſprüngliche Nation, wie die Basken. Von den Ureinwohnern jener Landſchaft, die zu den Celtiberern gehörten, iſt wohl keine Spur mehr vorhanden. Durch die vielen fremden Völkerſchaften, welche Aragonien ſeit der römiſchen Herrſchaft bis zur Zeit der arabiſchen Invaſion überſchwemmten, wurden jene gänzlich aufgerieben, oder wenigſtens ihre Sprache und Sitten vernichtet. Das gegenwärtige Volk der Aragone— ſen und ihr Charakter bildeten ſich vorzüglich während des Kampfes gegen die Mauren und während des auf dieſen folgenden aragoneſiſchen Königthums aus. Ein kleines Häuflein rauher, ſtolzer, Unabhängigkeit liebender Krieger legte, wie bereits erzählt worden iſt, den Grund— ſtein zu der Monarchie von Aragonien, welche, nachdem | Catalonien, Valencia und die Balearen zu ihr hinzuge— kommen waren, eine lange Zeit eine der bedeutendſten | Rollen in der Reihe der europäiſchen Staaten ſpielte. N |

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Es konnte nicht fehlen, daß ein Volk, welches ſich ſeinen Grund und Boden Fuß für Fuß mit dem Schwerte er— kämpft hatte und durch eigene Kraft groß und mächtig geworden war, herrſchſüchtig, ſtolz, hartnäckig, dem Waf⸗ b fenhandwerke und dem ungebundenen Leben ergeben, da- gegen den friedlichen Beſchäftigungen der bürgerlichen

Unabhängigkeitsſinn der Aragonefen. 125

Gewerbe, des Handels und des Ackerbaus abhold fein mußte. So entwickelten ſich die Eigenſchaften des Stol— zes, Trotzes, der Heftigkeit, des auffahrenden Weſens, der Herrſchſucht und der Hartnäckigkeit, des Hanges zum unthätigen, herumſchweifenden, unabhängigen Lebens, der Luſt zum Waffenhandwerk u. ſ. w., die noch jetzt die Aragoneſen charakteriſiren. In der That liefert Arago— nien noch gegenwärtig ſowohl die tapferſten und tüchtig— ſten Soldaten des ſpaniſchen Heeres und die kühnſten Jäger, als die verwegenſten Schmuggler und Wegelage— rer; dagegen ſtehen faſt in keiner andern Landſchaft Spa- niens Ackerbau und Induſtrie auf einer ſo tiefen Stufe, ie in Aragonien, trotzdem, daß dieſes Land für beide Culturzweige außerordentlich geeignet iſt, da es von waſ— ſerreichen Flüſſen in allen Richtungen durchkreuzt wird. Ein hervorſtechender Charakterzug des aragoneſiſchen Volkes, als es noch eine ſelbſtſtändige Nation bildete, war der Freiheitsſinn, oder richtiger, das hartnäckige Pochen auf gleiche Berechtigung. Wer kennt nicht die freiſinnige Verfaſſung des alten aragoneſiſchen Staats, der nur dem Namen nach eine Monarchie, in der That aber eine ariſtokratiſche Republik war, wo jeder „Rico— home“ (adliger Grundbeſitzer) gleiche Berechtigung mit dem König und gleichen Anſpruch an den Thron hatte; wo die Rebellion geſetzlich geſtattet, wo ſie geheiligt war, wenn der König ſeinen Eid, die Fueros treu zu

126 Freiſinnigkeit der urſprünglichen Verfaſſung Aragoniens.

wahren, brach“); wo der König dem Volke verantwort- lich war, und von der oberſten Gerichtsbehörde, dem „Justicia de Aragon“, zur Unterſuchung gezogen und verurtheilt werden konnte? Eine größere Beſchränkung der königlichen Gewalt hat wohl niemals exiſtirt! Und dennoch war der aragoneſiſche Staat ein geordnetes, blü— hendes, ſelten durch Unruhen geſtörtes Reich, denn das Volk, welches ſich frei entwickeln durfte, hatte Achtung vor dem Geſetze, vor ſeinem eigenen, von ſeinen Vätern ererbten Rechte, welches deshalb nicht durch Polizeidiener, Gensdarmen und Soldaten beſchützt zu werden brauchte! Wie es noch jetzt bei den Basken der Fall iſt, ſo waren auch in Aragonien die Fueros, die Verfaſſung, mit dem Herzen des Volkes verwachſen. Und dieſe Rechte wurden von allen Königen geachtet, ſelbſt nachher noch, als die Kronen von Aragonien und Caſtilien durch die Vermäh— lung Ferdinands V. mit Iſabella I. vereinigt worden wa⸗ ren und das Reich Aragonien factiſch zu exiſtiren aufge— hört hatte. Erſt die Bourbonendynaſtie trat die Rechte des aragoneſiſchen Volkes mit Füßen; erſt Philipp V. entriß demſelben ſeine alte freie Verfaſſung, ſeine Fueros

) Die Wahlcapitulation, die der von den Ricos-homes ge— wählte König beſchwören mußte, lautete bekanntlich folgendermaßen: „Wir, die wir eben fo viel werth find, als wie Du, und die wir mehr vermögen, als wie Du, machen Dich zu unſern König, un⸗ ter der Bedingung, daß Du unſere Fueros wahrſt; wo nicht, nicht!“

Unangenehme Züge des aragonefifchen Charakters. 127

und Privilegien, zur Strafe dafür, daß es auf der Seite des Hauſes Oeſtreich während des Erbfolgekrieges ge— ſtanden hatte. Viel Blut koſtete es, den trotzigen Ara— goneſen zu zähmen; doch was vermöchte nicht endlich die Gewalt der Bajonnette! Seit jener Zeit bildeten ſich im Charakter des Aragoneſen einige Züge aus, die früher demſelben ſchwerlich eigen geweſen ſind und durch welche der jetzige Aragoneſe einen ſo abſtoßenden Eindruck auf den Fremden macht: dies ſind ein verſchloſſener Sinn, ein mürriſches, mißtrauiſches Weſen und ein glühender Haß alles Fremden, Eigenſchaften, die der Aragoneſe mit dem Catalonier, bei dem ſie aus denſelben Urſachen ent— ſpringen, theilt. Der gemeine Aragoneſe iſt im Allge— meinen ein anmaßender, ſtolzer, auffahrender Menſch ohne alle Lebensart. Mißtrauiſch blickt er den Fremden an, grüßt ihn nicht, ja, dankt kaum für den gebotenen Gruß. Er iſt ernſt, ſpricht ſehr wenig, benimmt ſich kalt und gleichgültig, wird aber, ſobald er Widerſpruch erfährt, heftig und grob. Von Artigkeit hat er überhaupt keinen Begriff. In keinem Wirthshauſe wird dem Gaſte ein Seſſel angeboten, oder derſelbe nach ſeinem Begehren gefragt. Alt und Jung, Männer und Frauen meſſen den eintretenden Fremden mit kalten, mißtrauiſchen Blicken, beantworten verdroſſen und mürriſch die an ſie gerichteten

Fragen und benehmen ſich nicht ſelten im höchſten Grade ungezogen. In ſolchen Fällen hilft nur möglichſt maſ—

128 Grobheit und Bigotterie der Aragonefen.

ſive Grobheit, dann werden die Leute allmälig zahmer. Als ich auf meiner Reife nach dem Moncayo das erfte Mal in Alagon übernachtete, wo ich zu meinem Exſtau⸗ nen eine recht gute Poſada traf, bat ich die Magd, die mich nach meinem Zimmer geleitet hatte, ganz höflich, mir Waſſer zu bringen. Anfangs antwortete ſie gar nicht; als ich aber mein Begehren wiederholte, entgegnete ſie heftig, ich möge ſelbſt zum Brunnen gehen und mir Waf- ſer holen; ſie habe nicht Zeit, jedem Fremden nachzulau⸗ fen. Ich mußte über dieſe Ungezogenheit unwillkürlich lachen; Aguſtin aber, der zufällig zugegen war und mit den Aragoneſen umzugehen verſtand, explicirte dem Mäd⸗ chen ganz ruhig eine wohlconditionirte Ohrfeige, begleitet mit ein paar aragoneſiſchen Kraftausdrücken, und warf es zur Thüre hinaus. Bald darauf kam das Mädchen ungeheißen wieder, brachte mir das gewünſchte Waſſer, entſchuldigte ſich, es nicht früher beſorgt zu haben, und war fortan ganz artig. Der unangenehmſte Zug des aragoneſiſchen Charakters iſt die Bigotterie. Aragonien iſt die einzige Landſchaft Spaniens, wo der Nichtkatholik Urſache hat, ſein Bekenntniß zu verſchweigen und ſich für einen Katholiken auszugeben. Obgleich der gemeine Mann auch hier nichts davon weiß, daß es mehrere Klaſſen von Chriſten giebt, ſo iſt ihm doch der Begriff „Ketzer“ ſehr geläufig. Als Ketzer betrachtet er aber Alle, welche nicht ſtreng die Vorſchriften der Kirche befolgen und vor Allem

Unwiſſenheit der Aragonefen. Mangel an Schulen. 429

nicht mit der von der Geiſtlichkeit vorgeſchriebenen Ehr— furcht und Gläubigkeit von der „santisima virgen del Pilar“ ſprechen. Es iſt daher jedem Fremden, welcher Aragonien bereiſt, anzuempfehlen, ſich als Katholiken zu geriren; die Klugheit gebietet dies, und ich ſehe nicht ein, warum man nicht der Regel: mundus vult decipi gemäß handeln ſoll, wenn man ſich dadurch Unannehm— lichkeiten erſparen kann. Hand in Hand mit dieſer Bi— gotterie geht, wie es nicht anders ſein kann, eine grän— zenloſe Unwiſſenheit. Faſt kein gemeiner Aragoneſe kann leſen und ſchreiben, denn es exiſtiren gar keine Schulen in den Dörfern. Der Unterricht des Volks befindet ſich ausſchließlich in den Händen der Prieſter, die der Mehr— zahl nach ſelbſt höchſt unwiſſend und ungebildet ſind und ſich natürlich damit begnügen, den Söhnen und Töchtern ihrer Beichtkinder das Formenweſen des katholiſchen Cul— tus, die Glaubenslehren der Kirche und einige dürftige Begriffe von chriſtlicher Moral beizubringen, vor Allem er unverbrüchlichen Glauben an ihre eigenen Ausſprüche und an die Allmächtigkeit der wunderthätigen Madonna von Zaragoza.

Aus den vorſtehenden Bemerkungen werden meine Leſer zur Genüge erkennen, daß der Aragoneſe im All— emeinen einen widerlichen Eindruck hervorbringen muß. Es iſt dies in der That der Fall, und ich muß geſtehen, daß ich mich unter den Aragoneſen niemals wohl befun—

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 9

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130 Phyſiognomie der Aragonefen.

den habe. Der Charakter des Aragoneſen prägt ſich ſchon in ſeiner Phyſiognomie aus. Das hagere, meiſt ſehr gebräunte Geſicht, welches ſelten ein Lächeln erheitert, die ſchwarzen, tief liegenden, kleinen ſtechenden Augen, das unter dem niedrigen Filzhute oder unter der „Rede⸗ cilla“ ungeordnet hervorquellende, wild um den Kopf in langen, ſchmalen Locken herumhängende, glänzend ſchwarze Haar machen einen durchaus ungünſtigen Effekt. Am widrigſten ſind mir immer die Bewohner des Flachlandes, namentlich der Ebroebenen, geweſen, indem ſich dieſelben mehr als andere Aragoneſen durch Rohheit auszeichnen. Auch gelten ſie für boshaft und rachſüchtig, und wirklich ſcheinen ihre lauernden, dolchartig blitzenden Augen für die Wahrheit dieſer Behauptung zu ſprechen. Die Hoch⸗ aragoneſen beſitzen, wie alle Gebirgsbewohner, eine größere Portion von Gemüthlichkeit und find deshalb auch weni— ger verſchloſſen und ernſt, als die Niederaragoneſen. Ne: ben dieſen vielen unangenehmen Zügen enthält jedoch der aragoneſiſche Charakter auch manche ſchätzenswerthe Eigen ſchaft. Der Aragoneſe iſt im Allgemeinen ein ehrenwer“ ther und rechtſchaffener Menſch. Er iſt überlegend, und handelt nicht leicht eher, als bis er Alles wohl erwoger“ hat, dann aber mit großer Energie und eiferner Conſe⸗ quenz. Er beſitzt eine glühende Liebe zu ſeinem Vater lande, welches zu vertheidigen er für feinen höchſten Ruhm] anſieht, eine unbegreifliche Mäßigkeit in feinen Anſprücher

Lobenswerthe Eigenſchaften. Körperbau d. Männer u. Frauen. 134

an das Leben und Zufriedenheit mit dem ihm zugefalle— nen Looſe. Rauſchende Vergnügungen liebt er nicht, wes— halb er auch weder dem Tanze, noch dem Weintrinken ergeben iſt. Sich zu betrinken gilt bei ihm, wie bei den Südſpaniern, für eine Schande. Der gebildete Aragonefe beobachtet ſtreng die Vorſchriften der Etikette. Er hat etwas Förmliches, eine kühle, ſtolze Höflichkeit in ſeinem Weſen, welches Jeden zurückſtößt, der an die Zutraulich— keit des Basken, oder an die überſprudelnde Heiterkeit des Südſpaniers gewöhnt iſt. Auch er iſt nüchtern und mäßig, und deshalb im Allgemeinen dem Luxus noch abhold. Nur in Zaragoza hat der franzöſiſche Luxus ſich ſeit einer Reihe von Jahren geltend zu machen angefan— gen. Ueber das Familienleben der Aragoneſen habe ich kein Urtheil.

a Die Aragoneſen find im Allgemeinen ein ziemlich gro— ßer, aber ſehr hagerer Menſchenſchlag. Der ſchmächtige, knochige Körperbau trägt noch mehr dazu bei, den unan— genehmen Eindruck zu erhöhen, den das gebräunte, düſtere Geſicht macht. Die Frauen pflegen von mittlerer Größe und gut gewachſen, auch gewöhnlich in jungen Jahren recht hübſch zu ſein, haben aber wenig Grazie und be— tragen ſich faſt eben ſo abſtoßend, wie die Männer. Sie beſitzen meiſt einen ziemlich dunkeln Teint, aber ſchöne große Augen und prächtiges Haar. Die meiſten ſind dunkel brunett; Blondinen, die in den baskiſchen Pro- 9 *

132 Volkstrachten. Die Redecilla.

vinzen keineswegs zu den Seltenheiten gehören, ſieht man in Aragonien bereits eben ſo ſelten, wie in Südſpanien. Was die Trachten anlangt, ſo kleiden ſich die höheren Stände auch in Aragonien, wie überall, nach franzöſiſcher Sitte; die niederen Stände dagegen und die Landbewoh— ner beſitzen Volkstrachten, welche je nach der Gegend verſchieden find. Die Tracht der Männer beſteht im Al gemeinen aus einer kurzen Jacke, kurzen Hoſen und Ga— maſchen, die der Frauen aus einem ärmelloſen, eng an— ſchließenden ſteifen Mieder, über welches ſie ein baum— wollenes Tuch tragen, und aus kurzen wollenen Röcken. In Hocharagonien tragen die Männer ganz einfache, eng anliegende Jacken von grobem, dunkelfarbigem Tuch, welche bis an die Hüften reichen, eine blaue Sammetweſte mit zwei Reihen meſſingerner oder ſilberplattirter Knöpfe, kurze Hoſen von demſelben Stoffe, eine dunkelblaue oder violette Wollenſchärpe, die ſie loſe und unordentlich um den Leib ſchlingen, blaugraue Strümpfe und Alpargates von Hanf oder Esparto mit ſchwarzen Baumwollenbän— dern. Den Kopf pflegt ein ſchwarzer, niedriger Filzhut mit enorm breiten Krämpen, die man häufig nach auf⸗ wärts mit einem Tuche zuſammengebunden ſieht, zu be— decken; ſeltener die „Redecilla“, welche dagegen bei den Bewohnern Niederaragoniens und des öſtlichen Neucaſti— lien außerordentlich beliebt iſt. Dieſe Redecilla iſt Fei- neswegs ein Haarnetz, wie man bei uns gewöhnlich glaubt,

Die Redecilla. Trachten der Frauen. 133

ſondern blos ein ſchmal zuſammen gelegtes, einen zwei bis drei Finger breiten Streifen bildendes buntes Baum— wollentuch, welches in Geſtalt eines Gürtels feſt um den Kopf geknüpft wird, ſo daß der Wirbel und der ganze obere Theil der Haare völlig unbedeckt bleibt. Die Re— decilla ſchützt daher nicht im mindeſten gegen die Sonne und ich begreife nicht, wie die Niederaragoneſen und Neu— caſtilianer in ihren glühend heißen Ebenen während des Tages bei vollem Sonnenſcheine damit herumlaufen kön— nen, ohne den Sonnenſtich zu bekommen. Auch pflegen die Niederaragoneſen weniger kurze Beinkleider und Al— pargates, als weite, bis auf die halben Waden reichende und hier an den Seiten aufgeſchlitzte Hoſen und rinds— lederne Schuhe zu tragen. Desgleichen ziehen die Nie— deraragoneſen nur ſelten eine Jacke an, ſondern gehen meiſt im bloßen Hemde und ohne Halstuch, ſchleppen da— gegen faſt immer ihren groben, dunkelbraunen, oft ent— ſetzlich zerriſſenen und durchlöcherten Mantel mit ſich herum, den ſie ſo umzunehmen pflegen, daß der eine Arm und die eine Schulter ganz entblößt bleiben. Die Tracht der Frauen unterſcheidet ſich im Ganzen wenig von der in Navarra und in den baskiſchen Provinzen üblichen, beſonders in Hocharagonien, wo man auch noch viele Mädchen und Frauen mit nicht aufgeſteckten, frei über die Schultern hinabhängenden Zöpfen ſieht. Sonſt pfle— gen die Aragoneſinnen entweder die Zöpfe am Hinterkopfe

134 Tracht der Frauen von Hecho.

feſtzuſtecken, oder die ſämmtlichen Haare zu einem dicken Knoten zuſammen zu binden und den Kopf mit einem loſe umgeſchlungenen Baumwollentuche von bunter Farbe zu umhüllen. Das Mieder iſt in Hocharagonien häufig mit gelbem Leder überzogen und ſteif, wie ein Bruſtharniſch; in manchen Gegenden Nieder- und Südaragoniens ſchei— nen blaue Sammtcorſets Mode zu fein. Eine ganz ab— ſonderliche Tracht verführen die Frauen einiger Ortſchaf— ten der Pyrenäen. So tragen die Frauen des Thales von Hecho, welches parallel mit dem von Canfrane läuft, aber weiter nach Weſten zu liegt und wegen feiner Frucht barkeit berühmt iſt, lange, bis auf die Knöchel reichende, prieſterrockartige Kutten von grünlicher Leinwand, welche um den Hals eng zuſammenſchließen und gar keine Taille beſitzen, mit langen, weiten, an den Handgelenken zuge— knöpften Aermeln, dazu einen breitkrämpigen Filzhut, blaue Strümpfe und Alpargates. Als ich dieſe unſchöne Tracht zum erſten Male in Jaca ſah, wußte ich nicht, ob ich Männer oder Frauen vor mir habe.

Sehr unangenehm iſt für den Fremden, welcher in

Aragonien reiſt, der große Mangel an Reinlichkeit. Außer

Eſtremadura, wo der Schmuz zu Haufe iſt, kenne ich keine andere Landſchaft Spaniens, welche fo unreinlich wäre,

wie Aragonien. Die Gaſſen der Ortſchaften, ebenſo das

Innere der Häuſer, beſonders der Poſaden, ſtarren vor Schmuz, desgleichen die Bewohner, Männer wie Frauen.

Unreinlichkeit und Trägheit der Aragonefen. 135

Nur die Betten und das Küchengeſchirr pflegen reinlich zu ſein, weshalb ich Aragonien immer noch Portugal vor— ziehe, wo man faſt nie ein ausgeſpültes Glas, ein abge— wiſchtes Meſſer oder ein neu überzogenes Bett bekommt. Dennoch geht die Unſauberkeit in Aragonien weit, na— mentlich bei Zubereitung der Speiſen, weshalb es mir oft unmöglich geweſen iſt, etwas zu genießen. Dieſe Unreinlichkeit fällt beſonders Dem auf, welcher aus dem Königreiche Valencia kommt, wo Alles nett und ſauber zu ſein pflegt; Catalonien läßt hinſichtlich der Reinlich— keit auch Vieles zu wünſchen übrig, noch mehr Navarra und Neucaſtilien. Die Unreinlichkeit der Aragoneſen ent— ſpringt aus der ihnen, wie es ſcheint, angebornen Träg— heit. Sie ſind zu faul, um ſich zu waſchen, oder ihre Häuſer zu ſäubern. Ueberhaupt lieben ſie das Arbeiten nicht, weshalb Diejenigen, welche keinen Grundbeſitz ha— ben, entweder als Schmuggler oder als Bettler ein vaga— bundirendes Leben führen. Es herrſcht eine lüderliche Wirthſchaft in ihrem Lande, wenige Gegenden ausgenom— men. Die Felder werden nachläſſig beſtellt, die Obſtbäume, Oliven und Weinſtöcke ſich ſelbſt überlaſſen, es geſchieht wenig oder nichts für die Verbeſſerung der Wege. Schon mehrmals habe ich des erdfahlen Ausſehens der arago— neſiſchen Ortſchaften gedacht, eine Eigenſchaft, durch welche dieſelben die Landſchaften mehr verunzieren, als verſchö— nern. Dieſem ſchlechten Ausſehen entſpricht auch die

136 Bauart der Häuſer. Vernachläſſigung der Induſtrie.

Bauart der Häuſer. Dieſelben beſitzen in den kleinen Ortſchaften ſelten mehr als ein Erdgeſchoß, haben flache, mit grauen Hohlziegeln gedeckte Dächer und enthalten nur wenig Gemächer, die durch kleine, ohne alle Ordnung angebrachte, gar nicht oder blos vermittelſt hölzerner La⸗ den verſchließbare Fenſter ſpärlich erhellt werden. Nicht ſelten bilden der Viehſtall und der Küchenraum, wo ſich die Familie aufhält, ein einziges Gemach. Die Wirths⸗ häuſer, diejenigen ausgenommen, welche an den großen, von Zaragoza nach Pamplona, Madrid, Valencia und Barcelona führenden Heerſtraßen liegen, ſind faſt überall erbärmlich, ohne alle Bequemlichkeit, ohne bewohnbare Zimmer, voll Schmuz und Ungeziefer. Die leidlichſten trifft man in den Pyrenäen, wo man aber auch die ge— ringe Bequemlichkeit theuer bezahlen muß.

Ich habe ſchon erwähnt, daß der Anbau des Bodens faſt allenthalben im höchſten Grade nachläſſig betrieben wird. In einem noch ſchlimmern Zuſtande befindet ſich die Induſtrie. Es giebt faſt gar keine Fabriken, obwohl das Land von vielen waſſerreichen Flüſſen durchkreuzt wird und es unendlich reich an Mineralſtoffen, an Metallen, Salz, Alaun u. dergl. iſt, und trotz der ſchlechten Be— wirthſchaftung des Bodens und der Vernachläſſigung der Schafzucht enorme Maſſen von Oel, Hanf, Saffran, Soda und Wolle producirt. In den letzten Jahren hat der Bergbau einen neuen Aufſchwung zu nehmen angefangen,

Handel. Die aragoneſiſchen Weine. 137

und es ſteht daher zu erwarten, daß in Folge davon auch das Fabrikweſen ſich heben wird. Der Handel beſchränkt ſich auf die Exportation von Rohſtoffen, als Schafwolle, Hanf, Lein, Soda und Saffran, ſowie von Getreide, Oel und Wein. Von letzterem werden in dem Flachlande un— geheure Quantitäten producirt. Er iſt im Allgemeinen dunkelroth, ſehr zucker- und ſpiritushaltig, ſchwer und feurig. Gäben ſich die Arogoneſen mit der Bereitung deſſelben mehr Mühe, ſo würden die Weine Aragoniens den beſten ſüdſpaniſchen oder portugieſiſchen Weinen we— nig oder gar nicht nachſtehen. Da aber in den meiſten Gegenden die Weinbereitung höchſt nachläſſig und mit großer Unreinlichkeit betrieben wird, fo iſt der Wein im Allgemeinen ziemlich ſchlecht und daher außerhalb Arago— niens wenig geſchätzt. Nur die aromatiſch-ſüße „Garnacha“ von Sartiiena ſteht in ganz Spanien in großem Rufe. Außer in Gariiiena verwendet man die meiſte Sorgfalt auf die Weinbereitung in den nördlichen Gegenden des Ebrobaſſins, welche dunkle, ſchwere Rothweine erzeugen, von denen ein Theil nach Alteaftilten und nach Frank— reich ausgeführt wird. Viel bedeutender, als die Expor⸗ tation iſt die Importation, indem Aragonien faſt alle Manufactur⸗ und Fabrikwaaren aus dem Auslande bezieht.

Noch mehr verwahrloſt, als der materielle Zuſtand des Volkes, iſt der intellectuelle. Von dem Mangel an Landſchulen habe ich bereits geſprochen; aber ſelbſt in

138 Intellectueller Zuftand des Volks. Bildungsanftalten.

den Städten geſchieht wenig für die Erziehung der Zus gend. Zwar giebt es ſowohl in Zaragoza, als in den größern Städten, wie Huescar, Jaca, Teruél, Calatayud u. a., ſowohl Elementarſchulen als ſogenannte „Colegios“ für die Fortbildung der erwachſenen Jugend beiderlei Ge— ſchlechts; allein der in den letztern ertheilte Unterricht ſcheint ſich nicht über den Kreis der allergewöhnlichſten Kenntniſſe hinaus zu erſtrecken. In Zaragoza exiſtirt auch eine Univerſität (dieſelbe gehört zu den Univerſitäten zwei⸗ ten Ranges und iſt wenig beſucht), ſowie eine Art von Handels- oder Realſchule, in welcher Unterricht in der Mathematik, Philoſophie, im Zeichnen, in Sprachen, Ca⸗ meral⸗ und Handelswiſſenſchaften ertheilt wird. Letztere iſt eine Schöpfung der „Sociedad economica de amigos del pais“, welche Geſellſchaft es ſich zur Aufgabe geſtellt hat, Induſtrie, Handel und Ackerbau empor zu bringen und überhaupt die materiellen Verhältniſſe des Volks zu verbeſſern; eine Aufgabe, deren Löſung bei einem ſo in— dolenten Menſchenſchlage, wie die Aragoneſen ſind, ſehr ſchwierig ſein dürfte. Hinſichtlich der natürlichen Befähi— gung ſtehen die Aragoneſen den übrigen ſpaniſchen Volks ſtämmen kaum nach. Namentlich ſollen ſie viel Scharf⸗ ſinn und eine feurige Phantaſie beſitzen. Sie ſind im Allgemeinen freiſinnig, und daher mehr für progreſſiſtiſche, als für reactionäre Beſtrebungen empfänglich.

Was endlich die Sprache der Aragoneſen anlangt,

Sprache der Aragonefen. 139

ſo wird gegenwärtig in ihrem Lande blos Caſtilianiſch, in den Städten ſogar ein recht reines Caſtilianiſch ges ſprochen. Nur haben die Aragoneſen eine rauhe, unan— genehme Ausſprache. Auf dem Lande iſt das Gaftiliani- ſche durch Beimengung cataloniſcher Wörter etwas cor— rumpirt, welche ein Ueberbleibſel der lemoſiniſchen Sprache ſein mögen, die ehedem im ganzen aragoneſiſchen Reiche allgemein geſprochen wurde.

Fünftes Kapitel.

Die nordvalencianiſche Terraſſe. Das Thal von Segorbe. Valencia zur Zeit der Seebäder.

Am ſpäten Nachmittage des 5. Auguſt ſchied ich von Teruél. Da dieſe Stadt gerade auf halbem Wege zwi⸗ ſchen Zaragoza und Valencia liegt und blos eine Tages reife von der Gränze des Königreichs von Valencia ent⸗ fernt iſt, ſo pflegt die Mehrzahl der Fuhrleute und Arrie⸗ ros, welche den Verkehr zwiſchen beiden Königreichen und namentlich zwiſchen deren Hauptſtädten beſorgen, in Te— ruél zu raſten und dort die Güter zu verladen, indem die valencianiſchen Fuhrleute und Arrieros, und eben fo die aragoneſiſchen blos bis Teruél gehen und die Wei- terbeförderung der Güter nach Zaragoza oder Valencia den von dorther kommenden überlaſſen. Aus dieſem Grunde befinden ſich in Teruél die Hauptſpeditions- und Verladungsgeſchäfte für die Route von Zaragoza nach Valencia und iſt dieſe Stadt daher ungemein lebhaft. Der Verkehr dürfte ſich noch bedeutend ſteigern, wenn

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Abreiſe von Teruel. Maleriſche Anſicht der Stadt. 144

die damals im Baue begriffene Chauſſee vollendet fein wird.

Die Straße nach Valencia kreuzt den oben bei der Schilderung Teruöls erwähnten Barranco der Vorſtadt, und windet ſich dann zwiſchen den ſteilen, dürren Mer— gelhügeln zu dem erſten Abſatze der valencianiſchen Ter— raſſe empor, welche bereits höher, als die Spitzen der Thürme von Terusél liegt. Sehr ſchön war von hier aus in der duftigen Beleuchtung der Nachmittagsſonne der Anblick des Beckens von Teruél. Im Vordergrunde die vielthürmige, maleriſch gruppirte Stadt auf dem weißen, ſchroffen Mergelhügel; dahinter die dunkelgrünen, baum— reichen Fluren des Alfambrathales, begränzt von dem hohen terraſſirten Walle des Plateau von Pozondön; rechts das maleriſche, von einzelnen iſolirten Felsbergen überragte Hügelland des Ebrobaſſins; links über dem grünen, von röthlich-weißen Mergelhügeln eingeſchloſſenen Streifen des Turiathales die hohen, blauen, roſig be— leuchteten Gebirgsketten von Albarracin: dieſes Alles bil— dete zuſammen eine überaus reizende Landſchaft, die mir unvergeßlich bleiben wird. Der erſte Abſatz der nordva— lencianiſchen Terraſſe iſt ein mehrere Stunden breites Plateau von wellenförmigem Relief, das ſich, fortwährend ſanft anſteigend, bis an den Fuß einer niedrigen Berg— kette erſtreckt, welche den Rand des zweiten Terraſſenab— ſatzes krönt. Hier und da gewahrt man ein von einigen

142 Nacht in den Ventas del Puerto. Der Flecken la Puebla.

Bäumen und Getreidefluren umringtes Dorf; der größere Theil jener weiten und mit fruchtbarem Boden begabten Hochebene iſt aber völlig unangebaut und baumlos. Es dunkelte ſchon bedeutend, als wir an den Fuß der ſchon erwähnten Bergkette gelangten, woſelbſt einige einſame Wirthshäuſer, die Ventas del Puerto, ſtehen. Da die nächſte Ortſchaft noch über zwei Stunden entfernt war, ſo mußte ich mich entſchließen, in einer dieſer ſchlech— ten und ſchmuzigen Herbergen, wo an Allem Mangel war, nur nicht an Ungeziefer, die Nacht zuzubringen. Ich ver- mochte die ganze Nacht der Wanzen halber kein Auge zu ſchließen und war daher froh, als der Tag graute und wir wieder aufbrechen konnten. Nach Ueberſteigung der ziemlich ſteilen, mit lichten Kiefernhölzern bedeckten Berg⸗ kette kommt man auf ein weites, von vielen Thälern durchfurchtes und von kahlen Höhenzügen gekröntes, baum⸗ armes, wenig bebautes und ſpärlich bevölkertes Plateau, welches rings von höhern, theilweis bewaldeten Bergfet- ten umſchloſſen iſt und wohl mehr als 3500 Fuß über den Spiegel des Meeres erhaben ſein mag. Der erſte Ort, den die Straße berührt, iſt der Flecken la Puebla, welcher nicht unmaleriſch an einem ſteilen, felſigen Ab⸗

Anſicht der Gebirge von Valencia. Eine valencianifche Famile. 443

zackigen Gebirgsketten von Nordvalencia, welche ſich auf dem Südabhange des Plateau erheben. Unter den ein— zelnen culminirenden Berggipfeln, die hier und da hinter und zwiſchen jenen Gebirgsketten am Horizonte auftau— chen, zeichnet ſich beſonders ein im Oſten gelegener durch ſeine Höhe und die Kühnheit ſeiner Form aus. Es iſt die Peñagoloſa, ein ſchroffer, ſpitzer, gegen Süden faſt ſenkrecht abgeſchnittener Felſenkegel, der unerſteiglich zu ſein ſcheint, jedoch von der Weſtſeite her ohne Gefahr beſtiegen werden kann. Meine beſchränkte Zeit, und noch mehr der Zuſtand meiner Kaſſe, erlaubten mir leider nicht, dieſem durch großen Reichthum an ſeltenen Pflanzen aus— gezeichneten Bergrieſen, welcher eine Höhe von 7000 Fuß beſitzt, einen Beſuch abzuſtatten.

Während wir bei einer Venta unſere Pferde tränk— ten, überholte uns ein armer Mann mit ſeiner Familie, den ich an ſeiner Tracht für einen Valencianer und an den Geräthſchaften, die er bei ſich führte, für einen „sega- dor“ (Mäher) erkannte, und daraus ſchloß, daß er im Innern Spaniens in der Ernte gearbeitet haben möge. Er hielt ebenfalls bei dem vor der Venta befindlichen Waſſertroge an, um ſeinem halb verhungert ausſehenden Eſel, welcher die ganzen Habſeligkeiten der aus ſechs Köpfen beſtehenden Familie trug, Waſſer zu geben, ſprach mich jedoch um kein Almoſen an, wie ich erwartet hatte. Auch ſeine Frau, ein noch ſehr junges Weib, die einen

144 Eine valencianiſche Familie.

Säugling auf dem Arme trug und vor Erſchöpfung kaum mehr zu gehen vermochte, grüßte mich zwar, gleich ihrem Manne, bettelte aber nicht. Nur eins der Kinder, ein hübſches Mädchen von etwa fünf Jahren, das ſich die nackten Füße auf dem ſcharfen Kalkgerölle der Straße blutig gelaufen hatte und wahrſcheinlich den ganzen Mor⸗ gen noch nichts gegeſſen haben mochte, näherte ſich mir ſchüchtern, um ein Stückchen Brod zu verlangen, da ich gerade mit meinem Bedienten beſchäftigt war, ein ſehr frugales Frühſtück einzunehmen. Ich muß geſtehen, daß mir das Elend dieſer offenbar nicht vagabundirenden Fa⸗ milie unendlich nahe ging; ich ſchickte daher meinen Bas⸗ ken in das Haus, um einige Brode und Kannen Wein für die Halbverſchmachteten zu holen und ließ mich mit dem Valencianer in ein Geſpräch ein. Er erzählte mir, daß er in der Gegend von Alicante zu Hauſe und im Juni nach Beendigung der Weizenernte wegen Arbeits⸗ loſigkeit mit feiner Familie nach Aragonien, ſpäter nach Molina ausgewandert ſei, um dort in der Ernte zu ars beiten, und dadurch ſeinen Kindern Brod zu erwerben. Jetzt wolle er wieder in ſeine Heimath zurückkehren, wo er bei der Weinleſe Arbeit zu finden hoffen könne. Dieſe Familie hatte folglich zu Fuße, in der heißeſten Jahres⸗ zeit eine Reiſe von mehr als funfzig deutſchen Meilen gemacht, um Arbeit zu ſuchen! Ob es wohl einem einzigen unſerer deutſchen Proletarier einfallen würde,

Valencianiſche Zuſtände. 145

ſich ſo viel Mühe um Arbeit, um Broderwerb zu geben? Und jener Mann war nicht der einzige Valencianer, den ich fern von ſeiner Heimath als Feldarbeiter getrof— fen habe. Nein, in Aragonien und Neucaftilien bin ich oft Trupps von zwanzig, dreißig Valencianern begegnet, welche alle in jenen Ländern, wo es an Arbeitern fehlt, in der Ernte beſchäftigt geweſen waren. Es ſchnitt mir durch's Herz, als jener arme Familienvater auf eine von mir begeiſtert hingeworfene Bemerkung über die Schön— heit und brillante Cultur ſeiner Heimath mit trübem Blicke erwiederte: „Wohl iſt's ein geſegnetes Land, Caballero, um ſo trauriger, in einem ſo ſchönen Lande verhun— gern zu müſſen!“ Und der Mann hatte Recht. Das Königreich Valencia kann trotz ſeines herrlichen Klima's, ſeines vortrefflichen Anbaues und des unermüdlichen Flei— ßes ſeiner Landleute, welche ſelbſt die dürrſten Felſen, wenn ihnen Waſſer zu Gebote ſteht, der Cultur zugäng— lich zu machen wiſſen, Valencia kann trotz alledem nicht alle ſeine Bewohner ernähren, theils wegen der im Verhältniß zu dem culturfähigen Boden viel zu großen Bevölkerung, theils weil faſt überall der Grund und Bo— den in den Händen Weniger iſt, welche fern von ihrer Heimath, in Madrid, Paris und andern großen Städten in Ueppigkeit und Ueberfluß von dem Schweiße der Bau— ern leben, an die ſie ihre Aecker zu hohen Preiſen ver— pachtet haben. Die Herzöge von Segorbe und Liria, die

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 10

146 Valencianiſche Zustände.

Marcheſen von Denia und Lumbay, die Grafen von Bunol, Chelva, Concentayna und andere Glieder des valencianiſchen hohen Adels gehören zu den reichſten Granden Spaniens, bekümmern ſich aber wohl nur ſelten darum, ob ihre Bauern die Abgaben erſchwingen können, die ſie ihnen aufgelegt haben. Von letzteren bringen es Diejenigen, welche ſo viel Mittel beſitzen, um ſich ein Stück Land zu pachten, trotz der vielen, theils an den Grundherrn, theils an die Commun, theils an den Staat zu zahlenden Steuern, die auf ihnen laſten, bei fleißiger Bewirthſchaftung der Aecker wegen der außerordentlichen Ergiebigkeit des Bodens zu Wohlſtand, ja ſogar zu Reich⸗ thum, und daher kommt es, daß das Königreich Valencia zu den blühendſten Landſchaften nicht nur Spaniens, fon- dern, man kann es keck behaupten, Europa's überhaupt gehört. Allein nicht Alle ſind ſo begütert und können ſich durch ihrer Hände Arbeit ſo viel erübrigen, um ſich einen Acker zu pachten. Dieſe müſſen alſo dadurch, daß ſie bei den Bauern und Pächtern in Dienſt treten, Fabriken giebt es in Valencia bis jetzt nur wenige ihr Brod zu erwerben ſuchen. Da aber Valencia ſehr ſtark bevölkert und im Verhältniß zu ſeiner Einwohner⸗ zahl ein viel zu kleiner Theil ſeiner Oberfläche der Cul⸗ ter unterworfen ift*), jo liegt es auf der Hand, daß

) Das Königreich Valencia beſitzt ein Areal von 643 Qua⸗ dratleguas. Beinahe zwei Drittheile der Oberfläche beſtehen aus

Valencianiſche Zuftände. 147

diejenigen Landleute, welche weder eigenen Grundbeſitz haben, noch ſolchen zu pachten im Stande ſind, nicht alle, wenigſtens nicht fortwährend, bei der Feldarbeit beſchäf— tigt werden und ſich durch dieſelbe ihr Brod verdienen können. Dies gilt beſonders von den ſüdlichen Gegen— den des Königreichs, wo wegen Mangel an Waſſer große Strecken an und für ſich fruchtbaren Bodens nicht ange— baut werden können und der Grund und Boden mehr, als in andern Provinzen Valencia's, in den Händen des Adels iſt. Aus jenen Gegenden wandern alle Sommer Hunderte von Familien nach Centralſpanien aus, um in der Ernte zu arbeiten. Daſſelbe geſchieht in Galicien, wo hin— ſichtlich des Grundbeſitzes und der Bevölkerung ganz ähnliche Verhältniſſe obwalten, wie im Königreiche von Valencia. Ich reiſte jenen ganzen Tag mit dem treuherzigen Valencianer zuſammen und bereue dies nicht, da derſelbe mir manche intereſſante Mittheilung über die ſocialen Zuſtände ſeines Vaterlandes machte. Bevor ich aber unſere

rauhen, unwirthlichen, der Cultur völlig unzugänglichen Gebirgen. Die Seelenzahl betrug im Jahre 1848 4,500,000. Folglich kom⸗ men auf die Quadratlegua culturfähigen Bodens gegen 7000 See— len. Daß Valencia dieſe zahlreiche Bevölkerung ernähren kann, ja daß daſelbſt ein Ueberfluß von Lebensmitteln, wie in wenigen an— dern Gegenden Europa's, vorhanden iſt, erklärt ſich nur aus der unglaublichen, durch den Fleiß der Bauern hervorgebrachten Er— giebigkeit des Bodens. Denn der valencianiſche Bauer hält min— deſtens drei, häufig vier bis fünf Ernten während eines Jahres auf einem und demſelben Acker!

40*

148 Ehrlichkeit und Herzens güte einer Aragoneſin.

Reiſe weiter ſchildere, kann ich nicht umhin, einen Zug von Ehrlichkeit und Herzensgüte zu erzählen, den ich in jener Venta erlebte und zu dem man in unſerm hoch civiliſirten Vaterlande ſchwerlich ein Pendant finden dürfte. Ich hatte, wie bemerkt, einige Kannen Wein, einige Brode und andere Lebensmittel aus der Venta entnommen. Als ich die Wirthin nach der Rechnung fragte, nannte mir dieſelbe eine Summe, die, obwohl höchſt unbedeutend, doch höher war, als ich erwartet hatte, weil ich wußte, daß der Wein in Südaragonien ſo viel wie gar nichts koſtete. Ich muß, ehe ich weiter fortfahre, bemerken, daß die gemeinen Leute in Aragonien, beſonders im Sit den dieſer Landſchaft, gewöhnlich nicht nach den in Spa⸗ nien allgemein gebräuchlichen und geſetzlich verordneten Münzſorten, ſondern nach alten aragoneſiſchen, jetzt völ⸗ lig imaginären, rechnen. Jene Frau forderte alſo für die ganze Rechnung zwanzig „Quaternos“. Ich, in der Mei⸗ nung, es ſeien eben ſo viele „Quartos“ (gleich etwa 8 Silbergroſchen), händigte ihr die Summe in Realen ein. Wie erſtaunt war ich aber, als mir die Frau ganz ver⸗ blüfft ſagte, ich habe ihr viel zu viel gegeben und mir mehr als die Hälfte wieder zurückerſtattete! Ueberraſcht über dieſe mir wirklich unbegreifliche Ehrlichkeit wollte ich der Wirthin den Ueberſchuß als Trinkgeld aufnöthi⸗ gen; ſie nahm das Geld aber durchaus nicht an, ſondern gab es der Frau des armen Valencianers. Dieſer war

Valencianiſche Dankbarkeit. Der Flecken Sarrion. A449

außer ſich vor Freude, zumal als ich ſein Mädchen auf meinem Packpferde bis zum nächſten Orte Platz nehmen ließ und ihm dort ein Paar Hanfſchuhe kaufte. Die Dank— barkeit des armen Mannes ging ſo weit, daß er mir ge— rührt die Hand küßte. Es iſt doch ein eigener Menſchen— ſchlag, dieſe ſpaniſchen Bauern! Wohl erniedrigen ſie ſich dazu, ihre Ehrfurcht und Dankbarkeit in der angegebenen Weiſe zu bethätigen, allein ſie wiſſen das mit einem ſo noblen Anſtande zu thun, daß ſie ſich nicht zu ſchämen brauchen, vielleicht mit einem größern Anſtande, als der reiche Grande und Großwürdenträger des Reichs der Kö— nigin die Hand küßt. Wie grell contraſtirt gegen dieſes noble, ſtolze Weſen des Spaniers die hündiſche, vor dem höher Stehenden im Staube kriechende Servilität des Portugieſen!

Zu Mittage kamen wir nach Sarrion, einem gro— ßen, in einer weiten, doch nur wenig angebauten Ebene gelegenen Flecken, wo wir der Hitze wegen ein paar Stun— den raſteten. Bald hinter demſelben fängt der Boden ſich noch mehr zu erheben an. Das Land iſt ſtellenweis von tiefen, felſigen, meiſt waſſerloſen Schluchten durch— furcht; dazwiſchen ziehen ſich kahle oder mit Sabinage— ſträuch und Kiefern beſtreute Hügelreihen und Felſenkämme hin; hier und da eröffnet ſich ein größeres, tief in das Plateau einſchneidendes Thal, wie das Thal des Mil: lares, eines ſchönen Bergwaſſers, welches die reizende,

150 Das Plateau von Barräcas. Ventas de la Jaqueſa.

wegen ihrer üppigen Fruchtbarkeit berühmte Ebene la Plana an der Küſte des nördlichen Valencia befruchtet. Durch dieſes coupirte, doch fortwährend höher anſteigende Terrain gelangt man endlich auf das dritte und höchſte, wohl nahe an 4000 Fuß über das Meer erhabene Pla- teau der nordvalencianiſchen Terraſſe, nämlich auf die öde und kalte Hochebene von Barräcas, über welche die Gränze zwiſchen den Reichen Aragonien und Valen⸗ cia hinläuft. An dem Anfange dieſer Ebene, die gegen Süden zu einem felſigen Höhenkamme anſchwillt und ges gen Weſten und Oſten von waldigen Gebirgszügen um⸗ gürtet iſt, liegen an der Brücke über den Millares die Ventas de la Jaqueſa, eine Reihe erdfahler Häuſer, die letzte aragoneſiſche Ortſchaft. Eine Stunde weiter ſüdwärts ſchimmern aus der grauen, größtentheils mit dichten Polſtern eines niedrigen, dornigen Hülſenſtrauchs (Erinacea pungens Boiss.) bedeckten Ebene die Häuſer von Barräcas, des erſten valencianiſchen Fleckens, der ſich durch die weiße Farbe ſeiner Gebäude ſchon von fern als ſolchen zu erkennen giebt. Ich übernachtete daſelbſt, froh, endlich die ſchmuzigen Poſaden Aragoniens im Rücken zu haben und in einem reinlichen valencianiſchen Wirths⸗ hauſe übernachten zu können. Der Contraſt zwiſchen den beiden an einander gränzenden Landſchaften und ihren Bewohnern iſt wirklich auffallend und ſeltſam, zumal in der geſchilderten Gegend, wo blos eine Ebene die beiden

Eintritt in's Königreich von Valencia. 151

Gränzortſchaften von einander ſcheidet. Denn während in la Jaqueſa noch die Gaſſe ſowohl, als das Innere der Häuſer von Schmuze klebt, die Gebäude noch die beliebte erdfahle Farbe und das unfreundliche Ausſehen der aragoneſiſchen Dörfer haben, die Menſchen finſter und mürriſch d'reinſchauen, kurz Alles eben ächt aragoneſiſch iſt: findet man in Barräcas freundliche, mit Balcons gezierte, weiß getünchte Häuſer, reinliche Straßen, ſehr ſaubere Küchen und redſelige, lebhafte, fröhliche und höf— liche Leute, einen Menſchenſchlag von ganz anderem Ty⸗ pus, mit einem Worte, iſt ſchon Alles ächt valencianiſch, verräth bereits Alles die Nähe des mittelländiſchen Mee— res und ſeiner paradieſiſchen Gefilde.

Die im Winter wegen ihrer Schneeſtürme berüchtigte Hochebene von Barräcas beginnt bald hinter dieſem Orte ſanft gegen die niedrigen Bergreihen anzuſteigen, welche von Weſten und Oſten her ſie gegen Süden hin halbkreis— förmig umſchließen. Nach einer kleinen Stunde gelangten wir um 8 Uhr Morgens auf die Höhe jenes erwähnten felſigen Kammes, zu dem das Plateau von Barräcas an ſeiner ſüdlichen Gränze anſchwillt. Dieſer völlig kahle Kamm iſt mit großen Blöcken eines rauchgrauen, äußerſt poröſen und blaſigen Dolomits beſtreut, welcher an ein— zelnen Stellen auch in zackigen, grotesk geformten Felſen zu Tage ausgeht, und dem Jurakalk, aus dem das Pla— teau von Barräcas beſteht, aufgelagert zu ſein ſcheint.

132 Prachtvolle Ausſicht über das Thal von Segorbe.

Hier wurde ich höchſt angenehm durch eine der großar⸗ tigſten und prächtigſten Ausſichten überraſcht, die mir auf meinen Reiſen vorgekommen ſind. Wir ſtanden am Süd⸗ rande der nordvalencianiſchen Terraſſe. Eine lange, ſteile Lehne, ein förmlicher Gebirgsabhang, von tiefen Schluch⸗ ten zerriſſen und gänzlich aus rieſigen, abenteuerlich ge— formten, wild zerklüfteten Dolomitmaſſen gebildet, bot ſich zunächſt unſern Blicken dar. Am Fuße dieſes nackten, rothbraun gefärbten, ein ſchauerliches Bild der Zerſtörung darbietenden Abhanges breitet ſich ein hügliches, mehrere Stunden breites Plateau aus, das ſich gegen Süden all— mälig zu dem Rande einer tiefen, von Weſten herkom⸗ menden Thalſchlucht hinabſenkt. Letztere nimmt bald eine ſüdweſtliche Richtung an und giebt ſich als ein weites und langes Thal zu erkennen, welches den Abhang der valencianiſchen Terraſſe in der angegebenen Richtung tief durchſpaltet. Es iſt das Thal des Rio Palancia, wel— ches weiter unten den Namen Val de Segorbe führt und zu den prachtvollſten, reichſten und bevölkertſten Thä⸗ lern von Valencia gehört. Das erwähnte, zwiſchen dem Thal des Palancia und dem ſchroffen Felsabhange, auf dem wir ſtanden, gelegene Plateau iſt faſt gänzlich mit wohlgepflegten Weinpflanzungen, aus deren goldigem Grün das weiße Gemäuer einer Menge zerſtreuter Winzerhäus⸗ chen hervorleuchtet, bedeckt, und contraſtirt daher höchſt anmuthig gegen die hohen, ernſten, majeſtätiſchen Gebirgs⸗

Anficht des mittelländifchen Meeres. Geologiſche Bemerkungen. 453

mauern, die ſich rechts und links davon erheben und das Thal des Palancia einfaſſen. Gegen Oſten ſchließt die hohe, zackige Felskuppe des Monte Pina, gegen Weſten das wilde Berglabyrinth der Pengescavia, welches ſich zwiſchen den Quellen des Palancia und dem Thale des Turia erhebt, das reizende Gemälde. Gegen Südweſten endlich, zwiſchen den erhabenen, in den maleriſchſten For— men aufragenden Felsgipfeln der beiden das Thal von Segorbe einſchließenden Gebirgsmauern begränzt in wei— ter Ferne den Horizont der Spiegel des mittelländiſchen Meeres. N

Nachdem ich eine halbe Stunde in den Reizen die— ſes herrlichen, damals in der duftigſten Morgenbeleuch— tung ſtrahlenden und von einem tiefblauen Himmel über— wölbten Landſchaftsbildes geſchwelgt hatte, ſtiegen wir raſch die öde Felslehne hinab, zwiſchen deren enormen Dolomitmaſſen die Straße ſich in weiten Bogen hindurch— windet. Das Geſtein iſt zwar ziemlich deutlich geſchich— tet, die Schichten ſind aber überall ſo außerordentlich durch einander gewirrt, bald ſenkrecht aufgerichtet, bald horizontal liegend, hier zerborſten, dort zuſammengequetſcht und in einander gekeilt, daß es rein unmöglich wird, die urſprüngliche Lage jener Schichten zu beſtimmen. Der ganze Abhang mit ſeinen tiefen, ſpaltenartigen Schluch— ten, mit ſeinen ſchroffen Felszacken und ſeinen rieſigen Haufwerken loſe über einander gethürmter Geſteinstrüm—

154 Geologiſche Bemerkungen.

mer ſieht aus, wie die zuſammengeſtürzten Maſſen eines durch eine Pulvermine geſprengten Walles; und in der That, etwas Aehnliches, nur in viel großartigerem Maaß⸗ ſtabe, muß hier ſtattgefunden haben. Dies beweiſen die zertrümmerten und zerborſtenen Geſteinsſchichten und die weit und breit zerſtreuten Dolomitblöcke. Denn ſchon um Barräcas, ebenſo am Rande des Palanciathales, d. h. in Entfernungen von einer bis zwei Stunden von dem Dolomitgebirge trifft man ſolche Blöcke, und zwar oft von enormer Größe. Wahrſcheinlich haben gewaltige, mit vulcaniſchen Ausbrüchen in Verbindung ſtehende Explo⸗ ſionen von heißen Dämpfen und Gaſen jene Zertrümme⸗ rung bewirkt, nachdem ſie zuvor das zu jener Zeit jeden⸗ falls noch vom Meere bedeckte Geſtein, welches urfprüng- lich ſchwerlich von der den größten Theil des Plateau von Barräcas zuſammenſetzenden Felsart (Jurakalk) ver⸗

ſchieden geweſen ſein dürfte, durch Jahrtauſende lang

fortgeſetzte Einwirkung unter hohem hydroſtatiſchem Drucke in Dolomit verwandelt hatten, denn jener Dolomit hat ganz und gar den Charakter eines metamorphoſirten Ge⸗ ſteins. Die Vermuthung, daß jene Dolomitmaſſen und die fürchterliche Zerſtörung, die ſie zur Schau tragen, eine Wirkung vulcaniſcher Dämpfe ſeien, würde zur Gewißheit erhoben werden, beſtätigte es ſich, daß in der Nähe ehe⸗ dem vulcaniſche Eruptionen ſtattgefunden haben, worauf einzelne von Cavanilles in ſeinem herrlichen Werke

Spuren von Vulcanismus. Reibungsconglomerate. 155

über das Königreich von Valencia erwähnte Phänomene, ſowie die unklaren Schilderungen des Volkes jener Ge— gend hinzudeuten ſcheinen. Es ſollen ſich nämlich in dem oben erwähnten Berglabyrinthe der Perinescavia, an dem Urſprunge des Palancia, große Maſſen eines verſchlackten, halbglaſigen, kryſtalliniſchen Geſteins von ſehr dunkler, faſt ſchwarzer Farbe (baſaltiſche Lava?) im Grunde eines tiefen Barranco, der mit einem trichterförmigen Circus (einem Krater?) endet, vorfinden. Ich bedauere, daß ich auch dieſen Punkt wegen meiner beſchränkten Mittel, die es mir nicht erlaubten, mich auf meiner Reife nach Va— lencia irgendwo aufzuhalten, nicht habe beſuchen können, und füge dieſe Notizen blos bei, um die Geologen auf jene höchſt intereſſante Gegend aufmerkſam zu machen. Noch will ich erwähnen, daß ſich am Fuße des Dolomit— abhanges eine eigenthümliche Breccie findet, die aus ſcharfkantigen Stücken deſſelben Dolomits und eines dun— kelfarbigen, von vielen Kalkſpathadern durchzogenen Kalk— ſteins oder Marmors, aus welchem der größte Theil des rebenbedeckten Plateau beſteht, zuſammengeſetzt iſt. Das Bindemittel dieſer Breccie iſt von kalkiger Beſchaffenheit, feinkörnig und kryſtalliniſch: kurz, die ganze Breccie hat das Anſehen eines ſogenannten Reibungsconglomerats oder eines contuſiven Frictionsgeſteins, d. h. eines Geſteins, welches feine Entſtehung lediglich gewaltſamen, durch uns terirdiſche Kräfte hervorgebrachten Bewegungen einzelner

156 Auſicht von Vivél und Jerica.

Stücke der ſtarren Erdkruſte und der dadurch bewirkten Zertrümmerung bereits vorhandener Geſteine und der Ineinanderpreſſung der einzelnen Trümmer und des fei neren Geſteinsſchuttes verdankt.

Eine zweiſtündige Wanderung durch das anmuthige Weingelände brachte uns an den Rand des Palanciatha⸗ les. Hier beginnt eine jener paradieſiſchen Gegenden, welche man in Europa wohl nur im Königreiche Valencia findet. Es iſt nämlich nicht die Natur, die jenem Thale, ſowie vielen andern Gegenden Valencia's ihre unbeſchreib⸗ liche Pracht verliehen hat, ſondern die brillante Agricul—⸗ tur der Bewohner. Man erblickt von der genannten Stelle aus einen großen Theil des weiten, zwiſchen drei- bis viertauſend Fuß hohe Felſenberge eingezwängten Thales von Segorbe. Amphitheatraliſch ziehen ſich an dem Ab— hange, an deſſen oberem Rande man ſteht, die weißen Häuſerterraſſen des volkreichen Fleckens Vivél hinab, der mit dem wenig davon entfernten, im Grunde des Thales auf einem Hügel gelegenen Städtchen Jérica zuſammen⸗ zuhängen ſcheint und im Verein mit dieſem eine große, maleriſch gruppirte, von geſchmackvollen Glockenthürmen und glänzend blauen Azulejoskuppeln überragte und von einem üppigen Baumwuchs umkränzte Häuſermaſſe bildet. So weit das Auge reicht, bis an die ſchroffen Gerölle— lehnen, welche ſich am Fuße der den Kamm der Gebirge zuſammenſetzenden Felskoloſſe ausbreiten, find die Thal—

Prachtvoller Anbau ihrer Umgebungen. 157

gehänge mit Weinreben bedeckt. Unterhalb dieſer breiten, goldgrünen Rebenzone, die eine der vortrefflichſten Wein— ſorten Valencia's erzeugt, ungefähr in der Höhe von Bivel, beginnt das bewäſſerte Terrain, welches die untern Abhänge und den Grund des Thales auskleidet und den reizendſten Theil deſſelben, die „Huerta“, bildet. Alle Abhänge, gleichviel, ob ihre Böſchung ſteil oder ſanft iſt, ſind nämlich bis an die Ufer des Palancia hinab terraſ— ſirt und mit Bäumen bepflanzt, unter deren Schatten die verſchiedenartigſten Getreide- und Gemüſearten in reichſter Fülle wachſen. Große, bald durch das Geſtein geſprengte, bald auf Brücken über Schluchten hinweggeführte Kanäle, die ihr Waſſer theils aus dem Palancia erhalten, theils aus den zahlreichen Quellen, welche im Gebiete von Bivel hervorſprudeln, leiten hoch oben an beiden Thal: gehängen, an der untern Gränze der Rebenzone, meilen— weit das befruchtende Element hin, das durch zahlloſe, kunſtvoll angelegte Gräben und Schleußenwerke auf alle Felder der Terraſſen, deren Zahl ſich an manchen Stellen über hundert (über einander geſetzt) beläuft, vertheilt wird. Damals waren jene Terraſſen faſt überall mit Maisſtau⸗ den bedeckt (beiläufig bemerkt, die zweite Ernte in Va— leneia ), die eben in voller Blüthe ſtanden und wegen des hellen, friſchen Grüns ihrer breiten, glänzenden Blät- ter und der wogenden gelbröthlichen Rispen ihrer männ— lichen Blüthen der ganzen Landſchaft eine ſolche Pracht

158 Ueppigkeit der Vegetation und Waſſerreichthum.

verliehen, wie ich mich nicht erinnern kann, jemals geſehen zu haben. Die Ränder der Terraſſen ſind theils mit Maul⸗ beer⸗, theils mit Feigenbäumen, theils mit Ulmen und Zürgelbäumen (Celtis australis L.) bepflanzt. Wo die beiden letztgenannten Bäume die Felder einfaſſen, da pfle⸗ gen Weinſtöcke zwiſchen ſie geſetzt zu ſein, welche nun ihre armsdicken Reben um die Stämme der Bäume ſchlin⸗ gen, zwiſchen den Aeſten bis zu den höchſten Wipfeln der breiten Kronen emporklettern, und ſich in maleriſchen Gewinden, die damals bereits mit Maſſen halbreifer Trauben belaſtet waren, von Baum zu Baum ſchlingen und die reizendſten Laubengänge bilden, die man ſich denken kann. An manchen Stellen, wo der Boden dem Getreide- und Gartenbau nicht günſtig iſt, breiten ſich Olivenhaine aus, die ſich ſchon von fern durch ihr mattes, ſchwärzliches Colorit zu erkennen geben. Kein Fleckchen iſt unbenutzt; an jedem Grabenrande ſieht man noch ſpa— niſchen Pfeffer, Tomate, Kürbiſſe und andere einen fetten, feuchten Boden liebende Gewächſe gepflanzt. Allenthalben ſtürzen zwiſchen den von Epheu und andern Schlingge— wächſen überſponnenen Stützmauern der Terraſſen ſchäu⸗ mende Waſſerleitungen und Bäche herab, denn in den Umgebungen von Vivel, deren Boden gänzlich aus Kalf- tuff beſteht, giebt es gegen funfzig Quellen, unter denen die eine fo großen Waſſerreichthum beſitzt, daß ihr Ab- fluß eine kurze Strecke unterhalb der Quelle bereits drei

Der Flecken Vivél. Südliche Pflanzenformen. Die Stadt Jérica. 459

Mühlen treibt. Aber trotz dieſes ungeheuern, jenes Thal ſehr begünſtigenden Waſſerreichthums geht dort gewiß kein Tropfen unbenutzt verloren.

Wir raſteten in Vivél ein paar Stunden, um Mit⸗ tag und Sieſta zu halten, und ſetzten dann unſere Reiſe durch das reizende Thal weiter fort. Der Anbau wird mit jedem Schritte ſchöner, die Vegetation immer ſüdlicher. Bald unterhalb Vivéls fangen die Gärten und Felder längs der Straße von dem ſtachlichen Strauchwerk der indianiſchen Feige (Cactus Opuntia L.) und der Pita oder ſogenannten großen Alos (Agave americana L.) umhegt

zu ſein. Letztere ſtand an vielen Stellen bereits in Blüthe; ich freute mich unendlich, dieſes Rieſengewächs, deſſen blaugrüne Schwertblätter und drei bis fünf Klaftern ho⸗ hen blattloſen Stengel mit ihrem Rieſenkandelaber von großen, wohlriechenden, gelben Blumen ein ſo fremdarti— ges und deshalb doppelt reizendes Element in die Land— ſchaften der Mediterrangegenden bringen, wieder einmal in ſeiner ganzen natürlichen Ueppigkeit und Pracht zu ſehen. Eine der ſchönſten Parthieen des Val de Segorbe iſt Jérica. Dieſe kleine, aber uralte Stadt, welche die Segobrica der römiſchen Hiſtoriker fein ſoll, liegt inmit- ten einer paradieſiſchen Huerta am Nordabhange eines ſteilen Kalkhügels, deſſen Spitze die maleriſchen Ruinen einer großen Burg aus der Zeit der arabiſchen Herrſchaft krönen. Die Anſicht der Stadt iſt beſonders von Süd—

160 Lage und Geſchichte von Jerica.

oſten aus höchſt pittoresk. Der ſie tragende Hügel iſt nämlich an ſeiner Südſeite von faſt ſenkrechten Felswän⸗ den umgürtet und durch eine enge Schlucht von einem höhern, dem rechten Thalgehänge angehörenden Felsvor— ſprunge geſchieden, ſo daß es ausſieht, als ſei er von dieſem Vorgebirge abgehauen worden. In der That dürfte jene Schlucht nicht urſprünglich vorhanden geweſen, fon: dern erſt durch die Wäſſer des Palancia, der noch gegen— wärtig durch ſie hindurchfließt, ausgehöhlt worden ſein. Daß an der Stelle, wo das jetzige Jérica liegt, ſchon zur Zeit der Römer eine Ortſchaft geſtanden hat, bewei- fen die vielen roͤmiſchen Inſchriften, die man daſelbſt, auch ſchon in Vivel —, in die Wände der Häuſer eine gemauert ſieht. Den Mauren wurde Ieérica durch Jacob J. von Aragonien im Jahre 1235 entriſſen. Meine Zeit erlaubte mir es nicht, mich in Serica aufzuhalten, ſonſt würde ich die Burg beſucht haben, die einen prachtvollen Ueberblick über das reizende Thal darbieten muß, welches allenthalben von einzelnen Häuſern und kleinen, freund— lichen Ortſchaften wimmelt.

Bald unterhalb Jérica's überſchreitet die Straße den Palancia, deſſen Bett damals vollkommen trocken lag, da ſich ſein ganzes Waſſer in die zahlreichen, weit oberhalb Vivéls von ihm ausgehenden Bewäſſerungskanäle verlor, und ſteigt an dem rechten Thalgehänge empor, wo ſie längere Zeit zwiſchen Pflanzungen von Oliven und Jo⸗

Thal zwiſchen Jérica und Segorbe. 161

hannisbrodbäumen (Ceratonia Siliqua L.) hinläuft. Die zuletzt genannten Bäume werden von hier an ſehr häufig und pflegen im mittleren und unteren Theile des Thales die oberen, der Bewäſſerung nicht zugänglichen Lehnen einzunehmen. Auch Weinpflanzungen ſieht man noch häufig an den obern Gehängen und wohl auch im Grunde des Thales auf dürrem Kalkboden; doch ſind dieſelben bei weitem nicht mehr fo häufig, wie oberhalb Viveéls. Der Weg iſt fortwährend ſehr angenehm. Zur Linken breitet ſich die reizende Huerta gleich einem grünen Sam— metteppich aus; von Zeit zu Zeit eröffnen ſich bald auf der einen, bald auf der andern Seite tiefe, wilde Schluch— ten, die, wenn ſie Waſſer beſitzen, ebenfalls angebaut ſind, und prächtige Ausſichten auf das romantiſche, immer ma— jeſtätiſcher ſich emporthürmende Gebirge bieten ſich bei jeder Wendung des Thales dar. Es war gegen fünf Uhr, als wir die Höhe eines kahlen, felſigen Kammes erreich— ten, welcher von dem rechten Thalgehänge weit gegen Nordoſten vorſpringt und das Thal gänzlich zu verſper— ren ſcheint. Hier wartete meiner abermals ein prachtvol— ler, höchſt überraſchender Anblick. Wir ſtanden zu Häup- ten eines geräumigen, rings von hohen, maleriſchen Fel— ſenbergen umſchloſſenen Baſſins, deſſen Grund ſowohl als ſeine hoch hinauf terraſſirten Abhänge im üppigſten Grün prangten. Oberhalb der Terraſſen zogen noch breite Gür— tel von Johannisbrodbäumen, Oliven- und Weinpflanzun⸗

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. A

162 Ueberblick des Thalbeckens von Segorbe.

gen hin. Eine Menge zerſtreuter Häuſer und mehrere Dörfer und Klöſter mit glänzenden Azulejoskuppeln ruh⸗ ten, halb verſteckt unter die ſie umringenden Bäume, gleich ſchlummernden Nymphen im Schooße dieſes Paradieſes. In ſeiner Mitte aber thronte auf einem iſolirten Hügel der Hauptort des Thales, Segorbe, zwiſchen zwei ma— leriſchen Kaſtellen, die auf den beiden Gipfeln des Hü— gels ſtehen, deſſen urſprünglich gewiß ſehr dürre Abhänge der valencianiſche Fleiß ebenfalls in reizende Terraſſen umzuſchaffen gewußt hat. Die Schönheit der herrlichen Landſchaft wird noch erhöht durch den Contraſt, den das lachende, von Fruchtbarkeit ſtrotzende Thalbaſſin, welches hier gegen zwei Stunden breit iſt, mit den ernſten Ge— birgsmaſſen bildet, die es umgürten. Es erheben ſich hier nämlich gerade die erhabenſten Gipfel, auf der lin⸗ ken Seite gegen Oſten der viertehalbtauſend Fuß hohe Pico de Espadan, ein kühner Felskegel, an deſ— ſen nackten, von tiefen Schluchten zerriſſenen Abhängen die ſüdliche Abendbeleuchtung ihren ganzen wunderbaren Farbenzauber entwickelte, auf der rechten die theilweis bewaldeten Kuppen der Sierra de la Cueva ſanta. Die Gebirgsmaſſe des Espadän ſcheidet das Thal von Segorbe von dem Thale des Millares, die Sierra de la Cueva ſanta dagegen trennt es von den weiten, frucht— baren, durch den Turia bewäſſerten Gefilden der Ebene von Liria, die gegen Süden unmerklich mit der Huerta

Die Stadt Segorbe. 163

von Valencia verſchmilzt. Begleitet von Schaaren fröh— licher Arbeiter und Mädchen, die heiter ſingend von ih— ren Feldern zurückkehrten, gelangten wir um halb ſechs Uhr nach Segorbe, wo ich vor der Puerta de Aragon, einem von Epheu faſt gänzlich verdeckten Ueberreſte aus der Maurenzeit, in einer guten und reinlichen Poſada bei äußerſt freundlichen und gefälligen Leuten meine Woh— nung nahm.

Segorbe, eine Stadt von 6000 Einwohnern, die einem der erſten Granden Spaniens den Herzogstitel giebt, und Sitz eines Biſchofs, iſt ein freundlicher, netter Ort mit ziemlich breiten, nur ſehr bergig gelegenen Gaſ— ſen und ſtattlichen Häuſern, welche ſämmtlich, wie überall in Valencia, weiß angeſtrichen und, je nach der Zahl der Stockwerke, mit zwei bis drei Reihen Balcons geſchmückt ſind. Die Stadt beſitzt viele Kirchen, unter denen die biſchöfliche den Titel Cathedrale führt, fünf Klöſter, welche jetzt als Schulen, Magazine und Caſernen dienen, und neun Thore. In der Cathedrale ſollen gute Gemälde der valencianiſchen Schule, darunter einige von Juanes und Ribalta, vorhanden ſein; da es bereits gegen Son— nenuntergang war, als ich nach Segorbe kam, ſo konnte ich dieſelbe nicht in Augenſchein nehmen und mußte mich mit dem Beſuche der Gaſſen, Plätze und Promenaden begnügen. Unter den letztern nimmt die ſogenannte Glorieta den erſten Rang ein. Dieſe iſt ein reizender

11 *

164 Die Glorieta von Segorbe.

Garten, welcher an der Südweſtſeite der Stadt auf einem ſteilen Vorſprunge des Stadtberges gelegen und mit einem eiſernen Stacketenzaun umgeben iſt. Unter den prächti⸗ gen Ulmen, die den geräumigen Platz beſchatten, ziehen ſich breite, mit eleganten Ruhebänken aus weißem Mar⸗ mor gezierte Sandwege zwiſchen von zierlichen Rohrge— flechten umhegten Blumenbosquets hin, und mehrere Fon— tainen, deren von hohen, alten Trauerweiden umkränzte Baſſins ebenfalls aus weißem Marmor verfertigt ſind, ſchleudern mächtige Strahlen kryſtallnen Waſſers in die Luft und verbreiten fortwährend eine angenehme Friſche. Die Blumenbosquets beſtanden zum Theil aus Gewäch⸗ ſen, die man bei uns nur als Zwerge in Töpfen und Kübeln ſieht. Klafterhohe Oleander- und Orangenge— büſche, mit Tauſenden von rothen und weißen Blumen beſät, die einen faſt betäubenden Wohlgeruch verbreiteten, erhoben ſich neben Roſen- und Myrthenſträuchern und neben üppigem, mit brennendrothen Blüthen geziertem Strauchwerk cap'ſcher Pelargonien. Dazwiſchen leuchteten die ſchneeweißen, fußlangen Trichterblumen der Datura arborea und die goldgelben Blüthentrauben der Cassia tomentosa, und hoch über alle bisher erwähnten Ge— wächſe ragten die pyramidalen weißen Blumenſträuße einiger Prachtexemplare der Yucca gloriosa empor, die mit ihren auf ſchlanken, armsdicken Stämmen ſtehenden Kronen ellenlanger Schwertblätter wie kleine Palmen aus⸗

Prachtvoller Anblick der Huerta bei Sonnenuntergang. 465

ſahen. Die Glorieta ſcheint ein ſehr beſuchter Ort zu ſein. Wenigſtens wimmelten ihre ſchattigen Laubgänge an jenem Abende von zahlreichen Spaziergängern. Sie verdient es auch; denn abgeſehen von ihrer eigenen An— muth und Eleganz bietet ſie eine überaus reizende Aus— ſicht nach der herrlichen, reich bevölkerten Huerta und den maleriſchen, dieſe umwallenden Gebirgen dar. Noch nie war mir die valencianiſche Cultur ſo reizend erſchie— nen, wie hier. Ich konnte mich nicht ſatt ſehen an die— ſen wunderbaren Terraſſen, deren weiße Stützmauern im Lichte der untergehenden Sonne je nach ihrer Lage und Entfernung bald in zartes Roſenroth, bald in duftiges Violett getaucht erſchienen. Es iſt namentlich das viel— fach nuancirte Grün, was dem Auge ſo wohl thut. Hier fröhliche, hellgrüne Maisfluren, umkränzt von dunkeln Brombeerhecken oder von dem gelblichen, phantaſtiſchen Blattgeäſt der Opuntia und den blauen Rieſenblättern der Agave, die hier und da ihre Blüthenkandelaber, deren Blumenbüſchel, vom rothen Strahl der Sonne getroffen, wie angezündete Kerzen leuchteten, hoch über die üppigen Pflanzungen empor hob; dort das glänzende, ſaftige Grün einer Gruppe von Feigenbäumen neben dem matteren und lichteren Colorit der Maulbeerbäume; weiterhin düſtere Olivenhaine neben goldgrünen Rebengeländen; an andern Stellen ſchwarze Cypreſſenkegel und breitkronige, dunkel— belaubte, von maleriſchen Rebenguirlanden umſchlungene

166 Das Thal von Segorbe im Mondſchein.

Ulmen und Zürgelbäume: dieſe mannigfachen, in Form und Colorit unendlich abwechſelnden und contraſtirenden Vegetationsgruppen, durchwebt von der farbenreichen Licht⸗ glorie der ſüdlichen Abendbeleuchtung, verliehen der Land⸗ ſchaft einen Zauber, der ſich wohl empfinden, aber nim⸗ mermehr beſchreiben läßt. Auf einer Marmorbank am Rande des ſteilen Abhangs zwiſchen duftendem Orangen- gebüſch ſitzend, verharrte ich, verſunken in das Anſchauen der immer zauberiſcher ſich geſtaltenden Landſchaft, und meine Lieben in der fernen Heimath an meine Seite wünſchend, bis der Mond hinter dem violetten Rieſen— kegel des Pics von Espadan emporſtieg und fein filber- nes Licht über das weite, üppige Thal ausgoß. Hatte mich daſſelbe noch kurz zuvor im glühenden Farbendufte der untergehenden Sonne an die paradieſiſchen Gegenden der Tropen erinnert, ſo erſchien es mir nunmehr in dem einfarbigen, aber unendlich weichen Lichte des ſüdlichen Mondſcheins wie eine Landſchaft aus der Feenwelt. Die Glorieta war mittlerweile leer geworden; nur einzelne Pärchen flüſterten noch auf den Marmorbänken. Guitar⸗ renklänge tönten aus dem Thale herauf und von der Stadt herüber; ſonſt war Alles ſtill bis auf das Rauſchen der Waſſerleitungen und das melodiſche Säuſeln der lauen, balſamiſchen Luft zwiſchen den Blättern der Bäume. Es war mir, als müßten aus allen Büſchen zarte Elfen her⸗ vortauchen, um ſich zu phantaſtiſchen Reigen im Scheine

Ein Wochenmarkt in Segorbe. 167

des Mondes neben den plätſchernden Fontainen zu ver— einen: nein, das Thal von Segorbe im Mondſchein iſt ein verkörperter Sommernachtstraum!

Meine Verhältniſſe geſtatteten mir leider nicht, län— ger als bis zum folgenden Morgen in Segorbe zu ver— weilen. Es wurde eben Wochenmarkt gehalten, als ich die Stadt verließ. Kaum konnte ich mich mit meinem Pferde zwiſchen den dichten Gruppen von Arbeitern hin— durchdrängen, die, im Begriffe, auf ihre Aecker hinaus zu gehen, um die Victualienbuden geſchaart ſtanden, um ſich ihr Frühſtück einzukaufen. Ein Blick auf dieſen Markt genügt, um ſich von den reichen Productionen des Tha— les von Segorbe zu überzeugen. Da lagen Melonen, Gurken, Kürbiſſe, Calabaſſen, Waſſermelonen, Tomates, ſpaniſcher Pfeffer und grüne Gemüſe aller Art in ellen— hohen Haufen auf Baſtmatten ausgeſchüttet; daneben ſtan— den aus Palmblättern geflochtene Körbe voll Feigen, grü— nen Oliven und Zitronen, und bereits vollkommen reifen blauen, grünen und rothen Weintrauben; an andern Stel— len bemerkte ich rieſige Stöße von Johannisbrod, von grünem Luzernerklee und anderen Futterkräutern, ſowie von friſch abgepflückten Maulbeerblättern, welche von De— nen gekauft zu werden pflegen, die nicht ſelbſt Maulbeer— bäume beſitzen und doch die ſehr einträgliche Zucht der Seidenraupe betreiben wollen: kurz, allenthalben ſah man den reichen Segen einer ſorgſam betriebenen Agricultur.

168 Abreiſe v. Segorbe. Die Frauen v. Segorbe. Bevölk. d. Thals.

Eine hübſche Promenade führt von der Puerta de Va⸗ lencia an bis zu einer Brücke, welche über einen damals des Waſſers völlig beraubten Barranco geſchlagen iſt. Dieſe Promenade ſcheint bei dem ſchönen Geſchlecht als Morgenſpaziergang beliebt zu ſein, denn es begegneten uns viele Damen, die nach der Stadt zurückkehrten. Den flüchtigen Bemerkungen zufolge, die ich hier, wie Abends zuvor in der Glorieta, machen konnte, ſcheinen die Frauen von Segorbe den vortheilhaften Ruf, in welchem die Va⸗ lencianerinnen in ganz Spanien ſtehen, nicht Lügen zu ſtrafen.

Nach Ueberſchreitung des erwähnten Barranco er— hebt ſich die Straße raſch zwiſchen den Terraſſen des rech— ten Thalgehänges bis zu dem Gürtel der Oel- und Jo— hannisbrodbäume, innerhalb deſſen ſie mehrere Meilen weit hinläuft, reizende Ausſichten auf den Thalgrund dar⸗ bietend, deſſen üppige Fluren außer einer Menge zerſtreu⸗ ter Häuſer mit vielen freundlichen Ortſchaften und eini⸗ gen impoſanten, von edel geformten Glockenthürmen und prächtigen Azulejoskuppeln überragten Klöſtern geſchmückt ſind ). Die Vegetation wird nun mit jeder Stunde ſüd— licher; bald zeigt ſich das ſtachliche Geſtrüpp der Zwerg— palme an den Abhängen der Hügel, und mannshohe

*) Das Thal von Segorbe mit feinen Nebenthälern umſchließt

im Ganzen 43 Ortſchaften, in denen zuſammen über 50000 Men⸗ ſchen leben!

Der Flecken Torres- Torres. Anſicht des Caſtells von Sagunt. 469

Büſche von Piſtazie und Oleander garniren die Ufer des Palancia und feiner Zuflüſſe. Bei ſengender Mittags- hitze gelangten wir nach dem großen Flecken Torres— Torres, der ſeinen Namen wahrſcheinlich von einer hochgethürmten Burg erhalten hat, welche auf einem nack— ten, über den Ort aufragenden Kalkhügel liegt, und hiel— ten uns daſelbſt bis um zwei Uhr auf. Eine gute Stunde unterhalb Torres-Torres, gleich hinter dem freundlichen Flecken Benifayro de les Balls, weichen die das Thal einſchließenden Berge, welche ſchon bei Torres— Torres bedeutend niedriger ſind, als um Segorbe, aus einander, und bald zeigen ſich in geringer Entfernung rechts der felſige Hügel, welcher die römiſchen Thürme des Caſtells von Murviedro (Saguntum) trägt, links davon eine weite, grüne, von einigen ſtolzen Dattelpal— men überragte Ebene, jenſeits welcher der azurblaue Spie— gel des mittelländiſchen Meeres den Horizont begränzt. Mein Bedienter, der noch niemals in Südſpanien gewe— ſen war, fragte mich beim Anblick der Palmen verwun— dert, was dies für ſeltſame Bäume ſeien. Schon ſeit dem Augenblick, wo wir das Thal von Segorbe betreten hatten, war der ſonſt ſo redſelige Mann ſprachlos vor Erſtaunen, theils über die ganze ihm ungewohnte ſüdliche Vegetationsſcenerie, theils und vorzüglich über die bril— lante Cultur der Valencianer, geworden. In der That können ſich die Basken, obwohl ſie ein ſehr fleißiges

170 Landſchaftlicher Charakter Valencia's und der bask. Provinzen.

Völkchen ſind und ihre Aecker gut beſtellen, mit den Va⸗ lencianern nicht meſſen. Hinſichtlich des landſchaftlichen Charakters und der vegetativen Scenerie find die Hei— mathen beider Volksſtämme ſo total verſchieden, daß ſie ſich gar nicht mit einander vergleichen laſſen. Die rei⸗ zenden Berg- und Hügellandſchaften der baskiſchen Pro- vinzen mit ihren herrlichen Laubwäldern, ihren ſaftigen Wieſen und ihrem Waſſerreichthum, haben viel mehr Aehn⸗ lichkeit mit unſerm deutſchen Vaterlande, als mit Balen- cia, deſſen Bergformen, deſſen Beleuchtung und vor Al lem deſſen Vegetation bereits ganz entſchieden jenen halb afrikaniſchen Typus trägt, welcher den ſüdlichſten Gegen— den der Mediterranzone Europa's eigenthümlich iſt. Die krummen, engen und finſtern Gaſſen von Mur⸗ viedro waren wie ausgeſtorben, indem ſich die ganze Bevölkerung auf dem Conſtitutionsplatze befand, um ein Stiergefecht anzuſehen, das daſelbſt, ich weiß nicht, wel— chem Heiligen zu Ehren, gehalten wurde. Da ich dieſes Schauſpiel bereits mehrmals und jedenfalls beſſer geſehen hatte, als die Bewohner von Murviedro es herzuſtellen im Stande ſein dürften, ſo zog ich es vor, die letzten Stunden des Tages auf den Trümmern des römiſchen Theaters zuzubringen. Es war mir eigen zu Muthe, wieder an einem Orte zu weilen, den ich ſechs Jahre früher zum erſten Male im Schmucke des Frühlings ge⸗ ſehen hatte. Meine ganze Vergangenheit zog an meinen

Naht in Murviedro. Die Huerta von Valencia. 474

geiftigen Augen vorüber mit allen ihren ſüßen und bit tern Stunden. Ich konnte mich nicht eher von den al- ten Römermauern und von der prachtvollen Ausſicht tren— nen, bis die Sonne hinter den Bergen verſunken war. Den folgenden Morgen verließ ich zeitig bei herrlichem, aber ſehr heißem Wetter Murviedro, und betrat wenige Stunden ſpäter, nach einer mehr als vierjährigen Abwe— ſenheit, zum erſten Male wieder die paradieſiſchen Ge— filde der ewig grünen Huerta von Valencia. War es mir doch, als wäre ich erſt geſtern hier geweſen, ſo be— kannt kam mir Alles vor! Die Karthauſe Ara Chriſti mit ihrem Palmenhain; Puzol, La Cruz del Puig, San Onofre, Maſamagrell und wie die Ortſchaften der Huerta alle heißen, die auf und zu Seiten der Straße liegen, mit ihren glänzend blauen, zwiſchen Palmen und üppigem Baumwuchs aufragenden Azulejoskuppeln; die zahlloſen Bauernhäuschen mit ihren ſpitzen Reisſtroh— dächern: in Allem erblickte ich alte, liebe Bekannte, welche die halbvergeſſenen Erlebniſſe einer längſt entſchwundenen, aber glücklichen Vergangenheit in den lebhafteſten Farben mir vor die Augen führten. Nur die Fluren der Huerta ſelbſt boten einen ganz andern Anblick dar, als damals, wo ich dieſelben zum letzten Male (im März 1846) ge— ſehen hatte. Anſtatt der wogenden Weizenſaaten bedeck— ten über mannshohe Maispflanzungen und üppige Ge— müſefelder den Boden, ſo weit man denſelben zwiſchen

172 Melonen. Ankunft in Valencia.

den Tauſenden von Maulbeerbäumen überſehen konnte. Vor allen Hausthüren, an den Eingängen aller Gärten, lagen große Haufen friſch abgepflückter Melonen aufge⸗ ſchichtet, die den Vorübergehenden für einen Spottpreis zum Kauf angeboten wurden, und in allen Ortſchaften verfolgten uns Kinder mit Körbchen voll dieſer köſtlich duftenden Früchte“). Ehe ich es mich verſah, tauchten die Thürme von Valencia aus dem Walde von Frucht⸗ bäumen empor, welcher nach allen Seiten hin den Hori- zont begränzt, und bald weckte mich das lärmende Volks- gewühl des Arrabal de Murviedro aus meinen ſtil— len Träumereien. Die Schelle der Metropolitankirche brummte eben ein Uhr, als ich durch die alterthümliche Puerta de Serranss in die geräuſchvolle Stadt hin— einritt, wo ich in demſelben Gaſthofe, in dem ich in den Jahren 1844 und 1846 logirt hatte, in der am Platze des Erzbiſchofs gelegenen Fonda del Cid, die ſich un— terdeſſen in ein ſehr elegantes und vortreffliches Hötel verwandelt hatte, und deſſen Beſitzer mich ſofort als einen

) Die valencianiſchen Melonen find wegen ihrer Güte in ganz Spanien geſchätzt und wahrſcheinlich die beſten in Europa. Der Anbau dieſer Frucht wird im Königreich Valencia im größten Maaß— ſtabe betrieben. Die jährliche Production der Huerta von Valencia allein veranſchlagt man auf 30,000 Dutzend Stück. Man baut eine große Menge von Spielarten. Von der beiten Sorte, den berühm⸗ ten Melonen von Foyos (einem Dorfe der Huerta) koſtet das

Stück zur eigentlichen Melonenzeit (im Auguſt) auf dem Markte von Valencia höchſtens einen Real oder zwei Silbergroſchen.

Verſchönerungen Valencia's. Der Marktplatz. 173

alten Bekannten begrüßte, auf längere Zeit meine Woh— nung nahm. Ich kann nicht läugnen, daß es mir un— endlich wohl that, mich nach einem zweimonatlichen Um— hertreiben in ſchlechten, oder wenigſtens unwohnlichen Poſaden wieder einmal von allen Annehmlichkeiten euro— päiſcher Geſittung umgeben zu ſehen; allein der Jubel, mit dem ich die Thürme von Valencia begrüßt hatte, achte bald einer innern Angſt, einer böſen Ahnung Platz, ie mich fortan nicht mehr verlaſſen wollte und mich des Nachts oft mit nicht bedeutungsloſen Traumbildern quälte, als ich daſelbſt beſtimmt erwartete Briefe aus der Hei— math nicht fand und auch während meines ganzen drei— wöchentlichen Aufenthalts keinen einzigen erhielt.

Valencia hat ſich ſeit meinem erſten Aufenthalte daſelbſt ungemein, aber zu ſeinem Vortheile, verändert. s ſind eine Menge neuer, ſchöner Gebäude entſtanden, durch welche die finſtere Stadt ein freundlicheres Anſehen ewonnen hat. Der Marktplatz, wo man früher entweder urch den Staub halb erſtickt wurde oder im Kothe ſtecken lieb, iſt ganz und gar mit großen Steintafeln belegt und außerdem erweitert worden, und bietet jetzt, da auch ehrere alte Häuſer durch neue, geſchmackvolle Bauten rſetzt worden find, einen impoſanten Anblick dar. Wäh— end man ehedem nicht wagen durfte, in den ſpätern bendſtunden oder bei Nacht auszugehen, indem die wink— igen, engen Gaſſen bei der kärglichen Oelbeleuchtung un—

174 Die Glorieta und Alameda.

zähliche Schlupfwinkel für Taſchendiebe und raubſüchtiges Geſindel darboten, kann man jetzt, wo die ganze Stadt bis in die entlegenſten Winkel ſehr gut mit Gas beleuch— tet iſt, ohne alle Beſorgniſſe zur einſamſten Nachtſtunde alle Stadtheile paſſiren. Ausnehmende Verſchönerungen haben die Promenaden erlitten. Die reizende Glorieta, dieſer wahrhafte Garten der Hesperiden, iſt nach einem ganz neuen und viel geſchmackvolleren Plane angelegt wor— den und bietet jetzt Abends, wo zahlreiche Gasflammen ihr blendendes Licht über die von Myrthen- und Olean⸗ derbüſchen umhegten Blumenbosquets und über die von Orangen-, Granaten- und amerikaniſchen Laubbäumen, von Palmen und Bambusrohr beſchatteten Gänge dieſes ele— ganten, mit weißmarmornen Ruhebänken, Statuen und Fontainen geſchmückten Raumes ausgießen, einen zaube— riſchen Anblick dar. Die ſteifen altfranzöſiſchen Blumen- gärten der Alameda jenſeits des Turia haben neuen, in engliſchem Styl ausgeführten Parkanlagen mit reizenden Blumenbosgquets tropiſcher Prachtgewächſe weichen müffen! und an mehreren Stellen in den Umgebungen der Stadt ſind ganz neue Promenaden geſchaffen worden. Eine mich im höchſten Grade überraſchende Veränderung hat auch der botaniſche Garten erfahren. Während derſelbe noch im Jahre 1844 nur dem Namen nach ein botaniſcher war, indem wenig mehr als Orangen, Citronen, Roſen und gemeine Zierpflanzen cultivirt wurden, befindet er ſich

Der botanifhe Garten. 175

gegenwärtig in einem ziemlich geordneten Zuſtande und im Beſitz von mehr als 6000 Pflanzenarten. Es iſt ein ziem— lich großes Glashaus, das aus einer warmen und halb— warmen Abtheilung beſteht, erbaut worden, und ein zweites größeres ſollte 1854 errichtet werden. In dem warmen Haufe wurden 1850 gegen 130 Arten tropiſcher Orchideen und gegen 50 Arten Palmen, in dem halbwarmen unter an— dern eine ziemlich bedeutende Anzahl tropiſcher Farren— kräuter gezogen. Eine Menge von Craſſulaceen und Cac— teen, desgleichen neuholländiſcher und cap'ſcher Pflanzen befindet ſich auch im freien Lande. Gleichzeitig wird durch Bewäſſerung, Anlegung künſtlicher Felſen und Gebüſche alles Mögliche gethan, um Pflanzen kälterer Klimate, als des valencianiſchen, cultiviren zu können. Dieſe plötzliche und vortheilhafte Veränderung des valencianiſchen Gar— tens iſt faſt gänzlich das Verdienſt des dermaligen Rec— tors der Univerfität, Don Francisco Carbonell. Dieſer ebenſo gelehrte, als energiſche, und dabei ſehr ver— mögende Mann, deſſen Bekanntſchaft ich bereits im Jahre 1844 machte, wo derſelbe Geke politico der Provinz Va— lencia und als ſolcher wegen feiner unbeugſamen Strenge und ſeines wohl häufig ziemlich despotiſchen Verfahrens im ganzen Lande gefürchtet war, ſcheint es ſich feſt vorgenom— men zu haben, den zu ſeiner Univerſität gehörenden Gar— ten um jeden Preis emporzubringen. Carbonell iſt nicht Botaniker, ſondern Diplomat, intereſſirt ſich aber auf das

176 Der botaniſche Garten.

Lebhafteſte für Naturwiſſenſchaften, namentlich für Zoo⸗ logie und Botanik. Unter ſeinem Rectorat hat das früher ebenfalls höchſt unbedeutende zoologiſche Kabinet der Uni— verſität bedeutend zugenommen. Der Director dieſes Ka— binets iſt der Profeffor Don Ignacio Vidal, welcher ein tüchtiger Zoolog ſein ſoll. Das eigentliche Stecken— pferd Carbonell's iſt aber der botaniſche Garten. Car- bonell hat, wohl etwas despotiſch verfahrend, das ge— ſammte ältere Perſonal entfernt, mit Ausnahme des Pro- feſſors der Botanik, Don Joſé Pizeueta, der ſchon im Jahre 1844 Director des Gartens war und es noch iſt, freilich mehr dem Namen nach, als in der Wirklich— keit; hat einen geſchickten und wiſſenſchaftlich gebildeten franzöſiſchen Gärtner, Mr. Jean Robillard, einen jungen, eifrigen Mann, herbeigerufen, und, da die dem Garten zu Gebote ſtehenden Mittel zu unbedeutend ſind oder wenigſtens waren, um den Garten emporzubringen, bedeutende Summen aus ſeinem eigenen Vermögen her— | gegeben. Mr. Robillard hat ſich mit den bedeutendften | Gärten Europa's in Verbindung gefeßt, wodurch es ihm unter Carbonell's mächtigem Schutze gelingen wird, die Zahl der im Garten bereits vorhandenen Gewächſe bin— nen Kurzem zu verdoppeln und zu verdreifachen. Man bedenke das herrliche Klima von Valencia, welches er— laubt, neuholländiſche und Cappflanzen im freien Lande zu ziehen, den vortrefflichen Boden, den Ueberfluß an

Leben in Valencia zur Zeit der Badeſaiſon. 177

Waſſer, die fortwährend feuchte und nie zu heiße Luft —, und man wird zugeben müſſen, daß hier alle Erforder— niſſe vorhanden ſind, um ein großartiges botaniſches Eta— bliſſement zu gründen.

Mein Aufenthalt in Valencia traf gerade in die Saiſon der Seebäder, welche Anfang Juli beginnt und bis in den September dauert. Während dieſer Zeit ge— ſtaltet ſich das Leben in Valencia ganz eigenthümlich. Alle Welt, Männer und Frauen, Jung und Alt, nimmt Seebäder, weshalb vom früheſten Morgen bis tief in die Nacht hinein der regeſte Verkehr zwiſchen der Stadt und dem Grao oder dem Hafenorte, in deſſen Nähe die Bade— plätze liegen, ſtattfindet. Fortwährend iſt die ſchöne Straße, welche Valencia mit dem Grao verbindet, mit zwei lan— gen Zügen von „Tartanen“, jenen eigenthümlichen valen— | cianiſchen Fuhrwerken, die ich in meiner erſten Reiſebe— ſchreibung ausführlich geſchildert habe, bedeckt, von denen der eine von Valencia nach dem Grao, der andere vom Grao nach Valencia geht. Alle Tartanen fahren im ſchnell— ſten Lauf; zwiſchen den beiden Tartanenreihen ſprengen noch Reiter hin und her; lange Züge von Maulthieren und Eſeln, mit Lebensmitteln, Früchten, Wein, Geräth— ſchaften beladen, bewegen ſich in der Mitte oder zu bei— den Seiten der Tartanenreihen langſam von Valencia nach dem Grao, oder kehren leer in raſchem Laufe von da nach der Stadt zurück; die breiten Sandwege zu bei—

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 12

178 Der Gabanal.

den Seiten der prächtigen Allee ſind mit einer Menge Fußgänger bedeckt: kurz, die Straße nach dem Grao bie- tet während der Badezeit ein ſo buntes und bewegtes Leben dar, wie ich mich kaum erinnern kann, anderswo geſehen zu haben. Noch bunter, noch bewegter wird das Leben, ſobald man den Grao ſelbſt betritt. Ein lärmendes Volksgewühl erfüllt die Hauptſtraße und beſonders die Umgebungen des Hafens. Nirgends aber concentrirt ſich das eigentliche Badeleben mehr, als in dem ſogenannten Gabanal oder der an der nordöſtlichen Seite des Grao gelegenen Badeſtadt. Es befinden ſich hier nämlich viele Hunderte von Hütten und Zelten, welche in regelmäßige, parallel laufende Gaſſen geordnet ſind und eine förmliche Stadt von ziemlicher Ausdehnung bilden. Viele dieſer Hütten, welche ſämmtlich ſpitze, mit Reisſtroh oder ſpa⸗— niſchem Rohr gedeckte Dächer beſitzen, haben ſteinerne Mauern, viele andere ſind blos aus Balken und Brettern gezimmert; noch andere beſtehen blos aus einem einfachen Stangengerüſt, deſſen Zwiſchenräume man mit Geflechten von ſpaniſchem Rohr ausgefüllt hat. Alle dieſe Hütten bieten äußerlich ein ganz ländliches Anſehen dar, ſind aber im Innern, beſonders die ſteinernen, oft mit großem Luxus ausgeſchmückt. Jede Hütte zerfällt in mehrere Ab- theilungen, in ein Geſellſchaftslocal, eine Küche, Vorraths— kammer und Schlafgemächer. Nicht ſelten befindet ſich hinter der Hütte ein eleganter Garten, indem man in

Der Cabal. 479

eine Umhegung von ſpaniſchem Rohr Gebüſche aus in Kübeln ſtehenden Orangen- und andern Sträuchern, und Blumenbosquets aus Topfpflanzen gebildet hat, denn der Boden ſelbſt, welcher ellentief aus purem dürrem Flugſande beſteht, geſtattet keine natürlichen Gartenanlagen. Selbſt Fontainen fehlen in dieſen kleinen künſtlichen Gärten nicht, in welche man von den Gaſſen aus durch die offenſtehen— den Thüren der Hütten hineinſchauen kann. In dieſer ſeltſamen Hüttenſtadt lebt während der Badeſaiſon die geſammte haute volée von Valencia, ſowohl der Adel, als die reichen Kaufleute, die Beamten und Alle, deren Mittel es erlauben, ſich eine „cabana“ (Hütte) zu mie- then oder zu kaufen. Die Kaufleute und Beamten fah— ren des Morgens, nachdem ſie gebadet haben, in die Stadt und kehren Abends von da wieder nach dem Ca— banal zurück. Daß es daſelbſt auch an öffentlichen Ver— gnügungsorten, an Fondas, Cafés, Caſas de reereo nicht mangelt, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Während des Vormittags und in den erſten Nachmittagsſtunden geht es in den Gaſſen des Cabanal ziemlich ruhig zu, obwohl immer eine Menge von Tartanen und Fußgängern vom Grao durch den Cabanal hindurch nach den Bade— plätzen und zurück ſtrömt; dagegen entwickelt ſich in den ſpätern Nachmittagsſtunden und beſonders nach Sonnen— untergang daſelbſt ein äußerſt buntes und geräuſchvolles Leben. Am beſuchteſten und deshalb auch am beſuchens— 12 *

180 Sonntagsleben im Gabanal.

wertheſten iſt der Cabanal Sonntags Nachmittags gegen Sonnenuntergang. Um dieſe Zeit findet große Prome— nade in den Hauptſtraßen des Gabanal ſtatt. Die Da⸗ men, auf das Eleganteſte gekleidet, ſitzen theils vor den Eingängen der Hütten und Zelte, theils promeniren ſie in Begleitung der Herren zu beiden Seiten des mit dem bunteſten und lärmendſten Volksgewühl bedeckten Mittels weges. Desgleichen ſind alle Gaſſen des Grao, ſowie der Strand zu beiden Seiten deſſelben, wo ſich die Bä— der befinden, mit Volksmaſſen bedeckt, welche ſich auf ver: ſchiedene Weiſe beluſtigen. Man kann die Menſchenzahl, welche an einem Sonntag Nachmittag während der Bade— ſaiſon in und um den Umgebungen des Grao und des Cabanal verſammelt iſt, auf mindeſtens zwanzigtauſend veranſchlagen. Ich habe niemals und nirgends ein bun- teres Volksgewühl geſehen! Nach Sonnenuntergang ſcheidet ſich die Geſellſchaft in beſtimmte Coterieen. Die haute volée zieht ſich in das Innere der Hütten oder in die dahinter liegenden Gärten zurück, welche dann mit bunten Papierlaternen erleuchtet zu ſein pflegen und des— halb einen ſehr heitern Eindruck machen; oder ſie con— centrirt ſich zu größern Zirkeln, welche ſich unter geräu— migen, elegant verzierten und glänzend erleuchteten Zel— ten verſammeln, um daſelbſt veranſtalteten Concerten und theatraliſchen Vorſtellungen beizuwohnen, oder ſich mit Geſellſchaftsſpielen und Tanz zu vergnügen. Damals ka⸗

Sonntagsleben im Cabanal. Einrichtung der Badehütten. 181

men hier auch die „lebenden Bilder“ (cuadros vivos) auf, welche theils von Mitgliedern des Theaters, theils von Dilettanten, jungen Herren und Damen der höhern Stände, ausgeführt wurden und außerordentlichen Beifall fanden. Die niedern Stände ziehen ſich in die zahlloſen Weinkneipen des Grao und Cabanal zurück, und durch— ſchwärmen hier die Nacht im Scheine flackernder Heerd— feuer beim Weinkruge und Guitarrenſpiel, während der Mittelſtand, der Bürger, der eigentliche valencianiſche Philiſter, nach der Stadt zurückkehrt. Erſt nach Mitter— nacht pflegt das Treiben im Cabanal ruhiger zu werden; die Weinkneipen entleeren ſich dann allmälig, die bunten Laternen verlöſchen, die Muſik verſtummt, Jedermann be— giebt ſich in ſeine Wohnung, und um 2 oder 3 Uhr Mor: gens liegt der ganze Cabanal dunkel und regungslos da unter dem tiefblauen, ſternenbeſäten Himmel.

Die Badeplätze befinden ſich längs des Strandes nördlich und ſüdlich vom Hafen des Grao. Hier liegen dem Grao zunächſt die Badeplätze für die Herren, einen Büchſenſchuß davon entfernt die Badeplätze für die Da— men. Es ſind daſelbſt eine Menge von mit Segeltuch gedeckten Barraken von ſpaniſchem Rohr errichtet, deren Inneres aus einem Mittelgange und einer Menge zu bei— den Seiten deſſelben liegenden Stübchen beſteht. In je— dem Stübchen findet man ein paar Rohrſtühle und einen Spiegel. Außerdem bekommt man einen Kamm, ein Hand—

182 Die Seebäder bei Valencia.

tuch, Badehoſen und einen unförmlichen Strohhut gegen den Sonnenſchein. Bei der Rückkehr aus dem Bade be⸗ kommt man, ſowie man den Boden betritt, ein großes Betttuch, um ſich darein zu hüllen und dadurch vor jeder Erkältung zu ſchützen, ſowie ein paar Strohſandalen, da⸗ mit man ſich die Füße nicht beſchmutze. In dem Bade⸗ ſtübchen findet man friſches Brunnenwaſſer, um ſich die Hände und das Geſicht waſchen zu können. Ein Seebad koſtet mit dem ganzen Zubehör blos 6 Cuartos (etwa 15 Pfennige), gewiß ein billiges Vergnügen! Um ſich nicht zu erhitzen, fährt man nach Valencia zurück, wozu ſich immer Gelegenheit darbietet. Der gewöhnliche Preis für einen Sitz in einer Tartane beträgt 4 Cuartos; ſind wenig Paſſagiere, ſo muß man etwas mehr bezahlen. Ueber einen Real (2 Silbergroſchen) habe ich nie bezahlt, wenn ich auch ganz allein in einer Tartane gefahren bin. Der Strand iſt beim Grao außerordentlich flach, ſo daß man eine weite Strecke in das Meer hineingehen kann, bevor einem das Waſſer bis an's Kinn reicht. Der Boden beſteht aus feſtem, feinem Sande, der Wellenſchlag iſt bei ruhigem Wetter ſanft, die Brandung am Strande unbe⸗ deutend und daher das Baden außerordentlich ſchön. Es iſt eine Wonne, ſich von den lauen, kryſtallhellen Fluthen des mittelländiſchen Meeres wiegen zu laſſen und auf die weite azurblaue Fläche hinauszuſchauen, die fortwährend von einer Menge von Schiffen und Fiſcherböten bedeckt zu ſein pflegt.

Sechſtes Kapitel.

Reiſe über Cuenca nach Madrid.

Ich hatte blos acht Tage in Valencia zu bleiben beab— ſichtigt; allein der Umſtand, daß ich daſelbſt einen erwar— teten Creditbrief von Cadiz nicht fand und warten mußte, bis derſelbe anlangte, ſowie daß ich die mitgebrachten Sammlungen wegen des unregelmäßigen Eintreffens der Dampfſchiffe nicht ſo raſch nach Marſeille expediren konnte, wie ich gehofft hatte, verlängerte meinen Aufenthalt um mehr als eine Woche. Erſt am Morgen des 23. Auguſts konnte ich meine letzten während dieſer Zeit in den Um— gebungen Valencia's gemachten Sammlungen einſchiffen, und noch denſelben Nachmittag ſtieg ich wieder zu Pferde, um wohl das letzte Mal! von Valencia und ſei— ner paradieſiſchen Huerta zu ſcheiden. Mein nächſtes Reiſeziel war Cuenca. Dort wollte ich etwa acht Tage verweilen und einige Ausflüge in das benachbarte, wilde Bergland der Serrania de Cuenca machen. Allein dieſer

184 Ankunft in Chiva. Zuſammentreffen mit alten Bekannten.

Plan ſcheiterte an der Unzulänglichkeit meiner Mittel, welche mich zwang, ohne Aufenthalt unterwegs mich nach Madrid zu begeben, wo ich Freunde und Bekannte beſaß und daher hoffen durfte, ſelbſt im Falle, daß die ver— ſprochenen Geldſendungen ausblieben, wie es wirklich ge— ſchah, nicht ganz ohne alle Unterſtützung zu ſein.

Die Straße nach Cuenca führt über Chiva, woſelbſt ich im Jahre 1844 zwei Wochen geweilt hatte. Durch Carbonell wußte ich, daß mit Ausnahme des Richters Pardo, welcher fortgegangen war, alle meine Bekaunten von damals noch daſelbſt lebten, weshalb ich beſchloß, in Chiva einen Tag zu bleiben. Es war bereits dunkel, als ich daſelbſt ankam. Ich kehrte in denſelben Gaſthof ein, wo ich 4844 gewohnt hatte, fand ihn indeſſen in Anderer Hände, indem die ehemalige Beſitzerin geſtorben war. Sonſt hatte ſich nichts verändert, ſelbſt nicht das Ameublement der Zimmer. Während ich zu Abend ſpeiſte, trat eine ältliche Frau in mein Zimmer, welche mich bei meinem Namen als einen alten Bekannten herzlich begrüßte. Ich erkannte in ihr ſofort die Sefiora Dorotea, die Haushälterin des Richters Pardo, in deren Hauſe ich während meines erſten Aufenthalts in Chiva täglich zu ſpeiſen pflegte. Sie hatte mich auf dem Balcon ſtehen ſehen und mich ſogleich erkannt. Bald darauf kam auch ihr Mann, Manuel Redondo, der mich damals ſo oft auf meinen Ausflügen mit ſeinem Maulthiere begleitet

Aufenthalt in Chiva. 185

hatte, ſowie noch mehrere andere Bewohner von Chiva, die ſich noch meiner erinnerten und mich zu ſehen wünſch— ten. Die Nachricht von meiner Ankunft hatte ſich wie ein Lauffeuer durch das ganze Städtchen verbreitet. Alle begrüßten mich mit ungeheuchelter Herzlichkeit gleich einem Verwandten und boten mir ihre Dienſte an. Dieſe un— eigennützige Freundſchaft wildfremder Menſchen rührte mich ordentlich und ich vermochte es daher nicht, ihnen die Bitte, noch einen Tag mehr in ihrer Mitte zu ver— weilen, abzuſchlagen. Den folgenden Morgen beſuchte mich auch der Zimmermann Victoriano, mein ehrlicher und uneigennütziger Führer von 1844, der Abends zuvor durch Unpäßlichkeit abgehalten worden war, mir ſogleich ſeine Dienſte anzubieten. In ſeiner Begleitung beſtieg ich am Vormittag das Caſtell, um mich noch einmal an der reizenden Ausſicht, welches daſſelbe über die reichbe— baute Ebene und nach der romantiſchen Sierra darbietet, zu ergötzen, und machte des Nachmittags einen Beſuch bei Don Francisco Carbonell, der in der Nähe von Chiva eine ſehr hübſche Quinta (Villa) beſitzt und bereits ſeit mehreren Tagen daſelbſt weilte. Es gehören zu dieſer Quinta große Weinpflanzungen, welche ſchon voller reifer Trauben hingen. Man war eben mit der Bereitung der Roſinen beſchäftigt. Dieſe geſchieht auf folgende Weiſe. Die abgeſchnittenen Trauben man wählt zu den Ro— ſinen die reifſten werden locker in große Bottiche ge—

186 Die Bereitung der Rofinen. Ein Ausflug in die Sierra.

legt, welche man hierauf vermittelſt Röhren, die mit einem oder mit mehreren enorm großen Waſſerkeſſeln communi⸗ ciren, mit kochend heißem Waſſer anfüllt. Nachdem die Trauben einige Minuten lang in dem heißen Waſſer ge— legen haben, wird dieſes aus den Bottichen abgelaſſen, worauf man die gebrühten und dadurch welk gewordenen Trauben herausnimmt und dieſelben auf Espartomatten oder auf großen leinenen oder hänfenen Tüchern ausbrei⸗ tet und den Sonnenſtrahlen ausſetzt. Hier bleiben ſie, bis die Beeren vollkommen zuſammengeſchrumpft und trocken geworden ſind. Während des Trocknens müſſen ſie vor Thau und Regen behütet werden, ſonſt verderben ſie ſehr leicht, indem ſich Schimmel bildet. Ein einziger Platzregen kann die ganze Roſinenernte vernichten. Die vollkommen erhaltenen Trauben werden ſodann in Kiſten oder Fäſſer gelegt, während man die abgefallenen, ein— zeln getrockneten Beeren in Säcke verpackt. Letztere ſind die gewöhnlichen großen Roſinen, erſtere die ſogenannten Traubenroſinen. Den folgenden Tag benutzte ich zu einer Excurſion in die Sierra, auf welcher mich Manuel begleitete. Wir ſtiegen über die Kuppe der Caſoleta hinweg in die romantiſche Felsſchlucht des Barranco de Andiga hinab und kehrten von hier durch den Bar— ranco de Balleſteros nach Chiva zurück“).

) Ueber die hier angeführten Localitäten vergl. meine erſte Reiſebeſchreibung, Band I., viertes Kapitel. |

Abreiſe von Chiva. Die neue Straße nach Madrid. 487

Tags darauf, an einem Sonntage, verließ ich end— lich Chiva und reiſte bis Requena. Weder Manuel, noch deſſen Frau, noch Victoriano waren zu bewegen, für die vielen Gefälligkeiten, welche fie mir erzeugt hats ten, die geringſte Vergütung anzunehmen; ja, Dorotea hatte noch die „Alforjas“ meines Packpferdes mit Lebens— mitteln, als Schinken, Käſe, Brod, Melonen, Weintrau— ben, Roſinen, getrockneten Feigen und geröſteten Mandeln auf das Reichlichſte verſehen. Ich muß geſtehen, daß es mir ordentlich leid that, von dieſen guten Leuten auf immer Abſchied nehmen zu müſſen, ohne ihnen den ge— ringſten Beweis meiner Erkenntlichkeit geben zu können. Es war ein furchtbar heißer Morgen. Zugleich herrſchte ein erſtickender Staub auf der Chauſſee, da es hier ſeit vielen Wochen nicht geregnet hatte und dieſe Straße ge— genwärtig ſehr frequentirt iſt. Dieſelbe führt bis nach Madrid und war erſt kurz zuvor beendet worden. Bei meinem erſten Aufenthalte in Chiva hatte man die Straße erſt bis zu den Ven tas de Bunol fortgeführt. Dieſe neue Chauſſee iſt um vieles kürzer, als die ältere über den Puerto de Almanſa, Albacete und Ocana, die ich in meinem erſten Reiſewerke geſchildert habe, und wird eben deshalb von allem nach Madrid beſtimmten Frachtfuhr— werk, desgleichen von den Poſten, Diligencen und Arrie— ros benutzt. Parallel mit dieſer ſehr ſchön gebauten und vortrefflich unterhaltenen Chauſſee läuft die Telegraphen—

188 Kunſtbauten um Siete Aguas. Geitaltung der Gegend.

linie zwiſchen Valencia und Madrid. Bald hinter den Ventas de Bunol, wo ich ein paar Stunden raſtete, um zu Mittag zu eſſen und die Zeit der größten Hitze vorübergehen zu laſſen, tritt die Straße in die Vorberge der Sierra von Chiva oder in die Montanas de las Cabrillas ein und beſteht von hier an faſt ununter— brochen aus Durchſtichen durch Hügel und Bergkämme und aus Brücken und Viaducten über Bäche und Thäler. Die meiſten und bedeutendſten Kunſtbauten befinden ſich zwiſchen Siete Aguas, welcher Ort rechts bleibt, und Requena. Dieſer Theil der Chauſſee muß enorme Sum⸗ men gekoſtet haben, denn die Brücken und Viaducte ſind ſämmtlich aus Sandſtein- und Marmorquadern erbaut. Von den Ventas von Bunol an erhebt ſich die Straße bedeutend, von einem Höhenkamme zum andern empor⸗ ſteigend. Der prächtige Anbau verſchwindet, bald auch die Oel- und Johannisbrodbäume, welche um Chiva und! Bunol alle Hügel bedecken. Die Gegend wird allmälig kahl, öde und entvölkert. Trotzdem, daß die Straße fichll immer höher erhebt, bietet fie wenig Ausſicht dar, indem fie meiſt zwiſchen Höhenzügen hinläuft. Bald hinter Siete Aguas nimmt das Land einen entſchiedenen Pla- teaucharakter an. Die blaſenartig aufgetriebene Oberfläche deſſelben tft von tiefen, felſigen Schluchten durchſpalten und entweder völlig kahl oder mit niedrigem Gebüſch bei deckt. Man überſchreitet hier die Gränze Neucaſtiliens.“

Die Stadt Requena und ihre Umgebungen. 189

Die Sonne war bereits untergegangen, als wir an den letzten der von den Montafas de las Cabrillas auslau— fenden Kämme gelangten und von hier aus eine weite, grüne, von zerſtreuten Caſerios wimmelnde Ebene vor uns erblickten, an deren entgegengeſetztem Ende die Thürme von Requena aus reichem Baumwuchſe hervorragten. Um halb 9 Uhr trafen wir in dieſer Stadt ein, woſelbſt wir bis zum andern Morgen verweilten.

Re quena, eine ziemlich regelmäßig und freundlich gebaute, lebhafte Stadt von 7000 Einwohnern, gehört zur Provinz von Cuenca und liegt zwiſchen zwei kleinen Bächen unweit des linken Ufers des aus der benachbar— ten Serrania kommenden Rio Ranera, welcher hier den Namen Rio de Requena empfängt und im Verein mit dem Rio Cabriel die weite Ebene, deren Mittelpunkt die Stadt bildet, bewäſſert. Dieſe etwa drittehalbtauſend Fuß über das mittelländiſche Meer erhabene Ebene, die öſtliche Fortſetzung der gewaltigen Centralebene Neucaſti— liens, gehört zu den wenigen Gegenden Centralſpaniens, welche ſich durch ſorgfältigen Anbau und üppige Frucht— barkeit auszeichnen. Man glaubt hier nicht in Caſtilien, ſondern noch in Valencia zu ſein; denn wohin man die Augen wendet, erblickt man wohlgepflegte, ſorgſam be— wäſſerte Gemüſefelder, Maulbeerbaumpflanzungen, Weizen-, Mais⸗ und Hanffluren, Obſtbaumplantagen und Weingär— ten. Dieſe, wie in den baskiſchen Provinzen, mit ein—

190 Producte und Einwohner von Requena. Der Flecken Utiel.

zelnen Häuſern (den Caserios de Requena) beſtreute Ebene, die einen Durchmeſſer von drei bis vier Stunden hat, erzeugt eine große Menge vortrefflichen Obſtes, Gartenfrüchten aller Art, Getreide, Hanf und Seide. Auch viel Wein wird hier producirt; derſelbe ſteht in— deſſen den Weinen des benachbarten Valencia und auch den übrigen Weinen Neucaſtiliens weit nach. Wenigſtens war der Wein, den ich in Requena in meinem ſonſt recht guten Gaſthofe zu trinken bekam, herzlich ſchlecht. Re⸗ quena beſitzt drei Kirchen und drei Klöſter, ſowie ein ſtark befeſtigtes Fort. Seine Einwohner gelten für ſehr lebens⸗ luſtige, beſonders dem Tanz, der Muſik und der Liebe leidenſchaftlich ergebene Menſchen. Ob ſie dieſen Ruf verdienen, kann ich nicht beurtheilen.

Am frühen Morgen des 26. Auguſt ſetzte ich meine Reiſe weiter fort. Die Straße läuft bis Utiel, einem großen, freundlichen, volkreichen Flecken, durch einen der ſchönſten Theile der Ebene von Requena und iſt zu bei⸗ den Seiten von hohen Ulmen beſchattet. In Utiel ver: ließ ich dieſelbe, da ſie einen gewaltigen Bogen nach Weſten zu beſchreibt, um die ſüdweſtlichen Verzweigungen der Serrania de Cuenca zu umgehen, und ſchlug einen Saumpfad ein, welcher in gerader Richtung, mitten durch das waldbedeckte Bergland der Serrania über die Ort— ſchaften los Corrales, Camporobres, Mira, Vil— lora, Cardenete, Carboneras, Canada del Hoyo,

Die Serrania de Cuenca. 194

las Zomas und Mo horte nach Cuenca führt. Dieſer Weg iſt allerdings ſehr einſam und deshalb als unſicher verſchrieen und kann hier und da leicht verfehlt werden; auch ſind die Poſaden der genannten Ortſchaften wegen der geringen Frequenz der Reiſenden ſehr ſchlecht; allein einestheils wünſchte ich wenigſtens einen Theil der be— rühmten Serrania von Cuenca zu ſehen, anderntheils mußte ich darauf bedacht ſein, möglichſt wenig Geld ausgeben zu dürfen, wollte ich nicht meine Kaſſe erſchöpft ſehen, noch lange bevor ich Madrid erreicht hatte. Dieſer letz— tere Grund beſtimmte mich vorzüglich, den angegebenen Saumpfad zu wählen, indem man hier ſehr billig reiſen kann, aus dem einfachen Grunde, weil in den Ortſchaf— ten und ihren Wirthshäuſern nichts zu haben iſt.

Bald hinter dem eine Stunde von Utiel entfernten Dorfe los Corrales, deſſen ärmliche Gebäude bereits die für Neucaſtilien und Aragonien charakteriſtiſche erd— fahle Farbe beſitzen, beginnen die erſten Kämme und His gelreihen der Serrania de Cuenca. Man verſteht unter dieſem Namen das weit verzweigte Bergland, wel— ches ſich auf den höchſten Anſchwellungen des Plateau von Neucaſtilien oder des ſüdlichen Tafellandes zwiſchen dem Hügelgelände und den Ebenen des Centrums Neucafti- liens und dem der tiefen Mulde des Ebrobaſſins zuge— kehrten Oſtabhange deſſelben Tafellandes erhebt. Dieſes Bergland beſitzt einen Durchmeſſer von 15 bis 20 geo—

192 Orographiſche Schilderung der Serrania.

graphiſchen Meilen, erreicht in ſeinen höchſten Gipfeln eine Höhe von beinahe 5000 Fuß und bildet die Waſſer⸗ ſcheide zwiſchen den Gebieten des Tajo, Ebro und der Küſtenflüſſe des Königreichs von Valencia, mithin die Waſſerſcheide zwiſchen dem atlantiſchen und mittelländi⸗ ſchen Meere. Man findet die Serrania de Cuenca auf den Karten gewöhnlich als eine von einem centralen Bergknoten, den man an die Quellen des Tajo verſetzt, nach allen Richtungen hin ſtrahlig ſich verzweigende Ge—

birgsgruppe dargeſtellt. Eine ſolche Dispoſition iſt in der Wirklichkeit durchaus nicht vorhanden. Die Serrania de Cuenca iſt weniger ein zuſammenhängendes, regelmä⸗ ßig gegliedertes Gebirge, als vielmehr ein hohes, von vielen Thälern durchfurchtes Plateau, deſſen einzelne, zwiſchen den Thälern befindlichen Abtheilungen von nie— drigen, meiſt parallel in der Richtung von Norden nach Süden oder von Nordweſt nach Südoſt verlaufenden Berg⸗ ketten durchzogen ſind, auf und zwiſchen denen ſich hier und da einzelne höhere Kuppen von meiſt tafelartig ab— geplatteter Geſtalt erheben. Die bedeutendſten Berggipfel befinden ſich am Oſtrande der Serrania auf der oberſten Stufe des dem Becken von Teruel zugekehrten Terraſſen⸗ abhangs. Hier liegt unter andern die berühmte Muela de San Juan, ein 4400 Fuß hoher Tafelberg, an deſ— ſen Abhängen vier bedeutende, nach verſchiedenen Rich— tungen ſtrömende Flüſſe entſpringen, nämlich der Tajo,

4 Flüſſe der Serrania. 193

Jucar, Cabriel und Turia. Von dem Laufe des zuletzt genannten Fluſſes iſt ſchon im dritten Kapitel die Rede geweſen. Er gehört nur zum kleinen Theil der Serrania an, indem er ſehr bald in das Becken von Te— ruél und ſpäter in die valencianiſchen Gebirge eintritt, welche allerdings mit der Serrania zuſammenhängen, je— doch nicht als integrirendes Glied derſelben zu betrachten ſind. Die drei übrigen Flüſſe dagegen müſſen die ganze Serrania durchſtrömen, um in das Flachland Neucafti- liens zu gelangen, welches der Jucar und Cabriel ſehr bald abermals verlaſſen, um durch die hohen Mauern der valencianiſchen Gebirge hindurch ihre Gewäſſer dem mit— telländiſchen Meere zuzuführen. Dieſe drei Flüſſe nebſt den zwiſchen ihnen ſtrömenden und ſpäter in ſie münden— den Flüſſen Moya, Guadacaon, Guadiela und Gallo, welche im Süden, Weſten und Norden der Muela de San Juan entſpringen, haben die Hauptthäler der Serrania ausgehöhlt, welche zuſammen allerdings einen Fächer bilden, der von der Muela de San Juan und überhaupt vom Oſtrande der Serrania nach Norden, Weſten und Süden ausſtrahlt. Allein die zwiſchen jenen Thälern aufragenden Gebirgsmaſſen erſtrecken ſich keines— wegs in derſelben Richtung, ſondern verlaufen, wie ich ſchon bemerkt habe, ſämmtlich mehr oder weniger in nord— ſüdlicher Direction. Sie erheben ſich, mit wenigen Aus— nahmen, nur unbedeutend über die Oberfläche der zwiſchen

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. I.. 13

194 Relief und Zuſammeuſetzung des Bodens der Serrania.

den Flußthälern befindlichen Plateauſegmente, deren ab— ſolute Höhe im Mittel 3500 Fuß betragen mag, eine Höhe, die wir ſchon bei dem außerhalb der Serrania gelegenen Plateau von Molina kennen gelernt haben, und machen deshalb von fern kaum den Eindruck von Gebirgs— ketten. Zwiſchen denſelben breiten ſich oft geräumige Ebe— nen aus, ſo daß man häufig mitten in der Serrania kaum

in einer gebirgigen Gegend zu fein glaubt. Anders ge-

ſtaltet ſich freilich das Relief des Bodens, ſobald man in eins der genannten Flußthäler eintritt, indem dieſe ſo tief in das Plateau eingeriſſen ſind, daß ihre Abhänge das Bild bedeutender Gebirgsmaſſen darbieten. Desglei— chen mögen die einzelnen, hier und da faſt iſolirt auf— ragenden Hauptgipfel in der Nähe einen recht impoſan— ten Anblick gewähren; von fern dagegen frappiren ſie blos durch ihre eigenthümliche Form, erſcheinen aber nur als unbedeutende Berge. Die geognoſtiſche Zuſammen— ſetzung der Serrania iſt noch wenig gekannt. Die ſüd— weſtlichen Parthieen, durch welche allein mich meine Reiſe geführt hat, beſtehen der Hauptſache nach aus einem gelb— lichen Sandſteine, welcher entweder der Triasperiode oder dem Lias angehört. Bei Cuenca tritt eine mächtige Jura⸗ kalkformation auf; ob dieſelbe mit dem Juragebirge von Molina zuſammenhängt, darüber habe ich nichts in Er— fahrung bringen können. Die höchſten Gipfel der Ser—

rania find vielleicht aus Grauwackenſchiefer oder aus

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Wälder und Heiden der Serrania. 195

juraſſiſchem Dolomit zuſammengeſetzt. Die Serrania de Cuenca iſt in ganz Spanien berühmt, theils wegen ihres Mineralreichthums !), theils und ganz beſonders wegen ihrer Waldungen. Während nämlich die benachbarten Juragebirge Valencia's faſt völlig von Wald entblößt

ſind, breiten ſich auf den Plateau's und an den Abhän⸗ gen der Kämme und Gipfel der Serrania ungeheure

Waldungen von Nadelholz aus. Dies gilt beſonders von der ſüdweſtlichen Hälfte der Serrania; die nordöſtliche iſt weniger holzreich, wenigſtens bei weitem nicht ſo dicht bewaldet, wie die ſüdweſtliche. Hier dagegen giebt es noch förmliche Urwälder, wo der Boden mit vor Alters- ſchwäche niedergeſtürzten, faulenden Baumſtämmen bedeckt iſt, zwiſchen deren Trümmern junge Bäume herangewach— ſen ſind. In vielen Gegenden ſtehen die Bäume ſo dicht, daß man nur kurze Strecken weit in den Wald hinein—

ſehen kann. Dann folgen wieder große Waldblößen,

welche mit aromatiſchem Labiaten-, beſonders Rosmarin— gebüſch, ſowie mit niedrigen Sträuchern verſchiedener Wachholderarten bedeckt zu ſein pflegen und den Eindruck

) Es ſoll ſich namentlich viel Eiſen und Kupfer in der Ser: rania finden. Erſteres deutet auf Lias, letzteres auf Grauwacke. Daß Bergwerke in der Serrania eröffnet worden wären, iſt mir nicht bekannt. An vielen Stellen ſollen ſich große Maſſen von Petrefacten vorfinden. Diejenigen, welche ich im naturhiſtoriſchen Kabinet zu Madrid geſehen habe, meiſt Echiniten, Ammoniten, Korallen und Bivalven gehörten ſämmtlich dem Iuragebirge an.

13 *

196 Die Wälder Spaniens.

unferer Heiden hervorbringen. Dieſelben Sträucher bil: den das Unterholz des Waldes, wo derſelbe licht tft. An manchen Stellen befinden ſich ausgedehnte Holzſchläge, welche mit denſelben eigenthümlichen Heiden erfüllt zu fein pflegen. Dieſe ungeheuern Waldungen, die im Gan⸗

zen einen Flächenraum von mindeſtens 60 Quadratmeilen

einnehmen, beſtehen lediglich aus Nadelholz, und zwar aus Kieferarten.) Theils in den Flußthälern der Ser⸗

) Die vorherrſchende Kieferart iſt Pinus Laricio Poir. Außer ihr nehmen P. Pinaster Ait. und P. halepensis Mill. an der Zu⸗ ſammenſetzung der Waldungen Theil. Darunter gemiſcht, nament⸗ lich an lichten, ſonnigen Stellen, erſcheinen einzelne Bäume von Juniperus rufescens Lk. und J. phoenicea L. Das Wachholder— ſtrauchwerk beſteht ebenfalls aus den beiden obengenannten Juni— perusarten.

Ich kann nicht umhin, hier einige Bemerkungen über die fpa= niſchen Wälder einzuſchalten. Man hört Spanien gewöhnlich ein von Wald entblößtes Land nennen. Ich kann dieſer Anſicht durchaus nicht beipflichten, weiß mir es aber ſehr wohl zu erklä⸗ ren, wie es gekommen iſt, daß dieſe irrige Meinung ſich allgemein verbreitet hat. Faſt Alle, welche Spanien bereiſt haben und noch bereiſen, kennen das Land blos von den großen Straßen her, welche die Hafen- und die großen Provinzialſtädte mit Madrid verbinden. Dieſe Straßen führen meiſt durch Gegenden, welche der Waldun— gen, ja oft überhaupt der Bäume, gänzlich entbehren. Solche Ge— genden ſind die ungeheueren Ebenen und Hügelgelände beider Kaſti— lien und Leons, die Ebenen des Ebro- und Guadalquivirbeckens, die Plateau's von Alava und Murcia, kurz jene Landſtriche, durch welche die von Madrid nach Vitoria, Pamplona, Zaragoza und Barcelona, Valencia, Murcia, Audaluſien, Badajoz, Toledo, Sa⸗ lamanca, Leon und Valladolid führenden Chauſſeen laufen. Dazu kommt, daß die ſüdſpaniſchen Gebirge kahl ſind oder wenigſteus

Die Wälder Spaniens. 197

rania, theils in quelligen Depreſſionen inmitten des un— geheuren Waldmeeres, welches der Serrania einen düſtern,

kahl erſcheinen, indem ſich daſelbſt die Waldung auf die Thäler und innern Depreſſioneu beſchränkt (wie wenige Reiſende haben aber Gelegenheit oder halten es der Mühe werth, ſich ein Gebirge in der Nähe zu beſehen!), oder nur der Fuß des Gebirges, der ſich dem Auge entzieht, mit Wald bedeckt zu ſein pflegt. Ich will hier eine kurze Ueberſicht der mir theils durch eigene Anſchauung, theils durch ſichere Nachrichten bekannt gewordenen Waldungen Spaniens geben, zum Beweis dafür, daß Spanien keineswegs ein waldentblößtes Land iſt, ſondern noch bedeutende Waldungen beſitzt, wenn auch der gegenwärtige Waldbeſtand daſelbſt ein viel geringe— rer iſt, als er in früheren Jahrhunderten geweſen ſein mag, und ſich deshalb Spanien mit andern Ländern Europa's, beſonders Mittel⸗ und Nordeuropa's, hinſichtlich der Wälder nicht meſſen kann. Ich theile ganz Spanien in folgende neun Wald diſtricte ein:

1. Cantabriſcher Diitrict. Umfaßt das ganze nördliche Litorale von der Bidaſſoamündung bis zum Cap Finisterrä, ſowie das geſammte cantabriſche Gebirge oder die weſtliche Fortſetzung der Pyrenäen. Hier ſind faſt alle Hügel, Niederungen, Thäler und Gebirgsabhänge bis 4000“ und darüber, ſoweit ſie nicht vom. Aderz bau eingenommen werden, mit Laubwaldungen bedeckt, von denen viele an Schönheit der Bäume und Dichtigkeit des Waldes unſern beſten Laubhölzern nicht nachſtehen. Die Waldung iſt der Haupt— ſache nach in den Litoralgegenden aus unſern gemeinen Eichenarten, Quercus pedunculata L. und Querc. Robur L., fowie aus der Kaſtanie, Castanea vesca Gärtn,, weiter hinauf aus der filzblättri— gen Eiche, Querc. Tozza P., in den höheren Gebirgsgegenden aus der Buche, Fagus silvatica L. zuſammengeſetzt.

2. Pyrenäiſcher Diftriet. Umfaßt den Südabhang der Pyrenäenkette und die Gebirge Hocharagoniens. Hier in den Py— renäen von Navarra bedeutende Buchenwaldungen, ſonſt Nadelwäl— der, in den untern Partbieen aus der gemeinen Kiefer, Pinus sil- vestris L., in den obern (zwiſchen 3000 und 5500) aus der Py— renäenkiefer P. pyrenaica Lap. und aus Tannen, P. Picea L., in

198 Die Wälder Spaniens.

wilden Charakter verleiht, liegen zahlreiche Ortſchaften, deren wenig cultivirte Bewohner ſich von Ackerbau, Vieh⸗

dem Hügellande Cataloniens aus der Seekiefer, P. halepensis Mill. zuſammengeſetzt. Große Waldungen ſelten, dafür zahlloſe dichte Gehölze.

3. Iberiſcher Diftrict. Umfaßt die nördlichen Glieder des iberiſchen Gebirgsſyſtems oder die Sierra de Oca bei Burgos, die Montes de Urbion und die Sierra de Moncayo. Waldungen beſonders am öſtlichen Abhange in den untern Parthieen von Quercus Tozza, in den obern von Fagus silvatica. ö

4. Diſtriet der Serrania de Cuenca. Umfaßt außer der eigentlichen Serrania die hohen, waldbedeckten Plateau's zwi— ſchen Molina de Aragon, dem centralen Scheidegebirge und den Moncayo, ſowie das Plateau von Pozondon und die Terraſſenab— hänge, welche das Becken von Terusl umgeben, ſammt den Gebir— gen der nordvalencianiſchen Terraſſe. Lauter Nadelwaldung, um Molina vorzüglich von P. Pinaster, an den Abhängen des Plateau von Pozondön u. ſ. w. von Juniperus thurifera L., auf der nord— valencianiſchen Terraſſe von P. Pinaster (oder P. Laricio ?) und P. halepensis.

5. Diſtrict des centralen Scheidegebirges. Oeſtlicher Theil deſſelben kahl, oder mit einzelnen Gehölzen von P. Pinaster (?) und Querc. Tozza beſtreut. Im mittlern Theile (Guadarramage— birge) große, dichte Waldungen (beſonders im Innern und am Nordabhange) von P. silvestris. Am ſüdlichen Fuße daſelbſt lichte Waldungen von Fraxinus angustifolia Vahl. (der ſchmal- oder ſpitzblättrigen Eſche), von Querc. Tozza, Ilex und Ballota (der gemeinen Immergrüneiche und der Immergrüneiche mit eßbaren Früchten). Im weſtlichen Theile (Scheidegebirge zwiſchen Leon und Eſtremadura) große Waldungen von Quercus Tozza, Casta- nea vesca, auf den nördlichen Plateau's (Provinz von Salamanca) von Querc. Ilex, Ballota und Fraxinus angustifolia.

6. Diftriet von Hocheſtrema dura. Die große Mulde des Tajothales iſt faſt gänzlich von ungeheuern und zum Theil ſehr dichten Eichenwaldungen erfüllt, welche hauptſächlich aus der Kork—

Die Wälder Spaniens, 199

zucht und Holzhandel ernähren. Viele friſten ihr Leben als Holzſchläger, Bretterſchneider (Schneidemühlen habe

eiche, Querc. Suber L., aus Querc. Ilex und Ballota zuſammen— geſetzt ſind. Darunter gemiſcht erſcheinen die portugieſiſche und die ſpaniſche Eiche (Querc. lusitanica Lam. var, baetica Webb., und Querc. hispanica Lam.) und Pin. Pinaster. Desgleichen finden ſich Eichengehölze in dem angränzenden Berglande, welches die Thäler des Tajo und Guadiana von einander ſcheidet.

7. Diſtriet der Sierra Morena. Am Nordrande (ſüd— liche Theile von Niedereſtramadura, Plateau von los Pedroches, hohe Mancha) große lichte Eichengehölze von Querc, Illex und Ballota, am Südabhange Gehölze von Quere. Suber, Illex und Pinus Pinea L. (der Pinie); längs des ſüdlichen Fußes von Caro— lina bis Cordova und weiter weſtwärts ausgedehnte, zuſammen— hängende Wälder von angepflanzten Oelbäumen, vermengt mit Querc. Ilex, Ballota und Suber. (Dieſe Olivenwälder nehmen einen Streifen von 12 Meilen Länge und A bis 2 Stunden Breite ein!).

8. Diſtriet von Huelva, Cadiz und Gibraltar. Um- faßt die Küſtengegenden der Provinzen von Huelva und Cadiz, die Uferſtrecken des unteru Guadalquivirlaufes, und die an der Meer— enge und in den Umgebungen der Bai von Gibraltar gelegenen Gebirge und Niederungen. Zwiſchen den Mündun zen des Gua— diana und Guadalquivir Waldungen von Pin. halepensis und Pin. Pinea. Zwiſchen Sevilla, Utrera und Palma große Gehölze von Pin. Pinea und wilden Oelbäumen (Olea europaea var. silvestris). Am untern Guadalquivir und in den Umgebungen der Bai von Cadiz große Waldungen von Pinien und Seekiefern; im Hügel— lande der Provinz von Cadiz Gehölze von Querc. Suber, Ilex, Ballota und lusitanica var. baetica. In den Gebirgen an der Meerenge prachtvolle Laubwaldungen von Querc. Suber, lusita- nica, wilden Oel- und Lorbeerbäumen. In den Niederungen weſt— lich vom Golf von Gibraltar große, dichte Eichenwälder vou Querc. Suber und lusitanica.

9. Diftrict der Terraſſe von Granada. Umfaßt die

200 Die Bewohner der Serrania. Eintritt in dieſelbe.

ich nirgends bemerkt!), Hirten, Schaafſcheerer (esquilado- res), Jäger, Steinbrecher, und von der Bienenzucht, die in der ganzen Serrania ſehr bedeutend iſt. Die Flüſſe find reich an Fiſchen, desgleichen einige Bergſeen. Be—⸗ ſonders iſt die einige Meilen nordöſtlich von Cuenca in der Nähe des Jucarthales gelegene Laguna de Una wegen ihrer vortrefflichen Forellen berühmt.

Schon die erſten Kämme der Serrania, welche ſich bei los Corrales erheben, ſind mit Kiefern bedeckt; doch iſt die Waldung hier noch ſehr licht, und große Strecken entbehren derſelben gänzlich. Nach Ueberſteigung vieler Hügelreihen gelangten wir auf eine, von waldigen Höhen umringte, mit Getreidefluren bedeckte Hochebene,

wo das Dorf Camporobres am Fuße eines dürreu,

nackten, mit den Ruinen einer mauriſchen Burg gekrön⸗

Provinzen von Malaga, Jaen, Granada und Almeria. Keine gro: ßen Wälder, aber zahlreiche Gehölze. Im weſtlichſten Theile (in der Serrania de Ronda) Gehölze von Quercus Ilex, Ballota und lusitanica, in den höhern Gebirgsgegenden (zwiſchen 4000 und 6000) von der andaluſiſchen Fichte (Pinus Pinsapo Boiss.). In den Thälern der Sierra Nevada zu unterſt Gehölze von Castanea vesca, weiter hinauf von Quercus Tozza, zwiſchen 6000 und 6500“ von Pinus silvestris. Auf den Plateau's und den Gebirgen der öſtlichen Terraſſenhälfte große, dichte Gehölze von Pinus Pinaster, ebenſo in den Gebirgen von Jaen. Hier auch Gehölze von Quer- cus Ilex, desgleichen um Granada.

Außerhalb dieſer Walddiſtricte finden ſich noch bedeutende Ge⸗ hölze in der Ebene Altcaſtiliens (Pinien), in den nördlichen Thei⸗ len von Leon (gemeine Kiefern), im Ebrobaſſin (Immergrüneichen) und anderwärts.

Das Thal des Moya. Der Flecken Mira. 204

ten Hügels ſehr öde und einſam gelegen iſt. Nachdem wir in der einzigen und ſehr ſchlechten Poſada ein äußerſt frugales und wenig appetitliches Mittagsmahl eingenom— men hatten, ſetzten wir unſere Wanderung weiter fort. Der Weg führte uns abermals über eine hügliche, mit einzelnen Kieferngehölzen und niedrigem Gebüſch erfüllte Hochebene, welche gegen Weſt von einem mit ſchroffen Felsgipfeln beſetzten Höhenzuge begränzt erſchien. Nach einem vierſtündigen Ritt über dieſes einförmige, völlig unbewohnte Plateau gelangten wir gegen 6 Uhr an das tiefe Thal des Rio Mo va, eines waſſerreichen, hellen Bergfluſſes, welcher in den ſüdlichſten Parthieen des Cen— trums der Serrania entſpringt und in den Cabriel mün— det. Hier wurde ich durch eine außerordentlich ſchöne Anſicht ſehr angenehm überraſcht. Die ſteilen, von gro— tesken Felszacken ſtarrenden Abhänge des anmuthig ge— krümmten Thales ſind auf das Maleriſchſte mit Gebüſch und Laubholz bekleidet, die unterſten Lehnen nach valen— cianiſcher Sitte terraſſirt und ſammt der Thalſohle ſehr ſchön angebaut. Ueberall prangten dunkelgrüne Hanffel— der und hellgrüne, glänzende Maisfluren, umgeben von Nuß⸗ und Maulbeerbäumen. Uns gegenüber zogen ſich die Häuſerterraſſen des Fleckens Mira eine große Strecke an dem ſteilen Thalgehänge empor, überragt von gewal— tigen Sandſteinfelſen. Nach aufwärts verengte ſich das Thal bald zu einer dunkeln, walderfüllten Schlucht, die

202 Verirrung auf dem Heideplateau von Mira.

endlich von höhern, dicht mit Nadelwaldung bedeckten Bergen geſchloſſen erſchien. Der Weg ſenkte ſich raſch in Zickzacks an dem ſteilen Gehänge zu den Ufern des wildſchäumenden Fluſſes hinab, welcher mehrere Mühlen treibt. Hier glaubt man ſich mitten in einem bedeuten— den Gebirge zu befinden, indem die Thalwände als mäch— tige Bergkuppen erſcheinen. Da die Poſada in Mira einen wenig einladenden Anblick darbot und uns geſagt wurde, daß der nächſte Ort, Villora, blos zwei Leguas entfernt, auch der Weg nicht zu verfehlen ſei: ſo entſchloß

ich mich, noch bis dahin zu reiſen. Wir waren aber kaum | wieder auf dem Plateau angelangt, als der Weg ſich in mehrere Pfade ſpaltete, die ſämmtlich faſt parallel neben einander fortliefen. Da kein Menſch zu ſehen war, ſo wählten wir auf gut Glück den mittelſten, überzeugten uns aber an der Richtung, die derſelbe annahm, bald, daß es nicht der rechte ſei. Ich war ſchon entſchloſſen, wieder nach Mira zurückzukehren, als Aguſtin einen An- riero zwiſchen den Bäumen uns entgegenkommen ſah. Von ihm erfuhren wir, daß wir uns auf dem Wege nach Canete befänden, einem im Centrum der Serrania am Cabriel gelegenen Städtchen, und der Weg nach Villora eine gute halbe Stunde weiter links hinlaufe, dieſer aber nicht zu verfehlen ſei. Wir brachen alſo quer durch die Heide durch und gelangten endlich nach einer mühſamen Wanderung auf den rechten Weg, als eben die Sonne

Eintritt in die Waldungen der Serrania. 203

unterging. Das Plateau war wellenförmig geſtaltet und mit Gebüſch und einzelnen Kiefern bedeckt. In geringer Entfernung von uns zog eine niedrige Hügelkette hin, welche uns alle Ausſicht benahm. Von dem Kamme die— ſer Hügelkette aus eröffnete ſich uns plötzlich eine weite, doch bei der vorgerückten Tageszeit nichts weniger als erfreuliche Ausſicht. Wir ſtanden über einer Einſenkung, einer flachen Mulde von ungeheuerer Ausdehnung, aus der hier und da einzelne felſige Kuppen hervorragten und welche nach allen Seiten hin von Bergkämmen begränzt war. Ein unüberſehbares, düſteres Waldmeer erfüllte die ganze Mulde und bedeckte auch die ſie begränzenden Höhen; nirgends war eine Spur vom Daſein eines bewohnten Ortes zu entdecken: allenthalben hochſtämmiger, dichter Nadelwald, ſo weit das Auge reichte. Es war ein Land— ſchaftsbild, wie ich es ſeit den Landes von Bayonne nicht mehr geſehen hatte. Da ſich der Weg wegen des ihn bedeckenden gelben Sandes leicht zwiſchen dem dunkeln Gebüſch des Unterholzes erkennen ließ, ritten wir muthig in die ſchwarze Waldmulde hinab. Anfangs ging es ganz gut; der Weg war breit, das Terrain eben und noch hinreichendes Licht vorhanden, um den Wald einigermaßen überblicken zu können. Nachdem wir aber etwa eine Stunde weit in die Waldung eingedrungen waren, begann die Oberfläche des Bodens hüglich zu werden. Gleichzeitig zertheilte ſich der Weg vielfach und war, da hier das

204 Beſchwerliche Wanderung bei Nacht durch die Waldung.

Unterholz wegen der außerordentlichen Dichtigkeit des Hochwaldes gänzlich fehlte und deshalb auch der Wald— boden aus Sand beſtand, bei der nächtlichen Dämmerung kaum zu erkennen. Wir konnten deshalb nur ſehr langſam vorwärts dringen und mußten mehr dem Inſtinkt unſerer Pferde als unſern Augen vertrauen. Die Waldung wurde mit jedem Schritte dichter, das Terrain immer coupirter. Manchmal ſenkte ſich der Weg in einige Barranco's hinab, in deren moorigem Grunde übereinandergeſtürzte Kiefern— ſtämme ein wildes Chaos bildeten; dann kletterte er wies der zu felſigen Höhen empor, von deren Gipfeln aus wir beim Zwielicht der Sterne weite, von tiefen, ſchwarzen Schluchten durchfurchte Waldſtrecken unterſcheiden konnten. Vergeblich ſtrengten wir unſere Augen und Ohren an, um eine Spur von Menſchen zu entdecken; es war Alles ſtill in der ungeheuern Einöde bis auf das Rauſchen der Luft zwiſchen den Nadeln, oder das Gekrächze eines nächt— lichen Raubvogels, welches dann und wann unheimlich durch den Wald tönte. Endlich es war ſchon halb neun Uhr vorüber ſtieg der Weg jäh in eine enge, hüben und drüben von ſteilen Felſen umgürtete Schlucht hinab, durch welche er uns in eine weite, mit Geſtrüpp und kurzem Graswuchs erfüllte Thalmulde führte, in deren moraſtigem Grunde er bald völlig verſchwand. Einen Flintenſchuß weiter ſetzte ein ſtarker Bach, deſſen breiter und ruhiger Spiegel eine bedeutende Tiefe ver:

Aufhören des Weges. Zuſammentreffen mit Holzdieben. 205

muthen ließ, unſerem ferneren Vordringen gänzlich ein Ziel. Während Aguſtin umherſpähte, an welcher Stelle der Weg den Bach paſſiren möge, kam es mir vor, als werde der Wald in der Ferne thalaufwärts bisweilen von

dem flackernden Wiederſchein eines Feuers momentan be—

leuchtet. Um mich zu vergewiſſern, ob ich mich getäuſcht habe oder nicht, ſchoß ich eine Piſtole ab. Der Knall war kaum verhallt, als Hundegebell in ziemlicher Nähe erſcholl und bald darauf in jener Gegend die Kronen der Bäume unzweideutig von einem friſch auflodernden Feuer grell beleuchtet wurden. Wir begannen nun zu rufen und hörten unſere Rufe auch in Kurzem durch rohes Ge— brüll erwiedert. Es dauerte nicht lange, ſo erhellte ſich der dieſſeits des Baches ſich vor uns ausbreitende, nacht— ſchwarze Wald, und es traten zwei in zerlumpte Mäntel gehüllte Männer aus demſelben hervor, von denen jeder eine brennende Kienfackel in der einen Hand, in der an— dern eine Flinte trug. Beide hatten ein langes, breit— klingiges, bloßes Meſſer in ihrer blutrothen Schärpe ſtecken und ſahen verwildert aus, wie Teufel. Ich muß geſtehen, daß mir beim Anblick dieſer beiden Kerls nicht ganz wohl zu Muthe wurde und mir gleichzeitig alle Räubergeſchichten einfielen, die man mir in Requena und anderwärts von den Wäldern der Serrania erzählt hatte. Mein Argwohn war indeſſen völlig unbegründet, denn als ich den beiden Männern zurief: ich habe mich ver—

206 Zuſammentreffen mit Holzdieben.

irrt und ſie bat, mir den Weg nach Villora zu zeigen, warfen ſie ihre Flinten, welche ſie bisher in drohender Stellung in der Hand gehalten hatten, ruhig über die Schulter und riethen mir, bis Tagesanbruch bei ihnen zu bleiben, da es unmöglich ſei, daß meine ermüdeten Pferde in der Nacht auf dem ſehr ſchlechten Wege fort— kommen könnten. Auf mein Befragen, ob ich auf dem rechten Wege und wie weit Villora noch entfernt ſei, erwiederte der eine: „Den rechten Weg haben Sie, Ca— ballero, können ſich auch nicht verirren, da es blos einen giebt; allein Villora iſt noch zwei ſtarke Stunden ent— fernt und der Weg bei Nacht in dem gelben Sande für einen deſſelben Unkundigen nicht zu finden.“ | „Zwei Stunden noch? Rechnet man denn nicht blos zwei Leguas von Mira nach Villora?“ | „Ja, das iſt richtig; aber es find leguas de fraile ), zu denen ein beladenes Maulthier wenigſtens fünf Stun- den braucht. Sie hätten in Mira übernachten ſollen.“ „Giebt es denn gar kein Haus in der Nähe, wo ich Futter für meine Pferde finden kann? Die Thiere ſind müde und hungrig und wir haben weder Gerſte, noch Stroh bei uns.“ „Auf ein Obdach müſſen Sie für dieſe Nacht ver— zichten, denn zwei Stunden im Umkreis giebt es kein

*) Wörtlich „Mönchsleguas“, ſcherzhafte Bezeichnung eines Weges von unbeſtimmter Länge.

Die Lagerſtätte derſelben. 207

einziges hato (Hirtenzelt, Hirtenſtation), geſchweige denn ein Haus oder Dorf. Allein Ihrer Pferde wegen machen Sie ſich keine Sorgen. Da drinnen im Walde in— dem er auf die von dem Feuerſchein beleuchtete Baum— gruppe deutete liegt ein ſchöner Weideplatz, wo be— reits mehrere Maulthiere und Eſel graſen, und Stroh iſt auch vorhanden. Auch können wir Ihnen ein Lager und Wein und Brod anbieten. Wollen Sie bei uns bleiben, ſo werde ich Sie morgen früh auf den rechten Weg nach Villora bringen.“

Da es Tollkühnheit geweſen wäre, in der Nacht auf kaum erkennbaren Wegen durch ein walderfülltes, von Felſen und Sümpfen wimmelndes Bergland zu reiſen, ſo nahm ich das gaſtfreie Anerbieten der beiden Männer an, und folgte ihnen nach ihrer Lagerſtätte. Ich erfuhr nunmehr, daß ſie Holzſchläger aus Requena ſeien und ſich auf mehrere Wochen in die Wälder der Serrania begeben hätten, um Brennholz zu ſammeln, welches ſie in Requena vortheilhaft zu verkaufen gedachten. Ihre Lagerſtätte befand ſich eine Viertelſtunde von dem Wege nach Villora, aufwärts am Bache, mitten im Walde. Hier breitete ſich ein geräumiger, theils mit Gras, theils mit Geſtrüpp bedeckter Platz aus, umringt von ehrwürdigen, mit buntfarbigen Bartflechten maleriſch behängten Schwarz— kiefern (Pinus Laricio Poir.) In der Mitte dieſes Platzes lag ein ungeheuerer Haufen zerſchnittenen Weizenſtrohs,

208 Ein Bivouac in den Wäldern der Serrania.

welches den Holzmachern ſowohl zur Fütterung von einem Dutzend Maulthieren und Eſeln, die zerſtreut auf den graſigen Matten weideten, als zum Lager diente. Da— neben brannte ein dem Erlöſchen nahes Feuer aus Kie— fernzweigen und Holzſpähnen, über dem, von drei zuſam— mengeſtemmten Kieferpfählen herab, ein eiſerner Keſſel hing, in welchem die Holzmacher ihr Abendbrod zubereitet haben mochten. Nahe dabei waren große Maſſen zer— ſpaltenen Kiefernholzes, gefällte Baumſtämme und abge⸗

hauene Aeſte aufgeſchichtet, die aber nicht von Bäumen

herrührten, welche an jenem Platze geſtanden hatten, ſon— dern von tiefer, waldeinwärts gefällten Kiefern. Meh— rere große, zottige Wolfshunde, die auf den Mann dreſſirt zu ſein ſchienen, lagen, an Baumſtämme angekettet, bei dieſen Holzſtößen. Aus Allem ging klar hervor, daß ich mich in Geſellſchaft von Holzdieben befand. Doch beun— ruhigte mich dieſe Wahrnehmung nicht im mindeſten, da meine Begleiter, abgeſehen von ihrem ungeſetzmäßigen Handwerk, grundehrliche und gutmüthige Menſchen waren. Sie theilten unaufgefordert ihre wenigen Lebensmittel, aus Brod, Zwiebeln und trockenem Stockfiſch beſtehend, ſowie ihren nicht eben ſehr vorzüglichen Wein mit uns, bereiteten mir in dem großen Strohhaufen ein bequemes Lager aus den wollenen Satteldecken ihrer Maulthiere, fütterten und tränkten meine Pferde, und waren beim Abſchied kaum zu bewegen, ein Trinkgeld von 2 Realen

7 T—„— a nt

Kalte Nacht. Der Flecken Villora. 209

anzunehmen! Die Nacht war ſchön und ruhig, doch von

Mitternacht an ſehr kalt, ſo daß wir uns nur dadurch gegen den Froſt ſchützen konnten, daß wir uns bis an den Kopf in das Stroh verkrochen. Wegen die— ſer bedeutenden Temperaturerniedrigung, welche auf der Hochebene Centralſpaniens während der heißen Jah— reszeit allmälig eintritt, hatten die Holzmacher eine ſo enorme Menge von Stroh in die Wälder der Ser— rania mitgenommen.

Sobald der Tag graute, brachen wir wieder auf. Einer der Holzſchläger begleitete uns bis an die Stelle, wo der Weg nach Villora den erwähnten Bach über— ſchreitet, deſſen Uebergang daſelbſt und bei Tageslicht mit keiner Gefahr verbunden war. Von Neuem nahm uns ein dunkles Waldesdickicht auf. Das Terrain iſt hier außerodentlich coupirt und daher der Weg ſehr ſchlecht. Endlich wird die Waldung lichter, hört bald auf, und man tritt in ein weites, von einem muntern Bach durch— ſtrömtes, mit Wieſen, Getreide- und Gemüſefeldern er— fülltes Thal, an deſſen entgegengeſetztem Abhange der Flecken Villora neben einer, auf ſteilem Felsvorſprunge thronenden Bergruine höchſt maleriſch liegt. Hinter die— ſem Orte, in deſſen ärmlicher, doch ziemlich reinlicher Poſada wir eine Stunde raſteten, um zu frühſtücken, folgt abermals ein hügliches, unbewohntes Plateau von meh— reren Stunden Breite, welches jedoch nur mit Unterholz

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 14

240 Das Thal des Gabriel. Cardenete.

oder lichter Kiefernwaldung bedeckt iſt. Dieſes Platea: erſtreckt ſich weſtwärts bis an das tiefe und weite Thal des Cabriel, welches die waldige Gegend vielfach ge krümmt durchſchneidet. Der genannte Fluß iſt ſchon hie ziemlich bedeutend, und erinnert durch ſein prächtiges durchſichtig-blaugrünes Waſſer an die Alpenbäche de Schweiz und der Pyrenäen. Er vereinigt ſich, nachder er die nördlichſte Mauer der Gebirge des mittlern Ve lencia durchbrochen hat, mit dem Jucar, der ſtärkſter der in das mittelländiſche Meer fließenden Wafleraderıl die der Serrania entquellen. Das Thal des Gabriel i.“ wegen der waldumkränzten Sandſteinfelſen, mit denen ſein Gehänge geſchmückt ſind, ſehr pittoresk, und würde eine ſehr erfreulichen Eindruck machen, wäre es bewohnt un angebaut. Allein die fetten, zum Theil aus ſchwarz Dammerde beſtehenden Fluren ſeiner breiten Sohle lieg faſt völlig unangebaut, was um ſo mehr zu beklagen i als ſich dieſelben durch den Cabriel, deſſen Waſſer ni 0 mals verſiegt, ſehr leicht bewäſſern, und dadurch zur il f pigſten Fruchtbarkeit zwingen ließen. Dieſes Thal wä⸗ . eine geeignete Gegend zur Anſiedelung von Auswand N rern. Eine gute Stunde von dem Thale des Gabe ı entfernt, liegt mitten auf dem hüglichen Plateau, in einn von Getreidefeldern ausgekleideten Einſenkung, der Fleck! 1 Cardenete, woſelbſt wir Mittag machten. Die Gege)

iſt ſehr öde, der Boden ſchlecht, und daher der Ort ſelt ki

Der Fledeu Carboneras und Canada del Hoyo. 2114

armſelig. Dicht neben demſelben zieht ein niedriger, kahler Höhenkamm hin, auf deſſen Scheitel die Ruinen einer Burg befindlich ſind. Von Cardenete brachte uns eine fünfſtündige Wanderung über eine weite hügliche Hochfläche, die bis auf wenige Stellen, wo ſich Rosmarin— und Wachholderheiden ausbreiten, mit dichter, hochſtäm— miger Nadelwaldung bedeckt und völlig unbewohnt iſt, nach dem großen Flecken Carboneras. Dieſer liegt an den Abhängen eines iſolirten, kahlen, mit einer ſtolzen Burg gekrönten Hügels, umringt von ausgedehnten Ge— treidefluren, im Schooße einer weiten, rings von bewal— deten oder bebuſchten Höhen umgebenen Ebene, durch welche der Guadacaon, ein ſchmaler, aber tiefer Bach, Zufluß des Cabriel, ſtrömt. Nach Ueberſchreitung deſſel— ben gelangten wir in ein waldiges Thal, das ſich all— mälig gen Weſten zwiſchen bewaldeten Hügeln hinein— zieht. Hier liegt, am rechten Thalgehänge, der Flecken Canada del Hoyo, woſelbſt ich mich entſchließen mußte, zu bleiben, obwohl es in der Poſada weder ein Gemach noch ein Bett gab, weil die Nacht bereits hereingebroche. war. Dicht über dem Dorfe erheben ſich, wie ich erſt am anderen Morgen bemerkte, die hohen Mauern eines befeſtigten, noch wohlerhaltenen Schloſſes von alterthüm— licher Bauart.

Der Weg nach Cuenca läuft in dem Thale von Canada aufwärts, deſſen Grund mit moorigen Wieſen er—

14 *

212 Las Zomas. Mohorte. Austritt aus der Serrania.

füllt iſt. Man gelangt bald in ſchöne, hochſtämmige un ſehr dichte Kieferwaldung, welche ſich bis in die Nähl des zwei Stunden von Canada entfernten Dorfes la Zomas erſtreckt. Dieſer Ort liegt in einer weiten, baun loſen, gänzlich mit Weizenfluren erfüllten Thalmulde. Da N bewaldete Plateau, über welches der Weg aus dem Thal

von Canada führt, endet hier plötzlich mit einem ſteiler

Höhenzuge, liegt das Dorf Mohorte, von wo ma! nach einer einſtündigen Wanderung durch Getreideflure auf die erſt vor wenigen Jahren vollendete Chauſſee ge langt, welche Cuenca mit der von Requena nach Madri führenden Heerſtraße verbindet. Dieſe neue Straße i

hin, welche aus Gyps- und Mergelſchichten beſtehen. E dauert nicht lange, fo taucht die pyramidale Spitze de“ Thurmes der Cathedrale von Cuenca zwiſchen zwei nac ten, durch einen tiefen Einſchnitt von einander getrem ten Felsbergen empor, welche die Ausſicht gegen Norde in geringer Entfernung begränzen. Es war eben Mil tag, als wir zu einem, auf einer Anhöhe ſtehenden Chan! ſeehauſe gelangten, von wo eine hübſche Promenade läng a der ſchnurgerade gelegten Straße bis an die blos no

Anſicht von Cuenca. Lage dieſer Stadt. 213

ine halbe Viertelſtunde entfernte Vorſtadt von Cuenca yinabführt. Erſt hier gewinnt man eine einigermaaßen vollftändige Anſicht von Cuenca, denn vollkommen kann nan dieſe Stadt wegen ihrer höchſt eigenthümlichen Lage von keiner Seite aus überſehen. Cuenca liegt nämlich mf dem Gipfel und an den Abhängen eines ſteilen, wiſchen den bereits erwähnten Felſenbergen befindlichen Hügels, welcher von dieſen Bergen durch zwei tiefe, enge, paltenartige Thalſchluchten geſchieden iſt. Durch die lördliche Schlucht ſtrömt der Jucar, deſſen tiefe einge— zwängte Waſſermaſſe eine dunkel-blaugrüne Farbe beſitzt; durch die ſüdliche, ein kleiner Bach, Namens Huecar, welcher am Anfange der Stadt in den genannten Fluß mündet. Dieſſeits dieſes Baches liegt die Vorſtadt, eine breite Straße mit ſchönen, modernen Gebäuden, während die eigentliche Stadt ein höchſt alterthümliches, von der Zeit und vom Wetter geſchwärztes Neft iſt. Ihre Lage erinnerte mich an Bern, nur iſt das Thal von Cuenca viel enger, der Hügel, auf und an dem es liegt, viel höher und ſteiler, die Gegend dürr und baumlos, ganz, wie um Teruél. Eine hochgeſpannte Brücke ver— bindet die Vorſtadt mit der eigentlichen Stadt, an deren Eingange ich in einem großen, leidlich eingerichteten Gaſthofe ein kühles Gemach bezog, deſſen Balcon mir eine prächtige Ausſicht über den, mit Gemüſegärten er— füllten Thalgrund des Huecar und nach den freundlichen

244 Geſchichte, Einwohnerzahl und Bauart von Cuenca.

Häuſerreihen der gegenüberliegenden Vorſtadt darbo: hinter welcher ein kahler, auf ſeiner Spitze mit einer maleriſchen Kloſter gekrönter Hügel aufragt.

Cuenca, Hauptſtadt der ſüdöſtlichſten Provinz vo Neucaſtilien und Sitz eines Biſchofs, ward von de Mauren gegründet und gerieth zuerſt auf friedlich Weiſe unter die Herrſchaft der Chriſten, indem es Ben Abet, König von Sevilla, feiner Tochter Zaida, als die!

im Jahre 1072 von dem Könige Alphons VI. vo)

Caſtilien zum Aerger der geſammten Chriſtenheit zu Gemahlin erkoren wurde, zum Hochzeitsgeſchenk macht Durch Empörung der mauriſchen Bevölkerung fiel d

Stadt zu wiederholten Malen in die Hände der muhı

medaniſchen Fürſten, bis fie im zwölften Jahrhunder durch Alphons IX. von Caſtilien dem Halbmond an immer entriſſen ward. Früher mag die Stadt bevölke ter geweſen ſein; gegenwärtig zählt ſie blos etwa 800 Einwohner. Sobald ich mich etwas von den Strapatze der Reiſe erholt und die unterwegs gemachten Samn

lungen in Ordnung gebracht hatte, ging ich aus, um d Stadt in Augenſchein zu nehmen. Cuenca iſt höchſt un regelmäßig gebaut und liegt noch viel unebener als T

ruél, welcher Stadt es auch hinſichtlich der Bauart fein. Häuſer ſehr ähnelt. Die Gaſſen find eng und winklic

ſteigen ſehr ſteil an und beſitzen ein gräuliches Pflafte: die Häuſer haben nicht ſelten bis ſechs Stockwerke ur

Kirchen und Klöſter. Die Cathedrale. 215

ſehen ſehr finſter aus, indem der Sandſtein, aus dem ſie erbaut ſind, an der Luft mit der Zeit ſchwarz wird. An mehreren Stellen der Hauptſtraße, die ſich von der Brücke über den Huecar bis zur Cathedrale erſtreckt, war man beſchäftigt, Ehrenpforten zu errichten, indem den 3. September die Königin Criſtina, welche ſich damals mit ihrem Gemahle in dem benachbarten Tarrancon be⸗ fand, nach Cuenca kommen wollte. Die Einwohnerſchaft

ſchien über dieſe der Stadt zugedachte Ehre nicht gerade

ſehr entzückt zu ſein. Trotz dem, daß Cuenca nur eine Mittelſtadt iſt, beſitzt es nicht weniger als 13 Kirchen und 12 Klöſter. Unter den Kirchen verdient beſonders die Cathedrale den Beſuch der Reiſenden. Dieſelbe ſteht auf dem höchſten Puncte des Stadthügels, an einem klei⸗ nen, aber hübſchen, von gut gebauten Häuſern umgebenen Platze, auf den die Hauptgaſſe der Stadt durch ein hohes, aus drei Bogen beſtehendes Thor von gothiſcher Bauart mündet. Die Cathedrale wurde unter der Regierung Alphons IX. erbaut, der mit eigener Hand den Grund⸗ ſtein zu derſelben gelegt haben ſoll. Sie beſitzt die Form eines Kreuzes, im Inneren drei Schiffe und tft durch⸗ gängig gothiſch. Mit Ausnahme der Hauptportals und der Fenſter, welche mit gothiſchen Sculpturen ſchön ver—

ziert ſind, entbehrt ſie des architectoniſchen Schmuckes faſt völlig. Das Schönſte in ihr iſt der impoſante Säu⸗

lengang, welcher das Hauptaltar halbzirkelförmig umgiebt,

216 Die Puente de S. Pablo. Anſicht d. Stadt aus d. Huecarthale. |

ganz ähnlich, wie in der Kirche der Abtei Beruela. Ueber | dem Kirchhauſe erhebt ſich ein dicker, aber ziemlich niedri- ger Thurm, welcher in eine hohe pyramidale Steinſpitze ausläuft. Dieſelbe iſt zwar durchbrochen, doch nicht von | gothiſcher Bauart und ſtammt daher wahrſcheinlich aus ö einer viel ſpätern Zeit, als die Kirche ſelbſt. Von der 0 Cathedrale begab ich mich nach der Puente de San Pablo, der Paulsbrücke, welche über die tiefe Thalſchlucht des Huecar führt. Sie iſt unbedingt das großartigſte Bauwerk, welches Cuenca beſitzt. Ihre Länge beträgt 350, ihre größte Höhe 450 Fuß. Sie beſteht im Gan— zen aus fünf Bogen, deren Pfeiler theils auf Felsklippen des Baches, theils auf den beiden Abhängen der Schlucht ruhen. Impoſant iſt der Anblick, den ſowohl dieſes Rie- ſenwerk, als die Stadt überhaupt, von dem entgegenge— | ſetzten Gehänge des Huecarthales unterhalb der Brücke darbietet. Dicht am Rande der ſchroffen, zum Theil überhängenden, von dunkeln Schluchten zerklüfteten Fel- ſen, welche den Stadthügel auf dieſer Seite umgürten, | erheben ſich ſtattliche, vier bis ſechs Stockwerke hohe | Häuſer mit vielen Balcons, hinter denen die Gebäude der inneren Stadt terraſſenartig, maleriſch gruppirt, em⸗ | portauchen, überragt von den Thürmen der zahlreichen Kirchen und Klöſter, unter denen ſich die Cathedrale mit ihren gothiſchen Zinnen und ihrer hohen Steinpyramide | am beften ausnimmt. Den Hintergrund bilden die gro-

Anſicht der Stadt aus dem Huecarthale. 217

tesken Felsmaſſen des jenſeits des Jucarthales ſich erhe— benden Berges. Thalabwärts ſchaut man über die grü— nen, von dem ſpärlichen Waſſer des Huecar befruchteten Gärten und die freundlichen Häuſerreihen der Vorſtadt weit in das theils kahle, theils waldige Hügelland, wel— ches ſich weſtwärts von Cuenca ausbreitet, hinaus; thalaufwärts dagegen ſieht man durch die hohen Rund— bogen der Paulsbrücke in eine wilde, enge Felſenſchlucht hinein, aus deren unzugänglichem Grunde der Huecar hervorſtrömt. Dieſe Anſicht von Cuenca würde ebenſo anmuthig ſein, als ſie großartig iſt, wären die maleriſch geformten Felſen und die Abhänge der Berge mit reicher Vegetation geſchmückt. Dies iſt aber leider nicht der Fall, indem faſt kein Strauch, geſchweige denn ein Baum am Ufer des Huecar oder an den Abhängen ſeines Thales wächſt, und daher die Stadt ebenſo dürr daliegt, wie Teruél. Die grauen nackten Felsmaſſen, die dem Auge nach allen Seiten hin begegnen, und die finſtern ſchwar— zen Gebäude der Stadt verleihen dieſem an und für ſich höchſt maleriſchen und ſchönen Landſchaftsbilde einen un— gemein ernſten und düſtern Charakter. Die entgegenge— ſetzte Anſicht der Stadt kenne ich nicht, da meine Zeit es mir nicht erlaubte, das Jucarthal zu beſuchen. Die— ſes ſoll noch viel unzugänglicher ſein, als das Huecar— thal, was auch ſehr natürlich iſt, da der Jucar eine ſehr bedeutende Waſſermaſſe führt, die hier eng zuſammenge—

218 Abreiſe von Cuenca. Horcajada de la Torre.

drängt ſein und daher den ganzen Grund der Schlucht ausfüllen muß. Die Stadt iſt, gegen das Jucarthal hin, ebenſo auf der Seite der Vorſtadt, von alten, him— melanſtrebenden, zinnengekrönten Mauern umſchloſſen. Ich muß geſtehen, daß ich keine zweite Stadt kenne, die eine ſo merkwürdige Lage hätte, und einen ſo eigenthümlichen Anblick darböte, wie Cuenca. Selbſt, Ronda, Alhama und andere Felſenſtädte Spaniens machen nicht den Eindruck, wie Cuenca. Am meiſten ähnelt

noch dem beſchriebenen Bilde die ſüdliche Anſicht von

Toledo.

Bereits den folgenden Tag nach meiner Ankunft, am 29. Auguſt, verließ ich Cuenca wieder, und zwar gerade zur Zeit der größten Hitze, indem das Viſiren der Päſſe, welches der Wirth des Gaſthofes Abends zu-

vor zu beſorgen vergeſſen hatte, und nun erſt um 14 Uhr

geſchehen konnte, meine Abreiſe bis Mittag verzögerte. Ich übernachtete in Horcajada de la Torre, einem am Giguela, Zufluſſe des Guadiana, gelegenen Dorfe, wohin wir erſt ſpät in der Nacht kamen. Die Straße führt bis dahin anfangs über ein hügliches, kiefernbe- waldetes Plateau, welches man als den weſtlichſten Vor— I\ poften der Serrania von Cuenca betrachten kann, ſodann | in einem weiten, flachen, baum- und waſſerarmen Thale

hin, in dem mehrere Ortſchaften liegen, und in welches, eine Stunde vor Horcajada, der von Südoſten herkom—

| | 1

Eintritt in die caſtilianiſche Steppe. Alcazar del Rey. 219

mende Giguela, hier ein kleiner Bach, eintritt. Die dieſes Thal einſchließenden Höhen beſtehen zum großen Theil aus Gyps führenden Mergel- und Thonſchichten, welche oft ſalzhaltig ſind. Von Horcajada an nehmen der Gyps und mit ihm der Salzgehalt des Bodens über— hand, weshalb von hier an die Gegend ſehr nackt und öde iſt, indem dieſe Bodenarten keinen Anbau geſtatten, der hier auch wegen des Mangels an Waſſer ſehr er— ſchwert wird. Dieſe Gypsformation erſtreckt ſich meh— rere Meilen weit nach allen Seiten, weſtlich bis in die Gegend von Tarrancon und bildet einen der triſteſten Theile des großen, im Centrum Neueaſtiliens ſich aus— breitenden Steppengebiets, welches ich mit dem Namen der centralen oder caſtilianiſchen Steppe belegt habe“). Die Sonne brannte furchtbar in dieſer kreideweißen, völ— lig baumloſen, nur mit Büſcheln von grauen Salzpflanzen beſtreuten Einöde, zwiſchen deren abgerundeten Hügeln und langgeſtreckten Kämmen hier und da, wo der Boden einen nur geringen Salzgehalt beſitzt und ſich Brunnen— waſſer in der Erde findet, ein kleines, elendes Dorf liegt. Bald hinter Alcazar del Rey, wo wir Mittag mach— ten, erhebt ſich der Boden mehr, beginnt aus tertiärem Kalk zuſammengeſetzt und gleichzeitig fruchtbar zu werden. Die Straße läuft eine Zeit lang durch eine enge, von

) Vgl. meine Schrift über „die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel“, S. 83 ff.

220 Huelves. Das Thal des Rianzares. Die Stadt Tarrancon.

niedrigen Kalkfelſen umgürtete Schlucht, die ſich ſpäter zu einem Thale erweitert, in deſſen grünem, gut ange— bautem Grunde der Flecken Huelves liegt; bald aber ſteigt ſie zu einem ebenen Plateau empor, welches gegen Süden von der weiten Thalmulde des Baches Rian— zares, einer Fortſetzung des Thales von Huelves, begränzt iſt. An dem jener Thalmulde zugekehrten Abhange die— ſes Plateau's liegt zwei Stunden weſtlich von Huelves die kleine und ſehr ſchlecht gebaute Stadt Tarrancon, die wenige Wochen vor meiner Durchreiſe zum Range einer „ciudad“ erhoben worden war, weil ſie das große Verdienſt hat, der Geburtsort des bekannten Munoz, des gegenwärtigen Gemahls der Königin Chriſtine, zu fein, welcher feinen Herzogstitel von dem bei Tarrancon vorbeifließenden Bache entlehnt. Mufoz will daſelbſt einen großen Pallaſt erbauen, um mit ſeiner Gemahlin bis— weilen dort reſidiren zu können. Auch damals befan- den ſich Beide in Tarrancon, wo fie beliebt find, da fie der Bürgerſchaft bedeutende Schenkungen gemacht haben und durch die Bauten, welche Munoz daſelbſt aufführen läßt, viele Einwohner dauernde Beſchäftigung und reich— lichen Verdienſt finden. Eine Schöpfung des Herzogs von Rianzares war damals bereits vollendet, nämlich eine ſehr ſtattliche, von Blumengärten und Alleen um— ringte Hermita, die eine halbe Stunde von Tarrancon, nahe bei der Straße nach Cuenca auf einem Vorſprunge

Anweſenheit der Königin Criſtine. Nacht in Belinchoͤn. 224

über dem Thale des Rianzares ſteht und eine hübſche Aus— ſicht auf dieſes anmuthig grüne Thal und auf die Stadt darbieten mag. Die Stadt ſelbſt hat ein höchſt armſe— liges Ausſehen, indem ſie zum größten Theil aus ein— ſtöckigen Häuſern von erdfahler Farbe beſteht. Auf dem Conſtitutionsplatze war man eben beſchäftigt, einen Cir— eus für ein Stiergefecht zu errichten, welches das Ayunta— miento der Criſtine zu Ehren Tags darauf veranſtalten wollte. Ohne mich aufzuhalten, ritt ich durch die ſtau— bigen Gaſſen, die hier und da mit Ehrenpforten ge— ſchmückt waren, hindurch und ſetzte meine Reiſe noch bis Belinchoͤn fort, welchen Ort ich zum Nachtquartier erkoren hatte. Dieſer ebenfalls ſehr ärmlich ausſehende Flecken liegt an der neuen, von Requena nach Madrid führenden Straße, auf welche die von Cuenca kommende Chauſſee in Tarrancoͤn ausmündet. Die Gegend zwi— ſchen Tarrancon und Belinchoͤn tft ebenfalls ſehr öde, ein welliges, oder von niedrigen, langgeſtreckten Höhen durchzogenes Plateau ohne Bäume und größtentheils unangebaut. Nur am Ausgange von Tarrancon befinden ſich einige Olivenpflanzungen und ziemlich viel Wein— gärten, die einen guten Rothwein liefern ſollen. Belin— choͤn liegt am Abhange einer ganz nackten und dürren Hügelkette. In ſeinen Umgebungen bemerkte ich viele Weizenfelder, aber keinen einzigen Baum. Die Poſada, in der ich die Nacht zubrachte, war ſehr armſelig beſtellt,

222 Dede unfruhtbare Gegend. Das Thal des Tajo.

doch reinlicher, als das Ausſehen des Ortes und des Gebäudes erwarten ließ.

Zwiſchen Belinchoͤn und Arganda del Rey, wo ich die letzte Nacht vor Madrid zubrachte, herrſchen wie— der die ſalzhaltigen, Gyps führenden Mergel- und Thon- ſchichten vor, weshalb das Land wenig bebaut und be— völkert iſt, und einen ſehr triſten Anblick gewährt. Von den Gipfeln der Höhenkämme aus, welche das Plateau durchziehen, überſchaut man eine hügliche, weißgraue Fläche ohne Bäume, ſo weit das Auge reicht. Am ödeſten iſt die Gegend weſtlich von Belinchoͤn, wo ſich eine wüſte „Salzſteppe ausbreitet, die ſich drei Meilen weit bis in die Nähe von Ocana und Aranjuez erſtreckt und nur zwei oder drei kleine elende Ortſchaften in ihrem wafjer- (ofen Schooße beherbergt. Eine Stunde hinter Belinchon überſteigt die Chauſſee einen Höhenzug, von dem aus man das Thal des Tajo in geringer Entfernung vor ſich erblickt. Daſſelbe iſt ziemlich breit; ſeine niedrigen, aber ſteilen Abhänge beſtehen aus nackten, wunderlich zerklüfteten Mergelhügeln von weißer oder röthlicher Farbe. Der Tajo beſitzt hier eine viel größere Breite als bei Aranjuez, obwohl dieſer Ort drei Meilen weiter abwärts liegt. Trotz der bedeutenden Waſſermaſſe des Fluſſes, welche zu jeder Jahreszeit eine reichliche Bewäſſerung der breiten, vollkommen ebenen Sohle des Thales ge— ſtattete, iſt der Boden völlig unangebaut. Kaum bemerkt

Fuentiduenas. Villarejo. Perales. Das Thal des Tajuſa. 223

man einige wenige Gemüſefelder und Bäume bei dem Flecken Fuentiduenas, welcher hart am jenſeitigen Ufer des Tajo am Fuße eines dürren, burggekrönten Hügels liegt. Früher mußte man hier den Fluß in einer Fähre überſchreiten; jetzt führt eine lange, elegante Hängebrücke (eine Drathbrücke) über denſelben. Nach einem dreiſtün— digen Ritte durch hügliche, entſetzlich ſtaubige und öde Gypsgelände erreichten wir gegen Mittag das große, ganz eben gelegene, mit einer gothiſchen Kirche gezierte Städtchen Villarejo de Salvanés, woſelbſt wir einige Stunden verweilten. Anderthalb Leguas weiter weſtlich kreuzt die Straße das tiefe und enge Thal des Rio Tajufa, welches wegen des ſchönen Anbaues ſei— ner Sohle nach den vorhergehenden öden Mergelhügeln den Eindruck einer Oaſe hervorbringt. Hier liegt am rechten Thalgehänge Perales, ein freundlicher Flecken mit einer ſchönen, waſſerreichen Quelle. Von neuem windet ſich die Straße zu dem nackten Plateau hinauf, welches bald ſehr hüglich und felſig wird. Es war ge— gen Sonnenuntergang, als wir auf eine Höhe und an den Rand eines engen, felſigen Barranco gelangten, in den die Chauſſee ſich hinabſenkte. Hier eröffnete ſich uns plötzlich eine weite Ausſicht, die trotz der fürchter— lichen Kahlheit der Gegend wegen der duftigen, glühen— den Abendbeleuchtung überaus reizend war. Vor uns, zu unſern Füßen, entfaltete ſich die geräumige, üppiggrüne

224 Anſicht von Madrid. Die Stadt Arganda del Rey.

Ebene des Jaramathales, aus deren zahlreichen Oliven-, Maulbeer- und Rebenplantagen die Thürme der Stadt Ar- ganda emportauchten. Jenſeits der nackten, in den farben- reichſten Tinten erglühenden Mergelhügel, welche das Ja— ramathal begränzen, breitete ſich das hügliche Plateau von Madrid aus, umwallt längs des Horizonts von der male— riſchen Kette des hohen Guadarramagebirges. Scheinbar dicht an deſſen Fuße konnten wir ſehr deutlich die lang hingeſtreckte Häuſermaſſe der Hauptſtadt Spaniens un- terſcheiden. Unweit des Ausganges der erwähnten Schlucht liegt am ſanft geneigten Abhange des Jaramathales die Stadt Arganda del Rey. Man glaubt ſich hier in einen ganz anderen Theil Spaniens verſetzt, indem ſo— wohl die Stadt ſelbſt ein ſehr freundliches Ausſehen hat, als ihre Umgebungen ſehr ſorgfältig, in ganz valen- cianiſcher Weiſe, angebaut ſind. Ein breiter Gürtel von wohl bewäſſertem Gartenlande, von vielen Oels, Maulbeer- und Feigenbäumen beſchattet, und hier und da mit hübſchen Landhäuſern geſchmückt, umſchlingt die Stadt gegen Norden, Oſten und Weſten, während die gegen Süden ſich erhebenden Höhen über und über mit Weinreben bedeckt ſind. Es wächſt hier ein vortrefflicher Rothwein, der dem berühmten Wein von Valdepenas in der Mancha ähnelt. Die Stadt iſt regelmäßig gebaut und beſitzt mehrſtöckige, mit Balcons geſchmückte Häuſer und mehrere ſtattliche Kir⸗

Die Thäler des Jarama und Manzanares. Vacia-Madrid. 225

chen und Klöſter. Auch findet man hier recht leidliche Gaſthöfe.

Arganda del Rey iſt blos vier Leguas von Madrid entfernt. Ich brach daher am folgenden Morgen, am 1. September zeitig auf, um wo möglich die Haupt— ſtadt Spaniens noch vor Mittag zu erreichen. Das Wetter war ſchön, nur etwas windig, weshalb wir viel vom Staube zu leiden hatten. Fortwährend zwiſchen Weingärten, die voller halbreifer Trauben hingen, führt die mit Ulmen bepflanzte Chauſſee ſchnurgerade bis an den Jarama, der hier noch breiter, als der Tajo bei Fuentiduenas und in drei Arme getheilt iſt. Auch dieſen Fluß überſchreitet die Straße auf einer Drathbrücke, welche in drei Abtheilungen zerfällt und eine ſehr be— deutende Länge beſitzt. Das Jaramathal macht einen viel freundlicheren Eindruck, als das Tajothal, indem die Ufer des Fluſſes mit hübſchen Wäldchen von Silberpap— peln, Ulmen und Eichen eingefaßt ſind. Ebenſo baum— reich iſt das Thal des Manzanares, welcher etwa eine Viertelſtunde unterhalb der Hängebrücke in den Jarama mündet. Man überſchaut ſein Thal eine ziemliche Strecke weit, indem die Chauſſee an ſeinem linken Gehänge aus dem Jaramathale zu dem Plateau von Madrid empor— ſteigt. Links von der Straße liegen in der Tiefe un— weit des Manzanares die zerſtreuten Gebäude des Fleckens Vacia-Madrid, in deſſen Nähe ein Mineralwaſſer quillt.

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 15

226 Pallaſt der Mari: Zäapalo. Vallecas. Der Hügel Almodovar.

Rechts von der Straße erblickt man auf einer Anhöhe ein Schloß, vom Volke der Pallaſt der Mari-Zäpalo genannt. Dieſes Schloß, welches auf Befehl des be— rühmten Grafenherzogs (conde-duque) von Olivarez, Miniſters und Günſtlings von Philipp IV., erbaut wurde, diente nämlich als Gefängniß für die ſchöne Maria Zapalo, eine der vielen Maitreſſen des genannten Königs, nachdem dieſelbe in Ungnade gefallen war. Von hier aus läuft die Straße abermals zwei Leguas weit zwiſchen nackten Mergelhügeln hin, worauf ſie in eine Depreſſion einbiegt, in welcher der große, lebhafte Flecken Vallecas liegt, deſſen ſtattliche Gebäude, und deſſen ganzes eultivirtes Anſehen die Nähe einer großen Stadt verkünden. Nahe dabei, gegen Nordoſten, erhebt ſich ein tafelförmig ab— geplatteter, mit Weinreben bepflanzter Hügel, der Cerro de Almodovar, auf dem der letzte Thurm der Tele— graphenlinie von Valencia nach Madrid ſteht. Dieſer Hügel iſt in geognoſtiſcher Hinſicht höchſt merkwürdig, indem er zum großen Theil aus Meerſchaum beſteht. Eine halbe Stunde hinter Vallecas ſteht auf der Höhe des die erwähnte Einſenkung gegen Nordweſt begränzen— den Kammes ein Chauſſeehaus. Hier erblickt man plötz⸗ lich Madrid in größter Nähe, indem nur noch ein“ flaches Thal, durch deſſen mit Weizenfluren und Ge— müſefeldern erfüllten Grund der im hohen Sommer gänz— lich vertrocknende Bach Briüigal fließt, dazwiſchen liegt.“

Anſicht von Madrid. Die Eiſenbahn nach Aranjuez. 227

Madrid nimmt ſich von hier ſehr ſtattlich aus, beſonders, weil hinter dem gewaltigen, von vielen Thürmen über— ragten Häuſermeere die impoſanten Granithäupter des Guadarramagebirges emportauchen, welches den ganzen nördlichen und weſtlichen Horizont umſchließt; allein die Umgebungen ſind doch troſtlos, denn mit Ausnahme der Alleen, welche ſich um die Stadt ſchlingen und längs des zur linken im Thale laufenden Kanals des Manzanaras ſich hinziehen, bemerkt man keinen Baum, faſt kein Grün. Einen eigenthümlichen Eindruck machte auf mich die damals noch nicht vollendete Eiſenbahn nach Aranjuez, welche ſich links von der Straße hinſchlängelt und bald zwiſchen hohen Durchſtichen dem Auge entzieht. Ich glaubte bei'm Anblick der in dem gewöhnlichen Eiſen— bahnſtyle erbauten Brücken, Bahnwärterhäuschen, Tele— graphen u. ſ. w. mich gar nicht in Spanien zu befin— den! Eine vierfache Ulmenallee führt von dem er— wähnten Chauſſeehauſe ſchnurgerade bis zur Brücke über den Brinigal und von hier bis zur Puerta de Atocha empor, woſelbſt wir gerade um 1 Uhr anlangten. Nahe bei dem genannten Thore, links von der Straße, befin— det ſich in einer tiefen Aushöhlung der Bahnhof der genannten Eiſenbahn, deſſen Gebäude damals erſt im Baue begriffen waren. Da ich kein Verlangen darnach trug, mit meinem ſtaubigen Reiſehabit und meinem ſelt— ſam ausſtaffirten Packpferde der Madrider Gaſſenjugend 15 *

228 Ankunft in Madrid.

ein Schauſpiel zu geben, ſo flüchtete ich mich in die erſte beſte Poſade der prächtigen Straße von Atocha, bezog aber, da dieſe Poſade eine der ſchlechteſten war, die es in Madrid geben kann, noch denſelben Abend ein Pri— vatlogis an der hübſchen Plazuela de Santa Ana, welches gegen meinen Willen viertehalb Monate lang mein Standquartier werden ſollte.

Siebentes Kapitel.

Bilder aus Madrid und feiner Umgegend.

Wenn ſchon Valencia den Eindruck einer im regen Fortſchritte begriffenen Stadt auf mich gemacht hatte, ſo wiederholte ſich derſelbe in Madrid in noch viel ſtärkerem Maaße. Ich hatte die Hauptitadt der ſpaniſchen Monar⸗ chie ſeit 1844 nicht mehr geſehen. Damals konnte ich blos zwei Wochen daſelbſt verweilen; nichtsdeſtoweniger war Madrid mit allen ſeinen Einzelnheiten in den leb— hafteſten Farben in meiner Erinnerung zurückgeblieben. Deſto mehr mußten mir die vielen und weſentlichen Ver: änderungen auffallen, welche die Stadt und ihre Umge— bungen während der ſechs Jahre meiner Abweſenheit er— litten hatten. Der Grundriß der Stadt war allerdings noch derſelbe, allein viele Gaſſen und Plätze hatten ein ſo total verſchiedenes Anſehen erhalten, daß ich ſie nur mit Mühe wieder erkennen konnte. Madrid gehört jetzt zu den prächtigſten Städten Europa's, die ich geſehen

230 Verſchönerungen Madrids ſeit 4844.

habe. In den an und für ſich ſchon prachtvollen Stra— \ ßen von Alcala, San Geronimo, Atocha, Carretas, de la“ Montera, Toledo und andern ſind viele ſehr ſchöne Ge— | bäude, zum Theil wahre Palläſte an der Stelle älterer, | unſcheinbarer Häuſer erbaut worden. Die Zahl und die

Eleganz der Kaufläden und Cafés hat ſich vermehrt; ja,

was die Cafés anlangt, ſo dürfte es jetzt ſelbſt in Paris nur wenige geben, welche an Größe, Pracht und Luxus

den erſten Cafés von Madrid gleichkämen. Gleiche Ele-

ganz, gleichen Luxus tragen die Kaufläden, wenigſtens in den Hauptſtraßen, zur Schau. Dazu kommt, daß die Gebäude in Madrid nicht fo finſter, fo verräuchert aus- ſehen, wie die Häuſer von Paris; die Straßen im All- gemeinen daſelbſt breiter, die Häuſer weniger hoch find, | wie dort. Dieſer Umſtand, verbunden mit der ſüdlichen, gefälligen Bauart der Häuſer, den platten Dächern und | zahlloſen Balcons, verleiht der Hauptftadt Spaniens ein ungemein freundliches, heiteres Anſehen. Auch hat Madrid vor Paris den Vorzug größerer Reinlichkeit. Eine weſent— | liche Verſchönerung hat Madrid durch die Einführung der Gasbeleuchtung erfahren. Zwar iſt noch nicht die ganze Stadt mit Gas beleuchtet, jedoch erfreuen ſich bereits die ſämmtlichen Hauptgaſſen und Plätze, und viele Nebengaſ— ſen, desgleichen die prächtige Promenade des Prado der Gasbeleuchtung. Es giebt zwei Gasbereitungsanſtalten, von denen die eine blos zur Erleuchtung des königlichen

Die Gasbeleuchtung. Der neue Cortespallaſt. 234

Schloſſes und ſeiner Umgebungen beſtimmt iſt. Die an— dere, vor dem Thore von Toledo gelegene, beſitzt eine bedeutende Größe, kann aber trotzdem nicht ſo viel Gas liefern, als die Erleuchtung der geſammten Stadt erfor— dert. Die Straßen ſind gut, doch nicht ſehr brillant be— leuchtet; dagegen findet eine große Verſchwendung von Gas in den Cafés und den größern Kaufhallen ſtatt. Gerade deshalb ſehen aber die Straßen Madrids bei Abend außerordentlich glänzend aus. Impoſant iſt der Anblick, den die Straße von Alcala bei Nacht mit ihren endloſen Reihen von Gasflammen von der Puerta de Alcala aus darbietet, desgleichen der Anblick des Prado, deſſen Laubgänge jetzt im Scheine von Hunderten von Gasflammen ganz mährchenhaft ausſehen. Unter den neuen öffentlichen Gebäuden, welche während meiner Ab— weſenheit erbaut worden waren, ſind namentlich zwei herauszuheben, der neue Cortespallaſt und das königliche Theater. Beide wurden erſt während meiner letzten An— weſenheit in Madrid vollendet und eingeweiht. Der Pallaſt der Cortes befindet ſſch an der mit der Bild— ſäule des Cervantes geſchmückten Plaza de las Cortes, das Teatro real in der Nähe des Schloſſes zwiſchen der Plaza del Oriente und dem Platze Iſabella's II., der feinen Namen von einer im Jahre 1850 daſelbſt aufge— ſtellten Bronceſtatue der Königin erhalten hat. Der Cor— tespallaſt iſt ein ſchönes, doch nicht ſehr großes Gebäude

232 Der neue Cortespallaſt. Das neue königliche Theater.

im Style der Deputirkenkammer zu Paris. An der Haupt⸗ fagade vor dem Eingangsportal erhebt ſich ein ſtolzer Porticus mit doriſchen Säulen, deſſen Frontiſpiz ein in weißem Marmor ſehr ſchön ausgeführtes Hautrelief ſchmückt. Leider ſind die Stufen der Treppe, welche zu dieſem Por— ticus emporführen, zu ſchmal ausgefallen, wie es ſcheint, aus Mangel an Platz; ſonſt gewährt Piefe Treppe mit den beiden auf ihren Seitenmauern ruhenden Marmor- löwen einen ſehr ſchönen Anblick. Das Teatro real, früher Teatro del Oriente genannt, iſt ein wunderliches Gebäude. Es bildet ein längliches Sechseck von bedeu— tender Größe, macht aber keinen großartigen Eindruck, weil es in ſeinen einzelnen Theilen einen verſchiedenar— tigen Styl zeigt. Dieſe Verſchiedenartigkeit des Styles erklärt ſich daraus, daß der Bau zu wiederholten Malen unterbrochen und ſpäter von andern Meiſtern nach andern Plänen fortgeführt wurde. Die der Plaza del Oriente zugekehrte Hauptfagade iſt, entſprechend der Rundung die— ſes Platzes, concav und mit einem Porticus verſehen, den die Büſten Calderons, Lope's de Vega und anderer ſpa— niſchen Dramatiker zieren. Die innern Räume des Thea⸗ ters find ſehr ſchön. Namentlich gewähren der Schaufpiel- ſaal und die Bühne wegen ihrer gewaltigen Größe und ihrer prachtvollen Ausſchmückung einen imponirenden Anz blick. Ein ungemein ſchön geformter Kronleuchter ver— breitet durch Hunderte von Gasflammen Tageshelle in

Pracht deſſelben. Die italieniſche Oper und das Ballet. 233

der weiten eleganten Halle, deren Verzierung eben ſo geſchmackvoll, als reich iſt. Die königlichen Logen, das Parkett und die untern Logenreihen (im Ganzen giebt es deren fünf) tragen einen unbeſchreiblichen Luxus zur Schau. So iſt der Fußboden des Parketts mit Teppichen belegt und haben die mit purpurrothem Sammet überzogenen Sperrſitze die Form höchſt bequemer Fauteuils. Mit ähn— lichem Luxus ſind die Sperrſitze und Logen des jetzigen Teatro espanol, des ehemaligen Teatro del Principe, eingerichtet, und auch die übrigen Haupttheater (in Ma— drid exiſtirten damals acht öffentliche Theater) ſollen un— gemein prachtvoll ſein. Wie ſehr ſtehen in dieſer Hinſicht die franzöſiſchen Theater, ſelbſt die erſten Theater von Paris, Bordeaux und Lyon den ſpaniſchen nach! Der Bau und die Einrichtung des königlichen Theaters ſollen Unſummen gekoſtet haben. Nicht weniger koſtet die Un— terhaltung des Beamtenperſonals, welches aus beinahe hundert Perſonen beſteht, der Kapelle und vor Allem der italieniſchen Operngeſellſchaft und des Ballets. Es wer— den nämlich in dem königlichen Theater blos große ita— lieniſche Opern und Ballets gegeben, indem für das Drama und Schauſpiel das Teatro espanol beſtimmt iſt. Für die erſte Saiſon, welche mit dem Namenstage der Köni— gin begann, an welchem Tage (den 19. November) das Theater eröffnet wurde, waren die bedeutendſten Künſtler Europa's für ungeheuere Summen engagirt worden. So

23% Enormer Aufwand des königlichen Theaters.

erhielten die beiden Primadonnen, zwei Italienerinnen, eine jede für jede Vorſtellung 10000 Realen (eirca 670 Thaler Preuß.)! Einen nicht viel geringeren Gehalt be— zogen die übrigen Soloſänger. Als erſter Baſſiſt war ein Deutſcher engagirt worden, der bekannte Karl For— mes aus Köln. Der Koſtenanſchlag für die Sänger al— lein belief ſich auf die Dauer der Saiſon (6 Monate) auf vier Millionen Realen. Dieſer enorme Aufwand wird durch die Einnahme des Theaters lange nicht gedeckt. Denn trotz der bedeutend hohen Preiſe der Plätze (ein Parkettſitz koſtet 35 Realen = 2 Thlr. 10 Sgr.) müſſen bei jeder Vorſtellung, ſelbſt wenn das Haus vollkommen gefüllt iſt, 6000 Realen zugeſchoſſen werden. Der In— tendant oder Director des Theaters erhält daher einen jährlichen Zuſchuß von anderthalb Millionen Realen aus dem königlichen Schatze. Gegenwärtig bekleidet dieſe Stelle der bekannte Finanzmann Salamanca. Ich habe blos einer einzigen Vorſtellung im königlichen Theater beigewohnt, nämlich der Aufführung der „Puritaner“. Ueber die Leiſtung der Sänger, der Chöre und der Ka- pelle kann ich mir wegen Unkenntniß der muſikaliſchen Technik kein Urtheil erlauben. Ich für meinen Theil war vollkommen befriedigt; zwei eben anweſende deutſche und belgiſche Muſiker erklärten die Aufführung für eine durchaus gelungene. Die Decorationen und Coſtüme Gu jeder Oper waren neue angefertigt worden) dürften denen

Die Tänzerin Fuoco. Verſchönerung. in d. Umgeb. d. Schloſſes. 235

der großen Opern zu London, Paris, Wien u. ſ. w. nicht nachſtehen, ebenſowenig der ganze Apparat der Oper, der wahrhaftig impoſant iſt. Nicht minder vortrefflich und prachtvoll ſoll das Ballet ſein, welches ich nicht geſehen habe. Unter den Tänzerinnen ſpielte damals eine der erſten Rollen die Italienerin Fuoco, welche zu jener Zeit als Geliebte des Generals Narvaez der Gegenftand des Stadtgeſprächs war. Die zwiſchen dem Teatro real und dem königlichen Schloſſe befindliche Plaza del Oriente, welche im Jahre 1844 noch zum großen Theil von alten, ſchlechten Häuſern umgeben war, iſt jetzt von prächtigen, pallaſtähnlichen Gebäuden umringt. Auch auf der entgegengeſetzten Seite des Schloſſes ſind bedeutende Verſchönerungen vorgenommen worden. Während bei meiner erſten Anweſenheit in Madrid die unterhalb der Schloßterraſſen befindlichen Plätze am Abhange des Man— zanaresthales noch wüſt, voll Schutt und Unrath lagen, breiten ſich jetzt daſelbſt elegante Blumengärten und Park— anlagen aus, mit Fontainen und Gewächshäuſern. Des— gleichen haben ſich die unmittelbaren Umgebungen der Stadt bedeutend, und nur zu ihrem Vortheil verändert. An der Nordſeite der Stadt, vor den Thoren von Fuen— carral, Bilbao und Santa Barbara iſt eine ganze Vor— ſtadt von eleganten Landhäuſern, von denen manche von weitläufigen Gärten umringt ſind, entſtanden, welche ſich oſtwärts bis an die ſchöne, vor dem Thore von Recole—

236 Die Paſeo de la Fuente Gaftellana.

tos gelegene Promenade des Paſeo de la Fuente Caſtellana erſtreckt, die man als eine Fortſetzung des Prado betrachten kann. Dieſer von der eleganten Welt während des hohen Sommers in den Morgen-, während des Winters in den Mittagsſtunden ſehr beſuchte Spa— ziergang läuft von dem genannten Thore aus in einem flachen Thale hin ſchnurgerade über eine Viertelſtunde weit bis zu der Fuente Caſtellana, einem von einem gro— ßen Baſſin umgebenen und mit einem Obelisken gezierten Brunnen, in deſſen Umgebungen ſich ein hübſcher, kleiner, ſchattiger Park mit Schweizerhäuschen, Cafés u. dgl. aus- breitet. Sowohl dieſer Park, als die aus vielen Baum— reihen beſtehende Promenade wird durch eine koloſſale, von vier Maulthieren in Bewegung geſetzte „Noria“ aus einem am Ende des Parks befindlichen Brunnen unun— terbrochen bewäſſert. Die Anlage dieſer ſchönen Prome— nade hat enorme Summen gekoſtet, und auch ihre Un— terhaltung erfordert einen bedeutenden Aufwand, indem nur bei fortgeſetzter Bewäſſerung es möglich wird, daß die Bäume und Sträucher auf dem dürren Boden nicht zu Grunde gehen.

In gleichem Maaße, wie die Schönheit, Eleganz und Pracht der Stadt ſcheint mir der Luxus ihrer Be— völkerung zugenommen zu haben. Derſelbe zeigt ſich na— mentlich in den Theatern, ganz beſonders im Teatro real, und bei den großen Promenaden auf dem Prado. Die

Luxus der Bewohner von Madrid. Die Königin. 237

Granden, die hohen Staatsbeamten und die reichen Pri— vatleute wetteifern hier mit einander in der Pracht der Equipagen, der Pferde und der Livreen ihrer Dienerſchaft, nicht weniger die Damen in dem Reichthum und der Ele— ganz ihrer Toilette. Ich habe in den Champs Elysées zu Paris kaum geſchmackvollere, elegantere und glänzen— dere Equipagen geſehen, wie auf dem Prado, wo damals Sonntags Abends oft 450 bis 200 Wagen mit prachtvoll angeſchirrten Pferden der edelſten Racen beſpannt und voll reich geſchmückter Damen langſam auf- und nieder— fuhren. Daß auch der Hof in dieſem Luxus nicht zurück— bleibt, braucht kaum bemerkt zu werden. Die Königin ſelbſt ſcheint in ihrer Toilette die Einfachheit zu lieben, umgiebt ſich aber ſtets mit einem bedeutenden Glanze. Sie fuhr damals faſt allabendlich nach dem Prado ſpa— zieren, gewöhnlich in einer leichten, höchſt eleganten, von ſechs Schimmeln gezogenen Chaiſe. Dem Wagen pflegten meiſt eine ſtarke Eskorte aus einem der am prachtvollſten uniformirten Cavalerieregimentern und mehrere vierſpän⸗ nige Equipagen mit Hofchargen zu folgen. Fuhr ſie erſt ſpät Abends aus, wie ſie es nicht ſelten zu thun beliebte, ſo war ihr Wagen außer der üblichen Cavalerieeskorte von einer Anzahl Fackeln tragender Hofbedienten zu Pferde umgeben. Ich bemerke hierbei, daß die Königin zu jener Zeit ſtets allein, niemals in Begleitung ihres Gemahls oder ihrer Mutter, blos in Geſellſchaft einer oder zweier

238 Feſtlichkeiten und Volksfeſte zu Madrid.

Hofdamen ausfuhr. Dem königlichen Wagen unmittelbar pflegte immer die glänzende Equipage des Generals Nar- vaez, damaligen Miniſterpräſidenten, zu folgen.

Während meines langen Aufenthalts in Madrid hätte ich Gelegenheit gehabt, nicht nur alle merkwürdigen Ge— bäude, Sammlungen und andere Sehenswürdigkeiten Ma— drid's in Augenſchein zu nehmen, ſondern auch die Le— bensweiſe ſeiner Bewohner in allen ihren Phaſen zu belauſchen, ſowie einer großen Anzahl von Feſtivitäten und Volksfeſten, welche im Herbſt theils in Madrid, theils in deſſen Umgegend vor ſich gehen, beizuwohnen, wäre ich in der dazu erforderlichen Stimmung geweſen. Allein ein eben ſo unerwartetes als betrübendes Ereigniß, wel— ches ich in dem nächſten Kapitel näher andeuten werde, hatte mich theilnahmlos gegen Alles gemacht, was um mich her vorging. Dennoch ward ich bisweilen, theils durch meine braven Wirthsleute, theils durch meinen treuen Bedienten, theils durch meine Madrider Freunde gewaltſam aus meinem apathiſchen Zuſtande herausgeriſſen und genö— thigt, irgend eine Feſtlichkeit oder ein ſonſt bemerkenswer— thes Stück des madrider Lebens mit anzuſehen oder einen Ausflug an einen intereſſanten Punkt der Umgegend zu machen. Was mir davon im Gedächtniß geblieben iſt, denn Notizen darüber habe ich mir damals nicht gemacht, will ich verſuchen, im Folgenden in einige Bilder zuſam— menzufaſſen.

Die Feria de las Calles. Große Anzahl v. Trödlern u. Antiquar. 239

1. Die Feria de las Calles.

Den 21. September beginnt alljährlich in Madrid ein Jahrmarkt oder eine Meſſe, welche vierzehn Tage dauert und, weil dieſelbe an keiner beſtimmten Localität, ſondern auf allen Plätzen und in allen größern Gaſſen gehalten wird, den Namen: la Feria de las Calles, der Gaſſenmarkt, führt. Während dieſer Meſſe bietet Madrid einen ſehr belebten Anblick dar, indem ſowohl die Bevölkerung der Stadt ſelbſt mehr als ſonſt auf der Gaſſe, im Freien lebt, als auch die Bewohner der um— liegenden Ortſchaften in großer Menge nach Madrid kom— men, um Einkäufe zu machen und ſich zu beluſtigen. Dieſe Meſſe iſt an und für ſich von keiner großen Bedeutung, indem faſt nur Detailgeſchäfte gemacht werden. Die haupt— ſächlichſten Verkaufsgegenſtände ſind: kurze Waaren aller Art, Spielſachen, Gold- und Silberarbeiten, Tücher, Klei— dungsſtoffe und Conditoreiwaaren, meiſt aus dem Aus— lande importirte Artikel. Eine Hauptrolle ſpielen bei dieſer Meſſe die Antiquare und Trödler. Nie und nir— gends habe ich eine ſo große Menge von dergleichen Händlern beiſammen geſehen, wie auf dem Gaſſenmarkte zu Madrid. So iſt die Plazuela de Santa Ana, wo ich wohnte, ein ziemlich großes, regelmäßiges, mit Bäumen bepflanztes Viereck, ſammt der angränzenden Plazuela del Angel und einem großen Theile der Atochaſtraße lediglich

240 Das Leben der Madrider während der Meſſe.

mit Antiquarbuden beſetzt, in und vor denen enorme Mafs ſen alter Bücher, Gemälde, Waffen u. dgl. aufgehäuft liegen. Andere Plätze, wo die Trödler die Oberhand haben, find mit alten Meubles, abgetragenen Kleidungs⸗ ſtücken, Geräthſchaften, Geſchirr u. dgl. m. bedeckt. Eigen⸗ thümlicher und intereſſanter als die Meſſe, iſt das Leben, das Treiben der Menſchen, welches ſich während derſel— ben in den Gaſſen von Madrid entwickelt. Dieſes erreicht ſeinen Höhepunkt in der Calle de Alcala. Dieſe pracht⸗ volle Straße iſt von zwei Budenreihen bedeckt, welche durch den breiten Mittelweg der Straße geſchieden ſind, längs den Trottoirs hinlaufen und voll Conditoren, Ju- welieren, Kurzwaaren- und Ausſchnitthändlern ſind. Auch einige Mauren bemerkte ich hier, die mit wohlriechenden Eſſenzen, Teppichen, Löwen- und Antilopenfellen, wolle nen Schärpen u. dgl. handelten. Hier findet ſtets ein buntes Volksgedränge ſtatt, welches noch dadurch vermehrt wird, daß während dieſer Zeit die große Promenade von dem Prado hierher verlegt wird. Schon in den ſpätern Morgenſtunden promenirt hier die elegante Welt; Nach— mittags bis nach Sonnenuntergang iſt halb Madrid hier verſammelt. Die Wagen fahren auf dem Mittelwege, der zur Ueberwachung der Menſchenmaſſe und Verhütung von Unglück mit Cavalerie beſetzt und abgeſperrt zu ſein pflegt, auf und nieder, während die Fußgänger neben den Budenreihen auf den gaſſenbreiten Trottoirs promeniren.

Promenade in der Alcalaſtraße. Gemäldeausſtellung. 244

Hier find lange Reihen von Rohrſtühlen und Strohfef- ſeln aufgeſtellt, welche gegen ein paar Cuartos zum Beſten des Waifen- und Findelhauſes vermiethet werden. Die Bekannten und Verwandten ſetzen ſich hier zuſammen, es bilden ſich kleine Geſellſchaften und Familienzirkel, zu denen die Fremden leicht Zutritt haben; man ſchwatzt, lacht, neckt ſich, raucht Cigarren, ſchlürft Eis, trinkt Li— monade, ißt Früchte und Zuckerwerk, beobachtet und cen— ſirt die Vorüberpromenirenden, unterhält ſich von Politik, oder noch lieber von der Chronique scandaleuse der höhern Geſellſchaftskreiſe, die in Madrid immer ſehr reich— haltig zu ſein pflegt; kurz, man verbringt die Zeit mit Nichtsthun und ſtrebt blos danach, ſich auf irgend eine Weiſe zu amuſiren. Gleichzeitig mit der Feria de las calles findet eine Ausſtellung neuer Gemälde und plaſtiſcher Kunſtwerke in den Sälen der Academia de nobles artes de San Fernando in der Alcaläftraße ſtatt, zu welcher Jedermann von 40 bis 3 Uhr unentgeldlichen Zutritt hat. Die damalige Ausſtellung, welche ich zwei— mal beſucht habe, bot nicht viel Sehenswerthes dar. Die Zahl der ausgeſtellten Gemälde war gering, die Mehrzahl derſelben höchſt mittelmäßig. Am meiſten erregten meine, ſowie Aller Aufmerkſamkeit drei lebensgroße Porträts von Madrazo, dem Director der Academie von San Fer— nando, und des Muſeo del Prado, einem ſehr genialen Porträtmaler. Das eine ſtellte die Königin, das andere

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 16

242 Die Gemäldeausſtellung. Die Eröffnung der Cortes.

den General Narvaez, das dritte eine junge Dame von | Madrid, eine Sängerin, dar. Außer dieſen drei eben fo getreuen, als ſchön gemalten Porträts waren noch einige recht hübſche Landſchaften und Genrebilder, ſowie Kreide— und Federzeichnungen einiger jungen, in Rom ſtudirenden Spanier da; alle übrigen Bilder verdienten kaum ange⸗ ſehen zu werden. Da dieſe Gemäldeausſtellung vorzüg⸗ lich von den Damen ſtark beſucht wird, ſo will es mich bedünken, daß die Herren mehr hingehen, um „lebende“, | als wie um „gemalte“ Bilder zu ſehen.

2. Die Eröffnung der Cortes und der Namenstag der Königin.

Die Eröffnung der Seſſionen der Repräſentanten der Nation iſt in Spanien ſtets mit großem Pompe Sei⸗ tens des Hofes und der Grandeza begangen worden; ganz beſonders feierlich und glanzvoll war ſie aber im Jahre 1850, weil damit die Einweihung des eben voll | endeten neuen Cortespallaſtes verbunden war. Die Er⸗ öffnung der Cortes fand am 34. October ſtatt. Der eigentlichen Eröffnungsceremonie habe ich nicht beige | wohnt, weil ich in meiner trüben Stimmung es verab- ſäumt hatte, mir ein Entreebillet zu den Tribunen des Sitzungsſaales zu verſchaffen, welches ich durch die preu⸗ ßiſche Geſandſchaft, bei der ich gut angeſchrieben ſtand, ſehr leicht hätte erhalten können. Wohl aber bin ich

Die Eröffnung der Cortes. 243

Augenzeuge der feierlichen Auffahrt der Königin, des Hofes, des Regierungsperſonals, des diplomatiſchen Corps und der geſammten Grandeza vor dem Cortespallaſte ge— weſen und habe ſomit das Glanzvollſte dieſer Feierlichkeit geſehen. Ich muß geſtehen, daß mir ein ſolcher Luxus, eine ſo blendende Pracht, was Equipagen, Beſpannung, Geſchirre, Livreen und Uniformen anlangt, noch nicht vorgekommen war. Leider bewährt ſich hier mehr, als irgend wo anders, das Sprüchwort: es iſt nicht Alles Gold, was glänzend iſt! Der Tag war vom heiterſten Wetter begünſtigt. Schon vom frühen Morgen an win: melten die Gaſſen von feſtlich geputzten Menſchen, beſon— ders von Landleuten, die in die Stadt hereingekommen waren, um dem Schauſpiele der Auffahrt beizuwohnen und die allverehrte Königin zu ſehen. Ich begab mich um 11 Uhr nach dem Cortesplatze, wo ich ſo glücklich war, einen guten Platz unmittelbar neben der Treppe des Cortespallaſtes zu bekommen. Das Hautrelief des Fronteſpizes war erſt an jenem Morgen enthüllt worden, von der Spitze des letztern wehte eine koloſſale gelbrothe Nationalflagge. Linieninfanterie und berittene Gensd'ar— men (Guardia- civil) bildeten bereits ein ununterbroche⸗ nes Spalier von dem Cortespallaſte durch die Straße von San Geronimo, die Puerta del Sol und die Calle mayor bis zum königlichen Schloſſe, ließen jedoch noch Jedermann ungehindert paſſiren. Alle Balcons der ge⸗ . 16 *

241 Auffahrt der Grandeza, des Hofes und der Königin.

nannten Straßen und Plätze waren mit Teppichen und ſeidenen Decken behängt und von feſtlich geſchmückten Damen beſetzt. Ein Theil der Senatoren und Deputir⸗ ten war bereits im Pallaſte verſammelt; die noch fehlen⸗ den langten raſch nach einander an, bald in beſcheidenen Miethkutſchen, bald in glänzenden zwei- und vierſpänni⸗ gen Equipagen. Endlich, gegen 1 Uhr, verkündete der Donner der Kanonen, die im Prado vor dem Buen— Retiro aufgeſtellt waren, und das Geläute aller Glocken die Abfahrt der Königin vom Schloßplatze. Es dauerte nicht lange, fo erſchienen einige Ordonnanzofftziere in Gala, denen das Corps der königlichen Hellebardiere folgte, wel— ches die Treppe und den Eingang des Pallaſtes beſetzte, neben dem bereits das Muſikcorps der Artillerie aufge- ſtellt war. Unter fortwährendem Kanonendonner und Glockengeläute fuhren nun ſucceſſive die Granden und hohen Hofchargen, die Geſandten und Conſuln der frem- den Mächte, die Miniſter, der Infant Don Francisco, die Königin Mutter und zuletzt die Königin mit ihrem Gemahl vor dem Cortespallaſte vor. Die Granden, Hof— chargen, Geſandten u. ſ. w. fuhren in vierſpännigen, die Miniſter und der Infant in ſechsſpännigen, die beiden Königinnen in achtſpännigen Equipagen. Den Wagen der Königinnen, des Infanten, der Miniſter und vieler Granden folgte noch ein mit gleicher Anzahl von Pferden beſpannter leerer Wagen, ein ſogenannter „coche de eti-

Luxus der Grandeza und des Hofes. 245

queta“. Der Luxus der Equipagen, Pferde und Diener— ſchaft ging in's Unglaubliche. Jeder Wagen war mit Pferden von gleicher Rage und Farbe beſpannt, die Pferde prachtvoll angeſchirrt, ein jedes auf dem Kopfe mit einem wallenden Federſtutz geſchmückt. Die Lakayen trugen meift Livreen im Geſchmack der Zeit Louis XV., die von Gold— und Silberſtickereien ſtrahlten. Den ſchönſten Wagen und die prachtvollſte Beſpannung beſaß ein Grande, wenn ich nicht irre, der Herzog von Oſuna. Dieſer kam in einer höchſt eleganten Chaiſe, welche von vier Apfelſchim— meln arabiſcher Rage, von ſchneeweißer Grundfarbe mit großen, runden, ausgezackten braunſchwarzen Flecken, de— ren jeder ein weißes Mittelfeld beſaß, gezogen wurde. Das Geſchirr der prächtigen Thiere war mit purpurro— them Saffian überzogen und mit Silber verziert; auf dem Kopfe trugen ſie hohe Stütze von blauen und wei— ßen Federn. Die Königin Iſabella fuhr in einer großen, von Gold und Edelſteinen incruſtirten, auf der Decke mit der königlichen Krone geſchmückten Staatskaroſſe, die mit acht andaluſiſchen Rappen mit gelbrothen Federſtützen beſpannt war. Sie erſchien hier, ſeit langer Zeit wieder zum erſten Male, an der Seite ihres unanſehnlichen Ge— mahls. Bei ihrer Ankunft ward ſie von der Muſik mit der „Marcha real“, einem ſeltſamen Muſikſtücke, von den auf den Balcons verſammelten Damen mit wehenden Taſchentüchern, von dem Volke und den Truppen mit

246 Die Königin. Die Eröffnungsfeierlichkeit.

einem lebhaften „viva la Reyna!“ begrüßt. Die Königin trug ein weißes Atlaskleid und darüber um die Schul- tern ein breites, hellblaues Ordensband. Am Bufen! prangte das goldne Vlies an goldner, von Perlen und Edelſteinen durchflochtener Kette; um die Stirn ſchlang ſich ein breites Diadem von Brillanten. Escortirt wurde der königliche Wagen von dem ſchönen Regiment der rothen Küraſſiere, welche gleich allen andern Küraſſieren durchgängig andaluſiſche Hengſte reiten und blankpolirte Stahlhelme mit wallenden Roßſchweifen und rothen Fer derſtützen tragen. Die Auffahrt dauerte eine volle halbe Stunde. Die Abfahrt, welche in derſelben Ordnung und ebenfalls unter Kanonenſchüſſen und Glockengeläut erfolgte, habe ich nicht abgewartet. Die eigentliche Eröffnung der Cortes geſchah, wie ich mir habe erzählen laſſen, in fol— gender Weiſe. Die Königin ward beim Eintritt in den prachtvoll geſchmückten Saal von den Senatoren und Deputirten, welche vor ihren Sitzen ſtanden, mit einem einſtimmigen „Viva la Reyna!“ begrüßt und von ihrem Gemahl zu dem Thronſeſſel geführt. Nachdem ſie ſich niedergelaſſen hatte, nahmen die Mitglieder der königlichen Familie, der König zur Rechten der Königin, aber eine Stufe tiefer, die Königin Mutter und die übrigen Ver wandten in den Umgebungen des Thrones auf den ihnen beſtimmten Seſſeln Platz. Hierauf überreichte der Miniſter⸗ präſident der Königin, ſich auf ein Knie vor derſelben

Det Namenstag der Königin. 247

niederlaſſend, die Thronrede, welche die Königin ſitzend mit lauter Stimme ablas, während alle übrigen Anwe— ſenden, mit Ausnahme der königlichen Familie, in ſtehen— der Stellung verharrten. Nachdem die Königin geendet hatte, erklärte der Miniſterpräſident die Cortes für er— öffnet und ſchloß ſeine Rede mit einem Lebehoch auf die Königin und die Conſtitution, in welches alle Anweſenden einſtimmten. Die Königin erhob ſich nun vom Throne und verließ an der Hand ihres Gemahls unter den Accla— mationen der Deputirten und Tribunen den Saal und den Pallaſt.

Nicht minder pomphaft wird der Namenstag der Königin, welcher auf den 19. November fällt, begangen. An dieſem Tage findet in den Nachmittagsſtunden die Ceremonie des „besamano“ (Handkuſſes) im Thronſaale des königlichen Pallaſtes ſtatt. Alle Granden, Großwür— denträger des Reichs, das diplomatiſche Corps, die Be— hörden und die hohe Geiſtlichkeit von Madrid begeben ſich zur beſtimmten Zeit mit demſelben Prunke, wie bei der Eröffnung der Cortes, nach dem Schloſſe, um der Königin, die im genannten Saale, umringt von ihrem geſammten Hofſtaate, auf dem Throne ſitzt, die Huldigung des Handkuſſes zu erweiſen und derſelben ihre Glückwünſche darzubringen. Halb Madrid, Jung und Alt, Vornehm und Gering ſtrömt nach dem Schloßplatze, wo ein un— unterbrochenes Concert von Seiten der Militärmuſik ſtatt⸗

248 Die Vispera de los Difuhtos.

findet, um das Defiliren in Parade der Garniſon von Madrid vor den Balcons der königlichen Wohnung, die Auffahrt der Gratulanten und das Erſcheinen der Köni⸗ gin auf dem Balcon mit anzuſehen. Abends waren die öffentlichen Gebäude und viele Privathäuſer glänzend er- leuchtet.

3. Die Vispera de los Difuntos.

Der zweite Tag des Novembers iſt in Spanien, wie in der geſammten katholiſchen Chriſtenheit dem Andenken der Verſtorbenen gewidmet. Es werden an dieſem Tage in ſämmtlichen Pfarrkirchen feierliche Todtenmeſſen, ver- bunden mit Prozeſſionen innerhalb der Kirchen, gehalten. Bereits Tags zuvor, am Tage aller Heiligen, pflegen die Gräber von den Angehörigen der Verſtorbenen beſucht und geſchmückt zu werden, und da dieſe Sitte am Tage vor dem Todtenfeſte ſtattfindet, fo nennt man den 4. No⸗ vember oder das Feſt aller Heiligen in Hinſicht hierauf die Vispera (den Vorabend) de los difuntos. Wie in Allem, ſo wird auch mit dem Schmücken der Gräber in Madrid viel Luxus getrieben; beſonders werden enorme Mengen von Wachskerzen conſumirt, indem das Schmücken der Grabſtätten vorzüglich darin beſteht, daß man bren⸗ nende Wachskerzen auf oder vor denſelben aufſtellt. MWa⸗ drid bietet an dieſem Tage einen ganz eigenthümlichen Anblick dar, indem alle Welt, beſonders die Frauen,

Phyfiognomie von Madrid an diefem Tage. Die Friedhöfe. 249

ſchwarz gekleidet zu gehen pflegen, Alles nach den Fried— höfen ſtrömt und man in allen Gaſſen Kerzenbündel, Leuchter und Kränze herumtragen ſieht. Der Beſuch der Friedhöfe iſt in Madrid zu einem förmlichen Volksfeſte geworden. In den Morgen- und Nachmittagsſtunden iſt die Stadt wie ausgeſtorben, weil, wer nur irgend fort kann, ſich nach dem Friedhofe begiebt. Auch hier zeigt ſich der Luxus, die Prachtliebe der haute volee, In langen Zügen bewegen ſich die Equipagen der Granden und der Geldariſtokratie langſam nach den Friedhöfen, auf denen eine förmliche Promenade in den Hauptgängen ſtattfindet. Entſprechend der ernſten Bedeutung des Ta— ges ſind die Wagen ſchwarz ausgeſchlagen, die Pferde mit ſchwarzen Decken verhängt, die Lakaien in ſchwarze, ſilbergeſtickte Livreen gekleidet. Vor dem Eingange der Friedhöfe ſtehen Buden, in welchen Kränze, Kerzen, Hei— ligenbilder, Roſenkränze u. a. D., desgleichen Erfriſchun— gen aller Art, Früchte und Gebäck zum Verkauf ausge— boten werden. Auch pflegt ſich hier ſtets eine Menge Zigeunerinnen anzuſiedeln, welche geröſtete Kaſtanien, Eicheln und Pinienkerne, die ſie fortwährend über Koh— lenfeuern bereiten, zu verkaufen haben, und ihre Waare mit gellendem Geſchrei ausrufen; kurz, es wird vor je— dem Friedhofe ein förmlicher kleiner Jahrmarkt gehalten. Die Ausſchmückung der Gräber mag der Kerzen halber viel Geld koſten, da man vorzüglich lange und dicke Ker—

250 Schmückung der Gräber.

zen von weißem Wachs dazu verwendet, pflegt aber in den meiſten Fällen nichts weniger als geſchmackvoll zu ſein. Ein Schmücken der Ruheſtätten nach unſerer Sitte iſt in Spanien wegen der eigenthümlichen Einrichtung der Friedhöfe, die ich bereits in meinem erſten Reiſewerke beſchrieben habe, gar nicht möglich. Die wie Bienenzel— len in den dicken Mauern über einander liegenden Sarg: niſchen bieten nur eine kleine und verticale Fläche dar, welche aus dem gewöhnlich mit einer Inſchrift verſehenen Schlußſteine der Niſche beſteht. Eine reiche Ausſchmückung einer einzelnen Niſche iſt daher gar nicht denkbar. Man muß ſich begnügen, einen oder ein paar Kränze an den Schlußſtein zu befeſtigen, oder ihn mit einer Guirlande zu umgeben. Da es nun Sitte iſt, daß dieſe Kränze und Guirlanden nicht aus friſchen Blumen und Blättern, ſondern entweder aus Immortellen oder aus künſtlichen Blumen von ſchwarzem Sammet oder Papier gemacht werden, ſo bieten die damit geſchmückten Sargniſchen einen ſehr düſtern Anblick dar. Häufig geſellt ſich dazu noch eine völlige Geſchmackloſigkeit in dem Arrangement. Die Kerzen werden vor den Niſchen entweder auf Leuch— tern, oder auf treppenartigen, mit Dillen verſehenen Ge— rüſten aufgeſtellt. Bei den Grabſtätten von Granden und anderer vornehmen und vermögenden Leute habe ich bis— weilen bis hundert brennende Kerzen in Form von Py— ramiden aufgeſtellt geſehen. Die armen Leute, die ihren

Die Kirchhöfe von Atocha, Fuencarral und del Sacramental. 254

Verſtorbenen keine Niſche kaufen konnten“), ſondern die— ſelben auf den Plätzen, welche die Abtheilungen des Fried— hofs von einander ſcheiden, in die Erde begraben laſſen mußten, pflegen die Stellen, wo ihre Angehörigen ruhen, mit einer in den Boden geſteckten Kerze von gelbem Wachſe, an welcher ein Zettel mit dem Namen des Todten befeſtigt iſt, zu bezeichnen. Ich beſuchte an jenem Tage hinter einander die Friedhöfe von Atocha, Fuencar— ral und del Sacramental. Sie, wie alle übrigen, liegen außerhalb der Stadt, die beiden zuletzt genannten nahe bei einander vor dem Thore von Fuencarral. Ich habe ſchon in meiner erſten Reiſebeſchreibung bemerkt, daß die ſpaniſchen Friedhöfe einen ſehr triſten Anblick gewähren, weil ſie nicht mit Bäumen und Blumen, wie es bei uns Sitte iſt, bepflanzt zu ſein pflegen. Auch die Mehrzahl der madrider Gottesacker, darunter der berühmte Friedhof von Atocha, theilt dieſen traurigen und öden Charakter. Nur der Cementerio del Sacramental, ein, wie es ſcheint, erſt vor wenigen Jahren angelegter Fried— hof, hat ein freundlicheres Anſehen, indem derſelbe mit

*) Eine Grabniſche koſtet in Madrid 464 Realen 30 Thlr. 28 Sgr. und wird blos auf vier Jahre verabfolgt. Iſt dieſer Zeitraum verſtrichen, ſo muß die Zahlung erneuert werden; wo nicht, wird der Sarg herausgenommen und werden die Gebeine des Verſtorbenen in das Beinhaus oder Knochenbehältniß (osario comun) gebracht. Dieſe geringe Pietät gegen die Verſtorbenen beurkundende Einrichtung beſteht bei allen ſpaniſchen Friedhöfen.

252 Ausflug nach Villavicioſa de Odon.

Parkanlagen, Blumenbosquets und Alleen, meiſt aus Cy⸗ preſſen beſtehend, geſchmückt iſt.

4. Die Forſtacademie von Villavicioſa.

Im Jahre 1847 ward durch ein königliches Decret die Einrichtung einer Lehranſtalt zur Heranbildung von Forſtmännern nach dem Muſter der Academie zu Tharand beſchloſſen, um dadurch die Wälder und das Forſtweſen Spaniens emporzubringen. Die neue Academie, Escuela especial de selvicultura genannt, ſollte anfangs nach Aranjuez verlegt werden; ſpäter wurde dieſer Plan geän⸗ dert und die Anſtalt in dem drei Leguas weſtlich von Madrid gelegenen Flecken Villavicioſa de Odon er⸗ richtet. Da ich mit dem einen der an derſelben angeſtell⸗ ten Profeſſoren, Don Pascual de Gonzalez, ſchon ſeit der Zeit, wo derſelbe in Tharand ſtudirte, befreundet war, und ich denſelben fett vielen Jahren nicht mehr ges ſehen hatte, jo machte ich in den letzten Tagen des Sep- tember einen Ausflug an den genannten Ort, um die alte Bekanntſchaft wieder aufzufriſchen und zugleich die neue Academie, die erſte ſpaniſche Anſtalt der Art, in Augen- ſchein zu nehmen. Die Gegend zwiſchen Madrid und Villavicioſa iſt ganz eben; der Boden beſteht aus Sand, iſt wenig angebaut, theilweis mit blattloſem Ginfterge- büſch (Retama sphaerocarpa Boiss.) bedeckt. Man folgt anfangs der Heerſtraße nach Eſtremadura, welche das

Lage des Orts. Die Forſtacademie. 233

Thal des Manzanares kreuzt, deſſen der Stadt gegen— über liegender Abhang hier eine außerordentlich ſchöne und imponirende Anſicht von Madrid darbietet. Später,

beim erſten Chauſſeehauſe, muß man einen rechts abgehen-

den Fahrweg einſchlagen, welcher, ohne einen bewohnten Ort zu berühren, bis Villavicioſa läuft. Dieſer Flecken liegt recht anmuthig in einem flachen, wohl angebauten und ziemlich baumreichen Thale. Von dem Rande deſ— ſelben hat man eine überaus prächtige Ausſicht auf die weſtlichſten Theile des Guadarramagebirges, auf die Sierra de Avila und beſonders auf den hohen, male— riſchen Felſenwall der Sierra de Gredos, welche ſich eine ſtarke Tagereiſe weiter weſtlich erhebt und für den höchſten Theil des centralen Scheidegebirges gilt. Links, in weiterer Ferne, erblickt man auch am Horizont einzelne Kuppen und Kegel der Montes de Toledo. Am Ab— hange des Thales, eine kurze Strecke oberhalb des Fleckens, erhebt ſich ein ſtolzes, alterthümliches Schloß mit dicken, runden Thürmen und hochgewölbten Fenſtern, ehedem eine Beſitzung der Grafen von Chinchon. In dieſem pittoresken, gänzlich aus Granitquadern aufgeführten Ge— bäude befindet ſich die Forſtſchule. Da gerade die halb— jährigen Prüfungen, welche am Schluſſe eines jeden Se— meſters vorgenommen werden, ſtattfanden, ſo konnte ich meinen Freund im erſten Augenblicke nicht ſprechen; der— ſelbe überraſchte mich aber mit ſeinem Beſuche, während ich

254 Beſuch und Einrichtung der Forſtacademie.

in der ziemlich ſchlechten Poſada zu Mittag ſpeiſte, in Be⸗ gleitung eines andern Profeſſors der Anſtalt, in dem ich einen alten Freund von meiner erſten Reiſe her erkannte, den ich in Barcelona, wo er damals ſtudirte, kennen ge lernt hatte. Begleitet von dieſen beiden trefflichen Män⸗ nern nahm ich zuerſt die Academie in Augenſchein, wo: ſelbſt ich ein Stündchen der Nachmittagsprüfung beiwoh- nen mußte und bei dieſer Gelegenheit die Bekanntſchaft des Directors der Anſtalt, Don Bernardo de la Torre )), des Lehrers der deutſchen Sprache, eines Spanier, der früher längere Zeit in Oeſtreich gelebt hat, ſowie der übrigen Profeſſoren machte. Nach beendetem Examen, welcher in dem elegant decorirten und mit dem Bildniß der Königin geſchmückten Schulſaale gehalten wurde, führ⸗ ten mich meine Freunde in dem alterthümlichen Schloſſe herum. Ein Theil der vielen Räumlichkeiten deſſelben iſt zu Auditorien umgeſchaffen worden; andere Gemächer hat man zur Aufnahme der Bibliothek, der naturhiſtori⸗ ſchen und anderer Sammlungen beſtimmt; noch ein an⸗

*) Dieſer Herr iſt zwar der eigentliche Director, ſteht indeſſen der Anſtalt mehr dem Namen nach, als in der Wirklichkeit vor. Die Seele der Academie iſt mein Freund Gonzalez, der Profeſſor des Forſtweſens, indem nach ſeinen Vorſchlägen die ganze Anſtalt eingerichtet worden iſt und geleitet wird. Dahin iſt die Angabe Alexander Zieglers in ſeiner „Reiſe in Spanien“ (Leipzig, bei F. Fleiſcher, 4852) zu berichtigen, daß die Forſtſchule unter der unmittelbaren Leitung von Gonzalez ſtehe.

Ausſicht v. d. Gebäude. Der Forſtgart. u. d. neuen Anpflanzung. 255

derer Theil dient meinem cataloniſchen Freunde de Bose, welcher die Profeſſur der Naturgeſchichte bekleidet, zur Wohnung. Von der offenen Gallerie, die im zweiten Stockwerke um das Schloß herumläuft, und beſonders von dem Kranze des Schloßthurmes, genießt man eine herrliche Ausſicht auf das majeſtätiſche Scheidegebirge, welches den Horizont gegen Weſten und Norden weithin umwallt. Unter den zahlreichen Ortſchaften, welche durch das wellenförmige Land umhergeſtreut ſind, erwähne ich den Escorial, den man von hier aus am Abhange der Guadarramakette ganz deutlich erblickt. Das Schloß iſt mit hübſchen Parkanlagen umgeben; hinter demſelben befindet ſich ein allerliebſter, mit üppigem Baumwuchs geſchmückter, von einem kleinen Bache durchſtrömter Grund, der Anfang des Thales von Villavicioſa. Man hat hier große Pflanzungen von allen möglichen Laub- und Na— delhölzern angelegt, die aber ſehr kümmerlich ausſahen. Der eigentliche, ſogenannte Forſtgarten liegt innerhalb des Fleckens auf einem terraſſirten Abhange. Ich habe da ſehr gute Weintrauben gegeſſen; von Forſtpflanzen war aber nicht viel zu ſehen. Es dürfte überhaupt eine Reihe von Jahren vergehen, bevor dieſe Academie eine Schule zur praktiſchen Erlernung des Forſtweſens werden wird. Es giebt nämlich in den Umgebungen von Villavicioſa weit und breit keinen einzigen Wald, ein Umſtand, der mir dieſen Ort als einen ſehr unpaſſenden und unglück⸗

256 Der Graf Campuzano. Lehrcurſus der Academie.

lich gewählten für eine Forſtſchule erſcheinen laſſen will. Um dieſem Uebelſtande abzuhelfen, hat man die erwähn⸗ ten Anpflanzungen gemacht; aber, lieber Himmel, wie viele Decennien werden verfließen, bevor ſich dieſelben zu einem Walde werden umgeſtaltet haben, da fie großen- theils aus Eichen und andern langſam wachſenden Holz— arten beſtehen. Außerdem ſcheint der thonigſandige Bo- den die Forſtcultur wenig zu begünſtigen. Mehr ſoll ſich derſelbe zum Weinbau eignen. Wenigſtens hat der Graf Campuzano, welcher ehedem Geſandter in Dresden war und mit einer Dresdnerin verheirathet iſt, in der Nähe ſeines in Villavicioſa gelegenen Landſitzes eine große Weinpflanzung angelegt, die einen vortrefflichen Wein liefert. Der Graf hat auch Verſuche mit Fabrikation mouſſirender Weine anſtellen laſſen, welche zur Zufrie⸗ denheit ausgefallen ſein ſollen.

Die Academie von Villavicioſa war im Sommer⸗ ſemeſter 1850 von 52 jungen Leuten beſucht worden. Es befindet ſich daſelbſt ſtets eine beſtimmte Anzahl von Pen⸗ ſionären der Casa Real (junge Leute, welche die Königin ſtudiren läßt). Der Curſus des Unterrichts iſt vierjährig; die Zahl der Lehrer beträgt neun. Die Unterrichtsgegen⸗ ſtände ſind: Forſtweſen, Zoologie, Botanik, Mineralogie und Geologie, Geographie Phyſik, Mathematik, Geodäfte, Zeichnen, deutſche, franzöſiſche und engliſche Sprache. Dem Unterricht im Forſtweſen iſt das Lehrbuch von Cotta

Deutſche Sprache. Herbarium Boutelou's. 257

zu Grunde gelegt. In der deutſchen Sprache ſchienen die damaligen Zöglinge keine großen Fortſchritte gemacht zu haben. Wenigſtens wurde ihnen das Leſen ſehr ſchwer und ſie ſprachen das Deutſche ſo ſchlecht aus, daß ich kaum ein Wort verſtehen konnte. Der Profeſſor der deutſchen Sprache wird ihnen freilich kaum eine gute Pronunciation beibringen können, da er blos öſtreichiſches Deutſch und auch dieſes jammervoll ausſpricht. In den übrigen Fächern ſchienen die jungen Leute ganz leidliche Kenntniſſe zu beſitzen. Gonzalez giebt ſich alle Mühe, um die Anſtalt emporzubringen. Durch ſeine Vermittlung ſind ſchon ganz hübſche phyſikaliſche, naturhiſtoriſche und Modellſammlungen zuſammengebracht worden. Auf ſeinen Antrieb hat die Regierung auch das Herbarium des ver— ſtorbenen D. Claudio Boutelou für die Academie angekauft, welches die Grundlage des academiſchen Her— barii bilden ſoll. Für Botaniker bemerke ich hierbei, daß das genannte Herbarium, welches ich im Jahre 1844 in Sevilla genau durchgeſehen habe, von großer Wichtigkeit für die Flora Spaniens und Südamerika's iſt, indem es eine Menge von Originalexemplaren der ſpaniſchen Bo— taniker enthält.

Ich wollte noch denſelben Abend nach Madrid zu— rückkehren, mußte aber dieſem Vorſatze untreu werden, indem mich der Director zum Abend zu einer „tertulia“ in ſeinem Hauſe einlud. Ich lernte daſelbſt die übrigen

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 17

258 Ein Abend beim Director der Academie.

Honoratioren des Ortes und deren Frauen und Töchter kennen. Die bald in ſpaniſcher, bald in deutſcher Sprache geführte Converſation drehte ſich faſt ausſchließlich um Deutſchland und deutſche Zuſtände. Auch auf andere Weiſe ſuchte man mich an mein fernes Vaterland zu er⸗ innern. Die eine Tochter des Directors ſpielte ſehr hübſch Klavier. Auf einen Wink ihres Vaters ſetzte fie ſich an das Fortepiano, welches ebenfalls ein deutſches Fabrikat war, und begann zu meiner großen Ueberraſchung Lieder von Schubert, Mendelsſohn und andern deutſchen Componiſten zu ſpielen. Weniger war ich erfreut, als der Profeſſor der deutſchen Sprache einige jener Lieder | ſang, da er dieſelben durch ſeine fehlerhafte Ausſprache ſehr verunſtaltete. Während dieſer Unterhaltung braute Gonzalez Eierpunſch nach deutſcher Sitte, und ich muß ihm die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er die Fa⸗ brikation dieſes Getränks in Deutſchland gründlich erlernt hatte. In früherer Zeit würden mich dieſe Erinnerungen an die Heimath in einem abgelegenen Winkel Neucaſti⸗ liens ſehr heiter geſtimmt haben; an jenem Abend aber dienten ſie blos dazu, meine trübe Stimmung noch zu erhöhen, weshalb ich froh war, als endlich nach Mitter⸗ nacht ſich die Geſellſchaft trennte. Ich ſchlief beim Pro⸗ feſſor de Bosc in dem alterthumlichen Schloſſe und ritt am folgenden Morgen nach Madrid zurück.

Achtes Kapitel. Das Guadarramagebirge und Segovia.

Die Umgebungen von Madrid bieten dem Botaniker ün hohen Sommer wenig Ausbeute dar, indem die We: getation, wenigstens die krautartigen Pflanzen, in Folge der groben Hitze und des Mangels an Regen [horn An⸗ fang des Juli vertrocknet. Ich beſchloß daher, die Zeit, während welcher mir die Hauptſtadt Spaniens zum Standquattier dienen ſollte, zu einer Unterſuchung des großen, zwiſchen beiden Caſtilien, ſowie zwiſchen Leon und Eſtremadura ſich erhebenden Gebitgszuges zu benutzen, in der Hoffnung, in feinen waſſerreichen Thälern und auf ſeinen erhabenen Gipfeln noch einen friſchen Pflan⸗ zenwuchs zu finden. Mein erſter Ausflug ſollte dem Madrid zunächſt gelegenen Theile des Scheidegebitges, der majeſtätiſchen Sierra de Guadartama gelten. Zufällig traf es ſich, daß auch der Director des botani⸗ ſchen Muſeums, der Profeſſor Don Vicente Cutanda, mein wackerer Freund, eine botaniſche Excurſion dahin zu unternehmen beabſichtigte, was mich bewog, meine

17*

260 Der Wald des Pardo.

Reiſe noch einige Tage zu verſchieben, da ich hoffen durfte, daß ich in Begleitung dieſes, mit den Localitäten und der Vegetation des Gebirges wohl vertrauten Man⸗ nes viel bedeutendere Reſultate gewinnen würde, als wenn ich allein reiſte.

In einer leichten Tartana verließ ich mit Cutanda und zwei Gehilfen des botaniſchen Gartens, am frühen Morgen des 9. September, Madrid, nachdem ich meinen Bedienten beauftragt hatte, mit meinen Pferden nach dem Flecken Colmenar viejo zu reiten und uns da⸗ ſelbſt zu erwarten. Wir wollten nämlich durch den Wald des Pardo dahin reiſen, in der Hoffnung, in demſelben einige Ausbeute zu finden, eine Hoffnung, die nicht in Erfüllung ging, da auch dort Alles verdorrt war. Der Wald, in welchem das berühmte königliche Jagd- und Luſtſchloß el Pardo liegt, beginnt in der Nähe des ſo⸗ genannten „eiſernen Thores“ (la puerta de hierro), mit dem die ſchöne, von dem Thore des heiligen Vincenz aus, am linken Ufer des Manzanares hinlaufende Allee endet, und durch welches die Straße nach Valladolid und dem Escorial führt. Dieſer Wald beſitzt einen Umfang von 15 Leguas, wird in nordſüdlicher Richtung vom Manza⸗ nares durchſtrömt, beſteht vorzüglich aus Immergrüneichen und Eſchen (Fraxinus angustifolia Vahl.) und iſt als | der letzte bedeutende Reſt der großen Wälder zu betrach⸗ ten, welche ohnedem, hiſtoriſchen Urkunden zufolge,

Ortſchaft und Schloß el Pardo. 264

die Gegend von Madrid weit und breit bedeckt haben. Man darf ſich übrigens unter dieſem Walde keinen deut- ſchen Laubhain vorſtellen, denn die Bäume ſind weder groß, noch ſtehen ſie dicht beiſammen. Große Strecken find auch blos mit niedrigem Gebüſch, beſonders mit der blattloſen, ruthenäſtigen Retama sphaerocarpa Boiss. bewachſen. Der ganze Wald iſt in mehrere Bezirke oder Quartiere eingetheilt, deren jedes unter der Aufſicht eines Forſthüters (guardamonte) ſteht, und von einer Mauer umgeben. Es führen 17 Wege durch denſelben, unter andern auch ein Fahrweg nach Colmenar, welchen wir einſchlugen. Ohne ſpecielle Erlaubniß der Adminiſtration des Schloſſes darf Niemand den Wald betreten. Die Ortſchaft el Pardo und das Schloß liegen gleich am Anfange des Waldes. Erſtere iſt klein, aber regelmäßig und hübſch gebaut; das von Gärten und ſchattigen Alleen umgebene Schloß dagegen ein großes impoſantes Ge— bäude. Es wurde auf Befehl Kaiſer Karls V., unter der Leitung des Architecten Luis de la Vega erbaut und bildet ein großes Viereck von einfach edlem Styl. Seine Gemächer ſollen ſehr intereſſante Freskogemälde, Tapeten und andere Kunſtwerke enthalten; unſere be— ſchränkte Zeit erlaubte es uns leider nicht, das Schloß zu beſuchen.

Colmenar viejo, wohin wir um A Uhr gelangten, iſt blos eine halbe Stunde von dem nördlichen Rande

262 Lage von Colmenar viejo.

des Pardowaldes entfernt. Es liegt bereits innerhalb der Granitformation, welche die Sierra de Gugdarramg, wie überhaupt den bei weitem größten Theil des Schei⸗ degebirges zuſammenſetzt, auf einem der zahlloſen ahge⸗ rundeten Hügel, die ſich zu beiden Seiten des Guadar⸗ ramagebirges längs ſeines Fußes erheben. Alle dieſe Hügel ſind mit loſen Granitbrocken, oft von enormer Größe und abenteuerlicher Geſtalt, beſtreut. Zwiſchen dieſen Granitblöcken liegen auch zum Theil die ungn⸗ ſehnlichen Häuſer der ſehr unebenen und ſchmuzigen Gaſſen des Fleckens, welcher außer dem ſehr hohen, viereckigen, in eine ziemlich gothiſche Pyramide auslaufenden Thurm ſeiner Kirche, der bis zum Knopfe aus Granitquadern erbaut iſt, nichts Merkwürdiges darbietet. Zu meinem Erſtaunen und Verdruß war mein Bedienter noch nicht da, weshalb wir unſere Wanderung nicht ſogleich fort⸗ ſetzen konnten, nachdem Cutanda für ſich und ſeine Be⸗ gleiter Pferde gemiethet hatte. Wir warteten mehrere Stunden, doch vergeblich; Aguſtin ließ ſich nicht ſehen. Da mein Freund ſeine Reiſe nicht länger aufſchieben konnte, und ich mich nicht von ihm trennen mochte, ſo wanderte ich zu Fuß bis nach dem zu unſerem Nacht⸗ quartier erkorenen Dorfe Chozas de la Sierra, wel⸗

ches zwei Leguas von Colmenar entfernt iſt und nahe

am Fuße der Sierra in einem weiten, flachen, baumrei⸗ chen Thale recht anmuthig liegt. Zwiſchen Colmenar und

. . ,

Gegend zwiſchen Colmenar und Chozas. 263

Chozas überſteigt man ein welliges, nacktes, theils mit Getreidefeldern, theils mit von Steinmauern umhegten Weideplätzen (dehesas) bedecktes Plateau, von dem aus man eine prachtvolle Anſicht des nahen Guadarramage⸗ birges genießt. Der Eindruck, den daſſelbe macht, iſt ein durchaus ernſter. Die Abhänge des hohen, ſteil an— ſteigenden Walles, auf dem ſich gewaltige Kuppen von abgerundeter oder pyramidaler Form erheben, ſtarren von rieſigen Felsmaſſen; die ſanfteren Lehnen und die zahl— loſen Schluchten ſind mit dunkelgrünem Laubgebüſch und ſchwarzer Kiefernwaldung bekleidet; auf den Kämmen und an den Seiten der Kuppen breiten ſich von Bächen durch—

furchte Alpenwieſen und graue Geröllelehnen aus. Einen ſehr intereſſanten Anblick bietet namentlich die Sierra Pedriza dar, ein weſtlich von Chozas ſich erhebender, von dem Hauptgebirge gen Süden auslaufender Zweig, indem ſeine ſteilen Abhänge und bizarr zerriſſenen Gipfel aus einem Labyrinth von einzelnen Granitfelſen beſtehen. Gegen Oſten erblickt man in geringer Entfernung einen iſolirt aus dem Plateau aufragenden Granitberg, von flach pyramidaler Geſtalt, welcher gleichſam einen Vor— poſten der majeſtätiſchen Guadarrama bildet und die von Madrid nach Frankreich führende Straße beherrſcht, wes— halb er ein in ſtrategiſcher Hinſicht wichtiger Punet iſt. Dieſer im Frühlinge durch ſeinen Kräuterreichthum ausge— zeichnete Berg führt den Namen Cueſta de San Pedro.

264 Abenteuer auf der Rückkehr nach Colmenar.

Nach einer in der ſchlechteſten Poſada von Chozas, auf einer jämmerlichen Streu vollbrachten Nacht, kehrte ich nach Colmenar zurück, da mein Bedienter nicht nach Chozas gekommen war, während Cutanda mit ſeinen Be⸗ gleitern ſich in die Sierra begab. Auf dem Wege nach Colmenar begegnete mir ein Abenteuer, das, wenn ich mit dem Lande nicht ſchon bekannt geweſen wäre, gefähr⸗ liche Folgen für mich hätte haben können. Ich gerieth nämlich in eine Heerde wilder Stiere, indem dieſelbe in

einer mit Gras bedeckten Niederung, durch die der Weg

führte, weidete. Wahrſcheinlich hatten die Thiere die niedrigen Mauern der oben erwähnten dehesas, welche zu ihrem Aufenthalt beſtimmt ſind, überſprungen, um

ſich beſſeres Futter zu ſuchen. Eingedenk der mir von

Eingeborenen für dergleichen in Spanien häufig vorkom⸗ mende Fälle gegebenen Verhaltungsmaaßregeln ging ich

ruhig auf dem Wege fort, ohne meine Schritte zu be—

ſchleunigen oder mich umzuſehen, oder ſonſt eine unge— wöhnliche Bewegung zu machen, und richtig, die wilden Beſtien machten mir, wie die Bauern mir oft verſichert hatten, ganz gefällig Platz und begnügten ſich damit, mich neugierig anzuglotzen. Stehenbleiben oder raſches Entfliehen hätte mir unfehlbar einen Angriff von Seiten der Stiere zugezogen. In der Poſada zu Colmenar fand ich endlich Aguſtin wieder, der eben eingetroffen war. Er hatte Tags zuvor Madrid aus Mißverſtändniß erſt

Reiſe nach dem Kloſter el Paular. 265

um Mittag verlaſſen, den Weg verloren und die Nacht in einem, mehrere Stunden von Colmenar entfernten Kloſter zugebracht. Nach kurzer Raſt ritten wir wieder nach Chozas, woſelbſt wir um 2 Uhr eintrafen. Da das Wetter ſchön war, ſo brach ich, ſobald die Pferde abge— füttert worden waren, wieder auf, in der Hoffnung, das mitten im Guadarramagebirge gelegene Karthäuſerkloſter el Paular noch erreichen zu können, welches mein Freund zum Standquartier während unſeres Aufenthalts in der Sierra auserkoren hatte. Auch ſollte das Kloſter den Verſicherungen des Poſadaro zufolge, blos drei Leguas entfernt ſein. Zwiſchen zerſtreuten, von Obſtbäumen um⸗ gebenen Häuſern und maleriſchen, von üppigem Laubwerk umkränzten Felsparthieen, gelangten wir auf dem brei— ten, betretenen Saumpfade bald an den Fuß des Ge— birgsabhanges. Den Weg kletterten wir in großen Zick— zacks an dem dicht mit Eichengebüſch (Quercus Tozza) bekleideten Gehänge empor, bis zu dem Kamme eines Ge— birgszweiges, welcher mit der oben erwähnten Sierra Pedriza beinahe einen rechten Winkel bildet und das Thal von Chozas von dem von Miraflores ſcheidet. Von dieſem mit Gerölle und quelligen Bergwieſen bedeck— ten Kamm eröffnete ſich uns eine weite Ausſicht über das Plateau von Neucaſtilien, welches in der unmittel— baren Nähe des Gebirges, ſo weit die Granitformation reicht, wegen der vielen Bäume, graſigen Niederungen

266 Miraflores de la Sierra. Puerto de la Marcuera.

und zerſtreuten Ortſchaften einen recht freundlichen An⸗ blick gewährt, jenſeits dieſes ſchmalen Gürtels dagegen als eine nackte, graue, düſtere Fläche erſcheint. Und zur Linken, gegen Oſten, zog ein tiefes, von kiefernbewalde⸗ ten Gehängen eingeſchloſſenes Thal hin, an deſſen Aus⸗ gang mit granitener Baſis der Flecken Miraflores de la Sierra liegt. Die Häuſer dieſes Fleckens, desglei⸗ chen die aller anderen Ortſchaften der Sierra und des Scheidegebirges überhaupt, ſind mit hellrothen Ziegeln gedeckt, weshalb dieſe Ortſchaften die großartigſten Ge⸗ birgslandſchaften ſehr anmuthig beleben. Der Weg wurde nur bald ſehr ſchlecht, indem er am ſteilen Abhange des Thales von Miraflores hin liegt. Zur Linken gähnte fortwährend ein tiefer Abgrund, zur Rechten thronten hoch über uns zerboſtene Gebirgskuppen mit nackten, von loſem Gerölle und Steinblöcken überſchütteten Abhängen. Endlich gelangten wir an den Urſprung des das Thal be— wäſſernden Baches und mußten nun auf halsbrecheriſchem Wege an einer langen und ſteilen, mit einzelnen halb verdorrten Kiefern beſtreuten Geröllelehne zu dem hohen Puerto de la Marcuera emporklimmen. Mit dieſem Namen bezeichnen die Gebirgsbewohner ein geräumiges, beinahe zwei Stunden breites Plateau, welches ſich zwi— ſchen hoch anſchwellenden Felskuppen auf der ſüdlichen Hauptkette der Sierra ausbreitet. Das Guadarramage⸗ birge, um dies hier gleich zu erwähnen, beſteht nämlich

Lage des Val de Lozoya. 267

in feiner öftlihen Hälfte, welche das zwiſchen dem be— rühmten Paſſe von Somoſierra und dem Pik von Penalara befindliche Stück umfaßt, aus zwei parallelen Ketten von beinahe gleicher Höhe. Zwiſchen beiden breis tet ſich ein tiefes und weites Längenthal aus, welches von dem es durchſtrömenden, am Abhange der Perialara entſpringenden Fluſſe Lozoya, den Namen Val de Lo zoya führt. Dieſes zahlreiche und wohlhabende Ort— ſchaften in ſeinem weiten, fruchtbaren Schooße beherber— gende Thal erſtreckt ſich oſtwärts bis zu dem Becken von Buitrago, welches die Straße nach Burgos und Frank— reich kreuzt, woſelbſt es ſich in das Flachland Neucaſti— liens öffnet, indem dort die ſüdliche Kette der Sierra ſich in ein niedriges Hügelland auflöſt. Die nördliche Kette dagegen ſetzt ſich ununterbrochen weiter gen Oſten fort, unter den Namen Sierra de Somoſierra, Sierra de Ayllon, Sierra Pela, Sierra de Atienza u. ſ. w. Die oberſten Ortſchaften des Lozoya— thales ſind Rascafria und das bereits namhaft gemachte Karthäuſerkloſter. Dahin führt auch der Weg des Fuerto de la Marcuera. Die Sonne neigte ſich bereits zum Untergange, als wir auf dieſes blos von Alpentriften und Gerölle bedeckte Plateau gelangten, deſſen abſolute Höhe zwiſchen 5500 und 6000 par. Fuß wechſelt. Die Land- ſchaft iſt ſehr öde und düſter, indem man weit und breit keine Spur von Anbau oder Bevölkerung bemerkt und

268 Pico de Penalara. Unwillkommenes Nachtlager.

die nach drei Seiten anſteigende Hochebene keine Ausſicht

geſtattet. Nur gegen Südweſt unterbricht die Einförmig⸗

keit des nackten Plateau die ſtolz aufragende breite Fel⸗ ſenpyramide des Pico de Penñalara, welcher den cul⸗ minirenden Punct der Sierra, ja vielleicht des geſamm— ten centralen Scheidegebirges bildet. Seine abſolute

Höhe beträgt den vorhandenen Meſſungen zufolge 7746 par. Fuß. Lange nach Sonnenuntergang, ſchon bei völ⸗ liger Nacht, erreichten wir endlich die nördliche Gränze | des Plateau's und den Rand des Lozoyathales, welches

gleich einer ſchwarzen Kluft ſich zwiſchen uns und der gegenüberliegenden Gebirgskette ausbreitete, und begannen nun abwärts zu ſteigen. Allein auf dem grauen Granit⸗ gerölle verloren wir bei dem trügeriſchen Scheine des

erſten Mondviertels bald den Weg und geriethen endlich in dickes Eichengebüſch, aus dem wir uns nicht mehr herauszufinden vermochten. Nach längerem, vergeblichem | Umhertappen mußten wir uns entſchließen, an Ort und

Stelle den Anbruch des Tages abzuwarten. Wir lager-

ten uns alſo, ſo gut es gehen wollte, auf einem kleinen, vom Gebüſch entblößten Platze auf dem feuchten Granit⸗ gerölle, nachdem wir die Pferde an ein Paar Bäume angebunden hatten. Die Nacht war höchſt unfreundlich, | indem ſich bald nach Sonnenuntergang ein heftiger Nord» | wind erhoben hatte, dem wir auf unſerer Lagerſtätte

gerade ausgeſetzt waren. Gleichzeitig war der Himmel

Folgen des Nachtlagers. Ankunft im Kloſter. 269

mit Wolken bedeckt worden, welche während der Nacht fortwährend, vom Winde, der ſchauerlich in den Felfen- klüften heulte, gepeitſcht, in rabenſchwarzen geſpenſtiſchen Geſtalten ſich über uns hinwegwälzten. An Schlaf war daher nicht zu denken; wir mußten bald aufſtehen und uns Bewegung machen, um nicht ganz zu erſtarren. Die Folge dieſer ſchauerlichen Nacht war bei mir ein heftiger Katarrh, der den Grund zu längerem Unwohlſein legte, welches, verbunden mit meiner bald darauf eintretenden trüben Gemüthsſtimmung, mir die Luſt zu jeder Beſchäf— tigung raubte. Endlich brach der Tag an und nun er⸗ blickten wir die breite Sohle des Val de Lo zo ya zu unſeren Füßen und uns gerade gegenüber am Fuße der nördlichen Gebirgskette Rascafria, und weiter nach der Petalara zu das Kloſter. Der Himmel war trübe, die Penalara in Wolken gehüllt, doch hatte ſich der Wind gelegt. Wir arbeiteten uns nun aus dem Eichengebüſch heraus und gelangten nach langen Umwegen in den Grund des Thales hinab, welcher über eine Stunde breit und hier gänzlich mit Eichengebüſch erfüllt iſt. Ohne Weg ritten wir auf gut Glück im Thale aufwärts, bis wir auf den von Rascafria nach dem Kloſter führenden Fahrweg ſtießen. Um 7 Uhr Morgens trafen wir end— lich wohlbehalten in dem Kloſter ein, wo mein Freund meiner bereits ſeit zwölf Stunden voll Angſt gewartet hatte. Er war ſehr erfreut, mich wiederzuſehen und hatte

270 Das Kloſter Santa Maria del Paular.

ſchon Alles zu der auf dieſen Tag feſtgeſetzten Expedition nach dem Gipfel der Penalara vorbereitet; ich fühlte mich aber zu angegriffen, um eine Hochgebirgsparthie unter⸗ nehmen zu können, weshalb Cutanda beſchloß, einen Raſt⸗ tag im Kloſter zu machen und die Beſteigung der Pefa⸗ lara auf den nächſten Tag zu verſchieben. Ich begab mich ſogleich zu Bett und ruhte einige Stunden aus, worauf ich wieder im Stande war, meine gewöhnlichen Geſchäfte zu beſorgen und in Begleitung meines Freun⸗

des das weitläufige Kloſter und deſſen reizende Umge-

bungen in Augenſchein zu nehmen.

Die Karthauſe Santa Maria del Paular liegt prächtig in idilliſcher Waldeinſamkeit am linken Ufer des ſilberklaren Lozoya, nahe bei der Peñalara, deren duſtet bewaldete Abhänge gegen Weſten und Südweſten das

weite, romantiſche Thal ſchließen. Sie war eine der größten und reichſten Beſitzungen des Ordens der Kar⸗ thäuſer; gegenwärtig gehört ſie einem reichen Particuliet

von Madrid. Von den benachbarten Bergen aus geſehen, erſcheint fie als eine förmliche Ortſchaft, indem weit⸗ läufige Wirthſchaftsgebäude das eigentliche Kloſter um⸗ geben. Eins der letzteren hat man in eine Glashütte umgeſchaffen, die unter der Leitung eines Franzoſen ſteht.

Dieſelbe befindet ſich gleich neben dem ſchönen gothiſchen

Eingangsthore, durch welches man in einen großen vier⸗

eckigen von Säulengängen umgebenen Hof tritt, der mit

Das Klofter Santa Maria del Paular. 274

einer hübſchen Fontaine geziert iſt. Aehnliche Spring⸗ brunnen, welche ſämmtlich armsdicke Ströme des köſtlich— ſten Waſſers aus ihren Röhren ergießen, befinden ſich in den anderen Höfen und in dem ſehr geräumigen Kloftet- garten, welcher auch einen Fiſchteich enthält. Das eigent- liche Kloſter ſteht faſt ganz leer, indem blos drei Mönche zurückgeblieben find, von denen der eine als Weltgeiſt— licher fungirt, der zweite mit der Adminiſtration des Ge- bäudes beauftragt iſt, der dritte, ein ehemaliger Laien— bruder, den Aufwärter und Bedienten macht. Der erſte trug durch ſein ſchweigſames Weſen die ſtrengen Regeln ſeines Ordens noch deutlich zur Schau, die beiden anderen dagegen waren mehr als geſprächig. Man hatte meinem Freunde das Studirzimmer des ehemaligen Priors ange— wieſen, woſelbſt auch ich einlogirt wurde; außerdem ſtand eine ganze Reihe von Zellen zu unſerer Verfügung, ſo daß es uns nicht an Platz für unſere Sammlungen mangelte. Die Bewirthung und Verpflegung iſt gut und man lebt ganz ungenirt, indem Niemand darnach fragt, was man treibt. Dieſer Umſtand, die vielen Räumlich— keiten und die Lage des Kloſters mitten im erhabenſten Theile der Sierra, machen dieſe Karthauſe zu einem außer⸗ ordentlich günſtigen Standquartier für Naturforſcher, welche das Guadarramagebirge unterſuchen wollen. Auch von anderen Reiſenden verdient dieſes Kloſter beſucht zu werden, theils wegen ſeiner herrlichen Lage, theils

272 Das Kloſter Santa Maria del Paular.

wegen der Kunſtſchätze, die ſeine Kirche birgt. Zwar ſind die Gemälde, welche einſt die Kapelle, ſo wie den Kreuzgang und das Refectorium derſelben ſchmückten, verſchwunden; aber noch exiſtiren ſehr ſchöne Sculpturen theils von Holz, theils von Marmor, welche des Anſehens werth ſind, wie z. B. die bibliſche Geſchichten darſtellen⸗ den Schnitzereien, welche die gothiſch geformten Chorſtühle der Mönche und Laienbrüder bedecken. Die Kirche iſt

in roͤmiſchem, der Kreuzgang in gothiſchem Style erbaut. Wie die Kirchen aller ſpaniſchen Karthauſen, iſt auch dieſe mit unglaublichem Luxus ausgeſtattet. Die Fußböden, die Altäre, die Wände der Kapellen ſind aus den koſtbarſten

Marmorarten verfertigt, die Altäre mit prächtigen Bas⸗ reliefns und Statuen verziert, die Kuppeln und Gewölbe

ſehr ſchön al fresco gemalt: kurz, wohin man das Auge

wenden möge, überall erblickt man Koſtbarkeiten und

Schätze. Die Kirche würde noch ſchöner ſein, wären ihre Altäre nicht mit vergoldeten Zierrathen überladen. Sehr

belohnend iſt es, den Glockenthurm zu beſteigen, indem

derſelbe einen unbeſchreiblich ſchönen Ueberblick des ebenſo romantiſchen als lieblichen Thales von Lozoya darbietet. Daſſelbe macht durch die Ueppigkeit ſeiner Vegetation,

beſonders durch feinen reichen Baumwuchs, einen unge⸗ mein wohlthuenden Eindruck, wenn man längere Zeit nichts geſehen hat, als nackte dürre Ebenen, wie es im

hohen Sommer im Flachlande Neucaſtiliens der Fall iſt.

Nordiſcher Charakter des Lozoyathales. 273

| Dazu kommt, daß man von dem Thurme des Klofters faſt alle Ortſchaften erblickt, die im unteren Theile des Val de Lozoya liegen. Sie ſind ſämmtlich von Obſt— und Nußbäumen umringt und verleihen durch ihre rothen Ziegeldächer der üppiggrünen, von der großartigſten Ge— birgsſcenerie umgebenen Thalfläche ein ungemein heiteres Ausſehen. Uebrigens hat das Lozoyathal (daſſelbe gilt von den übrigen Landſchaften des Guadarramagebirges) durchaus keinen ſüdlichen Charakter, ſondern einen ent— ſchieden nordiſchen. Die ernſten Granitkuppen, welche zu beiden Seiten über die hohen Gehänge in das Thal hereinſchauen; die düſtere und dichte Nadelwaldung, mit der die nicht felſigen Lehnen der Thalwände und Berg— gipfel bekleidet ſind; die grünen Wieſen, die ſich theils oberhalb der Baumgränze, theils im Grunde des Thales ausbreiten; die Baumgruppen von Ahornen, Eſchen, Schwarzpappeln, Weiden, Erlen, ja ſelbſt Birken, welche die Ufer des rauſchenden Lozoya einfaſſen; die vielen Obſtbäume in den Umgebungen der Dörfer und die rothen Ziegeldächer der letzteren: Alles erinnert vielmehr an den Norden wie an den Süden von Europa. Dieſer nordiſche durch die Erhebung des Thales (das Kloſter liegt gegen 5000 par. Fuß über dem Spiegel des Mee— res) hervorgebrachte Charakter muß noch ausgeprägter erſcheinen, wenn, wie im Frühling und Spätherbſt, die Berggipfel mit Schnee bedeckt ſind. Während des Winters

Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 18

274 Die belgiſche Papierfabrik am Lozoya.

endlich dürfte das Lozoyathal von einer Gebirgsland— ſchaft des Nordens gar nicht mehr zu unterſcheiden ſein, denn dann iſt es oft gänzlich mit tiefen Schneemaſſen erfüllt, welche bisweilen wochenlang die Communication zwiſchen ſeinen Ortſchaften unterbrechen.

Das Wetter, welches bisher beſtändig ſchön geweſen war, hatte ſich leider ſeit unſerm Eintritt in die Sierra ſehr veränderlich geſtaltet. Gleich nach meiner Ankunft im Kloſter fing es an zu regnen, und zugleich ſank die Temperatur fo tief, daß es empfindlich kühl wurde. Dei Nachmittag war ſchön und geſtattete uns, einige kleine Ausflüge in die nächſten Umgebungen des Kloſters zi machen. Wir beſuchten unter andern eine Papierfabrik, welche zwiſchen der Karthauſe und Rascafria am Lozoye liegt und ſogenanntes Papier ohne Ende liefert. Sie beſitz eine Dampfmaſchine von zwanzig Pferde Kraft und if das Eigenthum einer belgiſchen Actiengeſellſchaft, de auch die großen Waldungen gehören, welche den oberfter Theil des Lozoyathales und die benachbarten Berge be decken. Die Fabrik iſt ein ſtattliches modernes Gebäude gleich dem Kloſter ganz und gar aus Granit erbaut un von hübſchen Gärten und reichem Baumwuchs umringt Während wir uns in der Fabrik befanden, hatte ſich de, Himmel dicht umzogen und bald verhüllten dicke Wolke! die Penalara und die übrigen Gebirgsgipfel. Schol grollte der Donner und zuckende Blitze beleuchteten ſchauer

Nachtlager im Kloſter. Eigenes Zuſammentreffen. 275

lich das in nächtliche Dämmerung gehüllte Thal, als wir die Fabrik verließen, und noch ehe wir das Kloſter wie— der erreichten, ſtürzte ein heftiger Platzregen auf uns nieder, der uns bis auf die Haut durchnäßte. Ich klei— dete mich zwar ſogleich um, aber ich fühlte, daß mein Unwohlſein im Steigen begriffen war, weshalb ich, da ich mich auch am Kaminfeuer in der Wohnung des Pfar— rers, bei dem wir zu Abend geſpeiſt hatten, vor Fieber— froſt nicht erwärmen konnte, zeitig die Ruhe ſuchte. Ich konnte aber nicht ſchlafen, denn eine unnennbare Angſt erfüllte mich und das Fieber peinigte meine aufgeregte Phantaſie mit geſpenſtiſchen Erſcheinungen. Es war mir, als wollten die lebensgroßen Porträts der Karthäuſer— prioren, die an den Wänden meines Schlafgemachs hingen, in ihren weißen Gewändern aus ihren Rahmen heraus— treten und ſich um mein Lager ſchaaren, als höre ich dumpfe Grabesgeſänge aus der benachbarten Kirche herauf— tönen, als zähle der Perpendikel einer in der anſtoßen— den Zelle hängenden ſchwarzwälder Uhr die Pulsſchläge meines Lebens, meines Glückes! Endlich verſank ich in tiefen Schlaf, aus dem ich nach einigen Stunden plötzlich erwachte, geweckt durch ein wunderbar ſchönes Traum— bild in demſelben Augenblicke, wo in der fernen Hei— math meine innigſt geliebte Braut zu einem Maren Sein entſchlummerte!

Erſt am 13. September konnten wir die längſt be—

18 *

276 Aufbruch nach dem Pico de Penñalara.

abſichtigte Beſteigung des Pico de Penalara unter— nehmen. Zwar waren auch am Morgen jenes Tages der Himmel und die Berggipfel von Wolken verhüllt, doch ſchien das Dampfen der Thäler beſſere Witterung zu verkünden, und ſo traten wir, geführt von dem im Kloſter wohnenden Forſthüter, um 10 Uhr unſere Wanderung zu Pferde an. Wir folgten einem Holzwege, welcher im Grunde des Thales am ſchäumenden Lozoya aufwärts führt. Anfangs tft die Thalfläche mit Eichengebüſch er— füllt, aber bald beginnt, indem ſich zugleich das Thal in eine enge romantiſche Schlucht verwandelt, ein dichter prachtvoller Wald von hochſtämmigen, alten, mit bunten | Flechten und Mooßen maleriſch bekleideten Kiefern (Pinus silvestris L.), der ſich bis zu dem Kamme des hohen |

Bergwalles, auf dem der eigentliche Kegel der Perialara |

thront, hinanzieht und den Namen Pinar de Segovia führt. Der Weg wird nun ſehr ſchlecht, indem er am Thalgehänge emporſteigt; zur Linken in der Tiefe brauſt

der wilde Bach in ununterbrochenen Kaskaden über rieſige

Granitblöcke und umgeſtürzte Kiefernſtämme. Letztere

verſperren auch oft den Weg, indem der ganze Boden mit ihnen bedeckt iſt. Dieſe wirr durcheinanderliegenden,

morſchen, mit üppigen Moospolſtern bedeckten Kiefern—

ſtämme, zwiſchen denen von nordiſchen Flechten umzogene

Granitblöcke emporragen; die düſteren hochſtämmigen Na- delbäume mit ihren lang herabhängenden Bartflechten;

Aehnlichkeiten mit dem Rieſengebirge und Oberharze. 277

die rechts und links aus dem das Gerölle bedeckenden Moosteppich hervorbrechenden Quellwaſſer; die grauen Ge— röllelehnen und nackten, rieſigen Granitfelſen, welche von den Kämmen der Gehänge in die romantiſche Waldſchlucht hereinſchauen: Alles erinnerte mich lebhaft an die Thäler des Rieſengebirges und des Oberharzes und ich würde kaum geglaubt haben in Spanien zu ſein, hätte mir nicht das der Hauptſache nach aus der Stechpalme (Ilex Aqui- folium L.) und der baumartigen Heide (Erica arborea L.) beſtehende Unterholz des Waldes zugerufen, daß ich mich in ſüdlicheren Breiten befände. Während wir durch dieſe maleriſche Waldſchlucht empordrangen, hellte ſich der Him— mel auf, und als wir aus dem Walde heraustraten, lag die Penalara klar, wolkenlos, von der Sonne beſchienen, vor uns. Ich freute mich ſchon auf die Ausſicht vom Gipfel, allein nur zu bald ſtiegen wieder neue Wolken— maſſen hinter den Kämmen empor, welche raſch den gan— zen Himmel überzogen und Gewitter und Regenwetter verkündeten. Auf den Pinar de Segovia folgen kurz— begraſte, moorige Alpentriften, welche ſtellenweis mit den niedrigen, geſellig wachſenden Sträuchern eines dem Gua— darramagebirge eigenthümlichen Ginſters (Sarothamuus purgans Godr. Gren.), deſſen rundliche Gruppen von fern den Knieholzgebüſchen des Rieſengebirges ſehr ähn— lich ſehen, bewachſen ſind. Von ſolchen Alpentriften iſt hier der ganze ziemlich breite Kamm der Sierra bedeckt.

278 Quelle des Lozoya. Ankunft auf dem Pico de Perialara.

Wir verließen nun den bisher benutzten Weg und wandten . uns rechts nach dem Kegel der Penalara zu, der auf einer breiten, auf dieſer Seite ſanft anſteigenden, mit quellenreichen Alpenwieſen bekleideten und mit großen | Granitblöcken betreuten Baſis ruht. Gegen 1 Uhr ge langten wir an den Fuß des Kegels, woſelbſt ſich ein kleiner, klarer Alpenteich von unbedeutender Tiefe, die Laguna de Penalara genannt, befindet, welcher auf drei Seiten von nackten, ſchwarzen Granitklippen um— geben und als die eigentliche Quelle des Lozoya zu be⸗ trachten iſt. Mein Freund, dem wegen ſeiner Wohlbe— leibtheit das Bergſteigen etwas ſauer wurde, blieb hier | mit einem feiner Begleiter und dem von ihm gemietheten Arriero bei den Pferden, die wegen des Terrains nicht weiter benutzt werden können, zurück; ich dagegen unter— nahm nach kurzer Raſt, geführt vom Guardamonte, in Begleitung meines Bedienten und des zweiten Gefährten Cutanda's, die Beſteigung des Gipfels. Dieſelbe iſt zwar mit keiner Gefahr verbunden, aber höchſt ermüdend, da es keinen anderen Aufweg giebt, als eine unendlich lange und ſteil geneigte Geröllelehne. Einzelne Löcher und Klüfte waren hier noch mit Schnee erfüllt. Nach ein— | ſtündigem Emporſteigen gelangten wir endlich auf den höchſten, einen ſchmalen felſigen Kamm darſtellenden | Gipfel, konnten aber daſelbſt nur wenige Minuten vers | weilen, da eben ein Gewitter von Neucaftilien her mit

N

I

Ausſicht vom Pico de Penalara. Gewitter. Rückkehr. 279

Sturmesſchnelle heranzog. Die Ausſicht war daher ſehr ſchlecht; kaum geſtatteten uns die über die ſüdlichen Ge— birgskämme ſich raſch heranwälzenden Wolkenmaſſen und die aus allen Gründen und Schluchten aufſteigenden Nebel einige flüchtige Blicke auf die hell von der Sonne beſchienenen Gefilde Altcaſtiliens, auf das zu unſern Füßen in Vogelperſpective ruhende königliche Luſtſchloß la Granja, auf die Thürme von Segovia und auf das volkreiche Thal von Lozoya zu werfen. Gegen Weſten und Süden war gar nichts zu ſehen; nur die Cabeza de Hierro (der Eiſenkopf), ein der Penalara an Höhe wohl wenig nachſtehender, wenn nicht gar höherer Berg— gipfel von glockenförmiger Geſtalt, ragte im Weſten ma— jeſtätiſch aus der Wolkendecke empor. Noch ehe wir den Gipfel der Penalara verließen, hatten uns die Wolken ereilt und bald begann es zu blitzen und zu donnern, ſo wie tüchtig zu regnen, ſo daß wir völlig durchnäßt bei der Laguna anlangten, wo wir uns in Felsklüfte ver— krochen, bis das Gewitter vorüber war. Wir brachen nun ſofort auf und kehrten nach dem Kloſter zurück, in der Hoffnung, trocken hinzukommen, da der Himmel ſich aufgehellt hatte. Allein noch ehe wir das Kloſter er— reichten, überfiel uns ein zweites, von heftigem Regen begleitetes Gewitter, welches uns abermals bis auf die Haut durchnäßte, und bis tief in die Nacht hinein mit ſeinen Donnerſchlägen das Thal und die Sierra erbeben machte.

280 Aufbruch nach la Granja. Puerto de Reventon.

Trotz der hohen Lage und des Waſſerreichthums des Thales von Lozoya war auch hier der größte Theil der krautartigen Vegetation längſt verblüht und vertrock— net. Wir beſchloſſen daher, uns auf die Nordſeite der Sierra zu begeben und verließen bereits den Tag nach der Beſteigung der Penalara, wo das Wetter ſich günſtig zu geſtalten verſprach, gegen Mittag die Karthauſe, um uns nach la Granja überzuſiedeln. Der Weg dahin führt über den Puerto de Reventön, welcher ſich auf der nördlichen Kette der Sierra befindet, an derem nörd— lichen Fuße la Granja liegt, und an Höhe den gegenüber liegenden Paß von la Marcuera noch übertrifft. Als wir fortritten, war das Wetter ſonnig und warm, und geſtat⸗ tete uns daher noch einmal einen prächtigen Ueberblick des reizenden Lozoyathales; aber noch hatten wir die N Höhe des Paſſes nicht erreicht, ſo überfiel uns wiederum heftiges Regenwetter. Glücklicherweiſe ging daſſelbe bald vorüber und wiederholte ſich an dieſem Tage auch nicht mehr. Von der Höhe des Puerro de Reventön genießt man eine weite Ausſicht über das ſehr ebene Plateau von Altcaſtilien, welches hier von Ortſchaften wimmelt, aber faſt gänzlich von Bäumen entblößt iſt. Auch der Nord⸗ abhang der Kette, auf deren Kamm man ſteht, iſt nicht | bewaldet, ſondern blos mit Gebüſch bedeckt“), jedoch nur |

*) Befonders mit Adenocarpus hispanicus DC.

Geſchichte von la Granja. 281

eine kurze Strecke weit; denn ſowohl gegen NO als ge— gen SW breiten ſich, fo weit man ſehen kann, an dem— ſelben große Nadelwaldungen aus. Um 1 Uhr gelangten wir nach la Granja, einem kleinen, aber ganz regelmäßig gebauten und aus ſtattlichen Gebäuden beſtehenden Orte von ſtädtiſchem Anſehen, wo wir zu meiner Freude ein vortreffliches Gaſthaus mit faſt elegant zu nennenden Zimmern trafen, in dem wir ſehr gut und verhältniß— mäßig billig gewohnt haben.

Der Ort la Granja (der Meierhof) oder, wie er eigentlich heißt, San Ildefonſo, verdankt ſein Daſein dem Könige Philipp V., welcher hier an der Stelle eines Meierhofes (daher der Vulgarname) ein Schloß erbauen ließ, das er zur Sommerreſidenz beſtimmte, als welche es auch noch gegenwärtig benutzt wird. Der Bau begann im Jahre 1724 und dauerte vier Jahre. Philipp V. hatte dieſen Platz wegen der wohlthätigen Friſche, die hier ſelbſt in der heißeſten Jahreszeit vorhanden iſt, und ganz be— ſonders wegen des außerordentlichen Waſſerreichthums gewählt, indem er ein zweites Verſailles zu ſchaffen be— abſichtigte, deſſen ſchattige Baumgruppen und ſprudelnde Fontainen er in Spanien ſchmerzlich vermißte. Unſum— men Goldes wurden theils auf den Pallaſt, der zu den ſchönſten Schlöſſern gehört, die ich kenne, theils auf die Fontainen und Waſſerkünſte des Parks verwendet; allein der König hatte ſeinen Zweck erreicht, denn er ſah ſich

282 Park und Waſſerſpiele von la Granja.

von einem Park und von Waſſerſpielen umgeben, welche die berühmten Waſſerſpiele des Parks von Verſailles an Großartigkeit und Pracht noch übertreffen. Und ſo iſt es in der That noch jetzt. Die Waſſerkünſte von la Granja ſind zwar nicht ſo variirt, aber um Vieles großartiger, als die von Verſailles. Es war hier auch ſehr leicht, großartige Waſſerſpiele herzuſtellen, theils wegen des Ueber— fluſſes an Waſſer, theils wegen der Lage des Parkes an einem hohen Gebirgsabhange, von dem die Waſſer herab— ſtrömen und welcher folglich erlaubte, einen viel größern hydroſtatiſchen Druck hervorzubringen, als in dem eben gelegenen Park von Verſailles. Noch denſelben Nachmittag nahm ich den Park des Schloſſes in Begleitung meines Freundes in Augenſchein, und muß geſtehen, daß derſelbe einen viel großartigeren Eindruck auf mich gemacht hat, als der Park von Verſailles. Der Park zieht ſich weit am Gebirgsabhange hinan, enthält Thäler und Berge, murmelnde Bäche und brauſende Waſſerfälle und nimmt im Ganzen einen Flächenraum von 14,764,000 Quadrat⸗ fuß ein. Zwiſchen den Bächen, an den Abhängen der Hügel und in den Umgebungen der zahlreichen Spring— brunnen erheben ſich prachtvolle Baumgruppen der ver— ſchiedenartigſten Laub- und Nadelhölzer, zwiſchen deren Wipfeln an vielen Stellen die düſtere Kiefernwaldung und die ſtolzen Granithäupter der maleriſch geformten Sierra hindurchblicken. Unter den Springbrunnen, deren Baſſins |

Großartige Springbrunnen. 283

ſämmtlich aus weißem Marmor verfertigt find und deren Zahl 26 beträgt, verdienen beſondes die Banos de Diana, die Fuente del Canaſtillo und die Fuente de la Fama einer Erwähnung. Erſtere iſt ein großes Baſſin, in deſſen Mitte ſich eine prachtvolle Marmorgruppe befindet, Diana im Bade, umringt von ihren Nymphen. Marmorne Delphine, die in der Peripherie des Beckens angebracht ſind, ſprützen koloſſale Waſſerſtrahlen aus ihren Rachen gegen die Dianengruppe zu, aus der wieder an— dere Waſſerſtrahlen hervorbrechen, die ſich mit den erſteren kreuzen und wunderbare Figuten hervorbringen. Aehnlich verhält es ſich mit der Fuente del Canaſtillo, wo in der Mitte des Beckens ebenfalls eine Nymphengruppe ange— bracht iſt, die ein Körbchen (canastillo) trägt, aus dem zahlloſe Waſſerſtrahlen in Form eines Blumenbouquets hervorbrechen. Der großartigſte Springbrunnen iſt aber die Fuente de la Fama. Dieſer ſtößt zwar blos einen einzigen und ganz einfachen Waſſerſtrahl aus, der aber bei einer bedeutenden Stärke die unglaubliche Höhe von 134 par. Fuß erreicht, und deshalb ſogar von Segovia aus, d. h. aus einer geraden Entfernung von zwei Stun— den, ſichtbar iſt. Das königliche Schloß, welches ſich zwiſchen dem Parke und dem Orte erhebt, iſt im Style des Pallaſtes von Verſailles erbaut, doch bei weitem nicht fo groß, wie dieſer, aber ein ſehr fchönes Gebäude. Seine Gemächer ſollen außerordentlich prachtvoll ſein und eine

284 Pantheon von la Granja. Segovia.

große Menge werthvoller Gemälde, Seulpturen und an— derer Kunſtſchätze enthalten. Sehr ſehenswerth iſt auch die an den königlichen Pallaſt ſtoßende, dem heiligen Il⸗ defonſus geweihte Kirche des Ortes, beſonders das ſo— genannte, zwiſchen dem Schiffe und der Sakriſtei gelegene Pantheon, in welchem ſich die Grabmäler Philipps V. und ſeiner Gemahlin Iſabella Farneſa befinden. Dem Gründer von la Granja gefiel nämlich ſeine Schöpfung fo gut, daß er auch im Tode daſelbſt zu ruhen wünſchte. Beiläufig will ich noch erwähnen, daß la Granja das am höchſten gelegene Königsſchloß Europa's iſt. Der Pallaſt liegt nämlich 3850 par. Fuß über dem Spiegel des Mee— res, d. h. eben fo hoch, wie der Gipfel des Veſuvs. Den folgenden Tag, einen Sonntag, hatte ich zu | einem Ausflug nach dem benachbarten Segovia erſehen, wohin mich das weltberühmte Rieſenwerk des römiſchen Aquäducts unwiderſtehlich lockte. Ich konnte erſt um 10 Uhr aufbrechen, da es früh in Strömen regnete; dann aber war den ganzen Tag ſchönes Wetter. Ich unter— nahm dieſen Ausflug allein in Begleitung meines Be— dienten, da Cutanda durch Geſchäfte an la Granja gefeſ— ſelt war. Ein blos fünfviertelſtündiger Ritt brachte uns nach jener uralten Stadt, wohin von la Granja eine gute Chauſſee durch ganz ebene Gefilde führt. Sehr ſchön iſt von dem Wege aus die Anſicht des Schloſſes von la Granja mit dem majeſtätiſchen Waldgebirge im Hinter⸗

Römiſcher Aquäduct von Segovia. 285

grunde. Segovia erblickt man mit Ausnahme des Thur— mes der Cathedrale nicht eher, als bis man ſich dicht davor befindet, indem es in einem das Plateau tief durch— furchenden Thale liegt, durch das der Eresma, ein in der Nähe von la Granja im Guadarramagebirge entſprin— gender Zufluß des Duero, ſtrömt. Ueber dieſes Thal führt der römiſche Aquäduet, welcher im Ganzen eine Länge von 4362 Fuß beſitzt und aus 159 Bogen beſteht, die in zwei Reihen über einander geordnet ſind. Es iſt dieſer Aquäduct unbedingt eines der großartigſten Baus werke, die ſich aus der Zeit der Römer erhalten haben. Der mittlere Theil erhebt ſich hoch über die Dächer der im Grunde des Thales befindlichen, zwei bis drei Stock— werke hohen Gebäude und mag wohl nahe an 200 Fuß hoch ſein. Das Wunderbarſte dabei iſt die außerordent— liche Schmalheit, denn die Pfeiler ſelbſt der untern Bo— genreihe meſſen kaum 8 Fuß im Durchmeſſer! Dieſes Rieſenwerk iſt ganz und gar aus roh behauenen Granit— quadern erbaut, welche feſt an einander ſchließen, aber nicht durch Mörtel mit einander verbunden ſind. Merkwürdig iſt es, daß die erſten auf dem rechten Thalgehänge ſtehen— den Bogen, welche einfach ſind, Spitzbogengewölbe be— ſitzen, während die übrigen Bogen regelmäßige Halbzirkel ſind; doch ſieht man es jenen Spitzbogen an, daß ſie ihre Entſtehung mehr dem Zufall als der Abſicht ver— danken, denn ſie ſind durchaus nicht regelmäßig geſtaltet,

286 Segovia.

wie gothiſche Spitzbogen. Der Aquäduct von Segovia erfüllt noch jetzt ſeine Beſtimmung. Es fließen über den- ſelben die klaren Waſſer eines drei Leguas von der Stadt entſpringenden Baches, welche ſich an der entgegengeſetz— ten Seite in einem Baſſin ſammeln, von dem aus ſie durch Kanäle und Röhren in die verſchiedenſten Gegen— den der Stadt geleitet werden. Eigenthümlich iſt der Anblick der Stadt von Oſten her. Man ſieht ſie hier durch die Bogenreihen des Aquäducts hindurch terraſſen— förmig emporſteigen, denn ſie liegt keineswegs eben im Grunde des Thales, ſondern auf einem Felshügel, der ſich am Ufer des Eresma erhebt und durch einen Bar— ranco von der rechten Wand des Flußthales iſolirt iſt. Dieſer Hügel erhebt ſich von dem Aqäduct aus nach Weſten zu und iſt gegen den Eresma hin von ſteilen Felſen umgürtet. Auf dem Gipfel des Hügels ſteht die Cathedrale, auf dem weſtlichſten Vorſprunge, der auf drei Seiten in ſchroffe Felslehnen abſtürzt, der königliche Al cazar. Segovia, jetzt eine Stadt von blos 10009 Eins wohnern und Hauptſtadt einer Provinz Altcaſtiliens, hat ein nobles, reichsſtädtiſches Anſehen. Es erinnert hier nichts an die Herrſchaft der Mauren; die alterthümlichen, ſtattlichen Gebäude tragen den ächten alteaſtilianiſchen Burgſtyl zue Schau. Man fühlt ſich unwillkürlich in die romantiſche Zeit der caſtilianiſchen Ritterfehden und Bür⸗ gerkriege verſetzt, wenn man dieſe ſtolzen mit in Stein

* Cathedrale von Segovia. 287

gemeiſelten adligen Wappenſchildern, zahlreichen Balcons, Mauerzinnen und Thürmen verzierten Gebäude erblickt. Die Gaſſen ſind zwar, entſprechend der eigenthümlichen Lage der Stadt, ſehr uneben und ſchlecht gepflaſtert, doch meiſt gerade und ziemlich breit. Segovia beſitzt 24 Kir— chen und 21 Klöſter und enthält eine große Menge von Sehenswürdigkeiten. Meine beſchränkte Zeit erlaubte mir blos, die hauptſächlichſten in Augenſchein zu nehmen. Es find dies außer dem ſchon erwähnten Aquäduct die Ca— thedrale und der Alcazar. Erſtere iſt ein impoſantes Bauwerk aus der beſten Zeit der gothiſchen Architectur. Nur der Thurm datirt aus einer ſpätern Periode; dieſer iſt in römiſchem Style erbaut, endet in einer edel geform— ten Kuppel und hat eine ſehr bedeutende Höhe, weshalb man ihn ſchon aus weiter Ferne ſieht. Das Innere der Kirche, in welches man durch ein prachtvolles, gothiſches Portal tritt, zerfällt in drei, auf ſchlanken Säulenbündeln ruhende Schiffe und athmet eine majeſtätiſche Einfachheit. Der Fußboden beſteht aus einem kunſtvollen, glänzend polirten Getäfel von ſchwarzem, fleiſchfarbenem und wei— ßem Marmor. Die hohen Bogenfenſter ſind prächtig ge— ſtäbt und mit alten Glasgemälden geſchmückt; das Hoch— altar umgiebt halbzirkelförmig ein gothiſcher Säulengang, wie in der Kirche der Abtei Beruela, nur viel großar— tiger; die zahlreichen Kapellen enthalten eine Menge koſtbarer Marmorſculpturen und alter Gemälde. Ganz beſonders feſſelte meine Aufmerkſamkeit die Kanzel. Sie

288 Der Alcazar von Segovia.

iſt nämlich auf das Kunſtvollſte aus verſchiedenfarbigem Marmor verfertigt, in welchen herrliche Basreliefs von weißem Marmor eingelegt ſind. Auch das Hochaltar beſteht ganz und gar aus koſtbaren Marmorarten; in ſeinem Centrum befindet ſich über dem Altartiſche eine maſſive ſilberne Statue der Jungfrau, welche der König Heinrich IV. von Caſtilien der Kirche ſchenkte. Der Alcazar, ehedem eine der Reſidenzen der Könige von Caſtilien und Leon, iſt ein impoſantes, hochgethürmtes, mittelalterliches Schloß von bedeutendem Umfange, um— ringt von himmelhohen, zinnengekrönten Mauern und gegen die Stadt durch einen tiefen, in das Geſtein ge— hauenen Graben getrennt, über den eine Zugbrücke führt. Es befindet ſich gegenwärtig in demſelben die königliche Artillerieſchule, die unter der ſpeciellen Aufſicht des in— telligenten und gelehrten Don Antonio Zarco del Valle, Generalinſpectors des Artillerie- und Geniecorps und Präſidenten der königlichen Academie der Wiſſen- ſchaften, eines eben fo ausgezeichneten Artillerieoffiziers als gebildeten Mannes, ſteht. Um den Alcazar zu be— ſichtigen, bedarf man eines Erlaubnißſcheines des Com— mandanten, welcher jedem Fremden ohne Schwierigkeit und unentgeldlich gegen Vorzeigung des Paſſes verabfolgt wird. Ein junger, gebildeter Artillerieoffizier hatte die Güte, mich ſelbſt herumzuführen und mir Alles zu zeigen und zu erklären. Das Innere des Alcazar entſpricht ſeiner äußern Erſcheinnng keineswegs; man gelangt durch

3 Das Innere des Alcazar von Segovia. 289

die langen, gewölbten Corridore und auf den endloſen Wendeltreppen nicht etwa in gothiſche, mittelalterliche Hal— len, ſondern in Gemächer von theils mauriſchem, theils modernem Style. Eine Beſchreibung der zahlloſen Räume und der Merkwürdigkeiten, die ſie enthalten, würde Bo— gen füllen; ich beſchränke mich daher auf die einfache Angabe der ſehenswürdigſten Theile des alterthümlichen Gebäudes. Dahin gehören die Sala de la Galera, ein großer Saal mit vergoldeter Holzdecke in mauriſchem Style, in welchem ſich die Bildniſſe der ſämmtlichen Di— rectoren der Artillerieſchule und das ihres Stifters, des Kö— nigs Karl III., befinden; die Sala de la Junta, welche unter einem Thronhimmel ein ſehr gelungenes Gemälde der Königin Iſabella und ihres Gemahls in Lebensgröße enthält; die Sala de la Biblioteca, eine lange, ge— räumige Gallerie mit einer Holzmoſaikdecke in mauriſchem Geſchmack, in der die bändereiche Bücherſammlung der Schule und in einem daranſtoßenden Cabinet eine reiche Modellſammlung aufgeſtellt iſt; die Sala de las pinas, ſo genannt nach den vergoldeten Pinienzapfen, mit denen die aus einem zierlichen Holzgetäfel beſtehende Decke ver— ziert iſt, ein Saal, welcher ebenfalls Modelle und Ge— räthſchaften enthält; die Sala del Tocador de la Reyna (das Putzzimmer der Königin), ein zierliches, Gemach mit arabeskengeſchmückten Wänden und einer rei— zenden Stuccaturdecke im Style der Alhambra; ferner

Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 19

290 Das Innere des Alcazar in Segovia. E

die Zeichenſchule, der Speiſeſaal, der Krankenſaal der Zöglinge u. ſ. w. Die Zahl der Alumnen betrug damals zweihundert. In dem Hofraume vor dem Schloſſe ſtehen zwei Batterieen Kanonen, Haubitzen und Mörſer, die zu den practiſchen Uebungen der Zöglinge beſtimmt ſind. Von den Balcons und den Thurmkränzen des Alcazars genießt man prachtvolle Ausſichten über das anmuthige, gut angebaute und ziemlich ſtark bevölkerte Thal des Eresma, über die vielthürmige Stadt, die weiten, mit Flecken befü- ten Fluren Altcaſtiliens, und nach den romantiſchen, düſtern Waldbergen der Sierra de Guadarrama. Noch will ich er⸗ wähnen, daß in der Bibliothek die berühmten aftronomt- ſchen Tabellen des Königs Alphons des Weiſen aufbe— wahrt werden, welcher dieſelben in dieſem Schloſſe erfand und ausarbeitete. Nachdem ich von einem der Balcons noch den Sonnenuntergang, welcher an jenem Abend überaus prächtig war, beobachtet hatte, begab ich mich wieder in die Stadt und ſprengte nach kurzer Raſt im Mondſchein wieder nach la Granja zurück. |

Bereits am folgenden Morgen, am 16, September, verließ ich mit Cutanda die Sommerreſidenz der Könige von Spanien. Wir wollten abermals die Sierra über⸗ ſteigen und hatten dazu den hohen, wenig betretenen Puerto de la Fuenfria gewählt, in der Hoffnung, daſelbſt mehr Ausbeute an intereſſanten Pflanzen und überhaupt eine friſchere Vegetation zu finden, als es in

Wanderung nach dem Puerto de la Fuenfria. 294

den bisher von uns unterfuchten Gegenden des Gebirges der Fall geweſen war. Ein ſchöner, ſonniger, angenehm kühler Morgen begünſtigte unſere Wanderung und verſetzte ſelbſt mich, obwohl ich halb krank war, in heitere Stim— mung. Wir folgten eine Zeitlang der am Fuße des Ge— birges in einem weiten, mit Wieſen und Saaten erfüll— ten Thale hinlaufenden Straße nach Madrid, die ſpäter die Sierra auf dem ebenfalls ſehr hohen Puerto de Navaverſada paſſirt, und bogen ſodann bei dem Flecken Valſain in kiefernbewaldete Berge ein, die von der Hauptkette in nördlicher Richtung auslaufen und das erwähnte Thal, welches ſich nach aufwärts bald in einen wildromantiſchen Gebirgsgrund verwandelt, und durch das der Eresma herabbrauſt, gegen Weſten einſchließen. Nach kurzem Emporſteigen gelangten wir in einen prachtvollen alten Kiefernwald, der viele Stunden weit die Kämme und Abhänge des Gebirges bedeckt. Dieſer Wald, Pinar de Valſain genannt, iſt ein Beſitzthum der Krone. Nachdem wir auf einer Waldwieſe, die eine prächtige Ausſicht in das großartige Waldthal des Eresma und auf die rieſigen Felsgipfel der Sierra darbot, geraſtet und in der beſten Laune ein frugales Mittagsbrod ein— genommen hatten, drangen wir weiter durch die immer dichter werdende Waldung und erreichten nach zwei Stun— den die Fuente fria, eine ſehr kalte Quelle, welche auf dem Kamme der Hauptkette, unweit des Fußes des 19 *

292 Ankunft auf dem Puerto de la Fuenfria.

hohen, in ſiebeu rieſige Felszacken geſpaltenen Cerro de los ſiete picos hervorſprudelt. Man befindet ſich hier“ inmitten einer unbeſchreiblich wilden und höchſt großarti⸗ gen Gebirgslandſchaft von ganz nordiſchem Typus. Hohe und dichte Kiefernwaldung verhindert auf der Seite der Quelle alle Ausſicht. Gegen Südoſten eröffnet ſich in unmittelbarer Nähe ein tiefer, langer, von Wald erfüllter Felſengrund, über deſſen zerborſtenen, der Quelle gegen- über liegenden Kuppen der Rieſenkegel der Perialara majeſtätiſch thront. Weiter nach Süden zu ragt der ſchon erwähnte Cerro de los ſiete picos, ein langgeſtreckter Felswall, empor, deſſen höchſter Gipfel eine abſolute Höhe von 6800 par. Fuß beſitzt. Nach kurzem Aufenthalt an der Quelle ſtiegen wir zum Puerto de la Fuenfria empor, der am nordweſtlichen Fuße der ſieben Piks vor- beiführt und eine Höhe von 5596 Fuß erreicht. Hier eröffnet ſich eine weite Ausſicht über das Plateau von Neucaſtilien; allein wir durften nicht zögern, denn ſchon war wieder ein Gewitter im Anzuge. Außerdem wehte ein ſchneidend kalter Wind, der uns alle Glieder erſtar⸗ ren machte, weshalb ich es vorzog, zu Fuß zu gehen. Auch wurde das Reiten bald unmöglich, indem der äu⸗ ßerſt ſchlechte Saumpfad ſehr jäh an dem ungemein ſteilen | Südabhange der Sierra hinabſtieg, der auch hier dicht | mit alten bemooſten Kiefern bewachſen iſt. Es dauerte | nicht lange, fo verſchwand der Weg ganz und gar auf |

Nachtlager im Flecken Cercedilla. 2093

dem ſumpfigen, moosbedeckten Boden. Cutanda's Arriero, der uns als Führer diente, wählte ohne weiteres eine ſchmale Waldblöße, wo man gefällte Baumſtämme hinab— gerollt hatte, um in eine Thalſchlucht hinab zu gelangen, durch welche, wie er ſagte, der Weg führe. Ich begreife noch heute nicht, wie unſere Pferde an dieſer ſchlüpfrigen, dachſteilen Lehne hinabkommen konnten, ohne Schaden zu nehmen. Unten im Grunde trafen wir auch wirklich den bewußten Weg, der uns bald in ein weites, beiderſeits von hohen Waldbergen eingeſchloſſenes, mit Wieſen er— fülltes und von einem muntern Bach durchſtrömtes Thal brachte, aus dem wir über einen niedrigen Felſenkamm in ein weites, maleriſches Thalbecken gelangten, in welchem der große, aber armſelige Flecken Cercedilla liegt, wo— ſelbſt wir zu übernachten beſchloſſen hatten. Noch im Ange— ſicht des Ortes entlud ſich das Gewitter, welches wir ſchon vom Paſſe aus hatten kommen ſehen, über unſern Häup— tern und überſchüttete uns mit einem furchtbaren Platz— regen, ſo daß kein trockner Faden an uns war, als wir die ſchlechte Poſada erreichten, wo man uns Allen zuſammen ein kleines Gemach, das faſt zur Hälfte von einem darin ſtehenden Bett ausgefüllt wurde, als Nachtquartier anwies.

Wir waren ſämmtlich froh, als der Tag graute und uns unſere ſchlechte Herberge zu verlaſſen geſtattete. Das Ziel unſerer Wanderung war an dieſem Tage der Es— corial, der von Cercedilla blos drei Leguas entfernt iſt.

29% Ankunft im Escorial. Rückkehr nach Madrid.

Wir kamen bald auf die Chauſſee von la Granja, die fortwährend am Fuße des Gebirges durch lichte Eichen— und Eſchengehölze hinläuft. Man kommt auf dieſem Wege bei dem großen und gut gebauten Flecken Guadarrama vorbei, von dem das Gebirge ſeinen Namen erhalten hat. Derſelbe liegt in dem keſſelartigen Eingange eines wei— ten, romantiſchen Grundes, durch den der Rio Guadar- rama herabſtrömt und die ſchöne Straße nach Valladolid in großen Schneckenwindungen zu dem Puerto de Gua— darrama emporſteigt. Um 12 Uhr trafen wir, aber⸗ mals unter ſtrömendem Regen, im Escorial ein und nah— men Nachmittags den von mir in meinem erſten Reiſe— werke ausführlich beſchriebenen Kloſterpallaſt in Augen- ſchein, in deſſen Kirche noch der mit der Königskrone geſchmückte Sarg des einige Monate zuvor todtgeborenen Prinzen von Aſturien ſtand. Mein Freund Cutanda be⸗ abſichtigte noch weitere Ausflüge in die weſtlich vom Es— corial gelegenen Parthieen der Sierra zu machen; ich aber hatte die Luſt dazu verloren, theils wegen des un— günſtigen Wetters, theils wegen der geringen Reſultate unferer bisherigen Excurſionen, theils weil ich mich un- wohl fühlte. Dazu kam, daß eine böſe Ahnung mir ge⸗ bieteriſch gebot, meine Reiſe aufzugeben. Ich trennte mich folglich am 18. September von meinem Freunde und ritt nach Madrid zurück, in der Hoffnung, daſelbſt längſt er- ſehnte Briefe aus der Heimath vorzufinden. |

Ueuntes Kapitel.

Reiſe nach Toledo, Plaſencia und Salamanca.

Die Nachricht von dem Tode meiner Braut, welche ich wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Madrid er— hielt, machte mich auf längere Zeit zu jeder Beſchäftigung unfähig, und verſetzte meiner ſeit dem Bivouac im Gua— darramagebirge bereits erſchütterten Geſundheit einen ſol— chen Stoß, daß ich einige Tage wirklich krank und ſodann noch Monate lang leidend war. Endlich gelang es mei— nen Bekannten, mich zu einer Reiſe zu bewegen. Da die Jahreszeit ſchon viel zu weit vorgerückt war, um mit Erfolg eine reinbotaniſche Reiſe unternehmen zu können, ſo beſchloß ich Toledo, Plaſencia und Salamanca zu be— ſuchen, indem ich ſelbſt hoffte, daß jene in hiſtoriſcher und artiſtiſcher Beziehung ſo denkwürdigen Städte mich zerſtreuen und mir neue Thatkraft verleihen würden, eine Hoffnung, die leider unerfüllt blieb. Außerdem ver— ſchaffte mir dieſe Reiſe Gelegenheit, die geognoſtiſchen

296 Abreiſe nach Toledo.

und orographiſchen Verhältniſſe eines großen Theiles Centralſpaniens kennen zu lernen.

Ich trat meine Reiſe am 3. October an, blos beglei— tet von meinem Bedienten. Es war ein wunderſchöner Morgen, wie denn überhaupt das Wetter ſich ſeit meiner Rückkehr nach Madrid wieder ſchön und beſtändig geſtaltet hatte. Jenſeits der Brücke von Toledo theilen ſich die Straßen nach Aranjuez und Toledo. Letztere geht bei den Carabancheles vorbei, zwei großen freundlichen Flecken, von denen der untere am Abhange des Man⸗ zanarasthales gelegene ein ſchönes, von einem großen Park umgebenes Schloß enthält, in welchem ſich eine höhere Bildungsanſtalt für junge Leute vornehmen Stan⸗ des, eine Art von Ritteracademie, befindet. Die Ge— gend iſt anfangs ſehr eben und daher ſieht man Madrid noch eine geraume Zeit. Desgleichen erblickt man, ſo— bald man aus dem flachen Thale des Manzanares heraus it, den hohen Thurm des Städtchens Getafe, bis wo— hin damals die Chauſſee ging. Von dort an bis Toledo exiſtirte blos ein ungepflaſterter, viele Krümmungen machen⸗ der Fahrweg. Es wurde aber bereits damals an der Fortführung der Chauſſee eifrig gearbeitet. Dieſelbe geht von Getafé faſt ſchnurgerade bis Toledo. Der Boden iſt bis Toledo ſehr ſandig; hier und da herrſcht Thon vor, der bisweilen mit Gypsſtücken vermengt iſt. An ſolchen Stellen pflegt ſich das Terrain zu niedrigen,

Reife bis Cabaſas. 297

tafelförmig abgeplatteten Hügeln mit ſteilen Rändern zu erheben, wie beſonders in den Umgebungen des Fleckens Cabanas, woſelbſt ſich in einem ſolchen Hügel ein ähn— liches Meerſchaumlager befindet, wie in Cerro de Almo— dovar bei Vallecas. Das Land iſt baumlos, doch durch— gängig angebaut. Die Getreidecultur herrſcht vor; nur einzelne Einſenkungen im Terrain ſind mit Gemüſegärten erfüllt, die man vermittelſt Norias bewäſſert. Die Ge— gend iſt, ſo weit man ſehen kann, ziemlich ſtark bevöl— kert. Die Ortſchaften ſind groß, haben meiſt ſtattliche Kirchen und gute Häuſer und würden recht freundlich ausſehen, beſäßen ſie nicht eine erdfahle Farbe und wären ihre Umgebungen nicht ſo ſehr von Baumwuchs entblößt. Der erſte Ort, den die Straße berührt, iſt das ſchon er— wähnte Getafe, eine große, regelmäßig gebaute Villa. Hierher, ſo wie nach dem rechts von der Straße gelege— nen Flecken Leganés gehen täglich Diligencen von Madrid und zurück. Wir aßen zu Mittag in Parla, wo es eine große, leidlich eingerichtete Poſada giebt. Drei Stunden weiter liegt das Städtchen Illescas, deſſen Thor auf der Seite von Madrid ein Ueberreſt aus der Zeit der arabiſchen Herrſchaft iſt. Bereits bei völliger Nacht gelangten wir nach Cabanas, deſſen Um— gebungen, wie ſchon bemerkt, hüglig, gut angebaut, auch weniger baumlos und deshalb recht anmuthig ſind. Eine Stunde hinter Cabanas liegt auf einem kahlen Höhen—

298 Gegend von Toledo.

kamm der Flecken Olias, von dem aus man eine weite und ſchöne Ausſicht über die hügliche Umgegend, auf das Guadarramagebirge und die Montes des Toledo genießt. Das Terrain erhebt ſich nun zu abgerundeten Hügeln; an den Abhängen derſelben und in den Niederungen liegen zerſtreute Olivengehölze und Weingärten. Es war 10 Uhr Morgens, als wir aus einem Barranco heraus- traten und uns plötzlich am Rande des flachen, ſehr brei— ten und ebenen Thales des Tajo befanden, welches von jungen grünen Saaten erfüllt war und deshalb einen recht freundlichen Anblick darbot. Gerade vor uns lag die alte gothiſche Königsſtadt Toledo mit ihren vielen Kirchthürmen und alterthümlichen, ſtattlichen Gebäuden, unter denen ſich die würfelförmige Steinmaſſe des im höchſten Theile der Stadt befindlichen Alcazar und die berühmte Domkirche mit ihrem hohen gothiſchen Thurme am meiſten bemerklich machen. Den Hintergrund bildeten die kahlen, ſchroffen Felſenlehnen, welche das Tajothal gegen Süden umgürten, und die über denſelben empor— tauchenden Granitberge der Montes de Toledo, welche eine Tagereiſe von Toledo entfernt find und ſchroffe For— men, aber viel geringere Höhe beſitzen, als das Guadar— ramagebirge. Sie bilden das öſtlichſte Stück des Ge— birgsſyſtems von Eſtremadura, welches die Thäler und Flußgebiete des Tajo und des Guadiana von einander ſcheidet und ſich bis nach Portugal hineinerſtreckt. Unter⸗

Ankunft in Toledo. 299

halb der Stadt find die Felslehnen des Tajothales mit Gebüſch bedeckt und mit von Gärten umringten Land— häuſern beſtreut, weshalb fie einen recht heitern Anblick gewähren. Man nennt dieſe Landhäuſer los Cigarrales de Toledo. Unweit derſelben, aber dicht am Ufer des Tajo bemerkt man ein großes pallaſtähnliches Gebäude, von deſſen Dache die königliche Flagge weht. Es iſt die berühmte Säbelfabrik, welche blanke Waffen aller Art und bekanntlich von ausgezeichneter Güte (die berühmten Toledoklingen!) liefert. Die Straße von Madrid führt bei dem großen in der Vega gelegenen Hoſpitale von Santa Cruz vorbei, welches eine ſchöne Kuppelkirche beſitzt und ſchlingt ſich um die alterthümlichen Stadt— mauern, die zum Theil noch ein Werk der Mauren ſind, herum bis zu der mit Sculpturen verzierten und von einem dicken Thurme überragten Puerta de Cambrön. Nach langem Hin- und Herreiten durch das finſtere Gaſſenge— wirr der ſehr weitläufigen Stadt gelangten wir endlich auf den Conſtitutionsplatz, wo ich mich in einem alter— thümlichen, doch recht guten Gaſthofe (dem Parador de Silleria) einlogirte.

Toledo gehört zu den älteſten Städten der pyre— näiſchen Halbinſel. Seine Gründung verliert ſich in das graueſte Alterthum. Schon vor der Herrſchaft der Römer war es die Hauptſtadt eines celtiberifchen Volksſtammes, der Toletani, jedoch von unbedeutender Größe, obwohl

300 Geſchichte von Toledo.

wichtig als ſtrategiſcher Punet wegen feiner ſchwer zu— gänglichen Lage). Von den Römern wurde es im Jahre 192 vor Chriſto unter dem Befehl des Proconſul M. Fulvius Nobilior erobert“). Im Jahre 567 ward es die Reſidenz der weſtgothiſchen Könige und nahm von da an raſch an Umfang zu; feine jetzige Größe und Bau— art verdankt es aber, wie ſo viele andere Städte Spaniens, der Herrſchaft der Mauren, denen es im Jahre 744 in die Hände fiel. Bis zum Jahre 1027 war es ſucceſſive den Kaliphen von Damascus, Bagdad und Cordova un— terworfen; in jenem Jahre aber ward es die Hauptſtadt eines unabhängigen mauriſchen Reichs, die es bis 1085 blieb, wo es durch Alphons VI., König von Caſtilien, dem Halbmonde auf immer entriſſen wurde. Auch nach- her diente Toledo noch häufig als königliches Hoflager, bis Philipp II. Madrid zur Hauptſtadt der ſpaniſchen Monarchie und zur bleibenden Reſidenz ihrer Könige machte. Seitdem nahm Toledo's Glanz und Bevölke— rung raſch ab und gegenwärtig beträgt letztere blos etwas über 20000 Seelen, während die Stadt ihrer Größe und Bauart nach mindeſtens die dreifache Einwohnerzahl ent— halten könnte. Daher iſt Toledo jetzt eine der verödetſten Städte Spaniens; wie in Cordova, ſo kann man auch

) Livius nennt das alte Toletano eine „urbs parva, sed loco munita.“ Vgl. lib. XXXV, cap. 7. ) S. Livius a. a. O. cap. 22.

Die ſchlechten Straßen von Toledo. 304

hier oft gaſſenweit gehen, ohne einem einzigen Menſchen zu begegnen, und ſtehen viele Häuſer leer und drohen den Einſturz. Toledo iſt zwar eine ſehr intereſſante Stadt, aber zugleich eine der häßlichſten, die ich kenne. Ein ſolches Gewirr von engen, krummen, finſtern Gaſſen und kleinen unregelmäßigen Plätzen, wie hier, war mir noch nirgends vorgekommen. Manche Gaſſen ſind ſo ſchmal, daß kaum zwei Perſonen nebeneinander gehen können und beſitzen dabei drei bis vier Stockwerke hohe Häuſer. Letztere haben bis auf wenige Gebäude der Neuzeit ein finſteres Ausſehen, indem ſie nicht nur in mittelalterlichem Style erbaut, ſondern auch vom Alter und vom Wetter ge— ſchwärzt ſind. Dazu kommt noch ein abſcheuliches Straßen— pflaſter und eine erbärmlich ſchlechte Gaſſenbeleuchtung, zwei Umſtände, die bei der großen Unebenheit der Gaſſen es bei Nachtzeit faſt unmöglich machen, aus dem Hauſe zu gehen. In Toledo giebt es nämlich faſt keine einzige Gaſſe, welche horizontal läge, weil die Stadt die Oberfläche und die Abhänge eines wiederum in mehrere Hügel und Thäler zerfallenden Felſenwalles einnimmt, welcher aus der Ebene des Tajothales dicht am rechten Ufer des Fluſſes, der ihn auf drei Seiten, gen Süden, Oſten und Weſten um— giebt, iſolirt emporſteigt. Wegen dieſer eigenthümlichen Lage bietet Toledo äußerſt maleriſche Anſichten ſowohl von Außen als im Inneren der Stadt dar. Ueberall treten die alterthümlichen Gebäude, die vielen Kirchen

302 Beſchreibung von Toledo.

und Klöſter zu den pittoreskeſten Gruppen zuſammen. Von keiner Seite aber imponirt die Stadt ſo, wie von der Südſeite, von den Felskuppen aus, die ſich jenſeits des Tajo erheben. Der Stadthügel, welcher aus demſelben Granit beſteht wie die Montes de Toledo, als deren nördlichſte Schwelle er betrachtet werden muß, iſt näm⸗ lich offenbar blos durch den Tajo iſolirt worden, indem dieſer Fluß hier jene granitne Baſis gewaltſam durch- brochen hat. In Folge davon iſt eine tiefe 8 förmig gekrümmte Schlucht entſtanden, deren Wandungen aus ſchroffen, wild zerklüfteten Felſen beſtehen, und deren Grund an vielen Stellen von den eingezwängten Wogen des waſſerreichen Fluſſes gänzlich ausgefüllt wird. Wie in Cuenca, ſo kleben auch hier viele Häuſer am äußerſten Rande der hohen Felſen, welche den Stadtberg umgürten. Hinter denſelben ſteigen die maleriſch gruppirten Ge— bäude terraſſenförmig an den Abhängen der einzelnen Kuppen, in welche der Stadtberg zerſpalten iſt, empor, und hoch über Alles erheben ſich der gothiſche Rieſenbau der Cathedrale und der moderne Pallaſt des königlichen Alcazar. Außerdem überragt ein Wald von Thürmen das graue Häuſerchaos, denn Toledo zählt nicht weniger als 25 Kirchen, 39 Klöſter, 14 Hospitäler und 3 Kapellen! Man könnte es hinſichtlich der maleriſchen Gruppirung und der Zahl der Thürme das ſpaniſche Prag nennen. Am Eingange und Ausgange des Felſenthales, deſſen

6

Die Cathedrale von Toledo. 303

Seitenſchluchten mit Strauchwerk und Kräutern reich ge— ſchmückt ſind, führen hochgeſpannte Brücken über den an mehreren Stellen über Felſenbänke und Mühlwehre ſchäu— menden Fluß, die den beiden Thoren von San Martin und Alcantara entſprechen. Beide Thore ſind von mauriſcher Bauart, von hohen weiten Hufeiſenbogen über— wölbt. Auch die aus zwei coloſſalen Bogen beſtehende Brücke von Alcantara datirt aus der Zeit der arabiſchen Herrſchaft. Ebenfalls ein Werk der Mauren iſt ein großes, wohl erhaltenes Caſtell, welches der Stadt gegenüber auf einem Felſenvorſprunge über der Brücke von Alcantara liegt. Daſſelbe beſitzt ein ſchönes Eingangsthor in Huf— eiſenform.

Toledo beſitzt ſo viele merkwürdige Gebäude und Kunſtſchätze, daß mindeſtens eine Woche dazu gehört, um alles Sehenswerthe in Augenſchein zu nehmen. Da ich blos zwei Tage daſelbſt verweilen konnte und außerdem keinen beſonderen Trieb in mir verſpürte, alle Merkwür— digkeiten anzuſehen, ſo begnügte ich mich mit der Be— ſichtigung der Cathedrale und ihrer Koftbarfeiten, Auch hierüber will ich mich kurz faſſen, da bereits viele und ausführliche Beſchreibungen dieſes berühmten Gebäudes und ſeiner Schätze exiſtiren. Die Cathedrale von Toledo ſtammt aus den älteſten Zeiten der chriſtlichen Kirche. Einer lateiniſchen Inſchrift zufolge, die man im Jahre 1581 auffand, ward der Grundſtein zu derſelben im Jahre

304 Die Cathedrale von Toledo.

587 im zweiten Jahre der Regierung des Gothenkönigs Recaredus (2) gelegt. Die Mauren verwandelten den Dom in eine Moſchee und zerſtörten einzelne Theile des gothiſchen Gebäudes. Nach der Eroberung Toledo's durch die Spanier wurden die mauriſchen Bauwerke wieder eingeäfchert (es iſt aus der Zeit der Moſchee blos eine mit prächtiger Arabeskenſtuccatur bekleidete Mauer übrig geblieben, in einer der Seitenkapellen) und der Dom im dreizehnten Jahrhunderte unter der Regierung Ferdinands III., des Heiligen, in gothiſchem Style reſtaurirt. Die Cathedrale von Toledo iſt nächſt der Domkirche von Se⸗ villa die größte gothiſche Kirche Spaniens. Das eigent- liche Kirchhaus beſitzt eine Länge von 404 und eine Breite von 204 Fuß und zerfällt im Inneren in fünf majeſtätiſche Schiffe, welche von 84 gothiſchen Pfeilern getragen werden. Sie enthält 40 Seitenkapellen und mehr als 70 Altäre, die faſt ſämmtlich aus den pracht⸗ vollſten Marmorplatten verfertigt ſind. Unter den Ka⸗ pellen verdienen beſonders die Capilla mozärabe, die Ca- pilla de los Reyes, die Capilla de Santiago, die Capilla de San Ildefonso, die Capilla mayor und die Capilla de la firgen die Beachtung des Beſuchers. Die Capilla mo- zar abe bildet eine Kirche für ſich und iſt durch ein bron⸗ zenes Gitterthor von dem eigentlichen Dome geſchieden. Sie wurde auf Befehl des berühmten Cardinals Gimenez de Cisneros erbaut, iſt von einer hohen Kuppel über⸗

Die Cathedrale von Toledo. 305

ſpannt und enthält außer anderen Koftbarfeiten eine prachtvolle Moſaik, welche eine Concepeion darſtellt. Das Freskogemälde der Kuppel verewigt die Eroberung von Oran durch die Spanier. In dieſer Kapelle bedient man ſich noch jetzt bei'm Gottesdienſte der alten gothiſchen Liturgie. Die Capilla de los Reyes enthält die Grab— mäler dreier Könige und Königinnen von Caſtilien, nämlich Heinrichs II. und ſeiner Gemahlin Johanna, Johannes J. und ſeiner Gemahlin Eleonore, und Heinrichs III. und ſei— ner Gemahlin Katharina. In der Capilla de Santiago, einer großen gothiſchen Halle, befinden ſich zwei ſtolze marmorne Grabmonumente. Das eine umſchließt die Ge— beine des Erzbiſchofs Juan Zerezuela, das andere die des berühmten Großmeiſters des Ordens von Santiago und Connetables von Caſtilien, Don Alvaro's de Luna, welcher, nachdem er lange Zeit der allmächtige Günſt— ling Johannes II. und der unumſchränkte Beherrſcher des caſtilianiſchen Reichs geweſen war, auf Befehl des ge— nannten Königs im Jahre 1452 auf dem Marktplatze zu Valladolid öffentlich enthauptet wurde. Die Capilla de San Ildefonso iſt beſonders durch die Marmor: pracht ihres Hochaltares ausgezeichnet. Es befinden ſich hier die Grabmäler mehrerer Erzbiſchöfe und Granden. Die Capilla mayor birgt die Grabmonumente der Könige Alphons VII., Don Sancho's el Deſerdo und Don Sancho's el Bravo, ſo wie das des Cardinals Don

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 20

306 Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo.

Pedro de Mendoza, welches überaus prachtvoll iſt. Die Kapelle der Jungfrau ſtrotzt von Marmorſculpturen, Gemälden und Koſtbarkeiten. Unter letzteren will ich nur einen Thronſeſſel erwähnen, auf den das Bild der Jung— frau am Frohnleichnamsfeſte und bei anderen hohen kirch— lichen Feſtlichkeiten geſtellt wird. Derſelbe wiegt 12 Centner und iſt von maſſivem Silber! Ueberhaupt überſteigen die Schätze dieſes Doms alle Begriffe. Selbſt die Cathe— drale von Sevilla ſteht in dieſer Hinſicht dem Dome von Toledo nach“). So befindet ſich hier eine in go— thiſchem Styl ausgeführte Cuſtodia von Silber mit 260 Figuren, welche 794 Mark und 5 Unzen wiegt und eine zweite von maſſivem Gold von 57 Mark Gewicht und mit Brillanten beſetzt. Ferner zeigt man hier einen großen Mantel, der ganz und gar aus drientaliſchen Perlen verfertigt und ſo ſchwer iſt, daß er horizontal ausgebreitet liegen muß, denn ſonſt würde er zerreißen. Dieſer Mantel wird dem Madonnenbilde am Frohnleich⸗

) Ein altes caitilianifches Sprüchwort claſſificirt die vier be⸗ deutenditen gothiſchen Dome Spaniens: Sevilla, Toledo, Leon und Santiago de Compoſtela, folgendermaaßen:

Sevilla en grandeza,

Toledo en riqueza,

Compostela en fortalera

y Leon en sutilera, d. h. Sevilla hat die größte, Toledo die reichſte, Compoſtela die maffivfte und Leon die zierlichſte gothiſche Cathedrale.

Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo. 307

namstage umgehängt. Andere Koſtbarkeiten ſind: die vier Welttheile, allegoriſche Figuren von Silber, die goldene von Perlen und Edelſteinen ſtrotzende Krone und die Perlenarmbänder der Jungfrau, ein Chriſtuskind von maſſivem Golde, eine Cuſtodia von Bernſtein, die ſilberne mit rothem Sammet überzogene Urne, welche die Reſte des Gothenkönigs Wamba umſchließt, eine goldene Mon— ſtranz, deren Strahlen über und über mit Brillanten be— ſetzt ſind, eine andere von edlen Korallen, prachtvoll ge— ſtickte Meßgewänder, mit Edelſteinen und Perlen beſetzte erzbiſchöfliche Mitras und Krummſtäbe u. ſ. w. Außer einer Menge von Reliquien werden in dem Dome von Toledo auch noch verſchiedene hiſtoriſche und literariſche Merkwürdigkeiten aufbewahrt. So zeigte man eine alte Bibel, angeblich aus dem ſiebenten Jahrhunderte, mit gothiſcher Schrift auf Pergament, wo jeder Vers durch ein Bild auf Goldgrund illuſtrirt iſt. Ferner befinden ſich hier die türkiſchen Fahnen, welche Don Juan de Auſtria in der Schlacht bei Lepanto erbeutete, welche letztere in Toledo noch jetzt alljährlich am 7. October durch feier— lichen Gottesdienſt und Proceſſion gefeiert wird. Kurz, es ließe ſich ein ganzes Buch allein über die Schätze der Cathedrale von Toledo ſchreiben. Die Mehrzahl dieſer Koſtbarkeiten wird in der Sacriſtei aufbewahrt, welche auch eine große Anzahl werthvoller Gemälde enthält, darunter eins von Rubens, ein anderes angeblich von ar

308 Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo.

Raphael, eins von Guido Reni, eins von Tician und mehrere von Baſſano, Orrente und Alonſo Cano. Das Gewölbe der Sacriſtei, ſie iſt in römiſchem Style erbaut —, ſchmückt ein ungeheures Freskogemälde von Giordano, welches die himmliſchen Heerſchaaren darſtellt. Auch in den Kapellen der Kirche befinden ſich viele Ge— mälde, ſo daß dieſer Dom als eine Gemäldegallerie be— trachtet werden kann. Desgleichen iſt die Cathedrale von Toledo reich an ſchönen Werken der Bildhauerei. Prachtvolle Basreliefs und Statuen aus weißem Marmor ſchmücken viele Altäre; noch ſchöner und werthvoller bei— nahe find die herrlichen Holzſeulpturen der Silleria del caro (Chorſtühle der Canonici), welche von zwei ſpani— ſchen Schülern Michel Angelo's, Namens Alfonfo Ber— ruguete und Felipe de Borgona herrühren und in koſt— baren amerikaniſchen Hölzern ausgeführt ſind. Nicht ge— ringeren Werth beſitzen die Glasgemälde, welche ſich in vielen der hohen gothiſchen Fenſter befinden. Der Fuß— boden endlich des majeſtätiſchen Domes beſteht aus einem ſpiegelglatten Getäfel von quadratiſchen Platten von weißem und blauem Marmor. Aus der Kirche gelangt man durch ein gothiſches Thor in den Kreuzgang des Domcapitels, welcher eine lange Gallerie herrlicher gothi— ſcher Hallen iſt. Seine Wände ſind mit prachtvollen Fresken von der Meiſterhand der beiden berühmten ſpa— niſchen Freskomaler Bayen und Maella geſchmückt. Unter

Der Glockenthurm zu Toledo. 309

denſelben feſſelte mich beſonders eins ungemein, welches den Tod der heiligen Magdalena zum Gegenſtand hat. Neben dem Kreuzgange erhebt ſich der Glockenthurm des Doms, ein ſchöner gothiſcher Bau. Seine Höhe iſt mir nicht bekannt, kann aber nicht unbedeutend ſein. Schade, daß er nicht ganz im gothiſchen Style ausgeführt iſt. Anſtatt der hohen durchbrochenen Pyramide von Stein, mit welcher er den Regeln des gothiſchen Bauſtyls ge— mäß enden ſollte, beſitzt er nämlich blos eine mit Schiefer gedeckte und mit Ornamenten aus Zink geſchmückte Spitze. Urſprünglich hat die Cathedrale zwei Thürme bekommen ſollen, allein der zweite Thurm iſt, wie bei den meiſten der gothiſchen Rieſendome, unvollendet geblieben. In der Glockenſtube des Thurmes, zu der eine bequeme und helle Treppe emporführt, hängen nicht weniger als 14 Glocken. Unter denſelben zeichnet ſich eine ſowohl durch ihre enorme Größe, als durch ihre geſchmackvollen Ver— zierungen aus. Sie wurde der Inſchrift zufolge im Jahre 1637 in Toledo gegoſſen und wiegt 1543 Arroben (386 Centner). Dieſe Glocke iſt die größte in Spanien. Aus der Glockenſtube ſteigt man auf einer iſolirt ſtehen— den, langen, engen Wendeltreppe von Bronce zum oberſten Kranze des Thurmes empor. Von hier aus genießt man eine prächtige Ausſicht über die alterthümliche Stadt, das romantiſche Felſenthal des Tajo und die weiten, fruchtbaren Gefilde, welche Toledo gegen Norden, Weſten

340 Wichtige Gebäude Toledo's. Bibliothek.

und Oſten umgeben. Unter den vielen Kirchen und pallaſtähnlichen, alterthümlichen Gebäuden, welche aus dem grauen, maleriſch gruppirten Häuſermeer emportau⸗ chen, zeichnen ſich beſonders aus: die ſchöne Kirche des ehemaligen Jeſuitencollegiums, die von den katholiſchen Königen Ferdinand und Iſabella gegründete Kirche San Juan de los Reyes, an deren Außenſeite neben dem Hauptportale die Ketten aufgehängt ſind, welche die ge— fangenen Chriſten in Granada trugen, die bei der Ueber— gabe jener Stadt befreit wurden; ferner der ſchon mehr- fach erwähnte Alcazar, ein aus dem achtzehnten Jahchun⸗ derte ſtammendes, würfelförmiges Gebäude von koloſſaler Größe (die Hauptfacade beſitzt eine Länge von 160 Fuß), welches an der Stelle der ehemaligen Königsburg ſteht und jetzt als Caſerne dient; endlich der ehemalige In— quiſitionspallaſt, ein ebenfalls ſehr ſtattliches Gebäude von edler Architectur, in dem ſich gegenwärtig das Go- bierno politico der Provinz, denn Toledo iſt Provin— zialhauptſtadt, befindet. Schließlich will ich noch er— wähnen, daß das Domcapitel auch eine ziemlich bände— reiche Bibliothek beſitzt, welche beſonders der vielen Manuſcripte und Codices wegen wichtig iſt, deren Zahl ſich auf ſiebenhundert belaufen ſoll.

Dicht neben der Cathedrale ſteht der Pallaſt des Erzbiſchofs, ein Gebäude von bedeutender Größe, aber ohne allen architektoniſchen Werth. Der Erzbiſchof von

Primas von Spanien. Oeffentliche Plätze von Toledo. 344

Toledo führt bekanntlich den Titel „Primas von Spanien“ und iſt gewöhnlich Cardinal. Er gehört zu den reichſten Prälaten der Chriſtenheit; feine Diöceſe umfaßt außer dem Domcapitel von Toledo vier Collegiatkirchen, eine Abtei, zwölf biſchöfliche Vicariate und 802 Pfarrkirchen. Der Clerus der Cathedrale beſteht aus 14 hohen Geiſt— lichen (dignidades), 27 Canonicis, 50 Chorherren (pre- bendados) und mehr als 200 Kaplänen. Größeren architectoniſchen Werth, als der erzbiſchöfliche Pallaſt hat die ebenfalls am Domplatze befindliche Casa de la eindad oder das Rathhaus. Dieſes mit zwei Thürmen geſchmückte Gebäude verräth durch ſeinen einfach-edlen und ſtolzen Styl ſeinen Architecten, den genialen Her— rera, den Baumeiſter des Escorial. Von dem Domplatze aus, welcher eine dreieckige Geſtalt hat, bietet die Cathe— drale einen majeſtätiſchen Anblick dar. Man überſieht hier die Seite des Hauptportals, welches aus drei gothi— ſchen Thoren beſteht. Links davon erhebt ſich der Glocken— thurm, rechts ragt die hohe Kuppel der Capilla mozärabe auf. Außer dem Domplatze verdient noch der Conſtitu— tionsplatz eine Beachtung, weil er mit einer Promenade geziert iſt, die den gewöhnlichen Sammelplatz der höhern Stände in Abendſtunden bildet. Dieſer Platz hat eine ſehr unregelmäßige Form und iſt von hohen alterthüm— lichen, mit vielen Balconreihen verſehenen Gebäuden um— ſchloſſen. Alle übrigen Plätze Toledo's ſind klein und

312 Induſtriezweige Toledo's.

häßlich. Auch die beiden außerhalb der Stadt in der Vega und am Ufer des Tajo unweit des Thores von Alcantara gelegenen Promenaden verdienen kaum erwähnt zu werden. Dagegen iſt der Weg durch die Vega bis zur königlichen Säbelfabrik ein ſehr angenehmer Spazier⸗ gang. Die Säbelfabrik iſt ein großartiges Etabliſſement und ein ſehr ſchönes Gebäude. Ihre vielen Schmieden und Schleifereien werden theils durch die Waſſerkraft des Tajo, theils durch Dampfmaſchinen in Bewegung geſetzt. Ehedem war Toledo auch wegen ſeiner Wollen— und Seidenwebereien und wegen ſeiner Stecknadelfabriken berühmt. Alle dieſe Induſtriezweige ſind in neuerer Zeit untergegangen und nur ein Artikel iſt übrig ge— blieben, den kein anderer Ort Spaniens in ſo vortreff— licher Weiſe liefert, das iſt der berühmte „Marzipan de Toledo“, ein Gebäck, welches beſonders zur Weihnachts— zeit in ganz Spanien eine große Rolle ſpielt, und ſelbſt nach Frankreich, England und Amerika ausgeführt wird.

Am Mittage des 6. Octobers verließ ich Toledo wieder, um nach Plaſencia in Hocheſtremadura zu reiſen, bis wohin man von Toledo aus zu Pferde vier Tage braucht. Die Gegend iſt bis Talavera ſehr eben und kahl und daher oft meilenweit entſetzlich langweilig. Am meiſten ermüden die erſten drei Leguas bis zum Flecken Rielves, zwiſchen dem und der Vega von Toledo ſich ein völlig nacktes und unbewohntes, welliges Plateau

Gegend zwiſchen Toledo und Talavera. 313

hne alle Ausſicht erhebt. Dieſes Plateau iſt von dem ichten Thale des Guadarramafluſſes durchfurcht, der ier eine ſehr bedeutende Breite beſitzt, weil eine Menge on Sandbänken in ſeinem Bette liegen. Der Weg über— hreitet denſelben auf einer langen Steinbrücke von eilf zogen. Hinter Rielves wird die Gegend ganz eben und eſitzt einen ſehr ſandigen und deshalb wenig ergiebigen zoden. Doch gewinnt man hier ſchöne Ausſichten, theils en Norden auf die immer näher heranrückende Central— ette, theils gen Süden auf die Montes de Toledo. luch ſieht man hier und da kleine Olivenhaine und Ge— ölze von Immergrüneichen, ja um den Flecken Cerindote ſt das ganze Land weit und breit mit ſchönen Oelbäumen edeckt. Aus dieſen Olivenpflanzungen führt der Weg u kahlen Höhen empor, die eine prachtvolle Anſicht des entralen Scheidegebirges gewähren, welche um ſo ſchöner var, als gerade die Sonne unterging, als wir auf jene höhen gelangten. Wir brachten die Nacht in dem großen, anz eben gelegenen Flecken Carmena zu, welcher rings on ausgedehnten Olivenhainen umgeben iſt. Letztere etzen ſich bis zum Flecken Carriches fort. Sodann olgt ein hügliches kahles Sandgelände, welches indeſſen ehr ſchöne Ausſichten nach den beiden Gebirgsſyſtemen ſewährt. Endlich ſenkt ſich der breite, ſandige Reitweg n einen Barranco hinab, welcher mit üppiger Vegetation rfüllt iſt, und nachdem man ein ſchönes Laubgehölz durch—

314 Gegend von Cebolla.

wandert hat, gelangt man in ein weites, von kahlen Höhen umſchloſſenes Thalbaſſin, wo umringt von zahl loſen Oelbäumen und Weingärten der ſtattliche Flecker Cebolla liegt. Derſelbe beſitzt zwei Kirchen, ein Spita und ein altes, großes Schloß, das ehedem den Herzögeil von Alba gehörte. Am Ausgange dieſes freundlichei⸗ Ortes beginnen ausgedehnte Weinpflanzungen, die übe eine Stunde anhalten und das Land weit und breit bei decken. Es war hier eben die Weinleſe in vollem Gange Ich will nicht hoffen, daß der blanke Wein, den ma uns in der Poſada von Cebolla vorſetzte, die einzig Weinſorte ſei, welche hier gewonnen wird, denn jene Wein war ein abſcheuliches Getränk. Auf das Weinge lände folgt eine unbewohnte, mehrere Stunden breit Ebene, welche nur hier und da mit kleinen Olivenhaine beſtreut, ſonſt völlig unangebaut iſt. Zur Rechten un zur Linken bezeichnen Streifen üppiger, vorzüglich au Silberpappeln beſtehenden Baumwuchſes, den Lauf de Rio Alberches und des Tajo. Den erſtgenannten Flu überſchreitet man drei Stunden hinter Cebolla auf eine langen Holzbrücke. Man gelangt hier auf die von Madri nach Badajoz führende Heerſtraße von Eſtremadura. D Alberches, ein breiter, in mehrere Arme getheilter Flu welcher den weſtlichſten Parthieen des Guadarramageſ birges entquillt, fällt bald unterhalb der Brücke in dei Tajo. Von der Brücke aus erblickt man bereits die Thü

Talavera de la Reina. 315

nd Kuppeln von Talavera, welche aus einem Walde m Oelbäumen hervorragen, der am jenſeitigen Ufer es Alberches beginnt. Die Straße geht faſt ſchnurge— ide durch denſelben hindurch bis zur Kirche der Virgen el Prado, von wo eine ſchattenloſe Promenade bis an ie Thore der Stadt führt.

Talavera de la Reina, eine Stadt von 8000 is 9000 Einwohnern, liegt im Schooße einer weiten, hr fruchtbaren und gut angebauten Ebene, dicht am echten Ufer des hier in mehrere Arme getheilten, breit ahinſtrömenden Tajo, über den eine 200 Fuß lange steinbrücke von 35 Bogen führt. Von dieſer Brücke us, welche der heiligen Katharina geweiht iſt (puente e Santa Catalina), nimmt ſich die Stadt ſehr hübſch us. Dieſelbe beſitzt ſieben Pfarrkirchen und vierzehn klöſter und iſt die Reſidenz eines Vicars des Erzbis— hums Toledo. Die Häuſer ſind meiſt gut gebaut, die aſſen aber eng, krumm, ſchlecht gepflaſtert und ſchmuzig. Inter den Kirchen verdient blos die Hauptkirche oder gie Colegiata eine Erwähnung. Dieſelbe iſt von gothi— cher Bauart und enthält drei große ſchöne Schiffe. Da— eben erhebt ſich ein hoher vierſeitiger Glockenthurm, yeffen Erbauung, wie fein moderner Styl beweiſt, aus einer viel ſpätern Zeit datirt. Ein hübſches Bauwerk ſt auch die ſchon genannte Kirche der Virgen del Prado. Durch einen von ſieben Säulen getragenen

316 Volksfeſt von Tala vera.

Porticus tritt man in das Innere, welches aus drei großen Schiffen in florentiniſchem Styl beſteht. Uebe dem Platze vor dem Hochaltar es iſt eine Kreuzkirche erhebt ſich eine hohe ſchöngeformte Kuppel, welche mi Freskogemälden verziert iſt. In dieſer Kirche wird ein wunderthätiges Madonnenbild verehrt, welches zu einen eigenthümlichen Volksfeſte Veranlaſſung gegeben hat, dat alljährlich acht Tage nach Oſtern zu Ehren der Jungfrau gefeiert wird und unter dem Namen las Mondas du Talavera bekannt iſt. Es beſteht in Proceſſionen dei Bewohner aller umliegenden Ortſchaften, welche der Jung frau an dieſem Tage Geſchenke darbringen, fo wie in Ritterſpielen und Stiergefechten, die von den „caballeros de la virgen del prado“, einem bereits im fechzehnter Jahrhundert zuſammengetretenen Verein (hermandad}, unter den angeſehenen Einwohnern von Talavera, ver: anſtaltet werden. Jene Ritter müſſen bei dieſer Gelegen heit zu Pferde, in altſpaniſcher Tracht erſcheinen. Ueber haupt iſt Talavera und feine Umgegend reich an eigen: thümlichen Sitten. So pflegen die jungen Burſchen dae ganze Jahr hindurch allabendlich ſingend durch die Gaſſer zu ziehen, indem fie zugleich ihren hoͤchſt unmelodiſcherſ Geſang mit lärmenden Inſtrumenten begleiten. Und zwar bedienen ſie ſich dazu vom Tage aller Heiligen bis zu Weihnachten der Zambomba, jenes eigenthümlichen brummenden und heulenden Inſtruments, welches ich in]

Talavera de la Reina und feine Geſchichte. 317

einem erſten Reiſewerke ausführlich geſchildert habe; ährend der übrigen Monate dagegen des Tambourins. alavera de la Reina gilt für eine ſehr reiche Stadt. Cs befinden ſich daſelbſt bedeutende Seidenwebereien, elche eine große Menge von ſeidenen Kleiderſtoffen, idenen Strümpfen, Franzen, Sammet u. dgl. m. liefern, wie mehrere Steingutfabriken. Auch der Handel iſt cht unbedeutend. Alljährlich, ich glaube im Auguſt, ird ein großer Jahrmarkt gehalten, welcher acht Tage ert und ſehr beſucht ſein ſoll. Die Umgebungen der Stadt, eren Fruchtbarkeit noch durch das außerordentlich milde lima, das an einen Küſtenort erinnert, geſteigert wird, zeugen eine große Menge von Getreide, Wein, Oel, eigen, Mandeln, Gartenfrüchte aller Art, und Seide. ‘oh will ich bemerken, daß die Stadt ihren Beinamen de la Reina“ davon erhalten hat, daß ſie zur Zeit des önigthums von Caſtilien das Erbgut der jedesmaligen önigin war. Die Stadt iſt ſehr alt; man behauptet, e habe ſchon zur Zeit der Römer exiſtirt. Während der cabiſchen Herrſchaft erlitt fie viele Unbilden, indem fie tehrmals von den Caſtilianern und Mauren abwechſelnd elagert, erobert, geplündert und eingeäſchert wurde. Ta— wera de la Reina iſt der Geburtsort des berühmten ganiſchen Agronomen Herrera.

Gleich den folgenden Morgen ſetzte ich meine Reiſe eiter fort. Wir folgten dieſen ganzen Tag der Heer—

318 Gegend zwiſchen Talavera und Eſtremadura.

ſtraße nach Eſtremadura. Dieſe führt eine Stunde wei durch die fruchtbare Ebene von Talavera zwiſchen Wein gärten, Maulbeerbaumplantagen, Gemüſefeldern und Oli venhainen hin, dann aber erhebt ſie ſich aus dem weiten flachen Thale des Tajo, in welchem einige Piniengehöl liegen, auf ein kahles, entſetzlich ödes Plateau, welch theils ganz eben, theils wellenförmig geſtaltet ift und fit allmälig gegen die Gränze von Eſtremadura hinabſenkt Sechs Stunden lang ſieht man, mit Ausnahme eine einſamen Poſthauſes nebſt Venta, keine menſchliche Woh nung und faſt keinen Anbau und eben ſo wenig Bäume Der Boden iſt meiſt mit kahlen Triften überzogen, di hier und da ſumpfig find und Lachen beherbergen, a deren Rändern Heerden ſchwarzer, halbnackter Schwei lagerten, welche die Nähe Eſtremadura's verkündigte Die Straße iſt ſehr ſchlecht gehalten und verraſt, den es findet ein nur ſehr geringer Verkehr zwiſchen Neu caſtilien und Eſtremadura ſtatt. Außer Schweinehirtef begegneten wir keinem einzigen Menſchen. Bald hinte der Venta, wo wir Mittag machten und wo mir ein d ſelbſt ſtationirter Gensd'armerieoffizier viel von den i den jüngſtvergangenen Tagen in der Umgegend verübte Räubereien erzählte, tritt man in große, jedoch lich Waldungen von Immergrüneichen ein, die ſich bis den Fuß des blos noch zwei bis drei Stunden entfernte Centralgebirges erſtrecken, welches ſich hier zu der m

Gegend von Torralba und Oropeſa. 319

ſtätiſchen Sierra de Gredos emporthürmt, einem ohen, maleriſch geklüfteten Felſenwalle, der für den höch— en Theil des geſammten Scheidegebirges gilt und den emeinſchaftlichen Gränzpfeiler zwiſchen den Landſchaften iftremadura, Leon, Alt- und Neucaſtilien bildet. Das errain in dieſem Walde iſt hüglig, ſandig, hier und da on waſſerloſen Barranco's durchfurcht, welche gewöhnlich rächtige Ausſichten nach dem benachbarten Hochgebirge eſtatten. Gegen fünf Uhr Nachmittags kamen wir nach em Dorfe Torralba, welches, umringt von Oliven und Naulbeerbäumen, recht anmuthig am Abhange kahler Hü— el links von der Straße liegt. Eine kurze Strecke wei— er hin kommt man bei dem Schloſſe des Fleckens Oro— eſa vorbei, einer hochgethürmten, maleriſch auf einem zügel thronenden caſtilianiſchen Burg. Am Fuße des Schloßberges, rechts von der Straße, befindet ſich ein roßes, in Ruinen liegendes Kloſter, in deſſen Garten ine hohe, ſchöne Dattelpalme ſteht. Ich glaubte meinen lugen nicht zu trauen: Palmen in Centralſpanien, an— ſerthalbtauſend Fuß über dem Meere! Ich würde es nicht lauben, hätte ich's nicht ſelbſt geſehen! Dieſe Palme iſt ver beſte Beweis dafür, daß in jener Gegend die Winter ehr gelind ſein müſſen. Von hier aus läuft die Straße iber kahles, wellenförmiges Terrain längs der zur Linken ich hinziehenden Hügelkette von Oropeſa hin, an deren Abhange ſich der Flecken Herreruela, umgeben von

320 Navalmoral und feine Schweinezucht.

dichten Olivenhainen, amphitheatraliſch ausbreitet, nach dem an einem kahlen Hügel gelegenen, ebenfalls von] Oelbäumen umringten Städtchen Calzada de Oropefa,| woſelbſt wir in einer leidlichen Poſada übernachteten.

Gleich hinter Calzada überſchreitet die Straße die

Olivenhainen umgeben iſt. Navalmoral hat ziemlich ſtatt— liche Häuſer, ſtarrt aber von Schmut, wie faſt alle Ort— ſchaften Eſtremadura's. In den breiten, von Unrath und Jauche erfüllten Goſſen der ſcheußlich gepflafterten Gaſſen tummelten ſich ſchwarze, nackte Schweine, welche auch frei in den Häuſern umherliefen, ja in der Poſada, wo wir Mittag zu machen genöthigt waren, ungehindert um die am Feuer ſtehenden Kochtöpfe herumſchnoperten und mit den ſchmuzigen Kindern aus einer Schüſſel fraßen! Das nennt man in Eſtremadura gemüthliches Zuſammenleben! In Navalmoral verließen wir die Straße nach Bada⸗ joz und ſchlugen einen Saumpfad ein, welcher in weſt— licher Richtung durch ſehr einſame, großentheils bewal— dete Gegenden dem centralen Scheidegebirge entgegen

Gegend zwiſchen Navalmoral und el Toril. 321

läuft, an deſſen Fuße Plaſencia liegt. Eine kurze Strecke hinter Navalmoral beginnt ein großer Eichenwald, wel— cher die ganze weite, hügliche Mulde, durch die der Rio Ti éfar ſtrömt, bis an den Fuß des Gebirges erfüllt und vier Meilen im Durchmeſſer hält. Derſelbe beſteht anfangs aus Immergrüneichen, ſpäter vorzüglich aus Kork— eichen, welche hier eine ſehr bedeutende Größe erreichen. Der ſandige Boden, ein Zerſetzungsproduct der darunter liegenden Grauwacke, iſt meiſt dicht mit Cistus ladani- ferus L. bedeckt, deſſen harzige Blätter einen balſamiſchen Wohlgeruch verbreiten. Dieſe Ciſtusheiden ſind charakte— riſtiſch für Eſtremadura, ſowie überhaupt für das weſt— liche Spanien. Wenige Ortſchaften liegen, meilenweit von einander entfernt, in dieſem ungeheueren Wald- und Heidelande. Die erſte, welche der Weg berührt, iſt Ca— ſatejada, ein großer Flecken von ſtattlicher Bauart, doch eben ſo ſchmuzig, wie Navalmoral. Auch hier wimmelte Alles von Schweinen; Menſchen dagegen waren wenige zu ſehen. Hinter Caſatejada wird die Waldung ſehr dicht und hochſtämmig. Die Nacht war ſchon hereingebrochen, als wir endlich nach el Toril gelangten, einem elenden, aus zerſtreuten Häuſergruppen beſtehenden Orte, in deſſen Poſada wir uns bequemen mußten, zu übernachten, ob— wohl es in derſelben außer Schmuz, der in reicher Menge vorhanden war, nichts als Brod, Waſſer und Stroh gab. Nur mit Mühe konnte Aguſtin in dem Dorfe etwas Fut— Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 24

322 Charakteriſtik der Bewohner Eſtremadura's.

ter für unſere Pferde und einige Eier für uns ſelbſt auf- treiben, was kaum gelungen ſein würde, hätte ihn nicht die Wirthin, eine alte gutmüthige Wittwe, die Alles auf- bot, um mir den Aufenthalt in ihrer ärmlichen Wohnung erträglich zu machen und den andern Morgen kaum eine Bezahlung für ihre Dienſte zu fordern wagte, ſelbſt be— gleitet. Ueberhaupt ſind die Bewohner Eſtremadura's, ſoweit ich dieſe Landſchaft auf jener Reiſe kennen gelernt habe, gutmüthige, gefällige und höfliche Menſchen und unterſcheiden ſich hierdurch vortheilhaft von den Arago— neſen, denen fie ſonſt wegen ihrer großen Unreinlichkeit und wegen ihrer Schweigſamkeit ſehr gleichen. Eine dreiſtündige Wanderung durch den Wald, der von Toril | an häufig mit Gehölzen großer Schwarzkiefern (Pinus Pinaster Ait.) und mit portugieſiſchen Eichen (Quercus lusitanica Lam.) vermengt iſt, brachte uns am folgenden Morgen an das Ufer des Rio Tiéfar, eines breiten, hellen Gebirgswaſſers, welches in den öſtlichen Verzwei- gungen der Sierra de Gredos entſpringt. Seine Ufer ſind mit ſchönem, aus verſchiedenartigen Eichenarten zu— ſammengeſetztem Laubholz dicht bewaldet. Eine Stunde | ſpäter hörte der Wald auf und wir traten auf ein kahles, hügliches Plateau, über deſſen unangebaute Kämme der“ Weg zu dem auf dem Gipfel eines dürren Hügels gele— genen Flecken Malpartida emporklimmt, wo wir Mittag machten. Der genannte Ort iſt ein abſcheuliches, ſchmu⸗

Geſchichte von Plaſeneia. 323

iges Neſt, gewährt aber eine weite Ausſicht über das Plateau von Hocheſtremadura und ſchöne Anſichten der daſſelbe umſchließenden Gebirge, beſonders des vielkuppi— gen Bergſyſtems zwiſchen dem Tajo und Guadiana. Von hier gelangten wir nach Ueberſteigung mehrerer kahler, felſiger Hügel an den Rand eines weiten, zum Theil mit Weingärten, Olivenpflanzungen und Gemüſefeldern erfüll— ten Thalbeckens, an deſſen entgegengeſetztem Rande die alte Römerſtadt Plaſencia, am Fuße einer von dem Centralgebirge auslaufenden Bergkette von fehr felfiger Beſchaffenheit maleriſch hingeſtreckt liegt.

Plaſencia, woſelbſt ich drittehalb Tage verweilte, iſt eine ziemlich große, aber entvölkerte Stadt und daher eben jo todt, wie Toledo. Sie verdankt ihre Entſtehung den Römern, denen fie als feſter Punct auf der via mi— litaris diente, welche Merida (Augusta Eremita) mit Salamanca (Salamantica) und Leon (Legio) verband. Ihre jetzige Größe erreichte ſie im Mittelalter, nachdem die Könige von Leon ihre Herrſchaft bis an den Tajo ausgedehnt hatten, von welcher Zeit an Plaſencia eine wichtige Gränzfeſtung gegen das mauriſche Reich wurde. Aus jener Zeit ſtammt auch der Biſchofsſtuhl von Pla— feneia, welcher jetzt unter die Diöceſe des Erzbiſchofs von Santiago de Compoſtela gehört. Im Mittelalter war Plaſencia eine ſehr blühende und mächtige Stadt; jetzt iſt fie ein unbedeutender Ort, indem fie blos 6000 Ein-

24 *

324 Lage von Plafencia.

wohner zählt. Aber ihre Größe und ihre ſtolzen Ge- bäude verrathen ihren einſtigen Glanz. Plaſencia liegt auf einem felſigen Granithügel über dem rechten Ufer des von der Sierra de Gredos herabſtrömenden und ein wei— tes, neun Leguas langes Längenthal bewäſſernden Rio Jerte oder Serte, welcher ſich in halbmondförmiger Krümmung um den Stadtberg herumſchlingt und unter⸗ halb der Stadt, an deren weſtlicher Seite, in eine enge, mäandriſch gekrümmte, höchſt romantiſche Felsſchlucht ein— tritt, die er ſich durch die Granithügel, in welche ſich die oben erwähnte, hinter Plaſencia aufragende Bergkette gegen Süden zu auflöſt, gegraben hat. Drei Brücken, jede von ſieben Bogen, zwei derſelben wunderſchön von Epheu bekränzt, führen über den hellen, wilden Berg— ſtrom, der von vielen Wehren durchſchnitten iſt, an denen Mühlen liegen. Die Felsſchlucht iſt dem Thale des Tajo bei Toledo ganz ähnlich, doch minder großartig, aber viel länger, wilder und enger. In derſelben liegen noch ein— zelne Mühlen in romantiſcher Abgeſchiedenheit unter rie— ſige Granitklippen und üppige Vegetation verſteckt. Es iſt dieſes Felſenthal eine höchſt maleriſche und deshalb ſehr beſuchenswerthe Parthie. Auch nimmt ſich die alter- thümliche, hochgethümte, mauerumgürtete Stadt von fei- ner Seite ſo ſtattlich aus, wie von den Felskuppen dieſer Schlucht, indem hier die ernſten Granitmaſſen und der ſchäumende Fluß den Vordergrund des Gemäldes bilden,

Gothiſcher Bauſtyl in Plaſencia. 325

während hinter der ſtolz thronenden, vielthürmigen Stadt die impoſanten Berghäupter des Scheidegebirges mit ihren walderfüllten Felſenſchluchten emporſteigen. Plaſencia liegt ebenfalls ſehr uneben, beſitzt aber regelmäßigere Gaſſen und Plätze, als Toledo. Die Häuſer ſind im Allgemeinen ſtattlich; viele haben ein burgähnliches Ausſehen. Die Stadt iſt von doppelten Ringmauern umgürtet, von denen die innere eine bedeutende Höhe und Stärke und eine große Anzahl viereckiger und halbrunder Vertheidigungs— thürme beſitzt. Sieben Thore, meiſt von gothiſcher Bau— art und von dicken, zinnengekrönten Thürmen überragt, führen in das Innere der Stadt, welches ſieben Pfarr— kirchen und eben ſo viele Klöſter enthält. Die Kirchen ſind ſämmtlich gothiſch, aber keine bemerkenswerthen Bau— werke. Selbſt die ſogenannte Cathedrale oder die biſchöf— liche Kirche enthält wenig Sehenswürdiges. Dieſelbe iſt ein großes in verſchiedenen Bauſtylen ausgeführtes Ge— bäude mit einem unvollendet gebliebenen Thurme. Die Hauptfacade iſt mit gothiſchen Sculpturen überladen; das Innere beſteht aus drei geräumigen Schiffen von modern gothiſchem Geſchmack und zeichnet ſich durch Ein— fachheit aus, mit Ausnahme der Altäre, welche mit Sculp— turen und vergoldeten Zierrathen überladen ſind. Das Einzige, was Beachtung verdient, iſt ein in Holz aus— geführtes Hautrelief des ſpaniſchen Bildhauers Gregorio Hernandez, welches das Hochaltar ſchmückt. Es ſtellt die

326 Umgebungen von Plaſencia.

Himmelfahrt der Jungfrau vor. In der Sala capitular befinden ſich einige gute Gemälde, unter denſelben eine Geburt Chriſti von Velazquez und ein heiliger Auguſti— nus von Ribera (il Spagnoletto). Sehr ſchön find |! die Umgebungen von Plaſencia, beſonders gegen Südoſt, Oſt und Nordoſt. Sowohl die Sohle des breiten, vom Jerte bewäſſerten Thales, als die Abhänge der Berge, beſonders die der Plaſencia gegenüber liegenden, ſind auf das Sorgfältigſte, in ganz valencianiſcher Weiſe, ange— baut. Saubere, gut gepflegte Gemüſefelder erfüllen die Thalebene, während die Berge vom Fuße bis zum Gipfel mit Reben und Oelbäumen bedeckt ſind, aus deren Grün die weißen Mauern und rothen Ziegeldächer einer Menge von Winzerhäuschen hervorſchimmern. An den Ufern des hier breit ſtrömenden Fluſſes ziehen ſich ſchattige Laub— gehölze hin; auch liegt hier, an der Oſtſeite der Stadt, eine große, mit Gras und Bäumen bedeckte Inſel mitten im Fluſſe, die ſich ſehr hübſch ausnimmt und gleichzeitig als Spaziergang und als Trocknenplatz für die Wäſche zu dienen ſcheint. Auf der Spitze des höchſten der ma— leriſch geformten, der Stadt gegenüber liegenden Berge ſteht eine Hermita, die eine prachtvolle Ausſicht auf das Thal, die Stadt, die Sierra und das hügliche Plateau von Eſtremadura darbietet. Auch von der Stadt aus genießt man auf der Oſtſeite ſchöne Ausſichten. Reizend iſt namentlich die Ausſicht gegen Nordoſt, wo man weit

Aquäduct von Plafencia. Klima. 327

in das maleriſche Thal des Jerte hineinſchaut, welches nach aufwärts von ſchön geformten und reich mit Laub— holz geſchmückten, immer höher anſchwellenden Granitber— gen eingefaßt iſt. Dieſer impoſanten Gebirgsanſicht hal— ber verdient die kleine und ſchlecht gehaltene Promenade beſucht zu werden, welche ſich außerhalb der Stadt an deren Nordſeite befindet. Hier kommt auch der Aquäduet von Plaſencia zur Stadt herein, welcher aus 80 Bogen beſteht und das Trinkwaſſer aus der Sierra aus einer Entfernung von zwei Leguas herbeileitet. Derſelbe iſt ein modernes Bauwerk, aber in antikem Styl ausgeführt. Auch Plaſencia genießt ein ſehr mildes Klima, welches es blos ſeiner eigenthümlichen Lage innerhalb eines gegen Norden und Oſten von hohen Bergen umſchloſſenen Thal— keſſels zu verdanken hat. Daher erklärt es ſich, daß hier ſogar die Pila (Agave americana L.) fortkommt. Seine Bewohner ſind arbeitſame und einfache Menſchen. Sonntags, den 13. October, ſetzte ich meinen Wan— derſtab weiter. Auf die vergangenen ſchönen und war— men Tage war trübes, regneriſches, windiges und kaltes Wetter gefolgt, welches uns abermals ſchlechte Tage in der Sierra zu bereiten drohte. Der Weg nach Sala— manca führt über die kahle und ſehr felſige Bergkette, die unmittelbar hinter Plaſencia aufragt und das Thal des Jerte gegen Nordweſt begränzt, und iſt bis zur näch— ſten, jenſeits dieſer Kette gelegenen Ortſchaft, bis Villar,

328 Die alte via militaris der Römer.

die alte via militaris der Römer. Dieſe Straße it ziemlich breit und mag vor zweitauſend Jahren ganz vor⸗ trefflich geweſen fein; gegenwärtig aber befindet ſich die- ſelbe in fo ſchlechtem Zuſtande, daß man nur im fang- ſamſten Schritte auf ihr reiten kann, indem der Sand und Mörtel, welcher die großen Granitblöcke, mit denen die Straße gepflaſtert iſt, urſprünglich vereinigt haben mag, durch die atmoſphäriſchen Wäſſer längſt herausge— waſchen und weggeſpült worden iſt. Die via militaris ſteigt in vielen Zickzacks zwiſchen Felsmaſſen bis zu dem Kamme der erwähnten Bergkette empor, woſelbſt eine große Kapelle, in der ein wunderthätiges Marienbild ver- ehrt wird, die Hermita de Nueſtra Senora del puerto, ſehr maleriſch gelegen iſt. Von den Arkaden, welche die Kirche umgeben, genießt man eine reizende Ausſicht über das grüne, baumreiche Thal des Jerte. An dem entgegengeſetzten Rande des rauhen Felſenkammes, der wie das ganze zwiſchen Eſtremadura und Leon be— findliche Gebirge aus Granit beſteht, wurden wir durch den Anblick einer weiten, gegen Weſt und Nordoſt von hohen Gebirgsketten umſchloſſenen Thalebene überraſcht, die großentheils mit Eichenwaldung bedeckt iſt und meh— rere Ortſchaften beherbergt. Durch dieſe mehrere Meilen breite Ebene ſtrömt der Rio Alagon, welcher von dem hohen Gebirgsſtocke der Pena de Francia herabkommt, weiter unten den Jerte aufnimmt und bei Alcantara in

Lage des Fleckens el Villar. 329

+ Tajo mündet. Die jenſeits der Ebene emporragen— den Gebirgsketten, deren Gipfel an jenem Tage von Wolken verhüllt waren, werden die Sierras de Gata und Jalama genannt und gränzen an Portugal“). Der dem Thalbecken des Alagon zugekehrte Abhang der Berg— kette von Plaſencia iſt weniger ſteil als der nach dem Thale des Jerte ſchauende, und mit Eichen (Quercus Tozza) bewaldet. Hier und da zeigen ſich bereits Kaſta— nien, welche weiter aufwärts, in den Hochgebirgsgegenden des zwiſchen Eſtremadura und Leon gelegenen Stückes der Centralkette, große Waldungen bilden. Durch Kork— eichenwälder gelangten wir nach dem bereits in der vom Alagon durchſtrömten Ebene gelegenen Flecken el Villar, einem ſchmuzigen, häßlich gebauten Neſt. Von fern nimmt es ſich recht gut aus, theils weil es von reichem Baum— wuchs umringt tft, theils wegen feiner rothen Ziegel- dächer, durch welche ſich auch hier die Gebirgslandſchaften von denen des Plateau's auszeichnen. Von el Villar an iſt der Weg gut, eine breite ungepflaſterte Fahrſtraße. Er läuft fortwährend in der über eine Stunde breiten, faft ganz ebenen Thalfläche hin, welche der Rio Ambroz, ein in der Sierra Negra, die das oberſte Stück des Jertethales gegen Norden umwallt, entſpringender Zufluß des Alagon, bewäſſert. In dieſer Thalfläche, welche hier

) Plaſencia iſt blos eine Tagereiſe von der portugieſiſchen Gränze entfernt.

330 Nachtlager in Aldra nueva del Camino.

unmerklich mit der Alagonebene verſchmilzt, weiter auf— wärts aber durch eine Bergkette von ihr geſchieden iſt, bemerkt man wenig Anbau, dagegen viele Eichengehölze und Weideplätze. Auf letzteren weideten hier und da große Merinoheerden. Das zur Rechten des Weges in großer Nähe hinziehende Gebirge die Bergkette von Plaſencia erhebt ſich hier bedeutend und iſt mit ſchoͤ— ner Laubwaldung (der ſchon genannten Eichenart) dicht bekleidet. An ſeinem Fuße ruhen mehrere freundliche Ortſchaften in maleriſcher Lage. Es war bereits Nacht, als wir nach Aldra nueva del Camino kamen, einem großen, an einem ſteilen Abhange ſich hinziehenden und vom Ambroz durchſtrömten Flecken von ebenfalls ſehr häß— licher, finſterer Bauart. Die Poſada, in der wir über- nachteten, war nicht viel beſſer, als die von Toril; aber auch hier traf ich freundliche, gefällige Menſchen. Die Wirthin räumte mir mit größter Bereitwilligkeit ihr ei— genes, einziges Zimmer ein und beraubte ſich ihres eige— nen Bettes, um mir ein anſtändiges Lager, „una cama decente“, wie es ſich für einen „caballero“ gehöre, zu bereiten. Das Zimmer war ſo niedrig, daß ich faſt mit dem Kopfe an die Decke ſtieß, an welcher noch zum Ueber— fluß eine Menge von Weintrauben und Maiskolben hing. Den folgenden Morgen war ziemlich heiteres Wetter. Aldranueva del Camino liegt ſehr maleriſch am Fuße der Kette von Plaſencia, in einem üppigen Kranze von Aepfel⸗

Banos de Bejar. 334

und Nußbäumen. In ſeinen Umgebungen wird ſehr viel ſpaniſcher Pfeffer gebaut, deſſen Früchte eben reif waren, weshalb die Felder von fern ganz roth ausſahen; auch wächſt hier viel Wein und Gemüſe. Die Gegend iſt im Allgemeinen gut cultivirt, baumreich und höchſt anmuthig, indem ſich auf allen Seiten hohe, mit Laubholz, vorzüg— lich mit Kaſtanien bedeckte Berge erheben, welche in nord— öſtlicher Richtung die vom Ambroz durchſtrömte Ebene allmälig zu einem maleriſchen Thale verengen. Durch dieſes Thal ſteigt der Weg von Aldranueva zu dem Kamme der Centralkette empor. Um 10 Uhr gelangten wir nach dem Badeort Baños de Bejar, der erſten Ortſchaft der zum ehemaligen Königreiche von Leon gehörenden Provinz von Salamanca. Dieſe Villa liegt unbeſchreib— lich reizend am Ausgange einer engen, in die Kette von Plaſencia tief eindringenden Schlucht, deren grandioſe Granitfelſen auf das Maleriſchſte mit Laubholz geſchmückt ſind. Mitten durch den Ort tobt ein klarer Gebirgsbach in ſchäumenden Waſſerfällen, und zahlloſe alte Nußbäume und Kaſtanien erheben ſich allenthalben zwiſchen den ter— raſſenförmig an den Abhängen der Schlucht übereinan— der ſtehenden Häuſern. Letztere haben eine eigenthüm— liche Bauart, welche mir ſchon in Aldranueva und el Villar auffiel und die ich auch in den folgenden, weiter aufwärts gelegenen Dörfern beobachtete. Das flache Dach ſpringt nämlich nach der Gaſſe zu weit vor und über—

332 Das Trocknen der Feigen und des ſpaniſchen Pfeffers.

ſchattet eine offene, über der Hausthür befindliche Galle— rie, die auf hölzernen Säulen ruht und ein ebenfalls

hölzernes Geländer von durchbrochener Arbeit beſitzt, wel- ches roth angeſtrichen zu fein pflegt. Dieſer an die Caſe-

rio's der Basken erinnernde Bauſtyl ſcheint blos den Ortſchaften des Eſtremadura zugekehrten Abhanges des Scheidegebirges eigen zu ſein, denn jenſeits Bejar habe ich denſelben nicht wiedergefunden. Damals waren in jenen Ortſchaften alle Geländer der Gallerieen und häufig

auch die vorſpringenden Dachränder mit langen Schnüren

von Feigen und Früchten des ſpaniſchen Pfeffers, welcher in jenen Gegenden überall im Großen angebaut wird, behängt, was den Häuſern ein ganz ſeltſames Ausſehen verlieh. Man hängt die genannten Früchte in dieſer Weiſe auf, damit ſie trocknen, ähnlich, wie man es bei uns mit den Aepfeln thut. Baitos befigt eine hüb— ſche Kirche mit einem hohen Thurme, der in eine durch— brochene Kuppel endet. Das hier quellende Mineralwaſſer iſt warm und enthält Schwefelwaſſerſtoffgas. Der Boden iſt um Banos ſehr gut angebaut. Alle Bergabhänge ſind in valencianiſcher Weiſe terraſſirt und weit hinauf mit Reben bedeckt. Im Grunde des Thales liegen zerſtreute Olivengehölze, nach oben zu dagegen bemerkt man zwiſchen dem goldgrünen Weinlaube häufig das friſche, ſaftige Grün der Kaſtanien, die von hier an ſehr zahlreich auftreten und bald den vorherrſchenden Beſtandtheil der Laubwal—

Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges. 333

dung ausmachen. In Baſss beginnt eine gut chauſſirte Straße, welche bis Salamanca fortgeführt werden ſoll. Damals war ſie erſt einige Stunden weit fertig. Die— ſelbe führt in dem ſich hier raſch erhebenden, doch immer noch ziemlich breit bleibenden Thale aufwärts, welches die Kette von Plaſencia von der des Alagonthales ſchei— det und hier von einem kleinen Bache durchrauſcht wird, der ſich in den Ambroz ergießt, denn dieſer Fluß beginnt erſt unterhalb Banos, wo er aus dem Gebirge hervor— ſtrömt, das Thal zu bewäſſern. Durch dieſes Thal ge— langt man auf ein hohes, hügliches Plateau, auf dem die Flecken el Puerto und Tantagello liegen, durch welche die Straße hindurchgeht. Bevor ich aber meine Reiſe— route weiter ſchildere, ſei es mir erlaubt, einige Worte über die orographiſchen Verhältniſſe des zwiſchen Eſtre— madura und Leon ſich erhebenden Scheidegebirges zu ſagen.

Das die Landſchaften Eſtremadura und Leon ſchei— dende Stück des centralen Gebirgsſyſtems iſt keineswegs eine in der Richtung der Streichungslinie des Syſtems, d. h. von NO nach SW ſich erſtreckende und ſtetig fort— ſetzende einfache oder doppelte Gebirgskette, wie die Sierra de Guadarrama, ſondern vielmehr ein hoch, aber ganz allmälig anſchwellendes Plateau, welches der Quere nach mit iſolirten, mehr oder weniger parallel laufenden Berg— ketten beſetzt iſt. Dieſe Bergketten erſtrecken ſich aber

334 Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges.

nicht ſenkrecht auf die Streichungslinie des Syſtems, ſondern durchſchneiden dieſelbe unter ſpitzen Winkeln, indem ſie, wenigſtens die Mehrzahl derſelben, von NNO 4 nach SS W gerichtet find. Zwiſchen dieſen Gebirgsmauern, von denen einige bis zu Höhen von ſechs⸗-, ja fiebentau- ſend Fuß aufragen, während die Höhe des Plateaus, des eigentlichen Gebirgskammes, wohl nirgends über 4000 Fuß beträgt, verlaufen die Fahrwege und Saumpfade, welche die beiden Landſchaften mit einander verbinden,

und daher kommt es, daß man auf den Routen von Pla-

ſencia nach Salamanca, oder von Coria nach Ciudad— Rodrigo gar kein wirkliches Gebirge zu überſteigen hat. Dieſe eigenthümliche Terraingeſtaltung, welche die Com— munication zwiſchen Leon und Eſtremadura außerordent— lich begünſtigt, iſt unbegreiflicherweiſe bis jetzt unbe— kannt geblieben, denn ſelbſt auf den in den Jahren 1838 und 1839 erſchienenen Specialkarten des Atlas nacional de Espana findet man das Scheidegebirge zwiſchen jenen beiden Landſchaften noch als eine hohe, vielfach verzweigte, continuirlich fortſetzende Kette dargeſtellt. Um dieſen groben geographiſchen Irrthum endlich einmal zu befeiti- gen, will ich die Hauptbergketten angeben, welche quer über das Plateau laufen, ohne im geringſten mit einan⸗ der zuſammenzuhängen. Die eigenthümliche, ſchon ge— ſchilderte Geſtaltung des Centralgebirges beginnt mit dem großen Plateau der Paramera de Avila, welche das

Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges. 335

Guadarramagebirge von der Sierra de Gredos ſcheidet. Letztere erſtreckt ſich noch in der Richtung der allgemei— nen Streichungslinie des Gebirgsſyſtems. Auch die näch— ſten Gebirgszüge, die Sierra del Pico und die Sierra Negra, verfolgen noch dieſe Richtung, ſind aber bereits iſolirte, auf dem Grundplateau ſich erhebende Maſſen. Die weiter weſtlich gelegenen Bergketten ſtreichen in mehr nordſüdlicher Richtung. Es ſind von Oſten nach Weſten: die Sierra de Bejar, die Kette, welche das Thal des Alagon gegen Oſten begränzt, die Pena de Francia, Sierra de Gata und Sierra de Jalama, die zu— ſammen eine ziemlich continuirliche Kette zu bilden ſchei— nen, welche das Baſſin des Alagon von dem Thale des die Wälle von Ciudad-Rodrigo beſpülenden Rio Agueda trennt. Ob das Scheidegebirge noch weiter weſtwärts, in Portugal, dieſe eigenthümliche Geſtaltung beibehält, oder nicht, darüber habe ich nichts in Erfahrung bringen können. In meinem urſprünglichen Reiſeplane lag es, dieſe ganze weſtliche Hälfte des centralen Gebirgsſyſtems einer gründ— lichen Unterſuchung, namentlich auch einem genauen ba— rometriſchen Nivellement zu unterwerfen; mein Geſchick hatte es leider anders beſtimmt und ich mußte mich da— mit begnügen, einen flüchtigen Blick auf dieſe höchſt in— tereſſanten Gegenden zu werfen. Noch will ich bemerken, daß die zwiſchen den Gebirgsfetten ſich ausbreitenden Plateaus häufig von Thälern tief eingeriſſen ſind, in

336 El Puerto und Gantogallo.

denen die auf ihren Gebirgen entſpringenden Bäche und Flüſſe hinſtrömen. Ein ſolches Plateauthal tft der pracht⸗ volle Grund von Bejar, wohin ich nunmehr nach dieſer Abſchweifung meine Leſer geleiten will.

Die oben genannten Dörfer el Puerto und Can— togallo liegen höchſt maleriſch am Abhange ſteiler Gra— nithügel, umringt von prachtvollen Kaſtanienhainen. Letz⸗ tere waren mit reifen Früchten überladen; man begann eben, dieſelben zu ernten. Die Maronen ſind in dieſen Gegenden ein Hauptnahrungsmittel der ärmern Volks⸗ klaſſen. Die Straße ſchlängelt ſich neben einer mulden— förmigen Niederung hin, welche das Plateau durchfurcht. Dieſe, ſowie andere Niederungen, ſind mit ſchönen Wie— ſen erfüllt, ein Beweis, daß man ſich hier in einer be— deutenden Höhe über dem Meere befindet. Die Bauern haben in dieſer Gegend die Gewohnheit, ihre Beſitzungen mit aus loſen Steinblöcken errichteten Mauern zu umge⸗ ben, ſowie das Heu um hohe Stangen zu großen Scho— bern auf den Wieſen aufzuſchichten, ganz in derſelben Weiſe, wie dies die Bewohner des Rieſengebirges thun. Von den höchſten Punkten des Plateau aus erblickt man gegen NO die Pena de Francia, eine der erhabenſten Gebirgsmaſſen der weſtlichen Centralkette, die wohl bis nahe an 7000 Fuß aufragen mag und ein ehedem be— rühmtes Kloſter an ihrem Abhange trägt. Ihre Gipfel ſteckten an jenem Tage in den Wolken. In der Nähe

Sage vom Thal der Batnecas. Thal von Bejar. 337

dieſes Hochgebirges, ſüdweſtlich davon, liegt das berühmte Thal der Batnecas, eine tiefe Schlucht, von der die Sage geht, daß ihre Bewohner Jahrtauſende lang un— bekannt blieben, bis ſie durch ein den Zorn der Aeltern fliehendes Liebespaar, welches ein Aſyl in den Einöden jenes Gebirges ſuchte, entdeckt wurden. Jetzt liegt ein Kloſter in jener Thalſchlucht, welche ſo eng iſt, daß ſie im Winter noch nicht vier Stunden lang während eines Tages von der Sonne erhellt wird. Nach einigen Stunden gelangten wir an den Rand des tiefen Thales von Bejar, woſelbſt die Chauſſee endete. Dieſes Thal durchſchneidet vielfach gekrümmt das Plateau in der Rich— tung von NO nach SW und wird von einem wilden, waſſerreichen Gebirgsbache, der den ſeltenen Namen Cuerpo de hombre Menſchenkörper) führt, durch— ſtrömt. Es iſt ein tiefer und weiter, höchſt romantiſcher Grund, in deſſen Tiefe man ſich inmitten eines gewalti— gen Gebirges zu befinden wähnt, denn ungeheure Gra— nitmaſſen thürmen ſich allenthalben an den ſteilen Thal— gehängen zu gewaltigen Kuppen empor. In dieſem Thale, deſſen Abhänge von unten bis oben, ſo weit es ihre fel— ſige Beſchaffenheit erlaubt, mit Kaſtanien und Eichen (Quercus Tozza), ſowie mit Laubgebüſch auf das Male— riſchſte bekleidet und an vielen Stellen terraſſirt und mit Weinreben, Nuß- und Obſtbäumen, mit Gemüſe und Gar— tenfrüchten bepflanzt ſind, liegt die Stadt Bejar in einer

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 22

338 Romantiſche Lage von Bejar.

der romantiſchſten Lagen, die mir jemals vorgekommen ſind. Sie thront nämlich auf einem ſteilen, mit Laubholz und Kräuterwuchs prächtig geſchmückten Felſenberge, welcher auf drei Seiten von dem wild ſchäumenden Cuerpo de hombre umfloſſen, auf der vierten aber durch einen waſ— ſerloſen Barranco von der gegenüberliegenden Thalwand geſchieden iſt. Auf dem Gipfel dieſes langgeſtreckten, iſolirten Felskoloſſes, der auf allen Seiten von den viel höhern Bergen der Gehänge des Cuerpothales umringt iſt, liegen die alterthümlichen, aber ſtattlichen Gebäude der Stadt lang hingeſtreckt und terraſſenförmig gruppirt, umgürtet von hohen, alten Mauern mit gothiſchen Tho— ren und überragt von einem ſtolzen Schloſſe und mehre— ren Kirchthürmen. Die Anſicht der Stadt iſt von der Stelle aus, wo ich ſie zuerſt erblickte, um ſo großartiger, als nördlich davon eine aus nackten, grotesk geſtalteten Granitkuppen beſtehende Kette aus dem Plateau auf— ſteigt. Leider begann es zu regnen und regnete den ganzen Nachmittag und Abend, ſowie die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen, faſt ohne Unterbrechungen. Von den Ufern des Cuerpo de hombre, an dem meh— rere moderne Tuchfabriken liegen, klimmt ein ſchmaler Fußweg in endloſen Zickzacks an dem Stadtberge empor. Bejar iſt lang, aber ſehr ſchmal. Seine Gaſſen ſind uneben, ſchauderhaft gepflaſtert und entſetzlich ſchmuzig. Ungefähr in der Mitte der Stadt erheben ſich die

Das Innere der Stadt Bejar. 339

himmelhohen Mauern des halbzerſtörten Schloſſes, der Stammburg und ehemaligen Reſidenz der Herzöge von Bejar. Nicht weit davon liegt der Conſtitutionsplatz, welcher klein, jedoch regelmäßig und auf drei Seiten von ſtattlichen Gebäuden umringt iſt. Auf der vierten ver— tritt eine Mauer, die ſich am ſchwindelnden Felſenrande des Berges hinzieht, die Häuſer. Von hier aus genießt man eine überaus prächtige Ausſicht in das romantiſche, herrlich bewaldete Thal. An dieſem Platze liegt auch die Hauptkirche, welche von gothiſcher Bauart iſt. Das Re— genwetter verhinderte mich leider, die Stadt und ihre Umgebungen genauer zu beſichtigen, und zwang mich, in meiner ſchmuzigen, winkligen und unwohnlichen Poſada zu bleiben, in der eine Menge auf dem Marſch befind— licher Soldaten einquartiert war, die einen Lärm verführ— ten, daß ich faſt die ganze Nacht kein Auge ſchließen konnte.

Bereits den folgenden Tag, am Morgen des 15. Oe— tober, ſchied ich wieder von Bejar. Das Wetter war kühl und feucht; ſchweres Gewölk bedeckte den Himmel, auf den Bergen und ſelbſt auf den Plateau's lagerten Wolken. Der Weg nach Salamanca ſteigt auf der dem Ausgange nach Plaſencia entgegengeſetzten Seite in das Thal hinab und an deſſen Gehänge wieder empor zu dem Plateau, welches ſich von hier an ganz allmälich gen

Norden hin zu der Hochebene der Provinz von Sala—

340 Das Plateau von Bejar.

manca hiuabſenkt. Von dieſem Rande des Plateau's aus genießt man eine beinahe noch ſchönere Anſicht von Bejar als von dem gegenüberliegenden. Die Höhe dieſes Pla— teau ſchätze ich auf 4000 par. Fuß. So hoch muß es wenigſtens ſein, da im Thale von Bejar die nordiſche Birke wächſt, die ſich mit ihren weißen Stämmen neben den üppig belaubten Kaſtanien ganz merkwürdig ausnimmt. Merkwürdig iſt es, daß in dieſem Theile des centralen Gebirgsſyſtems blos Laubholz wächſt, da doch das geo— gnoſtiſche Subſtrat ganz daſſelbe iſt, wie im Guadarrama⸗ gebirge, wo das Nadelholz vorberrſcht. Dieſe Verſchieden— heit der Waldung begründet auch eine durchgreifende Verſchiedenheit der landwirthſchaftlichen Phyſiognomie der beiden Gebirgstheile. Nichtsdeſtoweniger haben auch die Landſchaften des Scheidegebirgs von Eſtremadura und Leon mehr einen mittel- und ſüdeuropäiſchen Charakter. Sobald man das Thal von Bejar aus den Augen ver— loren hat, befindet man ſich auf einem öden Plateau. Rechts wird daſſelbe von der ſchon erwähnten, im Norden von Bejar ſich erhebenden Kette nackter Felſenberge be— gränzt, an deren Fuß mehrere kleine, von Kaſtanien um⸗ ringte Ortſchaften liegen, links in weiter Ferne von an— deren, höheren Bergketten. Das Plateau ſelbſt iſt mit Gehölzen zerſtreuter Immergrüneichen bedeckt, an manchen Stellen auch mit Gehölzen der ſchmalblättrigen Eſche. In letzteren verloren wir den Weg und gelangten erſt

Thal des Rio Tormes. Nachtlager in la Maya. 344

nach vielfachem Hin- und Herreiten auf einen andern, der uns nach dem auf der Straße nach Salamanca liegenden Flecken Val de Fuentes brachte, in deſſen Nähe die Gebirgszüge von Bejar enden. Nachdem wir in einer ſehr ſchmuzigen, aber von gutmüthigen und gefälligen Menſchen bewohnten Poſada ein kärgliches Mittagsbrod eingenommen hatten, ſetzten wir unſere Reiſe weiter fort und gelangten über hügliche, theils mit Geſtrüpp und Weideplätzen, theils mit lichter Eichenwaldung bedeckte Plateau's in das flache von Getreideſaaten erfüllte Thal des von der Sierra des Gredos herabkommenden und in den Duero ſtroͤmenden Rio Tormes, welcher bei Sa— lamanca vorbeifließt. Nach Sonnenuntergang erreichten wir den unweit dieſes Fluſſes gelegenen Flecken la Maya, woſelbſt wir übernachteten. In der ärmlichen Poſada ging es ſehr eng zu. Ich mußte mich bequemen, in Ge— ſellſchaft zweier Gensd'armen und der Familie des Hauſes zu ſchlafen, da es blos ein einziges Gemach gab. Hier ſtanden drei Betten. Eins derſelben wurde mir einge— räumt, in dem zweiten ſchliefen die beiden Gensd'armen, in dem dritten die Wirthin mit zwei kleinen Kindern. Ich konnte die ganze Nacht nicht ſchlafen, da das junge Volk in den Gaſſen bis nach Mitternacht lärmend und fingend umherſchwärmte und meiner Wirthin, einer jungen Frau, Serenaden brachte, auch aller Augenblicke die bei— den Kinder ſchrieen. Zum Ueberfluß befanden ſich noch

342 Alba de Tormes.

zwei junge Katzen in dem Zimmer, welche in einem weg miauten und ſich damit vergnügten, von einem Bett auf das andere zu ſpringen. Den nächſten Morgen war das Wetter leidlich und wurde bald ganz ſchön. Wir ritten in dem Thale des Tormes hinab, welches hier mit kurz— begraſten Weiden erfüllt iſt. Die Gegend iſt baumlos, öde und triſt, und würde noch trauriger ſein, wenn nicht der Tormes, ein breiter Fluß mit klarem Waſſer, einiges Leben in dieſelbe brächte. Zur Rechten erheben ſich kahle Höhen, zur Linken ziehen felſige Hügel hin, die mit einzelnen Immergrüneichen beſtreut ſind. Nachdem man durch mehrere ſchmuzige und ſchlechtgebaute Ort— ſchaften gekommen iſt, erblickt man die kleine, aber viel— thürmige Stadt Alba de Tormes, welche recht ange— nehm am rechten Ufer des Tormes am Abhange eines Hügels liegt. Eine lange Steinbrücke von 26 Bogen führt über den breiten, doch ſeichten Fluß nach der Stadt hinüber, die gut gebaut zu ſein ſcheint. Hinein gekom— men bin ich nicht, da der Weg nach Salamanca am linken Ufer des Tormes hinläuft. Alba de Tormes beſitzt, obwohl es blos eine Stadt von etwa 5000 Einwohnern iſt, neun Kirchen und mehrere Klöſter. Mehr als dieſe zeichnet ſich der Pallaſt der Herzöge von Alba aus, die von dieſer Stadt ihren Titel entlehnen. Die Straße verläßt nun bald das Thal des Tormes und erhebt ſich auf die denſelben gegen Weſten begränzenden Höhen, von

Anſicht von Salamanca. 343

denen aus man die Thürme von Salamanca erblickt. Nachdem wir mehrere lichte Eichengehölze und ein kleines Dorf paſſirt hatten, kamen wir gegen Sonnenuntergang wieder an das Thal des Tormes im Angeſichte der ge— genüberliegenden hochberühmten Univerſitätsſtadt. Sala— manca bietet von hier aus einen impoſanten Anblick dar, deſſen Eindruck damals durch die warme duftige Be— leuchtung der untergehenden Sonne noch erhöht wurde. Jenſeits des breiten, fanft dahin ſtroͤmenden Fluſſes, über den eine ſteinerne Brücke von 27 Bogen führt, die zur Hälfte ein Werk der Römer iſt, entfaltet ſich auf einem flachen, lang hingeſtreckten Hügel eine große, von hohen Mauern umgürtete Maſſe ſtolzer Gebäude, aus der eine Unzahl von Thürmen und mehrere hochgeſchwungene Kuppeln hervorragen. Die Anſicht würde noch ſchöner ſein, wäre die Stadt von einer baumreichen Huerta um— ringt und erhöbe ſich hinter derſelben ein Gebirge. Allein mit Ausnahme des rechten Ufers des Tormes, wo ſich etwas Gartenland und einige Bäume befinden, und der hüglich gelegenen Stadt, iſt das Land, ſo weit man ſehen kann, eine baumloſe, kahle ebene Fläche.

Salamanca hat ein nobles Anſehen, iſt aber ge— genwärtig ſehr entvölkert. Während zur Blütezeit der Univerſität die Zahl der Studenten allein nicht ſelten bis 8000 betrug, enthält jetzt die ganze Stadt nicht mehr als 14000 Einwohner. Der Bauart nach erinnert ſie

344 Oeffentliche Plätze von Salamanca.

an Segovia; nur ſind die Gaſſen ebener und breiter. Die Stadt iſt groß, rings von hohen Mauern umgeben,

in denen ſich zehn Thore, meiſt von gothiſcher Bauart,

befinden, enthält mehrere große Plätze und beſitzt außer der Cathedrale 25 Pfarrkirchen, 31 Klöſter, von denen jedoch mehrere in Ruinen liegen, und viele pallaſtähnliche Gebäude. Unter den Plätzen verdient beſonders der Con— ſtitutionsplatz oder die Plaza mayor hervorgehoben zu werden. Dieſer iſt ein regelmäßiges Viereck von ſehr

bedeutender Größe, umgeben von drei Stockwerke hohen,

mit drei Balconreihen geſchmückten Häuſern von ganz gleicher Bauart. Dieſe Häuſer ruhen auf einem Porticus von 90 Bogen, der rings um den Platz herumläuft und in den Abendſtunden als Promenade dient. Zwiſchen den Bogen dieſes Säulengangs ſind Medaillons angebracht mit den Bruſtbildern der Könige von Spanien en bas- relief. Vier hochgeſchwungene Thore führen aus den Hauptgaſſen auf dieſen impoſanten Platz, unter deſſen Gebäuden ſich die Casa del ayuntamiento durch eine mit prächtigen Sculpturen gezierte Façade auszeichnet. Auch die anderen Plätze, fo wie die Hauptgaſſen, find mit jtatt- lichen Gebäuden geſchmückt. Unter andern erwähne ich den Pallaſt der Herzöge von Alba, ein großes Gebäude von alterthümlicher, halb gothiſcher Bauart. In feiner Nähe liegen das Mönchskloſter von San Bernardo und das Nonnenkloſter de las Aguſtinas, welche beide ſchöne,

Die Cathedrale von Salamanca. 345

son impofanten Kuppeln überragte Kirchen beſitzen. deberhaupt find die meiſten Kirchen von Salamanca zroße, Ehrfurcht gebietende und dabei geſchmackvolle Bau— werfe. Meine Zeit erlaubte mir nur, die biſchöfliche Kirche oder die Cathedrale in Augenſchein zu nehmen. Sie ſteht an einer der höchſten Stellen der Stadt un— weit des Tormesthales und iſt ein ſehr großes modern gothiſches Gebäude. Die Hauptfasçade iſt mit prächtigen gothiſchen Steinarbeiten verziert. Daneben erhebt ſich der Glockenthurm, welcher eine bedeutende Höhe beſitzt und mit einer Kuppel endigt. Schlecht machen ſich die vier gothiſchen Pyramiden, die in der Peripherie der Kup— pel angebracht ſind, da dieſelben zum Style des Thur— mes gar nicht paſſen. Das Innere des Domes iſt eine majeſtätiſche durch zwanzig Pfeiler in drei Schiffe ge— ſchiedene gothiſche Halle. Was mir in dieſer großen und prachtvollen Kirche auffiel, war, daß in derſelben gar nichts aus Marmor beſteht, der doch ſonſt in den ſpani— ſchen Domen verſchwenderiſch angebracht zu ſein pflegt. Das Getäfel des Fußbodens iſt aus demſelben gelblichen Sandſteine verfertigt, aus welchem die ganze Cathedrale und die meiſten Gebäude Salamanca's erbaut ſind, und die Tiſche, Säulen ꝛc. der zahlreichen, meiſt mit vergol— deten Zierrathen überladenen Altäre ſind blos marmor— artig gemalt. Beachtung verdienen die in Sandſtein aus— geführten Sculpturen, die an den Außenwänden des Chors

346 Die Cathedrale von Salamanca.

angebracht find, fo wie die Schnitzereien, welche die Chor⸗ ſtühle der Canonici ſchmücken. Ueber dem Platze vor dem Hochaltare erhebt ſich eine achtſeitige Halle, welche Ni von einer ſchönen Kuppel von der Geſtalt einer halben Orange überwölbt iſt. In den zahlreichen Seitenkapellen er befinden fich viele Gemälde, darunter einige von Werth. Aus dem Schiffe der Cathedrale ſteigt man auf einer Treppe in eine dicht neben der Cathedrale, aber tiefer gelegene alte Kirche hinab, welche la Catedral vieja genannt wird. Dieſelbe beſteht aus drei großen Schiffen. von altgothiſchem Styl und zeichnet ſich durch Einfach— heit der Ausſchmückung aus. Sie enthält eine hiſtoriſche Merkwürdigkeit, nämlich ein Crucifix, welches, wenn es wahr iſt, der Beichtvater des Cid in den Schlachten die— ſes Helden gleich einer Fahne trug. Dieſes Crueifix ſteht auf einem der Seitenaltäre und iſt unter dem Na- men „el santo Cristo de las batallas“ bekannt. Am meiſten erregte meine Aufmerkſamkeit in dieſer alten Ca- thedrale das Gemälde des Hochaltars. Es iſt dies ein ganz altes auf Holz gemaltes Bild, welches in viele Fel— der zerfällt. Jedes Feld enthält eine Scene aus der Leidensgeſchichte Chriſti. Der linken Geitenfacade der Cathedrale gegenüber liegt das Colegio del Rey, ein ſchönes, modernes, mit einem auf ioniſchen Säulen ruhen— den Porticus geſchmücktes Gebäude, welches unter der Regierung und auf Befehl Philipp's II. erbaut wurde

Die Univerfität von Salamanca. 374

nd zur Univerſität gehört. Dieſe befindet ſich der Haupt— ısade der Cathedrale gegenüber. Sie bildet ein großes ziereck und iſt von gothiſcher Bauart. Das Centrum es Gebäudes nimmt einen viereckigen Hof ein, den ein othiſcher Säulengang umgiebt, aus welchem verſchiedene hüren und Treppen zu den in zahlreicher Menge vor— andenen Auditorien führen. Die Innenwand des Por— eus iſt mit den lebensgroßen, al fresco mit ſchwarzer farbe auf die Mauer gemalten Bildniſſen verſchiedener tönige von Spanien geſchmückt. Unter jedem befindet ich eine lateiniſche Inſchrift in Diſtichen. Eine ſchöne Treppe führt aus dieſem Hofe zu dem im erſten Stock— verfe gelegenen Bibliotheksſaale hinauf, in dem eine Bücherſammlung von circa 30000 Bänden, meiſt alten Werken theologiſchen und juriſtiſchen Inhalts, aufgeſtellt ſt. An den Wänden hingen die lebensgroßen Portraits Rarl's II., Karl's III., Karl's IV. und Ferdinand's VII.; in dem Corridor vor dem Saale die Philipp's II., Phi— lipp's III. und Philipp's IV. Die Hauptfagade der Uni— verſität, die ſich auf der dem Dome entgegengeſetzten Seite befindet, iſt mit Sculpturen überladen. Ein Medaillon über dem Portale enthält die en basrelief in Sandſtein ausgeführten Bruſtbilder Ferdinand's und Iſabella's der Katholiſchen. Vor dem Haupteingange liegt ein kleiner, regelmäßiger Platz, umgeben von großen, ftattlichen, zur Univerſität gehörenden Gebäuden. Die Univerſität von

348 Das ehemalige Jeſuitencollegium.

Salamanca iſt jetzt ſehr herabgekommen und blos ei Univerſität zweiten Ranges). Die Zahl der Studire den betrug damals noch nicht fünfhundert. Nicht we von dem Univerſitätsgebäude liegt das Semanano, da ehemalige Jeſuitencollegium. Dies iſt das größte u impoſanteſte Gebäude von Salamanca. Es bildet ei koloſſales Viereck und iſt in edlem florentiniſchem Style erbaut. Einen großen Theil deſſelben nimmt die Kirch | ein, an deren Hauptfagade ſich zwei ganz gleiche, mil eleganten Kuppeln geſchmückte Glockenthürme erheben. Ueber dem Crucero, denn auch dieſe Kirche tft in Forme eines Kreuzes erbaut wölbt ſich eine impoſante Kuppel empor. Das Innere dieſer ſchönen Kirche habe ich nicht geſehen, wohl aber den Kreuzgang des eigentlichen Col— legiums. Derſelbe beſteht aus drei übereinanderliegenden Säulengängen und umgiebt einen großen, mit Sandſtein⸗ platten belegten und mit einem ſchönen Brunnen gezier— ten Hof. Dem Jeſuitencollegium gegenüber bemerkt man einen alten finſtern Pallaſt, deſſen Außenſeite mit einer großen Menge von in Stein gehauenen Muſcheln ver— ziert iſt. Dieſes ſeltſame Gebäude, welches ſeiner eigen— thümlichen Ausſchmückung halber die Casa de las con- chas genannt wird, ſoll von einem vornehmen, glücklich aus dem heiligen Lande zurückgekehrten Pilger erbaut

) S. meine erſte Reiſebeſchreibung, Band IN. W der Univerſität von Sevilla.

Umgebungen von Salamanca. Rückreiſe nach Madrid. 349

seden fein. Sehenswerth iſt auch die Kirche des Do— micanerkloſters, welche aus einem einzigen, gewaltig oßen Schiffe von modern gothiſcher Bauart beſteht, id eine majeſtätiſche Kuppel beſitzt. Dieſes Kloſter Bte zweihundert Mönche. Ueber die Umgebungen von alamanca iſt wenig zu bemerken. Dieſelben ſind, wie ſchon erwähnt habe, ganz eben und bieten auch keine ‚önen Ausſichten dar; denn das Thal des Tormes iſt flach und zu baumlos, und die Gebirge liegen bereits fern. An der dem Fluſſe entgegengeſetzten Seite ehen ſich einige mit Ulmen bepflanzte Promenaden hin. 8 find dies faſt die einzigen Bäume, welche es um alamanca giebt. Die Ebene iſt übrigens gut ange— mt und ziemlich ſtark bevölkert. Sie erzeugt vorzüglich etreide.

Nach zweitägigem Aufenthalte in Salamanca trat Nam Vormittage des 19. Octobers meine Rückreiſe ich Madrid an. Salamanca iſt von Madrid 34 Leguas itfernt; der geradeſte Weg dahin, den ich aus Mangel ı Geld ſonſt wäre ich über Valladolid gegangen ählen mußte, führt über die kleinen Städte Peria- ında de Bracamonte und Fontiveros und über n Puerto de Guadarrama. Der zuerſt genannte rt, wo ich die erſte Nacht zubrachte, liegt ſechs Leguas m Salamanca an der Gränze Altceaſtiliens. Die Straße ihrt anfangs am linken Ufer des Tormes hin, den fie

350 Charakteriſtik der Bewohner von Salamanca.

bei dem Flecken Encines auf einer langen, erſt vor wenigen Jahren erbauten, recht eleganten hölzernen Brück die von fern wie eine Kettenbrücke ausſieht, überſchreitetz f ſodann durch hügliches mit Getreidefeldern bedecktes La

und ein großes Immergrüneichengehölz, und kreuzt me rere Ortſchaften von freundlicher Bauart. Man war d mals mit der Erbauung einer neuen Straße beſchäftig

die man faſt ſchnurgerade gelegt hatte. Sie wird 0 e ZB Mr die Re und für am Bubeleut |

windigem Wetter vor Staub halb erſtickt, bei Regenwetter im Kothe ſtecken bleibt. Der Mond ſchien hell und klar, als wir um 8 Uhr Periaranda erreichten, wo ich eine gute Poſada mit ſehr gefälligen und freundlichen Leuten fand, wie denn überhaupt ſich die Bevölkerung der Proz! vinz von Salamanca und ebenſo die der angränzenden altcaſtilianiſchen Provinzen von Avila und Segovia durch! Höflichkeit, Gefälligkeit und noble Uneigennützigkeit aus zeichnet. Penaranda iſt eine hübſche Villa mit breiten geraden Gaſſen, gut gebauten freundlichen Häuſern und] mehreren ftattlihen Kirchen. Von hier bis Fontiveros und noch weiter oſtwärts iſt das Land ganz eben, oft ſo eben wie ein Tiſch. Gegen Süden und Südoſt ziehen! die felſigen Bergreihen des Scheidegebirges hin, denen man ſich allmälig wieder nähert; nach den andern Seiten

Gegend zwifchen Fontiveros und Villanueva de Gomer. 354

in erſcheint die Ebene unbegränzt. Sie iſt durchgängig ngebaut und beherbergt eine große Menge wohlhabender Irtſchaften. Ich zählte wohl bis 15 Dörfer um mich her; llein die Landſchaft iſt dennoch höchſt langweilig und ionoton, weil es faſt keinen einzigen Baum in den Imgebungen der Ortſchaften giebt und dieſe eine erdfahle farbe beſitzen. Es wird in dieſer ganzen weiten Gegend aſt nur Weizen gebaut. Fontiveros, wo wir Mittag nachten, iſt ebenfalls ein hübſches Städtchen. Einige zeguas weiter gen Oſten erhebt ſich der Boden hier und da zu welligen Höhen. In den ſandigen Niederungen keiten ſich Piniengehölze aus. Gegen Südoſt erblickt nan bebuſchte Hügelreihen, hinter denen das Scheidege— sirge aufragt. Daſſelbe erſcheint von hier aus bei wei— em nicht fo impoſant, wie von der entgegengeſetzten Seite, weil die Oberfläche des Plateau's von Altcaſtilien viel höher liegt, als die des Plateau's von Neucaſtilien. Wir übernachteten in dem Flecken Villanueva de Gomer, wo ich ebenfalls eine ganz leidliche Poſada antraf. Den folgenden Morgen war das Wetter ſchön, wie an den vergangenen Tagen; es hatte ſich aber während der Nacht ein kalter Nordoſtwind erhoben, der immer ſtärker zu wehen anfing, je mehr wir uns dem Gebirge näherten, und bald große Wolkenmaſſen am Horizont heraufführte, welche ſich gegen Abend über dem Guadarramagebirge con— centrirten und daſſelbe verhüllten. Bald hinter Villanueva

352 Gegend von Labajos und Villacaſtin.

kreuzt der Weg ein ſchönes Piniengehölz und ſodann das flache Thal des Rio Ada ya, welcher von der Paramera von Avila herabkommt und in den Duero fließt. Weiter hin liegt das Dorf la Vega, von wo aus man in andert⸗ halb Stunden auf die große, ſchön gebaute und gut un- terhaltene caſtilianiſche Heerſtraße gelangt, welche Valla— dolid mit Madrid verbindet. Die Gegend wird nun intereſſanter, indem bald die Granitformation der Central- kette beginnt, die auch an dieſem ihren nördlichen Saume zu zahlloſen Hügeln anſchwillt. Wir machten Mittag in Labajos, einem großen Flecken mit ſtattlicher Kirche und vielen an der Chauſſee gelegenen großen Poſaden. Mittlerweile hatte ſich der Himmel mit Wolken bedeckt und der Wind war ſo heftig und kalt geworden, daß ich genöthigt war, den ganzen Nachmittag in den Mantel gehüllt zu reiten. Nach dreiſtündigem Ritt kamen wir nach Villacaſtin, einer ſehr hübſchen und lebhaften

kleinen Stadt, welche in einer beckenförmigen, mit Ge⸗ müſefeldern und Gärten erfüllten Depreſſion am Fuße bebuſchter Hügel liegt, die mit großen Granitblöcken be— ſtreut ſind. Ueber dieſe Hügel windet ſich die Straße binweg, weite Ausſichten auf das im Rücken liegende, Flachland darbietend. Von der Höhe genießt man eine herrliche Ausſicht auf das romantiſche nunmehr ſehr nahe Guadarramagebirge, deſſen Felſenhäupter ſich eben mit Wolken zu bedecken anfingen, welche uns wieder ſchlechtes

Gegend von Villacaſtin. 353

Getter für den folgenden Tag, wo wir die Sierra paſ— iren mußten, verkündigten. Es war wirklich, als hätten ich die Geiſter des Gebirges gegen mich verſchworen. Eine ſehr hübſche Parthie unmittelbar hinter Villacaſtin ſt ein von Granitfelſen ſtarrender Grund, durch den ein munterer Bach ſtrömt. Eine prächtig gebaute Brücke rührt hoch über denſelben hinweg und bietet eine reizende Ausſicht in das wilde Thal, auf das Guadarramagebirge und das umliegende, gut angebaute und auch mit Baum— wuchs verſehene Land dar. Von hier gelangt man fort— während emporſteigend in zwei Stunden nach dem bereits ſehr hoch gelegenen Flecken las Navas de San An— ſtonio, woſelbſt wir übernachteten.

Als ich am folgenden Morgen das Fenſter öffnete, um mich nach dem Wetter umzuſehen, waren die gegen Oſten in geringer Entfernung von las Navas ſich er— hebenden Granitberge, die mir den Anblick der eigent— lichen Sierra entzogen, über und über ſo dick mit Reif bedeckt, daß ſie ausſahen, als wären ſie beſchneit. Den Himmel verhüllte eine graue ſchwere Wolkenmaſſe, die ſich immer tiefer herabſenkte, der Wind war noch hef— tiger geworden und die Temperatur ſo ſehr geſunken, daß mein Thermometer in ruhiger Luft blos + 5°C. zeigte. Einige Arrieros, welche in einer benachbarten Venta übernachtet und Abends zuvor das Guadarrama— gebirge überſchritten hatten, brachten die Nachricht mit,

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 23

354 Gin Schneefall.

es ſei in der Sierra ein furchtbares Schneewetter losge—

brochen, das die ganze Nacht angehalten habe und wahr⸗ ſcheinlich noch andauere. Schöne Auſpicien zur Ueber 1 ich konnte nicht warten, bis das Wetter ſich wieder gün⸗

ſteigung eines 4600 Fuß hohen Gebirgspaſſes! Indeſſen

ſtiger geſtaltet haben würde und brach daher um 8 Uhr auf. Ich mußte bald vom Pferde ſteigen, da mir die Füße vor Kälte erſtarrten, ſo daß ich die Steigbügel nicht mehr zu halten im Stande war, und bin von da an jenen ganzen Tag zu Fuß gegangen. Die Straße ſteigt über einen, zwiſchen zwei der erwähnten Vorberge befindlichen Kamm hinweg in eine weite, mehrere Stun— den breite, von vielen Defilee's durchſchnittene Einſen— kung, welche die Kette der Vorberge von dem eigentlichen Hochgebirge ſcheidet. Von der Höhe aus erblickten wir das letztere; es war bis zur Hälfte in dicke Wolken ein— gehüllt und beinahe bis zum Fuße weiß von friſchgefalle— nem Schnee! Die Kiefernwaldung, welche auch dieſen Abhang des Guadarramagebirges bedeckt, ſah bepudert aus, wie unſere Nadelhölzer im tiefſten Winter. Am ſüdlichen Abhange des Kammes liegt ein großer, ſtatt— licher, ganz moderner Gaſthof neben einer Kapelle, die Venta del Criſto del Coloquio. Von hier an läuft die Chauſſee ſchnurgerade auf das Gebirge los. Zu bei— den Seiten deſſelben ſind in beſtimmten und nicht großen Diſtanzen hohe Granitſäulen errichtet. Dieſe haben den

ö

Fonda de San Rafael. 355

Zweck, die Straße im Winter kenntlich zu machen, denn hier wird der Boden oft viele Wochen lang ellenhoch mit Schnee bedeckt. Rechts von der Straße liegt in geringer Entfernung der große Flecken Espinar, in einem maleriſchen Thalbecken hart am Fuße des kieferbe— waldeten Gebirges. Seine rothen Ziegeldächer erinner— ten mich, daß ich mich wieder im Bereich des Scheide— gebirges befände. Die Wolken ſenkten ſich jetzt raſch, die Temperatur ſank bis auf + 2“ und bald begann es heftig zu ſchneien. Noch ehe wir die am Fuße der Hauptkette gelegene Fonda de San Rafael erreichten, war die Gegend weit und breit in ein vollſtändiges Wintergewand gehüllt. Die Schneeflocken fielen ſo dicht, daß wir keine funfzig Schritte weit ſehen konnten. Von Froſt halb erſtarrt, gelangten wir zu Mittage nach dem genannten großen Gaſthofe, welcher nebſt einer hübſchen daneben ſich erhebenden Kirche auf königliche Koſten unter der Regierung Ferdinand's VI., welcher auch die Straße über den Puerto de Guadarrama bahnen ließ, erbaut wurde.

Es ging bunt her in der Fonda de San Rafael. Eine Menge auf dem Marſch befindlicher Soldaten, Gensd'armen, Camineros (Straßenwärter), Holzſchläger, Steinbrecher, Arrieros, Fuhrleute, Bauern, Alles hatte ſich vor dem plötzlichen, in dieſer Jahreszeit unerhörten Schneeſturme in den Gaſthof geflüchtet und drängte ſich um die koloſſalen Kaminfeuer in der Küche und dem

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356 Das Wehwetter auf dem Puerto.

Speiſeſaale, welche mit großen Kiefernſcheiten unterhalten wurden. Nur mit Mühe konnten wir ein Mittagsmahl erhalten, denn alle vorhandenen Speiſen waren bereits von den zahlreichen Gäſten in Beſchlag genommen worden.

Neu ankommende Arrieros, die eben das Gebirge Übers | ſtiegen hatten, betheuerten, es ſei lebensgefährlich, den Puerto zu paſſiren, denn der Sturm wehe ſo heftig, daß er ihnen mehrere beladene Maulthiere niedergeworfen habe. Nichsdeſtoweniger beſchloß ich, meine Reiſe fort— zuſetzen, in der Meinung, daß dieſen Südländern das Schneewetter wohl ſchlimmer erſcheinen möge, als es in der That wirklich ſei. Außerdem hing ich damals nicht ſehr am Leben, ſo daß es mir ſchließlich einerlei war, was mir paſſirte. Mein Bedienter ſträubte ſich freilich und wäre lieber in der Fonda geblieben. Die Straße läuft eine Zeit lang am Fuße des Gebirges hin und ſteigt dann in großen Zickzacks an dem mit lichter Kiefern— waldung bedeckten Abhange, der eine nur unbedeutende Länge beſitzt, zu dem Kamme empor. Während des Em— porſteigens hatten wir, durch die Waldung einigermaßen geſchützt, nicht ſo ſehr viel von dem Sturme und Schnee— fall zu leiden; auf dem Kamme aber ging es wirklich

fürchterlich zu. Ich habe in unſerm Vaterlande im Win— ter ſelten ein ſchlimmeres Wehwetter erlebt, als wie hier herrſchte. Der Sturm war ſo heftig, daß ſowohl wir als die Pferde ſich nur mit Mühe auf den Füßen er⸗

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C. am 22. October in Centralſpanien. 337

halten konnten und heulte ſchauerlich durch die Klüfte der Felſen und Wipfel der an den Abhängen ſtehenden Bäume, welche geſpenſtiſch in ungewiſſen Umriſſen durch die wirbelnde Schneeflockenmaſſe hindurchdämmerten. Die Luft war ſchneidend kalt; das Thermometer zeigte ein Wehwetter 39. Denſelben Abend war hier, wie ich am folgenden Morgen vernahm, ein armer Gallego erfroren, am 22. October in Centralſpanien! Wir raſteten ein paar Minuten hinter einer Felſenecke, um unſere Pferde etwas verſchnaufen zu laſſen. An der höch— ſten Stelle des Paſſes erhebt ſich in der Straße ein Denk— mal, welches aus einer dicken niedrigen Säule, die einen marmornen Löwen trägt, beſteht. Der Löwe hält eine Tafel in den Klauen, auf der ſich folgende Inſchrift befindet: | Ferdinandus VI. Pater Patriae Viam utrique Castellae superatis montibus fecit anno salutis MDCCXLIX regni sui IV.

Dieſes Denkmal ſteht 4600 par. Fuß über dem Spiegel des Meeres. Der Kamm beſitzt eine nur geringe Breite. Der neu— caſtiliſche Abhang iſt viel breiter und dabei mindeſtens drei— mal länger, als der alteaftilifche. Das Wehwetter war hier furchtbar, die Sierra, ſo weit man ſehen konnte,

weiß, wie mit einem Leichentuche bedeckt, die Zweige der

358 Rückkehr nach Madrid.

Kiefern beugten ſich unter der Laſt des auf ihnen liegen⸗ den Schnee's. Sturm und Kälte zwangen uns, in dem in der halben Höhe des Abhangs ſtehenden Häuschen eines Caminero einzukehren. Unterdeſſen ließ das Schnee— wetter etwas nach und ſo ſetzten wir, nachdem wir uns eine halbe Stunde am Heerdfeuer erwärmt hatten, un— ſere Wanderung weiter fort. Die Wolkendicke hatte ſich gehoben und geſtattete uns daher, die beſchneite Sierra weithin zu überblicken. Die Straße führt in großen Schneckenwindungen an dem rechten Gehänge des weiten vom Guadarrama bewäſſerten Thales hinab, an deſſen“ Ausgange der Flecken Guadarrama liegt, woſelbſt wir um 5 Uhr glücklich anlangten und die Nacht blieben. Hier hatte es nicht geſchneit, ſondern blos ſtark geregnet. Den folgenden Tag kehrte ich nach Madrid zurück.

Zehntes Kapitel.

Die Silbergruben von Hiendelaeneina.

Ich hatte mit Beſtimmtheit darauf gerechnet, daß ich bei meiner Rückkehr von Salamanca in Madrid Geldſen— dungen von meinen Subſcribenten vorfinden werde, nicht bedenkend, daß bei der Mehrzahl der Menſchen Verſprechen und Worthalten zwei ſehr verſchiedene Dinge ſind. An— ſtatt Geldanweiſungen in Madrid zu finden, welche mich in Stand geſetzt hätten, mich in eine andere Gegend der Halbinſel überſiedeln zu können, erhielt ich acht Tage nach meiner Rückkehr nach Madrid einen Brief von meinem Banquier in Leipzig, welcher mir meldete, daß von jenen Herren bis Mitte October noch keiner daran gedacht habe, ſeine Verbindlichkeiten gegen mich zu erfüllen, ja daß noch nicht einmal eine bevorſtehende Einzahlung aviſirt worden ſei! Ich mußte mich alſo entſchließen, meine Reiſe auf— zugeben und in die Heimath zurückzukehren; ein Ent— ſchluß, der mir in meiner damaligen trüben Stimmung leicht wurde, da ich alle Luſt zum Forſchen und Sammeln

360 Geldverlegenheit.

verloren hatte. Allein dieſer Entſchluß ließ ſich nicht ſo bald realiſiren, wie ich gewünſcht hätte. Da nämlich meine eigenen Geldmittel völlig erſchöpft waren, ſo mußte ich ſo lange in Madrid bleiben, bis ich Geld von meiner Familie erhielt. Darüber verging aber eine geraume Zeit, ſo daß ich die Hauptſtadt Spaniens erſt Mitte des De—

cembers verlaſſen konnte. Während dieſer ganzen Zeit war ich einzig und allein auf die Unterſtützung meiner ſpani— ſchen und deutſchen Freunde angewieſen, denen ich noch hier einen herzlichen Dank für die aufrichtige Theilnahme, welche ſie mir wegen meines traurigen Geſchicks zollten, zurufe; denn die geringe Summe, die mir der nothge— drungene Verkauf meiner abgenutzten Pferde eingebracht hatte, ging vollſtändig darauf, um meinen Bedienten ab— zulohnen und in feine Heimath zurückzuſenden. Der gute, ehrliche Menſch, welcher mit der Treue eines Hundes an mir gehangen hatte, weinte wie ein Kind, als er von mir ſchied, indem er meinte, es ſei dies das erſte Mal ſeit ſeiner Mutter Tode, daß er Thränen vergießen müſſe! Trotzdem, daß mir damals Alles gleichgültig war, bedauerte ich doch oft, daß meine fatale Lage mich an Madrid gefeſſelt hielt, da ſeit Ende des Octobers unun— terbrochen die ſchönſte Witterung herrſchte, die man ſich zu Reiſen nur wünſchen konnte. Ich wünſchte auch ſehn— lichſt, Madrid verlaſſen zu können, da mir der Aufenthalt daſelbſt wegen der atmoſphäriſchen Verhältniſſe nachgerade

Die Temperatur von Madrid im November. 361

läſtig, oft unerträglich wurde. Die trockne, ſcharfe, fort— während durch Nord- oder Oſtwinde bewegte Luft und die raſchen und ſchroffen Temperaturwechſel, welche während des Spätherbſtes und Winters in Madrid, wie überhaupt in dem ganzen centralen Tafellande tagtäglich eintreten, denn ſeit Mitte Novembers waren täglich noch früh um 9 Uhr im Schatten alle Bäume bereift und die Pfützen und Gräben mit Eis belegt, während um 1 Uhr eine Temperatur von + 15 und 189 herrſchte konnten nicht nur nicht dazu beitragen, meine erſchütterte Geſundheit wieder herzuſtellen, ſondern untergruben dieſelbe immer mehr, ſo daß ich mich von Tage zu Tage leidender fühlte. Am meiſten genirte mich die Trockenheit der Luft. Den ganzen November regnete es auch nicht einen Tropfen. Dabei prangte der Himmel fortwährend im durchſichtig— ſten Azur, denn der meiſt heftig wehende Wind ließ keine Wolkenbildung zu Stande kommen. Prachtvoll war in jener ganzen Periode der Anblick des Guadarramagebir— ges, da daſſelbe bis tief hinab mit Schnee bedeckt war. In den Gärten des Buen Retiro, von wo aus das Gua— darramagebirge den Hintergrund der vielthürmigen Stadt bildet, glaubte ich damals, da jenes Gebirge wegen der im Herbſt ungemein großen Durchſichtigkeit der Luft un— mittelbar hinter den Gebäuden der Stadt emporzuſteigen ſchien, oft eine Alpenlandſchaft vor mir zu erblicken und mich in einer Alpenſtadt zu befinden.

362 Reiſe nach den Silberbergwerken von Siendelaencina.

Um nicht die Zeit ganz und gar in Unthätigkeit zuzubringen, unternahm ich im November einen Ausflug nach den in der Provinz von Guadalajara gelegenen Sit berbergwerken von Hiendelaéneina, welche ſeit ein paar Jahren wegen ihres großen Reichthums einen ſo bedeutenden Ruf in ganz Europa erlangt haben. Ich verließ Madrid am Morgen des 11. Novembers in einer der Diligencen, welche alltäglich zwiſchen Madrid und Guadalajara hin und her gehen. Man fährt von Madrid bis Guadalajara in fünf und einer halben Stunde. Die ſehr ſchön gebaute Chauſſee die Heerſtraße nach Zara— goza führt über die ehemals hochberühmte Univerſi⸗ tätsſtadt Alcala de Henares durch fortwährend gut angebaute und ziemlich bevölkerte, nur ſehr ebene und baumloſe Gefilde. Von der Puerta de Alcala bis zu der eine halbe Stunde davon entfernten Venta del Es pi— ritu ſanto, einem großen modernen Gaſthofe von ein— ladendem Aeußern, iſt die breite, vortrefflich unterhaltene, ſchnurgerade verlaufende Straße beiderſeits von einer Ul⸗ menallee eingefaßt. Es liegen an ihr mehrere Gaſthöfe, Weinkneipen, Schmieden, Kramladen und Vorrathshäuſer. Nach Ueberſchreitung eines Barranco unmittelbar hinter der genannten Venta erblickt man die weite, von den Flüſſen Jarama und Henares bewäſſerte Ebene, welche zur Linken von der von hier an nach Oſten zu allmälig niedriger werdenden und zackige Formen annehmenden

Gegend zwiſchen Madrid und Hiendelaéneina. 363

Scheidegebirgskette, zur Rechten dagegen von maleriſch durchfurchten, jedoch völlig nackten, meiſt tafelförmig ab— geplatteten Erdhügeln, die ſich längs des Ufers des He— nares hinziehen, begränzt erſcheint. Ehe man an den Jarama gelangt, erblickt man zur Linken ſehr nahe an der Straße zwei hübſche, von ſchattigen Parkanlagen um— gebene Schlöſſer, von denen das eine bei dem Flecken Canillejas de abajo gelegene dem Herzoge von Dfuna gehört, zur Rechten in größerer Ferne San Fernando, eine große, von ausgedehnten Obſtpflanzungen umringte königliche Domäne, deren pallaſtähnliches Hauptgebäude als Correctionsanſtalt für unſittliche Frauenzimmer dient. Ueber den Jarama, ein klares, ſchönes Gebirgswaſſer, führt eine lange, vielbogige Steinbrücke, Puente de Viveros genannt. Gleich darauf gelangt man nach dem Städtchen Torrejon de Aodö6z, einem freundlichen, gut gebauten Orte mit zwei hübſchen Kirchen, woſelbſt ſich das erſte Relais befindet. Von hier an läuft die Straße faſt ſchnurgerade durch die ebene, baumloſe Ge— gend nach Alcala de Henares, deſſen Thürme man gleich beim Austritt aus Torrejon vor ſich erblickt. Da die Diligencen um die Stadtmauer herumfahren, ohne ſich aufzuhalten, fo habe ich Alcala nicht in Augenſchein nehmen können. Von Außen nimmt es ſich ſehr ſtattlich aus, da es eine Menge von Kirchen, Klöſtern und andern großen Gebäuden beſitzt. Ich zählte 43 Thürme; unter

364 Lage von Alcala.

denſelben zeichnet ſich der der Colegiat- oder Hauptkirche durch bedeutende Höhe und Dicke aus. Alcala liegt auf dem rechten Ufer des Henares, dicht am Fluſſe in einer völlig ebenen, aber ſehr fruchtbaren Gegend. Jenſeits des Fluſſes erheben ſich, unmittelbar von deſſen Ufer aus, hohe, gegen den Fluß hier und da ſenkrecht abfallende Hügel von erdiger Beſchaffenheit (Tertiärhügel), welche von dem atmoſphäriſchen Gewäſſer in höchſt maleriſcher Weiſe zer— riſſen und durchfurcht worden ſind und deshalb einen ſehr intereſſanten Anblick darbieten. An der Nordſeite der Stadt befindet ſich die Alameda, eine lange, vierfache, mit Steinbänken gezierte Ulmenallee, welche ziemlich ver— wildert ausſah. Ihre Ulmen ſind beinahe die einzigen Bäume, die man in den Umgebungen von Alcala erblickt. Von dieſer Stadt an bis Guadalajara iſt die Gegend eben, wie ein Tiſch. Die Ufer des Henares, welcher fort— während zur Rechten der Straße am Fuße dürrer Erd— hügel von der ſchon geſchilderten Beſchaffenheit hinſtrömt, ſind ſtellenweis mit Gehölzen von Silberpappeln einge— faßt. Die Straße geht durch das Dorf Meco, woſelbſt ſich das zweite Relais befindet und überſchreitet bei Gua— dalajara den Henares auf einer hohen, ſchönen, neuge— bauten Brücke. Der genannte Fluß iſt eben ſo hell, wie der Jarama, aber noch waſſerreicher. Oberhalb der Brücke zieht ſich am rechten Ufer ein ſchöner Hain hochſtämmiger Silberpappeln, Eſchen und Eichen hin, welcher in jener

Guadalajara und feine Geſchichte. 365

baumarmen Gegend einen ſehr angenehmen Eindruck her—

vorbringt. Das linke Ufer iſt fortwährend von ſteilen, oft ſenkrecht abfallenden, aller Vegetation entbehrenden Geſchiebehügeln eingefaßt, die eine Menge kleiner, male— riſcher Vorgebirge bilden.

Guadalajara, eine Stadt von 12000 Einwohnern, liegt einen Büchſenſchuß vom linken Ufer des Henares entfernt, auf einer kahlen Anhöhe. Es ſoll gleich Alcala de Henares von den Römern gegründet worden ſein, ward aber erſt unter der Herrſchaft der Mauren, von denen der jetzige Name“) herrührt, ein bedeutender Ort. Die Stadt iſt größer, als Alcala, beſitzt jedoch bei weitem nicht fo viele Thürme, obwohl ſich die Zahl der Kirchen auf zehn und die der ehemaligen Klöſter auf dreizehn beläuft. Da— gegen hat Guadalajara ein freundlicheres und moderneres Ausſehen, als Alcala, Meine beſchränkte Zeit erlaubte mir nur, den dem Thale des Henares zunächſt gelegenen Theil der Stadt flüchtig zu durchwandern. Hier befinden ſich mehrere ſtattliche Kirchen und öffentliche Gebäude, unter andern die Academia de ingenieros, eine königliche, zur Heranbildung von Genieoffizieren beſtimmte Anſtalt, die einen großen, erſt vor wenig Jahren vollendeten Pal—

*) Der Name Guadalajara bedeutet, wie mir ein im Gaſthofe zufällig anweſender maurifcher Kaufmann aus Tetuan verſicherte, ein ſandiges Flußbett. In der That iſt das breite Beit des Hena— res bei Guadalajara mit Sandbänken erfüllt.

366 Gegend zwifchen Guadalajara und Hiendelaenceina.

laſt von ſchönen architectoniſchen Verhältniſſen einnimmt, welcher ſich an einem mit Ulmen bepflanzten Platze er- hebt. Schon um 3 Uhr verließ ich Guadalajara wies der, zu Pferde, in Begleitung eines Arriero, den ich auf drei Tage gemiethet hatte. Der Weg nach Hiendelaen- eina folgt fortwährend dem Laufe des Henares, welcher in den öſtlichſten Parthieen des Scheidegebirges entſpringt. Die Gegend iſt mehrere Leguas weit eben, ein kahles Ackerland; rechts, gegen Oſten, ziehen in geringer Ent— fernung die nackten Erdhügel des linken Henaresufers hin, die zwei über einander geſetzte, maleriſch geformte Terraſſen bilden. Nach einer zweiſtündigen Wanderung gelangten wir nach dem Flecken Fontanar, und eine halbe Stunde ſpäter nach dem Flecken Hunquera, woſelbſt wir über— nachteten. In den Umgebungen dieſer beiden ganz eben gelegenen Ortſchaften giebt es einige zerſtreute Oliven— plantagen, die einzigen Bäume, welche man in jener weiten, offenen Gegend bemerkt. Ich würde mich unter— wegs ſehr gelangweilt haben, hätte nicht das wechſelnde Farbenſpiel der untergehenden Sonne die kahle, nackte, graue Landſchaft wunderbar belebt. Unbeſchreiblich pracht— voll war namentlich die Beleuchtung der dürren Erdhügel des linken Henaresufers, ganz beſonders eines nordöſtlich von Nunquera ſich erhebenden von ausgezeichneter Tafel— geſtalt, indem ſeine ſchroffen, von zahlloſen Schluchten durchfurchten Abhänge im glühendſten Violettpurpur prang⸗

Gegend zwiſchen Guadalajara und Hiendelaencina. 367

ten. Einen nicht minder pittoresken Anblick bot das den nördlichen Horizont begränzende Scheidegebirge dar, dem wir uns immer mehr und mehr näherten. Daſſelbe be— ſitzt hier zwar eine viel geringere Höhe, als bei Madrid, dagegen viel zackigere Contouren, indem es nicht mehr aus Granit, ſondern aus ſecundären Flözgeſteinen beſteht. Unter ſeinen ſchroff emporſtrebenden Gipfeln zeichnet ſich beſonders der Pico Oſejon, ein glockenförmig geſtalte— ter Berg, durch Höhe und Umfang aus. Den folgen— den Tag brachen wir zeitig, noch lange vor Sonnenauf— gang, auf. Der Morgen war ſehr ſchön, aber empfind— lich kalt. Die Saaten zeigten ſich über und über mit Reif bedeckt, die Gräben und Pfützen mit Eis belegt. Unvergeßlich wird mir der prachtvolle Anblick bleiben, den das hier völlig kahle Scheidegebirge bei Sonnenaufgang gewährte. Alle vorſpringenden Felszacken waren in zar— tes, bald dunkleres, bald helleres Roſenroth getaucht, während die Schluchten und Thäler in dunkle Schatten, die nicht von den Strahlen der Sonne getroffenen Ab— hänge und Kämme in duftiges Himmelblau gehüllt er— ſchienen. Nach der Kreuzung eines lichten Gehölzes von Immergrüneichen kamen wir nach dem großen, in der Einſenkung gelegenen Flecken Humanes und bald dar— auf an den Zuſammenfluß des Henares und Rio So— bre, welcher am Fuße jenes hohen, tafelförmigen Hügels vor ſich geht, der Abends zuvor ſo wunderſchön beleuchtet

368 Geognoſtiſche Verhältniſſe.

geweſen war. Derſelbe beſteht, gleich allen übrigen Ter— tiärhügeln, die ſich längs des Henares und der andern vom Scheidegebirge herabkommenden Flüſſe hinziehen, aus völlig horizontalen Schichten theils eines gelben Sand— ſteines, theils eines lockern, aus abgerundeten Steinen und einem lehmigen Bindemittel zuſammengeſetzten Con— glomerats, welche durch dünnere Lagen von weißem, bläu— lichem und röthlichem Thone geſchieden ſind. Der Rio Sobre iſt ebenfalls ein ſchönes helles Gebirgswaſſer und beinahe eben ſo ſtark wie der Henares. Das Thal des letztern Fluſſes wird hier eng, indem ſich auch auf dem rechten Ufer ſteile Geſchiebehügel erheben, die indeſſen viel niedriger ſind, als die des gegenüberliegenden Ufers. Ueber dieſe Hügel klettert der Weg nach Ueberſchreitung des Sobre zu einer Hochebene empor, welche ſich bald in ein hügliges Terrain verwandelt, das allmälig immer höher anſteigend und hier und da zu geräumigen, ſanft gewölbten Plateau's ſich erhebend, bis an den Fuß des Scheidegebirges fortſetzt. Bei Cerezo, einem in Ter— raſſenform am Abhange eines kahlen Hügels liegenden Flecken, beginnt eine ſchöngeſchichtete Gypsformation!), welche ein wellenförmiges Terrain bildet und ſich bis zum

) Die Gyysſchichten, desgleichen die Schichten des ſpäter ers wähnten Sandſteins, welcher unter dem Gyps zu ruhen ſcheint, ſowie die Schichten des kalkigen Geſteins in der Schlucht des Bor— novathales ſtreichen von O nach W und fallen unter 20° nach S ein.

Gegend von Cogulludo. 369

Flecken Cogulludo hinzieht. Nachdem wir den Rio Liendre, ebenfalls einem Zufluß des Henares, deſſen Thal fortwährend zur Rechten bleibt, ſowie die Flecken Montarrön und Fuencemillan paſſirt hatten, ge— langten wir gegen Mittag nach Cogulludo, wofelbft wir eine Stunde verweilten. Dieſer große Flecken liegt am Oſtabhange eines kahlen Gypskammes, um deſſen Fuß der Rio Liendre, ein unbedeutender, brackiges Waſſer füh— render Bach, herumgeht. Der Ort iſt mit alten, zum Theil zerſtörten Mauern umgeben, in denen ſich mehre alterthümliche, gothiſche Thore befinden. Außerhalb der Mauern, an der Südſeite des Fleckens, liegt ein großes Kloſter in Ruinen, innerhalb des Ortes dagegen, am Platze, der ebenfalls dem Zuſammenſtürzen nahe Pallaſt der Herzöge von Medinaceli, ein großes, wunderliches Gebäude von halb mauriſcher, halb gothiſcher Bauart, mit gothiſch geſtäbten Fenſtern und in Stein gehauenen mauriſchen Simsverzierungen. Bald hinter Cogulludo erhebt ſich der Weg in ſteilen Zickzacks zu einem hohen, öden, aus Sandſtein beſtehenden und mit Ciſtus- und Labiatenheiden“) bedeckten Plateau empor, welches faſt eine Stunde breit iſt und ſchöne Ausſichten nach dem Scheide— gebirge und in das grüne Thal des Henares darbietet.

) Die Vegetation wird vorzüglich gebildet aus: Cistus lada- niferus L., C. laurifolius L., Rosmarinus officinalis L., Lavan- dula pedunculata Cav., und Thymus vulgaris L.

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 24

370 Geognoſtiſche Verhältniſſe von Hiendelaéncina.

Von hier ſtiegen wir durch eine Felsſchlucht in das ziem- lich enge und baumreiche Thal des Rio Borno va, eines ſtarken Zufluſſes des Henares, hinab, woſelbſt hier ein Dorf im Schatten hoher, alter Eſchen und Eichen recht maleriſch liegt. Eine kurze Strecke davon verengt ſich das Thal des Bornova, welchem der Weg folgt, zu einer ſchmalen, romantiſchen Felsſchlucht, indem jener Fluß einen Höhenkamm von kalkigem Geſtein mitten durchbrochen hat. Durch dieſe Schlucht gelangt man in eine keſſelar— tige, rings von kahlen Felshügeln umgebene Ausweitung, in der, dicht am ſchäumenden Bornova, ein anderes Dorf von armſeligem Ausſehen liegt. Es beginnt hier plötz— lich die erzreiche Gneisformation von Hiendelaeneing, welche ein hohes, wellenförmig geſtaltetes, von engen, maleriſchen Felſenſchluchten tief durchfurchtes Plateau bil— det. Gegen Norden und Weſten wird daſſelbe von dem Bornova durchſchnitten. Jenſeits dieſes Fluſſes beginnen bald Sedimentärgeſteine an der Zuſammenſetzung des Plateau's Theil zu nehmen, welches ſich im Allgemeinen bis an den Fuß des eigentlichen, nicht mehr fernen Schei— degebirges erſtreckt. Letzteres beſteht hier aus Geſteinen der ſiluriſchen und davoniſchen Periode und erhebt ſich in zackigen Kämmen, zwiſchen denen der ſchon genannte Pico Oſejön ſtolz emporragt. Die ganze Gegend hat ein ödes, kaltes, düſteres Anſehen, iſt jedoch nicht un— maleriſch. Die Bäume fehlen, mit Ausnahme der Thal⸗

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Silbergruben von Hiendelaentina. 374

ſchluchten und einiger mit Kiefern bewaldeter Gebirgsab— hänge, gänzlich; dagegen iſt das Plateau faſt überall mit niedrigem Strauchwerk (beſonders Cistus ladaniferus und C. laurifolius) bedeckt. Der bisher recht gute Saumpfad wurde nun unbequem, indem er unaufhörlich bergauf und bergab lief. Rechts und links vom Wege bemerkte ich an verſchiedenen Stellen angefangene und wieder aufge— gebene Grubenarbeiten. Bald zeigten ſich zur Linken, eine halbe Stunde von unſerm Pfade, die rothen Ziegel— dächer des Fleckens Congoſtrina, in deſſen Nähe kurz zuvor ein reicher Silbererzgang aufgefunden worden war. Fortwährend zwiſchen Gneisfelſen, deren Schichten oft ſenkrecht aufgerichtet waren, emporſteigend, gelangten wir endlich um 3 Uhr auf den höchſten, wohl nahe an 4000 Fuß über das Meer erhabenen Theil des Plateau's, wel— cher völlig kahl und mit großen Gneisblöcken, mit Ge— ſchiebe und Sand bedeckt iſt. Hier liegt an dem nach Südoſt gekehrten Abhange der flachen Kuppe das Dorf Hiendelaéneina.

Hiendelaéncina war noch vor zehn Jahren ein völlig unbekannter Ort und gewiß eins der elendeſten und ärmſten Dörfer der geſammten Halbinſel. Auf einem hohen, kalten Plateau gelegen, deſſen der Dammerde ent— behrender Gneisboden keinerlei Anbau geſtattet, mußten die Bewohner ihr Leben auf das Kümmerlichſte durch Kohlenbrennen, Steinbrechen, Verfertigung von Esparto—

24 *

372 Silbergruben von Hiendelasncina.

geflechten u. dgl. m. friſten. Sie lebten in elenden Hüt⸗ ten, deren Mauern aus übereinandergelegten Gneisblöcken

errichtet und deren Dächer mit dünnen Gneisplatten ge-

deckt waren. Noch damals beſtand ein großer Theil des Ortes, ungefähr die untere Hälfte, aus ſolchen Stein— hütten. Das Elend war hier gränzenlos, beſonders im harten Winter, wo das Plateau von Hiendelaéneina bis— weilen drei Monate lang unter tiefe Schneemaſſen ver⸗ graben iſt. Da wurde im Sommer des Jahres 1844

unweit des Dorfes ein zu Tage ausgehender Schwerſpath-

gang entdeckt, welcher kleine Portionen eines bleiartig glänzenden Metalls eingeſprengt enthielt. Bei näherer Unterſuchung ergab ſich daſſelbe als ein ſehr reichhaltiges Silbererz. Man forſchte nun weiter und fand einen weit— hin fortſetzenden, gegen die Tiefe an Mächtigkeit zuneh— menden Gang, welcher reich an Silberverbindungen ver— ſchiedener Art, ja ſelbſt an gediegenem Silber war. Glück— licherweiſe nahm gleich anfangs ein verſtändiger, unter— richteter und vermögender Mann, nämlich der Bruder des berühmten Chemikers und Phyſiologen Orfila in Paris, das Unternehmen in ſeine Hand, indem er beinahe ein Drittheil ſämmtlicher von der zur Ausbeutung des Gan— ges zuſammengetretenen Geſellſchaft ausgegebenen Actien erwarb, die Adminiſtration der Gruben übernahm und dieſelben unter die Leitung tüchtiger, wiſſenſchaftlich ge— bildeter Bergingenieure ſtellte. Seit jener Zeit änderte

Silbergruben von Hiendelaencina. 373

ſich die Lage der Bewohner von Hiendelaöneina. Die ſich raſch folgenden Auffindungen neuer Erzgänge veran— laßten binnen Kurzem die Anlegung einer Menge von Bergwerken, ſowie der bedeutende Silbergehalt des Erzes die Errichtung eines großartigen Amalgamirwerkes im Thale des Bornova. Manche Actionäre, wie Orxfila, nahmen ihren bleibenden Aufenthalt in Hiendelaéneina, und da die elenden Hütten des Dorfes keine bewohnbaren Räumlichkeiten weder für dieſe, noch für die Bergwerks— beamten darboten, ſo wurden neue Gebäude aufgeführt. Auf dieſe Weiſe fanden nicht allein die Bewohner von Hiendelaéneina, ſondern auch die der benachbarten Ort— ſchaften eine dauernde und lohnende Beſchäftigung theils als Gruben- und Hüttenarbeiter, theils als Handlanger bei den Bauten, theils als Arriero's beim Transport des Baumaterials, der Geräthſchaften, des Erzes und der Lebensmittel. Neben den elenden Gneishütten erhoben ſich bald ſtattliche Gebäude und es ſteht zu hoffen, daß in einem Jahrzehnte an der Stelle der engen, krummen und ſchmuzigen, aus niedrigen, ſchwarzen Steinhütten beſtehenden Gaſſen ſich breite, regelmäßige Straßen mit modernen Gebäuden, daß an der Stelle des einſtigen elenden Dorfes ſich eine reſpectable Stadt ausbreiten werde. Es herrſchte damals ein ungeheuer reges Leben auf jenem öden Plateau. In den Gaſſen des urſprünglichen Dorfes konnte man vor ankommenden und abgehenden Zügen

374 Silbergruben von Hiendeladneina.

beladener Maulthiere und vor Menſchen kaum treten; oberhalb deſſelben, an ſeiner nördlichen Seite, arbeitet man an der Erbauung einer Kirche, welche die noch leere Seite eines großen regelmäßigen Platzes einnehmen ſollte. Ihr gegenüber erhebt ſich ein großer Gaſthof, in dem ich nur mit Mühe ein Unterkommen finden konnte; eine an⸗ dere Seite des Platzes ziert das ſtattliche Haus Orfila's, das mit ſeinen langen Fenſterreihen und ſeinen grünen Jalouſieen wie ein Schloß neben den finſtern Gneishüt⸗ ten erſcheint. Bi

Ich benutzte die noch übrigen Stunden des Nach- mittags, um in Geſellſchaft eines ſächſiſchen Bergingenieurs, deſſen Bekanntſchaft ich bereits in Madrid gemacht hatte, ein neues, im benachbarten Bornovathale gelegenes, erſt im Entſtehen begriffenes Hüttenwerk zu beſuchen, welches auf Koſten der Actiengeſellſchaft der drei älteſten und zu— gleich bedeutendſten Gruben und unter Leitung eines Me— jicaners, Namens Ortigoſa, der in Freiberg ſtudirt hat, erbaut wurde. Dieſes Hüttenwerk, welches nunmehr voll— endet ſein dürfte, und zu deſſen künftigen Director der ſchon genannte Ortigoſa erwählt worden war, ſollte nach der neuen, von Auguſtin im Mannsfeldiſchen erfundenen und dort zuerſt, jo viel ich weiß, im Großen angewen- deten Methode, nach welcher das Silber auf naſſem Wege durch Präcipitation gewonnen wird, eingerichtet werden. Man war damals mit den Gebäuden erſt über den Grund

Silbergruben von Hiendelaéncina. 375

heraus und mit Anlegung eines Kanals beſchäftigt, der das Waſſer des Bornova nach der Hütte leiten ſollte. Dieſer Kanal, welcher großentheils durch den Gneis ge— ſprengt werden mußte, beſitzt eine Länge von 2000 Varas. Die Lage dieſes Hüttenwerks iſt überaus romantiſch. Das Thal des Bornova, welches man nicht eher gewahrt, als bis man an ſeinem Rande ſteht, indem es gleich einem Riſſe das Gneisplateau durchſpaltet, iſt ein wilder, mit Baum⸗, Strauch- und Kräuterwuchs auf das Maleriſchſte geſchmückter Felſengruns, welcher eine Menge eben ſo rei— zender als großartiger Parthieen einſchließt und durch die brauſenden, ſilberklaren Fluthen des ungeſtümen Fluſſes anmuthig belebt wird. Man vermuthet dieſes ſchöne Thal, innerhalb deſſen man ſich in ein romantiſches Gebirge verſetzt wähnt, gar nicht in jener ſcheinbar ſo einförmigen Hochebene. Ob die neue Hütte in dem Maaße rentiren wird, wie die Unternehmer derſelben damals hofften, iſt noch die Frage. Dieſelbe hat nämlich einen bedeutenden und gefährlichen Concurrenten in dem ſchon oben erwähn— ten Amalgamirwerke, welches einer engliſchen Actiengefell- ſchaft gehört und unter der Leitung zweier Engländer ſteht. Daſſelbe iſt, wenn ich nicht irre, im Jahre 1846 angelegt worden und conſumirte damals alle aus den Gruben zu Tage geförderten Erze. Bei herrlichem Mondſchein kehr— ten wir über das öde Plateau nach Hiendelaéncina zurück, wo ich bei Ortigoſa, der, ſowie alle übrigen Bergbeamten,

376 Ein Abend in Hiendelaencina.

fich ſehr freundlich und gaſtfrei gegen mich zeigte, zu Abend ſpeiſte. Dann gingen wir ſämmtlich zum Unter- director der drei Hauptgruben, Don Antonio Lo renzo de Madarriaga, in dem ich zu meiner großen Freude einen jener Bergingenieure wieder erkannte, bei denen ich im Jahre 1845 in Almaden eine ſo außerordentlich freund— ſchaftliche Aufnahme gefunden hatte. Am Kaminfeuer in einem faſt elegant zu nennenden Zimmer ſitzend, verbrach- ten wir ein Stündchen unter heiterem Geſpräche, alte Erinnerungen auffriſchend, bei einer Taſſe Thee, worauf wir uns alle zu Don Antonio Orfila begaben, in deſſen Hauſe allabendlich eine Tertulia ſtattzufinden pflegt. Wir trafen hier noch mehrere Bergbeamte, ſowie die Frau Orfila's, eine gebildete Pariſerin, und eine junge Dame aus Madrid, die Schweſter eines ſpaniſchen Bergingenieurs. Orfila hat ſich ſehr hübſch eingerichtet; man vermißt in ſeinem Hauſe nichts von europäiſcher Geſittung. Es war mir, als träumte ich, als ich in das elegante und com— fortable Zimmer trat und mich in Geſellſchaft fein ge— bildeter Damen befand, als wäre es nicht möglich, daß ich in einem entlegenen, ſcheinbar von allem Verkehr mit der civiliſirten Welt abgeſchnittenen Winkel Neu⸗ caſtiliens, auf der unwirthlichen Bergebene von Hiende— laéncina ſei! Orfila iſt ein ſchon bejahrter Mann er iſt älter, als der Pariſer von ſehr intelligentem Aus— ſehen. Man kann ihn als die eigentliche Seele des gan—

Die Silbergruben von Hiendelaencina. 377

zen Etabliſſements betrachten, denn ohne ihn, ohne ſeinen Speculationsgeiſt und ſeine kluge und umſichtige Leitung würden die Gruben von Hiendelaéneina trotz des Reich— thums ihres Erzes kaum das geworden ſein, wenigſtens nicht in ſo geringer Zeit, was ſie bereits damals waren. Orfila hat ſich durch ſeine klugen Speculationen binnen vier Jahren ein Vermögen von einer halben Million Rea— len erworben! Erſt ſpät nach Mitternacht trennte ſich die Geſellſchaft. Die Nacht war ſchön, aber die Luft eiſig kalt.

Den folgenden Morgen nahm ich, geleitet von Herrn Madarriaga, die drei auf den zuerſt entdeckten und reich— ſten Gang bauenden Hauptgruben in Augenſchein. Die— ſelben liegen am nordöſtlichen Rande des Dorfes in einer Einſenkung, bilden mit ihren Gebäuden eine kleine, nette, freundliche Ortſchaft und führen die Namen Santa Ce— cilia, la Fortuna und la Suerte. Die erſtgenannte Grube iſt die älteſte von allen. Sie befindet ſich an der— ſelben Stelle, wo, wie eine ſteinerne Denkſäule beſagt, der Erzgang am 2. Juni 4844 von einem gewiſſen Goriz entdeckt wurde. Alle drei Gruben hängen unter ſich zuſam— men. Wir fuhren auf Santa Cecilia an und in der For— tung wieder aus. Unter allen drei Gruben erreicht Santa Cecilia die größte Tiefe; man arbeitete damals am fünf— ten Stockwerke. Im vierten Stockwerke befanden wir uns in einer Tiefe von 140 Varas (etwa S 430 par. Fuß).

378 Silbergruben von Hiendelaéneina.

Alle drei Gruben ſind nach einem wiſſenſchaftlichen Plane angelegt und beſchäftigten damals zuſammen gegen ſieben hundert Bergleute. Der in Gneis aufſetzende Erzgang ſtreicht von WSW nach ONO, ſchießt faſt ſenkrecht ein und beſitzt im Mittel eine Mächtigkeit von dreißig Zoll. Er iſt bis auf 250 Varas Länge recognoſcirt worden. Das Ganggeſtein iſt, wie ich ſchon erwähnt habe, Baryt; die vorkommenden Erze ſind: gediegen Silber, meiſt in moosförmigen Efflorescenzen; Schilfglaserz, meiſt derb, höchſt ſelten kryſtalliſirt; Rothgültigerz, ſilberhaltiger Blei⸗ glanz, Spateiſen und Kupferkies. Auch hat man Spuren von Chlor- und Bromſilber gefunden. Das vorherrſchende Erz iſt das Schilfglaserz, welches 20 bis 30 Unzen Sil— ber auf den Centner enthält. Die Gallerieen dieſer Gru—

ben ſind meiſt in das Geſtein gehauen, nur wenige aus- gezimmert. Das Waſſer iſt nicht bedeutend und konnte daher damals noch durch einen Pferdegöpel bewältigt werden.

Am Nachmittage deſſelben Tages ritt ich ganz allein nach dem engliſchen Amalgamirwerke. Daſſelbe liegt ebenfalls im Thale des Bornova, eine halbe Legua oberhalb der neu angelegten Hütte und eine Legua nordöſtlich von den Gruben von Hiendelaöneina. Von dieſen führt eine ganz neue, gut gebaute Straße über die Gneishochebene, welche hier gänzlich mit dichtem Gebüſch der beiden ſchon ge— nannten Ciſtusarten bedeckt iſt, bis nach dem Amalgamir⸗ werke, welches eine der romantiſchſten Stellen des Bor—

Das Amalgamirwerk von Hiendelaöncina. 379

novathales einnimmt und mit feinen Nebengebäuden ein kleines, nettes Dörfchen bildet. Der Neffe des eigent— lichen Directors, Mr. William Rea, ein ſehr gefälli— ger und gebildeter junger Mann, an den mir Madarriaga einen Empfehlungsbrief mitgegeben hatte, beauftragte einen der Werkführer, mir Alles zu zeigen, und bewirthete mich dann noch ſehr gaſtfrei. Das Amalgamirwerk von Hien— delaéncina iſt ſehr groß, vielleicht das größte, welches gegenwärtig in Europa exiſtirt. Es beſitzt 24 Amalga— mationstonnen, von denen 16 durch ein koloſſales Waſ— ſerrad von 42 engliſchen Fuß Durchmeſſer, 8 durch eine Dampfmaſchine in Bewegung geſetzt werden. Dieſes Amal— gamirwerk produeirt monatlich eine Quantität Silber von 700 Piaſtern an Werth. Das gewonnene Silber wird an die königliche Münze in Madrid verkauft, welche mit den Eigenthümern des Amalgamirwerkes auf eine Reihe von Jahren einen Contract abgeſchloſſen hat. Gerade am Mittage jenes Tages ging ein Silbertransport von 1500 Pfund unter ſtarker militäriſcher Eskorte von Hien— delaͤncina nach Madrid ab. Es war ſchon völlig Nacht, als ich nach Hiendelaeneina zurückkam, wo ich noch mehrere Stunden bei Ortigoſa und Madarriaga verweilte. Den fol— genden Morgen verließ ich noch bei Nacht Hiendelaéneina und gelangte nach einem ermüdenden zwölfſtündigen Ritte nach Guadalajara, von wo ich Tags darauf per diligence wieder nach Madrid zurückkehrte.

Elftes Kapitel.

Vergleihende Schilderung der Volksſtämme von Leon, Eſtremadura, Neu⸗ und Altcaſtilien.

Die Volksſtämme, welche gegenwärtig das hohe Tafelland Centralſpaniens bewohnen, haben, wie ihre Sitten verrathen, eine gemeinſame Abſtammung. Gleich den Aragoneſen und den meiſten Volksſtämmen der Halb-

inſel ſind auch ſie keine Abkömmlinge der Ureinwohner, ſondern Miſchlingsvölker; doch haben ſich jedenfalls in einigen ſchwer zugänglichen Gebirgsgegenden Reſte der urſprünglichen Bevölkerung ziemlich, wenn nicht ganz un- vermiſcht, bis auf den heutigen Tag erhalten. Dahin

gehören die von mir bereits in meinem erſten Reiſewerke

erwähnten Maragatos in den Gebirgen von Aſtorga

im Königreiche von Leon, ferner die Bewohner des Valle de Mena in den Montafas de Burgos in Alteaftilien, und vielleicht auch die des nördlich von Bejar gelegene waldige Plateau bewohnenden Leoneſen, welche ſich ſowohl durch ihre Geſichtsbildung als durch ihre Trachten und

J N

Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 381

Sitten von den übrigen Einwohnern der Provinz von Salamanca auffallend unterſcheiden. Doch ſcheint es mir beinahe noch wahrſcheinlicher, daß dieſe ein unvermiſcht gebliebener Reſt der eingewanderten Gothen ſind. Denn die Ureinwohner Spaniens, ſowohl die Celtiberer, von denen die Maragaten, als die Cantabrer, von denen die Bewohner des Thales von Mena abzuſtammen behaup— ten, haben ſicher ſchwarzes Haar und dunkle Augen be— ſeſſen, gleich den jetzigen Spaniern; die Bewohner des Plateau von Bejar dagegen zeichnen ſich durch blondes Haar und blaue Augen auffallend von allen Leoneſen aus. Die kleinen unvermiſcht gebliebenen Reſte früherer Na— tionen ausgenommen, ſind die Bewohner Centralſpaniens aus der Vermengung der zahlreichen fremden Volksſtämme, welche zur Zeit der Völkerwanderung ſucceſſive die Halb— inſel überſchwemmten, mit den Ureinwohnern und den Nachkommen der in Spanien angeſiedelten Römer her— vorgegangen. Auch mauriſches Blut fließt in den Adern der Centralſpanier, jedoch in viel beſchränkterem Maaße, als bei den Bewohnern des ſüdöſtlichen und ſüdlichen Theiles der Halbinſel. Denn obwohl die Araber ſich anfangs die ganze Halbinſel mit Ausnahme des cantabri— ſchen Gebirges unterwarfen, ſo war ihre Herrſchaft in der nördlichen Hälfte Spaniens doch von zu kurzer Dauer und ihr Einfluß wegen der nur geringen Zahl von arabi— ſchen Niederlaſſungen ein zu unbedeutender, als daß ein

382 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme.

ſo inniges Zuſammenleben zwiſchen ihnen und den Ein— geborenen und eine daraus hervorgehende Vermengung beider Nationen möglich geweſen wäre. Bald wurden die Mauren bis jenſeits des Centralgebirges, welches fortan die natürliche Gränzmauer zwiſchen dem muhame— daniſchen und chriſtlichen Elemente war, zurückgedrängt; ſpäter bis jenſeits des Tajo und Guadiana und endlich bis an das Waldgebirge der Sierra Morena, bis an die hohen Felſenmauern der valencianiſchen Gebirge und bis an den iberiſchen Abhang des Tafellandes, ſo daß dem Halbmonde blos noch die vom mittelländiſchen Meere be— ſpülten Landſchaften und das Ebrobaſſin übrig blieben, allerdings die ſchönſten und geſegnetſten Theile der ge— ſammten Halbinſel, wo auch bekanntlich der Halbmond noch lange allen Angriffen des Kreuzes Trotz bot, und das orientaliſche Element dergeſtalt die Oberhand gewann, daß ſelbſt nach der Vertreibung der Mauren Land und Volk einen halb orientaliſchen Charakter bewahrten, wel— cher ſich daſelbſt noch bis auf den heutigen Tag unge— ſchwächt erhalten hat. Ganz anders verhält es ſich in Centralſpanien. Dieſſeits des centralen Scheidegebirges erinnert nur wenig, jenſeits deſſelben faſt nichts an die einſtige Herrſchaft des Islam. Es iſt mir aus Leon und Altcaſtilien kein Denkmal mauriſcher Baukunſt bekannt und auch in Eſtremadura und Neucaſtilien iſt deren Au— zahl ſehr beſchränkt, beſonders in dem Landſtriche zwiſchen

Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 383

dem Tajo und dem Scheidegebirge. Dagegen finden ſich in Neucaſtilien und Eſtremadura noch viele Orts- und Flußnamen arabiſchen Urſprungs. Jenſeits des Scheide— gebirges ſind dieſelben viel ſeltner; ja ich kenne aus Leon und Altcaſtilien keine einzigen Flußnamen, welche mit der Silbe Guad-Wad d. h. Fluß, anfinge. Arabiſche Namen, Reſte arabiſcher Architectur, wie Thore mit Huf— eiſenbogen, Stadtmauern mit arabiſchen Mauerzinnen, mauriſche Wartthürme und die winkliche Bauart von Städten, welche wie Toledo und Cuenca, durch die Mauren ihren jetzigen Umfang und Grundriß erhielten, ſind aber auch Alles, was in Neucaſtilien und Eſtrema— dura an die Herrſchaft der Orientalen erinnert; denn weder die Sprache, noch die Trachten, Sitten und Ge— bräuche der Neucaſtilianer und Eſtramanos, haben noch etwas mit orientaliſcher Geſittung gemein, wenn man einige Gebräuche orientaliſchen Urſprungs abrechnet, wie die ſymboliſchen Zeichen der Gaſtfreundſchaft, das nomadi— ſirende Leben der Hirten, beſonders der Merinohirten, welche ganz Centralſpanien mit ihren Heerden durchwan— dern, und andere Sitten, die ſich über die ganze Halb— inſel, ſelbſt die baskiſchen Provinzen nicht ausgenommen, verbreitet haben. Ganz beſonders aber fehlt das orien— taliſche Element in Leon und Altcaſtilien. Ich glaube nicht zu viel zu ſagen, wenn ich behaupte, daß in den Adern der Leoneſen und Altcaftilianer noch jetzt eben jo

384 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme.

wenig arabiſches Blut fließt, wie vor der Eroberung 6 Spaniens durch die Mauren. Auch nennen ſich beide | Völkerſtämme ſtolz, gleich den Basken, Aſturianern und | Galiciern: „eristianos viejos“. | Die Bewohner der verſchiedenen Landſchaften Central— ſpaniens haben viel weniger in ihrer Phyſiognomie und Körperbildung mit einander gemein, als in ihrem Charakter. Es iſt der ächte caſtilianiſche Charakter, welcher ſich bei allen Centralſpaniern geltend macht, ganz beſonders bei den Altcaſtilianern, Leoneſen und Eſtremafos. Die Neu— caſtilianer ähneln in ihrem Charakter mehr den Arago— neſen, ſind aber ein ungleich cultivirteres Volk als dieſe. Die hervorſpringenden Züge des caſtilianiſchen Charakters ſind ein unbegränzter aber nobler Stolz, Ehrenhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Uneigennützigkeit, Genügſamkeit, ſtarres Feſthalten am Alten, Hergebrachten und daraus entſprin— gende Gleichgültigkeit gegen Neuerungen, beſonders gegen die Fortſchritte der Induſtrie. Der letztere Charakterzug kommt auch daher, daß die Bewohner Centralſpaniens ein ausſchließlich Ackerbau treibendes Volk ſind. Mit dieſen Zügen verbindet ſich ein ernſtes, gemeſſenes, förm— liches und ſchweigſames Weſen; dies tritt ganz beſonders bei den Eſtremaßos hervor, welche Stunden lang bei einander ſitzen können, ohne ein einziges Wort zu ſprechen, und nur ſelten ihre Miene zu einem Lächeln verziehen. Die Eſtremaſos tragen in ihrem ganzen Weſen eine

Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 385

Hravität zur Schau, die oft eine höchſt komiſche Wirkung hervorbringt. Durch dieſes gravitätiſche Benehmen glei— hen ſie ihren Nachbarn, den Portugieſen, auffallend; un— erſcheiden ſich aber von denſelben durch ihre Schweig— amkeit und durch ihr Fernſein von allen leeren Prahlereien ind hochtrabenden Redensarten, die den Portugieſen fo ſeläufig find. Trotz ihres großen Ernſtes, ihrer unglaub— ichen Schweigſamkeit und ihres förmlichen Weſens haben zie Eftremafios nie einen unangenehmen Eindruck auf nich hervorgebracht, wie die Aragoneſen; die Phyſiognomie her Eſtremaſos hat etwas entſchieden Guthmüthiges und Ehrliches, und in der That, Gutmüthigkeit und Ehrlich— eit find nächſt dem alteaſtilianiſchen Zuge unerſchütter— icher Ehrenhaftigkeit die hervorſtechendſten Eigenſchaften des Charakters der Bewohner von Eſtremadura. Die Hutmüthigkeit und Ehrlichkeit des Eſtremano äußert ſich im Verkehr mit dem Fremden zunächſt in einer großen Artig— eit und uneigennützigen Dienſtfertigkeit, zwei Eigenſchaf— ten, durch welche ſich der Eſtremano von dem Aragoneſen, dem er durch ſeine Schweigſamkeit und Unreinlichkeit ähnelt, ſehr vortheilhaft unterſcheidet. Der gemeinſte Bauer und Hirt grüßt den Reiſenden höflich; tritt man in eine Poſada oder ſonſt in ein Haus, ſo wird man mit großer Förmlichkeit begrüßt und Einem ſofort der beſte Seſſel am Ehrenplatze, am Heerde präſentirt. Alles ſtrebt, ſich dem Gaſte dienſtbar und gefällig zu erweiſen,

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 25

386 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme.

ohne für jede Dienſtleiſtung eine Belohnung zu verlangen. Prellerei und Habſucht ſcheinen in Eſtremadura unbekannt zu fein, ebenſo in Leon und Altcaftilien, fo weit ich die Bewohner jener Landſchaften während meines allerdings nur ſehr kurzen Aufenthalts daſelbſt kennen gelernt habe. Ich bedauere ſehr, daß es mir nicht vergönnt war, längere Zeit unter den Altcaftilianern und Leoneſen zu leben und ihr Land nach allen Richtungen hin zu durchſtreifen; die wenigen Tage, die ich unter ihnen verweilte, haben in mir die Ueberzeugung hervorgerufen, daß beide Stämme ein herrliches Volk find. Sie haben den alteaftiltanifchen, ehernen, unbeugſamen und noblen Charakter, wie ihn die Romanzen des Cid ſchildern, bewahrt, mit ihm die ſtrenge Sittlichkeit, die edle uneigennützige Gaſtfreiheit, die Achtung vor fremdem Eigenthum, den Abſcheu von gemeinen Verbrechen. In den Dörfern, auf dem Plateau von Bejar beſitzen die Hausthüren keine Schlöſſer, ſon— dern blos hölzerne Klinken. Die Bewohner gehen aus und laſſen das Haus allein, unverſchloſſen, denn ein Dieb— ſtahl iſt unter jenen einfachen, unverdorbenen Naturmen— ſchen unerhört. Auch in den Provinzen von Salamanca, Avila und Segovia hört man ſelten von Diebſtählen, ebenſo in Hoch-Eſtremadura. Gleich den Eſtremaßos find auch die Leoneſen und Altcaſtilianer ernſt und förm— lich, doch bei weitem nicht ſo ſchweigſam und ungeſellig. Im Gegentheil liebt man es in ihrem Lande, am Heerd—

Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 387

euer oder vor der Hausthüre beiſammen zu ſitzen und ich in heiterer Weiſe zu unterhalten, wobei denn ge— vöhnlich auch die Guitarre, das Tambourin und die Saftagnetten nicht zu fehlen pflegen, obwohl Muſik und Tanz jenſeits des Scheidegebirges nicht ſo allgemein beliebt find, wie dieſſeits deſſelben in Neucaſtilien, deſſen Bewohner hierin große Verwandtſchaft mit ihren üdlichen Nachbarn, den Valencianern und Andaluſiern, haben. Die Neucaſtilianer unterſcheiden ſich von den drei bisher beſprochenen Volksſtämmen durch größere Lebhaf— tigkeit, welche ſich theils in Sprechluſt, theils in einem heftigen, auffahrenden Weſen kund giebt. Gleich den Aragoneſen haben die Neucaſtilianer etwas Lauerndes, Verſchmitztes in ihrer Phyſiognomie. Sie beſitzen viel Mutterwitz, und lieben, wie die Andaluſier, den Spott; beſonders gern machen ſie ſich über Fremde luſtig, ein Zug, der dem altcaſtilianiſchen Charakter ganz fremd iſt. Ueber: haupt habe ich den Neucaſtilianer im Allgemeinen weniger liebenswürdig gefunden, wie den Alteaſtilianer. Er iſt bei weitem nicht ſo offenherzig, ſo theilnehmend, freundlich und gefällig, wie ſein Nachbar jenſeits des Gebirges; ja oft wird dem Fremden in Neucaſtilien ebenſo grob be— gegnet, wie in Aragonien. Dies iſt beſonders gegen die aragoneſiſche Gränze hin der Fall, wo die Neu— caſtilianer den Aragoneſen in Allem ſehr ähneln. Ueber— haupt wechſelt der Charakter der Neucaſtilianer gegen die

25

388 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme.

Gränzen ihres Landes, was bei den Altcaſtilianern, Leo— neſen, Eſtremanos weniger der Fall zu fein ſcheint. So haben die Bewohner des hohen im Nordoſten gelegenen Plateau's von Siguenza, ſowie die des Guadarramage— birges ein ebenſo nobles, gerades, biederes Weſen, wie die benachbarten Altcaſtilianer; die Bewohner der Mancha ſind düſter, ernſt, ſchweigſam, ähnlich wie die Serranos (Eingeborenen der Sierra Morena) und Eſtremaños; während die an die Königreiche von Valencia und Murcia gränzenden Neucaſtilianer große Lebhaftigkeit, ein heite— res, aber auch heftiges und jähzorniges Temperament beſitzen.

Was die geiſtige Befähigung anlangt, ſo ſind unter den Centralſpaniern die Neucaſtilianer die am meiſten, die Eſtremanos die am wenigſten Begabten. Eine Aus- nahme machen die Manchagos, beſonders die Bewohner der niedern Mancha, welche den Eſtremafos in intellec— tueller Hinſicht noch weit nachſtehen. Allen Centralſpaniern ſcheint ein gewiſſer Hang zur Trägheit angeboren zu ſein; am ausgeprägteſten erſcheint derſelbe bei den Manchagos, Eſtremanos und den Leoneſen. Wegen dieſer angeborenen Indolenz ſind die Centralſpanier auch wenig unternehmend und allem Neuen, Allem, was ihnen ungewohnt und da— her unbequem iſt, abhold. Zum großen Theil wurzelt dieſe Indolenz in dem Mangel an Unterricht; denn mit dem Unterrichtsweſen iſt es in Centralſpanien im Allge—

Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 389

meinen ſehr ſchlecht beſchlagen, beſonders in Leon und Eſtremadura, wo es eben ſo wenig Volksſchulen zu geben pflegt, wie in Aragonien. Daher ſind auch die Leoneſen und Eſtremanos unwiſſend und orthodox, jedoch keines— wegs bigott und fanatiſch, wie die Aragoneſen. In Caſtilien iſt in neueſter Zeit ziemlich viel für den Volks— unterricht gethan worden, beſonders in Neucaſtilien, wo ſich überhaupt der Einfluß der Haupt- und Reſidenzſtadt der Monarchie in guter wie in ſchlechter Hinſicht allmälig geltend zu machen anfängt. Noch vor zehn Jahren war dieſer Einfluß ein ſehr unbedeutender; noch damals glaubte man in den unmittelbar bei Madrid befindlichen Ort— ſchaften in einer abgelegenen, von der europäiſchen Civili— ſation abgeſchnittenen Gegend zu ſein, indem jene Dör— fer durch Elend, Armuth und Mangel an Bildung ihrer Be— wohner ſich auszeichneten. Mittlerweile iſt dies denn doch anders geworden. Wenigſtens merkt man jetzt in den der Hauptſtadt benachbarten Ortſchaften, welche an der großen Heerſtraße liegen, daß man ſich in der Nähe einer Weltſtadt, eines Mittelpuncts europäiſcher Geſit— tung, befindet. Mit dieſer größern Geiſtescultur hat ſich aber gleichzeitig, wie dies immer und überall zu geſchehen pflegt, eine größere Sittenverderbniß eingefunden. Wer daher die edlen, ſchönen und großen Züge des caſtilianiſchen Charakters, die Biederheit, Einfachheit, Uneigennützigkeit, Gaſtfreiheit und Ehrenhaftigkeit kennen lernen will, der

390 Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens.

gehe ja nicht in die um Madrid liegenden Dörfer und Flecken, am allerwenigſten in die an den großen Heer— ſtraßen befindlichen, ſondern begebe ſich, was Neucaſtilien anlangt, in die Provinzen von Guadalajara, Toledo und Cuenca, ſowie nach Altcaſtilien, Leon und Eſtremadura. Wegen der den Centralſpaniern inwohnenden Indolenz und Gleichgültigkeit gegen Neuerungen und Verbeſſerungen befinden ſich Ackerbau und Induſtrie in ihrem Lande auf einer ſehr tiefen Stufe. Dies gilt ganz beſonders von Eſtremadura, wo der Anbau des Bodens, wenige Ge⸗ genden ausgenommen, mit großer Nachläſſigkeit betrieben wird. Doch trägt die Indolenz der Bewohner nicht die alleinige Schuld an der ſchlechten und lüderlichen Land— wirthſchaft. Es iſt vor allen Dingen die Unmöglichkeit, die Producte des Ackerbaues zu verwerthen, welche in der Schwierigkeit der Communication ihre Urſache hat. Was hilft es dem Bauer Centralſpaniens, wenn er ſein Feld noch ſo ſorgfältig bearbeitet und das Zehnfache des gegenwärtigen Ertrags producirte. Es iſt ja kein Con— ſumo da, er kann ja den Ueberſchuß des Getreides nicht los werden, muß es umkommen laſſen. Denn die we— nigen Chauſſeen, welche (wenigſtens bis noch vor wenigen Jahren; jetzt dürfte es bereits anders ſein) jene weiten Land— ſchaften durchſchneiden, reichen noch lange nicht aus, um den Getreidemaſſen, die daſelbſt producirt werden könnten, einen leichten und billigen Abfluß zu verſchaffen. Aus

Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens. 394

dem Innern des Landes muß alles Getreide auf Maul—

fthieren bis an die wenigen Landſtraßen geſchafft werden,

wodurch der Preis des Getreides, bevor es bis an die zur Exportation geſchickten Plätze gelangt, welche einzig

und allein die größern Hafenſtädte find; fo enorm ver— theuert wird, daß das ſpaniſche Getreide mit dem aus—

ländiſchen durchaus nicht concurriren kann. Man baue erſt überall, von Ort zu Ort, fahrbare Straßen und ver— binde Centralſpanien durch Eiſenbahnen mit den Hafen— ſtädten, und man wird bald den Ackerbau daſelbſt empor— blühen ſehen. Anders verhält es ſich mit der Induſtrie. Ich möchte ſehr bezweifeln, daß Centralſpanien jemals ein induſtrielles Land werden dürfte. Jene weiten, größten— theils von Waldung entblößten, aber die Steppen Neu— caſtiliens ausgenommen im Allgemeinen mit fruchtbarem Boden begabten Landſchaften ſind durchaus vorzüglich auf den Ackerbau angewieſen, mehr als irgend ein anderes Land Europa's. Nur die Thäler des Scheidegebirges, der Sierra de Cuenca und der anderen in und um Centralſpanien ſich erhebenden Gebirge, wo Waſſer und Wald genug vorhanden iſt, eignen ſich zur Anlegung von Fabriken. Was die Vernachläſſigung des Ackerbaues an— langt, ſo beruht dieſelbe in manchen Gegenden auch noch auf anderen Urſachen, als auf dem Mangel der Communi— cation und der daraus entſpringenden Unmöglichkeit der Verwerthung der Producte und der Indolenz der Be—

392 Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens.

wohner. In vielen Landſtrichen wird der Boden nach— * läſſig bearbeitet, weil er ſehr fruchtbar iſt und das Ge-

treide ſo zu ſagen von ſelbſt wächſt. So iſt es z. B. der Fall in den fruchtbaren Ebenen um Leon (der ſoge— nannten Tierra de Campos), um Burgos, Aranda de Duero und anderen Gegenden Alteaſtiliens, in der Alcarria oder dem fruchtbaren öſtlich und ſüdlich von Guadalajara ſich ausbreitenden Hügellande in Neu— caſtilien u. a. a. O. In Eſtremadura und der Mancha dagegen beruht die Vernachläſſigung des Bodens großen- theils auf dem Mangel an Menſchen und ganz beſonders auf dem Umſtand, daß der Boden im Beſitz weniger Adligen iſt, welche ſich das ganze Jahr hindurch nicht um ihre Güter kümmern, wohl aber bedeutende Renten von denſelben beziehen, welche die Bauern durch hohen Pacht und andere Abgaben, dadurch aufbringen müſſen, daß ſie die Felder ohne Grundherrn unentgeldlich oder gegen geringen Lohn beſtellen müſſen. Deshalb werden ſie verhindert, Zeit auf den Anbau ihrer eigenen Felder zu verwenden und beſtellen natürlich auch die Felder des Gutsherrn ſo ſchlecht als möglich. Doch giebt es auch in Eſtremadura einzelne Gegenden, wo aus den entgegen— geſetzten Urſachen der Bauer ſehr fleißig iſt, und daher der Boden ſehr ſorgfältig bearbeitet wird. Dahin gehört das reizende, fruchtbare Becken von Plaſencia, die Umgebungen von Cäceres und Talavera la vieja,

Die fruchtbarſten Gegenden Centralſpaniens. 393

Andere Landſtriche lagen wieder ganz brach und unan— gebaut, wie die weiten Ebenen Nieder-Eſtremadura's ), die ſich zwiſchen dem Guadiana und der Sierra Morena ausbreiten. In dieſen ſehr wenig bevölkerten Landſtrichen iſt der Boden größtentheils mit Ciſtusheiden und kurzbegraſten Weiden bedeckt, und darf zum Theil geſetzlich nicht ange— baut werden, weil jene Gegenden der Winteraufenthalt der Merinoheerden find ). Andere durch den Fleiß der Be— wohner und die dadurch erzielte Fruchtbarkeit ausgezeichnete Gegenden Centralſpaniens ſind das Thal von Bejar in Leon, die unter den Namen der Bureba und der Rioga bekannten Diſtricte Altcaſtiliens, fo wie die Umgebungen von Talavera de la Reina, Arganda del Rey, Valdepenas, Huete und Requena in Neucaftilien, In allen Landſchaften Centralſpaniens ſpielt die Viehzucht eine große Rolle, beſonders die Zucht des Rindviehes und der Schaafe.

Die Bewohner Centralſpaniens ſind im Allgemeinen ein kräftiger Menſchenſchlag. Die Männer find musculös,

) Unter dem Namen Nieder-Eſtremadura, Estremadura baja, verſteht man die weiten Ebenen des Guadianabeckens und die ſie begränzenden Gebirgsabhänge, oder die Provinz von Badajoz; unter Hoch-Eſtremadura, Estremadura alta, dagegen das Gebirgs— ſyſtem von Eſtremadura, die Mulde des Tajothales und den Süd— abhang des centralen Scheidegebirges, oder die Provinz von Caceres.

*) S. den Anhang, I.

394 Körperbau der Bewohner Centralſpaniens.

aber hager, von mittler Größe, ausgenommen die Eſtre— manos, welche meiſt hochgewachſen zu fein pflegen; die Frauen meiſt ſchlank und voll, mit großer natürlicher Grazie begabt, beſonders die Caſtilianerinnen. Brunetter Teint, ſchwarzes Haar und dunkle Augen herrſchen in allen Landſchaften bei den Männern ſowohl als bei den Frauen vor; nur in einzelnen Gegenden Alteaſtiliens und Leons giebt es blonde blauäugige Menſchen, wie auf dem ſchon in dieſer Hinſicht erwähnten Plateau von Bejar und in einigen Thälern des cantabriſchen Gebirges. Was die Geſichtsbildung anlangt, ſo ähneln die Neucaſtilianer den Aragoneſen einigermaßen; zwiſchen den Leoneſen und Altcaſtilianern tft kaum ein merklicher Unterſchied wahr— zunehmen, wie denn überhaupt dieſe beiden Volksſtämme faſt ganz identiſch in Allem find. Die altaaſtilianiſche Phyſiognomie iſt ungefähr fo, wie man ſich die ſpaniſchen Geſichter bei uns gewöhnlich zu denken und auch zu malen pflegt: ein mehr langes als breites hageres Ge— ſicht mit ſpitzem Kinn, gerader Naſe, hoher Stirn und großen unter hochgewölbten Braunen ruhenden Augen. Die Eſtremanos endlich haben eine ganz eigenthümliche Geſichtsbildung, die ſich nicht beſchreiben läßt, ſie aber ſehr kenntlich macht. Es ſind hagere gebräunte Geſichter mit kleinen funkelnden Augen, ſtets ernſt und melancholiſch.

Centralſpanien iſt reich an Volkstrachten ſowie an eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen. Ueber letztere

Volkstrachten in Centralſpanien. 395

weiß ich aus eigener Anſchauung wenig zu ſagen, da ich zu kurze Zeit daſelbſt unter dem Volke gelebt habe. Volkstrachten dagegen ſind mir viele vor die Augen ge— kommen, theils auf meinen Reiſen in Centralſpanien, theils in Madrid. Die gewöhnliche, am meiſten ver— breitete Tracht des Landvolkes beſteht bei den Männern in einer kurzen einfachen Jacke und kurzen Beinkleidern von grobem Tuch, einer wollenen Schärpe, tuchenen oder ledernen Gamaſchen, ledernen Schuhen und einem ſpitzen breitkrämpigen Filzhut von ſchwarzer Farbe; bei den Frauen aus einem ärmelloſen Tuchmieder, einem bunten, kattu— nenen Rocke, Strümpfen und Schuhen, und einem bunten Buſentuche. Die Haare pflegen ſie in Flechten am Hin— terkopf aufgeſteckt und für's Gewöhnliche unverhüllt zu tragen. Bei der Meſſe, ſowie an Sonn- und Feſttagen bedecken ſie das Haupt mit dem Manto oder der Man— tilla. Von dieſer allgemeinen Männer- und Frauentracht giebt es nun aber ſehr viele Ausnahmen. Man ſieht oft ſogar ſehr ſeltſame und abenteuerliche Trachten. Die eigenthümliche Tracht der Maragatos habe ich bereits in meinem erſten Reiſewerke geſchildert. Die Frauen der Maragatos, von denen ich nur wenige geſehen habe, da ſie ebenſo ſelten, als die Männer häufig ihr abgelegenes Bergland verlaffen, tragen eine Art von kurzem Ueber— rock mit weiten aufgeſchlitzten Aermeln, um den Hals Ketten von Korallen mit daran hängenden Reliquien und

396 Volkstrachten in Centralſpanien.

Amulets, und aufgelöſtes, nach hinten und den Seiten über die Schultern frei herabwallendes Haar. Die ver- heiratheten Frauen unterſcheiden ſich von den unverhei- ratheten durch den „Caramiello“, eine Art Kamm von der Geſtalt eines halben Mondes, den ſie auf dem Kopfe befeſtigen. Die Frauen von Val de Fuentes und an— derer an dem Nordabhange des Plateau von Bejar ge— legener Dörfer beſitzen ebenfalls eine eigene Tracht. Sie tragen kurze und enge, brauntuchene, blau oder gelb ge— ſtreifte Röcke, ein ſchwarz- oder brauntuchenes, wohl auch ſammtnes Mieder mit langen, eng anliegenden Aermeln, welches vorn offen und mit einem durch ſilberne Schlingen laufenden Bande zugeſchnürt iſt; darüber einen Kragen von demſelben Stoffe und derſelben Farbe, welcher auf dem Rücken rund zugeſchnitten iſt und vorn in zwei lange Streifen ausläuft, die über dem Buſen gekreuzt, um den Leib herumgeſchlungen und hinten zuſammengeſteckt werden. Dieſer Kragen pflegt am Rande mit einem zwei Finger breiten Streifen von rothem, blauem oder grünem Tuche beſetzt zu ſein. Die Füße ſtecken in weit ausgeſchnittenen Lederſchuhen, die Strümpfe ſind gewöhnlich blau und an der Außenſeite des Beins mit einem Streifen weißer Stickerei verziert. Das meiſt hell- oder rothblonde Haar pflegt in einem dicken Knopf auf dem Wirbel zuſammen⸗ gebunden zu ſein, ein Haarputz, der auch bei den Frauen von Hoch-Eſtremadura beliebt iſt. Die Männer jener

Volkstrachten in Centralſpanien. 397

Gegend kleiden ſich gleich ihren ſüdlichen Nachbarn, den Eitremaiios, vom Kopf bis zum Fuß in ſchwarzes Tuch, bedienen ſich auch des in Eſtremadura gebräuchlichen breit— krämpigen ſchwarzen Filzhutes mit niedrigem, abgerun— detem Kopfe. Ihre Tracht unterſcheidet ſich indeſſen von der in dem Nachbarlande gewöhnlichen dadurch, daß anftatt der wollenen Schärpe, die bei den Eftremanos immer von dunkler, meiſt violetter oder ſchwarzer Farbe zu ſein pflegt, eine breite und weite, häufig mit zierlichen bunten Stickereien bedeckte Binde von hellfarbigem Leder den Leib umſchlingt, ſowie durch die eigenthümliche Weſte. Dieſe iſt nämlich auf der Bruſt tief viereckig ausgeſchnit— ten, gewöhnlich von blauem Tuche, und mit zwei Reihen metallener Knöpfe beſetzt. Den Ausſchnitt bedeckt das vielgefältelte Hemd, welches mit einem breiten Buſenſtreif verziert zu ſein pflegt. Das Haar iſt bei dieſen Män— nern meiſt lockig. Sie laſſen es wachſen, weshalb ſie, zumal wenn ſie in ihre braunen Mäntel gehüllt ſind, von fern ausſehen, wie die herumziehenden Slowacken. Die blonden Haare, die blauen Augen und die ganze Geſichtsbildung dieſes intereſſanten Menſchenſchlages er— innert durchaus an eine nordiſche Abſtammung. Die übrigen Bewohner der Provinz von Salamanca unter— ſcheiden ſich in ihrer Tracht wenig oder gar nicht von ihren öſtlichen Nachbarn, den Altceaſtilianern. Nur der Hut macht ſie kenntlich. Derſelbe iſt ebenſo geſtaltet,

398 Volkstrachten in Centralſpanien.

wie der Hut der Eſtremanos, aber mit einer breiten, nach hinten über den Rand hinabfallenden Quaſte von ſchwarzer Seide verziert, die man an den Hüten der Eſtremaßos und Alteaftiltaner nicht bemerkt. Eine höchſt ſeltſame Tracht verführen die Landleute in der Gegend von Plaſencia, beſonders die von Malpartida. Gleich den übrigen Eſtremanos tragen auch fie Gamaſchen und kurze Beinkleider von ſchwarzem oder dunkelbraunem Tuch, aber weder eine Schärpe, noch eine Weſte, noch eine Jacke, ſondern an deren Stelle ein ärmelloſes Kamiſol aus Leder, das auf der vorderen Seite wie ein Schurzfell geſtaltet iſt, die Bruſt bedeckt, und vermittelſt eines gür⸗ telartigen Riemens um den Leib befeſtigt wird. Der hintere Theil dieſes Kamiſols beſteht aus einem breiten viereckigen Lappen, welcher frei herabhängend bis an die Hüften reicht, und in der Mitte mit einem Knopfe von nicht ſelten buntgefärbtem Leder geſchmückt zu ſein pflegt. Dieſes merkwürdige Kleidungsſtück, mit dem in Malpar- tida ſchon die kleinſten Knaben herumlaufen, wird über den Kopf genommen, indem es ein rundes Loch beſitzt, um den Kopf hindurchſtecken zu können. Ueber den Hoſen tragen jene Leute häufig eine Art von Schienen oder Schurzfell von Leder oder auch von Schaafpelz (im letz— teren Falle iſt die Wolle nach Außen gekehrt), welche ver— mittelſt Riemen um die Schenkel geſchnallt werden. Solche Beinſchienen habe ich auch in Andaluſien häufig bemerkt,

Volkstrachten in Centralſpanien. 399

beſonders bei den Hirten. Weniger Eigenthümlichkeiten in der Tracht ſcheint es in Neucaſtilien zu geben. Die Neucaſtilianer kleiden ſich meiſt in braunes Tuch, tragen rothe Schärpen und ſpitze Hüte oder auch, beſonders in den öſtlichen Gegenden der Provinzen von Guadalajara und Cuenca, die aragoneſiſche Redecilla. In der Mancha ſind die ärmelloſen Wamſe aus Merinofellen, welche über die Weſte gezogen werden, und die „Montera“, jene eigenthümliche Klappenmütze von Tuch oder Fell, welche ich in meinem erſten Reiſewerke bei der Schilderung der Bewohner von Oſtgranada beſchrieben habe, beliebt. Mit einer ſolchen Montera pflegen auch die Frauen der Mon— tañas de Burgos in Alteaſtilien den Kopf zu bedecken. Dieſe beſitzen überhaupt eine höchſt eigenthümliche Tracht, welche offenbar aus einer ſehr fernen Vergangenheit her— rührt. Sie tragen nämlich dunkle Tuchkleider mit langem, faſt ſchleppendem Rocke und einem glatten ſich feſt an den Körper anſchmiegenden Leibchen, welches bis an den Hals reicht. Die Aermel ſind weit, an den Handgelenken zugebunden und von den Schultern an bis zum Ellen— bogen aufgeſchlitzt. Um die Taille ſchlingt ſich ein leder— ner Gürtel, von dem auf der rechten Seite eine lederne Taſche herabhängt. Das Haar flechten jene Frauen ebenſowenig wie die Eſtremanos, ſondern binden fie blos am Hinterkopfe zuſammen, von wo aus ſie dann frei über die Schultern herabwallen, wie bei den Maragatas.

400 Erwerbszweige in Centralſpanien.

Dieſe ganz mittelalterliche Tracht ſteht namentlich jungen Mädchen ſehr hübſch.

Ich habe ſchon erwähnt, daß der Ackerbau der vor— herrſchende Erwerbszweig in Centralſpanien iſt. Viele leben auch von der Viehzucht und der Arrieria oder dem Transportiren der Waaren und Erzeugniſſe vermittelſt Maulthieren und Karren. Die armen Leute verdienen ſich als Tagelöhner bei den Grundbeſitzern, als Köhler, Berg— leute und Hirten ihr Brod. Unter letzteren führen die Merinohirten eine ganz eigenthümliche Lebensweiſe, welche ſie zu einer eigenen Menſchenklaſſe macht. Sie wandern nämlich das ganze Jahr mit ihren Heerden herum und kommen nur ſelten in ihre Heimath, welche Altcaſtilien zu ſein pflegt, da ſich in dieſer Landſchaft die meiſten und bedeutendſten Merinozüchter befinden. Gleich den altcaſtiliſchen Merinohirten find auch die neucaſtiliſchen Karrenführer faſt immer auf der Reiſe begriffen. Die Neucaſtilianer pflegen nämlich ihre Erzeugniſſe, als Ge— treide, Oel, Wein und Baumaterial auf zwei- oder vier— räderigen Karren, welche von Ochſen gezogen werden, zu transportiren. Es giebt viele Perſonen, die ſich einzig und allein mit dieſem Geſchäft abgeben und deshalb faſt ununterbrochen unterwegs find. Die neucaſtilianiſchen Karren verurſachen beinahe einen eben ſo großen und ab— ſcheulichen Lärm, wie die baskiſchen. Zwar drehen ſich hier die Räder um die Are, allein dieſelben ſtoßen fort—

Die neucaſtilianiſchen Karrenführer. 1401

während an einen loſen, am Ende der Axe befindlichen Ring von Eiſen, welcher das Herabrutſchen des Rades verhindern ſoll, wodurch ein höchſt ſchrillender Ton her— vorgebracht wird. Die Karrenführer pflegen nie einzeln, ſondern in Geſellſchaft, in förmlichen Karawanen zu rei— ſen. Man begegnet nicht ſelten Zügen von hundert und mehr Karren. Wenn ſo viele beiſammen ſind, ſo pflegen dieſelben in zwei parallelen Reihen zu fahren, eine an jeder Seite der Straße, ſo daß die Mitte der Straße frei bleibt. Dieſe Ochſenkarren ſind ein ſehr langſames Transportmittel, indem ſie täglich nicht leicht mehr als vier Leguas zurücklegen. Wenn ganze Karawanen zuſam— men reiſen, ſo bringen dieſelben die Nächte im Freien in der Nähe eines bewohnten Ortes zu. Die Karren wer— den dann in einen Halbkreis oder in einen vollkommen geſchloſſenen Kreis zuſammengeſtellt und die ausgeſpann— ten Ochſen innerhalb deſſelben um einen großen Haufen Heu zuſammengetrieben. Neben denſelben lagern ſich die Fuhrleute um ein Feuer, über dem ſie in einem Keſſel ihr Abendbrod zu bereiten pflegen. Ich bin auf meinen Reifen in Neucaſtilien und ſchon in Niederaragonien mehr— mals auf dergleichen Bivouacs geſtoßen. Dieſe neucaſti— lianiſchen Karrenführer find, gleich den altceaſtilianiſchen Merinohirten, ein roher, grober, jedoch ehrlicher Men— ſchenſchlag.

Unangenehm iſt für den in Centralſpanien reiſenden

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 26

402 Unreinlichkeit der Bewohner von Centralſpanien.

Ausländer die geringe Reinlichkeit des Volkes. In den beiden Caſtilien geht es mit dem Schmuze noch an; da— gegen in Leon, wenigſtens in der Provinz von Sala⸗ manca, und zumal in Eſtremadura überſteigt die Unrein⸗ lichkeit alle Begriffe. Dennoch findet man ſelbſt in Eftre- madura, ſogar in den ſchlechteſten Poſaden, reinliche Betten und reines Geſchirr, zwei Dinge, deretwegen Eſtremadura immer noch den Vorzug vor Portugal verdient. Die Poſaden ſind in Eſtremadura, ſoweit ich dieſelben kennen gelernt habe, überall ſchlecht, ſelbſt an der großen Heer— ſtraße und in Städten wie Plaſencia. Dagegen findet man in den beiden Caſtilien und in Leon, in den Städten ſowohl, als in den kleinern, an den großen Landſtraßen gelegenen Ortſchaften, leidliche, mitunter ſogar recht gute Gaſthäuſer. Auf den großen Straßen iſt das Reiſen für Denjenigen, welcher die Diligencen und königlichen Poſten benutzen kann, jetzt ſehr bequem, indem die Directionen der Diligencen und Poſten in den Relais ſehr gut für die Paſſagiere geſorgt haben. Man findet faſt in allen ein vortreffliches Table d’höte und gute Betten. Auch von den Räuberbanden, welche früher die Straßen in den entvölkerten Landſtrichen beider Caſtilien, Leons und be⸗ ſonders Eſtremadura's oft unſicher machten, hat man jetzt wenig zu befürchten, da die Straßen fortwährend von den Guardias civiles (Gensd'armen) begangen werden, von denen eine Anzahl in jedem der an der Straße lie⸗

Die gebräuchliche Sprache in Gentralfpanien. 403

genden Orte ſtationirt iſt. Dieſe lobenswerthe Einrich— tung, welche die Bildung, oder wenigſtens das Fortbe— ſtehen einer Räuberbande faſt unmöglich macht, erſtreckt ſich jetzt über ganz Spanien.

Was endlich die Sprache der Bewohner Central— ſpaniens anlangt, fo wird in allen Landſchaften nur Gafti- lianiſch geſprochen. Das beſte, reinſte Caſtilianiſch ſpricht man in Neucaſtilien, ganz beſonders in der Provinz von Toledo.

26 *

Zwölftes Kapitel.

Winterreiſe von Madrid nach run. Abſchied von Spanien.

Am 14. December konnte ich endlich Madrid ver: laſſen und meine Rückreiſe in die Heimath antreten. Es war noch finſtere Nacht, als ich von meiner Wohnung ſchied und mich durch die einſamen Straßen der großen Stadt nach dem Bureau der Diligencen begab, wo wir um 5 Uhr abfuhren. Der anbrechende Morgen zeigte mir eine öde, baumloſe, graue, wellenförmige Ebene. Wir hatten bereits den Flecken Chamartin, Napoleons be— rühmtes Hauptquartier während ſeines Aufenthaltes in Neucaſtilien, paſſirt und näherten uns raſch der Cueſta de San Pedro, unweit deren öſtlichem Fuße die Chauſ— ſee hinführt. Die Gegend iſt bis dahin ein hügliges, ſandiges Plateau, welches wenig Ausſicht gewährt. Der Himmel war bewölkt, wie auch die folgenden Tage, doch das Wetter ſchön und viel milder, als die vergangenen Wochen, ſo daß ich ſelbſt während der zwei Nächte, die

Reife von Madrid nah Yrun. 405

ich im Wagen zubringen mußte, nicht gefroren habe. Bis Burgos wurde die Diligence fortwährend von Gensd'ar— men eskortirt, da einige Tage zuvor eine andere Dili— gence in der Ebene Altcaftiliens zwiſchen dem Gebirge und Aranda de Duero von einer Räuberbande überfallen worden war. Während des Ueberfalles waren indeſſen acht Gensd'armen den Paſſagieren zu Hülfe gekommen, welche nach einem blutigen Scharmützel die Bande zer— ſprengt, mehrere Räuber gefangen genommen und den Paſſagieren die bereits geraubten Gegenſtände wieder ver— ſchafft hatten. Dem Reſte der zerſprengten Bande wurde damals eifrig nachgeſpürt, weshalb die ganze Gegend von Guardias civiles wimmelte. Nachdem wir bei der Cueſta de San Pedro, welche auf dieſer Seite einen ſehr im— poſanten und maleriſchen Anblick darbietet, vorüber waren, gelangten wir nach einem kleinen, ſchlechten Orte, Namens Lo zoyela, wo wir in dem ſehr gut eingerichteten Para— dor der Diligencen zu Mittage ſpeiſten. Bald hinter die— ſem Orte eröffnet ſich zur Linken das weite Thal des Lozoya mit ſeinen vielen Ortſchaften und hohen Wald— bergen. Doch kann man wegen der vielen Krümmungen, welche der untere Theil des Thales beſchreibt, und wegen der vielen von den Thalgehängen vorſpringenden Berg— kuppen nicht weit im Thale aufwärts ſehen. Es dauert nicht lange, ſo biegt die Straße in einen maleriſchen, faſt rings von Bergen umſchloſſenen Keſſel ein, woſelbſt die

406 Gegend vom Puerto de Somoſierra.

alte, aber kleine Stadt Buitrago am Fuße eines mit einer ſtolzen Burg gekrönten Hügels ſehr maleriſch gele- gen iſt. Es war hier eben Jahrmarkt und daher die ſchmuzigen Gaſſen und der Platz mit Menſchen überfüllt. Am Nordrande des Städtchens fließt der Lozoya, hier ein ſtattlicher Fluß, vorbei. Von Buitrago an beginnt die Straße an dem ſanft geneigten Südabhange des Scheidegebirges zum Puerto de Somoſierra empor⸗ zuſteigen. Auch hier beſteht das Gebirge blos aus einem hochgewölbten Plateau, welches mit einzelnen Bergkuppen beſetzt iſt. Faſt auf dem höchſten Punkte dieſes öden und kalten, von Wald entblößten und nur ſtellenweis mit nie⸗ drigem Gebüſch (vorzüglich mit Adenocarpus hispanicus Lam.) bedeckten Plateau liegt das durch Napoleons Sieg berühmt gewordene Dorf Somoſierra in einer Depreſ— ſion links von der Straße 4637 par. Fuß über dem Meere. Die Gräben und Vertiefungen waren hier noch mit Schnee erfüllt, auch an den Abhängen der Bergkuppen breiteten ſich noch einzelne Schneefelder aus; ſonſt aber war der im October und November gefallene Schnee wieder gänz— lich geſchmolzen. Hinter Somoſierra beginnt der Nord— abhang des Gebirges. Dieſer iſt ſteiler, und von Thälern

durchfurcht, welche zum Theil mit Kiefernwaldung erfüllt

find. Die Straße ſteigt in vielen Zickzacks in ein weites Thal hinab, welches ſich bald in die Ebene Alteaſtiliens öffnet. Auch hier bezeugen zahlreiche Schneeſäulen, daß

Ankunft in Burgos. 407

das Land im Winter oft lange und tief mit Schnee be—

deckt wird. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, der Himmel hatte ſich aufgehellt und der Mond beſchien hell und klar die weite, graue, baumloſe und wenig be— völkerte Ebene. Das Centralgebirge entſchwand allmälig meinen Blicken; wohin ich auch die Augen richtete, ſah ich nichts als graue, öde Flächen. Um halb 14 Uhr hielt die Diligence in Aranda de Duero, einer großen, al— terthümlichen und ſchlecht gebauten Villa, woſelbſt das Abendeſſen unſerer wartete. In der Vorſtadt überſchrei— tet die Straſſe den Duero, welcher ſchon hier ein be— deutender Fluß iſt, auf einer langen Brücke.

Um Mitternacht brach die Diligence wieder auf. Die Gegend iſt um Aranda ſehr eben, ſpäter, gegen Burgos hin, wird ſie hüglig. Das Land iſt kahl, doch ſieht man wenigſtens um die Ortſchaften mehr Bäume, als in Neu— caſtilien. Gegen Tagesanbruch entſtand ein dichter Nebel, welcher alle Ausſicht verhinderte, und auch ſpäter, bis zum Nachmittag, war das Wetter unfreundlich. Um halb 8 Uhr rollte die Diligence in die holprigen Straßen von Burgos hinein, von dem ich aus der Ferne wegen des Nebels wenig geſehen habe. Die Leute ſtrömten eben nach dem Dome zur Meſſe, da es ein Sonntag war. Auch ich begab mich dahin, da die Diligence drei Viertelſtun— den in Burgos verweilte, um wenigſtens Etwas von die— ſer großen und merkwürdigen Stadt zu ſehen. Die welt—

408 Die Cathedrale von Burgos.

berühmte Cathedrale von Burgos iſt eine der wenigen gothiſchen Domkirchen, welche bei einer ſehr bedeutenden Größe zur Vollendung gelangt ſind und, was die äußere Verzierung, überhaupt die äußere Erſcheinung anlangt, das ſchönſte Denkmal gothiſcher Baukunſt, welches Spa— nien, ſoweit ich dieſes Land kenne, befikt*). Sein In— neres dagegen ſteht dem der Dome von Toledo und Se— villa, ſowohl an Größe, als an Schönheit, weit nach. Die Domkirche von Burgos erhebt ſich am Abhange einer Höhe auf einer Terraſſe, zu der auf der Seite der Haupt— facade eine breite Treppe von 38 Stufen emporführt. Sie imponirt durch die beiden hoch emporſtrebenden, voll— kommen ausgeführten Glockenthürme, welche in hohe, durch— brochene, prachtvoll verzierte Pyramiden auslaufen, ſowie durch das mit ächt gothiſchen Thürmchen von unbeſchreib— lich ſchöner und zarter Architectur geſchmückte Cimborio oder die gothiſche Kuppel, welche ſich über dem Cruzero, denn auch dieſer Dom iſt eine Kreuzkirche, aus dem Gewölbe der Kirche erhebt. Letztere beſteht nur aus drei Schiffen, von denen die beiden Seitenſchiffe um die Hälfte niedriger ſind, als das Hauptſchiff. Mit Aus— nahme des Cimborio und einer in der halben Höhe her— umlaufenden Gallerie von durchbrochener Arbeit entbehrt

*) Der Dom von Leon bietet vielleicht einen noch ſchönern Aublick dar. Wenigſteus gilt derſelbe in Spanien für das zierlichſte gothiſche Bauwerk.

Burgos und feine Gegend. 409

das Innere des Domes aller Verzierungen mit gothiſchen Sculpturen. Die Kirche iſt mit Marmor getäfelt und enthält eine große Anzahl von Seitenkapellen, in denen ſich viele Gemälde von Werth befinden ſollen. Meine beſchränkte Zeit erlaubte mir es nicht, dieſelben genau zu beſichtigen. Auch war an jenem Morgen wegen des Nebels die Kirche ſo wenig erhellt, daß man von den Gemälden in den an und für ſich dunkeln Kapellen we— nig oder gar nichts ſehen konnte. Nach 9 Uhr verließen wir Burgos wieder. Dieſe Stadt iſt keineswegs ſo al— terthümlich, wie man gewöhnlich glaubt und auch ich erwartet hatte, ſondern zum großen Theil von ſehr mo— dernem Ausſehen. Sie beſitzt einen ſchönen großen Platz und hübſche Promenaden. Trotz ihrer ziemlich bedeuten— den Größe beträgt ihre gegenwärtige Einwohnerzahl nur zwölftauſend Seelen. Sie iſt der Sitz eines Erzbiſchofs, deſſen Diöceſe nicht weniger als 1693 Kirchſpiele umfaßt.

Die Gegend nördlich von Burgos tt einige Leguas weit bis zu den Hügelreihen der Brujula ſehr eben. Auf einem in geringer Entfernung ſich erhebenden Höhen— zuge im Oſten bemerkt man die berühmte Karthauſe Mi— raflores, weiter hin auf einem andern Hügel das Dorf Vibar, den Geburtsort des gefeiertſten ſpaniſchen Hel— den, des Cid. Der Nebel hatte ſich mittlerweile geho— ben und bald brach die Sonne dann und wann durch das dicke Gewölk und beleuchtete ſtreifenweis die weiten, ebe—

1410 Bribiesca und ſeine Gegend.

nen Gefilde. Dieſelben ſind gut angebaut und ſtark be— völkert, aber ſehr baumarm. Doch iſt die Straße, was in andern Gegenden Spaniens nicht der Fall zu ſein pflegt, von Burgos an bis Vitoria, ja ſelbſt bis Guipuz⸗ coa hinein, mit Bäumen, meiſt Ulmen, bepflanzt. Einige Leguas hinter Burgos erhebt ſich dieſelbe zu den kahlen Kämmen der Brujula (Bruſſole), eines aus tertiärem Kalk zuſammengeſetzten Hügelſyſtems, deſſen Gipfel irriger— weiſe“) für den höchſten Punct Spaniens (ſoll wohl hei— ßen, des centralen Tafellandes, nämlich des Plateau's) ausgegeben wird. Auf einer der höchſten Kuppen ſteht ein Telegraphenthurm. Bald nachdem man die Brujula paſſirt hat, kommt man nach dem Städtchen Bribies ca, welches durch ſeine baumreiche Huerta einen ſehr ange— nehmen Eindruck hervorbringt. Vor Bribiesca erblickt man gegen Oſten eine hohe Bergkette, die damals mit Schnee bedeckt war, wahrſcheinlich die Sierra de Oca, ſowie gegen Norden die ſüdlichſten Ketten des cantabri— ſchen Gebirges, welche ſich durch grotesk geſtaltete, über die Kämme emporragende Felsmaſſen auszeichnen, und daher einen ſehr maleriſchen Anblick gewähren. Von Bribiesca bis Pancorvo iſt das Land ganz eben, wenig bevölkert und angebaut und deshalb ſehr öde und mono—

) Die Poſtſtation Quintanapalla am Südabhange der Brujula liegt blos 2868 par. Fuß über dem Meere, während das Plateau von Soria eine Höhe von mehr als 4000 Fuß erreicht.

Das Felſenthal Garganta de Pancorvo. 114

ton. Wir näherten uns allmälig dem cantabriſchen Ge— birge immer mehr, bis wir daſſelbe gegen Sonnenunter— gang bei Pancorvo erreichten. Dieſer Flecken iſt einer der am maleriſchſten und romantiſchſten gelegenen Orte, welche ich in Spanien geſehen habe. Er liegt am Ein— gange eines tiefen und engen Felſenthales in einem Win— kel oder Keſſel zwiſchen hohen, zackigen, aus Kalk zuſam— mengeſetzten Felſenbergen. Die vorderſten Kuppen find mit den Ruinen einer caſtilianiſchen Burg maleriſch ge— ſchmückt. Das unter dem Namen der Garganta de Pancorvo bekannte Felſenthal, in deſſen Grunde die Straße am Ufer des Baches hinläuft, durchſetzt faſt recht— winklig die ſüdlichſte Kette des cantabriſchen Gebirges, die in der Richtung von WNW nach 080 verlaufend, das Becken des obern Ebro gegen Süden begränzt. Es iſt vielfach hin und her gebogen, zu beiden Seiten von thurmartigen Felsmaſſen eingefaßt, an den Abhängen mit Buxbaumgeſträuch geſchmückt und bietet wildromantiſche Anſichten dar. Dieſer Engpaß war in allen Kriegen der Schauplatz blutiger Kämpfe und früher berüchtigt als einer der unſicherſten Puncte des geſammten Königreichs. Ge— genwärtig hat man auch hier von Räuberanfällen nichts mehr zu fürchten. Auf der Sohle der Schlucht breiten ſich ſchöne Wieſen aus; auch liegen in derſelben am Bache mehrere von Gemüſefeldern und Obſtbäumen umgebene Gehöfte und Mühlen. Von der Schlucht von Pancorvo

412 Plateau von Alava.

an wird die Gegend recht anmuthig, indem der Boden ſich zu Hügeln erhebt, gut angebaut iſt und viele Ort- ſchaften und Laubgehölze in ſeinen Thälern und Niede— rungen beherbergt. Die Straße ſenkt ſich fortwährend ſanft abwärts bis an das Ufer des Ebro, den man eine kurze Strecke hinter dem Städtchen Miranda de Ebro, dem letzten zum Diſtrict der Rioja und der Provinz von Logrofio gehörenden Orte Altcaſtiliens, paſſirt. Er iſt hier ein munterer Gebirgsbach. Nahe am jenſeitigen Ufer beginnt der Abhang des hohen Plateau von Alava, in welche Landſchaft man ſehr bald eintritt. Es war unter- deſſen Nacht geworden, der Himmel jedoch ganz heiter und die Gegend vom Mondſchein hell beleuchtet. Nur der kalte Nordwind, der deſto heftiger zu wehen begann, je höher wir uns erhoben, ſtörte den Genuß der ſchönen Nacht. Das Plateau von Alava iſt anfangs von niedri— gen, meiſt kahlen Höhenkämmen durchzogen, zwiſchen de— nen hier und da ein koniſcher Hügel emporragt; ſpäter, gegen Vitoria hin, wird es ganz eben. Es birgt eine große Menge von Ortſchaften in ſeinen Ebenen, beſon— ders in der weiten durch die Schlacht vom 21. Juni 1813 berühmt gewordenen Ebene von Vitoria und iſt gut an— gebaut, beſitzt jedoch wenig Bäume. Gegen Norden er- blickt man fortwährend das cantabriſche Gebirge, unter deſſen hervorragenden Kuppen ich die Pena Gorveya leicht an ihrer Form erkannte. Es ſchlug gerade 8 Uhr, als

Gegend zwifchen Vitoria und Mondragon. 413

wir nach Vitoria hineinfuhren. Leider hielten wir uns hier nur ſo lange auf, als nöthig war, um zu Abend zu ſpeiſen, weshalb ich die Stadt nicht beſichtigen konnte. So viel ich von der Diligence aus beim Fahren durch die vom Mondſchein erhellten Gaſſen ſehen konnte, iſt die Hauptſtadt von Alava ein reinlicher Ort mit hüb— ſchen modernen Häuſern und breiten, freundlichen Gaſſen. An der Reinlichkeit und comfortablen Einrichtung des Gaſthofs, in welchem wir einkehrten, und an dem freund— lichen und gefälligen Weſen ſeiner Bewohner erkannte ich, daß ich mich abermals im Lande der Basken befand. Bei prächtigem Mondſchein verließen wir um 9 Uhr Vitoria wieder. Der Wind hatte nachgelaſſen, die Luft war warm und die Fahrt ganz angenehm. Nachdem wir einige Stunden lang durch eine ganz ebene, offene Ge— gend gefahren waren, begann die Straße ſich bergab zu ſenken, indem ſie in ein Thal einbog, welches anfangs von niedrigen Höhen, bald aber von immer höher an— ſchwellenden und mit Laubholz bewaldeten Hügeln und Bergen eingeſchloſſen iſt. Durch dieſes Thal, durch wel— ches der Zadorra herabbrauſt, gelangt man in das rei— zende Thal von Vergaria. Es liegen in demſelben meh— rere Ortſchaften, unter andern der Flecken Salines, ein am Thalgehänge terraſſenförmig ſich hinziehender Ort von alterthümlicher, ächt baskiſcher Bauart, und die Stadt Mondragon, durch welche die Straße hindurchführt.

414 Der ewige Frühling in den baskiſchen Provinzen.

Aus der Länge des Zadorrathales und der ſtarken Nei— gung ſeiner Sohle kann man auf die bedeutende Höhe der Ebene von Vitoria ſchließen. Schade, daß es Nacht war und ich daher die Schönheit dieſes Thales, welches jedenfalls zu den reizendſten Thälern von Guipuzcoa ge— hört, nicht genießen konnte. Um 2 Uhr gelangten wir nach Vergara. Als wir zum Paß von Descarge hin— anfuhren, ging eben der Mond unter, ein Umſtand, der mich des gehofften Genuſſes, mich noch einmal an der großartigen Ausſicht, welche die Höhe jenes Paſſes dar— bietet, zu ergötzen, beraubte. Bei Tagesanbruch ſah ich mich von grünen, blumigen Fluren umringt. Wie ſieben Monate früher, im Mai, ſo prangten auch jetzt, im De— cember, Niederungen und Bergabhänge im üppigſten Grün, denn in den baskiſchen Provinzen herrſcht ein ewiger Früh— ling! Ich kann nicht beſchreiben, wie wohl meinen Augen das friſche Grün der Wieſen und Saaten nach den öden, grauen, winterlichen Gefilden Centralſpaniens, und meiner Bruſt die laue, milde, feuchte Seeluft nach der trocknen, kalten Atmoſphäre Caſtiliens that! Hätte ich es nicht ge— wußt, daß wir den 16. December ſchrieben, ich würde geglaubt haben, durch einen Zauberſchlag in die erſten Frühlingsmonate zurückverſetzt worden zu ſein, denn auf den Wieſen blühten Maaslieb, Ehrenpreis, Primeln, Butterblumen, Löwenzahn und andere unſerer gewöhnlich- ſten Frühlingsblumen und das Gebüſch der Bergabhänge

Abſchied von Spanien. 445

war bereits geſchmückt mit den großen gelben Schmetter— lingsblumen des Ulex europaeus und den weißen Blü— thenrispen der Erica scoparia, Ja, um Prun ſtanden die zahlreichen Monatsroſengebüſche, welche dort die Gär— ten ſchmücken und nicht ſelten ganze Hecken bilden, in vollſter Blüthe! Noch hatte es in dieſem Zauberlande weder geſchneit, noch gefroren, und nur die blattloſen Zweige der Bäume erinnerten daran, daß Winter ſei. Um 7 Uhr Morgens kamen wir nach Toloſa, um halb 1 Uhr nach San Sebaſtian, um JT Uhr nach Prun, woſelbſt ich mit eben ſolcher Herzlichkeit, wie ſieben Mo— nate früher, aufgenommen wurde. Es hatte ſich dort ſeit— dem nichts verändert; Alles war mir ſo bekannt, als wäre ich erſt geſtern da geweſen; nur mit mir ſelbſt war in der Zwiſchenzeit eine gewaltige Veränderung vorgegangen!

Nach anderthalbtägigem Aufenthalte in Prun über— ſchritt ich am Morgen des 18. December den Bidaſſoa— fluß zum zweiten Male, um auf demſelben Wege, den ich im Frühling mit einem hoffnungsreichen Herzen ge— kommen war, jetzt erfüllt mit dem Schmerze bitterer Ent— täuſchungen der nordiſchen, winterlichen Heimath entgegen— zueilen.

Anhang.

l. Ueber die wandernden Heerden Centralſpaniens.

Ich habe in den vorſtehenden Schilderungen der Merinoſchaafe öfter Erwähnung gethan und bereits be— merkt, daß dieſelben fortwährend im Umherwandern be— griffen find. Ich erlaube mir hier einige genauere No— tizen über dieſe Thiere, welche eine ſo große Berühmtheit erlangt und in früherer Zeit Spanien Unſummen Geldes eingebracht haben, und über ihre Hirten anhangsweiſe beizufügen.

Ich bemerke zunächſt, daß man in Spanien zweierlei Racen von Schaafen oder von Wollvieh (ganado lanar) unterſcheidet, nämlich das gemeine Wollvieh (ganado lanar comun, ovejas de lana comun, manadas do- mesticas) und das feine oder edle Wollvieh (ga— nado lanar noble, ovejas de lana fina, merinos ein wenig gebräuchlicher Name —, manadas trashumantes).

Die Merinoheerden, 447

Das gemeine Wollvieh kehrt jeden Abend in den Stall zurück, oder bleibt wenigſtens nur kurze Zeit von ſeiner Heimath entfernt, und wird im Winter, wenigſtens in jenen Gegenden, wo es, wie in Nordſpanien, in jener Jahreszeit keine Weide giebt, mit Heu und gedörrten Futterkräutern gefüttert. Die Wolle dieſer Schaafe iſt häufig braun gefärbt und pflegt kurz, kraus und grob zu ſein, denn die Länge und Feinheit der Wolle beruht, wie die ſpaniſchen Schaafzüchter behaupten, ich habe hier— über kein Urtheil —, ſowohl auf einem geregelten Wech— ſel der Weideplätze und folglich auch der zur Nahrung dienenden Kräuter, als auf einer ununterbrochen fortge— ſetzten grünen Fütterung, und vor Allem auf dem Wech— ſel des Klima's. Deshalb wandern die Heerden der zwei— ten Race, des feinen Wollvieh's, oder die Merinos, welche weiße und feine Wolle beſitzen, die nicht ſelten anderthalb Fuß lang wird, das ganze Jahr umher und bleiben nur ſo lange an einer und derſelben Stelle, als daſelbſt Weide vorhanden iſt. Dieſe Merinoheerden und ihre Hirten ſind vollkommen organiſirte Corporationen und ihr Um— herwandern, ſowie das Abweiden der für ſie geeigneten Ländereien geſchieht nach feſten, ſeit undenklicher Zeit beſtehenden Regeln und Vorſchriften, die unter dem Na— men der „Mesta“ bekannt ſind und von den Arabern her— rühren ſollen. Eine Heerde (manada) pflegt aus 10000 Stück Schaafen zu beſtehen und einem Oberhirten (mayoral

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 27

418 Die Hirten der Merinoheerden.

oder capataz) anvertraut zu fein, dem die Führung der Heerde, die Auswahl der Weideplätze, die Ueberwachung des Geſundheitszuſtandes der Schaafe, die Heilung der kranken Thiere, die Vermehrung der Schaafe, die Leitung der Wollſchur u. ſ. w. obliegt, und welcher deshalb ein mit den Localitäten, den Kräutern, den Krankheiten der Schaafe, den Witterungsverhältniſſen u. a. m. wohl ver⸗ trauter und in jeder Hinſicht erfahrener Mann ſein muß. Jeder Mayoral pflegt funfzig Unterhirten (pastores) un- ter ſeinem Befehl zu haben, ſo daß auf je zweihundert Stück Schaafe ein Hirte kommt. Zur Ueberwachung und zum Schutze der Heerde find jedem Mayoral noch funfzig Hunde beigegeben, welche meiſt einer großen und ſtarken, Spanien eigenthümlichen Race von Wolfshunden (perros de presa) angehören und zu ihrer eigenen Vertheidigung eiſerne, mit langen Stacheln bewaffnete Halsbänder tra- gen. Jeder Hirt führt einen mannslangen Hakenſtock oder Hirtenſtab von gebeiztem Weißdornholze, und ge— wöhnlich auch eine Percuſſionsflinte. Die Kleidung die— fer Hirten pflegt aus Wämſern, kurzen Hoſen und Ga— maſchen von Bockleder zu beſtehen. Häufig ziehen ſie darüber noch kurze Jacken von Merinofellen, deren Wolle nach Außen gekehrt iſt, ſowie ſchurzfellartige, den Unter⸗ leib und die vordere Seite der Schenkel bedeckende Bein- kleider von demſelben Stoffe, die vermittelſt Riemen um die Beine und den Leib geſchnallt werden. Unförmliche

Die Hirten der Merinoheerden. 419

Schuhe von Ochſenleder, oder Espartoſandalen und ein breitkrämpiger ſpitzer Filzhut, oder blos eine Montera aus Tuch, oder noch häufiger aus Merinofell, vollenden die Kleidung dieſer ſonnenverbrannten, bärtigen, halbwilden Menſchen, welche Banditen ähnlicher ſehen, als Hirten, und doch meiſt ganz gutmüthige und harmloſe Leute ſind. Die Mavyorals pflegen ein Reitpferd, ſowie einige Maul— thiere oder Eſel zum Transport der Lebensmittel, des Salzes für die Schaafe, der Kochgeräthe, der Zelte und anderer Utenſilien zu ihrer Dispoſition zu haben und vier— bis ſechstauſend Realen Jahresgehalt zu bekommen. Die Unterhirten werden je nach ihrer Brauchbarkeit bezahlt, erhalten jedoch nicht über 150 Realen Jahreslohn. Außer— dem erhält jeder Hirt täglich zwei Pfund Weizenbrod und jeder Hund eine gleiche Menge eines ſchlechteren Brodes.

Die meiſten Merinoheerden gehören Grundbeſitzern von Altcaſtilien und Leon an; auch gilt die caſtilianiſche und leoneſiſche Wolle für die beſte. Ueber die Zahl der gegenwärtig in jenen Landſchaften oder überhaupt in Spa— nien vorhandenen Merinoſchafe habe ich nichts in Erfah— rung bringen können; in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts betrug ſie nach Bowles ungefähr fünf Mil— lionen. Die gegenwärtige jährliche Ausfuhr von Merino— wolle aus Alteaſtilien ſchätzt man im Durchſchnitt auf 30,000 Centner. Vom April bis Juni pflegen die Heerden in den genannten Landſchaften zu weiden, ſpäter ziehen die

27?

120 Vorrechte der wandernden Merinoheerden.

Hirten mit ihnen in die benachbarten Gebirge und auf die hohen Plateau's von Soria, Molina de Aragon und Cuenca, wo es, beſonders in den feuchten Niederungen und Thälern, ſelbſt im hohen Sommer nicht an kurzem Graswuchs und zarten Kräutern mangelt. Auch die Steppengegenden Neu— caſtiliens und Niederaragoniens beſuchen die Hirten nicht ſelten, halten ſich jedoch daſelbſt nie lange Zeit auf, weil der Genuß der Salzpflanzen, die von den Schaafen ſehr begierig gefreſſen werden, dieſen ſchadet oder wenigſtens die Wolle verdirbt, wie die Hirten behaupten. Gegen das Ende des September beginnen die Wanderungen nach den Winterquartieren, welche ſich in den Ebenen Eſtre— madura's und Niederandaluſiens befinden, woſelbſt die Heerden bis zum März bleiben, worauf ſie wieder nach dem nördlichen Centralſpanien zurückkehren. Den Vor⸗ ſchriften der Meſta gemäß müſſen die Heerden auf be— ſtimmten Routen nach den genannten Landſchaften wan— dern, und paſſiren frei, ohne irgend eine Art von Abgaben entrichten zu dürfen, durch das Gebiet der Ortſchaften. Da, wo ihr Marſch ſie durch angebautes Land führt, müſſen die Grundbeſitzer für einen Weg von 90 Fuß Breite ſorgen, folglich ein nicht unbedeutendes Stück ihres Bo— dens unangebaut laſſen. Auch dürfen jene Gegenden, wo die Merinos zu weiden pflegen, nicht angebaut werden. Aus dieſem Grunde ſind die wandernden Heerden dem Aufſchwunge des Ackerbau's in Centralſpanien und Ans

Nachtheilige Folgen der Meſta. 1424

daluſien ſehr hinderlich. Eben ſo nachtheilig ſind ſie in forſtlicher Beziehung. Die Meſta ermächtigt nämlich die Hirten, da, wo ſie den Winter zubringen und auch wäh— rend ihrer Wanderungen, von jedem Waldbaum einen Aſt abzuhauen, um Holz zur Errichtung ihrer Hütten, der Hürden für die Schaafe u. a. m., ſowie Brennmate— rial zur Bereitung der Speiſen zu haben. Auf dieſe Weiſe gehen oft die ſchönſten Bäume zu Grunde, indem ſie in Folge der vielen Verſtümmelungen kernfaul werden. In den Weidegegenden Eſtremadura's findet man ſelten einen Baum, der nicht verſtümmelt wäre.“)

*) Ueber die Behandlung der Merinoſchaafe, wenigſtens wie dieſelbe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrieben wurde, finden ſich ausführliche Nachrichten bei Bowles (franzöſiſche Ueber— ſetzung, S. 469 478.) Ich ſelbſt habe keine Gelegenheit gehabt,

Erkundigungen über die gegenwärtige Art und Weiſe der Meriuo— zucht einzuziehen.

Ip Spanien im Jahre 1850.

Sch habe an vielen Stellen der Schilderung meiner _ zweiten Reife in Spanien Gelegenheit gefunden, zu be- merken, daß dieſes Land ſeit der Mitte der vierziger Jahre, wo ich mich zum erſten Male daſelbſt befand, bedeutende Fortſchritte gemacht habe. In der That iſt nicht zu ver— kennen, daß gegenwärtig und ſchon ſeit einer Reihe von Jahren daſelbſt ein gewaltiger materieller Aufſchwung ſtattfindet, welcher für die Zukunft dieſes herrlichen, von der Natur ſo außerordentlich begünſtigten Landes zu den ſchönſten Erwartungen berechtigt. Aber auch in intellee⸗ tueller Hinſicht hat Spanien ſeit einem Jahrzehent und länger Fortſchritte gemacht, die der Beachtung wohl werth ſind. Ich halte es daher nicht für unpaſſend, am Schluſſe dieſes Werkes eine gedrängte überſichtliche Darſtellung der gegenwärtigen Verhältniſſe Spaniens zu geben, ſoweit ich über dieſelben durch eigne Anſchauung und Studien ein Urtheil erlangt habe. Der Ueberſichtlichkeit halber will ich dieſe Schilderung in rubricirter Form geben.

Eintheilung Spaniens. 1423

Adminiſtration Spaniens. Spanien iſt gegen— wärtig, und ſchon ſeit langer Zeit in Provinzen einge— theilt, welche hinſichtlich ihrer Verwaltung den franzöſi— ſchen Departements ſehr ähnlich ſind. Es giebt deren im Ganzen 47. Nichtsdeſtoweniger wird die alte Einthei— lung der Königreiche, Fürſtenthümer u. ſ. w. noch bei— behalten, beſonders von dem Volke, dem dieſe viel ge— läufiger iſt, als die neue. Es giebt demnach in Spanien folgende Landſchaften oder Reiche und Provinzen:

1) Das Fürſtenthum Catalonien. Zerfällt in die Pro- vinzen von Lerida, Gerona, Barcelona und Tarragona. 2) Das Königreich Aragonien: Provinzen von Huesca,

Zaragoza und Terueél.

3) Das Königreich Valencia: Provinzen von Caſtellon de la Plana, Valencia und Alicante.

4) Das Königreich Murcia: Provinzen von Murcia und Albacete.

5) Andaluſien.

a. Das Königreich Granada: Provinzen von) 2 | Almeria, Granada und Malaga. 8 8 b. Das Königreich Jaen: Provinz von Jaen. S c. Das Königreich Cordoba: Provinz von 3 Cordoba. =: d. Das Königreich Sevilla: Provinzen von ag Sevilla, Cadiz und Huelva. &

6) Eftremadura: Provinzen von Badajoz und Gäceras,

42% Eintheilung und Adminiſtration Spaniens.

7) Das Königreich Leon: Provinzen von Salamanca, Zamora und Leon.

8) Neucaſtilien: Provinzen von Madrid, Toledo, Ciudad-Real, Cuenca und Guadalajara.

9) Alteaſtilien: Provinzen von Soria, Segovia, Avila, Valladolid, Burgos, Logrono, Palencia und Santander.

10) Das Königreich Navarra: Provinz von Pamplona. 11) Die baskiſchen Provinzen: Avila, Guipuzcoa, Vizeaya. N 12) Das Fürſtenthum Aſturien: Provinz von Oviedo. 13) Das Königreich Galicien: Provinzen von Lugo,

Orenſa, Pontevedra und la Coruna. N

Jede Provinz zerfällt wieder in Diftriete (distritos) oder Wahlbezirke. Es giebt Provinzen erſter, zweiter und dritter Klaſſe. Provinzen erſter Klaſſe ſind die von Madrid, Zaragoza, Barcelona, Valencia, Granada, Se— villa und la Coruna. Von der Adminiſtration der bas— kiſchen Provinzen iſt bereits die Rede geweſen. In allen übrigen Provinzen beſtehen neben einander eine militäri— ſche und eine civile Verwaltung. Die Militärverwaltung ſteht in den Provinzen erſter Klaſſe unter einem Gene— ralcapitän, in den Provinzen zweiter und dritter Klaſſe unter einem Generalcommandanten, welcher dem militäriſchen Range nach mindeſtens Generalmajor (Mari- sal de campo) ſein muß. Der Generalcapitän oder

Adminiftration Spaniens. 425

Generalcommandant reſidirt in der Provinzialhauptſtadt; in den Diſtrictshauptſtädten (cabezas de pastido) ſteht ein Commandante de armas an der Spitze des Militärweſens. Die oberſte Leitung der Civilverwaltung hat in jeder Provinz der Geke politico. Unter ſei— nem Befehl ſtehen die Alcaldes mayores und Al- caldes der Diftriete und einzelnen Ortſchaften, welche das eigentliche Verwaltungsweſen, ſowie die Commis sarios und Celadores de policia, welche das Po— lizeiweſen unter ſich haben. In den kleinern Ortſchaften liegen dem Alcalde gleichzeitig die Verwaltung und das Polizeiweſen ob. Die Gefes politicos, Alcaldes mayores und Polizeicommiſſäre find königliche, die Alcalden und ihre Untergebenen (in den großen Städten giebt es Te- nientes de Alcalde, Alcalden-Lieutenants) ſtädtiſche oder Municipalbeamte. Die Unterpolizeikommiſſäre (Celadores de barrio), ſowie die Polizeidiener (Agentes de policia) werden durch den politiſchen Chef ernannt. Schon aus dieſen Bemerkungen wird meinen Leſern zur Genüge ein leuchten, daß Spanien ein vollſtändiger Militär- und Polizeiſtaat iſt. Die geſammte Adminiſtration der Mon— archie ſteht unter dem Miniſterium des Innern (Ministe- rio de la gobernacion del Reino).

Rechtspflege. Der oberſte Gerichtshof der ſpani— ſchen Monarchie, gegen deſſen Sentenzen keine Appellation mehr ftattfinden kann, iſt das Tribunal supremo de

426 Die Rechtspflege Spaniens.

Justicia, welches ſich in Madrid befindet. Derſelbe zerfällt in drei Abtheilungen oder „Säle“ (alas), von denen eine ſich einzig und allein mit den juridiſchen An⸗ gelegenheiten der ſpaniſchen Colonien beſchäftigt (das Tribunal de Indias). Dieſer oberſte Gerichtshof beſteht aus einem Präſidenten, 16 Gerichtsräthen (ministero) und zwei Fiscalen, und führt den Titel „Alteza“. Außer dem beſtehen mehrere Appellationsgerichtshöfe, Kudie n- clas territoriales, nämlich in der Hauptſtadt einer jeden Provinz erſter Klaſſe einer. An dieſe Gerichtshöfe, deren jeder aus einem Präſidenten (regente), 13 Ges richtsräthen und zwei Fiscalen zuſammengeſetzt iſt und den Titel „Escelencia“ beſitzt, wird von den Juzga- dos de primera instancia, deren es in einem jeden Diſtrict mindeſtens einen, in den größeren Städten meh- rere giebt, appellirt; gegen ihre Ausſprüche kann blos an das Tribunal supremo de justicia appellirt werden. Jeder Gerichtshof erſter Inſtanz beſteht aus dem „Juen de primera instancia‘“, einem „Promotor fiscal“ und vier Secretären (escribanas del crimen). Unter dieſen Richtern erſter Inſtanz ſtehen die „Regidores de justicia“ oder Dorfrichter der kleinen Ortſchaften. Dieſe, ſowie die Richter erſter Inſtanz, haben eine Anzahl Gerichts— diener (alguaziles) zu ihrer Dispoſition. Für Preßver⸗ gehen beſteht in jeder Provinzialhauptſtadt ein Geſchwo— renengericht (Tribunal jurado). Die Zahl der jedes—

Die Rechtspflege Spaniens. 427

aligen Geſchworenen (jurados) beläuft ſich auf neun. ieſelben werden durch das Loos gewählt. Geſchworener un ein jeder anſäſſige und unbeſcholtene Mann ſein, elcher eine beſtimmte Summe Steuer entrichtet. Die erhandlungen der Geſchworenengerichte ſowie der Appel— tionsgerichtshöfe ſind öffentlich. Sowohl der oberſte zerichtshof, als die Appellationsgerichtshöfe und die uzgados de primera instancia find königlich und wer— en daher ihre Beamten von der Regierung ernannt. Außer dieſen königlichen Gerichten beſtehen aber noch eine Nenge Patrimonialgerichte, von denen an den oberſten zerichtshof des Königreichs appellirt wird. Noch find inige beſondere Gerichtshöfe zu erwähnen, welche ſich immtlich in Madrid befinden, nämlich: das Tribunal special de Orderos, welches in allen Civil- und Friminalſachen der Ritter der vier militäriſchen Orden on Santiago, Alcantara, Calatura und Monteſa erkennt, ind gegen deſſen Ausſprüche allein an das Tribunal le la Rota, oder das geiſtliche Gericht, appellirt werden ann. Letzteres iſt der oberſte Appellations-Gerichtshof in len kirchlichen Angelegenheiten, und beſteht aus ſechs Ineces cclesiasticos. Sein Präſident tft der päbſtliche Nuntius. Zwei andere befondere Gerichtshöfe find das Tribunal supremo de Guerra y Marina, welches ſeit dem Jahre 1834cbbeſteht, und aus einem Präſidenten und zwölf ſtimmberechtigten Beiſitzern, die ſtets Generale fein müſſen,

428 Das Unterrichtsweſen Spaniens.

zuſammengeſetzt iſt, und das oberſte Appellationsgericht in Militärſachen bildet; und das Tribunal mayor de l Cuentas, welches 1826 ins Leben trat und die oberſte | Gerichtsbehörde in allen finanziellen Angelegenheiten if.) Dieſer Gerichtsſal gehört zum Departement des Finanz- miniſteriums, wie der vorher genannte zu dem des Kriegs⸗ miniſteriums; die ganze übrige Rechtspflege tft mit Aus⸗ nahme der kirchlichen, welche unabhängig daſteht, vom Juſtizminiſterium (Ministerio de Gracia y Justicia) ab- hängig. 4 Unterrichtsweſen. Mit Ausnahme der baskiſchen Provinzen iſt bis jetzt in Spanien noch nirgends der Schulzwang eingeführt. Erſt in den letzten Jahren hat man angefangen, Elementarſchulen, Escuelas de pri- meras letras, auch in den kleinen Ortſchaften zu er— richten. In den Städten haben dergleichen ſchon lange beſtanden. In vielen Ortſchaften giebt es auch Freiſchulen, Escuelas gratuitas. Für die Fortbildung der erwachſe— nen Jugend beiderlei Geſchlechts ſind die Colegios be— ſtimmt, deren ſich faſt in allen Städten welche befinden. Außerdem exiſtirt in jeder Provinzialhauptſtadt ein Insti- tuto, unter welchem Namen man eine höhere zur Vorberei- tung auf die Univerſitätsſtudien beſtimmte Bildungsanſtalt für die männliche Jugend verſteht. Dieſe Institutos, welche erſt vor wenigen Jahren auf königlichen Befehl in's Leben getreten find, entſprechen jo ziemlich unſern Gym⸗

Die Unterrichtsanſtalten Spaniens. 129

aſien. In Madrid und andern großen Städten beſtehen uch Handelsſchulen, Escuelas de Comercio und ealſchulen, Escuelas de artes. Univerſitäten giebt s gegenwärtig neun, nämlich: Madrid, Sevilla, Va— Imeia, Barcelona, Santiago de Compoſtela, Zaragoza, Föranada, Salamanca und Oviedo. Die erſten fünf find niverſitäten erſten, die übrigen zweiten Ranges. Außer ieſen bisher angeführten Unterrichtsanſtalten exiſtiren och einige beſondere, nämlich: Die Escuela especial le Ingenieros de caminos oder Bildungsanſtalten für eodäten und Civil-Ingenieure, die Escuela especial le Ingenieros de minar oder die Bergacademie, das solegiomilitar general oder das allgemeine Kadetten— aus, die Escuela normal seminario de maestres der das Schullehrerſeminarium, die Escuela de far- nacia oder Apotheker-Schule, das Conservatorio le musica, die Academia de nobles artes de zan Fernando oder die Maleracademie, die Es- zuela de sordomudos oder die Taubſtummenanſtalt, die Escuela normal de viegos oder die Blinden— chule, (alle bisher genannten Anſtalten befinden ſich in Madrid), die Escuela especial de selvicultura oder die Forſtacademie zu Villavicioſa, die Real Aca- demia de Ingenieros oder die Bildungsanſtalt der Militäringenieure zu Guadalajara, die Escuela de Artilleria zu Segovia und die Escuela de guar-

430 Die Unterrichtsanftalten Spaniens.

dias marinas oder Marinefchule in San Fernando auf der Isla de Leon bei Cadix. Die Mehrzahl dieſer Unterrichtsanſtalten find königlich. Von den verſchiedenen Academien, welche es in Madrid giebt, tft ſchon in mei: nem erſten Reiſewerke die Rede geweſen. Ich bemerke hier nur, daß durch ein königliches Deeret vom 25. Februar 1847 die Academia de ciencias naturales aufgehoben und an ihrer Stelle eine Academia de ciencias nach dem Muſter der pariſer Academie der Wiſſenſchaften gegründet worden iſt, welche bereits ſehr Achtenswerthes geleiſtet hat. Im Jahre 1850 erſchien der erſte Band ihrer „Memorias“ (Verhandlungen), in denen ſich ſehr intereſ— ſante Aufſätze aus dem Gebiete der mathematiſchen, phyſt— kaliſchen und Naturwiſſenſchaften befinden. Noch exiſtiren ſowohl in Madrid als in den größeren Provinzialhaupt— ſtädten eine Menge von ſpeciellen Unterrichtsanſtalten, welche theils von den ſtädtiſchen Behörden, theils von philantropiſchen und gelehrten Geſellſchaften (beſonders von den Sociedades economicas de amigos del pais), theils von Privatleuten gegründet worden ſind, als: Zeich— nenſchulen, mathematiſche und nautiſche Schulen, Anſtalten zur Unterrichtung der Handwerkslehrlinge u. dgl. m. Die oberſte Behörde in dem geſammten Unterrichtsweſen iſt das Ministerio de Comercio, Instruccion y Obras publicas.

Heer und Flotte. Der gegenwärtige Beſtand der

Das ſpaniſche Militärweſen. 434

ſpaniſchen Landarmee und der Kriegsflotte iſt mir nicht bekannt. Die Armee befindet ſich, ſoweit ich es beur— theilen kann, auf einem brillanten Fuße. Ganz beſonders ausgezeichnet ſind die Cavallerie und Artillerie, desgleichen das Geniecorps. Letzteres iſt ſeit dem Jahre 1850 nach preußiſchem Zuſchnitt, mit Waffenröcken und Pickelhauben equipirt. Unter das Kriegsminiſterium (Ministerio de la guerra) gehört auch das Corps der Guardias ci- viles oder königlichen Gensd'armerie, eine Schöpfung des Generals Narvaséz, welches eine ganz vortreffliche Truppe iſt und aus lauter ausgedienten und ausgewähl— ten Soldaten beſteht. Es giebt berittene Gensd'armen und Gensd'armen zu Fuß. Sie ſind equipirt und aus— gerüſtet, wie die franzöſiſchen Gensd' armen. Die Ge— ſammtzahl derſelben beläuft ſich, wenn ich nicht irre, auf 15000. Sie bilden ein vollſtändig organiſirtes mili— täriſches Corps, haben ihre Generale, ihre Oberſten, Haupt— leute u. ſ. w. In allen an den Chauſſeen und frequen— tirteren Fahr- und Reitwegen gelegenen Ortſchaften ſind gegenwärtig Guardias eiviles ſtationirt. Sie bewohnen ein beſonderes Haus, welches den Namen Casa-cuartel de Guardias eiviles führt, und haben die Verpflichtung, die Wege zu begehen, für deren Sicherheit zu ſorgen und auf alle verdächtige Perſonen zu achten, und die Diebe, Räuber, entſprungene Sträflinge, Deſerteure u. ſ. w. zu arretiren und an die betreffenden Behörden abzulie—

132 Das ſpaniſche Militärweſen. Die Flotte.

fern. Sie pflegen die Straßen immer paarpeiſe zu bes gehen. Dieſen Gensd'armen verdankt man vorzugsweiſe die gegenwärtige Sicherheit des Reiſens in Spanien. Freilich werden ſie den Reiſenden oft läſtig, da ſie das | Recht haben, Jedermann, wo und wenn es ihnen beliebt, die Legitimationen abzufordern und Denjenigen, der ſich nicht legitimiren kann, zu arretiren. Die Guardias ei- viles bekommen einen ſehr hohen Sold (ein Gensd'arm zu Fuß 10 Realen = 20 Silbergroſchen täglich, ein bes rittener das Doppelte) und ſind daher die zuverläſſigſte Truppe, welche die Regierung beſitzt. Von den Migue le- tes der baskiſchen Provinzen, Cataloniens und Valencia's iſt bereits die Rede geweſen. Dagegen muß ich hier noch die ſtädtiſche Municipalgarde von Madrid erwähnen (Guardia municipal), welche erſt ſeit vorigem Jahre be— ſteht. Es iſt dies eine brillant equipirte Cavallerie, der die Aufrechterhaltung der Ordnung auf den Plätzen und in den Gaſſen von Madrid obliegt. Die Municipalgar⸗ diſten tragen dunkelgrüne Waffenröcke, graue Hoſen, Kanonenſtiefeln und Stahlhelme mit Roßhaarſchweifen. Sie ſind mit einem langen, geraden Schwerte, einem Karabiner und zwei Piſtolen bewaffnet. Auch die Flotte hat in dem letzten Jahrzehnt einen ſehr bedeutenden Auf— ſchwung genommen. Die ſpaniſche Armada beſitzt gegen— wärtig über zwanzig Kriegsdampfer, darunter mehrere Fregatten; von Segelſchiffen drei Linienſchiffe, einige

Das Forſtweſen Spaniens. 1433

Fregatten, mehrere Corvetten, viele Briggs und eine große Zahl kleinerer Fahrzeuge. Jetzt eben baut man in den Arſenalen der Carraca von Ferrol und Cartagena an mehreren Fregatten. Das Arſenal von Cartagena wel— ches ſich noch 1846 in einem ſo traurigen Zuſtande be— fand, wird jetzt wieder vollſtändig rehabilitirt. Das See— weſen iſt Sache des Marineminiſteriums (Ministerio de la Marina, Comercio y Gobernacion del Ultramar.)

Forſtweſen. Seit einiger Zeit hat die Regierung auch angefangen, den Waldungen, deren Erhaltung und Wiederherſtellung, eine größere Aufmerkſamkeit zu ſchen— ken, als in früherer Zeit. Zu dem Zwecke iſt ganz Spanien in Forftdiftricte, ich weiß nicht, wie viele, eingetheilt worden. Jedem Forſtdiſtricte ſteht ein In— ſpector vor, welcher ein wiſſenſchaftlich gebildeter Forſt— mann ſein muß. Jeder Diſtrict zerfällt in Unterdiſtricte, von denen ein jeder der Sorge eines Guardamonte mayor (Oberförſters) anvertraut iſt, welcher wiederum eine Anzahl Guardamontes (Korfthüter, keine wiſſen— ſchaftlich gebildeten Förſter) zu ſeiner Dispoſition hat. Die im Jahre 4847 gegründete Academie zu Villavicioſa hat den Zweck, tüchtige Forſtbeamte heranzubilden. Das Forſtweſen ſteht unter dem Finanzminiſterium (Ministerio de la Hacienda).

Bergweſen. Kein Zweig der Induſtrie hat in Spanien in den letzten Jahrzehnten einen ſo raſchen und

Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 28

434 Adminiſtration des Bergweſens.

bedeutenden Aufſchwung genommen, wie der Bergbau. Urſachen davon waren vorzugsweis die Entdeckungen der reichen Silbergänge der Sierra Almagrera und von;, Hiendelaéncina. Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier nur eine gedrängte Ueberſicht der jetzt im Gange befindlichen Gruben in Spanien geben. Ich beſchränke mich daher nur darauf, einige Notizen über das Adminiſtra⸗ tive des Bergweſens hier niederzulegen. Ganz Spanien iſt gegenwärtig in 27 Bergdiſtricte oder Inſpectionen (distritos mineros, inspecciones de minas) eingetheilt, nämlich: Aſturien und Galicien, Catalonien, Granada und Almeria, Linaras, Mancha, Madrid, Marbella, Rio— Tinto, Sierra Almagrera, Valencia, Alava, Albacete, Badajoz, Burgos, Cäaceras, Cadiz, Cuenca, Guipuzcoa, Leon, Logruna, Palencia, Pamplona, Salamanca, San— tander, Soria, Vizcaya und Zamora. Jeder Didſtrict ſteht unter einem Inſpector, welcher ein gelernter und er— probter Bergingenieur ſein muß. Die Inſpectoren ſtehen wieder unter den Befehlen dreier Inspectores generales. Die Leitung des geſammten Bergweſens tft dem Direc- tor general del Cuerpo facultativo de Ingenieros de minas, welcher zugleich der Director der Bergacademie zu Madrid iſt, anvertraut. Alle dieſe Beamten, des— gleichen die Bergingenieure, ſind königliche Beamte. Auch das Bergweſen gehört zu dem Departement des Finanz miniſteriums.

Ackerbau und Induſtrie. 1435

Ackerbau, Induſtrie, Handel und Gewerbe. Trotz der lobenswerthen Bemühungen der ökonomiſchen | Geſellſchaften hat der Ackerbau im Allgemeinen noch keine ſolchen Fortſchritte gemacht, wie zu wünſchen wäre. Na— mentlich befindet ſich derſelbe in Centralſpanien, in Ara— gonien und Niederandaluſien noch auf einer ziemlich tiefen Stufe, aus Urſachen, welche ich bereits angegeben habe. In einem beſſeren Zuſtande befindet ſich die Bodencultur | in Galicien, Aſturien, Granada und Murcia; in einem ö

blühenden in den baskiſchen Provinzen, in Navarra, Cata— lonien und vor Allem in Valencia). Mehr als der Acekerbau haben ſich in den letzten Jahren die Induſtrie und das Fabrikweſen gehoben. Die fabrikthätigſten Theile Spaniens ſind Catalonien und die baskiſchen Provinzen. Die hauptſächlichſten Gegenſtände der Fabrication ſind Papier, Leder, Seiden, Baumwollen- und Schaafwollenge— webe, Eiſenwaaren, blanke Waffen und Schießgewehre, Taue und andere Seilerfabricate, Geflechte und Gewebe aus Esparto, Palmenbaſt, Pita und Hanf u. ſ. w. Von allen dieſen Artikeln war eine ziemlich reiche Aus— wahl, und von vielen in vortrefflicher Qualität auf der Induſtrieausſtellung zu Madrid im Herbſte 1850 zu ſehen. Hand in Hand mit dem Aufblühen der In⸗

) Ausführliche Nachrichten über den ſpaniſchen Ackerbau babe ich in Dr. Hamm's Agronomiſcher Zeitung von dieſem Jahre mitgetheilt.

28

436 Handel und Gewerbe. Straßenbau.

duſtrie geht ſtets das Aufblühen des Handels. Derſelbe hat ſich gegen früher bedeutend vergrößert und iſt fort—

während im Wachſen begriffen. Die Haupthandelscentra

ſind Barcelona, Valencia, Malaga, Sevilla, Cadiz, la Coruna, Santander, Bilbao und Madrid. Die Impor⸗ tation iſt durch bedeutende Zollerniedrigungen erleichtert, der Schmuggelhandel dagegen durch Vermehrung und beſſere Beſoldung der Zollbeamten und Gränzaufſeher und durch Einrichtung doppelter Zolllinien längs der franzö—

ſiſchen Gränze bedeutend erſchwert worden. Unter den

Gewerben will ich nur eines erwähnen, welches in neuerer Zeit eine ziemlich große Bedeutung erlangt hat. Es iſt dies die Bierbrauerei. Faſt in allen größeren Städten giebt es gegenwärtig große Brauereien (die meiſten ſind von Deutſchen, beſonders Bayern errichtet), welche ſehr ausgebreitete und einträgliche Geſchäfte machen, da die Spanier das Bier als Erfriſchung, beſonders im Sommer, ſehr lieben.

Straßen, Canäle, Eiſenbahnen. Seit meiner erſten Reiſe in Spanien iſt für die Communication im Innern des Landes ſehr viel gethan worden. Es ſind mehrere neue Chauſſeen gebaut worden und viele waren, wie ich bei den vorhergehenden Schilderungen zu bemerken Gelegenheit gehabt habe, damals im Baue begriffen. Auch iſt jetzt für die Erhaltung der Straßen trefflich geſorgt durch die Errichtung des Corps der Camineros (Ötraßen-

Straßen, Kanäle und Eiſenbahnen. 437

wärter). Dieſelben ſind vollkommen militäriſch organiſirt und uniformirt. Von Legua zu Legua iſt ein maſſives Häuschen an den Straßen errichtet worden, welches die Aufſchrift trägt: „Casa de los piones camineros de la legua „und zur Wohnung der Straßenwärter bes ſtimmt iſt. Letztere tragen braune Röcke mit rothen Aufſchlägen, glanzlederne Hüte mit Meſſingſchildern, auf denen die Nummer des Caminero ſowie das königliche Wappen eingegraben ſteht, und ſind zu ihrer Vertheidigung und zum Schutze des Weges mit kurzen Bajonnettflinten und Seitengewehren bewaffnet. Jetzt ſollen die Straßen auch mit Bäumen bepflanzt werden. Desgleichen will man die Camineros zur Hebung der Forſtcultur benutzen, indem fie laut eines königlichen Decrets von dieſem Sommer (1852) ermächtigt worden find, Anpflanzungen von Wald— bäumen in der Nähe ihrer Wohnungen zu machen, deren Nutznießung ſie haben ſollen. Seit vorigem Jahre iſt auch die Anlegung eines ſchiffbaren Canals von Cordova nach Sevilla in Angriff genommen worden. Desgleichen ſoll der Ebro vom Ende des Canals von Aragonien bis zur Mündung ſchiffbar gemacht werden. Eiſenbahnen exiſtiren zwei, allerdings von geringer Länge, nämlich von Madrid nach Aranjuez und von Barcelona nach Mataro. Projectirt ſind Eiſenbahnlinien von Aranjuez nach Valencia und Sevilla, ſowie von Madrid nach Santander. Poſten- und Telegraphenweſen. Früher konnten

438 Das Poften- und Telegraphenweſen.

blos Briefe per Poſt befördert werden. Während meines erſten Aufenthalts in Spanien wurden die erſten Sillas-

Correas, königliche den franzöſiſchen Malle-postes ent-

ſprechende Eilfahrpoſten eingeführt. Gegenwärtig gehen ſolche auf allen von Madrid nach den größern Provinzial⸗ hauptſtädten laufenden Straßen. Die Sillas-Correas neh- men blos Paſſagiere mit wenig Gepäck auf und befördern leichte Packereien. Sie gehen ebenſo raſch, wie die er— wähnten franzöſiſchen Poſten. Das Briefporto iſt in neuerer Zeit ſehr ermäßigt worden durch die Einführung der Fran— comarken. Dieſelben ſind in Spanien bereits ſeit dem Jahre 1849 üblich. Es giebt blos eine Klaſſe von Mar— ken, indem das Porto für einen einfachen Brief, gleichviel, ob derſelbe blos einige Leguas weit oder von einem Ende der Monarchie bis zum andern geht, auf 6 Cuartos (etwa 15 Pf.) feſtgeſetzt worden iſt. Etwas ganz Neues ſind die Telegraphen, deren Einrichtung ich im erſten Theile dieſer Schilderungen beſchrieben habe. Es exiſtiren gegenwärtig Telegraphenlinien von Madrid nach der fran— zöſiſchen Gränze (über Burgos und Vitoria), nach Valla⸗ dolid, Leon und la Coruna, nach Zaragoza und Barcelona, nach Valencia, nach Granada und Malaga, ſowie nach Cordova, Sevilla und Cadiz. Die Telegraphen und ihre Beamten ſtehen unter der Aufſicht des Miniſteriums des Innern und des Miniſteriums der auswärtigen Angele— genheiten (Ministerio de Estado).

Transportmittel. 439

Transportmittel. Auch die Transportmittel ha— ben ſich gemehrt. Früher exiſtirten nur wenige Galeros, Carros de Ordinerias und Diligencias, welche Güter und Perſonen beförderten; jetzt giebt es deren eine große Anzahl. Die Diligencias generales de Espana exiſtiren noch, die Diligencias peninsolares dagegen haben ſich in drei Diligencencompagnieen verwandelt, in Diligencias del Norte, Oriente und Mediodia de Espana. Außer | diefen find noch viele andere Diligencen eingerichtet wor— | den. Die ſpaniſchen Diligencen befördern Perſonen und Güter aller Art, gleich den franzöſiſchen, und fahren auch eben ſo ſchnell. Die Fahrpreiſe ſind auch bedeutend er— | mäßigt worden. Außer den Diligencencompagnieen haben ſich Geſellſchaften zur Transportirung von Gütern gebildet. | Dahin gehören die Trasportes acelerados de la Union, | deren Sitz in Prun iſt und welche den Gütertransport von dort nach Madrid, Bilbao und Pamplona beſorgen. Zwiſchen den großen Heerſtraßen muß im Innern des Landes allerdings noch Alles auf Maulthieren und Eſeln fortgeſchafft werden. Indeſſen auch in jenen Gegenden dürfte die Communication gewiß ſehr bald durch Anlegung von Fahrſtraßen erleichtert werden. Was die Communi— cation zur See betrifft, ſo gehen jetzt nicht blos Dampf— ſchiffe längs der Küſte des mittelländiſchen Meeres hin und her, ſondern es findet auch eine regelmäßige Dampf— ſchifffahrtsverbindung zwiſchen Havre de Grace, Santan—

440 Armenhäuſer und Correctionsanftalten. Wiſſeuſchaften

der, Gijon, la Coruna, Viga, Oporto, Liſſabon und Cadiz ſtatt. Es ſind theils franzöſiſche, theils engliſche, theils ſpaniſche Dampfer, welche den Dienſt auf dieſer Linie verſehen. Armenhäuſer und Correctionsanſtalten. Faft | in allen größern Städten find in den letzten Jahren for genannte Asilos de la Mendicidad Gufluchtsorte für Bettler) errichtet worden. In denſelben hat man die Bettler verſammelt und beſchäftigt dieſelben durch ange— meſſene Arbeiten. In Madrid ſieht man faſt keinen ein— zigen Bettler mehr. Auch an Correctionsanſtalten iſt kein Mangel. Es befinden ſich dergleichen für beiderlei Geſchlecht in vielen großen Städten. Die Mehrzahl der ſelben datirt ebenfalls aus der neueſten Zeit. Wiſſenſchaften, Künſte, Literatur. Schon in meinem erſten Reiſewerke habe ich, wie ich hoffe, nach— gewieſen, daß die Literatur, die Künſte und Wiſſenſchaften damals in einem neuen Aufblühen begriffen waren. In demſelben iſt ſeitdem glücklicherweiſe kein Stillſtand oder Rückſchritt eingetreten; im Gegentheil haben dieſelben bedeutende Fortſchritte gemacht. Die Tagesliteratur hat allerdings, beſonders in neueſter Zeit, durch die bedeu— tende Beſchränkung der Preßfreiheit abgenommen; deſto mehr iſt dafür in künſtleriſcher und wiſſenſchaftlicher Be— ziehung geleiſtet worden. Selbſt die Naturwiſſenſchaften beginnen neu aufzuleben. Man gebe Spanien nur noch

und Künſte. 1441

zehn Jahre Friede und Ruhe und dazu ſind die ſchön— ſten Hoffnungen vorhanden und dieſes Land wird auch auf dem Gebiete des Wiſſens, der Intelligenz bald eine würdige Stelle neben den übrigen Staaten Europa's ein— nehmen, denn ich wiederhole hier am Schluſſe meines zweiten Reiſewerkes, was ich in meinem erſten oft aus- geſprochen habe die Spanier ſind ein hochbegabtes und urkräftiges Volk!

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Willkomm, Heinrich Moritz Wanderungen durch die nordostlichen und centralen

Provinzen Spaniens

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