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W. BURGER'S

KUNSTKRITIK

BAND II

Den Druck dieses Werkes be- sorgte die Offizin von Oscar :: Brandstetter in Leipzig ::

W. BÜRGERS

KUNSTKRITIK

DEUTSCHE BEARBEITUNG

VON A. SCHMARSOW und B. KLEMM

IL CHARAKTER DER FRANZÖSISCHEN KUNST HAUPTMEISTER DER HISTORIENMALEREI, :::::: GENRE UND PORTRÄT, PLASTIK ::::::

LEIPZIG 1909 VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN

Charakter der französischen Kunst

Die französische Schule ist wirklich niemals recht koloristisch gewesen ; aber sie hat fast immer durch einen geistigen Vorzug für das spezielle Talent des Ausdrucks in der Malerei, das die Farbe ist, Ersatz geboten. Der Vorzug der Kom- position ist es, der unsre nationalen Künstler aus- zeichnet, und da liegt ihr eigentliches Lebens- prinzip. Das Prinzip der florentinischen Schule war die Zeichnung, die Linienführung, der Stil der Form. Das Prinzip der venezianischen Schule war die Farbe und das Licht. Das Prinzip der römischen Schule war die allgemeine Komposition, die Anordnung und Inszenierung des Dargestellten. Frankreich ist in diesem Punkte immer der römi- schen Schule gefolgt. Unsere großen Künstler gehören zur Nachfolge Rafaels mit nicht weniger Logik und Verstand, wenn auch nicht mit ebenso- viel Poesie. Poussin und Lesueur, und neuerdings Leopold Robert gehören diesem System an. So war auch die Richtung unsrer Schule immer histo- risch, während die italienische Malerei im all-

BUrger, Kunstkritik. II. 1

Charakter der französischen Kunst

gemeinen zur Dichtung neigt und während die flandrische und die holländische Schule das häus- liche Leben darstellen.

Zu allen Zeiten ist im innersten Grunde einer einheimischen Kunst immer eine gewisse entschei- dende Bestimmungsursache vorhanden, eine Logik, die sich nicht verleugnet. Im 1 8. Jahrhundert war die Kunst der Regentschaft und Ludwigs XV. von Wollust erfüllt. Die Schule der Revolution richtete sich auf einen strengen Stoizismus. Die kaiser- liche Kunst drapierte sich militärisch mit einer berechneten Schroffheit. Man merkte, daß diese nackten Gestalten nur für den Bedarf des Augen- blicks entkleidet waren. Sie befanden sich eigent- lich nicht wohl ohne Halskragen und Schaftstiefel. Leonidas hatte bei den Kürassieren, Äneas bei den Dragonern gedient. Romulus gehörte zur jungen Garde und Belisar zu den Veteranen. Die Helden des Altertums trugen den Tornister auf dem Rücken, wie die Truppen Napoleons.

Dann, seit der romantischen Reaktion, kam die Laune und die Fremdartigkeit in Aufnahme. Alle Überlieferungen wurden ausgepfiffen, alle Re- geln abgeschafft. Aber diese zügellose Freiheit ermutigte wenigstens die Originalität, die Kühn- heit und die eigene Erfindung. Sie hat einige Maler unabhängiger Rasse zur Entfaltung ge- bracht, die der Druck eines ausschließlichen Systems erstickt hätte. Dieser künstlerischen Re- volution danken wir Delacroix, Decamps, Ary

Charakter der französischen Kunst

Scheffer, Rousseau und die jungen Landschafter, Camille Roqueplan und alle Maler der Phantasie, ja selbst Ingres, der sich die Unordnung zunutze gemacht hat, einen neuen Dogmatismus einzu- führen. Aber das System dieses letztern hat nur schwache und blasse Schüler bekehrt; denn die Kunst bedarf vor allen Dingen der Freiheit, wie Winckelmann bei Gelegenheit der griechischen Kunst sagte; und der Erfolg der ersten hat nicht ausgereicht, ihren Nachfolgern auch Genie zu ver- leihen; so seltene Gaben sind Poesie und Form, die man durch Nachahmung nicht gewinnen kann. Heutzutage hat die französische Schule, wie sie sich in Abwesenheit der glorreichen Individuali- täten (die im Salon eben nicht ausgestellt haben) ausnimmt, gar keine Regel mehr, kein Prinzip und keine Vorliebe. Die Komposition, die Zeich- nung, die Farbe zeigen sich selten und nur nach Zufall. Der blinde Zufall reißt kopflos und aben- teuerlich alle Künstler mit sich fort, deren wesent- liche Eigenschaften ein scharfsichtiges Auge, ein grader Sinn sein sollten und ein überzeugungs- treues Gefühl. 1844. I. 21 f.

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Die Zeit der Romantik

Wo ist die Zeit der großen Streitigkeiten, die Künstler und Kritik in Leidenschaft setzten? Man regte sich damals über einen Lichteffekt auf, über den Ausdruck einer Physiognomie, über die Ver- drehung eines Gliedes. Damals war es nötig, daß die Leute, die sich erlaubten auf öffentlichem Schauplatz zu erscheinen, auch den guten Ge- schmack hatten, etwas Haltung mitzubringen und ihre Rolle brav auszuführen. Man nahm das Drama, das auf der Leinwand dargestellt war, ernst, wie die Dramen, die auf den Brettern spielen. Die Athalie von Sigalon, den Dante von Eugene Delacroix verglich man mit dem Geist Racines, mit dem Geist des unsterblichen italienischen Dichters. Das Gemetzel von Chios veranlaßte den Degen zu ziehen, wie der Hernani von Victor Hugo. Es gab damals Parteien von verschiedenen Farben, wie im Zirkus des Nero; die weiße Rose und die rote Rose, wie im Krieg der englischen Königshäuser, die Blauen und die Weißen, wie in der alten Vendee; die Erwählten und die Ver- schmähten; Fanatismus gab es auf der einen Seite

Die Zeit der Romantik

wie auf der anderen, Gleichgültigkeit nirgends; eine Art Religion überall, wie in den feurigsten Zeiten der Revolution. Das Gefühl für Schön- heit, die Liebe zu Farbe und Form hatten ihre Apostel und ihre Märtyrer. Mehrere von ihnen sind tot; nicht unter den Kritikern, diesem Ge- schlecht von neugierigen und überlegten Zu- schauern, die immer auf ihre Gesundheit bedacht sind und sich begnügen, der Entwicklung des Dramas und dem Spiel der Künstler Beifall zu spenden, während diese sich bei der Verwirk- lichung des poetischen Gedankens verzehren; aber die Hauptrollen des Stückes, wie Prudhon, Geri- cault, Leopold Robert, Sigalon und wieviel andere dunklere Gestalten, diese edlen Künstler, deren Leben ein unersättliches Bemühen und ein ver- haltenes Hoffen war, sie sind durch ihren Genius getötet. Die Kunst ist lang, und das Leben ist kurz, sagt ein altes Sprichwort. Ihr Auftreten war schnell vorüber, in der Tat, und ihr Werk noch vielfach angefochten. In ihrem letzten Augenblick haben sie nicht wie die antiken Gladiatoren den Kaiser begrüßt, der sie sterben ließ. „Caesar, morituri te salutant;" denn die Mehrzahl von ihnen ist in Verzweiflung gestorben und hat die Kunst verflucht, den unvergänglichen Cäsar, diesen Des- poten, für den sich immer die edelsten Athleten opfern, ohne andere Hoffnung als einen schwan- kenden Ruhm, ohne andere Genugtuung als den Vollzug einer verhängnisvollen Liebe.

Die Zeit der Romantik

Wo ist die Zeit der Lokusta von Sigalon, des Schiffbruchs der Medusa von Gericault, des Sar- danapal von Eugene Delacroix, der türkischen Patrouille von Decamps und selbst der Fischer von Leopold Robert oder des hl. Syrnphorian von Ingres ? Die Mittelmäßigkeit hat bei den Künst- lern die Begeisterung ersetzt; die Gleichgültigkeit ist der Teilnahme im Publikum gefolgt. Man hätte etwas Besseres von dieser fieberhaften Krise er- wartet, die eine volle Wiederherstellung versprach. In der Literatur hat die romantische Insurrektion wenigstens ein beweglicheres Werkzeug, eine freiere und glanzvollere Fertigkeit erobert. Die literarische Bewegung hat sich mit merklichem Fortschritt weiter fortgepflanzt. Die Schriften von George Sand z. B. verbinden mit der Beredtsam- keit und Überzeugung Jean-Jacques Rousseaus das entschlossene und phantasievolle Gebaren des 19. Jahrhunderts. In der Malerei ist die franzö- sische Tradition verloren, was den Gedanken be- trifft. Umsonst hat Louis David, indem er mittel- bar das Werk Poussins wieder aufnahm, die Hel- den der Geschichte wieder erweckt. Die zeitgenös- sische Schule hat den französischen Geist abge- schworen, der in der Erfüllung mit großen sozialen und politischen Dingen besteht. Und ebenso ziehen die heutigen Maler, was die Form betrifft, noch nicht Vorteil genug aus den Eroberungen des ro- mantischen Umschwungs. Indes, die beiden Schulen, die sich seit dem Ende des 18. Jahr-

Die Zeit der Romantik

hunderts gefolgt sind, hätten durch die Vereini- gung ihrer Elemente eine nationale Kunst erzeugen können, voll Saft und Originalität. Ja, David hatte recht, Sokrates, Leonidas und die Horatier wieder herbeizurufen; denn es sind Typen, die das Ge- dächtnis der Menschen ewig bewahren soll; und die Wiedergabe der hohen geschichtlichen Taten ist eine fruchtbare Allegorie für die lebenden Ge- schlechter. Ja, Gericault und Delacroix hatten recht, unter demselben Gesichtspunkt, indem sie Dramen der zeitgenössischen Geschichte malten; denn dies Gebiet der Kunst ist unbegrenzt: die ganze Menschheit, die ganze Natur gehören ihr an. Die Kunst ist überall: es handelt sich nur darum, sie zu sehen. Die Künstler sind diejenigen, deren Blick ein Bild und ein Gefühl erfaßt, und deren geschicktes Können diesen Eindruck in eigenartiger Form wiederzugeben versteht. Wenn die Natur oder das Nachdenken euch eine ab- strakte Idee geben, seid ihr Philosophen; wenn sie in eurem Innern lebendige Formen erwecken, seid ihr Dichter; wenn ihr die Macht habt, diese beseelten Wesen aus eurem Geist in die Außen- welt zu versetzen, mit unterscheidender Farbe und normalen Proportionen, dann seid ihr Maler.

Die Aussteller im Salon dieses Jahres haben sich um diesen Innern Geist, diese poetische Flamme, wie man im i8. Jahrhundert sagte, kaum geküm- mert. Die Malerei ist nur mehr ein gemeines Hand- werk ebenso wie die andern Professionen. Die

Die Zeit der Romantik

Kunst um der Kunst willen taugte ehedem noch mehr. Jeder suchte sich wenigstens durch eine gewisse Auslegung der Natur auszuzeichnen oder durch originelles Gefühl. Heute geht man die Galerien des Salon entlang, ohne daß ein charak- teristisches Werk einen zum Stillstehen zwingt. Alle Gemälde sehen einander gleich. Man könnte sie für Erzeugnisse der Industrie und Manufaktur halten. Wenn man im alten Louvre herumgeht, vermag man bei einiger Kenntnis der Malerei auf den ersten Blick für jedes Gemälde einen Namen zu nennen : Rembrandt, Ostade, Cuyp, Veronese, Correggio, Andrea del Sarto; selbst für Meister zweiten Ranges, die doch ein Merkmal der Rasse und eine eigenartige Physiognomie haben, obwohl sie zur selben Familie gehören. Heute herrscht ein elendes Durcheinander. Die Rasse ist aus- gestorben. Es bleibt nur der Stempel allgemeiner Schwäche und durchgehender Häßlichkeit übrig. Es ist wie jene armen Kinder der großen eng- lischen Fabriken, die alle die rechte Form und Ge- sundheit verloren haben, alle ein ermüdetes Aus- sehen tragen, leere Züge und farblose Haut.

An Beranger

Ihr Name, Beranger, vertritt besser als irgend- ein andrer den eigentlichen Sinn unsrer nationalen Überlieferung in der Literatur und den Künsten. Sie gehören noch zu der großen französischen Fa- milie von Rabelais, Moliere und La Fontaine. Wäh- rend die Poesie des 19. Jahrhunderts sich in dunkle und fremde Bahnen hinauswagte, haben Sie, statt in der Form des Stiles Kosmopolit zu werden, sich vielmehr damit begnügt, im Grunde des Ge- fühls und des Gedankens menschlich zu sein. Das ist eine Synthese, die wohl andere aufwiegt. Es ist der Vorzug der unsterblichen Künstler; denn so erhalten sie sich in der Seele der Menschheit fort, deren dauernde Eigenschaften sie an ihrem Teil wiederspiegeln. Dagegen kommt eine Kunst, die sich unklugerweise nur an die Form hält, aus der Mode, und verändert sich ohne Unterlaß, so groß auch der Reiz des äußeren Stiles sein mag.

Die Kunst der wahrhaft großen Meister ver- birgt natürlich das Verfahren der Ausführung; sie ergreift uns durch einen wesentlichen Cha-

10 An Beranger

rakter, der tiefer liegt als die plastische Hülle. Derart ist die griechische Skulptur der Blütezeit, obwohl der antiken Kunst im allgemeinen der Vorwurf gemacht werden könnte, zu sinnenfreudig zu sein, wenn man sie eben mit der christlichen Kunst vergleichen will. Die Athena des Parthenon war lebendig und keusch aus dem Kopf des Phi- dias entsprungen, ganz so, wie das mythologische Symbol es angibt. Beim Anblick der Venus von Milo ergreift uns zuerst ein Gefühl, ehe wir zur Analyse ihrer Schönheit kommen. Derart ist auch die Kunst Rafaels, wo die Geschicklichkeit des Verfahrens erst nach der Erfindung beachtet wird.

Derart ist Moliere, der an Einfachheit und Natürlichkeit seines Stiles vielleicht den größten Meistern aller Literaturen überlegen ist. Der schöne Stil ist wie ein Pfeil, dessen Stich man empfindet, ohne sein Schwirren durch die Luft gesehen zu haben. So ist das Genie Molieres ein so wohlgespannter Bogen, daß er uns unfehlbar ins Herz trifft, bevor wir noch die Bewegung der Hand gew-ahr worden, die den Schuß vorbereitet. Aber, reißen wir den Pfeil heraus, so können wir nur bewundern, wie fein und leicht er ist, wie spitz geschärft und wie kraftvoll zugleich, ja noch zum Vergnügen ziseliert.

Ihr Talent hat Ähnlichkeit mit dem Molieres : die Größe in der Naivität, die Klarheit, die Ver- nunft. Feste Zeichnung, flotte Farbe; alle Eigen- schaften, die dem französischen Genie besonders

An Beranger 11

zukommen. Sie haben, wie Moliere, eine melan- cholische Empfindlichkeit, die Ihren Versen oft einen weichen, harmonischen Klang verleiht. Sie haben, wie er, die seltene Fähigkeit, in den ersten besten Gegenstand eine tiefmenschliche Bedeut- samkeit zu legen. Eine Komödie von Moliere, nach Zufall herausgegriffen, ist gewiß soviel wert wie ein episches Gedicht. Ich spreche nicht vom „Misanthrope" und vom „Tartufe", die zwei aus- gearbeitete Meisterstücke sind, und die schon durch ihren Grundgedanken selbst ankündigen, daß sie Philosophie und Moral, Laster und Tu- genden des Herzens, die Verhältnisse der Gesell- schaft Selber betreffen. Es sind Historienbilder, die einen tiefdurchdachten Stoff mit sorgfältiger Form verbinden. Aber nehmen wir nur das andre anspruchslose Meisterwerk, das reizende Genre- bild mit dem Titel „Die Schule der Frauen" : ein Mann mit einer lächerlichen Idee im Kopf, ein geschwätziger Freund, eine neckische und durch- triebene Magd und ein kleiner Narr. Die ober- flächliche Komik liegt sicher in der Situation des Vertrauten, in der Horace den Arnolf immerfort erhält; sie liegt auch im Charakter der Agnes, in der Hartnäckigkeit ihres Beschützers, in der spöttischen Unerschütterlichkeit Chrysaldes. Das reicht hin, um ein köstliches, höchst unterhalten- des Stück daraus zu machen. Aber dringt nur weiter in den Charakter Arnolfs ein. Dieser Arnolf mit seinem beschränkten und verstockten Sinn

12 An Beranger

würde nicht das mindeste Interesse einflößen, wenn er nicht zugleich von Leidenschaft beseelt wäre :

Elle trahit mes soins, mes bontes, ma tendresse, Et cependant je Taime, apres ce lache tour, Jusqu'ä ne me pouvoir passer de cet amour.

Das ist ein Meisterzug, der unmittelbar rührt. Aus der leichtesten Phantasie Molieres, wie aus dieser herrlichen Komödie ,/i'£cole des Femmes", leuchtet immer ein wahres Gefühl hervor, das natürlich im Menschenherzen unvergänglich wohnt.

Auch Sie, Beranger, rühren wie Moliere in seinen Improvisationen jeden beliebigen Gegen- stand an, sei es der „Bettler" oder „Die beiden barmherzigen Schwestern", der „Kleine graue Mann" oder die „Fretillon". Sie sind der rechte Dolmetsch des gemeinsamen Fühlens, daß jeder- mann Sie gleich auswendig lernt, bloß vom An- hören; denn Sie drücken einfach aus, was das Leben ist, und entdecken das Leben, wo immer es ist überall.

Das ist es, worauf ich kommen w^ollte, in An- wendung auf die Kunst der Maler und Bildhauer. Sie erinnern sich an jene Kämpfe der Kritik seit 15 Jahren: da verfochten die einen, die Kunst be- deute überhaupt gar nichts, sei nur eine bizarre Laune des einzelnen, für das gemeine Volk un- verständlich; die andern, die eine Ahnung von der Erhabenheit der Kunst besitzen, forderten, daß Stil und Form stets das Kleid eines bedeutsamen

An Beranger 13

Gedankens seien. Jene antworteten, es genüge, daß die Statue schön sei, und vergaßen, daß Pygmalion sie auch noch mit einem vom Himmel geraubten Strahl beseelen wollte. Wir aber, an- spruchsvoller als diese modernen Materialisten, verlangten stets, wie der antike Künstler, das Le- ben in die selbständig geschaffene Form herab- steigen zu sehen. Wir nannten die Kunst eine lebendige Schöpfung oder den Ausdruck des Le- bens. Man ließ uns diese Torheit bei historischen Darstellungen gern hingehen, oder bei großen Kompositionen. Aber, sagte man, was wird aus eurer menschlichen Kunst in einer vom Maler im- provisiei^ten Phantasie? Man braucht doch kein großer Philosoph zu sein, um irgendeinen Zigeuner in Lumpen darzustellen, der in der Sonne lagert, oder eine Hirtin, die Blumen pflückt.

So lief denn diese frivole Theorie darauf hin- aus, den Menschen unter dem Lappen, die Frau unter dem Seidenstoff untergehen zu lassen. Es blieb von der Kunst nichts als eine leere Kutte übrig. Aber jene i\postel der Indifferenz vergaßen selbst die holländische und flandrische Kunst, deren Meister ganz naiv Männer und Frauen zu machen verstanden haben, unter der beschei- densten Erscheinung. Die unanständigen Trinker Adrian Brouwers oder Craesbeecks sind lebendige Personen mit ebensoviel Recht wie die edlen Ge- stalten Rafaels, wenngleich in einer verschiedenen Lage. Die Sganarelles von Moliere würden ihre

14 An Eeranger

Seele nicht Hamlet abtreten, dem Königssohn, oder dem Agamemnon, dem Könige der Männer. Unsere Gegner bildeten sich ein, sehr viel leichter noch auf dem Felde der Landschaft zu triumphieren und bei der „unbeseelten" Natur. Was soll man einem Waldesinnern für eine Be- deutung geben, einer Ansicht des sonnenbeschie- nenen Feldes, einem Bauernhof, einem Sumpf, wo Enten zwischen dem Schilfrohr tauchen? Aber sie vergaßen ebenso, ohne von den großen Land- schaftern wie Poussin und Claude zu sprechen, daß die „kleinen" holländischen Meister ihre Land- schaften mit einer immateriellen Stimmung voll tiefer Poesie zu durchdringen wußten. Wir haben gar oft die „philosophische Kuh" von Paulus Potter, den „melancholischen Busch" von Ruis- dael angeführt, die sich im Louvre befinden. Da ist auch noch eine andere Landschaft von Ruis- dael, ein ^düsteres Seestück, der „Sturm" genannt, in das der Künstler seine ganze lebendige Poesie gelegt hat. Das tobende Meer erfüllt die Bild- fläche und empört sich überall gegen einen furcht- baren Himmel mit schwarzen Flecken. Rechts in einer kleinen Ecke sieht man ein Häuschen mit Strohdach, auf einem Stückchen Erdreich gebaut, das nur eine rohe Palisade von Pfählen, die ins Wasser eingerammt sind, beschützt. Der Wind, der Regen, das Ungewitter schlagen von oben auf diese gebrechliche Zufluchtstätte nieder, wäh- rend die Wogen sie ringsum belagern und sich

An Beranger 1')

mit lautem Gebrüll gegen die Schutzwehr stürzen, wie Krieger, die eine Festung erstürmen. Wird das Fach werk, das auf schwankendem Boden kauert, diesem unerbittlichen Angriff widerstehen ? Das scheint mir keineswegs „bedeutungslos", und meines Erachtens wiegt dies Drama alle kastilla- nischen Dramen des Mittelalters und sonst auf, wo sich schöne Lumpen mit Kettengerassel er- gehen; denn hier finden wir das menschliche Leben mitten in einem großen Chaos der Natur beteiligt. Sollte denn dieses Haus nicht bewohnt sein? Denn hier ist ja das Futteral, wie ein Ro- mantiker sagen würde, wo ist denn die Klinge? FreilicK, da steckt vielleicht unter dem Strohdach eine Bauernfamilie, die den Tod erwartet; oder haben vielleicht jene kühnen Kinder der Küste ihr Nest dem Sturm überlassen, um in einer Barke mit ihren starken Armen den verirrten Schiffen zu Hilfe zu kommen, die von der Brandung gegen das Ufer getrieben werden?

Aber, haben unter unsern Zeitgenossen nicht die wahren Maler und die wahren Poeten immer den Menschen, oder vielmehr das menschliche Ge- fühl selbst, in die verödete Natur hineingetragen? Rousseau, der uns immer in den Sinn kommt, wenn es sich um Poesie in der Malerei handelt, hat eines Tages eine Kastanienallee in irgend- einem zurückgezogenen Winkel der Vendee ge- funden, in diesem originellen und wilden Lande, dessen kraftvoller Pflanzenwuchs eine eigentüm-

16 An Beranger

liehe Farbe hat und dessen Bäume ganz wunder- vollen Bewegungszug besitzen. Er hat ganz treu- lich die Allee vor seinen Augen kopiert. Man geht am Rand des Bildes hinein, wie in den großen Schlund eines Tunnels, und kommt nicht mehr her- aus ; aber, ganz im Hintergrund, weit, weit bemerkt man das Tageslicht am äußersten Rande dieser Höhle von durcheinandergestreckten Zweigen und dichtem Laub. Man hat keinen Himmel über sich, weder links noch rechts; denn die Bäume stehen Stamm an Stamm und verschlingen sich wie Lianen des Urwaldes oder wie die Arabesken längs des Behangs und der Decke eines Gebäudes. Nur an einzelnen Stellen dieser grünenden Wölbung leuchten kleine Strahlen zitternden Lichtes zwi- schen den beweglichen Blättern hindurch, wie flimmernde Sterne am Firmament des Abends.

Betrachtet man dies, schöne Bild, so erfährt man denselben Eindruck, wie wenn man allein in eine weite Kathedrale tritt, mit hochstrebenden Diensten und seltsamen Verzierungen. Der Durch- blick des Himmels am äußersten Ende des ge- heimnisvollen Baumganges ist wie ein strahlen- der Altar im Grunde des ernsten Baues.

Ein solches Gemälde gehört sicherlich der „Kunst für den Menschen" an und nicht der „Kunst um der Kunst willen". Ich sage nicht, diese Poesie sei in der Natur nicht vorhanden; aber man muß sie eben noch darin fühlen und muß sie ausdrücken. Der Künstler ist nicht allein

An B6ranger 17

Auge wie das Daguerreotyp, ein fataler passiver Spiegel, der physisch nur das Bild, das man ihm vorführt, wiederholt; er ist eine bewegende schöp- ferische Kraft, die ihrerseits die äußere Schöp- fung befruchtet. Die Natur ist die wollüstige Mutter, die des Liebenden Leidenschaft hervor- ruft, und die Kunst ist die Frucht dieser Ver- bindung.

Die Allegorie gehört so notwendig zur wahren Kunst, daß die spontansten Maler, die nur dem Bild sich widmen, ohne sich mit dem Gedanken darunter abzugeben, zuweilen Gemälde schaffen, in denen die Reflexion symbolische Dichtungen und Anspielungen entdeckt, die der Maler gar nicht vermutet hat. Ich habe Künstler oft sehr überrascht gesehen über Auslegungen ihrer Werke durch die Kritik. Sie sagen darauf, daß sie über das Symbol spotten, und daß die Kunst ein un- bewußter Drang ist, der kein Bewußtsein seiner Beweggründe zu haben braucht. Rafael und Poussin sprachen das gerade nicht aus. Aber nehmen wir doch die Maler, wie sie heute sind. Es ist nicht ihre Schuld, wenn die Philosophie und der Gedanke aus der bürgerlichen Gesell- schaft verbannt sind; und nach alledem, was ver- schlägt das Verfahren, wenn das Ergebnis den Bedingungen der Kunst Genüge leistet?

Decamps, der ein Mann von lebhaftem Emp- finden ist, aber sehr gleichgültig gegen Theorien, hat sich oft am Don Quichote von Cervantes be- Bürger, Kunstkritik. II. 2

18 An Beranger

geistert, diesem im Grunde so allgemein-mensch- lichen Gedicht, das in der Form so spanisch ist. Das Verfahren der spanischen Kunst beruht unab- änderlich auf dem Kontrast, in der Malerei wie in der Literatur : Kontrast von Licht und Schatten in den Gemälden; Kampf zweier entgegengesetzter Prin- zipien in Dramen und Romanen. Das ist der ganze Cervantes, mit seiner unnachahmlichen Form: auf der einen Seite der heroische Aufschwung der Seele beim Drang nach gefährlichen Aben- teuern; auf der andern der Widerstand des sinn- lichen und vorsichtigen Körpers. Don Quichote gleicht mehr als man denkt den asketischen Mön- chen von Zurbaran, und Sancho den lustigen Kum- panen, die Velazquez und Murillo mit ihren schönen Farben Übergossen haben.

Ich glaube gern, daß Decamps sich niemals mit dem Sinn des Don Quichote abgequält hat, und einigemal hat er tatsächlich den gestrengen Ritter mit einer starken Geringschätzung gemalt, die der Karikatur sehr nahe kommt. Indessen doch eines Tages hat er die beiden Abenteurer feierlich in die schwarzen Berge einziehen sehen, in einem Anblick, der eine vollkommene Wieder- gabe des spanischen Romans ist. Das kleine Mei- sterwerk von Decamps ist leicht in Aquarell aus- geführt, von Prevost in Aquatinta gestochen, und wurde vom „Artiste" publiziert. Es stellt Don Quichote und Sancho dar, die auf der Landstraße gerade von vorn gesehen ankommen, inmitten einer

An Beranger 19

sonnenverbrannten Gegend mit kahlen Felsen darin. Dieser Lebensweg ist ein verhängnisvoller Schauplatz, der auf das Drama gut vorbereitet. Der fahrende Ritter, vom Kopf bis zu Fuß be- waffnet, mit der Lanze in der Faust, hält sich auf- recht und fest in seinen Steigbügeln, immer bereit zum Kampf. Er schaut vor sich hinaus, was die Vorsehung ihm zu senden geruhe. Er ist kerzen- gerade emporgestreckt, hoch wie eine Pappel, die zum Himmel strebt, während an seiner Seite Sancho, der ihn begleitet, sich auf seinem Esel in die Breite legt, seinen Bauch vorwärts streckt und seine grobe Hand auf seinem runden Schenkel ruhen läßt. Der nachlässige Körper macht sich's bequem, indem er der unruhigen Seele folgt. Wäh- rend Don Quichote bis an die Augenbrauen in seinem Helm steckt und von seiner Eisenrüstung bedrückt wird, hat Sancho sogar seinen leichten Hut zurückgeworfen, um den Wind etwas um seinen Schädel wehen zu lassen, und hat einige Knöpfe seines Wamses aufgemacht, um seine Ver- dauung nicht einzuengen. Sein roter Kopf wendet sich dem Herrn zu, der nicht darauf achtet, und seinerseits ohne Zweifel etwas Großes in seinem Gemüt erwägt, ohne die Einfälle und guten Rat- schläge seines Knappen zu hören.

Kennt man nicht den ganzen Cervantes nach dieser geistreichen Skizze, wo das menschliche Leben in seinen beiden verschiedensten Typen symbolisiert ist.

20 An B6ranger

Es handelt sich also, welches auch der Gegen- stand und die Form eines Kunstwerkes sein mögen, bei Gemälde oder Statue darum, daß der Künstler ein intimes Gefühl hineinbringe, das natürlich und unabweisbar sich den anderen Menschen mitteile, sie erleuchte und bessere. Das alte Sprichwort vom Theater ist auf alle Künste anwendbar, ebenso wie die Verse des lateinischen Dichters: bessern indem man belustigt, das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Ach, die zeitgenös- sische Kunst ist so fern von dieser elementaren Richtung, daß man nicht einmal weiß, wie man es anfangen soll, sie zu irgendeiner Bedeutung zurückzubringen, und daß die allereinfachsten Wahrheiten in den Augen unserer verblendeten Generation wie die kühnsten Paradoxe erscheinen.

Darin besteht Ihre rühmliche Überlegenheit, die nicht bestritten werden kann; Sie sind ein lebendes Beispiel, das man unsern Malern an- führen kann, ohne freilich große Aussicht, es nachgeahmt zu sehen. Sie haben vortrefflich be- wiesen, daß es keine kleinen Gegenstände noch kleine Formen gibt, sondern nur kleine Künstler; denn das Genie verwandelt die Proportionen aller Dinge. Sie haben eine Singweise aufgegriffen und sie zur Ode, zur Heldendichtung erhoben. Sie haben Bettler genommen und große Philosophen daraus gemacht. Sie haben Narren herbeigeholt und sie zu Propheten geweiht. Bei Gelegenheit von Flaschen und Marketenderinnen oder sonst

An Beranger 21

etwas haben Sie den französischen Esprit erneuert, und alle edlen Gefühle von Patriotismus und Gleichberechtigung aufgerufen. Sie sind, wie Pierre Leroux gesagt, noch der Sohn der großen Gene- ration vom Ende des i8. Jahrhunderts, die unsre große Revolution gemacht hat. Sie sind Volk und Philosoph, wie Diderot und Voltaire, und haben wie jene Ihre Poesie in den Dienst der Mensch- heit gestellt. (1845. I. 99—108)

An George Sand

Ehedem rief man beim Beginn eines litera- rischen Unternehmens die Musen, den Olymp und die unsterblichen Götter an; aber die alten Götter sind tot. Ein großer Mann begräbt oft mehrere Generationen von Göttern. Homer hat länger ge- lebt als Jupiter.

Das letzte Jahr habe ich meinen Salon einem Unsterblichen gewidmet, der doch kein Mitglied der Akademie ist; erlauben Sie mir, den Salon von 1846 unter Anrufung von George Sand und ihrer Unsterblichkeit zu stellen.

Wie Beranger gehören Sie Ihrer Zeit an und Ihrem Lande; Sie gehören dem Frankreich des 19. Jahrhunderts und zugleich der ewigen Mensch- heit. Die andern sind mehr oder minder Fremde und Wiederauf erwecker; jene brauchen Spanien und England, Karl V. und Cromwell, das Mittel- alter und die Nebel der Geschichte. Sie dagegen begnügen sich mit einem Blumenmädchen, einem Reisegefährten oder einem Müller; und wenn Sie die Jungfrau von Orleans auferwecken, kraft einer

An George Sand 23

poetischen Metempsychose, so verpflanzen Sie Ihre Seele in eine Bäuerin von Berri.

Die Lelia gehört durchaus dem 19. Jahrhun- dert, wie der Misanthrop dem Hofe Ludwigs XIV., wie Manon Lescaut der Zeit der Regentschaft. Ihre Erfindung bleibt nicht in dem Rahmen, aber in dem Charakter des Porträts, das Sie nach einer erfundenen Figur schaffen. Wozu sollte man dazu noch Randverzierungen im gotischen Stil oder ä la Pompadour hinzufügen?

Sie haben die wahre Originalität, die aus dem innern Gesicht und einem gewissen Zug des Ge- fühls entspringt. Sie bemerken zuerst neue Dinge, die vorher niemals vorhanden waren; Sie nehmen sie, wie Ihr Genius sie Ihnen gibt, und bringen sie zur Welt wie in natürlicher Geburt. So sind denn auch all Ihre Schöpfungen lebendig und an ihrer kraftvollen Gesundheit kenntlich, wie an ihrer eigentümlichen Physiognomie und ihrem ent- schiedenen Auftreten. Spiridion selbst träumt im Schatten seines Klosters, wie ein Alchimist von Rembrandt inmitten seiner Phiolen und seiner ver- staubten Bücher.

Ihr Stil ist ebenso originell, wie Ihre Erfin- dung poetisch. Was ihn auszeichnet und so eigen macht, ist die Empfindung, die darunter pulsiert, wie ein Busen unter leichter Hülle wogt. Diese Draperie ist zart und farbig und kommt aus der Fabrik der großen Meister, an Stoff und Qualität : von Jean-Jacques Rousseau z. B., aber sie bekommt

24 An George Sand

Senkungen und lichtvolle Hebungen, die der Er- regung Ihres Herzens entsprechen; sie läßt nach Art der schönen leichten Gewandung antiker Sta- tuen die Bewegungen und Leidenschaften durch- scheinen, die nur Ihrem Genius gehören. Sie haben tatsächlich kein besonderes Verfahren, die Redewendung zu gestalten; Ihre Idee springt schon so für sich heraus mitsamt ihrer Einklei- dung, die nicht der Kunst des Schneiders mehr bedarf. Ich denke mir, daß Moliere so improvi- sierte, selbst in Versen, obgleich er nach seinem Zuschnitt und seiner Farbe zur großen Mode des 17. Jahrhunderts gehört.

Ein Ausdruck von Ihnen verrät sich sogleich durch einen gewissen Duft, den er ausströmt, mehr noch als durch seine Form. Nur Ihr Gefühl treibt solche Blüten. Die Farben dieser poetischen Blu- men glänzen wie die Malerei Delacroix' in einem Licht, das die mannigfaltigsten Nuancen harmo- nisch vereinigt. Sie haben, wie Eugene Delacroix einen sehr hohen Ton, aber ohne jeden Mißklang, dank Ihrem Sinn für Halbtöne und Helldunkel. Sie besitzen den Mollton wie Beethoven in der Musik. Niemals Schwarz oder Weiß, niemals flache Tinten; neben einem leuchtenden Ton reiche Abstufungen, die durch ihre Fülle fast un- merklich dahingleiten; eine unendliche Tonleiter, wie die der natürlichen Schöpfung, die von der Sonne erhellt wird.

Sie sind Maler ebenso wie die großen Meister

An George Sand 25

und haben die beiden Vorzüge, die uns Kenner in der Kunst der Malerei entzücken. Sie haben die Originalität der Farbe und der Anschauung zu gleicher Zeit, wie die Bedeutsamkeit des Ge- dankens. „Die Kunst ist nicht," wie Sie sich wun- dervoll ausdrücken, „eine Studie der positiven Wirklichkeit, sondern ein freies Suchen der idealen Wahrheit." (I846. I. 203-205.)

IL

Studien über die französische Malerei seit dem Ende des i8. Jahrhunderts

(anläßlich der Ausstellung der „Societe des peintres" als Ein- leitung zum Salon von 1846).

I. Greuze David Regnault Girodet Guerin Gerard Gros Prudhon

Wir wollen uns einmal unterfangen, für ein Stündchen die Nachwelt zu sein. Die Veranlassung dazu ist feierlich genug. Es handelt sich darum, unsere Könige zu richten, die gestorben sind, und zugleich die Lebenden, die sich einbilden, an deren Stelle getreten zu sein. Wir können hier zum min- desten die Rolle des ägyptischen Volkes, des an- tiken Chores spielen, die ihren Tyrannen, wie ihren Wohltätern und Halbgöttern die Wahrheit sagen. Noch ist die Asche Louis Davids und seiner Dynastie nicht erkaltet, und schon strecken neue Diktatoren die Hand nach der Krone aus. Diese hohen Prätendenten können doch die Kritik nicht der Anmaßung zeihen, wenn sie selber ganz ein- fach den Ehrgeiz haben, sich den Geistesfürsten gleich zu achten. Wenn ihr Monarchen seid, so erlaubt uns, Volk zu sein. Rafael würde sich vor

Studien über die französische Malerei 27

Diderot nicht fürchten. Die Oberherrschaft der Künste muß doch durch die Beistimmung des Volkes anerkannt sein. Seid ihr von Gottes Gna- den, so stehen wir auf dem Recht des Volkes. Neben unfehlbaren Päpsten haben auch Männer wie Luther ihre Rechtmäßigkeit.

Die Ausstellung der Societe des Peintres ist sicherlich die eigentümlichste Ausstellung des 19. Jahrhunderts; denn sie vereinigt die Namen aller bedeutenden Künstler, welche seit der fran- zösischen Revolution die Künste beeinflußt haben, ausgenommen vielleicht diejenigen Zeitgenossen, die schon die Zukunft vertreten. Aber die Vergangen- heit der letzten fünfzig Jahre haben wir in un- unterbrochener Reihe vor Augen. Wenn einer oder der andere von diesen Meistern, wie Prudhon, G6ricault, Sigalon und Leopold Robert, in der Ausstellung nicht seinen Verdiensten entsprechend zur Geltung gelangt, so wird es uns nicht schwer fallen, sein Gesamtwerk mit frischen Erinnerungen zu vervollständigen.

Welch mächtiges Interesse würde da ein be- schreibender und erklärender Katalog dieser Ge- mälde geboten haben, die zwar zum größten Teil berühmt sind, jedoch in der zeitgenössischen Lite- ratur keine Spuren hinterlassen haben. Die von Ingres z. B. sind der allgemeinen Zugänglichkeit der Salons vorenthalten worden, und zukünftige Biographen werden in große Verlegenheit ge- raten, wenn sie die Geschichte der Werke dieses

28 Studien über die französische Malerei

edlen Römers wieder herstellen wollen. Ein guter Katalog hätte der Zukunft die wertvollsten Nach- weise über die französische Kunst in der ersten Hälfte des Jahrhunderts bewahrt. Noch ist es Zeit, die kurzen, ungeordneten Bemerkungen über die Ausstellung durch eine chronologische, zugleich er- weiterte und vertiefte Arbeit zu ersetzen, die sich in unsern Spezialbibliotheken den Salonkatalogen, deren Sammlung ja heute schon so selten ist, zur Seite stellen ließe. Wir geben den Kommissaren der Soci^te nachdrücklich anheim, eine solche Pu- blikation ins Auge zu fassen ; der Mitwirkung aller Freunde der Kunst und der Bibliographie dürfen sie gewiß sein.

Doch da der gedruckte Führer durch die Aus- stellung nur ungefähr und sum.marisch die in der Galerie verstreuten Gemälde erwähnt, wollen wir sie nach ihrer Entstehungszeit aufreihen und die Meister nach ihrem logischen Zusammenhang und ihrer richtigen Folge vorführen. Das ergibt eine lehrreiche historische Einleitung für den bevor- stehenden Salon.

Grenze ist der einzige, der noch zu der alten Schule des i8. Jahrhunderts gehört, freilich durch recht weitläufige Verwandtschaft nur ; denn Grenze war ein höchst exzentrischer Maler, der von der Vorstellungswelt seiner Zeit sehr abweicht. Er ist ein von der Kette der Maler Ludwigs XV. losge- löster Ring, dessen Form und Ziselierung aber gleichen Stiles und von der gleichen Arbeit sind,

Studien über die französische Malerei 29

wie die Kunst der Pompadour. Seine Darstellungs- gegenstände unterscheiden Greuze allerdings von Boucher; aber seine Manier ist im Grunde nahezu dieselbe, weniger sein Geist, seine Phantasie. Die Malweise ist bei Greuze gewöhnlich schlaff und weich, fahl und milchig, wenn man so sagen darf; es fehlt ihr an den launischen „Druckern", mit denen Boucher die Lichter seiner Gestalten her- ausbrachte. Boucher ist der Poet der Mätressen- wohnungen und der Schlafzimmer. Greuze ist der Bürger aus der Stadt, der manchmal mit Naivität die höfische Koketterie nachäfft.

Seine Gemälde in der Ausstellung sind von sehr verschiedener Art. Das Porträt von Wille, im Besitz des Herrn Delessert, ist von 1763 datiert; Greuze war damals 2)1 Jahre alt. Diderot hatte ihm noch nicht im Salon von 1765 seine ermuti- gende Anerkennung ausgesprochen. Dieses Por- trät Willes hat auch noch nicht die ganze Origi- nalität, die man später in Greuzes Leistungen wahrnimmt. Es könnte ebensogut von irgend- einem anderen Maler sein. Sein Farbenauftrag ist kraftlos, flockig, mit einem etwas monotonen Gelb; aber der Reichtum der Ausführung, eine gewisse Kopfstellung von ungezwungener und vertraulicher Art verleihen diesem Gemälde viel Reiz.

Lord Hertford hat zwei Greuze geschickt, die großen Ruf haben: Das Brustbild eines jungen Mädchens, das den Kopf auf die Hand gebeugt

30 Studien über die französische Malerei

hält, und den „Zerbrochenen Spiegel", der auf der Versteigerung des Kardinals Fesch um 18000 Frcs. erstanden wurde. Das „Junge Mädchen" gilt als einer der feinsten Köpfe von Grenze; indessen ziehen wir die „Zwei jungen Mädchen", aus dem Besitz des Marquis Maison vor, die seltenere Quali- täten in der Farbe aufweisen; allerdings ist jenes nicht minder bewunderungswürdig für den Lieb- haber süßer und üppiger Malerei.

Die Komposition des „Zerbrochenen Spiegels" ist durch den Kupferstich bekannt: eine reizende Frau, in weißem Atlasgewande vor ihrer Toilette sitzend, betrachtet voller Ärger ihren Spiegel, der soeben auf dem Parkettboden in Splitter zer- sprungen ist. Ihre Arme sind nackt, ihre Hände auf den Knien gefaltet. Ihre reiche Haarfülle ist mit Wickeln am Kopf aufgebunden. Das schil- lernde Gewand, die kleinen Hände und das Bei- werk sind fein ausgeführt. Immerhin gibt es Kenner, welche dieses Genrebild etwas teuer fin- den. Für 18000 Frcs. hätte man eine Galerie ita- lienischer Gemälde, für 18000 Frcs. hätte man eine vollständige Sammlung alter französischer Meister des 18. Jahrhunderts haben können.

Der Kopf eines kleinen Knaben, Herrn Ro- binet gehörend, ein Profilporträt von Diderot, schwach gezeichnet, aber wertvoll durch seine Ähn- lichkeit, sind an der Seite anderer Arbeiten von Grenze in der großen Eingangsrotunde aus- gestellt.

Studien über die französische Malerei 31

Mit Louis David beginnt die Reaktion gegen die aristokratische Schule der alten Mon- archie. Der „Tod des Sokrates" stammt aus dem Jahre 1787. Der „Belisar" war bereits 1781 aus- gestellt, und ,;Der Schwur der Horatier'* 1785; dieses Bild wurde damals auf Rechnung der Zivil- liste beim Künstler bestellt. Seit 1783 war David Mitglied der Akademie. Sein Name und sein Ta- lent waren bereits volkstümlich, als „Der Tod des Sokrates" erschien. Thiers führt in seinem merk- würdigen Salon von 1822 diese Komposition als ein Meisterwerk an : „Sokrates, in seinem Gefängnis auf dem Ruhebett sitzend, weist zum Himmel empor, ^vomit angedeutet wird, was er spricht; er nimmt den Becher entgegen das erinnert an seine Verurteilung; tastend greift er nach ihm ein Zeichen seiner philosophischen Zerstreutheit und seiner erhabenen Gleichgültigkeit gegen den Tod.'* Das Bild ist tatsächlich mit gründlichem Geschick angelegt. Die anderen Figuren, die den Vorgänger Christi umgeben, sind im Charakter des Gegenstandes gehalten. So z. B. ein Jünger, der sich an die Wand lehnt, um seine Verzweif- lung zu verbergen. Derselbe Gedanke ist von Dela- roche in einer der Zofen der „Jane Gray" wieder- gegeben und von Ingres in einer der Figuren der „Stratonike". Von dieser reflektierenden Seite der Komposition aus betrachtet, setzt das Talent Davids, insbesondere in dem „Tod des Sokrates", jene philosophische Tradition der französischen

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Schule fort, deren bester Repräsentant Poussin ist. Für diese denkenden Maler geht die Idee dem Bilde vor, und die Art der Ausführung ist nur von sekundärem Wert. So fehlten auch David und seiner ganzen streng zugehörigen Schule, was die Form anlangt, die eigentlichen Fähig- keiten des echten Malers. Man kann in diesem Sinne, wie wir später beweisen werden, ohne para- dox zu sein, eine intime Ähnlichkeit zwischen David und Ingres feststellen; sie haben einer wie der andere eine heftige Leidenschaft für eine be- stimmte Art von ernster Poesie, die doch ihr will- kürlich eingeengtes Verfahren nicht mit voller Energie zum Ausdruck zu bringen imstande ist. Es springt doch in die Augen, daß Ingres die Mittel seiner Kunst selber, die natürlichsten und unmittelbarsten, die ihr gegeben sind, vernach- lässigt, indem er das Geheimnis, seine Bilder zu malen, auf Wegen sucht, die der Malerei fremd sind. Auch David ist weniger Maler als Bildhauer gewesen. Dies ist der herrschende Charakter seiner Schule, wie Guizot im Salon von 1810 sehr richtig bemerkt hat ; denn versetzen wir uns in das Studium der Malerei während dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts zurück, so finden wir auf dem Schauplatze der Kritik jene beiden Politiker wieder, die heute auf einem anderen Gebiete kämpfen. Guizot ist lebhaft überrascht „von diesem Einfluß der Bildhauerei auf eine Maler- schule, die sich an Statuen gebildet hat". „Die

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Meister," sagt er, „lehren ihre Schüler malen, indem sie ihnen als Vorbilder zuerst Gipsabgüsse hinstellen. Wie sollten sie nicht graue, kalte Koloristen werden?" Die Beobachtung ist un- zweifelhaft zutreffend. Das System der Kolo- risten freilich, d. h. der großen Maler, ist ein ganz anderes. Rembrandt ließ seine Schüler beim leben- den Modell beginnen. Guizot fügte 1810 noch hinzu : „Die Sorgfalt, die die gegenwärtige Schule der Form auf Kosten der Farbe angedeihen läßt, beweist klar, daß sie das eigentliche Gebiet der Malerei verkennt und daß sie zu aus- schließlich den Spuren der Statuenbildner folgt." Dies könnte man ebensogut von Ingres und seiner Schule sagen.

Nach dem „Tod des Sokrates" malte David den „Brutus", 1789. Die Horatier, Sokrates, Bru- tus! — Die Revolution ist nicht mehr ferni Wäh- rend der Revolution hat er nur drei Kompositionen geschaffen : Den „Schwur im Ballhause", die „Er- mordung von Lepelletier Saint-Fargeau" und den „Marat". Als Politiker hatte er genug daran, den fürchterlichen Bewegungen, die durch das Volk und die Versammlungen gingen, zu folgen; als Künstler aber war er damit beschäftigt, die Na- tionalfeste zu leiten.

Der „Schwur im Ballhause" ist nie gemalt worden; der Stich wurde nach einer ausgeführten Zeichnung hergestellt. Das Gemälde von Lepelle- tier wurde zurückgekauft und von der Familie,

Bürger, Kunstkritik. II. 3

34 Studien über die französische Malerei

welche die revolutionären Erinnerungen nicht liebte, verborgen gehalten. Der „Marat" endlich, der es verdient hätte, ins Museum aufgenommen zu werden, verblieb in den Händen von Davids Enkel, Herrn Chassagnole. In der Ausstellung erregte er die Aufmerksamkeit am lebhaftesten. Schwerlich dürfte die Malerei imstande sein, ein düstereres und einfacheres Drama zu liefern. Man sieht, daß der Künstler unter dem Eindruck des noch warmen Leichnams gestanden hat; denn dieses ergreifende Bild ist nach der Natur und von einem bis zum Fanatismus überzeugten Manne gemalt worden. Man darf nicht vergessen, daß in eben diesem Augenblicke der Konvent Marat den Ehrenplatz im Pantheon zuerkannte, und daß David der Freund des berühmten Tribunen gewesen war.

Neben der Badewanne liegt das blutige Messer; der Holzblock steht da mit einem bleier- nen Tintenfaß und einer gebrochenen Feder; das ist die ganze Einrichtung des kahlen, grauen Rau- mes. In der rechten Hand, die über einem ge- flickten Tuche aus der Wanne heraushängt, hält Marat einen Zettel, auf welchem folgende Worte stehen: „Vous donnerez cet assignat ä cette m^re de sept enfants, et dont le mari est mort pour la deffense (siel) de la patrie." Der schmerzlich zurückgeworfene Kopf ist von tief empfundener Ähnlichkeit. Am Boden liegt, geöffnet, ein Brief von Charlotte : „II suffit que je suis bien malheu- reuse pour avoir droit ä votre bienveillance. 13 juil-

Studien über die französische Malerei 36

let 1793. Charlotte ä Marat." Und darunter: „Da- vid ä Marat, l'an 11/'*)

Ist dies nicht eins der sonderbarsten Stücke aus der Geschichte unserer Revolution? Und es findet sich außerdem, daß dies das beste Gemälde von Louis David ist.

Indessen, der Maler Marats und Freund Ro- bespierres wurde, nachdem er die Verfolgungen der Thermidorianer erduldet, mit fortgerissen von dem neuen Herrn, der über Frankreich herrschte. Der republikanische Künstler wurde zum Maler des Imperators; doch behielt er an der Seite des Kaisers stets seine Unabhängigkeit und seine volkstümliche Überzeugung. Auch Gros, der Ge- schichtschreiber kaiserlicher Schlachten, verleug- nete später seinen Helden, indem er die Herzogin von Angouleme und die Bourbonen malte. Aber der eine wie der andere ist niemals stärker ge- wesen, als in dem Ausdruck seiner ersten Liebe.

Der „Bonaparte auf dem St. Bernhard" wurde vier- bis fünfmal von David wiederholt, und jede

*) Bürger gibt hier eine nicht ganz zutreffende Beschreibung des Marat-Bildes : die rechte Hand hält eine Feder (der Arm hängt schlaff vom Rand der Wanne herab) ; in der linken, die auf einem über die Wanne gelegten und mit einem Tuche be- deckten Brett aufhegt, hält Marat den Zettel mit den Worten: ,,I1 suffit que je suis bien malheureuse" etc. Ein anderes Schriftstück, dessen Inhalt auf der mir zur Verfügung stehenden Reproduktion nicht sichtbar ist, liegt auf dem Block neben dem Tintenfaß und einer zweiten Feder. Das Signum „David ä Marat, l'an deux" befindet sich an der unteren Hälfte des Blockes.

3*

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Wiederholung brachte ihm 25000 Frcs. ein. Die in der Ausstellung befindliche gehört der Frau Baronin Janin, Davids Enkelin. Diese Reiterfigur ist tausendmal in Bronze und Gips wiederholt wor- den, auf Uhrenständern, auf Truhen, in Bauern- hütten, mit Stichel und Stift, auf farbigem Papier, Zeugstoffen, kurz überall. Das scheckige Roß, hochaufgebäumt auf seinen Sprunggelenken, er- klimmt die Alpen wie ein Pegasus des Krieges; ein orangefarbener Mantel umweht flügelgleich den jungen Mann mit dem Adlerprofil. Doch wie sollte man diese theatralische Pose rügen, da man weiß, daß die Komposition gewissermaßen von Bonaparte selbst herrührt, der seinem Maler ge- sagt hatte: „Malen Sie mich in ruhiger Haltung auf einem feurigen Roß." Das Wort ist köstlich, und die Zeichnung des Bildes gibt es vortrefflich wieder; aber die Farbe ist trocken und unharmo- nisch. Welch ein vorzüglicher Bildhauer war doch Louis David!

Der „Telemachos", im Besitze des Herrn A. Didot, ist aus der Altersperiode des Künstlers, der sich vor seinem Gang ins Exil vom Vater- lande mit dem „Leonidas im Engpaß von Thermo- pylae" verabschiedete; ein heldenhafter Gedanke, auf der Leinwand plastisch dargestellt in dem Augenblick, als die Alliierten Frankreich über- zogen. In Belgien suchte der Geächtete in an- mutigen Bildern sein Alter und die Undankbarkeit der Regierung zu vergessen. Seine letzten Werke

Studien über die französische Malerei 37

werden nicht mehr von der poUtischen Begeiste- rung und der Tiefe des Gedankens getragen, und unglücklicherweise ermangeln sie vollständig der eigensten Vorzüge des Malers. Aber sein ruhm- volles Leben ist unter der Republik und dem Kai- serreich hinreichend von Taten erfüllt gewesen, so daß der Name Davids in der Tradition der französischen Kunst unauslöschlich bleibt.

In der Ausstellung sind außerdem noch mehrere Porträts von David, aus verschiedenen Epochen herrührend: ein anmutiges Bildnis der Schauspielerin Fräulein Fleury, sehr gut gemalt, im Besitz des Herrn Dantan; man verspürt darin die Koketterie der Kunst des i8. Jahrhunderts vor der Revolution. Ferner das Porträt des hollän- dischen Botschafters bei der Republik, mit langer blutroter Weste und apfelgrünem Rock; das Bild wurde in wenigen Stunden gemalt, und der Ge- sichtsausdruck ist von äußerster Lebhaftigkeit; ein Doppelporträt von Herrn und Frau Mongez, auf dem eine sehr geschickt gemalte Hand zu bemerken ist; das Porträt der Mme. David, in breiter Ausführung, und ein Herrn Leon Cogniet gehörendes Frauenbildnis.

An dem abscheulichen Gemälde „Amor in Psyches Armen eingeschlummert" von Regnault wollen wir rasch vorübergehen. Man hat ihn den Rivalen Davids genannt. Aber wenn David nur Amorgestalten oder den Kentauren Chiron gemalt hätte, würde er den Geist der französischen Ma-

38 Studien über die französische Malerei

lerei nicht verjüngt haben. Leider ist, außer Gros, allen seinen Schülern, denen wir in der Ausstel- lung begegnen werden, jenes soziale, historische Empfinden verloren gegangen, das der eigentliche Genius Davids war: er ist ein großer Mann, der von der Mehrzahl seiner Jünger verraten ward.

Da haben wir den Schöpfer der „Atala", hailoh 1 und des „Chactas", o weh! Gi- rodet, den man mit Rafael, Michelangelo und Correggio verglichen hat ! David selber sagte vor der „Szene aus der Sintflut" : „Er hat die Kühn- heit eines Michelangelo und die Anmut eines Rafael.'* David war es auch, der den Beruf Giro- dets bestimmte, indem er zu seiner Mutter sagte: „Es hilft Ihnen alles nichts, Ihr Sohn wird Maler.*' Er mochte aber alles aufbieten, dreißig Jahre lang, Girodet ist niemals ein guter Maler gewesen. Wäh- rend er in Italien studierte, schrieb er, er wolle „Neues schaffen". Seine Neuerungen sind heut- zutage reichlich alt. Auch schrieb der Undank- bare gelegentlich des „Endymion" : „Was mir am meisten Freude bereitet ist, daß es über mein Bild nur eine Stimme gibt : das gleicht doch David nicht!"

Da haben wir Guerin, den Schöpfer des „Äneas", der vor Dido eingeschlafen ist, und des verglasten „Marcus Sextus", von dem ein Spaß- vogel sagte, daß er nach Afrika verbannt gewesen und dort von der Sonne ausgedörrt worden sei;

Studien über die französische Malerei 39

Gudrin, den man um seines „Äneas" willen mit Vergil, um seiner „Klytämnestra" mit Euripides und Racine verglichen hat, Guerin, der Guizot das Lob entlockte : „Ich kenne nichts Schöneres als den Kephalos!" Guerin, der die letzten sech- zehn Jahre seines Lebens, von 1817 1833, zu- gebracht hat, ohne ein einziges Bild zu malen, obgleich er 1822 zum Leiter des Ecole frangaise in Rom ernannt wurde, der glückliche Gleich- mütige, der dank dieser Apathie die neue revo- lutionäre Schule ausgebrütet hat; denn in seinem Atelier war es, wo sich Gdricault, Sigalon, Scheffer und Delacroix empörten. Gu6rin ist der seelen- ruhige Mann wie er im Buch steht, Senecas Weiser ohne Leidenschaft. „Von allen Lebensberufen," sagt einer seiner Biographen, „war derjenige, für welchen er am wenigsten Widerwillen fühlte, wenn schon nicht die stärkste Neigung, die Malerei." Wir stehen den temperamentvollen Künstlern des 16. und 17. Jahrhunderts, die überall ein unerschöpf- liches Talent verschwendeten und vor ihren Staf- feleien starben, schon recht ferne. Murillo be- reicherte alle Wände und Decken eines Klosters mit religiösen Darstellungen, den Mönchen zum Danke für ihre Gastfreundschaft, als er gezwungen war, dort einige Tage zu verbringen. Er starb mit 64 Jahren infolge eines Sturzes von dem Ge- rüste, auf dem er das Deckengemälde in einer Kirche zu Cadix malte. Tizian erschien im Alter vpn fast 100 Jahren noch regelmäßig in seinem

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Atelier und hatte die Manie, seine früheren Kom- positionen unbarmherzig zu überarbeiten.

Dann haben wir Gerard, der besser getan hätte, unter Ludwig XIV. zur Welt zu kommen. Die Vorsehung hat einen Anachronismus begangen. Statt des „Napoleon bei Austerlitz" hätte Gerard eines Helden in Manschetten und Bändern bedurft. Den berühmten Übergang über den Rhein hätte er malen sollen wie Boileau ihn beschrieben hat. Gerard wäre in der Malerei das Gegenstück zu Girardon, dem Bildhauer, geworden. Das Vielerlei entspricht nicht seinem sauberen, ruhigen Talent. Sem Pinsel liebt den Sammet mehr als das Eisen. Sein Geist ist methodisch, der Unordnung und allem was das Herkommen verletzt feindlich ge- sinnt. Gerard hätte einen geschickten Diplomaten oder einen vorzüglichen Zeremonienmeister abge- geben; ein Mann von vornehmem Geist und höchst ehrenhaftem Charakter. Er war es, der zu dem allgemeinen Erfolg der „Medusa" von Gericault beigetragen hat; er war es, der den Ankauf der ersten Bilder von Ingres veranlaßte und Leopold Robert warm unterstützte, den Malern ein edler Gönner, selbst aber ein mittelmäßiger Maler.

In jener Zeit fiel jedermann bewußt oder un- bewußt der unsinnigen Bewunderung anheim, welche die aufeinanderfolgenden verschiedenartig- sten Schulen, eine nach der anderen, ihren Zeit- genossen einflößten. Selbst Moliere opferte Rafael dem Mignard auf, in seinem Stücke über das

Studien über die französische Malerei 41

„Val-de-Gräce". Boucher war der absolute Herr- scher in der Malerei, während am französischen Hofe Frau von Pompadour als launische Königin regierte. Und heutzutage werden Ingres Altäre errichtet und Weihrauchopfer dargebracht. Das „Journal des Debats" vergleicht den Einblick in die Sixtinische Kapelle von Ingres mit dem „Konzil von Trient" des großen Tizian! Girodet und Correggio, Ingres und Tizian diese Zu- sammenstellung ist seltsam genug!

Von den vier G, wie Girodet, Guerin, Gerard und Gros unter dem Kaisertum genannt wurden (heute brauchen wir vier D : Delacroix, Decamps, Dupre, Diaz, ja, mit Delaroche sogar fünf), von diesen vier G also verdient unserer Meinung nach einzig Gros einen Platz in der Geschichte, weil er aus demselben Empfinden heraus schöpfte, wie der Bahnbrecher David, wenn auch sein künst- lerisches Temperament ein durchaus anderes war und seine Technik bedeutend höher stand. Ab- gesehen davon, daß Gros Napoleons Heldentum schÜderte, besaß er technische Qualitäten, über die in gleichem Maße keiner seiner Zeitgenossen verfügte. Mehrere von seinen Gemälden stehen auf der Höhe der Meisterschaft, und die guten Techniker, die auf die schwachen Künstler des Kaiserreiches folgten, halten an seiner Methode und Malweise fest, wie z. B. Sigalon und Geri- cault. Gros ist zweifelsohne in den letzten fünfzig Jahren der beste Lehrer der Malerei gewesen.

42 Studien über die französische Malerei

In der Ausstellung der „Galerie des Arts" befindet sich ein schönes Porträt des Medailleurs Galle von Gros; ferner ein Porträt des jungen de la Rivaliere mit riesengroßen Händen, eine lebendige Skizze zum „König Lear", ein „Araber" mit seinem Renner, eine Skizze der „Schlacht bei Aboukir", ein Umriß des „Moses" von Michel- angelo und ein vorzüglicher kleiner „Bonaparte zu Pferde", im Besitz des Herrn de Lasalle.

Von Guerin ist eine kleine Skizze in gemaltem Glas da, „Der Tod des Priamus" und eine Skizze zu „Theseus und dem Minotaurus". Von Girodet eine Skizze zur „Sintflut", ein „Studienkopf", eine Frauenbüste mit nackter Brust, zwei dürftige Zeichnungen, von denen eine noch dazu das Un- glück hat, neben einer vorzüglichen Zeichnung von Prudhon zu hängen, und der berühmte „Hippokrates". Man muß die Köpfe und Gesichts- züge dieser herrlichen Vertreter des Altertums ge- sehen haben! Dieses Gemälde ist buchstäblich an einer Zusammenziehung der Epidermis er- krankt, da die schlechte Beschaffenheit des Binde- gewebes große Sprünge verursacht hat. Und die medizinische Fakultät, in deren Besitz das Bild ist, wird es nicht heilen können.

Gdrard hat fünf Gemälde und zwei Zeich- nungen aus seiner Jugend, der Zeit des Elends, bevor er berühmt wurde, ausgestellt. Der „Beli- sar", im Besitze des Herrn Delessert, war sein erstes Gemälde, ausgestellt 1797. Jedermann wollte

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damals nach dem Beispiele Davids seinen „Beli- sar" malen. Merkwürdig, der ,,Marcus Sextus" Guerins war auch nur ein umgetaufter Belisar. Derjenige Gerards verhalf seinem Schöpfer trotz des Erfolges nicht aus seiner schwierigen Lage. Die Kosten seines zweiten Bildes, „Psyche und Amor", das sich jetzt im Louvre befindet, wur- den ihm hochherzigerweise von seinem Freunde Isabey vorgestreckt; aber die Psyche brachte nicht mehr ein, als der Belisar. Übrigens, was für eine prächtige Gruppe könnte man nach Gerards Be- lisar meißeln!

Erst die Porträts retteten Gerard und ver- schaffteil ihm die Gunst Napoleons und Jose- phinens. Nach dem „Ossian" (jedermann machte damals auch seinen „Ossian") wurde ihm die „Schlacht bei Austerlitz" aufgetragen, deren Ent- wurf man in der Ausstellung sehen kann, ebenso wie eine kleine Skizze „Marius' Rückkehr nach Rom". Von den übrigen Arbeiten Gerards werden am meisten geschätzt seine „Ankunft Heinrichs IV. in Paris", die „Corinna", d. i. das Bildnis der Frau von Stael, heute im Besitz der Frau Recamier, „Die heilige Therese", die im Jahre 1828 aus- gestellt war und, wie ich glaube, Herrn Chateau- briand gehört.

Gerard hat, wie einst Rubens, alle gekrönten Häupter Europas gemalt und eine Menge berühm- ter Persönlichkeiten, fast alle Mitglieder der Fa- milie Napoleons, die Kaiser von Österreich und

44 Studien über die französische Malerei

von Rußland, die Könige von Preußen und von Sachsen zur Zeit der Invasion; Ludwig XVIII. , Karl X. und Louis-Philippe; eine große Anzahl von Generälen des Kaiserreichs : den General Mo- reau, General Foy, Regnault de Saint-Jean-d'An- gely; Canning und Wellington; Isabey, Fräulein Brongniart, den Chirurgen Dubois, Ducis und Fräulein Mars; die beiden letzteren befinden sich in der Ausstellung. Ein gewöhnlicheres Porträt zu finden, als das von Ducis ist unmöglich: mit seinem gelblichen Pelzrock und den rundlichen Zügen. Und auch Fräulein Mars, vermuten wir, wird schöner gewesen sein, als dies Bildnis.

Neben dieser Schule von Bildhauern und Aka- demikern gab es einen Mann, der während seiner ganzen Laufbahn fast in Elend und Dunkel lebte und schließlich an Kummer starb. Er war der Sohn eines Maurers, wie Rembrandt eines Mül- lers, Watteau eines Dachdeckers Sohn war, und wie Claude Lorrain Kuchenbäcker und Diener ge- wesen ist. Jener Mann war der größte Maler seiner Generation, und weit eher als Girodet hätte man ihn mit Correggio vergleichen können. Prudhon war im Jahre 1760 geboren, zwölf Jahre nach David, sieben Jahre vor Girodet. Bei der Taufe gab man ihm die beiden Vornamen von Rubens und Puget: Peter Paul. Er hatte das gleiche Los wie Andrea del Sarto und Albrecht Dürer: lange Zeit von seiner Frau gequält zu werden. Er war erst achtzehn Jahre alt, als er das Unglück hatte,

Studien über die französische Malerei 45

sie zu heiraten. Dann 1783 erhielt er den Rom- preis; 1793 wurde er Mitglied der vom Konvent ernannten Jury central des Arts, welche die Aka- demie ersetzen sollte; 18 16 trat er in das Institut ein. Und doch wurde sein Talent immer lebhaft angegriffen: zur Zeit der Republik malte er, nur um sein Leben zu fristen, Miniaturen und Vignet- ten; unter dem Kaiserreich malte er Bilder, die im Salon kaum bemerkt wurden. Wie viele Menschen gab es überhaupt bis zu seinem Tode, die sein Genie zu würdigen gewußt hätten?

Man sagte ihm nach, daß er, anstatt die An- tike nachzuahmen, die Natur kopiere. Aber ist denn das^ Studium der Natur nicht ebenso frucht- bar, wie das Studium der Tradition, und sind nicht eine wie die andere Quellen der Kunst, nächst dem eigenen Gefühl des Künstlers selber? Jedoch mit Prudhon verhält es sich ganz anders, er hat nie- mals ein Bild nach der Natur gemalt. Er ging viel mehr seiner idealen Eingebung als der Wirk- lichkeit nach. Und wenn er schon nach Modellen zeichnete, hat er uns nicht auch eine Fülle wun- dervoller Skizzen nach antiken Statuen und Bas- reliefs hinterlassen ? Es ist wahrhaftig mehr antiker Bewegungszug in der Mythologie, wie Prudhon sie auslegt, und in seinen allegorischen Kompo- sitionen, als in allem Flickwerk der kaiserlichen Kunst. Mehrere von seinen kleinen Zeichnungen erinnern an die griechische Plastik. Wir haben ein kostbares Album von ihm gesehen, ganz durch-

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setzt von griechischen und römischen Motiven, mit Auszügen aus der Geschichte für Darstellungen zu Kimon von Athen und Perikles, zu Horatius Codes, Lucretia und Mucius Scaevola.

Man sagte Prudhon auch nach, er könne leider nicht zeichnen. Es ist wahr, so wie seine Rivalen zeichnete er nicht. Sein Verfahren ist von dem ihrigen gründlich verschieden, aber sein Ergebnis auch bei weitem vorzuziehen. Während die David- schule den äußeren Umriß zeichnete, und damit glaubte, die Gestalt in ihrer Form erfaßt zu haben, sobald sie nur deren geometrische Linien festge- halten hatte, gewissermaßen die Grenzen ohne die innere Substanz, begann er gewöhnlich mit den großen Lichtflächen, mit der wirklichen Model- lierung der Formen. Bei Herrn Marcille und Herrn Carrier gibt es merkwürdige Aktstudien, die angesichts der Natur nach diesem Verfahren angelegt sind.

Was die Farbe anlangt, so unterscheidet sich Prudhon noch mehr von seinen Zeitgenossen. Seine ganz eigenartigen Entwürfe erinnern an die von Correggio, Parmigiano und der Schule von Parma; Beispiel: das Gemälde des Grafen von Morny. Die unteren Lagen haben eine unnachahm- liche Leichtigkeit und Durchsichtigkeit. Er hatte das Gelb aus den Fleischtönen ganz verbannt; denn es dunkelt nach, wie man aus der Erfah- rung mit den Malereien der Schule des Kaiser- reiches weiß, die heute trüb geworden und ver-

Studien über die französische Malerei 47

sunken sind, während Prudhons Bilder ihre Frische bewahren. Etwas Ähnhchkeit hat er mit Greuze in den bläuHchen und violetten Halbtönen. Aber Grenze galt auch als ein Original, das der aner- kannten Plejade nicht würdig sei. Beide sind heute durch die allgemeine Vorliebe und den Preis ihrer Bilder hinreichend gerächt. Ein wenig zu spät für Prudhon, der niemals Nutzen daraus ge- zogen hat.

Die Ausstellung der Galerie des Beaux-Arts enthält fünf Gemälde von Prudhon : ein männliches Bildnis, 1810 unter ungünstigem Einfluß gemalt; eine kleine Skizze zu „Phrosine und M^lidor", die Szene wurde vom Künstler in derselben Größe ge- stochen; „Die Unschuld von der Liebe verleitet mit der Reue hinterdrein"; ein kleiner Genius mit einem Blumenkorb geht ihnen voran; die ganz unbekleidete Liebe streichelt das Kinn der Un- schuld, deren Hüllen gar bald herabfallen wer- den. Der Landschaftshintergrund ist nur leicht hingestrichen. Schließlich noch „Venus und Ado- nis*' aus der Galerie Sommariva, jetzt im Besitz des Herrn Marcille.

Diese entzückende Skizze, nur einen Fuß hoch, wurde in derselben Auktion, wo die berühmte „Galathea" von Girodet, die seinerzeit einen wahn- sinnigen Preis gekostet hatte, um ein paar tau- send Frcs. wegging, mit 8000 Frcs. bezahlt. Man sagt, die „Dido" des Louvre sei mit loooooFrcs. bezahlt worden; wieviel würde sie beim Verkauf

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wohl heute bringen? Prudhons Entwurf zur ,, Him- melfahrt", der nicht viel größer ist, als die Skizze zu „Venus und Adonis", ist bei der Versteigerung von Herrn Paul Perier dem Marquis von Hertford I2 000 Frcs. zu stehen gekommen.

Nach einem solchen kleinen Gemälde wie „Venus und Adonis", darf Prudhon beurteilt wer- den; es ist ersten Ranges und eines Correggio würdig.

Das Talent des Meisters läßt sich auch nach den fünf auf der Ausstellung vereinigten Zeich- nungen bewerten : Amor auf seinen Bogen ge- stützt betrachtet eine von ihm ver\vundete Frau nebst einem Gegenstück im gleichen Rahmen, gehören dem Grafen de la Riboissiere; die drei anderen besitzt Herr Marcille: „Minerva führt die schönen Künste der Unsterblichkeit entgegen'*, ein, wie ich glaube, dem Deckenstück des Billard- saales im Schlosse St.-Cloud ähnliches Gemälde. Ferner „Amor verwundet" oder „Ein Schlag mit dem Katzenpfötchen"; davon besitzt Herr Carrier eine größere Zeichnung, das Gemälde aber befand sich auf der Auktion des Grafen von Cypierre; endlich eine Allegorie, eine Frau, in Gewänder gehüllt mit kleinen Genien, eine Art Karyatide, aus einer Reihe von Dekorationen, die man beim Marquis Maison sehen kann.

Mit Prudhon endet die Geschichte dieser ersten Kunstperiode des 19. Jahrhunderts. Eine jüngere Generation sollte sich bald darauf ent-

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falten; sie hat bereits ihre berühmten Toten ge- Hefert, Gericault, Leopold Robert, Sigalon, Charlet waren Zeitgenossen der noch lebenden Berühmt- heiten : Ingres, Ary Scheffer, Horace Vernet, Paul Delaroche; alle sind in der Ausstellung der Maler vertreten. Aber den Künstlern der kaiserlichen Epoche muß man noch hinzurechnen : Abel de Pujol und Hersent. In der Galerie des Beaux- Arts ist das letzte Bild von Pujol zu sehen, die 1843 ausgestellte „Chlodsinde" oder „Die Probe durch siedendes Wasser", und fünf 18 10 von Guizot ehrenvoll erwähnte Gemälde Hersents : Das Bildnis der Frau von Girardin und zwei andere Frauenporträts; die 1822 von Thiers besprochene „Ruth mit Boas" und „Comment l'esprit vient aux filles". Es wäre mehr wert, zu erfahren, wie den Malern der Geist kommen möge.

2. Sigalon Gericault Leopold Robert

Charlet

Sigalon ist 1790 am Fuße der Sevennen geboren. Als er dreißig Jahre später seine Berge verließ, nahm er kein anderes Vermögen mit als eine Entschlossenheit, die allem Elend und aller Einsamkeit zum Trotz die ärgsten Hindernisse zu überwinden bestimmt war; denn er bewahrte sich stets die Vorzüge des Bergbewohners : Mut, Wider- standskraft, Geduld und maßvolles Wesen. Seine Jugend vergeudete er mit allerhand bedeutungs- losen Beschäftigungen in irgendeinem Neste seiner

Bürger, Kunstkritik. II. 4

50 Studien über die französische Malerei

Heimat. Welche Seltenheit, ein Maler, der nicht schon in der Kindheit mit seiner Kunst beginnt! Die Anfänge fast aller Maler haben eine gewisse Ähnlichkeit: Kohlezeichnungen auf den Wänden, Sudeleien auf Papier, die ihren Beruf ankündigen. Es gibt vielleicht keinen außer Guerin, der es in der Jugend sowohl, wie auch im Alter unterließ, „Männchen zu malen".

Indessen hat Sigalon gewiß auch sein Talent in einer Menge von Zeichnungen und Bildern ver- sucht, die man zweifellos einmal in den kleinen Städten von Languedoc entdecken wird. Einmal in Paris angelangt, um das Jahr 1820, holte er seine malerische Ausbildung nach, unterstützt von den Ratschlägen seines Landsmannes, des ehe- maligen Davidschülers Souchon, den wir im Salon von 1827 neben Sigalon und auch in den letzten -Arbeiten zu der Kopie des „Jüngsten Gerichts'* finden. Souchons „Lazarus", seinerzeit zugleich mit der „Athalia" ausgestellt und nunmehr in der Kirche von Saint-Merry, ist ein kräftiges, aus- drucksvolles Gemälde, das mehr Beachtung ver- diente, als ihm zuteil wird. Souchon ist mit grö- ßerem Recht der Lehrer Sigalons zu nennen als Guerin, in dessen Atelier Sigalon eine Zeitlang mit Bonington, Delacroix oder andern Neuerern gemeinsam arbeitete.

Das erste Gemälde, mit dem Sigalon an die Öffentlichkeit trat, ist die „Kurtisane", die 1822 ausgestellt war und sich heute in einem der fran-

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zösischen Säle des Louvre befindet. Sie ist von Reynolds gestochen. Im selben Salon befand sich Delacroix' erstes Bild, „Dante und Vergil". 1824 erschien die „Lokusta", eine schreckliche, verwe- gene Komposition, die aber trotzdem großen Bei- fall errang. Damals rief Thiers aus, daß Frank- reich um einen guten Maler reicher sei; er war es auch gewesen, der 1822 Delacroix' Ruhm vor- ausahnte. Aber trotz des günstigen Eindrucks, den die „Lokusta" auf die Kritiker und Künstler hervorbrachte, verblieb der arme Sigalon in seinem Elend; er konnte das Bild nicht verkaufen und hatte nicht einmal die Mittel, um neue Arbeiten beginnen zu können. Herr Laffitte, der damalige Gönner aller edlen Mittellosen, ließ Si- galon 6000 Frcs anweisen, und die „Lokusta" wurde im Hause des Finanzmannes aufgestellt. Sie sollte nicht lange dort bleiben, da der Gegen- stand das Mißfallen der braven Bürger aus der Umgebung des Herrn Laffitte erregte. Und doch ist der Stoff dem zarten Racine entnommen:

Elle a fait expirer un esclave a mes yeux;

Et le fer est moins prompt pour trancher une vie

Que le nouveau poisson que sa main me confie.

Sigalon wurde gebeten, sein Gemälde zurück- zunehmen und ein anderes dafür zu liefern. Die „Lokusta" befindet sich jetzt in der Heimat des Künstlers, im Museum zu Nimes.

Neid und ungerechte Kritik verschworen sich gegen eine der grandiosesten Kompositionen,

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eines der kraftvollsten Bilder der modernen Schule, die „Athalia". Wir haben sie im Museum von Nantes gesehen, das sie eigentlich an das Pariser Museum abgeben sollte. In der Geschlossenheit seiner Zeichnung, dem großartigen Bewegungs- zuge der Gestalten und der üppigen Farbenfülle hat Sigalon hier sein ganzes kunstreiches Können bewiesen. Ein vollkommenes Meisterwerk ist das. Es hat viel mehr Glanz und Frische bewahrt, als die späteren Bilder Sigalons. Die „Athalia" und die „Lokusta" bleiben für die Nachwelt seine bei- den Hauptwerke.

Bemerkenswert ist, daß der rauhe Sigalon die Anregung zu seiner „Athalia" abermals Racine entnommen hat:

De princes egorges la chambre etait remplie: Un poignard ä la main, l'implacable Athalie Au camage animait ses barbares soldats, Et poursuivait le cours de ses assassinats.

Freilich, die harmonische Dichtung Racines ist nicht so blutig, noch so farbenprächtig, wie das lebensvolle Bild des südländischen Malers.

Bis zur Julirevolution getraute der entmutigte Künstler sich nicht wieder, ,ein großes Bild in Angriff zu nehmen. In dieser Zeit malte er meist Porträts, um sein Leben zu fristen: so das Bildnis der Mutter des Arztes Moreau, mit dem er be- freundet war; eines von Herrn Schoelcher (Vater) u. a. m. „Der gefangene Amor", der aus dem Besitz des Herrn Moreau in der Galerie des Beaux-

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Arts ausgestellt ist, soll ebenfalls jener Zeit ent- stammen. Der Darstellungsgegenstand entsprach Sigalons Talent : zwei nackte Gestalten, Mann und Weib, liegen in einer Landschaft, neben ihnen der gefesselte Amor. An der anatomischen Kenntnis, die er in diesen Gestalten entwickelt, merkt man, daß Sigalon mittelbar der großen Schule jener geschickten Techniker angehörte, deren Haupt Gros gewesen ist. Das Bild ist einwandfrei in der Zeichnung und Modellierung, und wundervoll in der Farbe. Man würde dies noch besser beurteilen können, wenn es niedriger hinge, in Augen- höhe. Sigalon hat die Untersuchung des Kri- tikers, das Studium des Kenners nicht zu fürchten. Doch dürfen wir uns auch darüber nicht täuschen, daß er etwas schwerfällig ist und daß es ihm an Vornehmheit mangelt.

Die „Vision des heiligen Hieronymus" und der „Christus am Kreuze** waren 1831 ausgestellt. Aber der geringe Ertrag, den diese Bilder brachten, vermochte Sigalon inmitten des Pariser Lebens und angesichts der Kosten, welche die Ausführung großer Gemälde verursacht, nicht zu erhalten. Nach zwölfjährigem Kampfe war er gezwungen, nach Nimes zurückzukehren, „ärmer als er von dort gekommen war", wie Jeanron in dem vor- züglichen Berichte über seinen Meister und Freund sagt. Er hoffte, dort Zeichenunterricht geben zu können und Porträtaufträge zu erhalten. Aber im Jahre 1834 berief ihn die Direktion der Schönen

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Künste aus seiner Zurückgezogenheit und betraute ihn mit der Kopie des ,Jüngsten Gerichts" und anderer Fresken Michelangelos aus der Sixtini- schen Kapelle. Wie man sich erzählt, war dieser schwierige Auftrag von mehreren bevorzugten Künstlern abgelehnt worden. Sigalon hat seiner Aufgabe vier Jahre harter Arbeit gewidmet, unter- stützt von seinem vorzüglichen technischen Können, und 1839 wurde seine riesige Kopie am Ende eines Saales der Ecole des Beaux-Arts aufgestellt. Ganz Paris lief zusammen, um die unsterbliche Schöp- fung Michelangelos zu betrachten, die damals Streitigkeiten erweckt hat, die wir heute nur ab- geschmackt nennen wollen. Ja, in dem Frankreich des 19. Jahrhunderts fand sich eine solche un- fähige und bedauernswerte Hoffart, der das Genie Buonarrotis nicht genügte 1 Sigalon, der gekom- men war, um dem Triumph des großen Floren- tiners beizuwohnen, der ihn, wie er sagte, davor bewahrt hatte, „im Hospital zu sterben", ward ganz niedergeschlagen ob solcher Torheit. Trau- riger denn je fuhr er zurück und starb wenige Monate später zu Rom in den Armen des Ahb6 Lacordaire.

1841 hat Gigoux ein sehr schönes Porträt von Sigalon ausgestellt; der Kopf war nach der Natur gemalt.

Als Gericault starb, war er nahezu im selben Alter wie Sigalon beim Beginn seines Berufes. Als er im Jahre 18 19 seine „Medusa" ausstellte,

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im selben Saale, wo die „Galathea" Girodets und Ingres' „Odaliske" hing, da schrieb eine Zeitung: „Herr Gericault ist ein sehr hoffnungsvoller junger Mann, der viel verspricht." Damals vi^ar er 28 Jahre alt, nach fünf Jahren war er tot.

Es ist ein sehr sonderbares Vorurteil, wenn man der Jugend die Fähigkeit abspricht, dauer- hafte und hervorragende Werke zu schaffen. Be- sonders in der Kunst ist das graue Haar durchaus nicht der unentbehrliche Begleiter des Talentes.

Die Geschichte der mannigfaltigen Schicksale der „Medusa" ist für Leute von Talent nicht sehr lustig anzuhören. Nach der Ausstellung wandte sich Horace Vernet wegen des Ankaufs dieses schönen Gemäldes an den Direktor des Museums, Herrn de Forbin. Widerstrebend bot man 5000 Frcs., d. h. weniger, als die Kosten der Ausfüh- rung betrugen. Darauf fuhr Gericault nach Eng- land, wo er schon mit seinem Freunde Charlet zusammen gewesen war. Dort stellte er die „Me- dusa", die sich im Auslande schon großen Rufes erfreute, aus. Diese Ausstellung und einige Zeich- nungen brachten ihm mehr als 20000 Frcs. ein. Als er gestorben war, wurde die „Medusa" Herrn de Forbin abermals angeboten; auf dessen aber- malige Ablehnung hin kaufte sie als Meistbietender im Mitbewerbe von Bilderhändlern, die das Werk in mehrere Teile zerschneiden und so als Studien verwerten wollten, Herr de Dreux-Dorcy, der Freund und Mitarbeiter Gericaults. Später, als

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G^ricaults Ruf noch größer geworden war, ent- schied sich die Museumsdirektion für den Kauf, und Dorcy war glückhch, seines Freundes Meister- werk dem Louvre um 6000 Frcs., denselben Preis, den es ihn gekostet hatte, überlassen zu können.

Gericault hinterließ außer der in sechs Mo- naten vollendeten „Medusa" die zwei großen Rei- terfiguren im Palais-Royal, den 1822 ausgestellten „Chasseur" und den 18 14 ausgestellten „Küras- sier"; außerdem eine Menge von Studien und Zeichnungen in verschiedenen Privatsammlungen, bei den Herren Scheffer, Marcille, Collot, Bar- roilhet, Etienne Arago u. a. zerstreut.

Die beiden in der Galerie des Beaux-Arts aus- gestellten Pferdestudien gehören dem Lord Sey- mour. Sie sind in einem berühmten Stall nach der Natur gemalt. Jedes von diesen Rassepferden trägt einen Namen, der Bezug auf seine Taten nimmt. Das Licht spielt auf diesen glänzenden Pferde- leibern in allen Tönen des Prismas; alle Farben, alle Reflexe sind da vereint. Orange, Perlgrau, Zitrongelb, Himmelblau, Wassergrün, Rosenrot. Jedes der Tiere hat seinen eigenen Ausdruck, seine individuellen Bewegungen, den Stü und Grund- charakter seiner Rasse, feurige Nüstern, feine Ge- lenke, stählerne Flanken. Auf der ersten Studie sehen wir sieben Pferde ganz in Vorderansicht; ihre Köpfe sind ausdrucksvoll, und ihre Brust scheint unruhig zu atmen. Auf der zweiten sind

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drei Reihen von acht Pferden, von rückwärts ge- sehen. Beide sind vorzüghch und verdienen wohl den Enthusiasmus der sportsmen.

Gericault hat stets eine heftige Leidenschaft für Pferde gehabt. Auf dem Gymnasium träumte er von dem Zirkus Franconi und befestigte sich an der Innenseite der Knie eiserne Stäbe, um krumme Reiterbeine zu bekommen. Er studierte, bevor er zu Gu^rin kam, eine Zeit bei Carle Vernet, wo er wegen seines instinktiven Dranges zum Ko- lorismus „Rubens' Koch" genannt wurde. Seine ersten Bilder waren Reiter und Pferde. 1814 trat er bei der Kavallerie ein. Später sah man ihn immer zu Pferde in den Champs-Elysees und im Bois. Und auf einem Spazierritt an den Ufern der Themse zog er sich auch eine Verletzung an der Hüfte zu, den Ursprung seines langen Leidens. Infolge eines Sturzes vom Pferde bekam er ein Geschwür am Oberschenkel, und bei einem Rennen auf dem Champ de Mars erlitt er einen Stoß gegen seine Wunde, woran er schließlich nach ein- jährigem fürchterlichen Leiden starb.

Die Bibliothek des Kupferstichkabinetts be- sitzt einen kostbaren Brief mit Ratschlägen an Eugene Isabey; er ist während seiner Krankheit geschrieben und schließt mit dem melancholi- schen Ausruf: „Auch Deine Jugend wird ver- gehen, mein junger Freund!"

Auf seinem Sterbelager wurde Gericault nur von dem einen Bedauern gepeinigt, daß er nicht

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alle seine Absichten als Maler hatte verwirklichen können. Den körperlichen Schmerz ertrug er mit heroischem Mute, der sich auch in seinem schönen Adlerkopf energisch ausprägt. Mitten in einer chirurgischen Operation sagte er zu seinem Arzte, als derselbe blaß wurde: „Da, nehmen Sie das Riechfläschchen, Sie bedürfen desselben mehr als ich." Doch all die dramatischen Szenen, die er einst entworfen, wie der „Negerhandel", all die Schlachten und Pferderennen quälten und ver- wirrten ihn in seinen Fieberdelirien fürchterlich 1 Wie lebendig und fruchtbar seine Phantasie war, weiß man aus der Unzahl von Skizzen, die er zur „Medusa** entwarf; die Komposition dieses Bildes erfuhr tausend verschiedene Umstellungen. Nun konnte er den Gedanken nicht los werden, daß von allen seinen poetischen Träumen doch nur ein einziger auf der Leinwand festgehalten wor- den war, um von seinem Talente zu zeugen. Und obendrein hatte ihm die „Medusa** wenig Ermun- terung eingebracht, ein schmeichelhaftes Wort König Ludwigs XVI IL auf der Ausstellung und das Wortspiel eines seiner Ateliergenossen : „Mein lieber Gericault, da hast du einen Schiffbruch ge- macht, der für dich keiner sein wird.**

Eine kleine Skizze von Gericault ist noch auf der Ausstellung zu sehen, ein „Kavalleriegefecht**, im Besitze des Herrn Ferdinand Laneuville, und zwei ungestüme Zeichnungen, Pferde in Freiheit und Stiere im Kampf mit Menschen.

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Setzen wir die traurige Geschichte dieser be- wegten Menschenleben und unglücklichen Toten auf der Walstatt der Künste fort : David starb im Exü, Gros am Ufer der Seine; Prudhon endigte gebrochenen Herzens nach dem Selbstmord der Mlle. Mayer, Sigalon aus Entmutigung, Gericault durch einen Unglücksfall; Leopold Robert durch- schnitt sich die Kehle um einer geheimnisvollen Liebe willen. Wir befinden uns so scheint es fast in der Galerie der Generäle des Kaiser- reichs zu Versailles, wo man auf jedem Statuen- sockel Uest: Gefallen bei Austerlitz, getötet bei Waterloo ... Es fehlt nichts, als die Statue Na- poleons r Auf St. Helena von den Engländern getötet.

Von dem Leben und der Liebe Leopold Roberts, sowie von den verschiedenen Entwick- lungsphasen seines Talentes haben wir schon in Curmers „Beaux-Arts" einen ausführUchen Be- richt gegeben. Der Charakter Roberts ist von dem G^ricaults sehr verschieden; er hat mehr Ähnlich- keit mit Sigalon. Leopold Robert war Schweizer, Sohn eines Handwerkers wie sein Landsmann Jean-Jacques, ein scheuer und träumerischer Geist wie dieser; er arbeitete ebenso mühselig und näherte sich in seiner Kunst der Schönheit so weit, wie Jean-Jacques in seinem Stü der Beredsamkeit nahe kam. In den Briefen Roberts gibt es einige melancholische Stellen, die an die „Confessions** erinnern. So schrieb er kurz vor seinem Tode : „Ich

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war so glücklich, wenn ich von früh bis abends aus Leidenschaft und nicht aus Pflichtgefühl arbei- ten durfte. Ach, ich habe nach Unmöglichem ge- trachtet. Ich bin eine Beute des Leidens, das die- jenigen ereilt, die zu viel wollen. Und doch habe ich immer die Einfachheit geliebt. Ist ein fried- liches, beschauliches Leben nicht dem Ungestüm eines ehrgeizigen Herzens vorzuziehen? Ich las diese Nacht in der Bibel und suchte in ihrem erhabenen Zuspruch die Ruhe des Geistes, die mich immer flieht. Religion und Natur sind meine einzigen Tröster. Die Vorschriften jedes Glaubens können zur Glückseligkeit des Menschen beitragen, da sie alle dahin zielen, die Leidenschaften zu ertöten, die oft so unglücklich machen.**

Er spielt damit auf seine Liebe und seine Kunst an.

Ein andermal schrieb er wie Rousseau, der Misanthrop : „Man kommt schließlich zu der Über- zeugung, daß man zu keinem Menschen mehr in innerer Beziehung steht . . .; aber man entgeht seinem Schicksal nicht."

Zur selben Zeit, da er in Venedig am 20. März 1835 seinen unglückseligen Entschluß zur Tat machte, kam in Paris das Gemälde „Die Fischer des Adriameeres" an. Man erinnert sich der Be- geisterung, die dieses Meisterwerk hervorrief, das gleichsam das letzte Vermächtnis seines Schöpfers ist. Die Ausstellung desselben im Rathause des zweiten Bezirks brachte 16000 Pres, für die Armen

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ein. Wir ziehen die Adriafischer der „Madonna deir Arco", den „Schnittern" und anderen Werken Leopold Roberts entschieden vor. Eine unaus- sprechliche Trauer beherrscht dieses hervor- ragende Werk wie ein Aufschrei der Verzweif- lung. Diese Fischer kehren niemals wieder.

Keine von Roberts Kompositionen war derart durchgearbeitet wie diese. Herr Marcotte besitzt verschiedene Zeichnungen und vorzügliche Ent- würfe dazu, die ihm sein Freund aus Italien sandte, so oft er die Anordnung seines Bildes änderte; Marcotte ist der reichste Sammler Robertscher Bilder. Es ist bedauerlich, daß er die „Glück- liche Mutter" und die „Mutter mit dem toten Kind auf ihren Knien" der Ausstellung nicht zur Ver- fügung gestellt hat, denn nach der „Briganten- szene", aus dem Besitz des Barons Foucaucourt, kann man Robert nicht beurteilen. Dieses schwache Bild von 1820 stammt aus Rom; Leopold Robert war damals erst 26 Jahre alt und war gerade zwei Jahre in Italien, wohin er, wie er sagte, gegangen war, um „dort zu siegen oder zu sterben".

Seine besonderen Vorzüge: Ordnungssinn, Empfindung, Schönheit fehlen in der „Briganten- szene", obwohl der Künstler später mit ähnlichen Kompositionen viel Erfolg gefunden hat. Man muß Robert in wohldurchdachten Darstellungen sehen, die eine schöne Verteilung der Gruppen und Gestalten und einen exakten Linienzug er- fordern; war doch Poussin sein Lieblingsmeister,

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der, was die Anlage eines Bildes betrifft, noch von keinem übertroffen worden ist. Von Poussin hat er die pyramidenförmige Komposition gelernt, die man in dem „Neopolitanischen Improvisator", in den „Schnittern", der „Madonna dell' Arco" und in den „Fischern des Adriameeres" bewundert: eine Hauptfigur als Gipfel, zu beiden Seiten sym- metrische Gruppen, die einander die Wage halten. Dieses gewissermaßen architektonische System war auch Rafael in allen seinen großen Werken eigen. Doch weder Rafael noch Poussin hat es erfunden, es liegt schon allen antiken Reliefs zu- grunde. Wir können noch weitergehen: es ist das System aller Geschöpfe der Natur; die Men- schen können doch nichts anderes, als die ewigen Gesetze göttlicher Harmonie entdecken.

Indessen muß man Leopold Robert auch in dem Stil seiner Einzelfiguren für sich genommen betrachten, in dem Charakter stolzer Schönheit, den er dem Gebaren seiner römischen Bäuerinnen und seiner rauhen Arbeiter aufzuprägen weiß. Doch mag Roberts so auch ein großer Dichter sein, man muß doch sagen, daß er in der technischen Ausführung seiner Kunst nur schwach geblieben ist. Seine Zeichnung und sein Kolorit, die beide so gerühmt werden, sind höchst tadelnswert; die erstere ist oftmals unrichtig und ungeschickt: man prüfe nur einmal den Umriß der Füße und Arme daraufhin ; der Farbe aber fehlt es an Halb- tönen und Abwechselung. Leopold Robert scheint

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uns in folgender Bemerkung eines Kritikers aus dem Kreise unserer Freunde sehr gut bewertet: „Während seines ganzen Lebens hatte Robert nur einen Gedanken, an dem er schließlich auch zu- grunde ging: er erträumte die Vollkommenheit. Er hat, wie er selbst sagte, dem Unmöglichen nachgestrebt. Er hat zu viel verlangt, und dieses übermäßige Verlangen, das er auch auf seine Kunst übertrug, konnte er nie befriedigen, weder in seiner Kunst, noch in seiner unglücklichen Liebe. Diesem unersättlichen Streben aber hat er es zu verdanken, daß er seinem Inbegriff von menschlicher Schönheit nahe gekommen ist, wenn er ihn nit:ht sogar erreicht hat.**

Charlet, dessen kürzlichen Heimgang alle Künstler empfunden haben, war weniger ehrgeizig : ein Mann der Improvisation, ein urwüchsiges Ta- lent, eindrucksfähig und geistvoll. Charlet ist eine Art Journalist, der mit seinem Stift eine lebhafte Polemik entfesselt. Wenn man Charlet seinen Pa- triotismus und sein Herz als Volksfreund weg- nimmt, bleibt nur ein witziger Beobachter und ein geschickter Zeichner übrig. Charlet schreibt Komödie wie Gros Geschichte. Man hat ihn zu- weilen mit B6ranger verglichen^ Gewiß gehört er zur selben Familie; doch Beranger fühlt viel tiefer, viel menschlicher, viel nachhaltiger, ganz abge- sehen davon, daß der Stil des Dichters von dem des Malers durchaus verschieden ist. Bdranger gehört seiner Zeit, aber auch allen Zeiten an.

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Charlet gehört allein in die Restauration; er ist ein nachgeborener alter Haudegen, der 1792 zur Welt kam, als die republikanischen Truppen eben hinauszogen, um das Volksprinzip über Europa weiter zu verbreiten; er sollte den Krieg gegen die Bourbonen in ihrem eigenen Königreiche fort- setzen, nachdem er sich bei Clichy gegen die Alliierten geschlagen hatte. Charlet ist der Sohn eines Dragoners und Patenkind eines Fechtmei- sters. Verlaßt euch darauf: er rächt unser Un- glück mit durchdringendem Sarkasmus. Er war der Urheber des Wortes von Cambronne, das, auf einem Pamphlet verbreitet, so ungeheuren Erfolg hatte : „Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!" Der Ruhm Charlets begann mit dieser ersten Lithographie, und durch fünfzehn Jahre hat er den Nationalgeist ausgezeichnet dargestellt. Die Spottlieder und losen Bilder haben den Bourbonen ebenso geschadet wie die Presse und die Redner- tribüne. Charlet nimmt seinen Platz in der Ge- schichte der Politik ebenso ein, wie in der der Kunst.

Unzählig sind die Zeichnungen und Lithogra- phien Charlets, ganze Mappen fanden sich, voll davon, in seinem Nachlaß; es hätte wohl der Mühe verlohnt, ein Verzeichnis davon aufzuneh- men. Er hat 1836 auch ein schönes Ölgemälde ausgestellt, eine ,, Episode aus dem russischen Kriege", jetzt im Museum zu Lyon; 1837 den „Rheinübergang", der dem Boileaus nicht ähnlich

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ist; 1843 den „Hohlweg"; im übrigen sind seine Bilder jedoch selten und dürften noch teuer ver- kauft werden.

Gezeichnet hat Charlet bis zum letzten Atem- zuge. Am Vorabend seines Todes hat er die bei- den Zeichnungen der Ausstellung gemacht, die er Mme. Belloc widmete: „Der Kopf" und „Der Schwanz der Republik" betitelt; hier ein Marquis, dort ein Sansculotte, zu Anfang das Volk, zum Schluß eine neue Aristokratie. Charlet gehörte immer der Opposition an. Er sprach es aus : in den Künsten gebe es keine goldene Mittelstraße. Er ist also immer anderer Meinung gewesen, als Delaroche. (1846. i. 206—238.)

3. Ingres ^

Eine einzige wirklich hervorragende und unterscheidende Eigenschaft genügt, um einen Mann auch in der Nachwelt weiterleben zu lassen. Ingres hat etwas zum leben. Man mag seine Ma- lerei gern mögen oder auch nicht; sein Name bleibt bestehen. Ingres wird niemals aus der Über- lieferung verschwinden; aber er wird auch immer angefochten werden. Solche Zweifel des mensch- lichen Geistes angesichts gewisser Dinge und Men- schen, solche Art Zwiespältigkeit des Urteils kann man übrigens in dem ganzen Verlauf der Ge- schichte und in allen Gebieten des Lebens be- obachten. Bei vielen historischen Streitigkeiten will sich kein Salomo finden, der die richtige

Bürger, Kunstkritik. II. 5

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Mutter zu erraten weiß. Seit achtzehn Jahrhun- derten hat es, wie in Pierre Leroux' Enzyklopädie zu lesen ist, zweierlei einander widersprechende Stimmen über Brutus und über Cäsar gegeben; wer behält Recht bei Cäsar oder bei Brutus? Zweierlei Stimmen auch über Macchiavelli, dessen Regeln man zugunsten der verschiedenartigsten Überzeugungen in Anspruch genommen hat. Wäh- rend Voltaire den „niederträchtigen" Macchiavelli mit Friedrich von Preußen, der kaum mehr taugte, widerlegen wollte, schrieb Rousseau: „Das Buch vom Fürsten ist das Buch der Republikaner." Und wir brauchen nicht einmal so weit zu gehen, das Gebiet der Malerei gar nicht verlassen es hat immer zw^eierlei Stimmen gegeben über Cara- vaggio und die drangvollen Maler, über die Car- racci und die Bologneser Schule, über Pietro da Cortona und die Manieristen, die doch so berühmt gewesen sind, und die schließlich den Verfall her- beigeführt haben. Mußten nicht Watteau und Boucher, David und seine Schule schon zwei, drei Abstimmungen in der öffentlichen Meinung über sich ergehen lassen? Es kommt doch häufig vor, daß ein Mensch Ansprüche auf Geltung in der Geschichte besitzt, selbst mit einer sehr unvoll- ständigen Geistesanlage, selbst bei verderblichem Einfluß. Aber wie groß auch die Unvollkommen- heiten der Persönlichkeit sein mögen, einen wirk- samen und besonderen Grund für die Dauerhaf- tigkeit eines historischen Namens muß es immer

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geben, und zu diesem Grund hindurchzudringen, darauf kommt es an.

Ingres vertritt einen wesentlichen Bestandteil der Poesie. Sein Trachten ist auf Stil, Reinheit der Form, Haltung und Schönheit gerichtet. Frei- lich wird die Schönheit, wie er sie aufzufassen scheint, durch eine strenge Formensprache um- schrieben, unter Verzicht auf alle anderen lebens- vollen und unendlich wandelbaren Eigenschaften der Natur. Dieses System ist nach unserem Dafür- halten, selbst wenn man von den Bedingungen seiner Kunst absieht und es nur im Hinblick auf die Ästhetik und die Poesie betrachtet, durchaus falsch. Aber Ingres legt in seine Überzeugung solche Gewaltsamkeit und zähe Ausdauer, daß seine Werke dadurch alle Charakter besitzen. Wir haben ihn an anderer Stelle mit Guizot verglichen, mit dem er wirklich viel Ähnlichkeit hat. Auch auf seine Beziehungen zu David ist in dem obigen Abschnitte hingewiesen und zwar in dem Sinne, daß beide, wie aus ihren Arbeiten ohne Unterlaß ersichtlich ist, aus ein und derselben Quelle der Inspiration schöpfen. David wollte den Künsten soziale Bedeutung, sittlichen Einfluß, historische Lehrkraft verleihen; aber der Maler bleibt weit zurück hinter dem Theoretiker. Ingres verlangt nur Schönheit um ihrer selbst willen ; er bekümmert sich nicht um soziale Tendenzen und sorgt sich nicht im geringsten um die Leidenschaften, die den Menschen umtreiben, um das Schicksal, das

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die Welt bewegt. Sein Absehen ist allein auf pla- stische Vollkommenheit gerichtet. Aber seine Ausführung entspricht durchaus nicht diesem Wollen.

Im Grunde ist Ingres ein Erzromantiker unter den Künstlern des 19. Jahrhunderts, wenn aus- schließliche Liebe zur Form, vollkommene Gleich- gültigkeit gegen all die Geheimnisse des mensch- lichen Lebens, wenn skeptisches Verhalten gegen Philosophie und Politik, selbstsüchtige Lossagung von allen Gefühlen der Gemeinsamkeit und des Zusammenhangs Romantik ist. In der Tat, der Satz „l'art pour l'art" ist eine Art materialistischen Brahmanentums, welches seine Anhänger sich kei- neswegs in die Betrachtung der ewigen Dinge, sondern vielmehr in eine unsinnige Überschätzung der äußeren, vergänglichen Formen verlieren läßt. Es ist auffallend, daß die Romantik, deren guter Einfluß auf den Stil sich kaum bestreiten läßt, nicht einen einzigen Mann mit starker sozialer Überzeugung hervorgebracht hat. Ihre Dichter haben alle Ausgeburten des Wunders, alle Groß- taten und alle Ungerechtigkeiten besungen. Die „Kunst um der Kunst willen", losgelöst vom Men- schen, ist in dem Lande der Rabelais, Corneille, Moliere, Voltaire, Rousseau, Poussin und David eine sonderbare Ketzerei. In Frankreich haben die Künste immer eine philosophische Tendenz verfolgt, häufig sind sie sogar eine Waffe im sozialen Kriege gewesen: Predigten oder Flug-

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Schriften. Die Romane der großen Schriftsteller des i8. Jahrhunderts haben stets die Bedeutung einer These allgemeiner Nützlichkeit oder mora- lischer Vervollkommnung. Scribitur ad proban- dum. Das 19. Jahrhundert, das immer von seinen Sitten und Einrichtungen so viel Aufhebens macht, hätte wohl daran getan, sich die edle Begeisterung seiner Vorgänger zu bewahren.

Ingres befindet sich im grellsten Widerspruch zu der heimatlichen Überlieferung, hauptsächlich zu der jüngsten Lehre Davids. Diese aber war gerade dasjenige an David, was in der französi- schen Schule weiter zu leben verdiente : Die Liebe zum Hochherzigen, die Begeisterung für alles, was heroische Aufopferung heißt. Auf Brutus, So- krates, Leonidas sind die Odalisken gefolgt. Der Künstler hat keine eigene Meinung mehr; er hängt nur von seiner Phantasie allein ab, und so behandelt er, abgeschlossen von den anderen Men- schen, von seiner stolzen Höhe sämtliche Vor- kommnisse des gewöhnlichen Lebens mit Gering- schätzung. So malte Ingres z. B. zur Zeit der Frem- deninvasion im Jahre 18 14 den „Aretino", die „Fornarina" und eine Anekdote von Heinrich IV.

zur selben Zeit, als David, wie schon erwähnt, den Leonidas wieder auferstehen ließ. Der eine rief: „Es lebe Heinrich IV., der galante Fürst!**

der andere „Es lebe das Vaterland und die Freiheit l"

Wir heben diese Beobachtung hervor, weil

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schließlich der Gedanke, die Eingebung, das Ge- fühl, der Geist, die Erfindung wie man es immer nennen mag stets den Urgrund des künst- lerischen Schaffens ausmacht, in der Literatur ebenso wie in der Malerei. Die Kunst ist nichts anderes als der Ausdruck des inneren Lebens, das des Menschen Herz bewegt und sich den anderen Menschen mitteilen will. Leider überwiegt in unserer Zeit die Form den Inhalt, und niemand scheint diese Erniedrigung nationaler Kunst auf- zufallen. Wenn man noch etwas erörtert, so ist es meistens die Art des Verfahrens, die Geschick- lichkeit in der Ausführung. Nur darum kümmert sich die Literatur, der man gegenwärtig den Vor- zug gibt, und keine andere Sorge kennt auch die Malerei. Wir dürfen über unsere Kritiken in dieser Hinsicht ganz beruhigt sein; denn wir haben, glaube ich, bewiesen, daß niemand mehr als wir die Technik an sich in der Kunst zu schätzen weiß, die Farbe, die Bewegung, die Fülle und die geistreiche Behandlung in der Malerei wür- digt. Wir achten die Odalisken und die Schäfe- rinnen durchaus nicht gering; Watteau und Boucher sind uns sogar lieber als die schwer- fälligen Zusammenstoppler, die sich einbilden, mit einem derben Einfall und einer rechtschaffenen Absicht schon ein Gemälde zustande bringen zu können. Die Absicht kann nicht für die Tat an- genommen werden, wenn es sich um Kunst, das heißt Verwirklichung, Schöpfung handelt. Das

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Kind muß mit allen Erfordernissen zur Lebens- fähigkeit auf die Welt kommen. Wir sind indes so anspruchsvoll zu fordern, daß es auch eine Seele habe. Ist das zu viel verlangt?

Also, was ist das Lebensprinzip, das Ingres und seine Schule beseelt? Wie denkt er über die Gesellschaft des Altertums, die des Mittelalters und unserer Zeit? Ihr könnt der Schönheit nicht Charakter verleihen, ohne an Wahrheit und an Gerechtigkeit zu rühren. Das Schöne ist der Ab- glanz des Wahren, sagt Plato. Wo ist die Wahr- heit, wo die Gerechtigkeit, auf daß wir sie wieder mit Schönheit umhüllen ? Wenn ihr an nichts mehr glaubt, wo wollt ihr dann das Zeichen der Schön- heit aufrichten? Auf dem Boden des Guten oder des Bösen? Ihr stellt mich vor ein Bild: wohin soll meine Teilnahme sich wenden, zu dem Opfer oder zu dem Henker? Auf die Liebe oder den Egoismus ? Um ein Bild zu malen, muß man doch irgendein Gefühl haben, das dann auch den Be- schauer ergreifen wird. Nehmen wir einmal den „Tod des Sokrates" von David; das ist eine Apo- theose: wenn man dieses Bild betrachtet, kann man nicht anders, als für den Philosophen und die Wahrheit Partei ergreifen. Von einem Skeptiker gemah, würde der „Tod des Sokrates" überhaupt keine Bedeutung haben. Davids „Leonidas" : Auf! an die Grenze, das Vaterland gegen den Eindring- ling zu verteidigen 1 Und da, „Das Gemetzel von

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Chios" von Eugene Delacroix 1 Lehnt sich da nicht alles in uns gegen die Unterdrücker auf?

Damit soll nicht gesagt sein, daß die Seele des Künstlers nur historische und unmittelbar be- deutsame Ereignisse zu beleben vermag. In den einfachsten Vorgang von der Welt, in eine be- liebige Gestalt, ja selbst in eine Landschaft kann man sehr viel menschliches Gefühl hineinlegen. Dazu aber gehört, daß der Künstler vorerst selbst etwas innerlich erlebt hat, sonst genügt die Da- guerreotypie zur Wiedergabe des Vorbildes.

Demzufolge kann man Ingres aus seiner Gleichgültigkeit gegen Religion, Philosophie, Po- litik, Moral, Geschichte und alle tieferen Interessen der Menschheit und der Gesellschaft einen Vor- wurf machen. Ingres' Stellung innerhalb unserer Schule ist so bedeutend, daß er verantwortlich ist für die Bahn, auf der ihm eine ganze Schar von Künstlern folgt. Ein schlechtes Prinzip kann, ein- mal angenommen, eine ganze Generation verder- ben. Nach unserer Meinung kommt es darauf an, unter den Malern nicht den Glauben groß wer- den zu lassen, sie könnten durch ausschließliches Bemühen um das Formale oder durch mehr oder minder glückliche Eigenschaften der Technik zum Erfolg gelangen. „Wer sich damit bescheidet, nur das Äußere zu sehen, nur die Form zu malen, wird diese selbst nicht einmal zu sehen vermögen," sagt Michelet in seinem Buche über das „Volk". Nochmals also : Skepsis ist verderblich in der

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Kunst, ebenso wie in allen anderen Offenbarungen des menschlichen Geistes.

Auch das Verfahren, die besonderen Mittel seiner Kunst, die Theorie seiner Ausführung er- scheinen uns bei Ingres sehr anfechtbar. Indessen nur gegen große Männer zieht man zu Felde. Ingres verkennt, wie Guizot sagt, das eigentliche Gebiet der Malerei. Aus der „Apotheose Ho- mers" könnte ein Bildhauer ein schönes Basrelief machen. Die „Odaliske" ist eine wundervoll mo- dellierte Statue! Vielleicht war Ingres eben Bild- hauer. Denn gerade das Verfahren des Plastikers nimmt ihn vor allem ein, auch in der Malerei, ja sogar, so unglaublich das klingen mag, in der Musik. Ingres ist sehr musikalisch und fühlt sich glücklich, wenn er in irgendeinem Quartett von Haydn die Geige spielen darf. Er spricht ebenso- gern über Musik wie über Malerei, und wieder- holt oftmals : „Was mich in der Musik begeistert, ist die Zeichnung, die Linie." Dies Wort ist cha- rakteristisch und spiegelt aufs deutlichste die außerordentliche Leidenschaft des berühmten Künstlers für die Form wieder, die doch aber in der Malerei erst in zweiter Linie kommt und noch mehr in der Musik.

Tatsächlich gibt es ja Zeichnung in der Mu- sik ebenso wie in der Literatur und in der Malerei. Ein Musikstück, ein Satz können gut gezeichnet sein, im ganzen wie auch in den einzelnen Teilen. Die Proportionalität ist eine Bedingung aller

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Künste; aber das Ausdrucksmittel der Musik ist der Ton mit all seinen Zusammenstellungen und Rhythmen, die ihn zeichnen und umschreiben. Das Ausdrucksmittel der Malerei ist die Farbe mit der sie begrenzenden umschreibenden Zeichnung. Die Zeichnung ist in der Malerei dasselbe, was der Takt in der Musik ist, nichts anderes. Was ist aber der Takt ohne Ton? Das Leere, das Unmögliche. Der Takt ist die Grenze des Tones ebenso wie die Zeichnung der Rahmen der Malerei ist. Wenn auch die Dichtung, im wei- teren Sinne, ein einheitliches Ganze ist, die Künste sind vielfältig und ihre Ausdrucksmittel verschie- den. Malerei ohne Farbe als grundlegendes Ver- fahren, als Ausgangspunkt genommen, das heißt die eigene Kunst verleugnen; denn die Malerei beruht auf einer Übereinkunft, die sich nur durch das Licht erklärt, d. h. durch die Farbe. Das Licht ist es, das Relief und Raum auf einer ebenen Fläche kenntlich macht. Man bedenkt ja gar nicht hinreichend, welch eine unglaubliche Kraft- leistung der Malerei es ist, daß sie die unendliche Luft und die Tiefe des Himmels auf einer Lein- wandfläche, die doch keine Tiefe hat, zur Er- scheinung bringt; ein erstaunliches Kunststück, das sogar eine gewisse Erziehung auf Seiten derer voraussetzt, die derart in Wirklichkeit umgesetzte Vorstellungen betrachten. Bekanntlich sollen Kin- der, Wilde und oft auch Bauern Mühe haben, das im Bilde Dargestellte zu erfassen. Ich bin im

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Gebirge Hirten begegnet, die derart darüber er- staunt waren, in den vor ihren eigenen Augen ent- standenen Studien die Perspektive, den Raum ge- malt zu sehen, daß sie es für Zauberei hielten.

Die Malerei ist eine wunderbare Zauberin, deren ganzes Geheimnis in der Farbe liegt.

Auch die Dichter treten manchmal aus dem besonderen Gebiet ihrer Kunst heraus, indem sie mit tönenden Worten allein Verse machen. Dies kann Musik sein. Lamartine liefert Beispiele hier- für. George Sand ist oft Malerin, und Victor Hugo Bildhauer, wie Lamartine Musiker ist.

Ingres' Malerei hat mehr Beziehungen als man glaubt zu den primitiven Malereien orientalischer Völker, die eine Art farbiger Plastik darstellen. Womit beginnt bei den Indern und Chinesen die bildende Kunst, oder bei Ägyptern und Etruskern ? bei dem Flachrelief, auf dem man Farben an- bringt. Dann unterdrückt man das Relief, und es bleibt nur der äußere Umriß, der Zug, die Linie; tragen wir nun auf das Innere dieser ele- mentaren Zeichnung Farbe auf, so haben wir Ma- lerei; aber es ist weder Luft noch Raum darin. Die chinesischen Gemälde haben diesen Cha- rakter, der auf den etruskischen Vasen so deutlich ausgeprägt ist, noch erhalten. Die in ganz flachen Farbenlagen kolorierten Figuren erheben keinen anderen Anspruch, als die Plastik und Ziselierung nachzuäffen.

Ich hörte auf der Ausstellung mehrere Per-

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sonen die „Stratonike" mit chinesischer und etrus- kischer Malerei vergleichen; die eine so zart im Ton, so minutiös im Detail; die andere von so genauer Linienführung, strenger Haltung, etwas seltsam, aber immer köstlich; alle beide indessen der Darstellung des Raumes und der Luft er- mangelnd.

Die gleichen Mängel, welche auf eben die- selben Ursachen, will sagen auf dasselbe Ver- fahren zurückzuführen sind, lassen sich leicht auch in den Bildern von Ingres aufzeigen. Beginnen wir bei der „Stratonike", dem schönsten Bilde der Ausstellung: Alles ist in der gleichen Ebene, die Bettstelle, die Säulen, die Personen des Dramas und jene Nebenpersonen, die auf die Wand gemalt zu sein scheinen. Dann die zweite „Odaliske" : Der schwarze Eunuch berührt die schöne Sul- tanin und ist doch um mehr als die Hälfte kleiner; denn nach Ingres' Absicht soll er sich in einem ge- wissen Abstand befinden : also ein Mangel an Perspektive. In der berühmten „Klytämnestra" von Guerin gab es eine ähnliche Wirkung: Kly- tämnestra faßt den Vorhang, der sie von Agamem- non trennt, man meint, sie will eben Hand an den schlafenden Gatten legen; dabei weisen aber die Größenverhältnisse an Agamemnons Körper auf eine beträchtliche Entfernung hin. Farbe und Licht sind es also, welche die Gegenstände an ihren Platz im Räume stellen. Die Koloristen fallen derartigen Verirrungen niemals anheim.

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Der Mangel an Perspektive, der die Wirkung seiner Gemälde stört, ist auch bei Ingres darauf zurückzuführen, daß er zu kleinlich ins einzelne geht, und alles im selben Tonwerte hält, wie weit auch der Abstand sei. So kann man das Muster des Teppichs zwischen der Odaliske und dem schwarzen Eunuchen ganz genau abzählen: zwi- schen ihnen sind fünf oder sechs Quadrate, die eine Entfernung von fünf bis sechs Fuß aus- machen können. Warum ist also der Eunuch so klein?

Die Galerie des Beaux-Arts enthält elf Bilder von Ingres : „Ödipus, das Rätsel lösend", im Be- sitze der Herzogin von Orleans; die „Sixtinische Kapelle" bei Herrn Marcotte, die „Odaliske" des Grafen Pourtales; „Philipp IV." aus dem Besitz des Herzogs von Fitz-James; die „Francesca da Rimini" des Grafen Turpin de Crisse; „Jehan Pastourel und Karl V." vom Marquis von Pastoret; das Porträt des Herrn „Bertin aine"; das des „Grafen Mole"; ferner die dem Herrn Marcotte gehörende „Odaliske", die „Stratonike" der Her- zogin von Orleans und das Porträt der „Vicom- tesse d'Haussonville". Wir haben sie absichtlich in chronologischer Reihenfolge aufgezählt, um an ihnen das Talent des Künstlers in seiner Entwick- lung verfolgen zu können.

Der „Ödipus" ist aus dem Jahre 1808; Ingres war damals gegen 29 Jahre alt; er hatte Mon- tauban mit 16 Jahren verlassen, um in Davids

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Atelier zu arbeiten, gegen dessen Stil doch sein ganzes Leben ein langer Protest werden sollte; 1800 erhielt er den Rompreis, konnte aber erst 1806 nach der Wiederherstellung der französischen Schule in der Villa Medici nach Rom gehen. Sein Konkurrenzbild, das noch heute in der Ecole des Beaux-Arts ausgestellt ist, stellt den Achilles dar, wie er in seinem Zelte die Gesandten Agamemnons empfängt. Als Flaxman nach Frankreich kam, er- klärte er, dieser Achilles von Ingres sei das Schönste, was er in Paris gesehen habe. Dabei muß man bedenken, daß Flaxman Bildhauer und Engländer war.

Ingres blieb bis 1824 in Italien und kehrte, nach dem Erfolge des „Saint Symphorien" im Salon von 1835, als Direktor unserer Schule wie- der dahin zurück. Dieses freiwillige Exil erklärt zum Teil seine Neigungen und den Charakter seines Stils, die der französischen Tradition so fremd sind. Auch Poussin blieb lange in Rom und wurde von Rafaels Manier beeinflußt; aber die Originalität seines eigenen Genies blieb un- berührt.

Die Komposition des „Ödipus** ist sehr packend. Ein fürchterliches Geheimnis webt zwi- schen dem Manne und der Sphinx. Ödipus, nackt, in natürlicher Größe gegeben und im Profil ge- sehen, steht in tiefes Nachdenken versunken da. Die Sphinx mit dem Antlitz und den Brüsten eines Weibes streckt schon gegen den kühnen jungen

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Mann ihre Löwentatze aus. Fleisch und Felsen haben jedoch fast den gleichen Ton, sie fallen ins Aussehen von Pfefferkuchen. Die Haare des Ödipus erscheinen wie aus Holz geschnitzt, und sein Ohr ist verfehlt, aus der natürlichen Linie und Regelmäßigkeit herausgeraten.

Die „Sixtinische Kapelle" war schon 1814 aus- gestellt, obwohl sie, soviel ich weiß, mit dem Da- tum 1820 versehen ist. Zweifelsohne hat der Künstler das Werk zu dem letzteren Termin voll- endet, indem er die Figurenreihe links unten hinzu- fügte. Der Kopf des vierten Kanonikers ist das Bildnis des Meisters selbst. Manche bewundern in der „Sixtinischen Kapelle" die Vorzüge der Farbe. Der Lokalton ist tatsächlich kräftiger als in den anderen Werken des Malers. Aber erst die relativen Tonwerte, die Harmonie und Verteilung des Lichtes, aus denen sich die Perspektive er- gibt, machen den Koloristen aus. Außerdem die Fresken Michelangelos haben fast den gleichen Farbwert, wie die versammelten, auf verschiedene Pläne verteilten Personen unten.

Die „Odaliske" des Herrn Pourtales, datiert Roma 18 14, war erst 1819 gleichzeitig mit dem Philipp V. vom Jahre 18 18 ausgestellt. Es ist inter- essant, die Meinung der Presse damals über die heute so gefeierte „Odaliske" nachzulesen. Das „Journal de Paris", das einzige Blatt, das gewagt hatte, Girodets „Galathea" wenn auch mit Zurückhaltung zu kritisieren, sagte über die

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„Odaliske" : „Trotz all meiner Neigung zur Nach- sicht kann ich Herrn Ingres keine Schmeiche- leien sagen; er ist in dem Alter, das den Höhe- punkt des künstlerischen Talentes bedeutet, und er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns zu der Geschmacksrichtung der gotischen Ma- lerei zurückzuleiten. Über seine ,Odaliske* gibt es nur eine Stimme, und ich zweifle nicht, daß er sich beeilen würde, sie unseren Blicken zu ent- ziehen, wenn er nur einen Teil der Äußerungen des Publikums darüber hören würde.'*

Seit 27 Jahren hat sich die Kritik sehr ge- ändert; aber ich glaube kaum, daß das Publikum von "heute gegen die „Odaliske" nachsichtiger sein würde. Diese Malweise ist so befremdend, die Formgebung so wenig faßlich, das Beiwerk von so rohem Farbton, daß man sich nur schwer daran gewöhnen kann. Das gleicht auch nicht im ge- ringsten der Sammetweichheit des lebendigen Flei- sches. Die Fußsohle sieht wie eine gefüllte Blase aus. Das Ohr sitzt zu hoch, wie beim „Ödipus". Die Haare sind wassergrün, wie auf dem Porträt der Mme. d'Haussonville. Der rechte Arm ist zu lang und zu steif, aber er geht in eine köstliche Hand aus. Die Haltung hat im allgemeinen wohl Stil und Großheit. Man fragt sich aber doch, was denn der Maler mit dieser Gestalt ohne bestimmten Charakter hat ausdrücken wollen. Ist es die Wollust, die Schönheit, die Ruhe, die Melan-

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cholie? Weib, wer bist du und was willst du von mir?

Der „Philipp V.", der dem Marschall von Berwick irgendeinen Orden verleiht, ist derart mit roten Flecken übersät, die auf ein gesundes Auge abschreckend wirken, daß wir es nicht wagten, uns bei den Einzelheiten aufzuhalten. Wir haben nur bemerkt, daß der kniende Berwick mindestens i8 Kopflängen haben muß, aber sicher kein Ge- hirn. Mit einem so fürchterlich platten Schädel könnte man überhaupt nicht leben.

Die „Francesca da Rimini" stammt aus dem Jahre 1819. Der junge Mann, der sie umarmt, hat eine Schafsnase. Das Ganze erinnert etwas an die Miniaturen alter Handschriften. Das Bild von „Karl V. und Jehan Pastourel" ist von 1821. Der historische Charakter ist darin gut gewahrt. Einige Gestalten sind von kräftiger Bildung.

Der Ruhm Ingres' fing erst nach der Juli- revolution an, obgleich die „Apotheose" aus dem Jahre 1827 stammt. Das Porträt des Mr. Bertin ain6, von 1832, war sein erster öffentlicher Er- folg. Ingres hat hier die Natur korrigiert, die in dem Stil der Antike nicht zu finden war, und hat ihr einen großartigen Charakter verliehen. Die Schattenstellen des Kopfes haben jedoch die gleiche Farbe wie das Mahagoni des Lehnsessels, und der Hintergrund ist wenig angenehm im Ton. Trotzdem ist dieses Porträt eine höchst tüchtige Arbeit, in der die Individualität der Person mit

Bürger, Kunstkritik. II. 6

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seltener Wucht ausgeprägt ward. Henriquel Du- pont hat soeben einen schönen Stich davon ver- öffenthcht.

In dem Porträt des Herrn Mole bewundert man dieselben Eigenschaften: zurückhaltende Knappheit des Beiwerks und höchst verständnis- volle Darstellung der Persönlichkeit, die der Maler vor Augen hatte.

Die zweite „Odaliske", von 1839, ist lange vorher begonnen worden. Die Komposition wurde mehrfach verändert, sogar die Leinwand wurde ringsum um zwei Zoll vergrößert, da sich der Gegenstand dem ursprünglichen Größenausmaß nicht mehr fügen wollte. In der Zeichnung der ruhenden Sultanin finden sich auserlesene Vor- züge. Der linke Arm und die Hand, die wie ein Kranz das Haupt umschlingen, sind von vollendeter Vornehmheit. Im Gegensatz dazu ist die unter dem Nacken ruhende linke Hand unverständlich und zeigt nur einen mißfälligen Stumpf. Ziemlich gewagt ist die Modellierung des Leibes, und der .N^ucjx schemt sich auf die rechte Flanke verirrt zu haben. Gesicht und Augen drücken die Lässig- keit und Üppigkeit einer dem Bade entstiegenen Kurtisane aus. Das Innere dieses Harems müßte man jedoch einmal neben Eugene Delacroix' „Frauen von Algier" sehen!

Es gibt eine Wiederholung dieser „Odaliske'* mit einigen Änderungen, von Ingres selbst im Jahre 1841 für den württembergischen Hof gemalt.

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Die Liebhaber konnten sie bei Herrn Leopold auf dem Boulevard des Italiens ausgestellt sehen. Der Hintergrund ist eine Landschaft, die etwas Luft und Raum hinzugibt. Vermutlich ist sie von Flandrin, dem besten Landschafter der Ingres- schule ausgeführt. Diese Wiederholung der ,,Oda- liske" befindet sich heute bei Herrn Delessert, Sohn.

Unserer Meinung nach ist die „Stratonike" unter Ingres' sämtlichen Bildern dasjenige^ in dem sein System mit all seinen Vorzügen und Fehlern am vollsten zutage tritt. Die Bewegung des jungen Antiochus, der den linken Arm über sein kränk- liches, verstörtes Gesicht hält, um Stratonike nicht zu sehen, die nachdenklich am Fußende des Ruhebettes vorüberschreitet, ist ganz herrlich. Der Arzt Erasistratos, der hinter ihm steht, deckt ihn schützend und macht eine Gebärde der Verwunde- rung. Er errät in eben diesem Augenblicke die Ursache der Krankheit. Es ist ein feiner, genialer Zug in dieser Komposition, daß der . Vater des Antiochus und Gemahl der Stratonike, der sich auf das Lager geworfen hat und sein Haupt in den Falten des Gewandes verbirgt, nichts von diesem heimlichen Auftritt wahrnehmen kann; und Stra- tonike selbst steht aufrecht und abgewandt wie in melancholischer Träumerei versunken da. Bewun- derungswürdig ist die Einfachheit und Ruhe dieser Gestalt. Der Kopf ist auf die rechte Hand ge- stützt, nach Art antiker Statuen, die gedanken-

6*

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volles Sinnen ausdrücken. Ihr zart silberblaues Gewand wirkt sehr anmutig in seinem ganzen Wurf, obwohl es die Formen des Körpers nicht genug durchscheinen läßt. Leider bleibt auch der linke Arm versteckt, und man weiß nicht, woher die Hand kommt. Links schüttet ein junger Knabe, der mit seinen dünnen Beinen ganz am äußersten Rande des Bildes aufgepflanzt ist, Räucherwerk in die Schale auf einem Dreifuß; er hat einen feinen Kopf und ein außerordentlich vornehmes Handgelenk. Der Jüngling im violetten Mantel, rechts, von rückwärts gesehen, hängt an der Täfe- lung wie ein Gewand am Haken; gleichwie der blaue Stoff, der nachlässig auf den Stuhl im Vor- dergrund geworfen ist. Auf derselben Seite errät man noch Bestandteile einer weiblichen Gestalt, die unter einem Leuchtergestell sitzt, aber von einer Säule erdrückt wird. Allen Körpern auf diesem sonderbaren Gemälde fehlt es an Körper- lichkeit. Man muß erst zweimal hinsehen, ehe man vermutet, daß unter dem Mantel an dem Bette sich auch ein Mensch befindet der kniende Vater; ich habe bemerkt, daß Kunst- freunde ihn für eine dorthin drapierte Decke hielten. Aber mit welcher Hartnäckigkeit sind die Einzelheiten an all den Möbeln ausgeführt, der Fries am Aufbau über dem Lager, die Säulchen an den Türen und alle andern nach der Antike kopierten Dekorationen! Ingres hat es nicht ver- standen, das Beiwerk aufzuopfern, um die volle

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Teilnahme auf dieses so gut erfaßte und trefflich angeordnete Familiendrama allein zu sammeln. Im Gegenteil, er hat den Gedanken unter Kleinlich- keiten des Schauplatzes erdrückt, die den Beifall der Archäologen finden mögen, aber die Haupt- wirkung vollständig vernichten.

Es wäre kindisch, sich auf eine Kritik der untergeordneten Partien einzulassen ; aber das Ohr der Stratonike verliert sich wieder zu sehr nach hinten in die Höhe, und die Finger ihrer kleinen Hand, die sich so schön unter dem Kinn biegt, sind kaum richtig gezeichnet.

Auch Girodet hatte in Neapel für seinen Freund Cirillo eine Stratonike gemalt. Es wäre interessant, sie mit der von Ingres zu vergleichen.

Das Porträt der Mme. d'Haussonville zeigt uns Ingres* Talent von einer neuen Seite. Der Künstler hat hier Anmut und Zierlichkeit geben wollen und treibt eine wahre Verschwendung mit den Details, Blumenvasen und Spiegeln, während er in den Männerbildnissen Strenge bevorzugt. Ohne Zweifel eignet sich hier sein Gegenstand dazu; aber die Eigenart des Meisters will sich mit solchen Eitelkeiten doch nicht vertragen. Die Haltung der Frau d'Haussonville ist fast dieselbe wie die der Stratonike. Anmutig ist der nackte Arm, der das Haupt stützt ; er tritt aus einem lila Mieder hervor, dessen Farbe gegen das Blau der Sammetdecke auf dem Spiegeltisch hart abstößt. Das Bildnis der Vicomtesse d'Haussonville ist die

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jüngste Leistung Ingres' und trägt das Datum

1845.

Um sein Lebenswerk zu vervollständigen, hat man in dem Doppelsaal der Vorhalle drei schöne Zeichnungen von Calamatta nach dem „Gelübde Ludwigs XIIL", das 1824 ausgestellt war, nach dem ,, Saint Symphorien" und der , Jungfrau mit der Hostie", die jetzt in St. Petersburg ist, ange- bracht. Zu seinen Ruhmestiteln gehörte freilich noch „Jupiter und Thetis" (an der Decke eines der Louvresäle) und der „Triumph des Romulus", ferner einige Gemälde mehr oder w^eniger mytho- logischen Inhaltes, die er früher in Italien gemalt hat, das schöne Bild von Cherubini und das Porträt des Herzogs von Orleans, die „Apotheose Ho- mers", und die noch in Ausführung begriffenen Gemälde auf dem Schlosse des Herzogs von Luynes. Rubens hatte, als er im Alter von 63 Jahren starb, 3000 Bilder gemalt. Man zählt, glaube ich, fünfzehnhundert Stiche nach seinen Werken. Allerdings : „Rubens ist auch nur ein Kolorist!" (1846. i. 2380.)

I,

Ingres-Schule

Henry Lehmann, Amaury Duval und Hippolyte Flandrin sind die Vertreter der Ingresschule im Salon. Alle drei sind in Rom nach den strengen Lehren des Meisters ausgebildet. Das System ist ihnen in Fleisch und Blut über- gegangen und auf ihrer Palette festgetrocknet. Sie haben sich damit ernste Vorzüge erobert, aber vielleicht auch unheilbare Mängel in den Kauf genommen. Bei Lehmann und bei Amaury Duval haben die Vorzüge die Oberhand behalten. Das Ergebnis läßt uns die Theorie vergessen. Eine schlechte Schule, und dabei doch gute Maler. Der Weg ist um so ruhmvoller, wenn man unzu- länglich gerüstet ist, und sich auf einem gefähr- lichen, von Abgründen umgebenen Gebiete be- wegt. (1846. I. 309.)

Henry Lehmann

Die Prinzessin Belgiojoso von Lehmann zieht die Augen auf sich durch Fremdartigkeit. Das ist eine Malerei mit großen Vorzügen und großen Fehlern. Wer das gemacht hat, ist kein gewöhnlicher Mensch. Er schaut die Natur

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freilich durch einen verschwommenen Nebel an, fast wie eine phantastische Erscheinung. Man möchte sagen, er habe diese poetische Gestalt im Mondschein erblickt, oder nur als Scheinbild in einem Spiegel aufgefangen. Das Sonnenlicht mo- delliert Körper von festerer Art. Nehmen wdr das Porträt von Lehmann als Mondlichtwirkung, wie einen Künstlertraum. Andere Maler sehen übri- gens auch am hellen Tag und in völlig wachem Zustand noch nicht so klar wie dieser!

Wir haben eines Sonntags vor dem Porträt der Prinzessin Belgiojoso verweilt. Da blieb keine Art von Schimpfreden übrig, die das rohe Pu- blikum nicht gegen diesen Schatten ausgestoßen hätte. Man verzeiht ihm nicht, gebrechlich und grünlich, ruhig, einfach und melancholisch zu sein. Jordaens würde heutzutage großen Erfolg haben. Das Publikum liebt das frische Fleisch und die Leibesfülle. Die Frauen von Jordaens und von Rubens sind sicherlich schätzenswert. Gesundheit, Üppigkeit, Lebhaftigkeit sind fast Schönheit. Ja, das ist sogar die Schönheit selbst in der Malerei des Rubens. Welche Kraft, welcher Schwung, welche übermütige Freude, welche Fülle, welcher Reichtum des Lebens, welch Erstrahlen des Lichtes. Seien wir unbesorgt, nach solcher glor- reichen Apotheose der Natur fallen wir nicht wie- der in Asketik zurück!

Indessen, Rubens ist doch nicht der einzige Poet der Schönheit. Die griechische Kunst, so

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rein und ruhig, die christliche Kunst, so mystisch und träumerisch, haben sie nicht auch Formen und Gefühle dargestellt, die für immer die Bewunde- rung der Menschen verdienen? Der wahre Cha- rakter der Renaissance im i6. Jahrhundert be- stand gerade darin, alle Schönheiten zum mo- dernen Pantheon zuzulassen, alle Stile zu einer uni- versellen Sprache zu vereinen. Die Mannigfaltig- keit trat an die Stelle der Einförmigkeit. Michel- angelo, Rafael, Andrea del Sarto, Lionardo da Vinci, Correggio, Tizian, dann Velazquez und Mu- rillo, Rubens und van Dyck, Rembrandt und Ter- burg, Poussin und Lesueur, waren es nicht gar verschiedene Interpreten der Schöpfung?

Es gibt eine gewisse Schönheit, die in der Vor- nehmheit liegt, in der Eleganz und selbst in der Schwäche. Herkules ist ein sehr schöner Mann, nach dem Geschmack des Publikums; aber die Apolls der griechischen Statuenkunst haben mehr Feinheit und mehr Reiz. Die „Arlesienne" von Hesse, die „Gärtnerinnen" von Court, sind fest und wohlgebaut; aber ich liebe noch mehr die etwas kränkliche Malerei von Lehmann, sei es gesagt, ohne Vergleich mit antiken Statuen. Da sind übrigens in dem Porträt der Prinzessin Bel- giojoso zwei vorzüglich gezeichnete Hände von ent- zückender perlgrauer Farbe. Das Sonntagspubli- kum hat solche Hände niemals verstanden.

(1844. I. 53«.)

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Lehmann hatte bisher etwas wie einen be- fremdenden Zug an sich ein gutes Zeichen, gleichzeitig aber war er ein wenig Nachahmer, und das ist gefährhch. Sein Porträt der Mme. Bel- giojoso im Salon von 1844 haben wir, fast aus- schließlich, gegen den Geschmack des Publikums verteidigt, ebenso wie wir dieses Jahr es auf uns nehmen, in der Bewunderung des vorzüglichen Porträts von Amaury Duval etwas vereinsamt zu bleiben; denn die Minorität verm^ag ahnungsvoll das Richtige zu treffen, vorausgesetzt, daß die Majorität ihr dereinst recht gibt. Der Erfolg dieser Schule, welche von Ingres ausgeht und sich um die Reinheit der Form und den Stil bemüht, aber auf Kosten der Farbe, des Lichtes, der Phantasie, der Leidenschaft und des Eigenwillens, ist uns um so gleichgültiger, als unsere persönliche Nei- gung uns mehr zu den Koloristen und leiden- schaftlichen Künstlern zieht. Nach unserem Gefühl ist Delacroix malerischer als Ingres und seine ganze Schule, als Louis David und die ganze Schule des Kaiserreiches, als Delaroche und die ganze bürgerliche Schule; gleichwohl gehören auch wir zu denen, die das Genie Louis Davids wie- der zu Ehren brachten und den ernsten Bestre- bungen Ingres' im Sinne des Stils und der reinen Schönheit Beifall zollen. Nur Rafael war es ver- gönnt, in seiner Malerei alle Vollkommenheiten der Kunst zu vereinen. Nach ihm sind selbst die allergrößten Künstler nach irgendeiner Seite hin

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unvollkommen geblieben; und das ist das wunder- bare Band, welches die Menschen ihre wechsel- seitige Zusammengehörigkeit und die unerläßliche Notwendigkeit des einen für den anderen ver- stehen lehrt.

Es ist leicht, die Fehler irgendeines Kunst- werkes zu zeigen. Jeder Krieger ist verwundbar, sei e? auch nur an der Ferse. Es gibt kaum eine schöne Frau, die vor einem Areopag von Künst- lern und Wollüstlingen ihre Gewänder fallen lassen dürfte; aber man muß schon ein trauriges Tem- perament haben, wenn man sich bei einem ver- borgenen Fältchen, bei einer zweideutigen Linien- wendung aufhält, anstatt das Ganze, oder die ein- wandfreien Teile zu bewundern. Venus, die voll- kommene Göttin, sie ist nie dem Meere entstiegen, wie die Alten wähnten. Sie ist nie etwas anderes gewesen als ein Ideal, dem Dichter nachjagten; aber die geheimnisvolle Flut hat immer wieder irgendein Bruchstück ihrer Schönheit verhüllt. In der antiken Mythologie netzte die Meeresflut noch ihre Füße. Das war ihre Achillesferse. Unsere Zeit ist nicht berufen, sie nackt ins volle Sonnenlicht zu stellen. Schönheit und Wahrheit werden niemals ganz den Tiefen der Symbolik entsteigen. Wohl den Auserkorenen, denen ver- gönnt ist, das strahlende Antlitz oder den keuschen Busen jener Unsterblichen zu erschauen.

Lehmann hat den Ehrgeiz, die antiken Nym- phen wieder herbeizurufen. Er hat sich ganz ein-

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fach an Äschylos und Prometheus herangewagt. In seinen ,,Okeamden'* sucht er einen Wieder- schein der so einfachen und grandiosen griechi- schen Dichtkunst zu geben. Diese Okeaniden- gruppe ist sehr gut angelegt : vier nackte Frauen- gestalten auf einem von Wellen umspülten Fel- sen; eine steht aufrecht auf der Felsenspitze und wendet sich nach links, dem fernen Gipfel zu, auf dem Prometheus angekettet ist; etwas dar- unter zwei andere Frauen, die eine, sitzend im Profil nach rechts, streckt beide Arme mit ge- falteten Händen gegen die Knie; die andere stützt sich auf den Einbogen und wendet uns voll ihr Ant- litz zu; die letzte, in Rückenansicht, ist am Fuße dieser menschlichen Pyramide niedergesunken. Wir genießen so den Anblick des weiblichen Kör- pers von allen Seiten. Giorgione brachte dieses Kunststück mit einer einzigen Gestalt fertig, deren vier Seiten sich im Wasser oder in dem Glänze einer auf den Baumästen angebrachten Rüstung spiegelten.

Die Okeaniden Lehmanns sind schön in Hal- tung und Form; in den Köpfen liegt ein tiefer, träumerischer Ausdruck, und die Körperformen sind mit großer Präzision modelliert. Nur das eine könnte man an diesen vier Frauen aussetzen : daß sie alle den gleichen Typus ohne genügende Abwandlung darbieten. Es ist der Kardinalfehler Lehmanns, daß er immer dieselben Personen macht und stets dieselbe Farbenskala verwendet.

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was immer auch der Gegenstand seiner Darstel- lung sein mag. Hier dominieren die grünlichen Töne mit gutem Recht, da die Gruppe ja vom Meer umschlossen ist; aber in „Hamlet" und der „Ophelia", ja selbst in den Porträts werden wir sogleich die übermäßige Verwendung des Wassergrün wiederfinden.

Nach Äschylos also Shakespeare ; denn unsere Maler machen sich zu Übersetzern der Dichter. Shakespeares „Hamlet** ist vielleicht diejenige literarische Schöpfung, die malerisch am aller- schwierigsten darzustellen ist. Hamlet sagt es selbst, indem er sich auf die Brust schlägt : „Was über allen Schein, trag' ich in mir.** Sein Cha- rakter ist zu verwickelt und unfaßbar, wenn er auch gleichzeitig äußerst wahr sein mag: eine träumerische unruhvolle Natur, die vor der Tat stets zögert und überlegt, und dennoch tötet er den Polonius „wie eine Ratte**, tötet den Mörder seines Vaters und bringt Ophelias Bruder um; ein kluger und verständiger Geist, der trotzdem an der Grenze des Wahnsinns sich bewegt; ein Mo- nomane, der die Blitze reinster Vernunft in das Dunkel seiner Anwandlungen schleudert; ein auf- opfernder Sohn, der seine Mutter peinigt; ein ge- bieterischer Liebhaber, der seine Heißgeliebte ver- spottet. Hamlet ist der unerklärlichste Typus, der je von einem Dichter geschaffen wurde. Othello, Macbeth, Alceste, Tartuffe, Don Quichote und alle anderen finden in der Sprache ihnen entsprechende

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Eigenschaftswörter, oder sie sind selbst zu Haupt- wörtern geworden; aber wie sollte man Hamlet mit einem einzigen Worte erklären, oder, was fast dasselbe bedeutet, in einem einzigen Bilde? Was ist Hamlet? Kindliche Ehrerbietung, menschliche Rache, göttliche Gerechtigkeit, Skeptizismus, Träu- merei, Reflexion, Fatalismus. Er ist alles zugleich und noch viel mehr.

Lehmann hat in seinem Gemälde wohl einige Züge Hamlets, aber nicht das Gesamtbild seines Wesens getroffen. Die Gestalt ist von vorn ge- sehen, in natürlicher Größe bis zu den Knien. Er ist in seine feierlichen Trauergewänder ge- hüllt, nach Shakespeares Angaben : schwarze Klei- dung, von der sich am Halse und an den Hand- gelenken ein blasser Leinenstreifen abhebt. Er trägt ein schwarzes Barett, und sein langes Haar fällt zu beiden Seiten herab wie die Zweige einer Trauerweide um eine Totenurne. Er wendet seine umwölkte Stirn zur Sonne empor, und m seinen umschleierten, nach innen gerichteten Augen liegt der Ausdruck des Nachdenkens über die wohl- erwogene Rache. Die schönen Hände hängen schlaff in dem Faltenzug des lose umgeworfenen Mantels. Er hat das ihm von Shakespeare ge- gebene Alter, etwa dreißig Jahre, obgleich man ihn den jungen Hamlet nennt; denn er hat ja den armen Yorick, den Hofnarren, dessen Schädel seit dreiundzwanzig Jahren in der Erde ruht, gekannt. Eugene Delacroix, in diesem Punkte mehr vom

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Geiste als vom Buchstaben des Dramas erfüllt, hat ihn in seinem Totengräberbilde jünger dar- gestellt.

Es ist eine merkwürdige und vielleicht un- kluge Kühnheit Lehmanns, daß er gewissermaßen die abstrakte Persönlichkeit, losgelöst von den auf- einanderfolgenden Handlungen ihrer Rolle hat darstellen wollen. Ich weiß wohl, Hamlet denkt mehr, als er handelt ; indessen, es ist doch schwer, ihn auch nur aus einer der ergreifenden Situationen, in die Shakespeare ihn verwickelt, herauszugreifen, mag es die Szene mit dem furchtbaren Schatten auf der Terrasse, die Schauspielszene, mag es der Augenblick sein, da er das Schwert gegen den knienden König zückt, die Friedhofszene, oder der blutige Zweikampf am Ende. Im Gegensatz hierzu hat sich Delacroix in seinen wundervollen Illu- strationen an den fortschreitenden Verlauf der eng- lischen Dichtung gehalten. Wir kennen ja Hamlet einigermaßen, wenn wir ihn aufgewühlt von all jenen Eindrücken und wechselvoll, wie sie selber, gesehen haben, nachdenklich und ruhig am Be- ginn, dann nach und nach stürmisch, voll beißen- den Spottes, grüblerisch, unsinnig, gewaltsam und Unheil stiftend. Diese nacheinander hervortreten- den Leidenschaften haben selbst Delacroix dazu verleitet, seine Physiognomie so verschiedenartig darzustellen, daß sie nicht ein und derselben Per- sönlichkeit anzugehören scheint. In jeder Szene,

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deren Bild der Maler festgehalten hat, ist sein Hamlet wieder ein neues Geschöpf.

Der Hamlet Lehmanns sagt zweifelsohne zu sich selber:

„(Mein Vater) . . . Dein Gebot soll leben ganz allein Im Buche meines Hirnes . . /'

Oder vielleicht:

,j. . . Sterben schlafen

Schlafen! Vielleicht auch träumenl ..."

Ist nun die reine Beschaulichkeit geeignet, mit den Mitteln der bildenden Künste dargestellt zu werden? Ary Scheffer unter anderen scheint dies in seinen Mignonbildern nach Goethe be- wiesen zu haben. Lehmann hat in seinem Hamlet sicherlich eine schöne Träumergestalt geschaffen, obwohl die etwas zurücktretende Stirn noch besser einem Manne der Tat anstehen würde.

Als Gegenstück ist „Ophelia" in dem Augen- blicke dargestellt, als sie ihrem Bruder Laertes, den sie nicht mehr erkennt, Blumen darreicht. Die arme Wahnsinnige hat überall Blumen, in ihrem zusammengerafften Gewände, im Haar, an der Brust und in der linken Hand. Sie ist von vorn gesehen, wie Hamlet, und ihre großen Augen blicken uns starr an. Ein leichter Halbton ver- schleiert fast ihr Antlitz, aber auf ihrem blau- geäderten Nacken und den feinen Schultern zittert das Licht. Ihr Mieder ist in Unordnung und ge- öffnet, ihr reiches Gewand mit bunten Ranken be-

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deckt. Ich hörte, wie die Seltsamkeit dieses Auf- putzes und Anzuges kritisiert wurde sehr mit Unrecht! Bei Shakespeare ist sie mit Stroh und Kränzen geschmückt. Aber es gibt Leute, denen die Grisetten des Herrn Court in ihren Spitzen- hauben und ihren sauber aufgerafften himmel- blauen Kleidern lieber sind.

Wir unsererseits beglückwünschen Lehmann dazu, daß er sich in der hohen Poesie behauptet, wenn wir ihm auch anraten möchten, sich lieber der griechischen oder italienischen Kunst, als den Phantasiegebilden nordischer Dichtung zuzuwen- den. Shakespeare und Goethe z. B. erfordern zwei Eigenschaften, die der Begabung Lehmanns entgegengesetzt sind. In Goethe und selbst in Shakespeare steckt ein gewisser Mystizismus, den Scheffer mit seinem überspannten Empfinden trifft, und den Eugene Delacroix durch das unbestimmte Verschweben seiner Malerei am besten wieder- gibt. Es liegt eine Art tiefsinniger, nebel- hafter Träumerei darin, die sich durch den Aus- druck oder durch den Überschwang der Farbe eher offenbarte, als durch Bestimmtheit der For- men. Das Genie hat seine Breitengrade, wie der Raum des Geographen. Winckelmann wäre, ob- wohl er Deutscher von Geburt war, beinahe ge- storben vor Melancholie, als er, nach seinem Leben in Rom inmitten seiner Altertumsstudien, zurück- kehrte und den trüben Himmel und die spitzen Giebel im Norden der Alpen wiedersali.

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Lehmann hat auch drei Porträts ausgestellt : ein Frauenbildnis en face, links im Salon carre, mit grünem Haar, wie es Ingres auf dem Porträt der Mme. d'Haussonville gemalt hat; eine schöne Frauenkopfstudie, Profil, mit einem blauen, von einer Spange gehalten Shawl behaubt; schließ- lich das Bildnis des Herrn de Nieuwerkerke, das leider auch zu grünlich geraten ist. Das zweite Frauenporträt ist tadellos und höchst vornehm aus- geführt und aus Rom 1838 datiert.

. . (1846. I. 299.)

Henry Lehmanns Lisztporträt gibt das Profil auf glattem, perlgrauem Grunde; ein mustergültig und sicher gezeichneter Kopf, am Halse abge- schnitten, wie auf den Renaissancemedaillen. Die langen Haare, in flachen, riemenartigen Strähnen zurückgeworfen, lassen die etwas niedrige Stirn frei, die mit großen Warzen besät ist. Die Profillinie ist rein und zeugt von Stolz und außerordentlicher Unbeugsamkeit. Niemals hat Bronze den Umriß eines menschlichen Kopfes schärfer wiedergegeben. Die feine, geschlossene Modellierung der inneren Partien, welche unbeweglich und metallisch wirkt, wurde durch eine Verschmelzung von Halbtönen erreicht, deren Übergänge man überhaupt nicht bemerkt; ein einzigartiges Verfahren, bei dem der Pinselstrich des Malers völlig unsichtbar wird. Der Wille des Künstlers hat die Ausführung ver- schleiert, und man steht staunend vor dem Er-

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gebnis, ohne die Mittel kontrollieren zu können. Man könnte sagen, daß diese unveränderliche Form sich unter einem plötzlichen, magischen Hauch für die Ewigkeit kristallisiert hat. Das Blut ist erstarrt in dieser leblos gewordenen Außen- hülle; das Leben mit seinem unaufhörlichen Wechsel hat sich daraus* verflüchtigt. Das un- sterbliche Bildwerk ist an die Stelle des vergäng- lichen Menschen getreten. Kein Porträt eines Le- benden ist das, sondern das ideale, unvergängliche Erinnerungszeichen eines Toten.

Dieses System in der Malerei hat viel Ver- wandtes mit der Skulptur. Ganz gewiß hebt es die Kunst über die Wirklichkeit hinaus, aber freilich nur, indem es sie ihrer sympathetischen Bedingungen beraubt. Es ist das etwa die Meta- physik und beinahe die Algebra der Kunst : dieser gegebene Mensch mit seinen Leidenschaften, seiner unersättlichen Unruhe, seinem vibrierenden und beweglichen Antlitz ist gleich dieser bestimmten, unveränderlichen Linie. Für derartige Gleichun- gen bedarf es großer Klugheit und Berechnung, mehr noch als poetischen Empfindens; es bedarf eines tiefen und untrüglichen Nachdenkens mehr, als lebhafter, spontaner Wahrnehmung; denn der Maler verzichtet ja auf den Ausdruck von Wir- kungen, auf die flüchtigen Akzente der beweg- lichen Erscheinung und auf die Strahlen des Lichtes.

Nach diesem Porträt ist es unmöglich, die-

7*

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selbe Persönlichkeit in einem zweiten, anderen Porträt darzustellen. Tizian hätte hundert Porträts von ein und demselben Modell machen können, denn in ein und demselben Menschen sind hundert Menschen enthalten. Lehmann hat gewissermaßen all die Elemente der Persönlichkeit, welche er malen wollte, in ihrem kombinierten Symbol zu- sammengeschlossen.

Das Mittelalter verfolgte in Ansehung der ge- weihten Typen ungefähr das gleiche System. So ist das Bildnis Christi, nachdem sein Typus ein- mal von den ersten Gläubigen ersonnen worden war, angenommen und beständig ohne irgend- welche Variation wiederholt worden. Napoleons Profil ist fast schon in eine feste Form gegossen, wie es auf die Nachwelt übergehen wird. Die großen historischen Persönlichkeiten bringen alle Voraussetzungen zu derartigen Abstraktionen mit, in denen sich das Einheitliche eines majestätischen Genies verkörpert. Liszt ist von Natur aus zu ungestüm, als daß sein Porträt von Lehmanns Hand ihm sehr ähnlich wäre. Das ist eher ein wesenloser Geist der Lüfte, als ein bronzener Heros. Er ist eher aus launischen Wölkchen ge- bildet, als in Granit gehauen. Wenn es eine ner- vöse, schwankende, unbeständige, zuckende Phy- siognomie gibt, so ist es die Physiognomie Liszts. All die Erregungen seiner abenteuerlichen Musik, all die Phantasien seines improvisatorischen Gei- stes jagen über sein Antlitz ebenso rasch, wie seine

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Finger über die Tasten des Klaviers wirbeln ; eine bewegte Physiognomie, unvermutet und etwas bizarr, immer im Banne der Begeisterung, wie sein Talent.

Nun, es ist schon eine ganz unglaubliche Lei- stung, diesen Strom zum Stillstand gebracht, dieses phantastische Gesicht unbeweglich gemacht zu haben. Lehmanns Porträt ist eine höchst seltene, überraschende, herrliche Schöpfung. Sie entstand im Jahre 1839 in Rom unter Ingres' Einfluß.

^^ (1847. I. 484.)

Henry Lehmann hat das Porträt des Abb6 Gabriel, Pfarrer von Saint-Merry, ausgestellt. Aber solche fetten Priester mit ihren weichen, fleischigen Händen bieten der Malerei nicht viel.

Viel wohler fühlt sich Lehmann in seinem Bilde, „Die Rast" genannt. Hier spürt man eine Meisterhand, die zeichnen und eine Gestalt formen kann. Diese schöne, im freien Felde sitzende Ita- lienerin erinnert etwas an den Stil Leopold Ro- berts. Der nackte Arm dient einem ernsten, nach- denklichen Haupt von schöner Bildung als Stütze. Die Züge sind klar und richtig gezeichnet. Die Gestalt ist in allen Formakzenten unter den Falten der reichgefärbten Tracht gut gebildet.

Warum hat nun Lehmann neben diese so cha- rakteristische Römerin noch eine Gestalt gesetzt, mit einem Bastardkopf in Vorderansicht, auf eine Amphora gestützt? Der Körper wird in einer un-

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begreiflichen Verkürzung nach hinten zu verbor- gen. Ist das eine Gefährtin der jungen Frau, oder etwa irgendein verhebter Schäfer? Sie tut wirk- hch recht daran, daß sie nach einer anderen Seite bHckt. Ohne dieses unsehge Anhängsel wäre Leh- manns Gemälde eines der wirkungsvollsten und kunstreichsten Werke des Salons. Dies Können findet sich so selten bei den jetzigen Malern, die sich vielmehr damit begnügen, einem oberfläch- lichen Geschmack zu huldigen. Alle unsere Venus- macher verstehen nicht einmal, eine Gestalt zu- sammenzusetzen, und sie würden in große Ver- legenheit geraten, wenn sie große Kompositionen anlegen sollten wie diejenigen, die Lehmann im Rathause gemalt hat, und deren ausgezeichnete Kartons wir in seinem Atelier gesehen haben.

(1864. III. 116.)

Amaury Duval

Amaury Duvals Frauenbildnis ward wohl be- reits als das schönste Porträt des Salons genannt; es läßt sich höchstens mit dem ernsten Bilde Lamennais' von Ary Scheffer vergleichen. Die Koloristen unserer Tage scheinen das Porträt ganz aufgegeben zu haben, obwohl das menschliche Ant- litz in der Vergangenheit ebensowohl von Tizian, V^elazquez, Rembrandt, van Dyck, als in einem ent- gegengesetzten Sinne von Rafael, Lionardo oder Poussin zum Gegenstand malerischer Interpreta-

Amaury Duval 103

tion gemacht worden ist. Die Pracht des Kolorits kommt der Wirkung der Physiognomie sehr wohl zu Hilfe, wofür bei uns Rigaud, bei den Englän- dern Reynolds das beste Zeugnis ablegen. Bei dem Porträt Amaury Duvals muß man von vornherein auf allen Zauber verzichten, der nicht der Form der Person selbst, die er vor Augen hatte, eigen ist. Aber wenn er die Gestalt dieses schönen Mo- dells einwandfrei herausmodelliert hat, wenn er in sauberster Linienführung eine gewisse Indivi- dualität ausprägt, dann ist dies schon ein künst- lerischer Erfolg, der unsere Bewunderung ver- dient. In Wahrheit, sein Verfahren ist das des Bildhauers oder Ziseleurs und verrät die syste- matische Schule des Malers der „Stratonike". Aber noch ist nicht jeder ein guter Bildhauer, wer es sein möchte.

Das Porträt von Amaury Duval ist im Profil nach rechts gewendet und hebt sich gegen eine graue Täfelung ab. Man könnte es ein wirkliches Abbild nennen, das in einem Spiegel festgehalten wäre. Rechts die Rücklehne eines mit gelbem Stoff bespannten Lehnstuhles, auf dem ein Kasch- mirshawl liegt. Die Hände der Frau sind zierlich ineinander verschlungen. Das blaue Seidenkleid schließt eng an und läßt die Umrisse der Gestalt zart hervortreten. In der Haltung liegt Adel und Herrschaft, und in dem regelmäßigen Profil, das ein wenig an das Profil Bonapartes erinnert, ein großer Charakter. Lavater könnte nach diesen

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fest und sicher gezeichneten Zügen folgender- maßen wahrsagen: viel Entschlossenheit, ehrgei- ziges aber gezügeltes Streben, ein durchdringen- der Blick, ein unbeugsamer Geist. Die schöne Wöl- bung der Augenbrauen verrät ein lebendiges Auf- fassungsvermögen, und ein stark ausgeprägtes künstlerisches Empfinden. Prachtvoll und von sel- tener Reinheit ist die Nackenlinie. Ein so schön getragenes Haupt ist nicht geschaffen, sich je im Lebenskampfe zu beugen. Es wäre der Göttin des Sieges oder der Freiheit würdig.

Die Knappheit der Behandlungsweise und der Mangel an Farbigkeit in der Umgebung tragen noch zur Charakteristik der dargestellten Persön- lichkeit bei. Man ist einfach genötigt, nichts weiter zu sehen, als den Kopf selber und die Form der Gestalt; aber die vollendete Zeichnung hält auch Auge und Geist lange Zeit in ihrem Bann. Es fehlt diesem italienischen Basrelief weiter nichts als der Pulsschlag des Lebens. Es kreist aber kein Blut in seinem Innern, und unter dem schillernden Mieder pocht kein Herz.

Ein solches Verfahren würde unerträglich, so- wie man es auf gemeinere Naturen anwendete. Nun hat ja Amaury Duval das Glück gehabt, einen höchst vornehmen Typus wählen zu dürfen. Aber versuche er doch einmal mit dieser Linienmalerei, wenn man so sagen darf, der kleinen Infantin des Velazquez beizukommen, oder dem flammenden Kopfe des Rubens, dem Gesicht Rembrandts!

Amaury Duval 105

Die Geringschätzung aller in der Farbe gegebenen Kunstmittel und aller Hilfsquellen der Abwechs- lung verurteilt ihn dazu, trotz seinem Talente, die Wahl seiner Gegenstände auf vereinzelte Persön- lichkeiten, Ausnahmeerscheinungen zu beschrän- ken, Halt zu machen vor dem Räume und vollends vor der Darstellung verwickelter Auftritte, in denen die Leidenschaften sich ergehen. Die Menge bleibt ihm ebenso versagt, wie der freie Himmel draußen; denn das launische Spiel des Lichtes und die Macht des Kolorits sind es, die den ver- schiedenen Gegenständen erst ihren wechselsei- tigen Wert verleihen; erst sie weisen jedem seinen eigenen Platz im Räume an. Murillo hat einmal das „Wunder der Speisung der Fünftausend" ge- malt; die- fünftausend Menschen sind wirklich da auf dem Bilde; es fehlt kein einziger. Und diese ganze Menge von Männern, Weibern und Kin- dern bewegt sich ungezwungen auf einem Hügel- rücken. Auch Rubens hat unzählbare Heerscharen gemalt, die sich in die unendliche Weite entfalten. Das ist eben das Kunststück des Koloristen. Hier haben wir einen flachen, dem Beschauer außer- ordentlich nahe gerückten Hintergrund und dar- auf eine ausgeschnittene Gestalt. Bei der Darstel- lung einer Gruppe schon müßten Tiefe und abge- stufte Töne gegeben werden. Amaury Duval liebt die antiken Kunstaufgaben, die sich für Stil und Schönheit eignen ; aber ich wette, daß er einen im Sonnenschein tanzenden Nymphenchor nicht zu

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malen vermöchte. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, daß er in seinem Frauenporträt ein Wun- der vollbracht hat. (1846. I. 305.)

Ein Bild von Amaury Duval ist gar bescheiden „Kinderstudie" benannt. Die zwölfjährige Blon- dine, deren Formen sich doch schon zu runden beginnen, hält noch ihre Kartonpuppe in den Armen. V^öllig entkleidet, und bereit ins Wasser zu steigen, sitzt sie, im Profil und beinah von rückwärts gesehen, auf dem Diwan in einem an- tiken Saale, dessen Vertäfelung und Draperien ganz in Weiß gehalten sind; die Schwierigkeit lag darin, auf diesen hellen Tönen das helle, leuch- tende Fleisch herauszuarbeiten. Allerdings hat Amaury Duval, getreu dem Verfahren seines Lehrers, die Figur mehr durch scharfgezeichnete Konturen als durch plastische Modellierung her- vorgehoben. Die Umrißlinie ist sehr fein, aber die inneren Partien sind leer, und es fließt kein Blut unter dieser glanzlosen, bleichen Haut. Der kindliche Kopf hat ein entzückendes Profil. Diese Malerei erscheint uns trotz ihrer Gleichgültigkeit gegen Farbe und Leben doch außerordentlich vor- nehm neben der banalen Kunst, die man an Bou- guereau rühmt, oder der schwächlichen Kunst, die die Jury in dem „Narziß" von Vibert und vor allem in dem „Orpheus" von Poncet ausge- zeichnet hat.

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Amaury Duval ist auch der Schöpfer des Por- träts einer Frau in schwarzem Kleide, mit einem Fächer in der Hand. Ein außerordentlich rein gezeichnetes Profil, das sich nur noch zu trocken von einem einfarbig grauen Hintergrunde abhebt. So etwas wirkt immer eher wie eine Kamee denn als Malerei, nicht nur durch die schneidend strenge Linie, sondern sogar auch durch den Ton des von den Konturen umschlossenen Fleisches, das wie aus hartem Stein oder aus Porzellan ge- formt erscheint. So hat man zum mindesten einen gewissen Ausdruck von tadelloser und unbeweg- licher Schönheit, erreicht durch Mittel, die dem eigentlichen Wesen der Malerei fremd und ab- sichtlich unvollkommen sind. Es sind noch mehrere Künstler da, von denen man sagen kann, daß sie selbst gut, aber daß ihre Systeme schlecht sind. (1864. III. 58.)

Ein Künstler von höchst vornehmem Ge- schmack hat eines der köstlichsten Hirtengedichte aus der Antike, „Daphnis und Chloe", in Malerei übertragen wollen, und sein Gemälde gibt Anlaß, jene andere, vollendete Übersetzung wiederzulesen, die Paul-Louis Courier den bedauernswerten Leu- ten hinterlassen hat, die kein Griechisch ver- stehen. Amaury Duval hat die Szene mit dem Vogelnest gewählt. Chloe steht da mit dem Nest in der Hand und betrachtet die kleinen Vögel;

108 Amaury Duval

Daphnis hat sich niedergesetzt und hält den Käfig. Mir will aber scheinen, daß es richtiger umgekehrt sein sollte, und daß der hübsche Hirte etwas leben- diger sein müßte. Allerdings, er sieht nicht ge- rade lustig aus, und sein Körper hat nichts Jugend- liches an sich. Er hat eine welke Brust, schlaffe Muskeln und geschwollene Füße. Die Mitschüler Flandrins stehen allesamt nicht sehr fest auf den Füßen. Das Überraschendste jedoch ist vor allem die Gestalt der Chloe: dieses junge Mäd- chen, diese junge Blume gesunder Felder, die den frischen Flaum der ersten Jugend haben müßte, sie hat Falten an ihrem unbefleckten Schoß, und ihre unschuldige Brust hat schon die schwellende Rundung verloren. Man kann sich diesen ver- letzenden Widerspruch bei einem so raffinierten Künstler wie Amaury Duval gar nicht erklären. Freilich, es ist keineswegs leicht, diese fast noch kindlichen Formen auszudrücken, die doch schon die Keime reifer weiblicher Schönheit verraten. Prudhon wäre die Chloe vielleicht gelungen, und vielleicht hat er sie auch in einer Zeichnung dar- gestellt. Ganz gewiß aber hätte Correggio mit seiner Frische in Kolorit und Modellierung eine köstliche Chloe geschaffen!

Amaury Duval hat auch zwei ausgezeichnete kleine Frauenporträts in Kohle ausgestellt.

(1865. III. 211.)

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Hippolyte Flandrin

Die Porträts von Hippolyte Flandrin sind in jenem ausschließlichen System ausgeführt, das freiwillig auf die Schätze der Palette und die Ein- gebungen des Augenblicks verzichtet. Glücklicher- weise macht Flandrin diese Asketik und Dürre der Ausführung durch genügend andere Vorzüge wieder gut. Sein Bildnis einer Frau, als Büste in ovalem Rahmen, ist eine beachtenswerte Leistung. Der Kopf zeichnet sich in Dreiviertelansicht auf olivfarbenem Grund ab. Die Züge sind außer- ordentlich rein und gehen trefflich zusammen. Die Physiognomie hat viel Adel und Charakter. Für mein Teil muß ich bei aller Verurteilung der etwas hektischen Methode Flandrins und in Ab- wesenheit leidenschaftlicherer und poetischerer Bildnisse gestehen, ich ziehe dies Frauenporträt allen übrigen im Saale vor. (1845. i. 170.)

Mehr als bei irgendeinem andern lassen sich bei Hippolyte Flandrin die Schwächen und die Ohnmacht eines eintönigen Verfahrens aufzeigen. Erst nach langem Suchen konnten wir seine beiden Porträts aus der Galerie finden, und Nr. 660 haben wir noch immer nicht entdeckt. Aber ich denke, Flandrin wird damit einverstanden sein, wenn wir ihn nach dem Porträt Nr. 659 beurteilen, das

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rechts beim Eingange in der ersten Abteilung hängt. Ein sehr durchgearbeitetes und schon sei- nem Umfange nach hinreichend bedeutendes Ge- mälde. Es stellt eine sitzende Frauengestalt dar, welche sich nach links wendet und die nackten Arme über den Knien gekreuzt hat. Der rechte Arm wird in Verkürzung gesehen. Das Kleid ist von voll-blauem Sammet ; denn der Maler hat eine ausschließliche Vorliebe für das kräftige Blau, wie Lehmann für das Meergrün. Er macht sich nichts aus gebrochenen Tönen und Farbenkombinationen. Er berücksichtigt immer nur die Lokalfarbe, ver- zichtet auf deren Verschmelzung mit den umgeben- den Partien und auf die Funktion des Lichts. Fleisch und Stoffe scheinen bei ihm aber auch wie auf Papier gemalt. Er hat mit gewissenhafter Ge- duld die Gestalt seines Modells studiert; aber Trockenheit und Starrheit sind keineswegs gleich- bedeutend mit Stil und Bestimmtheit. Leider be- saß das Vorbild, das ihm die Natur bot, trotz dem am Hintergrund des Gemäldes angebrachten Wap- pen, nichts von Eleganz, Vornehmheit oder son- stigen Reizen, die der Linie allein, wenn sie nur in voller Richtigkeit erfaßt ist, Interesse verleihen können, wie in dem Porträt von Amaury Duval. Das heißt das Gewöhnliche allzu wichtig nehmen und mit einer Hartnäckigkeit zergliedern, die eines besseren Loses wert wäre. Das ist die Lange- weile in der Malerei. Sonne und Farbe sind ge- schaffen, den Menschen zu erfreuen und unab-

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lässig das Bild der Natur zu verändern. Hüten wir uns, auf diese poetischen Gaben zu verzichten.

Das Porträt Nr. 662 ist ein Brustbild in ovalem Rahmen. Der fein modelHerte Kopf wird von vorn gesehen, der Hintergrund ist dunkel, das Kleid starrt im unvermeidlichen Hellblau. Porzellan- malerei könnte man sagen. Das Porträt im Salon carre, Nr. 661, scheint freier behandelt zu sein. Ein Spitzenkragen mit Stickerei bedeckt die Brust. Das Gesicht hat mehr Charakter und Energie.

Es ist recht bedauerlich, daß ein so kluger und von tiefer Liebe zu seiner Kunst beseelter Künstler wie Flandrin soviel Lust und guten Willen daran- setzt, um einem Phantom im Dunkeln nachzu- jagen. Er soll mit schönem Gelingen eine Kapelle ausgemalt haben, wo sich die Gestalten auf einem goldenen Hintergrund zeichnen. Nun gut, solch ein starrer Metallgrund überhebt ihn der Luft und Perspektive. Die Komposition wird dann als ein ziseliertes Relief angesehen, das auf die Mauer- fläche geheftet ist. Da haben wir also wieder eine Nachahmung der alten kirchlichen Maler, und sie muß den Vorwand dafür abgeben, daß man den Fortschritt der Künste seit vier oder fünf Jahr- hunderten verneint. Für ein derartiges Unter- nehmen dürfte sich ein gelehrter Mönch besser eignen, als etwa ein Decamps oder ein Delacroix. Im Reiche des Lebens aber brauchen wir Be- wegung, Leidenschaft und Farbe. (1846. I. 307 ff.)

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Hippolyte Flandrin geht wieder in einem Männerporträt lediglich auf Stilisierung aus.

Solch ein Schauspiel ist der Aufmerksamkeit, so- wie des beherzten Streites einiger talentierter Leute schon würdig, inmitten eines schlechterdings falschen Systems, das sogar der grundlegenden Eigentümlichkeit ihrer Kunst stracks zuwiderläuft. Hippolyte Flandrin schlägt sich mit einer Beharr- lichkeit, die einer besseren Sache würdig wäre, mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten herum, die sich seine Schule aus freien Stücken in der Malerei schafft. Das Mittel der Malerei ist die Farbe, wie der Ton das Mittel der Musik ist. Macht doch einmal Musik ohne den Ton, nur mit leeren Takten und abstrakten Pausen 1 Takt und Rhythmus sind in der Musik weiter nichts als Apparate, die den Ton zurückdämmen oder be- schleunigen mit seiner unendlichen Mannigfaltig- keit von der Höhe zur Tiefe der Skala, mit seinen Abstufungen und Halbtönen, seinem Dur und Moll, seinen erhöhenden und vertiefenden Vor- zeichen. In der Malerei operiert man eben mit der Farbe, während die Linien, oder das, was man Zeichnung nennt, wiederum weiter nichts als ein Apparat sind, ohne eigene und von der Farbe unterschiedliche Existenz. Macht doch einmal Malerei mit ein paar Linien und nichts darin und nichts ringsum leer wie die Pausen in der Musik; ist das nicht wie liniiertes Notenpapier ohne Noten, stumm und lautlos das Nichts?

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Die Linien oder die Zeichnung haben nur die Funktion, die Farbe zu umgrenzen, bestimmend auf deren Harmonien zu wirken. Man könnte sogar behaupten, daß die Linie in der Malerei ein ab- strakter Begriff ist: sie existiert ja gar nicht; man nimmt ihre Existenz nur an zwischen zwei ver- schiedenen Farben, wie man ihre Existenz zwi- schen den Dingen in der Natur annimmt. Gibt es denn an eurer Stirn entlang, um eure Nase, euer Kinn eine Linie, die euer Profil abschließt? Was euer Profil abzeichnet, das ist die Farbe, welche euren Kopf, der sich in einer bestimmten Haltung und unter einer bestimmten Beleuchtung befindet, von der gesamten äußeren Umgebung unterscheidet. Der Beweis dafür, daß es überhaupt keine Linie gibt, ist, daß euer Profil unter verschie- dener Beleuchtung sogar seine Grundzüge verändert.

Diese Kardinalfrage in der Malerei liegt uns sehr am Herzen, und an sie reihen sich zugleich alle technischen und all die Probleme der Wir- kung und des Ergebnisses an. Das ausschließ- liche Bemühen um das Lineare, anstatt leiden- schaftlicher Hingabe an Licht und Farbe, bedeutet Verneinung alles Malerischen und Poetischen. Wenn ihr in einer Landschaft, die in Licht und Schatten getaucht ist, nach Linien sucht, so findet ihr vielleicht ein paar Details, geschieden vom Ganzen; aber der Gesamteindruck der Natur ent- geht euch: anstatt das Unermeßliche vor euch zu haben, den unendlichen Himmel, die tiefe Per-

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spektive, die Harmonien zwischen Luft und Erde und die anmutigen Baummassen auf geheimnis- vollen Hintergründen, erhaltet ihr ein abgeschnit- tenes Blättchen, durch die Lupe gesehen, das Bruchstück eines Steines oder irgendeine Kleinig- keit. Wenn es euch genügt, eine winzige Wunder- erscheinung für sich zu sehen, so nehmt euch doch gar nicht erst die Mühe, durch die Wälder zu laufen und auf die Berge zu klettern, sondern schließt euch in ein Herbarium ein mit Mikro- skopen und Glasgefäßen voll seltsamer Dinge. Ge- lehrte könnt ihr werden, aber ihr seid jenseits des Reiches der Kunst.

Zur Historienmalerei und für komplizierte Kompositionen mit Personendarstellung und Raum- gestaltung ist die Schule, von der wir sprechen, nun vollends ganz unfähig. Eine Menschenmenge ist nämlich wie ein W^ald von Bäumen: das Licht unterscheidet sie voneinander und weist einem jeden seinen Platz auf der Fläche zu, indem es der Gesamthaltung jedes einzelnen, seiner origi- nalen Erscheinungsform, seiner Bewegung und seinem Ausdruck gerecht wird. Ohne die Farbe vermöchte man den Begriff des Abstandes, der Tiefe und der örtlichen Beziehungen nicht zu ver- mitteln. Alle Gestalten würden wie flach auf glattes Papier aufgeklebt erscheinen. So ist es dem „Na- poleon" von Flandrin ergangen, und noch emp- findlicher tritt es in den Gemälden mit mehreren Figuren zutage.

Das Porträt, dies gebe ich zu, vermöchte jene

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schwindsüchtige Methode auszuhaken und würde dabei weniger Nachteile erleiden, als die große Malerei oder die Landschaft, aus dem Grunde, weil man es allein mit einem Kopf zu tun hat, ohne Umgebung, ohne Beiwerk, ohne Hintergrund, in einer angenommenen vollständigen Isolierung, ge- wissermaßen außerhalb der ganzen übrigen Welt. Auch Ingres und seine Schule haben manchmal außerordentlich vornehme Porträts geschaffen. So haben wir im letzten Salon ein Frauenporträt von Amaury Duval bewundert; und das Lisztporträt von Lehmann erscheint uns ebenfalls als ein höchst seltenes. Werk; ungeachtet der bizarren Technik dieser beiden Maler. Zu beachten ist aber dabei, daß diese beiden Porträts Profilbilder sind. Ob- wohl ihr auf eurer Haut die Linie nicht gefunden habt, die zu suchen wir euch soeben aufforderten, so eignet sich doch der Profilausschnitt des Ge- sichtes besser zur Bestimmung eines festumrissenen Charakterzuges, als das Relief des von vorn ge- sehenen Antlitzes mit seinen verschiedenen Höhen- lagen, der Stirn, der Nase, der Wangen, des Mun- des und des Kinns. Der Profilausschnitt ist außer- ordentlich interessant, da er die charakteristischen Züge des Menschen hervorhebt; der äußere Um- riß aber eines Gesichtes ist für sich allein weiter nichts als eine Mondscheibe, in die der Schädel und das Antlitz erst hineinmodelliert werden müssen. Und das erreicht man nicht mit einem mehr oder weniger genialen Mystizismus.

Hippolyte Flandrins Männerporträt ist bedeu-

116 Hippolyte Flandrin

tend höher zu bewerten als sein „Napoleon" und bleibt ernster Prüfung würdig; denn trotz des ver- fehlten, absurden Systems hat Flandrin diesem Porträt ein unbestreitbar charakteristisches Ge- präge verliehen. Der Mann ist von vorn gesehen und stützt den Kopf auf die rechte Hand, der Mund ist etwas zusammengezogen, der Blick fest. Ein gewöhnlicher Kopf, aber voll Charakterfestig- keit; etwa wie ein Rechtsgelehrter oder Natur- forscher mit pergamentener Gesichtsfarbe. Matt und grau, traurig und öde, langweilig und unge- sund. Sehr gut nachgemacht, aber von jener täu- schenden Lebendigkeit, wie eine falsche Nase.

. . (1847. I. 488 ff.)

Das Porträt des Kaisers Napoleon III.: Der Kaiser steht aufrecht, von vorn gesehen, die Hand auf einen Tisch mit grüner Decke gestützt. Mili- tärisches Kostüm, rotes Beinkleid, das in die roten Töne des Lehnstuhls im Mittelgrunde übergeht. Die Formen sind kurz, die Gesichtsfarbe grau und bleiern, das Auge tot; aber Flandrins Bewunderer finden, daß es eines seiner guten Bildnisse ist.

Flandrin hat die Eigentümlichkeit, daß er an keinen der Meisterporträtisten, nicht an Holbein und Rafael, an Lionardo und Tizian, an Rubens und van Dyck, an Velazquez und Rembrandt, an Largilliere und Rigaud, an Reynolds und Gains- borough, nicht an Prudhon oder Gros, noch an irgend jemand erinnert, der in der Malerei mit-

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zählt. Zweifellos ist hier ein originales Talent vor- handen, das sich jeder Einordnung entzieht. Ich wünsche ihm nur, daß die Nachwelt seinen Namen lesen kann, der in Preußischblau unterhalb der roten Hose steht.

Ach! Die Nachwelt ist unerbittlich; aber seien wir ehrlich: es ist nun einmal so, daß die Gegen- wart stets der Zukunft als Kassationsinstanz be- darf. Die Gegenwart täuscht sich fast immer über sich selbst und überschätzt ihre Wichtigkeit. Nicht viele Künstler gibt es, die fünfzig Jahre nach ihrem Tode noch am Leben sind. Von einer Menge sehr berühmter Maler des ersten Kaiserreiches wissen wir nicht einmal mehr die Namen, obwohl das Pu- blikum und die Kritik sich einst entblödeten, sie mit den anerkannten Meistern zu vergleichen. Wie weit die von den Zeitgenossen eines Künstlers aufs Geratewohl hingeworfenen Urteile richtig sind oder nicht, das ist immer erst ein Jahrhundert später festzustellen. Der so scharfsinnige Diderot hat in seiner unaufhörlichen philosophischen Vor- eingenommenheit gar viele Ketzereien begangen. Die Kritik ist gar nicht so leicht, wie Boileau sich dachte. Gehen wir jedoch mit vollem Herzen vorwärts. Die Nachwelt wird schon sehen, wie sie fertig wird. (1863. ll. 172^1

IV. Ary Scheffer

Ary Scheffer hatte seit sieben Jahren nichts mehr ausgestellt. Der Salon von 1839 war einer der glorreichsten für ihn. Die beiden „Mignon" nach dem Wilhelm Meister Goethes hatten einen ungemeinen Erfolg, der wohl verdient war. Sie gehörten dem Herzog von Orleans, der sie dem Grafen Mole vermacht hat; sie sind von Aristide Louis gestochen worden. Die eine stehend, auf der Irrfahrt, drückt die Sehnsucht nach der Heimat aus. Die andere sitzend, auf den Einbogen ge- stützt, verlangt schon nach dem Himmel hinauf. Das erinnert an zwei Porträts, die im Louvre dem Rafael zugeschrieben werden (1196 und 1197). Scheffer hatte auf der Ausstellung von 1839 auch den Greis nach Goethes Ballade „Der König von Thule", der den Becher mit seinen mächtigen Hän- den umspannt; dann den „Christus auf dem Öl- berg" vor dem Kelch des Leidens, den ein Engel ihm darreicht, eine tiefsinnige Auslegung des Evangeliums im Geist des modernen Empfindens und „Faust", der Margarete zum erstenmal beim

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Austritt aus der Kirche gewahrt. Der Kopf Fausts war sehr unruhig, und die anmutige Margarete, weiß gekleidet wie ein naives Mädchen, stieg die Stufen hinunter, als merkte sie gar nicht, wie der Blick des Mannes, der sich auf Mephistopheles stützt, über sie hingleite.

Ganz neuerdings haben wir in der Galerie des Beaux-Arts vier Gemälde von Ary Scheffer wiedergesehen. Da standen zwei Bilder neben- einander, die in einem Zwischenraum von dreizehn Jahren ausgeführt waren: „Die Witwe des Sol- daten" (1822), die Mr. Delessert gehört, und die „Francesca von Rimini" (1835), bei der Herzogin von Orleans. Die Witwe des Soldaten ist sehr schwach in der Ausführung. Die Francesca von Rimini ist sicher neben den Faust- und Mignon- darstellungen ein Meisterwerk. Francesca und Paolo umschlingen sich in ihrem übernatürlichen Fluge mit außerordentlichem Gefühl. Die langen Haare der Frau wallen über die schönen Glie- der wie ausgebreitete Flügel. Vergil stützt sein Haupt auf die Hand und betrachtet die Er- scheinung ruhig gesammelt, wie ein Unsterb- licher, der an Phantome gewöhnt ist, während Dante an das Leben und seine teure Beatrice zu denken scheint; im Hintergrund Myriaden inmitten der Wolken verlorener Gruppen. Die Köpfe der beiden Dichter sind voll Adel und Geist. Die beiden Liebenden sind mit tadelloser Richtigkeit gezeichnet und in hinreißendem Stil

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gegeben. Der Anblick des schönen Bildes wirkt durchaus originell und erinnert an keinen der Meister der Vergangenheit, obwohl es sich den poetischesten Kompositionen der italienischen Kunst würdig anreihen dürfte.

Welch ein Abstand zwischen der „Witwe des Soldaten" und der „Francesca von Rimini". Welch ungemeiner Fortschritt von 1822 zu 1835. Es gibt Maler, die auf den ersten Wurf ein ebenso starkes und vollständiges Werk hervorbringen wie alle folgenden ihres Lebens, so lang es auch sein mag. Vom Atelier des Rubens her war van Dyck nicht minder geschickt, als im Augenblick seines allzu frühen Todes. Man könnte sagen, diese Prädesti- nierten haben keine Jugend. Sie kommen auf die Welt mit der seltenen Fähigkeit, das sofort aus- zudrücken, Vv^as sie an Poesie besitzen. Dagegen erheischt für gewisse tief poetische Naturen die Kunst, die sie als Mittel wählen, dies besondere Verfahren zur Äußerung ihres inneren Empfin- dens, eine lange und schwierige Ausbildung: es ist ein heroisches ausdauerndes Ringen, das dem Betrachter ein lehrreiches Schauspiel gewährt. Es gibt nach Sainte-Beuve Poeten, die empfinden, und Poeten, die ausdrücken. Wieviel heimliche Dichter sind gestorben, ohne ihr Ideal in irgendeiner sinn- lichen Form vermitteln zu können !

Die Kunst besteht in der Tat nicht allein in dem einsamen Gedanken; sie besteht auch und vor allem im Ausdruck; weit mehr, sie ist vom

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Ausdruck ganz untrennbar. Ein schöner Gedanke muß sich in einer schönen Form offenbaren. Die Poeten, die empfinden, wie Sainte-Beuve sagt, sind damit noch keine Künstler. Ohne Zweifel gibt es Träume, die in tiefer Seele eine unbestimmte Poesie gewahren, wie eine Perle auf dem Meeres- grund. Das ist aber ein nutzloser Schatz. Die wahren Künstler sind nur die, die hinabtauchen und die Perle heraufholen, um sie allen Blicken zu zeigen, schimmernd unter dem Licht der Sonne. Jedermann hat die Eifersucht in seinem Herzen gefühlt; aber Shakespeare hat den Othello ge- schaffen.

Alle Welt hat von der Sintflut geträumt, aber Poussin hat ein herrliches Bild davon gemalt : ein unermeßliches Meer, düster, unerbittlich, ruhig wie der Tod; denn es braucht keiner Stürme mehr auf diesem uferlosen Ozean. Nur links guckt ein kleiner Felsblock hervor mit einer Schlange, die zum Himmel zischt. Hier und da einige Köpfe von Menschen oder Pferden, die mit dem Ab- grund ringen. Wohin streben sie? Sie haben gut schwimmen, nirgends ist Land. Und die Flut steigt, steigt noch über die Wipfel der Bäume und die Gipfel der Berge hinaus. Das ist eine drama- tische Darstellung in Malerei; da ist ein Maler, der Dichter ist, aber auch Maler ist; denn sein Bild ist großartig wie sein Gedanke.

Ary Scheffer ist vom Stamme der Denker und Dichter, denen die Versinnlichung eine Qual bleibt.

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Hätte er geschrieben, statt zu malen, so wäre er ohne Zweifel ein großer Schriftsteller geworden; denn er besitzt einen umfassenden Geist und eine seltene Empfänglichkeit oder Empfindsamkeit, wie man im 1 8. Jahrhundert sagte. Die Richtung seines Geistes ist vor allem metaphysisch, wie das Genie der nor- dischen Menschen überhaupt. Tatsächlich ist er aus Dordrecht gebürtig (1795), rnehr Deutscher als Holländer jedenfalls. Dichter, Maler oder Bild- hauer, nie hätte es ihm an Erfindung gefehlt.

Im Jahre 1831 stellte Scheffer seine erste „Margarete" aus. Er hatte in Goethe eine seinem eignen Genius verwandte Ader entdeckt. Kein andrer hat besser als er die deutsche Dichtung wiedergegeben, die im Grunde allerdings etwas französisch und revolutionär ist. Bei Goethe be- sonders; wenn nämlich in der Mitte des 18. Jahr- hunderts, wie Cousin sagt, Voltaire das Unglück gehabt hatte, in Frankreich die schlechte Philo- sophie der Engländer einzuführen, die materialisti- sche Lehre Lockes, so ist es auch wahr, daß Frank- reich sie sehr bald mit seiner edlen Durchgeisti- gung verwandelte, und daß sie die Ehre hatte, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ihrerseits fast alle i\rbeiten der wetteifernden Nationen zu inspirieren. Die neue Philosophie Deutschlands, die auf den ersten Blick wie eingeboren aussieht, hat doch ihre Quellen für alles, was lebenskräftig und zukunftsfähig an ihr ist, in der französischen Sinnesart. Das ist ein gerechter Ruhm, den wir

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für unsere großen Schriftsteller, unsere großen Künstler und großen Denker in Anspruch nehmen dürfen.

Wenn man dem Faust Goethes seine etwas nebelhafte und schwankende Form abstreift, so bleibt ein einfacher und logischer Gedankenzug übrig, wenn auch von höchster Poesie, nämlich: der Mensch, von tausend ehrgeizigen oder unsin- nigen Wünschen gequält, kommt schließlich durch die verhängnisvolle Leidenschaft, d. h. durch den unwiderstehlichen Zug seiner Natur selbst, zur Wirklichkeit, zum normalen Leben und zur Liebe zurück. Es ist wahr, Faust war ruhig drinnen in der Zufluchtstätte seiner einsamen Philosophie, und durch seine Liebe zu Margarete stürzt er in eine Welt voll Abenteuer, Kämpfe, Gefahren und Schmerzen. Aber ist das doch nicht der mensch- liche Zustand, und ist dieses scheinbare Verhängnis nicht natürlich und richtig? Es fehlt also sehr viel daran, daß der Schluß des Dramas von Goethe unmoralisch und eigentlich skeptisch sei. Er ist im Gegenteil sehr philosophisch und ermutigt den Menschen, außer sich selbst Betätigung zu suchen.

In diesem Sinne gibt es eigentlich kein Werk, das dem deutschen Charakter entgegengesetzter wäre, denn es ist eine Kritik der unfruchtbaren Beschaulichkeit; um so französischer ist es, denn es drängt zu Leidenschaft und Wirklichkeit. Oder vielmehr, es gehört allen Ländern und allen Zeiten an; denn der Mensch wird unaufhörlich zwischen

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dem Ich und dem Nicht-Ich, wie die deutsche Formel lautet, hin und her geschleudert, zwischen dem Egoismus und der gefährlichen Leidenschaft, zwischen der Lässigkeit und dem Wagemut, zwi- schen der Ruhe und dem Genuß, zwischen Geist und Herz.

Ary Scheffer hat sich ganz in die Dichtung Goethes verliebt. Wie Faust, verlangt es auch ihn, sich aus der abstrakten Welt der Gedanken hinaus in die Arme der Wirklichkeit, des Lebens zu stürzen. Seine Margarete, die er verfolgt, ist die Form und die Schönheit. Wozu sind alle Reich- tümer des Geistes nutz, wenn sie nicht in glän- zenden, ergreifenden Bildern vor unsere Sinne treten.

Er hat also dem deutschen Dichter zwei neue Kompositionen entnommen : Faust und Margarete auf dem Spaziergang im Garten, und Faust, wie er am Hexensabbat das Gespenst des Mädchens sieht, das er frisch und lebendig am Ausgang der Kirche getroffen hatte.

Der „Spaziergang im Garten" enthält zwei Gruppen : im Vordergrund hält Faust in seinen Händen die Arme Margaretens und betrachtet sie mit forschendem Scharfblick; der Philosoph fühlt wohl, daß er das Leben ergriffen hat, er befragt die Sphinx um das entscheidende W^ort, das der einsamen Wissenschaft entgeht; aber das junge Mädchen achtet nicht darauf und wendet ihre blauen Augen ab, die ruhig und fest dreinschauen;

Ary Scheffer 125

vielleicht antwortet sie in diesem Augenblick mit der naiven Erzählung:

Wie könnt' Ihr diese Hand nur küssen!

Sie ist so garstig, ist so rauh.

Was hab' ich nicht schon alles schaffen müssen;

Die Mutter ist gar zu genau.

Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,

Und doch will sie versehen sein.

Mein Schwesterchen ist tot.

Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Not; Doch übernahm' ich gern noch einmal alle Plage, So lieb war mir das Kind ; . .

Der schöne Kopf des Faust hat einen erha- benen Ausdruck, und die Margarete ist reizend, ihr schlanker, runder Wuchs ist in ein weißes Leibchen eingespannt. Es ist noch die deutsche Jungfrau, wie wir sie die Stufen der Kirche her- untersteigen sehen, ein Gebetbuch unter dem Arm. Die Figur der Martha ist unseres Erachtens nicht so gut verstanden, und die Gruppe in zweiter Linie wiegt die Hauptgruppe nicht auf. Die Martha Goethes ist nicht zerstreut wie Scheffer sie dar- gestellt hat, indem sie nach Margarete hinüber- schielt. In der Szene Goethes kümmert sie sich kaum darum, Margarete zu überwachen, sondern nimmt die Artigkeiten des Mephistopheles für Ernst: „Mein lieber Herr, habt Ihr niemals eine Neigung für eine Person gehabt?" Martha ist auch so alt noch nicht, wie Scheffer sie gemacht hat; sie ist noch in der Lage, einen Gatten zu

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wählen, und sie sähe gern in den Kleinen Anzeigen den Tod ihres ersten. Die Färbung dieser rechten Seite des Bildes modelliert die Gestalten nicht hinreichend, und der Ton der Mauern im Hinter- grund läßt nicht genug Raum und Freiheit für die geheimnisvolle Szene dieses ersten Stelldichein. In dem Gegenstück ist die Farbe im allge- meinen kräftiger: die Ausführung bleibt nicht hinter dem Gedanken zurück. Es gibt gewisse Werke, in denen die Poesie und der Ausdruck sich in vollem Einklang befinden, so gut, daß man nicht mehr an das Verfahren des Künstlers denkt, wie er sein Bild zustande bringt; der Prak- tiker verschwindet hinter dem Poeten. Die „Mar- garete am Hexensabbat" von Scheffer ist eins dieser seltenen und bevorzugten Werke. Man wird durch die Stimmung der Komposition mit fortgerissen, und mehr oder minder geschickte Einzelheiten bleiben unbeachtet. Rechts richtet sich Margarete auf, bleich wie ihr Gewand. Ihr mattes Auge hat nicht mehr den Schimmer des blauen Himmels. Ihre zarten Hände, die sich mechanisch vor dem Leibe halten, unterstützen kaum noch die Leiche ihres kleinen Kindes, das wie eine entfärbte Blume am geknickten Zweige hängt. Ein unentschiedenes Licht gleitet über diese schöne Statue, die vielleicht für ein Phantom zuviel Leibhaftigkeit besitzt; denn wir befinden uns doch in einer Phantasiewelt, und der Rabe des Hexensabbats schlägt seine dunkeln Plügel neben dem weißen Fuß der Geliebten des Faust.

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Scheffer hat den furchtbaren Charakter des Goetheschen Dramas etwas verschleiert. Wo ist das rote Band, das ihren schönen Hals umschlang, wie die blutige Spur eines Messers ? Dies magische Haupt, das Phantom konnte es unter dem Arm tragen, wie Mephistopheles sagt. Faust aber hat Margarete erkannt: „Das ist der holde Leib, den ich besaß." Er beugt sich trostlos hinüber nach der bleichen Frauengestalt.

Die Margarete am Hexensabbat wird in dem- selben Maßstab wie der Austritt aus der Kirche gestochen werden.

Zwischen diesen beiden Faustbildern hängt im Salon die hl. Monika mit ihren zum Himmel auf- geschlagenen Augen. Es ist unmöglich, in einer Physiognomie die religiöse Verzückung besser zum Ausdruck zu bringen. Die Seele der Heiligen scheint sich aus der irdischen Hülle zu lösen und auf dem Strahl des Blickes zu Gott emporzusteigen. Der Himmelsgrund entbehrt nur leider der Durch- sichtigkeit und unendlichen Tiefe; das Meer er- mangelt der Weite und Bewegung; die Linie, die beide verbindet, verliert sich nicht in der Luft. Die Werte des schweren Blau sind für Meer und Himmel die nämlichen, und zwar so, daß man die beiden flachen unbeweglichen Streifen mit- einander vertauschen könnte. Vielleicht ist es ein Opfer, das der Maler (zugunsten seiner Figur) hat bringen wollen; aber das Streben nach Einfach- heit darf nicht so weit getrieben werden. Ein schöner poetischer Himmel mit dem unendlichen

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Meer darunter hätte der ethischen und rehgiösen Wirkung des Bildes nicht geschadet.

Wir müssen zugeben, daß die technische Aus- führung Scheffers oft in Verlegenheit, furchtsam und kalt ausfällt, zuweilen ganz ohnmächtig ist. Die Anordnung seiner Kompositionen ist jedoch immer tiefinnerlich verstanden, das Gefühl ist immer poetisch und die Köpfe bewundernswert; aber der Pinselstrich des Malers ist nicht ent- schlossen und findet niemals überraschende Wir- kungen. Es ist eine zurückhaltende, gemessene, etwas eintönige Ausführung. Der Lokalwert des Tones und die Art des Farbenauftrags wechseln nicht ab, je nachdem es sich um Fleisch oder Stoffe, um Himmel oder Erdreich handelt. Neh- men wir nur etwas mehr Fülle und Phantasie im Beiwerk hinzu, so würden diese edlen Wendungen und ausdrucksvollen Köpfe, in reicher Fassung ein- gelassen, gewiß noch an Macht gewinnen. Bringt man eine feine matte Perle auf eine Silberplatte, die einheitlich ohne irgendwelche Ziselierarbeit sich ausbreitet, so bekommt das Kleinod nicht den nämlichen Glanz wie inmitten einer reichgearbei- teten Fassung, die vom Lichte mannigfach in Far- ben gesetzt wird.

Diese Mängel sind recht empfindlich in dem „Christus mit den heiligen Frauen". Christus liegt ausgestreckt auf einem Bahrtuch, dessen Weiß, ohne Halbton, rechts an das platte Grau der Ge- wandung Marias stößt, die sich über den Leichnam

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ihres Sohnes beugt. Drei andere Figuren nehmen den Hintergrund des Bildes ein: die Frau in der Mitte hat das Haupt halb mit dem Schleier ver- hüllt und in die Hand gestützt. Dieser Kopf, wie der Marias und besonders der Christuskopf, bieten wieder alle hohen Vorzüge Ary Scheffers dar.

Es gibt keinen Maler, dessen Werke schwie- riger zu beschreiben sind als die Scheffers. Wir empfinden das auch in diesem Artikel. Das ge- ringste Genrebild, die einfachste Landschaft bietet der Übertragung des Bildes in Worte und der Zer- legung mehr Anhalt als die so poetischen und die so viel bewunderten Werke dieses hohen Künst- lers. Liegt es nicht daran, daß die Begabung Scheffers außerordentlich ernst, wenig malerisch, sondern gewissermaßen moralisch abstrakt, ideal ist ? Das ist aber zu gleicher Zeit ein großer Vor- zug und ohne Zweifel auch eine Unvollkommenheit. Scheffer hat sich vielleicht allzusehr in diesen letzten Jahren mit der deutschen Kunst beschäf- tigt, die ihren Erfolg in der Metaphysik, in der Poesie, in der Geschichte sucht, überall, nur nicht im technischen Fortschritt der Malerei. Wäre Scheffer ein ebenso großer Maler, wie er Dichter und Denker ist, so kenne ich keinen Künstler in irgendeiner Schule, der ihm gleich käme. Er hat die seltene Eigenschaft unter den Zeitgenossen, daß niemand noch von oben bis unten durch die ganze Kritik der Liebhaber und des Publikums ihn zu verneinen gewagt hat, und daß er aller

Bürger, Kunstkritik. H. 9

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Welt eine lebhafte Sympathie einflößt. Ingres hat eine kleine Kirche von Fanatikern für sich und läßt die Menge gleichgültig; Delaroche wird in bürgerlichen Kreisen sehr bewundert und von den Künstlern angefochten; Delacroix erweckt leiden- schaftliche Liebe oder Haß. Ary Scheffer allein genießt das Vorrecht einer allgemeinen Bewunde- rung, obwohl sich die wahren Künstler nicht die Unsicherheit und Schwäche seiner Ausführung ver- hehlen.

Scheffer hat auch das schöne Porträt von La- mennais ausgestellt, von dem schon mehrfach in unsern Berichten gesprochen ward, und das „En- fant charitable'* nach Goethe. Er hat in seinem Atelier aber eines seiner bedeutendsten Gemälde zurückgehalten, „Dante und Beatrice", das aber jetzt vollendet sein muß. Nur ist Scheffer niemals vollauf befriedigt von seinen Schöpfungen und kann bescheidentlich wie der große Buonarroti sagen: „Hätte ich damit gewartet, meine Arbeiten zu zeigen, bis sie nach meinem Wunsch vollendet wären, so hätte ich nie eins der Öffentlichkeit übergeben." (1846. i. 269—278.)

Henry Scheffer

Henry Scheffer sucht auch keinen Reich- tum der Umgebung mehr; aber seine Mäßigung geht bis zur Trockenheit. Seine ersten Bildnisse sind sehr gelobt worden. Die des Herrn von Ram-

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buteau und Herrn Jourdan verdienen nicht die- selbe Anerkennung, obgleich sie in demselben System ausgeführt sind. Es ist schwer, noch dürrer, magerer und kälter zu werden. Herr von Rambuteau hat in dieser grauen Malerei ein ganz zerknirschtes Aussehen. Seine gemeinen Hände kreuzen sich am Ende der herabhängenden Arme. Der Handschuh Tizians ist mehr wert als die bei- den Hände im Porträt von Henry Scheffer . . . Nur schwer begreifen wir die Irrtümer eines so ausgezeichneten und klugen Malers wie Jienry Scheffer in dem Porträt des Königs Louis-Phi- lippe. Es gibt niemand, der besser über seine Kunst spricht und besser die Schönheiten her- ausfühlt. Henry Scheffer würde immer ein be- deutender Mensch sein, auch wenn er kein an- gesehener Maler wäre. Er hat die Ehre, zu einem andern Künstler zu gehören, der seinen Rang in der Nachwelt einnehmen wird, und der auch einer der poetischsten Geister, einer der überlegenen Geister unserer Zeit ist. Unsere etwas schroffe Kritik fällt uns bei dieser Gelegenheit also schwerer als je, gegenüber einem gewissenhaften und aufgeklärten Manne; aber wirklich, das Por- trät des Königs, das Porträt des Architekten Daru und die andern verdienen schwerlich die Zustim- mung der Kunstgenossen. Warum an diesem magern und kleinlichen System festhalten, das doch nicht Stil ist dazu fehlt alles und das

zu gleicher Zeit Eleganz, Kraft und dv^ Reize der

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132 Henry Scheffer

Farbe verschmäht? Der Kopf Darus ist gewöhn- lich und erdig, auf einem dunkeln, weinfarbenen Grunde. Man sieht, was Henry Scheffer vor allem in Anspruch nimmt. Es ist die Genauigkeit und Einfachheit; aber die Genauigkeit muß den Cha- rakter betonen, und die wahre Einfachheit opfert die Umgebung und das Beiwerk nur, um der Haupt- sache mehr Relief und Leben zu verleihen, nämlich der Bedeutung des menschlichen Kopfes.

Für den, der mit offenen Augen um sich schaut, ist das Antlitz doch immer der Ausdruck der inneren Fähigkeiten, seien sie erhaben oder be- scheiden, originell oder gewöhnlich. Die schönsten Bildnisse von großen Meistern sind nicht eben die nach schönen Personen, sondern diejenigen, wo Tugenden und Laster der Menschen am schärf- sten ausgeprägt sind. Da muß man immer Hol- bein, Tizian, Velazquez, van Dyck nennen, wenn es sich um Porträts handelt. Und was sind die berühmtesten Bildnisse dieser wunderbaren Ge- schichtschreiber? Es ist Heinrich VHL, es ist Aretino, es ist Philipp IV., es ist Karl L von England. Heinrich VHL hat die Derbheit eines Soldaten und die Sinnlichkeit eines Klosterbru- ders; Aretino hat etwas vom Fuchs und vom Bock; Philipp IV. gleicht einem kranken Schaf; Karl I. besitzt keine Wahrzeichen des Willens und der Intelligenz.

Indessen diese Porträts sind die edelsten und schönsten von der Welt, weil sie Menschen so

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tiefinnerlich erfaßt darstellen, daß man sie nie- mals mit andern Menschen verwechseln könnte. So steht es auch mit der Begabung aller großen Porträtisten. Man kennt Albrecht Dürer, Rem- brandt, van Dyck und Poussin aus den vorzüg- lichen Porträts, die sie von sich selber gemalt haben. Man kennt Franz I. aus dem Porträt von Tizian, Charles IX. aus dem Porträt von Clouet, Louis XIV. aus den Bildern Rigauds, Marat aus dem Bilde Davids und Napoleon aus dem Porträt von Gros ebenso gut wie aus der Geschichte.

Es gibt sogar Maler von ziemlich mittel- mäßigem Talent, denen vorzügliche Porträts ge- lungen sind, weil sie in ihrem Vorbild diese un- abweislichen Züge erfaßt haben, die die Natur dem menschlichen Kopfe aufprägt wie Wahrzei- chen dessen, was darinnen ist. Eins der schönen Porträts im Louvre ist der Venezianer, dessen Namen man ebensowenig kennt wie seinen Maler (Nr. 992). Der Maler von Porträts hat vor allen Dingen zwei Eigenschaften nötig: eine Art philo- sophischer Eindringlichkeit, die den äußern An- blick des Gesichts versteht, und das Wissen des Malers, der auf der Leinwand den richtigen Ton dafür zu treffen versteht. (1844. 1.56.; 1845. 1. 171 ff.)

V. Eugene Delacroix

Die schönste Malerei im Salon carr6 ist un- bestreitbar der ,, Sultan von Marokko beim Aus- ritt aus seinem Palast" von Eugene Delacroix. In der Mitte der Sultan zu Pferde; zur Rechten und zur Linken seine Minister und sein Gefolge; im Hintergrunde die Mauern des Palastes von Mequinez, gegen einen blauen Himmel von kräftig- stem Ton. Die allgemeine Farbe ist so harmo- nisch, daß dies glänzende und mannigfaltige Ge- mälde auf den ersten Blick düster erscheint. Das ist das unvergleichliche Talent Delacroix', die reichsten und verschiedensten Nuancen mitein- ander zu verbinden, wie die Musiker, die die ganze Tonleiter durchlaufen. Diesmal wird man auch dem Maler des Gemetzels von Chios nicht vor- werfen, seine Figuren verdreht und die Bewegun- gen übertrieben zu haben. Alle Personen sind ruhig und edel, wie es den Orientalen geziemt. Delacroix hat einen Höhepunkt der Kunst er- reicht, die Pracht und die Größe in der Einfach- heit.

Eugene Delacroix 135

Der ,,Tod des Marc Aurel" ist fast wie der „Tod des Sokrates*' von David komponiert. Der Kaiser sitzt auf seinem Bett, von seinen Freunden umgeben, die seine letzten Willensäußerungen empfangen. Merkwürdige Annäherung zwischen den beiden Führern dieser Schulen, die Antipoden in der Kunstwelt schienen. Aber wahrlich, die Römer Delacroix' wiegen wohl die Griechen Da- vids auf. Sie haben mehr Menschlichkeit, wenn man so sagen darf. Der aufrechte Mann zur Rechten und der am Boden gegen das Bett sitzende sind wundervoll in Haltung und Gefühl. Die Ge- samtwirkung der Komposition flößt Nachdenk- lichkeit und Ehrfurcht ein. Es ist nicht unerläß- lich, kalt und steif zu sein, um diese großen Szenen der antiken Welt darzustellen.

Rechts in der Galerie sind noch zwei andere Bilder von Delacroix, eine Sibylle in Halbfigur, die ihre Hand nach einem geweihten Zweige aus- streckt, und ein Magdalenenkopf, der ein Meister- werk ist.

Es verlohnt sich immer noch, dem Publikum einmal ordentlich auseinanderzusetzen, weshalb Delacroix ein großer Maler ist, nicht allein in der Gegenwart und in der ganzen Reihe der franzö- sischen Maler, sondern auch im Vergleich mit allen hervorragenden Schulen Italiens, Spaniens oder Flanderns; warum die wenigen Kritiker, die

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etwas von Kunst verstehen, sich trotz der Jury und trotz dem Publikum darauf verbeißen, seine Werke zu bewundern; warum er endüch seit zwanzig Jahren, die er schon ein berühmter Künstler ist und die Schätze seines Talentes überall verbreitet, doch die Zustimmung der großen Menge noch nicht hat gewinnen können. Es läßt sich nicht leugnen : Delaroche, Horace Vernet, Dubufe, Bras- cassat, Biard und einige andere in der Ausstel- lung sind populärer. Es ist auch gewiß, daß De- camps und Ary Scheffer, zwei ausgezeichnete Künstler, dem Publikum zugänglicher sind als Eugene Delacroix.

Decamps dankt seinen allgemeinen Erfolg den ersten Gegenständen, die er dargestellt hat, ein- fache und klare Stoffe, die er tief unten aufnahm und hoch emporhob. Es mag zweifelhaft sein, ob Decamps Erfolg gehabt hätte, wenn er mit den herrlichen Zeichnungen von 1842 und 1845 zuerst aufgetreten wäre. Man hat sich für ihn entschieden, nicht sowohl, weil er ein großer Künstler ist, sondern vielmehr, obwohl er es ist. Seine plastischen Vorzüge, die so originell und ausgezeichnet sind, haben ihn mit den Profanen nicht mehr entzweien können.

Ary Scheffer würde sicherlich unverstanden sein, kraft seiner Vorzüge in der Kunst und der Hoheit seiner Gedanken, wenn er nicht durch ein gemeinsames Band, das menschliche Gefühl, zu Herzen dränge.

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Diese beiden bedeutenden Maler sind viel- leicht die einzigen, die das Privilegium haben, die Stimmen der Spaziergänger im Salon ebenso wie die Stimmen der Künstler und Kritiker auf sich zu vereinigen.

Aber Delacroix ; wir sind, wenn es hoch kommt, einige hundert in Frankreich, die der Menge wenigstens eine Art blinder Achtung für sein Ansehen aufgenötigt haben, ohne ihn ihr sym- pathisch machen zu können. Hat die Kritik nicht immer das Unrecht gehabt, die Malerei solchen Leuten begreiflich machen zu wollen, die doch nichts von dev Sache verstehen?

Eugene Delacroix empfindet besonders die Schönheit der Wirkung, des vorübergehenden Effekts, die Stimmungsschönheit. Er hätte ohne Zweifel nur einen seltsamen Bildhauer abgegeben ; denn die Skulptur erheischt eine ruhige dauer- hafte Schönheit. Aber das Wesen der Malerei be- steht gerade darin, eine veränderliche Ansicht, einen ungreifbaren Augenblick festzuhalten; das ist der Grund, weshalb Skizzen gewöhnlich schöner und sogar lebendiger sind als die Studien nach der Natur und die nach dem Modell vollendeten Gemälde. Delacroix ist ein Mann, der den rechten Augenblick zu wählen weiß. Er bedarf gewöhn- lich der bewegten, leidenschaftlichen, feurigen Schönheit, wie in den griechischen Weibern des Gemetzels von Chios, oder in der Medea, diesem prachtvollen Gemälde, das im Museum von Lille

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mit den Rubens' und van Dycks wetteifert. Und doch hat Eugene Delacroix mit sehenem Glück auch die ruhige, wollüstige Schönheit ausgedrückt, in seinen Frauen von Algier im Luxembourg. Das kommt, w^eil die Personen Delacroix' immer gut machen, was sie tun. Man vermag nicht gedanken- voller und edler zu erscheinen als der junge Hamlet, der den Schädel Yoriks betrachtet, den ihm der Totengräber mit schroffer Bewegung hin- aufreicht. In der Schlacht von Taillebourg wird wirklich gekämpft. In der Hochzeit von Marokko wird mit Wollust getanzt. Im Tod des Marc Aurel lauschen alle mit Sammlung. Und wie sind alle Einzelheiten mit dem Hauptgedanken in Einklang ! Die Vergangenheit verdüstert sich in den Gestalten und Gewändern der Freunde Marc Aureis, und die Zukunft ist rot wie das Kleid des Commodus. Das Licht trifft nur den blutigroten Körper des jungen Kaisers, während die Philosophen des verflossenen Reiches im Schatten verschwinden zu den Füßen ihres großen Fürsten, der da stirbt. Und wie streng und schweigsam ist der ganze Auftritt. Welch ein dumpfer Schmerz in den Haltungen und Gestalten der alten Diener des Marc Aurel. Man fühlt wohl, daß es sich bei diesem feier- lichen Testament um das Schicksal Roms han- delt und der ganzen Welt.

Wir betonen die Bedeutsamkeit von Delacroix' Begabung, weil die Vorzüge seiner Malerei sich mit den Prinzipien der Kunst selber berühren. Es

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ist ein willkommenes Glück, wenn man einen Dichter und einen Meister des Pinsels von dieser Stärke unter Händen hat, um die gute Sache in der bildenden Kunst zu vertreten und zu vertei- digen. Die Kunst und die Politik sind verloren, wenn sie ihre wesentlichen Grundsätze verderben lassen. Wird an der Grundlehre nur erst einmal gerüttelt, dann dringt an allen Ecken die Irrlehre ein und verhüllt die Wahrheit bald ganz und gar.

Man könnte diese allzulange schon anhängige Frage noch besser aufklären, wenn man sie unter ähnlichen Bedingungen anderswohin ver- schöbe. Wenn man über die Zeitgenossen nicht einer Meinung ist, so bleibt kein anderes Hilfs- mittel als die Behauptung, indem man das Urteil der Nachwelt abwartet. Aber die Vergangenheit, wenigstens die etwas zurückliegende, ist schon abgeurteilt, ohne möglichen Appell an eine künf- tige Wiederaufnahme des Verfahrens. Man muß sich heute oder niemals über die Meister des i6. und 17. Jahrhunderts verständigen. Nun lassen wir es einmal darauf ankommen, ob die Sympathie unsrer Gegner sich nicht gerade den schwächsten Malern aller Schulen zuwende. Wenn sie sich über die ge- heiligten Meister täuschen, so können sie sich auch in Betreff der Lebenden irren. Gehen wir in den alten Louvre.

Haben Sie je gesehen, daß die Bewunderer von Brascassat sich vor Cuyp, Bieter de Hooch oder Rembrandt aufhalten ? Nein, sie ziehen ihnen

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Ommeganck weit vor, der wohl der kälteste und kleinlichste von allen Tiermalern ist. Diejenigen, die auf der Ausstellung die Landschaften von La- pito, J. Coignet, Hubert und anderen bewundern, befinden sich im Louvre nicht wohl vor Huysmans von Mecheln, Poussin oder Salvator Rosa. Wer Eugene Delacroix verneint, der gerät in Entzücken vor dem Kücheninterieur des weiland Drolling, oder vor dem Atelier des weiland Cochereau, geht aber an Rubens vorbei, den man falsch und un- wissend nennt. Was Rafael betrifft, so weiß man ja, daß er Sonntags im Louvre ganz verlassen ist, während sich die Menge vor Albano und vor Mieris drängt.

Wir haben also einigen Grund bei der Hoch- schätzung der originalen Künstler zu verharren. Prudhon hatte recht gegen Girodet, und Gericault gegen Guerin. Lassen wir den MarcAurel und den Sultan von Marokko, die das künftige Ge- schlecht bewundern wird, und stellen Delacroix in den Rang der größten Maler. Nehmen wir nur als Gegenstand die Magdalena, diese Kleopatra, die sich in eine Heloise verwandelt. Das Weib, das Christus geliebt, liegt ausgestreckt in der Höhle. Sein schönes Haupt ruht auf einem dunkeln Stein, wie in einem Grabe. Neben mir sagte einer: Sieh, eine Tote 1 O die schöne Tote. Wie gut sieht man, daß diese Frau viel geliebt hat. Die Emp- findung zittert an ihren Schläfen hin, da wo die zurückgeworfenen Haare ansetzen; die Bewegung

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ihrer bläulichen Lippen spricht noch von Gebeten und Wollust zugleich. O, wie weiß ist die Haut und zart unter diesem Halbschatten eines bläu- lich schimmernden Lila. Nur Correggio und zu- weilen Murillo haben diese feinen durchsichtigen Töne. In einem Jahrhundert wird dieser Kopf der Magdalena teurer zu stehen kommen, als die ganze Einnahme der Smala.

Die Sibylle, die den goldenen Zweig zeigt, ist in Halbfigur und Dreiviertelsicht gegeben. Ihre rechte Hand will das heilige Reis berühren. Ihr Kopf hat wohl die antike Heiterkeit, ihre Ge- wandung ist schön und wohlgeordnet. Das Ge- hölz, das als Hintergrund dient, stimmt sich poe- tisch zu der allgemeinen Farbe, obwohl die Zeich- nung des Lorbeerstammes rechts, nicht gerade elegant ist, und obgleich die Pläne der Landschaft nicht tadellos erscheinen. (1845. i. nr^t 138 ff.)

Delacroix zeichnet sich aus in allem, was er unternimmt. Wer hat Lithographien gemacht, die sich mit seinen Blättern zu „Faust" oder zum „Hamlet" vergleichen ließen? Wer in der ganzen französischen Schule hat Dekorationen geschaffen, wie seine Friese in der Deputiertenkammer? Welche Schlacht im Museum zu Versailles kommt der von Taillebourg gleich ? Welches Historienbild im Luxembourg dem „Gemetzel von Chios" ? Dela-

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croix bleibt immer der erste Maler der zeitgenös- sischen Schule und einer der vornehmsten Künstler der französischen Schule überhaupt, seitdem die Malerei malerisch geworden ist. Über ihn kann man, unsere Tradition überblickend, vielleicht nur Poussin und Claude stellen, zwei Italiener, unter uns gesagt deren Formgefühl, wenn nicht gar deren Geist, von jenseits der Alpen stammt. Ihr wißt ja doch, daß die Engländer und sie haben in der Tat ihre Gründe dafür Poussin immer zur römischen Schule rechnen, und daß die Ita- liener ein o ans Ende seines Namens hängen. Seht euch nur vor, daß nicht eines Tages die Venezianer Eugene Delacroix umtaufen und ihn Della Croce nennen, oder daß ihn nicht die Vlamen neben Rubens und van Dyck als einen der Ihren in Anspruch nehmen.

Eugene Delacroix' „Löwe" ist auch das Mei- sterwerk in der ein wenig verlassenen Abteilung der Skizzen und Entwürfe, wie seine Gemälde die beste Malerei in der großen Ausstellung dar- stellen. Niemals ist ein Aquarell saftiger, gedie- gener, farbiger gemalt worden.

Der furchtbare Löwe, in einem Hohlweg nach- lässig auf der Seite liegend, hält unter seinen bebenden Pranken eine Schlange, die ihm kaum noch gefährlich werden kann. Der König der Wüste spielt mit seinem Opfer, wie der Papst mit den Verschwörern der Romagna, wie der Zar mit den polnischen Rebellen, die jugendliche Isabella

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mit den spanischen Offizieren. Aber er mag sich trotzdem hüten, seine schwere Tatze, die den zum Himmel emporzischenden Feind unterdrückt hält, einen Augenblick wegzuheben.

Die Behandlung auf diesem Aquarell ist breit wie der kühnste Pinselstrich auf einem Ölgemälde. Delacroix setzt seiner Farbe fast gar kein Wasser zu, und erreicht damit eine außerordentliche Energie im Ton. Die Haltung des Löwen ist dem Leben in der Wildnis abgelauscht; die anatomi- schen Formen sind tadellos. Man könnte meinen, Delacroix habe sein Leben in den afrikanischen Wüsten oder vor den Käfigen des Jardin des Plantes verbracht, mit Barye zusammen, seinem einzigen Rivalen auf dem Gebiete der Tierdar- stellung. Aber die wahren Künstler erschauen ja ohne großes Mühen in der zauberhaften Innen- welt ihres Geistes alle Schauspiele der Welt.

(1846. I. 364 f.)

Das ist durch das Recht seines Talentes „ein Mann von Stande", wie man im 17. Jahrhun- dert bei Leuten von Geblüt sagte. Delacroix brauchte nichts weiter, als eins von seinen kleinen Staffeleibildern, oder nur die geringste von seinen Skizzen gemacht zu haben, so würde er schon als der allerfeinste Maler der modernen Schule da- stehen. Aber sein Schöpferreichtum ist in seiner Überfülle den Rubens und Murillo ebenbürtig.

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deren Bilder nicht zu zählen sind. Überall sind jetzt Werke von Eugene Delacroix, und seit fünfund- zwanzig Jahren ist seine Überlegenheit sich immer gleich geblieben. Es gibt feinsinnige Kenner, die das erste Gemälde des jungen Menschen, den „Dante und Vergil**, ebenso bedeutend finden, wie die Gemälde des Meisters auf der Höhe seines Schaffens. „Das Gemetzel von Chios**, das wäh- rend der Restauration soviel hitzige Polemik her- vorrief, ist ebenso strahlend geblieben, wie die Malereien für Versailles oder die Dekoration in der Deputiertenkammer. Die großen Künstler haben den Vorzug, daß sie der Nachwelt nicht ein schlechtes Werk hinterlassen. Oder kennt ihr vielleicht einen schlechten Correggio oder einen schlechten Rubens?

Eugene Delacroix hat jederzeit die seltene Gabe eigentümlicher Wahrnehmung von Bewe- wegungszug und Farbe gehabt. Deshalb treten seine Bilder stets aus der Durchschnittsform des Herkömmlichen heraus. Dieser Künstler hat das Glück, niemals etwas durch die Brille der Nach- ahmer zu sehen. Er gibt seiner Idee stets eine Wendung, die kein Mensch vorauszusehen ver- möchte, und stellt sie in ein unerwartetes Licht. Er sieht keinem einzigen von den Meistern der Vergangenheit ähnlich, obwohl er doch schließlich unter derselben Eingebung steht. Der Maler, dem er sich vielleicht am meisten nähert, ist Velazquez. Mit ihm hat er den etwas absonderlichen Stü ge-

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mein, mit ihm die silberigen Töne, den ungestümen Pinselstrich, die prachtvollen Wirkungen; aber er ist deshalb doch ebensowenig Spanier, wie Vene- zianer oder Vlame.

Aber auch Franzose ist er eigentlich nicht mehr. Man kann ihn nur als einen exzentrischen Geist bezeichnen, dessen Stammbaum sich nicht erraten läßt : Prolem sine matre creatam. Ganz gewiß gehört er nicht in die Familie Poussins noch die Louis Davids hinein; aber auch zur Sippe Watteaus oder Bouchers nicht; das sind zwei sehr verschiedene Geschlechter, deren Dynastien nach- einander unsere Schule beherrscht haben. Den- noch ist er auch kein Fremdling, dieser Mann, der die „Freiheit" auf den Barrikaden gemalt hat, das einzige schöne Bild, in dem das Volk der- einst seine Julirevolution wiederfinden wird.

Alle geschichtlichen Epochen, alle Leiden- schaften, alle Lebensgebiete stehen ihm offen. Re- ligion und Poesie, Politik und Allegorie, häus- liches Dasein und innerste Tiefe des Einzelnen an all das rührte seine Hand. Er hat Schlachten gemalt und Porträts, Interieurs und Landschaften, Seestücke und Tiere ; er macht Aquarelle und Litho- graphien, Deckengemälde von hundert Fuß und kleine Radierungen. Der Orient zieht ihn an; aber von Asien oder Afrika geht es alsbald im Fluge nach England oder nach Deutschland, wenn Shake- speare oder Goethe ihn rufen: neben „Sardana- pal" und den „Algerischen Frauen" haben wir

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„Hamlet" und „Faust". Der tote „Christus" oder die wollüstige „Odaliske", „Magdalena" oder die „Sibylle", Könige oder Narren, die Menschen der Antike und die der Jetztzeit, „Trajan" oder „Lud- wig der Heilige", prunkende Sultane oder die Hexen aus Macbeth, „Tasso" oder „Don Quichote", Löwen und Pferde, der sturmbewölkte Himmel oder die wonnige Klarheit der elyseischen Gefilde alles gelingt ihm. Sein Schaffen ist eins der mannigfaltigsten, die es in der Reihe der großen Meister gibt.

Im Salon von 1847 hat Delacroix sechs Ge- mälde sehr verschiedener Art. Sein „Christus am Kreuze", im Besitz des Herrn Barroilhet, erinnert an die schönen Kreuzigungen von Rubens; eine Ähnlichkeit in Poesie und Farbe, wde zwischen Giorgione und Tizian. Aber wenn auch Rubens niemals existiert hätte, so hätte Eugene Delacroix nichtsdestoweniger diesen Christus mit der selben Empfindung gemalt und ihn in eben der selben Erscheinung gegeben. Der Körper ist in Drei- viertelansicht, nach links gewandt, das Haupt auf die Brust geneigt, die beiden Füße getrennt und jeder durch einen Nagel für sich ans Kreuz ge- heftet. Delacroix weiß vielleicht nicht, daß diese Trennung der beiden Füße Christi, die seit dem 13. Jahrhundert übereinandergestellt und durch einen einzigen Nagel befestigt waren, heutzutage eine ikonographische Ketzerei ist; das ist ihm aber ganz einerlei, und euch ebenso. Indessen ist es

Eugene Delacroix 147

sehr interessant, von der malerischen Schönheit abgesehen, einmal die Überlieferungen in der Lei- densgeschichte Christi zu studieren. Didron hat darüber und die christliche Symbolik überhaupt ein paar Bücher von hohem Interesse geschrie- ben, und setzt diese Studien in seinen „Annales archeologiques" fort. Seid ihr nun für vier oder für drei Nägel ? Eugene Delacroix hat auf seiner Seite Gregor von Tours.

Dieser „Kalvarienberg", wundervoll in Farbe und Empfindung, zeichnet sich von einem phan- tastischen Hintergrund und dem schönsten poeti- schen Himmel ab. Eugene Delacroix ist unver- gleichlich in der Ausführung der Himmel. Immer liegt die Unendlichkeit offen vor ihm, und des- halb macht man ihm Unfertigkeit zum Vorwurf; aber betrachtet nur einmal die Natur in ihren gran- diosen, stets überraschenden und wechselvollen Wirkungen : niemals trennt sich das Einzelne vom Ganzen ; die Luft hüllt alle Formen ein und taucht sie in eine bedeutungsvolle Harmonie. Das ist genau so, wie in der Musik, wo alle Töne sich der dominierenden Harmonie unterordnen und im Chore tanzen. Wenn Barroilhet nicht ein berühmter Sänger wäre, so würde ich ihn für einen großen Musiker halten, seitdem er den „Christus" von Eugene Delacroix erworben hat. Rossini und Lablache widmen ebenfalls der Malerei der Kolo- risten eine leidenschaftliche Liebe. Sie singt ihnen tausend köstliche Motive ins Ohr. Eugene

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Delacroix rührt nahe an Beethoven, und Cima- rosa hat mich stets an Watteau denken lassen.

Vor den Hügel, wo das Kreuz aufgerichtet ist, hat der Künstler zwei oder drei Männer gestellt, die von dem Rahmen abgeschnitten werden; sie sind schön in der Gebärde und von kräftiger Farbe, die der Verbindung der Pläne zu Hilfe kommt. Hinter dem Kreuze kommen der Hauptmann und die berittenen Soldaten heran: eine Gruppe von großem Charakter, die nur den einen Fehler hat, daß sie zu nahe erscheint, da die Abstufung des Lichtes über dem mittleren Terrain keine ge- nügende Perspektive abgibt; ein Pinselstrich Eugene Delacroix' dürfte diese Reiter an ihren rechten Platz bringen.

Das Ganze ergibt einen erschütternden An- blick, — wie es für eines Gottes Todeskampf ge- ziemt: die Welt ist in Aufruhr von der Erde bis zum Himmel hinauf, und man hört in der Luft die Legionen von Geistern vorüberrauschen, die das Altertum mit einem Schleier verhüllen und die neue Bestimmung des Menschen preisen.

In der Ausstellung des Odeon hatten wir be- reits eine Skizze zu dieser Komposition gesehen, die Alexander Dumas gehört. Die Skizze war hin- reißend; das Gemälde hat aber eine Größe und einen Charakter angenommen, die den Reiz der Farbe und der überlegenen Geschicklichkeit der Ausführung noch erhöhen.

Die „Militärischen Übungen" der Marokkaner

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geben ein Dutzend Reiter in Galopp inmitten staub- erfüllter Luft. Ich hörte neben mir die „kritische" Bemerkung: „Keines von diesen Pferden berührt die Erde." Ganz recht; sie fliegen nur so dahin. Auf Rafaels „Heliodor" ist die Gestalt eines Jüng- lings, der vorwärtsstürmt, mit so ungestümem und so leichtem Schwung, daß man unwillkürlich fragt, wo seine Flügel sind. Diese schnaubenden Araber- hengste haben auch Flügel, am Rücken und an den Füßen, scheint es, und in ihrem rasenden Laufe sind sie noch kokett genug, nebenbei aller- hand überraschende Bewegungen zu vollführen. Man möchte ein Wort des i8. Jahrhunderts über die Frauen auf sie anwenden : „ils se donnent des airs de tete et de Croupe les plus capricieux du monde." Ein jedes hat schon seinen besonderen Aufputz und seine Farben, vom Grauen bis zum Falben, von dem schimmernden Silber- glanz bis zum dunklen Kaffeebraun! Ein prachtvoller Schwärm! Und wie die Reiter den Rhythmus des wüsten Galopps mitmachen, wie sie sich über die Mähnen vorbeugen, die zise- lierte Muskete in der Faust; wie Burnus und viel- farbiges Kostüm sich harmonisch mit den glän- zenden Pferdeleibern verbinden! Es ist eine ent- fesselte Leidenschaft darin, die sich der Natur mit- teilt und die Wolken und die Berge in dem Wirbel von Staub mit fortzureißen scheint. Die sma- ragdene Landschaft als Hintergrund und der

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leuchtende Himmel vervollständigen dieses Mei- sterwerk, das Herrn von Weirenberg gehört.

Die „Odaliske** liegt in matter Beleuchtung wollüstig hingestreckt unter einem roten Vorhang, der ihre samtweiche Hand in Purpur taucht. Ihr Kopf wird eingerahmt von dem gebogenen linken Arm, während der rechte sich der weichen Linie ihres Körpers entlang streckt. Das rechte Bein reicht bis ans Ende des seidenen Daunenbettes; der linke Schenkel krümmt sich in etwas allzu schroffer Biegung. Auf dem Polster neben der schönen Träumerin kleine Vasen mit Wohl- gerüchen, die mit Teniers' geistvollem Pinsel imd der glänzenden Farbe Paolo Veroneses ausgeführt sind. Eine erschlaffende Luft, wie der Duft einer Blume oder eines Weibes, waltet rings in diesem stillen Raum. Welcher Gott oder welcher Sultan wird den geheimnisvollen Vorhang lüften?

Der Körper der Odaliske ist mit untadeliger Vollkommenheit gezeichnet. Ingres vermöchte an den Konturen nichts auszusetzen, und die Model- lierung der inneren Partien ist üppig schwellend wie bei Correggio, oder den Meistern von Venedig. Diese einzigartige Beschaffenheit der zart er- hellten Haut mit dem Pfirsichflaum und ihren schillernden Reflexen ist wundervoll herausge- bracht. Das Fleisch nimmt doch das Licht nicht auf wie Karton, oder wie andere Stoffe und tote Gegenstände sonst; das lebendige Fleisch saugt gewissermaßen die Sonnenstrahlen ein und läßt

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sie niemals gleichgültig von sich abgleiten. Die Sonne ist wohl in die Haut verliebter als in alle anderen Stoffe, die sie zerstreuten Sinnes nur um- gaukelt. Und immer hält Apoll, wenn er über einem nackten Weibe dahinfährt, seinen glitzern- den Wagen etwas zurück.

Vom Schwung der Bew^egung und Vorzügen der Farben abgesehen, offenbart Delacroix in dieser Odaliske noch eine Eigentümlichkeit der Behandlung, die heutzutage selbst bei den ge- schicktesten Technikern sehr selten vorkommt. Sein Auftrag oder die Art, die Farbe hinzusetzen und den Pinsel zu führen, entspricht stets dem der Form innewohnenden Sinne und trägt zur Mo- dellierung der Körper mit bei. Der Pinsel des Künstlers macht jede Wendung der Form mit, und der Farbenauftrag stößt, da er sich der Rich- tung des Lichtes anpaßt, niemals gegen die Strah- len, die sich über das Gemälde breiten. Stellt euch eine Statue vor, die mit dem Meißel gegen den Strich behauen ist; wenn sie auch in der Form mathematisch noch so korrekt ist, sie wird niemals einen richtigen Anblick gewähren. In der Malerei kümmert man sich nicht genügend um diese gebieterische Logik des Verfahrens; die meisten Maler schmieren auf gut Glück drauf los und durchkreuzen, ohne daran zu denken, das not- wendige Gefüge aller Gegenstände und ihre natür- liche Geometrie. Man kann eine Mauer errichten mit Kellenwürfen hierhin und dorthin; aber wenn

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man das Antlitz seiner Geliebten mit zärtlichen Küssen bedeckt, so fängt man nicht beim Kinn an.

Die „Jüdischen Musikanten von Mogador" : drei Gestalten, welche sich von einem perlgrauen Gewände abzeichnen, ohne jegliches Beiwerk; ringsum nichts als Leere, aber diese Leere ist er- füllt mit jener wesenlosen Luft, die man dennoch zu verspüren meint, wie in den nüchternen hollän- dischen Interieurs des Pieter de Hooch. Zwei Juden, in schöne buntfarbige Gewänder gekleidet, die in ihrem gebrochenen Ton sehr harmonisch wirken, hocken auf dem Boden und bearbeiten mit den verzückten Bewegungen der Orientalen ihre Instrumente. Zwischen ihnen vorgeneigt ein schönes junges Weib, mit den Einbogen auf Tep- piche gelehnt; ihre großen Augen sind halb geschlossen unter der hypnotischen Einwirkung der summenden Töne. Vielleicht richtet sie sich plötzlich auf, um durch einen ausdrucksvollen Tanz die Musik ihrer Zigeunerbrüder zu begleiten.

Das „Innere einer Wachtstube zu Mequi- nez" ist eine charakteristische Schilderung des Treibens abenteuernder Soldaten, die das Kriegs- handwerk ganz nach ihrem Gefallen betreiben und deren Leben in einem beständigen Wechsel von übermenschlicher Anstrengung und unglaublicher Gleichgültigkeit besteht. Wir sehen da zwei Kerle mit wilden Gesichtern, eingeschlafen wie Paschas inmitten der üppigen Pracht luxuriöser Stoffe ; und um sie herum die silbergezierten Sättel, militari-

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sehen Ausrüstungsstücke und schimmernden Waf- fen bunt durcheinander gehäuft, bis der Feind zum Kampfe ruft. Das ist ein sorgHch bewachtes Lager, das unsern bürgerHchen Soldaten ein gutes Bei- spiel gibt! Die Farbe dieses Gemäldes ist zart und durchsichtig, wie gewöhnlich, jedoch von einem etwas zu stark violetten Grundton be- herrscht, der allerdings durch all die Nuancen von Rot, welche die Kostüme und orientalischen Gebrauchsgegenstände in Purpur tauchen, mo- tiviert wird. Rot ist ja die Lieblingsfarbe dieser Kinder der Sonne.

Das sechste Gemälde von Eugene Delacroix stellt verlassene „Schiffbrüchige" in einem Boote dar. Eine im höchsten Sinne poetische Malerei von tief ergreifender Wirkung. Man erinnert sich noch des 1841 ausgestellten „Schiffbruches". Jener braucht den Vergleich mit den bedeutendsten Bil- dern der venezianischen Maler nicht zu fürchten; ein Meisterwerk, das, im Gegensatz zu allen schlechten Bildern, unter dem Einfluß der Zeit in der Farbe noch gewinnen wird. Das kleine Boot im Salon von 1847 ist dem großen „Schiff- bruch" gleichwertig. Die See hat ihre wilden grau- grünen Töne angenommen, hat sich in der Luft entfärbt bis in die Tiefen des Horizontes. Himmel und Wasser, vom Sturme durcheinandergewühlt, sind wie ein und dasselbe Element. Unendlichkeit überall, oben und unten und ringsumher; überall blindes Wüten, die mitleidlose, wahnsinnige Natur-

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gewalt. Und die Seeleute in dem winzigen Kahne kämpfen nicht mehr. Wozu auch noch den Leich- nam über Bord werfen? Bald werden sie ja doch allesamt von den Wogen verschlungen werden. Einer von den Männern liegt platt auf dem Bauche; ein anderer blickt voller Entsetzen über die Bordkante des Achterdecks ein höchst dra- matischer Ausdruck. Ein Bild des Schreckens in Komposition, Empfindung und Farbe.

Eugene Delacroix hat meiner Meinung nach die furchtbare Katastrophe des Schiffbruchs besser erfaßt, als G^ricault in der „Medusa". Die Szene auf dem „Floß" spielt sich dicht vor unseren Augen ab, und zwar so, daß man gewissermaßen zu Hilfe eilen kann. Wenn man die Sterbenden und Verzweifelten, die Väter, die um ihre toten Söhne klagen, die verzerrten Gesichter und krampfigen Hände, die im nächsten Augenblick menschliche Gliedmaßen in Stücke reißen möchten, so nahe vor Augen hat, so erhält man dennoch keinen er- schöpfenden Eindruck von der Situation; denn, wo bleibt das unermeßliche, unbarmherzige Meer ? Ich sehe wohl ein paar dunkle Wogen, die sich am jenseitigen Ende des Floßes aufbäumen, aber diesseits stoßen die Planken an den Rahmen; die Schiffbrüchigen brauchen nur den Fuß auszu- strecken, um festen Boden zu finden, sie gehen nicht unter in der Unendlichkeit. Der Künstler hat die Ursache im Verborgenen gelassen, er zeigt uns nur die Wirkung. Was jedoch nicht hindert,

Eugene Delacroix

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daß die „Medusa" eines der besten Gemälde des 19. Jahrhunderts ist.

Wenn nun aber, statt die verlassenen, fern von jeder Küste befindlichen Seeleute auf dem Meere dem Betrachter nahe zu rücken, die Men- schen in dieser Nußschale von der Gewalt des Sturmes umhergeworfen werden, wieviel leben- diger und überzeugender ist dann der Eindruck. Es gibt kein Mittel, sie zu retten. Dergestalt stei- gert die Poesie der Naturgewalt die Poesie der menscWichen Seele. Dies geht aus der Kompo- sition der beiden „Schiffbrüche'* von Eugene Delacroix einleuchtend hervor.

Eugene Delacroix erweist sich also wie immer, so auch im Salon von 1847 als großen Dichter und großen Maler zugleich, von einer wunderbaren Fruchtbarkeit, und er bringt ebensoviel wahre Kunst auf einer kleinen Leinwand, wie in seinem großen Dekorationsgemälde in der Deputierten- kammer oder in der Kammer der Pairs.

(1847. I. 450^^-)

^^

Eugene Delacroix hat immer das Gefühl für jene erhabene Kunst gehabt, die aus dem Ideen- gehalt eines ganzen Volkes hervorwächst und diesen zu großartigen Bildern gestaltet. Daher er- strahlt seine Malerei in den Kuppelwölbungen und an den Decken unserer öffentlichen Gebäude in ihrer höchsten Bedeutung. Seine „Freiheitsgöttin

156 Eugene Delacroix

auf den Juli-Barrikaden" ist soeben im Luxem- bourg aufgestellt worden, an der Seite seiner „Griechen von Chios" : zwei herrliche Episoden aus der Zeitgeschichte. Gegenwärtig soll er an der „Göttin der Gleichheit auf den Februar-Barrika- den" arbeiten; denn unsere neuerliche Revolution ist ja doch die Schwester der nationalen Erhebung, die er vor achtzehn Jahren verherrlicht hat. Dies- mal hat das ganze Volk den Aufstand mitgemacht, und die Früchte des Sieges können ihm nicht vorenthalten werden. Delacroix mag sich beeilen, da werden wir seine beiden Bilder über dem Haupte des Präsidenten der Nationalver- sammlung sehen.

Aber Delacroix ist wie die epischen Dichter, die während der Arbeit an einem Hauptwerke kostbare Verse auf die Ränder des Manuskriptes fließen lassen. So wirft der epische Maler, um sich von seinen großen Dichtungen auszuruhen, Vorstel- lungen, Gefühle und Farbe auf die Leinwand.

In der ersten Abteilung der Galerien, wenn man eintritt zur Rechten, hängt der „Christus im Grabe"; die Figuren sind in einem wenig glück- lichen Maßstabe gegeben, unter natürlicher Größe. Christi Leichnam, in der grünlich bleiernen Farbe der Toten, liegt horizontal ausgestreckt. Die ana- tomische Behandlung tritt in den hervorspringen- den Flächen mit einer Kenntnis der Wirkung in die Erscheinung, die das alberne Streben nach der Form durch das Mittel der Linie und der

Eugöne Delacroix ^^7

Zeichnung im eigentlichen Sinne in Grund und Boden verurteilt. Magdalena küßt Christi Fuße, während die heihge Jungfrau ohnmächtig nieder- sinkt und die heiligen Frauen und Johannes sich ihrer Verzweiflung hingeben. Als Hintergrund dienen zur Linken die dunklen Felsenwände einer Höhle; zur Rechten Durchblick auf eine Land- schaft'und den Himmel. In diesem Gemälde ist Lesueurs Empfindsamkeit mit Rubens' üppiger, harmonischer Fülle vereinigt.

Ein Stückchen weiter, links, fanden wir den Tod Valentins", des Bruders von Goethes Gret- chen \yieder. Das kindliche, anbetungswürdige Mädchen der deutschen Dichtung steht an der Tür ihres Hauses vor der Gruppe, die ihren ver- wundeten Bruder umgibt. Sie bäumt sich auf und wirft sich zurück wie ein vom Verhängnis ge- bändigtes Roß. Und währenddem schreit Valentin

sie an:

„Mein Gretchen . . .

Ich sag dir's im Vertrauen nur:

Du bist doch nun einmal eine Hur',

Sollst . . .

In eine finstre Jammerecken

Unter Bettler und Krüppel dich verstecken."

Sie wagt nicht, sich dem Sterbenden zu nahen, der sie verflucht. Im Hintergrunde retten sich der Doktor Faust und Mephistopheles ins Dunkel einer engen Gasse. Diese dramatische und origi- nelle Komposition ist im Besitze des Herrn Collot.

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„Laras Tod" ist schrecklich und geheimnis- voll wie Byrons Dichtung. Der Krieger liegt, mit seiner Rüstung bedeckt, am Boden: obwohl die Gestalt nicht mehr als einen Fuß lang ist, so er- scheint sie doch infolge ihrer charakteristischen Formengebung gigantisch wie eine Statue Michel- angelos. Über den Helden beugt sich sein Page mit aufgelöstem Haar, seine Geliebte, ein un- tröstlicher Engel, dessen Seele schon die sicht- bare Materie durchdringt, um sich zum Himmel emporzuschwingen. Die Landschaft ist von groß- artiger Erhabenheit, und der Himmel bildet einen harmonischen Akkord zu diesem seelischen Auf- ruhr. Niemand hat besser als Eugene Delacroix die herzzerreißende Poesie Shakespeares im „Hamlet", Byrons und Goethes übertragen.

Das Bild von den „Arabischen Komödianten" umfaßt ein Dutzend Figuren in dem Größenmaß, das Poussin gewöhnlich seinen Gestalten gibt. In- mitten von Mauren und Juden in buntscheckigen, farbenreichen Kostümen und von Frauen, die entweder sitzen oder in allen möglichen Stel- lungen sich herumräkeln, führen die beiden ara- bischen Possenreißer unter freiem Himmel eine Art Pantomime auf. Majestätische Gestalten stecken unter den fremdartigen Gewandungen, etwa wie die Venezianer des i6, Jahrhunderts auf Tizians Bildern, wollüstige und kokette Weiber, deren braune Gesichter vom Licht getroffen wer- den, ein unglaublicher Aufwand von kühnen, roten,

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orangefarbenen, blauen, silberigen Tönen, dann wieder von gebrochenen Nuancen : hellbraun, perl- grau, kaffeefarben, lila und rosa auf einer grünen Landschaft, die in den tiefen Himmel des Orients aufgeht. Ein Meisterstück in der Lichtbehandlung, wie die „Jüdische Hochzeit" des Luxembourg.

Wie sein Lieblingsmeister Rubens, so steht auch Eugene Delacroix in der Tiermalerei auf der höchsten Stufe. Seine Löwen und Pferde sind die Rivalen von Baryes Geschöpfen : der selbe wilde, ungebändigte Charakter, die selbe haarsträubende Wut, das selbe der Wirklichkeit abgelauschte Be- nehmen. Man erinnert sich noch des lebendigen Aquarells von dem „Löwen'* mit der Schlange unter seinen Krallen (1846). Im Salon von 1848 haben wir zwei Löwen von Eugene Delacroix, den „Löwen, der eine Gazelle zerreißt" und den „Lö- wen in seiner Höhle".

Der Löwe mit der Gazelle ist nur eine rasch hingeworfene Skizze, glänzend wie eine Radierung, geistreich wie ein erster Entwurf, schreckensvoll wie eine Wüstenszene. Fieberhaftes Zucken durch- bebt den gelbrötlichen Körper des Löwen, der die blutigen Klauen in die kostbare Beute ge- schlagen hat. Jeder Pinselhieb, jeder launische Strich, jeder Kontrast im Ton ist wie eine Note in dem wildheulenden Gesang, gleich der Musik der Yoways.

Ein noch aufregenderes Schauspiel bietet der Löwe in seiner Höhle. Ich habe die Skizze dieser

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Komposition vor Augen. Wir nennen sie unter uns die Anatomiestunde oder der törichte Jäger. Unser Löwe mit dem ungeheuren Kopf und ge- sträubter Mähne sitzt hingekauert da, in maje- stätischer Ruhe, wie ein König bei einem präch- tigen Bankett. Sein sehniger Schweif ringelt sich hinter ihm, wie in zitternder Wollust, seine Ohren zucken, seine platte Stirn ist zusammengezogen, seine Augen funkeln blutig, der Rachen ist weit aufgerissen, seine Physiognomie ist voll von Be- gierde und Befriedigung, während seine spitzen Krallen in die Brust eines niedergeworfenen Man- nes geschlagen sind. Fast sieht es aus, als ob er mit seinen schweren Pranken das noch warme Fleisch liebkost. Er hat eine Lust daran, die blu- tige Haut zu zerfetzen, den Geruch seines ster- benden Feindes zu atmen. Er nimmt sich Zeit und wendet den Kopf nicht nach der Ebene hinter seinem Rücken; denn er ist sicher, daß er nicht in seinem Schmaus gestört wird, und reißt sein Opfer gemächlich in Stücke.

Wer vermöchte wohl, sich bis an diese pur- purne Höhle zu wagen, an diesen Palast des ein- samen Königs ? Wie klein ist doch der Mensch vor solch unbändiger Kraft der Natur. Die herr- liche antike Dichtung erinnert an die Symbole und den Fatalismus primitiver Religionen.

(1848. I. 561 f.)

Q

VI. Decamps

Die neun Zeichnungen von Decamps sind eine ganze biblische Dichtung in drei Gesängen, die gleich den herrlichen Kartons der großen ita- lienischen Meister dastehen wird. Diese strengen und kraftvollen Kompositionen sind in demselben Stil ausgeführt wie die Belagerung von Clermont und die Niederlage der Cimbern im Salon von 1842, mit Tusche, allen Arten von Kreide und mit Farbenauftrag in Öl. Es ist unmöglich, zu einem mächtigeren Effekt zu gelangen, selbst mit allen Hilfsmitteln der reichsten Palette. Es sind wun- derbare Kontraste da und unberechenbare Abstu- fungen, von den starken Schatten bis zu einem blendenden Licht. Jede Szene ist mit einer Einheit und Symmetrie dargestellt, die das System der geschicktesten Meister in dieser schwierigen Kunst der Komposition wieder herstellen. Wer würde das glauben ? Decamps, der launische, willkürliche Maler, den man mit den flandrischen Meistern verglichen hat, hat sich bis zu der strengen wohl- erwogenen Anordnung Rafaels und Poussins er- hoben. Jedes seiner Bilder hat ein leuchtendes

Bürger, Kunstkritik. II. 11

162 Decamps

Zentrum, um das sich die sekundären Linien ord- nen, und die Wirkung konzentriert sich in der Mitte durch die Kunst der Linien und Farben. Die Zeichnung der Figuren, der Charakter der Köpfe sind im höchsten Stil gehalten. Im Simson, der die Säulen des Tempels stürzt, ist im Vorder- grund ein Mensch, der sich rettet, mit so stürmi- scher Wucht nach vorwärts, daß man zurück- weichen möchte, um ihn durchzulassen; das er- innert an den W^urf der Engelgestalten in Rafaels Heliodor und die leichten Atalanten der Antike. Ebenso gemahnen die Reiter Decamps' an die Reiter des Parthenonfrieses. Der geistreiche Maler der Affen, der Raucher und der alten Jagdwärter hat hier, wie in einigen seiner früheren Arbeiten, ein Gefühl für Haltung und Schönheit gezeigt, dem man in der zeitgenössischen Kunst nur selten begegnet.

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Decamps hat schon mehrere Darstellungen aus der Bibel gegeben. Seine Ausstellung von 1839 umfaßte, wie erinnerlich, die Hakenhinrich- tung, die türkischen Henker, die Affen als Kenner, den Joseph und den Simson, der am Tor der Höhle von Etam die Philister erschlägt. Die dra- matische Geschichte dieses Herkules mit langen Haaren hat Decamps immer viel beschäftigt. Es gibt auch in der Tat in der ganzen alten Über- lieferung, selbst in der griechischen und römischen,

Decamps 163

keine Geschichte, die besser jene Heroenzeit cha- rakterisiert als das Leben Simsons. Das ist ein ganz homerischer Held. Da ist Verhängnis, Stärke, Liebe, Verrat, Rache. Es gibt auch keine mensch- lichere und tiefer bedeutsame Geschichte. Der Glaube, die Sitten, die Charakterzüge der primi- tiven Zivilisation sind da in jeder Tatsache mit unvergleichlichem Wurf und Nachdruck ausge- prägt. Diese Legende ist ganz aus einem Stück und entrollt sich unerbittlich in einigen Versen. Das Weib, das in diesem schnellen Drama alles entscheidet, erscheint von der ersten Szene an. Das Weib wird der böse Genius des starken Mannes, des Auserwählten, dessen Name bedeutet „Sonnengleich**.

Kaum ist der Sohn Manoes aus dem Kindes- alter heraus, so steigt er zu den Philistern hin- unter, um ihre Frauen zu sehen, und kommt als- bald zu seinem Vater, um eine Tochter, die „seinen Augen Wohlgefallen hat", zur Gattin zu begehren. Erste Liebe. Bei der Rückkehr zu ihr geschieht es, daß er den jungen Löwen zerreißt, wie zum Vorspiel für die großen Kämpfe, die ihn erwarten. Während der sieben Tage der Hochzeitsfeier weint sein Weib vor ihm und belästigt ihn, um das Geheimnis des Rätsels zu erfahren, das er den Philistern aufgegeben hat. Der brave Simson läßt sich erweichen. Erster Verrat. Aber um den Preis seiner Wette zu bezahlen, tötet und beraubt er dreißig seiner Feinde. Erste Rache.

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Indessen seine Frau zieht ihn noch an, und als er erfährt, daß man sie einem andern gegeben hat, „ergreift ihn der Geist Gottes". Er steckt die Felder in Brand, häuft Tote auf Tote, er- schlägt tausend Mann mit dem Eselskinnbacken. Alles geht gut, und Simson beglückwünscht sich um seinen Sieg, indem er „singt".

Danach aber, wie die Bibel sagt, ging er nach Paza, und da er eine Kurtisane sah, ging er zu ihr hinauf. Die Philister schlössen die Tore der Stadt, um ihn zu töten, wenn er morgens heraus- käme. Aber er steht um Mitternacht auf, hebt die Pforten des Stadttors aus und trägt sie auf die Höhe eines Berges in Versteck. Die Philister sind hereingefallen.

Danach aber liebte er ein Weib, das im Tale von Sorec w^ohnte und sich Delila nannte. Simson widersteht den Frauen nie. Dritte Liebe; dies wird die letzte sein.

Delila verschwört sich wie die andern mit seinen Feinden. Die Tochter Evas wird durch Gold bestochen, wie die griechische Danae. Sie fleht ihren Geliebten an, ihr das Geheimnis seiner Kraft zu verraten. Simson spottet ihrer mit seiner gewohnten Sorglosigkeit und fährt fort, sich ihrer Gunst zu erfreuen. Eines Nachts, während er schläft, fesselt sie ihn mit neuen Stricken und schreit dann: Simson, da sind die Philister, sie stürzen über dich her!

Decamps 165

Simson springt aus dem Bett und zerreißt seine Bande wie einen dünnen Faden.

Du hast mich getäuscht, du hast gelogen, sagt die Frau. Wie lange wirst du mich noch betrügen. „Wie kannst du sagen, daß du mich liebst," da doch dein Geist nicht mit mir ist?

Die Geduld des ruhigen Herkules wird endlich besiegt. Letzter Verrat, der gelingt. Die Bibel hat dem Charakter des Weibes nicht geschmeichelt.

Wie Herkules zu den Füßen der Omphale, schläft Simson auf den Knien Delilas, und läßt sein Haupt an ihrem Busen ruhen. Die treulose Schere schneidet die sieben Locken des Naza- reners ab.

Dann schlagen die Philister den Löwen ohne Mähne in Ketten, reißen ihm die Augen aus dem Kopf und spannen ihn ins Joch an ein Mühlrad in dunklem Gefängnis.

Indessen wuchsen die Haare Simsons bei Kleinem wieder nach.

Und die Philister wollten ihren Triumph feiern, versammelten sich zu einem großen Fest und ließen den Gefangenen in den Tempel führen. Simson sagte zu dem Knaben, der ihn hinführte: Laß mich etwas gegen die Säule lehnen, um mich auszuruhen; und alsbald brach er die Säule des Gebäudes, und alle seine Feinde wurden unter den Ruinen zerschmettert. „Eine einzige Rache für den Verlust seiner beiden Augen." Er tötete ster-

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bend mehr, als er während seines Lebens erschla- gen hatte.

Decamps hat diese großartige Legende in drei Akte und neun Bilder geteilt. Die erste Zeich- nung stellt die Verkündigung dar: inmitten einer endlosen Ebene bringen Manoe und sein Weib dem Herrn ein Brandopfer dar, der ihnen einen Sohn verheißt, und der Engel des Herrn entflieht gen Himmel in der Flamme des Opfers.

Das zweite Bild ist der Kampf mit dem Löwen. Der arme kleine Löwe, der in den Krallen des Menschen hängt, macht eine traurige Figur. De- camps hat ihn mit Absicht verkleinert im Gegen- satz zu seinem jungen Herkules. Dieser Löv/en- kopf zieht aber eine Grimasse wie ein Affenkopf, und der Sieg erscheint so zu leicht. Rubens, den Decamps vortrefflich kennt, hat viel mehr Schrecken in solche Kämpfe des Königs der Schöpfung mit dem König der Tiere zu legen ge- wußt, die er oft wiederholt. Bei Rubens halten sich Mann und Löwe Körper an Körper, und beide Köpfe sehen einander ähnlich; und dennoch hat man keine Angst um den Menschen. Der Simson von Decamps wäre auch stark genug, um einen wahren Löwen zu zerreißen.

Nach der Kraftprobe kommt die List. Die Landschaft wird durch die letzten Strahlen der Sonne erhellt und durch die unheimlichen Feuer- brände, die hier und da durch die Saaten und durch die Hütten hinlaufen. Die Felder sind ver-

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lassen, und die Bevölkerung flieht. Ein bleierner Himmel, mit schwarzen Schatten und grellen Lichtern gestreift, senkt sich schwer auf dieses Unheil.

Im Vordergrund sitzt eine gigantische Statue auf einem Felsblock, wie der Dämon der Zerstö- rung selber. Das ist der schreckliche Jude, der mit seinem Blick die Füchse mit angezündeten Fackeln verfolgt. Diese Gestalt Simsons ist von einer Größe und einem Stil, die an Werke Michel- angelos gemahnen. Der Kopf, fast in verlorenem Profil, ist schön und voll Ironie. Die Zeichnung der Glieder ist fest und korrekt, wie bei den kennt- nisreichsten Meistern. Der Gesamteindruck ist packend, seltsam, phantastisch, wie die Halluzina- tionen eines John Martin, mit ebensoviel Poesie und geheimnisvollem Wesen, aber mit viel mehr Kraft und Leibhaftigkeit. Die Gemälde John Martins sind schwache Träume, die unbestimmt verschwimmen, mit Phantomen von unfertiger Form. Hier ist alles bestimmt und unab- weisbar. Die Ausführung ist ebenso energisch, wie die Auffassung breit, originell und überraschend.

Die Rache hat angefangen: der zweite Akt gibt uns andere Episoden daraus. Im vierten Bilde „Simson vernichtet das Heer der Philister". Sein Haar flattert in alle Winde. Seine starken Beine steigen über die Leiber der Erschlagenen hin. Er erstickt in seinen Armen wer weiß wie viele Krieger, die wie Fetzen um den Koloß herum-

168 Decamps

hängen, und der unwiderstehliche Sieger schwingt in der Luft den verhängnisvollen Kinnbacken. Die zerstreuten Soldaten retten sich nach allen Seiten. Dort finden wir rechts jene Reiter der griechi- schen Reliefs wieder, die Decamps sich schon früher mit so viel Glück angeeignet hatte, so- wohl in der Cimbernschlacht, wie in der Belage- rung von Clermont. Links auf einem Vorsprung mit Bäumen darauf schauen die Israeliten dem Gemetzel und der Niederlage der Feinde zu.

Ebenso wie der Maler im vorigen Bilde die Traurigkeit der Kohlenzeichnung durch Höhungen mit Ölfarbe am Himmel unterbrochen hatte, ebenso hat er hier das Pastell angewandt, um das Zentrum seiner Komposition zu bereichern und abzuwan- deln. Die Gruppe mit Simson ist blutig und fahl, während die Gründe in einen grauen Halbton ge- hüllt sind, der sehr harmonisch wirkt. Das schwarze Haar gegen den Himmel stößt herrlich ab. Man könnte nur das rechte Bein Simsons tadeln, dessen Zeichnung des Nachdrucks und der Feinheit am Ansatz des Fußes entbehrt, obgleich die Bewegung richtig und stark ist.

Das fünfte Bild ist ein Nachtstück in weiter Landschaft. Das Talent Decamps' scheut vor nichts zurück. Es gibt nicht viel Künstler, die gewagt haben, die Finsternis der Nacht zu malen. Die Gemälde Aart v. d. Neers sind im allgemeinen Abendwirkungen; v. d. Neer geht vor Mitter- nacht zu Bett. Die Finsternis ist also niemals

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vollständig und eintönig in den Bildern v. d. Neers ; der Maler rettet sich aus der Schwierigkeit durch einige lichte Stellen, die noch am Horizont schim- mern; Phoebus erlaubt ihm stets, einige Locken seines langen Goldhaars zurückzuhalten, während er seinen Kreislauf fortsetzt. Van der Neer hat auch das Hilfsmittel der Kontraste und einer ge- wissen Abstufung des Lichtes, von den ersten dun- keln Gründen bis zur Dämmerung am Himmel. In den Mondscheinbildern, die er gewagt hat, wie in denen Adam Elsheimers und einiger andern, ist es auch dasselbe Hilfsmittel einer Tonleiter in MolJ. Unter dem Mond ist das leuchtende Prinzip weiß, während es unter der Sonne gelb ist. Die Mondschein- und die Dämmerungsbilder haben also weniger Schwierigkeiten als die volle Nacht.

Aber die Nacht ist ein Vorurteil. Es ist nie- mals ganz schwarze Nacht; in der finstersten Mitternacht ist die Luft nie vollkommen undurch- sichtig. Das Auge gewöhnt sich an die Durchsich- tigkeit der dichtesten Schatten. Gibt es nicht Tiere und Vögel, die bei Nacht deutlich sehen? Die Fähigkeit liegt aber nicht ganz an ihrem Auge; sie ist auch in der Natur bedingt. Nur beim Menschen bewirkt die Unzulänglichkeit seiner Organe für ihn die Nacht; es ist aber nicht die Undurchdringlichkeit der Finsternis selbst.

Rembrandt, der in das Licht so närrisch ver- liebt war, hat sich auch einigemal mit der Nacht

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abgefunden, und zwar ohne Mond und ohne Lampe in mehreren seiner Radierungen oder Landschaf- ten. Unter unsern Zeitgenossen kenne ich nur Rousseau, der sich mit Ehren herausgezogen hat; denn auch er schaut die Natur zu jeder Stunde, des Nachts, des Morgens und des Abends wie am vollen Mittag.

Decamps hat seinen durchdringenden Blick also bis auf den Gipfel des Berges reichen lassen, den Simson mit seiner Last erklimmt. Es ist ge- rade Mitternacht, nach Le Maistre de Saci, und der Rücken des Gebirges schneidet kaum ab gegen die Gründe. Simson sieht aus, wie eine kleine schwarze Ameise, die einen Foetus auf den un- geheuren Hügel hinaufschleppt. Wir zweifeln aller- dings, daß die Nacht diesen Anblick gewähren würde bei dem Abstand, in dem wir uns befinden. Das Genie des Malers hätte wohl eine glücklichere und phantastischere Kombination erfinden können. Die Schatten der vordem Pläne sind schwer und eintönig, besonders in dem Baumstumpf, der als Abschieber dient.

Dann aber kommt ein anderer Nachteffekt, der ganz bewunderungswürdig ist; die Szene geht jedoch im Innenraum vor sich. Delila liegt auf ihrem Bett, auf den Einbogen gestützt, und streckt den rechten Arm nach vorn aus. Ihre edle und heitere Haltung, die Schönheit ihrer Gestalt und ihrer Geste haben viel Ähnlichkeit mit den antiken Frauen, die auf Reliefs und Kameen vorkommen.

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Die römische Kunst hat uns mehrere Darstel- lungen der Kleopatra in diesem einfachen und grandiosen Stil hinterlassen, der noch aus der grie- chischen Kunst stammt. Die Gewänder Delilas schmiegen sich elegant an den Leib wie antike Draperien und zeichnen die vollkommene Model- lierung des Körpers der Kurtisane. Simson stürzt mit fhegenden Haaren aus dem Lager der treu- losen Geliebten heraus, die ihrerseits unerschüttert bleibt. Er reißt die großen Augen auf, um zu sehen, wo die Philister seien. Sein Haar strahlt wie eine Aureole um sein Haupt voll Schrecken, und der zerrissene Strick gleitet über seine Glieder. Der Mann und das Weib sind ganz herrlich in ihrem Gegensatz. Er trägt freiHch auf seinem Antlitz einen etwas übertriebenen und sonder- baren Ausdruck. Die Umgebung der Gruppe ist einfach, ohne Beiwerk, ruhig und harmonisch.

Dies Bild dient als Übergang zum dritten Akt und siebenten Bilde: der unvorsichtige Lieb- haber hat seine magischen Kraftlocken eingebüßt und damit seine unbezwingbare Stärke. Bewaff- nete Soldaten ziehen ihn aus dem Haus der Kur- tisane. Der Soldat zur Rechten erinnert an irgend- eine wuchtige Figur von Salvator Rosa. An einem Fenster lehnt friedlich ein Weib mit einer Schere in der Hand. Der Maler hätte ihr eine Börse in die andere Hand geben können, wie Judas Ischarioth. Die Architektur des Palastes ist von schönstem Stil, den Decamps ohne Zweifel selbst

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erfunden hat. Er wäre also nicht in Verlegenheit, uns öffentliche Gebäude zu liefern, die etwas prachtvoller wären, als die Baracken unserer amt- lichen Baumeister.

Indessen dreht Simson seine Mühle mit antikem Gebaren, fast schrieb ich : Stoizismus. Sein blinder Dickkopf neigt sich gegen den Boden und sinnt ohne Zweifel auf Rache, die seiner ersten Taten würdig w^äre. Der Wächter sitzt gegen die Mauer gelehnt und hält seinen Fuß mit den Händen. An dem äußern Gitter der düstern Höhle drängen sich Neugierige, die den bezähmten Feind begaffen. Das Licht, das durch eine enge Öffnung dringt, gleitet über den Mann, und die Maschine, die er in Bewegung setzt, läßt aber das ganze übrige Gefängnis in trauriger Dunkelheit. Ach, Simson freut sich nicht mehr der Sonnenstrahlen wie einst. Wann wird Jehova, den er anfleht, ihm eine einzige Rache für den Verlust seiner beiden Augen gew^ähren ? Pro amissione duorum luminum unam ultionem.

Wir kommen zur Katastrophe : der Palast, wo die Führer der Philister, Männer und Weiber und alles Volk, das auf Israel lastet, versammelt sind, der Palast, in den Simson eben eingeführt ist, kracht in allen Teilen. Die Säulen von Granit weichen wie Rosensträuche, splittern wie Glas unter den machtvollen Händen des Nazareners. Da steht er, von vorn gesehen, inmitten des Bau- werks, das über dem Haupt der Tischgenossen

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zusammenbricht, und sie mit einer andern Lage von Toten und Sterbenden bedeckt, die von oben wie ein Strom durch den Schlund einer Höhle hinabstürzt. Männer und Weiber fallen durchein- ander, Leichen über Lebende, die aus diesem Hagel von Trümmern entfliehen möchten. Aber die Ausgänge sind verstopft, und die glänzende Menge geht unter, rings um den jüdischen Helden. Dies neunte Bild ist von seltener Herrlichkeit. Mehrere Frauengestalten haben einen Zug und einen Ausdruck, wie ihn nur die Schulen der ita- lienischen Renaissance aufzuweisen haben. Die Farbe der Gruppen ist reich und üppig; aber das Licht, das die Architektur trifft, läßt ihre Linien etwas allzu mager hervortreten. Der Stein -ist auch von weniger trockenem Ton in den übrigen Blät- tern. Das ist der einzige Vorwurf, den man dieser grandiosen und verwickelten Komposition machen könnte. Vielleicht stößt man hier und da auch auf einige allzu vulgäre Bewegungen bei gewissen Ge- stalten, die zum ernsten und erhabenen Charakter des allgemeinen Stils in Widerspruch stehen. Es geschieht dem großen Künstler zuweilen, daß ihm ein gewagtes Bild entschlüpft, Erinnerungen an die geistvollen Darstellungen, wo er die Karikatur mit solcher Feinheit handhabt. Der Löwe des zweiten Bildes glich einem Affen; hier sieht der Schatten des Mannes, der sich rettet, wie ein Pudel aus, der neben seinem Herrn herläuft. Das hindert freilich nicht, daß der Mann und der

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Schatten ein Bravourstück in diesem Meisterwerk ausmachen. Dies Epos von Simson ist sicher eine der außerordentlichsten Schöpfungen der heutigen Kunst. (1845, I- ii6f., i24ff.)

Seit dem Ungeheuern Erfolg der „Niederlage der Cimbern" und der „Türkischen Wache" im Salon von 1834 hat Decamps nur noch ein einziges- mal Gemälde ausgestellt, 1839 i^i selben Salon, wo Ary Scheffer seine Margarete beim Kirchgang hatte. Im Jahre 1842 sah man nur zwei Zeich- nungen und ein Aquarell, und letztes Jahr die schöne Folge von Zeichnungen mit der Geschichte Sim- sons. Der Ruf Decamps' hat sich außerhalb der öffentlichen Ausstellungen erhalten; seine Malerei ist übrigens überall vertreten: in allen einiger- maßen ausgezeichneten Galerien, bei allen Kunst- händlern und Verkäufen moderner Bilder. Man könnte keine Sammlung anfangen, ohne einen De- camps, und jedermann, der erst einen Decamps hat, ist verloren : er verliebt sich in die Malerei ; er muß mehr Bilder besitzen; der Sammler ist fertig. Die Schwierigkeit ist nur, viel so warm aufgenom- mene Bilder zu finden, wie die Decamps es sind. Es gibt höchstens unter den Lebenden noch vier oder fünf Künstler, die diese Nachbarschaft aus- halten. Warum ist also Decamps nicht in der Galerie des Beaux-Arts vertreten ? Die „Türkische Patrouille" z. B. hätte einen eigentümlichen Ge-

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gensatz zu Ingres' Stratonike bilden können. Viel- leicht sind Hersent und Leon Coigniet daran schuld, ihn von der Ausstellung der Societe des peintres fernzuhalten, wo Delacroix nur ganz zu- letzt noch herbeigezogen wurde, und nur durch ein Zugeständnis. Das aber sind noch Maler; und man könnte die Farbe von neun Akademikern der Malersektion, die an der Jury teilgenommen haben, zusammenmischen und bekäme doch nur trübes Wasser, im Vergleich zu den glühenden und mannigfaltigen Farben von Decamps.

Im Gegensatz zu Malern, die so wie Ary Scheffer organisiert sind und den i\usdruck ihrer Poesie nur zagend finden, ist Decamps ein Mann, der sofort sieht, was er machen will, und nicht zögert: manu promptus.

Das Bild springt ihm in die Augen und gleitet alsbald in die Pinselspitze, um sich strahlend auf die Fläche zu breiten. Das ist sicher die Natur Decamps', was auch seine Kunstgriffe der Ausfüh- rung sonst sein mögen. Er ist unmittelbar, leben- dig, malerisch, originell; er hat Sinn für Schönheit, Haltung und Bewegung; er hat die leidenschaft- liche Liebe zum Licht und zur reichen Farbe. So verläßt er denn auch selten das Land der Sonne und der blendenden Fluren, der weißen Mauern, der braunen Gesichter und der glänzenden Stoffe. Seine Malerei ist ein Türke, der zur Mittagsstunde spazieren geht. Fragt den Türken, woran er denke und welche Stimmung ihn quäle ; er wird vornehm

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antworten, daß er zufrieden sei zu leben und das übrige Gott überlasse, wie sein Bruder von Bou- Maza in seiner Aussage vor dem Gerichtshof: „Ihr Alter?" „Ich weiß es nicht. Wir Musel- männer leben bis an unseren Tod, ohne uns um die Jahre zu bekümmern." Erhabene Gemütsruhe etwas fatalistischer Art, über die sich Franzosen erstaunen dürften. Im Grunde ist diese Poesie des Orients, die sich nicht vollbewußt im Geiste widerspiegelt, sondern in der Form aufleuchtet, ebenso menschlich und ebenso göttlich, wie die metaphysische Poesie der Völker des Nordens. Der Türke ist bei aller Gleichgültigkeit gegen das Schicksal und das höhere Bewnaßtsein des Lebens doch nicht weniger Mensch. Er trägt in seiner Schönheit und seiner Form eine Bedeutung, die ihr das Recht habt, selber auszulegen. Alles was lebt, alles was schön ist, kann gar leicht be- deutungslos und nutzlos sein. Es kommt aber wenig darauf an, ob die Rose weiß, wie sie ihren Duft hervorbringt.

So auch die Malerei von Decamps. Wir, die von der Kunst einen ethischen Wert verlangen, erklären, daß die Gemälde Decamps uns immer ge- lehrt haben, die Menschen und die Natur zu lieben. Der Eindruck, den der Maler selbst vor der Außen- welt erfahren hat, ist so lebhaft in der Wirkung und in der Haltung wiedergegeben, daß die Natur in ihrer ganzen Poesie vor uns hintritt : da gibt es was zu träumen, wie vor einer schönen leben-

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digen Gestalt oder vor dem Glanz der Landschaft. Freilich, die Gegenstände sind nicht anspruchs- voll bei Decamps: da ist ein Kind, das mit einer Schildkröte spielt, ein rauchender Pascha, ein Jagdhüter, der einen Graben absucht, von seinen Dachshunden begleitet; da ist ein Reiter, dessen Pferd sich bäumt, oder wer weiß was sonst; aber es ist das Leben. Die Türken und die Bauern haben eine Seele, ganz wie die Märtyrer und die Helden.

Man sagt indessen, daß Decamps sich gegen- wärtig um die „große Malerei" bemüht, und seine schönen Zeichnungen zum Simson, die nur etwas kalt sind, scheinen tatsächlich diese neue Rich- tung bei ihm aufzuweisen. Decamps will seinen Christus machen, und Mr. Cave hat sich beeilt, ihm ein religiöses Gemälde aufzutragen. „Christus von den Soldaten mißhandelt" steht schon ange- fangen im Atelier des Meisters, und die ernste Komposition wird ohne Zweifel in einem der näch- sten Salons erscheinen. Decamps hat durch seine Schlachten und einige an die Historie grenzende Bilder bewiesen, daß er die Kraft besitzt, alle Stoffe zu behandeln. Rembrandt hat auch Chri- stusdarstellungen geschaffen, die ebenso außer- ordentlich sind wie seine Bettler. Dennoch läuft der Maler der „Türkischen Patrouille", die vieJ Verwandtschaft mit Rembrandts „Nachtwache" hat, vielleicht Gefahr, sich in diesem neuen Stil zu verirren. Nicht alle Vorwürfe eignen sich in

Bürger, Kunstkritik. U. 12

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gleicher Weise für ein bestimmtes Genie. Decamps kann sich genügen lassen, der malerischste Maler der französischen Schule zu sein. Hoffen wir, daß Christus, der gekommen ist, die Menschen zu er- retten, nicht Decamps zugrunde richte.

Die vier Gemälde von Decamps erregen im Salon großes Interesse. Sie haben auch wirklich Vorzüge der Farbe, die in der ganzen Umgebung sehr selten vorkommen. Die „Erinnerung an die asiatische Türkei" stellt die innere Galerie eines türkischen Hauses am Ufer eines Kanals dar; in der Mitte ein stehendes Kind gegen einen Pfeiler gelehnt; links liegt ein anderes Kind flach auf dem Bauch am Boden und beugt sich über das Wasser, um Enten zu betrachten, die darauf schwimmen; eine Mauer mit einem Fenster darin, von silbernem Licht erhellt, bildet den Hinter- grund, der in diesem Teil des Bildes sehr nahe herantritt; rechts ein Durchblick in Helldunkel gegen innere Baulichkeiten und eine dritte Kinder- figur. Der ganze obere Teil der Galerie springt in vollem Sonnenglanz hervor mit einigen Blät- tern, die die Mauer zieren und sie mit feinen bläulichen Schattenflecken bestreuen. Die Kraft der verschiedenen Töne, der Glanz der weißen Lichter, die Festigkeit der Baukörper geben dieser ganz einfachen Szene einen höchst erfreulichen Anblick; aber es gibt viel zu bemerken über die Art der Ausführung oder vielmehr über den Miß- brauch des dicken Farbenauftrags, der in allen

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Ecken des Bildes übertrieben ist. Die Lichter sind durch einen zollhohen Mörtel erreicht, dessen Relief ins Auge fällt, wie in der seltsamen Malerei weiland Graf Forbins. Weh der Maurerei! Wenn diese Art von kompakter Schichtung für Mauern paßt, für Steine und zuweilen für Erdreich im Hellen, so ist sie ganz sicher unangebracht in den dunkeln Partien, in Halbtinten, in der Aus- führung all der Dinge, die Durchsichtigkeit und Leichtigkeit erfordern. Welchen Wert hat das gut verteilte Impasto bei soliden und leuchtenden Kör- pern, wenn es sich im Gegensatz zu flüssigem, lässigem, geistreichem Pinselstrich heraushebt 1 Es lohnt sich, die Meister über diese Frage der Aus- führung zu Rat zu ziehen. Prüft nur einmal die Mannigfaltigkeit der Pinselführung bei den Hol- ländern, die vorzügliche Praktiker sind. Jeder Gegenstand wird in einem besonderen Sinn model- liert. Die Gewänder sind nicht mit derselben Hand- bewegung gemalt wie das Fleisch und die Köpfe. Was die Hintergründe betrifft, so sind sie fast immer sozusagen mit dünner Einreibung herge- stellt, die das Holz oder die Leinwand kaum zu- deckt. Ebenso, welche Durchsichtigkeit und Tiefe der Schatten bei Rembrandt, bei Cuyp, bei Pieter de Hoocb und Ostade. In der neuen Malerei von Decamps, möchte man sagen, wird der Pinsel durch die Maurerkelle ersetzt; sicher überwiegt der Gebrauch der Spachtel und des Paletten- messers die gewohnten Werkzeuge des Malers.

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Es sieht aus, als nähme Decamps dicke Farbe mit vollen Händen auf und würfe sie gegen seine Leinwand; dann käme Spachtel und Messer dar- über her, die Masse auszubreiten, zu glätten und festzulegen. So mag man ein Haus bauen, sogar in Malerei; aber wie kann dies Verfahren bei Luft und bei Wasser angew^andt werden 1 In dem Kanal auf der „Erinnerung an die asiatische Tür- kei" haben die Enten Mühe, sich aus dem Schlamm loszuwinden und sind wie auf einem vermaledeiten Leim festgeklebt. Das kleine Kind, das sie an- schaut, braucht nur die Hand auszustrecken, um sie zu greifen und freizumachen.

Ich weiß wohl, daß aufeinandergelegtes Im- pasto, wenn man jede Lage abkratzt, Tonwerte erzeugen kann, die man auf den ersten Hieb nicht zu erreichen vermöchte, und einen unendlichen Reichtum der Farbe hervorbringt. Jede Schicht läßt dann immer einen Zug zurück, der durch den Schleier des neuen Auftrags hindurchscheint; so bekommt man tausend Zufälligkeiten des Lichts und gewissermaßen die Spiegelung der Sonne auf den Dingen; so bringt man die Lokalfarbe her- aus, die alle übrigen enthält, ebenso wie ein Licht- strahl sich in seine verschiedenen Nuancen zer- legen kann. Das gewährt ohne Zweifel natürliches Aussehen; aber die Natur äußert sich nicht immer in derselben Weise überall und jederzeit. Neben diesem betäubenden Zauber des Lichtes gefällt es der Natur doch, sich ganz einfache und ruhige

Decamps

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Wirkungen vorzubehalten, die erst Gegensätze und Widerspiele zu ihrem Wert bringen. Man zeigt ja wohl die Laterna magica auch nicht am hellen Mittag; die Phantasmagorie bedarf der Isolierung im Dunkeln. Die Märchenpoesie braucht Nacht und Waldgeheimnis. Der Phosphor ist bleich im Tagesschein, und die Flamme des Punsches läßt ihre vielfarbigen Zungen erst nach Sonnenunter- gang sichtbar emporlohen.

Die ersten Koloristen der alten Schulen haben die Mannigfakigkeit in dem Verfahren der Aus- führung sehr wohl verstanden und geübt. Cor- reggio, dessen Farbe so leuchtend ist, daß sie die Nacht erhellt, trägt das Fleisch und die vor- springenden Teile sehr stark auf, aber sein Pinsel gleitet leicht über die heimlichen Gründe hin. Es gibt Teile, die neutral und unbestimmt bleiben müssen in allen Naturerscheinungen. Velazquez, der so tüchtig und flott in den Hauptakzenten seiner Malerei dreinfährt, ist durchsichtig, duftig und beinahe unfaßbar in dem Helldunkel seiner Tiefen. Watteau, bei dem man jeden geistreichen und eleganten Strich verspürt, wie die feinste Zise- lierung eines Kleinods von Cellini, Watteau ist wohl der leichteste von allen Malern in dem luf- tigen Laubwerk, in den feenhaften Fernen, in dem lichten Himmel mit unwägbaren Wolken darin. Das Verfahren mit dickem Farbenauftrag, das Decamps erfunden, das er so geschickt handhabt und das Schule gemacht hat, ist eine wirkliche

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Errungenschaft für die Wiedergabe gewisser Dinge, die fest, leibhaftig und widerstandsfähig dastehen sollen. Ich glaube nicht, daß je ein Maler Mauern und Erdformationen besser wiedergege- ben hat als Decamps; aber, nochmals, die Aus- führung des Malers muß wechseln nach der Eigen- art der Dinge, die er darstellt. Die Schule des Kaiserreichs mißbrauchte das öl und malte fast immer in flachem, eintönigem Auftrag; werfen wir uns jetzt nicht in ein anderes System, das ebenso ausschließlich ist im entgegengesetzten Sinne. Wenn das Wasser in der „Erinnerung an die Türkei" leicht und bewegt wäre, wie die Mauern der Terrasse fest und undurchdringlich sind, wenn das Licht in den Nebensachen mit mehr Zurückhaltung aufträte, so wäre das Bild ein Meisterwerk.

Die nämliche Übertreibung fällt an der „Rück- kehr des Hirten" auf. Die Gestalt des Hirten mit seinem großen Hut, seinem dunkeln Mantel und seiner bunten Hose ist vollkommen. Decamps ver- steht sich besonders gut auf solche seltsame Hal- tung und Kleidung. Die Herde und der schwarze Hund sind etwas zu unbestimmt, obgleich die Nacht hereinbricht und der Regen die Dinge ver- schleiert. Der Himmel ist schwerfällig ausgeführt, und der silberne Streifen, der noch etwas Licht am Horizont bewahrt, scheint nicht ganz richtig in der Wirkung. Gerade da, in einem bleiern schweren Himmel, ist das Übermaß des Impasto gefährlich. Der Himmel ist, so niedrig er auch

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hängen mag, doch immer ungreifbar, und gleicht nie einer Metallglocke, die sich über uns stülpt. Selbst inmitten der dichtesten Wolken auf dem Gebirgskamm, wo man zu gewissen Zeiten nicht die Hand vor Augen sieht, macht die umgebende Luftregion doch immer den Eindruck des Un- endlichen. Jeder Himmel, der begrenzt und tastbar erscheint, leibhaftig wie Materie, der ist falsch in der Malerei und erdrückt eine Komposition. Es bleibt aber, trotz der Schwere des Farben- auftrags in einigen Teilen, immer ein schönes und kraftvolles Bild, diese „Rückkehr des Hirten". Die Gemälde Decamps' gehören entschieden zu denen, die wir auf der Ausstellung von 1846 vor- ziehen, und eben deshalb wagen wir es, sie etwas zu kritisieren. Jene unzählbare Menge unbedeu- tender Bilder, die kein origineller Vorzug emp- fiehlt, zu prüfen und zu zergliedern, verlangt uns nie. Der Beruf des Kritikers ist traurig und lang- weilig, wenn seinem Auge nur Gemeinplätze be- gegnen, die sich notwendig unter der Feder in banale Redensarten verwandeln. Mit Künstlern wie Decamps, Delacroix, Ary Scheffer wird die Leidenschaft für Kunst immer an ihrem eigent- lichen Lebensfaden berührt, und vermag die ver- schiedene Art des Fühlens und Denkens dieser großen Männer, wie ihrer Stile und ihres Ver- fahrens zu studieren. Da ist man immer sicher, in den poetischen und malerischen Regionen zu bleiben, und die Erörterung bringt immer etwas Belehrendes für Künstler, Kritiker und Publikum.

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„Die türkische Kleinkinderschule** ist ein Ge- genstand, den Decamps besonders gern hat, und mehrmals schon in verschiedenen Kompositionen behandelte. Diese hier ist ein Hauptstück an Größe, an schöner Lichtwirkung auf den Wänden und den reizenden Kindergruppen, die rechts im Helldunkel kauern. Auf der perlgrauen Mauer zittert der Sonnenstrahl, der linksher durchs Fen- ster dringt. Decamps hat sich an Rembrandt und Pieter de Hooch erinnert. Der alte Schulmeister liegt wie ein Pascha auf seinem Diwan ausgestreckt mit seinem Lieblingsschüler. Die andern Bürsch- lein belustigen sich in ihrer Ecke mit irgend etwas. Man kann sich denken, daß da nicht viel gelernt wird; wir sind bei den Türken und in einem Kin- derasyl. Aber die glücklichen Türken 1 daß sie im Volk so hübsch angezogene Kinder haben, mit ihrem kleinen Turban, ihren Jacken in Scharlach, Orange, Grün und Braun. Es sind wie Häuflein schöner Stoffe und Geschmeide, aus denen rote und ungezogene Gesichter hervorgucken. Die Kindergruppe hat ganz die schönen Vorzüge der Farbe Decamps'.

Das vierte Bild „Türkische Landschaft*' ge- hört Herrn Thevenin. Auf einem Wege an hellen Landhäusern vorbei sieht man drei oder vier kleine Reiter im Galopp, und etwas weiter vorn eine Frau, die einen Krug auf dem Haupte trägt. Die Gebäude sind ganz weiß, der Himmel ganz blau, die kleinen Bäume sehr grün. Man sagt, der Orient

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sehe so aus I Decamps muß es ja wissen. Indes die Gesamtwirkung ist nicht so harmonisch wie man wünschen möchte, und die Ausführung ist etwas kleinhch. Das ist ein sehr versüßhchter De- camps. Wir ziehen den Maler vor, wenn er sich ganz seinem Temperament und seiner Laune über- läßt; dann findet er unerwartete und herrliche Bewegungen, eigentümliche Farbenverbindungen, einen kühnen und originellen Stil. Die Mehrzahl der Künstler verliert die Hälfte ihrer Kräfte in Bestrebungen, die ihrem Talent fern liegen. Es gelingt nur selten, eine Eigenschaft zu erringen, deren mächtigen Zug man nicht schon in seiner Jugend verspürt hat. Diese alles versuchende Un- ruhe, die die neue Generation vorwärtsdrängt, und fast ihr Genius, die Quelle ihrer wertvollsten Ent- deckungen in den Künsten wie in der Gedanken- welt — , ist doch zu gleicher Zeit zuweilen die Ursache ihrer Ohnmacht. Sie steht der Jugend- periode gut; im reifen Alter jedoch, wenn der Mann seiner selbst gewiß sein soll, ist es schön, die Ruhe und Sicherheit an die Stelle der Beweg- lichkeit treten zu sehen. Die alten Meister waren viel naiver und einfacher als wir. Nach den Ängsten der Einführung schufen sie nach Herzens- lust. Das Genie ist ein Vermögen, das nicht im Spiel auf der Erde gewonnen wird; es fällt vom Himmel, wie ein Regen von Bildern und Gedanken.

(1846. I. 279 ff.)

VII. Diaz de la Pena

Hier ist Diaz. Der fürchtet nicht das leb- hafteste Licht. Seine Bilder gleichen einem Ge- schmeide aus Edelsteinen. Das Rot, das Blau, das Grün, das Gelb, alle ganzen Töne und alle Kombinationen in tausenderlei Art strahlen uns überall entgegen aus seinen Gemälden; wie hin- gestreute Blätter von Mohnblumen, Tulpen, Sta- chelpalmen oder wie hergewehte Blütenbüschel unter dem Sonnenschein; wie die launenhafte Pa- lette eines großen Koloristen selbst. Es ist un- möglich, mehr Kühnheit und mehr Gelingen zu vereinen. Diaz hat viel in den entlegensten, un- berührten Stellen des Waldes von Fontainebleau studiert. Dort hat er Herbstwirkungen erfaßt, die eine gepflegtere Natur nicht zu bieten vermöchte. Die Bäume, das Erdreich, die Schatten seiner Landschaften gewähren immer einen seltsamen und poesievollen Anblick. Die „Ansicht aus dem niedern Br^au" ist eine ausgezeichnete Studie, ganz außerhalb der durchschnittlichen Auffassung gelegen. Man muß schon ein großer Künstler sein, um eine Landschaft so zu sehen und sie

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mit einer solchen Bravour zu malen, die der spa- nischen Meister würdig ist.

Die „Zigeuner auf dem Weg zum Feste" sind etwas von Theodor Rousseaus „Abstieg der Kühe in einer Schweizer Schlucht" beeinflußt. Alle Freunde der wahrhaft schönen Malerei kennen dies Werk von Rousseau, das lange bei Ary Scheffer ausgestellt war, nachdem es die Ehre gehabt, vom Salon ausgeschlossen zu werden. Längs eines abschüssigen Weges, der von dunklen Gewächsen bestanden wird, steigen einige Hirten mit ihren Herden hinab in die Ebene drunten mit üppigen Kräutern, in denen die Kühe bis an die Brust untertauchen. Diaz entlehnte die allgemeine Anlage dieser poetischen Komposition, aber er ver- wandelte den Charakter gemäß den Anforderungen seines Stoffes. Statt der Einsamkeit und ihres Ge- heimnisses hat er sein Bild mit überströmendem Jubel und ausgelassenem Wahn erfüllt.

Seine Zigeuner, in tausend bunten Farben, mit Kostümxcn aus allen Ländern, mit dem verschieden- artigsten Benehmen, trollen hinunter zu einem gangbaren Pfad. Einige verlieren sich in den Gebüschen; aber die Zigeuner finden sich immer wieder, und haben zuviel Feuer im Leibe, um^ beim Feste zu fehlen.

Ein anderes Bild von Diaz, „Die Orientalin", ist ebenso eine Reminiszenz an Eugene Delacroix. Wenn man einmal nachahmt, so könnte man seine Vorbüder nicht besser wählen. Die „Orientalin"

188 Diaz de la Pefia

Stellt das Innere eines Harems dar, wo man Frauen mit Sammetaugen in lässiger Haltung und reichem Schmuck beisammen sieht. Diese frische Oase, in der Tiefe des Serails verborgen, wird noch in einem durchsichtigen Halbton verschleiert, in der- selben Stimmung wie die „Hochzeit in Marokko" von Eugene Delacroix. Zwischen den maurischen Arkaden, die sich gegen Gärten öffnen, bemerkt man helle Springbrunnen und blühende Büsche. Das vierte Bild, das Diaz ausgestellt hat, „Die Verhexung*', scheint das originellste und vollstän- digste Beispiel seiner Leistungsfähigkeit. Es ist nur ein kleines Stück Leinwand, wie eine Hand groß, mit zwei Figuren, inmitten einer Phantasie- landschaft. Ein junges Mädchen, frisch und strah- lend, geht gerade vor sich hin, ohne Zweifel be- rauscht vom Duft der Bäume und dem Frühlings- wehen. An seiner Seite schreitet eine von den Hexen aus Macbeth, oder Mephistopheles als altes Weib angetan, und flüstert, ich weiß nicht was für bösen Rat ins Ohr. Das junge Mädchen geht unruhig und träumerisch weiter und lauscht indes den Verlockungen der Gefährtin. Die Allegorie ist sehr gut wiedergegeben und vollauf verwirk- licht. Ein reizender Vorwurf, den Maler oft schon behandelt haben, diese Personifikation geheimer Gedanken und unwiderstehlicher Mächte des Lebens. Die italienischen Meister, besonders die Bolognesen, haben dies oftmals unter dem Namen Herkules zwischen Tugend und Laster ausge-

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drückt. Die modernen Meister, wie Ary Scheffer und Delacroix, haben es Margarete genannt, im Anschluß an Goethe. Das Symbol ist viel rühren- der und wahrer in Gestalt eines weiblichen Wesens. Dieser Kranz von Rosen sollte Herkules genom- men werden; es bliebe ihm noch genug anderer Arbeiten übrig, und, für mein Teil, ziehe ich die ahnungslose Margarete, mit ihrem einfachen Wol- lenkleid und weißen Tuch, dem derben Keulen- träger mit seinem Löwenfell vor.

(1844. I. 36. ff.)

Die drei Porträts von Diaz haben viel Reiz und Vornehmheit. Sie heben sich von einem Hintergrund sehr geheimnisvoller Bäume ab und sind von entzückender Farbe. Theodor Rousseau ist der einzige, der Diaz im Ausdruck der Natur- poesie übertrifft. Diaz, der auch ein großer Land- schaftsmaler ist, besitzt ein ebenso lebhaftes Ge- fühl für die menschliche Schönheit und die Zauber- wirkungen der Farben. Er läßt das Licht auf dem Fleische spielen, auf den Haaren, auf den Stoffen, mit einem Glanz, einer Harmonie und Leichtig- keit, einer Grazie, die durchaus verführerisch wirken. Die hübschen Frauen könnten, wenn sie diese wundervollen kleinen Bildnisse gesehen haben, sehr wohl Dubufe für Diaz im Stich lassen.

Es sind drei kleine Frauenporträts, in ganzer Figur stehend vor einem außerordentlich kräf-

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tigen, reichen, entzückenden Landschafts-Hinter- grund. Das Porträt der Mme. Leclanch6 hängt in der Mitte. Sie trägt eine einfache weiße Robe, über die sich leichthin eine blaßblaue Schärpe schlängelt. Auf der Brust hat sie eine frische, kleine Rosenknospe, die in die glänzenden Töne der Blätter und der Blümchen umher einstimmt. Zu ihren Füßen laufen zwei kleine englische Hünd- chen auf dem Rasen. Ein sanftes Licht läßt den durchsichtigen Teint und die goldigen Haare der Gestalt erschimmern. Die Halbtöne sind von einer außerordentlichen Feinheit, wie sonst unter den Zeitgenossen nur Delacroix und Rousseau sie be- sitzen. Es ist nicht schwer, eine Figur mit starkem Schatten und scharfer Betonung herauszumodel- lieren; aber in einem weichen Helldunkel zu mo- dellieren ist eins der seltensten Geheimnisse der Malerei. Und wie reich und kräftig ist die herbst- liche Farbe der Blätter. Das gehört zu den Ein- fällen der größten Meister. Und diese Eigen- schaften des feinen Koloristen zeigen auch die beiden andern Bilder. (1845. l- i2of., 1761.)

Diaz, das ist ein eigenartiger Maler. Woher kommt er? Wer ist sein Lehrer? Woher hat er diese Farbe und diesen Reiz ? Aber woher kommen denn Decamps und Ary Scheffer ? Woher stammt Delacroix? Es ist doch sicher nicht Gu6rin, ob- gleich er in Gu^rins Atelier gearbeitet hat. Alle

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diese Männer haben so verschiedene Tempera- mente und so stark hervortretende Kennzeichen der Rasse, daß man ihre Eltern gar nicht zu kennen braucht. Nun gut, sie strafen den Aus- spruch Brid'Oisons Lügen, sie sind Niemands Sohn; aber sie haben allesamt die nämliche Her- kunft, d. h. sie erwachsen alle aus ihrer einge- borenen Art hervor. Ohne Zweifel nach dem Genie erwächst die Kunst auch aus der Überlieferung und aus dem Naturstudium; aber das Prinzip alles Talents ist ein eigentümlicher Charakter.

Sucht doch einmal, wen man Delacroix ver- gleiche. Ihr glaubt ihn vielleicht bei Rubens zu fassen; er bringt euch durch Paul Veronese aus der Fährte; ihr folgt ihm nach Venedig, er ent- rückt euch nach Madrid, in die Nähe des Velaz- quez, um zuweilen nach Frankreich zurückzukehren zu Watteau. Decamps ist nicht minder originell. Er gleicht sicher keinem aus der französischen Schule; man müßte schon bis auf die Lenain zurückgehen, um etwas annähernd Vergleichbares zu finden. Ist er Flandrer ? keineswegs ; Holländer ? ein wenig, aus der Familie Rembrandts; aber er unterscheidet sich wieder durch die Art seines Verfahrens ; Spanier ? kaum mehr, obgleich er den Reichtum, die Kontraste, die Kraft der Meister von Sevilla oder Madrid besitzt; er ist mehr Ita- liener, aus der neapolitanischen Schule, mit Sal- vator Rosa, und fast Venezianer durch die Festig- keit seines Farbenauftrags und den Glanz seines

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Kolorits; dennoch vermag man ihn in keiner Schule recht unterzubringen. Er ist eben er selbst. Diaz ist noch schwieriger einzuordnen. In der ganzen Reihe von Meistern würde man vergebens nach seiner Verwandtschaft suchen. Er erinnert vielleicht an den Schwung und die Fülle des Tie- polo, an die Feinheit Chardins, aber vor allen Dingen an Watteau und Velazquez. Er hat den silbernen, harmonischen Ton des letzteren, die Leichtigkeit und Phantasie des ersteren. Er ge- mahnt aber auch an die Schule von Parma in der Eigentümlichkeit der Fleischtöne, in der Durchsich- tigkeit der Schatten und in der Sanftheit des Pinsei- strichs. Ich kenne keinen entzückenderen Kolo- risten, wo immer es auch sei. Alle Gaben der Farbe hat er vereinigt : den Glanz, die Feinheit, die Mannigfaltigkeit, die Leuchtkraft. Er verfügt über die Sonne wie Claude Lorrain; aber er be- dient sich ihrer ganz anders. Der wunderbare Claude verbreitet Sonnenschein überall, am ver- lorenen Horizont, auf dem unermeßlichen Meer, mit der ganzen Heiterkeit der Natur. Diaz im Gegenteil nimmt einen Winkel im Walde, das Innere eines Harems, ein geheimnisvolles Gebüsch, und er schärft das Licht, um darin tausend lockende Reize und unerwartete Wirkungen her- vorzubringen. Die Sonne Diaz' ist eine launen- hafte Geliebte, die lacht und weint und sich be- wegt und in diesen Anfällen der Leidenschaft ihre ganze Macht und Schönheit entfaltet.

Diaz de la Pena 193

Die Seltenheit dieses Talentes hängt ebenso an seiner poetischen Eingebung, wie an seiner wonnigen Farbe. Seine Kunst ist nicht die Natur, noch irgendeine herkömmliche Wiedergabe nach der Natur, es ist die Poesie der Träume, es ist die Heraufbeschwörung einer übernatürlichen Welt. Wir sagten, die Malerei Decamps' ghche einem Türken in der Sonne; die Malerei von Diaz ist ein Ausflug ins Märchenland. Solche Wälder und solche wollüstige Geschöpfe gibt es nur in seinen Visionen, den beglückenden Wahngebilden im Rausch von Opium und Haschisch, wenn es einem so recht wohl geht in vollster Beseligung.

Diesem feenhaften Zauber dankt Diaz seinen Erfolg; denn seine Malerei an sich selbst, oder vielmehr seine Ausführung ist für die bürgerlichen Beschauer etwas abschreckend, da diese im allge- meinen die fein durchgeführte Malerei, recht sauber und recht verständlich, bevorzugen. Wenn er Dämonen statt der Frauen malte und Höhlen statt der blühenden Gärten, so würden die selben Vorzüge der Farbe seine Darstellungen nicht retten. Die Mehrzahl von Künstlern, die das Phan- tastische suchten, haben nur Schrecken und Alp- drücken gefunden. Diaz hat die Geistesgegen- wart, im wachen Zustand die schönsten Wunder einer erdichteten Welt zu träumen.

Die Fruchtbarkeit des Meisters ist unerschöpf- lich; denn die Phantasiedichtung hat keine Gren- zen wie die wirklichkeitsgetreue Nachahmung der

Bürger, Kuastkritik. II. 13

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Naturgegenstände. In diesem leuchtenden, duf- tigen Reich der Einbildungskraft, ist immer jemand zuhause, um ein Wort von Diderot bei Gelegenheit des Bildhauers Lemoine zu parodieren. „Er hat gut an der Tür des Genius anklopfen, es ist nie jemand da.*' Diaz würde an einem Tage zwanzig ganz verschiedene Skizzen zustande bringen, mit Elementen, die freilich dieselben sind, mit Sonne, Bäumen, Sammethaut und Schiller- stoffen. Was will man mehr?

Die öffentliche Anerkennung für Diaz datiert kaum von früher als dem Salon 1844, wo sein „Abstieg der Zigeuner" ausgestellt war. Seit zwei Jahren ist seine Malerei außerordentlich gesucht und wird zu teuern Preisen verkauft. Sein Über- fluß kann kaum ausreichen, wie groß auch die Lebhaftigkeit seiner Erfindungsgabe und die Ge- schwindigkeit seines Pinsels sei. Der glückliche Poet, der im Grunde vielleicht recht traurig isti Watteau, der Maler der galanten Feste, ist er nicht aus Herzeleid gestorben ?

Nichts wirkt so erheiternd wie die Bilder von Diaz. Das sind Blumen, kostbare Steine, Früh- ling und schöner Sonnenschein. Man hätte alle seine Bilder im Salon in einer Reihe ausstellen sollen, wie man es mit Ary Scheffer getan hat. Nach der ermüdenden Betrachtung jener Schlach- ten, in denen man sich gar nicht schlägt, all der Kirchenbilder ohne religiöse Begeisterung, der Landschaften ohne Luft, so viel grauer und

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kranker Malereien sonst, wäre man hier, in dem Feenreich von Diaz dazu gelangt, Gesundheit und Leben wiederzugewinnen.

Seine Gemälde sind jedoch überall verstreut. Eins der wichtigsten stellt „Verlassene" dar. Vier halbnackte Frauen in verschiedener Haltung weinen den schönen Zeiten der Liebe nach, wäh- rend Amor hinter den Bäumen der Landschaft entfliegt. Wie können doch so reizende Weiber ver- lassen sein ? ruft der „Artiste" mit Recht aus. Alle Welt wäre bereit, sie zu trösten. Die einen strecken sich auf dem Rasen hin wie Magdalenen, eine andere streckt ihre Arme aus nach dem entfliehen- den Amor, die vierte verbirgt ihr Gesicht in den Händen und den Wellen ihres blonden Haars; man sieht nur ihren feinmodellierten Rücken, auf dem ein blasses Halblicht zittert. Die Landschaft ist ein Waldinneres, das die duftigen Strahlen des Morgens liebkosen. Hoffen wir, daß mit dem Abend auch der Liebesgott sich wieder einstellt. Die Nacht ist ja für die Liebe da, wie man im Vaudeville behauptet, und der Tag ist geschaffen, unter diesen schönen Bäumen spazieren zu gehen.

Die Landschaft hat die erlesensten Vorzüge. Sie ist einige Tage bei Durand Ruel ausgestellt gewesen, und Meissonier hat sie sich gekauft; ja, Meissonier, der feinfühlige Maler der kleinen prächtig aufgeputzten Marquis, die so köstlich aus- geführt sind bis in die Nagelspitzen. Meissonier hat sich in diese glühende, wunderbar gewandte

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Malerei vernarrt, der man oft vorwirft, sie sei un- fertig. Er liebt diese angeblichen Farbenskizzen mehr als die glatten Porzellanbilder der heutigen Belgier. Meissonier versteht sich darauf, und hat damit einen Protest gegen die kleinliche Ausfüh- rung der Nachahmer vollzogen. Seid unbesorgt, einen Verboeckhoven oder einen Koekkoek kauft er sich nicht.

Was ist nun diese Landschaft? ein Wald- inneres mit blonden, roten, gelben, grünen Bäu- men, vergoldet von einem Licht, das überall auf- leuchtet, Gerank und Gewächs, das sich lustig durcheinander schlingt und an dem Stamm der Eichen emporklettert, um auch seinen Anteil am Sonnenschein zu erobern : mitten darin eine kleine Figur, deren harmonisches Rot den Blick konzen- triert. Es ist unmöglich, die Natur nicht anzubeten, wenn sie mit soviel Poesie wiedergegeben wird. Und Meissonier ist auch plötzlich abgereist in irgendeinen Wald, da er seinen Diaz gekauft hatte. Vielleicht kommt er als Landschaftsmaler heim. Hat er nicht schon in der reizenden Landschaft von Frangais die Figuren unter freiem Himmel gemalt ?

Der „Liebesgarten" gehört dem Herzog von Montpensier. Das ist etwas revolutionär für einen Fürsten. Die ehrsamen Konservativen werden in diesem Fall seinen Geschmack nicht teilen. Frank- reich würde ja nicht bleiben was es ist, wenn die Majorität der Wähler für eine solche Malerei stimmte. Da müßte ja die Revolution von vorn

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anfangen. Dieser ,Jardin des Amours" gleicht etwas dem berühmten „Jardin d'Amour" des Ru- bens, und sehr der Insel der Cythera, jener reizen- den Skizze von Watteau, dem einzigen Watteau, den unser Louvre besitzt. Von Watteau und Rubens abgesehen, gibt es kaum Entzückenderes bei allen Meistern. Man behauptet, es sei eine Skizze wie die Insel Cytheras. Meinetwegen; aber das Ideal vermag auch keine Wirklichkeit zu sein. Laßt doch die heutigen Belgier ihre Töpfe malen, daß Inan sie am Henkel fassen kann, und ihre Karotten, wie man sie in der Küche schabt; laßt doch die deutsche Schule traurige Zusammenstel- lungen im Sinne des Mittelalters zeichnen; Frank- reich darf sich glücklich preisen ob seines poeti- schen Geistes, seiner Phantasie und seiner Ori- ginalität.

Die Malerei von Diaz ist ebenso schwer zu beschreiben wie die von Ary Scheffer; aber aus entgegengesetzten Gründen. Scheffer wendet sich an die tiefinnerliche Fähigkeit des Menschengei- stes, deren Ausdruck der Sprache versagt ist. Nie- mals wird es dem geschriebenen Wort gelingen, die Physiognomie der Jungfrau von Orleans auf dem Scheiterhaufen zu schildern. Scheffer dürfte das versuchen, da er sich zu der göttlichen Be- geisterung des kreuztragenden Christus erhoben hat. Ebenso vermag Diaz, der sich durchaus an die Sinne wendet, an unsere Fähigkeit, die Natur und die Außenwelt zu genießen, Bilder hervorzu-

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zaubern, vor denen die größten Schriftsteller ihre Ohnmacht empfänden; denn das Verfahren des Schriftstellers ist indirekt im Vergleich zu dem des Malers. George Sand hat prachtvolle Land- schaften geschildert; aber immer noch muß der Leser selbst sich bei jedem magischen Wort die leuchtende Form der schönen Gegend hervorrufen, und das unendliche Detail hinzufügen, das sich durch die allgemeine Harmonie hinzieht.

Das Bild des Malers, so unbestimmt es auch sein mag, ist immer viel leibhaftiger und läßt dem Be- schauer weniger zu tun übrig. Da ist im Liebes- garten der Himmel mit seinem strahlenden Licht vorhanden, die Bäume mit ihren mannigfaltigen Farben, und die Frauen, die sich launisch auf dem Rasen strecken, und ihre schillernden Gewänder, die mit den Blümchen wetteifern, frisch wie der Tau und funkelnd wie die Sonne. Die außer- ordentliche Überlegenheit, die Diaz in seinem Können auszeichnet, ist die Eigenschaft der Farbe, die immer durch das Licht bestimmt wird. Er zeigt uns nicht einen Baum oder eine Figur, son- dern die Wirkung des Sonnenscheins auf diese Figur oder auf diesen Baum.

Die besten Maler, mit Ausnahme einiger fanatischer Koloristen, geben zuerst immer den jedesmaligen Gegenstand in einer Art Isolierung und Abstraktion, wenn man so sagen kann, und bringen dann erst den Einfluß der umgebenden Dinge darauf zur Erscheinung. Diaz dagegen malt

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das Allgemeine im Besondern, indem er gewisser- maßen das Ganze in jedem Teile widerspiegelt. Die Metaphysiker werden diese etwas spitzfindige Beobachtung vortrefflich verstehen; die Dichter auch, denn die wahre Poesie ist niemals der Sinn für das Einzelne gewesen, sondern immer das hohe Verständnis für die Harmonie und die Ge- samtheit; Dichter sein, heißt das universelle Leben in jedem Atom der Schöpfung fühlen.

Die „Orientalin" ist ein anderer Liebes- garten mit einer kräftigeren Wirkung und Grün- den von unvergleichlichem Wert. Hinter den Bäumqn mit breiten Blättern, die von der Himmels- glut gerötet sind, errät man die Gebäude des Harems und einige lebhaft gefärbte Gestalten. Ein anderes Bild „L'Abandon" betitelt, stellt ein junges nacktes Weib dar, das in einer Land- schaft sitzt und vom Rücken gesehen wird. In den Gegenden, die Diaz malt, hat man nie nötig, sich anzuziehen. Die Kunst des Schneiders ist in diesem sonnigen Klima unbekannt. Das kleine Gemälde hat wieder die feinsten Vorzüge.

Die „Leda" offenbart noch immer eine reiche Palette und entschiedenen Pinselstrich; der Fleischton erinnert an Correggio; aber der Zug der Zeichnung ist nicht so vortrefflich wie in den anderen Gruppen des Malers ; der Hals des Schwa- nes hat nicht jene geistvolle und zugleich wol- lüstige Zartheit, die der Maler der Serails hätte erträumen können.

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An anderer Stelle finden wir noch zwei Feen aus gleicher Familie, die „Weisheit" und die „Zauberin". Die Weisheit ist recht töricht, die kleinen Liebesgötter um sie her nicht zu erhören, noch den Lockungen der berauschenden Land- schaft zu folgen. Aber, sie ward schon auf die duftigen Kräuter hinsinken, gefangen von den Gir- landen, mit denen die heimtückischen kleinen Ge- fährten ihre keusche Nacktheit bedecken. Die „Zauberin" mit ihrer Wünschelrute braucht gar kein Wunder mehr heraufzubeschwören. Ist sie nicht selbst schon eine Welt voll Phantasie?

Diaz erscheint also mit Scheffer, Decamps, Delacroix, Lehmann und einigen anderen in den verschiedensten Gebieten als einer der Hauptaus- steller im Salon von 1846, wie er schon einer der lebenskräftigsten Maler unserer gegenwärtigen Zeit ist. Niemand übertrifft ihn an Poesie und an Farbe. Er ist nicht umsonst Spanier und hat sich in diesem Jahr stark genug gefühlt, seinen vollen Namen de la Pena zu tragen.

Man trägt ja immer die Farbe seines Landes. Sag' mir deine Farbe, und ich sage dir, wer du bist; denn alles ist im Einklang in der Natur. Die Belgier haben ihre Bierfarbe, die Spanier ihre Sonnenfarbe.

Oft sind wir in der Natur solcher Überein- stimmung der Farben nachgegangen, die niemals lügen, bei Menschen, bei Tieren, in der Vegetation, in allem. Die vlämischen Gäule sind grau gefleckt

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wie der Himmel Flanderns ; seht nur die Pferde von Rubens an. Die burgundischen Pferde sind pfir- sichfarben, wie die Winzer des Landes weinfarben aussehen. Die Pferde von Limoges haben am häu- figsten die Eisenfarbe, immer dunkel, wie die Vegetation des Landes. Der weiße Bär des Eis- meers hat die Farbe des Eises; der Schwan die Farbe des Schnees; der Löwe im dürren Afrika die Farbe des Feuers; die tropischen Vögel Gelb, Orange, Rot, funkelnd in der Farbe des Lichts. Das rote Rebhuhn hat die Farbe des Heidekrauts, das graue die Farbe des Brachackers ; die Wachtel ist strohblond; der Fuchs hat die Farbe des Buschholzes, der Hase die Farbe der Stoppeln, die Krähe die Farbe der Ruinen, die Hyäne die Farbe der Nacht; die Krickente die Farbe des Sumpfes; der Laubfrosch die Farbe der grünen Binsen; die Kröte die Farbe des Schlammes; die graue Eidechse die Farbe der Mauer.

Wir deuten hier nur eine Beobachtung an, die unseres Erachtens für die Künste höchst be- zeichnend und in der Malerei besonders wichtig ist; denn es gehen tausend Folgerungen für die Farbe und die Harmonie daraus hervor. Wer sich vor allem mit der Form beschäftigt, könnte übri- gens ähnliche Übereinstimmung in der Natur ent- decken. Die Form offenbart wie die Farbe die Be- stimmung und zeigt den Ort an, wohin die Ge- schöpfe gehören. Mit Hilfe dieser Idee hat Cuvier eine ganze untergegangene Welt wiederherzustellen

202 Diaz de la Pena

vermocht. Gebt ihm ein fossiles Fingerglied, er wird euch das Individuum zeichnen, dem es angehört. Die Wasservögel, die vom Fischfang leben, wie der Reiher am Gestade, haben lange Stelzen, um die sumpfigen Stellen zu durchschreiten, und lange Schnäbel, um den Fisch aus seinem durchsich- tigen Reich heraufzuholen; das Maultier hat eng aneinander stehende Beine, um auf schmalen Pfa- den zu steigen; der Hirsch des Hochwaldes trägt das Geweih auf seinem Kopf, um die Zweige aus- einander zu breiten. Der Einklang geht bis in das Wort; denn die Grundlage der Sprache selbst, wie die Grundlage aller Künste, ist die Analogie. Das Leben ist eins und in allen Dingen. Der Künstler ist derjenige, der Leben darstellt, gleich gut worin. (1846. I. 288—298.)

Es lebe die Sonne! Es lebe die Farbe! Die ambraduftenden Nymphen sollen leben und das opalfarbene Fleisch, das wellige Haar, die Stoffe mit ihren tausend Reflexen und das funkelnde Gestein, die poetischen Wälder, der buntdurch- wirkte Rasen, das wollüstige Licht und des Himmels unendliche Fernen! Es lebe das Leben! Das Leben allüberall in der unfaßbaren Luft, in der Landschaft, die ohne Unterlaß ihr Kleid wechselt, in den Blumen und Geschöpfen, die sich ihres Daseins freuen und in den Men- schenherzen, die so viel Leidenschaft bewegt!

Diaz de la Pena 203

Ganz gewiß 1 langweilige Malerei ist nicht unterhaltend. Wir alle haben genügend Lange- weile zu ertragen im öffentlichen und häuslichen Leben, so daß wir's den Künsten wohl zugute halten dürfen, wenn sie uns an die natürliche Natur ge- mahnen, an die „natura naturans*', wie die Alten sagten, die ewig fruchtbare und schwelgerische Natur, die so grausam tief mit unseren erkün- stelten Sitten und all den peinvollen Erfindungen einer verkehrten Welt in Widerspruch steht.

Der Geist der Antike belebte das Universum mit phantastischen Allegorieen. Er bevölkerte die Wolken und Sterne, Meer und Bäche, Wälder, Wiesen, Grotten und Berge mit Myriaden von Geistern und zierlichen Gottheiten. Und in der idealsten Form, der menschlichen Schönheit, wur- den die verschiedenen Einflüsse der Wirklichkeit ringsum verkörpert. Ein wahrhaft religiöser Sym- bolismus — ; denn er weckte im Menschen die Liebe zu den Bedingungen seines Daseins.

Im Gegensatz dazu hat das Christentum alles, was den Menschen mit der fluchbeladenen Erde verbindet, zerstören wollen. Es hat die Najaden ertränkt in ihren murmelnden Bäch- lein, die Dryaden am Fuß ihrer trauernden Eichen eingescharrt; es hat die Sylphen in der Luft ohnmächtig vergehen lassen und hat all die Geister, welche die antike Poesie herbeigerufen hatte, zur Hölle gesandt; es hat den Erdball in eine wüste Einöde verwandelt, in ein Tal der

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Tränen, über dem einsam Satans Schatten dahin- schwankt, und den Menschen, die vom Weinen erschöpft sind, seine tückische Kralle zeigt.

Im i6. Jahrhundert jedoch erlöst die moderne Renaissance die Welt von dem Fluche des Katho- lizismus, und dann bietet sich uns das Schauspiel, wie eine Menge von Märtyrern mit derselben Überzeugung wie die ersten Christen stoischen Mutes in den Tod geht, um die unwandelbaren Rechte des Lebens zu retten.

Seit drei Jahrhunderten ist die Menschheit bemüht, das düstere Leichentuch hinwegzureißen, mit dem der Katholizismus das allgemeine Leben verhüllt hatte. Seit den Valois herrscht im künst- lerischen und philosophischen Frankreich ein un- unterbrochener Protest zugunsten der Naturgemäß- heit und der menschlichen Freiheit. Als Rabelais den Panurgus und den Gargantua schuf, model- lierte Germain Pilon seine Frauen mit den langen Schenkeln und wollüstigen Hüften; während La- fontaine seine Fabeln schrieb, malte Poussin seine Bacchanalien; und während der Abb6 Pr^vost Manon prophezeite, ließ Watteau seine Schäfe- rinnen am Rande der Springbrunnen sich tum- meln. Das ganze 17. Jahrhundert steht im Zeichen einer einzigen Idee, der Rückkehr zur Natur und im Banne einer einzigen Liebe, der Liebe zur geistigen Freiheit und formalen Schönheit.

Hüten wir uns, diese ruhmvolle Tradition des modernen Gedankens unter dem Vorwand ver-

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fluchter Askese und unsinniger Prüderie zu ver- leugnen. Die Künstler sind die Priester, die jeden, der nur den Willen dazu hat, die Stimme der Natur verstehen lehren ; denn die Natur redet ohne Unterlaß zu uns in ihrer geheimnisvollen Sprache und heischt Bewunderung überall.

Diaz ist ein Fanatiker des Lichtes und der Farbe. Seine fixe Idee läßt ihn überall Sonnen- strahlen und das Funkeln kostbarer Steine er- blicken. Für ihn gibt es nur leuchtende, zitternde Freude in der Natur. Winter und graues Klima kennt er überhaupt nicht. Und er wäre niemals zu der Vorstellung gelangt, daß die Erde rund ist und vereiste Pole hat; denn er hat die Tropen niemals verlassen. So begeben sich auch die Be- wohner seiner Landschaften gern der Kleidung, und wenn sie sich schon irgendeine Gewandung leichter Art verstatten, so ist's ein Luxus und eine Farbenphantasie. Die Bäume und Blumen be- decken sich nicht mit fremdartigen Kostümen. Warum sollten denn die Frauen den Glanz ihrer nackten Schönheit verhüllen, die in den mannig- fachen Farbenabstufungen des Himmels und der Erde so harmonisch aufgeht? Um es nur gerade heraus zu sagen, selbst die Menschen sind bei Diaz nur Schmuckstücke und Nebensachen. Sie dienen nur zur Vervollständigung der landschaft- lichen Dichtung, und im Notfalle könnte man sie durch einen Rosenbusch oder den Lichtschein eines Strahles ersetzen.

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Was bedeutet nun also Diaz* Malerei? Sie bedeutet, daß die Wiesen des Menschen Herz allezeit mit Freude erfüllen, daß die Wälder uns allezeit ein herrlich Schauspiel darbieten, daß es wonnig ist, im Grase zu liegen, und den Tag durch die Blätter der Bäume schillern zu sehen, daß wir unrecht daran tun, wenn wir uns nicht oft an den Busen der Natur flüchten, und daß wir bessere Menschen sein würden, wenn v/ir ein bißchen mehr in freier Luft lebten. Übrigens, was bedeutet denn ein schöner Sonnenuntergang?

Ein Spaziergang im Walde von Fontainebleau trägt mehr zu unserer Vervollkommnung bei, als sämtliche Predigten des Abb6 Ravignan.

Im Louvre haben wir neun Predigten von Diaz, oder, wenn ihr so wollt, dieselbe Kanzelrede in neun Bildern: Das „Waldinnere", strahlend von Licht, mit einem Durchblick unter Bäumen, durchsichtigen Schatten und Sonnenergüssen auf moosbedecktem Boden. Ersten Ranges! Das „Bas-Breau** : große und schöne Bäume um ein wildes, sumpfiges Stück Land, wo eine Kuhherde lauter Prachtexemplare zur Tränke geht. Die „Hunde in einem Walde" bieten wieder den- selben malerischen Anblick und denselben Far- benreichtum; nur ist die Wiese noch buntfarbiger durch die kleinen Jagdhunde mit ihrem glänzen- den Fell, die nach allen Richtungen hin und her laufen wie Poltergeister in der Walpurgisnacht. Das „Geplauder", ein Kranz schöner Frauen in-

Diaz de la Pena 207

mitten einer Wiese; und von dem „Traum" wünsche ich euch, daß ihr ihn träumet, von der „Badenden", daß ihr sie überraschet, vom „Orient", daß ihr hingehet, ihn euch anzusehen, und von den „Algerischen Frauen" wünschte ich euch einige nach Paris. Überall die gleiche Üppigkeit und der gleiche Zauber. Ein Sonnenrausch.

Einen Mangel freilich hat Diaz' Begabung, und der ist, daß er nur eine Saite der Natur an- schlägt. Aber wir wollen ihn nehmen wie er ist; denn er hat das Glück, ein Auserlesener zu sein. Ein Maler ist nicht alle Maler. Und wir wollen uns dieses Teufelskerls von Koloristen freuen, in- dem wir auch für die anderen Werte in der Kunst unsere Sympathien bewahren, für die Melancholie und Gedankentiefe, für Korrektheit der Zeichnung und Großheit des Stils, für all die Bilder, die uns menschliche Leidenschaften in ihrer hin- reißenden Macht und verwickelten Tiefe ergründen lassen. Wir wollen Diaz und Ingres, Eugene Dela- croix und Ary Scheffer allesamt lieben. Wir wollen den Zeitgenossen und den erlauchten Toten gleiches Recht angedeihen lassen. Wir wollen Kränze winden für noch so verschiedenartige Ruhmestaten. Rafael darf uns niemals dazu ver- leiten, Rubens zu verleugnen; Claude Lorrain soll Hobbema nicht stören, und Murillo gelte dem Poussin gleich. (1847- i- 459^^0

VIII. Isabey Haffner Leleux - Roqueplan

Eugene Isabey Eugene Isabey gehört auch zu jenen Impro- visatoren, die nicht Muße haben, ein Gemälde völlig auszuarbeiten. Um aber ein befriedigendes Werk so im ersten Wurf zu schaffen, dazu gehört mehr als Talent, dazu taugt nur ein Genie. Die großen Meister sind in der Tat in ihren Entwürfen und in der geringsten Skizze bewundernswert. Oft hat sogar eine Skizze mehr Stil und Kraft als ein fertiges Gemälde. Aber diese hingeworfenen Stu- dien wollen nicht mehr sein, als Motive, die zur gewissenhaften und strengern Durcharbeit be- stimmt sind. Die „Begegnung des Königs Louis- Philippe und der Königin Victoria auf der Rhede von Tr^port" hat Glanz und Ursprünglichkeit ; die Farbe ist reich, aber falsch. Isabey ist in seinen anspruchslosen kleinen Seestücken glücklicher.

(1844. I. 27.)

Isabey entwickelt all seine gewohnte Koket- terie in der „Feierlichkeit", wo in einer Delfter Kirche seine Gestalten aus dem 16. Jahrhundert

Haffner 209

sich spreizen, steife und aufgeputzte Kavaliere mit Knieröcken in allen Farben und gestärkten Halskrausen; elegante, zierliche Weiblein, deren Köpfe über den weißen Brusttüchern schimmern wie Blumenbouquets über dem breit ausladenden Rand einer chinesischen Vase. Besonders ent- zückend ist das junge Mädchen, welches die Treppe hinaufsteigt. Und noch eine Menge sehr geist- reicher kleiner Gestalten ist da zu sehen, welche auf die liebenswürdigste Art von der Welt schön tun. Der architektonische Hintergrund ist prächtig in der Farbe. Einzig und allein die Lichtspiege- lung könnte man Eugene Isabey vorwerfen, die mit der nämlichen Intensität über das ganze Bild von einem Ende der Leinwand bis zum anderen gebreitet ist, über die Gesichter und Hände, die Spitzen, Seidenstoffe, Waffen und dekorativen Bauteile gleichermaßen. Es ist keine Gesamtwir- kung vorhanden, aber viel Geschick und viel köst- liche Frische in allen Einzelheiten.

(1847. I. 465.)

Haffner

Haffner ist ein echter, guter Maler, um einen Ausspruch Diderots anzuwenden, der Boucher sehr zu Unrecht einen falschen guten Maler und Heuchler genannt hat. Haffners Malerei ist frei- mütig und kraftvoll und gewährt einen packenden

Bürger, Kunstkritik. II. 14

210 Haffner

Anblick. Nach den schönen Kompositionen Eugene Delacroix*, den schimmernden Orienta* linnen von Decamps und nach Diaz' Feenmärchen gehören Haffners Gemälde zu denjenigen, welche die originellsten Eigenschaften besitzen. Er hat eine außerordentlich lebhafte Art, die Natur zu sehen; er weiß ihr Kontraste und Harmonien zu entlocken, die er dann mit einem bewundernswerten Wandlungsvermögen zum Vortrag bringt. Seine Technik rührt in den festen Partien seiner Bilder an die Technik von Decamps, mehr noch an die von Diaz, der gleichermaßen ein starkes Impasto und leichten Pinselstrich, grelle Akzente und aus- gebreitete Lasierungen verwendet. Er ist mit zwei unserer besten Landschafter in den Pyrenäen ge- reist und dort hat er sich seine glänzende Palette und den kühnen, geistreichen Pinselstrich ange- eignet.

Wer gute Malerei liebt, der wird unfehlbar vor dem „Stadtinnern" stillstehen; wir befin- den uns in Fuenterrabia an der Küste Spaniens. Unsere regelmäßigen, weißen und reinlichen Städte haben kaum etwas gemein mit diesen im Zickzack laufenden Straßen, diesen Häusern, die eines über das andere klettern, dieser phantasti- schen, vom Sonnenglast bronzierten Architektur. Die fächerförmigen Dächer, die vorspringenden Balkone, die dunklen Vertiefungen und bunten Mauern dieser südländischen Städte sind ungemein malerisch. Haffners „Interieur" stellt eine enge

Haffner 211

Straße dar mit weitläufigen Galerien, die wie Brücken zwischen den Häusern hängen. Zur Lin- ken eine zerbröckelnde Mauer, von der sich eine entzückende Gruppe von zwei jungen Mädchen zu Pferde und ein in seinen schweren Mantel ge- hüllter Mann abheben. Wenn ihr Führer dem Soldaten Dagobert ähnlich sehen würde, so könnte man diese beiden, kokett auf ein und demselben Pferde zusammengekauerten kleinen Mädchen für Rose und Blanche aus Eugene Sues „Ewigem Ju- den" halten; aber ihr geheimnisvoller Begleiter ist ganz einfach ein Bergbewohner mit breitkrem- pigem Hut und geflochtenen Schuhen. Diese Männergestalt ist zu kurz geraten. Ganz links, gegen die Mauer gedrückt, ein kleiner Zigeuner- junge, schwarz und halbnackt wie Murillos „Laus- bub". Decamps hat niemals eine solidere und leuchtendere Mauer gemacht; rechts ein Spring- brunnen mit ein paar Frauen in zierlicher Hal- tung.

Auf dem zweiten Bilde gibt es „Katalonische Kupferschmiede" bei der Arbeit vor einer Art Po- sada, die rechts von grünen Bäumen beschattet ist. Sie beugen sich über ein glühendes Kohlenbecken, während zwei aufrecht stehende Frauen ihnen zu- schauen; eine neugierige Magd, auf die Terrasse der Posada gelehnt, macht ihnen Zeichen mit leb- haftester Miene. Unser alter Bekannter im schwe- ren Mantel pafft, gegen einen Pfeiler gelehnt, stillvergnügt vor sich hin, und im Vordergrunde

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ist der Packesel stehen geblieben, mit seinem großen, melancholischen Kopf im Profil. Dies er- innert an die Wirtshäuser des Cervantes im „Don Quichote" und vor allem in seinen „Novellen". Die Ausführung dieses Bildes ist leichtflüssig, wenn auch höchst kräftig. Das Gewebe der Lein- wand scheint an mehreren Stellen unter der Farbe durch; so ist z. B. der Esel mit dünnem Auftrag gemalt, aber mit lebhaften und genialen Ak- zenten aufgehöht. Der obere Teil des Hauses, wo die junge Magd ihr lustiges Gesicht zeigt, schimmert wie die Geschmeide von Diaz.

Das „Innere eines Bauernhofes** ist eine Er- innerung aus den Landes, diesem merkwürdigen Stück Erde, wo Himmel und Vegetation Nuancen annehmen, die nirgend anderswo zu finden sind. Ein junges Mädchen schöpft Wasser aus einem Brunnen, der die Mitte des Hofes ziert; eine andere Frau wäscht in einem Trog, und ein junger Bauer trägt auf dem Kopf einen vollen Krug davon; links Gebäude, rechts das Feld imd ein dichter Zaun. Das Gras ist so grün wie gewisse Moos- arten in unbetretenen Wäldern, und der Himmel dunkelblau, in der Tonart der ägyptischen Himmel von Marilhat gehalten. (1846. l. 332—335.)

Haffner hat, im selben Geschmack wie Cou- ture, ein sehr schönes Porträt Brustbild von Mme. de W . . . gemalt. Die Dame ist in Drei-

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viertelansicht, nach rechts gewandt; schwarzes Haar, bloßer Hals, schwarzes Kleid mit einem Spitzensaum, der sich von der Haut abzeichnet: Das erinnert an die dick aufgetragene, lebendige Malerei von Maas und den vlämischen Meistern des 17. Jahrhunderts; üppige, kecke Malweise, kräftige und harmonische Farben, einfache, richtige Wir- kungen; dazu ein geistreiches, ausdrucksvolles Ge- sicht. Haffner ist ein Künstler, der seinen Weg machen wird, auch der Jury zum Trotz.

(1847. I. 486.) ^^

Adolphe Leleux Adolphe Leleux ist ebenfalls einer von unseren besten Malern für Bilder, die gefühlsmäßiges Er- fassen der äußeren Natur mit unbefangener und wahrheitsgetreuer Charakterisierung der Personen in sich vereinigen. Diese Harmonie zwischen den Figuren und der umgebenden Landschaft ist heut- zutage sehr selten. Die Genremaler, wie man sie nennt ich weiß nicht warum , ordnen ihre Personen gewöhnlich in irgendeinen kleinen ge- schickt zusammengestellten Schauplatz ein, wo das Zubehör nur geringe Bedeutung hat : meistens ist es eine Stube, weil damit die Schwierigkeiten des freien Himmels vermieden werden. Die Land- schafter ihrerseits begnügen sich gemeinhin damit, das Erdreich, die Bäume und den Himmel zu malen, ohne sie durch Auftritte aus dem mensch-

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liehen Leben zu bereichern. Die Mischgattung, worin Mensch und Natur einander wechselseitig erklären und ergänzen, bringt die Schubfachleute in Verlegenheit. Decamps ist z. B. gleichzeitig Landschafts-, Historien- und Genremaler. Auch Watteau schmückte seine entzückenden Land- schaften mit galanten Personen aus, die sich wie Blumengebüsche zusammenschmiegen. Fast alle Meister, mit Ausnahme einiger Holländer, die sich der See oder den Wäldern allein widmeten, haben mit gleicher Überlegenheit die verschiedensten Er- scheinungen der lebendigen Welt gemalt. So brauchte sich Rubens nicht erst jemand zu suchen, der die Landschaft zu seinem „Liebesgarten'*, noch Aelbert Cuyp einen, der die Hirten auf seinen Weideplätzen oder die Herrchen in seinen Wirts- häusern am Saum der Landstraße gemalt hätte. Bei den Italienern waren während der Blütezeit jene unfruchtbaren Unterscheidungen von Histo- rienmalern und Baumschlagpinslern gänzlich un- bekannt. Tizian hat die schönsten Landschaften von der Welt gemalt. Und seht nur recht hin, wie Giorgione die Natur wiedergab in seinem „Ländlichen Konzert", Correggio in seiner „An- tiope", Tintoretto in seiner „Susanna im Bade" ! Es war eine höchst sonderbare Idee der Hollän- der und Vlamen, daß sie sich mitunter zu zweit und dritt zusammentaten, um ein Bild zu machen, so Ruisdael und Berchem, Breughel und van Baien, Baut und Baudouin, ja sogar Wynants und

Adolphe Leleux 215

Adrian van de Velde. Es ist gar kein Grund vor- handen, warum sich nicht auch gleich ein Dutzend Leute hinsetzen sollten, um an ein und demselben Bilde zu malen, und in Wahrheit ist auch dies probiert worden. Denn bedurfte Ruisdael wirklich eines Berchem, der viel schwächer ist als er? Machte denn Adrian van de Velde nicht selber bessere Landschaften als Wynants?

Der wirkliche Maler vermag alles zu malen, wenn er nur will. Hat nicht Pieter de Hooch Landschaften und Freilichtszenen gemalt, ebenso außergewöhnlich in ihrer Art, wie seine Interieurs ? Beweis : Das „Kugelspiel" in der Auktion Perier und einige Gemälde in den holländischen Samm- lungen, insbesondere bei Herrn van der Hoop zu Amsterdam. Metsu wurde einmal ein Vorwurf dar- aus gemacht, daß er seine Personen immer kokett gekleidet und in Innenräumen befindlich male. Alsbald machte er sich ans Werk, zu beweisen, daß er gleichermaßen anatomisches Wissen, wie Kennerschaft in Seidenstoffen besaß, und daß er sich im vollen Licht der Sonne genau so zu Hause fühlte, wie im Dämmerschein eines Salons. Er malte eine herrliche, von einem Fluß durchzogene Landschaft mit einem Jäger, der sich am Ufer des Wassers entkleidet, um zu baden. Dieser Jäger ist das Selbsporträt Metsus, Kopf und Körper. Ein Wunder an Kenntnis und Natürlichkeit. Der wuchtige, kühne und kluge Kopf Metsus ähnelt ein wenig demjenigen Rembrandts. Der Rumpf

216 Adolphe Leleux

und die Glieder sind untadelig und dürften gegen- über den kritischen Blicken eines ganzen Kon- zils von vereinigten Anatomen und Akademikern standhalten. Neben dem Jäger ist ein schöner, langhaariger Jagdhund, eines Fyt oder Gryef wür- dig; links, an einem Baume hängend, ein Hase und erlegtes Wild, wofür Weenix seinen Namen hergeben könnte ; im Mittelgrund, auf einer kleinen über den Bach führenden Brücke angelehnt, ein Landmann, den man für eine Gestalt von Ostade halten könnte. Die kraftvolle Harmonie in der Landschaft, der saftige Pinselstrich und die Licht- wirkungen haben einige Verwandtschaft mit dem zauberischen Stil Rembrandts. Die Signatur be- findet sich auf dem Flintenkolben. Durch dieses Meisterwerk hat Metsu erwiesen, daß er F)^, oder Weenix, oder Ostade ebensogut hätte sein können und daß die Kunst überall zu Hause ist. Wir haben dieses berühmte, von verschiedenen Schrift- stellern erwähnte Bild in der schönen Sammlung des Herrn Tronchin in Genf gesehen zwischen erstklassigen Claudes, van de Veldes und Wouwer- mans; denn w^enn Genf auch keine Künstler be- sitzt, w^enn sein Museum auch unbedeutend ist, so birgt es doch mehrere vornehme Privatsamm- lungen, wie unter anderen die der Comtesse de Sellon und die des Herrn Bertrand, der einen un- vergleichlichen Hobbema besitzt.

Landschaft und Gestalten finden sich bei Adolphe Leleux in vollendeter Harmonie. Das

Adolphe Leleux 217

rauhe Nest paßt zu der Brut von Schmugglern und Zigeunern darin. Leleux ist ein Bretone von gutem Schlage, mit einem originellen braunen Schädel, der an Alphonse Karr erinnert. Um 1836 begann er den Salon mit einfachen, schlichten Studien aus der unteren Bretagne zu beschicken, in denen er, ohne daran zu denken, die Empfin- dungswelt des Adrian van Ostade zu neuem Leben erweckte, einzig und allein deshalb, weil er die Natur mit einfachem Sinn und ohne Vor- eingenommenheit ansah. Irgendein Bauerntanz war es, vor einer Schenke, ein Gehöft, oder ein Stall; aber bald zog es ihn nach dem Süden, der ja alle Koloristen lockt. Im Orient sind Decamps und Marilhat zu Malern geworden, und Delacroix hat in Marokko gereist. Diaz ist vielleicht der einzige, der sich's im Walde von Fontainebleau genügen ließ. Es wird nirgends erwähnt, daß Diaz jemals ein Serail von Konstantinopel betreten hat. Aber Diaz hätte wie man so sagt das Zeug dazu gehabt, die Türkei zu erfinden, wenn die Türkei nicht da wäre. Als geschickter Politiker müßte der Sultan Decamps und Diaz an seinen Hof berufen, um seine in Verfall geratene Herr- schaft sicherzustellen und seine Völker alle poeti- schen Reize des Türkentums kennen zu lehren. Adolphe Leleux' Reisen führten ihn nicht weiter als in die Pyrenäen, nach Navarra und nach Aragonien. Von daher brachte er seine „Zi- geuner" an der Tür einer Posada, im Salon von

218 Adolphe Leleux

1843 'y seine „Kantonnisten" vonNavarra, 1844, zwei ausgezeichnete Bilder, deren sich alle Künstler er- innern; 1845 stellte er die „Abfahrt zum Markte'* aus, die wir seither im Foyer des Odeon wieder- gesehen haben. Im diesjährigen Salon verdienen die „Spanischen Schmuggler" in erster Linie ge- nannt zu werden. Auf abschüssigem Gelände, in einer Art Hohlweg von Felsen kesseiförmig eingeschlossen, mit Bergen und Wäldern im Hin- tergrund, erscheinen die kühnen Betrüger; ihnen voran ein junger Bengel, der zwei eifrige Spür- hunde an der Koppel hält. Ob die Grenzwächter schon vorüber sind? Nun, unsere Schmuggler sind entschlossen, ihre Freiheit und ihr Gewerbe zu verteidigen. Es sind kräftige, an alles gewöhnte Kerle, die ihre Berge in- und auswendig kennen. An ihrer entschlossenen Haltung und ihrem wilden Aussehen erkennt man, daß sie mit ihrer Um- gebung wohlvertraut sind. Leleux erfaßt auf das Wunderbarste das Fremdartige des Typus und das Eigentümlich-Charakteristische von Menschen, die außerhalb der Zivilisation leben. Auf dem Felsen im Vordergrunde sind große, energisch ausgeführte Schattenpartien und am Horizonte kühne Einschnitte, welche der ganzen Szene einen höchst dramatischen, schreckenvollen Ausdruck verleihen.

Die „Heumacherinnen** in der Niederbretagne schreiten wie eine ernste Prozession in einer Reihe dahin, auf einem das Heideland durchquerenden

Adolphe Leleux 219

Pfad, der von dichtem, dunklen Buschholz ein- gefaßt ist. Feierlich tragen sie die Werkzeuge ihrer Feldarbeit, Heugabeln und Harken, auf den Schultern. Die einen singen mit melancholischer Stimme irgendein altes Lied, die anderen träumen vielleicht einem unklar-poetischen Gedanken nach, wie die Jeanne der George Sand. Man empfängt die Ahnung, daß ihnen die Arbeit eine religiöse Pflicht ist und zu gleicher Zeit ein Fest. Das Volk der einsamen Fluren behandelt die Erde immer noch wie eine segenspendende Göttin, deren Altäre es verehrt, und häufig paßt sich sogar der katholische Kultus den ländlichen Zeremonien an. In manchen Provinzen Frankreichs begegnet man zuweilen im Frühjahr an den kleinen, grünenden Wegen und längs der jungen Saatenstriche dem Kreuze und dem Banner mit dem Pfarrer und dem Küster im Chorhemd, begleitet von der Menge der Feldarbeiter, die Bittpsalmen singen; das sind alljährliche Gebete an den Himmel, damit er die Ernte segne.

Leleux' „Heumacherinnen*' haben die Erinne- rung an solche ergreifende Feierlichkeiten erweckt. Ihre stille und ernste Haltung läßt auch an die alten Druiden denken, deren Bild in dieser an heiligen Steinen, an Dolmen, und an Tradi- tionen aller Art urtümlicher Kulte so reichen Ge- gend niemals ganz ausgetilgt ward.

(1846. I. 335«.)

220 Adolphe Leleux

Adolphe Leleux hat zwei Bilder im Salon carr6. Er verdient es wohl. Das kleinere stellt die ,,Rückkehr vom Markte" dar, in der Nieder- bretagne. Die Figuren sind nur einen Zoll hoch; aber sie haben ein so eigenartiges Gebahren, einen so freimütig hervortretenden Charakter, von un- verfälschtem Bretonentum, daß man ihnen alles zutraut, was zu einem weltfremden Dasein gehört. Ihr könnt gewiß sein, daß in dieser kleinen Gruppe von groben Rinderhirten und braimen Viehmägden kein Französisch gesprochen wird.

Die „Jungen spanischen Hirten** sind größer in den Proportionen. Buben und Mädels wälzen sich bunt durcheinander in dem roten Grase, zu einem Klumpen zusammengeballt wie Adler im Horst, und spielen mit kleinen Hunden. Ihre kupferbraunen Gesichter, die wirren Haarschöpfe, der etwas tierische Mund, hinter dem sich Zähne von Elfenbein verbergen, ihre ungestümen Bewe- gungen, ihre Kleidung von der Farbe verbrannten Mooses, die rauhe und unfruchtbare Gegend, der helle, aber sturmbewegte Himmel, all dies erzählt von einer eigenartigen Rasse und einem verlorenen Winkel in irgendeiner unzugänglichen Sierra.

Die „Hirten aus den Landes** haben ebenfalls ihre autochthonen Merkmale. Sie kommen von der Weide auf ihren „Siebenmeilenstelzen" und reichen mit dem Scheitel bis an die Dächer der Hütten. Das Bild ist sehr kräftig in der Farbe.

Leleux' Meisterwerk aber im Salon von 1847

991 Adolphe Leleux ^'"-

ist nicht eine Szene aus den Pyrenäen oder aus der Bretagne, sondern das Selbstportrat des Kuns - lers- ein schöner Kopf; sicherlich steht er überall seinen Mann, wo Mut und ursprüngliches Wesen erforderlich sind. (■«47. i- 486.)

Leleux- Selbstporträt gibt den Kopf von vorn eesehen, die Gesichtsfarbe ist gebräunt, das Auge von schönen Brauen beschattet; die Haare sind schwarz und kurz gehalten. Unter den Schultern schneidet das Bild ab. Kein Beiwerk, neutraler Hintergrund. Eine energische, charakteristisch mit großen Pinselstrichen ausgeführte Malerei, wie die Porträts der venezianischen Meister.

(i847- I- 483-)

Adolphe Leleux - Landschafter oder Genre- maler? Er ist vor allen Dingen ein Maler bre- tonischer Sitten und Gebräuche. Seine „Hochzeit in der Bretagne" ist eins der guten Gemälde im Salon Es ist voller Leben und Frohsinn, ist cha- rakteristisch in der Wiedergabe der Personen und der sie umgebenden Sphäre von Licht und Luft. Adolphe Leleux hat noch eine andere bretonische Dorfgeschichte, den „Kaufvertrag" und die „Fi- scher" ausgestellt. (>«ö3. H- ^85.)

222 Armand Leleux Camille Roqueplan

Armand Leleux Armand Leleux folgt seit zehn Jahren seinem Bruder unausgesetzt Schritt für Schritt nach. Auf die Pyrenäen antwortet er mit dem Schwarzwald; auf die bretonischen „Heuerinnen*' mit den „Bäu- erinnen aus den Alpen". Sehr geschickt sind seine kleinen Figuren, der „Blumenstrauß", der „Mor- gen" usw. gemalt; ein feines Farbenempfinden steckt in ihnen. Überdies hat sich Armand Leleux neben Adolphe eine gewisse Eigenart gewahrt. Letztes Jahr brauchten seine „Zingari" aus der venezianischen Lombardei und seine „Badenden" aus dem Schwarzwalde durchaus keinen Vergleich zu fürchten. (1846. I. 340.)

^^

Armand Leleux, Adolphes Bruder, ist Genre- maler geblieben selbst während er in Rom wohnte und römische Gegenstände malte, wie seine „Apo- theke eines Kapuzinerklosters" zu Rom, oder seine „Fahrenden Sänger" auf der Piazza Barberini. Die Klosterapotheke mit zwei Mönchen, die Me- dizin für einen Bauern bereiten, ist mit zartem Pinsel gemalt. (1863. 11. 386.)

^^

Camille Roqueplan Camille Roqueplan gehörte ehedem auch zu dieser anmutigen Plejade, welche die malerischen und koloristischen Vorzüge bewahrte, und deshalb

Camille Roqueplan 223

alle Sympathien der vornehmen Welt und der hüb- schen Frauen genoß. Seit seinem Aufenthalt in den Pyrenäen hat er seine Manier etwas ge- wechselt; seine Zeichnung ist fester geschlossen, seine Farbe weniger verschwimmend, seine Stim- mung aber melancholisch geworden. Er behandelt das Licht mit zarterer, abgeklärterer Harmonie; er gestaltet seine Personen charakteristischer und verleiht dem Relief der Formen mehr haltbaren Bestand. Ist nun diese Metamorphose des Malers seinem Talente zustatten gekommen? Vielleicht. Ich für mein Teil liebe seine „Bergbewohner", die ihren Reisepaß beglaubigen lassen, oder seine Landschaft von der spanischen Grenze ebenso sehr, wie irgendeine von seinen früheren Male- reien.

Auf der „Paßvisitation** ist ein Bauer in auf- rechter Haltung, der sich in seiner malerischen Tracht, mit seinem Filzhut und dem gebräunten Gesicht von einer weißen Mauer abhebt. Ein großer Hund, von jener Rasse voller Mut und Aus- dauer, die an allen Abenteuern des Gebirgsbewoh- ners teilnimmt, sitzt zu seinen Füßen. Rechts ein halbnacktes Kind, das sich an der Sonne wärmt; links steigt einer von den Bauern zwischen neu- gierigen jungen Mädchen eine Treppe hinauf. AU dies muß das Bild des Landes und die Individualität seiner Bewohner auf das Wunderbarste wieder- geben.

Die „Bauern aus dem Tal von Ossau** sind

224 Camille Roqueplan

eine Wiederholung des Aquarells, das im großen Maßstabe für das Album der Herzogin von Mont- pensier ausgeführt wurde. Ich weiß nicht, warum in dem Album dieser Zug der Bergbewohner „Die Flucht nach Ägypten" genannt worden ist. Zweifels- ohne wegen der Bäuerin auf dem Esel und wegen des jungen Landmannes, der ihn führt. Aber der Bursche da würde sich schönstens dafür bedanken, den heiligen Joseph zu spielen.

Die kleine Landschaft ist voller Licht und, vornehmlich in den Gründen, sehr zart gemalt; zu zart vielleicht für die Darstellung einer wilden Gegend und eines stark zerschnittenen Terrains.

Man hat behauptet, daß Camille Roqueplan sich mit diesem neuen Stil ein wenig dem Stil von Adolphe Leleux nähere. Aber das Verwandte liegt mehr im Stoff, in den Kostümen und in der örtlichen Beschaffenheit des Lichtes, als in dem Empfinden, welches die beiden Maler beseelt, oder in ihrer beiderseitigen Technik. Auf Roqueplan hat jene gewisse stille und ernste Hoheit Ein- druck gemacht, welche sich in der Haltung und der Physiognomie dieser Kinder der Berge aus- prägt, während Adolphe Leleux sie von ihrer wil- den und abenteuerlichen Seite erfaßt. Camille Roqueplans Ausführung ist nüchtern, logisch und korrekt. Dagegen ist die Malweise Adolphe Le- leux' lebhafter, leidenschaftlicher; sie bemüht sich mehr um die richtige Wirkung, als um Vollkom- menheit im Detail. Leleux hütet sich sehr davor,

Camille Roqueplan 225

seine Hirten zu kämmen und zu waschen. Ohne Umstände und ohne Künstelei nimmt er sie her, an einer Felsenecke, auf dichtem Heidekraut, mit ihren Tierfellen angetan, wie die Hirten zu Ho- mers Zeiten, oder sogar auf ihren hohen Reiher- stelzen, auf denen sie mit langen Schritten die Steppen durchqueren. Roqueplan seinerseits gibt ihnen die Muße, ihre schönen braunen Jacken anzuziehen, um in die Stadt zu gehen, oder sich über die Grenze zu wagen. Roqueplans Berg- bewohner denken bereits daran, auszuwandern; diejenigen Adolphe Leleux' haben die Ebene nie- mals gesehen und ahnen nichts von der Zivili- sation. (1847. I. 466 f.)

Bürger, Kunstkritik. II. 15

IX.

H. Vernet A. Couder J. Gigoux

Horace Vernet

Horace Vernet nimmt in der Ausstellung den größten Raum ein, und sechs Seiten im Katalog. Die Wegnahme der Smala des Abd-el-Kader er- streckt sich nördlich bis über die Sintflut von Girodet, südlich bis über die Kreuzabnahme von Jouvenet, und nimmt die ganze Wandung gegen- über dem Eingang in den großen Salon ein. Dieser bevorzugte Platz hat wohl die Ausdehnung der Leinwand bestimmt; einen andern Grund ver- mögen wir wenigstens nicht einzusehen. Die Länge beträgt ungefähr hundert Fuß. Solch ein großes Bild auf Leinwand ist noch nicht gemacht worden. Freilich, es ist eine Reihe von Episoden, die sich endlos weiterziehen könnten oder sich in reizvolle Genrebilder für sich absondern ließen. Das Genie aller italienischen Meister hätte nicht ausgereicht, einer solchen Komposition Einheit zu geben. Man darf also nicht erwarten, von einem Haupteindruck gefesselt zu werden. Man kann beliebig links oder rechts anfangen, diese Reihenfolge französischer Soldaten, Araber auf der Flucht, verzweifelter

Horace Vernet 227

Frauen, durcheinandergejagter Herden zu prüfen. Es sind überall vereinzelte Gruppen, deren jede ihren eigenen geistvoll ausgeprägten Charakter trägt. Aber es sind Motive für Lithographie, eines Charlet und Raffet würdig; ein Gemälde ist das nicht.

Nichtsdestoweniger ist das Interesse, das die Smala einflößt, allgemein. Die Ehegatten erklären ihren Frauen die Episoden, die Väter ihren Kin- dern, die Rittmeister den Rekruten. Man muß nur all diese Gespräche hören, die eine Viertelmeile lang vorhalten: „Sieh da, wie der Kerl einen famosen Hieb herunterhaut. Sieh, der da nimmt mit seinem Gelde Reißaus I Halt, da ist ein Frauenzimmer, das kopfüber vom Kamel herunter- purzelt. Wie die Herden übereinanderstürzen. Und wie die Soldaten mit flammenden Augen so schnei- dig vorgehen. Es ist ein wunderbarer Erfolg, und im Cafd de la Smala am Boulevard wird das Ganze auf die Wände gemalt T*

(1845. I. 119. 158.) ^^

Die beiden am sichersten gemalten Porträts im Salon 1845 sind die des Grafen Mol^, Justiz- ministers im Jahre 1813, und eines „Ignoranten- bruders*' von Horace Vernet.

Das Porträt des Grafen Mol^ ist in demselben harten und scharfen Farbensystem gehalten, wie das Porträt des Herrn Pasquier im vorigen Salon.

15*

228 Horace Vernet

Statt des violetten Überwurfes und der gelben Kappe haben wir jedoch eine schöne Robe von amarantrotem Sammet.

Das Porträt des Frere ignorantin ist einfacher. Der Stoff seines schweren schwarzen Gewandes ist ein Wunder der Ausführung. Der Kopf ist gut modelliert, hartnäckig und gemein, wie es sich für einen Lehrer der Kinder des 19. Jahrhunderts ge- ziemt. Die Gestalt hebt sich gut von der Mauer ab, die unglücklicherweise einen abscheulichen gelben Ton hat. Harmonie der Farben ist nicht der Vorzug Horace Vernets. Aber er gehört der guten soliden und positiven Schule an, die von David herkommt. Es besteht eine gewisse Ähn- lichkeit zwischen diesen beiden Porträts und dem Pagnests, das im Louvre ist. Es ist eine etwas vul- gäre und schwerfällige Schule, die immer nach Wirklichkeitstreue gestrebt hat, ohne sich viel Ge- danken zu machen und in Verlegenheit zu kom- men. David, Gros, Pagnest, Gericault sind, ab- gesehen von aller Verschiedenheit ihrer geistigen Begabung, Meister einer sichern Praxis des Malens, die heute verloren ist. Man zeichnete eine Figur mit weißer Kreide und einigen Druckern in schwarzer Kreide, und setzte dann ohne weiteres die Farbe auf die unbemalte Lein- wand, wie man sie in der Natur sah.

Ich bilde mir ein, daß man im 17. Jahrhun- dert, zur Zeit des Lebrun, auch so gemalt haben muß; denn die Schule Napoleons gleicht der

Horace Vernet 229

Schule Ludwigs XIV. nicht allein in dem aufge- blasenen Stil von lächerlicher Grandezza, sondern auch in den kleinsten Teilen der Ausführung; ebenso wie die Kunst der Pompadour der Kunst Dianas von Poitiers gleicht, Coustou dem Germain Pilon, und Frangois Lemoine dem Primaticcio. Die Künstler hängen viel mehr als sie vermuten von der Mode und den Vorurteilen ihrer Zeit ab.

Horace Vernet hat die Vorzüge und die Mängel dieser realistischen Manier, die gegen die Schönheit und die Gesamtwirkung eines Bildes sehr gleichgültig ist. Heutzutage quält man sich ab, oder^ quält die Ausführung, kommt hundertmal mit Halbtönen und Lasuren auf einen hingesetzten Ton zurück. Es hat nie mehr Kunstgriffe in der Malweise gegeben, als in der heutigen Schule. Aber, wenn die Praxis auch weniger nüchtern und sicher ist, hat sie doch mehr Überraschendes, Man- nigfakigkeit, Glanz und unerwartete Originalität; sie findet Bewegungen, Kontraste, zufällige Wir- kungen, Charakter und Harmonie heraus, die der alten Schule niemals beikommen.

Es gab auch im Gefolge Davids einen andern Zweig der Schule, der das gute, flott auf den ersten Wurf hingesetzte Impasto verschmähte, und, im Gegensatz dazu, viel Öl anwandte, die Farbe verdünnte und eher furchtsam hinstrich als fest auf die Leinwand setzte. Girodet und einige andere vertreten dies System, dessen Ergebnisse heute vor Augen stehen. Ihre Büder, die nur

230 Horace Vernet

einige Lustren alt sind, halten sich nicht mehr, das Öl verdunstet in wenig Jahren, ihr Farben- auftrag springt, die Schuppen lösen sich ab und lassen die Leinwand nackt. Man vermag an der „Psyche" und an der „Sintflut" diese Schäden sehr leicht zu erkennen. Diese Maler werden also an dem gestraft, womit sie gesündigt haben. Unsre Rafaels vom Anfang des Jahrhunderts werden der Nachwelt kein einziges unverdorbenes Gemälde hinterlassen, nach dem man sie beurteilen könnte. Freilich sind sie ohnehin schon abgeurteilt und aus der Überlieferung gelöscht.

Man könnte der Schule von Ingres dieselbe Geringschätzung des Impasto und der Farbigkeit vorwerfen. Es ist eine ganz seltsame Ketzerei: in einer bildenden Kunst, wie die Malerei, die Be- deutung des materiellen Verfahrens zu verneinen und die Hilfsmittel der Technik, die zum Aus- druck eines Gedankens und eines Bildes helfen können, zu verschmähen. Freilich bleibt es w^ahr, daß die Inspiration, der Gedanke, das Gefühl für Schönheit und Stil der Praxis vorausgehen müssen. Aber, einmal im Zuge, durch die Form ihren idealen Inhalt zu versinnlichen, sollte man doch die besten Methoden anwenden, die das Ergebnis früherer Erfahrung sind. Weshalb setzen sich also die Schüler von Ingres in den Kopf, gegen Farbe und Impasto protestieren zu wollen?

(1845. I. i68ff.)

Horace Vernet 231

Horace Vernet hat die Trompetenstöße der Kritik nicht mehr nötig. Die Trompeten unserer afrikanischen Armee genügen, seinen Ruhm zu verkünden. Seit Charlets Tode hat niemand die französischen Truppen besser dargestellt als Horace Vernet. Die „Schlacht bei Isly", das würdige Gegenstück zu der „Smala** vom letzten Jahre, ist im gegenwärtigen Salon dasjenige Bild, welches zusammen mit den königlichen Festlichkeiten zu Windsor und in den Tuilerien das Publikum am allermeisten gefesselt hat. Die offiziellen Maler haben die Gewissenhaftigkeit besessen, ihren Bil- dern unten eine Erklärungstafel für die darge- stellten Personen beizufügen. Auf dem Anhängsel von Horace Vernets Gemälde führen die Offiziere den Titel „Herr" ; Unteroffiziere und gemeine Sol- daten sind schlechtweg bei ihrem Namen genannt : Kavallerieunteroffizier so und so, Reg. Chasseurs d'Afrique, gefallen; Herr Hauptmann so und so usw.; das ist eine von der Rangordnung gebotene Anstandsregel, Die Angehörigen der Opfer unserer afrikanischen Armee, die aus den unteren Volks- schichten stammen, haben das am Ende gar nicht bemerkt. Es muß aber doch gesagt werden, daß die Mannschaften mit der gleichen Tapferkeit und der gleichen Vaterlandsliebe in den Tod gehen wie die Offiziere.

Die „Schlacht bei Isly" ist genau so wenig ein Gemälde wie die große Leinwand der „Smala". Sie ist ein strategischer Plan, der höchst inter-

232 Horace Vernet

essant sein mag für die Krieger des 19. Jahrhun- derts und für die Herausgeber militärischer Chro- niken. Horace Vernet ist, glaube ich, bereits mit van der Meulen, dem stillen Geschichtschreiber der Paraden Ludwigs XIV., verglichen worden, obgleich unsere Kämpfe in Afrika etwas mörde- rischer sind, als die kriegerischen Evolutionen in Flandern im 17. Jahrhundert. Indessen darf man von Horace Vernet keineswegs wütende Hand- gemenge erwarten, wie in den Schlachten des Sal- vator Rosa oder des Bourguignon, wohl aber dra- matische, lebhaft aufgefaßte und geistvoll wieder- gegebene Episoden. Die „Schlacht bei Isly" zer- fällt ihrer Wirkung nach in vier Episoden: links die Zelte unserer Soldaten, dann der Marschall Bugeaud, wie er von dem Kommandeur der Spahis den berühmten, dem Sohne des Kaisers von Ma- rokko abgenommenen Sonnenschirm entgegen- nimmt, ferner das Feldlazarett für die Verwundeten und endlich zur Rechten die Kavallerieattacke. Die Mehrzahl der Gruppen ist, an und für sich genommen, wunderbar ausdrucksvoll; besonders die Gestalten der Offiziere, die sterbend sich noch einmal in die Höhe richten, etwa in der Mitte der Leinwand, fallen auf, und ebenso die kleinen Schwadronen rechts, die im Galopp davonreiten. Jedermann möchte eine Lithographie von dieser patriotischen Darstellung besitzen; aber das Bild? Neinl

Es ist unmöglich, die Gesamtheit des Schau-

Auguste Couder 233

platzes aufzufassen, weil kein Mittelpunkt des Zu- sammenwirkens da ist, also keine Einheit der An- schauung erreicht wird. Die Hintergründe ent- behren der Tiefe, und der Himmel ist, wie immer bei Horace Vernet, aus grauem, leicht blau ge- färbtem Papier. (1846. i. 346 f.)

^^

Auguste Couder

„La Föderation au Champ-de-Mars, 1790."

Es scheint nicht, daß der Maler für dies große Nationalfest Verständnis gehabt hat. Die Kom- position ermangelt durchaus der Einheit. Man sucht vergebens nach dem Mittelpunkt der Hand- lung. Ist es die Gruppe Ludwigs XVI. und seiner Familie ? Ist es der Altar, wo Talleyrand die Feier hält? Ist es die Konstituante? Ist es die Stadt- behörde von Paris ? Das Auge verliert sich in die Einzelheiten, ohne die Gesamtheit fassen zu können. Man bemerkt nur die kleinen koketten und glänzenden Figuren des Vordergrundes, die die Stufen hinansteigen : die Episoden decken den Hauptpunkt zu.

Ich weiß wohl, daß der Gegenstand und der Schauplatz der Darstellung außerordentliche Schwierigkeiten bereiteten: ein leerer Raum in der Mitte; eine mannigfach bewegte Corona draußen herum. Wo sollte der Knoten der Kom- position hingesetzt werden ? Durch welches Kunst-

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234 Auguste Couder

Stück der Perspektive und der Beleuchtung hätte die Garnitur dieses Halsbandes der Ausstattung der Mitte geopfert werden sollen? Es braucht dieser ganzen Menge, und ein großer Maler würde noch mehr davon geboten haben. Aber es gehört noch etwas anderes dazu : die Strahlen dürfen sich nicht vereinzeln. Das Leben muß im Herzen walten, und nicht in den äußeren Gliedern nur. Paul Veronese ist der große Meister solcher verwickelten Kompositionen. Tizian hat auch zuweilen ungeheure Versammlungen dar- gestellt, wie das „Konzil" im Louvre. In dem Gemälde Tizians bewundert man die Har- monie der Komposition, obgleich der Maler nicht einmal den Vorteil einer lebhaften Hand- lung in seinem Stoff gegeben fand. In dem Ge- mälde von Couder sollte sich das Interesse auf den Altar des Vaterlandes und die nationalen Kör- perschaften richten, die ihn umgeben. Es kam darauf an, die vordem Pläne durch geschickte Halbtöne zu verhüllen und die Sonne im Herzen der Szene zu konzentrieren. Man will uns da eine der erhabensten öffentlichen Feierlichkeiten aus der Geschichte Frankreichs darstellen, und wir bemerken nur einige lustige Weiber und Stutzer im Seidenkleide. Die Verbrüderung von 1790 sollte doch einen andern Eindruck hinterlassen.

Das Bild von Couder ist wie ein Theaterstück, dessen fünf Akte mit mehr oder minder pikanten Anekdoten gefüllt sind, ohne jede dramatische Auf-

Jean Gigoux 235

fassung. Einige fließende Verse, einige geistreiche und bezaubernde Worte reichen dann nicht aus, das Stück zu retten. Macht doch ein Madrigal oder ein Couplet, wenn das Drama und die Ko- mödie über eure Kräfte gehen. Die historische Malerei, wie das ernste Theater, fordert Einheit, eine klare Handlung und einen hervorspringenden Gedanken. Seid Gavami, Charlet oder Daumier, wenn ihr an Paul Veronese, Rafael oder Poussin nicht hinanreicht. Es ist besser, ein guter Litho- graph zu sein, als ein mittelmäßiger Maler. Sancho zog sein lustiges Grautier dem traurigen Schlacht- roß Don Quichotes vor. (1844- I. 23!.)

^^

Jean Gigoux

Gigoux ist der Urheber eines großen Gemäl- des, das Vorzüge der Ausführung erkennen läßt. Sein Ruf ist schon seit mehreren Jahren entschie- den. Seine „Kleopatra", die 1838 ausgestellt war, ist eine der beachtenswerten Kompositionen unsrer zeitgenössischen Schule. Niemand handhabt den Pinsel mit mehr Sicherheit als Gigoux. Er ist ein ausgemachter Praktikus imd ausgezeichnet als Lehrer für seine Schüler in der Malerei. Er hat Wissen und Gewissen, Überlegung und Willens- kraft. Er hat die alten Meister im Louvre und in Italien studiert. Er besitzt und übt das Verfahren

23(5 Jean Gigoux

der besten Schulen. Er strebt nach Stil und Größe, aber seine Bilder lassen zuweilen den Schönheits- sinn vermissen. Seine „Taufe des Chlodwig" bietet drei oder vier außerordentlich gut gemalte Figuren, die beiden Frauen zur Rechten und den behelmten Mann mit dem großen blauen Mantel. Die weiße Draperie des jungen Mädchens, das rote Kleid und die blitzenden Juwelen der zweiten Frau, der Mantel des Soldaten sind in mehreren Stücken der venezianischen Meister würdig. Un- glücklicherweise hat die Hauptfigur, dieser Chlod- wig, der sein Haupt vor St. Remy beugt, keines- wegs den historischen Charakter des glorreichen Sigambrers. Seine derben schwerfälligen Beine, seine roten Arme ohne Betonung, die unendlichen Gelenke, die gemeinen Hände nehmen dem ersten Helden unserer nationalen Tradition allen Adel. Jeder Typus muß doch seine spezielle Schönheit haben, deren Dolmetsch die Kunst ist. Chlodwig erscheint uns immer wie eine große Gestalt, die sich voll Überzeugung und Kühnheit aufrichtet. Diese prädestinierten Barbaren haben in unsern Annalen ein so schroffes, frankes, unerwartetes Auftreten ; sie gehen der Zivilisation und dem Licht voran, ohne zu wissen, wohin sie gehen, aber nichts vermag sie aufzuhalten. Dieser leuchtende Stempel eines heilsamen Schicksals ist dem Chlodwig von Gigoux nicht auf die Stirn gedrückt.

(1844. I. 29 f.)

Jean Gigoux

237

Gigoux stellt für unsere Epoche etwa die Be- deutung der Bolognesen innerhalb der italienischen Schule dar. Er ist ein äußerst geschickter Lehrer und voll unbedingter Hingabe an seine Kunst. Wie die Carracci, die den Stift nie aus der Hand legten, und im Gehen, Essen, ja fast im Schlafe zeichneten, so ist auch Gigoux ohne Unterlaß mit seiner Liebe beschäftigt. Er malt von Sonnenauf- gang an, und zeichnet noch des Abends. Er geht von seinem Atelier in das AteUer seiner Schüler, und ermuntert sie mit Wort und Pinsel. Wie die Carracci, so hat er eine Schar von hervorragenden Malern herangebildet; leider hat er eben erst einen seiner Lieblingsschüler verloren, Hector Martin, einen liebenswürdigen Künstler, der sich bereits mit zwanzig Jahren eine große technische Ge- schicklichkeit angeeignet, und der im Foyer des Odeon eine Landschaft ausgestellt hatte. Wir hatten ihn zu dritt wie unser Kind erzogen Gigoux, Rousseau und ich. Er ist gestorben, nach- dem er einige Blüten in schönster Farbe geschaffen

hatte.

Gigoux' Begabung hat bereits mehrere Wand- lungen durchgemacht ; aber inmitten dieser Metem- psychosen bleibt ihm doch immer eine breite und strenge Art der Ausführung, welche seine Ausbüdung an den Meistern der großen Schule verrät. Leider nur fehlt seinem Stil das Individuelle. Infolge des innigen Verkehres mit den Meistern, den ja auch die Bolognesen pflegten, haben seine Kompo-

238 Jean Gigoux

sitionen keinen persönlichen Charakter mehr. Anni- bale Carracci trat mit der Prätension auf, in seinen Gemälden die Zeichnung der Florentiner, die Farbe Correggios und das Kompositionsprinzip der römischen Schule zu vereinigen. Derartige Zusam- menfassungen sind immer gefährlich und beein- trächtigen die freie Selbstbestimmung des Künst- lers. So ist der Gesamteindruck von Gigoux' „Ver- mählung der Jungfrau" nicht sonderlich packend, obwohl die Anordnung der Szene gut disponiert ist, und die einzelnen Teile vortrefflich gemalt sind. Die Jungfrau, zur Rechten, und die keuschen Frauengestalten hinter ihr sind anmutig und schlicht, etwas plump dagegen der heilige Joseph und der Hohepriester. Der große, gelbe Mantel des Joseph ist nicht gerade geschmackvoll. Die historischen Kompositionen scheinen dem Maler, der den „Tod des Lionardo da Vinci" darstellte und „Kleopatra, die Gift an ihren Sklaven auspro- biert", besser zu liegen. (1846. l. 349.)

"^"^

Das Porträt des Senators Lefebvre-Durufl6 von Gigoux besitzt kaum einige Anziehungskraft, und ist im übrigen wenig sympathisch; gleich- wohl bin ich der Meinung, daß es das bestgemalte Porträt des Salons ist. Der Mann steht aufrecht da, in natürlicher Größe, angetan mit der Tracht, die das Abzeichen seiner Würde ist. Kopf und

Jean Gigoux 239

Kostüm sind nicht sonderlich verführerisch, aber die Gesamthaltung der Figur ist gut angelegt; die Beine in senkrechter Stellung sind gut ge- zeichnet, die umgebenden Partien sind einfach, etwas matt sogar, aber harmonisch und richtig in ihrer Nüchternheit.

Man spürt immer die Hand des Meisters in Gigoux* Werken, selbst dann, wenn es ihnen an Geschmack, an Glanz und Reiz gebricht, und diese Mängel sind oft auf die Gegenstände zurück- zuführen, welche der Künstler aufnimmt oder sich aufschwatzen läßt.

Eine große Anzahl von Malern verschieden- ster Art ist durch Gigoux' Schule gegangen. Seit 25 Jahren ist er stets von Schülern umgeben ge- wesen, die sehr viel Vorteil aus seinen Lehren gezogen haben, da er ihrer eigenen Inspiration volle Freiheit Heß. (1865. Iii. 236.)

X.

Couture Cabanel Baudry

Couture

Couture hat schöne Gaben als Kolorist und als Techniker. Sein großes Gemälde mit dem Titel „Die Liebe zum Golde" wird sehr bemerkt, so- wohl von den Künstlern, wie von der Menge. Mit Recht bewundert man das Licht, das auf dem nackten Fleisch leuchtet, und die seltsame Phy- siognomie der Personen. Ein Mann mit zerzausten Haaren und hohlen Wangen, mit unruhigem und falschem Blick, verteidigt seinen Schatz gegen die Leidenschaften, die ihn von allen Seiten bestürmen. Seine Hände krallen sich in Verzweiflung über den zerstückelten Reichtümern. Wird er auch diesem schönen, halbnackten Weibe widerstehen, das ihn mit ihren runden Schultern und ihren vollen Hüften herausfordert? Und die Poesie zieht ihn an und möchte ihm die Sprache der Götter diktieren. Wird Plutus über den ganzen alten Olymp triumphieren ? Unser Mann da scheint aus dem 19. Jahrhundert; da darf man wetten, daß Apoll unterliegen wird.

Couture 241

Dies Bild ist in der Weise angeordnet, wie die Caravaggios und Valentins. Die Figuren in Le- bensgröße sind halb abgeschnitten. Die Begabung Coutures eignet sich wohl für große Komposi- tionen. Er besitzt Breite und Schwung. Er ver- teilt Schatteti und Lichter mit freier Hand. Viel- leicht ermangelt er noch der positiven Kenntnis, die alle Glieder einer Gestalt von großem Maß- stab zusammenhält.

Couture ist noch jung, wie man sagt. Studium und Erfahrung können ihm mit der Zeit jene Sicher- heit verleihen, die man ehedem in den großen italienischen Schulen lernen konnte, mit Hilfe des täglichen Unterrichts der Meister, einer starken Überlieferung und unfehlbarer Methoden. Heut- zutage sind die Maler unglücklicherweise ihrer eigenen Erfahrung überlassen, und unternehmen oft auf eigene Kosten und mit reinem Verlust wieder Versuche, deren Herkunft nicht zweifelhaft ist. Darin bestand gerade der Vorzug der Schulen des i6. Jahrhunderts, den jungen Künstlern die Geheimnisse einer Praxis zu vermitteln, die durch das Genie erprobt war. Nach dem Noviziat im Atelier eines Rafael oder Michelangelo bedurfte man weiter nichts, als Poet zu sein. Der Praktiker war ausgebildet.

Couture hat auch ein Porträt in ganzer Figur ausgestellt: es ist ein junger Mann, der mit der linken Hand auf die Hüfte gestützt, dasteht. Der Kopf ist gut modelliert und die Hände von Licht

Bürger, Kunstkritik. IL 16

242 Couture

Übergossen. Es ist eine vollsaftige Malerei, die nur etwas mehr Vornehmheit und etwas mehr Stil zu wünschen übrig läßt. Die Zeichnung Cou- tures ist gewöhnlich und ohne entschiedenen Akzent. Die Feinheit der Wendungen und die Eleganz des Stiles wird leider nicht erworben wie die Kenntnis des Praktikers. (1844. I. 38 f.)

Die erhabenen Denker des 18. Jahrhunderts hatten einmal, und es war das nicht das einzige Mal, eine höchst eigenartige und zugleich lä- cherliche Idee: da sie sahen, daß in den Künsten ein jeder, ausgenommen vielleicht Rafael, nur einige Hauptvorzüge besitzt, die für gewöhnlich schon ihnen widersprechende Eigenschaften aus- schließen, kamen sie auf den Einfall, ein Gemälde durch eine vorübergehende Genossenschaft ver- schiedenartig begabter Maler ausführen zu lassen. Einer wurde bestimmt, die Komposition zu er- sinnen, ein anderer, den Entwurf des Ganzen zu zeichnen, wieder ein anderer, die besonderen Par- tien herauszuarbeiten, endlich einer, die Farbe auf- zusetzen. Gedanke und Form, Umriß und Model- lierung, Landschaftliches und Figürliches, Himmel und Erde, Natur und Mensch wurden bei diesem närrischen Unternehmen solchergestalt ausgeteüt. Ich erinnere mich nur unvollkommen dieser kiuio- sen Anekdote, entsinne mich auch nicht des Aus- gangs der ganzen Geschichte, die jedenfalls recht

Couture 243

wenig poetisch ist, und einer künstlerisclien Ge- nialität, die Vorstellung und Empfindung einheit- lich umfaßt, geradezu widerstrebt; das Ergebnis wurde wahrscheinlich besonders in den Nadel- fabriken bewundert, wo Arbeitsteilung aller exak- ten Geschwindigkeit und allen Erfolgs Voraus- setzung ist.

Die Kunst ist, wie jeder Mensch, eine be- sondere und unvollständige Schöpfung, die nicht in einem Exemplar alle Wunder des Lebens ver- einigen kann. Ein Einzelmensch hat noch nie die ganze Menschheit in sich dargestellt. Man kann nun einmal nicht kühn und gemäßigt, sanftmütig und beherzt, intelligent und naiv, übersprudelnd und nüchtern, launisch und verständig, unmittel- bar und überlegend, fröhlich und traurig, phan- tasievoll und sachlich, poetisch und prosaisch zu gleicher Zeit sein, mit einem Worte: nicht die beiden äußersten Enden der Klaviatur unserer menschlichen Seele mit gleicher Kraft anschlagen. Ein paar seltene Genies allein, wie Moliere und Shakespeare haben dies Vorrecht genossen. Und auch da ist wiederum die Tatsache zu beachten, daß Moliere mehr gesunden Menschenverstand be- saß als Shakespeare, während Shakespeare an Phantasie und Wandlungsfähigkeit weit über Mo- häre hinausragt.

Wollten wir einen Menschen voraussetzen, der die ganze menschliche Natur in sich vereinigt, so würde das ungefähr soviel bedeuten, wie wenn

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244 Couture

man in der Musik nur den vollkommenen Einklang anerkennen, und damit zugleich all die unend- lichen Tonkombinationen und die besonderen Do- minanten verwerfen wollte, die der allgemeinen Harmonie erst Relief geben. Ebenso hieße es den Charakter der Kunst und die Originalität des Genius verneinen, wenn man annähme, die Über- legenheit eines Künstlers hänge von der gleich- mäßigen und einförmigen Vollkommenheit seines Werkes ab.

Alle großen Meister der Kunst, vor allem der Malerei, haben jederzeit durch irgendeine seltene und unbezähmbare Leidenschaft, durch irgendeine vorherrschende und außergewöhnliche Eigen- schaft, Ansehen und Ruhm erzwungen. Sogar Rafael verdankt seine Unsterblichkeit einer beharrlichen Liebe, die ihn sogar zugrunde gerichtet hat, der Liebe zur Frauenschönheit. Jeder erlauchte Künst- ler schafft in heiligem Wahn, der ihn mit unwider- stehlichem Drange zu einer bestimmten Sphäre des Himmels emporträgt. So ist Michelangelo auf nichts anderes als Großheit und Bewegung er- picht, Tizian auf Farbe, Rubens auf nacktes Fleisch, Claude Lorrain auf Sonnenschein, Foussin auf Haltung, Hobbema auf Bäume und melancho- lische Wasserlachen, Watteau auf heiteren Genuß. Das alles ist ein edler Rausch, der dem Durch- schnittsmenschen nur begeisterte Liebe zur Natur und religiösen Aufschwung zum Leben des All vermitteln kann.

Couture 245

Zu einem solchen Meisterwerk fehlt es dem Gemälde Coutures von „Roms Verfall" an jenem unfaßbaren Gepräge hinreißender Ursprünglich- keit; und doch ist seine Malerei nicht un- mittelbar von irgend jemand abhängig. Es fehlt ihm, ich weiß nicht welcher Hauch poetischer Einheit, die erst den eigentümlichen Charakter zustande bringt; und dabei steht doch sein ge- danklicher Inhalt mit höchst meisterlicher Frei- heit und Kühnheit da, von einem Ende der Leinwand bis zum andern geschrieben. Es fehlt an einem Wirkungszentrum, welches die Bruch- stücke dieses großen Bildes zusammenzwingt und aus den einzelnen Teilen ein lebendiges Ganze erstehen läßt; und dennoch ist das Leben überall hin ausgegossen, überall das Licht und die Form, überall hier die Wollust zu Hause. Aber es nimmt sich aus wie die schimmernden Steine eines zerrissenen Halsbandes, die aufs Geratewohl in der Sonne ausgebreitet sind. Dennoch ist die An- lage der Komposition ganz regelmäßig, dennoch sind die Hauptlinienzüge ganz symmetrisch und gegeneinander abgewogen, die Gruppen gut auf die verschiedenen Pläne einer vortrefflichen Archi- tektur verteilt. Ich fordere die feinsinnigsten Kri- tiker heraus, gerechtermaßen etwas an Coutures Bild zu tadeln, sei es nun die Perspektive und die Tiefe des Luftraumes, sei es die Zeichnung der Figuren, die Farbenharmonie, oder sei es die Fer- tigkeit in der Pinselführung, und die Geschick-

246 Couture

lichkeit der Ausführung in allen Teilen. Couture verdient beinahe, wie Andrea del Sarto, den Namen des Malers ohne Fehl, „senza errore**. Ich bin sogar gewiß, überließe man ihm für einen Tag den großen Salon des Louvre, so würde er mit seiner technischen Bravour über seine ganze Komposition noch irgendeinen kühnen Schatten- effekt werfen, um die Einheitlichkeit des Anblicks entscheidend zu bestimmen; denn der einzige Fehler dieses ausgedehnten Gemäldes ist meiner Ansicht nach die Zerstreuung des Lichtes, wie dies auch in den Werken des Solimena und einiger italienischer Meister des 17. Jahrhunderts der Fall ist.

Betont werden muß, daß Couture diesen herr- lichen Palast und diese unzählbare Menschen- menge in einem gewöhnlichen Atelier gemalt hat, ohne genügende Raumausdehnung, ohne hinrei- chenden Platz zum Zurücktreten, so daß er die dreißig Fuß lange Leinwand gar nicht mit dem Blick umspannen konnte. Jedes große Gemälde muß aus der Entfernung und wie eine Wand- dekoration betrachtet werden. Häufig nimmt, was dem Auge in der Nähe als Übertreibung erscheint, andere Werte an unter der Einwirkung der da- zwischentretenden Luft, die ja alle Halbtöne neu- tralisiert und die Konturen verschwimmen läßt. Dieselbe Gestalt ergibt, von der Nähe oder aus der Entfernung betrachtet, ganz verschiedenartige

Couture 247

Farben- oder Formverbindungen. Je nachdem man sich einem Gegenstande nähert oder von ihm ent- fernt, sieht man, zu höchster Verwunderung manchmal, ganz unerwartete Wirkungen ent- stehen, oder charakteristische Züge, die vor- dem stark heraustraten, auf einmal verschwin- den. Stets vereinfacht sich die Wirkung auf die Entfernung hin, und das Detail geht unter in der großen formalen Gesamterschei- nung. Prüft nur einmal Michelangelos Plastik aus der Nähe; das ist närrisch und unmöglich; es gibt in der Natur keine so heftig verdrehten Schul- tern, so ungeheure Hüften, solche Gelenke, wie in Bronze gegossen, und solche Augenbrauen, wie Böschungen am Rande einer Höhle; sobald aber der Moses erst auf seinem Postamente thront, so- bald die Statue der Nacht an ihrem Platze in dem Grabmal der Medici lagert, sind diese übertrie- benen Akzente nicht mehr zu bemerken, und man wird gepackt von der majestätischen Erscheinung des Ganzen. Man darf also bei Figuren großen Maßstabes niemals vor den ausdrucksvollsten Kraftäußerungen und vor jener leidenschaftlichen Formgebärdung zurückschrecken, die auch den großen Malern wie Veronese oder Rubens vertraut und geläufig waren.

Die Inspiration zu seiner Darstellung holte sich Couture aus der sechsten Satire des Juvenal, die Jules Lacroix in farbenglühenden Versen über- setzt hat:

248 Couture

D'oü sort-il ce torrent monstrueux de licence?

Jadis un humble toit conservait l'innocence

De la femme latine; et les travaux frequents,

Les mains qu'endurcissait la laine des Toscans,

Annibal sous nos murs plantant sa javeline,

Et les maris debout sur la porte Colline,

Tout cela dependait au vice d'approcher.

Mais le vice est venu dans la paix nous chercher:

Le luxe, noir fleau, plus cruel que la guerre,

En s'abattant sur nous, venge toute la terre!

La pauvrete romaine est morte en nos remparts.

Depuis, les sept coteaux ont vu de toutes parts

Descendre les forfaits que la debauche entra!ne.

Alors vint Sybaris, cette molle siröne,

Et Rhodes et Milet, fecondes en malheurs,

Et Tarente lascive, au front Charge de fleurs.

Mit Juvenals Textunterlage in der Hand woller wir nun einmal keine unangebrachte Prüderie affektieren. Es handelte sich darum, die Sittenzu stände der römischen Verfallzeit zu malen, unc jene wahnsinnige oder trübselige Orgie zu schil dern, die alsbald im Christentum untergehen sollte Gigoux hatte bereits Antonius und Kleopatra nach der Schlacht bei Actium in einem großen, pracht vollen Gemälde dargestellt, an das die Komposi tion des Coutureschen Bildes einigermaßen er innert. Der Manier des Plutarch folgend, der ir seine Erzählung kluge Reflexionen einfließen läßt hatte Gigoux in der Ecke seines Schauplatzes eir paar entrüstete Gallier gestellt, als lebendigen Pro test zugunsten der kommenden Geschlechter Ebenso hat Couture zu beiden Seiten seines großer Festgelages, wie zwei glühende Verse von Juvenal.

Couture 249

die Philosophie und die Poesie zur Anschauung gebracht, die trauernden Blickes auf die Aus- schweifungen einer fluchbeladenen Welt herab- sehen. Dieser kluge Vorbehalt leistet der Moral v^ollkommen Genüge, so daß auch die allerbedenk- lichsten Leute diese letzten P.ömer ruhig betrachten dürfen, die übrigens seit dem i6. Jahrhundert an den Höfen der Päpste und Könige wiederauferstan- ien sind, ohne daß irgendein Juvenal diesen neuer- lichen Verfall mit solchem Schwung gebrandmarkt liätte, wie der Poet des Altertums.

Auf Coutures Gemälde blicken wir in eine un- geheure, nach oben hin offene Halle, die von eleganten korinthischen Säulen getragen wird, zwischen denen sich die Statuen der Heroen wie strenge steinerne Zeugen in die Höhe richten. In ier Mitte des Hintergrundes, die ganze Szene be- lerrschend, Brutus, in ernster Haltung, mit seinem eckigen Schädel; das ist Roms Vergangenheit, iie noch mit ihrer Tugend Ruhme ein entartetes Volk überstrahlt; er wirkt hier wie der steinerne Säst, der aber nicht wie der Komthur in der Dper von seinem Piedestal herabsteigen wird, um iie Verworfenheit des antiken Don Juan zu strafen; denn die Vorsehung wird sich, anstatt ier kalten Hand eines Steinbildes, heißer Sklaven- and Barbarenhände zur Züchtigung bedienen.

Der Kontrast zwischen diesem grandiosen und streng stilisierten Schauplatz und dem Charakter des Treibens, das zwischen goldenen Bechern, Wein-

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reben und Blumen, zwischen nackten Buhlerinnen und trunkenen Männern in seiner Torheit dahin- rauscht, dieser fühlbare Widerspruch bereitet schon aus der Feme auf den lebhaften und tiefen Eindruck des Gemäldes selber vor.

In der Mitte der Szene, auf einem Ruhebett, dessen prachtvolle Decken in Unordnung daliegen, hat sich eine weißgekleidete Frau in lässiger Hal- tung hingestreckt, wie eine Nymphe am Strande des unbegrenzten Meeres träumen mag; aber ihr schönes Antlitz redet von tiefer Müdigkeit und Abstumpfung der erschöpften Sinne. Ihre Glieder, weich in die purpurnen Kissen geschmiegt, runden sich in schwellender Üppigkeit. Ein neben ihr sitzender Mann unterstützt sie und reicht seinen ziselierten Becher einer anderen halbnackten Frau, die duftende Gewürze des Orients hineinschüttet. Diese hat sich erhoben, bietet ihr Profil in vollem Lichte, und strahlt von Schönheit und Frische; ihre linke Hand ruht auf den ambrabraunen Schul- tern eines jungen Burschen, der sich in diesem Strom von Genüssen wie ein Schwimmer streckt. Als Gegenstück zu dieser Gruppe schaut Vitellius, in der Haltung des Triumphators, der Orgie zu, ohne zu bemerken, daß ein weinlaubbekränztes Mädchen sich an ihn anschmiegt. Der Rücken dieses jungen Weibes modelliert sich in einem durchscheinenden und leichten Halbton wunder- voll, obwohl die Farbe kaum das Korn der Lein- wand bedeckt.

Couture 251

Hinter diesen drei Hauptpaaren wälzt und bäumt sich eine Menge von Lüstlingen und Bacchanten im Banne der Venus und des großen Gottes, den die heidnische Mythologie zu ihrem Gemahl hätte machen sollen. Da ist ein sinnloses Durcheinander aller Arten von Ausschweifung des Altertums, durch dies Beisammensein geschickt verschleiert; denn die Malerei durfte sich nicht dieselben Kühnheiten erlauben, wie der lateinische Poet. Die gewagteste Episode erinnert nur an einen der berühmten Stiche des Herzog-Regenten von Orleans in den Illustrationen zu „Daphnis und Chloe" : das unvollständige Bild ist verfänglich durch die Köpfe anstatt, wie das schon Boucher in einem seiner Pastellbilder gemacht hatte, ver- fänglich durch die Füße.

Aber beschreiben lassen sich all die Episoden dieses Bacchanals überhaupt nicht. Rechts ist ein Knabe auf ein Postament geklettert und bietet, am starren Arm der Statue hängend, dem alten Römer die schwankende Schale dar; ein paar Frauen sehen lächelnd zu; ein junges Mädchen, links, mit den über dem Kopf verschränkten Armen, erinnert an die prachtvolle Figur des Nei- des in Rubens* „Regierung der Königin" im Louvre; und dann die Opfer der Orgie, die von den Sklaven hinausgeschleppt werden, die Er- schlafften, die über den umgestürzten Gefäßen ein- schlafen; all die Gesichter, die hier aufleuchten, dort sich verfinstern; die Kränze von Laub und

252 Couture

Rosen, die sich durch die aufgelösten Haare schlin- gen oder über Busen schlängeln, die vom Sonnen- licht Übergossen werden; der Glanz der Stoffe und Geschmeide, die Figuren mit der Mannigfaltig- keit ihrer Bewegungen, oder die Überfülle des Far- benreichtums überall.

Der Vordergrund, vor dem antiken Ruhebett, wird von ungeheuren Vasen eingenommen, die mit Basreliefs und getriebenen Arbeiten besetzt und mit Blumen behangen sind wie die Tisch- gäste selbst; und dann von zwei sehr geschickt angebrachten Figuren. Zur Rechten, den Becher schwingend, ein junger Mann in aufrechter Hal- tung, von rückwärts gesehen, wie Bacchus mit einem Tigerfell umgürtet. Links ein anderer Mann auf dem Teppich ausgestreckt, mit herabhängen- dem Kopf und welkem Kranze, mit schlaffen Glie- dern, die gleich Zweigen einer Trauerweide herab- hängen. Diese schwierige Verkürzung ist meister- lich ausgeführt.

Indessen, da ist auch die Moral dieser er- greifenden Satire : der junge Poet, der melancho- lisch abseits am Fuße einer Säule sitzt, und die beiden edlen Philosophengestalten zur Rechten, die aufrecht, in ihre Mäntel gehüllt, voller Sorge dem Selbstmord des Vaterlandes zuschauen. Die Gruppe dieser beiden Männer mit den Denker- köpfen, an deren schöne Körper die Wollust nicht gerührt hat, ist im erhabensten Stil gezeichnet und mit einem Reichtum und einer Sicherheit ge-

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malt, die eines Veronese würdig wären und der kraftvollen Künstler der Renaissance.

Coutures Gemälde ist also ebenso bedeutend durch seine Anordnung, durch seinen Gedanken- gehalt, und durch den Glanz der Ausführung. Nun ist allerdings möglich, daß Couture an jene Feinheiten der Kontrastierung, an die Dazwischen- kunft der Philosophie inmitten der antiken Sitten- verderbnis und an die Lehre, die daraus für den Sinn seiner Dichtung hervorgeht, überhaupt nicht gedacht hat. Die Künstler sind häufig erstaunt, was alles die Kritiker in ihren Werken zu ent- decken behaupten. Die Kunst folgt der ersten Eingebung, und so entsteht in spontanem Schöp- fungsprozeß ein mehr oder weniger vollendetes Bild, das die Kritik nachher im Prozeß der Re- flexion analysiert. Schöne Dinge werden meist entdeckt wie geistreiche Worte : durch eine plötz- liche Offenbarung, deren man sich erst nachträg- lich bewußt wird. Wahre Beredtsamkeit braucht ihre Sprache nicht erst zu suchen: sie leiht ihre Stimme dem inneren Genius, der sie belebt und sie regiert. Schöne Verse werden fertig geboren und brauchen nicht erst durch eine künstliche Form zu gehen. Ebenso springen schöne Bilder den bevorzugten Malern gewissermaßen in die Augen. Nichts ist leichter als eine Moli^resche Komödie zu machen, wenn man Moli^re ist. Und ebenso haben Tizian und Rubens es nicht nötig, im Geiste abstrakte Theorien wiederzu-

254 Couture

käuen, bevor sie ein lebendiges und bedeutsames Bild auf die Leinwand werfen. Wahre Maler schöpfen aus der Fülle der Gesichte, wie wahre Redner aus der Tiefe ihres Busens.

Damit soll freilich keineswegs gesagt sein, daß die Kunst leicht, die Kritik aber schwer sei, dem berühmten Vers zuwider, dessen Richtigkeit immerhin bestritten werden kann. Kunst und Kritik sind beide nicht leicht, und zwar insofern, als beide eine vorgängige Erziehung erfordern und die Gewöhnung an ein besonderes, ihrem Wesen entsprechendes Verfahren. Während die Kunst schöpferisch wirkt, erläutert die Kritik; sie ist der Kunst vertraute Gefährtin, ihr untergeordnet, weil alle Reflexion sich erst nachträglich einstellt, also nach der Leidenschaft selber kommt; aber sie ist bis zu einem gewissen Grade mit dem Genius, der erfindet und verwirklicht, selbst solidarisch, ebenso wie man in der ernsten Metaphysik den Verstand nicht völlig vom Gefühl trennen kann. Wie sich Verstand bei aller künstlerischen Arbeit beteiligt zeigt, so wird es auch in aller hervor- ragenden Kritik ein wahrhaft poetisches Gefühl geben; ohne dies würde man auf beiden Seiten (in der einen wie in der andern) nur zur Bedeu- tungslosigkeit und Unfruchtbarkeit gelangen.

Aber das Verfahren kritischer Betrachtung ist durchaus verschieden von dem Verfahren künstlerischen Schaffens. Kritik entspringt dem Vorwalten solcher Fähigkeiten, die ihrer Natur

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nach von den künstlerischen Fähigkeiten verschie- den sind, obgleich beide viel Verwandtes mitein- ander haben. Die Kunst ist leidenschaftlich, aus- schließlich, v^^ährend die Kritik ein umfassendes Verständnis erweisen muß. Wenn man an den Kritikern tadelt, daß sie nicht schöpferisch seien, so hat es doch auch niemals einen großen Künstler gegeben, der zugleich ein guter Kritiker gewesen wäre. Die Kunst ist zu individuell, zu unabhängig, zu original, zu hinreißend, als daß sie dem Geiste die Ruhe, die ausgleichende Gerechtigkeit, die Toleranz zugestehen könnte, die für unparteiische Logik unerläßlich sind. Große Maler kennen ein- ander überhaupt nicht in der Malerei; und ein- sichtige Kritiker sind niemals Maler gewesen ; Be- weis: Diderot und Lessing. Wie könnte ein origi- naler Künstler, d. h. also einer, der sich von anderen Künstlern unterscheidet, originale Eigen- schaften anerkennen, die seinem eigenen Genius stracks zuwiderlaufen? Ingres soll durchaus nicht in Rubens vernarrt sein, und dieser hätte ihm zweifellos Gleiches mit Gleichem vergolten.

Diese Betrachtungen haben keinen anderen Zweck, als den inneren Zusammenhang zwischen der Literatur und den Künsten aufzuzeigen. Für die Schriftsteller gibt es nichts Fruchtbareres als das Studium der Malerei. Schöne Bilder sind eine Lehre des schönen Stils. Andererseits aber er- öffnet die Ästhetik den Künstlern, die sich kaum um sie kümmern, neue und ungeheure Weiten,

256 Couture

ein Land, dessen Erforschung von unserer mo- dernen Schule allzusehr vernachlässigt worden ist. Und dann: Wie viele hochbegabte Maler haben schon am Beginn ihrer Laufbahn versagt nach einem ruhmvollen Anfang I Wir für unser Teil haben uns niemals über diese flüchtigen Berühmt- heiten getäuscht, die bald dem Zauber einer blen- denden Malerei zu verdanken waren, bald dem gegenständlichen Interesse, das oftmals das Publi- kum zur Bewunderung hinreißt.

Coutures Zukunft erscheint uns durch dauer- haftere Gründe gesichert. Der Schöpfer der „De- cadence romaine" ist ein Maler, der sein Metier versteht wie die erfahrenen Praktiker, und der mit einer lebhaften Empfänglichkeit ein groß- zügiges Stilgefühl verbindet. Das Wunderbare an seiner Ausführung ist, abgesehen von dem zeich- nerischen Können und der Farbenschönheit, ein entschlossener, freier Pinselstrich, in dem sich nie eine Ermüdung zeigt, der leicht und doch im höchsten Grade kräftig ist. An manchen Stellen dient die kaum überdeckte Leinwand als Grund und als eine Vermittlung der allgemeinen Har- monie. Couture hat einen schwungvollen und glücklichen Augenblick gewählt, um jedes Stück herauszuarbeiten. Vielleicht hat er nur eins zu fürchten: die Verführungen des Erfolges. In- dessen, man kann ohne Bangen behaupten, daß dieser „Verfall" seinen Aufstieg entscheiden wird, um jenes schlechte Bonmot eines Freundes des

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Schöpfers der „Medusa", im Salon von 1819, nach- zuahmen: ,,Mein Heber Gericault, Sie haben da einen Schiffbruch gemacht, der für Sie keiner sein wird."

Wir haben Coutures Gemälde enthusiastisch gelobt, indem wir die Vorzüge dieser leichtflüs- sigen und leuchtenden Malerei aufzeigten, anstatt mit jenem Eifer übelgelaunter Nachbarn nun auch irgendwelche Unvollkommenheiten darin zu suchen. Bewunderung tut dem Geiste wohl; und was uns anbetrifft, so sind wir recht glücklich über die seltenen Gelegenheiten, ein schönes Werk loben zu können. Selbstverständlich, wenn man genötigt wäre, die mehr oder weniger schwachen Einzelheiten einer genaueren Prüfung zu unter- ziehen, wie Molieres Sganarelle gezwungen war, den Arzt zu spielen und Milz und Leber zu be- fühlen, so könnte man sagen, daß sich in Kopf und Haltung all der Leute da nicht der spezifisch römische Charakter ausprägt, daß man den schönen Typus wiederzufinden wünschte, wie er uns in plastischen Werken und auf Münzen über- kommen ist, ferner, daß die Zeichnung ein bißchen allzu rundlich, der Stil zuweilen nicht recht vor- nehm ist; aber ich frage euch: welche Kompo- sitionen der ganzen modernen Schule, welche Kom- positionen unter den großen Gemälden seit Geri- caults „Medusa" sind der „Römischen Verfallzeit" vorzuziehen ? Eugene Delacroix' Dekorationsmale- reien? Ingres' Deckengemälde von Homer? ein

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paar Dichtungen von Ary Scheffer? und dann? Wenn man Rousseau, Decamps, Diaz, Meissonier, Dupre, Marilhat und ein paar andere hinzunimmt, wieviel wirklich tüchtige Maler gibt es dann noch unter den Zeitgenossen?

Man sagt, daß die französische Schule heut- zutage in der ganzen Welt keine Rivalin besitzt; das sollte uns ein Ansporn sein, sie mit unserer Sympathie zu fördern in ihrem tapferen Kampfe um die gute Sache. Übrigens ist es gar nicht so schwer, wie man glaubt, auch die geheiligten Meisterwerke zu bekritteln. Wenn es nicht eine Frivolität wäre, würde ich mich anheischig machen, in den besten Bildern des alten Museums Fehler nachzuweisen, derart, daß die Halbkenner ihre Zweifel bekommen würden. Aber der unglück- selige Hang, alles anzugreifen, was über das Maß des Gewöhnlichen hinausgeht, führt nur zum Skep- tizismus, dem schlimmsten von allen Fehlern in der Kunst.

Es gibt eine witzige Anekdote, die Decamps erzählte : In der Zeit des romantischen Fiebers pflegte einer von den Malschülern jedesmal, wenn er das Louvre besucht hatte, zu sagen: „Ich habe die Rafaels wiedergesehen . . ., ich finde sie scheußlich!" Und wenn man ihn dann fragte, was ihm eigentlich an Rafael mißfiel, so gab er un- weigerlich zur Antwort: „Sudelei!" und man konnte nichts anderes aus ihm herausbekommen.

Bei einem literarischen Diner, das mehrere

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unserer größten Romanschriftsteller vereinigte, kühlte man sein Mütchen an Moliere, indem man behauptete, er habe seinen Ruhm gestohlen und der „Misanthrop** insonderheit sei ein abscheu- liches Stück; darüber kam ein berühmter Dichter zu, dessen gebietendes Ansehen für die Plejade maßgebend war. Als man ihn darüber um seine Meinung fragte, antwortete der erlauchte Poet mit honigsüßem Tone: „Abscheulich? nein ; aber langweilig ist das Stück, und schlecht geschrie- ben/* Nun das heißt denn doch die Szene zwi- schen dem Marquis und den Zierpuppen in der „Critique de l'Ecole des Femmes'* erneuern.

Solche Gassenbubenstreiche daß ich dies Wort gebrauche vermögen Rafael und Moliere nicht zu berühren. Racine hat sich auch manches der Art gefallen lassen müssen, und ebenso Velaz- quez, Rubens, Watteau, Prudhon, Eugene Dela- croix.

Couture steht zwar nicht auf solcher Höhe, darf aber kühnlich all den mißgünstigen und blin- den Kritikern Trotz bieten, und seine römischen Frauen werden sich deswegen im Luxembourg keineswegs schlechter ausnehmen.

(1848. I. 421—434.) ^^

Die Porträts von Couture bilden einen voll- kommenen Gegensatz zu Lehmanns Malerei. Cou- ture steht in seinen Porträts dem vlämischen Na-

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turalismus näher als der germanischen Philosophie. Dieser geschickte Praktikus geht kühn, ein wenig ungestüm sogar darauf los, und nimmt gewisser- maßen das Bildnis im Sturm, so wie es sich ihm beim ersten Anblick darbietet, just in der Hal- tung, in welcher er sein Modell im Augenblick gerade überrascht, unter dem Sonnenstrahl, der es gerade beleuchtet. Da, seht ihn in seiner un- gekünstelten Pose, die linke Hand ganz einfach in der Hosentasche, die Rechte auf einen Tisch gestützt, mit dem frischen, sorglosen Gesicht, den roten Lippen und dem ruhigen Auge. Die Fleisch- töne sind einer von Gesundheit strotzenden Natur entnommen; die Kleider sind ohne jede Klügelei in schöner gedämpfter Farbe gemalt, die das Ge- sicht nicht beeinträchtigt. Der Hintergrund ist in einem schönen Grün gehalten, mit Bister und Grau überzogen. Das Ganze ist nicht sonderlich charakteristisch, aber man kann doch nicht jeden Tag die venezianischen Patrizier oder die spani- schen Granden vor sich posieren lassen.

Das Frauenporträt von Couture trägt auch nicht den Stempel des heroischen und stolzen Kastengeistes. Eine kluge, regelmäßige Erschei- nung ist es, ganz einfach in einen dunkeln Shawl gehüllt. Der Kopf ist gut modelliert, und das Ganze ist schön in der Farbe.

(1847. I. 486.)

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Cabanel

Cabanel hat den großen Rompreis, und zwei- fellos deshalb hat er seine ,,Nymphe, von einem Faun entführt" gemalt.

Cabanel hat wenigstens Geschmack und vor- nehmes Empfinden. Ein annehmbarer Maler aus schlechter Schule. Die Gruppe der Entführung der Nymphe ist gut arrangiert; sie erinnert an eine Marmorgruppe im Tuileriengarten. Es finden sich recht feine Fleischtöne am Oberkörper und an den Hüften der Nymphe, die sich gegen eine harmonische, mit breitem Pinsel gemalte Land- schaft abhebt. Aber der Gesamteindruck ist überall schwach; wollte man Analogien für diese Malerei finden, so brauchte man nirgends anders zu suchen, als in der französischen Schule des i8. Jahrhun- derts, im Gefolge von Frangois Lemoyne oder der Coypel.

Die „Magdalena" was für ein Übergang ist eine Nachahmung Ary Scheffers, und in gewissem Sinne auch der Bolognesen zur Zeit des Guido Reni. Die Arme und Hände sind unbe- stimmt gezeichnet und die Farbe geht nicht über Aquarellton hinaus.

„Der Florentiner Dichter", ein hübsches Genrebildchen: zwei elegant und geschlossen ge- zeichnete Personen, mit einer gewissen Intensität in der Farbe.

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Als Porträtmaler ist Cabanel sicher der beste im Salon. Freilich, Männerporträts gelingen ihm kaum, nach seinem großen Porträt in ganzer Figur zu urteilen, das im Mittelsaal ausgestellt ist. Darin übertrifft er kaum Herrn Flandrin. Aber seine beiden Frauenporträts, die zu beiden Seiten der „Nymphe" ausgestellt sind, haben etwas sehr Vor- nehmes. Weder Flandrin, Hebert, noch Dubufe könnten das leisten.

Das Porträt der Frau W. R., wie ich glaube einer vornehmen Schottin, ist ein Kniestück in aufrechter Haltung. Es hat etwas von den präch- tigen Porträts englischer Schule, in denen manch- mal der Anputz die Bedeutung des Kopfes beein- trächtigt. Aber die Gesamthaltung ist von aus- erlesenem Geschmack. Das Porträt der Madame J. P., der Gattin eines berühmten Bankiers, hat viel mehr Charakter, und zweifellos hat das Modell den Maler genötigt, durch genaue Wiedergabe der Züge auch Tiefe des Ausdrucks anzustreben. Der Kopf ist prachtvoll, und, was selten vorkommt, Arme und Hände sind gut gezeichnet. Bedauerlich ist nur, daß die Farbe der nachlässig über die Schulter geworfenen Schärpe nicht zu dem Ton des Sofas paßt, auf dem die Dame sitzt, und daß der Hintergrund nicht neutral genug ist und sich zu sehr vordrängt.

Cabanel hat mit viel Vornehmheit das Porträt der Mme. Isaac Pereire gezeichnet. Einfache und exakte Zeichnung bedeuten in unserer gegenwär-

Cabanel 263

tigen Schule eine ganz besondere Seltenheit. Seht euch einmal die Arme der Mlle. Madeleine Brohan auf dem Porträt von Baudry an, oder die Knie der Phryne I Mit der peinlichen Gewissenhaftigkeit in der Anlage des Konturs verbindet Cabanel ein starkes Interesse an der inneren Zeichnung, der Modellierung, ohne welche die reinsten Linien die Form nicht entschieden ausdrücken können. Das Porträt der Mme. Pereire zeigt außerdem eine charakteristische, durchaus individuelle Physio- gnomie; es liegt nicht die typische Allerweltsähn- lichkeit darin, wie bei dem größten Teil der schönen Damen, die sich von den Modemalern stereotypieren ließen. (1861. 11. 28—29. 138.)

•^•^

Cabanel hat ein Porträt der Vicomtesse de Ganey ausgestellt. Sie steht aufrecht nach links gewandt, Kniestück. Die nackten Arme liegen ab- wärtshängend auf dem Kleid, die Hände sind vorn gefaltet. Die abfallende Linie des Halses und der Schultern, die Verlängerung der Arme und Hände sind unmöglich und unnatürlich gezeichnet. Das weit ausgeschnittene Kleid in violettem Sammet stößt unharmonisch gegen einen Hintergrund von gelblichem Tapetenstoff, aber der wiederum nach vorn gewandte Kopf hat sehr feine Züge : beweg- liche Nasenflügel, einen gut gezeichneten Mund. Köstlich sind die Halbtöne, welche die Modellie-

264 Baudry

rung des Gesichts ausmachen. Wenn man diesen Kopf für sich in ein ovales Medaillon einrahmte, so würde das sehr vornehm wirken.

(1865. III. 168).

Baudry

Nach Gerome und Meissonier scheint Baudry den größten Erfolg zu haben. Er hat acht Bilder ausgestellt: „Charlotte Corday" nach der Ermor- dung Marats, zwei Skizzen zu den im Salon der Comtesse de Nadaillac ausgeführten Dekora- tionen und fünf Porträts.

Von Baudry sind zwei Gemälde im Luxem- bourg. Decamps hat nie halb so viel Glück ge- habt. Heutzutage geht alles schneller als „ehe- dem". Es scheint, daß er sofort nach seiner Rück- kehr von Rom, wo er als Stipendiat gewesen, in der öffentlichen Meinung Anklang gefunden hat. Sollten seine früheren Bilder besser gewesen sein als die im Salon? Das ist doch nicht wahrschein- lich. Der Mensch bleibt in der Kunst, wie in allen Dingen, von Anfang bis zu Ende derselbe. Was er in einem Augenblicke seiner Existenz ist, das ist er im Grunde immer, wenn man auch unter dem Mikroskop Abweichungen im Einzelnen ent- decken mag. Ich glaube, Baudry würde sehr ein- verstanden damit sein, wenn er nach seiner Aus- stellung von 1861 beurteilt würde. Da zeigt er

Baudry 265

sich in der „Charlotte Corday** als Historienmaler, gibt in der „Kybele'* und der ,,Amphitrite*' Mytho- logie, und dann besonders eine Reihe von Por- träts.

Die Komposition der „Charlotte Corday" dürfte schwerlich mit dem traditionellen Charakter- bilde übereinstimmen. Aus der fanatischen Heldin nach Corneilles Art hat der Künstler eine kleine Grisette gemacht, die zähneknirschend in einer Ecke hockt, die kleine Stirn in Falten zieht und das Fäustchen ballt. So tritt sie weder in den amtlichen Berichten der Zeit auf, noch bei den Geschichtschreibern, sondern stolz und gerade, ruhig und nachdenklich. Denn sie war der Über- zeugung, eine schöne Tat vollbracht zu haben. Das Opfer liegt in der anderen Ecke, scheinbar ausge- streckt in einer Badewanne, die nicht einen Fuß lang ist; und dieser Verkürzungsversuch hat alles außer Verhältnis gebracht. Aus der zu kurzen Badewanne kommt ein riesenhafter Arm heraus. Man versteht überhaupt nichts an dieser Figur Marats ; der Oberkörper ist übertrieben, das übrige vollkommen verfehlt. Neben diesen Mißgriffen in der allgemeinen Anordnung des Bildes, neben dem Versehen in der Perspektive und der Abstufung des Lichtes, wie des damit zusammenhängenden Mangels malerischer Wirkung, ist es verwunder- lich, daß der Maler mit einer so dürftigen und schwachen Ausführung sich an lebensgroße Fi- guren gewagt hat. Das mag für eine Puppe gelten,

266 Baudry

wenn sie nur so groß ist, daß man sie in die Hand nehmen kann. Aber bei Figuren in nor- malen Proportionen sind fester Knochenbau, rich- tige Zeichnung, Modellierung und Farbe unbe- dingt erforderlich : denn gerade die richtige Ver- teilung der Lichter, Halbtöne und Schatten gibt den Körpern und allen Gegenständen die Run- dung. Das Bild der Charlotte Corday sieht aus wie ein kleiner Ausschnitt von blaß bemaltem Pa- pier, der mit einer Nadel flach an der Täfelung befestigt ist.

Die „Kybele" und die „Amphitrite", die, in großem Format ausgeführt, sich im Besitz der Mme. de Nadaillac befinden, suchen Erinnerungen an die Italiener der Renaissance zu wecken. Nackte Frauen, die in gezierten Stellungen daliegen, von kleinen Genien umgeben. Ihre Formen sind kaum in den Hauptumrissen festgehalten. Nichts als simple Skizzen. Ja, aber gerade in den Skizzen verrät sich das Können des Zeichners. In Michel- angelos und Rafaels, in Tizians und Rembrandts Zeichnungen verschwindet manchmal der Verlauf einer Linie an gewissen mittleren Punkten und läßt durch die beiden Endpunkte erraten, was da- zwischen liegt, z. B. in den Fleischpartien; hin- gegen sind die Gelenke und Gliedmaßen immer durch entscheidende Betonung der Form scharf bezeichnet. Von Michelangelo gibt es Zeichnungen nach dem Modell, in denen der ganze Arm nur durch drei unentbehrliche Verbindungsstellen an-

Cabanel und Baudry 267

gedeutet wird, nämlich die Fassung der Schulter am Rumpf, den Winkel des Ellbogens und den Ansatz des Handgelenks. Und dennoch fehlt nichts. Die Meister lassen gern Unnützes und Nebensächliches weg, weil sie sich bemühen, den wesenthchen Charakter des darzustellenden Bildes hervorzuheben.

Mit den Porträts ist es traurig bestellt: Gui- zot, Baron Charles Dupin, Marquis de F., MUe. Madeleine Brohan, und ein kleiner nackter Knabe „als kleiner Johannes". Man meint, daß sie mit Mehl gemalt sind, das erst in Wasser verdünnt wurde. Und doch hat Guizot einen schönen Grei- senkopf,^ und MUe. Madeleine Brohan soll sehr schön sein. (1861. 11. 22—24.)

Cabanel und Baudry

Die „Venus" von Cabanel und die „Venus" von Baudry, die eine von vorn, die andere vom Rücken gesehen, sind alle beide als Gegenstücke für die Tuilerien angekauft. Beide werden von bläuHchen Wellen geliebkost. Amaury Duval hat eine dritte Venus gemalt, die sich in aufrechter Hal- tung vom Himmel abzeichnet. Eine nackte Frau, drei nackte Frauen, wer dächte da nicht an die „Drei Grazien" Rafaels, an die drei Göttinnen des „Paris-Urteils" von Rubens, an die Venus-, Danae-, Antiopegestalten Correggios und Tizians! Seien

268 Cabanel und Baudry

wir doch etwas heidnisch in der Malerei. Der Papst, dem wir hienieden weltlichen Schutz ge- währen, wird uns gewiß seinen geistlichen Schutz angedeihen lassen.

Das Heidentum dieser Maler ist übrigens kei- neswegs unanständig, und diese hüllenlosen Ge- stalten haben nichts vom natürlichen Weibe an sich, noch von dem Weibe, das etwa von Wollust träumt. Weder Haut und Knochen, noch Fleisch und Blut. Seidenfutterale, die der Wind aufbläht. Mit Recht findet man, daß die Venus v^on Milo keusch sei: und doch fordert sie zur Liebe her- aus durch das Gefühl der Schönheit. Man kann die Aphroditen Tizians unkeusch finden mit ihrer vollen und festen Modellierung, die uns verlockt sie zu berühren, und mit ihrer goldgelben, warmen Haut; hat nicht das ehrbare Museum zu Madrid es sich lange Zeit versagt, sie im vollen Lichte auszustellen? Aber unsere Pariser Aphroditen haben nicht einmal diese Anziehungskraft der Wirklichkeitstreue. Es sind harmlose Phantome wie die papiernen Nymphen, die auf den Wand- verkleidungen der Cafes kleben. Man könnte rosig kolorierte Steindrucke davon machen für die kleinen Boudoirs der Breda street.

Über der „Venus" von Cabanel flattern Amo- retten, wie Schmetterlinge um eine Blume. Neben Baudrys „Venus" klaffen perlmutterfarbene Mu- scheln, die mxit dieser „Perle" aus dem Meere wetteifern. Denn das Gemälde ist benannt: „Die

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Perle und die Woge", ein hübscher Titel, der, wie der Katalog verzeichnet, einer persischen Fabel entlehnt ist, und dessen anspruchsvoller Cha- rakter gar wohl mit der Manier des Malers: übereinstimmt. Dieses Weib, diese Perle denn die Metapher des Titels versetzt das Weib ja in die Klasse der Muscheln diese schaumgebo- rene Venus Baudrys hat nicht eben die Frische der Erscheinung eines Wesens, eines Gegen- standes — der aus der Tiefe des Ozeans empor- taucht. Die Fülle ihres Leibes fällt schlaff zu- sammen, anstatt sich in den Sand einzudrücken, die Flut zurückzudämmen und zum Himmel empor- zudräuen. Eine falsche Perle. Eine echte Perle wird nicht platt am Ufer, sondern prägt ihm lastend die Spur ihres zierlichen, festen Ovales auf. Aber „die Perle der Frauen", wie die klassischen Wörter- bücher sagen, ist selten in den Ateliers und überall.

Cabanel und Baudry haben 1849 ^^^ ^^50 die „grands prix de Rome" gehabt, und damit rangieren ihre Talente außerhalb der wahrhaft modernen und originalen Bestrebungen.

Wenn man fünfzehn Jahre lang in der Ecole des Beaux-arts zu Paris und in der Villa Medici zu Rom eingeschlossen gewesen ist, vermag selbst der lebhafteste Charakter unter dem beständigen Zwang alter Professoren, veralteter Vorbilder, ver- alteten Herkommens und veralteter Theorien seine Unabhängigkeit nicht zu bewahren. Die Künstler, denen unsere Epoche ihre Berühmtheit verdankt,

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sind schlechterdings niemals durch jene Schule gegangen: weder Gericault, noch Ary Scheffer, noch Decamps, noch Delacroix oder Rousseau, noch etwa irgendeiner von denen, die das 19. Jahr- hundert repräsentieren werden. Es ist zu beachten, daß Flandrin ebenfalls den „grand prix de Rome" hat (1832), ebenso Hebert (1839), Gustave-Ru- dolphe Boulanger (1849), Bouguereau (1850) und einige andere mehr.

Diese römische fremde Plejade bildet eine höchst geschlossene und solidarische Gilde, die natürlich von der Regierung, von der offiziellen Welt und ihrem näheren Umkreis gestützt wird. Vermöge dieses wechselseitigen Verhältnisses und dieses konzentrischen Bestrebens ist es ihr nicht schwer geworden, zu der Stufe des Erfolges empor- zusteigen, die den Parnaß und den Sinai unserer Zeit darstellt. Die ihr angehören sind niemals wie Delacroix, Decamps, Rousseau, Dupre, Diaz, Corot, Barye, Preault, und so viele andere, die systematisch von den öffentlichen Ausstellungen ausgeschlossen waren, den Beleidigungen der Jury und der offiziellen Gewalten, noch der Gering- schätzung der Hammelherde, die in Frankreich stets dem Impuls von oben gehorcht, ausgesetzt gewesen. Von der Regierung protegiert, gewannen sie im ersten Anlauf die Gunst der Menge.

Man kann jedoch, trotz der gegenwärtig herr- schenden Gleichgültigkeit gegen die Künste, in der Malerei schon zwei feindliche Strömungen be-

Cabanel und Baudry 271

obachten, die, verschiedenen Zielen zusteuernd, den heißen Kampf der Klassiker und Romantiker, oder, wenn man so will, der Konservativen und der Neuerer, der Tradition und der Ursprünglichkeit fortsetzen werden. Haben wir nicht auf der einen Seite diese Römer der Verfallzeit, die raffinierten Nachbeter toter Ideen und Stilarten, und auf der anderen Seite diese naiven Barbaren, die sich auf der Suche nach dem Leben und der Wirklich- keit befinden? Hersent, Heim und die anderen Klassiker, von denen wir sogar die Namen ver- gessen haben, sind von Eugene Delacroix und Decamps verdunkelt worden; Bidault und Bertin von Theodore Rousseau und Dupre. Unmöglich ist es nicht, daß die Neu-Römer und die Neu- Griechen gar bald vor den Wilden und den Bauern verschwinden werden.

Cabanel und Baudry haben ihren Venusbil- dern jeder zwei Porträts hinzugefügt. Cabanels Porträt der Comtesse de Clermont-Tonnerre ist recht vornehm, seine „Jugendliche Florentinerin** reizvoll. Baudrys Frauenbildnis ist fein in der Physiognomie und einfach in der Wirkung; aber sein Männerporträt ist in einer verzerrten Manier gemalt, die das Auge beleidigt. (1863. 11. 373 ff.)

Baudry soll ein intelligenter und vornehmer Mensch sein. Ich glaube das sehr gern und bin gewiß, daß die Unfähigkeit der Künstler vor allem

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dem gegenwärtigen Leben zuzuschreiben ist. Wer begünstigt denn die mythologische und die my- stische Kunst, die Ödipus und die Aphroditen, oder die Madonnen und die Heihgen in Ekstase? Doch diejenigen, die ein Interesse daran haben, daß die Kunst nichts bedeutet und an modernes Trachten und Streben nur ja nicht rührt. Wer begünstigt die Nymphen und die galanten Pom- padourszenen ? Der Jockey-Club und der Boule- vard Italien. Und wer kauft diese Bilder? Höf- linge, Börsenparvenüs und adelige Lebemänner.

Baudrys „Diana" zeigt ebenso wie seine „Perle" im Salon von 1863, daß es ihm auf die Darstellung wollüstiger Schönheit ankommt. Er findet mit dieser „Diana" und der aphrodisischen „Perle" mehr Gefallen als mit seiner „Charlotte Corday" im Salon von 1861. Er hat nicht genug Tiefe, und zeichnet zu schwächlich, als daß er sich an historischen Kompositionen und Charakter- schilderungen versuchen dürfte. Aber für den un- gefähr erhaschten Anblick von Frauen in gra- ziöser Haltung bringt er einen gewissen Zauber der Bewegung und der Farbe mit.

Er hat für seine Diana jene bei den Bild- hauern sehr beliebte Stellung gewählt, in der die Arme über den Kopf gestreckt sind, so daß vom Handgelenk und vom Einbogen aus bis zum Fuß- knöchel eine lange Schlangenlinie läuft, mit leisen Krümmungen unter der Achselhöhle, an den Hüften entlang und an der Kniekehle. Von den

Baudry 273

griechischen Bildhauern bis zu Pradier, von der badenden Liebesgöttin Tizians, die ihr goldenes Haar zusammenbindet, bis zu Eugene Delacroix' Odalisken ist dieses Motiv immer erfolgreich ge- wesen. Die Natur hat nichts Schöneres zu bieten, als das aufrecht stehende Weib, das sich in seiner ganzen Höhe emporreckt, oder als das liegende Weib in seiner vollen horizontalen Ausdehnung. Auf dem rechten Beine ruhend, während das linke in unglücklicher Verkürzung einwärts ge- bogen ist, den Kopf zurückgeworfen und die Arme über den Kopf gestreckt, wie um einen Pfeil ab- zuwehren, den ein umherflatternder Amor eben gegen sie abgeschossen hat, zeigt die keusche Diana ihren jugendlichen, zart in Perlmuttertönen modellierten Busen. Aber wie unrichtig ist die Zeichnung gerade an den Stellen, die vor allem Kenntnis erfordern. Die Hände und Füße sitzen nicht fest am Körper. Unter dem Fleisch sind keine Knochen. Die Form ist leer. Eine gesuchte Anmut, ein flinker, gewandter Pinselstrich, ein durchsichtiges Kolorit vermögen jene Mängel in der Ausführung nicht hinreichend aufzuwiegen.

Baudry wäre vielleicht ein ausgezeichneter Maler, wenn er sich nicht ehrgeizig um das be- mühte, was seine Freunde den „Stil" und das „Ideal" nennen, und wenn er auf kleinen Lein- wandflächen unbefangen die Natur wiedergäbe; denn das kleine Porträt des Herrn Ambroise B . . ., Brustbild auf grünlichem Hintergrund, in der Ton- Bürger, Kunstkritik. II. 18

274 Bandfy

art Holbeins und Clouets gehalten, ist köstlich; an Feinheit der Pinselführung, an Zartheit in der Farbengebung, an Anmut des Gesichtsausdruckes ähnelt es in der Tat den kleinen Wundern Clouets, ohne freilich dessen so einzigartige Festigkeit in einer Malerei aufzuweisen, die den leichten, durch- sichtigen Charakter des Aquarells bewahrt.

(1865. III. 206 ff.)

XI. Meissonier und Gerome

Meissonier

Meissonier sucht das kleinste mögliche For- mat, er setzt eine oder zwei mikroskopische Fi- guren hinein, die doch alle Vorzüge der Farbe, des Ausdrucks und des Lebens besitzen. Er hat drei Bilder von erlesener Feinheit ausgestellt: einen „Jungen Mann, der sitzend Zeichnungen be- trachtet"; er hat ein charmantes kleines Bein- kleid in Perlgrau und einen Rock von derselben Farbe an; vor ihm auf einem Tisch sind Bücher und Statuetten. Dann ein „Corps de garde", eine Gruppe von einigen Soldaten, die auf einer Trom- mel Würfel spielen; die Farbe ist kräftiger, doch nicht minder richtig als in den andern kleinen Interieurs. Endhch eine „Partie Piquet" zwischen zwei Männern, die im Profil einander gegenüber- sitzen; die Köpfe sind außerordentlich geistvoll, und der Mann zur Rechten ist in jenes zarte Rosa gekleidet, das man auf den Pastellen von Boucher bewundert. (1845. i- 119.)

18*

276 Meissonier

Meissonier hat fünf Bilder ausgestellt: einen „Maler", einen „Musikanten", einen „Hufschmied", das Porträt des Herrn Fould und das der Frau H. T. Der Katalog gibt sogar ein sechstes an, „Der Kaiser bei Solferino"; aber dieses „Blatt Geschichte" ist noch nicht im Salon erschienen.

Ein glücklicher Mensch, dieser Meissonier! Seit zwanzig Jahren sind sein Ruhm und sein Ver- mögen beständig gewachsen. Er ist der am mei- sten gesuchte und am besten bezahlte von den modernen Malern. Von den alten Meistern kommt ihm höchstens Gerard Dou an Börsenwert gleich. Rembrandt steht nicht so hoch im Kurs. Nun, das ist ganz bestimmt zu viel.

Auf dem Bilde „Der Maler" sind vier Per- sonen; ich weiß nicht, ob es gerade dieses ist, das soeben für 40000 Frcs. verkauft wurde; 10 000 Frcs. für jedes von diesen kleinen Herrchen im perlgrauen Rock. Warum denn nur macht sich Meissonier nicht daran, zeitgenössische Interieurs zu malen? Das wäre doch ein annehmbarer Vor- schlag für ihn, und es würde seinem für die Zu- kunft schon etwas ältlich gewordenen Talent viel- leicht einige neue Züge verleihen. Er würde so, durch unmittelbare Studien nach der Natur, ge- wisse Wirklichkeitsakzente wiedererlangen, die er verloren hat. Wenn man solange nach kleinen Gliederpuppen malt, die man sich selber zurecht- stutzt, so hat man schließlich gar kein Variations- vermögen mehr. Nur die ewig wechselnde Natur

Meissonier 277

erneuert ohne Unterlaß den Anblick der Dinge und die Eindrücke der Künstler. Wenn ich Meis- sonier wäre, so würde ich mir meine Freunde zum d6jeuner nach Pontoise einladen; ich würde all meine seidenen Höschen und all die Schnurrpfei- fereien ä la Pompadour verbrennen, ein Trink- gelage veranstalten und während der Zecherei eine Gruppe von Rauchern aus dem 19. Jahrhun- dert malen, die als ebenso malerisch erfunden wer- den dürften, wie die Marquis, Abbes und anderen niedlichen Gliederpuppen aus der Zeit Lud- wigs XV.

Fast allen unseren heutigen Malern fehlt die Liebe zur Natur. Der wahre Künstler ist derjenige, welcher sieht und fühlt. Und wenn man ordent- lich gesehen und tief empfunden hat, dann fällt das Malen nicht allzu schwer. Aber anstatt die gewaltige, uns umgebende Natur zu betrachten, machen die Maler fast ohne Ausnahme die Augen zu, stützen ihre Denkerstirn mit fieberiger Hand und sagen sich, im Düster der Reflexion: „Was könnte man wohl machen, um das Aller- beste zusammenzufassen? Manche haben Homer oder Dante, andere Shakespeare oder Goethe über- tragen. Jene haben aus den antiken Überliefe- rungen geschöpft, diese aus den Traditionen des Mittelalters. Mein Gott, mein Gott, was soll man machen ?'* Und so nimmt der eine den Samson wieder her, der andere den Alkibiades, dieser eine Bacchantin, jener eine Nymphe, der eine Charlotte

278 Meissonier

Corday, der andere Marie-Antoinette. Aber einer, der mal ganz einfach sich auf eine Boule- vardbank in die Sonne legte und die Augen auf- machte, der würde viel eher einen prächtigen Ge- danken für ein Bild mit heimbringen, als diese Leute, die den Wald vor Bäumen nicht sehen.

Es ist ja schon so oft mit Bezug auf Theater und Literatur gesagt worden, daß keine Epoche dramatischer, abwechslungsreicher, malerischer war, als die unsrige. Es gibt zunächst sonder- barere Köpfe, als ehedem. Heutzutage stehen tau- send Gründe dafür, daß man Nasen hat, wie sie noch nicht dagewesen sind; denn tausend unver- mutete Fäden dehnen und beeinflussen die Phy- siognomien in jeder Beziehung. O, welch gün- stige Zeit für die Sittenmaler, für Leute, die sich in die Komödie der Menschheit vertiefen, für Rabelais oder für Jan Steenl

Meissonier würde zweifellos zaudern, sein klei- nes, verstaubtes Boudoir zu verlassen, um sich auf das bewegte Theater der zeitgenössischen Ko- mödie zu stürzen. Es ist eben bequemer, einen kleinen „Musikanten" zu machen, der auf seinem Instrument herumkratzt. Leider ist das Bild in der Farbe nicht sonderlich gelungen.

Die kleinen Figuren des „Hufschmieds" muß man als wahre Wunder ansehen; sie sind viel- leicht nicht viel mehr als zwei Millimeter hoch. Adriaen van de Velde hat noch kleinere gemalt, die aber als Ganzes und in den Einzelheiten besser

Meissonier 279

sind. Besonders in der Schule der primitiven Vlamen, bei van Eyck, van der Weyden und Mem- ling, muß man diese kaum wahrnehmbaren Ge- stalten bewundern, die trotzdem wie lebensgroße Figuren aufgebaut sind.

Das Porträt von Louis Fould ist ein wirk- liches Bild: ein Interieur mit dem reichsten Zu- behör, der ganzen Sammlung von Kunstgegen- ständen, die im letzten Winter verkauft worden ist; und inmitten dieser Schätze steht ein Mann im Schlafrock, mit runden, kränklichen Formen, und hält irgendein Meisterwerk in den verunstal- teten Händen. Man muß wohl annehmen, daß diese Persönlichkeit dem Talent des Malers nicht günstig war, und dieses Bild würde sich nicht für loo Frcs. verkaufen, wenn man die Signatur be- seitigte und seine Überlieferung vergessen könnte.

Das Porträt der Frau T. halten wir für das beste Gemälde Meissoniers im Salon. Diese lie- benswürdige Frau mit dem leuchtenden Haar ist als Brustbild gemalt; die Hände hat sie vorn übereinander gelegt. Der Kopf, beinahe en face, wird von dem schönsten roten Haar beschienen, das einen außergewöhnlich vornehmen, englischen Ton hat. Ich habe ladies mit solcher Haarfarbe im Gefolge der Königin von England gesehen, als sie an einem fürchterlichen Regentage mit einem ganzen Schwärm vornehmer Damen die Ausstellung zu Manchester besichtigte. Die Pariser wissen sicher, wer diese schöne Frau H. T. ist.

280 Meissonier

Ich wünsche ihr, daß sie noch lange ihre unver- gleichHche Hautfarbe behalten möge, die so wun- derbar mit der Farbe ihres Haares harmoniert. Obgleich diese fünf Meissoniers nur wenig Raum auf dem Getäfel der Ausstellung einnehmen, ziehen sie doch eine Menge Leute an, und man muß Queue stehen, ehe man an sie herantreten kann. (1861. II. 9Ü.)

Meissonier ist gegenwärtig sicher der berühm- teste von den zeitgenössischen französischen Ma- lern, und seine kleinen Gemälde werden auch in Zukunft gleich den Bildern all der köstlichen Meister wie Gerard Dou, Slingeland u. a. ihre Geltung behalten. Wer aber hätte gedacht, daß Meissoniers Talent sich jemals zu solch epischer Malerei berufen fühlen würde: der „Rückzug aus Rußland" und die „Schlacht von Solf erino" ?

Wohin ist es mit der historischen und dra- matischen Malerei gekommen, daß die Häupter der französischen Gesellschaft, wenn sie die Groß- taten ihrer Dynastie verherrlichen und bildlich ver- ewigen wollen, zu ihrem Interpreten den zartsin- nigsten Miniaturmaler erwählen, einen Mann, der ungeheuer geschickt ist, wenn es sich darum han- delt, ein Männchen, das in einem Buche blättert oder die Flöte spielt, in einem Zimmerchen dar- zustellen ?

Der Maler der „Pestkranken von Jaffa" hätte

Meissonier 281

vielleicht eine erschöpfende Darstellung des Rück- zuges aus Rußland, dieser Schlußepisode eines großen Zusammenbruchs, geschaffen. Da kom- men sie gezogen, im Abendscheine, durch auf- geweichten Schmutz und Schnee stampfend, sie, die die anderen dahin geführt hatten, wo so viele gefallen sind! Noch haben sie die Möglichkeit, nicht selbst auch zurückzubleiben! Welch ein Trauerzug! Vorn der Heerführer, ganz allein, mit gesenktem Haupte, die dünnen Lippen in den Mundwinkeln tief zu dem starkknochigen Kinn herabgezogen. Gesicht und Mantel bleiern grau, wie der Himmel. Dann die Gefährten des Helden, in reichlich schlechter Verfassung, in dumpfer Re- signation zu zwei und zwei vorwärtstrottend. Ein Alter ist auf seinem Gaule eingeschlafen, sein Kopf schwankt bei jedem Schritt. Ein anderer blickt stumpfsinnig auf einen Tschako und ein paar un- kenntliche, unförmliche, halb vom Schnee begra- bene Überreste; denn es sind schon Flüchtlings- scharen durch diese weiße Wüste den Weg nach Frankreich gezogen, nur wenige werden dort- hin gelangen.

Meissonier, der ein kluger Mann ist, hat das richtige Gefühl für die Komposition des Gegen- standes gehabt, den man von ihm verlangte. Aber wie soll man auf einem offiziell bestellten Bilde, das notwendigerweise apologetischen Inhaltes sein muß, den wahren Sinn des Dramas zum Aus- druck bringen ?

282 Meissonier

Welch ein Bild war daraus zu machen I Das Größenmaß tut dabei sicherlich nichts zur Sache, und ich vermute, daß ein Künstler wie Rembrandt ein schreckliches Gemälde daraus gemacht haben würde, mit Figürchen sogar, nicht größer als seine kleinen Philosophen im Louvre.

Charlet hat einmal den „Rückzug aus Ruß- land" gemalt; das Bild war in der letzten Zeit der Regierung Louis-Philippes ausgestellt. Da er einfach für die Öffentlichkeit arbeitete, so hatte er die patriotische Seite seines Vorwurfes gewählt, und sein Bild erweckte Gedanken wie etwa : „Die braven Kerls ! Wie glorreich ist das 1 Aber trotz- dem auch wie traurig, daß man sie so umkommen läßt!"

Meissoniers Gemälde läßt an ein Klagelied denken, obwohl der Künstler an ein Helden- gedicht hätte denken sollen. Möglich, daß das Bild, in Steindruck übertragen und vom comit6 du colportage herausgegeben, ungemein populär werden würde.

Auch malerisch bringt es kein glückliches Er- gebnis, und, um das Unglück voll zu machen, ist dieses trübe und unbestimmte Bild zwischen einen Corot in ganz silberigem Ton und einen Rousseau von außerordentlichem Kolorit gehängt.

Alle malerischen Schwierigkeiten waren in einem solchen Gegenstande vereinigt, und es ist nicht zu verwundern, daß Meissonier sie nicht be- wältigt hat. Die Köpfe, vor allem derjenige der

Meissonier 283

Hauptperson, neigen ein wenig nach dem Stile hin, den Daumier vertritt. Die Pferde halten sich nicht auf ihren Beinen, und der Schimmel des Kaisers scheint mit süßer Milch gemalt zu sein. Diese Gruppe von Reitern, die in langem Zuge daherkom^men sollen, ist zu einem einzigen Haufen zusammengeballt. Keinerlei Abstufung des Lichtes, die jede Figur an ihren richtigen Platz stellte. Die Letzten sind gerade so nahe wie die Vorder- sten: warum sind sie kleiner? Rechts von dem kaiserlichen Zuge bemerkt man eine Menge mi- kroskopisch kleiner Gestalten, gewiß ein Regi- ment, das ebenfalls die Heimat wieder zu er- reichen sucht; aber die Entfernung, welche sie von der Hauptgruppe trennt, ist durch keine Ter- rainperspektive gerechtfertigt. Landschaft, Erde und Himmel bilden hier kein Milieu, in dem sich menschliches Leben entfalten könnte. Der Boden sieht aus wie eine weiße Wollstrickerei, und das Ganze erweckt den Gedanken an eine kleine In- sektenschar, die sich in einem Spinnengewebe ver- fangen hat.

Das andere Gemälde von Meissonier erinnert an die feinen Aquarelle von Eugene Lami oder sogar an die kleinen Gouachemalereien von Swe- bach und an jene wunderbaren Glasbildchen, die die Deckel der reichgeschmückten Tabatieren zieren. Meissonier hat eine Zartheit in der Pinsel- führung, die von keinem anderen Künstler, in keiner Schule und zu keiner Zeit übertroffen wird.

284 Meissonier

Aber dieser übertriebene Vorzug bringt zweifel- los eine gänzliche Unfähigkeit mit sich, Gegen- stände zu behandeln, wo Großzügigkeit und Männlichkeit unentbehrlich sind. Ein toter Soldat auf dem Schlachtfelde dürfte nicht mit demselben Pinsel gemalt werden, wie ein seidenes Kleid. Ein Reiterstandbild muß andere Akzente haben, als eine kleine Schäferin auf dem Sockel einer Stutzuhr.

Die Künstler, die es verstanden haben, un- abhängig von dem Größenmaß des Kunstwerkes den Figuren und Gegenständen ihre wahren Maß- verhältnisse zu geben, sind ungemein selten. Eine ganz kleine antike Bronze ist manchmal größer als die Natur. Michelangelo hat auf ein Stückchen Papier zwei Meter hohe Figuren gezeichnet. Selbst die Koloristen, wie Tizian, Veronese, Velazquez und Rembrandt, Rubens und van Dyck, haben vermöge eines anderen Kunstgriffes auf einer kleinen Fläche kolossale Bilder erstehen lassen. Aber im allgemeinen vermögen es die Maler, die sich an den kleinen Maßstab halten, nicht, einen Gegenstand zu seiner wahren Größe zu erheben. Den besten Beweis dafür bieten die im übrigen so geschickten Holländer, be- sonders wenn sie sich wie Berchem, Karel du Jardin, Metsu u. a. an die Darstellung von Fi- guren in natürlicher Größe wagen. Die Klein- malerei hat ihre konventionellen Gesetze, die den Gesetzen nicht allein der großen Malerei, sondern

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jeder Malerei, die Gegenstände von höherer Be- deutung behandelt, widersprechen. Teniers' Kir- meßbilder würden, in natürlicher Größe gemalt, unerträglich sein, und Rafaels große Fresken würde man als Miniaturen gar nicht verstehen. Ein enormer Unterschied hinsichtlich der Mittel herrscht auch zwischen Interieur- und Frei- lichtbildern. Wer das Halbdunkel eines Boudoirs oder eines Gasthauses gut malt, der wird die Aus- strahlungen des Lichtes im Freien nicht sicher beherrschen. Terborch und Metsu haben sich meines Wissens kaum an Szenen gewagt, die sich außerhalb des geheimnisvollen Dunkels des Hauses abspielen. Pieter de Hooch ist es manch- mal, und sogar bis zur Vollendung gelungen; ebenso dem Adriaen van Ostade, Jan Steen und einigen anderen aber doch nur selten. Um- gekehrt ist nicht zu beobachten, daß die Meister der äußeren Natur, wie Ruisdael und Hobbema sich auf das Gebiet des Interieurs gewagt hätten. Aelbert Cuijp hat allerdings in seiner ersten Manier das Halbdunkel der Ställe gemalt, aus dem seine Apfelschimmel leuchten. Aber das sind Ausnahmen, welche nicht verhindern, daß die Fähigkeit, die verschiedenen Erscheinungen der Natur zu sehen und auszudrücken, bei den Künstlern, die ihrer individuellen Veranlagung nachgehen, bis zu einem gewissen Grade zu ein- seitiger Ausbildung gelangt. Es liegt mehr Phy- siologie als man glaubt in der Mannigfaltigkeit

286 Meissoniei'

des malerischen Talentes, besonders wenn dasselbe mehr noch aus einem innigen Verhältnis zur Natur, aus einer Empfindsamkeit der Sehorgane, als aus einer abstrakten Einbildungskraft hervorgeht. Die- jenigen, welche vom Idealen ausgehen, dürfen alles erfinden, was ihnen gefällt, ihre Bewunderer werden sie deshalb keinesfalls tadeln; sie dürfen sich nur nicht von der wirklichen Schöpfung ab- wenden. Wenn aber der Ursprung des Talentes in Natur eindrücken zu suchen ist, dann wird das Kunstwerk notwendigerweise stark von der phy- siologischen Veranlagung des Künstlers beein- flußt sein.

Meissoniers Sehvermögen ist ganz eigenartig : er sieht die Einzelheiten mit einer erstaunlichen, ganz unvergleichlichen Schärfe. Jedoch scheint es ihm nicht gegeben zu sein, den Gesamteindruck zu erfassen. Als Zeichner gibt er oft schon falsche Proportionen im Aufbau einer einzigen Figur und vergrößert die vorderen Partien zu stark, wie das Objektiv des Photographen. Als Kolorist trifft er wohl den Lokalton sehr genau, bringt es aber nicht zu einem harmonischen Gesamteindruck. Es scheint ihm unmöglich zu sein, mit seinen kleinen Figürchen zugleich auch die umgebenden Gegen- stände zu sehen, daß er sich geradezu zwingt, sie jeden für sich zu sehen und daß er dann jedem nach seinem ihm zukommenden Wert gerecht wird. Auch pflegen seine allzu wichtig behandelten Hintergründe gewöhnlich die Vordergründe zu be-

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einträchtigen. Und wenn es sich um eine Dar- stellung in freier Luft handelt, wie dann den Raum, den Boden, die Landschaft, den Himmel und die Unendlichkeit gestalten?

Um „Den Kaiser bei Solferino" darzustellen war Meissonier gezwungen, einen- Landschafter aus sich zu machen. Die Schlacht spielt sich in der Ferne ab; der Heerführer und sein General- stab sind als Zuschauer auf einem Hügel postiert, von dem aus sie den Qualm der Kanonade jenseits des welligen Geländes bemerken. Die Landschaft ist also die Hauptsache in diesem Vorwurf. Es steht fest, daß sich Eugene Lami wegen der Schlacht-„Felder'*, die er zu malen hatte, mehrfach an Jules Dupre gewandt hat, wie denn auch van der Meulen den Huysmans von Malines und andere Landschafter beschäftigte. Man kann nicht be- haupten, daß derart gemeinsame Arbeiten beson- ders glücklich ausfielen; vorteilhaft sind sie nur immer für den Figurenmaler, der sich nicht gern in Wind und Wetter plagen möchte. Meissonier hat seine Schlacht ganz allein gewagt, und das ist tapfer. Er war selbst mit bei Solferino, in dieser Generalstabsgruppe, und sogar im Käppi, denn das letzte Figürchen zur Linken soll sein Porträt sein. Sicher ist, daß er seine Mitzuschauer sehr gut beobachtet hat; ihre Porträts sind alle sehr ähn- lich. Man sollte diese ausgesucht feinen kleinen Köpfe ausschneiden und sie in Gold oder in Dia- manten einfassen! Welche Kleinode wären dasi

288 Meissonier

Petitot ist nicht so preziös ! Auch die beiden kleinen gefallenen Österreicher am Boden sind sehr reiz- voll; und rechts, auf einer Straße, werden Wagen von allerliebsten Artilleristen eskortiert. Der Krieg ist gar nicht so schrecklich, wie die Philanthropen meinen, deren böswillige Vergrößerungsbrille die Tatsachen entstellt.

Es muß sehr klares Wetter gewesen sein am Tage dieser Schlacht von Solferino, denn die Land- schaft ist voll von minutiösen Einzelheiten bis zum Horizont, wo sich kleine Pappeln aufrichten, die man für die Fühlhörner eines Maikäfers halten könnte. Die glasigen Gelände können diese kleinen Reiter kaum tragen, die doch gar kein Gewicht haben und gar nicht atmen können unter dem flockigen Himmel. Nach solchen Erfahrungen in der „großen" Malerei wird Meissonier vielleicht gut tun, in seine Interieurs aus dem i8. Jahrhun- dert zurückzukehren; denn dort wird er als ein Meister begrüßt. (1864. Iil. 4^11.)

Meissonier gibt sich natürlich und lebhaft in seinen kleinen häuslichen Szenen. Durch ein Ver- größerungsglas gesehen nehmen seine kleinen Fi- guren einen Schein von Wirklichkeit an: sie könnten sich bewegen und ihren Ausdruck ver- ändern. Meissonier kommt der Photographie nahe; das ist sein Vorzug, und vielleicht auch sein

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Meissonier t-l

Fehler. Denn der Künstler soll dem Bilde, das er wiedergibt, etwas von seinem eigenen Wesen hm-

zufügen.

Dieser Eindruck, den der Mensch vor der Natur empfindet, macht die wesentliche Seite der Kunst aus. Ich weiß nicht, warum man so gern die Überlegenheit der Kunst über die Natur er- örtert. Beide sind zwei ganz verschiedene Dmge. Die Natur ist in ihrer Art vollkommen schön. Es gibt viele Frauen, die ebenso schön sind wie die Venusbilder der Griechen oder Rafaels Ma- donnen. Eine Photographie nach einem schönen, lebenden^ Modell ziehe ich den OdaHsken Ingres' vor. SchließUch ist der Künstler weiter nichts als ein Übersetzer, der mit seinem Empfinden und m seinem Stil erläuternd tätig ist. Vor der Natur selbst, oder vor einer Photographie hat man das Vergnügen, diese Auslegung mit mehr oder we- niger Poesie unmittelbar zu vollziehen. Wenn em Maler, anstatt die Natur vermöge einer Einwirkung des ihm innewohnenden, besonderen Wesens zu vermenschlichen, ein gesehenes Bild entwertet und gemein macht, dann steht die unangetastete Natur höher als die unvollkommene Kunst.

Alle Theorien über Kunst großen oder kleinen Stils, über Naturalismus oder IdeaHsmus bedeuten nichts im Verhältnis zu dem Wert eines einmal geschaffenen Werkes. Daumier ist sicher em viel größerer Künstler als der Schöpfer des „Fau- nes der eine Nymphe entführt", und das ge-

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ringste kleine Bild von Meissonier ist mehr wert als der enorme „Verlorene Sohn" von Dubufe. Die Meissonier-Ausstellung ist außerordentlich mannigfaltig. Vierzehn Gemälde, nach denen man beurteilen kann, was dem Talent des Künstlers am meisten liegt. Zu historischen Darstellungen, zu einer Schlacht bei Solferino, zu chauvinistischen Erinnerungen werde ich ihn nicht ermutigen. Meissoniers Soldatenbilder vermögen sich neben Charlets und Raffets Lithographien nicht zu be- haupten. Aber in den kleinen intimen Interieurs, wie dem „Corps de garde" im Besitz des Mar- quis of Hertford, oder der „Erwartung", im Be- sitz der Mme. Meissonier, hat er nicht seines- gleichen. Vielleicht sein Glanzstück auf der Welt- ausstellung ist die „Rast vor der Tür eines Wirts- hauses". Je winziger die Figürchen sind, um so mehr hat Meissonier das Gelingen für sich. So- bald seine Gestalten eine gewisse Größe annehmen, wie der Biedermann in Rot, der in Vorderansicht dasitzt und liest, oder wie das im allgemeinen so bewunderte Porträt des Herrn Delahante, so wird der Pinselstrich schwerfällig, und die Farbe verliert an Feinheit. Das Porträt der Mme. The- nard, kleiner als das des Herrn Delahante, brauchte die Nachbarschaft eines Metsu nicht zu fürchten. Wir können Meissonier getrost zu den Malern rechnen, deren Ruf die Zukunft bestätigen wird. (Weltausstellung 1867. III. 35iff-)

Geröme 291

Gerome

Ger 6m e ist entschieden derjenige Maler, der vor allen anderen die Athener von Paris mit magnetischer Kraft anzieht, und in seinen Bil- dern handelt es sich auch tatsächlich um Pariser aus Athen.

Die Geschichte dieses kleinen Griechenvolkes ist unerschöpflich. Alles hat es sich selbst ge- schaffen, alles was schön heißt, in den Künsten, in der Philosophie, in Taten. Rom und die ganze lateinische Welt haben seit 2000 Jahren nur von ihm gelebt. Wenn die Maler Heldenmut brauchen, so gehen sie zu den Griechen, und leihen sich deren Leonidas aus. Ein einziger nur hat es bisher gewagt, die griechische Geschichte zu entweihen und Karikaturen der Antike dem öffentlichen Ge- spött preiszugeben. Wir werden diesem unehr- erbietigen Gallier, Meister Daumier, bald als dem Maler der „Wäscherinnen" an der Seine wieder begegnen. Und vielleicht hat er recht; denn sein komisches Genie ist von Gerome übertroffen wor- den, der freilich bemüht scheint, ernsthafte Ma- lerei zu liefern.

Gerome hat zwei griechische Bilder gemacht, dann ein römisches, ein ägyptisches, ein hollän- disches Gemälde und ein bis auf die Farbe chinesisches : das Porträt der Rachel. Ein trau- riger Anblick, dieses Gespenst mit den langen Armen, das an einer Säule klebt. Die Gestalt ist

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lebensgroß, erscheint aber trotz ihrer maßlosen Länge kleiner. Das hat Ähnlichkeit mit nichts, weder mit einem Schatten, noch mit einer Statue, am allerwenigsten aber mit einer Frau. Es ist nichts darin, nichts darauf und nichts darum herum. Das Nichts überall 1 Man unterscheidet nur zwei oder drei Flecken mißtöniger Farben, die dem Auge weh tun.

Die ägyptische Landschaft ist das erträglichste von diesen sechs Bildern. Auf dem Erntefelde ziehen zwei Büffel eine Maschine, welche das auf der Erde ausgebreitete Stroh wendet und zer- schneidet. Auf der Maschine sitzt ein Mann, der die fast andächtige Arbeit leitet. Das Ganze ist kleinUch gemalt, entbehrt aber nicht einer ge- wissen, ganz asiatischen Strenge.

„Rembrandt, eine Kupferplatte ätzend" heißt das dritte. Damit ist wirklich der letzte Grad von Willem Mieris erreicht 1 Und welch eine erstaun- liche Verkehrtheit, auf Mieris zurückzugreifen, wenn man Rembrandt malen will.

Der bedauernswerte große Mann vom Rhein hat einen Affenkopf, auf dem eine Art baum- wollener Mütze sitzt ; er fällt schräg nach vorn, wie ein Epileptiker er, der ruhige, sichere Mann! und dazu hat er das Unglück, aus Porzellan zu sein, und ist nur von glasartigen Gegenständen umgeben, er, der doch immer feuriges, heißes Blut und gesunde, schwellende Muskeln hatte, und der nur das Allerschönste in grandioser Form und

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im auserlesensten Ton um sich sehen konnte. Ich habe Rembrandts Haus in Amsterdam mehrmals besucht; einmal ging ich hin mit einer Kopie des Inventars von 1656, und darin ist Stück für Stück so gewissenhaft angeführt, daß man seine Woh- nung beinahe genau wieder so zusammenstellen kann, wie sie war, als er so viele aus aller Herren Ländern stammende Schätze dort aufgespeichert hatte. Gleich im Vorzimmer fing es mit Leder- sesseln aus Kordova an; von den Bildern, die an den Wänden hingen, gar nicht zu reden. In dem „kleinen Atelier" und dort ätzte er vielleicht seine Kupferplatten waren Rüstungen, Musik- instrumente, seltsame Kostüme, Abgüsse nach dem Leben von Köpfen und Händen, und mehrere nach Bildwerken der Antike. Armer Rembrandt, daß man dich mit der Kleinlichkeit des Letzten der Mieris behandelte 1 Den Hund des Alkibiades kann man Gerome überlassen; dem darf jeder den Schwanz abschneiden, um Athen davon reden zu machen. Das ist ein altes Geschichtchen, an dem die historische Wahrheit keinen Anteil nimmt. Aber Rembrandt und die Holländer sind von schlechten Chronisten und schlechten Malern zur Genüge gemartert worden. Man soll sie in Ruhe lassen, bis man so weit ist, daß man sie ver- steht !

Dieser Hund des Alkibiades hat schon viel von sich reden gemacht, obgleich er im glück- lichen Besitze seines Schweifes ist. Es ist ein

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großer, rauhhaariger Windhund, der sich vor dem Lager aufrichtet, auf dem Alkibiades undAspasia ruhen. Ohne den Hund würde man schwerhch erraten, daß diese beiden banalen Gestalten „den schönsten aller Griechen" und eine der unwider- stehlichsten Frauen des Altertums vorstellen. Glücklicherweise kümmert sich der weitaus größte Teil des Publikums vor allen Dingen um den Hund; seine größte Sorge ist es, zu wissen, ob ihm der Schwanz auch wirklich abgeschnitten ist. Man hat mir versichert, Gerome werde ihn noch vor Schließung des Salons abschneiden. Voraus- gesetzt, daß nicht irgendein boshafter Farben- kleckser schneller bei der Hand wäre. Ein Pinsel- hieb genügt schon statt eines Schnittes mit der Schere. Stellt euch nur vor, was für einen Auf- ruhr gäbe das in Athen! Als Gegenstück zu dem Windhund steht, auf der rechten Seite, So- krates, und in seinem philosophischen Schatten verbirgt sich irgendeine junge Griechin mit rotem Haar in jenem Ton von „reifem Weizen", für den die Alten eine große Vorliebe hatten. Diese Gestalt ist voller Anmut und Wollust; ein ge- heimnisvoller Zauber schwebt über ihr, und dar- über vergißt man, daß sie von oben bis unten recht schwach gezeichnet ist. In der Zeichnung des Nackten wäre unbedingte Korrektheit erfor- derlich, besonders wenn es sich um den vollkom- mensten Typus handelt, den uns die geschicht- liche Überlieferung erhalten hat. Es gibt überall

Gerome 295

schöne Frauen, jede nach ihrer Art, wie die Bibel sagt; aber die Griechin muß untadehg sein, und für eine Gefährtin der Aspasia ist es einfach un- erlaubt, keine richtigen Beine zu haben, und Füße, die vom Geschlecht der Frösche stammen. Das ist auch ein Hauptfehler der „Phryne" von Gerome : diese Unvolikommenheit der Form in einer Darstellung, die als ,, Apotheose der Schönheit" bezeichnet werden könnte. Die Wahl eines solchen Gegenstandes zeugt sicher von einem höchst erfinderischen und gewandten Kopf, und man wundert sich sogar, daß die Maler nicht öfter schon Phryne vor dem Areopag des Publikums ausgezogen haben. Der Vorwurf bietet alle male- rischen Bedingungen dar, zunächst und vor allem in der Liebesgöttin selbst, die sich enthüllt, und dann in dem verschiedenartigen Ausdruck, den die plötzliche Erscheinung vollendeter Schönheit in einer Versammlung verfeinerter Griechen her- vorrufen muß. Gerome besitzt jedoch weder Schönheitsgefühl noch Sinn für Menschenart, ja, er hat nicht einmal eine Ahnung von der grie- chischen Kultur, die er elendiglich entstellt. Aber sein Versuch mit Phryne sollte die wahren Maler nicht abschrecken. Es läßt sich ein Meisterwerk aus diesem Geschichtchen machen, das vielleicht nichts anderes ist als ein ästhetisches Symbol, mit der Bedeutung, daß die Schönheit die Herrscherin der Welt ist, die über alles triumphiert; denn hier ist sie Wahrheit und Gerechtigkeit zugleich.

296 G6r6me

Aus dieser erhabenen antiken Allegorie hat Gerome ein armseliges Zerrbild gemacht, wo ein Dutzend „törichter Greise** stumpfsinnige und lü- sterne Mienen aufsetzen, da sich die Göttin vor ihnen entschleiert. Das steht in vollem Wider- spruch zu den Gebräuchen Griechenlands, der klassischen Heimat der Kunst, wo die Schönheit ganz allein sieghaft alles überstrahlte. In Grie- chenland war das allgemeine Gefühl beim An- blick einer schönen Frau, oder nur irgendeiner schönen Form, immer nur Bewunderung und Ver- ehrung. Nun ist zwar diese Phryne von Gerome schlecht gezeichnet, schlecht auf ihre Beine ge- stellt, und in den erdfarbenen Kniegelenken ver- wachsen. Jedenfalls gleicht sie den Statuen kaum, die Praxiteles nach Phryne gemacht hat, und die in den Tempeln angebetet wurden. Aber das ist kein Grund, um den griechischen Areopag zu einer Versammlung alter Senatoren herabzuwürdigen. „Hat es je einen erhabeneren Gerichtshof ge- geben, als den Areopag, der in ganz Griechenland so verehrt wurde, daß man sagte, die Götter selbst seien vor ihm erschienen!" Gerome, der als ein gebildeter Mann gilt, hat, wie es scheint, diesen Satz Bossuets niemals gelesen.

Diese Schule der „Neu-Griechen** ist wirklich nur eine Bande von „enfants terribles". Gebt uns Daumier wieder, der in seiner Art ein mannhafter Künstler war. Diese hier aber wissen nicht, was sie tun, weder in Ansehung der Gedanken, noch

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der Malerei. Wenn sie sich nur wenigstens noch durch geschickte Ausführung, durch irgend etwas, das an die Natur erinnerte, und durch unmittel- bare Wirkung retteten. Aber dieses Phrynebild gleicht einem Marionettentheater aus gefärbter Pappe. Lebendige Gestalten soll man darin sehen, Figuren in Lebensgröße unmöglich. Diese Phryne ist doch nicht mehr als ein Püppchen von S^vres- Porzellan, das man in die Hand nehmen kann. Freilich, das ist auch nicht unanständig, und die Palastdamen, für die das Meisterwerk bestimmt ist, brauchen dabei nicht zu erröten.

Das sechste Bild von G6r6me stellt zwei „Auguren" dar, die sich nicht ansehen können ohne Lachen, und auch die Betrachter des 19. Jahrhunderts mit ihrer Heiterkeit anstecken. Man hat wirklich Ursache zum Lachen, in unseren Tagen, genau so, wie zur Zeit der römischen Cäsaren. (1861. 11. i2ff.)

Es gibt im Salon eine Sorte von recht ge- suchten Malern, die uns der Süden in regelmäßig wiederkehrenden Zeiträumen truppweise beschert. Sie kommen aus den Niederungen Italiens und Griechenlands. Am Beginn unseres Jahrhunderts nannte man sie „Klassiker", und damals hatten sie noch eine gewisse männliche Kraft. Heute aber ist dieses Geschlecht heruntergekommen, und liefert nur noch groteskes Zeug.

298 Gerome

Welch ein Niedergang von den Griechen Da- vids zu den Griechen Geromes ! Gebt uns David, Hennequin und Lethiere zurück 1 David stellte mit strenger Überzeugung ,,Leonidas bei. den Ther- mopylen" dar; Gerome bietet den Pariser Damen einen Puppenbalg, der vor alten lüsternen und schamlosen Satyrn ausgezogen wird, die darob Gri- massen schneiden, als ob sie zum erstenmal eine wirkliche nackte Frau vor Augen sähen.

Sämtliche Kritiker geben zu, daß Geromes Ge- mälde vom historischen Standpunkte aus unmög- lich sind, daß sie den allerunempfindlichsten Ge- schmack verletzen, und daß sie in der Ausführung sehr schwach sind. Aber seine Verteidiger er hat nämlich welche ! stürzen sich auf seine früheren Werke, wie „Cäsars Tod" und die „Zir- kusgladiatoren". Das letztere, das wir noch nicht kannten, haben wir neulich gesehen, und waren recht erstaunt über den gemachten Erfolg, den es im Salon erlangt.

Zu den Wundern dieser mehr als chinesischen Malerei gehört unter anderem, daß man bis zu den letzten Stufenbänken hinauf, wo die sitzenden Fi- guren nur noch so groß wie Fliegen sind, sämt- liche Stricke des über den Zirkus gespannten Zelttuches zählen kann. Denners Bravourstücke sind nicht so auf die Spitze getrieben; er zeigt wohl das Haar auf einem Gesicht in Lebensgröße, so daß man meint, es sei dem Auge ganz nah; aber oben in der Luft, auf einen Kilometer Ent-

Geröme 299

fernung noch Schnüre zu malen, das hätte selbst der kühnste Miniaturist niemals getan.

Die Nachahmer Gerömes wenn er es ist, der auf die Idee kam, die Antike so karikaturen- mäßig wieder auferstehen zu lassen sind zahl- reich im Salon vertreten. Wir haben die Namen aller derer, die griechische, etruskische oder rö- mische Interieurs, Szenen aus der heidnischen Welt oder mythologische Stoffe malen, nicht her- vorgehoben. Es genügt, diejenigen zu nennen, die bei einer bestimmten Klasse von Liebhabern am meisten Beifall finden, wie Hamon, Gustave-Ro- dolphe Boulanger, Cabanel, Bouguereau. Sie alle werden auch von der heutzutage doch reichlich skeptischen Kritik, die gar keine festen Anhalts- punkte mehr hat, sympathisch begrüßt.

(1861. II. 124Ü.)

Aber das Porträt der Rachel muß man sehen ! Sollte dieses Werk Geromes für das Foyer der Comedie Frangaise bestimmt sein ? Wer könnte je in dieser Art von Hermes, der an einer Säule lehnt, die lebhafte und originelle Tragödin wieder- erkennen, die eine ganze Generation bewegt hat 1 Was für ein schönes Porträt hätte man von der Rachel machen können! Bildhauer und Maler gingen ins Theater, um ihre klassischen Posen, das schöne Maß ihrer Mimik, den leidenschaft- lichen und zugleich verhaltenen Ausdruck ihrer Physiognomie zu bewundern. Welch ein seltenes

300 G6r6me

Modell für einen Zeichner war diese feine schlanke Gestalt, deren Umriß ins Leere graviert zu sein schien ! Benvenuto hätte davon eine hervorragende Statuette gemacht. Unter den alten Malern hätte vielleicht Parmigiano diesen nervigen, schlanken, eleganten Körper voll stählerner Energie am besten verstanden und wiederzugeben gewußt. Die Rachel hatte mit ihren festen Gelenken, den ela- stischen Formen und dem düsteren Feuer in ihren tiefen Augen etwas vom Panther an sich.

. . (1861. II. 137.)

G^rome hat drei Bilder ausgestellt: „Lud- wig XIV. und Moliere", „Die Gefangenen" und einen „Türkischen Metzger in Jerusalem".

G^rome hat den großen Mann ich meine Moliere zur Karikatur gemacht, wie die Mit- glieder des Areopags auf der „Phryne". Er ist in der denkbar demütigsten Haltung ganz in sich zusammengekauert, und weiß nicht, was er mit seinen Armen und Beinen anfangen soll. Er hat die Physiognomie und die Gebärden des letzten aller Lakaien, und in seinen Zügen spielt ein fal- sches, niedriges Lächeln. Ich büde mir ein, daß Moliere trotz seiner Bescheidenheit stets eine höchst würdevolle Haltung hatte, und ganz be- sonders an jenem Tage, als die entrüsteten Höf- linge den genialen Mann Auge in Auge dem Für- sten gegenüber sahen, der seine Größe ja nur von den großen Genies seiner Zeit erborgte. Der

Gerome 801

„große König** hat übrigens auf diesem unbedeu- tenden, kleinlichen Bilde selbst nur das Aussehen einer Marionette. Und wie drollig ist die Hal- tung der „großen Herren** vom Hofe!

Unvereinbar harte Töne kämpfen hier mit- einander : Apfelgrün, unausstehliches Blau und ein giftiges Rot. Und all das flimmert über einem gehöhnten und gefirnißten, von Reflexen schim- mernden Parkett, so daß es den Eindruck erweckt, als ob die Leute die Füße im Wasser hätten.

„Der Gefangene** gehört dem Museum zu Nantes. Eine Szene aus dem Orient; der Ge- fangene ist quer über eine Barke gelegt, von Marterinstrumenten umschlossen. Wohin entfüh- ren ihn wohl die Ruderer? Einer neuen Leibes- strafe entgegen? Diese kleinen Figuren sind inner- halb der Komposition sehr geschickt angeordnet; das Ganze ist, in einem recht gut getroffenen Halb- ton gehalten, von einfacher Wirkung. Denn Gerome ist, von seinen historischen Travestien und seinen allzu pretentiösen Absichten abgesehen, ein feiner und geschickter Künstler, ohne frei- lich mit echt malerischen Qualitäten begabt zu sein. Sein Pinsel ist so zart wie der eines Miniatur- malers.

Diese raffinierte Feinheit kann man besonders in dem kleinen „Türkischen Metzger** würdigen; er steht an die Wand gelehnt, am Boden liegt eine Anzahl von Hammelköpfen verstreut. Diese und der Kopf des jungen Türken, minutiös mit

302 Gerome

winziger Pinselspitze hingetupft, wirken fast wie eine Photographie, die auch dieselben Unvollkom- menheiten in der Zeichnung, wie z, B. an dem ganz unförmlichen linken Bein, darbieten würde.

(1863. II. 377 ff.)

Das Porträt Amedee Thierrys Halbfigur in natürlicher Größe ist eine Art posthumer Ersatz für die Porträts von Hippolyte Flandrin. Die gleiche dürftige und trockene und prätentiöse Ausführung. Thierry, in goldgesticktem Kostüm, den Degen an der Seite, stützt seine rechte Hand auf einen mit Papieren bedeckten Schreibtisch; er hat graue Haare und ein wohlrasiertes Ge- sicht. Auf dem grünlichen Hintergrund ist eine Bronzebüste angebracht ; vielleicht soll sie Augustin Thierry darstellen. Ich glaube nicht, daß jemand diese unangenehme Malerei sehr bewundert.

Geromes Bild, die „Almee" ward von dem un- ehrerbietigen Publikum der „Bauchtanz" genannt. Die „Almee" lockt die Menge nicht mehr an, wie auf den früheren Ausstellungen der „Moliere" oder die „Phryne". An diesem außerordentlich durch- gearbeiteten Gemälde fällt dem Blicke zuerst ein scheinbar aus Porzellan oder Elfenbein gemachter Bauch auf, der sich zwischen dem, von einem gelben Gürtel gehaltenen rosa Rock und einem gelben, mit Mousselin besetzten Mieder aufbläht. Über dem Miederrand muß noch ein stark zurück- gebogener Torso und ein nach links geworfener,

Gerome 303

in Verkürzung gesehener Kopf sitzen, dazu zwei Anhängsel, das sind die Arme, die mit Kasta- gnetten in der Hand durch die Luft fahren. Rechts drei Musikanten, der eine stehend, die beiden anderen auf der Erde hockend. Vor dem Bauch der „Alm^e" sitzen vier Personen im Turban und klatschen der Schönheit der Tänzerin und ihren Körperverdrehungen Beifall. Ihre Physiognomien sind so fremdartig wie ihre Kostüme, und Gerome hat die ganze Zartheit seines Pinselstrichs daran gewendet, der, wenn auch nicht so saftig, doch dem von Meissonier vergleichbar ist. Auch sein Ruf ist iibrigens im Wachsen begriffen, und auf der Auktion Demidoff ist sein kleiner „Türkischer Fleischer", der im letzten Jahre ausgestellt war, mit 6000 Frcs. verkauft worden. Wie sollen wir aus dieser noch nicht dagewesenen und ungesun- den Manier herauskommen, wenn sie von den rei- chen Sammlern durch exorbitante Preise unter- stützt wird? Ich vermute, daß die „Almee" und ihr Bauch das Entzücken irgendeines alten Millionärs sein werden. (1864. iii. 54 f.)

„Der Empfang der siamesischen Gesandten im Schlosse von Fontainebleau". Preis: 50000 Frcs. Hoffen wir, daß dieses Gemälde auf die Nachwelt kommt. Es ist seltsam, wie die seltsam- sten Seiten der „Memoiren" des Herzogs von Saint- Simon. Der Monarch, der, umgeben von seiner

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Familie, seinen Höflingen und Würdenträgern, das Frankreich des Jahres 1864 repräsentiert, blickt trüben Auges auf eine Reihe platt auf dem Bauch liegender Fremdlinge, die sich wie abgeschnittene Stücke eines mit schimmernder Schabracke auf- geputzten — Reptils zum Throne hinschlängeln. Welche für die Menschheit glorreiche Zeremonie, da Utopisten und Philosophen diese Menschheit doch alle für solidarisch erklären! Der Hof von Fontainebleau betrachtet das alles so ernsthaft, als ob er der Hof von Siam wäre, und als ob unsere öffentliche Gesittung sich von der des fernsten Orients gar nicht so weit unterschiede. Die Komposition eines solchen Vorganges war nicht leicht. Mir scheint, der Thron und das ganze kaiserliche Gefolge hätten in der Mitte der Lein- wand und in vollem Lichte aufgebaut werden müssen, so etwa, wie die Künstler des Mittelalters verfuhren, wenn sie die strahlende Dreieinigkeit, umgeben von Engeln und Heiligen, malten; die Prozession der Unglücklichen, die vor einer höheren Macht im Staube kriechen, mußte dann in den Schatten der unteren Partien der Fläche gerückt werden. Gerome hat die Szene von der Seite genommen, weil er vielleicht vor den Schwie- rigkeiten des Helldunkels zurückschreckte, die ihm erwuchsen, wenn er die Reihe der am Boden Lie- genden stufenweise, perspektivisch gesehen, an- ordnete. So hat er sie also in flacher »Profilansicht gegeben und läßt sie im Gänsemarsch von links

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nach rechts, in einer Ebene nach dem Throne hinkriechen, der in der Ecke der Leinwand er- richtet ist. Infolgedessen bilden all die weißge- kleideten Damen, die hinter der Kaiserin stehen, in der Ecke des Gemäldes eine leuchtende, helle Lücke, die die Gesamtwirkung beeinträchtigt. In einer gut angelegten Komposition muß die Mitte durch die Ausstrahlung des Lichtes das Auge an- ziehen wie durch die Zusammenziehung aller Linien. Gerome kennt diese klassischen und ganz natürlichen Regeln; aber er hat seine Gründe, sie nicht zu befolgen.

Sein Talent, das anfangs auf vornehmen Stil hinaussteuerte, ist gar bald auf einer mit Muschel- werk und falschen Edelsteinen bedeckten Sand- bank gestrandet. Gerome scheint eher das Auge eines Juweliers als das eines Malers zu haben. Mit welch liebevollem Eingehen auf das Minu- tiöse hat er doch die Ausrüstungsgegenstände seiner siamesischen Käfer ziseliert, ihre Füße, Fühlhörner und anderen Ansätze 1 Auf ihren wage- rechten Rücken glänzen und schillern die seidenen Gewänder wie feine Gold- und Silberarbeit. Da gibt es Smaragdgrün, Azurblau, Orangegelb, alle Farben und alle Reflexe. Wie eine Reihe Insekten auf dem Sammelkarton eines Entomologen. Wun- derbar ist das I Diese erstaunlichen Abbilder einer am Boden liegenden Menschheit kommen Blaise Desgoffes Wunderleistungen in der Wiedergabe von Gesteinen gleich, und ich würde mich glücklich

Bürger, Kunstkritik. H. 20

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schätzen, wenn ich genug Latein könnte, um da- gegen die schönen antiken Verse über die auf- rechte Haltung des Menschen zu zitieren, die ihm ermöghcht, zum Himmel emporzublicken.

In diesem entomologischen (ich möchte das Wort beibehalten) Teil seiner Malerei übertrifft Gerome, der mit Blaise Desgoffe wetteifert, ganz gewiß Denner und Willem Mieris, die erlauchten Vorbilder der abscheulichsten Ausmalerei, deren sich die Kunsgeschichte entsinnen kann.

Die Persönlichkeiten des französischen Hofes ähneln den Figuren der Galerie der Madame Tus- saud zu London, etwa so, wie man sie vom Ein- gang des Saales aus durch ein konkaves Glas sehen würde, das die Puppen mit den Wachs- gesichtern verkleinerte. Diese leeren Formen haben überhaupt keine Existenz, weder durch Mo- dellierung, noch durch Zeichnung. Man ist nur erstaunt, daß diejenigen, die so aussehen, als ob sie sich aufrecht hielten, nicht auch wie die Frösche aus Siam zu den Füßen der schlecht da- sitzenden Majestäten hinsinken, die ohne die Lehnen ihrer Sessel der edlen Gesandtschaft ebenfalls die orientalische Reverenz machen würden.

Das zweite Gemälde von Gerome heißt das „Gebet" und stellt Muselmanen dar, die ihre Mor- genandacht verrichten. Auch hier wieder Leute, die in lauter schimpflichen Stellungen sich zu Bo- den geworfen haben, die einen mit auffahrender

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Bewegung, die anderen zusammengekrümmt, daß sie mit der Stirn den Boden berühren.

Immer Prosternation oder Prostitution es ist ein und dasselbe, wie schon die Wortbildung verrät. Politische, religiöse und moralische Pro- stitution. Im Salon von 1861 war es die Prosti- tution der Schönheit: „Phryne" läßt vor einem Areopag alter Satyrn ihre Hüllen fallen; und die Prostitution der Philosophie: „Sokrates präsidiert den Sinnengenüssen des Alkibiades und der Aspa- sia, die beide auf einem Lager ausgestreckt liegen." Im Salon von 1863 war es die Prostitution der Frau überhaupt; eine „Almee", die inmitten be- trunkener Soldaten ihren nackten Bauch hin und her bewegt : der „Bauchtanz** genannt.

Warum nur die ganz absonderliche Vorliebe für diese Vorstellungen von Knechtschaft und Er- niedrigung? Warum Mann und Weib in ihrem individuellen und sozialen Charakter herabwürdi- gen? Warum ohne Unterlaß und auf jede Art und Weise die Vernunft, das Gewissen, die Moral, die Geschichte, Poesie, Natur und alle ästhetischen Empfindungen von Wahrheit, Recht und Schön- heit verletzen ?

Ich wüßte da noch einen großartigen Vor- wurf für Geröme : der Gesandte irgendeines katho- lischen Staates wie z. B. Frankreichs küßt dem Papst den Pantoffel.

Wir sind wahrhaftig die letzten, die eine un- mittelbare Predigt von der Kunst verlangten. Aber

20*

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vielleicht gewinnen doch Einzelne wie Gemein- schaften ihre Bildung unter dem lebendigen Ein- fluß der Künste und Wissenschaften.

Bilder und Bücher sind zu allen Zeiten und in allen Ländern die wesentlichen Elemente der Erziehung gewesen. Was die Literatur angeht, so ist dies unbestreitbar, daß sie das übersetzende und übertragende Werkzeug des menschlichen Geistes selbst ist. Gleichermaßen sind aber auch die bildenden Künste eine Aufzeichnung dessen, was der Mensch ersinnt, verwirklicht oder wünscht. Die Vergangenheit steckt ebenso in den Monu- menten von Stein wie in den Büchern von Papier. Der geschriebene Gedanke und das gemalte Bild sind die beiden Flügeltüren vor dem Anblick der Geschichte selber. Die Gegenwart hinterläßt ihre Spuren in zwei nebeneinanderstehenden Lagern: Worten und Formen. Und hat die Zukunft nicht eine Verkünderin in der poetischen „Einbildungs- kraft" der Schriftsteller und Künstler?

In einer demnächst erscheinenden Broschüre, über die wir bei Courbet gesprochen haben, stellt Proudhon die folgende ästhetische Formel auf: „Die Kunst ist eine ideale Darstellung der Natur und unserer selbst, mit dem Absehen auf phy- sische und moralische Vervollkommnung unserer Art."

Verhält sich das so? Beinahe. Aber nicht ganz. Die Definition ist zu gebieterisch und macht den Künstler zum Moralisten. Denn der Moralist

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ist es, der auf Vervollkommnung ausgehen muß. Der Künstler geht auf die Schönheit aus und setzt es sich zur Aufgabe, die anderen sie „sehen zu machen", und sie bildet für ihn das Kunstmittel, womit er das Wahre und Gute durch Gleichnis hervorbringt.

Moral, Wissenschaft und Kunst haben zwar keineswegs dasselbe Ziel, müssen aber tatsächlich zu demselben Ergebnis gelangen, der physischen und moralischen Vervollkommnung unserer Art und sogar zur Vervollkommnung des allgemeinen Lebens, innerhalb dessen die Menschheit nur die Bedeutung eines vergänglichen organischen Werk- zeuges hat.

Es ist schade, daß Proudhon nicht mehr da ist, um beurteilen zu können, ob Geromes Bild zur physischen und moralischen Vervollkommnung der menschlichen Art dienen kann, und ob das „os homini sublime dedit" nicht doch ein großer Irr- tum des lieben Gottes war. (1865. iii. 173 ff-)

Man braucht sich nicht mehr über den Verfall der edlen Kunst, der religiösen und mythologi- schen, der großen Kunst und des erhabenen Stils zu verwundern ! . . . Wir sollten indes die Römer, unsere Lehrmeister, verteidigen. Ich für mein Teil bin für das Gemälde von „Cäsar und Kleopatra" eingenommen: „Kleopatra begab sich in ein kleines Fahrzeug und kam nachts vor dem Palast

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ZU Alexandria an. Da sie nicht eintreten konnte, ohne erkannt zu werden, wickelte sie sich in einen Teppich ein, den Apollodor mit einem Riemen zu- sammenschnürte und durch das Tor des Palastes zu Cäsar hineinbringen ließ. Diese List der Kleopatra war, so sagt man, der erste Köder, mit dem Cäsar gefangen wurde." (Katalog des Salons, Nr. 800.) Die Geschichte ist nicht neu, aber dieses kleine Fahrzeug, dieser orientalische Teppich, die Er- gebenheit des guten Apollodor und die List, die ein Köder war, das sind rührende und unwider- stehliche Dinge.

Kleopatra steht auf dem Teppich, aus dem sie soeben herausgeschlüpft ist, und wendet sich zu Cäsar, der mit Schreiben beschäftigt an einem kleinen Tisch im Schatten sitzt. Und diese Frau von edelster Rasse, die man sich wie eine ägyp- tische Bronze vorstellt, hat leider geschwollene Knie und Knöchel, dazu Füße, die keineswegs in Aschenbrödels Pantoffel hineinpassen würden. Der kleine, in seinem Winkel hockende Cäsar ist durch seine großen ungeschlachten Füße nicht weniger bemerkenswert. Diese Leidenschaft der Idealisten für plumpe Knie und plumpe Füße ist doch erstaunlich. Ach ! wie anders sind die Frauen- hände und -fuße bei Watteau.

Der Fehler Geromes und der ganzen Schule, der er sich anschließt, ist, daß sie nicht zeichnen können. Farbengefühl haben sie auch nicht, und von Helldunkel wollen sie nichts wissen. Im

Giröme 311

Übrigen sind sie große Künstler, deren Ehrgeiz sich auf überschwengliche Bilder richtet. Was gibt es denn Besseres in Poesie, in Philosophie und Ge- schichte, als Homer, Sokrates, Alkibiades, Phryne, Kleopatra, Cäsar I

Das zweite Gemälde G6r6mes stellt „Das Tor der Moschee el Assaneym" zu Kairo dar, wo „die Köpfe der von Salek-Kachef geopferten Beys" aus- gestellt wurden. Ich hoffe, daß der Ausdruck „geopfert" für einen Ausstellungskatalog zum hohen Stil gehört I Wie die Kunst, so die Lite- ratur. Eine gewisse Auffassung von Bildern zieht eine ähnliche Sprache nach sich. Niemals würde ein naturalistischer Maler im Titel seiner Bilder sich zu solchem gesuchten Ausdruck verstiegen haben.

Mit ihrem Haufen abgeschlagener Menschen- köpfe dürfte die kleine Malerei G^romes dazu be- stimmt sein, das Gegenstück zu dem „Türkischen Schlächter" (Salon von 1863) zu bilden, um den Hammelköpfe auf dem Boden herum liegen. Das ist nicht gerade heiter anzusehen ! Aber G^rome legt alle Sorgfalt einer raffinierten Ausführung hinein. Er hat selbst an Meissonier nicht seinesgleichen in der fleißigen Wiedergabe und Kleinarbeit photo- graphischer Treue. Es gibt wundervolle Partien in diesem kleinen Gemälde, gleichwie in den meisten anderen Arbeiten G^romes; hier sei vor allem die Architektur des arabischen Portals her- vorgehoben. (1866. III. 294 ff.)

XII. Porträtmalerei

Das Porträt ist keine leichte Arbeit zu dieser Zeit. Als Tizian die Aristokratie des i6. Jahrhun- derts malte, als er das Haupt des blonden Löwen, Kaiser Karls V. vor Augen hatte oder den Eber- kopf Franz' I., drückte sich der Charakter der Persönlichkeiten in einer kräftigen Malerei aus. Die großen Zeitläufte bringen große Künstler her- vor. Ein überlegener Mensch findet immer einen Maler, der seiner würdig ist. Das Genie begeistert das Genie. Luther hatte Albrecht Dürer, Hein- rich Vin. Holbein; die Medicis hatten Michel- angelo. Das 19. Jahrhundert hat vielleicht nur ein schönes Porträt hervorgebracht: das ist der Adler- kopf Napoleons von Gros.

Seit dem Porträt von Gros sucht einmal andere, die der Nachwelt würdig wären. Es ist gewiß nicht Charles X. von Robert Lefebvre. Und alle Helden der Restauration, wo sind ihre Bild- nisse? Diese Bürger, die sich seit vierzehn Jahren überall breit machen, was wird aus ihren gewöhn- lichen Bildern werden? Außer einigen Porträts

Porträtmalerei 313

von Ingres, außer dem Porträt von George Sand und einigen Bildnissen von berühmten Originalen, welche die Persönlichkeiten unserer Zeit vor der Zukunft vertreten, bleiben lauter aufgedunsene Ge- sichter ohne Form, ohne Kennzeichen und ohne Namen, wie sie jedes Jahr im alten Louvre die kräftigen Bilder der Menschen aus der Renais- sance oder die eleganten Gestalten van Dycks oder die glänzenden Erscheinungen aus dem Zeit- alter Ludwigs XIV. bedecken.

Mag sein, daß die Rasse entartet. Soviel steht fest : die Malerei ist im Verfall ; denn die großen Maler haben oft schöne Bildnisse nach Bastard- typen gemacht. Velazquez hat mit der Figur Philipps IV. mehrere Meisterwerke geschaffen, mit diesem schwachen Nachfahren Karls V. und Phi- lipps II. Karl I. von England ist eine bleiche Ge- stalt, die dahinschwindet, und doch, welch ein prachtvolles Gemälde ist Karl I. von van Dyck!

Der menschliche Kopf hat übrigens für be- gabte Künstler immer einen tiefen Sinn und eine fesselnde Bedeutsamkeit. Es gilt nur, den Vogel durch den Käfig zu sehen. Wenn, der Geist zu- weilen ausfliegt und das Gefängnis leer läßt, so ist doch die Tür nicht auf Nimmerwiederkehr hinter ihm zugesperrt. Das Tor des Geistes schließt sich nicht von außen, könnte man nach dem Wort des Poeten sagen. Der Vogel, der im Gehirn des Menschen leuchtet und singt, zerreißt niemals die Schnur, die seine Kralle an der Stange

314 Porträtmalerei

festhält. Das Talent des Künstlers besteht beim Porträt darin, eben den Moment zu wählen, wo das Innere sich regt und hervorscheint.

So haben auch die großen Meister herrliche Bildnisse uns unbekannter Personen hinterlassen. Wer ist der hochgemute Venezianer, den man den Herrn mit dem Handschuh nennt, von Tizian? Wer ist der andere, dem Tintoretto beigemessene, der dem eben genannten im Louvre als Gegen- stück zugeordnet ist? Er hat einen viereckigen Kopf, energische Züge, ein freies Auge, roten Bart, die Hand fest auf die Hüfte gelegt; sicherlich war es ein Mann der Tat. Und die beiden an- ziehenden Poeten ohne Namen, die dem Rafael zugeteilt werden : der eine mit etlichen Wolken über der Stirn, die bis auf die Augenlider herab- steigen, beweglichen Nasenflügeln, tiefeingezo- genen Mundwinkeln. Man könnte ihn „die Melan- cholie" nennen. Der andere stellt die zarte Träu- merei des Jünglingsalters dar. Das weiche Oval seines Gesichts ruht auf der kleinen zarten Hand. Seine blonden Haare und seine Sammethaut sind im Einklang mit den himmelblauen Augen. Der Schwung seines Mundes ist fein und ruhig. Es ist Cherubino in einer Anwandlung von Empfind- samkeit.

Man macht noch keinen Menschen, wenn nur die Nase mehr oder minder in der Mitte des Ge- sichts sitzt, nicht mit einem neuen Kleid und einem Vorhemd allein, sondern nur mit einem Charakter,

Porträtmalerei 315

einer beliebigen Leidenschaft, einer Intelligenz, einem Willen. Jede Epoche hat ihre Physiognomie, und jedes Individuum trägt unterscheidende Züge. Die Familienähnlichkeit verdunkelt nie völlig das Merkzeichen der Persönlichkeit. Unterscheidet man denn nicht die Brüder aus demselben Blut trotz der auffallendsten Übereinstimmung? Jeder ist zuerst immer ein Selbst, ebenso wie man laut Brid'Oisons Ausspruch immer „der Sohn irgend jemandes" ist.

Ohne Zweifel, die durchgehenden Merkmale, die den Menschen unserer Zeit eigentümlich sind, wollen sich zum hohen Stil nicht recht eignen. Unsere Hauptbeschäftigung ist nicht der Art, dem Antlitz ein heroisches Aussehen zu geben. Und dann, welch lederne Gewöhnlichkeit ! Aber warum sehen sich denn all. diese Frauen und alle diese Männer so ähnlich? Das ist sicher die Schuld der Maler nicht minder, als die Schuld der Modelle. ' ' ' 'j T !

Und doch, es gibt einige ausgezeichnete Por- träts auch in dieser Menge stumpfsinniger Bilder.

(1844. I. 51—53.)

Sitten und Gebräuche bestimmen die Form. Dem schönen Geist entspricht die elegante Ge- stalt; dem Herzen ohne Falsch ein edler Aus- druck. Der äußere Mensch trägt das Gepräge des inneren Menschen, wie Swedenborg sagt ; oder.

316 Porträtmalerei

um mit Lessing zu reden: das Porträt ist das Ideal des Menschen. Allenthalben stellt aber der Mensch an sich selber auch die Denkart seiner Zeit dar. Die Griechen sind schön unter der Herrschaft Aspasias oder des Alkibiades, die Römer macht- voll unter Cäsars Regierung, das Mittelalter voll Überzeugungstreue, aber auch Starrheit, launisch und närrisch die Renaissance; Ludwigs XIV. Kö- nigtum ist voll Majestät, das i8. Jahrhundert nur Reiz und Wollust, die Revolution ist ernst und philosophisch, das Kaiserreich militärisch, die Re- stauration bigott, und unsere Zeit ist gewinn- süchtig.

Die Kunst hat uns das Porträt all dieser Wahr- zeichen hinterlassen: Venus, Antinous, die heilige Jungfrau, Diana von Poitiers, die Montespan, die Pompadour, Brutus, Murat, Charles X., und end- lich das „materielle Interesse** mit dem glatten Gesicht, den runden Schläfen, dem verglasten Blick und dem bleifarbenen Teint. Das Geschlecht ritterlicher und kraftvoller Männer, und die feinen, und doch widerstandsfähigen Frauen, wie von Stahl, sie sind von der Welt verschwunden. Apoll und Venus sind tot. Don Quichote selbst hat die Landstraßen verlassen, und die Erde, diese ver- lorene Insel am Himmel, wird von Sancho mit seinen rohen Begierden beherrscht.

(1847. I. 482!.)

Porträtmalerei 317

Woher kommt es eigentlich, daß die im Salon von 1861 ausgestellten Werke mit wenigen Aus- nahmen so mittelmäßig sind? Dem echten Maler „liegt" doch jedes Thema, prunkvolle Vorgänge wie intime Szenen, Schlachten ebenso wie Schäfer- szenen, Porträts von Durchschnittsmenschen ebenso wie Bildnisse genialer Leute. Rembrandt hat mit dem ersten besten Schädel Meisterwerke geschaffen, sei es der eines Handelsjuden, oder eines holländischen Seebären. Und haben nicht Rafael, Giulio Romano, Salvator Rosa, Velazquez und Rubens allesamt prachtvolle Schlachtenbilder gemalt?

Auch dem höfischen Leben hat es nie an glän- zenden Auslegern gefehlt, und gerade das höfische Leben war es, das neben der Verherrlichung des religiösen Glaubens, die Künstler der Vergangen- heit am meisten beschäftigt hat. Monarchen und Päpste, Fürsten und Priester, die Höfe und die Kirchen, die Feste der Edlen und die Zeremonien des Kultus bildeten fast ausschließlich das Thema aller Schulen, mit Ausnahme nur der holländi- schen, und etwa noch der vlämischen und deut- schen Schule allein. Wie kommt es also, daß die gegenwärtige Kunst unfähig geworden ist, religiöse Gegenstände, kriegerische Ereignisse, Taten und Gebärden wiederzugeben, ja die Bildnisse der Per- sönlichkeiten, die über Nationen herrschen, nicht mehr fertig bringt ? Es muß sich irgendeine Ände- rung im modernen Geiste vollzogen, eine Wand-

Hl 8 Porträtmaleref

lung in den Empfindungen, von denen die künst- lerische Inspiration herrührt, stattgefunden haben, irgend etwas Neues, das die Künstler von ihren früheren Bestrebungen loslöst. Und dies wird sie, auch gegen ihren Willen, zwingen, die Gedanken und Formen einer leichter verständlichen und zu- gleich natürlicheren Kunst auf anderen Wegen zu suchen.

Eine glänzende Gelegenheit zur Beurteilung der jetzigen Epoche und der Zeitgenossen müßte doch die Zusammenstellung von Porträts aller hochgestellten Persönlichkeiten Frankreichs oder gar Europas bieten: des Papstes, der Kaiser und Könige, Fürsten und Fürstinnen, der Minister und Gesandten, der Marschälle und Admiräle, Sena- toren und Abgeordneten, Finanzmänner und Jour- nalisten, Damen der Gesellschaft und der Halb- welt, der gesamten Regierungs- und Geldaristo- kratie, und endlich der Aristokratie des Geistes 1 Aber . . . aber, die Phrenologie und die Physio- gnomik sollten sich nicht auf das Gebiet der Po- litik, der Religion, der Diplomatie, des Heeres, der Verwaltung, der Börse, der Presse wagen sollten es nicht wagen, das Haupt dessen anzu- tasten, was man gemeinhin „Autorität" nennt, ihre charakteristischen Züge zu analysieren, ihre Stirn, ihren Blick, samt Nase und Mund, Kinn und Hals, Händen und Füßen, ihre Stellungen und Bewe- gungen wiederzugeben : kurz, ihr eine gute oder schlechte Zukunft zu prophezeien.

Porträtmalerei 319

Es ist nun einmal unumgänglich, den Wert der Persönlichkeit abzuschätzen, die der Künstler gemalt hat, wenn man ein Porträt auf seine Quali- täten hin studiert. Der oberste Vorzug, der vom Porträtisten gefordert wird, ist, daß er seinen Mann richtig erfaßt; daß er ihn auch gut male, kommt ja wohl erst in zweiter Linie. Wes Geistes Kind ist dieser Mann? Und wes Geistes Kind ist jener? Was hatte der für besondere Fähig- keiten, Tugenden oder Laster? und welche jener? Das interessiert zuerst an einem Porträt, das bewundert man gerade an den Porträts der alten Meister: den Charakter des Modells. Es ist nicht leicht, an der Oberfläche eines gemalten Kopfes alles zu zeigen, was im Inneren eines Men- schen steckt. Die großen Porträtmaler verfügten gleichzeitig über die Fähigkeit der Durchgeisti- gung und über ein souveränes technisches Können. Es ist sogar bemerkenswert, daß die berühmtesten Porträtmaler die ersten Maler aller Schulen sind: Lionardo und Rafael, Tizian und Tintoretto, Hol- bein, Velazquez, Rubens und van Dyck, Rem- brandt. Aber wie das 19. Jahrhundert kaum ein paar echte Maler aufzuweisen hat, so hat es auch keine wirklich nennenswerten Porträtmaler gehabt. David, Gros, G6rard, sogar Prud'hon besaßen keineswegs die Tiefe Lionardos und Holbeins, den Glanz des Tizian und des Rubens, die Eleganz des Velazquez und van Dyck, noch Rembrandts ausdrucksvolle Originalität. Das Porträt Guizots

320 Porträtmalerei

von Paul Delaroche, Ary Scheffers Bildnisse von Lamennais und Henry Martin sind wertvoll, aber nicht unbedingt als Gemälde. Einige Por- träts von Ingres werden noch genannt; wir zwei- feln, daß die Nachwelt den Cherubini mit seiner griechischen Muse bewundern wird, falls etwas davon übrig bleibt ; denn diese mager ausgeführten Bilder werden rissig, blättern ab und sind schon jetzt halb zerstört.

Unsere Epoche wird recht arm sein an histo- rischen Porträts. Von Balzac gibt es nur ein Porträt, das Louis Boulanger gemalt hat; ebenso nur ein Bildnis der George Sand, von Charpentier. Wird die Photographie Ersatz dafür leisten? Ihre Anwendung datiert überhaupt erst seit der Mitte unseres Jahrhunderts.

Die Monarchen und Fürsten aller Dynastien sind ungefähr auf ihre Rechnung gekommen wenn auch nicht in van Dyckscher Münze. Es fehlt nicht an Porträts von Napoleon I., Lud- wig XVI IL, Charles X., Louis-Philippe und ihren Thronfolgern. Heute wie einst gibt es noch immer eine Menge von diesen Herrscherbildern, und jetzt haben wir im Salon alle Nachkommen, Verwandten und fernsten Abkömmlinge der gegen- wärtig herrschenden Napoleoniden.

Ich weiß wohl, die Menschen ein und der- selben Epoche haben oft einen gewissen Typus gemein, eine oberflächliche Ähnlichkeit, beson- ders die Frauen, und zwar in einem weit stärkeren

Porträtmalerei 321

Grade als die Männer, deren Individualität in den Zufälligkeiten des Lebens viel mehr durchgebildet wird. Wenn man sich in Versailles in den Porträt- galerien aus dem i8. Jahrhundert umsieht, kann man bemerken, daß alle Frauen aus der Zeit der Pompadour ein und dasselbe Aussehen, die näm- liche Physiognomie und sehr ähnliche Züge haben. Bei Nattier und mehreren anderen Malern ist diese Einförmigkeit geradezu auffallend. Ich für mein Teil habe all die reizenden Frauen, die Nattier gemalt hat, besonders die Töchter Ludwigs XV., niemals auseinanderhalten können.

Die Sitten und Gebräuche, die Manieren und Vorurteile, prägen den Individuen, die in ein und dasselbe Milieu gestellt sind und sich den gleichen Beschäftigungen und Zerstreuungen hingeben, einen gleichen physischen Zug auf. Dazu kommt der Einfluß der Mode, welche die Persönlichkeit ihrer Originalität entkleidet, die besonderen Merk- male und exzentrischen Züge verwischt, die Ecken abschleift, wo irgendwelche vorhanden waren, oder Schärfen herausarbeitet, wo keine da waren, die Formen an der einen Stelle vertieft, sie ab- rundet, wo es not tut, die Farben abblaßt oder steigert, die Haut bleicht, die Haare schwarz färbt, wenn sie sie nicht blond macht oder pudert, mit Gold oder Silber bestreut, die Schultern zu- sammenschnürt, die Einbogen anschwellt, die Finger verlängert, die Füße schmaler macht, die Taille schnürt, sie bis zum Nabel verlängert oder

Bürger, Kunstkritik. U. 21

322 Porträtmalerei

verkürzt bis unter die Achselhöhlen; und wenn solche Marionette erst von oben bis unten fertig ist, so steckt man sie noch in ein Futteral, einen Korb oder Käfig, und behängt sie mit denselben Stoffen, die nach den nämlichen Mustern zuge- schnitten sind.

Dies ist zu allen Zeiten beobachtet worden, be- sonders aber in den Epochen des Verfalls. Im i6. Jahrhundert hatten indes trotz der Moden alle Klassen ihren Charakter; die Individualität erhielt sich, kraft der großen Ereignisse, die fast in der ganzen Welt vor sich gingen, im tätigen Leben so- wohl, wie in den Wissenschaften und Künsten. Man denke nur an Erscheinungen wie Christoph Columbus, Galilei, Guttenberg, Luther, Erasmus, Rabelais; oder Michelangelo, Lionardo, Rafael, Tizian, Albrecht Dürer; oder Julius IL, Karl V., Franz L, Heinrich VIII. ! Dann später, nur in Hol- land ausnahmsweise, welche Charaktere, wie Wil- helm der Schweiger, Admiral de Ruijter und Rem- brandt ! Die Menge selbst ist in diesen stürmischen Zeiten der Neuerungen nicht im geringsten banal; in dem Gefühl sich auszuleben, trägt ein jeder offen seine Gedanken, seinen Charakter, sein Ge- bahren, ja selbst seine Tracht zur Schau. Wenn jeder auf seinen Modus lebt, dann ist die Zeit für Malerei gekommen; dann treten auch die großen Künstler auf. Man weiß ja, daß Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV. und Napoleons I. keine großen Maler gehabt hat, daß Poussin über

?orträtmalerei 323

die Alpen ging und einem Mignard und Lebrun den Platz räumte.

Nach einem guten Porträt erinnert man sich immer an die Persönlichkeit ; man kennt sie, selbst wenn man sie nur im Bilde gesehen hat. Kennen wir nicht die Gioconda, den kleinen Träumer, der Rafael zugeschrieben wird, den Mann mit dem Handschuh von Tizian, den Karl I. van Dycks, ebensogut wie Leute aus unserm eigenen Kreise? Und nun versucht einmal, euch die schönen Damen ins Gedächtnis zurückzurufen, die im Salon aus- gestellt waren, wenn ihr die lebenden Personen nicht vorher gesehen habt. Da Hegt die entschei- dende Erfahrung, nach der wir die Fähigkeit und Fassungsgabe der Porträtmaler beurteilen sollten 1

(1861. II. I32ff., I38ff.)

Man könnte schwerlich einen Tag lang in Paris und zweifellos auch anderswo nicht spazieren gehen, ohne irgend einem Menschen zu begegnen, von dem man sich sagt : Welch präch- tiges — oder welch reizendes Porträt wäre hier zu machen! Denn zuletzt gibt es eben doch sehr schöne Frauen auf der Welt, „wie geschaffen zum Malen", und schöne Kinder in der Stadt und auf dem Lande. Auch „schöne Männer" gibt es, aber das sind nicht diejenigen, die man gern im Vor- übergehen anhält, um sie mit in sein Atelier zu

21*

324 Porträtmalerei

nehmen. Bei der Frau genügt Schönheit allen- falls. Beim Manne bedarf es noch anderer Dingen- ich meine, die Schönheit des Mannes charakteri- siert sich vor allem durch die Merkmale von Klug- heit, Aufopferung, Mut, tatkräftiger Energie, die zu dem Lebenswerke taugen, das er vollführen muß. Und solche Männer sind auch nicht unauf- findbar. Es gibt tüchtige Männer überall, wie es überall schöne Frauen gibt.

Warum geraten also unsere zeitgenössischen Porträtisten nicht manchmal, und sei es auch nur durch Zufall, an Erscheinungen, deren Schönheit oder deren Charakter sie darzustellen vermöchten ? Ach, es ist nicht so sehr das Modell, das fehlt, als vielmehr das Talent, der Geist des Malers. Haben denn nicht die großen alten Meister mit dem Kopfe irgendeines hergelaufenen Kerls Meisterwerke ge- schaffen ? Es kommt nur darauf an, aufrichtig und unbeirrt jenen Grundzug allgemein-menschlicher Art herauszuholen, der auch die Mienen der ge- wöhnlichen Leute noch belebt. Aber vielleicht ist es das gar nicht, was die Künstler unserer Tage beschäftigt, dieweil der persönliche Wert der Mo- delle, die sie zu malen haben, doch im Vergleich mit dem Aufputz und dem umgebenden Beiwerk so gar wenig gilt. Wenn aber einmal Spitzen und Wappen allein die Bedeutung des Porträts bestim- men, so sollte sich der Porträtist an van Dyck oder Largilliere erinnern, und Stoffe und Beiwerk wie sie zu malen lernen, um seine Menschen darin

Porträtmalerei 325

einzuhüllen und sie im Aufwand der Farben vol- lends zu ersticken.

An ausdrucksvollen Köpfen, die wirklich den Mann oder die Frau darstellen, die dazu gesessen haben, gibt es, glaube ich, nicht einen einzigen in der Ausstellung. Und doch sind alle Modepor- trätisten da vertreten: Winterhalter, Hubert, Cha- plin, Dubufe u. a. (1864. iii. io6f.)

XIII.

Die französische Malerei auf der Londoner

Weltausstellung 1862

Die Internationale Ausstellung in London ver- schafft uns keinen Begriff von der heutigen Be- deutung der französischen Maler für die euro- päische Kunst. Auf der Pariser Weltausstellung, ja, da konnte man sich ein Urteil über die Meister bilden, die das zweite Viertel des 19. Jahrhun- derts mit ihrem Ruhm erfüllten.

Die historischen Perioden dauern in der Kunst, wie auf den Gebieten der anderen Ausdrucksmög- lichkeiten des sozialen Lebens, fast durchgehends ein Vierteljahrhundert, dem entsprechend, daß eine Generation einen Zeitraum von annähernd 25 Jahren einnimmt. Man kann diese Art Natur- gesetz an der Entwicklung der verschiedenen Völ- ker in verschiedenen Epochen kontrollieren. Wenn in Frankreich die politischen Revolutionen, wie man das oft beobachtet hat, aller fünfzehn Jahre eintreten und jener Beobachtungstatsache zu widersprechen scheinen, so liegt das daran, daß das französische Volk ungeduldiger als ein anderes seiner Bestimmung harrt, daß es bei der Fluch-

Französische Malerei auf der Weltausstellung 1862 327

tigkeit seiner Neigungen zwischen Freiheit und Autoritätsglauben hin und her schwankt.

Wie dem auch sei, in den Künsten weist das verflossene halbe Jahrhundert in Frankreich zwei recht unterschiedliche Perioden auf : die klassische Schule, oder, wenn man so sagen will, die Wie- dererweckung des Vergangenen, die man für eine Renaissance hielt, welche durch David vertreten wurde, und sich über ganz Europa ver- breitete; und die romantische Schule, welche jene um das Jahr 1825 entthronte und bis gegen 1850 herrschte. Was diese hervorgebracht hat, sah man glorreich vereinigt auf der Weltausstellung von 1855. Damals empfing sie ihre feierliche Weihe, aber zugleich eine Art Todes-Apotheose. Sie hat gesiegt, also hat sie gelebt: sie ist tot, und seitdem gehört sie der Geschichte an.

In der Tat, seit 1850 hat Frankreich keine Kunst mehr, ebenso wie es keine Literatur mehr hat. Das Wenige, was in den Künsten oder in der Literatur Aufsehen erregt hat, ist einigen Über- lebenden aus der vorhergehenden Epoche zu ver- danken, Eugene Delacroix und Theodore Rousseau, George Sand und Victor Hugo zum Beispiel. Neue Geister sind gar nicht erstanden, weder in der Malerei, noch in der Bildhauerkunst, noch im Roman oder im Drama.

Indessen, die künstlerischen und literarischen Fähigkeiten können im Schoß eines Volkes nicht erlöschen. Ewig jung und unsterblich ist die Ein-

328 Französische Malerei auf der Weltausstellung 1862

bildungskraft. Es kann kein Zweifel gelten, daß der erschöpften Romantik eine neue Kunst folgen wird. Ja, man darf bereits, trotzdem jede frucht- bare Initiative durch das Mißgeschick der Zeiten erstickt ist, auf bestimmte, nach anderer Rich- tung auslaufende Versuche hinweisen, die ziem- lich unvorhergesehen gekommen sind.

Auf der einen Seite hat sich kühn der Natu- ralismus Bahn gebrochen, der übrigens in Zeiten des Überganges als das wesentliche und ursprüng- liche Element aller menschlichen Schöpfung eine regelmäßige Erscheinung ist. Auf der anderen Seite hat, da der römische Stil von den Klassikern, der mittelalterliche von den Romantikern erschöpft worden war, eine Anzahl von Hohlköpfen es mit einer Mischung von vermeintlichem atheniensi- schem Stil und Zutaten ä la Pompadour versucht. Und nun zeigt sich, in welchem Maße die Kunst und die Literatur zusammenhängen und parallel gehen : im Theätre-Frangais spielt man den „Sper- ling der Lesbia", während man im Salon den „Hund des Alkibiades" ausstellt. Der Schöpfer der „Madame Bovary" und Champfleury sind die Gegenpole Courbets und Mihets, wie Armand Barthet, Louis Bouilhet, Emile Auguier usw. die Gegenpole der Gdrome, Hamon, Baudry, Bou- guereau, Cabanel, Rodolphe Boulanger und anderer Neugriechen.

Sind dies nicht die beiden einzigen Strö- mungen in der Malerei Frankreichs seit dem Nie-

Französische Malerei auf der Weltausstellung 1862 329

dergange der Romantik ? Eine Mode von lüsternen Mutwilligkeiten zum Ergötzen der großen Welt und der Halbwelt, die sich langweilen; und die naive, ja ein wenig barbarische Rückkehr zu der mehr oder weniger vernachlässigten Natur, manch- mal beinahe zynisch, und manchmal sittenstreng, mit der Absicht, gegen den Manierismus und die Entgleisungen der Gebildeten Einspruch zu er- heben.

Um die moderne französische Schule auf der Londoner Ausstellung in würdiger Weise vorzu- führen, hätte man also die Werke der beiden auf- einanderfolgenden Gruppen zeigen müssen, welche die erste Hälfte unseres Jahrhunderts ausgefüllt haben: zunächst Louis David, Prudhon, Lethiere, G^rard, Gros, G^ricault, Leopold Robert, Sigalon, Granet usw.; es war dies durch das Programm der Ausstellung genehmigt worden, und die Eng- länder haben denn auch ihre Reihe mit der Mitte des 18. Jahrhunderts eröffnet; dann Ingres, Eugene Delacroix, Ary Scheffer, Paul Delaroche, Decamps, Marilhat, Camille Roqueplan, Horace Vernet, L^on Cogniet, Couture, Gigoux, Lehmann, Isabey, Cabat, Paul Huet, Corot, Troyon, Diaz, Jules Dupr6, Theodore Rousseau, Meissonier und andere, die schon vor 1850 gefeiert wurden, und die das Königtum Louis-Philippes berühmt ge- macht haben.

Von den ersteren ist nichts da. Von den. letzteren wenig, einige fehlen sogar gänzlich, z. B.

330 Französische Malerei auf der Weltausstellung 1862

zwei so originelle Talente wie Couture und Dupr6; manche, darunter Größen wie Delacroix, Decamps, Diaz, Rousseau können nach ein oder zwei be- deutungslosen Gemälden unmöglich gewürdigt werden; Paul Delaroche und Meissonier sind viel- leicht die einzigen, die annähernd als das er- scheinen, was sie nach der Gesamtheit ihres Le- benswerkes bedeuten; Marilhat noch, dank seiner prächtigen „Ansicht vom Nil", im Besitz des Grafen Duchätel; auch Ingres, obgleich er nur ein einziges Bild da hat, „Die Quelle", aber diese ist glücklicherweise das Gelungenste, was er in seinem Leben gemacht hat, vielleicht weil diese Gestalt ganz allein, isoliert in ihrer Nische steht. Ein Würfel, gut, wie der Schöpfer der „Steine- klopfer" sagt ; aber mehrere Würfel erfordern Farbe und Helldunkel 1

In Ermangelung glänzender Werke von den wahren Meistern der Schule ist demnach der fran- zösische Saal vornehmlich mit zwei Sorten von Erzeugnissen gefüllt, die man in der Kunstge- schichte kaum zählen wdrd: Militär- und Schlach- tenbilder und Offiziersporträts; und dann die mythologischen Schilderungen und anderen raffi- nierten Kompositionen von der kleinen pseudo- antiken Plejade. Da sieht man die „Fortuna*' von Baudry einen Marschall aus dem ersten Kaiser- reich anlächeln; Cabanels „Nymphe, von einem Faun geraubt" dicht neben einem Regiment Zu- aven; den^,Cirque cdsarien" von G6röme unter der

Französische Malerei auf der Weltausstellung 1862 331

„Schlacht von Alma"; den berüchtigten „Hund des Alkibiades" scheint man zurückgewiesen zu haben, aus Prüderie. Darauf hat man versucht, ihn in der Ausstellung von Pall Mall anzubringen ; aber er hat das Schamgefühl der englischen Be- sucher derart verletzt, daß man ihn zurückziehen mußte.

Die Engländer tun Unrecht daran, gegen das Nackte in der Malerei zu protestieren: die Venus von Milo und Rafaels Galathea sind keineswegs unanständig; Recht aber haben sie, wenn sie in Geromes traurigem Zierbildchen die Entartung des historischen Gefühls und die Karikatur der Antike zurückweisen. (1862. Ii. 285 ff.)

PLASTIK

XIV, Allgemeines

I. Darstellungskreise

Nichts paßt besser auf die Zweige des Apfel- baumes als Äpfel. Die schönsten Orangen wür- den daran sich nicht so gut machen. Nichts paßt besser zu ^ einer Frau als das Kind. Ihre natür- liche Frucht ziert sie herrlicher, als alle Edel- steine, die dem Busen der Erde geraubt sind. Das schönste Halsband für einen Mann sind die beiden Arme eines liebenden und geliebten Wei- bes. Das kostbarste Kleinod für eine Frau ist wieder das Kind, das sie am Busen trägt.

Frau und Kind, Mutter und Sohn, Maria und Jesus, die Barmherzigkeit, die Fruchtbarkeit, die Mutterschaft, welche Meisterwerke sind nicht mit diesem Symbol und diesem Bilde geschaffen worden! Das ganze Mittelalter begeisterte sich daran. Vom 8. bis zum i6. Jahrhundert faßt sich die christliche Kunst beinahe in Jungfrau und Kind zusammen. In der Renaissance ist es auch noch das Weib als Mutter in echter Reinheit, die das Genie Rafaels liebt. Der prachtvollste Andrea del Sarto ist die Caritas im Louvre, diese mäch-

336 Plastik

tige Amme mit Kindern, die wie Trauben an ihrem Hals hängen, an ihren Armen und ihren Hüften. Jeder der edlen Künstler des Mittelalters und der Renaissance hat seine Madonna mit Kind gemacht, und das war auch immer bis zum i8. Jahrhundert der bevorzugte Gegenstand der Mei- ster in allen Schulen, um Tizian, um die Carracci, um Rubens, um Murillo und alle andern.

Es ist jedoch niemals hervorgehoben, daß die griechische Kunst nirgends die Mutter mit dem Kind aufweist. Man suche doch in seinem Ge- dächtnis irgendeine Statue, eine Gruppe, ein Relief unter allen Werken, griechischen oder römi- schen Ursprungs, die das Weib und ihren Spröß- ling darstellen, die diese Verbindung und Zusam- mengehörigkeit der beiden Wesen andeuten. Im antiken Heidentum war jedes Individuum von seiner Art getrennt, wie jedes Volk inmitten der andern fremden Völker abgegrenzt w^ar, der Feinde ringsum. Wenn man Kinder meißelte, gab man sie allein wie die Großen, und in unabhängiger Beschäftigung begriffen. Da ist das Kind mit der Gans, da ist Cupido, der seine Pfeile schärft. Nach der griechischen Kunst könnte es scheinen, das Kind käme durch Zufall auf die Welt, und sei ohne Zusammenhang mit seinesgleichen. Wenn man vielleicht ein Kind in einer Gruppe antrifft, so ist es ein kleiner Bacchus zwischen den Nymphen, wie das Judenkind Moses zwischen den Töchtern Pharaos : ein Gelegenheitskind ist da,

Allgemeines 337

man weiß nicht wie. Die Erforschung der Mutter- schaft ist untersagt. Seltsam genug: die heid- nischen Götter haben oft mehrere Mütter. Die Mutterschaft hat so wenig Bedeutung in der an- tiken Welt, daß man sie zweifelhaft läßt. Wer ist eigentlich die Mutter des Bacchus?

Weit mehr: suchen wir noch, ob es kein Bei- spiel gibt, wo ein Kind mit irgendeiner anderri Figur, verbunden ist. Ja, es gibt deren in der griechischen Kunst, und zwar in einer der schönen Statuen der griechischen Kunst : es gibt den Faun mit ß.em Kinde : einen Mann, der ein Kind mit beiden Händen hält. Dieser Gedanke würde einem Modernen niemals kommen. Das Kind muß mit der Mutter zusammen sein, wie die Frucht am Zweige. Ein Kind in den Armen eines Mannes ist wie eine von der Erde aufgelesene Frucht, die man in einen Korb legt. Und der griechische Kinderträger ist gar eine Mischbildung, der an den Schienbeinen die zottigen Wahrzeichen der Tierheit trägt. Welche Geringschätzung gegen das Kind und gegen die Fraul

Und bei den Römern gibt es auch eine Ge- burt, eine Säugung und eine Erziehung, die auf Monumenten abgebildet, in Marmor, in Stein, auf Medaillen wiederkehren: das ist die Geburt des Romulus und Remus. Die Mutter, die Amme ist eine Wölfin.

Diese Beobachtung ist seltsam und neu, und war wohl der Mühe wert sie auszusprechen. Die

Bürger, Kunstkritik. H. 22

338 Plastik

Frau ist nichts in der Kunst dieser schönen Kultur- perioden. Sie ist als Mutter und als Gattin, als Geschöpf mit Geist und Gefühl nichts. Sie exi- stiert nur im Zustand der Venus, d. h. der Wollust. Wenn man die Amorinen anführt, die zuweilen die heidnische Venus begleiten, so wird man ohne Zweifel Amor nicht für den Sohn der Venus nehmen. Das ist ihr Attribut und nicht ihr Kind. Sie wird angesehen als von und für Liebe ge- schaffen, viel mehr, als daß sie die Liebe gebiert.

Die wahre Liebe ist auch nicht mehr in der heidnischen Kunst angedeutet als die Mutter- schaft. Sucht noch einmal, ob sich in der grie- chischen Statuenwelt eine Gruppe von Mann und Weib, Gatte und Gattin findet. Die Solidarität existiert von Mann zu Mann, niemals von Mann zu Frau, nicht mehr als von Frau zu Kind. Da sehen wir die schöne Gruppe von Kastor und Pollux. Es gibt Freunde, keine Liebespaare. „Was die wahre Liebe betrifft, sagt Plutarch in vollem Ernst, so ist das Weib ihr vollkommen fremd.**

Es fehlt der griechischen Kunst also man- cherlei, wenn wir unsere modernen Vorstellungen heranbringen. Es fehlt ihr sicher nichts, was Form und Ausführung anlangt. Die bestimmte, einmal gegebene Lebensauffassung hat sie mit siegreicher Überlegenheit dargestellt, und die Kunst keiner andern Zeit hat diese Vollkommenheit erreicht. Indes die Menschheit entwickelt sich doch und flößt der Kunst neue Auffassungen ein.

Allgemeines 339

Die griechische und römische Kulturperiode hat für die Universalgeschichte nicht die über- ragende und fast ausschließliche Bedeutung, die man ihr hat beimessen wollen. Es ist eine pracht- volle Blüte, die sich auf einem eigenartigen Zweige des großen Baumes menschlicher Überlieferung entfaltet hat. Der Baum der menschlichen Kultur ist weiter im Orient gepflanzt, in Ägypten und in Indien, und es scheint, daß die Äste der mo- dernen Welt unmittelbarer von dort ausgehen. Die ägyptische Kunst z. B. wie die indische Kunst bieten den Typus der unsterblichen Zeugung des Menschen in der Figur der Isis und des Horus. Da ist die Mutter und das Kind. Da ist der Keim der Familie und des menschlichen Zusam- menhangs.

Das Christentum dankt ohne Zweifel seine historische Macht und sein archäologisches Inter- esse diesem neuen Ausdruck des Lebens. Außer dem Typus der Jungfrau-Mutter hat das Christen- tum noch einen Gegenstand in die Kunst ein- geführt, der auf alle Weise gedreht und gewendet wird. Das ist die heilige Familie. Es reicht nicht aus, das Kind mit der Frau zusammenzunehmen, Weib und Kind müssen noch mit dem Manne vereinigt werden. Diese unauflösliche Dreifaltig- keit ist erst die ganze Menschheit. Die christliche Kunst hat deshalb über alles als Gegenstand die hl. Familie bevorzugt. Aber ihre Familie ist doch noch falsch und unvollständig: wo ist der Vater

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und der Gatte ? Hier sehen wir nur den offiziellen und hingebenden Beschützer; aber S. Joseph ist nicht der Patron der Ehemänner. Das mystische Weib des Christentums hat nur einen mystischen und unsichtbaren Gemahl. Das Christentum hat wohl den Engel Gabriel, aber nicht den Heiligen Geist in Menschengestalt gegeben. Die Frau und das Kind sind vergöttlicht ; aber der Mann teilt ihre himmlische Natur nicht. Ich weiß wohl, daß das Christentum, indem es die Frau verherrlichen wollte, den alten Herrscher im Schatten lassen und unterordnen mußte. Aber es wäre philoso- phischer, den hl. Joseph seinerseits wieder zu Ehren zu bringen als Mann, und ihn mit der Frau auf gleiche Stufe zu stellen, in das selbe Licht. Der Zimmermann von Bethlehem wird eines Tages seine verkümmerte Gestalt und seine traurigen Kleider verlassen, um die Jugend und Geschm.ei- digkeit, die strahlenden Gewänder Gabriels zu empfangen. Es gibt eine poetischere Familie als die des Christentums, das ist die heilige Familie der Menschheit, gleich und einheitlich in allen Gliedern.

Es fehlt also auch dem Gedanken des Chri- stentums noch etwas, unter dem Gesichtspunkt der Kunst und der Poesie. Die Zukunft kann dem- nach eine reifere und vollkommnere Kunst er- hoffen, ausdrucksvoll und religiös, je nachdem sich das Gefühl für das Leben und die Begeisterung an der Wahrheit in der menschlichen Gesellschaft

Allgemeines 341

entwickeln. Somit ist auch die Form nicht alles in der Kunst. Der Ursprung der Kunst ist das Ideal, das Gefühl und die Erfindung.

Die Kunst der großen Zeiten hat stets in den allegorischen Stoffen ihre höchsten Inspirationen gefunden. Die ganze Mythologie und der größte Teil der christlichen Vorwürfe sind mehr oder min- der direkte Symbole. Die hl. Jungfrau ist die Ver- körperung der Reinheit. Christus ist die Verkör- perung dgr Hingebung. Die Kunst lebt fast nur von der Analogie, und das ist sogar der wesent- liche Charakter des poetischen Genies, unter einer verwirklichten Form abstrakte Intentionen und ein ungreifbares Ideal zu verhüllen. Die großen Schöpfungen der Dichter, die sich in Versen, in Tönen, in Relief oder in Farbe vermitteln, sind immer die Verbildlichung eines Gedankens, d. h. die Metapher zwischen Sinn und Bild.

Der antike Olymp war die Versammlung der menschlichen Fähigkeiten, der schöpferischen In- telligenz, der Weisheit, der Stärke, des Mutes, der Wollust, der Poesie usw. unter den Gestalten des Zeus, der Athene, des Herakles, des Mars, der Venus, des Apoll ; und ebenso hatten die Alten alle Kräfte der Natur personifiziert in den untern Gottheiten, in den Nymphen und Faunen, in einer Anzahl allegorischer Schöpfungen. Die moderne

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Kunst hat auch diese poetischen Abstraktionen fortgesetzt. Was ist Othello ? die Eifersucht. Was ist Tartufe ? was ist Don Quichote ? Wir er- wähnten noch eben die Caritas von Andrea del Sarto. Albrecht Dürer hat die Melancholie ge- macht; Rubens die Fruchtbarkeit. Jeder Maler hat sein Geheimnis der Inkarnation.

(1844. I. 60—66.)

2. Natur und Tradition

Die meisten Bildhauer haben großes Unrecht, ihre Vorbilder fast einzig und allein in der Ver- gangenheit zu suchen. Das goldene Zeitalter liegt vor uns, sagt Saint-Simon. Indes, während die Maler vor allem die Wirklichkeit studieren, stu- dieren die Bildhauer vor allem die Tradition. Das ist eine unvollständige und unfruchtbare Methode. In sich selber, im Gefühl des unsterblichen Lebens sollten die Künstler ihre Begeisterung finden, nach- dem sie allemal die Geschichte und die Natur betrachtet haben. Denn studieren heißt begreifen und auslegen. Die drei wesentlichen Elemente der Kunst, wie der Philosophie, der Wissenschaft und jeder intellektuellen Schöpfung sind: die Außen- welt, die Menschheit und der Mensch selber. Natur und Überlieferung müssen sich im Herzen eines Künstlers verbinden, zu einer geheimnisvollen Ehe, die den Kindersegen hervorbringt. Das ist das

Allgemeines 343

Gesetz aller geistigen Zeugung ebensowohl wie der natürlichen.

Dies Hauptelement aller Poesie, das lebendige Element des individuellen Geistes, der sich in der originellen Auslegung der Natur und der Ge- schichte verkündet, wird jedoch in unserer zeit- genössischen Schule am meisten vernachlässigt. Die Selbständigkeit und die Erfindungsgabe fehlen unsern Künstlern vor allem. Die Handfertigkeit, das Geschick und ein gewisses Talent für die Ausführung sind bei unsern Bildhauern sehr be- merkenswert, mehr noch als bei unsern Malern. Aber in Ermangelung der innern Poesie bringen sie kaum anderes als gleichgültige, gewöhnliche Arbeiten ohne Charakter und Schönheit zustande.

Wo sind Charakter und Schönheit der antiken Skulptur ? im Ausdruck des Ideals, das die Künstler in ihrem eigenen Herzen fühlten. Das antike Denken war so klar und bestimmt, daß es sich in der Form mit seltener Vollendung verkörperte. Aber, noch einmal, das Gefühl der modernen Welt ist der Antipode des Altertums. Unsere Ideen und unsere Systeme, unsere Kultur haben sich verändert; also vermag auch die dichterische Fähigkeit, dies „zweite Gesicht", das scharfsich- tiger und heller ist, das Leben nicht so anzu- sehen, wie es die Griechen auffaßten, und die Form muß sich wandeln mit der Idee.

Zum Beispiel allen unsern modernen Künsten liegt ein Gefühl zugrunde, das die Lyrik, den

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Roman, das Drama, die Musik durchdringt : das ist die Liebe. Nun, betrachten wir doch aufs neue die Liebe in der griechischen Gesellschaft und in der Mythologie. Jupiter, der ohne Zweifel den Typus der Vollkommenheit und das höchste Vor- bild des antiken Mannes darstellt, nimmt er, wenn er Frauen verführen will, auch nur mensch- liche Form an? Er verwandelt sich für Leda in einen Schwan, in Goldregen für Danae, in einen Stier für Pasiphae; d. h. Schönheit, Gold und Stärke sind, abgesehen von geistigen Vorzügen, die unwiderstehlichen Reize beim weiblichen Ge- schlecht. Und als auf Grund der Moral, die Plu- tarch auf den Trümmern der heidnischen Gesell- schaft formuliert hat, der Vater der Götter und Menschen den Ganymed im Himmel unterbringen will, da raubt er ihn mit den Fängen eines Adlers. Der Mut übernimmt den Angriff auf den Mann, ebenso wie Bestechung, Stärke und Schönheit den Angriff auf das Weib.

Das Prinzip der antiken Poesie als Quelle der Eingebung auch für das moderne Dichten scheint uns durch diese einzige Bemerkung schon verurteilt, und dieselbe kann auf alle Gefühle der Vergangenheit ausgedehnt werden.

Es wäre ja nicht der Mühe wert zu leben, wenn die Zeit nicht eine fruchtbare Metempsychose vollzöge, die ohne Unterlaß die Welt einer un- endlichen Vervollkommnung entgegenführt. Das fatalistische Altertum gab eine Sichel in die Hand

Allgemeines 345

des alten Saturn, trotz dem Vers des Dichters ,,Omnia mutantur, nil interit". Die moderne Alle- gorie sollte die Sichel durch eine Fackel ersetzen. Die wirkliche Welt selbst widerstreitet der plastischen Nachahmung der griechischen und rö- mischen Kunst. Die menschliche Form hat sich seit dem Heidentum merklich verändert, gleichen Schrittes mit den Umwälzungen des Geistes. Es ist besonders die Phrenologie, die beim Studium der Kopfbildung diese eigentümlichen Unter- schiede aufgewiesen hat. Als am Ende des i8. Jahrhunderts Winckelmann, dieser große Wieder- auferwecker fossiler Marmorwerke, dieser Cuvier der Kunst, mit seinem geistvollen Fanatismus die Formeln der antiken Statuenbildnerei und die Pro- portionsgesetze der griechischen Figur gegeben hat, sagt er: die Stirn muß, um schön zu sein, niedrig bleiben. Danach schilt er auf Bernini und die andern Bildhauer, diese Kunstverderber, die in der modernen Skulptur die Stirn erhöht haben. Es ist sicher, daß die mittlere Höhe des Kopfes über der Augenlinie bei den Griechen nur anderthalbmal die Nasenlänge betrug, während heutzutage ein wohlgeformter Kopf zweimal diese Länge aufweist, d. h. die Horizontallinie der Augen teilt ihn in zwei Hälften. Und alle andern Propor- tionen der griechischen Statuen waren in Har- monie mit dem Kopfe. So hat der Apoll von Bel- vedere wenigstens zwölf Kopflängen.

Besonders klein ist der Kopf bei der Venus.

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Die griechische Frau hat keinen Kopf nötig. Es genügt, wenn ihre prachtvollen Flanken auf den schönen Säulen ihrer gerundeten Beine getragen werden. Die heutigen Frauen würden mit so wenig Gehirn nicht leben können oder zum Idiotentum verdammt sein. Die Venus von Milo, dies un- vergleichliche Meisterwerk, diese Vollendung der Schönheit, die idealste aller griechischen Statuen, die in der statuarischen Kunst dasteht wie das Gedicht Vergils an der Schwelle des Christen- tums, die Venus von Milo hat einen Kopf nur so dick wie der x\rm. Sie ist noch immer die Wollust, aber eine keuschere und träumerischere Wollust, die sich zu vergeistigen strebt.

Nichts lehrreicher als das Studium der Phre- nologie über die Verwandlung des menschlichen Kopfes seit der griechischen Zeit. Bei den Grie- chen ist, was vorherrscht, die schöne Architektur der Augenbrauen und der untern Teile der Stirn, wo die künstlerischen Fähigkeiten ihren Sitz haben, wie Form- und Farbensinn, musikalische Begabung, Liebe zur Natur, Sinn für Tatsachen, Wahrnehmung des Einzelnen, Eindrücke der Außenwelt, und die Einbildungskraft. Diese Eigenschaften sind allen Typen gemein, die uns die griechische Kunst überliefert hat. Zwei Köpfe allein entfernen sich von dieser natürlichen und geheiligten P'orm, der Piatons und der des So- krates, des griechischen Christus.

Bei den Römern, die zum Handeln und Er-

Allgemeines 847

obern ausersehen waren, bei dem Herrenvolk von Staatsmännern, verbreitert sich der Kopf seitHch. Der römische Typus hat zwei Berge über den Ohren : das ist die Gruppe des Zerstörungstriebes, des Mutes, der Klugheit. Der griechische Adler ist in einen Löwen verwandelt. Der römische Kopf von so unverhältnismäßiger Breite ist aber auf der Höhe abgeplattet ; die vordere Partie der Stirn, das Organ der reflektierenden Fähigkeiten, schiebt sich vor und beherrscht die Augenbrauenbögen. Dazu die außerordentliche Entwicklung des Hin- terkopfes und des Nackens. Da ist der ganze römische ^ Charakter. Entfaltung der sinnlichen Instinkte, Macht des Handelns, politisches Ge- schick; aber keine originale Kunst, kein religiöses Empfinden.

Im Sueton steht zu lesen, daß Caligula den Einfall hatte, den berühmtesten Statuen Griechen- lands, die nach Rom übertragen waren, den Kopf abschlagen zu lassen, und die griechischen Köpfe durch sein eigenes Marmorbild ersetzen zu lassen. Während so der römische Kopf auf den Schultern der alten Weh lastete, verkörperte sich eine neue Macht in einer neuen Form. Jesus, der friedliche Cäsar, sollte seinerseits den römischen Koloß ent- haupten. Der Kopf Christi gleicht nicht mehr dem antiken Kopf: die Schläfen sind eingezogen und der Scheitel erhebt sich zum Himmel. Das ist das Kennzeichen der Religiosität, die edle Be- krönung des menschlichen Gehirns. Das Christen-

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tum hat die tiefe Furche, die man auf den römi- schen Kaiserköpfen bemerkt, ausgefüllt, und um das religiöse Gefühl erheben sich der Sinn für Gerechtigkeit und für allgemeine Menschenliebe. Das unterscheidet die beiden Typen wesentlich. Die menschliche Form hat sich mit der Kultur erneuert.

Wenn der Grund der Gefühle und die pla- stische Form verändert sind, wie sollte man eine ganze fossile Gesellschaft nachahmen können?

Und ebenso muß den Nachahmern des Mittel- alters das gleiche vorgehalten werden. Die Re- naissance und die moderne Philosophie haben die katholische und feudale Welt verwandelt. Die Christusgestalten des Michelangelo und die Ma- donnen Rafaels sind nicht mehr die geheiligten Typen der ersten christlichen Zeiten. Die un- ermüdliche Menschheit hat sich im mystischen Christentum ebensowenig unbeweglich machen lassen wae im heidnischen Sensualismus. Die Ge- schichte ist nur ein abenteuerlicher, waghalsiger Vorwärtsmarsch, der ruhelos nach unbekannten Horizonten drängt, zuweilen den Kopf umwendet nach dem, was nur noch Erinnerung ist, aber stets verlangend nach dem, was noch nichts ist als eine Hoffnung.

Es gibt also nur eine fruchtbare Art, aus der Überlieferung zu schöpfen: das ist zu sehen, was unsere Vorfahren im Gefühl und in der Form ihrer Zeiten geschaffen haben, ihre Systeme der

Allgemeines 349

Auslegung zu ergründen und dann selbst auf eigene Hand auszulegen nach der lebendigen und durchaus originalen Begeisterung.

Die Renaissance des i6. Jahrhunderts hat diese Methode mit wunderbarem Instinkt gehand- habt. Es ist, als ob alle Vorzüge der früheren Kunstweisen sich in den Werken der großen Künstler Italiens und Frankreichs zusammen- faßten; denn Frankreich kann in der Skulptur wenigtens mit Italien im i6. Jahrhundert wett- eifern. Jean Cousin, Jean Goujon, Pierre Bon- tems, Germain Pilon und all diese herrlichen Werk- meister, die mit ihnen an den Palästen und öffent- lichen Denkmälern arbeiteten, hängen unmittelbar von keiner Zeit und keiner Schule ab: sie haben die Eleganz und Schönheit der Antike, die Kraft und die Bewegung Michelangelos, die Üppigkeit und Phantasie der maurischen Kunst, und zu- weilen das Gefühl und den Ausdruck der kirch- lichen Kunst des Mittelahers. Unsere Bildhauer sind immer viel stärker gewesen als unsere Maler. Was besitzen wir denn noch heute von der Malerei des i6. Jahrhunderts? Ein Bild von Cousin viel- leicht und einige Porträts von Clouet; der Rest gehört den Italienern, die nach Frankreich be- rufen waren, wie Primaticcio und Rosso, die in Wahrheit allerdings von den unter ihrer Leitung gebildeten Künstlern würdig unterstützt wurden. Aber von französischer Skulptur der Renaissance besitzen wir Fontainebleau, Chambord, Chenon-

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ceaux, Blois, Soleisme, die Ecole des Beaux-Arts in Paris, einige Teile des Louvre, und wieviel Schlösser, und wieviel Statuen, die im Museum für moderne Skulptur vereinigt sind, wieviel Ara- besken, Medaillons und Schmuckstücke aller Art, die überall zerstreut sind. Und, nach den er- lauchten Gründern unserer erneuerten Schule, d. h. Barthdlemy Prieur, Gentil de Troyes, Franche- ville, Jacques Sarrazin, die Anguier, und wieviel andere bis auf Puget. Dieser ist ein französisches Genie, das keinem andern nachahmt; in diesem Punkt ist Puget sozusagen exzentrisch in unserer Tradition. Er beherrscht dann die ganze Skul- ptur des großen Jahrhunderts, die Girardon, die Desjardin, wie Michelangelo die Florentiner Schule beherrscht.

Nach Puget gibt es im i8. Jahrhundert einen reizenden Zweig der französischen Schule: es ist die Familie der Coustou und ihrer Schüler, die den zeitgenössischen Malern noch überlegen sind, wenn nicht Watteau.

Seit der Schule der Coustou sind die großen Bildhauer, wenn auch nicht die geschickten Hand- werker in Frankreich selten. Man darf Caffieri nennen, den Urheber der Büsten von Rotrou und der beiden Corneille in der Comedie-Frangaise, und Houdon, den Urheber der Statue Voltaires. Die Bildhauer des Kaiserreichs haben nicht ein- mal eine Büste Napoleons zu hinterlassen verstan- den; es ist David, der Maler der Revolution, der

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in Ermangelung jener das Reiterbild des Kaisers in dem berühmten Übergang über die Alpen ge- schaffen hat, eine Reiterstatue in Relief.

David d'Angers, der Bildhauer, hat mit Glanz die Wiederbelebung unserer Schule versucht; er hat am meisten geschaffen seit zwanzig Jahren; er hat seine Werke überall hingesandt, in die Städte Frankreichs wie der andern Länder; er hat das Verdienst, Gedankeninhalt und großen Stil zugleich zu erstreben, und seine Ausführung ist durchaus meisterhaft. Barye hat der Skulptur einen ergänzenden Bestandteil wiedergegeben, der seit einigen Künstlergenerationen vergessen war, das Element der Phantasie, der Feinheit, der Leb- haftigkeit. Barye ist ein Mann aus dem Jahr- hundert Cellinis. Mehrere andere Künstler, wie Antonin Moyne, Pradier, Pr6ault, Foyatier, Du- seigneur, Maindron usw. haben jeder in seiner Weise dazu beigetragen, wieder Leben in die fran- zösische Skulptur zu bringen.

(1844. I. 82—89.)

XV.

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts

im Foyer der Comedie-Fran^aise

Wir haben in Paris ein Skulpturenmuseum, von dem man kaum zu reden pflegt, und das doch für die Geschichte unserer nationalen Bild- hauerkunst am Ende des i8. Jahrhunderts sehr merkwürdig ist. Das öffentliche Foyer der Co- medie-Franc^ise enthält ein Dutzend ausgezeich- neter Büsten von den Meistern aus der Zeit Lud- wigs XVI., einige aus der Zeit des Kaiserreichs und ein Dutzend Büsten aus der zeitgenössischen Schule ; drei aufeinanderfolgende, ineinander über- gehende, aber doch in Hinblick auf Stil und Aus- führung recht unterschiedliche Perioden.

Voriges Jahr diente uns der Bericht über die Ausstellung der Societe des peintres, wo Grenze, David, Gros, G6ricault, Prudhon, Leopold Robert und Ingres gezeigt wurden, zu einer Einführung in den Salon von 1846; wir folgerten aus dem Gesehenen ungeahnte Lehren über die Malerei. Diesmal wollen wir uns durch das Studium der vornehmen Köpfe Rotrous und der Corneille, Mo- li^res und Voltaires von der Hand Caffieris und Houdons, und der anderen Büsten von Lemoine, Pajou, Foucou und ihren Nachfolgern auf die

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts 853

Kritik der Skulpturen vorbereiten, die uns der Salon im Jahre 1847 bringt.

Ich glaube, die Bildhauerkunst ist niemals weniger beachtet worden als in unserer Zeit. Wäh- rend der Renaissance existierte eine Plejade von Künstlern, die seit den Tagen Ludwigs XII. und des Kardinals von Amboise bis in die Zeit Hein- richs IV. fortbestand, von Jean Joconde und Paul Ponce, den französierten Italienern, bis zu Gio- vanni da Bologna und Francavilla, oder vielmehr Jean de Douai und Francheville, den italianisierten Franzosen; denn in diesen letzten Jahrhunderten ist Italienjmmer die Wiege oder doch wenigstens das Baptisterium der Kunst gewesen. Wieviel Paläste, wieviel Kirchen und Schlösser sind nicht von jenen erhabenen Schöpfern ausgeschmückt worden! Cousin, Goujon, Niccolö del Abate, Ponce Jacquio, Germain Pilon, Barth^lemy Prieur, Ber- nard Palissy, Jean Juste von Tours, Michel Co- lumb von Nantes, Gentil von Troyes und so viele Namenlose, die durch ihre Werke berühmt gewor- den, obwohl ihre Namen heutigen Tages verloren sind. Amboise, Gaillon, Ecouen, Anet, Villeroi, Chantilly, Meudon, Fontainebleau, Chambord, Chenonceaux, die Grabmäler von Saint-Denis, die Heiligen von Solesmes, das Louvre ! Eine pracht- volle, höchst anmutige und unendlich mannig- faltige Kunst.

Im 17. Jahrhundert beginnt die Reihe derer, die genannt werden müssen, mit Simon Guillain

Bürger, Kunstkritik. II. 23

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und Jacques Sarrazin, den Bildhauern Lud- wigs XIII. oder vielmehr Richelieus; sie wird weitergeführt durch die Anguier, die Lerambert, die Marsy, die van Cleve, Regnauldin, Thierry, Desjajrdins, Girardon, den Lafontaine und Boileau mit Phidias verglichen, wie Moliere Mignard dem Rafael zur Seite stellte! Geschickte und frucht- bare Praktiker, die das Schloß und die Gärten von Versailles mit ihren Steinbildwerken über- schüttet haben. Und, allen voran, der große Puget. Ferner noch Th^odon und Lepautre, Legros, die Fremin, die zahlreichen Schüler Girardons, Coyse- vox, der unermüdliche Schöpfer, und die Coustou, welche zu der Kunst Ludwigs XV. überleiten.

Die ganze Schule des i8. Jahrhunderts geht unmittelbar oder mittelbar aus den Coustou her- vor: Bouchardon, die Francin, die Adam, die Le- moine, Falconnet der Freund Diderots, Pigale, Allegrain, und nach ihnen Pajou, Caffieri, Houdon, Bridan, Foucou, Berruer, d'Huez, Julien, Dejoux, Moitte, Stouf, Mouchy, und endlich die Generation, welche in das Kaiserreich und in das 19. Jahr- hundert hinübergreift, Rolland, der Lehrer des David d'Angers, Chaudet, Callamard, Bosio usw.

Damit stehen wir vor unseren Büsten im Foyer der Comedie-Frangaise.

Diese Sammlung von Porträts in Marmor ist folgendermaßen verteilt : im großen Foyer Pierre Corneille und Moliere, zu beiden Seiten einer schlechten Büste des Königs Ludwig-Philipp;

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts 355

vorn, an den Seiten des Kamins, Racine und Vol- taire; dann Regnard und Cr6billon, Casimir Dela- vigne und Marie-Joseph Chenier.

In der Galerie an der rue de Richelieu, rechts, wenn man das Foyer verläßt, Rotrou, Dancourt, Jean - Baptiste Rousseau, Destouches, Dufreny, Ducis, Sedaine, Lafontaine und Lulli; zur Linken Thomas Corneille, Piron, Debelloy, Lachaussee, Lesage, Marivaux, Duval, Andrieux und Picard.

In dem Verbindungsgange, der zum Foyer der Schauspieler hinüberführt, Baron und Gresset, Quinault und Beaumarchais.

Die älteste von diesen Büsten ist die von Cr^billon (Vater); sie wurde 1760 von Lemoine modelliert und 1778 von J.-B. d'Huez in Marmor ausgeführt.

Jean-Baptiste Lemoine, geboren zu Paris im Jahre 1704, Sohn und Schüler des Jean-Louis Lemoine, gestorben als Rektor der Akademie im Jahre 1775, war der Neffe von Jean-Baptiste Le- moine, dem Schöpfer des Deckengemäldes in Versailles. Von dem Bildhauer Jean-Baptiste schrieb Diderot: „Er mag sich noch soviel gegen die Stirn schlagen es ist nichts dahinter!" Andererseits wendet d'Argenville auf ihn das Wort der Mme. de Sevign6 an: „Der ganze Mensch sprüht von Geist." Diderot fügt hinzu: „Seine Komposition ist ohne geniale Größe, schwung- und wirkungslos; seine Gesichter sind nichts- sagend, kalt, plump und manieriert. Gerade wie

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sein Charakter, in dem nicht der leiseste Zug vom ,natürHchen Menschen' zu finden ist." Ja, wo wäre dieser natürhche Mensch zu finden, den das i8. Jahrhundert überall suchte? Hierin hatte | unser moderner Diogenes freilich Recht, obwohl seine Philosophenlaterne manchmal ein falsches Licht auf seine Zeitgenossen geworfen hat. Wißt ihr, warum er für Falconnet begeistert ist? „Weil der ein Philosoph ist, weil er an nichts glaubt und seine Gründe dafür hat 1" In Wahrheit, weil er, nach Diderot, auch „fein und geschmackvoll, weil er geistvoll und zartsinnig, voll graziöser Anmut und sogar genial ist**.

Über Caffieri hat sich Diderot ein wenig im entgegengesetzten Sinne getäuscht. Nachdem er ihn im Jahre 1765 recht schlecht behandelt hatte: „Was zum Teufel soll ich euch über Caffieri sagen!", bringt er ihn im Salon von 1767 wieder zu Ehren: „Alles, was Caffieri in diesem Jahre ausgestellt hat, ist lobenswert; da fehlt nichts von dem, was man von ihm weiß." Caffieri ist in der Tat ein höchst temperamentvoller und tat- kräftiger Künstler, der schon eine lebhaftere Sym- pathie von Seiten des großmütigen Philosophen verdient hätte. Das, was man das Flammende im 18. Jahrhundert nannte, dieser feurige und über- raschende Werf des Bildw^erkes in strahlender Form, das besaß Caffieri mehr denn irgendeiner von den Bildhauern seiner Zeit, und ich weiß nicht, ob man in der ganzen französischen Schule

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts 357

schönere Büsten antreffen wird, als die von Rotrou, Thomas und Pierre Corneille. In ihnen steckt die Großzügigkeit und Kühnheit Pugets, Germain Pilons Anmut, die Gewandtheit Coysevox' und Coustous Lebhaftigkeit. Und wie gut hat der Bildhauer den Charakter seiner Modelle erfaßt! Diese edle und ungestüme Wendung, die er dem Kopfe Rotrous zu geben gewußt hat ! Die Bewe- gung des Halses ist geradezu herrlich, und diese lebenatmenden Nasenflügel! Das Haar ist mit in Erregung, und voll innerer Unruhe der Blick. Man ahnt hier den heroischen, fast gleichwertigen Vorgänger des großen Corneille.

Dieser selbst ist ruhiger, sein gedankenvolles Haupt vermittelt den Ausdruck tiefen Nach- denkens. Die mächtige Stirn ruht auf zwei Bogen von wunderbarer Vollendung. Die Unterlippe ist etwas gekräuselt, und das Kinn verrät unbeug- same Entschlossenheit. Der Thomas Corneille ist der Ausführung nach ebenfalls ein Meisterwerk; korrekte, sichere Linienführung, geschickte Mo- dellierung — das Ganze von durchaus meister- lichem Stil.

Noch sechs andere Büsten im Foyer der Co- m^die-Fran^aise sind von Caffieri: Belloy, Piron, Lulli, Lafontaine, Lachaussee und Jean-Baptiste Rousseau; der erste aus dem Jahre 1771, der letzte von 1787; Pierre Corneille 1777, Rotrou 1783, Thomas Corneille 1785.

Die berühmten Büsten Moli^res und Voltaires

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von Houdon sind von 1778, demselben Jahre, in dem Voltaire und Rousseau starben. Da fragt man sich, warum ist denn Jean- Jacques nicht ver- treten in dieser Galerie dramatischer Autoren? Das ist eine Unterlassungssünde, die wieder gut gemacht werden müßte; David d'Angers z. B. könnte uns nach der Totenmaske, die nur leider an der Stirn die Spur einer Kugel zeigt, ein schönes Bildwerk meißeln. Hat nicht auch Houdon selbst eine Büste Rousseaus hinterlassen, als Gegenstück zu derjenigen Voltaires?

Der Voltairekopf ist eine Wiederholung des Kopfes der Marmorstatue; schlauer, durchdrin- gender Blick, eine ungeheure Stirn, hinter der so viele Ideen rumorten, und ein Mund, wie ein Bogen zum Pfeilschleudern gespannt.

Welch ein Unterschied zwischen dieser Phy- siognomie und der Molieres ! Molieres Kopf ist der „menschlichste" im wahren Sinne des Wortes den uns die Tradition erhalten hat, wie sein Genie denn auch das sympathischste und universellste ist. Wie bezeichnend sind doch Form und Ausdruck des Antlitzes 1 Ich für mein Teil kenne wirklich keinen schöneren Schädel als den- jenigen Molieres; er hält sich, was Schönheit an- betrifft, an der Seite der vollkommensten Origi- nalköpfe, die von den griechischen Bildhauern' gemeißelt wurden, wenn er auch einen völlig anderen Charakter in sich birgt. Ich besitze die Terrakotta Molieres von Houdon, als Gegenstück

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts 359

ZU der Bronze des griechischen Arztes, deren Ori- ginal in der Bibliotheque Nationale steht. Moliere repräsentiert, wenn man so sagen darf, den mo- dernen Menschen, im Gegensatz zu dem Menschen der Antike. Der griechische Schädel ist regel- mäßig und unveränderlich; Moli^res Kopf dagegen melancholisch und von Leidenschaft erfüllt; man muß ihn lieben, während der andere zur Bewun- derung zwingt. Der Grieche hat etwas vom Adler; Moliere hat von nichts anderem etwas, ist nur Mensch. Beinahe alle Köpfe aus der alten oder neuen Geschichte haben eine mehr oder weniger entfernte Ähnlichkeit mit irgendeiner Tierrasse; Moliere aber ähnelt keinem einzigen Typus der niederen Gattungen. Er ist in Wahrheit ein Eben- bild Gottes, nach dem Ausdruck der Genesis. Und wie die Athener ihren Frauen empfahlen, ihr Heim mit den Statuen der Wettkämpfer und Heroen zu schmücken, damit sie schöne Kinder zur Welt brächten, so könnten wir unseren Müttern raten, Molieres Porträt in ihren Gemächern anzu- bringen. Die zukünftigen Generationen würden dadurch zweifelsohne an körperlicher und mora- lischer Schönheit gewinnen.

Houdons Büste ist ein wahres Wunder. Der Kopf, beschattet von wallendem Haar, das in der Mitte gescheitelt ist wie das Haar Christi, neigt sich leicht nach rechts. Der ein wenig in die Höhe gedrehte Schnurrbart läßt die ausdrucks- vollen Lippen sehen, deren prononzierte Zeich-

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nung einen wohlwollenden Charakter und keusche Sinnlichkeit verrät. Die weit geöffneten Nasen- flügel scheinen unter dem Einfluß erhabener Ein- drücke zu vibrieren. Leute mit unbedeutender Nase und dünnen Lippen werden niemals hoch- herzige und reiche Naturen sein. Die weit vor- springenden Bögen der Augenbrauen wölben sich über einem rein und klar blickenden Augenpaar. Über dem nackten Hals hat der Bildhauer eine Schärpe in nachlässiger Verschlingung zusammen- gebunden; und dieser einfache Anputz bringt das poesievolle Antlitz des Dichters des „Misanthro- pen" erst recht zur Geltung. Das höchste Lob, v/elches man dieser Molierebüste zollen kann^ ist, daß sie ganz abgesehen von der sich darin ausprägenden Empfindung und der geschickten Ausführung den Anschein erweckt, als ob sie nach der Natur gearbeitet sei.

Der Kopf Racines, von Bridan glaube ich, erregt nicht soviel Bewunderung. Racine und Ludwig XIV., die einander täuschend ähnlich sahen, galten bekanntlich für die beiden „schön- sten Menschen" des 17. Jahrhunderts. Nun, diese Schönheit ist recht anfechtbar, wenn man den Aus- druck höher erachtet, als Regelmäßigkeit. Der Kopf Ludwigs XIV. bietet alle Merkmale des Egoismus und frostigen Hochmutes. Die Nach- welt hat die übertriebene Hochachtung, welche die Hofschranzen vor dem Genie und der Schön- heit des großen Königs hatten, wesentlich herab-

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gemindert. Das Genie Racines^ seines Doppel- gängers, ist von den närrischen Angriffen der romantischen Schule zwar nicht angetastet wor- den; jedoch darf man neben Molieres und Cor- neilles Köpfen den Kopf Racines etwas kleinlich, vorsichtig und zusammengedrückt finden; was natürlich die „Phädra" nicht hindert, ein Meister- werk und eine wahrhaft poetische Schöpfung zu sein.

Pajou, der unter Ludwig XVI. sich eines großen Ruhmes erfreute, ist der Schöpfer der Büste Dufr^nys, datiert von 1781. Er hatte zwölf Jahre in Rom zugebracht; einige von seinen Ar- beiten sind im Museum für moderne Skulpturen, in Trianon und in Saint-Cloud zu sehen. 1782 restaurierte er die „Fontaine des Innocents" von Jean Goujon. Er starb 1809 im Alter von 79 Jahren.

Die Büsten Regnards, 1799, und Dancourts, 1782, sind von Foucou, die Büste Destouches', 1781, von Berruer. Diese beiden Bildhauer haben nichts hinterlassen, was ihren Namen der Ver- gangenheit entreißen sollte.

Während des Kaiserreiches fügte man, im Jahre 181 2, die Büsten Ducis' von Taunay, Barons und Gressets von Fortin hinzu.

Es ist recht traurig, wenn man die Erzeug- nisse der kaiserlichen Schule mit der lebensvollen und eleganten Bildhauerkunst des 18. Jahrhun- derts vergleicht. Merkwürdig: dieses heroische

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Zeitalter des modernen Cäsar, eine Bronze- und Marmorzeit wie die der römischen Imperatoren, wenn man nur die gewaltigen historischen Ereig- nisse ins Auge faßt, hat nicht einen einzigen Bildhauer hervorgebracht. Die Maler, Louis David an der Spitze, äfften die Bildhauerei nach, wie schon Guizot in seinem Salon von 1810 mit vollem Recht ausgesprochen hat. Von dem Verfahren und den Wirkungen der statuarischen Kunst verspra- chen sich die Maler auch den Erfolg ihrer Bilder. Louis Davids „Horatier", G6rards „Belisar'*, der „Marcus Sextus" von Gu6rin würden, in Stein ausgeführt, ganz annehmbare Gruppen abgeben. Aber einen Bildhauer, der bildnerisch schuf, der mit Modellierholz und Meißel arbeitete, gab es nicht. Chaudet und Rolland verfügten zwar über eine gewisse Geschicklichkeit; jedoch, wer wird sie nach hundert Jahren noch kennen?

Die klassische oder akademische Revolution, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts inner- halb der bildenden Künste vollzog und deren Nachwirkungen fast noch in unseren Tagen zu spüren sind, hat nicht einen einzigen hervor- ragenden Vertreter der Plastik erstehen lassen. Winckelmann war es hauptsächlich, der mit seiner „Geschichte der Kunst des Altertums" diese Re- aktion hervorrief. Auf dem Gebiete der Malerei wurde er alsbald unterstützt von seinem Freunde Rafael Mengs, und etwas später von Louis David. Winckelmanns Formel lautete : „Das absolut

Studien über die Bildnerei des i8. Jahrhunderts 363

Schöne^ dessen Typus die griechische Kunst ist." Eine unglaubhche Ketzerei, welche die Zukunft der Vergangenheit aufopfert und die eigene Be- tätigung lebendiger Poesie, die ewige Erneuerung des menschlichen Geistes schlechterdings ver- neint. Winckelmanns Kreuzzug zur Eroberung des zerstörten Jerusalem riß alle Gelehrten Europas mit fort, und seiner Gefolgschaft schlössen sich plötzlich auch sämtliche feudalen Herren der Kunst, der Kritik und der Literatur an. Dieser Armee von Fanatikern gelang es aber doch nicht, den alten Lazarus wieder aufzuerwecken, und die Allerbeharrlichsten vermochten nur ein paar Fetzen von dem Leichentuch, das sie aus dem steinernen Grabe hervorgezerrt, zu erhaschen. Das sind die Folgen, die sie fünfzig Jahre lang auf dem Felde der europäischen Kunst herumge- schleift haben. Das entwichene Leben behielt der geizige Tod zurück in den Grüften des alten Jeru- salem.

Gleichwohl fand sich ein junger Mann, der, im Jahre 1779 nach Rom gelangt, sehr bald seine Begabung mit aller Inbrunst der Aufgabe widmete, aus der alten Kunst neue Pasteten zu backen. Canova gehört freilich, seinen ursprünglichen Nei- gungen nach, durchaus zur graziösen Schule des 18. Jahrhunderts, aber seine späteren Werke, mit Ausnahme der „Magdalena", haben die Nach- ahmung der griechischen Plastik mit Entschie- denheit aufgenommen. So der „Theseus mit dem

364 Plastik

Minotaurus" und „Herkules mit Lykas". Canova war es auch, der von dem ersten Konsul eine Kolossalstatue in voller Nacktheit gemacht hat, die heute seltsame Fügung des Schicksals ! dem Lord Wellington gehört. Und Canova war es, dem 1815 der Auftrag gegeben wurde, aus französischen Museen zurückzuholen, was auf den Eroberungszügen des Kaisers aus Europa zu- sammengeschleppt worden war. Er starb im Jahre 1822.

Sucht nur recht ! Kennt ihr einen großen Bild- hauer aus der Zeit des Kaiserreichs ? Es gibt eben keinen. Und während sich, im Verlaufe der Restauration, die Malerei in Gemeinschaft mit der Literatur selbständig machte, während von allen Seiten neue Maler auftraten, so verschieden von der akademischen Schule, und so verschieden untereinander, Prudhon, Ingres, Gdricault, Eugene Delacroix, Ary Scheffer, Sigalon, was tat da die Plastik ? Nur einer ging aus der ruhmlosen Menge hervor, David d'Angers, dessen edle Überzeu- gungen und dessen kraftvolles Wissen doch mehr den Geist, als die Form der statuarischen Kunst wiederbelebt haben. Aber wieviel hervorragende Bildhauer, die auch künftigen Ruhmes sicher wären, zählt ihr neben unseren modernen Malern?

Nach der Revolution von 1830 kamen einige Anläufe der Erneuerung zum Vorschein, und die Romantik, wie man's später nannte, quälte auch, wenn gleich nur oberflächlich, Marmor und

Studien über die Bildnerei des i8, Jahrhunderts 365

Bronze. Die Bewegung war jedoch nicht einmütig und tiefgehend, wie in der Malerei, in der Literatur und auf dem Theater. Heutzutage haben wir ein halbes Dutzend guter Bildhauer um David d'Angers und Barye. Trotzdem darf man Zweifel hegen, ob unsere Bildhauerschule ein leuchtendes und dauerndes Andenken hinterlassen wird.

Die neuen Büsten im Foyer der Com6die- Frangaise, welche die Reihe der erlauchten Dra- matiker vervollständigen, werden von den Büsten Caffieris und Houdons recht in den Schatten ge- stellt. So der Sedaine, 1813, von Gatteaux, Mit- glied des Instituts; Le Sage, 1842, von Desboeufs; Marivaux, 1843, von Fauginet; Andrieux, 1836, von Elschoect; Duval, 1845, von Barre; Picard, von Dantan dem älteren; Beaumarchais, ich weiß nicht von wem ! Die beiden Büsten, die aus der Allgemeinheit hervorstechen, sind die des Casimir Delavigne, 1844, und die des Marie-Joseph Ch^nier, 1845, beide von David d'Angers.

Wir wünschten diese Reihe, die als Bildnis- sammlung so bedeutsam ist, noch durch einige Büsten von berühmten Schauspielern ergänzt zu sehen; Talma z. B. gehörte dahin, und die vor- nehmen Köpfe der Mlle. Mars und der Mlle. Rachel. Aber wer vermöchte es heutigen Tages, Celimenens Geist und Anmut, die stolze Haltung und Eigenart der Schwester der Horatier in Mar- mor hinzustellen? (I. 397—407-)

XVI. Die Plastik im Salon 1845— 1847

Die Kunst ist ein Suchen nach Schönheit. Die Schönheit auszudrücken ist das Ziel aller Künste, ganz besonders aber der Plastik. Wenn die Schöpfung des Künstlers nicht schön ist, dann ist es besser, die Geschöpfe der Natur anzuschauen, die immer herrlich und immer mannigfaltig vor reinen Augen aufgeht. Aber freilich, die Wirk- lichkeit des Daseins, der lebendige Organismus darf der idealen Poesie nicht ermangeln; denn die Kunst ist mehr als die Natur. Sie ist die Vermittlerin jener unbestimmten Sprache, die alle Wesen sprechen, deren ursprüngliche Harmonie zu verstehen nicht jedem gegeben ist. Wenn die Kunst, statt die Schönheit auszudrücken, auch Häßlichkeit und Mißgeburten zeigt, dann seid ihr wohl wie jener Neugierige, der hübsche Vögelchen aus dem Nest holen will, auf den Baum klettert, den Arm nach dem Neste ausstreckt, mit der Hand hineinlangt, und eine Schlange zwischen Kröten darin findet. Vor Schreck fällt er vom Zweige und zerschlägt sich am Boden. So fallt auch ihr aus allen Himmeln eures Idealismus heraus. (1845- l- 189—190.)

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1846

Es fehlt recht viel daran, daß die gegen- wärtige Bildhauerkunst die hohe Stufe unserer Malerei erreicht. Wenn man von David d'Angers, Pradier, Barye absieht, denen nichts daran liegt, ihre Werke der Jury zu unterbreiten, welches sind dann noch die Bildhauer, deren Namen in Zu- kunft weiterleben wird? Wieviel Menschen, die zu ihren Lebzeiten übermäßig gerühmt wurden, werden in der Geschichte überhaupt kein An- denken zurücklassen! Die ganze Generation der Kaiserzeit^ ist vergessen, und vom Ende des 18. Jahrhunderts bleibt schon kaum jemand übrig außer Caffieri mit seiner Büste Rotrous und Houdon mit seiner Voltairestatue und der Mo- li^rebüste.

Unsere Epoche steht nicht im Zeichen des Marmors und der Bronze. (1846. i. 362—363.)

Rüde

Rüde hat darauf verzichtet, eine große, für Burgund bestimmte Napoleonstatue dem Urteil seiner Herren Feinde auszusetzen, welche die aka- demische Jury bilden. Das Tonmodell, das in Bronze gegossen werden soll, haben wir in seinem Atelier gesehen; das Werk ist bestimmt, ein dem Andenken des Kaisers geweihtes Grabmal zu be-

368 Plastik

krönen, das auf einem Privatbesitztum zu Fixin in der Nähe von Dijon errichtet v^erden soll. Ja, freilich, so ist es : zwei Männer kommen auf die Idee, ganz allein, auf eigene Kosten dem Napoleon ein Denkmal zu errichten 1 Rüde selber und einer seiner Kameraden aus der Kaiserzeit, ein Offizier der alten Armee, gönnen sich das Vergnügen, den Kriegshelden, den sie gekannt und bewundert haben, sozusagen in Familie zu feiern. Es ist leicht möglich, daß dieses Grabmal zu Dijon das im Invalidendom aufwiegen wird.

Als mir Rüde, mit seinem großen Schädel, der etwas an Michelangelo erinnert, und seinem langen grauen Barte, das so schlicht erzählte, wie sie beide ihr nationales Heldengedicht schüfen, für das der eine sein Geld, der andere sein Talent und seine Arbeit einsetzte, da schien es mir, als sei cias politische Gefühl in Frankreich doch nicht erstorben. Die Alten aus der Revolutions- und Kaiserzeit haben die Vaterlandsliebe und den Heroenkultus bewahrt. Die feierliche Enthüllung des Jean Bart von David d'Angers hat uns dies bei der Bevölkerung in der Provinz gezeigt; und hier fanden wir es wieder bei dem kraftvollen Schöpfer des Reliefs von „Anno 1792" am Are de l'Etoile.

Rüdes Napoleon liegt auf dem Felsen von St. Helena, in seinen Mantel eingehüllt, wie in einem Leichentuch. Er scheint vom Todesschlafe zum unsterblichen Leben zu erwachen. Der Kopf

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St von strahlender Schönheit; die Gewandung ist einfach und in großen Flächen modelliert, welche iie Körperformen durchscheinen lassen. Eine iberzeugungsvolle, nahezu religiöse Apotheose : ias wirkt wie Verheißung einstiger Wiederkehr! Vielleicht werdet ihr eines Tages, auf einer Fahrt iurchs burgundische Land das Grabmal Napo- eons auf einer von Zypressen umgebenen An- löhe gewahren, und werdet der beiden edlen Patrioten gedenken, die mit so hohem Verständnis Frankreich in seinem kriegerischen Kaiser ver- körpert haben.

Die sechzehn Schüler Rüdes sind allesamt /on der Jury zurückgewiesen worden. Ein Akt Drutaler Willkür 1 Die Akademie ist keine Freun- din unabhängiger Charaktere und energischer Ta- ente. Und warum gehen Rüdes Schüler auch licht in das Atelier des Herrn Nanteuil oder des Herrn Ramey? Aber freilich, welches sind denn iie öffentlichen Arbeiten der Herren Ramey, I^Tanteuil und der anderen unbeugsamen Römer, damit wir sie der kunstliebenden Jugend emp- fehlen? Diese mißgünstigen Michelangelos haben unseres Wissens niemals ein Meisterwerk geschaf- fen, weder im antiken, noch im religiösen, noch iuch im modernen Stil. Mit welchem Rechte weisen sie da eine ganze, sicherlich gut geleitete Schule zurück? Mit welchem Rechte verdammen sie die „Lukretia" von Maindron, oder die „Jung- frau" von Du Seigneur, L^veques „Tänzerin**, oder

Bürger, Kunstkritik. H. 24

370 Plastik

Fratins „Tiere" und die Büsten von Gott weiß wem? Sie haben in ihrem ganzen Leben nichts, weder Gott noch Vieh, weder Mann noch Weib mit einem Schein von Leben gemeißelt. Wir for- dern sie alle mit einander heraus, ein Standbild der Impotenz, die ihre Göttin ist, zu modellieren und es in der Geheimabteilung aufzustellen, wo sie ihre Verbannungsurteile ausbrüten.

Die geschickte Lehrtätigkeit Rüdes hat aber mehrere Schüler hervorgebracht, deren Werke an die Öffentlichkeit zu gelangen verdienten. So wurden uns eine „Jungfrau" von Blanc, ein „Ver- lorener Sohn" von Montagni, ein „St. Petrus" von Franceschi, ein „Grabesengel" von Capel- laneau gezeigt, Arbeiten, die samt und sonders ernsthafte Studien und feines Formen- und Stil- gefühl verraten. Aber nochmals: die Jury hat eben Du Seigneur abgewiesen, der ganze Kirchen ausgeschmückt hat, und Maindron, der die „Vel- 16da" des Luxembourg und die Statue des Gene- rals Travot auf der Place de Bourbon-Vendee geschaffen. (i. 356ff.)

David d'Angers

David d'Angers besitzt jene Sicherheit, die dem Bildhauer geziemt, in höherm Grade als irgendeiner. Immer ist in seinen Gestalten die Modellierung richtig und fest, und seine mäch-

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tige Hand meistert die Form. Noch mehr, David d'Angers ist derjenige Künstler, der am besten die französische Tradition vertritt, und in der Skulptur das moderne Gefühl zum Ausdruck bringt. Charles Blanc hat in seiner „Geschichte der französischen Maler" den Charakter unserer na- tionalen Schule bei Gelegenheit des in Poussin waltenden Genius sehr gut erklärt. Auch David ist es in der Tat immer um den Gedanken und um die Komposition zu tun. Für ihn muß die Kunst immer eine geistige Bedeutung haben und eine Belehrung enthalten. David hat gewöhnlich ge- schichtliche Stoffe und den Geist seiner Zeit zur Darstellung gebracht. Er hat einige der ruhm- reichen Gestalten des 17. und 18. Jahrhunderts wieder auferweckt, er hat fast alle Köpfe der be- rühmten Männer unserer Zeit geformt. Seine Studie nach einem „Kind, das in eine Traube beißt", die von einer Weinrebe herabhängt, ist nach der Natur gemacht. Es ist ein liebenswür- diger Einfall, der sich ebensowohl für Terrakotta eignete wie für Marmor. Der etwas aufgetriebene Bauch des Kleinen verrät das ganze Wissen und die Geschicklichkeit Davids. Unglücklicherweise wird der Kopf durch die Traube verdeckt; doch die Bewegung ist naiv und. natürlich. Diese Figur stünde also gut in einem Garten, zwischen dem Blattwerk blühender Gebüsche.

(1845. I. 191.)

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David d'Angers hat den Salon nicht beschickt. Seine große Statue von Larrey, die den Haupt- hof des Val-de-Gräce schmücken soll, befindet sich beim Bronzegießer. Das Postament wird vier Re- liefs zeigen: wie Larrey die fliegenden Feldlaza- rette organisiert, die unter dem Feuer des Feindes den Verwundeten zu Hilfe eilen sollen; dann die Schlacht bei Austerlitz; noch eine Schlacht in Ägypten, und den Übergang über die Beresina. David ist noch mit dem Standbilde Casimir Dela- vignes und demjenigen Bernardins de Saint-Pierre beschäftigt. Recht schade ist, daß er mit seiner schönen Statue des Jean Bart den Salon nicht hat abwarten dürfen. Die Stadt Dünkirchen hatte es nämlich mit der Einweihung ihres Helden auf der Place publique sehr eilig; das Volk und die Schiffer wollten ihr Bronzewerk sofort haben, und holten es ab, ohne Paris Zeit zu lassen, es auch zu bewundern. Wir haben es indessen in der Gie- ßerei gesehen: es ist eine von Davids hervor- ragendsten Arbeiten, und wird in einigen Jahr- hunderten Zeugnis davon ablegen, „daß wir we- nigstens in der Bildhauerkunst nicht mehr in den Kinderschuhen gesteckt haben", wie Diderot in seiner Besprechung Falconnets sagte. Sicherlich ist David d'Angers der Bildhauer, der späterhin unsere Zeit vertreten wird, wie Germain Pilon die Renaissance, Girardon das Zeitalter Lud- wigs XIV. und die Coustou das i8. Jahrhundert. Diesen gegenüber hat er den Vorzug, daß er für

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Städte und für alle Welt arbeitet, während jene nur für Paläste und für ihren Fürsten schufen. Seit der Renaissance hatte sich die Bildhauer- kunst fast nur noch mit mythologischen und alle- gorischen Stoffen beschäftigt; sie verwandelte sogar historische Persönlichkeiten in heidnische Götter, verkleidete Ludwig XIV. als Apoll, mit einer Perücke, und seine Mätressen als Diana oder Venus. Unser Jahrhundert hat sich ernst- lich wieder dem Geschichtlichen zugewendet, und David d'Angers hat den Vorzug gehabt, die größten Männer aller Länder darstellen zu dürfen, ohne Verschönerungs- und Maskeradenkünste an- zuwenden. Sein Werk wird gar viel bedeuten in tausend Jahren, wenn man all unsere berühmten Zeitgenossen in Bronze oder in Marmor, in Rund- plastik oder Reliefdarstellungen wieder auffinden wird. Der Kopf Lamennais' wird für die Nach- welt nicht weniger interessant sein, als die unter den Trümmern des alten Rom entdeckten Köpfe Ciceros oder Senecas. (1846. I. 354^.)

Pradier

Die „Phryne" von Pradier ist sehr schön. •Er hat ganz bewundernswert die Form gemeißelt, die der Geliebten des Praxiteles gebührt, dem schönen Modell, das die griechischen Richter be- stach, da ihr Anwalt ein wenig das Kleid aufhob,

374 Plastik

als sei dahinter ein imwidersprechlicher Beweis- grund vorhanden. Hier ist aber nicht die Frau als Mutter, als Gattin oder Geliebte; es ist die antike Buhlerin. Man kann nicht griechischer sein als das. Der Charakter und der Ausdruck der Form, in der Gesamtheit wie im einzelnen, alles ist die Hetäre. Wir sehen die rein plastische Schönheit vor uns, und die Wollust, wie die Grie- chen sie verstanden, die sich um die Seele des Weibes nicht kümmerten, wohl aber um den Linienzug und die Vollkommenheit des Umrisses. Wäre das die Frau, die Mutter zu werden be- stimmt ist, so würde sie mehr Breite in den Hüften nötig haben, mehr Zartheit in den Wellenlinien des Leibes. Wäre es die Frau als Gefährtin des Mannes, eins mit seinem Dasein, wie die moderne Ethik sie sich vorstellt, so hätte sie weniger Stolz in der Haltung nötig und mehr Gefühl im Kopf. Doch es ist das „antike" Weib, es ist die Blüte der Schönheit, die beim Gelage durch die Eleganz ihrer Erscheinung und den Duft ihres Wesens entzücken soll. Ihr Wuchs ist wie aus einem Guß, wie der Trieb eines wilden Palmbaums; ihre Seiten biegen sich mit der Geschmeidigkeit einer Schlange; ihre Hüften sind fest und geschlossen wie die einer Tigerin; ihre Gelenke sind fein und beweglich wie bei allen schönen Rassen. Die rei- zenden Hände, wenn sie einem den ziselierten Becher darreichen. Die schönen Füße, sie sollten auf blumigem Rasen ruhen. In diesen Formen

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ist ein heimliches Feuer, so regelmäßig sind sie, so stolz. Die Bewegung des rechten Arms, der sich über den Kopf zurückhebt, um hinten ein Stück fließender Draperie festzuhalten, beschreibt eine elegante Linie, die den ganzen obern Teil der Statue liebkost, vom Bein bis zum Einbogen hin- auf. Diese Schönheit da ist wohl soviel wert, wie die strenge und verhüllte Schönheit des Mittel- alters, die etwas gequälte Schönheit der Renais- sance, die kokette Schönheit des i8. Jahrhunderts und die leidenschaftliche Schönheit unserer eigenen Zeit. ^ (1845- I- 190— 191.)

Der Haupterfolg des Salons gehört Pradier mit seinem Marm.orwerk „Die leichte Poesie". Leicht in der Tat, denn sie steht kaum auf ihren entzückenden Füßchen; sie steht überhaupt nicht einmal fest genug auf der Erde für eine wirkliche Frau; aber man kann ja der Poesie Flügel ver- leihen. Indessen, Pradiers Statue ist von Grund aus verfehlt. Allerdings die Drehung des Rump- fes, der Schwung der Arme, der Wurf des Kopfes und der Haare nach rückwärts, die hinreißende Torheit in ihrem zwanglosen Gehaben lassen uns übersehen, daß es der ganzen Hinstellung an Sicherheit gebricht. Und was die Charakterisie- rung angeht, so kann man behaupten, daß dies ebensogut eine Bacchantin oder eine Nymphe sein könnte, wie die mehr oder weniger launenhafte

376 Plastik

Poesie; dies ist die Musik, wenn man will, dies ist die Unbeständigkeit, oder auch die Phantasie, oder auch ein ganz beliebiges Zigeunermädel, gleich gut was immer. Jedenfalls genügt es, wenn sie ein wohlgeformtes Bein, runde Hüften, einen frischen Busen und feine Gelenke besaß, alles Eigenschaften, die man an Pradiers lüsternen Wei- bern gewöhnt ist. Aber diese hier läßt Fehler er- kennen, die bei einer Frau von ihrer Herkunft unverzeihlich sind: der Unterschenkel ist nicht geschmeidig, der Bug der Hüften ist zu stark betont, die Schultern sind dürftig, die Biegung des Nackens ist wenig verführerisch, und der Kopf ermangelt jedes Ausdrucks. Die „Phryne" von 1845 war vollkommener; unter dem Namen der „Poesie" hat sie eingebüßt an jenen unwidersteh- lichen Reizen, die den griechischen Areopag be- zauberten. Und überdies, was würde sie wohl ihren Richtern zur Antwort geben, wenn die^e um mit Herrn Cousin nach seiner Schrift über „Das Schöne" zu reden ihr sagen würden: „Das Ziel der Kunst ist der Ausdruck moralischer Schönheit mit Hilfe der körperlichen Schönheit?" Pradier würde in ziemliche Verlegenheit geraten, wenn er erklären sollte, welches Ideal ihn zu seinen Schöpfungen begeistert, und auf welche Art moralischer Schönheit er es eigentlich ab- gesehen hat.

Pradier ist ein Spätling des Heidentums, der aus Überlieferung und aus Götzendienerei sich

1

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immer in die Form verliebt, aber nie nach dem Innern oder gar nach dem Geheimnis fragt, das solch Idol noch bergen mag. Niemals hat er das Verlangen empfunden, die äußere Schale der Kunst zu brechen, imi ihren Mandelkern zu kosten. Er würde gar nicht darauf verfallen, die Büchse der Pandora zu öffnen, um zu sehen, was darin ist; ihm genügt ihre schöne Ziselierung und die zierliche Außenseite. Der menschliche Körper ist für Pradier ein Schmuckstück, das just ebensoviel bedeutet wie ein Ring oder ein Halsband. Die Form ist gine Koketterie, deren Zweck ist. Gefallen zu erwecken, wie ein kostbarer Stein oder eine Blume. Aber diese Liebe zur plastischen Schön- heit, der geistlosen und unvollständigen, ist immer- hin schon etwas; es gibt soviel Künstler, die überhaupt keine Liebe haben. (1846. i. 359«)

Pradier ist diesmal von der verliebten „Phryne" auf eine schmerzensreiche Jungfrau ver- fallen, von Griechenland ins Mittelalter geraten. Man vermag sich jedoch nicht so einfach um mehrere Jahrhunderte zu verjüngen. Pradiers Talent ist zweitausend Jahre alt oder zwei Stun- den. Er kann das griechische Empfinden wieder- geben, oder die Natur, die er ganz frisch unter Händen hat. Strengen Stil, kirchliche Stimmung, darf man von Pradier nicht verlangen. Der Hage- dorn wächst anders als die Trauerweide.

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Pradiers „Pietä" steht zwischen zwei akade- mischen Marmorstatuen, dem „Archidamas" von Lemaire und dem ,, Pilger" von Petitot. Pradier hat an die große heihge Jungfrau des Michel- angelo gedacht, welche den Leichnam des Sohnes auf ihren Knien hält. Jedermann kennt diese er- habene Gruppe : die Gestalt der Mutter ist in solcher Hoheit und solcher Breite gehalten, daß sie noch ihr Kind Jesus zu tragen scheint, ob- gleich die Gestalt Christi selbst schon gestreckte Proportionen aufweist und in dem Bewegungszug der Umrißlinien unvergleichlich gezeichnet ist. In der Gruppe von Pradier ist der Körper Christi ganz klein und in häßlicher Stellung zwischen den Schenkeln der Jungfrau zusammengesunken. Einem Künstler des Mittelalters würde diese un- passende Vorstellung von der Jungfrau mit aus- einandergenommenen Knien niemals gekommen sein, und ich glaube auch, daß es in der ganzen Tradition kein Beispiel dafür gibt. Die keusche Maria ist ein jungfräuliches, schlankes Gewächs, züchtig umhüllt mit undurchsichtigen Gewändern, und es blüht aus in einem poetischen Kopfe. Die Bildwerke der heiligen Jungfrau in unseren Kathe- dralen lassen nirgends die Formen des weiblichen Körpers ahnen, auch wo in Natur entschiedene Erhebungen hervortreten würden. In der gut katholischen Ikonographie ist der Leib der Jung- frau ein Gedicht.

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Die Gesamtkomposition der Gruppe Pradiers läuft also aller christlichen Vorstellung stracks zu- wider, und außerdem widerspricht sie mit ihren vielfältig gebrochenen Linien an dem Körper Christi, der zusammengekrümmt ist und zur Erde sinkt, den Gesetzen guter Bildnerkunst. Michel- angelo hatte die heilige Jungfrau so aufgefaßt, daß sie den Sohn noch mit ihrem mütterlichen Schutz und mit ihrer göttlichen Liebe umhüllt. Hier aber läßt sie ihn mit allzu schwächhcher Lässigkeit in ihren Schoß gleiten. Die Köpfe sind völlig unbedeutend und kommen weder den geheiligten Typen noch der idealen Schönheit nahe.

Nicht glücklicher ist Pradier mit seinen beiden Grabmälern gewesen, die für die Kapelle von Dreux bestimmt sind. Die Statuen Emanuels von Orleans, Herzog von Penthi^vre, und der Caroline von Orleans, geborenen Prinzessin von Montpensier, sind auf die Grabplatte gelegt, wie die Grabfiguren des Mittelalters oder der Renaissance in den Grüften von St. Denis : die Hände auf der Brust gefaltet, die Körper steif und um ein ganzes Stück verlängert, die Füße im rechten Winkel gegen den Löwen oder andere Symbole ihrer irdischen Gewalt gestemmt. Aber von religiöser Auffassung des Todes und der Unsterblichkeit ist nichts darin. Immerhin findet man Pradiers Geschicklichkeit wieder in der Ausführung der Hände und einiger Teile der Gewandung. Nackte und lebensvolle Nymphen liegen ihm besser als tote Prinzessmnen,

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die ins Leichentuch gehüllt sind, und seine heid- nischen Aphroditen bitten für seine „Mater dolo- rosa** um Vergebung. (1847. I. 543^^.)

^^

1847

Der Kunst unserer Zeit fehlt vor allen Dingen eins, das ist Charakter, die wesentliche, unzer- störbare Seite der Taten und Menschen, das ureigne Wahrzeichen eines unterschiedlichen We- sens. Nehmt eine unförmliche Skulptur des Mittel- alters her, gleich gut wo, auf dem Pfeiler einer Kathedrale etwa; oder nehmt ein Bronzefragment, meinetwegen sogar aus der römischen Verfallzeit, in Pompeji oder sonstwo ausgegraben : sofort wird dies einzigartige Werk die Vorstellung seiner Ent- stehungszeit und seiner Herkunft heraufbeschwö- ren; es hat einen fremdartigen, eigentümlichen Anblick, der euch fesselt und sich in euer Ge- dächtnis eingräbt. Aber es dürfte schwer fallen, die gigantischen Blöcke unserer zeitgenössischen Bildhauer in Erinnerung zu behalten. Eine Vase von Benvenuto Cellini, eine Medaille von Vettor Pisano, einen kleinen Tiger von Barye oder ein Medaillon von David d'Angers vermöchte ich genau hin zu zeichnen; aber den Nicolas Poussin von Brian könnte wohl kein Mensch aus dem Ge- dächtnis wiedergeben. Unter den Gemälden kennt ihr wohl Ingres* „Stratonike**, Eugene Delacroix'

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„Christus", die kleinen „Schachspieler" von Meis- sonier; aber gebt doch gefälligst einmal Rechen- schaft von der großen Malerei eines Akademikers ! Es ist unmöglich. (1847. i- 549.)

Maindron

Zufällig oder aus Nachsicht, als Ersatz ge- wissermaßen für die „Lukretia", eine Statue von sieben Fuß Höhe, und für ein Grabmalrelief in Marmor, von acht Fuß, haben die Bildhauer der Akademie den „Aloys Senefelder" von Maindron aufgenommen. Senefelder ist der Erfinder der Lithographie. Er wurde 1772 in Prag geboren; seine Entdeckung machte er im Jahre 1796; die- selbe wurde durch Andr6 aus Offenbach in Frank- reich eingeführt, fand aber erst seit 181 5 durch den Grafen de Lasteyrie und durch Engelmann weitere Verbreitung. Senefelder starb dann im Jahre 1834. Sein Denkmal in Stein ist für die Werkstätten des Herrn Lemercier bestimmt, der dieser Erfindung der Lithographie sein Vermögen verdankt. Es ist immer ein Zeichen vornehmer Denkart, wenn jemand inmitten der Stürme des sozialen Lebens das Abbild seines Retters verehrt.

Die dankbare Gesinnung des Herrn Lemercier hat eine der schönsten Gestalten unserer zeitgenös- sischen Bildhauerkunst hervorgebracht; denn Maindron bewährt in seiner Arbeit ein überlegenes

382 Plastik

Können und eine heutzutage recht sehen vorkom- mende Energie des Ausdrucks. Senefelder steht aufrecht da, in einfacher moderner Kleidung, und häh in der Hnken Hand einen Probedruck der „Jungfrau mit dem Kinde". Der entschieden her- ausgearbeitete Schädel zeugt von Denkarbeit und Ausdauer; die Pose ist in keiner Weise theatralisch affektiert; wir haben einen Mann vor uns, der schlecht und recht mit dem Gedanken heraustritt, dessen er sicher ist. Die Falten der Gewandung sind frei und nüchtern gegeben und lassen ohne jede Scharlatanerie und Übertreibung das darunter befindliche Körpergerüst zur Erscheinung kom- men; alles daran ist in der Bewegung richtig erfaßt. Die Hauptlinien sind großzügig, und straff zusammengehalten; die Ausführung des ein- zelnen ist untadelig. Maindron hat sich längst schon als ein vortrefflicher Praktikus erwiesen.

(1846. I. 358f.)

XVII. Die Plastik im Salon 1861 1865

Die Plastik, die große Kunst, ist freilich un- zerstörbar; aber sie bewegt sich heute keineswegs in aufsteigender Linie. Kann die Malerei noch in abnormer Entfremdung von der älteren Schwe- sterkunst,, der Architektur, ein wenn auch un- vollständiges Dasein fristen, so ist dies für die Bildhauerkunst schlechterdings ausgeschlossen. Ohne Zusammenhang und Einverständnis mit der Baukunst fällt sie Verwendungen anheim, die ihr Wesen, selbst auf den Kopf stellen.

Die notwendige Gemeinschaft der drei Künste, die in den Grundphasen der Geschichte immer ungetrennt waren, bedeutet eine der künstlerischen Lebensfragen unserer Epoche. Die Dreifaltigkeit der Künste ist ebenso unlöslich wie die göttliche Dreieinigkeit im religiösen Bekenntnis. Ganz allein wäre der Heilige Geist nur eine verirrte Taube, die nicht mehr wüßte, worüber sie die Flügel breiten soll, und der Sohn kann des Vaters nicht antraten. Ohne ein Bauwerk, aus dem sie hervor- wächst, ist die Skulptur ebensowenig verständlich, wie die Malerei ohne ein Gebäude, das sie belebt.

Heutzutage, da die Malerei so klein geworden.

384 Plastik

tritt sie, dem Zufall folgend, irgendwo ein, fügt sich einer beliebigen Umgebung an, versucht es bald da, bald dort, wechselt wieder und findet nir- gends einen festen Platz, außer in jenen zusammen- hangslosen Bildermosaiken, die man „Museen" nennt.

In den guten Zeiten der Kunst, da sie ein schöpferisches Wirkungsvermögen hatte, sah man nie Museen. Sie sind die Friedhöfe der Kunst, Katakomben, in denen man in einem Durchein- ander von Grabmälern die Reste einstigen Lebens zusammenträgt : eine wollüstige Venus neben einer mystischen Jungfrau, einen Satyr neben einem Hei- ligen, Luther gegenüber dem Papst, ein Boudoir- bild als Gegenstück zu einem Altarwerk. Was für eine Kirche, einen Palast, ein Rathaus, ein be- stimmtes Gebäude ausgeführt wurde, für diese oder jene ganz bestimmte moralische oder histo- rische Bedeutung, für eine besondere Beleuchtung, mit diesem oder jenem ganz bestimmten Zubehör, das alles hängt man wirr durcheinander an die Wände eines neutralen Stapelplatzes, einer Art posthumer Herberge, einer toten Stadt zu der Geschlechter, denen die Schöpferkraft abhanden kam, hinwandern, um die erhabenen Trümmer zu bewundern.

In den Epochen kräftigen und organischen Lebens, in Griechenland und im Mittelalter, gibt es keine Museen, außer den Gebäuden, in denen sich das soziale, religiöse, politische und Wirtschaft-

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liehe Leben selbst abspielte, die Tempel, die Foren, Gynaikeion und Circus, die Kirchen, Klö- ster, Rathäuser, Korporationshallen usw.

Die Skulptur gelangt nicht im selben Maße wie die Malerei in die Privathäuser; und unsere Zeit errichtet keine öffentlichen Gebäude mehr. Paris ist aufgerührt, umgestürzt und scheinbar ver- wandelt worden, und dennoch gibt es nichts Neues in Paris. Man hat nur die alten Gebäude wieder neu hergestellt, wenn man sie nicht niedergerissen hat: so hat man die Sainte-Chapelle restauriert, ebenso Notre-Dame, den Justizpalast, Tour Saint- Jacques, Hotel de Ville, man hat das Louvre aus- gebaut und flickt jetzt an den Tuilerien. Man hält sich an das, was die Erfinder der vergangenen Jahrhunderte schufen. Und wenn zufällig zu ver- schiedenen Zeitpunkten einige große Bauwerke gewagt worden sind, wie das Pantheon, die Börse, die Madeleine oder Sainte-Clothilde, so hat man dabei Pläne verwendet, die Griechenland, Rom und dem Mittelalter entlehnt sind. Das übrige sind nur Kasernen für die Soldaten. Man hat jedoch auch Schuppen für Gewerbe und Handel geschaffen, für die Maschinen zur Fortbewegung und für Reiseaufenthalt. Der Palast in den Champs- Elysees, und Markthallen und -Plätze, die Bahn- höfe, das waren Gelegenheiten, großzügige Archi- tektur, und in der Folge auch neue Skulptur und Malerei zu schaffen! Aber unserer Zeit fehlt das schöpferische Genie. Ein Überkleistern oder Zu-

Bürger .Kunstkritik. H 25

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sammenflicken, das ist das Universalmittel auf allen Gebieten sozialer Ordnung.

Große Bildhauer gibt es also nicht mehr. Sie könnten nicht einmal bestehen. Da ist nur Barye, ein echter Künstler, ein meisterhafter Ziseleur, der vielleicht das Zeug zum monumentalen Bildner hätte; aber er ist genötigt, Bronzen für Wand- borten, Kaminschmuck, Briefbeschwerer und Pet- schafte zu verkaufen. Zwei oder drei andere, die auch zur großen Skulptur berufen waren, sind gestorben, so David d'Angers und Rüde; David hat das Glück gehabt, wenigstens einige monu- mentale Statuen für das Ausland schaffen zu dürfen. C16singer scheint auch noch den Trieb zu großen Aufgaben zu haben. Doch wird be- hauptet, daß ihm ein Reiterstandbild für den Hof des Louvre nicht geglückt sei. Denn er ist ein Mann des reinen Zufalls, der ohne Überlegung schafft. Aber manchmal gelingen ihm prächtige Wendungen, eigenartige Akzente, ja sogar die Schönheit selber.

Mit der statuarischen Kunst steht es anders als mit der Malerei, wo man alles machen kann, was man will. Die Kunst der Malerei ist an sich schon eine künstliche Übereinkunft, ein optisches Spiel, also ganz willkürlich. Welch eine Finger- fertigkeit ist es doch, den weiten Raum und alle Tiefen der Luft auf der Oberfläche einer Leinwand vorzutäuschen, die Körper darauf auszurunden, dort Städte zu erbauen mit ihrer Ausbreitung,

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Wälder da hinzupflanzen, in denen die Bäume ihre Zweige strecken, Berge dort aufzutürmen, unten das ungeheuer weite Meer vor uns aufzurollen, und darüber den unendlichen Himmel zu wölben I In der Skulptur handelt es sich nicht mehr um so etwas. Da gebietet eine unerbittUche Wirklich- keit. Die Natur bleibt greifbar, körperlich und ist nicht mehr bloß ein Kunststück, das das Auge täuscht. Um die Venus von Milo will ich rings herumgehen, will die Rundung ihres Körpers mit den Händen tasten. Hat man doch auch Ver- rückte gesehen, die sich in eine Statue verliebten; denn hier fehlt nur der Blutumlauf und die Be- weglichkeit der Glieder.

In der Malerei, wo alles Dargestellte in einem herkömmlichen Milieu schwimmt, kann man barocke, absurde, unmögliche Formen wagen, kann man sich allen Einfällen der Phantasie hin- geben, kann ganz gemeine, alltägliche Dinge, Kari- katuren, ja Krüppel und Mißgeburten darstellen. Die Spanier, Vlamen und Holländer haben Zi- geuner und Strolche, Bettler und Trunkenbolde, exzentrische Menschen jeder Art gemalt, und haben damit auf diesem Gebiete der Kunst Aner- kennung gefunden. Die statuarische Kunst würde aber Riberas Greise, Murillos Lausbuben und die Prahlhänse von Brouwer, van Ostade und Jan Steen nicht annehmen. Die Malerei kann familiär bleiben und zu jeder Art von Sittendarstellung herabsteigen, ja, zu den allergeringsten Gegen-

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Ständen greifen. So ein Bild mit Fischen, In- sekten, Muschelwerk und Austernschalen kann eine glänzende Leistung sein. Die Skulptur da- gegen ist vornehm schon ihrem Wesen nach, und zwar vermöge ihrer Realität und der Dauerhaftig- keit ihres Materials. Leinwandlappen oder Papier- fetzen leisten der Zeit nicht so Widerstand wie Bronze oder Marmor. Es widerstrebt der Ver- nunft, in dauernd haltbarem Stoff zu verewigen, was unbedeutend ist, was nicht tiefen Charakter oder wahrhafte Schönheit besitzt.

Die Schönheit ! Das ist vor allen Dingen der Gegenstand der statuarischen Kunst. Sie ist es, die die griechische Kunst unsterblich gemacht hat. Bei der Betrachtung der griechischen Statuen, und zwar fast aller, nicht nur derer aus der Blüte- zeit, die die Marmorwerke des Parthenon hervor- brachte, sondern derer aus früheren und späteren Perioden vom Archaismus bis zum Verfall empfindet man nur einen Eindruck, den Eindruck der Schönheit. Ich habe viele Tage im British Museum zu London zugebracht vor den verstüm- melten Statuen, die man dem Phidias zuschreibt, besonders vor der Gruppe der zwei weiblichen Gewandstatuen, die keine Arme und keine Köpfe mehr haben, und die, man weiß nicht wen und man weiß nicht was darstellen, ja sogar vor den verwitterten und zerschlagenen Pferdeköpfen : Wie schön ist dasl Ich hätte nichts anderes zu sagen gewußt. Man hat nicht die geringste

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Lust zu sprechen vor diesen Statuen der Aphro- dite, des Dionysos, des Apoll, vor den einfachen Büsten der Gottheiten und Heroen, vor den Reliefs, auf denen Nymphen tanzen oder eine Priesterin zum Opfer schreitet : Wie schön ist das ! Und was bedeutet es? Davon weiß man nichts. Man versteht nicht, man bewundert nur. Das ist der Zauber der Kunst, das ist ihr höchster Erfolg 1 Redet dann meinetwegen von dem Gedanken- inhalt und der Philosophie, dem Gegenstand der Darstellung in der Kunst ! Die Kunst lehrt nicht in der Art wie ein Professor der Rhetorik oder ein Moralist. Sie erklärt ihre Gründe nicht. Sie reißt ganz natürlich mit sich fort; sie erfüllt mit Leidenschaft, mit Schwärmerei, sie verwan- delt und vervollkommnet, ohne zu sagen warum oder wie. Und diese Anziehungskraft, diese Ge- walt, diesen übermenschlichen Aufschwung übt die Skulptur in noch höherem Grade als die Ma- lerei, weil ihr Bestreben weniger verwickelt ist, und ihr Ziel ganz einfach: die Schönheit.

Aber achl In der Skulpturenausstellung der Champs-Elysees hat die Kritik bei einigen Werken wohl so etwas wie Geschmack, etliches Wissen und mancherlei technische Vorzüge feststellen können; aber unter diesen Marmorfiguren und Bronzen war nicht eine einzige, vor der man hätte ausrufen können : Wie schön ist das 1

(i86i. II. 84ff.)

390 Plastik

Eine Statue machen ! Für wen? Wozu? Eine Marmor- oder Bronzestatue kann man doch nicht in einen Salon stellen. Wenn die Statue fertig ist, an wen soll man sie dann verkaufen? Und zunächst braucht man ein paar Tausendfrank- scheine für den Marmor und die Hilfskräfte, oder für den Gießer. Der Maler hat nicht so große Aus- gaben, hat auch nicht mit den gleichen Schwie- rigkeiten zu kämpfen wie der Bildhauer. Ein Bild kostet den Maler fast nur seine Zeit; und wenn das Bild fertig ist, dann findet sich ein Händler, ein Liebhaber, oder ein einfacher Bürger, der es fortträgt und irgendwohin bringt.

Die Bildhauerkunst ist ihrer Natur nach eine soziale Kunst, für öffentliche Plätze und Gebäude bestimmt; allenfalls kommen noch die Schlösser und reichen Wohnungen der aristokratischen Ge- sellschaftskreise in Betracht. W^enn aber der Staat versagt und nicht ein „hoher Herr" der Politik oder der Finanz diesen Marmor oder jene Bronze kauft, so bleibt des Künstlers Werk in einer Ecke seines Ateliers stehen.

Es ist traurig, wenn man für seine Arbeit und sein Leben vom Staat oder von einigen Mil- lionären abhängig ist, wo doch gerade der vor- nehmlichste Charakterzug der modernen Kultur in dem unwiderstehlichen Streben besteht nach persönlicher Befreiung durch Arbeit und Intel- ligenz.

In einer ausgezeichneten kleinen Schrift hat

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unser Freund Louis Viardot die Frage der „För- derung des Künste" geprüft; er zeigt darin, daß zu allen Zeiten und in allen Ländern sich die großen Schulen und die großen Künstler kraft ihrer eigenen Initiative ganz allein herangebildet haben, und zieht dann seine Schlüsse gegen die „vorbeugenden" Förderungsmaßregeln durch die Dazvvischenkunft des Staates.

Der Verfall der zeitgenössischen Kunst dürfte den hinreichenden Beweis erbringen, daß er Recht hat, sogar ohne die einstimmigen Zeugnisse der Geschichte. Es gäbe nicht soviel falsche Künstler, wenn es nicht soviel falsche offizielle Institutionen gäbe, wo sie ausgebildet, unterhalten, beschützt und begünstigt werden; sie sind nicht nur Zög- linge, sondern Ziehkinder der Akademie, der Rom- schule, des Ministeriums und des Hofes. Wären diese Blindenbewahranstalten nicht da, so hätten sie in jedem anderen Beruf nützliche Bürger wer- den können. Es ist besser ein guter Handwerker zu sein, als ein schlechter Maler oder schlechter Bildhauer.

Die Bildhauer indes bedürfen am Anfang ihrer Laufbahn durchaus der Beihilfe, da in ihrem Fach die Produktion kein natürliches Absatzgebiet bei den Privatleuten findet.

Wie vollzog sich denn eigentlich ihre Ausbil- dung in den großen Zeiten der Kunst ? Wenn ein Bildhauer bereits als großer Künstler anerkannt worden war, so gab ihm die Nation, eine Stadt,

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eine Genossenschaft oder irgendein Verein den Auftrag für die Ausschmückung eines Gebäudes, und um ihn herum arbeitete eine Plejade von Schülern mit an diesem bestimmten Werk, aus deren Mitte dann wieder nach und nach die Mei- ster hervorgingen, die zu anderen Werken be- rufen wurden. So entstanden die griechischen und römischen Baudenkmäler, die Kathedralen im Mittelalter und sogar die Denkmäler der Renais- sance. Damals war die Bildhauerkunst nicht wie heutzutage von der Architektur losgelöst, und ihre Solidarität mit der im wahrsten Sinne des Wortes öffentlichen Kunst lieferte ihr gleichzeitig ein Mittel zur Ausbildung und ein Mittel des Entgeltes.

Sonderbar ist, daß in der wesentlichen Zu- sammengehörigkeit der Plastik mit der Architektur der Bildhauer einst seine Unabhängigkeit als Mensch und sein Wirkungsvermögen als Künstler fand, und daß er sie eben dadurch vielleicht wie- derfinden wird. Noch eine Eigentümlichkeit: die alten Handwerksgilden, die in der französischen Revolution zerstört wurden, und die tatsächlich die Individualität der Künstler und Arbeiter jeder Art einengten und unterdrückten, sind viel und verhältnismäßig gerecht kritisiert worden. Aber seit diese Körperschaften verschwunden sind, hat sich für die Künstler als Folge heraus- gestellt, daß sie dem Staate gegenüb_er ganz allein dastehen.

Vielleicht, daß die neue Demokratie, der mehr

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oder weniger alle europäischen Völker zusteuern, als Werkzeug und Schutzwehr gewisse besondere und veränderliche Gesellschaftsformen haben wird, innerhalb deren die Persönlichkeit zwar unbedingt frei ist, aber auch eine im Wettstreit der beruf- lichen Gesamtheit gesicherte Stellung einnimmt. Besonders England bringt dieses System gegenseitiger Garantie, bei dem die Freiheit nichts zu verlieren hat, sondern im Gegenteil nur viel gewinnen kann, mit großem Vorteil in Anwen- dung. Der berühmte Künstlerkongreß, der in Ant- werpen zusammenkommen soll, und an dem Hol- länder, Deutsche, Engländer und Franzosen teil- nehmen wollen, wird zweifellos diese wichtigen Fragen berühren. (1861. 11. lögi.)

Noch eine einzelne Beobachtung mag hier eine Stelle finden, weil sie allgemein gilt. Es ist merkwürdig, daß die meisten Bildhauer der gegenwärtigen Schule die Gestalten verkürzen^ sei es nun, indem sie die Köpfe zu stark, oder indem sie die Gliedmaßen zu dick machen. Im Gegensatz dazu übertrieben die Bildhauer der Re- naissance die Proportionen in der Länge, und dieses Kunstmittel trägt dazu bei, den Werken Michelangelos ihren großartigen Charakter und denen von Jean Goujon ihre Eleganz zu verleihen. Nach ihnen hat die Zeit des Verfalls diese Ent- fernung von der Natur manchmal bis ins Abge-

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schmackte betrieben; man ging so weit, derartig gestreckte Formen hervorzubringen, daß sie den Bedingungen des menschlichen Lebens nicht mehr entsprachen. Dabei braucht man sich gar nicht an die geometrische Wirkhchkeit zu binden. Der „Pensieroso'* vom Grabmal Julius' II. ist zweifel- los ein Meisterwerk; meßt aber nur einmal die relativen Proportionen, sie sind keineswegs durch das Maß der Natur bestimmt. Die Frauenstatuen, die „Nacht" und der „Tag" haben auch eine „über- menschliche Größe". Das Wort stimmt körper- lich und poetisch. (1861. II. 175.)

1863

Alle Berichte über den Salon klingen recht traurig. Es liegt etwas Elegisches im Ton der Kritiken, selbst wenn sie die Geburt der Venus feiern. Man fühlt, daß alle Welt sich langweilt, Kritiker, Maler und Publikum. Die Bewunderung ist bei denen, die sich den Anschein geben, als bewunderten sie, nur allzu deutlich vom Gähnen begleitet. Selbst der Erfolg trägt eine Art von Trauerflor an seinem Bürgerhut. Die Triumpha- toren setzen Leichenbittermienen auf. Ich habe nicht die Ehre, Herrn Flandrin und die anderen „Laureaten" des Salons zu kennen, aber ich bin sicher, daß sie ganz und gar nicht dem großen, herrlichen Lionardo, dem prächtigen Rubens, dem

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„ungeschliffenen" Rembrandt, oder Rafael, Vero- nese, Dürer oder Velazquez ähnlich sein können.

Man ist eben nicht vergnügt, wenn es abwärts geht. Jeder Verfall ist trübselig. Das ist es, was Couture in seiner „Römischen Verfallzeit" im Louvre so richtig ausspricht. Die schönsten Kur- tisanen, die jeunesse doree von Rom, Fürsten und Senatoren auf kostbaren Teppichen zwischen ziselierten Weinkrügen und Blumenguirlanden ge- lagert, — sie sterben vor Langeweile!

Wo ist das Leben? Wo war es damals und wo ist es heute?

Das Leben liegt in der Überzeugung des Men- schen und in der unsterblichen Natur. Wenn der Mensch nicht mehr weiß, was er will, noch was er tut, wenn er seine Wesensverwandtschaft mit dem Gedanken und mit der Natur gebrochen hat, so packt ihn der „spieen". Die französische Kunst wie die französische Gesellschaft hat den spieen.

Ach, wie langweilig sind die Gemäldesäle! Aber noch trauriger ist die Plastik.

In einem weiten, von schmalen Blumenbeeten zerteilten und von einer fünfzig Meter hohen Glas- kuppel überdeckten Garten sind die Werke der statuarischen Kunst verstreut. Es ließe sich kein günstigerer Raum für die Skulpturenausstellung ersinnen, da man rings um die lichtumflossenen Standbilder herumgehen kann. Ein rechter Schatz- kasten für Meisterwerke, aber nichts darm.

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Und doch sind hier eine Menge Marmor-, Bronze- und Gipsstatuen, sogar Brunnen und andere Monumentalwerke, Büsten in Marmor, Stein, Terrakotta vorhanden. Aber fast nichts, was das Gefühl der Schönheit oder überhaupt irgendein Gefühl aufkommen läßt; Unbedeu- tendheit fast überall. Ohnmächtige Nachahmungen entweder der Antike, der Renaissance, oder des 17. und 18. Jahrhunderts.

In jenen Tagen, ehemals zu der Zeit, als die Künstler geziehen wurden, Kunst nur um der Kunst willen zu schaffen, da waren sie gleich- wohl ganz und gar, mit Herz und Sinnen daran beteiligt. Sie bemühten sich nicht, reine Ideen darzustellen, was Sache der Philosophie ist, nicht körperhafte Wirklichkeit allein, was ins Gebiet des Gewerbes gehört, sondern Eindrücke wieder- zugeben, und das ist das Eigenste der Kunst selber. Es ist nicht sonderlich schwer, einem Stein die Form eines Körpers zu geben; aber es ist sehr schwer, ihn mit menschlichem Leben zu durch- dringen, und zu bewirken, daß dieser so belebte Stein sich „Verzweiflung" nenne, so wie eine Person, die Moliere oder Shakespeare mit Worten erschufen, sich „Heuchelei" und „Eifersucht" nennen.

Die beste Statue der ganzen Ausstellung ist nach unserer Ansicht der kleine „Johannes der Täufer" von Paul Dubois. Der jugendliche Vorläufer hält, in sehr einfacher und würdiger Hai-

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tung dastehend, den rechten Arm in der Geste eines Predigers erhoben. Sein gedankenvoller und begeisterter Kopf gibt einen sehr schönen Typus, ohne eine Spur von Ateliermanier. Er gewinnt sehr durch den Vergleich mit einem anderen „St. Johannes", ausgestellt von Crauk, „grand prix de Rome 1851". Dubois läuft vielleicht auch Ge- fahr, den Rompreis zu erhalten, denn ich glaube, seine Statue kommt aus der Villa Medici. Immer- hin hat er sich bis jetzt nicht der akadeimischen Schablone gefügt. Man sieht wohl, daß er Rafael studiert hat, was Gefühl und Schönheit heißt; aber sein Werk verrät keinerlei hergebrachte Nachahmung. Das Genie der Meister sich zu eigen machen, ohne ihren Stil nachzubeten, das ist das Rechte, und ebenso der Natur treu zu bleiben, indem man sie idealisiert. Das hat Paul Dubois getan. In seiner Arbeit liegt eine Mischung von persönlicher Eingebung und zugleich von sehr aufrichtigem Naturgefühl.

Die Neugierigen jeden Schlages sammeln sich auch vor einer Skulptur Courbets, einem kleinen, nackten, stehenden Fischer, der mit einem Drei- zack nach irgendwelchen kleinen Fischen im Sande stößt, ähnlich denen, die sich am Meeresufer ein- zuwühlen pflegen. Das sieht nicht nach Rom- preis aus: Courbet hat das nicht gemacht, um in die Akademie zu gelangen, sondern um seiner berühmten Stadt Omans eine Bronze zu schenken, die den Bau eines Brunnens rechtfertigt.

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Eine sehr bemerkenswerte Büste, auf dem Absatz der großen Treppe ausgestellt, ist die von Bianca Capello, in der Art der italienischen Plastik des i6. Jahrhunderts von Marcello ausgeführt, ein Pseudonym, hinter dem sich die Hand einer Frau verbirgt. Eine andere Büste in Wachs, die Herzogin von San C . . . von derselben Künst- lerin, — ist vorzüglich in Modellierung und Ge- sichtsausdruck.

Unter den Terrakottabüsten findet sich ein kleines Meisterwerk, das Porträt eines jungen Mäd- chens mit in der Höhe des Busens abschließender Gewandung. Die Zeichnung ist genau, die Model- lierung sicher und richtig, der Ausdruck vornehm und der Stil charmant. Der Schöpfer, Frangois L e p e r e , den wir nicht kennen und der ein Schüler Rüdes ist, gefällt der Jury nicht, die eine gra- ziöse Frauenstatue in Terrakotta von ihm abge- wiesen hat. Der Kopf, die Büste und das Beiwerk erinnern an die zarte Ausführung Ninis, dieses zier- lichen „Medaillonisten", dessen Werke heute lei- denschaftlich gesucht sind.

Es muß zugegeben werden, daß diese Aus- gestoßenen der Bildhauerkunst nicht so inter- essant sind, wie die der Malerei. Es finden sich dort keine so drolligen Stücke wie die von Brivet, dem Schüler Yvons, gemalten Pferde: wir wollen diesen Brivet im Gedächtnis behalten, um zu sehen, was aus ihm wird. Und ebensowenig gibt es unter den zurückgewiesenen Bildhauern Talente, die zum

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energischen Protest gegen die Ungerechtigkeit auffordern, welche sie vom offiziellen Salon aus- schloß. Unter den Malern könnte man Dutzende aufzählen, nach Whistler, dem Maler der „Weißen Dame", Colin, den Schöpfer des „Baskischen Spiels**, Brieur, Schöpfer einer Landschaft „Mor- genstimmung'*, Gautier, Maler einer „Ehebreche- rin", die wir zu erwähnen vergaßen, Chintreuil, Celestin Nanteuil, Aufray, Delamain usw. Bei den verurteilten Bildhauern lohnt es sich nur wenig, Ehrenrettungen zu versuchen. Wir haben außer der Statuette von Lepere nur eine einzige Terra- kottabüste (Nr. 2317, ohne Namensnennung) be- merkt, in der sich dem Natursinn ein gewisses ^chönheitsgefühl gesellte. Aber wie alle Besucher, so haben auch wir uns sehr über die „Parade der Familie Cabasson" amüsiert. Eine leicht hin- geworfene Terrakottaskizze in Wachs gegossen und „Eugene Decan'* signiert. Auf dem Vor- bau einer Jahrmarktsbude rufen eine Anzahl kleiner Gestalten das Publikum zu einer Vorstel- lung heran, deren Darbietungen fabelhaft sein müssen: „3 sols pro Person, die Herren vom Militär I soul** Der Direktor hält seine Ansprache, der Herkules stellt sich neben seinen elenden kleinen, mit runden Krinolinen bekleideten Seiltänzerinnen zur Schau, und die Musikanten bearbeiten ihre verschiedenen Instrumente. Haltung und Gesichts- ausdruck sind sehr geistreich und gut karikiert. Dies könnte einen Zeichner des „Journal pour rire**

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ZU einer Lithographie anregen. Welches Ärgernis hat aber der Jury dies ganz unqualifizierbare Er- zeugnis verursachen müssen, das auch ein Nach- komme des Phidias gehefert hat!

(1863. II, 428—39.)

Foyatier

Ein Toter, Foyatier, der Schöpfer des „Spar- tacus** in den Tuilerien, feierte mit einem seiner Werke eine Auferstehung auf der Ausstellung: „Der Athlet Aleidamas rettet während des Unter- ganges von Herkulanum eine Frau und ein Kind", Bronzegruppe in natürlicher Größe. Im Stil er- innert das Werk ein wenig an eine Szene aus der „Sintflut" von Girodet. Der Athlet ist weiter nichts als eine allerdings kunstvoll aufgebaute akademische Studie; aber die Frau, die er um den Leib faßt, und die mit zurückgeworfenem Oberkörper in der Luft schwebt, ist herrlich, und die wenigen Stoff-Falten, die sich um ihre Hüften schmiegen, lassen Formen durchscheinen, die bis auf die Tiefe der Knochen durchmodelliert sind. Foyatier war kein übermäßiges Genie, obgleich sein Spartacus einen der größten Erfolge der zeitgenössischen Bildhauerkunst bedeutete und fast dem Erfolge gewisser Werke von David d'Angers gleich kam, dessen Ruhm nahezu weltumfassend war; aber er war in festen

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Methoden befangen, und wenn in der Ma- lerei Phantasie, Geist und Glanz zuweilen aus- reichen können, ,anziehende Bilder zu improvi- sieren, so vermag in der Skulptur nichts mit Sicher- heit erworbene Kenntnisse zu ersetzen. Die sta- tuarische Kunst ist eben in ihrer Wesenseigen- tümlichkeit eine auf Erfahrung und Tatsachen gegründete konkrete, gediegene Kunst, die sich nicht mit erschlichenem und annäherndem Ver- fahren verträgt. (1864. lii. 150.)

^^

Pr6ault

Unter all den Bildhauern, die im Salon aus- gestellt haben, gibt es kaum mehr als einen ein- zigen, der freie Eigenart besitzt: dies ist Pre- ault, der Kämpfer aus den Zeiten der Romantik, die schon so weit hinter uns liegen, daß ich fast gesagt hätte : aus den Zeiten Homers. Seine „H^- kuba", die vor 25 Jahren entstand, steht wirklich in sonderbarem Gegensatz zu diesen abgedro- schenen und dürftigen Machwerken. Das heutige Publikum ahnt nicht mehr, was der Künstler in dieser unbeschreiblichen Frauengestalt suchen konnte, die zu Boden gestürzt in die Tiefen des Grabes zu versinken scheint. Ja, das ist die Ver- zweiflung, das ist ein Grabmal, es ist das Leben, das den Tod beweint. Man findet, es sei nicht genügend „ausgearbeitet", so daß man unter dem

Bürger, Kunstkritik. II. 26

402 Plastik

Haufen von Gewandstücken die Glieder nicht er- raten könne. Aber darum handelt es sich hier nicht : dies ist keine getriebene Arbeit, auf einen Kaminsims zu stellen; es ist ein Grabstein, eine Gruft damit zu versiegeln. Und würde man am Abend, unter Zypressen, diese schemenhafte Ge- stalt erblicken, wie sie sich krümmt, der Eindruck würde furchtbar sein.

Preault hat auch ein Relief in Gips, die „Er- mordung des Ibykus" ausgestellt : die Gestalt des zusammenbrechenden Jünglings ist von schönem Wurf und voll edler Empfindung. Ferner ein anderes Relief, die „Parze", ursprünglich für das Grab der Frau des „Kleinen Wolfes" bestimmt, jenes armen Weibes vom Stamme der Yoways, das in Paris starb, als erste der kleinen Gruppe jener prachtvollen Wilden, die M. Catlin nach Europa geführt hat, und deren keiner je die ame- rikanischen Steppen wiedersah.

(1863. II. 430—431.)

Ein Bildhauer, der Einbildungskraft im Sinne E. Delacroix' besitzt, ist Preault. Niemand ist erfindungsreicher als er. Er hat eine Menge von Meisterwerken erfunden, die er nie zu Ende ge- führt oder die er gar niemals angefangen hat. Zur Zeit, als man eine Bekrönung des Are de l'Etoile plante, schuf er in der Unterhaltung einen wundervollen Adler, dessen Flügelweite das ganze

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Denkmal überspannte. Ein andermal begann er, in Ton, eine Statue Karls des Großen von so riesenhaften Dimensionen, daß der Kopf des Ko- losses über die Decke des Ateliers hinausging und seine Kaiserkrone das Dach durchbrochen haben würde. Aber er hat auch in Wirklich- keit — in Stein oder Bronze mehrere schöne Werke geschaffen, so z. B. seinen „Kruzifixus" von Saint- Germain-l'Auxerrois. Er hatte nur zwei, zur Zeit der Romantik ausgeführte Gipsmedaillons im Salon, die ein höchst lebendiges Gefühl und eine fieberhafte Hand verraten. Die heutige, weniger leidenschaftliche Generation scheint die Bestre- bungen und den Stil, in welche die Künstler damals vernarrt waren, nicht wohl zu verstehen, ge- schweige denn zu billigen. Sie mag wohl Recht haben, aber jenen tut sie großes Unrecht. Die Romantik besaß keinen „Gemeinsinn", aber sie war „eigen-sinnig", leidenschaftlich und voll ur- sprünglichen Lebens. (1864. iii. 156.)

^^

In der Ausstellung ist man schlechterdings ge- nötigt, die enorme Statue des Vercingetorix, in ge- triebenem Kupfer, zu sehen, vom kaiserlichen Hause für die Hochebene von Alesia bestellt. Sie erhebt sich in der Mitte des Gartens, in wel- chem die Bildhauerarbeiten aufgestellt sind. Un- ehrerbietige Spötter nennen sie „Das Monument

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der Kupferschmiede". Millet hat die große und patriotische Erscheinung des Mannes, der GaUien gegen die römische Herrschaft verteidigte, auch wirkhch nicht poetisch empfunden. Diese lange Kupferröhre bedeutet überhaupt nichts. Der Kunst unserer Zeit dürfte das Verständnis für Cäsar näher Hegen, als für Vercingetorix.

Als ich eines Tages mit mehreren Künstlern vor diesem „hohlen" Werk plauderte, gesellte sich Preault zu uns, der phantasievolle Schöpfer so vieler gigantischer Monumente, die er so in der Unterhaltung improvisiert. Er hat auch wirklich welche geschaffen, und zwar höchst originelle, in Stein, Marmor und in Bronze. Plötzlich sagt Preault, ungefähr so, wie es in dem Lied des Misanthropen heißt : „Wenn der König mir Paris, seine große Stadt gegeben hätte . . ." :

„Wenn der Kaiser mir diesen Vercingetorix aufgetragen hätte, so würde ich zu ihm gesagt haben: Sire, ich gehe jetzt nach der Auvergne. Sie stellen mir einen Bergesgipfel zur Verfügung, ich werde mir jenen vulkanischen Berg, der das Herz von Frankreich beherrscht, auswählen, um ihn zu einer Akropolis der gallischen Zivilisation umzugestalten. Ich werde vom Fuß bis zum Gipfel eine spiralförmig angelegte Straße führen, breit genug, daß eine Armee oder Völkerzüge hinauf- ziehen können. In regelmäßigen Entfernungen werde ich Standbüder gallischer Krieger von zehn Meter Höhe errichten, als Wächter des Heilig-

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tums. Auf der Höhe des Berges ein Sockelbau, zusammengesetzt aus Waffen, Gerätschaften, sym- boHschen Gegenständen aus dem Leben unserer Vorfahren, flankiert von vier allegorischen Statuen, einem Druiden, Brennus, einem Barden und der Velleda, oder auch der Begeisterung, der Poesie, der Kraft, der Philosophie : ebenfalls von zehn Meter Höhe. Und auf dem Sockel das Reiter- standbild des Vercingetorix, die Gestalt zwanzig Meter hoch, auf einem entsprechend großen Pferde; Vercingetorix mit ausgebreiteten Armen, das Volk zu den Waffen rufend. Alles in Erz, Bronze, Eisen, Granit, in dunklem Material, wel- ches verrostet, ein Abbild der Vergangenheit l"

Er redete immer weiter, und die Statuen von zehn Meter Höhe kosteten ihn nichts.

Und nun ist es immer, als ob der Vercinge- torix von Preault geschaffen sei, und das tönende Gespenst Millets hat wenig Bedeutung.

(1865. in. 259.)

Clesinger

„Femme piquee par un serpent." Von wel- cher Schlange ist sie denn gestochen worden? Wie sie sich windet ! Wie ihre schönen Hüften sich bewegen und dabei herrliche. Erhebungen zeigen I Der zurückgeworfene Kopf wird ganz von der Flut des Haares übergössen ! Wie

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ihre Arme sich krümmen und ihr Busen von Stürmen wogt ! Und dieses kon\ailsivische Zucken, das von ihrem halbgeöffneten Mund bis zu den Fußspitzen hinunter reicht! Ein Weib von einer Schlange gestochen! Wer ist sie denn, diese kleine Bronzeschlange, die zischend an ihrem schönen Bein entlang kriecht? Es ist dieselbe Schlange, die im irdischen Paradies sich um den Baum des Lebens wand und der blonden Eva ins Ohr flüsterte. Es ist die unsterbliche und unbesiegliche Schlange der Wollust.

Dieses nackte Weib von Clesinger ist eine der bezauberndsten Skulpturen der modernen Schule, und ich glaube nicht, daß seit den Coustou einer den Marmor derart zu beleben wußte. Auf die Gefahr hin, den Kapuzinern zu widersprechen, die sich so stellten, als nähmen sie die schwellenden Muskeln der Madame Keller für Baumwollwickel unter Trikot : man kann die griechische Venus lieben, die aus der Welle geboren wird, die Danae Tizians und Correggios, die Dianen des Jean Goujon, Rubens* Bacchantinnen, die Andromeda Pugets, die Nymphen des Coysevox, Watteaus Kur- tisanen und Bouchers Schäferinnen. Die Form des weiblichen Körpers ist die erhabenste göttliche Schöpfung und der letzte Ausdruck der Schönheit. Welches ist denn in der Genesis die Krone der Schöpfung am Ende des siebenten Tages? Die Berge sind hingezeichnet, die Bäume und Blumen breiten sich aus, ein Schwärm v^on bunten Lebe-

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wesen bevölkert die Erde, die Gewässer und die Lüfte. Und währenddem richtet der einsame Mensch sich auf und blickt unruhig und melan- cholisch um sich her. Noch ist das Leben nicht vollständig; das göttliche Ideal sinnt noch über seinem Meisterwerk. Aus des Mannes Herzen, der schon nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen wurde, geht das Weib hervor, die vollendete Schön- heit, und danach konnte Jehova nichts anders tun, als sich ausruhen in alle Ewigkeit.

Auch alle Künstler haben sich immer dabei abgemüht, dieses Wunder der Schöpfung wieder- zugeben. Was gibt es denn Schöneres auf der Welt, als ein junges und schönes Weib ? Zwei schöne junge Weiber? Aber die Zahl hat nichts mit der Beschaffenheit zu tun. Venus faßt die drei Grazien, und die Nymphen, die „bekränzt mit grüner Myrte", wie Horaz sagt, um sie tanzen, alle zusammen in eins.

Der Marmor eignet sich vor allem für die reinen und leuchtenden Formen des Weibes. Der weiße Marmor sei also für die Göttinnen; für die großen Männer und Heroen die Bronze, die fester und bestimmter die männliche Schönheit und ihr ungestümes Wesen wiedergibt. Der Mar- mor eignet sich für das Fleisch; dessen Durch- sichtigkeit und kaum wahrnehm^bare Fältelung der Oberfläche damit ertäuscht wird. Wenn die Grie- chen gelegentlich ihre Statuen bekleideten, so machten sie die Gewandung zuweilen aus Gold

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oder Metall, wie bei der Athene des Parthenon, und sparten für die nackten Partien den unbe- fleckten Marmor. Wenn man die Götter- und Heroenbilder bemalte, wie das in der ganzen Antike der Brauch war, so wurden die Panzer und Tuniken, die Kothurne und Geschmeide mit verschiedenen Farben überzogen, das Haar rot- blond entflammt, wie es die griechischen und römischen Frauen so sehr liebten; aber das Ant- litz und die Glieder behielten immer den natür- lichen Ton des Marmors oder Elfenbeins. Die Alten haben allerlei Material für ihre Statuen ver- wendet, Holzarten, Gesteine und Metalle; sie haben uns Meisterwerke in Zedernholz, Silber und Elfenbein, in Porphyr, Bernstein und Granit hinter- lassen; jedoch für ihre Frauenstatuen haben sie jederzeit ihre berühmten Marmorsorten bevorzugt, aus den Brüchen von Paros und Ephesos, vom Berge Hymettos und vom Pentelikos, oder aus jener unversieglichen Ader von Carrara, die ohn Unterlaß abgebaut wird seit den Tagen des Julius Cäsar.

Clesingers Statue, in weißem Marmor liegt auf einem Blumenbeet hingestreckt, das mit einem ätzenden Mittel leicht rosig und blau getönt ist. Die kleine Bronzeschlange hat er nur hinzu- gefügt, um die Jury mit dem Namen Kleopatra hypnotisieren zu können, da bei der Akademie den klassischen Nuditäten von alters her Absolution gewährt ward. In Wahrheit hat das Werk mit

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Kleopatra und der antiken Tradition gar nichts zu tun. Nehmen wir also an, daß dieser lebende Marmor die Wollust oder einen Liebestraum dar- stellt. Auf den Vorwurf der Darstellung kommt es in den Künsten wenig an, und für den größten Teil der Meisterwerke Griechenlands oder der mo- dernen Renaissance dürfte es schwer sein, einen Namen zu finden. Daher kommt es, daß die Ge- lehrten sich gewöhnlich damit helfen, die zweifel- haften Statuen entweder unter die Aphroditen oder unter die Apoll-, die Hermesgestalten einzuordnen. Und so läuft es eigentlich auf die einfache Unter- scheidung von Mann und Weib hinaus. Denn ähnelt etwa die Aphrodite von Melos den anderen Aphroditen, und was tut sie ? Darauf gibt es keine Antwort. Und was tut der Apoll von Belvedere? Was tuen Jean Goujons Gestalten, die auf ihren Reliefs herumkauern ? Oder Sarrazins Karyatiden am Louvregiebel ? Oder die phantastischen Gi- ganten, mit denen Puget den Bug der Schiffe zierte? Die Schönheit allein genügt, und trägt jederzeit ihre Bedeutung in sich.

Kleopatra oder die Wollust, Cl^singers Statue ist vollkommen modern in dem Benehmen wie in der Empfindung. Unter allen überlieferten Statuen dürfte man keine finden, von der sie herstammt. Diese Originalität rührt von der ausschließlichen Liebe zur Natur her, die in Cl^singers Talent vorherrscht. Ein seltener Vorzug und doch viel- leicht zu gleicher Zeit ein Fehler. Der „absolute

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Naturalismus*', wie die Philosophen sagen, ist zu- weilen die Quelle höchst gefährlicher Irrtümer, ist zugleich aber auch der Ausgangspunkt aller bil- denden Künste. Die Natur betrachten, die Er- regung befragen, die sie in euerm Innern hervor- ruft, diesen höchst individuellen Eindruck mit den Gefühlen und Vorstellungen vergleichen, welche die nämliche Natur den großen Dichtern und Künstlern eingeflößt hat, das ist die geheime Arbeit, die jeder künstlerischen Schöpfung vor- ausgehen muß. Clesinger ist ein freigeborener Bildhauer, er äußert sich unmittelbar feurig wie alle etwas wilden Schößlinge, schnell entschlossen wie alle leidenschaftlichen Temperamente. Er schafft eine Statue wie man in eine Schlacht geht, mit einem Wagemut, der keinen Widerstand kennt, mit einer Sicherheit, der die Überraschung zu- gute kommt. Er ist der Murat der statuarischen Kunst. Es liegt mehr abenteuerliches Glück in seinen Erfolgen, als tiefsinnige Berechnung. Er wird niemals den Cäsar lesen, um eine kluge Kriegslist zu ersinnen. Niemals wird man ihn des Nachts überraschen, wie Napoleon, der in seinem Zelte über seinem Feldzugsplan grübelte. Er ist der Mann des ersten Anlaufs und des ersten Augen- blicks, der dem Siege entgegenstürmt.

Mit diesem Talent, das immer der ersten Ein- gebung folgt, ist C16singer so recht geeignet, Bild- werke voll zitternden Lebens hinzustellen, die äußeren Erregungen des Körpers, die Ausbrüche

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Überströmender Sinnenlust, und dabei die volle Pracht leiblicher Schönheit zu entfalten. Vielleicht würde er in Verlegenheit kommen, wenn es gälte, in jene intimen und sanften Charaktere einzu- dringen, die gewissen hochstehenden Typen der menschlichen Natur eigen sind. Er würde Aspasia besser als Piaton, Ninon de Lenclos eher als Mo- häre zu geben vermögen. Er gehört also zu der Familie des Coysevox, jenes Unermüdlichen, und ist entfernt durch die Frauen nämlich auch mit Rubens verwandt.

Clesin^ers Begabung ist demnach völlig neu und hat eine Sonderstellung in der modernen Schule. Während David d'Angers die hohe Erb- schaft der französischen Denkweise fortsetzt, Barye die feinen und kapriziösen Künstler der Renaissance wiederbelebt, während Pradier ein Heide aus der Verfallzeit ist mit einigen Remi- niszenzen aus dem antiken Griechenland, und gar viele andere Bildhauer verschiedenen Einflüssen unterliegen, hat C16singer seine Kunst da ergriffen, wo sie anfängt, ohne sich um irgendein System zu kümmern, oder gar die Landstraße einzuschla- gen, die seine Vorgänger gebahnt haben. Er macht einfach die Augen auf und geht gerade auf die Gebilde los, welche die unendliche Natur seinem begeisterungsfähigen Sinne darbietet.

Gut sehen heißt begreifen. Für die Künstler, die mit dieser plötzlichen Offenbarung des Auges begabt sind, übernimmt die Natur die „Kompo-

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sition des Bildes" und liefert sie fertig zur Wie- dergabe in irgendeiner Kunstform. Ein Land- schaftsmaler hemmt seinen Schritt an der Ecke einer Waldallee und findet dort ein vollständiges Gemälde vor, mit einer Hauptwirkung und wohl- geordneten Linien. Er hat weiter nichts zu tun, als diese Landschaft abzumalen, wie sie von der Natur selber geschaffen ward. Niemals hätten Akademiker diese Mannigfaltigkeit und diese Har- monie erfinden können. Ein Bildhauer läßt sein Modell verschiedene Stellungen machen, und plötz- lich springt ihm eine Wendung ins Auge, die ihn begeistert und mit Leidenschaft erfüllt. Die Statue ist fertig. Es erübrigt nur, diese Gestalt aus einem Marmorblock herauszuhauen. Michelangelo sagte, daß er in jedem Steinwürfel eine Statue sehe : wie eine Badende, in der Schale eines Brunnens untergetaucht, rein und leuchtend daraus hervor- geht, wenn man nur das Wasser abläßt, das ihre Formen umgibt. Michelangelo hatte auch oft die Kühnheit, den Marmor ohne vorbereitendes Modell in Angriff zu nehmen, nur der idealen Vision in seinem Geiste folgend, und er schlug die Splitter los bis auf die Haut seines Geschöpfes, gerade so, wie man verfahren v/ürde, um eine verschüttete Statue von dem umgebenden Erdreich zu befreien. Zuweilen freilich stellte sich's heraus, daß die Statue doch nicht ganz in dem Block enthalten war, und es fehlte daran ein Arm oder ein Fuß, der sich im unbestimmten Luftraum verloren hatte.

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j ...... ... . .... . , ., -

wie bei einem antiken Torso. In dieser Art hat er seine „Sklaven", im Skulpturenmuseum des Louvre, angelegt. Bei dem einen läßt sich der Fuß in der Mitte des winzigen Sockels nur ahnen, da die Statue eine für den Block zu große Höhe angenommen hat; bei dem anderen zieht sich die Schulter zusammen und der Rücken ist ab- geplattet, da für die Fülle solch gigantischer For- men das Material an jener Stelle nicht reichte. Die Haltung der weiblichen Gestalt von Cl^- singer in ihrer so schwierigen und so lebhaften Drehung wird dennoch allen Bedingungen der sta- tuarischen Kunst gerecht. Nirgends gebrochene oder ungraziöse Linien, nirgends zufällig abgeirrte Glieder, obgleich die Bewegung kaum überraschen- der und gewaltsamer sein kann. Ganz von vorn gesehen erscheint die Figur, im Halbkreis auf dem Sockel ausgestreckt, wie ein glänzender Halbmond. Fuß und Kopf sind die beiden Endpunkte, zwi- schen denen das runde Becken den Mittelpunkt bildet. Sieht man dagegen nach dem Gesamt- umriß, der sich gegen den Horizont zeichnet, so erhebt sich die Linie der Hüften in der Mitte zu einem schwellenden Berg, sie fällt zu beiden Seiten ab, gleitet in der Gegend des Busens und der Knie zu Hügeln empor, um dann in den Fluten des Haares und am anderen Ende in dem mit Rosen bestreuten Teppich auszulaufen. Die Figur liegt auf der rechten Seite; die Drehung in der Taille wirft den Oberkörper und den Kopf platt

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zurück, den hochatmenden Busen nach oben; das rechte, mit einem Gewandstück verhüllte Bein ist an den Leib angezogen, das linke in seiner ganzen Länge ausgestreckt; der rechte Arm ist im Bogen über den Kopf zurückgeschlagen und verliert sich in den aufgelösten Haaren, während der linke sich krampfhaft an den Hüften entlang reckt und die Hand sich in dem Gewandstoff eingräbt.

Der Hauptanblick bietet also den prächtigen Körper des schönen wollüstigen Weibes mit einer gewissen Heraustreibung der Hüften und des Busens, während der Kopf in diese schlangenartige Windung des Ganzen mit aufgeht. Die Bewegung der Büste ist von unglaublicher Energie : die linke Schulter, meisterlich gefügt, der üppige Leib, die feste und reine Linie des Beines, der feingebildete Fuß gewähren edelsten Genuß. Und das Bei- werk, Blumen und Gewandung, sind ungemein reizvoll ausgeführt.

Clesingers technische Geschicklichkeit ist in der Tat höchst beachtenswert : abgesehen von dem Zauber dieses in so glücklichem Wurf gegebenen Anblicks, muß man das anatomische Wissen an- erkennen, das hier gewaltet hat, und ebenso die Breite der Behandlung, die über nebensächliche Dinge hinweggleitet, um auf den schönen, die Form charakterisierenden Flächen zu verweilen, die entzückende Zartheit der Modellierung, und jenes unaussprechliche zitternde Beben, das alle Teile durchrinnt. Man möchte glauben, es rolle

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das Blut der Jugend unter der schimmernden Haut und färbe den Marmor von innen her. Wer es wagt, diese weiße Sirene mit der Hand zu be- rühren, wird die Wärme des Lebens fühlen.

Irgendein wahnsinniger Poet verliebte sich einst in einem italienischen Museum in eine grie- chische Aphrodite. Jeden Morgen trat er als Erster in das Boudoir seiner Geliebten ein, um seine Zeit bei ihr zu verträumen. Aber seine pla- tonische Leidenschaft artete gar bald in sinnloses Begehren aus. Die Statue erschien ihm als ein wirkliches Weib, und er trug Verlangen, sie an sein Herz zu drücken. Man war genötigt, ihm die Besuche bei seiner Geliebten zu verbieten, und darob ist der arme Poet aus Verzweiflung ge- storben.

C16singers Statue hat solchen Liebeswahn noch nicht verursacht; aber sie hat doch wie eine neue Phryne die greisen Richter des Instituts be- tört, die an Zauberwirkungen des Marmors gar wenig gewöhnt sind. Man erzählt sich, die Herren Nanteuil und Ramey haben sich entschlossen, in Cl^singers Atelier einzutreten, und ihre falschen Götter abzuschwören.

Die Gruppe der Kinder des Herrn de Las- Marismas, ebenfalls eine Arbeit Cl^singers, ist mit viel Geschmack angeordnet. Das eine von den beiden Kindern, nackt und aufrecht, ergreift

416 Plastik

eine Weintraube, die an einem kräftigen Wein- stock hängt, der sich über seinen Kopf neigt. Das andere, kleinere, sitzt auf der Erde und streckt sein dickes Händchen aus. Die Köpfe sind sehr ähnhch. Ein Alltagsbildhauer hätte sich mit zwei kleinen Jungen in Bluse und Halskragen begnügt : Cldsinger hat, unter dem Vorwand des Bildnisses, eine anziehende Pastorale geschaffen, die volle Wahrheit doch in Dichtung wandelt.

Seine jugendliche „Nereide", die Geschenke trägt, lagert halb auf einer Seemuschel. Das ist ein hübsches Dekorationsstück, aber schwach im Stil und ermangelt der überlegenen Vorzüge, die wir an dem schönen Weibe mit der Natter be- wundert haben.

Der geschickte und bezaubernde Bildner findet sich jedoch in einer Frauenbüste mit ent- zückendem Gesichtsausdruck wieder. Der Kopf neigt sich, wie unter der Last der üppigen, von Blumen durchwundenen Haarflechten, leise nach rechts und ein wenig rückwärts. Der Haaransatz an der Stirn ist wunderbar ausgeführt. Die Augen sind wohl gebettet unter edel gezeichneten Brauen, die Nasenflügel feingeschnitten und beweglich; der Mund ist halb geöffnet, der Busen halb ent- hüllt, und der runde Hals weist jene seltenen und feinen Schönheitslinien auf, welche die Natur auf die Haut wahrhaft schöner Frauen zeichnet. Ein fließendes Gewand hängt von der rechten Schulter herab und schlingt sich um den Leib. Im Cha-

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rakter erinnert diese Büste an den Stil des Coyse- vox und ein wenig auch an die üppigen, so saftig modellierten Köpfe Clodions in seinen Gruppen von Nymphen und Bacchantinnen.

Eines der großen Verdienste Clesingers ist in der Tat, daß er den Marmor mit unvergleich- licher Leichtigkeit und Geschmeidigkeit zu be- handeln weiß. Man fühlt die Hand des Künstlers an jeder Biegung der Form, an jedem Zug des Gebilds, auf der ganzen Oberfläche des Werkes. Weitaus die meisten Bildhauer überlassen die Aus- führung ihrer Marmorstatuen den Technikern, nachdem sie im Wachs- oder Tonmodell ihre ganze Wärme verbraucht haben. Daher sind denn diese Modelle häufig dem fertigen Bildwerk vor- zuziehen. Clesinger jedoch beginnt, wenn ich so sagen darf, mit der Ausführung erst an dem zu- gehauenen Marmor. Ton und Gips bedeuten für ihn weiter nichts als vorbereitende Notizen und Bemerkungen, und wenn er die endgültige Form in Angriff nimmt, so legt er all das Feuer hinein, setzt das ganze freizügige Schaffen der ersten Be- geisterung daran.

Cldsinger arbeitet augenblicklich an der Büste der George Sand. Mit diesem so poetischen Haupte muß er uns ein Meisterwerk für die Nach- welt schaffen. Er hat da eine schöne Gelegenheit, sich Unsterblichkeit zu sichern, und er ist der Mann dazu, sie zu benutzen. (1847. I. 534ff-)

Bürger, Kunstkritik. II. 27

418 Plastik

Clesingers Gruppe der „Cornelia mit ihren beiden Knaben" hat wohl Charakter und Schwung. Die Kinder sind jedoch nicht eng genug mit der Mutter verbunden; sie sind außerdem sehr manie- riert und wenig römisch, aber die Haltung der Frau hat etwas Eigenwilliges und Heldenhaftes.

Clesingers Arbeiten bieten oft ein Gemisch der höchsten Vorzüge mit einer gewissen Albern- heit. Er hat die Flamme der Begeisterung, einen lebhaften Sinn für Körperbewegung und Schön- heit, eine geschickte und kräftige Hand! Diderot auf ihn kommt man immer zurück, wenn man Kunstkritiken schreibt Diderot würde jedoch von Clesinger sagen, was er von dem Bildhauer Lemoyne sagte: er mag sich noch soviel an die Stirn klopfen, es ist nichts dahinter! Clesingers Mutter der Gracchen gehört einem Liebhaber, ebenso wie seine „Ruhende Diana**. Diese Diana ist recht unglücklich aufgefaßt und zu sehr auf sich selbst zusammengehäuft. Der Kopf ist ganz unbedeutend, sonst aber sind reizende Partien da, schöne klar ausgesprochene Flächen am Rumpf und an den Hüften, an den Kniegelenken, und der linke Fuß unter der Hülle ist ganz vorzüglich.

Zwei andere Marmorfiguren von Clesinger sind im Katalog nicht erwähnt worden, eine „Kleo- patra" und eine Frauenbüste, ohne seine Ergän- zung der Gruppe der beiden weiblichen, sitzenden Gewandstatuen vom Parthenongiebel zu rechnen.

Kleopatra liegt, auf den rechten Einbogen

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gestützt, und führt mit der Hand die Natter an ihren Busen. Prächtig ist der linke, wagerecht ausgestreckte Arm. Dem Kopf fehlt auch hier jeder Ausdruck; aber das übrige bietet Stücke höchster Schönheit: der Hals, der Busen, die Drehung der Hüften, das lang ausgestreckte rechte Bein, das konvulsivisch zuckende linke unter den reichen Gewändern, die mit Recht an die der beiden Frauen vom Parthenon erinnern.

Die Frauenbüste hat ein regelrecht und unbe- weglich griechisches Profil, ganz gerade wie die Köpfe gewisser antiker Medaillen. Der linke Arm legt sich unter dem Busen an den Körper; die rechte Hand spielt mit einer dreireihigen Hals- kette, die um einen dürftigen, aber energischen Hals gelegt ist. Das Ganze wirkt fein, treffsicher und übt doch zugleich launenhaft eine unwider- stehliche Anziehung aus.

Dieselbe Bronzebüste mit verschiedener Tö- nung für den Haarschmuck und die Halskette ist bei Barbedienne zu sehen, wo auch eine Frauen- büste aus Marmor bewundert wird, die, wie ich glaube, schon auf einer früheren Ausstellung war. Und sieht man nicht auch bei Barbedienne eine kräftige italienische Landschaft mit hohen Stäm- men und einem in den Sumpf gestürzten Baum im Vordergrund, mit großen Stieren der römischen Campagna, und an dem saphirfarbenen Himmel opalfarbene Wolken? ganz unten aber in roten Buchstaben: „le sculpteur Cl^singer. Rome. 1850."

27*

420 Plastik

Dieser schneidige Bildhauer ist auch ein echter Maler; er hat sogar mit fieberhafter Nadel auf Kupfer gezeichnet und sehr originelle Radierungen geliefert. Es scheint, daß er und Frankreich sich ; gegenseitig etwas veruneinigt haben; aber die Kritik muß nichts destoweniger anerkennen: er ist einer der lebensvollsten Bildhauer unserer Zeit.

(1861. II. i67ff.)

Aber warum hat denn Clesinger keine Venus geschickt ? Er ist der Meister der Frauen, die die Schlange der Sinnlichkeit sticht. Warum hat dieser tüchtige Praktiker nichts als zwei kleine Statuen gesandt, die zweifellos nur geschaffen wurden, um zwei kleine Marmorstücke zu verwenden: einen „Faun" und eine „Bacchantin" ? Er, der über soviel Eleganz und Reiz, manchmal sogar über Größe und Stil verfügt, ist in diesen zwei deko- rativen Gegenstücken nur gewöhnlich und sogar ziemlich schwerfällig. Womit aber nicht gesagt sein soll, daß man nicht an bestimmten Stellen seine Gestaltungskraft wieder verspürte.

(1863. II. 434.)

Wir haben in Frankreich einen großen, den Meistern der berühmtesten Schulen ebenbürtigen Bildhauer: Barye. Aber er hat nichts ausgestellt.

Wir haben einen anderen Künstler, ein rei-

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ches, feuriges, manchmal grandioses Tempera- ment, mit eindrucksfähigem Geist und rasch for- mender Hand. Ja, er hat oft Stil, ist immer reizvoll. Er hat das Leben! Das ist Clesinger. Man hat ihn nicht ohne gewisse Berechtigung mit Coysevox und den Coustou verglichen; seine Büsten haben in der Tat den Kunstcharakter des 17. und 18. Jahrhunderts. Seine gemeißelten Porträts haben etwas von den gemalten Bildnissen Rigauds und Largillieres. Seine Frauenstatuen haben die wol- lüstige Eleganz der Pompadourkunst. Aber er hat auch Verständnis für die Antike: seine Er- gänzung der Gruppe zweier Frauen vom Parthenon- giebel war nicht weniger erstaunlich, als das be- rühmte von einer Natter gebissene Weib.

Clesinger hat eine Marmorgruppe, „Kampf römischer Stiere", und eine Statue Cäsars in bron- ziertem Gips ausgestellt; und weiterhin hat man seine beiden Entwürfe für die Reiterstandbilder König Franz' I. und Napoleons I. als Schild- wachen vor den Ausstellungspalast gestellt.

Ich glaube es ist das Modell Franz' I., das vor einigen Jahren so viel besprochen wurde, als es in der Mitte des Louvrehofes zu sehen war, wo die Statue endgültig errichtet werden sollte. Man sagte damals viel Schlechtes und wenig Gutes davon. Gewiß ist, daß dieses Kolossalwerk einen großartigen Anblick bietet. So muß man Franz I. sehen, wenn man seine Zeit und seine Persönlich- keit verstehen will; ein Riese er maß fast

422 Plastik

sechs Fuß hoch aufgerichtet in den Steig- bügeln, grob und tapfer, stolz und grotesk. Er war der „Vater der schönen Wissenschaften" und einer großen Menge unehelicher Kinder. Ein Her- kules und flotter Bursche verehrte er Mars und Venus. Ein freier Heide, dieser allerchristlichste König! Ein toller Weiberjäger, dieser ritterliche König! Wenig Stirn, aber vorspringende Nase und Stiernacken. Lange Beine und zähe Arme. Seine Rüstung im Museum der Herrscher ist schrecklich anzusehen.

Diesen eisengerüsteten Koloß hat Clesinger noch auf einen stolzen Gaul gesetzt. Nehmt euch in acht ! Dieser Ritter geht seines Weges ge- radeaus, wie der Ritter mit dem Tode von Albrecht Dürer, es gibt kein „Halt!" für ihn außer bei Pavia! Er erinnert auch an die Reiterfiguren der Meister des i6. Jahrhunderts, und besonders an einen Stich von Heinrich H., der dem Geoffroy Tory zugesprochen wird und von dem ein Fak- simile in der „Gazette des Beaux-Arts" (Lieferung vom Mai 1864) erschien. Ein mannhaftes Werk, dieser Franz L; aber man sollte ihn nicht in den kleinen Käfig des Louvrehofes sperren, er braucht mehr Raum, eine weite Esplanade, die Terrasse von St. -Germain, oder besser noch einen Hügel im Park von Fontainebleau, irgendeine Felsspitze im Walde.

Der Kaiser Napoleon L warkt nicht sehr groß neben Franz L Ihm fehlt vor allen Dingen das

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Individuelle, und man ist geneigt, ihn in seiner antiken Verkleidung für irgendeinen Cäsaren der römischen Verfallzeit zu halten. Man muß an- nehmen, daß derartige Maskeraden dem Tages- geschmack schmeicheln, da wir soeben einen Pseudo-Cäsar, der an die Stelle der alten Statue auf die Vendomesäule gesetzt wurde, sehr teuer bezahlt haben.

Aber Clesinger hat auch einen echten Cäsar, den Julius Cäsar, den Besieger unserer Vorfahren, der Gallier, geschaffen. Das Standbild ist auf- recht, gepanzert, in befehlender Haltung, mit auf- gehobenem rechten Arm gegeben. Die Stellung der Beine ist schön, aber sie erscheinen kurz und schwach unter dem Gewicht eines zu schweren Harnisch, der mit Reliefzieraten und getriebener runder Metallarbeit überladen ist. Julius Cäsar war eine Ausnahmeerscheinung in der Rasse der Großen, war ein hochgewachsener, schlanker Mann. Besonders Balzac, der behaupten wollte, alle großen Männer hätten einen kurzen Hals, war erstaunt über die Länge dieses Halses. Der Julius Cäsar Clesingers entspricht also nicht den Porträts, die uns die Römer von ihrem Diktator hinterlassen haben, vor allem nicht dem Bilde, von dem die Physiologen und Philosophen träumen.

Die Cäsaren sind natürlich Mode, und man sieht auf der Ausstellung noch einen anderen Cäsar, von Denecheau, zweifellos ein Cäsar als

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Gesetzgeber, denn er sitzt mit gekreuzten Beinen da. Es ist wohl kaum angängig, den Cäsar mit gekreuzten Beinen oder Armen vorzustellen, diesen in seiner Art aufrührerischen und revolu- tionären T>^us, diesen Eroberer, der ganz Europa, soweit es damals erschlossen war, umwühlte, und die Formen der alten Welt zerbrach, in dem Glau- ben, eine einheitlich römische Welt zu schaffen, aus der dann die katholische Welt geworden ist. Cäsar erscheint vielmehr an der Spitze der Le- gionen marschierend, oder auf der Tribüne des Forums stehend, oder auf festlichem Cubiculura liegend, zwischen Ganymeden und Kurtisanen.

Vor seinem Cäsarstandbild hat Clesinger auch eine große Büste Cäsars in Marmor geschaffen, die man bei Barbedienne, auf dem Boulevard Montmartre ausgestellt sehen konnte. Ein Meister- werk^ in dem der weissagende Heros prachtvoll zum Ausdruck kommt: ein eigentümliches Leben in den Zügen; bebende Nasenflügel, wie in der Er- regung energischer Aktion, und dabei ein tief gedankenvolles Auge; Clesinger hat eben außer einem ungewöhnlichen technischen Vermögen ge- legentlich auch Genie.

Sein technisches Vermögen zeigt sich vor allem in dem „Kampf der Stiere". Das Größen- maß ist nicht glücklich gewählt : so ungefähr ein Viertel der natürlichen Größe. Das ist zu wenig für monumentale Bestimmung und zu viel für einen ungewissen Platz in einer Sammlung von

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Kunstgegenständen. Aber welche Wut ! Wie die Kniegelenke gespannt sind, und wie sich die Haut über den angespannten Muskeln zusammenzieht ! Einer der Kämpfenden sinkt zusammen, bis in die Tiefe seiner Brust von dem spitzen Hom seines Gegners durchbohrt. Diese Gruppe paßte nicht schlecht in den Säulengang des Zirkus für Stier- gefechte zu Madrid. Das würde den Madridern schon gefallen, die in frenetischen Jubel aus- brechen, wenn der aufs äußerste gereizte Stier sein Hörn in den Leib eines armen Pferdes stößt, dem die Augen verbunden sind.

(1864. III. 143 ff.)

Carrier-Belleuse Es gibt immerhin einen Künstler, Carrier- Belleuse, der Männerbüsten mit einem Geschick und Geist ausführt, an die die Skulptur seit Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr gewöhnt war, aber er arbeitet allerdings in Terrakotta. Wahr- scheinlich würde sich diese Art durchwühlter und zerfetzter Skizzenarbeit, bei der man überall den Finger des Modellierers durchfühlt, keineswegs für den strengeren Marmor oder für Bronze eignen. Ich habe nie eine Marmorstatue von Carrier ge- sehen ; hat er welche gemacht ? seine Bronze des Kaisers in Italien, die im Salon ausgestellt ist, bewahrt seine Vorzüge nicht.

426 Plastik

Wir wollen ihn aber bei seinen so lebendigen ausdrucksvollen Terrakotten nehmen. Im Salon waren ihrer acht, darunter die Büsten von Emest Renan vom Institut, von Jules Simon und einer niedlichen amerikanischen Miß; andere sind auf der Ausstellung am Boulevard zu sehen: die des Geschichtsschreibers Henry Martin, und die der Madame Pauline Viardot, die ein Meisterwerk ist.

Carrier-Belleuse gehört zu der Familie der Coustou, Lemoyne, Pigalle, Houdon und der ge- nialen und freien Plejade, welche Diderot rühmte. Er ist sicher weniger geziert und weniger ge- quält, vielleicht ist er intimer; aber der Reiz kommt bei ihm von der lebhaften Art der Behandlung, die etwas von der Kunst des Malens hat. Viel- leicht ist überhaupt die Ähnlichkeit, die man zwi- schen ihm und den launischen und intimen Mei- stern vom Ende des i8. Jahrhunderts findet, nur in der Verwendung eines gleichen Materials be- gründet.

Man hat die Terrakotta ganz zu Unrecht zu sehr links liegen lassen. Denn sie ist für den Bildhauer, was für den Maler die Radieiiing ist : sein eigenes unmittelbares Werk ohne Über- tragung durch fremde Hände, während das Marmorbild nur ein mittelbares Werk ist, ein von Technikern ausgeführtes Konterfei, obgleich der Bildhauer in Wahrheit es mit seinem Meißel über- arbeitet, vervollkommnet und fertigstellt. David d'Angers hat stets ängstlich dafür Sorge getragen,

1861-1865 427

daß die Tonmodelle all seiner so zahlreichen Me- daillons gebrannt wurden, und die, welche diese einzigartigen Exemplare besitzen, haben heutzu- tage kleine Schätze, die von ganz anderem Wert sind, als die in Umlauf gesetzten Bronzekopien.

(1861. II. 179).

Eine reizende Statue ist die „Bacchantin" von Carrier-Belleuse, dem Schöpfer so vieler leben- diger und ausdrucksvoller Terrakottabüsten. Er hat eine ^ in ihrer Schnellfertigkeit erstaunliche Technik; er modelliert einen Kopf von meister- hafter Ausführung in einigen Stunden, und prägt ihm mit der Fingerspitze die glücklichsten Akzente auf. Seine Büste von Viel, dem Erbauer des Indu- striepalastes, ein Werk, das in skizzenhaftem Zustande geblieben ist, weil das Modell starb, er- innert an die schöne, ebenfalls unvollendete Büste Glucks im Louvremuseum für moderne Skulptur. Ich denke mir jedoch, Carrier hat noch keine Statue in natürlicher Größe geschaffen. Das ist doch erst die Feuerprobe, selbst für einen so ge- schickten Künstler. Eine große Marmorstatue er- fordert noch ganz andere Erwägungen und ganz andere Eigenschaften als eine einfache Büste oder ein kleines Figürchen. Carriers Bacchantin ist in ihrer kühnen Bewegung, die den Oberkörper zurückwirft, und Haupt und Arme emporreckt, um eine Satyrherme mit Weinlaub zu bekränzen,

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sehr gut hingestellt. Diese Biegung des ganzen Oberkörpers schiebt den Leib nach vorn und be- dingt eine Verdrehung der Hüften und des Hüft- gelenkes, die wohl der Natur abgelauscht, aber doch vielleicht zu übertrieben und vor allem zu zufällig ist, als daß sie zum Gegenstand der strengen Kunst gemacht werden dürfte^ den der Marmor verewigen soll. Carrier hat jene seltene Fähigkeit, die Clesinger in höherem Grade als irgendein lebender Bildhauer besitzt, dem Marmor das zuckende Leben einzuhauchen : seine Bacchan- tin besteht aus Fleisch, wie die berühmte Kleopatra Clesingers; dieser Marmor ist schwellend elastisch und unter der Haut wallt mit dem Blute die Sinn- lichkeit. Aber diese naturalistische Befähigung hat ihren Fehler: die Zufälligkeiten der Wirklich- keit vertragen sich nicht alle mit einer Kunst für die Dauer, deren eigentliches Wesen es ist, zu verallgemeinern und die Form zum Typus zu er- heben, der die vorübergehenden Abwandlungen in sich zusammenfaßt. Eine durchaus transito- rische Bewegung ist nicht wert, daß man sie bei- nahe verewigt oder ihr doch den Bestand des Marmors sichert. Das Wesen der statuarischen Kunst bedingt zweifellos manche Ausschaltung des von der Natur Gegebenen, vielleicht sogar gewisse Zugeständnisse in den Proportionen, die über die Natur hinausgehen. Woher kommt es, daß diese Bacchantin, obwohl sie sicher sehr genau ausgemessen ist, so kurz und ein wenig schwer-

i86i i86s 429

fällig erscheint ? Etwas hochgewachsener und schlanker würde sie eleganter wirken. So wie sie ist, bleibt sie das lebenswahrste Weib der Aus- stellung, und sicher wird sie die beiden gemalten Aphroditen stark beeinträchtigen, denen sie bald in den Tuilerien wieder begegnen soll. Am besten würde sie sich in einem Park, unter dichtem, ge- heimnisvollen Gebüsch ausnehmen.

(1863. II. 431 ff.)

Carrier-Belleuse hat einen sehr ausgezeich- neten Ruf in der französischen Skulptur erlangt. Seine lebensvollen Terrakottabüsten haben zuerst die Künstler und das Publikum in Erstaunen ge- setzt. Man erwartete nun, daß er sich mit der wirklichen Bildhauerkunst auseinandersetzen würde, mit nackten Figuren in natürlicher Größe, mit dem Marmor, der kein „Beinahe" verträgt. Ohne sich von der ewigen Sphinx, die die Künstler verfolgte, irre machen zu lassen, hat Carrier-Bel- leuse im vorigen Jahre siegreich mit einer der reizendsten Statuen der modernen Schule geant- wortet, der „Bacchantin, die das Haupt einer Herme mit Weinlaub bekränzt". Es gibt kein geschmeidigeres und leichteres Talent. Der Ton nimmt unter seinen Fingern sogleich lebendige Formen an. Der Lehm wird Fleisch, wie im Buch der Genesis. Die Brüste wogen, die Haut färbt sich, die Gesichtszüge beleben sich. Seine „Un-

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dine" im jetzigen Salon ist kein „Mädchen aus Marmor", wie man grausamlich gewisse Nymphen des Chäteau des Fleurs benannt hat. Rührt sie nicht an ! Sie würde eure Hand erhitzen, obgleich i sie aus der Quelle hervorgeht, und zwischen dem Schilf eines frischen Gestades spielt.

Wie Clesinger hat auch Carrier-Belleuse allerlei „Kniffe", um dem Marmor trügerische Töne zu geben, die ihn beleben und ihn zauber- haft färben. Wie Clodion, dessen Frauenfigürchen heute so geschätzt sind, liebt er die geschwungene und wellenförmige Linie, die recht eigentlich die Linie des weiblichen Körpers ist. Ist die Frau nicht aus Rundungen zusammengesetzt, ist nicht die Rundung der Typus ihrer Körperbildung? Ganz anders als bei der männlichen Form, die sich energisch durch Ecken und Halbflächen zu erkennen gibt.

Das Hauptwerk unter den Büsten des Salons ist das Porträt eines jungen Mädchens in Mar- mor^ von diesem fruchtbaren Carrier-Belleuse, der noch viele andere macht. Welch schlauer Blick! Die Züge außerordentlich fein, zugleich fest imd sehr beweglich. Ein kleiner Fuchs, der fast aus- sieht, als ob er eingeschlafen wäre, aber der gleich in die Höhe fahren v/ird-. Ich wünschte den Aka- demikern, daß sie mit solcher Genauigkeit model- lieren, und den Realisten, daß sie die Natur ge- schickter treffen könnten. Dem Schöpfer selbst möchte ich anraten, auf gewisse Hilfsmittel zu

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verzichten, die die Bildhauerkunst verwirft und rechtmäßig ihrer Schwester, der Malerei überläßt : um dem Blick seines allerliebsten Modells Tiefe zu geben, hat Carrier-Belleuse ihm die Marmor- augen mit einem Bohrer ausgehöhlt. Die Pupille durch ein Loch künstlich schattiert : das gibt Farbe durch den Kontrast. Aber da der Augapfel konvex ist, soll ihn die Skulptur auch so machen und ohne alle Betrügerei vorgehen. Wenn sie zu ge- wissen Zeiten und in bestimmten Schulen derartige Listen geübt hat, so ist es nicht gut, diesem Bei- spiel zu folgen. Der menschliche Kopf ist schön genug, daß sich der Mensch damit begnügen kann, ihn ganz einfach wiederzugeben, wie er ist, in seiner plastischen Wahrheit, mit ein wenig Poesie und Gefühl von dem, was unsere Freunde, die Ästhetiker, das „Ideal'* nermen.

(1864. III. I46ff.)

Fremiet

Viel bemerkt wird die außerordentlich geist- reiche Gruppe des kleinen Faunes, der mit jungen Bären spielt, von Frdmiet, einem Rude-Schüler. Dieses „Faunchen", platt auf dem Bauch liegend, kitzelt mit kleinen Zweigen seine Gefährten, die eben erst so groß wie Katzen sind, deren Krallen man noch nicht zu fürchten braucht. In der guten alten Natur der Mythologie war wirklich alles

432 Plastik

lustig. Dieses kindische Spiel eines heiteren kleinen, ganz wilden Jungen mit diesen niedlichen kleinen Bären, macht einem Lust, in den tiefen Wald zu fliehen, Kaninchen aus ihrem Bau zu locken und Vögel aus Rousseaus Nestern aus- zuheben, oder ganz einfach am Ufer irgendeines Stromes Gründlinge zu fischen. „Ganz Paris" ist schon dort, vielleicht nicht, um mit Bären zu spielen oder zu angeln, aber wenigstens, um unter dem Laube seine roten Krinolinen und weißen Westen spazieren zu tragen. Und bald werden die Künstler in Strohhut und in Ledergamaschen ganz Paris nachfolgen, da der Salon, dessen Ver- längerung bis zum Ende des Monats man erhoffte, unwiderruflich geschlossen wird. Jedoch, es war ein kleines Fest, welches das Publikum von Zeit zu Zeit von der dänischen Frage und anderen poli- tischen und finanziellen Verwicklungen ablenkte. Gehen wir also, uns in den V/äldern, am Meeres- strande oder auf irgendeiner weiten Reise zu zer- streuen. — Glückliche Reise, meine lieben Künst- ler! Und bringt uns Meisterwerke miti Es fehlt daran, war haben sie nötig. (1864. Iil. 150.)

Paul Dubois

Die Gipsstatue des kleinen „St. Johannes" von Paul Dubois, im vorigen Jahre preisgekrönt, er- schien dies Jahr in Bronze wieder. Eine voll-

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kommene, charaktervolle Arbeit von seltener Vor- nehmheit, die durch ihre Übertragung in Metall noch gewinnt. Zu bedauern ist nur, daß man diese Bronze in einem stumpfen, fast rußfarbigen Ton gelassen hat; eine grünliche Patina würde die Feinheiten besser herausheben. Ich kenne die Bestimmung dieses kleinen Predigers in der Wüste nicht; aber er sollte im Luxembourg pre- digen, wo die reine Lehre in den banalen Stand- bildern, welche die Akademie kraft ihres Privi- legiums dem Kunstbudget aufgedrängt hat, recht wenig Betätigung gefunden hat.

(1864. III. 148.)

Paul Dubois, der Schöpfer des „Heiligen Johannes" im letzten Salon, hat mit seinem „Flo- rentinischen Sänger" einen unbestreitbaren Erfolg. Der jugendliche Musikus, ein feinrassiger Jüng- ling, im Kostüm des 15. Jahrhunderts, steht da und sin^t mit girrender und schmachtender Stimme zur Mandoline. i\uf seinem ernsten, ein wenig vorgeneigten Kopf mit dem langen Haar sitzt ein kleines Käppchen. Das enganliegende Gewand läßt delikate Formen sehen. Ein Beweis für die köstliche Zeichnung und Modellierung ist, daß alle gestochenen Reproduktionen weit hinter dem Original zurückbleiben. Man kann rings um die Statue herumgehen, ohne die geringste Un- vollkommenheit daran zu entdecken. Paul Dubois

Bürger, Kunstkriiik. II. 28

434 Plastik

ist ebenso Ziseleur wie Bildhauer. Die einzige Kritik, die man über dieses kleine Meisterwerk fällen konnte, ist, daß man es als ein Geschmeide, als Busennadel, Degengriff, Briefbeschwerer, Uhr- ständer nehmen könnte wie etwa eine von den wunderbaren Ziselierarbeiten des Benvenuto. In- dessen, ich würde mich nicht wundern, wenn Mr. de Luynes, Mr. de Rothschild oder ein anderer ', reicher Liebhaber die Statue in purem Silber gießen ließe. (1865. III. 26of.)

BINDir^G SECT. APR 1 5 1971

N Thore, Th^ophile Stienne

74-35 Joseph

T/vl5 W. Bürger 's Kunstkritik

Bd. 2

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