■HB " ltk' i WAS WIR ERNST HAECKEL VERDANKEN S^SgggE]E]B]gggE]ggG]gE]gggEjggggggggG]E]E]E3gE]B]gE]ElG]E]gS]E]E]H]E]E]E]E]E] Von dieser Festschrift wurden außer der Auflage i Unikat auf van Gelder- Bütten für den Jubilar und 200 in der Presse numerierte Exemplare auf im. Japan abgezogen 33§1333S§lSBSE]3S51S3S5]SE]gggH]gEjB]E]B]gB]E]gE]gjEiE]ggB]g]g]BiBiBjB]gH]B]B]G] g33333gSSG]gggggE]ggggggE]gggE]ggggEjE]E]G]G]B]E]E]G]EjG]E]G]G]E]Q]E]E]5]G]Ej Den Druck dieser Festschrift besorgte die Spamersche Buchdruckerei; das Papier lieferte Berthold Siegismund; die Reproduktion der Abbildungen er- folgte in der Graphischen Kunstanstalt von Hermann Ludewig; sämtlich in Leipzig. Einband und Umschlag zeich- nete H. D. Leipheimer in Sersheim sasaasisiaaaaasaagaaaaasaaaaaasaaEiasisjaaaasaaasjsisasiasss E}B]G]S]g]E]E]G3gig]E]E]EjE]E]EjE]E]Si]Ss]S3sl33S!SSS3@333SSS]S5iS3!13S333SS3S3SlS Nach einer Photographie des Ateliers „Lichtkunst", München iX^pf- teat-SLsyJizQ - -WAS WIR £u- ERNST HAECKEL VERDANKEN EIN BUCH DER VEREHRUNG UND DANKBARKEIT P . „aw IM AUFTRAG DES DEUTSCHEN MONISTENBUNDES HERAUSGEGEBEN VON HEINRICH SCHMIDT-JENA MIT 12 ABBILDUNGEN, DARUNTER 5 HAECKEL-PORTRÄTS ZWEITER BAND LEIPZIG 1914 VERLAG UNESMA G. M. B. H. Alle Rechte vorbehalten Copyright 1914 by Verlag Unesma G. m. b. H., Leipzig INHALT DES ZWEITEN BANDES o o o SPEZIELLER TEIL (FORTSETZUNG) Seite Rabl, Geheimrat Professor Dr. Carl, Leipzig i Kammerer, Privatdozent Dr. Paul, Wien 6 Loeb, Professor Dr. Jacques, Newyork 15 Rieß, Kaufmann Carl, Hamburg 17 Lipsius, Privatdozent Dr. Friedrich, Leipzig 22 Meyer, Professor Dr. R., Berlin 28 Beck, Professor Dr. Paul, Leipzig 34 Dosenheimer, Amtsrichter Emil, Ludwigshafen a. Rh 38 Wolfsdorf, freireligiöser Prediger Eugen, Nürnberg 43 Cr ut eher, Dr. med. Howard, Roswell, Neu-Mexiko 48 Flothuis, Oberlehrer M. H., Amsterdam 50 Bellesme, Professor Jousset de, Brüssel 56 Glatz, Kaufmann Friedrich, Wien 61 Koerner, Professor Ernst, Berlin 68 Leon, Professor Dr. Nicola, Jassy, Rumänien T$ Scheffauer, Hermann, London 75 T hie nie, Schriftsteller Friedrich, Weimar 83 Vogtherr, M. d. R. Ewald, Dresden 89 Daxenbichler, Frau Fanny, Salzburg 93 Weber, k. k. Ministerialrat, Alfred Ritter von Ebenhof, Wien 96 Schneider, Bankbeamter Hugo, Berlin 115 Holgers, Fräulein Maria, Berlin 120 Felden, Pastor an St. Martini, Bremen 125 Schweninger, Geheimrat Professor Dr. Ernst, München 130 Eulenberg, Herbert, Kaiserswerth a. Rh 138 Boerner, Schriftsteller Wilhelm, Leipzig 139 Altmann-Bronn, Frau Ida, Romberg i. Lothringen 142 Yung, Professor Dr. Emile, Genf 148 Baege, Dozent M. H., Friedrichshagen bei Berlin 150 Neu mann, Herausgeber von Reclams Universum Carl W., Leipzig .... 154 Brauckmann, Institutsdirektor Karl, Jena 156 Gadow, Professor Dr. Hans, Cambridge i. England 160 Hertwig, Geheimrat Professor Dr. Richard von, München 165 Sprenger, Dr. med. et phil. G., Mainz 171 Kahl, Schriftsteller August, Hamburg 172 Ficalbi, Professor Dr. Eugenio, Pisa 179 Walt her, Professor Dr. Johannes, Halle a. S 180 Unna, Professor Dr. P. G., Hamburg 182 Kocks, Professor Dr. J., Bonn 186 Leege, Karl O., Jena 207 Greil, Professor Dr. Alfred, Innsbruck 211 Spitzer, Professor Dr. Hugo, Graz 224 VII pggggggggggggEjgggEjggE]ggggE]ggg!ggg3!|]ggE]Ejci]FiF]EiE]E]E]B]E]BjB]E]§Ej Seite 233 238 239 240 244 247 256 258 259 266 269 272 282 285 291 298 304 307 308 309 317 325 329 335 3Si 357 359 362 367 373 376 Hatschek, Hofrat Professor Dr. Berthold, Wien Reichel, Eugen, Berlin Schwarz, Kgl. preußischer Kommerzienrat Arthur, Lichterfelde Regel, Professor Dr. Fritz, Würzburg McCabe, Joseph, London Goldscheid, Rudolf, Wien .... Zalisz, J. F., Leipzig Aigner, Dr. med. Eduard, München Lang, Professor Dr. Arnold, Zürich . Sokolowsky, Dr. Alexander, Hamburg Schaxel, Privatdozent Dr. Julius, Jena Brunner, Dr. med. Max, Wien . . . Hirschfeld, Dr. med. Magnus, Berlin Gilbert, Redakteur Leo, Wien .... Dopf, Arbeiter Karl, Hamburg . . . Knopf, Hofrat Professor Dr. Otto, Jena Mark, Professor Dr. E. L., Harvard University, Cambridge U. Palmen, Professor Dr. Axel, Helsingfors Plotke, Georg J., Frankfurt a. M delle Grazie, Schriftstellerin Fräulein Maria Eugenie, Wien Kotthaus, Carl, München Stöcker, Frau Dr. Helene, Berlin-Nicolassee Verworn, Professor Dr. Max, Bonn Fürbringer, Geheimrat Professor Dr. Max, Heidelberg . . . Kleinsorgen, Wilhelm, Berlin-Grunewald Bloch, Dr. med. Iwan, Charlottenburg Carraro, Oberlehrer Angelo, Wien Koltan, Schriftsteller Jakob, Heidelberg Schallmayer, Dr. Wilhelm, Krailling-Planegg b. München . Focke, Dr. med. Wilhelm, Bremen Reh, Dr. Ludwig, Hamburg Haeckel, Direktor des städtischen Krankenhauses Professor Stettin Leipziger Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes .... Huschke, Dr. Konrad, Mitgl. der Fürstl. Kammer, Greiz Friederici, Fräulein E., Berlin Lowie, Robert H., Newyork Buen, Professor Odon de, Madrid Paatsch, Handlungsgehilfe Max, Dessau Dr. Heinrich 383 391 398 401 404 408 410 VIII CARL RABL, LEIPZIG o o o Ich hatte auf dem Gymnasium, z. T. auf Anregung meines Vaters, z. T. wohl auch aus Opposition gegen die klösterliche Erziehung, die mir in Kremsmünster, einem Benediktinerstift in Oberösterreich, zuteil wurde, frühzeitig angefangen, entwicklungstheoretische Schrif- ten zu lesen. Namentlich hatten die „Schöpfungsgeschichte" von Burmeister, die Vorträge über die Darwinsche Theorie von L. Büchner und das Buch „Vor der Sündflut" von O. Fraas, — so verschieden sie in ihrer Tendenz waren, — in hohem Grade mein Interesse in An- spruch genommen. Zu Anfang des Jahres 1870, ich stand damals im siebzehnten Lebensjahre, wurde ich auf die populäre Kosmogenie von Philipp Spiller aufmerksam, die unter dem Titel „Die Entstehung der Welt und die Einheit der Naturkräfte" in Lieferungen erschien. In einer der Lieferungen fand ich die Bemerkung, daß soeben die 2. Auflage von Haeckels „Natürlicher Schöpfungsgeschichte", eines „klassischen Werkes", wie Spiller hinzufügte, erschienen sei. Spiller genoß damals als populär-wissenschaftlicher Schriftsteller großes An- sehen. Ich ließ mir sofort Haeckels Buch kommen, und mit dem Studium desselben entschied sich mein ganzes wissenschaftliches Leben. Ich las das Buch mit wahrer Andacht, Tag und Nacht, und immer wieder und war überzeugt, daß es über die großen, wichtigen Probleme, die es behandelte, kein besseres geben könne. Von da an beherrschte der Entwicklungsgedanke mein ganzes Tun und Denken. Alles, was ich bis dahin gelernt und gelesen hatte, verblaßte oder verschwand wohl auch völlig aus meinem Gesichtskreise; ich war glücklich, an Stelle des Kirchenglaubens, von dem meine ganze Umgebung durchtränkt war, eine freie, auf der Basis menschlicher Erkenntnis aufgebaute Lehre gesetzt zu sehen. Daß ich mit solchen Ansichten nicht zu meiner Umgebung und meine Umgebung nicht zu mir paßte, und daß daraus allerhand Mißhelligkeiten entsprangen, brauche ich nicht auseinanderzusetzen. Schon damals faßte ich den Entschluß, sobald sich dies irgendwie durchführen ließe, nach Jena zu gehen und bei Haeckel zu arbeiten. Zunächst aber ging ich, nachdem ich das Gymnasium absolviert hatte, nach Wien, um Medizin zu studieren. Zu diesem Studium 1 Haeckd-Festschrift. Bd. II I trieb mich nicht bloß eine von früher Kindheit genährte Neigung — mein Vater hatte mich, allerdings um mich abzuschrecken, schon als fünfjährigen Knaben zu Operationen mitgenommen, — sondern auch eine alte Familientradition. Die Lehrer, die in den ersten zwei Jahren für mich am meisten in Frage kamen, waren Hyrtl und Brücke. Hyrtl war einer der glänzendsten Redner und größten Schauspieler, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Zu uns Studenten trat er aber in kein näheres Verhältnis; ich hatte zwar versucht, ein solches anzubahnen, indem ich ihm ein von mir aus Lindenholz geschnitztes menschliches Skelett von etwa 70 cm Höhe überbrachte, jedoch bestand die Antwort eigentlich nur in salbungsvollen Reden über die Schwierigkeit des Studiums der Anatomie. Im Seziersaal kümmerte er sich wenig um uns. So konnte ich also aus der persön- lichen Bekanntschaft mit ihm wenig Nutzen ziehen. Zu Brücke aber trat ich erst in späteren Jahren in nähere Beziehung. Der Unterricht in der Zoologie lag damals in Wien recht im Argen. Zu zoologischen Übungen war keine Gelegenheit vorhanden. Der Zoologe Schrnarda, ein vielgereister Mann, der sehr amüsant er- zählen konnte, erlaubte mir zwar, die Universitätssammlung zu be- suchen, aber das war auch alles: weder er noch sein Assistent küm- merten sich um mich. Ich wandte mich daher an das naturhistorische Hofmuseum, fand aber auch dort nicht, was ich suchte. Ich wurde in die Abteilung für Echinodermen gewiesen und erhielt den Auftrag, die in den Schränken aufbewahrten Spatangiden zu bestimmen. Damit hatte ich aber keine große Freude, und so war ich denn wieder ganz auf mich selbst angewiesen. Um so mehr wuchs in mir der Wunsch, in einem zoologischen Laboratorium unter einer tüchtigen Leitung zu arbeiten. Aus diesem Grunde ging ich in meinem fünften Studiensemester (1873/74) nach Leipzig. Daß ich nicht sofort nach Jena ging, hatte in erster Linie darin den Grund, daß mir der Abstand zwischen dem Universitäts- leben einer so kleinen Stadt wie Jena und einer so großen wie Wien etwas zu gewaltig schien; ferner war ich bei meinen bisherigen Stu- dien so oft auf den Namen Leuckart gestoßen, daß ich den Wunsch hatte, ihn persönlich kennen zu lernen. An meine Leipziger Zeit denke ich immer mit aufrichtiger Freude und Dankbarkeit. Leuckart war ein prächtiger Mann, der sich um |E]gggggggG]ggggggE]gggggggggE]EigE]E]E]E]E]G]G]E]E]E]E]E]B]EJE]EJH]E]E]E]EJE]E]E] seine Schüler mit aufrichtiger Teilnahme kümmerte. Aber auch seine Assistenten und alle, die bei ihm arbeiteten, standen zueinander in sehr angenehmem, anregendem Verkehr. Nun benützte ich den sächsischen Bußtag (ungefähr 20. November) zu einem Ausflug nach Jena und Wei- mar. Ich gab natürlich ein paar Tage zu, so daß ich etwa 3 — 4 Tage von Leipzig wegblieb. Meine Absicht war vor allem, Haeckel persönlich ken- nen zu lernen und für den nächsten Sommer eine Wohnung zu mieten. Ich besuchte zunächst Haeckels Vorlesung. Offen gesagt, war ich davon etwas enttäuscht. An ihren Inhalt kann ich mich nicht mehr er- innern ; sie hat also augenscheinlich keinen großen Eindruck auf mich gemacht. Auch hatte ich erwartet, einen zum Erdrücken vollen Hör- saal zu finden, in dem mindestens die Hälfte aller Studenten Jenas ver- sammelt war. Ich fand aber einen recht kleinen Saal, der gähnende Lücken aufwies. Aber alles das konnte meine Verehrung Haeckels, die mittlerweile durch das Studium seiner „Generellen Morphologie der Organismen" noch gestiegen war, nicht im geringsten erschüttern. Nachmittags machte ich Besuch in Haeckels Wohnung. Es dürfte wohl unmittelbar nach Tisch gewesen sein, und ich fürchte fast, Haeckel im Nachmittagsschlummer gestört zu haben. Ich war eben zu jener Zeit noch ein richtiger Bauernjunge, der keine Ahnung davon hatte, daß es auch Menschen gibt, die nach Tisch zu schlafen pflegen. Übrigens ließ sich Haeckel nicht verleugnen; er kam im Schlafrock aus einem Nebenzimmer und hörte mich ruhig an. In der Tat: er hörte mich sehr ruhig an, und die Szene zwischen ihm und mir hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit der zwischen Mephisto und dem Schüler. Zwar trug ich ihm in Ehrfurcht und klopfenden Herzens meine Absicht vor, sein Schüler zu werden. Dann zeigte ich ihm die Zeugnisse über die in Wien bestandenen Prüfungen aus Zoologie, Botanik und Mineralogie, die die besten Noten auswiesen. Aber alles das machte auf ihn keinen Eindruck, und er entließ mich bald mit den Worten, ich solle nur im Sommer kommen. Als bald darauf Leuckart von meiner Absicht erfuhr, sagte er sehr bestimmt: „Wenn Sie nach Halle gehen, gebe ich Ihnen die besten Empfehlungen mit." Ich hatte aber nicht Lust, bei Giebel zu arbeiten, und blieb bei meinem Entschluß. In den nächsten Osterferien (1874) sammelte ich in meiner Heimat eine große Menge von Schneckenlaichen (Limnaea, Planorbis, Physa und Ancylus), zeichnete viele Embryonen und nahm die Zeichnungen nach Jena mit. Ich fragte Haeckel, ob ich nicht die angefangene Ar- beit weiterführen solle, was dieser entschieden bejahte. So entstand meine erste Arbeit „über die Ontogenie der Süßwasser-Pulmonaten"; sie war eine Erstlingsarbeit mit manchen Vorzügen, aber auch vielen Fehlern einer solchen. Das, was mir damals vor allem fehlte, war eine gute histologische Grundlage. Der praktisch-histologische Unter- richt war zu jener Zeit weder in Österreich noch in Deutschland genügend organisiert. Er lag fast ganz in den Händen mehr oder weniger geschickter und tüchtiger Assistenten der Anatomie oder Physiologie. Einen solchen histologischen Kurs bei einem physio- logischen Assistenten hatte ich nun zwar in meinem vierten Studien- semester in Wien genommen; aber irgendeine Förderung hatte ich trotz des lebhaftesten Interesses, das ich dem Gegenstande entgegen- brachte, dabei nicht gefunden. Meine histologische Ausbildung ver- danke ich einzig und allein Brücke, unter dessen Leitung ich später mehrere Jahre arbeitete. Zu Ostern 1875 arbeitete ich als erster an der eben eröffneten und noch sehr notdürftig eingerichteten zoologischen Station in Triest. Im Sommer darauf kehrte ich nach Jena zurück und arbeitete jetzt über die Entwicklung der Malermuschel (Unio pictorum), die ich in großer Menge in der Saale sammelte. Auch jetzt war die direkte Hilfe und Anleitung von Seiten Haeckels gering. Aber es war auch nicht so sehr diese, die ich bei Haeckel suchte und schätzte, als vielmehr der ununterbrochene wissenschaftliche Verkehr mit ihm und die Anregung in allgemein entwicklungsgeschichtlicher und bio- logischer Hinsicht, die aus diesem Verkehr in reichstem Maße floß. Haeckel war sehr mitteilsam und hielt mit seinem oft sehr scharfen Urteil auch uns Studenten gegenüber nicht zurück. So konnte es nicht fehlen, daß er von allem Anfang an eine Menge Gegner hatte. Aber anderseits wirkte das ganze Wesen Haeckels, seine unerschütterliche Uberzeugungstreue, seine Begeisterung für den Fortschritt der Wissen- schaft und seine Unerschrockenheit im Kampfe um die Wahrheit, auf uns Schüler mit aller Macht ein und riß uns im Sturm mit sich fort. Nach dem Jahre 1875 kam ich noch wiederholt nach Jena, wenn ich auch von da an nur mehr in Wien studierte. Gewöhnlich benützte ich den Anfang der großen Ferien, die in Österreich schon in den ersten Wochen Juli beginnen, zu einem längeren Aufenthalte in Jena. Auch blieb ich bis zum Jahre 1894 in lebhaftem brieflichen Verkehr mit Haeckel. Meine weitere wissenschaftliche Ausbildung aber er- hielt ich seit dem Jahre 1875 in Wien. Hier war es vor allem Brücke, der auf mich den nachhaltigsten Einfluß nahm. Ich rechne es mir zu einem ganz besonderen Glück, aber auch zu einer ganz besonderen Ehre an, daß ich durch mehrere Jahre unter seiner Aufsicht und Leitung in seinem Institute arbeiten durfte. Hier erhielt ich die solide histologische Schulung, die mir bis dahin fast ganz gefehlt hatte. Ich betone aber ausdrücklich, daß ich dafür einzig und allein Brücke selbst zu Dank verpflichtet bin. Ich habe Brücke stets als einen der ersten Histologen verehrt und halte auch heute noch seine kleine Abhandlung über ,,die Elementarorganismen" für das beste, was über die Zelle geschrieben worden ist. So habe ich in Brücke gefunden, was mir Haeckel nicht geben konnte. Beiden aber bin ich in gleichem Maße vom Grunde meines Herzens dankbar. War mir bei Haeckel zuerst der Entwicklungs- gedanke in seiner ganzen Größe und Macht entgegengetreten und hatte durch ihn meine entwicklungsgeschichtliche Arbeit und For- schung eine bestimmte Richtung erhalten, so lernte ich durch Brücke die Notwendigkeit methodischer Arbeit, vor allem aber die Unentbehr- lichkeit strenger Selbstkritik kennen. Nach meiner Ansicht hat Haeckel seine größte Leistung schon als ganz junger Mann, im Alter von 32 Jahren, vollbracht: es war dies die in zwei Bänden erschienene ,, Generelle Morphologie der Organismen" (1866). Die zwei Jahre später erschienene „Natürliche Schöpfungsgeschichte" war eine Darlegung der Grundgedanken der generellen Morphologie für weitere Kreise. Dasselbe gilt von der Anthropogenie, die leider im Schematisieren schon nicht immer die richtige Grenze einhielt. Von den späteren populären Werken kommen fast nur die ,,Welträtsel" und ,,Die Lebenswunder" in Betracht. Ich halte diese Werke, vor allem ,,Die Lebenswunder" namentlich deshalb für wichtig und wertvoll, weil ihr Erscheinen in eine Zeit fiel, in der bei den meisten Vertretern der entwicklungstheoretischen Richtung eine gewisse Indolenz eingerissen war. Es war daher dank- bar zu begrüßen, daß der wiederauflebenden Reaktion beim großen Publikum ein Riegel vorgeschoben wurde. ggggggE|ggggggggggE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]gG]E]E]E]E]E]B]E]E]E]gE]B3ElE]E]B]E]EJB]B]B]Ejg PAUL KAMMERER, WIEN: HAECKEL UND ICH; DER PLANET UND DER KIESELSTEIN o o o Beim gestrigen Sonntagsausflug wanderte ich zwischen einem Histo- logen und einem Philosophen, beide sehr gelehrt. DerHistologe richtete die nicht selten vernommene Frage an mich: „Was ist das eigentlich, der , Monismus'?" Und fügte — ich glaube mehr verfäng- lich als unwissentlich — die seltener gehörte Frage hinzu: „Rechnet sich nicht auch , dieser' Haeckel zu , diesem' Monistenbund?" Was mich veranlaßte, vorerst mit der Gegenfrage zu erwidern: „Haben Sie vielleicht schon einmal die , Welträtsel' in der Hand gehabt ? ' ' Er bejahte es, in unreifen Studentenjahren habe er allerdings die „Welt- rätsel" (läßt durchblicken: über die er nun längst erhaben sei) durch- geblättert, — und spitzte seine anfängliche Frage nunmehr daraufhin zu, daß er wissen wolle, welchen Wert ich jenem Werke zubillige. Ob ich es für nützlich oder schädlich, ob ich es überhaupt für nötig hielte. Wie erwartet, nahm jetzt der Philosoph mir die Antwort ab: „Die , Welträtsel' waren eine unbedingte Notwendigkeit, um diese ganze Richtung einer dilettantischen, sogenannten Philosophie ad ab- surdum zu führen. Das Buch spricht so sehr gegen sich selbst, daß es dadurch für sich spricht. Seine Daseinsberechtigung, seine segens- reiche Wirkung leitet sich ab aus dem Unsegen, den es anstiftet!" Echt philosophisch! — wird man finden. Gegenüber solchen Ge- sprächen reichlich abgeklärt, geriet ich trotzdem in Harnisch und er- klärte beiden: „Nur erst mal nachmachen, meine Herren, und eine ähnliche, gleichviel ob positive oder negative Kulturwirkung hervor- bringen, — dann allenfalls schimpfen, wenn Sie dann noch finden, daß Sie's besser gemacht haben!" — Worauf man sich von mir ab- wendete mit der Bemerkung, man verschmähe es, in Haeckelscher Weise Rattenfänger, Reklameheld zu spielen. Die „echte" Wissen- schaft soll nämlich mit menschlichen Interessen nichts zu tun haben ; sie ist nur da für das Dutzend Fachgenossen — durch Popularisierung wird sie entweiht. Andererseits sei die Wissenschaft aber auch un- fähig, eine Weltanschauung zu bilden: man solle die Wissenschaft hüten vor Übergriffen der Weltanschauungen, aber auch diese vor dem Einbrüche der Wissenschaft! Und am allermeisten soll wahre Wissenschaft freibleiben von Politik. — Letzteres gerne zugegeben : Die Wissenschaft sei rein von Politik, das einzelne Wissensgebiet meinet- wegen auch rein von Weltanschauung ; ob aber Politik oder gar Welt- anschauung frei von Wissenschaft? Ich sparte mir die Diskussion bis zum nächsten Ausflug. Jeder, der die Bewegung um Haeckel einigermaßen miterlebt hat, wird zu würdigen verstehen, daß das soeben wiedergegebene Gespräch und daß insbesondere die in ihm enthaltenen Einwände gegen Haeckel typisch sind. Ich kann es weiterhin nicht besser illustrieren, als wenn ich berichte, in welcher (vielleicht doch nicht ganz gewöhnlichen) Art ich selber zu Haeckels Schriften und meiner heißen, weit über das, was man Verehrung für einen Großen nennt, hinausgehenden Liebe zu Haeckel gekommen bin. Man verzeihe, wenn deshalb hier zu viel von meiner Wenigkeit die Rede ist ; wie, und daß es nicht als Unbe- scheidenheit gemeint ist, bescheinigt der Titel dieses anspruchslosen Aufsatzes ; gleichwie Aktion und Reaktion zwischen beliebigen Natur- körpern wechselseitig besteht, sogar bei so verschieden großen, wie der Erdkugel und einem auf ihrer Oberfläche liegenden Steinchen — , so auch zwischen dem Riesen, Altmeister und Großvater Haeckel und dem Zwerg, Jünger und Enkelkind Kammerer. Jedoch das Steinchen, von allgewaltiger Gravitationskraft des Himmelskörpers bewegt, gerät ins Gleiten und Schürfen, schleift ab und wird selbst abgerieben; stürzt dann, alles niederzwingend, die Steinlawine donnernd zu Tal, so hatte an der Befreiung des Berggipfels vom Schutt das kleine Steinchen denselben unentbehrlichen Anteil, wie all seine Mitdränger und Nachbarn: als bescheidener Durchschnitt will hier das ver- messen klingende ,,und Ich" genommen werden! Ich hatte ursprünglich, als Volksschüler und Gymnasiast, nur Freude am Beobachten der Lebensgewohnheiten freilebender und gefangener Tiere und erwarb mir durch Sammeln fast aller Tiergruppen nicht zu unterschätzende Kenntnisse von deren äußeren Formen. Daneben begann ich auch schon mit ersten schüchternen Versuchen, die Lebensbedingungen meiner Pfleglinge künstlich abzuändern, um dadurch mittelbar auch auf die Lebensgewohnheiten, ja womög- lich die Formen abändernd einzuwirken. Mit einem Wort, ich war in erster Linie Ökolog, in zweiter Systematiker, beides schon mit ex- perimentellem Einschlag — , als solcher kam ich an die Universität und fühlte mich sofort tief unglücklich. Das, was ich für Zoologie gehalten, wofür ich mich so glühend interessiert hatte, war anscheinend gar nicht die wirkliche Zoologie gewesen: denn das, was ich im Hör- saal und Laboratorium nun dafür zu hören und zu bearbeiten bekam, war etwas ganz anderes. Bei aller Einsicht und bei allem Glauben, daß eben diese, mir jetzt erst offenbar werdende Zoologie die einzig richtige sei und ich mich all die Schulklassen und Jungens jähre hindurch in einem verhängnisvollen Irrtum bewegt haben müsse, wuchs dennoch eine Abneigung gegen das selbstgewählte und nicht ohne Kampf gegen das Elternhaus durchgesetzte Studium empor. Es beleidigte mich, daß man beim Betreten eines zoologischen Institutes gar kein Tier erblickte ; man roch Chemikalien, man sah vielerlei bunte Flüssigkeiten auf den Arbeitstischen stehen, — aber nirgends zeigte sich anderes Leben als das der Studenten, Assistenten und Professoren. Endlich ließ man mich durch ein Mikroskop sehen, dessen unheimlichen Tubus ich in geheimnisvoller Weise mit dem Schornstein eines Dampfers assoziierte, wovor ich mich als kleines Kind immer sehr gefürchtet hatte: ich nahm ein Schnittpräparat in Augenschein, durch irgend einen embryonalen Darm, — aber niemand fragte darnach, wie das ganze Tier aussah, aus dem der Darm entnommen war . . . Nun ist, wie allgemein bekannt — richtiger, viel mehr noch als man ahnt — , gerade Haeckel ein Begründer jener vergleichend anatomischen, histologischen und embryologischen Schule, wie sie noch gegenwärtig an den meisten zoologischen Instituten und Lehrkanzeln Deutschlands und Österreichs vorwiegend gepflegt wird. Und als ich um eben jene Zeit mit Haeckels Schriften, besonders mit der „Generellen Morpho- logie", „Systematischen Phylogenie" und „Anthropogenie" bekannt wurde, so geschah es mit uneingestandenen, aber aus mir selbst er- wachsenen (nicht wie sonst üblich, von fremder Seite übertragenen) Vorurteilen. Unwillkürlich lehnte meine geistige Fassungskraft alle Erzeugnisse ab, die sich mit dem i n neren Bau und seinen Wandlungen unter vorzugsweiser Beschreibung nur der gestaltlichen Verhält- nisse beschäftigten. Für das Endziel auch dieser Lehre, den Ent- wicklungsgedanken und die Deszendenztheorie, empfand ich nichts- destoweniger sogleich ein Gefühl, das ich latenten Enthusiasmus nen- nen möchte. Er war aber noch zu latent, um mich die anstrengenden Vorstufen, die Mittel zum Zweck waren, bereits überwinden zu lassen. 8 Nur aus der Idiosynkrasie, womit mir früher alles, was vergleichende Anatomie und Embryologie hieß, gleich ekler Speise widerstand, kann ich es heute erklären, wenn ich Haeckels Schriften sogar gedanklich zu schwer für mich fand. Ich konnte sie nicht zu Ende lesen ; ich begriff so vieles nicht. Ich hätte ein Lexikon der Fachausdrücke und voraus- gesetzten Tatsachen dazu gebraucht. Das ist es, was ich heute, nach gründlicher Umgestaltung meines Selbst, sogar in der Erinnerung schwer begreifen kann, trotzdem ich immer ein schwerfälliger Leser und Hörer gewesen bin. Ein Rest davon ist bis heute in mir zurückgeblieben: man findet allgemein, und sogar die Gegner geben es zu, daß Haeckels gemein- verständliche Werke glänzend geschrieben seien. Ich meinesteils kann mir nicht vorstellen, daß sie diesem Umstände die für ihr wissenschaft- liches Gepräge hundertfach sensationelle Verbreitung danken; ja nicht einmal, daß dieser Umstand, ihr Stil, ihre Diktion , etwas Wesentliches dazu beigetragen hat. So sehr mich die feurige Sprache in Haeckels kürzeren Veröffentlichungen hinreißt, die meist der Niederschrift eines mündlichen Vortrags ihre Entstehung verdanken (z. B. „Die Grenzen der Naturwissenschaft"1), „Ostwald als monistischer Naturforscher"2) usw. usw.), ebensosehr klingen meinem Ohr in den größeren Buch- publikationen, wo hierzu leichter Gelegenheit geboten, die häufige Wie- derholung gewisser Wortfolgen oder ständige Wiederkehr gewisser ähn- licher Ausdrücke als stilistische Härten, die das Lesen zuweilen mono- ton gestalten und mehr dem Inhalte als der künstlerischen Form zu- liebe lohnend machen. Haeckel selbst weiß das genau, wie sein Vor- wort zu „Lebenswunder" dartut. Sollten derartige Empfindungen bei Haeckels Freunden wirklich so selten vorkommen , daß ich darin eine unerhörte Ausnahme bin ? Oder hat nur das Vertrauen zu Haeckels Autorität ein Geständnis zurückgedrängt, das auch mir nicht leicht fiel ? Mit dem „Rattenfänger" Haeckel wäre es dann nichts ! Sehr oft habe ich Bücher, die bei weitem weniger voraussetzten und schöner geschrieben waren, vom Publikum unter Hinweis auf deren zu große Gelehrsam- keit und Schwerverständlichkeit ablehnen sehen ! Wie gewaltig muß bei Haeckel der Inhalt sein, um einen Siegeslauf zu gewährleisten, der die berühmtesten Prosawerke schöngeistiger Richtung in den Schatten stellt ! x) Monistisches Jahrhundert II, Nr. 30. 2) ,,Wilh. Ostwald", Festschrift aus Anlaß seines 60. Geburtstages. Wien 1913. Ich war noch dabei stehen geblieben, daß die Zoologie eines Haek- kel mir deshalb unsympathisch war, weil sie mit der von mir erträum- ten Tierkunde nicht übereinstimmte; und daß ich Haeckels Schrif- ten, die mich auch formal unbefriedigt ließen, nicht verstand, nicht verstehen wollte. Als nun aber gar Haeckel gegen diejenige For- schungsmethode zu Felde zog, die mir die liebste war und mich auch vom unseligen Gefühle meiner Ohnmacht und Verfehlung im Studium errettet hatte ; als ich Haeckels niedrige Bewertung der experimentellen Biologie oder Entwicklungsmechanik las (in den „Lebenswundern" S. 4, 45, 156, in „Alte und neue Naturgeschichte" S. 20 usw.), da war ich auf dem besten Wege, ein heftiger Haeckel gegner zu werden. Zu dieser Zeit fielen mir erst die „Welträtsel" in die Hände. Zu schildern, was ich beim Lesen, — nein, gierigen Einschlürfen dieses wunderbaren Buches empfand, und was alles es mich lehrte, über- schreitet bei weitem die Mittel meiner Darstellung. Was etwa noch einseitig und unreif an mir gewesen war, das wurde nun vielseitig oder, besser, aufs allseitige hingelenkt. Hatte ich früher in absicht- licher Weltfremdheit nur meinem Spezialstudium gelebt, so daß bei- spielsweise meine Unkenntnis der durch Zeitungen verbreiteten Tages- ereignisse mich zum Gespött meiner Freunde machte, so lernte ich jetzt Teilnahme an meiner menschlichen und kulturellen Umgebung. Hatte ich früher keinen Zusammenhang gesehen zwischen Naturge- schichte und Menschheitsgeschichte, trotzdem mir die Abstammung des Menschen von tierischen Ahnen unleugbar erschien, so nahm ich jetzt Interesse an öffentlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Bewegungen, weil ich sie dem allgemeinen biologischen Geschehen einordnete. Am frappierendsten für meinen Kreis, um nur ein Beispiel jener vielfältigen Wirkungen herauszugreifen, war die plötzlich er- wachte Stellungnahme zur Politik, um die ich mich bisher wohl am wenigsten bekümmert hatte. Man war gewohnt gewesen, mich dessent- wegen zu belächeln, es aber offenbar gleichwohl nicht unerfreulich zu finden. Dann aber benutzten plötzlich diejenigen, denen meine neuer- dings so radikalen Urteile nicht behagten, die frühere Ignoranz, um sich darauf, auf mein Unverständnis in politicis, zu berufen und um mir folglich das Recht, mitzusprechen, abzusprechen. Das Gesetz der Entwicklung, der Änderung durch Entwicklung war diesen sachver- ständigen Kritikern unbekannt. 10 gggBjgE]ggsaSi]i]aS§SlIS33ilB13SS3Si]SS!SailSE]ilSaG]G]E]E]E]E]gE]g!B]SiE]g!g Muß ich Haeckels „Welträtsel" als dasjenige Werk bezeichnen, das meinen Blick vom Speziellen aufs Allgemeine lenkte, so darf ich zugleich das Reziproke behaupten: Haeckel erzog mich auch dazu, den allgemeinen Wert im Speziellen zu erkennen. Wer in moni- stischer Denkweise bewandert ist, wird dies als selbstverständlich und obendrein als charakteristisch empfinden. In jener Zeit nämlich, da mir die Auffindung eines neuen Fundortes vom Moorfrosch in Kärnten oder die Frage, ob der norddeutsche gestreifte Feuersalamander einen besonderen Varietätennamen verdiene, wichtiger erschien als ein Wahl- sieg der Christlichsozialen oder die Aufführung eines Dramas von Gerhart Hauptmann im Burgtheater, — in jener Phase fühlte ich mich mit meiner Tätigkeit durchaus unbefriedigt. Der Drang nach gemeinnütziger Betätigung war, wenn auch unklar, lebendig in mir. Ich beneidete den Arzt, den Techniker, ja den Priester, weil ich seinem Beruf einen Nützlichkeitswert zuerkannte, den ich dem meinigen inner- lich absprechen mußte. Lebhaftestes Interesse für die Fortpflanzung der Geburtshelferkröte konnte mich nicht dem betrübenden Gedanken verschließen, daß ihre minutiöse Erforschung zum Wohle der Gesamt- heit keinen Beitrag liefern könne. Nun aber wieder die „Welträtsel" : Zu deren intensiven Kultur- wirkungen (unbesehen, ob sie in positivem oder negativem Sinne ge- wertet werden mögen), zu deren übermächtiger Beeinflussung der Denkentwicklung hatten doch Spezialarbeiten , Haeckels klassische Monographien, Unendliches beigesteuert, waren die Strahltierchen, Röhrenquallen und Schwämme ebenso viele Bausteine gewesen ! Und was bei Haeckel nicht bodenständig war, was der Darwinismus in ihn hineingetragen hatte, um sein Prophetentum erst richtig zu vollenden, das war ebenfalls auf der Mosaikarbeit eines gewissenhaften Tatsachen- sammlers emporgewachsen, war zum Weltall umspannenden Wunder- bau gediehen auf dem Boden rastloser Kasuistik und Beobachtungs- technik, wofür Darwin selber seinen Zeitgenossen und Nachfolgern, Anhängern und Gegnern als fast unerreichbares Muster gilt. Also mußte der Naturforscher, mit seinen Originalarbeiten beschäftigt, doch nicht notwendigerweise ein unnützer Schmarotzer der menschlichen Gesellschaft sein ! Nun erst gewann ich meine Wissenschaft und nicht zuletzt darin meinen Haeckel lieb, — nun erst war die Gefahr des Verbummeins aus Mangel an Freude (an Überzeugung, fruchtbar tätig II ^EjggsjgggggggB]ggggggggggggggggE]E]S3B]E]E]gE]B]B]E]H]i3]E]E]E]E]^H]g]n]E]G] zu sein) endgültig vorüber. Ohne Leiden und Zweifel durfte ich meine volle Kraft dem Gebiete widmen, dem angeborene Neigung mich zu- gewiesen hatte. Ein berechtigter Gemeinplatz fordert, die Gebildeten, namentlich die Gemeinde der Hochschulen, seien die berufenen Führer des Volkes, und Ostwald sagt in seiner Begrüßung zu Haeckels 79. Geburts- tag1): Man habe heute kaum noch eine Vorstellung davon, was ein Universitätsprofessor als Haupt seiner Nation bedeuten könne. Der Anspruch ist aber nur erfüllbar, wenn einerseits der Spezialforscher sich nicht den öffentlichen Interessen verschließt, anderseits die maß- gebenden Stellen der öffentlichen Verwaltung ihn nicht in seine Schran- ken verweisen. Macht etwa der Unterrichtsminister von einem Ge- lehrten, aber Nicht-Juristen, der seine Ansicht über gesetzliche Be- stimmungen des Schulwesens äußert, keinen Gebrauch mehr, so wird die Mehrzahl der Kollegen sich fürderhin nicht nur vor gleicher „Über- tretung" hüten, sondern im Wiederholungsfalle von derselben oder anderer Seite sofort die Anklage wegen „tendenziöser Wissenschaft" erheben. Die Reaktion setzt sich dann derart selbst in den hellsten und freiesten Geistern fest, daß es mit jeglicher Führerschaft vorbei ist. Es heißt dann wieder in Regierungskreisen, die Hochschulen seien nicht einmal fähig, sich selber (autonom) zu verwalten; man müsse ihnen mit geschulten Verwaltungsbeamten behufs Führung, recte Ver- gewaltigung der Amtsgeschäfte zu „Hilfe" kommen. Für derartiges noch ein persönliches Erlebnis zum Exempel: Als meine Broschüre „Sind wir Sklaven der Vergangenheit oder Werk- meister der Zukunft ?" erschien, sagte mir ein sehr bedeutender Biologe nach gewissenhafter Lektüre folgendes: „Ihre Schrift zerfällt in zwei inkongruente Abschnitte, im ersten besprechen Sie Ihre Experimente über Vererbung erworbener Eigenschaften, — daran ist nichts auszu- setzen. Im zweiten ziehen Sie aus Ihren wissenschaftlichen Unter- suchungen politische Konsequenzen, ohne daß zwischen diesen und jenen irgendwelcher Zusammenhang ersichtlich ist. Wenn Sie durch- aus politisch tätig sein wollen, warum setzen Sie sich nicht für die Kanalisierung des Wiener Praters ein oder dergleichen?" Der Krebsschaden liegt darin, daß die besten Köpfe überall be- x) Monistisches Jahrhundert II Nr. 22, Februar 191 3. 12 gggs]E]ggggggggggE]ggggggE]gggggEigggE]E]E]E]B]E]E]E]G]G]E]E]B]E3E]E]G]E]gE] stehende Zusammenhänge einfach nicht zu sehen vermögen, daß sie blind sind dafür. Daß sie, auch wenn sie hinlänglich gewissensfrei sind, nicht mehr einsehen können, wie doch jedermann öffentliche Dinge nur von seinem Gebiet aus bearbeiten sollte, wo er etwas ver- steht, — nicht aber eine Staatswissenschaft und Parteipolitik begün- stigen, die losgelöst ist von jeder anderen Wissenschaft, so gut wie jede Wissenschaft von ihr, und wovon er nichts und niemand etwas versteht! Die „Kanalisierung des Praters" gehörte auch nicht ins Ressort des „Politikers an sich", sondern in das des Hygienikers, der aber nun wiederum „parteiische Wissenschaft" betreibt, wenn er sich damit befaßt. Warum will niemand von „wissenschaftlicher Partei- politik" hören? Was hier vom Gemeinwesen gilt, zu dessen Gedeihen jedes Gebiet des Wissens und Könnens seinen (und nicht einen fremden) Teil beitragen muß, das soll auch für die Philosophie gesagt sein, die doch ebenfalls ein Sammelgebiet der Erkenntnis darstellt. Nur hat die Wissenschaft dort (in staatlichen, politischen Angelegenheiten) ab- zuliefern, was von ihren Errungenschaften praktisch verwertbar ist; hier (in der Welt Weisheit) beizutragen, was an Detailkenntnissen sich zur allgemeinsten Erkenntnis sublimieren läßt. An dieser Synthese mitzuarbeiten, darf dort schwerlich dem Zunftpolitiker, hier keines- falls dem Zunftphilosophen allein überlassen bleiben. Dieser wie jener ist eine Null ohne die Darbietungen der Spezialarbeiter, gleichwie ein Herrscher nichts ist ohne sein Volk, das er beherrscht. Es sei denn, man stellte sich auf den von abstrakten Philosophen nicht selten vertretenen Standpunkt, die einzelne Wissenschaft wie auch die Vereinigung aller einzelnen Wissenschaften befinde sich nicht in der Lage, eine Weltanschauung zu errichten, sondern höchstens — nach feiner Unterscheidung des Physikers Einstein, des Mathe- matikers Bolzano — ein Weltbild, eine Naturanschauung. Ich bekenne, daß ich mich hier nicht mehr kompetent fühle. Der Dualismus zwischen Welt und Natur, ja Anschauung und Bild ist meinem Verstehen nicht zugänglich. Ich bemühte mich bisher, die praktische, sozusagen eubiotische Wirkung der „Welträtsel" anzugeben; ich habe am Beispiel einer Person (nur deshalb meiner selbst, weil ich mich notwendig am besten kenne) die Erhöhung der Lebensfreude und be- wußt gestaltenden Lebensfähigkeit beschrieben, die wohl für den Ein- 13 gggg]gg^E]ggggg^ggggggS]ElE]5]ElE]E]E]E]E]E]ElE]E]E]G]E]E]E]ElE]G]gE]E]E]ElB]E]EIE]5] druck jenes lebensprühenden, lebensspendenden, idealistischen Werkes auf seine Leser kennzeichnend ist. Soll ich nun noch ein vervollständigendes, abschließendes Wort sagen über seinen vielbestrittenen philosophischen Wert, so muß ich gestehen, daß die Philosophie jener wirklichen und schulgerechten Philosophen, die den „Welträtseln" jeden Wert absprechen, mir trotz redlichen Bemühens verschlossen blieb. So muß ich folgerichtig mich des Urteils darüber bescheidentlich enthalten. Nur rein logisch läßt sich ableiten, daß die Behauptung, mit Wissen- schaft käme man zu keiner Weltanschauung, zu keiner Philosophie, umkehrbar ist: die Bildung einer Weltanschauung, eines philosophi- schen Systems, kann dann mit Wissen nichts zu tun haben, kann keine Wissenschaft sein. Die Philosophie begibt sich damit des An- spruchs, noch länger als Wissenschaft anerkannt zu werden. Das soll nicht in abfälligem Sinne, sondern ganz nüchtern als strenge logische Folgerung gemeint sein: die Philosophie mag dann alles mögliche andere Schöne sein — Glaube n, Religion, Dogma, Kunst — , was man will, nur eben nicht Wissenschaft, -wenn sie sich selbst von ihr lossagt. Kehren wir nochmals zu dem gesprächsweise geäußerten Gedanken eines berufenen Philosophen zurück, den wir eingangs zitierten und wonach die „Welträtsel" nötig waren, um sich in ihrer Qualifizierung als Philosophie ad absurdum zu führen, — so dürfen wir jetzt zum guten Schlüsse in voller Unvoreingenommenheit aussagen: die „Welträtsel" haben ihrerseits die schulgemäß anerkannte Philosophie in ihrer Cha- rakterisierung als Wissenschaft ad absurdum geführt. Gibt es über- haupt eine wissenschaftliche Philosophie (welchen Titel die scho- lastische und scholarchische Philosophie verschmäht), so ist es die undogmatische, nicht „weltliche", sondern nur „natürliche" Philo- sophie der „Welträtsel"! 14 ggggggE]ggggE]gggggggggE]G]EJE]E]E]E]g]o]E]E]5]E]E]E]E]S]E]E]E]5JElE]ElG]BJE]E]E]E]E] JACQUES LOEB, NEW YORK o o o Der Verfasser dieser Zeilen begrüßt es dankbar, daß ihm Gelegen- heit gegeben wird, dem verehrten Vorkämpfer für Gedanken- freiheit seine ergebensten Glückwünsche zum 80. Geburtstag aus- drücken zu dürfen. Als Gymnasiast wurde er mit Haeckels Schriften bekannt. Die- selben bestärkten in ihm Vorstellungen, welche schon früher die Lektüre von Büchners „Kraft und Stoff" sowie die Einleitung zu Schleidens Botanik in ihm angeregt hatten. In seiner Vaterstadt, einem kleinen Orte auf dem linken Rheinufer, hatte der Verfasser genügende Gelegenheit, die Intoleranz eines kirchlichen Regimes kennen zu lernen. Das begeisterte Eintreten Haeckels für Gedanken- freiheit fiel daher bei ihm auf fruchtbaren Boden, und noch heute klingt ihm ein Vers aus einer polemischen Schrift Haeckels im Kopfe : Wer die Wahrheit kennt Und sagt sie frei, Der kommt in Berlin Auf die Hausvogtei. Das trifft zwar heute nicht mehr buchstäblich zu, aber die Aus- schließung von Professuren oder amtlichen Stellen im allgemeinen, der gesellschaftliche und womöglich ökonomische Ostrazismus, die dem aktiven Freidenker zuteil werden, sind auch eine Art Hausvogtei. Der Schreiber dieser Zeilen bedauert es, daß ihm jahrelang nicht vergönnt war, an der Seite Haeckels zu kämpfen. Das Bestreben, die allgemeinen Lebenserscheinungen von rein physikalisch-chemischen Gesichtspunkten zu analysieren, zog dem Verfasser systematische An- griffe nicht nur von Seiten der Reaktionäre zu, sondern auch von Seiten vieler Darwinisten, welche in dem Wahn befangen waren, daß die rein spekulative und deskriptive Richtung der Biologie für alle Zeiten die allein maßgebende Forschungsrichtung bleiben müsse. Haeckel hatte an dieser Sachlage keinen Anteil. In die Kreise der Monisten wurde ich gezogen, als Wilhelm Ostwald mich einlud, einen der öffentlichen Vorträge bei der Tagung des Mo- nistenbundes in Hamburg zu übernehmen. Ich drückte ihm damals meinen Zweifel aus, ob ich willkommen sein würde. Die Freundlich- H3SSS331iaS51S!llE!SS^S§iSElSSlS3SS3E]SiSSSE]SSaE]SSiS3SSi3^@S!E!a31IS 15 g§ggg]gggggE]gE] S] E] E) EJ E] E] B] E] G] G]E]E]E]E]E1E]E] 5) S]33ä]i]!£] E13333 3351 3333339 keit, mit der ich in Hamburg auch von den intimsten Anhängern Haeckels aufgenommen wurde, wird mir unvergeßlich bleiben. Ein freundlicher Brief Haeckels ist mir ein schönes Andenken an die Hamburger Tage. Wir Monisten lehnen den Gedanken an Unsterblichkeit ab, und es ist für uns auch eine Inkonsequenz, von der Unsterblichkeit der Lei- stungen oder Bestrebungen eines Individuums zu reden. Aber wir dürfen dankbar und mit Ehrfurcht derjenigen gedenken, die uns Ideale, d. h. humanitäre Ziele, gegeben haben. Unsere Glückwünsche an Haeckel kommen deshalb aus vollem Herzen. QP 100 33EjEjEjEjEjEjEjEjsjBjEJEjE]EjsjG]E]E]Ejgl3333äl31l3333333S3333S331133333i]33 16 CARL RIESS, HAMBURG 0 0 0 Aus der Schule kam ich, wie wohl jeder deutsche Junge meiner Generation, ohne jede Kenntnis des tatsächlichen Lebens, seiner sozialen und wissenschaftlichen Verhältnisse, dafür aber vollgepfropft mit einem Wissen vergangener Zeiten, das uns ohne jeden inneren Zusammenhang, ohne jeden Hinweis auf die Gegenwart oder gar die Zukunft eingetrichtert worden war. — Ich wollte als Hamburger Junge Kaufmann werden, trat in eine kaufmännische Lehre und bin Kauf- mann geworden. Ich habe diese Berufswahl nie bereut, denn ich halte den modernen Kaufmann, der die Verpflichtungen seines Berufes mit Ernst erfaßt, die Probleme des drängenden Lebens um ihn mit offenem Auge und frischem Geist betrachtet, für einen der wichtig- sten Kulturträger unserer Zeit. Aber nicht davon will ich sprechen. Was mir Ernst Haeckel in meiner persönlichen Lebensentwicklung war, möchte ich erzählen. Von dem grüblerischen thüringischen Vater her mit philosophischen Interessen erfüllt — die praktischer denkende Hamburger Mutter brachte mir andere Eigenschaften — , war ich bald in einen Kreis junger Leute gekommen, die sich die Lösung der tiefsten Probleme der Menschheit zur Aufgabe gemacht hatten. Die Heilswahrheiten der christlichen Offenbarung, die man uns unsere ganze Schulzeit hindurch gelehrt hatte, waren für uns alle im Leben draußen gar bald verloren gegangen. Wir hatten alle erkennen müssen, daß andere Kräfte und Voraussetzungen das wirkliche Leben beherrschen. Unser christliches Weltbild war unter dem Andrang des Lebens zusammen- gestürzt, und wir bemühten uns nun, uns ein neues zu formen. Es waren köstliche Stunden, die ich in diesem Kreise verlebt habe. Sie sind heute in alle Weltgegenden zerstreut, meine Freunde von damals, aber sie sind alle, bis auf einen, freie und fortschrittlich denkende Männer geblieben; dieser eine fand den Weg zum Verband zur Be- kämpfung der Sozialdemokratie. In einem stillen Cafe, (es gab damals noch stille Cafes in Hamburg) kamen wir oft zusammen, um unsere Ideen auszutauschen, und dem Zuge der Zeit folgend waren wir bald mitten in der damals ihre höch- sten Triumphe feiernden spiritistischen Bewegung. Einige von uns 2 Haeckel-Festschrift. Bd. II 17 ggg^ggggggg^gggE]ggggE]ggG]EJG]E]G]E]E]E]G]E)E]G]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]G]E]g waren Mitglieder einer spiritistischen Vereinigung und erzählten den Hellaufhorchenden von den Taten der Geister: Tischrücken, Blumen- apporte (das Blumenmedium Anna Rothe arbeitete damals noch un- entlarvt), Materialisationen usw. Wir waren überzeugt, auf dem rich- tigen Wege der Lösung der Welträtsel zu sein. Gleichzeitig ging eine Hochwoge der theosophischen Bewegung über Deutschland. Hübbe- Schleiden gab seine „Sphinx" heraus, Hartmanns „Lotosblüten" waren unsere Lektüre, die Blavatzky und Anna Besant unsere Prophe- tinnen. Im Laufe der Zeit nahmen unsere Zusammenkünfte festere Formen an, wir schlössen uns zu einer kleinen „Philosophischen Ge- sellschaft" zusammen, und unter dem Vorsitz eines Arztes, der sich noch heute bemüht, die Grenzen menschlichen Wissens durch meta- physische Spekulationen zu erweitern, suchten wir in die Tiefen theo- sophischer Weltweisheit einzudringen. Aus diesem Kreise wurde ich dann durch meine Übersiedelung nach Paris herausgerissen. — Ich habe mich absichtlich etwas länger bei dieser Schilderung meiner philosophischen Erstlingsschritte aufgehalten, weil sie mir heute symptomatisch erscheinen. Hätte man uns in der Schule, anstatt uns mit allen Mitteln in den Ideenkreis einer überlebten jüdisch- christlichen Vorstellungswelt einzuführen, eine moderne, auf Natur- wissenschaft und Soziologie begründete Staatsbürgererziehung an- gedeihen lassen, dieser ganze Ausflug in die mystische Verworren- heit spiritistisch-theosophischer Spekulationen wäre unmöglich ge- wesen. Daher halte ich die Einführung einer modernen, auf den Naturwissenschaften basierten, reinweltlichen Schulbildung für eine der wichtigsten Vorbedingungen freiheitlichen Kulturfortschritts. Da ich in Paris geschäftlich sehr in Anspruch genommen war, so verblaßten meine philosophischen und metaphysischen Interessen, und ich kehrte nach einigen Jahren ziemlich neutral in allen Dingen der Weltanschauung nach Hamburg zurück. Sobald ich mich aber wieder in die Hamburger Verhältnisse eingelebt und meine geschäft- liche Position gesichert hatte, kamen die alten Jugendinteressen wie- der zum Vorschein. Ich hatte mich inzwischen — nicht zuletzt an- geregt durch die gewaltigen Fortschritte der Technik — mit den Naturwissenschaften beschäftigt, und so war es nur selbstverständlich, daß ich damals auf die aufblühende naturwissenschaftliche Bewegung aufmerksam wurde. Ich fing an, mich mehr und mehr mit den in gggG]gggggggggggggggggE]gE]ggE]gE]G]B]E]E]E]EiB]S]B]G]E]E]S]gE]E]E]E]E]E]E]E]gj 18 cggB]ggB]ggE]ggggggggggggggggggggE33E]E]E]E]g]E]gE]E]E]E]E]E]G]E]E]G]E]E]E]G] öffentlichen Vorträgen und Diskussionen aufgeworfenen Fragen der Entwicklungslehre und des Menschenproblems zu beschäftigen. Ich las Darwin und nahm eines Sommers Haeckels „Welträtsel" mit auf die Urlaubsreise an die stillen Gestade der holsteinischen Binnenseen. Und in der Lektüre dieses Buches fand ich eine Antwort auf die Fra- gen, die mich immer wieder beschäftigt hatten, hier waren alle die einzelnen Ergebnisse menschlichen Wissens von Natur und Leben zu einem großen einheitlichen Weltbild zusammengefaßt. Nie in meinem Leben hatte mich die Lektüre eines Buches so gepackt wie diese. Hier sah ich den Weg zu einer neuen Stellung des Menschen in der Natur und zu seiner sozialen Umgebung. Mein ganzes Leben bekam einen neuen Inhalt. Die Lektüre der „Welträtsel" regte mich an, mich weiter in die einzelnen Gebiete menschlichen Forschens zu vertiefen, meine Welt- und Lebensanschauung immer fester in den Natur- wissenschaften zu verankern. Neue Lebenskraft und -freude ist in mir erstanden. Die von Ernst Haeckel fundierte, von seinen Schülern und Freunden, ja von allen freiheitlichen Forschern ausgebaute moni- stische Welt- und Lebensanschauung, zu der ich mich nun freudig be- kannte, brachte mir einen neuen Menschenstolz, eine neugeartete Arbeitsfreudigkeit, unablässig mitzuwirken für die Befreiung und den Fortschritt der Menschheit. So bedeutet die Bekanntschaft mit Ernst Haeckels ,, Welträtseln" meine eigentliche Menschwerdung, und die fundamentale Wirkung dieses Buches in meinem Leben hat auch bis heute noch keine Ab- schwächung erfahren. Wenn auch meine monistischen Anschauungen sich im Laufe der Jahre durch Beschäftigung mit naturwissenschaft- lichen und philosophischen Fragen — nicht zuletzt angeregt durch Wilhelm Ostwald — vertieft und erweitert haben, die Grundlage meiner Anschauungen ist doch der große einheitliche Wurf der „Welt- rätsel" geblieben. Und daran hat auch alle Kritik der „Welträtsel" nichts ändern können, die niemals den großen einheitlichen Gedanken zerstören konnte. Sie hat sich mit dieser oder jener, vielleicht von Haeckel selbst in seinem Schöpferrausch (er hat uns einmal selbst erzählt, wie die „Welträtsel" entstanden) nicht mit letzter Schärfe aus- gesprochenen Einzelheit beschäftigt oder aus vorgefaßter Meinung das ganze Buch verworfen. Alle ernsthafte wissenschaftliche Kritik aber hat den Bau noch immer in seinen großen Zügen bestätigen müssen. ggggggg^E]ggE]ggggggggggggggS]E]E]E]E]5]E]E]S]B]E3E]E]E]E3B]E]E3B]E]EJB]E]E]E]E] *9 @3E]E]gE]gg^g^^ElE]gggggB]ggggg^gggSG]ggG]B!E]B]GlE]E]S]E]5]E]E3B]E3E]G]E]ElE] Bei dieser Entwicklung meines Geisteslebens ist es nur selbst- verständlich, daß ich der im Januar 1906 von Ernst Haeckel und seinen Freunden erfolgten Gründung des Deutschen Monistenbundes freudig zustimmte und Mitglied dieser Vereinigung wurde. Ich habe dann später die Hamburger Ortsgruppe mit gründen helfen, und es gehört zu einer meiner schönsten Lebensfreuden, daß ich, getragen von dem Vertrauen der Hamburger Monisten, für meinen Teil an der guten Entwicklung der Hamburger Ortsgruppe und der Bedeutung, die sie sich für die gesamte monistische Bewegung erworben hat, habe beitragen können. Reiche Freude und großes Glück brachte mir meine Arbeit für den Monismus, durch sie habe ich die persön- liche Bekanntschaft, ja Freundschaft vieler trefflicher Männer und Frauen gewonnen, sie hat meine eigene Entwicklung gefördert und vertieft. Während meiner Tätigkeit für den Bund habe ich dann auch die Freude gehabt, Ernst Haeckel persönlich kennen zu lernen. Zuerst im Jahre 1907, als er die erste Delegiertenversammlung des Deut- schen Monistenbundes in Jena begrüßte. Und die hohe Verehrung, die ich für Ernst Haeckel bereits nach der Lektüre seiner Schriften empfand, hat sich von diesem Augenblick an nur noch gesteigert. Der Zauber seiner liebenswürdigen, lebensfrohen und kampfesmutigen Persönlichkeit muß jeden Menschen mit Sympathie für diesen un- erschrockenen Forscher erfüllen, und es gehört wahrlich der ganze fanatische Haß seiner klerikalen Gegner dazu, um das entstellte Bild zu ermöglichen, das von dieser Seite so oft von dieser edlen Männer- gestalt gegeben worden ist. So oft ich Haeckel auch später wieder sah, immer war er der gleich liebenswürdige, kampfesfrohe, am frei- heitlichen Fortschritt der Menschheit interessierte Mann, und niemals werde ich vergessen, mit welcher Milde und welch gütigem Verstehen er von den Angriffen und Beschimpfungen seiner Gegner sprach. — Mein letzter Besuch bei Ernst Haeckel war im November des verf lossnen Jahres. Ich war mit Wilhelm Ostwald zu ihm gegangen, um die Einzel- heiten des Ernst Haeckel-Schatz für Monismus mit ihm zu besprechen. Diese Zusammenkunft unserer beiden Führer, der ich so als beobach- tender Dritter beiwohnte, ihr angeregtes Gespräch über die neuesten Probleme wissenschaftlicher Forschung wird mir unvergeßlich bleiben, und das Bild dieser beiden herrlichen Männer, sich in Haeckels Arbeits- 20 §JSSi3SS1135S^!i]S13sISS5]S^]§E!E113SS]SS23Si3SSS35is!§!Hl]SiSSl]SE]5iE]E]B3EjB]Ej zimmer in freudiger und zugleich ernster Unterhaltung gegenüber- sitzend, hat sich mir tief eingeprägt. — So hat Ernst Haeckel und sein Werk auf mein Leben eingewirkt, und ich weiß, daß es vielen, vielen Tausenden ähnlich ergangen ist wie mir. Mögen sie alle nie vergessen, was sie dem immer noch jugend- frohen Kämpfer von Jena zu verdanken haben und stets bereit sein, ihre Schuld ihm gegenüber abzutragen, indem sie mitarbeiten an sei- nem Lebenswerk: der geistigen und sozialen Befreiung der Menschheit. 21 pB]ggE]gggggG]g3]gggggggggG]EiggE]B]B]E]gB]EJE]E]B]B]E]G]B]E]E]E]gBJE]B]gE]G]G]B] FRIEDRICH LIPSIUS, LEIPZIG o o o Wann ich mit Ernst Haeckel bekannt geworden bin, ist mir als geborenem Jenenser zu sagen nicht möglich. Wie die Persönlich- keit des berühmten Forschers schon dem Kinde vertraut war, so hatte auch der Schüler wenigstens eine ungefähre Ahnung von dem, was Haeckel lehrte und wollte. Von meinem Vater, dessen Theologie Wissen und Glauben auf kantischer Grundlage miteinander zu ver- söhnen suchte, und der mit dem naturwissenschaftlichen Kollegen auf freundschaftlichem Fuße verkehrte, habe ich nie ein spöttisches Wort über die ,, Affenabstammung" des Menschen oder gar ein abfälliges Urteil über Haeckels „Atheismus" gehört. Mir ist es, seit- dem ich überhaupt über Weltanschauungsfragen nachzudenken be- gann, immer selbstverständlich gewesen, daß alles in der Welt „natür- lich" zugehe. Der schmerzliche Bruch mit religiösen Jugendein- drücken, der Zwiespalt zwischen orthodoxer Erziehung und eigenen Zweifeln, ist mir erspart geblieben. Ich habe mich, dank dem geistigen Klima, in dem ich aufwuchs, schrittweise und stetig entwickelt, und selbst die Tatsache, daß ich mich am Ende von den theologischen Voraussetzungen gänzlich losgelöst hatte, ist mir erst durch den Widerspruch, den ich erfuhr, zum Bewußtsein gekommen. So begreift es sich, daß mir Haeckel nicht als der Befreier ent- gegentreten konnte, der er ohne Zweifel vielen geworden ist. Ich war mit der Theologie innerlich fertig, war bereits durch das Studium der Wundtschen Philosophie hindurchgegangen, und die Richtung meines Denkens stand in der Hauptsache fest, als Haeckel auf mich zu wirken begann. Nicht in erster Linie durch seine Schriften — obwohl ich damals auch mit vielem Vergnügen die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" las — sondern als Lehrer und Mensch. Es waren Stunden, die mir zeitlebens unvergeßlich bleiben werden, in denen ich als beurlaubter Privatdozent noch einmal zwischen den Studenten saß und im Jenaer Zoologischen Institut bei Haeckel „Entwicklungsgeschichte" hörte. Schon die Stimmung des Raumes nahm sofort gefangen. Die an der Wand hängende große Tafel mit der „Progonotaxis hominis" zeigte, in welchem Geiste hier Naturwissenschaft getrieben werde. Sie verriet, daß auf dem Ka- 22 BjgB]B]gG]gggG]ggggggG]gggEj§]E]B]E]BjE]E]B]E]E]E]B]gB]G]B]B]ggg]EjE]E3gE]G]EiBigB]g theder dieses Hörsaales kein trockener Tatsachenmensch, der aus lauter wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit über das Wichtigste nichts zu sagen wagt, stehe, sondern ein kühner Bahnbrecher und Wahrheitssucher, der da weiß, daß die Forschung den Mut des Irr- tums haben muß, wenn sie vorwärts schreiten will. Mancher Koryphäe der Wissenschaft hat seine ehrfurchts- und erwartungsvolle Zuhörerschaft im Kolleg enttäuscht — man denke an Helmholtz, dessen Auditorium sich oft ebenso verzweifelt wie vergebens bemüht haben soll, den verwickelten Rechnungen des großen Gelehrten zu folgen. Haeckels Vortrag war durch die ge- schickte Auswahl und Verwertung des Stoffes immer gleich ver- ständlich und gleich fesselnd. Wie man nach jeder Stunde seinen geistigen Besitz bereichert sah, so machte die Lebhaftigkeit der Darstellung das Hören zu einem wirklichen Genuß. In den von ihm persönlich geleiteten Übungen konnte sich nicht nur Haeckels außerordentliche Lehrgabe, sondern auch seine menschliche Liebens- würdigkeit entfalten. Von Platz zu Platz gehend überzeugte er sich, ob jeder Teilnehmer im Besitz eines brauchbaren Präparates sei und hielt es, im Gegensatz zu manchem seiner Berufsgenossen, die solch untergeordnete Tätigkeit ihren Assistenten überlassen, nicht für unter seiner Würde, hier ein Mikroskop richtig einzustellen, dort die entworfene Skizze zu verbessern. Oftmals habe ich, als sich jetzt dem staunenden Auge die Wunder- welt des Lebens erschloß, es bedauert, nicht von vornherein an der Hand der Naturwissenschaft den Weg zur Erkenntnis gesucht zu haben. Denn Haeckel ist mir der Führer geworden in das ,, fruchtbare Bathos der Erfahrung", seinem Unterrichte danke ich die Einsicht in den unersetzbaren Wert der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, die der Vertreter der Geisteswissenschaften über der bloßen Buchgelehr- samkeit und dem endlosen Abhören fremder Meinungen über die Dinge so leicht vergißt. Ich kann Haeckel nicht ganz darin bei- pflichten, daß eigentlich alle Philosophie Naturphilosophie sei, aber ich wüßte nicht, wie der Philosoph seiner Aufgabe, eine Gesamt- weltanschauung zu erarbeiten, gerecht werden soll, wenn er sich nicht mit den Ergebnissen der Naturforschung vertraut macht. Und diese Ergebnisse selbst lassen sich nicht ohne weiteres wie reife Früchte vom Baume brechen; um sie würdigen, ja auch nur, um B]5|E]ggg§ggggggggggggggggggg^gE]E]E]B]E]gE3E]E]B]EiE]E]G]G]E]E]E]G3E]E]E]B]E3 23 ggggE]gi]gg5]gEjEjgggggggSggE]ggSggG3E3E]E3E]ggG]E]E]5]5]E]E]E]E3aiE]E]E]B]E]B) sie verstehen zu können, muß man bei den Einzelvvissenschaften in die Schule gegangen sein. „Rein philosophische" Disziplinen gibt es meiner Meinung nach überhaupt nicht ; wie sich der Naturphilosoph auf Physik und Biologie stützen muß, so ist dem Ethiker und Re- ligionsphilosophen die Psychologie, insbesondere die Völkerpsycho- logie unentbehrlich. Und selbst die scheinbar so abstrakten Gebiete der Logik und Erkenntnislehre müssen veröden, wenn sie die Ver- bindung mit dem wirklichen Denken und Erkennen preisgeben und die Rücksicht auf die wissenschaftlichen, vor allem die exakten Methoden außer acht lassen. Das ist übrigens auch genau die Mei- nung Wundts, der die alten philosophischen Zweifel an der Realität der Außenwelt durch den Hinweis auf das Verfahren der Natur- forschung außer Kraft setzt. Verliert doch sie, bei aller Kritik am sinnlichen Eindruck, den Boden einer gegenständlichen Wirklichkeit niemals unter den Füßen! Aber genügt es denn — so wird mir vielleicht der verehrte Jenaer Meister einwenden — daß die Philosophie die Resultate der Forschung nachträglich zusammenarbeitet? Kann und muß sie nicht zeigen, daß die Wissenschaft, ja die Wirklichkeit selbst im Grunde nur eine einzige ist? Was hilft es beispielsweise, experimentelle Methoden auf die Psychologie anzuwenden, wenn doch zuletzt Anatomie und Physiologie dem Gespenst der immateriellen Seele weichen müssen? Nun will ich gern einräumen, daß es immer noch Vertreter der von Haeckel so genannten „introspektiven" Seelenlehre gibt, die im alten kartesianischen Irrtum befangen sind. An und für sich aber ist die dualistische Metaphysik durchaus nicht die notwendige Konsequenz der „parallelistischen" Arbeitshypothese, die vielmehr die Zweisub- stanzentheorie und den „influxus physicus" gerade ausschließt! Wir können, ohne die Einheitlichkeit des psycho-physischen Organismus irgendwie in Frage zu stellen, unsere inneren Erlebnisse einmal in ihrem unmittelbaren Gegebensein und in ihrem eigenen Zusammen- hange auffassen und das andere Mal den äußeren Ausdrucksformen der seelischen Vorgänge, die uns als Prozesse in der Großhirnrinde gegeben sind, nachgehen. Ich glaube nicht, daß sich diese beiden Betrachtungsweisen gegenseitig stören können, ich glaube aber auch nicht, daß eine von ihnen entbehrlich ist. Der Unterschied in der Art, wie das Ich gsggggggg]ggggggggggggggggggE]E]E]E35iE]E]E]EiEiB]E]B]E;B]B]E]E]E]E]E]B]G]B]E] 24 sich selbst erlebt, und wie es auf fremde Sinne wirkt, also einem anderen Ich „erscheint", wird sich niemals beseitigen lassen. Aber es wäre sicherlich verfehlt, hieraus auf eine fundamentale Zwie- spältigkeit im Sein zu schließen. In dieser Grundüberzeugung weiß ich mich durchaus mit Haeckel einig; ja ich gehe sogar noch einen Schritt weiter als er: Ich betrachte Kraft und Stoff nicht nur als untrennbar zusammengehörig, mir scheint es ausreichend, die Welt lediglich als eine Unendlichkeit tätiger und strebender Kräfte zu denken. „Im Anfang war die Tat!" Daß bei der Ausgestaltung eines vom Kraftbegriff aus entwor- fenen Weltbildes dem Entwicklungsgedanken die beherrschende Rolle wird zufallen müssen, liegt auf der Hand. Ruhe ist nur als vorüber- gehender Gleichgewichtszustand der Kräfte begreiflich, die Welt ist nur, sofern sie wird. Es wird Ernst Haeckels unvergänglicher, durch keine Kritik antastbarer Ruhm bleiben, der Entwicklungslehre in Deutschland die Bahn gebrochen zu haben. Ob ihr in der Gestalt, die Darwin ihr gegeben, oder in irgendeiner anderen die Zukunft gehört, ist dabei eine nebensächliche Frage. Soviel steht fest : Sie beginnt heute vom Boden der Biologie, auf dem sie erwachsen ist, hinüberzugreifen auf das Gebiet der Physik und der Chemie. Die Erscheinungen der Radioaktivität haben uns gezeigt, daß auch die Elemente der an- organischen Natur nicht von vornherein fertige Gebilde, sondern Pro- dukte einer über Jahrmillionen sich erstreckenden Entwicklung sind. Haeckel hat seinen „Monismus" als „Band zwischen Religion und Wissenschaft" bezeichnet. Es liegt deshalb die Frage nahe, ob der Entwicklungsgedanke Gefühle auslösen könne, die imstande wären, die Stimmungswerte älterer Religionsbildungen zu ersetzen? Hier- gegen erheben sich aber gewisse Bedenken. Wird das Entwicklungs- prinzip auf das Universum selbst angewandt, so nötigen uns die an das Entropiegesetz geknüpften Folgerungen, die Welt nicht so- wohl in aufsteigender, als in absteigender Richtung fortschreitend zu denken. Außerdem führt die Lehre vom „Kältetod" des Univer- sums zur Idee eines zeitlichen Endes und folglich eines ebensolchen Anfanges des kosmischen Geschehens, also zu Gedanken, die in den Rahmen einer immanenten Religiosität schlecht hineinpassen. Aber wie es sich auch mit der universellen Tragweite des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik verhalten mag — die Teilsysteme 25 des Weltganzen sind jedenfalls für unmeßbar lange Zeiträume einem beständigen Auf-und-Nieder, einem fortwährenden Kreislauf des Ge- schehens — sagen wir mit Arrhenius zwischen Sonnen- und Nebel- fleckenstadium — unterworfen. Wir haben es also mit einer großen Zahl aneinandergereihter, aber in sich zusammenhangsloser Evolu- tionen zu tun. Auch auf unserem Planeten sind zahlreiche organische Entwicklungsreihen zum Stillstand gekommen oder von der Natur abgebrochen worden, und ebenso ist die Geschichte der Kultur- menschheit weder als stetig, noch als unendlich zu denken. Das eröffnet Perspektiven, die für unser menschliches Schaffen, für die Zukunft unserer ethischen und kulturellen Arbeit verhängnis- voll erscheinen. Wir brauchen aber, um ihrer lähmenden Wirkung zu entgehen, weder ein Jenseits zu erträumen, noch uns Nietzsches phantastische Lehre von der Wiederkehr aller Dinge zu eigen zu machen. Uns muß genügen, was die Erfahrung lehrt: Wie die Grund- gesetze des Alls unwandelbar die nämlichen bleiben, so setzen sich auch bei aller Individualisierung im einzelnen die gleichen Grund- typen der Wirklichkeit in Natur- und Geisteswelt offenbar immer wieder durch. Haeckels geniale „Promorphologie" der Organismen hat diesem Gedanken einen mehr mathematischen Ausdruck gegeben. Er findet seine Bestätigung ferner an der Existenz analoger, d. h. entwicklungsgeschichtlich nicht verbundener, aber physiologisch gleichwertiger Organe, wie auch an der Tatsache, daß es zuletzt nur einige wenige Hauptschemata sind, nach denen sich der Aufstieg des Lebens vollzieht. Er liegt endlich im weitesten Sinne auch dem Glauben zugrunde, daß, wo nur immer im Weltall die Bedingungen hierzu gegeben sind, sich auch wieder ein, dem unseren ähnliches Geistesleben entwickeln werde. Diese religiös so überaus wichtige Idee unserer Zugehörigkeit zu einer Unendlichkeit der Geisteswelt ist also nicht, wie man gemeint hat, durch die Begrenztheit der ein- zelnen Entwicklungsreihen ad absurdum geführt. Vielmehr vermag sie in ihrer Erhabenheit wohl dem Gedanken der Vernichtung ein Gegengewicht zu bieten. Müssen wir zugeben, daß der religiöse Wert des Entwicklungs- gedankens nur ein relativer ist, so finden wir den philosophischen Glauben an die „Ewigkeit des Geistes" in dem soeben entwickelten Sinne um so enger mit dem Postulat der Wesenseinheit alles Seins gggE]ggggggggggggggggggggggggggE]E]G]G]E]B]E]EjE]E]E]E]B]E]B]E]EjgE]B]E]G] 26 verbunden. Immer und immer wieder hat die Menschheit — und das ist selbst ein Zeugnis für ihre intellektuell einheitliche Struktur — Propheten und Märtyrer dieses Glaubens hervorgebracht, in immer neuen Ansätzen die in ihm enthaltene Aufgabe zu lösen gesucht. Auch unser Haeckel ist gleichsam schon einmal über diese Erde gewandert und zwar in der Gestalt des alten griechischen Weisen Xenophanes, der Naturforscher, Philosoph und Theolog in einer Person gewesen ist. Von ihm berichtet Aristoteles: „Xenophanes erklärte, alles sei Eins, und auf das Weltall blickend sagte er, dies Eine sei Gott!" Xenophanes war es auch, der über Abdrücke von Fischen in den jungtertiären Schichten der syrakusanischen Stein- brüche tiefsinnige Reflexionen anstellte und zu der Überzeugung kam, daß alles Lebendige aus einem Urschlamm hervorgegangen sein müsse. Er endlich hat an den herrschenden religiösen Vorstellun- gen eine scharfe, seine Zeitgenossen oft verletzende Kritik geübt und zuerst den Satz aufgestellt, daß nicht der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen sei, sondern umgekehrt die Menschen sich Götter nach ihrem Bilde schüfen. So ist es derselbe rücksichtslose, um alle Vorurteile unbekümmerte Wahrheitsmut, den wir bei dem antiken ebenso wie bei dem modernen Denker bewundern. Darum kann uns auch eine gewisse kleinlich-hämische Kritik an dem Kern von Haeckels Lebenswerk und Haeckels Persönlichkeit nicht irremachen. Mag er in seinen Aufstellungen hier geirrt haben und dort zuweit gegangen sein, — er hat uns gar manchen neuen und tiefen Blick hin- eintun lassen in die Schöpferwerkstatt des All-Einen, und „Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, Denn daß sich Gott-Natur ihm offenbare?" 27 gggggggEjgggggggggggggE]gggE]^E]G]E]5]E]E3S3E]E|E]B]BisgE]gE]E]B]gjE|B3E]g]B| R. MEYER, BERLIN: WIE ZWEI HERRNHÜTER IN ROM HAECKEL KENNEN UND LIEBEN LERNTEN o o o \\77ir lernten ihn kennen durch den Marschendichter H. Allmers aus W Rechtenfleth bei Bremen. Allmers und Haeckel waren seit 30 Jahren, seit einer gemeinsamen italienischen Reise Ende der fünfziger Jahre, Freunde. Als Haeckel seinen ältesten Sohn taufte, war auch Allmers als Pate(?) geladen. Er erschien nicht, da es ihm im hohen Grade inkonsequent däuchte, daß Haeckel diesen christlichen Brauch übe. Allmers sann darüber nach, durch welche Feier die christliche Taufe ersetzt werden könne; denn, obwohl Junggeselle, empfand er doch lebhaft die Notwendigkeit, den neuen Erdenbürger festlich in die Familie und in die Gemeinde der Menschensöhne aufzunehmen. So dichtete er für Haeckels Taufe die „Weihe eines jungen Erden- bürgers". Die symbolische Handlung, begleitet von festlich ernsten, festlich heiteren Versen gipfelt darin, daß ein Becher mit Wein dreimal an die Lippen des „Täuflings" geführt und ihm schließlich vom „Sprecher" über das Haupt gegossen wird. Das Gedicht, der erste Ansatz eines religionslosen Kultus, erschien zur Taufe zu spät; erregte aber später, als es in der Gartenlaube gedruckt wurde, erheb- liches Aufsehen. Hatte so Allmers der Freundschaft mit Haeckel ein poetisches Denkmal errichtet, so umgekehrt Haeckel ein wissenschaftliches. Allmer's Nase war ein Unikum, fast ein Halbkreis. Ich habe eine ähn- liche nicht vorher, nicht nachher gesehen. Als nun Haeckel ein Tief- seetierchen entdeckte mit ähnlicher Ausbuchtung, gab er ihm in humorvoller Erinnerung an den Freund den Beinamen Allmerianum, was den Träger der Nase mit Stolz erfüllte. ,,So werde ich, wenn niemand mehr meine Gedichte liest, doch dem oder jenem Forscher als ein Freund Haeckels vor Augen treten." Von all dem wußten wir nichts, mein Freund Nitschmann und ich, als wir Sonntag den 7. April 1889 in Rom beim Abendbrot saßen in der Trattoria degli artisti. Wir waren beide Herrnhutische Stu- denten der Theologie vom theologischen Seminar der Brüdergemeinde in Gnadenfeld (O.-Schlesien). Wir waren es mit innerer Liebe und kannten kein anderes Ziel, als in einer der stillen Brüdergemeinden gg^ggggggE]gggggggggE]ggggE]§gg!gE]5]S]E]E35]B]E]B3E]E]E]5]B]E]EjE]E]E]E]E]E]E] 28 gggggggggg^ggS§^E]^gg^ggg^E]E]E]S]EjE]B]ElEjE]E]E]E]3]E]G]^j5]E]E]EJEjE3g]E]E]E] unseren weitabgewandten Idealen zu leben. Wir waren außerdem blutarm. Aber wir hatten uns doch, von jäh erwachter Sehnsucht nach Italiens Gütern wie von einem Rausch erfaßt, aus der Enge unseres klösterlichen Lebens aufgemacht, um vier Wochen lang, vier köstliche Osterwochen, Rom zu erleben. Jeder Tag brachte Wunder, Wunder der Natur, der Kunst. Wir wandelten dahin wie Verzauberte. Unser Sprachschatz ward ins Superlative gesteigert, und doch wollte er nicht ausreichen, all das vollwertig auszudrücken, was uns be- glückte. In solcher Verfassung also saßen wir an genanntem Tage in unse- rem Stammlokal. Vor uns ein Mann mit einer so singulären Nase — sie war uns schon angemeldet worden — , daß es nur Allmers sein konnte. Bald war eine lebhafte Unterhaltung im Gange; wir beglückt, einen lebendigen Dichter aus der Nähe zu sehen; er, der Menschen] äger, hocherfreut, eine ihm ganz neue Spezies von Menschen kennen gelernt zu haben: zwei „lebendige, kleine Herrnhuter". Das Glück war voll, als wir entdeckten, daß wir ein gemeinsames Quar- tier hätten, das Archäologische Institut auf dem Kapitol. Dorthin brachen wir dann um V29 au^ um an ^em > »offenen Abend" teil- zunehmen, den der Leiter des Instituts Professor Petersen etwa alle 14 Tage gab für die, die im Institut wohnten, und vor allem für die vielen namhaften Männer, die um diese Zeit Rom aufzusuchen pflegten. Im Institut angekommen, bat uns Allmers, einige Augen- blicke zu warten. Als wir dann eintraten, begegneten uns überall erstaunte, auch recht mitleidige Blicke. Wir waren froh, dem Kreuz- feuer der Augen entronnen, in irgendeiner stillen Ecke landen zu können. Da hörten wir erst, daß Allmers als unser Wegebereiter überall gesagt: „Achtung! Gleich kommen zwei Menschen, wie Sie sie noch nicht lebendig gesehen, zwei leibhaftige, kleine Herrnhuter. Denken Sie einmal, Herrnhuter hier in Rom!" Wir kamen uns so gewöhnlich, so selbstverständlich, auch so bescheiden gekleidet vor, daß wir wie erlöst aufatmeten, als die Tür sich öffnete, der Name Haeckel durch die Zimmer flog und uns wieder in unser beschei- denes Nichts versinken ließ. Das war Haeckel! So sah der aus! Grauer Anzug, kurze Jacke, volles, leicht ergrautes Haar und Bart, die blauen Augen blitzend und lachend. Er entschuldigte sich bei der Dame des Hauses : „Neh- 29 men Sie mich so, wie ich bin, grau in grau?" Alles Offizielle habe er in Deutschland zurückgelassen. Er fand freundlichsten Dispens. Nun suchte sein Blick im ersten Zimmer. Da standen einige Priester, und Haeckel suchte das nächste Zimmer zu gewinnen in lustigstem Streit mit einem Maler, der ihm als Mann der Wissenschaft den Vor- tritt lassen wollte, während Haeckel lebhaft den Satz verfocht, daß der Maler dem Gelehrten vorgehe; denn ersterer habe der Mensch- heit mehr gegeben. Mir schien doch, als ob Haeckel selbst nicht so recht daran glaubte. — Im Nachbarzimmer, wo man einen köstlichen römischen Landwein trank, sammelte sich bald ein fröhlicher Kreis um Haeckel. Er war der Mittelpunkt des Gesprächs, von ausgelassener Heiterkeit; eine Lachsalve nach der anderen klang verlockend in unser stilles, gemessenes Teezimmer herüber. Wir hatten das leb- hafteste Bedürfnis, in den Haeckelschen Kreis zu kommen; lösten drum höflich das Gespräch mit dem jungen katholischen Priester — mein Tagebuch nennt ihn Dr. Ehrhardt aus Bayern; ob es wohl der nachmals oft genannte Modernist war ? — schoben uns vorsichtig in das Nebenzimmer und standen nun im Bannkreis des Jenensers, den als Trabanten Freunde aller Lebenskreise und namentlich junge Gelehrte — Dr. Michels, der junge Petersen — umringten. Das also war der gefürchtete, der gehaßte, der glühend verehrte Mann. Unser erster Eindruck: Wie harmlos ist er, wie schlicht, wie natürlich; nichts von Pose, von Imponieren -Wollen; nur Mensch sein, ein lachen- der, strahlend, ansteckend fröhlicher. Die Unterhaltung fliegt zün- dend von Mann zu Mann, von Thema zu Thema; das Grundthema bleibt, naturgemäß an solchem Ort, doch eben das ewige Rom. Wir mischten uns nicht hinein; auch nicht, nachdem Allmers seine „bei- den lieben kleinen Herrnhuter" Haeckel vorgestellt hatte. Ein Hände- druck, damit sind wir zunächst für ihn erledigt und können vergnügt zu stillfröhlichem Hören zurückkehren. Sehr tiefgründig war das Gespräch naturgemäß nicht; dazu waren die Männer sich im ganzen zu fremd, die Ansichten zu verschieden. Bei Haeckel hin und wieder eine aggressive Note, so wollte es uns wenigstens scheinen. So fragte er im naivsten Ton, ob jemand die heilige Petronella von Guercino gesehen habe. Unten liege noch der entseelte Leib, oben erscheine schon in neuer Hülle die Seele vor Christus. Wie man sich das wohl wissenschaftlich vermitteln könne. In demselben naiv satirischen 30 ggggggE]ggggG)gggggggggE]ggggggE]E]E]S]G]E]E]E]E]E]G]E]E]E]E]G]E]E]G]G]EiG]EiB) Ton scherzte er über die Engel und Seligen in einer Kirche, deren Geschlecht und Rasse er bei bestem Willen nicht habe feststellen können. Sonst habe ich mir von Einzelheiten nichts notiert. Aber das ist mir in lebendigster Erinnerung, wie Haeckel trotz vieler Ge- lehrten und Künstler, die anwesend waren, den unumstrittenen Mittel- punkt dieses Zimmers bildete. Er fesselte uns so, daß wir nicht merk- ten, wie sich im Nebenzimmer Dr. Ficker (jetzt Straßburger Ordi- narius) an den Flügel setzte, um die Dame des Hauses zum Gesang zu begleiten. Und noch höre ich unser Lachen hineinplatzen in ein zartes Lied; erschreckt eilt der Hausherr herbei, schließt die Ver- bindungstüre. Es wäre nicht möglich gewesen, diese angeregte Herren- gesellschaft, die sich in allerbester Laune befand, in die zarten Bande der Musik zu schlagen. Bald nach n Uhr verschwand Haeckel still- schweigend, ohne Abschied. So sahen wir Haeckel zum ersten Male. Für die nächsten Tage stellte uns Allmers ein intimeres Zusammen- sein mit Haeckel in Aussicht. „Ich möchte so gern," sagte er scher- zend, ,, einen kleinen Glaubenskrieg zwischen Ihnen und Haeckel er- leben." Am Mittwoch drauf hatten wir das Glück dieser Zusammen- kunft, des „Religionsgespräches", wie Allmers, zum Glück sich irrend, es im voraus bezeichnet hatte. Allmers hatte Haeckel zu Mittag geladen in unser Stammlokal Degli Artisti in der Via della Vite. Als wir von einem Campagnaausflug heimkehrten, saß Haeckel schon da, warf einen prüfenden Blick auf uns beide — Allmers hatte ihm also von unserer Anwesenheit nichts verraten. Dann begann ein fröh- liches Mahl, wie man es nur in begnadeter Stunde und in begnadeter Gesellschaft erlebt. Haeckel war von unermüdlicher, reizendster Gebe- freudigkeit. Es machte ihm augenscheinlich Freude, die beiden ihm kritisch gesinnten — so mußte er annehmen — mit dem Gold seines Geistes und seines Herzens zu überschütten. Sein Appetit war gut, Wein trank er wenig. „Ich bin wirklich kein Trinker, obwohl mich christliche Kritiker auf Grund der , Weihe eines jungen Erdenbürgers' dazu haben machen wollen." Wir tranken um so mehr und um so freudiger sein Wohl in unserer Lieblingsmarke, dem goldgelben Monte Fiascone. Als der Magen das Seinige empfangen, holte er seine Mappe her- bei und zeigte uns seine eben entstandenen Aquarelle — aus Elba — von dort war er nach Rom gekommen. Ich habe mir in meinem Tage- gggg3ggggggggggggE]gE]ggE]gggE]E]EjE]E]E]E]E]E]B]B]E]G]BiEjG]EjB]G]E]E]G3S!äl§]3 31 buch besonders angemerkt den Blick aus der Villa Napoleons, dann den roten und weißen Berg. Dann erzählte er in sich überstürzendem Flusse von den Eindrücken des Tages, Plänen für die nächste Zukunft und namentlich vom vorhergehenden Tage. Da war er nämlich in der römischen Universität gewesen, um sich irgendeine naturwissen- schaftliche Sammlung anzusehen. Kaum hatten die Studenten das erfahren, als sie eine Deputation an ihn schickten mit der Bitte, ihnen statt des angesetzten Professors eine Vorlesung zu halten. Haeckel konnte nun zwar durchaus nicht fließend und reich italie- nisch sprechen. Aber es kam ihm zustatten, daß er gerade vor der Osterreise ein Spezialwerk (über Tiefseetiere?) herausgegeben hatte, dessen Inhalt er so völlig gegenwärtig hatte, daß er mühsam, in lang- samer Rede, gleichsam übersetzend eine Vorlesung zustande gebracht und unter lebhaftem Beifall geschlossen hatte. Auch die (lateinische?) Dankadresse, die ihm die Studenten dafür vor einigen Stunden über- reicht hatten, konnte er uns schon vorlegen und uns damit einen leb- haften Eindruck geben von dem internationalen Ruf, den er schon damals genoß, er, der Lehrer an einer der kleinsten deutschen Uni- versitäten. Freilich kam ihm begünstigend entgegen der Radikalis- mus der italienischen Studentenschaft, dem das Extremste das Liebste war. Wir mußten dieses Gespräches denken, als wir nach wenigen Tagen auf der Solfatara bei Neapel einige italienische Studenten trafen, die mit uns in eine Erörterung über den größten Deutschen eintraten, und als wir Bismarck als solchen nannten, entrüstet diesen Platz keinem anderen zuwiesen als — Bebel. Nach dem lang gedehnten Mahle fuhren wir mit Haeckel auf den Janikulus; er war dauernd von heiterster Laune und ansteckender Fröhlichkeit. Wir besichtigten mit ihm S. Maria in Trastevere. Dort zieht sich ein großes, uraltes Mosaik hin: das Gotteslamm unter an- deren Lämmern. Die machten nun Haeckel als Zoologen nicht enden- den Spaß; denn sie zeigten, unbeholfene Schöpfungen des 12. Jahr- hunderts, ein jedes irgendwelche körperliche Sonderbarkeiten. Dann ging es hinauf nach S. Pietro in Montorio, und wir genossen die Aussicht auf die ewige Stadt. Weitere Bekannte stießen zu uns und machten uns den Besitz von Haeckel streitig. Und nun kommt etwas, dessen ich mich noch heute schäme. Aber, was hilft es, ich muß der Wahrheit schon die Ehre geben. Wir hatten für unsere S3gE]gggggggiggggggE]gggggggggi]ggggE]gggE3EiE]E]E]E|EiE]E]GiE]g]E]E]E]Ei 32 gggggggggE]gggggggggggggE]gG]E]E]E]E]B]B]E]E]E]G]E]E]E]E]S]E]E3B]E]E]E]gE]ElB]BJ weinentwöhnte Jugend etwas zuviel des Monte Fiascone genossen. Die Müdigkeit des Mittags bezwang uns, wir setzten uns hier ein paar Augenblicke auf eine Bank — und nickten ein. Als wir erwachten, war Haeckel verschwunden. Das war ein Schrecken! Ein kläglicher Abschluß köstlichster Stunden! Doch wir hatten ja noch ein Wieder- sehen mit ihm für die Osterfeiertage verabredet, nach unserer Heim- kehr aus Neapel; auch ihm mußten die ,,beiden kleinen Herrnhuter" erträglich erschienen sein. Leider wurde daraus nichts mehr. Als wir am Karsonnabend beim Wiedersehenssymposion mit Allmers saßen, brachte er uns herzliche Ostergrüße von Haeckel. Aber er könne soviel Glockengeläut auf einmal nicht aushalten ; deshalb fliehe er für die Feiertage in die Berge. So haben wir ihn nicht mehr ge- sehen. — Von diesen Tagen an haben wir Haeckel als Menschen geliebt, ja verehrt. Sein Wesen war Natürlichkeit, fröhliche Sonnig- keit, hinter der deutlich durchzufühlen lag seine Tatkraft und Kampfes- freude. Wir waren andere Bahnen gewiesen als er. Aber da wir als Herrnhuter gewöhnt worden waren, das Leben bis in die äußersten Konsequenzen nach einer herrschenden Idee zu regeln, so hatten wir ein naturgemäßes und tiefes Verständnis für seine Natur, die ebenso konsequent der Idee ihres Lebens diente, und für das zwingende Be- dürfnis, das persönlich Gewonnene der Welt zu predigen. Als Herrn- huter nannten wir das „Seelen für den Heiland gewinnen". Diesen Trieb hegte er für seine Wahrheit in stärkstem Maße und glaubte damit ebenso die Seelen zu beglücken als nur je ein Glaubenszeuge. — So haftet denn trotz der überwältigenden Eindrücke, die Rom damals dem jungfräulichen Gemüt machte, noch jetzt nach 25 Jahren als eine der stärksten Erinnerungen die an den Mann aus Jena, der daseinsfroh, im Genuß des Augenblicks sich freudig erschließend, allem Großen hingegeben, auch die „beiden kleinen Herrnhuter", die ihm der Freund in den Weg führte, mit bezwingender Gabe und Güte umgab. 3 Haeckel -Festschrift. Bd. II 33 PAUL BECK, LEIPZIG o o o Der Verfasser vorstehenden Artikels, Prof. R. Meyer, mit dem ich damals gemeinsam das Studium der Theologie betrieb, hat das Verdienst, durch die lebhafte Erzählung seiner Reiseerlebnisse zuerst meine Bekanntschaft mit Haeckel vermittelt zu haben. Diesem ersten Eindruck verdanke ich es wohl, daß ich bei dem Namen Haeckel immer in erster Linie an den sonnigen, lebensfrohen Menschen dachte. Auch nach eingehender Bekanntschaft mit seinen Werken habe ich in Haeckel stets einen Vorkämpfer für Sonne und Licht gesehen, und zwar schon in einer Zeit, als ich das, was für Haeckel Sonne und Licht ist, noch für eine große optische Täuschung ansah. Ein inneres Verständnis für die Geistesarbeit Haeckels hatte ich damals noch nicht. Ich war damals 20 Jahre und bis dahin war mir jede, aber auch jede naturwissenschaftliche Bildung vorenthalten wor- den. Ich befand mich in derselben intellektuellen Situation, wie noch heute viele sogenannte Gebildete. An den Naturwissenschaften schätzte ich die Resultate, die auch dem Blödesten das Vorhanden- sein einer neuen Kultur verkünden, Lokomotive, Telegraph usw. Da ich aber von der Geistesarbeit, die das geschaffen hatte, nichts verstand, da ich nichts wußte von der hohen Intelligenz, der zähen Energie, der schöpferischen Phantasie, der Unabhängigkeit und Kühn- heit des Denkens und Wollens, die dahinter steht, hielt ich die Be- schäftigung mit allem Materiellen und Stofflichen für minderwertig und glaubte, daß nur durch geschichtliche Studien, durch künstle- rische Erhebung, durch innere Erlebnisse und abstraktes philoso- phisches Denken der Geist, der die Welt beherrscht, erfaßt werden könnte. Wenn darüber geklagt wird, daß die Vertreter verschiedener Weltanschauungen heute vielfach völlig verständnislos einander gegen- überstehen, so ist das sicher nicht die Schuld der Vertreter des natur- wissenschaftlichen Denkens. Diese sind viele Jahre ihres Lebens hin- durch — oft mehr, als ihnen lieb war — mit den Denkgewohnheiten und Urteilsformen der Gegenseite bekannt gemacht worden, während umgekehrt die Vertreter der sogenannten Geisteswissenschaften sich fast ausnahmslos durch absolute Ignoranz auf naturwissenschaftlichem Gebiet auszeichnen. 34 gggggggggggggggggggggE]E]E]E|E]BlE]E]E]E]E]BlE]E]B]E]E]E]E]G3G]E]E]G]E]E]E]G]E]glEj Es gab und gibt noch heute ein Zauberwort, daß die Naturwissen- schaft aus dem Gedankenkreis des Metaphysikers und Theologen ver- bannt, das heißt Kant. „Sie sind Naturforscher," so sagt der liberale Theologe, „ganz vortrefflich. Sie ordnen die Welt der Erscheinungen nach den Kategorien von Ursache und Wirkung. Sehr nützliche Tätig- keit! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg." Vielleicht fügt er noch hinzu: „Aber nicht wahr, Sie vergessen nicht, daß Ihre Aussagen sich nur auf die in Raum und Zeit ausgebreitete Welt der Erscheinungen beziehen. Sie haben doch Kant gelesen ? Hüten Sie sich davor, die durch Kant für alle Zeiten festgelegten Grenzen zu überschreiten. Ich muß Sie sonst für einen kenntnislosen Menschen und seichten Schwätzer er- klären. Vergessen Sie nicht, daß nach Kant hinter der Welt der Er- scheinungen die Welt des Wahrhaftseienden, die intelligible Welt, die Welt des Geistes und der Geister liegt. Bleiben Sie mit Ihren Meßstangen und Mikroskopen in der Welt der Erscheinungen. Wir Vertreter der Geisteswissenschaft können auch hinter den Vorhang sehen, wir beobachten in den Wundern der Sprache das Weben und Werden der Volksseele, in der Geschichte verfolgen wir die Ent- faltung des Geistes und der Ideen, und die Theologie lehrt uns, die Organe der Menschenseele gebrauchen, mit denen wir uns mit dem Urgrund des Alls in Verbindung setzen können." Dem gegenüber ist auf folgendes hinzuweisen. Erstens sind die Beweise, die Kant für seine Behauptungen über Raum, Zeit und Kategorien vorgebracht hat, lediglich an der Mathematik und Physik des 18. Jahrhunderts, speziell an der Newtonschen Gravitationstheorie orientiert und passen ebensowenig wie die daraus gezogenen Folgerungen auf den heutigen Stand der Wissenschaft, selbst wenn wir uns auf die anorganische Natur beschränkten. Tatsächlich gibt es heute wohl nur wenige Mathe- matiker und Physiker, die an der Erkenntnistheorie Kants festhalten. Poincare, Mach u. a. haben auf Grund des heutigen Standes der Wis- senschaft Erkenntnistheorien aufgestellt, die von der Kantischen recht bedeutend abweichen. Zweitens ist im 19. Jahrhundert eine neue Naturwissenschaft entstanden, die Biologie. Kant hatte große Mühe, in der Kritik der Urteilskraft das wenige, was ihm davon zu seiner Zeit bekannt war, mit seinem System in Einklang zu bringen. Heute wird wohl niemand mehr den Mut haben, das Unvereinbare vereinigen zu wollen. Kant wollte noch die Grundbegriffe der Newtonschen GJ3gG]ggggggggggggggg^ggggggggE]gE]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]G]E]glE]B]E]E]E!E]E]E] 35 Physik aus der Struktur des menschlichen Erkenntnisvermögens ab- leiten. Heute wollen wir umgekehrt die teils zweckmäßigen, teils aber auch unzweckmäßigen Organe, mit denen die Menschen alter und neuer Zeit Erkenntnisse erwerben wollten, aus der Naturwissen- schaft, speziell der Entwicklungslehre ableiten. Drittens endlich wird Kant von den Theologen nur benutzt, um die Naturwissenschaften aus dem Heiligtum der Philosophie zu vertreiben und ihr einen be- scheidenen Platz im Vorhof anzuweisen. Nachdem mit Hilfe der Kantischen Erkenntnistheorie begründet ist, daß man auch ohne die geringsten naturwissenschaftlichen Kenntnisse doch kühne Behaup- tungen über Wesen, Zweck und Urgrund der Welt aufstellen darf, wird Kant schleunigst verabschiedet. Denn Stimmungen, Gemüts- bewegungen, Begeisterungen und Ekstasen zur Grundlage der Welt- anschauung zu machen, ist doch wohl nicht im Sinne Kants. Es ist das große Verdienst Haeckels, erkannt zu haben, daß das philosophische Denken durch Kant und seine Nachfolger in eine Sack- gasse geraten war, aus der es überhaupt keinen Übergang zu den Pro- blemen der Gegenwart gibt, daß daher ein Anknüpfen an die philo- sophische Tradition zwecklos sei. So wenig die Begründer des Empi- rismus sich mit den Vertretern der mittelalterlichen Scholastik auf Einzelauseinandersetzungen einließen, so wenig beachtete Haeckel die Fachphilosophie, zum nicht geringen Zorn von deren Vertretern. Ferner erkannte Haeckel, daß die Erkenntnistheorie Kants heute gar nicht mehr um ihrer selbst willen geschätzt wird, sondern nur als Damm benutzt wird, um dem sieghaften Vordringen der Natur- wissenschaften Halt zu gebieten und die Heiligtümer der Vergangen- heit vor der alles überschwemmenden Flut zu schützen. Haeckel wußte, wo seine wahren Gegner zu finden seien, er hielt sich nicht lange mit Vorpostenplänkeleien auf, sondern griff das feindliche Haupt- quartier an. Endlich erkannte Haeckel mit klarem Blick, wo der Neubau zu errichten sei, nämlich auf den exakten Naturwissenschaf- ten. Ob Haeckel damit recht hat, kann nur die Zukunft lehren. Ich glaube aber, die Freunde und Anhänger Haeckels können getrost dem Richterspruch der Zukunft entgegensehen. Wäre Haeckel nur Künstler und Gelehrter, so wäre sein Leben ruhiger verlaufen, als es der Fall war. Fern von Haß und Feindschaft würde er sich heute der wohlwollenden Anerkennung aller Intellek- "S33aggggggE3gsEigggE3E]ggggggggggE]gggE3E]E]E]E]5]E!E]E]E]E]E]E]giE;E]B]gE] 36 3SE3SS!513aS3S3SSS^^§]SS§!S]iJE15!a§lS!23S]E3BlS^E]E]EiE3E]E]E]E]E3E]E]E3E]E]E]E]gg tuellen erfreuen. Haeckel ist aber mehr. Er ist ein Mann, der es wagt, eine Überzeugung zu haben; ja noch mehr, der es sogar wagt, die- selbe zu äußern, unbekümmert um die Zensur der Fachphilosophen, unbekümmert um das Wohlwollen der Behörden, unbekümmert auch um die Frage, ob die von ihm gefundene Wahrheit geeignet sei, „das Volk" im Zaum zu halten. Die Tatsache, daß Haeckel bei vielen Tausenden nicht nur kühle Anerkennung seiner Gedanken, sondern begeisterte Liebe und Verehrung gefunden hat, beweist, daß es im heutigen Deutschland doch noch mehr Menschen, als auf Grund der Beobachtung im täglichen Leben zu vermuten ist, gibt, die die letzten Probleme des Menschenlebens nicht durch Opportunitätsgründe und taktische Erwägungen, sondern auf Grund freier innerer Überzeugung zu lösen gewillt sind. 37 EMIL DOSENHEIMER, LUDWIGSHAFEN A. RH. o o o Mit Ernst Haeckel wurde ich wie wohl viele seiner Verehrer zuerst durch die Lektüre seiner ,, Welträtsel" bekannt. Dieses Buch machte auf mich vor allem deshalb einen besonders tiefen Eindruck, weil es in der Behandlung gewisser philosophischer und religiöser Probleme meiner Auffassung vollkommen entsprach. Was Haeckel beispielsweise über die Zentralideen der konfessionellen Religionen, Gott, Seele, Unsterblichkeit, Willensfreiheit, und über die monistische Religion in den „Welträtseln" gesagt hat, hielt und halte ich für so absolut richtig, daß ich es nicht begreifen kann, wie denkende Men- schen diese Dinge anders beurteilen können. Die außerordentliche Wirkung des populärsten Werkes Haeckels, der Welträtsel, finde ich dadurch begründet, daß sie dem Leser fast durchweg in gemein- verständlicher Form über Dinge, die von jeher den menschlichen Geist beschäftigt haben, faßliche Wahrheiten übermittelt hat. Ich erinnere zunächst an Haeckels Stellung zum Gottesbegriff. Ohne Umschweife, ohne Konzessionen an die herrschenden Gefühle hat sich Haeckel als Leugner Gottes im Sinne der Kirche erklärt und dargetan, daß der Begriff des kirchlichen Gottes den Erfahrungen und der Vernunft widerspricht. Ebenso hat Haeckel den Begriff der Seele, des Geistigen, der Unsterblichkeit der Seele freigemacht von den Formen des Übersinnlichen und Mystischen. Das Geistige und Leibliche bildet eine Einheit. Die geistigen Funktionen sind mit den leiblichen unauflöslich verbunden. Die Stufen der geistigen Ent- wicklung — des Kindes, des Erwachsenen, des Greises — gehen parallel mit den Stufen der leiblichen Entwicklung. Das sind un- bestreitbare Grundtatsachen geworden. Bei seiner Auffassung des Geistigen, Seelischen mußte Haeckel notwendigerweise dem Men- schen, dem nach der dualistischen Anschauung im Gegensatz zum Tier mit einer ,, Seele" begabten Wesen in der organischen Welt eine andere Stelle anweisen. Haeckel hat den Menschen, das Ebenbild Gottes, in die Reihen der organischen Welt, in das Tierreich ein- geordnet: der Mensch ist ein Geschöpf, das im Lauf der Jahrmillionen aus der einfachsten Form sich entwickelt hat. Er hat ein für allemal festgestellt, daß die anthropozentrische Auffassung der Dinge, die 38 gg^g^G]g^gG]ggggggG]gggggE]ggggEjE]BiE]B]B]B]G]BiE]BiE]gE]S]E3E3G]G3E]B]E)E]gg den göttlichen Menschen aus den Reihen der Organismen heraus- hebt, mit der wissenschaftlichen Forschung unvereinbar ist. Man stelle sich vor, welch ungeheure Rolle die Begriffe Gott, Seele in den religiösen und ethischen Anschauungen der europäischen Kulturwelt spielen. Bei den wichtigsten Ereignissen im Leben des einzelnen, bei den wichtigsten öffentlichen Staatsakten steht der Glaube an einen persönlichen Gott im Vordergrund. Bei der Jahr- hundertfeier 1813 — 1913 waren die Festreden fast durchweg auf den Ton gestimmt: Gott war es, der den gewaltigen Napoleon gedemütigt und dem deutschen Volke zum Siege verholfen hat. Die Männer des Volkes wie die Fürsten berufen sich immer und immer wieder auf Gott als den Leiter aller Geschicke. Gott ist alles, der Mensch, der staubgeborene, die Kreatur Gottes nichts. Tagtäglich werden Tau- sende von Eiden geschworen unter Anrufung Gottes des Allmächtigen und Allwissenden, vor Gericht (Zeugen- und Parteieneid), beim Militär (Fahneneid), bei der Übernahme eines Amtes (Beamteneid). Der Gesetzgeber hat es sogar für notwendig gefunden, Gott gegen läster- liche Angriffe unter besonderen Schutz zu stellen (§ 166 des deutschen Strafgesetzbuches). Erst bei den jüngsten bayerischen Landtags- verhandlungen, November 1913, ist in dem Kampf um die Moral mit oder ohne Gott der klaffende Gegensatz in den Weltanschauungen zutage getreten. Der bayerische Ministerpräsident Freiherr v. Hert- ling hat in seiner Rede nachdrücklich hervorgehoben, daß, wenn sich herausstellen sollte, daß in dem konfessionslosen Moralunterricht Theorien vorgetragen werden, die geeignet sind, den jungen Ge- mütern die letzten Grundlagen der Gesellschaft, den Glauben an Gott, an das Jenseits zu rauben, ein solcher Unterricht nach seiner Meinung nicht geduldet werden könne. Der bayerische Minister- präsident ist also der Ansicht, daß ohne den Glauben an einen per- sönlichen Gott Staat und Gesellschaft nicht bestehen können. Gegen diese seit Jahrtausenden fest eingewurzelten mystischen Vorstellungen hat Haeckel unerschrocken seine Auffassung kund- gegeben: es gibt keinen Gott, wie ihn der Priester lehrt. Er hat gezeigt, wie die Gottesvorstellungen entwicklungsgeschichtlich sich erklären, aber jetzt, wo an Stelle unklarer Gefühle das Denken ge- treten ist, sich nicht mehr aufrechterhalten lassen. Haeckel hat gelehrt, daß der Mensch selbst Träger seines Schicksals ist, daß er gggggggggggggggggggg^ggggggE]gE]G]EjE]E]E]E]öiE]EjE]gE]E]E]E]E]B]E]g§]E3E3 39 g]EjggE]ggggggEJg]gggBjgggE]gE]B]E3E]EIB]B]EJEJBjEJE]B3^E3g]E]B]E]BigE]ggg|E]EJBIB]El auf das Jenseits verzichten soll, um das Diesseits desto würdiger und schöner zu gestalten. Haeckel hat die Wege gewiesen zu einer neuen Religion, zu einer monistischen, d. h. einer irdischen, mensch- lichen, die Menschen verbindenden, in den natürlichen Verhält- nissen wurzelnden Religion. Haeckel hat gezeigt, daß auch ohne Gott eine Ethik möglich ist, daß man sittlich handeln kann, ohne Lohn und Strafe im Jenseits zu erwarten, daß das ethische Emp- finden nichts Absolutes ist, sondern im Lauf der Jahrtausende sich entwickelt hat, daß es verschieden war und ist bei den einzelnen Völkern und daß nur die dogmenlose, monistische Ethik imstande sein wird, die gesamte Kulturmenschheit zu umspannen. Haeckel hat also neue Zukunftsideale aufgestellt und sich damit um die Kulturentwicklung der Menschheit großartige Verdienste erworben. Haeckel mußte bei seiner Stellung zu den Zentralideen des alten Glaubens, Gott, Seele, naturgemäß in einen unüberbrückbaren Gegen- satz zur Orthodoxie aller Schattierungen geraten, vor allem zum Ultramontanismus. Ich betrachte es mit als das größte Verdienst Haeckels, daß er den Ultramontanismus als das gekennzeichnet hat, was er ist, als den furchtbarsten Feind jeglicher Kulturentwicklung. Man hat Haeckel auch von nicht ultramontaner Seite vorgeworfen, daß er das Papsttum als „den größten Schwindel der Weltgeschichte" bezeichnet hat. Das ist allerdings ein außerordentlich scharfes Wort, das die Anerkennung des von den Päpsten geleisteten Guten vermissen läßt. Aber Luther hat in seinem Kampf gegen den Antichrist nicht weniger scharfe Worte gebraucht. Man begreift die Beurteilung Haeckels, wenn man nicht vom ausschließlich geschichtlichen Stand- punkt aus das Papsttum betrachtet. Christus, von dem das Papst- tum seinen Ursprung herleitet, ein armer verfolgter Mensch, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte, der mit armen Sündern und Zöllnern verkehrte, der sein Reich im Himmel suchte — der Papst, der offizielle Nachfolger Christi, der in einem der schönsten Paläste der Erde wohnt, der den Völkern seinen Willen diktieren will, der noch vor einigen Jahrzehnten weltlicher Herrscher war: Das sind ungeheure Gegensätze, die Haeckel, ein Mann von feurigem Temperament und unerschrockener Wahrheitsliebe, durch einen sehr scharfen Ausdruck beleuchten mußte. 40 Haeckel hat in der Wissenschaft, die ich beruflich ausübe, der Jurisprudenz, insofern Bedeutendes geleistet, als er das Willens- problem behandelt hat. „Die streitigste Frage der streitigsten Wissen- schaft" hat er ihres dogmatischen und mystischen Charakters ein für allemal entkleidet und ihre natürliche Lösung gefunden. In den „Welträtseln", in den Thesen zur Begründung eines deutschen Monistenbundes und schließlich in dem für die Düsseldorfer Monisten- tagung bestimmten Aufsatz befaßt sich Haeckel mit dem Problem der Willensfreiheit. Immer wieder betont er: die Annahme der Willensfreiheit ist ein Dogma wie der Glaube an Gott und die Un- sterblichkeit. Der menschliche Wille ist wie alles Sein und Geschehen dem Kausalitätsgesetz unterworfen. „Der menschliche Wille", sagt er in seinen „Welträtseln", „ist ebensowenig frei als derjenige der höheren Tiere, von welchen er sich nur dem Grade, nicht der Art nach unter- scheidet. Während noch im 18. Jahrhundert das alte Dogma von der Willensfreiheit wesentlich mit allgemeinen, philosophischen und kosmologischen Gründen bestritten wurde, hat uns dagegen das 19. Jahrhundert ganz andere Waffen zu dessen definitiver Widerlegung geschenkt, die gewaltigen Waffen, welche wir dem Arsenal der ver- gleichenden Physiologie und Entwicklungsgeschichte verdanken. Wir wissen jetzt, daß jeder Willensakt ebenso durch die Organisation des wollenden Individuums bestimmt und ebenso von den jeweüigen Bedingungen der umgebenden Außenwelt abhängig ist wie jede andere Seelentätigkeit. Der Charakter des Strebens ist von vornherein durch die Vererbung von Eltern und Voreltern bedingt, der Entschluß zum jedesmaligen Handeln wird durch die Anpassung an die momen- tanen Umstände gegeben, wobei das stärkste Motiv den Ausschlag gibt. Die Ontogenie lehrt uns die individuelle Entwicklung des Willens beim Kinde verstehen, die Phylogenie aber die historische Ausbildung des Willens innerhalb der Reihe unserer Vertrebraten- ahnen." Haeckel hat in den „Welträtseln" mit Recht hervorgehoben, welch fruchtbare Wirkung er von der Behandlung des Problems in diesem Sinn erwarte, beispielsweise für die Rechtspflege. Meine Flug- schrift „Der Monismus und das Straf recht" und meine größere Schrift „Die Ursachen des Verbrechens und ihre Bekämpfung" habe ich voll- ständig auf die Haeckelsche Auffassung des menschlichen Wülens aufgebaut. 41 Überblicke ich das Gesamtschaffen Haeckels, so sage ich: über die Grenzen seiner Fachwissenschaft hinaus hat er in fast allen Ge- bieten der Wissenschaft und der Kunst teils selbstschöpferisch, teils anregend Hervorragendes geleistet. Und doch stelle ich über Haeckel, den glänzenden Vertreter der Wissenschaft, den Menschen Haeckel. Den wissenschaftlichen Forscher schätze ich außerordentlich hoch, aber den Menschen Haeckel, den unerschrockenen Bekenner und Verkünder neuer Ideale, verehre und liebe ich. QDC 42 EUGEN WOLFSDORF, NÜRNBERG: ODHIN UND HAECKEL o o o Die Naturwissenschaft sucht die Wahrheit, die Theologie aber hat die Wahrheit." Diese Worte sprach einst ein greiser Professor der alttestament- lichen Exegese, nachdem er die beiden Schöpfungsberichte des bibli- schen Buches Genesis erklärend behandelt hatte. Er gab zu, daß diese beiden Geschichten untereinander nicht übereinstimmen, und verschwieg uns auch nicht, daß ihr Inhalt den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft widerspricht. Aber, meinte er, einst würde zwischen Bibel und Naturwissenschaft schon Harmonie erzielt werden, wenn sich nämlich die Theologen bemühen, mehr Natur- wissenschaft zu treiben, und die Naturwissenschaftler sich bequemen würden, mehr in die Geheimnisse der Theologie einzudringen. Bei dieser Gelegenheit sprach er den an der Spitze dieses Artikels stehenden Satz, bei dieser Gelegenheit hörte ich auch zum ersten Male die Namen Darwin und Haeckel. Ich erinnere mich noch sehr wohl des Hochmutes, der uns bei diesen Namen stets beschlich. Ich denke noch mit Scham daran, mit welcher Arroganz ich auf die Studierenden der Naturwissenschaft blickte, die bei mir vorüber in ihre Institute eilten. Sie alle waren ja erst die Suchenden, während wir die Wahrheit gebunden in hebräi- scher und griechischer Sprache unter dem Arme trugen. Trotzdem hatte mich das wenige , was ich von der Abstammungs- lehre gehört, sehr angezogen; es war mir so durchaus vernünftig er- schienen, daß die Tatsachen, durch welche diese Lehre gestützt wurde, mein metaphysisches Denken allmählich überwanden. Dazu kam der Ehrgeiz. Wie, wenn ich der Theologe wäre, welcher genügend Naturwissen- schaften studiert hätte, um Bibel und Naturwissenschaft zu versöhnen ? So machte ich mich denn an die Arbeit, und es gelang mir in ver- hältnismäßig kurzer Zeit tatsächlich, den ersten biblischen Schöp- fungsbericht (gen i) mit den Erkenntnissen der Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen. Gott schafft erst die Pflanzen, dann die Wassertiere, dann die Vögel, dann die Landtiere und endlich den 9G)ggggggggggggggggggggggggE]E]E]E]E]E]E]gE]E]E]gB]E]E]E]E]E]G]G]E;E]G]Eis]E3 43 Menschen. Das ist ganz dieselbe Stufenfolge, wie die Abstammungs- lehre sie vorträgt, wenn man sich nämlich Mühe gibt, die Unter- schiede nicht zu sehen. Darwin und Haeckel waren jetzt für mich abgetan, das Gottes- wort hatte gesiegt, und ich wagte es in meiner frommen Raserei, einem freireligiösen Prediger in öffentlicher Diskussion entgegen- zutreten. Ich habe es später häufig und erst vor ganz kurzer Zeit wieder er- lebt, daß Theologen, welche in derartigen Diskussionen unterliegen, sich nachher den Sieg zuschreiben. So unehrlich war ich nie. Daher veranlaßte mich auch die Erkenntnis meiner Niederlagen zu weiterem Arbeiten, bis der Verteidiger des Kirchenglaubens sehr gegen seinen Willen beim Unglauben angelangt war. Das war die schrecklichste Zeit meines Lebens; denn der alte Glaube hatte seine Kraft eingebüßt, während die durch die Wissen- schaft erzeugten Energien noch nicht stark genug waren, um meinen Wandel zu beeinflussen. Ich sprang von der Theologie ab und gelangte über das Lehrfach zur freireligiösen Bewegung. Aber auch hier habe ich das nicht gefunden, was ich gesucht, denn diese Bewegung ist trotz all ihrer Kirchenfeindlichkeit doch der letzte Ausläufer des dogmatischen Christentums, ihre Lehren sind meta- physisch und ihre Verwendung der naturwissenschaftlichen Tatsachen in Vortrag und Predigt ist eine nicht ganz freiwillige Anpassungs- erscheinung. Während so die freireligiösen Gemeinden eine Kirche ohne Gott bilden, führte mich die Bekanntschaft mit August Spechts „Men- schentum" einem mehr wissenschaftlichen Freidenkertum zu. Dieses Blatt hat, wie man ohne Übertreibung sagen darf, seit dem Jahre 1871 allein einen konsequenten, nicht metaphysischen Monismus ver- treten, bis der von Körber und Unold herausgegebene „Monismus" ihm zur Seite trat. Durch das „Menschentum" lernte ich erst Ernst Haeckel richtig kennen. Jetzt sah ich ihn ohne theologische Brille. Von Spechts Schrift „Theologie und Wissenschaft" gelangte ich zu Haeckels „Na- türlicher Schöpfungsgeschichte", von da zu seiner Broschüre „Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" und zu den 44 pgggggE]gE]ggggE]E]E]ggG]ggggggggE]E]E]E]E]B]E]gE]E]E]E]E]E]ElB]E]E]E]E]E]E]BlE]B] „Welträtseln". Aber auch jetzt noch spukte der Theologenhochmut in mir. Kraft meiner Unwissenheit schrieb ich eine Broschüre (,, Letzte Schlüsse der neuen Welt- und Lebensanschauung"), in welcher ich weit über Haeckel hinausging und mich schließlich dem Lesepublikum als Anhänger des egoistischen Materialismus oder materialistischen Egoismus vorstellte. So unreif und frech diese Schrift war, ich brauche mich ihrer nicht zu schämen, denn ich habe in ihr Konsequenzen gezogen, die heute, nachdem sie auch von anderer Seite gezogen worden sind, allgemeine Anerkennung gefunden haben. Den Vorarbeiten zu dieser Schrift aber verdanke ich die Erkennt- nis vom ethischen Werte des Entwickelungsgesetzes, näm- lich den Gedanken, daß wir über unseren gegenwärtigen Zustand hin- auszustreben haben. Jetzt begann mir an die Stelle der Gottheit mit ihren alt- und neutestamentlichen ethischen Forderungen dieMensch- heit mit ihren modernen ethischen Forderungen zu treten und der sittliche Anarchismus zu weichen. Es wäre undankbar, wollte ich unerwähnt lassen, welchen großen Dienst mir bei dieser Umwandlung Johannes Unolds Schriften geleistet haben, aber ich muß auch betonen, daß bei meinem damaligen Mißtrauen gegenüber aller Theologie und humanistischen Philosophie diese Schriften wahr- scheinlich noch längere Zeit wirkungslos geblieben wären, hätte mir nicht Ernst Haeckels Naturwissenschaft die Beweise für die in ihnen enthaltenen Gedanken geliefert. Erst dadurch, daß ich die Gesetze, die in meinem Leben Geltung haben sollten, als in der ganzen Natur geltend nachgewiesen erhielt, gewannen sie jene aufwärts- treibende Kraft, die sie trotz meiner schweren, niederziehenden Le- bensschicksale bewahrt haben. So ist Ernst Haeckel mein sittlicher Erlöser geworden. Daher ist es erklärlich, daß ich in seinen Schriften mir wieder Rats erholte, als an mich die Pflicht herantrat, ein eigenes Kind und fremde Kinder zu erziehen. Auf diese Weise wurde sein biogenetisches Grundgesetz zum Leit- motiv meiner monistischen Pädagogik, und wenn heute schon manches Elternpaar mir dankbar die Hand drückt oder aus weiter Ferne dank- bare Zeilen an mich richtet, so gebührt dieser Dank eigentlich dem Achtzigjährigen, dem diese Festschrift gewidmet ist. 45 Aber vielleicht wird der geehrte Leser fragen: „Was hat dies alles mit der Überschrift ,Odhin und HaeckeP zu tun?" Wenn ein wirklich frommer und gleichzeitig temperamentvoller, energischer Mensch seinen dualistischen Glauben verliert, dann geht bei ihm innerlich alles zu Bruch. So war es bei mir. Ich wurde nicht nur in ethischer, sondern auch in politischer und überhaupt in jeder Beziehung Anarchist; d. h. nicht Bombenwerfer, sondern theoretisch, „Edelanarchist", wie man sagt. Zuerst glaubte ich, in der Sozialdemokratie die urchristlichen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wiederzufinden. Von diesem Irrtum hat mich die Praxis bald geheilt, und so befand ich mich mehrere Jahre in einer ähnlichen geistigen Verwirrung wie der Bakkalaureus im zweiten Teile des Faust. Da erlaubte ich mir, nachdem mich August Specht in Gotha für den Fall seines Todes zu seinem Nachfolger in der Redaktion des „Menschentum" bestimmt, im Jahre 1905 Ernst Haeckel in seiner Villa in Jena einen Besuch abzustatten, und erlebte es hier, daß der greise, allverehrte Forscher mich, den unbedeutenden Menschen, um Entschuldigung bat, daß in seinem Arbeitszimmer ein Ruhebett stand. Er entschuldigte diese Unregelmäßigkeit damit, daß er wegen des Rheumatismus zuweilen sein Bein hoch legen müsse. Ich war wie vom Donner gerührt; denn in diesem Augenblicke hatte ich eine „Offenbarung", ein „Erlebnis", wie die liberalen Theo- logen sagen würden. Ich wußte nämlich aus Wilhelm Bölsches Haeckelbiographie, daß Ernst Haeckel sich sein Leiden bereits als junger Botaniker auf den feuchten Wiesen von Leisling zugezogen, und plötzlich stand vor meinem geistigen Blicke der alte Gott der Edda, Odhin, der sein Auge dahingibt, um einen Trunk aus Mimirs Weisheitsbronnen zu erhalten; und während Ernst Haeckel unter dem Bilde der Pithecanthropusfamilie saß, dachte ich an den „grü- belnden Äsen", der Riesen und Zwerge, Weltkörper und Moneren, befragt, um der Götter und der Menschen Geschick zu erkunden und die „Welträtsel" zu lösen. In diesem Augenblicke habe ich mein Vaterland und mein Volk wiedergefunden, und damit wich alle Unklarheit und Giftigkeit von mir, jene Heinrich Heinesche Ironie, die ein Zeichen innerer Schwäche ist. Dagegen zog jene starke Heiterkeit und Fröhlichkeit wieder ein, 46 G]E]E]E]E]E]E1B]E] E]E]B]E)E]B]E]gE]E]E]G]E]E]E]E]E]ElE]G] E]E]E3G]E]E]B]ElE]E]E]E]B]G]EJB]E]B]E]G]gE]g die aus einem sicheren Glauben geboren wird. So hat mir Ernst Haeckel den Glauben an mein Volk wiedergegeben, so ist er mir der „Vater der Lieder" geworden. Er hat mich wieder festgewurzelt im Heimat- boden und damit begründet meine moralische Existenz. Möge es ihm noch recht lange vergönnt sein, so heiter, wie ich ihn im November vorigen Jahres angetroffen, sich seiner Erfolge zu er- freuen, ihm, dem Helden des Wissens, der mit Göttern rang! Tausende, Millionen dankbarer Menschen gedenken heute seiner in allen Teilen der bewohnten Erde und sie nahen, eine glänzende Schar geistiger Einherier, um für den Kampf der Zukunft den Treuschwur zu schwö- ren dem Recken der Götterdämmerung, an dem wahr geworden das Eddawort : „Der milde, mutige Mann ist am glücklichsten". 3EjgggB]gggggggggggggE]ggg|giggiG]g]ElE3E]gE]E]G]E]gB]g]gE]GlE]G]ggE3E]E]ElE)Bi 47 HOWARD CRUTCHER, ROSWELL, NEW MEXICO 0 0 0 Es ist schwer, von dem großen Meister zu sprechen. Sein Leben und seine Taten sprechen für sich selbst, und ein Kommentar darüber mag beinahe wie eine Anmaßung aussehen. Aber einmal zum Reden aufgefordert, will ich frei und ohne Zurückhaltung sagen, was ich denke. Wenig Menschen ist es vergönnt, das Urteil der kommenden Zeit- alter über ihr Leben und ihre Werke zu hören. Ernst Haeckel kann es. Als Denker, Reformator und Wohltäter seiner Mitmenschen steht er mir höher als irgendeiner von denen, welche bisher die gleiche Bezeichnung verdienen. Abraham Lincoln hat ein paar Millionen Sklaven von ihren körperlichen Fesseln befreit; Ernst Haeckel hat mehr getan; er hat die Fesseln des Aberglaubens gebrochen und un- gezählte Millionen von Seelen in Freiheit gesetzt. Eine menschliche Seele frei zu machen ist mehr als einen Leibeigenen zu entfesseln. Die ,, Welträtsel" taten Großes; doch muß ich ein höheres Verdienst und ein bei weitem wirksameres Resultat den unvergleichlichen Vor- trägen über den ,, Kampf um den Entwicklungsgedanken" beimessen. Charles Darwin sammelte die notwendige Kriegsmunition, doch dem großen Befreier von Jena blieb vorbehalten, die Kanonen zu laden und das Pulver zu entzünden. Von Darwin sprechend, dürfen wir seines edlen und großzügigen Tributs nicht vergessen, den er Haeckel gezollt hat. Darwin sagt, daß die Veröffentlichung seines Buches über die „Abstammung des Menschen" unnötig gewesen wäre, wenn Haeckels Werk (die „Natür- liche Schöpfungsgeschichte") eher erschienen wäre. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das geistreiche Wort von Emerson, daß der Entdecker nicht der ist, der zuerst etwas Neues sieht, sondern der, welcher es laut heraussagt, so daß die ganze Welt davon profitie- ren kann. Jahrhundertelang haben große Denker die Reisigbündel aufgehäuft, aber unserem Meister von Jena war es vorbehalten, die Fackel anzuzünden, deren glänzendes Licht uns und unsere Nach- kommen für alle Zeit leiten soll. Es ist viel, wenn ein Mann über ein so altes und ehrwürdiges Zentrum des Gedankens wie Jena hinauswächst; es ist mehr, daß er die Grenzen G]gggggggggE]ggggggE]ggE]ggggggggs3gggE]Ej5]g]g]E]E]S]E]siE]E]g3]EiEigiE]Ei 48 gggg^gggE]ggggggggg^gggB]E]E]E]E]B]BlE]EIE]ElB]E|E]E]B]E]E]E]E]G]B]E]E]E]E]G]E]EIE] des großen deutschen Kaiserreiches überschreitet; Ernst Haeckel hat dies getan ; er gehört der weiten Welt des freien Gedankens, dem könig- lichen Reiche universaler Wissenschaft an ; und wenn erst der Mensch in den vollen Besitz seiner Kräfte gekommen ist, wird Haeckel in Deutschland mehr gefeiert werden als Friedrich der Große, Pasteur in Frankreich mehr als Napoleon, Lister in England mehr als Wel- lington. Eines Tages wird eine Urne in Jena mehr verehrt werden als das ruhmreiche Grab in Potsdam. Die Menschheit muß lernen, daß die Fackel des Denkers mächtiger ist als das Schwert des Krie- gers. Haeckel hat unsterblichen Ruhm erlangt, nicht weil er danach strebte, sondern durch die Gewalt der Tatsachen. Er hätte dem zu- stimmenden Urteil wissenschaftlicher Männer gar nicht ausweichen können, die gern ihre Häupter beugten und ihre Ohren öffneten, wenn „der vornehmste aller Deutschen" vorüberging. Es ist gut, daß wir, die wir soviel durch seine Arbeit gewonnen haben, uns aufmachen sollen, um ihm jetzt die volle Ehre zu erweisen. Ich hätte beinahe gesagt, „seine abnehmenden Jahre"; aber ein Mann wie Ernst Haeckel nimmt nicht ab ; immer ist da Wachsen und Ausdehnung ohne Grenzen. Diese schöne Gelegenheit, wo wir von allen vier Weltgegenden zusammenkommen, um dem wissenschaftlichen Titanen unserer Zeit zu huldigen, soll uns zum Bewußtsein bringen, daß wir noch ernste Pflichten vor uns haben. Haeckels flammende Worte: „Der Kampf ist der Vater aller Dinge" soll jeden seiner Nachfolger zu doppelter Energie und zu unerschütterlichen Hoffnungen anspornen. g»ct> 4 Haeckel-Festschrift. Bd. II AQ ggggg§g^E]3]E]B]B]E]E]E]G]E]E]E]E]EJE]E]EJE]E]E]513333SS§13E2]E]E]5i35]S53E15iE1515]3 M. H. FLOTHUIS, AMSTERDAM o o o Es mögen im tiefen Grund des menschlichen Bewußtseins Ahnungen und Gefühle ein traumhaftes Dasein führen, schönen Schmetter- lingen im Puppenstand vergleichbar, die des beschwörenden Zauber- wortes harren, das sie ans Licht fördert, um den Geist mit schönen und klaren Gedankengebilden zu bereichern. So war der Name Haeckel für mich mit einer Art magischen Zaubers umkleidet, wie viel früher der Name Shakespeare mir klang wie die süße Verheißung einer ge- heimnisvollen Welt, geisterhaft und magisch und doch lebendig und wirklich, ein ewiges Märchen von Schönheit. Und wie die Geister- stimme des Hamlet alle meine Ahnungen aus ihrer Erstarrung löste und seine Worte mir zur subjektiven Seelenoffenbarung wurden, so klangen mir auch die Worte der „Welträtsel" wie eine Bestätigung dunkler Empfindungen; sie lösten mir nicht nur wichtige Fragen, sondern waren häufig Frage und Antwort zugleich, da ja unser Denken infolge erblicher Anlage und herkömmlicher Erziehung manchmal im Banne der Tradition befangen ist, sodaß wir durchaus nicht immer die Frage richtig eu stellen vermögen. Denn außer den religiösen Kirchendogmen existieren im Denken fast aller Menschen, auch der Gebildeten, Vorstellungen allgemeinerer Natur, nicht weniger anfecht- bar als jene, deren angenommene Richtigkeit gewöhnlich nicht einmal genau geprüft wird; auch diese verdunkeln unsre Erkenntnis oft in solcher Weise, daß wir die Probleme nicht klar unterscheiden können. Wer sich vorurteilsfrei der Wirkung von Haeckels „Welträtsel" hin- gegeben hat, wird erfahren haben, daß es dem Verfasser wie fast keinem andern gelungen ist, auch solche Dogmen allgemeiner Art scharf zu erfassen und ihre Hinfälligkeit von naturwissenschaftlichem Standpunkt zu beleuchten. Dazu rechne ich z. B. ziemlich allgemein geltende Sätze, u. a., daß der Geist höhere Bedeutung habe als der Stoff, daß Glauben und Wissen unabhängig von einander ihren Wert haben, daß Gemüt und Vernunft getrennte geistige Gebiete seien, daß man Ehrfurcht vor jeder religiösen Überzeugung haben solle u. dgl. Indem Haeckel nur die Vernunft als oberste Richterin in geistigen Fragen anerkennt, richtet er sich nicht nur gegen die Glau- benssätze der offenbarten Religionen, sondern ebenso gut gegen diese 50 und ähnliche Gespenster der Tradition, die vor seiner kritischen Logik längst geflohen wären, wenn nicht am Panzer der Dummheit und Trägheit die schärfsten Pfeile der Vernunft immer wieder wirkungslos abprallten. Versuche ich hier die wichtigsten Ergebnisse der „Welträtsel" als Niederschlag persönlicher Eindrücke zusammenzufassen, so scheinen mir nach fast fünfzehnjähriger Existenz des Buches folgende Schlüsse festzustehen : Es ist dem Verfasser gelungen, für gebildete Leser eine populär- wissenschaftliche Darstellung zu geben vom Stande der Naturphilo- sophie am Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei Welten werden bis zum Schluß scharf und klar einander gegenübergesetzt : die vom außerweltlichen Geist beherrschte Materie und die Welt der universalen Substanz mit ihren zwei Attributen: Geist und Materie. Die weitreichenden Folgen der Annahme von der einen oder der anderen dieser zwei Welten für das Kulturleben: der dualistischen, die zum theokratischen, von vernunftwidrigen Gesetzen beherrschten Staat, und der monistischen, welche zumnomokratischen, auf vernünftigen Naturgesetzen beruhenden Staat führt , werden ein- gehend geschildert. Das Buch hat vor andern rein wissenschaftlichen Werken einen hohen sittlichen Wert voraus, indem sich sein Verfasser nicht wie die meisten Fachgelehrten mit den realen Ergebnissen seiner wissenschaft- lichen Forschung begnügt, sondern vom Standpunkt seiner Natur- erkenntnis auch die sittlichen Fragen des Kulturlebens in den Kreis seiner Betrachtung zieht. Die beiden Methoden der Erkenntnis: Erfahrung und Denken, werden fortwährend berücksichtigt und zu einheitlicher Darstellung glücklich angewandt. Es spricht sich in dem Buche ein großer Charakter aus, indem der Verfasser kühn und rücksichtslos die unerbittlichen Konsequenzen seiner erfahrungsgemäßen Erkenntnis zieht : hierdurch wird die Logik fast zur Poesie. Das Buch ist frisch und naturwahr, frei von zopfiger Schulgelehr- samkeit und hebt sich durch klare Definition der Begriffe vorteilhaft ab von der Verschwommenheit und Undeutlichkeit vieler philo- sophischer Werke. 4* 51 Diese Schlüsse drängten sich mir auf, als ich die „Welträtsel" ge- lesen hatte, und wiederholte Lektüre bestätigte mir deren Richtigkeit. Gebildete Leser haben mir oft ihr in mancher Hinsicht übereinstim- mendes Urteil mitgeteilt. Ich habe mit obigen Behauptungen kein kritisches Urteil aussprechen wollen; ich will nur sagen, wie sich das Buch in meiner Seele widerspiegelte. Ich habe es ans Herz ge- schlossen und halte es trotz all seiner Mängel und Unvollkommen- heiten wertvoll als einen köstlichen geistigen Besitz. Es erschien mir als eine der schönsten und frischesten Blüten des deutschen Geistes, ein vollkommener Gegensatz z. B. zu Adolf Bartels' ,, Heine-Buch", das ich als eine der fadesten und elendesten betrachte. Wer sich, wie ich, viel mit deutscher Dichtung und deutschem Geistesleben über- haupt befaßt hat, wird mich hier wohl verstehen. Es ist nun einmal nicht anders: dieselbe Natur, die das königliche Tier erzeugt, das die Wüste durchrennt, gebiert auch den Wurm, der am Staube klebt. Gegenüber den erwähnten Vorzügen der „Welträtsel" auch seine Mängel hervorzuheben, ist weder geboten noch erwünscht. Licht und Schatten des Werkes sind von weit berufeneren Kritikern wiederholt eingehenden Besprechungen unterzogen worden. Als beschämend für den angeblich aufgeklärten Teil der Kulturvölker darf es bezeichnet werden, daß das Buch gerade in der fortschrittlichen Presse mitunter aufs heftigste angegriffen wurde. Ich erfuhr dies mit meiner Über- setzung der „Welträtsel", worüber in einer unsrer größten und an- gesehensten neutralen Zeitungen (De Telegraaf) womöglich noch ab- fälliger geurteilt wurde als in der gläubig -kirchlichen Presse. Der geistreiche Rezensent behauptete in diesem Blatte am Schluß seiner Besprechung, daß Haeckel durch die Veröffentlichung der „Welt- rätsel" den letzten kleinen Überrest von Achtung, die große Natur- forscher noch vor ihm gehegt hätten, verwirkt habe. Ja, wir sind in Holland eben sehr unterrichtet und furchtbar fortgeschritten. Unsre Künstler und Gelehrten sind nicht so leicht zu befriedigen. Wir sind eben „schon weiter". Haeckel und sein Monismus: „überwundener Standpunkt". Vergegenwärtigt man sich dann einen Moment, wer dieser Kauz im „Telegraaf" und wer „Haeckel" ist, so wird die Sache komisch. In der Kunst und Wissenschaft kann man bei uns hin und wieder ähnlichem begegnen. Hat nicht in einer unsrer Hauptzeit- schriften Herr Professor Kohlbrugge überzeugend und gründlich 52 ggE]ggggggggggggggggG]ggggE]ggE]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]EiEiB]E]E]E]BjE]EjG]EiE]E| dargelegt, daß Goethe mit der Naturwissenschaft eigentlich nichts zu schaffen hat, daß dessen Forschungen gleich Null bedeuten und man denselben allen wissenschaftlichen Wert absprechen muß? Als Künstler: allen gebührenden Respekt natürlich! Aber nein, sagt Herr Querido, auch seine Kunst ist anfechtbar: „Faust", „Tasso", „Iphi- genie" sind dramatische Mißgriffe, seine Gestalten keine lebendigen Schöpfungen, bloß Gedankengebilde, dem Symbolischen eingepflanzt. Und Herr van Deyssel spricht von einem „wenig wertvollen Faust". Man sieht es, wir stehen eben nicht zurück, wir lassen uns nichts vormachen. Glücklicherweise liegen auch in meiner Heimat viele günstige Ur- teile über die ,, Welträtsel " vor, und sowohl das Original wie meine Übersetzung dürfen sich des Interesses weiterer Kreise erfreuen. Mein erster Gedanke, nachdem ich mich in die Lektüre vertieft hatte, war: das muß ein großer und freier Mensch geschrieben haben, und als ich einige Jahre später die Kunststätten klassischer deutscher Dichtung, Jena und Weimar, besuchen wollte, ergriff mich der lebhafte Wunsch, den greisen Naturforscher zu sehen und wenn möglich persönlich mit ihm bekannt zu werden. Meinem diesbezüglichen Anliegen wurde von Haeckel in der liebenswürdigsten Weise willfahrt, und an einem Sommernachmittag empfing er mich in seinem einfachen Studier- zimmer mit dem Ausblick auf die Gebirge des anmutigen Saaletals. Er hatte sich kaum erholt vom Schenkelbruch, den er im Frühling des Jahres erlitten hatte, und mußte sich, auf einem Polster ruhend, mit mir unterhalten. Trotzdem erhob er sich dann und wann, wenn der Eifer des Gesprächs ihn seine Qual vergessen ließ, und schleppte sich mühsam nach seinen Büchern und Mappen mit Bildern, die er mir zeigte. Es war ein ergreifender Anblick: der Mann, dessen Geist das Gesamtgebiet der biologischen Wissenschaften zu umfassen ver- sucht hatte, der in liebedürstender Naturempfindung durch alle Erd- teile gewandert war, mußte sich mit dem engen Räume seines Zimmers begnügen. Ich konnte den Gedanken an einen Vogel im Käfig nicht unterdrücken, aber bald zeigte es sich, daß der Geist in diesem halb- gelähmten Körper ungebrochen war; die geistsprühenden Augen, der heitere Sinn des Forschers machten alsbald das körperliche Leiden vergessen. Wir sprachen über den „Monismus" und die „Welträtsel", über Goethe und schließlich auch über die politischen Verhältnisse in ggggE]ggggggggggB]ggggE]g^g^g^3gE]E]E]5]E]E]E]51E35]EjB]gE)E]BlS3E]ElE]B]E]El 53 gggggg^ggggggggggggB]E]ggE]E]E]G]B]E]E]E]E]ElEJE]E]EJE]E]E]B]E]E]ElE]B]G]G]E]G]E]E] Holland und Deutschland. Ich wollte in Haeckels Gegenwart ver- suchen, das Faustproblem von der naturwissenschaftlichen Seite zu erfassen, und wagte die Meinung, daß, falls Goethe die Stufenleiter der Entwicklung aller Lebewesen vorausgeahnt habe, die Natur im „Faust" auf der höchsten Stufe erscheine und so die Möglichkeit nahe- liege, daß sie sich ihrer selbst bewußt werde. Da Faust nun aber die geistige Gebundenheit mit allen irdischen Geschöpfen teile, müsse diese Unzulänglichkeit notwendig seine zwischen zwei Welten schwe- bende Gemütspein herbeiführen. Haeckel erblickt wie ich in Goethes „Faust", mithin in Goethe selbst, den höchsten geistigen Gipfel der Menschheit und mußte gestehen, daß die Frage des Bewußtseins ein höchst schwieriges Problem sei, das mit der dunkeln Substanzfrage unmittelbar zusammenhänge. Es scheint mir unzweifelhaft, daß der „Faust" in organischem Zusammenhang mit Goethes naturwissen- schaftlichen Forschungen steht, und daß diese Auffassung der ästhe- tischen Kritik durchaus nicht zuwiderläuft. Haeckel versicherte mir, daß Goethes Naturstudium keineswegs als Dilettantismus bezeichnet werden darf: Goethe hat in Jena längere Zeit fast täglich auf der Universität Anatomie getrieben, und die Ergebnisse seiner Forschungen sind durch die großartigen Erfolge der modernen Naturwissenschaft vielfach bestätigt worden. Haeckel erkundigte sich auch nach den politischen Verhältnissen in meiner Heimat, und ich sagte, daß bei uns fast während eines halben Jahrhunderts ein gemäßigter Liberalismus geherrscht habe, der sich zur Zeit, da es noch keine aufstrebende Demokratie gab, mit selbst- gefälliger Behaglichkeit das wissenschaftliche Mäntelchen umgehängt habe und sich so als der natürliche und unentbehrliche Lenker des Staates betrachtet habe. Später aber, als dieser Liberalismus sich nur im Bund mit einer kräftigen Demokratie gegen die immer ge- schlossener und zielbewußter vordringenden klerikalen Parteien be- haupten konnte, hat sich der konservative Teil dieser angeblichen „Aufgeklärten" den politischen Mächten des Glaubens in die Arme geworfen und hat die freisinnige Regierung einer kirchlich-gläubigen Herrschaft weichen müssen, die sich stützt auf den Materialismus der Reichen und die geistige Borniertheit der Massen. Haeckel sagte, daß diese Erscheinung sich im großen oder kleinen in der ganzen Kultur- welt wiederhole, nicht in letzter Linie in Deutschland, wo das „Zen- Ejggg]E]ggggggggggE]ggggB]ggG]ggggggG]E]G]G]S]E]B]E]S]B]B]E]E]E]E]ElE]B]B]E]EJEi 54 ggBjgE]ggE]§ggggBJS]ggggB]ggggggE]B]E][5]E]E]E]E]E]E]EJElE|E]E]E]GJE]E]E]ElE]E]E]E]El trum" längere Zeit die politische Vorherrschaft behauptet habe. (Bei den Wahlen 1913 hat übrigens in Holland die Linke wieder mit einer sehr kleinen Mehrheit gesiegt.) Nach diesem Besuch habe ich das Glück erfahren, noch hin und wieder briefliche Mitteilungen und Schriften, teilweise auch polemi- scher Art, von Haeckel zu erhalten. Eine der letzten, Sandalion (November 1910), hat an Klarheit, Schärfe und Temperament gegen die früheren noch nichts eingebüßt. Ernst Haeckel ist für mich in seinen Werken und seinem Leben eine der größten Erscheinungen im Kulturleben der Völker, ein Mann von gewaltiger Tatkraft, dessen erstaunliche Gelehrsamkeit künstlerisch durchhaucht ist ; ein unermüd- licher Kämpfer für Wahrheit und Fortschritt, ein trotz menschlicher Schwächen und Verirrungen hoher sittlicher Charakter. §Si]iggE]gG]gg§§g§ggggggg^gggsggG]e]E]5]GjG]E]G]5]E]E]E]S]G]E]E]E]E]G]E]E]E]GJ 55 JOUSSET DE BELLESME, BRÜSSEL o o o Es ist mir wirklich eine lebhafte Freude, meinen Tribut der Be- wunderung und des Lobes zu Ehren des berühmten Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel mit dem der ganzen Welt zu ver- einigen. Von den Werken dieses Gelehrten waren es hauptsächlich die „Generelle Morphologie", „Die Schöpfungsgeschichte", „Die Anthro- pogenie" und der Vortrag über „Zellseelen und Seelenzellen", welche mein Interesse gefangen nahmen. Sie hatten den größten Einfluß auf meine Geistesrichtung, die darauf bereits durch das eifrige Stu- dium des „Discours sur la methode" von Descartes vorbereitet war. Diese vier Schriften hatten in Frankreich wenig Beachtung ge- funden. Die Radiolarienmonographie dagegen wurde von Zoologen geschätzt, aber der Einfluß, den dieses Werk hätte ausüben können, wurde zum Teil durch die aus ihm entspringenden Schlußfolgerungen zunichte gemacht. Man konnte mit Leichtigkeit bemerken, daß das Studium dieser niedrigen Organismen, die von Seiten der Naturforscher fast völlig unbeachtet geblieben waren, der Lehre von der Unver- änderlichkeit der Arten einen vernichtenden Schlag versetzte; und diese Lehre war eine der Grundtheorien, welche die Basis des Unter- richts für die offiziellen Gelehrten abgab. Als diese Werke erschienen, war gerade das Museum, die Sorbonne, das College de France unter der ausschließlichen Herrschaft einer Gruppe von Naturwissenschaftlern, an deren Spitze die Milne Ed- wards allmächtig regierten. Als sich dann von allen Seiten die Evolutionstheorie erhob und ein neuer und befruchtender Strom die Biologie durchflutete, als dann von allen Seiten die Entdeckungen in der Embryologie sich häuften, da brachte diese Gruppe einflußreicher Gelehrten, die jeder neuen Idee feindlich war und vor allem jeder Theorie, welche die veralteten Dogmen der Schöpfungsgeschichte und der Unveränderlichkeit der Arten bedrohen konnte, da brachten diese Gelehrten eine Verschwö- rung zustande, welche die folgenreiche Bewegung totschweigen sollte ; und als diese Bewegung bald die zoologischen Wissenschaften erneuerte, war damit die zurückgebliebene französische Wissenschaft isoliert. 56 ggggggggggggE]ggggggggB]E]E]E]E]E]E]B]B]G]E]E]EiE]E]EiE]EiE]E]E]E]E]B]E]B]EiE]EiE]E] Bis zum Jahre 1892 widerhallten die Gewölbe der Sorbonne kein Wort über Entwicklung und Umgestaltung: der offizielle Unterricht ignorierte sie, ebenso wie sie die Namen von Darwin, Haeckel, Huxley, Preyer und vielen anderen ignorierte. Zwar ein paar vereinzelte Persönlichkeiten wie Ch. Robin, Claude Bernard, Berthelot, Giard und andere folgten von weitem der Be- wegung, begriffen deren Wichtigkeit und sahen klar ein neues Licht in der Phylogenie, welche Haeckel in monumentaler Weise auf dem festen Boden seiner eigenen Forschungen wie der bewunderns- werten histologischen und embryologischen Arbeiten errichtete, welche von allen Seiten in England, Deutschland und Rußland her- kamen. Die Lehren Haeckels drangen nach und nach in dieses Milieu. Claude Bernard nahm die Einheit der Kraft, der Materie und der Empfindung an, und oft streiften meine Unterredungen mit diesem berühmten Meister diese Dinge, die er mit der Kraft seines Geistes, die er in allen Dingen zeigte, gern entwickelte. Ohne daß er jemals das Wort „Monismus" anwendete, findet man doch in seinen letzten Werken die wesentlichen Züge dieser Lehre wieder, und er erkannte ohne Rückhalt die phylogenetischen Vorstellungen Haeckels an. Während die Zeit vorrückte, verschwanden allmählich die offi- ziellen Korps, die systematisch jeden Gedanken unterdrückten, der dem Dogma widersprach, und eine Anzahl junger Leute, unter der Führung eines tüchtigen Zoologen, Alfred Giard, entwickelte sich trotz des Schweigens, in das man die neuen Lehren hüllte. Der letzte Vertreter jener rückständigen Schule, Lacaze-Duthiers, starb, und endlich wurde 1892 in der Sorbonne durch den Gemeinderat von Paris ein Lehrstuhl für die Entwicklungslehre geschaffen. Zum erstenmal konnte die Jugend öffentlich die Lehren von der Entwicklung, der Abstammungslehre und der Phylogenie vortragen hören, von denen die Zoologen anderer Nationen seit einem halben Jahrhundert inspiriert worden waren. In einem gewissen Punkt läßt sich zwischen Bernard und Haeckel eine Parallele ziehen. Beide haben den Wert der Philosophie eingesehen, und anstatt sie aus dem wissenschaftlichen Gebiet zu verbannen — wie es Vir- chow und Kirchhoff getan hatten — , haben sie sie an ihren wahren 57 ggBjgggggBiE]S]ggggggB]gggE]gggggg5]5]E]E]E35]3]E]EiB]B]B]EjE]E]E]E]E]E]EiE]E]B]3i Platz zurückgesetzt, wo Erfahrung und Schlußfolgerung sich die Hand reichen. Die Erfahrung ist nie für den Dualismus günstig gewesen, denn niemals hat man ihr die übersinnlichen Prinzipien, die diese Lehre voraussetzt, unterwerfen können. Der von dem berühmten französischen Physiologen so klar definierte Determinismus führte geradenwegs zu der monistischen Lehre, welche von Haeckel mit ebensoviel Talent wie Feuer geschaffen und verteidigt wurde. Sein Einfluß auf den wissenschaftlichen Geist ist unbestreitbar, und schon als er noch kaum bekannt war, ging er darauf aus, zu herr- schen und sich des menschlichen Denkens zu bemächtigen. Sogar Haeckels Lebenslauf ist ein merkwürdiges Beispiel der Ent- wicklung; seit seiner Jugend verdichtete sich in seinem mächtigen Hirn ein Netz zahlloser Forschungen, die im gegebenen Fall zur Reife gelangten und alle in der wahrhaft wissenschaftlichen Theorie des Monismus gipfelten. Die kindliche Auffassung, welche Körper und Seele, Menschen und Tiere voneinander trennte — der jahrhundertalte Dualismus — konnte unmöglich aufrechterhalten werden angesichts der schlagen- den Beweise, welche Haeckel unaufhörlich anhäufte, um die Einheit des Universums darzutun. Indem er mit Sicherheit und einer seltenen Unabhängigkeit des Geistes die inhaltlosen metaphysischen Vorstel- lungen zurückwies und die Widersprüche der Philosophen aufhob, wollte er Schlüsse nur aus erwiesenen Tatsachen ziehen, und so hielt er sich an die Vorschrift der Kartesischen Methode, die so viele große Geister gebildet hat: ,, Nichts für gewiß zu halten, was nicht voll- kommen erwiesen ist." Der fabelhafte Einfluß Haeckels auf das menschliche Denken ist vielleicht in Frankreich schwächer als anderswo geblieben. Dieses Land steht unglücklicherweise so sehr unter dem Joch eines alten theokratischen Atavismus, daß es trotz der Anstrengungen hervor- ragender Größen nicht dazu kommt, sich von ihm zu befreien. Es ist gewiß, daß die philosophischen Lehren des berühmten Ge- lehrten, dessen 80. Geburtstag wir feiern, nur schwer in die große Menge Eingang fanden oder auch nur in die Welt der Intellektuellen auf- genommen werden konnten. Der Zugang zu diesen hohen Gedanken- gipfeln ist nur solchen gestattet, deren Geist durch das solide und aus- schließliche Studium der biologischen Wissenschaften genährt wurde. 58 Diesen aber drängt sich der Monismus mit jener unwiderstehlichen Gewalt auf, die die Wahrheit besitzt. Die Masse betrachtet diese er- habenen Vorstellungen mit einer gewissen Gemütsbewegung, ähnlich der, die den Wanderer beim Anblick eines kolossalen Gebirges er- greift, dessen Höhe ihn erdrückt. Deshalb konnte der Monismus nicht volkstümlich werden; er blieb im Alleinbesitz einer privile- gierten Elite. In keinem Zeitalter war die Wahrheit bei der Majo- rität, wie auch Descartes so treffend gesagt hat: „Eine Wahrheit zu finden, ist nur einer kleinen Zahl von Menschen möglich." Haeckel soll nicht nur um seiner Werke willen gelobt werden, sondern auch wegen der Standhaftigkeit seiner Überzeugungen und der Unabhängigkeit des Geistes, mit welcher er sie aufrechterhalten und entwickelt hat, ohne sich darüber zu beunruhigen, ob sie die Empfindlichkeit der Herrschenden reizen könnten. Es ist sehr selten, daß ein Gelehrter gewagt hat, sein ganzes Denken zu offenbaren. Descartes fürchtete den Scheiterhaufen, und heute fürchtet man für seine Interessen. Haeckel war frei von diesen Schwächen. Er bekannte seine Gesinnung furchtlos, und wenn seine Aufrichtigkeit von Regie- rungen scheel angesehen wurde, welche gern den Irrtum zum Zwecke politischer Herrschaft aufmunterten, so gewann er die Anerkennung aller aufrichtigen Denker. Er zog auch in Betracht, daß der Monis- mus die Erziehung der Kinder beeinflussen sollte. Er sah ein, daß die Wahrheit nur dann triumphieren wird, wenn die Zeitgenossen oder die Regierungen die Klugheit und Festigkeit haben, die Erziehung der Jugend den irrigen Dogmen des Aberglaubens zu entziehen. Er betonte die Wichtigkeit, welche die Ergebnisse der Wissenschaft für die Bildung der jungen Generation besitzen. Nur auf dem Boden einer wissenschaftlichen Weltanschauung können Friede und Einigkeit in der Menschheit herrschen. Eine Regierung, welche die Jugend durch die Feinde ihrer eigenen Einrichtungen erziehen läßt, geht an den inneren Mißhelligkeiten, an Zwietracht und Bürger- krieg zugrunde. Den Kopf hochzuhalten, ohne dem Aberglauben Zugeständnisse zu machen, diesen zu bekämpfen, eine Handvoll Wahrheiten in seiner Faust zu spüren und sie zu öffnen, das beweist einen Mut, den man nicht oft erlebt, und dem man seine Hochachtung bezeugen muß, wenn man ihm begegnet. E]gggE]5]g^gg5]ggg^g^^^gggggggE]5]E]ElE]E]ElE]B]E]E]E]E]S]E]B]E]E]EJE]E]E]E]E]EJEl 59 Laßt uns also Haeckel am Tage seines 80. Jahres unsere Hoch- achtung bezeugen; laßt uns unsere Hochachtung bezeugen dem un- geheuren Umfang seiner Arbeiten, seiner staunenswerten Laufbahn, seinem frischen und heldenmütigen Alter. Er kann mit Befriedigung zurückblicken und den Weg abmessen, welchen er den menschlichen Geist hat durcheilen lassen, und vom Gipfel, auf den sich sein Denken erhoben hat, mit Vertrauen die dem Monismus und der Wahrheit geöffneten Pforten der Zukunft ins Auge fassen. gggggggggggggggggggggB]G]E]E]B]E]ElE]E]B]E]E]B]E]B]E]B]E]E]G]E]G]E]E]EjE]G]g]E]E]g] 60 FRIEDRICH GLATZ, WIEN : WAS HAT ERNST HAECKEL DEM SCHON RELIGIÖS AUFGEKLÄRTEN GEBRACHT? o o o Auch der einfache Kaufmann darf sich am Festtage von Haeckels 80. Geburtstage zum Worte melden. Wendet sich dieser in seinen volkstümlichen Werken doch an die Gebildeten aller Stände. Allerdings ist der Begriff des Gebildetseins umstritten. Allein Haeckel fordert zweifellos nicht sowohl ein bestimmtes Maß formaler Bildung, als vielmehr die Kenntnis gewisser Fundamentalsätze der Naturwissenschaft, wie: des heliozentrischen Systems, der alles beherr- schenden Naturgesetzmäßigkeit, davon insbesondere des Substanz- und des Konstanzgesetzes, der Atomtheorie, des Energiebegriffs und vor allem der Deszendenztheorie. Dieser Wissensstoff ist aber heute Ge- meingut der breitesten Kreise. Ich habe sie nicht erst durch die Lektüre der Schriften Haeckels erworben. Mein Vater war Redakteur. Alle bedeutenden Errungen- schaften der Wissenschaft, alle neuen fruchtbaren Theorien wurden im Familienkreise besprochen, in welchem Politiker, Professoren und sonstige Intellektuelle verkehrten. Allein die Frage, was auch der schon von Haus aus religiös vollkommen Aufgeklärte dem Einflüsse Haeckels zu verdanken hat , ist nicht weniger der Beantwortung wert als diejenige nach dem Einfluß, den der vorher Gläubige oder religiös Indifferente durch die aufrüttelnde Aufklärung Haeckels erfahren hat. Um ein solches durch Haeckel bewirktes „finishing" einer schon vorhandenen Aufklärung in ihrer Bedeutung verständlich zu machen, ist es nötig, sich die Kämpfe in Erinnerung zu rufen, welche sich im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zwischen kirchlichem Geist und Kulturfortschritt abspielten. „Das Leben Jesu" von D. Strauß hatte, als echtes Volksbuch, weit über den Kreis seiner Leser hinaus gewirkt, da der Kern seines Inhaltes, daß die Bibel keine offenbarte heilige Schrift, nicht einmal ein einwandfreies historisches Dokument, sondern tendenziöses Men- schenwerk und daß Jesus kein Gott, sondern ein Mensch sei, leicht weiterverbreitet werden konnte. So drang das Ergebnis der Bibelkritik nicht nur in das Pfarrhaus, sondern auch in die Arbeiterhütte, ja selbst g§E]ggggG]gggggggg§ggggggggE]gEiE]G]E]E|EiG]gE]E]ggG!§E!G]G]E]G]gE]G]gEiE) 6l 0B]ggggggBjBjggggggggE]gE]ggB]gE]ggE]gB]BjE]E]E]EiE]E]B]EiE]G]E]EiE]E]E3EiG]E]E]E] in die Schule ein, wo es mit wichtiger Miene von Kamerad zu Kamerad weitergesagt wurde. Die Grundlage allen konfessionellen Glaubens schien mit einem einzigen zermalmenden Schlage vernichtet. Strauß war von Haus aus kein Kirchenfeind. Als gläubiger Theologe hatte er sich an das Studium der synoptischen Evangelien gemacht. Um so wuchtiger war die Wirkung seiner Kritik. Bleicher Schreck erfaßte die kirchlichen Kreise. Andererseits hielten die Fortschrittsfreunde einen völligen Wandel unserer gesamten geistig-sittlichen Kultur nun für unmittelbar bevorstehend. Allein weder die Sorge der einen noch die Hoffnungen der anderen erwiesen sich als gerechtfertigt. Ja gerade der glimpfliche Verlauf der in der Bibelkritik gelegenen Bedrohung der traditionellen Weltanschauung hatte die Kirche erst zum vollen Bewußtsein ihrer anscheinend unüberwindlichen Stärke gebracht. Übermütig sprachen ihre Kreise von dem Bankerott der Wissenschaft, welche doch keine, die Menge befriedigenden Antworten auf die letz- ten Probleme der Welt geben und der Herrschaft der dogmatischen Religion daher auch keinen Abbruch tun könne. Dem Mißerfolge im Kampfe gegen die Kirche auf geistigem Gebiete folgte derjenige in der Politik. Der Kulturkampf in Deutschland hatte mit einem Fiasko der weltlichen Macht geendet. Während die Naturwissenschaften immer größere und größere Errungenschaften erreichten, welche ausnahmslos die Negation der alten Tradition be- deuteten, gewann die Organisation der letzteren, die Kirche, auf den meisten Gebieten des öffentlichen Lebens, insbesondere in der Schule, ununterbrochen zunehmenden Einfluß. Recht unerfreulich war auch der Gemütszustand des einzelnen Aufgeklärten. Eine vollkommen befriedigende naturwissenschaftliche Begründung der sittlichen Forderung, die Überwindung der atavisti- schen Wertungen im Gemütsleben und ganz besonders die Organisation einer, den einzelnen Fortschrittlichen stärkenden Gemeinschaft schie- nen noch in unabsehbarer Ferne zu liegen. Wie verfrüht Erwartungen nach dieser Richtung gewesen waren, zeigte sich auch äußerlich deut- lich in dem bedauerlichen Mißerfolge von D. Strauß' „Alter und neuer Glaube". Mit Resignation ergab man sich darein, sich einstweilen nur an den herrlichen Leistungen der Naturwissenschaft und der kri- tischen Geschichtsforschung auf ihren verschiedenen Einzelgebieten erfreuen und sich durch sie in dem Glauben an die Gesamtwissenschaft SSE]E]gggggggggggggggE]gE]gggggggggE]gB]E]B]BjE]BjgB3E]E]E]E]E]E]E]E]EiE]E] 62 als zukünftige Bringerin neuen Menschentumes erheben lassen zu können. Da ging Ende der achtziger Jahre durch die gesamte gebildete Welt der Ruf nach Begründung von ethischen Gesellschaften. Los- lösung der sittlichen Sanktion von allem Konfessionalismus war das alle Freunde der Wahrhaftigkeit elektrisierende Losungswort. Das Gute seiner selber willen zu tun, war ihre praktische Maxime. Die Namen der Besten unserer Kultur prangten auf den Einladungen zum Beitritt. Eine Welle der Begeisterung war durch jene geistig- sittliche Gemeinde gegangen, welche ja auch schon damals, wenn auch ohne jedwedes Gefüge, für das Streben vorhanden war, unser gesamtes Leben in Übereinstimmung mit der Wissenschaft zu bringen. Je berechtigter die großen Erwartungen zu sein schienen, welche an die ethischen Gesellschaften geknüpft worden waren, um so nieder- schlagender war die Enttäuschung, die viele ihrer Gründer bald er- lebten. Die Festlegung auf Kants zwiespältige Philosophie und eine fast ausschließlich auf das Subjektive gerichtete Auffassung der Ethik, endlich der Mangel genügender naturwissenschaftlicher Orientierung, welche Merkmale die Betätigung dieser Gesellschaften charakterisier- ten, konnten nicht zu einer den modernen Menschen befriedigenden Weltanschauung führen. Gerade in der allerwichtigsten praktischen Betätigung der deutschen ethischen Gesellschaft, in der theoretischen Vorbereitung einer Reform des Jugendunterrichtes, war ein Weg ein- geschlagen worden, welcher der programmatischen Loslösung vom Konfessionalismus nur scheinbar entsprach. Von dem im höchsten Maße katholisierenden Dr. F. W. Förster, Zürich, dem Autor der ethischen Lebenskunde, konnte ein rückhaltsloser Kampf gegen die dogmatische Überlieferung nicht ausgehen. Die neuerlich erlebte Enttäuschung war bitter. Allein die geschil- derte unrichtige Methode und das Versagen einzelner Personen er- klärten sie hinlänglich, und so war kein Grund vorhanden, an der guten Sache selber zu verzweifeln. Gerade die gemeinschaftliche Arbeit so vieler Fortschrittsfreunde, wie sie gelegentlich der Gründung der ethi- schen Gesellschaft erfolgt war, ließ die nahe Möglichkeit, eine neue Weltanschauung zu schaffen, sicher erkennen. Waren doch zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wenn auch nicht alle, so doch viele Ele- mente einer solchen in jedem Aufgeklärten vorhanden. Gleich einem ggggggggggggggE]E]ggB]gggB]ggggE3ggggggB]E3E]E]B]EiE]E]E]E]E]E]giE]E]G]E]B] 63 sorgfältig vorbereiteten und emsig zusammengeführten Baumaterial harrten sie des großen Baumeisters, der sie zu einem prächtigen Bau erstehen lassen sollte. Nur wenn man sich diese Verfassung von Geist und Gemüt der kulturellen Oberschicht jener Zeit vergegenwär- tigt, welche dem biologischen Zustande der äußersten Summation von noch latenten Reizwirkungen vor dem Auftreten der Mutation ver- gleichbar ist , läßt sich die ohne Beispiel dastehende , ungeheure Wir- kung von Haeckels Welträtseln verstehen. Als ich mich das erstemal durch die Welträtsel durcharbeitete, war ich von einem ganz neuen Glücksgefühl beseelt. Ein seit langen Jahren gehegtes Verlangen war durch dieses Werk erfüllt. Dieses durch und durch wissenschaftliche Buch war für Laien geschrieben, wie ich selber einer bin. Ja, in allererster Linie für solche. Wohl hat mich auch schon früher oft die Lektüre guter Bücher oder die Nachricht von einer wissenschaftlichen Großtat auf das höch- ste begeistern können. Allein solche Berichte waren ja meist nicht für den Laien bestimmt, und selbst recht gute volkstümliche Schriften brachten merklich immer nur ein Bruchstück von Weiterbildung. Nie hatte ich vorher aus solchen Erlebnissen eine Beeinflussung erfahren, welche sich zu irgendwelchen Entschlüssen gesteigert hätte. Mit einer einzigen Ausnahme: der von Forel gebotenen Aufklärung über den Alkohol als individuelles und Rassengift, welche mich von heute auf morgen zum absoluten Abstinenten gemacht hat. Es ist ein historisches Ereignis allerersten Ranges, daß Ernst Haeckel in seinen Welträtseln mit starker Hand, sicher und zielbewußt, die letzten Schranken restlos und endgültig niederreißt, welche seit jeher den Laien von dem höchsten Schatze seiner Zeit, von den Er- gebnissen der Gesamtwissenschaften trennen. Das hat mich mit tief- stem Danke für ihn erfüllt. Immer schon hatte ich in mir den An- spruch auf dieses wertvollste Kulturgut empfunden. Immer aber glaubte ich mir ihn als ungehörige Anmaßung ausreden zu sollen. Ist doch das Schlagwort von der Schädlichkeit oder Lächerlichkeit der Halbbildung nur zu wirksam. Haeckel hat dieses hohe Gut, so wie mir, so vielen Hunderttausenden gegeben. Er hat uns dadurch in unserer Selbstachtung gehoben, damit aber auch in uns den Willen geweckt, uns solcher Gabe würdig zu erweisen. Haeckel spricht aus, daß die monistische Bewegung letzten Endes eine ethische sein müsse. 64 3G]E]E]gggE]E]E]B]E]E]E]G]E]ElE]E]ElE]G]E]E]E]S51S§]§]E13E!E]S^33E]§]3E153§]3SE133351SE! Daß dem so sei, das wollen und werden wir Laien erweisen! Denn die wissenschaftliche Methode, diese wirkliche „via veritatis et vitae", dieser alleinige Weg zur relativen Wahrheit und absoluten, lauteren Wahrhaftigkeit, ist nun nicht mehr nur den wissenschaftlichen Berufen vorbehalten. Sie wird zum Kulturbesitz der ganzen Menschheit und muß im Alltagsleben für deren Höherentwicklung ebenso Großes voll- bringen, wie sie in der Forschung Großes vollbracht hat. Nicht so rasch wie der eben geschilderte beglückende Eindruck hat sich die spezifisch monistische Wirkung der Welträtsel in mir eingestellt. Absichtlich habe ich nicht von einer Lektüre, sondern von einem sich Durcharbeiten durch diese neue Gedankenwelt ge- sprochen. Stellt doch Haeckel gerade dem schon vorher Aufgeklärten eine recht große Aufgabe. Ein großer Teil meines früheren Wissens- stoffes wurde mir in der neuen Beleuchtung und im monistischen Zu- sammenhang eigentlich zu einer neuen Erkenntnis, welche ich erst wieder frisch verarbeiten mußte. Als ein Beispiel erwähne ich, daß die in den Welträtseln enthaltene Ablehnung der traditionellen Reli- gionen mir, dem reinlichen Atheisten, stofflich nichts Neues geboten hat. Allein sie hat an Stelle ihrer bisherigen bibelkritischen und vor- wiegend rein rationalen Begründung im Sinne Voltaires die unver- gleichlich wuchtiger wirkende der Anthropologie gesetzt. Umlernen ist aber oft schwieriger als etwas neu lernen. Und noch schwieriger als das Umlernen war es mir, gegen das in mir wir- kende Gesetz der Trägheit anzukämpfen und etwas von meinem alten Wissensstoff aufzugeben. War doch dieser zum Teil mit großer Mühe autodidaktisch erworben und im Laufe vieler Jahre gewissermaßen zu einem Teile meines geistigen Ich geworden. Seit meiner Schulzeit hatte es mich immer mit der allergrößten Befriedigung erfüllt, in der Gravitationslehre Newtons für die erhebend schönen Wunder des Kosmos eine restlose Erklärung zu erkennen. Und nun mußte ich mir sagen lassen, daß der Angelpunkt dieser Er- klärung, die Gravitation, selbst durchaus Problem ist; daß ihre Iden- tität mit der uns empirisch zugänglichen und darum scheinbar so vertrauten, in Wirklichkeit ganz rätselhaften irdischen Schwerkraft über ihr Wesen selber noch gar nichts aussagt. Erfreulicherweise blieb aber doch wenigstens die Tatsache der Gravitation selbst un- berührt. 5 Haeckel-Festschrift. Bd. II 65 i |E]^gggggggggggggB]ggggggE]ggggg^ggE]ggE]EiE]E)B]E]B]EjE]E]E]E]gE]E]E]E]E3 Um so weniger blieb mir armem Aufgeklärten von meinem sauer erworbenen philosophischen Wissen übrig, welches ich Kronenbergs Popularisation der Kantschen Philosophie zu verdanken hatte. Aller- dings habe ich von allem Anfang an eine gewisse heimliche Opposition gegen den Kantianismus in mir nicht ganz unterdrücken können, woran ich heute mit Genugtuung zurückdenke. Kants erkenntnistheoreti- scher Kritizismus, welcher ebenso zur Annahme wie zur Ablehnung des Gottesglaubens führen konnte, mußte in mir, der ich schon als Knabe von meiner Mutter im Unglauben erzogen worden war, starkes Bedenken erregen. Seiner Lehre von aprioristischen Kategorien un- seres Denkens zu folgen, kostete mich Mühe. Und Zeit und Raum als nicht real, sondern ganz ebenso wie das konventionelle Maß von Zeit und Raum als nur vom Menschen in die Natur projiziert aufzufassen, wollte mir schlechterdings nicht gelingen. Aber wie durfte ein ganz gewöhnlicher Laie zweifeln, wo wissenschaftliche Autoritäten zustimm- ten, — Haeckels Kritik der Kantschen Philosophie brachte mir eine wohltuende Befreiung, aber auch die Notwendigkeit, frisch zu lernen. Die durch die Welträtsel in Fluß gebrachten Änderungen meiner geistigen Verfassung ließen anfangs in mir kein Gefühl voller Be- friedigung aufkommen. Es war eine Art schwerer geistiger Ermüdung, in welcher ich das an starken Eindrücken überreiche Buch aus der Hand legte. Ganz allmählich und ohne daß ich mir seiner Nachwirkung gleich ganz bewußt geworden wäre, begann ich bei Diskussionen, bei irgend- welcher Lektüre, bei Urteilsbüdungen und Entschlüssen im Alltag die Dinge nicht mehr für sich allein, sondern immer mehr und mehr in ihren großen Zusammenhängen zu betrachten. Ich war auf dem Wege zum Monismus! Das alles umfassende System Haeckels war unmerklich und doch mit unwiderstehlicher Gewalt in mir lebendig geworden. Mein Wissen hatte sich zur Bildung entfaltet! Bei jeder Gelegenheit schlage ich nun gerne in dem mir liebge- wordenen Buche nach. Da merke ich mitunter mit Freude, wie mein Wissensstoff in dem einen und anderen Gegenstand über den Inhalt der Welträtsel hinausgewachsen ist. Die Lektüre der von Haeckel empfohle- nen Bücher, vor allem mancher Schriften Verworns, Semons und Tyn- dalls und des „Monistischen Jahrhunderts", haben mein Wissen erwei- tert und vertieft. Und erst hiernach und gerade jetzt, wo ich durch 66 die monistische Presse von den fortgesetzten Verbesserungen früherer Forschungsresultate durch die nie rastende Wissenschaft vielfach un- terrichtet bin, weiß ich in vollem Maße zu würdigen, wie genial die in den Welträtseln von Haeckel gebotene Grundlegung einer natur- wissenschaftlichen Weltanschauung ist. Dieser Entwicklungsgang ist zunächst ein rein geistiger. Es könnte daher leicht die Meinung entstehen, daß der Übergang zum Monismus etwas rein Verstandesmäßiges sei, wobei das Gemütsleben leer ausgehe. Dem ist aber ganz und gar nicht so ! Bringt er doch vor allem Wahr- haftigkeit, also die oberste Voraussetzung jedes reinen Gemütslebens! Gibt er doch eine die natürliche Sittlichkeit bewußt verwirklichende Lebensauffassung, die dem Monisten in jeder Lebenslage zu selbst- sicheren Entschlüssen kommen läßt! Hat uns doch Haeckel im Mo- nistenbund auch schon die menschliche Gemeinschaft gegeben, in welcher sich edles Gemütsleben entfalten kann und zukünftig noch schöner zu einem neuen Menschentume entfalten wird. An diesem aber hat jeder von uns nicht nur empfangend, sondern mitschaffend Anteil, und in diesem Bewußtsein liegt das höchste Glück, das ein moderner Mensch haben kann. Das danke ich Haeckel. Das wird ihm die Menschheit von Generation zu Generation in immer höherem Maße danken! gggggggggggggggggggggggggggggE]E]E]E]E]B]EiE]G]E]E]B]EiE]E]B]E]E]E]E]G]E]E]' 5* 67 3]ggg§g5]gggG]gggsggE]ggE]ggga§jg3ggSSS!E]E!G]G]E]G]E3BiG]E]EiE]E]gG]E]E]EiEj ERNST KOERNER, BERLIN: EXZELLENZ ERNST HAECKEL ALS MALER 0 0 0 Vierzig Jahre sind nunmehr verflossen, seit ich im April 1873 Pro- fessor Ernst Haeckel kennen lernte. Noch berauscht von dem Zauber des märchenhaften Pyramiden- landes ging meine Fahrt mit Carl Stangen nach Palästina. Durch schroffe Klippen, an denen die Wogen machtvoll brandeten, führten uns kleine Boote nach dem hochragenden Jaffa. Von dort ritten wir in zwei Tagemärschen über Ramleh, vorüber bei Emmaus, immer neue Anhöhen erklimmend, durch Berg und Tal, bis plötzlich dicht vor uns Jerusalem lag mit seinem alten Damaskustor in der trutzigen Stadtmauer und dem Turm des David. Vor uns erhob sich der ölberg, zu unseren Füßen dämmerte tief unten das Tote Meer. In vierzehntägigem Ritt, im Geleit von 25 Beduinen, Knechten und Köchen und einem großen Zeltlager erreichte die Gesellschaft zuerst Tiberias am See Genezareth und Caesarea Philippi. Dann ging es über den großen Hermon durch das steinige Tal Magia del Schems (das Sonnental) nach Damaskus, umgeben von einem Paradiesesgarten. Von dort führte der Weg zum Meere bei Beirut zuerst nach Baalbek mit seinen wuchtigen assyrischen Unterbauten, auf denen die gigan- tischen Tempel des Zeus und des Helios zu den Zedern und Schnee- feldern des Libanons emporragen. Von Beirut führte uns das Schiff zunächst nach Smyrna. Dort stieg ein hochgewachsener Mann ein. Aus seinem Antlitz, umgeben von blonden Locken und Vollbart, blickten freundlich zwei leuchtende Augen und sein frohes Lachen klang silberhell. Wir hielten ihn für einen Maler. Das war der schon damals berühmte Naturforscher Pro- fessor Ernst Haeckel. Er schloß sich in Athen der Gesellschaft an, und bald kamen wir beide uns näher in der gemeinsamen Begeisterung für die schöne Natur und die herrlichen Werke der Kunst. Wir blickten von der Akropolis herab auf den Piräus und die Insel Salamis. Im Vordergrund stand mit seinen ernsten Karyatiden das Erechtheion, vor uns die Propyläen, an welche sich damals noch der dunkle Kreuzfahrerturm wehrhaft ragend anlehnte. Von Athen fuhren wir durch die Dardanellen nach Konstantinopel, gggggE]g§§gg§gigggE)E]g§gggggggg§E]E]EiggE]G]G]E]gG]E]EiE]EjE]E]E]B]EiE]g 68 gggE]gE]gggEiggggggggi|ggggggg§|GlE)G)G]G)E)E]ElE]EJE!E]G]GlE]G)G]E]E]EJE]G]BlE]g o X e s < Ol S5 B o K o ü a £1 1/3 gggggggGjEjggBjE]E]gggB]gggE]gEjBiggEigggggE]EjB]§]E]E!E3B]gE]EjEjE]E3EiEjgBiG3 69 welches mit seinen Moscheen und Palästen wie ein Wunder aus „Tau- send und eine Nacht" erschien. Hier wollten wir beide einen Monat verweilen. So folgten wir gern der freundlichen Einladung des Sekretärs des Konsulats, Herrn Rohn- stock, in seinem zu Pera gelegenen, echt türkischen Hause zu wohnen. Dies Haus aus doppelten Bretterwänden gefügt, zwischen denen Mäuse und Ratten umherjagten, und welches im Innern zwar zerfallen, aber doch recht gemütlich war, eröffnete dem erstaunten Blick eine wunderbare Aussicht über den Bosporus mit dem Leanderturm, hin- über nach Asien, wo Skutari im Morgenduft von blendendem Licht umflossen war. Am Mittag erschien der Bosporus wie ein blaugrünes Damast- gewebe, in welches die Windstreifen anmutige Muster zeichneten. Dar- auf waren, wie eine Perlenstickerei, unzählige Schiffe mit ihren weißen Segeln ausgebreitet. Tief unten links spiegelten sich in der kristallenen Flut die Marmorpaläste von Dolma Baktsche und Tscheragan, welche das ganze Ufer weit hinaus umsäumten. Dahinter stiegen die üppigen Gärten des Sultans empor. Zu unserer Rechten streifte der Blick über das Marmarameer mit den Prinzeninseln bis zum Golf von Mudania und Brussa, zu den schneebedeckten Höhen des kleinasiatischen Olymps. Bald lernten wir unter Rohnstocks sprachkundiger Führung das alte Stambul kennen, besuchten die Marställe des Sultans Abdul Azis mit den mutigen Berberhengsten, ritten um die alten Stadtmauern nach Jedikule am Marmarameer und fuhren im Kaik durch das Gol- dene Hörn zu den süßen Wassern von Europa. Überall wanderte das Skizzenbuch und der Malkasten mit, und Haeckel entwarf seine Landschaften mit bewundernswerter Schnellig- keit. Auch ich war durch die kurzgemessene Rast auf dem Ritt nach Damaskus gewöhnt, kurzentschlossen meine ölstudien zu malen, aber im Aquarellieren kam ich in der Schnelligkeit mit Haeckel nicht mit. Mit unserem liebenswürdigen Wirt machten wir auch Ausflüge nach den Prinzeninseln und nach Brussa in Kleinasien. Er hatte unter- wegs geschäftlich zu tun. Vom Golf von Mudania führte uns ein Wagen bei einem Wäldchen von mächtigen, rauschenden Eichen vorüber zur alten Kalifenstadt Brussa. Dieselbe ist hingelagert an den Vorbergen des Olymps. Der feuchte, humose Boden erzeugt üppigste Vegetation, besonders die 70 schönsten Zypressen der Welt. Warme Heilquellen, große Webereien, Meerschaumschnitzereien, uralte Moscheen sind hier und echt orienta- lisches Leben. Überall wurde gezeichnet und gemalt. Haeckel war ein prächtiger Malerkollege, und ich merkte kaum etwas von der Tiefe seiner wissen- schaftlichen Erkenntnis. Erst als wir später den deutschen Konsul in Brussa besuchten, der ein glühender Verehrer Haeckels war und seine Werke besaß, auch mikroskopierten seine Töchter, da wurde mir erst klar, mit welcher Berühmtheit ich täglich so gemütlich wanderte ! Wir kehrten erst am 30. April 1873 nach Konstantinopel zurück. Zunächst unternahmen wir gleich am 26. April den Ritt auf den Olymp. Durch duftende Rosen- und Mandelbüsche blickte man auf die schönen Zypressen, welche in saftigstem Grün, hochgewachsen, die türkischen Gräber mit ihren steinernen Turbanen und Blumen um- standen. Beim Aufstieg hatte man noch einmal einen herrlichen Blick über die Stadt und die Ebene. Dann umfing uns der Frühlings wald mit Rauschen und Vogelsang. Und der ernste Gelehrte an meiner Seite freute sich wie ein Kind, kannte jede Vogelstimme und nannte mir die Namen der zierlichen Sänger. Als wir höher hinauf ritten, veränderte sich das Bild. Ein kahler, erstorbener Wald umgab uns. Kein Blatt bewegte sich an den rinden- losen Stämmen, welche grau, wie versilbert dastanden. Hatte hier ein Waldbrand oder die Heuschrecke gewütet? Es war, als befände man sich im Reiche der Schatten! Plötzlich umgab uns das Dunkel eines Tannenwaldes und bald vollkommene Alpenvegetation. Hinter einem kleinen Teich öffnete sich der Blick auf die Schneefelder des Olymps, deren Schmelze sich hier sammelte. Nun erklärten unsere Führer, daß weder ihre Pferde noch sie selbst weiter könnten; weil der Aufstieg über den Schnee zu gefährlich sei. Ich hatte keine Erfahrung im Bergsteigen und Haeckel auch wohl nur wenig, so stiegen wir beide allein drauflos, ohne jede Scheu. Und wir hatten Glück. Der Schnee war hart und trug uns. Haeckel schritt weit aus und verschwand bald meinen Blicken. Ich fühlte mich in der weiten, weißen Fläche einsamer als in der Lybischen Wüste ; aber hinauf mußte ich. Nach geraumer Zeit lag die Spitze des Berges vor mir, darauf ein Ejggggg§gggggggggggG]g[3g^ggggg^ggBiEjE]G]E]E]EjB!E]E]E]E]E]B]B]E]E]5jB]E]B] 71 schwarzer Punkt, der, sich vom Himmel abhebend, endlich als eine menschliche Gestalt zu erkennen war. Stürmisch umarmte mich mein treuer Reisegefährte, als ich oben ankam, und wir freuten uns gemeinsam innig des Erreichten und ge- nossen den wunderbaren Rundblick zu unseren Füßen. Hinter dem Marmarameer im Norden lag, wie eine Fata Morgana, das alte Stambul. Von dort nach Süden schweifte der Blick an dem Meeresgestade entlang. Im Süden breitete sich die trojanische Ebene aus. In ihrem Duft erglänzte auf zwei Seen die Sonne Homers goldig, wie auf dem Schilde des Achilles. Es bevölkerte sich uns das Gefilde mit den trojanischen Helden, und in der einsamen Höhe, weit über den Wolken, waren wir mitten unter den Göttern Griechenlands! Zum Andenken nahm Haeckel den obersten Stein einer kleinen Pyramide, die auf dem Gipfel errichtet war, mit und brachte so die höchste Spitze des Olymps nach Jena. Oft haben wir dieser schönen Stunde noch später gedacht, wenn Professor Haeckel seine Verwandten und Freunde in Potsdam und Berlin besuchte, und auch mir die Freude machte, mich und meine Frau, die ebenfalls mehrere große Reisen, auch Nilreisen, mit mir ge- macht hat, in unserem Heim zu besuchen. Da zeigte er uns seine ersten schönen Zeichnungen und Aquarelle von den Kunstformen der Natur und seine Wanderbüder. Er ließ sich auch, wie ein dankbarer Schüler, von meinem verehrten alten Lehrer, Professor Hermann Eschke, künstlerischen Rat erteilen. Ich habe immer seinen Fleiß und Ge- nauigkeit und das tiefe Verständnis angestaunt und mich als Maler über sein Schönheitsgefühl und Empfinden für landschaftliche Stimmungen gefreut, welche er auch überzeugend zum Ausdruck brachte. Nun habe ich auch Haeckels Schriften gelesen, welche er mir in freundschaftlicher Weise schickte, auch seine „Welträtsel". Ich habe dabei gestaunt wie zielbewußt darin aus dem Kleinsten das Voll- endetste entwickelt ist und habe erkannt, daß auch dieser kühne Forscher vor der Kraft ehrerbietig haltmacht, welche die erste Be- wegung erzeugt hat, — vor dem Primo Motore des Leonardo da Vinci ! Mag Haeckel in seiner Wissenschaft ein scharfer Kämpfer sein, mir gegenüber ist er stets duldsam und liebenswürdig gewesen. Er ist mir ein lieber Freund geblieben, den ich hoch verehre! 72 §E]E]gE]E]ggggggE3ggggG]ggggggE]gE]gB]ggggE]gG]E]E]E]E]G]5]E]E]E]E]Ej§]5IEI3S N. LEON, JASSY: MEIN MEISTER HAECKEL o o o Als Student bekam ich im Jahre 1883 in Jassy Haeckels „Schöp- fungsgeschichte" in französischer Übersetzung zum erstenmal vor Augen. Es waren die herrlichsten, die einleuchtendsten Vorlesungen, die ich je gelesen hatte! Sie begeisterten mich dermaßen, daß ich mir die Koffer bereit machte und nach Jena fuhr, wo ich mich als stud. med. et rer. nat. immatrikulieren ließ. Da konnte ich nun den Ver- fasser selbst hören, und bin jetzt einer von denen, die sein Werk dreißig Jahre mit größtem Eifer verfolgt haben, die den Werdegang des Mei- sters als Mensch und Gelehrter mit vollem Interesse begleitet haben. Von ihm lernte ich es, das Genie zu bewundern, das Schöne zu lieben und mich nur vor der Wahrheit zu beugen. — Wenn auch seine kostbare Zeit von ernsten Forschungen in Anspruch genommen war, schenkte er dennoch einen guten Teil seiner Energie dem Unterricht, was Studenten aus der ganzen Welt anzog. WTie beschäftigt er auch sein mochte, nie zeigte er sich gestört, wenn ihn einer von uns aufsuchte, um seinen Rat einzuziehen. Eines Tages ließ er mich in sein Arbeitszimmer rufen und frug mich wohlgemut, wo ich die Ferien zu verbringen gedächte, und ohne nur meine Antwort zu erwarten, sagte er mir: „Mußt irgendwo an die See, um die Tierwelt des Wassers kennen zu lernen; das Meer bietet ein höchst interessantes Material für unser Studium, das zur Erziehung eines Naturalisten unentbehrlich geworden ist. Dr. Kükenthal und Weissenborn — die damals seine Assistenten waren — fahren nach Norwegen um die dortige Küstenfauna zu studieren, fahren Sie doch auch mit." (Dr. K. ist nun Professor und Leiter des Zoologischen Instituts in Breslau, Dr. W. ist längst verschieden.) Ich werde es nie vergessen, mit welcher Freude, mit welchem Eifer er mich bei meiner Rückkehr aus Norwegen empfing. Er ließ sich die Ortschaften auf der Karte zeigen, wo wir gefischt hatten; ich sollte ihm von den Tieren erzählen, die wir gesammelt hatten, und von der Art, wie wir sie aufbewahrt haben. Was den Fortschritt der Kultur so schwer macht, ist wohl in erster Reihe die Tatsache, daß sich die Schriften der Gelehrten größtenteils nur an Gelehrte richten; sehr wenig Gebildete können sie benützen, ggggggggB]G]gggE]gggE]ggggggggggggggggggB]E]E]E]E]EjE]3]E]B]G]S)E]E]5]E] 73 PSE]ggggE]ggggg5]ggggggi3ggggggE]E]E]E]B]5]5]gE]S3E]E]E]5]E]E]B]E]E]E]E]E]E]E]H] während die große Masse des Volkes ihnen fremd bleiben muß. Was hilft es, wenn Bücher und wissenschaftliche Zeitschriften täglich er- scheinen, wenn sie nur von wenigen verstanden werden können, während die Mehrzahl das Opfer des Aberglaubens und aller mystischen Ge- danken bleiben muß? Die Menschheit teilt sich doch in zwei höchst ungleiche Teile : Einige Bevorzugte, die mit den Ergebnissen der Wis- senschaft vertraut sein können, und alle Anderen, die weit entfernt davon stehen müssen. Hätte die Menschheit nicht einige Genies wie Haeckel hervorgebracht, welche Kraft und Mut besitzen, die Wissen- schaft zu verbreiten, so wäre die Kultur noch mehr zurückgeblieben. Haeckel als Professor und Verfasser hat einen mächtigen doppelten Einfluß auf seine Mitmenschen ausgeübt : Auf die Gelehrten weit, die in ihm den Naturphilosophen erkannte, allen Naturalisten durch sein philosophisches Denken und Bildung überlegen; allen Philosophen durch seine naturwissenschaftliche Methode und seine 40 Jahre lan- gen, so bedeutenden Forschungen. Dann der gewaltige Einfluß auf das Volk, der immer lebhaft bleibt, und dem besonders die „Welt- rätsel" gedient haben. Dank einer genialen Begabung, wie leicht zu erklären, hat er am meisten beigetragen, Millionen Menschen aus den Fesseln des philosophischen und theologischen Mystizismus zu be- freien. Außer diesen reichen Werken, dem gewaltigen Einfluß auf die gesamte Kultur, übt der große Meister noch durch seine Schüler einen weiteren aus. Als Mitglied der Kommission zur Umänderung des Schulprogramms in Rumänien ist es mir schon vor 15 Jahren gelungen, das Studium des Darwinismus und des Haeckelismus hier ein- zuführen. Und als Beweis dafür, daß es nicht fruchtlos blieb, steht der jüngstgegründete „Verein der orthodoxen Frauen Rumäniens", der die Kultur „auf religiöser Basis" erstrebt. — Haeckel ist heute ganz so bekannt in Rumänien wie in Deutschland und in der ganzen Welt. gggg^gggggggg§ggEjgggE]gE]B]E]ElE]E]E]E]E]E]E]E]G]E]E]E]E|E]E]GJB]E]E]gEigE]E]E]El 74 HERMANN SCHEFFAUER, LONDON o o o Ich war erst zehn Jahre alt, als Himmel und Erde zum erstenmal vor mir in Stücke brachen. Lebhaft erinnere ich mich dieses Tages — an dem ich mich mit dem ersten Schritt vom Mittelalter entfernte. Es war in Kalifornien, in meiner Geburtsstadt San Franzisko — die sorgloseste und romantischste aller amerikanischen Städte. Dieser Tag war der Sabbath. Ich war zur Messe und zur Sonntags- schule in die römisch-katholische Ortskirche geschickt worden. Ein kleines Mädchen in der Klasse war unartig gewesen. Die Nonne, welche die Pflicht hatte, uns unsere Stellung zum Weltall und zur Priesterschaft klarzumachen, rief sie also vor und schlug sie hart mit einem knotigen Riemen, der zusammen mit dem Kruzifix an ihrem Kleid herunterhing, quer über die Beine. Watschelnd kam dann Vater Gerhard herein und beschrieb uns mit großem dramatischen Effekt die ganze wunderbare Wirtschaft der Hölle und die auserlesenen Qualen, welche uns dort erwarteten. „Denkt an den Schmerz, wenn ihr euch zufällig mit einem ein- fachen Zündholz verbrennt," sagte dieser gute, fette Franziskaner Gottes, „und dann stellt euch vor, wie es sein muß, wenn euer ganzer Körper glüht wie eine Kohle!" Ich ging in die Schönheit des kalifornischen Tages hinaus. Der blaue Himmel schien schwarz zu sein wie eine Kaminöffnung, der glänzende Sonnenschein nur der Widerschein der Hölle, die frischen Winde, die vom Stillen Ozean wehten, nur ein Pesthauch von den höllischen Schmelzöfen. Ich hatte als Kind eine sehr lebhafte Ein- bildungskraft, sogar die Blumen mahnten mich an jenem Tag an Be- gräbnisse und an Verwesung. Meine ganze Seele, wenn nicht mein Körper, brannte bereits und litt vorweggenommene Qualen. Ich sah mich verdammt. Ich war bereits zu jener trüben Überzeugung von Sündhaftigkeit gelangt, welche das hypnotische Reden der Priester in meine jungen wehrlosen Ohren geklirrt hatte. Erschreckt stand ich vor dem grauenvollen Rätsel. Ich war geboren — aber warum hatten mich meine Eltern, sonst so klug und gütig, in diesen fürchter- lichen Zustand zwischen Sternen und Feuern gestoßen? Ein paar Jahre unruhigen Lebens, dann die kalte Gruft in der ggggSgggggggggggggE]gggB]gE]E]E]B]E]E]E]B]E]E]EIE]E]E]EiE]E|B]B]E]B]G]B]E]E]E]E]§] 75 ggggggggggggggggggggggggggggE]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E]S]EjE]E] Erde und die heiße Gruft in der Hölle. Niemand, nur ein Engel, konnte dem entgehen. Ich beschloß, die Hölle wenigstens zu ver- dienen; ich beschloß, ein Verbrecher zu werden, vorzugsweise ein Seeräuber. Ich wunderte mich über die Gleichgültigkeit meines Vaters und war verletzt über seine Scherze. Seine Skepsis war entschieden ein Beweis für seine Verdammnis. — So war die Weltanschauung dieses jungen Kalif orniers gegen Ende der achtziger Jahre. Diese mittelalterliche Idee wurde von fast all den andern Sekten verbreitet, welche sich in der Ultima Thule des Westens nieder- gelassen hatten. Und doch schienen diese Vorstellungen aus irgend- einem Grunde recht schlecht zu einem so heidnischen Lande wie Kalifornien zu passen. Die Großartigkeit der Natur in ihren kolos- salsten Erscheinungen, die hohen Berge und die Unendlichkeit des Ozeans, die lachenden Täler, die Blumen, Früchte, Weine und der Sonnenschein dieses goldenen Hesperidenlandes wirkten mit dämo- nischer Macht auf Gemüt und Temperament. Der Kalifornier ist im Grunde seines Herzens ein Heide, der nüchterne Puritanismus von Neu-England hat keine Lebenskraft, der unredliche Industrialis- mus der Oststaaten hat niemals in diesem Italien Amerikas Wurzel gefaßt. So begann mit der Zeit sogar die Hölle und die moralische Inquisition und Introspektion ihre Macht über mich zu verlieren. Obgleich Kalifornien voll von freien und wagemutigen Köpfen und einer gewissen literarischen Atmosphäre war, so war es kaum ein intellektueller Mittelpunkt. Seine Schulen nach amerikanischem Muster waren ausgezeichnet, aber keine irrgläubige Meinung wurde bei ihren Lehrern geduldet. In den neunziger Jahren wurde ich das, was in jenen Tagen als „broad-minded and liberal" angesehen wurde, ein etwas gefährlich liberaler junger Mann, der mit der Ver- dammnis kokettierte. Ich weigerte mich nämlich, in die Kirche zu gehen und spottete über einen persönlichen Teufel. Doch hielt ich immer noch an dem guten alten mosaischen Gott mit seinem launen- haften Temperament fest und fand in der mosaischen Erklärung von der Erschaffung der Welt nur wenig Fehlerhaftes. Ein Gedicht, das ich in diesen Tagen schrieb, enthielt viele fromme Anspielungen. Ingersoll lag in der Luft. Seine grimmige und zermalmende Ana- lysis der Bibel hatte die Stützen des alten orthodoxen Glaubens unter- miniert. Ingersoll war ein amerikanischer Voltaire und ein glänzender, 76 gggg3ggs]graggE]gggggggE]gggggggE]E]G]E]E]E]B]E]E]E3E]E]E]E]E]E]G]E]E]E]E]gE]g lebhafter Redner. Eine Zeitlang betrachtete ich Ingersoll und seine Anhänger als Feinde alles Edlen und Guten. Ich führte gegen sie flammende Stellen aus dem durch und durch düsteren Werk Youngs, den ,, Nachtgedanken", an. Ein neuer Diskussionsgegenstand an den Küsten des Stillen Ozeans war die Theorie, daß der Mensch vom Affen abstammen sollte. Kontroversen waren an der Tagesordnung. Die Zeitungen strotzten von Witzen über das „missing link". Ich war jetzt in jener unglücklichen, jugendlichen Periode von idealistischer Schwärmerei und Byronscher Romantik, durch welche alle, besonders die mit phantasievollem Gemüt, hindurchgehen müssen. Bis jetzt hatte ich noch keine Philosophie gefunden, die mich durchs Leben leiten konnte, und es lag vor mir wie eine dunkle und düstere See, voll von tückischen Riffen und trüben Stürmen. Der Kosmos war noch ein verwirrendes Chaos streitender Gewalten. Ich las Darwin. Im Lichte dieses großen und umfassenden Geistes begann mir die Sonne aufzugehen. Ein wenig Ordnung kam in mein fragmentarisches Universum. Ich sog begierig seine Lehren in mich hinein und brütete Tag und Nacht über den fürchterlichen Fragen, die sie in mir aufwühlten. Ich erinnere mich, mit Darwins frommer Zurückhaltung sehr unzufrieden gewesen zu sein, denn ich kannte damals nicht das England, in dem er geboren worden war. Ich wünschte, daß solche revolutionären Ideen auch in einer mehr revo- lutionären Art hätten vorgebracht werden müssen, und sehnte mich danach, seine Lehren zu ihrer logischen Folgerung getrieben zu sehen. Ich war selber voll von Auflehnung und erwartete, daß der Mann der Wissenschaft die Agressive ergreifen sollte. Damals wußte ich noch nicht, daß, wenn die Wahrheit sich entschleiert, auch ihre mildesten Gesten noch Zerstörung und Vernichtung bewirken. Wir können die Stärke der Kette und die Jahrhunderte alte Grenzmauer nicht über- schätzen, welche das damalige England dem entgegenstellte, der es wagte, in die Vorrechte des Dogmas und in den Bereich der Kirche einzudringen. Huxley, Schopenhauer, Spencer, Feuerbach, Büchner kamen mir nun zu Hilfe und brachten Licht und Luft. Aus ihren verschieden- artigen Gedanken, Tendenzen und Lehren heraus und den Bedürf- nissen meines eigenen Temperaments begann ich mir, eine etwas verschwommene Weltanschauung zusammenzustückeln. gB]ggggggB]ggggggggggggggBigE]B]ggggE]B]B]B]E]G]B]E]E]E|G]E]E]E]E]E]EjE3E]B]Ei 77 pggBjggEjEjggggggggggggggggggB]E]gE]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E)E]E]E]E]B]B]E]E]E]E]E] Ganz zufällig stieß ich dann eines Tages in der Barkhausschen Buchhandlung in der Kearney Street auf die „Welträtsel". Ich kaufte sie und verschlang davon wenigstens die Hälfte in dieser Nacht, die andere las ich gemächlicher im Bureau — ich war damals noch Archi- tekt. Ich erinnere mich an das Gemisch von Verwunderung und Freude, das mich beim Lesen dieses Werkes überkam — ein Gefühl, das etwas mit dem von Columbus verwandt sein mußte, als er Land erblickte, oder dem Baiboas, als er das Meer von jenem „Peak in Dariem" entdeckte. Mit einem Male baute sich die Menge roher und formloser Blöcke, mit denen ich versucht hatte, mir einen kleinen Turm für meine Seele zu errichten, zu einer starken und umfangreichen Burg auf. Ich wußte, daß das Gebäude noch nicht vollendet war, und daß es verwegen auf die Grenze des Unbekannten gestellt war. Aber ich wurde ein begeisterter Kämpe seines Erbauers, Ernst Haeckels. Ich fühlte die fesselnde Persönlichkeit, den genialen optimistischen Einfluß, den sein Werk ausstrahlte. Ich stellte mir den Ungeheuern Wert dieser Waffe als Propagandamittel in den im Dunkel tappenden Millionen vor. Eine neue Bibel — eine neue Offenbarung, die in der Wirklichkeit wurzelte ! Ich darf wohl sagen, daß ich für den Verkauf vieler Exemplare der „Welträtsel" in Kalifornien verantwortlich bin. Ungeachtet des Spotts über die außergewöhnliche Verbreitung des Werks und der für jedermann leichten Faßlichkeit, sah ich durch seinen Einfluß die Bollwerke des konservativsten Gedankengebäudes unterwühlt werden. Es war darin noch etwas außer einer wissenschaftlichen Dogmatik, ein materialistisches Fest für das ungebildete Proletariat. Liebe zur Menschlichkeit und Glaube an sie, Haß gegen Unwissenheit und gei- stige Knechtung rief aus diesem Buch und rührte Tausenden die Seele wie ein anfeuernder Schlachtgesang. Die Einfachheit und Klarheit, mit der das Buch geschrieben war, die Ordnung und Systematik der aufgestellten Tatsachen, die kühnen Schlüsse, die aus ihnen gezogen wurden, entrollten sich wie ein groß- artiges Panorama vor der Menschen Augen, die lange genug durch orthodoxe Theologie und supernaturalistische Philosophie getrübt waren. Das Buch war ein modernes Geschütz im Kampf für eine höhere Kultur, die auf biologische Wahrheit gegründet war. Es war eine Synthese von wissenschaftlicher und philosophischer Kenntnis, ver- 78 ggg]gggggggE]gggggggE]ggggggggB]E]G]E]E]B]BjB]B]G3E]E)G]E]EiE]E]S]E]B]E]B3E]E]G] bunden mit Natur und Vernunft. Seine kühnen Vermutungen fand ich anregend und erhabener Ahnung voll, seine Dogmatik verständ- lich als Bollwerk eines kriegerischen, siegessicheren Geistes, eine Wesensart, die ich in den Namen „Luther der Wissenschaft" zusam- menzufassen versucht habe. Unter den konventionellen oder dualistischen Denkern bin ich nie einem begegnet, der fähig gewesen wäre, einen der strengen funda- mentalen Grundsätze in Haeckels „Welträtseln" zu widerlegen. Ich führe aus dem Gedächntis an: „Wenn die Seele eine natürliche Er- scheinung ist, so ist der einzige Weg, um sie zu erforschen, dieselbe Methode, mit der wir auch alle anderen Naturerscheinungen durch- forschen — die der wissenschaftlichen Beobachtung und Unter- suchung." Daß Haeckels naturwissenschaftlicher Monismus im Vergleich mit anderen Ländern in Deutschland einen größeren Einfluß ausüben konnte, ist nicht nur dem Umstand zuzuschreiben, daß Deutschland das natürliche Feld seiner Tätigkeit ist, sondern auch der Tatsache, daß der ethische, idealistische Zug seiner monistischen Naturphilo- sophie psychologisch mit dem deutschen Geiste verwandt ist. Die unbestimmte Verehrung eines abstrakten Wahren, Guten und Schönen hat einen Schillerschen Glanz um sich herum, in welchen sich die angelsächsische Gemütsart, die mehr auf eine entschiedene, realistische Moral bedacht ist, nicht leicht finden kann. Das ist, abgesehen vom Fehlen einer Organisation, einer der Gründe, weshalb der Monismus, der trotz seiner materialistischen Lehrsätze ein rhetorisches oder mystisches, oder vielleicht auch nur poetisches Element in sich trägt, in England und Amerika einen so verhältnismäßig kleinen Fort- schritt gemacht hat. Ich glaube, daß auch darin eine Gefahr liegt, den Monismus mit einer sozialen Ordnung zu verquicken, die auf der Basis einer duali- stischen, übernatürlichen Weltanschauung ruht. Eine neue Religion, eine neue Philosophie oder ein neuer Kult kann heutzutage nicht dauern, ohne daß die soziologischen Seiten und Konsequenzen be- rücksichtigt werden. Der gewöhnliche Engländer oder Amerikaner hat nicht einmal vom Monismus gehört, oder er rechnet ihn zu irgend- einem anderen obskuren, unklaren „ismus", der nur wenig mit seinen irdischen Bedürfnissen zu tun hat. Und doch ist der Boden gepflügt, 79 denn die Menge ist im Herzen heidnisch und hedonistisch und behilft sich mit einem unbewußten Pragmatismus oder hundert phantasti- schen schmerzstillenden Glaubensmitteln. Wenn diese ungeheuren Massen, die jetzt in den Krallen industrieller Verzweiflung, ökono- mischer Bedrückung, Hysterie, Sentimentalität und geistigen Be- trugs sind, mit einer Propaganda, die auf den Verstand und das Ge- fühl gleichmäßig wirkt, erreicht werden könnten, so zweifle ich nicht, daß der Erfolg von Professor Ostwalds Kreuzzügen in diesen beiden großen Ländern verdoppelt werden könnte. Vom Standpunkt derEugenie oder Rassenveredlung aus betrachtet, ist es bedauerlich, daß zwei so dominierende Geister wie Ernst Haeckel und Friedrich Nietzsche sich nie gesehen haben. Sie oder ihre Ten- denzen ergänzen sich in gewissem Sinne. Haeckel hätte die wissen- schaftlichen, empirischen und biologischen Begründungen, auf welche der Philosoph des Übermenschen seine erhabene Theorie aufzubauen bestrebt war, bestätigen müssen, Nietzsche hätte Haeckels wissen- schaftliche Entdeckungen mehr auf die Probleme der sozialen Ordnung anwenden müssen, Probleme, welchen nachzugehen Haeckel wegen einer ausgedehnten Forschungstätigkeit wenig Zeit hatte. Im Jahre 1904 verließ ich Kalifornien und ging ins Ausland. Ich trug zwei Gedichtbände von kalifornischen Bewunderern Haeckels bei mir — eins davon von mir selbst. Als ich schließlich das idyllische kleine Jena erreichte, ging ich zu dem großen Meister, um ihm diese beiden kleinen Tribute der Dankbarkeit zu überreichen. Wie groß auch meine Anhänglichkeit an Ernst Haeckel schon war, so wurde sie nichtsdestoweniger im höchsten Grade verstärkt und besiegelt durch die direkte Berührung mit dieser begeisternden und glänzenden Persönlichkeit. Seit jener Zeit sind wir miteinander in enger und freundschaftlicher Beziehung geblieben. Obgleich meine literarische Tätigkeit sich auf einem Gebiet bewegt, das dem seinen ganz fern liegt, so bin ich doch stolz darauf, die Persönlichkeit des Mannes und die Grundzüge seiner Philosophie in verschiedenen Artikeln und Gedichten dem englisch lesenden Publikum etwas näher gebracht zu haben. Ebenso habe ich die in manchen Kreisen eifrig genährte Wahn- idee zu zerstreuen gesucht, daß Ernst Haeckel eine Art gefährlicher Menschenfresser sei, dazu bitter, pedantisch und voll von düsterem Haß und wissenschaftlicher Bigotterie. Für jene, deren blinde und 80 ggggggggggggE]G3gggggggBJG]B]B]E]B]ElE]E]EJE]E]BlElB]E]ElE]BlE]E]E]G]B]B]ElE]E]E]gB| unwandelbare Abneigung gegen ihn in einer nicht näher bestimmten Verleumdung seines „Materialismus" bestand, fand ich gewöhnlich diese eine feststehende Antwort nötig: „Wenn dieser Materialismus imstande ist, Menschen wie Ernst Haeckel zu erschaffen, so wollen wir hoffen, daß er die Welt erobere." In vielen Kreisen besteht die sonderbare falsche Auffassung, daß Haeckel beanspruche, alle „Rätsel" „gelöst" zu haben. Diejenigen, welchen das Buch durch und durch bekannt ist, wissen natürlich, daß er sie nur in Frage gestellt und formuliert hat. Haeckels Einfluß in England und Amerika ist mehr ein Prozeß langsamen Durchdringens als einer plötzlichen Eroberung gewesen. Doch werden wohlfeile Ausgaben solcher W7erke wie „Das Glaubens- bekenntnis eines Naturforschers" noch bis zu Tausenden verkauft. Die Wichtigkeit und Notwendigkeit davon kann nicht überschätzt werden in einem Lande wie England, wo sogar Wissenschaftler, wie z. B. Sir Oliver Lodge — von den großen Universitäten gar nicht zu reden — mit einer seltsamen, unaustilgbaren Neigung zur tradi- tionellen Theologie und Supernaturalismus begabt sind. In Amerika, diesem Lande so vieler neuropathischer Glaubens- richtungen, die wie Pilze entstehen, ist Haeckels zerstörender und negativer Einfluß vom größten Wert gewesen — zugunsten einer vernünftigeren Lebensanschauung. Es ist da gewiß noch viel Redens vom Aussterben des alten „Materialismus", vom Sturze Haeckelscher Theorien, vom Kommen eines spiritualistischen Zeitalters. Laute Hosiannahs sind auf die Entdeckungen wunderbarer transzendentaler „Wahrheiten" gesungen worden, der spiritistische Hokuspokus ist beinah allgemein; aber diese Dinge zerschellen früher oder später an dem Bollwerk wissenschaftlicher Wahrheiten, deren feuriger Apostel Haeckel immer gewesen ist. Jener kluge Gaukler der Sorbonne, Henry Bergson, hat kürzlich durch seinen mystischen Dualismus und seinen Versuch, die Vernunft dem Instinkt unterzuordnen, den immer ent- flammbaren Enthusiasmus der Amerikaner, besonders der Frauen, erregt. Die gegnerischen Mächte, christliche Wissenschaft, Behaismus, Katholizismus, Neuer Gedanke usw. stellen sich auf getrennten Feldern in Schlachtordnung auf. Wenn sich der Monismus einen erhöhteren Platz in diesem Kuddelmuddel von Glauben erringen will, muß er eine standhafte und kampfbereite Haltung annehmen. Die Vernunft Sg^3gggggggggggggggB]ggggElE]E]EJE]B]B]B]E]EIE]E]G]E]E]E]E]E]E]E]E]gE]E]E]G]E]E] 6 Haeckel-Festschrift. Bd. II 8l muß damit zufrieden sein, ihre Anhänger langsam zu gewinnen, und so gewonnene Anhänger sind sicher. Ich fühle, daß die Welt dem ehrwürdigen Meister gar nicht genug Ehrfurcht bezeigen kann, der so mächtige Brücken über manche Abgründe gelegt hat, welche die Zivilisation beim Aufsteigen, beim Fortschreiten durchkreuzen. Dieser Tag ist deshalb ein sehr bedeu- tungsvoller, von historischer Wichtigkeit für die Geschichte der ganzen Menschheit. Und mit der größten Liebe und Ehrfurcht lege auch ich meinen unzulänglichen Tribut vor dem nieder, dessen Leben, Per- sönlichkeit und Taten allen Wahrheits- und Freiheitsfreunden allezeit ein Vorbild sein müssen. gggggggggggE]gggggggggggggggG]ggggE]E]EjE]5;5]E]E]E]G]E]E]E]E]E]E]5]EiE]EJ 82 EJEJEjEJEJEJEJEjG] Ej EJ EJEjEJ E] EJEJEJEjE] EJ EjrgEJEJEJ EJEJEJ EJ EJ EJ EJEJEJ 5] GJEJEjSJ i^EJEJEJEJEJEJEjEJSJS] EJ FRIEDRICH THIEME, WEIMAR o o o In jedem Leben, das bewußt und verantwortlich gelebt wird, findet sich eine Periode, in welcher der Mensch zu diesem Bewußtsein, zu dieser Verantwortlichkeit erwacht. Sie unterscheidet sich in der Regel scharf von der Periode des allmählichen Erwachens des Kindes zum Bewußtsein des eigenen Ich und der Welt, und zwar durch ihre sicheren, bestimmt umgrenzten Umrisse und die Klarheit, mit welcher alle ihre Geschehnisse sich dem Geiste einprägen. Mancher Mensch vermag sogar ganz genau den Augenblick anzugeben, in wel- chem diese bedeutsame Verwandlung eingetreten ist; er vermag das äußere Ereignis zu bezeichnen, an das angeschlossen sein Geist zum Bewußtsein der Welt als eines Ganzen und seiner Person als eines Teils dieses Ganzen sich erschloß. Denn darin besteht eben diese große Verwandlung. Die meisten Menschen leben gedankenlos hin; sie handeln gleich den Tieren nur nach Instinkten, und wie bei diesen ist all ihre Überlegung nur an die Behauptung ihrer Interessen als Einzelwesen gebunden. Ihre eigene Person bleibt lebenslang der Mittelpunkt ihres Fühlens, Denkens und Handelns, und die Gesamt- heit beschäftigt sie nur insofern, als ihre eigenen Interessen ihnen eine Art Zusammenhang damit erkennbar machen. Immer bleibt das eigene Ich das armselige Zentrum, die Lebenssonne, um die sich alles andere bewegt. Anders bei denkenden Menschen. Für sie erscheint früher oder später der Augenblick, wo ihr Auge über den engen Kreis des eigenen Interesses hinausblickt, wo sie sich bemühen, die Dinge von oben zu sehen, wo der große, erhabene Zusammenhang des Alls ihnen aufgeht. Das ist der wahre Tagesanbruch des Menschenlebens! Bis dahin irren wir halbblind in der Dämmerung. Nun steigen wir auf den Berg der Befreiung hinauf und stehen plötzlich über Nebel und Wolken, und die Sonne der Welt strahlt uns in voller herrlicher Reine und zeigt uns Welt und Menschen um und unter uns in einem neuen, alles durchdringenden, klaren Lichte! Bei mir steht dieser geistige Tagesanbruch, diese Periode des Erwachens zum bewußten, verantwortlichen Leben, in engster Be- ziehung zu den Namen: Schiller, Rousseau, Darwin und Haeckel! Allerdings ist das Leben ein Produkt aus vielen Einzelfaktoren, und 83 6* so traten später zu den genannten Persönlichkeiten noch einige wei- tere, vor allem Goethe und Shakespeare und von lebenden Ernst Abbe hinzu — , aber diese ersten haben meinem Leben und Denken die Richtung vorgeschrieben — die Richtung in wissenschaftlicher, religiöser, ethischer und sozialer Hinsicht! Ich war etwa zwölf Jahre alt und fing eben an, die Gartenlaube, die neben Schillers Werken das Evangelium meines väterlichen Hauses war, mit Eifer zu lesen. Bisher hatte ich mich mit dem Ansehen der Bilder begnügt, nun begann ich, mich für den Text zu interessieren. Es war der Jahrgang 1874, der sich solchergestalt zuerst meiner kind- lichen Beachtung erfreute, und für dessen Inhalt ich aus diesem Grunde zeitlebens eine erklärliche Vorliebe bewahrt habe. Gleich in der ersten Nummer dieses Jahrgangs fand ich einen kleinen Auf- satz von Hermann Allmers: „Eine Weihe". Allmers erzählt darin, daß er von seinem lieben Freunde und Wandergenossen, dem jungen berühmten Professor Ernst Haeckel in Jena, aufgefordert worden sei, als Pate bei der Taufe seines Erstgeborenen zu fungieren, und wie diese Aufforderung in ihm den Gedanken einer dem Tauffest gewid- meten Dichtung ausgelöst habe: den Versuch, in dramatischer Weise die Weihe eines jungen Erdenbürgers vorzuführen, bei der jeder, welchem Glaubensbekenntnisse er zugetan sei, mit ruhigstem Gewissen seine Patenstelle einnehmen könnte. Die in jenem Aufsatz wieder- gegebene Dichtung trug den Titel: „Weihe, ausgedacht und dar- gebracht dem Erstgebornen seines lieben Ernst Haeckel." Ich weiß natürlich nicht mehr, was ich beim Lesen der Dichtung gedacht und empfunden habe, das aber weiß ich noch wie heute, daß ich mit Bezug auf die Stelle des Artikels: „Er (der Brief) kam von meinem lieben Freunde und Wandergefährten, dem jungen Professor Haeckel, dem berühmten Verfechter und Weiterbildner der Lehre Darwins" meinem Vater die Frage vorlegte: „Wer sind denn Darwin und Haeckel?" Vom Tag dieser Frage an und der Antwort darauf be- ginnt eine geistige Beschäftigung mit dem Namen Haeckel, beginnt die Wirkung seiner Lehre auf meine Entwicklung. Durch meinen teueren Lehrer Hermann Gatzsche in Borna bei Leipzig, den hoch- verdienten genialen Jugendbildner, wurde ich bald darauf weiter in die bezügliche Materie eingeführt. Gatzsche erteilte seinen Schülern außer dem Unterricht im Zeichnen, Turnen, Schönschreiben usw. 84 gggggggggggggEjggggggggggggE]gE]E]E]E]B]G]E]E]E]E]E]ElE]E]E]B]E]E]E]E]E]G]E]E] auch in jedem Winterhalbjahr sogenannten „ theoretischen Unter- richt". Er beschäftigte sich in seinen Mußestunden leidenschaftlich mit Naturwissenschaft und schaffte sich mit großen Opfern nach und nach ein ganzes Lehrmuseum von Demonstrations- und Experi- mentierutensilien. Aus dem beredten Munde dieses unvergeßlichen Mannes, den seine Schüler wie einen Propheten verehrten, vernahm ich zum ersten Male die zusammenhängende Darstellung der Ent- stehung und Entwicklung von Erde und Menschen auf Grund der neusten Forschung — eine Darstellung, die mein ganzes Innere auf- regte und fortan mein gesamtes Fühlen und Denken beherrschte. Ich entsinne mich noch, wie ich in der Folge in der Religionsstunde, als unser Religionslehrer und Direktor bei irgendeiner Gelegenheit auf die Naturforschung und ihre Ergebnisse zu reden kam, von meinen Mitschülern mit den (mehr scherzhaft als bös gemeinten) Worten denunziert wurde: ,,Thieme glaubt, daß der Mensch vom Affen ab- stammt!" Der mir sonst sehr gewogene Mann, dem ich ebenfalls hohe Verehrung bewahrt habe, fragte mich darauf etwas bestürzt: „Ist das wahr?" und knüpfte daran eine kurze wohlgemeinte Be- lehrung. Natürlich ohne Erfolg. Die Entwicklungslehre ward ein unzertrennlicher Bestandteil meines Innern, ein Teil meines eigenen Ich, und die Namen Darwin und Haeckel leuchteten in Flammenschrift auf ihrem Grunde! So verdanke ich also Darwin und Haeckel in erster Linie mit die Befreiung meines Geistes, meine Erlösung aus den Banden der tradi- tionellen Knechtschaft, in welcher ein großer Teil der Menschen zeit- lebens beharrt. Sie gaben mir den Schlüssel zum Verständnis des großen, erhabenen Naturgeheimnisses, befreiten meine Augen von dem Schleier, welcher die klare Anschauung der Dinge verhindert. Kein Wunder, daß meine erste Frage war, als ich vor etwa 25 Jahren zuerst mit einigen Freunden Jena besuchte: „Wo wohnt Haeckel?" Jena war mir, ohne daß ich es je gesehen, von Kindheit auf wert und heilig als Schillerstadt und durch den Ruf seiner freien Universität. Die Jenaer Freiheit aber verkörperte sich für mich in dem Namen Ernst Haeckel, dem einzigen, welchen ich von Jena kannte. Und ich bin es nicht allein, der die Frage stellte: „Wo wohnt Haeckel?" Wie oft habe ich sie seitdem vernommen! Und wieviel mehr haben sie gestellt, ohne daß ich sie vernahm! Tausende sind in derselben 85 Weise wie ich von Haeckel befruchtet worden, Tausenden zeigte er wie mir den Weg der Erkenntnis, ward er ein maßgebender Faktor ihrer inneren Entwicklung! Die Wirksamkeit eines großen Mannes wird in zweierlei Weise für die Kultur fruchtbar. Erstens direkt durch seine Werke und die Kraft seiner Persönlichkeit, zweitens indirekt durch den Einfluß, welchen er auf die Werke und das Wirken anderer Personen ausübt und dessen sich die Verfasser oft selbst nicht einmal bewußt sind. Es ist natürlich nicht möglich, das unendliche, weitschichtige Gewebe dieses indirekten Einflusses eines großen Mannes auf das Schicksal der Menschen, seinen Anteil an der Urheberschaft scheinbar ganz entfernt liegender Errungenschaften, seine unsichtbare Wirksamkeit im Getriebe der Entwicklung in nackten Zahlen und Tatsachen dar- zulegen, aber der Einfluß besteht, er tritt hervor in der Ernte der Menschheit, und seine Dauer, seine Tiefe, seine Ausdehnung richten sich nach der mehr oder minderen Bedeutung des Geistes, von dem er ausstrahlt. Dieser Satz gilt auch für das Wirken Ernst Haeckels. Freilich muß es der Nachwelt überlassen bleiben, einst den Spuren seiner Erdentage in den Kulturwerten künftiger Zeiten nachzuforschen, aber aus der Gegenwart dürfen wir auf die Zukunft, von der über- reichen Saat auf die einstige Ernte schließen. Haben wir doch den Mann und seine Leistungen mit Stolz und Bewunderung verfolgt und den staunenswerten, einzigartigen Erfolg seiner „Welträtsel" freudig miterlebt. Zwar war sein ganzes Lebens- wirken eine gewaltige Kulturarbeit, denn wer der Wissenschaft dient, dient auch der Menschheit. Aber durch die Herausgabe der „Welträtsel" ward aus der langsamen Forscherarbeit einegewaltigeTat! Er überließ es nicht der langsam schleichenden Zeit, das Fazit seines Wirkens zu ziehen und die Ergebnisse seiner genialen Forschertätigkeit stückweise für die Menschheit nutzbar zu machen. Er trat selber als tatkräftiger, begeisterter Schnitter auf, um die Früchte seines Geistes mit eherner Sichel zu mähen und die reife Ernte der Menschheit in den Schoß zu werfen! Und — wie wir alle gesehen haben — keiner undankbaren Mensch- heit! Es war just, als hätte der Verfasser den Menschen mit dem Buche ein Geschenk überreicht, auf das sie seit langem sehnsuchts- voll gewartet haben. Die Geister harrten des Erlösungsrufs, warteten 86 des berufenen Führers, der sie aus dem Ägypten der Finsternis hinaus- führen sollte in das Reich des Lichts. Doch wäre es unrichtig, die elementare Wirkung des Buchs, wie dies geschehen, allein auf die allgemeine Entrüstung gegen die herrschende politische und reli- giöse Reaktion zurückzuführen. Die Gründe sind vielmehr, wie die Folge bewiesen hat, weit tiefere, nachhaltigere. Es handelte sich nicht etwa bloß um das Aufflammen eines plötzlichen, rasch verpuffenden Feuerwerks, das nur die Augen blendet, sondern um die Entfachung eines Geisterbrands, der dem Tempel unserer Seele dauerndes Licht zuführen und als wärmende Flamme auf dem Herd unseres Herzens brennen wird. Bücher, welche Front machen gegen die herrschenden Anschauungen, sind vor- und nachher in Menge erschienen. Der springende Punkt für die enthusiastische Aufnahme des Werks lag in der Person des Verfassers. In der Tatsache, daß es kein Geringerer als Ernst Haeckel war, der zum Volke sprach! Ernst Haeckel, der vielbewunderte Forscher, der unerschrockene Kämpfer für Wahrheit und Licht ! Das war an sich ein Ereignis — und es zeigte sich, daß der still wirkende Gelehrte nicht, wie so manche seinesgleichen, bei aller bewundrungswürdigen Arbeit im Tempel der Wissenschaft, der Nation ein Fremder geblieben, dessen Name nur mit einer Art kühlen Re- spekts genannt wird, nein, die jubelnde Begrüßung der „Welträtsel" bewies, daß Ernst Haeckel mit seiner Tätigkeit bereits tief in den Herzen des Volks Wurzel geschlagen hatte! Von den höchsten Zir- keln bis in die Kreise der Arbeiter waren die denkenden Deutschen nicht allein, sondern die denkenden Geister aller Länder mit Auf- merksamkeit dem Schaffen des großen Forschers gefolgt, und all- gemein war die Freude, als er ihnen Gelegenheit bot, geistigen Anteil zu nehmen an den Früchten seines Denkens und Forschens. Da wachten viele längst begrabene Hoffnungen wieder auf, der gesunkene Mut belebte sich. Unter Haeckels Führung durfte man getrost den Kampf gegen die Mächte der Reaktion wieder aufnehmen. Er war das Schwert und die Flamme, sein Name das Banner, dem die Kämp- fe rschar todesmutig folgen würde. Aber noch mehr: Nicht der Mann allein stellte sich dar, sondern er brachte auch neue Geisteswaffen mit : die Waffen, die er geschmiedet in fünfzigjähriger unermüdlicher Arbeit in der Werkstatt eines schar- fen logischen Geistes, die er abgerungen der ihre Geheimnisse eifer- 87 süchtig wahrenden Natur. Er hatte ihr die unsichtbar machende Tarnkappe herabgerissen, bis in ihre tiefsten Kammern hinein sie beleuchtet. Ein ganzes Arsenal von Waffen brachte er mit, von neuen großartigen Entdeckungen; von Beweisen, die wie Kanonenkugeln einschlagen und wie Schwerthiebe niedersausen mußten. Und außer den Waffen heilenden Balsam für innere Wunden, eine beruhigende, den Kampf ums Dasein erleichternde Philosophie. Rätsel löste er und beschwichtigte die Zweifel der Seele und zeigte in seiner Ernte die Saat einer neuen Zukunft, bestimmt, das Sehnen der Menschen zu befriedigen und das Reich der Wahrheit zu begründen. Ernst Haeckel hat mit seinen ,, Welträtseln" der Bewegung der freien Geister neue Berechtigung gegeben, er hat die alten Anhänger zurückerobert und tausende neue hinzugewonnen! So wurden die „Welträtsel" zum Ausgangspunkt einer gewaltigen Geistererhebung mit dem erhabenen Ziel einer neuen Kultur. Aus ihrem Samen ent- sproßte bereits eine üppige Literatur voll der wertvollsten Anregungen und Bekenntnisse, und unentwegt, unerschrocken arbeiten alle Moni- sten an dem, was Goethe das „wichtigste Geschäft" nennt: „an der Bildung aller Kräfte!" Wer weiß, zu welch erstaunlichen Resul- taten wir gelangen würden, wenn wir ein solches Buch auf den ge- heimnisvollen Pfaden seiner unsichtbaren Wirksamkeit zu verfolgen vermöchten! Wieviel erhabene Gedanken, Worte und Taten würden wir antreffen, die ihre ursprüngliche Heimat in solchem Buche haben ! Manches Buch stellt sich geradezu als eine gewaltige Kulturtat dar und wird zur Ursache großer Geistesrevolutionen. Man hat für solche Bücher die Bezeichnung „welthistorisch" geprägt und beispiels- weise Rousseaus „Emile" ein welthistorisches Buch genannt. Nun, eine Revolution der Geister haben auch die „Welträtsel" hervor- gerufen, und es ist die Hoffnung und Zuversicht jedes Monisten, daß es auch von diesem Buche einst heißen wird: „Es war der Aus- gangspunkt jener großen geistigen Umwälzung, deren herrliches Er- gebnis die endliche Befreiung des Menschengeistes von dem unwür- digen Zwang und Druck vieler Jahrhunderte war. Wir verdanken ihm eine neue Menschheitskultur auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und monistischer Weltanschauung mit allen Errungen- schaften auf geistigem und materiellem Gebiete, die in der monisti- schen Überzeugung wurzeln!" 88 ggggggggggggggggggggE]B]B]E]5]G]E]E)E]E]E]EiGiG]EjE]G]E]E]E]G]Eii]3335IE]35]5]5] E. VOGTHERR, DRESDEN o o o Ich war ein kaum Zwanzigjähriger, als ich Haeckels Namen zum ersten Male hörte. Das geschah gelegentlich der Erörterungen jener Kontroversen zwischen Haeckel und Virchow Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Während ich bald danach zwar des öfteren Gelegenheit bekam, Virchow selbst über seine naturwissenschaftliche Stellungnahme zu hören, fehlte mir zunächst die Möglichkeit, anders als aus seinen Schriften auch Haeckel näher kennen zu lernen. Haeckels „Natürliche Schöpfungsgeschichte" war das erste, was ich zu studieren beschloß, und was mich ihm bald geistig näher führte. Daneben hörte ich von nahestehender Seite von den persönlichen Beziehungen, die Haeckel mit Konrad Deubler, dem „Bauernphilosophen", verknüpften, und die mich Haeckel damals schon als eine rein menschlich überaus sympathische Persönlichkeit kennen lehrten. Das für mich an diesem Persönlichen besonders Fesselnde war der Umstand, daß hier neben Feuerbach, David Friedrich Strauß und anderen Gelehrten jener Zeit- epoche auch Haeckel es nicht verschmähte, in dem Bauernphilosophen von Goisern einen geistigen seif made man so zu würdigen, so zu fördern und zu begeistern, wie es jener schlichte Mann und seine schon recht abgeklärte Welt- und Lebensanschauung verdienten. In der später von Professor Dodel herausgegebenen Biographie mit Brief- wechsel Deublers finden sich ja Zeugnisse in Fülle für jene zielstrebige Geistesgemeinschaft, die bei gutem Willen den Forscher mit dem Laien verknüpfen kann und soll, und in der auch Haeckel sein eigenes Wort betätigte, daß die Naturphilosophie nicht das Vorrecht und der Eigenbesitz einer Gelehrtenkaste sein darf. In Haeckels „Altenburger Rede" fiel mir sein Wort vom „Monis- mus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" besonders auf. Ich konnte und wollte mir es nicht anders deuten, als so, daß der Monismus keineswegs eine mir unmöglich scheinende Versöhnung zwischen Glaubensreligion und Wissenschaft sein oder werden solle, sondern vielmehr, daß dieses Mittelglied wenigstens das erste End- glied abstößt und ein selbständiges wichtiges Glied unserer Gedanken- kette wird. Das paßte ganz in die Auffassung und Dialektik, die, wenn auch nicht so präzisiert, seit lange meine und meiner Gesin- g^§gggg§ggggggggggE]gggggggE]ggE|EiE]gE]S]G]E|E]B]E]E]E]E]E]E]G!E]E]G]E]G]E] 89 ggggE]ggggggggggggE]ggB]gggggB]G]E]E]B]E]E]E]5]E]B]E]B]E]E]E]B]B]E3S]E]E]G]s]5]E] nungsfreunde freigeistige Betätigung und Propaganda leiteten. Hier war das ausgesprochen, was diese Geistesgebiete bewußt oder unbe- wußt beherrschte. Und das alles war danach von Haeckel in den „Welträtseln" ausführlich begründet. Wenn ich mir heute die Frage vorlege, was in meinen Augen und in den mir geistig und sozial nahestehenden Kreisen als der Haupt- wert der „Welträtsel" erschien, so kann ich die Antwort auf eine kurze Formel bringen, die zwar nicht den wissenschaftlichen Standpunkt des Buches erschöpfend zeichnet, sondern mehr seine Wirkung auf die auch in bezug auf geistige Bildung Vernachlässigten und Ent- erbten. Meine Formel lautet: „Ich erblicke die Hauptwerte des Buches in der von ihm vollzogenen Popularisierung der Natur- wissenschaften, — in der vorgezeigten Alleingiltigkeit der Erfahrungswissenschaft, — endlich in der zu folgernden Nutz- anwendung der Entwicklungslehre und des Monismus auf prak- tische Lebensgestaltung. Hierzu einiges zur Begründung: Ge- rade das letztere, die „Nutzanwendung auf praktische Lebensgestal- tung" kann nur eintreten, wenn, von jener schon erwähnten Ge- lehrtenkaste abgesehen, sich neben dieser die Naturerkenntnis nicht auch auf die übrigen Intellektuellen beschränkt. An die Stelle von oberflächlicher „Naturkunde" und „Naturbeschreibung" muß in allen Schulen und bei aller Naturbetrachtung die Naturwissenschaft, die Entwicklungslehre, die Naturphilosophie treten. Soweit hierfür eine halbwegs populäre Lehrform fehlte, ist sie in den „Welträtseln" ge- geben. Vielleicht auch noch nicht überall und ganz verstanden — (wie kann ein Vierteljahrhundert die erzieherischen Sünden von vielen Jahrhunderten gutmachen?) — aber doch für Millionen überaus wich- tig als Anregung dazu, die Gebiete der Naturerkenntnis unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten und zu benutzen als bisher. So wurde in immer steigendem Maße die Naturwissenschaft, das Stiefkind be- sonders der Volksschulen, im ganzen großen Volke zu Ehren ge- bracht. Eben diese Volksschule wird ja fast allenthalben noch immer bei ihren Erziehungsaufgaben von alttestamentarischen Vorstellungen be- herrscht. Jetzt sollen die Erfahrungswissenschaften den Offenbarungs- und den persönlichen Autoritätsglauben ausschalten. Unbeeinflußt von naturwissenschaftlichen oder gar religiös-dogmatischen Vorurtei- 90 gggggg^gSggS]gggggE]gggggggE]ggE]5]G]BlE]G]SlE]E3E]E]E]E]E]B]E]E]G]E]E]E]E3E]E] len, tritt die Entwickelungslehre den Schöpfungssagen, die Vernunft der Mystik, der Monismus dem Dualismus erfolgreich entgegen. Allein der wissensdurstigen Menge, die abgeneigt ist, die Philo- sophie, auch die Naturphilosophie, als Selbstzweck zu bewerten, wür- den diese neuen Wege nicht genügt haben, ihr Interesse für die in den „Welträtseln" niedergelegten Erkenntnisse zu wecken. Diese Erkenntnisse als Wegweiser in das Erdenleben, als Hinweis auf den durch sich selbst und für sich selbst schaffenden Menschen, der auch allein sich und der menschlichen Gesellschaft verantwortlich ist, haben den „Welträtseln" eine Werbekraft fast ohnegleichen gegeben. Sind doch u. a. gerade die drei christlichen Zentraldogmen: Gott, freier Wille, Unsterblichkeit, den hauptsächlichen Widerständen gegen eine soziale Lebensbetätigung und Lebensverbesserung zuzuzählen. Ihnen gegenüber, zugleich gegenüber Kants kategorischem Impera- tiv, als unbedingtem allgemein giltigem Sittengesetz, führt das in den „Welträtseln" begründete Gesetz der sittlichen Entwicklung zu einer höheren Bewertung der Stellung des Menschen in der Welt, und zu den daraus sich ergebenden Lebenspflichten und Lebens- ansprüchen. Jene Entwicklung hilft so von selbst eine Umgestaltung der gesellschaftlichen Struktur, eine Neugestaltung ihrer wirtschaft- lichen und geistigen Betätigung vollziehen, ganz im Sinne moderner Gesellschaftswissenschaft, die die Erreichung des Wohles und der Befreiung aller Menschen zum Ziele hat. Dank meiner jahrzehntelangen engen Beziehungen zu großen prole- tarischen Volkskreisen vermochte ich die geschilderte Wirkung der „Welträtsel" auf eben diese Kreise zu erproben. Ich habe in etwa 30 populären Vorträgen über die , , Welträtsel' ' genau beobachten können, wie es nur eines leicht gangbaren Weges und der Ausschaltung alles Mystischen bedurfte, um die Herzen und Köpfe vieler Zehntausende der neuen Naturerkenntnis und deren praktischer Nutzanwendung zu öffnen. Es gibt ja keine dankbareren Hörer als solche, denen man eine ihnen bislang gewaltsam vorenthaltene geistige Erfrischung und Be- reicherung bieten kann. Gerade hier zeigte sich auch die gewinnende suggestive Gewalt, die von jeder ehrlich denkenden und ehrlich wol- lenden Persönlichkeit — hier von Haeckel — ausgeht. Vielleicht ist weiten Kreisen Haeckels Persönlichkeit und Haeckels Wirken auch noch intimer geworden, wenn man ihnen neben dem Naturforscher 91 und Naturphilosophen den Künstler aufzeigen konnte. Infolge Haeckels besonderer Genehmigung war es mir nämlich möglich ge- wesen, seine „Kunstformen der Natur" und später seine „Wander- bilder aus den Tropen" in Lichtbildervorträgen, deren Zahl in die Hunderte ging, weiter bekannt werden zu lassen. Was mich Haeckel persönlich noch näher führte, waren seine konsequent notwendigen Beziehungen und leitenden Einflüsse auf die Tätigkeit der freigeistigen Organisationen, denen er ja durch Be- gründung des Deutschen Monistenbundes eine neue Organisation zu- gesellte. Auf dem Internationalen Freidenker-Kongreß in Rom 1904 ragten aus dem Stürmen und Drängen einer vielgestaltigen internatio- nalen Menge Haeckels Person und Haeckels „Thesen des Monismus" hervor. Man muß es verstehen, wenn den dort überwiegenden roma- nischen Elementen, mit ihren z. T. ganz anders gearteten geistigen Interessen, die ganze wichtige Tragweite jener Thesen noch nicht gegenwärtig sein konnte. Es wächst auch hier das Große nur im Lauf der Zeit. Soviel war uns allen dort aber gewiß, daß die geistig ziel- bewußte und dabei menschlich so überaus gewinnende Persönlichkeit Haeckels dem ganzen Freidenkertum als ein bedeutsamer Wegweiser der Zukunft gilt. In dem notwendig unermüdlichen Bereichern unseres Wissens auf allen Gebieten hat jeder täglich und stündlich die Entwicklungs- theorie praktisch zu betätigen. Das „starre System" der umfassenden schon endgültigen Erkenntnis wird daher folgerichtig auch von Haeckel abgelehnt. Gerade dieser von ihm ganz besonders hervor- gehobene Satz, daß er sich durchaus nicht anmaßt, alle Welträtsel zu lösen, daß ihre Lösung z. T. einer späteren Zeit vorbehalten bleibt, wurde ja lange Zeit von Haeckels Gegnern geflissentlich verschwiegen, und außer von Du Bois-Reymond auch von Reinke, Brass, Dennert e tutti quanti mit dem „Ignoramus et Ignorabimus" erwidert. Das „Ignorabimus" wäre ja die Ertötung und Lähmung des Willens und würde den Aberglauben an die menschliche Schwachheit als eine neue Schranke gegen ferneres Vorwärts- und Aufwärtsstreben errichten. Haeckel zeigte uns dagegen, daß Geschlecht auf Geschlecht alles Gute und Nützliche mit nie versiegender Kraft aus sich heraus ent- wickeln kann. Trotz alledem und alledem. 92 g^gggggg^ggE]ggggggggggggE]B]E]gE]E]B]E]E]E]G]E]E]E]E]B]E]E]B]E]gE]G]E]E]E]S;5j FRAU FANNY DAXENBICHLER, SALZBURG o o o Wie ich zum Monismus kam, und welchen hervorragenden Anteil Ernst Haeckel dabei hatte, möchte ich an dieser Stelle erzählen, um damit dem Ehrenkranze für unseren hochverehrten Jubilar ein bescheidenes Blättchen aufrichtigster Dankbarkeit beizufügen. Es war im Frühling 1900, als mir ein Freund, der meine Vorliebe für philosophische Schriften kannte, ein Buch brachte mit dem Titel : „Welträtsel, Studien über monistische Philosophie von Ernst Haeckel". Schon das Titelbild nahm mich gefangen. Der bedeutende Kopf des Verfassers mit den strahlenden Augen, der humoristisch lächelnde Mund verrieten mir auf den ersten Blick, daß dieser Mann etwas zu sagen hatte. Mit Feuereifer vertiefte ich mich in das Studium des Buches, welches einen gewaltigen Eindruck auf mich ausübte. Die wissenschaftliche Bedeutung desselben zu beurteilen, war ich damals natürlich nicht imstande; auch bin ich heute der Ansicht, daß der Wert des Werkes hauptsächlich darin besteht, daß Haeckel fast das ganze, ungeheure Gebiet wissenschaftlicher Fragen und der daraus resultierenden Weltanschauung vor dem gebildeten Laien aufgerollt hat, um ihn in den Stand zu setzen, selbständig über diese Probleme nachzudenken. Er wollte die Menschen zum monistischen Denken erziehen und ihnen dadurch dasselbe große Glück verschaffen, wel- ches er selbst im Monismus gefunden hat. Wem es gelingt, ihm auf jene reinen Höhen zu folgen, wird es auch im reichsten Maße finden. Durch die „Welträtsel" wurde ich zum Studium einschlägiger Werke angeregt, der liebenswürdige Meister in Jena unterstützte mich mit seinen wertvollen Ratschlägen in bezug auf die Wahl der Bücher und Schriften, und so kam ich im Laufe der Jahre zur wissenschaft- lichen oder monistischen Weltanschauung. Sie befriedigte meinen Verstand, die mächtig erwachte Liebe zur Natur in gleicher Weise mein Gemüt, und die schwere Bedrängnis, in welche ich im Kampfe zwischen zwei Weltanschauungen geraten war, löste sich in schönste Harmonie auf. Als der Monistenbund gegründet wurde, sandte mir Haeckel selbst die einführenden Schriften und Satzungen. Ich trat demselben so- fort bei, als die Zahl seiner Mitglieder das erste Hundert noch nicht ggg§gg§E]gggggggggggE]ggggggG]EiEiG]E]E]E]EiB]E]gG]E]EiE]E|E]E]gG]G]G]EjG]E]Ei 93 erreicht hatte, und bin demselben bis zur Stunde ein treues Mitglied geblieben. In all diesen Jahren eifrigen Strebens, besonders durch die liebe- volle Vertiefung in Haeckels Schriften, wuchs meine Sehnsucht nach persönlicher Bekanntschaft mit dem Verfasser immer mehr. Mitte März 191 1 folgte ich einer freundlichen Einladung Haeckels und fuhr in Begleitung meiner Nichte nach Jena. Es würde mir sehr schwer werden, die Gefühle zu beschreiben, welche mich auf dieser Reise beseelten. Halb war es reine Freude, halb Bangigkeit, und schon etwas mehr der letzteren ließ mein Herz höher schlagen, als ich das traute Heim betrat, wo Ernst Haeckel ein stilles Dasein führt. Allein jede Unsicherheit war sofort verschwunden, als ich der gewinnenden Persönlichkeit desselben gegenübertrat. Zug um Zug stimmte das Bild meiner Phantasie mit der Wirklichkeit überein, ja meine Er- wartungen wurden weit übertroffen durch sein liebenswürdiges, ver- trauliches Entgegenkommen. Er zeigte uns seine Bilder und Kunst- schätze, führte uns in das phyletische Museum, welches leider noch nicht vollendet war, und ließ uns in seinem Arbeitszimmer im Archiv verweilen. Dort erzählte er uns von seinem Leben, von der Freude, welche ihm die vielen zustimmenden Briefe bereiteten, aber auch von den schweren Enttäuschungen und Kränkungen, unter denen er gelitten. Ich werde nie den Unterton tiefer Wehmut vergessen, welcher in seiner Stimme zitterte, als er in bescheidener Weise sagte: ,,Ich glaube, doch etwas geleistet zu haben." Mit tiefer Bewegung konnte ich ihm nur versichern, daß eine Zeit kommen werde, wo man besser als heute wissen wird, wieviel er geleistet hat. Es wurde mir in dieser Stunde mehr denn je klar, daß der Wert Haeckels nicht bloß in seinen Werken, sondern ebensosehr in seiner Persönlichkeit liegt. Sein lauterer Charakter, die große Milde und Güte seines Wesens, sein Mut und tapferes Ausharren im Kampfe geben ein leuchtendes Beispiel edler Menschlichkeit, uns allen ein nachahmenswertes Vorbild! Allein, wo sind die vielen, die berufen wären, ihn im Kampfe zu unterstützen? Er steht fast allein, aber unerschütterlich auf seinem Standpunkte. So waren zwei Stunden im Fluge vergangen. Am andern Morgen besuchten wir Weimar. Das persönliche Erlebnis war aber in mir noch so stark, daß mir selbst Goethe nicht recht lebendig werden wollte. E]ggBjggggE]gggggggggggggggggggggE]E]E]E]B]EiE]E]EiE]EiE!E]E]E]E]E]E]B]B]E]Ei 94 pSl]gggggggggggggggggg^ggggB]E]i£]E]EjE]E]E]B]E]E]E]E]E]E]E]B]B]B]E]E]E]E]E15]Ej Abends waren wir Haeckels Gäste in einer kleinen Wirtschaft an der Peripherie der Stadt. Die Zeit eilte unter anregenden Gesprä- chen dem Abschiede entgegen, der seine Schatten bereits vorauswarf und mich allmählich verstummen ließ. Es war eine wundervolle, aber kalte Nacht, als wir uns trennten. Der Mond beleuchtete hell die noch winterlich kahlen Fluren und verklärte mit seinem Glänze auch das schneeweiße Haupt Ernst Haeckels. Schweigend betrachtete ich die kraftvolle Gestalt, um sie meinem geistigen Auge fest einzu- prägen mit der bangen Frage: „Werde ich ihn wiedersehen?" Ja, so sollte ich ihn auch nicht wiedersehen, denn wenige Wochen später traf ihn der schwere Unfall, der ihm die Bewegungsfreiheit raubte und ihn, wie er scherzend sagt, zum „monistischen Klosterbruder" machte. Der Tag der Abreise brach an, und wir mußten den bereits lieb- gewonnenen Ort wieder verlassen. Ein Besuch bei einem lieben Freunde, mit dem ich mich eins weiß, sowohl in der Gesinnung als in der Liebe zu unserem Meister, ließ auch die Wehmut dieser Ab- schiedsstunde in sanfteren Tönen verklingen. Als ich aus dem rasch enteilenden Zuge noch einen letzten Blick auf das sanft ansteigende Städtchen warf, welches Haeckel bereits ein halbes Jahrhundert als Wohnstätte dient, entrang sich meinem Herzen der aufrichtig ge- fühlte Wunsch: „Möge unserem geliebten Lehrer und Führer daselbst noch ein langer und friedlicher Lebensabend beschieden sein, und mögen sich in fernen Zeiten die Dichterworte bewahrheiten: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder." 95 ALFRED VON WEBER, WIEN: ERNST HAECKEL UND SEIN EINFLUSS AUF DIE TECHNISCHE KUL- TUR DER GEGENWART o o o Das Ingenieurwesen als Grundlage der heutigen technischen Kultur fußt streng auf dem Boden der Naturwissenschaft, denn nur die genaue Kenntnis der Natur und der in ihr enthaltenen Energie- quellen ermöglicht es, diese zu beherrschen, beziehungsweise derart zu lenken, daß ihre Wirkungen in kulturelle Arbeit umgesetzt werden. Demgemäß ist auch die Ausbildung des Ingenieurs schon von den ersten Studien, beziehungsweise von der Realschule an darauf bedacht, den Studierenden mit allem bekannt zu machen, was zur Beobachtung, Untersuchung, Erforschung und Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetze, sowie zur schöpferischen Gestaltung künstlerisch Kulturwerke unter dem Gesichtspunkte bereits vorhandener oder erst anzustrebender Kulturziele erforderlich ist. Schon in der Realschule wird daher die Mathematik, Physik, Mechanik, Biologie und Chemie sowohl auf Grund von Lehrbüchern als auch in Laboratorien und in der freien Natur sorgfältig gepflegt und die Darstellung der Natur durch Zeichnen, Malen und Model- lieren gelehrt, wobei insbesondere der Lehre von der wissenschaft- lich genauen Darstellung aller Formen und räumlichen Beziehungen überhaupt durch die hochentwickelte „deskriptive Geometrie" in höchstem Maße Rechnung getragen wird. Durch den Unterricht in den modernen Kultursprachen und deren Literaturen, sowie der Ge- schichte überhaupt, wird das Verständnis der Gegenwart und ihrer Kultur erschlossen und der Studierende befähigt, das Arbeitsideal der modernen Völker der Gegenwart aus ihren großartig entwickelten Literaturen zu erfassen und die schwierigen Fachkenntnisse seines Berufes dem täglichen phänomenalen Aufstieg derselben anzupassen und zu vertiefen. Das Verdorren und die Verbildung des jugendlichen Gehirnes durch einen ganze Jahre anhaltenden, trockenen, gramma- tikalischen Drill und die viel zu weitläufige Beschäftigung mit dem längst aufgegebenen, arbeitsverachtenden und ästhetisierenden Kultur- ideal der Antike ist hierbei vermieden. An den technischen Hoch- schulen selbst wird in diesem Sinne weiter gearbeitet und der moderne 96 gg^ggggggggggggg^G]ggggggggE]B]G]G]E]E]B]ElE]B]E]E]E]E]G]E]E]E]B]G]E]G]E]E]G]E] Ingenieur auf Grund intensivster Vorbereitung in der höheren Mathe- matik, Mechanik, den Naturwissenschaften, insbesondere der Geo- logie, der Geodäsie und Astronomie, der Physik, Chemie und Tech- nologie, sowie in den Staats- und volkswirtschaftlichen, historischen und kunsthistorischen Disziplinen, insbesondere aber durch Ver- mittlung der hochentwickelten ingenieurwissenschaftlichen Fächer dahin theoretisch und praktisch ausgebildet, die schwierigsten Inge- nieurwerke des heutigen so überaus vielseitig und hochentwickelten Kulturlebens zu planen, alle wirksamen Kräfte und Widerstände oft mit dem Aufgebot schärfsten mathematischen Denkens zu berechnen, die Werke planlich derart festzulegen und den Kosten nach fest- zustellen, daß darnach die Ausführung derselben mit aller Sicherheit des Erfolges, welchen das ernste praktische Leben erfordert, gewähr- leistet wird. Ungeheure Energien werden durch den Ingenieur der Kultur- welt zur Verfügung gestellt und Werke geschaffen, welche noch vor hundert Jahren als unglaubliche Utopien bezeichnet worden wären, jetzt aber nicht nur die physische Oberfläche der Erde, sondern auch unser ganzes gesellschaftliches und geistiges Leben in allem umge- staltet haben, um es zu ungeahnter Entwicklung und Vollendung zu führen. Diesem Wesen des Ingenieurs gemäß ist er mit Notwendigkeit darauf angewiesen, alle Fortschritte der allgemeinen Naturwissen- schaften, soweit sie nicht technische, von ihm selbst gepflegte und ge- schaffene Naturwissenschaften sind, — denn auch der Ingenieur ist in hervorragendster Weise Naturforscher, wie könnte er sonst Natur- beherrscher sein ? — aufmerksamst zu verfolgen und sie für die hohen Zwecke menschlicher Kultur auszunützen, daneben aber auch seine eigene Stellung mitten im Getriebe der ihn umbrausenden Energien und der ihn umflutenden Erscheinungen der mannigfachen Natur- schauspiele klar zu erkennen und als wichtiger Steuermann mensch- licher Kultur den Kompaß der allgemeinen Entwicklung im Auge zu behalten. Diese Stellung des Menschen in der Welt aufzuklären, zu erfor- schen, klar und mutig darzustellen und bis zu den letzten Konse- quenzen durchzuführen, ist das große und unsterbliche Verdienst Ernst Haeckels, für welches ihm die ganze Menschheit, im höchsten g^gg^gggggggggggggggE]gggggE]gE]gB]ggEiE|5!E]B]EiE3G]E]E)E]E]EiG]gE]gE!G] 7 Haeckel-Festschrift. Bd. II 97 Maße, aber auch im besonderen die Träger der technischen Kultur und wissenschaftlichen Energiebeherrscher, ich meine die Ingenieure, zu unvergänglichem Danke verpflichtet sind. Wir können es ruhig aussprechen, daß es keine wissenschaftlich gebildeten Ingenieure gibt, welche dem tiefen Einfluß Haeckels in allen für die Technik in Betracht kommenden Naturwissenschaften nicht gefolgt wären und welche nicht mindestens die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" und die für weitere Kreise geschriebenen populären ,, Welträtsel" eingehend studiert und den Ergebnissen dieser Werke zugestimmt hätten. Es ist dies auch ganz natürlich, da der Ingenieur seiner ganzen Ausbildung und Kulturtätigkeit nach nur auf dem Boden natur- wissenschaftlicher Tatsachen, die ihm die Gewähr für den Bestand und Erfolg seiner Werke bieten, zu stehen und alles Veraltete, Wider- legte und sogenannte „Metaphysische", d. h. über oder neben der Natur Stehende, abzulehnen gezwungen ist. Dies weiß auch unser großer Meister Ernst Haeckel ganz wohl und spricht es auch an mehreren Stellen unumwunden aus, daß die Entwicklungslehre mit allen Konsequenzen neben den wissenschaft- lich arbeitenden Medizinern in der Ingenieurwelt die meisten und überzeugtesten Anhänger besitzt. Dieser entwicklungstheoretische Standpunkt findet allerdings, namentlich soweit es sich um das Ingenieurwesen handelt, in der modernen, zum großen Teile von Ingenieuren gegründeten und an- gewendeten, so überaus fruchtbaren neuen Wissenschaft der „Energe- tik" eine herrliche Ergänzung und Vervollkommnung, welche im Sinne eines zweiten Geistesheros, ich meine Wilhelm Ostwald, auf alle Gebiete menschlicher Kultur mit unbestreitbarem und durch- schlagendem Erfolge angewendet und seither in allen Weltteilen von unzähligen Geistern aufgefaßt wurde und weitergepflegt wird. Von diesem Haeckel-Ostwaldschen entwicklungstheoretisch-ener- getischen Standpunkte aus betrachtet lösen sich alle Rätsel der Kultur und Technik, sowie der Welt- und Lebensanschauung und Gestaltung spielend in einfache wissenschaftliche Erfahrungsprobleme auf, welche uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weitaus genügend klar vor Augen stellen, um allen Kulturaufgaben in materieller, geistiger und ethischer Hinsicht gerecht zu werden. 98 pB]B]ggggE]ggggggggggggggggE]gggg§E]E]E3E]E]gEiE]EiE]B]3]E]G]E]B]E]E]E]E]E]E] Und wenn auch die Naturerkenntnis und Naturbeherrschung noch unendliche Ziele hat, so daß wir erst in einem unendlichen Zeitpunkte — von der Eventualität des früheren Eintreffens einer irdischen Katastrophe oder der Zunahme der Entropie unseres Sonnensystems abgesehen — in den Besitz der vollen Erkenntnis restlos gelangen können, so verhält es sich damit, um bildlich zu sprechen, wie mit der Asymptote, welche die Hyperbel in der Unendlichkeit berührt. Wir sehen die Hyperbel, wir sehen die Asymptote vor uns und be- gnügen uns mit dem klaren Bilde beider, ohne den metaphysischen Wunsch zu hegen oder uns metaphysischer Verzweiflung darüber zu er- geben, daß wir den Berührungspunkt der Asymptote mit der Hyperbel niemals erreichen werden. Nur ein weltfremder Metaphysiker kann behaupten, daß uns die Hyperbel, die wir doch genauestens kennen und berechnen und zu unzähligen Kulturproblemen verwenden, als unerforscht und unerklärlich aus dem Grunde gelten könnte, weil wir diesen Berührungspunkt nicht mit Händen greifen können. Wir kennen dies eben nur deshalb nicht, weil dieser Punkt in unendlicher Entfernung liegt, einer Entfernung, die dem Mathematiker vertraut ist, die er mit dem Zeichen bezeichnet und mit der er die schwie- rigsten Probleme der höheren Analyse durchführt, ohne auf Wunder oder Rätsel zu stoßen. Das Leben ist nach Ausdehnung und Zeit groß und reich genug, durch Milliarden von Jahren Milliarden von Menschen fruchtbringend zu beschäftigen, ohne daß wir es nötig hätten, in melancholischen Gehirnwirbeln dem fabelhaften ,,Ding an sich" der Metaphysiker nachzujagen. „Willst du ins Unendliche schreiten, geh' im Endlichen nach allen Seiten!" Diese einfache, klare Auffassung der Welt und ihres Geschehens verdanken wir in erster Reihe Ernst Haeckel. Er zeigte uns, daß die Welt der Erscheinungen die wirkliche Welt ist und neben derselben keine andere geheimnisvolle und unerkennbare besteht, er zeigte uns, daß die Erscheinungen allerdings nur Beziehungen unserer Sinne zu den Gegenständen und Vorgängen der Welt sind, daß aber eben diese Sinne sich in äonezlanger Entwicklung den Gegenständen so an- gepaßt haben, daß wir alle ihre Eigenschaften, die für uns irgendwie von Belang sind, auch in richtiger, unanfechtbarer, praktisch brauch- barer und zu Kulturzwecken entwickelbarer Weise erkennen und 7* 99 3333333E]ggE]ggE]ggE]gggE]E]E]E]E]g]E]G]E]B]E]5]5]S]E]s]5]5]s]l!5]s]3335]3SEl§]Ss] einschätzen. Er zeigte uns, daß alle Erscheinungen des Lebens, welcher Art immer sie sein mögen, den Naturgesetzen unterworfen sind, welche keine Sprünge kennen, und daß die Unterschiede des anorganischen, organischen und geistigen Lebens nur gradueller Natur sind, indem alles Geschehene nur auf der notwendigen Arbeit der von Natur aus im freien Zustande ewigen rastlosen Substanz beruht, ob es sich nun um die chemische Anziehung von Atomen oder um den Energieumsatz der chemischen Stoffe unserer Nahrung in Arbeit der Gehirnganglien handelt. Er zeigte uns die Entwicklung des Tier- und Pflanzenreiches auf Grund der Paläontologie, der vergleichenden Anatomie und der Ontologie und erklärte sie überaus einleuchtend durch das von ihm gefundene biogenetische Grundgesetz, welches zu den höchsten Errungenschaften menschlichen Geistes gehört. Er zeigte uns die Entwicklung, die das Menschengeschlecht von den unscheinbarsten Anfängen genommen, und wies uns die Perspek- tive ungeahnter Möglichkeiten hinsichtlich der weiteren Entwicklung in der Zukunft. Er hat uns damit ein System frühester Lebensbejahung und ein reiches Arbeitsprogramm für die Zukunft geschaffen, welches zu er- füllen der Zweck aller Kultur ist. Seit Haeckels „Natürliche Schöpfungsgeschichte" im Jahre 1868 erschienen ist, ist fast ein halbes Jahrhundert verflossen, ein Zeit- verlauf, der die ahnungsvollen Voraussagungen dieses Forschers und Sehers in glänzendster Weise bestätigt hat. Der ungeheure Aufschwung menschlicher Kulturtätigkeit seit dieser Zeit ist, am Maßstabe der Arbeit vergangener Jahrtausende gemessen, ein so großer, daß er das Erstaunen künftiger Jahrhunderte hervorrufen wird. Die Entwicklung der Eisenbahnen und Wasserstraßen, der Regu- lierung der Flüsse und der Bodenmelioration, der Aufschwung der Städte mit ihren Hoch- und Straßenbauten, Wasserleitungen, Kanälen, das Telegraphen- und Telephon wesen, die Seeschiffahrt mit ihren schwimmenden Palästen, die Hafenanlagen mit gigantischen Vor- richtungen zum Beladen und Entladen der Schiffe, die Luftschiff- fahrt, die Unterseeboote, das Maschinenwesen mit zahllosen Arbeits- arten und -kräften, deren Möglichkeit vor einigen Dezennien noch für undenkbar gehalten worden wäre, der Phonograph, Kinemato- 311SSggggggggggggggggggggggggEiE]E]EiG]E]E]BiEiE]E]E]E]B]E]E]E]E]EiE]gB]gEi IOO graph, die Übertragung elektrischer Energie auf große Distanzen und deren Umsetzung in Bewegung, Licht und Wärme, die groß- artige Entwicklung der Naturwissenschaft und aller auf sie gegrün- deten, kulturellen Tätigkeit, alles dies kennzeichnet einen Aufschwung großartigster Entwicklung, wie ihn nur die biologisch begründete Entwicklungslehre begreifen und erhoffen dürfte. Auf allen diesen Gebieten menschlichen Schaffens hat sich der Entwicklungsgedanke als außerordentlich fruchtbar und unendlich anwendbar erwiesen. Heute ist dieser Gedanke zu einer festen Theorie geworden und zu einem gesicherten Besitz der Wissenschaft, der stillschweigend angenommen und von keiner ernst zu nehmenden Seite mehr an- gefochten wird. Es handelt sich nicht mehr um Hypothesen, sondern um feststehende Tatsachen und gegebene Richtungslinien für die Zukunft, die niemals mehr nach rückwärts gelenkt werden können. Dem Programme dieser Sammelschrift folgend, habe ich mich auch damit zu befassen, wie ich mit den Ideen Ernst Haeckels be- kannt wurde und welchen Einfluß sie auf mich und meine Fachkreise ausgeübt haben. Es wird sich daraus ein anschauliches Bild ergeben, wie Ernst Haeckels Ideen nach und nach in alle Lebensberufe ein- gedrungen sind und auf diese bestimmend eingewirkt haben. Es wer- den sich aber auch daraus die Schwierigkeiten ergeben, die neuen, noch so fruchtbringenden Ideen stets entgegengestellt zu werden pflegen, bis sie zum Gemeingute der Menschheit werden. Da ich die regelrechte Ausbildung als Ingenieur erhalten habe, so versteht es sich von selbst, daß sich mein Geist in rein naturwissen- schaftlichen Bahnen bewegte, wozu auch private Beschäftigung mit Astronomie, Chemie und Biologie wesentlich beitrug. — Die erste Bekanntschaft mit den Entwicklungsideen machte ich im Jahre 1870 in einem Alter von 17 Jahren durch die Lektüre von Büchners „Kraft und Stoff", welches hervorragende Werk zu damaliger Zeit von meinen Kollegen an der K. K. Technischen Hochschule in Wien viel gelesen und besprochen wurde. So sehr mich dieses Werk begeisterte, so ließ es doch bei seiner allgemeinen theoretischen Fassung noch viele unaufgeklärte Lücken zurück, und erst die „Natürliche Schöpfungs- geschichte" Ernst Haeckels, die im Jahre 1875 in meine Hände kam, fesselte mich dermaßen, daß ich mich von dem Buche bis zum Aus- lesen nicht mehr trennen konnte. — Mit einem Male fielen mir alle IOI Schuppen von den Augen and ich blickte freudig in eine Welt der ■ Aufklärung und des 1 ichtes, Bald daraui studierte ich auch Haeckeh Generelle Morphologie der Organismen*4 mit größter Aufmerksam- : keit und Bewunderung für den Verfasser durch, Soit dieser Zeit ; habe ich fast alle Werke Haeckels gesammelt and studiert und von I jedem derselben eine wesentliche Bereicherung and Befestigung meines ; Wissens empfunden, Gam besonders gilt das von der Anthropogenie, die ich ontei Nachskiwueruniz aller Zeichnungen aufmerksamst stu- : dierte and besonders hochschätzte. Ebenso stelle ich auch die „Welt- rätsel" und du- „Lebenswunder" außerordentlich hoch, Dei Gedanke, die Entwicklungstheorie auf alle Gebiete der Technik anzuwenden, kam mir sofort. So suchte ich in der Entwicklung | architektonischer Formen Anknüpfungspunkte an die Entwicklung lehre ra finden, was nur auch iura reue namentlich hinsichtlich der Atavismen, der Anpassung und Vererbung gewisser Formen usra gelang, Das Ergebnis dieser Studien habe ich im Jahre 1870 in einem Vortrage im Ingenieur- und Architekten-Verein in Prag unter dem Titel „Morphologie der architektonischen Stilarten" niedergelegt Im Übrigen hauptsächlich mit [ngenieurwerken beschäftigt, habe ! ich namentlich bei den Wasserbauten manche Anknüpfungspunkte I an den Entwicklungsgedanken gefunden, die ich in einem größeren i Werke über den „Gebirgswasserbau im alpinen Etschbecken"1) nieder- i legte, in welchem ich die Stelle des Menschen und der menschlichen \ Kultur bei der Anpassung der Gewässer an die Kulturbedingungen I wohl .mm erstenmal im Sinne des Entwicklungsgedankens, wie ich ihn durch Ernst Haeckels Schriften in mich aufgenommen hatte. darstellte und durchführte, Per dieses Werk, durch welches der moderne Gebirgswasserbau rundet wurde, durchziehende Entwicklungsgedanke ist am besten aus der Einleitung iu entnehmen, welche ich in dankbarer Erinnerung der erhaltenen Anregungen dem Meister Ernst Haeekel im Jahre i> sandte. Bei Dun&führung der Einielheiten dieses Werkes habe ich häutig mit unrichtigen Vorstellungen bu kämpfen gehabt, welche vierfach an biblische Fabeln erinnern, so .um Beispiel, daß der natürl.. M Wien . > • .- \... hagen n. SVhurich. 83 Drw Dsxtfigursn BiMin 1-Y>1.. • ••■ • "•;iaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa3aaaaaaaE!33si33i u1.: S]g^gG]GjG]gggggggggG]gG]gggggggG]GjG]G]gs]gG]gG]G]G3GjG]G]G]GiG]GiB3B]gG]G3GjG3 j Zustand der Flüsse und Wildbäche urspi : Gott • Hand" tadellos tnd paradiesisch zufn< I tmd erst dttrcli das frevelhafte Eingreifen d< Einbauten und Entwaldung ttörf Diesei Ge- danke war nach den furchtbaren übei liehen Alpentälern im Jahre ;;' - . - r, daß nur in .' ickkehr zur . . in dem Anheben aller Wasser b.- in der ausschließlichen Auffoi im größten Stil das Heü Zukunft erwartete. In dem erwähnten großen Werke und Schriften habe ich in unwiderL g t Weise den ihrt, daß diese Fabel ganz anzutreffend i Der natürliche Zustand der G \ solcher mit starker Geschiebeftihrung ist mch h, was on daraus hervorgeht, daß rieh das I '<• 1er nur dem ' Itnis der lelnden '•" d und <\<-.: Geschiebezufuhi >aßt, irob ndlich auf die menschliche Kultur mar.; denkfähigen, d. h. mit ren- und Ganghei sehenen Subjektes in b ommen wo konnte. Demgemäß baut s der Fluß immer höher und höher förmig nach oben, also in einem den Kulturbedürfnissen ent{ gesetzl geformten Talquerprofi] auf, bis er sein Bett durchreißt und die Talniederung z md in Besitz nimmt. — Der natürliche Zu- stand d ist daher durch Versumpfunj / Störung, Krank- tmd Hind g jeglicher höherer Kultur gekennzeichr. o habe ich für alle großen Schuttkegel des Etschtales nach« :n, daß sich dieselben niemal-, im Zustande einer paradiesischen Ruhe befanden, welch üblich erst durch Entwaldungen gestört ..mcntlioh die fra:./ ume an der Spitze, als zweifellos darstellten, sondern vielmehr alle Ortschaften irsprimghch an ga.- / dcherten Stellen angelegt waren und letzten Kulturper;- nur durch iurbaul .f die gefährdet« teilen der Schutt ..konnten. — [cl lufGrun akter Daten tmd lokalen (drangen für Meran, Bozen, Lavis, Trient und Rovereto zweifellos nachgewiesen. Bei allen diesen Forschungen hat mich der Gedanke geleitet, den Kampf des Menschen mit der Natur sowie die fortschreitende An- passung und Vererbung, wie sie im Entwicklungsgesetz und im bio- genetischen Grundgesetz Haeckels ausgedrückt erscheint, in den Kunst- bauten des Menschen zu erkennen und darzustellen. Zu meiner großen Freude habe ich immer gefunden, daß ins- besondere auch das letztere Gesetz, diese unvergleichliche Großtat Haeckels auch auf die wasserbauliche Tätigkeit des Menschen in überraschendster Weise anwendbar ist, daher auch hier die Probe auf seine Richtigkeit besteht. Diese Wahrnehmung hat mich auf die Idee gebracht, an der tech- niscsen Hochschule in Wien als Privatdozent Vorträge über die Waserwirtschaf t im Zusammenhange mit den entwicklungstechni- schen und energetischen Leitgedanken in den Jahren 1911 und 1912 abzuhalten, welche ich aber nicht wieder aufgenommen habe, um mich der literarischen Tätigkeit ungehindert zu widmen. Auch während meiner zweijährigen Tätigkeit als supplierender Professor des Wasser- baues und Meliorationswesens an der K. K. Technischen Hochschule in Brunn habe ich die gleiche Gedankenrichtung mit Vorliebe gepflegt. Ähnliche Beziehungen zwischen anderen ingenieurwissenschaft- lichen Berufen und der Entwicklungstheorie wurden seither auf allen Gebieten, so dem Eisenbahnwesen, dem Maschinenwesen, der Mecha- nik, Chemie usw. in zahllosen Fällen nachgewiesen, und es ist in den letzten Jahren eine kaum zu übersehende technischnaturwissenschaft- liche, technisch-historische, technisch-wirtschaftliche und technisch- philosophische Literatur entstanden, welche zu sammeln, zu sichten und zu einem eigenen Zweige der Entwicklungslehre zu gestalten schon einen eigenen Lebensberuf in vollkommen erschöpfender Weise bildet. Schon gehen die Ingenieure auch daran, die Arbeitskraft des Menschen wissenschaftlich zu analysieren und zu organisieren, wie dies in Amerika durch Taylor begründet und als „scientific manage- ment" („wissenschaftliche Betriebsführung") dort in den größten staat- lichen und privaten Betriebe eingeführt ist. Welche ungeahnte Folge- rungen kultureller und sozialer Natur sich hieraus ergeben, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Die Erkenntnis, Beherrschung und Umsetzung aller natürlichen IO4 Energien mit dem größten Güteverhältnis bzw. den geringsten Ver- lusten im Sinne des Entwicklungsgesetzes Haeckels und des ener- getischen Imperativs Ostwalds zum Nutzen der Gemeinwirtschaft der Nation ist es ja eben, wodurch unsere ganze moderne Kultur der Gegenwart, die ihresgleichen in der Weltgeschichte nicht findet, ent- standen ist und einer ungeahnten Zukunft materieller und ethischer Vollendung entgegengeht. Durch den Entwicklungsgedanken haben sich alle Kulturziele und Ideale vollkommen verändert und haben eine früheren Zuständen gegenüber unvergleichliche materielle und sichtliche Höhe erreicht. Weitaus überholt ist das Ideal des klassischen Altertums, der Zeit der Sklaverei, die im Herrschen und in vornehmer ästhetisieren- der Selbstbetrachtung das Ideal sah, die wirkliche nutzbringende und aufopfernde Kulturarbeit aber, das Höchste, was wir heute kennen, selbst in ihrer größten künstlerischen Vollendung nur als niedrige Sklavenbeschäftigung mit Verachtung ansah. Vorüber ist das Ideal der Lebensverneinung und Abkehr von irdischer Kulturtätigkeit in der Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Kein neuer Glaube, aber die klare Erkenntnis ist in uns aufge- stiegen, daß wir auf dieser schönen und fruchtbaren Erde mit allen Fibern unseres hochorganisierten Wesens voll edelster Kräfte hängen, und daß wir auf Grund der Naturerkenntnis es als größte Aufgabe betrachten müssen und dies auch freudig können und sollen, unsere in Millionen Generationen veredelte und erstarkte Arbeitskraft so zu verwerten, daß die der strahlenden Energie der Sonne entnommene chemische Energie unserer Nahrung, mit Hilfe der hochwertigen Energiemaschine der Ganglien unserer Großhirnrinde, unserer Ner- ven, unseres Muskel- und Gefäßsystemes mit dem denkbarst größten Nutzungskoeffizienten in wahre Kulturarbeit zum Nutzen der Ge- samtwirtschaft der Nation umgesetzt werde. Ein Jahrhundert geheiligter Kulturarbeit bricht glorreich und verheißungsvoll an zum Segen der Menschheit, und wenn dies der Fall ist, so hat hierzu der Entwicklungsgedanke, hat hierzu unser hochverehrter großer Meister Ernst Haeckel so Großes und Unver- gleichliches getan, daß wir ihn nicht mit Galilei, nicht mit Kopernikus, sondern, um ein altes Bild zu brauchen, nur mit Prometheus ver- gleichen wollen, der der armen gequälten Menschheit die lebens- 105 gggggggggggggggggggggggggE]B]E]E]E]E]E]E]E]S]E]E)E]E]E]5]E]B]E]E]E]E]E]E]E]B]E] spendende Flamme vom Himmel seines großen Geistes und Wissens und seines gütigen menschenfreundlichen Herzens gebracht hat. Wir Ingenieure stellen Ernst Haeckel noch weit über Darwin, denn er war es, der mit der Tiefe und Gründlichkeit deutschen Geistes, mit ungeheurer Arbeit eines langen, reichen Lebens, den Zusammen- hang der pflanzlichen und tierischen Stämme mit Zuhilfenahme der Paläontologie, der vergleichenden Anatomie und der Ontologie in noch nicht dagewesener Weise so exakt erforschte, daß er es wagen konnte und durfte, detaillierte Stammbäume, angefangen von der Zelle bis zu allen Spitzen der höchst komplizierten organischen Arten und bis zu ihrem Endgliede, dem Menschen, aufzustellen, Stammbäume, die ent- weder ein dauernder Besitz der Wissenschaft geworden sind, oder aber wertvolle Programme und Wegweiser künftiger Forschungen bilden. Er war es, der zuerst den Mut hatte, die letzten Konsequenzen seines Wissens in offener, wahrhafter und unendlich schlichter und ehrlichen Weise zu ziehen, und der die leuchtende Fackel der Wahr- heit in die Geistesdämmerung eines in ausgebreiteten Schichten noch rückständigen Geschlechtes erhob. An dieser Fackel haben sich aber heute schon Millionen Leuchten entzündet und Millionen Menschen, die sich mit ihrem Geiste einfach ehrlich und reinlich auseinandersetzen wollen, arbeiten heute an tau- senden Stätten der Wissenschaft und des Forschens im Geiste Haeckels und seiner Lehre. Wer so Großes schuf, dem konnten auch die Leiden des Prometheus nicht erspart werden. Die Dankbarkeit der ganzen Menschheit und eines kommenden Jahrtausends wird ihm hierfür ein genügender Ersatz sein. Es ist kaum nötig, sich eingehender mit den Einwürfen zu befassen, welche Haeckel entgegengehalten werden, sie wurden häufig genug von allerberuf ensten Seiten schlagend widerlegt. Wir wollen hier nur kurz die hauptsächlichsten Einwendungen erwähnen. So hört man beispielsweise des öfteren, Haeckel gründe seine „Hypothese" auf unbewiesene Spekulationen, schleudere gefährliche Schlagworte in die Massen und überschreite seinen Wirkungskreis und sein Fachgebiet als Biologe, indem er in einem anderen „Fach", der „Philosophie" dilletantisch hervortrete. 106 gg§gggggggggggggg]ggggggE]EjE]E]G]E]E]E]G]E]E]E]B]B]E]E]E]B]E]E]B]E]E]E]B]E]B|G]E3 Daß diese „Hypothesen" längst Theorien sind und einen festen und gesicherten Besitz bilden, ohne die der Betrieb der modernen Wissenschaft überhaupt nicht mehr denkbar wäre, ist jedem Forscher und Mann der Wissenschaft so klar, daß er über die krassen Mängel jeglicher naturwissenschaftlicher Kenntnisse in sonst gebildeten Krei- sen staunen würde, wenn es nicht allzu bekannt wäre, in welch hohem Maße die Drillung des jugendlichen Geistes in den Gymnasien mit rein formaler Sprachgymnastik jegliche freie Geistesbetätigung lähmt, und bei vielen Menschen für das ganze Leben geradezu die Fähig- keit logischen Denkens ertötet. — Solche Menschen trösten sich da- mit, daß die Wissenschaft überhaupt nichts wisse, daher man mit dem gleichen Rechte glauben könne, was man wolle. — Der Bestand des fabelhaften „Dinges an sich", die vollständige Verschiedenheit der physischen und geistigen Erscheinungen und dergleichen sind in diesen Kreisen feststehende, wenn auch noch so falsche Vorstellungen. Das grundlegende Gesetz alles Weltgeschehens, die Entwicklungs- theorie und das Gesetz von der Erhaltung der Energie, die Grundlage der heutigen Technik und der Natur- und technischen Wissenschaften, welche die heutige moderne Kultur geschaffen haben, ist in diesen Kreisen so wenig bekannt wie die Atom- und Molekulartheorie, die Elektronen- und Äthertheorie und so vieles andere mehr. Der zweite häufigst gehörte Anwurf ist, daß man Haeckel als Biologen achte und schätze, ihm aber auf das Gebiet der Philosophie, die nicht sein Fach sei, nicht folgen könne. Wessen Fach ist denn eigentlich die „Philosophie"? Philosophie als Lehre vom Zusammenhange aller Erscheinungen des Weltgeschehens, einschließlich selbstverständlich auch des so- genannten „geistigen" Lebens ist doch nur die Zusammenfassung der Ergebnisse aller Naturwissenschaften, denn nichts steht außer der Natur, und die Erfahrung lehrt, daß alle „Geisteswissenschaften" nur insofern fruchtbar sind, als sie nach naturwissenschaftlichen Me- thoden behandelt werden, so daß nach und nach eine große Zahl von früheren „Geisteswissenschaften" wie die Mathematik, Logik, Psychologie, Jurisprudenz, Ethik, Ästhetik usf. zu den Erfahrungs- wissenschaften eingerückt sind, während die „Metaphysik", welche sich seit Jahrtausenden als für das Leben gänzlich unfruchtbar und wertlos erwies, sich immer noch im Übersinnlichen, also dort, wo man G]ggggggggggggggggggggggggggsjE]B]E]E]E;E;gG]E]EjG]E3B]E]E]G]EiE]E]E3E]S]GiE] IO7 weder etwas wahrnehmen, noch empfinden und denken kann, be- findet. Wer soll nun die philosophischen Endergebnisse der Naturwissen- schaften ziehen? Jedenfalls nur ein Fachmann mit naturwissenschaft- licher Bildung, der die naturwissenschaftlichen Methoden, ihre Art zu arbeiten kennt, und in so vielen Fächern bewandert ist, daß er eine Übersicht sämtlicher Zweige von der Hochwarte wissenschaft- licher Erkenntnis erlangen kann. — Hierzu sind nur die allergrößten Gelehrten der Naturwissenschaft, ein Haeckel, ein Ostwald, ein Mach, ein Rubner, ein Wundt und derartige Geistesgrößen befähigt und berufen. Nur ganz ausnahmsweise können hierzu auch andere Denker be- fähigt sein, wenn sie die Resultate der Naturwissenschaften durch aufopferungsvolles fleißiges Studium treu und ehrlich in sich auf- nehmen und nach den Methoden naturwissenschaftlichen Denkens weiterverarbeiten. Es gibt auch solche. Wie groß aber die Gefahr einer irrigen Gesamtauffassung der Natur bei naturwissenschaftlichen Laien ist, zeigt sich am besten bei Nietzsche, der trotz seines großen Genius, seiner phänomenalen Sprachbeherrschung und seines überkühnen Mutes das Darwinsche Gesetz vom Kampfe ums Dasein so vollständig falsch verstanden hat, daß er durch seine ,, Herrenmoral" den rückständigsten und kultur- widrigsten Tendenzen eine willkommene Handhabe gab. Er hat, wie ja bekannt ist, übersehen, daß der Mensch kein einzelstehendes Raubtier, sondern das Mitglied einer heute schon hochorganisierten menschlichen Gesellschaft ist, welche sich auf gegenseitige Hilfe- leistung gründet, wodurch der „Kampf ums Dasein" ganz andere Formen annimmt, als Nietzsche dies geglaubt hatte. Die diesbezügliche Lücke in den Werken Darwins, die Darwin übrigens wiederholt angedeutet hat, wird gegenwärtig von vielen Soziologen und auch von Biologen, beispielsweise Rudolf Goldscheid und Paul Kammerer in vielversprechender Weise bearbeitet. Wie eine eiserne Mauer steht den Ideen Haeckels immer noch die Phalanx der ,, Erkenn tnistheoretiker" und „Erkenntniskritiker" gegen- über, und es erübrigt an dieser Stelle um so mehr, sich vom Stand- punkt der technischen Wissenschaft und Kultur mit diesen Gegnern auseinanderzusetzen, als es nach außen hin den Anschein haben gggggggggggg^ggggE]gggggggggggggE]E]E]EiE]E]EiE]E]E]E]E]E]B]E]E]B]E]E]E]E] 108 könnte, daß die „Wissenschaft" als solche sich gegen das Evolutions- gesetz und gegen Haeckel ablehnend und negierend verhalten würde. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie sich aus der nachstehenden Erwägung ergibt. In jeder wirklichen Wissenschaft, welche Stufe sie in der von Auguste Comte zuerst angelegten und von Ostwald ergänzten Pyra- mide der Wissenschaften von der Logik und Mathematik be- ginnend, über die energetischen und biologischen bis zu den psycho- logischen, ethischen und den Kulturwissenschaften auch haben mag, kann jegliche Erkenntnis von Tatsachen und Vorgängen ausschließ- lich nur aus der Erfahrung und dem Versuch, dem Experiment ge- schöpft werden. Aus Reihen verschiedenartigster und übereinstimmender, ihrem Wesen nach erkannten Tatsachen, ergeben sich anfangs provisorische, mit gewissen Vorbehalten angenommene Theorien (Hypothesen), die sich bei zunehmenden Erfahrungen zu feststehenden Theorien für so lange verdichten, als nicht neue, bisher unbekannt gewesene Tat- sachen hinzutreten, an welche sich die Theorie entweder anpassen oder aufgegeben werden muß, um neuen Theorien Platz zu machen. Theorien und Formeln sind nur zur Übersicht der Naturerscheinungen gebildete auszugsweise und nach gewissen Gesichtspunkten gesichtete Protokollierungen wirklicher Tatsachen, haben also nicht nur den Wert der Tatsachen selber, sondern auch noch den durch die Arbeit der Gehirnenergie dazu getanen Mehrwert von oft millionenfachen anderen Erfahrungen, die mit den bestimmten Beobachtungen in den Gehirnganglien- und Assoziationsbahnen im Zusammenhange ver- arbeitet wurden. Diese Art Erkenntnisse von den Vorgängen der Natur festzustellen, bildete sich für jede einzelne Wissenschaft unter einfacher Anwendung der natürlichen und künstlich verschärften Sinne und des gesunden unverbildeten, reinlichen Menschenverstandes aus. So bildeten sich die Forschungsmethoden der energetischen Wissenschaften, also der Astronomie, Physik, Mechanik, Energetik, der biologischen Wissen- schaften, also der Botanik, Zoologie, Mineralogie, Geologie, Meteoro- logie, Physiologie und der der letzten Stufe, das ist die Psychologie und der Kulturwissenschaft, einschließlich der Ethik in ziemlich paral- leler Weise, je nach der Eigenart der Einzelforschung aus. Eine eigene ggE]gggggg]gBjggE]ggggggggggggB]ggggggEjE]5]E]g]E]gE]E]E]gE]E]E]E]E3E]EiEj IO9 ^ggggggggggE]ggggggB]ggggggE|gEiB]E]E]B]g]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]5]E]Ej nur im menschlichen Geiste gelegene Theorie, Erkenntnisse zu fassen, d. h. eine „Erkenntnistheorie" ist allen diesen Wissenschaften ganz unbekannt. Eine derartige „Erkenntnistheorie" kann daher noch viel weniger auf Gegenstände angewendet werden, welche sich über das Wissen erheben, d. h. unbekannt sind. Der Ausspruch eines hervorragenden Erkenntnistheoretikers, daß dort, wo die Wissenschaft aufhöre, sich der „Tempel der Weisheit" eröffne, ist ganz unzutreffend, vielmehr kann mit Sicherheit behauptet werden, daß dort, wo das Wissen aufhört, lediglich das Unwissen beginnt, dem Lichte der Wissenschaft und der auf ihr aufgebauten großartigen technischen Kultur gegenüber, eine mehr oder weniger vollständige Geistesdunkelheit, oder bestenfalls eine Geistesdämme- rung, in der einzelne der wachsenden Wissenschaft vorauseilende Lichtkeime das Dunkel durchzucken, oder in welcher auch flackernde Irrlichter vorübergehend herumstreifen, um bei zunehmender Helle und Aufklärung zu verschwinden. Die Gegnerschaft der „Erkenntnistheoretiker" kann daher weder der modernen Naturwissenschaft noch dem großen Meister derselben, Ernst Haeckel, irgendwie nahekommen, vielmehr wird es Sache der ersteren sein, sich der Naturwissenschaft anzupassen, was nach allen Zeichen auch schon einzutreten beginnt. Ebenso ist auch der „Kritizismus" nur insofern eine ernst zu nehmende Wissenschaft, als er sich mit der Darstellung und histori- schen Entwicklung einzelner Wissenszweige oder aller zusammen nach rein naturwissenschaftlichen Methoden befaßt, was aber in richtiger und praktisch brauchbarer Weise nur von den Gelehrten dieser Spezialfächer oder solchen, die mehrere Nachbargebiete ihrer besonderen Fächer im Zusammenhange von einer höheren Warte übersehen, geschehen kann. Laien von bloß allgemeiner oder anderer als naturwissenschaft- licher Bildung sind zur Verarbeitung derartiger Ergebnisse im all- gemeinen außerstande, und wenn es dennoch unternommen wird, so kann hieraus in der Regel nur eine ziemlich unfruchtbare, für die technische und geistige Kultur der Menschheit minder belangreiche Arbeit hervorgehen. Die Dampfschiffe, Lokomotiven und Automobile, die unterseeischen Boote und Luftschiffe durchrasen Land und Meer; die unzähligen HO E]gggggS]gggggggE]ggggggggG]gE]E]ElG]B]G]E]ElE]E]E]BlE]E]B]ElE]E]B]E]G]E]E)E]E]E]Ej Maschinen mit Millionen von Pferdekräften arbeiten und schaffen unendliche Werte, die Telegraphen und Telephone umsausen den Erdball, die chemischen und zahllosen anderen Fabriken beschäftigen Millionen von Menschen zur Förderung, Erzeugung und Veredlung von Gütern, Millionen von Menschen durchwühlen die Erde in hundert- tausenden von Schächten, fördern riesige Hebewerke die Kohlen und Erze zu Hunderttausenden von Hochöfen, aus denen sich der Feuerstrom des Eisens ergießt, tausende Riesendampfhämmer sausen donnernd auf schwere, glühende Eisenblöcke nieder, und in den Guß- und Walzwerken regen sich im Schweiße männerehrender Kraft hunderttausend rüstige Helden der Arbeit, das Eisen zu schaffen, das Rückgrat der vorwärtssausenden Zeit, die Künstler erfreuen und erheben eine neue kraftvolle Menschheit, mit allen Mitteln der Technik ausgerüstete Heere erheben die Wehr- und Verteidigungsfähigkeit der Länder zu nie dagewesener Höhe, ein Kulturleben ohnegleichen strömt und rauscht über einen veränderten Erdball unter der leuch- tenden Fackel wissenschaftlicher und technischer Kulturarbeit. — Die Metaphysik aber hat daran keinen Teil. — Sie hat keinen Teil daran, weil der Kritizismus, ohne auf dem Boden der Naturwissen- schaften zu fußen, nicht selbst aufbaut, wie es die Wissenschaft tut, sondern nur den Tempel des Wissens mehr von außen und unfruchtbar umflattert. Eine Blumen- und Unkrautlese aus den Phantasiegärten aller Zeiten und Völker kann zum Tempel wahrer Wissenschaft und Kultur nur wenig wertvolle Bausteine beitragen. So wird auch Ernst Haeckels Lebensarbeit durch die ablehnende Haltung der Metaphysik, ob sie nun als Widerspruch, Anzweiflung, Feindschaft, vornehmtuende Geringschätzung, Nichtachtung oder gänzliche Ignorierung zutage tritt — in den Augen der Kulturwelt nicht im geringsten entwertet. Ganz anders, als in einem großen Teile der sogenannten gebildeten Gesellschaft, über die zu sprechen wohl überflüssig ist, ist das An- sehen Haeckels in einem neuen Stande, welcher sich aus intelligenten, kulturell und ethisch hochstehenden Unterschichten emporzuarbeiten beginnt. — Hier wird Haeckel gelesen, studiert und verstanden. Der Schwerpunkt echter, ethischer Bildung und kulturellen Wertes ist eben in zunehmender Verschiebung nach unten begriffen, was den Ethikern und Soziologen längst bekannt ist. III gggggggE]ggggB]gggggggggEJiJ]gBiggE]B]E]ElE]E]E]EJE]B|BJB]E]EIE]EIE]EIE]E]BlE]ElEl Schließlich ist auch Haeckels Stellung zur Religion diejenige, die ihm die meisten Feinde macht. Ganz mit Unrecht, denn Haeckel ist selbst einer der religiösesten Menschen, der in sittlicher und kul- tureller Beziehung die höchsten Ideale hat und nur bestrebt ist, eine wirkliche, die ganze Seele erfüllende, auf dem gesunden Boden ge- sicherter Naturwissenschaft stehende idealste und höchste Lebens- betätigungsreligion zu bieten. Seine Weltauffassung ist die idealste für die Vergangenheit, die uns einen herrlichen Aufstieg aus kleinem Keime zu edlem, hoch- organisierten Lebewesen zeigt, für die Gegenwart, für die er eine sitt- lich hochstehende und kulturfördernde Lebensarbeit fordert, und für die Zukunft, die in ungeahnte Fortschritte und Vervollkommnungen in reichster Fülle und erhabenster Schönheit weist. Wenn Haeckel in seiner schlichten Größe und seinem milden, die ganze Menschheit umfassenden Herzen aus seiner Gelehrtenstube in das Gedränge des Tages heraustritt, um den Reichtum seines Wissens und die Fülle seiner ethischen und kulturellen unendlichen Werte der bedrängten, leidenden und immer noch in großen Schichten in Geistesdämmerung befindlichen Menschheit segensreich auszuschüt- ten, so ist er hierdurch kein Störer paradiesischen Friedens, sondern ein Wohltäter der Menschheit und ein Wegweiser durch die Nacht zum Licht. Ehre werde ihm deshalb und der unvergängliche Dank der Mensch- heit. Dem Programme dieser Festschrift gemäß habe ich auch anzu- geben, wie ich Haeckels persönliche Bekanntschaft machte, und wel- chen Eindruck ich von ihm empfing. — Ich will mich daher auch dieser Aufgabe pflichtgemäß unterziehen. Abgesehen von den bereits erwähnten früheren Beziehungen an- läßlich der Verfassung meines Werkes über den Gebirgswasserbau, bin ich in nähere persönliche Beziehung zu Ernst Haeckel vor zwei Jahren dadurch getreten, daß ich ihm die von mir verfaßte Nach- dichtung des großartigen panteistischen Hymnus „Hertha" des eng- lischen Dichters Swinburne übersandte. Diese Hymne besteht aus 42 achtzeiligen Strophen und enthält ein Gespräch der Mutter Natur mit dem Menschen als ihrem Kinde. Haeckel hat mir in einem längeren Briefe für die Zusendung dieser gggggggg^^ggggggggggggE]E]B]B]E]E]G]E]B]E]E|ElE]EJE]E]E]E]E]E]E]E]BJG]ElB]EJE]B]E] 112 Nachdichtung herzlichst gedankt, sich über den Wert der unvergleich- lichen Hymne, die er zur Veröffentlichung in einem sehr angesehenen Blatte wärmstens empfahl, in begeisterter Weise ausgesprochen und mir die Bewilligung erteilt, ihn in Jena in seinem Heim aufzusuchen. Mit größter Freude habe ich hiervon Gebrauch gemacht und bin im Jahre 1912 mit meiner Frau, die eine lebhafte Bewunderin Haeckels ist, und einen großen Teil seiner Werke kennt, nach Jena gepilgert, wo uns das Glück zuteil wurde, von dem teueren Meister in einem zweistündigen Besuche auf das liebevollste empfangen zu werden. Unvergeßlich wird uns beiden die Erinnerung an seine schlichte und milde Größe, an seine edle, echte Menschlichkeit sein, die jedes seiner Worte, Gebärden und Bewegungen in selbstverständlichster Weise kennzeichnet. Haeckel sprach mit uns über sein ganzes Leben, seine Vergangen- heit und Gegenwart, seine Pläne und Ideen in Tönen tiefen Ernstes, wahrer Freude über das Geschaffene und der natürlichen Andacht des großen Geistes, häufig auch mit Anflügen liebenswürdigster Heiter- keit und göttlichen Humors. Erzählungen seiner vielen Reisen an der Hand seiner bekannten hochkünstlerischen ,, Wanderbilder", Anekdoten und Erinnerungen ließen uns die unvergeßliche Zeit wie im Traume verfliegen, wobei es der große Mann mit heiterem Humor aufnahm, daß meine Frau manche Daten seines Lebens so gut im Gedächtnisse behalten hatte, daß sie sogar einen kleinen Irrtum des Meisters richtigstellen konnte. Hingerissen in Bewunderung und Sympathie für den großen Mann sagte ihm meine Frau: „Exzellenz müssen doch mit großer Freude auf ein so reiches Leben voll herrlicher Arbeiten zurückblicken." Da war es, als ob Haeckel aus sich selbst herauswachsen und auf sein ganzes Leben zurückblicken würde, und er sprach in wahrster, schlichtester Herzensandacht: ,,Ja, das kann ich und das tue ich auch in größter Dankbarkeit für das Schicksal, das mir ein so überaus reiches, schönes und tätiges Leben beschert hat." — Dabei strahlte sein edles, männliches, von großen blauen Augen erleuchtetes Antlitz in größter Milde und Güte. So ist Haeckel in seinem Heim, das geschmückt ist mit den Spuren seines reichen Geisteslebens. E]ggggggggggggggggggggggggggggG]B]E]EiE]E]E]E]E]E]G]G]EiE]E]E]gE]E]E]E]G]S 8 Haeckel-Festschrift. Bd. II 113 pggggggg]ggggggggE]gggggE]E]E]B]E]EIE]E]EJg]g]B]g]E]E3ElG]E]ElE]E]E]E]EigE]E]E]E]E] Unwillkürlich mußte ich mich in diesem schönen Augenblicke an Faust erinnern, wie er im beseeligendem Gedanken, auf neuem, dem Meere abgerungenen Boden einem Geschlechte glücklicher und tätiger Menschen Raum geschaffen zu haben, beglückt ausruft: „Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Aeonen untergehen. — Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick." Im Vollgefühl seines für die ganze Menschheit freudig erkämpften hohen Glückes, genieße unser teurer Meister noch eine lange Reihe von Jahren hindurch die köstlichen Augenblicke, die das Leben und der Dank der edelsten Geister und der ganzen wahrheitstreuen arbei- tenden Menschheit einem seiner Größten bietet. Zu solchen reinen Firnenhöhen steigen die Miasmen niederer Dünste nicht mehr empor. Der frische Wind, der den Siegesflug menschlicher Kultur kennzeichnet, zerstreut sie spielend, und des großen Meisters sonniges und mildes Lächeln schwebt segnend über der sieghaft sich aufreckenden Menschheit, die einer neuen, glänzenden Ära wissenschaftlich gelenkter, organisierter Arbeit zur Erreichung höchster, geistiger, sittlicher und materieller Kultur frohbewegt ent- gegenstrebt. Heil und Dank dir, du Großer, der Größten einer, dessen Geist uns noch lange leiten möge im Aufstieg zum Sonnenlicht und zur Wahrheit, zur Erkenntnis der unendlichen Kräfte unserer reichen Erde und zu ihrer Beherrschung, zum Wohle einer unendlich ver- edelten, stolzen und kraftvollen Menschheit. Auf dieser Bahn leuchte uns dein Name und deine gewaltige Lebensarbeit voran! ggggggggggggggggggggggggE]E]E]E]EjE]E]B]B]E]EiE]EiE]E]E]E]E]E)E]E]5]B]E]Eig]E]E] 114 piiggggggE]gggg!|]g(3ggi]E]gE]ggggggggggggggE]E]E]E]E]BiEjG]g]E]niB]giE]E35] HUGO SCHNEIDER, BERLIN o o o In dem Sammelwerk, das da Kunde geben soll von dem, was wir Ernst Haeckel verdanken, werden sich fraglos eine große Anzahl bedeutender Männer von europäischem, — ja wohl auch von Weltruf vernehmen lassen, und so dürfte es von mir, dem schlichten Bank- beamten und nicht akademisch Gebildeten recht unbescheiden er- scheinen, wenn ich mich in die Reihe solcher Männer dränge. Nun, das ist keineswegs meine Absicht; vielleicht aber gewährt man mir doch ein kleines Plätzchen in der Erwägung, daß ein siebzigjähriger, an Erfahrung reicher Mann hier spricht, der, wenn er auch niemals zu den Füßen Haeckels gesessen, dennoch als Autodidakt sich seit 45 Jahren in seine Werke vertieft und sie mit innigem Bemühen zu verstehen gesucht hat, wenn ihm auch infolge des Fehlens aka- demischer Bildung naturgemäß vieles entgehen mußte. Bevor ich zum eigentlichen Thema übergehe, möchte ich der jetzigen Generation einmal vor Augen führen, was uns Ernst Haeckel bereits vor 40 Jahren war. Nach dem Erscheinen seiner beiden bald zu Weltberühmtheit gelangten Werke: „Natürliche Schöpfungs- geschichte" und „Anthropogenie, Entwicklungsgeschichte des Men- schen", schrieb der namhafte Naturphilosoph Carus Sterne (Dr. Ernst Krause) in der „Gegenwart" vom 10. Oktober 1874 folgendes: „Um eine Weltanschauung zu ändern, reichen nicht Jahrzehnte, kaum Jahrhunderte aus, denn auch hier gilt der Spruch von der Willigkeit des Geistes und der Schwachheit des Fleisches. Die großen Ideen sind, wie die Geschichte lehrt, im Anfange immer einsam ge- blieben, weil die Gehirne fehlen, sie aufzufassen. Diejenigen irren, welche da meinen, schon Voigt und Büchner hätten den alten Glauben abgetan. Sie haben nichts vermocht, als was vor ihnen Voltaire und Holbach getan : ihn in die Enge zu treiben. Es ist die alte Schiüe Epikurs, und nur die Waffen, mit denen die Materialisten von heute den Spiritualisten zuleibe gehen, sind besser geschliffen als die des Lukrez. Die neue Weltanschauung muß doch erst fertig sein, ehe man sich in ihr behaglich finden kann; und das war sie noch lange nicht, als Kraft- und Stoff-Büchner seine Arbeit begann, ist sie, ehr- lich gestanden, noch heute nicht. Diejenigen, welche das Haus bereits jgggggggggE]EiggggggggggSSggggggB]BlE]ElE|E]B]G3E|EJB]ElB]E]E]G3E]ElE]E]E]E]E] 8* 115 beziehen, sind unbeneidenswerte Trockenwohner, welche nicht anders können, weil sie nicht wissen, wo sie sonst ihr Haupt hinlegen sollen. Unter denen, welche die Fertigstellung des Baues unternommen haben, steht Ernst Haeckel in erster Linie. Ein Potsdamer Kind, hat er lange das Prophetenschicksal erfüllt, in seinem Vaterlande nicht so be- griffen zu werden wie im Auslande, z. B. in Holland oder England; ja, er wäre bei uns vielleicht noch weniger anerkannt, wenn ihn nicht die „Schwarzen" mit ihren Angriffen ausgezeichnet hätten! Ehrlich deutsch ruft er dem Leser zu: Wenn du nicht deinen lehmigen Ur- sprung und deine Geisteingeblasenheit aufgeben und die böse Affen- schwiegermutter mit in den Kauf nehmen willst, so laß von deinem Werben und Buhlen um die Erkenntnis der Natur und deines Selbst ab, suche deine Seligkeit in der Bibel. Denen, die ihm mit Verständnis zuhören, wird er mehr einflößen als Bewunderung; er wird sie durch die Schärfe seiner Unterscheidungen, durch die un- parteiische geschichtliche Darstellung der Lehre, durch die genaue Zergliederung der Erbschafts-, Anpassungs- und Umwandlungsgesetze überzeugen, daß sie sich einem vertrauenswürdigen, aber keineswegs einem leichtfertigen Führer anvertraut haben. Wir freuen uns über den souveränen Hohn, mit welchem er in der Vorrede seiner „Natür- lichen Schöpfungsgeschichte" einige der Leute abfertigt, welche, ohne selbst Naturforscher zu sein, sich über diese Forschungen ein ab- sprechendes Urteil anmaßen, denn unter den allein kompetenten Richtern, unter den Naturforschern gibt es heutzutage kaum noch einen Mann von Bedeutung, der nicht der neuen Anschauung von ganzem Herzen zugetan wäre. Ihr letzter und bedeutendster Gegner, L. Agassiz, ist vor einigen Monaten vom Kampfplatz abgetreten. Ein neues, von eingelebten Vorurteilen und Autoritätsglauben freies Forschergeschlecht blüht inzwischen empor. Wir dürfen stolz sein, sie unter der Führung eines Deutschen zu wissen und die in Deutsch- land zuerst geahnte und verkündete Naturanschauung der Zukunft von ihm ihrem Ziele so wesentlich näher gebracht zu sehen. Das Gebäude, welches Darwin ohne Dach gelassen und so wenig wetterdicht übergeben, daß der Sturm des Zweifels an allen Ecken und Enden hindurchwehte, ist von Haeckel zuerst in einen wohnlichen Zustand gesetzt worden. Sein Name wird mit demjenigen des englischen Forschers für immer unzertrennlich vereinigt bleiben." 116 gggggggggggggE]ggggE|B]E]E]B]E]E]E]EIE]E]E]E]E]E]E]E]5]E]ElE]E]E]E]E]E]E]B]E]B]E]E]Ejg Was damals in diesem Artikel prophetisch ausgesprochen wurde, es hat sich voll und ganz erfüllt: Es ist ein neues, von eingebildeten Vorurteilen und Autoritätsglauben freies Forschergeschlecht empor- geblüht unter Führung Ernst Haeckels, dieses großen Deutschen! Das also ist es, was wir alle, alle Denkenden Haeckel verdanken. Was aber ich, ich persönlich ihm verdanke, das ist, — ich möchte beinah sagen — darüber hinaus : ich verdanke ihm alles was ich bin ! Schon in meinen Jugendjahren behagte mir nicht die Lebensweise der jungen, alleinstehenden Männer, die, aus der Provinz nach der Hauptstadt gekommen, hier ihre Zerstreuung in räuchrigen Lokalen suchen. Meine Neigung, wissenschaftliche Bücher zu lesen, und be- sonders solche philosophischen Inhalts behütete mich vor solcher Lebensweise. Ein älterer Verwandter, dies erkennend, machte mich damals auf Haeckels soeben (1868) erschienene „Natürliche Schöp- fungsgeschichte" aufmerksam. Gierig verschlang ich den Inhalt, las das Buch immer und immer wieder, mein kleines Einkommen be- nutzend, mir die zum Verständnis nötigen, von Haeckel angeführten weiteren Bücher zu beschaffen. So mied ich Gesellschaft und Ver- gnügungsorte und vertiefte mich ganz in das herrliche, einzige Werk. Später wurde ich dann kühn, und als mir einmal eine Stelle absolut unverständlich blieb, schrieb ich — „der junge Kaufmann", an den großen Mann, und zu meiner großen Freude hat er es nicht ver- schmäht, mir zu antworten, und zwar in liebenswürdigster Weise; ja, er verschmähte es auch nicht, mich später einmal in meiner Häus- lichkeit in Berlin aufzusuchen. Die Stunde, die ich damals mit ihm verplaudert, gehört zu den interessantesten und schönsten Erinne- rungen meines Lebens. Es wäre nun wohl Feigheit von mir, wenn ich damit zurück- hielte, offen zu bekennen, daß ich nach vieljährigem, eifrigem Denken dahin gelangt bin, Haeckel nicht in allen Punkten folgen zu können; er selbst würde solche Zurückhaltung am allerwenigsten billigen. Es handelt sich um den Kardinalpunkt: Gibt es einen Gott? Ich bin weit davon entfernt, etwas — um mit Johannes Gaulke zu reden — nur deshalb zu glauben, weil es andere vor mir geglaubt haben, allein ich behaupte, daß ich recht wohl imstande bin, auf Grund dessen, was ich positiv weiß, weiter zu bauen, und auf Grund dessen muß ich dahin gelangen, auch das, was ich nicht weiß, da- gggggggggggggggggggB]ggggE]E]ggggE]ggs]E]E]E]BiB]E]E]E]B]E]B]E]E]E]B]E]E]E] 117 nach logischerweise als sicher annehmen zu können. In diesem Sinne schrieb ich seinerzeit mein Buch: „Durch Wissen zum Glauben, — eine Laienphilosophie" (Hermann Haacke, Sachsa am Harz, 1897). Ich habe es später Haeckel zugesandt, der mir antwortete, daß er es mit Interesse gelesen und bei dem nächsten Besuch seiner Verwandten in Potsdam Gelegenheit nehmen würde, mich wiederum aufzusuchen, um die „wenigen differenzierenden Punkte" mit mir zu besprechen. Leider hat sich diese Gelegenheit niemals mehr geboten. Und worin bestehen nun diese, oder — worin besteht im Grunde genommen dieser eine, uns differenzierende Punkt? in einem ein- zigen, — sage und schreibe: einem einzigen, allerdings recht schwer- wiegenden Wort. In den Welträtseln heißt es S. 254: „Die beiden Hauptbestandteile der Substanz, Masse und Äther, sind nicht tot und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Emp- findung und Willen (natürlich niedersten Grades)." Und in diesem, scheinbar ganz abseits gelegenen parenthetischen Satz, befindet sich dieses eine, uns differenzierende bedeutsame Wort. Ich setze an Stelle „niedersten" das Wort „allerhöchsten"! so daß dieser paren- thetische Satz nicht mehr lautet: „natürlich niedersten Grades", sondern „natürlich allerhöchsten Grades"! oder, mit andern Worten: „Der Weltäther ist die mit eigenem Denken und Willen begabte Weltseele — ist Gott ! Dieses Denken muß selbstverständlich ein völlig anderes sein als das des Menschen, denn wäre es ein dem des Menschen gleiches, so wäre Gott eben nicht Gott, sondern wiederum ein Mensch, und jeder Mensch — Gott. Das ist so logisch und wahr, wie es wahr ist, daß, wenn ein Tier — etwa ein Hund — dasselbe Denken besäße wie der Mensch, es eben kein Tier mehr sein würde, sondern ein Mensch. Wie aber ein Tier niemals das Denken des Men- schen begreifen oder verstehen kann, so wird auch der Mensch nie- mals das Denken des Weltgeistes begreifen oder verstehen können. Das eine steht fest, daß dieses Denken des Weltgeistes direkt nichts mit unseren Arm- und Beinbrüchen, unseren Krankheiten, mit unserer Freude, unserm Schmerz, unseren Mühen und Sorgen, unserm Geld- erwerb, unserm Kampf ums Dasein, mit unserm Leben und Sterben zu tun hat. Das was sich aber indirekt und konsequenterweise aus jenem Denken, aus diesem „eigenen Willen allerhöchsten Grades" ergibt, das kann ich unmöglich im Rahmen dieses Aufsatzes aus- ggggggggggggggg^ggg^gggE]E]E]aB]5]E]B]E]B]5]E]Blg!E]EIE|E]E]B]E]E]E]S]E]§E]B]E] Il8 führen, es ist jedoch niedergelegt in einem Manuskript, das den IL Teil meines Buches „Durch Wissen zum Glauben" bildet und druckreif fertiggestellt ist, indessen — noch des Verlegers harrt. Ich wiederhole noch einmal: Ich verdanke Ernst Haeckel alles, was ich als denkender Mensch bin! Er hat meinem Leben Zweck und Inhalt gegeben, er hat mich denken gelehrt, hat die grenzenlose Freude an der Natur in mir wachgerufen, hat mich gelehrt, die Natur zu verstehen und richtig zu betrachten, mich gelehrt, in der Bibel der Natur zu lesen. Die Beschäftigung mit seinen Werken war mir stets köstlichster, heiligster, reinster Genuß, und hat mich stets mit höchster Bewunderung für den großen Mann erfüllt. Das körperliche Mißgeschick, das er in seinem hohen Alter erdulden muß, hat mich mit aufrichtiger Teilnahme erfüllt, weiß ich doch aber, daß er es als Philosoph zu tragen wissen wird, ohne schwächliches Jammern und Klagen. Mein innigster Wunsch zu seinem achtzigsten Geburtstag ist, daß ihn das Schicksal seine körperliche Schwäche verwinden lassen und ihm noch viele ungezählte Jahre in völliger Rüstigkeit des Körpers und Geistes verleihen möge! Dieser Wunsch ist zwar im Grunde weiter nichts als platter Egoismus, denn letzten Endes schlummert doch hier „latent" der Hintergedanke: . . . auf daß er uns noch viel des Schönen, noch manches wahre Wort zurufen kann, auf daß er niemals ermüden möge im Kampf gegen die „Schwarzen", gegen alle die dunklen Mächte, die täglich und stündlich gegen uns ankämpfen, uns die Freuden des Lebens zu rauben versuchen, uns wie Kolkraben umschwärmen, auf daß sie sich verkriechen in die tiefsten Tiefen Sarkophagen Gesteins! So, wie vor einem Bismarck die ganze Welt zitterte, solange er nur noch die Augen offen hielt, trotzdem er gar nicht mehr im Amte war, so zittern auch jetzt die „Schwarzen" der ganzen Welt noch vor einem Haeckel, trotzdem er das Lehramt niedergelegt — hat er doch noch die Augen auf! Was die Welt und die Wissenschaft Haeckel verdankt, das werden hier berufenere Federn darlegen, ich aber wollte nur schildern, was ich ihm — meinem großen Landsmann — verdanke, was er mir mein ganzes Leben hindurch war und noch ist, — Halt und Führer! Möge der Gigant den Dank eines obskuren Zwerges freundlich aufnehmen. E]ggE]E]E]SlE3E]B]E]E]E]EJG]E]E]G]B]E]E]E3E]E] G]G]G]E]E] E]E]E3E]E]E]E]E]E]E]E]E]E1B]E]E]E]B]E]E3B!B)E] II9 gg]gggggggggggg§gggg!3E]ggE]E]E]E]E]E]E]CjE]E]E]EJE]E]B]E]B]G]B]E3E]E]E]B]E]E]E]E]E] MARIA HOLGERS, BERLIN o o o Wenn ich davon sprechen soll, wie ich mit Ernst Haeckel, seiner Person, seinen Werken — den „Welträtseln" insbesondere — bekannt wurde und welche Wirkung sie auf mich ausübten, muß ich zunächst von meinem eigenen Leben sprechen und weit darin zurück- gehen. In meinem fünften Lebensjahre sah ich an einem hellen Sommer- tag, mitten im Spiel, einen Leichenzug. Auf mein Befragen sagte man mir, daß ein Mensch, eine Frau, in dem schwarzen Wagen sei, und daß diese Frau in die Erde begraben würde, weil sie „tot" sei. Ich erschrak aufs heftigste. Was war das: „tot"? Ich begriff es nicht . . . Jedenfalls war es etwas anderes als mein Zustand; ich lebte; ich bewegte mich. Die Frau lag still in dem schwarzen Wagen ; konnte nicht mehr gehen, sprechen, essen, kam in die Erde, wie ein Stein. So etwas Furchtbares war also möglich . . . ? Ein Riß ging durch mein ganzes Wesen. Zum erstenmal fühlte ich die Außenwelt als ein anderes, Fremdes. Ich war nicht mehr der Tropfen im Wasser, unbekümmert, selbstverständlich. Ich sah Unbegreifliches . . . Von diesem Augenblick an mußte ich denken, bewußt denken und schauen, unaufhörlich. Nicht genau genug konnte ich mir die Dinge anschauen; ich ver- sank in sie und hatte nicht Ruhe, bis ich ihre Zusammenhänge und meinen Zusammenhang mit ihnen soweit erfaßt hatte, als es meiner jeweiligen Entwicklungsstufe möglich war. Das kleine badische Städtchen, in dem meine Eltern damals wohnten, stundenlanger Aufenthalt in einem alten Schloßpark, wo es viel zu schauen gab und Ruhe zum Nachdenken, begünstigten meine Neigung. Als wir in meinem siebenten Lebensjahr in eine größere nüchterne Stadt zogen, wurde der Hang zum Denken ein innerlicher Zwang und die Quelle vieler Leiden. Er schied mich von den anderen Kindern und hätte mein ganzes Kindheitsglück zerstören können, wäre nicht das Phantasieleben in mir ein glücklicher Gegenpol geworden. Trotz- dem — der Zwang war hart! Bis in mein 16. Lebensjahr. Da kam eines Abends ein Ausgleich für meine Einsamkeit und Wissensqual. Ich war, meiner Gewohnheit gemäß, heimlich auf unseren Speicher 120 ggB]g^gggggggggE]ggggggG]BlE]E]B]B]E]BlE]E]EJE]E]BlB]E]B]B]E]E]E]E]E]B|B]E]E]E]E]E]BI gegangen, um da ruhig nachdenken zu können, und schaute durch die Dachluke zu den Sternen hinauf. Gerade in diesen Wochen hatte ich mich mit Fragen, deren Beantwortung mir nicht gelingen wollte, besonders gequält. Die Nacht war still und schön. Über mir stand der „Jakobsstab". Im Anschauen dieses mir von klein an lieben und vertrauten Sternbildes formten sich mir plötzlich mühe- los diese Sätze: „Nichts" war nie. (Das ist nur ein Verlegenheits- wort, um etwas auszudrücken, was es nicht gibt.) Alles was ist, ist und war immer; in wechselnden Formen. Alles was ist, muß in ständiger Bewegung sein. Ohne Bewegung, ohne ständige innere Veränderung, kein Sein möglich. — Was wir „Leben" nennen, ist vielleicht nur gesteigerte Bewegung; „Tod" ein minderer Grad derselben (?) — Einen „Anfang" kann man, da immer alles war, nicht eigentlich denken. Will man einen solchen annehmen, so könnte man vielleicht sagen: im Anfang waren unendlich viele, unendlich kleine Lichtkügelchen, die sich in rasend- ster Schnelligkeit um sich drehten. Einige hatten den Drang, sich anzulehnen; das führte zu einer „Verdichtung", die sich zu Planeten auswuchs. Je größer der Planet, desto langsamer die Umdrehung, desto schneller die Abkühlung und Erstarrung. Im erstarrten Zu- stand kann sich der Planet nicht mehr drehen. Er muß fallen, stürzt auf andere Planeten, eine ungeheure Hitze und Lichtwelle entsteht und das Spiel beginnt von neuem (?). — Diese letzteren Sätze waren mir nur wahrscheinlich, nicht sicher, sie hatten sich mir schon früher, bei einsamem, leidenschaftlich geliebtem Ballspiel ergeben, wenn auch nicht in dieser geraden Folge. Die ersten Sätze dagegen waren mir absolute Gewißheiten; so gewiß wie mein eigenes Dasein. Eine stille Seligkeit kam über mich. Noch lange schaute ich hinauf in das Stern- bild; dann schlich ich die Treppe hinunter, ins Bett. Eine ungeheure Lebenslast war mir vom Herzen genommen. Neben meinem Denkzwang stand ein starkes Phantasieleben und der Drang, Menschen darzustellen, im Wort oder mit meiner Person. Täglich schrieb ich und täglich spielte ich „Theater" beigeschlossener Tür. Nachdem ich mich an jenem unvergeßlichen Abend über meine Wissensqual beruhigt hatte, gewann mein Phantasieleben die Ober- hand und zwang mich zur Schauspielkunst. „Menschendarstellung" 121 ist ein schwieriger Beruf, der zumeist unter fast unmöglichen Be- dingungen ausgeübt werden muß. Ich habe ganze Tage (und dies Tag für Tag!) und halbe und ganze Nächte Rollen gelernt und Toi- letten genäht. Bei solcher Überanstrengung ist ein „Denken" in obigem Sinne unmöglich. 1904 kam der erste ruhigere Sommer und die Sehnsucht, wieder da anzufangen, wo ich im 16. Lebensjahre aufhörte. — Als Kind mochte ich die Bücher nicht; außer Märchen, einigen klassischen Dramen, meinen Schulbüchern stand mir auch nichts zur Verfügung. Jetzt fühlte ich, daß ich allein nicht mehr weiterkam. Und da ich der Meinung war, die Philosophie sei die beste, die sich ständig an äußeren, sinnlichen Wahrnehmungen orien- tiert, kaufte ich mir die Volksausgabe von Haeckels Welträtseln. Die Wirkung, die das Buch auf mich ausübte, ist unbeschreiblich! Wie war ich ausgelacht worden, hatte ich mich gelegentlich einmal zu einer Äußerung über meine Vorstellungen von „Sein", „Ewigkeit" usw. hinreißen lassen! Und nun las ich und las ich mit wachsendem Er- staunen, daß kluge Menschen sich mit meinen Fragen befaßt hatten, hie und da selbst zu ähnlichen Schlüssen gelangt waren. Obschon ich in diesem Sommer schwer krank war, habe ich das ganze Buch gewiß achtmal „durchgeackert", einzelne Kapitel, einzelne Sätze immer wieder vorgenommen. Die speziell zoologischen Kapitel wur- den mir sehr schwer. Hier fehlte völlig die sinnliche Anschauung, quälten die allzuhäufigen, den alten Sprachen entnommenen Aus- drücke, die ich nicht oder nur halb verstand. Der Kopf sauste mir von einer Fülle neuer Wörter, neuer Begriffe, so daß mir bei meinem müden, überlernten Gehirn das Buch manchmal eine Qual wurde! Aber immer wieder zog es mich zu ihm zurück. Denn durch alles Unverstandene hindurch schlang sich wie ein roter Faden die Er- kenntnis der Einheit alles Seins und Geschehens, wie ich sie schon als Kind empfunden und gedacht hatte, nicht als ein wissen- schaftliches Ergebnis gedacht hatte, sondern als Resultat naiven Nachdenkens und Schauens. Nach der „allgemeinen" Seite war mir nichts fremd. Da war vor allem — zu meiner unbeschreiblichen Freude und meinem grenzenlosen Erstaunen! — der Urgrund der großen und stillen Harmonie, deren ich mir in meinem 16. Lebens- jahr bewußt worden war. Haeckel nennt ihn: das Substanzgesetz. Dieses Gesetz ist für mich heute noch „der ruhende Pol in der Er- ggggggggg]gB]gggE]gE]gggggggE]gggE]ggs5iE]E]E]B]B]B]E]E]E]BiB]E]E]EiG]E]E]Ei51 122 ggggggggggggGjg§ggggE]B]ElBlB]BlE]E]E]E]E]B]E]E]B]E]G]S]B]E]E]BIE]E]ElBlE]E]ElE]E]gg scheinungen Flucht", dasselbe, was es damals für mich war, als ich naiv sein Wesen zum erstenmal ergriff. Dieses Gesetz bleibt für mich das A und O, der Grundstein alles Wissens — trotz der schweren Attacke von Ostwalds Energie mit der Materie als Spezialfall. Ohne dieses Gesetz würde mir jede Erkenntnis schwanken, meine Har- monie mit allem, was ist, sänke in Trümmer und das Chaos entstünde. — Nach dem Substanzgesetz machte mir den stärksten Eindruck die ,,Kant-Laplacesche Nebularhypothese" — mich mit einigem Herzklopfen erinnernd an meine Vorstellung vom Entstehen, Wach- sen, Zertrümmern, Neubilden der Planeten — , sodann aus dem Kapitel „Unsere Stammesgeschichte" das biogenetische Grund- gesetz. Klar und überzeugend erhellt dieses Gesetz dem denkenden Menschen die dunklen Pfade seiner vorgeburtlichen Entwicklung. Ich kann hier nur als Laie sprechen, möchte mir jedoch die Vermutung gestatten, daß es nicht nur auf zoologischem, sondern auch auf anderen Gebieten höchst fruchtbar werden könnte. Mir selbst kam es bei Studien über die Literaturen verschiedener Völker und Rassen öfter in Erinnerung. — Leider gestattet mir der Raum nicht, noch näher auf die Wirkung der Welträtsel auf mich — oder anderer Werke Haeckels, von denen die Anthropogenie mir das liebste wurde — einzugehen. — Wie viele Tausende habe auch ich Haeckel gedankt, daß er mit der Herausgabe der Volksausgabe der Welträtsel auch der Not der Laien in Erkenntnisfragen gedacht hat. — Ein halbes Jahr später, April 1905, hielt Haeckel seine bekannten Berliner Vorträge. Bruno Wille bat mich, bei einem Fest zu Ehren Haeckels im zoologischen Garten einige Gedichte zu sprechen. Ich wählte aus „Gott und Welt" (Goethe): „Prooemion", „Ein und alles", „Vermächtnis" u. a. und schloß mit „Weite Welt und breites Leben, Langer Jahre redlich Streben. Stets geforscht und stets gegründet, Nie geschlossen, oft gerundet, Ältestes bewahrt mit Treue, Freundlich aufgefaßtes Neue, Heitern Sinn und reine Zwecke; Nun! man kommt wohl eine Strecke." Nach diesen wie für Haeckel geschriebenen Goethe- Worten wandte er sich mit großer Lebhaftigkeit an mich: „Wie ist es möglich, daß Sie ggggggg]gggggggggggggggs3E|gggE]EjgggE]gE]E]E]E]5]EiB]E]E]E]E]EiE]gE]E]E]E] 123 iggggggg^^E]ggE]ggggG]gE]^ggggg5]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]B]ElE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E] gerade meine Goetheschen Lieblingsgedichte auswählten?!" Das war das erste Wort, das er persönlich an mich richtete, und das gleich die innere Verwandtschaft aller Einheitlich-denkenden traf. Denn aus den obigen Gedichten Goethes spricht eine rein monistisehe Weltanschauung im allerumf assendsten Sinn. Ich hatte diese Dichtungen mit Bedacht und in der Überzeugung gewählt, daß sie Haeckels eigenen Anschauungen entsprechen. — Die nächstfolgenden Sommer hörte ich bei Haeckel in Jena Zoo- logie. Leider fehlten mir zum eingehenderen Studium Zeit, Kraft und Gesundheit; dennoch bedeuteten die Vorlesungen eine große Förderung für mich. Vor etwa vier Jahren übertrug mir Haeckels Vertrauen die spätere Herausgabe eines Teils der Briefe über die Welträtsel. Jeden Sommer bin ich einige Wochen in dem lieben närrischen Nest Jena und habe da Gelegenheit, die Korrespondenz stetig zu verfolgen. Haeckels eigenartiger Persönlichkeit ist in wenigen Sätzen schwer beizukommen. Sein kindlich-dankbares Verhältnis zur Natur, seine sonnige Heiterkeit, seine Elastizität — auch heute noch! — seine beispiellose Einfachheit der Lebensführung sind die hervorragendsten und bestechendsten Eigenschaften seines Wesens. Daneben stehen Schüchternheit, Überbescheidenheit und eine merk- würdige Menschenfremdheit. Trotz seiner Heiterkeit ist er zuweilen schweren Gemütsdepressionen ausgesetzt, die sich in einer auffallen- den, den Umständen meist nicht entsprechenden Resignation äußern. Haeckel hat eine seltene Gemütstiefe, die mich öfter an Werthers Lotte erinnert. Auch von einem „kosmischen" Gemüt Haeckels könnte man reden. Ich habe nie einen Menschen gesehen, den der Anblick eines Sonnen- untergangs in so sprachloses Entzücken versetzt, wie ihn! Sieht er durch das Mikroskop ein Radiolar, so ist das ganze Gesicht durch- leuchtet von Freude. Sein ganzes Leben geht durch das Auge. — Trotz einiger Schatten kann man von Haeckel wohl sagen: Sein Wesen ist Licht! Als den „Leuchtenden" unter den Menschen wird ihn die Nachwelt in ihrem Gedächtnis bewahren. 'gggggggG]ggggggggE]ggE]ggE]gggggggggE]E]E]E]B]E]E|E]E]G]B]E]E]E]E]E]E]E]E]Gi, 124 E]H]E]gE]E]E]gE]E]EJ§] 51 g]G]E]@]gE]G] B] E]E]§]B]E]E]E]B]B]E]E]E]E]E]E]S]E]g]E]E]gE]E]E]gE]ggElE]gi EMIL FELDEN, BREMEN o o o Es war in meiner Studienzeit, die ich von 1893 — 97 in Straßburg verlebte, da ich zum ersten Male etwas von Haeckel hörte. Was er als Naturwissenschaftler erforscht, welche Verdienste er sich er- worben, wie er Darwins Theorie weitergebildet — von alledem wußte und erfuhr ich nichts. Um so mehr aber hörte ich von seinen „Welt- rätseln", die damals eben erschienen waren. Wie wurde über sie ge- schrieben und gescholten! Es gab wohl kein religiöses Blättchen, keine theologische Zeitschrift, die nicht das Buch in Grund und Boden hinein verdammt hätte. Alle, sowohl die orthodoxen als auch die- jenigen, die sich fortschrittlich nannten, zündeten Scheiterhaufen an, auf denen sie zur größeren Ehre Gottes und der Kirche den Ketzer verbrannten und sein* Buch verdammten, so sehr sie im übrigen auch auseinandergingen und einander bekämpften. Ein „pseudo-wissen- schaftliches Sudelwerk" — so nannte die „Welträtsel" gelegentlich einer unserer Professoren. Nicht ein orthodoxer; kein kleiner, eng- herziger Geist, sondern ein feiner Mensch mit weitem Blick, eine Größe in seinem Fach, ein Vorkämpfer für die freie Auffassung des Christentums. Gelegentlich nannte eres so, denn gründlich ließ er sich auf das Werk nicht ein. Und die anderen Professoren erst recht nicht. Für uns Studenten aber war sein Urteil maßgebend, da wir ihn hoch verehrten. Es waren nicht nur die Schnitzer kirchengeschicht- licher Art, die dieses Urteil hervorriefen. Es war vor allen Dingen der Umstand, daß sich Haeckel nicht nur gegen das orthodoxe Christen- tum gewandt hatte — was man auf liberaler Seite ganz gern gesehen hätte — , daß er vielmehr das liberale genau so wertete wie das ortho- doxe. Die liberalen Theologen fühlten sich dadurch verhöhnt, daß Haeckel sich um die immense Forscherarbeit einer ganzen Generation nicht gekümmert, vielmehr Behauptungen aufgestellt hatte, mit denen sich die liberale Theologie, da sie dieselben für längst abgetan hielt, überhaupt nicht mehr beschäftigte. Besonders groß wurde die „rabies theologica", als bald darauf die neuen Auflagen des genannten Buches erschienen, die absolut keine Korrektur der nachgewiesenen Fehler enthielten. Hatte man zunächst über die Unwissenschaftlich- keit des Naturwissenschaftlers und über die Leichtfertigkeit, mit g^gE]gggggggggE]ggggggggggggE]G]E]E]B]E]E]g]B]G]ElG]E]ElElE]E]E]ElE]E]g]BlE]G]E] 125 der er über die Forschungen der wissenschaftlichen Theologie hinweg- gegangen war, gescholten, so schätzte man ihn nun mehr auch als Cha- rakter gering , da allgemein böser Wille angenommen wurde. Es war keiner unter uns, der nicht über Haeckel sehr empört gewesen wäre, ob- wohl die wenigsten, vielleicht gar keiner, die „Welträtsel" gelesen hatten. Wir hielten es überhaupt nicht der Mühe wert, uns mit ihnen abzugeben. Auch deshalb nicht, weil auch die philosophischen Köpfe unter uns nur mit geringschätzigem Lächeln von der unglaublichen Philo- sophie Haeckels erzählten, der alte, längst begrabene Ladenhüter wie- der aufleben ließ und den seit Jahren überwundenen groben Materialis- mus eines Lamettrie nnd Holbach in neuer Gestalt wieder auftischte. Vor allem mokierte man sich über die Widerlegung Kants. Haeckel gegen Kant! Das machte uns Studenten Spaß. Es klang uns, denen nichts über Kant ging, wie ein schlechter Witz. — Ich habe damals mit einem bekannten Professor der Philosophie, mit dem ich eng be- freundet war, über die „Welträtsel" gesprochen. Ich drückte meine Verwunderung und Entrüstung darüber aus, daß nicht ein einziger Phüosophieprofessor sich gegen die volksverderbende und unwissen- schaftliche Arbeit Haeckels gewandt, und daß man nicht auch auf philo- sophischer Seite auf die vollkommene Unwissenschaftlichkeit des Werkes hingewiesen habe, wie das die Theologen so brav getan. Ich hielt das für grobe Pflichtversäumnis. Ich meinte auch in jugendlicher Naivität, es hätte nur eines solchen Hinweises bedurft, um eine Verurteilung des Buches bei jedem wahrheitsliebenden Menschen zu erzielen und die Er- folge lahm zu legen, die sich die „Welträtsel" langsam aber sicher er- rangen. Da lächelte jener Philosophieprofessor sehr mitleidig und sagte : „Was sollen wir Phüosophen da schreiben! Es ist eben der Haeckel. Man kennt ihn! Er heißt Ernst, aber man nimmt ihn nicht ernst." Mittlerweile vollzog sich, trotz der ungeheuren Polemik von allen Seiten, der Siegeslauf der „Welträtsel" ungestört. Ein Tausend er- schien nach dem anderen, ungeachtet aller Verdammungsurteile von protestantischer und römischer Seite, ungeachtet der „nachgewiesenen Unwissenschaftlichkeit" des Buches. Das war mir ein Rätsel. Und gab mir zu denken! Woran konnte das liegen? Welches war der Zauber, der die Menschen gefangennahm? Ich wollte mir das Buch auf der Bibliothek holen, aber es war vergriffen. Und jedesmal, wenn ich es verlangte, bekam ich denselben Bescheid: „ausgeliehen". Das "E)ggggggggggggggE]gggEigE]gagE]gggE]gggE]E]E]E]E]G]giE]B]E]E]EjB]E]E]E]E]E]g 126 gggggggggggg^5]gggggggEjgggElE]E]BlE]E]E]G]E]E]E]E]E]E]ElE]E]ElE]E]E]E]51S]3]51BI war mir wieder merkwürdig. Zum Kaufen war es zu teuer für einen Studenten, da es außer der großen Ausgabe noch keine billigere gab. Dann nahte das Examen und verschlang alle Zeit und alles Interesse. Auch in den folgenden Jahren kam ich nicht zur Lektüre des Buches, da ich direkt von der Universität kommend einen ziemlich schwierigen Posten in einer Diaspora erhielt, der meine Kraft auch dann vollständig in Anspruch genommen hätte, wenn ich mich nicht auf das zweite Exa- men hätte präparieren müssen. Erst als ich auf einer kleinen Pfarrei im Elsaß saß, hatte ich genügend Muße, mich in allerhand Fragen zu vertiefen. Das Studium der Religionsgeschichte und des Neuen Testa- mentes ließ mich immer „radikaler" werden. Die Differenz zwischen der Lebensanschauung und Lebensweise des modernen Menschen und des Menschen aus der Zeit des Neuen Testamentes erschien mir allmählich als unüberbrückbar. Nun suchte ich nach einem Fundamente, auf dem ich eine neue Weltanschauung aufbauen könnte. Ich begann mich wie- der in die Philosophie zu vertiefen. Von da kam ich zur Naturwissen- schaft und Naturphilosophie. Daß ich nun Haeckels ,, Welträtsel" stu- dierte, ist selbstverständlich. Und nun begriff ich, daß diese ,, Welträtsel" eine so ungeheure Wirkung haben mußten, daß sie ein Kulturdokument ersten Ranges waren. Gaben sie doch dem nach Erkenntnis hungernden Volke das, was es suchte und sonst nirgends fand. Mochten auch Fehler in dem Werke stecken — wahrscheinlich sind die wenigsten, die darüber gescholten haben, imstande gewesen, sie selbst herauszufinden — es mußte wirken, weil es vom Standpunkte der vollkommensten Wahr- haftigkeit aus geschrieben war. Hier war mit bewunderungswürdiger Tapferkeit klipp und klar herausgesagt, worum es sich handelt, ohne irgendwelche Beschönigung oder Bemäntelung. Das Alte war alt , das Morsche morsch , das Faule faul genannt. Und daneben dieser goldene Optimismus, der freudig und verheißungsvoll in die Zukunft sieht, zum Kampf aufruft und an den Erfolg glaubt. Welch fester Glaube, welch sicheres Hoffen ist in diesem Buch enthalten ! Wie teilt er sich in gerade- zu suggestiver Weise demjenigen Leser mit, der das Buch nicht liest, um es zu schmähen und zu verdammen, sondern weil er sucht und fin- den will. Prophetengeist weht in den „Welträtseln", der Geist des Pro- pheten einer neuen Zeit , da Wahrheit und Wahrhaftigkeit herrschen sollen. Nicht wird nur niedergerissen, nicht nur werden falsche Ideale erbarmungslos bekämpft, es wird auch neu aufgebaut, es werden neue '3asaS^aaggEiggggggggggggggggggE]E]5]EiE]E]EiB]g]EiE]B]E]E]E]E]E]G]E]E]B]E]Ej 127 Ideale aufgestellt, es werden Wege gewiesen, die zu diesen hinführen. Wie ein Blitz mußte dieses Buch in eine schwüle Atmosphäre hineinfahren und sie reinigen. Und so ist es zum echten „Katalysator" geworden. Durch die „Welträtsel" wurde meines Erachtens nicht sowohl die Naturwissenschaft direkt popularisiert, als daß alle Fragen von Gott und Welt, Diesseits und Jenseits, dem Sinne des Daseins, von Schöp- fung und Erlösung von einem ganz anderen Gesichtspunkte als dem gewöhnlichen aus zur lebhaften Diskussion gestellt wurden. Die Mensch- heit sah sich gezwungen, ihre alten Anschauungen und Dogmen bei Tageslicht zu betrachten und — zu bewerten. Selbst auf die Ortho- doxie hat das Buch eine große Wirkung ausgeübt. Sie begnügt sich nun nicht nur mehr damit, das Volk mit Dogmen zu füttern, sondern fügt ihnen so viel Naturwissenschaft bei, als notwendig ist, um die Dogmen modern zu fundamentieren. Man denke auch an den Kepler- bund ! Man mag gegen ihn sagen, was man will — und auch ich habe wahrlich sehr viel gegen ihn zu sagen — , er bringt durch seine Methode doch die Kenntnis der Naturwissenschaft, wenn auch in seiner Art, in Gegenden, wo man noch nie etwas von neuen Problemen ohne diese Arbeit gehört hätte. Und so leistet er Pionierarbeit für den Fortschritt und — auch für die Gründung Haeckels, den Monisten- bund! Der Keplerbund erweist sich solchergestalt als echter Mephi- stophelesbund, als Teil der Macht, die trotz allem letzten Endes doch „das Gute schafft". Diesen Mephistopheles hat Haeckel durch seine Arbeit heraufbeschworen! Und ist nur etwas Licht gebracht oder doch der Boden präpariert, daß auch die beschränktesten Köpfe merken, ein naturwissenschaftliches Fundament ist heute notwendig, selbst für die Glaubenssätze, die die „Wahrheit" sind, dann kann die wahre Aufklärungs- und Auferbauungsarbeit einsetzen. Vor allem von Seiten des Monistenbundes, der ohne die „Welträtsel" nicht denkbar ist. Wahrlich, Ernst Haeckel mag als naturwissenschaftlicher Forscher Großes geleistet haben. Ich kann es in genügender Weise nicht wer- ten, da ich sein Fachgenosse nicht bin, obwohl ich es aufrichtig be- wundere. Allein als Verfasser der „Welträtsel" hat er sich, mögen noch so viele Schwächen dem Werke nachgewiesen werden, ein Kultur- denkmal ersten Ranges gesetzt. Gerade in bezug auf dieses Werk und seine Wirkung kann er mit Stolz und Jubel sprechen: „Es wird die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn." 128 3gggggggB]ggggggggE]ggE]ggggE]E]E]E]E]G]E]B]E]B]E]E]B]E]E]E]E]ElE]E]E]E]E]B]E]E]EJ i b e o e w 'S fi a o > 1 3 o 55 < a m ggggggr3gggggggggggggggggE]gEls]gE]E]E]BjE]E]E]EjgB]G]5]E]E]E]B]B]ggEjE]EjEi 20 Haeckel-Festschrift. Bd. II ^0^ p]ggggggggg^g§ggggggggE]gg§gE]gE]gE]E]E]5]E]E]gE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]EjE]E]E] anregend auf mich gewirkt. Seine Analysis der tierischen Formen in der „Promorphologie" ist so umfassend und doch so einfach! Die Klarheit seiner Ausführungen und die Einfachheit seines Stils in der „Anthropogenie" machen dieses Werk besonders wertvoll für den Fremden, welcher wenig mit der deutschen Sprache vertraut ist, und war auch in nicht wenig Fällen für diejenigen wertvoll, deren Interesse an den Entwicklungsproblemen durch das Buch ge- weckt worden ist. Aber so groß auch meine Bewunderung ist für seine gewaltige Beobachtungsgabe und seine Schilderungskunst in Wort und Bild, so ist sie doch noch größer für seinen Blick für das Wesentliche und seine Begabung für Vereinheitlichung und Vereinfachung, welche ihm eine so hervorragende Stellung unter den Wissenschaftlern gibt. Diese sind jedoch nur die Zugänge, welche ihn zu seiner Ansicht vom Universum geführt haben, eine Ansicht, die, wie mir scheint, mit der Zeit alle denkenden Menschen mit unbefangenem Geist in hohem Grade beeinflussen wird. Wenn ich mich genau auf die Gründe besinne, so finde ich, daß es nicht Haeckels Größe war, auch nicht sein wissenschaftlicher Scharf- blick oder sein Kampf für eine monistische Kosmologie, was mich im Jahre 1910 veranlaßte, eine verzweifelte Anstrengung zu machen, den Mann, den ich bewunderte, zu sehen. Es war einfach seine be- zaubernde Persönlichkeit, nach der ich mich sehnte. Für mein zwei- tägiges vergebliches Suchen nach ihm in Venedig wurde ich vollauf belohnt, als ich ihn, ziemlich unerwartet für mich und vor allem auch für ihn, plötzlich in dem kleinen Speisezimmer eines bescheidenen Gasthauses in Feltre vor mir sah. Als wir am folgenden Tag zusammen nach San Martino di Castrozza wanderten, fand ich, daß ich ihn früher nicht falsch beurteüt, und daß er sich nicht verändert hatte : derselbe einfache und liebenswürdige Mensch, den kennen zu lernen ich vor 35 Jahren das große Glück hatte. Der Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes hat einen Gedan- ken, den ich oft gehabt habe, so bewunderungswürdig ausgedrückt, daß man mir verzeihen möge, wenn ich seine Worte hier wiederhole: „Dieser unversöhnliche Gegner alles dogmatischen Christentums er- wies sich als der beste und vorgeschrittenste Christ, den ich je per- sönlich kennen gelernt hatte." 306 J. A. PALMEN, HELSINGFORS, FINLAND o o o Sehr geehrter Herr Doktor! Leider muß ich Ihnen jetzt mitteilen, daß es mir nicht möglich wurde, einen Beitrag zu Ernst Haeckels Festschrift zu liefern, wie ich noch in meiner letzten Postkarte eventuellin Aussicht stellte. Ich bedauere dies um so mehr, da ich durch Ernst Haeckels „Generelle Morphologie" eine überaus kräftige Anregung zum wissen- schaftlichen Denken erhalten habe, und seine Forscherpersönlichkeit überhaupt wie speziell seine phylogenetischen Schriften mir, wie so vielen anderen, in fundamentaler Weise wegleitend gewesen sind. Die zündende Einwirkung des genannten echt romantischen Forschers, in Verbindung mit der des ebenso tiefsinnigen wie nüchtern kritischen Klassikers, Carl Gegenbaur, dessen persönlicher Schulung ich unge- heuer viel verdanke, — die Einwirkung dieser beiden Forscher ersten Ranges werde ich alle Zeiten in der verehrungsvollsten Erinnerung dankbarst behalten. Hochachtungsvoll J. A. Palmen. E]SE1331]3§]35I3E133S33SE133SElEISS3S3SE]SSS5SE;5!^SSSs5ISEiEl^]S35!El 07 GEORG J. PLOTKE, FRANKFURT A. M. 0 0 0 Nicht dem großen Gelehrten, nicht dem schöpferischen Künstler Ernst Haeckel habe ich soviel zu danken, wie dem tiefhumanen Menschenbruder, dessen Güte mich beglückte. In zwei entscheidenden Augenblicken meines Lebens wandte ich mich fragend an ihn, und wie so vielen anderen gab er auch mir, anteilnehmend wie ein naher Freund, den befreienden Rat, den nur die reinste und innerlichste Menschlichkeit geben kann. Davon will ich Zeugnis ablegen. Ver- einheitlichung im letzten Sinne ist dies Leben, dessen wissenschaftlich- künstlerische und menschliche Grundstoffe sich immer wieder gegen- seitig befruchteten und sublimierten, wie nur bei ganz wenigen unserer Großen nach Goethe. gg^gggigE]ggg§gg§ggggggiggggiE]E]E]E]EigG]EiE]E]E]E]E]gE|E]E]E]G]B]G]GiE]Bj 308 ggggggggggggggggg^E]E]ggE]E]E]E]E]E]G]E!E]EIE]E]E]gB]B]B]E]EiE]E]E]E]gE]E]B]B]E]E] M. E. DELLE GRAZIE, WIEN : ERNST HAECKEL DER MENSCH o o o Wenn in diesen Tagen von einem Ende der gebildeten Welt zum anderen der Name des großen Forschers fliegt; wenn Jünger und begeisterte Verehrer sein Lebenswerk feiern, Berufene neidlos es anerkennen, Feinde und Fanatiker es schmähen, aber doch nicht daran vorüberkommen — dann leuchtet vor den Augen derjenigen, die nicht bloß im Geist zu den Füßen des Meisters gesessen, sondern ihm auch in persönlichem Verkehre oft und herzlich nahetreten durften, plötzlich eine Sonne für sich auf: Der Mensch Haeckel. Selten noch hat das Wahrwort, daß der Stil der Mensch sei, in so restloser Weise seine Bestätigung gefunden wie in der Persönlich- keit Ernst Haeckels. Einer der wenigen deutschen Gelehrten seit Schopenhauer, die zugleich auch große Stilisten sind, ist seine geistige Eigenart so ganz der Spiegel dessen, was er lebt und ist und sein will. Und wer nur einmal diesen prächtigen, noch heute so schön und frei getragenen Kopf gesehen, den wissenden Blick der blauen Jovisaugen auf sich ruhen gefühlt, sein herzliches und sieghaftes Lachen gehört, das selbst wie eine Klang gewordene Lichtfülle anmutet — der wird mit Entzücken erkennen, daß Haeckel der Forscher und Haeckel der Mensch eine Persönlichkeit von solch vollendeter Harmonie bilden, wie sie das deutsche Volk vielleicht seit Goethe nicht wieder besessen. Und in der nordischen Seele mag dann etwas vom Verständnis der alten Hellenenfreude an der „Kalokagathia" dämmern. Von derselben Freude, die keinen Geringeren als Bismarck mitriß, der den berühmten Naturforscher bei Gelegenheit einer Anrede plötzlich umarmte und herzlich abküßte. Und so hat der Naturforscher Haeckel gegenwärtig nur einen einzigen Nebenbuhler: den Menschen Haeckel. Von diesem aber will ich einiges erzählen. Und wenn ich ihm da und dort vielleicht allzusehr ,,aus der Schule" plaudere, so mag er mir's verzeihen. Sein Jubeltag gibt mir das Recht dazu. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß meine erste Begegnung mit Haeckel an einem Orte stattfand, den schon ein anderer großer Natur- forscher durch seine Gegenwart für immer geweiht. In unserem herr- lichen Salzburg, dem kein Geringerer als Alexander v. Humboldt den 309 pÜEÜsJE] g]E]E]G]E]E]GJGJG]E]E]E] GJEJEJEJ E]gEjE]5]gggE]E|ggB]gg EJ B] B] EJE]G]E] EJG]G]G]E]G]E]E]G]Gj Ruhmestitel der drittschönsten Stadt der Welt verliehen. Dorthin kam am 3. September 1896 Haeckel, wie er mir schrieb, „einzig zu dem Zwecke", um mit mir über eine Dichtung zu sprechen, die eine künstlerische Versinnbildlichung der modernen naturwissenschaft- lichen Entwicklungsideen an einer der größten Weltbewegungen der Neuzeit versucht hatte. Nach Wochen endlosen Regens brach gerade an jenem Tage zum erstenmal wieder die Sonne hervor, und so brachte der erlauchte Gast sie gleichsam mit sich. Himmel- und Erdenwande- rer, der er schon einmal ist ! Wir wohnten damals in einem Landhaus, das den barmherzigen Schwestern gehört. Und noch erinnere ich mich des leisen Zweifeltones in Haeckels Stimme, als er von der Straße aus eine im Hof anwesende Schwester fragte, ob hier Fräulein — delle Grazie wohne? Erst als ich ihm vom Fenster aus ein fröhliches: „Nur herein, Meister, Sie werden auch hier nicht bekehrt werden!" zurief, trat er ein und nahm dann, je zwei und zwei, rasch und elastisch die etwas steilen Stufen des altertümlichen Hauses. Einmal drinnen aber, brach er dann in ein Lachen aus, so herzhaft und mitfortreißend, daß ich es noch heute höre. Sogleich aber dämpfte er es, um, wie er in schöner Menschlichkeit und voll edler Rücksicht sagte, „der Schwe- ster, die den Schleier für die Kranken nahm, kein Ärgernis zu geben". Und nur ganz leise scherzte er: ,,Da war' ich ja nun richtig wie der Teufel ins Weihwasser gefallen !" Ein Dictum, das mich um so lustiger stimmte, als der „Miss Diana Vaughan "-Schwindel Leo Taxils gerade damals in Salzburg viel von sich reden machte. Daß wir mit unserem Gespräche nicht länger beim „Teufel und seinem Anhang" verweilten, als gerade notwendig war, versteht sich von selbst. Und so stiegen wir aus dem Abgrund der Hölle zu der Dichtung, die ihn so lebhaft interessierte, um von da aus unter seiner Führung langsam und sicher die Höhen zu erklimmen, über die er herrscht, und von denen aus er schon so oft seinen fröhlichen Kampf- ruf in die Welt hineingeschmettert. Den Nachmittag und Abend jenes Tages brachten wir auf dem Mönchsberg zu, und wieder fügte es ein drolliger Zufall, daß Haeckel in die Nähe einer Gesellschaft geriet, der er sonst sicher auf Meilen- weite ausgewichen wäre. Es war der „Katholikentag", der in dem- selben Restaurant sein Festbankett abhielt, in dem wir uns zum Abendessen niedergelassen. Und nie werd' ich den köstlichen Ausdruck 310 gggggggggggggE]gE]ggggS]E]E]E]E]S]E]E]E]E]E]G]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]G]E]B]E]E]E]EJE]gEl im Antlitz Haeckels vergessen, mit dem er auf die Frage eines der Festordner, ob wir „auch zum Katholikentag geladen seien", halb verblüfft, halb belustigt erwiderte: „Soviel mir bekannt ist — nicht!" Worauf wir uns aus dem Gewirr der Festgäste in den hintersten Winkel des Restaurants zurückzogen. Hier aber hatte ich zum zweitenmal Gelegenheit zu beobachten, welch feiner Takt dem Manne eigen ist, der seinen Gegnern als angriffsfroher Polemiker gilt. Ein Wiener Ge- lehrter, zugleich katholischer Geistlicher, befand sich als Dritter in unserer Gesellschaft. Und da wir über die den ganzen Nachmittag ausfüllenden Erörterungen einiger naturwissenschaftlicher Streit- fragen redlich hungrig geworden waren, folgte als friedlicher Schluß ein nicht minder eifriges Studium des Speisezettels. Da bemerkte ich, daß Haeckel zu keinem rechten Entschluß kommen konnte. Und weil ich schon gewählt hatte, riet ich ihm zu dem, was mir als das Beste, Schmackhafteste erschien, zu einem „Wiener Backhendl". Haeckel sah mich an, schüttelte aber dann leise das Haupt und bestellte endlich, allerdings mit etwas trübseliger Miene, „eine Portion Schiel". „Doch nur als Vorspeise?" fragte ich. Das löste ihm endlich die Zunge. Und leise sprach er: „Wissen Sie, ich wäre ja am liebsten am ,Backhendl' hängen geblieben. Aber da unser lieber Freund ein katholischer Geistlicher ist, wollt' ich ihn nicht verletzen!" Und als ich ihn darauf etwas verblüfft ansah, meinte er: „Nun ja, weil der Katholikentag ist ! Das ist ja wohl zugleich auch so eine Art Büß- und Fasttag?" Nun mußte ich herzlich lachen. Und als es mir durch einen freundlichen Kellner gelang, eine Menukarte des Katholikentages herüberzuschmuggeln. könnt' ich den verehrten Meister augenschein- lich überzeugen, daß das Souper der Gäste des Katholikentages nichts weniger als ein Fastenmenu sei. Unser geistlicher Freund hatte sich unterdes in völliger Unkenntnis des leisen Zwiegespräches ein saftiges Rostbeaf bestellt, welchem Beispiel endlich auch Haeckel, ebenso über- zeugt als erleichtert, folgte. Erst spät nach Mitternacht brachen wir auf. Es war eine herrliche Vollmondnacht; und die schlummernde Stadt lag so recht, wie ein Stück deutscher Romantik vor uns, mit ihrem ragenden Festungs- berg, ihren grauen Toren und Klöstern und dem heimeligen Zauber ihrer alten Giebeldächer, die da und dort noch der Nüchternheit der 311 iggggggggggggggE]gigB|ggggiggE]ggggEjE]EiBiE]E]E]EiG]E]E]E]E]E]B]EiE]EiE]EjEiEiB] modernen Straßen ein Gesicht geben und den Adel einer Vergangen- heit. Von unten kam das Getos der Salzach herauf, doppelt laut in der tiefen Stille der Nacht. Sonst lag alles ruhig und wie verzaubert im silbernen Blau des Vollmondglastes. Und von diesem herrlichen Bild in tiefster Seele ergriffen, erzählte uns Haeckel, daß auch er hier eigentlich eine Art Heimatsrecht habe, da Salzburg die „Urheimat" seines Geschlechtes war und sein Urgroßvater, ein Bauer, zu jenen Salzburgern gehörte, die wegen ihres protestantischen Bekenntnisses aus Salzburg vertrieben und von Friedrich dem Großen in Schlesien angesiedelt wurden. „Wer weiß, ob heute eine .Natürliche Schöpfungs- geschichte' existierte, wenn das nicht geschehen wäre !" sprach Haeckel. Und in köstlicher Laune setzte er hinzu: ,,0 historischer Kausal- nexus! O sittliche Weltordnung!" Den folgenden Tag brachten wir in dem herrlichen Park von Aigen zu. Und angesichts des einzigen Rundblickes, der sich von der „Kanzel" aus dem entzückten Auge bietet, verging uns der Vormittag wie ein Traum, den Sonnengold und Waldesgrün um uns spannen. Hier lernt' ich auch den Aquarellisten Haeckel so recht schätzen. Seinen feinen Blick für Lichtwirkungen und Luftstimmungen. Diesen echten Malerblick, der das Ferne wie das Nahe gleich zärtlich umfängt und dabei ebenso rasch als sicher überall das Charakteristische ent- deckt und festhält. Und die sichere Hand, die uns oft nur nach flüch- tigen Stationspräparaten die ganze entzückende Formenfülle der Tiefseeorganismen festgehalten, sie weiß auch die Landschaft immer dort zu fassen, wo auch sie eine „Kunstform der Natur" ist. So hat Haeckel von seinem zweimaligen Aufenthalt in den Tropen eine ganze Bildergalerie heimgebracht. Und die meisten Illustrationen seiner „Indischen Reisebriefe" und der „Arabischen Korallen" sind von ihm selbst an Ort und Stelle aufgenommen. In den Tropen freilich „wird jeder Naturforscher so eine Art Mädchen für Alles", wie er ein- mal lachend sagte, als er uns seine kleine Häuslichkeit in Belligemma schilderte. Aber auch die herrlichsten Stücke seiner Korallensamm- lung hat er sich selbst aus dem Meere hervorgeholt. Und ich bin im glücklichen Besitze einiger Prachtexemplare, die kein Geringerer als Meister Haeckel frei schwimmend und tauchend in Punto-Gallo und Belligemma auf Ceylon aus dem Meere herausgeholt. Noch vor wenigen Jahren ein tüchtiger Tourist, hat er von den ]gggggggg]ggB]ggE]gggggE]E]E]E]E]B]E]i]ll§]SSi]SElE]E]E]E]gE]BJSlll]E]EJSS3E]S]S 312 jggggE]ggggggggggggggggE]gE]E]E]E]E]B]E3EiE]E]E]tä]E]E]E]EjE]E]EiE]E]G]E]G]EiE]G]E]g Höhen der Alpen bis zur Tiefe des Weltmeeres wohl alles kennen und meistern gelernt, was die Natur groß und geheimnisvoll macht und in jenen erhebenden Augenblicken einsamsten Schauens und Genießens die orphische Saite der Zusammengehörigkeit mit dem großen All um uns leis' und harmonisch vibrieren läßt. Niemand kann dies besser und hinreißender schildern als Haeckel. Und wenn er dann dazwischen lacht — sein leises, sonniges Lachen, dann ist es wirklich wie ein Lockton aus der Flöte Pans. Etwas im reichsten, im schönsten Sinne Heidnisches strahlt aus dieser Vollnatur. Und deshalb wird ihm, obwohl er keinen persönlichen Gott hat, doch alles ringsum Andacht und Kult. Daß ihm Italien da eine zweite Heimat werden mußte, versteht sich von selbst. Seit frühester Jugend hat er es immer und immer wieder durchwandert. Zuerst in Gemeinschaft mit dem seither verstorbenen Marschendichter Hermann Allmers, zumeist aber allein, forschend, malend, genießend. Oft auch bloß mit dem Ränzel am Rücken und dem Kalabreser auf dem Kopf, so daß er unterwegs aller- lei mögliche und unmögliche Reisegefährten bekam. Aber das ficht ihn nicht an. Es gehörte vielmehr mit zu dem Zauber, der von ihm ausgeht, daß er eben mit allen von allem reden kann. Daß er trotz seines Wissens und Ruhmes und der feinsten Kultur der Seele so ganz ein schlichter Mensch geblieben ist. Daß derselbe Haeckel, dem heute als Gast des Khedive ein ganzes Kriegsschiff (die Dampferkorvette „Khartoum") samt Bemannung und Musikkapelle ( !) für seine wissen- schaftlichen Forschungen zur Verfügung gestellt wird, sagen wir im nächsten Jahre eine Fußreise unternimmt, bei der sich ein Anstreicher- geselle vertrauensvoll an ihn anschließt und nach achttägiger, bester Kameradschaft in dem festen Glauben von ihm scheidet, all die Zeit her mit einem — Anstreicher beisammen gewesen zu sein! Und wie lacht Haeckel, wenn er darauf zu sprechen kommt. Wie kann er sich freuen, auf offener Landstraße mit einem ganz gewöhnlichen Menschen einmal so und so viel Tage bloß — ein Mensch gewesen zu sein! Und so werden ihm ähnliche Fahrten und Abenteuer oft geradezu ein Bedürfnis. Das Bedürfnis einer gesunden, starken Natur, die nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Körper sein Recht läßt, um dann wieder, doppelt verjüngt und bis auf die Wurzeln erfrischt, einen neuen Trieb ans Licht zu senden. Eine Art Antäus-Kur. Wie er mir denn einmal selbst gelegentlich schrieb, „daß der alte Antäus-Mythos [gg^E]g^ggggggggggE]g§ggggggg^ggE]E]E]BIB]E3ElE]B!E|E]EjE]E]EJE]E]E]E]B]E]ElEi 313 E]gB]ggggggggE]gggggggggggE]ggE]E]E]E]E]E]E]E]ElE]E]E]E]E]E]BJE]5]E]5]S]ElE]E]S]E] schon seit seinen Knabenjahren eine der drei ethischen Lieblings- vorstellungen war, die ihm besonders imponierten". Und als deren erste und zweite er den gefesselten Prometheus und Herkules am Scheidewege namhaft macht. Und wer das innere und äußere Leben Haeckels kennt , der weiß , daß ihn aus diesen tiefsten Mythen der An- tike zugleich auch etwas wie die Schauer eigener künftiger Schicksale angeweht. Wie jeder Wahrheits- und Lichtbringer hat auch er prome- theisch getrotzt — prometheisch gelitten. Wie Herkules nicht bloß eine Kraft-, sondern auch eine gesunde Sinnennatur, mag er wie oft an der Wegwende gestanden sein, die von der rauhen Straße heroischer Kämpfe in die blühende Irrnis der Freuden dieser Welt lockt. Aber er ist standhaft geblieben. Selbst den großen Lockungen des Ehrgeizes und der äußeren Anerkennung gegenüber. Und als ihm vor nun zwei- unddreißig Jahren die Ehre einer einstimmigen Berufung an die Wiener Universität zuteil wurde, hat er, nach hartem, aber kurzem Kampfe, mannhaft abgelehnt. Sein Genius mochte ihm zuflüstern, daß die besten, die reichsten und tiefsten Werke immer nur weitab vom lauten Lärm der Welt gedeihen. Daß der echteste Ruhm nicht derjenige ist, der einem zugesprochen wird, sondern jener, den man immer wieder selbst erwerben muß. Täglich aufs neue. Oft im Kampfe wider Alle und Alles — aber stets sich selber getreu! Deshalb ist es auch für alle, die ihn kennen, gewiß mehr als ein bloßer Scherz, wenn er sich selbst als „monachus monista" bezeichnet. Oder von der „Mönchsklause seines zoologischen Instituts in Jena" und von seiner „Askese" spricht. Und wer ihn wahrhaft kennt, der weiß, daß es volle Wahrheit ist, wenn er schreibt, „daß das drei- bändige Ungetüm der »Systematischen Phylogenie' nur in der Kloster- zelle des zoologischen Institutes und während einer dreißigjährigen Askese zustande kommen konnte". Nur daß jeder Wissende statt des von dem allzu bescheidenen Meister beliebten Ausdruckes dieses „Ungetüm" mit Standard work übersetzen wird. In der Sprache des großen Mannes, die Haeckel seinerseits wieder so hingebungsvoll und erfolgreich ins Deutsche übersetzt. Doch hat Haeckel noch heute eine besondere Vorliebe für Wien. So oft er kann, besucht er die schöne Stadt, und mit zu seinen Lieb- lingserinnerungen an junge Tage und Siege gehört der Vortrag, den er 1878 als Gast der „Concordia" in Wien gehalten. Wie er denn über- 314 haupt, nicht bloß in seinen Erinnerungen, sondern auch in seinen Gewohnheiten eine Natur voll Treue und Dankbarkeit ist. Und so wird ihm auch von allen, die ihn kennen oder die er seiner Weltan- schauung erobert — mit wenigen traurigen Ausnahmen — die gleiche Treue erwiesen. Kein Geringerer als Gabriel Max, den er durch seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte" aus dem tiefsten Mystizismus auf die Höhe des Monismus geführt, hat sein Bild gemalt und sich herz- lich als seinen Schüler bekannt. Und — um die Spannweite des Kreises anzudeuten, in dem Haeckel verehrt und geliebt wird — weitab von dem genialen Maler in München sitzt in Neutitschein ein Bewunderer Haeckels, der es sich schon seit Jahrzehnten nicht nehmen läßt, dem verehrten Mann alle Jahre den geliebten „Kalabreser" zu liefern. Er heißt — mag er an diesem Tage seine Ehre mit haben — Hickl und ist Hutmacher. Und wenn Haeckel auf Hickl zu sprechen kommt, wird er dieser Neutitscheiner Eroberung nicht weniger froh, als seiner- zeit der Verleihung des großen Bressa-Preises und der ehernen Ge- dächtnistafel, welche ihm die Akademie dei Lincei in Rom als ihrem „Socio Straniero" gewidmet. Zwei Auszeichnungen, die ihn nicht bloß hoch ehrten, sondern auch doppelt erfreuten, weil sie aus dem von ihm über alles geliebten Italien kamen. Was Haeckel der Wissenschaft war, ist und sein wird, was er — und dies sei hier besonders betont — nicht bloß zur Popularisierung, sondern auch zur Fundamentierung des monistischen Weltbaues ge- tan, das wird in diesen Tagen in allen Sprachen und in allen Kultur- zentren der modernen Welt erörtert. Wie Goethe hat auch Haeckel die Starrheit des eleatischen Seins-Pantheismus Spinozas in einen Pantheismus lebendigen Werdens, die mathematisch bedingte Ab- hängigkeit des einzelnen vom Ganzen in den lebenquellenden Strom der Entwicklung der Allnatur verwandelt. Wie in so vielem andern auch hier dem Spinozismus gegenüber heterodox, gleich Goethe — „unklar, was er aus Spinoza heraus- oder hineingelesen", mit dem In- stinkt des vollkommenen Monisten mehr in der spinozistischen Denk- richtung, als in Spinozas Denkweise wandelnd. Über die Rufe all der Lebenden hinweg aber, die ihn in diesen Tagen feiern, töne die Stimme eines der größten Forscher deutscher Nation, des genialen Helmholtz, der in seiner Rede über „Goethes Vorahnungen kommen- der naturwissenschaftlicher Ideen" (gehalten in Weimar anläßlich der 315 Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft) 1892 Haeckel als „einen der ideenreichsten Vertreter der Entwicklungslehre" feierte. Und so mag der stille Zufluchtsort, wohin sich Haeckel vor dem Jubiläumsgedränge geflüchtet, ihn wohl der Schar seiner Verehrer ent- rücken, nicht aber dem geheimnisvollen Geistergruße, der von den großen Toten zu den großen Lebenden hinüberfindet und sie zeichnet als ihresgleichen, mit dem unauslöschlichen Merkmal des Ruhmes, für das All und für alle gelebt zu haben! 3l6 ggggg^gggE]ggggggggE]B]E]ElEjE]E]G]E]E]G]E]G]Gj5]E]E]E]E]ElE]E]G]G]B]E]gE]G]B]E]G]E]E] CARL KOTTHAUS, MÜNCHEN: HAECKELS KOPF- UND GESICHTSBILDUNG EINE BIOLOGISCH-PHYSIOGNOMISCHE STUDIE (Mit zwei photographischen Bildnissen1) o o o Doch bleibet immer das schönste Denk- mal des Menschen eigenes Bildnis. Dieses gibt mehr als irgend etwas anderes einen Begriff von dem, was er war. (Goethe.) I. Wenn wir die vorstehenden Worte von Goethe als zu Recht be- stehend anerkennen wollen, so müssen wir uns freuen, daß wir von Ernst Haeckel so viele ausgezeichnete Bildnisse besitzen. Sie offenbaren uns von seiner Persönlichkeit mehr, als alle Beschrei- bungen und Biographien. Hier redet die Sprache der Natur. Das Gesicht des Menschen ist ein Dokument von ihrer Hand. Es ist be- dauerlich, daß diese Naturinschriften in ihrer wahren Bedeutung so wenig erkannt und verstanden werden. Schopenhauer behauptet mit Recht: „Das Gesicht eines Menschen sagt gerade aus, was er ist, und täuscht es uns, so ist dies nicht seine, sondern unsre Schuld." Und ferner: „Allerdings ist die Entzifferung des Gesichts eine große und schwere Kunst. Ihre Prinzipien sind nie in abstracto zu erlernen." — Im Gegensatz zu allen bisherigen Versuchen, welche ausschließ- lich von empirischen, physiologischen oder metaphysischen Voraus- setzungen ausgegangen sind, erblicke ich in der Biologie — im wei- testen Sinne — die eigentliche Grundlage jeder ernsthaften physio- gnomischen Forschung. Das Leben ist der universelle Schöpfer und Bildner aller organischen Formen und Farben, auch des menschlichen Gesichtes. Die Sprache des Lebens, wie sie sich in der Körper- und Gesichtsbildung des Menschen offenbart, zu studieren, ist die Aufgabe der biologischen Physiognomik. Ihre naturwissen- schaftlichen Grundlagen sind in der allgemeinen Menschenkunde !) Dieselben stehen gegenüber den Haupttiteln des I. und II. Bandes. ggggggggggggggggggg^ggg^gE]G]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]B]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]' 317 ggg§]gg]gggggggEjgggEigE]E]gEjgB]EiE]B]E]E]gEiE|EiE]E]E]E]EiE]E]EjE]gs]E]E]EjB]E]E]g gegeben. Insbesondere haben wir in bezug auf die Entwicklungs- geschichte des Menschen und seiner äußeren Gestaltung, der „An- thropogenie" von Ernst Haeckel die wertvollsten Aufschlüsse zu verdanken. II. An Hand der beigegebenen Photographien will ich nun versuchen, eine kurze physiognomische Analyse des Jenaer Forschers zu geben. Ernst Haeckel ist fraglos eine der bemerkenswertesten und mar- kantesten Persönlichkeiten unserer Zeit. Nicht nur in bezug auf sein Leben und Wirken, sondern auch als Mensch in seiner äußeren Er- scheinung. Haeckels Kopf- und Gesichtsbildung sind in phy- siognomischer Hinsicht so außerordentlich interessant und charakte- ristisch, daß wir eine dreimal so lange Abhandlung wie die vorlie- gende schreiben müßten, wollten wir eine erschöpfende Darstellung geben. Allein wir müssen uns auf einige allgemein gehaltene Angaben beschränken. III. Am auffallendsten ist bei Haeckel zunächst die ungewöhnlich hohe und breite Stirne, sie läßt durch ihre wohlgebildete Form und eigenartige Plastik eine hervorragende geistige Begabung er- kennen. Hinter dieser Stirne arbeitet ein großes, starkes und wohl- organisiertes Gehirn, welches dem des Durchschnittsmenschen weit überlegen ist. — Wie die immer wieder aufs neue bestätigte Tatsache lehrt, kommt die geistige Bedeutung eines Menschen, außer im Auge, in der Stirnbildung am stärksten zum Ausdruck. Es ist daher not- wendig, stets hierauf in erster Linie unser Augenmerk zu richten. — Der untere Teil der Stirne tritt bei Haeckel stark hervor: das Zeichen einer besonderen Sinnesschärfe für das Objektive und Kon- krete, für Naturbeobachtung- und Anschauung. Wir finden diese Form bei vielen bedeutenden Naturforschern: Carl Vogt, Rudolf Virchow, Gegenbaur, Pettenkofer, Galton, Forel, Semon, Wallace, Ostwald und am auffallendsten bei Darwin, dem genialsten aller Natur- beobachter. Im Gegensatz hierzu finden wir bei Kant, du Prel und anderen abstrakten Denkern den unteren Teil der Stirne verhältnis- mäßig schwach entwickelt. Wie Wissenschaft und Erfahrung lehren, stehen die höheren gei- ggggggggggggg|gggggggE]ggggggEjEjE]E]E]EjE]E]E]E]E]E]E]EiB]E]E]E]E]S]E]E]E]E]E] 318 gggggEigggggggEjgggggggg]gE3E]E]EiE]B]E]EiE]E]EiE]g]E]E]B]E]B]E]G]B]EiE]E]EjE]E]E]E) stigen Fähigkeiten eines Menschen mit der Entwicklung der vorderen und oberen Gehirnpartien in unmittelbarem Zusammenhang. Die Entwicklung des Gehirns aber findet in der Bildung des Schädels ihren lebendigen Ausdruck. Dieses sehen wir auch bei Haeckel. Die außerordentliche Entwicklung der oberen Stirnpartie — welche durch ihre ungewöhnliche Höhe, Breite und plastische Form eine starke schöpferische Kraft erkennen läßt — steht zu seinen geistigen Fähigkeiten und Leistungen in einem übereinstimmenden Verhältnis. In mancher Hinsicht erinnert Haeckels Stirne an diejenige Goethes, woraus sich z. T. seine Vorliebe für den Dichter erklären läßt. Vieles Gemeinsame ist auch in ihrer Weltanschauung und Denkungsart zu finden: die große Liebe zur Natur, der Entwicklungsgedanke, die Neigung zu naturphilosophischen Betrachtungen und der panthe- istische Gottesbegriff. Auch die schriftstellerische Begabung kommt bei Haeckel in der Stirnbildung deutlich zum Ausdruck. Es zeigt sich dieses besonders in einer eigentümlichen Klarheit der Formen und in der schönen Abrundung der Stirne nach oben. — Leider läßt sich dies auf schrift- lichem Wege schwer näher erläutern ; es könnte nur durch vergleichende Demonstrationen an lebenden Menschen oder entsprechenden Bildern geschehen. Diese Besprechung bezieht sich lediglich auf die bei- gegebenen Photographien. Es sind Aufnahmen aus der letzten Zeit. IV. Die Augen sind bei Haeckel nicht eigentlich ,,groß" wie bei Kant, Fichte oder Goethe, dafür aber positiver und schärfer. Es sind nicht die Augen des Metaphysikers, des Dichters oder Psychologen, sondern des scharf analysierenden Naturbeobachters, des Realisten und Kritikers. Diese Augen verraten Lust und Freude am objek- tiven Sehen, Untersuchen und Vergleichen, auch des Kleinsten. Haeckels Welt liegt weniger im Menschen selbst, als außer ihm. Daher ist er auch als Naturforscher — wo er es mit Objekten zu tun hat — viel bedeutender denn als Psychologe, da ihm das tiefere Interesse und Verständnis für das Subjektive im Menschen mangelt. Auch in seinen malerischen Studien (Kunstformen der Natur usw.) hat Haeckel sich im allgemeinen der größten Naturtreue befleißigt. Er ist ein reiner Naturkünstler in des Wortes realster Bedeutung. E]gggB]gggggggggg^ggggggg^ggggB]B]B]E]E]E]B]EIE]E]E3E]E]E]E]E]5]E]E]E]E]E]E]5] 319 ggggggggggE]gE]ggggggggggggE]E]E]E3B]E]E]E)E)E]E]EjE]E]5]E]G]B]E]E]E]E]E]E]E]E]E] Aber diese Augen verraten uns noch mehr. Aus ihnen lacht die helle Freude am Leben, die Lust zu kämpfen und nicht zuletzt — der Schalk. Man muß es selbst gesehen haben, wie diese Augen bei an- regendem Gespräch funkeln und sprühen können und welche Lust am Scherzhaften und Ironischen sich schalkhaft hinter ihnen zu ver- bergen sucht. Doch wer zu sehen vermag, der wird sich auch aus den beifolgenden Bildern hiervon einen anschaulichen Begriff zu machen verstehen. — Welche Wohltat, daß der natürliche Glanz dieser Augen in seiner Wirkung auf den Beschauer nicht durch die berühmte „Gelehrtenbrille" beeinträchtigt wird. — V. Über den „hervorragendsten" Gesichtsteil des Menschen, die Nase und deren physiognomische Bedeutung, ist zu allen Zeiten viel dis- kutiert worden. Durch die Entwicklungslehre wird dieses „Problem" in der befriedigendsten Weise geklärt. Der Urmensch, sowie fast alle primitiven Völker hatten, bzw. haben mehr oder weniger kurze, breite und platte Nasen. Mit der kulturellen Höherentwicklung des Menschen ist auch die Nase größer, schmaler und länger geworden; sie tritt gewissermaßen mehr aus dem Gesichte heraus. Bei den „herrschenden" Völkern finden wir im allgemeinen auch die größten Nasen — vorausgesetzt, daß sich die anderen Gesichts- teile nicht in einem primitiven oder verkümmerten Zustande befinden. Diese Regel können wir auch auf das Individuum im einzelnen an- wenden. Julius Cäsar, Friedrich der Große, Napoleon I., Goethe, Richard Wagner, William Booth — alles Menschen mit einer starken persönlichen Initiative — hatten große, vorspringende Nasen. Eine starke persönliche Initiative werden wir aber auch Ernst Haeckel nicht absprechen können. Er ist ohne Rücksicht auf die Urteile seiner Zeitgenossen zielbewußt und konsequent seinen eigenen Weg ge- gangen — und die Erfolge sind nicht ausgeblieben. Die große, etwas nach außen gebogene Nase gibt Haeckels Gesicht einen Zug ins Einheitliche und Kraftvolle. Hiermit im Zusammenhang steht ein gewisses Organisations- und Dispositionstalent, sowie Inter- esse für Geographie und Reisen. Haeckel ist weder Pedant noch Phili- ster, eher besitzt er etwas von einem Diktator und Autokraten, wie fast alle die oben genannten Männer mit großen, vorspringenden Nasen. §sl3il51E13§51!3S51513S51§i]351ililE15]9SISS5]515133339il3S5151§151il£l!£!3^1ilil51i] 320 VI. Der etwas geöffnete Mund mit der sympathisch geformten Unter- lippe ist charakteristisch für die leichte, freundliche und anregende Art, mit welcher Haeckel die Konversation zu führen versteht. Dieser Mund ist zum Reden, zum Erzählen und Scherzen wie geschaffen. Haeckel ist kein „Schweiger" wie Moltke mit seinem schmallippigen, festgeschlossenen Munde. Der leichte und anregende Stil, welcher uns in allen Schriften Haeckels begegnet, steht mit seiner Gabe zu sprechen und zu dozieren in innigem Kontakt. Die verhältnismäßig kurze Oberlippe ist gleichfalls ein Merkmal des höher entwickelten Kulturmenschen. Sie kennzeichnet das Vor- walten intellektueller Interessen im Gegensatz zu den physischen Be- dürfnissen des Körpers. Haeckel trägt einen Vollbart, wie die meisten großen Natur- forscher. Der natürlich-schlichte und väterliche Ausdruck seines Ge- sichtes wird hierdurch nicht unwesentlich erhöht. Auch verleiht der Bart seinem männlichen Haupte zugleich eine patriarchalische Würde. VII. Die Ohren sind bei Haeckel verhältnismäßig groß, namentlich sind die „Läppchen" lang und kräftig geformt. Nach meinen viel- jährigen Beobachtungen und Erfahrungen sind solche Ohren in der Regel das Kennzeichen einer großen Zähigkeit und Lebensenergie. Goethe, Kaiser Wilhelm I., Bismarck, Papst Leo XIII., Prinzregent Luitpold von Bayern, W. Booth, Tolstoi, Wallace hatten ungewöhn- lich große und markant geformte Ohren. Alle führten ein arbeits- reiches Leben und alle erreichten ein Alter von über 80, teilweise sogar über 90 Jahren. Dagegen hatten Schiller, Mozart, Napoleon I., Nietzsche, E. A. Poe, Carl du Prel verhältnismäßig kleine Ohren. Alle starben vor oder bald nach dem 50. Lebensjahre. Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich jedoch ausdrück- lich darauf hinweisen, daß — ähnlich wie in der Medizin — ein ein- zelnes physiognomisches Kennzeichen an sich keineswegs eine sichere Diagnose oder Prognose gestattet, sondern daß es immer wieder darauf ankommt, in welchem Verhältnis diese einzelnen Teile zu den übrigen Organen stehen. Eine besondere musikalische Begabung läßt Haeckels Ohr nicht 21 Haeckel-Festschrift. Bd. II 321 erkennen; es entbehrt der feineren Modellierung, welche wir beispiels- weise an den Ohren von d' Albert, Richard Strauß, Mascagni, Wein- gartner und anderen berühmten Musikern bewundern. Hingegen ist die Stellung von Haeckels Ohren charakteristisch. Sie stehen etwas schräg nach hinten und im oberen Teile — wenn auch nicht so stark wie bei Windthorst und Schopenhauer — seit- lich vom Kopfe. Hierdurch wird insbesondere Haeckels Neigung zur Opposition und Polemik physiognomisch gekennzeichnet. VIII. Haeckels Schädel besitzt den geradezu enormen Umfang von 62 cm. Der Kopfumfang der meisten Männer beträgt dagegen im Durchschnitt ca. 56 cm. Nur wenige Berühmtheiten haben es auf einen Umfang bis zu 60 cm gebracht. Die Form des Schädels erscheint, auch von der Seite gesehen, außerordentlich günstig. Bemerkenswert ist die hohe Wölbung des Oberkopfes. Wie bei Schopenhauer und Tolstoi deutet diese Form auf die Neigung, sich mit religionsphilosophischen Fragen zu beschäf- tigen. Haeckel ist im Grunde — wenn auch nicht im kirchlichen, so doch im naturphilosophischen Sinne — ein ideal gesinnter, reli- giöser Mensch. Mit größerer Tiefe und Begeisterung wie er hat bisher kaum jemand die Wunder der Natur gesehen und von ihrer Schön- heit seinen Mitmenschen gepredigt. Wie viele physiognomische Details ließen sich aus diesem Kopfe noch herausholen. Wie manches könnte ich von dem Eindruck er- zählen, welchen Haeckels lebendige Persönlichkeit, gelegentlich eines Besuches in Jena, auf mich gemacht hat. Aber dieses alles hoffe ich einmal mit mehr Muße und einer ausführlichen Begründung in einer anderen Schrift zur Darstellung zu bringen. IX. Überblicken wir das Gesicht als Ganzes, so fesselt uns beson- ders der heitere und freie Ausdruck, welcher — trotz der 80 arbeits- und kampfesreichen Lebensjahre — der Physiognomie des berühmten Forschers einen jugendlich-optimistischen Glanz verleiht. Welch ein Gegensatz zu dem zwar genialen, aber saueren und griesgrämigen Gesichte Schopenhauers! — S5is]aas@]9i]aaa3aaaaai]S]3asiaa§iaa3ggg]B]ggG]gggE]G]E]G]E]siE]EjGjE]E]E]G] 322 Auch wer von der Physiognomik nicht viel versteht, sieht es diesem Gesichte an, daß Haeckel ein Mann ist, der herzlich lachen und sich kindlich freuen kann, bei dem die Gelehrsamkeit den natürlichen Menschen nicht erstickt hat. Wieviel Urwüchsigkeit und naives Glücksgefühl leuchtet aus diesem Kopfe! Schaut dieser Mensch nicht in die Welt wie ein fröhlicher Wandersmann ? ! — Und werden wir nicht alle von seinem aus der Tiefe geborenen Lächeln mit angesteckt?! — Ja, Haeckel ist ein Lebenskünstler, der es verstanden hat, neben dem Ernsten und Schwe- ren das Heitere und Schöne nicht zu vergessen. Sein Bild soll uns stets erhalten bleiben als das beste Denkmal einer der bedeutendsten Individualitäten unserer Zeit und nicht zuletzt als der Typus eines echten Deutschen und reinen Germanen. 9S33aaE]gggE]gggggggggg^ggEiggG]ggG]G]EjG3ElB]EjE]aE]E]G]G]E]E]E]B]E]E]G]G]EJ 323 pggggggggggggggggggggG]E]BjE]E]E]E]E]Eis]E]E]E]B]E]E]B]B]E]E]E]BjB]5]G]E]E]E]E]E]E] HELENE STÖCKER, BERLIN-NIKOLASSEE o o o Wenn man lange Jahre Ernst Haeckels Namen als den eines unserer hervorragendsten Kämpfer für eine moderne Weltanschauung in seinem Bewußtsein getragen hat, ist es gar nicht so leicht, sich eine Zeit zu rekonstruieren, in der diese Aufnahme noch nicht erfolgt war. Wenn ich heute meiner Erinnerung nachgehe, um festzustellen, wann der Name Ernst Haeckels für mich zuerst persönliche Bedeutung gewonnen hat, so komme ich auf ein Buch zurück, das im Jahre 1895 unter dem Titel „Von Darwin bis Nietzsche" erschienen ist — „ein Buch Entwickelungsethik" von Alexander Tille (Leipzig, Verlag von Naumann, 1895). Für mich, die ich eine begeisterte Schülerin des Philosophen Nietzsche war, der zuerst die neuen Erkenntnisse und Umwälzungen der modernen Wissenschaft für unsere Welt- anschauung, speziell für unsere Ethik, im großen Stile fruchtbar zu machen versuchte, für mich hatte dies Buch durch Thema und Tendenz das lebhafteste Interesse. In dem Vorwort dieses Buches las ich den Satz: ,,Wenn ich hier einen Dank für Förderung aus- sprechen soll, die ich bei diesem Buche erfahren habe, so teilt sich derselbe zwischen einem Deutschen und einem Engländer. Was ich an Kenntnis den Werken Ernst Haeckels verdanke, das steht auf jeder Seite meines Buches geschrieben." — Als ich einige Jahre später einen Winter an der schottischen Universität Glasgow studierte, wo der nun bereits verstorbene Verfasser dieses Buches damals Dozent für deutsche Literatur war, da hat es oft an dem behaglichen schot- tischen Kaminfeuer heiße Dispute über die Überlegenheit der Geistes- wissenschaft oder der Naturwissenschaft gegeben. In jenen von dich- tem schottischen Winternebel erfüllten Tagen kam mir die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" Haeckels zuerst in die Hände. So sehr ich nun rein theoretisch auch die Bedeutung dieser neuen Entdeckungen anerkennen mußte, so ist mir eine persönlichere nähere Beziehung zu Haeckels Schaffen doch erst später und mehr von einer anderen Seite seiner Wirksamkeit aus aufgegangen. Erst als ich nach Vollendung meiner Studienzeit an dem großen Kulturkampf unserer Zeit teil- nahm und für die Befreiung von lähmenden mittelalterlichen Vor- stellungen, von glückstörenden Hemmungen in der Sphäre der Liebe, 93 9E)E]E]gG]E]gG]E]EigS]G]ElE] g^^l^ggggyg3gGJ^lä]B]B]E]^]G]E]E]5|g]B]E]G]B]G]G|g]E]E]B] 324 Ehe und Elternschaft eintrat, begann ich die ganze Bedeutung eines Kampfes zu verstehen, wie der war, dem Haeckel sein Leben gewidmet hat. Er schien mir wirklich in seiner Art die ganz seltene Er- scheinung, die wir unter unseren offiziellen Vertretern der Wissen- schaft meist so schmerzlich vermissen: ein „Professor", ein Bekenner und Kämpfer für seine Überzeugung. Der großen Majorität seiner Berufsgenossen gegenüber fühlt man sich unwillkürlich an die Worte Richard Wagners erinnert, mit denen er den jungen Nietzsche einst gegen die dünkelhafte Geringschätzung und Verächtlich- machung durch die philologischen Berufsgenossen nach dem Er- scheinen seiner ersten Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" verteidigte. Wagner meinte da, es scheine, als ob diese offiziellen Vertreter der Wissenschaft nur „für sich selbst" da seien, um wieder Vertreter einer bestimmten Wissenschaft hervor- zubringen. „Man sieht, die indischen Brahmanen waren nicht er- habener gestellt, und man darf daher von ihnen wohl dann und wann ein Gotteswort erwarten, und wirklich erwarten wir dies: wir erwarten nämlich, daß einmal aus dieser wundervollen Sphäre ein Mensch herausträte, um ohne Gelehrtensprache und gräßliche Zitate uns zu sagen, was denn die Eingeweihten unter der Hülle ihrer uns Laien so unbegreiflichen Forschungen gewahr werden, und ob dieses der Mühe, der Unterhaltung einer so kostbaren Kaste wert sei. Aber das müßte dann etwas Rechtliches, Großes und weithin Bildendes sein." Der Hochmut der Mandarinenkaste, der heute so wenig wie vor vierzig Jahren zugeben will, daß die Resultate der Wissenschaft auch den Menschen im allgemeinen zugänglich gemacht werden, dieser Hochmut ist es, der auch bis heute noch der Bedeutung von Haeckels Wirksamkeit nicht gerecht werden kann. Wir aber, die wir meinen, daß die Wissenschaft nicht nur einigen Gelehrten, sondern dem Leben dienen soll, daß sie, aller reinen Forschung unbeschadet, doch zur Erhöhung, Besserung, Bereicherung des menschlichen Lebens, des sozialen Lebens bestimmt ist, wir meinen, wir können einem Manne nicht dankbar genug sein, der seine bahn- brechende wissenschaftliche Forschung bewußt in den Dienst des Lebens, des großen sozialen Lebens gestellt hat. Ihm war die „doppelte Buchführung" unerträglich, die von Seiten vielleicht großer Gelehrter, aber schwächerer Charaktere betrieben wird, die sich ängstlich vor 3S3a3ElE]g^gg^^gggggggE]gggggggg^E3B|E]B]EiEjgigglE]B]E]E3E]BJE]E]E]E]E]E]g 325 jeder Berührung mit der Allgemeinheit fernhalten und die glauben, so lange nicht alle Rätsel des Daseins gelöst seien, dürfe man auch von den relativ gesicherten Ergebnissen noch nichts mitteilen. Ernst Haeckel dagegen war, wie seinem großen englischen Vorgänger und Mitkämpfer Alfred Wallace, vor allem klar: „Verglichen mit unseren erstaunlichen Fortschritten in den physikalischen Wissenschaften und ihrer praktischen Anwendung bleibt unser System der Regierung, der administrativen Justiz, der Nationalerziehung und unsere ganze soziale und moralische Organisation in einem Zustand der Barbarei!" Seine Bedeutung für unsere Kultur liegt daher, wie mir scheint, in der leider so seltenen Vereinigung von intensivster Forschergabe mit dem Mute der Überzeugung, mit der Wärme seiner Menschenliebe, wie ja übrigens dieser von der sogenannten „christlichen" Staats- kirche so heiß befehdete angebliche Antichrist die soziale Ethik des Christentums, den Altruismus, jederzeit zu der seinen gemacht hat. Eine persönliche, außerordentlich erfreuliche, wenn auch kurze Begegnung mit Haeckel wurde mir vor einigen Jahren zuteil. Als ich im November 1908 einen Vortrag in Jena über meine Be- strebungen: einen besseren Schutz der Mutter, der neuen Generation, der Verfeinerung der Liebesmoral hielt, hatte ich die Freude, Ernst Haeckel zu den anwesenden Zuhörern zählen zu dürfen. Er machte sich mir nach dem Vortrag bekannt und schloß sich unserer Organisation im Bunde für Mutterschutz an. „Zur freundlichen Erinnerung an unsere Begegnung in Jena" sandte er mir später seine „Welträtsel " und sein Bild mit sehr freundlichen Widmungen. Wir verabredeten noch einen persönlichen Besuch in seinem Hause für den nächsten Tag. Ich mußte an diesem Tage zu einer bestimmten Stunde Weiterreisen, da ich am Abend wiederum in einer anderen Stadt einen Vortrag zu halten hatte. Als ich nun zur festgesetzten Stunde im Begriff war, den Besuch, dem ich, wie sich denken läßt, mit großer Freude entgegensah, auszuführen, trat mir beim Fortgehen ein junger Mann entgegen, der dringend meinen Rat und meine Hilfe für eine in Not und Verlassenheit befind- liche außereheliche Mutter, — es war eine junge Lehrerin — die in diesen Tagen ihr Kind erwartete, in Anspruch nahm. Ich stand in dem Augenblick nur vor der Wahl, entweder dieser Bitte zu entsprechen oder meinen Besuch bei Ernst Haeckel aufzugeben, was mir begreiflicherweise ein großes Opfer war. Ich darf vielleicht sagen, ggggggggggggggggggggggggggggggE]5]E]gs]E]G]G]E]E]E]E]E]E]G]B]E]E]E]E]E]E] 326 daß mir selten die Erfüllung der freiwillig übernommenen Pflicht, für die Besserung des Loses verlassener Mütter und Kinder zu kämpfen, so schwer geworden ist wie in jenem Augenblick, — unter diesem Konflikt zwischen der Erfüllung einer als Pflicht empfundenen Auf- gabe — und dem großen Wunsche, den verehrten großen Vorkämpfer einer freiheitlichen Weltanschauung noch eingehender persönlich kennen zu lernen. Aber ich mußte mir sagen, daß gewiß mein Verzicht — indem ich, so gut es ging, für jene Mutter noch Unterstützung und Unter- kunft bei gesinnungsverwandten Menschen zu schaffen versuchte — durchaus in dem Geiste des verehrten Kämpfers sei, dem ich gerne meine Ehrfurcht noch einmal persönlich ausgesprochen hätte — und daß ich ihm und seiner Lebensarbeit gewiß so auch am besten gerecht wurde. Seitdem bin ich Haeckel nicht wieder persönlich begegnet; aber mit den Schwierigkeiten des eigenen Kampfes gegen Mittelalter und Reaktion auf dem Gebiet des Geschlechtslebens ist mir das Ver- ständnis für Haeckels Bedeutung immer besser aufgegangen, ist stets gewachsen und hat sich vertieft." So muß ich in Ernst Haeckel nicht nur einen großen Naturforscher sehen, der lebenslang bemüht war, „dem Knochengerüst der philo- sophischen Spekulation das Blut der Naturwissenschaft zuzuführen", der das in jedem tieferen Menschen vorhandene Bedürfnis nach einer Weltanschauung auch zu befriedigen bemüht war, — sondern den von wärmster Menschenliebe beseelten Forscher, der für die Befreiung des Geistes und für die Verschönerung und Verbesserung unseres Lebens mit nie versagendem Mute Großes, Unverlierbares gewirkt hat. Man kann sich die heftige Gegnerschaft gegen Haekels tapfere starke schlichte wahrhafte große Persönlichkeit nur damit erklären, daß diese Gegner seine eigentlichen Ziele und Bestrebungen gar nicht kennen. Hätten wir unter unseren Führern der Wissenschaft nur noch ein Dutzend so starker Persönlichkeiten, die mit gleicher Energie und Unerschrockenheit die Resultate der Wissenschaft auch für die anderen, für die Allgemeinheit fruchtbar zu machen versuchten — wir würden dem wahren „Kulturstaate", dem wir alle mit unserer Arbeit entgegenstreben, um ein Unendliches näher- gebracht. In dem großen Kulturkampf um die Befreiung der Persön- lichkeit auf allen Lebensgebieten, — die sich zugleich ihrer so- 327 zialen Gebundenheit stets bewußt bleiben muß, — in der Erkenntnis, daß nicht nur das eigene Glück, sondern erst dasjenige der Gemeinschaft das höchste eigene zu geben vermag, in diesem großen Kulturkampf ist Ernst Haeckel einer der tapfersten, kühnsten, entschlossensten, bahnbrechendsten Führer. Die große geistige Be- wegung einer neuen Weltanschauung und Lebensgestaltung, die er jetzt — und zu einem wesentlichen Teil völlig in seinem Sinne — ringsum sich entwickeln sieht, die Resultate, die diese Bewegung hoffentlich noch erringt, mögen ihm heute der beste Dank für seine Lebensarbeit sein, als ein lebendiges Zeichen, daß sein Wirken — trotz aller Anfeindung und Verleumdung — reiche Frucht ge- tragen hat. 001 — «■" 328 ggg]ggG]B]G]G]gBjG]gG]ggggE]ggG]gggggB]ggE!)ggE)^G]B]B]g]gE]B]gE]G]B]B]EiE]ggg] MAX VERWORN, BONN o o o Es war im Jahre 1880. Ich saß in der Obersekunda, und die Lektüre von Piatos und Ciceros philosophischen Schriften brachte mich zum ersten Male mit philosophischen Problemen in Berührung. Be- sonders die hier mehrfach behandelte Frage nach der Unsterblichkeit der Seele machte damals tiefen Eindruck auf mich und regte mich zum eigenen Nachgrübeln an. Nicht daß etwa die Lehrer jemals den Inhalt dieser Lektüre zur Erörterung philosophischer Fragen mißbraucht hätten! Um Gottes willen! Diese Schriftsteller waren lediglich dazu da, daß wir die Feinheiten der griechischen und lateinischen Grammatik und Syntax an ihnen studierten. Aber es gab doch drei oder vier Jungens unter uns, die auch die perverse Neigung hatten, sich bei dem Inhalt des Gelesenen etwas zu denken, und so hatte ich mit zwei oder drei Freunden auf unseren Spaziergängen nicht selten eifrige philosophische Gespräche. Längst hatte mich das Inter- esse für die Naturwissenschaften, die Chemie und Physik, die Zoologie und Geologie gefangen genommen und zur Anlage von Sammlungen ver- anlaßt. So hatte ich mich entgegen der Erziehung durch das Gymnasium gewöhnt, mich auch mit konkreten Dingen zu befassen und anschau- lich zu denken. Von dieser Basis aus aber erschienen mir die Beweis- führungen der alten Philosophen manchmal etwas naiv. Da wollte es der Zufall, daß mir Ludwig Büchners Vorlesungen über den Darwinis- mus in die Hände kamen. Bis dahin hatte ich den Namen Darwins nur selten gehört und dann lediglich in der Konfirmationsstunde als den eines schlimmen Ketzers, der viel „Verwirrung" mit seinen „Irr- lehren" gestiftet habe. Dieses gelegentliche Auftauchen seines Namens hatte mich nicht weiter berührt. Nun lernte ich die Lehren zum erstenmal selbst kennen, und sie wurden zu einer um so mächtigeren Anregung für mich, als Büchner in seinen Vorlesungen vom darwi- nistischen Standpunkte aus auch rein philosophische Fragen erörterte. In jener Zeit fanden heftige philosophische Kämpfe in der Klasse statt. Es bildeten sich bisweilen zwei Parteien, eine naturwissen- schaftlich-philosophische und eine philologisch-theologische. Der Lehrer wurde im Anschluß an die Lektüre nicht selten in Streitfragen hineingezogen, mochte er wollen oder nicht. Ein dramatischer Auf- 329 BjEjgggEjgggggBiE]gggg^gggggEigggB]E]E]B]E3EigEiB]B]EjB]B]BiE]B]E]E]E]B3E]5]E]E]E] tritt dieser Art ist mir noch lebhaft in der Erinnerung. Als offizieller „Naturforscher" und „Philosoph" in der Klasse war ich wieder ein- mal vorgeschoben worden, um in erprobter Weise durch die Ver- wicklung des Lehrers in eine philosophische Streitfrage zu verhin- dern, daß unsere lateinische Präparation kontrolliert wurde. So kam es sehr bald wider Willen des Lehrers zu einer lebhaften Diskussion über die Unsterblichkeit der Seele. Schließlich waren wir auf die Frage nach der Herkunft des Menschen gekommen, und ich hatte eben den darwinistischen Standpunkt eifrig vertreten, als es läutete. Da schloß unser Klassenordinarius, indem er seinen Cicero zuklappte, mit der geschmackvollen Wendung: „Na, wenn Ihr Vater ein Affe ist, meiner ist keiner." Die Stunde war aus. Unser Zweck war erreicht, und ich erntete den Dank meiner Partei. Es ist verständlich, daß unter sol- chen Verhältnissen die Beschäftigung mit naturwissenschaftlich- philosophischen Fragen nur noch größeren Reiz für mich und einige Freunde gewann. So war der Boden gut präpariert, und da kam der Punkt, wo Haeckel zum erstenmal in mein Leben eintrat. Ich hatte mir zu mei- nem Geburtstage Haeckels ,, Natürliche Schöpfungsgeschichte" ge- wünscht. Das erste, was mich schon beim Aufschlagen des Buches fesselte, war das schöne und freie, ernste und doch so sympathische Bildnis des Verfassers. Aber sehr bald fesselte mich der Inhalt noch unvergleichlich mehr. Hier fand ich die Fragen, die mich so lebhaft beschäftigten, sämtlich in konsequenter Weise vom entwicklungs- geschichtlichen Standpunkte aus behandelt. Ich konnte immer nur kurze Stücke in dem Buche hintereinander lesen, so erregte die Lek- türe meinen jungen Geist und zwang ihn zum eigenen Weiterdenken! Die wichtigste Anregung, die ich Haeckel auf biologischem Gebiet verdanke, hatte hiermit ihre Wirkung begonnen. Es war die Durch- dringung meines Denkens mit dem Entwicklungsgedanken. Der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" folgten bald andere Bücher Haek- kels. Seine Studien über Moneren beschäftigten speziell den Natur- forscher in mir, der Geist seiner Schrift über freie Wissenschaft und freie Lehre packte den ganzen Jüngling. Als Student konnte ich endlich in meinem dritten Semester dem lange gehegten Wunsch folgen und einen Sommer in Jena studieren. Hier stand ich im April 1885 dem Manne, der mich so mit Begeiste- rst] E]g[3Gjtggggggggg^G3ggggggggggE]gG]gE]gggE]g:ggg S]E]B]E] E]B]E]E]E]E]E] 330 BjgBjgggggE]ggggggE]gggggggggE]E]G]E|E]E]E]E]E]E]EjG]EiBiE]g]EiB3E]E]E]E]B]E]B]BjBj rung erfüllt hatte, zum erstenmal persönlich gegenüber. Natürlich hatte ich ihn mir anders gedacht. Er war ja auch etwas älter als auf dem Bilde. Aber was mich sofort gefangennahm, war die unge- zwungene Liebenswürdigkeit und die hinreißende Lebhaftigkeit seines Wesens. Hier stand ein natürlicher, freier, furchtloser Mann vor mir, der in seiner harmonischen Menschlichkeit ein Ideal bildete, wie es in dieser Vollkommenheit meinem jugendlichen Auge noch nicht be- gegnet war. Was ich dann im Kolleg hörte, war mir bereits zum Teil bekannt aus der Lektüre von Haeckels Arbeiten. Viel neue Anregung aber bot mir das zoologische Praktikum, an dem nicht viel mehr als zwanzig Studenten teilnahmen. Hier kam man in engere persönliche Fühlung mit Haeckel. Den tiefsten Eindruck machte auf mich in diesen Stunden die erste Bekanntschaft mit der lebendigen Zelle. Als ich sah, wie die einzelligen Infusorien unter dem Mikroskop sich bewegten, Nahrung aufnahmen und in mannigfaltiger Weise rea- gierten, als ich beobachtete, wie die abgetrennten Flimmerzellen einer Muschel im Wassertropfen ein selbständiges Dasein führten, als ich erkannte, wie sich aus der Teilung der Eizellen der gewaltige Zellenstaat aufbaut, den wir nachher im vollentwickelten Tier oder Menschen vor Augen haben, da wurde mir zum ersten Male die Offen- barung, daß hier in der einzelnen Zelle bereits die sämtlichen Pro- bleme des Lebens verborgen liegen, und der Wunsch, die Enthüllung derselben nach ihrer physiologischen Richtung hin selbst einmal in Angriff zu nehmen, begann bereits damals in mir zu keimen. Die nächsten Semester, die ich wieder in Berlin verbrachte, er- weiterten meine speziellen Kenntnisse von der Zelle und ihrem Leben bedeutend. Niemals werde ich die Fülle von Anregung vergessen, die ich in dem Laboratorium meines verehrten Lehrers Franz Eilhard Schulze beim Studium der Protozoen empfing. In seiner vorsichtig- kritischen Weise führte er mich in die sorgfältige, geduldige und vor- urteilslose Beobachtung der Formenfülie und der Lebensäußerungen der einzelligen Organismen ein und kam so meinen eigenen Wünschen in willkommenster Weise entgegen. Nicht immer war es in jener Zeit in Berlin eine Empfehlung, wenn man sich zu Haeckels Anschauungen bekannte. Ich habe das beim philosophischen Doktorexamen erfahren. Als ich in der Philo- sophie geprüft werden sollte, sagte ich mir, daß ich bei meiner leb- ggg§jggg^gE]ggggggggggggggggggEJE]E]B]E]5]E]E]E]ElE]E]E]E]ElElG]ElE]B]gB]EiE] 331 gggggggggggggggggE]ggE]^ggE]g^gggggggE]E]EiE]EiB]EiE]G]EiBiG]E!B]E]E]E]gi haften Beschäftigung mit den Problemen und der Geschichte der Philosophie, ohne mich besonders erst zum Examen einzupauken, gewiß so viel Kenntnisse besäße wie jeder Durchschnittsdoktorand, der in der Philosophie als Nebenfach geprüft wird. Da ich infolge- dessen keinen besonderen Wunsch hinsichtlich des Examinators ge- äußert hatte, wurde ich dem allgemein als „gefährlich" gemiedenen Professor Dilthey zugewiesen, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als ich Dilthey besuchte, um ihn zum Doktorexamen einzuladen, fragte er mich, wofür ich mich besonders interessierte. Ich sagte ihm ganz ehrlich: ,,Für den modernen Monismus." Das war verfehlt, wie ich gleich sah. „Monismus? Monismus kenne ich nicht! Na wir werden ja sehen!" Das war Diltheys ermutigende Antwort. Am Tage des Doktorexamens legte er mir wieder dieselbe Frage vor. Das war mir verdächtig, und ich antwortete: „Spinoza", was ebenso zutref- fend war. „Nun dann setzen Sie mir einmal die Grundzüge der Leib- nizschen Philosophie auseinander!" Ich dachte mir: freundlich ist das nicht, jemanden erst zu fragen, wofür er sich besonders interessiert, und ihn dann über etwas ganz anderes zu prüfen. Aber mir war Leibniz ebenso recht wie Spinoza, und so begann ich denn ausein- anderzusetzen, in welcher Weise Leibniz durch Giordano Bruno und Spinoza beeinflußt wäre. Ich habe das gewiß nicht sehr geschickt gemacht. Kaum waren die ersten Worte meinen Lippen entflohen, da sprang Dilthey mir über den Tisch entgegen mit blaurotem Gesicht und schrie mich an: „Wollen Sie mich uzen?" Ich habe mir diese Worte gemerkt, weil sie mir ungewöhnlich erschienen. LTngewöhnlich war auch der Eindruck, den sie im Prüfungssaale machten, denn nun strömten von allen Seiten die Zuschauer zu unserem vorher einsamen Tisch, während Dilthey, ohne daß ich weiter zu Worte kam, mir zehn Minuten lang erregt auseinanderzusetzen suchte, was für einen komprimierten Un- sinn ich nach seiner Meinung gesagt hatte. Das Zeugnis, das mir Dilthey für das Fach der Philosophie gab, lautete „genügend". Ich war im stillen verwundert, daß er sich selber so ungünstig zensierte, denn es war ja Dilthey gewesen, der den Prüfungsvortrag gehalten hatte. Derart waren meine Erfahrungen in Berlin. Ich sagte mir: In Jena sind doch bessere Menschen, und ging ausgerüstet mit dem, was ich bei Eilhard Schulze gelernt hatte und zugleich in du Bois- Reymonds Vorlesungen und Laboratorium physiologisch mehr vor- gggggggggggE]gggggggggE]gggE]ggB]G]E]E]E]E]E3GiEiE3E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]EiEjE]B] 332 gebildet, nach dreijähriger Zwischenzeit wieder nach Jena. Von nun an blieb ich in dauerndem Konnex mit Haeckel, wenn ich auch seit- dem im physiologischen Laboratorium arbeitete. Die Anregungen, die ich in den folgenden Jahren von Haeckel empfing, entsprangen vorwiegend dem persönlichen Verkehr. In jener Zeit bildete sich allmählich in Jena ein kleiner Kreis von Biologen der verschiedensten Gebiete heraus, der sich nach und nach ver- größerte und in seiner durchaus zwanglosen und freundschaftlichen Form lange Jahre bestand. Da war Stahl, der Botaniker, und Detmer, der Pflanzenphysiologe. Da war Wilhelm Müller, der Pathologe, und Fürbringer, der Anatom. Da war der Physiologe Biedermann und Arnold Lang, der Ritterprofessor für Phylogenie. Da war Johannes Walther, der Geologe, und der Zoologe Kükenthal. Da war der Ana- tom Semon und der Chirurg Heinrich Haeckel und gelegentlich noch mancher andere Naturforscher und Mediziner. Ernst Haeckel aber war der Mittelpunkt. Man traf sich bei gutem Wetter regelmäßig jeden Dienstag gegen Abend auf der Schweizerhöhe und aß sein Rost- brätchen zum Lichtenhainer Bier. Da ging es lebhaft zu. Gespräche über allgemein-menschliche Dinge wechselten ab mit wissenschaft- lichen Diskussionen. Naturwissenschaftliche und medizinische Fragen wurden erörtert, Weltanschauungsprobleme wurden behandelt und die Ereignisse des politischen, sozialen und literarischen Lebens be- sprochen. Manches zündende Wort, mancher sprühende Witz flog her- über und hinüber. Eine Fülle von Anregung auf den verschiedensten Gebieten menschlichen Geisteslebens wurde genommen und wurde gegeben, und mancher neue Gedanke wirkte noch lange nach, wenn wir uns spät am Abend wieder trennten. War das Wetter verlockend, so brach der eine oder andere von uns mit Haeckel schon etwas früher am Nachmittag auf, wenn Haeckel sein Praktikum geschlossen hatte, um vor dem Zusammentreffen auf der Schweizerhöhe noch einen Spaziergang durch die herrlichen Seitentäler des malerischen Mühl- tales zu machen. Hier kam es zu intimeren Diskussionen über die Streitfragen der Wissenschaft und Weltanschauung. Nicht immer war in allen speziellen Punkten vollkommene Übereinstimmung zu erzielen. Aber darin lag gerade das Anregende und Reizvolle der Unterhaltung, daß sie noch einen Rest zum weiteren Nachdenken für jeden zurückließ, und die großzügige freie Gesinnung Haeckels war 333 jederzeit bereit, eine abweichende Meinung, die einer ehrlichen Über- zeugung entsprang, zu würdigen. So knüpften sich auch die Bande, durch die Haeckel mich selber gefesselt hatte, von Jahr zu Jahr enger. Mein Bericht über das, was ich Haeckel verdanke, wäre lückenhaft, wenn ich nicht meine Reisen erwähnte, an denen er keinen geringen Anteil hat. Nicht nur, daß die große Freude am Reisen und am Natur- genusse von ihm auf seine Schüler überging, so daß die meisten von ihnen selbst wieder große Reisen unternahmen, nein, auch durch Zuschüsse aus der Ritterstiftung unterstützte er diese Forschungs- reisen. So ermöglichte auch mir die Ritterstiftung im Verein mit den Mitteln der Berliner Akademie eine zweimalige größere Studien- reise nach verschiedenen Punkten des Mittelmeeres und des Roten Meeres, Reisen, die für meine Entwicklung als Physiologe und als Mensch eine gleich ausschlaggebende Bedeutung gewonnen haben. Nie hat sich in meinem Leben mein Gesichtskreis für die Beurteilung allgemein-menschlicher Dinge sowohl, wie speziell wissenschaftlicher und philosophischer Fragen in so kurzer Zeit so enorm erweitert wie in dem einen Jahre meiner ersten Studienreise, die mir gleichzeitig die Bekanntschaft mit meiner zukünftigen Frau brachte. Auf dieser Reise nahmen besonders bei langen, einsamen Ritten durch die Wüste meine weiteren Arbeitspläne festere Gestalt an. Auf dieser Reise entstand auch die Idee meiner Allgemeinen Physiologie. Diese Reise, und zwar schon die voraufgehende freudige Erwartung, mit der ich sie antrat, dann aber weiter die Begeisterung, mit der ich sie ausführte, zugleich erfolgreich arbeitend und froh genießend, verdanke ich in erster Linie Haeckel. Soll ich schließlich sagen, wofür ich Haeckel unter allem, was ich von ihm empfangen habe, am meisten dankbar bin, so ist es nicht bloß die erste Einführung in die Geheimnisse des Zellebens, nicht bloß die tiefgehende Bekanntschaft mit dem Entwicklungsgedanken und seinen weitreichenden Konsequenzen, nicht bloß die Anregung zur unermüdlichen Arbeit an einer einheitlichen und harmonischen Welt- anschauung, sondern in erster Linie die begeisterte Liebe für ein natürliches, freies und schönes Menschentum. Daß Haeckel mir gerade in meinen entscheidenden Entwicklungsjahren den Sinn da- für geweckt hat durch das Vorbild seiner eigenen Persönlichkeit, das werde ich meinem alten Lehrer und Freunde niemals vergessen. 334 MAX FÜRBRINGER, HEIDELBERG: WIE ICH ERNST HAECKEL KENNEN LERNTE UND MIT IHM VER- KEHRTE UND WIE ER MEIN FÜHRER IN DEN GRÖSSTEN STUNDEN MEINES LEBENS WURDE o o o Die folgenden Blätter enthalten ganz schlichte und anspruchslose Skizzen, die nirgends in die Tiefe gehen, aber dem Bilde, wie wir es aus Haeckels Werken und Lebensbeschreibungen kennen, vielleicht einige minder bekannte Züge hinzufügen. Ich folge damit der freundlichen Einladung des Deutschen Monistenbundes und danke demselben für die meinen Zeilen gewährte Gastfreundschaft. Mit Ernst Haeckel verbinden mich langjährige Beziehungen; unter den jetzt noch Lebenden gehöre ich vielleicht mit zu seinen ältesten Schülern. Zu Ostern 1865 war ich als junger Student nach Jena gekommen, um nach dem Rate meines väterlichen Freundes und Lehrers Pro- fessor Carl Theodor Liebe daselbst Mathematik und Naturwissen- schaften zu studieren. Von letzteren sollte der Physik und Chemie mit ihrem Nebenfache Mineralogie mein Hauptstudium gelten, die biologischen Wissenschaften aber erst an zweiter Stelle dazukommen. Da lernte ich den älteren Pringsheim und den jüngeren Haeckel kennen ; ersterer führte mich in die wissenschaftliche Botanik, letzterer in die Zoologie ein, und damit wurde mein Studienplan total verändert. Wenn ich auch pflichtgemäß und der Examina wegen bis zum Ende meiner Studienjahre an dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Programm festhielt, meine Liebe gehörte von da ab den biologischen Wissenschaften. Haeckel trat unter meinen damaligen Lehrern ganz in den Vorder- grund; in den Jahren 1865 und 1866 hörte ich bei ihm Zoologie, Paläontologie und Darwinsche Theorie und arbeitete in seinem zoolo- gischen Praktikum. Hell und deutlich, als wäre es vor wenigen Tagen geschehen, steht mein erstes Kolleg bei ihm vor meinen Augen. Das Auditorium, ein mäßig großes Zimmer, im zweiten Stocke des soge- nannten Schlosses freundlich nach Süden gelegen, eine große An- zahl bunter, sämtlich von Haeckel gemalter Unterrichtstafeln an gggggggggggggggggE]gggggggE]EiE]E]G]5]E]E]E]E]E]E]E]E]5]B]B]E]E]E|G]5ig]E]E]E]Bi 335 |GjgjE]E]gggB]gggggggE]ggggggggggggggE]G]G]B]E]G]EiE]G]B]E]G]B3E3G]E]GjG]E]GiE]gj den Wänden, vor den Bänken Tische mit niederen Tieren und Prä- paraten, auch diese fast durchweg von Haeckel gesammelt und be- arbeitet. In dem Zimmer eine für die damalige Frequenz der Uni- versität (etwa 500 Studenten) ganz ansehnliche, aber wohl kaum aus mehr als 40 — 50 Köpfen bestehende Zuhörerschaft. Alle glühend von Begeisterung und Erwartung. Man wußte, daß Ernst Haeckel, ob- wohl erst 31 Jahre alt, bereits zu den gefeiertsten Lehrern Jenas ge- hörte, der aufsteigende Stern Jenas, berühmt durch seine bahnbrechen- den Forschungen an den niedersten Wassertieren, den Protozoen und Cölenteraten, und durch sein großes Radiolarienwerk, zugleich durch sein volles Eintreten für Darwins Lehre von der Zunft der damaligen Fachvertreter angefeindet, jedoch in seiner Erkenntnis und Be- geisterung für Wahrheit und Fortschritt den Größten aus Jenas großer Vergangenheit gleichend. Jung an Jahren, aber nach Art des Goethe- schen Genies vollendet und das gewöhnliche Maß der Menschen weit überragend. Man erzählte auch, daß er an einem neuen großen Werke — der im September 1866 erschienenen Generellen Morpho- logie — schreibe, welches, die gesamte Lebewelt umfassend, eine voll- ständige Revolution auf botanischem, zoologischem und philosophi- schem Gebiete und darüber hinaus herbeiführen werde. Und man sprach von seiner Freundschaft mit dem großen Jenaer Anatomen Carl Gegenbaur, die ihn, den geborenen Preußen, in das freie Jena geführt hatte, auch von dem großen Verluste seines Lebens, der ihm, geradeso wie zur gleichen Zeit dem Freunde Gegenbaur, die Gattin nach 1 jähriger glücklichster Ehe geraubt hatte, und wie beide Männer nur durch übermenschliche Arbeit bei Tag und Nacht der Verzweif- lung Herr geworden. Und nun trat er in das Auditorium, nicht im bedächtigen Schritt des Professors, sondern im siegreichen Dahinstürmen des apollini- schen Jünglings nach dem Katheder eilend, eine große, schlanke, imponierende Gestalt, ein blühendes, wohl von viel Nachdenken und Arbeiten erzählendes, aber nicht von ihnen angekränkeltes Antlitz, eine gewaltige, von einem prachtvollen Großhirn zeugende Stirn, goldene fliegende Locken, große, blaue, blitzende und so freundliche Augen, — wohl der schönste Mensch, den ich bisher gesehen, und mir war es, als ob das schon zuvor ganz heitere Zimmer merklich heller wurde. Und dann begann die Vorlesung, nicht ausgefeilt und wohl- 336 gedrechselt, sondern ein unmittelbarer Erguß, ein Sprühen und Leuch- ten neuer Offenbarungen. Die Erscheinung, der Glanz der Gedanken und die besondere Art seines Vortrages wirkten zunächst fast aus- schließlich auf mich; erst weiterhin packte mich der Inhalt. Ich habe mir aber nicht die Aufgabe gesetzt, auszuführen, was Haeckel schon damals als Lehrer und Forscher bedeutete, — eine unnötige Wiederholung von längst Bekanntem — , sondern nur zu schildern, wie er gleich beim ersten Eindruck auf mich wirkte, wie er meinen Studiengang beeinflußte und umgestaltete und wie ich sein Schüler werden mußte. Durch meine zoologischen Studien bei ihm wurde ich zur Ana- tomie geführt und zu Carl Gegenbaur, dessen Vorlesungen und Übun- gen ich 1866 und 1867 besuchte. Welche seligen Stunden in dem kleinen, nur 7000 Einwohner zählenden Neste mit seinen großen Män- nern und mit seiner wundervollen, zum Naturgenusse zwingenden Umgebung ! Im Herbst 1867 mußte ich das geliebte Jena verlassen, um als Sohn eines preußischen Beamten und für die Lehrerlaufbahn in Preußen bestimmt auf einer preußischen Universität, in Berlin, weiter zu studieren. Auch da trat die Zoologie in meinen Studien in den Vordergrund. Ich wurde u. a. studentischer Volontärassistent bei dem dortigen Zoologen Wilhelm Peters, und meine Berliner philosophische Doktorarbeit behandelte ein zootomisches Thema, — alles das der Einfluß von Haeckel und Gegenbaur. Haeckels Generelle Morphologie und Gegenbaurs Vergleichende Anatomie und seine Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere waren meine Erbauungsbücher. Die historisch-genealogische Behandlung und Betrachtung der biologischen Wissenschaften, die Ontogenese und Phylogenese und das biogenetische Grundgesetz pulsierten in meinem Blute. Nach Abschluß meiner Berliner Studien am Beginne des Jahres 1870 stand ich, ein freidenkender und unbemittelter Mann, vor der Alternative: Preußischer Gymnasiallehrer unter dem Ministerium Mühler oder Versuch einer akademischen Laufbahn, am liebsten in einer orthodoxem Einflüsse entrückten Universität. Die Wahl war entschieden, als mir durch Gegenbaur die Möglichkeit ward, bei ihm in Jena Assistent am anatomischen Institute zu werden und nach E]gggg^gggggggggggggggggggggBJB]Elg|E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]ElE]S]ElE]E]E]EjE]BjEJ 32 Haeckel-Festschrift. Bd. II 337 gg§]EjE]gggE]ggggEiG]B]ggggE]ggE]ggggE]gggEgEjE]E]E]E]E]E]B]B]E]E]E]E]EiE]E]E]Ei seinem Rate und Wunsche zugleich Medizin zu studieren, wozu mir meine bisherige mathematisch-naturwissenschaftliche und anato- mische Ausbildung manche Erleichterung gewährte. So kam ich mit Beginn des Sommersemesters 1870 wieder in mein Jena und verlebte da, abgesehen von einer durch den Feldzug in Frankreich bedingten halbjährigen Unterbrechung, glückliche Jahre fleißiger Studien und eigener Untersuchungen, erfrischender Lehrarbeit und Hilfeleistung bei Gegenbaurs Unterricht und Forschungen. Die persönlichen Be- ziehungen zu Haeckel wurden weiter gepflegt, und viele erhebende Stunden verdanke ich ihm und seinen Freunden. Gegenbaur übernahm im Herbste 1873 die anatomische Professur und Direktorstelle in Heidelberg, und ich folgte ihm, nach Absolvie- rung meiner ärztlichen Approbationsprüfung und meines medizini- schen Doktorexamens, Ostern 1874 dorthin. Im Jahre 1879 wurde ich Ordinarius der Anatomie an der vergrößerten Amsterdamer Universi- tät und hatte da das Glück, Gegenbaurs und Haeckels Lehren mit Erfolg zu verbreiten und auch sonst in ihrem Sinne zu wirken. Im Herbste 1888 führte mich die Berufung als Oskar Hertwigs Nachfolger auf den Lehrstuhl der Anatomie wieder nach Jena und an Haeckels Seite. Hier verlief die glücklichste und arbeitsreichste Zeit meines Lebens. Mit Ernst Haeckel verband mich treueste Kolle- gialität und Einheit im Arbeiten und Streben. Er, der viel Größere und weiter Angelegte, mit dem unbegrenzten Streben, die Güter seines Wissens und Glaubens womöglich Jedermann anzuvertrauen, ein Held der Wissenschaft und zugleich ein Künstler, Prophet und Religionsstifter ; ich, geschult in der Herbheit Gegenbaurschen Geistes und Gegenbaurscher Methode, im begrenzten Gebiete meiner Wissen- schaft konzentriert, mehr in die Tiefe als in die Weite strebend und womöglich vor jeder Berührung mit der Außenwelt und der profanen Menge ferner stehender Geister scheu zurückweichend. Aber in dem Großen und Ewigen fanden wir uns immer. Die Stadt Jena war damals gegenüber meiner Studienzeit auf das Doppelte angewachsen, zu ihrem Segen aber immer noch ein kleines Städtchen, ein „akademisches Dorf", wie es von uns mit Vor- liebe genannt wurde, geblieben. Die klassischen Zeiten der Universität, als unter Großherzog Karl August und unter Goethes Curatorium Schiller, Wilhelm von Humboldt, Fichte, Schelling, Hegel, Oken u. gggggggggggggggggggggggggggggg]E]BjEiB]BjE]E]E]E|E]B]E]E]E;BiE]E]EjS!E]E]Ej 338 ggggggggggEjggggggggggB]E]gBiggggB]gBiE]gE]E]EiB]EiE]EiGjgE!G]E3EiG]E]E]E]Ej v. A. hier tätig waren, wo die Kantische Philosophie zur ersten Aner- kennung und Verbreitung gelangte, wo Jenas Geisteshauch befreiend und erhebend die Welt durchdrang, bildeten die große Tradition und Resonanz. Ein neues Geschlecht bedeutender, freidenkender Männer war ihnen in den verschiedensten Gebieten der Wissenschaften ge- folgt. Haeckel war der hervorragendste unter ihnen, seine macht- volle Persönlichkeit und sein hohes Ansehen unter den Zeitgenossen, sein Weltruf gab der Universität ihr besonderes naturwissenschaft- liches Gepräge; Jena stand unter seinem Zeichen. Wie hervortretend er aber auch war, da zeigte sich nichts von jenem prof essoralen Hochmut, jenem anspruchsvollen geheimrät- lichen Wesen, welches so oft als üble Zutat bei großen und kleinen Gelehrten als Zeichen des beginnenden Alters in Erscheinung tritt. Bei Haeckel gab es kein Altern. Er war ja bekannt als scharfer und nicht selten recht derb losschlagender Polemiker, mitunter selbst mit einem fast religiös-unduldsamen Einschlage, wenn es den Kampf für den Monismus und gegen orthodoxe Überhebung und Engherzig- keit und gegen niedrige Kampfesmittel galt. Persönlich war er aber der bezaubernde Jüngling wie vor 25 Jahren geblieben, sozusagen der Jüngste unter uns, und zugleich der reine, einfache Mann von fast spartanischer Lebensführung. , , Höchstes Glück der Erdengüter ist doch die Persönlichkeit." Der Sonnenglanz seiner Persönlichkeit verklärte alles um ihn. Im alten Griechenland wäre er zum Sonnengotte erhoben worden. Das wäre jedoch nicht nach seinem Sinne gewesen ; wohl aber freute es ihn, als in einer launigen Tischrede einer seiner Freunde (Th. W. Engelmann) ihn Heliozoon, Sonnentierchen nannte und zu der so be- zeichneten Abteilung der Urtiere in Parallele brachte. Obwohl ein beson- ders begnadeter Mensch, wollte er doch nicht über die Tierwelt erhoben sein, und es machte ihm besonderen Spaß, daß er gerade mit so tief- stehenden Vertretern derselben verglichen wurde. Mit seinen Kollegen in den Naturwissenschaften und den propädeutischen medizinischen Fächern hatte er sogenannte Referierabende gegründet, die aller vier Wochen bei den Kollegen umgingen und in welchen mit großem Fleiße mehrere Stunden lang über alle neuen wichtigeren naturwissenschaft- lichen Erscheinungen referiert und debattiert wurde; ein ganz ein- faches, früh endigendes Abendessen unter dem Vorsitze der Hausfrau beschloß diese ebenso lehrreichen wie angenehmen Abende. Wöchent- 1 22" 339 gggggggjggggggggEjgE]E]ggEiggggE]E]E]E]E]B]EiE]E3EjEiEiBjE]E]EiE]B|BjEiE]E]EjEiEiG] lieh traf er sich auch im Sommersemester mit seinen Freunden und Getreuen und deren Frauen und erwachsenen Kindern zu zwanglosen Zusammenkünften auf der „Schweizerhöhe" und dem „Forste", zwei anmutig auf Jenas Bergen gelegenen und eine reizvolle Aussicht dar- bietenden einfachen Wirtschaften, zu welchen wir meist auf stunden- langen, eifrig botanisierenden Spaziergängen in Jenas blumenreichen Höhen und Wäldern gelangten. Den von unten Kommenden ver- kündete sein fröhliches, herzliches Lachen schon von weitem, daß er bereits oben eingetroffen war. Und auf den Umwegen nach Forst und Schweizerhöhe erwies er sich als großer Botaniker und Spezialist der Jenaischen Flora, der manchen verborgenen Standort seltener Orchi- deen und anderer Raritäten nur den nächsten Freunden offenbarte, nicht minder auch als mächtiger Felsenschleuderer und Wegever- besserer, namentlich auf der Höhe über dem Münchenröder Grunde, wo er die von den dortigen Böschungen auf den Weg herabgestürzten Felsblöcke mit den Freunden um die Wette mit gewaltiger Faust in die Tiefe des Abgrundes hinabschleuderte. Ein besonders lieber Platz war ihm auch die „Ammerbacher Platte", ein hoch und steil über dem Dörfchen Ammerbach sich erhebender Aussichtspunkt mit weitem, umfassendem Ausblicke auf die liebliche und zugleich charaktervolle Umgegend. An diesen von ihm ent- deckten Platz führte er auch die näheren Kollegen und Freunde mit verbundenen Augen und nahm ihnen die Binden erst ab, wenn man an der schönsten Stelle angelangt war. Herzog der Ammerbacher Platte zu sein, und daß dereinst seine Asche von deren Höhe in die Lüfte verstreut werde, war ein gern von ihm geäußeiter Wunsch. Bei diesen Spaziergängen und abendlichen Zusammenkünften gab es keine Rangstufen; der älteste Professor und der jüngste Assistent standen sich gleich. Welche Ausgelassenheit herrschte da, welches Sprudeln und Sprühen der Gedanken! Jenaer Genius loci. Sang doch schon Goethe: Freitag gehts nach Jena fort, denn das ist bei meiner Ehre doch ein allerliebster Ort; — Weimar, Jena, da ist's gut! An diesen Abenden wurden Schweizerhöhe und Forst von vielen Fremden besucht, die sich versammelten, um Haeckel und das verrückte Völk- lein um ihn zu sehen. Und wie luxuriös wurde da gelebt! Eine Rost- bratwurst, wenn es hoch kam, ein Rostbrätchen, und als einmal die Frau eines eben nach Jena berufenen Kollegen sich in Unkenntnis der gB]3ggggE]^ggE]ggggE]gE]g§]gggggg§gggB]E]E]E]EiE]E]EiE]E]E]E]E]E]B]5]E]B]E3E]E] 340 Jenaer Sitten nach der Rostbratwurst noch einen „Truthahn", d. i. eine Portion Butter und Käse bestellte, da wurde sie als der Gipfel- punkt sybaritischer Üppigkeit angestaunt. Die Verlobung der Tochter eines Kollegen wurde „Im grünen Baum zur Nachtigall", so anmutig hieß das Gasthaus eines anderen kleinen Dörfchens, Kospeda, auf den Höhen um Jena mit frischer Blut- und Leberwurst und mit Lichten- hainer Bier, jenem berühmten oder berüchtigten, fürchterlichen, aber erfrischenden und „mit Musik" (einem Zusätze von geriebenem Brot, Zucker und Korinthen) eben erträglichen Getränke, gefeiert, und bei dem Brauen einer für den Schluß vorbehaltenen Bowle, der Freund Wilhelm Müller mit seinem Cumarin den üblichen Glanz verlieh und zu welcher ein Kollegenpaar als besondere Feierlichkeit eine neue Essenz mitgebracht hatte, wurde diese vollständig vergessen; erst beim Heimweg, zu spät, erinnerten wir uns mit Lachen an die löb- liche, nun unausgeführt gebliebene Absicht. In dieser Einfachheit des damaligen Jenas, auf die Haeckel mit großer Sorgfalt hielt, lag ein großer Reiz. Später, als er sich mit den Jahren mehr zurückzog, kam auch hier leider, leider eine reichlichere Lebensführung wie ander- wärts auf, und damit ging Jena ein besonderer Zauber verloren. Während dieser ganzen Zeit erhielt der einfach lebende Mann eine Fülle von Ehrungen von Universitäten und Akademien, Ehren- doktorate und Ehrenmitgliedschaften, dazu eine ungezählte Menge von Beweisen der Liebe, Verehrung und Dankbarkeit aus weitesten Krei- sen der Bevölkerung, zu denen er durch seine mehr populären Schriften in nähere Beziehung getreten war und denen er Licht und Aufklärung gebracht hatte. Nur einer Ehrung will ich hier noch kurz gedenken. Sie kam 1890 aus Amsterdam, der Stadt, wo Swammerdam gelebt hatte, und wo der große Swammerdam-Preis an Haeckel vergeben wurde, — von dem großen holländischen Naturforscher, der vor 200 Jahren seine „Bibel der Natur" geschrieben, an den umfassenderen deutschen Natur- forscher, der in seiner Generellen Morphologie eine noch höhere Bibel der Natur der Menschheit geschenkt. Wir, meine Frau und ich, die wir 9 Jahre lang in Amsterdam gelebt, begleiteten ihn, als er dort- hin reiste, um auf besondere Einladung hin den Preis persönlich in Empfang zu nehmen, und wir wurden Zeugen und Teilnehmer an den Ehrungen, welche ihm Stadt und Universität und zahlreiche 341 S3!3E]E]E]E]5]E]E]5]EJi£]E] EJGJEJGJGJ GJGJGJEJGgG]EJEJ!gE]EJG]GJEJG] B] B] E]E]gE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]EIE| nach Amsterdam geeilte holländische Gelehrte und gelehrte Gesell- schaften erwiesen, und wir saßen mit dem Amsterdamer Bürger- meister und Rektor, den befreundeten Kollegen und den vielen Hun- derten von Studenten zu seinen Füßen, als er in der großen Aula seine Ehrenvorlesung hielt. Ich kannte die Holländer nach ausreichender Erfahrung als eine warmblütige, aber immer das Deftige, die vor- nehme Würde und gleichmäßige Ruhe in der Lebensführung wahrende und darum dem Ausländer leicht als kalt und phlegmatisch erschei- nende Nation. Einen solchen Enthusiasmus, wie er bei dieser Gelegen- heit und bei der Überreichung der Medaille ausbrach, hätte ich aber meinen Holländern niemals zugetraut. Die Haeckelsche Leuchte hatte hier einen gewaltigen Brand angezündet und seine sonnige Persönlichkeit schien selbst das nebelreiche holländische Klima zu besiegen. Was waren das glückliche Zeiten in Jena, als mich des Schicksals Hand noch nicht hart angepackt hatte, und welche himmlische Ruhe für die eigenen Untersuchungen! Ich bin später, dem dringenden Wunsche meines großen Lehrers Gegenbaur folgend, nach Heidelberg übergesiedelt, als sein Nach- folger. Meiner Natur nach, als Canis familiaris, mußte ich das tun. Ich habe dort einen größeren Wirkungskreis und auch sonst viel gutes gefunden, — glücklichere Verhältnisse und solche Muße zur produk- tiven Arbeit wie in Jena nicht. Haeckel ist immer in Jena geblieben, als echte Felis domestica, und er hat damit vielleicht das bessere Teil erwählt. Auch Gegenbaur hat von Jena gesagt: Es war in jeder Hin- sicht meine hohe Schule. Nun aber das schönste und größte Wunder, das meine Frau und ich von Jena aus und in Jena mit Haeckel, durch ihn, erleben durften. In jedes Mitlebenden Gedächtnis ist mit un verlöschbaren Lettern eingegraben, wie Fürst Bismarckim Jahre 1892 entlassen und auf seiner Reise zur Hochzeit seines ältesten Sohnes nach Wien durch Schreiben seines unfähigen Nachfolgers, einer der traurigsten Er- scheinungen in Deutschlands Geschichte, bei den in Betracht kom- menden Gesandtschaften und Höfen geächtet wurde. Der größte Deutsche und Held seiner Zeit, der Mann, der mehr Gehirn und mehr schöpferische Tatkraft hatte als sämtliche Regierende und Staats- 342 männer seiner Zeit, der in endlicher Erfüllung von jahrhundertelan- gem Sehnen, aber unter anfänglichem Widerstreben seines Königs ein mächtiges Deutschland, ein Deutsches Reich von Bismarcks Gnaden geschaffen, war zudem als Handlanger seines Herrn bezeichnet worden. Die Vertreter des deutschen Volkes, Reichstag und Abgeordnetenhaus, hatten nicht den Mut und den kategorischen Imperativ gefunden, gegen das Geschehene zu protestieren; eine jämmerliche Presse hatte sich an der Hetze gegen ihn beteiligt. Es ist das schwärzeste Blatt in Deutsch- lands Geschichte; es erzählt von einer Undankbarkeit und Untreue, wie sie zuvor im Lande der deutschen Treue unbekannt gewesen. Ein französischer Schriftsteller schrieb damals: „Nein, die Deutschen sind kein großes Volk; das Pantheon, das Himmelszelt wäre uns nicht hoch genug, um diesen Mann hineinzusetzen!" Längst hat die Geschichte darüber gerichtet, und unser von einer elenden Kama- rilla belogener, übel beratener und mißleiteter Kaiser würde wohl viele Jahre seines Lebens darum geben, wenn er diese Tat ungeschehen machen könnte. Da erhob sich das Volk, in Sachsen, in Österreich, in Süddeutsch- land, dann auch in Norddeutschland, um seinem größten Helden seine Liebe, Verehrung, Treue und Dankbarkeit zu bezeigen. Ein Sturm der Entrüstung und zugleich ein Sturm des Jubels um Bis- marck durchbrauste Deutschland. Das alles ist in den Annalen der Geschichte aufbewahrt. Auch in Jena flammte es auf, in der Universität, in der Bürger- schaft. Haeckel war das treibende Element. Jena mit seinen großen Erinnerungen an Luther, Goethe, Schiller und Fichte, mit seinen Kämpfen für die geistige Befreiung und Veredelung der Menschheit und mit seinen zuerst in der Jenenser Burschenschaft gepflegten und von da aus in alle deutsche Universitäten verbreiteten Idealen für Deutschlands Einigung galt ihm, wie klein es auch unter den Städten Deutschlands war, doch als das Herz unseres Vaterlandes, nach geographischer Lage und nach geschichtlicher Überlieferung. War es denn gar so vermessen, zum Fürsten nach Kissingen zu gehen und ihn einzuladen, auf der Rückreise nach seiner Heimat Jena und seiner Universität die Ehre seines Besuches zu schenken? Dieser Besuch sollte zugleich eine Art Entsühnung von dem unsäglichen Unglücke sein, das im Jahre 1806 mit der Schlacht bei Jena über Deutschland 343 g]E]EiE]gggE]ggggE]ggggggE]ggggggggggggE]B]E]E]EjEiE]E]E]E]E]B]E]gjE]Ei5]E]BiG] hereingebrochen war. Der Kurator unserer Universität, ein wohl- wollender und uns Allen wohlgesinnter Mann, hielt es für seine Pflicht, uns darauf aufmerksam zu machen, daß diese Reise und Einladung möglicherweise für uns und die Universität verhängnisvolle Folgen haben könne. Was galten uns diese, wo die glühende Dankbarkeit und unser heißes Sehnen gebot! Für unseren Fürsten, für die Be- kundung unserer Treue, Verehrung und Dankbarkeit wären wir auch in den Tod gegangen. In schnell zusammenberufenen Sitzungen, wie im Rausche, wurde die Anfrage in Kissingen beschlossen und zugleich eine Deputation gewählt, welcher von selten der Universität die Professoren Haeckel, Geizer und ich, von Seiten der Stadt Bürgermeister Singer, Gemeinde- vorstand Köhler und der Vorsitzende des Kriegervereins, Walter, Ritter des Eisernen Kreuzes, angehören sollten. Und das Wunder ge- schah. Fürst Bismarck nahm unseren Besuch an und lud uns durch ein Telegramm seines Sekretärs Chrysander auf den 10. Juli ein. Auch meine Frau, die aus einer um den Gedanken der Einigung Deutsch- lands wohlverdienten Famüie stammte und von einer der Anbetung gleich kommenden Verehrung für den Fürsten erfüllt war, nahm die gute Gelegenheit wahr, ihren heißen Wunsch, ihn endlich von Person zu sehen, zu erfüllen. Haeckel und wir Beiden reisten am 9. Juli vormittags nach Kissingen, nach alter Jenenser Art 3. Klasse, diese aber auf der Station vor Kissingen mit der 2. Klasse vertauschend; dem großen Zwecke und der Weihe des Ortes entsprechend mußte unsere Ankunft in Kissingen in denkbar vornehmster Weise erfolgen, höheres als die zweite Klasse gab es für Jenaer Professoren nicht! Mit einem späteren Zuge kamen die anderen Mitglieder der Deputation an ; aus freier Initiative stießen noch zu uns unsere Kollegen Stintzing und Kluge und unser Jenaer Diakonus Dr. Kind. Zuvor war Haeckel mit mir zur oberen Saline, der Residenz des Fürsten gegangen, um mit dessen Leibarzte Professor Dr. Schweninger und dessen Sekretär Dr. Rudolf Chrysander das Genauere über den morgenden Empfang zu vereinbaren; Beide erschienen uns als Huld spendende Götter durch ihre große Liebenswürdigkeit und ihr überaus gütiges Entgegenkom- men. Meiner Frau wurde gestattet, dem Fürsten und der Fürstin Blumen zu überreichen. Als ich zu ihr kam, erzählte sie mir mit Tränen in den Augen, sie habe soeben den Fürsten, von der Menge ggggggggggggg]ggE]gE]ggggE]ggggggE]ggE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]5]E]E3E]E]E3E]g!3 344 gggggggggggggE]E]E]ggE]ggggGigE]gB]ggE]EJE]B]E]E]B]E]E]E]EIE]E]E]E]E]BlElB]E]E]g um jubelt, gesehen, nun sei ihr höchstes Sehnen erfüllt. Ihre Gefühle bei meiner Mitteilung zu schildern, ist unnötig. Am nächsten Mittag fuhren wir Alle zur Saline und wurden von Prof. Schweninger und Chrysander empfangen. Bald traten der Fürst und die Fürstin mit einigen begrüßenden Worten in das Zimmer. Aus oft gelesenen Schilderungen, auch als Zuschauer im Abgeordneten- haus und im Reichstag hatten wir uns eine Vorstellung von des Für- sten imposanter Persönlichkeit gebildet. Aber so nahe uns gegenüber erschien er uns viel größer und gewaltiger, über jeden Begriff er- haben. Zuerst sprach Jenas Bürgermeister, dann Haeckel. Seine An- sprache kennzeichnet den ganzen Mann, darum sei sie hier wieder- gegeben. Er sagte: „Durchlauchtigster Fürst! Durchlauchtigste Fürstin! Der herzlichen Einladung, welche unser Bürgermeister an Euer Durchlaucht gerichtet hat, erlaube ich mir, als eines der ältesten Mitglieder unserer Thüringer Landes-Universität, einige Worte hin- zuzufügen. Jena gehört zu jenen kleinen deutschen Universitäten, deren hohe Bedeutung für die Entfaltung des freien Geisteslebens Sie schon wiederholt und erst kürzlich hervorgehoben haben. Daraus schöpfen wir den Mut, Sie zum Besuche unserer stillen und kleinen, aber geistig lebendigen Musenstadt einzuladen. Jena liegt mitten im Herzen von Deutschland, und mit der ganzen Wärme des deut- schen Herzens haben wir hier jene glänzendste Periode der deutschen Geschichte durchlebt, welche der unvergleichliche staatsmännische Geist des Fürsten Bismarck seit einem Menschenalter geschaffen hat. Wenn wir Euer Durchlaucht bitten, uns auf Ihrer Rückreise die Ehre Ihres Besuches zu schenken und einen Tag in unserem idyllischen Saaletale zu verweilen, so wollen wir damit nur unseren Gefühlen der höchsten Bewunderung und der wärmsten Dankbarkeit Ausdruck geben. Besonderes Bedürfnis ist uns dies in einem Zeit- punkte, in welchem leider ein großer Teil der deutschen Presse sich bemüht, die nationalen Verdienste und die patriotische Persönlich- keit Eurer Durchlaucht in den Staub zu ziehen. Es würde uns ein beglückender Gedanke sein, in demselben „Gasthof zum schwarzen Bären", in welchem Martin Luther einst mit Jenenser Studenten verkehrte, auch den genialen Begründer des Deutschen Reiches als 345 gggSjgggggggggggggggggE]ggE]gs]gggG]E]G]S]E]E]B]E]3jB]sj533]G]E]S]EiE]B]E]E]si lieben Gast zu bewirten. Wir erfüllen damit einfach die Pflicht der nationalen Dankbarkeit. Für uns ist allezeit Fürst Bismarck der unsterbliche Nationalheld, welcher unter Überwindung der größ- ten Schwierigkeiten der deutschen Nation die lebensfähige Form ge- geben und das neue deutsche Kaisertum geschaffen hat. Bei diesem Gedanken steigt neben Euer Durchlaucht das edle Heldenbild Wil- helms I. vor uns auf, des allgeliebten ersten Hohenzollern-Kaisers, der die größten Erfolge mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit und die reichste Erfahrung mit der unermüdlichsten Pflichttreue ver- band. Wie Kaiser Wilhelm I. einst das Wort „Niemals" unter Ihr Entlassungsgesuch schrieb, so antwortet der beste Teil des deutschen Volkes mit „Niemals" auf die Frage, ob die unsterblichen Ver- dienste des ersten deutschen Reichskanzlers um die Wiedergeburt unseres Vaterlandes je vergessen werden können. Die Universität Jena hat aber noch eine besondere Veranlassung, den Besuch Ew. Durchlaucht zu erbitten. In dem Sagenkranze, welchen die deutsche Volkspoesie schon bei Lebzeiten um das Haupt ihres Altreichskanzlers flicht, findet sich auch die Erzählung, daß Sie einst als Göttinger Student Jena besucht haben, aber wegen einer Mensur aus unserer Stadt ausgewiesen seien. Sollte diese Angabe wahr sein, so müßte die Universität Jena jetzt doppelt wünschen, jene Ausweisung zu sühnen, und Sie in unsere Stadt zurückzuführen. Wie stolz würden wir sein, wenn Sie damals in Jena geblieben wären, und Ihr Name das Album unserer akademischen Bürger zierte! Wir dürfen aber zugleich versprechen, daß das ganze Thüringer Land die Gelegenheit Ihres Besuches ergreifen wird, um Sie durch den Ausdruck der aufrichtigsten Verehrung und der herzlichsten Dank- barkeit zu erfreuen." Den Fürsten während der beiden Ansprachen zu sehen, war ein hoher Genuß. Als er mit seinen buschigen Augenbrauen über den gewaltigen Augen zuckte, duckten wir unwillkürlich; einen solchen Eindruck mag der donnernde Zeus erweckt haben. Und wenn er dann bei dieser oder jener Stelle lächelte und damit seinem Einverständnis Ausdruck gab, wie gütig, wie übermenschlich gütig waren da seine Züge! Da ging uns erst ein Ahnen auf, wie groß, wie unendlich groß der Mensch in seinem höchsten Gipfel sein kann. Und dann antwortete er. Seine Rede ist bekannt und allenthalben ggggjggggg]ggggg]ggggggggggggggggggggggggBiE]EiE]siE)E]EsiBiB]E|EiEis} 346 gedruckt. Da wurde kein wichtiges Moment aus Jenas, aus Weimars, aus Thüringens Geschichte vergessen, auch der Wartburg und der Burschenschaft mit ihren edlen, wenn auch verfrühten Bestrebungen wurde gedacht, und die hohe Bedeutung von Weimars und Jenas Literatur und Kultur als damaliges einziges Band nationaler Einig- keit hervorgehoben. Das alles in den großartigsten Zügen. Glücklich Diejenigen, die dabei zugleich Zuhörer und Zuschauer sein durften. Auf die Einladung nach Jena kam er mit sichtbarer Freude zurück; eine endgültige Entscheidung sei aber erst nach Überlegung mit seiner Frau und seinem Arzte möglich. Meine Frau durfte dann dem Fürsten und der Fürstin unsere Sträuße unter Handkuß überreichen, den aber der Fürst ablehnte, indem er sie auf die Wange küßte, und dann ging es zum Frühstück, der Fürst meine Frau führend, die Fürstin von Bürgermeister Singer geführt, Haeckel mit Schweninger, dann aber zwischen Fürst und Fürstin sitzend. Die Unterhaltung an der Tafel war die denkbar reichste; da war keine Kenntnis in Geographie und Geschichte, in Kunst und Wissenschaft, selbst in den Details der klassischen Philo- logie, wo der Fürst nicht genauesten Bescheid wußte, und mit Jedem von uns gewann er Fühlung, als genialer Seelenleser sofort eines Jeden innerste Empfindungen und Neigungen erkennend. Auf unseren Großherzog Karl Alexander hielt er beim ersten Glase Schaumwein in dankbaren und bewegten Worten eine feierliche Tisch- rede, und begeistert stießen wir auf unseren gütigen und geliebten Landesherrn aus Johann Friedrichs des Großmütigen und Karl Augusts Geschlechte an. Die Fürstin, die echte deutsche Frau, treu besorgt um das Wohl ihres Gatten, von hoher Bildung, feinstem Verständnis und bezau- bernder Liebenswürdigkeit gegen uns. Und Professor Schweninger und Chrysander, prachtvolle Menschen; wie beglückte es uns, daß solchen Männern des Fürsten leibliches Wohl und die Hilfeleistung bei seinen Arbeiten anvertraut war! Und hier wurde auch das Kom- men nach Jena beschlossen! Gegen Ende der Tafel kam eine eigens zum Fürsten gereiste Zigeunerkapelle, ihn mit ihren feurigen Klängen zu erfreuen, und dann erscholl brausender, mächtiger, endloser Jubel aus dem an das Gebäude grenzenden Hofgarten. Die 700 Württemberger und zahl- 347 : reiche Deutsche aus anderen Gauen waren erschienen, mit ihren Frauen an die Tausend, um dem Fürsten zu huldigen. Sofort ging er, von Schweninger und Chrysander begleitet, in den Garten, über eine Stunde unbedeckten Hauptes in der heißen Mittagssonne stehend, der 77 jährige Mann, Reden auf Reden anhörend und immer wieder beantwortend, darunter jene herrlichen Worte auf die deutschen Frauen, ungezählte Händedrücke und Beweise glühendster Liebe und Verehrung empfangend. Wir durften zuhören und zuschauen, und die schwere Last wälzte sich von unserer Seele; ein Gefühl von Er- lösung überkam uns. Auch Haeckel griff ein, indem er seiner Begei- sterung Ausdruck gab, daß Süddeutsche und Norddeutsche sich hier gefunden und sich die Hände gereicht, und indem er alle Anwesenden aufforderte, unserem deutschen Vaterlande und dem Fürsten Bismarck, dessen größtem Nationalheros, Treue zu schwören. Bei dem aufs neue ausbrechenden Jubel erfaßte den Fürsten die tiefste Rührung. „Ich bin überzeugt," erwiderte er, „daß nach dem Wunsche des Herrn Vorredners hinter mir das Deutsche Reich unbewegt und unentwegt seinen Weg fortsetzen wird, so wie es ihn begonnen hat, denn die Ein- drücke der Befriedigung über seine Herstellung, die Geleise, in denen es seit 20 Jahren geleitet worden ist, sind zu tief geworden, als daß sie der Reichswagen je wieder verlassen könnte. Das Gesamtergebnis unseres Siebziger Krieges und unseres ganzen Weges durch die Wüste, den wir vorher geführt worden sind, wird uns keine Macht wieder entreißen." Und dann wandte er sich um, umarmte und küßte Haeckel, er, der auf das Evangelium eingeschworene Dualist, den Monisten Haeckel. Wo sich die Menschheit auf ihren höchsten Höhen begegnet, wie geringfügig werden da alle Unterschiede der von Menschen ge- bildeten und Menschen trennenden Dogmen und Konfessionen und verschwinden vor dem Größten, was die Herzen bewegt und zu- sammenschlagen läßt! Seid umschlungen Mülionen ! Diesen Kuß der ganzen Welt ! Wohl Mancher von uns mag in der Schule, wo er den Hymnus an die Freude lernte, und auch nachher sich gefragt haben, ob unser Schiller da nicht zu Uberschwängliches gesungen; später beim Anhören der 9. Sym- phonie ist ihm wohl die Empfindung geworden, es sei doch möglich. Hier in Kissingen, als wir schieden und uns der Fürst „Auf Wieder- sehen!" zurief, da erfüllten sich unseres großen Dichters glühende, SS3SE]gggE]gB]ggggE]gggggggE]gE3§gggggggE]ggE]E]B]E]E]E]EiE3E!g]E]B]G]E]Bi 348 pgjgE]gggggE]ggE]gggggggEiggggE]B]E|E]E]B]E]5]E]gE]E]B]E]E]E]E]B]B]E]E]E]E]E]E]B]E] trunkene Worte buchstäblich. Wir waren berauscht. Es läßt sich nicht beschreiben. Wenn Schiller und Beethoven das gesehen und miterlebt hätten! Gegen 4 Uhr schieden wir von der Saline, gingen wieder in das Kurhaus und versuchten unsere Erlebnisse und Eindrücke in einem Berichte zusammenzufassen. Es gelang nicht; wir waren zu tief er- griffen. Später hat wohl der Eine oder Andere von uns seine Gefühle zu Papier gebracht. An unseren edlen Großherzog sandten wir aber ein ausführliches Telegramm ab. Und diese spontane Mitteilung wurde huldvoll an- genommen und sollte uns die Wege für den Empfang des Fürsten in Jena ebnen. Auch hier erwies sich unser Landesherr und Rector magnificentissimus vor so vielen Anderen, welche die große Zeit klein gefunden, groß, dankbar und treu gegen den Schöpfer des Deutschen Reiches. Abends um 8 Uhr fuhren wir ab; die Abendsonne schenkte uns ihren goldenen Abschiedsgruß. In Ritschenhausen, wo es inzwischen Nacht geworden war, machten wir Station, unter wunderlichen Um- ständen, welche in Erinnerung an die Kissinger Stunden mit Humor ertragen wurden. Ursprünglich hatten wir beabsichtigt, noch einen Tag auf den Höhen des Thüringer Waldes, in Oberhof, zu verweilen. Es ließ uns aber keine Ruhe, es trieb uns am nächsten Morgen nach Hause, den Freunden zu verkünden: Er kommt, er kommt! Inzwischen ereigneten sich in Kissingen jene großen nationalen Kundgebungen, wo Tausende von deutschen Männern aus Baden, Rheinpfalz, Hessen, Thüringen mit ihren Frauen und Kindern zum Fürsten eilten, ihm Huldigungen ohnegleichen bereiteten und das Köstlichste von ihm empfingen, was Menschen von seiner Größe schenken können. Und dann kam er zu uns, mit seiner Familie und mit seinen Ge- treuen, und mit ihm kamen die großen Jenaer Tage vom 30. und 31. Juli, die größten, die Jena jemals erlebt hat. In das gleiche Haus, in welchem Luther 350 Jahre zuvor gewohnt, in den Gasthof zum schwarzen Bären zog jetzt Fürst Bismarck mit den Seinen ein. Erst der Reformator ecclesiae, jetzt der Reformator Germaniae. Zwei eherne Tafeln am Bären zeigen an, welche beiden Männer innerhalb seiner Wände gewohnt. Kommt dazu noch Goethe, dessen Erinne- 33333a33aaS^E]gB]gggE]gggggE]g^ggggE]E]gE]E]E]E]E]E]E3E]E]EIE]E]E]E]E]ElE]E] 349 rungen Jena durchdringen. Die drei größten Geisteshelden Deutsch- lands in unserem Städtchen. Kleines und so hoch begnadetes Jena! Es liegt mir fern, darauf einzugehen, welcher Jubel die ganze Reise des Fürsten von Kissingen nach Jena begleitete, was in Jena geschah, welche guten und großen Worte da gewechselt wurden. Das alles ist in ausführlichen Schilderungen niedergelegt und für immer in die Weltgeschichte eingetragen. Auch habe ich den mir zur Ver- fügung gestellten Raum längst überschritten. Unsere Deputation hatte ihre Aufgabe in Kissingen erfüllt, naturgemäß trat sie jetzt, abgesehen von Jenas Bürgermeister, in der Öffentlichkeit mehr zu- rück, aber auch hier ward Haeckel zu originellsten Kundgebungen — u. a. ernannte er den Fürsten Bismarck zum Ehrendoktor der Stammesgeschichte — Gelegenheit gegeben, und ich verlebte mit den Meinigen beseligende Stunden in der Umgebung des Fürsten. Fortes fortuna adjuvat. Den Mutigen gehört die Welt. Hätte damals Ernst Haeckel nicht die Initiative ergriffen, so hätten die Jenenser kein Kissingen erlebt und Jena nicht seine großen Tage. So verdanken wieder ihm Stadt und Universität, denen er immer treu geblieben und unvergänglichen Ruhm gebracht, auch hier das Erhabenste, was ihnen seit Goethes Zeiten zuteil geworden. 350 ggg^B]gggE]gggHgg§G3gB]ggE]gE]gE]ggE]E]EjgB]E]E]E]E]B]E]B]E]gE!B]G]E]E]EjE]EJE]EJ WILHELM KLEINSORGEN, BERLIN-GRUNEWALD : ERNST HAECKEL; ALS ETHIKER o o o Ernst Haeckel hat stets betont, daß ihm die Probleme der prak- tischen Philosophie nicht liegen und daß es ihm bei seinen „Stu- dien zur monistischen Philosophie" vor allem um die Ausbildung des theoretischen Monismus zu tun gewesen sei. Als ich mit Haeckel zum ersten Male über meine Absicht sprach, meine im „Freien Wort" 1906 veröffentlichte Skizze über „Cellularethik" ausführlicher zu bearbeiten, ermunterte er mich sehr und erzählte mir, daß er erst kürzlich wieder gebeten worden sei, doch seine in den „Welträtseln" nur kurz skizzierten ethischen Ansichten einmal näher auszuführen; er müsse es aber ablehnen, diesem öfter geäußerten Verlangen nach- zukommen, da ihm diese Materie nicht liege, und ich möchte mich nur ja dieser wichtigen Aufgabe unterziehen, zumal ein großes Be- dürfnis dafür vorliege. Als ich Haeckel dann im Jahre 1910 das Manu- skript der Cellularethik überreichte1) und ihn um Annahme der Wid- mung bat, betonte er wieder, wie lückenhaft seine Ausführungen über „Unsere monistische Sittenlehre" seien und wie sehr er sich freue, daß einer seiner Schüler dieses Gebiet in Bearbeitung genommen habe. Diese Bescheidenheit Haeckels der eigenen Leistung gegenüber hat auf mich umso mehr Eindruck gemacht, als seine Behandlung der monistischen Ethik keineswegs die starken Vorzüge der Haeckelschen Erfassung philosophischer Probleme vermissen läßt. Ja, es reizt mich direkt, hier zu zeigen, mit wie sicherem Blick Haeckel bereits die wichtigsten Konsequenzen der monistischen Weltanschauung für die Ethik gezogen hat, und wie wenig vor allem die Theologen ein Recht haben, so hochmütig auf den Ethiker Haeckel herabzuschauen. In Wirklichkeit zeigen Haeckels Ausführungen über monistische Ethik ein tieferes und feineres Verständnis für wahre Sittlichkeit, als es die kirchenchristliche Ethik aufzuweisen hat. Darwins prophetisches Wort: „Meine Theorie wird zu einer ganzen Phüosophie führen", ist wohl von keinem Jünger Darwins mit solcher Energie und Klarheit in Erfüllung gesetzt worden, wie durch Ernst 1) 191 2 bei Alfred Krön er, Leipzig, unter dem Titel: „Cellular-Ethik als moderne Nachfolge Christi" erschienen. gggggggggg^gggggg^gggg^ggggEIE]E]E]E]E]B]E]EJB]EJBIB3E]gElE]E]B]E]E]E]E]ElEJ 351 gE]ggE]gEiggEJE]ggE]E]gggE]gggE]gggggE]gg5]ElE]E]E3E]ElE]E]E]B]E]E]E]E]51ElB]B]E]El Haeckel. Daß die neue entwicklungsgeschichtliche Weltanschauung auch zu einer neuen Ethik oder, vielleicht richtiger, zu einer neuen Grundlegung der Ethik führen mußte, hat Haeckel klar erkannt. Eben deshalb hat er auch im Jahre 1892 der in Berlin neugegründeten „Gesellschaft für ethische Kultur" gegenüber die Abhängigkeit der Ethik von der Weltanschauung betont, ein Punkt, der für die Auffassung vom Wesen der Ethik und von der Stellung der Ethik im System der Wissenschaften von grundlegender Bedeutung ist. Da das ganze Universum im Lichte des Entwicklungsgedankens ein zusammenhängendes Ganze darstellt, so ist natürlich für Haeckel die sittliche Welt nur ein Teil der allesumfassenden Natur. Dement- sprechend betrachtet er die Ethik als Naturwissenschaft und fordert eine biologische resp. physiologische und entwicklungsge- schichtliche Begründung derselben. Dabei betont Haeckel mit Recht, daß diese Auffassung nicht zu einem Verlust der Ideale führt, sondern im Gegenteil dieselben als tief in der menschlichen Natur begründet erweist. Überhaupt vertritt ja Haeckel, ähnlich wie Goethe — ent- gegen der herrschenden Auffassung des Christentums die Über- zeugung, ,,daß wahre Naturerkenntnis nicht allein dem grübelnden Verstände, sondern auch dem sehnenden Gemüte volle Befriedigung und unversiegliche Nahrung zuführt." (Der Monismus als Band zwischen Religion und Natur- wissenschaft S. 35.) „Ihnen, hochgeehrte Anwesende, als Natur- forschern und Naturfreunden — heißt es an einer anderen Stelle dieses berühmten Altenburger Vortrages — brauche ich nicht auseinander zu setzen, wie sehr jedes tiefere Eindringen unseres Verstandes in die Erkenntnis der Naturgeheimnisse gleichzeitig auch unser Gemüt er- wärmt, unserer Phantasie neue Nahrung zuführt und unsere Schön- heitsanschauung erweitert. Um sich zu überzeugen, wie eng alle diese Gebiete der edelsten menschlichen Geistestätigkeit zusammenhängen, wie unmittelbar die Erkenntnis der Wahrheit mit der Liebe zum Guten und der Verehrung des Schönen verknüpf t ist, genügt es, einen einzigen Namen zu nennen, den größten deutschen Genius: Wolf gang Goethe." (S. 34). Wer diese Grundüberzeugung Haeckels und auch Goethes zu würdigen weiß, wird verstehen, welches Armutszeugnis sich diejenigen Gegner Haeckels ausstellen, die in einer naturwissenschaftlichen Be- gründung der Ethik eine Herabwürdigung des Sittlichen erblicken. g@]ggE]gggE]gggggggE]gggE]gggggggggggE]gE]SE]E]E]B]E]EiE]E]E]B]E]E]E]E]E]E| 352 G]tg§gggggg§gsggSE]E]E]ggggggE]gg§^gE]gE]5jE]E]gEigE]E]gE]E]E]E]E]B]B]G]E]n] Wie monistische Ethik nur naturalistische Ethik sein kann, so hat Haeckelmit aller nur wünschenswerten Konsequenz auch den deter- ministischen Charakter der monistischen Ethik betont und dabei mit Recht auf das noch viel zu wenig beachtete Beweismaterial auf- merksam gemacht, das uns die moderne Vergleichende Physiologie und Entwicklungsgeschichte zugunsten des Determinismus liefert. Die positive Bedeutung der modernen Naturerkenntnis für die Ethik demonstriert Haeckel durch die Begründung des menschlichen Pflicht- gefühls auf die sozialen Instinkte, die wir bei allen gesellig lebenden höheren Tieren finden, und deren Bedeutung für die Ethik schon Darwin erkannt hat. Mit gutem Grund zieht Haeckel eine solche reale Be- gründung des Pflichtgebotes der Illusion eines Kantschen kate- gorischen Imperativs oder gar eines göttlichen Gebotes vor. Auch eine Entwicklungsgeschichte des Sittlichen wird von Haeckel versucht. Anfänge der sozialen Tugenden findet er schon bei den in Zellvereinen lebenden Einzelligen. Letzten Grundes sind auch die Sitten als erblich gewordene Gewohnheiten, als Anpassungs- formen des Selbsterhaltungstriebes der Organismen zu bewerten. Das Fundamentalgebot der monistischen Ethik sieht Haeckel in einer vernunftgemäßen Gleichberechtigung des Selbst- und Arterhaltungstriebes, wie sie ja auch in dem christlichen und vorchristlichen Gebot: „Was du willst, daß dir die Leute tun sollen, tue ihnen auch" zum Ausdruck kommt. Der kirchenchristlichen Vernachlässigung des Selbsterhaltungstriebes gegenüber — in der Haeckel sehr richtig einen Widerspruch zum christlichen Grund- gebote: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" sieht — betont Haeckel den fundamentalen ethischen Wert der Selbstliebe: „Nichts Großes, nichts Erhabenes ist jemals ohne Egoismus geschehen und ohne die Leidenschaft, welche uns zu großen Opfern befähigt." (Welträtsel, S. 408). Auch in dieser hohen Bewertung des Selbst- erhaltungstriebes stimmt Haeckel durchaus mit Goethes ethischen Anschauungen überein. Sehr treffend weist übrigens Haeckel auf den schneidenden Widerspruch zwischen der vom Kirchenchristentum empfohlenen überspannten altruistischen Moral des einzelnen Men- schen und der realen, rein egoistischen Moral der christlichen Kultur- staaten hin. „Es wäre interessant" — bemerkt er mit berechtigtem Sarkasmus — „mathematisch festzustellen, bei welcher Zahl von ggggggggggE]ggggggggE]gB]ggggggggggB]E]E]E]B]E]E]E]B]E]E]gB]E]E]E3B]gE]B] 23 Haeckel-Festschrift. Bd. II 353 P]E]E]E]EJB]E]E]E1E]EJE]E]E]E]E]SIEJE]E]S]EJE1E]E]E]S]S]S]o] E]5]E]3]5]E]E]E]E]E]S]E]E]E] B]g]E]E]ElS]B]E] vereinigten Menschen das altruistische Sittenideal der einzelnen Person sich in sein Gegenteil verwandelt, in die rein egoistische .Real- politik' der Staaten und Nationen." (Welträtsel, S. 409). So sehr Haeckel aber auf der einen Seite den Wert des Selbsterhaltungstriebes hervorhebt, so wenig verkennt er andererseits die große Bedeutung der Nächstenliebe: „Will der Mensch in geordneter Gesellschaft existieren und sich wohl befinden, so muß er nicht nur sein eigenes Glück anstreben, sondern auch dasjenige der Gemeinschaft, der er angehört und der .Nächsten', die diesen sozialen Verein bilden. Er muß erkennen, daß ihr Gedeihen sein Gedeihen ist und ihr Leiden sein Leiden." (Welträtsel, S. 404). Es ist ein entschiedenes Verdienst der Haeckelschen Ethik, daß sie nicht in die naheliegende Einseitigkeit einer rein selbstsüchtigen „Kampf-ums-Dasein-Ethik" verfallen ist, wie sie gerade von Darwinisten so oft als ,,darwinistische" Ethik ver- treten worden ist, trotzdem Darwin anderer Meinung war und auch Haeckel von ihr geäußert hat, sie befinde sich in einem „biologischen Irrtum". Mat hat nun aber gerade wegen dieser Gleichberechtigung von Egoismus und Altruismus der Haeckelschen Ethik oft vorge- worfen, daß sie damit zwei feindliche, entgegengesetzte Prinzipien vertrete. Dieser Einwurf ist wohl verständlich, wenn man bedenkt, wie verschieden die Begriffe Egoismus und Altruismus von den ein- zelnen Autoren ausgelegt werden; aber in dem Sinne, wie sie Haeckel gebraucht hat und wie sie vernunftgemäß allein gebraucht werden können, besteht kein Gegensatz zwischen Selbstliebe und Nächstenliebe, denn mit vollem Recht betont Haeckel: „Ebenso wie einerseits das Gedeihen der Gesellschaft an dasjenige der Personen geknüpft ist, die sie zusammensetzen, so ist andererseits die volle Entwicklung des individuellen Menschenwesens nur möglich im Zu- sammenleben mit seinesgleichen. Die Christenmoral predigt die aus- schließliche Geltung des Altruismus und will dem Egoismus keinerlei Rechte zugestehen. Gerade umgekehrt verfährt die moderne Herren- moral (von Max Stirner, Friedrich Nietzsche u. a.). Beide Extreme sind gleich falsch und widersprechen in gleicher Weise den gesunden Forderungen der sozialen Natur." (Welträtsel, S. 463). Zu den schönsten Stellen der Haeckelschen Ethik gehört seine Auffassung vom Mitleid: „Ich gehe von meiner persönlichen Ansicht aus, daß das Mitleid (Sympathie) nicht nur eine der edelsten 354 E]ggE]ggB]g^g3g^gggggggggggggG]E]E]S]E]E]E]E]E]E]E3E]BjE]E]B]G]ElEjE]B]B]B]E]E]E3 und schönsten Gehirnfunktionen des Menschen, sondern auch eine der ersten und wichtigsten sozialen Bedingungen für das gesellige Leben der höheren Tiere ist. Die Gebote der christlichen Liebe, die das Evangelium mit Recht in den Vordergrund der Ethik stellt, sind nicht von Christus zuerst entdeckt, wohl aber von ihm und seinen Jüngern mit größtem Erfolge geltend gemacht zu einer Zeit, wo der raffinierte Egoismus die überfeinerte römische Kulturwelt dem Zerfall entgegenführte. Tatsächlich bestanden die natürlichen Gebote der Sympathie und des Altruismus nicht nur Jahrtausende vorher in der menschlichen Gesellschaft, sondern auch bei allen höheren Tieren, die in Herden oder Staaten vereinigt leben; sie haben ihre älteste phylogenetische Wurzel sogar schon in der geschlechtlichen Fort- pflanzung der niederen Tiere, in der sexuellen Liebe und Brutpflege, auf der die Erhaltung der Art beruht. Daher sind die modernen Pro- pheten des reinen Egoismus Friedrich Nietzsche, Max Stirner usw. in biologischem Irrtum, wenn sie allein ihre ,Herrenmoral' anstelle der allgemeinen Menschenliebe setzen wollen und wenn sie das Mitleid als eine Schwäche des Charakters oder als einen moralischen Irrtum des Christentums verspotten. Gerade in der Betonung des ,Mitleidens' liegt der hohe ethische Wert der christlichen Lehre, der immer fort- dauern wird, wenn ihre morschen Dogmen längst in Trümmer gefallen sind. Nur sollte man dieses hehre Gebot der Nächstenliebe nicht auf den Menschen allein beschränken, sondern auch auf seine »nächsten Verwandten', die höheren Wirbeltiere, ausdehnen, wie überhaupt auf alle Tiere, bei denen wir auf Grund ihrer Gehirnorganisation be- wußte Empfindung, das Bewußtsein von Lust und Schmerz, annehmen dürfen." (Lebenswunder, S. 131). Die Ausdehnung des Mitleids auch auf die Tiere wie überhaupt die Wertung der Tiere als unsere „Brüder" auf Grund des Darwinismus erhebt die Haeckelsche Ethik, weit über die christliche, speziell kirchliche. Mit Recht schreibt Haeckel (Welträtsel, S. 411): „Das Christentum kennt nicht jene rühmliche Liebe zu den Tieren, jenes Mitleid mit den nächststehenden, uns befreundeten Säugetieren (Hunden, Pferden, Rindern usw.), welche zu den Sittengesetzen vieler anderer älterer Religionen gehören, vor allem der weitverbreitetsten, des Buddhismus. Wie erhaben steht in dieser Beziehung die monistische Ethik über der christlichen! Der Darwinismus lehrt uns, daß wir zunächst 355 j^gggggggggggE]E]gE]ggE]gEjggE]gggggggggE]gE]EiB]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]ö]G3 von Primaten und weiterhin von einer Reihe älterer Säugetiere ab- stammen und daß diese ,unsere Brüder' sind; die Physiologie beweist uns, daß die Tiere dieselben Nerven und Sinnesorgane haben wie wir; daß sie ebenso Lust und Schmerz empfinden wie wir." Zu den stärksten Seiten der Haeckelschen Ethik gehört auch die sittliche Bewertung des Natur- und Kunstgenusses, der Kulturerrungenschaften, der Familie, des Geschlechts- lebens und der Achtung vor der Frau. Auch in diesen Punkten ist sie der christlichen Ethik weit überlegen, die gerade hier höheren sittlichen Ansprüchen nicht genügt. Speziell was Haeckel über die ethische Bedeutung des Natur- und Kunstgenusses und über die Veredelung des Menschenwesens durch die Liebe zum anderen Ge- schlecht schreibt, beweist, wie befruchtend und veredelnd der Natu- ralismus auf die Ethik wirkt. Nur blinde Unwissenheit und fanatischer Haß erklären die heftigen Angriffe, die man gegen die ethischen Anschauungen Ernst Haeckels gerichtet hat. In Wirklickeit entspringen seine ethischen Lehren demselben glühenden Idealismus und Wahrheitsdrang, die den Zauber seiner Persönlichkeit ausmachen und die allein auch die gewaltige praktisch - ethische Wirkung erklären, die Haeckel als Mensch, Lehrer und Forscher auf die weitesten Kreise ausgeübt hat und noch ausübt. Eben diesem Idealismus und Wahrheitsdrange entspringen auch seine heftigen Angriffe gegen die christliche Ethik und Religion und gegen herrschende Vorurteile und Mißstände. Mannhaft und un- erschrocken hat Haeckel alte Götter und Götzen gestürzt, um freie Bahn für neue sittliche Ideale zu schaffen. Eben dieser hochsittliche Bekenner- mut hat ihm ungezählte Sympathien eingebracht und seinem Namen jenen Glanz verliehen, der ihn weit über seine Zeitgenossen hervorhebt. Was Haeckel über das Scheinchristentum, über den Papismus, über die sittliche Verlodderung und Verlogenheit der herrschenden Zu- stände geschrieben hat, setzt seinen ethischen Anschauungen allein schon ein ehrendes Denkmal. Die ganze ethische Bedeutung Haeckels wird aber den breiten Massen erst dann zum Bewußtsein kommen, wenn die herrschende Goethe m o d e oder besser Goethe prostitution einem wirklichen Goethe kult gewichen ist. Erst dann werden alle die Vorurteile gefallen sein, die heute noch weite Kreise gegen die wahre Bedeutung dieses unseres größten Zeitgenossen blind machen. 356 g§ggggg§gggg3g§^ggggggg§gB]B]E]gE]E]EjE]E]G]E]E]E]E]E]g]E]B]E]E]g]gE]E]E]G]E] IWAN BLOCH, CHARLOTTENBURG o o o Die Bedeutung Ernst Haeckels für die Entwicklungslehre und für die moderne Weltanschauung lernte ich zuerst, noch vor dem Studium seiner eigenen Werke, aus den Schriften zweier anderer großer Denker des 19. Jahrhunderts kennen, nämlich aus der berühm- ten „Geschichte des Materialismus" von Friedrich Albert Lange und aus dem klassischen „Lehrbuch der Anatomie" von Karl Gegenbaur, dessen Vorlesungen ich im Sommer und Winter 1892/93 hörte. Das Urteü dieser beiden durch umfassendes Wissen und besonnene Kritik gleich ausgezeichneten Forscher über den begeisterten Apostel Darwins, ihre rückhaltlose Anerkennung seiner genialen Entdeckun- gen, namentlich seines fundamentalen biogenetischen Grundgesetzes, machte damals einen tiefen Eindruck auf mich und steigerte nicht nur meine Empfänglichkeit für die alsbald mit Begeisterung auf- genommene Lektüre der einzelnen Schriften Haeckels (zuerst der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte", dann der „Anthropogenie", der „Generellen Morphologie", der „Populären Vorträge", später der „Welträtsel", „Lebens wunder" und der kleineren Einzelschriften), sondern bildete fortan die unerschütterliche Grundlage der Ver- ehrung seiner Großtaten gegenüber allen Anfeindungen und Ver- dächtigungen der Kritik. Diese Großtaten gipfeln in der einen und höchsten, daß Haeckel wie kein anderer in unserer Zeit den Kampf für eine einheitliche Welt- und Lebensanschauung aufge- nommen und mit einer bewunderungswürdigen Konsequenz durch- geführt hat. Er ist der Georgsritter, der den Drachen der „Zer- rissenheit" des modernen Menschen getötet, der alle dualistischen Uberlebsel vorwissenschaftlicher Kulturen als Hemmnisse des geistigen und sittlichen Fortschritts der Menschheit unerbittlich gebrandmarkt hat. Bei meinen Forschungen über das Sexualleben des Menschen war mir die Auffassung Haeckels über die körperlich-seelischen Elementar- phänomene der Liebe von größtem Werte. Er, der im zweiten Bande der „Anthropogenie" die gewaltige Macht des Eros in herrlichen Worten geschildert hat, hat in seiner Lehre vom „erotischen Chemo- tropismus" die durch die heutigen Forschungen über die innere 357 ggggggggggggE|E]E]E]E|E]ElE]E]B]E]E]BlE]E]E]E]E]ElE]E]E]E]E]E]l£]5]^]E195]3333333ö]3 Sekretion immer mehr zur Anerkennung gelangende wichtigste biologische Grundlage der Sexualwissenschaft geschaffen und den sexuellen Chemismus als „Urphänomen" der Liebe erkannt. Es war mir eine besondere Freude, in meiner in der ersten Sitzung der neugegründeten „Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft" ge- haltenen Eröffnungsrede (Februar 1913) auf die große Bedeutung der Forschungen Haeckels für die Sexualwissenschaft hinzuweisen und die schönen Worte vorzulesen, mit denen er diese erste Or- ganisation der wissenschaftlichen Sexualforschung begrüßte und so die letztere als neue vollwertige Disziplin der Naturwissenschaft an- erkannte. m ^n gggggggggggggggggggg]gG]gE]gE]ggG]gE]E]E]E]E]E]G]E]E]gE]EiE]gEjB]gE]E]E]EiEi 358 A. CARRARO, WIEN o o o Während meiner Studienzeit (bis 1881) an einer k. k. Lehrerbildungs- anstalt hatte ich nichts von Haeckel und seinen Werken gehört. Naturgeschichte war für mich damals ein zusammenhangloses Ge- misch verschwommener, nur Bestimmungszwecken dienender Syste- matik und ödester Morphologie; Biomechanik und Biologie waren uns allen spanische Dörfer. Dieses vollständig unorientierte Notizen- wissen, dieser bloße Gedächtnisballast befriedigte mich um so weniger, als ich seit meiner Kindheit ein reges Bedürfnis nach kausal gerich- tetem Naturverständnis hatte. Meine grüblerische Geistesrichtung suchte schon damals unbewußt in den Erfahrungswissenschaften nach dem Schlüssel zum Weltverstehen und zur Erkenntnis in den großen Menschheitsproblemen. Und so war ich in aller Stille ein Vertreter naturwissenschaft- lichen Denkens geworden. Da fand ich eines Tages in dem Heiß- hunger autodidaktischen Strebens in der Hand eines Freundes ein mir bisher fremdes Buch, die Welträtsel. Schon beim bloßen Blättern entdeckte ich darin eine neue Welt und es ist bezeichnend für meine damalige Geistesverfassung, daß ich gerade das XI. Kapitel, das von der Unsterblichkeit der Seele handelt, sofort mit heißen Augen verschlang. Die Lektüre dieses Kapitels übte auf mich eine unbeschreibliche Wirkung aus, es war mir, als wäre eine Zentnerlast von Brust und Gehirn genommen, es war ein Gefühl der Erlösung vom dumpfen Drucke dogmatischen Denkzwanges. Freier atmete ich auf, denn ich hatte gefunden, wonach ich so heiß begehrte: den Schlüssel zu einem naturwissenschaftlich begründeten, durch keinen Denkzwang getrübten oder gefälschten Weltbilde! Mit fieberhaftem Eifer studierte ich das ganze Werk und später alle übrigen Schriften Haeckels, und welches Problem ich auch studieren mochte, immer war ich von der Einheitlichkeit der darin geübten Forschungs- und Denkmethoden bis ins innerste ergriffen. Und so lernte ich mein früheres Lexikonwissen ordnen nach den großen Gesichtspunkten der Kausalität, nun erst wußte ich, was Naturwissenschaft ist. So wurde ich Schüler Haeckels und bin es all die Jahre her treu gewesen. 359 Von höchster Bedeutung aber schien mir in meinen weiteren Studien die Tatsache, daß sich der Entwicklungsgedanke und das Kausalitätsdenken auf alle Gebiete menschlichen Lebens und mensch- licher Forschung mit großem Nutzen anwenden ließen. Das habe ich ganz besonders auf meinem engeren Arbeitsgebiete, der Jugenderziehung, bestätigt gefunden. Ich erkannte, daß die Erziehungswissenschaft mit physischen und intellektuellen Ent- wicklungsgesetzen des Kindes rechnen muß und daß es sich bei Erziehungsproblemen und Unterrichtsmethoden um angewandte Naturwissenschaft handelt. Die Erziehungsziele konnten sich nunmehr nicht aus den Bedürfnissen engherziger Kirchen- oder kurz- sichtiger Staatsgedanken ergeben, sondern mußten geschöpft werden aus den Bedürfnissen wahrer Menschlichkeit. Ich bekenne freudig, daß Haeckel auch auf dem Gebiete der Ethik subjektiv und objektiv mein Lehrer war. Daß sich seine erzieherische Kraft auf einen großen Teil der Lehrerschaft aller Grade erstreckt hat, ist aus den die ganze päda- gogische Welt erfüllenden Reformbestrebungen zu ersehen: Phy- siologie, Psychologie, Ethik und alle anderen pädagogischen Teil- wissenschaften stehen heute dank Haeckels und seiner Schule unter dem Einflüsse naturwissenschaftlich gerichteter Denkweise. Da müßte man denn erwarten, daß unsere Schulbehörden und unsere Gesetzgebung der Pflege des Entwicklungsgedankens und der modernen Denkweise auf dem Gebiete der Lehrerbildung die größte Aufmerksamkeit und Förderung zuteil werden lassen? Trotz- dem das ganze praktische Leben unter dem befruchtenden Einflüsse der Erfahrungswissenschaften steht, ist in unseren Elementar- und Mittelschulender Entwicklungsgedanke offiziell nicht anerkannt. Hat man einstens dem Lehramtszöglinge die Namen und Werke Lamarcks, Darwins und Haeckels bloß vornehm verschwiegen, so ist man heute unter dem Einflüsse klerikaler Behörden niederen und höheren Grades daran, diese Bildungsquellen zu verfälschen und so erfahren die jungen Leute von obgenannten Männern oft nicht mehr, als daß sie „Gottesleugner" waren, deren Schriften ohne Erlaubnis des geistlichen Beraters, Beichtvaters etc. nicht gelesen werden dürfen. Nebenbei bemüht man sich durch die Art der Unterrichts- erteüung und der Lehrbücher, den jungen Leuten womöglich das 360 Studium der Naturwissenschaft systematisch zu verekeln. (Siehe Keplerbundschrif ten. ) So ist denn der Lehrernachwuchs (wenigstens in Österreich), wenn er sich überhaupt den geistlichen und geistigen Fesseln zu entringen vermag, auf die seinem Privatfleiß zufällig unterkommenden Bildungs- quellen angewiesen. Esisteines der Haupt verdiensteunseresli eben Haeckel, daß diese Bildungsquellen in Form gemeinverständlicher Schriften und Vorträge heute so reichlich sprudeln, daß sich die jungen Geister daran trotz aller Gewaltstreiche einer uner- müdlichen Reaktion immer wieder erquicken und aufrichten können. Da stehen sie in meinem Bücherschrank, die lieben und ver- trauten Freunde aus Haeckels Feder und immer, wenn ich sie um Rat frage, schenken sie mir Stunden der Erkenntnis, der Weihe und Andacht, begeistern mich zur Tat, machen mich besser und glück- licher, und lassen mich erkennen, daß dieses angeblich gottgewollte irdische Jammertal zum Freudental der ganzen Menschheit werden kann. Aus Haeckels Leben und Werken gewann ich die Tatkraft und Arbeitsfreudigkeit, die mithelfen will, das Leben persönlich und sozial glücklich zu machen. Daß ich Gutes, Wahres und Schönes erlebt habe und es mit meinen kleinen Kräften in einem kleinen Wirkungskreise weitergeben und weitererwecken darf, das verdanke ich Haeckel. 333333333 33 E] 33333333333333 3 333333333333313)333333 33333 36l JAKOB KOLTAN, HEIDELBERG o o o Nach Absolvierung meines Studiums an einer Universität in Rußland habe ich mich einige Jahre mit chemischer Praxis beschäftigt. Der Drang zu wissenschaftlichen Verallgemeinerungen, der ja sehr verbreitet ist, zwang mich zur Ausbildung einer Welt- anschauung, die auf meinen dürftigen Kenntnissen in Chemie, Physik und Biologie gegründet war. Eine allgemeine philosophische Bildung konnte ich mir nicht erwerben, schon aus dem Grunde, weil es in Rußland keine philosophischen Fakultäten gibt. Allerdings war ich im „Darwinismus" so weit beschlagen, daß ich mir bei meinen Kollegen den Scherznamen ,,Der Darwinist" zugezogen hatte. Dabei muß ich hinzufügen, daß ich Darwin lange nicht in allen Punkten zugestimmt hatte. Skeptiker, wie ich einmal bin, habe ich aber auch mir selbst in philosophischen Dingen wenig zugetraut, ich habe vielmehr an- genommen, daß andere ihre Weltanschauung wohl viel feiner und schöner ausgebaut haben mögen als ich. Daher beschloß ich, bei günstiger Gelegenheit im Auslande Philosophie zu studieren. Diese Gelegenheit bot sich mir im Jahre 1899, als ich mich an der Universität Zürich immatrikulieren ließ. Hier habe ich haupt- sächlich die philosophischen Disziplinen in den Bereich meiner Studien gezogen. Nebenbei habe ich aber die , »akademische Freiheit" dazu benutzt, auch viele andere „Fächer" zu hören. Endlich an einem schönen Tage fühle ich mich „soweit reif", um an eine „Doktor- Dissertation" zu denken. Mein hochverehrter Lehrer (ein hervor- ragender Psychologe) gab mir entsprechend meiner naturwissen- schaftlichen Vorbildung eine Arbeit in der modernen Naturphüosophie, wobei er mich besonders auf die Werke von Haeckel, Reinke, Mach und Ostwald verwies. Nun machte ich mich an die Arbeit und begann natürlich mit dem altern Naturphilosophen, mit Haeckel. Eine „wichtige Tatsache" war mir dabei von vornherein bekannt: mein Lehrer war ein erbitterter Gegner Haeckels, den er als „oberfläch- lichen Denker" titulierte, weshalb er sich mit seinen Werken gar nicht beschäftigen wollte; er urteilte über Haeckel mehr vom „Hörensagen". Der Wahrheit halber muß ich aber hinzufügen, daß lange nicht alle Philosophieprofessoren über Haeckel so „oberflächlich" urteilen. SSg]ggE]§]gggggggggB]gggggE]gggB]ggggggggE]B]5iB]E]EjE]G]B]B]E]!£]S]E]E]5]E] 362 gggggggggggggggggE]E]B]E3E]E]E]E]5]G]E]E]B]E]ElEJB]E]ElE]E]ElE]E]E]E]E]gE]E]E]E]B]B]g Denn der zweite Professor (der in Zürich nur kurze Zeit dozierte und jetzt in Deutschland wirkt) hat in unseren philosophischen Übungen über „Spinozas Ethik" mehrmals „Haeckels Welträtsel" zitiert mit der offenen und mutigen Bemerkung: „Bei Haeckel kann man immer noch etwas lernen." Nun faßte ich aber die Sache und meine Aufgabe mit der „denk- würdigen Dissertation" ganz anders auf, als mein hochgeschätzter Lehrer. Ich wollte nämlich nicht bloß über die erwähnten Natur- philosophen kurz referieren, sie mit scharfen Bemerkungen abtun, um meine „philosophische Überlegenheit und Reife zur Doktorwürde" zu beweisen; es war mir vielmehr darum zu tun, die Problem- lösungen gründlich zu untersuchen. Dann hat sich aber herausgestellt, daß meine Abhandlung über Haeckel allein zu einer stattlichen Dissertation herangewachsen war. Es hat sich aber noch mehr ergeben, daß ich nämlich in vielen Fragen meinem Lehrer direkt widersprechen mußte. So z. B. in der Frage des „Unbewußt- Psychischen", wo er ganz rationalistisch befangen und einseitig war. Die einzige Konzession, die ich ihm machte, war die, daß ich gegen Haeckels Naturphüosophie mehr formale Einwendungen erhob, als es mir lieb gewesen wäre, weil ich sonst auf formale Fehler kein großes Gewicht lege. Dagegen in prinzipiellen Fragen stimmte ich Haeckel meist zu. Über die Ergebnisse meiner Untersuchungen machte ich meinem Lehrer Mitteilung. Natürlich sah er sich ge- zwungen, mir zu sagen, daß er meine Begründung prüfen müsse. Nachdem er meine Begründung (durch eine Stichprobe!) geprüft hatte, gab er mir zu verstehen, daß er wegen einer Arbeit über Haeckel allein (!) und noch einer für diesen günstigen (!) keine „Doktorwürde" zusprechen könne, daß er nur eine Abhandlung über weitere Natur- philosophen einer ernsten Prüfung zu unterziehen bereit sei. Um meinen Überzeugungen und denen meiner Examinatoren keinen Zwang anzu- tun, habe ich beschlossen, auf die „Gloriole des hohen Doktorhutes" zu verzichten, zumal es mir nicht um den Titel, sondern um die Wissen- schaft zu tun war. Der Gerechtigkeit wegen sei noch bemerkt, daß dieser „Doktorstreit" nichts mit der „akademischen Freiheit" speziell an der Universität Zürich zu tun hat. Mein Opponent ist auch kein Schweizer und er doziert jetzt in Deutschland, wo die „Haeckel-Gegner" noch immer mehr Aussicht auf Erfolg haben als die „Haeckel-Jünger". 363 gggggS33SS33EIS3SSE]E]gE]E]gE]E]gE]ElE]E]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]B]E]E]E]B]E]B]E]G]B]E] Und nun der Ertrag meiner Studien der Haeckelschen Schriften, besonders der „Welträtsel" und , .Lebenswunder". Es ist mir freilich unmöglich, sie genau zu bestimmen, zumal ich mich gleichzeitig mit allen möglichen Studien befaßt hatte. Jedenfalls waren die Anregungen Haeckels mitbestimmend für meine Stellungnahme und Entscheidung in einigen grundlegenden und wichtigen Fragen, die ich nachstehend kurz andeuten möchte. i. Das Substanzproblem. Als Jünger der Naturforschung war ich natürlich zunächst geneigt, mich mit den Begriffen „Materie oder Energie als Weltbegriff" zu begnügen. Das habe ich auch getan, indem ich in meiner früheren „ureigenen Weltanschauung" selbst die geistigen Erscheinungen einfach als Funktionen bzw. Trans- formationen der Materie oder Energie betrachtete. Allein meine Be- schäftigung mit der modernen Psychologie hat mich überzeugt, daß diese Lösung in ihrer primitiven Form unzulänglich ist. Der „psychophysische Parallelismus", der seit Fechner und Wundt in der empirischen oder besser physiologischen Psychologie vorherrschend ist und der mich zuerst als philosophische Spitzfindigkeit anmutete, zog mich mehr und mehr an, besonders als ich seine ganze Tragweite erkannte. Das war eben der erste Anstoß und Grund, warum ich Spinozas bzw. Haeckels Substanz- und Attributenlehre im Prinzip als annehmbar anerkannte. Freilich die Begründung der Substanz- lehre läßt sich noch vervollkommnen. In einem Aufsatz „Ansichten der Chemie und Physik und Monergie als Weltbegriff" (Neue Welt- anschauung Heft g, 1912) habe ich den Versuch gemacht, die Be- gründung der Substanzlehre weiter zu entwickeln. Ich beabsichtige, bei späterer Gelegenheit diese Lehre ausführlicher zu erläutern und zu begründen. Vorderhand kann ich nur auf jenen Aufsatz verweisen, und auf meine Schriften: „E. Haeckels monistische Weltansicht (besonders die Dreiattributenlehre) und J. Reinkes dualistische Weltansicht (besonders Deutung des psychophysischen Parallelismus). 2. Das Unbewußt-Psychische. Wie jedem „naiven" Natur- forscher und manchem „kritischen" Philosophen schien mir zuerst der Begriff des „Unbewußt-Psychischen" als Widersinn oder Wider- spruch (contradictio in adjecto). Allein mein Studium der Psycho- logie, besonders der Gedächtniserscheinungen hat mich zur Über- zeugung geführt, daß die Annahme des „Unbewußt-Psychischen" 364 geradezu eine Selbstverständlichkeit ist. Es hat mich daher ge- wundert, daß es solche kurzsichtige Psychologen gibt (darunter mein sonst so begabter Lehrer), die dies nicht einsehen und begreifen können. Ich war infolgedessen froh, daß ich in dieser Frage mit einem so hervorragenden Mann wie Haeckel einig war, d. h. daß ich ihn auf meiner Seite hatte. Jetzt gibt es aber unter den Philosophen gar viele Anhänger des „Unbewußten", während die „kritischen" Psychologen sich mit dem Begriff des — „Unterbewußten oder Unterbewußtseins" zu behelfen wissen. (Vgl. meine Haeckel- Schrift, Kapitel 10). 3. Die Entropielehre. Haeckel hat in den ersten Auflagen seiner „Welträtsel" die Gültigkeit des Entropiesatzes für das Weltall sehr eingeschränkt, er hat sich dabei aber „physikalisch" nicht ganz richtig ausgedrückt. Darob wurde er von vielen „berühmten, aber frommen und kurzsichtigen" Physikern heftig angegriffen. Ich habe in meiner obigen Haeckel-Schrift auf die Mißverständlichkeit mancher physikalischer Ausdrücke hingewiesen, in der Sache aber mit Grund- angabe Haeckel zugestimmt. Gegenwärtig haben solche bedeutende Physiker wie Felix Auerbach in Jena (Ektropielehre) und Svante Arrhenius in Stockholm die Einschränkung des Entropiesatzes bzw. das Freiwerden der gebundenen oder entwerteten Energie mit aller Entschiedenheit postuliert (Kreislauf der Energie). Der „Dile- ttant" Haeckel hat also richtig gesehen, und ich habe ihm also mit gutem Grund zugestimmt. Die Frage ist bekanntlich von großer Tragweite ! 4. Das biogenetische Grundgesetz. In der Entwicklungs- lehre habe ich allerdings nicht in allen Punkten Haeckel zustimmten können. Ich habe in meiner Haeckel-Schrift wenigstens auf die Möglichkeit mehrfacher Entwicklungsreihen (Polygenesis und Poly- transformation) hingewiesen. Dagegen habe ich die Annehmbarkeit und Brauchbarkeit des „biogenetischen Grundgesetzes" schon damals erkannt und anerkannt. Dieses Gesetz sollte mir in der Folge noch einen merkwürdigen Dienst leisten. An der Universität Basel habe ich mich nämlich auch mit theologischen Studien befaßt. Bei meiner Lektüre der Religionsgeschichte ist mir der Entwicklungsgang der Ereignisse besonders aufgefallen. Das biogenetische Grund- gesetz, das im Dunkel meines Unbewußt-Psychischen oder Unter- gg§gggggggggggggg§ggggggE]G]G]E]EiE]E]EiE]gE]EiH]E]EjE]E]EiE|E]E!E]E]EiE!EiE]E] 365 |ggggggggggggggggE]E]E|E]E]E]E]BlE]E]E]E]5]&jE]EjS3B]S]E]E]E]E]Ei3S35]^1335]5l33El bewußteins schlummerte, hat bei seinem Erwachen die ganze Situation in helles Licht gerückt. Ich habe nämlich bereits im Jahre 1909 die Gültigkeit des biologischen Prinzips für die gesamte Kultur erkannt. Doch haben die Umstände mir nicht erlaubt, mit der Be- gründung dieser Gesetzmäßigkeit mich ausführlich und genauer zu befassen. Erst in den nächstfolgenden Jahren (in Straßburg und Heidelberg) habe ich mich mit der Sache weiter beschäftigen können. Leider ist es mir noch nicht möglich gewesen, mein ganzes Material zu veröffentlichen. Daher habe ich beschlossen, zum 80. Geburtstag unseres hochverehrten Altmeisters und Führers wenigstens die Er- gebnisse meiner Untersuchungen in kurzen Zügen zusammenzufassen. Ich habe sie in einer Abhandlung — „Gesetz und Ordnung in der Kulturentwicklung" — an den hochverdienten Jubüar gerichtet, der sie freundlich anerkannt und angenommen hat. Sie zerfällt in zwei Teile: 1. Das psychogenetische Kulturgesetz und 2. das natür- liche periodische System der Idealkulturphasen. Überblicke ich das Gesamtergebnis meiner philosophischen und naturphilosophischen Studien, so muß ich feststellen, daß ich die meisten positiven Anregungen von Ernst Haeckel erhalten habe, während die anderen Denker mich gar oft so „belehrt" haben, „wie man nicht denken soll". Diese negative Lehre muß ich allerdings ebenfalls mir auf das Pluskonto setzen, daher liebe ich auch meine ehrlichen Gegner. Schon aus meinen kurzen Darlegungen geht deutlich hervor, daß Haeckel fast auf allen Wissensgebieten schöpfe- risch und anregend gewirkt hat. Die Wissensgebiete sind jetzt aber so ausgedehnt und zahlreich, daß ein Universalgenie entweder un- möglich ist oder er notwendig ein „Dilettant" sein muß. Ein solches Universalgenie ohne Fachdünkel ist Haeckel. Ich bin der Ansicht, daß Ernst Haeckels Lebenswerk ein Markstein und Wendepunkt in der Kulturentwicklung darstellt und daß wir mit ihm in eine neue Epoche, in die wissenschaftliche Kulturphase eingetreten sind oder einzutreten beginnen. 366 WILHELM SCHALLMAYER, KRAILLING-PLANEGG : ERNST HAECKEL UND DIE EUGENIK o o o Die Anwendung der Gesichtspunkte der Entwicklungslehre auch auf das Menschengeschlecht war so unvermeidlich, daß selbst Darwin trotz seiner Scheu vor der öffentlichen Behandlung dieser Seite seiner Lehre — eine Scheu, die nach Lage der Dinge nichts weniger als unbegreiflich war — sich dieser Konsequenz nicht ent- ziehen konnte. Um die zu erwartende Gegnerschaft gegen seine Entwicklungslehre so wenig wie möglich herauszufordern, fand er es gut, in seinem 1859 erschienenen Grundwerk „Über die Entstehung der Arten" dieser Konsequenz nur durch die kurze Bemerkung Rechnung zu tragen: „Viel Licht mag auch noch über den Ursprung des Menschen und seine Geschichte verbreitet werden". Erst viel später, 1871, nachdem seine Theorie in so gewaltigem Maße Beachtung gefunden hatte, daß sie nicht mehr unterdrückt werden konnte, ver- öffentlichte er seine „Abstammung des Menschen". Sein Freund Ernst Haeckel war in dieser Hinsicht etwas anders geartet. Seiner Siegfriednatur war vorsichtige Zurückhaltung schlecht- hin fremd, und niemals trug er das geringste Bedenken, sich vor der Öffentlichkeit zu jeder seiner Anschauungen auf das freimütigste zu bekennen, ohne irgendeine Rücksicht auf die öffentliche Meinung oder gar auf eine Gefährdung seiner persönlichen Interessen. Der Universität Jena und der Regierung des Großherzogtums Sachsen- Weimar gebührt Ruhm und Ehre für die Duldsamkeit, die sie sich gegenüber diesem unbändigem Feuerkopf abrangen. An den meisten anderen deutschen Universitäten wäre damals für einen Haeckel schwerlich ein Platz gewesen. Später allerdings erhielt Haeckel sogar einen Ruf an die Universität Berlin, aber er hatte mehr als nur einen Grund, ihn abzulehnen und Jena treu zu bleiben, unter anderen auch den der Dankbarkeit für die Duldung, die dort in kritischer Zeit von maßgebender Stelle gegen ihn geübt worden war. Damals wußte Jena schon, was es an Haeckel hatte, und noch mehr weiß das heutige Jena, wie viel es seinem Haeckel verdankt. Eine Zeit lang aber war er ernst- lich in Gefahr gewesen, diese seine Freistätte zu verlieren, wie er während eines mehrstündigen Spazierganges, den der Schreiber dieser 3gs]gEjg3ggg^ggggggggggggggggggggE]E]E]E]E]E]B]E]E]ElB]E]E]ElE]E]E]E]E]E]Bi 367 jg^E]gggggggggggE]ggggB]ggggE]E]E]EiB]E]ElE]B]E]E]E]B]E]E]E]E]E]EjE]E]B]B]E]E]E]El^ Zeilen mit ihm und Professor H. E. Ziegler im Jahre 1903 in Jenas Umgebung machen durfte, uns erzählte. Der Freimut seiner Vor- lesungen schien der Aufsichtsbehörde der Universität Jena einmal das zulässige Maß allzusehr zu überschreiten; vergeblich wurden ihm amtliche Vorhaltungen darüber gemacht. Schließlich siegte, wieHaeckel erzählte, die ihm gegenüber offen ausgesprochene Erwägung, daß er ja in dem kleinen Jena nur weniger Schaden stifte als anderswo. Wie vor keiner anderen Konsequenz der Entwicklungslehre scheute Haeckel also auch nicht davor zurück, sie auch auf die Ent- wicklungsgeschichte der Menschheit anzuwenden und aus ihr Schlüsse auf die Zukunft der Menschheit zu ziehen; auch der Grundgedanke der Eugenik, daß die Erkenntnisse der Entwicklungslehre auch prak- tisch nutzbar gemacht werden können und müssen, indem wir eine solche Gestaltung unserer sozialen Zustände und unserer Kultur über- haupt zu erstreben haben, daß mindestens eine Rasse Verschlechte- rung verhindert und allmählich auch eine Rasse besser ung erzielt wird, ist in Haeckels Schriften schon frühzeitig mehrfach angedeutet. An der späteren Entwicklung des neuen Wissenschaftszweiges der Rassehygiene oder Volkseugenik und der auf Rassedienst gerichteten Bewegung ist Haeckel ebenfalls beteiligt, indirekt und direkt. Auf dem Spaziergang, von dem oben die Rede war, und der, wie beiläufig bemerkt werden mag, eine gute Gelegenheit mit sich brachte, uns auch über die ungewöhnliche körperliche Rüstigkeit des damals nahezu Siebzigjährigen zu freuen, erzählte er auch, daß er die uner- wartet große Wirkung der „Welträtsel" auch noch auf andere Weise zu spüren bekommen habe, als nur durch den riesigen Absatz des Buches. Bis zum Erscheinen der „Welträtsel" hatte seine überaus starke Menschenfreundlichkeit ihn stets dazu bestimmt, jede aus ernst- haftem Interesse an seinen Publikationen hervorgegangene höfliche Zuschrift zu beantworten. Nach dem Erscheinen der „Welträtsel" aber wurde das sehr bald schlechterdings unmöglich, so riesig schwoll die Menge solcher — und zumteil auch ganz anderer — Zuschriften an, und diese Hochflut hatte sich damals noch nicht ermäßigt. Aber auch mündlich wandten sich so viele wissenschaftlich Interessierte an ihn, daß ich die ersten Worte, die ich aus seinem Mund zu hören be- kam, nur allzu begreiflich finde. Zunächst wirkten sie allerdings etwas verblüffend auf mich. Jch war brieflich zu ihm geladen, hatte mich jgggggggggggggggggggE]ggggggEiE]E]E]gE]E]E]G]E]E]G]E]E]E]GiE3E]E]E]E]E]E]E3B]E] 368 BjgB]gagggEjB]gEiggggE]ggggggggggE]gggE]E]GjE]E]E]B]E]EiE]E]G3E3E]E]E]E]p]E]E]E] o w ■3 < 55 < * c •53 3 E » d o > a >> 5 s Q 24 Haeckel-Festschrift. Bd. II 3^9 igggg§]gE]B]gggggsggggggggB]ggggE]gE]gE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]EiEiEiE]gE]E]EiE] zur bestimmten Stunde im Zoologischen Institut in Jena eingestellt und ließ mich zu Professor Haeckel führen. Als ich schon eingetreten war, sah ich ihn noch beschäftigt. Das veranlaßte mich, den Wunsch auszusprechen, daß ich ihn nicht allzusehr in seiner Arbeit störe, worauf ich die Antwort erhielt: „Mich stört man ja immer in der Arbeit, das bin ich schon gewöhnt." Unter den durch Haeckels Schriften Angeregten war auch der, einige Monate vor meinem Be- such bei Haeckel aus dem Leben geschiedene größte Industrielle Deutschlands gewesen, Alfred Krupp, der auch sonst sehr starke wissenschaftliche Interessen hegte, obschon ihn die Öffentlichkeit von dieser Seite wohl nur wenig kennt. Als Krupp den Entschluß faßte, dieses Interesse auch durch eine Preisstiftung zu betätigen, bat er, da er selbst zunächst ungenannt bleiben wollte, Professor Haeckel, die Sache zu übernehmen. Das Thema, dessen Bearbeitung er durch ganz ungewöhnlich hohe Preise zu fördern wünschte, lautete: „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie für die innerpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?" Das Ausschreiben dieses Themas war von „Erläuterungen" begleitet, die der Stifter selbst verfaßt und mit seinen wissenschaftlichen Freunden beraten hatte. Unterzeichnet war die Veröffentlichung an erster Stelle von Prof. E. Haeckel, außerdem von den Professoren J. Conrad in Halle und E. Fraas in Stuttgart. Der erste von den ausgesetzten Preisen wurde einer Schrift erteilt, welche die obige Frage hauptsächlich im Sinne des Rassedienstes beantwortete. Dieses Ergebnis der Preis- stiftung hat zur Verbreitung des Ideals des Rassedienstes, die bei uns gerade seit diesem Zeitpunkt ausnehmend rasche Fortschritte ge- macht hat, sicherlich sehr viel beigetragen. War es doch zuvor fast unmöglich, bei uns einen angesehenen Verleger für eine Schrift mit einem derartigen Inhalt zu finden. Das hatte der Verfasser dieser Zeilen zur Genüge erfahren, als er im Jahre 1886 seine erste rasse- hygienische Schrift „Über die drohende körperliche Entartung der Kulturvölker" geschrieben hatte. Erst fünf Jahre später gelang es, sie zu veröffentlichen, aber auch dann nur unter finanzieller Sicher- stellung des Verlegers auf Kosten des Verfassers. Daß jene rassehygienische Bearbeitung der Preisfrage zur Aus- führung kam, dazu hat Haeckel noch in besonderer Weise beigetragen. Die schon erwähnten „Erläuterungen", die der Preisfrage beigegeben 370 ]ggB]gggg^B]g§ggggggggggggB]B]E]E]E]B]E]E]E]E]E]B]G3E]E]E]G]E]E]E]E]E]E]E]E]EJG]E]E3 waren, schienen nämlich eine Beantwortung der Frage hauptsächlich im Sinn des Rassedienstes aussichtslos zu machen, so daß eine der- artige Bearbeitung ganz gewiß unterblieben wäre, wenn nicht Profes- sor Haeckel auf eine dieses Bedenken betreffende Anfrage, die ihr Verfasser vor Beginn seiner Arbeit an ihn richten ließ, weitherzig und ermunternd geantwortet hätte. Auch nachher hat Prof. Haeckel den mit Hilfe jener Stiftung ver- öffentlichten Schriften so viel Wert beigemessen, daß nach seiner Absicht der von ihm ins Leben gerufene Monistenbund „gewisser- maßen die Stelle werden sollte, welche die Gedanken der in dem Sam- melwerk, Natur und Staat' vereinigten Preisschriften nun weiteren Kreisen zugänglich machen und weitere Arbeiten dieser Art anregen sollte." F. Siebert, der erste Vorsitzende des deutschen Monisten- bundes direkt nach seiner Gründung, der im ,, Volkserzieher" vom 28. September 1913 in dem Artikel ,, Der Monistenbund" diese Mittei- lung macht, bekennt sich auch seinerseits zu der Meinung, daß so ein geeigneter Boden zu aufbauender Arbeit schon vorhanden ge- wesen wäre, indem man, wie es besonders in der ersten Preisschrift geschehen war, die Folgerungen zog, die sich aus der Entwicklungs- lehre für die zukünftige Gestaltung unseres Lebens ergeben. Diese Auffassung ist nun freilich nachher im Monistenbund nur sehr wenig zur Verwirklichung gelangt, weil eben die Tätigkeit eines derartigen Bundes weit weniger von den Grundsätzen und Idealen bestimmt wird, die zu seiner Gründung führten, als vielmehr von den Ideen und Bestrebungen der jeweils an der Spitze stehenden Personen. Der Glanz, von dem der Name Ernst Haeckel umstrahlt ist, hat viel stärkere Quellen. Vor allem sind ja seine fachwissenschaftlichen Lei- stungen in der Zoologie und Biologie so groß, daß seinem Namen wohl niemals ein hervorragender Platz in der Geschichte der Wissenschaften bestritten werden wird, es sei denn, daß einmal jene Mächte, die nur eine ihren Interessen dienende Wissenschaft als wahre Wissenschaft gelten lassen und in der freien Forschung ein Übel sehen, in der ganzen Menschheit zum Siege gelangen. Gerade gegen diese Mächte war ja Haeckel ein so erfolgreicher Kämpfer wie nur sehr wenige. Er hat auch außerhalb seines Fachkreises die Anschauungen der Gebildeten in außerordentlichem Umfang beeinflußt. In den tonangebenden Kreisen wird freilich die Popularisierung von Forschungsergebnissen, i3S§g0gggggggE]gE]ggggggBjgggggggE]ElE]E]E]E]E]B]E]E]B]ElB]BlG]E]E]B]E]E]E]EIE3 371 ggggggggggggggEJE]E|E]EJB]E]B]E]E]E]E]B]E]EIE]E]E]E]E]E]E]E]E]5]5]35is]33s]El§]3S§]5l soweit sie geeignet sind, die Weltanschauung und Lebensauffassung in nicht orthodoxem Sinn zu beeinflussen, vorherrschend mißbilligt. Aber um derartige geheimrätliche Grundsätze hat sich Haeckel sein Leben lang wenig gekümmert. Unabhängigkeitssinn war von Anfang an einer seiner ausgeprägtesten Züge. Es entsprach seiner Natur, rückhaltlos für das einzutreten, was er als wahr erkannt hatte. Stets galt ihm Erkenntnis bedingungslos als ein Gut, an dem die ganze Mit- und Nachwelt nach Möglichkeit teilzunehmen ein Recht hat. So hat Haeckel sich nicht damit begnügt, ein großer Forscher zu sein, er verwendete seine Kräfte nicht weniger auf weiteste Verbreitung seiner Erkenntnisse und war auch hierhin wieder besonders erfolg- reich. Wie groß der Einfluß war, den allein die unerhörte Verbreitung der „Welträtsel" auf das geistige Leben unserer Zeit in allen Kultur- ländern hatte, ist kaum zu ermessen; das aber läßt sich sagen, daß wohl selten einem Buch wissenschaftlichen Inhaltes eine so ausge- dehnte und starke Wirkung beschieden war. In seinen jüngeren Jahren ein unermüdlicher Sucher und genialer Finder überaus bedeutungsvoller Erkenntnisse, am Abend seines Lebens ein von ungezählten Tausenden verehrter Verkünder des von ihm Erkannten, so darf Haeckel wahrlich mit Befriedigung auf sein an Arbeit, Erfolgen und Verdiensten so reiches Leben zurückblicken, wie es unter vielen Millionen kaum einer mit so gutem Rechte tun kann. In einem Punkt, der zu den glänzendsten im Charakterbild Haeckels gehört, sollte jeder den Glauben, den Mut und den Willen haben, ihm gleichzukommen: Haeckel war zeitlebens ein leuchtendes Beispiel unbeugsamen Wahrheitsmutes. An solchen Charakteren herrscht leider niemals Überfluß, und unsere Zeit bedarf ihrer dringend. Wenn Haeckel in diesem Punkt recht vielen zum Vorbild wird, so gehört das zum Wertvollsten von dem vielen, was die Menschheit ihm verdankt. *gggggggBjgggggggggggE]gggggggE]E]E]ElE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]ElE]B]B]E]E]E]EIE]E]g 372 3SS3EIS3§13S^^33SlSE]g]3S3SgggE]E]E]E]E]B]B]E]B]gE]B]B]E]G]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E] W. O. FOCKE, BREMEN o o o Kennen gelernt habe ich Ernst Haeckel im Oktober 1855 zu Würz- burg im „Roten Ochsen", wo wir, jeder mit seinem Freundes- kreise, zu Mittag zu speisen pflegten. Während zweier Semester begegneten wir uns auch in Vorlesungen und bei sonstigen Anlässen nicht selten, doch blieb unser Verkehr ein gelegentlicher und ober- flächlicher. Als ich dann aber zu Anfang Mai 1857 m Wien eintraf, fand ich Haeckel dort vor und wurde von ihm sehr freundlich auf- genommen. Aus seinen anfangs ziemlich bunt gemischten Bekannten- gruppen sonderte sich bald eine kleine Zahl von Nordländern heraus, lauter Medizinern, die auch naturwissenschaftliche Interessen pflegten. Außer einem ehemaligen Schulgefährten Haeckels, dem Dichtersohne Adalbert Chamisso, gehörten der Zoologe Harald Krabbe aus Kopen- hagen und ein junger schottischer Arzt namens Cowan unserem Kreise an. An den gewöhnlichen Wochentagen besuchten wir fleißig Krankenhäuser und medizinische Vorlesungen, aber nicht nur Sonn- tags, sondern auch Sonnabends waren wir frei, und außerdem gab es zu Anfang des Sommers zahlreiche kirchliche Feiertage. Wir teilten unsere Zeit zwischen ernsten Studien und heiteren, mehr oder weniger naturgeschichtlichen Ausflügen. Als ich am 1. Mai in Wien anlangte, lagen die dicht belaubten und im Anfang der Blütezeit stehenden Kastanienalleen des damals noch recht breiten Glacis unter einer wuchtigen Schneedecke, und die Höhen des Wiener Waldes blickten weiß verschneit zur Stadt herüber. Das junge Buchenlaub war erfroren, aber auf den kalten, winterlichen Gruß folgte ein unge- wöhnlich warmer und fast regenloser Sommer, der unsere Wander- pläne kaum jemals störte. Die zahlreichen arbeitsfreien Tage be- nutzten wir zu Ausflügen in die schönen Umgebungen Wiens, in die wir Budapest und den Neusiedler See, Laxenburg und den Semmering mit der Raxalp einbezogen. Überwiegend war bei uns, und auch bei Haeckel, die Freude an der schönen Natur, insbesondere an der reichen Flora, vertreten, doch ließen uns unsere Zoologen auch an mancherlei Beobachtungen über Tiere, namentlich über Insekten, teilnehmen. An unseren gemeinsamen Verkehr gewöhnten wir uns bald so sehr, daß wir auch an den Arbeitstagen zur Mittagsstunde 373 Ejggggg]E]gggggggE]ggggggggggS]E]E]E]S]E]BJE]E]E]B]E]B]B]BlE]E]E]E]E]E]G]B]B]E]BlE] und am Abend fast regelmäßig zusammentrafen. Volksleben und Ungarwein sowie die Schätze der Kunst haben wir damals genügend gewürdigt; nur der Verkehr mit der holden Weiblichkeit Wiens kam bei unsern vielseitigen Bestrebungen etwas zu kurz. So mannigfaltig auch die Tatsachen und Beobachtungen waren, die Haeckel und ich auf unsern Ausflügen austauschten, so entsinne ich mich doch aus jenen Wiener Tagen nur einer einzigen kurzen Aussprache, in der wir unsere naturwissenschaftlichen Grundanschau- ungen berührten. Es war die Zeit, in der Wallace und Darwin den Sauerteig ihrer entwicklungsgeschichtlichen Ideen noch nicht in die reichhaltige Tatsachensammlung der Zoologie und Botanik hinein- geworfen hatten. Wohl gab es manche Forscher — ich nenne nur Lyell, Weddell und Naudin — die nicht an die Spezies der Cuvierschen Lehre glaubten, aber keiner von ihnen überblickte ein hinreichend weites Gebiet, um die herrschenden Schulmeinungen ernstlich be- kämpfen zu können. Frei von dem Zwange kirchlicher Dogmen, suchte auch ich eifrig nach Beweisen für die Wandelbarkeit der organischen Arten und glaubte sie damals besonders bei Rubus, bei Lotus, in der Gruppe der Silene inflata und in ähnlichen Fällen zu finden. Eines Tages stellte mich nun Haeckel ernstlich zur Rede wegen meiner zwecklosen Beschäftigung mit gleichgültigen Abarten und „schlechten" Arten. Ich hatte vor kurzem auf einem Ausfluge eine gute Saxifraga verkannt, was Haeckel als eine Folge meiner törichten Liebhaberei für die „Varietäten" auffaßte. Auf seine Frage, was ich damit bezwecke, erwiderte ich, daß ich in solchen Abände- rungen beginnende neue Arten vermute. Haeckel meinte darauf, eine solche Anschauungsweise sei zwar verständlich, aber er halte sie ent- schieden für unrecht; er wolle den Lehren seines alten würdigen Geistlichen treu bleiben, nach welchem die wirklichen Arten unver- änderlich und einstmals selbständig erschaffen seien. Ich war über- rascht von diesen Ansichten meines sonst so vorurteilsfreien Freundes, ahnte aber nicht, daß bei ihm schon so bald der amicus Plato durch die magis amica veritas in den Hintergrund gedrängt werden würde. Als ich zu Anfang 1858 für einige Monate nach Berlin kam, traf ich dort Haeckel im Elternhause und kurz vor Beendigung seines medizinischen Staatsexamens an. Unter diesen Verhältnissen sahen wir uns seltener, doch konnte ich damals meine Stellung als Mediziner gggEjgggg]gggE]gggggg]gggggB]E]ggggggggE]E]E]E]E]E)EiE]B]E]E]E]B]E]E]E]E3E]E] 374 gggggggggggggggggB]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]BlB]B]GIE]E]EJE]E]BlE]E]E]E]E]G]ElE]EJGIElE]E] benutzen, um ihn während der Absperrung, der er und dann auch seine alte Mutter als Pockenkranke unterworfen wurden, zu besuchen. Durch gelegentlichen brieflichen Verkehr blieb ich mit Haeckel in Verbindung, verfolgte ihn auf seiner Italienfahrt, wurde durch ihn auf meinen engeren Landsmann Hermann Allmers aufmerksam und begrüßte schließlich die reife Frucht der Reise , das große schöne Radiolarienwerk, mit Freude. Aus meinem begeisterten und schwär- menden Freunde war nun ein anerkannter Forscher geworden und die Entwicklungslehre trennte uns nicht mehr. 3S3gggggggggggg^gggggB]gg^gB]G]E]E)ElE3G]E]gE]E]E]E)ElE]E]E]E]BlB]E]G]E]E]E]E] 375 L. REH, HAMBURG: ERNST HAECKEL, ER- INNERUNGEN UND EINDRÜCKE o o o Etwa in meinem 15. Lebensjahre fiel mir ein Schriftchen in die Hand: „Glaubensbekenntnisse eines modernen Naturforschers", dessen Urheberschaft in einer ihm beiliegenden Anpreisung dem jungen Virchow zugeschrieben wurde. Über seinen Wert vermag ich heute nichts mehr zu sagen. Damals wirkte es jedenfalls wie eine Offenba- rung auf mich. In meinem Innersten schlummernde Gedanken und Urteile, die von mir seither gewaltsam unterdrückt waren, fanden hier schärfsten, klaren Ausdruck. Ich wurde gewissermaßen aus einer geistigen Lethargie aufgeweckt. Die Folge war, daß ich von nun an alles gierig verschlang, was mir über Darwin, Haeckel usw. in die Hände fiel, Gutes und Schlechtes. Etwa in meinem 17. Jahre las ich dann auch Haeckels „Schöpfungsgeschichte", die auf mich ebenso mächtig einwirkte wie auf Tausende anderer Menschen, und die mich endgültig zu einem begeisterten Anhänger Haeckels machte. Von Kind auf zum Zoologen bestimmt, war es nun selbstverständ- lich, daß ich in Jena studieren würde. Sofort nach meinem Abitu- rium ging ich schon zur Ableistung meines Militär] ahres dorthin. Meine Absicht, nebenbei bei Haeckel und anderen Vorlesungen zu hören, konnte ich, wie nicht anders zu erwarten, nur höchst unvoll- kommen ausführen. Hierdurch und durch die mangelhaften Kennt- nisse in der Zoologie, die ich von der Schule mitgebracht hatte, er- klärt es sich wohl, daß ich mich in nichts mehr an den Inhalt der Vorlesungen bei Haeckel erinnere. Umso mehr an seine Persönlichkeit. Wohl war sie mir durch Schriften von ihm und über ihn, durch Porträts usw. vertraut. Immerhin war der Eindruck, als ich Haeckel nun in vollem Leben auf dem Katheder sah, ein so mächtiger, daß mir heute noch sein damaliges Bild leben- diger vor Augen steht, als das aus seinen späteren Jahren, das sich nur wenig mit jenem vermischte. Wenn ich an Haeckel denke, sehe ich immer noch den 53 jährigen, noch ganz blonden, aufrechten, frischen Mann vor mir, wie er auf dem Katheder steht, den Blick meist durch das Fenster zu seiner Rechten in die Ferne, auf seine geliebten Saalberge gerichtet, nur hie und da ihn über seine Zuhörer schweifen 376 ggggE]ggE]ggB]g53gggggggggggg5igS5]E]B]E]E]B]E]B]E]E]E]5]E]ElB]E]ElB]E3E]E]G]B]E3 lassend, halb geistesabwesend, halb durchdringend, als ob er in der Seele jedes Einzelnen lesen wollte. Auch die großen, abgerundeten, schwunghaften Bewegungen sehe ich noch vor mir, mit denen er die Zeichnungen an die große Wandtafel entwarf, immer nur großzügig das Wesentliche betonend, nebensächliche Kleinigkeiten vollständig außer Acht lassend. So machte es mir immer besonderen Spaß, daß er keine, eigentlich geschlossene Kurve auch wirklich schloß, sondern nur so- weit führte, bis man sah, sie solle sich schließen; den Rest zu ergänzen überließ er seinen Hörern. Besondere Verhältnisse veranlaß ten mich, nach Abdienung meines Militär jahres zunächst wieder nach meiner Heimat, Darmstadt, zu- rückzukehren und hier einige Semester zu studieren. Aber auch hier blieb ich bis zu gewissem Grade unter Haeckelschem Einflüsse, in- dem meine beiden Zoologie-Lehrer Schüler von Haeckel waren, der künstlerisch hochbegabte Prof. Dr. G. von Koch und der genial- philosophische, wie ein leuchtendes Meteor am Biologen-Himmel auf- tauchende und ebenso rasch und vollständig wieder verschwindende Wilhelm Haacke, beide grundverschieden voneinander, geradezu Gegensätze, beide aber in gewissen Seiten ihres Wesens mit Haeckel übereinstimmend, auf jeden Fall seinen Geist und Einfluß weiter- gebend. Als ich dann später wieder für meine Schlußsemester nach Jena kam, hatte Haeckel sich von seiner Lehrtätigkeit schon ziemlich zurückgezogen. Zwar seine Vorlesungen hielt er noch; das Prakti- kum für Mediziner usw. leitete er noch ein, überließ es dann aber in der Hauptsache seinem Assistenten. In das große Praktikum kam er nur selten und nur vorübergehend. So konnte naturgemäß sein Einfluß auf uns Studenten nicht mehr so groß und unmittelbar sein, wie in früheren Jahren, in denen er sich noch ausgiebiger mit diesen abgab. Hier seien mir einige Worte über seine Vorlesungen gestattet. Seit nahezu 30 Jahren hatte er sie schon gehalten; die Verbindung mit der Masse seiner Zuhörer beschränkte sich in der Hauptsache auf die Prüfungen. So ist es wohl verständlich, wenn ihm allmählich das Empfinden dafür abhanden gekommen war, was und wieviel er bei diesen voraussetzen oder vielmehr eigentlich nicht voraussetzen durfte. In der Hauptsache bestand das Auditorium damals aus Medi- 377 ggg^g^gggggggg^^^ggg3JE]E]S]E]B]S]E]E]E|E]E]ElE]E]S]E]E]B]S]E]E]B]EIE]ElE]E]E]E3E]E) zinern und anderen Gymnasialabiturienten, denen in der Zoologie gewöhnlich auch die elementarsten Vorkenntnisse fehlten. Kein Wun- der, daß sie seinen Vorlesungen schlecht folgen und ihnen kein oder nur wenig Interesse abgewinnen konnten. Besonders trat das hervor bei denen, die Ostern kamen und nun sofort die „Allgemeine Zoo- logie" hörten, die ihnen zum großen Teile unverständlich bleiben mußte. Ganz anders war dagegen der Eindruck auf uns Zoologie-Studie- rende, besonders auf uns ältere, die wir über die nötigen Vorkenntnisse schon verfügten, Die Durchgeistigung und vollkommene Beherr- schung des Stoffes, die klare, immer von großen Gesichtspunkten be- herrschte Vortragsweise Haeckels machten uns seine Vorlesungen geradezu zu einem hohen Genüsse, namentlich seine „Allgemeine Zoologie", die ich im ganzen dreimal hörte, mit immer steigendem Verständnisse und Genüsse. Typisch für Haeckels Vorlesungen, und im Gegensatz zu vielen anderen war, daß er nie die Tatsachen als Selbstzweck vorbrachte, also nicht eigentlich seinen Hörern Kenntnisse vermitteln wollte; alle Tatsachen waren vielmehr für ihn nur Beziehungen, nur Glieder einer Kette, nur Äußerungen von Naturgesetzen. Ganz besonders trat diese philosophische Durchdringung auch des sprödesten Tat- sachenmateriales hervor, als Haeckel in unserem letzten Winter- semester in seiner Vorlesung über die Wirbeltiere mit größter Ge- nauigkeit und Ausführlichkeit die Zahnformeln der ausgestorbenen und lebenden Säugetiere behandelte, nicht gerade zur Erbauung seiner medizinischen Hörer, auch nicht zum Ergötzen von uns älteren Zoo- logie-Studierenden, die wir bald bei ihm promovieren wollten und nur mit Schrecken an diese Unendlichkeit von Zahlenformeln denken konnten. In der Vorlesung war es für uns aber bewundernswert zu sehen, wie Haeckel nicht nur alle diese Formeln beherrschte, sondern auch zu deuten und zu verknüpfen verstand, daß uns an ihnen die Phylogenie der Säugetiere fast plastisch entgegentrat. Und, nur nebenbei sei es bemerkt, in der Prüfung verschonte uns Haeckel mit den Formeln, bzw. nahm es nicht übel, wenn wir sie nicht genau kannten, solange wir nur ihren Sinn zu deuten wußten. Es ist eine alte Erfahrung, daß so leicht kein Akademiker den Einfluß seiner Lehrer im späteren Leben verleugnen kann. Fast jeder 3SS3333333EigggE]gE]gggggggggggE]E]E]B]E]E]E]EiEjB]B]E]E]E]E]E]B]E]E]E]G]E]E]B] 378 gggggggg^E]gggggggggE)E]E]E]G]G]E]5]B]E]E]E]EJB]E]B]B]ElB]E]E]E]E]G]E]EJElE]B]B]E]G]E] der letzteren, sobald er nur von einiger Bedeutung ist, macht „Schule". Man sollte nun annehmen, daß der Einfluß einer so über- ragenden Persönlichkeit wie der Haeckels auf seine Schüler ein ganz besonders großer hätte sein müssen, daß also Haeckel ganz besonders „Schule" gemacht habe. Wie alle seine Freunde wissen, und wie Haeckel selbst oft zugegeben hat, offenbar mit einem leisen Be- dauern, ist das aber keineswegs der Fall. So groß sein Einfluß auf unser allgemeines Kulturleben ist, so gering war er verhältnismäßig auf seine Schüler. Er selbst rechnet nur wenige seiner früheren Hörer dazu; und ich bin stolz darauf, von ihm selbst dazu gestellt zu werden. Auch nach meinem Abgange von der Universität suchte ich diesen Einfluß Haeckels auf mich zu erhalten, durch Studium seiner Schriften, der alten und der neu erscheinenden. Gelegentliches Wiedersehen, hie und da ein Brief und andere Freundschaftszeichen Haeckels sorgten dafür, daß auch der unvergleichliche Zauber seiner einzigartigen Persönlichkeit nicht erlosch. Es dürfte schwer der ganze Einfluß einer so vielseitig genialen Persönlichkeit auf seine beeinflußbaren Schüler festzustellen sein. Ich möchte daher nur drei Seiten seines Charakters kurz erwähnen, die immer, im Hörsaale, im Verkehr und in seinen Schriften beson- deren Eindruck auf mich machten. In erster Linie dürfte da Haeckels künstlerische Betrachtung der ganzen Natur, seine glühende Begeisterung für alle ihre Schönheiten, von ganzen Landschaften bis herab zu den kleinsten ihrer Gebilde, zu nennen sein, die überall bei ihm zutage trat und seinen Vorlesungen einen eigenen Reiz verliehen. Haeckels Bedeutung für die künst- lerische Wertschätzung der Natur ist so allgemein anerkannt, daß hierüber Worte nicht weiter zu verlieren sind. Wie schon erwähnt, war die geistige, philosophische Durchdrin- gung des wissenschaftlichen Tatsachenmateriales wohl die hervor- stechendste Eigenart seiner Vorlesungen und ist es auch in seinen Werken. Darauf beruht ja auch in erster Linie seine allgemeine Be- deutung. Selbst seine ärgsten Gegner stehen hierin völlig unter seinem Einflüsse. Es braucht also auch hierauf nicht weiter eingegangen zu werden. Wie oft wurde und wird Haeckel der Vorwurf gemacht, er spiele sich als „Papst" auf. Kaum Jemand aber kann bescheidener und duld- §Si3333333333ilS93E]E]ggggG]ggggg§E]gE]E]E]gE)G]E]G]G]E]Eiü]E]E]GSG]G]E]E] 379 33S!3E3S3SS0333333a3S33S3SSSS3S3gE]ggggggB]ggE]EjgggE]EiB]E]g samer sein als gerade er. Immer und immer wieder führte er uns, seinen Schülern, zu Gemüte, und bekennt er auch in seinen Schriften, daß es keine absolute Wahrheit gäbe, sondern nur eine relative. Unsere Naturkenntnis und -erkenntnis im kleinsten wie im größten, von einer beliebigen Tatsache bis zu Weltanschauungsfragen, sind nur Produkte unseres gegenwärtigen Entwicklungszustandes. Wahrheit als solche gibt es nicht, nur relative Augenblicks Wahrheit, die aber jeder Mensch zu ergründen suchen müsse und für die er mit seinem ganzen Wesen einzustehen habe. Diese Einsicht macht bescheiden und duldsam. Und Bescheiden- heit und Duldsamkeit sind mit die hervorragendsten Charakterzüge Haeckels, die ihm von seinen Gegnern zwar immer abgesprochen werden, die aber seine Freunde und Schüler immer wieder von neuem an ihm bewundern müssen. Unduldsam wird Haeckel nur, wo er Böswilligkeit oder wenigstens Mangel an gutem Willen voraussetzt oder vermutet. Hier allerdings kann er in seinem Urteile nicht nur außerordentlich hart, sondern selbst ungerecht werden. Gewiß ist das ein Fehler von ihm. Aber wo wäre der seiner Gegner, der frei von Fehlern ist, und wo ist der, der so bereit wäre, Fehler und Irr- tümer einzusehen, einzugestehen und wieder gut zu machen wie Haeckel ? Wie aus Allem ersichtlich, mußte ich so allmählich von Haeckels Einfluß förmlich durchdrungen werden. Und das erklärt wohl auch, wie merkwürdig es mir mit seinen „Welträtseln" erging. Er selbst sandte mir das Buch mit der Bitte, darüber zu referieren. Ich tat das in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" Bd. 15, 1900, und besprach es, wie jedes andere Haeckelsche Buch, ohne Ahnung, welches Aufsehen es bald erregen sollte. War doch für mich kein Gedanke darin, den ich nicht schon aus Haeckels früheren Schriften kannte oder der nicht eine einfache, logische Folgerung der darin geäußerten war oder wenigstens mir schien. Von dem Sturme, den die „Worträtsel' ' erregten, für und wider, wurde ich also vollkommen überrascht. Mag man sich dazu stellen, wie man will — ich bekenne mich gerne und freudig zu ihnen — , eines muß wohl auch der schärfste Gegner zugeben: sie haben in einer Weise aufrüttelnd gewirkt, wie wohl selten ein Buch. Die geistige Trägheit, die ja charakteristisch ist für die große Masse, 380 ^gggggg^gggggggggE]E]EIE]B]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E|E]B]E]EIE]B]SIEJEJE]E]G]EJE]E]G]G]E]E]B] hat einen Stoß erhalten, der sich noch jetzt, nach 15 Jahren über- all fühlbar macht. Die lebhafte, an sie anknüpfende Diskussion hat allseitig ein früher nie für möglich gehaltenes Interesse für die Naturwissenschaften geweckt, das seinen deutlichsten Ausdruck findet in der Flut von naturwissenschaftlicher Literatur, mit der die Verleger sich gegenseitig zu überbieten suchen. Mag man über die „Volksaufklärung" denken wie man will, mag unter der er- wähnten Literatur noch so viel Minderwertiges sein, ich müßte kein Zoologe und nicht ein Schüler Haeckels sein, wenn ich mich nicht über dies drängende Verlangen nach naturwissenschaftlicher und natur- philosophischer Aufklärung freuen sollte. Und haben nicht von diesem Drängen der naturwissenschaftliche Unterricht in der Schule, die naturwissenschaftlichen Institute letzten Endes große Förderung er- fahren ? Ob das alles so gekommen wäre ohne den mächtigen Trom- petenstoß der „Welträtsel"? Selbstverständlich haben auch sie nichts Neues geschaffen, son- dern nur Latentes geweckt ; auch sie waren nur ein Glied in der Ent- wicklung. Damit ist die Wirkung der Haeckelschen Schriften aber nicht erschöpft. Am meisten äußert sie sich, wie nicht anders zu erwarten, in der Biologie selbst, besonders in der Zoologie im weitesten Sinne. Um sich ein Bild von dieser Wirkung zu machen, genügt es, zoologische Schriften etwa aus der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit jetzigen zu vergleichen. Mindestens in der Zoologie dürfte seit Jahrzehnten keine Arbeit veröffentlicht sein, die nicht auf Grundlagen fußt, die erst von Haeckel in die Wissenschaft eingeführt sind, oft unter dem Widerstände der zünftigen Wissenschaft. Und mit am meisten findet man Haeckels Spuren in den Schriften seiner Gegner, besonders auf naturphilosophischem Gebiete, die oft völlig auf Haeckelschen Grund- lagen aufgebaut sind, nur daß dann andere Folgerungen daraus ge- zogen werden. Aber unser ganzes Leben ist von Haeckelschem Einflüsse durch- tränkt, unsere Literatur, Soziologie, Ethik, selbst die moderne Theo- logie. Überall wird mit den Begriffen Vererbung, Anpassung, Kampf ums Dasein, Zuchtwahl, Entwicklung usw. gearbeitet ; Begriffe, deren Einführung in die Geisteswissenschaften, scharfe Fassung und Ver- ständnis vorwiegend Haeckel zu verdanken sind. 381 gggggE]ggggggB]ggggggggG]gggggggE]E]E]G]E]B]E]E]E]E]E]E]E]E]BlE]ElE]E]BlE]gE] Fraglich könnte es nur sein, wieviel von diesen Begriffen auf Dar- win, wieviel auf Haeckel zurückzuführen ist. Ohne aber Darwins Verdiensten irgendwie zu nahe treten zu wollen : das unterliegt keinem Zweifel, daß der Siegeszug seiner Ideen in erster Linie dem entschlos- senen, begeisterten und überzeugenden Eintreten Haeckels für sie zu danken ist, ebenso wie ihre Anwendung auf philosophische Fragen und unsere ganze Kultur. In der Tat dürften wir alle noch viel zu sehr unter der Einwir- kung dieser Haeckelschen Gedankenarbeit stehen, um sie ganz wür- digen und überschauen zu können. Ihr völlig gerecht zu werden, bleibt der Zukunft überlassen. ^ggEjggggE]ggggggggggggEigggggE]E]E]E]E]EiG]EjE]EiE]G]E]B]EjE]E]E]E]E]E]E]BiE|E] 382 35! EJSI93 EjggE] 5]gE]ggE]gE]G]gB]ggggggG]gE|G]gE|ggg S]S9g]G]5]S5!9§]33§333§] HEINRICH HAECKEL: PERSÖNLICHE ERINNE- RUNGEN AN ERNST HAECKEL o o o Wenn es mir als einem der nächsten Verwandten Ernst Haeckels vergönnt ist, an dieser Stelle zu schildern, wie er durch seine Person und durch seine Ideen auf mich einwirkte, so hat diese Schil- derung vielleicht darin etwas Besonderes, von den übrigen Beiträgen zu dieser Festschrift Abweichendes, als sie einmal zeigen kann, wie die Einwirkung sich gestaltete, wenn sie schon in frühester Jugend auf ein Kind der Mitte des 19. Jahrhunderts traf, und sodann, weil ich in fünfzigjährigem, innigen Verkehr mit dem seltenen Manne sein Wesen so gut kennen lernte wie nur wenige; die Begeisterung des Knaben für seine urgermanische Lichtgestalt ging bei wachsen- dem Verständnis seiner gewaltigen Leistungen über in bewunderndes Aufschauen zum Heros der Wissenschaft, um im Lauf der Jahre bei immer tieferem Vertrautwerden mit dem Menschen sich zu warmer Freundschaft zu entwickeln. Soweit mein Gedächtnis in die ersten Zeiten dämmernden Bewußt- seins zurückreicht, leuchtet Ernst Haeckel als die markanteste Per- sönlichkeit unter allen Erinnerungsbildern hervor. Ein sehr aus- geprägter Familiensinn verband ihn aufs innigste mit seiner Mutter, meiner Großmutter, und seinem einzigen, um 10 Jahre älteren Bruder, meinem Vater. Dadurch daß die Großmutter als Witwe nach Pots- dam, dem Wohnsitz meines Vaters, zog und zuletzt in demselben Hause mit uns wohnte, kam es, daß Ernst Haeckel wenigstens zwei- mal in jedem Jahr zu längerem Besuch zu uns kam. Diese Zeiten wur- den stets als ein Fest erwartet, das Strahlende seiner sieghaften Natur brachte Licht und erhöhtes Leben in das Haus, seine Liebenswürdig- keit und übersprudelnde Lustigkeit im Umgang mit der übermütigen Kinderschar nahm uns völlig gefangen, und so wirkte schon auf mich als Knaben der Zauber seiner gewinnenden Persönlichkeit. Daneben aber dämmerte schon bald die Empfindung auf, einen ungewöhnlich groß angelegten, schöpferischen Mann vor sich zu haben. Schon die Art seiner Zeitverwendung zwang uns zur Be- wunderung. Das war ganz etwas anderes, als was wir unter Genuß der Ferien verstanden. Saß er im Zimmer bei der Großmutter, so ggggggE]gggE3gggggE]ggggggggggB]E]EjE!E!E]E]E]E]E]5]E]E]5]5!51351351s]S515]!äl 383 erging er sich nicht in bloßer Unterhaltung, sondern es wurde stets eine Arbeit dabei vorgenommen. Auf einem möglichst großen Tisch wurden Bücher, Schreibpapier, Farbennäpfchen, Skizzenbücher aus- gebreitet, und nun wurde geschrieben, Druckbogen wurden korri- giert, Aquarellskizzen von Landschaften feiner ausgeführt und da- zwischen gesprochen, aber während des Plauderns ruhte nie die Arbeit. Auf Spaziergängen in der Umgebung Potsdams bemerkten wir mit freudigem Erstaunen, wie er, der die herrlichsten Land- schaften fast der ganzen Welt gesehen, für die Reize unsrer märkischen Heimat voll empfänglich geblieben war. Abends war er stets bereit, die reichen Schätze seiner Skizzen, die er als Nebenfrucht seiner ausgedehnten zoologischen Forschungsreisen mit heimgebracht, zu zeigen. Es machte ihm selbst das größte Vergnügen, dabei seine Reiseerlebnisse zu erzählen und eine Schilderung der Gegenden zu geben, und so übertrug er früh seine Reiselust und den Drang in die Ferne auf die aufmerksam lauschenden Zuhörer. Besonderen Eindruck machte die Art, wie grundverschiedene Weltanschauungen hier aufeinander trafen und doch sehr gut mit- einander auskamen. Die Mutter und der Bruder standen auf einem, wenn auch liberalen, so doch durchaus festen christlichen Stand- punkt, sie waren überzeugt religiöse Naturen in den Bahnen Schleier- machers, zu dessen Füßen die Mutter gesessen hatte — und daneben der Sohn, der volle Freigeist, der, sprühend von Übermut, gelegentlich auch leichte Neckereien gegen den frommen Glauben der Mutter nicht zurückhalten konnte. Da war es rührend und reizend zugleich zu sehen, wie bei der sonst so strengen Frau das Bestreben, ihren eigenen religiösen Standpunkt zu wahren, stritt mit der innigen Liebe zu „ihrem Jungen", wie sie noch in hohen Jahren den Sohn zu nennen pflegte, und dem Stolz auf die wachsende Berühmtheit des Sohnes. Aber nie führte dieses liebenswürdige Geplänkel zu einem ernsthaften Konflikt. Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß Ernst Haeckels Ideen Eingang bei mir fanden, sobald ich Weltanschauungsfragen näher trat. Die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" wurde von mir und gleichgesinnten Freunden schon während der Schulzeit mit Be- geisterung verschlungen, bald kamen die populären Vorträge und die „Anthropogenie" dazu. Ein Vortrag, von ihm in der Wohnung ggggggggg^gS]gggE]gG]gggggggggggg§5]EjE]E]E]E]E]5]E]E]S]5]S]SigB]E]51E]E]Ej 384 E]5]gggggG]gE]gggggG]gE]ggggggggE]E]E]E3E]S]G]G]G]G]G]G]E]E]S]G]E]E]G]gG]G]E]gE]g] der Großmutter vor Freunden und Bekannten über die Gasträa- theorie an der Hand von vielen Tafeln mit Abbildungen gehalten, ist einer meiner ersten Eindrücke naturwissenschaftlicher Art. So kam es, daß die Entwicklungslehre, fast möchte ich sagen, mit der Muttermilch von mir eingesogen wurde. Später, beim Studium der Medizin, vor allem durch die Vorlesungen Gegenbaurs, konnten die Haeckelschen Ideen nur noch befestigt und vertieft werden. Die hohe Blüte aller Gebiete der Naturerkenntnis, der volle Glanz des Zeitalters der Naturwissenschaft lag auf meiner Studienzeit. Nimmt man dazu, daß auch Haeckels Goetheverehrung früh auf mich überging und in dem weimarischen Großen die reifste Frucht deut- schen Geisteslebens erblicken ließ, so ist es erklärlich, daß sich mir nach nur geringem Kampf mit anderen Gedankenkreisen eine Welt- anschauung in den Bahnen der Entwicklungslehre wie von selbst ge- staltete und bis heute zu restlos innerer Befriedigung unverändert geblieben ist. Die Bildung dieser Weltanschauung ging so vor sich, daß sie mir wie ein Produkt der Natur, wie ein durchaus selbst- verständlicher Ausfluß der Atmosphäre, in der ich atmete, erschien und mich vor vielen Konflikten zwischen Glauben und Wissen be- wahrte, mit denen andre sich lange auseinanderzusetzen haben. Da- für ist mir freilich das Glücksgefühl der Anderen entgangen, bei denen das Bekanntwerden mit Haeckels Ideen in reiferen Jahren wie eine plötzliche Offenbarung wirkte. Viele, und besonders solche, die aus strengkirchlichen und hochkonservativen Kreisen stammen, haben mir geschildert, wie es ihnen namentlich beim Lesen der „Welträtsel" wie Schuppen von den Augen gefallen sei, wie sie auf einmal befreit von verstaubten Vorurteilen die frische Luft der neuen Erkenntnis eingesogen, freudig erstaunt in eine freie, lichte Welt neuer Vor- stellungen geschaut haben. Später war es mir während meiner mehr als zehnjährigen Tätig- keit als Assistent an der chirurgischen Klinik in Jena und Dozent an der Universität vergönnt, in fast täglichem Verkehr Ernst Haeckel näher und näher zu treten und voll den Zauber zu empfinden, dem die meisten unterliegen, welche persönlich mit ihm in Berührung kommen. Neben der gewinnenden Liebenswürdigkeit und frischen Natürlichkeit seines Wesens trat imponierend hervor der hohe sitt- liche Gehalt seiner Persönlichkeit. Bei all seinen Äußerungen auf SE]G]gggggggE]gggG]ggE]gggE]gggggggE]E]G]E]E]E]G]gJG]E]G3B]gG]S]E]E]gG3E]ElE]G3 25 Haeckel-Festschrift. Bd. II 385 sjgggE]ggE)ggg^ggggggE]gggggggB]ggE]E]G3E]B]E]E]E)E]gE]E3E]E]E]E]E]E]E]BiE3G]Gj dem Katheder und im Gespräch hatte man den Eindruck vollkom- mener Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ; man fühlte: das, was er sagt, ist seine feste Überzeugung. Für ihn waren die Worte nicht da, um die Gedanken zu verbergen. Nun gibt es viele, die zwar nichts gegen ihre Überzeugung sagen, aber noch lange nicht alles sagen, was ihre Überzeugung ist. „Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen" ist nie Haeckels Sache gewesen. In seinem erfrischenden Freimut hielt er nie mit seiner Ansicht hinter dem Berge, und äußere Rücksichten konnten ihn nie dazu bringen, seine wahre Meinung zu unterdrücken. Aber die hohe Auffassung seines Berufs als Forscher und Lehrer führten ihn noch weiter; war das, was seine eigene Überzeugung geworden, richtig, so empfand er es als zwingende Pflicht, es nicht bloß einem kleinen Kreise von Zu- hörern, sondern mit allen Konsequenzen Allen zugänglich zu machen, und so entstanden seine zahlreichen, für die weitesten Kreise be- rechneten Werke. Wie sehr sie in das Volk gedrungen, sehe ich oft beim Gang durch die Säle meines Krankenhauses ; da finde ich oft die Welträtsel bei den einfachsten Leuten, denen ich nie die Neigung zu solchen Studien zugetraut hätte. So überzeugt Haeckel klar Erkanntes festhielt, klebte er doch nicht an vorgefaßten Meinungen fest, sondern war bereit, sie bei besserer Erkenntnis zu ändern. So wurde er, politisch sonst nicht im Sinne von Parteileben ausgesprochen interessiert, aus einem Gegner Bismarcks, in dem er zur Konfliktszeit nur den reaktionären preußischen Junker sah, mit der Zeit ein begeisterter Verehrer des Reichsgründers und einer der Hauptveranlasser zu dem berühmten Besuch Bismarcks in Jena 1892. Lebhaft steht mir vor Augen die Art, wie die Einladung zu diesem Besuch zustande kam, und sie ist zugleich sehr bezeichnend für Haeckels Weise, frisch und unbe- kümmert um Schwierigkeiten und Bedenken eine Sache in die Hand zu nehmen. Wir saßen an einem warmen Juliabend auf der Schweizer- höhe, einer jener kleinen Bergwirtschaften bei Jena, die Erregung über die Ereignisse bei Bismarcks Aufenthalt in Wien war groß, sein begeisterter Empfang in München wurde lebhaft besprochen. Da warf einer aus der Korona das Wort hin, dann könne man ja auch Bismarck nach Jena einladen. Halb als Phantasiespiel wurde alsbald ausgesponnen, was man ihm in Jena bieten könne, was für "EgE]gE]ggggggggggsgg3gE]gggB]ggE]g§^E]gE]ggE]gB]E]EiE]E3E]E]EiE]B]B]E]E]EiE] 386 ggggggE3gggggggggEjggE3ggggggE]ElGJE]E]E]B]E]E]E]E]E]gE]E3BJE]E]E]E]G3B]E]GJG]G] ein Programm ins Auge zu fassen sei, doch fast niemand nahm die Sache ernst, da es ausgeschlossen schien, daß Bismarck in unsere kleine Universitätsstadt kommen werde. Bei Haeckel aber blieb diese hingeworfene Idee sitzen: warum sollte man es nicht versuchen? Das Schlimmste könne eine Ablehnung sein; eine solche Gelegenheit kehre nie wieder, also frisch gewagt ! Schon nach wenigen Tagen war er mit einigen Gleichgesinnten auf der Reise nach Kissingen, um Bismarck einzuladen, auf der Rückreise nach Varzin in Jena Aufent- halt zu nehmen. Der Empfang dort war über Erwarten freundlich, und es kam, was die Einladenden selbst kaum gehofft hatten, zu dem unvergeßlichen Besuch des Fürsten in Jena. Erstaunlich war seine Arbeitskraft und -lust. Während des Se- mesters sah ihn sein Institut Tag für Tag mit der größten Regel- mäßigkeit an der Arbeit, vom Morgen bis spät in den Abend, nur durch die Vorlesung und eine kurze Mittagspause unterbrochen. Um in der Woche möglichst ungestörte Zeit zum Hintereinanderarbeiten zu haben, wurde im Anfang des Winters regelmäßig eine kleine Komödie aufgeführt. Die Studenten, welche das sehr beliebte zoologische Praktikum Haeckels belegen wollten — es stand im Lektionskatalog unter „noch zu bestimmenden Stunden" — mußten sich äußern, welche Stunden sie noch frei hätten; bei allen Überlegungen fanden sich natürlich nie in der Woche Stunden, welche allen paßten, und so wurde durch freie Wahl der Studiosen das Praktikum stets auf 4 Stunden des Sonntagsvormittags gelegt : eine unerhörte Abweichung von alten akademischen Gewohnheiten — aber die Studenten hatten es ja selbst so gewollt! Ich konnte Haeckels unverwüstliche Arbeits- kraft besonders bewundern, als er sich einen schweren Knöchelbruch zugezogen hatte. Während der Behandlung, die er mir anvertraut hatte, war ich erstaunt, schon nach wenigen Tagen, wo das Bein noch sehr schmerzte und auf eine Schiene gewickelt sich in nicht sehr bequemer Lage befand, zu einer Zeit, wo andre Patienten sich noch voll gehen lassen und von ihren Leiden ganz beherrscht sind, zu sehen, daß um das Krankenlager herum eine Menge Bücher auf- gestapelt waren und er sich mitten im Schreiben befand. Wie ein Tiger über seinem Raube saß er schon wieder über der Arbeit und förderte in den Wochen der unfreiwilligen Muße an seiner ,, Syste- matischen Phylogenie" mehr, als er sonst in der doppelten Zeit 25* 387 0g]E]ggG]gG]ggggE]ggE]gggggggggE]gE]G]ggggE]E]E]E]G]E]5]G]E]E]G]G]E]E]S]E]E3EjEi geschafft hätte. Dieses Arbeitsbedürfnis zeigte sich auch auf gemein- schaftlichen Reisen und Exkursionen. Sich behaglich ins Gras zu strecken und den Himmel anzuschauen, lag ihm nicht, ebensowenig, wie längere Zeit an einem Ort rein als Erholungsaufenthalt zu weilen ; häufig den Ort wechseln, Neues sehen und dabei produktiv tätig sein d. h. malen, das war seine Neigung. Als wir mit einem gemeinschaft- lichen Freunde noch vor fünf Jahren in einem kleinen Motorboot auf dem Vierwaldstätter See fuhren, wo man sich doch sonst so gern auf dem Wasser einem dolce far niente hingibt, ließ er wiederholt halten, um vom Boot aus hier eine Kapelle, dort ein altes Haus zu aqua- rellieren, ja selbst auf dem vielbesuchten Hauptaussichtspunkt des Pilatus, dem „Esel", mußte inmitten zahlreicher Touristen rasch die Kette der fernen Schneegipfel ins Skizzenbuch eingefangen werden. Bei diesen Aquarellstudien trat der schon erwähnte Zug seines Wesens, die Art, wie er eine Sache in Angriff nimmt, sehr bezeichnend in Erscheinung. Ebenso wie er frisch und flott an wissenschaftliche Probleme heranging und ohne viel Bedenken und zaghaftes Zaudern den Stier an den Hörnern faßte, so schreckte ihn auch beim Aqua- rellieren keine Schwierigkeit zurück, und Maler vom Fach sagten ihm vor manchen Skizzen, das hätten sie nie gewagt, anzupacken. Dieser Arbeitsfreude konnte er nun nach Herzenslust fröhnen im stillen Jena; hier fehlten die tausend Sitzungen, Kommissionen, Examina der großen Universität, die Geselligkeit raubte wenig Zeit, ungestört konnte er sich ganz in seine Arbeit vertiefen, und nur der Möglichkeit dieser ungeheuren Konzentration ist die überwältigende Fülle seiner Werke zu verdanken. Ein hervorstechender Zug seines Wesens ist eine große Einfach- heit in seinen Lebensverhältnissen ; das ist ein Erbstück seiner Mutter, die, obwohl sie wohl in der Lage war, sich ein behagliches Leben zu gestatten, in fast puritanischer Einfachheit lebte. In Kleidung, Essen, auf Reisen ist ihm das Einfachste das Liebste; sich helfen, bedienen lassen, ist ihm greulich: was man selbst machen kann, soll man selbst machen. Hotels ersten Ranges sind ihm verhaßt, und wenn er doch einmal als Gast reicher Freunde darin wohnen muß, so ist es spaßhaft zu sehen, wie er in gewohnter einfacher Weise auftritt, unbeirrt durch eine glänzende internationale Gesellschaft. An einem heißen Augusttage ging ich mit ihm über die Strandprome- jgs]gggE]ggggggggE]gggggE]gE]ggG]ggggE]EjE]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]E]B]B]BiE]E]gE]Ei 388 gggggggG]gggggggEjggG]gggE]ElB]E3E]E]B]G]E]ElEJS]E]E)EJE]B]BlE]BJElE]E]E]E]gG]E]E]SJ nade in Saßnitz, er zog sich die Jacke aus und lachte vergnügt über die mißbilligenden Blicke der Badegäste, welche über den Wanderer in Hemdsärmeln ihre Empörung nicht unterdrücken konnten. Sehr gelungen war es auch, zur Zeit der letzten Pariser Weltausstellung mit ihm über die Boulevards zu gehen und die erstaunten Augen der zylindertragenden, eleganten Menschheit zu sehen, wenn sie der hohen Gestalt in grauer, einfacher, kurzer Joppe und dem mächtigen, breitkrempigen Schlapphut nachblickten — „Schöpfungshut" wurde er in Jena genannt, da ein Hutmacher in Österreich und begeisterter Ver- ehrer der „Schöpfungsgeschichte" ihm alljährlich ein Prachtexemplar dieser Gattung schenkte. Dieser ausgesprochene Sinn für Einfachheit im täglichen Leben hat dazu geführt, daß er, der im geistigen Leben nicht fortschrittlich genug sein kann, in seinen häuslichen Lebensgewohnheiten durchaus konservativ ist. Konservativ ist er außerdem noch auf einem andern Gebiete, dem der bildenden Kunst. Während er in der Wissenschaft mit Begeisterung jeden Fortschritt begrüßt und sich nicht im gering- sten scheut, Altes niederzureißen und Neues aufzubauen, ist er auf dem Gebiete der Kunstauffassung dem Standpunkt treu geblieben, den sie etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts hatte. Ihm spielt der Inhalt des Kunstwerks noch eine ausschlaggebende Rolle für seine Bewertung, während die bloße Vollendung der Form, die Hoch- schätzung der Qualität, das l'art pour l'art keinen Eingang bei ihm fand. Der Impressionismus, Pleinairismus, die Sezession, geschweige denn die modernsten Ausläufer der Kunstentwicklung liegen ihm fern. Bei der nur als Jüngling bezeichneten Statue von Adolf Hilde- brand in der Nationalgalerie vermißte er doch bei aller Bewunderung der klassisch vollendeten Form, daß nicht gesagt sei, was sie vor- stellen solle, daß man sich also nichts dabei denken könne. Neben dem hohen Ernst seines Schaffens bewahrte er sich aber trotz manchem Schweren, das ihm das Leben gebracht, doch einen hohen Grad von Fröhlichkeit. La joie de l'esprit en marque la force, und wenn Fröhlichkeit die Mutter aller Tugenden ist, so hat sich das bei ihm bewährt. Wenn wir mit jüngeren und älteren Freunden und Kollegen nach einer wissenschaftlichen Sitzung zusammen waren oder nach einem Gang über die Jenenser Berge in einer der reizenden Bergwirtschaften bei einem bescheidenen Abendessen saßen, gEjgggggg^gggggggggggggggE]B]GlE]EIEjgEJE]EJEIG]E]G]E]E]E]E]gE]G]G]E3E]E3E]G3E] 389 ^ggggggggggggggggG3ggggggggggg5]G]G]S3E]G]E]E]S]G]G]E]E]E]E]E]G]G]G]B]G]E]S] dann übertraf er uns Jüngere alle an Lebhaftigkeit, weithin tönte sein ansteckendes Lachen, und gegen sein sprühendes Temperament kamen wir uns wie Greise vor. Dabei konnte sich seine Lustigkeit in harmlosester Weise äußern. Wenn wir beim Abstieg von den Bergen in den Feldern die eigentümlich schnarrenden Töne des Wiesen- schnerzes hörten, so rief er stets mit schallendem Lachen: „Da ist ja wieder der Geist des Kirchenrats N." — so hatte sein Freund Gegenbaur den Wiesenschnerz getauft wegen der auffallenden Ähn- lichkeit seiner Stimme mit dem schnarrenden Organ des Kirchenrats auf der Kanzel. Dieser Grundzug der Freudigkeit ist ihm auch heute noch geblieben, wo der Achtzigjährige zu seinem Leidwesen durch eine schwere Hüftverletzung sehr in seiner freien Beweglichkeit be- hindert ist. Daß er einer seiner größten Liebhabereien, dem Wandern und Reisen, ganz hat entsagen müssen, trifft den früher so Beweg- lichen besonders schwer, und er klagt lebhaft über sein Schicksal. Aber bei angeregter Unterhaltung macht sich bald auch heute noch seine unverwüstliche Freudigkeit Bahn, das Erfrischende seines Wesens bricht leuchtend durch, und der Alte ist dann ganz wieder der alte. 39° SSG]ggggggE]gggG]ggggggggggG]E]E)E]EjE3gG]E]E]5]gs]E]S]E]E]E]Gjs3gE3gE3gE3G]E3 ORTSGRUPPE LEIPZIG DES DEUTSCHEN MONISTEN- BUNDES o o o Vorbemerkung des Herausgebers: Schon beinahe fertig mit der Zusammenstel- lung dieser Haeckel-Schrift, erhalte ich aus Leipzig die Nachricht, daß die dortige Ortsgruppe des Monistenbundes im kleinen Maßstab schon zu Haeckels jj. Geburts- tag eine ähnliche Idee verwirklicht hat, wie sie in diesem Buch zur breiteren Aus- führung gekommen ist. Herr Paul Otto Ruppert, Leipzig, hatte die Güte, mir eine Abschrift dieses interessanten Dokuments zu senden, die ich im nachstehenden zum Abdruck bringe. Die Ortsgruppe Leipzig möchte zum yy. Geburtstage E. Haeckels unter den Glückwünschenden vertreten sein und bittet daher ihre Mitglieder bis zum 15. 2. um Übersendung einer Postkarte, auf der in kurzer, schlichter Weise die Frage beantwortet ist: ,, Welchen Einfluß hat das Lebenswerk Haeckels, insbesondere darunter die : , Welträtsel' auf meine Welt- und Lebensanschauung ge- habt; was dankt meine geistige Entwicklung Haeckels Lehre?" Die eingehenden Antworten werden dem Gelehrten in einem Album überreicht und sollen ihm den unmittelbaren Dank für sein Wirken ausdrücken. Nachstehende Äußerungen sind eingegangen, in einem Album ver- einigt, und verbunden mit Glückwünschen auf ein noch recht lang- währendes beglücktes und beglückendes Leben an Prof. Dr. Ernst Haeckel übersendet worden. Wankten schon die orthodoxen Grundpfeiler, als ich anfing selbständig zu denken, so wurde dieser Eindruck noch beschleunigt durch Haeckels Welträtsel. Doch nicht nur eingerissen, sondern auch wieder aufgebaut wurde, und neues Leben rankte aus den Ruinen. — Basierend auf dem Grundgedanken der natürlichen Entwicklung der Dinge vollzog ich in mir eine neue Geburt mit vollständiger Ver- drängung der althergebrachten eingetrichterten Anschauung. Mein Lebenszweck wurde mir durch die Welträtsel erst voll bewußt, und nicht mehr verließ ich mich auf ein höheres Wesen in überirdischem Sinne im Kampf ums Dasein, sondern lediglich auf meine eigene Kraft, vereint mit Selbstbewußtsein. Dazu kommt noch, daß sich in mir das Denken, Fühlen und Wollen verfeinerte und vertiefte. Nur dem 39* PSSSggggG]gggggE]gggggBlE]ggElG]G]E|E]E]E]G]G]ElE]E]E]BlE|B]BJB]Bl§B!E]E3E]E3E]E]G3 volkstümlich geschriebenen Werke: ,,Die Welträtsel" danke ich diese Erkenntnis, und ich habe nur diesen Herzenswunsch, daß die Welt- rätsel noch recht viele aus der geistigen Finsternis in den Bannkreis des Lichtes tragen mögen. Walter Großmann, Zeichner. Ein Stern, ein leuchtender Stern in den Finsternissen des Lebens, in den rauchenden Tiefen des Alltags bist du mir, großer Meister, und deine Werke. — Was mir der lärmende, mordende Arbeitstag raubt, das gibst du mir wieder in meinen Feierstunden, wo deine Werke mir die Welt vergolden und meine staubige Brust so frei, so stark atmet. Möge der Monismus seinen Hoheitsstempel der ganzen Mensch- heit aufprägen und so eine paradiesische Zukunft schaffen, das sei mein Geburtstagswunsch. Wilh. Schmidt, Weber1). Haeckels großen Einfluß auf meine Welt- und Lebensanschauung erkenne ich vor allem darin, daß er durch seine wissenschaftlichen Forschungen wie kaum ein anderer meine Überzeugung gefestigt hat : wie für alles in der Welt, so gilt auch für Entstehen, Bestehen und Vergehen des Menschen und aller seiner Lebensäußerungen das Natur- gesetz der Entwicklung, sei es Fort- oder Rückbildung; also niemals und nirgends kann es ein ,, übernatürliches" Geschehen geben. Dr. phil. J. Kippenberger, freireligiöser Prediger. Was ich Haeckel danke? Ich bin sehend geworden und trat an seiner Hand in vorher nie geschautes Land. Die Nebel und Dünste einer eingebildeten Schein weit, die wirklich zu erreichen ich nie hoffen durfte trotz allen Glaubens, sanken unter seinem klaren Worte und vor dem Lichte seiner Erkenntnis zu Boden; aus ihnen entstieg und lag nun vor mir ausgebreitet in reiner Schönheit, klar geordnet in allen Teilen, begreifbar und eindeutig die Erde, die Welt; jauchzend stand ich inmitten aller ihrer tausendfachen Erscheinungen, die nun mir so nahe verwandt, meines eigenen Wesens mich dünkten, und ein neuer Wille zu einem guten, schönen und wahren Leben in diesem x) Ein stark schwindsüchtiger Mensch, dessen ganzes seelisches Glück in der Teil- nahme an der monistischen Bewegung bestand. Der arme Mensch ist vor 3 Jahren gestorben. gggjgggggE]E]gggggggggggggggggggggE]E]G]E]E]gB]EiE]E)EiEiE]B]E]B]E]E]E]B]E! 392 pE]ggggggggE]ggE]gggggggggggE]gE]ggG]ggEjE]E)B]gE]E]E]E]E]E]B]B]E]EiE]G]E]Bj wohnlich, weil mir vertraut gewordenen Räume, im Verein mit meinen mir nun zu Brüdern gewordenen Nebenmenschen, zur Erfüllung meiner gesetzten Zeit im natürlichen, d. h. ursächlichtätigwirkungsvollen Ver- laufe der Dinge durchflutete meinen Verstand und mein Gemüt, sie beide erziehend zu neuartiger stimmungsvoller Hingebung an das Ganze. So wandelte sich mir in beglückender Entwicklung immer tieferer Erkenntnis der Gott einengender Religionsbegriffe und eng- umgrenzter Glaubenslehren über die sichtbar erforschliche Gottnatur der Welten in das rein unbezogene Göttliche alles Seienden schlechthin. Paul Otto Ruppert, Kaufmann. Das ist eins der größten Verdienste unseres Haeckels, daß er in seinen volkstümlichen Werken zum Volke niederstieg, zur großen Masse sprach und ihr den kristallenen Trank der Wahrheit, der wissenschaftlichen Erkenntnis reichte. Was nützt denn alle Weis- heit, alle tiefgründige Erkenntnis, wenn nur einzelne, und nicht die Allgemeinheit im Besitze dieser wissenschaftlichen Erkenntnis ist? Ja, seien wir offen: was ist denn Schuld an unseren gesamten uner- quicklichen sozialen Verhältnissen? Weil das Volk nicht aufgeklärt ist, um den Weizen von der Spreu zu unterscheiden. Karl Wiegand, Beamter. Aufgezogen in den beengenden Schranken einer altersgrauen Kon- fession und in mißlichen Lebensverhältnissen, war der Trost meiner Kindheit die Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Der Jüngling durch- tränkte sich mit Fachwissenschaft, die all sein Denken, seine Kraft und Zeit in Anspruch nahm und ihn der Möglichkeit beraubte, die Fortschritte anderer Wissenszweige kennen zu lernen. — Die mit der Fachwissenschaft erweckte Erkenntnis vieler Naturgesetze hatte den Verlust des beseeligenden Kinderglaubens zur Folge und mit ihr den der Lebensfreude; die Zeit des Grübelns um den Zweck des Lebens führte mich fast an den Rand des Abgrunds, zur Lebensver- leugnung, zum gewaltsamen Abschluß des Lebens. — Heute — in reiferen Jahren — verdanke ich dem Studium der Werke unseres Meisters, daß das Gefühl, bloß ein Stäubchen im Weltall darzustellen, dessen Kommen und Schwinden im Weltganzen spurlos vorübergeht, zurücktritt hinter der hehren Gewißheit, auch mit den kleinsten Kräf- 393 p]G]^^§§g§§g§§§§§§§B]g]G]E]S]G]g]S)B]B]S]B]B]G]B]G]§G]G]B]S]G]G]S]S]S]G]E]S]gE]G]E]E]G] ten und in stiller Zurückgezogenheit mitarbeiten zu können am Wohl, am Fortschritt der Gesamtheit der Menschen, beizutragen zu immer höherer Entwicklung des Ganzen! Das, was ich als richtig und be- wiesen erkannt habe, kann ich hinausschreien in alle Himmels- richtungen ohne ängstliche Rücksichten auf die möglichen Folgen und somit neuen Wahrheiten mit zum Siege zu verhelfen: „den Mut des Bekenners," der aus jedem Wort unseres Meisters strahlt, diesen verdanke ich ihm und damit das wiedergefundene Gleichmaß der Seele. Dr. M. Goldschmidt, Chemiker. Was habe ich als geborener Proletarier einem unsterblichen Men- schen, einem E. Haeckel zu verdanken. Eine nicht mit meinem Wort- schatz wiederzugebende innere Glückseligkeit, welche ich durch Be- greifung und Erlebung seiner, der Menschheit gegebenen, monisti- schen Weltanschauung gewonnen habe. „Ach, könnte doch jeder diesen Lebenstrost im harten Daseinskampf sein eigen nennen!" — Wohl habe ich die Überzeugung, daß durch die Menschen unwürdigen Angriffe vonseiten der herrschenden Kirchen und ihrer Helfer auf seine ehrliche, unermeßlich reich gebende Person das große, die Menschheit erhebende Lebenswerk eines E. Haeckels nicht aufge- halten werden kann. „Alles Entwicklung, ewiges Werden und Ver- gehen zu neuer Form!" Ja, Haeckel, du gabst mir Gewißheit: „Die Naturwissenschaft ist der Fels, auf dem die Kirche der Zukunft er- richtet werden wird." Hermann Käppel, Werkmeister. Haeckels wissenschaftliche Feststellung, daß, wie überall in der Natur das weniger Vollkommene und weniger Gute von Höherem und Besserem besiegt und abgelöst wird, so auch für uns Menschen eine Höherentwicklung stattfindet und endlich bessere und idealere Verhältnisse kommen werden, ja kommen müssen, diese Erkenntnis hat meinem Leben erhöhten Wert gegeben, und das Gefühl, ein Glied in der Höherentwicklung zu sein und in jedem Lebewesen ebenfalls einen Teil des sich zu Höherem entwickelnden Ganzen zu sehen, hat bei mir wahrhaft religiöse Empfindungen ausgelöst. Arthur Rolle, Aufseher. 394 G]E^ggggG]G]G3GjggG}G3gggggggggggG]gggG]G]S]§gggE]EiG]G]G3G]G3G]gGiG]G3G]gG3 In Jena war ich, ein junger Student, Doch selten froh und toll mit den Jungen, Hielt meist mich still von den andern getrennt Und schien ich sorglos, war halb es erzwungen. In Jena war ich, in schweigender Nacht Hat mich mein Schritt auf die Berge getragen: Während die andern gezecht und gelacht, Schlug mir das Herz voll Sorgen und Fragen. In Jena war ich, im Paradies Hab' ich zur Nacht auf der Brücke gestanden, Ob mir die rauschende Tiefe verhieß Antwort auf Fragen, die wir nicht fanden! In Jena war ich, an deinem Mund Hab' ich mit strahlenden Blicken gehangen: Was du mich lehrtest, das machte gesund: Von dir hab' ich mein Leben empfangen. Dr. H. Welcker, Rechtsanwalt. Durch die Lektüre Joh. Scherrscher Schriften schon frühzeitig aus der Lethargie mechanischen Hinnehmens von mechanisch Ge- gebenem aufgeschreckt, hat mir Haeckel auf alle die Zweifel, die meine Seele bewegten, eine bündige Antwort gegeben und mich aus dem dunklen Tasten in der Wirrnis meiner Lebensauffassung von Welt und Mensch zu lichten Pfaden, zu sicherem Verstehen geleitet, auf Wege, auf denen ich zufriedenen Herzens weiter pilgern kann. Georg Stiebner, Kaufmann. Die Kenntnis der Werke Haeckels, insbesondere der Welträtsel, bewirkte eine Befestigung und Vertiefung meiner freigeistigen Welt- anschauung, und ich verdanke dem Einflüsse Haeckels die Empfin- dung freien Menschentums und wahre menschliche Glückseligkeit, die sich auch vor dem Tode nicht fürchtet. Georg Schubert, Kaufmann. E]ragggB]gggE]ggggggggggggggggggE]E]gg]E]G]EiG]B]EiG]G]E]E3G]G3G]gE]G]G]ggiE] 395 ggJl]SgggE3gggggggggggE]ggE]gggggB]gggE]E]E]E]B]E]E]E]EiE]E]E]E]E]E]EigB3Eig Haeckels furchtloses, mutiges Kämpfen gegen die Mächte der Finsternis erfüllt mich mit freudigem Stolze. Frau Luise Karch. Meine Abendlektüre, die Welträtsel, haben mir schon so viel Belehrung gebracht, daß ich das Buch als meine monistische Haus- bibel betrachte, daß sich gleichzeitig aber auch ein Haß gegen pfäf fi- schen Lug und Trug erzeugte. Wir Deutschen können stolz sein, daß wir in unserm Professor E. Haeckel einen kühnen Streiter und Wahrheitsforscher, kirchlichen Irrlehren gegenüber, haben; mögen seine Welträtsel noch Hunderttausenden die Augen öffnen und sich diese Tausende der monistischen Bewegung anschließen. Mein Kir- chenaustritt ist kürzlich erfolgt. Th. Funke, Lithograph, 81 jährig. Obwohl schon eine Reihe von Jahren vorher zur freien Gemeinde übergetreten, gab mir die Lehre Haeckels erst den Schlußstein zur Bildung einer einheitlichen Weltanschauung für die Entwicklung eines freien Menschentums. Joseph Julius Beck, Ingenieur. Ich habe, ähnlich wie ja auch mancher andere, eine Reihe von Jahren geschwankt und bin im Unklaren geblieben, in welcher Weise ich mir meine Welt- und Lebensanschauung bilden sollte. Die Lek- türe von Haeckels Schriften, insbesondere der „Welträtsel" und des „Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" hat viel dazu beigetragen, daß es mir möglich geworden ist, mir eine feste und gesicherte Weltanschauung zu bilden. Als die beiden wichtigsten Punkte erscheinen auch mir einerseits der Kampf ums Dasein mit dem eng damit verbundenen Trieb zu unaufhaltsamem Fortschritt, andererseits die auch von Haeckel im letzten Teil der „Welträtsel" vertretene „Goldene Lebensregel": „Handle gegen jeden anderen stets so, wie du wünschest, daß man gegen dich handle." Dr. F. Joel, Lektor. Die Lehre vom Monismus, die unser großer deutscher Naturfor- scher wissenschaftlich begründet hat, muß auch eine andere Welt- anschauung hervorrufen als die dualistische, die nicht auf Forschung gggggBjgggggE]gggggggE}gggggggE]EiE]E]E]E]EiE]E]E]E]E]E]E]E]E3B]ElS51E]E1513S 396 3SG]ggggggggggggggggggggggggG]G]E]gG]E]E]E]G]E]B]B]B]G]E]B]E]E]G]E]E]E]E]E]B] beruht, sondern angeblich auf Offenbarungen. Was es mit solchen Offenbarungen auf sich hat — wie sie entstehen, von wem sie kommen und wer sie verbreitet ? — da gibt es nur eine Antwort : die Kirche ! Die gibt sich mit wissenschaftlichen Forschungen nicht ab, höchstens mit dem Studium verschimmelter alter Kirchenväter. Ich danke es dem unerschrockenen Forscher Haeckel, daß ich zu denen gehöre, die die Wahrheit seiner Lehre aus voller Überzeugung gewonnen haben. Meinen Austritt aus der evangelischen Kirchengemeinde habe ich vollzogen. E. A. Funke (geb. 1832). @E;^gggggE]ggggG]G]G]gggggG]gggggG3ggg^E]gG]EjG3G]E]G]G]E]S]E]G]G]G]E]G]E]E]EJ 397 EjggElE]gE]gggg]g§gggggggg^gE]gE]ggggggG]gE]EiE]BlE]B]EjE]B]G]E]g)E]BJE]g3]EJ KONRAD HUSCHKE, GREIZ o o o In der „Villa Medusa", die so freundlich aus grüner Hülle zu dem Berg mit dem rötlich strahlenden Gipfel hinübergrüßt, bin ich schon in meiner Schülerzeit kraft meines Neffenprivilegs viel, oft auf meh- rere Wochen, zu Besuch gewesen. Damals und auch später in meiner Studenten- und Referendarzeit war es in erster Linie der „Mensch" und „Künstler" Haeckel, der mich begeisterte und zur Bewunderung fortriß, diese sprühende, lachende, sonnige, von Humor durchtränkte Persönlichkeit, die jeden, der nicht ein Erzphilister war, unwider- stehlich in ihren Bann zog. Die Ausflüge nach seiner geliebten Ammer- bacher Platte, nach dem Forst, den Kernbergen, die lustigen Szenen beim Bocciaspiel im Garten, bei denen sein helles Lachen so oft zu einem köstlichen Lachduett mit dem ebenso bezwingenden Lachen meiner liebenswürdigen, feinsinnigen Tante zusammenklang, stehen als leuchtende Punkte in meiner Erinnerung ebenso wie die Stunden, wo er auf der Rückreise von seinen Fahrten nach Ceylon und Palä- stina bei uns Station machte und seine farbenprächtigen, mit genialer Intuition hingeworfenen Aquarellskizzen vor uns ausbreitete. Mein ganzes Sehnen galt damals der Kunst, vor allem der Musik, und wenn Haeckel auch gerade dieser Kunst nicht huldigte — ich sehe ihn noch, wie er lachend am Klavier saß, sein Bravourstück Santa Lucia sang und sich schauerlich-schön begleitete — , seine Persönlichkeit war doch durch und durch künstlerisch mit ihrem blühenden, feurigen Enthu- siasmus und der herzerquickenden Frische und Lebensanmut, die sonst die Gelehrten so gern zwischen ihren Büchern vergessen und zu den Akten legen. Der große „Wissenschaftler" Haeckel spielte im Bereiche meiner Großhirnrinde noch eine sehr verworrene Rolle. Mit dem Substanz- gesetz, der Entwicklungslehre, dem biogenetischen Grundgesetz, der Gastraeatheorie usw. wußte ich nicht viel anzufangen. Und neben den Beethovenschen Sonaten und Symphonien und den Wagnerschen Musikdramen fanden Medusen und Radiolarien keine, auch nicht eine noch so bescheidene Stätte. Zwar hatte ich im ersten Semester droben im Zoologischen Institut bei Haeckel Vorlesungen gehört, aber bei 20 — 250 Wärme mittags zwischen 12 und 1 nach römischen Institu- s]EigE3ggggggggggggE]gggg§gE]^gggG]g§ggggE]E]B]E]B]E]EiE]G35]E]E]G]E3i?s}3] 398 EjgggggggggB3G]gg^gE]ggggggggggE3E]B]E]E]E]E]E3E]E3E]E3E]E]ElE]gE]B3B]G]EJE]E)E] tionen, Einführung in die Rechtswissenschaft und anderen zermür- benden Kollegs. Wie sehr habe ich später bereut, daß damals der Reiz zur Naturwissenschaft und Philosophie noch von dem erst- semestrigen Hang zu leichterer Geistesnahrung überwuchert wurde. Die Folge war, daß mangels weiterer Anregung neben dem Berufs- studium die Kunst fast 10 Jahre lang allein im Vordergrund blieb, reichen Segen spendend, aber zu einseitiger Bildung führend. Auch Schopenhauer und David Friedrich Strauß, deren Studium mir mein Vater, selbst ein treuer Freund und Verehrer Haeckels und philo- sophisch wie künstlerisch hochgebildet, neben dem von Haeckels Natürlicher Schöpfungsgeschichte ans Herz legte, ohne sie mir auf- zuzwingen, wurden nur flüchtig gelesen. Da kam ich in den Bann der „Welträtsel". Man mag gegen dieses vielbefehdete und -verketzerte Buch vorbringen, was man will, man mag es insbesondere als verderblich hinstellen für philosophisch noch nicht geschulte, unerfahrene Köpfe, für mich ist es im höchsten Maße segensreich gewesen. Und vielen Tausend anderen ist es ebenso gegangen. Es hat mich mit den in ihm behandelten Problemen nicht losgelassen, vielmehr mit wunderbarer Triebkraft in entwicklungs- geschichtliche und philosophische Studien hineingetrieben, so daß diese Studien jetzt neben Familie und Kunst mein höchstes Glück bedeuten. So war auch bei mir Haeckel, wie bei so vielen sonst, der große Anreger, der den spröden Stoff, der sich ihm gerade bei mir bot, trotz allen Widerstandes zwar spät, aber nun um so intensiver be- zwang. Er zeigte mir die tiefgründige, lichtschaffende Größe der Entwicklungslehre und ihre so unendlich große Bedeutung für die gesamte Biologie und Soziologie, Ethik, Geschichtswissenschaft und selbst für die heute so vielfach noch im argen liegende Jurisprudenz. Er beleuchtete hell und eindringlich das gewaltige Substanzproblem und die dunklen Gänge der Psychologie. Er weckte meine Begeiste- rung für Spinoza, dessen erhabene Gott-Natur-Substanz-Einheit er so genial erneuert hat. Er lehrte mich einen neuen Goethe kennen, den Naturforscher und monistisch -pantheistischen Denker Goethe, der so oft geflissentlich entstellt wird. Er trug endlich wesentlich zur Befreiung meines religiösen Fühlens von den Schlacken starren Dog- mas und irreführenden Wunderglaubens bei, die aus dem einseitig- orthodoxen Religions-Unterricht im humanistischen Gymnasium, das 399 g^gggg5]gggggggggggG]gggggE]ggggE]E]E]E]E]E]E]E]G]E]E]E]B]E]E]E]E]E]B]E]B]G]E] mir auch sonst so wenig fürs Leben mitgegeben hat, infolge der starken Beeinflussung im empfänglichen Knaben- und Jünglingsalter leider lange und fest in mir haftete, und förderte damit in mir ein tieferes religiöses Empfinden. Ist ja doch überhaupt der innerste Kern seiner natürlichen, wissenschaftlichen Weltanschauung Religion, nicht im kirchlichen Sinne, nach dem Schema einer bestimmten Konfession, sondern als Inbegriff von Erkennen und ernstem Wollen, voll Glauben an die fortschreitende Entwicklung unseres Erkenntnisvermögens und voll fester Zuversicht auf eine stetige Weiterentwicklung auch unserer ethischen Kräfte, auch als Inbegriff höchsten Glücksgefühls im Be- wußtsein, mit Gott als der ewig waltenden Naturkraft eins zu sein, so daß ich mein Denken und Tun, mein Wollen und Vollbringen in die ewige Harmonie einordne nicht allein zu meinem eigenen inner- sten Glücke, sondern auch zu dem meiner Mitmenschen. Ich verweise auf Arnold Dodel in seiner bekannten Schrift ,, Ernst Haeckel als Erzieher". Und Alfred Brehms treffliches Wort fällt mir ein: ,,Sie schelten uns Gotteslästerer und unser Forschen gottverlassen. Wenn sie unsere Arbeit zu würdigen verständen, so würden sie sie viel- leicht Beten nennen." Wie schön paßt das auf Ernst Haeckel! Alles aber ist nur ein Teil von dem, was er mir gegeben hat, und ich kann ruhig sagen, daß ich neben meinen geliebten Eltern ihm für meine Geistesbildung das meiste zu verdanken habe und daß er auch in meiner Herzens- und Gemütsbildung tiefe Spuren hinter- lassen hat. In Ehrfurcht neige ich mich daher an seinem 80. Geburts- tage dem großen, schöpferischen Geist, dem tiefgründigen Gelehrten, dem edlen Künstler, dem lieben Menschen. ggG]gG]ggg5]G]gggggg3ggggg^(|]gggggggB]^3ggggE]S3G]S]G]S3B]G]B]E]EjE]G]5] 400 ggs]gggggggggggggggE]ggG]G]E]E;E]gE]G]E]E]E]E]G]gE]gE]E]B]gE]E]E]G]E]E]E]B]B]gG] E. FRIEDERICI, BERLIN o o o Noch ehe ich das Glück hatte, Ernst Haeckel persönlich kennen zu lernen, klang sein Name meinem Ohr vertraut. Schon früh hörte ich ihn mit Bewunderung nennen im Hause meiner freidenken- den Eltern, die uns Kinder außerhalb der Kirche erzogen haben. Wie oft erzählte mir mein vor Jahresfrist verstorbener Vater von den genußreichen Wochen, die er beim Bauernphilosophen Deubler in Goisern verlebte; wenn auch in jenem Sommer 1882 dessen großer Freund Haeckel nicht zum Besuch dort weilte, so haben die beiden Männer desto mehr von ihm gesprochen und in seinen Werken ge- lesen. — Mein Vater war bei einer Naturforscherversammlung mit Haeckel persönlich bekannt geworden. — Als die Welträtsel erschienen, ging ich noch zur Schule, ich las sie erst 1903 in der Aufsehen erregenden Volksausgabe. Vorher jedoch lernte ich ein anderes Werk kennen und lieben : die Indischen Reise- briefe. Mein Vater las uns — seiner lieben Gewohnheit folgend — dies Werk vor und ich weiß noch heute, welchen Genuß ich beim Zu- hören empfand, und mit welchem Entzücken meine Augen immer wieder auf dem darin befindlichen Bilde des Forschers weilten, das ihn so schön und stattlich im hellen Tropenanzug darstellt. — Damals ahnte ich nicht, daß mein Wunsch, dies Buch zu besitzen, von Ernst Haeckel selbst einst erfüllt werden sollte. Welche Wirkung die „Welträtsel" auf mich hervorriefen, kann ich schwer sagen. Ich las das Buch von Anfang bis zu Ende, und über die Stellen, die mir nicht verständlich waren, weil sie der wissen- schaftlich ungeschulte Verstand eines so jungen Mädchens noch nicht verarbeiten konnte (die damalige Mädchenschulbildung ließ in bezug auf Naturwissenschaft alles zu wünschen übrig!), las ich einfach hinweg. Erst nach und nach arbeitete ich mich durch die Kapitel über das Wesen der Seele hindurch, bis sie mir immer verständlicher wurden. Nie hat das Buch aufgehört, mich zu fesseln. Einen Aufruhr in meiner Weltanschauung konnte das Werk nicht verursachen, war ich doch weder gläubig, noch indifferent, sondern schon damals über- zeugte Freidenkerin. Wohl aber vertiefte und festigte sich meine Welt- anschauung durch dies Buch und mein junges Herz glühte vor Be- EjgggggggEiggggggggggggggggggggggEiE]E]BiEigigg|E]EiEiEjEiEigiBiBiEiEiEiBi 26 Haeckel-Festschrift. Bd. II 401 E]E]E]EjE]E]E]E]E]E]B]B]E3B]B]gB]E]3S5]S@]33E13SS33S3S5]3351ElS33S93E15IE15]E135i geisterung für diesen Mann, der als deutscher Professor es wagte, solch Buch zu schreiben. Und als nun im Herbst 1904 dieser über- zeugungstreue Kämpfer persönlich in mein Leben trat, da empfing ich durch ihn eine unermeßliche Bereicherung meines Innenlebens. Ich verdanke Ernst Haeckel viel mehr, als ich auszudrücken vermag. Von dieser Bekanntschaft möchte ich erzählen, denn mehr als seine Werke noch, hat der Mensch Haeckel auf mich gewirkt. Es war am 19. September 1904, als ich mit meinen Eltern und einigen Deutschen auf dem Bahnhof in Rom stand, um Prof. Haeckel zu empfangen, der anläßlich des Internationalen Freidenkerkongresses dort erwartet wurde. Nie werde ich vergessen, wie des Gelehrten hohe, noch ungebeugte Gestalt sich aus der ankommenden Menge löste, und er — ein Handtäschchen und Plaid am Arm — mit jugend- licher Elastizität über die Schienen eilte. Mit welcher Herzlichkeit drückte er uns die Hände, für unsere Begrüßung dankend, seine Augen lachten und strahlten wie die eines ganz jungen Menschenkindes. Seine Anwesenheit in Rom machte jene Tage zu den schönsten meines Lebens. — Wir waren in der kurzen Zeit öfter mit ihm zu- sammen. — Wie jubelten die ungezählten Freidenker aller Nationen, als unser Ernst Haeckel am 20. September bei der Kongreßeröffnung sich vom Podium erhob — im Hofe jenes alten Jesuitenklosters — unter dem tiefblauen Himmel, von dem die liebe Sonne so recht be- haglich strahlte auf alle die Ketzer, die den heiligen Boden Romas entweihten — um erst deutsch beginnend, dann italienisch fortfahrend, Rom als den idealen Mittelpunkt der zivilisierten Welt zu begrüßen. — (In der italienischen Zeitung II Messaggero stand darüber: Haeckel si avanza a parlare, il piü grande de gli scienziati tedeschi, un vecchio bellissimo.) — Hier in Rom wurden die monistischen Thesen verteilt, welche die Grundlage zum nachmaligen Deutschen Monistenbunde bildeten. — Wir Deutschen verlebten einen schönen Abend mit unse- rem verehrten Meister zusammen — er plauderte vom alten Rom, von der Zeit, da er mit seinem Freunde Hermann Allmers hier ge- weilt — mit dem er in der prächtigen Kirche San Paolo ein Tänzchen gewagt. Auch amüsierte er sich köstlich, daß die Italiener seinen Namen ohne das ,,h" aussprachen: „Man hat mich hier schon zum ,EkeP gemacht", meinte er. — Als wir dann alle gemeinsam vom kleinen Garten im ,,Tre Re" in ein Zimmer wanderten und an langer *gggggggE]gggggggggggB]ggE]ggggE]B]B]B]E]B]E]E]gE]E]E]B]E]E]E]E]SjE]E]3]E]S]E]EJ 402 Tafel saßen, Reden hielten und Lieder sangen — da sprach auch Ernst Haeckel zu uns. Jene Worte, in denen seine Goetheverehrung und seine tiefe wirkliche Religiosität zum Ausdruck kam, wirkten unbeschreiblich auf mich und haben gewiß bei allen Gesinnungs- freunden einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nachdem sah ich Ernst Haeckel nur noch einmal in Berlin, als er seine Vorträge über den Entwicklungsgedanken hielt. Ich fand ihn viel weniger frisch als vor einem halben Jahre in Rom, nur die Augen hatten noch das alte Feuer. Wieder begrüßte er mich mit jener bezaubernden Herzlichkeit und lud mich nach Jena ein. Allein ich hatte nicht das Glück, ihn dort wiederzusehen, jedesmal, wenn ich nach Jena oder in die Nähe kam, war er abwesend. — Schriftlich aber bin ich mit Ernst Haeckel in Verbindung geblieben und besitze so manchen lieben Brief und manches, mit einer Widmung seiner Hand versehene Buch von ihm. — Es hat mich immer so gerührt, daß er, der vielbeschäftigte Mann, doch stets Zeit fand, mich unbe- deutendes Menschenkind mit seinem Gedenken zu erfreuen — so erhielt ich auch jahrelang immer einen Gruß zur Erinnerung an den XX. Settembre in Roma 1904. — Haeckels Kunstformen und Wanderbilder zu betrachten, ist mir immer ein Fest; ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, seinen beispiellosen Fleiß oder die Gabe, so die Schönheit des Lebens zu empfinden. Er ist doch wirklich ein Lebenskünstler, wie selten ein Mensch. Über meinem Schreibtisch hängt eine große Photographie von Ernst Haeckel, so aufgenommen, wie er mir 1904 zuerst entgegen- trat — von diesem Bilde, das mir seine lebendige Persönlichkeit vor- zaubert, ist mir in dunklen, qualvollen Stunden meines Lebens Trost und Kraft gekommen, ihm danke ich es, daß ich nicht ver- zweifelte. Ernst Haeckel, der Gelehrte, der Künstler und vor allem der Mensch hat meinem Leben die Weihe gegeben, daß ich, immer strebend, mich bemühe, dem Wahren, Guten und Schönen zu dienen. 0E]ggg^gggggg^gggggE]g^ElE]E]gE]E]E]E]E]B]E]E]E]E]G]ElE)EjE]E]E]ElE]E3gE1351S51^3 26* 403 gggEjggggg]gE]ggB]E]E]gggEjE]G]gE]ggggE]ggE]ggE)E]ggE]B]ElE]gB]E]E]E]E]E]B]E]E3 ROBERT H. LOWIE, NEWYORK: HAECKELS VER- HÄLTNIS ZU AMERIKA o o o Die im Harperschen Verlage veröffentlichte Übersetzung von Haeckels „Welträtseln" wird das amerikanische Volk mit An- sichten vertraut machen, die in ihrem bedingungslosen Gegensatz zu seinen religiösen Traditionen von allem ihm bisher Bekanntgewordenen wesentlich abweichen. Wir sagen „von allem", und dies ist keine Übertreibung. Denn wenn wir von mehreren rein populären Erzeug- nissen absehen, können wir getrost die Behauptung aufstellen, daß von den Vertretern liberaler Tendenzen, welche sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an das Englisch sprechende Publikum wandten, kein einziger mit einer der Haeckelschen auch nur nahekommenden Konsequenz die Resultate der modernen For- schung philosophisch verwertet hat. Dies gilt in erster Linie von den englischen Vorkämpfern der Ent- wicklungslehre. Wir beabsichtigen deshalb nicht, ihr Anrecht auf dankbare Anerkennung in Frage zu ziehen. Im Kampfe gegen die Unduldsamkeit der Orthodoxie haben sie sich wahrlich als wackere Streiter bewährt und haben, trotz der heftigsten Opposition, den neueren Ideen der Wissenschaft in einem noch vor kurzem ungeahnten Maße die Gunst der gebildeten Kreise errungen. Für diesen großen Dienst gebührt ihnen gewiß uneingeschränktes Lob. Aber nichtsdesto- weniger bleibt es eine unumgängliche, sich dem unparteiischen Be- obachter gewaltsam aufdrängende Tatsache, daß keiner von ihnen seine Lehren zum logischen Ende verfolgt hat, daß sie sich vielmehr sämtlich in letzter Instanz, wenn nicht der Reaktion, so doch einem friedlichen Vergleich mit der Reaktion, unterwarfen. Der unter ihnen in seiner geistigen Entwicklung erhaben allein- stehende Darwin bildet zwar individuell eine bemerkenswerte Erschei- nung, aber in seiner unmittelbaren Beeinflussung der in seinem Vater- lande vorherrschenden Tendenzen gar keine Ausnahme. Wenn es ihm auch in späteren Jahren gelang, das Joch des Konservatismus abzu- schütteln und sich dem für einen Naturforscher einzig folgerechten philosophischen Bekenntnis, dem materialistischen Monismus, anzu- schließen, verschwieg er sorgfältig mit charakteristischer Bescheiden- 404 ggggggggggg]ggggggggggggggE]E]gE]E]E]E]E]E]E]E]ElG]E)GjE]G]E]E]E]E|E]ElElG351E] heit die Ansichten, welche er sich über außerhalb der Fachwissenschaft liegende Probleme gebildet hatte. Die wenigen seiner Urteile, welche trotzdem in die Öffentlichkeit drangen, konnten wegen ihrer milden Fassung leicht mißverstanden werden und wurden tatsächlich von Rechtgläubigen als die Äußerungen eines friedliche Eintracht zwi- schen Religion und Wissenschaft anstrebenden Gemüts aufgefaßt. Somit gipfelte der philosophisch-theologische Einfluß Darwins, in- sofern er sich überhaupt fühlbar machte, in der Befestigung jenes ängstlichen, sehr gemäßigten Liberalismus, dessen Entstehung den oben von uns der Inkonsequenz bezichtigten Gelehrten, Spencer, Huxley und Fiske, zugeschrieben werden muß. Daß Männer von so hervorragenden Fähigkeiten auf halbem Wege stehen geblieben sind, dürfte im ersten Augenblick überraschen. Aber das Rätsel ist sogleich gelöst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit jenem bigotten, reaktionären Puritanismus zuwenden, der, wie Taine in seiner meisterhaften Literaturgeschichte nachweist, seit mehr als zwei Jahrhunderten in England — teilweise auch in den Vereinigten Staa- ten — grassiert, und innerhalb dieses Zeitraums seinen verderblichen Druck auf jedes Erzeugnis englischen Geistes ausgeübt hat. Frömmelei, Engherzigkeit, starres Festhalten an einer der Vernunft widerstrebenden Moralsatzung sind seine wohlbekannten Merkmale; hemmend steht er allem im Wege, das sich nicht mit seinen spieß- bürgerlichen Begriffen verträgt; eifrig widersetzt er sich jeder Kund- gebung unabhängiger Gesinnung. Wir erkennen seinen Einfluß in der stumpfsinnigen Verunglimpfung Goethes — dem untrüglichen Prüfstein des reinsten Philistertums; in der unablässigen Forderung, die Kunst zur Magd der Moral herabzusetzen; in der hartnäckigen Aufrechterhaltung der mittelalterlichen ,, blauen" Gesetze, welche ein so eigentümliches Streiflicht auf den vielgerühmten englischen Frei- heitssinn werfen. Um aber die Macht des Puritanismus als die Trieb- kraft englischen Denkens in ihrer ganzen Ausdehnung zu begreifen, müssen wir uns daran erinnern, daß ein Gladstone im letzten Dezennium des vorigen Jahrhunderts die wissenschaftliche Berechtigung der bibli- schen Schöpfungslehre zu verteidigen wagte. Dann begreifen wir auch alles, dann verstehen wir, was Spencer und Huxley vom Durchbruch zu gänzlicher Freisinnigkeit abhielt, was bei Fiske die normale Ent- wicklung seiner Lebensanschauungen ausschloß. Wo einer der her- 405 vorragendsten, schätzenswertesten Vertreter der Intelligenz sich zu einem solchen Grade fortschrittlichen Ideen verschließen konnte, da war es allerdings notwendig, die furchtbare Anklage des Materialis- mus durch wiederholt betonte Abweisung niederzuschlagen. Da mußte freilich das Augenmerk selbst der liberalen Gelehrtenwelt hauptsäch- lich auf die friedliche Versöhnung des Neuen mit der Tradition ge- richtet sein: da war also das Erstreben vollständiger Aufklärung bei einzelnen Individuen, wie bei der großen Masse, eine Unmöglichkeit. Und nun tritt vor unser amerikanisches, unter denselben, wenn auch nicht in gleichem Maße tätigen, Einflüssen leidendes Publikum der streng konsequente, jedes Kompromiß mit dem Feindeslager ver- werfende Haeckel; zwar nicht zum ersten Male, aber zum ersten Male mit der Macht, so allgemein tiefes Interesse zu erwecken. Denn heute kann man seinen Radikalismus nicht mehr wie einst vorübergehender Titanensüchtelei zuschreiben, heute steht fest, daß gereif teres Urteil die Schlußsätze des jugendlichen Stürmers bestätigt hat. Haeckel ist nicht nach Canossa gegangen: endgültig wirft der im Dienste der Wissenschaft ergraute Geistesheros der Orthodoxie wie dem Halb- liberalismus den Fehdehandschuh hin ; endgültig erdröhnt der Posau- nenschall seines „Impavidi progrediamur!" Wie mannigfache Beispiele aus der Kulturgeschichte der Mensch- heit bezeugen, verbreiten sich Ideen zwar nur langsam und mit Schwie- rigkeit durch ihren inneren Wert, aber mit desto zündenderer Gewalt, wenn sich eine große Individualität ihrer annimmt. Und eine solche Individualität ist Haeckel unbedingt. Ehern, unbeugsam, erhaben tritt seine Gestalt aus dem Gewühle der durch die Darwinsche Theorie heraufbeschworenen Kämpfe hervor. Während die englischen Agno- stiker taumelnd vor den letzten Folgerungen ihrer Philosophie zurück- wichen, während die einstigen Gesinnungsgenossen sich abtrünnig dem Konservatismus zuwendeten, hat Haeckel mit unerschütterlicher Uber- zeugungstreue das Licht der Aufklärung verbreitet, ohne die Schrek- kensrufe ob der Vernichtung ihrer ideellen Luftgebilde klagender Schwärmer, ohne die Drohungen der aus sanftem Schlafe aufgeschreck- ten Obskuranten im geringsten zu beachten. Dieser Mann, der seit vierzig Jahren trotz aller Anfeindungen das Banner des Liberalismus emporgehalten, die Angriffe der Orthodoxie mit nie wankender Festig- keit zurückgeschlagen, der willkürlichen, von reaktionären Gelehrten ggEjgEjgggB]gggE]ggggggggggggggggB]E;E]E]EjB]E]EjE]E]E]E]E]E]G]BiE]E]E]G]giG]E] 406 ggg^gE]gE]gE]ggE]gggggggElE]E]G]E]E]GjB]gE]B]E]BIB]E]E]E]E]E]B]E]BIB]E]E]E]E]E]EJE]gg geforderten Beschränkung der naturwissenschaftlichen Forschung sein entschiedenstes Veto entgegengesetzt hat; dieser aufopferungsvolle Diener der Wahrheit, dieser Lessing im geistigen Kampfe der Gegen- wart, muß, alle Hindernisse traditioneller Vorurteile überwindend, den beim amerikanischen Volke so stark entwickelten Heldenbewun- derungstrieb wecken und für sich einnehmen. Dann wird er mit Erfolg an unseren Verstand appellieren, uns durch seine Logik zur Annahme der monistischen Weltlehre zwingen können. Dann wird er seinen Einfluß auf unser tägliches Leben ausdehnen, uns von dem schwer auf uns lastenden Puritanismus erlösen ; auf den Trümmern der abderitischen Puritanermoral die Ethik des daseins- frohen, menschenfreundlichen, Kunst und Wissenschaft fördernden Freidenkertums begründen. Um es kurz zu fassen: er wird dazu bei- tragen, ein politisch freies Volk auf das Niveau eines auch geistig freien zu erheben. — Wenn ihm dies gelingt, dann wird der Einfluß des Deutschen Haeckel höher zu schätzen sein, veredelnder gewirkt haben, als der dreihundertjährige, oft so gepriesene unseres „Mutter- landes" England. 407 p]E]ggggggggggE]E]gBigggE]B]E]EiB]gB]EjE)E]gE]5]E]E]E]B]E]E]^]SEls]5!sJS333E]519^] ODON DE BUEN, MADRID : HAECKEL IN SPANIEN 0 0 0 Schon als ganz junger Student fing ich an, mich mit der Philosophie Haeckels zu beschäftigen. Mein alter Lehrer der Malakologie war ein begeisterter Verehrer Lamarcks, aber er riet uns dringend von seinen verderblichen philosophischen Neigungen ab. Von dem Dreigestirn Lamarck, Darwin, Haeckel wollte er erst recht nichts wissen. Die Angriffe auf den genialen Jenenser Gelehrten wurden außerordentlich heftig und hartnäckig vorgebracht. Natürlich erregte das unsere Neugierde und wir lasen die „Natürliche Schöpfungs- geschichte" mit einer wahren Gier und diskutierten mit Feuereifer darüber. Am Ende unserer Studienzeit waren fast alle von uns jungen Naturwissenschaftlern Haeckelianer. Im akademischen Lehrkörper überwogen die Reaktionären unter der Führung meines Lehrers der Malakologie. Die heftigen Aus- einandersetzungen zwischen der sehr unduldsamen äußersten kleri- kalen Rechten und der revolutionären Linken in jener Epoche, der Spanien zum großen Teil den Aufschwung der letzten Zeit verdankt, zerrten Haeckel in den Kampf der Meinungen. Universitäten und Akademien, öffentliche Vorträge und Zeitungen hallten von seinem Namen wider. Während ihm die einen fluchten und ihn beschimpften, verteidigten und rühmten ihn die andern. In dieser Kampfeszeit war ich Professor an der Universität Bar- celona und veröffentlichte eine Naturgeschichte im Sinne des Monis- mus. Langsam gewann meine Überzeugung Anhänger unter der jungen Generation, aber bald bemühten sich die Klerikalen, meinen Einfluß zu untergraben. Meine „Allgemeine Zoologie" und meine „Geologie" wurden auf den Index gesetzt, und im Jahre 1895 entzog man mir meine Professur in Barcelona. Der inzwischen schon mutig hervortretende liberale Geist Spaniens stellte sich mir zur Seite. Die akademische Jugend führte in edler schrankenloser Begeisterung einen tapferen Krieg zu meinen Gunsten, so daß ich nach drei Monaten meine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnte. Zahlreiche Auflagen meiner Bücher wurden vergriffen und ich konnte ohne weitere Unterbrechung in monistischem Geiste als Lehrer, Forscher und Aufklärer wirken. ggggggggE]E]ggG]ggggggE]ggggE)B3ggB]gB3gggg!3BiE]E]S]BiEiE]GiE3G]gE]E3E3E]G] 408 E]EiE]gE]E]EjG]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]513EI5l333S51S3333S5133333S333S333333S3 Ich war immer der Überzeugung, daß die philosophische wie die soziale Entwicklung sich in drei wohl unterscheidbaren Phasen ab- spielt: Herrschaft des Dualismus, Kampf zwischen Dualismus und Monismus, Sieg des Monismus. In der Physik bestand der Dualismus in dem Gegensatz von Kraft und Stoff, in der Psychologie von Leib und Seele, in der Politik von Herrscher und Untertan, in der Sozial- wissenschaft von Kapital und Arbeit, in der Philosophie von Ursache und Wirkung und in der Ethik von Gut und Böse. Die Wissenschaft hat die Abgründe, die Kraft und Stoff, Seele und Körper, Ursache und Wirkung trennten, überbrückt. Die Demokratie wird den Dualis- mus zwischen Gut und Böse, Herrscher und Untertan, Kapital und Arbeit aufheben. Ich kann versichern, daß in Spanien Haeckel an Volkstümlichkeit kaum seinesgleichen hat. Seine Lehre hat auf die Entwicklung des spanischen Gewissens einen außerordentlichen Einfluß gehabt. Mit Stolz behaupte ich, daß in meinem Vaterland Freiheit und Duldsam- keit immer mehr Boden gewinnen und daß sich mit dem Ausbreiten und dem Gedeihen der Naturwissenschaften eine Zukunft des Wohl- standes, des Friedens und des Fortschrittes vorbereitet. Dem Meister Haeckel wünsche ich an seinem achtzigsten Geburts- tag noch viele Jahre des Lebens. (Aus dem Spanischen von H. Schaxel.) gggG]gggB]gggggg^ggggggE]ggggg§ggEjSjE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]G]G]gE]EJ 4O9 ggggggE]gggggggagE]gsas]ggg(gg3g!äiE]gg|^5]ggEiE]B]siE]EjBiiigE!G]siE]E]Ej!3 MAX PAATSCH, DESSAU o o o Aus dem Dunkel des Akasa dämmernd bist Du aufgestiegen, ewigem Gesetz gehorchend. Licht und lichter ward es, wo auch Du den Fuß hinwenden mochtest, und beglückender Erkenntnis wichen trüben Wahnes Nebel. Furchtlos tratest Du und freudig vor des Kosmos düstre Sphinx: Deinem jugendstarken Werben konnte sie nicht widerstehen, und die ewig Rätselvolle gab Dir manch' Geheimnis preis. Zu den „Müttern", wie einst Faustus, bist auch Du hinabgedrungen, Antwort glühend heiß begehrend auf die „Frage aller Fragen". ,, — Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie?" Dies, das einzige Weltenrätsel, das Du im „Substanzgesetze" rein und machtvoll vor uns aufrollst, wird es jemals uns gelingen, dieses Rätsel zu bezwingen? Keine Macht der Welten hemmet uns den raschen Schritt der Zeit; niemals ward sie eingedämmet, ist in Wahrheit Ewigkeit. Aller Kräfte Wechselspiel fügt sich des Gesetzes Band; fragest du nach Zweck und Ziel, oder wo die Meisterhand — ? 410 „Freude, schöner Götterfunken" singt des Lebens lautes Tönen, und nur der versteht sein Wehen, der vor ihm aufs Knie gesunken. Doch ob auch das Bild von Sa'is niemals ganz sich uns entschleire, eines haben wir gewonnen, eines müssen wir Dir danken: Klar und stark und fest und freudig können wir zum Werke schreiten, das die Zukunft von uns fordert. Ausgelöscht der Götter Willkür, kann das Göttliche im Menschen endlich wieder frei nun wirken, Fußend auf der heil'gen Erde, nicht vor sich das Ungewisse, auf die eigne Kraft vertrauend, keines Gottes Gnade achtend, ward der neue Mensch geboren, der nicht nur ein Teil des „Brahman", sondern dieses selber ist. Wahrheitsuchen ist Dein Leben, nur die Wahrheit kann uns lösen; nur dem Guten gilt Dein Streben, Wahrheit dienet nicht dem Bösen; innerster Erkenntnis Kraft, sie allein zwingt Leidenschaft. Das Mysterium des Schönen hast Du vor uns aufgeschlagen; stetig rätselvolles Wunder ist uns wieder neu geworden. Wir sind mitten in ihm drinnen, wir sind stets von ihm umgeben — keiner weiß doch, wie es wirke, niemand mag es uns entwirren. 411 ggiiggggggggggggggggggggggggggE]E]SEiE]EiB]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]B]E]G]S]iS]E] Freuen wollen wir uns seiner! Freude sollen wir genießen, wo auch wir das Schöne sehen, wo es siegend sich uns zeigt. — Wäre doch der Tag noch ferne, wo Du, vielgeliebter Meister, ehernem Gesetz gehorchend, wollend, und mit heitrer Ruhe, froh der Lebensarbeit, rücksinkst in das Dunkel des Akasa — Doch nicht diese Töne, Freunde, sollen heute uns bewegen; freudenvollere und heitre mögen heute mit uns sein. Noch beleuchtet unsre Sonne mild des Meisters Silberhaare; Sonne seiner Jugendtage, du bist immer noch die alte; sonnengleiches Herz voll Feuer — froh und jung bist du geblieben, ja, uns allen bist Du teuer, nur eins können wir: Dich lieben! Möge blinder Feinde Grollen Dich nicht kümmern, noch erregen! Nimm aus unserm übervollen Herzen unsre Lieb' entgegen, Die Du redlich Dir erworben, die wir ungeheißen bringeni da Du Güte uns gelehrt, Güte, welche ewig währt. 3SggE]gggggggB]gggggE)gg5]ggggggEjgggggEiE]B]E]BiE]E]E]B]B]E|E]B]G]B]G]G]Ei 412 ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER MITARBEITER o o o Seite Aigner, Dr. med. Eduard, Schriftführer des Deutschen Monistenbundes, München II, 258 Altmann-Bronn, Ida, Schriftstellerin, Rombach II, 142 Antipa, Prof. Dr. Gregorio, Direktor des Museo storia natural, General- inspektor im Ministerium des Ackerbaus und der Domänen, Bukarest I, 408 Baege, M. H., Dozent, Friedrichshagen b. Berlin II, 150 Beck, Prof. Dr. Paul, Leipzig-Gohlis II, 34 Beiles me, Prof. Dr. Jousset de, Brüssel II, 56 Bloch, Dr. med. Iwan, Charlottenburg II, 357 Blossfeldt, Willy, Schriftleiter des „Monistischen Jahrhunderts", Leipzig I, 298 Boerner, Wilhelm, Schriftsteller, Leipzig II, 139 Brauckmann, Carl, Instituts-Direktor, Jena I, 1. II, 156 Breitenbach, Dr. Wilhelm, Herausgeber der „Neuen Weltanschauung", Brackwede i. W I, 204 Bresgen, Sanitätsrat Dr. M., Wiesbaden I, 215 Brunner, Dr. med. Max, prakt. Arzt, Wien II, 272 Buen, Dr. Odon de, Professor an der Universität Madrid II, 408 Carraro, Oberlehrer A., Wien II, 359 Crompton, Frau Elli von, Berlin-Grunewald I, 287 Crutcher, Dr. Howard, Roswell, Neu-Mexiko II, 48 Davidoff, Dr. M., Direktor des zoologischen Laboratoriums, Villefranche- sur-Mer I, 319 Daxenbichler, Frau Fanny, Salzburg II, 93 Dopf, Karl, Arbeiter, Hamburg II, 291 Dosenheimer, Amtsrichter E., Ludwigshafen a. Rh II, 38 Eulenberg, Dr. Herbert, Schriftsteller, Kaiserswerth a. Rh II, 138 Felden, Emil, Pastor an St. Martini, Bremen II, 125 Ficalbi, Dr. Eugenio, Professor der Zoologie, Pisa II, 179 Flothuis, M. H., Oberlehrer, Amsterdam II, 50 Focke, Dr. med. Wilhelm, Bremen II, 373 Forel, Prof. Dr. August, Yvorne, Schweiz I, 241 Friederici, Fräulein E., Berlin II, 401 Froelich, Heinrich, Baurat, Georgenswalde I, 295 Fürbringer, Prof. Dr. Max, Geh. Hofrat, Heidelberg II, 335 Gadow, Dr. Hans, Professor an der Universität Cambridge (England) II, 160 Georg y, Ernst August, Schriftsteller, Halle a. S I, 309 Gerling, Friedrich Wilhelm, Wiesbaden I, 223 Glatz, Friedrich, Kaufmann, Wien II, 61 Gilbert, Leo, Redakteur der „Zeit", Wien II, 285 Goldscheid, Rudolf, Soziologe, Wien II, 247 Grazie, Fräulein Maria Eugenie delle, Wien II, 309 Greil, Dr. Alfred, Professor der Anatomie a. d. Universität Innsbruck . . II, 211 Gurlitt, Prof. Dr. Ludwig, München I, 234 gggggg]ggggggggggg^E]G]gggE]g5]E]gEiggggE]gB]E]E]E]E]E]B]E]E]E]B|E]GlE]EIE]B] 414 gggg3g§3^E]ggggE]EjgE]gB3EigggggggE3ElE]E]G]E]ElElE]B]B]E]B]E]E]E3E]G]E3E]B]EjGjE]a Seite 383 233 165 282 I20 419 398 H a e c k e 1 , Prof. Dr. Heinrich, Direktor des Städtischen Krankenhauses, Stettin Hatschek, Prof. Dr. Berthold, Hofrat, Wien Hertwig, Prof. Dr. Richard von, Geheimer Hofrat, München Hirschfeld, Dr. med. Magnus, Berlin Holgers, Frl. Maria, Berün Hopf, Dr. med. Ludwig, Stuttgart Huschke, Dr. Konrad, Mitgl. der Fürstl. Kammer, Greiz I Ihering, Prof. Dr. Hermann von, Dir. des Museo Paulista, Sao Paulo, Brasilien Jans, Johann, Elva, Livland Juliusburger, Oberarzt Dr. Otto, Steglitz-Berlin Kahl, August, Schriftsteller, Hamburg I Kammerer, Dr. Paul, Privatdozent an der Universität Wien .... I Keller, Dr. Conrad, Zürich, Professor am Eidgenössischen Polytechnikum, Zürich Keller, Prof. Dr. Robert, Direktor des Gymnasiums in Winterthur . . Kleinsorgen, Wilhelm, Berlin -Wilmersdorf I Knopf, Hofrat Prof. Dr. Otto, Jena I Kocks, Dr. med. Josef, Universitätsprofessor, Bonn I Koltan, Jakob, Schriftsteller, Heidelberg I Koerner, Prof. Ernst, Berün I Kotthaus, Carl, München I Krauseneck, Dr. Gustav, Triest Kroell, Dr. Hermann, Geheimer Sanitätsrat, Straßburg Lang, Dr. Arnold, Professor der Zoologie an der Universität und dem Eid- genössischen Polytechnikum, Zürich I Leege, Karl O., Jena I Leipzig, Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes I Leon, Dr. Nicola, Professor an der Universität, Jassy I Lipsius, Dr. Friedrich, Privatdozent an der Universität, Leipzig . . . I Loeb, Dr. Jacques, Professor an der Universität Newyork I Lowie, Robert H., Newyork I McCabe, Joseph, London N. W I Mark, Prof. Dr. E. L., Dir. of the Zool. Lab. Harvard University, Cam- bridge, Mass I May, Dr. Walther, Professor an der Technischen Hochschule, Karlsruhe Meyer, Dr. Erich, Kgl. pr. Landesgeologe, Dahlem-Berlin Meyer, Professor R., Berlin I Michelis, Dr. phil. Heinrich, Oberlehrer, Königsberg i. Pr Morton, James F., Rechtsanwalt, Präsident der Thomas Paine Asso- ciation, Newyork Neu mann, Carl W., Herausgeber von Reclams Universum, Leipzig . . I Ort mann, Prof. Dr. Arnold, Curator of the Dep. of the Invertebrate Zool. am Carnegie Museum, Pittsburg Ostwald, Geh. Rat Prof. Dr. Wilhelm, Groß-Bothen Paatsch, Max, Handlungsgehilfe, Dessau I Palmen, Dr. Axel, Professor an der Universität Helsingfors I Plotke, Georg J., Frankfurt a. M I 397 315 391 172 6 403 323 3Si 298 186 362 68 317 416 329 259 207 391 73 22 15 404 244 304 273 423 28 267 374 154 336 195 410 307 308 gggE]E]^gg^E3^G3gSgggg§ggg^gg^ggggG]G]gggggE]E]B]glB]E]E]EIEJE]B]B]E]HJEl 415 g^E]gggE]gggggggE]gggggggE]ggB]ggggG]E]GlE]E]E]B]E]E]B]G]E]E]E]G]E]E]E]E]E]E]G] Porten, Dr. med. Max von der, Hamburg Rabl, Geh. Rat Prof. Dr. Carl, Dir. des Anatomischen Instituts, Leipzig I Rahner, Dr. med. Richard, Gaggenau i. Bad Regel, Dr. Fritz, Professor an der Universität Würzburg I Reh, Dr. Ludwig, Custos am Naturhist. Museum, Hamburg I Reichel, Eugen, Berlin -Schöneberg I Rheindorf, Dr. med., Augenarzt, Krefeld Rieß, Carl, Kaufmann, Hamburg I Römer, Prof. Dr. Julius, Kronstadt (Siebenbürgen) Sars, Dr. Ossian, Professor an der Universität Christiania Schall mayer, Dr. Wilhelm, Krailling- Planegg bei München I Schatt, Carl Oswald, Fachlehrer, Brunn i. Mähren Schaxel, Dr. Julius, Privatdozent an der Universität Jena I Scheffauer, Hermann, Schriftsteller, London I Schmidt, Dr. Heinrich, Jena Schneider, Hugo, Bankbeamter, Berün I Schrickel, L., Schriftsteller, Klotzsche bei Dresden Schwaner, Wilhelm, Herausgeber des „Volkserziehers", Schlachtensee- Berlin Schwarz, Arthur, Generaldirektor, Gr. Lichterfelde-Berlin I Schweninger, Geh. Rat Prof. Dr. Ernst, München I Seber, Dr. Max, städtischer Tierarzt, Dresden Semon, Prof. Dr. Richard, München Siebert, Dr. Fritz, Spezialarzt für Haut- und Geschlechtsleiden, München Sokolowsky, Dr. Alexander, Hamburg I Spitzer, Dr. Hugo, Professor der Philosophie an der Universität Graz I Sprenger, Dr. med. et phil. G., Mainz I Steman, Friedrich, Oberlehrer a. D., Weimar Stoecker, Frau Dr. phil. Helene, Berlin I Stona, Gräfin Maria Scholz-, Schloß Strzebowitz, Schlesien Thiele, C. H., Privatgelehrter, München-Solln Thieme, Friedrich, Schriftsteller, Weimar I Trapp, Frau Grete, Zürich Tschirn, Georg, Präsident des Deutschen Freidenkerbundes, Breslau Unna, Prof. Dr. P. G., Hamburg I Verworn, Prof. Dr. Max, Direktor des physiologischen Instituts der Universität Bonn I Vogtherr, E., Mitgüed des Reichstags, Dresden I Walther, Prof. Dr. Johannes, Dir. des Mineralogischen Instituts, Halle a. S. I Weber, Alfred Ritter von Ebenhof, k. k. Ministerialrat d. R., Wien . . I Wolfsdorf, Eugen, freirel. Prediger, Nürnberg I Yung, Dr. Emile, Professor an der Universität Genf I Zalisz, J. F., Leipzig I Zucca, Prof. Antioco, Cagliari, Sardinien 33EjggE]ggggE]ggE]gEiggEjgggggggggggG3B35]§]ggG]GjS)ggB]GjG3gE]E3G]E]5]E]Ej 416 <► . ippi 1 ./• * >'