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Delfifche Blätter für Volkskunde
(begründet von Adolf Strack)
berausgegeben im Huftrage der belfifchen Vereinigung für Volkskunde
von
Dugo Depding
Band AA Bar Fe u aa 3 >. 24
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c > Selbftverlag der Beififchen Vereinigung für Volkskunde Gielsen 1924.
Inhalt. \ sS Abhandluiigen. Die Heidelbeere i im Bolfsbrauch. Bon Hugo Bepding ; Ein Diebszauber. Bon Brofeflor Dr. Archer Taylor, St. Louis SR Der Segen von dem Hirjche auf der Weide. Bon Privatdozent Dr. 5. Ohrt, Kopenhagen
Grund äßliches zur sttstiedforichung. Bon Stubiencat Dr. Georg aber, Gießen ; a
24344 Kleine TEN
Wilhelm Heinrich NRiehl. Bon Bibliothefar Dr. Georg Koch, Gießen . Bi Sr. Feilberg. % Bon Bibliothefar Dr. Georg Koch, neben ; tto Böcel +. Bon Hugo Hepding.
Friedrich Bogt +. Von Brofeflor Dr. Karl Helm, Marburg i. 9.
Barodien von Segensiprüchen. Bon Hugo epding
Ortönedereien aus der SRINBEUNG der Schüler von Studienrat Dr. Heymann, Gießen .
a Sagen, mi an von Lehrer geiedeich mö ö Bi in se er ; Gadern- eim 1
Bügerigan.
E. Gafi Ne cr Die en im nwthiichen Denfen (Privatdoz. Dr. Lie U. Buy, Üefprung und Wanderung der. Sternnamen (Brivatdoz.
wy).. W. Oundel, ee und Sternbilder im Slauben des tertums und ;
der Neuzeit (Dr. ©. Lehnert) .
®. Schütte, Däniiches Seidentum (Bro Dr. f. Helm) .
RW. 5%. Dtto, Die Manen (9. Hepdin
57. Cum ont, Die Myjfterien des Dilhra. 3. Aufl. (9. Hepding
8. Wolf, Angewandte al in Mythus, Sage, Dichtung (Studiencat WB. Schonebohm
E. Samter, Boltstunde im altiprachlichen "Unterricht I (Rehramts- alfeffor Dr. 9. Kling).
9. WB. NRurgers, Bemerkungen über das Verhältnis von "Märchen und Sage (Leftorin M.Ramondt)
D. le Fiechtl, Der Bauer als Wurzel der Voltsfraft (Bibliothekar
N. Ne ° Hiteg und Neues über ihn und von ihm OBfarter ®. Bechtolsheimer)
Pfälzer Bolksichriften Nr. 1.2 (Barrer 8. Bechtolsheimer) . 3
.Zengler, Birkenfelder Bilder. 2. Aufl. (Pfarrer 9. Bechtolsheimer)
BP. Sartori, Weitfäliiche Volkstunde (Studienrat Dr. &g. Faber) . .
M. Hart, Elsäfftfche Erzählungen (Vibliothelar Dr. Ft. Lift) . &
E. Jacobs, Lothringiiche Erzählungeu (Bibliothefar Dr. Fr. ii). ;
d. Ban OR des Pie Alsfeld (PBrivatdoz. Dr. 8.
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®. ‚lorin, Die Verbreitung einiger Meblipeiien- und Gebädnamen im beutjchen -Sprachgebiet (Privatdoz. Dr. 2, Berthold).
iz. Seamann; - zauberet und Recht. Mm Ram: Srähgeit (Bro. 1 Dr. ®
der 8. Wolf, "Das noebbeutiche Torf (Dirt, Dr. Chr. Rruc) 9.0. Bederath, D 5 miederdeutiche Dorf (Prof. Dr. che Rau). 8. Zimmeter, Evoler. an ee Dr. R2uR) ; Kleine Anzeigen (8. Hepdin 9 R i
Kahresbericht für 1933
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Delffifche Blätter für Volkskunde Band XXlII 1923
Die Deidelbeere im Volkebrauch. Bon Hugo Hepding.
Die Verwertung der Heidelbeerernten unjrer Waldgebirge ge- rät zu ihrem größten Teil immer mehr in die Hände eines ıvohl- organijierten Großhandel. Schon aus dem 18. Jahrhundert wird un berichtet, daß in Harburg in den Monaten Yuli und Auguft täglid) ganze Schiffsladungen von Heidelbeeren nah) Hamburg und Altona verfradtet wurden, „wo man jie zur Farbe gebraudjt"'), daß viele Fradten auf Karren und Wagen nad den Geeftädten . gingen, „um die abjtehenden Franzmweine damit aufzuftugen und zu verbefiern“, daß „gedörrte Heidelbeeren auch häufig nad) Frankreich verfahren werden”, mo man damit ebenfalls den weißen Wein färbe „und in Bontad umjhaffe" ?). Syn neuerer ‚geit handelt e3 ich bei dem Auflaufen der Heidelbeeren im Großen, wie wir es jeßt in allen Heidelbeergegenden Deutichlands finden, wohl viel mehr um die Verjorgung der Großjtädte mit diefen “Beerenobit zum Frilchverzehren oder Einfohen. Der Berfauf von Waldbeeren bildet für die ärmeren Bewohner der in Betradht fommenden Gebiete eine wichtige Einnahmequelle. Sie brauden nun nicht mehr, wie früher, felbjt mit den geernteten Beeren in den Städten zu haufieren, um fie jchoppen- oder literweife zu verkaufen: die Agenten aus den Sroßjtädten fommen jet bis in die Heidelbeerdörfer felbjt und faufen den Leuten allabendlid ihre Ernte zu guten reifen ab >); fie ftellen die Körbe für den Verfand, wiegen die Beeren ein, ver: pajjen fie auf Leiterwagen, um jie dann mit der Bahn von der näcditen Station au3 an den Beitimmungsort zu verjenden. Ein Kölner Heidelbeerauffäufer, der 1907 während der Saifon in Schwarz oder Grebenau mohnte, zahlte den Pflüderinnen, denen er jeden AUbend die Heidelbeeren abnahm, für das Pfund (= etwa 1'/s |) 12 Pfennig‘). Am 19. $uli 1916 fchrieb der Gießener Anzeiger:
„sn den legten Jahren hat der a... des Vogelsberges einen mächtigen N NSG genommen. ’ Neue Bahnen führten ihre Gleije bis in
od ®. Krünig, Deconomifhe Encyclopädie Bd. 22 (1781) ©. 748. ») Ebda 5.749; vgl. auch Erich und Gruber, Algen. Encyklopädie II4, 111; 3. Seemann, Hannoveriche Sitten und Gebräuche in ihrer Be- aiehung zur Pflanzenwelt (1862) ©. 68 f.
. Schramel, Ter Böhmeriwaldbauer (Beitr. 3. deutjch-böhm. Volfst, XII 1915) ©. 162. 248. lleber SL in den Heidel- ee \. Urff, Das Bayerland XX 914—1 B.
Gießener *amilienblätter 14. Dez. 1907 ©. 739, Yür Die Preije ogl. 8. Rucee Unfer Odenwald (1914) S.43: „123 Pfennig das Liter”. 8, Fr.
Heff. BI. f. Volkskunde Bd. XXII. 1
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die entlegenften Täler und ermöglichten einen rajchen Verjand der Beeren in die Städte. FYalt an jeder Bahnjtation einer Vogelsbergbahn wohnen Agenten und Vermittler, die den aus den Walddörfern allabendlich herbeiltrömenden Sammlern die Tagesbeute abfaufen und Sofort bar bezahlen. In Körben ohne Berpadung werden die Heidelbeeren in bereitgeftellte Wagen geichafft und mit dem nächiten Güterzuge den Städten zugeroll.e Da fajt auf jeder Station ein Heidelbeerrvagen dem Zuge angehängt werden muß, erleidet der „Heidelbeerzug* natürlich regelmäßig Beripätungen.”
Der Niedergang unferer Markfmährung fommt natürlid) aud) in den Heidelbeerpreifen zur Geltung, was für jpätere Gejchlecdhter bier fejtgelegt werden mag!): Ä
. Gießener Anz. 24. Juli 1919: „Es gibt Finderreiche Yamilien, die täglid; bis zu 50 Mark und mehr verdienen. Allerdings find die Preile auch recht body. &8 merden 1,20-1,50 Mark für das Pfund bezahlt, das ift mehr als das Toppelte wie im Vorjahre und eben das Zehnfache der PBreife vor dem Kriege... Wenn Salzichlirfer Kurgäfte und Frankfurter Händler in manchen Drten fchon bis zu 2,50 Mark für das Pfund bezahlten, jo ift das entichieden u viel und macht weiten Kreijen der Bevölkerung den. Anlauf des trefflichen
eerenobites unmöglich ... Am benachbarten preußilchen Kreile Hünfeld ift * durch die Kreisbehörde der Verkaufspreis für ein Pfund Heidelbeeren auf eine Mark feitgelegt worden.”
Gießener Anz. 22. Aug. 1922 (aus dem Kr. Alsfeld und dem Schlißer Land): „Ar der Zeit der Heidelbeerferien ?) haben viele Kinder am Tage bis zu 100 Dark verdient. Der Preis der begehrten und gejunden Waldfrucht bewegte fich zmiichen 8 und 10 Mark das Pfund. Händler waren in großer Zahl anmejend, um auf verjchiedenen Bahnhöfen die Heidelbeeren zentner- weile zu verladen.” | Ä
Und im Syuli 1923 Foftete das Pfund Heidelbeeren auf dem Marft in Gießen 15000 Mark, am 11. Auguft It. Gieß. Anz. 30000 Marfl!
Die Not der Kriegszeit ließ vielfach der einheimijchen Bevölfe- rung eine jtarfe Konkurrenz erjtehen durd) den Zuzug von Sammlern aus den größeren Städten, die aus Furt, ihren Bedarf aus der - meift von den ftädtifhen Verwaltungen geordneten Zufuhr nicht genügend deden zu fönnen, jelbft in die Beeren gingen, um ganze Körbe voll der duftenden Früchte heimzufchaffen. Diefer neuzeitliche Großbetrieb trägt natürlich jtarf dazu bei, die alten Bräuche, die fi bisher noch bei uns und in vielen anderen Gegenden Deutjch- lands mit der Beerenernte verbanden, bald ganz der Vergejjenheit anheimfallen zu lafjen. 3 ijt daher gewiß angebradt, und aud) der vorliegende Auffag mag weiter dazu anregen, jeßt noch zu fammeln, wa davon in der G©itte oder do in der Erinnerung noch vorhanden ift.
Gerade in diefen Bräuchen hat fid) eine uralte Tradition er= halten, der nachzugehen wohl der Wlühe wert ift. ch war darauf
Werner [Bötte], Aus einer vergefienn Ede [Friedewald] Bd. [1] (1909) ©. 83: „Mancher verdient an einem Tage zwei Marl”, E.H.Meyer, Baditches Bolfsleben (1900): 201 für 60 Pf. bis 2 Mark.
2) Val. auch Niederfachien XXVI 1921, 561: Bicfbeerenernte jet und einft (1921 und 1787); Sof. Blau, Böhmermwälder Hausinduftrie und Bolfs- tunft I (1918) ©. 241 ff. (Beerenfammeln und =preije in der Kriegsgeit).
| 2) „Beidelbirnferien”: „Am Rogelsberg hat man bei der Verteilung der Schulferien |chyon feit altersher die Reife der Heidelbeeren berüdfichtigt”: Gieß. Anz. 19. Juli 1916, „Waldbeerferien”: AU. Wrede, Rhein, Volfst,? 164,
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zuerjt bei der Durcharbeitung des Archivs unferer Vereinigung für unferen Fragebogen über Slinderlied und Kinderjpiel im SYahr 1907 und durch die Meine Schrift von E. Mülhaufe, „Die aus der GSagenzeit ftammenden Gebräude der Deutjchen, namentlih in Heflen” (Kafjel 1867) aufmerkffam geworden. Ach wandte mich da= mals brieflid an Freunde, Befannte und Unbefannte in den Heidel- beergegenden Hejjens und Kurhejjens um Ausfunft über die Beeren- fammel- Bräude, -Reime und :Xiedhen und babe aud) in den „Mitteilungen des Berbandes deutjcher Vereine für Vollsfunde" Nr. 5 (1907) eine Umfrage über diefe Dinge druden lafien, die mir einige wertvolle Ntachrigten und Literaturnadymeije einbradte, und die au) gewiß zur Veröffentlihung von mand)erlei volfsfundlichen Material darüber in Zeitjcehriften und Beitungen den Anftoß ge- geben bat')., Die Ergebnijfe meiner Sammlungen und Studien babe ic) zunädjft in Vorträgen in Gießen (1907), Zauterbadh (1909), Berlin (1918) ?), Büdingen (1920) zufammengefaßt und dabei nicht vergeblih um Ergänzung meines Material gebeten. Auch im FFeld hatte ic) hie und da Gelegenheit, bei meinen Kameraden die Rede
!) Allen, die mich unterftügt haben, jei auch hier mein herzlichiter Dant ausgeiprochen ; . in ee „tolge enden Damen und Herrn: Be Dr. Ad, Abt, Offenbach) Q. tehrer Bernius, Hofheim, Kr. Bensheim. — Frl. Dr. Quife Dertbale, Marburg 1.9. — Pfarrer Böhner, Treis a. da, — Metropolitan Dr. W. Bötte, Marburg 1.9. — Lehrer W. Braun, en berg. — stud. Brill, Ebersgöns, — nn Kicchenrat Broß + und rau, Gießen. — Fıl Eva Buld, Ober-Mörlen. — Biarrer Dannenberger, Schwarz. — Etudienrat Deder, Alsfeld. — Lehrer Dönges, Grebenau. — « Lberlehrer Dr. %abz, geanffurt aM. — Studienrat Dr. Ebermanı,
Berlin. — 9. Freiling, Wollmar. — Pfarrer Gödel, Zotenheim. — Lehrer BGöcdel, Angersbach, Kr. Lauterbach. — Seminardireftor Grau, Schlüchtern, _ Lehrer Gupyot, Heubadh b. Gr.-Umftadt. — Lehrer Herbft, Wahlen. — DOberbibl. Prof. Dr. Heujer, Gießen. — Lehrer Anderthal, Gungzenau, Kr. Lauterbach, — Lehrer Kadel, Hammelbad) i.DO. — Htl. Bertha Kalb- benn, Gießen. — Dr. Ydaın Karrillon, Wiesbaden. — Studienrat Dr. Rircher, Schlig. — Frau Bibliothefar Hilda Koch, Bießen. — stud. Köhler, Nehbah 1.D. — Lehrer Kolbakher, Laudenau i. Si vrau Luife Koppen, Berlin, — nn a Bullen, Kr. Erbad. — Lehrer Dr. 1. Krämer, Biegen. — Lehrer 9. KR zaufd, Billertshaujen. — Seminarift 9. Lerch, Hergersdorf. — Lehrer Nicolai, Ruhlkichen. — Lehrer Raujch, Reis- ficchen. — Lehramtsaffeffor Dr. Rap, Sießen. — Lehrer Rinner, Lauter- bach. — Ratichreiber Ruf, Opvenau, Baden. — Pfarrer Schäfer, "darters- haufen. — Foritrat Schaub, Rirtorf. — Fıl. Elifabeth Schonebohm, yls- feld. WB. v. Säulenburg, Berlin«Zehlendorf. — Lehrer Schmwörer, Schlierbach, Kr. Dieburg. — Lehrer Sievert, Hesbadh, Kr. Erbadh. — Pfr. Simon, Nieder-Moffau. — Lehrer Stein, Pfaffen-Beerfurt. — GStudienrat Dr. Steuernagel, Grünberg. — Geb. Kicchentat D. Thom. Stod, Gießen f. — Trippel, Schaafheim. — Bürgermeifter Dr. Böljing, Alsfeld. — Pir. Wef jendorft, Selen bei Frankfurt aM. — Bankdirektor Dr. Ferd. Weyl, Sranffurt a. — 9. Wiegand, Breitenborn, Kr. Schlüchtern. — Lehrer Wolf, Bachft. — Brof. Dr. Rid). Woftidlo, Waren i. M. (ihm bejonderen Dank für die Ueberlaflung wertvoller Literaturangaben en — Lehrer Ziter, Nieder-Eifenhaufen. Wo ich die heutigen Titel und Wohnorte nicht weiß, mußte ich leider die Anjchriften aus der Zeit meines Briefmechfel3 mit den Sanımlern angeben.
3) Beitfeht, d d. Ver. f. Boltst, XXVII 1917, 278.
auf den Gegenitand zu bringen und dadurch weitere Belege zu er= halten. Sin all den SYahren habe ich bei der Durhficht volfsfund- licher Bücher und Beitfchriften ftetS auf Angaben zu dem. Thema geachtet. - So habe id) nad) und nad) eine große Menge von Nad)- richten zufammengebradt, deren Borlegung den Freunden der Volf3- - Funde und Religionsmiljenfchaft nicht unerwünfcht fein dürfte. Daß id) bei der ungeheuren Berzettelung der volf3fundlichen Literatur einigermaßen Bollftändigfeit erreicht hätte, wage ich allerdings nicht zu hoffen. Für jede weitere Ergänzung bin ic) dankbar. (Die Beerenreime gedenfe id) in einem bejonderen Aufjaß zu behandeln.)
Schon in den jteinzeitlihen Pfahlbauten der Schweiz ind neben anderem Beerenobjt aud) die Samenförnden der Heidelbeere vereinzelt nachgemwiejen!). Während Römer und Griechen die Heidel- beere nicht gefannt haben, fommt jie jhon im Angefähliichen als hzpberie und im Althochdeutfchen al3 heidberi vor ?), daneben ijt aud) fchon swarzberi und waltbere bezeugt?). Syn älteren Literatur- denfmälern findet die Heidelbeere nur felten Erwähnung — e mag das Zufall jein — der ältefte Beleg, den die Wörterbücher für das Mittelhocdhdeutfche anführen‘), jftammt aus dem „Nenner”" Hugo3 von Trimberg (B. 8962 in der Nedensart ein heidelber geben für, gewöhnlicher eine Beere, d. i. jo gut wie nichts, geben für etiwas). Sn den Mundarten finden fi außer den bereitS genannten Be- zeihnungen nod) viele andere. m niederdeutjhen Sprachgebiet 3.8. ilt neben „blaue“ oder „Ichwarze Befing“ au „Beling“ Ihlehtweg die Heidelbeere (ein Deminitivum von bes < urgerm. basi = Beere). An den alemannijden Mundarten jagt man aud) einfah Haiti, Heideln, Heidli, in der Schmeiz Hafelbeere, im Bayrifch-Oefterreihifhen Sentbeere, TCaubbeere, in Mittel- und Norddeutfhland und im nordifhen Spracdhgebiet Blaubeere, im Mofelfräntifhden Wählen, im Niederdeutfchen Bid-°), Bids- und Bidelbeere; in Schwaben und Salzburg Yugel-, Wigel- beere, in Walded und der Altmarf Krähenaugen, in der Mark Rohtefen (mohl = Kubzeden) u. a. m.).
) O00p93, Realleriton der germ. Altertumst. I 202.
:) Hoop3, Waldbaume und Nubßpflanzen ©.256; D. Schrader, Real» lerifon der indogerm. Altertumsf. I? 85; M. Heyne, Yünf Bücher deutlicher Hausaltertümer II 151, A. 152; M. Höfler, Vollgmedizin. Botanif der Ger- manen ©. 60.
) alar. f. d. Wortf. III 1902, 289, 301.
+ Wenn man von der Phylica der Hl. Hildegard abfiehft (Migne, Patrolog. Lat. CXCVII p. 1194): waltbere quae etiam Aeydelbere vocantur, scilicet quae nigrae sunt.
s) Pikpiür ift übrigens merfwürdigermeije auch für Geiß-Nidda (Ober- befien) bezeugt: Ztichr. f. d. Mundarten 1918 ©, 138.
n Dal. € Schiller, Zum Thier- und Kräuterbuche des meclenb. Volkes III (1864), 26f.; BPrigel und Seifen, Die deutichen VBollsnamen der Pflanzen (1882) S. 422f.; Höfer u. Kronfeld, Blätter d. Ver. f. Landest. v. Niederöfterreih N. %. XXIII 1889, 324; Nemig. Bollmann, Die Bolfs- ‚namen der Heidelbeere: Bayer. Hefte f. VBolkst,. II 1916, 119 ff; DietL, Unier Egerland XXLV 1920, 36; auch Woordenboek d. nederlandsche Taal III 1, 649, Für einzelne Bezeichnungen |. 8. Marzell, Die Tiere in deutjchen Pflanzen«
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Sn lichten Wäldern und auf Heiden (in unferer oberhejliichen
Deimat bejonderS auf dem Buntfandfteinboden der Abhänge des
BogelSbergs im nördliden Teil des Kr. Gießen, den Kreifen Alsfeld, Zauterbad) und Büdingen und auf dem quarzitfandhaltigen Boden des nordöftlihen Abhangs des Taunus!) am Hausberg und Winter: Ttein) jind weite Flächen dicht mit den Heidelbeerftauden beitanden, und man hat beobaditet, daß Jich diefe anfpruchsloje Pflanze Striche mit geeignetem Untergrund, bejonders wenn fie jhon einmal darauf heimij war, jobald fih durd) Abholzen oder Lichten des Waldes günftige Yebensbedingungen bieten, rajch erobert?). Erdbeeren, Him- beeren, Brombeeren, Preifelbeeren tommen au in großen Mafjen in den deutfhen Wäldern vor und werden ebenfo von dem Bolfe gejammelt. Aber im Vollsbraud) jpielt die Heidelbeerg eine viel größere Rolle als fie. ch kann mir das nur damit erklären, daß die Verwendungsmöglichfeit der Heidelbeeren eine viel größere als Die der übrigen Waldbeeren ift, und daß fie fich leichter fonjervieren Lafjen, wir werden alfo annehmen dürfen, daß Jie deshalb, wie heute, jo aud) jhon bei unferen Vorfahren als Nahrungs- und Genuß, Heil- und Färbemittel eine wichtige Rolle gejpielt haben, mahr- Tcheinlich eine um To wichtigere- Rolle, je weniger body deren Kultur- ftufe war’). Roh), gekocht, al3 Kompott?), Talte Schale und Suppe‘), auf Kuden und Pfannkuchen, zu Mus verarbeitet‘) ge- nießt man die Beeren. Um jie zu fonfervieren, madt man fie in zlajchen ein, Die verfiegelt werden müfjen, oder man trodnet fie°).
namen (1913) ©. 13.50. ch füge Hinzu, daß man in Kempfenbrunn, Kreis ®elnhaujen, die unreifen Schwarzebeeren Rüdalknöba nennt, und daß bei Leobihüß die Heidelbeeren Kupfchebeeren heißen nad) dem Ruf der pols nifchen Händler Kupschi beri: Drechsler, Mitt. d. Schlej. Gel. f. Volksk, Heft 2 Nr. 4 1895/96) ©. 50.
1) Die „Ichrivargen Seven am Feldberg ermähnt unjer Landsmann Erasmus Alberuz, Fabel 25 B. 56.
») ”gl. 3.8. Sr. Oltmanns, Das Rflangenleben des Schmarzivaldes ©. 278 ff. Eine größere botaniich- -biologifche N c0o, 86 En die Heidel- beere bietet 9. Sof. Diet! in: Unfer Egerland XXI |
®) Val. 2. Marzell, Die beimijche nl ul in Doläbraudh und Boltsglauben 5.54; ©. Miülhauf ea.a0.2
4) Bei Srimmelshaujen finder fich bie Nedensart „wie eine Heidel- beer in einer Milh" (Wander, Teutjches Sprichwörterlerifon II 459); in Diejex Kgorm aßen wir als Kinder fie am liebiten.
5) „Worbelenzoppe” im Bergifchen: Ztichr. d. Ver. f. rhein. u. mweftf. Bolfsf. TV 1907, 136.
6) Blaabzersuppe: Ordbog over det Danske Sprog II 747; Bickbeer- mölje: %. Sr. Schüße, Holitein. Sdiotifon I81; dort auch Bickbeer-Pankoken als holfteiniiches chinese
7, % Blau, Böhmermälder Hausinduftrie II 244; „Schmwarzbeerfoch”: Unger-Khull, Steirifcher Wortihat S. 562; „Wollbeerihmär” (Wefterwald): Der Landbote (Wiesbaden) 1913 Nr. 35 ©. 3; Heidelbergar: Fifcher, Schwäb. Wörterb. II Es
°®, Bol. B. [Rud. Zadar. a Noth- und Hülfsbüchlein f. Bauers- leute. Neue SLufT 1789 S. 108, ym Scherz nennt man die Bene Beeren in der Pfalz „Heedebeerjchnige” : . MW. Hebel, Pfälzer Humor ©. 82, — m Bamberger Land badt man „Schneden“ ‚an deren fopfförmigem Oberteil die
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Sehr beliebt find auch aus Heidelbeeren Hergeltellte Weine!) und Schnäpfe?). ALS Haus- und Arzneimittel fand Die Heidelbeere früher eine noch viel ftärfere Verwendung als heute‘); daS Volk glaubt die Heilfraft Der getrodneten Fructus oder Baccae Myrtillorum, mie fie in den Apotheken beißen, als probates Mittel gegen Durchfall und Ruhr nod) dadurd) fteigern zu fünnen, daß es dafür nur die an bejtimmten Tagen oder in heiligen Reiten gejammelten ver: wendet‘). Aud die Folia Myrt. waren offizinell und dienten zur Herjtelung eines Tees®). Webrigens wird von der modernen willen
- Ichaftlihen Medizin, befonders infolge der Arbeiten von Winterniß,
die vielfeitige Heilmirfung der Heidelbeere wieder mehr anerfannt®). Von der großen Rolle, die die Heidelbeere in früherer Zeit als Tsarbemittel gefpielt hat, haben wir heutigen Deutfchen mit unferer blühenden chemifchen Farbindujtrie faum mehr eine rechte Vor: jtelung. Für die Heidelbeere als Yndigo-Erfat haben wir Thon
Augen durch zwei getrodnete Schmwarzbeeren angedeutet find (alt oder Erjaß für Korinthen?): Das Bayerland XXXI 1919/20 ©. 135. Ueber das Trocdhnen der Heidelbeeren \. a. unten ©. 11.
3.8. Schweizer Spdiotifon IV 1466; Werner [Bötte], a einer vergeflenen Ede II 21; Riedl, Tas Bayerland XXVII 1915—16, 5
u) „Heid(ebergeift“: e Fil her, Schmwäb. Wörterb, III 1836: eines: beergeift, Schwarzbeerener*: Unger- Khull, Steiriicher Wortichab ©. 562; Schmwarzbeerichnaps: Foifel, Bollsmedizin und medizin. Ubergl. in Steier- marf? 116; Blaabzerbraendevin: Ordbog over det Danske Sprog II 747. — Rezepte für = verjchiedenen Zubereitungs- und Verroendungsatten. der Heidel- beere |. 3.8. bei Krünig a.a.D. XXII 743 ff,
») Hieron. Tragus genannt Bod, kterueh . gebefjert durch Melch. Sebizium, Straßburg 1630 ©. 764; Zedlers Stoffes voltft, Univerfal Sericon aller Wiffenich. u. Künfte X (1735) Sp. 1130f.; Krüniß, Deconom. Encyel. XXI 7475.;, Thon und Schreger bei Erich u. Gruber, Allgem. Eneyfl. II4 ©. 111 f.; ‚ Höfler, Volfsmedizin. Botanik der Germanen ©. 60; Follela.a.dD;G.E&. Laube, Bolkstüml. Ueberlieferungen aus Teplig und Umgegend ©. 63; NR. Pieper, Boltsbotanif ©. 811; Sof. Höfer, Oberpfälz. Voll3-Heillunde ©. 9; Ztichr. d. Ver. f. en. .. weit] Boltst. IV 1907, 184; Mitt. d. Schlel. Be). , Boltst. XL 1909, 2 nyD lau, Böhmermälder Haus- induftrie II 244; 0. Hovorfau. ronfe 1 d, ergleichende Volksmedizt nn 1205; 11 131. 134; 9. Meraeit, Unjere Heilpflanzen 120; Dietl, Unfer gerland XXV 1921, 81; eichborn-Kjennerud, Väre folkemedisinske lae- geurter (Kristianig" 1922) &.76. — „Wenn die Blaubeeren ichlecht aeraten, gibt es viele Krankheiten”: Leipziger Neuefte Nachrichten 17. VIL.1904. „Solange Heidelbeeren durch den Ort gefahren werden, brechen feine ENDET LONEOENEN aus": &.Yohn, Abergl., Sitte u. Brauch im jächl. Erzgebirge ©. 245.
+) Die am 25. AYuli (Iatobi) gebrochenen Heidelbeeren werden als Arznei- mittel getrocknet (Bromsticchen im Hell. Hinterland), man nennt fie Yalobs- beeren (M. Höfler, Bollsmedizin u. Abergl. in Oberbayerns Gegenmart u. Vergangenheit. Neue Ausg. ©. 81) oder „Sakobibirin” (Schramel, Ber Böhmermaldbauer ©. 160). Ym Allgäu gelten als bejonders gut gegen Durch- fall die gedörrten „Dreißigithoadla”, d. H. die zmwilchen dem 15. Auguft und 14. Sept. gebrochenen Heidelbeeren: Reijer, Sagen, Gebr. u. Sprichwörter des Allgaus II 158, Sin der Zeit des Frauendreißigers, ziwiichen Mariä Himmel- fahrt und Mariä Geburt einjchließlich deren menge en ja die Kräuter ihre mwirkjamite Kraft: Sartori, Sitte und Brauch II
53.8 Thon bei Erich und Gruber a. z 2 nn Mitt. d. Schlef. Gef. f. Baltet. xI 902: Dietl, Unier Egerland XXV 8
°%)».Hovorfa "und Kronfeld 0.0.D.; Gieß. am. 15, $uli 1922,
Br,
ein literarifhe8 Zeugnis aus dem 15. SYahrhundert!),. Sn den Kräuterbüdern?) und in den fchon öfter herangezogenen älteren Enzyflopädien wird eingehend über die Methoden berichtet, wie man damit Garn oder Stoff violett, hell- und dunkelblau oder purpurrot färben fann?).. Auch „die farten onnd brieff Maler brauden den jafft von Heidelbeeren”, um damit eine blaue Farbe herzuftellen *). Uebrigen3 benugte man in Sreland auch die Blätter zum Grün- färben’). Die Verwendung der Heidelbeere zum Färben des Weins Haben wir jhon erwähnt‘). Der VBollftändigfeit halber fei fchließlich nod angeführt, daß die ganze Pflanze jo gerbjäurehaltig ift, daß fie au) zum erben gebraudjt wird’), jowie daß die Heidelbeerblüte als Bienenmweide jehr gefhäßt ift?). — ch mußte auf diefe öfono- mijche Bedeutung der Heidelbeeren?) furz eingehen, um es begreiflich zu maden, warum gerade Dieje Beere ji) beim Volt jo großer Achtung erfreut, und warum mit ihrem Sammeln fo viele alte Bräude verbunden find, die ih falt in allen Teilen Deutfchlands, oo Heidelbeeren wadjlen, nachweijen fan, allerdings nicht alle zu- gleich an jedem Ort, fondern im einzelnen Syalle meift nur den einen oder anderen, was um Mißverjtändnijfen vorzubeugen, ausdrüdlic) erwähnt jei. Bei den einzelnen Angaben fchließe ih mich möglichit eng an den Wortlaut meiner Quellen an.
Schon zur Beit der Blüte der Heidelbeerfträudjer im Mai gehen im fr. Hünfeld die Kinder in den Wald, um zu fehen, ob die Ernte gut oder jchleht ausfallen wird!). Gie föünnen’s faum ermarten, bis Die Beeren endlih reif Jind')). Ym Harz berricht bei den
1) „Des Teufels Ne" B. 13126 ff. brag. v. Barad.
”) 3.8. Hieron. Bod, Kreutterbuch. Ausg. Straßburg 1565 BI. 360; Straßburg 1630 ©. 766.
°®) j.a. Dietla.a.D. XXV 82; Schmeiz. Soiotifon IV 1466; Hialmar Falk, Altweitnordifche Kleiderfunde (1919) ©. 43 (Zsland).
Bod, Kreutterbuch a. a.D.
„ 9 u. Öruber II4 ©, 111.
)2©.1.
)Erih u. Bruber a.a.dD.; Dietla.a.d.
®) Krüniß, Deconom. Encyelop. XXII 746 ff.
») E&3 ift uns eine genaue Aufzeichnung darüber, was äin man vnd sein waib vnd Dirn zw passaw ain jar bedurffen, aus dem 15. Sahrh. er= halten. Ta merden auc) kästen, per, holper, haiper, pramper, wälschnuß, hassinus aufgeführt: Anzeiger f. Kunde d. deutichen Vorzeit N, %. VII 1860, 244.
10, Ein reichliches Blühen der Heidelbeeren deutet auf großen Kartoffel-, aber ng Obitertrag: R. Pieper, Vollsbotanif ©. 811.
1) Dies a Warten auf die Heidelbeerernte darf man aber nicht in den meitverbreiteten Bierzeiler:
„Beioelbeeren on Brombeeren,
Die wolfe en dem Gorte,
Ah Motter, get inS Heioelbeern,
Me kinn net länger worte” (jo in der Schwalm) Hineininterpretieren, wie dies E. Mülhaufe „Die aus der Sagenzeit ftammen- Sen Gebräuche der Deutjchen, a! der Helfen” (Sonderabdrud aus der Ztichr. d. Ver. f. heil. Beich. N. 7. I 1867, 266 1) ©.17 tut. Vgl. dazu ©. Schlä- gers Anmerkung & ss0b. Lewalter, Deutiches Kinderlied und Kinderjpiel in Kaffel Nr. 114 . B0L.
un
„Beerengängerinnen”, weldhe am Broden Beeren pflüden, der Glaube, daß fie, wenn fie zum erften Mal im Sommer an der „Brautflippe”, einem Tyeljen vor dem Hohnefopfe, vorübergeben, diejen mit Blumen Thmüden müjfen, um da8 ganze Jahr Glüd im Auffinden der Beeren zu haben. Nach einigen findet das Befränzen diefes Steins unter Abfingen von LXiedern am 1. Mai ftatt, nad) anderen, „wohl richtiger”, Turz nad) S$ohanni!). Um Kohanni?) werden die Heidel- beeren nicht mehr rot‘), wenn man fie reibt, nun Tann die Ernte beginnen. Sn Tauer im Fr. Rottbus jagt man: Am $ohannis=' tage werden die blauen Beeren reif‘). rn Bayern beißt e$:
„Beter und Paul (29. Yuli) machen die SHeidelbeeren reif.” °) Auch nod) andere Tage jind für die Heidelbeerernte bedeutfam. Aus Schleife, Kr. Rothenburg, in der Oberlaufiß berichtet W. v. Schulen=- burg, daß die Wenden dort an Maria vor der Ernte (= Mariä Heimfudung, 2. Juli) nit in die Heidelbeeren (cerne jagody) gehn, denn da fommit die Maria auf weißem Pferde angeritten und nimmt die Kinder mit, die in den Beeren find‘); man warnt die Kinder an diefem Tag: „Seht nit in die Blaubeeren, da fißt die Maria auf dem Stamm und fämmt fid) die Haare." ?) Sr der Niederlaufig jagte man: „Die Anna mit den großen Zähnen (zubata Anna) Sit im Walde auf einem Baumfjtamm, hat die Haare aufgelöjt.") Am jähfifhen Erzgebirge „Ichlumpert" am 2. Yuli Maria über die Heidelbeeren, davon werden fie Ihmwarz?). In Eyftrup, Kr. Hoya, in Hannover wird alljährlich der Sonntag
1) 9. Bröhle, Harziagen ? S.52 Nr. 84; me Ulr. Jahn, Die deutichen Opfergebräuche bet Aderbau u. Viehzucht © ?) Kurz vor „johanni werden die erften eh reif: & Müle bauje, Die Urreligion des deutjchen Volkes (1860) ©. 241. ?) Bol. die NRätjelfrage: „Was ift grün, wenn es rot it?" — „Die Schmarzbeere”. Auch ein hübfches Scherigefpräch aus GSteiermarf mag hier anmerfungsmeife mitgeteilt werden: „Bäder, wäs jan denn 858 für Bedl
(Beeren) ?" — „Dis fan Schwärzbir”" — „Ab’r d5 fan jä rot”. „Weil no grean fan, dummer Bua.” (Das deutfche Bolfslied XXI 1919, 78)"
RW. v. Schulenburg, Brandenburgia V 1896—97, 142. Der Tag it auch für die Erdbeeren bedeutiam: Yn ger Südlaufig fagt man: Eine Mutter, der ein Kind geftorben tft, darf vor ohanni feine Erdbeeren efjen, denn der liebe Gott geht an dem Tage mit den verftiorbenen Kindern in die Erdbeeren, und ein Kind, dejlen Mutter vor diefem Tage Beeren genofjen, dürfe nicht mitgehen (Mitt. d. Ber. f. fächl. Volfst. II 1901, 155). Diejelbe Voritellung findet fi) in Bayern und Böhmen, nur daß man dort glaubt, Maria oder die hl. Anna führen an Johanni die Kinder in’S Paradies in die Erdbeeren (Wuttfe- a), Der nn Bolksabergl, d. Gegenmart ? 468 $ 744 ; Deutliche Gaue XIV 1913, 37 Nr. 27).
s) Bayerland XXVU 1915/16 ©. 58,
MW. v. Schhulenburg, Wendilches Volkstum S. 140 = Branden- burgia V 142,
?) Deri., Wend. Bollstum ©. 141,
*) Perjönl. Mitt. des Herrn v. Schulenburg. Er fügt ER Auch jagt man am Sohannistag: „Im Walde figt auf emem Stamm die weiße (oder: er nn. Maria; am Kohannistag foll man nicht in den Wald gehen.”
E. Zohn, Abergl., Sitte und a im jächl. Erzgebirge ©. 245 (aus Ritteranin). vgl. unten ©.9 Anm. 5
zu: I
der Heimfuhung Mariä oder der darauffolgende als „Bidbeeren- fonntag" gefeiert. Dann wandert Groß und Rlein in den Walpd, um Bidbeeren zu pflüden und abends Bicfbeerenkudhen zu ejjen'). — Der Salobstag (25. Suli) bedeutet den Höhepunkt der Heidelbeer- ernte; die an diefem Tag gepflüdten Beeren ind, wie wir fahen ?), bejonderS heilfräftig. m Odenmwald trifft man vielfad auf die Meinung, daß nad) Salobstag die Beeren feinen großen Wert mehr haben. Ym Mllgäu dagegen jchäßt man als Heilmittel noch be= fonder3 die „Dreißigfthoadla"?). Am Barthbolomäustag (24. Auguft) wird in vielen Gegenden mit dem Heidelbeerenfammeln Schluß gemadt, man verfhmäht nad) diefem Tag die Beeren: „Da bat der Bartholomä bHineingefchiffen” (Kempfenbrunn, Sr. Geln» haufen; Grün, Bez. Betfhau‘). Anderwärts bejteht derjelbe Glaube bei den Brombeeren’), Auch für die Hafer-, Korn: und Flahsernte wird ja in manden Gegenden empfohlen, bi8 Bartholomä damit fertig zu fjein®), an diefem Tage wurde denn auch früher vielfad) das Erntefeft begangen’).
Die Kinder machen fi, meiftens wohl [hon im Frühjahr), aus abgejhälten Rinden, die zufammengebogen und mit Hilfe von Pflöden oder Dornen und Schnur zufannmengehalten werden, Heidel- beerförbhen oder „Mäßchen”?), Kiezen!), im Breidenbacder Grund bei Biedenkopf Zeh, Zehbhe), in. Burfdheid Rinde'?), in
1) Sart.ori, Sitte und Brauch II 122,
s), oben ©.6 Anm. 4. — °) Ebenda.
* Nach Bart foll man keine Beeren mehr pflüden, da hat der Bartl drauf gemadt: A. ohn, Sitie, Brauch u. VBollsgl. im deutichen Weitböhmen ©. 229.
s, „est Ichmecen die Brombeeren nicht mehr, weil Bartelmeus druff geichiffen hat“: K. Bruns, Vollswörter der Prov. Sachlen ? ©. 8; ebenjo A. Kuhn und WW. Schwart, Norddeutiche Sagen, Märchen u. Gebr. S. 400 Nr. 113 (Grochmit bei Torgau); vgl. Pieper, Volksbotanit S. 204. In Eng- land, Schottland und Irland ift Dagegen der Michaelmas Day (10. Dt.) fixed as the limit of blackberrying, dort 1jt’3 der Teufel, der die Beeren mit feinem Tuß oder Speichel ungenießbar macht: W. Henderson, Notes on the folk- lore of the northern counties of England. New ed. (1879) ©.96; T.F. Thi- selton Dyer, The folk-lore of plants ©. 74; Folk-Lore XVI 1905, 454; XX 1909, 343; XXI 1910, 481, In Rubla jagt man: Gett Bardelmei net in’s Kruit, sus schisst & nin, unn Aü kritt kei Heider (Säupter) (jonft wird dies Verbot anders begründet: WA. John a.a.D. 198; Heimatbilder aus Ober- franfen VI39; Sartori, Sitte und Brauch III 243, 4); in der Hollenftedter Gegend: „Wenn de Häber fit legt, hett Battelomäus fit mit'n D.. rinjet't“: Ed. Küd, Wetterglaube in der Lünchburger Heide S. 83 mit der erflärenden Bemerkung, die durch die von mir angeführten Parallelen zu ergänzen rväre. Bei den Stebenbürger Sachjfen gilt als der Höhepunft des Badens im Bach der Laurentiustag, von da an heißt es: Der Lirenz hued An de Bäch ge- Be (Bermannftadt); im Burzenland gilt dasjelbe vom Bartholomäustage:
tebenb.=jächl. Wörterb. I 365. |
e) Sartori, Sitte u. Brauch III 243,4. — °) Sartori a.a.dD.11%, 4.
°, E. Mülbhaufe, Die aus der aa ftammenden Gebräuche ©. 17.
°) Heinrich Zeo, Meine AYugendzeit (1880) S. 8 (Dietersdorf, Thüringen).
0) Weigand- Hirt, Teutiches Wörterbuch I 1088. beff en zu mbhd. zeinen flechten, vgl. VBilmar, Ydiotilon von Kurs
effen ©. 466. 2) Kaßbender, Ztichr. d. Ber. f. chein. u. mweftf. Voltst. IV 1907, 136,
— 10 —
Kärnten Karge!) genannt, in die fie die Beeren brechen wollen, wie e8 auch) bereit3 im NRuvdlieb gejchildert wird’). ES werden aber au) alle möglidden anderen Gefäße zum Sammeln mit- genommen: Körbe?), Rudkörbe(Kößen oder Kliepen), Eimer‘), Schüffeln Gießtöpfe?), Krüge‘), Milhtöpfe‘) ujw., fomwie Kleine Handlichere Gejchirre zum Hineinbredhen (Breachdebye in Oberheflen); bejonders beliebt find dafür Kleine Blechgefäße (daS Bleyaldeng im Fr. Hün- feld)®). Syn vielen Gegenden find die Sammler mit einem befon- deren Snftrument zum Abftreifen der Früchte von den Sträudern ausgerüjtet, dem: Heidelbeerfamm oder Wehlenfamm’): „ES wird aus leiten und dünnen Hol, ein mit drey Wänden und einen Boden verjehenes offenes Fach gemadjt, daran hinten ein be- quemer Grieff, der Boden aber, wie ein Kamm ausgezahnet, Doch alfo, daß nit nur ein Heidelbeer-Straud) mit feinen Zmeiglein fich - bequem durdjgühen lafje, jondern auch Hinter denen Zähnen ein Raum übrig fey, wo ich die abgeitreiften Beeren Jammeln, und von da in ein Gefchirr gefchüttet werden Tönnen."!) Man nennt ihn aud, wie den Reffflamm zum Fladisreffen!!), im Fr. Geln- haufen Reffa (£.), in Oberfadhfen Reffel, im Schmäbifchen Neff, Riffel, in Baden und Bayern Raffel!?). (Diefe Heibeererafjel - wird als ein an einem Fleinen vieredigen Kiftchen befeitigter Draht: rechen befchrieben !?))., Man nennt das Wbjtreifen der Beeren mit
1) Lerxer, Kärntnijches Wörterbuch ©. 155. Auf dem Heimmeg fingen dort die Kinder, die kärge auf dem Kopf tragend, je nach dem Erfolge ent- weder: Roll! roll! roll! die kärge herte voll! oder Rär! rär! rär! die kärge poud’nlär (bodenleer).
2) au3 Hafelrinde zum Erdbeerenpflüden: XII 110 Seiler; Ueber]. v. M.Heyne X 123; f.a. Weigand zu Erecelius, Oberhefj. Wörterb. I 364: Eabernfässi au Baumbaft zum Erdbeerenfammeln. .
s) „Ratten“, „Ehratteli": &. Schläger, Badilches Kinderleben in Spiel und Reim ©. 4 Nr. 11; Kohanna Spyri, Kurze Gejchichten für Kinder II (1886),57; Yoj. Ruf, Alb-Bote (Waldshut) 31. Juli 1900, 2. Blatt; unten ©. 16.
4) Im Kr. Hünfeld nehmen die Kinder lieber enge Eimer al3 weite Körbe mit, in denen es nicht gut „häufelt”.
5) „Sprenzdepen”: Wrede, Eifeler Volkstunde S.133, „Sprengftügen“ (VBoigtland): Mitt. d. Ber. f. fächl. Voltst. V 1910, 179.
n rad „BHäfele” im Odenwald.
7) „Milchtöten? (Buricheid): Faßbender a.a.d.
) „Schoppen“- und „Halbichoppenbleche" in Oberhefien, „Nöfel*- und „Halbnöfelmaße" im Boigtland: Mitt. d. Ber. f. jächl. Voltsf. V 1910, 179; „Suartmäßl” in Schlefien: Pitt. d. Schlej. Gel. f. Volfsf. 12, 1895—96, 50; „Matolter”: Wrede, Eifeler Bolfst. S. 133; „BVBlechtrichter": Ztichr. d. Ver. f. chein. u. mweftf. Voltzt. VII 1910, 281 (Hochwald, Reg.-Bez. Trier).
°) fo im Landkreis Trier: Ztichr. f. chein. u. weiti. Volfst. VII 1910, 281.
10) Zedlers Univerfal Leriton XI (1735), 1131; danad) Krünig, Dconom. Encyel. XXI 743 mit Abbildung: Taf. 15 Fig. 743. Urff, Das Bayerland XXVI 1914—15 ©. 15.
11) Grecelius, Oberheij. Wörterb. II 684,
13) Btichr. f.d. Mundarten 1917 ©. 151f.; Riedl, Das Bayerland XXVII 1915/16 ©. 58. .
18) EI, 9. Meyer, Badiiches Volfsleben ©. 120. 3. Blau, Böhmer- mwälder Hausinduftrie u. Volfsfunft II 243 berichtet aud), daß man. ftatt der ichwer auszufchneidenden Holzzähne neuerdings Eijenzähne (große Nägel,
=; 41 oe
diefem Sinftrument Ar „Die Heidelbeeren fämmen“!) oder „rampeln“?), „riffeln"?’). Natürlid) wurde bei diefem Kämmen au manches Blättchen mitabgerifien, das dann wieder heraus gelelen oder =geblafen werden mußte‘). Darauf bezieht Ti) das erschen aus der Nähe von Gießen: Haalabiirn, Haalabiirn, wenn doch nur kein Läus dean wiirn!®). _
Da diejes Riffeln für die Heidelbeerfträudher fchädlich ift, wurde es an manden Orten von der Forftverwaltung unterfagt®). Wenn in Oberjadjfen die Beerengänger mit der Neffel vom Förlter betroffen werden, wird ihnen ihre Erlaubnisfarte entzogen. „Nun helfen fih die Frauen und Mädchen aber damit, daß fie mit einem großen Haarfamm, den fie, wenn Gefahr droht, rafh in ihr Haar fteden fönnen, reffeln.” Auch in Oberheflen und im Odenwald find heute die Heidelbeerfämme nit mehr im Gebraud. Gewöhnlich „Lieft", „pflüdt", „blödelt"?), „bBridt”, „brodt”“®) oder „rupft"?) man die Beeren, im Böhmerwald fagt man „Beeren Tlauben“ 9), in Norddeutichland. und in der Schweiz bildet man ein Beitwort „Deeren""), Wil man die Beeren trodnen, jo bricht man fie mit den Stauden und bindet diefe zu „Pufen"!?) zufammen oder Hemmt Jie in fog. „Klemmen“ '), „Schluten“ !4) oder „Kloven“ '®), gefpaltene Hafelftöde, ein. So Ffann man Sie leicht -heimtragen und zum Trodnen am Giebel Iuftig aufhängen (Rheinland) '®).
Schon in des Mattd. Normann Rügiihem Landredit wird
Drabtitifte) einfege. Er führt auch die Redensart an: die Beerenpläge „aus- fampIn“, ebenio Schramel, Der Böhmermaldbauer ©. 162: mit Holzlämmen „d Pirln Tampeln“. Metalllämme: Sauerländ. Gebirg3bote XXVII 1919, 38.
ı) in Oberheifen.
2) f, ©. 10 Aım. 18.
’) K. Bruns, Bollswörter d. Prov. Sachen"! S. 56.
)% Blau 0.0. D.: Schramef a.a.d.
2) ine Variante dazu aus Ober-Mörlen:
Haarsbiirn, fürsch Maul zu schmiirn, wan aach nur kan Läus drian wiirn!
) RK. Bruns, BVollswörter d. Prov. Sahlen ? ©. 56; Riedl, Das Bayerland XXVII 1915—16, 58; Phil. Krämer, Ernit Ludwig Amingenberg. Der Roman einer Kindheit (1918) ©. 81 (Odenmwal d).
') Ausbadh: Baift, Mein Sn led III 1918, 155.
®) Waplil, Böhmermwald-Sagen S 8; %. Blau a.a. DU 242; NRoja Fif Her, Dfkfleiciiches a nleden 2161,
%) im Ddenwald: BhHil. Krämer, Ernft Ludwig Zwingenberg ©. 81; Verschen ans Sammelbad) unten ©. 41.
. Blau a.a.D. II 244; Unjer Egerland IV 1900, 58. e beret man so: Wander, Deutiches Speihmörterlegiton II 290; ae = Erdbeeren jammeln: Schweiz. Spiotilon IV 1463.
12) Kaßbender, Ztichr. d. Ber. f. rhein. u. mweitf. VBoltst. 1V 186, %) aßbender 0. 0a.dD. ) eniäger zu Lemwalter, Deutjches Kinderlied u, Kinderjpiel in
Kafiel, S. 300 en 1 FM. Böhme, ld Kinderlied u. Kinderipiel S. 192 Nr. 946. 12 Faßbender a... 135f.
zu, Hr ei
feitgejtellt: erdberen plucken, bickberen und enekenberen sam- melen is frei!), und noch neuerdings hat der Xandrat des Dill: freies es in einer Befanntmadung ausgejproden, daB es id) bei dem Beerenfjammeln „um ein gemohnheitSmäßiges NRedt der Bevölkerung handele, das mit rechtlicher Wirfung nicht durd) eine Befanntmadhung (einer Ortsbehörde) in der Heitung verboten werden fann”?). Uber im unteren Wejtermald miüfjen fih jebt Auswärtige das Recht des Beerenpflüdens erft durch Xöfen eines Erlaubnisfcheines beim Gemeindeförjter ermerben?), und aus dem Böhmerwald berichtet Blau von den hohen Beträgen, die heutigen- tags die bäuerlihen Waldbefiger für die Erteilung der Sammel- erlaubni3 einnehmen ®); aud) in der ©. 11 angeführten Mitteilung aus Oberfadhfen fpriht mein Gemährsmann von einer jolden Er- laubnisfarte.. An Kirtorf (Oberheijen) erhoben früher die Kinder im Walddiftrift „Zollftod* von den Sammlern aus anderen Ge- meinden einen „Zol” in Form von ein paar Heidelbeeren?)! Aus dem Odenwald wird mitgeteilt, daB die Gemeinden, wie Jie den Termin für den Beginn der Getreide- und Heuernte feitjegen, fo aud) den für die Heidelbeerernte bejtimmen. Der Ortsdiener fchellt dann aus, „daß die Heidelbeerernte aufgemadit fei" %). Ir Bayern ift durch die Bezirfsämter der Erntebeginn auf den 15. Suli feitgelegt ’).
Das Beerenpflüden. ift in erjter Linie Sache der- Kinder und ssrauen, aber oft, namentlich Sonntags, beteiligen fi) auch) die Männer dabei. Bejonders jeit der Kriegszeit fieht man oft ganze Tamilien mit Kind und Kegel in die Wälder ziehen. Sn der Schweiz jagt man: „D’ Beri find den armen Lüten iri Ernd“®), und aud) in Deutichland wird mancherortS über reiche Bürgers- oder Bauerntödhter gejpottet, die fi) beim Beerenpflüden jehen Iajjen °). Aber die Zahl derer, die über das mühevolle Beerenjammeln die Nafe rümpfen:
Eabäleit, säts ned gscheid, Ä gaits um de routn Dreck so weit! (Qaberg, Fürth.),'°)
wird heutzutage nicht mehr jo groß fein.
t) Quellen zur Bommerjchen Geichichte III 1896 ©. 82 LXXII, 3.
2) Gieß. Anzeiger 13. Juli 1916, Vgl. M. Heyne, Fünf Bücher deutjcher HauSaltertümer Il 155. Er vermeift dabei auch auf das Kinderlied des milden Alerander (Minne]. 3,30 b Hagen), in dem daS ertber suochen von der tannen zuo der buochen über stoc und über stein unter den Augen eines waltwiser geichildert wird, der ftreng dafür forgt, daß fie nod) bei Tage den Wald räumen. an macht mich zu diejer Stelle aufmerfiam auf Berger-Wollner, Bie
edichte des milden Alerander, Diff. Berlin 1916, 127,
°, Der Landbote (Wiesbaden) 1915 Nr.3 ©. 3.
*) Böhmermälder Hausinduftrie II 242,
°) Bol. unten ©. 48 nm. 5. |
°), Ph. Krämer, Ernft Ludm. Zwingenberg ©. 79; Urff, Tas Bayer- land XXVI, 14: die Heidelbeerberge werden „geöffnet“.
) Riedl, Das Bayerland XXVII, 58,
2) Schweiz. Spdiotifon TV 1461.
%), B. Kurz, Yahresb, d. hift. Bereins i. Mittelfranten LXII 1919, 276 (Wolframs-Ejchenbach).
0) % Bronner, Deutjche Saue XI 1910, 108; vgl, Marzell, Blätter 3.
=. 9:
An der Gegend von Karlsbad herrfcht der Glaube, eine
Schwangere dürfe feine Heidelbeeren pflüden, jonjt befomme das
Kind viele Muttermale !).
‘mmer gehen mehrere zufammen „in die Beeren“ (nur ältere Stauen, Die Beeren zum Berfauf fammeln, gehen im Wogel3berg gelegentlih auch allein in den Wald). Wehe dem, der zur ver- abredeten Stunde nit da ift! Er mwird mit einem in vielen Barianten befannten Bers verfpottet:
„set fen me all beilamme
bis uff de Nicdels Did,
er fait, er fennt net fumme,
jei Hofe wär net gfliekt.”" (Unter-Mofjau, Kr. Erbach.) Alte Schuhe an den Füßen, einen ordentlichen „Keil” trodenen Brots in der Tafhe oder in ein Sadtuch gebunden, aud) bisweilen mit Milch, Kaffee oder Moft verfehen, einen ledernen Gürtel umgefchnallt oder auch nur einen ftarfen Bindfaden umgebunden, an dem Das „Blechelding“ hängt, in das die Beeren gepflüct werden, „am Arme
den Korb und die Kiep auf dem Rüden” ?), jo ziehen ganze Scharen
von Kindern Tag für Tag in die Beerenmwälder?). Untermeg3 er- Ihallen natürlich fröhliche Xiedchen: aus der Menge der mir be- fannt gewordenen mögen bier einftweilen nur ein paar heffifche mitgeteilt werden. Sm Odenwald ift ganz allgemein befannt und
viel variiert: | Haalbäenlaid sin luschtigs Laid, siyt ma sa net, sou hääet ma s3 wait. (Zindenfels i. D.) ‘)
oder Helbeerleit sein fleißig3a Leit, Ä Di gäin net hem, bis sechs3 leit (Hegbach, Kr. Erbach)
oder zum Bierzeiler ermeitert:
Heidelbeerleut find Iuftige Leut |
Gie gehn in den Wald und bringen nichts heim.
Sub! macht mir ein paar lederne Schu
Und ein paar filberne Schnallen dazu! (Vörzenbach bei Yıirth.)
dayr, Bolfst. Reihe I 1912 S.10. Am Böhmerwald ruft man den Vers den Heidelbeerverfäuferinnen nach: oiberlmweiber, jad3 net gicheit, ragts dem jchmwoarzen Dreeg jo weit! %. Blau, Böhmerm. Hausindujftrie II 241. | 1) Marzell, Unfere Heilpflanzen S. 121 (Unfer Egerland X 1906, 179). Zum Berjehen der Schwangeren vgl. 3.8. Hovorta u. Kronfeld, Bergl. Bolfsmedizin II 545 ff., u 541. ...,.) Aus einem offenbar modernen Kunftlied, das jet die Kinder nach Mitteilung von Studienrat Dr.Fahz in Büdingen fingen: Am Arme den Korb und die Kiep auf dem Rüde, jo fomme mer abends vom Heidelbeerpflücde, M und wer uns gefjehn, der hat auch gelacht, weil jo fohlpechrabenichwarz mir uns gemadıt. Ebenfalls neueren Uriprungs ift das Burfcheider Waldbeerlied: Ztichr. d. Ver. f. rein. ıı. mweftf. Volks. IV 1907, 133 ff. ®d) Vgl. E&H. Meyer, Teutiche Voltstunde 183; Mitt. d. Ver. f. fächl. ‚Boltst. V 1910, 179, HöHl, Rhönfpiegel * 130. *) Auch bei &. Schläger, Badiiches Kinderleben in Spiel und Reim S INT 4 (NReichelsheim i. O., aus unferem Archiv).
Ey A
MWeit verbreitet, auch in Oberheflen, in vielen Varianten ift der BVierzeiler, der auch, entjprechend abgemwandelt, im Kinderfpiel, als Zanzliedchen, ja jogar al3 Wiegenlied verwendet wird:
Äärabeern on Heralbeern,
di gets i eusorm Gord».
Ach, Moddar, gäb mar ooch 3 paar,
iy kaa net lengar worda. (Rainrod bei Alsfeld).*) Ein aud) jonft als ZTanzlieddhen viel gefungener Vierzeiler, der fid) mit dem vorhergehenden vielfach gefreuzt hat, ijt in Oberhejjen und Starfenburg fehr beliebt:
Haaelabiirn, Haaelsbiirn
sein di besd3a Plaanz>.
Wann di Maad an Schbiilman hiirt,
fingt sa gu za daanz>a. (Treis a.) mit vielen Varianten der zweiten Hälfte, 5.8.
Wann da Vodar Geiga schbiilt,
muss di Moddar danz>. (Schlierbach b. Wächtersbach). Manches Liedchen, das auf dem Weg gefungen wird, hat gar feinen Bezug auf die Heidelbeeren, 3. B. das folgende aus Lauterbad):
Ir Jöngaryan, ir Määdary>n,
bu wolldar daa noch hii ?
Ei, in di griina Dännaryan,
do kemmt da Schbiilmann hii.
Gern maht man fi aud) gegenfeitig und bejonders denen, die heuer zum erjten Mal mitgehen, ein bißchen Angjt mit Erzäh- lungen vom Fuhsmwald und vom Wilden Jäger (Neukirchen, Kr. Hünfeld), oder vom Karlquintes, der am Odenberg bei Gudensberg mit feinem KriegSheer umgeht und aud) |chon beeren- fuhenden Kindern erfchienen fei. „Nehmt eud) in adjt, daß eud) der Quintes nit Triegt!" jagt man dort Den Veerengängern 2), Oder fie erzählen fid) im Allgäu von dem Wunderfnäble, das einft Kinder von Obermaijeljtein beim Heidelbeerpflüden im Mald por fi) gefehen Hätten, aber nie erreichen fonnten?), oder in Obere öfterreich von den Bwergen, die gerade da, mo die Heidelbeerjtauden bejonders dicht aneinanderftehen, in ihre unterirdifchen Wohnungen einjchlüpfen, mo fie ihre goldenen Schäße bergen, „um derentwillen das Tleine Gelichter fo viel beneidet und verfolgt werde. Der Kleine Heidelbufh Hatte Erbarmen mit den Zmwergen und verjprad), die Schäte zu verbergen"). Auf Amrum fand ein Kind am Rand jeines Beitaars (Beerenhügeldhens) einen Traaldast (Bereniaiiflen, den die Unterirdifchen bier verloren haben’). Ym Kr. Hünfeld
21.0 ©7 Unm. 11.
) £ynler, Deutiche Sagen und Sitten _in heifiichen Be „er. und die Zufäßge bei & Schneider, Heffiiches an :65,54 (3.T. nach PH. vof meifter, Hejftiche Voltsdichtung ©. 68
’) Reijer, Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Re 1160 = Baunert, Deutiche Naturiagen I 22, IM arzell, Ns Heilpflanzen 121; R. Pieper, Bollsbotanik 311.
®) Jahrbücher f. d. Landest, der erzogt Schleswi -Holftein u. ir burg y’ 1862, 276 f, en at. i
we 8
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warnt man fih vor den Erdmännden!), die in alten Bäumen wohnen und. den Slindern die Beeren ftehlen. Vor den wilden Leuten, die im Bernhardsmwald bei Schlüchtern Haufen, braucht man fi dagegen nicht zu fürdhten, „ihre Rinder Shügen die Kinder der Menfchen, wenn fie Beeren juchen”?). Auh die Saligen Fräulein in Tirol helfen den Kindern Erdbeeren und Heidelbeeren fammeln, und pflüden fo jchnell, daß in einer Biertelftunde alle Körbchen mit der faftigiten Frucht gefüllt find‘). In Sclefien graut es den Beerengängern bejonder3 vor der gejpenjtigen Mit- tagsjtunde‘): Auf dem Berlorensberge Tommen da Die Beeren- und PBilgfammler mandymal auf einen Fled, von dem fie fi) nicht herausfinden, bis es eins |chlägt); oder es erjcheint ihnen in Diefer Stunde unter unterirdifhem Glodenläuten ein großer Hund, der dann plöglid) mitfamt den Beeren verfchmindet®). Auf der Biber bei Brannenburg in Oberbayern erzählen die Kinder, daß Jie beim Beerenfuchen das Bibermandl oder die [chwarze Frau im Walde gejehen hätten’). Sn Hüttersdorf, Kr. Saarlouis, fingt man „beim Heibdelbeerpflüden halb ängitlih, Halb herausfordernd ein gejpen- Itiges Wejen an, dasjelbe, das aud) das Alpdrüden- verurfacdht: Simberdenmäuschen im Wälenmwall, mer ejfen der die Wälen all!“ °)
1) y der Schweiz gelten die en als das Werk der Erdmännchen: Schweiz. cchiv |. Volfst. XXII 246
2) N Heliische Sagen ©. 58 Nr. 1 = Mannhardt, Wald- und ee 88.
), Mannhardt, Germaniiche Mythen ©. 428. Tort find noch zahl- reiche andere Märchen und Sa zum Heidel- und Erdbeerenbrechen gdam- melt; dazu noch Birlinger, Bollsthiümliches aus Schwaben 16; Balitle, PBentamerone I Nr. 2: La mortella (Bolte u Prolivfa, Anm. zu den KRHM. der Brüder Grimm II 125); Bolteo Woliofe aa. dD. If. (Nr. 13); mono: on Sagen ©, 56].
. Drexler in Rojchers Mythol. Lexikon II 2832 ff. s. v. Meridianus ESEL), ruppe, Griech. Mythologie u. Religionsgeich. II 759, 1; TloAruns, Tapadsasız I 1153 ff; R. Boeje, Superstitiones Arelatenses e 'Caesario collectae (1909) 13. 678.; S. Reinach, Cultes, mythes et religions I 274 ff.; 9. Urtel, Bollsfunde und tomanijche Philologie (1919) 20F,; en Francisci, Ter ne Proteus 423.551; E. 9. a Mythol..d. Ser- manen ©. 211 Meiche, Eagenbuch des Kar. Sadjlen ©. 353 ff.; Binde- wald, Öberhef, Sagenbud) ? 8.67; Wrede, Rheinifche Boltstunde ©. 100; Yıldır. f. ee u. Sitten?, I 1858, 29; Ztichr. f. en xvii 1888, 104; "gilt, d. ichlei. Gel. f. Voltst. IV 7 (1900), TLff.; 8 (1901), 59; XIT—-XIV 1911, 481, 7; Hell. DI. f. Volfst. V 1906, 50.875F.; Ztichr. f , öfterr. Voltst. X 1907, 19; Ztichr. f. d. Ultert. LIO 1911, 159; Heimatbilder aus Dberfranten VI 1921, 89; Zheod. Storm, Sämmtl. Werte (Braunjchmweig, nn 2. IN 298: „Mir graute vor der Mittagseinjamteit.”
) Ztichr. d , Ber, f. Volfst. IV 1894, 456,
e, Mitt. vd. fchlei. Bei. f. Boltst, VII 16 (1906), 103. — seltlbanmung eines Mädchens beim Himbeerenjammeln duch eine Geftalt mit Pferdefüßen: Meiche, Sagenbuch des Kgr. Sahjen S. 580 Nr. 721. Das Kautenmeible im Sautenmwald bei Kottweil treibt Erdbeeren juchende Mäd- chen im SKreije herum: Birlinger, Voltsthümliches aus Schwaben I 59 (= Zaunert, Deutjche Naturjagen I 92); dort ©. 60F. auch noch ähnliche Wolbweiblei, die die Menichen irre führen.
a Brandenburgia V 1896 — 97, 142. 5) dee. Zichr. d. Ver. f. rhein, u. weitf. Vol£st, vl 1910, 275.
„Wohl am meilten gefürchtet von der Jugend ijt zur Zeit be r Heidelbeerernte da8 „ANeuglbeermandl", das, veritedt im Waldes" didiht, auf die von den Kindern mühfam gepflücte Ernte lauert“ (Bayern) !). Um die Angriffe des Heidelbeermanns abzumehren, legen die Kinder in Franken beim Eintritt in den Wald ein Opfer auf einen Gtein nieder 2). Auch in der Schmeiz ift der Beereli- mann befannt ?), und in Baden und der Pfalz wird ein Liedchen in vielen Varianten gefungen, in dem der Beerema ‘), daS Beeri- männli®), da3 Heimermännle‘) oder Hädelbeermännde'), aud Beere-Kofili?) genannt, mand)mal aud) ein Beerimwibli?) oder Haibeerimwible '") al3 der Feind der Beerenjanımler erjcheint. &8 heißt 3.8. in TodtmooS:
wo holder, höri!
er chömmet u3 de Beeri,
’3 Beerimännli ijch zueeneischo, ’3 het üß alli Beeri gno.
3 Plättli leer, 3 Schüffeli leer — Wenn i nu’3 Beerimännli wär!!!)
oder in der Pfalz:
Hädelbeere ware mer breche Sm Dunteltaler Wald, So hbämmer könne effe, So lang, al3 uns gefallt. Sft’3 Hädelbeermännche zu uns fumme, Hot je ung all abgenumme ! Bis uf Ani ; Ganz län, Grasgrüni. Hädelbeermännche, Di fannicht aach noch habe!'?) Sn NAhina bei Murg fingt man: Haibeerimible iS zuenis cho, et iS alli Beeri gno,
chülfeli vol, Chrättli voll, Alle bis auf eiln)s. 1)
ı) Riedl, Das Bayerland XXVII 1915—16, 59; im Thurgau jchredt man mit dem Nichlemandli nn Kinder vor dem Betreten des Waldes: Sin Be Schweizer Märchen ©. 8
2) Wuttle-Meyer, Der nude Bollsabergl. ? &.2988; &.H.Meyer, Aroma lagn der Germanen ©. 199; unten 5. 28,
?) Schweiz. diotifon IV 272.
2 ®. Schläger, Badilcyes Kinderleben in Spiel u. Reim S.4 Nr, 7.
9) &H.Meyer, Bad. Voltsteben ©. 120; Beeremannli: E.HMeyer, Deutiche Volkskunde S. 133.
E 9. Meyer, Bad. Volksleben ©. 121; Beidelbeermännt: Branden- burgia, V14l,
a Prälziiche Rinderreime un ) ©. 28; Hällbeermännche: Klee- berger, Boltsfundliches aus a ©.7
s) hläger a. a.XD. 4 Nr. 8; ehe Socdelebue: Ztihr. f. Hochd. Dundarten I 1900, 349,
E. 9. Meyer, Badilches Voltsleben ©, 120,
.) Ebda. S. 120f.
0. Ruf, "lh-Bote (Waldshut) . su 1900, 2. Blatt.
) a Zint, Pfälz. Kinderreime ©. 2
E 9. Meyer, Bad, Bolfsleben 12
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Die Rinder werden fich diefe Männlein und Weiblein haplih) und vermadhjjen!) vorftellen, und fo ijt’S leicht zu verftehen, daß’ das Beeremannli mandhmal in diefen Liedhen durch daS aus anderen Kinderreimen?) mwohl befannte „budlige Männchen" erfeßt wird. So fingt man 3.8. in Schwaben:
Sn Beerle, in Beerle, n Beerle wöllt mer gaun! it a budligs Männle komme, Hat mir meine Beerle gnomme. Sn Beerle, in Beerle,
n Beerle wöllt mer gaun!?)
Das weibliche Gegenftüd ift wohl das „ftompete Waible" in dem Beerenlied, das uns ein fchwäbifcher Eifendreher in feinen Jugend: erinnerungen mitteilt:
Beeroll, Beerolf, ‚3 Häfele wurd heut gar net voll. it a ftompets Waible tomma, Hat mer meine Beerle genoma. san leer, Schüfjele leer,
anıı i no dahoemte wär. *)
Man jtellt ji) diefe Waldgeifter jehr gefräßig vor: Heibeeremännli, Heibeereböd steffe d’ Stude mit jamt de Stöd. (Lautenbad), Oberf.) ).
Der Bayerbadder Hoibama und das Bößinger Beeremaidili find dagegen freundliche Wefen, die man fogar um Hilfe beim Beeren-
Iefen angeht: Hoibamalnn)! Hoibamalnn) ! -Fitll ma mei Haferl a— YWu)f und alu)f Und a fchö’s Gipfal dralu)f, Nacha bift brav! ®)
Beeremaidili roll, voll, roll Mach mers Köchli ebe voll. ,
') Qgl. A. v. Mailly, Sagen aus Friaul S. 13 Nr. 16.
2) Röbiger, Ztiehr. d. Ber. f. Volfst. XXVII 1917, 278; Arnim u. Brentano, Des Knaben Wunderhorn (Reclam) ©. 809; A. Stöber, Elfaff. Bolfsbüchlein ©. 70 ff. Nr. 187.188; Jahrbuch f. Beich., Spr. u. Lit. Eljaß- 2othringens XXVIII 1912, 264 Wr. i4l: Schmeiz. Arch. f. Bolfst. XXIII 1921, 101. Estuche, Siegerl. Kinderliedchen ©. 113 vermutet Da nnenDeng mit Diejer Vorstellung auch in feinem Waldbeerenlied ©. 50 Nr. 9
Eh wol emoal no d Walmwern goa, Qu loam e Ma on mwoll med) |chloa Beät dr ifern Kregge Off ming Bodelregge.
s G, oe Deutsche Kinder-Reime und Kinder-Spiele aus Schwaben S. 18 Nr. 56; vgl. Schläger a.a.d. ©.4 Nr. 6, zu Selen Schluß vgl. das Liedchen beim Hajelnußiammeln bei Meier a. a. D. 6.19 Nr. 58,
*) Aus ee SYugendjahren (Berlin 1908), zitiert Preuß. Jahr- bücher CXL 1910, 402.
>), €. 9. Mey er, Badilches Volksleben ©. 121.
081, ) Waltinger, Deutfche Gaue XII 1911, 168 = Das Bayerland XXXI 1
7, Schläger, Badilches Kinderleben ©. 4 Nr. 5; vgl. das Eröbeer- wibli beit Meyer, Badilches Volfsleben ©. 122. Das „Trubemändli? im ‘ Meinberg: Schmeiz. Söiotifon IV 282,
.. Seff. 81. f. Volkskunde 8d. XXI. 2
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Man fieht, wie die findlihe PBhantafie, darin vielfach alte religiöje Vorftelungen von den elbiicdyen Naturdämonen meiterführend, den Wald mit guten und böfen Wejen belebt, und fi) jogar ihre Sonder= dämonen für's Beerenbrechen, ein Heidelbeermännden oder=mweidchen, in echt primitiver!) und findlider Weije?) gefehaffen hat. — Unter dem Einfluß des Chriftentum3 treten vielfach die Mutter Gnottes°} oder Chriftus das Erbe der heidnifchen Götter an. Sm Spejlart erzählt man jogar, die Heidelbeeren feien au& den Nojenfranzperlen eines Mtarienbildes in einer abgelegenen Kapelle auf das Gebet eines armen Mütterleins hin während einer großen Hungerönot entitanden *%. Oft erjcheint im Märchen die Maria beerenfuchendeit Kindern ?), aud) die Marpinger Muttergotteserfcheinungen 1876 hatten drei Eleine Mädchen beim Heidelbeerpflüden ®%). In den oben’) er= mwähnten mwendijhen Borftellungen, die jih an Mariä Heimfuhung fnüpfen, hat Maria nod) ganz die Züge einer Waldfrau?). Auf den Maldbeeren foll der Fluch liegen, daß ihr Genuß nicht fättigt, weil Beerenfammler, denen einft Chrijtus erfchierr, diefem auf die Trage, waS$ fie da madıten, geantwortet hätten: „Wir machen nicht3" ?). Auch der Tiere. des Waldes gedenken mohl die Finder mit
einem gemwijlen Grauen. In Exten, Kr. Rinteln, heißt’3, der Fuch3 lauere den Beerenfammlern an den Sreuzmwegen auf, und im Kanton Bern Elingen die Aengite der Beerenfucher früherer Zeiten noch nady im Rinderfpiel vom Wolf:
Mer wei i Wald g&, Beere sueche,
Es isch ke Wolf ım Wald,
We-n-i ne gseh, so flie-n-i bald.'®) Gebr gefährlich ind die Kreuzottern: um nicht von ihnen gebijjen zu werden, jpredden in Meura in Thüringen die Rinder, ehe fie im. den Wald gehen:
Atter, Atter, beiß mid) nich, Ech breng der o viel Beäre met!!!)
I) Ufener, Öötternamen Fdff.;M.P.NiljTon, Primitive Religion ©. 41f..
2) „Der Windmann bläft”; „Das bat das Beburtstaggmännchen gebracht”.
3) Beerenopfer für die hl. Maria |. an ©. 29.
*) Heimatbuch des Kr. Selnhaufen S. 274 Nr. 157. Ahnlich Leipziger Meueite Nachrichten 17. VIL 1904 Str, 197.
5, 2.8. Mannhardt, Sermaniiche Mythen ©. 432; |. a. unten Anm. 9, ) Las B. Sonntagsgruß (Sießen) VI 1917, 123,
6) Treichel, Altpreuß. Monatsjchrift XXX 185,429: Für den Wenden in der Mark gibt es jogar etwas wie eine bejondere mötbifche Schußpatronin des Beererjammelns in der Daide, Die Maria na pencu, eine [pufhaft auf einem Baumftumpf fauernde Waldfrauengeftalt.
°») Sy in Lagau um 1860: %. Blau,-Böhmermälder Hausinduitrie u. Bolfsfunft II, 244; in der Regel nur auf die Erdbeeren bezogen: Birlinger, Voltsthüml. aus Schwaben I 383 Str. 608, u 3. PB. Hebels Gedicht „Der: Knabe im Erdbeerfihlag” erfcheint ftatt Chriftus ein Engel, in der Sag e bei E. Meier, Deutiche Sagen, Sitten u. Gebräuche aus Schwaben I 250 gie. 273 die Mutter Gottes,
10) Sertr. Züricher, Kinderlied u. Kinderfpiel im Kanton Bern ©. 140 Nr. 1007, vgl. Nr. 1006; Sin ger, Schweizer Märchen ©. 32,
) a. Witichel, Kleine Beiträge 3. Beute, Mythol. II 296 Nr. 174.
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Harmlos ift das zierlihde Eihhörnden, das die Heidelbeeren fehr gern frißt: „Gar pojflierlich fißt e8 auf den Hinterfüßen im Heibdel- beeriträudhlein, hält dasfelbe mit den Kleinen VBorderpfötchen feit und nafht nun allerliebit die füße Frucht"). Aber aud) dies Tierchen gilt mancherort3 für unbeimlidy, jo in Schwaben, wo man glaubt, die Eichhörnchen feien verwünfhte Menfchen ?).. Zum Tier des Donar und zum Blittier haben eS wohl erft die Mythologen ge- madt?). Im Rheinland find bei den Waldbeerenfanmlern Liedchen weit verbreitet, in denen fie dem Eichhörnchen zurufen :
Eekhon! minne Korf es schleekvoll;
wenn minne Korf nit schleekvoll wöör,
dann söng eck ock nit Eekhon.
En dem Bärmer Siepen
send die Wolbern riepe.
Eekhon, loot se ston!
Mo’n (morgen) dann wefi (wollen wir) weder gon
on holen en ganzen Korf voll. (Elberfeld u. Umgegend)*):
Die im Altertum und im Mittelalter, fo achtet au) nod) heute vielfad) das Volf auf die erite Begegnung nad) Berlaffen der Wohnung, den „Ungang"’). Aus der Gegend von Alsfeld wird mir berichtet, daß die Beerengänger fogar umkehren, wenn ihnen eine alte yrau begegnet. Gerade der Glaube, daß die Begegnung mit einem alten. Weib Unglüd bringe, ift ja auch heute nod) jehr weit (nit nur etwa in Deutjchland) verbreitet®).
Auch vor Kreuzmegen haben fie eine heilige Scheu. Die Kreugmege find ja für unfere Altvorderen heilige Orte gemefen ?), vergeblih fämpften die chriftlihen Mifjionare gegen diefe feftein- gemwurzelte Borftellung, gegen die Sitte, hier adorare et vota red-
I) Riedl, Tas Bayerland XXVII 1915—16, 59.
») E Meier a.a.D. I 217 Nr. 244,
)2.BY.W. Wolf, a e 3. deutichen Mythol. I 74.78, 5. Lieb- recht, air Volkskunde 260f.; U. 1. Kahn, Die deutichen Opfergebräuche 136 ; Xmme, Stiehr. d. Ber. f. eh u. weitf. Volfst. X 1913, 255.
k Siemenid, Germaniens Bölferftimmen; val. Yınme a. a.D.xX 1913, 254f.; Ztichr. d. Ver. f. rhein. u..meitf. Boltst. I 1904, 60; VIIL 1911, 179 Pr. 7-9: ud. Wrede, Rheiniiche Volksk. ? 213; F. M. Böhme, Deut- fches Kinderlied u. Kinderipiel 192 Nr. 946 ; Correipondenzbl. d. Ver. f. ndd. Spradf. V1 1879, 45; XXXVI 1917, 54.
83%. Stemplinger, Antiter UÜberglaube in modernen Aus- ftrablungen S.44ff.; %. Grimm, Deutjche Mythologie I1* 937 ff. IIL* 3237.; Andree, Eonegr- Parallelen 18ff.; Hovorla u. Kronfeld, Bergl. Bolt: medizin Il 80 ff; Schönbadh, Studien 3. Geich. d. ein Vredigt II 82f.; Sartori, Sitte u. Brauch II, 5Lf.; Rlanner, Mitt. d. fehle. Be). f. Volfst. XXI 1919, 85
©. 2. 8. Seligmann, Die Bea nen des Auges und das Be= rufen 1do, 306; Wuttfe- Meyer, Der deutiche a : 208 f. $ 288. 290; Heimatbilder aus Oberfranfen VI 1921, 40; Ztichr. d. Ber. f. rhein. u. weitf. Bolfst. XVII 1921, 5.
”) Bol. 3.8. Mac Culloch, Cross-roads in Encyclopaedia of religion and ethics Av 330 ff.; €. 9. Meyer, Mythologie der ®ermanen 313; Mogf in Pauls Grundriß Ir ® 259; %. Dre el, XIV. Bericht d. Röm. - German. Kommiifion (1923) ©. 34. Rheinirche eihungen Biviis Triviis Quadriviis bei
hm, Bonner Jahrbücher LXXXII 1887, 877%,
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dere '). Und auch heute noch) fpielen die Kreuzmege im Volfsglauben eine große Rolle: da ift’S nicht geheuer, da erjcheinen der wilde Säger und fein Heer, die Seelen und Gefpenjter ?), dort pflegt man auf niandherlei Weile die Zukunft zu erfahren und abergläubijche Handlungen auszuführen?). So wird man wohl die mir aus Exten, Kr. Rinteln, berichtete Warnung, die am Rreuzmeg ftehenden Beeren zu pflüden, zu verjtehen haben: Was dort wädjlt, gehört natürlich den göttliden Wefen, die da herrjchen. Wenn man heute als Be- gründung anführt, „der Fuchs halte jich in der Nähe des Kreuz: wegs auf und erhafche die Kinder“ *), jo wird daS wohl eine der häufigen NRationalifierungen älterer abergläubifcher Borjtellungen und Bräude fein. Eine Schülerin aus der Alsfelder Gegend gab an, daß die Beerengänger „an Kreuzpfädchen ji) niedermerfen“, urjprüngli natürlich, um ein Gebet zu fprechen?). Sfr Hergers- dorf müfjen nur die Kinder, die zum erjten Mal mitgehen, auf dem eriten Kreugpfad niederfnien. Ein Beerenopfer am eriten Kreuzweg werden wir weiter unten befpredhen. —
Für die Kinder, die zum erften Mal mit in die Beeren geben, ijt diejer erfte Auszug bejonders bedeutungsvol. Eine Art Ein- weihbung müljen jie über fi) ergehen lafjen; man fann Jich aus- denten, daß jie durch folche Erzählungen auf dem Weg, wie wir fie oben gefchildert haben, in eine dafür befonders empfängliche Stim- mung verjeßt worden find, und daß die älteren darauf halten, daß die Neulinge ganz genau das ausführen, was fie jelbft in früheren Sahren haben machen müljen. Wir fagten fhon, daß in Hergers- dorf (Kr. Alsfeld) das Kind, das zum eriten Mal zum Beerenlejen mitgenommen wird, auf dem erften Kreuzpfad niederfnien muß; es ilt das jet nur no ein inhaltlofer Ritus, urfprünglicd) wird man zu den bier lofalifierten göttlichen Mächten gebetet haben, um fied einen glüdliden Beginn für die neue Arbeit zu fichern. Bon da führt der Weg weiter an einer fehr alten Hainbuche vor- über, in die eine Anzahl Nägel eingefhlagen find. Wer nun zum erjten Mal mitgeht, muß in einen der Nägel beißen, fonjt hat
| 1) E&9.Meyer a.a. D. 20.830.151; PBirmin v. Reichenau bei Her, Deutjche Sage im Eljaß 190, 39,
2) Wuttle-Meyer, Der deutiche VBolkSabergl. ? S. 89 $ 108; 409 $ 634; 452 $ 714; Samter, Geburt, Boot und Tod 146. 24.
°) |. das Negilter bei Wuttle-Meyer ? ©. 514 unter „Kreuzweg“; Btfchr. d. Ver. f. Voltsf. XXVII 1917, 102. 104.
*) Dben ©. 18.
5) Ych denke, daß ich Kreuzpfädchen richtig als Kreuzweg nehme, Erft nachträglich ift mir der Gedanfe gekommen, daß das Pfädchen nach einem Kreuz, das daran fteht oder ftand, benannt ift, und daß die Verehrung ur- Iprünglich diefem galt. Leider fann ich das jet nicht mehr nachprüfen, da ich Name und Heimat des Kindes nicht fenne. Das Fefthalten an alten Rult- bräuchen geht ja jo meit, daß noch heute Progellionen an den Drt einer Br verschwundenen Kapelle gemacht werden (3.8. Hefliiche Ehronit IX 1920, 140), oder daß in einer proteftantischen Gemeinde die Männer nach dem Empfang des Abendmahls auf dem Weg vom Altar zu ID Pla an einer Stelle, ıo einft ein jegt vom Wandpub verdectes Marienbild fich befand, eine rejpeft- volle Berbeugung machten (Aın Urquell III 1892, 111; Die Dorfficche I 1908, 185). .
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er Unglüd auf dem Wege. Den urfprünglichen Sinn diefes eigen: .artigen Brauds wird man jchwer mit Sicherheit feitjtellen fünnen. Ein paar Parallelen menigftens® mödte ich anführen: linmweit der Wallfahrtsfirhe „Drei Aehren” am Wege nad) Niedermorfchmweier und Ammerjchweier im Elfaß ift an einer alten Eiche eine frallen- artige eiferne Hand angebradt, die drei Uehren hält. E8 mag das wohl ein alter Wegmeifer fein. Kindern madjt man weis, daß fie in die Rinde des Baumes beißen müßten; taten fie dies, jo warf man ein Geldftüd an die eiferne Hand, daß e8 Llirrte und herabfiel, das galt dann den Kindern gegenüber als Gefchenf der eijernen HSand!). — Wenn ein Kind das erfte Mal die Burgeifer Alpe in Tirol erfteigt, muß e8 einen Stein aufheben, ihn auf den Stein haufen, unter dem die wilden Fräulein wohnen, werfen und dazu Ipreden: „Sich opfere, ich opfere den milden Fräulein.” Wenn es dann meiter geht, Tomnit e3 zum „Zunderbam” (Donnerbaum), dem Stumpf eines Baum, den der Donner gejpalten hat; davon muß e3 zwei Splitter mit den Bahnen mwegbeißen, um vor dem Donner gejichert zu fein. Weitergehend fommt man zu den „Platten“, in deren eine ein Kreuz eingehauen ift; auf Diefe muß man treten, fonft bridt man beim SHinuntergehen den Fuß”). Aud in der Schweiz herrfht der Glaube, daß man von einem Bligbaum einen Span abbeißen mülje, der dann für vieles gut fei®). — Pie Gelehr- famteit des Kallimadjos bat uns in feinem Hymnos auf Delos*) eine Nadhriht von einem eigenartigen Brauch) aufbewahrt, der hier mit herangezogen werden fann. Un diejer Ipnfel porbeifahrende Seefahrer pflegten ans Land zu gehen, den Altar des Apollon zu umlaufen und fi) dabei zu fchlagen®) und dann in den heiligen Stamm des Delbaums®) zu beißen, ohne ihn dabei mit den Händen zu berühren. — Dur) das Beiben in einen heiligen Baum’) geht
==. DE as
) %Y. Stöber, Die Sagen des Eljaffes I?, 142,
2,3... Wolf, Beiträge 3. d. Myıhol. II 279.
ı) Nac) Plinius nat. hist. XXVII 45 muß man gegen Zahnjchmerzen, die Hände auf dem Rüden, ein Stüd von blitgetroffenem Holze abbeißen und an den Zahn bringen, |. Rieß, Aberglaube in Bauly-Wijjoma, Real- encyclop. d. claff. Altertumsmilf. I 43; Wuttle- Meyer, Volfsabergl. ©. 97; 351: Splitter von Bäumen, in die der Blig geichlagen hat, al$ Zahnitocher gegen Zahnjchmerzen, |. a.: Grohmann, Über.i. u. Gebräuche aus Böhmen und Mähren S.40; Ztichr. d. Ber. f. rhein. u. weftf. Boıfst. XIV 1917, 177; Krohn, F. F. Communications XXIX 1919, 46. Nach der Meinung der Tichechen erlangt der, der einen folchen Splitter bei fich trägt, eine große Stärfe: Grohbmann a.a.d.
*) Hymn. IV 321 ff.; vgl. Mannbhardt, Mytholog. Forichungen ©. 138 ff.
5) So auch Heiych. j. v. Ankımxos vonos; anders das schol. in Callim. hymn. IV, 321.
°) Bol. Callim. Attıa IV ("IapBoı), 279 5. (ed. Pfeiffer).
) Auch Bligbäume find heilig, der Bligichlag beiligt, j. 3.8. Wiener, KL. Schriften IV 497 ff; Rieß a.a.©.; Frazer, The golden bough VII ? 296 ff. Wenn bei Plinius 0. Am. 3 und Kallimachos das Anfaffen des Baums nit den Händen bei dem Beißen verboten wird, jo liegt da natürlich auch die Scheu vor der Berührung des Heiligen (Tabu) zu Grunde, Heiler, Tas Gebet ? S. 1083 fieht dagegen darin eine Adorationshaltung.
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etwas von feiner Kraft, dem ihm innermohnenden „Mana“, auf den Menfchen über). Heilig waren unferen Vorfahren aud) die Grenz-. bäume, in die beitimmte Zeichen eingefchnitten und Nägel einge- Tchlagen wurden („Mal"-, „Xodh“":, „Snaat"-Bäume)?). Bei der großen Bedeutung, die in den hier zu behandelnden Bräuden auch fonft die Grenze bat), Halte ic) e3 nicht für unmöglich, daß der uns nur aus Hergersdorf überlieferte Ritus des Beißens in einen Nagel eines Nagelbaums auf einen beim Worbeigehen an einem Grenzbaum geübten Braud) zurüdgehtt). E3 fünnte bei feiner Ent- jftehung aber aud) etwas Wehnliches mitgewirkt haben, wie daß man Kindern, die zum erjten Mal in die Stadt mitgenommen werden, jagt: „Heute mußt du in die Kette beißen“ °): So konnte man viel-
1) Weitere Belege für diejes Beißen in heilige Gegenstände beiE.S. Hart- land, The Legend of Perseus II 213, 1; Acchiv f. NReligionswiff. X 1907, 555. 2) %. Grimm, Deutiche Rechtsaltertümer II * 72-ff. Ueber die Heiligkeit der Grenziteine, -bäume um. vgl. 3.8. Samter, Die Entmwidlung des Ter- minusfults: Ach. f. Religionswifl. XVI 1913, 137 ff.; H. Cl. Trumbull, The Threshold Covenant ? 165 ff. Auch „genägelte Steine” fommen als Grenz=- fteine vor: Grimm a. a. D. 72; JZohner führt in einem Be über Hoheit3- und Markiteine (Unfre Heimat, Beilage 3. Zaberboten, Bracdenheim, I Nr. 11, Nov. 1921) eine Nachricht von 1732 an über einen großen Nagelftein, der nicht bloß als Marf-, fondern auch als un une und al3 Triebjtein zur Beitimmung der Weidegrenze diente. Manche der oft in der volfstundlichen Literatur erwähnten Nagelbäunte und -fteine mögen Grenzmarfen gemejen fein, in die die VBorüibergehenden als Opfergabe einen Nagel einjchlugen. Weber den „Stod in Eifen* in Wien u. a. Nagelbäume |. Zisfa, Defterreich. VBolfs- märchen, brag. von BlimmI ©. 30 ff.; AU. Burgenftein, Ter Stod im Eifen. PBrogr. Wien 1893, Weinhold, Die Verehrung der Quellen in Deutich- land (Abh. d. Berl. Afad. d. Will. 1898) ©. 61; Emil Goldmann, Beitr. 3. Geich. der german. Freilaffung duch Wehrhaftmacdhung (1904) ©. 25 f.; Uemi- lius, Mühlhäufer Gefchichtsblätter IV 1903, 25 u. 67; Neubaus, Nieder- lachfen XXI 1915/16, 145 ff.; Grabomäsfy, Globus LVII 1895, 15 f.; Undree, Ethnograph. Parallelen 150f.;5 Hartland, The Legend of Perseus II 181 ff.; Gius. Bellucci, I chiodi nell’ etnografia antica e contemporanea (1919) 84 ff. Auch Münzen werden in ähnlicher Weile von Borübergehenden eingeichlagen : Deutiche Gaue XXIII 1922, 15, vgl. Hartland a.a.D.182; Rantasalo, F.F. Communications XXXIl 1920 ©. 60. In Heflen gibt e3 übrigens auch folche Nagelbäume: Nad) den Aufzeichnungen von Pfr. Mofjer- Wohnbadh fteht bei Nopdorf an der Straße nach Darmftadt ein Baum, in den jeder vorüber- ziehende Handmwerksburjche einen Nagel einjchlägt. Und im Waldpdiftrift „Wögel- herd“ am Fußpfad nach Sandbach Steht eine jehr alte ftarke Kiefer. „Wenn fich die Gelegenheit gab” (jo erzählt Lehrer Hafjenfrag in Hainftadt), „daß wir Buben an diefem Baum vorbeifamen, jtedten wir uns vorher Nägel in die Tafche und jchlugen fie in den Stanım. Die Tanne fennt jedes im Torf unter dem Namen „Nägeltann“ *. — Ueber genagelte Steine |. 3.8. An Urd3- Brunnen II %g. 4 (1884), 140; Herm. Brößler, Altheilige Steine in der Provinz Sachien (Neujahrsblätter XX, Halle 18%) ©. 7 ff. Tie Provinz Sachlen in Wort und Bild I 1900, 235 ff.; Führer durch die Sammlung f. deutjche Bolfs- funde (Berlin) ? S. 64; Brunner, Ztichr. d. Ber..f. Boltst, XXV 1915, 348 ff. ®) \., u. ©. 45 und 50, * Man könnte auch bei dem Beißen in den eijernen Nagel an Die damonenscheuchende, zauberlöjende Kraft des Eifens denken. o in Bilfes in der Wetterau. m Schliger Land jagt man den Kindern, die zum erften Mal mit auf den Kirfchenmarft in Schliß gehen, fie müßten in einen Ring beißen. „E&3 war einem dann angft.“ (Lehrer Stepbyan, Sandlofs). DOberlehrer Kopp, Reinheim: Wenn das Kind zum erften Mal
Meicht in Hergersdorf den Kleinen, die mit in die Beeren wollten, Mngit mahen: „Dann mußt Du in den eijernen Nagel in der alten Hainbucde beißen!" und die größeren Kinder hätten dann die Drohung ur = Art Einweihung des Neulings wirklih zur Ausführung gebradt.
Ebenfalls aus der Alsfelder Gegend wird mir berichtet, daß Die Rinder beim erften Gang in die Beeren von zwei alten Bäumen Blätter abreißen und zerbeißen. Auch bier Handelt es fid) offenbar um heilige Bäume, von deren Kraft durd) den Genuß ihres Raubes — ähnlich wie durch daS Beißen in die Rinde eines jolchen Baumes — etwas in den Menfchen übergeht.
Sn Burghaufen, Kr. Hünfeld, werden dem, der zum eriten Mal zur Beerenernte mitging, mit zerdrüdten Heidelbeeren Drei Kreuze auf die Stirn gemalt. Syn diefer Form ift daS natürlid) ein erit in chriftlicdyer Zeit entftandener Brauch. Uber die Borftellung liegt doc) zu Grund, daß der Neuling viel eher böfen Mächten au3- gejeßt ift als andere, die gleihjfam jchon eingeweiht find. Drei Kreuze Ihüten aber vor böfen Geiltern und allem Bauber').
rn Bayern, Böhmen und Mähren muß, wer zum erften Wal Beeren fucht, die erjten drei Beeren, die er pflüdt, auf einem Baumftod opfern’). Das gehört fchon zu den Beerenopfern, auf Die ich gleich nod) näher eingehe.
Sn Gersdorf bei Frielingen, Kr. Hersfeld, jollen Kinder, Die zum eriten Mal mit in den Wald gehen, nicht in ihre Töpfe pflüden, fondern fie müfjen die ganze Zeit efjen, damit fie gemwijjermaßen
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mit nah) Darmftadt darf, jagt man ihm, e3 müffe die Kette entzmwei beißen. Lehrer Ellrich, Wadernheim: „Wenn er mit wollt in die Stadt (Mainz), mißt er die Kett dDurchbeiße." Pfr. Kühl, Weblar: In Heflen-Homburg jagte man Kindern, die gern mit nach Frankfurt gehen wollten, fie müßten eine Kette zerbeißen. Studienrat Dr..Ebermann, Berlin: „Ich war etwa zehn Sahre alt, da nahn mich mein Vater mit nach Leipzig zur Mefje. Ein Be= fannter drohte mir damals: „da mußt du ja och in die Fette beißen." Weitere Belege bei Woffidlo, Mecenb. VBolksüberlieferungen III 406 zu Nr. 1997; Birlinger, Volfsthümliches aus Schwaben I 249 Nr. 390; Sg. Thierer, Drtsgeih. von Guflenftadt I 257; Stöber, Anz. f. Runde d. d. Vorzeit II 1855, 320; Peter Dörfler, Als Mutter noch lebte 2/7 S.108f.: „Wer Sonn- tags zum erften Mal ins Hochamt foınntt, der muß beim Gloria eine eilerne Kette abbeißen; gelingt’ nicht, dann wird er angeichmiedet.” (Bayr. Schwaben.) Bei den Kirchen könnte man daran denken, die Drohung fei von den fetten- aumjpannten Kicchen berzuleiten, aber dieje finden fich faft nur auf bayr.=öfterr. Gebiet, 1. %. Sepp, Religionsgefchicehte von Oberbayern ©. 21 ff; R. Att= Dree, Bolive und Weihegaben ©. 70 ff., dazu noch Birlinger, Voltsthüml. 1 157 Nr. 245. Eher werden die Sperr-, Wlaut- und Zollfetten der Städte zu Der Redensart geführt haben (vgl. 3. Grimm, Deutjches Wörterbuch V 632f.),
) Bol. 3.8. Wuttfe-Meyer, D. d. Bolfsabergl.? ©.65 8 75 u. d.; Sartori, Sitte u. Brauch I 86; IT 49; Ad. Franz, Die firchlichen Bene- ötttionen im Mittelalter II 50f.; Dölger, Jchtdys I 246 f. Religionsgefchichtl. Parallelen 3.8. in den Mithrasmyfterien Tertull. de praescript. 40; Yli3- priefter mit Kreuznarben auf der Stirne: PB. Wolters, Yluitr. Katalog d. Siyptothed zu München Nr. 43a; Boufjet, Kyrios Chriftos ? 327 ff.; : Q. Samter, Geburt, Hochzeit u. Tod ©. 186 f.
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beerenfatt find und fpäter defto beifer pflüden können. Sch möchte Ion glauben, daß diejes Rezept ganz nüßlid) ift; ein tieferer Sinn braucht nicht dahinter zu fteden.
Bei TreiS an der Yumda fteht in Wald nad) der Fortbacdh: zu eine Fichte mit herunterhängenden Weiten, die „Xisbeth” genannt. Bor diefem Baum ziehen die Kinder, wenn fie in die Beeren gehen, den Hut ab und grüßen ihn: „Goure Dag, Lisbeth!* Wenn fie auf dem Heimmeg an der einige hundert Meter davon entfernt itehenden „jungen Xisbeth”, einer etwas jüngeren Fichte, vorüber: fommen, zupfen fie an ihren Wejten und jagen dabei: „Adgee,, Lisbeth!“ '!) Für die Rinder ift diefer, wie manch anderer der hier zu bejprechenden Bräuche, heute nur nod) ein Scherz, aber eS lebt darin die Naturanfchauung des primitiven Menfchen weiter, der jich no nit jeinem Wefen nah zu unterfcheiden vermag von Tier und Pflanze ?), jondern die ihn umgebenden Dinge „al3 im Belik derjelben Geijtesfräfte wie er felbjt” auffallen fann: Alles Leben, MWacjlen, jede Kraftäußerung find ihm geichen der „Befeelung“ der Natur, wobei dieje „Bejeelung” zunädft in dem meiteren Ginne de3 Animatismus eine Trennung des Geiltes von dem Stoff noch gar nit vorauszujegen braudt ?). Gerade für unfere Vorfahren it uns dur) die chrijtlihen Verordnungen gegen den Aberglauben bezeugt, daß jie Baume, Feljen, Quellen verehrten und ihnen Opfer- gaben darbradten !).,. Die aus diefen Anjchauungen entitandenen Borjtelungen von mädtigen, verehrungSmürdigen, freundlichen oder. aud) feindlichen Baumpgeijtern und Walddämonen und ihr Fortleben in Bolfsglauben und alten Brauchen hat VW. Mannhardt in feinem Haflifhen Buch über den Baumfultus der Germanen behandelt, auf es jei für diejfe ganze religiöfe Gedanfenmwelt ein für alle Mal bier verwiefen. — | |
Aehnlic) wie man in Treis die Lisbeth grüßt und der jungen Lisheth zum Abjchied die Hand reicht, Jo verehrten aud) die Kinder des TFledens Stolzenau in Niederfahjfen, wenn fie zum Sammeln der Bidbeeren nach dem zwei Stunden entfernten Dehmerholze gingen, zwei mächtige, zum Teil fhon abgejtorbene alte Eichen, an denen der Weg nad) dem Betreten des Waldes vorbeiführte, „Großpater” und „Großmutter genannt. Bon feinem Rinde wurde es unter-
’) Bgl. das alte niederölterreichiiche „Sprichwort”: „Bor einem Holunder- baum foll man den Hut rüden, wenn man vorübergeht” (K.Popp, Am Ur= quell VI 73); und. ähnlich jagt man in Weitfalen: Vorm Hollerkenstruk maut man’n Haut afniämen. (&. Elemen, Die Weftmarf I 1921, 620). Gerade der Holunder- oder Fliederbaum fpielt ja noch heute im VBolksglauben eine große Role. An Alsfeld jagt man, vor jedem Kamillenblünchen müffe man ein Knidschen machen. ©. aud) unten ©. 25 Anm. 2.
»), Schaarjchmidt, Die Religion ©. 97.
)SM. PB Nilijon, Primitive Religion ©. 13f.
ı Bgl.3.B. €. 9. Meyer, Mythologie der Germanen ©. 20.26. Gebete und Opfer an Bäume im modernen Bollsglauben |. 3. 3. bei Stöber, Die Eagen des Eljaffes II? 103. 127; Schell, Ztichr. d. Ber. f. rhein, u. meitf. Volfst. I 1904, 58,
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lafien, an jedem der beiden Bäume einen Gegenftand niederzulegen, mochte es nun ein Zweig oder ein Stein fein: Sonft gab es ein Gemitter an dem Tag und allerlei Unglüd. Den beiden Baum- tiefen wurde fo allgemein geopfert, daß der Boden unter denfelben von allerhand Gegenftänden bejät war).
Daß folde heilige Bäume Namen erhalten, fommt aud) font vor ?): Eine alte bohle Buche im Gemeindewald des füd- barzifhen Dorfs Nieder-Gebra heißt das „Stiegelmartchen“, und bis in die Jiebziger “fahren legte jedes voriibergehende Kind einen Fleinen, fladen, runden Stein in die Höhlung mit den Worten: „Hier, Martchen, will ic) dir auch) einen Stießel Schenken" °). — Bu Neuitadt im Kr. Kirhhain legen die Kinder vor dem Beerenpflüden
1) Hiller, Niederjachten VI 1900/01, 377.
2) Dberhalb Sundmwig bei Sierlohn ftand ein alter Eichbaum, Dortke mör genannt, an dem ging niemand vorüber, ohne ein Stöckhen, ein Reis, Dabei niederzulegen und Dabei zu.rufen: Dä friet Duetke mäur! Ad. Kuhn, Stugen, Gebr. u. Märchen aus Wefffalen I 143 Nr. 149a; Wöfte, Volksüberl. tn d. Srafih. Marf ©. 46 Nr. 19. Ein Buchenbaun im PDarmitädter Wald
eißt der „alte Hans“: Heff. Chronik III 1914, 91. Zwei uralte Eichen in der
imeburger Heide werden im Bollsınunde „Adaın“ und „Eva“ genannt: Heimat nnd Welt 1913 ©. 31. Ein uralter Bauın von gemaltigem limfang im Reinhardsmwald heißt der „alte Förfter”: Marie Martin, Deutiches Heimat- glüd (1917) ©. 221. Weber den „ichwarzen Beter”, eine Eiche in Bendahl bei Elberfeld, |. u. ©. 36. Zmei Kiefern auf dem Wege von Wulflatfe nach Stein- furth in Bommern heißen der „Ulle” und die „Uljch”: Bericht d. Geiellich. f. Völfer- u. Erdfunde zu Stettin 1908-10 ©. 84 f. Eine große hohle Buche in einem der Wälder Silfeborgs war „Maren die Wirtin’ benannt: Yeilberg, An Urqueli V 88. Bal. auch B. Kahle, Zeitichr. d. Ber. f. Boltsf. XVI 1906, 315. Dem Holunderbaum wird von den an Auszehrung Leidenden ges opfert und dabei geiprochen: „Bun Pag, gräun Veiariel 20”: Bartich, Sagen, Märchen u. Gebr. aus Meclenburg II 366 Nr. 1719, Bland, Acc. d. Ver. d. Freunde d. Naturgeich. in Meclenb. L 1896, 203. Auch die Anrede „rau, die im Mittelalter für Bäume recht häufig ift und noch heute in Segensformeln und. alten Bolfsliedern weiterlebt, gehört hierher. (Grimm, D. Mythol. II 542 ff.) E38 verbindet fich auch oft damit die Begrüßung mit „Buten Tag”, „Guten Morgen”, „Grüß Gott”, 3.8.
„Run grüß dich gott, frau Hajelin! von was bijt du fo grüne?” (2.Uhland, Alte hoch- u. niederdeutiche Volkslieder I! 57 Nr. 25.)
oder: „Guten Tag, Frau Fichten, Hier bring ich dier meine taujenderlei Gichten.
(Bartih a.a.D. II 407 Wir. 1886b.)
Ebenjo wird der XUttich in Zauberformeln mit „Herr” angeredet, 3. B.: Gäden däcch, här uoteh! wä gid ed ich nöcch? (FW. Schufter, Siebenb.-fähl. Volfslieder (1866) ©. 288.)
°) Fr. König, Am Urquell VI 1896, 73; Derf., Chronik des Dorfes Niedergebra (1902) ©. 2885., 375 |.; Niederjachjen VII 1901/02, 52, XIII 1908, 364. Die Sage berichtet, ein Bäder namens Martin fei bier beim Holzfahren zu Tode gelommen. Krönig hält diefe Sage jedoch für unhiftoruh. „Stizel” & a retaer fleiner Kuchen, |. 3.8. Hecht, Wörterb. d. Manzfeld. Mundart
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einen Blumenstrauß nebjt einem Stein in eine hohle Eiche nieder mit den Worten:
„oier opfer ich dir ein Schippchen, Dpfer mir in mein Dippchen!“!)
(Beadhtensmwert ift Die Do ut des-Form des Sprucdhes, in dem der Baumdämon unummunden al3 der angeredet wird, der feinem DVer- ehrer eine reiche Beerenernte gewähren fann.) Am Slellerberg, einer Vorhöhe des Altkönigs, opferten die Finder, die Beeren pflüden wollten, an einem großen Felfen am Wege drei Steine, die fie gegen diefen Felfen warfen ?),., — Mit dem Steinopfer Hat fi Telix Ziebrecht eingehend in einer befannten Abhandlung befchäftigt und feine weite Verbreitung, aub in den fernjten Ländern und im Altertum, nachgemiejen °%). Sn fehr vielen Fällen handelt es fi dabei um ein Werfen oder. Wiederlegen von Steinen oder au) Bmeigen auf Gräber und Unglüdsftätten *), aber „an bediente und bedient ji) nod) jet" aud) häufig „der Steine alö Opfergabe" für die elbilchen Geijter?). Wir werden einige Belege dafür auch nod) im Folgenden fennen lernen.
Zu dem „Schippden”" gehört in Neuftadt außer dem Stein noch ein Blumenfstrauß. Tan Wolferode, Kr. Kirchhain, wird nur ein Strauß Kudnd3- und Gänfeblumen in den hohlen Baum gelegt ®). Sm unfernen Sosbad ’) wird der Strauß mit einem roten Bande (rot ijt ja eine beliebte Farbe im religiöfen Braud ?)) an den Stamm
N I Die aus d. Sagenzeit ftammenden Gebräuche... S. 17. „Schippchen” tft wohl von „Schupf“ abzuleiten, aljo was man hineinfchupft oder -Ichiebt. (Nach Jecht, Wörterb. d. Mansfelder Mundart ift in Halle Schiebihen = = Bolunderbeere; das ift offenbar. ein ganz anderes Wort.) . Senninger, Naffau in |. Sagen, Beidhichten, u. en I 66 ff. („Das Steinopfer‘‘); der Landbote (Wiesbaden) 1913 Nr. 43
®) Zur Boltstunde ©. 267 ff. Vgl NR. ann ihn Parallelen 146f.;, W. Her, Deutiche 2 im ei laß 211f.; 8. Kable, Btichr. d. Ber. f. Boltst. XH, 897f.; XVI 1906, 318f.; Frazer, The golden bough VIsaff.: auch Marie Andree- Eysn, "Volksfundliches (1910) 13 ff.; Doutte, Magie et religion dans !’Afrique du Nord (1909) ©. 420, Ueber die *Epp.aior Aogoı we el, Abh. d. fäch). Gel. d. Will., phil.-bift. KL. XXVII 1909, 235 ff.;
B. Schmidt, Neue Jahrbücher f. d. Haff. Altert. XXVI 1911, 662 f.; Eitrem, Opferritus und Voropier 280 ff.; Steinopfer in Japan: M. Buchner, Bei- lage 3. Allg. Zeitung 1908 I, 504 der MWochenaugg. ; bei den Herero®: dt Beiler, Das Gebet ? ©. 46; in Südafrika: M. Wilde, Schwarz und Weiß. ‚in Sid» afrifa ©. 105.
*) Fr. Kauffmann, Balder ©. 357ff.; B. Schmidt, Neue Jahr- bücher XX VII 1911, 662 ff.; Mecdlenburg XVII 1922, 47; „Toter Mann“, „Zote Hrau‘: Brandenburgia xVI 1907, 318f.; Wiener Ztiehr. F. Voltst, xXVII 1923, 23f. Bgl. auch) die Sage vom Stiegelmartchen oben 8.25 Anm. 3.
5, Liebrecht, Zur Volksk. 276; Bohfnenberger], Bolfsfunde-Blätter aus Württemberg 1910 ©. 3 ff.: Steinchen als Opfer für Jtaturgeifter. Dpfer- dorn oder Opperhede bei Medebach: Hüjer, Beiträge 3. Volfsf. II 1898, 11 f. Opfer an die wilden Fräulein 0. S.21. Frazer a.a.D. nimmt an, der reli«
idje Ritus fei durch allmäbhliche Umgeftaltung "aus einer alten magijchen Seremgnie, entftanden.
°*), Mülhauje, Die aus der Sagenzeit ftammenden Gebräuche ©. 17.
n Mülbhaufe ebda.
8) Vgl. 3.B. Samter, Geburt, Hochzeit und Tod ©. 186 ff.
einer alten Eiche oder Birke befeitigt, alfo ein richtiges „Ungebinde" im urjprüngliden Sinn des Wortes'). Daß bier gleichzeitig Die drei Ichönften Beeren unter den Worten „Gott wall3” in die Höhle des Baums gelegt und Ddiefer darauf umtanzt wird, darauf werden wir noch zu fprecdhen fommen. 3.8. v. Scheffel erzählt, daß im Elfaß die Kinder auf dem Ödilienberg fhüchtern einen Erikaftrauß oder eine Handvoll Heidelbeeren in Die Schalen des fogenannten „Männelfteins" Iegen°). Die Belränzung der „Brautklippe" im Unterharz dur die Beerengängerinnen haben wir jhon ©. 8 er- mwähnt. Soldye Blumenopfer find im deuten Naturfult nicht felten?). An der „Brautflippe" Iofalifiert die heutige Sage Niejen. Opfer an Riefen find faum zu belegen %). ch möchte daher glauben, daß Die Niefen bier an die Stelle von „wilden Leuten“ getreten find, die zu den Waldelben gehören).
Sind die Finder endlih an den eriten Heidelbeerjträuchern angefommen, fo gibts wieder mancherlei Gebräuche. Aus der AlS- felder Gegend wird berichtet: „Die erften Stöde beten fie Inieend an"®). Offenbar handelt es fi) hier urjprüngli um ein Gebet vor dem Beginn der Arbeit, wie ja in manden Gegenden Der Bauer vor den Beginn der Getreidemahb auf den Knien ein Vater- unfer betet ?) und aud) jonjt Erwadjfene auf dem Lande nod) jekt vielfah an der jchönen Sitte feithalten, jede wichtige Tagesarbeit mit einem „®&ott walt’8" oder „Helf’s Gott” anzufangen). So erfahre ich denn aud) aus Lauterbad), daß die Kinder beim Erbliden Der eriten Beeren „Gott walt’3!" jagen; aus Schwarz, Fr. Alsfeld, Daß die Kinder bei der eriten Beere, (nach andern bei den eriten Drei Heidelbeeren), die fie in den Topf tun, Sprechen: „Gott walt’Ss!", während die älteren Reute fagen: „Bott walt’S, Yefus walt’s, Beerdhe biffelhäufele". Aehnlic) wird in Bromstirchen im hefjiichen Hinter- land, wenn die Kinder zum erjten Mal im „Jahr in Die Beeren gehen, beim Pflüden der erjten drei Beeren gejagt: „Gott wal’ es!", und dann werden diefe drei Beeren verzehrt. Ym fählischen Erz- gebirge wird beim Pflüden der erjten Beere andädhtig Der alte Sprudh
ejagt: | gelag „Das walte Gott, die erite Beer, YUch, wenn’3 doch gleich die legte wär!" oder
) Bol. %. Grimm, „Kleinere Schriften IT 191 ff.; W. Kolbe, Hefl. Volls-Sitten und Gebräuche ? 157
2) Sfigzen aus dem Eljfaß. Gefanmelte Werke. Hrsg. v. Prölß. III 244,
%. Grimm, Deutfhe Mythol. I* 47f,, II‘ 305, W. Kolbe, Hell.
) Bolfs-Sitten u. Gebräuche ? 49.
E. 9. nn. er, Mytbhol. der nenn ©. 247.
Tale 6 . 9. Meyer a.a.d. 1
e) Der Rabenberg, vier Dörfer bei Alsfeld, it ehemaliges mainzijches Gebiet und daher fatholiich. So wird das Anieen beim Gebet in diejer Gegend er: Se fein.
n, Die ss ae no Bl n ‚Mülhauf ea.a. E89. Meyer, met Bolfst,
©. 81; < ©. Sins, Die alte gute Sie ir alleoreußen S. 10 77.
9) en Sachjlen-Boft IV 1910 Nr. 197 (13. Juli) ©. 3.
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„Das walte Gott! die erfte Beere, Wenn nur mei Topp glei voller wäre!)
Sn Sosbad) werden außer dem Blumenangebinde, daS an den Stamm einer alten Eiche oder Birke befejtigt wird, wie fchon er- mwähnt, aud) die drei Shönften Beeren unter den Worten „Gott wall’s" in die Höhle des Baumes gelegt. Zu Schmwabendorf in der Schwalm legt man drei oder neun Beeren in die Höhlung eines Birnbaums?). An Firtorf, Kr. Alsfeld, erinnern fih nod alte Leute, daß man früher die erjten Beeren an einem Baumftamm „opferte”, um Glüd zu haben, und damit einem auf dem Heim: weg fein Töpfchen umfiele. Sn Stodhaufen, Kr. Yauterbad, bücdt man fi am Fundort zunädft, um drei Beeren zu bredden und diefe dann Stillfehmweigend am eriten Baum des Waldes nieder- zulegen. Das ift der fogenannte „Zoll”, der entrichtet wird, Damit man reihlid Früchte findet, nigt über die Wurzeln jtolpert oder fällt, die Beeren verfchüttet oder zerqueticht und die Gefäße nicht zerbricht. Auch in Wollimar, Kr. Marburg, ift das fog. „Opfern“ bein Heidelbeerpflüden eine meitverbreitete Sitte: E3 beiteht darin, daß beim. erftmaligen Heidelbeerenfudhen eine Handvoll Beeren in einen hohlen Baumftumpf gemorfen wird. Das Opfer fol für das fommende {fahr eine reiche Ernte fihern. Der Braud) wird fomohl von Kindern alS von Erwadjfjenen geübt, und man verfäumt es in feinem Sahr, die Opferftellen zu bejuchen. Sym Waldbezirk „Heege“ bei TreiS a. d. 2. (Fir. Gießen) fteht ein Baum mit einem Xod), in das die Kinder Beeren werfen, damit fie nicht den fteilen Wbhang binunterfallen, an dem diefer Baum fteht. Auch in Bayern legen die Kinder von Bärnau (B.-U. Tirfchenreut), die zum erften Mal zum Beerenfammeln in den Wald gehen, drei bis fechS oder neun Stüd Beeren auf einen Baumftod; „dann fünnen einem nämlid) die Beeren nicht3 fchaden”?). Ar Franken legen die Kinder beim Eintritt in den Wald Brot, Obit und Beeren in drei Häufchen auf einen Stein, um die Angriffe des Heidelbeermanns abzuwehren ®). Aus dem Bezirksamt Cham bericytet Brunner: Beim Beerenfuden darf man ja nicht gewinnjüchltig fein; es ijt bejier, man legt die eriten drei Stüd auf einen Stod oder Stein für die armen Seelen, dann findet man mehr’). Aud) in Böhmen legen die Kinder die erjte Handvoll Erdbeeren, die fie pflüden, für die armen Geelen auf einen Baumjtrunf; anderwärt heißt es: Wer zum erjten Male in die Beeren geht, muß die erjten drei Beeren, die er
) E Sohn, UÜbergl,, Sitte u. Brauch im jächl. Erzgebirge ©. 245. In. Guffenftadt jagte man bei der Getreideernte, ehe man die erjte Handvoll Ichnitt:
Walt Gott der Herr, Daß bald gar werr. Thierer, Ortsgejch. v. Guffenftadt 1238,
») Mülhauje a.a.d. ©. 17.
®) Marzell, Altbayr. Volfsbotanif: Blätter 3. bayr. Volkst. Reihe S.9. ıE9H. Meyer, Badilches VolfSleben ©. 120,
5) Deutfche Saue XI 1910, 108; vgl. unten ©. 32. 41.
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pflüdt, auf einem abgehauenen Baume der heiligen Matia opfern).
Dies Beerenopfer hat feine genauen Parallelen in anderen deutfchen Erntebräuden ?). In Böhmen legen die Bilzjammlerinnen die drei eriten Pilze in einen hohlen Baum und beten drei Vater: unfer (dann fehen fie alle Bilge im Wald)’. Im Santon Züri wirft der Schnitter die drei eriten ehren ins Kornfeld, um die „Shorn-Mtueter" zu befriedigen‘). An Niederaltaid) an der Donau wirft man, bevor die erjte Fuhre mit Frucht vom Felde abgeht, drei ehren in fließendes Wafjer; mangelt diejes, jo wirft man die drei Uehren, vor dem Abladen der erften Garbenfuhre in dem Stadel, in Das Ofenfeuer, welches nötigenfall3 für diefen Zmwed eigens an- ‚gezündet” wird). Syn Oberbayern faßte die Gutsherrin vor dem Beginn der Ernte drei jtehende Halme, band ie unter den Nehren zufammen, betete und jagte: „Das gehört den drei Kungfrauen" (den Heilrätinnen von SYaling). Diejes tat fie auf allen Xedern, wo Roggen, Weizen und Tzejen gejchnitten werden jollte, und mo fie nicht jelbjt Hingehen Fonnte, band fie drei Kornähren mit weißer Seide zufammen und fhidte ein Kind unter jieben Jahren auf da3 veld, das die drei Kornähren bHinlegte®).. Am Sund-Gau Judht man vor Beginn des Fruchtfchneidens an einem Ende des Aders nahe an der Furde neun jchöne Nehren aus, von denen je Drei mit einem Yaden zujfamimengebunden werden. Die drei Bündel werden jodann wieder mit einem blauen Band zu einem einzigen Bufche vereinigt. Dann beginnt das Schneiden an. dem entgegen: gejegten Ende des Aders. Diefe neun Nehren bleiben bi3 zur Be- endigung des Schnittes Stehen. Dann vereinigen fic) bei ihnen alle Schnitter, Inien nieder und beten neun DVaterunfer und neun ve Maria. Dann faßt der jüngfte Schnitter (oder Schnitterin), ge= mwöhnlid) ein 1O—12jähriges Kind, das zum erjten Mal mitarbeiten darf, die neun Uehren mit der linken Hand und fehlägt fie mit einem fräftigen GSichelhieb auf einmal ab. Am darauffolgenden Sonntag wird das „Slükshampfel" in die Kirche gebradt, um von dem Herrn Pfarrer befegnet zu werden. && wird jodann zu Haufe über dem Kruzifir oder Weihmalferbeden befeitigt und foll dem Beliger viel Glüf bringen‘). Sm Odenwald mirft man die erit-
VB. Grohbmann, Aberglauben und Gebräuche aus Böhmen und Mähren ©. 937.
») Bol. Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen ©. 209, 1.
)Grohbmann aadD. © 6; Wuttfe-Meyer, Bollsabergl. ® ©.298 $ 436. |
+) Hoffmann-FKrayer, Schweiz. Ach. f. Voltsf. XI 1907, 262; Der., Gefte u. Bräuche des Schmeizervolfes ©. 70,
6) Fr. Banzer, Bayerische Sagen u. Gebräuche II 2135; Grimm, D. Mythol. III* 166.
9) Banzer a.a.dD.160.
’) Sahrbuch |. Sejch., Spr. u. Litt. Elfaß-Lothringens IX 1893, 55 f.; vgl. X 1894, 230. ES liegl hier eine Vermijchung diefer Bräuche mit denen bei den legten Halmen, der lekten Garbe vor. Auch in Heflen werden die
eriten Halme vielfach von einem Rinde gejchnitten: Sartori, Sitte u. Braud) 178 nah ZW. Wolf, Beitr, 3. d. Mythol, I 222 Nr. 247,
0: ae
gebundene Garbe nadht3 um 12 Uhr durch die hintere Scheunentür, ohne weiter danad) zu jehen, „den Engeln im Himmel zur Behrung” ?). Es Handelt fich hier überall offenbar um ErjtlingSopfer; foldhe darzubringen, liegt ja für daS religiüfe Gefühl des primitiven Menfchen fo nahe, daß mir fie fat auf der ganzen Erde verbreitet finden ?). &S fei beifpielSmeife nur an die primitiae der Römer erinnert, die auch den erjten Nehrenjchnitt, die erfte Bohne, die erite Traube, den erjten Moft den Göttern opferten?). Cigentlich gehört der Gottheit alles das, was der Menjh nun ernten will. Das wird dur das ErftlingSopfer anerfannt, das natürlich zu= gleich die Huld der Gottheit und damit aud) den glüdlichen Verlauf der Ernte fihern fol‘). U. Jahn trifft jedenfalls nicht den Kern, wenn er darin nur ein Bittopfer für eine glüdliche Ernte fieht?).
Beim Heidelbeerfammeln gilt daS Opfer den Wald- und Baumdämonen: in die Höhlungen einzelner alter heiliger Bäume oder vor ihnen oder aud auf Baumjtümpfen oder auf Steinen wird das Erjtlingsopfer niedergelegt. Bei den engen Beziehungen, die zwijchen Seelen und elbifchen Wefen in der germanifchen Re ligion beitehen®), wird es uns nicht wundern, wenn Die Erftlinge in Böhmen und Bayern für die armen Geelen niedergelegt werden. Schließlicd) wird das Opfer verchriftliht und gilt der AJungfrau- Maria”) oder vermweltlicht: die Beeren oder Körner find dann für die Bögel oder Ameijen bejtimmt?).
sn $o8Sbad) umtanzen bei dem oben &. 26 befprodjenen Opfer die Kinder fingend eine HBeitlang den heiligen Baum. Der faft jtet8 von Gefang begleitete Tanz ift für den Naturmenfcden in den meilten Fällen fein reines DBergnügen, fondern Zultiiche Hanpd- lung?). In dem Tindliden Tanz um Die alte Eiche oder Birke nah dem Opfer wird man, wie in dem Umtanzen des Mai- und Sohannisbaum3'), vielleiht auch) noch ein Weberlebfel einer alten religiöjen Seremonie erkennen Dürfen.
3, 2x3 oder 3x3 Beeren, die erjten 3 Pilze werden in den hohlen Baum gelegt, die erjiten 3 WUehren geopfert, Brot, Baum
) Wolf ca.a. DO. 1222 Nr. 248. Die Engel n. häufig an die Stelle
der Shen getreten: Mogt in Bauls Grundriß II
gl. Sr. Heiler, Das Gebet? ©. 96f.; 9. . Slegeleh, German. Mothol E Dos: ‚ Encyclopädia of on and ethics VI 427.5 Hans Beer, Arapyr. Diff. Würzburg 1913 ©. 1
) Wijfoma, Religion und Bla der Römer ? 409 f,
*) 39 L. MacCulloch, Encyclop. of religion and ethics VI
°) Die deutjchen Opfergebräuche bei Aderbau.und Viehzucht e. os (dort auch) noc) weitere !Belege).
°, Mogft in Baul’3 nn, n gern. Philol,. III 285 ff.
7) 1.0. ©. 29 u. ©.4l, vgl. ©
) 1.Xahı a. a,d. ©. 181; ne S.41 und ©. 51.
” M.P. Nilfion, Brimitive Religion ©. 84; 9. Pfannenihmid, German. zul 489; Ptifteri in Bauly- RWiif oma, Realencyel. X1, 2160. Bol, noch Eitrem, Opferritus und Boropfer ©. 28f., ferner unten ©. 37.
10) Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen © ©. 244; ar Sitte und Brauch II 177 ff.; Kuchel, Die Umwandlung in Kult... ©. 9.
frühte und Beeren werden in 3 Teilen auf den Gtein gelegt für den Heidelbeerenmann, 3 Steine gegen den Feljen am Slellerberg geworfen. S$mmer wieder fehen wir bier die Dreizahl, und aud im folgenden werden wir noch oft darauf ftoßen. Drei ilt eine . heilige Zahl, die in der Religion eine fehr große Rolle fpielt, nicht nur bei den Germanen‘). Und was einjt der Glaube forderte, ift nad) Ujener?) auch dem Wberglauben und dem modernen VolfS- brauch Gejeß geblieben. Aud) hierin ift alfo ein Stüd heidnijchen Ritus beim Beerenpflüden erhalten.
Yuf nod) etwas fei hingemiefen: Stillfhmweigend, bieß eS, muß man den Boll am erjten Baum des Waldes niederlegen ?). Das heilige Schmweigen, das eöpnneiv, gehört wie im Haflifchen Altertum aud im deutfchen Kult vielfach) zum Opfer‘) und zum heidnifhen Ritus im Vollsbraud: ftillfchmeigend wird das Diter- mwafler gejchöpft und werden die Heilfräuter am Himmelfahrtstag gepflüdt, und bei vielen Zauberhandlungen ift Schweigen unbedingt erforderlich zum Gelingen).
Am mweiteiten verbreitet ift wohl die folgende Form des Opfers der erjten Beeren: Aus Breitenborn, Kr. Gelnhaufen, wird uns berichtet: Die Leute werfen ji), bevor fie zu pflüden anfangen, drei Beeren über den Kopf, „tie find der Meinung, daß jie dann recht viel Beeren finden und bald ihr Gefäß voll haben mwerden”.: Bei Alsfeld im Gründchen werfen die Kinder die erfte DBeere über die linfe Schulter oder die drei erjten Beeren über den Kopf; aud aus Maar liegen mir zwei Nachrichten vor: man pflege die erjte Handvoll Heidelbeeren über jich, oder die eriten Drei Beeren über den Kopf zu werfen. Der Brauch), die erften drei Heidelbeeren nad) Hinten über den Kopf zu werfen, ift mir ferner bezeugt aus Exten, Fr. Rinteln (die Kinder meinen, dann hätten fie Glüd), aus Lippe-Detmold (um viele Beeren zu finden), erjt die vierte dürfe man efjen?’)); in Burghaufen, Kr. Hünfeld, beißt es, die drei Beeren müßten über die. Schulter geworfen werden, ebenjo im Teutoburger Wald (mit dem mörtliden Zujag: „Mun darf jih ja nicht dabei umfehen, weil jemand dahinter fteht." Ein Bube, wegen des Braud)8 zu Rede gejtellt, anmortete: Jo, min
ı) Bol. 3.38. 9. Ujener, DPreiheit (1903); Artikel „Numbers* in Ba: clopaedia of religion and ethies IX 406 ff.; Wundt, Bölferpfgchologie VI? 337 ff.; Diels in Feltgabe Ad. Harnad dargebr. (1921) 64; Dölger, Sol salutis ©. 74f.; Weinhold, Die myitische Neunzahl bei den Peutjchen ; Wein ne Ss. f. Religionswiffenfch. XIX 1916—19, 163.
UAXU). 1
®d) |. a. unten ©. 32.
*ı) Bgl. 3.8. Stengel, Die griech. Kultusaltertiimer ? S. 99; U. Jahn a. a, D. im Regifter unter Schweigen.
9) Sartori, Sitte u. Brauch III 151 u. Regifter unter Schmeigegebot ; Wuttle-Meyer, D.d. Vollsabergl.? 5.78 891 u. Regifter unter Schweigen; Rantaialo, Der Aderbau im Bollsglauben III (F. F. Communicatıons XXXII 1920) 69ff.
Schwanold, Ztichr. d. Ver. f. rhein. u. mweitf. Volfsk, IX 1912, 152.
, Wehrhan ebda. I 1904, 231,
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Grotmutter wullt, ower ik werf man jümmer di dree leegsten weg!). In Yam (Köbting) werden die erjten drei abgepflücdten Beeren rüdmwärts über die Schulter geworfen „für die armen Seelen"). Zu Rofenthal (Kr. Frankenberg) werden neun Beeren in drei Teilen rüdlings zu Boden geworfen ?), ebenfo in Treyfa?). Sr Allmeneod und Landenhaufen bei Yauterbad) heißt es, man müjje die erjten zwei oder drei (!) Beeren mit der rechten Hand über die linfe Schulter hinter fi) werfen, ja nicht über die rechte, das würde Unglüd bringen. Meine Gemwährsleute aus Gersdorf bei Frielingen, Kr. Hersfeld, und Stodhaufen, Kr. Zauterbad), fügen hinzu, man müjje die drei Heidelbeeren über den Kopf werfen, ohne ein Wort dabei zu jagen; und ebenjo berichtet H. Ruppel aus dem Buchengau, die Bärkeng (Beerenfinder) würfen die erften drei Beeren ftillfHweigend rüdmärt3 über den Kopf auf die Erde, dann rummts besser‘). Wlfo aud) bier daS Favete linguis!’) Eine andere Nadjricht aus Stodhaufen dagegen bejagt, eS gejchehe mit dem Sprucd) „Gott walt’s!" Auch im Scliker Land wurden vor dem Pflüden die drei erjten Beeren über die linfe Schulter geworfen mit den Worten „Gott walt’3!" rn Ausbad) bei Hersfeld wirft jedes Nind die erjten drei Heidelbeeren über feinen Kopf hin und jpriht: „Gott walt’S en mi Töpchel") Ir Friedewald (Knüll) Iprechen die Kinder zu diefem Beerenopfer: „Sm Namen Gottes ufm." („jonft findet man nadıber die Qualjtern, Würmer ’), ftatt der Beeren im Topf"). Aus Röllshaufen, Kr. Hiegenhain, erfahre ich, daß Die Kinder die drei erften Beeren, die fie pflüden, über den Kopf werfen am eriten Weg, der in den Wald führt; und eine alte frau aus Ober-Gleen, Sr. Alsfeld, erzählte, daß fie, als fie nod) in die Beeren ging (no) vor 25 SYahren), immer am erjten Kreuzgmweg, wo Heidelbeeren ftanden, drei Beeren über die Schulter warf: „da friegte man mebr, da fielen einem feine, und da wurde man eher. fertig". Ein Sriegstamerad aus Schaafheim, Kr. Dieburg, jagte mir, an dem Bildjtod bei der Gotteseihe im Dorndieler Wald an der Grenze des Raibaher Waldes wurden beim erjten Gang in den Wald die erjten drei Heidelbeeräftchen mit den Beeren gepflüdt und über die rechte Schulter (fol) geworfen. Dazu babe man einen Spruch gejagt, an den er Sich aber nicht mehr erinnere. Sn Neu firhen, Fr. Hünfeld, beginnt man die Urbeit des Sammelns erft, nahdem man eine Beere ganz verjchlucft und drei andere über Die rechte Schulter geworfen Hat. Ein Feuilleton der Frankfurter FBei- tung?) über daS Beerenfuchen in Oberbeilen, im Taunus und
1) Deutiche Gaue XI 1911, 110f.; T. 0. '©. 28. 30. »), Mülhbauje a.a.d. ‚17. ®) ebda. ©. 18: E2 wird dafelbft auch noch ein Sinoten in eine Zn dicht unter die Nifpe geknüpft. 4) Heimat-Schollen (Melfungen) I 1921, 67. 5) oben ©. 31. .) Bailt, Mein Heimatland ee III 1913, 155. 2:1. Grecelius, Dberh. Wtb. II 668 und unten ©. 44. LI 1907 Nr. 217 vom 7, Aug, Abendbt.
u.
Meiterwald, in dem ce$ beißt: „Andere werfen beim Eintreten in den Wald drei Hände voll Erdbeeren mit der rechten Hand über die Lirıfe Schulter und rufen dabei den. Waldgeift und die Tee an, daß fie ihnen gute YFundpläße zeigen möge," mag al3 weiterer Beleg für das Beerenopfer hier jtehen, wenn aud) die Anrufung des Wald- geiltes und der Tree gewiß ein Phantafieproduft des Einfenders ift. Auch die Mitteilung aus Schlierbad) bei Wäcdhtersbady: „Die drei eriten Heidelbeeren, Die gefunden jind, werden gleich wieder auf Die Erde geworfen. Man glaubt daraufhin mehr Beeren. zu finden“ ift wohl eine ungenaue Schilderung unfres Opferbraud)3.
. Ueber das Stillfchweigen beim Opfer und die Bedeutung der Streugmege jprachen wir bereits; der Ritus des „über die Schulter Werjens" erfordert einige Worte der Erflärung. Genau fo muß man aud) in Schlefien den erjten gefundenen Bilz hinter jich werfen '), und in Erbendorf-Remnath fol: man die erjten Eier eines Syung- hubn3, die jog. Urlegerlein, über die Schulter über das Haus werfen ?). Welche Vorftellung dabei zu Grunde liegt, Tann man fi) am beiten an einem Opferbraud) bei den römifchen ZYemurien Tarmachen ): 4&3 ilt dies ein Totenfeit, ar dem die Seelen der VBerjtorbenen ume gehen. Da nimmt der Hausvater fhmwarze Bohnen und wirft fie, abgemwandt, hin. Und bei dem Werfen fagt er: „Die find für eud), und mit diefen Bohnen faufe ih) mi) und die Meinen 108." Das fagt er. neunmal und blidt nit dabei zurüd; der Schatten, glaubt man, jammelt fie auf und folgt ihn, von niemand gefehen ?). Marum darf man ih nicht umbliden? Weil „das Wirfen der Geifter nicht den Blid des menjchlien Auges duldet” ?). So werfen Deufalion und Pyrrha die Steine, aus denen das neue Menfchen: gefchlecht entjteht, über ihre Schultern‘); Odyffeus muß fich ab- wenden, wenn er der Leufothea ihren Yauberjchleier mieder ins Meer wirft‘); bejonders im antifen Zauber fpielt daS trans caput iacere eine große NRolle®). Der Anblid des Göttlichen tötet, madıt mahnlinnig oder blind’). Daher begegnet uns jo häufig das Verbot
BP. Drechsler, Sitte, Brauch u. Volksgl. in Schlefien II 75 8 434,
2), Deutfche Gaue XI 1911, 110. Es,ift jedoch vielleicht fein Erxftlings- opfer, jondern ein Bejeitigen des „Unglüds-" oder „Trudeneis”, |. Wuttfe- Meyer, Bollsabergl.? ©. 430 8 674; Drechsler a.a.D. II 88f. $ 451.
% Wilfoma, Religion u. Kultus der Römer ? 235,
4, Ovid. fast. V 439 ff.
5) Erufius, Rhein. Mu). N.S. XXXIX 1884, 165, :. |
°) Ovid. Metam. I 399 (vgl. Eitrem, Opferritus u. Voropfer 293); ähnlich befahl nach Stefimbrotos Zeus feinen Ammen 'Aaßeiv xovw xar pibaı zic Tooriow xal &x TYs xovews jevssdar tous ’ldaktous Aaxtükaug, Etym. Magn. 465, 26 (vgl. Samter, Geburt, Hochzeit u. Tod ©. 17 Ant).
7) Odyff. e 350,
®) Bergil, EEL.VIIT10OL1F. Weitere Belege aus dem Altertum bei Eruftius a.0.0D., &NRohde, Piyche II ? 85, 2; N. Wünfch, Strena Helbigiana ©. 343,
9) Kroll, Mitt. d. Schlef. Gel. f. Voltsf. XIM/XIV 1911, 480f.; Rohde, Piyche a. a.D,. u.11”350, 2; Abt, Die Apologie des Apuleius, Religionsgeich. Berl. u. VBorarb. TV 270, 4; 282, 5; Er. riüiger, De Romanorum legibus sacris (Diff. Königsberg 1912) ©. 18f.; Radermacher, Tas enjeit3 im Mythos der Hellenen S. 76,2; B. Schmidt, Das Bollsleben der Neugriechen
Heff. BI. f. Vollsfunde Bd. XXI. 3
u A.
des ji Umfehens in Sage, Kult und Aberglaube‘), Auch aus dem Ddeutjhen Volfsglauben lafjen fich zahlreiche Belege für diefen Borjtellungstompler beibringen ?). Wenn das Volk bei dem „über
18; Job. 1 ob. Yrey, Die altilraelitiiche Totentrauer (Dorpat 1898) ©. 11f.;
eyer, Altgerman. Religionsgeich. ©. 116, 9. Günter, Legenden» Ss: ©. 157 Aırım.; Hüfer, Beitr. 3. VBolfst. II 14; Fr. Pfaff, Berhandl. der Baller Philo!. - Ver). 1907 ©. 106 ; Seligmann, Die Zauberfraft des Auges S. 292 ff.; Schwenn, Die Menichenopfer bei den Griechen u. Römern (Religionsgeich. Beriuche u. Borarb. XV 3) 5. 34. u. Bd, 1; M. Andree- Eysn, Bolfsfundliches S. 161.
!) Vgl. z.B €. Samter, Bolfstunde im nesnıl Unterricht I 80ff.; an n a.D. S.289 ff.; v.d. Leyen, Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr. CXIV 1905, 11f.; wa ‚Hermes und die Toten ©. 40f.; Hahn, Griech. u. albanei. Märchen I 208: A.v. Mailly, Sagen aus Friaul ©. 62; Jegerlehner, Cagen u. Märchen aus dem ObermwalliS ©. 341 unter „nicht
ae ; Mıtt.d Ber. f. jäch). Volkef, VIL 1918, 202; Mitt. d. nordböhm. uf Heimatforich. XLII 1909, 60f.; Mitt. d. Dberhefi. Geichichtsver. VIII 1899, 241; Stengel, Opferbräuche der Griehen S. 135 (beim Opfer für chthontiche Sottheiten und Tote) ; Niljfon, Griechiiche Zelte 152 aaa: s im Zauber: Wuttfe-Meyera.a.D.° 53 0 unter „fich umjehen“;Y. Grimm, Ku. Schriften IT 127 Nr. 10; Hell. Blätter f. Volkst. X 1911, 120; Schmeiz. Ach. F. Bollst. XXI 1917, 235; Siebenb.-jächl. Wörterb, II 341.
2) Wuttfe- Meyer aa. d.° 518 unter „uber ten Kopf werfen“; U. Jahn, Opferaebr. ©. 347 unter „rüdwärts" , die Spende an eine Gott- beit hinter fich aießen: NRadermacher, Rhein. Muf, LXXI 1916, 14; Sar- tort, Sitte u. Brauch II 161, 11 (Sohannisjegen). Sm Billerthal macht man, wenn man meint, ein fleines Kind jet von der Nachtwuone „vermeint”, eine Puppe aus Qumpen, legt ihr die Haube des Kindes auf und mirft fie mit ab- gewandtemn Angeficht i in den Zillerbach und jagt dazu: „Nachtwuone, bier haft dein Kind!": Ztichr. f. d. Mythol. u. Sitienf. I 1853, 237 (vgl. Arch. f. Reli- gtonsmilf. XVII 1914,395, Grohmann, XÜbergl. u. Gebr. aus Böhmen ©. 106; Siebenb.-fäch). Wörterb. I 548). Beim MWettermaden war eine der Haupt- prozeduren, stiejeliteine hinter fich nach Niedergang zu fchleudern oder Sand. aus dem Bache über fich zu werfen (Responsum juris oder rechtl. ond außjührl. Bedencen von Zauberin, Frandfurt a. M. 1687 ©. 28; vgl. Eljäflf. Monats- Iehrift I 1910, 18). Allgemein ift noch heute die Sitte verbreitet, die Schale eines Apfels über die Schulter zu werfen, um aus der Yorm den AnfangS- buchftaben des Namens des Geliebten zu erfahren; in Der ee N ein beliebtes Heiratsorafel calceos per caput iactare: Sartori, Ztichr. d. Der. f. Boit3f. 1V 1894, 161. Sn den Bräuchen bei der Ausjaat werden oft die eriten Samenförner über die Schulter geworfen, urjprünglich ein Opfer- brauch, heute als Mittel, die Vögel fernzuhalten, gedeutet: Rantajalo, Der Aderbau im Volksabergl. der Finnen und Eften mit entiprechenden Gebräuchen der Germanen verglichen III (F. F. Communications XXX1I 1920) ©. 49 ff., 40f., vgl. a. ©. 61; Mitt. d. Ber, f. jächl. Volksk. II 1900, 53; B. Slaue, Kicchen- funde v. Thüringen ©. 373; U.YJahn, Opfergebr. S. 71.73. Drei Steine über den Kopf werfen, um die "Bahnichmerzen zu lindern: Ztichr. d. Ber. f. rhein. u. mweftf. Volfst. XIV 1917, 179, oder zu demijelben Zmwed die AUbjchnitte der: bei abnehmendem Mond am eriten Freitag gefchnittenen yingernägel an ein- jamem Ort rüdmwärts über die Schulter werfen: Yoffel, Vollsmedizin u. medizin. Abergl. in Steiermarf ? 109; ebenfo werden die Milchzähne über den Kopf geworfen mit den Worten: ‚Mus, dor beit’n nöfern Täahn, gif min dern wedder!": Bartjch, Sagen, Märchen u. Gebr, aus Mecdlenb. II 54, vgl. Srohbmann, Abergl. u. Gebr. aus Böhmen ©. 111. Um Warzen zu ver- treiben, wirft man Gegenftände, mit denen man fie beitreicht, hinter fich, wie jchon bei Plin.n. h. XXII 149: Wuttle-Meyer a.a.D.* 344 5513, Stoll, Jahresb. d. geogr.-ethnogr. Gef. in Zürich 1908/09 S. 755.; vgl. a. Mitt. d. Ber. f. kajchub. Volks. III 1909, 104. Dieje Veifpiele mögen genügen; ich hoffe Ipäter noch einmal auf dieje Bräuche und Vorstellungen zurüdlommen zu fönnen.
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die Schulter Werfen” wohl nur noch felten fih darüber Klar ift, daß man damit den dem Menfchen gefährlien Anblick eines gött- lihen Wejens oder göttlichen Wirfens vermeiden will, jo wird e3 doc) ftetS es als eine abergläubildhe Handlung empfinden. rn des Herzogs Marimilian in Bayern „Zandgebott wider die Aberglauben" pon 1611 heißt es denn aud): „Under anderm verdädtigen mwefen und geberden ijt daS zu rechnen, was mit zurud oder hinberjich- mwerffen oder gehen . . . befchicht." ')
Yuh daß man iiber die lIinfe Schulter werfen muß, wird feine Bedeutung haben. Auch in England muß man, wenn man Salz verjhüttet, e8 mit der rechten Hand dreimal über die linke Schulter werfen ?). Der finnifche Siemann mirft, wie der deutjche, vor der Ausfaat. drei Körner oder drei Handvoll Samen über die linfe Schulter). Die linfe Seite ift ja den Angriffen der Dämonen am meilten ausgefegt*). Wenn es in zwei unferer eugnijje beißt, man miüjje die Beeren über die rechte Schulter werfen (©. 32), jv braudht das feine Vermwedhflung feitens de8 Gemährsmanns zu fein. Aucd) bei den Ausfaatsgebräuchen finden fich gelegentlid An- gaben, mwonad) man die Körner mit der linfen Hand über die rechte Schulter werfen müfje?). Sch Füönnte mir denken, daß, fomeit nicht
en, Bayer. Sagen u, Gebr. II 279 = Oberbayer. Archiv LII 2,
2) Nicht bloß in Nordengland (jo Eitrem, Opferritus u.Voropfer ©. 316).
») Rantafalo a.a.0, III 40ff., |. o. ©. 34, ».
ı) Eitrtem a.a.D. ©. 34ff.; 316: „Im Rüden und zur Iinfen Seite lauern die Geifter den Lebenden auf.” Wenn man bein Erblicen der erfteu Schwalbe über die linke Schulter fieht, mird_man geilterfichtig, oder wenn man einem al Hund über das linfe Ohr, oder einem geilterlichtigen Meniinden mit dem linfen Fuß auf den rechten tritt und ihm über die linfe Schulter fieht: Wuttle-Meyer? 317 8469; Straderjan, Abergl. u. Sagen aus d. Hzgt. Oldenburg I? 170. Au der Sirche ließ ein Mann einen andern über jeine inte Schulter jehen, da erblichte er alle Hexen des Dorfs: Strader- jan a.a.D. 1? 421. Eim Mädchen jchöpft in der Matthiasnacht drei Eimer aus einem Tiliftehenden Waffer und gießt es jedesinal hinter jich aus: beim dritten Eimer fieht es iiber die linfe Schulter und erblidt da den zukünftigen Gatten: Wuttfe-Meyer? 251. Bal. auch die Sage bei Wehrhan, Sagen aus Heflen u. Naflaun S.7 Nr.8. Wem der Mond zum erften Vlal über die linfe Schulter jeheint, dem begegnet ein Unalüd: E. John, Abergl,, Sitte und Brauc) im Erzgebirge S. 249. Bgl. die Bemerkung zu dem Beerenopfer im Teutoburger Wald oben ©. 31: man darf fich nicht dabei umjehen, weil jemand dDahinterfieht. Die Mohammedaner Ipeien beim Gebet dei zaun, über die lIinfe Schulter an: Dölger, Tie Sonne der Gerechtigkeit S. 11f. 2
5) Rantafalo aa. 0, II 4l, Bei uns in Heffen jagt De „Zins u rechts jchlechtS”, „Schafe zur Linken, Glüd thut dir ointen Schafe zur Rechten, gibt’S was u echten”. Anderwärts ift die rechte Seite die glüd- verheißende: Wuttfe-Meyer’ 218- -$ 308; 201 . Sn den Angaben dar- über, wie man geifterfichtig werden fanı (}. oben nm. 4) heißt e3 aucd) mandh- mal, man müfje über die rechte Schulter bliden,; Grimm, D. Mythol. II* 997; vgl. auch die Sage bei Wehrhan a.a.d. ©. 6N:. 7, bei Grimm, a.a.d. 1* 380 Unm.1. Ueber „Rechts und Lints” |. außer Eitrem a.a.Od. ©. 29 ff. und der Dort angeführten Literatur B. Caffel, Gejammelte Schriften I 197 ff., A. Elter, Bericht über feine Bonner Univ.-Stiftungsfefteede 1910: Bonner Zeitung XIX 1910 Nr. 212 v, 4. Auguft; Weinreich, 2 -f ‚Religionemifl XIX 1918, 163, Dölger, Tie Sonne der Gerechtigkeit ©. 3
1906,
3+
=, 6 der nit mehr verftandene Braucd) gedanfenlos umgeändert worden ift, bier die Analogie anderer Eultiicher‘ oder abergläubifcher Hand- lungen, bei denen der Gebrauch der linfen Hand vorgefchrieben ift?), zu der Aenderung geführt hat.
Noch ein paar Formen des Eritlingsopfer feien Hier an- geihloffen. un Allmenrod, Kr. Lauterbad), bridt man Die erjten Beeren mit dem Zweig’), bindet ein „Sträußden” daraus und legt diejes irgendwo im Walde nieder.
Srı Grebenau, Kr. Alsfeld, werden „beim Eintritt i in den Wald am Örenzitein drei Beeren als Opfer zerdrüdt". Es mird dazu eine Bemerkung hinzugefügt, wie wir fie ähnlich jchon Hfter gefunden haben: „Dies follte verhindern, daß man fich beim Pflüden verlegte oder mit gefüllten Gefäß Itolperte und.dabei die Beeren verlor.“ m Bendahl bei Elberfeld jtand nod) vor wenigen Yahr- zehnten eine mächtige, alte Eiche, der „Ihmwarze Peter” genannt. Menn die Rinder in die Waldbeeren gingen, nahmen fie die drei ersten, fhönften Beeren und zerdrüdten fie an diefem Baum. Dann erit begann die Xeje. Der Baum .mwar darum einen guten Teil des Sahres jchwarz gefärbt, und daher hatte er feinen Namen?). Syn der Eifel werden vielfach die drei erjten Wolbern zerdrüdt und zu Boden geworfen‘). Wir mwerden daS Berdrüden von Beeren auf Steinen und Bäumen nod bei den Bräucdhen auf dem Heimmeg von der Beerenernte wiederfinden. ES hat wohl den Zmed, daß die Beeren auch) wirklich dem Damon, der in dem Baum oder Gtein verehrt wird, zu gute fommen (und nicht den Vögeln, wie das nicht mehr verjtandene Opfer ja gelegentlich gedeutet wird), indem allo der. Saft in den Kultgegenjtand eindringt, jo wie etwa die Römer den Grenzitein falbten oder mit dem Opferblut befprengten?). sn dem für Die Eifel bezeugten Braud) Liegt vielleicht eine Stonta- mination des Opfer Dur) Berdrüden und durd) Hinterfichwerfen der Beeren vor.
Zu Langendorf, Kr. Kirchhain, werden die Beeren nebjt einem Hölzhen, nachdem jedes Kind ein Yo) in die Erde gegraben bat, in diefe Vöcher gelegt und mit dem ausgejchnittenen Rajenftüd
1) Beim Opfer für die Unteriwdifhen: Eitrem a. a. D. 415 im Zauber- brauch ebenda ©. 38f.
2) Bal. den aus Echaafheim ©. 32,
) Schell, Btichr. d. Ver. f. rhein. u. mweitf. VBolfsf. I 1904, 59. Eine Notiz in den Gießener Yamilienblättern 1915 Nr. 108 ©. 432: „Vielfach, jo im Rheinlande, in Weftfalen, im Vontlande und im Erzgebirge, werden jedes- mal vor Beainn des Bflüctens die erfteu Drei Beeren an einem alten Baum zerqueticht. Dieies Zerquetichen wird der „Ichrwarze Beter“ genannt und foll zum Auffinden reicher Beerengründe, verhelfen“ beruht offenbar auf einer un«- Haren Erinnerung an dielen Brauch im Bendahl. Gegenüber lolchden Zeitung3= aufjätschen ift große Vorficht am Pla.
ı) A. Wrede, Eijeler VBoltst. S. 133,
5, Wiffoma, Religion u. Kultus der Römer ? ©. 137; vgl. W. Rob. Smith, Die Religion der Semiten. Ueberj. v. Stübe ©. 176. 296; 5. Buntel, Die u a Patriarchen (= Schriften des A. T, 1,1) ©. 209, Eitrem. a.a ;
Er
zugededt. Alsdann merden die Xöcdher, von denen ich eins dicht am andern befindet, in jogenannter bunter Reihe eine Zeitlang fingend umtanzt: Sie jpielen einen ihrer Ringelreihen mit wechjeln- dem Paarbilden !), aus dejjen Befchreibung ich leider nicht feititellen fann, welches Spiel und Lied gemeint ift. Uber diefes Tanzjpiel wird wohl aud) an die Gtelle eines alten Kulttanzes um die Opfer: jtätte getreten fein’). — Aus der Alsfelder Gegend wird berichtet: „Beim erjten Gang in die Beeren gehen drei (wohl zu lejen: Die) Burjhen mit. Yry Walde graben fie ein XYoch, jeder mirft einen Pfennig hinein. Dann werfen fie Erde darauf und weinen. Anı Schluß der Lefe werden die Pfennigjtüde ausgegraben, jeder Burfjche muß fein Geldjtis wiedererfennen, font wird das Geld unter arme Kinder verteilt.” Statt der Beeren wird hier Geld geopfert. Die ganze Zeremonie mit dem Weinen und Wiederausgraben de3 Geldes ift durch die Kirmesgebräudhe beeinflußt); daS Opfern von Beeren in ein Yo) in der Erde, da3 nachher wieder gefd,lojjen wird, Tann Dagegen auf alte Ueberlieferung zurüdgehen: wir finden 3.8. unter den finnifhen Ausfaatgebräudyen aud) die E©itte, ein Erdjtüd aus: zubeben, drei Rübjamen in das Xod) zu legen für die Mutter Erde und diejes dann wieder mit dem Erditüd zu jchließen‘).
Ebenfalls aus der Gegend von Alsfeld ftammt die Nachricht, daß die erjten Beeren in Kreuzform auf den Boden gelegt werden. ES ilt das offenbar eine VBerdhriftlihung des alten Erft- IingSopfers, wie wir fie aud) in anderen Erntebräudjen finden: So Tchneidet 3. B. der Bauer in Bayern und der Steiermark, wenn a Ernte beginnt, drei Nehren und legt fie über3 Kreuz auf den
er’).
ch erwähnte bereits, daß in Bromskirhen im Hinterland die Rinder beim Pflüden der eriten drei Beeren „®ott mwal’es!" fagen und fie dann efjen. Auch aus der Alsfelder Gegend wird und berichtet, daß die alten Leute noch ftet3 die drei erften Beeren effen. Sn Neufirchen, Kr. Hünfeld, darf man nicht mit dem Beeren= Jammeln beginnen, bevor man eine Beere ganz verjchludt und drei andere über die rechte Schulter geworfen bat. Und in Lauter- bach heißt die Negel, unter Verwendung des Berschens aus dem Märdien vom Ajchenputtel, (wohl nicht mehr ganz urjprünglichem Braude entjprecdhend):
ı) Mülbaufe a.a.d. ©. 18,
ı) Bol. 3. B. Eitren aa d. ©. 28f. und oben S. 80.
») Bol. das Heidelbeerfeft in Elbenord, Kr. Alsfeld, unten S. 54; zu den Kirmesbräuchen 3.8 Pfannenfchmid, Berman. Erntefelte S. 302 ff.; Sar= tori, Sitte u. Brauch III 254 ff., ähnlich in anderen Gegenden das Faftnacht- begraben: ebda III 123 ff. Auch in der Alsfeld benachbarten Schwalm wirft man beim ftirmesbegraben nur noc) eine kleine, alte Minze, einen Knopf oder dergleichen „wertvolle” Tinge in da3 auf dem zannlıs gejchaufelte Xoch: Schwalm in Heßlers Hefj. Landes. u. Voltäf. II 303.
+) Rantajalo a.a,d, II 45.48,
5) 1. Zahn, ie deutlichen Opfergebr. ©. 159.
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Die erite ind Deppche, Die zweite ind Freppche, und die dritte über den Kopf hinter fich werfen ').
Sn Billertshaufen, Kr. Alsfeld:
Die erfte Beere, die ich gepflüct,
Die hab’ ich auch gleich nach Maulbach ?) geichidt. Nach einer Zeitungsnotiz ohne genauere Ortsangabe?) werden Die drei erjten Erdbeeren, die man findet, „dur den Mund“ gezogen, und dabei wird ein frommes Sprücdhlein bergefagt. Auch aus Buffenftadt wird bezeugt, daß die Kinder befm Beerenfuchen die drei eriten Beeren ejjen, „Damit jie den Hafen bald voll friegen” *). Wir haben es hier, wie mir jeheint, mit einem Ueberlebfel des auch fonjt vielfad) belegten rituellen Efiens der Neufrudt zu tun?). Wenn mir aus Weidelbad (Dillfreis) mitgeteilt wird, daß man dort die eriten Heidelbeeräfthen um eine Gerte bindet und an der Sonne trodnet, um die getrodneten Beeren alS Hausmitfel gegen Leibfchmerzen zu verwenden, fo mag für diefen Braud) und aud) für jenes feierliche Verzehren der erften Beeren eine Vorjtelung mit maßgebend gemefen fein, die mir aud) dem Braud) zu Grunde zu liegen fcheint, von gemijjen Frühlingsblumen da3 erfte oder Die drei erjten Ereniplare, die man findet, zu ejjen, um gefund zu bleiben oder Glüd zu baben°). Für den primitiven Menfchen gibt
ı) Das Verschen ift auch in einer Schilderung der Heidelbeerernte in Ausbah) in „Mein Heimatland” (Hersfeld) III 1918, 155 f. verwandt: „An feinem fleinen Bruder findet er wenig Unterftügung ; der liegt auf den Knien und denft: „De Gorre ens Kröppche, de Schlächte en3 Töpche”. Bgl. a. Mitt. d. nordböhm. Erfurfions-Klubs XRXI 1909, 57. Auch Ludwig Richter gibt jeinem Bild „Tie Heidelbeeren-Sucher” die Unterjchrift:
Eins ins Töpfchen, Zweit ins Kröpfchen.
2) Anfpielung auf ein Dorf zwischen Kirtorf und Homberg a. d. Ohm.
®) Dberheffen, Taunus und Weftermald werden darin als Hauptbeeren- gebiete genannt: FFranff. Zeitung LI 1907 Ne. 217 (7. Aug.) Abendbl.
1618) , 0 Thierer, Ortsgejchichte von Buffenftadt auf d. Schmäb. Alb I ( ‚ 245.
°$) Mac Culloch, Ritual eating of first fruits: Hastings’ Encyclop. of religion and ethics VI 43f,, Hans Beer, ’Arapyr (Dill. Würzburg 1913) ©. 29, vgl. ©. 25.
®) Schon nach Plin. nat. hist. I 166 hätten die Magier empfohlen, die erjte Anemone, die man im Xahre erblicde, zu brechen, um fie gegen Fieber u gebrauchen. In Medlenburg und Pommern muß man die drei eriten
nemonen efjen, das jchüße vor dem Falten Fieber (9. Marzell, Die heimilche Pflanzenwelt in Bollsbraud) u. Volksglauben ©. 21; Archiv d. Ber. der Freunde der Naturgeich. in Meclenb. L 1896, 195; vgl. a. F.Ohrt, Trylleord ©. 13), in Büdingen heißt es, dann jei man das ganze Jahr gefund. Bor dem Talten Sieber Ichüßt man fich andermärts, wenn man die erite oder die eriten drei im Frühling erblictten blühenden Kornähren „durch den Mund zieht” [mie oben die drei erjten Erdbeeren] oder die drei zuerft erblidten Palmen ver- \chludt oder das erfte erblickte Veilchen faut (Wuttfe-Meyer? ©. 353 $ 528) ; das erite Veilchen wurde auch zum Schuß gegen den Biß toller Hunde gegefjen (Mülbaufe a.a.D. ©.24); der Genuß der eriten drei Veilchen bringt ein nuloe Jahr (Gießen vor etma 80 Jahren). Das Berjchluden der eriten
eilchenblüte im März jchüigt bei den Slowalen vor Fieber und Huften (Ho = vorfa u. Kronfeld, Vergleichende Bolfsmedizin I 432). Die erite Erdbeer-
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es feinen Zufall, jondern für ihn ift es eine Schidung einer Höheren Macht, daß er gerade diefen Blüten und Früchten zuerft begegnet; Tie enthalten alfo wohl die ihnen zugefchriebenen Kräfte in befon- derem Maße. Auch die Slomalen zerquetichen die erjten gefundenen Erdbeeren zmwilchen den Fingern und beftreihen damit das Geficht, Damit die Sommerf/profjen vergehen !), und in Cornmall glaubt man, Daß die erite Brombeere, die man fieht, die Warzen zu vertreiben vermag’).
Wenn in Bromsfirhen (Hinterland) -die Kinder fehen wollen, ob jie viel Glüf im Pflüden haben werden, legen fie drei Beeren auf einen größeren Feldftein und zerihlagen Jie mit einem Flei- neren Stein. Kleben die Beeren an den Schlagfteinen, dann haben fie Glüd; bleiben fie unten auf dem großen Stein Fleben, jo haben fie Unglüd. Diefe Yorm der Erforfhung der Zukunft ift ver- mutlih exit jefundär aus dem oben behandelten Opferbraudh ent: gvidelt, drei Beeren auf einem Stein zu zerdrüden?). — Sn Burg- Daun, Fr. Hünfeld, juchten die Kinder, fobald fie in den Wald Tamen, Bäume, weldje zufammengewadjfen waren. Wan jagt: wer den eriten verwachjenen Baum findet, hat Glüd.
sam Schmwalmgrund jpuden fie dreimal auf einen alten Baum, menn fie in die Xefe gehen. Dreimaliges Ausfpeien ift ein sehr mweit verbreiteter apotropäiicher Braud*‘). Auch hier wird der urjprünglihe Zmwed Diefer Handlung die Ubrmehr des Böfen fein, dann müßte alfo jener Baum irgendmie ein Unglüds- oder „Hexrenbaum“ fein. Aus Pohl-Göns, Kr. Gießen, wurde mir er- zählt, daß die Kinder verjchiedene große alte Bäume, bef. Eichen, al Herenbäume bezeichneten, und daß fie ji) gegenfeitig warnend darauf aufmerffam madten, daß fie nicht unter diejen Bäumen ihre vollen Körbchen oder Töpfe binfallen ließen oder gar jelbit über die Baummurzeln ftolperten. Das Kind und der pri= mitive Menjch gibt in einem folchen Fall nicht fi, fondern dem Baum die Schuld, und die dDurd) das Unermwartete erregte Aufmerffamfeit Tann dann jofort in dem Baum eine böfe Macht vorausfegen?).
blüte, die man im I fieht, mie man efjen, dann befommt man das Zieber ar (Haltrich, Zur Volfsf. Siebenbürger Sadjen, brög. von . Wolff ©. 297). Ein ähnlicher Aberglaube gilt von der Echlüffelblume in eben vom a in DOftpreußen u. Schlefien, vom Seidelbajt in Thüringen (Marzell a. a. A ; Bayer. Hefte f. Volfst. III 1916, 119). ) Hovorfta u. Kronfeld, ueanne Bollsmedizin I 125, ») Dyer, The folk-lore of plants ©. 2 °, Sch erinnere mich dabei, wie die elechen im modernen Pergamon das Drafel befragten, indem fie an einem vom Rauch der Kerzen gejchwärzten aylaopa-Stein, jüdlicy) der unteren Agora — fie nannten den ganzen Gtein- Haufen dort dyroc Anunitpuos — Leine Scherben andrüdten. Blieben fie hängen, jo bedeutete es Glüd, fielen fie ab, Unglüd. Ein ‚ähnliches Drafel mit An: Drüden einer Münze an ein Heiligenbild j. Aaoypapia I 678. 3. 3. Nie, Pauly Wiffoıwas Real-Encncl. I 88; Abt, Die Apologie de8 puleius von Madaura (Religionsgefch. Veri. u. Borarb, IV 2) 187; Wuttfe-Meyer?’ ©. 184. )S$<M.B Nilfjon, Primitive Religion ©. 13f.
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Sn Sadfen pflüdt man gemijjenhaft auch die einfam am Waldfaum ftehenden Beeren. Wer Jih wegen einer Beere nicht büden mag, wird dafür allerlei Mißgefchid erleiden: wenig Beeren finden, über dürre Nefte und Wurzeln ftraucheln und den jpärlichen Snhalt feines Kruges verhütten!). In Neukirchen, Kr. Hünfeld, dagegen befteht die VBorichrift, unterwegs noch feine Beeren zu brechen, jonft finde man jpäter feine: „Die Beeren am Wege ge- hören den Vögeln und den Hungrigen." Haben die Kinder dann den Heidelbeerwald erreicht, jo werden die größeren Gefäße unter einem Hoinbuchenftrauch aufgeftellt. Alte Bäume vermeidet man, weil fie für die Wohnungen der Erdmännchen gelten ?), die den Kindern die Beeren Itehlen fünnten. Zum Schuß legt man mohl aud) einen Tannenftahel in das Gefäß, an den man drei Beeren angefpießt hat. Sn Gersdorf, Kr. Hersfeld, jtelt man während des Pflüdens die größeren Gefäße, wenn möglidh, auf einen Kreuzweg. Dan nimmt vieleiht an, an einem joldhen Heiligen Ort feien fie an liheriten; in der Pegel wird man nur darauf bedacht fein, Die großen Töpfe und das mitgenommene Frühltüf an einem leicht mwiederzufindenden Plage abzuftellen, etma unter einem gut zu er- fennenden Baum (Bohl-Göns), um fi) von da aus in Fleineren Entfernungen mit den Breachdebchen und Halbichoppenblechen zum Lejen zu zeritreuen. Wer ein gutes Plätchen findet, das über und über jchmwarz von Beeren ijt, weift wohl andere unduldjam hinweg: Plaatze vebodden! (Berg)?) oder „Däs Blätzche hee, däs honn ich mej gemeiert!“ (Buchonien) ?). Solde guten PBläße werden ganz jtill abgelefen (Bohl-Göns), wie überhaupt beim Heidelb eer- zupfen empfohlen wird, nicht viel zu reden, jonft geht nidyt voran mit dem Ernten’). „Man fuchte eine Ehre darin, möglihit wenig, Beeren zu efjen und fleißig zu pflüden." Eine befondere Kunft ift e3, die Beeren möglichjt troden und mit ihrem blauen Belag und mit möglijjt wenig Blättern zu fammeln. Da3 le&tere war natürlidy faum möglich, wenn man die Beeren nicht einzeln pflücdte, tonbern mit dem Heidelbeerfamm „fümmte“ 9).
Wer will Beeren lejen gehn, muß auch zu büden fich verftehen N, Die Mädchen find meijtens fleißiger und ausdauernder bei der Arbeit.
Auch beim Lejen jind nody) mande Regeln zu beachten: Wer auf einen Heidelb eerjtod tritt, muß wieder umfehren (Elbenrod, Kr. Alsfeld). ES ijt eine Undantbarkeit gegen die die Ernte fpendende Pflanze. — Dan juli nicht allzu gierig fein: Eine Beere, die dem Kind beim Pflüden hHinfällt, wird nicht mehr aufgehoben, ie ge
ı) Schaller, Sachjen-Poft IV 1910 Nr. 197 (23. Juli) ©. 3. 2) Nal. oben ©. 15.
*, Btichr. d. Ber. f. chein. u, weftf. Bolfsf. TV 1907, 136. )NRuppel, deimat-Schoflen (Melfungen) I 1921, 67.
s) Phil. Kräm A Ernft Ludwig Zwingenberg. ©. 81.
%, ©. oben ©. 1
”, Wander, Deutiches Sprichmwörterlerifon I 289,
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hört deu armen Seelen (Böhmerwald, NRiefengebirge)'). In Böhmen heißt es: verlorene Erdbeeren gehören der Mutter Gottes oder aud).der Hl. Anna?): felbft wenn das Kind fein Körbchen umftößt, daß die Beeren herausrollen, darf es fie nicht auflefen, lonft fönnte e8 den ganzen Tag pflüden und würde fein Körbchen dod nicht füllen’). Ar Nordböhmen nennt man die zu Boden gefallenen Heidelbeeren Muttergottesbeeren, da fie die heilige Mutter aufbebt, wenn fie vorübergeht ). Auch in Nteufirchen (Kr. Hünfeld) hebt man joldhe hingefallenen Beeren nicht wieder auf, fie gehören den Ameijen: wenn man eine aufgehoben bat, jo fallen zehn andere dafür wieder zur Erde. Wenn im Amt Rahden einige Bübberfen auf die Erde fallen, läßt man Jie liegen, font rufen die andern Kinder |pöttifhy: Dä hät dei Düwel ober streken !°) und in Diren- SaneR (Hilpoltjtein) jagen die Kinder von den aus der Hand ge- fallenen Beeren: „Die hat der Teufel aus der Hand gehaut“ °). Auch bier lebt, glaube ich, noch alter religiöier Braud) mweiter. Denn diefer Aberglaube erinnert ganz auffallend an die 3.8. bei den Griehen und Römern, den alten Preußen und ebenfo no im modernen Bolfsglauben bezeugte Vorfchrift, ra Tesovra ano Tpaneins un avapeiodaı. Was vom Tifch fällt, gehört den Seelen ’). Syn Tirol jagt man, wenn jemand während der Mahlzeit Brofamen zu Boden fallen läßt:
„Arme Seelen, rappet, daß’ 3 der Tuifel nit dertappet!" s)
So Still und fittfam, wie es mir von den Pohlgönjern erzählt wurde, werden die mwenigjten Beerenleute fein. Wo jie nicht aus Furcht vor dem Föriter oder Shügen?) möglichjt wenig Zärın madıen, wird wohl überall das fhon einmal angeführte Verschen gelten:
Haalebejernleit, luschtige Leit, Sieht me se nit, häjert me se weit. (&.13.)
Gern neden fi) die Kinder gegenfeitig:
Haalebejern wie die Kersche,
Wann du se net witt, geb mer sche! .
Haalebejern wie die Kloffenköpp (Stecdinadelstöpfe),
Wann du se net witt, so ropp se nit! (Öanumnelbach i. DO.)
) Grohbmann, Abergl. u. en aus Böhmen-u. Mähren ©. 98, auch ©. 94; Blümml u. Rott, Ztichr. d. Ver. f. Bolfsf. XI 1901, 53.
’) &. 9. Meyer, Badii 23 Wolteletn ©. 122; %o). Blau, Böhmer- wälder Hausinduftrie u. SArANS 1 244,
) SGrobmanna.a.d. ©.9
4) Eder, Ztichr. ale woltst, XIII 1907, 134,
5) Brindhoff, Ztichr. d. Ver. f. rhein. u. weitf. Bolfst. XI 1914, 58. Bol. oben ©. 9
Teutte Gaue XIII 1912, 205.
y Ulener, Bötternamen ©. 249, Liebrecht, Zur BVolfsfunde ©. 8997. ; € Rohde, PBiyche I? 245,1; &. 9. "Meyer, Mothol. d. Germanen G. 117; Seilberg, Hell. Blätter F. Boltst. V 1906, 38; a Mitt. d. Sclef. ‚Bel. f. Boltsf. X 9. XIX 1908, 9. Bol. oben ©. 30,6
8) Zingerle, Sitten ... des Tiroler Voltes ? S. 37 ‚Mr. 800.
», Ar KleinsLinden (bei Bießen) warnt der Rabe die beerenfammelnden Kinder: „Rab, Rab, der Scheg fimmt!*: Heff. Bl. f. Voltst, VIII 1909, 4.
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Smmer wieder rufen fie fih zu: Wäivil mol host de schunt aus- geleert?!) In Wahlen, Kr. Alsfeld, fingen die Kinder:
Roll, roll, roll, \
Mei Debbe, doas äs voll,
Aich hu’s schu werrer ausgeleert,
On äs schu werrer voll!
Aehnlihe Versen fenne id) aus Böhmen und Schlefien, wo 3.8. im Liebauer Tal die Finder einander zufingen:
Hella, hella Beere,
ich hä mei Kannla [Tüppla] leere, Hella, hella Ziegenrücke,
ich hä mei Kannla bodendicke, Hella, hella Kälb,
ich hä mei Kannla hälb,
Hella, hella rute Kuh,
ich hä mei Kannla ohne vul 1);
Oder fie [pornen fih in Schlejfien beim Füllen ihrer Duartmäßl an, indem jie einander e3 zuvorzutun juchen:
E quatirla, zwe quatirla,
’s drette macht kuräsche,
wenn er mirsch nit glauben wullt, so—— — —?.
Die Läfligen Sammler werden verjpottet *), 3.8. in Schlefien: Hans, hiel a Sack uff, nimm a Knittl und schlö druff; Hans is a tummer Säk, weil-a kene Blöbeern höt°).
BejonderS aber neden ji) Buben und Mädchen gegenfeitig, 3. B. in Der Schweiz: Heuberi a de Stüde!
d’ Buebe (d’ Maitli) g’höre zu de Füle.
Heubereli günne,
d’ Stüdeli lo stö,
d’ Maitli (d’ Buebe) 'üfhenke, d’ Buebe (d’ Maitli) lo gö®).
Schwarze Haalebejern, bloi Tinte. Buwe riche gut, Mädchen stinke. (Hammelbach.) ?)
Sm Elfaß fingen die Mädchen: Heidlbeere Rose, d Buewe schisse in d Hoset
worauf die Mädchen antworten:
Heidlbeere Grämber, d Meidle schisse in d H&mber!°)
ı) Mie N haft du fchon dein Blech in den Topf geleert? (Pohl-Göns,) 3) Mitt. d. Schlei. Sei. f. Boltst. II 4, 1897, 32, ®) Ebda I 2, 1895/96, 50. ‘) Germania XXII 1877, 298: Beerleut’ find faule Leut. (Stollberg.) .) Mitt. d. Schlei. Ge). . Voltst. I 2, 1895/96, 50. °) Echmweiz. Ydiotiton IV 1465.
.) Bol. Rochholz, Aemann. ale u. Kinderjpiel ©. 178.
8) Martin u. Lienhart, Wörterb. d. eljäfl. Mundarten II 77.
oder:
Sm Odenmald:
ee. AI: ge
Aus Kaffel: Heidelbeeren, heidel, Was find die Mädchen doch fo eitel Und wenn fie nicht fo eitel wären, So äßen fie feine Heidelbeeren !).
Dazwildhen ertönt dann wohl aud) einmal ein Freudenfchrei:
Häalabiern, schwoarze Bien, Wäi schmeacksde mer su gput! (Trei a. d. Lumda)
oder in Grebenau, Fr. Alsfeld:
Heidelbeeren eff’ ich g
Menn Ne nur gepflüdet. wärn! Sr Wernigerode:
Hedeibesren
Et ik geeren.
Wer kann mir denn dat verwehren, dat ik ete Hedelbeeren ’? ?)
Dasfelbe Vershen mit andrem Sinn 3.8. in Heflen:
Hä3lebiarn, Häalebisarn Wer weall mer das Deang verwihrn, Wann ey ruffe: Häalebia’n? (Treis a. d. Lba.)
Beides verbunden in Braunfchmweig:
Heileberen, Heileberen
Et’ ik geren,
Et’ ik alle Dage geren.
Wer will mik denn dat verweren, Dat ik raupe Heileberen ??)
Nur wenige handeln wohl nad) dem Treifer Sprüdjlein: Gout geblucht, keer versucht!
Viele werden, ehe fie ernftlid) ans Sammeln gehen, fich zuerft ihren eigenen Stollhafen, d. h. den Magen voll efjen (Odenmald)‘). Ym Amt Rahden bei Rübbede heißt es, wenn die fchönften rüchte in den Dtund geftet werden: Däi ripen in mine Kipen, däi gröünen vö mine Möümen! °) Den meiften fieht mans von weitem an, daß fie Jich die Beeren haben fhmeden lafien. Dem dabei entfiehenden Heidelbeerbart wird vielfad) nody kräftig nacdhgeholfen, fodaß oft nod) Tage lang nachher die Beerengänger an den blaufdimmernden Gelichtern zu erkennen find. — Um die fleinen Brecdhgefäße in die großen auszuleeren ®), müfjen die Kinder immer wieder zu ihrem
in! Zemwalter, Deutjches Kinderlied u. Kinderfpiel in Kaffel ... S. 39
7 Drofihn, Deutjche Kinderreime und Verivandtes S. 139 Nr. 358. ) Ztichr. d d. Ber. f. Bollst. XI 1891, 73. *) Heinrich Weber, Der Votalismus der Mundart d. oberen Wefchniß- tales I (Diff. Gießen 1908) ©. 5 j tichr. d. Ver. f. FE u. weitf. Volks. XI 1914, 58. *% Zum Einjchütten der Beeren jagt man in Stollberg: Alter, dicder, fetter Mann, Sammle nur recht weit aıt. Gelbe, Germania XXXII 1877, 288.
Pr.1
u EUR, 22
Sammelplag zurüd, von dem fie mandjmal jo weit abfommen, daß fie ihn nur mit Mühe finden fünnen. 8 gibt dann großen Subel, wenn er wieder entdedt ilt. Sit eine Portion Beeren in den Eimer gefchüttet, jo wird ein Stüdchen Brot darauf gelegt, das durd) feinen Geruch, die Qualftern (Beerenwanzen) fernhalten joll, durch welche die Früd)te einen mwidermwärtigen Geihmad und Gerud befommen '). Allmählid) macht fi) der Hunger geltend. Es wird eine Baufe in der Arbeit gemadt, um das mitgebradhte GStüd Schmwarzbrot mit Beeren zu verzehren; bisweilen wird au) nod ein bischen gefpielt. In Sachjen wird 3.8. ein Sind als „Beerbar” aufgepußt, der den Kleinen im Berjted auflauert oder fich lautlos heranfchleicht, um eines zu erhajchen ?). Bald geht’S aber wieder eifrig an’3 Pflüden.
Wollen die Töpfe gar nicht voll werden, fo probiert wohl eines oder das andere zu „bäufeln”, indem man den Topf oben zuhält und umfehrt, oder indem man gar durd) jpg. Sprießen innen fünft- liche Hohlräume herjtellt. Darauf geht ein in Oberhefjen jehr ver: breiteter DBers, der z.B. in Maar lautet:
Heidelei, di Beerlid komme
Met de leere Debbe,
Onge voll un owwe voll,
Medde hon se Spresse! Auch an die Heineren Gejchwifter und Nahhbarsfinder, die noch nidt mitdurften, wird wohl gedaddt: Bejonders jchöne Stengel mit vielen und großen Beeren bricht man vorfidtig ab und bindet fie mit langen Grashalmen zu einem Strauß zufanımen. (Pohl-Göns, Kr. Gießen; Erxten, Kr. Rinteln.) Bon den rheinischen Klemmen, in die man die Beerenäftchen einkflemmt, um die Veeren daran zu trodnen, |prad) ih yon (©. 11).
Almäbhlich füllen jich die Gefäße, und es ertönt wohl, wie in
Müncden-Gladbad), die Frage: Di Kruk ess voll, dä Buk ess voll, Wa wellt möt mech noh heem jon? ®) Die Kinder fammeln fi) und vergleihen mit Kennerblid ihre Ernte. sh hab elf Schoppen." „ch acht, ich neun." Wer die meilten Beeren hat, genießt das höchjte Anjehen ). Nun fünnen fie fingen: Diholl, dihol], -diholl, Di Debbe, däi sein voll. Si stehn auf gläyer Eer Un kenn net völler wern. Diholl, diholl, diholl, Di Debbe, däi sein voll. (Pohl-Gön3,.) Dan rüftet fih zum Heimgehn, die Buben mit ihren Heidelbeer- bärten, die Mädchen mit einem Neis gefhmüdt. m der Schmeiz dedt man die Kratten (Körbe) mit großen Blättern zu und befeltigt
ı) Baiit, Mein Heimatland (Hersfeld) ar 22 155. ?) Schalter, Sachjjen-PBojt IV, 18. Juli 19 8.
°, Stichr. d Der. f. rhein. u , weftf. Bolfst, vn 1911, 180, *) Urff, Das Bayerland XXVI 1914/15, 15.
Dt die wi [K20 - +
2, AB,
zwei hölzerne Stäbchen freuzmeis Darüber, dumit der Wind die Blätter nicht entführe‘).
‚su vielen Gegenden haben die Beerengänger nun auf dem Heimmeg noch eine religiöfe Pflicht zu erfüllen. Ar Breidenbad bei Biedenkopf zerdrüden beim Heimgehen die Kinder auf einem Stein ein Beeren und fprecdhen dazu: „Böglein, ich geb Dir einen guten Zoll, laß mich aber ja nicht ftolpern!" Um Alsfeld muß dies Zerdrüden von Beeren auf einem Grenzjtein ausgeführt mwerden. Wenn Kinder mit den gefammelten Heidelbeeren aus dem Walde der Eibeniteiner Höhe bei Gmünd heimfehren, jo zerdrüden lie vor dem dortigen Steinfreuze drei bi8 neun Beeren ?). Wenn in der Oberpfalz die Kinder am Abend des erjiten Tages der Beeren: ernte den Wald verlaflen, dann „opfern“ fie: Syeder Grenzitein auf dem Heimmeg wird mit den größten und fchönften Beeren, die man gefunden bat, beitrihen ?). Bor etwa 50 Kahren ftand nod) ober- halb Delligfens beim Birfholze im Braunfchmweigifchen ein Stein, der in der Sommerszeit ganz blau war: SYeder, der Heidelbeeren gepflüdt Hatte, zerdrüdt® nämlih auf ihm eine Beere. Denn es
. war die Meinung, man würde feinen Korb nit ohne Unfall nad
Haufe bringen, wenn man nicht eine Heidelbeere menigftens auf dem Steine geopfert hätte*). Bei Uchte in Niederfachlen liegen in der „Bürde” an der Grenze des „großen“ und „Lleinen Holzes” zwei alterögraue, gewaltige Quaderfteiue, die Die Bidbeerenpflüder auf ihrem Heimmeg paflieren müjjen. „Behutfam, nicht ohne ein gewiljes Grauen, nähert fi) das Kind einem diefer Steine, entnimmt jeinem Kejjel zwei möglichjt große Beeren und drüct diefe am Steine zu Brei. Beruhigt geht der Sammler nun über den langen ge= beimnisvollen Moordamm, er hat ja dem „Böjen“ geopfert und gelangt ungejhoren mit feinem vollen Fefjel zu Haufe an. Ben: jenigen aber, welche den dem Geifte gebührenden Zoll nicht geopfert haben, pafjiert es, daß fie am Moordamm zu Fall fommen und ihre mübjam gepflüdten Beeren im hohen Bruchgra3 verlieren“ °). „sn der LVerngoer „Mark (dem Stadtwald) zerdrüden Die Beeren- judjer auf einem großen Granitjtein drei Beeren‘). Ein Grenzitein bei Schlierfcheid, Kr. Simmern, hieß der Wähleftein. Yedes Kind, da3 auf dem Heimmeg vom Beerenpflüden vorbeifam, zerdrücdte
,» Iohanna Spyri, Kurze Gefchichten für Kinder II (1886), 57. — Wenn bei den Tichechen ein ädchen im Wald jo viele Erdbeeren oder Schmämme gefunden hat, daß fie nicht alle auf einmal nach Haufe mitnehmen fann, „iperrt fie den Wald”, d. 5. fie macht eine Berwegung, als ob fie den Wald mit einem Schlüffel zufchließen wollte und |pricht dazu einen Spruch: Sartori, Gıtte u. Brauch IL 128.
a ” ren Blätter d. Ber. f. Yandesf. v. Niederöfterreich N. XXIV
'
» aa Die Oberpfalz II 1908, 156. & 2 bass Braunjchweig. Magazin: 1890, 117 = Wuttle-Meyer m a Meyer, Ntiederjachlen VII 1901/02, 35, dazu U. Conmwengß ebda.
” Schwanold, Ztichr. d. Ber, f. chein. u. mweftf, Volfsf, IX 1912, 152.
er AB:
auf ihm drei Wählen als Zoll und wollte durch den Kleinen Trib |
verhüten, daß e3 unterwegs feine Beeren verjchüttete‘),. Am Wald
rand des DiltriftsS „Das Roh” zmifchen Riedelbah und Mauloff im Taunus fteht eine alte verfrüppelte Buche, das „Herebeemde". - Sn ihre Rinde ift ein Geficht gefchnitten, daS in jedem Yahr zu Beginn der Heidelbeerernte erneuert wird. An diefer Buche opfern die Beerenfammler, nahhdem ihr „Sefchirr” gefüllt ift, vier Beeren. Diefe drüden fie in die Augen, die Nafe und den Mund der ein= gerigten Frage. Dabei jagen fie das Berschen: ende, helf mer du, weil giht’3 heimmärt3 zu. Rolle, rolle, roll, Mei Kerbche des iS voll, Boll bi3 ohn die Hente, Eich fanıı es nt ınih fchmwente. Rolle, rolle, roll Mei Kerbche, des iS voll, Chefimet, Chejimet, Hefte aach dei Hallebiern verichitt ? Hefte dein Herebeeniche a deme, Wärn der aach dei Hallebiern geblirumwe 2), Auch in Thüringen fol das gerdrüden von Beeren auf einem Stein porfommen?). sn Marjoß, Kr. Schlüchtern, legten die Sinder bei der Heim fehr am Rande des Waldes eine „SlüdSsbeere" aufeinen Stein, damit ihnen unterweg3 fein Unheil zuftoße. Am Abhang des Stempels nad) Moifcht bei Marburg, im Wald hart am Weg, . liegt ein Sandfteinblod mit mehreren jchüfjelartigen Vertiefungen, der allgemein der „Opferjtein" heißt. Noch vor etwa 40 Kahren pflegten die Kinder bei der Nüdfehr vom Heidel- oder Erdbeer- jammeln einige Beeren in die. Löcher diefes Steine zu „opfern“, mwie der übliche Ausdrud war. Wer dies unterließ, fam nad) der Bolfsmeinung nicht glüdlicd) mit jeiner Ernte nad) Haus, jondern fiel unterweg3 und verlor jo zur Strafe einen Teil der gefammelten Beeren *). Mit derjelben Begründung mirft man in Gelnhaufen einige der gejammelten Beeren in die Vertiefung des fog. Zoll jteins. Gegenüber der Billa fyelded bei Treis a. d. 2da, Kr. Gießen, befindet jidy ein ausgewajchener Stein mit einem Xod. Parüber chreiten- die Kinder Hin, drehen fih dann um und werfen, ohne etwas zu fagen, eine oder mehrere Beeren hinein, „jonjt fällt man bin“. Herr Lehrer W. Braun-Friedberg verdanken wir folgende Mitteilung: „syn der Gemarkung NRüddingshaufen, Kr. Gießen, be= fand fid) bis zur Tyeldbereinigung im fahre 1897 an einem Fuß:
) Ehternacht, ebda. I 1904, a: VII 1911, 178; v. Rünßberg, neh u. Kinderfpiel (Sit. Ber. d. Heidelb. Atad,, phil.hift. KL. XI :) 2, Glebauer], Der Landbote (Wiesbaden) 1913 Nr. 85 ©. 2.
) E. 9. Meyer, Mythologie d. Germanen ©. 1%. *) Kolbe, Oeifiiche Boll3-Sitten u, Gebräuche ? ©. 108f.; Kanngießer, Bemerkensmwerte Bäume und Sträucher der Umgegend von Marburg ©. 60.
we, 7.
pfad neben einem zum Walde führenden Wege eine flache Tyels- gruppe, die man den „Deumilstrappe” !) nannte. Einer diefer Felfen hatte nämlid) eine Vertiefung, die der Abdrud von dem Pferdefuß des Teufel fein jollte..e Wer aus dem nahen Walde mit Beeren an dem ZeufelStrappen ‚vorbeiging, war nad) einem alten Bolf3- glauben verpflichtet, einige Beeren in die genannte Vertiefung zu werfen. Wer diefes Beerenopfer unterließ, lief Gefahr, unterwegs hinzufallen und den Topf zu zerbrechen. Sch felbit habe als Syunge mit meinen Wltersgenojjen diefem alten Bolfsglauben gehuldigt, indem ich Erdbeeren opferte. Ein eigenartiges Gefühl bejchlih uns jedesmal, wenn wir an diefem Stein vorüberfamen. Wir waren fhon zu „aufgeflärt”, um nod) an diefen Teufelsfpuf zu glauben, und doc) wurden wir unficher und verlegen, wenn mir an dieje Stelle famen. Der alte Bolfsglauben hatte ein Gefühl der aber- gläubifjhen Scheu erzeugt, dem jich feiner entziehen fonnte.“ Das Opfern von Heidelbeeren und eines Erilaltraußes in die Schalen des Männelfteins im Eljaß haben wir bereit ermähnt?). Syn der Umgegend von Gelnhaufen „zollt” man einige der gepflüdten Beeren in ein Aftloch (dort heißt aud) ein Walddiftrift „Zolloh"). Ym Wald bei Ebersgöng, Kr. Weblar, ftand ein alter hohler Bucdhen- baum, an dem die Heidelbeerpflüder, au) wenn fie dazu einen großen Ummeg maden mußten, ftetS vorbeigingen, um ein oder zwei Beeren hineinzumerfen. Auch von den Findern aus den be= nahhbarten befliihen Dörfern Bohl- und Kirh-Göns wird mir be= richtet, daß fie beim Heimgehen in die hohle Baunimurzel eines - Baum an einem Fireugmeg — oft müflen fie lange nad ihm Tuden — drei Heidelbeeren legen. E83 darf dabei nicht gelacht werden, und feine Beere Daneben fallen. Wenn jie zertreten würde, würden im nädlten Sahr die Heidelbeerjtöde zertreten. Auch in Duppad), Kr. Prüm, opfert jedes vom PBflüden heimfehrende Kind vor dem Wald einige Beeren in einem hohlen Baumftumpf”). Die Kinder von Bohl-Göns madten nad) dem erften Gang in Die Heidelbeeren an einer bejtimmten Stelle an der Straße zwildhen Ebersgöns und Butbad), wo ein Weg abgeht, eine flache Grube, in die jedes Drei "Beeren warf mit den Worten:
Aich oppel häi drei Hälebeer,
: Daß der läaib Gott off e Johr dobbel en dobbel bescheer.
Bei Fredeburg wurde au vor dem Walde ein Grübchen gegraben und darin einige Beeren geopfert; nach) einem andern Bericht machten
') Die Deutung auffallender Vertiefungen in Steinen als Sußipuren, Yußtritte, Roßtrappen, Teufelsfrallen u. a. m. ijt ja meitverbreitet, &3 genüge auf einige Zujammenftellungen Hinzumeilen: R. Andree, Erhnogr. Rarallelen I 94 ff.; v.d. Leyen, Herrigs Archiv CXIV 1905, 15f.; 9. Günter, Legenden=- Studien ‘e 28; Tr. Pfiflter, Der Reliquientult im Altertum I 368, 875; ae "Sagen u. Märchen aus dem ObermwalliS ©. 314 zu Nr. 106:
Reinach, Cultes, mythes et religions 1118393 ff.; $r. Weber, Bayer. Hefte für Boltst. u 1917, 252 ff.
2) oben ©. 27,
’) Ded, Ztichr. d. Ver. f. rhein, u, weitf. Volfst. VII 1910, 275.
— 48 .—
die vom Waldbeerfammeln heimfehrenden Knaben bei einem Ab- grund Halt und warfen unter feierlihem Gejang Waldbeeren hinab, um gleihfam der Erde ein Opfer zu bringen. Man glaubte all- gemein, daß es dann im nädlten Jahre viele Waktdbeeren gäbe). Yus dem Odenwald, wohl aus feiner Heimat Waldmidhelbad), er- zählt Zehrer U. Zorn: „Der Heimmeg führt an einem TFeljfen vor- über; Hinter diejen befindet fi die „Heidelbeerfafje". ES be: fteht nämlich der alte Braudy, daB dort in eine Fel3fpalte von einem jeden Sammler ein paar Heidelbeeren gelegt werden. Diefes Opfer fol vorm Fallen, vorm Ausfchütten der Heidelbeeren und anderen Unfällen auf dem Heimmeg fhügen."?) — BZwilden dem Dorf Cappel und dem heidelbeerreihen Knid liegt ein Teich, in den die Beerenfucher Dreimal drei Beeren werfen, wenn fie mit vollen Körben heimfehren?). In Micheljtadt i. DO. beitand no in den 80er Kahren der Braud, beim Nachhaufegehen vom Heidelbeer: pflüden eine Handvoll Beeren vor fid) auf den Weg zu werfen. Dies nannte man die „Wegfteuer“, und man glaubte dadurd) das Hinfallen und damit daS Herbrechen des Topfes oder das Ver: fchütten der Beeren verhindern zu können. Aud) bei Kirtorf, Kr. Alsfeld, hat man, früher, wenn der Topf voll war, vor dem Heimmeg drei Beeren zertreten, „damit nichts pajflierte”.
Diefe „Opfer” beißen in Hefjen und auch in Norddeutjchland „oll" oderaudh „Zehnt“*). Am Hinterland (Breidenbad)) jingen
die Kinder: Zoll, zoll, zehire Wir fommen aus de Neere. Mer den Zoll will heben, Der, jegt fich auf die Wege. Sn Weidenau im Siegerland heißt’s: Zoll, zoll, ziere! ° Mer komıne us de Wiere (Meiden), Mer fomme us dem Rärerwald (Rödger Wald) Dn ha de Woalmwern all beftalt. Zoll ber, Zoll ber, Bes 08 Kärfche voll werr, Hochvoll, ftregevoll, Bes vame a de Hänte! Mr Fonn je net meh jchmwente. Suchhe?). |
!) Hüfer, Beiträge zur Bolfsf. II (VBrogr. Warburg 1898) ©. 26.
2) Heffiiches Lefebuch, hrsg. v. heil. Schulmännern, Ausg. A Teil IIT!?S. 197,
») Schwanold, SED Ber. f. rhein. u. wejitf. Voltsf. IX 1912, 152.
* Müldaufe a.a.D. ©. 18; f. a. oben ©. 28, —
5, Esfuche, Siegerländiiche Volfsliedchen S. 49f. Nr. 96. Er glaubt, daß die Vorftellung zu Grunde liegt, daß der Wald dem Menfchen feinen Zoll gibt: ©. 113. Das ift nicht richtig. AI Niederdieten heißt der Bers:
Zoll, Zoll, Zähre, | Komm ich aus de Bäre, Hon mei Dippche voll. Mer mer Boll well nehme, Gteflt fich off de Wege, Krieht fain Bodel Schläge, Für die. dem Walde zueilenden Kameraden ift dies ein Zeichen, der heim-
zz: 349,
Das ©. 44 angeführte Versen beginnt anderwärts auch mit Zoll, zoll, zoll, wofür auf niederdeutfchem Sprachgebiet toll fteht, 3. ©.
in Weitfalen: Tolle tolle toll, min Kuärf ies voll, stäit op leiker Zrden, kann nitt völler wzrden....')
Der Ausdrud „Zehnt“” für das MBeerenopfer ftamımt mohl exit aus der Firhlichen m.) und findet fi) auch) bei ähn- Gichen Erntebräuden: Wenn man 3.8. auf Objtbäumen die „Art“ oder den „Zragapfel” läßt, jo nennt man das in Norddeutichland den Tegen, d.i. den Zehnten?). m Otternhagen, Amt Neuftadt, läßt man bei der Kornernte einen Bujch Roggen ftehen und bindet ihn mit einem Strohband zufammen. Das ift der Vägeltäjen, er ift für die Vögel beftimmt, damit fie auch etwas hätten‘).
Wir finden übrigens bei diejem Opfer wieder ganz diejelben Yormen wie bei dem ErftlingSopfer: die Drei» oder Neunzahl der Beeren, daS Berdrüden derjelben an Steinen, bei. an Örenziteinen, und Bäumen, ihre Darbringung auf einem mit hüffelartigen Ver: tiefungen verfehenen „Opferjtein“ oder in hohlen Bäumen; in eigens dazu hergeftellten Eleinen Opfergruben, aber aud) in Selsipalten oder in einem Teih. Das über die Schulter Werfen fommt nicht vor. SH mödte daher anriehmen, daß es die eigentliche urfprüngliche Form des Beerenopfer8 beim Beginn der Ernte war, die Abgabe des „Behnten”, das „Zollen”, gehört an den Schluß der Ernte, fein urjprünglider Sinn wird der des Danfopfers an die göttlichen Mächte Des Waldes fein, bei dem zugleich die Bitte um eine gute Ernte im nädjften Jahre nahe liegt); wir finden folche Danfopfer und Bitten um Fünftigen Erntefegen aud) in anderen Erntebräudhen. So lieg man 3.8. in Medlenburg jedenfalls no im 16. Yahrb. einen Büfchel Korn, oben an den Nehren dreifach) zufammengefchürgzt, für Wodes Wodes Pferd ftehen und betete dazu dreimal laut:
fejenden ©q Schar mit dem Rufe „Zoll her!” entgegenzutreten. Sobald die bgabe entrichtet tft, diese beide PVarteien ruhig meiter... Der Braucd) ift
uralt:-Der Landbote tesbaden) 1913 Nr. 51 ©. 4; vgl. auch) die Mitteilung
aus Kirtorf oben S
| ) Wöite, EN IX 1850, 290. Toll ift auch = Reis, Beerenzmeig:
Wofte, Wörterb. d. weltf. Mundart ©. 272; Reinold, Ztichr. d d. Ver. f. rhein.
u. mweitf. Volfst, IX 1912, 45. Diejer erklärt in dem Liedchen aus dem Amt
Körbede: Toll, Toll, muin Toll, Muin Kuarf is full. Hai steut ob luiker Eren, Hai kann nit fuller weren. Dai der mi eune riuter kritt (Per mir eine Beere herausminmt), Dai sall des Duikers wären. die erfte Zeile: Toll (Beerenzmeig) mein Zeig. 2), Bol: 3.8 Pfannenihmid, an Erntefefte ©. 377. 8) G 5 Meyer, Deutiche Boltst. ©. 2 “U. Jahn, Die nn aleraene: € 181. 5) Heiler, Das Gebet? Hell. Bl. f. Volkskunde Bd. XXI. 4
a. 50
Wode, Hale dinem Roffe nu Voder,
u Nu Difitel und Dorn,
Thom andren Ihar beter Korn! 1) Yu in Bayern ließ man dem Waudlgaul ein Aehrenbü ndel ftehen und fang dem Hl. Santt Mäha (= Bartholomäus):
D heilige janct Mäha,
bejchere übers Jahr meha,
jo viel Köppla, jo viel Schödkla,
jo viel Aehrla, jo viel 1000 gute Gährla *). Sı Oberfranfen widmet man beim Schneiden die jtehengelaffenen Halme der Kornmutter mit folgenden Worten:
Wir geben’3 der Alten ;
Sie joll e3 behalten.
Sie jei uns im nächlten Jahr
So gnädig, wie fie es diesmal war ?).
E3 lag nahe, das Danfopfer für die geernteten Waldbeerer beim Berlafjen des Waldgebiet darzubringen; es empfahlen fi; dafür bejonders auffallende alte Bäume, wie fie vielfad) aud) als Grenzbäume für heilig galten *), oder die ebenfalls geheiligten Grenz» jteine ?), die ja oft amı Waldrand und nahe am Wege jtehen. (Wenn man in Opfergruben ®) oder in Telsfpalten oder in einen Abgrund da8 DBeerenopfer wirft, jo mag daS auf Opferbräude zurüdgehen, die Hthonifchen, in der Erde haujenden Wehen galten.)
Sn Dodenhaufen, Fr. öranfenberg, tete man nod) vor etwa 100 Sahren auf dem Heimmeg einige der beiten Beeren an einen vor dem Walde jtehenden Hagedorn und warf dabei einen Stein in den Bujch, „gleihfam um, was nod) ganz befonders in einem bergefagten Spruch geichah, für die Beeren zu danken“. Gonit fürdytete man entweder das nädjite Mal feine Beeren zu finden oder Die gefundenen bei dem Nadhhaufegehen zu verjhütten’). Bronner vergleicht Damit die Sitte, den legten FlahSbüfchel in die Uejte eines Baumes zu bängen®).. Zu beadten iit nod, daB wir hier wieder ein Beugnis für das Steinopfer haben ?).
Sr den Begründungen zu diefen Opferbräuchen tritt der Ge= danfe an die glüdliche Heimkehr mit dem vollen Topf oder Korb ganz in den Vordergrund. So wird der „Zoll aus dem Bank- opfer zum Wegzoll, zur „Wegiteuer”, die man auf den Weg wirft.
!) Zuerit erwähnt von Nik. Sryfe 159, |. J. Grimm, D. Mythol. I* 128 $.; Barth, Sagen, Märchen u. Gebr. aus Mectlenb. II 307 [.; U Sahn 0.0.0. &163F.; R. M. Meyer, Altgerman. an 260. 2) Aus dent 18. yahrh. bezeugt: %. Grimm, D Tintdot. III + 59f.; VW. Jahn a.a.d. ©.165; ©. H. Meyer, Mythol. d. Germanen ©. 300, — Heimatbılder aus Oberfranken. V 1920, 170 (etwas en Mannhardt, Piytholog. Forihungen ©. 337; U. Jahn, a.a.d. S.183. 3011 heißt übrigeng in Bayern ein Gebäd, das der erhält, der beim Aus- dreichen den le&ten un tut: Banzer, Bayer. Sagen u. un II 492. *)f. auch 0. ©. 22 6) j. auch o . ©. 36. °) j. auch 0. ©. 86. ),eE Mülbaufe, "Die Arxeligion des deutichen Volfes S. 2Al=Rieb- recht, „gur Bolfsfunde ©. 277 8) Die 37 Candsberger Volfsfalender 1910 ©. 99.
»). 0.6
a Br
Die Vögel freflen dieje Beeren, deshalb jagen die Breiden- badyer Kinder: „Wöglein, ic) geb Dir einen guten Zoll" (oben ©. 45). Vielerorts find heute hriftliche Heilige und Heiligtümer die Emp- fünger aud) diefes Beerenopfers geworden !): So legen in der Rhön die Kinder an jedem Kreuz oder Bildftod, an welchem fie vorbei- fommen, einige der jchöniten Beeren (ungefähr zehn [ID al3 Opfer nieder, „den Zehnten gleichjam von ihrer Ernte" ?). Auch in Böhmen opfern Kinder und aud) Ermacjjene bei jedem Kreuz, Marterl oder einer Kapelle am Wege drei Beeren?) Bei dem Hochmalddorf Kell, Zandfr. Trier, find zwei Feldfapellen der Mutter Gottes, deren Steinfliegen vor dem Madonnenbild zur Heidelbeerzeit „wie von dunfelem Blute gerötet” find. Denn die aus den Beeren fommenden Kinder fegen hier ihre Störbe nieder, verrichten ernjtihr Gebet und ftreuen fodann aus dem vollen Korbe als Dankfopfer eine Handvoll Beeren vor das Madonnenbild ?).
Ä Noch einen intereflanten Opferbraud) haben wir jchließlich zu erwähnen: In Neufirchen, Kr. Hersfeld, legt man, wenn man auf dem Heimmeg an einer Stelle vorbeifommt, wo ein Gefäß famt jeinen Beeren verunglüdt ift, nod) drei Beeren Hinzu’). Das fol vor ähnlidem Unglüd behüten. Auch hierin lebt nod) ein ganz charaf- terijtiihes Stüd Bolfsreligion weiter. Wenn dem Naturmenjchen ein Unglüd paffiert, wenn bier dem Sind fein Gefäß Hinfällt, jo denft es nicht, daß es felbjt beim Gehen nicht achtgegeben hat oder beiın Tragen feines Gefüßes unvorjidytig war ®), jondein vermutet da irgend eine ihm böS gejinnte Macht. Die hauft an der Gtelle, mo daS gejchehen ijt. Und jedem, der vorbei fommt, grauft es, und er jucht dDieje böfe Macht zu befchwichtigen und durch ein Opfer gegen fid) gutzuftimmen. So opferten Die Rappen Orten, an denen ic) ein Unfall ereignet hatte, oder wo fie beim Filhen und Sagen ausnehmendes Glüd oder Unglücd gehabt hatten °); in Hunan, China, pflegt jedes Schiff an einem TFelfenvorfprung, an dem fchon manches Schiff geicheitert ift, Weihraud) zu opfern). Diefer Beerenbraud) führt uns aljo zu einer der primitivjten Quellen religiöfer Begrifisbildung : in einer den Menjchen überrafchenden Fraftwirfung wird ein Ntumen gejehen, in diefer einen „individuellen Erfcheinung”, diefer „momen- tanen Epiphanie" wirft e$ und wird es „auf frifcher Tat angebetet” °). Ujener bat dafür den Namen „Augenblidsgott” geichaffen '9).
1) Bal. vo. ©. 18 u, 29. 2) e Hohl, Rhöniviegel? ©. 181f.
: %) Blümmi u Rott, Btichr. d. Ver. f. Volfst. XI 1901, 53; A. %ohn, Sitte, a und Volfsgl. " deutfchen Weftböhmen ©. 230.
) Schüller, Btichr. d. Ver. j. rhein. u. mweflf. Volk, VII 1910, 281,
°%) Auch in Schaafheim fol e8 einen bei. Brauch und Spruch gegeben haben, mern einem > Dibbe Hingefalle iS”,
°) Bgl. oben ©.3
?, Weftermard, liefen: u. Entmwicdlung der Moralbegriffe II 467.
3 Rofe Hefte des Studentenbunds f. Mijfton Nr. 27 (1914), 19,
R.M. Meyer, Ach. f. Religionsmiff. X11908, 3335; vgl.a. R. Dtto, Das Beilige® ©. 155 ff. über „heilige Stätten”.
Götternamen ©. 280; vgl. Nıljion, a de Religion ©. 41; R.M. Meyer, Altgerman, Religionsgeichichte ©.
4*
— DB —
Für die fröhlide Stimmung, in der fonft die Kinderfcharen,' wenn ihnen fein derartiges Mißgefhid begegnet ift, nad) Haufe - ziehen, jind die Lieder bezeichnend, die fie auf dem Heimmweg fingen. Nur ein paar feien alS Brobe angeführt. Aus dem Breiden- badher Grund (Hinterland):
Roll, roll, roll, })
Aiy 'hunn mei Korbye voll Bis öwe inner de Henke, Kang net geschwenke ?). Roll, roll, roll,
Aiy hunn mei Korbye voll.
oder: Zeh, zeh, zeh’?), Aiy 'hunn mei Korbye voll; Beern wäi e Plugsroad *), Aemter Unflat°’) wern net soat. Zeh, zeh, zeh, Aiy hunn mei Korbye voll.
Aus AUltbayern: Hoamzua, hoamzua, Aug’lbir ha’ ma gnua; lauda ECHEANE, gar koa greane, Juchhu! ®)
Neben den Nedereien auf die Kinder aus Nahbarsdörfern '), die oft zu fchweren Naufereien führen °), ift der Spott auf den faulen?) oder den le&ten Beerengänger jehr beliebt, 3.8. ein Berschen aus
Sadjen: Dude, dude dere ich hab mein Tonp voll Becre. Mer jein Topp nich volle hat, Das iS ne faule Mähre. Ducd dere, duc dere, Das i3 ne faule Mähre! Alle Leute haben voll, Wie der legte Bärlatich, Der dahinterdrei watjcht, . jein Topp zerbrochen, ie ein alter Kochen ... ?°)
ı) Dafür oft aus dem Mellipruch (3 dB. Brimms 8.HM. Nr. 45, Lewalter- Schläger, Deutiches inderlieh u. Kinderjpiel ©. 414, 119f.) ei) ftrap, ftrul: Wöfte, Germania X 1858, 70.
?) Dan verjucht gern das Kunftitüc, unter Benußgung der BZentrifugal- fraft mit dem gefüllten Gefäß Arnikreifen zu machen. Dazu un: man aber jehr geichidt lein: Eifelvereinsblatt XIV En 188,
eh = Beerenförbchen, |. 0. ©. 9 *) Bgl. unten ©. 53 daS Beerenlied "aus dem Bogel3berg. ®) aus dem „Ant“, oder „Sründjcher Unflat“ aus dem „Grund“, oder „Waller Dicker wird net soat“ aus Wallau u. d.
6) Das Bayerland XXVI 1915—16, 58,
') Vgl. auc, Bayer. Hefte f. Bolkst. VI 1919,: 195.
.) a ger, Mitt. aus Gejch. u. Heimatt. d. Kr. Biedenkopf II 1908, 97.
tulbaufe, Die au2 der Sagenzeit ftammenden Gebr. ©. 22.
., Sachjjen-Boft IV, 13. Juli 1910, ©. 3.
5 —_
Ungemein verbreitet in Hefjen ift der Vierzeiler:
co ging emol in die Beer, o war mei Dibbche leer, Do kam ich bei en die Stein Und warf mei Dibbehe kurz und Klein.
Aus der Grafihaft Tambad) in Franken (ähnlid) aud) bei uns in Oberbeflen):
Ging i naus die schwarze Beer,
Bracht mei Häfele widder leer,
- Frogt mei Fräle: „Wo host de die Beer?“
Sog ich: „Ich ho se g’fressen.*
Nimmt’s Herrle die Oefengabel,
Schlägt mich af mein Beerenschnabel.
Beerle, Beerle, Beer!
Ich mog kei Beerle mehr’).
‘rn fehr vielen Varianten habe ich ein Lied aus dem Vogelsberg:
Hollerboller di Herelbeernleit, die komme aus dem Wäld,
sie hö de Bore all bedoagt ener bi der anner.
Äller, mach de Schank uff,
hol e Kerbye Mehl raus,
back en weesse Kuche.
De erschte bi en Deller,
de zwäte bi en Heller,
de dritte bi e Schobkoarnsroad, de vide bi e Wähnroad,
de finfte bi e Mihlroad,
de sechste bi e Plugsroad,
de sewete bi e Schlöroad,
sei die ganze Beernleit soatt. (Elbentod, Kr. Alsfeld.)
Häufiger no) ift der Schluß: Macht di ganz Gemee" soatt. Pie Reihenfolge der Zeilen ift etwas geftört: der Größe nah müßten ih folgen: Heller, Teller, Schublarrnrad, Pflugrad, Wagenrad, Mühlrad, Schlagrad. Der Bergleich der Kuchen mit Pflugrädern und Wagenrädern ift fhon fehr alt und au) heute noch in anderen Neimen und Redensarten geläufig). Bielleicht fpielt außer dem großen Hunger, der den Kuchen nicht groß genug fehen fann, und der in manchen diefer Liedchen ausdrüdlid im Eingang erwähnt
ı) Sirmenich, German. VBölkerft. II 403.
2) 3.8. in Weistümern: Grimm, D. Mythol. II* 1086; B. Thor- mann, Ueber den Humor in den deutichen Weistümern ©. 16. 831. Hans Sach, Fabeln u. Schwänfe II 421: Tie Meichbner aßen ohn genad für ein bregen ein pfluges rad. Spruch beim Brotbaden in Bommern: Herin as he 2oofblatt, herut a3 he Wagerad: U. Jahn, Herenmejen u. Zauberei in Bom« mern ©. 144. Das „Plugrad hieß die Brezel, die die Finder früher in Nieder- Beilingen an Pfingften erhielten”: Gieß. Anzeiger 23. V.1923; Neujahrsmunich: & Kuche wie e Waansrad (oder Mühlenrad) : Ztichr. d. Ver. f. rhein. u. ıweitf. Bolfst, VII 1911 ©.38; Küd u. Sohnrey, Feite u. Spiele des d. Landvolfs ©. 38; zus im Wiegenlied: Mitt. 0. Ver. f. Beh. u. Altertumst, d. Hafe- gaues IX 1900, 67 ujmw,
u. 54:
wird !), nod) etwas anderes bei diefen Vergleichen mit. Aus Schorborn im Solling wird berichtet, daß dort jährlich ein großes Bidbeeren- fejt gefeiert wird, zu dem faft in jedem Haus ein großer Heidelbeer- fuchen gebaden wird, zu dejjen Vertilgung ji die Nachbarn gegen- feitig einladen. Syn früherer Zeit wurde, jo erzählt man dort, ein einziger großer Heidelbeerfuchen gebaden, zu dem jeder Einmohner feinen Zeil Mehl und Beeren beijteuern mußte. Durch diejen riefigen Kuchen mußten fid Männlein und Weiblein Durd- efjen, und erft wenn daS LZod) im Kuchen fo groß war, daB män- niglid) bindurdjichlüpfen fonnte, durfte der Tanz auf dem Teitpladen beginnen ?). Das wäre in der Tat ein Kuchen wie ein Schlagrad, an dem die ganze Gemeinde jatt hätte. Der Beriht ift augen- Tcheinlih in’s Märchenhafte geiteigert, wobei die Gedichte vom Sclaraffenland dem Erzähler die ‘Farben geliefert hat. Aber ich halte e8 für nicht unmöglid, daß einmal für dus große Erntefeft eines Heidelbeerdorfs ein folder Riefenfuchen gebaden wurde nad dem Mujter der mittelalterlihen Zunftfefte mit ihren Riefenbrezeln und Riefenmwürften?).
„Heidelbeerleut,
di jan fo gicheit,
die halte ihr Kerwe,
wenw’s Heidelbeer geit.“
heißt ein Öberfchefflenzer BVierzeiler‘). rn Elbenrod, Kr. Alsfeld, wird, wenn die Heidelbeerernte vorbei und gut ausgefallen ift, ein Tanz im Wald, „der Die”, veranftaltet. Nachmittags um 3 Uhr gehen Burfden und Mädchen heim, um Kaffee zu trinken und Heidelbeerfuchen zu ejjen. Drei Tage nad) dem Tanz gehen nod) einmal 12 Burfhen ins Feld und graben an einer bejtimmten Stelle einen Pfennig ein und tanzen da einen Rundtanz, jo wie man fonft die Kirmes begräbt?). Wir können aus einem anderen
1)3.%8. Sehne hbohme, hohme De Schmwoanzebeerlüt fome, Sn en große Honger. e Aeller jchleßt de Schanf uff, Thot en große Koche ruıs, So groß be en Mölleroad, Doa wern de Schwoazebeerlüt al foat. 2. H5Hl, Rhönfpiegel ? ©. 181. 3) Niederjachlen V 1900, 341 ı) A. Keller, Die ehr: im Bollshumor ©. 57, Sieber, tichr. L d. Untere. XXVII 1914, 191; ml n Nachbarichaftsfeften: tichr. d. Ber. f. rhein. u. mweftf. Boltst. XV 1918, 9. 711; Kiefenmwurft in Schild=- bürgergefchichten: Lalebuch hr3g. v. v. Bahder © S.128 ff; Wo] IS Aus dem Lande Fri Reuters S. 179; ein 80 Pfund fchmwerer Ruchen: E Meier, Sagen ... aus Schwaben; ein Riejenmwed für die Manöver von 1730: Yeld- haus, Modernfte Krie egämafle — alte Erfindungen ©. 177. In Eleufi3 wurde ein Rieiensnehovi, als Opfer dargebradht: Stengel, Opferbräuche der Griechen
9 Augufta Benber, Dberichefflenger Volfslieder ©. 252; vgl. Pfaff, lem. N. % VIII 1907, 128 U. 5 5) Bgl. o. &. 87 nm. 8.
Beriht aus der Alsfelder Gegend (oben ©. 37) fchließen, daß foldhe Heidelbeerfeite dort üblih waren und fogar die alten Opferbräuche en haben. Auch der Bidbeerenfonntag in Eyjtrup (oben
©. 8f.) mag bier noch einmal erwähnt werden. Neicdjere Nadjbar- dörfer fpotten natürlic) über folde Walddörfer, in denen die Heidel- ‚beerernte eine Haupterwerb3quelle ijt nnd ihr günftiger Ausfall die Beranlaffung zur Feltesfreude gibt.
Wenn Hadelbeerleut tange, Do mwacele die Franfe, Do heppe die 3löh Schnurgrad in die Höh!
Sp fingt man in Ober-Mofjau, Kr. Erbad. Wöhrd, eine Vorftadt von Nürnberg, hat Kircdyweih an Bartholomäi. „Heuer gibt’S viel Schwarzbeer, da wird der [verjegte, filberne] Barthel ausg’löft!" Tol die LXofung der Wöhrder nad) ihrer Kircyweih fein‘). Der Nedreim:
Wer in Wirbach fich will nähren,
Der muß juchen Heidelbeeren,
Kann er fich darein nicht finden,
Muß er lernen Bejen binden,
Wer dazu befit fein Reis,
Stiehlt’3 in Hainberg. — Kyrie elei3} ?)
Hat Barianten auf Bidenhaufen im Schwarzatal?) und Rodliß‘). AYm Meininger Oberland fingt man:
Schwärza B£er un Hölparla,
Döös gibt an guuten Brei.
De Neufigher senn za hungarigh,
Si loussen enn niiet abei.
Abei, abei, iir Lumpenhund,
Un waar niiet kümmt, daar wörd galumpt °).
= Kreis Zauenburg jagt man;
Harmsdörper Koladen,
bebbt Lüs in’n Nacden,
hbebbt Bictbeeren feeten, ” bebbt Hemd voll Ich...
Ein Dorf bei Friedewald ift berühmt nn den Schwarzebeeren= baum, der dort mwachfen foll”). Die Schramberger heißen in Schwaben Die „Heibeerefüdle" ®), die Bewohner von Tr. Reichenbach die „Heid: berefchnißler" °).
') Bonner, Bayer. Schelmen-Büchlein ©. 169. 2) RB. Drlamünder, VBollsmund u. VBollshumor ©. 201. °) Deutijche Dorfzeitung XIll 1910, 876. 05 +) Müller-$raureutb, Wörter. d. oberfächl. u. erzgeb. Mundarten 7 Schleicher, Bollsthümliches aus Sonnener ©. 101. n Die Heimat (Kiel) XXXII 1922, 115. . 2 Werner [Bötte], Aus einer vergeffenen Ede [I], 19. *) Alemannia II. Folge I 1909, 146. ”), 9. Fiiher, Schmäb, Wörterb. III 1336,
— 56 —
Der Berfauf der Heidelbeeren im Haufierhbandel war eine jehr befchwerlihe Sade. Vielfach) wurden die Beeren in Kößen, Kiepen, Spigfürben auf dem Rüden ftundenmeit in die Städte oder heidelbeerlojen Gegenden getragen!) und dann dur Rufen von Haus zu ge angeboten: „Kaffts foi Hoiberla?" „Kaflt3 ma Hoiber 0o!*?) „Kauft’S Taubeer!”?) „Wäle, Wäle, Heidelbiire!" *) oder einfach N älirenn 5) „yarus (Frauen), Blaubeerä!" „Blau: beer, Blaubeerä, Blaubeere, mat god Blaubeerä!"®) Gie forderten natürlich aud) den Spott der Kinder heraus”): Wenn die Ruhlfirchener ar mit ihren Kögen durd) Bilfes in der Wetterau gingen und riefen:
‚Heidelbeern, acht mir die Keete leer!”
jo fpotteten ihnen die Kinder nad) und riefen ihnen zu:
„Heidelbeern, Wenn fie nicht fo teuer [jauer] wär’n!“
Wenn in Eisleben ein Heidelbeerenverfäufer jeine Ware ausruft, jo reimen die Rinder auf fein „Heidelbeeren”: „Wer will mir das verwehren?"®). Im Elfaß geht der PVierzeiler:
Heidlbeere, Hetdlbeere,
3 Mäpl für e Kriber; | Un faufe je di Schwomwe nit, 3e Taufe je di Schmigzer! ®)
Die Kinder ahmen in ihren Spielgefpräden den Heidelbeerhandek | nad, jo in ®r. Steinheim, Kr. Offenbad;:
„Heidelbirn!‘' Was fojt die Schmier ?”" | „Drei Babe.” | | „Kannst mich 'm Budel frage!‘ oder in YNaden: „Bel Wollbrie, gell!‘ „Wat gelt De Kann n (Hohlnaß) ne Märt (1 Märt = 5%), Madam.” „Dat eBß ze dür.” „Adie, Madam.” !%) | >
Solange Heidelbeeren durdy den Ort gefahren werden, brechen feine Kinderfrankheiten aus, glaubt man in Annaberg und Buchholz !!).
ı) Öieß. Anzeiger 24. Juni 1919; Schüße, Holftein. Sdiotikon u. „Kiep“; % Blau, Böhmermälder Hausinduftrie u. Voltstunft II 241. ) . Blau a.a.d. ö as Bayerland XXVII 1915/16, 59, IE Schön, Wörterb. der Mundart des Saarbrüder Yandes S. 182, . üller- -Fraureuth a.a.D. I 492 mit Noten. Hedwig Schirmer, Blaubeere wat got’3 Blaubeere blau! Königs- berger enufe (1911) ©. il mit Noten, auch einige Varianten, ') © aud) oben ©. 12f. Anm. 10. ) Drojihn, Veutjche Ainberreime ©. 139 Nr. 858, vol. 0. ©. 498, 9%) Martin und a MWörterb. d. eljäll. Nundart, 11 77. 1) Schollen, Ztichr. d , Aachener Gefch.-Ver. X 1888, 1) 6, BR Abergl., Sitte u. Brauch) im Erzgebirge S. Als,
Aber wegen ihrer [hmwarzen Farbe find fie feine gute VBorbedeutung: Schwarzbeer im Trääm bedet't Ugelik'). Sie am heiligen Abend zu eflen, bringt Trauer ?).
Zum Schluß nod) eine Heine Gefhichte aus Leihgeftern, Die mir Herr Studienrat Dr. Faber erzählt hat, und die zeigen mag, wie fehr beliebt aud) in Dörfern, die nicht in dem Heidelbeergebiet liegen, diefe Frucht ift: „Eine Frau hatte am Sonnabend Heidel- beerfudhen für den Sonntag gebaden. hr Mann kann vor Er- mwartung in der Nacht faum fchlafen, fodaß er fhlielid in Die Worte ausbriht: „Wann ein armer Mann einmal was hat, mwill’s aud) aar nit Tag werden!"
Die File echt volfstüimlicher Ueberlieferungen, die jid) an Die Heidelbeerernte fnüpfen, wird gewiß mandjen Xefer überrajcht haben. Wenn man nun nod) die große Bedeutung der Heidelbeere in der VBolfsdihtung Hinzunimmt, wofür ic) ja nur ganz wenige Proben al Belege eingeftreut habe, wird man zugeben, daß diefe Frucht im Leben unjres Volkes eine ganz hervorragende Rolle jpielt und gefpielt haben muß. Heute find faft nur noch die Kinder die Träger Diejer Ueberlieferungen — zu ihnen hat fid) ja fo „manches Bolfs- tümlide aus der Sfugendzeit unferes Volkes geflüchtet“ *) — aber alte Leute fünnen fich für mandjen der Bräuche nod) erinnern, daß ihn früher au die Ermachfenen geübt haben. AngeficdhtS des vor- gelegten MtaterialS bin ich überzeugt, daß wir hier vielfad) wirklich) uralte Tradition vor uns haben, gewiß oft nur no unverjtanden mweitergeführt, manchmal vielleiht aber doch auch heute nod) von jenem „Erjhauern vor dem Numinofen“ begleitet oder gemwedt (vgl. ©. 51), daS die Quelle allen religiöfen Empfindens if. Troßdem viele der gejchilderten Bräuche unter dem Einfluß des Chriftentums und jüngerer Rulturentwidlung (vgl. die Ausdrüde Zehnten, Zoll, . Wegiteuer) umgeftaltet und umgedeutet find, dürfen wir m. €. uns an diejfer Tradition doch Hineinzufühlen verfuden in ein Stüd religiöjen Lebens unferer heidnifchen Vorfahren, ja de3 „primitiven“ Dtenjchen überhaupt, wie er in überrafehendem Erleben ein numen empfindet, ohne fich no) eine Flare Vorftellung davon zu machen oder e3 gar zu benennen, wie er nur in ehrfurdhtspoller Scheu zu den uralten Baumriefen feiner Wälder hinauffehen fann, wie er das Ernten der Beeren, die ihm diefe Wälder bieten, nicht als fein gutes Recht betrachtet, Jondern als eine Gabe der bier waltenden übernatürlid) perfönlid) oder unperfünlih gedadjten Mächte, für die er ihnen eine Abgabe als Ablöfung oder einen Dank durd Opfer und Gebet jehuldig ift, oder wie er fich fürchtet, die zu fchauen, die nod) fein Auge ungeftraft gefehen hat, und mie er daher die Gaben, mit Denen er fie verfühnen oder fid) günftig ftimmen will, über die
a ee.
ullerögrnureutd, MWörterb. d."oberlächl. und erzgeb. Mund» arten Il 492; im Emmental ift es ein Vorzeichen des Todes: Schweiz. Arch. f. Voltst. XV 1911, 11.
2) &, Sonn 0.0.8. ©. 154.
’») Ev. Künßberg, Rechtsbraudy und Kinderjpiel (1920) ©. 5.
23-50: Ze
Schulter in heiligem Schweigen
58
binter fi wirft. Bei unferer Bes
tradhtung finden wir hier allerdings nit mehr wie die Miythologen der Romantif und ihre Nachfolger die großen Götter der Germanen, aber wir gelangen dafür nacdjenıpfindend an die Schwelle religiöfer Begriffshildung und gewinnen dann aud ein Verftändnis für die aus der PBerfonififation der übernatürliden Kräfte allmählid ent- ftehenden Gejtalten der von jenen fogenannten „niederen Mytho- Iogie". Bugleic) dürfen wir dabei auch einen Blid tun in ein Stüd „Seihichte des Heidnijhen Ritus”. -
Nachtrag zu S.48: Der „feierliche Bejang” bei dem Fredeburger Beeren-
opfer bat na folgenden Tert:
Grötelen, Sauerländilcher Gebirgsbote XXV 1917, YLf.
Trol häime, trol hätme
M Hei fteit op dei fan nit
Dei Koppel
ehin Kuarf iS full,
lehifer Erden, vüller werden.
tollidodom, trollidodom,
18 daut,
Dei Gunft i8 graut, Dei YJungens find fräub. Trollidodom, trolidodom.
I
£üenbüßer.
Zu 3. 14 vgl. . 30. ©...
Drtsn
ecereien
aus der Sammlung der Schüler von Studienrat Dr. Heymann, Gießen.
Bo Heuchelhem noch Kinzebach, do gieh die u) of Stelge, die Baafte hun Kramajche o, die Hinfel fan me melfe.
En Betburg jeu die Staa net tout, doa3 Ichmedt me o de Wufcht, dieweil des Bäjer em Keller loug, do lerr me ach fän Dojcht.
Met Wucht en met Kiel, do giehnze o die Armet die Gleiburger
- [Stiel,
Dtichbach, Doulle, Daurehowe, . Betburg, Sleiburg guet do ome, Krofdorf leit om Bleche, en. Kinzebach jeu die Reche, en Tiffemer ie8 des Großgehäng, en Salzbörre en Urehaufefrittdie Kränt.
(Heuchelheim.)
') Bgl. Hefl. BL. f. Voltst, IV
MWääpte dann, wo Beuen leit? Beuen leit em Loch ?). Ei, wer host dann doaS gejaat ? Ei, mei Better Koc). Wann die Määrecher froih af ftieh, ude je noch de Wollte,
aa je: Dch du läme Zeit,
bärr ich dach gemalfe.
MWääßte dann, wu Beuen leit? Beuen leit en Groame!),
Ei, wer bo“t dann doa3 gelaat?
Ei, Better Schnoame, (Beuern.)
Beahbig, Sleibig audt do ome,
Krofdig leit om Gläche,
ien Laufchbach fei die Räche,
ien Wifjemer fimmt des gruß ent
Salgberre, Urrehauje Fritt die Krent. (Krofdorf.)
1905, 159.
3
Ein Diebszauber. Bon ProfefforDr. Arher Taylor, Wafhington Univerfity, St. Louis.
Raum ein Zauber ift wegen feiner Altertümlichkeit intereffanter als der Biebszauber, dejjen geläufigite Yorm ji in einer dä- nifhen Gefhichte vom [ehlauen Schmied findet: An ihn hatte fid) ein Mann um Hilfe gewandt, der beftohlen morden war. Da zeichnete er mit Kreide ein Auge auf die Straße, jhlug mit feinem Hammer darauf und Jagte zu dem gejchädigten Dann: „Geh’ heim, der erfte Einäugige, dem du begegneit, ift der Dieb; fein anderes Auge babe ich mit einem Hammer blind gemadjt!).”“ ES wird bei dDiefem Zauber alfo ein Auge gezeichnet, und feine Verlegung ruft eine entjpredhende Verlegung an dem Auge des Uebeltäter8 hervor. Die zugrunde liegende Vorjtellung der Uebertragung einer Schädi- gung von einem Bild auf eine Perfon ift primitiv und meit ver: breitet. Aber aud) ihre befondere Anwendung auf daS Auge eines Diebes ift beachtensmwert und überrafchend alt.
Merfmürdigermeife ift bei den früheren Behandlungen des Gegenjtandes überjehen worden, daß eine fehr auffallende Andeu- tung des Grundgedanfens diefes Zauber bereits in einer fehr be= fannten griehifhen Anjhrift vorfommt. Das Zeugnis ift wichtig fomwohl wegen feines Alters al3 wegen des Lichts, das dadurd) auf die Gejchichte diefes Zaubers füllt. Auf einer in einem Grab bei Cumae gefundenen Lefythos ift in einem altertümlichen ariechifchen Alphabet . des 6. Kahrh. v. Chr. der Saß eingerigt: Taraies ey Aequdos. hös 8’ dv pe xAcposı, dupkös Eotaı (Sch bin die Delflafche der Zataia; wer mid) ftiehlt wird blind.)*) Auf die epigraphifchen und dialeftologifchen Fragen, die jih an diefe Snjcrift Inüpfen, braude ich hier nicht einzugehen. Das eigentlidhe Verfahren zur Eicherung der Blendung des PiebS ijt nicht bejchrieben. ebenfalls haben wir aber bier daS erjte Beilpiel einer Verbindung der Strafe der Blendung mit dem Verbredhen des Diebjtahls. Someit ic das Vta- terial überjehe, ift diefe Verbindung nicht germanifh, bei Amira in Bauls Grundriß und in Grimms Redtaltertimern finde ih feine Erwähnung derjelben. Sie [heint eine Eigentümlichfeit gerade diefes Zaubers zu fein, und man wird daraus fchließen dürfen, daß alle Formeln, in denen fie vorfommt, herzuleiten find aus einer ein- zigen Quelle, und zwar aller Wahrfcheinlichkeit nach einer griechifchen.
Sfünger, viele Jahrhunderte jünger ift eine ausführliche Zauber: porjcrift in dem berühmten griehijchen Zauberpapyrus Anaftaji XLVI des Britiiden Mufeums. Gie ift bisher der Ausgangspunkt für
1) E. T. Kristensen, Danske Sagn VI 6&t. 18.
*2) Inscr. Gr. XIV 865; Röhl, Inscr. Gr. antiquiss. 524 = Imag. inscer. Gr. ant.? ©.79 Nr.23; Collig- Bechtel, Samml.d. griech. Dial.-Anfchr. 1112, 5267; Walters, History of Ancient Pottery ©. 242 f.; Lamer, Griech. Kultur im Bilde Nr. 138b; Kind, Berl. philol. Wochenjchr. LX 1920, 826.
WO
die Unterfuhung diefer Form des Diebszauber3 gemejen!). E8 wird darin verlangt, um es furz zu fagen und ohne auf die ftrit- tigen PBunfte des Textes und der Erklärung einzugehen, daß man beitimmte Pflanzen nehmen und ihren Saft ausprefjen, ihre trof- fenen Fafern verbrennen und Die Alche dem Saft zujegen fol. Hiermit joll man auf eine Wand fchreiben. Danı muß man mit einem aus zauberfräftigem Holz geihnigten Hammer auf daS Auge Ihlagen — gemeint ilt ein Bild, das man zeichnen joll — unter Ausjpredien einer Yauberformel: „Wie das Auge getroffen wird, fo möge des Diebs Auge getroffen werden und ji entzünden, bis er fi) jelbjt ftellt." Wenn au) nod) gemwijle Schwierigkeiten in dem Text beitehen, jo jind doc) der Sinn und auch die Einzelheiten in der Hauptjache Kar. Die Volalpyramiden, die die Zeichnung des Auges begleiten, find nicht ganz fehlerfrei ausgeführt und offenbar ungenau aus einer älteren Vorlage abgejchrieben?). Sie bemeijen übrigens, daß der Sauber in diejer Form nicht jehr weit zurüd- gehen fann, und deuten eher auf griechifche al3 jemitifche Zufammen- hänge?). Die unverfennbare Färbung des ganzen Textes — eines der griehilhen Worte fann nur als Umgeftaltung eines ägyptilchen erklärt werden — fowie feine Herkunft berechtigen zu der Annahme, daß die Sprache diefes Zauber ftarf ägyptifch beeinflußt mar. Die Spätere Gefchichte des Baubers ilt- natürlich viel leichter zu zeichnen, da die Belege häufiger werden; ich) will jedoch hier nicht wiederholen, wa bereit$ von Breifendanz, Sacoby, Hamilton und Ohrt zufammengeftellt worden ilt. ns 15. Sahr- hundert, aus dem mir bereits einen byzantinijchen Tert mit einer unerflärten Anfpielung auf Judas Yfcariot (6 de rapdavopos ’Ioudas oox MBovAydn ovoevan) und eine große Deutjche HZauberformel als Parallelen fennen, gehört eine Zaubervorfchrift in einer deutjchen HSandfhrift im Britifhen Mufeum, die bisher noch nicht heran- gezogen ift. Ach gebe den Text nad) Priebih‘): Item woultu eyn dipstall vynd@ So nym siluer schum ind zerwerff yen myt eyer clare ind male da myt in eyne want ey ouge Ind heiß die dan dar komen vp den man archwenet des verstolen dynges jnd heis
sy an (über vur) dat ouge seen/wer dan schuldich ist der weynet an deme reichten oug@ So sprich yen an/will her syn loynen So saltu
’) Breijendanz „Zwei Diebszauber”: Heil. BI. f. Boltst. XII 1918, 139 ff; Yacoby, „Ein belleniftiiches Ordal!: Acc, f. eeiensraiff xVvt 1913, 192 ff.: Nachträge dazu von Seren), und Hamilton en XVIII 1915, 85 f.: F. Öhrt, Trylleord (Danmarks Folkeminder XXV) ©, 24 ff. Der Sreundlichleit von Prof. Hamilton verdanfe ich den größten Teil der fol- genden a
2) Bol, Preifendanz; „X09R”: u LXXV 1918, 482 ff. und Heil. U. Xi 1913, 140,6; yerebd Ach. f. Religionswilf. xVI 1913, 123,e und die neulte Behandlung von Dorn] eiff ‚ Das Alphabet in Moftit und Magie (Zroryeia VID ©
®) Wünich, RR Baubergerät aus PBergamon ©. 29; Pradel, Re- ligtonsgejchichtl. Berfuche u. Borarb. III 1906—07, 297. "Iaw ift natürlich das judiihe Tetragrammaton „Jahveh.
*, Deutiche Handichriften in England II 267 Nr. 309.
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eynen cipressen nagell hain ind stich in dat ouge/so wirt her schrien Ind so du in dat ouge stichst so sprich dese wort f rabas 7 cellariü + retana + magin + facite et cogite furtü jus sprich discü magno enpa- mitula uffer non tua.
‚Im folgenden Jahrhundert wird dasjelbe Verfahren in etwas erweiterter Form verurteilt von ‘oh. Wier, einem der erften, deren gejunder Menfchenverjtand gegen die Greuel der Herenver- Tolgungen Einfprud) erhob:
Item exoreismus in furem: hincin medio ad oculi similitudinem vestigio figurae circularis nominibus barbaris notatae, figitur clavus aeneus tri- angularis, conditionibus certis consecratus, incutiturque malleo cypres- sino, et dicitur: Justus es, Domine, et justa judicia tua, etc. Tum fur ex clamore prodetur'). .
Nach einem anderen deutfchen Bericht au3 der Zeit Turz vor der Reformation las ein Priefter im Falle eines Diebjtahls den Sudaspjalm (Pf. 109 der QVulgata), den man als eine Prophes= zeiung des SchidjalS des VerräterS deutete, und veranlaßte dann den Schmied, einen Nagel in aller Teufel Namen zu jchmieden. Nenn diejer in den Amboß getrieben wurde, verlor der Dieb ein Auge?). |
Sn einem mwunderlidhen Sammelmerf des 17. Jahrhunderts über die verjchiedeniten Arten der Zauberei, welches der gute „Joh. Chrilt. Frommann unter dem Titel Tractatus de fascinatione (Nürnberg 1675) veröffentlicht hat, begegnet folgende Stelle:
Alios sequenti modo ceu maxim& experto uti accepi, quo quidem non oculus excutitur, oculo tamen dolor maximus, donec ablatum & fure re- stituatur, incutitur, et beneficium visus adimitur: Albumini ovo conquas- säto carbonem quercinum miscent, quo in charta vel in assere oculum (vel quasi) hunc in modum pingunt [eine Zeichnung tft beigegeben], postea acum etc. Örationem dominicam et sequentem ter certis legibus reci- tant: D Herr HEfn Chrifte der du ein gerechtes Gericht gefället halt / ducch deinen Diener Sofua in der Stadt Jericho von dem Diebitall Ochis / verleihe daß dieier Dieb /jo das genommen bat / jolche Bein leide an jeinen Auge /und jehen darinnen /fo lange 2c. 2c.?) 5
Aber Frommann, der fein ganzes Werk dem Beweis midmet, Daß’ Bauberei unmöglid) ijt, [chließt mit der vernünftigen Bemerkung: Sed modus hic est absurdus, impius, magicus et Diabolicus. und bemeift daS dann der Reihe nad.
Daß jedoch diefe Zauberanmeifungen tatfächlich ernft genoriimen wurden, ijt jelbjtverjtändlih. Zudem würde es eine gemilje Chrijtina Kirchners, zu ihrem Leidmwefen, bezeugen, die wegen deren Anmen- dung am 2. Mai 1604 bingerichtet worden ift. Jr aller Teufel Namen hatte fie Mil auf einen Schuhfled gegofjen (doc) wohl von der Nahbarin, die fie des Milddiebftahls angefchuldigt hatte), hatte dann mit einem Karft darauf gehadt, „Davon der Nicoln von
') De praestigiis daemonum, Bafel 1568 ©. 463f. (lib. V cap. 5 $ 7), nach dem Zitat bet Srommann, Tractatus de fascinatione 768. . an für pommerfiche Volfst. V, 39.
Fee
— 2 —
Bwida ein Auge aus dem Kopfe gejprungen” '). — Yerner murde bei einem Herenprozeß in Münfter im Jahr 1627 bezeugt, daß der Angeklagte, ein gemiljer Heinrich Yohmann, nadhts allerhand Kreuze auf die Kanımerwände gerigt und den Leuten gejagt babe, er be= fie einen Hammer, mit dem er dem Dieb das Auge oder die Nafe -einfchlagen würde. Ein anderer Zeuge fagte aus, daß der Durd) jolhe Drohungen eingefhüchterte Dieb da8 gejtohlene Eigentum zurüdgebradt hätte?).
Zum Schluß feien auch noch einige Belege aus neuerer Zeit für den Glauben an diefen Zauber beigebradt. Sn Deutfchland läßt fich feine Kenntnis bis faft in die Gegenwart nachmeijen:
An Holftein glaubte man vor einem Menjchenalter [d. h. etwa 1860], daß es möglich jet, einen zu veranlaffen, geitohlene Sachen zurüdzubringen: Man malt ein Auge auf Papier, zerfticht dasielbe mit einer Nadel, während man feinen Zauberjpruch dabei herjagt. Zer Dieb muß dann das Ge- jtohlene wiederbringen, verliert aber zur Strafe ein Auge ?).
Das von Frommann befchriebene Verfahren erhielt ji) lange in Thüringen, wo es in folgender Form niedergejchrieben worden tft:
Einen Dieb zu martern.
Nimm das meiße eines eies, vermijche es mit lindenfohle und male damit auf ein bret oder papier ein auge in unten folgender geftalt, nimm eine nadel womit ein toder ift eingenähet worden, ftede die nadel in das auge und fprich die nach folgenden morte jowie das vater unfjer jedes drei mal. Tas gebet lautet: o herr N Ehrift der du ein recht gerichte geiteller haft durch deinen diener Jolua in der ftadt Nericho von dem Diebitahl omıer [?]. verleih daß diefer dieb, der dies und das geftohlen hat, olche pein leide in feinem auge als diefe nadel in dem gemacheten auge ftecfe, Durch dein lob und preis. ament),
DOhrt, der die reiche ffandinavifche Ueberlieferung in mujter- gültiger Weife zufammengeftellt und erläutert hat, zeigt, daß man aud) in Dänemark nod) an die Wirkfamkeit unferes Zaubers glaubt). Zmei nordifche Belege feien bier noch nachgetragen. Schon “Jalob Grimm fannte eine verderbte fchmedifche Form, Jie jteht falt als legtes8 Wort in feiner „Beutfchen Mythologie":
Man soll sonntagabends bei sonnenuntergang sich auf eine hochgele- gene stelle mit einem eimer voll wassers begeben, die rune S schneiden
und dem dieb auflegen innerhalb bestimmter zeit das gestolne gut zurückzubringen oder sein rechtes auge zu verlieren).
m jchroffen Gegenjfag zu der falt an die Einfachheit des zu Anfang -beiprochenen griechifcyen Spruches erinnernden Knappbeit diefer jchmwedifhen VBorfchrift fteht eine isländifche, worin die Un= rufung der heidnifchen Götter zweifellos ein fpäterer Zujaß ilt:
1) %, Opel, „Zur RKriminalftatiftif der beiden Städte Zeig und Naum- burg während der ‚Jahre 1549—1664": Zeichr. f. d. Kulturgefch. 1V 1859, 640. Dies ift offenbar derfelbe Fall, den Schindler, Der Aberglaube des Mittelalters (1858) S. 299 furz erwähnt.
3) 2, Humborg, Die Herenprozeffe in der Stadt Münfter (Diff. 1914) S.37.
®) Bolfsmann, Am Urquell Il 1891, 125,
RR. Auen, „Sagen und Zauberformeln, gefammelt in Thüringen”: Ztichr. F. thür. Gejch. I 1852—54, 189.
)a.a.dD. 24ff., |. a. Feilberg, Sjsletro S. 167 Anın.
°) II* 1043.
8 —
Wenn man erfahren will, wer einen andern beitohlen habe, fticht man mit einem jpigen Stiele in den Kopf des Thorshammers und fpricht: Rek. eg I augu Vigfödurs, rek &g iaugu Valfödurs, rek &g i augu Asa-pörs [ich treibe in das Auge des Kampfvaters, ich treibe in das Auge des Toten- ‚vaters (beides bekanntlich Beinamen Odins), ich treibe in das Auge des Aien-Thors]. Der Dieb befommt davon eine Augenfrankheit; bringt er das Beitohlene zurüc, jo wiederholt man den VBerjuch, und diefe Wieder- bolung £oftet ihn ein Auge; der dritte Berluch läßt ihn auch das andere Auge verlieren).
Un einer großen Menge von Belegen läßt ji) alfo die Ge» jhichte diefer alten Zaubervorjchrift verfolgen. Der Glaube an ihre Kraft hat die Worte und das Berfahren von Griechenland und Aegypten bis nad) YSland getragen. Sahrtaujfende hat der Zauber gelebt, ohne bedeutende Aenderungen zu erfahren oder feine alte Kraft einzubüßen. |
ı), 8. Maurer, AYsländische Volfsiagen der Gegenwart (1860) ©. 100f. Darauf folgt eine Bejchreibung des Sammerd. Arnason, pjödsögur I (1862), 445 gibt eine Abbildung desjelben, eine leichter zugängliche findet fich bei D. Davıdsion, „Ysländiiche Zauberzeichen u. Zauberbücher”: Ztichr. d. Ver. f. Bolkst. XIII 1903, 279 mit Taf. VII Fig. 16.
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£üdenbüßer.
Ddenmwälder Sagen, ausgewählt au der Sagenfammlung von Lehrer FZriedrih Mößinger, Badernhein 1.0.
1) &3 war einmal eine rau geitorben. Bei der Leiche half ein Mann tragen. Seder von den Trägern befam ein Tücheichen. Wenn fich der Manıı abend3 ins Bett legte, faın tinmer etwas und würgte ihn. Taraufhin ftellte er die Urt und viele Beile an jein Bıtt und meinte, er würde nun nicht mehr gewürgt. Uber die Heren blieben nıcht weg. Eine8 Tages verbrannte er das Tüchelchen, da fam eine Frau und fragte: „Warunt haft du mein Haar ver- branınt?“
2) E3 gingen einmal ein paar Frauen heim. Auf einmal fagten fie: „Seht einmal, Dort der Hahn hat einen Wiesbaum am Bein hängen.” Nur eine von den Jrauen |pradh: „Das ilt nur ein Strohhbalm." Die hatte ein Bündel dreiblättrigen Klee bei fich, deshalb konnten die Heren nicht an fie. Die anderen waren verhert.
3) Ein Bauer hatte mit einem Knecht Birnen gejchüttelt. E3 war aber Ichon dunkel, jodaß fie fie nicht mehr Iren konnten. Er lagte: „Ach will noch dreimal um den Baum herumgehen." Tann gingen fie heim. Ganz früh am andern Vlorgen jagte er zu feinem Knecht: „Geh’ auf's Feld und jage zu dem, der dort am Baume fteht, er folle fortgehn." Der Knecht fand auch wirklich einen am Baunt ftehen. ls er zu ihm die Worte geiprochen hatte, war er verichwunden. Wenn er noch gejtanden hätte, als die Sonne aufging, wäre er geftorben.
4) Ein Mann fuhr mit feinem Wagen duch Bumpen an einer Wiele vorbei, wo Knechte und Mägde mähten. Auf einmal konnten feine Pferde nicht mehr weiter. Er rief Hinüber: „Wenn ihr nicht gleich loSlaßt, jollt ihr jehen, was gejchieht.” Er wußte, was es auf fich Hatte. Dreimal ging er un den Wagen und jchlug mit der Art auf eins der Hinterräder. Ta fonnte er wieder teiter, auf der Wieje aber jtürzte eine Magd tot zujammen.
3
er Ad:
Der Segen von dem Dirfche auf der Weide. Bon Privatdozent Dr. %. Obrt in Kopenhagen.
Gegen Berrenfung wird vielerortS im deutfchen Sprachgebiete folgender Segensfprud)!) geiprochen:
E3 ging ein Hirich über eine Heide,
er ging nad) feiner grünen Weide,
da verrüct er fein Bein
an einen Stein.
Da fam der Herr Zeus EChrift
und fchmiert’3 mit Schmalz und mit Schmeer, daß es ging hin und ber.
Die meilten Texte find im Wortlaut dermaßen übereinjtimmend, daß man eine gemeinfame gedrudte Quelle annehmen muß ?). Etwa3 anders gejtaltet jich der ältejte mir befannte Text, aus dem 16. SYahr-
hundert: | Es lüff ain hünd (eine Hinde) über ein haid, verrenckt yres bain; do kam Maria, die müter gotz: e hünd, was stast hie alain? — Do hon ich verrenckt mines bain. — Dritt mir her uff minen rechten füsz, das ist der verrenckin ain güte büsz?).
Ein Treten auf den Fuß als HeilungSsmethode ift aus dem viel älteren Segen „Ad equum errehet“ befannt („drit ez an den cesewen fuoz“); daS Schmieren in den neueren Varianten fommt auh fonft in Verrenfungsfprühen vor‘) und gehört urfprünglich
1) So nah Ebermann, Blut: und Wundfegen S.15f,, molelbit auch Belege el find, zu denen jedenfalls noch BL. f. pommerjche Bolfst. VII 117, Ztichr. d. Ber. f. rhein. u. mwejtfäl. Boltsk. II 287, Bayr. Hefte f. Bolfsf,. VI 1919, 204 Nr. 7 Hinzufommen.
3) Ks Segen ift auch in Helfen befannt, ich babe ihn 3.8. in einen hHandjchriftlichen „Sebeth-Büchlein für Vieh” aus Bettenhaufen, um 1840 Zu= fammengeftellt, gefunden, deifen Kenntnis ich Herrn Bibliothefar Dr. Pfann- müller, Darmitadt, verdanke. X diefer Korn ift der Segen durch die im Bolf jehr beliebten gedructen Segensbücher „Albertus Magnus bewährte und approbierte ... egyptijche Geheimniffe“ und „das fiebenmal verfienelte Buch“ verbreitet worden, |. Loich, Württemb. Vierteljahrshefte XIM 1890, 170 Nr. 52.]
®) Alemannia XXII 121. [Daria, die Mutter Gottes, erjcheint auch in einer Yallung, die 1602 in Wolfersmeiler im Yürftentum Birkenfeld aufge- zeichnet worden ilt (Ztjchr. d. Ber. f. chein. u. weftf. Bollst, IX 1912, 1F.): E3 ging ein Hirjch über ein Heid Die war weit und breit Er ging liber ein Beraf in feiner ftert,
Er ftieß fich und fiel über eın Stein, Damit verrenkte er fich fein bein, Da fam Maria, die Mutter Gottes, Stredte ihre heilige Hand über ihn, Und heilet ihn Icywin,
So gewiß als das ift,
So heil auch dieß Glied, wo es ift, Im Namen Jelu Chrift.]
*) Bgl. Ebermann p. 13f.
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in die große Gruppe der Segen, die man als „Begegnung mit dem Kranken” zufammenfaßt.
Aber was ilt das für eine jfonderbare Einleitung mit dem Hitihel Warum Statt des zu erwartenden Pferdes oder Efel3 (oder Menfchen) ein freies, „wildes” Tier, und zwar vollends der leicht» füßige Hirfch, bei dem wir an keinerlei Straucheln oder Verfangen denten? Bielleicht gibt ein dänifcher Segen!) gegen Eiterung dar> über Auffchluß, woher der leidende Hirfh ftammt. Die ältefte dänifche Variante, aus dem 17. Sahrhundert, hat folgende Form:
Hiorten hand stoed paa vilden hede, - antendt med &der och forgifft den lede;
S. Pouel kom der gangendis frem:
Huj staar du her, du hiort paa hede? —
For ieg er antendt med forgifften den lede. — Da shalt du nu saa snart faa boed,
som jeg kand tage min haand til jord;
och ald pine du aff der skal faa,
den maner ieg nu ned j den sorte jord.
Deutfh: Der Hirfch der jtand auf milder Heide, entzündet mit Eiter und dem leidigen Gift; ©. Paulus fam dort hervorgegangen: Barum ftehlt du bier, du Hirfh auf der Heiden? Weil ich ent- zündet bin mit dem leidigen Gift. Da folft du nun fo balde Buße haben, als ich meine Hand zur Erde führen Tann; und alle Bein, die du von dem Eiter wirft haben, die befchwöre ich jeßt in die Ihmwarze Erde. Ä
Statt Paulus (Shhlangenbändiger, Apojtelgeich. 28, 3) haben alle anderen Faflungen, infofern fie den Begegner mit Namen nennen, Yejus (oder Chriftus oder „der Herr"). Yn vielen Varianten jagt der Hirfch in feiner Antwort, daß ihn die Kreugotter oder der böfe Burm, die Schlange, der Drache gebiflen habe. Mitunter heißt e8 in der Befchreibung des Hirfches, daß er fein Gemweih hängen Iäßt (helder med Takkerne sine). Sin einer Variante fagt der Herr: „Barum ftehjt du hier fo allein?”, ganz wie in dem alten deutjchen Zerte. Der Schlußteil variiert ehr; die Einzelheiten jind für uns bier ohne Belang.
Ale dänifhen Varianten wollen den „Eiter” befhmwören; und jo verjtehen wir beffer, daß der Hirfch in Betradht Tommt. Hinter diefen Segen ftedt augenjcheinlich die im Elafjifchen und chriftlichen Altertum und im Mittelalter befannte Weisheit über Hirfh und Giftfehlange ?). Der Hirfch zwingt mittelft feines Atems (der Phy- fiologu3 jagt: durch Ausspeien von Duellmafjer) die Schlange aus ihrem Loche und zertritt oder verzehrt fie. Die hriftlichen Faljungen beridten dann weiter, ma8 nachher gejdhieht; fo weiß die Hl. Hilde- gard (im 12. %h.), daB der Hirich, die Giftfchlange im Leibe, einen
1) F. Ohrt, Danmarks Trylleformler I—-II Nr. 447—460 und 1175; oben zitiert ift Nr. 449. Norwegische Varianten bei Bang, Norske Hexe- formularer Nr, 105 und 110; jchmwediiche kenne ich nicht.
») Plinius Nat. hist. VIII, 82, 118; Aelian. De nat. anim. II 9; Lauchert, Geich. des Phyfiologus;Hildegard,Migne Patrol.lat. CXCVII, 1321.
He. BI. f. Boltskunde Bd. XXIL. | 5
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„Quedbronnen" auffucht, der „alles TFaule und Giftige entfernt”, und ji bier mit Wafjer volltrinft, bi das Untier glüdlid) per posteriora heraustommt; der Hirih ift jeßt eine Zeitlang matt, mwechfelt aber darauf (und als Folge des ganzen Progefjes) Haar und Horn und verjüngt fi.
Der Berfafler des Eiterfegens Hat foldhe Schilderungen wohl nur ganz oberflächlich gefannt. Troß aller Abmeidyungen von der - Bhyfiologus: Erzählung ift jedoch) der Zufammenhang deutlid. Die Situation in dem Gegen entjpriht dem Zeitpunfte, mo der Hirfch die Schlange mit ihrem Eiter in jih trägt und alfo in Gefahr ift, bis die Heilquelle den Giftjtoff entfernt. Eine auf einem Mißper- jtändnis beruhende Neuerung ijt die Angabe, daß die Schlange den Hirich vorher gebijlen habe, und daß duher fein Leiden gefommen fei; man bemerfe, daß in der ältejten dänischen Fufjung dies nicht gejagt wird; hier wird von dem Urfprung der Vergiftung geichwiegen. Das Neigen des Gemweihes Tünnte vielleiht ein Widerflang des Gemweihmechjels fein.
Daß Kefus im Segen als der Helfer auftritt, it jehr natürlid). AS Borbild kann die Unmaffe von Sprüchen gedient haben, in denen eben der Heiland dem franten Tiere (oder Menjchen) begegnet, es befragt und jchließlich heilt. Aber aud) in dem Phyfiologus jelbft ijt Sefus von Anfang an die Hauptperfon der erbauliyen Auslegung, in teilmeifer Anfnüpfung an den Bfalterfprud) (42, 2) vom Hirfhe und dem Herrn, weldyer Spruch) Schon im altgriehijchen Phyfiologus zitiert war. Sefus fann aber in doppelter Weije der „Sinn“ der Erzählung fein: 1. er ilt der Hirfch felber, der Die Teufelsfchlange vernichtet; 2. SYefus oder feine hHimmlifche Lehre ilt der Quell, der den eitergefüllten Hirfch, d. H. die armıe, fündenvolle Menfchenjeele, errettet (fo der deutjche Phyliologus). Diejen legteren Sejus bietet unfer Segen dar; und fallg dies auf die erbauliche Erzählung zurüdgeht, mijcht aljfo der Segen Bild und Ausdeutung zujanımen.
Daß diefer Segensiprud) nicht in Dänemark verfaßt ift, fondern wie jehr viele andere aus dem jüdlichen Nachbarlande zu un3 herauf- fam, darauf deuten doch wohl die deutjchen Heilen vom Hirfhe auf der Heide. Wenn dem fo ilt, muß alfo die urjprünglidhe Form : und Verwendung des Segen in Deutjchland friih vergefjen jein; der Sprud) ijt hier, veranlaßt durch äußere Aehnlichkeit (leidendes Tier und Heiland), unter die Verrenfungsfegen geraten, und zwar unter folche,. die, wie er felbit, dem Begegnungsfchema angepaßt waren. Noch der ältefte deutjche Text (jiehe oben) Bietet wmeiter- gehende. Aehnlichkeit mit dänischen Varianten; erjt die neudeutfchen haben..(von „Sefus“ abgejehen) vom alten Bejtand eigentlic) bloß die erjite Zeile übrig.
Wir willen, daß man im Mittelalter auch nocd) andere Segen funnte, die aus der alten Hirfch: Erzählung berausgefponnen ind. Ums Sahr 1200 ift folgender Gichtfegen!) aufgezeichnet: „Sicut 4) Germania XVII 234.
=; 307. 2
cervus thebeus (?) viperam naribus producit, sic ego te, nessia, tropho (etc.) educo*. Dgl. bei Blinius: „lis est cum serpente pugna, vestigant cavernas nariumque spiritu extrahunt reni- tentis.“ Die Pointe ift hier eine andere al3 im dänijchen Gegen.
Und int hohen Norden wurde (erft im 19. %h). ein altes Zauberlied aufgezeichnet, welches, ein wenig anders, diefelbe Epifode wie die des lateinifchen Segens ausnüßt. Die betreffenden Zeilen diefes finnifhhen Liedes!) befagen: „Lief von HiifiS Yand der Elen.... trank im Durft, den Teich er leerte... (darauf läuft das Elentier in ein Haus, wo die Dtter jißt), jchlug die Otter in die Geite, traf jie unterhalb der Leber” (die Herausftrömende „Milch“ der Schlange wird dann alS Wundfalbe verwendet). Der zweiten Zeile entjpredyend heißt es im Iateinifchen Phyliologus: „(Cervus) implet os suum aqua“ (und fpeit daS Wafler in das Lod)).
Der lateinifhe und der finnifhe Segen bauen auf dem An- fangSteil der alten Erzählung (Herausbringen und Tötung der Schlange) auf, der däniihe auf dem Schlußteil (Befreiung von dem Eiter). Der magilche Zmed und damit die Bointe fonnten je nad) Bedarf und Erfindungsgabe des Gegners medjleln.
s
Grundfätzliches zur Volksliedforfchung. Bon Dr. Georg Faber.
I.
Die Brüder Grimm ftellten mit Herder die Vollsdihtung über die Kunftdihtung. Man jieht darin heute einen Srrtum und glaubt,
: Daß Diejer Jrrtum für die Forfchung nadjteilig gemeien fei (Sohn
Meier, Kunjilied und Volkslied in Deutjchland. Halle a. ©., 1906, ©. 9; derj.: Kunftlieder im Vollsmund, ebenda 1906, ©. XV). Ein Werturteil fann über eine Kunftart vornehmlid) von zmei Gelichtspunften aus gefällt werden; das jind 1. Form und Anhalt, 2. die Wirkung. Stellen wir weiterhin die frage, welcher Gejicht$- punft der wichtigere ift (d. h., welcher GejichtSpunft das Wertvollere erfennen läßt), jo fann meiner Meinung nad) fein Zweifel darüber beftehen, daß dies der zweite ift. Denn: je tiefer, edjter, ergreifender die Wirkung ift, und auf je weitere Kreife fid) diefe Wirkung erjtredt, um fo wertvoller ift das KRunftwert. Daß der erfte Punkt der neben- Tächlichere ift, geht au) fchon daraus hervor, daß für ein wahr: Haftes Kunftwerf bedeutender Synhalt („bedeutend“ im allgemeinften Sinne genommen!) und angemefjene Form jelbjtverjtändlicy find.
!) Kaarle Krohn, Suomalaiset syntyloitsut ©. 238, aus Jngermanland; Krohn erinnert S.340 an den alten ®lauben über Hirich und Schlange.
5%
- Alfo: je mehr Menihen durch ein Kunftwerf im Sinnerften erfaßt werden, um jo größer ilt das Werk. Nur was dem gefamten Volke zu Herzen gebt, von hödjiter Freude durch alle Grade feelifcher Stimmung bindurh bis zu. tiefften Schmerz ..., nur das, was im gejamten Volfe lebt und lebendig bleibt, nur das hat hödjiten fünjtleriijhen Wert; das alfo, wa3 menfchlichites Menfdhentum, vom einzigartig Perjönlihen bis zun allgemein Menfchlichen, fo zu ge= Stalten weiß, daß niemand, der den Runftausdrud, die Sprade ‚des Volkes verjteht und den nötigen Grad jeelifcher Empfänglichkeit be= figt, fich der Wirkung entziehen fann. E$ ijt von ungeheurer Widjtig- feit für ein Bolf, für ein Nulturvolf, daß ih fein Denken und Fühlen, jein Wollen und Handeln in ihm eigenen und eigentüm- lihen Runftmwerfen ausfpriht, die, aus dem Synnenleben des Volkes geboren, eben diejes nnenleben vertiefen, veredeln, nnd fein jittlicyes Handeln befördern.
Sole Werke hingegen, die ji) nur an einen bejfonderen Kreis des Volkes wenden, fei e3 der untere, mittlere oder obere, tragen von vornherein den Stempel des Unvolllommenen an fi: mit dem Kreis jtirbt das Kunftmwerk; mit der Mode, aus der es erwacjen, vergeht daS Runftwerk und hat nur nod) gefchichtlidhen Wert. Werke, die jahrelanges Befaflen mit ausländifcdyer Spradhe und Kunft ver: langen, um „verftanden“ zu werden, wenden jich naturgemäß nur an einen Brudjteil des Bolfes ... find alfo nicht höchfte Kunft eines Volfes.
Damit haben wir nun fjchon die Antwort gegeben auf die Trage: Weldhe Dichtung ift die höhere, die Volfsdicdhtung oder die Runjtdichtung ?
Nämlih: Die Frage fann fo, wie fie geftellt ijt, über- haupt nit beantwortet werden.
Und daß man die Kunjtditung für die größere der beiden hält, darin liegt ebenfalls ein großer Srrtum. Auch diefer Sfrrtum ijt verhängnisvoll gemefen für die Forihung. Er mußte es um jo mehr fein, alS tatjächlic) der andere Srrtum der Kleinere ift.
Auf die Trage nach der hödjiten Dichtung eines VBolfes über- haupt ijt unfere Antwort: Sie ift die Dihtung, die, aus dem MWefen des Bolfes erwadlen, in Form und Jnhalt in die Seele des ganzen Bolfes dringt, nit durd) „VBerjtehen”, fondern dur „Erfühlen“, „Erleben”.
Es ijt Far, daß das, was wir „VBollsdidhtung” zu nennen gewohnt find, in meit größerem Maße auf das Volk al$ Ganzes wirkt, alS die fogenannte Kunftdichtung.
Diefe Wahrheit hätten unfere Künftler und Gelehrten gerade aus ihrer Beichäftigung mit der griedifchen Runft erfennen Tünnen, mie jie unferem Herder aufgegangen war (vgl. Werke, hsg. von Suphan, II 160 ff.). Die Haffiihe Dichtung. der Griechen war und ift Höchfte Kunft, aud) da, wo fie nicht mehr „VBolfsdihtung" im bejonderen Sinne ilt. Und warum das? Weil aud) ihre Kunft- dihtung bodenftändig war, eben echt griedhifch war. Wir glaubten
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unter der Führung Windelmanns hödjfte und unfterblihe Kunft- werke zu fchaffen, wenn wir die Griedyen nadhahmten. Goethe fradhte fi) diefe Anfhauung zu eigen, obgleich) jie von Klopjtod und von Herder widerlegt worden war und er von Herder das Richtige ge- lernt hatte. Und erft im Alter tommt ihm wieder ein Mißtrauen gegen die Nichtigkeit diefer Auffaffung, wenn er meint, aud) die fittlich:äfthetifche Kraft eines Voltes müfje ji) wie die militärifch- phyfilche aus der inneren Einheit eines Volkes entwideln; fie mülfe das AJnnere eines Bolfes zu Tage fürdern (Hempel 29/697); fremde Borbilder, und feienfienod fo vollflommen, madten irre (Hempel 36/83). |
Daß unfere Vollsdihtung zur Hbödjften Kunft gehört (fomeit fie fi) eben an daS gelamte Volt wendet und fomeit fie nad) Form und Inhalt volllommen ift), daß jie höher gewertet werden muß als jede Dichtung, die nur auf einen bejonderen Kreis wirken will, das hoffe ich dargetan zu haben. FFreilid — ein miljenjchaftlicyer Beweis ift für daS Ausgeführte, wie mir fcheint, nicht zu bringen. Unfer ®Wiffen ift Stüdwerf, nnd aud) hier wird, bis zum gemifjen Grade, der Sprung in das Gebiet de8 Glaubens getan werden müflen. Aber ich meine, gerade in unferer Beit follte die Kunft fi) im befonderen Maße die Aufgabe jegen, an ihrem Teil mitzu- helfen, unferem Bolt al8 Nulturvolt die Einheit der Bildung zu geben und zu erhalten. Dann wird für eine jpätere Willenjchaft jener Sprung nicht mehr nötig fein.
I
Dem Wejen nah ift alle Dichtung Ausdrud, Formung einer jeelifden Erregung in der Sprache. |
Ulle Lyrik ift daher ihrem Wefen nad) SFormung einer feelifhen Erregung im Sprud) oder im Lied. Ob die Formung fpradjlic) unbeholfen ilt, ob jie fonft den Regeln der Kunftrichter nicht ent- Iprit, darauf fommt e8 gar nit an. An kommt eS vor allen Dingen auf die Seelenfraft des Liedes, das heißt darauf, ob das Lied in der Geele des Hörers oder LXejers den Klang mwedt, der in der Ceele des Dichters fohmang, als er das LXieh dichtete; ob das Lied die Seele des Hörer3 oder LXefers fo erregt, daß fie fi in einem Zufland befindet, der gleich oder wenigftens ähnlid) ift dem, worin die Seele des Dichter war, als er fein Lied fehuf.
Daher fann man fein Lied „machen“, und fei eS nod) fo einfah. Auch der Vollsdihter madjt fein Lied, feine Erzählung nicht, ftoppelt nit zufamnıen, fomeit es fih um den wirflichen Dichter handelt. (Nichtdichterifches ift auch feine Volksdpidhtung|) Ticht nur die Kunftdihtung, aud) die Voltsdihtung fcheidet alle „Mache aus. (Dab von befonderen fFreunden des Volfslieds ver- fucdht wurde, Unhaltbares zu halten, hat der Sadje mehr gefchadet als genugt!)
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Ein eines Lied, wie geht’3 nur an, ‘ Daß man fo lieb es haben kann!
Was liegt darin? Erzähle!
E83 lieat darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Geilang
Und eine ganze Seele. . (M. v. Ebner-Eichenbach.) Daber fommt es, daß in glüdlicher Stunde einem dichterifch empfin- denden Wtenjhen ein Lied gelingen kann, während alles andere, was er „madjt”, Hanglos verfchmwingt.
Für die Kunftdidhtung ift es felbftverjtändlidy, daß es eine lange Stufenleiter gibt vom Erbärmlidyen bi zum VBorzügliden. &3 fiele un3 nie ein zu fagen: „Die Kunftdidytung ift in ihrer Form unbebolfen”, obgleih) doc diefes Urteil dem wirklichen Beltand unferes Schrifttums mehr entjpricht als das gegenteilige. Es fällt uns au) nicht ein zu jagen: „Das Kunftlied madıt das und daS, tut das und das". Denn wir willen, daß das „Runftlied" nichts tut, daß es der „Dichter“ ift, der tut. Das ift fo felbftverftändlid, daß es Papierverihmwendung zu fein jdyeint, darüber zu fchreiben.
Und dod! Wie ift’S denn bei der VBolfsdidhtung? Was foN die „VBollsdihtung” nicht alles tun und maden! Genau jo wenig wie das Kunftlied, tut das Volkslied etwas. Es ift nid fchleht, es ift nicht gut — das einzelne Volfslied ift, wie es fein Dichter geichaffen. ES gibt erbärmliche VolfSlieder, weil es erbärm- liche Bolfslieddichter gibt; es gibt erbärmliche Kunftlieder, weil e8 erbärmliche Kunftlieddichter gibt. Und wie wir wunderbare Kunft- Lieder haben, jo Haben mir aud) wunderbare VBolfslieder, die den Anforderungen der feinfühligiten Kunftrichter entfprechen; die fo vollflommen find, wie irgend ein vollfommenss Kunftlied, groß und bedeutend in Juhalt und Form. (Vgl. Yohn Meier, R.i.B., ©. XV. A. Göße, Zeitichrift F. d. deutfchen Iinterricht 28, 1914, ©. 253.)
Daß die Sprache, die Form der Volksdidhtung anders ift als die Sprache, die Form der Kunftdicdytung, das liegt an bekannten Umftänden: Dean fhuf in vergangenen Sjahrhunderten eine gelehrte Kunftdichtung unter dem Einfluß fremder (ausländifcher) Mufter; man trennte fi) bewußt von der überfommenen Dihtungsart und Dihtungsform, weil man fie für gemein hielt. Man überließ fie ganz id) felbft. Das erzähl: und fingfreudige Volk aber wußte mit dem Fremden nichts anzufangen; denn ihm ging die Möglichkeit ab, diefe Dichtung „zu veritehen“. Aber es fanden fich immer wieder Dichter, die die alte Dichtungsart fortfegten. Und als dann unfere Gelehrten diefe Dicytung von neuem entdedten, da |chien etwas wie eine neue Dihtungsart gefunden zu fein: eben die Volfs- Dihtung. Man jeßte fie der eigenen, gelehrten Dichtung entgegen und fuchte ihr Wefen zu ergründen. Aber man beurteilte fie jaft durchweg von der eigenen Didytung aus, maß fie mit dem über fommenen Masbitab der gelehrten Kunftrichterei (vgl. Herder, Werte, h3g. von Suphan I 294; III 1801). Da fand man nun all die Kenn zeihen: 3.8. die Ipradliche Unbeholfendeit, die Einfachheit, das Tzormelhafte, daS Sprunghafte, die Widerjprühe ... (Sich will hier
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nicht darauf eingehen; einiges beipreche ich weiter unten, mo id) dag Voltslied betrachte.) AU das ift, wie zum Teil Ihon nachgemiefen, vollflommen unmefentli für den Begriff Volfsdichtung.
Der Dichter ift es, der fein Werk fchafft, fei es * eumftbichter oder Bolfsdichter: Freude und Keid, Liebe und Haß, Vergnügen und Arbeit, Wollen und Vollbringen, alles legt er in fein Wert hinein. E3 ilt mir daher unfaßlid), mie man meinen fann, die jchöpferifche Tat fei dem VBolfsdichter verfagt (G. Schläger, Volkslied und Kunft- lied, Runftwart XII 1899, ©. 352). Das perlönlid) Erlebte fo aus» audrüden, daß es jeder Hörer oder Xefer als fi) aus der Geele geiprochen empfindet, das ft fchöpferifche Tat. Und das, was am Jelbftverftändlichften erfcheint, das eben ift die größle fchöpferifche Zat.. Daran liegt ja dod) gerade ein MWefentlihes für alle Did; tung: die eine Form für das eine Erlebnis zu finden und zwar fo, daß Diele dormung geradezu jelbftverftändlid, ausfieht. („Ueber allen Gipfeln ift Ruh”; „Mei Mutter mag mi net“.)
Man hat ferner gemeint, daß (menn aud) fein Unterfchied des Wefens, fo dodj) ein Unterfchied de Grades zmwilhen VBollsdid- tung und Stunftdihtung beftehe; denn „zwilchen einem mit allen Mitteln tünftlerifchen Formmillens geichaffenen Lied und dem fchlichten, fait ohne Bemußtfein hingehauchten Naturlaut, der uns auß frijcher Kehle in Feld und Wald entgegenftröme", müfje eben diejer Unter» fchied gemadjt werden. (R. Reufchel, Deutfche Volkskunde, ©. 67; ogl. aud) Sohn Meier, R.u.8., ©. 15])
Dreierlei läßt fi) dagegen einwenden:
Zum erften: Auch für den Hunftdichter gilt der Sag nicht einwandfrei, daß er „mit allen Mitteln künftlerifchen Formmillens* Ichaffe. Audh er Ichafft Werke, die er ohne bemußten Formmillen Hinmwirft, wobei er lid) zu Beiten beeilen muß, den inneren Eins gebungen zu folgen, ja, wo er wie ein Nachtwandler arbeitet. (Vgl. Goethe, Dihtung und Wahrheit, und den Brief an Sinebel vom 16. 3. 1814|)
ii Zum andern: Alt denn in der Aunftdidhtung „der jchlichte, faft ohne Bemußtjein Hingehaudgte Naturlaut” wirklich fo jelten, daß man ihn bei der Gliederung und Begriffsbejtimnung als uns mejentlic ausfcheidet? ch glaube nit nötig zu haben, Kunit- Dichter zu nennen, die fid) an SYnnigkeit und Sclichtheit des Au$- Druds mit jedem Bolksdichter mefjen fönnen; ja, fie übertreffen.
Zum dritten: Wer will denn fagen, daß „der fchlichte, Falt ohne Bemußtfein hingehauchte Naturlaut” des VBoltsdichters wirklich „falt ohne Bemußtfein hingehaudt“ ift, und daS aud nod in allen Fällen? Müflen wir fchließen, daß der VBolfsdichter wirklid) immer „unbemußt" jchaffe, „unbemußt“ feine MWerfe geitalte? —
Auch die Anficht, daß der Volksdichter in feinem Schaffen ledig fei „des Zmanges äußerer Regeln“ (Tr. Panzer, Das deutjche VoIfS- lied der Gegenwart, Neue SYahrbücer 1. Abt., 29 1912, ©. 65) halte ih jo nit für riditig. Er jteht fogar unter einem ganz bejon- deren Zwang: unter dem Bmange des Herlommens, der überlieferten
ie
Form. Der ARunjtdidhter Tann fih aus naheliegenden Gründen leichter freimachen von allem und jedem Bmange, und der große Kunftdidhter wird fi freimadhen von den Regeln, die fein Schaffen beengen. Er muß und wird daher die Form finden, die einzig feinem innern ExrlebnißS angemejjen ift. Kann er das nicht, oder - will er es nicht — beugt er ji) unter einen Zwang bezüglich der Form, der ihn einer Mode folgen heikt („veritandesfalte Rhetorik", _ „landfremde Gelehrfamteit”, Panzer a. a. ©., ©. 65), jo hört er auf, Bollendetes zu jchaffen. Aber eine größere Beengung des Kunit- Dichters in feinem Schaffen vor dem Volfsdidjter fönnen wir deshalb nit annehmen. — - KRunftdidtung und VBollsdihtung follen fi) au in Bezug auf das Berhältnis von „Produktion und NReproduftion” unter: jheiden. Beides fei beim Kunjtlied einigermaßen jcharf getrennt, beim Bolfslied aber fei es einander angenähbert bi8 zu vollitändiger Dedung, bier falle es zufammen: Beim Singen eines ihm befannten Volfsliedes reproduziere der Sänger nicht, er produziere. Chbenjo produziere er beim Singen eine neuen Xiedes, nur daß, im Ber- bältnis zum Aunjtlied betrachtet, daS Bekannte Dabei übermiege (Kohn Meier, R.u.8., ©.16). Auch diefe Anficht Tcheint mir un- haltbar. Yohn Meier braucht diefe Erklärung zur Erhärtung feiner Meinung vom „Berfingen des Volfsliedes“, worauf wir weiter unten zu fprechen fommen (f. ©. 76ff.). Der Sänger jingt fein Volfslied, daS er ausmendig weiß, genau fo, wie ein Sänger fein Kunftlied fingt. Er weiß, daß irgend wer fein LXied gemadjt hat; mer daS ift, das ift ihm gleichgültig. Er fingt fein Lied jo, wie er eS ge- lernt Hat, und es wäre ihm ein ?Frevel, irgend etwas an jeinem Liede zu ändern. Läßt fi irgend ein Sänger einfallen, die Weife eigenmädtig zu Andern (etma durd) „Schleifen" und „Schnörkel") oder den Tert zu wandeln, jo empfindet nicht nur jeder Hörer, jondern aud) diejer Sänger felbft das „Falfche” feines Tuns. 3 wird zunädft hingenommen al3 Ausflug übermütiger Yaune, aber bei öfterer Wiederkehr durch Widerfprudy einmütig abgelehnt: Zum mwenigiten gilt das für alle Kreife von VBolfsliedfängern, die ich Kenne.
Illa.
Das Bolkslied ift nicht von ungefähr im Volle entitanden, fondern e8 bat, wie man heute allgemein annimmt, feinen Ber: faljer (oder aud) in gemijjem Sinn: jeine Berfaller).
Aus diefer Meinung muß nun der Schluß gezogen werden, daß jedes Volkslied — aud ein Kunftlied if. Denn das Werk eines Dichters ilt eben ein KRunftmwerf, fo Tcjledht und fo gut, wie es eben der Dichter, der Künftler, fertig gebracht hat.
Die Folgerungen aus diefem Schlufie find fo meitgehend,. daß man, wie e3 jcheint, unbemwußt davor zurüdigefchredt tft, fie zu ziehen. (X fomme darauf weiter unten zu fprechen.) Denn damit ift Doc) aud) die überlommene Scheidung unferer Dihtung in Voltsdichtung
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und Runitditung binfälig! — So hat man die alte Gliederung aufrecht erhalten und gemeint: Wohl, das Volkslied Hat aud) feinen Dichter; das ijt nicht zu leugnen; aber: diefer Dichter ift nicht be- fannt! Und daS eben ift wefentlicy für das Volfslied.
Da mies die Forfhung nad, daß bis dahin für „echt” ge- Haltene Bolfslieder (deren Verfaffer alfo nicht befannt war) Werke beitimmter Berfönlichfeiten waren, deren UIrheberfchaft vergefien oder gar nicht befannt geworden war. Wiederum zog man nicht den notwendigen Schluß! Sa, es gibt heute noch Foricher, die das Un- befanntjein des Berfafjer8 für ein mejentlicdhes Dterfmal des Bes griffes Bolfslied halten. Andere meinen, der VBerfafler müfle der unteren oder mittleren Schicht eines KHulturvolfes angehören. E8 it aber allgemein befannt und aud) anerkannt, daß Lieder von Diehtern, die diefen Shidhten nit angehören (da$ Sind eben die, die man auch heute noch allgemein „Kunftdichter” nennt!), genau wie die jogenannten Volkslieder „im Munde des Volkes" leben. Man fcheut Jid) noch heute, Diefe Lieder den „echten Bolfsliedern” gleichzuftellen, ja man glaubt, jie noch heute von ihnen trennen zu müflen. Man bat ihnen auch einen befonderen Namen gegeben: vollstümliche LXieder.
Sch muß etmas meiter ausholen!
Ein Dichter, der ein ihm eigenes (d. b. alfo: ein perfönliches) Erleben im Liede geftalten will, muß die zugehörige Form finden — denn er ilt ja Dichter, Künftler! Höchjte Perlönlichkeit ftedt im Lied, au) mo er eine allgemeine Form benußt, denn es ilt ja ?yor- mung perjönlichiten Erlebens. Das Lied, das KYunftwerl, wird aljo dem perjönlichen Empfinden Ausdrud geben: und daß Ausdrud und Formung in ganz befonderem Mae von der Perfönlidjleit des Dichter8 abhängen, das ijt jelbjtverftändlich, bedeutet aber ebenjo " jelbftverftändlih nit den geringften Unterfhied im Wefen der Kunftwerfe. Diefer einfachen Dichterfraft, wie ich fie einmal nennen will, jteht eine andere gegenüber, die weiter reidyt: Sie be- fähigt den Dichter, id) in die Lage eines anderen Menjchen zu ver: jegen und aus diefer Seelenftimmung heraus (alfo aus der Seelen- ftimmung des andern Dienjchen, die des Dichter eigene Seelenjtim- mung geworden ift) feine Dichtung zu [chaffen, wiederum durchaus angemejlen dem Erlebni3.
Diefes Aufgehen der Seele des Dichter8 in der Geele eines andern Menfchen, verbunden mit der Fähigkeit, diefem Erlebnis fünjtlerifchen Ausdrud im Worte zu geben: das ift hHödhfte Dichterkraft.
Dean darf aber nit glauben, daß der „einfadhe" Dichter, wie ich ihn nannte, der VBolfsdichter fei, daß nur der Kunftdichter der fei, dem die Gabe des Sichverjentens in andere Seelen gegeben jei. Sn Wirklichkeit gibt eS den rein „einfachen Dichter nicht. Iedem wirkliden Dichter hat der Gott gegeben, nit nur zu jagen, was er jelbft fühlt ufm., fondern auch wa3 andere fühlen ufjmw. So |predyen auch Boltslieddichter die Stimmung von Menfchen aus, in deren Seele Jie ji) verjegen. Ych fann mir wohl |chenten, Beifpiele zu nennen.
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| Wie follte es nun einem Dichter von der Vorftellungsfraft Goethes oder Shafefpeares unmöglich fein, das Fühlen, das Wollen — jelbit de einfachlten Menfhen — in richtiger Form darzu= ftelen? d.h. alfo: in volfStümlicher Form darzuftellen? alfo in Bolksliedform, im Boltslied ? oo Damit haben wir nun auch die {Frage beantwortet, ob ein Kunftdichter ein echtes Volkslied dichten Tönne. Er fan das felbft- verjtändlich, obgleich er „entwiclungsgefchichtlich Höher fteht als der fogenannte Bolfslieddichter (vgl. AU. Göße, Zeitjchrift für den deutfchen Unterricht 28/1914, ©. 253, und denfelben: Bon deutfchen Volkslied. Yreiburg 1. Br. 1921, ©. 421). (freilid, eine Einfchränktung ift zu maden: Streng genommen Tann man überhaupt nicht fagen, irgend wer (Runftdichter oder VBolksdichter!) fönne ein VBolfslied dichten. Denn durch den gedichteten Tert wird erft und nur die Vorlage für ein Boltslied gegeben. Bamit diejer. Tert Volfslied werde, ift. eg notwendig, daß diefer Tert eine Singmweife erhält und das fingende VBolf den Text (mas wir alfo gemeinhin Bolfslied nennen, aber falfhlie)!) mit feiner zugehörigen Weife aufnimmt. Erft das im ®efange lebendige Lied ilt ein Volkslied! Das aber meint man nicht, wenn man beftreitet, daß ein Runftdidhter ein Bolfs- lied dichten Tönne!) | Das — nämlid) daß ein Kunjtdichter einen echten Volfsliedtert dichten fanıı — wird ja auch bemwiejen durch die Tatfache, daß die meiften im Dolfe gejungenen Lieder fogenannte „volfstümliche" Lieder find (vgl. Yohann Ruppert: Der Volfsliederfchat eines Spefjart- dorfes. Difjertation, Würzburg 19151). Darin ein Zeichen des Ver- falls des echten Bolfsliedes zur fehen, dus heißt dod) die Eadje gründlich mißverftehen. Daß wir heute weniger „volfsentftandene” “ Xieder haben als früher, das liegt daran, daß die Verfaffer heute aus mandyerlei Gründen häufiger befannt werden als früher. Nur wenn wir von dem jo willfürlichen Bommerjchen Begriff des Volfs- liede3 ausgehen, fommen wir zum „Berfall" des Bolfsliedes. Veber Form und Snhalt des Volfsliedes find fehr viele geiftreiche Unterfuchungen aufgeftellt worden. Zunädjft gilt als feft- ftehend, daß das Volkslied im allgemeinen „ungemwandt” jei im Ausdrud (vgl. oben S©.70)). Ka, man bat gemeint, forglofefte Ver- mwahrlofung der Form fei für das Volkslied Fennzeichnend (U. Göße, 3.f.d. U. 28/1914, ©. 253). „Sprachgewandtheit” ift ein fehr un Harer Begriff. Wo fängt fie an? St der „Gebildete” fpradj- gewandt, der „Ungebildete” Hingegen nicht? Sit das die Regel? . Der Hauptgrund für die Zorm eines Volfsliedes liegt, wie wir oben allgemein gefehen haben, in der Perfünlichfeit des Dichters. Daß jo viele8 „Sprachungemwandte" im WBolfslied Iebendig ift, mwährend es im Kunftlied ftirbt, daS liegt an noch genauer zu unter- fudenden Umftänden. Dabei wird fich zeigen, daß das Volkslied als Kunftwerf weniger damit zu tun hat, al3 man allgemein an- ninmt. E3 fommt nod ein weiteres hinzu: Das, mas dem Runft-
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rihter von der Schriftfpradje aus gefehen fpradjlich unbeholfen, un- gewandt vorkommt, das kann, von der Umgangsiprache, von der Mundart aus gefehen, fließendfter und treffenditer Ausdrud fein. „Biderjprüche in der Darftellung (des VoltSliedes) find häufig und durdhaus erlaubt”, jagt U. Göte, 3. f.d.U. 28/6. 250. Dem ift natürlich) zuzuftiinmen, mwenngleid) darin fein bejonderes Kenn- zeihen des Volfsliedes liegt. Die Begründung aber, die Göße für das Erlaubtjein der Widerfprüche im Volk3lied gibt (und nicht etwa für die Vollsdidhtung im allgemeinen!), ift einigermaßen aufs fallend: Die Widerfprüche feien im Stil des mündlichen Vortrags begründet. Was rafh am Ohr vorübergleite, hafte nicht unbedingt und nidt mit fträfliher Treue wie der gefchriebene Buchitabe !). Se länger ein Gedicht, je forglofer der Dichter, je anfpruchSlofer und der Hritit ungemohnter feine Hörer feien, um jo häufiger feien aud) die Menjclichkeiten, die Widerjprüdhe gegen früher Gefagtes oder gegen Kommendes (a.a.D. ©. 250). Für daS Bolfslied trifft daS nicht zu. Denn: das Volk weiß feine Lieder auswendig! | Der Spnhalt gleitet nicht rafh am Ohr vorüber! Und troßdem die | MWiderfprüce! (Bom „Hörer“ werden wir weiter unten nody reden!) | „Der Bolfslieddicyter behandelt nie fein eigenes Snnenleben als Objekt: er Schafft wohl ftändig aus feinen Innenleben heraus, aber wa3 er bietet, find Handlungen oder Bilder mefentlich epifcher ! Natur“ (U. Göte, B.F.d.U. 28/248). „Perfönlichkeit dürfen wir im I Bolfslied nicht fuchen; es ift Ausdrud nie des PBerfönlichen, immer de3 Typilchen” (U. Göße, 8. f.d. U. 28/E. 2412). Hier ift da8 Be- ftreben, allgemeine Ergebnilje zu gewinnen, dem tatfählien Sein nit gerecht gemorden. Es läßt fich natürlich nicht leugnen, daß der VBolfslieddichter, wenn er feinen Seelenzuftand ausfpreden will, fi) auch oder meinetwegen vorzugsmweife der Handlungen und Bilder bedient. Aber ift das wirklid) eine Eigenart des Bolfslieddichters? Wie maht es denn der „Kunftdichter" im gleichen Falle? Greift nidt aud er al3 Dichter und Künftler zu Handlungen und Bildern, um anjhaulidh zu formen, was ich nicht mit Händen greifen läßt? ' Der Dichter fingt fein perfönlicyes SSnnenleben in der Form, die ihm für fein Erleben die Form zu fein fcheint, oder die für das Erleben die Form ilt. Syn jedem echten Xied Iebt die Seele des Tichters, ftedt feine Perfönlicykeit. Und mwenn diefe Berfönlichkeit binter der Allgemeinheit zu verfchwinden fcheint, Dürfen wir ums davon nicht täufchen laflen. Und das Allgemeine in der Darftellung ift do) nicht ein Zug, der dem Volfälied eigen wäre! Das fo rein perfönliche LVied, Hinter dem nicht nur eine der größten Perfönlich- Teiten jteht, jondern in dem fie lebt: „Der du von dem Himmel bilt”, zeigt allgemeinftes Fühlen; es ift ein Sehnfuchtsruf, den Hundert taufende empfunden; unter Hunderttaufenden auch der Eine, der aussprehen konnte, wie es ihm ums Herz war, und zwar fv, daß
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jeder Zejer meint, e8 feien feine eigenen Worte, e8 fünne gar nicht ander heißen.
Daß der Volfslieddichter feine Perfönlichkeit unter andern Formungen au fo in Worte faßt, daß feine eigenen perjönlichen Empfindungen in taujend Herzen miderklingen und allgemein er» jcheinen, das ift nicht jeine Kunft al3 Volkslieddichter, jondern als Dichter. Glaubt man mwirklid, daß dem Liedchen:
Mei Mutter mag mi net,
Und fein Schag han in net,
Ei warım ftırb i net,
Was tu i do? nit Perfünlichites, Allerperfönlichites zugrunde liegt? Daß der Dichter hier nicht ihm eigenartigftes Erleben im „KRunjftlied” formt? Und daß ähnliches, ja gleiches Erleben bei taufend anderen der Eigenartigfeit des Erlebens für den einzelnen nicht den geringjten Eintrag tut?
„Es ift eine alte Gejchichte,
Doch bleibt fie immer neu; Und wen fie juft pajlieret, Dem bricht das Herz entzmwei." (Heine.)
Weiter fol im Volkslied die Motivreihe im Umriß jtets jchon be= fannt fein, nod) ehe der Sänger den Mund auftue. Go feien Die einfadhjften Vorausfegungen gegeben, die Phantafie erfahre feine neuen Inhalte, nur die Richtung gebe der Eänger an, in der der Zu= hörer (!gefperrt vom Berfajjer! Und das fol vom Volfslied gelten!) — in der der Zuhörer feine Phantafie fpielen Iaffen fol (U. Göße, 8. T. d. UI 28/248). Das fol nun etwas dem Volkslied Eigenartiges jein! MWie ift das aber bei dem Kunftlied? Sind nit in aller Kunijt die Motivreihen fhon im voraus befannt? Wovon fol der Sänger, d. h. der Dichter, anders fingen, al8 wovon die Sänger gejungen haben, feit e8 Sänger gibt? Bon allem, wa3 daS Herz bemegt? Welch ungeheurer Reichtum zeigt jich in unjeren VolfSliedern! Welch eine Yülle von Leitzüigen und Grundformen, von Einzelprägungen und perfönliften Formungen! Wtan blättere in irgend einer unjerer großen Bolfsliederfammlungen, die daS gefamte deutjche Gebiet um» faßt — mer wird nicht immer wieder überrafcht fein von der Neuheit und Eigenartigfeit der Leitzüige!
Sreilid — man Tann auch eine große, jehr große Anzahl Kieder herausholen, die nichts „Neues“ bringen. Aber: was ijt denn für ein neuer Inhalt, für ein neues „Motiv in Goethes Liedchen: Der du von dem Himmel bift? Der Inhalt, das „Motiv“ ilt jo alt wie der fich) jehnende Menjc! Ä
\ IIb.
3’
| Die Anfiht, daß das Volkslied von ungefähr, auf geheimmlis- volle Weife im Bolle entjtanden jei und entjtehe, ift befeitigt. ie lebt aber weiter in der heutigen Auffafjung des „Berfingen&“,
In ll MC. n
u an
wie jie bejonders von Kohn Meier und feinen Anhängern ver- treten wird.
Sohn Meier meint: „Das Bolt achtet Teinerlei Privatredte; es fühlt fi alS Herr über das Lied, wenn es von ihm als Volfs- lied acceptirt wird. Meilt find wohl die Verfajfer des Liedes un befannt, aber e8 ift dies durchaus nicht nothmendig. Nothmendig ift nur die Herrenftellung des Volfes, die Verneinung von Syndividual- rechten des Berfajlers an dem Liede" (R.i.B.,6.ID). Und auf Geite XV. jagt er: „Ach habe vorhin als daS wefentliche Merkmal aller BolfSspoefie die ‘Bolkläufigfeit’ bezeichnet, daS autoritäre Ber- bältniß, in dem die Gefammtheit zu der Dichtung des Einzelnen fteht. Ein VBerhältnif, das meift zu Aenderungen und Umformungen des Urfprünglichen führen wird. Die Sndividualpoefie wird zur Col- leftivpoefie.“ Sohn Meier meilt jelbft darauf bin, daß er damit auf gemwilje Gedanken Steinthal3 zurüdftommt, der richtig gefehen habe, daß VolfSpoejie eigentlich ein “nomen actionis’ fei, eine Tätig- feit. bezeichne, ähnlid) wie da8 Wort ‘Spradhe (R.u.2., ©. 14). Freilih will fid) Yohn Meier von der unbejtimmten. und nebel- haften Rernanficht Steinthals freihalten. Daher nimmt er in feine Beiltimmung des Begriffes Vollsdihtung für ‘Wolf’ den erklärenden Beila auf: jeder einzelne im einzelnen Yale’). Diefer dDurdhaus richtige Gedanke wird aber nicht wirffam, weil John Meier durchaus nicht den „einzelnen im einzelnen alle” in feiner Stellung gegen: über dem Bolfzlied betrachtet, fondern immer nur „das Volk”. Das tun denn aud) die übrigen Forfcher, die Sohn Meier folgen. „Das Volk verfügt mit unbemwußter Willfür über die volfläufig gewordene Dichtung, nur was daran reizvoll ift, hält es feit, die Handlung, ein paar Höhepunkte, die Rete, kurz das Zuftändliche. Alles übrige aber, daS Gegenjtändliche in der Dichtung, wird im. Vollsmund immer zu furz fommen” (U. Göbe, Vom d. Volkslied, ©. 34). „yweifellos richtig und bedeutfam ift MeierS Merfmal der von ihm jo fchlagend nachgemwiefenen „Herrenitelung“ de8 Volfes gegenüber einmal angenommenen Liedern” (E. Noefe, Volkslied und voltstüml. Lied, Neue Kahrb. 35, 1917, ©. 38). „Schliegli) muß man aud bedenken, daß das Volk nit in rein medjanijcher Tätigfeit Die Kunftlieder übernimmt. Es trifft eine Auslefe, es feilt und fegt an den einzelnen Liedern herum, fchaltet mit der allergrößten Treiheit Einzelheiten und ganze Gefäße ein oder aus, jchmeißt ein Lied aus Brudltüden zweier oder dreier zufammen, bis e3 die soanot Bolkläufigkeit erlangt hat" (oh. Ruppert, a. a. D,,
©. 39). Das ift dod) wohl nicht mehr ganz die Anjicht Meiers; aber
ı) Sch feße feine Begriffsbeftimmung hierher: „Als Bollspoefie werden wir daher diejenige Poefie bezeichnen dürfen, die im Munde des Voltes — Bolf im meiteften Sinne genommen — lebt, bei der aber da3 Bol nichts. von in=- dividuellen Anrechten weiß oder empfindet, und der gegenüber es, 2 einzelne im einzelnen Yalle, eine unbedingt autoritäre und herrichende Stellung ein-
nimmt” (K.u.8., ©. 14).
2. 98: u
audh aus feinen Schriften ift doch der Eindrud der, den Ruppert in vorjtehendem Sag ausgefproden hat (vgl. 3.8. R.i.2., ©. IM). Damit find wir aber wieder bei der übermundenen Anfidht an- gefommen: Die VBolksdichtung fei nit Einzeldichtung, Jondern Vtafjen- dichtung, d.h. nidyt Dichtung eines Einzelnen, fondern der Maffe. Menigftens gilt das für die wirklich lebendige Volksdihtung. Denn die Urform eines Volfsliedes, die ein Einzeldichter fihafft, ift nod) gar fein Volfslied; zum VoltSlied wird diefe Urform erit durd) daS „gerlingen“ (Sohn Meier, R.i.B., ©. XVf.). Und diejes Zerfingen, das Dichten des wirklich lebendigen VolfStiedes, gefchieht durd) das Bolf, Eraft feiner Herrenjtelung. „Selten ilt ein Sunftlied, fo wie es der Dichter und Komponift entlaflen, dem Stil des Volfes un- bedingt gerecht. E& mird darum zurechtgefungen, zerfungen, mie wir es jeit Görres (1831) nennen, leife oder gemwaltfam in den Gtil der mündlicd) überlieferten Dichtung übergeführt und befommt jo die Folgen der gedächtnismäßigen Ueberlieferung zu fpüren. Denn aud diefe ift sum Mejen des Qulfsliedes notwendig" (A. Göße, B.d. Voltsl., ©. 2
Man hat die Tatfache des „Berfingens”, wie mir fcheint, bis jeßt nicht genügend geklärt ımd erklärt. BZmeifellos faljch ift Die Meinung von oh. Ruppert (fiehe oben!). Das Wejentliche ift aber auch bei Forfchern mie Kohn Meier und WU. Göße nur geftreift. Und zwar Tommt U. Göße dem MWefentlichen näher al8 Sohn Meier, wenn er darauf hinmeilt, daß das „Herlingen” dem Umgufje einer Glode gleiht: Aus dem Starren wird wieder etwas Starres! (D.d. Volksl., ©. 761). Und darauf fommt es in der Tat an: Das „Vultslied“ ift troß der vielen {Formen derfelben Urform nichts „Slüffiges”, nihtS Unfeftes! Es ift und bleibt ein Starres, Unver- änderliche8! |
Wie vertragen fih nun „Berfingen” und „Starrfein” mitein- ander? Wie erklären ji) troß der „Starrheit” die vielen Faflungen desfelben Liedes?
Die Beantwortung diefer Trage gibt uns die Erklärung für „daS Berlingen“.
„gerlingen” ijt fein einheitlicher Borgang. Daß man ihn al3 folhen faßte, hat zu den größten \rrtümern geführt, 3.8. die Er- fenntni8 vom Wefen des echten Volksliedes fo. b. des im Munde des Bolfes lebenden Bolfsliedes) in die Beiten Steinthals zurüd- geworfen (jiehe oben S. 76f.!).
Das „Berfingen“ gejchieht auf zweierlei Weife: 1. unabjichtlich; 2. abjichtlidh.
Das unablichtlihe Zerfingen gefhieht dur) Veränderung der Form infolge mündlicyer und gedädhtnismäßiger Weitergabe („Neu: lernen"!) und leberlieferung. Da3 „abfichtliche Zerlingen” Liegt vor in der „Umdichtung”, im „Neu Singen".
Das, was ohn Meier al3 mejentlid) für den Begriff Volkslied anführt, die „Herrenftellung* gegenüber dem Xied, bezieht fi : Wahrheit nur auf das zweite, alfo auf den Umdidter. Das 2
a, MO: us
als Ganzes, oder beiler gejagt: die Sänger eines Volfsliedes fühlen fi) nicht als Herren des Liedes, willen nichts von der Herrenitellung, die fie haben follen, wiflen nidhtS von der Gelbjtherrlichkeit, das Lied. nad) eigenem Gejchmad bewußt oder unbemwußt zu ändern. Sm Gegenteil: man meiß dod, daß die Sänger („das Volk”) jorg- fältig an „ihrem” Zert feithalten. Syede Gemeinde glaubt, den „rich: tigen” Text zu haben, die „richtige Weile zu haben — wie man auch glaubt, die „richtige Mundart zu haben. Die, die ein Lied anders fingen, jingen’8 falfhy! Bon verbreiteten Liedern weiß man jehr wohl, wie man fie auf dem Nachbarorte jfingt; weiß, ob man fie gleid) jingt, oder ob man fie anders fing. So wenig man aber feine Mundart ändert, weil in dem Nad)bardorf anders gefprochen wird, jo wenig Ändert man fein Lied.
Mer wollte e8 auch wagen, alt:vertraute Worte und Klänge, die feit der frühelten Kindheit im Ohr und im Herzen haften, gegen andere zu vertaufchen? Sch war als Einjähriger in einer fanges-
frohen Kompagnie; wir hatten einen großen Liederfchaß. Syn be= jonderen Singitunden übte ein volfsliedfundiger Unteroffizier die Lieder ein. Sch habe mic) nie an die Abweichungen gefühlsmäßig _ gewöhnen fünnen. Man fingt in Leihgeftern, meinem Heimat3ott, die Lieder noch) heute genau fo, wie man fie vor 30 Sahren ge- jungen bat. Eine „Herrenjtellung” Hat Jih da in feiner WWeife geltend gemadit.
Moher nun trogdem die verjchiedenen Fallungen? —
Wer Dabei war, wie „das Volk”, d.h. der Sängerfreis, ein Kied neu lernt, „aufnimmt“, dem ilt die Sache ohne weiteres Klar! Ein „YZugezogener” (Ortsfremder) oder ein Ortsbemwohner, der au$- wärt3 war, bringen neue Lieder mit. Gie fingen das Lied vor (oder bejjer: fie deuten es fingend an), das fie gern haben und da3 fie gern auch in der Gemeinfchaft fingen möchten. Gefällt ihrem Kreis das Xied, jo werden fie die Vehrer. Da fommt e8 nun ganz auf die Gedädjtniskraft, auf die geiftige Fähigkeit des Lehrenden an. Er ift natürlich überzeugt, daß er die „richtige" Form lehrt. Möglich, daß er daS tut; möglid) aber aud), daß er „ehler” madjt, d. h., das Lied „zerfingt". Denn es ift nicht jo, daB nur der gute Sänger, der aufgemwedte Menjdy ji) zur Vermittlung neuer Xieder bergäbe; auch der ausgejprohen Dumme hat in Gefellichaft, namentlich in der „Spinnjtube”, den Ehrgeiz, als Lehrer aufzutreten, befonders dann, wenn er mujifalifh it. Denn das gibt ihm ein Anjehen por dem andern Gefchledt. „Sein“ Lied wird dann gefungen, fein „Zeibjtüceldyen”, wie ınan das in Leihgeltern nennt.
Die Abweichungen aber, die auf diefe Weile des Einübens entjtehen, werden troß allem im allgemeinen nur gering fein.
. Anders aber liegt die Suche, wenn die Anregung zum Lernen eines neuen Liedes von der Gejeljchaft felbjt ausgeht.
Syrgendwer hat irgendwo ein Lied gehört, das ihm fehr ge= fallen hat; fo jehr, daß er e8 lernen möchte. Er fcymärmt der Ge- jelichaft davon vor! Nun wird herum gefragt, „wer es Tann“.
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Nun findet jich vielleicht jemand, der das Lied vor Jahren aus- mwärt3 gefungen hat. Er wird als Lehrer angegangen; er weigert fi vielleiht; es Hilft ihm nihts! Man jeßt ihm zu, bis er das
„Lied” in feinem Gedächtnis zufammenfudt, d. h. den Tert. Die Meife madt im allgemeinen feine Schmierigfeit, fie Haftet feiter. Der Text! Da liegt's! So werden die „Verje“ (d. h. die Strophen) zujlammengefudht, mühevoll zufammengefudt; aber immer in dem Gedanken, es fo zu maden, wie es „lautet“, d.h., wie eS war, wie es „rihtig” heißt. Wenn die Kraft des Lehrenden nicht ausreicht, jo zu lehren, wie es tatjächlidh ift, jo fann er dafür nichts. Unverjtändliches (befonders das Fremdel), Weitichmweifigteiten, Neben- jädhliches: all das fällt. Das ift geradezu felbftverftändlid. Das Lied fannn auf diefe Weife gewinnen; es fann aber aud) fehr ver- lieren, jo, wenn der Xehrende Weientliches vergejlen bat, wenn er fh in Widerfprüche vermwidell. E83 Tann ferner gejchehen, daß * Strophen, die zu andern Liedern gehören, in das zu lernende Lied hineingeraten. Auch das ift felbjtverftändlich. Nehnliches fan felbft einem 2iteraturprofeflor gejchehen, bejonder8 bei Liedern gleicher Form und gleiher Stimmung.
Auf diefe Weile nun fann tatfählid) ein ganz neues Lied ent- ftehen, ohne daß daS im geringiten beabjichtigt gemwefen märe.
Ganz daS Gleiche ijt der Fall, wenn ein Lied längere Zeit in einer Gemeinde nit gefungen worden ift, das one aus irgend einem Grunde wieder aufgefriicht wird.
St das Lied aber eingeübt, ift es im Gefange lebendig, fo wird eS (in der Pegel) nicht wieder verändert: jo wie e3 eingelibt ift, lebt eS weiter. Und es bedarf jchon eines ganz bejonderen Um= ftandes, wenn man fi dazu entichließen follte, Wort oder Weije oder gar beides zu ändern).
- Weiteres brauchen wir zum „Serfingen” für diefen Punft nit mehr zu jagen. Die Erfcheinung ift ja fehr liebevoll ein- gehend unterfucht worden. Nochmals aber will id) betonen: Bon irgend welcher Herrenjtellung des Volkes gegenüber dem Bolkslied fann feine Rede fein.
Etwas ganz anderes aber ift e8, wenn irgendmwem ein. Xied, [ei ed alt oder neu, aus irgend weldem Grunde niht gefällt und er die Kraftin fi fühlt, es beffer zumaden Das fann natürlid nur der Dichter, er, der fih als Herr des Stoffes fühlt und die Kraft bat, ihn neu zu formen, das Lied „neu zu fingen“. Diefes „Wollen” wird dann auftreten, wenn der vorliegende Tert bejondere Mängel aufmeilt, wenn aljo der Dichter diefes Textes es nicht fertig brachte, dem Synhalte die richtige Form zu geben.
!) 3.3. wenn jemand von befonderem Anfehen, etwa ein Lehrer, vor dejfen Können, vor deffen Geiangesftunft man bejondere Achtung bat, die Sänger überzeugt, daß fie einen „falichen” Text, eine „faljche" Weife haben, wird. man fich dazu verftehen, das „Ricytige” zu lernen.
Nur diefer Umdidter Hat eine „Herrenftellung“ gegenüber feiner Borlage, dem Liede, fraft der ihm gegebenen Dihterwürde. (Daß die Kraft des Unidichters aud) geringer fein fann als die Kraft defjen, den er zu meiltern fudt, aud) das ift nicht auffallend! Die Folge aber ift Kar!)
Db die Vorlage des Umdichter8 von einem befannten oder unbefannten Vichter herrührt, das ift dem Umdidhter durchaus gleich- gültig, fei er „WVolfsdichter”, fei er „Kunjtdichter”.
E35 hat id) einft eine nachdenklihe Gejchichte begeben: Beim Sammeln von „VBollSliedern” ftieß ein Dichter auf ein Lied, das ihn mädjtig erfaßte, ihn felbft dDichterifch erregte. Er glaubt, dem Erlebnis eine bejjere Form geben zu fünnen alS feine Vorgänger. Mit dem Herreniredyt des Dichters ergreift er den Stoff, das Xied, und formt e8 um, fingt e8 neu. Dem „VBolfe" gefällt diefe neue jorm, es nimmt fie auf, merkfmwürdigerweife aber diesmal ohne jedes „Zerfingen“. Und heute wird daS „von neuem gefungene” Lied, alfo die „zerfungene Form", mit großer Begeilterung ge- fungen — für Leibgeftern will id) das ausdrüdlich beftätigen — und unterfcheidet fid) in Feiner Weife von irgend einem anderen der beliebteften Lieder, fagen wir 3. B. — wiederum für Leihgeftern! — von dem „Umfellied". Das Liedchen Heikt: „Sah ein Knab ein Röslein ftehn.“ |
Wer ift der Umdidter? Wer mweiß es? Bielleiht Hat man das einmal in der Schule gehört. Aber das ift Iange ber! Wer tan alles behalten! Das Heideröslein, will ich fagen, ift durd)- aus fein „Runftlied”, ift aud fein „volfstümlidhes" Lied. Es ift die „zerfungene Form“ eines echten WolfSliedes, jelbft wieder „echtes Volfslied"“. Daß der „Gelehrte“ einiges vom Heideröslein weiß, daS hat mit dem Volkslied Heideröslein, dem lebendigen, gar nichts zu tun. M
Die Möglichkeit des Zerfingens infolge von abjihtlicher Um- dihtung ift nicht darin begründet, daß das LXied nicht „schriftlich feitgelegt” fei, jondern darin, daß die Form nod) unvollendet ift (menigftens faßt fie der Umdidhter fo!). Wenn e8 dann dem Neu- dichter wirklich gelingt, die gemollte vollendete Form zu fchaffen, dann hört alles „Neufingen”, alle „Herrenftelung” auf. Das Lied lebt, wie gejagt, in diefer Mufterform und ändert fih nun nit mehr! Und nun jollte es fein Volkslied mehr fein?
Es fommt aber nod) etwas hinzu! Das Berfingen, dad man al3 mejentliches Merkmal des Begriffes Voıfslied anfieht, fommt auh im fogenannten „Runjtgefang” vor. Was ift e8 denn im Grunde anderes, wenn der Dichter eine ältere Form eines eigenen Liedes ändert? Wenn er eine vollendetere Form fucht für den dihterifchen Anhalt? Wenn er kürzt, zufeßt, genauer begründet, das allzu Deutliche verwifcht, das Unflare Härt, Ausdrüde ändert und dergleihen? (Bgl. 3.8. Goethe: „An den Mond"!) Sit das nit dasjelbe, mas beim „Zerfingen” eines Volfsliedes gefhieht? — Wenn derfelbe Dichter denfelben Inhalt in verfchiedene Form gießt?
Heil. BI. f. Volkskunde Bd. XXIT. 6.
Wenn zwei oder mehrere Dichter denfelben bereits geformten Stoff von neuem formen? (Vgl. v. Mübhlers: „Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glodenkflang,”“ und ©. %. Meyers: „Eia Weihnadt! Eia Weihnaht!" halt im Münfterhor der Pjalm der Knaben!)
Sch glaube, einwandfrei dargetan zu haben, daß der Begriff „Berlingen" aus dem Begriff „Volkslied“ als unmejentlih aus- gelihieden werden muß. Denn das Volkslied, das lebendige, it nichts Flüffiges, Unfeltes (fiehe oben ©. 791). Das Bild des „Ber- fungenjeins” ftellt fi nur dem TForjcher dar, der die Formen aus verfchiedenen Gegenden miteinander vergleiht. Das eigentlide Bolfslied aber ift die Einzelform, die lebendige, gefungene. Wuf mweldem Wege dieje Einzelform entitanden ift, daS ilt zwar fiir den Forjcher anziehend zu unterfudhen; er darf ji aber über die Reichweite de8 Ergebnifjes Teiner Tänjchung Hingeben. Das lebendige Volkslied ift in Form und Weife feit. ch glaube nit, daß dem widerfproden werden fann. Ein nicht gefungenes Bolfslied gibt e8 nicht — außer für den zyoricher, der den Begriff „ausgeltorbenes VoLf3lied" Kent. Die Urform, aus der die ein zelnen Fallungen entitanden jind, ift nicht die übergeordnete, allgemeinere Form, fondern fteht den Einzelformen gleich, falls fie felbit irgendwo lebendig ift. Sm andern Tall, wenn fie nicht felbjit gejungenmird, ift fie gar fein Bolfslied.
Daher fann man aud) nicht jagen, daß irgendwer ein „Volfs= lied" dichten Fönne, fei es ein fogenannter „VolkSsdichter”, oder ein jogenannter „KRunftdichter”, jelbjt dann nicht, wenn der Dichter die „Deife” dazu jelbjt erfände und das Lied jelbjt befannt machte (vgl. oben ©. 74).
Da5 vom Pichter gedichtete, vom Tonmeijter vertonte Lied wird erit zum Volkslied; es wird erit zum VolfSlied, wenn e3 in Wort und Weife vom Volke aufgenommen und danach) aus freiem Willen, aus eigenem Antrieb gefungen wird, aus Freude an Ddiefem Lied; jagen mir ruhig: des Kunjtgenuffes halber. Ob das „Ein- üben“ durch den Dichter, den Tonjeßer, den Lehrer, den Gejang- vereingleiter gejchieht, oder Durch irgend jemand „aus dem Volke”, aud) das ijt vollfonımen gleichgültig.
Alle diefe Stellen fünnen auc jehr wichtig werden für die Pflege des Volksliedes: Sie fünnen offenbare Tehler, die irgendwo und. irgendwie in das Volkslied hineingefommen find, entfernen; fo befonders der Lehrer (die Schule), der Gefangverein. Beide find aud) außerordentlid, wichtig für die Vermittlung neuer Lieder. Darin einen „Verfall” des Bolfsgejanges zu jehen, bedeutet eine jehr merf- mwürdige Auffaffung des Bolfsliedes (E. NRoefe, a. a.D., ©. 39). —
Hin und wieder finde ich in den Arbeiten über das Volfslied aud) den „Zuhörer”, fogar das „Publitum“ (U. Göße, 3. f. d. U. 28/9. 24f.!). DO. Bödel meint jogar, das deutfche Volkslied fei „auf ernmirkung berechnet” (Handbud) des deutichen Volfsliedes, Mar- burg 1908, ©. 8). Natürlicdy gibt e8 weder den Zuhörer noch das PBublifum beim echten Volkslied. ES ift wohl möglid, daß jemand
zu. I
einmal aus bejonderem Grunde nit mitjingt; das mögen aud
einige fein. Aber das find nicht eigentlich „Hörer, Zuhörer”. Denn
fie werden in Gedanken mitfingen. Vom Volfslied aus, von den
Sängern aus betrachtet, gibt e8 feinen „Hörer“. Denn der Sänger
ingt fein Lied nicht, um gehört zu werden, fondern um zu fingen,
aus Freude am Kunftwerf. Gelbft da, wo Einzelgefang und Chor- gefang wechleln, ijt der Chor nicht Hörer, jondern „Sänger“. Wenn die Sugend fingend durd) das Dorf zieht, fo ift auch hier die eigne
Freude am Singen das durchaus zunädhft zum Singen Treibende.
Wenn fi die Ortsbemohner über diefen Gefang freuen oder fi
ärgern (und das fommt nicht nur bei Gaflenhauern, fondern aud
bei echten BolfSliedern vor, die [hlimmer fein fünnen al3 Gaffen- hauer!), dann ijt aud) bier daS Gehörtwerden Nebenwirkung, nit
Zmwed. — Daß ınan nit auch einmal fingt, um gehört zu werden,
will ich nicht beitreiten.
Zum Sclufje will id) eine Begriffsheftimmung des Volfsliedes geben, die nad) dem Ausgeführten nahe liegt: Das Bolfslied ift ein Lied, dDasvom VBolfe auS freiem Antrieb ge- Jungen wird und daS fih mindestens von einem Ge- Thleht zum andern vererbt.
Dazu bemerfe ich zufammenfafjfend folgendes:
1. Lieder, Die nicht gefungen werden, find feine Volkslieder. Solche, Die in früheren Heiten gelungen murden, jet aber nicht mehr leben, find „ausgejtorbene Volkslieder”.
Unmejentlid) ift, ob das Lied über ein großes Gebiet verbreitet
ift, oder nur in einem einzigen Dorf gefungen wird. 2. Aus freiem Antrieb wird daS Lied gefungen; dadurd) unter- : jcheidet e8 fie) mwejentlidh von Kirchen: und Gefangvereinsliedern. 3. Das Vererben halte ich für notwendig, weil id) den Gafjenhanter und anderes Rurzlebige nicht als Volkslieder betrachte. Der Gafjen- bauer aber und Aehnliches, was fi) nun vererbt, ijt echtes Volfs- lied, fo fehr das aud) unjerem von der Romantif beeinflußten Gefühl mwiderjprehen mag.
. Das Belanntfein oder Unbefanntfein des Dichters ift für das Mejen des Boltsliedes nebenfählid.
. Form und Inhalt find für den Begriff Volkslied unmefentlid).
. Das „Berfingen“ ift unmefentlid.
. Einjtimmigfeit und Mebrftimmigfeit beim Gefang ift unmefentlidh.
IC
IV.
Sit es nicht Jonderbar, daß in der Volsliedforfhung fo auf- fallend viele verjchiedene Meinungen vorhanden find, felbft über Grundfäglihes? Sit es nicht jeltfam, daß man fi heute nod nicht darüber einig ift, waS nun eigentlich ein Volfslied ift?
Woran liegt da8?
ch glaube die Antwort in VBorftehendem gegeben zu haben: Es liegt daran, daß die Begriffe Vollsdihtung und Kunftdichtung
6*
nicht allgemeingültig bejtimmt worden find; nicht haben bejtimmt werden fönnen, weil man die Vollsdihtung von etwas abgrenzen wollte, was fie jelbit ift.
Au die „VBollsdihtung” ift wirflihe und wahre „Runlt- dihtung”, auch das „Vol£slied“ ift wirkliches und wahres „Kunit- fied". Sch Hoffe, daß man mir um fo eher zuftimmen wird, als die Tatfadje an fi) Schon längft befannt ift; Herder hat das fhon betont, Goethe war diefer Anfiht; Ad. Bartels bat fie vertreten (vgl. Klaus Groth und die VBollsdichtung, Kunftwart XII, 1899, Et 14, ©. 36); Sohn Meier ift der gleichen Dleinung (R. u. ®.,
©. 1ff., befonders ©. 17).
E3 ijt nun jeher merfwürdig, daß man nicht die notwendige Yolgerung aus Ddiejer Erkenntnis gezogen hat, daß man die Unter- Iheidung zweier Begriffe, die im Grunde dasjelbe bedeuten, bei- behalten hat.
Die „VBoltsdidtung" ift „KRunftdidhtung”; die jogenannte „Runftdidtung*” ift „Runitdidtung”; ein Teil der fogenannten „Kunftdichtung” it „VBollsdihtung”, der andere ilt das nid. &8 liegt nicht in unferer Aufgabe feitzuftellen, wa8 denn nun Diefer andere Teil ift; in welcher Weile die feitherige VBollsdichtung und der Teil der Kunftdicdytung, der Volksdihtung ilt, ji) von dem Teil der jeitherigen Runftdihtung, der nicht VBollsditung ift, unter- feheiden, und worin nun das Wefen diefer neuen „VBolfsdid- tung“ beiteft. $ch will nur darauf Hinmeijen, daß Ddiefe neue „Bolksdichtung" ein Teil der „bodenjtändigen" Dichtung ilt. Diefer fteht gegenüber die nit bodenjtändige Dichtung, d.h, die von der ‘Fremde beeinflußte Dichtung, jei e8 in Snhalt oder Form oder in beidem. Bon diefem Gelidhtspunfte aus gebe ich folgende Weberficht der Einteilung unferer deutfhen Dichtung (fiehe folgende Seite):
Bemerfungen:
1. Ein Nadjteil der Gliederung beiteht darin, daB ich gezwungen war, Wörter zu nehmen, die bi3 jeßt einen anderen Sinn haben,
als ih damit verbinde, fo: völfifh, vollstümlih, WolfSlied, volfläufig, gelehrt.
2. Die beigejegten Beijpiele follen nur zeigen, in mwelddem Sinn ich die Ausdrücde verftehe.
3. Fremde Form, die eingedeutjcht wurde, fremder Stoff, der in unfer Deutfhtum wirklid aufgenommen wurde, rechne id zum „Boden- ftändigen“, 3.8. die ftofflichen Unterlagen des EhriltentumsS.
4. Die Gliederung wird im einzelnen nod) genauer durchgeführt werden müjjen. m ganzen aber wird eine genaue, allgemein gültige Abgrenzung der a erjt auf Ddiefer Sana möglich fein.
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Rleine Mitteilungen.
28iffelm Seinrih Wiehl.
Am 8. Mai diejes Kahres haben die Zeitungen der hundertiten Wieder- fehr des Geburtstages Wilhelm Heinrich Niehls aedadht. Ter Verlag Cotta bat eine aniprechende Gejamtausgabe feiner „Beichichten und Novellen” in 10 Bänden ericheinen laffen. Auch untere Zeitichrift möchte in den Ehren= franz für einen der treuelten Söhne und zugleich tiefften Kenner feines deutichen Volkes ein beicheidenes Blatt mit einflechten.
Es’ift nicht nur der äußere Anlaß, der in unjern Tagen neu erinnert an den Schöpfer der „Naturgeichichte des Volkes". Lie vulfanischen Ge=- Ihichtsereigniffe, deren Zeuge wir heute find, ftehen in innerjtem Zut- Jaınmenbange mit denen, die zu Riehl3 LYebensarbeit den enticheidenden Anitoß gegeben haben. Wie 1848, jo ilt heute die deutiche Volfsjeele aufgewühlt bis in jene Tiefen, aus denen nicht nur die Leidenschaften, fondern auch die Rätfel und Fragen auflteigen und den denfenden Geift bedrängen. Wie 1848 wurde von 1914 und 1918 bis heute Bolfstunde aus Schmerzen und Nöten geboren, lernten wir nach) dem Berftändnis der Seele unjeres Volkes fragen nicht um bloßer YKorihung willen, jondern aus der Sorge um das Echidfial Diefes Volles heraus. Tas war e3,.mwa3 der Arbeit der Bollsfunde damals ee zentrale Richtung gab, was Volfsfunde zu Volfsfeelenfunde fich vertiefen ließ.
Den tiefgehenden Unterjchied zmwiichen Niehl und den Männern des engliichen Folklore, die den ipäteren Bang der deutlichen Forfchung mejentlich beftimmt haben, verdeutlicht ein kurzer Vergleich des Arbeitszieles auf beiden Seiten. Wenn jene nad) „volfstümlichen Ueberlieferungen“ fragen, jo Juchen fie einzudringen in Zeiten, die vor aller gefchichtlich zugänglichen Kultur liegen. Die Erforichung des an Sitte und Brauch, Sage und Aderglaube in den Kultur= völfern nach Lebendigen dient zulegt nur der Erfenntns diefer fernen Ver- gangenheit. Riehls lettes Abjehen zielt genau umgekehrt auf Veritändnis gegenmärtigen VolfSlebens, eines Lebens am Ende des zurüdgelegten Kultur- mweges. Den heutigen deutichen Bauer, heutigen Bürger, heutigen Ndligen, heutigen Proletarier will er veritehen. Zwiichen dem letten Erfenntnisziel der Folkloreforicher und dem KRiehls liegt die ganze Kulturgelichichte. Serre drängen rüdmwärts, diefer drängt vorwärts iiber die Kulturgejchichte hinaus. Senne münden — zulammen mit der Bölferfunde — in die Wiffenfchaft der BVölkerpiychologie, diefer in die Praxis der Politit und Volfserziehbung. So wird Kulturgeichichte dem Folkloreforjcher grundiäglich gleichgültig, einem Niehl bildet fie, wenn auch nicht Biel, fo doch mweientliche Grundlage volf3- fundlichyer Erkenntnis. ‚Bücher mie die „Kulturftudien aus drei Jahrhunderten” und die „Kulturgeichichtlichen Novellen”, um nur fie zu nennen, bilden mit der volksfundlichen Lebensarbeit ihres VBerfaffers ein untrennbares Ganzes.
Sp gewinnt Riehls Werk feine YLebensfülle Er padt das VBolk3leben in der bunten Mannigfaltigfeit feiner befonderen Aeußerungen. Ber bejondere Bollsftamm, die bejondere Kandichaft, der befondere Stand, die befondere foziale Schicht tun dem Geelenfundigen das Geheimnis ihres Eigenmwelens willig auf. Mit dem Auge des Künftlers fchaut, mit dem Ohr des Mufifvertrauten laufcht er fich hinein ins Einzelne und Eigene, um zulegt alle Bejonderheiten zu= lammenzufaffen zu jenem reichen Gejamibild, in dem „Volf” fich offenbart als das große Kunstwerk der Beichichte.
Riehls Foricherarbeit ift aus dem Leben herausgemachlen. Er bat die Welt der Bücher gefannt wie nur ein deutlicher Gelehrter, aber über fie hinaus trieb ihn fein bejonderer eoten in eine lebendigere Methode: auf unge»
ählten FZußreilen bat er Land und Leute erlebt. Tiefer Uriprung ilt es, en feine Bücher, auch die wilfenjchaftlichen, ihren einzigartigen Tuft ver=- danken. Sie gehören, um mit feinen Worten zu reden, zu Denen, die im Walde geleien jein wollen, Während feines zweiten Studienaufenthaltes an der lint- verfität Gießen bat der Wald- und Wanderfrohe, wie fein Freund Moriz
Bee
Tarriere erzählt, im Sommer draußen auf der Höhe des Schiffenbergs gewohnt. In Bonn hatte eben der nafjauiiche Bfarramtsfandidat die für fein Leben enticheidende Wendung zur Kulturgeichichte genommen, von der er in den „Religidien Studien eines Weltfindes” jo liebensmürdig zu erzählen weiß. Nun aber legte er — e3 war in den Jahren 1844 bis 1846 — in der Belinn- lichfeit der Gießener Wälder den Grund zu einer Lebensarbeit, die ihn, nach mehrjährigen Wanderungen durch die Welt der Zeitung, in jungen Jahren auf den Münchener Lehrituhl führte, dem er biß zu jeinem Tode im Yahre 1897 treu geblieben ift. — Zu den reifen Früchten feiner hejliichen Studien ehört die Darftellung des Gerauer Landes im „Wanderbuch” und der Ylb- chnitt über das „Land der armen Leute” (Vogelsberg, Rhön, Wefterwald) in „Land und Leute”. Und die bedeutendjte feiner Landichaftsjchilderungen, das Buch über die Piälzer, enthält wertvollfte Beiträge auch zum Berftändnis rheinheifischer Volfsart.
Ueber Rieht3 politifches Denken ift in diefen Blättern in weiterem Zujammtenbange früher gehandelt worden!). Herangewachjen in der politiichen Atmopbäre der vierziger Jahre, hat Rieht je länger je mehr in fi) die liberale dee gefiillt und gewandelt zugleich) mit dem Bericht jenes Wirklichkeitsfinnes, der aus tapferer AUnerfennung der Tatjachen eines erdgebundenen Bolfslebens anna Seine Gedanten über ftändiichen Aufbau des Staates haben
oh auch manche Freunde wohl allzu voreilig in das hiftoriihe Mujeum ftellen. wollen. Niehl8 ganze Lebensarbeit bewegt fich im legten Grunde um die (nach Gothein) „großartige* Idee einer umfaffenden Wiflenichaft der Bolfsfunde, die ın einem „Kosmos“ des Volfslebens und der Politik fich vollende. Ihm jchwebte eine Zeit vor, da Bolfsfunde als Fundament der Botitil, Politit als angewandte Volfsfunde erfannt wäre, Daß dieie Ein- ihäßung der Bolfsfunde vorerft nicht Schule geinacht bat, bedeutet Teine Widerlegung. Wir find Über Riehls Elaffiich zu nennende „Bürgerliche Gejell- ichaft”, mit ihrer jpäteren reifen Ergänzung in der „Deutichen Arbeit”, bis heute nicht hinausgefommen, ja in deren Grunderfenntnis nocd) faum ernithaft eingedrungen.
E3 ift der in unfern Tagen wieder einmal zum Leben erwachte Sinn für daS Organische, den Riehl, hierin ein Erbe edelften Gutes der Romantik, auf eigene Art durch fein Jahrhundert mweiterträgt und uns überliefert. Hier liegt auch der Uriprung der vielleicht perjönlichiten und inniaften feiner Schriften, der „Ssamilie”, eines Buches, das in jenen Hiftoriichen Einzelheiten heute von der Forjchung teilmeife überholt fein mag, in feinem Kern aber fo mwenigq je veralten wird wie die Holzichnitte Qudmwig Richters, mit deffen Leben3- mwerf Riehl das jeine einmal vergleicht. Und jo mag denn auch feine prächtige Babe für die deutjche Yamilie, feine Novellen und Erzählungen, noch mehr als einmal aus der Mode fommen; veralten wird fie erft, wenn einmal das deutiche Volk veraltet fein wiıd.
E3 find immer nur wenige Menfchen, die in uns den Eindrud binter- lafjfen, daß ihres Bolfes tieffte Mefensart in ihnen fich verförperte. Wilhelm u Kiehl gehört zu diefen Menjchen. E83 hat im deutlichen Bolfe größere
eifter gegeben ala er. Aber ein Luther oder Goethe ragen zu hoch, als daß wir es mwagten, ung in ihnen zu jehen. Niehl trägt mehr uniere Maße, Tteht unter unge, — nicht Heros, Sondern Freund; aber von den Freunden einer, deren Nähe fchon adelt, weil in ihnen das Bild auf ung blick, dem unjer beites deutjches Wefen fich entgegenftredt. Georg Kod.
Ss. Ar. Heilderg T. Sn dem Langemieiche-Band „Täniiche Maler” finden wir ein Bild von Erit Henningien: „Die Volfshochichule”. ES frellt den großen Vortragsjaal der Vollshochichule zu Aston in Yürland dar. Unter den Hörern figt ein freundlicher Greis mit weißem Haar, Käppcehen und Brille, in dem man leicht
) Bat. in Bd. 7 (1908) R. U. Frigiche: JZuftus Möfer und W. H. Riehl, Gedanken über Bolfstunde.
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8 —
den Pfarrer im NRubheltand erfennt. E&3 ift der im ganzen jfandinavilchen Norden und darüber hinaus befannte Bolksfundeforicher Henning Frederif Feilberg, am 8. Dftober 1921 neunzigjährig in Aston neftorben. Unfere Blätter fchulden ihm bejonderen Dank. Wir erinnern uns des aniprechenden Auffages, den er auf die Bitte des Herausgebers im d. Band (1906) diejer Blätter über da3 nordilche Weihnachtsfeit ericheinen ließ, und in dem er die mwichtigften Ergebnijie feines zmweibändigen Monumentalmerfes „Jul* (Roven- bagen 1904) zujammenfaßte und furz begründete. Syn einleuchtender Weije erflärt er dort da3 altitandinaniiche Julfeit als ein Felt der abgeichiedenen Seelen. — eilberg fteht mohl einzig da mit dem Reichtunn feiner volf3tund- lichen Aufzeichnungen. Sn einem Witer von wenig über 60 Jahren aus dem Dorfpfarranıt ausgeichieden, durfte er noch 3 Jahrzehnte geriiiger Rültigkeit feinen geliebten Bolfsftudien widmen. Unter jeinen zahlreichen Beröffente lichungen nennen wir bier nur die bedeutjamften: neben dem Sulmerf die volt3fundliche Riejenleiftung feines „Bidrag til en Ordhog over jyske Almues- mäl* (Beitrag zu einem Wörterbuch der jütiichen Bollsinundart) in 4 Bänden 1886— 1914, „Fra Heden“ (Bon der — jchlesivigiichen — Heide) 1863, „Dansk Bondeliv, navnlig i Vestjyliand“ (Dänijches Bauernleben, namentlich in Weft- jütland) in 2 Bänden, 2. Aufl. 1898. 99, „Sjaeletro* (Seelenglaube) 1914, „Skabelsesagn og Flodsagn“ (Schöpfungsiage und Ylutjage) 1915, „Nissens historie“ (Gejchichte des Kobold3) 1918,
Freunde heben immer wieder die große Selbitlofinfeit hervor, mit der er ein beiipielloies voltStundliches Wilfen jedem zur Verfügung ftellte Oft bat er’3 gejagt, daß er eigentlich nicht für fich arbeite, Jondern nur fommender Berihumg die Wege wolle bahnen helfen. An fie, nicht an fich dachte er auch
ei der Begründung einer vollstundlichen Bücher» und Handichriftenfammlung („Dansk Folkemindesamling*), von der man annimınt, daB fie auf dem euro= pätichen Feltland ihres gleichen nicht hat. Ber beicheidene Mann tft ohne feinen Willen nicht nur Sammler und Wegbereiter, jondern auc, Wegmeifer geworden, Georg Koch.
Bfto sölel +.
Am 19. September 1923 ijt in Michendorf in der Marf ein Mann ge- jtorben, deffen Name unzertrennlich mit der Bolfsfunde unjerer Heimat ver- Mmüpft ift. Dtto Böcel, am 2. Juli 1859 in Frankfurt a. M. geboren, ftudierte von 1878—823 zuerit in Gießen und Heidelberg Aurisprudenz und Nationals Sfonomie, dann in Marburg und Leipzig neuere Sprachen. Al Gießener Student legte er im W.-S. 1879/80 den Grund zu feiner VBolkstiederfammlung, „Jo manche liebe lange Nacht auf einfamen Wegen mwandernd” nach den Dörfern jenjeitS der Lahn, oft „im finftern Gehölz verirrt oder im Schneegeftöber vom Wege abgefommen, Auslug baltend nad) dem Yichtlein, das den gejuchten Ort verraten follte, und horcchend, ob fich nicht fern, aanz fern die aetragenen Ihmwermütigen, mehritiimmigen Klänge eines jener hefitichen Volkslieder ver=- nehmen ließen.... Es mar ein einfam, aber felig Wandern in den hoffnungs= reichen Tagen blühender Jugend”. Sn den Epinnftuben von Heuchelheun und @leiberg ift er ein häufiger Gaft; in Heuchelheim feiert er die Faftnacht mit, in Gleiberg ift der Nachtmächter jein beiter Gemährsmann; in Krofdorf, Veß- berg, Yellingshaufen, Launsbadh, Kinzenbach, Abach, Lügel-Linden, Lang- Göns, Londorf und AltensBufed, in den Soldaren- und Handmwerfsburichen- fneipen Gießen3 zeichnet er Lieder auf nach dein Belang oder nach Tiktat, bie und da erhält er auch einmal ein kleines handfchriftliches Liederbuch. (Lieder aus der Marburger und ein paar aus der Friedberger Gegend find dann noch Hinzugefonmen, und einige aus dem Hinterland ftenerte ihm Srecelius bei.) 1883 auf Grund einer romaniftifchen Arbeit in Marburg zum Doltor promoviert, trat ex 1883 als wiffenjchaftlicher Hilfsarbeiter an der dortigen Univerfität3-Bibliothef ein. E3 beginnt num eine Zeit eindringendfter volfstundlicher Studien, wobei fein Gefichtsfreis nicht auf Peutichland be= Ichränft bleibt: man fann nicht genug ftaunen, mwa3 er alles an Bollsüber-
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lieferungen der europätjchen Bölfer und an ethnographilcher Literatur damals durchgearbeitet hat. |
Sm Sahre 1885 veröffentlicht ex feine „Deutichen VBolfslieder aus Dberheijen”, 122 Lieder, 3. X. in mehreren YFaljungen, mit genauen Angaben über den Fundort und bereit3 befannte Varianten. Außer einem fleinen Wörterbuch der Kunden-Sprache, das er auf feinen Wanderungen im Heffen- land bei den Handmwerfsburichen zujammengebracht hat, ilt eine 188 ©. um- faffende „Eulturhiftorisch-etynographiiche Einleitung“ beigegeben, die von einer jolchen Gelehrjamteit und Belejenheit des VBerfaflers zeugt, daB ich jedesmal wieder, wenn ich fie aufichlage, mich vermwundere und nur bedauere, daß fo mweniae willen, welche Schäge von volfsfundlichen Nachmeilen nicht nur für das Volfslied, fondern auch für Volksiage, Sitte und Brauch, Volfsglauben und Aberglauben hier aufgelpeichert find (3. B. über ten Rosmarin als Sinn- bild der Yiebe und des Tods, die Diebsferze aus dem Finger eines ungeborenen Kindes, das Minnetrinken, die Turteltaube in der mittelalterlichen Symbolik, die Berbreitung des Lenoreitoffs, den Kampf der Kirche gegen die Bolfs- dihtung u.a.m.). Die große Bedeutung der Melodie für das Volkslied fennt Bödel jehr genau, trogdem hat fein Buch den einen großen Fehler, daß die Melodien bei den aufgezeichneten Liedern fehlen.
Die Borrede, die er im jelben Sahr zu der von Erecelius bearbeiteten und von Böcel durchgelehenen 3. Auflage von Bilmars „Handbüchlein für Freunde des deutichen Volf3liedes“ (Marburg 1886) Jchrieb, endet unter Hin- mweis auf die blühenden volfsfundlichen Studien in anderen Yändern mit einem Mahnruf, auch in Deutichland, dem „Vaterland der Follloriftif” die volfsfund- liche Sammlung und Forichung wieder neu zu beleben und durch die Ber- bindung mit Ethnographie und Kulturgeichichte zu befruchten. Ihm felbit Ichwebt al3 großes Ziel eine „Gejchichte des Volfslieds auf der Balis der völfervergleichenden Studien“ vor. Er wäre dafür der rechte Mann gemeien, und er wäre auch berufen gemejen, bei dem wenige jahre |päter einjegenden Wiederaufblühen der wiflenschaftlichen Volkskunde eine jührende Rolle zu |pielen. Eine tiefe Liebe zu unjerem Volk, vor allem zum deutichen Bauerntum be= jeelte ihn; dem deutichen Bauernftand, deilen Gefährdung durch die nioderne Zivililation er in den jchmärzeften Yarben jah, Hatte er feine „VBolfslieder aus Oberheffen” gewidmet. Die Liebe zuın Bauerntum war es auch), die ihn damals in die Politik trieb, ihn dazu brachte, jeine mwiffenjchaftliche Arbeit und ichließlich Togar jeinen mwiffenichaftlichen Beruf aufzugeben. Sn den Bolfsver- jammlungen riß er mit feiner glänzenden volfstünmlichen Beredjamtfeit das Landvolt mit, und er entfachte in Helfen eine Bauernbewegung, die ihn für einige Jahre zu einem der populärften, höchftverehrten oder beitgehaßten Männer machte. Sch erinnere mich aus meiner Jugendzeit, daß fogar im Kinderfpiel der Begal oft eine große Rolle jpielte. ES ift nicht meine Sache, bier über diefe Jeine politiiche Tätigkeit em Urteil zu fällen. Bon 1887—1903 vertrat Böcel al3 antijemitiicher Abgeordneter den Wahlfreis Diarburg- Kirchhain im Reichstag. Der Zujammenbruc) des Berlags des von ihn gegründeten „Reichs-
erold” brachte ihn an den Ruin, 1894 war er nach Berlin gezogen, um eine Stelle al$ Berficherumgsbeamter zu übernehmen. Nachdem er fi) von der Bolitif Hatte zuriicdhziehen müffen, lebte er, vielfach von jchmerer Krankheit beiingejucht und in wirtichaitlicher Not, in dem oben genannten kleinen mär- füchen Torf. Und „in diefen Zeiten, wo die Hoffnungen mie welfe Blätter fielen, ward es mir,” jo jchreibt er, „ein Bedürfnis, zu den Studien zurüdzu- fehren, die einft meine fonnigen Tage verflärt hatten. ES befiel mich wie Seimmeh nach dem Bolfslide.” Da holt er denn feine Marburger Samm- lungen und Notizen und feine Bücher ıwieder hervor und führt nun die Ge- danfen aus der Einleitung zu den oberheifiichen VBolf3liedern weiter aus in dein Schönen, inhaltsreichen Werk „Biychologie der Bolfsdichtung” (Leipzig 1906, 2. verb. Aufl. 1913: V, 419 6©.). &3 ift auch für weitere Kreile berechnet und läßt daher mancherlei von der Gelehriamteit feines eriten Buchs 1veg, jo daß dies „auch fernerhin jeinen Wert behält”. Tie Weite des Blicls, die nicht an den deutichen Grenzen Halt macht, zeichnet auch diejfes Buch vor vielen anderen aus der inzwilchen ftark angejchwollenen Volfsliedliteratur aus. Der
2.200:
Freund des Volkslied wird immer wieder gern zu diefem marmherzigen, mit echter Begetiterung gefchriebenen und bei aller Wiffenichaftlichfeit doch mehr nach Waldesluit als nad) der. Etudierlampe riechenden Werke greifen, und auch der Gelehrte wird es, wenn auch die Volksliedforfchung jett vielfach andere Wege gebt und manche Anschauung als veraltet oder remantilch ab- lehnen wird, ftet3 mit Nuten zu Rate ziehen.
1908 folgte eine völlige Jteugeltaltung von Bilmars Handbüchlein unter dem Titel „Dandbuch des deutichen BolfSlieds*" (Marburg. VI, 393 S.), eine Auswahl der beiten deutichen Bollslieder (leider auch ohne Melodie) mit verbindenden Text, der fich diesmal, was B. einft bei Vılmar getadelt, ganz auf den deutjchen Vollsgelang bejchränft, ein Buch, das ich vor allem in jede Schulbibliothef wiinichen möchte. — Eine Reihe von anfpruchslofien, fleiren lebendigen Skizzen „aus der untergehenden Torfmelt“, Stimmunasbildern und tiefeinpfundenen Naturichilderungen vereinigte B. unter dem Titel „Dorf- bilder aus Heffen und der Part (Bießen 1908. 241 S.). Biel Schwermut und Heimatjehnfucht fehreibt fich dabei der einjante, müde Mann vom Herzen. Aber er arbeitet fleißig an den alten lieben Stoffen weiter: den Veriuch, den jchwer, überjehbaren deutichen Sagenftoff zu gliedern und in einem Bändchen der Cammlung „Aus Natur und Geifteswelt“ fnapp zufammenzufafien („Die deutiche VBoltsjage. 1909. IV, 162 ©.), darf man al3 mohlgelungen be- zeichnen. Möchten viele feinen Aufruf zum Sammeln der alten Ueberliefe> rungen befolgen, folange es noch Zeit ift; „es gebt aegen den Abend*, und es ift Schon zu viel „erlofchen und mit den Trägern zu Grabe gegangen“. But wird als nächjtes Ziel der Plan einer einheitlichen fritiichen Sammlung aller deutichen Sagentypen unmwiffen. — 1917 erichten dann noch in der „Zeutichtundlichen Bücherei” ein DUBLIN fiir den deutichen Unterricht „Das deutiche Bolfslied*. Cs befriedigt mohl am meniaften von B.3 voltstundlichen Schriften und berüdfichtigt fauın die neuere Forichung.
Zu unieren „Blättern“ bat B. nur einen fleinen Beitraa beigeiteuert: „Bollsrätjel aus dem Vogelsberg“ (aus den Nachlaß von Th. Bindemwald) in 30.2. Tas Manuifript feiner Cammlung oberheifiicher Volkslieder hat unfere Bereinigung 1909 für unjer Archiv erworben.
Wenn Wandervögel auf ihren Yahrten durch Michendorf famen, ver- jäumten fie nicht, vor Böckel3 Haus Halt zu machen uud ihm eins feiner lieben Bolfslieder zu fingen, die er, wie der junge Goethe, „auf dem Herzen
etragen” hatte. Tas war ihm in den le&ten, für ihn fo beionders jchiweren Yahran, wie man mir mitteilt, immer eine große Freude. Mönen feine Bücher noch vielen ein Führer jein zu den herrlichen Schägen unierer BoLllS- Sichtung! Hugo Hepdıng.
Stiedrih Bogt T.
Am 29. Oftober 1923 ftarb zu Marburg unfer Ausfchußmitglied Sriedrich
Bogt im dreiundfiebzigften Lebensjahre, nachdem er beinahe fünf Jahrzehnte in Greifswald, Kiel, Breslau und Marburg als einer der nambhafteften Ver» treter der germaniftilchen Wiffenichaft gemirft hatte. E3 ijt hier nicht der Ort, feine Bedeutung fie die gejamte Germaniftif zu mwiürdigen; Vogt ıwar aber auch einer der Führer der deutichen Bolfsfunde, vor allem in den Tahren feiner Bresiauer Wirffamfeit Im Zahre 1894 hat er dort die Schlefilche Gejellichaft für Volkskunde gegründet und er war bis zu jeinem Weyaang von Breslau die Seele der vollsfundlichen Arbeit in Schlefien, die „Mitteilungen der Schlefiichen Beiellfchaft" und „Schleftiens volfstiimlicher Ueberlieferungen, Sammlungen und Studien der SOchlefiichen Gelellichait für Volksfunde,“ hat er bis 1902 al3 Herausgeber aeleitet. Won eigenen mifjfenfchaftlichen Arbeiten en dem Gebiet der Volkstunde eine ganze Reihe größerer und Fleinerer , ufläge an, unter denen bejonder3 der Über das Scheibenfchlagen und die wichtige Abhandlung Über Tornröschen- Thalia zu nennen find. Dort hat er mittelalterliche Zeugniffe für den befannten heute noch lebenden Brauch qe= fammelt, bier eine Brücke zmwijchen dem deutichen Märchen md antilen MytHus zu fchlagen verfucht. Seine Hauptarbeit voltstümlichen Charakters aber it
. 9]:
das Ichöne Buch „Die Schlefiichen Weihnachtsipiele* (1901), eine liebevolle Samme- lung der damals in Schlefien noch vorhandenen Texte, verbunden mit einer Inutlecnfiktioen Arbeit über Herkunft und Entwidlung des deutichen volfs- tiimlihen Weihnachtsipieles, jeinen Zulammenhang mit alten volfstümlichen Adventspräuchen, dem Umzug des ChHriftfindes, des Knecht Ruprechts, der Frau Berchta oder der Schidialsfrauen, und die literarischen Beziehungen zu andern Tramen des Mittelalters und jpäterer Zeit. Belonders hervorzuheben ift, daB Vogt neben der wiljenschaftlicden Erforichung diefer Spiele fich) das Ziel gejegt Hatte, fie auch in öffentlichen Aufführungen wieder lebendig zu machen: Schüler, Freunde und die ganze iyamilie Bogts3 haben fich in den Dienit diefer Aufgabe gneitellt, und es ift ihnen in Breslau und Marburg, in MWiürzburg und an anderen Orten immer ein voller Erfolg beichteden gemeien. Auch heute noch Üben diele Texte in VBogt3 Zujammenftellung auf Groß und Klein einen unvergänglichen Zauber aus.
Sn unferen Blättern it Bogt im zmeiten Bande mit einem Tleinen Auflag vertreten: er hat dort zujammen mit Wünich einen mittelalterlichen Fieberzauber erklärt. In Dlarburg für eine Ausdehnung unferer voltsfund- lichen Arbeit auf die preußiiche Provinz Helfen tätiq zu fein, mußte fich Vogt veriagen, da ihn andere große Aufgaben literarhiftoriicher Art voll in An« |pruch nahmen. Uber er hat am unjerer Arbeit dauernd regen Anteil ge- nommen und mit SIntereffe unjere Beitrebungen verfolgt. Wir werden ihm al3 einen der großen Bahnbrecher meıhodifcher mwiljenjchaftlich-volfstundlicher Arbeit ein treues und danktbares Andenfen bewahren. 8. Helm.
Parodien von Hegensfprüden.
Zu den von Weinreich und Eberimann in unfern Blättern Bd. IX 126 ff., XII 1825f., XII 1935. gegebenen Beilpielen fann ich noch einige hinzu= fügen aus einem Büchlein von Kohann Chriftoph Schäffer, Der von GDtt verfluchte Feuer-Eeegen, oder Eigentliche Art, Uriprung und Greuel der ver- meynten Kunst, durch welche entitandene FFeuers-Brünfte, ohne natürliche Mittel, Sollen fönnen veriprochen und ausgelöichet werden, nebft eingemifchten vielen Derdmiürdigkeiten deutlich vor Augen geleget. Leipzia: ac. Schufter 1723, das umnfere Univerfirtäts-Bibliorhef vor einigen Jahren erworben hat. ©. 82 erzählt er, ein Prediger fei bei einem großen Biehfterben, bei dem auch er großen Schaden erlitt, in die Worte ausgebrochen: Castigasti me Domine, sed morti me non tradidisti. Das hörte ein Weib, fie „meinet es jey ein Bieh-Seegen, durch welchen der Prediger das lbrige Bieh beyın Leben erhalten wolle, und meil fie die Lateiniichen Worte nicht veritehet, bildet fie ficy ein, er Ipräche: Karftu mich, To farft ich dich, murreitu mir, jo dreich ich Di 2 sn Ipricht fie folhe Worte über ihr frand Vieh, und fiehe eS wird gejund.*
©. 84 finden wir, nah Ernft3 Gemüth3-Ergößlichkeiten 5, 94ff., eine Bariante zu Hefl. BL. IX 135 Nr. 7: Ein Glöcner aus Erffurth Glorius Rintermann gibt einem Tifcher ein „Briefgen, jo er wieder allerhand Zuiälle am Halje tragen, aber ja nicht aufmachen folte. Nachdem aber diejer Tiicher in furgeın nacheinander jo gar viel Unglüd gehabt ... hat er aus Ungedult den Zeddul aufgemacht, und die gottlojen Worte darinnen gefunden:
20 mwiünfch, wer diefen Zeddul trägt,
aß er feine gute Stunde erlebt,
Ter diefem Zeddul feit vertraut,
Der ılt ein Narr in feiner Haut.” | ©. 85 iteht eine weitere Bariante der Formel gegen das Talte Fieber Hell. Bl. 1X 131f., XII 184f.: „Ein ander folıe einer alten Frau vor3 Fieber etwas Schreiben zum Ungehäunge: diefer jchrieb:
Der Hencer hohle die Alte,
So vergeht ihr das Kalte”.
Schäffer fährt dann fort: „Und ein gemwiffer Mard-Schreyer gab auc) dergleichen Zeddul mit aus, darauf ftunden die lateinischen faljch geichriebene
—.9 0 —
Worte: Muntuz fuld tezyby haercho thezybyadur..d. i. die Welt will betrogen feyn, drum mag fie auch berrogen jeyn. Noch ein ander jchrieb ıwie dur gläubeft, jo geichebe dtr. Wieder ein ander gab einem einen Zeddul, auf der bloßen Haut zutragen, dadurch er folte fefte jeyn, welcher auch fich darauf verließ, und in allerhand Händeln glüdli war. Da er aber beredet wurde, den Zeddul zu Öffnen, fand er die Worte: Hundsfut wehre dich.“
Hugo Hepding.
Bücherfchau.
Ernfi Safirer, Tie Begrifisform im mythiichen Denfen = Etu- dien der Biblioıhef Warburg, br3g. von Fri Sarl. 1. Heft, Leipzig-Berlin: Zeubner 1922, 626 80, - „Die traditionelle logische Theorie weit uns an, den Begriff dadurch u bilden, daß ıwir die feitftehenden Eigenschaften der Tinge ins Auge faflen, ie miteinander vergleichen und das Gemeinfame aus ihnen hereuslöjen. Tiefe Vorjchriit ermweift fich fcyon unter rein logiichen Gefichtspunften al3 völlig unzureichend — und fie wird es um jo mehr, je mehr man den Blick über den engeren Kreis des wiffenichaftlichen, des fpezifiich-logiichen Lenfens auf andere Tenfgebiete und Tenfrichtungen binlenft. Denn dann tritt deutlich ar daß wir die Beuriffe niemal3 unmittelbar aus den Eigenichaften der inge ablejen förnnen, meil vielmehr umgefehrt das, was wir „Eigenichaft“ nennen, erjt Durch die Form des Begriffs beftimmt wird. Alle Segung von Merkmalen, von objeltiven Eigenjcyaiten geht auf eine beftiinmte Eigen- heit des Tenfen3 zurüd — und je nach) der Drientierung diejes Denkens, je nach) feinem beherrjchenden Gefichtspunft ıwechjeln für uns die Beltimimt- Den wie die Beziehungen, die wir im „Seienden” annehmen. Auch von ieier Seite zeigt fich daher, daB die Klafjen und Arten des Eeins nicht wie der naive Realismus annimmt, ein für allemal und an fich feltitehen, jondern daB ihre Abgrenzung erit germonnen ıwerden muß, und daß dieje Bemwinnung ‚von der Arbeit des Geiltes abhängt. Das eigentliche „fundamentum divisionis” liegt zulegt nicht in den Dingen, iondern im Geilte: die Welt hat fir uns die Geltalt, die der Beift ihr gibt. Und weil er bei all feiner Einheit feine bloße Einfachbeit ift, Jondern eine fonfrete Mannigfaltigkeit verjchiedenartigner Ntich- tungen und Betätigungen in fich birgt: darum muß auch das Sein und feine Klafien, feine Zujammenhänge und feıne Tifferenzen als ein anderes ericheinen, je nachdem e3 durch verichiedene geiftige Medien erblicdt wird.” (©. 52f.) Befler al es mit diejen Worten der Nerfaffer felbft tut, läßt fich feine Einftellung nicht bejchreiben. „Zie VBegriffsioem im niythischen Tenfen“ ift für ihn ein Sonderfall möglicher Geftaltungsarten, deren fich der menjchliche. GBeilt dem Begebenen gegenüber. bedient, um es als „Organismus” zu be= reifen. Brälogiiche und alogiiche Geiftesart verfährt demnach zwar nicht ogilch, aber darum doch nicht mwillfürlich, Auch das mythiiche Tenten hat eine ausgeprägte, jtrenge Ordnung, die berausguftellen die reizvolle Aufgabe einer „Bhilojophie der jymboliichen FKorinen”“ ware. Ser Verf. ftellt eine folche in Ausficht. Hier legt er eine Vorarbeit vor, die den Lejer auf das größere Werk aeipannt madıt. | Wer das außerordentliche Werk Levy-Rrügl’s über „Das Denten der Naturvölfer” (üb. u. hrsg. v. Wilhelm Serujalem, Wien-Leipzig 1921) kennt, erfährt zwar .ftoiflich in Kaffırer’3 Vortrag wenig Neues. Wohl aber hat diele fleine Schrift von anderer Seite her einen eigenen Reiz befommen: fie verlucht die auf dem Boden des Politivismugs mit breitefter Darbietung von anjchaulichem Stoff erarbeiteten Einfichten des Franzojen in die Anichauungen deuticher idealiftiicher Bhilofopbie umzugießen. Per Schiller Cohens brachte für dieje Aufgabe einen vorzüglichen Begriffsichag mit. Ta er fich Überdies einer ungewöhnlichen Belejenheit und einer erfreulichen Gemandthrit im Aus drud rühmen darf, jo war er zu folchem Unternehmen mehr al3 andere ge-
rüstet. Gern läßt man fich von ihm über mancherlei aefährliche Pfade bis zu der Stelle hinführen, mo fich der Ausblid auf „Brundformen religidier Melt- einteilungen“ auftut. Un diejer Stelle begreift man den Wert, den folche theo=- retiichen Studien gerade für das Berftändnis des Konfreten haben: die mwirf- liche Religion, wie fie um ung heute lebt, wird mit all ihren Rätjeln und (logilchen) Eelbjtwideriprüchen durchlichtig, ja finn-voll.
Allerdings muß die Grenze jolcher Sinngebung des Sinmnlofen ftreng beachtet werden. Wie leicht verführt der Trang nach Syftematif zu Verkür- zungen, die um der Einfachheit der KYormel willen vorgenommen, aber den Zatbeitand nicht gerecht werden, ft e3 wirklich jo, daß die alatte Lö- fung immer die richtige fein muß? Man darf wohl ein Fragezeichen hinter jene Einteilung jegen, die Eaffirer auf Seite 42 vorträgt: das milfenschaftliche Denken ftrebe den PBrimat des Zeitbeariffs vor dem Raumbegriff an, dag mpthilche hingegen bevorzuge die räumliche Schematifierung. Dein eben dieje Schematifierung jelbit ift — ganz abueiehen von der Problematik diefer Er- fenntnistheorie Überhaupt! — doch zunächit nur vom logifchen Anichauen und logischen Denken gemeint. AJndem diefer Schematisinus auf das moythijche Denfen übertragen wird, befennt fich der Verf. zu der Prämiffe, daB zmiichen {oatihem und alogiihem Denken eine VBermwandtichaft, ja Gleichheit vorliege, jofern beide Geftaltungsarten „Ichematifieren” müßten, um anjchaulich zu werden. Uber diefe Brämifie ift in hohem Maße anfechtbar — aus Gründen, die man Eaffirer’3 eigener Schrift entnehmen mag. Piejes Fragezeichen jeen wir in Konjequenz feines eigenen Gedanfenganges. Auch darin lieat ichließlich noc) einmal eine Anerkennung dafür, daß er feine Leier fo ernitlich auf die Eigenart mythilcher Geiftesform gegenüber logüch-miffenjchaftlicher achten heißt.
Gießen. Heinrich Frid,
‚Arthur Angnad, Uriprung und Wanderung der Sternnamen. Breslau: Selbjtverlag des Lerf. 1923. 15 S. 80 (Kulturfvagen Heft 2).
Während in dem 1. Heft der gemeinverftändlich daraeftellten „Kultur fragen“ des Breslauer Allyriologen durch eine jehr wertvolle Skizze der „ältelten Bölfermanderungen Vorderaliens“ der hiftorische Untergrumd gezeichnet murde, auf dem die vorgriechiiche Beichäftigung der Menichheit mit wichtigen, 3. 7. noch heute wie vor drei oder jech3 Jahrtaufenden wirfjamen Brundproblemen unierer Kultur erwachien tft, zeigt das vorliegende Heft an dem Beilpiel der Aitrographie, wie alte babyloniiche Anichauungei — teils mwiffenichaftlich hatt- bare Erfenntnilfe, teil3 aus den Verhältniffen Babyloniens begreiibare mytho- logiiche Boritellungen — entftanden und durch die Vermittlung der Nachbarn, inSbefondere der Hethiter, in deren von Hugo Windler wiedergefundenen klein afiatiichen Haupıftadt (Boahbazköj) der Affyrioloate und Hethitologie eine Yülle neuen Material3 erhalten ift, zu den Griechen gefommen find, um, bald menig verändert, bald ftarf umgebildet, in der europäilyen Kultur fortzuleben.
Gießen. S. Lemyp.
2uilßelm Gundel, Sterne und Sternbilderim Glauben de3 Alter- tums und der Neuzeit. Bonn und Leivzig: Kurt Schröder 1922. VII, 353 ©.
E3 war ein überaus glücdlicher Gedanke, uns die Sterne und Stern- bilder, die ja von jeher immer wieder aufs eindringlichite der Menfchen Tenten und Sinnen beichäftigt baben, im Glauben der Menjchheit vor Augen zu führen. Dabei haben wir nach zwei Seiten hin dem Berf. bejonders danfbar zu fein, einmal für jeinen unermiidlichen -Sammeleifer und feine ftaunensmwerte Belejen- heit, dank derer er aus der Literatur und dem Vollsglauben aller Völker und Zeiten gleichermeije jchier überreichen Stoff zufammengetragen hat, und dann für das große Gejchich, mit dem er aus diejer Ueberfülle eine initruftive Aus- wahl lichtvoll und Üüberfichtlich vorzuführen verfteht und jo zum ficheren Führer Durch die fich nur zu oft widerijprechenden und freuzenden Borftellungen und Meinungen der verichiedeniten Völker im Laufe der Jahrtaufende wird, defjen Leitung man fid) gern und millig anvertraut. Der Förderung der Erkenntnis der gefchichtlichen Entmwidlung, mobei wieder einmal der ftarke Einfluß des
taffiichen Altertums auf die fpäteren Kulturvölfer aufgezeigt wird, jomwie einer in dieler Weile wohl noch nicht ge D en Iyitematifch piychologiichen Gliederung des Stoffes dient Gundel3 Arbeit in gleicher Weile vortrefflich. Wie er fein Programm (S.9): „Ach will zeigen, welche Gedanken nature notwendig bei zeitlich) und räumlich völlig von einander getrennten Menichen diejelben Bilder und Neußerungen, diejelbe Wertung ıumd denfelben Glauben ervorrufen, und welche als Ausftrahlungen und alS Ummertungen antifer deen anzuiprechen find“ durchgeführt hat, mag folgender Auszug aus’ der Anhaltsüberficht zeigen: I. Typische naive Anichanungen von Nattr und Geftalt der Sternbilder: 1. Materielle Deutung (Bimmel und Sterne feite Körper aus Metall und Geftein, aufgemalte und aufgeftecte Sterne, Sternfeuer, Himmels- ozean und fchmwimmende Sterne); 2. Animiültiiche Deutungen al tier- oder menjchenartige Lebemejen, geflügelte und gefiederte Räder, Scheiben, Bälle, Kugeln, Käfer, Schmetterlinge, Vögel; 3. Namen und Uriprung der Stern- namen, der wahre himmliiche Name. II. Religiöie Ideen vom Aeußeren und MWeien der Himmelstörper; 1. Geitircngötter und Geftirngeifter (fetiichartige Sterugötter, lichte und ätheriiche Aitralmejen, Diener und Yoten eines Gottes, Sterndämonen und -engel, außerhalb des Sternförpers jchwebende Geitirn- u: 2. Sterne und Sternbilder al3 ehemalige Menjchen (entrücdte Lebende, erftorbene, Sternjchnuppen und Menichenfeelen). II. Materialiftiiche Deus tungen der Subftanz der Beftirne: 1. Natürlich-phyfilaliiche Deutungen (kalte, heiße, feuchtende, troctnende Geftirne, die verichiedenartigen Elemente und Sälte in den Beitirnen); 2. Sterne und Sternbilder al3 Wohnorte lebender Wejen, IV. Tätigkeit und Wirkungsgebiete der Geftirne; 1. Yebensmweile und Tätigkeit der als Perjönlichkeiten gedachten Geftirne (befreundete, verwandte, verieindete Sterne, Sterne al Wetterinacher, Vegetations-, Kultur, Zeitgötter, Tätigkeit der untergeordneten Sternmweien); 2. Beziehungen zmwijchen Geftirnwen und Denichen (perlönlicher Verfehr, Ehen, Sterne als Väter von Menichen und Völkern, helfende Sterne, fiderale Menichenjäger, Kranfheits- und T:odeS- Ötter, Fernmwirkungen, Antworten durch Reden oder Wunderzeichen, Wächter er Menichen, des Menichen Schiejalsitern, Geftirneinfluß auf menjchliche Handlungen und Bölferjchictfale). V. Vorftellungen von der natürlichen Wir fung der Geftirnförper: 1. Das Medium der Wirkung (Feuer, Bit, Yichtftrahl, Zämpfe, Pneuma, Samen, herabfließende Luft- und Wethermaffen, Tau, Regen, Schnee fommen aus den Geftirnen, unmittelbare fympathiiche Kraft- wirkung); 2. Einfluß auf die Atmoiphäre und Erde, Wetiervorzeichen, Roneten- nebel und -dämpie; 3. natürliche Zufammenhänge mit dem Menjchenleben und mit irdiichen Organismen, Schieffalsitern, Wunderfterne und Kometen bei Geburt und Tod hervorragender Sterblicher, aftrale Etrahlenfammler und sträger in der Natur und in Lebemwejen. VI. Einwirkungen der Menjchen auf die Sterne: 1. Abwehr böier Sterniwejen, An- und Herbeirufen der Sterne, Raub und Belaufchen von Sternengeiltern, Aufichub und VBrechen des Sternen- ichiefjal® durch Hilfe des Erlöfergottes, Herabbannen fideraler Dämonen; 2. Sternglaube und Heilfunde ; 3. die Sterne im Zauber. Aus diefem Auszug geht wohl zu Genüge hervor, daß GundelS Buch um unentbehrlichen NRüftzeug jedes VBolfsfundlers gehört. Erfreulich ift eine eihe von Mitteilungen über Tendenz und Technif von Spiritismus und Dffultismus, die manchen allzu Vertrauensjeligen zu Borficht und Kritik mahnen fönnen. Auch der in mancher naiven Auffaffung liegende Humor fommt zu feinem Nechte. Ganz befonders möchte ich da3 Buch noch den Lehrern empfehlen zur Belebung des Unterrichts und als förderliches Hilfs- mittel, bereitS unjere Jugend in das Welen dgr Bolläfunde einzuführen. Gießen. ®. Lehnert.
Gudmund Schütte, Dänilches Heidentum (= Kultur und Sprache, Band 2). Heidelberg: €. Winter, 1923. 154 ©.
: Das Buch ift eine deutihe Umarbeitung eines dänischen Werkes des nämlichen Berfafjers; Hjemligt Hedenskab (Heimijches Heidentum). Aus der Erkenntnis, daß die befannte jfandinavifche Viythologie wejentlich normegifch- isländisch ift, zieht Sch. die Fonfequente Folgerung und macht den Verjuch,
das zulammenzufaffen, was wirklich für das dänijche Gebiet gilt. Sn über- fichtiicher Gliederung behandelt er jo, nach einigen Worten über die Quellen: Stofflebenglaube und Seelenglaube. — Trud und Weriwolf. — Grabfiten., — Ahnengeifter, Heroen, Wichte, Schieialsmeien — Tie Seele des Toten als Bewohner der freien Natur. — Riefen, Naturgetiter ufıv. — Uralte Gottheiten uranijcher Art. — Tiergeftaltige Gottheiten. — Nerthus, Nidrd und ihre Sipve, die Freuchtbarkeitsgoitheiten namens Banir. — Odin, Thorre und ihre Sıppe, die Aiengötter. — Zauberer, Priefter und Gottesdienft. — EI it ihn geglüdt, einiges neue Material fie Tänemart aus Sagen und Volfsüberlieferung zu erichließen; auch die Einreihung des däniichen Heidentums an die ihm zue fommende Stelle innerhalb der Entwiclung der germaniichen Religion ift im ganzen gewiß richtig, wenn es auch an Unficherem feinesiveg3 fehlt. Es ift aber fchon richtig, Daß man ohne Arbeishupotbeien auf dem Gebiet der dDäniichen Religionsgneichichte ebenjorvenig vorwärts fommt wie bei der all- gemeinen germaniichen Neligionsgeichichte. An einem entiprechenden Buch „Deutiches Heidentum”“ fehlt es befanntlich troß allem, was über Miytbologie geichrieben ilt, noch immer: es jcheint ein Berhängnis zu jein, daß einichlägige Darftellungen bei uns entweder ganz im alten von der Willenfchaft längit überholten Schematismus verharren oder ins Phantaitiiche ausarten. Schüttes Buch ift ein gutes Vorbild, wie die Aufgabe, bejonnen aber nicht ängitlich, angegriffen werden kann, |
Marburg. Karl Helm.
Walter 3. @tlo, Die Manen oder von den Urformen des Toten- alaubens. Eine Unterjuchung zur Religion der Griechen, ARüemer und Semiten und zum BollSglauben iiberhaupt. Berlin: Jul. Springer 1923. 93 ©. 8°.
NRohdes „Piuche“, das Hajliische Werk über Seelenglaube und Toten fult der Griechen, jteht noch aanz im Banne der aninuitiichen Theorie Tylors und Herbert Spencers Für die homeriiche PBiychologie hatte u a. fchon Gomperz in jeinen „Sriechiichen Denfern” eine „Zıveiieelentheorie” vertreten. Geftüßt auf entiprechende VBorftellungen primitiver Bölfer und bejonders unter dem Eindrucd des jet auch in deuticher Ueberjegung zugänglichen Werts von Levy» Brühl „Das Denken der Naturvölfer” zeigt nun der Berf., daß bei Domer zu unterjcheiden it zwilchen der „Lebensjeele“ (Bupos), die den Körper entichwebt, wenn der Menich ftrebt, und dem jchemenhaften „ZTotengeilt“ (eidwAov, duyY), dem entmaterialifierten Körper ohne Lebensieele, der alio bei Lebzeiten des Menfchen noch gar nicht vorhanden fein fanıı und nach dem Tode, nachdem der Körper, mıt dem er zumächit noch in geheimnisvoller Ber- bindung fteht, Durch die Berbrennung gänzlich zeritört it, ins Totenveich eine
eht'). Der Beriaffer weiß, daB zu allen Zeiten, jogar bei nicht primitiven enjchen feine fonjequente Klarheit in den Seelenporitellungen berricht (©. 64), daB 3.3. die VBorftellungen von dein „lebenden Leichnam“ und dem jchemene hafıen „Zorengeift* „von jeher und immer nebeneinanderftehen” (S. 42), aber für Homer jegt er ein ganz fonjequent durchgeführtes Syitem der Piychologie voraus ch glaube vielmehr, daB aud) hierin bereits eine jehr lange Ent- roidlung vorausgegangen ift (og. Wundt, Völferpiy hologie 1V?, 117), und daß fich in der formelhaften epiichen Sprache noch die Leberlebjel der verjchiedenen
ı) Eine Nachprüfung der indonefischen Parallelen nah %. Warned3 „Religion der Batak“ (1909) ergibt tibrigens, daß dieje beim lebenden Menjchen wilchen tondi (Seelentraft) und roha (dem denfenden, fühlenden, wollenden
eift) unterjcheiden, während Dtto den donös dem tondi völlig gleichjegt. Das, mwa3 nach dem Tode vom Vienichen meiterexiftiert, heißt begu, der tondi ver- läßt den Menfchen. Trogdem fann nad) Warned ©.8 der Bataf jagen: Ber tondi wird nach dem Tode zum begu; f. jedoch H. Winkler, Tie ärzt- liche Miifion XIV 1923, 7: Wenn der Bataf auch nicht die Formel gebraucht: „zer tondi wird ein begu”, jo bezeichnet er gelegentlich Doch den begu als tondi ni na mate, d. b. al3 die Seele des Berftorbenen. — Dan fieht jedenfalls auch hier die Möglichkeit für ein Sneinanderübergehen der BVorftellungen.
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darin zulammengeflofienen Unichauungen nachmweiien laffen. der it das Leben, das fic im Atmen zeigt (arodöyw, ano dE duynv Erarussev bei Ohnmachten), der Leben3odem, der Aueikerm Epxos 6öövtwv; wie in lat. anima, altuord. ande, bebr. ruach wird auch in Yoyr die Beziehung zum Atem immer noch mit empfunden fein, der Begriff decdt fich nicht einfach, wie Otto behauptet, mit unjerem Wort „Leben”, buy Te xar av ift feine völlige Tautologie. Menn ed von der port heißt: &x psdewv rraptvn "Aröos de Beßrxsr 0v Törpov Joowaa, jo wird man beit unvoreingenommener Lektüre darin die „Dauchleele” fehen. Nach Dtto bedeutet bei Homer Juyh beim lebenden Menjchen nicht anderes als „Leben“. Das Leben fliegt im Sterben „aus den Bliedern” weg, deshalb nenne die hHomerische Sprache den immateriellen Körper, der von nun an das Dafein der PBerjon fortiegt, fein „Leben“. Erft feit dem 6. Jahrh. trete unter dem Einfluß der aus dem Dften ftanınenden Myftit in Griechenland eine neue Verwendung des Wortes buyY auf: für die dem lebenden Menichen inne- mwohnende und auch nach den Tode weiterlebende Seele, eine Vorftellung, die
an den alten Glauben an eine „Lebensfeele”* anfnüpfe. In der Tat wird ja
bei vielen Bölfern eben die „Lebensfeele” mit dem Atem geradezu identifiziert (S. 35). Wenn Homer felbft einmal jagen fann: Bupov arno neicwv düvar dopov Aros eisw, jo fieht man deutlich, daß in der uns vorliegenden Yaffung des Epos jedenfalls die von Otto erjchlofjene jcharfe Trennung zmiichen dupos ala „Lebensfeele" und duyr als „Totengeift” gar nicht überall durchführbar ift (vgl. a.&.80), Daß YuyN erit aus der Bedeutung „Leben“ heraus zum Terminus für die fchemenhaften etöiwia xanovrwv gemorden jei, will mir nicht einleuchten. Aber es muß anerfannt werden, daß die Gedanken des Vesf. als Kritif Rohdes und al3 Unterlage für eine neue Bearbeitung der homeriichen Seelenvorftel- lungen größte Beachtung verdienen. Auf viele mwertoolle Einzelheiten fann ich bier nicht eingehen.
Sn 2. Kapitel wird auf der gewonnenen Grundlage der Totenglaube der Siraeliten und Römer unterfudht. Im UT. find ruach, nephesch, neschamah die Bezeichnungen der LYebensjeele, während der Totengetit elohim heißt; in Babyloniichen heißt die Seele des Lebenden kabittu „LXeber” oder libbu „Herz“, der Totengeift Utukku „Dämon’ oder Ekimmu „der Ergreifer”, ebenfall3 ein Tämonenname!), Für den Römer wurde der Tote zum Gott, die Kinder verehren ihre verjtorbenen Eltern als di parentes, auch hier werden auf die Beifter der Toten die Namen von Todes- und Unterweltsdämonen übertragen: Lemures, larvae, di manes. Daß manes in der Literatur ge= legentlich auch den Leichnam felbft bedeutet, ift für Otto eine ermwünjchte Be- frätigung feiner Theje, daß auch für den Nömer der Totengeift der Stellver- treter de Körpers, feine jchattenhafte Fortjegung fei. Die Lebensfeele nannten die Römer anima, in einem höheren Sinn Genius, der ja der göttliche Be- gleiter des Einzelmenfchen von der Geburt bis zum Tod tft. (ES finden fich jedoch auch rabinjchriften mit Weihung an den Genius eines Verftorbenen, \. Deffau Inscr. lat. sel. 8047 ff.
Bejonders beachtensmwert ift das Schlußfapitel: Tie Herfunft des Toten- glaubens. Schon HNaumann, Primitive Gemeinihaftstultur S. 23 hatte ausgeführt, daß der paflive Traum zur Bildung des Seelenglaubens faum etwa3 beitrage, während der aftive Traum, bei dem der Schlafende felbit ent- fernten Drt® als Traumgaft erjcheint, indes der Leib ruhig liegt, von großer Bedeutung für den Seelenglauben jei; Dtto zeigt, daß die Trauınhynotheie für die Entftehung der Vorftellung der Totenfeele und ihres Weiterlebens faljch ift, daS Traumerlebnis könne nur zur Beftätigung des bereit3 vorhandenen Totenglauben3 dienen. Ob die „prälogiiche Mentalität” der Primitiven wirklich jedes ragen nach der Urjache der Ericheinungen beim Eterben und jedes Schließen daraus, und fei es auch noch jo „phantaftilch” und findlich, aus= Ichließt, ift mir nicht fo ficher wie dem Berf. Aber er hat gewiß recht mit
) Wenn in Attila die Totenfeelen auch als xnpes bezeichnet werden, jo jei das danach fo zu veritehen: fie find in das Heer der unterirdiichen Dämonen eingegangen, zu Taldhen Dämonen geworden und auch mit deren uraltem Namen benannt. |
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dem Hinweis auf zwei mit unjerem rationalen Denken nicht erflärbare Er- Lebnistatjachen, die Totenfurcht mit dem feltiamen Entiegen und Graujen vor dem entjeelten Leichnam und die Totenerjcheinungen, die überall und zu allen Zeiten, bei Menichen jeden Bildungsgrads bezeugt find; der Totenglaube ent- Ipricht diefen Phänomenen Zug um Zug und ilt offenbar zurüdzufihren auf eine für uns Heutige oder wenigftens unjre wifjenichaftliche Betrachtung fremd- gewordene uralte irrationale Vorftellungsmeiie. Gießen. 9. Hepding.
Stanz Eumont, Die Myiterien des Mithra. Ein Beitrag zur . Religionsgejchichte der römijchen Kaijerzeit. Autorifierte deutiche Ausgabe von Georg Gehrich. 3. verm, u. durchgejehene Aufl. beforgt von Kurt Latte. Mit 21 Abb. im Text u. auf 2 Tafeln, jomwie einer Karte. Leipzig u, Berlin: Teubner 1923. XV, 248 ©. 8°. |
Die 1. Auflage dieler Weberiegung der Conclusions von Cumonts Monumentalmwerf über die Mithrasmyfterien habe ich in diefen Blättern Bd. IV 213 ff. angezeigt. : Eine 2. Aufl. erjchten 1911. Sfnzmwiichen hat der Berf. 1913 die 3. frangzöfijche editio minor mit ftarfen Umarbeitungen ynd Ergänzungen | veröffentlicht. Leider hat fich der Verlag mit Rüdficht af die Herftellungs- foften nicht dazu entichließen Ffönnen, die dritte deutjche Aufl. mit den not- mwendigen Wenderungen neu jegen zu laffen, jondern mußte fich für den Hauptteil mit einer mechanischen Reproduktion der 2, deutichen Aufl. begnügen, in der allerdings fleine Aenderungen, Ergänzungen und Streichungen hie und da ermöglicht worden find. Größere Aenderungen und Nachträge mußten für einen Anhang zurüdgeftellt werden, auf den — nicht gerade befnnders in die Augen fallend und unmißverftändlich — durch Kleine Hochgeftellte Ziffern im Zert verwielen wird. (Die Sternchen am Rand der von Wünich bejorgten Neuauflagen der Schriiten N. DieterichS erfüllen ihren Zmed befier.) Be= Ionders ıdertvoll ilt dann die Ergänzung des Verzeichnifjes der jeit dem Er- Icheinen des Hauptmwerf3 1900 befannt gewordenen neuen Tentnräler, für die- der Berf. feine Notizen zur Verfügung geftellt und der Berausgeber Zuläße beigefteuert hat, jowie eine weitere Zugabe: drei Seiten noch nicht im Haupt- werk verzeichnete Zeugnifje für den Mithrastult aus der antiten Literatur. Auch die Karte der Verbreitung der Mithrasmpfterien ift eraänzt worden. Die Tafeln mußten leider um zmei verringert, eine wichtige Abbildung konnte jedoch hinzugefügt werden. Erfreulich ift ud die Beifügung eines Negifters, Der Trud bat leider manchen Schönbeitsfehler (3 B. S. XV tft im Anbhalt3- verzeichnis ein Abjag aus der 2. Aufl. mitabgedruct, der dann fofort noch einmal in der für die 3. Aufl. vorgejehenen Form ericheint; ©. 223. muß e3 Dölger Statt Töllger, ©. 185,2 und 6.229 NRöfe ftatt NRöjes heißen. Im Hauptteil find Durch die Aenderungen neue Drudfehler entitanden, 3. B. ©. 38,1 ift Pauly-Wijfoma ausgefallen; ©. 103,1: der Wafjer; 136,1: Mithras jtatt Mythas. ©. 119,5 wird auf eine jet mweggefallene bb. vermwielen, 120,1 ift die Jählung der Abb. nach der 2. Aufl. ftehen geblieben. In der Regel wird die 2. Aufl. von Gehrich3 Ueber. des anderen Werts von Cumont „Zite orientaliichen Religionen im röm. Heidentum” zitiert, mandymal 3.8. ©. 12,., 113,2 find aber verjehentlich die Zahlen der 1. Aufl. nicht geändert. Das Relief aus Birunum geht auf Taf. I, 7 unter dem Titel Götterverjamm- lung. Brudfehler der 2. Aufl. find Stehen geblieben: 3.8. ©.2 3.7 war Dieje zu tilgen, ©. 1N,.: Sahresh(efte), S. 103: diejer fons. Die Tertänderung S.% 3.10 befriedigt nicht. — ch babe das Werk nun wieder einmal in einem Zug durchgelefen und muß fagen, daß ich von neuem hingerifien bin »on der genialen, vorbildlichden Darftellung diejes für die Religionsgeichichte der römıchen Kaijerzeit jo wichtigen Kults. Man wird auch der deutichen Ausgabe eine 4. Aufl. prophezeien dürfen, die dann gewiß wieder pollfommener ausfallen wird als diejer unjerer traurigen Zeit angemeffene Notdrud. Cinige jachliche Bemerkungen feien hinzugefügt. Zu ©. 70 fei hingemwielen auf Boll, Deutiche Revue 47 I (1922) ©. 27, der für da3 jajt vollftändige Fehlen von Mirhrasdentmälern in Griechenland und Kleinafien m. E, mit Recht auch auf
Heil. BL. f. Vollsfunde Bd. XXII. 7
2. 708; 1a
den alten Haß gegen das Perjertum in diefenr Gebieten Hinmweift. Zu S. 101. möchte ich auf die Infchrift aus Sarmizegetufa Rev. archeol. IV 23 (1914), 476 aufınerffam machen, in der die Angeli mut dem Deus Aeternus und luno verbunden find, die Weihinichrift von Biminacium dürfte wohl auch in diejen Kultkreis gehören. Zu ©. 131,1: Die Infchrift aus Stocitadt jegt CIL 11788, Bür das Taurobolium und die Tarftellung der Tötung des nad) heißer Ber- folgung niedergeftürzten Stiers, die auf einen Bildhauer der pergamenilchen . Schule zurücdgeführt mird, jcheinen mir die pergamenifche njchrift Athen. Mitt. XXIX 1904, 152 ff. mit der Erwähnung von xproßoite im KRabirentult und die von mir und Rodenmwaldt vertretene Deutung eines Reliefs aus Zarymna auf ein folches Kriobolion, fowie das Vorfommen von taupoßakız wohl im Zufammenhang mit den Trajanea in Pergamon (3. v. B. II 554) nicht unmichtig zu fein. Zu ©. 223/4 hätte auf Wolters, Sigungsber. d. bayer. Atad. phil. Ki 1917 ©. 10,11 hHingesviefen werden fönnen. Fr die Literature überficht ift wohl Drerels Zulammenftellung im XIV. Bericht der römisch- german. Kommiifion ©. 61f. zu fpät gefoinmen.: Auch Georg Wolffs Pro= gramm „Ueber Mithrasdienft und Mithreen“ (1909) hätte hier eine Erwähnung verdient, vielleicht auch die bequeme Zufammenitellung neuerer Mithras- .denftinäler bei Reinach, Repertoire de la statuaire IV 295ff. Zu S. 229: Mithrastelief aus Secia jet auch bei Watinger und Wulzinger, Tamasfus (1921) ©. 108 Wr. 7; zu ©. 280 für das Miuhreum unter den aracalla= Thermen: Lanciani, Bullet. comun. XLIV 1916, 20Lf. mit Taf. VII; zu S. 231 Ditia: Lily Ross Taylor, The cults of Ostia (1912) 82 ff. u. Notizie degli Scavi1l913,210; Ungera: Patroni, Not. d.Scavi 1918 ©. 3 ff.; ©. 232: Relief in Bufarelt: Tocilescu, Monumentele epigraf. si sculpturali II 1908, 529 Nr. 13; au den Mithrasdenkinälern von Sloveni: Preuner, Athen. Mitt. AXXIV 1921, 125 ©. 234 zu Bettau: Kahrb. (fol) f. Altertumsftunde (Wien) VIl (1913—18) Taf. 23 u.24 (ohne Textil); S.235: Für Bindoniffa ermähneng- wert der Fund einer jog. Mitbraspaie, die jchon für das ausgehende 1. Jahrh. das Beitehen des Mithrasfults in Bindoniffa bezeugen würde: Schultheß, Sahrb. d. archäol. Ynft. 1909 Anz. Sp. 268; für das vor der Saalburg refon= ftruierte Mithreum beitreitet jede Berechtigung auf Grund der Mauern und lagen Quilling, Saalburg-Studien: Didaskalia Sg. 99 (1921), Nr. 28 .109; Alzey: Germania IV 1920, 82; Bingen: ebda V11922, 81ff.; mithräiicher Dadophoros aus Bronze, gefunden im Rhein bei Bingerbrüd: Bonner Jahre bücher CXII 1905, 63; die Ergänzung einer AInichrift aus Mainz CIL XII 11824 von Domalzemsfi ilt nicht ficher; S.236: Die Mithrasinschriften aus Königshofen im CIL XI 11608 ff., Bießen. Hugo Hepding.
Seinih Wolf, Ungemwandte Kulturgeihichte in Mythusg, Sage, Dichtung. 1. bis 3. Aufl. Leipzig: TH. Weicher 1923. 392 ©. 8° (geb. ME. 6—. gebeit. ME. 4&—.).
Seiner „Angemandten Geichichte”" und „Angemandten Kicchengeichichte” läßt Prof. Dr. Wolf eine „Angewandte Kulturgeichichte* folgen. Las Buch umfaßt folgende Abichnitte: KRindheitsepochen, Alte Rulturwelt (Griechentum, Sudentum, Hellenismus, Römiiche Kailerzeit), Germanifch-deutiches Volfstum bis zur Reformation (Eintritt des germaniich.deutichen VBolfstums in die Ge= Ichichte, Tragif des Mittelalters. Emporfommen einer allgemeinen Laien» kultur), Neuzeit (Zauft, Neuhumanismus, Entdedung nd Wiedergeburt des arich-germanifchsdeutichen Wejens, Gefährliche Gegenitrömungen) und einen Anhang. Ber Grundgedanfe des Werkes ilt äußerft fruchtbar: An Mythus, Saae und Dichtung jpiegeln fich die Zeitalter, die politischen, religiöfen und
eiftigen Strömungen einer Zeit finden in ihnen ihren Niederjchlag. Keine Dichtung ift zu verftehen ohne umfafjende Kenntnis der Zeit, au8 der fie er- wächlt. Die einieitig literarifche Betrachtungsmeije macht einer umfalfenderen PBlag. Der umfangreiche Stoff fonnte nicht mit gleichmäßiger Ausführlichkeit behandelt werden, Borbildlich für die Behandlung find etwa die Herallesjage für das Altertum, die Faufılage für die Neuzeit,. beide zugleich in ihren lite-
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rariichen Geftaltungen.. Ter Berfaffer ift deutich-nölfiih und einfeittg pro- teftantijch eingeftellt. Immer wieder betont er den Einfluß des Blutes, der Rafle auf die fulturichaffenden Kähigkeiten der Völker. Nur die arilche Raffe erfennt er al3 neue Werte ichaffend an. Ihre reiniten Vertreter find ihm Griechen und Germanen. Aber das Alte Teftament 3. B. nur als Niederjchlag der Raffekreuzungen zu verftehen, die fich in Paläftina und Vorderafien voll- zogen haben, heißt ihm doch nicht gerecht werden. Auch läßt fich die aer- manijch-deutiche Kulturgejchichte nicht nur als 20U0jähriges Ringen mit Rom und dem Weljchtum erflären. Aber möge auch der Lejer diefen Standpuntt des Vf. nicht teilen, er wird verjöhnt fein durch die warme Liebe zum Teutich- tum, die daS ganze Buch durchmweht, und wird viele fruchtbare Anregungen empfangen. Bejonder® der PDeutichlehrer an höheren Schulen wird das ja ” eriter Linie fir praftiiche Zmede beftimmte Buch mit Nuten verwerten Öönnen. Gießen. WB, Schonebohm.
Ernfi Samter, Bollstunde im altiprahlidden Unterricht. Ein Handbuch. 1. Teil: Homer. Berlin: Weidmann 1923. VIII, 185 ©, 8°, Ernft Samter hat bereitS im Sabr 1918 in dem erfriichenden Buche „Kulturunterricht, Erfahrungen und Borichläge” an einzelnen Proben gezeigt, wie die Ergebniffe der Bolksfunde im Unterricht der höheren Echulen, in3- befondere in dem deralten Sprachen, in anregender Weile verwertet werden können. Das vorliegende Handbuch bietet nun dem Lehrer einen ganzen Schat volf3- fundlicher Tatjachen und Zufammenhänge, die er zur Befruchtung gerade des altjprachlichen Unterricht bei der Erklärung der Schriftiteller heranziehen fanın. Bon den drei Teilen, die das Wert umfafien jol, haben wir bier den ersten, der einen erjchöpfenden volksfundlichen Kommentar zu Homer daritellt, freilich in genießbarfter |yngrammatiicher Yorm — die hypomnematilche Ver: wendung ift immer noch durch ein reiches Stellenregifter, da8 auch die andern Zeerte des Altertum miteinbezieht, gefichert. Bon einzelnen Homerftellen aus- ehend, behandelt der Verfaffer größere und fleinere Kreife aus dem meiten ebiet der Bolfstunde, indem er nicht bloß das volfsfundliche Material dadei zufammenfitellt, au8 dem der Lehrer für feinen Unterricht wählen fol, jondern auch vielerorts die fich anknüpfenden Probleme eingehender Erörterungen miirdigt, die das ficher abmwägende mifjenichaftliche Urteil des auf unjerm Gebiet felbit tätigen Gelehrten mit dem feinen Gefühl für die Bedürfniffe des prattifchen linterrichtS vereinigen. Mit den VBorftellungen, Bräuchen, Märchen- und Sagenmotiven der homeriichen Welt werden folche der jpäteren Yeit des griechiichen und römilchen Altertums, aber auch anderer Bölfer, nicht zulegt der Primitiven, verglichen und teils als unabhängig, teils al3 von Homer bereit3 abhängig oder umgefehrt von ihm benußt feftgeftellt. Dabei bleibt Homer immer der Angelpunft, um den fich alles dreht, abgejehen vielleicht von ganz vereinzelten Yällen mit dem Thema des Kapitel® oder mit Homer nur loje zufammenhängender Abjchmeifungen (etwa ©. 79. über Abjichmwächung von Wortbedeutungen oder S. 85 über die. Zähigkeit alten Aberglaubens in Kapiteln viel engeren Snhalt3, vgl. auch unten zum Kapitel „Zeichenverftinm- lung”), die man aber in der Kegel doch nicht milfen möchte, wie 3. B. die feinen methodiichen Bemertungen ©. 108/109 und andermärts. Durch all dies wird Härlich das Verftändnis des Altertum trefflich gefördert, Homer wird den Schülern auch ftofflich, nicht bloß al3 Dichter nähergebracht, die angezo- genen Parallelen aus dem Gejamtgebiet der Antike, Aeußerungen der ans tifen Seele im Handeln und im Tichten, laffen im Schüler das Gefühl eines großen Komplexes, einer Welt weienhaft heraufdämmern. Andererjeit3 wird bei dem ganzen vergleichenden Berfahren auch auf deutfche Volfsbräuche das rechte Licht fallen, manche Seite des eigenen Bollstum3 erjchließt fich nun erst dem Berjtändnis, mas rüchmirtend dann wieder das Anterefle des Schülers am antifen Schriftiteller. zu fteigern vermag. Die 35 Kapitel des Buches, deren reicher Suhalt hier natürlich gar nicht ausgejchöpft werden fan, be= handeln die verjchiedenften VBorftellungen und Bräuche der Griechen und an derer Bölfer im Privat» und im Nechtsleben, die zahlreichen Neußerungen des
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GBeilter- und Däanonenglaubens und die mannigfachen VBorftellungen von den Toten, denen allein, entiprechend der Wichtigkeit diejes Gebiets, die ganze weite Hälfte des Buch gemidmet ift; den Auftakt des Werkes bildet ein auf- Hlußreiches Kavitel über Märchenmotive in der Ddyffvee, daS von der ge= wohnten Literarhiftoriichen Behandlungsmweije bedeutungsvoll eine Brüde zur volfsfundlichen Betrachrung fchlägt. Ein paar Ueberjchriften mögen hier des weiteren die Fülle des Gebotenen ahnen lalfen: Brautfauf und Witgift, Eid, Xepvißes, Adpara, Krankheiten durch Tämonen veruriacht („eine Krankheit padt mich”, vgl. auch das bei Homer und auch fonft häufige Aaßew und Eyeıv von Ge- fühlen und Leidenschaften als Subjeften), Handauflegen, "Erwdat, Aayrovıos, Hunde geifterfichtig, Keren (ein in der ftofflichen wie in der divaftıichen Behandlung gleich ausgezeichnetes Kapitel), Ohnmacdıt, Myvira dewv, Totenflage (hier ver- miffe ich ein Eingehen auf deren Sinn und Zmed; wie wird der Aufichrei zum Lied (5.125), woher die Beichränfung auf die Srauen?), Haaropfer, Rote Yarbe bei der Beitattung (mobei die Schüler auch auf Nadomelliers Totentied Hinzumeijen wären „Zarben auch, den Leib zu malen, Stedt ihm in die Hand, , DaB er rötlich möge ftrahlen Jun der Seelen Land"), Leichenichmaus, Leichen- Ipiele, Zeichenverftümmelung (das reiche, freilich auch weniger geichlofjfene, von Homer ftarf fich entfernende Kapitel behandelt die VBorftellung von der Ueber- einftimmung de3 Körperzuftands beim Tode und in Jenjeits, als deffen Konfe- quenzen dann die Leichenverftümmilung wie auch die Feflelung und Jrrefüh- rung des Toten erjcheint; die Sliasftelle 22, 7Lf. wäre jedoch, da fie m. €. rein äftbetiiche Anfchauungen ausipricht, nur im literarhifioriichen Betracht zu der vollsfundlicy wichtigen Tyrtaiosftelle 10. 21 heranzuziehen). Bielleicht wäre auch noch eine Behandlung all der bedeutjamen Homerftellen, die Erwin NoHdes Piychye zum Ausgangspunkt nimmt, in einem gejchloffenen Kapitel angebracht gemejen; gerade die Borftellungen von der duyn vermißt man ungern in einer Homerilchen Gejamtvolfsfunde, wenn auch natürlich jeder Lehrer Rohdes Werk ohnehin fennen müßte. Außerordentlich) dantensmwert find noch die reichen Anmerfungen und Belege in Samters Buch. Hoffen wir nun, daß auch der 2. u. 3. Teil, die den andern griechifchen und den lateiniichen Schriftitellern gewidmet fein jollen, trog der Ungunft der Zeit bald ericheinen.
- Gießen. Hans Kling.
Harmannns Willem Aiulgers, Bemerfungen über das Verhältnis von Märchen und Sage, mit bejonderer NRüdjicht auf die Eigfridjagen. Groningen, Haag: Wolters 1923, 90 ©. 8°,
Tiefe Difjertation, die unter den Auipizien von Prof. Dr.B.Symons in Groningen entitanden ift, it von Starker mwillenichaftlicher Stepfis durch- drungen. Verf. nimmt den vielumitrittenen Fragen der Saaenforichung gegen- über eine vorfichtige und relervierte Stellung ein. Tie Arbeit gibt zunächft eine Weberficht über die Gejchichte der Forichung von den Brüdern Grimm bis auf Banzer und deflen Schiller. Der Meinung, das Märchen jei lediglich da, um das Unterhaltungsbedürfnis zu befriedigen, tritt Berf, entgegen, ebenfo auch der Anficht von ‚der Faleidoiktopiichen Geitalt des Märchens, er trennt aber mit Fr. von der Leyen Märchen und Märchenmotiv; "Dr. Rutger3 legt der Trennung diefer beiden Begriffe große Bedeutung bei, zumal auch für die Beurteilung der Tatfache, daß fi in Mytyus und Sage gleichfalls viel Märchenhaftes findet. Was letteres anbetrifft, wendet Verf. fich gegen Panzer und hält es für recht- unmahrjcheinlich, daß bloß techniiche Mittel dem Stop zur Zeit der BVölferwanderung genügt hätten, den Märchenitil ins Heroifche umzuformen, vielmehr legt er den größten Wert auf die Berfchieden- beit der innern Stilform, auf den „Beilt der Zeit”, aus dem das Heldenlied
eboren ward. Aus dem alten epifchen Liede, der älıeften uns überlieferten Fon der Heldenjage, entwidelte fi) durch Anichmwellen das Epos. Ein Beleg, auf den fich des Verf. Anficht gründet, findet fich in der lateiniichen Saga von Dlaf Tryggvaion, deren Verf. Dddr Snorrajon jagt, es fei beifer, Vergnügen daran zu haben, die Taten Dlafs zu hören, al Stiefmüttermärchen, melche
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die Hirten erzählen. Anfnüpfend an E&. W. von Sydomw3S Einwendungen gegen die Methode Panzers, erörtert Berf., wie Panzer die Fragen nad) der uriprünglichen Heimat und nach der Urform der in Betracht fommen Märchen unbeantivortet läßt, er hält es fiir methodisch verfehlt, Sagenvarianten aus demjelbeh Märchen herzuleiten und als Quelle der Heldenjage eine Märchen> fajfung vorauszufegen, die alle Motive enthielt, welche die Ueberlieferung des Märchentypus mit den verjchiedenen Zaflungen der Sage gemein hat.
Nach diefen allgemeinen Auseinanderiegungen wird im 2. Kapitel ein» gehend das Verhältnis von Siafrids Brautwerbung zum Märchen vom Braut- mwerber unterjucht. Sn geradem Wideripruch mit Banzers Anjchauungen be- Zu NRurgers, daß der Sage die Priorität zuflomme. Eine Ungenauigfeit
at jih bier in die Erörterungen des Berf. eingeichlichen: die Braut im Märhen vom dankbaren Toten (momit das Brautwerbermärchen fich berührt) jei immer eine verzauberte PBrinzejlin; diefer Zug gehört nur den orientalischen Taflungen an, So hätte auch die Erzählung vom Nilita (S. 43) erläutert werden fönnen durch Hinweis auf die VBerauidung mit dem Bärenfohnmärden, noch beffer mit dem eng verwandten Typus „der junge Rieje“, für den bereits die Brüder Grimm Beziehungen mit der Sigfridjage betonten.
Im dritten Kapitel wird auf diejelbe ftrenag mwiljenichaftliche Weije die Ermwedungsiage aus der Siafriddichtung mit dem Märchen vom Dornröschen verglichen: das deutiche Märchen hält Verf. jo wie Thimme und PBetich für die uriprünglichite der befannten Faffungen. Er lehnt Heuslers Hypothefe von einer Borlage, die einerjeit3S zum Märchen, andrerjeit3 zur Beldenjage ward, ab; er fieht im Märchen die Duelle der Ermedungsiage, nur nicht in dem Sinn der PBanzerichen Umgeftaltung: der Stop hat bloß die Grundzüge ea entlehnt, ohne dem Gang der Handlung in allen Einzelheiten jElavifch u Tolgen. | ® Die wertvolle Arbeit betont die Wahrheit, daß fir das Verhältnis von Epo3 und Märchen feine allgemeingültige Formel zu finden ift, daß vielmehr das Berhältnis jehr verichiedenartig zum Ausdrud fommen kann jogar inner halb ein und derjelben Dichtung.
Gießen. Marie Ramondt.
R ins Shrott-Stiehtl, Der Bauer als Wurzel der Volf3fraft. Eine Plauderei. M.-Gladbach: Volfsvereinsverlag 1921. 77 Seiten.
Eine bunte Reihe Handfefter, tüchtiger Betrachtungen, geichöpft aus ründlicher Bertrautheit mit dem Torfe und den praftiichen Aufgaben des Bauern unjerer Tage. PVollstundliche Bedeutung im ftrengen Stun fommt ihnen höchitens mittelbar zu.
Biepen. G. Ko.
Adam Aarriflon. Altes und Neues über ihn und von ihm, heraus- ra Karl Ejfelborn. Darmftadt, Berlag der „Litera” A.-G., 1923. In dem vorliegenden Bande find Erzählungen und Aufläge des be- fannten beifiichen, nun in Wiesbaden lebenden FichterS vereinigt, Arbeiten,
die aus verichiedener Zeit ftammen. Die Erzählungen fchildern zumenft die
Dpdenmwaldheimat des Tichters, führen aber auch nach Mainz, wo er feine Gymnaljiaftenzeit zubrachte, wie überhaupt in Karrillons Tichtungen ein ftarler autobiographiicher Einfchlag zu jpüren ift, PBie „Briefe aus Smwinemünde” geben anichauliche Bilder von einer Seereife, die der Berfaffer im Jahre 1920 als Schifjsarzt zmwilchen Smwinemünde und Pillau machte, al3 von deutjchen Tampjfern Abitimmungsberechtigte nach Oftpreußen transportiert und Ge- fangene aus Rußland zurüdgebracjt wurden. Geiftvolle Bemerkungen und poetijche Schilderungen find hier in die Wiedergabe der Reifeerlebnijje ein- geitreut. Für die Bolfsfunde find die Echriften Karrillons deshalb jo wertvoll, weil fie das Lollsleben im Ddenmwald zur Zeit, da der Dichter jung war, wiedergeben, Was dem Buche bejonderen Wert verleiht, ift die ausführliche
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Biographie des Dichters, die der Herausgeber beigeitenert bat, fie geht mit ttebevoller Anteilnahme dem Werden und Wachen des FTichters nach. Pie Karrillon-Bibliographie, die Effelborn am Schluffe des Bandes anfügt, it eine mit großem tFleiße ausgeführte und jedem Literarforjicher willloınmene Arbeit.
Gießen. Heinrich Bechtolshelmer.
Pfälzer Yolksfhriften. Nr.1. Hermann Lord, Die Chronik von Bun- denbach. Nr.2. Hermann Lorch, Guftavs Bhilipps Heimkehr. Neuftadt a. d. aan, Br es Pfälzifchen VolfsbildnngSvereins, Kommilfion D. Meininger,
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| Auf dem Gebiete der Volkskunde und Heimatgeichichte Herricht in der Pialz eine lebhafte Tätigkeit. Träger diejer Beitrebungen find der „Literariiche Bereim der Pfalz” und der „Pfälziiche Verband für freie VBolksbildung”. Diele beiden Verbände haben fich bei der Herausgabe der vorliegenden Sammlung ufammengetan, Überftudiendireftor Ludwig Eid in Speyer, der. feit vielen Sabren auf dem Gebiete der pfälziichen Geichichtsforihung mit großem Erfolg tätig ift, hat die beiden Bändchen herausgegeben und zu jedem die Einleitung eichrieben. Hermann Lorch weiß fejfelnd zu erzählen, er ift ein wirklicher ichter, der intereffante Gejchehnifje aus der piälziichen Gefchichte in freier dichteriicher Geftaltung wiedergibt und in der Beherrichung der Sprache der alten Zeit, die er in beiden Erzählungen verwendet, vielfach an Thendor Storm erinnert. |
Gießen. | Heinrih Bechtolsheimer,
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Karl genalen, Birtenfelder Bilder. 2, verm. Auflage. 182 ©. Birkenfeld: Auguft Yillmann 1922. 183 ©.
Auf eine Laune des Wiener Stongrefies ift es zurüdzufüihren, daß das frühere Fürftentum Birkenfeld zu Didenburg geflommen ift. Ter Birkenfelder Bezirk hat jonft ganz und gar feine Beziehungen zu dem norddeutichen Terri- torium, er liegt am Oberlauf der Nahe und ift geonraphiich zur Wald- und Gebirgslandichaft des Hunsrüds zu rechnen. Der Umitand, daß diejer Bezirk ringsum von preußtichem Gebret umjchloffen ift und feit mehr als einen Jahr- hundert eine politifche Einheit bildet, mag ihm ein eigenartige Gepräge ge=
eben haben. Karl Lengler hat dieje Eigenart trefflich-geichildert, fein YBuch ann als Mufter einer volfsfundlichen Darftellung gelten, der im Birfenfelder Bezirfe heimische Berfafier hat feinen Begenftand nach allen Richtungen hin erichöpfend dargeltelli.e. Taufe, Hochzeit, Tod und Begräbnis in Sitte und Braud) werden beichrieben, es wird geichildert, welche Sitten mit den Firch- lichen Yelten und anderen Tagen im Xahre verbunden find, wir erfahren, was dort im Bolfsleben das Brot und die Kartoffel bedeuten, fehr intereffant Ut das Kapitel „Die Revolution in der Volfsbenennung“. Enıhält der erite Zeil Beiträge zur Birkenfelder Bolksfunde, jo finden wir im zmeiten Teile Beiträge zur Birkenfelder Heimatkunde, interefjante Skizzen von der Poftkutiche,
von alten Bäumen, von der Erinnerung an den Räuber Schinderhannes und °
aus dem Schulleben. Auch der Weltkrieg ıwird vom Standpunkt der Heimat- tunde aus betrachtet. Zwei Ichöne Naturbilder bilden den Abichluß des an= ziehenden Buches, dem man auf jeder Seite die Liebe des Berfafjers zu feiner Heimat anınerft.
Gießen. Heinrih Bechtolsh eimer. :
anf Sartori, Weitfälifche Bolfsfunde. (Deutiche Stämme, deutiche Lande. Zeutiche Volkskunde in Einzeldarftellungen, herausgeg. von Friedrich v.d. Leyen.) Leipzig: Quelle und Vleyer, 1922. 209 ©., 16 Bildertaf. 8°.
Unter forgfältiger Verwertung der bereit3 vorliegenden Forichungs- ergebniffe hat Paul Sartori auf 172 Seiten eine zufammenfaffende lung der weftfälischen Voltstunde gegeben, Land und Volk; Siedelung, Haus un Hof; Tracht; Sprache und Dichtung; Glaube und Beiglaube; Sitte und Brauch
une
von der Wiege bis zur Bahre, bei Arbeit und Ruhe, bei Freud und Leid: über alles gibt er auf beichränftem Raum Auskunft. Und dem, der fich in ‚die Stoffgebiete weiter vertiefen will, werden in Anmerfungen, die 33 Seiten umifaffen, die wiffenichaftlichen Belege und Hinweife auf eingehendere Arbeiten geboten. Ein reichhaltiges StichmörterverzeichniS von 14 Seiten erhöht die rauchbuarleit des Wertes twejentlich. |
Die Darftellung tft in Anordnung und Sprache jehr jorafältig; es ift ein Genuß, den auch file weitere Kreije anziehenden Stoff in diefem Ichönen Dentich zu lejen. [Drucfehgler fommen faft nicht vor; mir find nur 2 auf-
efallen: S.10 und 5.91; fire Saßzeichen: S. 74 und ©, 112.] Der Berlag at das Werk jehr gut ausgeftattet.
Der Berfafjfer ift fich durchaus Kar darüber, daß es außerordentlich mißlich ift, „allgemeine Urteile über die Beiftesverfafjung eines ganzen Bolfes oder auch nur eines Volfsteiles zu geben” (S. 11). Tenn leicht find folche Urteile verjönlich und werden vorichnell gefällt. Das zeigt fich ja auch darin, DaB verjchiedene Benrteiler, deren Namen jonft einen quten Klang haben, fich in ihren Keititellungen jo jehr von einander untericheidren. Mit Außeriter Borlicht muB aljo hier das wirklich Gemeinjame, das „Allgemeine“, aufgelucht werden, muß die „Formel“ gelucht werden, „fie das innerfte und eigentiim- liche Weien eines Volfes oder Bolksftammes“ (S. 12). Tiefe Borficht des VBer- faflers ift dem Werke jehr zu gut getommen. — Für die Neuauflage, die hoffentlich bald notwendig wird, möchte ich winichen, daß einzelne Abichnitte etwas ein= gehender behandelt. wiırden, jo bejonders die tiber „Eprache und PDichiung” amd (gang bejonders) über den „Glauben“. — Anipielungen und ähnliches Tollten in einem folchen Werk unterbleiben. 5.52 3.9. heißt es: „Man denfe nur an die jchöne Sage von der Wittewimersfule amı Zippelsberge bei Riemte..." Wenn man fie aber nicht fennt? — und das find doch wohl jebr viele Lefer. Oder S.50 heißt es: „Man erzählt mehr oder weniger aus- führliche Geichichten darüber, weshalb die Attendorner Kattenfiller, die Blont= berger Langohren ..., die Echwaneyer Haarkflauber, die Horner Lachsfrefler genannt werden.” Nachdem die Tatiache erwähnt worden ift, möchte man. auch gern willen, warum fie nun fo heißen! Mit einigen Worten wäre dem abgeholfen, ohne das Buch zu ftark anzuichwellen, — Bei mundartlichen Aus» drücden möchte es fich empfehlen, grundiäglich die Schriftiprachliche Bedeutung beizufügen. (Ser Berfafler tut es nur gelegentlich!) jemand, der die meft- fältiiche Mundart nicht kennt, fteht vor vielem ratlos. ©. 34 3.8. heißt es: „KRümmer di nit um Hörfenbänn, wenn de Weien javp finds Wer veriteht das, wenn er nicht gerade Weftiale oder Mundartioricher ift? Aber das Buch wendet fic) doch an meitere Kreife! — Sehr vermißt habe ich bei der Schil- derung der verichiedenen Arten des Bauernhanjes die Beigabe feines Grund- rilles. Was mit der Beichreibung nur halb erreicht wird, die fare Anjchauung, das gewährt eine einfache Zeichnung ohne Deühe. Die beigegebenen Bilder» tafeln, die übrigens vorzüglich find, genügen für diefen Zmwed nicht. — ©. 14 jagt der Berfafler: „Weideplag, Nubtland Überhaupt bezeichnen die zahlreichen Lar-Namen (Yaar, Laer, Nodlarn, Nuttlar ...)*. Bei dieien Namen liegt doch wohl derjelbe Wortjtamm zu Grunde, den wir auch in „Weßlar“ und
Briglar“ haben und der im altdeutichen „gilari” auftritt [ogl. Weigand-Birt, Etyinol. Wörterbuch, unter -lar!].
Ueber das Austreiben des GSiillevogels [pal. S.143f.1] habe ich bei Anton Praetorius: Bon Zauberey vd Zauberern Gruendlicher Bericht ufm., A 1613, [8. Ausgabe] S, 113f. diefe Stelle gefunden, die jehr lehr- reich ift: | „Im Stifft von Muenfter in Weftphalen haben die Bamwern ein Bemwon- heit/daß auff S. Beters Stulfeyer (den 22, Febr.) Tag / ein Freund dem andern fruehe vor Sonnen auffgang füer jein hauß laeufft/ichlagt mit einer Act an die Thuer zu jedem Wort das er redt/dond ruefft laut in feiner Sprach alfo:
berut / herut Sulle = vogel / etc. | Auff Hochteutich allo: Herauß / herauß du Echmellenvogel / ©. Veters Stulfeyer ift gefonmen | verbeut dir Hauß vıd Hoff ond Stall | Daemwichoppen / Schemwer ond ander8 all! BıB auff diefen Tag vber Jahr / daß hie fein jchade widerfahr,
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Durch den Schmwellenvogel veritehen fie Krotten / Otter / Schlangen vnd andere boeje gemuerme /das fich under den Schwellen gern auffhaelt: Auch alles was dahin gifftiges moechte vergraben jeyn oder werden.
Wenn diß gefchicht / find fie das Jahr für jchaden frey / ond mwers thut / wirdt begabt." —
Wir wünfchen dem fchönen Werke des fo verdienftvollen VBerfafjers vollen Erfolg. Bejonder3 möchten wir es allen denen empfehlen, die amtlich mit dem „Volk“ zu tun haben. Ä
Gießen. Gg. Faber.
Marie Hart, Elfälfiiche Erzählungen. (Eliaß-Lothringiiche Haus- te > 5.) Berlin und Leipzig: Vereinigung miffenichaftlicher Verleger i S.
Die im Jahre 1856 als Franzöfin in Buchsmweiler im Eljaß geborene, heute ihrer deutichen Gefinnung wegen au ihrer Heimat verbannte Schrift» ftellerin gilt mit Necht als die bedeutendfte eljäfiiiche Dialeftdichterin. Yhre eigentliche Stärke liegt auf dem Gebiete der Erzählung. Wie in all ihren Werken hat fie auch im vorliegenden Bändchen (eine treffliche Gabe des „Wiffen- Schaftlihen Suitituts der Elfaß-Lorhringer im Reich") die Broben ihrer jcharfen Beobachtungsgaben mit fonnigem gütigem Humor verbrämt. Wahrhaft groß ift fie in der Schilderung des Alltagstebens der elfälfiichen Kleinftadt. eder Sag it Iprachlich und inhaltlich eine reiche volfstundliche Duelle. So darf - der Berichterftatter ihren Namen nicht nur literarijch neben die beften eljäiltichen Namen ftellen und ihre Werke jedem empfehlen, der dem verlorenen Reich3- land ntereffe entgegenbringt, Jondern wir find berechtigt, Marie Hart als bedeutende Förderin deuticher Volfsfunde zu bezeichnen.
Am Schiuffe des Biichleins gibt Frig Bouckhholg (früher Straßburg, jest Marburg) eine dankensmwerte Lebensjkfizze der Tichterin.
Gießen. Friedrich Lilt.
Elfe Jacods, Lothringiiche Erzählungen. (Ellaß-Lothringiiche Haus- en a 6.) Berlin und Leipzig: Bereinigung miffenjchaftlicher Verleger
Diejes gleichfalls als „Veröffentlichung des Wiffenichaftlichen Anftitutes der Eljaß-Lothringer im Reich“ erichienene, vom Generaljefretär (Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Wolfram) felbft eingeleitete und mit einem Bildnis der 1918 exit dreißigjährig verftorbenen Dichterin geichmücte Bändchen bildet ein wertvolles Seitenftüd zu den „Elfäjlischen Erzählungen” Marie Hart3. Kam das Büchlein auch nicht gerade als vollstundliche Duelle angeiprochen werden, jo tritt dem Lefer diefer ungemein jcharf beobachteten und ausgezeichnet harafterifierten Erzählungen die lothringijche Seele prägnant entgegen in all ihren Freuden und Leiden, beionders in den fchmeren Nöten, die die eigen= artigen politischen und konfeifionellen Gegeniäge fchufen. So fann der Band al8 wertvolles Hilfsmittel eigentlich volksfundlicher Arbeit nur empfohlen werden, zumal das’lothringijche Material — ganz im Begenjat zum elfälfiichen — recht fpärlich ift.
Gießen. Friedrich Lilt.
Seiuriß Heidf, Die Mundarten des Kreijes Alsfeld (Gießener Beiträge zur deutichen Philologie VII. Gießen: Kindt, 1922. 18 ©. | Aus einer umfänglicheren Arbeit legt Verf. eine jelbitändige Zujammen- falfung vor, die unjere Kenntnis der oberheffiihen Mundarten erwiinicht be= reichert. Der Lömenanteil des Heftchens entfällt auf eine Qautlehre der Mundart von Leufel, Kr. Alsfeld. Doch fügt Verf. dieler Lautlehre zumeilen lautgeo- raphiiche Angaben über die übrigen Mundarten des Kreijes ein. Das „Die undartgrenzen“ betitelte Schlußmwort faßt dann jeine gelamten lautgeogta= philchen Rejultate unter größeren Gelichtspunften zufammen: E8 mwäre er=
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mwünijcht, mern Berf. feine bejonderen und allgemeinen dialeftgeographifchen Ergebniffe einmal ausführlicher, als es bier geichieht, und vor allem auch mit beigegebener Karte veröffentlichen fünnte. Noch einige Einzelbemerfungen : Die im Anz: f. deich. Alt. 20, 324 ff. beichriebene Sprachatlasfarte Dorf legt es nahe, de’rf (S.7) als die ortSüblich entrundete Kontamination von nd, dörp und hd. dorf aufzufaflen. Tas y in gro!by, daby ujw. (S. 15) ift feine bloße Zautentmwidlung („auslautendes pf wird zu by*), fondern ein fuffirales Element. Das Material des Hefjen-Naffauischen Wörterbuch zeigt nicht fetten anı gleichen Drt Formen mit und ohne diefe fuffirale Erweiterung: grob M. und groby M. Kropi’ in Wiffenbach, Sudde %. und Suddje %. 'Yauche bei Eaffeler Lofal- dichtern ufıw. ulm. Für flölg und Sug (5.16) hat durch Heranziehen der Dinleftgeographie 9.2. Raub, Die Frankfurter Mundart . . . S.27 eine ein- leuchtende Erklärung gefunden, Der Anlaß *dite (S. 15) jcheint mic mindestens verfrüht. Die 3.2. höchit eigentümlichen Kormen des zuiammengejegten Temon- ftrativs in den Kreilen Alsfeld, Zregenhain (und darüber hinaus?) Tönnen wohl nıtc ducch vergleichende Betrachtung endgültig aufgehellt werden. s Marburg. | Luife Berthold.
Sertind Hlorin, Die Berbreitiung einiger Meblipeilen- und BGebädnamen im dDeutihen Sprachgebiet. Teildrud: Die Bezeichnung der Mehlipeiie „Klöße*. (Din: Gießener Beiträge zur deutichen Philologie V.) Sießen: ftindt, 1932. 24 ©, | .
Wie fich Rider um die landichaftliche Synonymil einiger Handmerfer- namen im deutichen Sprachgebiet bemüht hat, nimmt fich Berf. hier im gleichen Sinn einiger Mehlipeifen- und Gebädnamen an. Als Teildruc legt fie vor, mas fich dabei für die Meblipeije „Klöße” eraab. Ein fprachgeichichtliches Kapitel gibt zunächit mwortgefchichtliche Daten und etymologiiche Aufklärung, en beides zu gewinnen war. Der gevaraphiiche Abichnitt verfolgt fodann
ie Fülle der Kloßnamen durch die modernen deutfchen Mundarten. Endlich wird eine Zufammenfaffung verjucht, bei der fi) mehrmals Abweichungen der heutigen lexifalifchen Geltungsbereiche von den früheren anzudeuten jcheinen. Bom rein mortgeographiichen Standpunft aus hätte da3 Thema glüdlicher gewählt werden können. Nach der Leftüre von Zeitichr. f. dtich. Mundarten 1923, 205. wird dies der Berf. jelbft fauın zweifelhaft fein. Doch ei nern zugeneben, daß Gunft oder Ungunft des Themas fich grade bei mortgeogra= phiichen Themen und zumal bei großer Weiträumigfeit des beitrichenen Ge= bietes oft nur jchwer im voraus beurteilen laffen. Zu den heifiichen und naffaniichen Kloßnamen ein paar Einzelheiten aus neu gejammmelteın Material des Heffen-Naffauischen Wörterbuchs: Diepchen, das Verf. (5.19) für Heffen nur aus VBilmar feunt, ifi auch heute noch in Ejchmege-Stadt gebräuchlich. (Ein thüringiicher Beleg noch bei Hermig, Jdiotismen aus Thüringen ©. 9.) Den Kloßnamen Wetzstein (5.18) weilen noch auf Odenhauien (Kr. Wesglar), Herborn, Rod a. d. Weil und Wallrabenftein (Untertaunusfr.); dabei mırd freilich nur die wegiteinähnliche Form al3 Grund der Benennung angegeben. Der ©. 18 aus dem Schlüchterner Heimatboten zitierte Beleg für dıbben- kuchen ftammt aus einer Erzählung von 9. Brehm, gebürtig aus Abterode, Kr. Ejchwege. nm die freie Rotenburg, Eichwege, Witenhaufen — nicht aber Schlüchtern — führen auch unjere fonftigen Belege.
Marburg. Luife Berthold.
ran Belmanı, Zauberei und Recht inRoms Frühzeit. Ein Beitrag zur Sejchichte und Interpretation des Zmöljtafelrechtes. Tiffertation von Münfter. Osnabrüd 1933. 716©
Dieje tüchtige Arbeit erklärt in üÜberzeugender Weile durch umfichtige Kritit der antiten Duellen und der neueren juriftiichen Literatur drei Säße aus dem römiichen Zmölitafelgeieg, die mit Stapitalftrafe belegen 1) qui fruges excantassit, 2) neve (veneno) alienam segetem pellexeris al3 furtum, Diebftaht von Feld- und Baumfrüchten durch Zauberipruch, malum carmen = x Erwör, und Zauberfraut, mala venena = xaxa yappaxa (venes-nom von
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venus uriprünglich in engerem Sinn = pitpov, Liebestrant oder Liebesfraut, dann erweitert Zaubermittel), aljo Herüberzaubern der Yrüchte aus dem fremden Grundftucd, und 3) qui malum carmen incantassit oder occentassit als Schadenzauber gegen Rerlonen durch Zauberiprudh. Ter dritte Saß tft fchon von Eicero und Feltus falich verltanden worden ald Beichimpfung oder
nfamierung. Das alte römiiche Bauernrecht der Ziwölftafeln fanıte keine
trafe fire den oft zu guten Zmecen ausgeübten Zauber durch carmen oder venenum an fich, DR ea nur für jeine Anwendung zum Schaden anderer, auch die Beicheltung galt ihm nicht als ein fapitaies Verbrechen. Zu große Stepfis zeigt der Berfafier (5.44) geaenüber einer beionderen Art der Be- fprecyung, dem occentare ostium = rapaxkaustdupov, das in der erotijchen . Literatur eine große Rolle jpielt. Auch hier liegt uriprünglich ein Liebeszauber
vor. Durch das carmen, die Erwir, Toll die Türe der Geliebten geöffnet werden. Derjelbe Löfungszauber fönımt auch 3. B. bei der Befreiung von Gefangenen vor. Tas ijt zu lernen aus dem bi8 jegt erit im Sonderdrud vor= liegenden wertvollen Artikel Epode von Fr. Bfilter in Pauly-Wifformas Real- se (Supplem. IV), auf den ich hiermit angelegentlich binmerjen modıhte.
Gießen. RN. Herzog.
Sufav Wolf, Das norddeutihe Dorf. München: R. Piper u. Co. 1922. 222 S. mit 167 Bildern. Eine gewaltige Fülle deutlicher Geftaltung tit in dtefem Buche zufammen- getragen und behandelt. Norddeutich heißt hier nördlich von Mofel und Lahn, Thüringer Wald und Eudeten, das heißt das Buch vereinigt die Taritellung unter fich jehr verjchiedener Kulturgebiete; Dften und Weften diejes Gebietes allein fchon find ja unter fich im großen fo verichieden. Der Berfaffer wird diefer Fülle Herr, indem er nicht den alten Weg der Trennung von Haus und Dorf beichreitet, jondern beide zufammen behandelt Nach grundlegenden zu- fammenfaffenden Kapiteln über die Grundformen ländlichen Hausbaues, über die Bauernhausformen DOft- und Mitteldeutichlands, ihr Gemeinfames und Trennendes in Querjchnitt, Grundriß und Feuerftätte, beipricht er die Bauern«. nen Dit- und Mlitteldeutichlands, jodanın das Altiachienhaus, das eitfalenhaus, das DOftfrieienhaus, das Nordfriefenhaus, Grotdör, Dong und PBelel, um dann auf die Eiedelungen, Einzel- und geiellige Siedelung einzu- gehen. Ein befonderer Abfchnitt iit der Dorffirche, ein ftarf zufammenfaflender Schlußabichnitt der Beftaltung des dörflichen Gejamtbildes gewidmet.
Und dieje geichickt Meberblide vermittelnde und wieder mit liebevoller Wärme in3 Einzelne biS auf die Hausinichriften und das Gerät in der Klein- welt des Haufes eingehende Daritellung des Wortes ift bereichert, unterbrochen, gelodert und gehöht durch einen großen Kranz von Bildern in faft durchweg gut bezeichnenden, ja zum Teil glänzenden Aufnahmen. Schon wenn man dieien Reichtum an Bildern allein durchfieht, fühlt man fich auf Schritt und Tritt angeheimelt, warın angeregt zu Fragen und Vergleichen, zu neuem Eehen und Aufnehmen im Baterlande felber — man jpürt die Wahrheit des Ginn- fpruches Friedrich NRagels über dem Buche: „Deutjchlands Eigentümlichkeit ift, ein vielgeftaltiges Land zu fein.“ |
Gießen. Chr. Raud. .
Hilde von B»ekeratf, Das niederdeutihe Dorf. 1921. Verlag Weftermann Braunjchmweig. 8346. 78 Taf. (Hanfiische Welt, hrög. von Prof. Dr. Hang Much) Nr. 3.) BR
Das eben beiprochene Buch von Wolf ift wiffenfchaftlich objektiv, will möglichft vollftändig umfaffen, die durchbrechende Wärme des Ton fommt mehr vom Genenftande her. Yür dieje8 Büchlein hier ift der Vorjpruch des Heransuebers Leitmotiv: „Die hanfiiche Weit will nicht nur äfthetiich, jondern auch ethiich arbeiten." Der Ton der ang ift fampfmäßig eingeltellt, über die Wärme der Würdigung hinaus: Für die Gotik, den reinften Ausdrud nordischen Wefens, gegen die weliche „Renaiffance*, die in Zeiten der Schwäche
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deutfches, nordiiches Welen verfälichte. Einem meiteren SKtreife foll der Geift des niederdeutichen Torfes nahegebracht werden. Am Einblich, dem eriten Abichnitt wird die deutjche Einftellung, das AUblehnen arıfremder Weile be- gründet, im zweiten Abichnitt Bild des Dorfes die monumentale Entitehung aus dem niederjächliichen Bauernhaus, dem Einzelhof und der Kirche qezeigt und wie diele große monumentale Linie meiterlebt bis heute in Nieder- deutichlands Dorf. Dritter Abjchnitt da8 Bauernhaus in jeinen Stammes- wandlungen: in Schleswig-Holftein, an der Dftiee, in Mecklenburg, in PBonmern, in den Marichen, der Wilfter- uud der Kremper-Marich, in Dith- marichen und im Lande Hadeln, in den Vierlanden, im Alten Land bei Ham» burg; in Friesland; in Weftfalen. Und dieje Art des Bauernhaujes unter fich wieder leife und doch ficher abgemwandelt nach dem Bedürfnis vum Groß- bauernhaus bis zur Kleinfathe — aber immer wieder tritt die niederlächfiiche, die großaewaltige Urform des geichloffenen Umriffes hervor, Vierter Abfchnitt ein Blied ind Hausinnere mit dem urzmechnäßigen, ureinfachen und doch feelifch jchöpferiich geitalteten Hausrat, der in den Marichen fich zu einem gerifjen Prunt ausmächit, reichfarbig, „voll traulicher Stimmungsbilder, die das Haus zur Heimat machen”. Ber Mittelpunkt immer die geheiligte Heroditelle in der großen Diele mit dem offenen ewigen ‘euer und dem Keflelhafen darüiber. Fünfter Abichnitt die Lorflicche: Ueber den Yauernhäulern als erhöhter Ausdrucd ihres Wefens, von hohen Bäumen umftanden, auf um- mauertem Kirchhof, oft zugleich trugige Feftung in granitenen Feldfteingquadern aufgelchichtet, meift aber breit und behäbig gelagert im nordiichen Bruchitein- efüge mit breitem, muchtigen Turm. YJm legten Abjchnitt NRücdolid und Ausblid die Mahnung zurüdzulehren zu diefer Art der Bäter, abzulaffen von der Art der lebten abrzehhte die, von aller gediegenen Weberlieferung losgelöft, nur für den Augenblick Ichuf.. 78 Bildtafeln geben auch in diejem Buche eine gründliche Anichauung vom Welen des niederdeutichen Dorfes in jeinen vielfältigen und doch im Ausdrud jo einheitlichen Formen. Freilich find bier nicht alle Abbildungen fo ficher und rein gewählt mie in dem Wolfichen' Buche, aber vielleicht find die Ausnahmen, die man bier fpürt, auch ganz mirtiam in ihrer Tiffonanz zu den anderen zum Teil auch wieder wundervollen Aufnahmen als Beitätigung der Regel, der das neue Schaffen folgen foll. Bießen. | Chr. Rauch.
Auniderf Bimmeler, Tiroler Heimatlunijt. Die Kunft in Tirol, Sonder- band 5, Defterreichiiche Verlagsgejellichaft Ed. Hölzel u. Co. Wien. 100 ©.
Dies Buch erjchien 1919 zum erften Diale. ES fteht unter dem Zeichen des Heimatichuges. Defjen Fdeen Haben heute beim Erjcheinen der faum veränderten zmeiten Auflage noch beiondere Bedeutung gemonnen, weil ja Südtirol mit biutenden Herzen an die Welichen gefallen tft und es nun vor allem gilt, daS Deutichtum dort zu erhalten. Derun deutich ift das ganze Land Tirol wie nur eins; die benachbarte hohe italienische Kultur und Kunit ift, wie das bei der Lage unjeres Landes an der großen Bölferftraße nicht weiter verwunderlich, wohl des öfteren eingedrungen, aber immer mehr durch Zufälle wie Handels- beziehungen, Berufungen, niemals ijt fie organisch aufgenonmen worden, nie= mals dem deutjchen Wejen des Landes Tirol gefährlich) geworden. Tie Welt: funjt der italtenifchen Renaiffance drang ganz ipät bier ein und nur in faft jofort wieder umgebildeten Einzelheiten der Schmudkunft. In Bozen fteht nur ein rein italieniicher palazzo, das Merfantilgebäude, und der durch den Zufall internationaler Handelsbeziehung. Tarüiber unterrichtet uns der Berfafler im erften allgemeinen Abichnitt, dann führt er uns durch fein Land, zu zeigen wie reich e3 ift an guter alter Kunft und Kultur. Die gilt eS zu fchüßen, bejonders auch gegen die Erzeugnifie mißverftandener Snduftrietechnif, unecht in Stoff und Welen und fualliger Proßerei. Es gilt die bodenftändige Kultur weiter zu entivideln. Sn diejem Sinne werden nun die Stadt- und Drtsbilder in ihrer Eigenart gezeigt, mit zeftungen, Kirchen, finnvoll angelegten Straßen und Pläten, Kufftein, Schwaz, Junsbrud, Bozen, Brixen, Meran, und dann Gegen- beijpiele von häßlichem Neuem wie etwa Neutoblach, der jcheußlich Sden Hotel-
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induftriefajernerei neben dem jchönen Alt-Toblad), das un die rwuchtige Kirche ftattliche Bürger» und Bauernhäufer zu wundervoll maleriichen Gruppen eint. So werden weiter die Baumerfke und ihr Charakter betrachtet, das alttirolilche Wırtshaus und das Hotel, dann die ländliche Baumeife, die fich, wie fich im ftädtiichen Bürgerhaufe Nord: und Südtirol fcheider, nach der Verjchiedenheit des Bodens, der Lage und den Stämmen vieljältig abmandelt: Haufendörfer von Einzelfiedlungen, NReihendörfer, Straßendörfer. Tas oberdeutiche (alpine) Einheitshaus, das Vieh und .Menichen, Herdftätte und Wohnftube trennt, ift die beherrichende Art, aber auch fie wandelt fich wieder im oberbayerijchen Holzhaus im Unterinntal von Kufftein bis Ienbach, im Oberinntaler Haus, das falt durchwegs aus Stein ift, im PBultertal, im Erichtal. Danı geht es mit weiter eingeftelltem Blick zu den Friedböien und Dentmälern und jchließlich gur alles beherrfchenden, unendlich mannigfaltigen Landichaft: Fruchtbare Täler, arges Hochland, der Sletjcherivall voll großer Linie und funfelnder Schönheit, der Südabhbang der Alpen ein einziger großer Garten. E38 gilt, die Bäume in der Landfchaft zu erhalten, es gilt, nicht jeden Waflerfall durch Turbinen zu veröden, die menichliche Dual hier in der Form der Reklame und des Hotel3 nicht überallhin in die Ziige der großen Natur zu tragen, — &3 gilt auch die reiche Mannigfaltigfeit des Bolf3lebens, der Trachten, Bräuche, ‚Sagen und Lieder zu fennen und zu erhalten. Solche Mannigfaltigfeit wie hier
ibt es felten: beim Unterinntaler, dem Zillertaler, dem Oberinntaler, dem
uftertaler, dem Bogner, Webereticher, Burggräfler, dem Grödner, foviel . Stämme, foviel Sitten. So wieder aufs engere eingeitellt führt uns unjer Führer dann nocd) zum Tiroler Hausrat und zur Bollsfunft, wieder jo reich in ihrer VBerichiedenheit wie Stämme und Sitten. Dazu noch wieder anders unter fic) das Bürgergerät, das Bauernmöbel, ftädtiicher, ländlicher Hausrat. Zum Schluß ein Tluges Wort Über die moderne Wohnung mit ihren Haus= greueln und wie fie anders fein fönnte, gleich der ziwedvoll Ichönen Vergangen- heit. 105 Abbildungen geben den mwarmberzigen und aus flug erarbeiteter Er- fenntnisS lehrenden Worten Über dies ftidlichite deutjche Land die nötige An= Ichauung.
Gießen. EHr. Rauch.
Rleine Anzeigen.
Walter Sheidt, Einführung in die naturwijfenichaftliche amilientunde (Familienanthropologie), Mit 11 Texrtabb., München: .%. Lehinann 1923. VI,216 ©. 7 Formulare. Die Boltstunde als Wiffen-
jchaft wird gelegentlich zur Erklärung gemiffer Ericheinungen auch die Anthro= pologie und Biologie heranziehen müflen: ein michtiges Kapitel daraus, die LI Oung, der Erblichkeit nichtkranfhafter Eigenjchaften des Menjchen, wird in diefem Buch behandelt. Man hat den Eindrud, daß es eine zuverlälfige - Einführung in die Ergebniffe der modernen Forichung tft. Die Ausführungen in Abichn. I 4 über Samilie, Bolf und Raffe möchte ich wegen ihrer Klarheit and Sachlichleit befonders der Beachtung in unferen FKreilen empfehlen. — Alfred Settner, Der Bang der Kultur über die Erde. Leipzig: Teubner 1923. 63 ©. (Geographiche Echriften. Heft 1.) Eine geiltvolle Skizze von der Entftehung der Menjchheit und der primitiven Kultur bis zur „Europäi= fierung der Exde”, wobei die allgemeine Lebens- und Wirtichaftsform auf den einzelnen Kulmmftufen in den Vordergrund gerücdt wird. E3 it begreiflich, daB bei diejer Betrachtung die geiftige Kultur ftärfer hinter der materiellen zurüdtritt, al3 e8 unfereiner gewohnt ift, aber e3 ift intereffant, fich auch einmal von einem der bedeutenditen modernen Geographen den Gang der Kultur auf- zeigen zu lafien. — Ewald FHettweis, Wie man einftens rechnete. Mit 10 Fig, 2 Tabellen u. zahle. Aufgaben. Leipzig: Teubner 1923. 56 ©. (Mathematrifch-phyfitaliiche Bibliothet 49.) Auch ein intereffantes Stüd Aultur-
EEE. =
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geichichte in leichtfaßlicher Darftelung vom primitiwen Fingerrechnen bis auf unfere, von den Indern und Araberı ftammenden Rechnungsinethoden. — Ein Jahrtaufend deutlicher Kultur. Quellen von 800—1800. Hrsg. von H- Beidmann, 3. Schneider, 8. Hofflätter., Bd. 1: Die üAußeren genen deutichen Lebens. Buchichmucd dv. E. Paul Schneider. 2. Aufl.
etpzig: Julius Klinfhardt 1922. XVI, 390 ©. geb. 9 Mi. Tem Wunjche, den Unterricht durch ein Zurüdführen auf die Quellen anfchaulicher zu ge= ftalten und zu vertiefen, ijt diejes jchöne Duellenbuch der deutichen Kultur=- geichichte zu verdanken, das zunächit auf die Bedürfniffe der Volfsfchule ein- geftellt ilt und daher die Älteren Terte in Meberjegung bietet. Aus Urkunden, Chroniken, Briefen, Tagebüchern, Selbitbiographien und Dichtungen werden Zeuaniffe für die äußere Entmwicdlung des deutichen Lebens in folgenden Ab- Ichnitten vorgelegt: 1. Yamilie (Bochaeit, Taufe, Kinderleben, Häusliches Leben, Tod und Beltattung), 2. Wohnitätten und Wohnorte, 3. Speife und Trant, 4. Schmud. und Tracht, 5. Erziehung und Unterricht, 6. Zeibespflege, 7. die Stände, 8. das gelellichaftliche Leben, 9. das Gewerbe, 10. Handel und Ber fehr, 11. Löhne und Breile, 12. Recht u. öffentliche Ordnung, 13. Aberglaube, 14, Religiöje und fogiale Maffenbeivegungen. Ta_ findet der Lehrer reichlich Material für die Belebung des deutichen und des Geichichts-Linterrichts. Wenn er auch die Volfsfunde für feinen Unterricht fruchtbar macht, jo wird ihn bier mancher interefjante Beleg für noch heute lebendige VBorftellungen, Xlber- glauben, TFeitbräuche und Sitten aus Älterer Zeit erfreuen. Den Schülern . der Oberflafien höherer Schulen gebe man dies Buch als Ergänzung zum Leje- und Beichichtsbuch in die Hand. Aber auch Ermwachlene werden fich gern von ihm in die Vorzeit führen laffen. Was die Auswahl der Zeugniffe betrifft, jo fanı man im einzelnen Yall natürlich vielleicht einmal ein anderes oder auch mehr an wünfchen, und man mird bie und da Wertvolles ungern vermifjen, 3.3. fehlen die Erntebräuche (hier bejonders wichtig das Zeugnis Ni, Gryfes von 1593, |. o. ©. 49f.), die Weistiimer u.a. Die „erjte” Erwähnung des Weihbnachtsbaums ©. 196 ift nicht aus dem Sahr 1680, jondern von 1605, noch älter it ein Bericht aus Schlettitadt (f. 3.8. A. Beder, Pfälz. Mufeum XXXVIll 1921, 165; dort auch der jchöne Brief der Lifelotte, in dem fie, au8 ihrer Kinderzeit in Hannover, vom Chrifttindel erzähl; diefen und- etma noc) die Stelle aus Goethes Wertber würde man hier gerne mit an- genDrt eben). Zum Feuerbannen Nr. 1742 vermißt man die Abbildung oder
eichreibung eines folchen Feuertellers (vgl. Hell. Bl. XII 163). Als Ergän- zung empfiehlt fich überhaupt ein Wert wie Paul Herre’s „Deutiche Kultur des Mittelalter in Bild und Wort” mit reichem Abbildungsmaterial. Daß. ih das vorliegende Buch bemährt, wird jchon dadurch bemiejen, daß bereit3 nach zwei Kahren eine Neuaufl. nötig war. Ein 2. Bd. joll die innere Stellung zur Kuliur behandeln. — Itiirwv Il. Koupraxtöns, EiAnvıry Aaoypapia. Meposa': Mynpeia tod Adyou. Athen: Gatellarios 1923. 446 ©. (Anposteöpata Tod Acoypasıxov Apystov ap. 8), 15 Drachmen. Der Erinnerung an feinen Lehrer Bolitis midmet der jegige Leiter des BVolflstundlichen Archivs von Griechenland diefen erjten Berjuch einer zujammenfaffenden wiffenichaftlichen Ueberficht über die neugriechijche Volkskunde, den wir dankbar begrüßen. Fer mit den Problemen und Ergebniffen der modernen volfsfund- lihen Forihung mohlvertraute und mit zahlreichen Einzelunteriuchungen bereitS hervorgetretene Verf. will vor allem das ntereffe für die Volkskunde in feiner Heimat weden, und Eammler und Mitarbeiter gewinnen für iyite- matiiches3 Forishen. An der Art von E. 9. Meyers Deuticher Bolksftunde verbindet jein Buch mwifjenfchaftliche Griindlichkeit mit allgemeinverjtändlicher Daritellung, es bietet aahlreiche Beilpiele und vermeidet e8, durch zu viel gelehrtes Beimverf, Anmerkungen und Exfurfe die Lektüre zu erjchiveren. Jeder Ab- ichnitt fchließt mit einer Anmerfung an die Sammler und einer Zufammen- jtellung der wichtigften bereitS gedrudten Sammlungen. Der 1. Bd. behandelt die mündliche Ueberlieferung: 1. Volkslieder (dabei auch) die Kinderlieder und die epiichen Beiänge, jomwie das Volfsdrama), 2. Zauberformeln, 3. Gebet md
lud, 4. Bann- und WVechtungs-, 5. Schmur-, 6. VBermwünfchungsformeln, 7. Trintiprüche, 8. Srußformeln (Hier wäre vielleicht E. Eurtius, Die Volks»
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rüße der Neugriehen in ihrer Beziehung zum Altertum, Situngsber. d. erliner Afad. 1887, zu erwähnen germeien), 10. [9. fehlt!]: Schimpimorte und Läfterungen, mit den zugehörigen Gebärden, 11. Sagen, 12. Schmwäntfe, 18. Tas bein, 14. Märchen, 15. Sprichwörter und Iprichwörtliche Redensarten, 16. Rätjel, 17. Sprachliches: Namen, Euphemismen, Berufsiprachen, Schalldeutungen, urufe, Metaphern und Tropen. Zum Echluß folgt eine Anmeilung zur chreibung der Mundarten. Ein 2. Band joll Sitte und Brauc behandeln, wir jehen Ihm mit Spannung entgegen. — @®tto Sanffer, Niederdeutfche Volfstunde 2. Aufl. Leipzig: Quelle und PDieyer 1923. VI, 141©. 12 Taf. (Zeutiche Stämme, Deutjche Yande, hrsg. v. Fr. von der Leyen) Die 1. Aufl. erjchien 1916 in der Sammlung „Wilfenichaft und Bildung”, die 2. ift fait unverändert, nur befjer ausaeftattet (fleine Ergänzungen und Aenderungen babe ih nur © 26, 29, 30, 37, 58, 127/8 bemerft), Das Buch ift für eine Vortragsreihe fonzipiert und, wie der Berfafler ausdrüdlich jagt, nicht er- ichöpfend, aber es ilt jehr friich und anregend aeichrieben. &8 paßt jedoch m. €. nicht recht in die Reihe, die U. Wrede, Sartori und Fehrle mit ihren viel umfaflender und jyftematischer angelegten Werfen eröffnet haben, deren reihe Duellennachmweije eine wahre Fundgrube für die volfsfundliche Arbeit bilden. Tas Regijter it erfreulicherweile in der neuen Aufl. jehr erweitert, jo daß man dıeje jeßt viel befjer auch als Nachichlagebuch gebrauchen Tann. Die Abjehnitte „Sprache und vollstiimliche Dichtung“ (20 ©.) und „Ter vollstiiml. Glaube” (33 S.) fommen gegenüber denen Über die äußeren Lebens- formen und über die Sitte ein bißchen fchlecht weg. Sehr danfensmwert ift die Heranziehung der Dichtungen von %.9.BoB als volfsfundliche Duelle. Auf die Gruppierung und Einzelheiten fann ich bier nicht eingehen, nur eine Bemerfung mag ich nicht unterdrüden, daß es mir bei der Behandlung der Hausinichriften (nur eine Seite!) auifiel, daB ein Spruch wie „Wir bauen alle feite” nicht in der jchönen niederdeutichen Faflung gegeben wird, mie er 3. Ichon ieit 1575 in Stadthagen an einem Hauie fteht (X. Conze, Ztichr. . hiltor. Ver. f. Niederfachjen 1859 ©. 9%). — Ach bemuße die Gelegenheit, um auf die Gründung einer „Niederdeutichen Zeitichrift für VBolf3- tunde” hinzumeilen: Herausgeber ift Dr. Eruft Großne, vom Mujeum für Hannburgiiche Beichichte, Verlener Paul Hartung in Hamburg; bis jet 2 Hefte (70 und 64 ©.). Die Namen des Herausgebers und feiner Mitarbeiter bürgen für Wiffenichaftlichfeit und Reichhaltigkeit. Wir münchen dem Unter- nehmen guten Fortgang. — &. Sänippel, ALusaemwählte Kapitel zur Bolfsfunde von Dft- und Weftpreußen. Beiträge zu einer vergleichen- den Bollsfunde Mit 12Ubb. Danzig: U.W. Kafemann 1921. 1686. 2 Taf 1.50 Mt. Gute, aus vertrautem Verkehr mit dem Volke ecrmacdjiene Kenntnis des Volfslebens verbindet fich bei dem bereit3 durch zahlreiche volfstundliche Beröffentlichungen befannten Verf. mit wiffenfchaftlicheın Urteil. Dadurch, daß er vor allem in der antifen Literatur gut Befcheid weiß, ift er davor bewahrt eblieben, überall germanijche Boritellungen und Götter zu mittern. Wie himer es ift, zumal fern von einer größeren Bibliothef die jo jehr zeriplitterte und entlegene volf3fundliche Literatur jür jede Frage durchzufehen und aus unußen, weiß jeder, der hier mitarbeitet. Manche der geoben Sammelmerle hüten aber den Verf. noch weiterführen können, 3.8. Frazer, The Golden ugh, Sartori, Sitte und Braudh, Eitrem, Dpferritus und Boropfer, Seligmanns Werke über den böjen Bid, Knuchel, Tre Ummandlung in Kult, Magie und Rechtsbraud, Marzell, Die heimilche Pflangenmelt, die große Encyclopaedia ot Religion and Ethics von Hastings, einzelne Bände er Neligtonsgeich. Berfuche und Vorarbeiten, Aber mir mollen dem Berf. danfen für das, was er uns geboten, und das Buch vor allem den Lehrern an den höheren Schulen feiner Heimat empfehlen, denen e3 reiche Anregungen für die Belebung ihres Unterrichts bieten wird. E3 find Kapitel aus fehr ver- ichiedenen Zmeigen der Volfsfunde: 1. „Unverrufen“, 3. Raddiclbier und Met, 3. „.sohannisfrangzlein”, 4. Der Dorfanger, 5. Wejtpreußiiche Eagen, 6. Ober- ländische Windbrettpuppen (Biebelverzierungen) und das oftmärkifche Bauern- haus, 7. Alter Brauch, 8. Ter „Bethlehemitiiche Kindermord" und „das Ktindel- wiegen im oftpreuß. Oberlande”, 9. „Himmel und Hölle” (Hüpfjpiel) und die
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Serufalemshügel in Dft- und Weftpreußen. Dieje Aufzählung erichöpft aber längit nicht den Inhalt der an Erfurien reichen Aufjäge, denen am Schluffe noch 30 8. mit größeren Zufaganmerfungen folgen, Si feinen Deutungss verfuchen ift Berf. in der Regel jehr vorfichtig, nur jelten frößt man fi) an etwas gewagten Bermutungen (3. B. daß die Andreasnacht fürs Liebesoratel ewählt mwırd, joll fich aus der Ableitung des Heiligennamens von avip er- ären! (Warum finden fich dielelben Brauche anderwärts in der Thomas: nacht?) oder die fiihne Deutung der Sator-‘sormel, vgl. Beil. BL. f. VBolfst. XI 154 ff.). Bei der Behandlung der VBorbedeutungen vermißt man ungern einen Hinweis auf H. Diels Veröffentlihungen über die antife Zudungstliteratur und ihr Weiterleben (1908 u. 09), durch die wir jett die Palmomantif jo viel enauer fennen, Beim „Schnedenjpiel® wäre desjelben Diels Beitrag zur ftichrift für Harnad (1921) tiber das Labyrinth und gemilfe alt» und neus griechiiche Tänze mit Nuten heranzuziehen gemweien. Binmeilen möchte ich noch auf die Beigabe einer kleinen Sprachenfarte mit einem DBerjuch der Bliederung der oltmärfiichen Mundarten ©. 141. Eın Regilter erleichtert die Benugung.) — Heinrih Schanerte, Sauerländiiche Bolfsfunde. 1.Teil,. Biage Ruhr: Sauerl. Heimatverlag der Solefs-Drucderei 1923, 786. Die Bolfsbräuche und Zeugniffe des Vollsglaubens find auf Grund eigener Er- innerung, miindlicher und gedrudter Berichte im Anjchyluß an die Fefte und Tage des Zahres zujaımnmengeitellt. Die Ausbeute ift nicht allzu reich, die Peutungen ftehen noch ftark unter dem Einfluß Simrods. Die Göttin Dftara wırd zwar fallen gelaflen, Oftern dafür ats Auferftehen („Aurften”) der Sonne gedeutet, aber fonft werden die alten deutichen und nordijchen Götter befehmworen, beim Stephanstag jogar „ser nordiiche Sreyr [jol] (70), dem nach germanifchem Glauben Allvater das Ichöne Weltfalen geichentt hat, und dem daS Kohlen heilig war”, Ruprecht wird gedeutet als das leuchtende Rad der Sonne, Baldrian zu Balder geftellt! — Alfred Wirth, Beiträge zur Bolkstunde in Anhalt. Heft 1: NRefte des Geifterglaubens. Teflau: €. Tiinnhaupt [1923]. 32 ©. Wertvolle eigene Sanuınlungen und bereits ver- öffentlichte Nachrichten werden hier in engem Drud vorgelegt. Sehr reich find noch die Ueberlieferungen über den „Nicdert“ (Waflernix) und den Kobold (in dieiem Bausgeilt find offenbar die verichiedeniten VBorftellungen zufammen- efloffen).. Zaran jchließt ich an, was das Bolf noch von Zmwergen, Korn, egerationg- und Winddämonen, zu denen auch der Wilde Jäger gerechnet wird, erzählt. Sn dem Ubjchnitt uber die Seelengeifter wird iiber die Mare, umgehende Geipenfter, Hexen und allerhand Aberglauben berichtet, Man wird hie und da ein Fragezeichen zu machen haben, beionder8 auch zu der Gruppierung, aber im aanzen it das Schriftchen gediegen und fehr inhalts= reich. Die Kielfropfgeichichte S.5f. ift übrigens nicht bloß in Balberftadt lofalifiert, Jondern weit verbreitet, |. meinen Aufiag in diejen BL. V1132 ff. 186. Die Segensformeln, die S.29 u.31 abgedrucdt werden, ftammen aus im Bolt verbreiteten Druden: Romanusbüchlein, bzw. Albertus Diagnus’ Egypt. GBeheimniffe I. Wer fi) mit Segen beichäftigt, follte zunächit einmal dieje edrucdten Büchlein fennen. Hoffentlich geftattet die Ungunft der Zeit eine ortjegung diefer danfensmwerten Beiträge. — Lily Weifer, Jul. Weibnacht3- geijchenfe und Weihnachtsbaum. Stuttgart, Gotha: %. U. VPerthes 1923. VII, 92 ©., aeb. 2 Mt. Eine kritiihe Zufammenfaflyng und Weiterführung der Ergebniffe der neueren Korichungen Über da3 Weihnrachtsfeft: 1. ES hat ein vorchritliches Yulfeft im Norden gegeben, der Name ift ınit Leffiat aus *jequlo abzuleiten und bedeutet urjprünglich Zauber, Zauberfeit, der Suhalt des Yeltes waren Fruchtbarfeits- und Seelenzauber. Auf den Bötterfult an dem Felt werden „zulbier und Minnetrinfen und das „Suleber” genannte Weihnachts- brot zurücgehen. 2. Auch in Deutichland finden fich Spuren eines heidnilch- germanüchen Feltes in der Weihnachtszeit: die Uinzüae der Perchten, Glöcler und Kiövfler, die teil3 mit mimilchen Masfentänzen Dämonen daritellen und mit Lärmen die feindlichen Dämonen abmwehren und den Begetationsgeift meden mollen, teil® Yrüdte als Gaben austeilen, durch Schlagen mit der Zebensrute sruchtbarkeit bringen und Segensiprüche fagen., Ruten und Früchte werden allmählich, al der hi. Nikolaus durch chriltlichen Einfluß die Haupt-
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geitalt der meiften Umzüge nermorden war, zu.Geichenfen für die Kinder, und erit unter dem Einfluß des Proteftantismus vom Nıfolaustag auf Weihnachten übertragen, ebenjo wie allmählich die aus römischen Kalendenbräuchen, den strenae, bherzuleitende Neujahrsbeichenfung auf das Weihnachtsfeit verlegt wird. Eine ähnliche, 3..T. von Peutichland ber beeinflußte Entwiclung wird für den nordischen AJulbocd und Sulklapp erichloffen. Während die Zmölften auf das altficchliche Dodefuhemeron zuriicigehen, ift die Einführung der langen Adventszeit vielleicht mitbeftimmt durch die allgemeine europätiche Spufzeit in: Mittwinter. Mag auch der Name Berchta vielleicht von dein Epiphanientag herzuleiten fein, To nd die Züge der Perchta-Holda durchaus heidnilch, der Perchten- oder Geiftertiich iit ein Toten und Fruchtbarkeitsopfer. Ein jolcher Tiich wurde auch in Frankreich der bonnes dames gedeckt, den Ablöininlingen der Matronae: Tiefe feltiisch-germaniichen Böttinnen finden wir wieder in der von Beda für den 25. Dez. bezeugten Modranicht der alten Angeln. 3. Unfer erst fjeit ungefähr 1600 bezeugter Weihnachtsbaum ift von den andern Feft- bäumen unjerer Sahresfefte nicht zur trennen, im älteften Zeugnis, aus Schlett- ‚Stadt, wird von mit Vepfeln und Oblaten aezierten „Meyen” am Chriftabend geiprochen, die dann am Preifönigstag von den Kindern gejchüttelt werden jollten. (Daß übrigens der Lichterichmud des Chriftbaums 1737 zum erften Dal erwähnt werde, ift unrichtig. Grüne Tannen, auf denen viele Hundert MWachslichter brannten, finden mir fhon am Eyivelter 1611’am berzogl. Hof in Brieg: Deutiche Dorfzeitung XIII 1910, 409F. und um 1660 feierte- Lifelotte von der Pialz am Hofin Hannover Weihnachten unter. ferzengejchmücdten Buch3- bäumen: Pfälz. Viufeum XXXVII 1921, 166). Neben dieier Beziehung zu Wintermai, Maizmweig und Lebensrutesift fiir den Ehriftbaum auch das Baradies- ipiel, in. deffen Mittelpunkt der mit WUepfeln gejchmücte Lebensbaum ftebt, wohl ein wichtiges Vorbild geworden. Außer diefem mag dann nod) der Blaube -an die in der Weihnacht blühenden Bäume für den Schmucd des . Chriftbaums mit Aepfeln und Bapierrofen maßgebend geworden fein. Die Kerzen werden von dem Lichterglang der Epiphaniefeier herftammen. Diele Snhaltsangabe mag zur Empfehlung der Schrift genügen. Martin BP. Nilifons -Uinterjuchungen haben in den Hauptpunften der NXerf. den Weg gemiejen. &3 ift unmöglich, auf dem hier verfügbaren Raum fich mit Nilffon und feiner tüchtigen Nachfolgerin auseinanderzujegen.
SKsländiiche Bollsmärchen, Ueberl. von Sans und Ida Naumann. Sena: Diederichs 1923. XIV, 317 ©. geb. 6 Mi, Wieder eine ganz vorzüg- liche, von Ehmee ftilvoll ausgeitattete Märchenfammlung ın der Reihe der „Märchen der Weltliteratur”. Eine fnappe, aber fehr aehaltvolle Einleitung führt in die Eigenart diefer bäuerlich-primitiven Erzählungen der nordilchen Suiel ein. Die Scheidung zmijchen Märchen und Saae laffe fich dort noch nicht jo leicht durchführen, injofern fich noch viele einfache Märchen, aber auch Märchennovellen finden, die durch DOrt3- und Perfonennamen gebunden find. Auch in den Motiven ift noch manches Archaifche: Etiefmutter- und Nechter- märchen find für Fsland bejonders charafteriftiich; daneben finden wir auch zahlreiche Wandermärchen und Wandermotivformeln in der Eammlung wieder. Man wird es begrüßen, daß die Auswahl auch die Märchennotive in Göttermythen und Ssländerjagen berüdfichtigt. Bejonders fein find Die SR SundeN über die Milieumandlungen der Motive, die Anpaflung der Stoffe an den isländischen Borftellungsfreis. Die Ueberjegung hieft fich jehr gut, der Stil jcheint mir gut getroffen. Sch babe einice Texte mit der Wieder- gabe bei Adeline Rittershaus verglichen und feitgeftellt, daß in der vor= liegenden Sammlung die Sprache ‚viel einfacher und dem Märchenftil ent- fprechender ift und dabei doch die nordiiche Herbheit nicht preisgibt. Ein Zurich gehen auf das Driginel war mir leider nicht möglıd). Eine Empfehlung be= darf das fchöne Buch nicht, es wird feinen Weg fchon finden. — Guflan Sungdauer, Böhmermwald-Märchen. Paflau: M. Waldbauer 1923. 83 ©, (Böhmermäldler VBolfsbücher 9.4.) Ter tüchtige Gelehrte, dem die Volfsfunde jchon viel Wertvolles zu danfen hat, leiftet mit dem jchönen Büchlein zunächft ein Stiel Heimatarbeit. Es ift nur eine Probe der heute noch im Böhmerwald lebendigen Märchendichtung für Schule und Haus und möchte zugleich zu
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planmäßigem Sammeln anregen: 28 größere und Lleinere Märchen und 23 ge- reimte Scheramäechen, in lebendigfter volfstümlicher Sprache, 3.T. aus dem Vr- chiv der Gejellichaft zur Yörderung deuticher Wiffenjchaft in Böhmen, 3. T. von Schullindern in Deutjch-Reichenau aufgezeichnet, zwei find bereit8 von den Br. Grimm, bzw. bei Bolte-Polivfa gedrudt. Die Gelehrten werden für die beigegebenen Vermeife auf die wichtigfte Literatur dankbar fein. — Alte und neue Märchen aus dem Teutoburger Walde und feiner Umgebung . Ausgewählt von Karl Wehrdan, Tetmold: Meyeriche Hofbuchh. 1923. 55 ©. (Heimmatbücher für Schule und Haus, Heft 3.) 16 Märchen, von denen 10 der Grinimichen Sammlung entnommen find. Bei den übrigen fann ich mich des Eindruds nicht erwehren, daß fie, jedenfalls jo wie fie hier aufgezeichnet find, nicht aus dem PVollsmund ftammen. — @tdenio Adel, Die vormwelt- lichen Tiere in Märchen, Sage und Aberglauben Mit 8 Tafeln und 16 Textfig. Karlsruhe: &. Braun 1983. 66 S. (Wiffen und Wirken Bd. 8). Eine lefenswerte Behandlung der Sagen von Niejen und Fabeltieren durch einen Paläontologen, der fie auf die Funde und phantaftiiche Deutung foffiler Zierrefte zurücdjührt: Tie Drachen» und Lindwurmfagen 3. B. beruhen auf den Funden von Reften eiszeitlicher Eäugetiere, beionders von Höhlenbären, im „Höhlenlehm” von Höhlen; der Schädel des Lindmurms von Klagenfurt ftammt von einem Rhinoceros antiquitatis. Die Refte fliegender Schlangen, die Herodot Il 75 gejehen bat, werden Wirbelfortiäge fofliler Tiere vom Dite abdang des Molattamgebirges ein, dort tft alio wohl die von ihm genannte Stadt Buto zu juchen. Der 1213 gefundene Wiener Bafilisk ift eine fuollige . Sanditeinfonfretion. Die Sagen von den einäugigen Zyflopen werden durd) den Fund eines Elefantenfchädels in einer jiziliichen Knochenhöhle angeregt jein, ebenjo laffen fich die Riefeniagen auf Kuochenfunde von Großfäugetieren zurücführen. Die Einhornvorftellung geht auf dic Dorjtellungen des Auer» ohhfen auf afiyrisch-babyloniichen Reliefs zurüd, Mammutzähne wurden als Hörner diejes Yabeltierd angejehben. Gern wurden die follilen Tierrefte als Amulette und in der Volfsmedizin benugt (Belemnite als „Donneriteine”, Seeigelftacheln als „Audenfteine”, verjteinerte Haifiichzähne als „Zungen- fteine” u. a.). Wetiologische Sagen entitehen zur Teutung der Herkunft der Verfteinerungen un en, Nummuliten als verfteinerte Linjen oder Erbjen oder Sanct-Ladislaus-Pfennige u.a.) — Badilhe Sagen. Ge- fammelt und Hrsg. v. Zoß. Künzig. Leinzia-Gohlis: Hermann Eichblatt 1923. XX, 148 ©. (Eichblatt3 Deuticher Sagenihag Bd. 10). Eine jehr danten3- werte Ergänzung der Sammlungen von B. Baader, Th. Lahmann, %.% Hoffmann und KR. Hofmann, über zwei Drittel bisher ungedrudt, zum großen Teil auf den Beantwortungen des Freiburger Fragebogens im Belit der „Badilchen Heimat” beruhend, nad) Motiven geordnet innerhalb folgender großer Gruppen: Seelenfagen, Naturjagen, Böle Mächte, Wunderjagen, Echa- agen, Ortsjagen, Legenden, Schwäne; in ungelünftelter Sprache, 3. T. uns mittelbar mit den Worten des Bolles, oft jogar in der Dlundart; dazu im Anhang genaue Quellenangabe, Bermeije auf die badiichen gedrudten und ungedrudten Parallelen, manchmal auch auf folche in nicht badiichen BVer- öffentlichungen, und ein OrtSnamenregifter. Wir find überzeugt, daB dies Ihöne Buch im Badener Land nicht nur, jondern auch bei den Freunden unferer Wiffenjchaft weite Verbreitung findet. — #, Wehrfan, Die Ertern- fteine im Teutoburger Walde in Natur, Kunft, Tichtung, Ge=- Ihichte und Vollsjage Mit 3 Abb. Setmold: Meyeriche Hofbuchh. 1922. 54 ©. Wer dieje romantijch zerriffenen Sandjteinfelfen mit ihrem Höhlen- heiligtum und dem einzigartigen Relief der Kreuzabnahme aus dem Beginn des 12, X. fennt, wird fich über diefes Büchlein Feilen. in dem ein Mann, der wie wenige fein jchönes Lippiiches Heimatland fennt, mit großer Liebe alles, was das Bolk, die Dichter und Gelehrten darüber jagen, zufammen- getragen bat. Der Bolkskundler ift dankbar für die Zujammenftellung der Sagen, die fich natürlich in großer Zahl daran angelnüpft haben. Auch FreiligratH3 Erzählung über die Entitehung des Bildwerfl3 und eine Sage aus Xuile Erneitine v. Humbradhts „Eine Partie nach den Erxterniteinen“ find mit abgedrudt: hier möchte man gern willen, wie meit das darin Mit-
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geteilte yoicklich volfstünnlich ift. — Adolf Bad, Herenprozejle in der Bogtei Ems. Nach den Alten des Staatsarchiv: zu Wiesbaden. Bad Ems: Gg. Beil 19238. 80 ©. Nach einer Einleitung, in der der fulturgeichichtliche Hinter- grund für die Prozefje geichildert wird, werden ausführliche Auszüge aus Herenprozeßaften von 1594, 1639 und 1631 mit verbindenden Text gegeben. Es find erichütternde Bilder einer ivregeleiteten Rechtspflege und eines trau- rigen WÜberglaubens. Nebenbei erfahren wir mancherlei volksfundlich inter- eflante Einzelheiten (3.8. ©. 39: Bewirtung der Weiber beim Kirchgang der MWöchnerin im Kindbettshaus; ©. 37 und 41: bei Krankheit einen Hut voll Korn bei drei Nachbarn heifchen und St. Daniel zu Arzheim opfern; ©. 21: Böje (verzauberte) Milch läuft nicht über; ©. 37 und 42: den Kopf eines Kranken mit Steohhalmen mejjen;, S. 56: Neftelfniipfen; ©. 57: Yeitmachen und ©,59: Büchienichliegen mit Formel, ©. 59: Segen gegen Unfraut. Auch manche mundartlicde Worte fommen vor (S.39 Broft = Braft). — F. Ohrt, De danske Besvargelser mod Vrid og Blod. Tolkning og Forhistorie. Kobenhavn: Danske Videnskabernes Selskab 1922. 245 ©. (Historisk-filo- logiske Meddelelser VI 3). Der Berf. hat in einem großen Werk die däniichen Segensformeln mit philologiicher Sorgfalt herausgegeben (Danmarks Trylie- formler, 2 Bde 1917—21) und in einer zufammenfafjenden Schrift (Trylleord. 1922) und zahlreichen Auflägen wertvolle Beiträge zur Gejchichte Diejer Terte geliefert; eine Heine Probe feiner Gelehrjamteit hat er auch zu diejen Heft unjrer Blätter beigejteuert. Das vorliegende Werk ift wiederum ein Mufter . gemwifienhafteiter Forihung. Nur wer jo das germaniiche, finniiche, jlapiiche, romanilhe und antife Material überfieht, fan hoffen für die fchmwierige Veberlieferungsgeichichte diefer Texte und die Frage nach ihrer Entitehung allmählich zu geficherten Ergebnifjen zu gelangen. Ter 1. Abychnitt behandelt die Berrenfungsiegen, für die in dem Werf von R. Th. EChriftianjen 1914 bereit3 eine gute Vorarbeit vorlag. (S. Blf. wäre bei den norddeutichen Saflungen der jogar in ıdd. Sprache überlieferte Segen aus Hermanfahrg ber Soeft von 1716, von Ohrt ©. 54,3 zitiert, einzufügen gemejen. Eine ejtnijche Bariante mit Petrus und Yelus auf dem Ficchiteig, deren Efel den YuB ver- taucht, |. in 2Beterinärhiltor. Mitteil. I 1921 Nr. 7 ©. 4 nach Teutiche Rundihau XXX, 101). Der Trierer Pferdejegen aus dent 10. %h. und der lat. Stephanusjegen aus Wien (un 900) werden eingehend beiprochen; bef. intereffiert die Behandlung des 2. Merjeburger Zauberjprudhs: Er ift zu einer Zeit aufgezeichnet worden, da Mitteldeutichland bereits chriftianifiert war, er paßt zu der chriftlich-legendariichen Magie befier als zu dem, was wir jeßt von altgerm. Zauberformeln mwiflfen: wahricheinlich ijt er nach einem chrift- lichen Vorbild nod) von einem Heiden gedichte. Wenn für diefen Typus der Berrenfungsjegen aljo chriftliche Herkunft erjichloffen wird, jo braucht ınan deshalb doch nicht eine bejtinimte biblische Gefchichte oder Legende al3 Grund- lage des epilchen Teils zu fuchen, der Bejegner jchafft fich feine Legende je nach den Umftänden unter Verwendung einzelner biblifch-legendarijcher Motive \elbft. Nach derielben umfichtigen Methode werden im 2. Teil die verjchiedenen Sormen der Blutjegen behandelt, Darunter 3.8. der Sordanfegen, die Longinus- formeln, Jeju Wunden jchwären und Ichmwellen nicht, drei gute Brüder u. a. Bis auf ein paar nordilche Bejonderheiten gehen alle diefe Segen auf latei- niihe und Ddeutiche Quellen zurücd. Sie find wohl im Spätmittelalter durch die Geiftlihen und im Jahrhundert nach der Reformation durch Kaufleute und Soldaten nac) Dänemark gebracht worden. In den jpäteren Jahrhun- derten finden jich nur wenige Spuren einer Einwanderung vom Süden her. — Avtwvios A, Kepaporouikos, "O arorupravıspos. LunßoAn apyawkoyım eis ınv totopiav TOD ToWwızod Orxaiou zur yv Auoypaytav. Ev Adrivars 1928: “Eotio, III, 144 ©., 7 Taf. (BıßArodyen ins &v Adyvan Apymokoyuns "Erapeias 22). Bei einer Ausgra- bung im UlteBhaleron wurden in einem Meftengrab 17 männliche Stelette ge= funden, die alle um Hals, Hände und Anöchel Eifenflammern, hatten, mit denen fie offenbar auf Bretter aufgenagelt waren; es find Verbrecher, die Durch arotuuraviopos, eine der Kreuzigung ähnliche qualvolle Tötung, Annage- lung an nachher aufgerichtete Bohlen, hingerichtet worden find. Mit gebrochenen Shiedern und ducch eine Steinigung (Mohl Iymboliiher Art) zerichmetterten
Schädeln wurden fie auf ihren Bohlen in einem roAvavöpıov (Mafjengrab) bei- eiegt, man fürchtet, daß fie als Geipenjter umgehen: das find die ToAudvöpıoı oairoves der Iyprifchen Defirionren. Auch im Zauber wird Diejer drowpravısusz nadhgeahınt, 3.8. in den gefefjelten Bronzefigürchen von Delos (BCH. 1915, 416); das Binden und Nageln im Zauber ftammt von diejer Hinrichtungsform oder der ihr verwandten Kreuzigqung. Aus der Zauberfraft der dabei ge- brauchten Nägel die Furcht der Tamonen vor Eifen und Erz herzuleiten geht aber doch nicht an (S. 77), auch die Errichtung von Trophäen fan ich nicht als Iyinbolifchen arotupravispos mir denfen, die Bänder aud) an dem Trophäen- relief vom Nifetempel dienten nur zur Befejtigung der Rüftungsftüde an dem Baumjtamm. Die Leichname der Orngerichteten wurden oft unbeitattet eine Beute der Hunde und Vögel, daher die Berfluchhung Es Kouvösapyss oder & zöpoxas. Wuch die Gebärde des owaxero (Ausftreden der fünf Finger gegen den Gegner) erkläre fich al3 Androhung der Bindung mit den fünf Bändern des arotunravipös. Auf meitere Einzelheiten und die Erkurje fan ich bier nieht eingehen. Eine Fülle von Gegenjtänden der antıken und moderien Bolksfunde und Kulturgejchichte wird in dein Buche berührt und vielfach ge- fördert. — 3. Dillmanını und K- Wehrhan, Vierzehn Engel fahren. Reim-, Reigen» und Rätjelluft für die fingende, jpielende Jugend, für Sport», Turn- und Wandervereine Frankfurt a. M.: Englert und Echlofier 1923. 88 ©. Dazu ein Notenheft. Die Kinderreime und =Ipiele (legtere mit Beichreibung ihrer Ausführung) find, wie mir Herr Wehrhan mitteilt, alle in Frankfurt gefammelt und entitammen aljo der lebendigen Meberlieferung. So fann dies zunächit für den Gebrauch der Jugend beftinmte, jchön ausgeftattete Büchlein auch der Bolksfunde Pienfte leiften. &3 jei aber vor allem den hefjiichen ugendfreunden empfohlen. — Zofef Kern, Alt-Leitmeriger Hausmarlfen und Wetterfahnen. Leitmerig 1923: RK. Pidert. 8 ©. (Veröffentlichungen der LZeitmeriger heimattundlichen Arbeitsgemmeinjchaft 3). Verf. beipricht den fulturhiftorischen Wert diefer wenig beachteten Hausaltertiimer und zeigt, wie liebevolles Studium aud) hier zu tieferer Erkenntnis führen fann. Solche beimattundliche Arbeitsgemeinjchaften jollten fich in jeder Stadt bilden, um Berftändnis zu weden für die noch erhaltenen Denkmäler der Vorzeit und deren finnvolle Erhaltung oder jachgemäße Erneuerung. — Die Heimatblätter des Landesvereins Badische Heimat fünnen al3 Mufter dienen für die Ver- tiefung des Heimatfinns ducch Bild und Wort. Wiederum liegen uns mehrere . prächtig ausgeftattete, gehaltvolle Hefte der Reihe „Bom Bodenjee zum Main“ (Karlsruhe: E&.%. Müller) vor: Nr. 22: Konrad Größer, Reihenauer Kunft. 1922. 76 ©. mit 46 Abb. — Nr. 23: Ernft Waffe, Eine Wande- rung längs der römijhen Reihsgrenze in Ddenmwald. 1922. 29 ©. init 30 Abb. u. 1 Karte. — Nr. 24: Aus gärender Zeit. Tagebuchblätter des Heidelberger Profefiors Karl Philipp Kayfer aus den Sahren 1793 bis 1827 mit 10 Abb. nach zeitgenöfliichen Bildern von Friedrich Rottmann. Hrsg. von Franz Schneider. Kunftgejchichtliche Einleitung von Karl Zohmeyer. 193. 102 8.— Nr. 25: Max Walter, Dom Steinfreuz zum Bildftod. Ein Beitrag zur badischen Steinfreuzforichung. 1923. 37 ©, mit 6 Abb... Eine genaue Aufzählung und Beichreibung der Steinfreuze im og. hinteren Ddenmwald, dem Hinterland der Abtei Amorbacdh. Tr diefem ver- hältnismäßig fleinen Gebiet find noch 63 Steintreuze vorhanden, außerdem find noch 15 jet verjchmundene feitgeitellt.e Tas Bolt nennt fie fteinerne Kreuze, Römer», Schweden- oder Ruffen, Belt» oder Mordkreuze; nach Berjonen genannt find die drei Haberntannstreuze bei Dorf-Erbac) und das Kätterles- freuz von Krumbach nach einer 1746 ermordeten Katharina Biller, daS VBron- freuz bei Bödighein nach einer angeblich dort ermordeten Beronifa; nach der GBeftalt der „Einarm* und der „Brummer” (Teil des Spinnrads); nach dem eingerigten frummen Meffer der „Hebeitein”, nach einer damit verbundenen Sage das Miltenberger „Rappenfreuz”. Flurmamen werden oft nach diejen Kreuzen benannt. E3 find feine Gerichtäfreuze oder Grenzzeichen oder Marft- freuze, nur eines ijt als Wegmeiler errichtet; es find vielmehr Totenntale, Unglüds- und Mordfreuge, von den Angehörigen geftiftet, nur von den le&teren mögen manche auch vom Mörder errichteten Sühnefreuze jein. Durch das
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Seben eines jolchen Steines jollte die Seele des auf unmnatürliche Weile Ver- ftorbenen, die am Schauplat feines Todestfampfes umberirren muß, Ruhe finden. Tas Steinfreuz ift der Vorläufer des Bildftods, der jeine Rolle als Totenmal übernimmt, daneben aber auch al3 Votivbild in Unglüd und Kranfheit gelobt wird. Daß auch manche Steinfreuze Totivfteine waren, fann vielleicht aus den daran haftenden Sagen geichloffen werden. Der hintere Ddenmälder nennt auch den Bildftod „Kreuz’. Daß überall die zugehörigen Bollsüber- lieferungen herangezogen und auf ihre Glaubmirdigkeit geprüft merden, jet noch) ausdrüdlich erwähnt. — Unler Mitarbeiter Prof. Dr. . Effeldorn gibt im Berlag der „Litera”, Darmftadt, „Schriften zur heiliichen Gejchichte, 2ande3- und Bolfsfunde* heraus, er eröfinet die Reihe mit einer Ab- handlung „Der Deutichfatholizismus in Darmftadt*. (84 ©.) — Bon den vielen wertvollen Auffägen des 5. Heftes der Beiträge zur Geichichte und Landesfunde der Wetterau (1922) feiern hier genannt: W. Fertich, Sriedberger Marktweien im 16, Jahrh.; E Cloß, Haus-, Tor-, Öloden- und Srabinichriften zu Wölfersheim in der Wetterau; Fr. Dreher, Die Zeit Ludwigs, XIV. im Spiegel der Friedberger Chroniken (mit einem fultur- geihichtlihen Anhang). — Hinmweijen möchte ich nachträglich noch auf den bereit3 1919 erjchienenen 1. Band von Karl Bücher Lebenserinnerungen, in deffen erjtem Abfchnitt fein naffaniicher Heimatsort Kirberg und das Xeben jeiner Bemwohner um 1850—65 geichildert werden. — Alfred Mods Roman Die leere Kirche, in dem der Kampf zwilchen Kirche und eier amerifa- niichen Sefte in einem heffiichen Torf gejchildert wird, liegt nun in 2. Auflage vor (Leipzig: %.%. Weber 1933). Bießen. Hugo Hepding.
ss
Jahresbericht für 1923.
1. Dank verjchiedener günftiger Umftände ift e3 uns möglich gewejen, auch in diefem Jahr ein Heft unjrer „Blätter“ zu dDruden. Für reiche Gaben, die und im Laufe des Sahres zugingen oder zugefichert wurden, haben wir zu danken: dem Hefliichen Staat; der Notgemeinjchaft der deutjchen Wiffenichaft in Berlin; dem St. Louis Emergency Relief Committee in St. Louis; Heren Pireftor Dr. &.U Hoch, Sao Paulo. — Der Berfauf einiger Reihen unferer „Blätter“ nach) Qlmerifa (auf freundliche Empfehlung von Herrn PBrofeffor Archer Taylor, wofür wir ihm wieder zu bejonderem Danf verpflichtet find) hat uns meiterhin einige Mittel verichafft. So fonnte diefer Band XXIL, der in gemilfem Sinne ein Subildumsjahrgang ist, in verhältnismäßig ftattlichen Umfang erjcheinen.
2, Am 12. Zunt 1897 hatte fich innerhalb des Oberhefliichen GeichichtSvereins eine Abteilung für hefliihe Bolfsfunde gebildet. Vom 1. April 1899 bis ‚zum 1. Januar 1902 ließ dieje Vereinigung die „Blätter für heffiiche Volks- funde* erjicheinen, an die fich dann unjere „Hejjiichen Blätter für Bolls= funde* unter der gleichen Schriftleitung (Ndolf Strad) unmittelbar an« chloffen. So find alio nun 25 Yahre verflojien, Seit die „Beilliiche Ver- einigung für Bolksftunde* zum erjten Mal in die Deffentlichfeit getreten ift.
3. Nacd) vorübergehenden Niedergang während des Krieges und unmittelbar nachher beginnt unjere Vereinigung fich wieder zu erheben. m vorigen Sahresbericht fonnte ich mitteilen, daß die Mitgliederzahl von Bli auf 658
ewachjen war, Sn kurzer Zeit nahm die Mitgliederzahl infolge reger Werbetätigfeit vajch zu. Ta zwangen uns die unglüdjeligen VBerhältiuffe unferer Geldwirtihatt, jedes weitere Werben aufzugeben, weil die Koften, die uns durch den Beitritt eines Mitglieds ermwuchlen, nicht entfernt durch den jeitherigen Jahresbeitrag gededt wurden und wir bei weiterer Ber- größerung gezwungen geiwejen wären, die feitherige Auflage unferer
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„Blätter”. zu erhöhen. — Ducch den Tod fchieden (jomeit bekannt) int laufenden Jahre jieben Mitglieder aus; meitere 8 meldeten infolge mwirt- Ihaftlicher Not ihren Austritt an. |
Zur Zeit beträgt die Mitaliederzag! 756. .
. Da die ordentliche Mitgliederverfanmlung erft in der warmen Jahreszeit
ftattfinden joll, Hat der Boritand (vorbehaltlich der Genehmigung durd) die Hauptveriammlung) in jeiner Sigung vom 16. 1. 1924 einffimmnig folgenden Sahresbeitrag feitgejegt: . . für die Mitglieder in den beiden Heffen, in Naffau und im Kreile Weblar: Goldmarf; | für die Mitalieder im übrigen Teutichland und in den Gebieten, die.bis 1919 zum Teutjchen Reich gehörten, forwie für Deutjchöfterreich : 3,50 Soldmart. für die Mitglieder im Ausland: 8,15 Goldmark (= /ı Dollar).
Wir bitten, den Beitrag maalee balo auf beiliegender Zahlfarte an uns einzujenden, zuzüglich 0,50 Boldmarf Nachzahlung für 1923. Wir bitten aber die Mitglieder, die irgend dazu im ftande find, dringend, über diefen Mindeftiat Hinauszugehen. Denn mir find infolge der ewigen Geldönot
eziwungen, nur das Allernotwendigite zu erledigen. Die mehrfach gefaßten
eichlüffe, unjere Fragebogen erneut zu verjenden, Werbevorträge im Lande zu halten, unfere Satungen, druden zu lafjen, fonnten aus Dtangel an Geldmitteln immer noch nicht ausgeführt werden. —
Folgende Herren jind der Vereinigung als „törderer" beigetreten: 1. Hugo Birfner, Hanau; 2, Bankdireltor H. Cornelius, Neheim a.v.R.;
3, Brovinzialbaurat Sg. Häulel, Breslau; 4. Studienrat Dr. Ph. Krämer,
Darmitadt; 5. Studienrat Prof. 2. Weber, Gießen. — Der Yörderer- beitrag beträgt da3 zehnfache des einfachen Mitgliederbeitrags (20 Gold- mark). Wir hoffen, daß jich eine größere Anzahl unferer Mitglieder findet, die dem Beilpiel der eben genannten Herren folgen. — Auf der andern Seite bitten wir die Mitglieder, die glauben, daß der Beitrag von 2 Gold- mark fie zu jehr belafte, nicht auszutreten, fondern uns einen ge= ringeren rot einzujenden; in diefem Falle ift wirklich der geringite Beitrag willlommen.
Wir bitten ferner unjere Mitglieder, vecht eifrig zu werben, Was da geichehen kann, haben einige gezeigt. Bert Dr. Sg. Walter in Groß- Berau 3.8. bat auf einer Karte 19 neue Mitglieder gemeldet. Wir danken ihm bier öffentlich! — Unfere Bitte, an größeren Orten Ort3- gruppen zu gründen, ift nur in geringem Maße erfüllt worden. Snfolge unjerer Geldnot war e8 uns nicht möglid), von hier aus das weitere zu veranlaffen. Wir hoffen aber, nad) Eingang der neuen Sahresbeiträge dieje Angelegenheit erledigen zu förmen.
Wir find gern bereit, auf Wunfch Redner für volfsfundliche Abende
nambhaft zu machen. Wir bitten wiederholt, jede Aenderung der Anjchrift dem Schriftführer [Heren Auftizinfpeftor OD. Schröder, Gießen, Kaijerallee 631] möglichit en a Immer wieder ftommt eine Anzahl Hefte als unbeftellbar 5u
Die Zeitjchrift „Volt und Scholle”, die jo beliebt geworden ift, Tann fih nur halten, wenn recht viele Mitglieder fich nicht nur als Bezieher melden, fondern aud das Bezugsgeld rechtzeitig einjchiden [Darmitadt, Schloß, Poitihedfonto Frankfurt a. Main, Nr. 67178).
Die Sammlung der Flurnamen hat aucd) in diefem Jahr Fortichritte ge= macht. &3 gingen bei dem Staatsarchiv in Darmitadt ein:
1. Die Slurnamen von Erumijtadt, Kreis Groß-Gerau, bearbeitet von Pfarrer Wilh. Schäfer, Apothelerv Donat, Dr. phil. Züder und Landwirt R. Krug. — 2. Die Flurnamen von Bornheim, KreiS Groß- Berau, bearbeitet von W. 9. Diehl, Groß-Berau. — 3. Die Flurnamen von Sras-Ellenbad), Kreis Heppenheim, von Lehrer D. Koch. — 4. Die Flurnamen von Niederbeerbach, Malchen und Franfenhaufen, von Pfarrer
10,
11,
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Hofmann, Niederbeerbady. — 5. Die geichichtlichen Flurnamen wurden aus den Quellen des Hell. Staatsarchivs für YFlonheim, Kreis Alzey, von Alfeffor Dr. Clemm, für Oberramnftadt und Eberftadt (Kreis Darmftadt) von Dr. Friedrich geiammelt.
. Für unfer Archiv war das Jahr wenig ertragreih. Wir hoffen jehr, dag
da3 neue Jahr eine Beljerung unferer mwirtichaftlichen Lage und damit auch Muße und Liebe zum Sammeln bringen wird. E3 gingen ein: Sagen aus dem Odenwald von Lehrer Fr. Mößinger, Gadernheim 1. D.; Bräuche bei der Heidelbeerernte von Aileffor Dr. Fr. Krämer und W. Braun, Friedberg, von lekterem noch ein Reiterliedchen aus Ridings- haujen; Kinderreime und Sagen gefammelt von den Schülern des Studien- rats Dr. Heymann, Gießen; Prof. Dr. Dr. Effelborn, Darınjtadt, jandte einige Zeitungsauzjchnitte mit Sagen; Bibliothefsdireftor Prof. Dr. Ebel, Gießen, jchenkte die Karten einer Gießener Wahrjagerin. — Den Herren Einjendern danten mir beiten:
Meine beiden Anfragen im vorigen Band unjerer „Blätter find von 13 Herren beantwortet worden; ich danke ihnen dafür beftens. Leider ift der Zwed der Anfrage nicht erreicht worden, weil zu wenige Antworten eingegangen find. | Beitellungen der „Blätter“ find an Herrn Dr. Rehbmann, Hilfsbibliothefar, Gießen, Univerfitätsbibliothet, zu richten. — Mitglieder, die Band I—V unferer Blätter entbehren können, bitten wir, fie uns zuzujenden, da wir nur noch) ganz wenige Stüde davon haben. Gegebenenfalls werden wir die Bände bezahlen.
Der Borftand unjerer Bereinigung beiteht aus folgenden Herren: Dr. &eorg Faber, Studienrat, VBorfigender; Prof. Dr. Karl Ebel, Direftor der Univerfitätsbibliothef, ftellv. VBorfigender; D. Schröder, AYuftizinipeltor, Schriftführer; Dr. W. Rehmann, Hilfsbibliothefar, ftellv. Schriftführer; Dr. Georg Häußel, Studienrat, Rechner; Dr. Hugo Hepding, Biblio- thefar u. Univ.=Brof., Schriftleiter der „Blätter; Fräulein B. Kalbhenn, Achivarin; Dr. 8. Helm, od. ld: Marburg 1.9., Bei- figer; DO. Schulte, Pfarrer, Großen-Linden, eifiber.
Gießen, den 18. 1. 194. Sg. Faber.
B
Deffifche Blätter für Volkskunde
(begründet von Hdolf Strack)
berausgegeben im Huftrage der beffifchen Vereinigung für Volkskunde
von
Dugo Depding
Band XXIII: 1924
a
Selbftverlag der beffifhen Vereinigung für Volkskunde Giessen 1925
Seile IT 37%
Inbalt.
Abhandlungen. Rudolf Hildebrand. Nach Erinnerungen. Bon Stadtbibliothefar i. R. . Karl J DO Qa d, Darmitadt . . o . . ® . ® « ® ®
Bauernkultur. Bon Bibliothekar Brofeffor Dr. "Beorg Roc, Gießen Kurgane und Altertumsfunde in der PVorftellung der Wolgadeutichen Bauern. Aus dem Bollsleben des Ylußgebietes mn
Bon cand. phil. Baul Rau, Saratom . . 2... ‘
Boetijche Warnüngstafeln. Bon Studienrat Profeffor Dr. dans uc a8,
| Charlottenburg - . . » » Be ee ae A er
Bermanenforjchung? Bon Brofeffor Pr: Karl Hetm, Narburg-t. 9.
Um bie Prinzipien der Volkskunde. Unmerkungen zu Hans Naumanns "Brundzligen der deutfchen Voltstunde, Bon Privatdozent Dr. Adolf ‚Spamer, Sranffurt a. M. een“
Kleine leitende
Karl Reufchel zum Gedächtnis. Bon Brofeffor Dr. Eugen Mogft, Leipzig
Den Zohannes-Segen trirtlen. Bon Pfarrer W. Hoffmann, Bechtolsheim
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110 °
Zur Gejchichte des nn Bon Brofeffor Dr. Albert Beder,
BZmeibrüden . . . i Fu u N Be Der Drache im Boltsglauben, Bon Studienrat Karl Michel, Gießen Beijpielsfprichworie in Heffen und Naffau. Von Privatdozentin Dr. Luife
Berthold, Marburg dd. » 2 2 1 nr nr ne rn. Wo werden die Pfannkuchen nur auf einer Seite gebaden? Bon Hugo
Hepding. . . u: SE Der „Wunderbrief” in den Wolgakolonien. Bon Beter- Sinner, Saratom Kleine Beiträge zu magiichen Formeln. Bon Hugo Hepding. . . . Wigand Sermohius. Bon Hugo Hepding . » . ... u Die BommaSdeen-Neckals. Bon Pfarrer Böchner, Treis a. 5 Sumda Aus dem Gießener Univerfitäts-Archiv. Von Dr. Georg Lehnert . . Über den Alpdrud. Bon Öugo Hepding . » 2: Kr er rn nn. Blumenmalen. Bon Hugo Hepding. - : >: 2 2 2...
Büherihau. E. Weiß, Tie Entdeddung des Volls der Zimmerleute (Dr. Hans Kling) U. Hübner, Die Mundart der Heimat (Privatdoz. Dr. %. Maurer) E.Och8, Proben des badischen Wörterbuchs nebft nn der rn Mundarten (PBrivatdoz. Dr. %. Mauren . . . aa
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Schleswig - holfteinijches .. Bd. 1, Lg. 1 on Dr. % Maurer). i Gr. Büers, Bollstumstunde im Unterricht der Sößeren Sehranftalten (Brof. Dr. €. Fehrle). . . rs K.D. Beet, Der Bauer und fein Vollstum (Prof. Dr. R. Selm) 2. R. Zoder, Altöfterreichiiche VBollstänze. 2. Aufl. (Lehrerin E. Spedhardt) 9. Schmidt, VBorgefhichte Europas. Bd.1 (Dr. Dd. Kuntel). . . . 8, Rütimeyer, Ur-Ethnographie der Schweiz (Dr. D.KunlelD .. WR. Schulg, Zeitrechnung und Weltenordnung in ihren übereinftimmenden Grundzügen bei den Syndern, Sraniern, Hellenen, Stalitern, Ger- manen, Kelten, Litauern, Slawen (Prof. Dr. M.BP.Nilffon) . W. Ziejemer, Tie oftpreußiichen Mundarten (Brof. &. Dinges). % Weigert, Religidfe Volkskunde (Bibliothefar Prof. Dr. Roh) . . AU. Bocd, Das fünfte Element (Brivatdoz. Dr. 2. Berthold). . .
Hilda Kol) . » a u : Ba
. Fr. Blund, Märchen v von der Ntieberelbe (Brivatdoz. Dr. y. Spamer)
E. Friedli, Bärndütich als Spiegel bernifchen Vollstums. Bd. 6. (Prof. DNB DER)... 8 ee ee
K. Reujchel, Deutiche Vollstunde im Grundriß. T. II (9. depding)
M. Haberlandt, Einführung in die Vollstunde mit bei. Berüdfichtigung
Ofterreichg (8. Hepding). . . ee an ir
Jahrbuch für Biftoriiche Volfsfunde, Bd. 1 (9. Send O2
A. Dieterich, Mutter Erde. 83. erw. Aufl. (BD. en 5 |
Kleine Anzeigen (8. Hepding) - x. 00. BR iR 9
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Kahresbericht für 1924 . Eee u. ee Mitteilungen . . 2.000.
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DBeffifche Blätter für Volkskunde Band XXIII 1924
Rudolf Dildebrand,
Nach Erinnerungen.
Bon Rarl Noad.
Der 13. März 1924, der 100. Geburtätag Rudolf Hilde- brandg, war ein beutjches Felt, dad von Peutjchgejinnten im ganzen Deutichland und darüber hinaus gebührend gefeiert worden ift. Rudolf Hildebrand, der deutfche Sprachmeifter, der Nachfolger Salob Grimm in der Reitung' des deutfchen Wörterbuch, der „‚prae- ceptor Germaniae“, ift in Hochfichulfteifen, wo feine Schüler viele Lehrjtühle der deutfchen Spradde und Literatur inne haben, von den Freunden de3 deutjchen Sprachvereins, bejonderd aber von den deut- jchen Lehrern aller Schichten al3 der Editein in der neueren Päda- gogit de2 deutfchen Unterrichts, der „die Lehrer lehren wollte, wie jie das deutfhe Wefen nad) Spradde und Geiit beijer behandeln fönnten, daß fie unjer neues Deutichland von innen hberaug auferbauen helfen‘, gewürdigt und gefeiert worden. Das Wort Wilhelm Raabe’3 aus ÜEulenpfingften paßt ganz vorzüglich auf unjeren Subilar: ‚es ift Doch der Hödhfte Genuß auf Erden, deutidh zu verjtehen”, und wie veritand Meilter Hildebrand fein Deutfh! Im diefer Zeit der fehweren Not follten wir unZ bejonder3 feiner Wirfjamfeit al3 „nationaler Seel- jorger”, wie einer feiner Schüler fein Wirken treffend bezeichnet hat, erinnern und ihm allfeitige Beadhtung und Anerkennung zu verfchaffen juchen. Auch diefe der deutichen Bollsfunde getwidnteten Blätter dürfen nicht ftillfchmweigend diefen feinen Gedenktag vorüber- geben lafjen, ohne feine Anregungen, Leiftungen und Verdienfte auf dem Gebiete der Volf3funde zu würdigen. Zuerft einige furze Mit- teilungen über feinen äußeren Lebenzlauf.
Hei. BL. f. Volkstunde Bd. XXIII. 1
u, 12
I.
Heinrih Rudolf Hildebrand — er war ftolz auf feinen Heldennamen — war am 13. März 1824 zu Leipzig geboren und brachte mit Ausnahme der wenigen Wochen Ferien feine ganze Lebenzzeit in feiner Vaterftadt zu, an der er auch mit großer Liebe hing. Sn einem Brief!) an Hoffmann von Falleräleben, der ihn um einen 2ebensabriß gebeten, läßt er fich über fein Leben aus: „Geboren bin ich in Leipzig auf der „‚Bettelgafje‘, wie fie im Bolfemund hieß, amtlich die Johannisgaffe, eine ftille, zum Zeil freundliche Gaffe mit prächtigen Spielplägen. Sch war da3 zweite von fünf Kindern, war aber in meinem 9. Yahre jchon das einzige, da alle Gefchwifter mir fo früh megftarben. So wurde ich ein wahres Angitkind. Überhaupt war der Tod und der Schreden in meiner Familie Jahre lang gleichjan heimifch ..... Der Großvater war in den Schladhttagen 1813 auf jchredfiche Weife da3 Opfer franzöfifcher Brutalität geworden, man hatte ihn mit zerjpaltenem Schädel nah Haufe gebradt, als er in feiner Eigenfchaft als Bürgergardift mit zur Berwachung franzöfifcher Gefangener auf den Kirchhof lommandiert worden war. Sein Stand war der der Perüden- macer. Auch) mein Bater, ein Schriftjeger, wußte von viel Leid in feiner Familie zu erzählen. Er war ein Wrnftädter, die zahl» reiche Zamilie Hatte dort in Thüringen in denjelben Schladittagen ihr Haupt und ihren Ernährer verloren durch da3 von der fliehenden Armee eingefchleppte Nervenfieber. Doch hinweg über dieje vüfteren Bilder. Aber fie wirkten doch mit auf mid), denn mein Vater war bon Haus aus ernit, noch erniter geworden, litt an fchwerer HHpo- Hondrie, und jo wudh8 id) in einer im Grunde düfteren Zebensans Ihauung auf. Sn mir ftritten fich früh zwei ganz verjchiedene Eeifter um die Herrichaft, düfterer, grübelnder Ernft vom Vater und eine fpielende SHeiterfeit von der Mutter, die im Grund ihres Wejens ftill heiter war; Findlich offenes Vertrauen zu jedermann, der mid) freundlich anfab, und ängftlihe Menjchenfheu. Mein guter Bater wollte mich, fein Ein und Alles, feit 1833, auf jeden Fall bor der HHpochondrie, jihern und — erzog mich, ohne e3 zu ge=- wahren, dabei zum Hypochonder. ch Habe fpäter die tiefjten Hebel
1, Eine Ausgabe der Briefe Hildebrands bereitet augenblidlicy Herr Dr. 9. Wode, Vegnig vor. — Sn dem folgenden benuße ich die beite Lebenzgejchichte für NR. 9, ein Erinnerungsbild von &. Berlit, Sonbderdruck aus den Neuen Sahrbüchern |. Philologie und Pädagogit 150. Bd. (1894) Heft 1 ©. 545 ff.
der BPhilofophie an meine Geele fjeßen müjjen, um mein freies Gemüt aus dem Schutte einer finjteren Menjchen- und Weltane- fchauung Herauszuholen. Die düjfterjten Zeiten fielen mir. gerade in die Jahre, wo andere im Morgenrot leben, in die Studentenjahre; eben da Hab’ ich auch jene blutjaure Arbeit getan, habe mich) mit Hilfe der Philofophie gleichfam felbit neu geboren. Unfere großen Dichter und Denker freilich halfen mir dabei. Sch war jehr früh in die Schule gefommen, jchon in meinem fünften Jahre und machte rajhe Fortichritte. Latein zu lernen Hatte ich fogar jchon vorher angefangen, mein Vater liebte diefe Sprache fehr; auch zum Fran zöftichen hielt er mich früh an, und id} Iernte an feiner Hand jehr früh, Bergleichungen zwiihen Deutich, Latein, Zranzöjiich anjtellen. Schon in meinem 13. ahre legte ich mir ein Heft für Sprachvergleicyung auf eigne Fauft an, da3 lange mein teuerjter, vor den Mitjchilern gehein: gehaltene Schag war. Dabei zog mich die Nachwirkung des Geiltes der Befreiungsfriege, der in meinem Vater wie in der Mutter damals noch fehr Iebendig war, früh zur Mutterfprache hin, mir fam als breizehnjähriger Ouartaner einmal der Gedanfe, ich fjollte einmal eine deutfhe Grammatik, ein deutjches Wörterbuch und eine deutjche Literaturgefhichte fchreiben; von Yafob Grimm wußte ich natürlich fein Wort, ich habe den Namen im Gymnafium erit al Primaner nennen hören. Zafob Grimm mar fehr erfreut, al3 ich ihm einmal diefen SKnabengedanfen mitteilte, der da fo merkwürdig zu einem Stüdchhen Wahrheit werden follte... .‘. Bom 12. Sahre an bejuchte Hildebrand die altberühmte Thomazfchule, an der feinerzeit 3. ©. Bad) Kantor gemwefen war. Er. hing mit größter Liebe an diejer berühmten Pflanzitätte Haffiicher Bildung, an der er dann auch fait 20 SZahre Lang bi zum Sahre 1869 al3 Lehrer tätig war. 1843 verließ er diefe Schule, um fich zur nädhlt zun: Theologen auszubilden, wandte fich dann aber hald der Philologie und Philofophie zu. Hier waren der charaftervolle große - Gottfried Hermann und vor allm Mori Haupt, der Sreund Guftanv Freytags, dem biefer in Vrofeffor Felie Werner in der „‚Verlorenen Handjchrift” ein Denkmal gefegt hat, feine Lehrer. Die Nofenthalgafje ift der Schauplag zu Anfang des Romans, in der ©. Freytag und M. Haupt einander gegenüber wohnten und Ti durd) eine eigenartige Telegraphie mitteljt der Aufftellung ver- Ihiedenartiger Bücher gegenfeitig verftändigten. Haupt war „fein Mann, er galt ihm al3 das deal eines Philologen“; er war ein Schüler von 8. Lahmann und mie diefer, jowohl auf dem 1»
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Gebiete der Haffifchen, wie dem der bamal3 gerade aufblühenden deutfchen Bhilologie gleich ausgezeichnet. Wie Hildebrand gelegent- lich erzählte, wollte er, in dies Zußitapfen jeined Lehrer3 tretend, den beiden Welten, der alten und der germanifchen, möglidjit gleich- mäßig angehören, um beide in engere Beziehungen zu bringen, ala bisher geichehen, zum Borteil unferer wahren, höheren Bildung. Erft die Fügung der Verhältniffe drängte ihn von diefem Lebenzplan ab und ließ ihn fich ganz der deutfchen Philologie widmen. 1848 beftand er mit Auszeichnung die Staatsprüfung. Namentlich feine Hauptprüfungsarbeit über feinen Lieblingzjchriftiteller Walther von der Bogelweide war ein Meifterftüd philologijhen Könnend. Die feine Abhandlung ift heute noch, ähnlich der von &. Uhland, jehr lefenswert, fie ift abgeorudt in der Zeitjchrift für deutfchen Unter» richt und ift auch) al3 Sonderichrift erjchienen.
Tach abgelegter Prüfung war er eine zeitlang an der bei Brod- haus erjcheinenden ‚Deutfhen Allgemeinen Zeitung” tätig, wurde aber noch in demjelben Sahre, von feinem früheren Lehrer, dem Direftor Stallbaum, al3 Lehrer an die Thomazfchule berufen. Hier übernahm er u. a. den beutfhen Unterricht in der Sekunde. - Sahrzegntelang hielt er damals für reifere Schüler der Sefundı und Prima ein fogen. Privatijfimum ab, worin namentlich alt» deutfche Dichter gelefen und befprochen wurden. Diefes wurde fpäter aud -für Studenten Samstagnachjmittags abgehalten, indem meilt das Nibelungenlied, oft aud) der Sachfenfpiegel vorgenommen wurden, und e3 wird jedem Teilnehmer unvergeßlich bleiben. Das ruhig dahinfließende, arbeitsreiche Leben Hildebrand3 jei hier nur furz geftreift. 1853 vermählte er fich mit einer Arnftädterin; aus Diefer Ehe entiprofien zwei Söhne und zwei Töchter. 1874 wurde jie ihm durch den Tod entrifjen. Zeit feines Lebens fam Hildebrand nicht über diefen Verluft hinaus. Wie fehr er geiftig und feelifch mit ihr vere bunden war, läßt folgendes, wahrjcheinlich in fchwerer Zeit unferes Baterlandes 1878 — fiehe meiter unten — entitandenes Gedicht ahnen, ein jchönes Zeugnis von feinem hohen Sinn, der fein eignes Weh Hinter die Pflicht ftellt, feine Kräfte den Brüdern zu widmen:
Mein Weg dur die Welt.
Sm Dunkeln fucht ich meinen Weg, Und fomme nun zur Gtelle:
Sch bahnte felbft mir Weg und Steg Geführt von ferner Helle.
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Ein matter Schein am Himmelsrand Oft nur auf Augenblide:
Doch blieb die Stelle, wo er Stand, Sie blieb dem innern Blide.
Und nun verftärft blinft mir der Schein Durch dich, du eine, meine:
Mein nicht für Hier mehr, und doch mein, Mein mit dem em’gen Scheine.
Shn feh ih Mar nun, hab ihn feit, Daß ich gern gleich Hinflüge —
Weiß doch, was mich nicht fliegen Täßt, Und wenns noch Fräft’ger zöge.
3m Fluge nicht, nur Schritt für Schritt, Rannft du ans Ziel gelangen;
"Und bringft du nicht die Brüder mit, Bit du umfonft gegangen.
Dies ift der ganze Hildebrand, zugleih ein Zeugnis feiner religiöfen und, wie wir unten fehen werden, aud) feiner fozialpolitijchen Gefinnung. Beiläufig möge hier der Wunfch nad) Veröffentlichung aud; feiner anderen Dichtungen ausgefprochen werden, „einzelne voll erniter philofophifcher Grübelei, mit oft wunderbaren Ahnungen des eignen zufünftigen Lebensfchidjals, wie Prophezeiungen befürchteter ober erhoffter politifcher Wendungen‘.
Neben feiner Lehrerwirffamkeit verwandte er jede freie Minute auf die WörterbuchZarbeit, die nad) dem Tode Jakob Grimmz ftändig wuchs und die feine Gejundheit zu untergraben drohte. Auf eine Eingabe der hervorragenditen deutjchen Profefjoren Hin wurde er von der Mitte der 60er Jahre ab von dem Rat der Stadt Leipzig in der Stundenzahl ftarf entlaftet. Im Sahre 1869 trat er al3 Gym naliallehrer zurüd und wurde nad) fünfjähriger Lehrzeit ‚„Meifter von Staat3- und Fafultät3 wegen”. Daß er ordentlicher Profejjor wurde, war ein mohlverdienter Erfolg, und er „dankte Gatt aus tiefem Herzen, nicht der Ehre wegen, jondern weil er jet nun erft aud, jeine Ruhe und Kraft gefunden — nad) zahllojen LXeiden, die nun alle zurüdtreten, wie Schatten in einem reichen Gemälde, und Licht Ichaffen helfen über das, was das Lebensrätjel ift‘. Erft jet Tonnte er ‚von jich aus, al3 dem einen Brennpunkte, in feiner Zorn ausftrahlen, was fi” alles von ausgefponnenen Fäden oder empfangenen Strahlen aus frühefter Denkzeit da gejammelt Hatte”. Hier können nun meine Erinnerungen an Hildebrand als Hochichul-
a lehrer Zeugnis davon ablegen, von der nachhaltigen Wirkung auf feine Schüler. Sch felbft, wenn von perfönlichem Erlebnis zu fprechen geftattet ift, bemahre diefe Anregungen al3 Föftlichjten inneren Bejiß. Wer die Borlefungen und vor allem da3 fogen. Privatiffimum, von dem vorhin fehon die Rede gemwejen ift, mit feiner ganzen Seele in fih aufgenommen hat und fid) fpäter in feinen Zeitungen genau darauf prüft, wird zu der Erfenntnis kommen, wieviel er diejem feinem Meifter verdankt, auf den er fozufagen abgeftimmt ijt. Hilde» brand bildete eine vorzügliche Ergänzung zu feinem Fachgenojjen, dem erften ordentlichen Profeffor der Deutfchkunde, Friedrich Barnde. Diejer überlieferte einem den derzeitigen Stand der Wiljen- jchaft bis ins Einzeljte in fließendem Vortrage, man befam ein vor«- zügliches Heft zur fpäteren Vorbereitung für die Prüfungen, endlich lernte man bei ihm da3 genaue, wiffenfchaftliche, philologifche Ar- beiten, gewijjermaßen da3 philologiiche Mifroffopieren. Hildebrand dagegen, wie einer feiner herborragenditen Schüler, der Nachfolger Mülfenhoffe auf dem Berliner Lehrftuhl der Deutjchkunde, Konrad Burdad, es treffend ausspricht, gehörte zu den „jubjeltiviten Ge» lehrten, die jemals gelebt haben, und bejaß neben dem deutjchen Sorihungzsfleiß und deutfcher Forfchergründlichfeit den grübelmdften Tieffinn unfrer großen myftiihen Philojophen”. Er pflegte oft Tchein- bar mit feiner Vorlefung nicht im Zufammenhang jtehende Ereig- nijfe de3 Tages, politifche aber auch andere, ganz aus dem Stegreif zu bejprecdhen, anfangs ftodend, dann aber in hinreißender Bered- famfeit. Wohl allen noch lebenden Hörern ded Kollegd über da3 Bolf3lied im Sommer 1878 wird noch folgendes. Erlebnis treu im Gedächtnis haften. E3 war, wenn mid; mein Gedächtnis nicht trügt, unmittelbar nad) dem Mordverjuch Hödel3 ‚auf den alten Kaifer Wilhelm am 11. Juni 1878. Da fam eines Morgens — er la nur früh von 9I—10 — 9. ganz bleidh in die Vorlejung. Zuerit bededte er, wie er de3 öfteren, um: fich zu fammeln, zu tun pflegte, dag Geficht mit beiden Händen, dann fing er, anfangs itoefend, mit verhaltenen Tränen zu fprecdden an und entwidelte feine An- jicht von der fozialen Frage, die er, wie fpäter Theobald Ziegler und Friedridh Paulfen, in erjter Linie als eine Bildungsfrage auffaßte ...... Der Riß, ber unfer Volk in zwei ungleiche Hälften fpaltet, fomme von dem Eindringen und der Aufnahme der Haffischen Bildung in der oberen Schidt. Während da3 Chriftentum und feine Bildung den ganzen Volfsförper durchdrang und fich innig mit den altgermanifchen Volfsvorftellungen über Gott und Welt
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verfchmolz, wäre die namentlich im Anfchluß an die NRechtöftudien Deutfcher in Oberitalien, insbejondere Bologna, eindringende rö- mifhe Rehtsauffaffung und, fegen wir Hinzu, aud) Die ebendaher fommende Gelbwirtfhaft, — und der damit in Bufammenhang ftehende Bruh mit dem alten deutjhen Nect, wie es fi namentlich in den Weistüimern fo jchön ausge» prägt hat, an diejer Spaltung fehuld. Diefen Rik tvieder zu Schließen, dabei Zönne jeder mithelfen. Er fchloß diefe bedeutjame Kundgebung mit den Worten Martin Luthers am ScHufje feines großen Katechismus: „ein Seber lerne jeine Leftion, jo wird es gut ine Haufe. tön”. Nicht enden mollendes Trampeln zeigte an, Daß wir bereit feien feiner Mahnung zu folgen. Im Anjchluß an die vorige Erwähnung des Privatiffimums, wollen wir noch bie präditige Schilderung feines topographiichen PBrivatijfimumd — wie er fcherzend die anregenden Ausflüge in Leipzig Umgebung nannte, bie jedem Teilnehmer noch deutlich in der Erinnerung fein werden — von einem feiner älteften Schüler, dem inzwifchen auch bahingegangenen, ®. Berlit aus feinem, bier fchon öfter angeführten, trefflichen „Erinnerungsbild Rudolf Hildebrand3“ hier herjeten: „Wie leicht und zafh und auftuend ging man in diefem auf dasjenige ein, was ihm die Hauptjadhe war, und gar mander banft e3 ihm, wenn er den Stubenmenjhhen auszog, freilich, für wen e3 nur fachwijjenichaftliche, nicht auch philofophifche, religiöfe oder fittliche Lebensfragen gab, der fam nicht in die Lage, die zarte Teilnahme ded mohlmwollenden: räterlihen Freundes jchägen zu lernen. „Da3 Befte, was einer hat, ift fein Selbfterlebtes, die Gefchichte feines Wollen3 und Werdeng‘, folde Worte öffneten ihm die Herzen, und mand, Taltes Herz Hat fein Tiebevolle3 Eingehen auf. perjönliches Leid aufgetaut und To reiche Liebe ausgejät. Gar fein und zart und großmütig mußte er da jeden in feiner Art zu faffen, indem er aus feiner Entwidlung eine Tatjfache bereit hatte, die vertrauende Mitteilfamleit hervor- lodte. Wen er einmal in fein Herz gejchloffen hatte, den Tieß er nicht leicht 108, und feiner, dem er da3 Heiligtum feine® Haufes erichloffen Hatte, brauchte an feiner Gefinnung irre zu iverden, wenn e3 mal ohne ein Wehtun nicht abging. „Dem ich dA gan, dem gan ich gar”, „was ich bin, das bin ich ganz”, war aud) hier wie fonft fein Wahlfprud. Wer fie miterlebt hat, jene Wanderungen über Wiefe und Feld, dur Tal und Flur, dem find fie unver geplih. Bei nem kühlen Trunt und einfahem YImbiß in recht romantifher Dorfichente hielt man NRaft, und bei munterer Rebe,
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heiterer und ernfter, immer lehrreidh, verrannen da die Stunden, und auf dent Heimweg im Mondenfcdein gings fingend fiber vie Wieje von Großzichocher oder von Wahren her durcch3 Rofental, er felber anhebend mit mwohlflingender Stimme da3 Träftige ‚ich will zu Land ausreiten, fprad) .fih Meifter Hildebrand‘ oder das weh- mütige Scheibelied ‚ad Gott, wie weh tut Scheiden”. Denn der Mann, der im unfcheinbaren Sprahbild die volle Poefie, in jedem ge- Iprochenen Worte ven Wechfel bes Klang3 und das Gefjek des Ahythe- mu3 erkannte, liebte Frau Mufifa und ließ fif3 Gemüt erheben bi3 zu feinem lebten Lebenstag durch Gejang und Mufif”. Zei Ihwere Schidfalsjchläge, der Tod feiner über alles geliebten rau, 1874 und in den 80er Jahren das plößliche aus dem Leben Scheiden feines älteften Sohnes, ber ein vielverjprechender Philofoph, die afadbemifche Laufbahn gerade befchreiten wollte, Tonnten ihn auf bie Dauer nicht niederbeugen. Gelaffen, zulegt fajt ganz gelähmt tat er feine Schuldigfeit bis an fein Lebensende. Einen Lichtpunft in diefer feiner legten Leidenszeit bildete die glänzend verlaufene Feier feines 70. Geburtsags. Da haben feine Freunde und Schüler aus allen deutfchen Landen, auch) aus der Schweiz, Siebenbürgen und Nordamerika gemwetteifert, ihm ihre Liebe und Treue und ihren Danf zu bezeugen. Wie Hildebrand fich felber in feiner Antwort auf diejfe Huldigungen tief ergriffen ausdrüdte, war er an diejem Tage „wie von Harmonien umraufcht”. „Mir mars”, Tchloß er feine Erwiderung, „al ob der Genius des Waterlandes felbft zu mir ipräche, iıı deffen Dienften ich mich feit meinen PBrimanerzeiten fühlte, wie Sie mich zeichnen in meinem inneren Leben und Streben, ja, ich geftehe e3, jo möchte ich fein, fo Habe id mi immer bemüht zu fein. Haben Sie Dank für den fchönen Widerflang, der da in meinen alten Tagen von außen an mid; fommt, wie ein Echo aus einen Walde.” Die Huldigung galt dem „tiefften Kenner deuticher Spracde, deutichen Fühlens, Eininen3 und Denkens und Dichten”. An jenem Subeltage hatte zum lebten Mal die volle, goldene. Sonne tröifcher Ehren diefes edle Haupt umftrahlt — nach wenigen Monden lag der reine Glanz himmlifchen Frieden3 auf dem bleichen Antlig de3 verflärten Kämpfers, am 28. Dftober 1894, einem Sonntag und dent Borabend zum Neformationsfefte, jchlummerte er in die Ewigfeit hinüber.” | | I.
Sm Folgenden wollen wir nun Hildebrand3 fchriftftellerifche Reiftungen, insbefondere die auf dem Gebiete der Volkskunde, näher
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beleuchten. Nach feiner Ausgabe de3 Sacdjenfpiegel3, die eine völlige Reubearbeitung der von Weiste 1840 herausgegebenen war, if feine erfte Hauptleiftung auf diefem Felde feine Bearbeitung ber Fortfeßung von Soltau hHiftorifhen VBolt3liedern 1856. Seit den: Jahre 1854 hatte er fich als junger Gymnajiallehrer in den Stunden, die ihm die Arbeiten für die Schule und die Korrektur des Grimmichen Wörterbuchs frei ließen, mit dem hijtorifchen Bolfe- lied bejchäftigt: er betrat damald da3 Gebiet, wie er bejcheiden an Salob Grimm fchrieb, „nur al3 halber Laie, ala Liebhaber”. Sm Februar 1856 Eonnte er da3 Ergebnis diefer Studien, „zum guten Teil die Arbeit ermüdeter Stunden‘, diefe Ausgabe den Gebrüdern Srimn: ‚als eine Heine Gabe feiner Dankbarkeit und Berehrung” vorlegen. Obwohl ein Soriher wie Rudolf von Liliencron befennt, auf dem Grunde diefe8 Buches nur fortgebaut zu Habeıt, fcheint e3 über den reis ber nädjften Fachgenojjen hinaus nicht viel beachtet worden zu fein, und doch „‚Tanrı e3 den füngern der deut- fhen Philologie wohl auch heute noch wegen der gehaltvollen, durch manche feine äfthetifche Beobachtung ausgezeichneten Einleitungen und wegen ber reichhaltigen fpracdjliden Anmerkungen al3 Lehrreiche Einführung in das ältere Neuhochdeutich, fomwie in Leben und Dent- teife jener Beit zum Studium empfohlen werben.” Bei der BDurd- ficht des GSoltau’fchen Nadjlafjes fand fi, daß nicht alles jo yge- Baltvoli war, un veröffentlicht zu werden. Nun enthielt die Samm- lung, berichtet er in der Vorrede ©. IV, faft durchaus Abjchriften von Soltau3 Hand, allerdings mehr al3 Hundert Lieder, in die hundert unddreißig fogar .... viele auch Tonnten nicht als wahre Bolkg- lieder ‚gelten oder taugten aus anderen Gründen nicht zur Auf- nadme .... Nur 45 LKieder find im Buch von Soltaus Samm- fung .... Sch will freilih auch nicht mit der Außerung zurüd- Halten, daß ich in folder bibliographifchen Neuheit — ich Fenne den Zauber de3 Wort3 „ungedrudt” in den Augen der Rritif fehr wohl — gar nicht da3 einzige Heil folcher Arbeiten erblide, weil ih an dem fchon VBorhandenen noch fo viel zu tun finde, mehr als ‚die Herausgeber mandmal zu finden fcheinen, und weil e8 mir oft fchien, al3 würden die Herausgeber nicht felten zum Nadteil der Sache zu fehr von dem Refpeft vor dem Zauberwort ‚„ungedrudt”, überhaupt zu jehr von dem bloß bibliographiichen Syntereffe be- berrfcht" — goldene Worte zur Beherzigung für Herausgeber! Diefe Sammlung enthält 46 folcher Lieder, „die bisher meines Willens nody nirgends gedrudt find und davon find nur 15 aus Goltaus
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Nachlaf, dann aber Hat mich eben diefed Verhältnis mit bewogen zur Hinzufügung erflärender Bemerkungen: Diefe follten, wenn e3 mög- ih wäre, mit aufmwiegen helfen, wa3 da3 Buch etwa von Seiten der bibliographifchen Neuheit doch zu leicht wäre.” Um das 2, Hundert voll zu machen, fah er fih nach meiteren Quellen unt. Er wandte fid) u. a. auch an den ihm durch feine Beröffentlidjungen- in der Zeitfchrift für deutfche Meythologie und Sittenfunde von RW. Wolf befannt gewordenen Großherzoglich, Heflifchen Ober- feutnant Wilhelm von Blvennies, der eine - umfangreiche Bolksliederfammlung aus dem Ddenwald zufammengebradt Hatte. Auf diefe fommt er auf ©. 33 des Borwort3 zu |predden: „Für diefe Abteilung habe ich aber freundliche Unterftügung duch An- dere rühmend und danfend zu erwähnen; vor allem. einen Beitrag von 12 Liedern, friih dem Bollsmund entnommen, den ich Herrn Wilheln: v. BI. in Darmitadt verdanfe. Derjelbe ftellte auf eine verlorene Anfrage hin mir ald einem Unbefannten feinen ganzen Vorrat zur Verfügung aus: feiner reichen Odenwälder Liederfamm- fung, ohne feinen Beitrag hätte ich die neuere Zeit nicht genügend ausftatten können”. So geriet Hildebrand mit Wilhelm von BI. in Brieftvechfel, den mir die Familie gütigjt überlaffen Hat. Ych gedenfe auf ihn in anderem Zufammenhang zurüdzulommen, wenn ich über Pl. ald Mitbegründer der befjiichen Bolksfunde Yandele. Aus dem Briefmechfel, der anfangs nur über die Volkslieder geführt wurde, entwidelte fich eine rührende Freundfchaft, die bi3 zum Tode B. v. Pl’3. 1871 vorhielt. |
Das Bolfslied ließ Hildebrand nicht mehr Los. Dies offenbarte fih, als er feine Lehrtätigkeit an der Univerfität begann. Er er- öffnete fie im Sommer 1869 mit einer Borlefung „Über ba3 iwver- dende Sntereffe für das Bolfslied und dejjen weitere Wirkung in der deutjchen Literatur”, dem fih dann im Winterfemefter eine jolche ‚über das ältere Bolfzlied‘ oder wie e3 fpäter hieß: „Das Bolfslied des 16. JZahrhundert3 in feiner literar- und kulturgefchicht- lichen Bedeutung” anjchloß. Zm Sommer 1878 hörte ich dag Kolleg, oben ift ja feine Anfprache über die foziale Frage daraus mitgeteilt. Auch der Gründer diefer Zeitfchrift, Profeffor Adolf Strad, war ein eifriger Hörer Hildebrand und hat wohl daher feine Liebe für diefe volfsfundlichen Sachen empfangen. ‚Rudolf Hildebrandz Berhältnis zum Volkslied bedeutet ein Stüd feines ethifchen Glau- ben3befenntniffes. Neben Shafefpeare war ihm, wie er einmal be- fannt hat, im Kampf um die Weltanfchauung das Volfslied, das
immer ivieder, jo oft er zu ihm zurüdfehrte, „alte, liebe, teure, heilige Gedankenmaffen in ihm in Bewegimg bradite,.... Anfer- grund der Seele"; hier mar er „ıwohlgeborgen, aud) vor den philo|o- phiichen Stürmen, die von den aufgewworfenen Fragen, fogenannten Broblemen, Zahrelang durd) dad arme Gehirn gerajt hatten . ..” Das Berarbeiten de3 oealen und Nealen in Eins, da3 „Trachten aller Runft und — des Lebens überhaupt in aller Zeit”, da3 fand er bier mehr al3 fonftwo. Sodann aber bezog er auf unfer altes Bollslied ganz befonderz, wa3 er inden „Tagebuchblättern eines Sonn- tagsphilofophen” zu Gunften jeder — nicht bloß der miljenichaft- tihen — Beichäftigung mit dem Altertum gejagt hat:. „Das Bor- Ihauen wirft Fragen vor uns auf, zum Zeil fcehwer genug, das NRüdjhauen gibt und viel Antwort und damit Tooft und Mut“. Aber nicht minder wollte der mit jugendlicher Freude in der Gegen- wart lebende und für die Zukunft wirkende Mann audy, daß „das Tüchtige der früheren Zeit Helfen folle, da3 Schlimme in der Gegen- wart zu zwingen‘. Sehr zutreffend, echt Hildebrandiih hat er es einmal in den „Gebanfenheften” (Mai 1878), einer Art Tagebuch, auzgeiprochen: ‚Seit mehr al3 30 Aahren ergößt, ja reizt e3 mich, mehr ald da3 Lied eines auch bedeutenden Dichters in mich aufzunehmen, gejfungene Lieber in ihren verjchiedenen, aud) gejungenen Geftalten zu verfolgen, zu fammeln, zu vergleichen, den Gedanfen- und Stimmungswegen barın nachzugehen, au in ihren Abmwegen. Warum? weil man da da3 Seelenleben fo und fo vieler in ihren beiten Stunden in fi nadhlebt, wieder- lebt, weil damit der Untergrund der Geele fich ausmeitet, vertieft, ftörft gegen die Angriffe des Weltnickt3 (dad allein da3 Etwas jein will aller Tage) — mich beglüdt ftill nicht fo fjehr jchon jo lange. Heute fah ich den Grund, da ich einmal auf meine alten hiftorifchen Volkslieder fam. Da ift „edle Geifterfchaft verbunden“ (Goethe 2, 356), vielmehr edle Seelenjchaft, die eigentliche Sraft, der Schwerpunft de3 Weltganzen”. Hier rühren wir an den Rern- punkt, den Mittelpunkt, von dem feine Arbeit an dem Bolfäliede, der Bolfsfunde ausgegangen if. Es it fein aus Vertiefung in die Gedanfenwelt der deutfhen Myftit erwachfener Begriff der Bolf3feele. Er jchreibt bei der obigen Stelle an den Rand: „Das ilt da3 Leben der ‚„Bolfzjeele”, in da3 und die man da als lebendiges Glied eintritt, nicht darin auf- und untergehend, wie bie abftrakten Pantheiften fürchten”. Zu den legten obigen Worten von dem „Schwerpunkt de3 Weltganzen”, macht er nod) die Bemerkung:
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„in dem allein der Fortfchritt gefchieht, nicht im Geijte. Er nennt da3 feinen Herderfchen Weltitandpunft, den er angeboren haben müßte, wie ihm jegt zum Bewußtfein fomme; „aber Goethe‘, fügt er hinzu, „hatte ihn eigentlich auch“. Durdy feinen ihm bejonders nahe ftehenden, älteften Schüler ©. Berlit, den wir in dem VBorhergehenden ihon öfter rühmend genannt haben, den Hüter de Hildebrandifchen Nachlafjes; ift aus diefen das Vorlefungsheft iiber das Volkslied herausgegeben worben: „Materialien desdeutjhen Bolf3- lied3 I. Das ältere Volkslied. Zugleich 5. Ergänzungsheft zum 14. Sahrgange der Zeitichrift für den deutjchen Unterricht 1900.” Zeider ift nur diefer 1. Teil erfchienen. Der zweite Teil über die weitere Wirkung de3 Bolfslieds in unfrer Literatur, namentlich, im 18. Sahrhundert,' fteht noch aus. An der Einleitung jagt er zu Anfang darüber: ‚Um die geiftige Bewegung ded 18. Jahrhunderts recht zu verjtehen, ift ein mwiljenjchaftlider Grund zu legen. Diefer Grund ift mit das alte Volkslied, denn an dem Umjchwung, der jih in den 70er Jahren de vorigen [18.] Jahrhundert? in der deutfchen WBolfsfeele vollzog, find nit nur die großen Pichter, fondern in3befondere auch da3 Bolfslied Tchuld..... Eine Definition, was Volkslied ei, geben wir nicht und verjuchen wir nicht: im Ihärfiten Sinne genommen, gibt e3 feine. Auch den wiffenjchaftlichen Etreit, ob e3 überhaupt ein Bolf3lied gibt, juchen wir hier lieber durch die Tatfachen beifeite zu fehieben.” In einer im Anhang wieder abgedrudten Beiprehung des Altdeutfchen Liederbuhs von rz. Böhme (S. 217 ff. a. d. Archiv |. Lit.Gefchichte VIII, 147—160) fommt er auf die Geihichte des Wortes Volkslied zu |prechen und ftellt fejt, daß es Herder zuerit in den 70er Jahren des 18. Yahrch. prägte, da3 gewijjermaßen die ganze Eindeutihung des Wortes „PBopulärlied”, da nad) dem Franzöfifchen chanson populaire ge» bildet ift. Nach einer gehaltvollen Einleitung, gibt er in den fol- genden Abjchnitten Aufjchlüffe über den Gegenja von Runftlied und Volkslied, wie in dem Volkslied Literarische Einflüffe fich geltend machen, dann über neuere Lieder, die in alte Zeit zurüdreichen, Weihnacht. lieder, volfsmäßige Umdichtung urfprünglich geiftlicher Lieder. Die ganze Kunjt Hildebrandifchen Könnens tritt uns in den Broben des älteren Bolf3lied3, befonders in dem 5. bi3 8. Ab- Ichnitt entgegen: Kranzfingen, Streit zwifhen Sommer und Binter, Das Mädchen und die Hafel, Die Rose im Volf3lied. Wie begeiftert waren wir über diefe Offenbarungen de3 alten Lebens. Hildebrand hauchte diefen alten, fcheinbar abgeitor-
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benen, oft nur Bruchftüden von Liedern, mit der Kraft feiner Dichter- feele wieder neue Leben ein, baute fie fozufagen von innen heraus neu auf, er dvichtete fie nach, daß wir unfere Freude und Ent» züden daran hatten. Bejonders lebhaft in der Erinnerung werden manchem der Hörer noch feine trefflihen Ausführungen über dag Kinderlied fein. Sn den „Materialien ftehen nur Zitate u. a. Wie er in diefe altertümlichen Erzeugnijfe des dichtenden Volfes eingedrungen ift, davon legen feine fpäteren Auffäge in der Zeit» Schrift für deutjchen Unterricht Zeugnis ab. ‚‚Ziwiegejpräd; zwijchen dem Wanderer und einem der Stare" (Beitjchr. F. d. deutich. Unterr. 2, 294f.), wieder abgedrudt als „Ein Scherzbud) aus Vollsmund, alt und neu” in Gefammelte Auffäge u. VBortr. zur did. PHilol. u. 3. difch. Unterricht. ©. 163 ff. u. Beiträge 3. deutich. Unterricht ©. 2777., dazı noh D. Däahnhardt, PVollstümliches aus dem Königreih Sadfen, Heft 2, €. 98, wo der Schüler Hildebrands aus defjen Nadhlaß eine hübihde Sammlung von FKinder- reimen mitteilen durfte. „Der Birnenbaum mit Rüben‘ |. Beitr. ©. 435. ‚Das find wohl alles Nejte des Vorrat3” an Scherzen, den einft die Fahrenden bei fich, in fi trugen und mehrten, zu- glei) als Satire und Lehre. Bejonderen Eindrud machte auf una feine interpretation von „Bauer baue Kefjel”, jest |. Zeitichr. F. deutjch. Unterr. 2,475 = ‚Ein Kinderlied mit, tiefem Hintergrunde‘ in f. Gef. Auffägen ©. 174 u. Beitr. S.33 ff. „Die Mühle ohne Frau‘. Deutlicher aus Abtnaundorf bei Leipzig, wo die Hauptjache aus- geiprocdhen ift, dort zu finden überlafjen, |. bei Dähnhardt 2, 127, Nr. 16. — Das Rofentor in Deligih (Prov. Sadjen) führt zum Rofengarten, d. h. dem Himmel, der zugleich mit dem Rofengarten . de3 Ewig-Beiblidhen in eins gejebt ift, f. bei Dähnhardt 2, 116. — Aber aud) Neues; felbjt Hochpolitifh: Napoleons Sohn, Hilde- brand Hift. Volfsl. ©. 509:
Napoleons Sohn,
König von Rom,
War viel zu Klein,
Raifer zu fein.
Sı der Leipziger Gegend zählen die Kinder fo aus, bei Dähn- Härdt 2, 154, Nr. 27. &3 ift aud) aus Aevers, wo e3 die Kinder zum Tanze fingen, bezeugt, Materialien ©. 211. |
Wie Eonnte Hildebrand fremde, fpätere Leiftungen anerkennen! Das bezeugen einige, al3 Beilagen zu den Materialien wieder nb- gedrudte „Anzeigen von ihm, de3 vorhin fehon erwähnten „Alt
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deutfchen Kiederbuchs" von Frz. M. Böhme (Archiv F. Lit.-Gefchichte VIII, 147—160), obgleich er, wie ich mic) noch deutlich erinnere, mündlich in der Vorlefung eine fhharfe Rritif an den Terten übte, der vortrefflichen Ausgabe von „Des Knaben Bunderhorn“ von U. Birlinger und W. Crecelius, und endlich der Aug- gabe der „‚Hiftorifchen. Volkslieder” von R. von Lilienceron in der Beilage Nr. 46 der Augsburger Allgemeinen Zeitung, morin er ganz bejcheiden von feinen Arbeiten a. d. Jahr 1856 jpridht (Doch blieb die geichichtliche Erklärung und Verwertung noch, ungenügend). . Bon anderen Auffägen Hildebrands zur Vollgfunde, die in den ‚„Sefammelten Auffägen” wieder abgedrudt find, feien folgende noch erwähnt: „Beiträge zur Sittengeihichte de3 Mit- telalter3, au3 der Spradhe gewonnen”. €3 ilt der In halt eines Bortrags, der auf der Philologerwerfammlung zu Han- nover 1864 in der germanifchen Sektion gehalten und dann in Pfeiffer Germania 10, 129 ff. erweitert abgedrudt wurde, |. ©. 40 bi3 64; Der Verfaffer der Chemniger Rodenphilofo- pbie, zuerft im Ardiv F. Lit-Gefh. v. Gofche I (1870), 1857., jest S.115 ff. ; Vorwort zu Albredhts Leipziger Mundart 1881, abgedr. Hier wieder ©. 122; Deutijhe Prophezeiun- genüberfieben Jahrhunderte Hin, zuerit Örenzboten 1888 3, 13ff., jebt ©. 256 ff. Endlidy fei hier noch einmal der Beitrag zu dem Bud: Volfstümlihesausdem Königreihb Sadhjen aufder Thomazfchule erwähnt: 2. Heft = Bolfstümlidjed aus dem Naclaffe von R. 9. Zum Teil Sammlung feiner Thomaner. Über die Entitehung jchidt er folgende Bemerkung voraus: „Bor Weihnachten 1853 forderte ich meine Tertianer auf, mir Kinder- reime beim Abzählen und bei Spielen beizubringen, und in furzer Beit hatte ich au8 verfchiedenen Gegenden, meift Sachjens, ein Häuf- chen Zettelchen beifammen, aus denen ich hier dad Braudhbare aus- wähle.“ - | Sest wollen wir hier auch) auf die Hauptleiftung Hildebrands, der er fein ganzes Leben weihte, die Wörterbudhgarbeit, die mühfame Einzelarbeit an dem „lieben böfen Wörterbuch”, wie er icherzweife jagte, furz zu fprechen kommen, und auseinanderfeßen, wie diefe fprachliche, wifjenfchaftliche Arbeit fchließlich auch ein Ar«- beiten für die Volksfunde gewefen ift. Hildebrand fpracdh jich über jein Berhältni3 zu feiner Wörterbuchsarbeit außer in feiner An- trittävorlefung 1869 über da3 Grimmifhe Wörterbuch, bejonders in einer einjtündigen, öffentliden Borlefung über Etymolov«
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gie eingehend aus. Mit dem Fraftvollen Wort aus Platos3 Kra- tylo8: ös dv ta dvonara elöf;, eioctaı xal Ta Tpayata begann er feine Augeinanderfegungen, erklärte die Etymologie al3 die Wiljen- Ichaft vom wahren [Sinn der Wörter], wie e3 die Sofratifer aus- neprägt, und erläuterte dann an ausgewählten Beijpielen feiner Wörter- buch3arbeit, wie man durch genaue Erforfchung de3 Etiymons auch über die Sache, die Dinge näheren Auffchluß erhalten Fönne. Wir wollen hier einige Hildebrandifche Glanzleiftungen von Etymologien und zivar folche, die für die VBolfsfunde wichtig find, betrachten. So vor allem. feine Deutung des Wortes Kobold, das Jakob Grimm no in feiner Deutfchen Mythologie ©. 286 al3 aus dem griechijchen xöBakoc, lat. cobalus (entnommen aus Lobed Aglaophamus 1308 bi3 1328), mitellat. gobelinus, franz. gobelin entfprungen annahm. Diefes echtgermanifche Wefen tonnte doch unmöglich mit einem Fremd« wort bezeichnet. werben. Hildebrand teilte und nun mit, wie er von der Beobachtung ausging, daß dad Wort im mhd. Berje mechjelnd betont ift, was darauf Hindeutet, daß e3 zufammengejegt ijt. „Der Snhalt unjeres Wortes aber ift fo durchaus heimisch und murzelt in ber eignen Borzeit, der Hausgeift erjcheint noch heutigen Tages jo fehr als eine mit gemütlicher Neigung gehegte Geitalt, daß die Einführung eines fremden Namens dafür und das Preisgeben eines alt überlieferten mir undenkbar ift.” Im agf. wird „lares‘ mit „cof- godu“, ebenfo „penates“ überfegt. Die Kobolde find aljfo urjprünglich Götter, die des innerften Hausraumes —= agf. „cofa“, de Haufes walten.” Das agf. „cof“ ift no) in unferem nhd. Koben = Stall, Berjchlag, Kaften, Hütte, vgl. Schweinefoben, jchwed. „kofva“ = Hütte. Das —olt enthält wohl da3 — malt, Her— old = Heer—walt. Der Sinn ift aljo der Sahe durhaus entjprehend = der Geilt, der im Haufe waltet. Bon dem Bucdjftaben KR, den Hildebrand ganz bearbeitete, jei Hier nur noch feine Herleitung de3 Wortes KRunmer beiprodden. Hildebrand meift nad, daß die nhd. Be= deutungen aus der Nechtöfprache jtammen. Die urjprüngliche, jacj- liche Bedeutung war Schutt, zufammengefchättete Steine, Baufchutt. Dies ift befonderd aus den Nheinlanden bezeugt. Sn Kurheffen ift nady Bilmar, Heil. Jdiotilon ©. 232 Kummer in der Bedeutung Baufhutt fo ausschließlich üblich, daß Schutt Faum verjtanden wird. Bie nun aus diefer realen Bedeutung der rechtliche Begriff Arreft fi entwideln Tonnte, zeigt Hildebrand an folgender Stelle: „Die Sade tritt innerlich und äußerlich Mar vor in folgender malerifcher Stelle au einem Weistum de3 16. Jh. von der Mofel: „‚vort fo weift
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der fcheffen, ob fach were dafz ein fhiffman fome und einer nachfeme oder hie were, dem der fdhiffman fchuldig were, folle derjfelb (= der Gläubiger) zu dem pruemfchen meier (= dem Meier der Abtei von Prüm in der Eifel) gehen, derfelbe ime den gerichtsboden umb feinen Iohn Tiehnen, und fo ber bot dem jchiff alfo nach Teme, das er feine Hand uf die pliht (= da3 Ded) legen möcht, folk das jchiff damit gehelligt und gelommert fein, jo aber fach wmere, da3 der jchiffman feine unfhuld don wolt (= die Schuld abjchwören) foll m. 5. meier machen ein ftehend gericht (= ftehenden Yußes Gericht halten) und foll inen lafzen Tommen die heiligen (= Re liquien zur Eidesleiftung darauf) uf dem pligt, ijt der jchiffman dan aljo gedorft (= zuverfichtlidh), dajz er vor der jchuld jchweren mag, jo folle der fommer damit entjchlagen fein”, Grimm, Weisth. 2, 316. Der Kummer ift die vorläufige Beichlagnahme der Habe de3 angeblihen Schuldners, ausgeführt im Namen des Gericht3 oder Gerichtäheren von einem Bevollmächtigten desfelben.” Nun ent- widelt er überaus fein, wie aus dem urjprünglich ganz finnlichen Auzdrud ein Grundftüd „befummern” — 3. B. durd) einen auf- gerwworfenen Graben feine Benugung verhindern, ganz allmählich der Nechtöbegriff Arreft geworden und daraus die abitrafte Bedeutung
des Kummer, wie fie jest im Deutfchen fich durchgefegt hat. Der Ab-
Ihnitt „Rummer” im Grimmifhen Wörterbuch Tieft fich tie eine Ipannende Erzählung. Aus dem anderen von ihm menigjtens teil- weije bearbeiteten Buchjtaben ,‚&’ mögen nur die Worte: gar, Garn, gerben herausgegriffen werden. Die allen diefen Worten zugrunde liegende Wurzel hat Hildebrand in dem an. „görn“, lit. „Zarn" [altind. hir4] bioßgelegt, die Darm bedeutet. Da3 Garn war aljv urjprünglic aus getrodneten PDärmen gedrehte Schnur. Shre Herrihtung = „gar—avjan“ = gerben, gar — bereitet, fertig. Er verfolgt nun die Wurzel im Sndogermanifchen meiter im lat. „haru-spex“ = der Wahrfager, „haru“ ift nun der Begriff = Eingemeide, au3 denen gemweisfagt wird; ferner griech. — xopön = die Darmfaite, daraus herübergenommen lat. „corda“ = der Strid, die Schrur,. von diefer wieder fommt dad nur in Weft- deutijhland, am Rhein, d. H. in den urfprünglich einmal von den Römern bejegten Gebieten übliche Wort Kordel, das fchriftdeutich = Bindfaden ilt. So fann man dur) die Entzifferung diefer Worte einen Blid in die Urzeit werfen, bevor die Gefpinftfafern und ihre Bearbeitung und Verwendung unfren Vorfahren befannt waren. End- lid) jei noch feine Erflärung der Worte gelaffen und Gelaffen-
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heit erwähnt, die er al3 aus der Sprache feiner über alles geliebten Moftiter Herftammend aufzeigte. Er jagt Wb. IV, 2864: „geläzen heißt eigentlich der, welcher die Welt und fich jelbft gelajjen und fi) Gott gelaffen hat, alfo' der Begriff nach zwei Seiten gerichtet, eigentlih auch nach zwei verjchiedenen Bedeutungen von Tafjjen, von denen bald die eine, bald die andere mehr hervortritt.” Das belegt er nun alle mit Stellen aus den Schriften von Cdhart, Tauler, der Margaretha Ebner u. a. Andächtig laujchten wir folchen Offenbarungen. ch erinnere mich noch deutlid, daß cr damals fagte, er Habe fich vorgenommen, wenn ihm einmal die nötige Mufe zur Verfügung ftände, wollte er ein Büchlein über die re- ligiöfen Niederjhläge in: der deutjfhen Sprade fhreiben. „Wenn mich) das böfe Wörterbuch) einmal dazu fommen läft.” Sch erinnere mid) noch, wie er kurz auf da3 Wort „Gott“ einging, das er mit „gut” zufammenbradte. Damals etiwa hatte der Königsberger Germanift DO. Schade dad Wort mit dem Worte „qvadäta“ de3 Zend zufammengeftellt.t) Hildebrand fam aber nicht einmal dazu, da3 Wort Gott für da8 Wörterbuch zu bearbeiten. Dh er Vorarbeiten für diefes Werk, deffen Bearbeitung eine Liebling3- idee von ihm war, Hinterlaffen hat, weiß ich nicht. Auch in dem töftlichen, von G. Berlit „Rudolf Hildebrand, Gedanken über Gott, tie Welt und da3 Sch” aus Tagebüchern zujammengeftellten Wert fteht Ffaum etwas darüber, obglei er auf ©. 128ff. fehr feine Bemerkungen über ven „Rüdmweg zu Gott, An Gottdenten, Sottvertrauen u. a.” im Anidhluß an Meifter Edhart und andere Myjtiler macht. Das ‚Büchlein wäre übrigens wohl ein gar ftattlihes, umfangreiches Buch geworden. Sein Nadjfolger in der Wörterbuchdarbeit, der Fortfeßer des Buchftabens „S”’ Her» mann Wunderlich, befennt in dem Vorwort zum IV. Bb., daß e3 ihm unmöglich fei, die Arbeitsweife Hildebrand3 fortzufegen. „Mau fennt die feine Linienführung feiner Hand aus jeder Probe im Wörterbuch heraus, aber mer wollte fie) getrauen, die Eigenart diefeer Darftellung nur naczuahmen? Wer mollte e3 imagen, die Wege, auf denen ihn die Erfahrung eines reichen Leben3 ficher geleitete, nun ohne diefe Führung zu wandeln?” An diefer Stelle jei einmal wieder öffentlich der Wunjch ausgejprochen, daß das Grimmifche Wörterbuch wieder mehr gelefen werde nicht bloß von Lehrern, fondern, wie e8 Salob Grimm vorfchiwebte, daß der Haus-
1) Vergl. übrigens dazu I. Grimm, Deutfche Mythologie It, S.14. He. BL. f. Voltsltunde Bd. XXIII. 2
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vater abend£ in dem Kreis der Seinen daraus vorleje, wie aus der Bibel oder einem unsrer Haffiihen Dichter. Welcher Genuß it es, die Hildebrandifchen Artikel, die fich oft zu fleinen Abhandlungen ausmwachfen, befinnlich durchzulefen. Hildebrand hat, um ein Wort Wilhelms von Ploennies aus feinem Briefwechjel mit diejem hier anzuführen,: aus dem Wörterbuch einen „Wortgarten” ge- Ichaffen, in dem e3 fich gemütlid wandeln läßt nach des Tages Loft und Mühe. Al3 Beifpiel, was alles darin zu finden ijt, jei der: folgende Abjchnitt aus dem Vorwort zum V. Bd. hierher gejegt. Hildebrand Schreibt da im Mai 1873: ‚Das Wiedereritehen der Kation hängt in der Tat mit an dem Gedeihen und der Wirkung der deutjchen Philologie überhaupt und nit am menigiten unjere3 Werks. Staatsfunft und Kriegsfunit und Tapferkeit haben endlich dem franfen und verfümmerten Baum der Nation wieder Spiel- raum und Yuft und Licht gejchaffen; die Gejchichtämwifjenichaft Tehrt die werdenden und Fünftigen Gejchlechter, wie er zu behandeln iit, daß er nicht weiter verwachje, daß er fortan mehr fo wachjen Tünne, wie er von Haus aus will und immer wollte; aber den Saft, aus bem fein rechtes Leben quillt, den hat die deutjche Philologie wieder flüffig zu maden, d. 5. das Bewußtfein und Gefühl der eignen deutfchen Art und diefer Lebenzfaft quillt am reinften und volfiten in dem Schaghauje deutfcher Sprache, wie wir e3 aufzugraben bee fliffen find. Oder um an ein Fräftiges Bild Lutherd anzufnüpfen, der einmal über Tifche äußerte (Tifchreden 4, 662 Förft): „„Deutjche land ift wie ein fchöner meidlicher Hengeft, der Futter und ulfes gnug bat, mwa8 er bedarf, e8 fehlet ihm aber an einem Reiter” — nun da der Reiter endlich Fam, ift e3 nötiger als je, für gejundes Zutter zu forgen, und das hat unmittelbarer al3 irgend eine andere Arbeiterin im Haushalte der Nation, die deutjche Philologie zu liefern, unfer Wörterbuch aber ift der reichfte rechte Futterjpeicher.‘
Auch jei hier noch auf die reife Frucht feines Alters, die unter den Titel „Zagebudblätter eines Sonntag3philojo- phen’ gejammelten Grenzbotenaufjäße (1896 erft erjchienen), ver- wiejen. Diefe enthalten. auc) manches für die Volkskunde Wichtige, jo vor allem: Prophezeiungen, Gute alte Zeit und Fortjchritt und „Aus der Gejchichte unferer Sitte, zugleich zur Fortfchrittsfrage” und der eigenartige Wunfchzettel an den ZBeitgeift. Endlich darf eine Würdigung feiner Leiftungen nicht vorübergehen an dem Werk, dag G. Berlit aus dem unerfchöpflichen Nachlaß 1910 bei E. Diede- rih3 in Jena herausgegeben hat: Rudolf Hildebrand, Ge-
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danften über Gott, die Welt und da3 Id. Ein Ber- mädhtni3, die Handfehrift führt die befcheidene Benennung: Ein- fälle, Gedanfen und Fragen. Diefe Gedanken bilden da8 Sundament von Hildebrand Leben und Werk.
Berlit, der treue Hüter von Hildebrande Nachlaß, jagt in feiner Einführung: „Wenn man ihn den fubjektivjten Gelehrten (f. oben ©. 6 bei 8. Burdadh) genannt hat, fo liegt darin ein Vorzug ausgeiprodhen, daß feine gelehtten Arbeiten aud) dann ihren Reiz noch behalten werden, wenn ber Inhalt an Wilfen längft Gemeingut geworden ift. Denn Hildebrand war mehr als ein Gelehrter. Der Gelehrte umfaßte ja unendlich viel, und in alle Dinge, die er in den Kreis feiner Betrachtung gezogen hat, drang er fo tief ein, ivie e3 deutjher Gründlichfeit und jelbftverleugnendem Sinne möglich ift, aber nicht vielen feiner nächften Fachgenofjen vergönnt mar. Dod) die Tatfahen an fich, fo fehr auch ihre erakteite Erforfchung ihm am Herzen lag, waren e3 nicht, denen er bie Hhöcdjite Bedeutung beimaß: vielmehr fchäßte er fie erft in ihrer Beziehung auf Die Bildung und Veredelung de3 ganzen Menfcdhen und infofern fie Duellen waren aus denen neue Leben hervorftieg.”
Zum Schluß möge nod) der Hoffnung Ausdrud gegeben werben, daß der Geift Hildebrandiihen Forjchend, Denkens und Fühlens in dem zweiten Jahrhundert immer mehr walte und mwirfe in un- jerem geliebten Baterlanod.
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$Fükenbüßer.
Pie Bommosdee”-Neckols. An die Stelle, vo jeßt durch) Ausgrabungen die jteinzeitliche Anfiedlung bei Treis a. d. Qumda feitgeftellt wird, knüpft fich folgender Bolfsglaube: Wammar von Anndorf uff Traäs git, da muss mar siy eila, dess mar nit in di Dunkalhät kimmt, sonst $bringsa eim di Bom- m3Sdee”-Neckals uff da Bucksal.
Treis a.d. RL. Pfr. Böhner.
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Bauernkultur. Bon Dr. Georg Kod, Siepen.
Dak das Heutige Bauerntum feine einheitliche und eindeutige Erfcheinung darftellt, daß e3 nur zum Teil aus fich felbit, zum andern Teil aber au8 der Einwirkung einer bewegten Zeitfultur zu begreifen ift, wird in unferen Tagen oft genug ausgejprocden. Aber diefe billige Beobadhtung ift nur allzu geeignet, an dem nicht einfachen Problem des Bauerntums überhaupt und vorüber zu führen. Tieferent Zujehen muß nämlich bereit3 da3 alte, überlommene Baus erntum al2 eine nicht einheitliche, fondern aus weit done einander liegenden Elementen zufammengefeßte gejchichtliche Erjchei- nung fich offenbaren.
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Wir verfegen und zurüd in die ferne Zeit, da unjer deutjches Bolf aus dem Zuftand des Umbherjchweifend in den der vollen Seh- haftigfeit überging, aus dem Säger- und Hirtenvoll zum Banern- volf fid) entwidelte. Damal3 ift in der Seele diefer einfachen Menjchen eine Umtmälzung vor fich gegangen. Sie fam damit, daß ihr Leben nun begann, mit dem Zwedbemwußtfein fi) zu erfüllen. Der vorbäuerliche, der primitive Menjch führte im mefentlichen da3 forg- Iofe Leben de3 Augenblids. E3 gab eine Zeit, da nährte er ji von den Beeren und Wurzeln der Wildni3, von Jagd» und Filchereie- beute. Sein Borjorgen beftand in der Hauptjacdhe au3 dem Sammeln de3 Winterborrat3. Sm übrigen führte er das paradiefiiche Leben der Zmedlojigfeit oder doch wenigftens fehr furzfriftiger Ywede. Ein jeglider Tag forgte für da3 Seine. Lebendgrundlage aber ivar die „Bärenhaut”. Das Leben fonnte natürlich nicht nur Muße fein, aber eö wurde im mejentliden aus der Muße heraus gelebt. Je weniger der Wille dad Ganze zu umfjpannen braudte, um fo un- geitörter konnte Trieb und Gefühl fich ausbreiten. Ye weniger Zived, je weniger Rationalität, um fo mehr Unmittelbarfeit, Seele, Kinppeit. Der vorbäuerliche, der primitive Menich ift Kind, Iachendes, mei- nendes, liebendes, zürnendes: fühlendes Kind.
Die Siedelung, der Pflug, da3 Säen, Säten und Ernten be- deutet den Übergang aus dem Kindesalter ins ernite Mannesalter, in das Alter der mweitausfchauenden Zwede, der Berechnung, der Borjorge und Verftändigkeit. Das ganze SYahr, ja in der bald auf fonnmenden “Preifelderwirtfchaft drei ganze SZahre ftehen vor dem
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Auge de3 Landmannes. Seht weiß der Menjch im Frühling des eriter. Kahres, was er im Herbit des dritten von jeinen berfijiebenen Teldern ernten will.
Und die Ernte wählt ihm nicht in den Mund. Sm Scheiße des Angefichtes will fie erarbeitet und verarbeitet fein. Schweiß aber riecht nad) Zwed, nad) Wille. Das Bauerntum it der Auszug aus dem Paradies, dem zwedireien Kindheitöparadie3 der Menjd- heit. Er lehren e3 fchon die erigen Blätter der Bibel. Die Bärenhaut verfchwindet. Und mit ihr fchwindet die Muße, da3 Träumen, Dichten, Spielen; da3 ungehemmte Fühlen, da3 Leben ber überwiegenden Triebe. Im Bauerntum, das .den fchweifenden Urmenfchen über» windet, erhebt fih fiegreich der Wille über die Seele.
2.
Das bedeutet eine völlige Umgruppierung der jittliden Werte und Wertfhägungen. Mit dem Welttage, an dem die ländlihe Kultur zur Bauerntultur fi) geitaltet, treten an bie Spike der Wertorbnung alle die Tugenden, die wir al3 Kinder de3 Bmedes, Kinder des Willend bezeichnen fönnen.
DObenan fteht der Fleiß. Fleiß ift bäuerlihe Kardinal- tugend, noch heute, ift eine Tugend erften Grades auf der Stufen- leiter einer zwedhaften Lebenswertung, wie fie dem Bauern eigen ift im: Unterfhied vom primitiven Menfchen.
Aber der Bauer lebt ja nicht mit feinem Ader allein. Er jteht in täglicher, engfter Berührung mit den Dorfgenoffen. Sein Ader Liegt in der Regel in Gemenglage mit den Adern der Nachbarn. Er jteht mit feinem Befiß in der Dorfgemeinjchaft. Um das Wefen der Porfgemeinfchaft richtig zu verftehen, gilt e3 natürlich ganz abzujehen vom Gemeinjhhaftsgedanfen unferer Tage: von Gemein- haft als innerer Verbundenheit, al3 Einung der Seelen. Die bäuer- lihe Dorfgemeinfchaft bedeutet zunäcdhft nur ein Nebeneinanderwohnen und ein Neben und Miteinanderarbeiten. Sie ift Gemeinfchaft nicht aus freier Wahl der Seelen, jondern aus Notwendigkeit, Gemeinfchaft zunächjit äußerer Art. Auch gemeinjame Penkart, gemeinfame An- liegen, gemeinfame äußere Erxlebnifje fchliegen ja an fi) noch nicht Seelengemeinfchaft ein. Sm Gegenteil: je enger die äußere Ver- llechtung, um fo ftärfer erhebt fich im Einzelnen da3 Bedürfnig nad) Abgrenzung gegen die Andern. €E3 ift doch wohl ein Gejeg menfchlichen GSeelenlebens, daß nur volle Seelengemeinfchaft
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volle Lebensgemeinfchaft ertragen würde. Das hohe Hoftor, das auch die bisher offenen Bauernhöfe immer allgemeiner gegen Die Dorfftraße abjchließt, foll ja nicht fo jehr den Dieb fernhalten als den Blil des Nachbard. €3 ift die Reaktion des Einjamfeit3bedärf- niffes gegen die Beläftigung durch allzu enge räumliche Verbundenbeit. —— 65 ift da3 Leben de3 Bauern, bei aller befannten Gemeinjamtleit und gegenfeitigen Aushilfe, im mejentlichen auf Abgrenzung ein- geftelft, nicht auf Abfonderung, abergod auf möglichjte Abgrenzung innerhalb der Dorfgemeinfchaft. Er lebt in einer fteten, ftillen Defen- five, — eine Haltung, die der Städter viel weniger, der zwijchen Fremden: mohnende Großftädter vielfach überhaupt nicht Fennt.
Diefes Bedürfnis nad) Abgrenzung ift felbtverftändlih am ftärkften dort, 104 des Bauern Lebensgrundlage ruht: auf dem Boden von Adler und Eigen. Nirgends fonft im DBolfsleben jpielt die Grenze eine foldhe Rolle al3 in der Dorfflur. Der Grenziteinver- rücder mußte früher mit dem eigenen Kopf unter dem Arm nächtens wandern, bis ihn das rechte Wort erlöfte. Was Grenzziehung heute ıtoch bedeutet, weiß jeder, der eine dörfliche Feldbereinigung erlebt hat. Vorausfegung aller erfprießlichen Bauernarbeit ift ja Ord- nung, bot allem der Eigentumsverhältnijfe. Aber dann: ift es auch Drdnung der Arbeit felbft. Man Tann nun einmal nicht im Sommer jäen und im Winter ernten. Ewige Naturordnung verlangt Einordnung. Und e3 geht nun einmal nicht, daß einer fein Heu macht, ehe der Bürgermeifter den Wiefengrund aufgetan hat, und dem Nachbar über die ungemähte Wieje fährt.
Ev wird neben dem Fleiß die Drdnungzur Orundtugend des Bauern. „Ein fleißiger und ein ordentlicher Mann”, das ift allerhöchites Lob. Gerade der Gebrauch des Eigenjhaftswortes „‚ör- bentlich” zeigt, wie wir hier vor dem innerften Rernpuntt bäuer- licher Ethik ftehen. Diefes Wort hat im Bauernmund eine geradezu umfaffende Bedeutung. Ein „ordentlicher Mann ift nicht nur ein: Dann, der feine Saden in Ordnung Hält; zu einem ordentlichen Manı gehört au), daß er die Seinen gut behandelt, mit den Leuten lich verträgt, daß er nicht ftiehlt und nicht betrügt, Turz: daß er da Ganze der göttlichen Lebensordnung anerkennt.
Wir tun hier einen Furzen Blid Hinüber in die Welt de3 tädtifch Gebildeten. Wie ganz anders fieht er ins Menfchen- leben! hm ift der jchlechthin wertvolle Menfch der geiftig Reiche, der Tiefe, der Kämpfer um einen geiftigen Lebensinhalt: der Menjich etma nach Fauft — oder nach Paulus: „Sch vergeffe, was Dahinter
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it, und ftrede mich nach dem, da3 da vorn ifl“; der. Menfch der Sehnjucht, wie das befannte Bild von Hand Thoma ihn ung zeigt. Auf alle Fälle ift e3 ein Inhalt, ein geiftiger Jnhalt, in dem der Wert des Menfchen ruht. Dem Bauern ift e8 nicht fo jeher Inhalt als Form, die rechte Form, rechte Ordnung de3 Lebens; die rechte Stellung zu den göttlichen oder fonjtwie objektiven Normen. der Welt und des Lebens, — zu einem Außen, nicht einem Innen.
Der moderne Stadtgebildete will Gärung, der Bauer fragt ach dem feiten Reifen um da3 Faß. Nie wird er wie jener von heiliger Leidenschaft reden, wohl aber von Heiliger Ordnung: Gottedordnnung, Gemeindeordnung, Feldordnung. E3 find geradezu entgegengejeßte Wertungen, nicht notwendig feindlich, aber ftet3 polar entgegengejeßte. Wir kehren zu unferm Ausgang3punft zurüd. Der Bauer braucht bie Ordnung, weil ohne fie ein Leben weit außfchauender Zwede, wie er es führt, nicht möglich ift. Und weil fein Leben wefentlich aufgeht in diejfen Zmeden, in feinem Adermwert, deshalb ift ihm ‚Ordnung nit nur ein Gutes, jondern das zentrale Gute, falt da chledthin Gute. Einem Leben in BZmwedhaftigkeit, "einem rational aufgebauten Leben ilt der überragende Wert der Ordnung DT kann)
3.
Selichert aber werden nun die heiligen Ordnungen dbe3 Lebeng, foweit fie in Menfchenhand Ba ducch zei Dinge: durch; das Recht und burd) die Sitte.
Bir dürfen hier dem’ Rechtähiftoriker nicht ins Amt greifen, fonjt würden wir jagen: Nicht die erfte Schöpfung des Rechts, aber feine Heiligkeit, fein Pathos verdankt die Menfchheit dem Bauern- tum. Belannt it die Prozeffierwut in vielen Bauerndörfern. Hinter ihr jteht etma3 von Kohlhaas’fchem Nechtöftarrfinn. „Was Necht. ift, muß; Recht bleiben”, das fchallt wie ein Schlachtruf. Der Bauer Ipricht, wie wir fahen, von einem „ordentlichen Mann. E3 Klingt einen Ton tiefer, inniger, wenn er, in gleiher Bedeutung, den „rechten“, den „gerechten Mann preift. Rarl der Große zählt befanntli” unter die Heiligen. Dem Bauerntum ift er heilig ge» worden ald mächtiger Schirmherr des Rechts. Wir erinnern ung an das Schwert Karls de3 Großen in Immermannzg „Oberhof“, das als Kleinod gehütete Heiligtum des trefflihen Hoffchulzen. — „Er verjprad), zu Ichüben das heilige RN drum woll’n wir ihn auch lieben recht”. en
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Wie ftarf alles tiefere Denken des Bauern vom Rechtögedanfen durchdrungen ift, zeigt fich in feiner Srömmigfeit. Über ein Sahrtaufend ift es, daß er fih zum EChriftentum befennt. Er beugt ih in Ehrfurcht au) vor der Geftalt des gejhichtlihen Chriftus. Aber bei alledem fteht die große Mafje de3 Bauerntum ziveien der . innerften Lebenögedanfen biejes Chriftus bis heute ohne rechtes Ber- ftändnis gegenüber: dem der vergebenden Sünderliebe und dem der Freiheit vom VBuchftaben des Gejeges. Die tiefite Triebjeder in Sefu Rampf gegen die Gejebesmächter feiner Zeit ijt der großen Mehrheit des Bauerntums bi3 heute verborgen geblieben. Und das Urteil de3 Bauern über den gefallenen Menfchen ift fait immer hart. Seine Religion ift, nicht dem Wortlaut, wohl aber dem Wefen nad, Die des Gefebes, der Gebote: Religion da3 göttliche Recht, die heilige Gottesordnung über dem. Menfchenleben. ‚Türchte Gott und halte feine Gebote, denn das gehört allen Menjchen zu”.
Der Kenner vorchriftlicher Religionsgefchichte beitätigt uns, daß in der Srömmigfeit de3 primitiven Menjchen dem Gefühl, dem ruhigen oder leidenfchaftlichen Gefühl, bis hin zur Myftik, eine weit : ftärfere Bedeutung zulomme ala in der Religion des Bauern un- jerer Tage. Das Element der Myitik ift in der typifch bäuerlichen Frömmigfeit, jo meit ich ehe, nur fehr fchmach vertreten. Geht begreiflich, denn Myftik ift zmedfrei, ift irrational, Bauerntum aber it wmejenhaft zmederfültt, ift Nationaligmus, auch“ Dort, io e3 die Lehren des Katechismus unverändert bewahrt. Das erfte Kennzeichen de3 Nationalismus ift ja nicht die Kritif, fondern die NRihtung auf das Berftandesmäßige, Nüchterne, Zwedhafte. Myitil aber Iebt nicht nur in der Frömmigkeit fehr vieler Primitiven, fie ift auch die beliebtefte Yorm der neu erwachten Neligiofität in den Kulturvölfern unferer Tage. Mit das Befte gerade modernfter Runft ift au Mpftif -gefloffen. E3 ift wichtig, hier da3 Zufammen- Mingen tiefiter Töne aus der primitiven mit foldden aus der ına dernen Welt zu beachten. VBorbäuerliche, noch nicht Tandgebundene Trömmigfeit findet fich zufammen mit nachbäuerlicher, wieder vom Land gelöfter, gegenüber der fo ganz anders gegründeten bäuerlichen Religion. Das zmwedbeitimmte, rationale Bauerntum fleht gefchicht- lich mitten zwifchen einem naiv ziwecreien, gefühlsbeftimmten Ratur- menjhentum und einem bewußt ziwedfreien und gefühlsbejtimmten modernen Kulturmenjchentum. ‚Das Gefeß ift dazwifchen Herein- gefommen.” Wir fehen deutlich: der Bauer ift-ganz und gar nidt der urjprüngliche, der Naturmenfch, fondern da3 Ergebnis einer
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Sahrtaufende alten, ftrengen und herben ulturarbeit, rationaler und Willenzkultur. Der Rouffeaufhüler . mag den Urmenjchen in irgend einem Canadien fuchen, im deutjhen Bauerndorf twird er ihn fo wenig finden mie in der deutfchen Stadt. Wa3 den Bauern vom Baradiefesmenjchen fcharf feheidet, ift eine neue, grundjtürzend neue Bedeutung von Zwed, Ordnung und Nedt.
Das Recht, fo fahen wir, fihert dem Bauern die unerläßliche Ordnung. Denfelben Dienst Leiftet ihm die Sitte. Wir brauchen
oe dabei Dafein und Bedeutung der Sitte auf vorbäuerliher Menfch- heitöftufe direchaus nicht zu überjehen. Das Leben des Nomaden ift ja vielleicht noch ftärker ala da3 de Bauern von der Sitte getragen. Aber während moderne Stabtlultur dazu neigt, Sitte aufzulöjen, zeigt Bauernkfultur zu aller Zeit da8 Beftreben, Sitte nicht nur zu bewahren, fondern auch felbitändig neu zu bilden. Das Lebenägejeg bäuerlichen Dafeinz, die Orbnnungsidee, drängt unabläjfig in diejer Richtung. — €E3 ift Hier nicht möglich, auf die bäuerlicde Sitte in ihrer ganzen Mannigfaltigfeit einzugehen. Wir bejchränten und auf ein Gebiet, da3 bejonders geeignet ift, in unjerem Zujammenhang die Seinheit überlieferter Bauernkultur und ahnen zu Lafjen.
Wir fahen bereit3, wie die räumliche Enge der Dorfgemeinfchaft den Bauern dazu drängt, fi und da Seine gegen den Nachbar abzugrenzen. Diejes Bebürfnis nach Abgrenzung, nad) Abitand, be- ftimmt nun aud) die Formen des dDörflihden VBerfehr3. Der Verfehr de3 Bauern mit Seinesgleichen ift nämlich im allgemeinen ganz und gar nicht frei und ungezwungen, er ijt die weniger al& der zwilhen Befannten in der Stadt. Er erinnert viel mehr an den Berfehr, wie altadelige Häufer ihn unter einander pflegen. Es yibt aud) da ein richtiges Beremoniell, und vielfadh ein überaus feines und zartes. | Ä
Wie fein abgetönt und damit wie perjönlich erjcheint doch der bäuerlihe Gruß gegenüber dem eintönigen und unperfönlichen „Suten Tag” de3 Städterd! Dörflicder Anftand ift, im Gruß Die augenblidliche Lage des andern mitzuerleben und zum Wusdrud zu bringen. Wir alle grüßen ja ben, ber vom Kirchhof Tommt, ander3 al& den, der zum Tanz geht. Der Bauer unterjcheidet Hier nur nod) viel feiner.
Dder ein anderes Beifpiel feiner Umgangzfitte: Kein Bauer, der in einer beitimmten Abficht in ein andere® Haus geht, wirb glei mit feinem Vorhaben fommen. Einige furze Minuten zum mindeiten wird er erit von allgemeinen Dingen reden. Das ift für
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gerwöhnlidy nicht Berecinung oder Berftedtheit. Wozu aud; dad Ber- fteel, wenn er weiter nicht? will ala etwa ein Beil oder eine Säge feihen? €E3 ift die Achtung vor der Perfönlicdhfeit des Mitmenfhen, die man, um mit Kant zu reden, niemal3 nur al3 Mittel für äußere Bmede gebrauchen, fondern auch dort, wo fold äußerer Zmwed vorliegt, zuerft einmal um ihrer felbit willen achten foll. Und diefem Anfprud genügt man mit dem Eurzen, allgemein gehaltenen Geipräd, das dem Wunjch oder der Bitte vorausgeßt.
So wills die „Manier. Und fo rundet fiy bäuerlihe Tugendlehre,'
indem fie neben den ‚‚fleißigen‘ und den „ordentlichen den „ma nierlihen” Mann ftellt.
Hier, in der Umgangsfitte, in der Sprache, offenbart alte bäuer- fiche Kultur ihren feinften Gehalt, nicht in den taufend Außendingen, an die man bei dem Wortllang „Sitte und Brauch” gemeinhin zuerjt zu denfen pflegt. Bäuerliche Kultur Tann etwas tief Künjt- Lerifches Haben, aber da Künftlertum Liegt dann in der Negel nicht auf dem Gebiet des Sichtbaren, fondern auf dem des Wortes, der Spradhe. Und Bauernfultur ift oft am feinften gerade dort, wo der Durchfchnittsftädter fie nicht verfteht, vielleicht jogar belächelt.
Ob unfer deutjches Bauerntum bdiefe und ähnliche Feinheiten in der Gitte alle jelbjt hervorgebradht oder zum Teil von außen ber, etwa in alter Zeit von ftädtifcher oder ritterlicher Lebensform übernommen hat, wird fi) geihichtlih Faum feititellen Lafjen.: E3 fommt darauf für unfere Betradtung auh nit an. Mag der Urfprung folder Sitte im Dunkel bleiben, Har zu Tag liegt ihre lebenzfriihe Bewahrung durch die Sahrhunderte im Bauerntum allein. Sie fonnte im Bauerntum und nur in ihm fo lebendig bleiben, weil fie den feelifchen Nebensbedingungen gerade diefer BoLlfd- Ihicht in befonderer Weife entgegentam.
Wichtig aber ift für den Gang unferer Betrachtung, nicht aus dem Auge zu lafjen, daß auch die Feinheit folder Sitte, ähnlich wie die tiefe Achtung vor dem Necht, innerhalb der bäuerlichen Kultur ihre Wurzeln hat in dem Bedürfnis nad) Abgrenzung, nad). Abjtand zwifchen Menfdh und Menih in der allzu engen räumlichen Dorfgemeinichaft. 3 ift Hier da3 Bedürfnis nach einer würdigen Ordnung der Beziehungen von Menfch zu Meenfch, wie dort nad) folder Ordnung von Ader zu Adler, von Eigen zu Eigen. Und ebenjo wie dort beim Necht, ift es, mwenigften3 im Ausgangs- punti, eine zwedhafte Ordnung, fo zwedhaft. wie der diplomatijche Verkehr von Macht zu Madht. Man ift darauf angeiviefen, mit» einander zu leben.
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4.
So geht alfo bäuerliche Umgangsfitte gerade in einem Teil ihrer grundlegenden, eigenartig bäuerlichen Yormen hervor nicht au8 dem Gefühl perfönlicher Gemeinschaft, jondern umgefehtt aus dem DBe- dürjnis nad) Abgrenzung, wenn auch nod) fo zarter und taltvoller Abgrenzung gegen den Nebenmenfchen. Dem Sozialismus in Sinne von perjönfiher Gemeinfchaftsbildung fteht faum eine Menjchenart fremder gegenüber al3 da3 Bauerntum. BZwilhen Bauer und Arbeiter gähnt hier eine anfcheinend unüberbrüdbare Kluft.
Wie Eonnte e3 zu fo entgegengefegter Prägung menjchlidden We- ien3 fommen? Doc wohl vor allem dadurd), daß bie eine Schicht im wejentlihen aus Befigenden, die andere aus Bejiglofen befteht. Der Arbeiter hat außer feinen zwei Armen nicht3 im Leben, worauf er ich fügen Zönnte, al3 den Mitarbeiter. Da3 überaus bezeichnende Wort „Solidarität bejagt, daß der Arbeiter für jidh forgt, wenn er für den. Genoffen, den Nebenmenfchen feiner Art ein- tritt. Das Leben des Axbeiters gleicht dem Segelichiff ohne Fracht: jeder Wind treibt e3 leicht Hin an die PBlanfen des Nachhbarfchiffes. Das Bauernleben ift wie ein Schiff mit fchmerer Ladung, dem Die Lait Tiefengang gibt und eigene, von außen wenig gejtörte QBeime- gung. Die Ladung ift der Beliß, der Ader. Der Ader, nicht der Nebenmenfch,. gibt dem Bauernleben fein Gewicht.
. € it mın einmal die Art des natürlichen Menfjcdhen überhaupt, nicht de bäuerlichen allein, daß e3 ihn, geitellt zwifchen Menfch und Sache, Nebenmenfh und Habe, ftärfer zur Habe, zur Sadıe zieht, daß Habe feinem Herzen näher fteht al3 fremdes Menjchen- wejen, da die Schwere der Habe felbft Bande bes Blutes zerreißen fann, wie viel leichter die der bloßen Nachbarfchaft oder noch fernerer Menjchhengemeinichaft. Wir fehen e3 ja alle, wie hier zumal in unferen Tagen alle Befißenden von fchwerer, fittlicher Gefahr be- droht find. Befis, Habe fan zur WÜbgrenzung gegen den Neben- menjchen führen in einem folcden Grade, daß Bollsgemeinfchaft da- rüber auseinanderfallen mag. |
Aus der BZmedhaftigfeit fahen wir das bäuerliche Bedürfnis nad) Abgrenzung und Ordnung hervorgehen. E3 gibt Sachzweie und Perjonzwede. Wer mit feiner Sache, feinem Wder fo eng verbunden ijt wie der Bauer, der wird dazu neigen, Sachzmwed über PVerfonzmed, Sahmwert über Berfonmwert zu ftellen. Der natürlich gewwachjene Bauer — von .dbem religiös verinnerlichten
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miüfjen wir hier abjehen — jchäst den Wert auch feiner eigenen Per- fon mejentlich nach dem Wert, den fie für den Ader hat. Daß der Menfch auch über feine Leiftung für die Sacdje hinaus noch einen befonderen, felbftändigen Perfonmwert darftellt, Liegt dem bäuerlichen Durhfchnittsempfinden einigermaßen fern. E3 Tann etwas Heroifches darin liegen, wie der Bauer die eigene, dabei allerdings aud) die fremde Perfon zurüditellt hinter die Sache, der er dient. „Navigare necesse est, vivere non est necesse“: ‚Aderwerf muß fein, PBer- fonleben muß nicht fein.‘
Hier erft begreifen wir das ganze Bathos des bäuerlichen Drd- nungsgedanfend. Ordnung bedeutet dem Bauer nit nur Are beit3ordnung, aud nicht nur gehorfames Eingehen in die ob- ‚jeltive Welt- und Leben3ordnung, fondern dabei noch einmal ganz befonder? Sicherung des Befites, der Sade, in der fein ganzes Dajein mwurzelt. Ohne die Sache wäre er ja nichts. 3 ijt diefe Sache, die er dem Schuße des Nechtes befiehlt wie dem Schute Gottes und dem Schuge einer Gitte, die den Nachbar in Bartfinn zu achten, aber mehr noch da3 Eigene behutfam abzu=- grenzen bedadıt ift.
5.
Wenn man von Bauernkultur pricht, pflegt man in der Regel zuerjt an den ganzen Bereich der Volkskunde im engeren Ginne, des „Solflore”, zu denken: an Volkslied und Spinnftube, Bauern- tunft und Bauerntracht, Volksüberlieferung und Wberglauben, an Seite und Spiele des Landvolfes: an all da3 Frohe und Bunte und Interefjante für ftädtilche Augen und Ohren. Unfere Betracdh- tung ijt an allen diefen Dingen vorübergegangen und joll auch des weiteren nicht näher auf fie eingehen. Nicht al3 ob fie unZ gleicdh- giltig wären. Aber e3 find zwei Gründe, weshalb fie hier in den Hintergrund treten dürfen und müffen. Der eine Grund ift ein äußerer: man hat feit dem Neuaufblühen der Volfsfunde von jenen Dingen des Folklore immer wieder fo viel und gerade in unferen Tagen fo Wertvolles und Grundfägliches gefagt, daß e3 gerechtfertigt jein dürfte, hier einmal weniger, ja allzumenig Beachtetes vor ihnen in den Vordergrund zu rüden. Der andere Grumd ift ein innerer, er geht tiefer: ich vermag in jenen Lieblingsfindern der neueren Bollzfunde nur verhältnismäßig wenig Bauernblut, wenig bäuer- lihes Sondergut zu fehen. Was in Lied und Tanz und Tracht und Sage und all dem unterhaltenden Vielerlei unferer volfsfuinde
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fichen Sammlungen fih ausfpriht, ift gar nicht das fonderlich Bänerliche, fondern ein allgemein "Menjchliches, wie e3 von ben Beiten des primitiven Menfchen Her durch die Gedichte geht, vhne Dabei weder in feinen Urfprüngen nod) in feiner Wefenheit befonder3 an da3 Bauerntum gefnüpft zu fein. Wir mwifjen, daß alle jene Rebensäußerungen des Bolfstum3 im engeren Ginne, mögen jie „primitives Gemeinjchaftsgut” oder „gefunfene® Kulturgut” dar» flellen, im Bauerntum bejfonderd treu und zäh feitgehalten und der Nachwelt überliefert werden. Eine in der Tiefe auf den Drdnungs- gedanken gegründete Vollsihicht ift ja in allen Dingen auf Pflege und Bewahrung des Geltenden bedacht. Aber erwachjen ijt Hier Diejez Geltende in feinem überwiegenden Beitande außerhalb de3 Bauern» tum3, nämlid) zum einen Teile auf dem Boden de3 vorbäuerlichen, primitiven Menjchen, de3 Menjchen der Bölferfunde, zum andern Teil auf dem Boden des ftädtifchen Kulturmenjchen, des Menjchen der Kultur- und Literaturgefhichte. E3 ift in den Strom bäuerlicher Kultur Hineingefloffen zum Teil von Hinten, von vorgejchichilichen Urfjprüngen ber, zum Teil von der Geite, aus dem nebenherlaufenden Zlußbett der ftädtifchen Entwidlung heraus, von der zu jeder Zeit die Kanäle hinüberliefen und Hinüberlaufen in den Stiomlauf des Bauerntums. Jr die Sonderart ded Bäuerlichen, in da3 urjprunghaft Bäuerlihe führt Folklore nur in fehr geringem Maße. Um in die Seele des Bauern einzudringen, müfjjen wir ihn vor allem anderen nit in der Spinnftube, fonderpn bei feiner Arbeit aufjuchen. Hier formt fi} fein eigentliche Wefen, hier hat e3 vor langer Zeit begonnen fi) zu formen, hier wird e3 fich formen in alle Zufunft hinein. Yolflore, auch mo e3 auf Bauernland erntet, wird uns niemal3 in da3 Herz des Bauern führen. Ein Seremias Ootthelf, der Meifter aller Bauernfunde, fragt nad) Solklore nur wenig, nach Aderwerf überall. |
Wieder einmal ftehen wir vor der alfgemeinen Stage nad) der Aufgabe der Volkskunde. Sit fie nur die Wilfenfchaft vom Solklore, dann bleibt ihr dad Bauerntum wichtig nur ala da3 Bett, in dent mancherlei vorgefchichtlihe und mandherlei kulturgefchicht- lihe Gemwäffer zufammenfließen und nach gewiffen Gefegen tweiter geleitet werden. Das würde aber bedeuten, daß ihr die innere Eigen- art und feeliihe Sonderart einer fo bedeutfamen Volksfchicht mie de Bauerntums grundfäglich gleichgiltig fein, daß fie die Aufgabe methodifchen Eindringens in die Standezfeele irgend einer anderen, vielleicht exit; noch werdenden Wiffenfchaft überlaffen müßte. WiIL fie
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diefem immerhin bedenflichen Schluß entgehen, fo ‚bleibt ihr nichts übrig, ald Bauerntum und Banernkultur vor allem dort zu jtudieren, wo das Herz. de Bauern fehlägt: in feiner Arbeit.
Aus der Bauernarbeit hat fich eine ganz ausfchlieglih Bäuer- liche Kultur erhoben, die durchaus felbftändig in der Mitte. jteht zwifchen der Lebensform de3 primitiven Menfchen und derjenigen der Stadtkultur. E3 hieße den feelifch-geiftigen Befit de3 Bauerntums in diefer feiner Eigenmwüdjfigfeit vertennen, wollten wir ihn in feinem ganzen Umfang hineinprefjen in jene Zormel, die zwilchen „primi- tivem Gemeinfchaftsgut” und „gejunfenem Kulturgut” zu wählen an«- leitet. So überaus wertvoll die Forfchungsregel ift, die wir hier dem bedeutfamen Buhe Hans Naumannzs verdanken, jo wichtig ift e3, die Grenzen ihrer Leiftungsfähigfeit nicht zu überjehen. Auf diefe Grenzen mweift und im Grunde ja auch fchon der Urheber diejer Methode felbft, wenn er fie in einer Unterfuchung anwendet, die jic) innerhalb de2 Bereiches der Volfsfunde ala Folklore hält. Das Herz de3 Bauerntum3 aber, fein eigentlicheg Sondermwejen liegt ienjeit? diefer Grenzen. Aug Ader und Aderwert heraus hat da3 Bauerntum fich eine eigene Kultur gefcdhaffen, im Wefen ebenjo jelbitändig gegenüber der primitiven wie gegenüber der Stadtfultur. Die mächtige Einwirkung der leßteren auf da3 Bauerntum bi hinein in die Mitte feine Wefens brauchen wir dabei feinen Augenblid zu überjehen. Aber diefe Mitte felbit ift eignen Rechtes, eignen Urjprungs. Und biefer Urfprung bleibt Ader und Wderarbeit. Zu diejer Lebeng«- mitte eigenwüchjig bäuerlicher Kultur vorzudringen, follte die Aufe gabe unferer befonderen Betradhtung bilden. Und mir glauben ihr dort am nädjiten gefommen zu fein, wo der tiefe Sinn des Ordnungs- gedanfens für da3 Bauernleben fie) un erfchloß. Diefer Mitte gegen. über ift da8 ganze Gebiet des Folklore im heutigen Bauerntum pe» ripher. Bis in diefe Mitte vermag höchftend noch die Religion borzudringen.
Schon die Leichtigkeit, mit der der Bauer heute viele jener im bejonderen Sinne „volfstümlichen” Gemwöhnungen abitreift, Fönnte uns darüber belehren, daß fie nicht zu feinem innerjten Wejen als Bauer gehören, fondern mit diefem fich nur ebenjo verbinden wie andere der menfchlichen Natur naheliegende Lebensäußerungen. So ift zum Beifpiel das heutige Bolf3lied durchaus nicht? befonders Bänerlicheg. E3 ift entjtanden überwiegend in der Stadt und führt fein Leben in Dorf und Stadt, nur daß es im Dorfe erheblich jpäter erflingt und bei meift mündlicher Überlieferung gemwiflen Abwand-
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lungen ausgejegt ift. Und Sage und Tradt und Aberglauben haben ihren Weg gemadht und maden ihn großenteild noch durch Dorf und Stadt, nur daß fie ihn durh8 Dorf in der Regel langjamer finden und deshalb Hier vielfach noch leben, wenn fie in der Stadt bereit3 erftorben find. Aber da3 find Unterfchiede de Tempo3 und der äußeren Sorm, nicht des Wefen2.
Kır eine Gruppe im befonderen Sinn vollstümlicdher Xebens- und Denkgewöhnungen ift dabei zugleich rein und urjprunghaft bäuer- lih: die Gruppe berer, die auß dem Bauernmwerf felbit heraus- gewachfen find. Haus- und Hofbau und Erntefefte mögen ihre jormen ändern und mögen babei in Außendingen auch fremden, etwa ftädti- ichem Einfluß unterliegen. Sie bleiben dabei mwejenhaft Außerungen bäuerlicher und nur bäuerlicher Rultur. Dagegen Hat vielleicht die Mehrzahl jener Lebensformen des Bollstums, mit denen bie heutige Bolfgfunde fi befaßt, ihren eriten Urfprung nicht im Bauerntum, fonbern in der vorbäuerlichen Kultur. des BPrimitiven. Und foweit fie im Bauerntum lebendig geblieben find, zeigen fie nur, daß bereitö da3 vor der Moderne, ja vor allem Stadtwejen liegende alte Bauerntum feine eindeutige, fondern eine zufammengefegte Erjcheinung darftellt: eine Verbindung primitiven, urfprünglichen Menjchheitägutes mit dem, mas erit Siede- fung und Pflug in die Gefchichte brachten: dem fonderlich Bäuerlichen.
3a, ein fchärferer Blid wird beobachten, daß diefe beiden Ele- mente rein ländlicher Kultur fogar in einer ftarfen inneren Span- nung zu einander ftehen. Lied und Spiel und Bolköfunft, und wie die ganze Neihe primitiver Herkunft fonft noch heißt, gehören in fih zufammen al8 Yußerungen eines triebhaften und Gefühlsiebeng, wie eben der primitive, noch nicht bäuerliche Menfch es führt, und wie der moderne, nicht mehr bäuerliche e8 neu fich erobert hat: eines Lebens, äußerlich gefehen: der Muße, des freien Schweifens; inner- lich: der Bmedfreiheit, de3 Srrationalen in ber Menfchenfeele. Gie find in Bauerntum zufammengefügt mit jenem ganzen Syitem ber Bmwedhaftigfeit, der DOrbnung und des Necht3, der Rationalität und Sadkultur, da3 mit dem Aderbau in die Gefchichte des Menfchen- wejens eintrat. Und fie vertragen fich mit diefem Syftem nicht ohne weiteres, um nicht zu jagen: fchlecht. Wo im Menfchen Ratio- nale3 und Srrationales, Verftändigfeit und Gefühl auf einander treffen, befteht immer die Gefahr, daf das Srrationale vom Ratio» nalen aufgelöft und verdrängt wird. Im Bauerntum felbft, dem tief rational geiwurzelten, liegt eine Bewegung auf Verdrängung und
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Ertötung — fagen wir einmal furz: der Ländlichen Poejie, jener naiv fünftlerifchen und . Gemütswerte allgemein menjchlicher Art, die e8 von Der PEIRUDe übernommen und zunächit : meiterge- x tragen bat.
Man fagt meift: die Moderne, die Stadt tötet mit ihrem falten Anhauch daS warme, urwücdhjlige Vollstum. Und jo it e3 gewiß, nur würde der Bauer dem Geijt oder je nachdem dem Un- geift folcher Moderne nicht jo willig Gefolgichaft leilten, wenn nihtdiegleiherationale Wefensart fotiefinfeiner
ganzen Bauernnatur verwurzelt wäre, tiefer al3 jene
irrationale der primitiven und der wiederermachten modernen Geelen- Eultur. Wir brauchen deshalb die ernfte Gefahr, die modernes Studt- mwejen für unser deutfches Bauerntum bildet, durchaus nicht Fleiner zu fehen, als fie ift. Nicht die rationale Lebensbetrarhtung jelbit, aber ihre Überjteigerung, wie fie fich zeigt in der reinen Wirtjchaft- fichfeit der Snduftrie, ift und bleibt ein ftädtijches Erzeugnis. Hier hat dec fauftifche Urtrieb in der Menfchenbruft fich der Wirtfchaft bemächtigt und in ihr jenen Geilt de3 Duantitativen, Mafjengaften, Mechaniichen und rein Nationalen hervorgetrieben, der heute die Völker zu verjchlingen droht. Ar folhem Drange hat der Einzel- menfd, in der Abficht menigitens, rejtlos fich Losgelöjt aus der Gemeinjchaft, die ihn noch hemmte in der grenzenlofen Auswirkung ‚ jeine® Dranges. Und von hier, von Snduftrie und moderner Stadt
aus, haben fich ganze Wogen diejes Geiftes Über unjer Bauerntum
ergojien. Schon vorher fing e3 an, fchon mit der Renaiffance, die doch wohl den gejhichtlichen Durchbruch des Geiftes reiner Weltlichkeit und damit auch reiner Wirtjchaftlichkeit bedeutet. Wir denten an den Einbrud‘ de3 römijhen Eigentumbegriffs in da3 alte germanifch- riftliche Bodenrecht, an die hemmungslofe Mobilifierung bes Aders vor Hundert Sahren, denken an die Yeldbereinigung unferer Tage, der — bei all ihrer wirtfchaftlichen Notwendigkeit — doch die Nüch- ternheit des Nationalismus an der Stirn gejchrieben fteht. Und wir nennen nur furz die ganze landwirtfchaftliche Melivrationg- und Majchinenfultur. Diejfe und andere Rationalismen, zum Teil heil» fam, zum Teil heillos, find alle von der Stadt aus ind Porf gedrungen. Aber — und da3 pflegt man nicht genügend zu beachten — jie waren in ihrer Zmedhaftigfeit dem Geilt de3 Bauerndorfes von vornherein nicht fremd, fondern tief verwandt. Sie haben die bäuerlihe Kultur nicht in eine neue Richtung abgedrängt, jondern nur eine von Anfang an in ihr angelegte Bewegung reißend verftärkt.
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Sie find gewaltige Windftöße, die das Schiff ganze Meilen weit jäh fortreißen, aber in der Richtung feiner eigenen Segelitellung. Ohne BZimeifel Iebt nun bei alledem in unferm Bauerntum noch unendlich viel mehr von Gemütd- und Gefühläwerten ald in den Haffiihen Hauptträger jener modernen Hochrationalismen, der Smöduftrie. Auch) das mathematifhfte Rüben» oder gar Tabatfeld ift doch noch feine Zuder- oder Tabakfabrik, und auch der nüchternite modernifierte Bauernhof ift noch feine großftäbtiiche Mietökaferne. E3 wohnen eben zwei Seelen im Bauerndorf. Aber die rationale droht die irrationale zu verfchlingen — wie einft die jieben mageren die fetten Ähren. Die aus primitiver Zeit überlommene Kindesfeele zieht fich mehr und mehr in den Winkel zurüc, nicht erft feit heute; e3 ift eine mit dem Bauerntum an fich gegebene Bewegung. Deshalb ift e irreführend, das Bauerntum fchlechthin ala Kind- heit oder AJugend eines Bolfes zu bezeichnen. Man mag e3 einen „‚Sungbrunnen‘ nennen, fofern aus ihm die Förperliche und zum Teil auch fittliche Gefundheit eines Volkes fich erneuern Tann. Etwas anderes aber it e8 um die Seelenverfaffung der Jugend Lichfeit oder Kindlichkeit. Solche mwächlt heute im Dorfe weniger als in der Stadt. Bauerntum ift ganz überwiegend ernft, veritändig: ift Alter. ES gleicht dem Mann in feiner Zmwedbeftimmtheit und Beritändigfeit, und e3 fteht, wie der Mann, feelifh im Altern. Kind ift nicht der Bauer, fondern auf der einen Seite ber vorbäuerliche - Primitive, auf der anderen der von neuem in bie Welt des Gefühlgs und der Kunft fich gründende moderne Stadtgebildete; neben dem bier der wieder Kind gewordene, wiebergeborene NReligiöje nur genannt werden foll, er aber in Stadt und Dorf. Auf die Maffe gefehen, ift mehr Kindesart in der Stadt al3 auf dem Lande. Man braudht nur einmal beranmwachjende Bauernjugend und gleichaltrige ftädtifche Jugend etwa aus höheren Schulen nebeneinander zu be» obadhten. Man braudit nur an die wohl nicht bloß vorläufig, fondern ihren Wejen nad, ftädtifche Jugendbewegung zu benfen. &3 ift nicht ohne Übertreibung, aber auch nicht ohne Grund gejagt worden: Bauernfinder hätten eigentlich überhaupt feine Jugend, fondern gingen geiftigsfeeliich aus der Kindheit unvermittelt in die Stufe der Er- mwachjenen über.
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. Wir würden unfern Einblid in das Wefen bäuerlicher Rultur Hier nocd) weiter vertiefen Tönnen, wäre e3 in diefem Zufammenhang Heil. SL. f. Vollstunde Ob. XXIII. 3
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möglich, dem Werden der Stadtfeele in feinen verichiedenen Richtungen weiter nachzugehen und dann von hier aus das Dorf neu zu beleuchten. € würde fid) ung zeigen, wie die Stadt, die ja aus dem Bauerntum heraus gemwacjjen ift, zunächit die bäuerliche Grundeinftellung. beibehält. Der ehriwürdige bäuerlihe Orbnungs- gedanfe triumphiert auch in der. freien Stadtluft noch einmal in dem Bunftiwefen der Handwerker. Aber daneben würden wir ın Der Stadt auf den Boden bed Meifterhandmwerkfs, der Kunft md der Wiflenfchaft, auch der Religion, ein ganz neuartiged geijtiges Element hberanwachien fehen: die fehöpferifche Innerlichkeit, mit ihren edeliten Blüten in Spealismus, Begeifterungsfähigfeit, Perjönlichkeit, Freiheit, zwedfreier Hingabe. In ver Stadt ward FYaujt geboren, jener Drang ins Grenzenloje, deijjen wir bei Betrachtung des modernen Wirt- Schaftageiftes bereit gedachten, der aber durchaus nicht notwendig den Weg des Nationalismus und der Wirtihaft einfchlagen muß, fondern feinen Flug ebenfogut in die Höhen reinen Geijtes nehmen ann. M - Wir brauden uns da3 alles nur Fury anzudeuten, um ed une mittelbar- heraugzufüihlen, wie Stadt und Landfeele auseinander- gehen, two beide ihre ganze Eigenart entfalten Fünnen. Oder gibt e3 größere Gegenfäge al3 etwa DOrdnnungsgeift und himmeljtürmenden Kbealiämug,. zwedbeftimmtes Sacjitreben und zmwedfreied Perjönlidh- feitäftreben, Gehorfam und Freiheitdrang, Abgrenzung und Ge meinfchaftsbildung? Statt vieler Beifpiele nur eines: der Gtädter tieferer Bildung hofft von dem neuen Lehrer feined Sohnes, daß er fähig fei, die Zugend zu begeiftern, — der tüchtige Bauer, daß er die Jugend zur Zucht bringe. &8 ift Dort die bewegte, hier die ftehende Tugend, dort ‚Hingerifjene Liebe, hier fejtge- gründete Drdnung. 4 Wo liegt das Befjere, Höhere? Der SGtadtgebildete neigt vo dazu, die bewegte, begeifterte, vorwärtsdrängende Geelenart höher zu. werten, fie al3 einen Fortjchritt fchlechthin zu betrachten, weil fie eben feinen Vorausjegungen gemäß ift. Tiefe Geilter Fönnen uns warnen vor folch voreiliger Entjheidung. &3 war Auguftin, der fauftifehe Stadtmenjch, der doch das mwirklichfeitätiefe Buch De Ordine „Bon der Ordnung” fchrieb. Beiter Stadtgeift und beiter Bauerngeilt find gerade in ihrer Gegenfäglichkeit auf einander angelegt, polar angelegt, einer de anderen Ausgleich, einer des andern Gemijjen. Wenn der Städter oder Stadtgebildete über bäuerlihe Rultur redet, fühlt er fo leicht alsbald den Beruf, diefe irgendwie zu heben.
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Und fo eltern ftellt er die Frage: ob nicht etwa eine tiefere Würdi- gung de3 Bauerntums ihn felbit und feine Kulturbegriffe heiljam zurecht rüden fönne. Wir denten nur furz an da3 aus der Drd- nunggidee fich ergebende bäuerlihe Mapßideal. Oder wir fragen: Könnte e3 nicht in unfer ftädtifches Kulturtreiben eine heiljame Ummälzung bringen, wenn wir die große Trage bäuerlicher Zived- hoftigfeit aud, einmal an una und unjere Bildungsbegriffe ftellten, die Frage: „Wozu? „Wir fpinnen Quftgeipinnfte und juchen viele Künfte und fommen weiter von dem Ziel”. Etwas von ‚der großen Bereinfahung, die unfere müde und aufgepeitjchte Stadtfultur braucht, Tönnte über und und in und fommen. mit fold) immer neuen Burüdlenfen auf die große, einfache Bauernfrage „Wozu?“ Aber wieder müfjen wir ung hier mit Andeutungen begnügen. Gie follen nur dem Mißverftändnis vorbeugen, ala könne die Aufgabe des Stadtgebildeten dem Dorfe gegenüber die des überlegenen Lehr. ter3 fein. Das Verhältnis von Stadt und Land ift ein Wechjel- verhältnig, nicht nur auf mwirtfchaftlichem, fondern auch auf geiltig- jeelifchen Gebiet. Ä
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| Aber verlaffen wir die Stadt, auf die wir hier ja nur über den Zaun hinüber zu bliden hatten, und fragen wir zum Schluß nad furz nad) den Möglichkeiten einer Weiterentwidlung unjerer Ländlich-bäuerlihen Kultur von den Woraugfegungen des Sefagten aus. D8mwald Spengler hat und wieder neu den Blid gejichärft für den Unterfchied zwifchen lebendiger Kultur und ftarrer Bivilifation. Uber er verfennt dabei die innerfte Natur de3 Bauerntums, wenn er Bivilifation wefenhaft nur in der Stadt fucht. Sit Zimwedhaftigkeit Das eigentliche Wefen der Bivilifation, dann bildet Diefe ein be- jftimmendes Clement bäuerlicher Dorfkultur von Anfang an. Daß, auf? Ganze gefehen, im Bauerndorf immer noch meit mehr Seele wohnt als in der modernen Stadt, wurde bereit3 hervorgehoben. Aber auch in ihm drohen die Mächte der Bmedhaftigkeit die Seele zu erjtiden und zwar nicht erft feit heute oder geftern, fondern von Anfang an. Das Bauerntum ift von Haufe aus betraut und belajtet zugleih mit einer Lebensaufgabe, bei der Zmed und Sade die Seelze ganz zu füllen und den Kräften der ziwedfreien, perfönlichen Lebenswertung, den Kräften des Gefühls und der urfprünglichen Kindesart die Nahrung zu entziehen drohen. Die Gefahr für das Bauerntun: heißt: inneres Altern, feelifche Erftarrung. Und die
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zivilfifatorifche, mwirtfchaftliche Beweglichkeit, die modernes, indujftrielles Stadtiwefen überd Land breitet, ift nur geeignet, jene Erjtarrung in Zmwerd und Sadje noch zu vollenden.
Sefchäftige Rezepte zu empfehlen, ift Hier nicht unfere Aufgabe. KXmmerhin dürfte e3 von Wert fein, wenn wir und den Blid zu ichärfen fuchen für eine nüchterne Erfafjung der Lage und für eine are Unterjcheidung bes Heilfamen und Schädlichen im ieiteren Fortgang der Dinge.
Liegt die Gefahr der Lage in einfeitigem Überwuchern einer an fi notwendigen Bmedhaftigfeit und Nationalität über die Kräfte de3 Gefühls und de Unmittelbaren, einem Überwuchern der Alters- feele über die indezfeele, fo werden wir im meitern Yortgang heil- fanı nur folche Einflüffe nennen fönnen, die da3 gejunde Gleich- gewicht zwifchen diejen beiden Seelen wieder herzuitellen ver» iprechen, fchädlich aber alle die, die da3 Übergewicht von Zwed und Cache, den bäuerlichen Nationalismus noch weiter einfeitig zu fteigern - geeignet find.
Zu ihnen gehört unter anderem alle folde Bolfsbildung3- arbeit, die felbft mejenhaft mwurzelt in Rativnaligmus, in Ber» ftändigfeit, auch wiffenfchaftlicher Verftändigfeit. Städtifche Aufllä- rung dringt Heute durch Zeitung und Hundert andere Kanäle in jolhen Mafjen ins Dorf, und fie ift dort am Werf, mit altbäuer« licher Rationalität derart fic) zu potenzieren, daß wirflic) fein Grund vorliegt, die bereit3 vorhandenen Mächte zivilifatorifher Erjtarrung durch befondere Veranftaltungen noch in eine dritte Potenz zu fleigern. Rationalifierung mag einer romantiktrunfenen Jugend gut tun, Die Not de3 Bauerntums liegt in der entgegengefegten Richtung. Und die Sorge um unfer Bauerntum fanrı doch wohl heute nur die fein, daß in ihm: der Neft de3 Urfprünglihen und Srrationalen, daß in feiner Geele da3 Kind nicht fterbe.
Aber Hoffnungsfroh begrüßen follte man im Bauerntum alle NRegungen eines ihm natürlichen künftlerifchen und Spieltrieb3, alles Erftarfen gerade primitiver Seelenfträfte. Konfuzius, der fo ftarf rationale Staatsmann und Volkserzieher, hat neben der Gitte Mufit und Lied als die vornehmften Volfsbildungsmittel be- zeichnet. Für ein fingendes Bauerntum brauchten wir Erftarrung und Altern nicht zu befürchten. Raum aud) für ein Bauerntum, das feine Freude daran fände, da Fahmwerffeiner Häufer wieder mit farbenfrohen Bildern und mit tiefgründiger Spruchweisheit zu füllen. Getroft dürften wir auch der Zukunft eines Dorfes entgegen-
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fehen, dem da3 NRaufchen feiner alten Dorflinde tiefer zu Herzen ginge al3 alle Angebote des Holzhändlerd. Und jollte dem Bauerntum einmal die tief erzieherifche Bedeutung de Spieles feiner Kinder ganz aufgehen, gerade in feiner Zwedlofigleit, oder de8 Märdhend, oder die volle Schönheit einer tannengrünen Advent3- und Weihnakhtsfitte für Groß und Klein, dann könnten wir ruhig aller Sorge uns entichlagen.
Nur daß unjere Schägung bäuerlicher Sitte, hier bejonderd in ihren irrationalen Beftandteilen, nicht verwechfelt werde mit dem Wunjde, nun alle3 Alte im Bauerntum mwahllos zu erhalten,. auch dort, wo e8 im Leben der Gegenwart offenkundig feine Wurzeln mehr hat. Alle planmäßigen Bemühungen um Erhaltung beitimmter alter Bolfstradht, ohne NRüdfiht auf ihre BZmedmäßigfeit in der Gegenwart, find nicht nur von vornherein zur Unfruchtbarkeit ver- urteilt, fondern außerdem noch geeignet, mit ihrer Überjchägung ber Außenfeite, der. Schale bäuerlicher Kultur die Aufmerkffamteit von ihren: Kern abzulenken. Nicht das leid [hafft Bauernkultur, jondern da3 Herz, das unter dem Meide fchlägt. Und feine Tracht wird diejem Herzen dazu helfen, jung zu bleiben oder wieder zu werden, wird die Kindesart in ihm retten ober mweden Tönnen, auf die e3 allein an- fommt. Nicht in irgendwelcher Außenfeite, nicht in irgendwelchen no) fv malerifchen Bildern liegt das Wefen bäuerlicher Kultur, liegt ihre Hoffnung und ihre Zukunft, fondern in einem Innenleben, wie einerfeit3 au3 dem ftreng rationalen Ernft der Bauernarbeit, jo an- bererfeit2 nicht minder aus den tief irrationalen, au den, Kindes» fräften der Seele heraus. Xhrer follten wir ung Hoffend freuen, in. welcher äußeren Form fie auch im deutfchen Bauerntum unferer Tage ji) offenbaren mögen.
Aber werden biefe Kräfte aus eignem Vermögen fich durchjegen, ja auc) nur behaupten fönnen gegenüber der fchidjalhaften Über- gewalt jener großen Nationalifierung? Ein nüchterner Blid, wie wir ihn gerade vom Bauerntum lernen können, wird fich hier großen Hoffnungen faum Hingeben. SJener Übermadht der Rationalijierung gegenüber wirb es nur eine Hoffnung geben können: die, daß der um ihr 2eben ringenden Kindesfeele im Bauerntum Hilfe fomme aus tieferer Duelle, daß die Kindesfeele in ihm befreit werde Durch eine religiöfe Erneuerung aus dem Geilt des Evangeliums Ssefu heraus, de3 Evangeliums in feiner über Ziwed und Sache frei hinaushebenden Innerlichfeit und Kindesart. ‚So ihr nicht werdet wie die Kinder.” Diefe Beurteilung der Lage entfpringt nicht perjön-
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licher Liebhaberei, fondern: einer in langjährigem, planmäßigem Be- obadhten der Wirklichfeit gemachten doppelten Erfahrung: einmal, daß bloße Aufklärung im Bauerntum übertviegend geiftige twie feelijche VBerarmung und Erftarrung hinterließ, dann aber, Daß nur dort, mo folche religiöje Verinnerlidung und Aufwedung am Werfe war oder gemwefer: war, die Starrheit jich Löfte und der Geijt in feinen tieferen Schichten in Bewegung geriet.
An menigiten Heil liegt in dem von maßgebender Seite ge= machten Borjchlag, da8 Bauerntum nad) Möglichkeit auf der Stufe d23 Naivden und Unberwußten Fünftlih zurüdzuhalten. Nein, der Weg zu einer neuen, leben3vollen Bauernfultur darf die helle Mitiagsjonne der Berwußtheit nicht fcheuen. Nur foll Klarheit nicht in felbftgenügjamer Aufgeflärtheit erftarren, fondern bi8 dorthin führen, wo e3 dem Geift in Staunen und Ehrfurdht aufgeht, daß da3 Leben tief ift ‚und tiefer, al3 der Tag gedadht,” — und his dorthin, wo e3 auch dem bäuerlich. verftändigen Geifte hell und froh aufleuchtet, daß auch der ernfte Mann fich nicht zu fchämen braudt, in innerjter Seele Kind zu bleiben oder wieder zu werden und dort inwendig in jich da3 Paradies zu tragen, das er äußerlich einft zurüd- lafjen mußte, um im Schweiße feines Angeficht3 fein und unfer Brot zu. bauen. :
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Aus den Gichener Aniverfitäts-Ardiv.
- Nicht gar zu oft werden fich au3 den nüchternen Paragraphen von Statuten intereffante Nüdjchlüffe vollsfundlicher Art ziehen Laffen. Deshalb fei Hier ein Ubjap aus Titel 75, de officiis studiosorum der Statuten ber Univerfität Marburg!) von: 1. November 1629 wiedergegeben: Nomen domini Dei nostri nemo in vanum usurpet, nec Epicureos sermones spargat vel corruptelas verae evangelicae doctrinae pertinaciter defendat, aut magicas praestigias et incantationes exerceat, execrationibusve se assuefaciat, nisi severam ani- madversionem praeter divini numinis vindictam incurrere velit. Wie tief muß der Glaube an die Möglichkeit und Wirkjamteit der Zauberei doch geleffen haben, wenn man es für notwendig hielt, den Studenten magilche ernit ge= meinte Erperimente zu verbieten. Und das war zwei Jahre vor dem Erjcheinen von Friedrich von Spee’3 cautio criminalis.
1) Damals Hefjen-Darmftädtifche Univerfität. Diefe Statuten blieben auch nad) der NRüdverlegung im Jahre 1650 für Gießen in Geltung.
Gießen. | . Lehnert.
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Kurgane und Altertumefunde in der Vorftellung der Wlolgadeutfchen Bauern.
Ana dem Vollzleben des Flußgebietes Seruslan-Torgun. Bon Paul Rau.
Sn den abergläubifchen Vorjtellungen der Wolgadeutihhen hat fich vielerlei Althergebrachtes, aus dem Boden der Urheimat Empor- getvachfenes in unverändertem Buftand erhalten. Manches wurde in den Wolgafteppen durch ba3 Fehlen anregender und belebender realer Grundlagen entwurzelt und ift verfümmert, 3. B. die Bots
ftellungen von Bmwergen, Berg- und Waldivefen. Anderes dagegen
fand günftige örtliche Bebingungen, faßte Wurgel und nn Shöß- Linge. | ° Hierher find die an Grabhügel anknüpfenden Sagen und aber gläubiichen Borftellungen zu zählen, zu deren Entitehen und Yort- leben die notwendigen Anregungen vorliegen. Auf der platten Steppe ziehen die zahlreich emporragenden Kurgane aller Augen auf ji: geheimnispoll, Lodend, verfpredhend. Sie fordern Erklärung, mahnen an Berborgenes, und infolgedejfen erjcheinen fie von Sage und Aberglaube umblüht. Shre Formen deuten auf Entftehung dur Menfchenhand, daher die Frage nad) den Urhebern. Damit !it num da3 Volk bald fertig: Die Mamaien (Tataren) und Stenjla Rafin werden von ben ruffifhen Bauern der Wolgagegend genannt; die Franzofen von den Weftruffen. In der Erinnerung der deutfchen Koloniften leben weder Mamaien nod) Yranzojen, wohl aber Kir» gifen, die denn auch in deutfchen Dörfern ald die Errichter der Küppel gelten Aus diefen und ähnlihen Tatfacdhen Tann man ein Gefet ableiten, demzufolge da3 Bolt unbelannte Grabdentmäler den legtdagemwejenen Bewohnern der Gegend zufchreibt. Von diejer Regel fällt ein Licht auf den nad) meiner Anficht nicht ernit zu nehmenden Bericht. Rubruds über die Grabdenktmäler mit Steinfiguren in Süde rußland, al3 deren Errichter er die damal3 fon zum größten Zeil ausgemwanderten Romanen nennt.!)
Die nächfte Frage, die im Bolfe auftaucht, ift die Frage nad) Zwed und Charakter der Kurgane. Über diefen Gegenjtand gehen
1) ‚Die Komanen fchütten über bem Xerftorbenen einen großen Hügel auf und errichten ihm eine Bildfäule, die mit dem Geficht nach Dften gerichtet ift und vor dem Nabel eine Schale hält.“ (Bit. nach der ruff. Über. U. 3. Dealejins. Peteröburg 1911).
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die Meinungen auseinander. E83 feien mastierte Wohnungen oder Ruinen von Wohnungen, meinen die meilten; andere Halten fie für eine Art Friedhöfe und ftügen fich dabei auf Krnochenfunde md auf den Eirgififhen Braud, die Toten in den Aufjchutt großer Hügel zu beftatten. In Anlehnung an bie erfte Meinung erzählt man fi) von der inneren Einrichtung der Küppel; namentlich von „©e- wölmen‘” wird allerort3 gefprochen. Damit ift bei manchen eine Bauanlage im Auffchutt gemeint, bei anderen foll e3 ein unter- irdifcher Raum fein, zu dem von der Südfeite her ein Gang hinunter- führe. Demzufolge graben Schaßgräber gern am jüdliden Hang des Hügels, die zurüdbleibenden Gruben werden von jüngeren Gene- rationen wiederum für den Eingang gehalten und ziehen weitere erbitterte Grabungen nad fih. Die Erzählungen von Baditein- bauten beruhen auf tatfächlihen Badjteinfunden, die bei Grabanlagen aus der Spätzeit der goldenen Horde (vom 14. biß 15. Yahrf.) gemadht worden find, aber mit der Entitehung der meijt älteren Hügel nicht? zu tun haben. Das Gerücht von unterirdiihen ©e- mwölben mit Eingang jheint aus dem Kaufajus und Kubangebiet eingewandert zu fein, wo ausgewanderte Wolgadeutiche, (‚„„BZieher”‘) al3 Arbeiter und Zufchauer archäologischen Ausgrabungen beimohn- ten uno mit dortigen Grabräubern zujammentrafen. Sn unjerer Gegend jind derartige Grabanlagen (Rammergräber mit langem Ein- gang in griechifchen Nefropolen und farmatifhden Kurganen) bisher nicht nachgewiejen.
Der mit diefen Vorjtellungen parallel gehende hHiejige Schaß- glaube jeßt fich in feiner Entitehung aus mehreren Elementen zu= fammen: der Kern fcheint aus Mitteleuropa zu ftammen!), wo er, wie mir fcheint, feinen Urfprung ben dort zahlreichen Schatfunden aus römijcher Kaijerzeit (Silbermünzen) verdankt 2); in der Wolga=- gegend, wie überhaupt in Südrußland, wurde ber in3 Bolfzblut übergegangene Schaggräberjinn, von Raubgräbern der Schwarzmeer- gegend auf die Grabhügel gelenft. Dunkle Erzählungen von Unter nehmunger an fubanjhen Kurganen hörte ich noch vor 10—12 Zahrer am Torgun. Die Erzähler waren hartnädige ‚‚Bieher”.
Was veriteht man an der Wolga unter einem verborgenen
’) Bgl. BD. Böcdel, Die deutiche VBolksfage S.100f.; D. Knoop, Pofener Geld» und Schagfagen. PBrogr. Liffa 1908; weitere Literaturangaben bei 8.Wehrhan, Die Sage ©. 80f.; T.Norlind, Skattsägner. Lund 1918.
») ©. u.a. Samotmwajfoms Auffag über die erwähnten Schatfunde in den Trudy VIIL arch. s-&zda, Bd. 8.
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Shah? Diefe Bezeichnung it eigentlich hier gar nicht Iandläufig; man munfelt wohl manchmal von vergrabenem Golde, fonit faßt man gewöhnlich feine Vorftellung in die nebligen Worte „dort muß was liegen”, und bamit ift alles ausgedrüdt,. mad fih im Innern unflar andeutet.
Unter den Echabgräbern der Wolgagegend Laffen fich verjchiedene Bwifchentypen unterfcheiden vom BZauberfünftler, der nad) alther- gebradjten Vorlagen (‚‚Bejchreibung”, Traum, Spiegelguden, Bauber- formel, Mitternachtzftunde, Unterlaffen des Sprechen3 und Fluchen? uf.) arbeitet, bi3 zum gemeinen Sucher und Schnüffler. Die Schaß- gräber lettgenannter Art treten wohl am häufigiten auf; fie gehören zu den Träumern, die gerne etwas finden möchten und dem Zufall nachhelfen wollen. Sie graben zumeift allein und ohne Lärm, Be- vorzugen den Tag. Unter den erjteren findet man am öfteiten aller- hand Duadfalber und Gichtzetteljchreiber, manchmal Verrüdte und von irren Einbildungen Gerittene. Sie graben in Angjt mit Zauber und Gebet, bevorzugen die Nacht und die Gefellihaft angelodter Kameraden und fallen oft dem Schabernad mitwifjender Dorfgenofjen zum Opfer. Über Drangfalierung und ngftigung diefer armen Sünder berichtet eine Reihe Erzählungen und Anekdoten. Eine wucdh- tige Ochjenpeitjche, die auf ein ledernes „Brufttuch” .fauft, daß e3 plagt, ift darin ein beliebtes Motiv. In Alt-Weimar wird von einem Geldfeuer- und Schagedurftigen Manne erzählt, dem nedifche Nach- barn in der Nähe feiner Wohnung ein Miftholzfeuer jchadenfroh her- richteten. Der ahnungslofe Mann breitete glüdfelig fein Brufttuch darüber, fand e3 aber am näcdhiten Morgen verflohlt. Die Schak- gräber gelangen oftmal3 in die allernäcdjite Nähe des Kefjela3 oder der Fifte mit Gold, ein gefprochenes Wort oder durch gejpenftifche Erfcheinunger herbeigeführte Angft veranlaffen jedoch den Scap, mit hohlem Gerumpel in die Tiefe zu verfinfen. Ein Fall glüclicher Befigergreifung des Goldes liegt mir als felbiterzähltes Erlebnis nicht vor, wohl aber wird e3 manchen unerwartet wohlhabend ge= wordenen Berjonen nachgefagt (Dinkel, Straub, Blumenfeld).
Bon den „Suchern‘ werden immer wieder Rurgane aufgegraben, Gräber zerftört; ein jüngft verftorbener Bauer aus Alt-Weimar, genannt der fcheppe Gerlach, Hat wohl die meiften auf dem Kerbholz.
Wie verhält fich nun der Schaggräber den Altertungfunden ge= genüber? rdenes Gefchirr zerichlägt er, Metallgerät zerbricht er, und zivar auf der Stelle, ein Verfahren, das jeltfamermeife überall in Südrußland vom Volfe geübt wird (ausgenommen bie Gegenden, mo
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Altertümer aufgekauft werden). Wodurch ift wohl folchde Zerftörungs- wut zu erflären? Der Bauer gibt darauf beftimmte Antivort, und ein Attenftoß im Saratoffhen Archäol. Mufeum bekundet dazjelbe: „um zu erfahren, aus welchem Material da3 Ding gemadt ijt”. Troß der bi3 ins Komische gefteigerten Übereinftimmung in der Ausfage einzel- ner, fcheint diefe Erklärung dennoch nicht den wahren Beweggrund arı- zugeben, wohl deshalb, weil fich der Berftörer des inneren Erlebniffes nicht bewußt ift, da3 die Tat unmiberftehli) nad) fich zieht. Ge» nannter Berftörungseifer fcheint mir eine aus primitivem Zujtand ererbte Handlung des Verfuches, der Prüfung zu fein: Ob dag Ping von diefer Welt fei, ob e8 mit ihm feine ganze Richtigkeit habe? Db e8 feine geheimen zauberifchen Eigenfchaften bejige? Mit Iauern- der Unruhe wird der einfache Zerftörungsaft vollbracht, und die fich ergebende Entjcheidung: „da8 Ding ift Taputt, e3 it alles in rd nung” befriedigt und beruhigt den forjchenden Geilt. z
Etwaige Knochenfunde erregen Staunen: fie werden ober Tchredlich groß oder abjcheulich Mein befunden. E83 Liegen Berichte über Fälle vor, wo man fie am eigenen Krnochengeftell maß und zu erfchütternden Nejultaten fam (Friedenberg). Bei Stahl fiel au dem Ufer ein Schädel, der durch feinen ungeheuerlihen Umfang bei allen Augenzeugen Grauen ermwedte; eine nachherige Schürfung an der Stelle bradte ein Frauenjfelett mittleren Wuchjes zutage (1920). Bei der legten Ausgrabung in Alt-Weimar (1924) ergingen ich die anmwejenden Bauern in Staunen und Lamentationen über die ‚„&redliche” Größe des aufgededten Menfchenffelettes. Seine Ränge betrug 1,45 Meter (niedriger Wuchs)!
Aus diefen Beispielen fieht man, wie leicht fich beim Volk mit den realen finnlihen Eindrüden Ungemwöhnliches, Geheimnisv lieg, zum Übernatürlichen Hinneigendes einfchleicht. Grabhügel und andere geheimnisvolle Orte bilden den geeigneten Boden, wo Trugbilder und Phantafiegewebe emporwuchern. Daher werben an foldhen Stellen innmer Srrlichter und Geldfeuer gefehen; jchmarze Pudel, ohrfeigende ober Eopflofe Gejpeniter, graue Männchen und feuerfchnaubende Ge- fpanne treiben dafelbjt ihren Spuf (Torgun).
Offentliche Ausgrabungen zu Forjchungszweden find nicht im» ftande, den an den Orten der Vorzeit haftenden Aberglauben zu ver- treiben, fie rufen manchmal fogar neue Aufwallungen abergläubifcher Einbildungen hervor, wenngleich Arbeiter und Zufchauer den mates ' riellen Charakter der Grabhügel einjehen.
E35 wird dann viel von Zauberiteden und Erbdfpiegeln, von
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verheimlichten Goldfunden und dergl. erzählt. Mit dem Zauber» ftedlelchen erklärt fich da3 Wolf die unfehlbare Auffindung der Gräber vonfeiten der Forfcher: e3 Hopft dreimal, vo etivad verborgen liegt (Blumenfeld). Das Motiv ift mit der mwefteuropäiichen Wünjchelrute identisch.
Der Erdfpiegel (au) Zauber» und Bergfpiegel in Deutjchland) ift in der Faffung der Wolgafolonijten eine vom Süden her (Kuban- gebiet, Kaufafus) ftark beeinflußte Vorftellung von einem Bauber- gerät, dem der mißverjtandene harmloje Kompaß zugrunde Tiegt.!) „gieher” erzählen Wunderdinge von feiner Anwendung bei Aus- grabungen im Kaufafus. Durd) den. Erbfpiegel Tann man da3 Annere der Erde jehen.
Wir haben gejehen, wie die Grabdenfmäler und materiellen Überrefte vorzeitlichen Lebens den Boden abgeben, der zur Kultur ton allerlei Sagenhaftem und Blüten des Aberglaubens beitellt ift. Wo fie fich befinden, niftet fich gern Spuf ein; da3 führt cft zum umgefehrten Berhältnis: mo Spuf bemerft wird, vermutet ınan Altertümliches, Verborgene2. |
Wie Sage und Wberglaube in den beiprochenen Formen in unferen Tagen entiteht und lebt, mögen einige Beijpiele au meinen Aufzeihnungen zeigen, die ich in der Form und Orbnnung twiedergebe, in der fie aufgefchrieben find.
1. Der Hügel bei Friedenberg.
Bei dunkler Nacht hütete ein Dann feine Pferde in der Nähe der zwei Hügel. An dem größten hatte fich aber fchon öfter was gezeigt. Er legte fih an den Hügelrand und wollte fchlafen. Da berührte ihn jemand und eine Stimme fprad): ,‚Geh’ iveg von diefer Stelle!” Er beachtete e3 anfangs nicht; ba gefchah e3 zum zweiten und dritten Mal. Bon einer plößlichen Angit ergriffen, raffte der Mann haftig feine Sachen zujammen und madjte fi au3 den Lappen.
' 2. Geldfeuer.
Bei Friedenberg fteht eine Wafjermühle einfam im Gehölz. Der Müller ging bei ftodfinfterer Nacht am Ufer entlang, da be=- merfte er ein’ eines Feuer, das in bläulichen Slämmlein unheimlich glühte. Er dachte fich gleich nicht? Gutes und bededte da3 Feuer
') [Bgl. jedoch R. Wünfch, „Ein Odenwälder Zauberjpiegel” in diejen Blättern III 1904 ©. 154 ff. u. dazu XX 1921 ©. 52f.]
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mit der Hand. Und wer hätte e3 geglaubt: die Flämmcdhen züngelten ihm bläulichgrün durch die Finger und verjengten ihm fein Härchen. Das Feuer wurde damal3 von mehreren Leuten gejehen; da joll einmal einer fagen, mwa3 da3 war! Der Müller hätte nachgraben und den Schab, der darunter liegen muß, heben fönnen, aber er war ein swohlhabender Mann, der fich mit jo etwas nicht befallen. wollte. " 3. Die Badfteinfüppel bei Blumenjeld.
Fünf Werft von Blumenfeld find drei Badjteinfüppel, die fennt jeder. Einer ift ganz von Baditeinen, die beiden andern aber nicht, — man hat nur vereinzelte Steine auf ihnen gefunden. Der eigent- liche Baditeinfüppel ift der fleinfte, aber dort muß ganz gewiß etwas drin fteden. Auch Gold muß darin fein, daran zweifelt niemand. Bor vielen Zahren Hat der Kälberhirt lange Zeit an diefem Hügel gegraben, von dort hat er aud) feinen Reichtum Her. Wenn er graben gegangen ift, hat er immer auf eine feltfame Weijfe gepfiffen. E3 verging fein Sahr, da hat er fih auf einmal zwei Kühe gekauft; dann ein Haus und fo fort. ebt ift er ein grundreicher Mann.
Bei diefen Küppeln geht e3 nicht immer mit rechten Dingen zu. Nodh vor zwanzig Jahren ft ein geheimnispoller Pfad von den Hügel bi3 hinunter and Waffer gegangen. Der Weg war tief auß- getreten, wie wenn Menichen und Tiere alle Naht an3 Waffer und zurücd gegangen wären. Wenn das Land nicht gepflügt wäre, müßte man diefen Weg heute noch fehen. |
4. Da3 geheimnisvolle Weib.
Sn der Gegend bei Blumenfeld ift noch ein großer Hügel, dort mag e3 auch nicht ganz richtig fein. An diefem Hügel mähte ein Mann im Dänmmerlicht des Abends Korn. Da war e3 ihm auf einmal, al3 ob jemand Hinter ihm fe. As er fich umjchaute, ah er ein Weib in meißen, langen Gemwändern vom Hügel aus ind Yeld gehen. Plöglih war e3 verfchwunden. Er hat e3 nicht mehr gejehen und weiß aud) nicht, woher e3 gefommen war, denn e3 hätte doch an ihm vorbeigehen müfjen. In diefem KRüppel müfje etwas fein, meint der Mann, two follte denn fonft da Weib her jein?
5. Der Sartenan der Kuba.
Bei Blumenfeld hat ein Mann einen Garten an der Ruba. Dort wollte er eine Grube für einen jungen Baum machen. Er
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grub aud) ein großes Loch aus; mie er aber jo tief gegraben hatte, daß es ihm an den Nabel ging, da ftieß er mit der Schaufel auf ein Gemäuer von Baditein. Das fchien ihm nicht paffend, und er grub auf einer anderen Stelle Kaum aber hatte er hier. eine Weile gegraben, jo ftürzte mit fürdhterlihem Rollen und Getöfe etwas unter ihm zufammen. Bor Schred flog er wie von felbft aus der ®rube herau2. Ä
Ein anderer Mann fah hier fünf Schritt vor fi) ein blutrotes Nind zun Wafler gehen und mit einem Male verjchwinden. Er würde e3 felbft nicht glauben, wenn er e3 nicht mit eigenen Augen gejehen Hätte. Die Leute meinen, dort müfje was fteden.
6. Der Jhmwarze Pudel.
Nicht weit von VBlumenfeld grub ein Mann am Abend eifrig einen: Geldfeuer nad); er fand einen Webftein und legte ihn beifeite. Bald darauf fah er einen fchwarzen Pudel fortlaufen, da war aud der Wepjtein verjchwunden. Der Mann fah bald die Nublojigfeit feiner Arbeit ein und ging weg. Am andern Tag-fuchte er vergebens Cpuren feiner näcdhtlihen Arbeit: die Grube war verjchmunden.
7. Dieverfunfene Tatfdhla.
nr Alt-Weimar bildete fih im Anflug an einen Kurgan, in dejjen Gipfel eine Grube Hafft, folgende Cage: eine Räuberbande, die eine goldbeladene Tatjchfat) mit fich führte, wurde von Militär verfolgt. Auf dem Küppel zerbrad) die Achje, und der Räuberhaupt- mann, ein Schwarzkünftler, verwünfchte die Tatfchfa mit dem Golde, daß fie in die Erde verfanf. Die Vrube foll die Stelle zeigen. — Dieje Gefchichte ift befonders wertvoll: fie enthüllt da3 geringe Alter der Sage, denn die Grube ift eine Hinterlaffenfhhaft bes jcheppen Eerlad) (j. o. ©. 41).
Die Motive der Sagen und ber abergläubifchen Phantafie- gebilde unterliegen örtlichen Schwankungen: an der Wolga (Straub) müten Die Heren und Alpche, die böfen Leute; an der Kuba (Morgen- tau,: Blumenfeldo) herrfchen gejpenftifche Tiere (Hunde, Biegen, Schweine u. a.) vor, am Torgun treiben Geldfeuer und Srrlichter am öfteiten ihr Unmefen. Das gefpenftiihe Treiben meift ferner zeitlihe Schwankungen auf: ein Auf und Nieder der trüben Flut de3 Wberglaubend. So drohte 3. B. im verfloffenen Sommer da3
') Leichtes, einfpänniges Fuhrmerf.
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nächtlidye Umherfpulen von Srrwifchen (Srrlichtern) bei Alt-Weimar überhand zu nehmen. Ein Bauer, dejfen Grundftüd und Gehirn die beliebteften Tummelpläge de3 Unmwefens waren, ließ die in Der Umgegend -arbeitende archäologifhe Erpedition erfuchen, doch auf feinen Zande nacdjhzugraben.
Wie fteht ed nun mit der Lebenzfähigfeit des Aberglaubens in den Wolgalolonien? E3 will einem manchmal vorfommen, ala hätten ihn einzelne Dörfer bereit abgejchüttelt; in diefer Richtung ift fpöttelnder Steptizismug oder wenigftend Windftille eingetreten. Dem ift aber nicht zu trauen. Man fennt feine zähe Natur; mandje Dorf gemeinden hält er feit umfrallt.
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Poetifhe Warnungetafeln. Von Hans Lucas.
Sn Parkanlagen und öffentlichen Gärten findet man vielfad) Ware nungstafeln, worin Bejhädigung oder Verunreinigung unter Strafe geftellt wird. Viel wirkfamer find die in neuerer Zeit immer mehr auflommenden Tafeln mit Auffchriften wie: „Dem Schuße der Bürger empfohlen”, oder „Bürger, jchüget eure Anlagen“ u. dgl. Sin einer neugepflanzten Baumes allee in Rügen las ich einft, an mehreren Stellen wiederholt: „Ein guter Menich befchädigt feine Bäume!” Sicherlich trägt bei diefen Mahnungen die Höflichkeit der Yorm und die Aufforderung an den lefenden Wanderer zur Mitwirtung an dem guten Werke viel mehr zur Erfüllung des ge- münjchten Zweces bei, al3 eine jcharfe Strafandrohung. Noch mehr wird diefer Zweck erreicht, wenn bei der Abfaffung folcher Schußtafeln gefällige poetische Fornı oder Humor und Wi zur Anwendung. tommen. Solche poetifche Warnungstafeln, wie ich fie nennen möchte, habe ich auf Reifen in ziemlicher Zahl gefammelt, Die VBerschen find ftetS ‘ohne Angabe des Verfaffers. Häufig fteht der poetifche Wert fehr hinter der guten Abficht zurüd. Da fi) nun mehrere diefer Verfe an verfchiedenen Orten wiederfinden — offenbar haben fie ihr Glüc gemacht, fie find der Abfchrift und weiteren Verbreitung wert befunden worden —, fo :fann man wohl von einer Art Volksdichtung reden. Eine Mitteilung diefer eigenartigen dichterifchen Erzeugniffe dürfte bei Sreunden der Volfstunde des “yntereffes ficher fein. Mir ift bisher nur eine einzige Schrift zu GBeficht gelommen, die von diefen Warnungen Notiz genommen bat: Ernft Tiedt, Witiges und Spitiges (Stuttgart 1908), gibt ©. 130f. neun Proben, von denen mir vier durd) eigene Abfchriften befannt waren.
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* Erfte Öruppe. Warnung vor Verunreinigung durd) Papier, Eierfchalen, Blas. Den Anfang mögen die Fürzeften Gedichtchen machen, nur aus zwei Beilen beitehend. 1. Sehr häufig, 3.8. a) auf einer Bank im Walde bei Leipzig (Ziedt ©. 180); b) im Stadtpark in Gohannistal bei Berlin (nach einer Beitungsnadhricht); c) im Aınfelgrund in der Sädhjfifchen Schweiz, von mir notiert, war aber auf Papier gedrudt, zeugt aljo von einer weiteren eu: IE dein Brötchen mit Vergnügen, Laß aber das Papier nicht liegen | So b. Varianten: a Verzehr’ dein Brötchen, c JE dein Frühftüd; a Doch laffe kein Papier hier liegen. 2. Am Ludla-Brunnen bei Oberlaufung (Ragbadjtal in Schlefien). Den?’ in Lebenshaft,
-Hältft am Duell du Raft: Du bilt Hier ein Balt!
8. Am Eingang des Stadtiwaldes von Frankfurt a. D., oberhalb der Grundfchäferei (nach freundl. Mitteilung meines Kollegen A. Lang»
Haren): Sted in die Tafche dein Papier Und ftöre nicht des Waldes Bier!
4. Tegel, am Rande de8 Stadtwaldes. Im Waldesgrün jet’ dich zum Schmaus, Dod das Papier nimm mit nach Haus!
5. Ebenda. | Niemals wirft der Kavalier In den grünen Wald Bapier.
6. Freibad Wannfee, bei Berlin. DMenjchen, haltet fauber die Flur; Papier und Scherben verjchönern nicht die Natur. 7. Amfelgrund in der Sächjlifchen Schweiz; auf Papier gedrudt. Wohl befomm’s! wer bier recht viel bat zu effen, Nur die Nefte mitnehmen nicht vergelfen ! 8. Lagow in der Mark, im Schloßgarten. Bitte die Wanderer und Gälte, Nicht liegen zu laffen die Reite Von Speife, Bapier und Glas: Denn wie verunfchönt das! Die Schloßverwaltung.
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9. Am Wege nach dem Fuchsturm bei Jena Wal. Rr. 1. Im Wald und auf den NRuheplägen Da fannft du friedlich dich ergößen. Lab’ dih am AJmbiß mit Vergnügen, Toch die Papiere laß nicht liegen! | | ZuchsturmsGefellfchaft. 10. Ruine Ebersberg i. d. Rhön. Wer Anftand, Ordnung bat im Leben, Der fei vergnügt und fröhlich hier; Doc) jorg’ er, daß nichts liegen bleibe Bon feinem Wurft- und Käspapier! „Vom Meilterturm in Taunus.” 11. An den Berlebeler Quellen inı Teutoburger Walde. Wer Glas, Papier und alte Tuten Und alles, was nıan fonft nicht braucht, Hier von fich wirft, wird fünf Minuten Sn kaltes Waller eingetaucht. Auch bei Tiedt ©. 131, ohne Ortsangabe. Nach Zeitungsnachricht ' (Berliner Tageblatt vom 5. uni 1914) aud) in Solbad Salzgitter a. Harz, an einer Ede des Kurgartens; Varianten: 3. 1 Tüten; 3. 3 zehn Minüten; 3. 4 in heiße Sole. 12. Am Quidborn (Deifter). Wo du gegellen und getrunlen, Wo dich die Duelle labt durch kühles Naß, Wenn du auch dort warlt traumverfunten, So nimm ftet3 mit Papier und Glas!
13. Tiedt ©. 181: in einem Eifenbahnwagen „der Bahnitrecke Emmerthal-Bormwohle”; aber wie der inhalt zeigt, Für die freie Natur beftimmt und andersmoher entlehnt.
Beden?’, 0 Menfch, das leergegeßne Butterbrotpapier Gereicht dem grünen Waldweg nicht zur Bier.
Bilt fertig du darum mit deinem Schmaufe,
Sted’ ein ’3 Papier und nimm es mit nach Haufe.
14. Auf dem Truppenübungsplag Döberig, vor der Dorffirche, neben einem Korb für Stullenpapier (Märkifches Wanderbucd, Berlin, Uflftein, 1911, ©. 47).
Hier liegt fo viel Papier umber, Gemwiß ift dies ein fogenannter jchöner Puntlt; Denn wo es fchön ift, fFrühftüct gern der Menjch, Auswicdelnd froh die mitgebrachte Stulle ! „Das Stullenpapier alfo bitte”, und eine weiße em zeigt mit mächtigem
Beigefinger.
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15. Mübhlental bei Sranffurt a. D., nahe der Talmühle, am Ein- gange des Schiekitandes der szrankfurter Schießgefelichaft (Mitteilung von UV. Langhammer). 3
Geftattet ift es, anzufchaun, Verboten ift Unfug und Klaun, Drum unter eines jeden Schuß Gejtellt ift diefes Schießftands Buß.
16. Godesberg a. Rh., Burgruine,
Was in der Stube gilt al3 fimpler Brauch, Das halte feit im Walde auch.
Laß niemals auf den Boden fallen
Papier, Drange — Eierfchalen!
Halt rein und fauberlic) das Waldlofal, Dann bleibjt willfommen du bier überall,
Eigene Abfehrift. Tiedt ©. 131. Mehrmals in Münden a. Wefer (Wüftefelds Anlage; Tillyfchanze; Seidels Anlagen). Ngnetendorf im Niejengeb. VBar.: 3. 4 Orange: Godesberg u, Münden; Orangen- und Eierfchalen: Agnetendorf. 3.6 Tiedt ungenau.
17. Eichwalde bei Berlin. An einer Anjchlagsfäule.
Willlommen ift uns jeder Galt,
Zu furzer oder. längrer Raft.
Nur hindre er, die mit ihn wandeln, - Daran, Eichwalde zu verjchandeln. Bapier verjchönt nie die Natur, Drum merft es in die Körbe nur!
18. Auf der Altenburg (durch den Pößnecker Verfchönerungsverein), Tiedt ©, 130, Halt du gegejjen und geruht, Getrunfen aus der Flafche, ©o fte’ die NRefte — Sei Jo gut — Nur wieder in die Tafche. Papiere find bier feine Bier, Das merke dir!
Ebenjo bei. den Käfteflippen bei Harzburg, an einer Schußhütte, Nur 3. 5: Papier und Glas find Feine Bier.
Etwas abweichende Faffung, um zwei Verfe verlängert, am Südufer des Müggelfees bei Berlin: Hell. DT. f. Volkskunde Bd. XXIII. i 4
50 °—
Halt du genofjen und geruht
Und auc) geleert die Flafche,
So ftede — bitte, fei fo gu — Die Nefte in die Tafche!
Papier und Blas, das merke nur, Verfchönern niemals die Natur! Auch fortgemworfne Eierfchalen Bereiten manchen Augen Qualen.
19, Lagoıw, Schloßgarten.
Haft du auf einer Bank gejeffen, Dein Butterbrot dabei gegefjen,
So mwirf’s Papier nicht achtlos fort, Da jonft verunziert wird der Dirt. Nimm’s fchnel zur Hand und grab es ein,
Dann wird der Plaß Stets fauber fein.
Und für befolgte nnehaltung
Dantt jehr die hiefige Schloßverwallung.
Eine etwas andere Geftalt zeigt daS Gedicht in Schmiedeberg
(Riefengeb.), in den Stadtanlagen, furz vor der Tannenbaude: Halt du auf einer Bank gefellen, Dein Butterbrot dabei gegellen, So mwirf’s Bapier nicht achtlos fort, Da fonjt verungiert wird der Ort. Stec’3 lieber ein, es fommıt die Zeit, Wo du es brauchelt andermweit —! Um ftreng befolgte Sunehaltung Erfucht die hiefige Barkvermaltung.
Die mwißige Wendung in der Mitte ift ficherlich nicht vollstümlich, fondern mahrfcheinlich veranlaßt durch daS Gedicht Rudolf Baumbadhs, das Tiedt ©. 130 mitteilt:
Mein Freund, der du zu Fuße reifelt Und deine Wurft im Grünen [peifeft, Sch bitte dich, wirf daS Bapier, Das fettgetränkte, nicht von dir, Sted’s lieber ein, e8 fommt die Zeit, Ro du e8 braucheft andermeit. 20. Sn den Barmer Anlagen; Tiedt ©. 130. D Menfch, der du hier fpazierft Und Butterbrote mit dir führft, irf das umhüllunde Papier, Das fettgetränkte, nicht von dir! | Wirf’s in den Korb, du Halt ja Zeit — Nichts geht doch über Reinlichkeit.
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21. Barmer Anlagen, neben einem PBapierforb. Tiedt ©. 130.
Alle Sorten Speiferefte
Slafchen, Scherben und Papier
Dienen — Wandrer, merf’3 aufs befte — Plag und Wegen nicht zur Bier.
Drum dies alles hier herein,
Und ein jeder wird ich freun.
22. Graudenz, am Bergfrid des alten Schloffes. Für jeden Fuß ift jeder Gang, Für jeden Müden jede Banl,
Für jedes Auge jede Blume,
Bum allgemeinen Eigentum.
Für Herz und Sinn fei alles dir, Loc) für die Finger ift nichts bier.
Auch in Konik, an einem Baume des Reftaurants Wilhelminen- höhe. Bar.: 8. 3 lautet Der Duft von jeder Blume. 3.5 Der Magen findet Speis und Bier. 3.6 Nur für die Finger. — Abgelürzt in Bad Köfen (Thüringen), in den Anlagen (Mitteilung des LolalsAngzeiger,
re ug jedes Auge jede Blume
Zum allgemeinen Eigentume, Für Herz und Sinn fei alles Dir, Doh — für die Finger ift nichts bier! 23. Infchrift von einer Banf, Tiedt ©. 131. Bemal’ mich nicht, befrag’ mich nicht, Und fchneid’ aus mir nicht Sparren, ch werde dadurch beifer nicht, Und du, du wirft zum Narren.
Zmeite Gruppe Schuß der Natur.
24, Heidelberg, in den Anlagen (Berliner Tageblatt, 21. uni 1915).
Laß die Blumen ftehen Und den Gtraud), Andere, die vorübergehen, Treuen fi) auch). 25. Albrechtshöhe bei Dderberg (Lolal- Anzeiger, 29. Sept. 1921). Mög” euch die Blume und die Frucht entzlichen, Doch bitt’ ich: Hütet euch, davon zu pflüden. Bedenkt, daß Adam einen Apfel nur genommen Und darum aus dem Paradies gekommen, 4*
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26. Riefenbachtal bei Harzburg.
Farren abpflüden verboten! fteht bier zu lefen. Bedenft, aud) fie find Fleine Gottesmwefen. MWachfen und gedeihen im Sonnenlicht,
Freut euch ihrer — aber pflüdt fie nicht!
27. Weißenjee bei Berlin, im Stadtpark am Schloß.
Ein jeder Baum bier, jeder Straud), Dein Eigentum ift, Bürger, auch!
Mer Schäge der Natur zeritört,
Sit feines Menfchen Achtung mert. Drum ehr’ dich felbit in diefem Hain — Hüt dich und auch die Kinder dein!
28. Nordhaufen, Stadtpark, Natur und Kunft dein hohes Bild zieren, Mag Brevel nie dein Blütenreich entweihn, Nie eine Hand des Parkes Blütenfchinud zeritören. E53 fol der Menfch des Schönen fich erfreun, E5 ladet Arm und Reich in feine Hallen, Und Schonung fei der ftille Dank von allen.
29. In einem Vorort im DOften Berlins, auf einem Gemüfeacder, ftand 1915 zu lefen (Berl. Zeilung am Mittag, 9. Aug. 1915): Kriegsland — viel Mühe hat’3 gemacht! Durchfreuzt des Briten Niedertradit. er es zeritört mit frevler Hand, Berfündigt fih am Vaterland.
30. Schandau, Schloßturm-Promenade. Gedicht in 7 zweizeiligen Strophen. Drucdblatt. Gedrucdt in der Lehmann’fchen Buchdruckerei,
Rn Schüßt Feld und Flur!
Sm Feld die Blumen, blau und rot, Verfchone fie — das Korn gibt Brot! Bertritt das Gras nicht auf den Wiefen, Das Vieh will aud) etwas genießen. 5 Pflücft Blumen du, laß einige ftehn’, Die andern wollen auch was fehn. Bind niemals einen Riejenftrauß, Ein Sträußchen fieht viel fchöner aus. Köpf nicht die Blumen mit dem Gtod, 10 Sonft Elopfe er dir felbft den Rod! Und haft du einen netten Strauß, Wirf ihn nicht weg, bring ihn nad) Haus!
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Kein Fangneg! Laß die Falter leben ! Viel prächt’ger it es, wenn fie fchmweben,
31. Ebendort. Ein noch längeres Elaborat in 10 Strophen, das dem WVerfaljfer gewiß viel Mühe gekloftet bat. Gedrudt in Dresden, Lehmann’sche Buchdruderei, Mit Unterfchrift: „Aus den Mitteilungen des Bayrijchen Vereins. Drucfeis.“
Nicht im Gras und in den Saaten Darfit du wie im Waffer mwaten; Müpten fie zertreten fein,
Ging’ der Bauer felbit hinein.
> Nimmft die Blume du der Pflanze, So verfchandelft dur daS Ganze, Meil nicht — wie mand) eitler Tropf — Schöner fie ilt ohne Kopf.
Blüt’ und Blum’ anı Straud), im Grafe, 10 Kann man riechen mit der Nafe;
Schau nicht mit den Händen an,
Was man mit den Augen fann!
Eine Blume auf dem Hut
Macht fih an und für fi) gut; 15 Nur der Ochs will viele fchmecen,
Rupft fie auch zu andern Bmeden.
Kleines Viehzeug lafje leben, Dich ergößt fein Tun und Streben; Sperr’s in feinen Käfig ein,
D Sollt’ e8 aud) „aus Liebe” fein.
ft das Reh im Wiefengrund, Gehe leife, halt den Mund! Du gefällit, das glaube mir, Nicht fo gut ihın, wie es dir.
5 Denk, daß Tiere barfuß fchreiten, lafchenjcherben Schmerz bereiten! TuHlit du’s nicht mit dem Verftand, Dann zerhau fie mit der Hand!
Tslafchen, Düten, PBacpapier
2 Sind den Walde feine Bier. Bringft du fie gefüllt bis ber, Trägft du beimzu auch nicht jchiwer.
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Sohlen, Schreien fei vermieden;
Denn es ftört den Waldesfrieden, - 5 Wenn ihn das Gebrül durchhallt:
„Wer hat dich, du Schöner Wald!”
Willen follen fteis die andern,
Die nach uns des Weges wandern: Der vorher gegangen mar,
War Kulturmenfch, nicht Barbar.
Dritte Gruppe. Schughbütten.
32, An einer hölzernen Schußhütte am Fuße des Hochwalds bei Oybin, auf der böhmilchen Seite. Sch BHüttchen bin erbaut, Dem Bubliftum anvertraut. "ch will jedem Schuß gemähren, Drum follte jeder auch mich ehren. Sch will bei fchlechten Wetter zur euch fein ein Retter. Drum wär” es auc) recht bitter, Wenn ihr nicht wärt mein Hüter.
Unorthographifch gefchrieben: 3.3 jeden; 3.8 wärd mein Hütter. — Andere Sreinplare aus Schußhütten habe ich nicht. Doch jei auf das betreffende Kapitel bei Tiedt ©. 131—133 vermwiefen.
Vierte Gruppe, Kircchhöfe. 33. Bittau. - Die Blumen auf den Friedhöfen gehören den Toten.
34. Auf dem antiken Begräbnispla der Saalburg bei Domburg. Sepulcra militum Romanorum.
Sacratam cunctis sedem ne laede viator: Hanc tibi nascenti fata dedere domum.
MWandrer, beichädige nicht die für alle gehörige Stätte! Dir felbft hat das Gefchie folche Behaufung beftimmt!
35. Hier mögen noch zwei poetifche, nicht gereimte Betrachtungen auf dem Kirchhofe zu Hirschberg i. Schl., hinter der Gnadenfirche, Auf nahme finden. Am Grabmale des Fleifchwarenfabrifanten oh. Gottfr. Pefchel (+ 1874); zu beiden Seiten vom Medaillon des Verjtorbenen.
5 —
a) Menfch! Betritt den Friedhof mit Ehrfurcht! Denn es ift ein Drt des tieflten Ernftes und der Trauer! Die Tenfmale, deren Sinn- bilder und Snfchriften auch zu dir reden, fie hat dankbare Liebe errichtet, o bejchädige fie nicht! Die Bäume, Sträucher und Blumen, die Wehmut bat fie gepflanzt und Tränen des Schmerzes haben fie befeuchtet, o pflücde nichts davon!
b) Die Grabhügel, deren Gras mit feinem fehönen Grün deinem Auge fo mohlgefält, zertritt fie nicht! Schone fie liebend und gönne den ftillen Hügeln, der legten Habe der Toten, ihren befcheidenen Schmud! Gib auch) nicht zu, daß ein anderer hier einen Tsrevel begehel Dadurd) befennft du deine Menjchenmürde |
Diefe ernten Worte fcheinen mir den Stil und die Tenfweife einer älteren Zeit zu verraten.
Fünfte Gruppe. Gegen rafende Fahrer, Automobile ufw.
36. Höchberg in Ilnterfranfen (Berliner Tageblatt, 6. April 1913). Lieber Autler! Mit Verlaub, Mach’ uns doch nicht zu viel Staub! Schau auf Berg und Burg entzüdt, Raf’ vorbei nicht wie verrüdt!
37. Unter-Grainau bei Garmifh. An einem Baum am Eingang de8 Landgute® Marienalp.
Lieber Wanderer und Chrift,
Radfahrer und Autonvobilift,
So e3 dir etwa fehlen tut an Raum,
Renne ja nicht an Bieien Baum!
Diemweil du es täteft in Senfeits büßen, Wenn ich bier follt noch 2 m abtreten müljen. Fall lieber auf die andre Seiten,
6 m ift die Straßenbreiten!
Sedhfte Gruppe. BZahlungSaufforderung.
38. Am Annaturm, Ausfichtsgerüft, im Deifter. 25 Pf. gibt die Ausficht frei. MWem’s gut gefällt, gibt deren zwei. 39. Im Dfertal (Harz), anı fog. Kurfürftenplag, neben einer Dpferbücje.
= 5
Umfonft ift nichts in diefer Welt. Drum, Wanderer, bezahl dein Geld! Du Fannit bier im VBorübergehen Dafür den Großen Kurfürft feben.
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Fürkendüßer.
Über den Alpdruk hörte ich vor etwa 20 Jahren in der Wetterau folgendes Verschen (aus Gettenau bei Echzell), Diy hat da Alby') gadrickt, dou host dein Stuhl net varrickt,
ohne daß ich über den Sinn etwas erfahren fonnte. Wa3 gemeint ijt, geht aus [%0H. Sg. Schmidt3?)) geftriegelter Nodenphilojophie II. Hund., Kap. 33 (5 1759 ©. 192.) hervor: „Ein Weib, da3 Abends zu Bette gehet, die foll ihren Stuhl, darauf fie gefefjen, von der Stelle rüden, fonft drüdt fie der Alp oder Nadjt- mar. Der Alp muß ein pofjirlicher Kerl feyn, daß er dem Löblichen Yrauen- zimmer fo nachichleichet; iedoch fcheinet3, daß er feinen guten Spürhund ab=- geben mag, meil er, durd) da8 wenige Yortrüden des Gtuhls, nicht nachjpüren fan, wohin die Frau gelommen fey, die darauf gejeifen hat... . .“3) Karl Huß, der Scharfrihter von Eger, den Goethe miederholt bejucht hat, jagt in jeiner - Schrift „Yon Aberglauben” (Hrög. v. U. Kohn, 1910) ©. 31: „Wenn man von dem Drude des Alp3 oder der Trute frey feyn will jagen viele unverjtän- dige Land und Stadt Leüte, foll man ehe man zu Bette gehet, die Schuhe oder Pantoffelt umfehren*) ... ., oder foll derjenige der von den Alp oder Trute gedruct worden, den Stuhl oder Bank worauf er gejfäßen von der ftelle rüden oder umfehren.”5) Das Umfehren der Schuhe und de3 Stuhls 6) (da3 Berrüden ift wohl nur eine der in Kult und Magie häufigen Verfümmerungen oder Verein- fadhungen) follte in der Tat den Dämon irre machen; man empfahl daher aud, fi) verkehrt ind Bett zu legen.’) Das Umfehren der Kleider (Hei. BI. XX 1.921, 20 ff.), die Vermummungen (3. B. Reufchel, Deutihe Loltsl. II 20; 28) haben ja vielfach aud) Teinen anderen Ginn, al3 die Dämonen zu täufchen. 9. Hepding.
1) Vgl. Dappdh, Doppdh, Kropp u. ä Ereceliug, Oberheif. Wtb. I 25.
I) NR Hildebrand, Gefammelte Auff. u. Vortr. ©. 115 ff.
) = Grimm, D. Mythol. III 4 438 Nr. 125; vgl. Joh. BPrätoriud, Anthropodemus Plutonicus, db. i. eine neue Welt-beichreibung (1666) II 162: „Welche des Abends jchlaffen gehen, und ihren Stuel, da fie auffgefefjen, nicht ver«- fegen, die müffen bejorgen, daß fie der Nadht-Mahr reite.” (C. Seyfarth, Übergl. u. Zauberei in d. Vollsmedizin Sadjjens ©. 9).
+) Dazfelbe Mittel auch in der NRodenphilojophie VI Cap. 63 ($ ©. 951), = a a. a.D. 449 Nr. 457, bei oh. Brätoriu3 a. a OD. 11,30.
—= Hopdorfa u Kronfeld, Vergl. Bollamedizin II, 254. 5 Lg auch Wuttfe-MeHyer, Der deutiche Volfsabergl. 3 ©. 410 8 636, ) 30h. Prätorius3 a.a.D. I1, 30.
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Di DR
Germanenforfchung ? Von Karl Helm.
Die zoologische Gattung, die fi) — fei es zu Recht oder zu Unrecht, aber in jedenfall echt menjchlicher Weile — die hochtrabende Benennung homo sapiens (d. i.: der mit Vernunft begabte Menfch) beigelegt hat, it ein Herdentier, phyfifh und pfyhiih. Man will das heute zwar vielfach nicht mehr wahr haben: e8 paßt fchlecht in die Zeit eines ge= fteigerten SYndividualismus und der Forderung des Rechtes auf perfäns liches fchrantenlofes „Ausleben”. Aber gerade diefe Forderung ift, eben weil fie als Maffenerfcheinung auftritt, ein neuer Beweis der Thefe. Alles was fich in der Mafje geiftig vollzieht, wobei fich die Grenze zwifchen bewußter Nachahmung und unbewußter Beeinfluffung faum ziehen läßt, ilt ein Ausfluß geiftigen Herdentriebes: das Umfichgreifen bejtimmter Anfchauungen und Neigungen auf einem wie auch immer gearteten Gebiet, fei es die Neigung zu beitimmten Handlungen des täglichen Lebens, herrjchende Auffaffungen über gemilje Arten fich zu Heiden, fich zu bewegen, über Vergnügen und Sport oder fei es Höhberes. Wir willen, daß ebenfogut die religiöfen Einftellungen Gleichgültigkeit, Toleranz, Fanatismus Maffenerfcheinungen find, den Gefeßen der Maffen- pfychologie folgend, ebenfo die politifchen Einftellungen: Pazifismus und Chaupinismus, und in der fänpfenden Truppe panifcher Schreden und höchfte heldifche Aufopferung.
Mit der Bewertung der einzelnen Grjcheinungen bat diefe Erklärung nichts zu tun. Sie fann fehr verfchieden fein. Man pflegt die geiftigen Strömungen, die lebens-, fulture, erfenntnisfördernd find, al3 gejunde Ericheinungen des geiltigen Qebens zu betrachten gegenüber den fchäd«- lichen ungefunden. Wenn diefe über befonders große Länder- und Volf3- mafjen binziehen, fpricht man von geiftigen Epidemien, Man denft dabei wohl gern an das „finitere” Mittelalter mit feinen großen Volfs- frantheiten — wir follten vorfichtiger fein: unfere allerjüngfte Vergangen- heit zeigt uns mit erjchrecdtender Deutlichkeit, daß auch unfer Volkstärper nicht immun ift gegen folche Seuchen, &8 ift für das meilte noch nicht die Zeit gelommen, eS zu bejprechen, aber es wird die Zeit foınmen, da die Soziologie und die Volkstunde fich auch mit diefen Erfcheinungen unferer Tage zu befafjen haben wird,
Auch in der Beurteilung von Fragen, die rein wiljenfchaftlich find oder fein jollten, Ireten folche geiltige Strömungen nicht felten auf. Sie fönnen hier bejonders in der Richtung gefährlich werden, daß fie den Bid für das Richtige verdunfeln oder blenden und fo den Weg ver-
‘bauen zu wirklichem Fortfcehritt, Das einzelne Wiffensgebiet ift dabei gerade dann bejonders gefährdet, wenn es das erfreuliche und erfirebens-
zi, I6R
werte Stadium erreicht, daß feine Fragen über den Kreis der Fachver- treter hinaus bei Liebhabern und in der Mafje Anteilnahme finden. Die Volfsfunde war fat immer in diefer Qage, zeitweilig und befonders auch in den legten Jahren die germanifche und indogermanifche Alter- tumsfunde.
Wir lächeln, wenn wir von Entgleifungen hören, wie fie frühere Zeit aber auch die Kriegs- und Nachkriegszeit erzeugt hat: al$ man uns Kant zu einem Litauer, Kopernifus zu einem Polen, Beethoven zu einem Belgier Stempeln wollte. Aber es gibt ein grotesfes Gegenftück falfch verjtandener patriotifher Wallung auch bei uns. Kein - VBerfiändiger fann die ungeheuere Bedeutung des Germanentums für die Kultur ganz Europas leugnen, eine Bedeutung, die zum Teil in der Erhaltung alter Kulturmwerte durch die Germanen, gun Zeil in ihrer Germanifierung fich äußert, in der Negenerierung alter und müder Kulturvölfer und der Befruchtung junger Fulturell rüdjtändiger Völker durch gerimanifchen Zuzug aud) in folchen Ländern, in denen man uns das heute nicht mehr dankt; — und es ift eine der wichtigiten, aber aud) fchwierigiten Auf gaben der Wilfenfchaft, zu erforfchen, wie groß in den einzelnen Völkern und Kulturen diefer germanifche Einfchlag if. An Stelle diefer müh- famen Forfchung fegt fich nun jedoch in vielen Fällen und in einem nicht Heinen Kreis von enthufiaftifchen, aber Frititlofen Dileltanten das anpruchspolle Dogma von der alleinfeligmachenden Kraft und der allein fultureller Entwiclung fähigen Anlage germanifchen WWefens.
Wir haben vor rund dreißig Jahren den „Nachweis“ erlebt, daß Ehriftus ein Germane gemwefen jet, dann den „Nachweis“, daß vor UÜr«- zeiten die „Ariogermanen” im Befiß allertieffter Weisheit gemwejen feien, von der uns elend herabgefommenen Nachfahren nur verjchwindende Nefte geblieben feien, ferner die „Nachweije" folcher geheimnisvoller Urmweisheit in der eddilchen Dichtung und vielerlei andere Nachmeife von Ähnlichen Wert, Die hier angedeutete Strömung ift wie gejagt nicht neu, fie bat aber in den legten Jahrzehnten und auch gerade in den lebten Fahren ungeheuer an Umfang und Einfluß gewonnen, fo daß fie jegt ganz in der Art einer geiltigen Epidemte weite Kreife erfapt hat oder bedroht. Sie ift gleichzeitig verflacht, ihre Graeugnijje find auf einen Bunkt des traurigften geiftigen Tiefftands und — troß fchein- barer üppig twuchernder Bhantafie — einer erjchrecdenden Gedanfenarmut herabgelunfen; — uno arößer ift die Anmaßung, mit der diefe Richtung auftritt, und ihre Anftrengungen in der Öffentlichkeit: fie hat in den Zeiten größter wirtfchaftlicher Not die Mittel aufgebracht, ihre inhaltlich abjolut wertlofen Machwerfe in fplendider Ausftattung auf den Büc)er- markt zu werfen, und hat es endlich veritanden, auch in der Prejje nicht felten zu Wort zu kommen.
Die Methode, nad) der hier gearbeitet wird, ift ftetS die nämliche: eine Theje wird aufgeftellt aber nicht als Problem fondern als Dogma,
und ein Frititlofes phantaftifches Gerede muß dem gutgläubigen Lefer einen Beweis vortäufchen. Sn welcher Weife das gefchieht, dafür nach- ber ein Beifpiel. ch habe hier nur eines vorauszufchieden: wenn von diefen Dingen hier die Rede ift, jo liegt mir die Abficht ganz fern, Verfafjer jolcher Werke von der Verkehrtheit ihres Vorgehens Überzeugen zu wollen — fire S}deen lafjen fich nicht mit Bernunftgründen befämpfen ; ja nan fann fich fehr ernithaft die Frage vorlegen, ob nicht diefer Literatur zu viel Ehre gejchehe, wenn man überhaupt ein Wort Über fie redet, und ob nicht fie totzufchweigen das allein richtige und mürdige Verfahren jet — aber dafür fchreit fie felbft zu laut, und das Publikum, das wirkliche Erkenntnis jucht, hat einen Anspruch darauf, vor folchen faliden Propheten gewarnt zu werden.
ch Fönnte nun leicht eine Lille von mehreren Dußenden derartiger . Publifationen zufammenftellen; ich tue das nicht, weil ich befürchten müßte, vielleicht auf manches Werk wieder hinzumeifen, das längft der verdienten Vergefjenheit anhein gefallen ijt, fondern halte mich nur an Neueres, un daran daS Typilche diefer Werke zu zeigeıt.
ALS folches typisches Beifpiel diefer Literatur fan unter den neueren Publifationen vor allem Ernft FZuhrmanns Berfud einer Ges [hichte der Germanen gelten !), Ähnlich wie einft Guido v. Lifzt in der ©, Lijzt-©efellfchaft einen Kreis gefunden hat, der feinen andern Zwed verfolgte als ihres Patrons funterbuntes Zeug zu drucen und zu verbreiten, hat TF. einen Protektor gefunden, der zur Veröffentlichung feiner Arbeiten einen neuen Verlag gegründet hat, nachdem dem %olt- wang-%Berlag, wo %.5 frühere Arbeiten großenteils erfchienen, defjen Sedantenjprünge offenbar zu toll geworden waren. Sch veritehe durch- aus die Dankbarkeit, mit der %. den neuen Verlag erwähnt, aber ich bedaure, daß Sdealismus und Opferiwilligfeit des DBerlegers, die fich 3. 3 in der Ausftattung der Bücher zeigen, nicht einer befjeren Cache zu gute gelommen find. Der dem Buch beigegebene Reflamezettel faßt den n- halt des eriten Bandes folgenderinaßen zufamnmen: „Auf Grund neuer mwiljenichaftlicher Forfhung mit ausfchlieglihem Tatfachenmaterial wird nachgemiefen, daß in den germanischen Ländern an der Nordjee vor
10000 Fahren eine fo hohe Kultur beftanden bat, wie fie fein anderes Volk der Erde feither gehabt hat, und daß von hier aus die Kolonien in Spanien, Ägypten, Griechenland, Stalien ufıv. angelegt wurden, deren Kultur wir feit faft zwei ZJahrtaufenden bewundern mußten. Wir jehen, daß die ganzen Myfterien des Altertums fich auf Tatjachen auf- bauen, und daß feine Legende des Altertums etwas anderes war als nordilches Gigentum.”
Da der Lefer wohl neugierig ift, wie das im Einzelnen ausfieht, gebe ich einige Proben. Volundr (Wieland) der Schmied tft ein Bullan,
) Band I: Das alte Europa. Auriga-Berlag, Gotha 1923, 288 ©. 4°. — Band II: Die Reiche des Dftens. ebda. 1924, 248 ©. 4°,
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er it gefeffelt, wie der Bulfan ruht, die Befreiung tft der Ausbruch des Bulfans. Die Taten des Herafles find Berichte über wirkliche Unter= nehmungen, die ihn im Mittelmeergebiet umberführten, aber auch zu den Völfern des Nordens; von diejen erhält er 3. B. wertvolle Auskünfte ‚über die Gegend, aus der fie das Gold zu holen pflegen ujw., die Nord= völfer haben den Schlüffel zu allem Wünfchenswerten. Die zehnte Tat führt H. nach der Nordfee; er fol die roten Rinder des Geryones von der Snfel Erytheia holen. Das ift nach 3. Eryth-ei = De roth ei ‚die rote Snfel‘, d. 5. natürlich Helgoland. Und wenn wir mit %. Geryon mit 1 ftatt r und g Statt y fchreiben, alfo Gelgon, und dies weiter um« geftalten, erhalten wir Heligön die heilige Snfel, „Jo daß es fchwer wird, einen Bmeifel zu behalten“,
Die Fahrt des Ddyffeus in die Unterwelt war nad %. in Wirf- lichfeit eine Fahrt in das Rhein-Ruhrgebiet mit feiner Kohlen- und Metallinduftrie. Ddyffeus findet hier feine ihm vorausgegangenen Ge=- nofjen, die alle den Aufenthalt verwünfchen. Der Kokytos (Untermelt3=- Hug) ift in Wirklichkeit eine Koke-hyt ‚Rochhütte‘, mit der daraus fommenden Flut gefcehmolzener Metalle! |
Die Brüde Bifröft, die nach) der nordifchen Sage das Reich der Menfchen und das der’ Götter verbindet, ift nach %. nicht der Regen- bogen, wie man meilt deutet, fondern eine Brüde über daS Waller der Unterwelt; es ift „alfo eine Fahrbahn nac) Amerifa” — denn Amerika ift nad) %. der Siß der germanifchen Götter und Merifo die Heimat der Seelen der toten Krieger.
Die Odyffee — doch da muß ich wörtlich zitieren: „&3 find”, jagt %., „zehn Fahre Her, daß ich damit (d. 5. mit der Textfritil der griechifchen Ddyffee) begann und feitgeitellt habe, = diejes Lied beginnt mit den Worten: Andra moi ennepe, Musa!) ufw. = Ündre mir den Hanf, gib mir neuen Hanf (und dann fannft Du mit deiner Spinnftuben= erzählung fortfahren). Wenn aber fchon die eriten Worte des Liedes jo falfch ?) überfegt find, wie fol es dann mit dem Reft ausfehen? Es handelt jich hier um ein rein niederdeutjches Lied, das nach dem Mittel- meer fam, und das bei genauer Betrachtung uns jede Ausfunft gibt, die wir von ihn erwarten können!”
Erftaunliche „Entdedungen“. Aber wie fteht es mit Begründung und Beweis? Wer das Buch durchgeht, findet aneinandergereiht Be- bauptung auf Behauptung, bald ganz apodiktifch, bald gemildert durch Eleine Zufäße wie „mohl”, „vielleicht”, „Lann", „wohl mit Sicherheit“ ; eingehende Begründungen wird er vermiljen, Als Beifpiel wenige Säße von ©. 28 (die Zufäke und Fragezeichen in Klammern rühren von mir ber, fie follen nur andeuten, wo der Beweis fehlt): „Ister. Bedeutung Is-ter (warum fo getrennt?), Os-ter (warum o für i?), der. oftwärts
1) d.5.: Nenne mir den Manı, Mufe ... », Bon andern natürlich, meint %.
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fließende (mie ergibt fich Ddiefe Bedeutung?), nahe der Ister-Mündung Tyras-, Danastris-Dnjepr, fowie Borysthenes-Dnjepr. Man fieht (?), daß Dnj ein Vorwort ift, das abzulöfen ift (9); alfo (2?) haben wir in den heutigen Namen Str-Dan und Pr-Dan. Bei den alten Namen ent« fprechend Dan-Tyras und Dan-Borys zu ergänzen (2). Daher zu er 'Tennen (?): Borys gleich (?) Po-Ruß, aus Rußland und zugleich (marum ?) Po-Ris, au8 dem Aufgang fonımender Fluß." Wenn in den Behaup« tungen etwa3 befonders unficher oder befonders zmeifelhaft ift, ftellen fich proinpt die Wendungen ein: „jicher ift ..." oder „es fann nicht zweifelhaft fein” und Ahnlic), wie ja bei manchen Schriftitellern immer dann das Wort „befanntlich” auftritt, wen von etwas möglicht Unbes Ttanntem die Rede ift.
Der Grund für das ganze Verfahren ilt klar. Das Bud) ift eben mie die Bücher diefer Art ftets, entjtanden aus einer vorgefaßten — firen — dee. Eine folche ift nun nicht fo leicht als richtig zu ermeifen; deshalb tritt zunächlt die nacte Behauptung fouverän auf. Da aber damit allein die Fadenfcheinigkeit des Gebotenen doch zu offenkundig wäre, muß mie oben angedeutet, ein Scheinbeweis auf [prachmwiljenfchaft- lichen Wege geliefert werden. Mit der herrfchenden Sprachwifjenjchaft geht das freilich nicht. Aber das ftört große G©eilter nicht: die Ein- wände der fritifchen Sprachforfchung findet %. komisch, und fie „inter: eifieren ihn mwenig.“. Was fol man auch mit einer Wilfenfchaft an- fangen, die mit ihren nüchternen Feftftellungen den fchönften Phantafien das Lebenslicht ausbläft. Da erklärt man fie doch beffer als faljch und Schafft fich — und das ift für alle diefe Werke charakterijtiich — eine eigene, eigens für feine Ziwede zurechtgemachte Sprachwiffenfchaft, die feine mes tHodifche Feljeln fennt und mit deren Hilfe jederinann beweijen kann, was auc) inmer feine wildgemordene Phantafie zu bemeilen wünjcht. in diefer Eignung liegt nicht zulegt das Geheimnis der fuggeltiven Kraft diejer „Willenichaft“.
Fuhrmanns. „Iprachwilfenfchaftliche" Methode if num freilich feines- wegs neu. Man fann fie anknüpfen an die etymologifchen DVerfuche früherer Jahrhunderte, bei denen man mit bloßem Anklang der Worte arbeitete und gemwagte gedankliche Verbindung ähnlich Elingender Worte als Stüße heranzog. Berlichtigtes Beifpiel dafür tft die Zufarnmen- Stellung von canis (Hund) mit canere (fingen): canis a non canendo d. b. der Hund heißt lateinifch canis, weil er nicht. canit (jingt). Laut liche Schwierigkeiten gab es für diefe Ciymologen auch nicht, md noch im 18. Jahrhundert fonnte Voltaire fagen, die Etymologie fei eine Wiffenfchaft, bei der die Konfonanten wenig und die Volale gar nichts bedeuteten, Das 19. Jahrhundert hat erit die Sprachmwiljenjchaft auf folide Grundlage geftellt; und wenn die Etymologie feitdem auch noch nicht alle Rätjel löfen fann, jo fann fie doch in den meiften Fällen Teftftellen, welche Erklärung nicht richtig fein fann. Diefe. Sprach-
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wifjenfchaft mit Sicherheit zu handhaben, ift freilich nicht fo einfach; es gehört dazu nicht nur eine Beherrfchung der lautlichen Binge aller in Betracht foinmenden Sprachen, fondern auch genaue Kenntnis der Wort- bildungsgejfege. Das verlangt Arbeit, „die jo vielen widrig germorden ift“, wie Herr Fuhrmann mit Recht jagt, ohne zu willen, wie er feiner jelbjt fpottet. Seine Etymologien jind freilich leichter: es ift ein glatter NRücfall in die Methode früherer Zeiten, ja er geht noch darüber hinaus. Für fein Verfahren fann man die Negeln etwa fo falfen: 1. An jeder Stelle eines Wortes fann jeder Qaut wegfallen, zugefügt oder mit jedem beliebigen andern vertauscht werden. 2. Wortbildungsregeln gibt es nicht: jedes Wort fann an jeder beliebigen Stelle in beliebige Teile zer- legt werden. 3. Sjedes Wort oder jeder Wortteil fann nad) Belieben vOor= oder rücmärts gelefen werden. 4, Kedes Wort kann je nad) Bes darf einmal fo, einmal jo gedeutet werden.
Was dabei herausfornmen fann, jo ein freigemähltes Beifpiel zeigen. Nehmen wir einmal das Wort Kandidat, von dem wir die Herkunft genau fennen: es ift in Rom urfprünglich Bezeichnuug des Bewerbers um ein Ant, kommt von lat. candidus „weiß“ und bedeutet der „weiß gefleidete”, da die Sitte dem Bewerber das weiße Gewand vorjchrieb. Bei uns ifl das Wort zuerit 1663 belegt (bei Balthafar Schupp); die Bedeutung ift im Deutfchen nicht mehr einheitlich, zum Teil bezeichnet es den Amtsanmärter (Predigamtsfandidat), zum Teil den vor oder in der Prüfung befindlichen. Wenn nun einer fommen würde und wollte jagen, das Wort ift gut deutfch, bezeichnet den in Gejcjichte erfolgreich geprüften und ift zu erflären als: fann die Daten (Nenner der ge=. Ichichtlichen Zahlen), jo würde man daS mit Hinweis auf die Gefchichte des Wortes für Blödfinn erklären (hoffentlic) auch Herr Fuhrmann — oder irre ich mich?).
Nun die fäntlichen Erklärungen des Herrn Fuhrmann Stehen ganz auf demfelben Niveau; und nur fo ift es ihm — unter Beobachtung der oben genannten vier Regeln möglich, feine Schlüffe zu. ziehen. So hat er früher das frangöfifche alS einen deutfchen Dialekt „erweifen“ können, jo unternimmt er den „Nachmweis", daß das griechifche eine nieder- deutjche Mundart fei; er fieht in griech. okellein „ein Schiff auf den Strand ziehen”, ein niederdeutfches op kel legen „auf den Kiel legen“. Andere Belege ftehen Schon oben in der Erklärung von griech. kokytos und der ganz irrfinnigen Überfegung des Anfangs der Ddyffee.
Für die Bedeutungslofigkeit der Laute bei %. verweile ich auf den Ihon erwähnten Namen Geryon, aus dem mühelos ein helligön ent» fteht; ebenfo leicht wird ihm die Walfyre zur Fall-Hure, es bildet fich eine $leichung wie Hermes = Kor-mos = Kad-mos = Kos-mos = Thot-mos = Mos-es = Pala-medes; weitere Beifpiele ftehen auf jeder Seite des Buches. Mit Hilfe des NRücmwärtslefens wird ihm fisk
— skip (ZUIH-SHiff) uf.
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Die Möglichkeit, ein Wort bald jo, bald jo zu deuten, wird beleuchtet durch das, was %. auf Seite 114 und 246 über Ogygia jagt. Er hat ganz recht: das Wort kann geradejogut als Bezeichnung einer Nordfee= injel (Hog-ug das hohe Auge) wie auf den Kaufafus gedeutet werden. Nur möge er bedenken, daß es nach feiner Sprachmilfenfchaft ebenfo- wenig Schwierigfeit macht, daS Wort als Gage oder als Dchfenauge zu interpretieren, und daß eine Methode, mit der man alles bemeijen Fanı, Tchließlich nichts bemweift als ihre eigene Unbrauchbarleit. Dies allen zur Beherzigung, die etiva in Gefahr fornmen, durch die anınafende Sicher- beit diejer und verwandter Bücher fich beftechen zu laffen, und der Yır« fetion diefer geifiigen Epidemie zu erliegen, wie es einem Rezenfenten !) ergangen ift, der erflärt, auch der Gegner werde Herrn %. viel Ans regung und Grleuchtung verdanken, und man mülje feinen tapferen Mut anerkennen. Nichts davon! Wer vermeint, bier Erleuchtung zu finden, fann gerade fo gut annehmen, in den Träumen eines Fieberfranfen lebte Weisheit zu vernehmen,
Und wenn denn aud) vom Mut des Verfafiers geredet werden fol, fann ich nur fagen: es ift ein trauriger Mut, der e3 zu Wege bringt, zehn Jahre an einen derartigen Schwindel zu vergeuden und dann feine Delirien alS ernfte Arbeit vorzulegen.
suhrinann ift — fo wenig man es für möglich halten follte — noch überboten worden durd) Franz von Wendrin mit feiner Entdedung des PBaradiejes?. MWendrin unternimmt es, die im biblifchen Be- richt tendenziös entjtellte Paradiefesgefchichte „richtig“ zu ftellen. Bei Demmin in Vorpommern lag nad) feiner „Bemweisführung” der Garten Eden, ein Befig der Götter = Goten = Germanen. Diefe fingen in Treibjagden die Ur-Ebräer (= Wildfchmweinbaftarde), Nachlömmlinge der balbtierifchen Neandertalmenfchen, feßten fie ins Paradies diefes zu be= bauen und gaben ihnen Gejege. Darnacı lieft W. den biblifchen Bericht fo (ich gebe nur Proben; bei W. find die ganzen Genefisfapitel in „rich® tiger" Faffung abgedruct): „Und Bott nahın den Ebräer aus der Wiüfte vom Erdboden und zähmte ihn, und es ward fo der Ebräer ein gezähmter Menfch. Und Gott pflanzte einen Garten in Eden und jeßte den Ebräer darein, den er gezähmt hatte”; und [päter: „Da Iprad) das Weib zur Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir effen. Aber von den Fruchtfäften des Baumes, der mitten im Garten ftcht, von dem bat Gott gejagt: genießet nicht davon ... Da nun das Weib fah, daß der Fruchtfaft des Baumes gut... und begehrensmwert fei und flug macht, da nahm fie von den Säften und tranf und gab aud) ihrem Manne, der bei ihr war,
1) Die fchöne Literatur 26, ©. 80,
2) Franz von Wendrin, Die Entdedung des Paradiefes. Mit 43 Abbildungen im Tert und zmei Karten. Verlag von Georg Weftermann, Braunjchmeig. 1924. 250 ©.
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und er trank.” — E3 handelt fich nämlich bei Wendrin darum: erlaubt war ihnen alle Nahrung, aber nicht der Apfelmein! Die Ebräer aber übertraten natürlich) das Gebot, bejoffen fi) und enıpörten fich gegen ihren Herrn. ES kommt zu langwierigen Kämpfen, 3. T. bei Triebjees in Bommern, woran die Trojafagen die Erinnerung feltgehalten haben. Schlieglih Fam Hilfe aus dem Norden und die Ebräer merden bei Meferig und Paradies jo gründlich gefchlagen, daß fie von da ab immer als Volk aufgehört haben. Adam flieht nad) dem Bobtenberg in Schlefien, Ale Völker außer den Germanen find halbsebräifche Baftarde. Die Wahrheit iiber diefe Vorgänge aber wurde fyflematifch Fahrtaufende lang Durch die orientaliichen Ebräer und Rom, die größten aller Kultur und Weltbetrüger, unterdrüct, bis Herr v. Wendrin fie uns aufdedte. Dies in großen Bügen die Harlefiniade diefes Buches,
Die Methode Wendrins deckt fich in ihrer Art ganz mit der Fuhr- manns. Bunädhft wird frifch drauf [os behauptet. Als Quellen der Erkenntnis werden die fcehmedifchen Felfenbilder genannt: dort fei das alles zu Iefen; Einzelheiten aber werden nicht gegeben außer an einer Stelle, wo ein Mann auf einem Schiff dargeftellt wird. Wendrin deutet: der Mann wartet, alfo ifi die Abbildung eine Urkunde über den Zug der Schweden nac) der Warthe! Ebenfo werden die gnädig ver- Tchmwiegenen anderen Deutungen fein. Hinzu tritt nun wieder der Beweis aus der Sprache wie bei Fuhrmann, nur mit ftärferem Hervortreten de3 Nücwärtslefens!), Denn das ift bier der Hauptwiß: die Ebräer lefen die germanifchen Urkunden von rechts nach linfs; fo entftehen zahl: reiche der uns geläufigen Namen der jüdifchen Gefchichte: Jason oder Jasom umgedreht ergibt Mosai. Tas Gebirge Nisir, wo nach babylo- nifhem Bericht Noah landete, ift die Umdrehung von Risen(gebirge). Auf einem Labyrinthbild des Kruges von Tragliatella fteht von Lin!s nach rechts gelefen das Wort aival, das heikt nach Wendrin Aphal — Apfel und bezeichnet Triebjees als AUpfelftadt (Mittelpunft des Paras diefes). Lieft man aber das Wort rüdmwärts, indem man zugleich für | ein t und für daS zweite a ein r feßt, fo ergibt fich der Name Troia!
Daß auch die Römer an den Paradiesfämpfen auf Seiten der Ebräer beteiligt waren, erkennt W. an dem Namen der Amorfiter); denn Amor ergibt umgekehrt Roma. NAmoriter ift nur ein ebräifcher Ver: legenheitSname für Römer. Berner (S. 141): „dreht man den Namen
ı) Man fühlt fich Iebhaft erinnert an eine Nachricht, die legten Sommer durch die Zeitungen ging. Ein fpäter al3 Betrüger feitgenommener Prediger hatte in Amerifa eine Sekte gegründet. Unter feinen Lehren fand fi) aud) der Sat, wenn die Menfchen einmal die Bedeutung der von rückwärts gelejenen Worte erfannt haben würden, fo kämen fie zu den Quellen aller Weisheit. xhm fei die Erleuchtung geflommen, als er von einem Hund gebiffen worden fei. Denn Hund heißt auf englifch dog, was umgelehrt god (Gott) ergibt. Alfo der Hundebiß als umgedrehte göttlihe Offenbarung.
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Homer = Omer um, fo entfteht daraus der uns fehon bekannte fälfchlich ald Romarlinder benannte Remo (Remus). Aljo aud) hier nichts als ebräifch-griechifch-orientalifcher Schwindel und Betrug. Was hat man uns armen, leichtgläubigen Germanen nicht alles feit SJahrtaufenden vorgelogen! Rom felbit ift viel, viel älter al exit feit 753 v. Chr. und höchit wahrfcheinlich vorher eine rein germanifche Stadt gemejen, wie Karthago e8 auch war. Allzu ängftliche Gelehrte will ich noch auf- merkfain machen, daß lateinifch ebrius foviel wie betrunfen heißt, und Adam war im Paradies betrunken. Das bemweifi, daß die Römer bei dem Baradiesüberfall beteiligt und nicht etwa Rom gegründet haben.“
Und zum Schluß noch eine Probe der Bemeisführung. Daß das Paradies in Norddeutichland lag, nicht im Orient, ergibt fih nad W. ‚aus der Rolle des Apfels; hätte fich der Vorgang in den Tropen oder im Orient abgefpielt, jo hätte Eva ihrem Manne ficher Datteln oder Bananen (ausgerechnet B.!) gefchenkt. Freilich im biblifchen Tert ift nicht von einem Apfel, fondern nur von einer Frucht die Rede; das bemweift aber nach W. nur, daß das Wort Apfel im Orient, mo es feine pfel gebe, in Frucht ungedeutet worden fei — was wiederum darauf bimmveife, daß die Paradiesgefchichte nicht im Orient fich abgejpielt habe. Alfo gerade, daß der Apfel nicht genannt wird, bemeilt, daß e8 ur- Iprünglich fo geheißen bat!
Doch genug des graufamen Spieles! 3 genügt auch fo, zu zeigen, dag Wendrin Herren Fuhrmann weit übertrumpft hat. So fehr, dab fich die Frage aufdrängt, ob er ihn nicht übertrumpfen wollte, ob nicht das ganze Werk auf eine Verfpottung folcher Verirrungen abzielt. Wenn das die Abficht war, fo ift fie jedenfalls nicht gefchidt genug zur Durc)- führung gefonmen; denn das Buch ift in weiten Kreifen als ganz ernit- haft, ja als eine Offenbarung aufgenommen worden. zn einem Buche von Rudolf Wagner, „Kaiferliche Eingriffe in die Weltfriegsführung“, Leipzig 1924, wird am Schluß die Frage aufgeworfen, ob die Germanen Ichon ähnliche Erjchütterungen erlebt hätten wie heute, Und da werden als eine hiftorifche Parallele die Nefultate Wendrins al3 neuefie mwiljen- Schaftliche Entdeetung vorgetragen. Und jo mag es doch nicht jo ganz überflüffig fein, auch diejes Buch bier charafterifiert zu haben als das, was e3 wahrfcheinlich ift: eine gemiffenlofe, leider erfolgreiche Spelulation auf die allzuvielen, die nicht alle werden, dantit die gerwarnt find, denen e8 nicht um Senfation, fondern um Wahrheit zu tun if.
Aber auch aus einem anderen Grund mar es nötig, mit allem Nachdruck diefe Werke beim richtigen Namen zu nennen. 68 handelt fich um den Eindrud auf ernthafte außerdeutfche Kreife: die Berfafier, denen doch die Größe und das Anjehen des Germanentums angeblich über alles geht, ‚[ollten fich Flar darüber fein, daß fie durch ihr Gejchmäß nur dazu beitragen, da3 Anjehen deutjcher Wifjenfchaft in der Welt zu untergraben und fie lächerlid) zu machen. Unter diefen Umjtänden Fönnen
Hell. BI. f. Voltstunde Bd. XXIII. 5
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wir ihnen zum Schlufje nur für zmeierlei danfen. Ginmal dafür, $ ge fie durch ihre grotesfe Maßlofigkeit fich felbft und ihre ganze Richtung 1
ad absurdum geführt haben und jedem Kenner deutlich zeigen, ıves Beiftes fie find. Vielleicht find diefe Werke nun doch der Höhepunkt der Krankheit, auf deifen Giedehie die heilfame Abkühlung Tommt. Bmeitens aber müffen wir ihnen dafür danken, daß fie zmwilchen der wahren Wiffenfchaft, die fie zertrümmert zu Haben mwähnen, und fich jelbft bei jeder Gelegenheit eine fo fcharfe Scheidelinie ziehen. Hier gibt es in der Tat feine Brüde und fein Kompromiß, Shre Aftermwilfen- Schaft und die ftrenge Göttin, der wir dienen, gleichen fich, wie Yraße und Schönheit oder — um ein Bild Walther von der Vogelmweide zur gebrauchen — wie ars ıımd mäne.
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Fürkendüßer.
Dlumenmalen. Syn den Carmina Burana und in einer Bajeler Sentenzen=- fammlung aus dem 15. Jahrhundert findet fich der Vers: Qui pingit florem, | floris non pingit odorem. (B. Lehmann, Mittellateiniiche Verfe in den Distinctiones monasticae et morales v, Anf. d. 13. Jahrh. = Münchener SikungSber., phil. XI. 1922 1 S.17f.) Dem entjpricht unfer deuticher Spruch:
Blumenmalen ift geinein, Den Geruch!) geben fanıı Gott allein,
den die Weißbinder im Heffenland oft neben ihren gemalten Blumen als Haus- inichrift anbringen, |. meine Nachmeife: Helf. BL. f. Volfsf, XXI 1918, 161,1; dazu aus Tanıı: Mein Heimatland (Hersfeld) V 1921 Nr.1; vgl. auch Jahrb. f. Selch., Sprache u. Litt. Elfaß-Lothr. XXI 1905, 308 Nr. 135. Aber auch die hefliichen Töpfer verwenden ihn gern als Tellerinfchrift, wofür ich auf Heßlers Heff. Landes- u. Volksf. II 265 (HFrielendorf u. Michelsberg); Heimat-Schollen F 1921, 13 (MichelSberg) vermweifen möchte; ich fand ihn auch in der handichrifte lichen Sammlung von Töpfersprüchen des verftorbenen Töpfermeifters Heinrich Seit I in Homberg a. d. Ohm, die mir fein Sohn Pfürzlich freundlichit zue Abjchrift tiberließ (3. 2: Geruch zu geben fanı Gott allein); vgl. auch noch 3. Hebel, Pfälzer Humor ©, 57. 9. Hepding.
1) So (nicht „Duft“) muß es heißen Heff. BL. XII, 161,1.
ee ,® eo ER.v" =:
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Um die Prinzipien der Volkskunde.
Anmerkungen zu Hans Naumanns Grundzügen der deutichen VBollstunde Bon Adolf Spamer.
1.
Naumannz fchlanfes, aber inhaltichweres Büchlein!) wird auch) noch jpäteren Zeiten al3 ein Marfitein volfsfundlicher Yorjchung gelten. Nicht in dem Sinne, ald ob e3 durchaus neue Wege iviefe oder iefentlich neue NRejultate gäbe, mohl aber al3 eine geijtvolle Darbietung des heutigen Standes unjered volfsfundlichen Wilfeng, die doch zugleich erfolgreich diefes Wiffen in feinen Einzelheiten - weitertreibt und durch Aufdekung piychifcher und Faufaler Zufammen- hänge vertieft. Und indem N. feine gejamten Betrachtungen aus einem einzelnen, grundlegenden Problem der Geiftesgeihichte als Leitmotie entwidelt, erhält fein Wurf eine gefchloffene Yormung und erhebt jich jo merklich über die Hilf3- und Haltlojigfeit der meijten unferer heutigen populären landichaftlichen Volfsfunden, aber auch über Karl Reufchels gedrängt zufammenfafjenden Verfuch einer Deutjchen Bolfzfunde?), der bei all feiner großen Berdienftlichfeit und feinem ernsten, forglihen Streben doch im Widerftreit perjönlicher Sym- pathien und Antipathien an dem Mangel einer folgeftrengen Ein- itellung frantti. So wird R.3 ftiliftifch wie gedanklich; gleich ein- Ichmeichelnder und als erjter unter einer einheitlichen dee geital- teter Abriß auch rein fachlich jedem Liebhaber volfsfundlicher For- hung unentbehrlich. Und diejes Buch erjcheint uns in der überlegenen Sreiheit jeiner Blidjtellung doppelt verdienftlich, zu einer Zeit, in der die allgemeinen Nöte unferes WVolfes wieder romantische Jden- Iogien vergangener Zeiten auffladern lafjen, die die ethnno-fozislagifche Einftellung und den pigchologifhen Grundcharafter der volfskund- lichen Willenjchaft zugunften einer Tandichaftlich oder ftammheitlich bejchränften Heimatkunde zu zerfegen trachten. Und doch ift auch R.3 Buch, mwie e3 Faum ander3 möglich, felbft ein Kind unferer, Tage, in dem fi die bewegte, wirrungsreiche Gefchichte unferer immer nod; ungefeftigten volfstimdlichen Dilziplin und mit ihr die Seiftesgeihichte zweier Sahrhunderte fpiegelt. Was an N.3 Buch zu | ') Hans Naumann, Grundzüge der deutfchen Bolklstunde, Leipzig, Duelle u. Meyer, 1922 (Wiffenichaft und Bildung 181).
») Karl Reufchel, Deutjche Volfstunde I u. II, Leipzig u. Berlin 1920 u. 1924 (Aus Natur und Geiftesmelt 644 u. 645),
hr
er
danktbarer Zuftimmung wie zum Widerfpruch reizt, ift in Diefer Ge- ichichte vorgebildet, vorgedadht und vorumitritten.
Das Sntereffe an der volfsfundlichen Problematik, die fich dem Verhältnis der geiftigen Kräfte im Vollsganzen und feiner jozialen Gliederung zumendet, ift erjt im 18. Jahrhundert zu vollem Leben erwacht. Denn was feit Tacitus und den römilchen Hiltoriographen, feit Karl dem Großen, der Limburger Chronik und den Humanijten die Gemüter einzelner für da3 Deutiche Volfstum bewegte, mar bald eine ethnographifche, bald eine nationale Angelegenheit, fein piy- Hologifches, fein Fulturfoziologijches Problem. Aucd) die Vorliebe des 17. Sahrhundert3 für die Sammlung volfstümlidhen Aber- und Bauberglauben3 erjcheint mehr al3 ein modijcdhes Spiel ded Zeit- geiftes, denn al3 ernithafter Verjuch einer geijtigen Bergliederung des fozialen Körpers. Erft die Gefchichtsphilofophie des Tosmopolitifch und humanitär eingeftellten 18. Jahrhunderts, dejfen Naturjehnjucht gerade feine ariftofratijche, erflufive Geiftigfeit Tennzeichnet, gelangt vor dem Problem der geijtigen Sndividualeminenz zu dem der VBolfs- mafje al3 geiftiger Unterfchicht.!) Aber indem fie al3bald da3 yeiltige Kräftejpiel zwilchen diefem Einzelnen und der Polfgvielheit, da3 bi3 heute leidenjchaftlic umjftritten, auch zum Grundgedanken von N.3 Schrift geworden ift, in den Vordergrimd ber Betrachtung rüdt, wird die ältere, durchaus individualpiychologisch eingeftellte Gejchicht3- betradhtung von einer rein geiftes> und zugleich Fultungejchichtlich orientierten Geichichtsphilofophie abgelöft. Giovanni Battijta Vic o’3 Prineipj di una scienza nuova d’intorno alla comune natura delle nazioni (Napoli 1725) geben den Auftaft zu einer foldhen Sdeal- geichichte, die piychologiich, ja im Rahmen der Kulturvölfer völfer- piychologijch, eingeftellt ijt, indem fie die gejeßmäßige Entiwidlung des Topifchen im Geiftesleben der verjchiedenen KRulturvälfer erftrebt, wobei das Hauptgewicht auf dem allenthalben Übereinftimmenden, Undifjerenzierten, Polygenetijchen Tiegt, dejfen die Sdeen formenden Kräfte nicht mehr wie im Firchlich; gebundenen Mittelalter al3 meta- phyfiiche Gottesgaben, fondern al3 Naturgegebenheiten erfcheinen. Zu ihrer Erfenntni3 aber fordert Vico, ganz wie die fpäteren Bölfers piychologen, eine jtreng empirijche Vergleichung, um jo da3 von ihm aud) für das geiltige Leben der Völker und der Menjchheit voraug- gejegte Entwicdlungsgefeg zu ergründen. Diefer Entwidlungsgedanfe aber erjcheint der alten, im 17. Jahrhundert als Literarifche Metapher
1) Vgl. zum Folgenden die überfichtliche Zufammenfaffung von J.GoLld- friedrich, Die Hiftoriiche Fdeenlegre in Deutichland, Berlin 1902,
bi3 zur Gejchmadlofigfeit gepflegten, Organismusidee entiprojjen, die in ber Menfchheir wie auch dem Staat einen dem Einzelmenjdhen ähnlichen Organismus mit gefegmäßigen Entwidlungsftufen de pliy- fifhden und piychiichen Lebens erblidt.
©&o zielt das 18. Jahrhundert, al3 das Yahrhundert der Phils- fophie, auf das Wejen der Dinge al3 einer hinter der veriwirrenden Nealität der Gefichte ftehenden Einheit. E3 grübelt ebenjo über die Gefchichte des Geiltes wie über den Geilt der Geichichte, und e3 erblict in den Menfchheitsideen die treibende Kraft allen menjch-
Tichen Gefchehens. Zeit und Einzelvolf find ihm Etappe und Variante
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ber allgemeinen Entwidlung, und wenn neben dem Esprit des hom- mes der Geift eines Zeitalter3 umd eines Volkes feine bejonderen Gedanken fejlelt, jo bleibt doch immer der Zug zur Univerfalität richtunggebend. An den Einzelgenien von Sprache und Poejie zu«- porderft, dann aber auch von Recht, Bolitif, KRunft und Wiffenfchaft will man den in Bolt und Menjchheit wirkenden Univerfalgeniug ablefen. So verjchiedenartige Geilter wie Montesquieu umd Voltaire find jener einheitlichen geiftigen Grundftellung entwadhlen, und Frankreich ift das Land, in dem fich zuftärfit jene Beiteinftellung in ihren verjchiedenen Strömungen auswirkt und aus dem fie in Die Nachbarländer überftrahlt. Aber auch in Deutfchland Häufen fich Schon jeit den 70er SKahren des 18. Yahrhundert3 die „Gejchichten Der Menichheit” in der Spanne von rein fpefulativer bi3 zu empirijch- fulturhiftorifcher Darftellung. |
Die Stellung de3 18. Jahrhunderts zu dem Volk, al3 geiftiger Tiefenjchicht, ergibt fich aus der Erflufivität der oberen Gejellfchaft3- Haffe, die fick; als ifolierter, aufgeflärter und darum aud) allein auf- Härungsfähiger Bildungstreis betrachtet. Somohl die nüchterne, philg= ophifche Betrachtungsweife der Geifteshaltung der noch unintellef- tualijierten Mafje wie die Reaktion gegen die Vereinfamung und Rebengentfremdung der herrfchenden Kulturkafte erklärt fich aus diefer Erflufivität. Diefe Reaktion zeigt fi nicht nur im Spiel mit dem Bolfe, in Schäfereien und Ländlichem Theaterflirt der nriftofratiichen Gejellfchaft, jondern fie hilft vor allem zwei entfcheidenden Richtungen des Gefühls zum Durchbruch: dem Erwachen eines fozialen Mitgefühls und einer leidenfchaftlichen, dichterifhen Überfhägung des von ftädtifch-höfifcher Kultur unberühtten, von intelleftuellem Ballaft une befchwerten Ländlichen Lebens. Jean Jacques Rouffjeau wird. aus Menichheitsliebe, fozialem Geredhtigfeitsgefühl und Kulturüberjätti- gung heraus der leidenfchaftliche Prophet de Retournez & la nature
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und predigt den Kampf gleichermaßen gegen Wiffenjchaft und Kunft. Er träumt fich zurüd zu dem goldenen Zeitalter eines reinen Natur- lebens und feßt der aufflärerijchen Apotheofe in feinem Emile (1762) das Naturevangelium der Erziehung gegenüber. So ijt er der erite Apojtel einer romantilchen Volkskunde, indem er die Augen der ganzen Welt, nicht nur der wiljenjschaftlichen, auf die Menjchen einer jcheinbar glüdlichen Bildungslojigkeit und damit auf da3 Bauerntum Ienft. Ohne ihn wäre Herder undenkbar, ohne ihn wäre unfere Volfzfunde von Anfang an weniger gefühlsbetonte Wege gegangen. In3 Pral- tiiche überjeßt aber wurde die der Volfstiefe zugemandte roujjeaujche Menfchenliebe in Franfrei zunädft in den volfswirtichaftlichen Theorien der Phyfiofratenjchule, und Turgot wird der Bahnbrecher einer politifchen Öfonomie al3 einer neuen, foziologifch fundierten - Rijlenjchaft.
Der deutihe Roufjeau ift Herder, der wie jener die Beitideen aus der gejellichaftsgejchichtlichen Sphäre ind Dichterifche erhebt und fie al3 Neuland literarifchen Schaffens und literarifcher Kritif ver- fündet. Uber er ift zugleich ein Vorbote jener Zeit, in der jich die Menjchheitbegeifterung auf die Nationalapotheofe zurüdzuziehen be- ginnt. Aus Herder dichterifchen, in vifionärer Aphoriftif erjchauten Gedanfengängen, die auf Hamannz grübelnden Betrachtungen über die Urfprünge der Religion und das Wefen der Dichtung aufbauen und ich dem aufflärerifchen Nationalismus Nicolaifher Yärbung entgegenftemmen, hat fich in Deutfchland entfcheidend jene romantische - Auffaffung von Vollstum und Bolfsgeijt durchgefegt, die, noch heute in breiten Kreijen fortlebend, fait alle Krijen und Kämpfe unferer volfsfundlichen Wiffenjchaft ausgelöjt Hat. Durch Herder erhält der Begriff der Bolfsindipidualität, erichaut vor allem in Bolföpoejie und Boltsjprache, jeine intuitiv» Ddichterifche Prägung, die rouj- jeaufche Berflärung der Natur ihre Literarfritiihe Auswertung. Noch lebt in ihm die ganze Univerfalität feiner Zeit: er fchreibt Die „„speen zur Philojophie der Gejhichte der Menjchheit‘ (1784—91), er will in einem Buch „Geift der Gefchichte” die Naturgejege des gefhichtlichen Werden Hären, und eine ‚„Univerjalgefhichte der Bil- dung der Welt“ beichäftigt feine Gedanken. Aber überall erfcheint ihm innerhalb diefer Geiftestgpif de3 Wölferlebend der natignale Charafter entjcheidend, ohne daß er wertend eine Nation gegen die andeze ausgefpielt hätte. Für Herder ift die „Seele de3 Volfes‘ vie ihöpferifche und unerihöpflide Quelle feiner dichterifchen Dffen- barungen, und er erjt hat dem vielumftrittenen und ala Bild doch
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Ichwer entbehrlichen Begriff diejer Volfsfeele in der deutjchen Literatur und Wiflenichaft Heimatrecht gegeben. In der Kolleftivpoejie einer unverbildeten Bolfsindividualität aber fieht er den Geilt oe Dich terifchen als eines fchöpferifchen Moyfteriums fchlechthin, ja er er Ichließt au3 diefer Poefie nicht nur die Charaktere der Völker, fondern glaubt auch ihre Sitten durdj fie gebildet (‚Über die Wirkung der Dicht- funft auf die Sitten der Völker alter und neuer Zeit” 1778). So wird für ihn jede dichterifehe Offenbarung, die ihm rein und erhaben dünkt, zur Vollöpoefie, zum Volkzlied, und jelbjt Homer zu einem Bolksdichter, nachdem fchon zuvor Friedr. Aug. Wolf in feinen be- rühmten „Prolegomena ad Homerum“ in der Odyfjee und der Slias eine von Spielleuten verbreitete und vom Bol zerjungene Lieder- vielheit zu erfennern glaubte. Aber Volk ift auch bei Herder och ein jließender, mwejentlich nur durd; die Spradye umfpannter Begriff, bei dem zwar eine Afzentverlegung zum Unterfchichtlich-Bäuerlichen Far hervortritt, dejfen Wejen aber im Einzelfall die jcheinbare Ferne von verderbtem Kulturftil beftimmt. ©o find feine 1778—79 verausgabten „Stimmen der Völker in Liedern‘ (feine „Volfglieder”), denen 1767 ein Aufruf zur Sammlung alter Nationallieder vorausging, ein &e- mijch der heterogenften Kunftpoefien, die nur ein dichterifcher Glaube zur Einheit bindet und einer „DBolfsfeele” verbindet. Wohl war Herder Auffaflung fchwanfend und fyitemlos, aber Schwung und Moyftit jeiner Speen haben eben doch erit den Glauben an einen Ihöpferifchen Bolfzgeift popularifiert.
Neben folhen Dichtungen einer philofophierenden Sitereiin ging die nüchternere Auffafjung der Geichichtsphilofophen ihren ftilleren Weg. In Zalob Wegelins eritmals3 1770 in den Schriften der Berliner Akademie erjchienenen „Idee de la philosophie de I’hi- stoire‘“ fehen wir die theoretifchen Grundlagen Herderjcher Begeifte- rung. Hier ift im Gegenfaß zu der den Einzelgenius heroifierenden in- dividual-pfychologifchen Methode das Verhältnis der beiden in dent menschlichen Geiftesleben mwirkjamen Kräfte, Sndividunleminenz und Voltzmaffe, joziologisch erfaßt. Alle Zdeen erfcheinen num als foziale Trieb- und Mafjenkräfte, und neben dem Volfzgeijt (esprit national) und dent Zeitgeift al3 Summe der umlaufenden Zdeen, ift auch fchon der Begriff der „idees collectives“ (R’3. „primitiver Gemeinfichaft3- geift“) geläufig. Die Verlebendigung der in der unklar bewegten Maffe fhlummernden Sdeen ift das Wert des Fulturfchöpferifch be> gabten, geiftig aktiven Cinzelmenfchen, der Eminenz, deren Ge- ftaltungen wieder auf den Maffengeift zurüdwirfen. Aber der Einzelne
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ift legten Endes nur das Sprachrohr eines überperjönlichen Volf3- geiftes und vermag lediglich das in diefem Worgebildete, latent Schlummernde zu Hären, verdichten, verkünden. Diefe Auffaffung bleibt zwar in der Folgezeit nicht umbeftritten — jchon Jman. Herm. Fichte, Zohann Gottlieb Sohn, jah wieder in dem Einzelgenius den Schöpfer des Volkägeiftes — aber Wegelin Einftellung hat bi3 auf unfere Tage nachgemwirkt und nicht nur alten Einzelwifjenichaften (wie der Gefdhichte) einen neuen Gehalt und eine aufs Heftigite ume ftrittene Problemftellung gegeben, fondern auch neuen Wijjenjchaften wie der Soziologie und der Völferpfychologie zum Durchbruch) ver- holfen. Uber erit mit Hegel (1770—1831) erwädjt in Deutidh- land aus diefer Einftellung heraus der große philojophiihe Spyite- matifer, der die Nealität de3 Überindividuellen proffamiert und den ihöpferifchen Einzelmenfchen Lediglich zum Verfünder diefe3 Gemein- geiftes, der die Gefchichte zu einer ımiverfalen, piychologijch deut=- baren Sozial- und Rulturgefhichte madıt.
Der Rouffeau-Herderfche Glaube an die Urfprünglichkeit, Schöp- fungsfraft und Reinheit des Volfögeiftes jeßt fich in Deutjchland früd, jowohl auf dem Gebiet der Staatstheorien (hier ald Gegenjchlag gegen die phyfiofratifchen Anfhauungen) al3 audy der wiflenschaftlichen Er- forfhung des Vollstums, in einer betonten Liebe zum eigenen, zum deutichen Bolflstum um. Schon in Zuftus Möfers ‚PBatriotiichen Phantafien” (1774), die nicht nur das Banerntum, jondern felbft das mwandernde Händlertum ibealifieren, führt die Begeifterung für die bildungslofen und darum unverbildeten Volksichichten zu einer Kritik der ftaatlichen Verwaltungs- und Rechtspflege. Möfer ift durchaus praftijcher Sozialpiychologe, der über den Kampf der wirtfchaftlichen Syiteme hinaus als erfter erfennt, daß alle Wirtfchafts- und Staat3- formen Wusdrud einer piychiichen Konftitution find, und daß jede Neform an dem Sozialorganismug von der empirifch-eraften Erfennt- nis ber Geiftesdifpofition feiner Glieder bedingt ift. So verfucht er Gedanken wie Boftulate zu erwandern und zu erfchauen, als ein ge- treuer Wegbereiter einer noch ungeborenen Wiffenfchaft, ver Volfg- funde. Daß aber fein Herz vor allem dem Bauern gehört und fomit gerade diefem gegenüber ihm bei aller treffenden Beobadhtung von Einzelzügen der Bauernpfycdhe am offenbarfiten der nüchternde Blid - verfagt, ift in feiner Thefe begründet, daß allein der gefchlojjene Bauernitaat den gefellfchaftlichen Organismus vor dem Verfall be» wahren fönne. Möferd Charafterologie de3 Bauern aber ift in feiner Stärke wie feinen Schwächen für die volfstundliche Forfchung bis auf Naumann Klifchee geblieben.
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- Die nationale Einftellung zum deutjchen Volf erreicht ihren Höhe punkt in der Zeit Napoleonifhen Ruhms und Untergangs. Görreg, der Entdeder der beutfchen „Wolfsbücher” (1807), die in Wirklichkeit nicht3 anderes al3 na; Jahrhunderten volf3läufig gewordene höfijche und bürgerlich-patrizifche Literatur, vielfach franzöfifcher Herkunft, waren, wird der Zobpreifer des „heiligen Volfsgeiftes”. Aber crit, in Friedrich Ludwig JZahnz, aus E. M. Arndt Schriften ermwedtem, „Deutihen Volfzthum‘ (1810) tritt ein unverhüllt völfifcher Stand- punkt zutage. Allen Schwankungen feiner Vorgänger gegenüber be- tont er wieder den Begriff des ‚„Volfsthums‘ ala eine Überfegung des fremdipradiiihen Wortes Nationalität”, und fo erfcheinen ihm deuticd) und volfstümlich ebenfo identisch wie Staat und Volk. Unter „Boltsthumstunde” verfteht er die Darftellung der ethnographijchen, politifhen, wirtfchaftlichen, gejellfchaftlichen und geiftigen Zuftände des deutichen VBolfes, aber feine in dithyrambijch gehobenem Stil ver- faßte Schrift gilt nicht der Schilderung der realen Zuftände, fondern einer idealpolitifhen Forderung, dem ethifck fundierten Sdealbild eined reinen deutichen Bolfstums, das frei von aller undeutichen und fremdländifchen Vermifchung zum Begründer des eiwigen rie- benz in Europa und zum Scnugengel der Menjchheit berufen fei. Bwilchen Yahns „Bolfsthyumskunde” und unferer heutigen ‚‚Bolt3- Funde” als milfenfchaftlicher Difziplin beftehen felbft im Objeft der Betradhtung nur noch lofe Beziehungen; denn wo Jahn von Volfd- traten und Volfzfelten, von der deutfchen Sprache und der deutjchen Dichtung fpricht, verjteht er darunter nicht die Denkmale einer geiftigen Ziefenjchicht, fondern jene reinen Elemente einer nationalen Geiltig- feit, die in der herrichenden Gefellfchaftäflaffe nur allzuhäufig durch verfremdete Zutat entjtellt erfcheinen. So hat die vaterländijche Be- geilterung der Napoleonifchen Aera zwar der befonderen Erforjhung von Heimatland und Heimatvolf den feeliihen Auftrieb gegeben, aber fie bleibt für den wifjenfchaftlichen Aufbau der Forfchung ohne Belang. Und fon das ‚„Sunge Deutjchland” betrachtet wieder mit rationaler Sfepfi3 den romantifchen Mythus vom Volke. Sekt doch Die politifche Oppofition die Anfchauung einer von den geiftigen Gütern niedergehaltenen Bolfsmafje voraus, Die e8 aus ihrer Unfrei- heit zu erlöjen und zu den Rulturgütern emporzuführen gelte. „Was Diefe Menfchen fo feit und genügjfam zufammenhält, ift nicht jo fehr Das innig myitifche Gefühl der Liebe als vielmehr die Gewohnheit, da3 naturgemäße Sneinander-Hinüberleben, die gemeinfchaftliche Un- mittelbarfeit. Gleiche Geifteshöhe, oder beifer gejagt, Geiftesniedrig-
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feit, darum gleiche Bedürfnijfe und gleiches Streben, gleiche: Er- fahrungen und Gefinnungen‘ urteilt Heine in feinen „Reijebildern‘ über die Bebölferung von Norderney (1826). So umfämpfen jid dieje beiden Anfchauungen vom Wejen des Volkes, fchöpferifche Kraft einer univerjalen Volfsjeele oder primitiver Gemeinjchaftsgeiit einer noch unindividualifierten Maffe, biß heute in oft leidenfchaftlicher, häufig mweltanjchaulich gefärbter Polemik.
Erwädjlt jo die Problemitellung der allgemeinen, der vergleichen. den Bolfsfunde aus der Geichichtsphilofophie ded3 18. Sahrhunderts wie — nad außen hin noch fichtbarer — der ihr al3 Rüdichlag auf eine allzuverjtandesgemäße Aufflärung folgenden Naturbegeijterung, und hat die fpezifilch deutjche Volkskunde in den fozialpiycholagijchen Betrachtungen Zuftus Möfers eine joziologifche Wegmweifung gefunden, die in der Erfthälfte des 19. Jahrhunderts wieder völlig in DVer- gejfenheit geriet, jo jegt auch die eraft philologifche Sammlung der Kiederjchläge jenes nebelhaften Volksgeijtes, der Volksfeele, in Deutjch- land jchon im legten. Drittel des 18. Jahrhunderts auf einer fo breiten Bajiz ein, daß jelbjt eine Zeitung wie das „Sournal von und für Deutjchland‘ es wagen Tann, ein Sammelbeden für deutjche WoLf3- Dialekte, Volkzliteratur, Volfzjitte und VBolkshbraucdh zu werden. Die großen Germaniften der rühzeit — allen voran die Gebrüder Grimm — formen den wahllofen Sammeleifer zu wiflenjchaftlicher Wertung und bauen Einzelgebiete der Bolfsfunde, ganz im Rahmen ihrer die gefamte Kultur de3 deutjchen Altertum umjpannenden Be- jtrebungen, aus. Dabei verfetten fie den damals noch ungeprägten Begriff der Volkskunde, fern dem Gedanken, in ihr eine eigene Wiffenfchaft zu erbliden, fo eng der germaniftifchen Forfhung,. daß auch heute noch, wo dieje Volksfunde eine durchaus entfernte Wege wandernde Eigenwifjenichaft geworben, die Lehrpenien und Bär lefungsverzeichniffe unferer Univerfitäten fie ausnahmslos diejer Ber- maniftif als jubalterne Hilfsdijziplin zugefellen. Aber indem die Sprade der fich zufehends verftärfende Grundpfeiler de3 germantiiti- ichen Lehrgebäudes ift, den die gleichzeitige, au Franz Bopps Be- mühungen erwedte, vergleichende Sprachwifjenihhaft fundamentiert, er- gibt fih von Anfang an eine Einfeitigfeit der Blidftellung, deren Auswirkungen auch unfere heutige Volkskunde noch nicht völlig itber- wunden hat. Während die Herkunft der Grimm aus dem Frei ver (Heidelberger) Romantif zwar nod in der äußeren Geftaltung ihrer Märchen, deren zarte Formung wejentlic auf das dichterifche Ein- fühlungsvermögen Wilhelms zurücgeht, nachklingt, ihre philologifche
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Gejamtleiftung jedod) faum beeinflußt Hat, führte die Überjpannung ihrer Linguiftifch-etymologifchen Methode auf dem Gebiet der Wörter und Sadjen und in3befondere der Mythenforihung zu den feltiamen Srreivegen einer von ihren Nacdyfolgern zwangsideenhaft ausgebauten Aftralmythologie, die wohl das Abmwegigite daritellt, wad auf dem Boden der Geifteswifjenjchaften erwacdhfen ift. Doch hat die entgegen. gejegte euhemeriftifche, in allen Göttern nur vergottete hHiftorijche Perjönlichkeiten erblidende Schule, die indeflen an Umfang und Gemwich: ihrer Vertreter von geringerer Bedeutung war, eine Faum weniger grotesfe Auffaffung vertreten. Wie denn überhaupt gelegent- lihe Überjpannungen aller folgenden Methodenfchulen, der ethno- logifchen, analogischen und neuerdings der pfochoanalytifchen, die volt3- fundlide Forihung in einer Weife fomprimittierten, die ihre all- gemeine Anerfennung bi auf heute gehemmt hat.!) Erft die allen Theorieen abholden, mweitefte Kulturen mit einem bemundernsmerten Einzelwiffen umfpannenden Arbeiten eines Felir Tiebreht und befonder2 eined Reinhold Köhler Haben wieder allgemeine An- erfennung gefunden, ohrte daß ihre Motivforihung zunäcit die all- gemeine Geiftesjtrömung dem Gedanken einer vergleichenden Volfs- funde näher geführt Hätte.
Denn diefe Geiftesftrömung blieb univerjal gerichtet, und ihrer völferfundlihen Tendenz genügten weder hiftorifche Motivreihen ach eine philologisch-hiftorifche ‚vergleichende Spradywilfenschaft, vie jich, trog Wilhelm von Humboldt, mefentlicdh auf die indoeuropäifche Spracdhigruppe bejchränfte, wiewohl felbit Jatob Grimma Gedanken zumeilen jchon über diefe hinausgeeilt waren. Der Menfchheits- gedanfe, in feirter realeren Yaßbarfeit al3 die Summe der Völterge- danken, bleibt Ziel der Betrachtung, aber die idealiftifche Verbrämung, deren reinfter Geftalter Herder war, weit — zum Teil durch die erafte Sprachmwilfenjchaft beeinflußt — rationaler und pofitiver ein= geitellten Verjuden mijjenschaftlicher Erfenntnis, und die Natur begeifterung geht völlig in einer naturwilfenjchaftlichen Beohadhtungs- methode unter. So ballt fich der Glaube an die Naturgejeglichkeit in der Gefchichte der Völker, die fich gleicherweife in ihren geiftigen Bildungen wie ihren fozialen Bindungen offenbare, in zwei neuen Willenichaften zufammen, der Völferpfychologie und der ©o- zialpfochologie, d. i. der Soziologie. Anfangs eng verwachjen
.. 5) Die befte Mberficht über diefe Methodenfchulen (außer der neueren,
| piychoanalptifchen) bei Friedrich Kaindl, Die Vollstunde. Shre Bedeutung, ihre Ziele und ihre Methode, Lpz. u. Wien 1903 (= Tie Erdfunde, Teil XVIH.
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und fihh aud; fpäterhin immer wieder verjchlingend, führen beide zu einer grundfäglich verfchiedenen Auffafjung der treibenden Kräfte des geihichtlichen Lebens, indem hier die urtümliche geiftige Veranlagung, dort der materielle Zujtand die Yormen der geijtigen Entwidlung beitimmt. Die Piychologen und Geifteswiffenjchaftler auf der einen, die PBolitifer und Wirtichaftsmwiffenschaftler auf der anderen Seite ver- tiefen diefe Spaltung, aber beiden gemeinjam it Die, gleichfall3 natur- wiflenjchaftlic bedingte, Zielfegung auf eine fulturelle Tiefenjchicht der Menjchheit: auf die zivilifationglofen, ‚wilden Naturvölfer oder auf da3 damals ald neuer Stand in die Erjcheinung tretende völfijche Proletariat.
Augufte Comte (1798—1857), au der Schule Saint-Simons hervorgegangen, hat die Soziologie al3 neue Lehre, al3 die höchite aller Wiljenjchaften, verfündet und in ihr die fulturfoziolsgijche Geihichtsphilofophie völlig im Naturwiffenjchaftlichen, im Bislogifchen veranfert. Die Soziologie, die Lehre von der Gejellihaft und den fozialen Körperfchaften, wird fo zu einer „pofitiven Wifjenjchaft”, die erperimentell den naturgefeglichen Verlauf der wirtjchaftlichegeijtigen Prozejje innerhalb der gleichjam animalifchen Gefellichaftsorgane feit- zuftellen Hat, ohne jich mit metaphyfifchen Urjprungs- und Bimwed- gedanken zu belaften. Dabei gilt der foziale Zuftand al3 da3 Primäre — ein Gedanke, den jchon Joh. Chrift. Adelung (1732—1806) ausgefprochen hatte. Nur aus den fozialen Gebilden erwächft der Menjch mit feiner Geiftigkeit, der fich erjt im Leben innerhalb einer Rudelform zur Gattung ‚„Menjch” erhebt. Diefe foziologifchenatur- wiffenfchaftliche Auffaffung wird Allgemeingut, al3 jeit Mitte des 19. ZJahrhundert3 der Darwinismus fich zur herrfchenden Weltanfchaus ung erhebt, und damit den Kampf ums Dafein, da3 Spiel von Kraft und Stoff, zum Motor aller Sdeologie mat. Herbert Spencer wird der große jpefulative Theoretifer diefes Zeitgeiftes und fucht in jeinem unvollendeten, in den 60er und 70er Sahren erjchienenen „Shyitem of fynthetic philofophy” die Prozeffe der Evolution. und Dijfolution aus dem Gefeg der Beharrung von Energie und Materie abzuleiten. or allem aber jest fich die naturwiffenschaftlihe Ein- ftellung der Soziologie auf dem Gebiet der politifchen Spekulation durch und vermittelt fich fo den breiteften Bevdlferungsichichten. Hier zieht der Sozialismus die Konfequenzen in der materialiftij- öfonomifhen Gefhichtsbetragtung ein Marr und Engel, die in dem von ber jeweiligen PBroduftionsweije geftalteten „Klajjenfampf” (dem fozialen ‚„Rampf ums Dafein‘) die einzig trei-
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bende Kraft des Gefchichtsverlauf3 und fomit den Urfprung der menfchlichen Spdeologien erblidt. Dieje ökonomische Geichichtsauf- falfung, die, al3 politisches Weltanfchauungziyitem [päter von etlichen GSozialiften abgejchwächt, fich rein nur noch in der Theorie ded Kom- muniämus erhalten hat, blieb in ihrer Grundeinftellung auch für die Soziologie Dogma bi3 auf unfere Tage, und erjt in jüngjter Zeit haben einzelne, bejonder8 Mar Weber, wieder die Rollen von Urs ache und Wirkung in Materie und dee vertaufcht und gewifje öfono- milhe Erjcheinungen al3 Sdeengeitaltungen erkennen wollen. Sn diefer materialiltiichen Gejamteinftellung der gejhichtlihen Spefula- tion im meiteften Sinn aber war nicht nur jede trandzendente Ur- zeugung und Borbeftimmung des Sdeologijchen, fondern auch die Einwirkung des Einzelnen auf die Gejellfhaft und jomit den gejchicht- lihen Prozeß ausgefchaltet.
Außerhalb der gefhichtlihen Spekulation und der ftarf der politiichen Sphäre verknüpften reinen Soziologie, zieht die natur- wiffenfchaftlich-joziologifche Zeiteinftellung nicht immer dieje Testen logijchen Folgerungen. Aber der Gedanke einer natürlichen, zu= weile jelbit phyfifalifch gedachten, Gejeghaftigfeit in dem Lebeng- prozeß des menschlichen Organismus al3 eines örtlich, und zeitlich in Rulturfreife, Gejellfchaftsgruppen und Entwidlung3perioden diffe- tenzierten, einheitlichen Gefamtlörpers erfcheint allenthalben al3 un beitrittene Realität, nicht mehr al3 fprachliche Metapher. Auch die geifteswiffenschaftliche Zorfchung, die die Zdeenlehre der Gejchichts- philofophic mweiterführt, fteht erjichtlick unter dem Cindrud diejes biologiicd) gewandten ZBeitgedanfens. Die VBölkerpjychologie, die ald Sonderwiffenichhaft von Steinthal begründet und von ihm im Verein mit Zazarus ausgebaut wird, entzieht jich Teinesivegs diejem Grundgedanken, aber fie läßt die Urfprungsfrage der sdeen offen und wendet ihre Aufmerkjamfeit nicht dem materiellen Gejell- Ihaft3zuftand, fondern jenen geiftigen Sonderformen zu, in denen fich der objektive‘ VBölfergeift vor allem in der Spradje, dann in Neli- gion, Mythus, Sitte, Necdht, Volksdichtung ufm. offenbart. ©o ent=- ftammt da3 Syftem diefer Lehre mwefentlich der älteren Gejichicht3- philofophie und Herder, ihre Methode dagegen vor allem der germa- niichen und vergleichenden Sprachmwiffenihaft. Steinthal hat im 1. Band der „„Beitichrift für vergleichende Sprahforfhung‘ (1852) und nochmals im erjten Kahrgang der „‚Zeitichrift für Völferpiycho- logie und Spradmifjenjchaft‘ (1860) da3 Progranım Diefer seuen Millenichaft, al3 der „Lehre von den Elementen und Gejeßen de3
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geiftigen Wölferlebens‘ verkündet. Aber jo jehr fi ihre Grund» formel auch mit der der foziologijchen Gejhichtsphilojophie dedt, unterscheiden fie doch zwei mejentliche Punkte von ihr: die Yarderung einer philologijch-hiftorifhen Sammlung, Sichtung und Bearbeitung des Beobadhtungsmaterial3 und der Umfang der fomparativen Unter fuchungsmethode, die über die Kulturvölfer hinaus der Sprache, den Bräudhen und den religidöfen Anjchauugnen der primitiven nußer- europäifchen Völker ihre Aufmerffamkfeit zumendet. Von den beiden Vorwürfen, die man Lazarus und GSteinthal von philofophiicher Ceite gemacht Hat, ift der eine, daß ihre Einftellung zu den Grund» problemen ihrer Wiffenjchaft Logijch nicht eindeutig jei, Faum zu be= ftreiten, während die andere Beanftandung, daß fie ihre Kraft in Einzelunterfuchungen verzettelten, ung, denen Tatjachenfinn und Tat- jachenbeobachtung allein zu mifjenjchaftlicher Erkenntnis zu führen Icheinen, gerade den Fortichritt ihrer Arbeit gegenüber den iheore- tifierenden Boftulaten ihrer Vorgänger aufzeigt.
Cedhys Jahre nad) Steinthals Berfündigung feiner neuen Wijjen- Ihaft, tritt wieder eine folche neue Wiffenfchaft auf den Plan: unfere Boll3funde, al3 die Erforfcherin des eigenen Volkes. Wilhelm Heinrich Riehl Hat fie 1858 in feinem berühmten Vortrag „‚Volfd- funde als Wiffenfchaft‘‘1) begründet und mit dem ganzen Reiz jeiner tarfen eigenmwilligen Perjönlichteit, jeinem lebendigen Blid, feiner glänzenden PDiktion ausgebaut. Dabei hat er da3 Wort ‚„Bolfskunde‘, das fett 1813 gelegentlich neben „Bölferforfchung” und „Qande3- funde‘” nachweisbar ift?), al3 Überjegung des 1846 erftnal3 von William John Thomzs in einem Aufjab des Londoner Athenaeums für den Stoff der volfstümlichen- Überlieferung gebrauchten Ausdruds Folklore erneut geprägt. Riehl, der Münchner Univerfitätsprofeffar für Kulturgefhichte und GStatiftif, mar Kulturhiftorifer, Sozislage, Novellift und Politiker in einer Perfon, und fo tragen feine Schriften eine jo perjönliche Note, daß e3 nicht Wunder nehmen Fann, daß feine Lehre ofme Nachfolger blieb, joviel Bewunderer Mann und Werk immer wieder gefunden haben. Aber wenn auch mit dem FYort- ihritt bedäcdhtiger und philologifch beeinflußter Arbeitsmethoden der Weg von der Menfchheitöfunde über die Völferfunde zur Volksktunde gegeben jchien und Niehl in einer Neihe für da3 gejellfchaftliche und geijtige Xeben des deutfchen und befonder3 des bairifchen Volfes
') Abgedr, in den Gulturftudien aus drei Kahrhunderten*, Stuttgart 1873, ©. 205—2%9.
?) Vgl. Ztjchr. d. Vereins f. Volfst. 29 (1919) ©. 45f. u. ebd. 32 (1922) S. 71f.
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und feiner Stämme grundlegender Schriften fein reiches Wiljen nd feine fichere Beobachtungsfunft und Kombinationsgabe ausbreitete, fo verjagte ihm die Vieljpältigkeit feines Wejens die volle Auswirkung. . Denn Riehl war zugleid; Repräjentant feiner Zeit wie der Epigone einer verjunfenen und verjinfenden Welt und aud) wieder Prophet einer zulünftigen Wiljenfchaft. Aus der naturwiffenichaftlicden Zeit einftellung heraus und al3 SHegelianer ftellt er fich, ala Ziel, die Naturgejege im PVollsleben, den Bolfägeiit, an den ‚4 großen ©”, die die Nation begründen, an Stamm, Spracde, Sitte und Siedelung, zu jtudieren und deren enge gejeglie Zujammenhänge aufzu- Hären. Aber alle diefe Unterjuchungen führen ihn zur Gefellfchaftd- wiflenihaft und diefe zur Politil, fo daß feine Lehre ein fozial- politifche3 Syitem wird, das er fich aus den Materialien, die ihm die Beobachtung des VBolfZleben3 liefert, aufbaut. Den Geichichten der Menjchheit und foziologiichen Naturgefchichten der Gejellfchaft jtellt er, fih auf feiterem Boden beiwegend, feine ‚„Naturgeichichte des deutjchen Volkes’ gegenüber, und er verlangt al erjter eine volfsfundliche Statiftik, die die Grundlage jeder jozialen Statiftit jein müffe, wie er aud) fonjt eine Anzahl von Problemen, die jpäter wieder altuell geworden, Darunter da3 der Beziehung von Landichaft und Vollscharafter, vorausfieht. Aber in feiner gejamten gefühls- mäßigen Einftellung zu dem deutjchen Volf ift NRiehl ein fpäter Nad)- fahre FZuftus Möfer’3 und mit ihm ein Einfamer in feiner Zeit. Wie jener gegen die Aufllärung und Humanität, die neumodijche Mten- jchenliebe jeiner Epoche, anfämpfte, jo betrachtet e3 Niehl al3 Haupt- 'zmed feiner fozialen Volfsfunde, die Lehren des Liberaliamus und Eozialiamus und mit ihnen die Wirkungen der 48er NRevnlution zu überwinden. Dazu dient ihm die Aufrechterhaltung der jtänoijchen Gliederung de3 Volkes in feine Ständedreiheit, Aoel, Bürger ımd Bauer, da er das ihm verhaßte, aufitrebende Proletariat noch nicht al3 eigenen Stand anerkennt. Und wie Möfer liebt er vor allem den Bauern, fo daß er im Adel nur eine Art verfeinerten: Bauern tums3 fieht. Aber die zunehmende Verknüpfung feiner Forfchung mit der Tagespolitif und ihre darum ziwedhafte Geitaltung, in der Niehl fich vergeblich; der allgemeinen wirtichaftlihen und geijtigen Entwidlung widerjtemmte, ließen feine foziologijch eingeitellte Volfs- funde nicht zur verdienten Auswirkung fommen.
Die Völferpigchologie war mit Lazarız und Steinthal jchon zu einen gewiffen, allerdings problematifchen, Abichluß gekommen, und erft in ımferem Sahrhundert hat Wilhelm Wundt, als ihr
jüngfter und populärfter Vertreter, die Begriffe der Volfsfeele und der piychiichen Gejege in der Völkerpfychologie zu feitigen gejucht, ohne diefer Wijlenjchaft mehr al3 ein Requiem zu halten, nachdent fi), ihre Aufgaben längit in der Ethnologie und der vergleichenden Volkskunde methodisch und prinzipiell geklärt Hatten. Und indem. Wundt einmal ihr Arbeitsgebiet lediglih aus afademifchen Nüd- jihten, um fie gegen verwandte „Fachwifjenfchaften” abzugrenzen, unnötig bejchnitt und auf Sprache, Mythus und Sitte zu bejchränfen fuchte, fowie andrerfeit3 die Ausjcheidung aller, von ihm zu gering geichägten, örtliden, völfiihen und individuellen Sonderheiten, um zu einer reinen Erfenntnis der Eolleftiven Bölferpfyche zu yge= langen, forderte, hat er diefe Wifjenjchaft völlig ins leblo3 Kon- jtrultive abjtrahiert. Aber die Aufgaben der Völferpiychologie blieben audy nach Lazarus und Gteinthal lebendig, nur dab fih nun Die Wiljenjchaft wieder einen neuen Namen gab und ala Ethnologie die Gemüter beiwegte. Adolf Baftian, ein Mann von gigantischen Ansmapen des Wollen3 und Wijjenz, zieht die Folgerungen, vor denen ihre Begründer zurüdichredten, und vermißt fich, lebte Ziele mit mwiljenjchaftlicher Afribie zu meiftern. Jr feiner (pfychiihen) Ethno- Logie begnügt er fidh nicht mehr mit der Erfenntnis der Völferpfyche, fondern er will wieder eine ‚„Wifjenichaft vom Menfchen‘ geben, eine Statif und Mechanik der primären Elementargedanfen, die Felt- jtellung der allgemeingültigen „mathematischen Zahl piychologiicher Urelemente”. Bu diefer urtümlichen, naturbedingten Denfform der species Menfch glaubt er durch ‚„„Völfergedanfen-Statiftiten” zu ge= langen, in denen die Eigenheiten im Denken der verfchiedenen Naffen aufgezeichnet find. Sein Buch „Der Völfergedanfe im Aufbau einer Wijlenihaft vom Menjchen‘ (1881) zeigt fon im Titel Ziel und Weg von Baftians Forjchung, bei der er zwar die polygenetifchen Deutungen bevorzugt, aber doch die hiftorifchen Uebertragungsmöglich- feiten und die drtlihen und zeitlichen Varianten, obwohl fie ihm unmejentlich erfcheinen, nie unberüdfichtigt Täßt, wie er auch den Nealien als geformten Gedanken feine Aufmerkfamfeit zumendet. Die joziologifche und naturwiffenfchaftliche Betrachtungsmeife feiner Zeit findet jich) auch bei ihm aufs ftärkfte ausgeprägt: er betrachtet den Menfchen lediglich al3 Ewov roArıxov, deffen Wefen man in jeinen primitivjten Eremplaren, alfo bei den Naturvölfern, ftudieren muß. Denn jo wie der Naturwiffenfchaftler die elementarften biologifchen Vorgänge an den unfcheinbarften und „niedrigften‘ Zebemwejen, nicht an den von romantifchen Schauern verflärten „Königen” der Tier-
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welt ablieft, jo muß die ErfenntnisS der menfchlichen Piyche mit der Präparation ihrer unfompliziertejten, primitipjten Formen eit- jegen. So nimmt ich Baftian die primitiven Völferfchaften da zum Borwurf feiner Unterfuchungen, mo e3 ihm gilt, die geijtigen Ur- elemente zu erkennen, während ihm zu einer Gejchichte der Menjc- heit auch die Beobachtung des Eulturvölfifchen Lebens nötig erfcheint und er die Erforfhung diefer Rulturvölfer einem fpäteren Stadium feiner ethologifhen Yorfchung vorbehält. Mit Baltian erreicht die Entwidlung des ethnologifchen Gedanfens ihren Höhepunkt, und er erfennt erjtmal3 Ear diefe Entwidlung al3 Reaktion gegen die Ueber- Ihäßung der wechfelnden EHfteme unferer großen fpefulativen Denter, jener Hirndichtungen geiftreicher und vermeintlich ‚‚führender” Köpfe im Luftleeren Raum, deren objektiven Wert er leidenschaftlich beitreitet. Für Baltian erjcheint die Zeit gefommen, die Piychologie zu einer reinen Naturwiffenichaft umzugeitalten, und indem ihm die Ethnologie da3 Produft „jener Zeitftrömung ift, die von ber rein philojaphifch- Iogifhen Bildung einer realiftifhen Unterridhtsform zuftrebt‘, wird fie ihm zur „Philofophie der Zukunft“, die fi der Volfzfunde wie der Bölferpiychologie ala Strebepfeiler ihres einer legten Vollendung zujtrebender Baues bedient. Aber noch eine zweite Beitreaftion tft in Baftian3 Werk deutlich fichtbar, auch wenn er biefe nicht betont; die fich zujehends veritärkende Abmwendung von der materialiftifchen Gejhichtsauffaffung. Denn erit auß den naturgegeugten, durch atmsJ= Iphärifhe und geograpfiiche Bedingtheiten vartierten Gedanfen, aus den einheitlichen menfchlichen Grundporftelfungen erwachjen nach ihm die fozialen Gebilde mit ihren entjprechenden KRollektivvorftellungen.
Sp wird mit Baltian die Ethnologie mwegmweijend für die ver«- ihiedennamigen, bei aller Variation der Einftellung in der Methode und ihren legten Folgerungen dem gleichen Ziel zueilenden Wilfen- Ichaften, die die Erfenntnis der menjchlichen Piyche in größerem oder Heinerem Rahmen (Einzelvolt, Völker, Rafjen, Menfchheit) eritreben, und zahlreiche andere Wiffenfchaften, ja jelbit die Soziologie, Phily- jophie und Logik, werden von ihr befruchtet. Die Anthropologie for- dert nun die Einbeziehung der Geelenfunde, die Kulturgeichichte wendet fich in immer fteigendem Maße ben niederen VBollsfchichten zu und nimmt mehr und mehr volfgfundlihe Materialien in ihre Beitjchriften und Buchliteratur auf, und die Volfsfunde wächit über die völfifche Begrenztheit zur vergleichenden Bolkzfunde, zur Ethno- logie, empor. Männer wie Tylor, Andrew Lang, Rihard Andree u. a. werden von den Ethnologen wie Bolfsfundlern
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gleihermaßen in Anfprud; genommen, und wenn der Volfzfundler eine Gefchichte der Soziologie wie die von Ludwig Gumplowicz fieft!), die Baftian als einen ihrer Begründer feiert, fo glaubt er auf weite Etreden eine Gejchichte feiner Wiflenfchaft zu finden. Ueberall regt jich ein Streben nad; dem gleichen Ziel, bald bedächtg jich be» icheidend, bald in himmelfjtürmender Synthefe und immer unterworfen dem fi) ewig erneuernden Streit um die Priorität von Geift und Materie, der häufig unbewußt die Arbeitämweije prägt, oft auch bewußt und theoretifch die Zielfegung verjchiebt. Perioden des Glauben? an die Mögfichkeit einer univerfalen Löfung mechjeln mit folchen der Sfepfis und zerichlagen dann wieder die univerjale Wiflfenfchaft in Einzeldifziplinen, die doch fein rechtes Eigenleben führen Eönnen. NRapel’s3 Anthropogeographie, Wundt’3 Charakterologie der Völker, Le Bons und Elfenhans Mafjenpigchologie find in neuerer Zeit aus folchen Beitrebumgen entitanden, Teilgebiete der fich fcheinbar ins Grenzenlofe verlierenden etfmmologifch-völferpfychologifchevolfsfund- lihen Willenchaft zu Sonderdijziplinen auszubauen. Bei diefer be=- herrichenden Stellung der Ethnologie ift e3 bezeichnend, daß Sultan Meyer’ 1885 unternommener PVerfuch, erftmals feit Riehl ein Programm der volf3fundlihen Forihiumg aufzuftellen?), jhon in den Aufgaben der vergleichenden Volfsfunde mündet, die die Urgejchichte der Menjchheit zu erhellen hätte, noch bezeichnender, daß Karl Wein- hoLd’3 erite Volfsfundezeitfchrift, die „„Zeitfchrift des Vereinz für Volkskunde” (in Berlin) 1891 al3 Fortjeßung der „‚Zeitichrift für Völferpigchologie und Sprachmwifjenichaft” erfchien, in deren legtem (20.) Band Weinhold jchon fein Volfsfundeprogramm entimwidelte:). Hatte Weinhold auch; Hier noch die Aufgaben der Ethnologie in ihrem meiteiten, unbaftianifchen Sinn übernommen, der aud; die anthropologiihen Beltimmungen einjchloß, fo beichränften fie feine Nachfolger ganz auf da3 pighiiche Mioment, die ‚‚Bolfzjeele‘ (Yauffen)®).
Inzwiichen Hatte in der Gefhichtsforfhhung die Diskufjion über da? Wefen diefer Wiljenfchaft ald der Erfenntnis eines Wachienz
) Ludwig Gumplomwicz, Grundriß der Soziologie, Wien 1885 (5. 1—50 : Zur Gejchichte der Soziologie). VBgl.auh Derf., Soziologie und Politik, Lp3.1892,
) Guftan Meyers Auffat „Folklore“ in feinen Effays und Studien zur vergleichenden Sprachgeihichte und Volkskunde, 1898.
) Karl Weinhold, Was fol die Volkskunde leisten? ZI. |. Völkerpiycho- logie und Sprachmwiffenichaft XX, 1890, 1—5,
) Adolf Hauffen, Einführung in die deutjch-böhmifche Volkskunde, Prag 1896 (Beitr. 3. dtich.-böhm. BET.
überindividueller Jdeen oder ihrer Geftaltung durch den freien Willen führender Perfönlichkeiten und Gruppen wieder lebhafter eingejebt. Hatte der Darwinigmus die Kollektivindividualitäten mit Dauerzellen, die Einzel- und Gruppenindividualitäten mit Bildungszellen vere glichen (Lilienfeld) und die dfonomijche Soziologie dad Durchdringen neuer Sdeen durch da3 fogenannte „fozialpfgchologijche Schmellen- phänomen” zu erklären gejucht (Schäffle), nad) dem die been fich gleichfam an einer Schwelle anfammeln, bi3 fie bei genügender Stärke in Einzelteilen durchbrechen, fo entfejlelte in den 90er Jahren Karl L2amprecht’3 univerfaliftiiche Gefchichtsauffaffung .den Kampf der widerftreitenden Meinungen auf der ganzen Linie. Lampredht’3 ideale Weltgefchichte, aufgebaut auf einer vergleichenden Gefchichte der Natio- nen, fteht völlig auf dem Boden der bivlogifchenaturwifjenichaftlichen, ethnologiichen und foziologifchen Betrachtungsweife, die er nun fnfte- matifch auf die engere Geihichtzforfhung anwendet. C3 ift eine über“ individuelle Geichichte der feeliichen Ausdrudsformen menjchlicher Ge- meinfchaften, die fowohl fozialpfycdyiiche wie natürliche (anthropsfo- gifche, Hlimatifche) Faktoren bedingen. Daraus ergibt fich, dak. in ihr die Mafje, das Vol! dag Movens, die Feine arijtofratifche Bildungd- Tchicht aber lediglich ihr Spradhroft ift. So mwaltet auch nad) Yamp- recht’3 Auffaffung in der Gefdjichte ein gemerifcher Trieb, der fich in einer ftufenhaften Entwidlung, in feitgefügten Kulturzeitaltern, offenbart, und vor dem die alten Helden der Gefchichte ebenjo ver- jinfen wie die geiftigen Herven in Baftianz pfychiicher Ethnographie. Der Kampf um die Lampreditfche Geichichtägeitaltung aber wird wieder zu einem allgemeinen Kampf ım den Charafter der Gejichicht3- fchreibung, al3 einer beffriptiven, barftellenden oder einer begrifflich deutenden, und damit legten Endes um ihren wiflenjchaftlichen Cha=- tafter, der einer naturwijjenfchaftlicy eingeftellten Zeit dann ziweifel- haft fein mußte, wenn fie die wirfenden Sdeen lediglich im Ranfifchen Sinn darzuftellen, nit aber in ihren Urfachen und ihrer gejeß- mäßigen Entwidlung zu deuten wußte. In Lamprecht3 Gegnern aber — md da3 ift die Mehrzahl der zeitgenöfliichen Kämpfer um den Sinn der Hiltorie — bricht erftmal3 wieder in voller Breite die Stepfis an einer foldhen univerfaliftifhen und generalifierenden Geichichts- methode, die an legte Löfungen glaubt, Hindurd, fei e8, daß man ein Nebeneinander von individueller Freiheit und naturgegebener. Triebhaftigfeit (Rocholl) oder Iediglih Zufall und freien Willen des Einzelnen an ber Geftaltung der Hiftorie annahm (Ed. Meyer) und die Gefchichte fo wieder ganz auf das Hiftoriographifthe bejchränfte 6*
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(Öttofar v. Lorenz). Ja die Mehrzahl "der Streiter, allen voran Kachfahl, trat nun twieder lebhaft für die Bedeutjamfeit der Cinzel- pie ein, die allein Gefchichte mache (Rümelin, Rabenhofer, Lind- ner ufw.), um höchftens den religiöfen Jdeen eine Sonderftellung ein= zuräumen (Ratenhofer). . |
Die alte Erfahrung, daß die einzelnen wiflenfchaftlihen Dijzi- plinen in der Regel ohne genügende Yühlung an einander borbei- arbeiten, bewährt fich zu Beginn des 20. Yahrhundert3 auch an unferer Bolfsfunde. Der Kampf um da3 Wejen des Volfögeiftes und das Verhältnis von Einzelindividualität und KRolleftivindividualität, der im verfloffenen Jahrzehnt die Gemüter der Htitorifer erhibkt hatte, fommt jest in der Vollsfunde erneut zum Austrag. Bejonders die Sahre 1902 und 1903 find fruchtbar in entjcheidenden Disfufjio- nen über Zieljfebung und Methodologie unjerer Wiffenfchaft. Eduard Hoffmann-frayer!), Adolf Strad?) und Albr. Dieterid)?) jind die erjten neuen Kämpfer um die Klarheit der Arbeit3methode und verjuhen den Begriff des ,‚Bolfes” zu definieren und feine geiftigen Yeußerungen auf ihre Herkunft zu unterfuchen. Dabei ver- tritt Hoffmann-Prayer, der unter „Volf Iediglich die foziale und geiftige Tiefenfchicht der Nation, das vulgus in populo, veriteht, den Etandpunft der Hiftoriographen und verneint infolgedejjen jede Naturgefeglichfeit des volfstümlichen Geilteslebens, das Tediglid) Ne- zeption und Kopie aus der Oberfchicht übernommener Vorlagen fei. Un Hoffmann-Krayer’3 vielzitierte Yormel, daß das Volk nicht pra- duziere, fondern reproduziere, Hat feitdem die Mehrzahl derer, die ih, zuftimmend oder Fritifch, mit den Prinzipien der Volfsfunde be= Ihäftigten, angefnüpft. Zhm gegenüber vertritt Adolf Strad, der mit Recht, wie alle fpäteren Yorjcher, die wenig glüdliche Zormu= lierung von H.-Rr.3 BVolfsbegriff ablehnt, die völferpfycholsgifche Auffaffung einer Gemeinfchaftsfeele und fcheint in feiner Einfchäßung, des Bauernitandes ftark von NRiehl beeinflußt, während Dieterich eine vermittelnde, wefentlich Hiftorifch orientierte, Stellung einnimmt und die Volkskunde al3 Bindeglied zwifchen den Natur- und Beiltes- wifjenfchaften bezeichnet. Noch im gleichen Jahre disfutierte die
I) Eduard Hoffmann-Krayer, Die Bollsfunde als Wiflenfchaft, Zürich 1902.
») Adolf Strad, Bollsfunde: Heff. BU. f.Voltst. 11902, 149—156; Derf., . m. das Bolt: ebd. II 1903, 64—76. Eine Entgegnung H.-Kr.3 ebd. II, 67—64.
®), Albrecht Dieterich, Mber Wefen und Ziele der Volkskunde : Heff. BIT. f. Volfst. I 1902, 169—194 (— Kleine Schriften ©. 287—811).
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Düffeldorfer Hauptverfanmlung der deutichen Gefchichtävereine die Aufgaben der Volkzkunde in drei von Eugen Mogf formulierten The- fen, nachdem Oskar Brenner einen Vortrag über diefes Thema gehalten hatte, um zu einer feiten Abftelung des Arbeitögebiet3 und des Arbeit3ziel3 zu gelangen!). In diefen Thefen tritt der piychologiiche Charakter mie die Hiftorifche Methode der Bolfsfunde völlig Kar hervor, indem ala ihre Forfchungsaufgabe bezeichnet wird: 1. „alle Heußerungen der Bolfsfeele in Wort und Werk darzulegen?), 2. die Aeußerungen der Volksjeele im Wandel der Zeiten gejhichtlich und fritifch zu verfolgen, 3. den phyfiologifchen [und piychologifchen: Biren- ner] und geihichtlihen Gründen nachzugehen, die die Aeußerungen der Volfsjeele hervorgebracht und haben machien Laffen”. Auch, dad folgende Jahr ift noch rei” an volf3fımdlichen Erörterungen: e3 erfcheinen Friedrid Raindl’3 fon ermähntes mertvolles Buch „Die Volkskunde”, wie auh Karl Reujchel’3 ‚Bolflsfundliche Streifzüge”, die ihr Einführungzfapitel dem Begriff und der Ge- Ihichte der PVolfsftunde mwidmeten, und Carl Voreskjich Hält auf dem Hallenjer Philologentag einen Bortrag über ‚Philologie und Volkskunde”), Mogf in Erfurt einen foldden über ‚Die Volfs- funde im Rahmen der Kulturentwidlung der Gegenwart‘). Aber erst die fchärfer umriffene Definition, die Mogf 1907 gab, tft, bis heute faum ernjthaft bejtritten mwordend). Sie feßt ala Gegenjtand der volfsfundlichen Forfchung die geiftigen Neußerungen eines Volkes, die duch pinchiiche Affoziation entjtanden und durch diefe fortge- pflanzgt bzw. verändert werben. Von nun an treten die methodo- Logijchen Fragen wieder zurüds), bi3 N.3 Grundzüge ihre Erörterung
1) Dsfar Brenner, Aufgaben der Volkskunde. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, München, 16, Dft. 1902, Nr. 238.
2) Die Einjchränfung: „[omweit diefe von Höherer Kultur berührt ift“ bat Ihon Brenner getilgt.
°) Bgl. Verhandlungen der 47. Berfammlung deutjcher Philologen und Schulmänner in Halle a. d. ©. 1903 ©. 139—131.
*) Bgl. Hefl. BL für Voltst, II, 1904, 1—15.
9) Eugen Mogl, Wejen und Aufgaben der VBollsfunde: Mitteilungen des Verbandes deuticher Vereine für VBollstunde (Korrefpondenzblatt), November 1907, Nr. 6.
°c) Nichts anderes als eine Literaturzufammenftellung zur Entmwidlung der vollstundlichen Arbeit bietet Julius Sahr in feinen Anzeigen und Ge- danten zur Bollsfunde, Zeitihrift für Deutfchfunde XXV, 1911, 2102066. Eugen Mogt entwidelt 1916 nochmals feine Gedanten über die Voltsfunde im 12. Bd. des Uchhivs für Kulturgefchichte (S. 239— 248), und im gleichen Jahr ericheint der, auf Mogfls3 Anfchauungen geftüßte, fehr inftruftive Auffag von Dtto Wafer, Was ift Volkstunde?: Die Schweiz XXII, 1918, Heft 6.
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neu entfacht haben. Aber der piychologifche Grundcharafter der Wilfen- ichaft bleibt, jomweit e3 fi um ernithafte Verfuche Handelt, unver- ändert, wern auch im Einzelnen die Einjtellung zu unferer Wifjen- Schaft noch ftarfen Schwankungen unterworfen ift. Das zeigen vie bei- den legten größeren Aufjäge, die über unfer Thema erjchienen find: Viktor von Geramb’3 Grazer Antrittärede ‚Die Volfzkunde ala Wijlenihaft‘t), die jorgfam nochmals die ganze Entwidtungsgeichichte diejer Difziplin von Weinhold umd Riehl ab entrollt, die vergleichende Volkskunde aber, als eigentliche Völkerkunde, ganz ausgejchaltet wiljen will, und Heinrih Leng’ Methodologifche Grundprinzipien der Volkskunde, die erjtmals geiftesgefchichtlich die Entwidlung diejer Wilfenichaft auf einer rein foziologifchen Bafis darftellen.?)
2.
Die Gejchichte der Volkskunde als Wiljenfchaft ift um deswillen für die Beurteilung der Nihen Schrift von Bedeutung, weil fie fich Far in diefer fpiegelt. Indem N. die Nefultate der modernen Ethnofoziologie, wie fie die Schule Emile Durdheimd aus- gebildet, mit den jüngften Ergebnifjen und Strömungen der volfs- fundlichen Exrforfhung einzelner Sondergebiete verbindet, wächlt, jich fein Büchlein in feiner Grundthefe über den Bormwurf, die Grund- züge einer deutichen Volkskunde zu geben, zu einem Berjud um die Prinzipien der Volkstunde im allgemeinen aus. Dabei liegt der Gejamtdarftellung al3 Ariom der Glaube an eine allgemeine Entwidlung des menfhlichen Öeiftes zugrund von einer unintelleftualifierten und darum noch unvollfiommen Logijierten, von moftifchen Kolleftivvorftellungen erfüllten, Stufe einer primitiven Geiftigfeit zu einer immer Iogifcher und individueller veräftelten
Cpigenfultur, die fi, in einer geiftigen Oberfchicht der fogenannten
Kulturvölfer offenbare. Und wie man feit Alter8 in diefer geiltigen Entwillung, die man fich dem technifchezivilifatorifchen Fortichritt verfnüpft dachte, drei Stufen erfennen mollte, wie Vico van einer Aufeinanderfolge der göttlichen, heroifchen und menjchlichen Bivilifationsperiode jprad und Comte fein Gejeg von den Drei Stufen der intelleftuellen Entwidlung der gefamten Menjchheit auf- jtellte, jo nimmt auh N. für fein Unterjuchungsgebiet Big 5 Biltor Geramb, Die Voltzftunde als Wiffenjchaft: 31. f. Deutichtunde 1924, ©. 323—8340.
3) Heinrich Zent, Methodologiiche Grundprinzipien der Vollstunde: Das Heilige Feuer XXI, 1924, 67—77; 104—112,
m.“
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zur Periode des den Gemeinjchaftsgeift überwindenden Sndipiduga- lamu3 gleichfall3 drei Epochen der Geifteshaltung an: eine abfolut primitive, die heute bei und nur noch) in den wandernden Zigeu- nern vorhanden fei, eine agrarifche, die noch da Bauerntum ver- förpere, und eine Heroijche, die das Zeitalter einer Herrjchenden Kriegerfafte charakterifiere (©. 4). Da nun das Aulturbolf aus einer geiftig aktiven, formbildenden Oberfchicht und der großen, noch mehr oder minder inaftiven, unindividialifierten Gemeinfchaft beitehe, und da3 geiftige Leben der noch „primitiven Gemeinfchaft”, die N. mit „Bol gleichjegt (S. 119), demnach fich einerfeit3 aus urtümlich gemwachjenen und piychiich bedingten, andererjeit3 aus Hiftorijch ge- wordenen und bewußt gejchaffenen oder umgebildeten Elementen zu> jammenfeßgt, ergibt ji} eine Doppelte Blicfitellung der volfsfundlichen Arbeitsmweife nach diefen beiden, im Volfsleben zufammenftrömenden herfumftsverfchiedenen Beftandteilen, bem „primitipen Gemein- Ihaft3gut” und dem „gejunfenen Kulturgut“, um in N.3 Terminologie zu reden; ergibt fich ferner N.3 Bezeichnung der Bollsfunde al3 einer Brücde zwijchen der Völkerkunde und der Geijtes- und Kulturgeihichte (©. 1).
So erflärt fich die Schärfe der Trennung beider Schichten zum Teil fhon aus dem gegenwärtigen Stand der zwei von N. zu jeinem Aufbau verwerteten Wiljenfchaften. Für die völferpiychologi- Iden Gejichtöpunfte haben im Prinzipiellen, im Methodifchen mie im Terminologijhen die Unterfuchungen LEeoy-Bruhls, des be- deutendfter: Durdheimfchlilers, über die primitive Geiftigfeit, die eine Iharfe, m. E. überjchärfte, Trennung zwiichen dem fompleren Denfen der Naturvölfer und dem Iogifchen des Kulturmenfchen ziehen, die Grundlagen der N.ihen PDarftellung gegeben: die Schilderung der primitivden Geiftigfeit, die teilweife Ablehnung der PBrimär- ftufe de3, Animismus nach der Tylor-Frazerichen Theorie, der Be- griff der von: Gefeg der Partizipation beitimmten myftifdhen Rollefltivvorftellungen wie der des „PBraelogijhen” (im Sinn von Teillogifchen), dem N. den des „Braemoralifchen” bei- gejellt, find von Leuy-Bruhl übernommen, wie auch fonft in Einzel- heiten die foziologijche Einftellung von ihm beeinflußt erjcheint.t)
’) Lucien Levy=-Brühl, Les fonctiones mentales dans les societes inferieures, Baris 1910. In dtich. IIbf. Hg. u. eingeleitet von Wilhelm Jerujalem, Wien u. 2pz. 1921: 2. Leny- Brühl, Das Denken der Naturvöller, Eine Weiter- führung der Gedanten bringt der Verfaffer in feinem neueren Buch La Men- talit& primitive, Paris 1922.
Au die biologifhe Terminologie, die N. von menjchlichen Herbentieren (S. 58) und Rudeln von Bauern (S. 13, 57) |prechen und ihır Die primitive Gemeinjchaft mit Ameifen, Schwalben, Bienen, Bibern oder Affen vergleichen läßt (20, 21; Primit. Gemeinjchafts- fultur 13, 16, 18) und die ihm Entgegnungen verlegten Gefühls ein- getragen hat!), entitammt dem Bilderfchag der Ethnojoziolsgie.
Snödelfen hatte die, volf3fundlidhe Forjchung der legten zwei Sahrzehnte auf Grund neuer Erfenntniffe von philologijch-hiltse rifchen Unterfuchungen einzelner Gebiete fich immer weiter von dem Glauben an einen fchöpferifchen Bolfageift abgewandt. Auch wenn fie längft nicht mehr die niederen Dämonen al3 gejunfene Götter, vielmehr dieje al3 gehobene, literarifierte Geftalten des Volföglaubens anfah und noch weniger, wie e3 einit 3. Mar Müller wollte, in den Naturvölfern degenerierte Rulturvölfer erblidte, jo hatte fie doch feit den Forfehungen von Karl Spieß die bäuerlihe Tracht als Refte älterer Höfiich-ftädtifcher Trachten fennen gelernt und aus Sohn Meiers forgjamen Bolfsliedftudien eine erhebliche Anzahl volfstümlicher Lieder ala zerfungene einjtige Modelieder bejitimmter Beitgrößen feitjtellen können, fodaß fich die Volfsliedforichung nun mwejentlidd um die Frage „primitives Gemeinfchaft3lied” oder „gejunfene3 Runjtlied‘ drehte. Aber auch, auf dem Ge- biet der Bolfzliteratur, der VBolfsipiele, der Märchen, der Sagen und der volfstümlichen Kunjt war man in Einzelunterfuchungen zu den gleichen Rejultaten und zur nämlichen Srageftellung gefommen. So trat der individuelle Anteil an dem Vollagut und der Einfluß der Kultur einer gehobenen Bildungs- und Gefellfchaftsfchicht wieder in . den Vordergrund, |chien die einst vielumftrittene Hoffmann- Pra- yerjche Formulierung, daß das VBolf von den Überbleibjeln lebe, Die von den Tijchen der geiftig Reichen fallen, mehr und mehr zu ihrem Recht zu Fommen.
N. übernimmt H.-Rr.3 Aufftellungen, fie im Einzelnen gelegent- lich, unterftreichend, und verfucht in einer Vereinigung der eth=- nologifhen und volf3fundlidhen Kefultate als eriter Igftematif für die einzelnen, volfsfundlicher Betrachtungsweije zu= gänglichen Gebiete die Scheidung nach ihren Anteilen an „primitivem Gemeinjhaftsgut” und „gefunfenem Kulturgut” zur „Orundfrage‘‘, ja zun „Hauptarbeitzziel der modernen Bolfsfunde” zu erheben, aus dem fich Urfprung, Alter und zumeist auch Erklärung und zuleßgt jelbit eine Art Syftem der Volkskunde ergeben müfje (S. 2). Da N.
1) 3.8 von Beramb a.a.dD. ©. 340,
u. RG.
dieje grundlegende Einftelluing zur vollsfundlichen Forfchung ivie auch jeine Auffaffung des primitiven Gemeinjchaftägeijtes fchon in Elarer Ausführlichkeit in jeinem 1920 zu S$ena erfchienenen Buch „Primitive Gemeinfhaftsfultur” (Beiträge zur Vollsfunde und Mythologie) auS- geiprochen hat, jo bedeuten feine Grumdzüge mwejentlic; die fyjtematijche Probe auf die Fruchtbarkeit diefer Zweifchichtentheorie, an der er nun gleihjam am Phantom den Ablauf der Eulturellen Prozefie innerhalb der breiten Bollsihicht in ihren einzelnen geiftigen Erjcheinungsformen Demonftriert. Diefe mit polarer Schärfe zugejpigte Antithefe Hat gemwifje Bedenken der Kritik hervorgerufen), die 3. T. durch N.3 ge> Legentlihe Wertungen beider Schichten (3. B. ©. 5: „Zu glauben, daß aus der Gemeinfchaft der Fortichritt fomme, ift Romantif, Sie zieht herab oder ebnet mindeitens ein’) Hervorgerufen find. Aber fadhlidy fcheint fich mir an N.3 Unterfucdhungen faum etwa3 zu ändern, wenn er nad Fehrles Wunjch ftatt von gejunfenem Kulturgut von Übernahme ftädtifhen Kulturgutes durch die bäuerliche Schicht ?) oder nad) %. Lüer3 von gemandeltem Kulturgut und naturgegebenem ftatt primitivem Gemeinjchaftsgut fpräche.) Denn an und für fi braudt N.3 Begriffsfegung feine Wertung einzufchliegen, da fein Bild der Unter» und Oberfhicht nichts anderes ift als eine, legten Endes primitiven Anfchauungen entjprungene, Metapher, die ji in zahlreichen Varianten al3 Aufmwärtsentwidlung des Menfchen, al3 einer durd) Macht, Geift, Geburt u. dgl. bedingten Höherjtellung Einzelner u. dgl. wohl in fait allen ausgebildeten Sprachen jeit Alters mehr oder minder eingebürgert hat. Auch it diefe Metapher für N. überhaupt wohl faum mehr al3 ein bewußt erpreijiv verfürztes Schema, da3 al3 eindrudjame Behelfskonftruftion feiner grundlegen- den Theje eine bildhafte Simplizität verleihen foll. Denn es ift ganz felbitverftändlich, daß im realen Leben weder eine Ober noch; eine Unterfhicht in der hier forgfam deitillierten Reinheit befteht, fondern daß ein Übereinander vieler geiftiger und fozialer Schiehtungen vor zahlreichen vertifalen und diagonalen Bildurigen durchfreuzt wird, und eine graphifdhe Horizontaldaritellung ein ebenfo irreführendes Bild gäbe, wie e3 auf fprachlichem Gebiet lange Zeit da3 Stamm baumjhema gab. Aber e3 ift auch nicht zu verfennen, daß die Ne-
1) Bal. bei. RK. NReujchel, Dtiche. BE. II, 6f.
3) Eugen Fehrle, Badiiche Vollstunde (Deutihe Stämme, Deutiche Zande, 3d. III), Lpz. 1924, ©. 73.
s) Sriedrich Lüers, Vollstumsfunde im Unterricht der höheren Lehr- anftalten, Srankfurt a. M. 1924 ©, 117.
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fultate der volfskundlichen Einzelforfhung und die Reaktion gegen die myftifchen Anfchauungen von einem fchöpferifchen Volkägeift N. zuweilen zu einer Überfpigung feiner Einftelfung geführt haben. Sp wenn er e3 al3 die befondere Aufgabe der Volfsfunde betrachtet, den Zug von oben nach unten zu beobachten, und der Rulturgefchichte den natürlichen Verlauf des Wachstums in der umgekehrten Richtung überläßt (©. 4), oder wenn er bie und da zu verallgemeinernden Formulierungen kommt wie ‚„‚Bollsgut wird in der Oberjchicht ge- madht” ider „DBollstracht, Volfsbuch, Volkslied, Volksfchauipiel, Bauernmöbel ufw. find gejunfene Kulturgüter bis in die fleinften Einzelheiten hinein‘ (©. 5), denen dann Ausfprüche wie „Echte Boltz- tunft, ifl Gemeinjchaftsfunft” (S. 20) gegenüber ftehen. So ijt in N.3 Grundlagen doch noch zuweilen der Silebeftreifen zmifchen ben %ar- fhung3ergebniffen der Ethnofoziologie und der Volkskunde zu er- tennen, Die prinzipielle Fundierung des N.ichen Buches aber Fann auch da ein Eingehen aufs Prinzipielle verlangen, wo der Kritiker der Anficht ift, daß jolche gelegentlichen Kontraftformulierungen Wejen und Wert der N.ichen Arbeit faum berühren.
Sit dies der Yall, jo drängt fich, und zunädjit die Frage auf: ijt eine folche Zerlegung der Stoffe in ihre Einzelelemente unter dem Gejihtspunft ihrer Herkunft im Aufitieg aus primitiver Gemeinfchaft oder ine Abjtieg aus der verjinfenden Mode einer Eulturellen Spiben- gruppe num wirklih, wie N. meint, Hauptarbeit3ziel der Volf3lunde, ift fie nicht vielmehr nur Endziel einer erften Etappe? Will man zu den Prinzipien eines fchöpferifchen Volfs- geiftes, alfo zu jener weiten Sphäre individuell noch Taum betonter Gefühle, Gedanken und Ausdrudsmöglichkeiten gelangen, die eine Miihung aus Naturtrieben und unentwidelter Geiftigfeit darftellen, fo wird man ftet3 die N.jche Problemftellung gegenüber dem Einzel- phänomen al3 VBorfrage aufwerfen müfjen, auch, wenn ihre Löjung im befonderen Fall oft faum möglich ift. Denn fo unjchiwer fich; meift die Verjiderungen höfifchen oder bürgerlichrgefellfchartlichen Mkode- gut3 in Wort und Brauch, Nealien und Zdeologien breiter Bolfs- Ihichten feftftellen Laffen, jo fchiwierig ift in der Regel die Ausfiltration de3 „‚primitiven Gemeinfchaftzgeijte3”. Wohl Liefert diefer allen gei- ftigen Bildungen die Lebenselemente, aber fobald fich diefe Elemente zu irgend einer Form, in Wort, Bild oder Glaubensvorftellung, ge= balit haben, erjcheinen jie jchon derart von einer individuellen Färbung abgetönt, daß zumeift eine fichere Scheidung ihrer einzelnen Beitand- teile unmöglich wird. Das zeigt gerade N.3 Schrift deutlich: wo er
gejunfenes Kulturgut nachzumeifen jucht, wird man ihm faft immer zujtimmen fönnen, wo er primitives Gemeinfchaftsgut jieht, erfcheinen feine Aufitellungen in der Regel problematifch, zuweilen auch wenig wahrfcheinlich.!)
Eo Sieht man, will man fi nidt ganz in Hhypothetif und philofophiiche Spekulation verlieren, am beften bei ber Summe jener im Bolf umlaufenden Geijtesgebilde, deren Herkunft fich zunächit nicht aus dem hiftoriihen Entwidlungsgang feititellen Täßt, ganz von einer unterjchiedslojen Einreihung in ein ‚„‚primitives Gemeinjchaft3- gut” ab. Denn die Gefege der Geiftigfeit einer gemeinfulturellen Tief- ftufe Iafjen fich viel ficherer, denn an zweifelhaften Eigenbildungen, an der Auswahl und Umbildung der erweislid au einer Heinen, modegebenden Oberjhicht empfangenen Geiftesgüter feit- ftellen. N. verlegt allzujehr den Alzent auf den Begriff der Rezep- tion, während die von ihm übernommene Formel Hoffmann-frayers wohlmweislih von dem NReproduftionsvermögen bes Bolfes pricht, alfo eine eigenfchöpferifche Tätigkeit der Unterjchicht gegen- über den überfommenen Vorlagen betont. Hier in der Erfenntnis der Grundfäge, nad; denen die breite, emotional beivegte Maffe lediglich einen bejtimmten Xeil der ihr gebotenen Kulturgüter Tonfumiert und das von ihr einmal Aufgenommene in ganz bejtimmten Sormen ihren geiftigen und gejchmadlihen Bedürfnijjfen entiprechend um« geitaltet, Tombiniert und primitiviert, ftedt der Schlüfjel zu ihrer PBrimitivität. Wohl betont auch N. gelegentlich diefe Kombinationen?) und Umftilifierungsprozeife (S. 11, 12), aber er überfieht, daß diejer wichtigften Problemitellung gegenüber die ganze Herfunftsfrage ledig- lich fichtende Vorarbeit ift. Ein bäuerliches Hinterglagbild oder ein bon einem vollstümlichen Briefmaler gefertigte Heiligenbildchen ift eben etiwa3 durchaus anderes geworden ala feine Kupferjtich- oder Dlbildvorlage, ein zerjungenes Bolfzlied, ein zerfprochener Abzähl- reim, ein zerjagtes Märchen, cine zerjchriebene Bauberformel, ein
2) So ift, um nur ein Beifpiel hberauszugreifen, auch der ©. 40 mit- geteilte Grabver8 aus Drafendorf bei Jena ficher nicht im Bolf felbit ent- ftanden, jondern ein aud) in der Todesanzeigendichtung des Weltkriegs wieder häufig vermwerteter Vierzeiler, der feine Vorlage wohl in einer der Gelegenheits- reimfammlungen der Biedermeierzeit haben dürfte. Vgl. Bayerijche Hefte für Bolfstunde II, 1915, ©. 248.
3) Aulius Lippert (Kulturgeichichte der Menfchheit II 79, 558) Ipricht bier im allgemeinen von einem Prinzip der Kulturfompofition, Zu den Kom- binationen führt fomohl ein biftoriicher Prozeß (Zufall, Verjchlampung) wie ein piychiicher (Freude am Kompilativen).
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zerjpieltes Puppenfpiel, eine zertragene Tracht eima3 Neues gegen- über ihren Urfaffungen und Vorlagen. Hier ftehen die Formen einer Einzelgeiftigfeit denen einer Vielgeiftigfeit gegenüber, wenn man jid) überhaupt diejer, im Grunde irreführenden Begriffe bedienen mill. Denn auch die Einzelgeiftigfeit ift, zumal wenn fie weitere Schichten befruchtet, nur Repräfentant ihrer (erklufiveren) Bildungs- und Rulturihicht, und die Pielgeiftigfeit ift eine fiftive Summe von mannigfachlt abgeftuften Gruppengeiftigfeiten.
Durchaus bedenklich aber erjcheint e8 m. E., wenn nun WR. ala den Hauptvertreter einer primitidven, individuumälojen Gemeinfdaft (die er mit „Volf” gleichjegt: ©. 119) unfer heutige Bauerntum anfieht (©. 56, 65). Dabei mag die Stage, in weldem Ausmaß man überhaupt von dem Wejen de3 Deutfchen Bauern fchlechthin fprechen Fann oder mie weit Örtliche Schattierungen eine folche Generalifierung durchbrechen, ganz unberüdjichtigt bleiben, ebenfo wie da3 Problem feiner Wandlung in den Kriegs- und Nach- frieggjahren. Aber wenn Schollenbindung und Gemeinfamfeit eines engen und ftrenggeregelten Beruf da3 Bauerntum forwohl in. den Äußerlichkeiten feiner Lebensführung wie aud; dem Stand feiner Speologie al3 einen gering differenzierten Lebenstyp von gehaltenem Sleihmaß zeigen, fo hat das alles mit Primitivität nichts zu tun. Petrefafte Bildungen in bäuerlicher Sitte und Brauch wie die Fon- jervative Schwerfälligfeit der bäuerlichen deologie mweifen in ihrem Gefamtbild fo wenig wie Bauerntradht und Bauernhausrat primi- tive Formen auf, fondern laffen fich gerade hier meilt unjchwer als Rahjcehwingungen einer in der Oberfchicht bereit3 abgeebbten Kultur- mwelle erfennen. Und felbft wenn man in der ameifenhaft zu Markt ziehenden Bauernfolonne ftatt eine3 durch Vernunft und fachliche Erfahrung geregelten Ordnungsfinns einen jinnlos herdenhaften Nach- ahmungstrieb fehen will, jo fan man verwandte Beobachtungen in den Bahnhöfen unferer Großftädte beim Einjteigen in die Züge machen, ohne daß folche Feitjtellungen uns irgend einen Auffchluß über die Gefamtgeiftigfeit der Reifenden gäben. Mag man den Nad)- denflichkeiten Georg Ko h;3t), der lange Fahre unter den oberhejliichen Bauer gelebt und erlebt Hat, voll zuftimmen, oder mag man bei
1) Bal, Georg Koch, Volksfunde, Romantik u, P’Houet’3 Bauernpiycho- logie: Hell. BL. f.BEXX, 22—50 (dazu die Beiprechung von Hans von Lüpke, Unendliches im Endlichen: Die Dorfficche, Ig.18, 1924, 97—102) und bejonders Koch neuen Auflaß in diefem Sg. unferer 3. Ferner: Derj., Bauer, Bürger, Arbeiter: Sonderdr. aus der Monatsfchrift Neumerk, Schlüchtern 1924.
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den Trägern der zähen, monotonen und engbegrenzten bäuerlichen Kultur wie in diefer Kultur jelbit ftärfer, wie ed aud) N. gelegentlich tut (©. 62), die Rüdftändigfeit al3 die Jormbemahrumg betonen, mag man noch joviele allgemeinmenfchliche, und darum „‚primitive” Züge ım bäuerlichen Charakter erkennen, primitiv tft gerade die bäuerliche Gefamtkultur ficher nit. Zn diefer Einftellung fcheint W.,' troß jeiner biologijhen Terminologie und trogdem er immer iwieder in erfreulicher Klarheit die romantische Betrachtungsweije der Wolfs- funde befämpft, jelbjt der romantischen Sphäre verfallen, in der fich allzugern der Begriff der Primitivität verhüllt. Sind e3 doch ledig- lich zwei Gründe, die die volf3fundliche Forichung ich feit ihrer Frühe zeit vornehmlich dem Bauerntum zumenden ließen: da3 Stimmungs- moment, da3 den Städter bewegte, wenn er auf Wanderfahrten im abgejchiedenen Land noch Dinge fah und hörte, die ihm jchon fremd getvorden oder die nun als Kindheiterinnerungen neu auflebten, und al3 fachlicher Anreiz neben diefer Gefühlsneigung die verhältnis- mäßige Einfachheit der Unterfuchung an einem Objekt, dejjen Zeben3- frei3 in fich gefchloffen und nicht durch allerhand fluftuierende, fchwer mepbare Einflüffe getrübt ift. Wer aber da3 Wefen der primi- tiven Geiftigfeit ftudieren will, der wird die Symptome piefes „praelogiichen”, „praemoralifchen‘‘, praefulturellen Trieblebens am eheiten bei dent Gegenpol de3 fozial gebundenften aller Berufe, bei den „Afozialen” finden, den VBerbrechern, Dirnen, den Warndern- den und Yahrenden aller Art, den Landftreichern und Schauftellern, Gelegenheit3arbeitern, Künftlern u. dgl. Das heit überall da, mo nicht die Hemmungen von Verftand, Erziehung und Standeönormen die geiftigen Triebfräfte verjchleiern, dort wo fi} Tun und Denfen zugeringft nach intellektuellen Vorfchriften und gemohnheitsrechtlichen Bindungen regeln, mo die urtümlihe Veranlagung noch nicht ver- drängt und lediglich and Unterbewußte gefejfelt ift. Alfo in jener Menfchenichicht, in der fi der Lebenskreis fchließt, indem Hier Iebte Defadenz wieder in die Vorftellungd- und Gefühlsmwelt einer unge- tegelten Primitivität mündet. Hier zeigt ji am ftärfiten jene von den nafurgegebenen Affekten, von Hunger und Liebe, wie auch deren untrennbaren Kehrfeiten, fatter Trägheit und Haß, bewegte Geiltes- und Lebenshaltung, die die Gattung Menjch gleichjam noch unafuliert von geiftigemoralifhen Bindungen oder jchon wieder ihrer Wirkung abgeitorben zeigt.
Aber mag fo auch) eine bejtimmte Menfchengruppe ein bejonders geeignetes Objekt für die. Erfenntni3 primitiven Geifteslebenz ab-
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geben, jo befchränft fich diefes nie auf eine folcde Gruppe, am wenige ten auf eine berufsgebundene. Da3 $ortleben primitiver Elemente, aud beiden Repräfentanten einer hödften Rulturfhicht, wird wohl von niemandem, auch, von N. nicht (©. 4, 56) bezweifelt. Das Ausmaß aber von Verdrängung und Hem- mung be3 Triebleben3 erjcheint bei dem Einzelmenjhen rein in dividuell und dürfte, wenn überhaupt urjächlich, nur biologiih zu erflären fein. Das Verhältnis in der Mifchung des Naturhaft-Trieb- mäßigen und de3 Syntelleftuell-Zielftrebigen treibt zumeijt den Ein- zelnen feiner ihm gemäßen Lebensgruppe, feiner Lebensgeitaltung, feinem Schidfal zu, und jeder Einzelne ift auch auf geiftigem Gebiet diefem Widerjtreit von angeborenem Trieb und millenhafter Ge- ftaltung zu Logijcher ErfenntniS unterworfen. Denn noch jeltener wie im Phyliichen findet der Menjch im Pigchifhden — um einen Ausdrud der Artiftenfprache zu gebrauchen — feine „„Zorm‘, jind alle Teile gleichmäßig bi3 zu ihren legten Ausdrudsmöglichkeiten durch- gebildet. Ausgeformtes fteht — zunäcdhjit bildlich gejprochen und ohme auf phyfiologiiche Hypothefen einzugehen — im menfchlihen Hirn, auch des „Gebildeten”, de3 „Kulturträger3”, zumeift dicht neben Rudimentärem und Embryonalem, und die Erfahrung zeigt, daß der auf Einzelgebieten Begabteite in den außerhalb feines Denffreifes liegenden Dingen und in veränderten Situationen oft zugleich der Kindlichjte ift. Denn die Situation regelt für den Einzelnen wie die Gejamtheit den Pulsichlag der Geiftigfeit und beftimmt vor allem da3 Ausmaß don Berdrängung oder Ausfchlag der primitiven Urs triebe. Wenn in erregten Zeiten die natürlichen Triebe hem- mung3lo8 das Kleid einer durch Jdeale geformten und organifierten Geifteshaltung zerreißen, tritt, Stände und foziale Schichten eineb- nend, die Einheit3front einer primitiven Geiftigfeit zutage. Alle die Vorjtellungen von Glaube und Furcht, Wunfch und Hoffen, alle fchlummernden Triebe wie alle bildenden und geftaltenden Kräfte des menfchlichen Geifteslebens brechen in elementarer Gewalt hervor, eben in jener jubfulturellen Tiefftufe, die der „Gebildete“ fonft nur mühjam bei den fogenannten fulturlojen Völkern und in Rudi- menten heimijchen volftümlichen Geiftesfebens zu erfennen glaubt. sn jolden Erregumgszuftänden einer zu einheitlicher Mafje gejchmeiß- ten Fulturellen und geijtigen Vielheit wird man die primitive Geiftig- feit des Menjchen al3 Gattung am Elarften erkennen, die man in
Betten zivilifatorifcher Gehaltenheit vornehmlich bei den un juhen muß.
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KR. reift an dem Faden feiner Grundthefe zehn Kapitel der pollefundliden Yorfhung auf und zeigt an jedem von ihnen, mie frudtbar feine Problemftellung troß oder vielleicht gerade megen ihrer Überfpigung fic) auszumirken vermag. Wo fich diefe Kapitel im allgemeinen mit der Schilderung de3 primitiven Gemeinfchaft3- geiftes befajjen (Kap. IV PBrimitiver Gemeinfchaftsgeift, V Die primi=- tiven Gemeinfchaftzfefte) ift feine Auffaffung ung fchon aus feinem Buch ‚„Primitive Gemeinfchaftzfultur” (1921) befannt und geht in ihrer grundfäglichen Einftellung faft ganz auf Lepy-Brühl, mand)- mal auch auf 8. Th. Preuß (Die geiftige Kultur der Naturvölfer, 1914) zurüd. Zhmen vorangefchict find drei den bäuerlichen Realien gewidmete Kapitel (I Tradht und Hausrat, II Bauernhaus und Dorf- firdse, III Siedelung und Wgrarwefen), die m. &. ftellenmweife zu weit ins nur Hiftorifche fpannen, bei N.3 Einftellung zum Bauern- tum aber unentbehrlich erfcheinen und jedenfall eine Fülle feiner Beobachtungen und Deutungsverfuche bringen. Die übrigen Kapitel befchäftigen ficy, mit den mwichtigjten der in der vollöfundlichen Yore- hung feit Langen übli gewordenen GStofffreifen, die fie einheitli nach N.3 Grimdthefe auf» und ausbauen: Bolksfchaufpiel und Gemeinjchaftsfpiel (VI), VBollsbuch und Puppenfpiel (VII), Volle» lied und Gemeinfchaftslied (VIII), Rätfel und Sprichwort (IX), Sage und Märchen (X). Verfuche der Erflärung, Ableitung und des Ver- folg3 der einzelnen Phänomene bis in präfiftorifche Zeiten und den menjhlihen Seelengrund hinein machen diefe Ausführungen unge mein lebendig, zumal N. auch der jüngften und ftädtijchen Entwidlung des Lebens durchaus unbefangen und Flarfehend gegenüberjteht. Ge«- wiß, vieleß wird man fchmerzlich vermifien: ein Kapitel über Kinder- lied umd Spiel, da3 ganze religiöfe volfstümliche Schrifttum mie da2 magifche, die Scherz, Anekdoten» und fatirifhe Klein- und Kleinftliteratur, bie volfstümliche Prophetie und manches andere. Und nod ftärfer mag man vielleicht bedauern, daß N. nicht den Differenzierungen ber einzelnen Erjceinungen, fomweit e3 ji; um Konfumtionzprozeffe handelt, bei den verjchiedenen Menjchen-, Alters- und Gefchlechtägruppen nachgegangen ift, daß er überhaupt nicht ver- fucht Hat, die primitive Vorftellungsmelt (außer ihrer Auffajjung von Leben ımd Tod) an einzelnen Grundvorftellungen, die unjere ganze Lebensformung mitbeitimmen (wie Zahl, Burchftabe, Name, den Begriffen von Hoch und Nieder, Rechts und Links ufm.) aufzu=- zeigen. Uber diefes Bedauern ift doch nicht? anders als der dring- liche Wunfh: N. möge uns jene umfafjende Darftellung einer prin-
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zipiell eingeftellten Volkskunde fchenfen, zu der da3 vorliegende Büch- fein als ein außerordentlich glüdlicher Auftakt erfcheint.
3.
Mas ift nun aber der Gegenftand der volfsfund- fihen Zorihung, wa3 ihre Aufgabe, wa ihr Ziel, was ihre Methode? N. bemerkt zu Eingang feiner Schrift (S. 1f.) naddrüdlich, daß die Volfskunde fich ebenjo mit Gegen- ftänden ideeller wie materieller Natur befalfe und hat darum auch die Realien, die bei der fi} verjtärfenden Betonung der piycho- Iogifhen Frageftellung mehr und mehr zurüdtraten, in meiterem Umfang berüdfichtigt. Während früher Männer wie Dietericdh dieje Nealien, aljo daS ganze Gebiet der fogenannten „Bolfsfunit‘‘, auzjchalten wollten, haben neuerdings andere (befonder? Meringer und zulegt Reufchel) fich wieder lebhaft dafür eingejegt, daß jene Ausdrud der gleichen Geiftigfeit wie die volfstümlichen Gebilde des Slaubens, Denfen3 und Fühlen® und darum der gleichen piycho- logiijhen Betradhtungsmweije zugänglich feier. Aber indem die Art ihrer Heranziefung und ihre oft rein Hiftorifche Darftellungsweife, die befonders in der an der volfsfundlichen PBeripherie Tiegenden Bauernhausforfhung unvermeidlic; ift, vielfach erfenntlich das piycho- Iogijcher Betrachtungsmweije zugängliche Gebiet faum berührte (mas m. ©. gelegentlich jelbit in N.3 Büchlein erjichtlich wird), Haben einzelne zuftärfit der deutfchen Altertumsfunde und hiftorifcher Re= alienforfchung zugemandte Forjcher, allen voran als ihr bedeutendfter Vertreter Otto Yauffer, überhaupt den piychologifhen Grund» harafter der Volkskunde beftritten. Schuld an diejer verjchiedenen Bliditellung erfcheint zum Teil auch hier wieder die feltfam vermirrte Vorgeihichte der volfsfundlichen Wiflenichaft, die, von den Trachten abgejehen, der Nealienforfchung in Deutfchland bisher wenig Ber adtung fohenkte, jo daß erit jeßt Veröffentlichungen wie Wilhelm FSraenger3 Yahrbudh für Hiftoriihe Volfsfundet) oder die vom Neichsfunftwart herausgegebenen, landjchaftli aufgebauten Bände Deutscher Bolkzkunft ?) um das ntereffe meiterer Kreife für ihre Probleme merben müfjen. Zum Teil aber ergeben fich die ziie- fpältigen Anfdhauungen vom Wejen der volfsfundlichen Forichung
1) Kahrbuch für Hiftoriiche Volfsfunde, hsg. von Wilhelm Fraenger, 3d. I, Berlin 1924.
2) Deutiche Volfsfunft, Hg. von Edwin Nedslob, München 1923 ff. Bisher find 38 Bde, erjchienen: Niederfachien (Wild. BPepßler), Rheinlande (Mar Creub), Mark Brandenburg (Werner Lindner).
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aus einer ungenügenden Scheidung von Arbeit3methode und Piel» jegung unjerer Wifjenichaft, deren Stärfe uns eben darin zu beruhen fcheint, daß fie die Erforfchung der ‚‚Volfsfeele” an ihren verfchie- denen, real erfaßbaren Ausdrudsformen, in Glauben, Sitte, Brauch, Cang, Sage, Schrifttum, Geihmadsrichtung, KRunftfertigfeit und weologijcher Einftellung aller Urt, zunächit mit den Mitteln einer eraft philologifchehiftorifchen Methode erjtrebt. Diefer Arbeitämeg erjcheint felbitveritändlich, nachdem alle materiellen, aber aud) ideellen, Ausdruddformen volfstümlichen Lebeng, jomweit fie über ihre ein- Tadhften feimhaften Motive und Gprmeln Hinauswuchjen, Erzeugnije gefchichtlicher Prozeffe und gefhichtliden Wandels find, aus defjen genauefter Kenntnis heraus erft die pfychologifche Beurteilung, fichtend und mwägend, ihre Echlüffe ziehen fann. So arbeitet die Volfstunde um der Eeele willen an deren realen Bildungen in Wort wie Tat wie Werf, wilfend, daß die in dem Bilderreichtum der geichichtlichen Prozeffe wirkenden Grundfräfte für fie zwar ein Ziel, aber darum auch ein Vebtes, vielleicht nie ganz Erreichbares find.
Aber nicht nur Über die gegenftändlihe Begrenzung de3 Arbeit3gebiet3, auch über feinen räumlidhen Umfang gehen die Meinungen noch weit auseinander. Die Erfenntni3 von der Weiensgleichheit in den lebten Zielen ber Ethnologie und der ver=- gleichenden Volkskunde hat zu der Forderung geführt, lebtere wieder auf eine ftammhbeitlicdhe oder völfifche Einheit zu bejchränfen und als ihre Endaufgabe die Erforichung jener Yormen anzufehen, in denen fich die allgemeinen Urmotive innerhalb eines beftimmten Volfes oder Volfsftammes offenbaren. Dabei überwiegt nad) Riehl3 Vorbild, für da3 Geramb neuerdings eintritt, die Forderung, die gefamte natio, al3 eine dDurd) Spradde und Gefhichte geugraphifch begrenzte Men- Ichengemeinfchaft, nicht den Einzelftamm, al3 Beobacdhtungseinheit aufzuftellen. Da aber der Ethnologe gleichfall8 an dem primitiven Einzelvolt feine Unterfugjungen anjegt, wollte man die Volf3funde ganz auf die Kulturvölfer befchränten, bald ohne die Abgrenzung eines Rulturvolles von einem fulturlofen — deren Schwierigfeit jchon der Begriff der „Halbkultur” zeigt — zu verjuchen, bald mit der filtiven Scheidung von oberjchichtslofen, primitiv-folleftiven Natur» völfern und individuell differenzierten Völkern mit einer intellef- tualifierten, leitenden Kafte operierend. Dabei geht Michael Haber- landt!) neuerdings foweit, die Bollsfunde nur für die „hochent- widelten ulturvölfer” Europas gelten zu Laffen.
') Michael Haberlandt, Einführung in die Volkskunde mit bei. Berüc- fihtigung DOfterreichs [Wien 1924].
Sefl. BI. f. Bollstunde Bd. XXIII. 7
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Mit folcher äußeren Verengung des Arbeitsgebietes Hand in Hand gehen Verfuhe einer Erweiterung de3 Arbeit3- ftoffeg. Hatte Weinhold und nah ihm Kaindl nod die Erforfchung der phnfifchen Merkmale eines Volkes, alfo anthry- pologifche Aufgaben, von der Volkskunde neben den piycho> logifchen gefordert, fo hatte man erjtere mit der Entwidlung der Bolfzkunde zu einer piychologiichen Willenichaft ausgeichieden, jomweit nicht Einzelne ihr überhaupt diefe Bezeichnung abjprachen. Hier hat nun eine in jüngfter Beit von Öfterreich und Bayern ausgehende Be- wegung, die bisher allerding3 mehr von zeitpigchologiichem Anterejje al3 von überzeugender Stärfe erjcheint, wieder auf die Weinholdjchen Forderungen zurüdgeführt. So ftellt M. Haberlandt in feinem er=- wähnten Schriftchen ‚für den Arbeitsgang der volfsfundlichen For Hung anthropologifche Unterfuchungen an die erjte Stelle, denen eine Betradhtung der geographijchen und gejchichtlichen Bedingtheiten de3 betr. Volfes, jeine Sittenfunde und erjt zulegt die Beobadhtung jeines geiftigen Status folgen folle. Aber mie fehr fi inzwifchen die Vollsfunde nach ganz anderen Prinzipien gefeitigt Hatte, be= zeugt am Stärfiten die Tatjache, daß der Sprecher der parallelen Bewegung in Bayern, Friedrih Lüers!), diefen Aufgabenfreid in bewußtem Gegenjaß zur heutigen Vollgfunde in einer eigenen Wifjen- haft, der Volfstumgktunde, umfpannen mill, die die alte Sahnfche Formulierung in einem neuen Sinn belebt. Auch, Lüers erjtrebt, wejentlich aus fchulpädagogijchen und allgemein erzieherifchen Gründen heraus, eine Erforjchung des gefamten VBolfstums, indem er über die Klärung des Lebens der Stammespolfstümer zu der Erkenntnis des gefamtdeutihen Vollstum3 vordringen will. m Gegenjaß zu Jahıı aber ijt feine Volfstumsftunde im Pofitiven durch- aus aus der volföfundlichen Blicftellung erfchaut. Und wenn Lilers alg Grundfrage für eine Deutung de Tung und Handelns eines Volkes raffenfundliche Zeftftellungen verlangt, aus denen jich eine embryonale Prädispofition bejtimmter VBolfsgruppen erfennen laffe, jo könnte man diefer Forderung zuftimmen, bliebe fie nicht nur eine deflamatorifche Gejte, folange bei einem fo durch die Völker nnd Kulturen gefreifelten Volf wie dem unferen alle ernfthaften Hand- haben zu foldhen Unterfuchungen fehlen.
Alle diefe Verjuche einer Beichränfung und Erweiterung unferer Willenichaft aber find legten Endes nur Zeugniffe der fih langjam
1) Friedrich Liiers, Bollstumstunde im Unterricht der höheren Lehr- anftalten, Sranffurt a. M. 1924, ©. 3, 60.
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Ducchfegenden Erfenntni3 von der praftifhen Be- deutung, ja Unentbehrlidhfeit der VBolfsfunde für unfer heutige Leben und die Entwidlung unjeres eigenen Volkes. Aus folder Verantwortung gegenüber einer frifenfchweren Zeit hatte fi einft der romantische Glaube an eine allgemeine jchöpferijche Kraft innerhalb der Nation entwidelt, die, verjchättet und verdunfelt, doch in den Beften mweiterlebe. So ift e8 fein Wunder, daß heute die alte Romantif erneut auflebt und wieder Männer erjtehen, die wie Görres feharf zwifchen PWöbelhaftigfeit und heiligem Wolf3geift icheiden und fich über die Sfepfis einer nicht mertenden, wifjenfchaft lichen Deffription hinaus al3 Miffionare einer reineren und ver- wurzelteren Zukunft fühlen, die mit Chriftian Frank, ihrem männ- Hichften md unermüdlichiten Vertreter, unter Voll nur „dei ge= funden, ftammbaften, nicht verbildeten Kern der Nation” fehen wollen, „deilen Stimme Gottes Stimme ift‘!). Aber mag man auch da3 Willen un die feelifchen Anlagen und Formen unjeres Bolfes nur als Mittel zu jenjeit3 und über aller Wiffenschaft jtehenden Ziweden Ichäten, jo follte man ebenjowenig vergeljen, daß jede Wifjen- Ichaft al3 folde nur Diagnojfe, nie Therapie oder Prophylaxe jein fann, daß fie die Auswertung ihrer Erfenntnifje anderen iber- lajjfen muß. „Angewandte Bolffunde” Tann in ihrem tiefiten Sinn bitterjte Notwendigkeit fein, niemal3 aber eine Wijjenjchaft, mag fie ficd audy mit erniteren Dingen als Märchenabenden und NRingel- tänzen halbwüchjiger Jugend befchäftigen.
Sn der Erforihung menjchlichen Seelenlebens3 gewinnt heute wieder die Sprade, nun fich al3 reine Geifteswiffenichaft fühlen, ihre befondere Bedeutung, bald mehr philologiih und kulturmiljen- fhaftlih eingeftellt im Sinn Karl Bofßler3 und Hans Nau- mannd, bald fprachphilofophifch in der Art von Ludwig Klage32), ftet3 aber ganz al3 Ausdrud und Haltung feelifcher Zuftände ge- wertet. Dod; ift e3 nun zumeijt nicht mehr die Spradhe in ihren meiteiten Allgemeinheit auf die Gattung Menjch, jelbit nicht Die auf eine völfifhe Sprachgruppe al Ganzes bezogene, die die Ge müter bewegt. Statt ded „‚Geiftes der Sprache” beichäftigt Alfredo Niceforo „le Genie de !’Argot“°), und er wendet fein Augen-
1) Deutfhe Gaue 1919 ©. 4 u. 96; 1925 ©. 5.
2) Ludwig Klages, Ausdrudsbewegung und Geftaltungskraft, Lpz. 1923.
3) Alfredo Niceforo, Le Genie de l’Argot, 2. Edit, Paris 1912, Eine völlige Neubearbeitung (auch in deutjcher Ausgabe) in Vorbereitung.
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mer! über die masfierten Sprachen in ihren mannigfaltigen $ormen bei Liebenden, "Dirnen, Verbrechern, Bettlern, Schaufpielern, Wan- dernden, GSeftierern und anderen Menfchenzirfeln fowie den von magijchereligiöfen Vorjtellungen gebildeten Argotismen hinaus auch den Sprachen. einzelner Berufs- und Geiftesgruppen zu, Die fick aus der Verfchiedenheit der Arbeit wie des Yühlens und Denfens bilden, und zieht dabei gelegentli aucd; die Rinder- und rrenjpracdjye feinem Blidfeld ein. Zwar Hat die Germaniftif diefen Weg jdon lange getviefen, aber was Friedrih Kluge und feine Schüler un3 an wertvollen Unterfuchungen einzelner Standessprachen gejchenft, betraf zumeift nur da3 Wortmaterial bejtimmter jozialer Berufg- gruppen, die fich durch einen antiquierten oder ijolierten Sprad= Ihab auszeichneten, und ein Verfuch wie der von Guftan Schöner aus der Behaghelichule!), der den Wortichag eines Fleinen Vogeld- berger Dorf3 jammelte, um aus ihm den geiltigen Yafjungsfreis feiner Bewohner zu erfchliegen, fteht leider vereinzelt. Auch hier haben mwieder die Ethnologen, und die von ihnen abhängige Sozio- Iogie, die Broblemftelung befruditet. Levy-Bruhl bat in feinem 4. Kapitel, da3 da8 Berhältnis der Geiftesarten der Primitiven zu ihren Sprachen behandelt, ji nicht nur ausführli” mit ihren: Wortichab und ihrer Gebärdensprache, jondern auch ihrer Grammatif befchäftigt, um aus diefer die Grammatif ihrer Seele zu erjchließen. Und folde Berfucdhe, wie zuftärfit Humboldtihe Gedanken, haben neuerdinge Eugen Rojenftod am Dbjeft de deutjhen Yabrif- arbeiter3 Unterfuchungen anfündigen lafjen?), in denen er glaubt zu einer tieferliegenden, nur mehr piychologijch erfaßbaren Seelen- grammatif vordringen zu fönnen, die unter der vermeintlich ent- arteten „DOberflächengrammatif”” unferer nach griechifhem Worbild geftalteten Schulgrammatif fchlummere. Mögen auch derlei fprach- philojophifchen Erperimente von einem fich bejcheidenden philologi- ihen Gemifjen aus in Methode wie Nejultaten vielfach wenig be- friedigen, jo offenbaren fie doch jtärfer wie alle philologijchen Ar- beiten die Wandlung der Problemftellung unferer geit. Yuh Nau- mann jelbjt, der fchon zubor im Geift der Voßlerfchule die Sprach- geihichte al3 Geiftesgefchichte gegenüber einer rein Hiftorifch-dejfrip-
2) Suftan Schöner: Spezialidiotilon des Sprahjchapes von Kichenrod (Oberheijen): Zeitfchrift für Hocd. Mundarten III 1902, 225—273, 328—354. IV (1903), 46—113.
2) Eugen Rofjenftod, Angewandte Seelenfunde, Darmftadt 1924.
tiven Darftellung zu faffen fuchte!), hat neuerdings die Anwendung feines Bildes von dem aus der Oberfchicht zur Unterjchicht gejunfenen, Kulturgut auf die deutfche Sprachentwidlung zu zeigen erjtrebt und alsbald in dem Münchener nn Eugen verd einen Ges fundanten gefunden.?)
Aber gerade die neueren, foziologifch jtark beeinflußten Unter- fuhungen führen in ihrer Einftellung auf einzelne Menjchengruppen. mehr und mehr von dem Glauben an die abjolute Scheidung eines Volles in zwei Gruppen, eine herrjchende, befitende Oberjchicht md eine bejitloje, beherrfchte Unterfhicht ab, die in ihrer radikalen Ausprägung am populäriten auf politifchem Gebiet, in der Theorie des Gozialismus, geworden ift. Mag e3 auch zweifellos erjcheinen, daß der deutfche und der franzöfiiche Zuhälter einerjeit3, der deutiche und der franzöfiiche Univerfitätsprofejjor andererfeits geiftig zunädjft verwandte Typen find, die fich in ihren Anfchauungen und Emp- findungen durchaus verjtehen, während beide Menjchengattungen troß der Gemeinjamfeit von Spradje und Nation einander in ihrer Geiitig- feit völlig beziehungslos gegenüberjtehen, jo wird der Sab, Daß e3 in jeder Nation zwei Nationen gäbe (Digraeli), in diejfer verein- fachenden Zmeiteilung, die der primitiven Anfchauung eines all» gemeinen Gegenjages (Hoch — nieder, gut — böje, arm — reich. uf.) entjpricht, den wirklichen Verhältniffen nicht gerecht. Die Typit der geiftigen Gruppen ericheint über die wirtjchaftliche Grup- pierung hinaus mejentlich vielfältiger und ihre Erkenntnis eines der eriten Ziele der Volfsfunde.
Diefe charakterologifhe THypenforfhung ift ja Heute die große Mode der Biychologie geworden, jodaß man von einer modernen Typenpfychologie fpricht, die geiftesgefchichtlich wie naturwiljenichaft- lich, fpefulativ wie erperimentell ihren Hielen zuftrebt und al3 untere irdifche Beitftrömung eine Reihe anderer Wiffenjchaften beeinflußt hat. Sei e3, daß man mit Eduard Spranger Einzeltgpen für die Gefamtheit der Menfchen nach ihrer geiftigen Grundeinftellung
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1) Hans Naumann, Verjuh einer Gefchichte der beutfchen Sprache ala Sejchichte de3 deutichen Geiftes: PVierteljahrsichrift für Literaturmifjenjchaft und Seiftesgejchichte, Bd. I, Halle a. S. 1923, ©. 139—160.
2) Hand Naumann, Über das fpradhlihe Verhältnis von Lber- zu Unterfhicht: Jahrbuch für Philologie, Bd. I, Münden 1925, ©. 55—69; Eugen Lerh, Über das fpradhliche Verhältnis von Dber- zu Unterfhhicht mit bei. Berüdjichtigung der Lautgefehfrage: ebd. S. 70—124,
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annimmt (der äfthetifche, veligiöfe, foziale, theoretifche ufm. Menjch) !) oder, noch allgemeiner und auf die intellektuelle Oberjchicht eingeitellt, wie Carl Safper3 die Summe ber einzelnen Weltbildmöglich- feiten erforjcht ?), jei e3 daß man vor allem, mie e8 ,.B. &.&. Jung und Ernft Kresfchmer auf verjchiedenen Wegen taten, nach einer biologischen und anthropologiichen Begründung der Geiltestypen fragt.3) Befonder3 die Pfiychiatrie fteht Heute, individualpigchologiihe und medicopathologifche Beobachtungen verbindend, ganz, im Bann
diefer Betrachtungsmweife *) und verjucht neuerdings fjelbjt den Tinzel- fall au3 einer allgemeinen Kulturpfgchopathologie herau3 zu er= gründen, mobei fie fich in weitem Umfang der Ergebnifje der ethno= Iogifhen Forihung bedient. Auch die fchwierigen Berfuche, die Miihung verfchiedener Urtypen in einer Cinzelperjönlichfeit auf- zuzeigen, wirten jid) in einem fo feltfam fonftruftiven Buch wie Werner Sombart3 Der proletarijche Sozialismus (,„Marrismus‘) au3.5) Typijierung aber ift das Ziel jeder mwifjenjchaftlichen Arbeit, die Ent- widlung und Zuftände eines größeren Lebensprozejjes beobachtet, ift freilicdy) auch die Klippe, an der jene fcheitern, denen bie Eonjtruf- tive Formel michtiger ift al3 die flutende Lebenzfülle. Das unter- jcheidet die Volksfunde von den metaphufiichen Konftruftionen Tester Wejensichau, daß fie glaubt, nur treuefte Arbeit am Kleinften könne einjt zu allgemeineren piychologifchen Schlüffen führen, daß fie der Kompliziertheit im geiftigen Leben der menschlichen Gemeinfchaften und Gefellihaften durd; bejcheidende Einzelarbeit Rechnung trägt, die geiftig ordnet, aber nie fchematifch entmaterialifiert. Das ift eine ung längjt Gemeingut gewordene Erfenntnig, und e3 erjcheint uns heute bei der rafch fortjchreitenden Zerfplitterung unferer Neben3-
1) Eduard Spranger, Lebensformen, Halle 1914.
2) Karl Jafjpers, Piychologie der Weltanfchauungen, Berlin 1919.
3) Barl Guftavd Jung, Piychologifche Typen, Zürich 1921; Emft Rrepich- mer, Körperbau und Charalter, Berlin 1921. BDttmar Ru (Menjchheitz- typen und Kunft, Iena 1921) fucht die Seelentypen nad) Spannungsfompleren der Körpermusfulaturen zu ermitteln und bemüht fich über das feelifche Leben der Einzelnen aud) in ba8 ganzer Stämme und DVölfer einzudringen. Vgl. im allgemeinen auch den Vortrag von Erid Jaenfch auf dem biesjährigen 9. Kongreß für erperimentale Pfychologie in Münden: Typenforfhung nad) erperimentell-ftrufturpfychologifcher Methobe.
4) Vgl. u. a: Kurt Schneider, Pie pigchopathifchen Perfönlichkeiten: Handbuch der Piychiatrie. B. Spez. Teil, Abt. 7, T. 1, %pz. u. Wien 1923.
5) Werner Sombart, Der proletariiche Sozialismus (,„Marrismug‘), 10. Aufl. Sena 1924.
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haltung jchwer faßlich, wie noch vor zwei Menfchenaltern Riehl in einer Dreiheit von Adel, Bürger und Bauerntum die Volfsganzheit, zu erfajlen glaubte. Freilih, wer mit Georg Koch die Differen- zierungen durch die religiöfe Bindung der Einzeljeele zum lUnend- lichen, Allgemeinen, zu Gott, jo jtarf al legten beftimmenden Meyfch- heitäwert empfindet, daß er zur Erfenntni3 einer Menjchengruppe die Einzelbiographie — und fei e3 auch Feine Yiterarifche — fordert!), muß mohl an der praktischen Möglichkeit einer Gruppenerfaffung und. fjomit an der Löfung der drängenditen volfsfundlichen Fragen überhaupt verzmweifeln.
Sp mill die Volfstunde aufbauen, Stein für Stein, prüfend, mägend und wählend, indeß fie ruhig über fich die hHimmelftürmenden Synthefen und die Wolfenzüge der in Abftraftionen und Klajfififa- tioner dichtenden Geifter verraufchen läßt. Darum berührt fie faum der Streit leter Fragen: ob man einft zu einem ewig und überall gleihen Mechanismus de3 menfchlichen Geiftes, zu einer geiftigen UÜrtypift gelangen wird, wofür mande vollsftundlien und ethno- Logifhen Ergebniffe fprechen und mas doch wieder zahlreiche neuere Toricher, darunter aud) Kevy-Bruhl, ablehnen, ob, wie es die Kultur: freißlehre von Leo Srobenius im Gegenfab zu älteren Ethno» fogen mill, die Kultur ein felbftändig neben den Menfchen maltender und dieje formender, befeelter Organismus ift, oder ob alle Kuls turen, von geographiichen Bedingtheiten abgejehen, ji} allein aus den Anlagen der menschlichen Piyche ausbauen, ob Schidjal, Zufall, Gejeß oder fosmifche Verknüpfung die Wege ded menfchlichen Geiltes und damit der Gejchichte Teiten.?) Das find die Fragen, an deren heute noch Hoffnungslojfer Beantwortung fi} unfere nad) „Syntheje“ haftende Zeit in einem zerrütteten Wirrwarr bon phyliichen und metaphyfifchen, naturphilofophifchen und rein [pefulativen, myjtiichen und phyfikalifchen Einftellungen und Deutungsverfucdden zerreibt. Bon der naturwijjenschaftlichmechaniitifchen Auffaffung, die an Hare fau- fale Löfungen glaubt, haben jich unfere Geifteswiffenfchaften twieder einer relativiftiichen, Tulturgefchichtlich deutenden Betraddtungsmeife
1) Hefj. Blätter f. Vollstunde XXI (1922) ©. 41.
2) Leo Srobenius, Paideuma. Umriffe einer Kultur und Geelenlehre, Münden 1921.
3) Die fürzefte und befte Überficht über die heutigen gegenfählichen Theorien von der Entitehung und Entwillung der Kulturphänomene in der modernen Ethnologie und fomit auch ber vergleichenden Vollsfunde gibt Franz Boa in der Deutjchen Literaturzeitung 1924, Heft 24.
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zugewandt, ohne daß nicht daneben die Verjuche fortlebten, die Geiftigfeit des Menfchen als einen rein phyfifalifchechemifchen Bor=- gang zu erflären!). Und aus den myjtifcheoftultiftifch-prophetifchen Strömungen unferer Tage erwächlt erneut ein Traffer Mechanismus, der die Gefchichte nach dem Heinen Einmaleins in feitgefügte chythe mifche Perioden und ewige Tabellen auflöjen will?) und ji im feinen jcheinbar fo Haren, und darum auch immer fo populären Lö- jungen, leicht mit ajtrologifhen Glaubensvorftellungen verknüpft, die mit Mar Kemmerich und anderen den menjchlichen Geift lediglich ale Ausfchlagsericheinung Fosmifcher Vorgänge betrachten 3). Wijlenichaftlich denken und arbeiten aber heißt fi) Zeit Lafjen, fich befcheiden mit dem, was dem einzelnen Menfchen nad) feiner Lebenzipanne, feiner Kraftquelle erreichbar. Darum ilt alle Wijjen- Ihaft zeitlebens Kärrnerarbeit an dem Bau allgemeiner Erkenntnis und doc), weil in ihrem Streben grenzenlos, in feiner ihrer Diizi- plinen bloße Hilfswifjenfchaft. So gut e3 das Recht der Gefchichte und Philologie, der Ethnologie und Soziologie war, die Volföfunde als eins ihrer Teilgebiete, eine ihrer Hilfswijenjchaften, zu proflamieren, jo wenig wird fich die Volfsfunde je damit begnügen, bloße Hilfs- wifjenfchaft zu fein: fie wird in ihren ftarfen Perjönlichkeiten jede older afademischen Grenzjegungen zerbrechen und fich felbit alle anderen Dilziplinen behelfsmweije zu Dienjten zwingen, wo e3 ihre Ziele und Methoden erfordern. Verdankt doc, auch die Trennung von PVolfsfunde und Völkerkunde Yediglich jener Außerlichkeit ihr Entjtehen, daß von verfchiedenen Arbeitsgebieten und Arbeit3methoden ausgehende Menfchen, auf das gleiche Erfenntnisziel gerichtet, mit ihrer Arbeit an verjchiedenen Stellen der Erde einjeßten. | Was die „„Volfsfunde‘” vor der ‚Völkerkunde‘ voraus Hat, ift ein äußerer Vorteil! ihre Arbeit fann auf Heimatlihem Boden einjegen. Das ‚‚Erfenne dich jelbit”, das al Motto an ihrer Wiege jteht, meitet fich zur Erkenntnis von Heimatland, Stamm und Bolt, ehe e3 der Menjchheit insgefamt zuftrebt. So ift der Volfsfundler dem Boden verwurzelter al3 der Forfcher, der in weiter Fremde Völker gleich egotijchen Tieren beobachten muß. Dabei it Ausgangs punft der Arbeit beiber die perfönliehe Beobaddtung und fomit
1) 9. Rettig, Die phpSiafifche Formel der Seele, Karlsruhe 1921.
?) Sriedrih Stromer von NReihenbadh, feine Schriften und fein „Inftitut für Hiftorionomie” find Fraffefter Augdrud diefer Tendenz.
3) Ein phantaftiiches Buh von Frit Dahmz, Beregung und Er- ideinung, 1921, läßt die Erdbewegung den menschlichen Geift formen.
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die lebendige Gegenwart, die wir allein, joweit überhaupt menjc- liche Erfenntnia in die Tiefe reicht, erfaffen können. Nur zur be gründenden Deutung diefer Gegenwart dient die Vergangenheit. Aber weil das Heute ald Produft einer meift langen Entwidlung ohne jene Geftern nicht verftändlich, fo ift die Volfsfunde in erfter Linie, methodifch gejehen, eine Hiftorifche Wifjenfchaft, die jede Einzeler- fheinung mit den Mitteln Hiftorifch-philologifher Yor- ihung3meife biogenetifch auf Entjtehung, Wanderung, Motive verfärbung und Motivverwahjung zu Hären hat. Erit da, vo der hiftoriiche Verfolg endet oder verjagt, mo das Gebiet des Reinpiycho- logijchen beginnt, wo fich Srrationales mit Rationalem vermijcht und das, wad man — nicht gerade Mar — geiftigen Primitivismus nennt, in die Erjcheinung tritt, beginnt die pfychologijche Be- tradhtung mit ihren mannigfachen Methoden. N. hat jelbit (©. 1) darauf vermwiefen, dab hier die Biologie, Völkerkunde und Piychologie des Kindes zur Deutung heranzuziehen feien, und er hätte aud) andere MWiflenfhaften wie die Kriminalanthropologie, die Biyhopathologie Wiffenichaften mie die Kriminalanthropologie, die Piychopatologie ufw. erwähnen fönnen. Selbjt rein natırwifienfchaftliche Erperie mente müjjen uns zumeilen einzelne Erjcheinungen, wie etwa die Bedeutung der Yarben (rot ald Erreger de3 phyfijchen wie piychijchen - Organismus; ujw.) im vollstümlidhden Glauben und Braudy flären. Hier im Hiftorifch, nicht mehr Deutbaren, in den aus inneren, ver- Ichieden beurjachten Ceelenkräften erwachjenen PBroduften, erheben ih) die fehmwierigften Deutungsprobleme unferer Forfhung: mas ijt Polygenefe aus einer triebmäßigen Veranlagung der Menfchenjeele heraus, was Erzeugnis jozialer . oder geographifcher Bedingtheiten, wa3 allgemeine Erlebnisfolge? Jede Deutung diejer Elemente aber tiegt fo lange außerhalb des Bereich3 miffenfchaftlicher Betrachtung, als nicht die Tätigkeit de8 Sammelns und GSichtens der einzelnen Phänomene in jenem Ausmaß abgejchloffen ift, daß fie überhaupt die Möglichkeit eines Schlujjes zuläßt, Der mehr al3 ein Hypothetijches Spiel des Geiltes ift.
Die Arbeit der Volfaktunde fegt alfo zunädjt pornehm- lich bein: eigenen Bolf ein, dejjen geiftige Außerungen jie beobachtet, jo weit fie nicht ifolierte Geftaltungen jener feltenen Menjchen find, deren Denken und Fühlen ausgejprochen aus einem jeden größeren Menfchenverband gelöft erjcheint. Und da bdiefes Wolf wieder nur die Summe einer ganzen Unzahl von Menfhengrup- pen daritellt, die großenteil3 nur in lojer, äußerer, ftaatlicher oder fozialer Verbindung mit einander leben, jede mit einem bejtimmten
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eigenen Snterejfenihag und mit einer fjehr verjchiedenen MET: von Trieb- und Verjtandesfräften, die mejentlich ihre Gruppierung beitimmt, jo muß die Unterfuchung zunächit diefen einzelnen Grup- pengeiftigfeiten gelten. Dabei fallen diejfe Gruppen nicht im- : mer mit Wirtfchafts- und Berufsverbänden zufammen, in denen id übrigend felbjt wieder Differenzierungen ergeben (abrifarbeiter, Bauer, Handwerker, Kaufmann, Student, Beamter ufm.), fandern find nicht felten reine Mentalität3gruppen, zu denen fich Angehörige ! verfchiedener Berufe zufammenfinden (Stammtifchler, Sportler, Ver- | einzmeier, Metaphyfiler, Lebemann ufw.). Und fchließlich ichaffen die Unterfchiede von Alter und Gefchlecht eigene Gruppen mit aus * geiprochen eigenen Strebungen und Möglichkeiten. Diefe Gruppen leben in der Regel innerlich ziemlicdy berührungslos nebeneinander, zum Teil in folder geiltigen Ferne, Daß weder veritandesmäßiges BVBerftehen noch menschliche Xiebe fefte Brüden zwifchen jenen Welten zu jchlagen vermögen, wie denn fajt alle Tragif im Leben des Einzelnen mie der Klafjen und Schichten oder de3 Alter3 und G®e- ichlechtes au2 diefem (legten Endes ficher vielfach phyfiologijch be- dingten) Nichtverftehenkönnen refultiert. Natürlich tritt eine folche Gruppenvielheit am ftärfiten zutage in ben großen Mtenfchenver- bänden der Städte, die auch rein geiftig betrachtet meift nur Konglo- merate oft heterogenfter Teiljtädte find. Und fie erjcheint umfo ftärker auzgebildet, je mehr ein Land eine weitvorgefchrittefte, technifche und zivilifatorifche Entwidlung zeigt, jeine Bewohner alfo zu dem ge- worden find, was wir gewöhnlich euphemiftifch ein „Kulturbolf” nennen.
Hier fegt die vollsfundliche Forihung ein, um aus dem Schak der Sprache, Lieder, Erzählungen, Leftüre, Scherze, Gewohnheiten, Glaubens und Kunftvorftellungen fe wie der FZdeologien im allgemeinen ein Bild einzelner Gruppen und damit der geiltigen Schichtung des Gejamtvolfes zu gewinnen. Eine vergleichende Betradytung der Geftaltungs- und Umgeftaltungd- prozefje wie der Aufrnahmefähigfeit jener Erzeugnijje in Wort, Bild und Boritellung bei den einzelnen Gruppen und Gruppenjchicten führt dann zu einer jchärferen Aufdelung der verjchiedenen geijtigen. Stufen und damit zur Klärung der geiftigen Entwidlungsmöglid- feiten und der Kompofition diefer Entwidlungsprozeife. So erhellen fih im Fortfchritt unferer Erkenntnis über die Völker der Erde hin Begriffe und Anfchauungen, und mag vielleicht einft doch der Weg über Gefchichte und Kulturen hinweg geradeaus ins Land der menid- | lichen Seele führen.
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Mefentlich für alle volfsfundliche Arbeit aber bleibt ihre fo- ztologifhepiyhologiihe Einftellung, bie nad der Breite und Tiefe der Phänomene zielt, nie aber äfthetifch und wert- urteilend eingeftellt ift, jodaß e3 fie nicht berührt, wie weit ber einzelne Betrachter perjönlic Erdverbundenheit oder Himmelzflug als Plus oder Minus wertet. Mag die Grenze ihres Betradhtungs- gebiet2 nach „oben’ problematifch erjcheinen, der Bli zur Tiefe bleibt unverrüdt. Wohl Haben andere Wiffenfchaften in den lepten Sahrzehnten diefe Blicfftellung ftärfer übernommen: die Hlaffiiche Philologie und die Religionswifjenfchaft, die fick mehr und mehr den primitiven Glaubensporftellungen zumenden, die Soziologie, ja die Pinchologie und Piychiatrie, die jich vielfach ethrologifch vrien- tieren, aber mande Dilziplinen, allen voran die Literatur- und Kunjtgefchichte, find, auch mo fie fich geiftesgefchichtlich unterbauen hınd Sdeen-, Problem- oder Motivgejchichte treiben, noch durchaus dem Gegenpol zugewandt. Indem fie nur die Höchftentwidlung von Kite- ratur und Kunft al3 Ausfchnitt aus dem fchriftlichen und bildenden Bejamtjchaffen eines Volfes betrachten und Auswirfung wie Umitili- jierung jener Spitenfunft in den einzelnen Bolfsichichten nicht in Betradit ziehen, zielen fie lediglich auf eine von perjönlichem Ge- Ihmad und gejellichaftliche Zeitmode bejtimmte Wertung der Denf- male innerhalb diefer Spikengruppe Hin. Vielleicht daß einft, wenn die volßstundliche Betrachtungsweife Gemeingut aller geifteswiljen- Ichaftlihen Dijziplinen geworden und gleichgeachtet, aber fcharf ge- trennt, neben einer äfthetifchen Rritif und Sichtung fteht, die Volfs- funde als Wiffenichaft an ihrer Spannweite zerbricht, um im Rahmen der anderen Forjchungsgebiete fortzuleben. Aber dieje meite 'Per- ipektive einer fernen Möglichkeit hindert fie nicht, einjtweilen noch an ihre Zukunft zu glauben und in diefem Glauben um ihre wijjen- ichaftliche Geltung zu kämpfen.
So fest die Arbeit der Vollsfunde zunädhit Einfühlungsver- mögen, Hiftorifche Kenntniffe und pfychologiiche Methode de3 Ein- zelnen voraus und in ihrem meiteren Umfang die Zujammenarbeit vieler Gleichitrebender. Das heißt, fie verlangt Organifation im Kleinen wie im Großen. Biel ift hier fchon getan. Seit Weinhold den Berliner „Berein für Volfstunde” gegründet (1890), jind überalf volfafundlide Landespereine entitanden, die jih im „Ber- band deutfher Vereine für VBolfstunde”, der heute unter Sohn Meiers Leitung fteht, zufammengefchloffen haben. Der Folf- loriftifehe Forfcherbund, mit dem GSik in Heljingfard und
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unter der Agide von Kaarle Krohn, verjucht die Forjcher und Dr- ganifationen der verjchiedenen Länder zu gemeinfamer Arbeit zu vereinen und bat in feinen Folklore Fellows Communications (FFC) mwenigiten3 einen Erjfa für das leider noch, fehlende große zwifchenftaatlihe Organ für wiljenfchaftliche Vollsfunde gejchaffen. Uber die mwirren Zeiten, die fjeit über einem Jahrzehnt über una walten, liegen Hoffnungsvolle Anfäge nicht reifen.
Was joll nun geichehen? Was jcheint und ein Muß, ge- boren aus dem tiefiten Bedürfnis unferer Zeit? Einft vor Krieg und Not forderten wir daa3 Forfhungsinftitut für VBolf3-
tunde, das Bentralbeobadhtungg- und Sammelftelle für unfere Arbeit
fein follte. Heute mag diefer Plan vielen ausfichtslos, wohl aud) nicht mehr fo drängend erjcheinen. Und doch war nie die unabläjlige Beobachtung unferes Volfölebens in all feinen geiftigen Äußerungen und BZudungen notwendiger al3 Heute. Man Hat in den Söriegd- jahren plöglich auch in weiteren Kreifen den Wert der piychologijchen Taltoren erkannt, zu einer Zeit, al3 e3 zu f|pät war, und Dazu no völlig hilflos gegenüber den realen piychologifchen Bedingt- heiten, zu deren Willen nur eine ftete, methodifch gejchulte und forihungsbemußte Beobachtung führt, Die auf bejchränfktem Gebiet immer die wertbolliten Rejultate bringen wird. Nie follten mir wieder vergefien, daß ernite und umfaljende Organifation auf gei- jtigem Gebiet mindejten3 ebenjo drängend ift wie auf wirtichaft- lihem, militärifhem und verwaltungstechniihem. So wird aud unfer Ruf na Zandesämtern für VBolfsfunde nicht ver- ftummen: Ämtern, die Fein und bemeglich, geleitet, durch ein frei- williges SHelfer- und Beobacdhterneg meit über da3 Land Hin mit taufend Augen, Ohren und Sinnen den geiltigen Prozeß, der ein- zelnen Menfchengruppen in ihrer Produktion und Konfumtion ver- folgen, feinen Ausdrud in Wort und Bild fammeln und fo Baltians BVölfergedankenftatiftifen auf einem überjehbaren Gebiet in leben» dDiger Klarheit verwirklichen. Sole Beobachtungsftellen werben, weil unentbehrlih, über die Zeiten Hin an Wert und Wertung wachjen. Denn mag die Volkskunde ala Wiffenfchaft einjt, wenn ihre Aufgabe Allgemeingut geworden, zerbrechen, jo muß doch ein Wort des alten Riehl ewig gültig bleiben, daß Bolitif (im Sinn einer aus tiefer Erkenntnis heraus betreuenden Staat3funft) nicht3 anderes al3 angewandte VBolfzfunde fei.
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Karl Keufdel zum Gedädtnis.
Einen Nachruf zu jchreiben ftimmt immer mwehmütig. Denn der Tod zerreißt Fäden, bie Genoffen auf ihrem Lebenömwege oft jahrelang miteinander verbunden haben. Aber bejonderd fchmerzlich berührt e8, wenn der Lehrer feinem Schüler Worte des Gedentend widmen foll. KR. Neufchel, der in ber Blüte feines Mannesalter3 abgerufen morden ift, war einer meiner ältejten Schüler. Al er die Univerfität Leipzig bezog, fanden fich bald Berührungspunkte, die ung verbanden, und. feitbem blieben wir in treuer zyreundfchaft vereint, und faft jeden feiner miljenfchaftlihen Pläne, manden Gang jeine® Lebens haben wir gemeinfam erörtert. Pie doppelte Tätigkeit an Gymnafium und Hochichule, die wir beide. hatten und die und oft quälte, erhöhte die Interejjen- gemeinfcaft. NReufchel Liebte die Wiljenfchaft und ging ganz in ihr auf. Daher war ihm der GSchulbienft, fo gemijfenhaft er fih ihm auch Hingab, vft eine Tejjel, von der er fich frei zu machen fuchte. Da fam ihm die Abbauverordnung der Sädfifhen Regierung zu ftatten: er ließ fih ald Gumnafiallehrer in den Nuheftand verfegen, um fich ganz ber afademifchen Tätigkeit zu widmen. Yreudig teilte er mir feinen Entichluß mit, der ihm aus wirtichaftlihden Gründen gewiß nicht leicht gemwefen ift. Aber an der Zechnifchen Hochidyule, an der er jchon feit Sahren ala unbefoldeter Honorarprofeffor. wirkte, hatte er einen bejoldeten Lehrauftrag für ältere Germaniftif erhalten, und fo fchaute er getroft in bie Bufunft mit der Überzeugung, fi nun ganz ber Wiffenfchaft und alademifchen Tätigkeit, die ihm fchon bisher Treude und Erfolg eingebracht Hatte, wibmen zu Tönnen. Da wirft ihn ein tuberfulöjes Leiden, da3 ihn jeit Jahren quälte und gegen da3 er mit der ihm eignen Energie angefämpft hatte, auf Kranfen«- lager, von dem er nicht wieder aufitehen folltee Das ijt der fchmerzlichite Schlag, der wohl einen Menfchen und feine Angehörigen treffen Tann: Ein lebenslang erftrebtes Biel ift erreicht, da fchneidet die Norne den Lebensfaden ab.
Neben der beutfchen Literaturgefchichte, der feine frühften Arbeiten galten, Hat Reufchel vor allem ber Bollstunbe feine Arbeitäfraft gemibmet. Sie ftand in den legten Sahren im Mittelpunft feine Wirkens. Oft Hat er in THleineren oder größeren Kreifen Snterejfe für fie zu meden gefucht, und fein fchlichter, aber inhaltsreicher Vortrag fand immer großen Beifall. Das PVoltzlied var fein Lieblingsthema, und al3 der Verband beutfcher Pereine für Volfafunde die Sammlung der Volkslieder auf fein Programm gejegt Hatte, wurde Neufchel vom Gädjfifhen PBerein für Vollstunde zur Bearbeitung des Volfdliedes in Sachen beitimmt. Auch an ber Technifchen Hochichule hat er mit Erfolg volfzkfund- Iihe Übungen gehalten. Sebte er doch feine ganze Kraft dafür ein, daß Volfs- funde als offizielles Yach an den fächfifchen KHochichulen eingeführt und durch eine bejondere Profeffiir vertreten werde. Daß er in diefem Streben erfolglos gemwefen ift, haben nur die mißlichen mwirtfchaftlichen Verhältniffe unfere® Landes verjhuldet. Aud; feine Titerarifche Tätigkeit galt, zumal in ben Iehten Jahren, fajt ausjchließlich der WVolfsfunde. Aus Vorträgen hervorgegangen find feine Vollstundlichen Streifzüge (1903), ein ftattlicheg Werk, in dem er aud dem Vollsliede vor allem eingehende Studien gewidmet hat. Die Lehrer an höheren Schulen für die Bollstunde zu intereffieren, fuchte er in dem Schriftchen „Die
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deutiche Wulkstunde in dem Unterricht höherer Schulen” (1917), da3 in ver Bojunga’fhen Sammlung „Deutfchunterriht und Deutjchlunde” erjhien. Eine zufammenfafjende Darftellung ber deutjchen Bollölunde gab er dann in der B. ©. Teubnerfhen Sammlung „Aus Natur und WGeiftesmwelt”, die in zwei Heftchen vorliegt. Im erften (1920) behandelt er Allgemeines, Sprache und Vollsdichtung, im zweiten (1924) Sitte, Braudy) und Bolklsglaube fowie die Nealien der Bolklöftunde. In ihm Liegt die lebte Arbeit vor, die aus feiner Feder gefloffen und wenige Tage vor jeinem Tode erfchienen it. Schon aus perfönlihen Gründen berührt fie mich bejonderd mwehmütig, da mir Neujchel die Dedifation kurz vorher felbft noch überbracht Hatte. Aus Ddiefen Beiden Heftchen fpricht des Verfaffers Liebe zur Wiflenjchaft, feine Belejenheit und fein felbftändiges, Hares Urteil. Außer diefen Schriften Hat er wiederholt in Leit fchriften Berichte über die Entwidlung der Volkskunde als Wiffenfchaft geliefert. Zur ausführlidien Parftellung einer Sächjfiichen Bollsfunde, die feine nächite Aufgabe war, ift er leider nicht gefommen. Der Tod Hat feinen Plan vereitelt. Aber er Hat nicht den zFaden zerriffen, der die Wifjenichaft mit feinem Namen und Geijt verbindet. Und wer da3 offene, leutfelige, jederzeit hilfsbereite Wefen des Berftorbenen gefannt bat, wird feiner nicht vergeifen und ihm mit mir ein treue Gedenken bewahren.
Leipzig. E Mogf.
Den Sohannes-Hegen trinken.
Yu Guftav Sreytags „Bildern aus ber beutjchen Vergangenheit” IV, 35 erzählt die pietiftifche Pfarrfrau Johanna Eleonore Peterfen geb. von und zu Merlau aus der Zeit, da fie Hofjungfer einer Herzogin von Holitein war, und diefe im Sabre 1659 zur Hochzeit ihrer Stieftochter mit einem Grafen Binzendorf nad) Linz an der Donau begleitete: „Am Tage nad) dem Beilager mußte die fürftliche Braut in die Schloßfapelle gehen, da ward ein Segen über fie gejprochen und ein goldener Becher voll Wein gegeben, da3 nannten fie den Sohanni3-Segen, daraus mußte der Graf und fie trinken.” Hier handelte e3 fi offenbar um einen Abfchiedstrunf, der den fcheidbenden SHochzeitögäften, infonderheit den Brauteltern, galt. E38 ift die fogenannte SJohannisminne, Die „al8 profaner Abfchieds- und Freundichaftstrunf” aud; im Proteftantismus viel- fah unbeanftandet erhalten geblieben ift.t)
Das Minnetrinfen auf die Namen von Engeln und Heiligen bei den germanischen Bölfern Tnüpft an heibnifche Opferbräude an und fand nad vergeblichen Verfuchen, e3 zu unterbrüden, allmählich) die Tirchliche Billigung. Neben Michaelg-, Martins-, Gertruden-, St. Benediltö-, St. Ulrihg-, St. Bern- harba-, Stephans- und St. Sebaftians-Minne ift die Sohannisminne, die teile an das zeit des Evangeliften Johannes am 27. Dezember, teild an da3 des.
1) Dgl. bejonderd WA. Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittel- alter 1286 ff., |. a. (FSröfchel von Raidnig), Bon ©. SZohans trund: lugfchriften aus der Neformationzzeit in Yakfimiledruden, Hrög. v. DO. Clemen Nr. 6 (1922), ©. 1 de3 Anhang; D. Bödel, Deutiche Vollslieder aus Oberhejjen, ©. XXXV ff.
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Kohannes Baptifta am 24. Juni anfnüpft, am befannteiten gewejen.?) Die Minne Kohannis des Evangeliften fand infolge der Firchlichen GSegnung des Sohannismweind, die nah Granz in Deutichland wohl im Laufe des 12. Sahrhundert3 aufgelommen ift, die wmeitejter Verbreitung?) Die Segnung de3 Sohannisweins ift noch heute in Deutjchland am Evangelijtentag in der fatho- liichen Kirche üblid) in amorem sancti Johannis, de3 Apojtel3 der Liebe; der gemeihte Wein wird mit nach Haufe genommen, dort zum Mahle getrunfen und von Bauersleuten auch in die Weinfäffer gejchüttet, wie ich aus einem theinhejfiichen Dorfe meiß.t) |
Einen in der Literatur, fomweit ich jehe, bisher nicht beachteten Beleg für den Sohannisjegen fand ich bei der Beichäftigung mit 9. ©. Schiede, einem evangelifhen Pfarrer unferer Gegend im Anfang des 19. Yahrhundert3.) Er Hat im Sabre 1801, al3 er noch Hofprediger und Konfiltorialafjeffor in Meerhol; war (nachmal3 war er Pfarrer in Ensheim, Alzey und Appenheim) eine fatyrifche Schrift veröffentlicht: „WUllerneuefte Reifen in da Innere von Afrika”, worum e3 I, ©. 120 von einer Verfammlung fTatholifcher Geiftlicher heißt: „Wir trinten bei allen unferen Gaftmahlen diefe Gefundheit dem hei- ligen Sohannes zu Ehren zum Beichluß.” Man übte den Brauch, aber mußte ihn nicht zu erflären! Ein in der Gejellichaft anmwejender proteltantifcher Pfarrer — mohl der Berfaffer felbft — tat e3 in folgender gezwungenen, echt rationaliltijch- paftoralen Weife: Der Segen be3 Heil. Sohannes, den ihm Pejuß von (vor?) Petrus und allen anderen Apofteln erteilt, war biefer: diefer Jünger ftirbet nicht, da3 heißt feines gemaltfamen Martertodes. Wenn aljo bDiefe würdigen Männer am Scluffe ded Gaftmahls, ehe fie auseinandergehen, fih den %o- hannes-Segen zutrinfen, jo wünfchen fie fich gute Nacht und mwenn das Gajt- mahl bes Lebens, wie diejes, zu Ende geht, einen jpäten, fanften Tod, mie Sobannes fjtarb. &3 ijt der fchönfte ZToaft, den man trinfen Tann. — Diele Art Sohannes-Minne Tennt man heutigentage8 au) in FTatholifchen Sreifen nicht mehr.
Bechtolsheim. ®, Hoffmann.
2) Bgl. Franz a a. D. 29ff; Erih Jung, Germanificdhe Götter und Helden in chriftlicher Zeit ©. 59 ff. (im Anfchluß an einen Kelch in ber Dominifanerfiche zu Negensburg mit der Infchrift: „Trindd Sant hans min. Daz ju bol geling“).
9 Vgl. auch Deutfihe Gaue XV 1914, 85; Blätter 3. bayr. Volkst. VII 1919, 16f. Su der Pfalz Neuburger Kirchenordnung vom %. 1543 wird bie Segrung be Weine an St. Zohannis des Evangeliften Tag mit der Palmen- meihe anı Palmfonntag, der Taufwafferweihfe am Karfansstag, der Sräutermweihe an Mariä Himmelfahrt u. a. ala „dem Wort Gottes ongemäß und zumider, zum theyl auch abgöttifch” verboten (Bfannenfhmid, Germanifche Ernte- fefte 380 f.).
) Bol. Franz a. a D. 3295; Wuttle-Meyer, Der deutiche Vollsaberglaube der Gegenwart 3, 141.
5) über ihn f. Heffifche Chronit IV 206 und bemnädjft in ben „Helfischen Biographien”.
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Bur Gefhihte des Weifuahtshaums.
Bei Beiprehung von Lily Weiferz Sul (diefe Bj. XXI 1924, 112) Bat 9. Hepding darauf Hingewiefen, daß GSilvefter. 1611 am herzoglichen Hof in Brieg „grüne Tannen, auf benen biele Hundert Wachslichter brannten‘, zu finden feien: ex berief fich dabei auf Peutiche DPorfzeitung XIII 1910, 4097. Man Hat indes Grund, gegenüber den auf die befannte Herzogin Dorothea Gibylla von Brieg bezüglichen Nachrichten recht vorfichtig zu fein. Kody3 Dent- würdigfeiten aus ihrem Leben (1830), die vermutlich die Duelle bilden, jind nicht einwandfrei: vgl. Wuttfe, Über dad YHaud- und Tagebuch Val. Gierths und die Herzogin Dorothea Sibylle (Breslau 1836); derf., Über die Unechtheit des angeblichen Gierthichen Tagebuches (ebenda 1839); dazu aud U. Yacoby, Schweizer Bolfsfunde XI 1921, 16. Man darf deshalb doc vielleicht bis auf meiteres ala ältefte befannte Belege für den Yichtergefchmüdten Weihnachtd- baum die Jugenderinnerungen der Pfälzerin Lifelotte anjehen, die jich in Briefen an ihre Tante Sophie von Hannover finden und die, wenn auch nicht die Tanne oder Fichte, fo doch den Tichtergejhmüdten Buhzsbaum um 1660 als Weihnachtsbaum am Hofe zu Hannover üblich erjcheinen lafjen. Vgl. dazu meine Auffäge in den ZBeitfchriften Pfälzisches Mufeum — Bfälzifche Heimat funde 1921, 165ff.; 1922, 149. und Niederfachien 1922 Nr. 3 fowie meine in U. Wrede3 Sammlung „Vollztunde Rheinifcher Landichaften‘ eben erjchienene „Piälzer Voltsfunde“ (Bonn 1925) ©. 291; jebt auch des leider und durdh den Tod entriffenen Karl Neufchel Deutihe Volkskunde (Aus Natur und Üeiltes- welt 645) II 445. Beachtung verdient noch, daß die Nottanne oder Fichte wie die Weiß- oder Edeltanne im Pfälzerwald 3. B. erfimal3 um 1765 angebaut wurden; jie fonnten aljo hier früher al Weihnachtsbaum nicht in Frage fommen.
Bweibrüden. Ulbert Beder,
Der Prade im Bolksglanden.
„Anno 1541, den 21. Auguft, hat man einen Cometen glei einem Drachen mit einen langen, feurigen Schwange gefehen” — fo notiert Sohanır Chriftopg von Dreyhaupt in feiner 1755 erfchienenen „Bejchreibung des
. Saal-Creyfes’ (Teil I, ©. 618), Hält e3 aber für nötig, Diefer und anderen ähnlichen Aufzeichnungen folgendes vorauszufchiden (S. 616): „Zu älteren Zeiten, ehe noch die NatursLehre durch das Bemühen und fleißige Ver» fuche derer Naturfundiger aufgeflähret und in da3 Heutige Licht aejeget mwmorden, hielte man alles dasjenige, jo fi am Himmel, in der Lufft und auf der Erden ungemöhnliher Weife zutrug, vor Wunderzeichen, nahm jolche3 al3 ge- wife Vorbedeutungen eines Krieges, Belt, Theurung, Abfterbend großer Herren oder anderer Unglüds- Fälle an und machte aus den Nordlichtern und andern LuffteErjcheinungen Krieges-Heere, Todtenbahren, feurige Säbel, NRuthen, Sicheln, Vögel, Thiere und andere Gefichte, fo wie fich folches jeder nach feiner Ein- bildung vorjtellete, daher auch die meiften Gefchicht3-Bücher und Chroniden damit angefüllet find.“
Man braucht befanntlih in alten Chroniken nicht Iange herumzublättern, um da3 bejtätigt zu finden. QTrogdem ftugte ich, al8 ich vor furzem in Seinrich
KIN x R °
==. 113.
Deichalers Nürnbergifcher Chronik zum Sahre 1500 folgenden Eintrag las: ‚sten am jelben tag [4. Pfingittag, 10. Suni], da e8 11 flug, da flug aber der trad [= Pradje] vor dem Spitlertor mer denn ein vierteiler meil wol 70 clafter hoch pi3 zu der ftat gen Nürnberg, mas mol 16 fu Ianf.” (Chroniken der deutichen Städte vom 14. bi8 ind 16. Jahrhundert. Bd. 11, ©. 618). Das Wörthen „aber“ = „abermal3“ will jagen, daß man die Srfcheinung don einmal beobachtete; doc über da3 Wann, Wo und Wie jehmeigt der Chronift. Was fah er eigentlih? Stugig Tönnen auf den erften Blid die zahlen- mäßigen Angaben machen, mit denen nicht nur die Länge und Höhe der ylug- bahn, fondern aud die Länge des fliegenden Gegenjtandes bezeichnet ivird. Über da3 zweimal erjcheinende „mol“ jagt deutlich genug, daß e3 ih nur am Abjchägungen Handelt, und die genaue Zeitangabe meilt darauf Hin, daß wir e3 hier mit einem unvorhergefehenen Ereignis zu tun haben, deijen über- zafchender Eintritt zeitlich feitgehalten werden foll. Der Dracdenflug fan nur eine meteorologifche Erfcheinung gewefen fein. Doch der Ehronift oder fein Ge- währsmanr jah einen Ieibhaftigen Drachen, und zweifelloe8 war die Phantafie de3 Beobachters gefchäftig genuxg, um nicht nur feine ungefähre Länge, jondern auch feine ganze Geltalt genau befchreiben zu Fönnen.
Mehr al3 drei Jahrhunderte waren feit jenem Nürnberger Drachenffug vergangen. E& mag ungefähr um 1820—1830 gewejen fein, da fah ein Buuers- mann zu Biblis in Starfenburg etwas Ahnliches.. Etwa Ende der jechziger Jahre de3 vorigen Sahrhunderts erzählte er e3 feinem jegt noch Jebenden Enkel. Eines Abends, jo berichtete er, fah er über die Häufer von Biblis einen feurigen Drachen fliegen. Er fah genau die Geftalt des Ungeheuerd in allen Einzelheiten. Er jah fogar die Schuppen, mit denen e3 gepanzert war, und FTonnte diefe näher bejchreiben. Sie lagen nicht feit aufeinander am PDrachenleib wie die Schuppen am Körper de3 YFijches, fondern jtanden augeinander gejpreizt vom Sörper ab in die Luft hinaus. Der alte Mann konnte böfe werben, wenn andere ihm die Erfeinung auf natürlihem Wege ald eine meteorologifche zu erklären juchten oder johl gar bei jeiner Erzählung ein überlegened Lächeln zeigten. Was er vor Jahrzehnten am dunfelen Nachthimmel Schauriges gejehen, da3 gehörte, jo verficherte mir noch dor furzem der Enfel, zu denjenigen Erlebniffen des Großvaterz, die fih ihm ganz befonder3 tief ind Gedächtnis eingeprägt hatten und deren Wirklichfeit er fi) von niemand beftreiten Tieß, meil er © alles jelbjt erlebt, mit m Augen gejehen hatte!
Gießen. Karl Michel,
Beifpielstprihworte in Seffen und Naffan.
Das fogenannte Beijpielsfprichmort !) fol auf deutfchen Boden fo gut wie ausjchließlich dem Niederdeutichen eigen fein. „E&8 dedt ... niederdeutjch vie es ift, manchen Zug der niederdeutichen Volksfeele auf“ jagt E. H. Meyer,
') So nennen 88 ©.H9. Meyer, Zauffer und andere %% Schüße hingegen, der fich wohl zuerft mit ihm befchäftigt hat, nennt es “apvlogifches Spruchmort (Holft. Ydiotifon IV [1806], 93F.), Seiler Sagmort’ (Deutfche Sprichwörterfunde S.26 u. 6.), Sartori Zitateniprichwort (Weftfäl. Volfs- Zunde ©, 46).. Einigung wäre nüblich.
Heff. BI. f. Volkskunde Bd. XXI. 2 8
=. Mi =
Deutjche Volfstunde ©. 338. „Dieje fogenannten Beilpielsiprichworte find in allen niederdeutichen Bauen ungeheuer zahlreich, und es offenbart fich in ihnen eine Art des Humors, die dem Dberbeutichen fremd und in ihrem innerften Wejen unverftändlich ift“ bemerkt Lauffer, Niederdeutiche Vollsfunde? &.57 1), Freilich) muß Ichon €. H. Meyer jeine Behauptung etwas einfchränfen. Er weiß a.a.D. ©. 338 aud) no) aus Köln einige Beifpielsiprichmworte anzuführen. Abichließend bemerft er dann: „Aber weit füdmwärts über die niederdeutjche Grenze fcheint fie (nb. diefe Gattung) nicht Hinauszugehn. Dder doch?“ Darauf ift mit Ja zu antworten. 4. Wrede, Rheinifche Voltsfunde ©.72, fügt zu den Kölner Beilpielsfprichmorten noch folche.aus Aachen und aus dem Kr. Schleiden und kommt mit le&teren fchon ziemlich nahe an die Grenze Ripuarifch-Mofelfräntiich heran. Beilpiele aus dem Rheinfräntifchen aber vermag ich beizubringen. Sie ftammen aus dem Material des Heflen-Naffauischen MWörterbuchs, das fie feinerjeitS der Literatur entnahm oder von Einheimilchen eingejandt befam. Ach laffe fie folgen und ändere dabei die naive Lautjchrift der Originaleinjendungen nur fomeit unerläßlich. 1. Irren ist menschlich hät dar Guckel ‘Hahn’ gasät, do härre off dr Ent gasesss. Mademühlen im Dillte.; ähnlich) auch Flammersbad) im Dillfee 2. „Bollern “ich übereilen” dutts net ... So hatte die Schnede gejagt, da war fie 99 Yahre am Baum binaufgeflettert und dann wieder Heruntergefallen.” In der Schwalm ®). 8. „Bezüglich der Reinlichleit im Haufe macht fies wie „„iene Frau", die fagte: Es muss alles ree on sauwer seng, do kehrt see de Desch merrem Mestbäse Ab.” Ebenda ?), 4. „Oder [fie macht eg] gar wie die Schweiter davon : Es muss alles ree on sauwer seng, do läckt see die Mäus, die en de Schmaand ‘Rahm’ gefalln wär, met d’r Züng Ab." Ebenda°®). db. „D’s weag eerw°d selbead, säd hea — dö har°r * laiyd earwed fer s*y." Ejcdenrod, Kr. Schotten *). 6; Woas se wing eas, eas se wing, ean woas se väil eas, eas se väil, saht de Bauer, do hatt sei Muck oi Freckelche gemöcht ‘feine Sau ein Ferlelchen germorfen’ ean sei Frä woar met Drilling eans Kendbett komme. Steinberg, Kr. Schotten. 7. Do gefällt mersch nit, do bleib ich nit, sät Homeskuerte (Eigenname) Ahler ‘Alter’, wäi e besoffe häm kom en fäil en de Mestpuddel Sauce. Pohl-Göns, Kr. Friedberg. 8. Wu Räch eas, do eas äch Fauer, do mengte der Hampitter ‘‘ohann Peter’ im Koiblätter ‘Kubfladen. Flanı= mersbach, Dillfe.), 9. „Sa hods reiss wei lebsa goisi, däs wäär med annadhalwa fedy haänmkoma Ian med siwa guudsar: Sie hat das Reißen (man reißt fich um fie) wie Lippfe Bänschen, das war mit anderthalben Fittihen heimfommen und mit fieben Ganjern“®). Leihgeftern, Kr. Gießen; ähnlich in Pohl-Göng, Kr. Friedberg. 10. Es mächt sich wäi Hannkuerts “ohann Kurts’ Ferkel, des ging kaputt ‘frepierte. Pohl-Göns, Kr, Friedberg ’).
1) hm fchließt fich an Neujchel, Deutiche Volksfunde 1, 1386,
2) %.9. Schwalm, Das Schmwälmerleben im eignen Sprichwort (Befjen- land 26, 145).
*) ©. Heflenland 236, 145 (= Heff. Blätter f. Voltst, XVILL, 109).
+ ©. Beitichr. f. Hd. Mdaa. 4, 68,
5) Flammersbacd) liegt noch im Mittelfräntischen.
*% €. Hefl. BL. f. Volfstde. VII, 181.
”) Dantbar wären wir für Einfenbung weiterer Heififcher Beilpiel3iprich- wörter (Adr.: Heffen-Naffanisches Wörterbuch, Marburg a.2., Giffelbergerftr.19).
ROTE a 55 n
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Beilpiel 1—7 ftimmen nun im Typ genau zu den bisher fait nur auf niederdeutichem Boden belegten Beilpielsiprichwörtern. Ein Sprichwort oder auch nur ein Ausipruch wird einem Lebewejen in den Mund gelegt, das fich in einer ganz bejtimmten Situation befindet. Außerung und Situation aber ftehen in einem ironisch, fomijch oder fonftwie unerwartet wirkenden Verhältnis. Beifpiel 8 weicht von diefem Typ nur wenig ab; es erjcheint einfach verkürzt aus: Wo Raud) ift, da ift auch Feuer, fagte der Johann Peter, da mengte er im Kuhfladen. Beilpiel 9 und 10 ftehen in der Yorm ferner, fommen letten Endes aber auch auf den gleichen Typ hinaus. Wie bei. den niederdeutichen Beilpielsiprichwörtern Ipielen jodann die Tiere’) eine gemwilfe Rolle (Beifpiel 1. 2.9) und werden die Außerungen zumeilen beftimmten Einzelperfonen ?) in . den Mund gelegt (Beilpiel 7. 8).
€3 beitehen nun feine Bedenken gegen die Bodenftändigleit der beige- brachten Heffischen und naffauiichen Beilpiele. Sie find ferner nur al3 Stich- probe aus reicherem Stoff zu werten. Denn erjtens belommt das Heflen- Naffauiiche Wörterbuch ja vorwiegend Einzelmorte eingejandt, Sprichwörter, Nätjel um. nur in geringerem Maße. Zmeitend waren mir [ehon mehr Bei- fpielSjprichwörter unter vollSftundlichdem Gefichtspunft unbeachtet durch die Hände gegangen, bis fie mir eines Tages auffielen und ich mir dann Notizen machte. (Daß Helfen und Naffau fie in ähnlicher Yülle befigen mie die nieder- deutichen Gaue, will ich damit übrigens nicht behaupten; etwas Ausgefallenes aber find fie auch in ihnen nicht). Diefe unverdächtigen und als Stichprobe zu wertenden Beijpielsiprichiwörter führen nun füdlich bis in die SKreile Friedberg und Schotten, greifen jomit tief in das Rheinfräntiiche hinein ®).
Spezififum der niederdeutichen Stämme tft diefe Gattung alfo nicht. Sind ihre Grenzen überhaupt an Stammesgrenzen gebunden? Auf dem Gebiet der Dialeftfunde, Trachtentunde ujm. haben Dialeltgeographie, Trachtengeo- ‚graphie uw. gelehrt, daB man mit der Verwendung von Stammesgrenzen als erflärendem Moment jehr zurüchaltend fein muß ı). Wenn fich die geo- graphiiche Betrachtungsmweife nun meiteren Zmeigen der Bolfsfunde und darunter auch der Vollsdichtung zugewandt hat oder zumendet‘°), jo wird fich da vielleicht Ühnliches ergeben. |
Marburg ı. 9. Zuije Berthold.
o werden die Sfannkuden nur anf einer Heite gebaken?
Eine Alzfelder Gajje Heißt die Hofftatt, fie hat die Migentümlichkeit, daß nur auf der einen Geite Käufer jtehen, daher die Scherzrede: ‚In der Hofitatt werden die Pfanneluchen nur auf einer Seite gebaden” (Wandervogel in Heflen
1) Lauffer, a.a.0. ©. 58.
2) ©.&,. Höfer, Wie da3 Bolf fpricht, 6. A ufl., Nr. 63. 302, 461. 655. 730 u. 6.
%) Daß fie wenigftens in Spuren asıch oberdeutjch begegnen, fei hier nur ganz vorläufig angemerkt,
*) ©, die treffenden grundjäßlichen Außerungen bei Spieß, Die deutichen Bollstrachten ©. 33.
°), ©. Reufdhel a.a.D. ©. 87 zur Volksliedgeographie u, ©. 133 zu einer Geographie des Volfsrätiels.
8*
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und amt Rhein VII 1918, 138). Im Elfaß geht das Scherzrätiel: „Warum badhje fi in Schirrhein (eingm Stadtviertel von Hagenau) den- Eierfuche nurr uff einere Sit” Antwort: „Wil fe nurr uf ein’re Sit Hifer han“. (Stöber, Ekfäjf. Voltsbüchlein 1? 6.88 und 185 Nr. 357). Al dann in Straßburg die Stern- wartftraße mit nur einer Häuferflucht erbaut wurde, ‚wurde dad Scherzwort aud) auf diefe Straße übertragen (mündlid) von Prof. Dr. ©. Koch, Gießen). Auch in ber Licher Straße zu Gehen Tann man mohl diefen Wit gelegentlich hören, ebenjo in der Neugajje zu Odftabt bei Friedberg i. 9. (mündlih von Dr. 3. Gießler, Gießen). E3 gibt auch ganze DOrtjchaften, die nur aus einer Häuferreihe bejtehen ober beftanden, auch auf fie wird diefe Scherzrede angewandt, fo 3. B. auf Lud- wigäburg Orlamünbder, VBollsmund und Bollshumor ©. 207), Haardt, Bez.-W. Neuftadt (Rleeberger, Volkökundliches aus Filchbad) i. d. Pfalz S.94), Ziwingen- berg am Nedar (mündlid) von Bibliothelar Dr. Rehbmann, Gießen), Biegenberg bei Bubbad), Frankenhain bei Trayfa (vgl. a. Mein Heimatland, Hersfeld, I 1910 ©. 38 Nr. 50), Beienhorit (Die Heimat, Kiel, XXXII 1922, 115). Auch in Medienburg fennt man die Scherzfrage: „Wo ward de Bannkofen blos up een Giet badt? (Woffidlo, Medlend. Volkzüberl. I 1Nr. 682). In Teigenhofen wird da3 Kraut nur auf einer Geite geloht (P. Lang, Schnurren und Schwänfe aus Bayern E.181). In Oftpreußen jagt man zu einem, der eine Arbeit Iinfifch oder bloß Halb madt: „Du böft woll von Rabiche, mo fe be Flinfe (Buchweizenkuchen) op eene Sied bade on de Wagen3 op eene Sied fchmeere” (Frifhhbier, Preuß. Spridmwörter 12 215 Nr. 3055; M. Bufch, Deutfcher Vollsyumor ? ©. 58). Auch) ala Rätjel- frage fennt man dort diefen Scherz für NRadichen, Kr. Pillfallen, und Lamöfen bei Königäberg; man fragt mohl au: „Wo mare de Föfch man op cener Sied ge=- brade?” (Frifhbier, Am Urquell III 1892, 35 Nr. 20). Woffidlo führt noh die Nedbensart an: „De Voßminkler fünd man Half Hook, de fmeeren ehr Wagens man up een Giet” (a.a.D.); Reufchel, Deutjche Volfsfunde im Grund- üß I 116, fennt für ein folches Dorf die Scherzrede, man brühe dort die Schweine nur auf einer Geite. Diefe Belege Iafjen fih gemiß noch fehr vermehren (Woffidlo zitiert no Würdig, Heimathllänge. Dejjau 1888, ©. 40), ge- nügen aber, um die weite Verbreitung diefes3 Scherzes im ganzen beutfchen Sprach“ gebiet zu ermweifen. Derjelbe Gedanfe liegt übrigens zu Grunde, wenn ber fieben- bürgifche Vollswig am Karfamstag, an dem auch in ber ärmiten Hütte der Rauch aus den Badofen auffteigt, jagt: „Da wird die Hanflich (der volfstümliche Fladen, der mit einem Guß von Butter und Eidotter beftrichen wird) auf beiden Geiten gejchmiert”” — auf beiden Geiten der Gaffe nämlid. (Anna Shuller-Shul- leru3, Die riftlihe Welt XXXVI 1922 Sp. 678). Gehen. GH. Hepding.
Der „Bnnderbrief‘ in den Wolgekofonien.
In manchem Haufe unferer evangelifchen Mutterlolonien fieht man an fiht- barjter Stelle, im Mittelpunfte der die Wand fchmüdenden „Gedentblätter”, Haus- fegen, Yamilienbilder, emen großen Rahmen. Darin befindet fi) unter Glas ber folgende „uff Traltur“, d. H. mit Drudjchrift gefchriebene „Wunderbrief“, der allen Anzeigen nad) vor 160 Sahren, bei der Einwanderung, mit herein- gebradyt worden ift. Dafür Tpriht zunädhit fein Wortlaut, dann aber aud) feine
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große Verbreitung und die altherfömmliche Verehrung, mit der man das Schrift ftüd auf Rinbdesktind vererbt. Die Abjchreiber haben fichtbar die Schreibmweife Ipäteren Zeiten angepaßt. Denn dieje weicht bei allgemein gleichlautendem Inhalte ftart von einander ab. Aud) Haben die Mbfchreiber an einigen Stellen: den Sinn durch Auslafjungen verdunfelt.
Der nachitehende Wortlaut ftellt eine genaue Abfchrift von einen: Stüd dar, da3 fich in meinem PVaterhaufe zu Schilling an der Wolga befindet. Die Vor lage hat folgendes Außere: Der „Brief“ it mit gut leöbarer, grober Drud- fchrift gejchrieben. Die Größe ift die eines gewöhnlichen Schreibbogenz. Am Kopfe, zwiichen den Worten „Wunder“ und „Brief“ fteht der Engel Michael. Der Tert ift von einer Weinrante umrahmt. Alle Verzierungen jind mit ‚ber Hand gemadjt. Der Titel fowie die erfte Beile jedes der vier Abfäge find mit großen Budjftaben gefchrieben (unten durch Sperrdrud erfegt).
Man glaubt heute noch feit an die Wunderfraft de3 Briefes. Das Haus, in den jich dec „Brief“ befindet, joll nad) diefem Glauben fein Feuerjhaden noch jonftige Unbilf treffen. Früher foll er auch) vpn vielen, in Stoff und Leder ein- genäht, an einem NRiemchen auf der Bruft getragen morden jein. Denn, . wie meine Großmutter und meine Mutter oft bejtätigt haben, war man de3 jelfenfeiten Glaubens, daß, wer den „Brief“ bei fich trage, perjönlih vor Kugel und Blei, böfem Blid und jonftigem Mißgejchid gejchügt fei. Wahrfcheinlih wird er aud) heute no von mandem Mütterlein in diefem feiten Glauben getragen, denn nicht jelten fommt e3 vor, daß man am Yalfe eine3 jolchen einen eingenähten „gettel“ Hängen fieht. —
%
„Wunder- Brief,
Welher vom Himmel durch ben Engel Midhael ift ge- jand worden und zur Heiden in Holitein gefunden morden, wie e3, wir im folgenden zu Iefen befommen, da3 Hat Gott mit gildernen Buchjtaben gejchrieben und ijt folder zu fehen in der St. MichaelgeFirhe zu Heiden in Holitein, und wird genannt Garlici, er fchmwebet alfjo über der Taufe, wer ihn angreifen will von bem meicht er, wer ihn aber abfchreiben will zu dem neigt er fich u. thut - fich jelber auf.
Ber am Sontäge arbeitet der ift verdammt jo warne ih euch dafz ihr den Sontag nicht arbeitet an euren Gütern, aud; fonft feine Arbeit thut. Shr follt fleißig zur Kirche gehen, mit Andacht beten und Gottes Wort hören, eure Angefichter nicht fchmücden und die Haaren nicht graujen, no font Hoffart der Welt treiben und von eurem NReidhthum den Armen mittheilen, und jollt glauben da3 ich diefen Brief mit meiner Hand gejchrieben habe von Zeju ChHrifto ausgefand, das ihr nicht thut wie die Unvernünftige Thiere, id) gebe euch in der Woche fech3 Tage eure Arbeit fortzufegen und am Sontagel) mit Jedermann, Jung und Alt mit Andacht beten für eure Sünde, daß fie euch vergeben merden. Schwöret nicht fälfchlic noch boshaftig bei meinem Namen. Begehret nicht Silber noch. Gold und?) fleifchliche Lüften und Begierden trachtet nicht, denn jobald ich euch erfchaffen, jobald Tann ich euch zerfchmettern.
1) Hier ift vermutlich ausgefallen: „jollt ihr“. 2) Hier fehlt wohl „nad“.
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Einer foll den Andern niht mit der Zunge töden nod Fälfchlich gegen den Nächten Hinter dem Nüden!). reuet euch nicht euren Gütern und Reihthum. Ehre?) Vater und Mutter und gebet Fein faljched Zeichnifz wider euren Nädjiten, jo gebe ich euch Gejundheit und zrieden. Und wer dem Brief nit will glauben und fih nicht Darnadh richtet der ift verdammt und wird fein Glüd noch Segen haben. Ich fage euch, da3 Jefus Ehrijtus diejen Brief mit eignec Hand gejchrieben hat und wer dem miderfpricht der ift von der Ghrijt- fichen Kirche und von meiner Allmacht verlajjen. Den Brief foll einer dem andern abfchreiben und wenn ihr fo viele Sünden gethan al Sand am Meer und Sieme am Himmel follen fie euch vergeben werden.
Glaubetgänzlih wasexcdh diefer Brieflebret und faget, wer aber da3 nicht glaubet der fol fterben. Belehret euch, oder ihr werdet elendig geftraft werden in der Hölle und ich werde euch fragen am üngiten Tage und ihr werber mir feine Antwort geben können wegen euren Sünden. Wer den Brief im Haufe Bat, oder bei fich trägt dem foll Tein Donnermwetter fchaden und foll vor Teuer und Waffer behütet werden. Haltet mein Verbot den Sejus Chriftus gefand Hat durch den Engel Michael. Amen.” —
Saratom. | Beter Sinner.
[Wir Haben biefen Tert de „Himmelsbrief3” (f. die Literatur bei NR. Stübe, Der Himmel3brief, 1918) gem veröffentlicht, da er eine Verbindung der Holfteinifchen SHerkunftsformel mit dem „Sonntagsbrief”, dem eigentlichen Himmelöbrief, darftellt, eine Form, die Abt, Hell. BL. F. Volkst. VIII 1909, 99 überhaupt nit, Vogt, Mitt. d. Sclef. Gef. f. Vollst. XIII—XIV 1911, 595 nur au zwei pommerjhen Terten nachweijen fonnte. Sn der Holitein=&ruppe pflegt die Überbringung durch den Erzengel Michael zu fehlen, die in dem „Sredoria”-Typus die Regel ilt; in ben gedrudten Cremplaren biejes Typus pflegt auch, wie in dem hier veröffentlichten Tert, der Erzengel Michael abgebildet zu fein. So jtellt dieje3 mwolgadeutfche Exemplar eine merkwürdige Übergangd- form zmifchen „Gredoria“- und „Holftein”-Typus dar. Auffallend ift die über- einftimmung mit dem einen der oben erwähnten pommerichen Terte (au3 Dram- burg, bei Vogt a. a. DO. ©. 611: „zu fehen in der Michaelis Kirche zu Heyde in Holitein‘), der nad) dem Herausgeber in ben „Blättern f. Pommerjche Boltzt.“ 1 24 „mwahrjcheinli noch dem 17. Zahrh.” entitammen foll. Da in zahlreichen Varianten der Holitein-Formel 1791 oder 1797 al3 da3 Zahr der erften Abjchrift ded Brief3 angegeben wird, jo Hat man Bedenken gegen diefe Datierung be3 Dramburger Eremplard geäußert. Leider ift mir der vollftändige Tert zur Zeit nicht zugänglid. Bei der mitteldeutfchen Herkunft der großen Majje der molga- deutfchen Koloniften ift die Übereinftimmung mit bem pommerfchen Tert be- fonder3 merkwürdig. Der Name „Carlici” ift, fomweit ich jehe, bisher auch ohne Entjprejungen. 3 wäre daher für die Gefchichte bes Himmelsbriefs-Tertes jehr wichtig, wenn möglichit viele Varianten aus bem Wolgagebiet gefammelt würden, die vielleicht eine Entjcheidung der Frage ermöglichten, ob der „Wunderbrief” wirklich dort noch aus der Zeit der Einwanderung lebendig, oder ob er Doc erit im 19. Zahrh. duch Abfchriften oder gar duch Drude verbreitet worden 5 n
1) Hier fehlt „lein“.
2) „ehret‘.
== MI
Kleine Beträge zu magifhen Sormeln.
1. 3u Auanifapfa (zu Bd. XX,1ff., XXI, 56f.): Seit dem Erfcheinen von Seligmanns Aufjag „Ananifapta und Sartor” find mir noch mehrere jehr alte Zeugniffe für die Ananifapta-Formel belannt geworden, die als Ergänzung bier nachgetragen jeien.
Banjzyniec weift in einer Beiprechung jenes Aufjages in der Zeitjchrift der Polnischen Eihnnographiichen Gejellichaft Lud Ser, II 3d. 1 (1922), 245 aus einer Erfurter Handichrift aus dem Yahr 1349 cod. Amplon. quart. 377 eine obsecratio mortis metrica nach: Est mala mors capta dum dicitur ananizapta... Agla, clyseptra, ebreon, o et alfa, Messias').
Ahnlich findet fich die Formel in einem mittelniederländiichen Gebetbuch des 15. Jahrh. aus der Sammlung des Robert Eurzon im Britiihen Mujeum (PBriebich, Deutiche Handichriften in England II 309 Nr. 319, 6): ieghen de plaghe:
t Tune mors est capta
t Dum dicitur ananizapta f Ananicapta dei
f Sit medicina mei?) efec.
Aus der Breslauer Handichriftl.Q.98 vom Sahr 1451 zitiert Klapper, Mitt. der Schlef. Gef. f. Volkst, IX 9.18 (1907), 40f.: Das erst ist das nichez vnerkantz sey in seim gepet noch das dar yn pe- slossen sey vnerchant näm, der vil sein, als Ananizapta-thetragmatan etc. Dy sein vnerchant näm, dy nichez sein, vnd ways man nicht, ob sy sein pehaymisch oder vngrisch. Etlich sprechen Ananizapta sey gar ein chreftigs wart, so man es spricht vber pözz visch, so schol man den pöcken nicht dar an essen.
An den beiden älteften Toren der Stadtmauer von ngoljtadt beginnen die Bauinjchriften von 1868, bzw. 1878 mit dem Wort Ananicapta, das natürlich apotropäich wirken jolltee %.3.©ö8, der in feinen Beiträgen zur ältejten BGeihichte Angolftadts (Sammelblatt d. hift. Ver. Ingolitadt XLI 1922, 63 ff.) dtefe nfchriften neu behandelt hat, erwähnt auch) noch das Vorkommen der Ananijapta-Formel auf einer jet übertünchten Torinfchrift zu Windberg und auf einer Ulmer Glode aus dem Jahr 1454. Er erflärte das Wort als den Schluß des Davidiichen Gejchlechtsregifter 1. Chron. 3, 24: Filii Elioenai ... et Anani, septem und vermutet, daß die Worte in den Auf einer fräftigen Bauberformel famen wegen des an den hebr. Gottesnamen Eli anflingenden Namens des Eljvenai und der Beziehung des Tavidiichen Gefchlechtsregifters auf Chriftus.
Man hat auch bei der auf mittelalterlichien Münzen gelegentlich vor» fommenden unerflärlichen YBuchftabengruppe ANA an eine Abkürzung des
WW Schum, Belchreibendes Verzeichnig der Amplonianifchen Hand- Iohriften-Sammlung zu Erfurt ©, 688.
3) Nogl.Vulnera quinque Dei suntmedicina mei Bd. XX, 2; zu diejer Sormel [. a, Charme for wyked Wych aus den 15.%h. bei Häljig, Der Zauberiprudh bei den Germanen bis um die Mitte des XVI. Jahrhunderts &. 52; Anglia XIX 1897, 80 Nr. 10; 85 Nr. 26 (f. u. ©. 120) u. 86 zu 10b.
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magiichen Worts Ananijapta gedacht, doch entjcheidet fih Friedensburg, Die Symbolik der Mittelaltermüngen ©. 149 für eine andere Deutung.
Ein von ©. Fr. Moft, Die Iympatbetifchen Mittel und Curmethoder (Roftoct 1842) nach einem mir 3. Zt. nicht zugänglichen Bud) von 1772 befchrie- benes Ananifapta-Amulett in Form eines magischen Buchltabenquadrates jet angeführt, meil e8 in einigen Buchftaben von der von Seligmann ©. 4 ver- zeichneten Formel abmeicht.
Der ©.8 in Überfegung gegebene Tert aus einer englifhen Handfchrift in Stodholm ift neu herausgegeben von Holthaufen, Anglia XIX 1897, 78 Nr.T,
Anhangsmweife fei noch zu dem von Geligmann ©. 2 bejchriebenen Ring mit der nfchrift F gut F got F hunuyu f ananazapta bemerft, daß e3 fich im eriten Teil offenbar um eine Berftümmelung der auf Ringen häufigen Formel Thebalgutguttani handelt, vgl. Deecde, Jahrb. f. Geich,, Spr. u. Lit. Eljaß- Rothringens VIII 1892, 37 ff.; Carly Seyfarth, Aberglaube und Zauberei in der VBolfsmedizin Sacjlens ©. 264; Banfzyniec, Lud Ser. II Bd. 2 (1923), 56ff.,; Dervieu, Revuearcheol. Ser. V, Bd. 19 (1924), 67 (mit abenteuerlicher Deutung). Ein von Holthaufen a.a.0.85 Nr. 26 veröffentlichter Geburtsjegen beginnt: Boro berto briore f Vulnera quinqse dei sint medicina mei! T Ta- hebal + } ghether + } guthman F Auch hier erkennt man fofort dieje Formel, aus der man früher einen Theodbald von Thann heraußsgelejen hat!
2. ToAAod-ABuLod. Gegen das jchon im Altertum befannte Geipenit TeMo, das befonders den Neugeborenen gefährlich war, gibt e3 zahlreiche griechifche Beichmwörungen, in denen es vom Erzengel Michael, dem hl. Sifinnios oder Arfenios bezwungen wird, vgl. Maas in Paulys Real-Encyel. der claff. Altertumsmiff., Neue Bearb. VII 1006, Th. Schermann, Spätgriechiiche: Zauber- und Boltsgebete, SYhre Überlieferung. (Diff. München 1909) ©. 24 f- und die von ihnen angeführte Literatur’). Neuerdings hat Perdrizet im. einer Kleinen Schrift unter dem Titel Negotium perambulans in tenebris. [Bf. 90, 6]. Etudes de demonologie greco-orientale (Straßburg 1922) eine Daritellung de3 hl. Sifinnios auf einem der Fresken des von Cledat in. Bauit in Ober-Ngypten aufgededten Klofters zum Anlaß genommen, um wert« volle Bemerkungen zu den verjchiedenen Faffungen diefer Texte zu macheit. Eine rumänifche vielfach abweichende Variante der Legende des hl. Sifinnios (Perdrizet ©. 16 ff.) aus dem 16. Jahr. findet fich bei M. Gajter, Chresto- mathie romaine I], 6f., die nach der Einleitung ©. LVII aus dem Slaviichen überfegt fein fol. Es fehlt darin die Lifte der Namen ber ToAdod, Kr dem- jelben Werk II, 1717. fteht aus handfchriftlicher Überlieferung aus dem Jahr 1799 ein Text des noch jet in Rumänien als Amulett für Schwangere und Lleine Kinder jehr beliebten Erzengel Michaels-Gebet (Rugäciunea sf. Arhangelit Mihailö) [a], von dem zwei weitere Faffungen [b, c] au dem 19. X. in dem wertvollen Buch des rumänischen Folkloriften ©. Fl. Marian, Nascerea la Romäni (Bulareft 1892) ©. 29 ff. veröffentlicht find (danach eine nicht ganz mwortgetreue franzöftjche Überfegung des Texts b von Gorovei, ‚Revue des.
1) Bl. au) Kern, Hermes LIV 1919, 217ff.; ex hat überfehen, daB die beiden Fleinen Aufjäte des Michael Pjellos über Baßourtwapıs und Tuio in. der Bibliotheca Graeca medii aevi, ed. Satha3 V, 571f. abgedrudt find.
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traditions populaires XVII 1902, 528 ff.): der Text b ift einem 1862 in Her- mannftadt gedrudten Heftchen entnommen, in dem u. a. auch der fog. Himmels- brief (f. a. Safter 1, 8f.) enthalten ift; c ift ein von einem Mönch des Klofters Dragomir ftammendes handichriftliches Amulett. Nah Marian ©; 832 findet fih in einigen Truden auch) noch die bildliche Darftellung des Hl. Sijoe (= Sifinnios) mit einem Fleinen Kind auf dem Arm neben der des Erzengel Michael, der die Unholdin mit dem Schwert durhbohrt!). Sn dem Tert b heißt die Dämonin Avizuha, offenbar gleich ABuLoö, BuLov u. &, der griechiichen Überlieferung (Berdriget ©.32). Maas hat bereit3 vermutet, daß dies Wort aus ’OßıLood, dem Namen einer Dämonin im Testamentum Salomonis XIII, entftellt jei: aus der neuen Ausgabe von McCown (The Testament of ' Solomon, Leipzig 1922) ergibt fich, daß eine Handfchrift an der Stelle fogar . geradezu aßuLoud, eine andere BuLoöd lieft. Auch diefe Dämonin ift eine Feindin der Fleinen Kinder; wenn man ihren Namen auf Papier fchreibt, fann fie den Schwangeren [die dies al$ Amulett tragen] nicht? anhaben. Sie ijt ein Nacht- gejpenft und nennt fich in einer Handfchrift felbft rveöna mupıwvunov xal ToAö- nopyov, beides, wie McCown ©. 82, 4 jchon bemerkt, Beinamen der Helate. Die Hhnlichkeit mit der Gello-Abyzuth unferer Texte ift in der Tat fehr groß ?). | In den ruimäniichen Yaflungen ?) berichtet der Erzengel Michael felbit, wie er, vom Ülberg fommend, einem unreinen @eift begegnet mit Augen tie Sterne *), Händen wie von Feuer), Nägeln wie Sicheln, ihr Haupthaar hing herab bi3 el die Ferfe ®), ihr Geficht war wie Pech”). Er befiehlt ihr ftehen
ı) Sn er Michaels-Amulett bei Reigenftein, Poimandres ©. 298F., jagt die Unholdin: örov eiotv Ta dwdsxd ou ovönata xal To Övond aou, apyayyeke Mıyanı, xar to Övond oou, Lıalvıe xal Dıvodwpe, 00 mn eioeAdtu eis Tov 0Xov.... Dal. BPerdrizet S. 20. Die dort angeführte Lifte c der Namen der T'oAAod ftammen übrigens aus der erften Sifinnios-Legende bei Allatius, De templis Graecorum recentioribus ... nec non de Graecorum hodie quorundam opi- nationibus (Köln 1645) ©, 126 ff; in der zmeiten ©. 133 ff. werden die 12 Namen der Tämonin nicht aufgeführt. (Das Zitat bi Schermann ©. 24,3 ift ıım«- richtig.)
2) Man hat auch Bello von einem babyloniichen Damon Gallu hergeleitet: EC. Frank, Zu babyloniihen Beichmörungsterten, Ztichr.. f. Ajiyriol. XXIV 1910, 157 ff., zuftimmend DELIEWDERG, By3. Zeitichr. XIX 1910, 573f., Scher=- mann a.ad. ©. 25f.
») Ich folge dem Tert a; Herr stud. med, vet, Rether aus Neppendorf (Siebenbürgen) hat meine Überfegung freundlichft nachgeprüft.
4) ce: wie Bläler; vgl. rerupwpevous bei SathasV, 876; Reitenftein ©. 298,
s, b: von Eijen, wie Satha3 V 577 Ne. 3 (dEopmondc is AßıGoöc).
©) Eyouoa Tas Tpiya, auris Ews tüv rrepväv auıic Sathas V, 576; Neiten- ftein S. 298; vgl. auch Testamentum Salomonis XII, 1.
?, fehlt in b, c; in c außerdein noch: fie war ganz nadt; ihre Brüfte hingen herab bis zu den Kinieen. Bgl. Aapias pasdor: Stoll in Rofchers Lerifon der Mythol. II 1820; die langbrüjtigen Walddämonen der gerinanifchen, Bölter |.z.2. bei &.9H.Meyer, Mythol. der Germanen ©. 85, Zaunert
Deutiche Naturjagen I 67. 141.
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zu bleiben und fragt fie: „Woher fommit du, unreiner Geift, und wohin geht du, und wie ift dein Name?’ Sie antwortet: „Sch heiße Avestita!), Fliigel de3 Satans, Flügel unjres Kailer3 des Herrn Beelzebub ?); ich babe jet erfahren von einer Jungfrau, namens Maria, der Tochter von Joachim und Anna, daß fie einen Sohn gebären wird, Yefus Chriftus Nazarenus, und ich gehe mit meinen teufliichen Künften hin, um fie zu beunrubigen und ihr Kind zu töten, wie ich jchon andre Frauen bis heute beunruhigt Habe und beunruhige.“ Als ich, der Erzengel Michael, das hörte, padte ich fie an ihrem Haar, band fie, Fettete fie feit und’ begann fie furchtbar zu fchlagen mit der Yeuerpeitiche und ftieß ihr das Schwert des Todes in die Rippen. Sie aber jchrie laut und bat; „Ich bitte dich, Erzengel Michael, Bändiger der Dämonen, löfe mich aus den Felfeln!” Aber ich, der Erzengel Michael, |prach: „Du unreiner Geilt, jage mir, wie du in die Häufer der Menjchen eindringft, um jchwangere Frauen zu beunrubigen und ihr Kind zu töten "| Gie antwortete: „Ach, wegen der großen Schmerzen und Dualen fage ich euch alle meine teuflifchen Künite ganz genau. Wenn ich, Erzengel Michael, in die Häufer der Menjchen eindringe, verwandle ich mich in viele Erjceheinungsformen: ich mache mich zum Windhund, Huhn, Müde, Hafen, Spinne, Kate’) und allen Geftalten, die ein Geift hat, um Zucht zu erregen, und ich habe 19 Namen und mit diefen Namen tue ich alles Schlimme. Aber mo meine Namen geichrieben fein werden, dem Haus fanıı ich nicht näher als 7 Meilen ‘) fommen. Und meine Namen find: 1. Avestita, 2. Brana, 3. Zälina, 4. Iscara, 5. Piha, 6. Isprava, 7. Liba, 8. Muha, 9, Hae, 10, Glubina, 11. Nicarda, 13, Teea, 13. Hulubai, 14. Tehaea, 15. Nevederiea, 16. Teeana, 17.Gesna, 18.Rota, 19, Zaläsamca °), Und deshalb, Erzengel Michael,
') b: \Jch bin vascä-Avizuha, |. o.; aber der erite der 19 Namen, den fie nachher nennt, it Vestita.
ı) Bol. Pradel, Briech. und füdital. Gebete S.28 3.12, mo Heilen- berg satavopöt« vermutet hat, vgl. auch ©. 90, 1.
%) b: Windhund, Yroich, Nabe, Müce, Spinne, Pfeil; c: Kate, Dtüce, Spinne, Vogel, Schatten, Maus. Nach dem Boltsglauben kann fie fich auch noch in Mailäfer, Ziege, Schwein verwandeln: Marian ©. 27. Su den griehifchen Faflungen der Sifinnioslegende werden Berwandlungen, mit denen die Damonin ihren Gegnern zu entgehen jucht, gejchildert (Allatins ©. 126: Ziich, Schwalbe, Ziegenhaar), oder fie dringt als Fliege in dag Haus der Wöchnerin ein (Sathas ©. 574, daher ihr Name Moin: PBerdrizet ©. 21) oder al3 Erde (Allatius ©. 133). In den griechiichen Michaels-Amuletten gibt fie an, daß fie ws öpıs, Ws dpaxwv, WS EpTETOV Xal TETPAKOBOV METAROPPOUREVN in die menfchlichen Wohnungen gelange (Bradel S. 23.28 und dazu S.86f. 89; ähnlih Sathas ©, 5765 Reigenftein S. 298; vgl. au B. Schmidt, Das Voltsleben der Neugriechen I 189, 4).
*) Wie in den griechiichen Texten, jo weichen auch in den rumänischen die Entfernungsanigaben jehr ftarf voneinander ab.
°) Die Namenreihen fomohl in b wie in c weichen ftarf ab. Tie UNDEer- ftändlihen Tämonennamen waren natürlich für AUbfchreiber und Überfeger, und exit recht in der mündlichen Überlieferung die größte cruz, durch Volks etymologie wird man fich manches mundgerecht gemacht haben. Meine rumä- nischen Kenntniffe reichen zu einer Beurteilung nicht aus: In manchen Worten
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gebe ich in deine Hände diejen meinen Rechtsanipruch !), um mich von den Banden und Schlägen zu befreien.“ Aber ich, der Erzengel, jprach: „Siehe, ich befehle dir im Namen des Bater3 und des Sohnes und des heiligen Beiftes, daß du dich nicht nähert dem Knecht des Herren namens N.N, und der Dienerin des Seren, noch ihren Kindern, ihrem Vieh, ihren Haustieren und was ihnen der Herr gegeben hat. Gehe hin, wo dir deine Stätte bereitet ift im Tartarus, in der Tiefe der Hölle, zu deinem Bater Beelzebub und bleibe da in alle Emigteit. Amen”), Marian erwähnt noch, daß die Juden einen faft iden- tiichen Tert al8 Amulett verwenden, in dem nur Michael und Avestita durch den Propheten Elias und Lilith erjegt find), *
Nachtrag. Erjt nachdem diefe Bemerkungen gejegt waren, lernte ich duch Brunmwalds Yahrb. f. jüd. Volkst. I 1928, 17 uud 217 (vgl. a. ©. 321) einen jolchen hebräijchen (Folk-Lore XI 1900, 149) und einen aramäijchen Tert (James A. Montgomery, Aramaic incantation texts from Nippur, 1918, 8.358 ff.) fennen, die in der Tat, jogar in manchen Dämonennamen, mit den
Ichimmert gewiß noch die griechiiche Vorlage durch: Über b6 Avizuha j.o. ©. 181; n a8, c5b Muha, b8 Miha mwird Moia (Berdrizet ©. 21), in b4 Silina, a8 Zalina ZeAnvoo (Berdrizet ©. 28), in b3 Solnomia Zwlopnwvn (Bradel 6.23, 26; im Rumänijchen heißt solomonie die Zauberei, solomonar der Zau- berer, vgl. au) Fr. Müller, Siebenbürg. Sagen ? ©. 220 Nr. 326) zu Grunde liegen, in a2 Brana vielleicht Brian (PBerdrizet S.%, ab), in alb Neve- deriea, b2 Navodaria vielleicht Neuetpuns (PBradel S. 23, 37). al19 Zaläsamca entipricht in c19 Samca, dem heute in Rumänien jehr gewöhnlichen Namen der Unholdin (Marian ©. 27) Sn vielen rumänijchen Häufern findet man in der Tat die 19—24 Namen der Samca als Amulett angejchrieben (Marian ©.28). In den griechifchen Texten des „Michael3-Gebeis* hat die Dämonin 12, 12!/s (Berdrizet S.19ff.) oder 40 Namen (Bradel ©. 88).
1) Ob ich mit diefer Mberfegung das Richtige getroffen habe? Bafter gibt in feinem Wörterverzeichnis „titre, document“ für rumän. zapis an. Dies tft ein flavifches Wort, das nad) Hovorfa u. Kronfeld, Vergleichende Volls- medizin TI 886 bei den Sübdflaven im Sinn von Amulett gebraucht wird. Die Namen der Dämonen, bie fie dem Erzengel angibt, werden al3 Amulett gegen fie benugt. Deshalb fann man aber nicht etiva überjegen „Dies mein Amulett“. Sedenfalls ift zapis eigentlich etmas Gejchriebene2.
2) Auch in der Bannung weichen die rumänijchen Varianten ftarf von einander ab. Sn b wird die Avizuha in die einfamen Berge gebannt, mo fein Menich wohnt und wo fein Hahn Träht. Bgl. dazu B. Schmidt, Alte Berwünidhungsformeln: Neue Sahrbb. f. Philol. CXLII 1891, 5ELff., auch Neue SYahrbb. f. d. laff, Altert.e XXVI 1911, 661; Wünjch, Zur Geifter- bannung im Altertum: Mitt. d. Schlef. Gef. f. Volkst,. XII— XIV 1911—12, Yff., ° Ebermann, Ztichr. d. Ver. |. Boltst, XXVI 1916, 131; Pradel,a. ad. ©. 1045. Lebterer vermutet mit Recht, daß bei der Schilderung der Ode des Bannungsort3 „die VBorftelungen vom Hades mitgewirkt haben”, wo ja nach dem neugriechiichen Vollslied auc, rerewas dev Andi (Pajjom, Popularia Carmina Graeciae recentioris ©. 365 Nr. 874); vgl. a. Hovorla u Kron- feld a.a.D. II 864. 867 (flavilche Formeln).
°) Bol. auch Reitenftein a.a.D. ©. 297, 2.
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chrijtlichen ziemlich genau übereinftimmen; Grunmald a. a.D. 217,1 vermeift dabei auf eine ungemein wertvolle Spezialunterjuchung über unjere Texte, die mir leider, ebenfo wie Berdrizet, entgangen ift: M. Gafter, Two thousand years ofa charm against the child-stealing witch in Folk-Lore XI 1900, 129ff. Sch fan jet nur noch darauf aufmertjam machen; meine Ausführungen find, da fie aud) anderes Material berücfichtigen, Hoffentlich trogdem nicht ganz überflüjfig.
8. Segen gegen Geldfuht. In meinem Aufiag über die Heidelbeere im Bollsbrauch in Bd. XXI hebe ich ©. 38F. zum Effen der Früchte das Ver-« zehren der erjten Blüten, die man von gemwijfen Pflanzen erblict, heran- gezogen und gedeutet. Dazu fei noch befonders auf CE. Seyfarth, Aberglaube und Zauberei in der Vollsmedizin Sachjens ©. 300f. verwiefen und einige weitere Nachträge gegeben.
-Dag da3 Berichluden der erjten drei Veilchen gejund erhalte, wird aus Mittelichlefien, Prov. Sachjien, Medlenburg von Marzell belegt in der Zeit- Ihrift „Der getreue Edart“" 1924 9.7 5.268. Für das Ansbadhiiche ift aus dem Sahr 1786 bezeugt: Jr man die drei erften Schlehenblüten, deren man anfichtig wird, jo brennt einen das ganze Jahr der Sod nicht (Grimm, Deutiche Mythol. III* 459 Nr. 718). Das Verzehren der eriten drei Gänie- blümchen fchüßt im Erzgebirge vor Magenbeichwerden (Seyfarth a.a.dD. ©. 301), in Thüringen vor Zahnmeh (Wuttfe-Meyer, Der deutiche Volfs- abergl.* ©. 351 $ 526), in Dftpreußen vor Fieber (E. Lemfe, Volksthüml. in Dftpreußen I, 72), wie daS Beftreichen der Augen mit den erjten drei Sänjeblumen oder Beilchen verhüten joll, daß man böje Augen befommt (Witgichel, Kleine Beiträge II = Sagen, Sitten und Gebräuche aus Thüringen S.285NT.108). Die eriten Weidenkäßchen verjchludt man gegen Fieber (Lemfe a. a.D. 1, 76). Eine bejondere Kraft wird der Roggenblüte zugefchrieben : Die drei eriten Kornähren, welche man findet, ziehe man, ohne etwas zu reden, durch den Mund und verichlude den Blütenftaub, der fich abjtreift; das [hüßt nicht nur, wie ich bereits in Bd. XXII anführte, vor dem Falten Fieber !), fondern bewahrt das Jahr hindurch) vor Rotlauf oder an anderen Orten vor Zahnıweh Wisihela.a.d. 283 Nr. 80, E.Mülhaufe, Die aus der Sagenzeit ftam-= menden Gebräuche ©. 68); man bat auch das ganze Jahr nicht Mangel an Drot (Wuttle-Meyer a.a.D. 408 $ 632) und ift vor Schlangenbiß und allem Leibesjchaden ficher (ebda 100 $ 126). |
Die gelbe Farbe der Staubfäden führte nach dem Grundjat Similia similibus curantur ?) dazu, die Roggenblüte al3 Mittel gegen Gelbjucht anzu=
ı) Bgl. au) U.Yahn, Herenmwejen u. Zauberei in Pommern ©. 191; Bartich, Sagen, Märchen u. Gebr. aus Medlenburg II 163 Tr. 756; E&.Lemfe 0.0.8. 1775; Grimm, D. Mythol. III* 473 Nr. 1018 (Wer das Korn zuerst blühen fieht, effe neun Blüten davon, fo bleibt er frei von Fieber).
2) Bol. Wuttle-Meyer a. a. D. 321. $ 477, auch &. Lammert, Bolls- medizin u. med. Abergl. in Bayern ©. 248; Soffel, Volfsmedicin u. med. Abergl. in Steiermart? S.120; Bartjich a.a. D. II 108 Nr. 408; E. Sey«» farth a.a.Dd. ©.178; Manz, Bolksbr. u. VBolsgl. des Sarganjerlandes S.79; Pradel, Mitt. d. Schlef. Gef. f. Volkst. IX 9. 17 (1907), 48.
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fehen.: An der Pfalz nimmt man drei Re Üyren, ftreicht fie durch den Mund und jpricht dreimal: : | Gott mwalt’s! Gelb Feucht,
behüt mich vor Fieber und Gelbfucht. Fr}
N Mufeum XVII 1921, 77). Daß dabei aber die bejondere Kraft den eriten Fruchtblüten, die man fieht, zugeichrieben wird, geht aus Varianten Diejer Formel hervor. Beim Berzehren der erjten blühenden Fruchtähre Ipricht
der Pfälzer: 2 Gott walt’s! Erfite Frucht,
bewahr mich vor Fieber und. Belbfught! (Mein Heimatland [Baden] XI 1924, 12). An der oberen Nahe wurde, wenn Das Korn blühte, an einigen Uhren der Blütenftaub mit den Fingern abge- feichen und gegefjen, und man jagte dazu:
Gott walt’s. Das ift neue Frucht.
Gott behüte uns vor Fieber und 77erlei Gelbjucht ’). (Zeitichr. des Ver. f. chein. u. mweftf. Voltst. II 1905, 377). Eine um zwei VBerje ermeiterie Variante habe ich 1911 in Homberg a. d. Ohm aufgezeichnet: Wenn Das Korn blüht, zieht man eine Ühre dreimal durch den Mund und ift dabei die Blüte ®. > die Staubfäden), während man den „Gejahn“ Ipricht:
Am neuen Jahr die erfte Frucht für Fieber und für Gelbjucht, daB mich fein böjer Menich angreift und auch Fein toller Hund anbeißt. Sm Namen Gottes zc. Gießen, | 9. Hepding.
2WBigand Hexzwodins.
,Rarl Helm hat im 5. Band unferer „Blätter” über die vollsfundliche Bes deutung bes zuerft 1662 unter dem Titel „Apocalypsis mysteriorum Cybeles Das it Eine Schnafifde Wodhen-Eomedie.... autore Wigando Sex- wochio, Bojemo“ erfchienenen Leipziger Sittenbild3?) gehandelt. Über ven Verfaffer ließ jich nür fagen, daß er, der fi) auf dem Titel al3 Böhmen bezeichnet, in Leipzig febte und fähfischen, nicht böhmischen Brauch und Aberglauben bietet. Durd; einen Zufall bin ich jegt in der. Lage feitzuftellen, wer fich Hinter dem fcherzhaften Ded- namen verbirgt. E3 ift der befannte BVielfchreiber Johannes Prätoriu3),
4) 77erlei Sieber, Gichter jehr häufig in Segenzformeln (vgl. Wuttle- Meyer a.a.D. im Regifter ©. 525). Auch in einem anderen Segen „vor die Gelbjucht” aus Albertus Magnus (Rofch, Württemb. Vierteljahrshefte XI 1890, 198 Nr. 184; Schweiz. Archiv f. Volfsk. II 1898, 258 Nr. 105) findet fich diefe Zahl.
2) Ein Eremplar der 1. Ausg. befitt die Univ.-Bibl, Gießen: M 12216 (68); über die 2. u. 3. Ausg. f. Helma.un.d. 4,1.
3) Ugl. Sr. Zarude in der „Allg. Deutjchen Biographie” XXVI, 520 ff.; 9. Hayn, 3. Pr. und feine Werke: Ztfehr. f. Bücherfreunde XII 1908/09, 1 ©. 78 ff., der leider Zarndez eingehenden Artikel mit feiner wertvollen Bibliographie
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deifen Werke ala Eulturhiftorifche und volfsfundfiche Quellen!) noch Heute kvichtig und gefucht find. Er fchreibt im „Andern Theil der Nemen Weltbefdhrei- bung“ (Magdeburg 1667) ©.162: „Wenn die Muhme ein Kind mwindelt, jo muß fie zupor ein Creuge machen, und einen Bippel auffchlagen; fonjten mwindeltö der Alp noch einmal. Vide meine Wochen -Comoedie und die Bummel-wigige Käthe, thes 39.” Er bezieht jich hier auf eine fait wörtlich übereinjtimmende Stelle aus der Komödie bes Sermodhius ©. 17 (bei Helm zitiert ©.49); bie „Bummel-wißige Käthe” dagegen Tann ich nicht nachweifen, fie wird wohl auch anonym oder pjeudo- nym erjchienen fein: da thes. 39 zitiert wird, ift nicht anzunehmen, daß er bier, wie er das font gern tut?), nur ein geplantes Werf nennt. Auch, im erften Zeil de3 „Anthropodemus Plutonicus Da3 ift, Eine Neue Welt-befhreibung” (1666) [T} (1), 97, wo er noch einmal auf das „Weibliche Anjchreiben des Fünff-Orts an den Wiegen, wieder den Alp‘) zurüdtommt, heißt e3: „von mehr dergleichen. befiehe meine Sechömodhen Comadie und WWeiber-Philosophi in allen centuriis* (da3 zweite Werk ift „die Philosophia Colus oder Pfy, Iofe vieh der Weiber” (1662), eine der Quellen der „geitriegelten Rodenphilofophie‘‘).
1660 war Prätorius eine Tochter Johanna Sufanna und am 3. Auguft 1662 eine zweite Barbara Elifabethat) geboren worden. Da hatte er genug Gelegenheit, Stoff für feine noch 1662 erjchienene Wochen-Romödie zu fammeln. Wenn er darin u. a. die Gefahr der Mittagsftunde für die Wöchnerin erwähnt (©. 36, bei Helm ©. 50), jo paßt dazu fehr gut, daß er fidh für das, mas er in ber ‚„„Welte befchreibung“ [1 2], 131 ff. über diefen Aberglauben berichtet, Hauptfächlidh auf die Erzählungen einec „Leipziger Wehemutter, Urjel mit Namen“, „nunmehr Seellig]“, beruft. Eine der Gejdhichten, „allhier unlängft Anno 1661 in Leipzig gejchehen” bejagt, „daß eine Nageljhmidt3 Fr. in ihren Sech3-Wochen heraus gegangen, unnd umb verbotene Zeit den Gänfen bey der Pauliner Kirche, da fie gemohnet, zu freien gegeben; Da foll e3 fie angehaudhet Haben; Daß ihr Geficht unnd Maul jo auffe geichwollen, und ein trefflich garftiger Eiter endlich heraus gelommen fey, daß nicht zu jagen: Dejjentwegen warnen fie die Kinderbetterin jehr, daß fie fich follen innen halten, und in ihren Betten verbleiben, jonderlid) zwiichen Eilffen unnd Bmwölffen: Ja wenn jie nur in ihren Betten feyn, fo mögen jene Niren nicht3 irren
der Werke des Pr. nicht Fennt. Auch Haynz Bibliographie ift noch durchaus unzu- reichend und aud) ungenau. Wenn er 3.8. ©.79 für den Anthropodemus... (1666) die Geitenzahlen 4954366564 angibt, und für den „andern Theil” noch einmal 560 ©., fo ift da3 unrichtig. Der (1.) Th. bat nur 12 unbez. BI. Widm. u.Vorr., 495-366 ©.; der II. 16 unbez. BI. Vorr., 560 ©. und 7 unbez. BI. Neg.; aufer- dem find in dem Göttinger Eremplar nod) ©. 367—370, in ber Zählung alfo an I, 2 anfchließend, mit einem ‚„Regifter der Haupt-Sacdjen, über beyde Theile” [des eriten ZTeil3] und „Praetervisa nonnulla“ angefügt. Ich habe bei einer flüchtigen Durchficht diefes Werks noch Verweife auf mehrere Schriften gefunden, die bei Barnde und Hayn fehlen. Über die NRübezahl-Schriften des 3. Br. f. Karl de Wyl, Rübezahl-Forfchungen, Breslau 1909.
1) Bgl. Grimm, Deutjchhe Sagen, Borr. 3. 1. Ausg. (* ©. XIV).
2) f. Barnte a.a.d. ©.524.
3) Vgl. &. Seyfarth, Abergl. u, Zauberei in der Vollsmedizin Sachjens ©. 153%.
4) Bereit3 1664 mieder geftorben, |. „Neue Welt-befchreibung“ IT] (1), 192.
N = = — = BERMAT i , ” BRETT i ‚
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nod) fc;aden.” Die Pauliner-Kicche gehörte zu dem Paullinum, dem alten Domini- faner-Klofter, da3 Kurfürit Mori der Univerfität gejchenft Hatte!) Prätoriug mohnte in Paulino2), rau Urfel wird aljo wohl auch die Hebamme bei der Familie Prä- toriu3 gemwejen fein. Als civis academicus?) hatte der Magijter ‘Brätoriuß hier eine ber bejcheidenen Wohnungen inne, deren Mietpreis, ivie wir aus der Wochen- fomödie ©. 58 erfahren, fehr niedrig war im Verhältnis zu den Wohnungen „in der Stadt”. Er läßt die Wöchnerin jagen: „Sa mir daucht, daß fich eine ehrliche Frau jchämen müjje, ind Colfegien zu gehen“, aber die „Frau Pfarrnerin” ante mwortet ihr: „Meinet ihr denn... „ daß e3 Schelme und Dachdiebe jeyn, die auff den Collegien wohnen; daß man fie feheuen folte, jie zugufprechen? ... Dazu ich noch diefes Hinzu thun muß, daß ein ehrlicher Menich jo rein auff da3 Colle- gium hinauf gehen, al3 herunter gehen Tönne. Item daß ein redliche® Gemüthe auff einem Collegio jo recht mäjjig leben und herunter ziehen, ald hinnauff ziehen fönne. Ungeachtet, und der Sachen nicht3 benehmende, daß bifweilen ungerathene und liederliche Gefellen droben feyn‘ (©. 58). Die Baulinermohnungen wurden viel- fach jeiten3 der berechtigten Mieter weiter vermietet, und „unter folchen Wfter- mietern befanden ficy auch zahlreiche Handwerker, die nicht zur Zunft gehörten und deren. Duldung den Fräftigen Zorn der Zünfte und des Rates heraufbejchwor.‘*) ‘mmer wieber (1648, 1652, 1655, 1658) verbot der Rat da3 Wohnen von Hand» mwerfern in den Kollegien.d) Darauf bezieht fich eine Stelle in der Wochen-Komdödie ©. 575.: „Die Schindfaulen Mehren ... . tommen mir nicht anders für, al3 da3 Handmwerd3-pad auff den Collegien, da3 Täufft derentwegen auch auß der Stadt weg,. und zeucht den Kopff auß dei NRatha Schlinge, bamit e3 nicht fo viel Aufflage befomme, und droben deito freyer leben mögen: Aber ich meine, man bezahle fie kernad;, wenn fie fterben; was fie im Leben verfchuldet haben: Wenn bie Obrigkeit hernach ihnen feinen Sarg eritattet, fondern fie durch einen Kerl auff den Leichen Karren hinauf fcehleppen, und bloß in die Grube ftürken lält..... Was hat das Schindpad auff den Collegien verlohren? Tan e3 fih nicht in die Stadt hinunter- fcheren, da e8 waß8 verlohren hat?‘
Neben dem billigen Preis wird wohl auch die Nähe der Bibliothek, die eben- fall3 im Paulinum untergebradht war, PBrätorius bejtimmt haben, die Pauliner- wohnung beizubehalten. Er hat file feine zahlreichen Schriften ja eine Unmenge von Büchern erzerpiert. In der Wochen-Somödie fchildert er fich offenbar felbit, wenn er die Wöchnerin, die ja auch eine Frau Magiiterin ift, von ihrem Mann fagen Iäßt (S.12): „Er giebt e8 (da8 Geld) Lieber für Bücher aus; und Fäuffet folch Teuffels- Gefchmeifje Häufig auff, daß man wol etlihe Wagen damit beladen möchte. Ad, wie jehe ich ihn offte, gange Arme, (mie Armel) vol, unter dem Mantel ind Hau fchleppen .... Ic Tan ihme nicht anber3 einreden; Er bleibet immer bey feiner alten Weije und Geige, und wird e3 dermahl eins wahr machen; daß Pfaffen nichtes anders al3 Bücher und Kinder (Libros & Liberos) zur Erbichafft verlaffen.”
1) f. E. Friedberg, Die Unverfität Leipzig in Vergangenheit und Segen- wart ©. 28 und die Abb. 6.31 und 35.
2) Barnde a.a.D. 522: jedenfalls feit 1662 bi zu feinem Tob.
3) So auf dem Kupferfti vom Jahre 1664, f. die Abb. bei Hayn a.a,D. ©. 31.
4) Friedberga. ao. ©. 36.
5) griedberg ©. 37,1.
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_Prätorius verjpottet in feinen Werfen den Bolfzaberglauben, vabei it er aber felbft ein eifriger Anhänger der Ajtrologie, Phyjiognomil, Chiromantie und ähnlichee Afterwiffenfchaften, denen er zahlreiche gelehrte Werfe gewidmet hat. 1661 hatte er fein dicleibige® Buch „Ludicrum chiromanticum“ herausgegeben, und fo dürfen wir ihn jelbft in dem Magifter in der Wochen-Romödie wieder- erkennen, der mander Frau aus der Hand die Wahrheit gejagt hat (S.7): „Man fiehet e3 ihr leicht an den Augen; viel bejjer aber möchte e3 jener Magiiter auff ben Collegio auß der Hand fehen, wenn er Gelegenheit Darzu hette; alleine da3 verjchlagene Naben-Aaß mag den Braten merden: Drümb fie vergangen nicht gemwolt hat, wie e3 die Gelegenheit darzu gegeben. — Das Schelmftüde hat gemwifje ge- dacht, er würde die Yurerey vermerden und auß der Karten jchwagen. Sa e3 mag ein taufend-Kerl jeyn, derfelbige gedadhte Magifterauffdem Pauliner Sollegio; Er fagte vergangen meiner Magd ein Stüdgen auß der Fauft, die er doch Taum in der quer angeblidet Hatte, daß ich mich höcdhlichit drüber ver«- sounderte, und fie gang Schamroth drüber ward.”
Der ganze Inhalt der Komödie, die Yalfung des Titel3, die Vorliebe für Chronogramme pajjen ganz zu dem, was wir bereit3 aus den anderen Werlen des Prätorius Tennen. Aud) die Anfündigung eine? neuen Werl, der „Trögen Weiber-Wäfche“, ift gerade für ihn bezeichnendt); fogar die yorm, in der er e3 tut (8.62: „Künfftig, geliebt e8 Gott, und beliebet ed dem Iuftigen Lejer, jo foll wa8 werdlicher3 erfolgen‘), Tehrt ähnlich in der „Neuen Welt-bejchreibung‘ wieder, 3.8. [I] (1), 203: „wie ein Schuh in Schlefien vor wenig Jahren fort- gewandert ijt, mwirftu, geliebt e8 GOtte, Iefen, in meinem andern Theile der Wey- nacdtfragen” (1663 Hatte er „Saturnalia: Das ift, Eine Compagnie Weihnachts- Tragen” veröffentlicht) oder [1] (1), 458: „vide... . fünfftig, geliebet eg GDtte! meinen Tract: proDIglorVM CVLtVra, genannt” (er hat hier fchon da3 Chrono» gramm im Titel für 1667 fertig!).
Außer den wenigen Anfpielungen, die ich oben aufgezeigt habe, wird noch gar manches aus der Wochen-Komödie an Zeitereigniffe und »verhältnijfe an- Mnüpfen 2); manches der auftretenden „Eabfchigten Weiber” wird mwohl aud) nad der Natur gezeichnet fein. PBrätorius fagt jelbit in feinem Schlußwort: „Sch vwill aber nicht Hoffen, daß ich im gegenwärtigen Gejchnade irgend einen beleidiget habe”. Da3 wird wohl der Grund dafür fein, daß jein Werfchen pfeudonym erichien. Um nicht fo leicht erfannt zu werden, mag er auch noch dem Dednanten die Heimatbegeichnung Bojemus Hinzugefügt haben, in Wirklichkeit ftammte er ja au3 Zethlingen in der Altmark. Er wird vielleicht darauf gefommen fein, fi einen Böhnten zu nennen, weil er 1662 gerade aud) fein großes NRübezahliverf,
1) j. vo. ©.126; mehr bei JBarnde a.a.D. ©. 527.
2) Helm hat bereit3 ©. 46 auf die wenig beneidenämwerte Stellung der DHauslehrer (Präceptoren) Hingewiejen. Noch etwas fei hier kurz erwähnt: 1661 war durdy eine fcharfe Verfügung des Kurfürften der PBennalismus in Leipzig verboten worden, darauf wird ©. 53 angefpielt: Man Zonnte früher bei Hoch» zeiten leicht „adelträger befommen, „meil man Pennäle Hatte, die fih nuß- bündig zu da3 Yadeltragen verftunden: Nun aber weil da3 Hottig und Naben- zeug abgejchafft ift; wie folte man ümb all die Wunder, zu rechte Tommen ? gl. W. Bruhmüller, Der Leipziger Student im Zeitalter de3 PBennalismug: Schriften des Vereins f. d. Gefch. Leipzigs IX 1909, ©. 78 ff, bei. ©. 89 ff.
F w L ER. TREE,
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die DaeMonoLogla RVbiInzaLll SILesll, in drei Teilen herausgegeben Hatte, die „auf den Gebirgen in Schlefien und Böhmen“ fpielt. Wir befigen übrigens. noch einige andere pfeubonym herausgegebene Schriften von ihm, 3. 3. die „Philo- sophia Colus .... dur MJciPSaM“ (db. i. Mag. Joh. Prätorius, Sed- lingio-Marchicus), die „Philosophia Salustiana ..... von Jäneser Potorianus Tezlingensis, den „gründlichen Bericht vom Schnadigen Kaben-Beite... von Steffen Läufepelgen, aus Ritt-mier-ind-Dorff.“ Gießen Hugo Hepding.
Be) Bücherfchau.
Eugen Weil, Die Entdedung des Volf3 der Bimmerleute. Bünftige® von Zimmerleuten: ihr Leben und dühlen, erhaltenes Brauchtum. Nedereien, Rammlieder, Zimmer- und Schnurfprühe, KHandmwerkslieder. Jena: Eugen Diederichd. 235 ©. 8%. 5.— M., geb. 6,50 M.
Der Reichtum, den diefes Buch in fich birgt, wird fchon in jeinem Unter- titel angedeutet. Wir haben hier eine Donographie des Bimmermannshandwerks, die in lebendiger Yorm alles zu vereinigen fich beitrebt, „mas in den Lebens und Anfhauungsfreis ded Zimmermannz, in die Welt ded Baugefellen und damit des Oanbarbeiter3 überhaupt, des fchmwäbiihen Voll im meiteren, im Rahmen eines engeren Berufsftandes, hineinleuchten kann.” E83 it ar, daß Die gemwiljen- haft und mit wärmjter Anteilnahme am Stoff vorgenommene Sammlung all der Außerungen zimmermännifchen Lebens und Yühlend für die Volfäfunde ebenjo reichen Ertrag ergeben hat wie für die Kulturgeichichte des Handwerld. Die Dar- ftelfung verzichtet bewußt auf wiffenfchaftlicde Syftematit wie auf dürre Aneinander- reihung regionalhiftorifcher Data, und wenn die Anordnung de3 Buches aud) manche Wiederholungen nad) jich gezogen hat, jo bleibt doch feine Einheit und Geichlofienheit gewahrt durch die Grundftimmung, die jeden Sat der Darftellung durchzieht im Berfolg des Lieles, ben Geift, der im deutichen Zimmermann lebt, dem Lefer lebendig zu machen.
Die Einzelheiten de3 Untertitel3 erfparen mir eine fortlaufende Inhaltsangabe; daß auch noch manches andere als, mwa3 dort fteht, in dem Buch zu finden ift, fo die Verbindung der Gefchichte des Zimmermannshandwerf3 mit der des Haus- baus, die Beziehungen zwijchen Handwerkerbraud; und Stubentenfitte (gemeinfame Heimat des Handwerker und des Scholaren ift die Landftraße!), die VBefchreibung der Werkzeuge ded3 Zimmermannsberufs, feine fachlihe Terminologie, feine tech« niihen Regeln und Gepflogenheiten ufw., da3 fei bier nur kurz angebeutet. Bu bedauern it, daß dem Buch einjtiweilen ein Nachichlageverzeichnis fehlt, da3 feine Schäte noch rafcher zugänglich und fruchtbarer machen Tönnte. =
Gefhmadlos find an dem Buch die immer wwiederfehrenden Ausfälle gegen Humanismus und Renaiffance, in denen der Verfafjer dad Verhängnis des Deutich- tum fieht, und deren Anerkennung durch die heutigen Gefchlechter ihm eine fire Idee bedeutet, die „sehr viel mit die Urfache für den Verluft des Srieges ift‘‘;
Heff. BI. f. Vollstumde Bd. XXI. 9
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einmal wird gar geredet vom „Heldengeprahle von Thermopilä (sic!)”. Die natür- Iihe Kehrfeite der Polemil gegen die Antike und gegen Windelmann jind dakn die eingeftreuten umhiftorifchen und ganz fubjeltiven Deutungen und Wertungen mancher Erjcheinung, die einfeitiger QTeutomanie entjpringen und veritiegene Atiologien zu feltfjamen Etymologien und tiefjinnigen Yremdmwortverdeutfchungen (gefamttüme ih = fozial, glaublih — religiös, Feinträfte — Faktoren u. a.) gejellen. Doch da3 find Schönheitsfehler, die den eigentlichen Wert des Buches nicht beeinträchtigen. Sießen. Ä Hans Rling.
Artiur Hüßner, Die Mundart der Heimat (= Der Heimat- forfcher, Hrag. von Walther Schoenichen, Bd. 1). Breslau: Hirt, 1925. 82 ©. 8°, geb. 3 M.
Die Sammlung, in der die Büchlein erfcheint, ift beitimmt, allen denen, die an der Erforjhung der Heimat mitwirken wollen, die erforderlihe Anleitung und Beratung zu geben; in unferem Falle alfo foll den Laien, die zur Erfaffung de3 mundartlichen Neichtums beitragen mollen, eine Einführung in die Aufgaben und die Wege der Mundartenforjchung geboten werben. E3 ift jehr zu begrüßen, daß bier endlich in zmwecdmäßiger Weife dem Dilettantismus begegnet wird. Wie fehr Hat man ihn verachtet, wie oft jchon bejchimpft; auf einem Gebiet, jedoch, wo man ftet3 die Mitarbeit der Laien nötig hat, ift damit nicht geholfen, ganz abgejehen davon, daß e3 nicht mwünfchensmwert erjcheint, eine immerhin edlen Gründen entipringende Tätigkeit zu ertöten; fie muß lediglid) in die richtigen Wege geleitet, in gehöriger Weife befchräntt werben.
Diefen Bmwed fcheint mir 9.3 Buch in glüdlicher Weile zu erfüllen, indem e3 bie Haupttatfachen der neuzeitlihen Mundartenforfhung überjichtlich darjtellt, furz (manchmal zu furz) auf die mwefentliche Literatur Hinweilt und, wa3 für die Prari3 befonder3 wertvoll ift, unter Verwertung der bereit3 gejammelten STire fahrungen und mit deutlicher Kenntnis der Laienfünden auf die Sauptfehler, die der Sammler vermeiden, und die Hauptmwünfche, die er berüdjichtigen joll, Hinweilt.
Nach einer Ffurzen Einleitung, in ber der Wert der Mundarten und Die Wege zu ihrer Erhaltung befprochen werden, bejchäftigt fih 9. in dem eriten Hauptabfchnitt de Buches mit dem Begriff der Mundart. Einerfeit3 wird diefe al Spradhichicht ‚behandelt: da8 Verhältnis von Schriftfpradde: Um«- gangsfprahe: Mundart und die Wechfelwirkungen zwifchen diefen. Der für andere volfsfundliche Teilgebiete geläufige Gedante des „gefunfenen Kulturgutes” mwirb auf die Sprache angewandt. Wie bei H. Naumann, der foeben bdasfelbe in einem Auffag im PVoßler-Zahrbudh) näher ausführt, ift der an fich wertvolle Gedanke wohl zu weit ausgedehnt. Daß die S. 17 angeführten Fremdmörter. (die übrigens. faft allen Mundarten geläufig find, vgl. Eifäff., Schmäb. Wb., 3.T. aud) Bapyı. b., Schweiz. 3. und Erecelius, fürs Nötfche. 3.8. Göbes Mundartenproben ©. 82, 3. 18) auf dem Wege über die Oberjhicht in die Mundarten gefommen fein follen, ijt nicht ermweislich. Bejonders im Weften find fie ficher unmittelbar aus dem Franzöfiichen in die Mundarten Übergegangen!); und dann hat die Wanderung eingefegt. Auf der anderen Seite wird die Mundart als fprad- lider Bezirf betrachtet: die Fragen der Mundartengrenzen und ihrer Ent- ftehung, die Begriffe der Kernlandfchaft, des Linienbündel3 und andere Ergebnifje
1) Qgl. E. Martin, Sranzöfifhe Wörter im Rheinheffiichen. Gieß. Diff. 1914.
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der Dialektgeographie fommen zur Sprache. Die Benrather Linie, an deren Stelle nah 5. Wredes früheren Ausführungen die Ürdinger gefeßt wird, hätte mwenigitens genannt werden follen.
Der zweite große Hauptabfchnitt befaßt fich mit den Wegen mundart- liher FZorfhung. 9. behandelt zunädft die BPhonetif (der Name E. Gier ver3 dürfte Hier nicht fehlen), dann eingehend die Frage der Lautfdhrift. Sehr vernünftiger Weife merben bie Zeichen der 3. f. d. Mundarten zur Be- nugung empfohlen; dazu ift heute auf deren neuefte Wiedergabe im Zeuthoniftat) zu vermweifen. Unverftändlic ift mir, warum auf die Kennzeichnung der Be tonung3verhältniffe verzichtet werden foll. &3 ift im Gegenteil auf Dringendite zu fordern, daß zum mindeiten die Haupttonfilbe jedes mehrjilbigen Wortes, bei deifen Betonung dem Dialektfremden irgendwelche Zweifel Tommen Tönnen?), einen WUlzent erhält. A. Göbes fo trefflide Sammlung von Mundartenproben gibt leider faft feine Tonzeichen: wer ein Stüd einer ihm nicht geläufigen Mundart zu lejen verfucht, fommt ftändig wegen der Betonung zu Bmeifeln. Übrigens ijt hukst < hochzeit nit nur durch die Alzentverhältniffe entitanden; auch die Bunttionglofigfeit hat mitgewirkt. Des meiteren wird dann bie Aufzeichnung des Laut- und Formenftandes mit ausführlider Würdigung des deutfchen Spracdatlaffes in Marburg und der Arbeiten %. Wrede und feiner Schüler erörtert; e3 folgen (allerdings 3.T. recht Inappe) Ausführungen über Wort- bildung, Syntar und Gtiliftil der Mundarten. Für die mundart«- lihe Syntar hätte etmad mehr gejagt werden können; auch Literatur wäre mehr anzuführen gemwejen, fogar %. Schiepef3 Arbeit fehlt. Der Sinn eine3 Gabe ift mir unverftändlic geblieben: daß die Dienftbarmahung be3 Sprachatlaffes für Iontaftifhe Unterfuhungen „Raubbau“ fei; von den Benrbeitern des Sprachatlas wird da3 nicht jo aufgefaßt, zumal die einzige derartige Arbeit nur al8 Mittel zum Zmwed ausgeführt wurde, nämlich zur Erhellung der juntaktifchen Berhältnifje der Zeit vom 14. biß 17. Jahr. Ein fehr umfangreiches Schlußfapitel ift der Erforfhüng de3 mundartlihen Wortfchages gewidmet. Der Tatfadje entjprechend, daß gerade diefer Zweig unter der Arbeit der Laien in erfter Linie fteht, ift er erfreulicherweife fehr ausführlich behandelt und mit guten Beifpielen und mert- vollen Hinmweifen ausgeftattet. Natürlich) fommen hier auch die neueren Be ftrebungen der Wortgeographie, hierbei die franzöfiihe Sprachatlasarbeit zur Sprade.
Ym ganzen 'ilt feitzuitellen, daß dem Heimatforfcher hier ein Buch gegeben - wird, das ihn in verftändlicher, Harer Weife in die vieljeitigen Aufgaben der heutigen Mundartenbearbeitung einführt.
Gießen. 5. Maurer.
Ernf hs, Proben des badifhen Wörterbuch nebit Glie- berung der badiihen Mundarten („Vom Bodenfee zum Main” Nr. 12). Karla- ruhe: Müller. 1923. 16 ©.
Das Tehlen eines badfichen Wörterbuch macht fich innerhalb de3 ober- dentfchen Mundartengebietes, da8 fonft in Ierifalifcher Beziehung viel bejler at? der Norden unferes Vaterlandes bearbeitet ift, fehmerzlich bemerkbar. Doch
1) Jahrgang 1 (1924/5), Heft 1, ©.5f. 2) Wörter wie sagen, Auge, Wagen ufm. gehören natürlich nicht dazu.
9*
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ift e3 feit Jahren im Entftehen und mwächft jebt in der Hut eines Ausfchuffes, der 3.8t. aus fünf Freiburger Gelehrten beiteht: 5. Kluge, U. Göße, 2. Sütterlin, F. Wilhelm, € 853. Nım veröffentlicht Hier der durch Be- wältigung ähnlicher „Knadnüffe” bereit3 beiten3 befannte E. Ochs eine Reihe von ihm felbft verfaßter Proben des geplanten Werkes; fehr praftiicher Weife: denn einerfeit3 wirbt fich der Teildrud felbit Helfer, die durch Spenden da3 Yeraus- fommen de3 ganzen Werkes befchleunigen follen; andererjeit3 fchafft jich Der - leitende Ausshup die Möglichkeit, „„mohlmollende Ergänzungen, fördernde Be- merfungen“ entgegenzunehmen, folange e3 noch nicht zu fpät if. Ein Heiner Beitrag der Art foll hier geliefert werden.
Die veröffentlichten Artikel weifen eine ganze Neihe von PVorzügen auf. Bon bejonderer Bedeutung find die zahlreichen geographifchen Hinmweife, die (in Verbindung mit dem %. und W., die nur fränt. bezw. nur alem. belegten Wör- tern vorgejegt merben). ed ermöglichen, dad Perbreitungsgebiet der einzelnen Wörter zu überbliden. Sehr danfenswert ift e3 ferner, daß vielfadh dur Alzente die Betonung angegeben wird; ebenjo erwähne ich die Verweife auf die fibrigen Mundarten-Wörterbücher, doch fcheinen fie mir nicht folgerichtig durchgeführt zu fein. Warum ift zwar bei Aalraupe auf Crecelius 1,3 verwiefen, warum aber nicht auf diefelbe Stelle bei dem folgenden Aas? Sn eben diefem Artikel find Elfäll. Wb.I, 71; Schweiz. 3b. I, 498; Schmeller I, 155 mohl deshalb nicht zitiert, weil Fifcher an der angeführten Stelle auf fie verweift? Aber ich glaube, daß fi da3 Opfer an Raum, da3 man für diefe paar Zahlen bringt, jehr bezahlt machen wird durch den Vorzug, daß man alle Zitate gleich zur Hand hat.
Was den Umfang der einzelnen Artifel betrifft, fo dürfte bei verjchiedenen noch eine gewijje Erweiterung am Plate fein. Sn der Aufnahme von Sprid- wörtern, Redensarten und anderen voll3fundlichen Dingen braucht da3 ja nicht in der Ausführlichkeit zu gejchehen, wie etwa in bem NRheinifchen Wb., da3 feine erite Lieferung ungefähr gleichzeitig mit D.3 Proben .herausgebradjt Hat; man vergl. 3. B. den Xrtifel Aal im Rhein. Wb., Lieferung 1, Sp. 4—6. Über ein wenig mehr fönnte man ich vielleicht in diefer Richtung bewegen, obwohl man bier zweierlei Anjicht fein Tann!) Unbedingt aber müßte der Etymologie der Wörter und der Erklärung mehr Raum gewährt werden. Ym Xrtifel Altvater gibt Ochs ja jelbjt jehr ermünfchte Aufllärung für den Gebraud) diejes Wortes für „Wurm im DObft”“. Ebenfo müßte bei Almäre auf die Herkunft aus armarium hingemwiejen fein; bei Abschrötlein wäre der Zufantmenhang mit schroten zu betonen. Bei Aas find die Angaben über feine Verwendung ala Schimpfwort zu eng; e3 wird fiher aud) in Baden nicht nur für „Liederliches Yrauenzimmer” verwandt.) An weiteren Einzelheiten feien noch angemerkt: was „Kracdjerle vom Pfannenktuchen“ find, weiß ich nicht; ebenfo wäre ‚deutlicher zu fagen, wa3 gemeint ift mit der Bemerkung: „aalfett hat den Tautgefeglichen Selbftlaut gleichmäßiger bewahrt.‘ E3 foll wohl heißen: fomohl im Süden wie im Norden Baden3.?) ©.5 Mitte
1) Bl. ©. Baefede, Deutihe Philologie, 1918, ©. 46.
2) 82. Behaghel glaubt fih aus feiner Heimat Karlöruhe mit Bejtimmt- heit zu erinnern, daß Was ganz allgemein al3 Schimpfwort gebraucht wird, fogar mit teilmeife Tieblofendem Sinne. (Heffifch ebenfo).
3) Sch Schließe da8 aus DE’ Ausführungen in feinen Schwäbifchen Knad- nüffen, P.B.8. 48, 117.
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wird eine Anzahl von Belegen angeführt, wo aller Prädifativum fein joll; es handelt fih bier aber um Fälle, die DO. Behaghel in feiner. Syntar als attributive-prädilativ bezeichnet hat: „al fagt aus, daß dad Subjelt in feiner Gefamtheit von der im DVerbum enthaltenen Ausjage betroffen iwird.‘t)
Den Schluß des Heftes bildet die 2. Aufl. von Dch3’ Abhandlung über die Gliederung ber badifchen Mundarten, die zuerft genau zwei Jahre vorher an. der-
felben Stelle veröffentlicht worden if. Im ganzen entjpricht die heutige Yafjung ber damaligen, "doch find an einer Reihe von Stellen die Angaben ergänzt und verfeinert, 3. B. über die Gebiete um Pforzheim (©. 12), für Hohenlohe (©. 13), den Hogenwald und Billingen (©. 15), da3 Hanauerland und das Mittelaleman- nifhe am Rhein (S. 15/16). Eine Schlußbemerfung über da3 Alter der Sprad;- grenzen ift angefügt. — Auch die beigegebene Skizze ijt mehrfach verbejjert und ermeitert. Gießen. d% Maurer.
Schleswig-holfteinifhe3 Wörterbuch (Volldausgabe) Hrög. von otto Meufing. 1. Band, 1. Lieferung (a bi ankamen). Neumünfter: Wachholg 1925. VII, 128 Sp. 80. 2 M. | |
Mit Freuden begrüßen wir biefe 1. Lieferung bed erjten großzügig und neuzeitlic) angelegten Wörterbuch® de3 niederdeutichen Mundartengebietes; insbe- jondere Tann aud) der Vollsfundler mit größter Genugtuung diefe Gabe entgegen- nehmen. Nicht nur die lebende Sprache Schleswig-Holjteind mird behandelt, jondern aud, Sitte und Brauch, die Vollsfunde in ihren verjchiedenen Formen fommen zur Darftellung. Die Spradhe der lebendigen Ma. wird in gewaltigem Reichtum vor uns auögebreitet; der Wortihag der Berufsfprachen, wie des Land- wirtd, bejonder3 de3 Seemanne3 und Filcherd, aber auch) Farhausdrüde anderer - Berufe (wie des Tijchlers) find gefammelt; vollstümliche Tier- und Pflanzennamen, Perfonen-, Orts und Flurmamen werden angeführt. Spridhwörter und KRätjel, Spiele und Lieder, allerhand Bräuche und WUberglaube werden in reicher Yülle dargeboten, dazu fommen Bemerkungen über Tracht und Hausbau u.a.
Um nur einen Begriff von der Xieljeitigfeit de3 Werkes zu geben, greife ic) dert Artifel Aant — „Ente heraus (der übrigend nicht einmal zu den ums» fangreichiten der vorliegenden Lieferung gehört) und gebe furz feinen Inhalt. Da erfahren wir zunächt die verjchiedenen Lautgeftalten, in denen da3 Wort in den einzelnen jchleswigeholiteinischen Landichaften erfcheint. &3 folgt eine Bemerkung über hochdeutfchen Einfluß. Sntereffant ift, daß aantvogel zur Bezeichnung des Enterih3 gebraudht wird. Zu dem dasfelbe bezeichnenden anrak ijt vernünftiger- mweife da3 mnd. antdrake gejtellt.?) Dann fest die Hauptitärfe des Wb3. ein, die vollsfundlide Seite: vollstümliche Vergleiche, Nätfel und Bauernregeln über die Enten und ihr Gefchnatter, die Nachahmungen des Entengefchnatters, bei. im Tiergefpräd) werben gebracht; ferner Lodrufe für die Enten, die Enten im Kinder- mund und im Lied; Flurnamen mit aant —, fchließlidh die Zufammenfegungen.
1) D. Behaghel, Deutfche Syntar I, 396.
2) Nod, weiter zurüdverfolgen können wir da8 Wort bis ind ahd. antrahho (Graff I, 336; aus anut und drahho), da8 in der Wetterau bi3 zum. heutigen Tag ald drach —= Enterid) und gefhmwädt in dem fchriftfprachlichen Entrich fortlebt.
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Koch viel reicher an vollstundlichem Stoff it etwa der Wrtifel Adebar; jo wird das große Sammelmwerk geradezu ein fejjelndes Lejebuch für alle, die Liebe zur angeftammten Spradhe und zum vollstümlichen Gut hegen. Da3 ift aud; die Hauptabjicht diefer al3 „Voll3ausgabe” bezeichneten Veröffentlichung. Leider jchließt der Begriff der „Vollgausgabe” in fidh, daB „Da8 gefehrte Beimerf beijeite ge= lafjen” mworben ift, d. H. in ber Hauptjadhe wurde (um Raum zu jparen) darauf verzichtet, die Belege aus älteren Quellen anzuführen. Die Vollsipracdhe von etwa 1700 aber foll dargejtellt werben. E3 erhebt fich die Frage, ob e3 da nicht zived- mäßiger wäre, nur ben lebendigen Wortjchat zu jfammeln, anftelle der feit 1700 ausgeftorbenen Wörter aber lieber in möglichft weiten Umfang die mittelnieder- beutfchen Entjprechungen anzuführen. Zum Süd ift übrigens da3 „gelehrte Bei- merk” nicht völlig beifeite gelaffen. Zahlreihe Worterflärungen werden geboten, öfter die Formen der älteren Sprache angeführt. Die Iandichaftliche Verbreitung der verjchiedenen Formen und Wörter ift in einigen Artifeln recht genau gegeben; phonetifche Umfchrift ift beigefügt und, fehr erfreulicher Weife, gibt e3 Bezeichnung der Betonung und öfter fogar ausführliche Bemerkungen darüber; Sp. 28 unten it Hierbei wohl ein Drudfehler unterlaufen: E3 muß 3. 8 von unten heißen „tet? mit dem Ton auf dem Achter —”. Einzelheiten wären nody anzumerfen, auch Tragen zu ftellen; doch warten wir auf den Bericht, der dem Schluß des eriten Bandes beigegeben werden foll und die Grundfäbe des Herausgeber3 aus- führlich darlegen wird. Nur auf einige Unregelmäßigfeiten möchte ich noch Bin- weifen. Die Angabe des Gejchleht3 ijt nicht ftet3 durchgeführt, ohne daß erjichtlich wäre, wann und warum diefe Angaben fehlen (vgl. etiva die Zufammenjegungen mit Aal- u. a. Bei vielen Belegen fteht nur eine Ortsangabe; joll das heißen, daß diefe Belege nur dort vorlommen? Das dürfte in verfchiedenen Fällen nicht ftimmen; 3. B. der inderreim von der Kate, die in ben Schnee läuft ujm., fommt wohl aud) im übrigen Schleswig-Holftein, nicht nur im Herzogtum Lauen- burg vor. Schließlich noch etwas dem ähnliches: wenn bei vielen Wörtern nur eine Umjchrift für die mundartlihe Form fteht, fo foll daS wohl nicht bedeuten, daß diefe Wörter im ganzen Gebiet glei) Imıten? Und wenn nidt, jo hätte man gern die Unterjchiede mit dialeft-geographiichen Angaben.
Gießen. % Maurer.
Stiedrih Süers, Bollstumslunde im Unterricht der höhe- zen Lehranftalten. Gedanken und Anregungen mit bejonderer Berüdfich- tigung der bayrifchen Lehrordnung, fomwie der Bollstumskunde A Franf- furt a. M., Diefterweg, 1924. 154 ©.
E3 ijt fehr danfenömert, daß ein Mann mie Lüerd, der unjer Volk kennt und die nötige wilfenfchaftlihe Schulung hat, mit ftarfem Nachdrud eintritt für die größere Beachtung der Vollsfunde in unferer Erziehung.
Er fpriht zwar nidht von Volkskunde, fondern von PVolkstumstunde. Dies Wort Eingt mir nicht gut. Ich halte e8 aber auch fonft für fraglich, ob wir jegt two wir immer no um die Anerkennung ber Volkskunde kämpfen müffen, bas neue Wort Vollstumskunde einführen follten. Lierd hält das für münjchenäwert, „weil Bollskunde eine Bezeichnung ift, die eben die Aufnahme all beifen, was tat- jächlich zu ihr gehört, nicht zuläßt” (S.1). Aber ift denn fonft mit den Bezeich- nungen einer Wifjenfchaft ihr Inhalt genau umgrenzt, etwa mit Gejchichte, Philo-
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Iogie, Altertumstunde u. a.? Wollten wir aber da3 Wort Volfstumzkunde ein- führen und ließen die lebendige Sprachentwidlung malten, fo mürde in furzer Zeit daraus mwmohl PVollstunde werden, wie aus Tseldbergfee Teldjee. Ich meine, mir follten bein Wort Volkskunde bleiben, und müjjen eben erflären, mad wir Darunter verftehen. Zu ben von Lüler3 Hierfür genannten Werken fei noch ange- führt: D. Wafer, Was it Vollstunde?: Schweiz, 22. Yahıg. 1918, Heft 6, ©. 361 ff. und Geramb, Volkskunde ala Wilfenichaft: Zeitichr. f. Deutichtunde 1924,
Lüers beipriht nach einander die Vollstumshunde im Deutjchunterricht (S. 7ff.), in der Vorgeihidhte (©. 48 Fff.), im Gefchichtäunterricht (S. 52 ff.), im Erdfundeunterriht (S. YO fF.), im Naturkundeunterriht (S. 104 ff.), im ZBeichen- unterriht (S. 111 ff.), im fremdfpradhlichen Unterriht (S. 120 ff.), im NReligions- unterricht (S. 132 ff.), im Gefang- und Mufitunterriht (S. 141 ff.). Biel Literatur ift angeführt, fobaß ber felbftändigen Tätigkeit des Lehrerd und dem meiter Tor» fchenden Wege gemiejen fin.
Zur Ergänzung ber Literatur fei auf einige Werke Hingemiefen, die teilmeije nach Lüerd’ Buch erjhienen find: Friedrih Banzer, Deutichlunde al3 Mittel- punkt deutfcher Erziehung: Ziele und Wege der Deutjchkunde, Heft 1, Frankfurt am Main, Diejterweg 1922; Eugen Fehrle, Heimatkunde in der Schule, 2. Aufl.: Heimatblätter „Vom Bodenfee zum Main” Heft 8, KRarlarube, &. 3. Müller, 1923; Albert Beder, Pfälzer Volkskunde: Vollstunde Nheiniicher Landichaften Hrag. von U. Wrede, Bonn und Leipzig, Kurt Schröder, 1925; Eugen sehrle, Deutfche Feite und Vollsbräude, 2. Aufl, Leipzig, Teubner 1920; Lorenzo Biandhi, Studien zur Beurteilung de Abraham a Santa Clara, Seidelberg, Weiß’fcdye Univerfitätsbuchhandlung 1925 (gibt gute Beispiele für das Verftändnis der Anfchauungsnähe ded volfstümlichen Denkens); Heinrich Marzell, Unfere Heilpflanzen, ihre Gejchichte und ihre Stellung in der Vollsfunde, ethnobotanifche Streifzüge, Freiburg i. Br, Theodor Fifcher 1922. Zur Verbindung der Volfs- funde und Vorgefchichte jei verwiefen auf da8 gediegene „Reallerifon der Qor- gejchichte”, Hrög. von Mar Ebert, Berlin, Walter de Gruyter u. Eo., da3 aud für die Volkskunde ein wertvolles Nadhjichlagemwert ift.
Auf bie einzelnen Abjchnitte einzugehen, ift hier nicht der Raum. Nur wenige Bemerkungen feien geftattet: ©. 37 fpricht Lilerd von der „Hocdachtung vor der Frau und ber Heiligkeit der Frauenehre”, die fich in germanifcher Nechtzauffaffung zeigt, und fommt daran anjchließend zu bem Motiv ded „Armen Heinrich“, „mo e3ö ebenfall3 die reine Jungfrau ift, die den Siechen heilen und vom Tod erretten fann”. Diefe Nebeneinanderftellung kann zu Mißverftändniffen führen. Denn im „Armen Heinrich” opfert jich eine reine Jungfrau für einen Wusjägigen, der durch ihr Blut geheilt werden Tann. gl. mein Buch: Die tultifhe Keufchheit im Altertum, Gießen 1910, ©. 61f. — ©. 55 lies U. Dieterich (nicht Dietrich). Zum Bauerngarten vgl. meine Badifche Volkstunde I ©. 139 ff. Mit mehreren Be- merfungen über ba3 Haffifche Altertum und feinen Wert für unjere Kultur bin ih nicht einderftanden. Darauf werde ich in ber Deutichen Literaturzeitung 1925 ausführlich eingehen.
Nach diefen Bemerkungen möchte ich ben großen Wert des Buches von Lüers im ganzen ausdrüdlich betonen. Die Wärme, mit der er für unjer heimijches Vollstum eintritt, ift mohltuend. Und wenn einem Manne im Kampf gegen bie Vollzfrembheit, von ber unfjere Erziehung bisher in erfchredender Weife durd- drungen war, bisweilen alles, wa3 nicht urfprünglich deutfch erfcheint, al3 feind-
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lid vorlommt, fo ift da3 zu verftehen al3 Gegenftoß gegen jchmere Sünden an unferem Deutichtum. In diefem Sinne fei Lüerd’ Buch allen Lehrern, audy außer halb Bayerns, warm empfohlen.
Heidelberg. Eugen jyehrle,
8 9 Beet, Der Bauer und fein Bolldtum. Beiträge zu einer beutfchen Kultur- und Lebendkfunde. Dfterwied-Har; 1924. 31 ©.
Die Heine Schrift bringt unter den Angaben über Bollsbraud) und -glauben natürlich viel Altbefanntes und Richtiges, fomeit einfach von Tatfachen die Rede ift. Verfehlt ift fie aber ihrer Gefamtrichtung nah; denn fie fteht unter bem Banne folher Ideen, wie fie oben (S. 57 ff.) befprochen find. Berfaffer meint, unjere Ariogermanifchen Urväter hätten die ihmen zuteil geivorbene Dffenbarung be3 Ewigen und Allmächtigen unter dem hehren Bild der Weltefche Ychtrajil (!) feit- gehalten und dieje3 Bild auf ihrem Siegeszug über die Erde zu anderen Böllern verbreitet; e3 fehre nun überall wieber, im Baum der Hefperiden (1) ebenfo gut wie im Baum be3 Leben? im Garten Eben. Eine ganz unbiftorifche Auffajjung. Ebenjo verfehlt ift e3, wenn ber Berfafjer norbifhe Götter in unjerem Bolls- glauben wiederfindet. Thorr foll 3. B. ala der Dumme „ber Tor” in unferen Bollamärchen fortleben; die fpradhlihe Unmöglichkeit, die Hier gefordert wird, ift den Gleichungen Yuhrmannz ebenbürtig. Ebenfo verkehrt ift die Herleitung des Ihühenden Kreuzeszeichend? aus germanifchen Runen — und mandjes3 andere. Tie Schrift kann alfo nur Verwirrung ftiften.
Marburg. 8. Helm.
Haimund Boder, Altöfterreihijcdhe VBollstänze 2. Aufl. Wien: Ofterreichifcher Schulbücherverlag 1924. 27 ©. 8°; 11, 9, 19 ©. quer — 8° mit Noten.
Ein ganz entzüdendes Werken auf bem Gebiete bes PBolkstanzes ift im Sommer dieje3 Jahres in Wien erfchienen: „Altöfterreihijche Voll3- tänze” gefammelt von Baimund Zoder und herausgegeben vom öfter reichiichen Vollsbildungsamte. E3 bringt zehn Bollstänze aus ben verjchiedeniten Gegenden der öfterreihifchen Alpenländer, deren Entitehung zum Teil bis 1815 zurüdgeht, die aber noch Heute allenthalben bei Hochzeiten und Tanzbeluftigungen in Ofterreich getanzt werden.
Das Werkchen befteht aus 2 Bändchen; Das eine bringt die Bejchreibung de3 Tanzes. Neben einer ftehenden Notenzeile find taftweife Rumpf-, Bein und Armbewegungen angegeben, und zwar in jehr überjichtliher Weife. Die Ausdrüde für die Bewegungen find der beutichen Zumfpradhe entnommen. Am Schluß jeder Tangbefchreibung ift angegeben, wo und wann der Tanz ent ftanden ift und getanzt wird. Das 2. Bändchen bringt die Mufil zum eriten. E3 enthält. je 3 Notenhefthen für 1. Geige, 2. Geige. und Guitarre. Das erite und dritte Heftchen enthält auch die Terte ber Lieder.
Ein fehr fchönes Vorwort bes KHerausgeberd? NR. 3. im erften Bändrhen (Tanzbeichreibung) gibt und darüber Auffchluß,. wie er fih bie Tänze au geführt denkt. Sie Lönnen zu dem Heinen Orchefter, aber auch zu Gefang und Ouitarre geianzt werben. Jugendgruppen möchte man die Tanzjammlung jehr empfehlen, da die Tänze frifch und ansprechend und fehr leicht zu erlernen find.
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Mindeftens zwei der Tänze („Siebenjprung“ und „Politertanz”) find auch in Hefjjen befannt. E3 wäre fehr wünjchenswert, daß aud) die Neite des Volld- tanzes in Helfen, 3. 8. die Schwälmer Tänze, in ähnlicher Weife genau auf- genommen und bejchrieben und herausgegeben würden, damit man hier ebenjo, wie ‚auf andern ZTeilgebieten der Vollskunde, der vergleichenden FYorjchung näher- treten Tönnte. Ä
Gießen. Elfe Spedhardt.
Sudert Schmidt, Borgeihihte Europas. Grundzüge der alteuro- päifchen Kulturentwidiung. Band 1: Stein und Bronzezeit. Mit 8 Tafeln und 2 Beittabellen. (Aus Natur und Geifteswelt, 571. Band). Leipzig und Berlin: B. ©. Teubner, 1924. 105 ©.
Das Büchlein gibt dem gebildeten Nichtfachmann, befonder3 den Xertretern der Nachbarwifienfchaften, eine vortreffliche, nüchtern-EHare überficht über den Stand der Vorgefchichtsforihung. Seine Inappe Fafjung ermöglichte die Be= wältigung eines ungeheueren Stoffes. Natürlich Tonnte vielfach bloß da3 Be- deutfamfte, und aud) das nur in ffizzenhaften Umrifjen, behandelt merden. Umfo mehr ift .e8 zu bedauern, daß, offenbar erft nad Abichluß de Texte, die Zahl der Bildbeigaben vermindert werden mußte; denn an einigen Gtelfen wird e3 jebt dem Laien immerhin nicht ganz leicht fallen, jich einzufühlen und plaftifche BVorftellungen zu geminnen. Wenn da3 Werkchen ausgejprochenermaßen im mejentlihen duch Tatfachen zu wirken verfucht, Hypothejen nur da bringen will, wo im Gange ber Darftellung fonft eine Lüde Haffen müßte, jo entjpricht daZ dem BZmede der Arbeit und der gemiffenhaften Vorficht des DVerfafjers. Gemwiß darf man e3 daher al3 einen Vorzug würdigen, der volles Vertrauen zum syührer wecken fann, daß man meniger über Die Berechtigung des Gebotenen al3 hier und da über den Ausfchluß mancher nicht unintereffanten dur) die Forjchung gemmonnenen „ZTatjache” oder „Wahrjcheinlichkeit” ftreiten möchte. Aber menn- gleih man dem nichtfadhmännifchen Lefer die eine oder andere für ihn allzu» Inappe Umreißung von Befonderheiten im äußeren Kulturgute einer Gegend vielleicht gern erfpart jähe zu Gunften einer etiwa3 breiteren Auslajfung über Fragen 3. B. fiedelungd- oder mirtfchaftsgeographiicher und -geichichtlicher, be» fonder3 aber auch völferpigchologifcher, „vollsktundlicher” Art, die Sinn und Wert der prähiltorifchen Forjchung fo Leben3voll veranfchaulichen und fie für weitere Kreile gar erjt rechtfertigen, jo müßte der Yachmann mit allen ernithafter Sntereffierten jeden Abjtrich, jofern er nicht gerade Längft Allgemeingut gewordene Gegenjtände beträfe, fehr bedauern. Doch hier fpielen grundfäglihe Anfchauungen über die prähiftorifche Forfhung — ihre Wirkungsmöglichkeiten und ihre Auf- gaben — herein, deren Erörterung an diefer Stelle niht am Plate ijt. Den vollen Wert der Schmidtichen Vorgefchichte Europa vermag im Grunde nur ber Fachmann zu ermefjen, der aus der Gruppierung des Stoffes und aus Tnappen Andeufungen wichtige und megmeifende Anfichten de3 PVerfafferd über ultur- freife, Kulturprovinzen, ihre fulturelleg und zeitliches Verhältnis zu einander herauszulejen im Stande ift, die dem Saien verborgen bleiben, wie auch der Uneingeweihte Taun die befonderd in der zweiten Beittabelle enthaltene Leiftung ganz wird abjchägen können: fie ift ungemein tmertvoll al3 in diefem Umfange erjter Verfuh einer Barallelifierung der Kulturkreife und -abjchnitte Europas
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und de3 Orient. Alles in allem, glaube ich, wird das Büchlein feiner ım Borworte geftellten Doppelaufgabe, Laien und Fachleuten gleichermaßen zu dienen, im Rahmen de3 Möglichen durchaus gerecht: der Laie zwar wird zur vollen Auswertung eine gewiffe Anftrengung nicht feheuen dürfen; der Zachmanı aber wird dankbar fein, auf Inappem NRaume einen nahezu vollitändigen Abriß der wiffenfchaftlichen Lehrmeinungen eines Forfcherd zu befiben, von dem man fih fchon Iängft nad) feinen Haren, fachlichen und umfichtigen Monograpfien eine — freilich) umfänglihere — Bufammenfaffung münfchte. | Stettin. D. Runtel.
$, Kütimeyer, Ur-Ethbnograpbie der Schweiz. Ihre Relikte bi3 zur Gegenwart mit prähiftorifchen und ethnographifchen Parallelen. (Schriften der Schweizerifchen Gefelljchaft für Volkskunde, Band XVI). Bafel: Schweizerifche Sefellihajt für Vollsfunde; delbing und Lichtenhafn, 1924. III Tafeln. 196 Tertabb. XXI, 399 ©.
Da3 Vorwort (©. IX XII) betont vor allem, die Notwendigfeit des Sammeln der Überbleibfel vergangener primitiver Rulturzuftände de3 Landes, ‚jo lange e3 nody Tag ilt“. Als Hauptziwed des fchon äußerlich imponierenden, den. beiden Sarafin gemidmeten Buches joll, wie ausdrüdlich hetont wird, Die Anregung zum Sammeln gelten. Der Berfaffer ift fich felbjt bewußt; daß noh mande Lüde der Ausfüllung Hart. Hauptziel ift gemwefen, für die be- bandelten - „ergologifchen” Gruppen „ba3 noch vorhandene Urmaterial zu fanı- meln, e3 in Eulturgeichichtlihe Zufammenhänge in feiner ergologijchen zeitlichen Tiefe zu bringen, wobei fi} von felbit eine Betrachtung von prähiftoriichen und Hiftoriichen Parallelen in zeitlicher und von ethnographiichen in räumlicher Richtung ergab”. Dieje3 Ziel macht es felbftverftändlich, daß die Einleitung (Rap. I,. ©. XIM—XXI), des Werkes ausgeht von einer Tnappen Erörterung de3 nun fchon alten Problems „lementargedanfen oder Entlehnung”, wobei ja heute allgemein ber vermittelnde Standpunkt, in mandhem Sonderfalle auf- rihtige Nejignation, al3 allein vernünftig gelten darf. Dem PBerfajfer kommt e3 bei Behandlung feiner ergologifchen Gruppen auch weniger auf die Entjcheidung zwifchen Konvergenz und Entlefnung an, al3 auf den ftammbaumartigen Nach» mei ihrer Kontinnität auf Schweizer Boden von den Wurzeln \in der Prähijtorie bi3 zu ben legten Sproffen oder verdorrenden Bmeigen in der Gegenwart. Ge- rade die Schweiz ift dank ihrer eigenartigen Iandfchaftlichen und ethnifchen Ber- Hältniffe ein bejonders reizvolles Feld für folde Studien, die natürlich aud von Seiten der vergleichenden Sprachmwijjenfhaft und Mundartenforfchung mejente tihe Hilfe und Befruchtung erhoffen dürfen und fchon Jängft reichlich erjahren Haben. Ein Kabinettftüc volfstundlicher Darftellungskunft ift die zur Einführung in da3 Milieu, dem ber Forfcher michtigften Stoff verdankt, gebotene, in ihrer tnappen Anfchaulichkeit wohl unübertrefflide Skizze über die Verhältnijje im Kanton Wallis, befonders im Val d’ Herend? (S. XVIN— XXI).
Der umfänglidhite Teil (A) des Werkes (S. 1—340) behandelt die ma- terielle Kultur, wobei die einzelnen Gruppen nad, Oberbegriffen geordnet find: Haus- und Alpwirtihaft (Rap. H—X, ©. 1-—206); Kleidung (Kap. XI, ©. 206—209); Nahrungsbereitung (Rap. XII, ©. 209—263); Aderbau (Kap. XII u. XIV, ©. 263—301); Schiffahrt und Fifcherei (Rap. XV, ©. 302—314); Dbdad) und Hausbau (Kap. XVI, ©. 315—340). €3 folgt der fürzere Teil (B)
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über die geiftige Kultur (Kap. XVII—XIX, ©. 341—384): Ardhaiftiiche Drnamentit (Kap. XVII, ©. 341—357); Masten und Mastlengebräuhe (Kap. xVIll, ©. 357—368); Scalen- und Gleititeine (Kap. XIX, ©. 368—384). Den Beihluß machen ergologifche Stammbaumtabellen (Rap. XX, ©. 385—388), das Verzeichnis der reihen Abbildungsbeigaben (©. 389393) und ein nüß- liches alphabetifches Sacdjregiiter (S. 395—398). Das Verzeichnid der „Errata“ (S. 399) Hat leider nicht alle Heinen Verjehen erfaßt (3. ®. ©. 253 Brenner ftatt Bremer), doch wird niemand den DBerfafler emitlich darob tadeln wollen. Im einzelnen auf den Inhalt de3 Budyes einzugehen, verbietet die Fülle de3 mit Bienenfleiß und echt volfstundlichem Spürfinne zujammengetragenen Stoffes. Belonder3 wertvoll und gelungen fchienen mir unter dem Stichworte „Haug und Alpwirtfhaft” das Kapitel III über die Tejilen (Kerbhölzer) zu fein, da3 einen Glementargedanten der Menfchheit in Helles Licht jegt, und ganz befonder3 auch da3 Kapitel X über Spielzeugtiere der Finder, mweil e8 an einem bejcheidenen Gegenftande mit viel Gelehrfamkeit und in methodijch mie inhaltlich gleich reizuoller Verbindung von Sad. und Wortforihung auf Harte zeigt, daß jolhe Studien nit etwa Nur Kuriofitätenwert bejißen und ein Forjchen „nad; dem, was weder mwißbar noch miljensmwert ijt”“ bedeuten, jondern daß fie tief Hineimzuleuchten vermögen in die menjchliche Piyche, in geichicht- fie BZufammenhänge, in die UÜrethnographie eines Landes. Dem Technologen dürfte das Kapitel VI über die Gefäße aus Topfftein und die Geichichte der Topfiteininduftrie in ber Schweiz große Reize bieten. Sehr aufjchlußreich ijt ferner da3 über die Nahrungöbereitung handelnde Kapitel XII, da3 die archaijtijche Verarbeitung der Berealien und Kaftanien zur. menschlichen Nahrung, da3 Drejchen, da3 Berquetichen der Körner in Mörfern, da3 Vermahlen in primitiven Hand- mühlen und arcdaiftifhe Badmethoden (erhiste Baditeine, Badteller aus Ton, Badglode) eingehend fchildert und durch viele Beifpiele belegt. In uralte Bufammenhänge und zugleich, in eine Stoffjammlung zur Erörterung mwichtigiter Probleme bed SKulturgefchichtlers führt und der Abfchnitt über den Aderbau in Kapitel XI. Er zeigt ardhaiftifche Aderbaugeräte, den Grabitod, die Hade, den Pflug, da3 och, die Egge, die gezäfmte Sichel, in Kapitel XIV aud den Wagen mit Scheibenrädern. Daß Kapitel XV über archaiftiihe Boote und - Filchereigeräte bejonderd viel Urgut bietet, wird den Eingeweihten kaum tivuns- bern. Altertümlichleiten, wie jie bei Obdah und Hausbau des Menichen be- gegnen (Kapitel XVI), find auch amberwärts fchon Häufig behandelt morben; doh wird man fi) die jchöne Zufammenftellung der Schweizer Überlebfel auf diejem Gebiete gern gefallen Iajfen und manchen Nuten davon haben (archaiitijche Büge in der Bauart, Abris sous roche, Pfahlbauten, Wohngruben, Schilfhütten, Kerbballen.. Am fchwächiten deuht mir im Teile über die geiftige Kultur das Kapitel XVII über die Ornamentif zu fein, dem feine Snappheit fchadet, da fie ein Eingehen auf die grundlegenden Fragen der Piychologie und Aeithetil des Ornaniente® unmöglich machte. Bon allergrößter Bedeutung ift wiederum das Kapitel XVII über Masten und Mastengebräuche, nicht minder Kapitel XIX über Schalen- und Gleitjteine, die beide jchlaglichtartig die Volfspfyche erhellen, ihren vielverfchlungenen Pfaden nach Religion und „Aberglauben“ Hin nachgehen. Sie berühren bejonder3 mohltuend durch die rühmliche Vorjicht, die den Ber- fafjer bei feinen Deutungsverfuchen gemaltjame Verallgemeinerungen meiden und fo lange al möglich auf dem Boden de3 Tatjächlichen weilen läßt in einem
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Bezirke, der, wie Taum ein zweiter der volf3fundlichen und der völferpfycholo- giihen Forfhung, rätfelvoll it — die in Fünftleriicher Geitaltungztraft ftilijierte Mate auf dem Buchumpfchlage ift ein treffendes Symbol dafür! Mannigfache Anregung geben natürli” auch die übrigen Kapitel, die über Steinlampen (IV), Birkenterzen (V), ardhaiftiihde Gefäße aus Kürbis, Leder, Holz und Ton (VII), Keffelketten (VIID), Schaber, Meijjer .und Schere (IX) meilt in recht zuverläfjiger Umfiht handeln.
E3 wäre finnlos, diefe Anzeige etwa mit Ergänzungen belajten zu wollen; bie meilten Lejer werden — glüdlicherweifel — aus ihrem Arbeitögebiete eine Fülle davon beibringen Lönnen, Hoffentlid auch; beibringen. Recht viele Nachfolger zu finden, it ja der ausgefprochene Wunjch bed PVerfafferd — auch in Deutfchland fehlt e3 nicht an Gegenden und Meiftern, die diefem Wunfche zur Erfüllung verhelfen könnten. Monographien über Einzelgegenftände find jhon vorhanden; Sammelmwerle wie da3 vorliegende frehen noch au3.
Vielleicht wird Tünftig eine etma3 Inappere, ftraffere Fafjung der Par- ftellung fid; empfehlen: Dem Berdienfte der Helfer 3. B. fann man wohl auch in fürzerer Weije gerecht werden, al3 e3 bier gefchieht, wo die bewußt behagliche Breite mandmal etwa3 altertümlick anmutet; ber warme, nicht bloß zum Ber- ftande fprechende Ton braucht darunter, wie der DBerfaffer an mehr al3, einer Gtelle zeigt, durchaus nicht zu leiden. Auch die hervorragende Bildauzftattung, für die in beträchtlichem Umfange das Bajeler Völkerfundemujeum die Vorlagen geliefert bat, hätten oft eine Kürzung bed Tertes erlaubt.
Das Bud foll und Tann im mefentlichen nur eine Materialjammlung fein, zum Teile jogar bloß die Grundlagen einer folcden bieten. Aber jchor dadureb ift ihm Dauerwert gejichert: weit über die Schweizer Grenzen hinaus werden Bollötundler, Prähiftorifer, Eihnographen, Völkerpigchologen, alle Sultur- forfher gem aus dem Werke fchöpfen. Der Berlodung, eigentlid fynthetifche, abjchließende Betrachtungen zu bieten, hat der PVerfaffer aus guten Gründen meijt mwiderftanden. Doc der nur einigermaßen gejchulte Lejer — und lesbar ift da3 Buch troß feiner Eigenfhaft ald Sammelmwert — mird je nad) feinem Ausgangzpunfte ganz von felbjt zu fynthetiichen Erkenntniffen geführt werden. Unter allen Wirkungen aber, die von NRütimeyerd? Buch ausgehen mögen, jcheint mir befonderd auch die eine nicht verachtensmwert zu fein, baß aus ihm zwingend der enge Bufammenhang fid, ergibt, der zwifchen Bollstunde, Prähiftorie und Bölferfunde in vielen Fällen wejentlick über die durch den Begriff der „Bölfer- piychologie” oder der „Anthropologie“ gegebene Verknüpfung und über die me thodifhe Vermandtichaft hinaus einen regen Material- und Gedantenaustaujch rechtfertigt. |
Stettin. | D. Runtlel.
Wolfgang Shut, Zeitrechnung und Weltenordnung in ihren übereinftimmenden Grundzügen beiben Indern, Sra- niern, Hellenen, Stalilern, Germanen, Kelten, Litauern, SIamen. (Mannug-Bibliothek ‚herausgeg. von G. KRojfinna Nr. 35), Leipzig: Cuct Rabigfd; 1924. 11 M., gebd. 12,50 M.
Ehrlichkeitähalber muß ich mit dem Gejtändnis anfangen, daß ich mir weder die Anjhauungen noch die Methode de3 Vf. aneignen Tann. Jede Diskuffion ift nußlos mit demjenigen, für ben folgendes bündige Schlüffe jind: > „Daß
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Draupnir Hier die fortrolfende 9 Nächte-Woche vorftellt, ift nicht zu verkennen. Die 11 goldenen Apfel find dann die 11 Vollmonde eines Jahres von 12X27 Nächten, denn 11 fynodifche Monate zu 291/, Nächten find bloß um 1/, Nacht mehr al 12 Lichtmonate zu 27 Nächten.” „Da der Ring Draupnir Talendarifche Geltung hat, jo kommt fie gewiß auch den beiden anderen Gegenftänden zu, bie ihm Skaldjfaparmal 3 völlig gleich ftehen, nämlich dem Cber Gullinborfti und dem Hammer Miölnir: auch Eber und Hammer ftellen je eine 9 nächtige Woche vor.” (©. 98). „Ein Zeugnis für die 3 Schalttage fteht bei Mannhardt, ©. 55 (Bielenftein): 3 Abende machte ich das VBettchen, wartete auf den anderen Schläferr: am 4ten Abende machte ich da3 Bettchen nicht mehr”. (S. 172). Man Tann fi) nur ablehnend verhalten, wenn man von bormeberein nicht fo abenteuerliche Poftulate gutheißen Tann wie biefe: „der Mythos ijt nicht3 anderes ald ein von Masken im .Tanze dangeftellter, gejungener Stalender, ein Stüd der arifchen Urzeit, da3. außer im Drama, im Epp3 und anderen Teilen des Schrifttumes au in Feitfpielen, im Kinderfpiele, im Volköliede und im Märchen nachmwirkt. Die Zeitordnung ift zugleich Feitordnung, — Stammes- ordnung, — NReditsordnung, — Weltordnung —. €3 ijt eine einheitliche Welt- anihauung —.” (©. 675.).
Da ich jedoch — unbedachterweife, muß ich leider geitehen — eine Anzeige verfprochen Habe, muß ich verfuchen von dem Snhalt und dem Ziel de Buches eine Überjicht zu geben.
Die Grundthefe ift die einer urariihen Weltanfdhauung, die in fehr alte Beit zurüdgeht und bejonder3 im Kalender einen Ausdrud findet. „Der Mythos ift nicht3 anderes al3 eine Gejchichte von den Schidjalen de3 SKalendergeftirnez, gewonnen aus den al3 felbftändigen Wejen aufgefaßten Geftalten des Mondes aufm.” (©. 41). Der urarifhe Kalender war ein Mondflalender, da3 Sonnen jahr ift |päter, nicht urarifch und nach dem Vorbilde de Mondlalender3 zuredht- gemacht (be. S. 225 ff). Über die Einteilung de3 Monat3 heißt e8: „Nahm man 3 dunfle Nächte an, fo ergab fich die Dreiteilung der übrigen Nächte-Neihe (27 Nächte = 3X9) von felbit, nahm man 2 dunffe Nächte an, fo ergab fidh die Ziweiteilung und dann PBierteilung der 28 lichten Nächte, = 4x7.” (S. 18). In Wirklichleit Handelt der folgende, Yängite Abjchnitt des Buches, „Der Mond und feine Gliederung” Hauptjächlich von der fog. Neunerwocdhe und dem „Schwarz- mond”, für die Belege aus dem Mythos und dem Märchen gefucht werben in einer Weife, die durch; die oben angeführten Beifpiele charakterifiert wurde, Das höhere Alter de3 Mondfalender3 wirb‘befonderd durch die befannte Zählung nah Nächten beiwiefen, wa3 Taum für einen bündigen Schluß gehalten werden Tann. Der folgende Abjchnitt „Der Doppelmond‘ beipricht den Ausgleich zmwijchen Monat und Tag, der fo gefhehen muß, daß jeder zmeite Monat 30 und jeder zweite 29 Tage erhält, und ftellt die Bufanmmenfaffung zweier Monate al3 eine ausfchlieglih ariihe Einrichtung dar. Ach meik freilich nicht, wie DT. die meltverbreiteten Monatspaare, in melden zwei Monate ben gleichen Namen tragen, aber ald „der große” und „ber Heine“ ufm. unterjchieden werben, beurteilt haben mürbe, falls fie ihm befannt gewefen mären.
Der folgende Abfchnitt ift „Der Übergang zur Sonne“ betitelt, und fängt an mit ber Leugnung de3 Natur- und Witterungsjahres bei dem urarifchen Wolfe. E3 Hält fehrwer, dies zu glauben, ba e3 meine? Wiffens fein noch fo primitives Boll gibt, dad nicht den Kreislauf der Jahreszeiten beobachtet und für Beit»
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angaben benußt. Darauf wird unter Heramziehung -mythiichen Materiale3 der Beweis angetreten, daß nicht die Sonne, fondern der Monb ala Urfache des Wahstumes und der Wärme betrachtet wird. Die Einteilung de3 Jahres ift nah dem de3 Monats zurechtgemadt: „Pie 12ten entjpreden den 3 Zu- ichlagsnächten, jene find ein 13. Monat, wie Ddiefe eine 4. Woche, aber auch die 12(4+1) Monate de3 Zahres als großer Einheit re den 3(+-1) Wochen bed Mondes ala Heiner Einheit.” (S. 229).
Meine Anjchauungen find in allem fo grundverfchieden, daß eine Auseinander- jegung wegen be3 mangelnden Verjtändnifjes fich nicht lohnt. Sch Habe fie dar- gelegt in einen Buche über die primitive Zeitrechnung, dad der .Df., wenn ed ihm befannt gemwejen wäre, viel abfälliger beurteilt. Haben würde als die betreffenden Abfchnitte de braven Ginzel (©. 13). Bor allem muß ich die Eriütenz einer „Woche“, fei ed von neun ober einer anderen Anzahl von Tagen für unbemiefen Halten. Sie läßt fich nicht aus dem mpythiichen Bahlen- Ichematismus abitrahieren. ch Tann aber nicht umhin, auf eine Unflarheit in den grundlegenden Erörterungen de3 Bf. Hinzumeifen. Völlig cichtig Tind Säge mie diefe, daß die Schaltung nie genau ftimmt (©. 159) ober daß wir „ebenjo den fiderifchen mie den fynodiichen Monat zu Haufe lajjen und uns an da Geichaute, die bloße, wenn fchon an verfchiedenen Stellen des Himmel3, jo doch regelmäßig und gleichartig mweiterrollende Lichterfcheinung Hakten‘“ müjjen (S. 18). Ich fehe aber nicht ein, wie biefe Säge mit dem Zahlenfhematiämus ded Bf. unter einen Hut zu bringen find. Wie fommt man von dem eben zitierten Sat zu dem darauf fait unmittelbar folgenden, beroben ©. 141 zitiert murbe: „Nahe man ufm.”’? Nur weil der Bf. e3 fich nicht anders denken Tann, al3 daf man Beitabfchnitte zählt Dom Beobachten zum Zählen ijt aber ein weiter . Weg und ebenfo von Zeitangaben zu Zeitmaßen. 3 gibt reichlich Beifpiele dafür, wie Haltpunkte innerhalb de3 Monat (und des SYahres) gefunden werden ohne Zählen. Das märe mohl. aber etma3 dem Bf. Unverftändliches.
Die Verfchiedenheit. der Betrachtungsmeife mag durch einen Hinweis auf zwei allgemeine Güte ©. 171 beleuchtet werben. E3 Heißt da: „— ment ed fich nachweisbar um ein Verfahren der Zeitmefjung handelt, da3 ein under- brüchlich regelmäßiges Gejchehen zur Zählung längerer Zeitftreden nusbar mad. Diefer Bedingung genügt zwar die arifche Mondrecinung vollauf — jie ift in der Tat ein Mittel zur Zeitbeftimmung ufm.” Ein regelmäßiges Velchehen wird anfangd nur zur Seitangabe ober Zeitbeitimmung, aber nicht zur Ab- grenzung von Zeitjtreden gebraucht; die Beitbeftimmung bejteht nicht in der An=- - gabe einer Zeitftrede, wie wir e3 tun, fondern in dem Sinmweis auf irgend ein regelmäßig zurüdfehrendes Gejchehnis in der Natur oder fonft, ohne Bezug auf irgend eine bejtimmte Dauer, diefe Leitangaben gehen dem jpät enttvidelten Zeitmaß und noch mehr dem Zählen von Zeittreden weit voraus. E83 heißt weiter: „Wenn wir ein Jahr im eigentlichen Sinne de3 Wortes nicht jchon hätten, fiele e8 uns recht jchmwer, e8 zu merken, ob bie Schwalben nicht einen Monat zu früh oder zu jpät kommen, oder gar aus irgend welchen Gründen ein Jahr überfpringen.” Das erfte ift ebenjo richtig — es fommt tatfächlich bor —, wie dad zweite unrichtig ift. Ein Jahr fan gar nicht überjprungen iwerden, weil ein jeder merfen muß, daß 3. B. der Frühling zurüdfehrt. Daher zählt man anfängli 3. B. nad) Wintern, nicht nach BVolljahren.
So jehr der Bf. e3 beftreiten mag, fo befteht der methodifche Grundirrtum
a.
in der PVermwedjjelung der typischen Zahlen de8 Märchen? mit Talendarijcher Abfchnitten, — zwilchen Altem und Sungem wird nicht getrennt, wenn «3 fich nur feinen Seen fügt. Dazu mird die Behauptung Hinzugefügt, daß nur der Mond, nit die Sonne und die Jahreszeiten, für die Beitrechnung der Uraries: in Betradt komme, mad der Natur und aller fonjtigen Erfahrung Ichnurjtrad3 miderfpriht. So Tommt der Bf. zu folcden SKüniteleien wie der, daß die Einteilung de3 Jahres derjenigen de Monat3 nachgebildet jei; Die natürlichen Verhältniffe müjfen dem ausgeflügelten Zahlenfchematismüu3 ieichen. Regten Endes ift die ganze Richtung ein Ausfluß der alten Naturmpthologie, nur daß ihr ein Talendarifches Gewand angetan wird.
Die Unbefangenheit ber Beurteilung kommt oft der Boreingenommenheit be3 DB. gegenüber zu furz, wenigften? mo ich die Dinge beurteilen Tann. Ts ift ein ftartes GStüd, zu leugnen, daß da3 römifche nundinum acdttägig war und mit den Buchjtabenreihen A bi8 H der GSteinfalender etma3 zu tun Hat (S. 65). Dabei muß der Bf. die influfive Rechnung vergeffen, die fogar die römifchen PBonti- fice8 veranlaßt Hat, die Schaltregel quarto quoque anno fo zu veritehen, daß fie jedes Dritte Zahr fchalteten; vgl. Trieteris, Penteteri3 ufm. Der jpät zurechtgemadjte Zahlenfchematigmus der attifchen Stammesverfaffung (4 Stämme, 12 Phratrien zu je 30 Gejchlehtern = 360) wird für bares Gold genommen; wir hören gar, daß es in Nom 4-26 Tribus gab (©. 88). Bekanntlich wurde bie Zahl der Landtribug allmählich von 17 auf 31 erhöht. Bon einer befannten moüfenifhen Gemme aus Baphio Heißt e3, daß die Mondfichel ein Gefäß ift, dem ber dreizmweigige Baum entipringt (S. 138). Das ift eine neue Erkenntnis, ba3 Gerät murde immer und evident richtig alö die fog. beiligen Nörner veritenden. E3 ift mir nicht erjichtlich, moher der Bf. feine Behauptung hat, daß man in Delphi jährlich den Paian-Apollon für den Sommer mwedte (©. 202); liegt eine erwechjelung mit dem Eyeipew Tov Amvimv vor? Die Ver mwunderung de3 Df., daß das Grimnismal der poetifchen Edda nicht zur Erklärung oder Wegerflärung ded aus dem älteren Bronzealter ftammenden Sonnenmagens au8 Trundholm herangezogen worden ift (S. 115), fcheint mir in Anbetracht de3 zeitlichen Unterjchiede3 übel angebracht; andere find eben vorfichtiger und methodifcher verfahren. Unter dem „Armreif” aus Baditena ©. 94. ift wohl die befannte Brafteate mit der Nunenreihe zu verjtehen. Daß da3 altnordifche Yulfeft oder richtiger die Höfunadht auf ben 12. Sanuar fiel (d. H. die fog. Mittwinternadt), ift nur eine Vermutung Snorres; übrigens ift die Angabe, obgleich geläufig, nicht forreft, mit NRüdfiht auf das isländifche Wochenjahr muß e3 heißen: reitag in der Woche vom 9.—16. Januar. (S. 31). Die Herleitung de3 AUlphabet3 aus den Zeichen der Mondhäuferr (S. 89 ff.) ift eine Prachtblüte der aftralmpthologifhen Schule. E38 verfteht fich, daß der Vf. die merkwürdigen von Gardiner und Sethe behandelten Sinaiinfchriften nicht erwähnt: da jie Höchft mahrfcheinlie) den Urfprung be3 femitifchen Alphabet Maritellen, würden fie feinen Spetulationen unbequem fein.
Lund (Schweden). Martin P. Nilzfon.
Walther Biefemer, Die oftpreußiigen Mundarten. Proben und Darftellung. Breslau: Ferdinand Hirt 1924, Geb. .— M.
Seder Volfsfundler wird das Erfcheinen des fchmuden Büchleind von Ziejemer begrüßen. Es enthält auf ©. 1—100 Mundarten-Proben, ©. 100—136 Dar-
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ftellung, jomwie eime Einteilungsfarte d. oftpreuß. Mundarten. E3 bringt in den munbartlihen Proben Terte aud der Ordenäliteratur u. fonjtiger älterer Beit, fowic Bollsmärdhen, Bolkzlieder, Sprichwörter, Schwänfe, Scerze u. «a. aus allen Teilen der Provinz Oftpreußen, wozu fid; dann noch mundartlicdhe Terte von den Meichfelmerdern, von der Elbinger Höhe, von der Danziger Nehrung gejellen. Sehr willlommen find die Anmerkungen mit Quellenangabe. Bei den Proben aus gegenmwärtiger Zeit fommen dann nod. die Drt3angaben Hinzu. Allerdings ift dabei nicht gleichmäßig verfahren. So Iefen wir ©. 98: Hand, fpann an, Hndihriftlih in den Sammlungen des Preußifchen Wörterbuches. Königsberg, — mährend es ebd. meiter unten Heißt: Scherze. a) f. R. Preuß. Prov. Bl. 1850, IX, 367. b) Preuß. Wörterbuh, Somit im zweiten Falle weder Angabe der Mundart, wie da3 anderweitig öfterd gejchieht, noch des Drtes, aus dem die Probe ftammt. Der Vollstundler, der heutzutage, nach den bahnbrechenden Arbeiten W. BPeplers, immer mehr zur geographijchen Methode übergeht, wäre für genaue Ort3angaben, mo die3 nur möglich war, durhau3 dankbar gemwefen. Nicht minder aber der Dialeftologe, dem e3 noch mehr (oder bejjer: fchon mehr) ald dem Ethnographen zum Bebürfni3 ge- worden, jede fprachlidde Form in ihrer geographiichen Bedingtheit Zennen zu fernen und zu werten.
| Sn der Daritellung .Ientt bejonder3 der die Bejiedlungsgejchichte und die Bildung der gegenwärtig bejtehenden Hoch- und niederdeutichen Mundarten ber bandelnde Teil unfere Aufmerlfamkeit auf fih. Wie aus der Daritellung er- fichtlich, find fomwohl im Heute nd. wie auch im heute md. Gebiete Dftpreußens urfprünglich mitteldeutfche (und oberdeutiche) und niederdeutfche Kolonijten ange- fiedelt worden. Aus diefem Grunde erfcheint una die Zufammenfafjung auf ©. 111 etwas fchematiih. Sie lautet: „So ift für die Ordenszeit eine Beliceh- fung de3 Landes aus zwei verfchiedenen Sprachgebieten fejtzuftellen. Mittel- deutfche famen nad) dem Kulmerland, Pomefanien, Oberland und mittleren Ermland. Sie bildeten ein fprachliches Ganzes, die noch Heute beitehende mittel» deutiye Spradinfel in Dftpreußen. Die übrigen Gegenden de3 Drbenslandes find aus den jmeiten Gebieten Niederdeutfchlands befiedelt worden. So gehen die Hauptunterfchiede der Heutigen oftpreußifchen Mundarten auf die Siedlung zur Ordenzeit, auf die Herkunft der Anfiedler jener Zeit zurüd.” Wie ftarf nicht-niederdeutfche Elemente im nieberdeutfchen Gebiete Oftpreußenz find, davon reden eine deutliche Sprache die Hausformen unferes Gebietd. Die ©. 118 de3 Werkes behandelten Schidjale der Mundart der Salzburger bei Gumbinnen erlangen in diefem Zufammenhange ganz dbejonderen methodologifchen Wert. Vgl. zum Ganzen noch bejonderd die Haren Ausführungen 8. Wagners in den Heli. BI. f. Vollsf. XXI 1922, ©. 16f. in bdeffen Auffag „Geographifch- Hiftorische Volfstunde”. Dem Verfaffer und Herausgeber de3 Werkes, der bie erite Darftellung und Gliederung der gefamten .ojtpreußifchen Mundarten in überaus Harer und überfichtlicher Weile bringt, nachdem bejonderd durch die grundlegende Arbeit Mittag „Oftpreußifches Niederdeutfch nördlich vom Erme- land” die größte Lüde ausgefüllt war, wird der Mundartforfcher und Bolfs- tundler für diefe Zufammenfaffung ftet3 zu Dank verpflichtet fein. Möge das Bud, aus dem ficherlih auch die Schule feinen geringen Gewinn ziehen wird, bald eine 2. Auflage erleben.
Saratov (Rußland). | G. Dinges.
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Jofeph Weigel, NReligiöfe Bollälunde. Ein Berfudh. Tsreiburg i. 3.: Herder 1924. VII, 124 Geiten. 2,20 M.; geb. 3,20 M. (Hirt und SGerde. Beiträge zu zeitgemäßer Geeljforge, big. dv. Erzbiichöflichen Mifjionge inftitut Sreiburg i. ®., Seit. 11.)
Der Berfafjer, Tatholifcher Pfarrer in der Oberpfalz, ift bereit3 durch jein Bud; „Das Dorf entlang“ (4. u. 5. Aufl. Freiburg i. B., Herder 1923. XIV, 470 Geiten. 6,50 M., geb. 8,50 M.) über die Grenzen des Tirchlichen Sntholizgismugs Hinaus befannt geworden. Heute ift er auf dem Boden ber tatholijc;rreligiöfen Tändlichen Bolfslunde bereit? amerlannter Führer. Auch fein neuefted Buch enttäufcht die Erwartungen nicht. Weigert ift nicht Kulturphilojoph wie etwa ein PHouet, ihm liegt nicht? an großer, zufammenfajjender Gejamt- Ihau. Er zeigt fich jelbit als echtes Kind des Volles in der Unmittelbarfeit feiner Auffeffung, in jener Sicherheit, die ofme fyitematiihe Umijtände den Nagel auf den Kopf trifft. Tieffte Duelle aber feiner gründlichen Kenntnis der Bauernfeele ift die perjönliche Lebensgemeinfchaft, die ihn mit dem lebendigen Gegenftand feiner Beobachtung verbindet. E3 ift ba bei ihm mie bei. dem von ihm verehrten Hafjifchen Führer durch die Bauernfeelentunde Jeremiag Gott- Helf. Weigert® Buch foll dem Geelforger dienen. So darf ea fi auf bie ‚„imere Volkskunde” beichränten. Hier aber bietet e8 auf nappem Raum einen großen Reichtum mohlgegliederten Beobadhtungsftoffes. Dem Proteitanten fällt auf, wie die Ietten Fragen bäuerlicher Volfzfeelentunde auf Zatholifhem und evangelifhem Boden im Grunde diejelben jmd. Da3 gilt auh im Bid auf bie religiöfen und fittlihen Wandlungen neueiter Zeit, denen der PVerfajjer mit bejonderer Sorgfalt nahgeht. Danfenswert ift ein Schlußlapitel von 20 Seiten über die Frage: „Wie erlangt man die Kenntnis bes Bolfe3?“ mit einem braudbaren Überblid über Bücher und Zeitjchriften, vorwiegend Tatholifcher Her- funft, zum Studium bed Bauerntums in Gefchichte und Gegenwart.
Gießen. G. Kod.
Alftes Bol, Das flnfte Element. Roman. Leipzig: %. %. Weber 0.%. 154 ©, |
Wie alle Bücher Bods, die das oberhefliiche Dorf- und Kleinftadtleben behandeln, ift au dies eine mittelbare vollstundliche Duelle von nicht geringen Wert. Die Dentmeije der oberhefjiichen Bauern tritt auch hier wieder in ihren mejentlichen Zügen „unverftellt und unverzüdert” vor den Lefer. Yyreilich erfcheint ihre Dentweije grade in diefem Büchelchen in eigentümlicher Art abgeändert, beeinflußt durch die Verhältniffe der Snflationszeit, in der das „Fünfte Element“, das Geld, jeine Gewaltherrichaft aufgerichtet hatte. Aber auch diefe befondere, wenn man will, franfhafte Entwidlung läßt manches vom Wejensgrund bäuer- licher Dentart nur um jo Marer hervortreten. — Eine philologiiche Rand- bemerfung,. 3. läßt jein Buch im jüddftlichen Kreis Marburg jpielen (©. 58 „im nahen Leidenhofen“; fiehe auch die auf ©. 55, 56, 79 erwähnten Orte). Dazu wollen nun die mundartlichen Kriterien nicht ftet3 genau ftimmen. So Hat 3. 3. Leidenhofen und Nachbarjchaft nicht (ich) fein (S. 40), jondern (ich) jet = “ch bin’ u.d.m. Solchen Einzelbedenfen jollte Verf. den Boden ent- ziehen, indem er fich nicht fo fait aufs Dorf genau feitlegt.
Marburg a, Luife Berthold.
Hefl. BL. f. Volksfunde Bd. XXIU. | 10
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Zrig Yiliypi, Bom Pfarrer Mathiaz Hirfeforn und jei- nen Qeuten. Leipzig: 3. 3. Weber 1924. 150 Ceiten.
Der Verfafjer führt uns in feinem Büchlein auf feine erjte Pfarrftelle im tiefen Weftermald. Er jchildert die große, einfame Natur, in melcher auch der felbjtbewußteite Stäbdter zu einem armfeligen Nicht3 zufammenfintt: im „Schnee- mwooft“, im Sturm ziwijchen den üächzenden Stämmen, in der grauen Heide. Das alles ift mit großer Kraft gezeichnet.
Nicht nur in die Natur, auch in die Bauernfeele hat Frig Philippi tief hineingefehenr. Mit köftlichem Humor und einem „böjen Maul” befchreibt er eg, wie fremd der aus der Stadt ftammende Pfarrer unter feinen „Wäller” Bauern fteht. Wie „der Pärrner und der Kuhhirt die größten Yaulenzer im Dorf find”. „a3 macht der PBärrner?” ,‚„Naut madt er, er fitt am Tifch und fIchreibt‘. Und wie der Naturfreund mit feiner Frau und dem „Molldrüffchen” (Maul- würfchen, wie bie Vorfbewohner fein jchwarzhaariges Kindlein nannten) barfuß auf der Heid: geht, jchütteln fie im Dorf bejorgt die Möpfe über den „Euriojen“ Pfarrer. Eine Fülle vollsfundlicher Ausfprühe und Anfichten ftedt in dem Buche. Freilich ift e8 zu begreifen, daß dem jungen Pfarrer der Boden unter den Füßen brannte, ald feine Schriftitellerei im Dorfe befannt wurde. Und doc wohl auch vom Gtanbpuntt de3 nachdenflichen Städter® aus nit ganz ohne Grund. Man mwünfchte, daß der Dichter neben dem überquellenden Humor aud) der ihm doc nicht fremden Ehrfurcht vor Dorf und Porflirche deutlicheren Aug- drud verliehen hätte. Gerade echter Humor wird durch foldje nicht verkürzt, fondern Höchitens vertieft. Im übrigen werden alle Freunde de3 Bauerndorfes da3 Büchlein mit Freude und Gewinn Iefen. Allen mit Reformideen gefüllten Neulingen im Dorfleben Tann e3 bejonder3 empfohlen merden.
Gießen. | Hilda Kod.
Sans Briedrih Blund, Märhen von der Niederelbe Sena: Diederih2 1923, 264 ©., 4°.
Sn diefem neuen Buch des bekannten niederdeutfchen Heimatdichterd wirft fih die Wiedererwedung unferer heimifchen Sagen- und Märchenmelt in ein paar Dugend phantaftifchen Schilderungen aus, die Land und Leute der Niederelbe in einer dämonijch belebten Traummelt fchildern. Allerdingg Märchen im eigent- lihen Sinn find e3, abgejehen vielleicht von ein paar fabulöfen Erzählungen aus der Zier- und Halbtierwelt, faum, und Geftalten wie Smwanewitt und die Frojche prinzejjin treffen wir nur vereinzelt. Dafür find die von dem Vollöglauben feit alter3 bejeelten Dämonen von Haus und Hof, Heide und Moor, Berg und Tal, Baum und Ührenfeld, Wafjer und Wind faft alle hier befchmoren und Ieben ihr jeltijame3 Leben unter den Menfchen des Landes, den Bettlern und Weufilanten, den Schiffen und Wirten, den Bauern und Soldaten, den Anmaltzfchreibern und Pfarrern, ja felbjt dem Kieler Gelehrten. Aber Blund verfucht über Ddieje alte Welt hinaus gleichermaßen auc) die neue zu beleben und läßt die Heinen Bahn- höfe, die fchmierigen Majchinenfchuppen und Lotomobile mit den Schlotpucdern, Mafhinene und Nauchkerlen bevölfern mie die Telegraphenftangen mit den Lattenbrummern oder GStangenkerlen ala Brüdern der Moorferle oder der Haus- und Hollepude. So entjteht, begleitet von fechd der Stimmung Diejes Buches entjprechenden Holzichnitten von Hans Bape, ein atmofphärenhaftes und bodennahes Bildgder niederelbifchen Landeinfamteit, dejjen rein Yiterarifche Wertung
Bern
=, AT
aber außerhalb des Rahmens unjerer Zeitjchrift Liegt, mährend eine vollgfund- Iihe Betraditung jich natürlich biejen Bifionen einer dichteriichen Geitaltung3- traft verjchließt.
Sranffurt a. M. Adolf Spamer.
Emanuel Friedfi, Bärndütich ala Spiegelbernifhen Bolf3- tum3. Band 6: Narmangen. Mit 218 lluftrationen im Tert und 13 Ein- Ichaltbildern. Hrag. mit Unterftügung der Regierung des Kantons Bern. Bern: A. Frande 1925. XII, 736 Stn. 80, geb. 25.— Fr.
Geit 24 Sahren ift der nunmehr 7Yjährige Dr. Friedli am Werk, die Bollsfunde feiner bernifchen Heimat im Rahmen einzelner Gemeinden und mit ausgiebiger Verwendung der örtliden Mundart darzuftellen. Siebenmal hat er der Arbeit zu Liebe den Standort gewechfelt: in jeinem Geburtsort Lügelflüh, dem typiichen Emmentaler Dorf, zugleih der alten Pfarrgemeinde Jeremiad Gott- heif3, Hat er begonnen. Auf Grindelmald ala Oberländer Alpenrevier und Heimat der Fremden und da3 Guggisberger Ländchen im Borland des Stodhornbogend it da3 Berner Seeland mit In3 auf den Hügeln zwijchen Neuenburger und Bieler See, nahe dem Schlachtfeld von Murten und auch jonft gejchichtlicd) amı meiteften zurüdreihend, und Tmwann inmitten ded NReblandg am Iinten Ufer des Bieler Sees, an ber Grenze von Deutfh und Welich, gefolgt. Nun weilt er in Saanen, um angefiht3 der Almen de3 Berner Oberlands das Gefamtmwerf zu vollenden, bazmilchen aber fteht der dem ÜOberaargau gemwibmete, vorliegende Band, in deifen Brennpunft ala typifche Ortichaft dad Porf Aar- wangen gerüdt it. Spradlicdh hat da3 feine Schwierigkeit bei dem breiten, verfehraoffenen Waretal, da8 (mie da3 Berner Seeland) au) dem Gemerbfleiß längft erjchloffen ift: bie alten Spradhichichten, in Saanen unverfehrt und mwohl- abgegrenzt vorhanden, find zwijchen dem unteren Emmental und dem jolothurnijchen Gäu zerbrödelt, und jo tritt und ein uneinheitliches Bild jprachlihder Mannig- faltigfeit und NRegellofigfeit entgegen. Der Schilderung de3 bernifchen Boll3tums im Spiegel biefer Mundart tut ba8 aber feinen Abbrud. Die Kapitel „Kirche“ und „Schule“, die unter folgen Umftänden geringe Ausbeute verhießen, find aus«- gelafjfen und bafür bie blühende Bodenmirtfchaft und der Gemerbfleiß des Landes- teil3 um fo eingehender und fruchtbarer dargeftellt, während Nahrung, Kleidung und Obdadh hier wie in jeder Vollskunde ala eiferner Beftand Hinzutreten. Und hier vor allem zeigen fi die großen Borzüge von Dr. riedli3 Verfahren. Während jede Volkskunde, die einen größeren Vollzftamm oder gar ein ganzes Sprachgebiet umfpannen will, notwendig verallgemeinern muß, wodurch auch bie beiten jener Werke leicht zu Schiefheiten unb Srrtümern fommen, nimmt ;5riebli Gebräuche, Sitten und Anfchauungen eines fireng und eng begrenzten Gebiet? mit einer Punkt für Punkt genau abbildenden Treue auf. Indem er auf Boll- ftändigfeit verzichtet — fehon den Gedanken daran verbietet bie Giberftrömende Tülle be3 Lebens — entgeht er ber Gefahr, die Unterfchiede von Drt gu Drt zu berwifchen oder zu ftarfen Grenzlinien zu vergröbern, wa3 filh nur in leifen Übergängen faft unmerflich wandelt. E3 gibt ja faum mieder ein Land, das in verhältnismäßig engen Grenzen eine größere Mannigfaltigteit umjchlöffe, ala gerade der Kanton Bern. Er dedt, in bie norbbeutfche Tiefebene eingezeichnet, etwa das Diered Berlin, Jerihom, Bitterfeld, Ludau, aber mie unvergleichlich viel größer find die Unterfchiede nicht nur ber Landfchaft, fondern auch die der
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Menfchen und ihrer Sitten, der Welt ihrer Gefühle, Gedanken und ihres Willens! Für all da3 ift audy diefer neue Wand wieder ein treuer, beredter und fundiger Dolmetih geworben.
Greiburg i. 8. Ulfred Goepße.
Karl Henufhcl, Deutihe Vollslundbe im Grundriß. U. Teil: Sitte, Braud) und Bollsglaube. Sadhlide PVollefunde.. (= Aus Natur und Geiflesmelt, Bändchen 645). Leipzig und en 8. ©. Teubner 1924. 136 ©. e geb. 1,60 M.
Dankbar begrüßen wir dad Erfcheinen diejes inbaltäreichen Bänbeiens, mit dem der Berfajjer fein nügliches Handbuch, deifen 1. Teil wir in Bd. XIX, 122 f. angezeigt haben, noch fur, vor feinem Tode zu Ende geführt hat. In ber Einleitung prägifiert er, veranlaßt durch wichtige, z. T. erit nach der Herausgabe de 1. 858. erjchienene grundfäglice Erörterungen über dad Wejen der Bolls- funde, feine Ausführungen im erften Teil feines Werts. Er empfiehlt, ftatt nur von afloziativer Denkmweife als dem mefentlichen Kennzeichen ber vollöfundlichen Er fcheinungen, genauer von „prälogifcher, durch Gefühlsvorftellungen affoziativer Art beitimmter Denkweife” zu fprehen. Sehr beachtensmwert ift die Auseinanderjeung mit Hana Naumannz fharferr Scheidung von ‚primitivem Gemeinjchaftsgut und gejunfenem Kulturgut; wie Koch in feinem Auffaß 0.6.20 ff., jo ivendet fich auch Keufhel dagegen, daß man den deutichen Bauer al3 „primitiv“ anfpreche. YAuh daß gegen Lau tfer die pfychologifhe Aufgabe der Vollztunde betont wi:d, fei erwähnt.
Der erite und größte Abfchnitt behandelt Gitte, Brauh und Bolfsglaube.. Die Mitarbeit Haffifcher Philologen an der Deutung der Erfcheinungen wird hervorgehoben, dabei hätten aber ©. 14 aud jo mertvolle Werke wie Samter, Vollslunde in altfprachlihen Unterricht I (1923) und Eitrem, Opferritus und Boropfer (1915) erwähnt werben follen, aud ein Hinweis auf Pfifters3 ungemein gehaltvollen Artikel „Kultus“ in der NReal-Encyflopädie wäre hier nüglich. Neben Frazerö Folk-lore in the Old Testament hätte fein in der 3. Aufl. jegt auf 12 Bände angemwachfenes gewaltige Nepertorium The golden bough unbedingt angeführt werden müfjen. Daß der Berfafjer auf dem engen Raum, der ihm zur Verfügung ftand, in diefem Abjchnitt, für den wir ja da3 audgezeichnete Sammelwer! von Sartori befigen, nur eine Tleine Auswahl in neuer Gruppierung bietet und den Sauptwert auf den Verfudh, die Erjchei- nungen zu erllären, legt, ijt fehr veritändig.e Daß man dabei öfter anderer Meinung fein Tann, ift natürlih; denn vielfah ift Hier, menigitend bis jegt, . nicht Über Vermutungen Hinauszulommen. Ungejhidt ift e8 m. ©, daß ©. 18 al3 erjte Speife der Neuvermählten der Neid genannt. wird, der doc) ein moderner Erjag des althergebrachten Hirjebreis ift. Unzureichend it da3 ©. 20 und 22 über dig Zauberformeln Ausgeführte. Hier Hätten unbedingt die Schriften von Ohrt (f. Heil. Bl. XXI, 114) herangezogen werden follen.
Im eriten Teil diefes Mbjchnitts: „Magifchereligidfe Bräuche‘ Tann ih mid mit der Gliederung: „1. Einzelne vollziehen fie um ihrer felbft willen. 2. Einzelne vollziehen fie für andere (gelegentlich auch für fi” mit [!]). 3. Gemeinihaft“ gebräuche” nicht befreunden; fachlich Zufammengehörige3 wird dabei augeinander- geriffen: fo finden wir 3. B. da3 Lärmen zur Vertreibung von Dämonen ©. 27,
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32, 37 u. ö., Berfleidbung, um jich für Geifter unfenntlid) zu machen, ©. 20 und 28 — oder Bräude, bie ber Einteilung nach in eine andere Gruppe gehören,; werden Doch mit verwandten zujammen behandelt: fo ©. 25 in Gruppe 2 da3 Durchkriechen bei dem „Durchziehen der Kranfen durch einen gefpaltenen Baum‘, oder vielmehr durch eine enge Öffnung (fo zieht man ein behertes Sind dreimal verehrt durch die Treppe: Schöner, Spezialidiotilon von Ejchenrod ©. 33; durch ein Loch im ber Erbe oder in einem SMeidungzftüd, 3. B. AaozpaptaZ' 1923, 499 ff.; Durhfchlupfen in Kirchen, 3. B. Deutihe Gaue XI 1910, 301 oder Reinsberg-Düringsfeld, Ethnogr. Kuriofitäten II 127); in der Deu- tung bed Brauch gehen die Anfichten der Gelehrten weit auseinander („tierifche Reibungsbemwegung zur Abftellung von Audreizen”: Ur. f. Religionswijj. XIII 1910, 441 — Wiedergeburtsritus: Black, Folk-Medicine ©. 67 ff, Zada- riä, Beitichr. d. Ber. f. Vollst. XX 1910, 141ff.). Der böfe Bid und jeine Abwehr ijt in Gruppe 1 behandelt, man könnte ihn wegen der Befegnungen gegen die „böfen Augen“ ebenjo in Gruppe 2 fuchen; die Neubearbeitung des Werls von Seligmann u. d. T.: Die Zauberfraft de3 Auges und das Berufen (1922) ift nicht genannt. Bei ber Beiprecjung ber Segenzformeln wird ©. 22 zum Be- weiß bafür, baß häufig ein offenbarer Gegenfah zwifchen dem berichteten Fall und beabfichtigten BZmed beftehe, eine dur) jinnlofe Vermifhung entitandene Variante des Sordanzfegend angeführt, j. Ebermann, Blut- und Wundfegen 6. 32 f. ©. 23 bringt PVerfaffer für die vielbehandelte Sator-Formel (f. noch Seligmann in biefen Bl. XX 1921, 1ff.) eine neue Deutung: tenet opera rotas fei auf Phaethon zu beziehen: „er hält mit Mühe die NRäber” bes Sonnen- mwagens, daher aud) die Verwendung ber Formel auf Scheiben, die man zum Löfchen einer Teuerbrunft in die Glut wirft; die Iateinifche Bearbeitung der Phaethongeichichte, aus der die Worte. jtammen, müffe noch ermittelt merden. 3ch benuge bie Gelegenheit, um auf eine andere Erklärung ber ;yormel BHin- zuweilen, die bei Seligmann noch fehlt, und auf die in den „„Deutfchen Gauen‘ XXV 1924, 76 aufmerffam gemacht wird: fie beitehe aus den Buchitaben der Worte Pater noster zweimal mieberholt, nur da8 zentrale N jteht einmal, und zweimaligen A und O (Alpha und Omega). Für dad Meilen bed Franfen ©. 26 hätte fi) ein Verweis auf Manninen, Die bämoniftifhen Krankheiten im finnischen Bollzaberglauben (1922 — FFC 45) ©. 164 ff. empfohlen, mo aud) manches au8 ber beutfchen Literatur nachgewiefen it (Statt Drefhler ilt da natürlih ©. 219 [a] f. und 237 Drechsler zu lefen). Mindeitens mißverjtändlid; it ©. 27 die Fortführung des Sapes über plaftiihe Nachbildung von Körperteilen al3 Amulett: „So meinte man bie Gebärmutter.... anjprechen zu miljfen, etiva al3 eine Kröte Das führt zu ber Sitte der Votive und Weihegaben.” Die Gebärmutterfröte ijt nie al3 Amulett gebraucht, fondern nur al3 Botiv, Amulett und Botive haben nidht8 mit einander zu tun. Außer der Abhandlung von Magnus, Schie. Mitt. 9. 15 [fol] Hätte hier auch die Ermwiderung der beiten Kennerin bdiefer Dinge, M. Andree-Ey3n ebba. IX 9.17 (1907), 48ff. ge- nannt werben follen. Zu dem Wägen bei Krankheiten vermiffe ich ungern einen Berwei3 auf A. Franz, Die kirchl. VBenebiktionen II 459 ff, Ausführungen, die aud) wertvolle Ergänzungen zu meinem Aufjag über die Cyrialsmage in Neuhaujen bei Worms (Hei. BI. VII 1908, 3275., 186f.) bieten. In ber 3. Gruppe werden zuerft die Bräuche bei Aderbau und Viehzucht befprochen, aud) jolche, die feine „Gemeinfchaftsbräuche” find: hier märe unbedingt dag Werk von
ii 190:
Rantafalo, Der Aderbau Bd. I—III (1919—20: FFC. 30—32) zu nennen ge- wejen, ©. 34 vielleicht auch mein Aufjaß über die Heidelbeere in Bd. XXII diefer Blätter. E3 folgen dann die Feite, dazu werben auch die Spinnjtuben als „Bolfzfeit der Jugend“ gerechnet. Daß am Samstag- Abend nicht mehr gejponnen werden darf, ift für die bäuerliche Bevölkerung, jedenfall noch der vorigen Generation, jelbit- verftändli.h gemefen, |. a. Wuttle-Meyer, Der deutiche Bollsaberglaube 3 ©.62 8 72; die Erflärung Schultes trifft Hier ficher das Richtige. Wenn für die Behandlung der Weihnachten Nilfjong ungemein fördernder Auffag im Arch. f. Nel.-Wiif. XIX, 50 ff. oder Lily Weijer, Sul (1923) Herangezogen worden mwäre, würde der Berfaffer gewiß feinen Tert in mandem Punkt ge- ändert haben; daß jedenfall da3 nordgermanifche Heidentum ein Sulfelt zur Mitt» winterzzeit gefannt hat, darf als gefichert gelten; die Tiervermummtungen jind nicht römifchen, fondern Teltifchen Urfjprungs, die Bemerkung über den Chriltblod ©. 44 läßt nicht erkennen, daß er fi} auch bei anderen Völkern findet, u. a. m. Bu ©. 55: Die Feuerweihe am Karjamstag Mmüpft an Tirchlicde Gedanken ar, durch Verbindung mit den heidnifchen Frühlingsfeuern, nicht mit den Notfeuern, die doch nur für einen bejtimmten Zmwed, befonder3 bei Viehjeuchen, entzündet werden, gewarmen bie Dfterfeuer ihre große Popularität. Über die Verbreitung des fog. „Zubasbrennens“ auch außerhalb Deutjchlands unterrichtet jeßt die Ab- handlung von U. Taylor, The burning of Judas in den Washington Univer- sity Studies Vol. XI (1923). Das Kirhmeihfeit wird ©. 59 mit zwei Sägen abgetan! | |
Der 2. Teil de3 Abfchnitt3 behandelt die Zunftbräude. Ob man da das Bauopfer fucht, ift mir jehr fraglih. Das jchöne Bud von €. Weiß, Die Entdedung de3 Voll der Zimmerleute (1923) ift noch nicht zitiert. Zu S.62: Der Umzug mit dem Kirhturmhahn findet fi auch anderwärts, f. 5.8. Die Dorffirche III 1909/10, 485; Deutjche Dorfzeitung XU 1909, 45 u.63; Gießener Anzeiger 26.X.1906 Nr. 252, 2. Blatt (Schotten).
As 3. Teil folgen die Nechtöbräude. ©. 65 märe vielleiht noch 8.
Thormann, Über den Humor in ben deutjchen Weistümern, Diff. 1907, zu.
nennen gemwejen. Die Erwähnung der Sühnefreuze ift in diefem Abfchnitt ©. 78 gewiß berechtigt, während die Stein- und Neiferhaufen auf Gräbern faum in Rechtsvorftellungen ihre Wurzel Haben. Ebenfowenig wird man Hedepfennige und Taligmane unter den NRechtsbräuchen fuchen (©. 81).
Über die folgenden Abfchnitte II: Siedlung, Haus und Hof; II. Volkskunst und bvolfstümliche Techniten; IV: Volfstrachten muß ich mid) kurz fallen, da fie meinem Arbeitsgebiet ferner liegen. Sie geben auf Inappem Raum einen guten Überblid, ©. 100 vermißt man bie ausgezeichnete Behandlung de Bauern- gartend in Yehrles Badiicher Volkskunde (I 139 Ff.), die der PVerfajfer doch ihon Tannte. ©. 102: Beinhäufer gab e3 und gibt e3 noch auch außerhalb des
Alpengebiet3. Die Ornamentit, Bemalung, „Krabmufter”-Technit an den Fade
werkhäufern verdienten eingehendere Behandfung, die Beigabe einiger Abbildungen hätte die Geltaltung diefer Abfchnitte mefentlich erleichtert. Vielleicht entfchließt lich der Verlag bei einer neuen Auflage, die. gewiß nicht allzu lang auf fich warten läßt, zu einer Ermeiterung. Überall empfindet man, daß der Raummangel dem Verfafjer eine Felfel war. Hoffentlich findet fich ein Bearbeiter, der der Auf gabe jo gerecht wird, wie e3 im Sinn des für die mwiljenfchaftliche Vollstunde zu früh verftorbenen Verfaffers ift. Gießen. 9. Hepding.
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Wihael Saderlandt, Einführung in die Bolfslunde mit befonderer Berüdfihdtigung Ofterreidh3 (= PVollsfundliche Bücherei, Hrög. vom Berein für Volkskunde in Wien, Bd. 1) Mit 12 Bildertafeln und 10 Abb. im Tert. Wien: Burgverlag ;yerd. Zöller 1924. 75 ©. 8° 1,355 M.
Das Ichön ausgeftattete Büchlein ift al3 erite Einführung „für eine möglidhit weitgezogene Bffentlichleit” gedadht. E3 ift bezeichnend, daß der Verfaffer als Mufeumsdireftor ebenfo wie Rauffer, der Leiter des Hamburgiihen Deujeuns, Volkskunde in dem’ weiten Sinn Weinhold faßt; auch er rechnet 3. B. die joma- tiiche Anthropologie und Genealogie, die Siedlungsformen, die wirtjchaftlichen Ber- hältniffe zur Volkskunde, während wir baran fefthalten, daß die volf3fundliche Vorihung gewiß aud) diefe Realien berüdjichtigen muß, daß fie für fie aber zu den Hilfswilfenichaften gehören, genau fo wie 3. ®. auch für die Philologie (e3 ift immer wieder der unglüdlihe Name „Volkskunde, ber diefe Überjpannung de3 Aufgabenbereich zur Zolge Hat, |. Albr. Dieterich, Heji. BI. I 1902, 183 ff.), daß die Volkskunde als wiffenfchaftlihe Difziplin allen Außerungen der „Soltsfeele” nachzugehen hat, alfo „eine pfychologifche Wiffenfchaft” it (f. a. Reufchel, Deutihe Volkskunde im Grundriß I 14, II 95.). Bei der Behand- fung der „jadhjlihen Bollstunde” wünfchten wir daher ein Serausarbeiten des Geiiteslebens, das fich gerade biefe beftimmten Formen fo geichaffen oder um- geichaffen oder troß jüngerer Kultureinflüffe fo erhalten Hat. Die Abjchnitte Arbeitd- und GSittenfunde (a) Arbeitäwejen, b) Das Brauchtum des Gemeinjhafts- lebens, c) Sitten und Bräuche im feitlichen Jahr); Vollsglaube und Volfäreligion, Tirhlihe Vollsfunde; Geiftige Volkskunde geben eine vorzüglich gegliederte Über- ficht über da3 Gejamtgebiet der Volkskunde, in jedem Kapitel fein eingeleitet aus einer beherrichenden Kenntnis des Stoff und der Probleme Heraus, aber faft völlig auf das für allgemeineres Verjtändni3 nötige Verlegen von Beijpielen verzichtend. So ilt da3 Büchlein der beite Era für einen volfsfundlichen Frage- bogen, man möchte ihm meitefte Verbreitung wünfchen, um Sammler vollstund- lichen Stoff zu interefjieren und zu werben; e3 Tann aud; fehr gut al3 Leitfaden bei voll3fundlichen Arbeitägemeinfchhaften an Hochjchulen und VBoll3hochichulen oder beim linterriht an Lehrer» und Geiftlichen-Seminaren benußt werden, der Zeiter oder Lehrer wird dann dad Gerippe dur Beifpiele erläutern müjlen, und Die Schüler werden bald angeregt werden, nicht nur aus eigener Kenntnis oder durch Sammeln da3 Material zu ergänzen, fondern aud) die Belege volf3pfychologiich aus- zumerten, einzugliedern und mit den volfgfundlicden Methoden ihre Erklärung zu verfuchen. Das Schlußmwort betont die erzieherifche Bedeutung der Volkskunde für ben nationalen Aufbau und der vergleichenden Volkskunde für die Überbrüdung der nationalen Gegenjäge. Eine kurze Bibliographie ftellt die wichtigiten Hilfsmittel für volfstundliche Studien zujanmen.
Gießen. 9. Hepding.
Sahrbuh für Hiftorifhe Bolflätunde. Hrög von WBilhelm SDiraenger. 1. Band: Die Vollstunde und ihre Grenzgebiete. Mit206 Abb. Berlin: Herbert Stubenrauch 1925. 348 ©. Groß-8% 20 M., geb. 21 M.
Mit diefer neuen, großangelegten und vorzüglich auggeitatteten Zeitjchrift will der durch wertvolle funft- und Tulturgeichichtliche Veröffentlichungen befannte Herausgeber, wie er im Bormort ausführt, den bewährten Tachzeitichriften,
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die dem Gefamtbereih der Volkskunde bienen, Teine Konkurrenz machen, fonderrs ih nur ber im Titel bezeichneten Sonderaufgabe widmen und zwar auf bier Wegen: 1. Daritellung der Wifjenjchaftsgejchichte der Vollzfunde vom Humanid- mu3 an bi3 zum Vermäcdhtnid ber Rommtil in foitematifch ausgebauten Einzel- bänden; 2. nad) Rulturepodyen organifch eingeteilte Ausbreitung der Duellen- dofumente; 3. Würdigung vollswüdhfiger Perfönlichkeiten, die wie Yilhart, Pie- ter Bruegel, Abraham a Santa Clara, Yeremiag Gotthelf in ihren Werfen einer Snbegriff der vollstümlichen Lebensformen bergen; 4. bei. Pflege von Rolf» Dichtung, Bauform, Bildnerei. Der vorliegende Band ift gemiffermaßen der Ein- leitungs3band, indem er methodologifche Erörterungen bringt und „in grundjäße lichen wie in praftifch beifpielhaften Aufjägen die Wege fruchtbaren Bufammen- wirtend ber Bolfsftunde mit ihren Nachbarwifjenschhaften mweifen will.“ Zunädit behandelt Arthur Haberlandt „Vollstımde und Borgeicichte‘. (Ange ficht8 der geficherten Erfenntni® von der Gtetigfeit im Rulturwandel von ber Vorgeichichte in die gejchichtlihe Zeit und von dem ortleben zivilifatorifcher Leitungen der Römer und ber Ablehrung von der „SKataftrophentheorie” der Hiftoriler der Völferwanderungszeit gilt e3 nunmehr ganz methodifch die Zujam- menhänge zwijchen vorgeihichtlihem und neuzeitlihem Vollsgut Harzuftellen (im der Art, wie e3 etwa ba3 oben ©.138 ff. befprochene Wert von Rütimeyer bereit3 tut), dabei müfjen die möglichjt meiträumig eritrebte Materialfenntniz der Bolläfunde einerfeit3, die vorgefchichtliche Vertiefung des Stoffes amder- feit3 notwendig zufammenwirkten”. Un gut gewählten Beifpielen wird die Frucht» barkeit diefer Methode gezeigt. Hans Naumann „Prolegomena über ver- gleichende Vollstınde und Neligionsgeihichte”. (Sn der geiftreichen Einleitung; wird an den Geiltern der mobernen fpiritiftifchen Bewegung und an dem Berhaltern der fpiritiftifchen Medien felbft, an ber Art ber PVerehrung des Somjetiterns- der ewige Nüdfall in die GStilformen bes primitiven Gemeinfchaftgälaubens und in die primitiven Elemente aufgezeigt. Wie Albrecht Dieterich!) verlangt ber Berfafjer, daß der Religionzhiftorifer vergleichender Vollskundler fei und der Volls-- fundler Religionshiftorifer. Sehr fruchtbar ermweilt fi) auch Hier der in den legte Schriften be3 Verfaffers immer wieder betonte Gedanke der Scheidung von primi- tivem Gemeinfchafts- und gefunfenem Kulturgut: e3 gilt mit Hilfe der verglei= chenden Vollstunde feitzuftellen, mag von ben Elementen be Volfsglaubend aua dem Schoße ber primitiver‘ Gemeinfchaft, ımd mas von ben höheren — heid-“ nifchen oder chriftlihen — Religionen herftammt. Der Firchliche Seelenbegriff vermochte den primitiven Totenglauben nicht ‚zu verdrängen. Erft die völlige Vernichtung de3 Körpers, die Vermeiung, macht hier den Manifeftationen de& „Lebenden Leichnam” ein Ende. Der „zweite Tob“ wird mythologijch umitilifiert ala da3 Gefreijenmwerden durch die dämonifchen „zreffer der Tiefe”.2) Die primie tive Borftellung vom legten Kampf bed Einzelfrieger3 mit diefen Tobesdbämonen findet der PVerfajfer „Lollektiviert, erweitert und bichterifch, verffärt” wieder im dem CSchlußfampf der Götter und Einherjar bei ber Götterbämmerung. Der Totenglaube erweift fich für vergl. Vollzkunde und Neligionzgefchichte als zentral,
1) Heff. UI. f. Volls. I 1902, 192 (— I. Schriften ©. 309); Arch. f. Nel-Wiff. VII 1904,3; Mutter Erde ©. 1f.; vgl. au Hepbing, Hefi. BI. VII 1908, 115ff.: R. Wünfd in U. Dieterichd KM. Schriften ©. XXTITF.
2) A. Dieterid, Nelyia ©. 46ff., für Nidhöggr ©. 52,8,
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befonder3 auch ala die wichtigfte Wurzel de Dämonen- und Götterglaubens. Jr der Borftellung von ber Erlöfung de3 Toten au dem Unrubezwang de3 eriten Todes durch den zweiten Tod vermutet Verfajjer die primitive Keimzelle de Erlöfungsgedanfens ber hohen Religionen. über alle die 3. T. jehr treffenden Bei- fpiele für ortleben oder immer neues Aufleben in Glauben und Kult Tann hier nicht referiert werben, ich möchte aber empfeheln, zur Ergänzung und aud; zur Vertiefung den vorzüglichen Abfchnitt über die primitive Religion in Zr. Heiler? Buch „Der Katholizismus, feine Jbee umd feine Erfcheinung” (1923) ©. 163—236 rachzulefen. Die Schlüffe, die Naumann aus feinen wiljenfchaftlicden Erkennt» niffen für die praftifche Religionzpolitif zieht, fan ich allerdings nicht mitmachen. Sch möchte ihn auf Rudolf DOttos Werk „Das Heilige”, da8 er ja kennt, Hin. meifen. Da ift gezeigt, welche Bedeutung da3 Srrationale für alle Religion bat, mie aber auch die rationalen Elemente Damit mwejendzufammengehörig find, und daß aller Aufitieg zu Höheren Neligionsformen auf der reichen Sättigung bes tief- irrationalen Urgrunds mit rationalen Cfementen beruht. Und wenn der Ber foffer, ein Proteftant, al Vollstundler der Fatholifchen Form des Chriften- tum3 den Preis unter den religiöfen Formen bed Abenbland3 zuertennt, weil fie den primitiven Bebürfniffen der Menfchheit „am meitherzigften und mohltuenditen entgegenlommt”, jo fei dagegen hier nur das gejagt, daß auch die evangelifche Kirche fich ein tiefes Verftändnis für -da8 Srrationale bewahrt Hat, und daß der „Nationalismus eine überwunbene Epoche de3 Protejtantismus ift, während gerabe im Katholizismus doch „überall die Vernunftnotmenbdigfeit de3 firhlihen Glaubend bemwiefen” wird.“!) Dagegen unterjchreiben auch wir den Sat: „Vollsfunde ehrt, die religionzgefchichtlichen Ausgeitaltungen der taufend primitiven Partizipationen mit zarter Rührung und größter Ehrfurcht zu betrachten; fie lehrt ihre offenbar geradezu biologifche Notwendigkeit” und be» grüßen e3, daß fich, vor allem durch die Dorflicchen-Berwegung, ba3 Verjtändnis- bierfür auch bei den evangelifchen Theologen immer mehr durcdhjeßt). — Hans Fehr „Das Stadtvolf im Spiegel de3 Augsburger Eidbuches“ (von 1583 mit Abbildung der Lulturgefchichtlich intereffanten Miniaturen zu den 154 Eibformelns für die Beamten, Kontrollperfonen, Gemwerbetreibenden und für die bei beitimmter Gelegenheit zu fchwörenden Eide),. — Eberhard Frhr dv. Künßberg „Rechtzgefchichte und Volkskunde” (in folgenden Abfchnitten: Volfstundliche Quellen, Rechtsquellen, Wberglaube, Rechtsaltertimer, Altes Net und Wberrecht. Hier bietet ein Fachmann, der jchon durch zahlreiche Unterfuchungen aus dem Bereich der „rechtlichen Vollafunde” die Wiffenfchaft gefördert Hat, einen ausgezeichneten Abriß diejfes Spezialgebiet3, den jeder, der hier mitarbeiten will, dankbar benupen wird. Aus einer glänzenden Kenntnis der Duellen ebenfo wie ber rechtögejichicht- lihen und vollstundlicden Literatur heraus vermag er einen Überblid über das biöher Geleiftete und die Probleme zu vermitteln, in manchen ausgeführten Bei- ipielen zugleich die Ergebniffe neuer eigener Forfchungen vorlegend: ic; nenne davon nur die Prüfung der Zurechnungsfähigfeit eines Kindes durch die Apfel- probe zu Grimma L.HM. 22a, bei Bolte-PBolipfa I 202. ©. 9 ift bei dem Diebözauber A. Taylors Auffab in unferen Blättern XXIIL, 59 ff. überjehen. Zu ©. 97 U. 198 wäre noch da3 Treigericht bei Kaichen, zu ©. 99 der zmweifäulige Galgen bei NRirfeld im Wogelzberg zu erwähnen gemefen; zur
I) Heilera. aD. ©. 348.
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Literatur der Steinfreuze j. Reufchel, Deutiche Voltst. II 78, dazu noch Ku- Tahl, Mitt. d. Landesver. Sächf. Heimatfchub XII 1924, 225 ff.; zu den Bot-. Ichaftözeichen vgl. noch fchwediich budkavlien (übrigens Titel einer Shmwediihfinni- fchen vollsfundl. Zeitichrift). Sehr beachtenswert find die Schlußbemerfungen über den fogen. „Humor im Recht“ und die Mahnung, mit diefem Schlagwort recht vorfichtig zu jein).. — Eberhard Frhr. v. Küngberg „Hühnerreht und Hühnerzauber” (Eine Spezialunterfuhung aus dem Weistlimerredht; die 30 Quellen- ftellen, in 8 Gruppen geordnet, beziehen fich auf die Beitimmung der Hühnerfrei- Heit durch einen Wurf; folcher Wurfriten gibt e3 viele zur Abgrenzung von Be- rechtigung und Freiheiten, der Wurfritus ift durch allerlei, 3.%. aus dem Zauber entlehnte Beitimmungen Tompliziert. Ob dabei wirflih Bauopfer- und Richtfeit- bräude von Einfluß gemwejen find, ift mir zweifelhaft (hier wäre übrigens noch auf Scheftelomwiß, Das ftellvertretende Huhnopfer ©. 20ff. und 52 Hin- zumeifen), dagegen ift die Einwirtung von Cmtefeftbräudhen für den Sichel- wurf plaufibel. Manches fcheint mir etwas gefucht, 3. B. werden wohl Sicheln und Senfen im Abmwehrzauber nur megen der bämonenfernhaltenden Sraft des Stahl3 und wegen ihrer Spiten oder Schärfen, ebenjo gut mie Meffer oder Beile, gebraudt),,. —-— Robert Betjc „Volkskunde und Literaturmiflenichaft” (1.Kunit- und Vollsdichtung in ihrem Unterfchied und in ihren Wechjelbeziehungen, 2. Die einzelnen PDichtungsgattungen, 3. die Beziehungen zwijchen der Hohen Literatur und dem PVollstum in der Entwidlung der beutjchen Nationalliteratur). — Sohannesz Bolte „Zur Gefchichte der Punktier- und Logbücher” (dur; Die Herausgabe von Georg Widrams Werfen ift der Berfaffer auf Diefe eigenartige Literatur gekommen, - über die er hier einen umfafjenden Überblid gibt, der wiederum der Belefenheit de3 großen Meifterd alle Ehre mat. Man lernt bie verjhiedenen Methoden de3 Punktierend und Lofens Tennen, die Abhängigkeit deutiher Terte von antifen und deren Zufammenbang mit orientalijchen, alt= türkifchen, tibetischen, chinefifchen u. a. Parallelen; im Anhang wird ein Sragment eines ndd. Losbuchd aus dem 14. Yahrh., fomwie der Schluß eines Ulmer Lo3- buch8 von 1490 und das Kölner Losbuch abgedrudt. Dabei wird übrigens auch ein von Edmw. Schröder veröffentlichtes Bruchftüd einer Gießener Handichrift des 14. Sahırh. in diefe Zufammenhänge eingereiht: ©.189 und 198. Auf Die jeit dem 17. Zahrh. erfchienenen Schriften geht Verfafjer in diefem Aufjag, „wo es nur auf eine Auswahl de3 Bemerkenswerteften ankam”, nit ein). — Mihael Haberlandt „Zollsfunde und Kunftwiffenfchaft” (Die Volkzkunft: zäh, fortge- erbte3 Urgut, primäre Volfskunft und gefunfenes Kulturgut. Für die mythologiihen Snterpretationen von FR. v. Spieß Tann ich mich allerdings nicht jo erwärmen mie der Berfafjer. — Alle Kunftforfhung in dem umfafjenden Sinn Straygowffi3 muß duch die Betrachtung der gefellfchaftlihen Schichtung der Kunjt vertieft, die ein- jeitig individualiftifch eingeftellte Kunftwürdigung muß durch die anthropologijche und vollsfundliche Gejchichtöbetradhtung ergänzt werden. - Wilhelm Frän+ ger „Materialien zur Frühgeichichte de3 Neuruppiner Bilderbogeng‘” (1. Biographie des Begründers der Firma oh. Bernhard Kühn, geb. 1750, und feines Sohnes Guftan, 1794—1868; 2. der Gejchäftsbetrieb der Buchhandlung, Umjapitatitik, Bilderbogen-Markt; 3. die Bilderbogen beginnen nad) 1790 zunächit mit ziemlich primitiven Holzjchnitten des Vater, der auf der Berliner Kunftafademie gebildete Sohn führt da3 Formiyften der Hohen Kunft und in den zwanziger Jahren die Steindrudtechnif ein. Sein Ungeitellter, der Lithograph W. ©., Hat Hauptfächlich
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Bilderbogen anderer Firmen Topiert. Die Produktion der erjten Generation ijt auf den Gejchmadzbereich der bäuerlichen und Heinbürgerlichen Schichten berechnet, die zweite fpefuliert auf die Erweiterung de3 Marktes duch Eingehen auf da3 Ge- fchmadsbedürfnis ftädtifcher Käuferfreife. E3 folgt ein forgfältiger Katalog der erhaltenen 50 Blätter (zu den verbreitetiten gehört wohl eine3 der älteften, der Simmeld3brief, genannt Gredoria ©. 283 ff.), nur ein Bruchteil der riefigen Pro- duftion der Firma, die feit 1832 jährlich über eine Million Bilderbogen auf dem Markt warf). — In der legten Abteilung, der „Eritiichen Bibliographie‘, be- fpreden Naumann, v. Künfberg, Lug Madenjen, Fränger wichtige Neuerjchei- nungen auf ihren Spezialgebieten, Madenjen Hat hier den Abjchnitt „„Bolfsfunde und Literaturgefchichte” übernommen. — Alles in allem, der Auftakt ift vorzüglich, man fieht mit Spannung ber Fortfegung der neuen Heitfchrift entgegen. Gießen. 9. Hepding.
Alöredt Dietrid, Mutter Erde. Ein Verfuch über Vollöreligion. 3. er- weiterte Aufl. beforgt von - Eugen Fehrle. Leipzig, Berlin: Teubner 1925. 157 ©. 80. 6 Mt., geb. 7,60 ME.
Dap Dieterih3 „Mutter Erde” zum dritten Mal erjcheint, begrüßen gewiß alle, die unter dem perjönlichen Einfluß diefed genialen Gelehrten geitanden haben, mit berzlicher reude; beweilt e3 doch, wie aud) fein gejchriebene® Wort noch unmer die Wifjenjchaft befruchtet. Gerade diefes Bud ijt ja für feine religions- wijjenjchaftlihde Arbeit bejonder3 dharakteriftiih; Hier zeigt er, mwie wichtig und fruchtbar für die Erforfhung der „Grundformen religiöfen Denken?” die Volfs- funde ift, und mit Wehmut wird jeder Volkzkundler da3 Vorwort lefen, in dem er als Fortjegung ein Werk über „die Formen de3 Bauberritus, die Formen gött- licher Offenbarung, die Formen der Vereinigung des Menfchen mit Gott“ anfün- digte. Ein Buch von Dieterih ift fein Handbuch), das fich durch Bearbeitung und Ergänzung „auf den derzeitigen Stand der Wiffenjchaft” bringen läßt. E38 ijt Daher durchaus bereditigt, daß Jomohl R. Wünfch und jet E. Yehrle den Tert un- verändert gelajfen und nur durch die Nachträge Dieterih3 und einzelne Er- gänzungen in einem Anhang vermehrt haben. Diefe Ergänzungen beruhen meijten3 auf Notizen von Freunden ded Berfafjerd, Bemerkungen von Nezenfenten u. ä. und tragen damit naturgemäß fehr jtarf den Charakter des YZufälligen an jich. €3 fragt fi) in der Tat, wie €. Tehrle in feinen Vorwort bemerkt, ob diefe vielen Einzelbeiträge einen Ziwed Haben, und ob man fie nicht bei einer Fünftigen Nenauflage beifer verarbeiten müfje, jo daß fie wirklich ala Exrkurfe den Wert de3 Buch? erhöhen. ch möchte diefe yrage bejahen und fteuere bafür eine Reihe von Bemerkungen, die ich mir in mein Eremplar der 2. Aufl. gemadt habe, bei; fie mögen vielleicht auch mandyem Benuter de Bucdh3 in der bis- berigen Gejtalt erwünfcht fein. ©. 122 ift zu ©. 8 der Naditrag Gerhard Ar. f. Rel-Wif. XVN 1914, 333. überfehen. — ©. 126 zu ©. 16,1 märe bie Deutung Samter3, Geburt, Hochzeit, Tod ©. 50,5 zu erwähnen getefen. — du ©. 19 lafjen fi) natürlich die Ergänzungen nod; jehr erweitern: zur Geburt aus Bäumen S. 3. B. U. v. Mailly, Sagen aus Friaul S.M Nr. 27, zu den Kinderbrunnen |. 8. Weinhold, Die Verehrung der Quellen in Deutjchland ©. 236ff., Eisler, Ad. f. Re.-Wiff. XVII 1914, 3852, M’ Kenzie, Children and wells, Folklore XVII 253 ff.; M. Nind, Die Bedeutung des Wafjerd ... (1921) ©.21. 73,4; 8. Schweiger, Heralles ©.49; Btichr. d.
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Ber. f. rhein. u. mweitf. Volksf. X 1913, 162; Giebenbürg.-fähf. Wörterb. I 99, 367; SHeffiihe Heimat I (1920) 334 Nr.39. 336 Nr.48. — 6.127 ijt leider Wünjhs Berichtigung, Ach. f. Rel.-Wifj. XVII 1914, 352 überjehen, fodaß wenige Zeilen fpäter der Herrgottshrunnen in Saarbrüden noch einmal ericheinen fann. Zu dem Nutichen ber Hebamme über den Sindliftein ift jept DloAtıns, Aaoypapgıxa Zöppewta II, 284 ff., bei. 291. zu vergleihen. — ©. 129 zu ©. 26: Viele Belege für die Sitte, Sterbenbe auf die Erbe zu legen und ihnen da3 Kopf- fiffen megzuziehen j. bei Sartori, Sitte und Brauch I 126, dazu Wünfch, Arch. f. Rei+Wiff. XVII 352; ©. Beyer, Kulturgefchichtl. Bilder aus Medien- burg II 83; Die Heimat (Kiel) XXXIII 1923, 257; €. ©. Hing, Die alte gute Sitte in Altpreußen ©. 101; Weinreich, Hermes LVI 1921, 330. Bu der neugriech. Sitte, dem Toten einen Sad mit Erbe ald Polfter unter den Kopf zu legen, f. den jüdifchen Brauh bei Höhn, Mitt. ü, vollstümd. Überlief. im, Württemb. VII 1913, 332, (vgl. au) Samter, Geburt, Hochzeit, Tod ©. 6, 2). — 6. 131 zu ©. 28 Anm.: Gegen Pieterich3 Deutung der Beitattung in Hoder- ftellung fpridt fih au 9. Naumann, Primitive Gemeinfchaftzkultur ©. 57 aus. — ©. 134 zu ©. 34 wäre wieder ein Verweis auf Sartori, Sitte und Brauch I 34 nüglich, zu Anm. 1 auf da8 Programm eines Dieterih-Schüler W. Schmidt, Die Bedeutung bes Namen? im Kult und Aberglauben (1912), bei. ©. 47; vgl. femer Scheftelomig, Ard. f. Rel.-Wiff. XIX 1919, 222, 3; Bertholet, Teitgabe f. Kaftan (1920) ©.8. Auch bei der Bluttat in Krain- feld in Oberheffen 1914 berichteten die Zeitungen, daß die Namen der fchiwerver- legten Juden geändert wurden. — Über ba3 Fragm. aus der Dielanippe de3 Euripides ©. 42,3 j. HoAtrns, Auoyp. Zönp.II 88. 89,1. — Zu ©. 45 Unm, 1 verweilt Stengel, Berl. philol. Wochenfchr. 1913, 1394 guf Lucian de dea Syr, 13 u. 48. — Die Belege der Formel Exı raldwv zvnatwv apew ©, 47 I. in Apulei apol. ed. Helm 88 ©.975., vgl. audy Abt, Die Apologie ded Apuleius ©. 242. — Bu ©. 50. über die vom PVollögefühl ftreng geforderte Beitattung j. die ablehnende Auffaffung von 9. Naumann, Primit. Gemeinjhaft3fultur ©. 57; Williger, Hagivs ©. 42, Wıl. ud ®. Schulze, Berl. Situngg- berichte 1918, 771. 780. 787. — Zu ©. 67 vgl. den Zufaß von Wünjc, Ach. f. Rel.-Wiff. XVII 352. — Zu ©. 75,1 vgl. die reichen Belege bei Otto Jahr zu Perfius VI, 57: terrae progenies. — ©. 145 zu ©. 89,1 vgl. jet Kern, Real-Enchel. VIII 1930 und ein weiteres infchriftliches Denkmal ber "Ira: Ann. of the Brit. School XXI 1914—16, 170. — Ebda. zu ©. 9 f. Sartori a. a. D. 1162; Rantafalo, Der Aderbau III (= FFCXXXI) ©. 1305. — Zu dem NRheaepigramm ©. 112. j. DO. Kern, Heremd LI 1916, 557 ff, LII 1917, 475. — &n den Berichtigungen ©. 148 ift die Berbefjerung zu ©. 114 zu ftreichen. Nüglich ift die Ermeiterung de3 Regifterd und die Zufügung eines Stellen- und Namenverzeichnijfes.
Gießen. | a E 9. Hepding.
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Kleine Anzeigen.
Bollstundlihe Bibliographie für da Sahr 1920. Im Auftrage des Verbandes deuticher Vereine für Vollsfunde brög. von GE. KHoffnanu- Arayer. Berlin und Leipzig: Walter de Gruyter & Co. 1924. XVII, 212 ©., geh. 6 M. Mit Herzlidem Dan atı ben Herausgeber und die Mitarbeiter, aber au) an die Spender, die die Drudlegung ermöglicht Haben, zeigen wir diejen neuen Band der Bibliographie an, die niemand, der in unferer Wifjenfchaft mitarbeitet, mifien Tann. Der SYahrg. 1918 verzeichnete 1391 Zitel, 1919 deren 1720, 1920 gar 2768; dieje Ziffern genügen fchon, um zu zeigen, wie an dem Yus- bau diefes Hilfsmittel3 gearbeitet wird. Überfehene ober früher unzugängliche Abhandlımgen find nachträglich verzeichnet worden, zahlreiche neue Mitarbeiter Helfen, daß die Lüden immer Heiner merden. Daß dad Unmacjjen de3 Stoff3 bazu führt, fi) „auf die europätifchen und die mit ihmen in engerem Sulturzu- Tammenhang ftehenden ölter zu befchränfen“, auch die Heldenfage wegzulajien, ift nur zu begrüßen. Weshalb auch die Abteilung „Mufeen‘ ausgejchieden worden it, Tann ich bei ber großen Wichtigkeit ber Erhaltung ber vollslundlichen NRealien in SHeimat- und Spezialmufeen nicht ohne weiteres veritehen. Warum jind bei der Smhaltzüberfiht von 220: HoAtrns., Aaoypapıa aunusuta I Die Auffäge über Wefen und Ziele der Volkskunde, die vollstümlihen Anjchauungen über die politische Wiederherftellung der griech. Nation meggelafjen? der 11. Auf fa behandelt nicht das Ofterlamm, fondern die Oftereier. Al Nachtrag zum Sg. 1919 möchte ih noch auf Karl Büchers Lebenderinnerungen Bd. I Bin- weisen, die mancherlei volfstundliche Nachrichten aus feinem nafjauifchen Heimat- ort Kirberg enthalten, fowie auf Erwin Gro3, Der Bauernpfarrer (|. meine An- zeige Heil. BI. XIX, 128). Wehrhang Auffag in ımferen Hell. BI. XIX, 114 ff. „Ein altes Hefiiches Volkslied aus dem Ende des 18. Yahrhunderts‘ fehlt verfehentlich in Ig. 1920. Unfere Mitglieder machen wir darauf aufmerkjam, baß fie die Bibliographie von ber Gejchäftzftelle des Verbandes, Freiburg i Br., Silberbadjfir. 13, zum Vorzugspreis von 4 ME. beziehen können. — Die Bibliothet des befannten Hamburger Privatgelehrten Prof. Dr. U. Warburg entmwidelt fi) immer mehr zu einem glänzenden Forjchungäinftitut, deifen Gaft- freundichaft und miffenfchaftliche Förderung fchon viele Gelehrte dankbar genoffen Haben. &3 will der Löfung des großen Fragentompleres über Ausbreitung und Wejen de3 Einfluffes der Wntile auf die nachantilen Kulturen dienen. Ein Schüler Bolls Dr. 5. Sarl ift der Bibliothelar diefer jegt bereitö einzigartigen Spezialfammlung von Büchern, Bildern, Handfchriften und Handfchriftenphoto- graphien. Die vorzüglich ausgeitatteten Veröffentlichungen erfcheinen im Teubner- fhen Berlag. Das 1. Heft der „Studien“ wurde in Bd. XXI diefer Blätter (S. 92.) angezeigt; nun liegen bie erften Bände einer ‘zweiten Serie vor: Vorträge ber Bibliothel Warburg. Herausgeg. von Hirig Haal. Leipzig, Berlin: Teubner 1923 ff. 8%. Der Band Vorträge 1921—1922, 7 Taf, 185 ©. (geh. 8 ME.) enthält außer einer Einführung vom Serauägeber über die Bibliothef Warburg und ihr Ziel folgende Abhandlungen: Ernft ajfirer, Der Begriff der fymbolifhen Form im Aufbau der Geifteswifjen- Ichaften. Adolph Goldfhmidt, Das Nachleben der antilen Formen im Mittelalter. Guftan PBauli, Dürer, Stalien und die Antike. Eduard Wechpler, Eros und Minne. Hellmut Ritter, Picatrir, ein arabifches
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Handbuch Helleniftifcher Magie). Heinrih Junker, Über iranifhe Quellen
der helleniftiichen Aion-Vorftellung. Bon den Vorträgen 1922—-1923 if
bisher nur Teil 1 erjchienen, 1924. 16 Taf. 239 ©. (geh. 10 ME.) mit, folgendem Inhalt: Ernft Caffirer, Eidod und Eidolon. Dad Problem des Schönen und der Runft in Platons Dialogen. R. Reigenjtein, Augultin al3 antiter und al3 mittelalterliher Menih.2) Hans Liegmann, Der unterirdiiche Kultraum von Porta Maggiore in Rom. 4. Doren, Fortuna im Mittelalter und in der Nenaiffanced). Bercy Ernit Shramm, Da Herrfcherbild in der Kunft des frühen Mittelalted. Auch, für die Vollsfunde ift da8 Zortleben antiten Gute3 ein wichtige Problem, wir folgen mit größten: Sintereffe diefen von der Bibliothet Warburg ausgehenden und geförderten Studien. — Die bisher in 24 Yahrgängen erfchienenen „Mitteilungen zur jüdiichen Volkskunde” werden fortgefegt in dem Jahrbudh für jüdifhe Bolf3- tfunde. Hrög. von WMaxGrunwald. Berlin, Wien: Benjamin Harz 8%. Der erite ftattliche Band für da Yahr 1923 Liegt vor, 480 ©. ftarf mit 7 Tafeln; meit über die Hälfte des Tertes entjtammt der Feder de3 fenntnisreichen Heraus« geberd. lei der erite Auffag „25 Dahre jüdische Volkskunde” gibt einen danfenswerten Überblid über die Literatur zur jüd. Volkskunde, vor allem zu den 66 Heften der „Mitteilungen in folgenden Gruppen: 1. Mundartliche und Namenkunde (dabei auch Ortsnamen, Tier-, Pflanzen, Münzennamen; Sprid)- wörter und Nedendarten), 2. Dichtung, 3. Glaube und Sage, 4. Gitte und
Brauh. — „Aus Hausapothefe und Herenküce II“ (in Zortjegung früherer -
Auffäge werden hier Rezepte, Ajtrologifches, Orakel, Yauberregeln, Segensformeln u. a. au8 alten Handichriften, dem Sefer Belira und münbdlicher Überlieferung au Polen veröffentlicht); zum Schluß Beerdigungsbräude.) Das nlphabetifche Verzeichni3 der michtigiten Gegenjtände aus „SHausapothefe und SHerentüche” I—III ift eine ungemein mertvolle vollsfundliche Fundgrube, in der au noch manche Hinmweife auf andere Literatur verarbeitet find. Alle Fachgenofien feien. darauf aufmerffam gemacht, ebenfo, um das gleich Hier anzufügen, auf die ebenfall3 alphabetifch geordneten „Ergänzungen zu diefem Jahrbud und den Mitt. z. jüd. Volkst. aus Büchern und volkzfundlichen Beitjchriften” (auch unferen Blättern) ©. 473—480. — „Lurusverbot der PDreigemeinden (Hamburg-Altona- Wandsbed) aus dem $ahr 1715. Driginal jüdifch-deutfh”. — „Aus meiner Ziederfammlung” (3. T. mit Melodien, die Terte jübdifch-deutfjh; Nr. 24 ein jüdifch-deutjches Pamphlet auf die Prager Dienftboten im 18. Jahrh.).,. — „südiihe Moyftif” (Kabbala). — „Berufe der Yuden“. — „Zur Vorgeiichte de3 Suffothritual® und verwandter Kultformen”. (Laubhüttenfeft; die mit großer Gelehrjamfeit und zahlreichen volfstundlichen und religionsgefchichtlichen Parallelen geftügte Zurüdführung auf ein urfprüngliches Aderbaufeft jcheint mir richtig zu
1) Für die magische Deutung von Kunftwerfen vgl. den Wuffag von HoAtzns, Tekesuara in feinen Acoyp. Zöppewta I 48 ff.
2) Mit einem Erfur3 über Auguftins Stellung zuc Wunderfudht, darin wertvolle Bemerkungen zur Literatur der Wundererzählung.
3) Sch mache befonder3 auf da3 Rabmotiv aufmerffam: Glüdzrad, Oratel- rad, LXebenzrad.
+) Zum Feuerbefprechen mit dem Davidzfchild f. F. Chr. Schäffer, Der von Gott verfluchte Feuer-Seegen (1723) ©. 26 f.
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fein, fo fehr ic) an vielen gefuchten und gewagten Einzelheiten der QBeiveid- führung Anftoß nehme. Dölgerz großes Wert IXOT2 fennt der Verfajfer no -niht.) — Bon anderen PBerfafjern finden fi noch folgende Auffäte: Adolf Löminger „Die Auferftehung in der jüdifhen Tradition“. — Jabob Nadt „Der Fuß. Eine folfforiftiihe Studie”. — 4. Marmorftein „Beiträge zur Religionsgefhichte und Volkskunde” (1. Kiefelfteine in der talmudijchen Magie. 2. Erzielung von Kinderjegen. 3. Binden und Löfen im Zauber. 4. Die Schlange in der Agada (zu Schlange und Hirih f. Ohrt, Heli. BL. XXI, 65F.). 5. Riten zum Schuß gegen Zauber und Dämonen in dem Birke de3 Nabbenu ha-Kadofch. 6. Der Bater Samueld (Erzählungsmotive: Trug de3 Neltanebos, Flut vor den Weibe, Kenntnis der Bogelfprache, Schnellreife.)),. — M. L. Bamberger „Aus meiner Minhagimfammelmappe”‘ (1. Die Zettel in der Wochenjtube zum Schuge gegen die 2ilith, vgl. oben ©. 123. 2, Das Lernen in ber Nadıt vor der Beichneidung: Wachtnacht. 3. Der Socdor. 4. Der Eliasthron bei der Be- fhneidung. 5. Gevatter und Gevatterin. 6. Brismilohferzen. 7. Die Namen- gebung bei Knaben und Mädchen. 8. Daz eritmalige Haarjchneiden der Sinaben. 9. Da3 Beichütten des Kindes mit Früchten und Süßigkeiten. 10. Das Segnen der Kinder. 11. Die Wimpel-Mapoh. 12. Die Einführung in die Schule). — $alob Bronner „Buppenmodelle in der Felttracht polnisch-jüdiicher Bürgerd« frauen aus dem 17.—19. Kahrh.” (Mit einer Tafel). — U. Landau „Sprid- wörter und Redensarten”. — ©. M. „Zübdifhe Sprichwörter und Redensarten‘. Dieje Inhaltzüberficht genügt, um auf den Wert: de Jahrbuch Binzumeijen, von deijen Tortfegung die Vollskunde fich gewiß nocd) manche bedeutfame För- derung verfprechen darf. Zeuthonijta. SBeitihrift für deutfche PDialektforfhung und Spracdhge- fhichte. Unter Mitarbeit von U. Bahmann, 8. Bohnenberger, Th. . Sringd © ©. Kloele, Leffiat, U. Scheiner, % Wrede heraudgeg. von Sermann Teuderf. Bonn und Leipzig: Kurt Schröder 1924, jährlich 4 Hefte bon je 80 ©., 12 ME. Nach 25jährigem Beitehen hat die vom „‚Deutichen Sprad)- verein“ herausgegebene „Zeitichrift für deutihde Mundarten” ihr Erjcheinen in der bisherigen Form eingejtellt. Mit erweiterten Zielen und vergrößertem Mit- arbeiter-Stab wird fie nun von dem tüchtigen Verlag U. Schröder in Bonn wmeiter- geführt, der Titel it von dem eriten mundartlichebeutichen Vokabular, Gerhard van der Schuerend „Zeuthoniita” (Köln 1477), bergenommen. Das Deutich- tum ‘außerhalb bed Neichd und aud bie Mundartenforfchung im niederländifchen und in den nördlichen Sprachgebieten follen weitgehend berüdfichtigt, über die Sortichritte der romanifchen und englifchen Pialektforfchung foll regelmäßig be- richtet werden. Die enge Verbindung mit dem bdeutfchen Spradjatlad bedingt e3, daß die Dialektgeographie, die ja auch für Sprad- und Literaturgefchichte immer bedeutjamere Ergebniffe liefert, und bie Wortgeographie befonder3 gepflegt werben. Auch der milfenfchaftlichen Arbeit über die Dialeltliteratur und „der Erforfhung wichtiger voll3tundliher Erfcheinungen, namentlich menn biefe fi in der Sprache äußern oder allgemeine feelifche Grundlagen de3 Bolkstums wie befondere geographifch firierbare Tatfachen behandeln“, fteht die Beitfchrift zur Verfügung. Außerdem find noch ein Beiblatt und Beihefte für größere Unter- juchungen und eine alle zwei Jahre zu veröffentlichende Bibliographie geplant. Da3 und vorliegende erite Heft enthält folgende Auffäge, die auch volfskundliche Bedeutung haben: Wilh. PBepler „Wortgeographie von Norbweitdeutichland
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im Rahmen ber vergleichenden deutichen Eihnogeographie”‘ (Auswahl aus den wortgeographifchen Aufnahmen de3 Verf. für 75 Sachjbezeichnungen: Ta, Ge- fah im Bauernhaus (mit Karte), Bodenraum ded Seitenjhiffes (Bühne), Dielen- ftänder, Brunnen, Traufe, Wurftfpeilen — Räucderroft — Räudjerkrone, Alloven “mit Karte), feite Schwelle an ber Diele, herausnehmbare Torfchwelle. Verf. tritt für eine umfaffende deutiche Ethnogeographie und einen deutichen VBolld« tumsatlad ein) — M. Szadromsty „,‚Öegenfinn’ im Schweizerdeutichen. Nachträge” (1. Gegenfägliche Bedeutungs- und Gefühlsfärbungen bei Diminutiven, 2. Widerfprüche zwiichen natürlichem und grammatiihem Gejchledht, 3. Konträr-
hildungen wie Großvater: Großjohn). — Adolf Bad „Zum Problem der
Stadtmundarten” (an bem Beifpiel von Bad Ems dargelegt), — A. Böhmer „Diederich Georg Bapit“ (1741—1800, Roftoder Dialektdichter). — 9. Teudhert „Riederfräntifches Spracdhgut in der Mark Brandenburg”. — Bernd. Martin „Deutihe Wortgeographie” (auf Grund der Beantmwortungen de3 erjten mortgeo- graphiichen Fragebogens wird da8 Ergebnis für den Begriff „Hefe“ erörtert und Sartographifch dargeftellt). — Veiprechungen und Anzeigen jchliegen das wertvolle Heft ab. Möge die Zeitfchrift in der neuen Geftalt fich zu neuer Blüte entwideln. — Marcus Bachmann Lambert, A dictionary of the non — English words of the Pennsylvania-German dialect. With an appendix. Lancaster, Pa: Pennsylvania-German Society 1924. XXXI, 198 ©. in Zmeilpaltendrud. 8°, Durch) die Güte von Prof. Rob.P. More von der Lehigh-Univerjity in Beth- lehem erhielt ich diejes jchöne Buch, das den gefamten Wortihag des Penn- fylvanifch-Pfälziichen feitlegt, das leider nach einer 200jährigen Blüte nun immer mehr vor der englilchen Sprache weicht. (Sn den FKlerngebiet, um Lehigh, Berk und Lebanon, können noch 60—65% der Einmohner pennfyle« vanijch-deutich jprechen, aber nur noch 80—85°) benuten diefe Mundart als ihre gewöhnliche Sprache.) Sn der Vorrede berichtet der Verfafjer über das weite Verbreitungsgebiet diejes dabei merfmürdigermweije jehr einheitlichen Dia= lefts, über die Geichichte der deutfchen Einwanderung, zu der die Pfalz, Baden, Eljaß, Württemberg, Heflen, Sachien, Schlefien und die Schweiz da3 Vlenichen= material geliefert haben. Das pfälziiche Element übermog jo jehr, daB das Benniylvania-Deutich den Charakter eines pfälziichen DialeftS hat — es jteht dem Weftricher Dialeft am nächiten —, nur in einigen Gebieten, wo die Ein- wanderung aus der Schweiz ftärler war, ift der Einfluß der Schweizer Mund- arten noch zu erkennen. Natürlich) dringen aus dem Englifchen allmählich immer mehr Wörter ein, der Verf. jchägt diefen engliichen Einjchlag auf O—12 oder 15%, je nach dem Sprecher „der Schreiber und dem Gegenftand der Unterhaltung oder des Textes. Ym Gegenja zu feinen Vorgängern legt der Berfaffer nicht die englische, fondern die deutfche Drthographie feiner Schrei=- bung zu Grunde, die nicht ftreng phonetijch ift, aber duch Einführung einer ganzen Reihe von phonetifchen Zeichen doch eine genügende Sicherheit für die Ausiprache der Worte gewährt. So find 16488 Worte gebucht, im Anhang roch 517 eingedeutjchte engliiche Worte. Auf das penniylvanifch-deutiche Wort folgt die Bezeichnung der Quantität und Betonung der Silben, die Bezeich- nung des Gejchlechts, bei Zeitwörtern die Angabe des partic. perf., die Be- deutung in englifcher Sprache, die Etymologie, alles möglichit Inapp, z.B. blotzwajje[vuu], m, wagon without springs, farm wagon. d[ialectic] G[erman] blotze +G Wagen —jesesbrief[-u-—], m, alleged letter of Jesus Christ,
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G Jesus-+ Brief. Cf. himmelsbrief. — schnarraffelgsicht [uivu], n, false face, mask; also used contemptuously of a human face. G Schlaraffen- gesicht. Cf. schlaraffegsicht, raffelgsicht. — zackere [suu], pp gezackert, to plow, jog along: do kummter gezackert. dG zackere. Meiftens ift nur das reine Wortmaterial gegeben, hie und da fiößt man aber auch auf fprich-, wörtlihe Redensarten oder jonitigen vollstundlichen Stoff, wie 3.8. ©. 31 die ausmeichende Antwort auf die yrage: wu gehscht hi”? noch Bocksloch-, grie”, buhne roppe, ©. 51: elbedritsche, elfedritsche, elbedritschelche mit Beichreibung des ja auch in Hefjen befannten Elbendritichen=Fangens- ©&.55: fellgnopp, m, magic bag for curing a membrane over the pupil of the eye, S, 59: Gallewoch, f, ®allus-Woche, 16. Oft. This name has become confused with G Galle (E[nglish] gall) in the superstition: wammer sauergraut macht in der Gallewoch, waerd’s bitter. &©.52: eschepuddel, f, drudge person in a family who rises last on Shrove Tuesday. G. Aschen puttel. &,117: Pannekuchedäk, m, Shrove Tuesday. Die FKiechelcher fpielen noch heut an Yaftnadht in der Pfalz eine große Rolle (Alb. Beder, Pfälzer Voltst. S.29; die Bezeichnung „Alchenputtel” mag wit dem „Aichern“ am Alchermittmoch (ebda ©. 303) oder Bräuchen, wie fie Sartori, Sitte u. Brauch III 100 anführt, zufammenhängen). Wer die Pfälzer Sprache fennt langmweilt fich troß der fnappen Faflung nicht, fondern Hat feine Freude an der echten, Fräftigen, oft humnrvollen oder derben Ausdrudsmweile, 8. S©.71: sich en grindkopp &-schwetze; ich grick dich am grips; di grissel sin mer ausgange, es grisselt mer; gritzelfixel, grickselfixel (Gefrißel), ©. 72: grotte- gelser (= FKrötengelzer für einen ungejchictten Arzt), grottegickser (für ein Ichlechtes Tajchenmeffer), grottehupse, n, wörtliche Mberjegung von erfgl. leapfrog. Berjehen find mir nur wenig aufgefallen, 3.8. ©. 73; en gross gschiss mache. Suabian gschiss <schiessen!, ©. 81: hibberdiglibb von hippeln —+ klipp, vielmehr zu vgl. mit Bildungen wie hobbedimobb, hHumpeldi- pumpel, Elipperdeflapper u.ä., vgl. S. 82; Hobbertibobb(erti). Den größten Raum von allen Xrtifeln nimmt die Beiprechung des Wort3 pannhäs ein, über defjen Herkunft in Amerika viel diskutiert worden ift, die Zurüdführung aufs Pfälzifche durch Prof. &. Herbig, München, trifft ficher das Richtige: „falicher Hafe*. Der Verfaffer beabfichtigt feine penniyloanijch-deutichen Studien fortzufegen, fei aber, wie ich höre, durch das geringe Berjtändnis, das feine Arbeit unter den gebildeten Benniylvanisch-Deutjchen gefunden habe, etwas eıt- mutigt. Möge das Buch im deutjchen Mutterland die Beachtung und Anerlennung finden, die es verdient. Man möchte wünfchen, daß auch die Volkskunde der Benn!.- Teutjchen bald eine ebenjo zuverläjfige, von wifjenichaftlichem Beift getragene Be- handlung erfahre; das Werk von John Baer Stoudt, The folklore of the Pennsylvania Germans (Philadelphia 1916) bleibt gar zu jehr auf der Oberfläche und behandelt auch nur einen Kleinen Bruchteil der Bolfsfunde (Kinderreime, »gebete, Abzählreime, Rätjel, VBierzeiler, Drts- und Namen-Nedreime, Volls- lieder, Neujahrs-Glüchwünfche). M. B. Lambert wäre, jollten wir meinen, auch bier der richtige Mann für die Sammlung der alten Überlieferungen jomohL im Sintereffe feiner Landsleute al3 vor allem der Wiffenichaft: E83 gilt jet wenigftens noch zu bergen, was noch davon lebendig oder feititellbar ift. — Dietrich Behrens, Uber deutjches Sprahgut im Franzöfijchen. (Gießener Beiträge zur romanischen Philologie, 1. Zufagheft) Gießen: Selbitverlag de3 Sei. BL. f. Volkskunde Bd. XXI 11
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Romanijchen Seminars 1924. 104 ©. 3 M. Diefe gediegene Arbeit des be= fannten Romaniften gibt viel mehr, al3 der Titel anlündigt, es ift eine Ge» Ihichte des ftarten von den DVeutichen feit dem 15. SYahrh. auf die Franzofen ausgeübten Kultureinrluffes, gegliedert in foigende Abjchnitte: Snteleftuelle oder freie Berufe; Heer- und Befeftigungsmejen; Handel- und Transport; ne duftrie und Handwerk, Hausgefinde; Berufslofe.. Man folgt geijpannt den oft aus entlegenen Duellen, Zeitungsnachrichten u. ä. fchöpfenden Ausführungen des Verf. und ift immer wieder Üüberrajcht, wie intenfiv doch die kulturelle Ein= wirkung Deutjchlands auf Frankreich gemefen ift, und wieviele Deutjche in den legten Sahrh. dort ihren Lebensunterhalt gefunden Haben, bis herab zu den darmstadtois, den aus Oberheffen ftammenden Gaffenfehrern. Bilderatlaz zur Religiondgeihihte. Sm Bufanmenarbeit mit Hans Bonnet, Hug Greßmann, Benno Land3berger, Yohannes Leipoldt, Eugen Mogf u. U. Herausgeg. von Hans Saas, Leipzig. Erlangen: Deichert 1924 ff. Lg. 1: Germanifhe Religion. Bor €. Mogt IV ©. Text, 54 Abb. auf 24 Taf. 1 ME. E3 ift ein fehr guter Ve= Danke, dem im felben Berlag erfchienenen ausgezeichneten „Zertbuch zur Neli- nionzgejchichte (2. Aufl. 1922) einen Bilderatlad beizugeben, der längit al Ergänzung zu den religionsgejchichtliden Yandbüchern, die meiltend fein oder doch nur unzureichendes Abbildungsmaterial enthalten, erwünjcht war. Die Denk» mäler der germanifchen Religion find leider nicht fehr zahlreidh, und bei vieler it die Deutung unficher. Die Hauptdentmäler findet man hier in meilt gutem Abbildungen zufammen. Abb. 17 mit den Hammeramuletten ijt allerdings zu Klein, um die feine Ornamentit mancher Stüde erfennen zu lajjen. Die Unterfchrift zu Abb. 26 beichreibt nur das eine Holzbild, bei den Kriegern auf dem Schiff im Mufeum von Hull. ift doch faum an Götterdarftelfung zu benken (f. 8. Helm, Altgerman. Neligionzgeih. I 222 Anm. 126). Zu Abb. 34 (fo ftatt 421), dem Wagen von Deibjerg, ftimmt die Unterfchrift nicht zu dem Tert ©. III. So gut auf BL. 37 die Yuppitergigantenfäulen abgebildet werden, hätte auch die germani- fierte Matronenverehrung durch einige Parftellungen vertreten fein jollen (fiehe Drerel, 14. Bericht d. röm.-german. Kommiffion 1922 ©. 42 ff.); überhaupt: hätten die röm. Smfchriftiteine für germanifche Götter, die nur durch die Nrn. 38—41 vertreten find, größere Beachtung verdient; bei den Altären vom Hadriand- wall vermißt man ungern die 1920 dort dazugefundene Snfchrift für die beiden Alaifiagen Baudihillie und Friagabi (jet 3. ®. bei Sieb3, Mitt. der Schlef. Gef. |. Vollet. XXV 1924, 9). Bei der Deutung bed Aunenfteins von Tjängpide Abb. 43 fragt e3 fich fehr, ob auf dem Totenroß nicht der Tote jelbft dargeftellt it (f. Helm a.a.D. 1 212). Auch die Zugehörigkeit der Elfenfteine (Abb. 9) zum Totenfult it zweifelhaft (j. Helm n.a.D. I 231ff.).. — Pie Freunde der volföfundlichen Betrachtungsmweife unferes Mitarbeiterd Georg Koh machen wir aufmerkfjam auf dejjen kleine Schrift „Bauer, Bürger, Urbeiter. Ein gefchichtlich-volfstundficher Verfuh”. Schlüchtern: Neumerf-Verlag 11924]. 15 ©. 0,30 Mf. 8 ift ein geiftvoller VBerfuch, die foziale Sruppierung Des Volkes zu begreifen al3 Ergebnis der Wuzeinanderfegung der Uridee Heiliger Ordnung mit bem Urtrieb de3 „fauftifchen” Drangs zur Entfaltung aller Kräfte. Der Plattdütiche Landsverband Medelborg gibt eine Bölerie heraus mik dem Titel „Wat plattdütfh Lüd fingen und feggen un jü3 nod mat. Wolgaft, Pommern: Paul Chriftianfen 1924. Bis jebt 4 Hefte zum
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Preis von je 0,50 Mi. €E3 find volfstümlihe Auswahlen aus den großen Sammlungen de3 beiten Kenner de3 medlienburgifchen Xolfslebenz, Kiderd Worfidlos. H.1: Rimels. Autgäben von WSoffidlo und Hanns Gofell. 2. 1lpl. 32 ©. (1. To’n Singen un PDanzen. 2. Rimeld vewer Stand un Gewwarf. 3. Spridwürd, dee fil rimen) 2.: Luftig VBerteller3. Bon denfelben. 32. ©. (Eine prächtige Schwankffammlung. 3. Bon allerhand Slag Lüb. Bon denjelben. 46 ©. (1. Redensarten und Vergleiche, in denen beitinmte PVerjönlichleiten genannt werden. 2. Spridwörter und Scheltnamen auf die rauen. 3. Beifpielsfpricäwärter mit „jäd de oM ru”. 4. Redensarten und Sprihmörter über Neihtum und Geld. 5. Desgl. über Armut, Banferott u. a. 6. Der Geizhals. 7. Der Habgierige. 8. Bruder Leichtfuß. 9. Dumm Hans. 10. Der Pfiffige. 11.. Der Überfluge, 12. Bon einem der ’nen Wogel Hat.). 9 4: NR Woffidlo, Demer den Humor in de medelbörger Bollziprak. Ein Rortrag. 33 ©. Diefe fchönen Vollsblicher werden fi weit über die Grenzen Medienburgs hinaus Yreunde erwerben, Mit freudiger Erwartung lieft man die Anfündigung de 4. Bands der „Medienburgijchen Vollsüberlieferungen. — Alfred Birkf, Beiträge zur VBolf3lunde in Anhalt Eine Heftfolg. 9. 2/5: Die Hauptitufen des menjchlichen Lebens. 2. Aufl. Deffau: E. Dünnhaupt [1924]. 67 ©. 9. 1 Habe ih in Bb. XXII ©. 111 angezeigt, auch dies Doppelbeft it da3 Ergebnis einer ausgedehnten Sammelarbeit und fleißigen Studiums der Literatur, für da3 mir dem "Berf. jehr dankbar fein müjfen. Inhaltlich entfpricht e8 dem 1. Band von Sartorid „Sitte und Brauch”, zu dem e3 zahlreiche Ergänzungen liefert. Aber e8 werden dabei auch Sinderreime und -Jpiele, Stammbuchverfe, Liebesorafel und Liebes- zauber, Spinnjtubenbräucdhe u. a. mitgeteilt. Wenn man nah S. 7 der Wöchnerin eine Sichel, nad ©. 11 dem franten Rinde ein Meffer ins Bett legt, jo wird vor allen da3 Eifenwerkzeug Dämonen und Zauber abmwehren follen. ©. S: Die Wöchnerin wird nicht „ein“, jondern „ausgefegnet”. Wenn fie dann nad Haufe zurücdkehrt, findet fie die Tür verriegelt und ihr Kind veritedt, fie muß fich erjt durch Gejchenke Löjen. Ahnliches berichtet Zr. Krönig, Chronit des Dorfes Niedergebra (1902) ©. 355f. Zum Durchziehen de3 Kindes durdh die Sprojien einer Leiter ober eine Treppe (S.9Ff.) oder dur Feniter (S. 10) j.0.©.149. Durch, die Riten der Taufhandlung wird das Kind unter Gottes Schub geitellt, vorher Fönnen die Dämonen Macht Über e3 gewinnen: Das hat doch niht3 mehr mit der PBorftellung, daß Waffer die Geifter banne, zu tun (S. 11). ©. 54ff. intereffante Nachrichten über Totenfronen, f. o. Bd. XX, 36 ff. €3 werden noch drei meitere Sefte angekündigt: Die seite im Kreislauf de ahres. Tiere und Planzen in Brauch umb Glauben. Vollamebizin und Überglauben. — Heinrih Hoßneey, Die Sollinger. Bollsbilder aus bem Sollinger Walde. Berlin: Deutfche Landbuchhandlung 1924. 392 ©. 89 geb, 5 Mt. Wer die dem deutichen Lanbvolf gemweihte fegensreiche Arbeit bes Heraus- gebers der „Deutichen Dorfzeitung” und ber Zeitfchrift „Das Land” und des Verfajfer3 zahlreicher Tebensvoller Erzählungen aus dem Polfsleben Tennt, wird mit freudiger Spannung zu biefem Buch greifen, das die Frucht eines jahr- zehntelangen Samnıelnd und Beobadhtenz ift. „Einzig von dent Gedanken erfüllt, ein unverfälfchtes, naturgetreue3 Abbild vom Vollstum des Sollings zu geben“, will der Verf. „Vergangenes und Gegenmwärtiges für eine Zukunft bewahren helfen, in der vielleicht alle urmwüchfige Sonderart eingeebnet fein wird”. Ar
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echt volfstümlicher Darftellung ohne gelehrtes Beimerf geitaltet er fein reiches Material zu Iebenzfrifchen Einzelbildern, die in gleicher Weife den Freund des Bauerntums wie ben mifjenjchaftliden Forjcher anjpreden. E3 ift fehr zu be- dauern, daß der Verlag fich nicht entichloffen hat, au bda3 reiche Bilder- material, da3 der Berf. im Laufe der Jahre zufammengebracdht hat, zu veröffent- Tihen. Der bucdhhändleriihde Erfolg des Werts — es ift jchon dad 3. Taufend im Handel — follte zu einer erweiterten, illuftrierten Auflage ermutigen. Der Verf. ftellt eine Fortfegung de Werks in Ausfiht: Sagen und Geidhichten des Sollings, Wald- und Aderleute, Spinn- und Gpiellieder. Möge ihm Rraft und Muße für die Ausführung diejer Pläne bejchieden fein. Nach einer Inappen Ein- leitung, in der er Geographie und Gejdhichte ded Gebiets, Volfscharafter und Sprache feiner Land3leute ffizziert, wird der Lebend- und Sahreslauf de3 Gol- Yinger3 gejchildert; einzelne Gftizzen behandeln Hausbau, Bollstradht, Heren- glaube, Beiprechen von Krankheiten, Töpferfprüde, Dorforiginale u. a.; Sprid wörter und Nedendarten beichließen das jchöne Bud. Der Abjchnitt „DOrt3- nedereien” erjchien auch in der Niederd. Zeitichr. F. Volkst. 3g. II (1924) 9.1. Ein Schönheitzfehler it e8 m. E., daß gelegentlich „mythiiche” Deutungen ver«- fucht werden im Geift Simroda (f. ©. 126), wobei Wodan, Donar, Holda, Dftara unndötigerweije bemüht werden (3.8. ©. 55, 121, 276, 279); bei. gehören hierher die unglaublihen Wermutungen von Paftor Harland, denen Gohnrey jelbjt oft zmweifelnd gegenüberiteht (3. B. ©. 96). PDankenswert find die Dinweije darauf, mie Geiftliche, ftatt dörffiche Sitten zu veredeln, fie, durch ungejchidted Eifern dagegen, mit oder au; ohne Erfolg befämpft Haben (3. B. Spinnftuben ©. 76, Konfirmationsbräude ©. 108F., Leichenmahl ©. 234). ©. 287,1 wird „Eli Ding” in der von W. Martin, Hefj. Bl. XIX 121 mitgeteilten Segend- formel gegen Rofe richtig al3 „hillig Ding” erklärt. Ich Tann mir nicht ver- fagen, auf ein prächtige3 Beifpiel dafür Hinzumeifen, wie Wandergejchichten im, Vollemund Lofalfarbe befommen und bei der Aneignung ausgefhmüdt merden. Der belannte Schwanf von der Frau, die durch den SKlingelbeutel im Kirchen» fchlaf gejtört wird, 3. 8. Woffidle und Goffeld, Luftig Pertellerd ©. 11 Nr. 18), wird hier ©. 575. bei der Behandlung des GSilvefterbrauchd der Honig- fuchenfaltichale von einer bejtimmten Frau erzählt, die bei diefem Teitellen fi, in einem Nachbarborf ganz befonderd gütlih getan Hatte und nun bei der Nenjahrspredigt einfchlummerte und träumte, fie jäße noch an Bierfampa Tijch. und äße immerfort. „Brenneiveungfafchale”, ob fie ihr auch fchon gänzlich über war. Da welt fie der Rirchenvorfteher mit dem Sfingelbeutel, und fie ruft laut in die Kirche hinein: „Näu af nennen Droppen mähr!” E38 fei noch emwähht, daß Diefes eigenartige Geriht ©. 59 unter dem Namen „Brodjel” au für den Weftermwald nachgemwiefen wird. — ®. Shell, Bergifhe Volfstunde. Elberfeld; Martini und Grüttefien 1924. 142 G. 8% 2,40 Mt. Wohl ber derzeit beite Stenner des bergiichen Bolfstums, dem mir auch zwei Bände „Bergifche Sagen” und viele Einzelbeiträge in vollstundlichen und Hiftorifchen Beitfchriften verdanken, bietet uns hier eine eingehende Darftellung der Vollg- funde feiner engeren Heimat dar zur „praftifchen Benugung in Schule und . Hau”, wie der Wafchzettel jagt. Er ift fich dabei bewußt, daß nad; der gejchicht- lichen Entwidlung „eine große Eigenart und Gelbftändigfeit de3 VBolfstums im Bergifchen nicht zu erwarten ift“, und fällt daher nicht der Gefahr zum Opfer, durch ein gejuchtes, Tünftliche8 Herausarbeiten bergijcher Eigenheiten feiner Mrbeit
ben Vorwurf „innerer Unmahrheit” zuzuziehen. Da Buch ilt in folgende Abjchnitte gegliedert: 1. Bergifhe Stammtezkunde, 2. Siedelung; Hof und Haus, 3. Tradt, 4. Sprache, 5. vollstümliche Dichtung, 6. Voll3glaube, 7. Sitte und Brauch (des Tages Arbeit, des Jahres eite, ded Lebens Stufen, Spiel und Tanz), 8. ded Volles Nechtöpflege. Etwas mehr Kritit den Duellen gegenüber und Vorficht bei ihrer Deutung wäre erwünjdht: ©. 22 3. B. lieft man im An- ihluß an die bekannte Cäfarftelle (de bello Gall. VI, 21, |. Helm, Wltgerm. Religionzgeich. I 256 ff.) folgendes oberflächliche Gerede: „Da3 Teuer Tönnen wir aber mit der Sonne faft identifizieren. Daß ein Tyeuergott faft allen idg. Völ- fern befannt war, fannn mithin Teinesmeg3 befremden. Ein Abbild der Himmlifchen sseuer ift da3 irdifche Feuer .... e3 Hat vor allen Dingen jeinen Sik im Serdb ... . dort brennt da3 Feuer, da3 alter bergifcher Sitte gemäß nie erlöjchen jol ...: jere gefeflelte, geheimnisvolle Riejenkraft, vor allen Dingen der Sonne, de3 Allheilmittel3 der Erde und ihrer Lebemwefen.” ©. 23 wird, fcheintg, ein Kachelofen mit figürlichen Darftellungen gefchildert: die Landleute, wußten nicht, weswegen hier „die Hellgen in die Pötte gudten”, dann fährt der Berfaffer fort: „Damit begegnen wir dem Geelenglauben, Seelenkult, Ahnentult. Im Nauchfang hing da3 Hel mit dem Helhalen zur Aufnahme von Keffel oder Topf. Auffallend ift immerhin die Übereinjtimmung de3 Namens Gel mit dem der ebdifchen Toten- göttin ... Hel. An Oberhejjen find Hollefahrten bekannt, ... .. eine Hollefahrt ift eine Geifterfahrt, eine Totenfahrt.”“ Selbjt wenn der Berf. Statt Simrods Mythologie auh Günterts Kalypfo ftudiert hätte, muß man fragen: Wa3 foll da3 hier? Den Hel- oder Halhafen mit der Frau Holle zufammenzubringen, blieb ihm vorbehalten. Ein Sa mie der ©. 49: „Der geheimnisvollfte Tanz ift ber alte bergijche Hochzeitstanz, der Siebenfprung” zeigt, daß der Verf. die grund- legenden Arbeiten über diefen Tanz von Ed. Hermann in der Btfchr. d. Ber- f. Zoltzt. XV u. XVII nicht fennt. Auch die folgenden Bemerkungen über bie Tanzlieder find jo Enapp und unflar, daß man ebenfall3 annehmen muß, daß bem Derf. 3. B. John Meiers Ausführungen über „Schön Hanncden in der Mühle” in dem Bud „KRunftlieder im Bollsmund” unbefannt. geblieben find. So fünnte ich fortfahren, da8 Angeführte mag genügen: der Wert des Buches -Tiegt in der Mitteilung de3 Tatfächlichen, und aud) da möchte man manchmal mehr und Genaueres erfahren. Der Berf. hat 3. B. felbjt einen Beitrag über den Hubertus- fchlüffel in der Ztichr. d. Ber. f. Volksf. XI veröffentlicht, warum befchränft er fich ©. 103 auf den furzen Sa? Auch forgfältige Anführung der Quellen vermißt man oft, gerade wo doch Hier mit der Phantafie eines Zuccalmaglio zu rechnen ilt (f. 3. ®. Heff. BL. VII, 36f.; 187). ©. 22 find al3 Proben der Haugr injchriften drei Sprüche gegeben: in dem erften ift ficher in 3. 3 „ewig“ für „wenig“ zu lejen, aber auch die Formulierung des zweiten ift fchleht (f. Heil. Bl. XIX, 47 ff), und ber dritte Spruch ift feinem Snhalt nach fo einzigartig, daß er als Mufterbeifpiel für bäuerliche Spruchweisheit nicht gut dienen Tann. — Siegen und ba3 Siegerland 1224—1924. Feitfchrift aus Anlaß ber Siebenhundertjahrfeier von Burg und Stabt Siegen in Verbindung mit ber Stadt verwaltung, ber nduftrie- und Handelsfammer des reife Siegen und im Auf trage deö Vereins für Heimatkunde und Heimatfhußg im Siegerlande famt Nacjbar- gebieten Hr3g. von Gans Krufe. Siegen: Verlag der Siegener Zeitung (W. Bor- länder) 1924. VIII, 120, 100 ©., 2 farb. Runftbeilagen. Fol. Diefe reichilfuftrierte auf Kunftdrudpapier gedrudte Feitfchrift verdient auch in volfsfundlichen Kreifen
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befannt zu mwerden wegen einer Reihe wertvoller voll3fundlicher Beiträge: Her- mann Böttger, Da3 mittelalterliche Siegen. Eine gejchichtliche Ort3bejchrei- bung auf Grund arhivalifher Studien (Siedlungsgeihichte, Befeitigung, Tor-, Plap-, Straßen- und KHäufernanen, Brunnen ufw.). Theod. Kepler, Die rechtögefchichtliche Entwidlung der Siegener Stadtverfaffung. 9. Plitfh, Aus Siegen3 frühlten Tagen (u. a. Abgrenzung der Stadtmarf, Eijen- und Silberhütten, Bünfte, Bürgereid). R. Jung, Stadttore und Torfchluß in Siegen. 3. Hein- zerling, Über Glauben und Brauch unferer Vorfahren im Siegerland (Marien- füfer — Herrgottötiercheen, auf Freia zurüdgeführt!; Martinsfeuer, DOfterfeuer mit Teuerrad- Rollen, Martinsgans (Martinus —= Wodan!); Nicolaustag, Kla(o)3born al3 Rinderbrunnen; Waffermann; Hollefahren; die Spirkel (= Februar, vgl. Bilfinger, Btichr. f. d. Wortforfchung V 1903/04, 263 ff.); milde Weiber; Heidelbeeropfer und -»liedchen, eine wertvolle Ergänzung zu meinem Auffag in Bd. XXI; Trude; Heren; Beiprechen (unter Mitteilung zahlreicher Gegend- formeln); Baftlöfereime; Werwolf; Tiere im Vollaglauben; Todesvorzeichen). Wilhelm Weyer, „Pie Riimder uß d’m Geejerland“ (Dialektgedichte von Safob Heine. Schmid 1868). Albr. Kippenberger, Vom Huniteilenguß des GSiegerlandes und dejjen Meilter. Hermann Reuter, Landichafts- und Ortsnedereien im Siegerland (mit Erflärungen, die von einer genauen Kenntnis de3 Voll3 und feiner Mundart zeugen; Verf. Hat in jeiner Dijjertation wertvolle Beiträge zur Giegerländer Mundart geliefert, 1903.) — Albert Beer, Tiälzer Bollsfunde Mit 153 Abb. auf Tafeln und im Text, jowie 5 Karten. Bonn und Leipzig: Kurt Schröder 1925. XV, 413 ©. 8%. 6 M. Zn der von Adam Wrede herausgegebenen Sammlung „Bollötunde rheinifcher Landfchaften“, in der als eriter Band die 2. Auflage von Wredbes „Eifeler Vollsfunde” erfchien, erhalten wir bier au3 der Feder unjeres Mitarbeiters ein reife Werk, da3 vielleicht unter den zahlreichen, in den leßten SYahren veröffentlichten Darftellungen der Bolfz- funde deutfcher Landfchaften ala die beite angejprochen werden darf. Auf Schritt und Tritt merkt man, daß hier ein Mann zu uns fpricht, der nicht nur daB Vollsleben feiner Heimat vorzüglich Tennt, fondern der auch die gejamte in Betracht kommende wiffenfchaftliche Literatur beherrjcht, und der felbjt auf vielen Gebieten al3 erfolgreicher Mitforfcher tätig ift. Sch fenne wohl nur einen Kleinen Teil jeinec früheren zahlreichen Beröffentlihungen, die meiltens in provinziellen Beitfchriften wie dem „Pfälzerwald”, dem „Pfälzifchen Mufeum“, dem ‚Pfälzer in Berlin”, den „Bayer. Heften f. Volkskunde”, den „Mitteilungen und Umfragen zur bayer. VBolfsk.“, den „Blättern zur bayer. Volks.“ erfchienen find; unfere Lefer werden fich gern an die Beiträge zu unfern „Blättern“ erinnern, von denen ich Hier nur die beiden großen Auffäge „Pfälziihe Frühlingsfeiern“ in Bd. VI und „Srauenrecht in Braud) und Sitte” in Bd. X erwähnen will. &3 find alles Abhandlungen und Mitteilungen, die wirklich die Forfchung gefördert oder das QDuellenmaterial bereichert haben. Er hat für die Volfzfunde der Pfalz zwei große Vorgänger: Riebl und Schandein, diefer neue Grundriß der Pfälzer Bolfs- Iunde Tann fich ihnen getroft an die Geite ftellen; er faßt zufanmen, wa3 Die moderne volf3fundliche, religionsgefchichtlide und Zulturhiftorifhe Forihung für die Pfalz geleiftet haben. Das Buch ift folgendermaßen gegliedert: Einleitung: Snhalt, Alter und Umfang des Begriffes Pfalz. 1. Siedlungs-, Stammed- und Ortönamenfunde 2. Flur und Dorf, Hof und Haus. 3. Die Tracht der Alten. 4. Vollztum und Geijtesentwidlung. 5. Glaube und Aberglaube. 6. Sprache und
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Dichtung. 7. Sitten und Bräude (Markiteine und Stufen de8 Menfchenlebenz; Urbeit und Alltag; Zeiten und Teite). E3 folgen über 60 S. Anmerkungen, bie or allem reiche literarifche Nachweife zum Tert bringen, für bie alle Mitforicher ‚ bvem Verf. dankbar fein werden. Der Begriff der Volfkunde ift, wie man jieht, fehr weit gefaßt, und man fann fich fragen, ob 3. B. Ausführungen über die Helteniftifch«orientalifhen Myfterienreligionen in den Rheinlanden wirklich notwendig find, jo berechtigt und erfreulich die weitgehende Berüdjichtigung der „Bolls- Xunde auch der pfälzifchen Vergangenheit” in diefem Werfe gemik if. Die Tafeln jind bogenmeife hie und da in den Tert eingeheftet, das ift ein ftörender Mißitand; wenn e3 technifh jchwierig ift, die Abbildungen dba einzufügen, mo fie im Tert erwähnt werden, follte man fie lieber alle and Ende binden. €3 ift jchade, daß oft auch im Tert ein Hinweis auf die Tafeln fehlt, 3. B. ©. 56, wo der Ticht- Yfälzer ich fchwerlicdh eine Vorfjtellung von dem „Dampfnudeltor” machen Tann, dejfen Abb. erit nad) ©. 208 eingeheftet it! Das muß in einer Neuauflage, die gewiß nicht allzulange auf fi) warten läßt, geändert werden. ©. 118 jehe id) mit Verwunderung, daß der oben ©.125 von mir behandelte Segen gegen die Gelbfuht in der Pfalz auch beim Anfchmeiden des erjten Brotlaib3 aus neuem MeeHl gejprochen wird; aus meiner Darftellung wird wohl Ear werden, daß da3 nur ein unverftandener Mikbraud fein fan. Für das AYudasverbrennen am Sar- jamstag ©. 312 wäre die ausgezeichnete Monographie von WU. Taylor in den Washington University Studies XI 1923, Human. Ser. S. 159 ff. zu zitieren, in den Anm. zum Schwertertanz hätten 9. Naumann Unterfuchungen zum Schwertfechterjpiel in „PBrimitive Gemeinjchaftzfultur” ©. 124 ff. vielleidt Er- wähnung verdient. Zur Kududsferwe ©. 332 vgl. Helm, Helif. Bl. XVII 123. Die Auswanderung der Pfälzer nad) Amerika wird geitreift, auch da3 oben ©. 161 genannte Wert von Stoudt gelegentlich erwähnt. Aber bei der Bedeutung Diefed pennfploanischen Pfälzertums, das fein Vollstum fo viele Generationen hin- Durd) fich treu bewahrt hat, wünfchte man eingehendere Berüdfichtigung; aucd) das pfälzifche Element unter den Wolgadeutfchen möchte man erwähnt jeher. ber Da3 find nur Heine Ausftellungen. Möge da3 Buch den Erfolg haben, den e3 verdient; in unferem SHefjenland, defjen rheinhejfifcher Vollsteil den Pälzern eng verwandt ift, wird e3 gewiß viele danfhare Leer und Benuger finden, — Eugen Dedrle, Badiihe Bollsfunde Tell. Mit 72 Abb. auf Tafeln und im Tert: Leipzig: Quelle & Meyer 1924. XV, 199 ©. 30 Rafeln. 8% geb. 4 M. (Aus der Sammlung: PDeutjche Stämme, deutfche Lande. Hrögbr.: Fr. von der Leyen). Der Berf., unjeren Lejern ald Mitarbeiter wohl bekannt, it ein Schüler Albr. Dieterihh3, des Mitbegründer unferer Vereinigung und unferer Blätter, Dem aud) ich neben DO. Behaghel die Anregung zu meinen volföfundlichen Studier verdanfe. Dieterich’fcher Geift Iebt in ben zahlreichen volfskfundlichen Veröffentlihungen Fehrles; ich Hin daher auf fie in einer befonderen Weife ein- geitellt. Das vorliegende Buch Yäßt fi) nicht gut mit Wredes „Rheinifcher” und Sartori3 „Weitfäliicher Volkskunde” aus derjelben Sammlung oder mit der eben beiprochenen „Piälzer Vollsfunde” von Beder vergleichen, die alle einen Überblid über die gejamten volf3fundlichen Erfcheinungen ihre Gebiets geben wollen; ehrle dagegen will in da3 Leben und die PVorftellungsmwelt de3 Volt, Tpeziell des badifchen Volks, einführen, er wählt dafür einzelne Gebiete der Bollsfunde, die fich dazu befonder3 eignen, au und zieht dazu eine große BSülle von vielfach noch unveröffentlichten oder wenig bekannten Beispielen aus
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Baden heran. Der erjte Abfchnitt „Sprache und Art des Volfe3“ gibt: die anthro= pologifche und jtammesktundliche Grundlage, wa3 bei der fo wenig einheitlichen Bevölkerung Badens natürlich befonderd notwendig ift. Intereffant ift der Ver- fuch, eine Verbindung zwifchen der Naffenfrage und dem Schönheitsideal des Volkslied herzuftellen; ic) muß allerdings geitehen, daß ich gegen die Dabei befolgte jtatiftifche Methode fofort große Bedenten hatte, deren ' Berechtigung ich nun bei emer Nachprüfung beftätigt finde: au in Lewalter3 „Veutichen Bolkzliedern aus Niederhejjen” überwiegt die braune Farbe der Augen und Haare, [.®.C. Jericho, Die Motive in den Heffiichen Volksliedern (Diff. 1917) ©. 26 F., und fo müßte e3 nad diefer Methode auch in Weitfalen fein, wo ficher noch die blondhaarigen umd blauäugigen Angehörigen der nordiichen Nafje in der Über- zahl find: in Neifferjheids „Weitfäl. Volksltiedem‘ zähle ich vier Imartbraune Mäfen, bezw. jchmarzbraune Augelein neben nur zwei Erwähnungen von gelfraufen Haaren, einmal noch fpriht ein Reiter felbjt von feinen goldenen Loden. Tehrle hält e3 felbjt für möglich, daß der Einfluß formelhafter Ausdrüde hier zu berüd- ficgtigen ift; ich fönnte mir zudem denfen, daß das brünette Schönheitsideal gerade aus einer Zeit jtammt, mo der dunfle Typus noch feltener war, wie ja aud) die dunfelen Staliener ihre Madonnen meilt blond malen. Im 2. Abjchnitt wird „Empfindungd- und Denfart des Volkes“ behandelt, dieje vielfah noch fehr primitive, ftarf afjoziative, Tomplere Denkweife der großen Unterfchicht des Volkes überhaupt, nicht des badischen allein: nur an badijchen Belegen wird dies Tlar- gemacht. Verf. wählt ala Beispiele den Gebrauch der Nundzahlen 3 oder 3X3 und 7, Volkslied und Bolfzfunft und die Ortönedereien; ©. 72 ff. polemifiert er Dabei fcharf gegen H. Naumann Formulierung: „Primitive8 Gemeinjhaft3- gut — gejunfenes Rulturgut”. Die Nedverfe benust er al3 Gelegenheit, den volfstümlichen Ziwei-, bezw. Vierhebungsver3 zu bejprechen. Im dritten Abjchnitt wird die Entwidlung de3 deutichen Bauernhaufes von der prähiltorifchen Zeit an, behandelt und mandje fejjelnde Vermutung dabei vorgetragen, 3. B. die Zurüd- führung der Rundbogentüren im Erdgefhhoß auf die Rundbogen der Mediomatrifer- häufer, wie fie an deren „Hüttengrabfteinen” zu erfennen find (die Abb. S. 107 fteht auf dem Kopf!), und das Weiterleben der fchon von Plinius erwähnten germanifchen Weberfeller in ben Arbeitsftätten im Erdgefhoß de3 Schwarzwald- Haufe. Der vierte Abjchnitt „Der Bauerngarten” ift eine fehr gründliche Studie über die Geichichte der beutjchen volfstümlichen Gartenfultur, Gemüfe, Heil- pflanzen, Blumen, Objtjträucher und -Bäume, die wir zum allergrößten Teil fremdem Einfluß verdanfen: da3 NAömertum, die Klöfter, Stalien, die Türkei, Indien, Amerifa Haben ihren Beitrag zu unferem heutigen Bauerngarten geliefert. sn diefen Abfchnitt tritt das fpezififch Badifche faft ganz zurüd. Jr dem Bolle- lied ©.144 würde ich unter den „röslin auf ben felden von farben mancherlei‘ nicht die Nofen verjtehen, jfondern die Blumen überhaupt, vgl. 3. B. Effigrofe, Pfingitrofe, Weidenröschen, Federröschen, Schreiberrösle (= Narzilie ©. 159), mwetterauifh Bemyasrüsd_| (= Tlieder), wie auch wir in ÖOberhejjen da3 Wort Rofe ganz allgemein für Blume brauden (Crecelius, Oberheff. Wörterb. II 699, 9. Pfifter, Erg.-H. I zu VBilmars Spiotilon ©. 22); in Dem bon Sehrle angezogenen Volf3lied werden nachher die „röslin“ im einzelnen aufgeführt: Vergigmeinnicht, Wegmarte ufmw., dabei auch „bie weiß und roten rojen”. Der legte Abjchnitt über die Vollstracdht ift ein bischen fnapp geraten. Die Abbildungen find größtenteild Driginalbeiträge; daß unter all den fchönen badifchen Bildern
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auf Taf. 15 auch ein niederfächlifches Bauernhaus auftaucht, berührt merkwürdig. Einige Bilder werden wohl erjt im 2. Bd. erläutert werden, der Hoffentlich bald eriheinen wird. Für uns in Helfen ift da3 Buch wegen des angrenzenden badijchen Odenmaldgebiet3, da3 eingehend behandelt wird, noch von bejonderer Bedeutung. Laien und Gelehrte fommen auf ihre Rechnung, die leßteren werden für die reihen Literaturangaben dankbar jein. Bei den Bollsliedern und Ortönedereien wären hier Hinmweife auf nichtbadiiche Varianten erwünjcht gewejen; ver dieje Dinge nicht Tennt, merkt wohl nicht, baß viele von diefen Terten in ganz Deutjch- land verbreitet find. — Shmäbijfhe Bolfstunde Am Auftrage des Württembergifchen Kultminifteriumd und mit Unterftägung ber Felir-Schlayer- Stiftung Hrag. von Anguf Sämmle. Stuttgart: Verlag Silberburg 1924. 80. Der Bollamund in Schwaben, 1. Neihe: Schmwäbilche Lebensweisheit und Sprudhkunit in Spridäwörtern, Redensarten und Reimfprüchen. 102 ©., geb. 1,80 .M. Die Bolfslieder in Schwaben. 1. Reihe. Aus dem Mimde de3 Volles aufgezeichnet. 117 © geb. 2,50 M. Dieje beiden fchönen Bändchen eröffnen eine Reihe von Büchern, die die volfstümlichen Überlieferungen Schwabenz fammeln und allgemein zugänglid) machen follen; tüchtige Gelehrte wie Karl Bohnenberger, ber die Feitbräudhe bearbeiten wird, R. Kapff, der ein fchwäbifche2 Namenbucdh vorbereitet, €. Weiß („Gott grüß da3 Handwerk”), W. Bfleiderer u. a. find für die folgenden Bände gewonnen. Aus der Bor- rede de3 Herausgebers, der al3 feinfinniger Dichter befannt ift, geht hervor, daß der richtige Geift in diefer Sammlung leben wird: „Dienft am Boll” it die Lofung bdiefer. Schwäbifchen Volksfunde. „Sie will mit dem Leben und Wijien, Glauben und Sehnen de3 Volles vertraut machen. Die Sprichwörter, Lieder und Sagen, Namen, Schwänfe und Gitten, die wir hier aufzeichnen, find uns aber nicht das Vorbild, fondern da3 Sinnbild einer deutichen Kunjt, Bildung, Gefittung, wie wir fie für unfere Landsleute wünfchen, find Unterlagen, Vor- arbeiten, Quellen, Hilfsmittel, fo mie Herder feine Vollzliederfammlung ‚„Ma- terialien” zur Dichtkunjt nannte.” „Wir mollen verhindern, daß an Stelle de Eigenen ein entlehntes, und nicht gemäßes, verwirrende3 und vergiftendes Yremde trete.” Dabei tritt der Verf. ausdrüdlich „der jett jo beliebten und jo billigen Ablehnung de3 gymnafialen und Humaniftifchen Bildungsmwejenz” entgegen, die Schwaben mwijjen, daß die in ihren ausgezeichneten Schulen gepflegte hHumaniftiiche Bildung „auch zur Vermehrung der Kräfte der Heimat und des DVolfes‘ bei- trägt. Daz erite Bändchen jtelft 1231 Sprichwörter, Redensarten und NReim- Tprüche in jhmäbtic, gejärbtem Hocdeutich oder in der Mundart, alle dem Bolks- mund entnommen, zujammen in alphabetiicher Ordnung, ohne gelehrtes Beimerf, nur mit einer furzen VBorrede de3 Herausgebers, in der er u. a. auf den „une erfchöpflichen Reichtum an naturgemacdjfener, überlieferter Volksbildung” in diefer Wortkunft Hinweilt. E38 foll „nur eine Roftprobe fein“, die „zum SHorden und Nachdenken anregen und fo der Volfzbildung dienen möchte.” In dem 2. Bändchen find 100 Bolfslieder, die zum allergrößten Teil der Herausgeber und feine Mit- arbeiter jelbjt aufgezeichnet haben, veröffentlicht, davon 92 mit den Melodien, einige Male find auch mehrere Melodien und Tertvarianten vom jelben Liede aufgezeichnet. Der größte Teil ber Lieber findet fih auch in anderen Sammlungen, für die Vollsliedforfhung ift ihre Aufzeichnung deshalb doch megen der Tert- und Melodienvarianten mertvoll genug. Der med de3 Büchleinz ijt aber ein anderer, Freude am Volkslied zu ermweden und lebendig zu erhalten und zu ge=
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wiffenhaftem Sammeln zu ermuntern. Die Austattung der Bändchen ift gut und gefchmadvoll, fie verdienen meitefte Verbreitung. — Beiträge zur Heimat- funde bed deutihden Wolgagebiet3. Wit einer Karte und einer Tabelle. Pokromff (Kofakenjtadt): Verlag der Abt. f. Vollsbildung bes Gebiets ber Wolgadeutichen 1923. 87 ©. 4%. Zm Herbjt 1924 meilte ber Profefjor der Germaniftit an der Univerfität Saratom ©. Dinges zum Studium de3 Sprach- atla3 in Marburg. Ich Hatte die große Freude, ihn Tennen zu lernen und durch ihn Beziehungen mit unferen Land3leuten in den Wolgaklolonien anfnüpfen zu fönnen, die auch, mie bereit? da3 vorliegende Heft unfjerer Blätter zeigt, der Volfzkunde zugute fommen follen. Herrn Dinges verbanfe ich auch die Kenntnis des heimatfundlichen Sammelmwerk3, da3 vor allem „dem Lehrer al3 Hilfsmittel, ald Anregung beim heimatkundlichen Unterricht dienen joll”. B. Sinner gibt darin eine auf eigenen Quellenftudien beruhende kurze Gejchichte der deutjchen Wolgafolonien von ihrer Gründung 1764 bi zur Gegenwart, die unter dem Beichen des nationalen Zufammenfchluffes der deutichen Wolgafoloniften zu einem „autonomen Gebiet der Wolgadeutfchen” im rufjiihen Somjetitaat fteht. Mit Be- mwunberung lieft man, wa3 dort unjere Land3leute in den 160 Jahren troß Kampf, Bebrüdung und Not aller Art geleiftet, wie fie ihr Deutjchtum bewahrt haben, und mie aus den 25000 Koloniften allmähli „ein Völfchen von 11/, bi3 2 Millionen geworben, . .. . zeritreut über die ganze Erde und doc ihrer alten Wolgaheimat treu bleibend.” Am fchlimmften waren die legten Jahre: Krieg, Verfolgungen, Revolution und die furchtbaren Hungerjahre 1921 und 1922 haben die Bevölferung bezimiert, und leider berichten die Briefe, die ich in der legten Beit erhalte, von neuer, fehwerer Hungersnot unter unjeren Landsleuten. Die Neuordnung ber politifchen Verhältnijie haben jedenfall3 den einen Vorteil, daß die Auffifizierungdverjuche aufgehört haben, und daß fich da8 beutfche Vollstum nun freier entfalten Tann. Den größten Wert legt der neue Staat auf eine Ber- bejjerung de3 Schulmwejens und die „Liquidation de3 Analphabetentums3”, worüber ein bejonderer Auffaß von Soh. Müller „Ein Eurzer Hiftorijcher Bericht über den Zuftand der Voll3aufflärung im Gebiete der Wolgabdeutjchen‘ unterrichtet. 53 liegt an der religionzfeindlichen Stellung de3 offiziellen Somjet-Ruplands, daß die große Bedeutung, die die Kirche für die Erhaltung des deutfchen Vollstums hatte, und die ihr auch für den Wiederaufbau zufommt, feine Berüdjihtigung in dem Werke findet. Gelbft der Beitrag zur Geichihte der SHerrnhuter Kolonie Sarepta von Emil Mayer jpridht faum von dem religiöfen Leben dieje3 Fleinen deutfchen Kulturzentrums. PB. Rau berichtet über Altertumsfunde im Seelmänner Bezirk (f. o. feinen Aufiag ©. 39ff.), 9 Schlegel über die wirtfchaftlichen Verhältniffe (Landwirtichaft, leininduftrie, Hausinduftrie, Handel). Für uns am wichtigften find die Beiträge von Prof. Dinges und feiner Gattin, vor allem der Beitrag des erfteren „Über unjere Mundarten‘, ganz populär gejchrieben, aber wiffenfchaftlich wohl fundiert. Schon Wolf v. Unmerth hatte 1918 an der Hand von Sprachproben, die ihm molgadeutjche Kriegögefangene geliefert hatten, mit Hilfe de3 Spracatla3 den Spracycharakfter der molgadeutichen Mundarten genauer bejtinmen fönnen. PDinges arbeitet mit viel reicherem Material, den Beantwortungen von Fragebögen, die ber Dichter Lonfinger und dann er jelbjt (die 40 Säge Gg. Wenkers) verjandt hat. Die große Mafje der Wolga- folonijten entitammt danady dem rheinfränfifchen Gebiet (außer Niederheijen und Lothringen), au dem Sr. Schotten und Büdingen und der Gegend von Hanau
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ftammen die Vogelöberg- und Spejjartmundarten, au GStarfenburg, der 'badijchen und bayrifhen Pfalz die Hejfisch-pfälzifchen Dialekte; auch einige oftmitteldeutjche Kolonien find vorhanden, jowie mehrere plattdeutjch redende Mennonitenjiedlungen aus der Gegend von Danzig. Eine farbige Kartenbeilage gibt den Mundart- haraltece der molgadeutfhen Mutterfolonien an, eine Heine Mundartenfarte des Deutfchen Reiches erleichtert die Bejtimmung der Heimat der einzelnen Siedlungen. Emma Dinge? teilt aus ihrer Sammlung eine hübjche Auswahl von mund- artlihen Sprichwörtern, Redensarten, Rätjeln und Schwänfen mit. Ws ober- hejfiihe Dinleftprobe fei daraus eine Geichichte auß Balzer, die übrigens aud) noch bei und erzählt werben foll, hier mitgeteilt: Dr Chriftian hot emol a Kend imer die Daaf gehoume. „Wie foll3 heißen?“ frout dr Paftr. ‚Sa, bed mans ich nett, Vettc Herr Bafte.” „Aber es muß doch einen Namen Haben; nun, wie heißen Sie?” ,„Aich hanje Ehrijtian.” ‚Nun, jo foll e3 vielleicht Shren Namen haben?” „No, warim dan net, ju lang mei aich noch Iewe, fan aid ad) ohne Noome jat’.” Einige Erzählungen und Gedichte von wolgabeutfhen Perfaljern bilden den Abjchluß des Bandes.
Eduard KüR und SHeinrih Hoßury, Zeite und Spiele bez deut- {hen Landvolf3. 3., neubearb. Aufl. Berlin: Deutjche Landbuchhandl. 1925. 372 ©. 8° geb. 5 M. Die erfte Aufl. diefe® Buch (1909) ift in unferen Blättern IX 1515. von DO! Schulte empfehlend angezeigt worden; eine 2. erjchien 1911, um einige YZufäße vermehrt. Die 3. bezeichnet ich auf dem Titel ald3 Neubear- beitung, da3 ift fie eigentlich nicht: in der Vorrede jagen die Berf. denn aud) nur: „Das Buch ift auf3 neue durchgefehen worden.” E3 ift tatfächlich das alte Werk, hie und da nachgebejjert und durch Heine Zufähe vermehrt, die Berf. vermweifen jelbit dafür auf die Feitbräuche, die mit der Freude an Wettleijtungen zufammenhängen. Eine Neuerung ift da3 Weglaffen der Gemwährdmänner, Die vielfach unveröffentlichtes Material zur Verfügung geitellt Hatten, wa3 wohl in der Regel unbedentlih ift;. immerhin fallen dabei manchmal genauere rtö- angaben aus, fo 3. 8. ©. 40f. für den Nifolaustagsbraud) au Mähren die aus den früheren Auflagen erfichtliche Herkunft de3 Zeugniffes aus der Olmüger Gegend. Das Werl verfolgt nicht in erfter Linie wilfenfchaftliche Zmede, fondern will vor allem „die Freude an der alten feiten Dorffröhlichkeit und diefe jelbit beleben“, deöhalb darf man den Berf. e3 nicht verübeln, dab fie ihr Buch nicht Dur Hineinarbeiten der inzwifchen erjchienenen Veröffentlihungen (vor allem Sar- tori3 „Sitte und Brauch” und die vielen propvinziellen „Boll3funden‘“) haben anjchwellen Lafjen und ftart umgeändert haben. Immerhin hätte die Berüdfichtigung einfchlägiger Werle (mie &. Fehrle, Deutiche Feit- und Volfsbräuche) und Auffäge hie und da nichts gefchadet. Jmmer wieder ftößt man auf veraltete An- Ihauungen, die jo gerne die altgermanijchen großen Götter in ben Bolfsüber- lieferunge: wmiedererfennen wollten, wenn 3. B. ©. 42 der „Klapperbod” mit Donar in Verbindung gebracht wird, oder ©. 80,3 e3 in der Anmerkung zu einem Zufab über das „Holcadrufen” im Kr. Hersfeld am Sonntag nad Faft- nacht heißt: „Man deutet den Ruf ala ‚Rad der Frau Holle”; eher it an eine Verftümmelung aus „Hagelrad“ zu benfen“, oder ©. 90,4 ebenfall3 in ginem neuen BZufab zum meitfälifchen „Süntevuegel‘-VBerjagen: „man hat megen de3 Hammer an eine Vertreibung des Winterd dur) den Hammer Donard gedacht“, oder wenn ©. 98 nad einer neuen Anm. da3 Scöpfen be3 Dfterwaflerd3 vor Sonnenaufgang an Dftara, die Göttin der Morgenröte, erinnern, oder nad) ©. 101
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da3 Eieropfer beim Beginn des Pflügen? „den Wettergott (Donar) günftig ftimmen” foll. Nad) ©. 220 galt da3 DBeerenopfer bei der Beerenleje (j. Heil. Blätter XXI, 1Ff.) dem Donar! Die meilten Zufäge find Füdz „Lüneburger Wörterbuh” und Sohnrey3 „Die Sollinger” entnommen, felbit die neueren Auffäge in CSohnreys Leitjchriften „Das Land” und ,„Deutfhe Dorfzeitung‘, bie zu den Hauptquellen für die 1. Aufl. gehörten, find nicht dafür herangezogen worden (3. B. zu ©. 168f. die Schilderung des Ningreiterfeft3 in Welmbüttel: Da3 Land XXIX 1920, 28Ff.). Zu ©. 1233: Hörmannda Monographie „Herdengeläute und jeine Beftandteile” ift in unjeren Blättern erjchienen, die angeführte Nachricht (f. Bd. XV 74,3) ermeilt fih danadh al3 Zitat aus Andree3 „Braunihm. Vollst.“. Diefe Ausftellungen follen feine Ablehnung de3 Buch® bedeuten, ich jchäße e3 jehr nicht nur wegen der praftijchen Aufgabe, der e3 dienen will, fondern auch al3 eine Fundgrube fo vieler mwertvolliter Nac)- richten au8 ungedrudten oder jchwer zugänglichen Quellen. — Karl Prümer, Da3 Bauernhaus auf dem Hellmwege Gitten und Gebräuche aus Weitfalen. Buhfhmud dv. U. Böhmer-Hengitenberg, Titelbild v. Auguftin Heu- mann. (Hellmegbücher, Hrag. v. B. Zytur und 3. Behr, 5. Bändrhen). Frank- furt am Main: Piefterrweg 1924. 38 ©. 89 1 Mt. Das anjprudislofe Heftchen, mit einigen fchönen Holzichnitten gefhmüct, jchildert uns da3 Bauernhaus und dad Bauernleben in Hof und Feld; e3 folgt ein Mbfchnitt über wweitfälische Hausinfchriften, der zum Sammeln anregen will (hier vermißt man aber geitauere Angaben über Art der Anbringung der Infchriften, ihre Buchitabenformen, f. Heil. 3. XIX, 125f.), über Hausheben und Baugebräuche, und über die Eule im Bollsglauben Weitfalens. Eine Unftimmigfeit fei erwähnt: Auf dem Umidjlag ftrahlt die Sonne über einer aus zwei Pferdeköpfen beftehenden Giebelzier, troßdem im Tert ©. 7 erflärt wird, daß folche Giebelzienden, die al Wodandzeichen gedeutet würden, bei den Sellmegbauernhäufern, fomweit bekannt ift, nicht bor- fommen. — Karl Strand, Die Rhön im Wandel der Monate. Kultur geichichtliche Erzählungen, Stimmungsbilder, Sagen und Gefchichten aus ber Rhön. Würzburg: Bonitad-Bauer 1924. VII, 151 ©. 8% 2,60 ME. Aus echter Heimat- begeifterung heraus hat hier ein Lehrer niedergefichrieben, wa3 er „in der Rhön erlebt in vielen Sahren, mwa3 er erlaufchte bei ihren Bewohnern”: nad) den Monaten ded Jahres geordnete furze Skizzen, offenbar zuerft für Zeitungen oder Kalender abgefaßt!), regelmäßig für jeden Monat eine allgemein gehaltene über den Namer und Chavafter de3 Monat3 und dann eme über die Gitten und Gebräudhe der Ahöner in dem betr. Monat; e3 folgen Heine Erinnerungsbilder, Erzählungen, Naturfchilderungen, Sagen, Darftellungen einzelner Bräuche, Feft- feiern oder einer Wallfahrt, manchmal auch ein Gedicht; die Spinnjtube wird nah W. 9. Riehl gefchildert, die Gejhichte des Weihnachtsbaum A. Tille entlehnt. Überhaupt beruht nicht alles auf eigener Beobachtung, die ältere Lite- ratur, bejonderd HöH1ls ‚„Rhönfpiegel”, wird oft herangezogen. Auf gelehrte Namendeutung geht natürlih auch ein Sat mie der auf ©. 49 zurüd: „Die Dfterburg bei Bifchofsheim foll eine ‚Hauptftätte der Verehrung Dftaras geivejen
1) ©. 43: „Oftern fällt diesmal in den Anfang des April”. Wie ich nachträglich jehe, ift der Verf. der Schriftleiter der Vereinszeitfchrift des Nhön- Hubs „Die Rhön“. Ach Habe darin geblättert und dabei eine ganze Neihe der Auffäge de vorliegenden Werks gefunden, aud) der Buchichmud ftimmt mit dem der Heitichrift überein.
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fein.” Das altnieverbeutfche QTaufgelöbnis, das nachher aus einer Schrift des PBfarrer® U. Shumm über die Gejchichte von Biichofsheim ©. 50 abgebrudt wird, ift voller Fehler! Die nordifchen Götternamen Frigga und Baldur werben umbedenflich verwendet ufm. Tamen est laudanda voluntas. — Sriedrih Yfifter, Shwäbifde Bolfabräude, Feite und Sagen. Augsburg: Benno Silfer 1924. 111 ©. 89 (Veröffentlihungen de3 Urgefhichtlichen Forjchungs- inftituf® Tübingen, Vollstümliche Reihe). Der Berf., au ein Schüler Albrecht Dieterichs, greift eine Reihe jchmwäbifcher Volksüberlieferungen heraus, um durch vergleichende Betrachtung „ihre urfprüngliche Bedeutung aufzuhellen‘ und nadj- zumeifen, „mie mancherlei Glaube und Aberglaube, den wir bei unferm Bolfe finden, Allgemeingut der Menfchheit ift“. E3 ift zu begrüßen, dab „neben den ijolierenden volfstundlihen Parftellungen, die einem einzelnen Bollziftamm ge- widmet find und deffen Eigenleben und eigentümliche Kultur zu fchildern untere nehmen“, aud; folche vergleichende Unterfuchungen treten, die „das Typifche, d. 5. die allen VBölfern gemeinfamen Grundformen de3 religidjen Dentend und Glaubens” herausarbeiten wollen, worin Dieterid) ja die Hauptaufgabe der Vollsfunde jah Hell. 8. 1 1895). An den fchmäbiichen Faltnadhtsbräuchen wird in der Ein- leitung gezeigt, daß dieje jo, wie fie heute geübt werden, wenn man fie völlig ifoliert für fich betrachtet, nicht mehr verftändlidh find; erjt durch YZurüdgehen auf ihre älteren Formen und Heranziehung entiprechender Gebräuche bei Kultur- und Naturvölfern Tann man zur Erkenntnis de3 urjprünglichen Sinn® gelangen. Der erfte größte Abjchnitt behandelt „Wunderdoftor und SHeilbräuche” (Blajen f.a. Wünfdh, Hell. BL. I 134 ff], Streichen, Beten, Brauchen; Geheimhalten und Erblichfeit der Kenntniffe [ogl. Pitre, Coriositä di usi popolari ©. 141 ff: Mirabili facolta di alcune famiglie di guarire certe malattie; in der Regel beiteht bei uns die Vorfchrift, daß das Segnen und Brauchen von einer männ- Iihen nur auf eine weibliche übertragen werden bürfe und umgefehrt], Zauber- formeln al3 Arznei: Schludzettel u. a.; Zachariazjegen [ugl. Gombert, Heil. Bl. XVI, 7ff.), Satorformel u. dä. Amulette; antife Quellen mander volf- medizinischer Vorfchriften; Durchziehen; Mittel gegen Epilepfie; Stapfenitechen ; Liebed- und Bildzauber; Spiegel; „Braudyer” — Medizinmann der Naturvölfer.) Im Abfchnitt „Geiftervertreibung” werden bie abergläubifhen Mittel gegen Dä- monen behandelt, wie Lärmen (dabei „Häfeln“, Wetterzauber, Wetterläuten, Slodenfagen), Licht und Feuer, Salz, Eifen, Räucherungen, Fledermaus, Umgang (vgl. darüber da3 Werl von Enuchel, Die Ummandlung, Bafel 1919). Von den „Bräucen bei Hochzeit und Tod” merben nur herausgegriffen das „Qor- fpannen” („Hemmen“), da3 gemeinfame Ejfen (vgl. den ausgezeichneten Abfchnitt Darüber in JloAtına, Auoypagıxa Zöppewta B’ 236 ff); Rosmarin und Zitrone bei Hochzeit und Tod; Totenfult, Leichenverftümmelung u. a. (vgl. 9. Naumann, Primitive Gemeinfchaftstultur ©. 18Ff.); Selbitmörder, Ermordete, ungetaufte Kinder; Geijter des Srhlachtfelds. E3 folgt ein Abfchnitt „Beiondere Zahresfefte“: Sohannis- und Faftnachtsfeuer mit dem Sonnenzauber de3 Faftnachtsrads; Negen- zauber und Piingftbug, Wettermacdhen; Bruchtbarkeitszauber, Maienfteden, Schlag mit der Lebensrute, Sommertagsfteden, Oftereier. Im Gchlußkapitel „Grund- formen de3 religidfen Glaubens” wird ala da3 Wejentliche an der Religion der Glaube an eine Kraft oder an irgendwelfje Kräfte, die wirken, fich offenbaren fönnen und zu denen der Menfch in irgendein Verhältnis treten Tann, bezeichnet; Vetiihismus und Orendismus („Mana“) werden auch in deutichem Volksbraud)
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nachgemiejen. Diefer Überblid über den Inhalt bes fehr anregend gefchriebenen Buchs mag den Lejern zeigen, was fie darin finden können, ich; habe dabei nicht einmal alles angeführt. Ich Tan das Studium allen, die nicht mehr auf Simrod und Wolfs Mythologie fchiwören, angelegentlihjt empfehlen; vor allem feien auch die Haffiichen Philologen darauf aufmerffam gemadtt, da mit Vorliebe antifes voll3tundliches Vergleichgmaterial herangezogen wird. — BYißtor Geramd, Deutfhes Braudtum in Öfterreid. Ein Bub zur Kenntnis und zur Pflege guter Gitten und Bräude. Graz: Alpenland-Buchhand- lung 1924. 159 ©. 8%. 3.— M. Der um die Seimatpflege und Volfz- funde feiner KGeimat Hochverdiente Berfaffer Hat ein SYahr Hindurdh in der Monatsfchrift „Südmarf” monatsweife die Bräuche Deutjchöfterreich bejprochen, um da3 Verjtändnis dafür zu vertiefen und zu ihrer Pflege und Wiederbelebung anzuleiten. Diefe Aufjäge find nun, hie und da ergänzt, in Buchform erjchienen. Hier redet ein Mann zu feinen Bolfsgenojjen, der nicht nur ein hervorragender Gelehrter und Kenner ift, fondern auch wirflih die Ehrfurdht und Liebe dem. „DBrauchtum” der Heimat gegenüber befigt, die allein auf Erfolge bei der Pflege alter Sitten Hoffen Tann. Troß der praftiihen Aufgaben, denen da3 Buch dienen will, wird e3 auch der Forfcher mit Nuten heranziehen, um einen zuverläjjigen überblid über den überrafhenden Reichtum an altem Bollagut in ber Südmarf zu befommen. In jedem Abjchnitt find zuerft die im ganzen Gebiet üblichen Bräuche, dann die Befonderheiten der einzelnen Länder dargeftellt.e Ein Kapitel über die Hochzeitäbräuche ift beigefügt. Sehr nüglich it das alphabetijche „Ber- zeichniß der Bräuche und Schlagworte”. — Engen Beßrle, Der Johanniz- tag. Buchen: Verlag de3 Bezirksmufeums 1924. 21 ©. 8, (Zwifden Nedar und Main. Heimatblätter des Bezirfamufeumd Buchen, Heft 7). Diefer an manchen wertvollen Nachweifen und bisher nicht veröffentlichten Belegen reiche Auffa befriedigt nicht ganz. E3 Hätte unbedingt auf die Verbreitung der Sohannisfeuer und anderer Johannisbräude in ganz Europa hingewiejen werden follen, wofür man jekt die reichen Zufammenftellungen von Frazer in The golden bougl: VII3, 1, 160 ff. heranziehen muß (zu den Zeugnifjen au Gries» chenland vgl. für Tenoge Lawson, Modern Greek Folklore and ancient Greek religion ©. 37 und für Samos die ausführlie Schilderung bei Zrapnarıaönc, Zapımd V, 380 ff.; zu denen aus Frankreich einen Aufjag von Deloche, Mem. de P’Acad. des inser. XXXII 2 (1891), 152 ff.)- Schon Sal. Grimm, D. Mythol. It 513Ff. (Nachträge III“, 176 ff.) Hat “ angeficht? des großen Materiald, da8 er bereit3 gefammtelt Hatte, nicht dieje Sohannisbräuche für germanifches Erbgut gehalten, und u. a. nimmt aud) €. 9- Meyer, Mythol. d. Germanen ©. 332 jüngeren Urfprung und Tinführung aus der Fremde an. Grazer Hatte früher, wie Fehrle, zur Deutung die „jolare Theorie” Mannhardt3 und die „purififatorifche” Weftermards und Mogt3 zu vereinigen gefucht, in der neuen Auflage jeines Werls ©. 328 ff. bezeichnet er dagegen die Deutung diefer Feuerfefte aus der reinigenden Kraft de3 Feuerd als die mahrjcheinlichere. Neinh. Köhler, KL. Schriften III, 602 nimmt auch für den Brauch, am Feite des Täufer? Johannes in gemiflers Slüffen und Quellen zu baden, chriftlihen Einfluß an. — Zeig Seeger, „De Maibaam” Ein Heitere Stüd aus dem pfälzifchen Dorfleben in drei Aufzügen mit Vollsgefang und alten Tänzen. ' Kaiferslautern: &. Zind3-Erufius 1925. 68 ©. (Pfälzifche Heimatbücher Nr. 12). Von diefem Iebendigen Lujtjpiel
in Pfälzer Mundart gilt basfelbe, was ich über ded PVerfafjerd „Pfälzer Rerme‘ in Bd. XX ©. 58 gejagt habe. 3 fei noch erwähnt, daß im Anhang einige furze, wifjenichaftlid) wohl begründete Ausführungen über die Mädchenverfteigerung in der erften Mainadht und den Maibaum gegeben werden.
Bo Weinreid. Senecas Upocolocyntofig, die Satire auf Tod, Simmel- und Höllenfahrt des Kaiferd Claudius. Einführung, Analyje und Unterfuchungen, Überfegung. Berlin: Weidmannjhe Buchhandlung 1923. XII, 149 ©. 8%. 7,80 M. Diefer ausgezeichnete Kommentar der berühmten Satire aus ber zzeder eines Mitarbeiter3 unferer „Blätter verdient wegen mancher auch für die Volkskunde wichtiger Erörterungen hier erwähnt zu werben, |. 4.8. S. 11f. und VIII über den Vergleich des Kopfs mit einem Kürbis, wozu id) noch auf die fiebenbürgifche Faffung des Nätfeld vom menfhlichen Körper Hin- weifen möchte (of. Haltri, Zur Boltst. d. Siebenb. Sachen. Neue Bearb, v. 3. Wolff, ©. 406), in ber e8 am Schluß heißt: of dem helzke stit e kirbes, [O5 fi) aber Apocolocyntofi3 im Deutjchen wirklih am zutreffenditen mit „DBer- äppelung” (S. 12) wiedergeben läßt, ijt mir zweifelhaft], S. 19ff. über den Beglaubigungdapparat der Lügen- und Wundergefchichte (Berufung auf Yugen- und Obrenzeugen, Beglaubigung durhd Schmwur)!), ©. 52ff. über dad Znt- weichen der Seele aus verfchiedenen Körperöffnungen (per anum), ©. 55 über da3 Schmwankmotiv vom redenden Hintern (j. dazu jet auh Weinreih, Ard. FRE Will. XXI, 340f.), ©. 74, 1 über dag Motiv, da8 Nirgendheim als ein Land zu fchildern, wo bie Mäufe Eifen freffen (vgl. audy IToAtrnc, Tlapoıntar IV 250: ’< a Tooöpa da o& oteilw), ©. 104 über den „Völfergebanfen” vom Habes al3 dem Land ohne Heimkehr, u. a. — KHonrat Ziegler und $. @ppendeln, BVWeltentftehbung in Sage und Wiffenjhaft. Mit vier Figuren im Tert. Leipzig und Berlin: B. G. Teubner 1925. 127 ©. 8°. (— Aus Natur und Geiftesmelt, Bd. 719); geb. 1,80 M. Das Gegenftüd zu dem 1921 er- jchienenen Bändchen berfelben Berf.: Weltuntergang in Sage und Bilfenjichaft (j. 88. XX, 59), auch hier lag bereit3 eine Schrift von Weimftein in dem felben Sammlung vor, die jet durch diefe völlige Neubearbeitung des Themas erjegt wird. Biegler gibt einen jehr guten Überblid über die Kodnogonien der verjchiedenften Völker des Erbballd und meilt auf die erftaunliche Übereinitimmung in gemwifjfen Grundgedanken Hin. PVielfah ift gemiß Entlehnung ber Mythen von andern Bölfern nachweisbar ober mahrjcheinlidh, aber oft wird aud) felbitändige Entftehung anzunehmen fein. — Walter Auderfon, Norbafiatifhe Flut- fagen (AUndree, Frazer u. a.), daß Nordafien Feine derartigen Sagen be tis Dorpatensis B IV, 3). Die Behauptung der Yorfcher über die Sündflut- fagen (Andree, Frazer u. a.), daß Norbafien feine derartigen Sagen be- fite, it irrig, fie beruht auf der Unfenntnis des in ruffiicher und ungarifcher Sprache veröffentlichten Material. Berf. ftellt 21 Sagen zujfammen, von denen viele allerdings mehr oder meniger deutli von der biblifchen Überlieferung oder hriftlcher Sage beeinflußt find. Daneben finden fich aber zahlreiche ıum- biblische, wirklich indigene Züge (Feuerflut, Floß al3 rettendes Fahrzeug, da3 an der Erde angefeilt wird, Kappung des Seil u. a.), aus denen jid die Eriltenz
1) Hier it ©. 25 bem Perf. ein Heines Berfehen unterlaufen: Matt. 28, 2 ff. bezeugt der Engel nicht, daß Sefus zum Simmel aufgefahren, fondern daß er auferitander ift.
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echt nordafiatifcher Tlutjagen ermweifen läßt. Sie zeigen eine auffallende Ber- wandtichaft mit nordmwejtamerifaniihen Sagen, ein genetijcher Zujammenhang ijt hier durchaus denkbar. Noch merfmürdiger ijt die Übereinjtimmung charafte- ziftiicher Motive mit der lutfage der Palau-Infulaner, jogar die Kontamination mit dent auf Bäume verjchütteten Unjterblichkeitstrant, worüber der Berf. zu legt in ber Btichr. f. Ethnol. LII/LIII 1920/21 gehandelt Hat, kehrt Hier wieder. Worauf diefe Übereinftimmung beruht, Tann nur durch Belanntiwerden von mei- terem Material vielleicht geflärt werden. — Unjfer Mitglied Henri Gaidoz fandte mir eine Abhandlung Saint Christophe ä täte de chien en Irlande et en Russie, Paris 1924 (auß: Memoires de la Soc. nation. des Antiquaires de France LXXVI ©. 192—218), auf die ich unfere Lefer aufmerf- jam machen möchte. Die öjtlichen Kirchen fennen nicht die aus dem Namen Chriftophorog = Chriltusträger entitandene meitliche, Tatholifche Legende vdiejes Heiligen, jondern Chrijtophoros ift dort der chriftliche Name eines Hundsköpfigen Soldaten Reprobus, der zum Chrijtentum befehrt, unter Deciu3 den Märtyrertod erlitt. Diefe Legende hat fich von Byzanz aus verbreitet, man hat den hunds«- Löpfigen Heiligen in Wundgemälden der Athosflöfter und auf ruffiichen Seiligen- bildern dargeftellt gefunden, auch der zwilchen 797 und 808 redigierte Kalender de3 Dengus Tennt fchon diefen Chriftophorus, und die alten Glojjatoren Diefes Tert3 führen aucd, die Legende des zur Kaffe der Hımdsföpfe gehörigen Heiligen, an. Die meitverbreitete Sage von Hundemenjchen ijt auf da3 Vorkommen abnorm behaarter Menfchen, ja ganzer an Hhypertrichofe Ieidender Yamilien zurüdzuführen. Sp mag auch die Chriftophorosfegende an eine reale Perjönlichkeit, einen joldhen „hundsföpfigen‘‘ barbarifchen Soldaten im römischen Heer, anfnüpfen. — © Stemplinger, Oberbayriide Märdhen 1. Folge. Altötting: Verlag „Bücher der Heimat” 1924. 80 ©. 8°. 1,50 M. Der Titel kann irr führen, e3 jind nicht in Oberbayern au3 dem Bollsmund gejammelte Märchen, jondern 19 Märchen der Brüder Grimm in oberbayrifcher Mundart neu erzählt, ungemein Tebhaft und anjchaulich, voll Humor. Aber mie bei de Verfajjer3 „‚Horaz in der Lederhof’n“ Iacht man eine Zeit lang mit, aber dann fagt man fi: 'e8 ilt Doch ein Mikbraudh. Nie würde z. B. eine echte Märchenerzählerin al3 faule Spinnerin (Srimm Nr. 14) „d’ NRofel vom Geitnerbauern‘” einführen oder gar die Königin jagen lafjen: „Mir i3 nir Tiaber, al3 wenn i 3’ Spinnradl fure’n hör’ hınd finga ; da fchenf i an ganzen Richard Wagner drum her’! — &to Stühkratf, Märchen der Heimat Naffauifde Bolflsmärden Vejammelt v. D. G©t., Bildimud dv. Robert Zinde. Melfungen: Heimatfchollen-Verlag, A. Berneder 1924, 159 ©. 8° geb. 2,20 M. Sieben „Märchen“ find aus Kof. Kehrein, Bolksiprache und Volkzfitte in Nafjfau II bis auf ein paar ganz Heine Snderungen wörtlich abgedrudt (©. 98 „Klimperflein”: Hier find in der Art der fehr ver«- breiteten Bilderbogen vom Leiden Chrifti einzelne Worte durch, ganz einfache Zeich- mungen erfegt, in 3. 6 heißt e3 von dem Käschen jtatt wie bei Nehrein: .„und foff... die Mil“ „tranf”.); die übrigen find „nach Aufzeichnungen aus dem VBollsmund erzählt‘. Meift find e3 Varianten befannter Märchen oder Schwänte; neben „den langen Lenz” (S. 80), der hier fehr vereinfacht auftritt, Steht ©. 22 nod) eine andere Gefhichte von dem Gaft aus dem Himmel. Die Stüddhen vom Zügenferdinand in Amerifa (©. 42) find gefchmadiofe moderne Erfindungen. Das Lügenmärden ©. 67 ff. enthält u. a. befannteren Motiven aud; den Schwan? bon dem, der fich. einen Aft lachte und damit einen fchwmunghaften Holzhandel anfing.
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Der Mächhenborn ift in unferer Gegend am Verfiegen; man freut fi), daß doc noch fo viel dem Bollemund abgelaufcht werden Tann. Möge e3 bem Verf., der ed wie wenige verfteht, Quellen noch Iebendiger Überlieferung aufzufpüren, gelingen, jeine jchöne Sammlung durch meitere, möglichit getreu aufgezeichnete Vollserzählungen zu ergänzen. — Rheinland-Sagen. Vefammelt und br3g. von Yauf Bannerf. Jena: Diederichd 1924. Bd. 1: Niederrhein bis Köln— Bergiiches Land— Eifel. Mit 12 Taf. und 8 Abb. im Tert. X, 302 ©; Bd, 2: Das Rheintal von Bonn bis Mainz. — Bolfdglaube der Gegenwart. Mit 14 Taf. und 26 Abb. im Tert. 306 ©. Preis je 6 M., geb. 7,50 M, Sn feiner Sammlung „Dentfher Sagenfhag“ (vgl. 0. Bb. XX, 59) bringt Baunert mit diefen beiden Bänden ein prachtvollee Werk heraus, dad gewiß in diefem Jahr der Erinnerung an die taujendjährige Zugehörigkeit des Aheinlandes zu Deutichlamd großen Anklang findet. Man wandert gem an der Hand dieje3 Führers, der mit der „Kolportageromantif”, die gerade mit der Nheinfage fo fchrediichen Mißbrauch getrieben hat, bricht und überall auf die Quellen zurüdgeht und jfogar vielfach nod) aus mündlicher Überlieferung fchöpfen Tann, durch da3 Schöne Ptheinland, und Täßt fih von ihm in fortlaufendem Tert — nicht in lauter abgehadten, durchrummerier- ten Broden, wie in ben üblichen, al3 LZefeftoff ungenießbaren Sagenfammlungen — erzählen, wa3 die Sage aus Geichichte und Vollsglauben zu berichten weiß. Jr einem erjten Abfchnitt „Gemeinfames” wird zufammenfaflend dargeitellt, wie die Sage im Rheinland die Hiftorifchen und kulturgefhhichtlicden Stoffe von der Römer- zeit bi3 zu den Freiheitäfriegen gejtaltet, damn folgt der Sagenjtoff der einzelnen Landfchaften: Niederrhein, da8 bergifche Land, die Eifel, da3 Rheintal von Bonn bi3 Bingerbrüd, Mofel und Saar, Hunzrüd und Nahegau, Bingen, Rheingau und Sngelheim. Was an Bollöglauben in dem Gejamtgebiet jich findet, ijt in dem legten Abichnitt zufammengeftellt (Zauber- und Serenglaube, Mohr- und Werivolf« vorftellungen, die Geiftlichfeit und das Heilige, Teufelfagen, VBorgejichte (jo doch wohl Bd. II ©. 193 und 306 zu Iefen) und Geifterfeher, Tod, Gefpenjter und Geifter, Naturgeifter und geheimnisvolle Tiere, Schapfagen). Der Anhang bringt forgfältige QDuellennacjmweife und Ergänzungen. Neben einem Ortsregifter ift no) ein Sacregifter angefügt, bas fi; der Sagenforjcher, der einzelnen Motiven, nachgehen will, etiwa3 eingehender winjcdhen bürfte; er wird e3 uuch bedauern, daß in den Anmerkungen Veriveife auf die Sammlungen anderer Landfchaften oder auf wiffenfchaftliche Behandlungen ber Sagen» und Märckhenftoffe fait ganz Mweg- gelaffen worden find. Dan mwirb zu leicht geneigt fein, einzelne Sagen für fpezir fifh rheintfch oder rein Lokal zur halten, beren Vorlomınen an anderen Orten oft durd) ein einziges Bitat hätte nachgeiviefen werden Lönnen, 9 B. für II, 5 „Der Wind vor bem Sefuitenllofter tn Bonn“ burd Mein Köhler, Mi. Ahr III 600. Sr bie archäologifche Korfhung hat dee Verf, wie's feint, nicht viel übrig, Immerhin hätte ifm 4 U. der Meriht Deezrels über bie Matronenfor- fung (XIV. Bericht ber rim german, Sonmifftorn 1923 &. 341, 42 ff. für bie Sarftellung tn 8b. 1 ©. € gutes Dienfe tun lönnen, Beim Schinberhannes hätte ih II, 281 bie Schrift von &. Reuhgaupt, Ultermäßige Geih. über Das Leben und Treiben be Eh. sitiert. In der Wechfelbelgfage aus bem Bergüichen I 196}. muß e8, tote idy in unfren Vlättern VII 187 gezeigt habe, tmohl Marien Hagen® ftatt „DMarienhaide” unb „Deih" ftatt „Deth” heißen. In der Anmerkung dazu wird unbebenklih aus Schell, Vergifhe Sam ©. 351 und 458 zitiert: £3 find bie aber, worauf ih uu.Q: .&; 36, und 187 aufmerlfam gemacht habe, Hell. Bl. f. Rolfstunde Bd. XXIIE 12.
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Tälfhungen von Buccalmaglio. GSolde Heine Ausftellungen follen aber der Verbreitung bes fchönen Werks, dad aud) von dem Perlag ganz vorzüglich auögeftattet worden ift, feinen Eintrag tun. Die Schlefifhen und Böhmer» wald- Sagen berjelben Sammlung werden im nächiten Band bejprochen twerden. — Sranz Groos, Heffemwind. Oberhefliiche Geichichten. Teil 1. Gießen: Wolfg. Meyer [1924]. 84 ©. 8% Echte Liebe für. unfer Heffenland und den Hejjenitamm fpridt aus der einleitenden Betrachtung über ben FTräftigen „SHeileivind”, nach dem bdiefe Heine Sammlung von lebendig erzählten Geichichten benannt it (ähnlich wie Alfred Bod3 Novelenfammlung „Hejjenluft‘). &3 find z. T. mohl eigene Sriebnifje des Verfafjerd aus feiner richterfichen Tätigkeit in Homberg a. d. Ohm, 3. T. auch Anekdoten und Gefchichten, mit denen man jich in Oberheffen noch. heute überall unterhält; die Gefchichte vom „Kroftellierer” 3. B. erzählt ntein Stolfege Koch wohl noch fchöner und echter (ohne Ganzbraten, ftatt „Ecoftellieren‘ Heißt’3 bei ihm „nufeln“). Die „Notbeicht” ift eine hübjche Variante einer Wanderge- fchichte, vgl. 9. Mertenz, Was fi das DBolf erzählt I, 134f. Nr. 146; 136 Nr. 148, j. a. Joh. Bauli, Schimpf und Emit, hrög. v. Bolte II Nr. 793 und 794,
E3 ift erfreulich, zu fehen, daß da3 Sntereffe an Heimat- und Volkskunde in den lebten Sahren mädjlt; die atibemährten Beitfchriften „Heifenland” und „Heffifhe Ehronif” erfcheinen jet wieder, auch vom „Bad Nau- heimer Jahrbuch“ ift ein neuer Band Herausgelommen; daneben find neue Heimatblätter wie der „Heffenfpiegel” (Kaflel), da3 „Werratal” (Ede wege), die „Starfenburg” (Heppenheim) entjtanden; auch manche Tagedzei- tungen kommen dem neuerwachten Seimatintereffe -ihres Veferkreifes durch befondere Beilagen entgegen, 3. B. Franfenmwarte (Würzburg), Heimat im Bild (Gieken). Befonders wichtig ift es, daß unfere Schulmänner die Bebeutung der Heimat- und Volkskunde für Erziehung und Unterricht immer mehr einzufehen beginmen. Bor- zügliche Fingerzeige für die Verwendung volfskundlichen ‚Stoff zur Außgeftaltung de3 Unterrichts an Volls- und höheren Schulen gibt das nun jchon in 2, erweiterter Auflage vorliegende Schriftchen von Engen Heßrle, Geimatfundeinder Schule. Karlörufe: €. 5. Müller 1923. 32 S, (Vom Bodenfee zum Main Nr. 8). Die Erneuerung ber Lefebücher für unfere Schulen ift eine gute Selegenheit, ba& Verftändnis für diefe Dinge in der Jugend durd) geeigneten, an der Quelle der Volfsfeele jchöpfenden Lefeftoff zu mweden, und es ift mir eine große Üreude, hiex, auf da3 von dem PVorfigenden unjerer Vereinigung unter Mitwirtung von Dr. Albert Streuber und Dr. Philipp Krämer herausgegebene Lejebuh für die höheren Schulen Heffens „Saat und Ernte” (Berl. von Morih Dieiter- weg, Frankfurt a. M., geb. je 3 ME., Hinmweifen zu können. Bi3 jegt liegen 5 Teile (für das 5.—8. Schuljahr) vor. Anhalt und Ausftattung find vorzüglich, Mundart und Vollsdichtung, Sage, Bolkzfitte und -»braucdh kommen darin ganz anders zur Geltung al3 in den früheren Lejebüchern. Auf andere große Vorzüge einzugehen ift hier nicht meine Sade. E3 ift fehr zu begrüßen, dab dies Werk fhon an einer großen Zahl Heifiicher Schulen eingeführt worden tft, und ich Tann an meinen eigenen Kindern beobachten, daß fie da8 neue Lefehbuchk ganz anders anfpricht ala das alte, Y möchte e8 auch den Bibliotheken der Vollsjchulen zur Anfchaffung empfehlen: Lehrer und Schüler werden gern biefe von feinfinnigen Schulmänrtern zufammengeftellten Bände al3 Ergänzung der in ben Bolfsfchule Lefebüchern dargebotenen Lektüre benupen. Hugo Hepding.
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Jahresbericht für 1924.
1. &3 geht wieder aufwärts! Die größte Not ift überwunden. Die Ber- einigung fteht nicht mehr wie früher fat vor dem Nichts, wenn es gilt, die „Blätter“ zu druden. Dankbar gedenfen wir aller Geber, die und über bie fchwere Zeit hinweg geholfen haben, die e3 ermöglicht haben, daß unjere Beitjchrift nicht der Geldentwertung zum Opfer fiel. —
E3 geht wieder aufwärts! Lang gehegte Pläne für den Ausbau unjeres Archivs, für die Durchführung angefangener Arbeiten werden im kommenden Sahr andgeführt werden Lönnen.
Sür reiche Gaben, die und auch im abgelaufenen Yahr zugegangen find, haben wir zu danfen vor allem dem Heffifhen Staat, der unfere Arbeit . weitgehend unterjtügt. — Hier mag gejagt werden, daß wir gegen unfere Blätter 80 inländifhe und ausländische volfstundliche ZBeitfchriften taufchen, die im L2ejezimmer ber Univerjitätäbibliothet ausliegen und die dann der Univerlitäts- bibliothef einverleibt werden. Den Betrag für diefe Zeitfchriften fpart aljo der Staat. Unjere Univerfitätsbibliothet aber ijt infolge dieje3 Taufches auf dem Ge- biete der Bolfsfunde jo reichhaltig ausgeitattet, wie e3 mwenige andere lniverji- tät3büchereien fein dürften. Die Notgemeinfhaft der deutjhen Wij- jenfhaft in Berlin Hat den Drud des vorliegenden Bandes mit einer reichen abe unterftüßt. Wir jagen ihr auch hier öffentlich unferen verbindlichiten Dan. Ebenfo danken wir bem amerilanishen „Relief Committee“ in St. Louis und der „Emergency Society for German a. Auftrian Science and Art“, die una duch Herrn Profejjor Franz Boa3 in Neiv York 80 Dollar übermiefen haben. Für einen größeren Beitrag haben wir ferner zu danken Herrn Dr. Müller und Herren Dr. Molz in Barcelona.
Die Mitgliederzahl beträgt 3. Zt., Ende Januar 1925: 806, gegen 755 im’ Vorjahr. Gejtorben find im Laufe ded SYahres, jomweit befannt, 11 Mitglieder; ihren Austritt erflärten: 13; darunter find drei Mitglieder, die jeit 1902 der Vereinigung angehörten. Wir verfennen nicht die Notlage der im Auheltand Ie- benden Beamten; e3 bedürfte aber nur einer furzen Zujchrift an den Boritand, um zu erreichen, daß der Mitgliedöbeitvag mefentlich herabgejeßt würde, jo ieit, daß auch diefe Mitglieder der Vereinigung treu bleiben Lönnten; denn wir nehmen an, daß diefen Beamten der Austritt auß der Vereinigung nicht leicht gefallen ift. Wir bitten alfo alle Mitglieder, die fi) in bedrängter Lage befinden, nicht auszu- treten, jondern ihren Jahresbeitrag ihren Verhältnifjen entjprechend anzujegen und ung davoı zu benachrichtigen. Dieje Benachrichtigung ift für die Nechnungsführung notwendig.
Ym Gegenfab dazu bitten wir alle Mitglieder, die e3 ermöglichen Tünnen, über den Mindeitjahresfab hinauszugehen. Wir erinnern daran, daß nach unferen “ Saßungen „die Mitglieder ihren Jahresbeitrag felbit feitfeben”. Werner bitten wir, den Sahresbeitrag für 1925 möglichit bald auf unfer Konto bei der Mittel- deutihen Kreditbant, Friedberg, Poltihedfonto Franf- furt a. M. 4222 einzufenden. Die Beiträge jollen bis fpätejten3 1. April ein> gegangen fein. — Der einfacheren Erledigung halber möchte e3 fich empfehlen, daB an größeren Orten die Mitgliederbeiträge eingefammelt und gemeinfam ein- geihict würden.
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2. Ende April 1924 wurbe der Vorfigende ald Oberftudiendireltor an das Zehrerfeminar und die Aufbaujchule in yriedberg (Hefien) verjegt. Da jagungs- gemäß der Gib ber Vereinigung Gießen it, legte der Vorjigende in der Borjtands- figung vom 17. Mai 1924 fein Amt nieder. Die Ausjpradhe ergab einjtimmig, daß ber feitherige Vorjitende fein Amt meiterführen jolle. — Sn der gleichen Gigung wurde — vorbehaltlich der Genehmigung der Hauptverfammlung — der Studienaffeffor Dr. Krämer in Friedberg zum Schriftführer gewählt, da nıan einftimmig der Anficht war, baß der Vorjitende und der Schriftführer am gleichen Ort wohnen follten. Dem feitherigen Schriftführer, Herm AJuftizinfpeltor Schrö- ber in Gießen, wurde für feine ftet3 freudige und verdienftvolle Arbeit der Dant der Vereinigung ausgejprochen.
3. Die Hauptverfammlung fand am 28. Juli 1924 in Friedberg ftatt. Yhr boraus ging eine Gitung ded Ausfchuffes, die leider nur jeher jhmwach befucht war. Gegenftand der Verhandlungen war der Ausbau der Vereinigung. |
Sn ber Hauptverfammlung wurde der feitherige Vorfigende wieder gewählt. Die Wahl Dr. Krämers. zum Schriftführer wurde gebilligt. E3 wurde be» ftimmt, daß der amtlihe Sig ber Vereinigung auch fernerhin Seßen fein foll. — Der Rechner, Studienrat Dr. Georg Häupel in Giehen Hat fein Amt wegen überlajtung mit anderen Arbeiten niedergelegt. Der Vorfigende jprah ihm für feine Tätigkeit ben Dank ber Bereinigung aus. Die Verfammlung beichloß, daß auch dad Nedjneramt einem Herm aus riedberg übertragen werden folle.. — Einige notwendig gewordene Satungsänderungen wurden einjtimmig angenommen. Der Mindeitjahrezbeitrag wurde auf Borjchlag ded Porftandes folgender Weife feitgejet:
1. für Hefien, Kurhefjen, Naffau und den Kreis Weblar: 2,— ME;
2. für da3 übrige Deutfchland und die Gebiete, die biß zum SHerbit 1918 zum Deutfchen Reich gehörten, und für DeutfcBfterreih: 2.50 ME.;
3. für da3 Ausland: 3.15 ME. (3/, Dollar).
3m 2. Teil der Hauptverfammlung hielt Here Pfarrer Rühl aus Rei chelsheum in der Wetterau einen Vortrag über: ‚Bauerndorf und Landftädtchen, Einblid in Heilifche Gegenwart aus ihrer Vergangenheit.” An den Vortrag, der jehr viel Neues brachte und mit großem Beifall aufgenommen murde, jchloß fick “eine fehr rege Aussprahe an. Der Seminariftendhor fang unter der Leitung von Heren Mufildiretor Müller einige BVollsliederchöre, die reichen en ernteten.
3. Inu der Vorftandsfigung vom 22. Nov. 1924 wurde Herr Studienrat Oswald in Friedberg einftimmig zum Rechner gewählt. Der Vorftand beiteht nun aus folgenden Mitgliedem: Oberfiudiendireftor Dr. Georg Baber, Sriedberg (Hejjen), Burg 10, Vorfitender; Profeffor Dr. Kar! Ebel, Direktor der Univerjität3bibliothet, Giehen, ftellv. Vorfigender; Studienafjeffor Dr. Frig Krämer, Friedberg (Hejien), Burg 8, Schriftführer; Studienrat Ridarb DOBmald, Friedberg (Heilen), Hindenburgftraße 48, Rechner; Oberbibliothefsr Dr. Hugo Hepbding, a. o. Univ.-Profeffor, Gießen, Schiffenberger Weg 16, Herausgeber der „Blätter; Bibliothefar Dr. Wilhelm Rehmann, Gießen, ftellv. Schriftführer; Fräulein Berta Kalbhenn, Gehen, Kepleritraße 9, Urdhi- varin; Dr. Rarl Helm, ord. Univ.-Profeffor, Marburg, Beijiger; Pfarrer D. Schulte, Großen-Tinden (bei Giehen), Beiliber. ar
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4 Im Mai 1925 wird ein Sonderheft von „Bolk und Scholle” ala volls- Tundlihe Nummer erjcheinen; wir werden e3 allen Mitgliedern zufenden. Wir bitten, biefe Hejfifche Zeitjchrift, die fich in der kurzen Zeit ihres Beftehens fo viele Sreunde erworben hat, dauernd zu beziehen. Bezugspreis 4.— Mi. im Jahr (tann in 2 Raten bezahlt werden); Anfjchrift: Darmitadt, Schloß, Poftichedfonto Frankfurt a. M. Nr. 67178,
5. Wir mweifen unfere Mitglieder auf die von PBrälat D. Dr. Diehl herausgegebene „Heffiihe Chronif” Hin; fie Hat im Januar 1925 ihr Erjcheinen wieder begonnen. — Gleichzeitig machen mir darauf aufmerffam, daß uud, bie „Seiliihen Vollsbücher”, ebenfalls von PBrälat D. Dr. Diehl herausgegeben, wieder erfcheinen. Beitellungen find an den Herausgeber, Darmitadt, Walbitraße 40, zu richten. |
6. Beitellungen auf die „Blätter“ nimmt Herr Dr. W. Rehmann, Biblio thelar, Gießen, Univerfitätzbibliothel, entgegen. — Da die Bände 1—5 nahezu vergriffen find, Taufen mir fie zurüd; biesbezügl. Anfragen find ebenfalld an Herrn Dr. Rehmann zu richten.
Friedberg, den 6. Februar 1925. Gg. Saber.
Singänge für das Arhiv der Bereinigung: Einige Seiten au8 einer ge- drudten franzöfifchen Sammlung von Segenzforneln von Dr. &. Brüd, Bübdes- heim in Rheind. — Handichriftliches Spottgedicht aus DVorheim, Formel des Sudeneid3 von Altuar Stein, Friedberg i. 9. — Volfskundliches aus Rain» rod von Oberprimaner Wild. Schmidt, Nainrod; Neime in Schlikerländer Mundart von Heinz zur Nieden, Hubbdorf (beides durch freundliche Vermitt- lung von Studienrat Prof. Dr. Heymatın, Gießen). — Segen gegen Rotlauf aus Wlrichftein von Studienrat Prof. 9. Yuch3, Gehen. — Moderner „Setten- brief” von Bibliothefar Dr. 9. Reuter, Düffeldorf. — Bolfzkundl, Txrzerpte au G. Schnapper-Arndt, Fünf DPorfgemeinden auf dem Hohen Taunus bon Studienafjeffor Dr. 2. Wolf, Mainz Mombad. — Wertvolle volfstundliche Nachmeije aus Urkunden und Zeitungsauzfchnitte von Staatsardiver Dr. Deric, Marburg i. 9. — Allen Einfendern Herzlichen Dank!
An der Univerfität Heidelberg wurde ein Ynjti tu t für verglei- hende Bolt3tunde begründet. Mit feiner Leitung wurde unfer Mitar- beiter Brofefjor Dr. &. Fehrle betraut.
An der Univerfität Graz habilitierte ch für Vollztunde Dr. Viltor v, Geramb, Porftand der vollsfundlichen Abteilung be Sohanneums. Seine Antrittporlefung „Die Bollsfunde als een a in Au deitfärift für Deutfchfunde 1924. I a
Die neue bayerifcdhe een neben Kir das Höhere Rehramt enthält für die Fachgruppe Deutig—Geihichte— Erdkunde die Beitimmung, daß für die mündliche Brüfung „ein Mindeftmaß von RKenntnifjen in der bayrifden Mundart» und Bolflztunde” verlangt wird. Im Frühjahr 1926 wird zum erften Mal nad diefer Prüfungsordnung geprüft. Yor« lefungen über olfsfunde werben allerdings 3. Bt. an den bayerifchen Univer- jitäten nicht gehalten. |
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Der Verein für bayerifhe Bolfslunde und Mundart» forfhung in Würzburg Hat fich wieder Tonitituiert, Borfitender ift Profeflor Dr. Frieder. Pfifter.
Sn Bremen ift von Dr. E. Grohne, Direktor des FodeMufeums, eine Bremer Gefellihaft für VBolfötunde ind Leben gerufen worden,
AS Nachfolger bes Geheimerats Prof. Dr. Behaghel wurde Profeffor Dr. Alfred Boete in Freiburg i.B. an die Ludoviciana berufen.
Unfer Freund und Mitarbeiter Profeffor Dr. Uchher Taylor von der Univerfität Chicago wurde zum Ehrenjenator der Univerfität Gießen ernannt.
Eine nappe Überficht über die volfsfundliche Arbeit in Heifen in den lebten Hundert Jahren Habe ich auf Veranlafjung der Gießener Sochiähulgejellihaft in den „Gießener Hochichulblättern” Nr. 7 (1924) gegeben.
3.7 Landfchaftliche Liederbefte.
Der „DBerband deuticher Vereine für Volkskunde“ teilt in Nr. 29 feiner ‚Mitteilungen‘ folgendes mit:
„eben den im Snfelverlag erjchienenen „Alten und neuen Liedern”, von denen wir ungefähr 300000 Grempfare abgejegt Haben und bie jest. bis auf das vierte Heft vollftändig vergriffen find und in einer neuen vermehrten Auflage (8 Hefte) erjcheinen werden, gibt ber Berband eine neue Neihe „Landfchaftliche Bolfslieder“ Heraus, die fchöne und wertvolle Lieder einzelner Landfchaften in zweiftimmigem Gap mit Lautenbegleitung und mit zahlreichen Slluftrationen bringen werden.
Bon biefer Reihe follen im Sahre 1925 etwa 8-10 Hefte erideinen. Bis heute find erfchienen:
1. Shlefifhe Bolf3lieder mit Bildern und Weifen, Hrög. von Th. Sieb3 und M. Schneider. Bilder von Sans Zimbal. Bergitadtverlag, Breslau 1924. 110 ©. Preis 2 Mi. Ermäßigter Mitgliederpreig uaueBlın Porto und Verpadung 1,30 ME.
2. Badifhe Volfzlieder mit Bildern und Weifen, hrög. v. Deutfchen Vollzliedarhiv. Bilder von WU. Sup. Berlag ©. Braun, Karlörufe 1925. 143 ©. Brei 2,50 Mf. Ermäßigter Mitgliederpreis ausfchließlih Porto und Berpadung 1,60 ME.” ° |
Unjere Mitglieder Tönnen unter Bezugnahme auf diefe Antündigung Die Hefte zum Vorzugspreis bei der Gefchäftsftelle de3 Verbandes, Freiburg i. Br., Gilberbadjitraße 13, beitellen.
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Das Erjcheinen des Bandes Hat fich durch Krankheit des Herausgebers, Schwierigkeiten in der Druderei und andere AUmitände unliebfam verzögert.
3 0000 108 649 025