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_ ZEITSCHRIFT

FÜR

OHRENHEILKUNDE

IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE

HERAUSGEGEBEN VON

ProF. DR. H. KNAPP Pror. DR. 0. KÖRNER

in New-York in Rostock

Dr. ARTHUR HARTMANN Pekor. Dr. U. PRITCHARD

in Berlin in London.

NEUNUNDZWANZIGSTER BAND.

MIT 3 TABELLEN, 9 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 1 TEMPERATURTABELLE (TAFEL UO),

WIESBADEN. VERLAG VON J.F. BERGMANN. 1896.

Das Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten.

CATALOGUL, JUN 15150 ES

Druck von Carl Ritter in Wiesbaden.

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IV.

VI. VII.

VIII.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

INHALT.

Ueber den gegenwärtigen Stand der EE Von Prof. Dr. Fr. Bezold in München ;

Ueber die centrale Hörbahn und über hie Schädigung ‚dasch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend und der Haube. Von Prof. Dr. F. Siebenmann in Basel. Mit 3 Tabellen und 7 Abbildungen im Text e

Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine, beider Sinus Sismoidei und beider Orbitae, eine otitische Phlebitis des Sinus cavernosus vortäuschend. Von Prof. Dr. O. Körner in Rostock.

Ueber das Wachsthum von Aspergillus glaucus in der mensch- lichen Nase. Von John Dunn, MD., Richmond, VA. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.) :

Ueber die pyämische Allgemeininfection nach Öhreilerungen. Von Dr. ©. Seen in Breslau. Primärarzt am Ee hospital

Sitzungsbericht der Öesterröichischen E E Gesellschaft

Bericht über die 2. Versammlung der American a rhinological and otological Society d

Ein Fall von otitischen Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. Von Dr. J. Morf in Winterthur. Mit 1 Abbildung im Texte

Bericht über die Wirksamkeit der Klinik und Poliklinik für ÖOhren-, Nasen-, Schlund- und Kehlkopfkrankheiten des Garnison- krankenhauses zu Kopenhagen für die Jahre 1888—1893. Von Öberstabsarzt Ad. Levy, Chef der Klinik. Mit 1 Abb. im Texte

Eine Bemerkung über die Symptome der Phlebitis des Sinus cavernosus. Von Prof. Dr. O. Körner in Rostock

Ueber Bezold’sche Mastoiditis mit pyämischen Krstheinangen Von Dr. J. Hegetschweiler in Zürich. Mit I ur tabelle (Tafel I/II)

Ein Fall von Carotis- Blutung bei Nekross geg Mittelohrs; Operationen. Von Robert Abbe, M. D. E von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Verhandlungen des 1. österreichischen Geess am 28. und 29. Juni 1896. Nach dem von Docent Dr. Jos. Pollak er- statteten officiellen Berichte . e

Bericht über die 4. Sitzung der Niederländischen Kater rhino-otologischen Gesellschaft in Utrecht am 17. Mai 1896. Erstattet von Prof. Guye in Amsterdam . .

Nachtrag zum Bericht über die Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft in EE 1896. Von Dr. E. Bloch in Freiburg i. Br.

Beiträge zur Kenntniss des Hatholsgisch: anatomischen Befinden im Mittelohr und in den kKeilbeinhöhlen bei der genuinen Diphtherie (25 Sectionsberichte). Von Dr. E. Lommel in Spiez Mittbeilung eines durch Excision der thrombosirten Vena jugularis interna geheilten Falles von otitischer Pyämie. Von Dr H. Eulenstein in Frankfurt a. M.. A

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IV Inhalt.

XVII. Ueber ein neues Verfahren zur Behandlung der Schwerhörigkeit beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle. Von Dr. Cohen-Kysper in Hamburg e

XIX. Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohr ohie re gangene Eiterung. Von William C. Braislin MD., Assistenz- arzt an der Öhrenabtheilung des Hospitals für Augen- und Ohrenleiden in Brooklyn. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.) . :

XX. Eitrige Mittelohr- Entzündung ; see im Keni: ` Tod; Autopsie. Von J. U. Woodward, Md. Burtington, Vermont, Professor der Augen-, Ohren- und Hals-Krankheiten an der Universität von Vermont, Augenarzt an den Hospitälern Mary Fletcher und Fanny Allen. ER von Dr. med. Th. Schröder in Rostock.) .

XXI Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheil. kunde auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt a. M. September 1896. Erstattet von Dr. E. Bloch in Freiburg i. Br. ;

Bericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde im zweiten Quartal des Jahres 1896. Zusammen- gestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin

Besprechung von Prof. Dr. O. Körner in Rostock: Die Krankheiten des Gehirns und seiner Adnexa, im Gefolge von Naseneiterungen. Von Dr. R. Dreyfuss, Specialarzt für Hals-, Nasen- und Öhrenleiden in Strassburg i. Els. SE Besprechungen von Dr. Arthur Hartmann in Berlin:

Vademecum und Taschenkalender für Ohren-, Nasen:, Rachen- und Halsärzte auf die Zeit April 1896 bis März 1897. Herausgegeben von Dr. L. Jankau ;

Atlas der Beleuchtungsbilder des Trommelfalls im gesunden ect kranken Zustande für praktische Aerzte und Studirende. Von Dr. Adam Politzer in Wien.

Ergebnisse der speciellen pathologischen Morphologie und Physio. logie der Sinnesorgane. VB von OÖ. Lubarsch und R. Östertag.

La pratique des maladies du larynx, nez et de EE dan jes hospitaux de Paris. Aide-memoire et formulaire de zn appliquee par le Professeur Paul Lefert Sie A

Besprechung von Dr. A. Scheibe in München:

Die otogene Pyämie. Von Dr. Hugo Hessler, Docent der Ohren- heilkunde an der Universität Halle a. d. S. ;

Besprechung von A. Barth in Breslau-Leipzig:

Bilder aus dem menschlichen Vorhofe. Atlas, enthaltend 25 Photo- graphien nach mikroskopischen Serienschnitten. Von Prof. Dr. H. Steinbrügge und Dr. O. Nieser ir S

Besprechung von Dr. E. Bloch in Freiburg i. Br.:

Wilh. Kirchner, Handbuch der Ohrenheilkunde für Aerzte und Studirende. 5. Aufl.

Kleine Notizen 68. Versammlung deutscher Natirförscher And Aerzte in Reänkfart a. M. Nekrolog: PROF. DR. RÜDINGER .

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Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.') | Von Prof. Fr. Bezold in München.

Wenn das praktische Bedürfnis gerade die Otiatriker dazu ge- zwungen hat, nach immer weiteren Hörprüfungsmitteln zu suchen und die Prüfungsmethoden immer mehr zu vervollkommnen, so wäre es doch ein viel zu engherziger Gesichtspunkt, wenn wir in der Be- stimmung des Hörvermögens nichts weiter als eine Ergänzung des Krankheitsbildes und eine Controle für unsere Heilresultate sehen wollten.

Die Function des hohen Sinnesorganes, dessen Untersuchung und Pflege in unseren Händen liegt, hat ebenso wie diejenige des Auges unsere hervorragendsten naturwissenschaftlichen und philosophischen Denker beschäftigt. Nur am Menschen können wir über die Einzelheiten seiner Leistung befriedigenden Aufschluss erlangen. Es waren vorwiegend Ohrenärzte, welche die durchschnittliche Leistungsfähigkeit des normalen menschlichen Ohres und deren Grenzen für einzelne Tonquellen und vor Allem für die Sprache und deren einzelne Laute festgestellt haben. Nicht weniger allgemeines Interesse als die Function des normalen Ohres bietet das pathologische, vorausgesetzt, dass wir zu bestimmen vermögen, welche Theile im einzelnen Fall durch Zerstörung etc. ausgeschaltet sind. Nur der Ohrenarzt ist im Stande, täglich Beobachtungen zu sammeln, welche schliesslich in ihrer Gesammtheit ein volles Bild der Function auch seiner einzelnen Theile zu geben vermögen. Wir sollen uns bei unseren Hörprüfungen bewusst sein, dass wir ein Material sammeln, welches auch weiteren Kreisen als wissenschaftliche Unterlage zu dienen vermag als bloss den Otiatrikern und darnach sollen wir die Bedeutung unserer functionellen Untersuchungen bemessen und dieselben einrichten.

Da unser Ohr die Fähigkeit besitzt, jede Schallquelle in ihre einzelnen Elemente d. h. Töne zu zerlegen, so müssen wir für diese

1) Ein Auszug aus dieser Arbeit wurde auf der V. Versammlung der deutschen otologischen Gesellschaft 1896 vorgetragen. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 1

2 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

Zerlegung nach Helmholtz einen mechanischen Apparat voraussetzen, welcher sich an der Stelle der Endausbreitung des Hörnerven befindet, und es häufen sich von Tag zu Tag die Beobachtungen, welche die Localisation der Tonscala in der Membrana basilaris der Schnecke mehr und mehr sicher stellen in der Vertheilung, wie sie von Helmholtz daselbst angenommen worden ist.

Ebenso wie der schallempfindende Apparat des Ohres die sämmt- lichen ihn treffenden Schalleindrücke in die einzelnen reinen Töne zerlegt, aus welchen dieselben zusammengesetzt sind, muss auch unser Hör- prüfungsapparat die Möglichkeit bieten, jeden innerhalb der 11 und mehr Octaven gelegenen Ton dem Ohre isolirt vorzuführen... >

Vollkommen ausreichend konnte uns für die Prüfung des Ohres auch die gesammte Tonreihe erst seit der Zeit erscheinen, in welcher wir aufgehört haben, die Geräusche zu den tönenden Höreindrücken in Gegensatz zu bringen. |

Die Abtrennung der Geräusche von den Tönen, wie sie aus der Physik in die Physiologie herübergenommen wurde, hat lange Zeit als Hemmschuh für die Entwickelung der Otologie gewirkt, indem sie die Veranlassung gegeben hat, für die Geräusche gesonderte Perceptionsstellen ausserhalb der Schnecke in den übrigen Theilen des Labyrinths anzunehmen.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Arbeiten einzugehen, welche den continuirlichen Uebergang zwischen Tönen und Geräuschen und die Zusammensetzung auch der letzteren aus einem Gewirr der verschiedensten, insbesondere auch sehr hoher und deshalb schwer oder nicht analysir- barer Töne für unsere Vorstellung annehmbar gemacht haben.

Es möge an dieser Stelle genügen, auf die Abhandlung von Barth „Zur Lehre von den Tönen und Geräuschen“!) hinzuweisen, in welcher es diesem Autor gelungen ist, die wahrscheinliche Zusammensetzung der ver-

schiedensten Geräusche aus Theilen der vom menschlichen Ohr pereipir-

baren Tonscala in überzeugender Weise darzulegen. Jedenfalls ist „der Beweis, dass Geräusche und Klänge ganz differente Schallqualitäten sind und die Schneckengebilde allein zu ihrer Auslösung nicht ausreichen, bis jetzt in keiner Weise erbracht.“ Diese negative Fassung, in welcher Dennert seine Ueberzeugung resumirt,?) scheint mir unanfechtbar.

Die Lehre von der Schallperception als einer ausschliesslichen Function der Schnecke hat eine neue Stütze erhalten dadurch, dass es

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVII, p. 81. 2) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXIX, p. 83.

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Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 3

vor Kurzem Kreidl!) geglückt ist, wenigstens an einer Species schneckenloser Thiere, nämlich an Goldfischen, den Nachweis zu liefern, dass sie in Wirklichkeit gehörlos sind, wie es für diese Lehre Voraus- setzung sein musste, wenn es auch angezeigt erscheint, dieser Beobachtung gegenüber die gleiche Vorsicht walten zu lassen, wie bei den positiven Hörergebnissen der labyrinthlosen Tauben Ewalds.

Am menschlichen Gehörorgan, von dem wir allein vollkommen ver- lässigen Aufschluss über seine Function erwarten dürfen, habe ich mich bei necrotischer Ausstossung des Labyrinths, ebenso wie heute wohl die Mehrzahl der Autoren, welche sich eingehender mit dieser Frage be- schäftigt haben, davon überzeugt, dass ein unzweifelhaftes Hörvermögen nach Ausstossung irgend eines Theiles vom Labyrinth nicht mehr existirt. Unter meinen 8 Beobachtungen von Labyrinthnecrose waren es in der Mehrzahl der Fälle nur Theile der Schnecke, welche zum Vorschein kamen; ich möchte aber darauf nicht einmal ein besonderes Gewicht legen, weil wir wohl voraussetzen dürfen, dass hier schon die Zer- störungsprocesse im häutigen Labyrinth durchgängig genügend sind, um die Function des ganzen Labyrinths zu vernichten. Auf die Bedeutung der totalen Taubheit, welche in den beiden zur Mittheilung gelangten Beobachtungen von doppelseitiger Labyrinthnecrose nachgewiesen werden konnte, habe ich wiederholt hingewiesen. Aus diesen Functions- prüfungsergebnissen nach Zerstörung des Labyrinths geht hervor, dass dem Nervus acusticus ohne seine Hülfsapparate im Labyrinth jede Reactionsfähigkeit auf Schallwellen ebenso abgeht, wie dem Nervus opticus ohne Retina auf Lichtwellen. |

Es war nothwendig, zuerst eine klare Einsicht in die Hörfunction selbst zu gewinnen, ehe wir zu einer exacten Prüfung derselben gelangen konnten.

Wenn die Geräusche wirklich, wie es bereits heute als mindestens sehr wahrscheinlich bezeichnet werden darf, restlos in der menschlichen Tonscala enthalten sind, dann besitzen wir in der continuirlichen Ton- reihe so vollkommen alle Elemente für die Prüfung des Hörvermögens, als wir. diese nur wünschen können.

Unter dieser Voraussetzung, welche wir bezüglich der Geräusche machen, würde also ein Gehörorgan dann als vollkommen untersucht betrachtet werden dürfen, wenn die einzelnen Töne der continuirlichen

1) „Ueber die Perception der Schallwellen bei den Fischen.“ Pflüger's Archiv f, d. ges. Physiol. Bd LXT. p. 450. :

1*

4 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

Reihe in kleinen Intervallen auf die ihnen zukommende Perceptions- dauer per Luft- und per Knochenleitung geprüft und in Vergleich mit der normalen Perceptionsdauer gestellt sind.

Die regelmässige Durchführung einer derartigen Prüfung bei der Gesammtheit der Ohrenkranken wäre aber schlechtweg ein Ding der Unmöglichkeit wegen der Zeit, welche sie beanspruchen würde.

Nothwendig erscheint ihre Anwendung nur da, wo wir partielle Defecte an einzelnen Stellen oder vollständige Lücken im Verlauf der Scala zu erwarten haben, d. i. insbesondere bei Taubstummen und bei hochgradiger nervöser Schwerhörigkeit.

Als regulären und zu einer raschen Uebersicht führenden Hör- messer besitzen wir keinen vollkommeneren als die Sprache, insbe- sondere seit Oscar Wolf uns eine acustische Bestimmung auch der Consonanten gegeben hat.

Da es in erster Linie die letzteren sind, welche bei der Prüfung mit der von uns hauptsächlich verwendeten Flüstersprache in Betracht kommen, so sind wir seitdem im Stande, mittelst derselben zugleich ein beiläufiges Bild von der qualitativen Leistung des Ohres zu gewinnen.

Man kann wohl sagen: die Sprache enthält eine so vollkommene Zusammenstellung aller möglichen Lautcomplexe, dass wir sie für unsere Hörproben erfinden müssten, wenn wir sie nicht schon hätten.

Wolf!) gruppirt die einzelnen Laute folgendermaassen :

1. tiefe (R, U), 2. mittlere (die Explosivlaute B, K, T),

3. hohe und zwar einerseits starke (S, Sch., G-moll), andererseits schwache (F).

Die tonborgenden Consonanten L, M, N und H schliesst Wolf von der Prüfung aus.

Die Erfahrungen, welche dieser Autor über die mangelhafte Per- ception der einzelnen Laute bei verschiedener Localisation der Erkrankung im Ohr gesammelt hat, lassen sich im Allgemeinen bestätigen.

Als Prüfungsworte, welche diese einzelnen Laute enthalten, benütze ich auch gegenwärtig noch die Zahlworte, ebenso wie meines Wissens eine grosse Anzahl von Collegen,

Der häufig wiederholte Einwurf, dass dieselben leichter errathen werden als andere Worte, kann mich davon nicht abhalten. Es kann sich für uns nur darum handeln, dass alle Prüfungsworte entweder gleich

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XX.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 5

leicht oder gleich schwer errathen werden. Prüfen wir mit anderen Worten, von denen wir niemals wissen können, wie nahe oder fern sie dem Vorstellungskreis des Geprüften liegen, so wird das Resultat viel un- sicherer ausfallen müssen, als wenn demselben alle Worte gleichmässig bekannt sind. Wollte man wirklich die Combination ganz ausschliessen, so könnte man dies sehr einfach dadurch erreichen, dass zur Prüfung sinnlose Wortbildungen benützt würden. Es empfiehlt sich dies aber schon deshalb nicht, weil wir das Verständniss des Kranken für seine Umgangssprache kennen lernen wollen.

Die Zahlen als Prüfungsworte können wir schon deshalb nicht entbehren, weil sie für das kindliche Lebensalter die am Besten ver- ständlichen Worte bilden. Bei meinen Schuluntersuchungen habe ich mich zur Genüge davon überzeugt, dass die Vorführung der Zahlen als Hör- probe vollkommen ausreichend ist; denn ich fand unter den 1918 von mir untersuchten Schulkindern mittelst der ausschliesslichen Verwendung der Zahlen nahezu 26°/,, welche auf einem oder beiden Ohren nur ein Drittel oder weniger (d. h. 8m oder weniger) der normalen Hörweite besassen. Dabei war noch dazu die am Schwersten verständliche Zahl „100“ von der Prüfung ausgeschlossen worden.

Um immer eine annähernd gleiche Intensität der Flüstersprache zu erzielen, wurde von mir zum Aussprechen der Zahlen nur die Reserveluft benutzt, welche nach einer nicht forcirten Exspiration in der Lunge zurückbleibt. Ebenso ist es nothwendig, immer das gleiche Tempo beim Sprechen einzuhalten.

Einen weiteren Vortheil der Zahlworte sehe ich endlich darin, dass für jeden Fall der Umfang des geprüften Sprachmaterials bekannt ist, vorausgesetzt, dass in jedem Fall sämmtliche charakteristische Zahlen zur Verwendung kommen.

Die Zahlworte, deren Verständniss am Häufigsten beeinträchtigt oder aufgehoben ist, sind nach meinen Erfahrungen sowohl an Schul- kindern als an Ohrenkranken ausser „100“ noch die Zahlen „9, 5, 4, 8, 7.*

Auch ich habe mich, ebenso wie Wolf u. A. überzeugt, dass es bei bestimmten Erkrankungsformen immer die gleichen Zahlen, resp. Laute sind, deren Perception am Meisten gelitten hat und dass uns somit die Prüfung mit der Sprache schon allein eine gewisse vorläufige diagnostische Orientirung zu geben vermag.

Wenn ich meine seit Jahren in dieser Richtung angestellten Be- obachtungen hier kurz zusammenfasse, so habe ich, übereinstimmend mit

6 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfnngen.

Wolf, gefunden, dass im Allgemeinen die tiefen Laute, wie sie vor Allem in der Zahl „100“ vertreten sind, bei Affectionen des Schallleitungsapparates am Schlechtesten gehört werden. Ausser „100“ sind hier noch die Zahlen „4“ und „3“ zu nennen.

Wenn das „ch“ der Zahl „8» als tiefer Gutturallaut weit rück- wärts im Gaumen gebildet wird, so habe ich den Ausfall dieser sonst ziemlich weit hörbaren Zahl auffällig häufig bei Sclerose constatiren können; auch die Zahl „4“ gehört hier zu den häufig ausfallenden, seltener die Zahl „3“.

Dagegen habe ich für die acuten, einfachen sowohl als perforativen, exsudativen Mittelohrentzündungen als in hohem Maasse charakteristisch den Ausfall der Zahl „5“ gefunden. Die Zahl „4“ wird hier ebenfalls häufig schlecht pereipirt. Wenn auch selten, so kommt es doch vor, dass bei diesen Processen auch die Zahl „7“ beeinträchtigt wird,!) und ich hebe diese ausnahmsweise Beobachtung deshalb hervor, weil ich sie für die vollständige Restitution des Hör- vermögens als von relativ ungünstiger prognostischer Bedeutung gefunden habe, indem sich zum Mindesten eine ungewöhnlich lange Dauer dieses speciellen Defectes für die „S*-Laute erwarten lässt, obgleich auch ihre Perception schliesslich wiederkehren kann, nachdem sie Monate und selbst Jahre lang mangelhaft war.

Ebenso häufig und charakteristisch wie der Ausfall der Zahl „5“ bei den acuten exsudativen Processen habe ich den Ausfall der Zahl „9“ bei uncomplicirtem Tubenverschluss gefunden. Besonders charakteristisch ist, wie hier insbesondere der Anlaut „N“ für das Ohr ausfällt: statt „neunzehn“ wird beispielsweise auch von Erwachsenen hartnäckig mit fragendem Gesicht „einzehn“ wiederholt, bis man in den Bereich der noch vorhandenen Hördistanz, d. i. bei länger dauerndem einfachen Tubenverschluss gewöhnlich 10 cm, gelangt.

Aus diesem Grunde möchte ich auch das Wort „9“, obgleich es in Bezug auf Tonhöhe seiner Consonanten als neutral bezeichnet werden kann, nicht bei der Prüfung vermissen. Wolf schliesst, wie erwähnt, die „tonborgenden“ Consopanten L, M, N, H von derselben aus. Es erscheint schon deshalb zweckmässig, auch Worte mit neutralen Consonanten, insbesondere im Anlaut, zu benützen, weil die uns

1) Ein Defect, welcher mit Wahrscheinlichkeit auf eine Propagation der Entzündung durch die Membran des runden Fensters auf den Anfang der basalen Schneckenwindung hindeutet.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 7

zu Gebote stehenden Räumlichkeiten für die übrigen Consonanten, die scharfen „S“-Laute etc. gewöhnlich nicht ausreichen, während sie ge- nügen für Worte wie „I“ und „100“.

Am Mannigfaltigsten gestalten sich die Hördefecte für die ver- schiedenen Sprechlaute, wie dies von vornherein zu erwarten ist, bei den Erkrankungen des Labyrinths, mögen dieselben für sich allein oder gleichzeitig neben Affectionen des Mittelohres bestehen. Trotzdem ist es auch hier besonders eine Zahl, deren Ausfall häufig und charak- teristisch ist, nämlich die Zahl „7*; auch die anderen sonst auf grosse Distanz hörbaren Zahlen mit hochliegenden Consonanten „6, 2, 20“ werden hier öfters mangelhaft gehört. Verhältnissmässig oft fällt ferner die Zahl „5“ aus. Aber auch Worte mit tiefliegenden Consonanten, insbesondere die Zahl „4“, fallen nicht selten bei Labyrinthaffectionen aus.

Die Vertrautheit mit diesen Details im Sprachverständniss bei den verschiedenen Erkrankungsformen fällt nicht nur diagnostisch zur vor- läufigen Orientirung ins Gewicht, sondern bildet, beiläufig bemerkt, auch eine sehr brauchbare Unterstützung zur Entlarvung von Simulanten. Wenn hier Zahlen wie „24“ und „36* nicht wiederholt, dagegen andere auf viel kürzere Distanz hörbaren leicht verstanden werden, so muss uns dies schon bei der Prüfung der Sprache argwöhnisch machen. Die meisten derartigen Individuen verrathen sich schon bei dieser ein- fachen Prüfung noch in anderer Weise: Sie prononciren nämlich den ersten Laut des Wortes, zögern aber, dasselbe auszusprechen oder halten es ganz zurück. Ich bin daher gewohnt, den das andere Ohr, wirklich oder auch nur scheinbar, verschliessenden Assistenten immer gleichzeitig auf die Lippen achten zu lassen, welche sehr häufig die entsprechende Bewegung des Anlauts machen, ohne dass das Wort selbst zum Vorschein kommt. In einem solchen Fall halte ich jede weitere Prüfung mit Stimmgabeln etc., wenigstens zu wissenschaftlichen Zwecken, für illu- sorisch. Seit Einführung der Unfallversicherung haben sich derartige Vorkommnisse stark gehäuft.

Auch die einfache Sprachprüfung ist, wenn sie genau angestellt wird, eine mühsame und zeitraubende, und es ist zwar gewiss eine wünschenswerthe Vervollständigung des functionellen Befundes, wenn die Hördistanz sowohl für die hohen als für die tiefen und vielleicht auch für die Consonanten in Mittellage in jedem Fall gesondert geprüft und aufgezeichnet wird, wie dies von Wolf, Schwabach, Bloch, Richter u. A. geschieht, ich halte es aber doch für zweckmässiger,

8 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

wenn wir, nachdem sämmtliche Zahlworte wiederholt !) durchgeprüft sind, uns darauf beschränken, die Hördistanz für das oder die am Schlechtesten percipirten Worte zu notiren, wie dies seit Jahren von Lucae einge- führt ist, um Zeit für die weitere und zuverlässigere Resultate ver- sprechende Untersuchung mit Stimmgabeln etc. zu sparen.

Aus dem gleichen Grunde verzichte ich, seit ich im Besitze der continuirlichen Tonreihe bin, auf alle weiteren Prüfungsmittel, wie Uhr, Politzer’s Hörmesser, Levy’s Hörmesser, telephonische Apparate, Musikinstrumente etc.

Vergleichende Messungen über Uhr und Politzer’s Hörmesser habe ich bei meinen Schuluntersuchungen angestellt und die Prüfung der Sprache denselben, insbesondere der Uhr, weit überlegen gefunden.?)

Den anscheinend vielversprechenden Versuch von Lichtwitz, den Phonographen als Hörmesser zu verwenden, hat Schwabach?) sich der Mühe unterzogen, zu prüfen; der Apparat erwies sich indess wegen der mangelhaften Reproduction insbesondere der hochliegenden „S“- Laute, wie dies auch Wolf*) gefunden hatte, als unbrauchbar.

Die Entferung, auf welche die Flüstersprache resp. Conversations- sprache richtig pereipirt wird, ist mit Recht als der brauchbarste zu- sammenfassende Ausdruck für die Hörschärfe angenommen.)

Erst nach ihrer Feststellung folgt die Untersuchung mit einzelnen Tönen.

Im Laufe der letzten Jahre sind so viele und zum Theil zeit- raubende Prüfungsmethoden angegeben und von einzelnen Autoren durch- geführt worden, dass eine zielbewusste Beschränkung auf das Noth- wendige und am Sichersten und Raschesten diagnostische Aufschlüsse Gebende wohl heute als eine der schwierigsten Aufgaben für den Oto- logen bezeichnet werden muss und es darf uns nicht wundern, dass in

1) Die wiederholte Vorführung der sämmtlichen Zahlworte ist schon deshalb nothwendig, damit der Untersuchte mit den Eigenthümlichkeiten des prüfenden Sprechorgans genügend vertraut wird.

2) Ich verweise in dieser Beziehung auf Tafel I meiner „Schulunter- suchungen des kindlichen Gehörorgans“, betreffs der Uhr cf.: „Bemerkungen über die Uhr als Hörmesser etc.“ Zeitschr. f. Ohrenheilk. XV, 151.

3) Schwabach und Magnus „Ueber Hörprüfung und einheitliche Be- zeichnung der Hörfähigkeit* X. internat. med. Congress. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXI, p. 81.

4) Zeitschr. f. Ohrenheilk. XX, 202.

5) So fallen beispielsweise meine Hörprüfungen mit Sprache bei Sclerose nach verschieden grossen Zeiträumen nur zu gleichmässig aus.

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Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 9

der letzten Zeit Stimmen dafür eingetreten sind, selbst die Prüfung durch Knochenleitung, der wir bereits so vielfache diagnostische Anhaltspunkte verdanken, möglichst einzuschränken, weil die dabei in Betracht kommenden Factoren zu verwickelt seien.!)

Damit kann ich mich allerdings nicht einverstanden erklären. Schon der Weber’sche Versuch, noch mehr aber der Rinne’sche und Schwabach’sche Versuch sichern unsere differentielle Diagnose für eine so grosse Reihe von auf anderem Wege nur unvollkommen oder gar nicht auseinander zu haltenden Krankheitsformen, dass ein Verzicht auf dieselben einen Rückschritt um Jahrzehnte einer erfolgreichen Furschungszeit bedeuten würde.

Die alte, auch gegenwärtig noch ziemlich allgemein vertretene Anschauung, dass im Greisenalter die Prüfung per Knochenleitung unverwendbar sei, hat nicht nur physikalisch keine Berechtigung, denn es ist nicht einzusehen, durch welche Structurveränderung der Knochen selbst eine wesentliche Einbusse an seiner Schallleitungsfähigkeit erfahren sollte, sondern es ist auch klinisch leicht zu constatiren, dass objectiv nachweisbare Mittelohraffectionen acuten sowohl wie chronischen Characters eine Verlängerung der Knochenleitung bei Greisen ebensowohl bedisgen wie in der Jugend. `

In meinen „Untersuchungen über das durchschnittliche Hörvermögen im Alter“ ?) habe ich den Nachweis`geliefert, „dass auch im Alter nicht die Knochenleitung an sich eine Verminderung erfährt, sondern nur das Hören durch dieselbe in gleichem Verhältniss mit der Verminderung der Hörweite überhaupt herabsinkt.“ Unter 134 mit Stimmgabel a’ untersuchten Gehörorganen fand ich damals in 44,8°/, unverkürzte Dauer und in 11,9°/, Verlängerung der Knochenleitung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass acute Mittelohrentzündungen unter den Ge. prüften nicht einmal vorhanden waren, welche, auch wenn sie das höchste Alter betreffen, die Verlängerung der Knochenleitung in gleich präg- nanter Weise hervortreten lassen, wie in früheren Jahren, vorausgesetzt, dass das Hörvermögen nicht bereits vorher stärker beeinträchtigt war, als es dem Alter entspricht.

Es liegt also kein Grund vor, an der Zuverlässigkeit dieser Prüfung im Greisenalter zu zweifeln, und die relativ häufigen Verkürzungen,

1) Gradenigo, Schwartze’s Handbuch Bd. I, p. 39. 2) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIV.

10 Fr Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfangen.

welche hier klinisch zu constatiren sind, bedeuten wie in den übrigen Lebensaltern ebenso viele pathologische Veränderungen des inneren Ohres.

Dagegen liegt in der Ausdehnung der Prüfung per. Knochen- leitung auf die höheren Stimmgabeln eine Fehlerquelle, welche mit der Höhe des Tones wächst, da die gleichzeitige Zuleitung durch die Luft um so weniger auszuschliessen ist, je höher wir in der Scala hinaufsteigen. . |

Ebensowenig eignen sich die den Knochen stark gtt grossen. Stimmgabeln am unteren Ende der Scala für die Prüfung der Knochenleitung, weil die einfache Erschütterung zu vielfachen Täuschungen führt, wie ich mich bei meinen Taubstummenuntersuchungen zur Genüge überzeugt habe.

Die Knochenleitung überhaupt wird von mir am Häufigsten mit den beiden unbelasteten Stimmgabeln A und a‘ geprüft.) Eine Prüfung mit diesen beiden Tönen und allenfalls noch mit der zwischenliegenden Octave a halte ich für vollkommen ausreichend, um uns ein deutliches Bild von dem Verhalten der Knochenleitung zu geben.

Die Gründe, welche mich zur Wahl gerade dieser Stimmgabeln veranlasst haben, möchte ich Ihnen zunächst kurz darlegen.

Für die Prüfung der Knochenleitungsdauer hat sich mir am Besten die grosse unbelastete A-Stimmgabel bewährt, da sie noch lange Zeit vom Scheitel gehört wird, nachdem ihre Erschütterungen unfühlbar geworden sind. l

Bei reinen Affectionen des Schallleitungsapparates wächst die Ver- längerung der Knochenleitung über die Norm durchgängig mit der Tiefe der verwendeten Stimmgabel. Von diesem Erfahrungssatz habe ich selbst wenigstens niemals eine Ausnahme constatiren können.

Trotzdem erscheint mir die Prüfung der Knochenleitungsdauer vom Scheitel auch mit der um zwei Octaven höheren unbelasteten a‘-Stimm- gabel nothwendig, weil wir nicht selten, insbesondere bei den Sclerosen, bereits eine Verkürzung, hie und da sogar einen vollständigen Ausfall, für diesen Ton auch in der Knochenleitung finden, während A noch verlängert gehört wird. Werhovsky hat einen solchen Fall aus meiner Beobachtung mitgetheilt.?) i |

1) cf. deren Beschreibung, Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVII, p. 161, „Statistische Ergebnisse über die diagnostische Verwendbarkeit des Rinne ’schen

Versuches etc.“ 2) cf. Werhovsky „Prüfungen der Hördauer etc.“ Fall XI, Zeitschr. f.

Ohrenheilk. Bd. XXVIII.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 11

Behufs Anstellung des Weber’schen Versuches erscheint die Prüfung mit einer Stimmgabel und zwar mit a’ für gewöhnlich als genügend; in zweifelhaften Fällen kann man ausserdem die genannten beiden tieferen Stimmgabeln verwenden. Auch beschränke ich mich darauf, immer von der gleichen Stelle, auf dem Scheitel, zu prüfen, um die Untersuchung nicht zu sehr zu compliciren, um so mehr, als ich den Weber’schen Versuch unter den genannten functionellen Prüfungs- methoden für die geringwerthigste halte.

Die entschiedensten und sichersten Ergebnisse liefert derselbe bei acuten und exsudativen Processen des Mittelohres (welche allerdings in der Regel auch ohnedem keine Schwierigkeiten für die Diagnose bieten). Trotzdem kann seine Bedeutung hier sogar eine lebenswichtige werden: Wenn bei Mittelohreiterung die vorher vorhandene Verlegung des Tones in das kranke Ohr im Verlauf schwindet, wobei die Stimmgabel regel- mässig auch auf dem Luftwege nicht mehr gehört wird, so erscheint dieser Befund für sich allein als ausreichende Indication, um die Mittel- ohrräume sofort operativ bloss zu legen; denn dieses Symptom kenn- zeichnet ein Uebergreifen der Eiterung auf das Labyrinth und ver- schlechtert die Prognose auch für das Leben in hohem Maasse. (Lucae.!)

Auch der Rinne’sche Versuch wird von mir und meinen Schülern fast ausschliesslich mit der unbelasteten a’-Stimmgabel ausgeführt, welche, nachdem sie auf dem Warzentheil abgeklungen hat, vor dem normalen Ohre noch ca. 30 Secunden fortklingt.

Von Lucae, dem wir die Einführung des Rinne’schen Versuchs in die Praxis verdanken, wurde die Stimmgabel ce empfohlen. Ich ziehe den von den Musikern als Ausgangspunkt benützten Ton a’?) schon deshalb vor, weil er mehr in der Mitte und noch innerhalb des Vocal- bereichs der Tonscala liegt; ferner weil, je tiefer wir in der Scala herunter steigen, um so mehr beim Aufsetzen der Stimmgabel auf irgend eine Stelle der ganze Kopf mitschwingt, also um so weniger das andere Ohr für die Knochenleitung auszuschliessen ist. Dass dies auch mit a‘ bei der Prüfung vom Warzentheil durchaus nicht vollkommen gelingt, davon überzeugen wir uns leicht, wenn wir, nachdem die auf den Warzentheil aufgesetzte Stimmgabel abgeklungen hat, ihren Stiel daselbst

I) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. V, p. 105. 2) Politzer verwendet für die Prüfung der Knochenleitung c“, welches a‘ ja sehr nahe liegt. (Lehrb, III. Aufl. p. 121).

12 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

angedrückt erhalten und nun den Gehörgang des entgegengesetzten = Ohres mit dem Finger verschliessen; ihr Ton erscheint dann wieder für längere Zeit und zwar auf dem verschlossenen anderen Ohre. Die gleiche Wirkung dürfen wir von allen Veränderungen am Schallleitungs- apparat erwarten und müssen dieselbe bei der diagnostischen Ver- werthung des Rinne’schen Versuchs bei einseitigen Affectionen immer im Auge behalten.

Höhere Stimmgabeln als a’ für den Rinne’schen Versuch zu ver- wenden, empfiehlt sich nicht, weil sie die gleichzeitige Luftleitung nicht mehr sicher ausschliessen lassen.

Wir erhalten zwar um so häufiger auch bei leichteren Veränderungen am Schallleitungsapparat einen negativen Ausfall des Rinne’schen Versuchs, je tiefere Stimmgabeln wir benützen; um so mehr erscheint es mir aber angezeigt, bei a’ zu bleiben, weil wir mit dieser Stimm- gabel, wenn wir nur auch die Zeit der mit dem Rinne’schen Versuch gemessenen Differenz (t—#) in der von mir angegeben Weise!) notiren, bei den verschiedenen Erkrankungen gleichzeitig eine ganze Scala für die verschiedenen Grade von Fixation des Schallleitungsapparates er- halten.

So kann man beispielsweise bei deutlich ausgesprochener Sclerose der einen Seite häufig schon einen sehr verkürzten positiven oder sogar einen negativen Ausfall des Rinne’schen Versuchs auch auf der audern Seite finden, trotzdem die Sprache hier noch annähernd normal gehört wird, und also bereits den allerersten und leichtesten Grad von Ankylo- sirung des Steigbügels diagnosticiren. Bei Exsudationsprocessen im Mittelohr und Ausfüllung der Räume durch succulente Schwellung da- gegen fällt der Rinne’sche Versuch, wenn auch stets verkürzt, doch häufig noch positiv aus trotz relativ hochgradiger Schwerhörigkeit für die Sprache. Es erklärt sich dies daraus, dass sein Ausfall hier von ganz anderen physikalischen Momenten abhängig ist, als bei der reinen Fixation der Schallleitungskette, für welche die abgelaufenen chronischen Mittelohreiterungen und die Sclerose das Prototyp bilden.

Ich habe hier bereits einige Punkte über die diagnostische Bedeutung der Prüfung auf osteotympanalem Wege vorweg genommen, welche ich im Folgenden kurz besprechen möchte.

Sowohl der Schwabach’sche als der Rinne’sche Versuch bieten im Gegensatz zum Weber’schen und ebenso zum Gelle&’schen Versuch den Vortheil, dass sie Schwellenwerthe feststellen. Dies gelingt N Statistische Ergebnisse etc., Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVII, p. 153.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 13

um so leichter bei der Knochenleitung, als das Abklingen bei derselben ein viel rascheres ist wie: in der Luftleitung, der Zeitpunkt des Ver- klingens also dementsprechend leichter angegeben werden kann."

Aus dem gleichen Grunde ist auch für höhere Töne dieser Zeit- punkt leichter zu fixiren als für tiefere. (Dennert?).

Wenn das eine Ohr hochgradig schwerhörig und das andere an- nähernd oder ganz normal ist, so dürfen wir aus einem verkürzt posi- tiven oder negativen Ausfall des Rinne’schen Versuchs keine dia- gnostische Schlüsse ziehen, während ein entschieden positiver Ausfall diagnostisch zu verwerthen ist. Der Schwabach’sche Versuch darf auch für diese Fälle als zuverlässig bezeichnet werden, falls er eine entschiedene Verlängernng der Knochenleitung ergiebt. Sogar bei voll- ständiger Taubheit für einzelne Theile der Conversationssprache kann noch eine deutlich ausgesprochene Verlängerung wenigstens für tiefere Töne (A) in Knochenleitung vorhanden sein, wodurch uns neben Er- krankung des inneren Ohres eine wesentliche Störung am Schallleitungs- apparat aufgedeckt wird. (Spätstadien von Sclerosen).

Um die Zuverlässigkeit dieser verschiedenen Methoden an grösseren Untersuchungsreihen zu prüfen, durfte man nicht die sonstige Diagnose als gesicherte Basis annehmen; denn auch bei intactem Trommelfell und normalem Auscultationsgeräusch können beispielsweise Sclerosirungsprocesse aller Grade spielen und andererseits berechtigt uns ja auch ein pathologisches Trommelfell nicht, eine vorhandene Hör- störung mit Sicherheit in das Mittelohr zu verlegen, da wir oftmals neben den ausgedehntesten Veränderungen des Trommelfells eine an- nähernd normale Hörweite finden. Ich selbst habe mich davon gründlich durch meine Schuluntersuchungen und Prüfungen des Hörvermögens im Alter überzeugt.

Es dürfen also bei der Prüfung der in Rede stehenden Unter- suchungsmethoden auf ihre Verlässigkeit zunächst nur diejenigen Er- krankungen berücksichtigt werden, welche eine un- zweifelhafte Diagnose zulassen.

Vor Allem sind es die chronischen Mittelohreiterungen und ihre Residuen mit grösseren Trommelfellperforationen,

I) cf. „Erklärungsversuch zum Verhalten der Luft- und Knochenleitung beim Rinne’schen Versuch“. Aerztl.Intellig.-Bl. (Münch. med. Wochenschr.1885 No. 24).

2) „Während der Moment des Verklungenseins sich für die hohen Töne in der Empfindung sehr distinct markirt, zeigt das Gehörorgan tiefen Tönen gegenüber in dieser Beziehung ein unbestimmtes weniger präcises Verhalten.“ Berl. klin, Wochenschr. 1881, p. 254.

14 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

bei welchen wir mit Sicherheit eine stärkere Fixation des Schallleitungs- apparates schon durch das Uebergewicht des Musc. tensor tymp., ganz abge- sehen von den übrigen Veränderungen im Einzelfalle, annehmen dürfen. Und sie sind es auch, welche uns durchgängig das reine functionelle Bild der Leitungsstörung geben. Hier verzeichnet auch Schwabach ausnahmslos negativen Ausfall des Rinne’schen Versuchs („selbst bei geringgradiger Schwerhörigkeit“) und ebenso Verlängerung der Knochen- leitung in 100°/,.!) Uebereinstimmend erklärt Brunner?) in seiner: jüngsten Arbeit die Constanz im Verhalten des Rinne- und Schwabach- schen Versuches und des Defectes an der unteren bei Erhaltung an der oberen Tongrenze „als eine Leuchte und einen Wegweiser auf dem bisweilen etwas unsicheren Pfade der functionellen Hörprüfung.“

Auch bei reinen Tubenaffectionen, welche den Schallleitungs- apparat nur durch einseitige Belastung affıciren, hat Siebenmann in einer Unsersuchungsreihe?) stets das volle functionelle Symptomenbild der Leitungshindernisse erhalten.

Noch reiner ist das functionelle Bild, welches uns die Ruptur des Trommelfells nach Ohrfeigen und anderen leichten Traumen ergiebt. Hier besteht die Veränderung nur in dem Ausfall einer Anzahl von radiären Trommelfellfasern und einem dadurch bewirkten mässigen Uebergewicht des Tensorzuges. Mit Rücksicht auf den hohen Werth dieser reinen Fälle habe ich eine grosse Anzahl der- selben functionell genau untersucht und in zwei Dissertationen ?) die sämmtlichen damals zur Untersuchung gekommenen Rupturen zusammen- stellen lassen. Keines der von mir als charakteristisch für Fixation des Schallleitungsapparates aufgestellten Symptome hat hier jemals gefehlt. (Der Rinne’sche Versuch fällt natürlich hier, entsprechend der meist nur wenig herabgesetzten Hörweite für Sprache, meist noch positiv, aber immer in stärkerem Maasse verkürzt aus). Die nachträgliche Restitution des Trommelfells lässt alle diese functionellen Symptome verschwinden.

1) ]. c. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXI, p. 107.

2) Zur diagnostischen Verwerthung der oberen und unteren Tongrenze etc. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVII, p. 269.

3) Hörprüfungsresultate bei reinem Tubencatarrh.. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXII.

4) J. Nothers, Traumatische Perforationen des Trommelfells. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIII, und Max Spitter, Ueber traumatische Rupturen des Trommelfells. Inaug.-Dissert. München 1895,

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 15

Sehr geeignet zur Entscheidung der Frage über den Einfluss des isolirten Tensorzuges sind Fälle, welche bei intactem Schallleitungs- apparate und normalem Hörvermögen ihren Tensor willkürlich an- zuspannen im Stande sind. Die Erscheinungen, welche dabei eintreten, war mir vergönnt, an unserem Kliniker Prof. Moritz prüfen zu können, der diese Fähigkeit in so hohem Maasse besitzt, dass bei jeder Contraction Veränderungen am Trommelfellreflex sichtbar werden.

Den Hörbefund will ich wegen seines physiologischen Interesses hier kurz anführen:

Hörweite für Flüstersprache beiderseits 7m und mehr. Untere Tongrenze beiderseits 16 v. d.

Obere Tongrenze im Galton beiderseits 1,6 (normal).

Vom Scheitel A und +0, (d. h. mit mir gleich lang).

Während der Anspannung des Tensor tymp. bleibt die Hörweite für Flüstersprache unverändert.

Dagegen rückt die untere Tongrenze beiderseits von 16 v. d. bis zu B‚—E herein.

A wird, während die Spannung des Tensor andauert, um 18 Sec. verlängert gehört.

Auf die Knochenleitung für a’ und Pr den Rinne-Versuch mit a‘, sowie auf die obere Tongrenze im Galton hat die Anspannung ebensowenig Einfluss, als auf das Verständniss der Sprache.

Ist der übrige Schallleitungsapparat zerstört und nurmehr der Steigbügelmitseiner Sehne und dem Ligamentum annulare vorhanden, so wird das letztere straff gespannt durch den einseitigen Rückwärtszug des Musc. stapedius am Steigbügel; es finden sich daher die ausgesprochenen Symptome von Fixation des Schallleitungsapparates.

Auch in dem von wir veröffentlichten Falle von Extraction des Steigbügels!) waren die gleichen Erscheinungen vorhanden und zwar nach der Extraction in etwas stärkerem Maasse ausgesprochen als vor derselben.*)

Ebenso waren sie in hohem Maasse ausgesprochen in den zwei von mir untersuchten und publicirten Fällen von angeborener Atresie des Gehörgangs mit rudimentärer Muschel.?) Bedingt sind

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIV.

2) Vor der Extraction war die untere Tongrenze in Luftleitung C, sen Wochen nach der. Extraction A. Vor der Extraction war der Rinne- Versuch mit a 7, nachher 10. Vor der Extraction betrug die Verlängerung der Knochenleitung für A 12, nachher 17 Sec.

3) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVI.

16 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörpräfungen.

sie hier nicht allein durch den Abschluss des Mittelohres nach aussen, sondern auch durch die hier regelmässig vorliegenden Defecte an der Gehörknöchelchenkette und durch die häufig gefundene stärkere Fixation des Steigbügels selbst oder seines Rudiments.

Wenn uns nun ganz die gleichen functionellen Störungen bei in- tactem Trommelfell und bei, nach dem auscultatorischen Befund, leerer Paukenhöhle in excessiver Prägnanz entgegentreten, wie dies bei den sogenannten Sclerosen der Fall ist, so sind wir doch berechtigt, auch hier auf eine Fixation und zwar wahrscheinlich an der wirksamsten Stelle des Schallleitungsapparats, d.i. an der Steigbügel-Fussplatte zu schliessen. Fünf im Leben functionell genau untersuchte Gehörorgane dieser Art konnte ich obduciren!) und fand durchgängig Verkalkung oder partielle Ver- knöcherung des Ligamentum annulare?) Das gleiche Resultat haben die Sections- und functionellen Befunde von Katz ‚Politzer u. A. ergeben.

Ein Symptom, welches ich den bisher bereis bekannten noch hinzu- gefügt habe, nämlich den Hördefect am unteren Theil der Tonscala für die Luftleitung habe ich in den obigen Erörterungen nur beiläufig erwähnt, weil ich dasselbe im Zusammenhang mit der Besprechung der mittelst Verwendung der continuirlichen Ton- reihe zu erreichenden Ergebnisse bringen wollte.

Der Zufall hat es gefügt, dass Nürnberg, wo ich auf der 10. Ver- sammlung süddeutscher und schweizer Ohrenärzte die erste Zusammen- stellung einer continuirlichen Tonreihe vorgelegt habe, ebenso wie später weitere Vervollkommnungen derselben auf der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte daselbst, nun zum dritten Male der Ort ist, an welchem ich die continuirliche Reihe in der Gestalt vorführen kann, welche sie durch die bis heute fortgesetzten unablässigen und auf- opfernden Bemühungen unseres Münchener Physikers Prof. Edelmann gewonnen hat.

Handlicher sind diese neuen Instrumente allerdings nicht geworden; aber wenn wir Töne von genügender Intensität erzeugen wollen in einer Tiefe, für welche Orgelpfeifen von 32 und mehr Fuss Länge nothwendig

1) „Erklärungsversuch zum Verhalten der Luft- und Knochenleitung beim Rinne’schen Versuch mit einem Obductionsfall.* Bayer. ärztl. Intelligenzbl- 1885, No. 24. „Ein Fall von Stapes-Ankylose etc.“ Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIV. „Ein weiterer im Leben diagnosticirter Fall von doppelseitiger Stapes-Ankylose.“ Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVI.

2) Wie viel bei totaler Verknöcherung des Lig. annulare noch von Hör- vermögen überhaupt übrig bleibt, muss vorerst als zweifelhaft bezeichnet werden.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 17

sind, so bedürfen wir auch bedeutende Gewichtsmassen an den Stimm- gabeln, wenn sie Wellen von so gewaltigen Dimensionen in genügend ausgiebige Bewegung versetzen sollen. Eine Verkleinerung und Ver- ringerung des Gewichtes könnte nur auf Kosten ihrer Intensität und der Zeit ihres Ausschwingens erreicht werden. Damit würden sie aber an Brauchbarkeit für eine Reihe von Untersuchungen, insbesondere auch für die Prüfung der Taubstummen, verlieren; und gerade über die Letzteren zuverlässige Aufschlüsse zu erhalten, wird wohl Jedem von Ihnen wünschenswerth erscheinen, nachdem sich diese Untersuchungen für den wissenschaftlichen Ausbau der Pathologie sowohl, als auch der Physiologie des Ohres als so unerwartet aussichtsreich erwiesen haben.

Von der unteren Tongrenze (15 v. d.. früher 16 v. d.)!) bis zu dem Ton c’” (früher a’) besteht wie bisher die Reihe aus belasteten Stimmgabeln. Früher war diese Tonstrecke auf 9, jetzt ist sie auf 10 Stimmgabeln vertheilt. Jede derselben enthält circa eine Quinte. . Die einzelnen Intervalle sind eingezeichnet in halben Tönen und in Schwingungszahlen.

Durch diese neue Vertheilung auf eine grössere Zahl von Gabeln und durch die theilweise beträchtliche Vermehrung ihres Umfanges ist eine viel grössere Gleichmässigkeit in der Intensität des Tones auf der ganzen Strecke erreicht, als meine ursprüngliche Reihe bot.

Das obere Stück der Tonreihe von c” an bis zur oberen Tongrenze ist enthalten in 2 gedackten Orgelpfeifchen und dem von Edelmann neuerdings weiter modificirten Galtonpfeifchen.

An allen 3 Pfeifen ist eine Vorrichtung angebracht, welche ge- stattet, die Weite der Mundöffnung zu ändern, die Pfeife zu intoniren, wie der Orgelbauer dies nennt. Dadurch sind wir in den Stand gesetzt, die Pfeifen für alle in ihnen enthaltenen Töne gleich gut ansprechend zu machen.

Eine besonders hohe Bedeutung hat diese Vorrichtung für denjenigen Theil des Galtonpfeifchens gewonnen, der die menschliche obere Ton- grenze enthält. Mittelst einer Mikrometerschraube ist es nämlich möglich gemacht, die Mundöffnung des Galtonpfeifchens so genau einzustellen, dass die obere Tongrenze für das normale Ohr in den verschiedenen

1) In Wirklichkeit ist dies noch nicht die untere Tongrenze. Ich besitze von Edelmann eine Stimmgabel mit mächtigen Gewichten, welche 11 Schwin- gungen in der Secunde macht und vom vollkommen normalen Ohr noch perci- pirt werden kann. Für unsere klinischen Untersuchungen dürfen indess 15—16 v.d. als untere Tongrenze ausreichend bezeichnet werden.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 2

18 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

Exemplaren immer an die gleiche Stelle seiner Millimeterscala (auf 0,2—0,1) verlegt werden kann. Der oberste Grenzton tritt viel distineter hervor als in den früheren Galtonpfeifehen und kann nun mühelos vom Ge- prüften angegeben und auf so grosse Distanz percipirt werden, dass das gleichzeitige Blasen unhörbar wird.

Endlich hat Edelmann auf Grund von Berechnung ausser der bis jetzt gebräuchlichen Millimeterscala auch die wirklichen Tonhöhen bis nahe an die obere Hörgrenze auf dem neuen Instrument markirt. Der oberste eingezeichnete Ton jet all also ca. 55000 v. d.

Das Verlangen nach dem Besitz einer solchen continuirlichen Ton- reihe, zunächst nach einer Vervollständigung gegen ihr unteres Ende, wurde in mir wachgerufen durch die ausnahmslos wiederkehrende Be- obachtung, dass bei all den vorhin aufgezählten Mittelohraffectionen, welche zu einer Störung im labilen Gleichgewicht des Schallleitungs- apparates geführt haben, grössere oder kleinere Defecte für die Luft- leitung am unteren Ende der Tonscala nachweisbar sind.

Negativ gefasst hat diesen Satz bereits im Jahre 1880 Lucae in der Form ausgesprochen, dass, wenn die tiefen Töne bis zum Aus- klingen gehört werden, „hierdurch von vornherein eine wesentliche Störung im schallleitenden Apparat ausgeschlossen erscheint“ .')

Die Beobachtung, dass die Schwerhörigkeit, welche durch eine stärkere Anspannung des Trommelfells mittelst forcirter Inspiration bei Verschluss von Mund und Nase künstlich erzeugt werden kann, keine gleichmässige für die hohen und tiefen Töne ist, sondern dass dabei nur Taubheit für tiefe Töne auftritt, ist schon von Wollaston?) gemacht und von Johannes Müller’) bestätigt worden. Der Letztere weist auch bereits auf die diagnostische Bedeutung dieser Erscheinung bei Tubenverschluss und Contractur des M. tensor tymp. hin.

Experimentell hat Politzer*) im Jahre 1893 bei Belastung der Gehörknöchelchen an der Leiche eine im Verhältniss stärkere Schwingung derselben constatiren können, wenn er hohe als wenn er tiefe Harmonium- töne dem Gehörgang durch einen Kautschukschlauch zuführte.

Seitdem mir die Gesammtheit der Töne bis zu 16 und weniger Doppelschwingungen herab zur Verfügung steht, habe ich mich durchgängig

1) „Gute Perception der tieferen musikalischen Töne.“ Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XV, S. 280. Ä t

2) Philos. Transact. 1820.

3) Handbuch der Physiologie Bd. II, S. 437.

4) „Zur physiologischen Akustik etc.“ Arch. f. Ohrenheilk. Bd, VI. S. 43.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 19

in allen Fällen von Störung des labilen Gleichgewichts am Schallleitungs- apparat nicht nur von einer wachsenden Verlängerung der Knochen- leitung, sondern auch von einer zunehmenden Verkürzung der Luft- leitung gegen das untere Ende der Scala hin überzeugen können. Ein je nach dem Grade der Schwerhörigkeit verschieden grosses Stück an der unteren Tongrenze erweist sich regelmässig als ganz ausgefallen und mittelst der continuirlichen Reihe können wir den Ton genau bestimmen, von welchem an nach abwärts der totale Hördefect für Luftleitung besteht.

Eine Ausnahme bilden auch hier nur die acuten exsudativen Processe mit Ansammlung von Secret in der Paukenhöhle, wie ich dies von Anfang an in allen meinen diesbezüglichen Arbeiten erwähnt und die wahrscheinlichen Gründe dafür angegeben habe.!)

Die Prüfung der unteren Tongrenze ist, wenn wir nur das Auge ausschliessen und vom Untersuchten jedesmal den Moment angeben lassen, in welchem die Stimmgabel dem Ohr sich nähert, eine absolut sichere und übertrifft auch die Messung von Schwellenwerthen noch an Zuverlässigkeit, wie wir sie bei der Prüfung des Rinne-Versuchs und der Knochen- und Luftleitungsdauer im hörbaren Theil der Scala üben.

Wenn in allen Fällen von anatomisch nachweisbarer Fixation oder Zerstörung am Schallleitungsapparat ein je nach der Ge-

1) Brunner führt in seiner jüngsten Abhandlung (Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVII, S. 258) ein einfaches Experiment an, welches uns über die Beein- flussung der Schallleitungskette durch einfache Anlagerung von Flüssigkeit Aufschluss giebt. Wenn er am normalen Gehörgange den Meatus mit Wasser füllte, so sank die obere Grenze im Galton von 0,4 auf 0,7, der vorher positive Rinne V. wurde negativ, die Stimmgabel von 16 v.d. wurde aberin Luftleitung noch gehört. Da es wohl keinen grossen Unterschied macht, ob die Flüssigkeit an der Aussen- oder Innenseite des Trommelfells anliegt, so zeigt uns dieser Versuch die Einwirkung von Flüssigkeit in Berührung mit dem Trommelfell und den benachbarten Knochenwänden.

In einem Fall von acuter linksseitiger Mittelohrentzündung nach Eindringen von Flüssigkeit bei der Weber’schen Nasendouche in die Paukenhöhle am Tag vor der Untersuchung konnte ich auch über den Einfluss einer Belastung des Trommelfells von innen her mit Flüssigkeit Aufschluss gewinnen.

Die vorher und auf der anderen Seite normale Hörweite für Flüstersprache war auf 65cm (4) herabgesetzt. A v. Scheitel i.1.+ 20 Sec.. a’ v. Scheitel i. 1. +5 Sec. Rinne a’ r+22, 1.+10. Galton r. 0,8 (normale Greuze) auf 21/g m Entfernung 1. ebenfalls 0,8 aber nur auf 3cm. Untere Tongrenze r. 16 v. d. und darunter, l. 24 v. d., also eine nur geringe Beschränkung, welche hinter derjenigen bei Sclerose etc. neben gleicher Herabsetzung des Hörvermögens weit zurückbleibt.

9*

20 Fr Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stard der Hörprüfungen.

sammt-Hörweite grösserer oder kleinerer Defect für die Perception am unteren Ende der Tonscala zu constatiren ist, so sind wir gezwungen, in der Ueberleitung der tiefen Töne durch diesen Apparat überhaupt dessen physiologische Leistung zu erkennen.

Dass für die Zuleitung der hohen Töne eine intacte Schall- leitungskette nicht nothwendig ist, geht daraus hervor, dass nach Ent- fernung von Trommelfell, Hammer und Amboss die obere Tongrenze nicht herabsinkt, sondern nach Blake und Burckhardt sogar über die Norm steigen kann. |

Dagegen scheint der Steigbügel eine gewisse Rolle bei der Ueber- leitung hoher Töne zu spielen. Ich bin zu dieser Annahme gekommen, weil in dem oben erwähnten Fall von Extraction des Steigbügels die obere Tongrenze, die vorher 1,7 (normale Grenze des benutzten Galton- pfeifchens) war, nach seiner Entfernung auf 2,3 herabsank und nunmehr die Zahlen „7“ und „5“ am schlechtesten percipirt wurden.

Nach unseren klinischen Erfahrungen trifft man in der Regel neben den verschiedenen Erkrankungen des Mittelohrs entweder gar keine oder eine nur unbeträchtliche Einschränkung an der oberen Tongrenze mittelst des Galtonpfeifchens.

Wo stärkere Verkürzung vorhanden ist, wie in manchen Fällen von Sclerose, da sind wir zu dem Schlusse berechtigt, dass der Anfang der Schneckenscala an der Erkrankung participirt. In den Fällen von Section bei Stapes-Ankylose, welche im Leben einen Defect an dieser Stelle nachweisen liessen, konnten wir die Ausbreitung der Ostitis gerade auf dieses Stück der Labyrinthkapsel direct nachweisen.)

Den sonstigen functionellen Befunden bei den sogen. Sclerosirungs- processen liegt wahrscheinlich eine Fixation des Steigbügels selbst zu Grunde.

Bereits v. Tröltsch?°) hat die Vermuthung ausgesprochen, „dass eine ausgedehntere anatomische Untersuchung von sogenannten Sclerose- fällen denselben möglicherweise eine völlig selbständige Stellung in der Reihe der Ohrenerkrankungen verschaffen werde“.

Seitdem ist unsere Kenntniss gerade dieser Krankheitsform auf Grund der seit Jahren consequent durchgeführten eingehenden Functions-

1) cf. die Abbildung Taf. I, Fig. 1. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIV. 2) Lehrbuch, V. Aufl. 8. 263.

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 21

prüfungen und zahlreicher Sectionsbefunde, denen insbesondere Politzer neuerdings eine grosse Zahl hinzugefügt hat, eine so vollkommene ge- worden, dass wir wohl Ursache haben, uns derselben zu freuen.

Wie einheitlich sich nicht nur das functionelle, sondern überhaupt das gesammte klinische Symptomenbild dieser Erkrankung gestaltet, das haben meine statistischen Zusammenstellungen der Häufigkeitsscala für die einzelneu Symptome ergeben, wie sie insbesondere in der Form der graphischen Darstellung ') zu prägnantem Ausdruck gelangt sind.

Grössere Untersuchungsreihen von functionellen Stimmgabelprüfungen, welche mit meinen bisher vielfach angefochtenen Ergebnissen im Grossen und Ganzen übereinstimmen, haben in der letzten Zeit Labit?), Alderton?°), Brunner) veröffentlicht.

Das vielgestaltige functionelle Bild, unter welchem uns die jenseits des Mittelohres gelegenen Erkrankungen entgegentreten, genauer auszuführen, darauf muss ich hier verzichten.

Ehe wir überhaupt an eine sichere Diagnose dieser Krankheits- formen herantreten konnten, war es vor Allem nothwendig, genau be- kannt zu sein mit all den Symptomen, welche die verschiedenen patho- logischen Veränderungen am Schallleitungsapparat characterisiren.

Da diese Symptome physikalisch bedingt sind, so können sie nie- mals fehlen, und ich bin im Gegensatz zu einer oft ausgesprochenen und in fast allen Publicationen über diese Untersuchungsmethoden wieder- kehrenden Meinung der Ueberzeugung, dass schon jedes einzelne der oben aufgezählten Symptome als beweisend betrachtet werden darf, falls nur unsere Fragestellung eine richtige ist, d. h. falls wir nicht eine Entscheidung auch in denjenigen Fällen verlangen, bei welchen eine solche von vornherein nicht mit Sicherheit zu erwarten ist, wie bei einseitiger Schwerhörigkeit, relativ sehr grosser Hörweite und Exsudatansammlung.

Der Ausfall einer grösseren oder kleineren Strecke am unteren Ende der Tonscala die gleichzeitige Verlängerung der Knochenleitung

1) Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilk. Wiesbaden, Bergmann 189%, p. 9, 183.

2) „Diagnostic des affect. de l'oreille par l'emploi du diapason“, G. Labit, Paris 1893.

3) Stimmgabel-Untersuchungen mit Gabeln mittl. Höhe an über 600 Fällen. H. A. Alderton, Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. XXVI, p. 298.

4) l. c.

22 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. |

für die tieferen Töne, ein stark verkürzter positiver Rinne bei relativ gutem, ein negativer Rinne bei stärker herabgesetztem Hör- vermögen, vorausgesetzt, dass nicht das andere Ohr normal oder nahezu normal hört jeder dieser Versuche für sich allein erscheint mir als beweisend, wenn wir nur Täuschungen von Seiten der Kranken aus- schliessen.

Was wir mit allen diesen Versuchen prüfen, ist ja immer dasselbe: nämlich das direct entgegengesetzte Verhalten zwischen Luft- und Knochenleitung, welches um so entschiedener zu Tage tritt, je tiefer wir in der Scala herabsteigen.

Trotzdem werden wir bei der practischen Ausführung unserer Hör- prüfungen keinen dieser Versuche entbehren wollen; denn in ihrem überein- stimmenden Ausfall besitzen wir die sicherste Controle für die Zuverlässig- keit jeder Einzelangabe des Kranken; und es muss sogar für wünschens- werth erklärt werden, dass von einzelnen Untersuchern auch die ausser- dem angegebenen Prüfungsmethoden immer wieder zur Controle heran- gezogen werden, wie dies beispielsweise für den Gell&’schen Versuch in der letzten Zeit von Bloch geschehen ist.

Als nothwendig für eine vollere Einsicht in die Ausbreitung der functionellen Störungen über das Gesammt-Hörgebiet erscheint mir die Messung der Hördauer für die Luftleitung in Octaven- oder geringeren Abständen über die ganze Tonscala, wie sie von Lucae, Dennert, Hartmann, Gradenigo u. A. theilweise bereits seit Jahren durchgeführt wird.

Für die Prüfung der Knochenleitungsdauer erscheint es aus den früher bereits angeführten Gründen zweckmässig, sich auf die drei Octaven A, a und á zu beschränken.

So zeitraubend diese Messungen der Hördauer in Luft- und Knochen- leitung sind, und so wenig scharf, insbesondere in Luftleitung und bei den tieferen Tönen, der Moment des Ausklingens zu bestimmen ist, so bilden doch ihre Ergebnisse eine unentbehrliche Ergänzung des Krank- heitsbildes, insbesondere für die vielgestaltigen Krankheitsherde des inneren Öhres. |

Man hat bezüglich der letzteren nach meinen Erfahrungen viel zu viel Gewicht gelegt auf das ausschliessliche Ausfallen der hohen Töne. Ein Ueberblick über eine grössere Zahl derartig untersuchter Kranker ergiebt

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 23

vielmehr, wie schon a priori anzunehmen war, dass eine Verkürzung der Hördauer resp. vollständige Defecte an jeder Stelle der Tonscala vor- kommen, wenn auch nicht in gleicher Häufigkeit, und dass jeder dieser Defecte beweisend ist für eine Erkrankung des inneren Ohres, wenn nur gleichzeitig auch die Knochenleitung verkürzt ist oder ganz ausfällt.

Für die Mittelohraffectionen war mir von hohem Interesse die Gleichmässigkeit, mit welcher das Gehör in Luftleitung gegen das untere Ende der Tonscala abnimmt bis herab zu der Strecke, welche für das Gehör ganz ausfällt, wie sie uns aus den graphischen Dar- stellungen in der von Werhowsky unter meiner Leitung jüngst ent- standenen Arbeit entgegentritt.!) Durch diese Ergebnisse erhält erst der rein mechanische Effect von Störungen am Schallleitungsapparat seine volle Beleuchtung.

Für die Erkrankungen des inneren Ohres, des Hörnerven und der cerebralen Hörgebiete aber hat sich uns ein ungeahnt reiches Feld in den Taubstummen-Untersuchungen eröffnet. Die functionellen Defecte, welche uns hier entgegentreten, dürfen wir als scharf ausgesprochene Typen für bisher noch wenig oder nicht gekannte Krankheitsbilder be- trachten, und sie können unserem Verständniss für eine Reihe von functionellen Grehörsstörungen überhaupt in künftiger Zeit als Basis dienen.

Es bleibt mir noch übrig, die Frage zu erörtern, ob wir mit unseren gegenwärtigen Hörprüfungsmitteln im Stande sind, Taub- heit zu constatiren.

Wir müssen hier scheiden zwischen Taubheit für Sprache, neben welcher noch ein Gehör für Töne vorhanden sein kann, und absoluter Taubheit sowohl für die Sprache als auch für Töne.

Neben der Taubheit für Sprache können noch sehr beträchtliche Hörreste für Töne vorhanden sein. Trotzdem sind wir berechtigt, mit Rücksicht für das practische Leben auch schon den vollständiger Aus- fall des Sprachverständnisses Taubheit zu nennen, welche wir als relative der absoluten Taubheit für die gesammten Schallein- drücke gegenüberstellen können.

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVIII: „Prüfungen der Hördauer im Ver- laufe der Tonscala etc.“

24 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

Die Prüfung der Taubstummen mit der continuirlichen Tonreihe hat mir gezeigt, dass es ein bestimmtes kleineres Stück der Tonscala ist, dessen Ausfall Taubheit für die Sprache zur Folge hat.

Die relative Taubheit lässt sich, wenn sie eine doppelseitige ist, leicht constatiren.

Ebensowenig Schwierigkeit bietet die Feststellung absoluter doppelseitiger Taubheit mittelst der continuirlichen Tonreihe, welche jedem Ohr in kleinen Intervallen vorgeführt wird. Die Töne derselben, wenn sie direct vor dem Ohr klingen, haben, insbesondere in der jetzigen vervollkommneten Gestalt der Reihe, eine solche Intensität, dass

mit ihrem Ausfall der meines Erachtens genügende Beweis für absolute Taubheit geführt ist.

Schwieriger gestaltet sich die Feststellung einseitiger Taubheit.

Wo es sich um einseitige Taubheit für die Sprache handelt, da giebt die Dennert’sche Prüfungsmethode genügende Sicherheit, um einen etwaigen Antheil des anderen Ohres bei der Prüfung beurtheilen, resp. ausschliessen zu können.

Grössere Schwierigkeiten bietet der sichere Ausschluss des anderen gesunden Ohres bei der Prüfung einseitiger absoluter Taubheit, zum Wenigsten für einen Theil der Tonscala.

Die Töne derselben verhalten sich mit Rücksicht auf ihre Leitungs- fähigkeit durch die Luft gegen ihr unteres Ende ganz entgegengesetzt wie gegen ihr oberes Ende.

Von den tiefsten Stimmgabeln hinauf bis c’ verbreitet sich ihr Schall trotz der mächtigen Intensität, welche er direct am Ohre besitzt, so wenig auf grössere Distanz in Luftleitung, dass wir das andere Ohr bei der Prüfung nicht einmal zu verschliessen brauchen.

Für die nächste Octave, etwa bis c‘, genügt ein Verschluss des anderen Ohres mit dem benässten Finger noch vollkommen, um das- selbe auszuschliessen.

Für die unteren 5 Octaven bietet somit die continuirliche Tonreihe die vollkommensten Mittel, um absolute Taubheit su constatiren.

Je weiter wir aber von c‘' in der Scala nach aufwärts steigen, desto unvollkommener gelingt der Ausschluss des anderen Ohres.

Wissen wir doch aus täglicher Erfahrung, dass die hohen Töne der Pfeifen, aus welchen der obere Theil der Tonscala besteht, ebenso-

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 25

wohl wie die Töne gut gearbeiteter hoher Stimmgabeln, wie beispiels- weise der beiden Lucae’schen Stimmgabeln c‘'‘ und fis‘‘ durch ver- schlossene Thüren und durch Wände dringen!

Für diesen oberen Theil der Tonscala bleibt uns also, da er isolirt überhaupt nicht zu prüfen ist, nichts Anderes übrig, als dass wir eine Reihe von Kranken mit einseitiger Taubheit und normalem anderen Ohre aussuchen, an deren vollkommenem Erloschensein jeden Hörver- mögens wir keinen Zweifel hegen können, und dass wir an ihnen fest- stellen, auf welche Zeitdauer die einzelnen Töne verschiedener Höhe im oberen Theil der Scala per Luft auf der unzweifelhaft gehörlosen Seite noch percipirt werden, wenn das gesunde Ohr möglichst dicht verschlossen ist.

Als solche Probefälle habe ich schon vor Jahren die einseitigen Labyrinth-Necrosen erklärt, weil wir bei ihnen aus anatomischen Gründen, selbst wenn nur Theile des Labyrinths zur Ausstossung gekommen sind, eine vollständige Zerstörung der zarten nervösen Endapparate und ihrer Adnexe mit Sicherheit erwarten dürfen. Bekanntlich hat auch diese Annahme von Seiten einer Reihe von Ohrenärzten und neuerdings auch einiger Physiologen vielfache Anfechtungen erfahren. Die Gründe, warum ich mich diesen Zweifeln nicht anschliessen kann, habe ich theil- weise bereits in meiner Arbeit über »Labyrinth-Necrose und Facialis- paralyse<«!) auseinandergesetzt und neuerdings in meinem »Hörvermögen der Taubstummen« ?) den alten Standpunkt gewahrt. Theophile Bec ®), welcher meine Zusammenstellung von 45 Labyrinth-Necrosen auf 65 Fälle vervollständigt hat, und ebenso Stanislaus von Stein, dessen zu- sammenfassendes Werk über »die Lehren von den Functionen der einzelnen Theile des Ohrlabyrinths« *) sich eingehend mit dieser Frage befasst, sowie unter den Physiologen Hensen, Gad u. A. haben sich in gleichem Sinne ausgesprochen.

Meine Ueberzeugung wurde seitdem noch bestärkt durch die Untersuchung mehrerer einseitig Labyrinthlosen mit der continuirlichen Reihe, indem durchgängig in Luftleitung wenigstens derjenige Theil der Tonscala total ausfällt, der erfahrungsgemäss durch das andere ver-

I) Wiesbaden, Bergmann, 1886.

2) Wiesbaden 1896.

3) De la nécrose du labyrinthe ete. Lyon 1894. 4) Uebersetzung von Rezywicki. Jena 1894.

26 Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen.

schlossene Ohr nicht gehört werden kann, nämlich deren ganze untere Hälfte bis mindestens zum c“. |

In der letzten Zeit habe ich an 2 derartigen Fällen auch den oberen Theil der Tonscala genauer durchgeprüft und den Rest von Hördauer auf der betroffenen Seite für eine grössere Zahl von Tonhöhen mit der meinigen verglichen. Der Gehörgang des gesunden Ohrs wurde mit nasser Watte bis in seinen knöchernen Theil verstopft und der hervorragende Pfropf noch mit dem Finger fest angedrückt.

Der 1. Fall ist der bereits in meiner »Labyrinth-Necrose etc.« als Fall 2 genauer beschriebene (Georg R.). l

Der 2. Fall betrifft den Wagner Daniel K., 53 Jahre alt, von

Seeg bei Füssen, der sich mir am 7. December 1894 wegen einer seit der Kindheit bestehenden linksseitigen Ohreiterung mit seit einem halben Jahre bestehenden heftigen Schmerzen, : Polypenbildung und Facialis- Paralyse vorstellte. Schwindel, der bereits mehr als ein Jahr bestand und vollkommene Gehörlosigkeit liessen mich schon damals cine Caries mit Betheiligung des Labyrinths annehmen. Am 10. December wurde die Radicaloperation von mir ausgeführt und der Körner’sche Lappen gebildet. Von Mitte Januar 1895 ab bestand keine wesentliche Secretion mehr. Der äussere Gehörgang war durch die Körner’sche Lappenbildung um mehr als das Doppelte er- weitert. |

Am 23. Februar entfernte die Spritze einen Sequester, welcher den grössten Theil der 1. Schneckenwindung darstellt.

Die unter den genannten Cautelen angestellte Hörprüfung ergab, dass vom unteren Theil der Tonscala bis herauf zu d‘ auf dem afficirten Ohre per Luftleitung keine Spur gehört wird, ebensowenig bei leisem Einsetzen des Stimmgabelstiels in die Muschel oder in den Gehörgang ; sobald der Druck um eine Spur gesteigert wird, wird gehört.

Die Ergebnisse der Hörprüfungsdauer gebe ich in der folgenden Tabelle im Verein mit denjenigen des 1. Falles (R.), wobei ich nur noch hervorheben möchte, dass beide auf dem anderen Ohre nahezu normal hörten. |

Fr. Bezold: Ueber den gegenwärtigen Stand der Hörprüfungen. 27

Hörprüfung zweier Fälle von einseitiger Schnecken- Necrose mit annähernd normalem anderen Ohre.

Georg R.!), 54 Jahre alt, Zimmer- Daniel K., 53 Jahre alt, Wagner.

mann, Entfernung eines grossen Theiles der Entfernung von Theilen der Schnecke I. Schneckenwindung den 3. Nov. 1883. den 23. Febr. 1895. Hörprüfung den 4. März 1896. Hörprüfung den 30. Sept. 1895.

Flüstersprache über

6m (100). Flüstersprache über 6m (100).

CG Untere a unter Untere Tongrenze unter 16 v. d. S Obere Tongrenze Obere Tongrenze

g| im Galtonpfeifchen 0,9 auf 4cm im Galtonpfeifchen 0,9

3| (normale Grenze 0,8).

EE EE

Dauer Dauer

„per Luftleitung Aır 0 per Luftleitung Ar 0 j 0 de e 0 S S A 0 , , A Al, e a 0 i i a 0 E e e a’ 0 5 š ai Ou AR i d S a” 58 Sec. od. 0,19 = S S f% —23 , „08|, S f” 5 0,24 a ce —42 a a 0,4 a a c“ 3T n a 0,47 $ S fis‘"—14 „05|, é fis Io 0,57 Obere Tongrenze Obere Tongrenze im Galtonpfeifchen 1,1. im Galton pfeifchen 1,2.

Ein Vergleich der beiden Functionsprüfungen mit einander ergiebt, dass von a’ ab bis zur oberen Tongrenze im Galtonpfeifchen eine gleichmässig ansteigende Hördauer für die einzelnen Töne vorhanden ist, ein Verhältniss, wie es von vornherein zu erwarten war, da uns die tägliche Erfahrung ergiebt, dass wir Töne um so weniger durch Ver- schluss des äusseren Ohres abzuhalten vermögen, je höher ihre Lage in der Scala ist.

Die für die Hördauer in Luftleitung gefundenen Zahlen fielen in beiden Fällen durchgängig annähernd gleichartig aus. Am oberen Ende

1) „Labyrinth-Necrose etc.*, p. 4.

28 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

der Tonscala im Galtonpfeifchen beträgt der Defect nur 0,2 resp. 0,3 Theilstriche.

Die hier gefundenen Zahlenwerthe können uns einen annähernden Maassstab dafür geben, wie viel von den Tönen verschiedener Höhe noch von einem absolut tauben Ohre in das fest verschlossene andere gesunde Ohr hinübergelangen kann; und wir besitzen hiermit nunmehr auch eine ziemlich verlässige Methode, um absolute Taubheit für den oberen Theil der Tonscala bei normalem zweiten Ohre festzustellen.

I.

Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der. Vierhügelgegend und der Haube.

Von F, Siebenmann in Basel,

Mit 3 Tabellen und 7 Abbildungen im Text.

I. Einleitung.

Nach den Zusammenstellungen von Nothnagel (1) und Bern- hardt (2) und nach den seither erschienenen Publicationen finden sich Gehörstörungen bei Tumoren sämmtlicher 5 Hirnabschnitte: der Medulla oblongata (Nachhirn), der Kleinhirn- und Brückengegend (Hinterhirn), der Vierhügel- und Hirnschenkelgegend (Mittelhirn),, des Sehhügels (Zwischenhirn) und gewisser Partieen der Grosshirnhemisphären (Vor- derhirn).

Am häufigsten beobachtet und daher relativ gut gekannt sind die Gehörstörungen bei Affectionen der Kleinhirnhemisphären und der Brücke; da es hier meistens der Acusticusstamm selbst ist, welcher durch die Neubildung direct geschädigt wird, so findet sich in der Mehrzahl dieser Fälle die Hörstörung auf der nämlichen Seite wie der Tumor. Ein selteneres Vorkommniss ist diejenige gekreuzte Taubheit, welcher eine Erkrankung der an die Fossa Sylvii angrenzenden Grosshirnpartieen zu Grunde liegt.

Noch bis vor wenigen Jahren war über .die Ertaubung bei Affec- tionen des Zwischen- und Mittelhirns wenig bekannt. Nothnagel (s. 0.) erwähnt ihrer nicht in seinen diagnostischen Sätzen über die Affection der Vierhügel, obwohl unter den von ihm gesammelten Fällen

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 29

sich bereits zwei finden mit Notitzen über Hörstörung; in einem der- selben (Gowers [3]) war die Schwerhörigkeit während der Beobachtungs- zeit entstanden, und Gowers führt sie zurück auf die bei der Section gefundene Läsion der gekreuzten Haubenregion; der andere Fall (Duffin [4]) lässt mangels genügender Beobachtung keine Schlüsse zu über einen allfälligen Zufammenhang zwischen Hirntumor und Schwer- hörigkeit. Auch in seinen letzten Publicationen über diesen Gegenstand sprach sich Nothnagel (5 u. 6) in ähnlichem Sinne aus, indem er unter den bei Vierhügelerkrankung auftretenden Symptomen nur dem ataktischen Gange und der exterioren asymmetrischen Ophthalmplegie pathognomonischen Werth beilegt und alle übrigen Erscheinungen als Complicationen oder als nebensächlich bezeichnet.

Unter den von Bernhardt gesammelten 14 Fällen von Tumoren der Vierhügelgegend (inclus. Zirbeldrüse) fanden sich bei vieren Gehör- störung, und wohl darauf gestützt sagt A. Hartmann in seinem Lehr- buch der Krankheiten des Ohres 4. Aufl. 1889, pag. 244: „In der Gegend der Kreuzungsstelle der Grosshirnschenkel, in der Gegend der Vierhügel liegen die Oculomotorius- und Trigeminuskerne, so dass bei Erkrankungen in dieser Gegend die Hörstörung in Verbindung steht mit Strabismus und Doppeltsehen, mit Xerosis der Hornhaut, mit Trige- minusneuralgien und Lähmung der Kaumuskeln“. Mit Recht begleitet dieser Autor obigen Satz mit der Bemerkung: „Leider wurde bis jetzt von Seiten der Neuropathologen den Hörstörungen wenig Beachtung: ge- schenkt, so dass aus den vorliegenden, sonst sorgfältig untersuchten Fällen nur wenig verwerthbare Schlüsse gezogen werden können“. 1894 hat Hitzig durch A. Schrader (8) 14 Fälle von Grosshirnschenkelaffec- tionen (Apoplexien, Erweichungen, Tuberkel, Gliome, Gliosarcome) zu- sammenstellen lassen; bei einem einzigen derselben (Mohr), wo die tuberkulöse Zerstörung bis in die Substanz derVierhügel und des Thalamus opticus vorgedrungen war, fand sich Schwerhörigkeit notirt. Es resultirt schon aus dieser relativ kleinen Zahl von Beobachtungen, dass Erkrankungen des Hirnschenkelfusses allein keinen directen Einfluss ausüben auf die Functionen der centralen Hörbahn, eine Schlussfolgerung, welche durch alle neueren klinischen Arbeiten auf diesem Gebiet Leube (9) Raymond et Artaud (10), D’Astros (11) ete. ihre Bestätigung findet.

Einen wichtigen Beitrag zu der uns beschäftigenden Frage lieferte 1890 A. Christ (12) durch Publication eines Falles von Sarcom der Vierhügelgegend und durch Zusammenstellung von 30 ähnlichen Fällen. Da der betreffende Kranke, der während des Spitalaufenthaltes ertaubte,

30 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Dank der Freundlichkeit von Prof. Immermann wiederholt von mir untersucht werden konnte und da mir post mortem auch die be- treffenden Felsenbeine in ganz frischem Zustand zur Untersuchung über- lassen wurden, so dürfte der Fall geradezu als ein Unicum dastehen auf diesem Gebiet. Das war es auch, was mich veranlasste, die im Titel dieser Arbeit genannten Verhältnisse etwas eingehender zu stu- diren. Christ fand bei seinen 30 Fällen 11 Mal Hörstörung erwähnt; da bei seinem Kranken sich post mortem die Gegend der primären Kerne und die Acusticusstämme auch mikroskopisch nicht verändert fanden, so ist er geneigt, Steinbrügge (13) beizustimmen, der einen ähnlichen Fall kurz zuvor untersucht und beschrieben hatte und welcher die perilymphatische Drucksteigerung im Labyrinth für die Hörstörung verantwortlich macht. Bezüglich des Erklärungsversuches für letztere ist die klinische und pathologisch-anatomische Forschung 1894 in richtigere Bahnen gelenkt worden durch drei im 26. Band des Archivs für Psychiatrie erschienene Arbeiten über Tumoren und Vierhügelgegend ; für uns die wichtigste ist diejenige von Weinland, welcher nach- zuweisen sucht, dass bei diesen Affectionen der Grund der Hörstörung in einer directen Schädigung der centralen Hörleitung zu suchen ist. Weinland(14) hat bei einem Fall von einseitigm Vierhügeltumor, bei welchem auf dem contralateralen Ohre progressive Schwerhörigkeit constatirt, leider aber eine genauere Hör- prüfung unterlassen worden war, den Hirnstamm in Serienschnitte zer- legt, und dabei nebst anderen Veränderungen auch Degeneration der lateralen Schleife und des betreffenden hinteren Vierhügelarmes constatirt. Auf Grund dieser Beobachtung und von 17 weiteren aus der Litteratur gesammelten Fällen von Vierhügeltumoren kommt er zu dem Schlusse : „Die Erkrankung eines hintern Vierhügels bewirkt Gehörsstörung auf der gekreuzten Seite“. Zur Erklärung der Thatsache, dass in der Hälfte der von ihm zusammengestellten Fälle keine Schwerhörigkeit beobachtst wurde, nimmt er zwei Möglichkeiten an: entweder lädirte der Tumor die seit- liche Partie der Vierhügel, unter welchen die laterale Schleife durchzieht, nicht; oder aber es liegt jeweilen ein Beobachtungsfehler vor.

Mit seiner Behauptung stellt sich Weinland scheinbar in directen Gegensatz nicht nur zu Nothnagel, sondern auch zu Lichtheim (15), welcher auf Grund von eigenen Beobachtungen zu dem Schlusse gelangt, dass „nur Augenlähmungen und Geichgewichtsstörungen wesentlich für die Diagnose der Vidrhügeltumoren in die Waagschale fallen“ und dass „die in einigen Fällen anderer Autoren beobachteten Hörstörungen

durch Geschwülste d. Mittelhirns spee. d. Vierhügelgegend u.d.Haube. 31

sicherlich indirecte Symptome, oder durch anderweitige Erkrankungen bedingt gewesen seien.

Die letzten zusammenfassenden Arbeiten über Vierhügeltumoren stellen sich, ohne neues klinisches Material oder neue eigene Untersuchungs- resultate zu brigen, auf die Seite Weinland’s. So sagt v. Frankl- Hochwart (16) im Capitel der intercerebralen Erkrankungen des Hörnerven: „Relativ gut gekannt ist die Hörstörung bei Erkrankung der Vierhügel“; weiter unten spricht dieser Autor kurzweg von „quadrigeminaler Taubheit“. Ebenso äussert sich Oppenheim (17) Seite 122: „Es ist nicht mehr zu bezweifeln, dass Hörschwäche ein directes Herdsymptom der Vierhügeltumoren bildet.“

Da die otiatrische Seite der Frage über den Werth der Gehörabnahme als Vierhügelsymptom an mich nun einmal so nahe getreten war, so suchte ich mir hierüber ein möglichst objec- tives «igenes Urtheil zu bilden durch Studium der betreffenden anatomischen und physiologischen Verhältnisse, namentlich aber durch Sammlung und genaue Prüfung aller einschlägigen Krankengeschichten mit Sectionsbericht. Dementsprechend habe ich die Zusammenstellung jener Fälle, auf welche die Arbeit von Weinland sich stützt, in ihren Lücken ergänzt und dieselbe ferner bis Anfang 1896 weitergeführt. Die Resultate dieser Forschung sind keine zweideutigen: sie bestätigen die Anschauungen von Nothnagel-Lichtheim inso- fern, als Zerstörung der Vierhügelplatte allein keine Hörstörung nach sich zieht; zur Unterbrechung der centralen Höhrbahn bedarf es viel- ‘mehr der Läsion von ventraler gelegenen Theilen jener Gegend, speciell der seitlichen Haubenregion incl. hintere Vierhügelarme. Der Streit der Kliniker dreht sich also vielleicht mehr um eine anatomische Frage, nämlich um diejenige der Abgrenzung des Vierhügelgebietes. Schon aus diesem Grunde kann ich es nicht vermeiden, hier einige anatomische Bemerkungen einzuflechten; bei dieser Gelegenheit soll auch der heutige Stand unserer Kenntnisse über den Verlauf der centralen Hörbahn kurze Berücksichtigung finden.

II. Topographische Anatomie des Mittelhirns.

Als Mittelhirn kann schlankweg bezeichnet werden diejenige Strecke des Hirnstammes, welche zwischen III. u. IV. Ventrikel liegt, in welchem älso der Aquaeductus Sylvii verläuft. Am Mittelhirn unterscheidet man in der Hauptsache 2 Regionen, diejenige der Vierhügel und die der Hirnschenkel. Die letztere besteht aus 2 Etagen: dem Fuss und der

32 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Haube.

Man spricht auch von einem Haubengebiet der Brücke und

versteht darunter diejenige Masse des Hirnstamms, welche als directe

Halbschematischer Durchschnitt durch den Hirn- stamm in der Gegend der vordern Vierhügel.

caudale Fortsetzung der Hirnschenkel- haube zwischen der dorsalen Schicht der eigentlichen Brückenfasern und dem Boden des 4. Ventrikels liegt. Eine Ebene, welche man sich in trans- versaler Richtung durch den Canal des Aquaeduct. Sylvii in seiner ganzen Länge gelegt denkt (vid. Fig. 1), scheidet die dorsal gelegene Vier- hügelplatte (die Vierhügelerhebung Bechterew) vom sog. Hauben- gebiet. Auf der ventralen Seite des Hirnstamms liegen in der Gegend der vorderen Vierhügel die Hirn-

schenkel (vid. Fig. 4), in dem hinteren Abschnitt der Vierhügelplatte dagegen tritt schon das proximale Ende der Brücke auf (Fig. 2 u. 3). Während also Vierhügelplatte und Haube beinahe auf sämmtlichen

Querschnitten des Mittelhirns zu sehen sind, wird im caudalen Fig. 2.

Austretende

Trochleariswurzel

Aquaeductus Sylvii Laterale Schleife . .

Bindearm .....

Hauptschleife ... .

Fussschleife ... .

Querschnitt durch die hinterste Partie des Mittelhiıns (Kreuzung und Austritt des Trochlearis) nach Obersteiner.

Theil der Schnitte des hinteren Vierhügelgebiets sich die Brücke, in den sämmtlichen Schnitten der vorderen Vierhügel aber der Hirnschenkelfluss

als ventrale Etage sich präsentiren.

Die Vierhügelarme liegen mit

ihrer Hauptmasse unterhalb der Vierhügelplatte im lateralen Gebiet der

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d. Haube. 33

Haube; der hintere, welcher nach dem inneren Kniehöcker (Corp. geniculatum mediale) hinzieht, enthält sammt letzterem ein Stück der centralen Hörbahn.

Ehe wir näher eingehen auf die Kerne und Bahnen des Mittelhirns

Fig. 3.

| |

Querschnitt durch die hintern Vierhügel nach Obersteiner.

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und auf deren physiologische Bedeutung, muss noch der Zirbeldrüse

(Glandula pinealis oder Conarium) gedacht werden, jenes kleinen, un-

paarigen, gestielten, Nervenfasern enthaltenden Gebildes, welches in der Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX, 3

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34

F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

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dureh Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 35

hinteren Commissur des III. Ventrikels entspringt und den vorderen Vierhügeln daselbst aufliegt und welches phylogenetisch als das ver- kümmerte Parietalauge aufgefasst werden muss. Die Zirbeldrüse ist, wie

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‚unsere Zusammenstellung ergiebt, in hohem Maasse disponirt zu Bildung

von Tumoren, welche theils gutartiger, theils maligner Art die

.Vierhügel entweder bloss comprimiren oder direct auf sie übergreifen. H

36 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Die Vierhügelgegend wird (vid. Fig. 6) überdacht caudal vom vordern Theil des Kleinhirns (Culmen), proximal vom hintern Theil (Splenium) des Balkens, ausserdem auch noch von der untern und medialen Fläche der Grosshirnhemisphäre, vom Gyrus fornicatus an seiner Verbindungsstelle (Isthmus) mit dem Occipital- und Schläfenlappen und durch ein kleines Stück der beiden letzteren selbst. (Vergl. Fig. 5 und 6.) In fast all diesen Gegenden der Nachbarschaft der Corpora quadrigemina sind Tumoren beobachtet und beschrieben worden, welche entweder von hier ausgehend zu Vierhügelerkrankung geführt haben oder

Fig. 6.

Heni,

Sagittalschnitt (2—3 mm neben der Medianebene) nach Dejerine.

aber welche, in umgekehrter Richtung fortschreitend, von den Vierhügeln hierher übergegriffen haben.

Die uns interessirenden Ergebnisse der embryologischen und phylo- genetischen Forschung bezüglich der Vierhügel möchte ich erst weiter unten berühren im Capitel der Physiologie und hier zunächst noch etwas beifügen über die Faserzüge und Ganglien der Mittelhirn- gegend. Von diesen kommen für unsere Arbeit besonders in Betracht die Schleife, die Kerne des 3. und 4. Hirnnervenpaares und der Vier-

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durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 37

hügel, sowie die Bindearme und die in den Grosshirnschenkeln ver- laufenden, zwischen den Brückenfasern hindurchziehenden Pyramiden- hahnen. Der Faserzug der Schleife präsentirt sich in der Schnitt- ebene des Trochlearisursprungs (Fig. 2) in drei gesonderten Bündeln, welche sämmtlich in der Randzone des Hauptfeldes verlaufen. Eine laterale Portion die laterale Schleife, bildet die laterale Begrenzung, die Hauptschleife (Bechterew) und (näher der Mittellinie) die Fussschleife liegen dorsal. Alle 3 Schleifenportionen werden medial- wärts begrenzt vom oberen Bindearm des Kleinhirns. An der Seite und im Dach des Aq. Sylvii liegen die Kerne und Wurzeln des Nerv. trochlearis. In der Schnittebene des hinteren Vierhügels (Fig. 3) sieht man die Fasern der lateralen Schleife in und an das Vierhügelganglion treten. In der. Mittellinie kreuzt sich breit die vom Kleinhirn hineintretende mächtige Fasermasse der Bindearme. Weniger deutlich geschieht dies auch bei den Vierhügeln. Seit- lich und am Boden des Aquaeductus Sylvii machen sich in dessen Höhlengau die vordersten Kerne des Trochlearis bemerkbar, daneben das hintere Längsbündel (Fasciculus longit. posterior). Ein Querschnitt durch den vorderen Vierhügel (Fig. 4) trifft den Hirnschenkelfuss, die hinteren Vierhügelarme und ihre Fortsetzung zum medialen Knie- höcker und zum vorderen Vierhügelkern, die Kerne und Wurzelfasern des Oculomotorius, den rothen Kern der Haube, die hintere Partie des Thalamus opticus, sowie den äusseren Kniehöcker mit den Wurzelfasern des Opticus.

Unter diesen Faserzügen des Hirnstamms besitzt für den Otiater das meiste Interesse die oben genannte grosse sensorische kernhaltige Bahn der Schleife, deren Beziehungen zum Acusticus, zu den Vierhügeln, zum Corpus trapezoides und zur oberen Olive wir in erster Linie durch die Arbeiten von Roller (18 u. 19) kennen gelernt haben. Ihre Hauptportion, die obere oder mediale Schleife von Bechterew neuerdings (Arch. f. Anat. und Physiol., anat. Abthlg. Heft 4—6 1895) Hauptschleife genannt, erstreckt sich durch den ganzen Gehirnstamm bis zum Thalamus opticus, zum kleinen Theil auch direct bis zur Hirn- rinde. Sie stellt in der Hauptsache die centrale Fortsetzung der hin- teren Rückenmarksstränge dar. In der Fussschleife liegen die motorischen Hirnnervenbahnen (Facialis, Hypoglossus). In der lateralen oder unteren Schleife, welche in der Hauptsache von der Höhe der oberen Oliven- bis zu den Vierhügelkernen, mit einzelnen Fasern aber

`

38 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

direct bis zur Stirnrinde reicht (Held), verläuft eine grosse Strecke der centralen Acusticusbahn (Fig. 7).

Die primären Centren des Acusticus im Hirnstamm sind schon längst bekannt. Dank dem Zusammenwirken der verschiedenen neueren anatomischen Forschungsmethoden Färbetechnik von Golgi und Weigert und Pal, Untersuchungen in verschiedenen Ent- wickelungsstadien des uterinen Lebens (Bechterew), namentlich aber durch die Gudden’sche Degenerationsmethode ist im Laufe des letzten Deceniums unsere Erkenntniss über den centralen Verlauf der Acusticusbahn wesentlich gefördert worden.

Während wir aber über den centralen Verlauf des N. vestibularis

Fig. 7.

dorsale Kreuzung, vorderer Vierhügel

Thalamus

Å— nn Striae acusticae Bindearm hinterer vorderer opticus $

\ ` i K

directe Méd: -S _ corticale oblongata N Acusticus- | D bahn y f ! e / | In. 7 , f i

-

N. cochlearis ventrale od. laterale Subst. nigra Pes Trapez- Schleife Sömmeringi pedunculi Kreuzung

Centrale Acusticusbahn im Hirnstamm (schematisch).

auch heute noch relativ wenig aufgeklärt sind, verhält sich das mit dem N. cochlearis wesentlich günstiger. Es sei hier namentlich erinnert an die Untersuchung von Roller (18, 19), Flechsig (20—22), v. Bechterew (23—25), Monakow (29—31), Forel-Onufrowicz (27), Bumm (33), Baginsky (28), Kirilzew (32), Oseretzowsky (34), Cramer(35); der vorläufige Abschluss ist durch Held (36), Kölliker (37) und Bechterew (25) erfolgt.

Die primären centralen Stationen des Nervus cochlearis liegen be- kanntlich beiderseits in dem caudalen Abschnitt der Brückenregion. Sie werden jederseits gebildet durch zwei örtlich nicht scharf getrennte

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durch Geschwäülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 39

Ganglienhaufen: einen dorsalen das Tuberculum acusticum und einen ventralen den vorderen oder accessorischen Acusticuskern. Von diesen primären Hörcentren aus verläuft die Hör- bahn unter Kreuzung ihrer meisten Fasern in der Haube aufwärts gegen die seitliche ventrale Partie der Vier- hügelgegend und von dort durch die Vierhügelarme und durch das Corp. genicul. intern. unter dem hintersten Abschnitt des Sehhügels hinweg nach der Capsula in- terna und schliesslich zur Rinde des Schläfenlappens. ~ Wir dürfen uns aber nicht vorstellen, dass dies ein einfacher, ge- schlossener Faserzug sei. Die centrale Acusticusbahn bietet schwierig zu studirende Verhältnisse insofern, als ihre Fasern nicht alle die näm- lichen Wege einschlagen, sondern schon von Anfang an sich mehrfach trennen, um später sich grösstentheils wieder zu vereinigen. Eine weitere Complication liegt darin, dass von diesen Bahnen mit ihren Seitenbahnen die einen gekreuzt, andere wieder ungekreuzt centralwärts verlaufen und dass die Kreuzung (Semidecussation) an ganz verschiedenen Stellen vor sich gehen kann (dorsal in den Striae acusticae, ventral im Trapezkörper) Ein wichtiges Hinderniss besteht ferner darin, dass noch in höherem Grade als bei anderen centralen Bahnen diejenige des Acusticus in eine Anzahl von Neuronen zerfällt, d. h. die Faserzüge des Acusticus streckenweise unterbrochen sind durch die Zwischenlagerung von grossen Ganglienmassen und dass von diesen ausser der corticalen Bahn jeweilen noch eine Anzahl reflectorischer Bahnen nach andern Richtungen abgehen resp. von dort herantreten.

Held(36) unterscheidet auf diese Weise Systeme I., II. und II. Ordnung. Als System I. Ordnung (Wurzelfasersysteme) bezeichnet er diejenigen Faserzüge, welche von der Schnecke aus direct und ohne Unterbrechung theils in den vorderen Acusticuskern, theils zum Tuber- culum acusticum ziehen, zum kleinen Theil aber direct weiter laufen nach der oberen Olive, Trapezkern, lateralem Schläfenkern und vielleicht noch weiter centralwärts. Die Systeme II. Ordnung bilden ihrer Mächtigkeit nach den Hauptbestandtheil der centralen Gehörleitung. Sie beginnen nach Held in den primären Endstationen der Systeme erster Ordnung und ziehen zu den untern (hintern) Vierhügeln. Ihre grössere Portion kreuzt sich, eine kleinere verläuft auf der nämlichen Seite, d. h. umgekreuzt. Auf diesen Wegen von den primären Centren zu den Vierhügeln treten von den obern Oliven, den Trapezkernen und dem lateralen Schleifenkern (Corpus parageminum, Bechterew) noch weitere

40 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Fasern hinzu, während anderseits ein Theil der von den primären Centren herkommenden successive dort endigt. In der nämlichen Bahn welche diese Systeme I. und II. Ordnung einschlagen, verlaufen auch centrifugal leitende Fasern, sog. rückläufige Systeme III. Ordnung.

Der weitaus grösste Theil der lateralen Schleife endigt im hinteren, ein anderer Theil im vorderen Vierhügel, indem sie sich in deren Ganglienmasse verliert und zwar geschieht dies theils direct, theils nach vorausgegangener Kreuzung (dorsal urd ventral vom Aquaeductus Sylvii). Nur ein ganz kleiner Theil der centripetal verlaufenden Fasern führt direct aufwärts und zwar in der Hauptsache durch den unteren Vier- hügel zum entsprechenden Vierhügelarm und weiter durch die Regio subthalamica zur hinteren Parthie der Capsula interna und endlich zur Rinde des Temporallappens (eine kleinere Portion, welche nach Held ebenfalls noch die Bedeutung einer Rindenbahn haben mag [l. c. S. 237], tritt medialwärts an den Bindearm). Diese corticle Acusticus- bahn, speciell diejenige des hinteren Hügelarmes wird verstärkt durch ein Fasernsystem, dessen Axencylinder den unteren Vierhügeln ent- springen.

Neben dieser relativ kleinen corticalen Bahn enthält die Vier- hügelgegend ein mächtiges System von reflectorischen Acusticus- bahnen, welche mit den Vierhügelganglien in enger Verbindung stehen: In den grossen Ganglien der oberflächlichen Lagen der vorderen Vier- hügel endigen Opticusfasern (Ramon y Cäjal, van Gehuchten); im mittleren und tieferen Grau der vorderen Vierhügel liegen die Endigungern der unteren Schleifenfasern, sowie die Ursprünge von Fasern welche nach Held als reflectorische Bahnen anzusehen sind und welche theils nach der Oberfläche der Vierhügel zu an die oben erwähnten Ganglien treten und so mit dem ÖOpticus sich verbinden, theils me- dullarwärts in die Seitenstränge hinunter steigen, nachdem sie zuvor noch mit den Kernen der IM., IV. und VI. Hirnnervenpaares Ver- bindungen eingegangen sind (Hinteres Längsbündel). Fernere Reflex- bahnen gehen vom Trapezkörper zum gleichseitigen Facialiskern und zum Abducuskern. Von den genannten secundären acustischen Centren fallen diejenigen des Trapezkörpers, der oberen Olive und des Kerns der Hauptschleife nicht mehr in den Kreis unserer Betrachtung, da sie der Brückenregion angehören.

Sehen wir noch einmal nach den topographischen Verhältnissen, d. h. nach denjenigen Faserzügen und Kernen, welche die centrale Acusticusbahn im Mittelhirn begrenzen und bei Läsionen derselbene eben-

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 41

falls in Mitleidenschaft gezogen werden, so finden wir dorsalwärts die Hauptschleife, welche mit dem Hinterstrang des Rückenmarks zusammen- hängt und als eine der wichtigsten sensiblen Bahnen, vielleicht in erster Linie für Muskelsensibilität anzusehen ist; in ihr verlaufen auch (Flechsig, Bechterew) die corticalen Bahnen der in Betracht kommenden nicht motorischen Hirnnerven. Mehr dorsalmedial liegen die mächtigen Kleinhirnbindearme (Fig. 2 u. 3), welche proximalwärts in den rothen Kern (Fig. 4) sich fortsetzen und die Verbindung des Kleinhirns mit der Grosshirnrinde herstellen; ihre Verletzung sowohl in der Höhe des rothen Kerns (Starr [68], Barth [69], Kolisch [70], Scarpatetti [71] etc.) als in der Bindearmkreuzung (Eisenlohr [67]) ruft das Symptom der cerebellaren Ataxie hervor. Noch mehr nach vorn und gegen die Mittellinie zu, aber noch im Gebiet der Haube liegt zunächst das hintere Längsbündel (Fig. 3), sehr wahrscheinlich eine sensorisch- motorische Reflexbahn, welche, wie schon oben erwähnt, die Kerne des Oculomotorius, Abducens, Trochlearis (und Trigeminus?) verbindet und ausserdem caudalwärts in naher Beziehung steht zu den Vorder- und Seitensträngen des Rückenmarks und zu der grauen Substanz der Brücke Aus jenen stammen auch die Fasern des Nucleus tegmenti (vid. Fig. 4) Held (l. c. 265) vermuthet in diesem Gebiet ein Reflexcentrum des Acusticus für Athembewegung und Gefässinnervation. An der oberen Grenze der Haube, unter dem vorderen Vierhügel (Fig. 4) finden sich am Boden und auf den Seiten des centralen Graues, welches den Aquae- ductus auskleidet, die 3 Kerngruppen des Oculomotorius und ventralwärts davon die in ihrem ganzen Verlauf der Hirnschenkelhaube angehörigen Wurzelfasern dieses Nervs. Unter den hinteren Vierhügeln und caudal- wärts davon (Fig. 2 und 3) liegen im Dach des Aquaeductus die ge- kreuzten Wurzelfasern des Trochlearispaares, während im Höhlengrau des Bodens und der Seitenwände seine Kerne sich befinden.

Greifen die Tumoren in der Gegend der vorderen Vierhügel auf das angrenzende hintere Ende des Sehhügels über und verbreiten sie sich gegen das vordere Ende der Hirnschenkel hinunter, so werden die beiden Kniehöcker und der Tractus opticus in Mitleidenschaft gezogen; dass eine Functionsstörung des Acusticus durch Vernichtung des inneren Kniehöckers herbeigeführt wird, haben wir schon oben angedeutet; ziemlich unbestritten ist auch die physiologische Bedeutung des Corp. genicul. externum als primäres Centrum des Opticus. Selten wird durch Tumoren, welche von der Vierhügelgend ausgehen, der Hirn- schenkelfuss direct lädirt, da der Tod erfahrungsgemäss eintritt, ehe

42 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

die Geschwulstmasse bis in diese Tiefe gelangt ist; häufiger beobachtet ist ein Vorwärtsschreiten (tuberkulöser Tumoren) in umgekehrter Richtung d. h. von der ventralen zur dorsalen Oberfläche des Mittelhirns (z. B. Fall Mohr [3] und Paquet [Bulletin de la Soc. anat. 1864]). Dass die motorischen und sensorischen Reizerscheinungen , welche durch »Vierhügeltumoren« relativ häufig in den Extremitäten ausgelöst werden, durch directe Läsion der Pyramidenbahnen vermittelt sein müssen, ist auch deshalb sehr unwahrscheinlich, weil anf reflectorischem Wege bloss von der Haube aus die nämlichen Erscheinungen alle auftreten können, wie die Experimente von Ziehen (73) übereinstimmend ergeben haben. Die Fussschleife, welche nach Bechterew die cortico-bulbäre Bahn des Facialis und Hypoglossus enthält, verläuft im proximalen Brücken- abschnitt durch den dorsal-medialen Theil der Haube; weiter oben tritt sie an den Hirnschenkelfuss. ihre Läsion ist nicht gerade selten.

IN. Embryolopie, vergleichende Anatomie und experimentelle Physiologie der Vierhügelgegend.

Im Ganzen genommen wissen wir über die morphologischen Ver- hältnisse der Vierhügelgegend unverhältnissmässig mehr als über. ihre functionelle Bedeutung. Was wir von letzterer zu halten haben, liegt eigentlich schon angedeutet in obigem der Topographie gewidmeten Abschnitt. Thierexperimente führen hier allem Anschein nach zu keinen Schlüssen, welche auch auf den Menschen bezogen werden dürfen, da bei letzteren die Vierhügel in ihrer Gesammtmasse geringer entwickelt sind und offenbar daher auch weniger Bedeutung haben. Longet (4), welcher nach dieser Richtung hin wohl die umfassendsten vergleichend-ana- tomischen Forschungen und Messungen gemacht hat, sagt S. 460: »l’homme est de tous les animaux vertebres celui, qui présente les tubercules quadr. à leur minimum de developpement.« ` Im frühen embryonalen Stadium wird das Mittelhirn gebildet durch- einen relativ weiten Raum des Medullarrohres (dessen Lage am Ende des ersten Monats der Nackenbeuge entspricht). Es bleibt aber in der weiteren Entwickelung zurück, wird vom stärker wachsenden Gross- und Kleinhirn überwuchert und im 4. bis 5. Embryonalmonat von ihnen dorsalwärts zugedeckt. Die Phylogenese lehrt uns, dass bei den niederen Wirbelthieren auch im späteren Leben Verhältnisse bestehen bleiben, welche an den embryonalen Zustand der höheren Wirbelthiere erinnern; so sehen wir denn, dass bei jenen das Mittelhirn einen relativ viel grösseren Theil der Gesammthirnmasse bildet als bei den- Säuge-

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d.Haube. 43

thieren und dass uns beim Menschen die Ganglienmasse der Vierhügelplatte als ein relativ verkümmerter Organtheil entgegentritt. Je mehr wir in der Wirbelthierreihe hinuntersteigen, um so mehr nehmen die Vierhügel relativ an Volumen zu. Bei den Reptilien dominiren sie das Kleinhirn, bei den Vögeln bilden sie ein Paar von Lappen (Lobi optici), welche noch grösser sind als bei den Reptilien. Bei den Fischen endlich, namentlich den Knochenfischen bilden sie die Hauptmasse des Gehirns. Solid, d. h. ohne ventrikel- artige Ausstülpung des Aquaeductus, sind bloss die Vierhügel der Säugethiere.

Bedeutsam ist die Thatsache, dass in den niederen Thierklassen diese Vergrösserung bloss die vorderen Vierhügel betrifft, während die hinteren Vierhügel, welche dort zusammengeschrumpft sind auf ein äusserlich .meist nicht sichtbares Ganglion im hinteren Theil des Lobus opticus, beim Säugethier zu einem selbsständigen Gebilde anwachsen, welches an Grösse dem vorderen Vierhügel beinahe gleichkommt. Dieses Anwachsen deshinteren Vierhügelganglions in der Thier- reihe läuft parallel mit der Ausbildung des eigentlichen Hörorgans. Spitzka (77) hat sogar gefunden, dass die Länge des Schneckenkanals und das Volumen der hinteren Vierhügel in ge- radem Verhältniss zu einander stehen. Was nun die Thierexperimente anbelangt, so fand Serres (38) gleich wie Rolando, dass bei den 3 unteren Klasse der Vertebraten die Schädigung der Lobi optici regel- mässig von Herabsetzung der Sehschärfe und reflectorischer Pupillen- dilatation auf der gekreuzten Seite gefolgt war. In Uebereinstimmung mit einer Anzahl von Experimenten, die er beim Säugethier ausführte, hat Serres beim Menschen (4 Fälle mit Section) nie Alteration der Sehkraft gesehen, dagegen regelmässig Coordinationsstörungen, epi- leptische Anfälle, choreatische Zustände, in einem Fall auch Verlust der Sprache. und Anomalien der Oculomotoriusfunction (interiore und exteriore Muskeln). Von Hörstörung erwähnt er nichts, Desmoulin (39) kommt bei Thierversuchen zu ähnlichen Resultaten wie Serres, nur mit dem Unterschied, dass beim Frosch als Repräsentanten der Amphibien die Blindheit auf der operirten Seite auftrat und Flourens (40) sowie Longet (41) glauben im Gegensatz zu Serres gefunden zu haben, dass die Corp. quadr. auch bei den Wirbelthieren sicher ein Sehcentrum sind. Letzterer out für seine Ansicht im Weiteren klinische und pathologische Beobachtungen von Gall, Vrolik, Magendie, Lélul und Jobert. Ferner fanden Flourens und

44 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Longet, dass die Reizung eines Vierhügels Verengerung beider Pupillen hervorruft. Longet schliesst sein Capitel mit einem Satze, welcher auch heute noch seine Giltigkeit besitzt, nämlich dass das letzte Wort über die Function der Vierhügel noch nicht gesprochen sei und dass man von neuen physiologischen Experimenten oder von der Beobachtung pathologischer Fälle nähere Aufklärung erwarten müsse. Neuere Be- obachter (Adamück [42], Schiff [57], Beaunis, Hensen und Völkers [58], Ferrier [43]) sind mit Zerstörungs- und Reizver- suchen an der Vierhügelplatte nicht viel weiter gekommen, was wohl bei der Nähe der Oculomotorius- und Trochleariskerne, der Opticuscentren, des hinteren Längsbündels etc. leicht begreiflich ist Doch scheint aus den Versuchen der letztern Forscher hervorzugehen, dass in der Vier- hügelgegend auch ein Centrum für die Coordination der Augenbewegung liegt. Die letzten diesbezüglichen Experimente stammen von Bechterew (Ueber die Function der Vierhügel. Pfiüger’s Archiv, Bd. XXXIII), welcher nach Abtragung der vorderen Vierhügel lediglich Hemianopsie auftreten sah; nach Zerstörung des hinteren Vierhügels ist die Seh- störung eine etwas complicirtere. Was die Gleichgewichtsstörung nach Abtragung der Vierhügel anbelangt. so wurden die Ergebnisse der obengenannten französischen Forscher bestätigt durch Goltz (für den Frosch), Kendrick und Ferrier (für die Vögel und das Kaninchen), Traube und Mengarini (für die Fische). Für die Bedeutung der Vierhügel als thermisches Centrum brachte J. Ott (72) kürzlich einen experimentellen Beweis (beim Kaninchen). Ueber die Vierhügel als Phonatiouscentrum vergl. S. 45 und 61. Endlich zeigte Ziehen (73), auf welchen ich bezüglich der Litteratur dieses Abschnittes ver- weise, dass mechanische Reizung der Haube in der Höhe der vorderen Vierhügel Laufbewegung, in der Höhe der hinteren Vierhügel aber er- haltende tonische Krämpfe der Extremitäten und des Rumpfes epi- leptische Krämpfe ohne Betheiligung der Hirnrinde hervorruft.

Bemerkenswerth ist der Umstand, dass bis zu diesem Zeitpunkt keiner der experimentirenden Physiologen auch nur die kürzeste Be- merkung einfliessen lässt über allfällig beobachtete Hörstörung. Eine Wandlung in diesen Anschauungen trat erst seit ungefähr einem Decennium ein; sie ging aber nicht von den Physiologen aus sondern von denjenigen Neuropathologen, welche gefunden hatten, dass die Vier- hügel, speciell die hinteren, in die acustische Hirnbahn eingeschaltet seien. Wichtige Experimente nach dieser Richtung hat Beehterew

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d. Haube. 45

(25) bei Meerschweinchen und weissen Ratten angestellt, bei welchen der Vierhügel unbedeckt und leicht zugänglich ist; bei diesen Thieren hat er vollständige Taubheit durch Zerstörung beider hinterer Vierhügel hervorgerufen; ferner stellte sich ein: Unbehilflichkeit der Bewegungeu, Zwangsstellungen oder Zwangsbewegungen, bei tiefer Zer- störung entweder sofort oder doch nach kurzer Zeit auch Stimmlosigkeit, bei oberflächlicher bloss Schwäche und Klanglosigkeit der Stimme. Bei elektrischer Reizung der hinteren Vierhügel trat Schreien auf, (eine Erscheinung, welche schon früher durch Goltz und Ferrier con- statirt worden war), seitliche Ablenkung der Augäpfel, Drehung und Erhebung der contralateralen Ohrmuschel. Es muss hierzu bemerkt werden, dass der anerkannt zuverlässige Forscher an Thieren experi- mentirt hat, deren Hirnorganisation zwar dem anatomischen Baue des menschlichen Gehirns nahe steht, aber doch uns nicht erlaubt, weiter- gehende Schlüsse auf ein ähnliches physiologisches Verhalten beim Menschen zu ziehen. Grosse und wichtige Centren beim Thier sinken bei höher organisirten Wesen zu kleinen relativ unbedeutenden Reflex- centren hinab. Hier haben die Vierhügel entsprechend ihrer Volum- abnahme jedenfalls auch an functionellem Werth eingebüsst; ein Theil der Functionen, welche beim niederen Sänger dem Vierhügel zufällt, kann und muss beim Menschen von der Grosshirnsphäre übernommen werden. Ein zweites Bedenken gilt den beschränkten Raumverhältnissen, welche bei diesen Experimenten jedenfalls störend einwirken müssen und welche Nebenverletzungen resp. Reizung von tiefer liegenden Parthien wohl kaum vermeiden lassen. Ich möchte sowohl damit als mit dem Hinweis auf die nachgewiesenermaassen schwierige Constatirung von Hörstörung beim Thier die Experimente von Bechterew durchaus nicht beanstanden, sondern nur davor warnen, dass ihre Resultate zu weiter gehenden Schlüssen verwendet werden, als dies Bechterew selbst gethan.

IV. Statistische Beiträge zur pathologischen Anatomie und Symptomatologie der Vierhügeltumoren im Allgemeinen (58 Fälle).

Für. den Menschen wird, wie schon Serres (l. c.) richtig ge- schlossen hat, die physiologische Bedeutung der Vierhügel weniger durch Experimente am Thier als durch Beobachtung »am Kranken- bett und Leichentische« ergründet werden können. Das beste

46 F:Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Beobachtungsmaterial bildet im Allgemeinen der circumscripte Blut- oder Erweichungsherd insofern, als hier die Ausfallserscheinungen in ihrer grössten Reinheit sich darstellen; wohl hauptsächlich deshalb, weil die Vierhügel nur von kleinen Gefässen durchzogen werden, fehlen (in der Litteratur) solche Fälle, wie dies schon Nothnagel (1) erwähnt. Geschwülste sind weniger geeignet, denn sie machen namentlich bei langsamem Wachsthum weniger ausgeprägte Herdsymptome, dafür aber oft diffuse Erscheinungen. Wir suchten uns indessen an möglichst reine Fälle im Sinne Nothnagels (l. c.) zu halten, haben mit dem von Letzterem gesammelten Material unsere Zusammenstellung begonnen und dieselbe bis Mitte März 1896 weitergeführt. Wegen allzugrosser Ausdehnung wurden ausgeschiedeu die schon von Nothnagel (l. c. S. 205) aus seiner Statistik ausgeschlossenen Fälle, ferner die 3 Fälle von Heubner (47), den Fall von Bergerhof (44), Jolly (45), Mohr (8), Hall (90), Hirschberg (48), Giese (49), Cursch- mann (54) und Moos (74). Wegen ungenügender Beschreibung konnten in unserer Statistik nicht berücksichtigt werden die zwei ge- sammelten Fälle von Zirbeldrüsentumoren von Ladame und derjenige von Wernicke-Biermer (52). Das nämliche musste geschehen mit dem klinisch trefflich geschilderten, in pathologisch-anatomischer Hinsicht aber ungenau beschriebenen Fall von Ertaubung und Erblindung Mackenzie’s (51), bei welchem der Tumor zudem auf den ganzen 3. Ventrikel und beide Sehhügel sich ausgedehnt hatte. Dagegen haben wir von älteren Fällen aufgenommen die 4 ersten unserer Tabelle, dann den Fall Geissler (Fall 41) und 10 weitere von Weinland in seiner Zusammenstellung (1870— 1893) übergangene Fälle. Seinen ersten Fall, Henschen (53) (Narbe des Vierhügelarmes) haben wir, abgesehen von seinen unsicheren klinischen Daten schon deshalb nicht verwerthet, weil in unserer Arbeit nur Tumoren berücksichtigt wurden. Auch der Fall von Eisenlohr (67) wurde, weil er keinen Tumor betrifft, wenigstens statistisch nicht berücksichtigt. Neu sind seit 1894 (inclus.) hinzu- gekommene 14 fernere Fälle (34—40 und 42—48) von Tumoren der Vierhügel. Von Zirbeldrüsentumoren, welche wir, wie die anderen Autoren auch, zu den Vierhügeltumoren -- allerdings in besonderer Rubrik. angereiht haben, bringe ich für den von Weinland an- gegebenen Zeitraum 10 (statt 8) Fälle; ein elfter, bei welchem übrigens keine Hörstörung constatirt wurde, konnte nur noch anhangsweise auf- geführt werden. Auf solche Weise komme ich zu folgender Zusammen- stellung:

‚durch -Gesehwülste.d. Mittelhirns spec. d. Vierhtigelgegend u.d:Haube. 47

I. Tumoren der Vierhügel (mit und ohne Erkrankung der Zirbeldrüse).

. Seidel. Dissertation. Jena 1861.

. Steffen. Berl. klin. Wochenschr. 1864.

: Henoch. do. 1864. l

. Wagner, W. Klin. Monatsschr. f. Augenheilk. 1865 S. 160. Fall 3. . Pilz. Jahrbuch f. Kinderkrankheiten 1870.

. Annuske. Graefe's Archiv 1878. '

. Rosenthal. Lehrbuch der Nervenkr. S. 183, 1875. . Duffin. Lancet, Juni 1876, S. 888. '

. Kohts. Virchow’s Archiv Bd. LXVII, 1876. 10. Klebs-Fischel. Prager Vierteljahrschr. Bd. CXXXIII, S. 89. Fall 8. 1877. 11. Gowers. Lancet. 15. März 1879, S. 364. Fall 3.

12. Nothnagel. Top. Diagn. S. 206, 1879.

13. Henoch. Charitéannalen 1880, S. 468.

14. Nothnagel. Wien. med. Bl. 1882, S. 1.

15. Ferrier. Brain April 1882, S. 123.

16. Bristow. Brain Juli 1883. Fall 1.

17. Fisher. Amer. Journ. of Ins. 1885.

18. Feilchenfeld. Neurol. Centralbl. 1885, Nr. 18. 19. Carnazzi. Revista ven. di Soc. med. 1885.

20. Bristow. Lancet 1886, S. 251.

21. Nothnagel. Wien. med. Bl. 1888.

22. Hope. Ing.-Diss. Halle 1888.

23. Nothnagel. Wien. med. Pr. 20. Januar 1889.

Gauderer. Dissert. Giessen 1889 und Steinbrügge. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXIX. S. 87.

25. Ruel. Phys. et path. des tub. quadr. Genf. 1890.

26. Christ. Arch. f. klin. Med. 1890.

27. Pawinnsky. Gazeta lekarska 1891, No. 33. (Ref. Hirsch, Virchow’s Arch. 1891, II, S, 88.)

28—30. Lichtheim. Deutsche med. Wochenschr. 1892, S. 1043.

31. Kolisch. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1893, IV. Fall 1.

32. Taylor. Clin. soc. Tr. XXVII, S. 18 und Brit. med. Journ. 1893, S. 1102 und Lancet 1893, I, S. 1252.

33. Goldzieher. Centralbl. f. Augenheilk. XVII, S. 44, 1893.

34. Bruns. Arch. f. Psych. XXVI, 1894.

35. Weinland. do. do.

36. Ilberg. do. do.

837. Greiwe. Neurol. Centralbl. 1894, S. 130.

38. Guthrie u. Turner. Lancet 2. II. 1895, S. 273.

39. Passow. Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 44.

40. v. Scarpatetti. Jahrb. f. Psych. u. Neurol. 1895, S. 152.

41. Geissler. Arch. d. Heilkunde XIV, 1873, S. 567. E 42 u. 43. Besold. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. VIII, S. 49 u. 56.

O O N ED EH Wb UON m

24.

48 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

44. Krafft-Ebing. Wien. klin. Wochenschr. 1889, S. 89. E A. Marina. Ueber multiple Augenmuskellähmungen. Wien 1896, S. 265 47. bis 277. Beob. XXXI, XXXII u. XXXIII.

48. J. Collins. Amer. Journ. of the med. Soc. CX, 4, S. 420, 1895. (Ref. in Schmidt e Jahrb. 1896).

II. Auf die Zirbeldrüse beschränkte Tumoren.

. Blanquique. Gaz. hebd, 1871. S. 532.

. Massot. Lyon. med. 1872, Nr. 15.

. Hirtz. Bull. de la soc. anat. 1875, S. 254.

. Nieden. Centralbl. f. Nervenheilk. 1879, Nr. 8.

. Pontoppidan. Neurol. Centralb. 1885, S. 553.

. Schulz. Neurol. Centralbl. 1886, Nr. 19.

. Reinhold. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXIX, S. 1. . Daly. Brain Bd. X, 1887, S. 234. Fall 2.

. Kny. Neurol. Centralbl. 1889. S. 281.

. Zenner. The Alienist and Neurol. 1892, Bd. XIII, S. 470.

O O NDOU AUD m

jd ©

(11.) Als 11. ist noch hierher zu rechnen der in der Münchener med. Wochen- schrift vom 31. März 1896 S. 292 publicirte Fall v. Hosslin: Tumor der Epiphysis cerebri; Diabetes insipidus; Oculomotoriuslähmung. Leider konnte derselbe, weil unmittelbar vor Abschluss meiner Arbeit er- schienen, nur noch unvollständig berücksichtigt und in die statistischen Berechnungen nicht mehr eingefügt werden.

Ich habe versucht, alle diese Arbeiten nicht nur im Referat, sondern im Original zu erhalten und zu studiren, was mir mit Ausnahme einer russischen (Fall 27), einer italienischen (Fall 19) und zwei amerikanischen (Fall 17 und 48) Publicationen auch gelang. Leider waren auch im Referat nicht zugänglich die Beschreibung der beiden Fälle von Sharkey (88) und Knapp (89). Eine Zusammenstellung nach patho- logisch-anatomischen und allgemein klinisch interessirenden Gesichts- punkten ergiebt folgende Tabelle I auf S. 50 ff.

Es liegt nicht in unserer Aufgabe, eine eingehendere Studie über- haupt über die Vierhügeltumoren zu publiciren. Indessen müssen wir doch diese Zusammenstellung benutzen, um auch bezüglich der Diagnose und Prognose einige werthvollere Anhaltspunkte zu gewinnen.

durh Gecschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d.Haube.. 49

Bezüglich der Natur des Tumors ergab die Section bei diesen 58 Fällen folgende Zahlen:

(NB. In Klammer steht die Nummer des betreffenden Falles; V. heisst Vorhügeltumor mit oder ohne Zirbeldrüsenerkrankung, Z. weist auf die 2. Abtheilung der reinen Zirbeldrüsentumoren hin.)

1. Gliosarcome u.Sarcome (V: 11, 12, 14, 17, 18, 22, 26, 27, 32, 38, 39, 40, 42, 43, 48. Z:

9, 10) Summa 17 = 29,30], 0! 2. Tuberkel (V: 2, 3, 4, 5, 13, 16, no

20, 30, 31, 33, 34, 37, 41, 44, 55, 46, 47.) 17= 293°,

3. Gliome (V: 6, 8, 10, 15, 21,

25, 28, 29, 35. Z:

6, 7.) 1= 19,0%, 4. Carcinome (V: 23. 2: 2, 8.) 3= 52°, 5. Cystoide Entartung (V: 9, 19. Z: 4.) e 6. Psammom (V:0. Z: 1.) 2 170% 7. Gumma (V: 36.) y ee GE 8. Lipom (?) (Z: 3.) 170, 9. Teratom (V: 24.) e. "eer 10. Unbestimmter Natur (V: 1, 7. Z: 5.) 3 52%

Summa 58—=100,0°/,

Bezüglich der Frequenz stehen also obenan einerseits die Glio- sarcome mit den Sarcomen, anderseits die Tuberkelgeschwülste (mit der nämlichen Ziffer von 29,3°/,). Etwas seltener sind die Gliome, am wenigstens kamen zur Beobachtung Carcinome, cystoide Entartungen, Psammome, Gummata, Lipome und Teratome.

Diese Verhältnisse entsprechen ziemlich genau den von Allen Starr (56) in seiner Zusammenstellung über 600 Fälle von Hirn- geschwülsten überhaupt berechneten Zahlen. So fand er für das Gliom !/, wie wir, für das Sarcom mit Ausschluss der Gliosarcome !/, (und wir 22,4°/,), für Garcinome 7°/, (und wir 5,2). Dass die Procent- zahl für die Tuberkel kleiner ausfällt als in den Statistiken von Starr, und Hale White hat wohl seine Ursache darin, dass in unserer Zu- sammenstellung nicht ale Fälle von tuberkulösen Geschwülsten dieser Gegend, sondern nur diejenigen ohne multiple Localisation in Betracht gezogen wurden.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 4

50

F. Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn uud über ihre Schädigung

Tabelle I.

58 Fälle von

Autor

GE vi © © ra © un © KH

Alter

Seidel Steffen Henoch Wagner

Pilz Annuske Rosenthal

Duffin

Kohts Klebs-Fisch Gowers

3

Nothna gèl; m

Henoch Nothnagel (82) Ferrier Bristow (83)

Fisher Feilchenfeld

Carnazzi

Bristow (86) Nothnagel (88) Hope

23| Nothnagel (89)

„2

Gauderer

m. | 85 m. | 3 w. | 1/4 w. | 27 w|3 We

Së, w.| 4 ? ? m. | 14 gp 3 m. | 24 m. | 18 m. | 31 m. 1.4 mo A EX m. |191/ə m; 148 m. | 12

Tumor

? Tuberkel Tuberkel Tuberkel Tuberkel

Sarkom Tuberkel Sarkom Gliom Tuberkel

Sarkom Gliosarkom

Cystosarkom

Tuberkel Gliom Sarkom

Carcinom

Teratom

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Von den Vierhügeln

sind

erkrankt

beide hintere alle

l. hintere alle

alle

nu m eHe beide rechte alle

alle (haupt-

sächl.aber.d.r.

alle

n

Hydrocephalus

H E Go mg E = e S SIS E alga g D a. 55 + E em 31395 -

Herabsetzung des Sehvermögens

durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend u. der Haube.

Herab setzung. des

Mittelohr) Te

Te

Hörvermögens Störung im Gebiet

des Oculomatorius, Trochlearis und

Abducens

1 Pt 1 Pt

1 Pt 1 1

1 Myosise

Motorische Störung

=

S $ g 3 S e g ei E SSC Si

e LG

0 1 (Incont.)

1 1 (Be-

wegungs- ataxie ?)

1 1 1

Sensible Störung

an Stamm und Extremitäten

Ataxie

Sprache

sehr geläufig

schwerfällig

Aphasie

verlangsamt

schwerfällig

öl

Psychische

Funktionen

benommen benommen Stupor herabgesetzt

Delirien aufgeregt Stupor

herabgesetzt

Stupor

Apathie

Abnahme des Gedächtnisses

Apathie

Apathie

Stupor Sopor

4*

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52 F. Síebenmann: Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung Tabelle I. 58 Fälle von Tumoren u en Von den |3 ` S d = 5 + Vierhügeln | a | XE S S No. Autor S wE lapag = sind see 38 o = MH. m e Toi SIS erkrankt SEISbl Se E 1 a D < Fo V.25 Ruel m. | 20 Gliom linke hintere 1 -- Bis 26 Christ m. | 18 Sarkom alle 1 1 B- „27 Pawinnsky w. | 42 Sarkom | beide vordere 1 1 „28| Lichtheim ||,Knabe“| Gliom ale I | —-| B: n 29 ` „Erwach Gliom 2 e Bo Bi sener i „30 ` „Knabe“ Tuberkel | beidehintere 0 ` „al Kolisch w| 8 Tuberkel | beide rechte o „32 . Taylor m. | 4 || Gliosarkom | alle lu) "88 (Opticus- stamm d. erkrankt, » 33 Goldzieher |m.| 5 Tuberkel 3 1 0 n 94 Bruns m. | 21ə|| Tuberkel 1 1 ka 35 Weinland m. | 25 Gliom ` 1 0 Bla „36 Ilberg w. | 43 Gumma || beide linke 1 1 0 St Greiwe m. | ? Tuberkel rechter vord. 1 - Bi: | (gering) „38 |Guthrieu. Turner m. | 23 | Angiosarkom alle l.ı 0 „39 Passow w. | 26 | Gliosarkom | e 1 0 „40 Scarpatetti ||m. | 26 ||Angiosarkom o 1 o- Bla |

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|

durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend u.derHaube. 53

der Vierhügelgegend (Fortsetzung).

dächtnissschwäche

D SS e SE [Aao S = Ors ya SSE |S55|555 = ZS aaz |S az Psychische SS 188521355 2532| Ati Sprach pS 7885 235 e BS axie prache x as 1235282 225 283 | Funktionen Bm E35 IS. en CG SE SE 3 SE i Pt 1 1 1 verlangsamt Stupor d ee 1 verlangsamt Apathie ES 1 -- 1 Pt 1 1 Pt 1 -— LE 1 1 1 (Pt?) 1 1 1 _ (Hemi- parese) -— 1 verlangsamt (Be- und wegungs-| stammelnd ataxie) 1 =- 1 schwerfällig Apathie (Intentions- zittern) 1 skandirend, Benommenheit später Stummheit 1 1 (?) | langsam und Gedächtniss- schwerfällig schwäche 1 1 1 schleppend, Weinen und später un- Delirien verständlich 1 | 0 0 Apathie 1 | ? verlangsamt zu 1 ? be ee Panctitis 1 Pt 1 = 1 Weinen und Ge-

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54 . F. Siebenmann:

No. Autor V.4 Geissler „42 Besold Il „43 Besold II „4 | Krafft-Ebing „45 | Marina Fall 31 „46 s Fall 32 „47 K Fall 33 „48 Collins

Z. 1| Blangquique e. Massot E: Hirtz „4 Nieden

»„ Ai Pantoppidan e P Schultz Reinhold WE, Daly

EN Kny! „18 Zenner

"enne > +

Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung

Tabelle I. Von den || 3 = Vierhügeln | a S Tumor e o S = sind > 2 r e SIS 2 S D == ES? 1 G erkrankt d Tuberkel alle 1 Medulläres i 1 Sarkom Angiosarkom a 1 Tuberkel || rechter vord.|| Tuberkel alle Tuberkel ? -- Tuberkel Š 1 Sarkom alle (?) 1 Psammom = I Carcinom -— Lipom (?) 1 Cystoide 0 Entartung ? 1 Gliom 1 Gliom == 1 Carcinom | 1 Sarkom 1 Gliosarkom 1

Summa | 38 |

Abkürzungen: B =: Erblindung. B/2=— Herabsetzung der Sehkraft. T = Taubheit. T/a= Schwerhörigkeit.

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58 Fälle von Tumoren

Abflachung der Hirnwindungen

(wenig)

J

ens

vermo

Herabsetzung des)

= Den

Ş¥ eW

wY w

durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend u. derHaube. 55

der Vierhügelgegend (Schluss).

Za (Së d &n en 55? nei na d SE |a5.% 2 a5 | 258% Psychische ss |Te52 ggZ "ez Ataxie Sprache ZS S | us asE| 285 Funktionen R © ses kan | Sin S = = n SS | = g be A e SE ert "SE en Ges ? 0 0 0 Sopor 0 0 1 1 verlangsamt Verblödung 0 1 0 ? verlangsamt, Verblödung später Stummheit 1 Pt (1) 1 1 SA (links Hemi- ataxie) 1 Pt 1 1 Pt 1 1 1 Delirien KEN 0 0 1 verlangsamt, Sopor (Zittern) | skandirend 0 1 1 Ss 1 1 = 1 Verminderung der Intelligenz 1 Anfälle = = Sopor; Gedächtniss- schwäche (Sausen) | 1 1 1 -— -- -— 1 0 -- Delirien (Trochl.) - 1 1 -— Benommenheit (1) 0 Paraesth. 1 0 Stupor Ti RE 1 0 1 verlangsamt | 0 1 1 0 1 (Articulations- Verblödung störung) (Sausen)| 1 Zittern l verlangsamt Apathie = 0 l(anfalls- 0 1 unverständ- Verblödung be aa l T Re a I en a Ze 4 20 45 | 33 10 37 18 Abkürzungen: (Pt) = Ptosis. ( ) = vorübergehend. (e) = einseitig.

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56 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Was das Alter und Geschlecht anbelangt. ergiebt sich folgende Tabelle:

männlich weiblich Summa 1—10 Jahre 8 5 = 13 11—20 13 2 =: 19 21—30 , 11 3 = 14 31—40 5 1 == P 41—50 0 3 See: 28 51—60 1 zer Unbekannt ? ? s= 6

ap HM 58.

Das Ueberwiegen des männlichen Geschlechts hat seine Ursache sicher in äusseren Umständen, da dasselbe sich durchgängig in allen Unterabtheilungen wieder findet, wenn die Kranken nach den Affectionen rubricirt werden.

1. Sarcom und Gliosarcome.

männlich weiblich Summa

1—10 1 + 0 =1 11—20 4 + 2 =6 21—30 6 + 1 =7 31—40 1 + 1 =2 unbekannt 1 + = 1

Uu 4 17 2. Tuberkel. männlich weiblich Summa

1—10 7 + 5 = 12 11—20 D 0 = 0 21—30 1 + 1 2 31—40 l1 + 0 = 1 41—50. 0 + 1 = 1 unbekannt 1 + 0 = 1

10 7 17 3. Gliome.

männlich weiblich Summa

1—10 o0 + 0

11—20 d. lei E el 21- 30 Sr kp e, äi unbekanut ` 3 +0 = 3

0 1 IL

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 57

Interessantere und practisch wichtigere Resultate liefert diese Tabelle bezüglich der Altersstufen. Es zeigt sich nämlich eine auffällige Verschiedenheit in diesen 3 Abtheilungen hinsichtlich der Betheiligung der Patienten unter 10 Jahren. In der ersten Abtheilung (Sarcome und Gliosarcome) stehen von den 15 Personen, über welche Altersan- gaben vorliegen

12 = 80°/, im Alter von 11—30 Jahren und nur 1= 7°/, im Alter unter 10 Jahren.!)

Ein ähnliches, aber noch frappanteres Verhältniss tritt zu Tage bei Abtheilung 3 (Gliome), bei der Alle, deren Alter bekannt, zwischen 11—30 Jahre zählen, und 0°/, auf die Altersstufe 1—10 entfällt.

Umgekehrt sehen wir, dass bei den 16 an Tuberkeln Verstorbenen, deren Alter bekannt ist, 12—=75°/, noch nicht 10 Jahre zählen (1/, bis 9 Jahre).

Es würde sich daraus die für die Diagnose wichtige Thatsache er- geben, dass beim Auftreten von Vierhügelsymptomen bei einem Kinde unter 10 Jahren in erster Linie an das Vorhandensein einer Tuberkelgeschwulst gedacht werden muss und dass Gliome, Sarcome und Gliosarcome dabei nur ausnahms- weise in Betracht gezogen werden müssen. Leider kann unsere Zu- sammenstellung nicht verglichen werden mit der Zahlenreihe von Starr, da dieser Autor nur 2 Altersstufen unterscheidet und (nach (Oppen- heim [17]) als Grenze zwischen beiden das 20. Jahr annimmt.

Inwieweit die Diagnose bei Verdacht auf Tuberkulose durch eine Untersuchung der Lunge gefördert werden kann, geht aus unseren Fällen nicht mit Sicherheit hervor und zwar schon aus dem Grunde, weil hier klinische Angaben und Sectionsbericht häufig im Stich lassen; indessen scheint soviel festzustehen, dass in den meisten Fällen dieser tuberkulösen Vierhügelaffectionen die Lungen ebenfalls erkrankt waren und dass in etwa der Hälfte der Fälle diese Complication schon intra vitam diagnosticirt worden ist.

Als hervorragendstes und constantestes klinisches Symptom der Vierhügelerkrankung wird, wie in der Einleitung schon her- vorgehoben ist, von fast allen Autoren die Combination von Ataxie (atactische Gehstörung, oder auch von Intentionszittern, Bruns, Gowers, Goldscheider) mit Störung der Bulbus- bewegung erwähnt. In unseren Fällen finden wir erstere in

1) Vergl. ausserdem den Fall v. Hosslin (M. m. W. 1896, S. 292).

58 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

65,5°/,, letztere in 75,9°%/,; vereinigt kommen beide Symptome vor in 22 Fällen = 55,2°/,, also in nur wenig mehr als der Hälfte. Hemiataxie gekreuzt mit Oculomotoriusparese trat in dem Falle Krafft-Ebing auf. Das auffälligste Symptom der Oculomo- toriusparese ist die Ptosis des oberen Augenlids; dieselbe fand sich bleibend 21 Mal = 36,2°/,, vorübergehend 4 Mal. In einzelnen Fällen wurde 'nur Accomodationsstörung oder leichter Nystagmus beobachtet. Der Abducens ist seltener mitbetheiligt, zuweilen aber auch allein affieirt (Druck auf den besonders exponirten Stamm, Gowers). In den meisten Fällen tritt die Augenmuskellähmung bezüglich der be- fallenen Muskelgruppe etwas ungleich vertheilt auf, eine Erscheinung, welcher Nothnagel in differenzial-diagnostischer Beziehung hohen Werth beimisst. Auf die Wichtigkeit der Constatirung von doppel- seitiger Trochlearisparese hat Christ hingewiesen, anlässlich der Be- sprechung seines Falles.

Für eine statistische Bearbeitung der Frage über die Beeinflussung der Irisbewegung durch Vierhügelgeschwülste (interiore Ophthalmoplagie) erwies sich ein grosser Theil der Krankengeschichten als unzulänglich, namentlich wenn man noch den Umstand in Betracht zieht, dass auch beim gesunden Menschen sich Pupillendifferenz gar nicht selten findet. Indessen scheint doch so viel aus unserem Material hervorzugehen, dass Mydriasis bei Tumoren der Vierhügel eine schr seltene Erscheinung ist.

Motorische Störungen fanden wir relativ häufig (67,2°/,). Meistens handelte es sich um Spasmen clonischer oder tonischer Art, welche nach den oben erwähnten Experimenten von Ziehen auf eine reflectorische Reizung der Vorder- und Seitenstrangbahnen von der Haube aus bezogen werden müssen. Die Thatsache, dass Sensibilitätsstörungen im All- gemeinen (17,5°/,) (namentlich aber diejenigen der Haut) an Stamm und Extremitäten unverhältnissmässig seltener hier zur Beobachtung gelangen, gestattet wohl sicher den Schluss, dass die Pyramidenbahnen nur ausnahmsweise lädirt resp. gereizt worden sind und dass daher die oben besprochenen motorischen Störungen (exclusive Lähmungen) in der That meistens auf indirectem, d. h. reflectorischem Wege (vielleicht von der centralen Cochleorisbahn in der Haube aus) zu Stande gekommen sind.

Ein fast regelmässiges Symptom des Vierhügeltumors und zwar auch des engumgrenzten sind Störungen von Seiten des Opticus. In unseren 58 Fällen bestand Erblindung in 17 Fällen, bedeutende Herabsetzung der Sehschärfe in 20 Fällen. Bei diesen 57 Fällen fanden sich durchgehends da, wo der Augenhintergrund

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 59

untersucht wurde, entsprechende Veränderungen an den Papillen (Stauungs- papillen, Neuritis optica, Atrophie) ausgenommen die Fälle 32 (secun- därer Tumor des Opticusstammes an der Hirnbasis) und Z. 7. Neuritis optica oder Stauungspapille ohne Nachweis von wesentlicher Störung des Sehvermögens war vorhanden in 10 Fällen (9, 15, 17, 18, 30, 34, 38, 39, 44, 49). Die Abwesenheit von erheblicher Störung des Sehvermögens oder von Anomalien der Papille wurde nur in 4 Fällen (8°/,) (33,36 37 und Z. 4) constatirt. Notizen über Sehvermögen und Augenhintergrund fehlen 8 Mal. Anfallsweise Ver- dunklung des Gesichtsfeldes findet sich notirt in den Fällen von Reinhold.

Ein interessantes Symptom, welches 18 Mal (also in etwa !/, der Fälle) bemerkt wurde, ist das Scandiren, die Verlangsamung, das Schleppend- und Schwerfälligwerden der Sprache, welches sich steigern kann bis zur Unverständlichkeit (Fall 36 und Z. 10) oder gar zu gänzlicher Stummheit (infacorticaler motorischer Aphasie, fasciculärer Anarthrie), wie in Fall 34 und 43. Dass es sich bei solchen Sprechstörungen, die ja bei Tumoren der hinteren und mittleren Schädelgrube in dieser Art zuweilen zur Beobachtung gelangen (Bern- hardt 1. c.) nicht um blosse Lähmungen von Seiten des Facialis und Hypoglossus handelt, hat Wernicke und neulich wieder D’Astros (59) hervorgehoben; gegen eine solche Annahme spricht auch die klinische Beobachtung der meisten hier vorliegenden Fälle. Was Wernicke für die Gegend der inneren Kapsel gefunden, hat demnach auch Geltung für die Hirnschenkel, „dass nämlich die nicht zur Sprache gehörigen Bewegungen der Lippen, Wange, Zunge etc. durch andere Nervenfasern im Hirn vertreten sind als die der motorischen Bahn der Sprache.“ Ein von D’Astros näher besprochener, interessanter Umstand ist der, dass die pedunculäre Anarthrie resp. Dysarthrie nicht beobachtet wird bei frischen apoplectischen Herden in diesen Gegenden, sondern nur bei Erweichungsprocessen. D’Astros zeigt im Ferneren, wie diese Sprachstörung bei Hirnschenkelaffectionen entsprechend der besonderen Wichtigkeit des linken Hirns für das Zustandekommen des normalen Sprachvorgangs (im Einklang mit Wernicke und entgegen den Anschauungen Lichtheim’s [55]) bloss dann auftritt, wenn der Process ein links- oder doppelseitiger ist. Wenn nur der rechte Hirnschenkel befallen ist, tritt die Dysarthrie resp. Anarthrie nicht auf. Nach seiner Annahme handelte es sich bei den betreffenden Erweichungsprocessen um eine, bis über das linke

60 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigun g

Corpus striatum in die Region der dysphasischen Störung Kussmaul’s hinaufreichenden Circulationsstörung, sodass der Sitz der Aphasie nicht im Hirnschenkel selbst, sondern centraler gesucht werden müsse. Nähere Anhaltspunkte über die Stelle des Hirnschenkelquerschnittes, an welcher wir die motorische Sprachbahn suchen müssen, giebt vielleicht der Fall von Millinger (Union med. No. 131, 1884), wo die bei der Ob- duction gefundene Abscesshöhle in der linken Hirnschenkelhaube zwischen Substantia nigra und vorderem Vierhügel dicht an der Median- ebene sich befand. Diese Stelle entspricht aber nicht der Bahn des Facialis und Hypoglossus, welche letztere nach allgemeiner Annahme der Kliniker und Anatomen hier im Hirnschenkelfuss und zwar in seinem dorsolateralen Abschnitt verlaufen. Mir scheint es nach der gegebenen Sachlage am natürlichsten, dass die Läsion einer in der Haube verlaufenden Muskelsinnbahn!) des Sprachorgans (ähnlich wie sie in der Hauptschleife für die Extremitäten vorhanden ist), sowohl im Falle Millinger als bei unseren Fällen als Ursache für das Zu- standekommen der Dysarthrie und Anarthrie anzusehen ist. Jedenfalls ist diese Form von Sprachstörung, wie sie in unseren Fällen zu Tage tritt, lediglich als atactische Störung aufzufassen. Es würde den Rahmen unserer Aufgabe weit überschreiten, wenn wir an Hand unseres ge- sammten Materials diese Frage noch eingehender prüfen wollten. Wir müssen uns vielmehr beschränken auf unsere Specialtabellen II und II, auf denen der pathologisch-anatomische Befund jedem Falle beigegeben ist. Hier sehen wir, dass in der That auf Tabelle III Dysarthrie in denjenigen Fällen fehlt, wo die Affection hauptsächlich (V: 8, 15) oder ausschliesslich (V. 37) rechts in die Tiefe greift oder wo die Haube relativ frei ist (V. 39 und 41).

Auf Tabelle II finden wir fast in allen Fällen Dysarthrie, sie fehlt gänzlich nur in den Fällen I (V. 4) und IV (V. 22). Bei dem ersteren scheinen die Hirnschenkel intact gewesen zu sein, da der Tumor nur im hintersten Abschnitt der Vierhügel, wo an Stelle der Hirnschenkel sich das proximale Brückenende befindet, in die Tiefe griff; auf welcher Seite des „durchgängigen* Aq. Sylvii dies geschah, ist aus dem kurzen Sectionsbericht nicht herauszulesen. Beim letzteren Fall (V. 22) scheint die Haube nur in ihrer dorsalsten Parthie und zwar rechts mehr als links, betheiligt gewesen zu sein. Indessen geht aus dem Obductions-

1) Vielleicht handelt es sich um gewisse Fasern des Trigeminus, dessen centrale Bahn nach Obersteiner durch die Hirnschenkelhaube zieht. `

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 61

befund und dem klinischen BildYhervor, dass hier auch noch erkrankte Stellen in Pons und Oblongata vorhanden gewesen sein müssen.

Es scheinen somit unsere Fälle den Satz von d’Astros und Wer- nicke zu bestätigen und ihn in dem Sinne zu erweitern, dass Dysarthrie und »pedunculäre Aphasie« auch als Symptom von Geschwülsten der linken Hirnschenkelhaube auftritt, während diese Erscheinung fehlt bei den gleichartigen Läsionen des rechten Hirnschenkels. Eine Prüfung auf das Erhaltensein des Vermögens zu schreiben und die Silbenzahl eines gelesenen oder gehörten Wortes anzugeben, fehlt in den vor- liegenden Fällen. Dagegen fand sich dieses nach Lichtheim für die fasciculäre motorische Aphasie charakteristische Symptom sehr gut aus- geprägt bei der Patientin von Mackenzie, welche taub und blind, stumm und fast ganz gelähmt sich sehr geläufig einer eigens ge- bildeten Zeichensprache bediente. An dieser Stelle möge, mehr der Vollständigkeit als ihrer Bedeutung wegen, mit Bezug auf obige Be- obachtungen auch ‚gedacht werden der Versuche von Goltz, welcher beim Frosch nach Abtragung des Grosshirns noch Quacken erregen konnte, durch Zerstörung der Vierhügel dagegen den Frosch stumm machte.

Zu ähnlichen Resultaten kam Onodi beim Hund, während F. Klemperer (Phonationscentren im Gehirn, Arch. f. Laryngologie Bd. II, S. 342) ebenfalls auf Grund von Versuchen das Vorhandensein des von Onodi beschriebenen Stimmbildungscentrums bestreitet.

Nicht berücksichtigt wurde bei unserer statistischen Zusammen- stellung eine Anzahl derjenigen Symptome, welche mehr zu den allge- meinen Hirnerscheinungen, zu den »diffusen Symptomen« gerechnet werden : Erbrechen, Kopfschmerz, Störung der reflectorischen Erreg- barkeit, Temperaturerhöhung, tetanische und eigentliche epileptische Anfälle, vasomotorische Störungen, psychische Abnormitäten. Doch werden wir auf dieselben noch einmal kurz zurückkommen anlässlich der Besprechung von Tabellen II und III in den folgenden Ab- schnitten.

V. EIf Fälle von Vierhügel- (Hauben-) Tumoren mit con- secutiver Schwerhörigkeit resp. Ertaubung (hierzu Tabelle II auf S. 64a ff. und Tabelle III auf S. 66 ff).

Schwerhörigkeit als Symptom eines Vierhügeltumors finden wir in unserer Krankengeschichte 20 Mal also in einem Drittel (34,5 /,) sämmtlicher Fälle verzeichnet. Darunter figuriren die gleichzeitigen

62 F. Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Erkrankungen von Zirbeldrüse und Vierhügel mit 17 von 48 Fällen 35,5 °/,, die reinen Zirbeldrüsentumoren mit 3 von 10 Fällen = 30 |.. Wenn wir von den so seltenen Fällen der corticalen Taubheit absehen, so gibt es wohl kein anderes Gebiet des Hirns, dessen Erkrankung so häufig von Hörstörung begleitet ist, wie dies bei den Tumoren des Mittelhirns der Fallist, denn Bernhardt hat in 30 aus der Literatur gesammelten Fällen von Brückentumoren 8 Mal Schwerhörigkeit notirt gefunden; in den 46 sich anschliessenden Fällen von Delbanco®!) findet sich 11 Mal Schwerhörigkeit (irrthümlicherweise sind nur 8 in der Schlussrechnung verzeichnet), zusammen also 19 auf 76 oder genau 25°/, Schwerhörig- keit. Bei Kleinhirntumoren ist nach Bernhardt’s Tabellen die Ziffer noch etwas kleiner (18:90 = 20 °/,); alle andern Hirnregionen stehen bedeutend zurück. Wir dürfen diesen Procentzahlen aber nur einen relativen Werth beimessen: Sie weisen allerdings darauf hin, dass die centrale Acusticusbahn hier durchpassirt und dass sje im Mittelhirn durch Tumoren am meisten gefährdet wird, allein sie geben uns für das betreffende Gebiet durchaus nicht das Verhältniss an, in welchem die Gesammtsumme der Erkrankten steht zur Anzahl der durch den Tumor schwerhörig Gewordenen.

Bedenken wir zunächst die allgemein sich bestätigende von Tröltsch präcis ausgesprochene Thatsache, »dass selbst in den mittlern Jahren von 20—50 durchschnittlich unter 3 Menschen sicherlich einer an einem Öhre wenigstens nicht mehr gut und normal hört« und ziehen wir ferner in Betracht, dass die uns hier speciell interessirenden Kranken fast alle weder auf Affectionen des äussern noch des mittlern Ohres untersucht worden sind, dass Cerumen, Residuen früherer Entzündungen, Stapesankylose, gewerbliche und andere Schädigungen des Labyrinthes, Presbyacusis etc. ebensogut als eine Hirnaffeection der Schwerhörigkeit zu Grunde liegen können, so wird man unser Bedenken begreifen. Wie würde man eine ophthalmologische Abhandlung beurtheilen, in welcher jede Sehstörung (auch z. B. die Erkrankung der Hornhaut und der Linse), welche bei einem Fall von Hirntumor constatirt wurde, mit letzterem in ätiologischen Zusammenhang gebracht und kurzweg als Opticusaffection gedeutet wäre?

In richtiger Würdigung der Sachlage sagt Wernicke‘®) S. 363: »Die semiotische Verwerthung der Störungen des Gehörs wird dadurch sehr beeinträchtigt, dass hier ungemein häufig Erkrankungen des mittleren und inneren Ohres, also periphere Affectionen vorliegen.« Um

durch Geschwülste.d..Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d. Haube. 63:

reines verwendbares klinisches Material zu erhalten, müssten also zu- nächst die Fälle von Erkrankung des äussern und mittlern Ohres aus- geschlossen werden auf Grund sowohl der Anamnese als der Ergebnisse der Spiegeluntersuchung und der functionellen Prüfung. Von der jetzt noch restirenden Ziffer aber dürften nur diejenigen Fälle in Rechnung gebracht werden, bei welchen die Anamnese und die klinische Be- obachtung ergiebt, dass die Schwerhörigkeit 1) in ihrem Auftreten zeitlich zusammenfällt mit anderweitigen auf den Tumor zu beziehenden Hirnsymptomen oder denselben unmittelbar vorausgeht, 2) dass dieselbe einen auffallend progressiven Charakter hat.

Wenn im Verlauf einer Krankheit gänzliche Taubheit für die Sprache eintritt, dürfen wir, auch ohne dass functionelle Prüfungs- resultate und weitere Daten bekannt sind (vergl. die Bezold’schen Untersuchungen ®!) über die Erkrankung und angeborene Ausschaltung des Mittelohres) sicher annehmen, dass eine Schädigung von Nerv oder Labyrinth vorliegt; ist diese Krankheit aber eine Hirnaffection, so dürfen wir (beim Fehlen anderweitiger Allgemeinstörungen wie Syphilis, Leu- kämie, interkurrenten Infectionskrankheiten etc.) dieselbe in unmittel. bar ätiologischen Zusammenhang mit der Taubheit bringen. Absolute Sicherheit resp. Bestätigung erhalten wir natürlich einzig durch die nachträgliche mikroskopischen Untersuchungen von Hirnstamm und Labyrinth.

Diese Gesichtspunkte waren für uns massgebend bei der Sichtung unseres relativ grossen klinischen Materials; wir stellen uns damit wohl- bemerkt nicht auf einen isolirten specialistischen Standpunkt, sondern fühlen uns in voller Uebereinstimmung mit den Neuropathologen. So sehen wir, dass z. B. Wernicke (l. c.) bei Tabes eine Acusticus- erkrankung nur dann anzunehmen wagt, wenn der progressive Character der Schwerhörigkeit sicher festgestellt worden ist. Dem- entsprechend haben wir unsere 20 Fälle von Schwerhörigkeit bei Vier- hügelaffection in 2 verschiedenen Tabellen rubricirt. Tabelle HI enthält die 9 Fälle, welche nicht verwendet werden dürfen wegen Mangel jeglicher Notiz über die Zeit des Auftretens der Hörstörung und weil die Anamnese im Fernern keine Bemerkung enthält, welche auf Pro- gression der Schwerhörigkeit schliessen lässt. Als Beleg habe ich je- weilen die einzige Notiz, welche in den betreffenden Krankengeschichten über die Hörstörung Aufschluss zu geben im Stande ist, ziemlich wörtlich in einer eigenen Colonne der Tabelle aufgeführt. Fünf dieser Fälle

64 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

(Duffin, Ferrier, Fisher, Ruel, Reinhold), dazu noch ein Fall von Nothnagel (No. 12), bei dem die Untersuchung Mittelohr- catarrh ohne gleichzeitige Affection des schallempfindenden Apparates ergab, finden sich in der oben erwähnten Weinland’schen Arbeit verwerthet zu Gunsten seiner positiven Ansicht über die Vierhügel als Gehörcentrum.

Einen einzigen der Fälle, welche nach oben genannter Richtung hin beanstandet werden dürften, habe ich nicht zu dieser Gruppe, son- dern den sichern Fällen der Tabelle II eingereiht; es betrifft dies den Fall Ganderer-Steinbrügge (No. 24). Steinbrügge hat näm- lich nicht nur eine functionelle Prüfung, sondern post mortem auch eine sehr genaue Untersuchung beider Gehörorgane und der Acustici vorgenommen. Der sowohl functionell als mikroskopisch constatirte Mangel von be- deutenderen Veränderungen im Mittelohr, die Abwesenheit von Degenera- tion oder Atrophie im Acusticus und endlich der Labyrinthbefund, haben den offenbar unter dem Eindruck einer entsprechenden Anamnese stehen- den Autor veranlasst, an dem ätiologischen Connex zwischen Hirntumor (resp. Hydrocephalus) und Schwerhörigkeit durchaus nicht zu zweifeln. Dagegen habe ich Fall 8, wo mehr als einmal geprüft, aber keine Progression constatirt wurde (Tubenaffection nach Masern?), ebenfalls der Tabelle III eingefügt. Ganz ausgeschlossen aus unsern beiden Tabellen haben wir diejenigen Fälle, wo nur Ohrensausen (No. 21, 29 und Z:3, 9) oder Gehörhallucinationen (No. 44 und Flechsig) ohne begleitende Schwerhörigkeit aufgeführt ist.

Tabelle II enthält also mit Ausnahme der Beobachtung von Steinbrügge-Gauderer nur solche Fälle, bei welchen die Hörver- schlechterung 1. zeitlich zusammenfällt mit der Hirnerkrankung und 2. nachgewiesenermassen progressiven Charakter hat.

Ganz einwandfrei ist diese Tabelle, wie ich oben schon auseinander gesetzt habe, nur insoweit, als es sich um Fälle von Ertaubung handelt (I, II, IL, VI, VIII, IX, X, XD. Von den 3 andern Fällen müssen aber 2 (IV und V) auf Grund von Anamnese, functioneller Prüfung und patho- logisch-anatomischer Untersuchung ebenfalls sicher hierher eingereiht werden. Im dritten, dem Fall Weinland (VII), der den gestellten Anforderungen am wenigsten entspricht, fehlt auch die functionelle Prüfung und sind zudem die klinischen Notizen, soweit sie sich auf das Gehör beziehen (vergl. Tabelle), unvollständig; diese Lücke wird indessen wenigstens theilweise ausgefüllt durch die mikroskopische Untersuchung des Hirns und der Acusticusstämme.

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durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d. Haube. 65

Betrachten wir nun zunächst diese 11 sicher gestellten Fälle von Mittelhirntaubheit resp. Schwerhörigkeit der Tabelle II: Wenn wir einen Procentsatz für die Häufigkeit der Schwerhörigkeit bei Vierhügeltumoren ausrechnen sollen, so wird dies etwas schwer, l da unter den zweifelhaften Fällen der Tabelle III sich höchst wahr- scheinlich einige finden, die auch hierher gerechnet werden müssten. Lassen wir also die Fälle von Tabelle III ganz ausser Betracht, so er- giebt sich ein Procentsatz von 11:49 = 22,5 °/,'). Selbst wenn wir die unsichern Fälle der Tabelle III als sichere mitzählen, würden wir bloss auf 20:58 = 34?/ (Christ 37°/,) gelangen. Die auffällige Höhe der Ziffer Weinland’s (9:18 = 50°/,) beruht insofern auf einem Rechnungsfehler, als jener Autor, wie schon im Eingang dieses Ab- schnittes erwähnt, bei weitem nicht das gesammte ihm zu Gebote stehende Material benützt hat.

Bezüglich der pathologisch-anatomischen Verhältnisse finden wir, dass die Tumoren der schwerhörig resp. taub Gewordenen sich histologisch erwiesen als:

Sarcom 4 Mal (11, 22, 42, 43) = 37°],

Gliosarcom 2 ,„ (26. Z:10) == 18l Gliom 2 (10, 35) = Tuberkl 1 (4 = 9) Teratom 1, (4) Se As Carinom 1 (Z:8) e,

Wichtiger als diese Frage, vielleicht die wichtigste der ganzen Arbeit, ist diejenige nach der Ausdehnung der Läsion im Hirnstamm: wir finden nämlich in keinem einzigen dieser elf Fälle ein Beschränktsein des Processes auf die Vierhügelplatte. Die Brückenhaube ist theilweise zerstört in Fall 4, die Hirnschenkel- haube in Fall 10. 11, 22, 24, 26, 35, 42. Blos von »Druck auf die Vierhügel« resp. »auf Medulla und Dons, und auf deren Nachbarschaft sprechen die unzulänglichen Sectionsberichte über die Zirbeltumoren Z. 8 und Z. 10. Bei der relativ bedeutenden Grösse des Tumors ist als sicher anzunehmen, dass diese Compression auch im ersten dieser beiden Fälle eine beträchtliche gewesen ist und sich geäussert hat in einem Hineinpressen des Inhalts der hintern Schädelgrube in den Wirbel- canal, wie dies namentlich in dem Falle Weinland anschaulich be-

1) Mit Einrechnung des Falles von Hosslin, in welchem von Schwerhörig- keit nichts bemerkt ist, würde diese Zahl auf 22,0 herabsinken. Zeitschritt für Ohrenheilkunde, Rd. XXIX. 5

66 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung

Tabelle III. Neun Fälle von klinisch und anatomisch ungenügend

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I. Duffin 25 (8) m. I. Ferrier 14 (15) m. II. Fisher 24 (17) m. IV. Ruel 20 (25) m.

V. TIberg 43 (36) w.

Obductionsbefund

Gliomatöser Tumor, vom Vorderende des

IV. Ventrikels dem Aq. Sylvii ent- lang bis in’s hintere Ende des III. Ventrikels reichend, Corp. quadrigem. und Zirbeldrüse ersetzend, aus der Um- gebung leicht auszulösen. R. Thalamus opticus durch Druck theilweise atrophirt. Oberer Pedunculus cerebelli in dem Tumor aufgegangen.

Abplattung der’Hirnwindungen. Thalamus u.

Corp. quadrigem. der r. Seite in ein Gliom verwandelt. Caps. interna und Linsen- kern sowie Hirnschenkelhaube der nänl. Seite ebenfalls afficirt. Com- pression des rechten und mittlern Klein- hirnlappens. Acusticusstämme intact.

Gefässreiches Sarkom der Corp. quadrigem.

und der Zirbeldrüse.

Leichter Hydrocephalus internus, Taubenei-

grosses Gliom des L hintern Vierhügels. Erweichung des gauzen linken Hirnschenkels und des medianen Ab- schnitts der rechten Hirnschenkelhaube u. der beiden linksseitigen Corp. geniculata, sowie der l. Regio sub- thalamica. Absteigende Sclerose in Brücke, Medulla oblong. und Rückenmark. Acusticus normal.

Hydrocephalus internus. Abflachung der Hirn-

oberfläche, Kirschgrosser Gummaknoten, hinter und unter den linken Vierhügeln (also in der Haube), nach unten bis in die Gegend des Trochlearisursprungs reichend. Perineurales, z. Th. auf den Stamm des Acusticus übergreifendes klein- zelliges Infiltrat. Compression der dor- salen Partie des obern Brückenabschnittes.

Ohrensausen,

»Beiderseits abge- schwächtes Gehör. ` Doch wird die Stimm- | gabel vom Knochen und durch die Luft | percipirt.«

»Gehör links schei, cher als rechts.«

ə» Herabsetzung des Gehörs.«

H. links normal, oh bedeutend herabge- | setzt.

Schwerhörigkeit bs.; rechts stärker ausge- sprochen.

67

durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend u. der Haube. beobachteten Fällen von Schwerhörigkeit bei Tumoren der Vierhügelgegend.

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68 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung

Tabelle III. Neun Fälle von klinisch und anatomisch ungenügend

(37)

YII. Passow

(39)

VIII. Geissler

(41)

IX. Reinhold

(Z. 1)

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Autor

VI. Greiwe

Obductionsbefund

Geringer Hydrocephalus internus. Keine

Ventrikelerweiterung. Hasselnussgrosser Tuberkelknoten in der Haube des rechten Grosshirnschenkels, den innern und mittlern Theil desselben vor der Vierhügelgegend zerstörend u. z. Th. noch unter den vordern Vierhügel ein- dringend, sodass Letzterer intact, aber nach hinten gedrängt erscheint. Hinterster Theil des Pulvinar erweicht. Mikro- skopisches Verhalten der Vierhügelgegend: Rechts Entartung der vordern u. hintern Vierhügel, des rothen Haubenkerns (theil- weise), der Formatio reticularis, der me- dialen u. lateralen Schleife, des rechten hintern Bindedarms u. des hintern Längs-

bündels. Geringe Degeneration auch der linken medialen Schleife. Linsenkern normal. —- Lungentuberkulose.

Hirn: Hydrocephalus internus. » An Stelle

der Vierhügel, von welchen nichts mehr wahrzunehmen ist, ein rundlicher 3cm im Durchmesser haltender Tumor (Glio- sarkoin).«e

Ohr: »L.Gehörgang verengtäurch Schwellung

der hintern obern Wand mit stinkendem Eiter; in der Tiefe Granulationen, welche den Aditus erfüllen. Hammer u. Amboss fehlen. «

Hydrocephalus internus. Geringe Abflachung

der Hirnwindungen. Verdünnung des Schädeldachs. Vierhügelin einen röthlichen Brei verwandelt, nur die vordern überhaupt noch kenntlich. Die Plexus mit gelblichen krümligen Massen beschlagen. Käsige Herde in der Lunge.

Hydrocephalus internus. Abflachung der Hirn-

windungen. Compression u. Verschiebung der Vierhügel durch einen wallnussgrossen allseitig freien Zirbeldrüsentumor, welcher linkerseits stärker entwickelt ist als recchts und welcher nach vorn bis zur hintern Commissur reicht. Pons und Medulla abgeflacht und entsprechend der Längsaxe zusammengestosseu.

|

|

Hörstörung

Hört links die Uhr i nur unmittelbar am Ohr.

Flüstersprache r. nor- | mal, 1. nicht gehört.

W.i.r.O.

Ri. r = +. Stimmgabel vom | ` Warzenfortsatz nach ' r. hinübertönend. |

|! »Mitunter Schwer- hörigkeit.«

| | »Hörvermögen für die ` Uhr rechts schwächer als links.« N

69

durch Geschwülste des Mittelhirns speeiell der Vierhügelgegend u. der Haube.

beobachteten Fällen von Schwerhörigkeit bei Tumoren der Vierhügelgegend.

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70 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

schrieben ist. Compression von Grosshirnschenkel und Pons ist ferner notirt in Fall 43; zudem findet sich hier eine wichtige weiter unten zu erwähnende Veränderung beider Capsulae internae. Was speciell den Fall Weinland betrifft, möchte ich, da derselbe von diesem Autor herangezogen worden ist für den Beweis der Existenz einer »quadri- geminalen Taubheit«, ausdrücklich betonen, dass hier laut Sections- protocoll und nachträglicher mikroskopischer Untersuchung eine ausge- dehnte Läsion der Hirnschenkelhaube und des hintern Vierhügelarmes vorlag, zweier Regionen, welche allerdings von der centralen Acusticus- bahn durchzogen werden, welche aber beide nicht zur Vierhügelplatte

(den Vierhügeln im engern Sinne) gehören. Von fernern lädirten Hirnparthieen ist zu erwähnen: , l Brücke (apoplectische Herde) . . . . Fall 4

Kleinhirn und Boden des 4. Ventrikels `. `, LO Usur von Balkenwulst und Sehhügel . 24 Kleinhirn und Sehhügel . . . . . . ,„ 26, 42 Chiasma nerv. opt. 5 on Bindearme, Capsula int. u. E m 43.

Normales Verhalten der Acusticusstämme fand sich ausdrücklich bemerkt in Fall 11, 23, 26, Z. 10, während sich geringfügige Ab- normitäten derselben ergaben in Fall 24 und 35. Allen Fällen von Mittelhirntaubheit gemeinsam ist das Vorhandensein von Compression oder von eigentlicher Zerstörung der Haube (resp. der Capsula interna).

Sehen wir zum Vergleich uns um bei denjenigen Fällen, wo die Affection auf die Vierhügelplatte sich beschränkte, so sind dies, soweit die Beschreibung einen Schluss erlaubt, blos die Fälle 2 und 3, die 3 letzten Fälle von Nothnagel 14,21 und 23, die 2 Fälle von Bristow 16 und 20, der 3. Fall von Lichtheim (30), sowie die Fälle 32 und 33%). (Den Fall Pawinsky habe ich absichtlich hier nicht auf- geführt, da bloss die beiden vordern Hügel sich erkrankt fanden). Bei all’ diesen relativ reinen Fällen von Tumoren der Vierhügel allein fand sich das Gehör intact.

Ein besonderes Interesse verdient in dieser Hinsicht auch der Fall 39, sowie ein Befund von Curschmann (Berlin. klin. Wochen- schr. 1877, S. 237): In ersterem Falle wurde der Exitus beschleunigt durch einen operativen Eingriff und die dabei angewandte Chloroform-

1) Hierzu käme noch der Fall von Hosslin (Zirbeldrüsentumor).

durch Geschwälste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 71

narcose, sodass die Affection, da die Kranke in einem ausserordentlich frühen Stadium zur Section gelangte, bis zum Tode das Bild einer ziemlich reinen Vierhügelerkrankung bewahrte. Die Vierhügel waren total verschwunden, trotzdem erwies sich unmittelbar vor dem Tode das Gehör auf einer Seite ganz intact, auf der andern Seite bestand eine Knochenaffection und wahrscheinlich Panotitis. Ebenso heisst es in dem Falle Curschmann: »Gehör normal«; die Section ergab, dass ein Tumor des vordern Theiles des Kleinhirnwurms die Vierhügel zu Papierdünne comprimirt hatte. Alle diese Fälle bilden das Gegenstück zu Tabelle II und zeigen in Uehereinstimmung mit derselben, dass eine auf die Vierhügelplatte beschränkte Läsion des Mittelhirns keine Hörstörung hervorruft. Das nämliche gilt von den wenigen Beobachtungen hämorrhagischer Herde in der Vierhügelgegend, obwohl letztere überschritten wurde. (Vergl. die Fälle von Serres ®), Jackson ®%), Bastian 5°), Jacob 4°) und Peltzer 5). Dass die Läsion der Haube durch Geschwülste stets von Hörstörung begleitet sein muss, folgt zwar nicht aus unserer Statistik; und in der That zeigen sowohl anatomische als klinische Beobachtungen, dass cen- trale Zerstörung der Haube in dieser Beziehung ohne Folgen bleiben kann. Indessen dürfen wir daraus keine zu weit gehenden Schlüsse ziehen; denn auch in Fällen, wo ausgedehnte Zerstörung der Haube und möglicherweise auch Schwerhörigkeit vorhanden war, können in Folge verschiedener Umstände (noch nicht entwickelte oder herabgesetzte Intelligenz des Kranken, fehlende oder unzulängliche Untersuchung) Notizen über Eintritt von Schwerhörigkeit fehlen (vergl. in unsrer Tabelle die Fälle Bruns, Scarpatetti, Kolisch, Krafft-Ebing, Marina 3°), Taylor, sowie die Fälle Jacob“) und Eisenlohr ®”), Wir finden sogar in solchen Fällen zuweilen ausdrücklich die Bemerkung »Gehör normal« oder »keine auffällige Gehörstörung«, selbst wenn eine Degeneration der lateralen Schleife bestand (wie in den Fällen Guthrie und Turner, Jolly, Marina) oder wenn die ganze Haube einer Seite bis auf den Hirnschenkelfuss hinunter zerstört war (Taylor, Krafft-Ebing); von andern Beobachtern dagegen wird Hörstörung bei Haubenläsion ausdrücklich erwähnt (vergl. die Fälle Ferrier, Il- berg, Griewe, Ruel von Tabelle III, welche Mangels genügender klinischer Beobachtung von der Tabelle II ausgeschlossen werden mussten.

Von Interesse ist die durch Weinland schon constatirte That- sache, dass in denjenigen Fällen, wo Schwerhörigkeit intra

72 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

vitam bemerkt und post mortem Degeneration der lateralen Schleife gefunden wurde, erstereallein oder hauptsäch- lich auf dergekreuzten Seite sich bemerkbar macht (vergl. die Fälle Ferrier, Ilberg, Griewe, Ruel der Tabelle III und Gauderer-Steinbrügge der Tabelle II).

Einen Gegensatz hierzu bildet, wie ich bei genauer Durchsicht der Fälle finde, der Fall Hope, wo die stärkere Herabsetzung des Hörver- mögens auf der nämlichen Seite beobachtet wurde, auf welcher die aus- gedehntere Läsion im Mittelhirn sich vorfand. Einen ähnlichen Befund ergab der Fall Mohr (angeführt bei Schrader?) S. 3). Im Ganzen bringen aber diese klinischen Beobachtungen doch für die Mehrzahl der Individuen eine Bestätigung der Anschauung der Anatomen, dass die Fasern der centralen Acusticusbahn sich auf der zwischen Vierhügel und Labyrinth gelegenen Strecke zum grössten Theil kreuzen. Individuelle Variationen im Verhältniss der gekreuzten zu den ungekreuzten Fasern mögen zu- weilen vorkommen; das ausnahmsweise Ueberwiegen von ungekreuzten Fasern im Acustieusstamm würde dann im Fall Hope (und Mohr) die Thatsache bedingen und erklären, dass die Schwerhörigkeit, welche übrigens beiderseits bestand, nicht contralateral, sondern auf der näm- lichen Seite wie die Haubenläsion stärker ausgesprochen war. Das Vor- handensein von Rückkreuzungen in der Vierhügelgegend, wie sie von Held und Weinland anatomisch festgestellt worden sind, müssen viel- leicht auch noch in Betracht gezogen werden bei der Aufstellung eines Erklärungsversuches für die erwähnte Erscheinung in den beiden letzten Fällen.

An dieser Stelle möge auch noch die Bemerkung eingestreut werden, dass Gowers der Erste war, welcher anlässlich der Besprechung seines Falles (11) auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass der Eintritt von Schwerhörigkeit (bei Vierhügeltumor) von einer Läsion der dorsalen Parthieen der Hirnschenkelliaube abhänge. |

Von den 11 Fällen unserer Tabelle II fand sich bei 10 (= 91 °/,) Hydrocephalus internus und zwar bei 5 derselben hochgradig; ausserdem wird in 7 Fällen Abplattung der Hirnwindungen angeführt. Es ist dies eine pathologisch-anatomische Veränderung, welche wir nicht stillschweigend übergehen können, da schon mehrfach die Frage aufge- worfen worden ist, ob für den Acusticus nicht ähnliche Verhältnisse wie für den Opticus vorliegen und ob die nämlichen Ursachen, welche hier zu Veränderungen des Augenhintergrundes führen, nicht auch dort

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 73

Schädigung der Nervenendstellen und damit Functionsstörungen hervor- rufen könnten.

Namentlich ist es Moos, welcher einen solchen Zusammenhang mehrmals zum Gegenstand von klinischen Untersuchen gemacht hat; doch kommt dieser Autor zu keinem positiven Resultat, weder in seiner Arbeit »Ueber das combinirte Vorkommen von Störungen im Seh- und’ Gehörorgan« (Arch. f. Augen- u. Ohrenheilkunde, Bd. VII 1878, S. 508), noch in seinem am internat. Otologencongress in Basel 1884 gehaltenen Vortrage: »Zur Genese der Gehörstörungen, sowie über den diagnostischen Werth von Stimmgabelversuchen bei Gehirntumoren«. In der ersteren Publication hebt er namentlich die Thatsache hervor, »dass Hirntumoren fast immer (nach Leber 95,4°/,) mit Papillitis oder papillitischer Atrophie verbunden sind, während verhältnissmässig viel weniger Gehör- störungen (11—28°/,) dabei vorkommen«; schon auf Grund dieser auf- fälligen Differenzen bezweifelt er, dass die Papilla basilaris des Labyrinthes unter dem Einflusse des intracraniellen Druckes sich ähnlich verhalte wie die Papilla nervi optici.

In der erwähnten zweiten Arbeit bespricht Moos einerseits die Verhältnisse, welche eine Fortpflanzung des Gehirndrucks auf das Labyrinth ermöglichen könnten; anderseits aber zeigt er auch an einzelnen Beispielen, wie Gehirndruck und Gehörstörung in ihren Inten- sitätsgraden durchaus nicht immer parallel verlaufen, sondern sich oft derart diametral entgegengesetzt verhalten, dass diese Frage noch einer weitern Prüfung bedürfe. »Ignoramus, sagen wir aber nicht ingnora- bimus, sondern gehen wir an die Arbeit!« Das sind die für seine Denkweise ganz characteristischen Worte, mit welchen Moos diesen Vortrag schloss. Es darf wohl kaum als Zufall bezeichnet werden, dass gerade unter den vier von Moos als Beispiele aufgeführten, eingehend erörterten und mit Sectionsbericht versehenen Fällen von Hirntumoren sich zwei finden (Fall Wagner und Gowers), die wir auf Grund unserer heutigen Kenntnisse nun als typische Fälle von Haubentaubheit bezeichnen müssen. Letzteres gilt auch yon dem Fall Steinbrügge- Gauderer (vergl. No. 24 von Tabelle I und II), bei welchem es sich um einen Tumor der Zirbeldrüse, der Vierhügel und der Hirnschenkel- haube handelte und wo die mikroskopische Untersuchung des der Leiche entnommenen Felsenbeins eine derartige Depression der Reissner’schen Membran und Auswärtswölbung der runden Fenstermembran ergab, dass Steinbrügge glaubt, dieselbe ansehen zu müssen als das Endresultat

74 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

einer vom subduralen Raume ausgegangenen und auf die Scala tympani fortgeleiteten Drucksteigerung.

Schon anlässlich jenes Vortrages in der otologischen Section der Naturforscherversammlung in Heidelberg wurde in der Discussion er- wähnt (Barth, Habermann), dass solche Verbiegungen der M. Reissneri bei ganz normalen Schnecken vorkommen. Nach meiner Er- fahrung hat die Depression der Reissner’schen Membran im entkalkten Präparat ihre letzte Ursache unzweifelhaft in der absichtlichen oder zu- fälligen Verlegung der Abzugswege für die Gasblasen, welche im knöchernen Labyrinth unter dem Einflusse der zu Entkalkungszwecken angewandten Säure entstehen. Schon eine falsche Lagerung des Knochens kann genügen, weshalb anzurathen ist, dafür besorgt zu sein, dass die künstlichen, durch Ausheben des Steigbügels oder durch den Schnitt geschaffenen Oeffnungen des Labyrinthes aufwärts gerichtet sind. Da nämlich nur die vestibulare und die tympane Scala, nicht aber der Ductus cochlearis von ausgedehnten Knochenflächen direct eingeschlossen ist (man denke an das dicke Ligamentum spirale). so entwickeln und sammeln sich diese Gasblasen ausserhalb des Ductus in den Scalen, wo sie unter den obengenannten Verhältnissen einen bedeutenden Ueber- druck entwickeln !). Wenn in einem solchen Fall später nach der Celloidineinbettung diese Gasblasen nicht mehr vorhanden sind, sondern nur noch die von ihnen verursachten Verbiegungen, so beweist dies nichts gegen die hier gegebene Erklärung. Conform mit letzterer habe ich in Celloidincorrosionen, welche erst nach der Imprägnation mit Celloidin der Säure ausgesetzt werden (vergl. meine Arbeit über die Blutgefässe im Labyrinth des menschl. Ohres 1894), nie eine Depression der Corti’schen Membran gefunden; eine solche fehlte auch in beiden vor der Celloidineinbettung entkalkten Labyrinthen des von mir untersuchten Falles 26.

Abgesehen davon, dass in all’ unsern Fällen die Schwerhörigkeit sich durch Haubenläsion erklären lässt, möge hier auch noch die That- sache hervorgehoben werden, dass unter den 12 Fällen mit hochgradigem Hydrocephalus internus, nur 5 = 42°/, (27, 38, 40, Z. 6 und Z. 9) Hörstörung zeigen. Indessen ist die

1) Wenn der endolymphatische Raum vor der Entkalkung, wie dies ge- wöhnlich geschieht, an irgend einer Stelle, z. B. an einem Bogengang eröffnet worden ist, so treffen die Bedenken, welche Ostmann mit Recht erhoben hat: gegen das Axiom der compressiven Wirkung vom perilymphatischen Raum aus begreiflicher Weise hier nicht zu.

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 75

Procentziffer (91 °/,), welche sich bei den Schwerhörigen der Tabelle II für das Vorkommen des Hydrocephalus internus findet, doch auffallend gross, indem sie fast um die Hälfte höher ist als die auf die Gesammt- summe aller 58 Tumoren (Tabelle I) zu berechnende Ziffer (65,5 °/,). Dies Missverhältniss ist aber nur ein scheinbares und lässt sich leicht daraus erklären, dass einerseits in der Tabelle II die Tuberkelge- schwülste, welche seltener mit Hydrocephalus einhergehen, nur mit einem Fall vertreten sind, und dafür die schnellwachsenden, die Vena magna Galeni durch Raumbeengung gewöhnlich zu mechanischem Ver- schluss bringenden Sarcome, Gliosarcome und Gliome nummerisch im Vordergrund stehen; auf Tabelle I aber sind die Tuberkel ausser- ordentlich stark vertreten.

Dass indessen der Einfluss des Hirndrucks auf den Acusticus in functioneller Beziehung doch nicht ganz bedeutungslos ist, zeigt die interessante Beobachtung von Besold (Fall 43), wonach während der spontanen Erweiteruug der Schädelhöhle auch das Hörvermögen sich für längere Zeit wieder hob.

Was den Beginn, den Verlauf und die Dauer der Hirn- affectionen bei den Fällen der Tabelle II anbelangt, so wäre etwa Folgendes von Interesse: Das erste Symptom ist meistens Kopfschmerz (in 9 Fällen); zugleich einleitend: Erbrechen (Gauderer, Besoldll, Daly, Zenner), Abnahme des Sehvermögens (Wagner, Christ), Aufregungszustände (Klebs, Gauderer), ein kurzer apoplectischer Anfall (Besold I, Daly). Im Fall Hope traten gleich im Anfang Schüttelkrämpfe, im Fall Weinland die Zeichen cerebellarer Ataxie auf. Ueber die in der Folge hinzutretenden weitern Symptome giebt die Tabelle II Auskunft. Nach der Häufigkeit geordnet, ergiebt sich untenstehende Reihenfolge:

Opticusaffection (bedeutende Herabsetzung oder gänzl. Vernichtung der Sehkraft) 11 Fälle = 100°/, davon Erblindung 6 (totale Erblindung 4).

Kopfschmerz. . . . ». 2. 2 2... 1 = 100° Erbrechen. » 5 & x. 58 ze. Vs 1% Veränderte Sprache (Dysartbrie) . . . 8 a == Th

verlangsamt 6,

(davon in Aphasie resp. Anarthrie über- gehend 1),

nur vorübergehend Articulations-Störung 1,

rapid zunehmende Unverständlichkeit 1.

76 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Störung der Bulbusbewegung . . . . 8 gt e, e worunter Lähmung der Augen- muskeln 6. In 2 dieser Fälle Freibleiben der Recti interni und externi. Parese des Abduceus allein 2. Mitbetheiligung des Trochlearis 1 Mitbetheiligung des Aducens 1 Blosse Coordinationsstörung der Bulbus- bewegung 2; blosse Abschwächung der Convergenz- reaction 1. (Myosis einseitig —; ohne Betheiligung der exterioren Muskeln 1). AtaxXle S e s- a oe e op a a ee Er N, (alle 7 Fälle mit Störung der Action der Augenmuskeln).

Epileptische Anfälle . . 2. 2 22. = 64), Motilitätsstörungen des Rumpfes und der Extremitäten . . . u IR e. By e en AE worunter ana —= 0 Tremor 3.

Contracturen der Extremitäten 3. Opisthotonos 1.

Tetanische Krämpfe 1. Schüttelkrämpfe 1.

Facialislähmung . . ee D g S A 3 bleibend, 2 O

Incontinenz . .. d o = 36h (alle in den sten EE nu

Störung der Sehnen- und Muskel-

reflexe. .. © £ a = 36h (3 mal erhöht, imal N me re a D E e = EE

2 bleibend, 1 Ee

Temperatursteigerung. e A = 27h

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d.Haube. 77

Sensibilitätsstörungen in Stamm und Ex- tremitäten . . . . SF. va "e ZER (worunter nur in 1 Fall Hernbieisung der Sensibil.). Polyphagie . . . u g 2 a == 189

Schwindel (beim ne. be ne A ee SO

Eine Vergleichung der Tabellen I und II ergiebt kein wesentliches Differiren der Procentzahlen für die Häufigkeit der genannten Symptome. Nur die Sprachstörungen und die Störungen der Opticusfunction machen davon eine Ausnahme. indem dieselben sich bei Tabelle II häufiger finden. Es resultirt dies wahrscheinlich aus dem Umstande, dass die Läsionen in den Fällen der Tabelle II meistens recht ausgedehnte sind und daher auch näher an den Tractus opticus und an die Fussschleife heranreichen. Besonders für den Ohrenarzt interessant ist die That- sache, dass Schwindel (beim Liegen) in sämmtlichen Fällen fehlt; er tritt nur scheinbar als solcher in den Rahmen des klinischen Bildes hinein, und zwar in einer Form, welche als Theilerscheinung des Symptomenplexes der Ataxie, als Unsicherheit des Gehens und Stehens (Romberg’sches Phänomen) vom eigentlichen Schwindel scharf abge- trennt werden kann.

Die Dauer der Affection vom Auftreten der ersten Symptome bis zum Tode war auch innerhalb der Gruppen, bei deren Bildung uns der patholog,-anatomische Befund resp. die Natur des Tumors in erster Linie massgebend war, eine sehr verschiedene. Sie betrug in den am raschesten verlaufenden Fällen (11, 24) bloss 2 Monate; am längsten war sie im Fall 43, wo ein Auseinanderweichen der Kopfnähte die raumverengernde Wirkung des Tumors einige Zeit zu paralysiren ver- mochte. In dem schon anderorts von uns erwähnten Fall Mackenzie *?) (Angiosarcom?), wo es sich um ein 17 jähriges Mädchen handelte und wo somit eine derartige Hülfe der Natur nicht mehr möglich war, fand sich trotzdem eine ebenso lange Krankheitsdauer der Affection.

VI. Symptomatologie der auf Haubenläsion beruhenden progressiven Gehörabnahme (Tabelle II).

a) Beginn, Verlauf und Ausgang. Das uns am meisten interessirende klinische Bild der Ge-

hörstörung selbst tritt relativ spät zu den übrigen Symp- tomen hinzu; in einem einzigen Fall (Gowers) geschah dies schon

78 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

nach 1 Monat, am längsten nämlich 18 resp. 20 Monate fehlte es in den Fällen 35 und 42, während in den übrigen Fällen 3—6 Monate nach Beginn der Hirnaffection auch die Hörstörung sich geltend zu machen begann. Da aus den Daten der Sectionsprotokolle un- zweifelhaft resultirt, dass fast alle diese Tumoren von der Zirbeldrüse ausgegangen sind, also zuerst die Vierhügel "und erst später die tieferen Parthieen des Hirnstammes zerstört resp. comprimirt haben, so darf das relativ späte Einsetzen der Schwerhörigkeit von uns wohl ebenfalls an- gesehen werden als eine der Stützen für die Behauptung, dass nämlich die Vierhügel allein kein Hörcentrum enthalten.

Zunächst nur auf einem Ohr beginnende Schwerhörig- keit ist notirt in 27,2 °/,, nämlich in den Fällen 10, 26, 35.

Mit Ausnahme des Falles Weinland, wo die Krankengeschichte uns im Ungewissen lässt, ob das eine Ohr ganz normal ist, finden wir im weitern Verlauf stets beiderseits Schwerhörig- keit resp. Ertaubung eintreten. Die Gehörabnahme schritt in den einzelnen Fällen ganz verschieden rasch vorwärts: in Fall 4 traten anfangs die Verschlimmerungen nur anfallsweise und vorübergehend auf als Begleit- und Folgeerscheinung eines apoplectiformen Anfalls (ähnlich den Gesichtsfeldverdunklungen im Fall Reinhold), in Fall 43 zeigte sich mit dem Auseinanderweichen der Kopfnähte eine lang anhaltend bedeutende Besserung des Gehörs. Im Ganzen ergiebt sich aber, dass die Schnelligkeit der Gehörabnahme proportional ist der Schnelligkeit des Krankheitsverlaufes überhaupt. So sehen wir den Patienten von Gowers (11) einen Monat nach Beginn der Erkrankung schwerhörig werden, im Lauf von 8 Tagen gänzlich ertauben und 1 Monat später am Hirntumor zu Grunde gehen; ähnlich wird der Verlauf bei Fall 24 gewesen sein. Bei den Kranken von Besold und von Weinland trat die Schwerhörigkeit erst nach 6, resp. 18 und 20 Monaten ein und machte nur langsame Fortschritte.

Begleitende subjective Geräusche finden sich nur in einer kleinen Minderzahl (18,2 °/,) erwähnt (vergl. Fall 4 und 26) und zwar traten dieselben bloss im Anfang auf; der Charakter dieser Geräusche ist bei Fall 26 etwas ungewöhnlich, insofern hier 3 verschiedene sub- jective Gehörswahrnehmungen von dem intelligenten Kranken deutlich unterschieden und spontan zu Protokoll gegeben wurden. Jedes dieser 3 Geräusche war durch eine besondere Höhe charakterisirt. Das »schnarchende« Geräusch entsprach offenbar einer Reizung derjenigen

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d. Haube. 79

Fasern, welche der cerebralen Leitung für die tiefsten Töne dienen. Das mittelhohe Geräusch entsprach einem musikalischen Ton und war demgemäss vermittelst der Stimmgabelreihe leicht festzustellen.

Als Endresultat der Gehörabnahme finden wir in unserer Tabelle II meistens (82,7 °/,) beidseitige Taub- heit, nämlich:

1. totale Taubheit für Sprache beiderseits

in den Fällen 4, 10, 11, 26, 43, 2:8 Summa 6= 54,5 | 82,7

2. beinahe gänzliche Taubheit beiderseits u

in den Fällen 42, 2:10 . . . 2.2.2.2 =18,2

3. hochgradige Schwerhörigkeit für laute

(Conversations-) Sprache beiderseits in M den Fällen 22, 24, 35 e p 8=27,3 h

Eine scharfe Trennung zwischen den Gruppen 1 und 2 ist wohl unmöglich und hat auch keinen grossen Werth. Wichtiger ist die That- sache, dass die Gruppe 3 diejenigen Fälle umfasst, bei denen die Läsion der Haube eine weniger ausgedehnte war: in den beiden ersten Fällen ist die obere Haubengrenze (der Aquaeductus) nur theilweise zerstört; das nämliche scheint auch in Fall 35 der Fall gewesen zu sein. Dass in Fall 11 trotz der oberflächlichen Hauben- läsion doch complete Taubheit eintrat, bildet mit Rücksicht auf den speciellen Sitz dieser relativ unbedeutenden Zerstörung eine werthvolle klinische Stütze für die anatomisch begründete Anschauung, dass die centrale Cochlearisbahn im Mittelhirn durch die lateral-dorsale Partie der Hirnschenkelhaube d. h. durch die laterale Schleife verläuft.

Dass die Schwerhörigkeit in allen unseren Fällen der Tabelle II schliesslich eine doppelseitige ist, erklärt sich daraus, dass der Process hier durchgängig nicht durch eine intercurrente Krankheit unterbrochen wurde, sondern so lange sich ausdehnen konnte, bis beide Seiten der Haube der Zerstörung anheimgefallen waren. Selbstver- ständlich ist dies Verhalten für diejenigen Fälle, bei denen der Tumor von der Zirbeldrüse, also von der Mittellinie ausgegangen ist.

b. Ergebnisse der functionellen Prüfung.

Wie Freund richtig bemerkt, dürfen wir eine Affection des schall- empfindenden Apparates erst dann als wohlbekannt bezeichnen, wenn die klinische Beobachtung gestützt wird durch den Sectionsbefund. Erstere hat sich zu erstrecken auf allfällige Symptome der Erkrankung

80 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

nicht nur des Acusticus, sondern des gesammten Nervensystems; letztere muss die makroscopische und mikroscopische Untersuchung des Gehör- organs umfassen. Soll das erste dieser vier Postulate erfüllt sein, so müssen genügende Daten vorliegen über:

1. u. 2. Die Prüfung der Luftleitung mittelst Sprache und conti- nuirlicher Tonreihe zur Bestimmung der Hörweite und des percipirten Scalenstückes:

3. u. 4. Die Prüfung der Knochenleitung (nach Weber u. Schwabach) und Vergleichung derselben mit der Luft- leitung (Rinne).

Selbstverständlich kann das functionelle Prüfungsergebniss für den pathologischen Befund in Nerv und Labyrinth nur dann als typisch bezeichnet worden, wenn Erkrankungen des schallleitenden Apparates fehlen; wenn es sich um die Prüfungsergebnisse bei einer centralen Störung handelt, so muss ausserdem auch eine Erkrankung des Laby- rinthes (und des Acusticusstammes) ausgeschlossen werden können; nur in diesem Falle sind wir berechtigt, das Resultat künftighin als diffe- rentiell-diagnostisches Moment zu verwerthen.

Unter unsern 11 Fällen von Hiruschenkelhauben-Schwerhörigkeit wird nur derjenige von Christ-Siebenmann sämmtlichen fünf ge- nannten Anforderungen gerecht !); überhaupt habe ich in der ganzen Litteratur keinen Fall von rein centraler Hörstörung gefunden, wo die Prüfung sich auf alle diese Punkte erstreckt hatte. Namentlich die Bestimmung des durch die Luft percipirten Scalenstückes fehlt bei den zur Obduction gelangten und daher einzig beweienden Fällen durch- gehends.

Letzterer Satz gilt auch für unseren Fall Steinbrügge-Gau- derer; zudem bestanden hier im Mittelohr der einen Seite Residuen . früherer Entzündung, auf dem anderen Ohre eine entzündliche Ver- dickung des Cutisüberzuges des Trommelfells (Otitis externa). Was die übrigeu 9 Fälle unserer Tabelle II betrifft, so fehlt bei ihnen die Obduction des Felsenbeins; die Prüfung der Luftleitung wurde bloss mit der Sprache, im Fall Steinbrügge-Gauderer auch mit der Uhr vorgenommen.

1) Die beiden Felsenbeine wurden von mir in Sol. Mülleri und dann in Alcohol gehärtet, mit Salpetersäure entkalkt, in Celloidin eingebettet und in Serienschnitte zerlegt. Ein Theil der letzteren wurde auch nach Pal-Weigert gefärbt. Nirgends ergab sich die geringste Anomalie.

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u.d.Haube.. Si

Wir müssen somit bezüglich der Ergebnisse der Stimmgabelprüfung uns in der Hauptsache auf die Besprechung des Falles Christ-Sieben- mann beschränken; immerhin aber ist vorauszuschicken, dass die Kopfknochenleitung in sämmtlichen drei Fällen, bei welchen darauf hin untersucht wurde, hochgradig ver- kürzt oder ganz aufgehoben war. Im Fall Hope wurde die Stimmgabel beim Aufsetzen auf den Scheitel im besseren Ohr | gehört, während im Falle Christ das Resultat kein bestimmtes war. Der Weber’sche Versuch erwies sich also zum mindesten als unzuverlässig. |

Im Falle Christ hatte ich Gelegenheit, die Grenztöne zu ver- schiedenen Malen und zwar sowohl im Anfangs- wie im Endstadium zu bestimmen. Dabei ergab sich auf beiden Ohren eine fort- schreitende Einengung des percipirten Gebietes der Ton- scala und zwar sowohlvon der oberen als von der unteren Grenze her. Höchst interessant und wahrscheinlich auch von patho- gnomonischen Werth war die Beobachtung, dass anfänglich (Ende August) Pat. rechts, also auf dem besseren Ohre noch lückenlos von Galton 1,8 (normal 1,5) bis hinunter zu A-, alle Töne percipirte; F-; dagegen und alle tiefern Töne wurden nicht mehr gehört. Es fehlte also am oberen Scalenende, wenn man den Umfang der Galtonpfeife meiner Be- stimmung entsprechend als 1!/, Octaven rechnet, höchstens ein ganzer, Ton, während am unteren Ende schon mehr als 1!/, Octaven ausge- fallen waren. Später machte die Einengung am oberen und unteren Scalenende ungefähr die nämlichen Fortschritte und es reducirte sich schliesslich das Hörvermögen auf diejenigen Töne der verwendeten Ton- quellen, welche dem normalen Ohre am stärksten erscheinen. Diese Strecke liegt in der Mitte der normaler Weise percipirten Strecke.

Es nimmt also bei derjenigen centralen Hörstörung, welche aus einer Läsion der Hirnschenkelhaube resultirt, das Perceptionsvermögen zuerst fast ausschliesslich für die unteren Töne, im weiteren Verlauf aber für alle Töne der Scala gleichmässig ab.

Bei graphischer Wiedergabe dieser Resultate nach dem Vorgehen Bezold’s®2) müsste dasselbe im Anfangsstadium seiner Gruppe VI Hörreste bei Taubheit nach cerebralen Processen, im späteren Stadium aber den Inseln der Gruppe I eingereiht werden. Speciell würde unser Fall 26, wenn man diese Parallele weiter verfolgen wollte, am meisten Aehnlichkeit haben mit Fall 56 Bezold’s, bei welchem auf einem

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd XXIX. 6

82 F.Siebenmann: Ueber die centrale Hörbahn u. üb. ihre Schädigung

Ohr das Anfangsstadium ein kleiner Defect oben, ein grösserer unten —, auf dem anderen Ohr ein fortgeschritteneres Stadium des nämlichen Zerstörungsprocesses -— Insel in der viergestrichenen Octave zu erblicken wäre. Der Bezold’sche Fall und der unsrige decken sich auch noch darin, dass keine Tonlücken vorhanden sind und dass trotz des grossen percipirten Scalenstückes das Verständniss für die Conversationssprache hochgradig reducirt resp. ganz aufgehoben ist.

Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich deutlich hervor- heben, dass keine dieser Stufen der allmähligen Ertaubung im Falle Christ-Siebenmann etwas Characteristisches aufweist bezüglich des functionellen Prüfungsresultates, ausgenommen das Anfangsstadium, in ` welchem wir für die Knochenleitung das Schema der Labyrintherkrankung, für die Luftleitung aber dasjenige der Mittelohrerkrankung erhalten. Als Endresultat erblicken wir ja hier die »Insel«, wie sie als Hörrest auch anderwärts z. B. bei Labyrinthaffection von Schwabach ’°) und Bezold®°°), bei Acusticusaffection von Moos’*) und Habermann) beobachtet worden ist. Wichtiger in pathognomonischer Hinsicht ist die eigenthümliche Art der successiven Verschiebung der Tongrenzen. Auch hier kommt also die für die Diagnostik im Allgemeinen namentlich aber auf dem Gebiet der Neuropathologie allgemein anerkannte Thatsache klar zum Ausdruck, dass es nämlich oft schwierig, zuweilen sogar unmöglich ist, aus dem klinischen Endresultat eines Krankheitsprocesses einen Rück- schluss auf die eigentliche Natur des letzteren zu machen und dass es gar oft dazu auch der Beobachtung früherer Stadien bedarf.

Einer kurzen Erwähnung werth ist die anfangs wiederholt bei meinem Kranken (Fall Christ) constatirte Thatsache, dass die Hördauer der Stimmgabel a! für Knochenleitung zwar hochgradig herabgesetzt, der Rinne’sche Versuch aber, trotz jeder Abwesenheit von Mittelohr- affection, verkürzt ausfiel (7 resp. 5 statt 15—20‘). Eine Erklärung für diese auffällige Erscheinung ist meines Erachtens zu finden in der hier nothwendig gewordenen abnormen Stärke, in welcher wir die Stimmgabel schwingen liessen, sodass dieselbe vom Warzenfortsatz durch die Luft percipirt wurde; weniger wahrscheinlich ist es, dass der intelligente Kranke das Fühlen und Hören der Stimmgabeltöne, welche er laut diesbezüglicher Prüfung genau zu unterscheiden vermochte, hier regelmässig verwechselt hätte. Jedenfalls darf in Anbetracht des schon in frühem Krankheitsstadium hier ausserordentlich verkürzten resp. auf- gehobenen »Schwabach« nicht recurrirt werden auf die übrigens anscheinend rein klinische, der Sectionsbefunde entbehrende und daher

durch Geschwüälste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube. 83

nicht einwandfreie Beobachtung von Politzer°!), welcher bei Hör- störung durch Hirntumoren die Perception für Uhr und Hörmesser durch die Kopfknochen intact und nur dann fehlend fand, wenn die Schwerhörigkeit einen sehr hohen Grad erreicht hatte«.

Ein höheres theoretisches und diagnostisches Interesse knüpft sich an diese Fälle bezüglich der Beantwortung der Frage, wie sich hier die Reflexe bei relativ unerwarteten Schalleindrücken verhalten, ob dieselben in Form von Zusammenschrecken, Abienkung der Augen, Drehen des Kopfes, Blinzeln etc. auch dann noch auftreten, wenn die corticale Bahn in der Gegend der vorderen Vierhügel unterbrochen und Patient taub ist. Nach den Experimenten nicht nur von Goltz, sondern auch von Munk werden ja in der Regel auch beim grosshirnlosen Hunde solche »abwehrende schützende Reflexbewegungen« niemals vermisst. Besondere Untersuchungen nach dieser Richtung sind bei unseren Kranken keine angestellt worden; von zweien wird zwar gesagt, dass auch nach ihrer Ertaubung ein Zuschlagen der Zimmerthüre zuweilen reflectorische Körper-Bewegungen hervorgerufen habe; doch ist es wohl einleuchtend, dass in diesem Falle nicht nur eine Schalleinwirkung, sondern auch eine starke Erschütterung zur Anwendung gekommen ist und dass somit von einem positiven Resultate hier keine Rede sein kann. Solche Unter- suchungen scheitern an dem Umstand, dass diese Individuen schon frühe ein auffallend apathisches Wesen an den Tag legen, sogar gänzlich be- wegungslos stundenlang dasitzen können.

Bezüglich des Verhältnisses der Hirnschenkelhauben-Erkrankung zur Taubstummheit wissen wir bis jetzt sehr wenig. Nach Mygind (Taub- stummheit 1894, Schwartze’s Handbuch 1893) »haben sich bei Taub- stummen gefundene Veränderungen des Centralorgans ausschliesslich auf das Gehirn, das Kleinhirn und das verlängerte Mark beschränkt«. Die Vierhügel- und Hirnschenkel werden auch in der betreffenden Be- sprechung nirgends erwähnt. Von Tumoren würden wohl einzig das Gumma, event. auch der Tuberkel in Frage kommen, da die übrigen relativ rasch zum Exitus führen. Dagegen sind vereinzelte Fälle von acuter Kernerkrankung des Mittelhirns bekannt, in welcher Taubheit resp. Taubstummheit zurückblieb. Ich selbst habe einen solchen Fall beobachtet, auf welchen ich bei einer anderen Gelegenheit später zurück- zukommen gedenke.

In einem zweiten, chronisch verlaufenden Fall nukleärer Augen- lähmung mit Ertaubung, welchen ich gemeinsam mit Herrn Dr. Rauch und Herrn Dr. Hosch, Privatdocent f. Ophthalmologie zu sehen Ge-

6*

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legenheit hatte, handelte es sich offenbar um einen luetischen Process; denn es trat auf energische Anwendung von Jodkali Stillstand und theilweise Besserung der Symptome ein. Jedenfalls muss bei der Obduction von Taubstummen, besonders wenn intra vitam Augenmuskellähmungen und Ataxie bestanden haben, die Untersuchung sich auch auf die Haubengegend des Mittelhirns erstrecken.

VII. Diagnose der Schwerhörigkeit resp. Taubheit, welche durch einen Tumor der Hirnschenkelhaube hervorgerufen ist.

Die im Titel genannte Diagnose fällt zusammen mit derjenigen eines Tumors der Vierhügel- oder Hirnschenkelgegend, welcher auf die seitlichen Partien der Haube übergegriffen hat. In allen diesen 11 Fällen finden wir 1. Herabsetzung des Sehvermögens; dieselbe geht als Symptom einer directen Läsion des Opticus meistens einige Zeit jedem objectiv wahrnehmbaren Zeichen von Sehnervenalte- ration (Stauungspapille(?), Neuritis optica) voraus. Letztere stellen sich relativ spät ein, fehlen aber niemals. Soweit die Berichte aus der letzten Periode der Krankheit einen Schluss gestatten, treten in der Regel nach 3 —4 Monaten die ersten Zeichen von Atrophie auf. Ueber das Vorhandensein von hemianopischer Pupillenreaction ohne Hemianopie, welches Symptom nach K.nies für die Erkrankung der Vierhügelgegend characteristisch sein soll, geben unsere Kranken- geschichten keine Auskunft.

2. Innervationsstörungen der inneren und äusseren Muskeln des Augapfels, finden sich in weitaus den meisten Fällen; nur selten beschränkt sich die Störung auf die interioren Muskeln. Characterisch für die Kernerkrankung scheint zu sein die doppelseitige Lähmung gleichnamiger Muskeln, da die Kerne der beiden Seiten an einander grenzen. Daneben finden wir aber auch blosses Fehlen der Convergenzreaction, Störung der associirten Bewegung der Seitwärtswender, Accommodationslähmung oder -Krampf.

3. Ataxie, unsicherer Gang bildet nicht die Regel, fehlt aber nur in etwa !/, der Fälle. Nach unserer Statistik (der Tabelle II) bieten alle diese an Ataxie leidenden Kranken auch zugleich die Symptome von Ophthalmoplegie.

4. Tremor, clonische und tonische Spasmen ohneBe- wusstseinsstörung finden sich in etwa der Hälfte der Fälle; |

durch Geschwülste d. Mittelhirns spec. d. Vierhügelgegend u. d.Haube.. 85

5. Facialislähmung ist beinahe eben so häufig.

6. Lähmungen und Anaesthesien der Excemitäten compliciren das Krankheitsbild der Hauben-Taubheit sehr selten. Unter den »diffusen« Symptomen des Hirntumors findet sich immer (meistens schon früh) Kopfschmerz, dessen Localisation keine Regel erkennen lässt; sehr häufig Erbrechen, skandirende Sprache, epileptische Anfälle, erhöhter Sehnenreflex. Der Puls bietet in seinem Verhalten keine Anhaltspunkte für die Diagnose, indem er bald verlangsamt, bald abnorm frequent gefunden wird.

Bei der Diagnosenstellung müssen wir uns stets vergegenwärtigen, dass zwar Irrungen möglich sind (Bruns), dassaber das Zusammen- treffen von atactischem Gang mit Ophthalmoplegie (resp. Accommodations- u. Coordinationsstörung), in Verbindung mit den genannten diffusen, auf einen Tumor hinweisenden Hirn- symptomen die Diagnose in etwa °/, der mit progressiver Schwer- hörigkeit complicirten Fälle ziemlich sicher feststellen lassen. Nach dieser Richtung ist namentlich interessant der allerdings ohne Gehör- störung aber mit Ohrensausen complicirte Fall (Krafft-Eb ing) unsere Tabelle I, bei welchem eine Combination von Hemiataxie mit Lähmung des Oculomotorius der andern Seite bestand; characteristisch scheint auch die Bewegungsataxie zu sein, jene Form von Intentionszittern, wie sie in den Fällen 16, 18, 31, 35 beobachtet wurde.

Indem wir die Spasmen gleich in die 4. Reihe der characteristischen, Symptome setzen, befinden wir uns in Uebereinstimmung mit Gold- zieher (Centralblatt für pr. Augenheilkunde 1893, pag. 44); dagegen hat dessen erster Satz, welcher sich auf Grund einer eigenen Beobachtung eng an die neue Anschauung Nothnagel’s°?) anschliesst und welcher

dahin lautet, dass bei einem den ganzen Vierhügel einnehmenden Tumor

das Sehvermögen vollkommen erhalten sein kann, für unsere Fälle der Tabelle II keine Geltung; denn hier handelt es sich ja, wie wir oben an Hand unseres klinischen Materials deutlich bewiesen haben, nicht mehr um »den Vierhügel«, sondern stets um die »Vierhügelgegend«, inclusive Haube und überhaupt um ausgedehntere, die eigentlichen Vierhügel stets über- schreitende Läsionen. i

Tumoren in den angrenzenden Hirnpartien können ausnahmsweise ähnliche Symptome hervorgerufen.. Als Beispiele dienen die Fälle von Bruns 3%) und Giese*?): Ersterer betrifft einen Tumor des Unter- 'wurmes, letzterer einen solchen des hinteren Balkenendes. Bei beiden

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fehlt aber Gehörstörung, sodass sie für uns kaum in Betracht fallen. Was die Kleinhirn-Tumoren anbelangt, so wissen wir, dass dieselben allerdings häufig zu Hörstörung Veranlassung geben; doch wird die

Diagnose in jenen Fällen dadurch wesentlich erleichtert, dass häufig der Tumor 1. den Acusticusstamm vernichtet 2. mit ihm zu- gleich den Facialis durchsetzt und 3. dessen sämmtliche Aeste lähmt. Absolut sicher ist indessen dieses Merkmal nicht, wie die Zusammenstellung von Bernhardt?) über die Tumoren des Klein- hirns (pag, 213) ergibt: so in seinen mit Augenmuskellähmungen compli- cirten Fällen 5, 12, 17, 25, 51, 62); hier wird man also namentlich sein Augenmerk zu richten haben auf die Art der Augenmuskellähmung, ob dieselbe doppel- oder einseitig auftritt und ob sie den ganzen Nerv oder nur einzelne den betreffenden Kernen entsprechende Wurzelfasern betrifft. Ob die acustische functionelle Prüfung im Anfang der Er- krankung Anhaltspunkte zu geben vermag darüber, ob Stamm oder centrale Bahn erkrankt ist, kann heute nicht entschieden werden, da über das erste Stadium einer solchen Acusticusparese noch keine durch spätere Sectionsbefunde gestützte Prüfungsergebnisse vorliegen, im späteren Stadium aber, wie ich oben schon angeführt habe, die Ergeb- nisse sich nicht mehr characteristisch unterscheiden von denjenigen einer weit vorgeschrittenen Labyrinth- oder Hirnschenkelhaubenerkrankung (Vergl. auch pag. 82). Wenigstens bei langer Beobachtung wird unschwer von den Tumoren zu trennen sein diejenige Erkrankung des Mittelhirns, welche hauptsächlich auf dessen Kerne localisirt ist die Poliencephalitis superior Wernicke, eine Form von progressiver nucleärer Ophthalmoplegie, welche bei chronischem Verlauf in ihren klinischen Endstadien Aehnlichkeit besitzt mit dem uns beschäftigenden Bild des »Vierhügeltumors«, nämlich: Oculomotorius- und Trachlearis- lähmung, Opticusatrophie, Ataxie, Tremor, Erhöhung der Patellerreflexe. Soweit die betreffende Literatur mir zugänglich war, habe ich in keinem der betreffenden Fälle eine progressive Hörstörung erwähnt gefunden; indessen will ich die differentiell-diagnostischen Punkte doch noch kurz anführen, wie dieselben sich ergeben aus den Arbeiten von Wernicke und Böttger-Hitzig°’): Stauungspapille fehlt, dagegen kommt weisse ÖOpticusatrophie zur Beobachtung. Von Anfang an bestehen intellectuelle und psychische Störungen und während in den meisten Fällen bei Tumoren Stupor und Verlangsamung der Sprache sich geltend machen, begegnet man bei der Poliencephalitis chronica superior eher einer Geschwätzigkeit, deren Art nach Böttger den

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Character der Dementia senilis besitzt. Die Annahme Reinhold’s (siehe dessen Fall, Tabelle I), dass bei der Poliencephalis durchgehends die Krämpfe fehlen, trifft für den Fall Böttger nicht zu. Abducens- lähmung kommt bei Poliencephalis häufiger vor als bei Mittelhirntumoren ; dasselbe gilt noch in höherem Grade von den Bulbärsymptomen, welche ‘für die späteren Stadien der Poliencephalitis superior geradezu cha- racteristisch zu sein scheinen. |

Auch auf Tabes muss sich die Anamnese und Untersuchung er- ‚strecken, da hier Augenmuskellähmungen und Schwerhörigkeit, wie u. A. zwei Fälle von Marina-Morpurgo®°) beweisen, combinirt vorkommen und wegen der begleitenden Ataxie zu einem Krankheitsbild führen können, welches beim ersten Blick Aehnlichkeit besitzen dürfte mit demjenigen eines Tumors der Vierhügelgegend.

Ein Fall (11berg) von Gumma des Mittelhirns resp. der Haube mit Augenmuskellähmung, Ataxie und Schwerhörigkeit findet sich auf Tabelle III. Es ist dies indessen eine relativ seltene Localisation der Syphilis. Viel häufiger finden sich basale Processe, welche zu solchen Symptomen führen; Gummata kommen im interpeduncularen Raum nach Uhthoff?°”) relativ häufig vor und erzeugen hier periphere Augen- muskellähmungen, welche zuweilen, namentlich ıbei doppelseitiger Er- krankung, grosse Aehnlichkeit haben mit centralen Lähmungen. Characte- ristisch für diese Art der Ophthalmoplegie, welche bis zum Erscheinen der Arbeit Uhthoff’s als eine nucleare Erkrankung aufgefasst wurde, ist die Accommodationsparese, die Pupillenlähmung; »isolirte Mydriasis giebt oft einen Fingerzeig für die Natur des Processes«. Vergl. auch pag. 58. Ataxie findet sich relativ selten und dann gewöhnlich als spinale an das Gebiet der Tabes angrenzende Erkrankung, dagegen in 40°/, traf Uhthoff (l.c.) Veränderung der Papille (Stau- ungspapille, Neuritis optica und Atrophie). Relativ häufig fand Uhthoff, der sich bei seinen Untersuchungen auf ein aussergewöhnlich grosses pathologisch anatomisches und klinisches Material stützt, bei diesen Formen von luetischer Ophthalmoplegie den Acusticus betroffen. Auch hier handelt es sich in der Regel um Affectionen des Stammes und nicht seiner intracerebralen Leitung. Bei einem solchen Fall, dessen Verlauf ich zu beobachten Gelegenheit hatte und auf welchen ich jeden- falls päter noch zurückkommen werde, zeigte sich interiore und exteriore periphere Oculomotoriuslähmung, progressive Schwerhörigkeit und etwas Ataxie. Eine relativ bedeutende Reduction für die oberen Töne (3,0 statt 1,5) der Galtonpfeife bei Erhaltensein der Perception für die tiefsten

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Töne, wie ich sie hier im Beginn der Erkrankung fand, con- trastirte auffallend mit dem Resultat meiner ersten Hörprüfung bei dem Haubentumor Christ-Siebenmann. Indessen hat ein zweiter ähn- licher Fall von luetischer Acusticusstammerkrankung mir gezeigt, dass dem Resultate der Bestimmung der Tongrenzen (wenigstens der oberen) in differentiell-diagnostischer Beziehung an und für sich kein allzuhoher Werth nach dieser Richtung darf beigemessen werden, indem hier trotz bedeutender Herabsetzung des Hörvermögens die Perception des obersten Stückes der Scala auf annähernd normale Höhe hinauf (2,0) erhalten blieb.

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99 O. Körner: Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine etc. III.

Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine, beider Sinus sigmoidei und beider Orbitae, eine ‚otitische : Phlebitis des Sinus cavernosus vor- _ täuschend. Von O. Körner in Rostock.

| Der folgende Fall beansprucht in mehrfacher Hinsicht ein grosses Interesse. Vor Allem ist das Vorkommen des Chloroms im Schläfenbein in der otiatrischen Litteratur noch nicht bekannt ge- worden; ferner zeigt der Fall, wie der Symptomencomplex, welchen eine ‚otitische Phlebitis des Sinus cavernosus hervorruft, auch. durch eine andere intracranielle Erkrankung zu Stande kommen kann.

Der 6jahrige Hans P. war bis zum Sommer 1895 völlig gesund. Etwa im August 1895 wurde derselbe schwerhörig und klagte häufig über Kopfschmerzen, “die allmälich an Heftigkeit zunahmen. Dazu kam ein Hervortreten beider Augäpfel, namentlich des linken, welches die Eltern veranlasste, den Knaben der Augenklinik 'am 30. September 1895 zuzuführen. Dort wurde ausser dem sogleich zu berichtenden Befunde eine hochgradige Schwerhörigkeit constatiert und deshalb der Knabe der Ohrenklinik überwiesen, woselbst er am 1. Oc- tober aufgenommen wurde.

An dem noch wohlgenährten, aber auffallend blassen Knaben fiel ‚zunächst beiderseitiger, besonders links stark entwickelter Exophthalmus auf. Ferner bestand beiderseitige Abducenslähmung, die links nur wenig, rechts complet entwickelt war. Die Hautvenen der Stirn und des Vorder- kopfs waren stark ausgedehnt. Ferner fiel eine nicht unbedeutende Schwellung beider Schläfengegenden auf. Jedoch ergab sich bei der Betastung eine normale gleichmässige Resistenz auf den beiden Schläfen- muskeln und der Fingerdruck hinterliess keine Delle. Ausserdem war in der Augenklinik beiderseitige, stark entwickelte Stauungspapille ge- funden worden. Die Pupillen waren von gleicher, normaler Weite und reagierten auf Licht. Beide Trommelfelle waren stark vorgewölbt, blass graugelb gefärbt, der Hammer war nicht zu erkennen. Der linke Warzen- fortsatz erwies sich auf Druck sehr empfindlich, jedoch im Uebrigen, ebenso wie der rechte, äusserlich normal. Auch hinter den Warzen- fortsätzen bestand keine Schwellung. Die Venen am Halse waren nicht sichtbar, auch liess sich kein Strang in der Tiefe fühlen. Die sofort beiderseits vorgenommene Punction der Trommelfelle entleerte reichlichen, geruchlosen Eiter. Das Sensorium war frei, die subjectiven Klagen be- schränkten sich auf Schmerzen im ganzen Kopfe, die Temperaturen, im Rectum gemessen, bewegten sich in den ersten Tagen der Beobachtung

O. Körner: Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine etc. o?

zwischen 37,5 und 38,30, der schwache, unregelmässige Puls schlug 104—126 Mal in der Minute.

‚Bei der ersten ` klinischen Vorstellung am Tage der Aufnahme wurde erörtert, dass das Zusammentreffen von Exophthalmus, Stauungs- papille, Schwellung der Stirnvenen und Abducenslähmung mit grosser Wahrscheinlichkeit die Diagnose einer phlebitischen Thrombose beider Sinus cavernosi stellen lasse, und dass diese Erkrankung wahrscheinlich induciert sei durch die beiderseitige eitrige Entzündung der Paukenhöhlen. und die vielleicht bestehende: Entzündung in den Zellen des linken Wearzenfortsatzes. Unerklärt blieb die Anschwellung beider Schläfen- gegenden. Da dieselbe jedoch beiderseits symmetrisch vorhanden war, und bei der Betastung sich weder eine abnorme Resistenz noch auch ein Oedem nachweisen liess; so wurde angenommen, dass es sich um eine individuelle Abnormität im Schädelbau oder in der Entwickelung der Schläfenmuskeln handelte. : Ferner wurde als wahrscheinlich ange- nommen, dass die Phlebitis vom linken Ohre aus inducirt sei, da dieses intensiver erkrankt erschien, und der Exophthalmus auf der linken Seite stärker ausgesprochen war. Dieser Annahme widersprachen nicht die beiderseitigen Augenerscheinungen, da bei der innigen Verbindung beider Sinus cavernosi durch den Sinus circularis der Uebergang der Entzündung von einer Seite auf die andere nicht selten beobachtet wird. Der Weg, den die Entzündung von der Paukenhöhle zum Sinus caver- nosus genommen hatte, konnte ein verschiedener sein. Entweder konnte der Eiter von der Paukenhöhle in den innig benachbarten carotischen Canal gelangt sein und hier den Venenplexus, der die Carotis auf ihrem Wege durch das Schläfenbein umspinnt und mit: dem Sinus cavernosus in directer Verbindung steht, inficiert haben. Die andere Möglichkeit war die Infection des Sinus sigmoideus oder eines der Sinus petrosi von erkrankten Warzenzellen aus und die Fortpflanzung der Phlebitis von da aus bis in den Sinus cavernosus: Immerhin musste an die Möglich- keit gedacht werden, dass auch Tumoren, welche auf die beiden Sinus cavernosi drückten, unabhängig von der Ohreiterung, den beobachteten Symptomencomplex herbeiführen konnten.: Bei einer zweiten klinischen Verstellung wurde diese Schwierigkeit der Diagnose eingehend be- sprochen.

Trotz der Entleerung des Eiters aus den Paukenhöhlen änderte sich der Befund in den nächsten Tagen nicht. Am Abend des, 7. October klagte der .Knabe über heftigere Schmerzen. im linken Ohre und der linke Warzenfortsatz erwies sich mehr druckempfindlich als zuvor. Es zeigte sich, dass die Punktionsöffnung des linken Trommelfells sich ge- schlossen hatte und die sofort vorgenommene nochmalige Punktion ent- leerte wiederum Eiter. Trotzdem liessen die Schmerzen nicht nach und die Temperatur war am nächsten, Tage früh 38,2, Abends 39,2°.. Es wurde deshalb noch am Abend der linke Warzenfortsatz aufgemeisselt. Nicht ohne Bedenken gingen wir an die Narcose, da ja bei dem ge- steigerten intracraniellen Drucke ünd dem elenden Pulse schon die Narcose eine grosse Gefahr mit sich brachte. ‘Eingedenk der Warnung

94 O. Körner: Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine etc.

von 'Macewen, in solchen Fällen niemals Aether zu nehmen, wurde die Chloroform-Narcose gewählt. Die zunächst aufgemeisselten Zellen erwiesen sich normal. Beim weiteren Vorgehen wurde die abnorm tief stehende mittlere Schädelgrube eröffnet. Die Duravenen waren hier auffallend stark gefüllt. Ehe wir das Antrum erreichten, wurde der Puls unfühlbar und die Atbmung sistierte. Die Operation musste unter- brochen werden; mit Aetherinjection und künstlicher Athmung gelang es jedoch, das bedrohte Leben zu erhalten. Die beabsichtigte Aufdeckung des Sinus sigmoideus musste unterbleiben. Bei der Ausspülung des Ohres entleerte sich Wasser aus der Operativnswunde, es waren also wenigstens Zellen eröffnet, die mit dem Antrum mastoideum communicierten.

In den nächsten 5 Tagen nach der Operation bewegte sich die Temperatur zwischen 38,6 und 39,5°, der Puls zwischen 140 und 150. Dann war 4 Wochen lang die Temperatur 37,2—38,1°, der Puls meist 120. In: dieser ganzen Zeit änderte sich in den objectiven Erschei- nungen nichts, nur das Wundsecret nahm einen üblen Geruch an, der jedoch nach häufigerem Verbandwechsel wieder schwand. Das Sensorium blieb klar, der Knabe setzte sich oft im Bett auf und spielte, nur hier und da wurde eine leichte Apathie bemerkt. Die Kopfschmerzen kamen anfallsweise und waren von sehr verschiedener Heftigkeit. Erst am 13. November Abends veränderte sich der Zustand. Es kam ohne Temperaturerhöhung zu Steigerung der Schmerzen, häufigem Aufschreien, Unruhe und Theilnahmlosigkeit bei einem Puls von 144 und einer Athemfrequenz von 66. Am 14. früh wurde deutliche Nackensteifig- keit bemerkt und wenige Stunden später trat Tod ein.

Die Section (Prof. Lubarsch) ergab, dass kein Sinus phlebitisch erkrankt war. Wohl aber fand man beide Sinus transversi in ihren den Schläfenbeinen anliegenden Theilen durch grün gefärbte Tumoren, die von der Sinuswand ausgingen, fast vollständig verstopft. Aehnliche Tumormassen waren, von der Schädelbasis ausgehend, in die Schläfen- beine hinein gewuchert. Auch das Keilbein war mit der Tumormasse durchsetzt. Ferner fanden sich im hinteren Theile beider Augenhöhlen haselnussgrosse Geschwülste und ebensolche bilateral symmetrisch in den Temporalmuskeln. . Die mikroskopische Untersuchung bestätigte die schon wegen der grünen Farbe der Geschwülste makroskopisch ge- stellte Diagnose: Chlorom.

Da Herr Prof. Lubarsch den Fall vom pathologisch-anatomischen Standpunkte bearbeiten wird, will ich auf die weiteren Einzelheiten des Sectionsbefundes nicht eingehen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die vermeintlichen Symptome einer Phlebitis der Sinus cavernosi Exophthalmus, Abducenslähmung, Stauungspapille, Dilatation der Stirnvenen durch die retrobulbären Geschwülste bei nicht erkrankten Sinus cavernosi verursacht waren. Ob die beiderseitige Mittelohreite- rung eine Folge der Tumorbildung oder eine zufällige Complication war, kann nicht entschieden werden. |

John Dunn: Ueber das Wachsthum von Aspergillus Glaucus etc. | 95

IV.

Ueber das Wachsthum von Aspergillus Glaucus in der menschlichen Nase. `

Von John Dunn, MD., Richmond, VA. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Soweit ich aus der mir zugänglichen Litteratur zu ersehen vermag, ist der in Folgendem berichtete Fall der erste, bei welchem das Wachs- thum des Aspergillus glaucus in der menschlichen Nase beobachtet wurde. Schubert (Nürnberg 1889) berichtet allerdings über 3 Fälle, bei denen er in den Absonderungen der Nase den Aspergillus fumiga- tus (?) gefunden haben will. Indessen ist es nach dem von mir einge- sehenen Auszug aus diesem Bericht nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob diese Form des Aspergillus-Pilzes in diesen Fällen so reichlich ent- wickelt war um sie mit blossem Auge sehen zu können; und es ist auch ferner die Frage eine wenigstens bis zu einem gewissen Grade offene, ob dieser Fungus, so wie er von Schubert gefunden wurde, sich in der Nase selbst entwickelte, oder ob er nur eingeatmet war und sich in den Absonderungen, in denen man ihn späterhin fand, abge- lagert hatte. Siebenmann berichtet aus demselben Jahre über einen Fall, bei dem er in Secreten, die post mortem aus dem Nasopharynx entfernt waren, eine der Spielarten des Aspergillus-Pilzes fand. Michel nimmt an, dass die Pilze sich nach dem Tode entwickelten. John N. Mackenzie (N. Y. Med. Journal, Aug. 25. 1894) berichtet über einen Fall von Aspergillus-Erkrankung der Highmorshöhle, veranlasst durch die Anwesenheit eines Aspergillus, den Dr. Flexner als Asper- gillus fumigatus anzusprechen geneigt ist. Leptothrixbildungen im Naso- pharynx sind, glaube ich, nicht so ganz selten, wenigstens verfüge ich aus meiner Praxis über vier gut charakterisirte Fälle dieser Pilz- krankheit.

In dem gleich zu erwähnenden Falle war keine Entzündung der Nase vorhanden, als deren Veranlassuug die Gegenwart des Aspergillus anzusehen wäre, trotzdem dieser Pilz zwei Flächenräume von je ‚a Zoll Durchmesser bedeckte.

Am 20ten Oct. 1894 applicirte ich Herrn B., 68 J. alt, beiderseits an dem nach hinten gelegenen Theile des Septum narium eine Chrom- säure-Aetzung zwecks Verkleinerung einer beträchtlichen Hypertrophie

96 John Dunn: Ueber das Wachsthum von Aspergillus Glaucus etc.

des erectilen Gewebes daselbst. Vierzehn Tage darauf erschien Herr B. wieder bei mir zwecks Wiederholung der Aetzung; eine weitere Behand- lung hatte inzwischen nicht stattgefunden. Die Rhinoscopia posterior zeigte nun, dass die Aetzschorfe noch nicht verschwunden waren, sie schienen vielmehr, bei einer Grösss von je ca. 1 Zoll im Durchmesser, im Spiegel wie bedeckt mit einer bräunlich gelblichen Substanz ähnlich dem Schimmel, wie man ihn wohl auf Fruchtgelee sieht. Nach Ent- fernung der Schorfe und directer Besichtigung derselben fand sich, dass dieser Schimmelrasen sich durch und durch gelblich braun von dem dunkelfarbigen eigentlichen Schorf abhob. Die mikroskopische Unter- suchung dieser Surstanz ergab die Thatsache, dass wir es mit einer der Fungus-Arten zu thun hatten. Wiederholt vorgenommene Unter- suchung von Schnittpräparaten des Gewächses und deren Culturen überzeugte mich, dass es derselbe Pilz sei wie der von Massee als Aspergillus glaucus bezeichnete. (Britische Pilz-Flora, vol. en p. 295. London 1893.')

. Von dem aus der Nase des Herrn B. entnommenen Pilzrasen wur- den noch wiederholt Culturen angelegt und zwar auf Agar-Agar nnd Kleister. Sie wurden zu verschiedenen Zeiten wieder und wieder unter- sucht, trocken und in verschiedenen Flüssigkeiten. Auch wandte ich verschiedene Färbeflüssigkeiten an, die ich nicht weiter erwähnen will, da sie zu unserer Kenntniss von der feineren Structur des Pilzes nichts Wesentliches beitragen. Der auf Agar resp. Mehlkleister gewachsene Schimmel entwickelte übrigens innerhalb weniger Tage die charakteri- stische schmutziggrüne Farbe.

Der. obenerwähnte Fall ist von Interesse. da er zeigt, dass unter gewissen Bedingungen die Sporen des Aspergillus-Pilzes sowohl Mycelien wie Fruchtfäden in der menschlichen Nase entwickeln können. Das Wachsthum des Pilzes war übrigens in diesem Falle von gar keiner Unbequemlichkeit für den Patienten begleitet, vielleicht deswegen weil die Pilzmassen der Schleimhaut selbst nicht mit ergriffen, sondern sich lediglich auf den von der Chromsäure-Aetzung berührenden Schorf be- schränkt hatten. Es mag ferner noch erwähnt werden, dass Herr B: seit Jahren an Diabetes litt. Ein Recidiv der. Pilzwucherung nach Entfernung der Schorfe stellte sich nicht ein. M

.. Folgt die botanische Beschreibung des Pilzes. Anm. d. Vebersetzers.- :

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 97

V. Aus der Abtheilung für Ohrenkranke am Allerheiligenhospital zu Breslau.

Ueber die pyämische Allgemeininfection nach

Ohreiterungen. Von Dr. O. Brieger,

Primärarzt am Allerheiligenhospital.

Zwischen der Aufstellung des „Idealplans* für die operative Be- handlung der Sinusphlebitis durch Zaufal und den ersten, in dieser Richtung unternommenen operativen Versuchen liegt ein Zeitraum von mehreren Jahren, während dessen Zaufal’s Vorschläge der Vergessen- heit anheimgefallen oder wenigstens unbeachtet geblieben waren. Die Mitteilungen über die ersten Operationen, welche nach diesem Plane am Sinus transversus vorgenommen worden waren, fielen dagegen in eine Zeit, in der die Erfolge der Hirnchirurgie und insbesondere die günstigen Resultate der operativen Behandlung vom Ohr fortgeleiteter endocranieller Eiterungen zu activem Vorgehen auch bei der Sinusphlebitis geradezu herausfordern mussten. So kommt es wohl auch, dass wir aus dem relativ kurzen Zeitraum, welcher seit den Publicationen von Lane, Salzer und Ballance verstrich, weit mehr Berichte über operativ behandelte Fälle von Sinusphlebitis besitzen, als man im Verhältniss zu der Gesammtsumme der bis dahin überhaupt bekannt gewordenen Be- obachtungen von Thrombose der Hirnblutleiter hätte erwarten können. Zum Theil erklärt sich dieses Missverhältniss wohl daraus, dass es naturgemäss verlockender und lohnender ist, Resultate eines neuen Operationsverfahrens mitzutheilen, als klinische und pathologisch-ana- tomische Berichte über einzelne Fälle einer seit Langem gekannten Krankheitsform. Danach wäre auch die relativ grosse Zahl der in den letzten Jahren publicirten Beobachtungen von Sinusthrombose eine Unterstützung der Anschauung, dass die Phlebitis der Querblutleiter eine durchaus nicht so seltene Complication eitriger Mittelohrentzündungen darstellt, als man früher allgemein annahm.

In einem anderen Bruchtheil der bekannt gewordenen Beobachtungen aber ist die Annahme der Sinusthrombose nicht durchaus einwandsfrei und selbst in operativ behandelten Fällen nicht immer so absolut sicher begründet, wie man es bei Fällen, in denen der Sinus freigelegt war und sein Inhalt untersucht wurde, als selbstverständlich voraussetzen sollte. Gerade diese haben auch, zum Theil deswegen, zum Theil

Zeitschrift iûr Ohrenheilkunde, Bd, XXIX. 7

98 0.Brieger: Die pyärmische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

aus anderen Gründen, für die Entwickelung der Diagnostik nicht sonderlich viel geleistet, obwohl gerade nach dieser Richtung hin die Möglichkeit, Symptome und Befund unmittelbarer zu vergleichen, als es bei diesen oft durch den raschen Wechsel ihrer klinischen Erscheinungen, wie auch des anatomischen Befunds ausgezeichneten Prozessen bei der Section gelingt, eine‘ besonders günstige Ausbeute zu versprechen schien. Die Erkenntniss von der relativ geringen Gefähr- lichkeit probatorischer Operationen ist hier, wie auch auf anderen Gebieten, der Ausbildung der Diagnostik nicht eben förderlich gewesen. Es ist unzweifelhaft richtig, dass es, um Er- folge in der operativen Behandlung der Sinusthrombosen zu erzielen, hauptsächlich darauf ankommt, frühzeitig, d. h. zu einer Zeit, in der gerade die prägnantesten Symptome der Phlebitis noch nicht vorhanden sein können, zu operiren. Es ist aber andererseits bei der Durchsicht mancher Krankengeschichten unverkennbar, dass nicht selten bei normalem Sinus auf ungenügende Anzeichen hin Explorativoperationen vorgenommen worden sind, welche die Entwickelung der Thrombose begünstigt oder erst ver- mittelt haben. Es ist deshalb immer noch nothwendig, casuistisches Material in möglichst reichlicher Menge zusammenzutragen und das Vorhandene auf seinen Werth für die Diagnose kritisch zu prüfen, um eine breitere, sicherere Grundlage auch für die operative Behandlung der Sinuspblebitis_ zu gewinnen.

I. Die Pyämie ohne Sinusphlebitis.

Unsere Anschauungen über die Beziehungen der otogenen Pyämie zur Sinusphlebitis haben sich in neuerer Zeit wesentlich verschoben. Während noch bis in die letzten Jahre das Auftreten der Erscheinungen der Pyämie als maassgebend für die Diagnose der Sinusphlebitis aner- kannt wurde, ist jetzt sicher festgestellt was schon a priori wahr- scheinlich war dass auch ohne Vermittelung der Thrombose eines Hirnsinus an Ohreiterungen, wie an gleichartige Prozesse an anderen Regionen des Körpers, sich der Symptomencomplex der Pyämie an- schliessen kann. Neben der anscheinend relativ häufigen Form der Pyämie, welche, wie bei der acuten infectiösen Osteomyelitis, durch Osteophlebitis der Knochenvenen vermittelt wird, ist neuerdings noch eine dritte seltene Erscheinungsform septisch-pyämischer Allgemeininfection bekannt geworden, deren erste Paradigmata von A. Fränkel mitgetheilt und der Dermatomyositis zugerechnet worden sind.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 99

Als Dermatomyositis hatte Unverricht einen eigenthümlichen Symptomencomplex beschrieben, als dessen characteristischste Erschei- nungen er multiple Myositiden und eigenthümliche Veränderungen der diesen entsprechenden Hautregionen ansah. In seinen Fällen zeigte sich bei der Section eine eigenthümlich gallertig-ödematöse Beschaffenheit der betroffenen Muskeln, welche vielfach von ‚Blutungen durchsetzt, in stark ödematöses Perimysium eingebettet und von Ödematöser, oft erysipeloid verfärbter Haut bedeckt waren, aber nirgends Tendenz zur Abscedirung zeigten. Dieses Ausbleiben eigentlicher Eiterung unterscheidet diese Form von Myositis in characteristischer Weise von den Muskelabscessen, denen man im Verlaufe der Pyämie relativ häufig begegnet. Unverricht!) hat neuerdings gegen die Einreihung der Fälle von Dermatomyositis, wie sie Fränkel und Schwabach im Anschluss an Mittelohreiterungen beobachtet haben, unter das von ihm gezeichnete Krankheitsbild Ein- spruch erhoben und eingewandt, nicht die Coincidenz von Hautschwellung und Muskelentzündung allein berechtige schon zur Feststellung der Zu- gehörigkeit; man dürfe sich nicht an diese einzelnen Merkmale, sondern nur an das ganze Gepräge des Falls halten. Aber diese localisirten Symptome der Dermatomyositis sind es gerade, die dem Falle das characte- ristische Gepräge geben, während die übrigen dabei beobachteten Erschei- nungen nur der Ausdruck toxischer Allgemeinwirkung sind, und gerade sie scheinen, während sie im Bilde der Septicopyämie sonst nicht beobachtet werden, bei den hierher gehörigen Fällen so übereinstimmend aufzutreten, dass man sie nur künstlich von der klinisch und anatomisch durchaus gleichartigen Dermatomyositis Unverricht’s abtrennen und in die Gruppe der von ihnen wesentlich verschiedenen pyämischen Muskelabscesse einreihen könnte.

Unverricht wendet gegen den ersten Fall Fränkel’s?) der hier allein in Betracht kommt, weil es sich in seiner zweiten Beobach- tung nur um multiple eitrige Myositis gehandelt zu haben scheint ein, der foudroyante Verlauf schliesse die Zugehörigkeit zu der von ihm be- schriebenen Krankheitsform aus. Die Krankheitsdauer ist indessen in diesen Fällen, die nicht mit prägnanten Initialerscheinungen einsetzen, sondern lange latent verlaufen können, so schwer zu bestimmen, dass, wenn man von den ersten markanten Symptomen ab rechnet, der Verlauf schneller erscheinen kann, als er thatsächlich gewesen ist. In einem Falle, welcher auf meiner Abtheilung zur Beobachtung kam,

1) Encyklopäd. Jahrbücher Bd. V.

2) Deutsche med. Wochenschr. 1895.

7*

100 0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

wurden die characteristischen Erscheinungen der Dermatomyositis auch erst wenige Tage ante mortem festgestellt, während der wirkliche Be- ginn offenbar viel länger zurücklag.

G. B., Tischlergeselle, 39 Jahr alt, wegen chronischer Mittelohr- eiterung in poliklinischer Behandlung, während deren auffällig rascher Zerfall des Trommelfells auffiel. Otoskopisch grosse nierenförmige Perforation; Fistel über proc. brevis. Pat. sieht auffällig anämisch aus, klagt über Mattigkeit und Schwäche, die seit längerer Zeit bereits be- stehen soll, sowie häufiges Frösteln. Nach 12tägiger Behandlung Ex- cision des Hammers (ohne Narkose). Wegen zunehmender Schwäche und gelegentlicher Temperatursteigerung bis 39,2° Aufnahme in das Hospital am 8. Tage nach der Operation.

Status bei der Aufnahme: Kräftig gebauter Mann von gelb- lich-blasser Hautfarbe, leicht icterischer Verfärbung der Conjunctiven. Palpabler Milztumor. Im Harn Spuren von Eiweiss. Diarrhoische Stühle. Am linken Vorderarm, besonders an der Beugeseite, starkes Öd em, etwas geringer am rech ten Vorder- und Oberarm. Beweglichkeit beider Oberextremitäten, anscheinend hauptsächlich in Folge der bei Bewegungen eintretenden Schmerzen, beschränkt; „die Arme sind schwächer.* Am linken Vorderarm diffuse, erysipeloide Ver- färbung der Haut, fast über die ganze Beugeseite sich ausdehnend. Geringes Ödem an beiden Oberschenkeln und in der Um- gebung der Kniegelenke.

Im weiteren Verlaufe andauernd hohes, einmal 41,5 °, unregel- mässig remittirendes Fieber ohne typische Schüttelfröste. Fortschrei- tende Verschlechterung des Allgemeinzustands bei fast fortwährend freiem Sensorium. Am 3. Tage des Hospitalaufenthalts Ausstossung des cariösen Ambos (im Spülwasser). Tod, am 14. Tage nach der Excision des Hammers, unter den Symptomen des Lungenödems.

Sectionsbefund: Atrophia fusca cordis. Dilatatio ventriculi sin. Intumescentia lienis. Struma colloid. dextr. Pleuritis adhaesiv. chron. circumscripta lateris sin. Emphysema pulmon. Cyanosis pulmon. utriusque. Oedema et atelectas. lobi inf. utriusque. Haemorrhagiae submuc. jejuni veteres. Catarrh. lev. tractus intestinal. Adipositas hepatis et renum.

Gehirn und Schädelbasis normal. Im linken Sinus transv. ein kleines Coagulum. Totaldefect des linken Trommelfells; Granu- lationen vom Rivini’schen Ausschnitt ausgehend. Paukenschleimhaut im Uebrigen blass, von dünner Schicht nicht fötiden Eiters bedeckt. Gehörorgan sonst ohne Veränderungen.

An den Beugeseiten beider Vorderarme ausgedehnte ödema- töse Infiltration der Haut und des subcutanen Gewebes; in letzterem zahlreiche Hämorrhagieen. Die Muskulatur hier eigenthümlich gallertig infiltrirt, von vereinzelten Blutungen durchsetzt; auf Druck entleert sich etwas dünne trübe bräunlich-gelbe Flüssigkeit, kein Eiter. Analoger Befund, nur erheblich geringeres Ödem an der Streckseite beider

OÖ. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 101

Oberschenkel; in beiden Kniegelenken mässige Menge seröser trüber Flüssigkeit bei geringer Injection und Schwellung der Synovialis.

Klinisch deckt sich dieser Fall durchaus mit dem von Unverricht gezeichneten Krankheitsbilde.e Auch anatomisch stimmt der Befund im Wesentlichen mit der Darstellung Unverricht’s überein. Besonderer Aufklärung bedarf vielleicht der Nachweis eines Gerinnsels im linken Querblutleiter. Hessler?) hat die Besonderheit der von Schwabach und Fränkel mitgetheilten Fälle angezweifelt, weil er den Nachweis normaler Beschaffenheit aller Hirnblutleiter und des Bulbus jugul. ver- misste. Um dem gleichen Einwande im voraus zu begegnen, hebe ich hervor, dass es sich nicht um eine Thrombose, sondern um ein Leichen- gerinnsel gehandelt hat.

Von dem gewöhnlichen Bilde der Pyämie, wie sie im Verlaufe chronischer Mittelohreiterungen beobachtet wird, unterscheidet sich der geschilderte Fall in characteristischer Weise. Zwar ergab die Section neben den typischen Veränderungen in verschiedenen Muskelgebieten auch Ergüsse in beiden Kniegelenken, wie sie wohl als metastatische Prozesse bei der otogenen Pyämie, aber nicht bei der Dermatomyositis beschrieben sind. Indessen unterscheidet sich deren Beschaffenheit von den bei der Pyämie relativ häufigen eitrigen Gelenkmetastasen so sehr, dass es näher liegt, sie in Beziehung zu den in nächster Nachbarschaft der Gelenke sich abspielenden Prozessen in der Muskulatur des Oberschenkels zu setzen.

Muskelmetastasen sind an sich bei der otogenen Pyämie nichts Seltenes. Aber in allen Fällen dieser Art kommt es zu rascher Ab- scedirung; hier jedoch war von Eiterung trotz längeren Bestehens des Muskelprozesses nichts zu entdecken. Dieses eigenartige Verhalten der muskulären Metastase gegenüber dem gewöhnlichen pyämischen Muskel- abscess ist dasjenige Moment, welches hauptsächlich die Abtrennung dieser Formen von der gewöhnlichen otogenen Pyämie nothw.ndig macht. Zwar werden sich gelegentlich auch in frühen Stadien eitriger Myositiden ähnliche Befunde, wie bei der Dermatomyositis ergeben. So hat Grunert?) einen Fall von Sinusthrombose erwälnt, in dessen Sections- bericht bei Abwesenheit anderer Metastasen Ödem der Armhaut und Armmuskulatur verzeichnet ist. Da aber aus der nur wenige Tage währenden klinischen Beobachtung des Kranken Notizen über einen ent- sprechenden, intra vitam gemachten Befund fehlen, ist die Möglichkeit

1) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 39, S. 5. 2) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 35, S. 185.

102 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

hier doch nicht auszuschliessen, dass der erwähnte Befund das Initial- stadium einer gewöhnlichen metastatischen eitrigen Myositis darstellte.

Neben den entsprechenden Veränderungen der Haut ist es die normale Beschaffenheit der Hirnblutleiter, welche die Sonderstellung der Dermatomyositis begründet. Freilich muss dann die intacte Beschaffen- heit der Sinus einwandsfrei durch die Untersuchung aller Blutleiter be- wiesen, nicht, wie es Neumann!) in seinem Falle thut, aus dem bei der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes erhobenen Befunde erschlossen sein. Neumann bezeichnet seinen Fall als Polymyositis subacuta suppurativa und schafft damit, ähnlich wie es Haug?) gethan hat, ohne Noth für eine längst bekannte Form der Pyämie einen neuen Namen, welcher leicht zur Verwechselung mit der prinzipiell verschiedenen Dermatomyositis Anlass geben kann.

Unverricht verwahrt sich, wie erwähnt, auch mit Rücksicht auf ihre Genese gegen die Einreihung derartiger klinisch sonst charakteristischer Fälle unter den Begriff der Dermatomyositis. Er will die Fälle, welche in das Gebiet septischer Prozesse fallen, trotz klinischer Uebereinstimmung principiell davon abgetrennt wissen. Er selbst giebt aber für seine Fälle, deren Ursache er im Allgemeinen in der Einwirkung eines organi- sirten Giftes, vielleicht von Gregarinen, zu suchen geneigt ist, die Mög- lichkeit der Entstehung durch Toxin-Wirkung zu. Von diesem letzteren Gesichtspunkte, welcher in der von Senator acceptirten Erklärung der Dermatomyositis durch eine vom Verdauungstract vermittelte Auto- intoxication ein Seitenstück findet, wäre aber eine Abtrennung der nach Mittelohreiterungen auftretenden Dermatomyositis um so weniger gerecht- fertigt, als hierbei, und besonders characteristisch gerade in unserem Falle, die Allgemeinerscheinungen mit ihren Differenzen gegenüber dem typischen Symptomencomplex der Pyämie ebenfalls an Intoxicationsvor- gänge denken lassen. Selbst wenn wir den wohl allzu subjectiven Stand- punkt Unverricht’s, dass nicht die einzelnen Momente, nicht das Zu- sammenvorkommen von Hautschwellung und Muskelentzündung, also gerade die characteristischen Erscheinungen nicht, sondern allein das ganze „Ge- präge“ des Falles für seine Zurechnung zur Dermatomyositis maassgebend sein dürfe, anerkennen wollten, würden wir gerade auch von diesem Gesichtspunkt aus die geschilderte Form toxischer Allgemeinerkrankung nach chronischen nn von der grossen Gruppe der otogenen

1) Deutsche medic. Wochenschr. 1895, No. 24. 2) Verhandl. der deutschen otolog. Gesellsch. Jena 1895, S. 33.

O0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 103

Pyämie abtrennen und am praktischsten der Dermatomyositis zurechnen müssen.

Eine andere Form otogener Allgemeininfection, die in ihren Symptomen indessen der durch Sinusphlebitis inducirten Pyämie nahe steht, hat uns zuerst Körner richtig würdigen gelehrt. Wie bei der acuten infectiösen Osteomyelitis, kann es, überwiegend bei acut entzündlichen Processen, durch Vermittelung einer Phlebitis der Knochenvenen zur Pyämie kommen. Auf die Thatsache, dass auf dem Wege der Fortpflanzung durch die Knochenvenen auch Sinus- phlebitis entstehen kann, hat Schwartze!) schon in einer älteren Arbeit hingewiesen. Körner schreibt aber der Osteophlebitis der Knochenvenen in den hierher gehörigen Fällen die characteristische Fähigkeit, ohne Sinusphlebitis Pyämie zu erzeugen, zu. Hessler’) versucht nun allerdings, auch für diese Fälle otogener Pyämie den Be- griff einer latenten „partiellen“ Sinus-Affection zu construiren. Er denkt sich diese Form der Pyämie so entstanden, dass die Osteophlebitis sich längs der Knochenvenen bis in den Sinus fortsetzt, und Emboli, von den in das Lumen des Sinus hereinragenden osteophlebitischen Pfröpfen oder von streckenweiser Thrombose des Sinus losgerissen, in die Blutbahn gelangen. Ein derartiger Entstehungsmodus durch Fortleitung in den Knochenvenen ist bei der otogenen Pyämie gewiss an sich nicht unmöglich; nur bleibt es dann wohl meist nicht bei einer „partiellen“ Sinus-Affection, sondern es kommt durch appositionelles Wachsthum zu ausgedehnterer und schliesslich obturirender Sinusthrombose. Hessler’s Hypothese, welche ganz bestimmte, vielleicht gelegentlich einmal vor- handene Stadien in der Entwickelung der Sinusthrombose rein speculativ als anatomisches Substrat einer besonderen Krankheitsgruppe aufstellt, könnte schon deswegen allgemeinere Gültigkeit nicht beanspruchen.

Der Beweis für das Vorhandensein einer Osteo- phlebitis-Pyämie ist im einzelnen Falle sehr schwer und stets nur bis zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erbringen. Das Vor- handensein pyämischer Allgemeinerscheinungen ist nicht beweiskräftig genug. Auch bei uncomplieirten acuten eitrigen Mittelohrentzün- dungen kann es zu Erscheinungen einer Allgemeininfection kommen, welche, ohne mit dem, was wir bisher unter Pyämie zu verstehen gewohnt waren, identisch zu sein, dem Bilde der Pyämie sehr ähnlich

1) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 6, S. 220. 2) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 38.

104 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

sein können. Körner legt das Hauptgewicht auf das Verhalten der Metastasen, welche bei der Osteophlebitis-Pyämie sich sehr selten in den Lungen localisiren, während arterielle Embolieen viel häufiger als bei der Sinusphlebitis zur Beobachtung gelangen. Diese Anschauung wird auch durch die bisher vorliegenden Erfahrungen zweifellos, wenigstens insoweit, gestützt, als aus diesen hervorgeht, dass es, im Gegensatz zu der Pyämie nach Sinusphlebitis, eine benignere Form der Pyämie giebt, welche vielleicht durch Vermittelung einer Osteophlebitis, häufiger aber vielleicht noch ohne Vermittelung osteophlebitischer Pfröpfe, direct durch Invasion der Erreger aus den Mittelohrräumen in die Blutbahn zu Stande kommt. i

Für praktische Zwecke wird es genügen, diese beiden Formen: die Pyämie nach Sinusphlebitis und die ohne deren Vermittelung direct, sei es durch Osteophlebitis, sei es durch directe Aufnahme der Erreger in die Blutbahn, entstandene und unter dem uns als Pyämie geläufigen Bilde verlaufende Allgemeininfection auseinander zu halten.

Von dem Standpunkt aus, dass die pyämischen Erscheinungen durch den Uebertritt der Erreger in die Blutbahn ohne das Bindeglied phlebitischer Prozesse zu Stande kommen können, wird auch das für dic Differenzirung der beiden grossen Gruppen am meisten herangezogene Moment, die Abwesenheit oder wenigstens Seltenheit der Lungenmetastasen bei der nicht mit Sinusphlebitis complieirten Pyämie, leichter verständlich. Wenn wir diese uns durch Einschwemmung von Thromben-Theilchen aus den Knochenvenen entstanden denken, so ist die erste Voraussetzung für diese Auffassung die weitere Hypothese, dass diese Thromben-Theilchen zu klein sind, um in den relativ weiten Lungencapillaren abgefangen zu werden. Diese Vorstellung mag plausibel sein; sie ist aber durch that- sächliche Beobachtung bisher nicht gestützt und deshalb zu willkürlich. Sehen wir aber von dem Mechanismus der Embolie grösserer Gewebs- partikel oder Coccen-Massen, dessen Entbehrlichkeit für die Entstehung von Metastasen Wyssokowitsch und Buday gezeigt haben, ganz ab, denken wir uns die Pyämie durch den Uebertritt der Erreger selbst in die Blutbahn, ohne Einschluss in Thromben-Partikel, entstanden, dann wird die Seltenheit der Lungenmetastasen leichter verständlich, weil Einzelindividuen oder Haufen der Erreger das Lungencapillarnetz leicht passiren können, um dann schliesslich an den Gefässendothelien irgendwo abgefangen, hier selbstständig eine Thrombose und eventuell secundäre Phlegmone herbeizuführen.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 105

An der Thatsache, dass die nicht durch Sinusphlebitis vermittelte Pyämie durch eine andersartige Localisation der Metastasen ausge- zeichnet ist, kann kaum gezweifelt werden. Selbst Hessler, welcher früher die Trennung der Osteophlebitis-Pyämie Körner’s von der Pyämie durch Sinusphlebitis zu bekämpfen versuchte, scheint dieser Scheidung in seiner jüngst erschienenen Monographie sich zuzuneigen. Allerdings fügt er dem Zugeständniss, dass bei dieser Form der oto- genen Pyämie niemals Lungenabscesse thatsächlich beobachtet seien, die Behauptung hinzu, dass Lungenmetastasen immerhin häufiger, als sie erkannt werden, vorkommen, also vielleicht nur der Beobachtung entgangen wären. Seine Beweisführung, welche sich im Wesentlichen darauf stützt, dass auch in den Fällen von Sinusphlebitis Lungenembolieen häufig erst durch die Section aufgedeckt worden sind, ist deshalb schon hinfällig, weil es sicherlich viel eher möglich ist, bei den schwer kranken, oft somnolenten, häufig nur schwer vollständig zu untersuchenden Patienten dieser Gruppe die klinischen Erscheinungen des: Infarcts oder Abscesses zu übersehen, als bei den Fällen der anderen Gruppe, die sich gewöhnlich so befinden, dass der Eintritt einer Lungenarterien- Embolie zum mindesten durch subjective Symptome sich verrathen würde. Am besten wird aber die Berechtigung der von Körner aufgestellten differential-diagnostischen Merkmale durch Hessler’s eigene Statistik unterstützt. Hessler hat in einer besonderen Gruppe diejenigen Fälle zusammengestellt, welche er, und zwar anscheinend. nur deshalb, weil hier die Pyämie spontan geheilt ist, als reine otogene Pyämie im Gegensatz zur Sinusphlebitis anspricht. In dieser Gruppe, in welcher sich zudem noch unzweifelhafte Fälle von .Sinusphlebitis oder, wie Hessler annimmt, Uebergangsformen zwischen dieser und der „reinen“ Pyämie finden, sind gleichwohl I.ungenabscesse niemals nachgewiesen worden.

- Also auch Hessler’s Zusammenstellung bestätigt die Angabe Körner’s, dass einer grossen Gruppe von Fällen otogener Pyämie, die klinisch durch Abwesenheit aller Localsymptome von Sinusthrombose und durch die grössere Benignität des ganzen Krankheitsbildes sich von vornherein differenziren, insbesondere auch die Seltenheit von Lungenmetastasen bei relativ grosser Häufigkeit metastatischer Gelenk- und Muskelprocesse eine Sonderstellung zuweist. Diese Sonder- stellung wird dadurch nicht erschüttert, dass auch bei diesen Formen gelegentlich. einmal Lungenabscesse beobachtet werden. Ich will hier nur kurz eine einschlägige Beobachtung einschalten.

106 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

A. G., 8 Wochen alt, aus dem Armenhaus wegen Ohreiterung ins Hospital verlegt. Anamnese ist nicht zu erlangen. Stat. praes. bei der Aufnahme: hochgradig atrophisches, wachsbleiches Kind mit weiten, etwas eingesunkenen Fontanellen. Temperatur normal. Rechtsseitige Ohreiterung; otoskopisch : pulsirender Lichtreflex in der Tiefe des engen Gehörgangs.

Nach vier Tagen, während deren die Temperatur zwischen 36,5 und 37,2 schwankte, Exit. let.

Sectionsbefund (Prof. Dr. Kaufmann): Otitis med. purul. sin. Bronchopneumon. praecipue lobi sup. dextri et abscessus parvi subpleurales. Gastroenteritis. Intumesc. gldd. lymph. mesent. Intumesc. agmin. Peyer. et follicul. solit. Anaemia renum. Atrophia universal.

Lungen zeigen verstreute, an der Oberfläche leicht vorgewölbte Heerde, die auf der Schnittfläche graurothe Farbe und derbe Consistenz darbieten. Drei dieser Heerde sind ausgezeichnet durch eine die darüber liegende Pleura infiltrirende eitrige Entzündung; auch der Kern jedes dieser Heerde von eitriger Beschaffenheit. Die Abscesse sind von einer körnigen graurothen pneumonischen Zone umgeben.

Hirnsinus frei. Gehirn o. Bes.

Breite Perforation des rechten Trommelfells; Paukenschleimhaut mit dünnem, etwas fötidem Secret bedeckt, diffus geschwellt und über das Niveau der Perforation in Form blassgrauröthlichen Granulations- haufens hinausragend.

Sinusphlebitis ist hier mit Sicherheit ausgeschlossen. Die Lungen- abscesse mussten, obwohl Pfröpfe in den Pulmonalarterialästen, makro- skopisch wenigstens, nicht nachzuweisen waren, nach Form und Aussehen unbedingt als embolisch-metastatische Heerde angesehen werden, für die als cinzige Quelle die Schleimhauteiterung in der rechten Pauke aufzu- finden war. Wir sehen also hier, übrigens ohne dass die Annahme osteophlebitischer Processe sich rechtfertigte, anscheinend durch directe Aufnahme der Erreger aus der Paukenhöhle in die Blutbahn, eine klinisch nicht erkennbare Pyämie sich entwickeln, die in der Bildung mehrerer embolischer Lungenheerde ihren Ausdruck findet.

Solche Ausnahmen beweisen aber, ebenso wenig wie die Feststellung Hessler’s, dass wiederholt in den Fällen, welche er der Gruppe der reinen otogenen Pyämie zurechnet, die Erscheinungen entzündlich- metastatischer Processe in den Lungen klinisch nachweisbar waren, durchaus nichts für die Berechtigung der Schlussfolgerung Hessler’s, die von Körner angeführten „Differentialsymptome seien zwar vor- handen, aber nicht so bedeutend und nicht so characteristisch, dass sie für die Differentialdiagnose der otogenen Pyämie mit und ohne Sinus-

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phlebitis mit einiger Sicherheit verwerthet werden können.“ Sie haben natürlich die Bedenken aller rein negativen Beweismomente gegen sich und sind nur bedingt für praktische diagnostische Zwecke brauchbar, für welche das ganze Gepräge des Krankheitsbildes, der relativ benigne Verlauf und die Abwesenheit aller positiven Zeichen der Sinusthrombose maass- gebend ist. Aber sie characterisiren das Wesen der nicht durch Sinus- phlebitis bedingten Pyämie so gut, dass man immerhin darauf mit Recht recurriren darf.

Dagegen sind unsere Erfahrungen noch viel zu beschränkt und unsere Kenntniss viel zu sehr auf Hypothesen gegründet, als dass wir bereits in der Lage wären, bestimmte Anhaltspunkte für die Abgrenzung der „einfachen Resorptions-Pyämie“ und der Osteophlebitis-Pyämie, wie sie Hessler!) bereits fixirt, aufzustellen. Die erstere Form, die er sich durch „directe Eiterresorption* aus den Mittelohrräumen entstanden vorstellt, soll vorliegen, einmal wenn nach Behebung von Eiterretention durch geeignete therapeutisch-operative Maassnahmen die pyämischen Symptome coupirt werden, und zweitens wenn ohne das Vorhandensein von Eiterretention „nach der Weigert’schen Angabe nur Mikro- organismen in’s Blut gelangen“. Es ist absolut unerfindlich, wie man bei einer einfachen Mittelohreiterung die Invasion von Erregern in die Blutbahn, die sich durch besonders charakteristische, von den übrigen Formen der Pyämie irgendwie differente Merkmale doch nicht kundgiebt, weil gerade sie allen Formen gemeinsam ist, wahrnehmen soll. Aber auch dort, wo diese Form der Pyämie aus dem Rückgang der Symptome nach Beseitigung aller die Eiterabfuhr behindernden Momente erschlossen werden soll, ist Hessler’s Schlussfolgerung schon deswegen bedenklich, weil durch die gleichen Maassnahmen ebensowohl die Osteophlebitis-Pyämie wie auch die Pyämie nach Sinusphlebitis er- wiesenermaassen aufgehalten werden kann.

Die Gesichtspunkte, von denen aus Hessler die Diagnose der Osteophlebitis-Pyämie gestellt wissen will, sind viel anfechtbarer, als die von ihm angezweifelten Angaben Körner’s. Auch wenn alle Postulate, die er aufstellt, in einem Falle gleichzeitig erfüllt wären, wenn pyämische Erscheinungen ohne Eiterverhaltung oder nach deren Beseitigung fort- bestehen oder auftreten, wenn dann durch Ausschaltung des „osteo- phlebitisch und cariös affıcirten Felsenbeinknochens“ und durch Ent- leerung eines subduralen Abscesses (?) die Pyämie coupirt würde und wenn

1) 1. c. S. 425,

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dabei alle localen Symptome von Seiten der Hirnblutleiter fehlten und die Punction des Lateralsinus negativ ausfiele, wäre nicht der mindeste positive Beweis dafür erbracht, dass eine sogenannte Osteophlebitis- Pyämie bestehe. Es kann dann auch jede andere Form der Pyämie vorliegen; es kann sich z. B. trotz negativen Befundes von Seiten der Hirnblutleiter doch, wie Körner schon hervorgehoben hat, um latente Phlebitis eines der kleinen Sinus handeln. Es ist aber vor Allem sehr leicht möglich, dass in den Fällen, in denen durch Be- hebung von Eiterretention oder auch Ausräumung des anscheinend als ausschliesslicher Sitz der osteophlebitischen Processe angesehenen Warzen- fortsatzes die Erscheinungen zurückgingen, überhaupt gar keine Pyämie in dem gewöhnlichen Sinne vorgelegen hat.

Man gewinnt bei der Durchsicht mancher Krankengeschichten den Eindruck, dass manche Darsteller der otogenen Pyämie den Begriff weiter gefasst haben, als es selbst nach den bisherigen Anschauungen über das Wesen der Pyämie gerechtfertigt war. Neuerdings aber voll- zieht sich immer mehr die Auflösung des alten Collectivbegriffes der Pyämie in eine Summe von Allgemeininfectionen verschiedener Art, welche, klinisch allerdings vielfach identisch, doch ätiologisch, je nach der Natur ihrer Erreger, auseinandergehalten werden müssen. Kocher sagt sich deshalb von dem alten Schema ganz los, spricht in seiner Darstellung der Wundinfectionskrankheiten von „früher sogenannter Pyämie“ und beschreibt als Staphylomykosis multiplex und metastatica und als Staphylohämie auch solche Zustände, die bisher der Pyämie zugerechnet wurden. Wir wissen, dass auch die genuine Mittelohrent- zündung eine Infectionskrankheit darstellt, bei der die Erscheinungen der Allgemeininfection, oft freilich nur undeutlich, zuweilen aber auch so stark ausgesprochen sind, dass sie das Krankheitsbild vollständig be- herrschen. Allgemeinerscheinungen allein, auch wenn sie dem pyämischen Typus folgen, geben daher an sich noch keine Berechtigung zur An- nahme der „Pyämie“. Insbesondere sind erhebliche Temperatursteigerungen mit Schüttelfrösten selbst bei uncomplicirter acuter Mittelohrentzündung ohne Secretverhaltung, wenn auch nicht häufig, so doch nicht so un- gewöhnlich, „dass man ein Recht hätte, deswegen eine besondere Form complicirender Allgemeininfection anzunehmen. Es ist mir deshalb nicht unwahrscheinlich, dass als Osteophlebitis- Pyämie oder noch mehr als „Resorptions-Pyämie“ im Sinne Hesslers auch solche Fälle leicht angesehen werden könnten und thatsächlich in den Statistiken zu Unrecht der Pyämie zugerechnet werden, welche nicht als besonders-

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artig von der Grundkrankheit abzutrennen, sondern nur von deren ge- wöhnlichem Bilde durch stärkere Betonung der Symptome der Allge- meininfection unterschieden sind. Damit ergiebt sich aber auch weiter die Unmöglichkeit, eine Schematisirung nach verschiedenen Pyämie- Formen durchzuführen und diese rein speculativ construirten Formen der Pyämie auch schon klinisch zu charakterisiren.

Ich bin auf diese mehr theoretischen Erwägungen näher einge- gangen, weil die vorzeitige Schematisirung der verschiedenen Formen der Pyämie bereits praktische Consequenzen gehabt hat. Auf die hypo- thetischen Vorstellungen von dem Wesen der einzelnen, als besondere Gruppen beschriebenen Erscheinungsformen der „pyämischen“ Allgemein- infection sind bereits Folgerungen für die Therapie aufgebaut worden, welche, ebenso wie ihre theoretische Grundlage, in vielen Beziehungen anfechtbar sind.

Soweit sich die Vorschläge für die Behandlung der nicht durch Sinusphlebitis bedingten Pyämic mit den Indicationen decken, die auch ohne das Vorhandensein pyämischer Symptome durch die localen Verhältnisse gegeben wären, soweit sie sich also auf die Be- seitigung aller die freie Secretabfuhr behindernden Momente beziehen, kann man ihnen selbstverständlich ohne Weiteres zustimmen. Anders schon ` steht es mit dem Rathe Hessler’s !) bei der Osteophlebitis-Pyämie nicht bei der Paracentese und der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes stehen zu bleiben, sondern den Knochen selbst möglichst in der ganzen Aus- dehnung des erkrankten Gebiets, sowohl am Tegmen tympani, als am Boden der Paukenhöhle und der hinteren unteren Wand des Warzen- fortsatzes fortzunehmen. Zum Glück wird der Knochen bei den hierher gehörigen Formen der Pyämie, für die gerade der Anschluss an acut- entzündliche Processe in den Mittelohrräumen beinahe pathognomonisch ist, kaum jemals nachweisbar soweit erkrankt sein, dass die grosse Ausdehnung der Operation, wie sie nach Hessler nothwendig wäre, ohne Schonung der bedenklichsten Stellen des Operationsterrains indicirt wäre. Der Knochen selbst wird, da primäre Ostitiden zu den aller- grössten Seltenheiten gehören, meist nicht direct erkrankt sein. Oft genug wird in diesen Fällen sogar, wenn man schon den Eintritt der ersten Schüttelfröste als genügende Indication für operatives Vor- gehen anerkennt, jede erheblichere Eiteransammlung in den Hohlräumen des Woarzenfortsatzes noch fehlen; dann kann unter Umständen bei

1) 1. c. S. 450.

110 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

der diffusen Ausbreitung, welche in diesen Stadien die entzündliche Schwellung der mukös-periostalen Auskleidung der Warzenzellen darzu- bieten pflegt, die Entscheidung, wie weit man zu gehen hat, Schwierig- keiten machen. Bei der acuten Osteomyelitis, welche, mit Rück- sicht auf die Uebereinstimmung in der Genese der sonsecutiven Pyämie, zum Vergleich herangezogen werden darf, liegen die Verhältnisse anders. Hier kann man durch breite Freilegung der ganzen Markhöhle die Aus- dehnung des Processes mit grösserer Sicherheit beurtheilen. Aber selbst über den Nutzen der Frühoperationen bei der acuten infectiösen Osteo- myelitis sind die Meinungen noch getheilt.

Auch die blosse operative Eröffnung der Warzenhöhle hat hier frühzeitig, ohne eindeutige locale Zeichen ihrer Betheiligung ausgeführt, ihre Bedenken. Es ist nicht undenkbar, dass in Fällen, in denen der Process sich noch nicht begrenzt hat, in denen also noch keine circumscripte Eiteransammlung besteht, bei der Operation in ge- sundem Gebiet neue, noch intacte Resorptionsbahnen eröffnet werden, von denen aus die Infectionserreger direct in die Circulation gebracht werden können. Thatsächlich umfasst auch die Litteratur Fälle, in denen der Aufmeisselung erst die Symptome der Pyämie gefolgt sind. Es ist hier nicht der Ort, meine eigenen Erfahrungen über den Verlauf bei frühzeitiger Aufmeisselung des Warzenfortsatzes näher zu erörtern. Aber als nicht unwichtig für den hier behandelten Gegenstand möchte ich hervorheben, dass durch solche, in den ersten Krankheitstagen vor- genommene Operationen die subjectiven Mastoidealsymptome zwar ge- mildert, die Allgemeinerscheinungen aber wiederholt nicht nur nicht beein- flusst, sondern erst danach in grösserer Intensität vermehrtes Fieber, auch Fröste beobachtet wurden. Auch der locale Verlauf war in den Fällen, in denen operirt war, ehe die Entzündung ihren Höhepunkt er- reicht hatte und Eiterung nachweisbar war, ungünstiger und langsamer als gewöhnlich. |

Meine Bedenken beziehen sich aber nur auf den Zeitpunkt der Operation und zielen lediglich darauf ab, vor zu frühem, local noch nicht strict indieirtem Operiren, ausschliesslich mit Rücksicht auf die auf Pyämie bezogenen Allgemeinerscheinungen, zu warnen. Zumeist werden in diesen Fällen freilich die Erscheinungen des Mastoiditis so ausgeprägt sein, dass man schon deswegen zur Operation sich veranlasst sehen wird. Dann darf man, da in acuten Fällen der operativen Freilegung des Antrums meist rasche Trockenlegung der Pauke zu folgen pflegt, auch hoffen, die Aufnahme der Infections-

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erreger von der Pauke durch die Aufmeisselung, so weit als möglich, hintanzuhalten.

Bei der Dermatomyositis wird behufs Desinfection der Mittel- ohrräume deren Freilegung indicirt und bei der infauten Prognose unbedenklich auch dort vorzunehmen sein, wo die Operation durch den localen Befund nicht unbedingt indicirt ist. Hier kann der Ein- griff wenigstens nicht schaden, wie es bei der acuten Paukenentzündungen folgenden Form pyämischer Allgemeininfection möglich und, wegen der benignen Natur der letzteren, besonders bedenklich ist. Wenn irgend etwas überhaupt, kann bei der Dermatomyositis die Freilegung, Ausräumung und Tamponade der Mittelohrräume durch Austrocknung und Desinfec- tion günstig wirken. Daneben wird man sich auf Stärkung der Wider- standsfähigkeit des Patienten durch arzneilich-diätetische Maassnahmen zu beschränken und vielleicht noch eine Beförderung der Ausscheidung der im Blute kreisenden Toxine durch reichliche Flüssigkeitszufuhr an- zustreben haben.

Auch bei der Pyämie ohne Sinusphlebitis ist die Unterbin- dung der Vena jugularis von dem Gesichtspunkte aus, dass damit eine Absperrung des erkrankten Gebietes erreicht und die Aufnahme infectiöser Massen Bacterien oder deren Stoffwechselproducte in die Blutbahn verhindert werde, empfohlen worden. Hessler t+) hat früher von der Ligatur der Jugularis auch in den Fällen „ohne vollkommene Sinusthrombose“ sich einen Schutz gegen die fernere Aufnahme osteo- phlebitischer Bröckel versprochen und dadurch daraufhin arbeiten wollen. dass „es nicht weiter zur Thrombose und schliesslich zur Thrombe- phlebitis des gefährdeten Hirnsinus kommt“. Nach meinem Dafürhalten giebt es kaum ein sichereres Mittel, eine von der Jugularis zum Sinus aufsteigende Thrombose direct zu erzeugen, als wenn man in diesen Fällen die Vena jugul. unterbindet, weil es in dem abgeschlossenen Bezirk meist rasch zu einer sich leicht peripher fortsetzenden Gerinnung und dann wegen der directen Zufuhr von Infectionserregern ohne Weiteres zur Thrombophlebitis kommen kann (siehe unten). Diese aprioristische Annahme wird durch die ungünstigen Erfahrungen, welche sich in den in dieser Weise behandelten Fällen von Lane, Deansley und Langenbach ergeben haben, vollkommen bestätigt. Hessler scheint deshalb auch neuerdings diesen Standpunkt, von dem in seiner Mono- graphie nicht mehr die Rede ist, verlassen zu haben.

1) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 38, S. 16.

112 0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Die Jugularis-Unterbindung bei der Pyämie ohne Sinusphlebitis ist aber nicht nur gefährlich; sie ist auch zwecklos, weil es ganz aus- sichtslos ist, durch Verschluss dieses einen Weges den Infectionskeimen den Eintritt in die Blutbahn zu versperren oder gar die Resorption von Toxinen zu verhüten. Sie wird daher aus theoretischen Erwägungen, wie auf Grund der bisherigen Erfahrungen für diese Fälle definitiv auf- gegeben werden müssen.

II. Die Thrombophlebitis des Sinus transversus.

Die Therapie der Sinusphlebitis hat unerwartete Erfolge erzielt. Dagegen hat die Diagnostik trotz der grossen Zahl casuistischer Mit- theilungen gerade aus den letzten Jahren nur relativ wenig gewonnen. Die grösste Bedeutung für die Diagnose haben auch noch nach unseren heutigen Kenntnissen die pyämischen Allgemeinerscheinungen, deren Ein- tritt überhaupt meist erst die Aufmerksamkeit auf die Entwickelung der Sinusthrombose hinlenkt. Nur sind die Schlussfolgerungen hieraus, seit- dem wir wissen, dass nach Mittelohrentzündungen noch andere Formen der Pyämie, ohne Sinusphlebitis, vorkommen, noch bedenklicher und un- sicherer geworden.

Die diagnostischeBedeutung descharakteristischen Temperaturverlaufs mit seinen Remissionen zur und unter die Norm und den raschen, meist unter Frost einsetzenden Anstiegen bei Pyämie ist unbestritten. Nur gegen die diagnostische Verwerthung ein- zelner Schüttelfröste, wie sie, bei acuten Mittelohrentzündungen wenigstens, auch ohne Pyämie auftreten können, habe ich mich bereits oben aus- gesprochen.

Ausschlaggebend ist der Nachweis von Metastasen, vorausgesetzt, dass die als solche angesprochenen Processe auch wirklich als durch Ver- schleppung von Thromben-Theilchen oder directe Aussaat der Erreger in die Blutbahn entstanden anzuerkennen sind. Es finden sich aber in der Litteratur der otogenen Pyämie Fälle genug, in denen zwei neben einander bestehende, von einander offenbar unabhängige Eiterungsprocesse nur wegen ihres zeitlichen Zusammenhangs post hoc, ergo propter hoc —- in ein Abhängigkeitsverhältniss derart gebracht wurden, dass der später auftretende Process als Metastase des zuerst vorhandenen angesehen wurde. Wenn Jemand z. B. im Verlaufe einer acuten Mittelohrent- zündung eine Periodontitis acquirirt, so liegt a priori jede andere Er- klärung näher, als die Annahme, dass diese Periodontitis wirklich als eine durch die Blutbahn vermittelte metastatische Entzündung anzusehen

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 113

ist. Gleichwohl werden solche Fälle in vielen Statistiken ohne Weiteres als Pyämie mitgerechnet.

Es ist gewiss eine undankbare Aufgabe, auf solche selbstverständliche Dinge hinzuweisen. Die Litteratur der otogenen Pyämie umfasst aber solche zweifelhafte oder vielmehr sicher nicht ihr zuzuzählende Fälle in nicht ganz geringer Zahl, so dass Statistiken, welche derartige nicht ein- wandsfreie Beobachtungen kritiklos aufnehmen, an Werth einbüssen müssen. Man wird zur statistischen Verwerthung nur solche Fälle heranziehen dürfen, in denen durch den Nachweis zweifelloser Metastasen, durch die Anwesenheit unzweideutiger Localsymptome und schliesslich durch das Ergebniss der directen Exploration des Sinus-Inhalts die Diagnose ge- sichert ist.

Für die klinische Diagnose kann allerdings unter Umständen schon das Auftreten pyämischer Allgemeinerscheinungen wenigstens inso- weit genügen, als man daraufhin zur sicheren Feststellung der Diagnose durch Freilegung des Sinus schreiten darf.

Der Temperaturverlauf bei der Sinusphlebitis folgt nicht immer ganz dem pyämischen Typus; er wurde in meinen Beob- achtungen wiederholt durch gleichzeitig vorhandene locale Complicationen derart modificirt, dass die charakteristischen tiefen Remissionen weniger prägnant waren oder fehlten. Davon, dass man aus dem Gange des Fiebers, den Temperaturschwankungen zwischen den einzelnen Frost- anfällen Schlüsse für die Differentialdiagnose zwischen Erkrankungen eines grösseren oder kleineren Blutleiters ziehen kann, wie früher be- hauptet wurde, ist keine Rede. Auch die absolute Höhe der Temperatur- erhebungen ist für Diagnose und Prognose belanglos. „Der Grad der Hyper- thermie entspricht durchaus nicht immer und fast nie genau der Inten- sität der Infection“. Hessler!) hebt in seiner Symptomatologie der Sinusphlebitis als diagnostisch wichtig hervor, dass bei der metastasiren- den Sinusphlebitis Temperaturen von mehr als 41 ° relativ häufig in 12,6 °/, —, bei der nicht metastasirenden Form niemals beobachtet sind. Dem gegenüber kann ich drei Fälle von Sinusphlebitis ohne Metastasen anführen, in denen gelegentlich die Temperatur eine so excessive Höhe erreichte. Das Auftreten von Metastasen lässt sich meines Erachtens überhaupt nicht als Kriterium für die Differenzirung zweier besonderer Formen ein und desselben Processes aufstellen, weil es an sich kein wesentliches Moment in der Gestaltung des Krankheits-

1) 1.c. 8. 339. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 8

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processes darstellt, sondern hauptsächlich von localen Factoren, besonders von der Beständigkeit des centralen Abschlusses im thrombosirten Be- zirk abhängig ist. Temperaturunterschiede von und auch darüber innerhalb 24 Stunden habe ich wiederholt beobachtet, dagegen nie häufiger als einmal in dieser Frist den Ablauf von Fieberattaquen gesehen. |

Auch ein typisch-pyämischer Temperaturverlauf kann bei Abwesen- heit häufiger Schüttelfröste nicht gegen eine Verwechselung mit Ileotyphus (im Stadium der steilen Curven) schützen. Wie andere septisch-pyäm’sche Processe, wie z. B. die acute infectiöse Osteomyelitis, ist auch die Pyämie nach Sinusphlebitis relativ häufig mit Abdominal- typhus verwechselt worden. Auch in einem Falle meiner Beobachtung wurde durch das Zusammentreffen mehrerer, für Typhus u ‚Momente ein solcher Irrthum hervorgerufen.

J. V., 36 Jahre alt, kommt wegen linksseitiger Ohreiterung in die Poliklinik und wird wegen hohen Fiebers sofort aufgenommen. Die Untersuchung ergiebt neben grosser Trommelfellperforation und spärlicher fötider Eiterung erheblichen, deutlich fühlbaren Milz- tumor, Dikrotie, und vereinzelte Roseola-artige Flecke an den Bauchdecken. Bei mehrtägiger Beobachtung keine Schüttelfröste; ausgesprochene steile Curven. Aus der Anamnese geht hervor, dass der fieberhafte Zustand seit etwas länger als 14 Tagen besteht. Patient kommt aus einer Stadtgegend, in welcher gerade eine epidemische Häufung von Typhus-Fällen festgestellt worden war. Pat. wurde daher wegen Typhus-Verdachts auf die medicinische Hospitalabtheilung verlegt.

Hier wurde durch den Nachweis charakteristischer diarrhoischer Stühle die Diagnose Typhus in den ersten Tagen noch wahrscheinlicher, -bis sich schliesslich deutliches Oedem der ganze.n linken Gesichts- hälfte und der Warzengegend bis gegen den Nacken hin ein- stellte und wieder an die bereits bei der Aufnahme in das Hospital gestellte, später aufgegebene Diagnose der Sinusthrombose denken lies. Am 19. October wurde Patient nach der Ohren-Abtheilung zurückverlegt. |

19. October. Pat. leicht somnolent. Temperatur Morgens 37,8 °, Nachm. 39,6. Puls während des Fiebers 84. Oedem der Augenlider links, der Wange und in geringerem Grade der Schläfengegend. Mässiges Oedem der Warzengegend, das sich diffus nach hinten bis in die Nackengegend, nach unten in die seitliche Halsgegend verbreitet. In der Tiefe undeutlich, entlang dem inneren Rande des Kopfnickers, berührungsempfindlicher Strang fühlbar. Milz bis zwei Querfinger unter Rippenbogen palpabel. Ver- einzelte Roseola-artige Flecken über Bauch und Brust: verbreitet.

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0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 115

Augenhintergrund normal. Linkes Ohr: geringe Menge fötiden Eiters, Senkung der hinteren oberen Gehörgangswand, Perforation in der hinteren Trommelfellhälfte. f

Aus der Krankengeschichte, deren Fortsetzung später an passender Stelle folgt, geht deutlich hervor, dass die Diagnose Typhus schon der Anamnese wegen,. aber ebenso auch auf Grund der objectiven Symp- tome im Anfang allein begründet erscheinen musste. Die Temperatur- curve passte ebenso gut, wie auf Pyämie, auch auf Typhus in der dritten Krankheitswoche, wie er nach der Anamnese anzunehmen war. Bei dem Zustandekommen des Irrthums hat allerdings in diesem Falle der Umstand, dass gerade in jener Zeit eine Typhus-Epidemie in Breslau bestand, welche sich hauptsächlich in der Stadtgegend, in der die Patientin gewohnt hatte, localisirte, mitgewirkt. Fälle, in denen bei Sinusphlebitis die Diagnose Typhus bis zum Tode des Kranken festgehalten werden musste, finden sich in der Litteratur nicht gerade selten. Erst neuerdings hat Ehrendorfer?) wieder einen Fall mit- getheilt, in welchem intra vitam mit Rücksicht auf die vorhandenen charakteristischen Symptome des Typhus: Milztumor, Roseola, Ileocoe- calschmerz, Durchfälle, Dikrotie, die Annahme eines Typhus berechtigt schien; zwei Tage ante mortem traten Fröste auf; die Obduction ergab einen extraduralen Abscess und Thrombose des Sinus petrosus. Noch näher liegt die Möglichkeit einer derartigen Fehldiagnose in einem Falle, wie ich ihn beobachtet habe ?), in dem sich Ostitis des Warzenfortsatzes und Sinusphlebitis einem Abdominaltyphus so anschlossen, dass An- fangs an ein. Recidiv desseiben gedacht werden musste. Natürlich sind Irrthümer auch in umgekehrter Richtung, insofern möglich, als ge- legentlich auch ein Typhus wegen gleichzeitiger Ohreiterung für Sinus- phlebitis gehalten werden kann; der von Körner?) als Beispiel dafür -citirte Fall v. Tröltsch’s*) passt nicht ganz, weil es sich dabei nicht um eine Verwechselung des intra vitam übersehenen Typhus mit Pyämie, sondern um die irrthümliche, aber klinisch plausible Annahme einer otitischen Meningitis (oder Miliartuberculose) gehandelt hat. Irr- thümer in dieser letzteren Beziehung sind besonders bedenklich, weil es bei der gegenwärtig herrschenden activen Richtung in der Therapie der Sinusphlebitis geschehen könnte, dass man auf der Basis einer lediglich

1) Lehrbuch der Wiener Krankenanstalten, 1. Jahrg. 2) Klinische Beiträge zur Ohrenheilk., S. 104.

3) Otitische Erkrank. des Hirns, II. Aufl., S. 90.

4) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 4, S. 132.

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116 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

durch die Allgemeinerscheinungen gestützten Diagnose zu unnützen und hier unzweifelhaft gefährlichen Operationen schreitet. Es muss deshalb besonders betont werden, dass einerseits bei Pyämie für Typhus pathogno- monische Symptome, selbst ein Exanthem, welches bei der Vielgestaltig- keit der bei septischen Allgemeininfectionen beobachteten toxischen Exantheme, gerade so gut, wie masern-ähnlich (Macewen!), auch Roseola-artig erscheinen kann, vorkommen können, dass aber andererseits auch aus so vagen Symptomen, wie der Einseitigkeit des Kopfschmerzes und der Ohrsymptome (Forselles?) nicht irgend welche Schlüsse für die Differentialdiagnose, zu Gunsten einer endocraniell bedingten Allgemein- infection, gegenüber Typhus, gezogen werden dürfen. Auch eine acute Steigerung der Ohrenschmerzen bei der Entwickelung einer Sinusthrombose (Forselles?) habe ich nicht einmal dort regelmässig bemerken können, wo sich bei der Operation extradurale Eiteransammlungen fanden.

Ebensowenig kann ich Forselles +) darin beistimmen, dass von der zweiten Krankheitswoche an eine Verwechselung mit Malaria ausgeschlossen sein soll, weil dann die pyämischen Erscheinungen schon in den Vordergrund treten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit zunächst nochmals es als nicht angängig bezeichnen, bei der Sinusphlebitis den Beginn der Krankheit so bestimmt zu fixiren, dass man von Krank- heitswochen, in denen ganz charakteristische Veränderungen des Verlaufs zu erwarten wären, etwa wie beim Typhus, sprechen könnte. Dazu ist der Verlauf der Sinusphlebitis-Pyämie zu atypisch und ihr Beginn zu latent. Uebrigens habe ich in einem Fall von Mittelohr-Tuber- kulose bei Diabetes pyämische Erscheinungen sich so entwickeln sehen, dass zwei Wochen lang täglich zu gleicher Zeit aus vollständigem subjectivem Wohlbefinden heraus ein Schüttelfrost auftrat, dem eine nur wenige Stunden währende Temperatursteigerung folgte. Andere Symp- tome der Pyämie fehlten, auch noch über diese Zeit hinaus, voll- ständig.

Ein wichtiges Hilfsmittel für die Differentialdiagnose zwischen Typhus uud Malaria einerseits und Pyämie andererseits ist die Unter- suchung des Blutes. Malaria wird durch den positiven Nachweis von Plasmodien im mikroskopischen Blutpräparat sicher erwiesen. Für die Feststellung, ob Typhus oder Pyämie vorliegt, kann die von

1) Pyogenic infective Diseases, S. 240. 2) Lateralsinus-Thrombose, S. 36.

3) l. e S. 59.

4) 1. c, S. 88.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 117

von Eiselsberg!) früher empfohlene Blutentnahme aus der Fingerbeere nicht genügen. Es empfiehlt sich vielmehr, nach entsprechender Des- infection der Haut aus der durch centrale Compression etwas gestauten Vena mediana cubiti oder einer anderen grösseren Armvene mit steriler Spritze einen oder auch mehrere Cubikcentimeter Blut zu aspiriren. Es ist zweckmässig, die Blutprobe während des Frostes zu entnehmen, um jedem, negativen Befunden gegenüber möglichen Einwand zu begegnen. Das aspirirte Blut wird am besten unmittelbar nach der Entnahme mit verflüssigtem Agar vermischt und zu Platten ausgegossen. Die so- fortige Verarbeitung ist nach Stern?) mit Rücksicht auf die dem Blute innewohnende bactericide Wirkung nothwendig. In mehreren Fällen bin ich so vorgegangen, dass ich das durch Aspiration oder Probe-Incision aus dem Sinus transversus direct entleerte Blut theils sofort zu Agarplatten verarbeitete, theils auf Thiere verimpfte. Die Zahl der im Blute kreisenden Erreger ist bei der Pyämie, wie beim Typhus, sehr gering und ein positives Resultat am ehesten zu erhoffen, wenn man das Blut direct aus dem Heerde, von der Stelle der Sinus- phlebitis her, entnimmt. . Aber auch dabei sind die Resultate meist negativ. In dem oben eingehender mitgetheilten Falle war zur Klärung der Diagnose eine Milzpunction beabsichtigt; da diese negativ aus- fiel, wurde das aus der Einstichsstelle austretende Blut untersucht. Auf den davon gegossenen Agar-Platten wuchs Staphylococcus pyogenes albus, der auch im Ohreiter prävalirte. Auch aus diesem Befunde wäre kein Schluss für die Differentialdiagnose zwischen Typhus und Pyämie zu Ungunsten des ersteren zu zichen. Der weisse Traubencoccus kann zwar, obwohl er im Allgemeinen als benigner gilt, als der Staphylo- coccus pyogen. aur., wie durch Netter bekannt ist, Septicopyämie ver- ursachen. Für die Differentialdiagnose aber leistet dieser Befund nur wenig, weil auch bei Typhus im Blute, wie in den bei der Section entnommenen Theilen der Milz und der Mesenterialdrüsen, neben oder auch ohne gleichzeitiges Vorhandensein von Typhus-Bacillen Staphylo- coccen, die dem St. pyogen. alb. glichen, nachgewiesen worden sind. Da es nicht unmöglich ist, dass ebenso wie Staphylococcen auch gelegentlich andere Erreger z B. die bei der otogenen Pyämie bisher am häufigsten im Blute gefundenen Streptococcen von der Oberfläche der Darmgeschwüre aus in die Blutbahn gelangen, ist in zweifelhaften

1) Wiener klin. Wochenschr. 1890, 8. 731. 2) Klinisch-bacteriologische Beiträge zur Pathologie und Therapie des Ab- dominaltyphus. Samml. klin. Vorträge. N. F. No. 138.

118 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Fällen für die Diagnose der Sinusphlebitis, mit dem Nachweis pyogener Mikroorganismen durch die Blutuntersuchung wenig gewonnen. Ent- scheidend ist nur der positive Nachweis des Typhusbacillus.

Passow!) hat auf das Fehlen der Sehnenreflexe bei Sinus- phlebitis aufmerksam gemacht. Bei meinen Fällen finde ich nur einmal bei gleichzeitigem extraduralem und Kleinhirn-Abscess Aufhebung der Sehnenreflexe, in zwei weiteren dagegen notirt, dass Kniereflexe und Fuss- clonus sehr lebhaft waren und vielmehr gesteigert erschienen. Eine dia- gnostische Bedeutung kommt, wie Passow selbst betont, dem Fehlen der Reflexe nicht zu. Es ist einmal nicht ausgeschlossen, dass das Fehlen der Kniephänomene in Zusammenhang mit der Höhe des Fiebers steht; auch in dem Falle Passow’s scheint an den Tagen, an denen die Reflexe wieder ausgelöst werden konnten, im Gegensatz zu dem vorher be- obachteten hohen Fieber, die Temperatur stets unter 39° sich gehalten zu haben. Dann aber wird das Fehlen der Patellarreflexe, welches auch andere Autoren, wie Salzer in seinem zweiten Falle, beobachtet‘ haben, vielleicht eher in Beziehung zu setzen sein zu gleichzeitig vorhandenen Eiteransammlungen extraduralen oder cerebellaren in der hinteren Schädelgrube. Gowers hat zuerst auf das nicht seltene Fehlen der Kniereflexe bei Kleinhirnaffectionen hingewiesen.

Passow erwähnt auch in seiner Krankengeschichte kurz, dass vor der Operation im Harn Pepton (mit der Methode Salkowski’s) nachweisbar war, bei einer späteren Untersuchung, nach Entleerung des Abscesses und Abstossung nekrotischer Sinuswand, aber nicht mehr gefunden wurde. Der diagnostische Werth des Peptonnach- weisesfür dieErkennungendocraniellerComplicationen, dessen eingehendere Erörterung ich mir für später vorbehalte, beschränkt sich hauptsächlich auf die Feststellung der eitrigen Meningitis und allenfalls des Hirnabscesses. Bei der Sinusphlebitis war nach meinen Erfahrungen Pepton nicht einmal dort regelmässig nachzuweisen, wo grössere extradurale Eiteransammlungen, bei denen das negative Unter- suchungsergebniss vielleicht durch die nicht sonderlich günstigen Re- sorptionsbedingungen zu erklären ist, später durch die Operation aufge- deckt wurden.

Zu den wichtigsten Localsymptomen der Sinusphlebitis werden die Veränderungen am Augenhintergrund gerechnet. Aber auch sie sind nichts der Sinusthrombose specifisch Eigenthümliches

1) Berliner klin. Wochenschr 1895, No. 48.

0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 119

nicht unmittelbar durch sie mechanisch bedingt, sondern ihr mit allen übrigen endocraniellen Folgekrankheiten von Mittelohreiterungen gemeinsam und bei anderen Formen derselben sogar häufiger als bei reiner Sinusphlebitis. Nach den älteren Publicationen besonders der englischen Autoren hatte es allerdings den Anschein, als ob Neuritis optica oder Stauungspapille eine fast regelmässige Begleiterscheinung der Sinusthrombrose sei. Jansen!) hat aber bereits darauf hinge- wiesen, dass die gebräuchlichen Bezeichnungen der ophthalmoskopisch nachweisbaren Veränderungen unzulänglich seien und keine richtige Vorstellung von dem Grade der Veränderungen an der Papille geben. In der That bedürfen die Angaben über das Vorkommen von Stauungs- papille und Neuritis optica noch sorgsamer kritischer Sichtung. Die Vorstellung, dass die ophthalmoskopisch nachgewiesenen Veränderungen bei der Sinusthrombose als Zeichen directer Stauung, wie andere locale Symptome derselben, aufzufassen seien, hat offenbar hier und da die Darstellung beeinflusst. Diese Vorstellung ist aber in dieser allge- meinen Form nicht zutreffend. Die Stauungspapille ist selbst beim Hirntumor, wo sie als typisches Symptom am besten bekannt ist, nichts anderes, als eine Entzündung der Sehnervenpapille mit hoch- gradigem begleitendem Oedem [Elschnig?)]; sie ist nur, wie die Leber’sche Theorie schon immer angenommen hat, eine besondere, weit vorschreitende oder, wie Elschnig annimmt, eigenartige, durch die besondere Art des Exsudativprocesses ausgezeichnete Form intraocularer Neuritis. v. Bramann hat sich allerdings wieder für die rein mechanische Erklärung der Stauungserscheinungen und zwar in dem Sinne ausge- sprochen, dass er sich als deren Grundlage eine wirkliche venöse Stauung, hervorgerufen durch irgendwelche den Abfluss des venösen Blutes aus dem Schädelinnern hemmende Momente, denkt. Selbst wenn diese Vor- stellung, mit der v. Bramann ziemlich allein steht, zutreffend wäre, würde sie doch für die Sinusthrombose schon deshalb nicht Anwendung finden können, weil dabei eine wirkliche, plötzlich eintretende Hemmung des Blutabflusses gewöhnlich nicht eintritt, sondern die Verlegung des Sinus sich meist so allmählich entwickelt, dass bei der guten Collateral- verbindung der Ophthalmieca mit der Gesichtsvene eine erheblichere Rückstauung kaum möglich ist, oder die Stauungserscheinungen mit der bei dem Zerfall der Thromben eintretenden Wiedereröffnung der Bahn

1) Arch. f. Ohrenheilk. 33, S. 298. 2) Arch. f. Ophthalm. 41. Band, S. 179.

120 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

sich leicht ausgleichen können. Damit soll indessen nicht geleugnet werden, dass wirkliche und zwar zuweilen intensive Stauung in den Netzhautvenen bei Sinusthrombose zuweilen vorkommt. Ich habe selbst in einem Fall von plötzlich aufgetretener Thrombose des Sinus cavernosus, auf den ich später zurückkomme, eine so auffällige Hyperämie mit deutlicher Erweiterung der Venen und unverkennbarer Volumszunabme der Papille sich rapid entwickeln sehen, dass ich an der Möglichkeit des Vorkommens der Stauungspapille ähnlicher ophthalmo- skopischer Bilder bei Verlegung der venösen Abflussbahn nicht zweifeln kann. Andererseits habe ich allerdings auch in einem Falle mit Verlegung fast aller Hirnsinus, der nicht durch eine Ohrerkrankung inducirt war, ebenso, wie einmal bei Thrombose beider Sinus transversi jede Spur einer Stauung vermisst. Damit stimmen auch die Ergebnisse experimenteller Untersuchungen im Allgemeinen überein; Reisinger!) hat bei Kaninchen nach Unterbindung der Jugularvenen meist venöse Hyperämie der Netz- haut, hingegen keine Stauungspapille beobachtet.

In der diagnostischen Verwerthung einer Papillen-Hyperämie kann man indessen nicht vorsichtig genug sein. Selbstverständlich ist, dass ein derartiger Befund nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn im Beginn der Erkrankung normaler Befund erhoben, und die Entwickelung der Hyperämie von Beginn an beobachtet wurde. Sonst kann es, da auch bei rein functionellen Störungen ähnliche Befunde nichts Unge- wöhnliches sind, vorkommen, wie es mir in einem Falle erging, dass man eine functionell bedingte Hyperämie als den Ausdruck eines endo- craniellen Krankheitsheerdes anspricht.

Jansen?) hat in 31°/, der Fälle Papillitis beobachtet. Ich habe in 14 Fällen von Sinusthrombose 7 Mal davon 3 Mal bei isolirter Thrombose des Sinus cavernosus Veränderungen am Augenhintergrund, von einfacher Hyperämie bis zu dem Bilde der Stauungspapille schwankend, notirt, 7 Mal negativen Befund verzeichnet. Nur in zwei der Fälle mit positivem Befunde bestanden extradurale Abscesse, bei denen ich auch sonst bei grossem Material Veränderungen des ophthalmoskopischen Bildes fast regelmässig vermisst habe.

Auch der Befund einer wirklichen Neuritis optica würde für die Erkennung endocranieller Folgeerkrankungen an Bedeutung verlieren, wenn es zuträfe, dass bei uncomplicirten Entzündungs-

1) Zeitschr. f. Heilkunde 189. 2) Samml. klin. Vorträge N. F. No. 130, S. 240.

0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 121

processen im Bereiche der Mittelohrräume ähnliche Veränderungen vorkommen. Hessler!) geht sogar soweit, zu behaupten, „Verschwinden der Opticus-Papille in beiden Augen komme bei Sinusthrombose kaum häufiger vor als bei schweren Mittel- ohr-Warzenfortsatzeiterungen.*“ Dieser Anschauung entsprechen meine Erfahrungen nicht. Ich habe bei regelmässiger und immer durch Ophthalmologen controlirter Untersuchung in einer ausserordentlich grossen Reihe von Warzenfortsatzerkrankungen nur in einem Falle, welcher zudem noch durch cerebrale Erscheinungen ausgezeichnet war, aber nach der Aufmeisselung zur Heilung kam, Neuritis optica beobachtet. Immerhin scheint ihr Vorkommen in derartigen Fällen doch so oft beobachtet zu sein, dass danach die Verwerthung positiver Befunde für die Diagnose der Sinusthrombose, wie der endocraniellen Compli- cationen von Ohreiterungen überhaupt, nur bedingt, zum mindesten unter der Voraussetzung, dass gleichzeitig noch andere einwandsfreie Anzeichen dafür bestehen, zulässig sein dürfte.

In einem meiner Fälle waren, wie bereits in der Dissertation von A. Brieger?) hervorgehoben ist, neben den Erscheinungen der Stauungs- papille entlang den Gefässen eigenthümlich gelbweisse, schmale Streifen erkennbar, wie sie bei eitriger Meningitis als Folge eitriger Infiltration der Gefässscheiden beschrieben worden sind.

Die Veränderungen am Augenhintergrund sind bei der Sinusthrombose auch in Beziehung zu einer supponirten Steigerung des intra- eraniellen Druckes gesetzt worden. Gegen diese Vorstellung spricht schon a priori das Ergebniss der vielfachen experimentellen Er- fahrungen, nach denen eine mehr oder weniger plötzliche Steigerung des intracraniellen Druckes auf die zehnfache Höhe des Normaldruckes nothwendig ist, um Veränderungen an der Opticus-Papille hervorzurufen. Elschnig hat durch Versuche an Menschen, bei. denen durch Com- pression des Schädels —- bei Craniotabes, Defect des Stirnbeins eine künstliche Steigerung des intracraniellen Druckes bewirkt wurde, in Ueber- einstimmung mit den Resultaten der Thierversuche nachgewiesen, dass bei Druckgraden, die noch ohne besondere Beschwerden ertragen würden, an den Netzhautgefässen keinerlei Aenderung bemerkt wurde; nur nach öfter wiederholter Compression stellte sich eine diffuse (Reizungs-) Hyperämie an der Papille ein. Aber selbst wenn wir die theoretische

1) 1. c. S. 76. 2) Dissert. Würzburg 1892.

122 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Möglichkeit der Entstehung ophthalmoskopisch nachweisbarer Ver- änderungen durch Steigerung des intracraniellen Druckes zugeben wollten, wäre vor Allem erst der Nachweis zu verlangen, dass die Sinusphlebitis thatsächlich zu einer Druckerhöhung Anlass giebt. Lenhartz!) hat allerdings in zwei Fällen von Chlorose, bei denen er, auf ziemlich vage Symptome hin, in Analogie mit den Befunden Kockel’s?) Sinus- thrombose vermuthete, bei Lumbalpunction ausserordentlich grosse Druckhöhen 400mm Wasser gemessen. Gegen die Erklärung der hier constatirten Drucksteigerung durch die Sinusthrombose, deren Bestehen dazu noch recht zweifelhaft erscheint, spricht aber schon die Thatsache, dass in den übrigen Chlorose-Fällen Lenhartz’s, in denen der Autor die Annahme einer Sinusthrombose selbst ausschliesst, doch eine ebenso beträchtliche oder nur um Weniges niedrigere Druckhöhe ge- funden wurde. Vor Allem aber macht das Fehlen gerade der charakte- ristischsten Hirndrucksymptome, speciell der Pulsverlangsamung, bei der Sinusthrombose die Annahme einer dabei vorhandenen erheblicheren. intracraniellen Drucksteigerung unwabrscheinlich.

Deshalb können auch die bei der Sinusthrombose zuweilen nach- weisbaren Pupillen-Veränderungen nicht auf Rechnung einer Hirndrucksteigerung, wie es meist geschieht, gesetzt werden. In einem mit Meningitis complicirten Falle von Sinusphlebitis beobachtete ich einen sich mehrfach wiederholenden auffällig raschen Wechsel zwischen starker Myosis und maximaler Dilatation der Pupille. Damit war ein directer Hinweis darauf gegeben, dass die Pupillendilatation in den hierher gehörigen Fällen wohl eher von Nerveneinfluss abhängig und durch Oculomotoriuslähmung bedingt ist, wofür auch das gleichzeitige Bestehen von Ptosis des oberen Lids, welches ich in den beiden Fällen, in denen die Pupillenerweiterung bis zum Tode bestand, be- obachtete, sprechen würde. Zur Erklärung auch der ausschliesslichen Dilatation der der Seite des betroffenen Sinus entsprechenden Pupille bedarf es also nicht der Annahme einer Hirndrucksteigerung, wenn auch das Vorkommen einer solchen auf der Seite des stärkeren Druckes, wie z. B. bei intracraniellen Blutungen, beobachtet ist.

Auch die localen Symptome, welche in Beziehung zu den Emissarien stehen, die Dedeme am hinteren Rande des Warzenfortsatzes (Griesinger), in der Hinterhaupts-

1) Münchener med. Wochenschr. 1896, No. 9. 2) Arch. f. klin. Medicin. i

OÖ. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. }23

und Nackengegend, sind nicht Folgen der Stauung in einem zum Sinus abfliessenden Venengebiet. Darin scheinen sie sich principiell von der Schwellung im Bereich der Stirn und der Augenlider, der man bei Thrombose des Sinus cavern. begegnet, zu unterscheiden; bei Throm- bose des Transversus habe ich diese letztere bis auf einen Fall, in dem die Section dann aber den Zusammenhang dieser Schwellung mit einer intra vitam übersehenen Thrombose und Obliteration der Jugularis bei freiem Sinus cavern. aufdeckte, regelmässig vermisst. Die Differenz findet ihre Erklärung in anatomischen Verhältnissen; während der. Blutstrom in den Emissarien vom Sinus fortführt, geht gewöhnlich die Entleerung der Ophthalmica nach dem Sinus cavernosus vor sich. Daraus erklärt sich dann auch die Thatsache, dass wir bei Thrombosen anderer Art, so z. B. in dem von Kockel beschriebenen Falle bei Chlorose, derartige „Stauungs“-Phänomene ebenso vermissen, wie bei der Fort- leitung einer otitischen Transversus-Thrombose über das Torcular hinaus in den anderen Transversus auf dieser Seite.

Damit ist zugleich ein Hinweis darauf gegeben, dass bei der Sinusthrombose nicht die Thrombose das primäre ist, sondern die Phlebitis. In der Auffassung der Genese der Sinus- thrombose bestehen noch vielfache Unklarheiten. Ohne Weiteres klar sind die Fälle, in denen die Thrombose zu Stande kommt durch Fort- setzung osteophlebitischer Processe in den Venen der Paukenhöhle und des Warzenfortsatzes, in dem Emissarium mastoid. oder in Venen der Dura, in den Wasserleitungsvenen oder der Vena auditiva int. (sin. petr. inf. oder Bulbus jugul.). Der. häufigste Weg für die Entwickelung der Sinusthrombose ist aber die directe Ueberleitung entzündlicher Processe auf die Sinuswand. Dann stellt aber nicht die Thrombose des Sinus, wie Hessler annimmt, den ersten Akt dar, sondern das Vorhandensein von Veränderungen der Gefässwand, die Phlebitis, ist Voraussetzung für das Zustandekommen der Thrombose.

Consequenz der Phlebitis, nicht mechanische Folge der Thrombose, sind denn auch die Schwellungen zwischen Warzenfortsatz und Wirbel- säule. Diese vielleicht toxisch bedingten Ocdeme sind auch so diffus, dass es schwer oder unmöglich wäre, sie nach ihrer Localisation in Beziehung zur Thrombose eines bestimmten Sinusabschnittes zu setzen. Sie sind ferner nicht eindeutig genug, um für die Diagnose er- heblicheren Werth beanspruchen zu können. Typische Entwickelung des Griesinger’schen Symptoms, umschriebene harte Infiltration, vom hinteren Rande des Warzenfortsatzes nach hinten sich erstreckend,

124 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

beobachtete ich z. B. bei freiem Sinus in einem Falle von Schläfenbein- Tuberkulose, ausgehend von einer isolirten Eiteransammlung in einer auf- fallend weit nach hinten gelegenen Knochenzelle, während das sehr feine, kaum erkennbare Emissarium in der Naht zwischen Warzentheil und Occiput keine Veränderungen darbot. Fortsetzung der Schwellung auf die Hinter- hauptsgegend kann nicht ohne Weiteres auf das Emissarium occipit. und damit auf Fortsetzung der Thrombose gegen das Torcular bezogen werden; allerdings wurde einmal nach Eröffnung des Sin. sigmoid. ein sich nach dem Nacken fortsetzendes Oedem, das vielleicht als Ausdruck peripherer Fortsetzung der Thrombose nach dem anderen Sinus hin hätte angesehen werden sollen, beobachtet. Aber alle diese Oedeme, speciell auch die auf die Emissaria condyl. bezogene Infiltration der Nacken- muskeln, kommen bei uncomplieirten Eiterungen im Wearzenfortsatz, speciell bei der sogen. Bezold’schen Mastoiditis, so häufig und in der Form so vollständig übereinstimmend mit den der Sinusphlebitis zugeschriebenen Schwellungen vor, dass ihnen nur ein sehr bedingter diagnostischer Werth zuzuerkennen ist.

Die Fortsetzung der Thrombose in die V. jugularis wird zuweilen direct erkennbar. Man fühlt dann in der seitlichen Halsgegend, entsprechend dem Verlaufe der grossen Gefässe, einen auf Druck schmerzhaften derben Strang. Aber auch dieser Befund, den man in den publicirten Krankengeschichten am häufigsten notirt findet, ist nur mit grösster Vorsicht zu verwerthen. Schwartze!) hat Schmerz- haftigkeit der Vene ohne jede entzündliche Veränderung an dieser, an- scheinend von den der Vene anliegenden Lymphplexus aus ausgelöst, beobachtet. Ebenso können natürlich Eitersenkungen eine ähnliche strangförmige Infiltration bewirken und Jugularis-Thrombose vor- täuschen (Grunert, Macewen). Wie wenig aber überhaupt die Ausfüllung der Jugularis mit festen Thrombusmassen an dieser Strang- bildung Antheil hat, lehrt die Zusammenstellung Hessler’s?), aus der hervorgeht, dass in allen Fällen, in denen die Jugularis als harter Strang durchgeführt war, die Section nur die Anwesenheit eitrig zer- fallener Thrombenbröckel ergab. In einem meiner Fälle war deutliche Strangbildung lange nachweisbar, bis sie wenige Tage ante mortem durch eine die Jugularis umspülende Eiteransammlung verdeckt wurde; die Section ergab vollständige Obliteration der Vene, welche auf einen

1) Handb. d. Ohrenheilk. Bd. I, S. 547. 2) 1. c. S. 369.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 1925

dünnen feinen Strang reducirt war und diese Veränderung sicherlich schon eingegangen sein musste, als noch deutliche Strangbildung nach- weisbar war. Also auch die vielfach gebräuchliche Anerkennung der diagnostischen Bedeutung dieses Symptoms bedarf der Einschränkung. Wenn aber die Strangbildung schon an sich nicht einwandsfrei ist, werden Versuche, aus der Ausdehnung des Strangs Schlüsse auf die Ausdehnung der Thrombose zu ziehen, noch aussichtsloser sein. Knapp!) meint, dass die strangförmige oder „runde“ Anschwellung, die der thrombosirten Jugularis entspreche, oft plötzlich etwa 3 cm unterhalb des Unterkiefers aufhöre, und erklärt dies damit, dass dann der „gesunde Blutstiom“ der hier einmündenden Facialvene das Lumen im unteren Theil der Jugularis frei halte. Es kommt gewiss vor, dass gelegentlich einmal die Thrombose an der Vereinigungsstelle der Jugularis int. und der Facialis aufhört. Es fehlt aber jeder Anhalt dafür, dass dieses Vorkommniss häufig ist; vielmehr lehren uns vielfache Erfahrungen, dass der Thrombus sehr oft über diese Stelle hinaus in die Jugularis communis hereinwächst. Auch ist eine scharfe, plötzliche und constante Begrenzung der Infiltration im Gegensatz zu der meist ganz allmählig nach abwärts sich verlierenden Strangbildung eher differential-diagnostisch bedeutsam zu Gunsten der Annahme einer umschriebenen Eiteran- sammlung, eines Senkungsabscesses, gegenüber der Thrombose der Ju- gularis. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass auch die Strang- bildung entlang der Jugularis überhaupt eine Bedeutung nur dann hat, wenn sie vorhanden ist, dass man aus negativen Befunden ebenso wenig Schlüsse auf normale Beschaffenheit der Jugularis ziehen darf, wie etwa aus der Abwesenheit der retro-auricularen Schwellungen auf normalen Befund im Sinus. In Zusammenhang mit dieser Strangbildung entlang der Jugularis steht die Schmerzhaftigkeit bei Bewegungen des Kopfes in allen Richtungen und die häufige Bewegungs- beschränkung, welche nicht selten in der Entwickelung eines Caput obstipum ihren Ausdruck findet. Gewöhnlich wird dabei der Kopf nach der kranken Seite geneigt gehalten. Jansen?) erwähnt jedoch in seiner | Casuistik einen Fall, in welchem das entgegengesetzte Verhalten vorlag. Neigung nach der gesunden Seite bestand auch in folgendem Falle: K. Sch., 7 Jahre alt, seit 3 Jahren rechtsseitige Ohreiterung nach

Scharlach. Seit einigen Tagen Schmerzen in der Warzengegend und Schiefhals.

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXV. S. 83. - 2) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVI, S. 46.

126 :0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfeetion nach Ohreiterungen.

Kopf stark gegen die linke Schulter geneigt, activ gar ‚nicht, passiv ohne besondere Schwierigkeit in normale Lage zu bringen. Rechte Schulter steht etwas tiefer als die linke. Starke Schmerzhaftigkeit der rechten Warzengegend; diffuse teigige Infiltration nach abwärts bis ‘zur Mitte des Halses. Nach mehrtägiger Beobachtung Operation, bei ‘welcher ein ausgedehnter perisinuöser Abscess aufgedeckt wird; an der Aussenwand des Sinus in grösserer Ausdehnung Granulationen.

Allmählicher Rückgang des Caput obstipum; es bleibt aber noch .ein gewisses Uebergewicht der linken Seite zurück.

Ein Senkungsabscess, dem eine comprimirende Wirkung und dadurch eine Parese des rechten _spinalen Accessorius (ramus ext.) nach seiner Trennung vom Accessorius vagi zuzuschreiben wäre, bestand hier nicht. ' Klinisch. lag aber die Erklärung des nach der gesunden Seite ge- richteten Caput obstipum durch rechtsseitige Accessorius-Parese mit starker Antagonistenwirkung des linken Accessorius ebenso nahe, wie die . Vermuthung einer Beziehung zwischen dieser und dem ausgedehnten peri- ‚sinuösen Abscess, nach dessen Entleerung sich auch die Parese allmählig ‘zurückbildete. Es ist zwar wenig wahrscheinlich, dass von den durch ‘das For. jugular. gehenden Nerven nur ein Nerv und zwar nicht einmal sein ganzer Stamm, sondern nur der spinale Antheil des mit dem ‘Access. vagi hier noch vereinigten Nerven durch einen endocraniellen, -gegen das For. jugulare dem Sinus entlang sich senkenden Eiterheerd getroffen wird. Indessen ist Compression des Vagus und Glossopharyngeus -und selbst Krämpfe im Accessorius-Gebiet bei Sinusphlebitis isolirt be- ‘obachtet, so dass wir mit der Möglichkeit einer solchen isolirten Parese des Accessorius spinalis immerhin zn rechnen haben.

Wir kommen am Schlusse unserer Betrachtungen über die Ste atologie der Sinusthrombose zu demselben Resultate für die Diagnose, zu dem ‚die meisten neueren Arbeiten über dieses Thema gelangt sind: die Störungen, welche als directe locale Consequenzen . der Thrombophlebitis des Sinus transversus angesprochen werden, sind nicht eindeutig genug, um für sich allein zur Diagnose zu genügen. Die pyämischen Allgemeiner- 'scheinungen sind nicht für die Pyämie nach Sinusphlebitis allein charak- teristisch. Aber auch die Combination der letzteren mit einzelnen Localsymptomen führt durchaus nicht immer zur Feststellung der Sinus- thrombose. Bei manchen Formen von Mastoideal-Eiterungen, besonders ‚bei Durchbruch durch die untere Fläche des Warzenfortsatzes, finden sich vielmehr ebensowohl Symptome einer Allgemeininfection, die wir als pyämische anzusprechen gewohnt sind, als locale Veränderungen, welche den von Thrombophlebitis der Emissarien ausgehenden .. Oedemen voll-

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 127

ständig gleichen. Einen charakteristischen Fall dieser Art will ich kurz anführen:

R. G., 38 Jahre alt, vor einer Woche unter heftigen Schmerzen -im. rechten Ohr erkrankt. Initialer Schüttelfrost; im Laufe der ersten Krankheitswoche dreimalige Wiederholung desselben. Am zweiten Krankheitstage Otorrhoe. ,

Status praes.: Starke Senkung der hinteren oberen. Schwellung der unteren Gehörgangswand, daher starke Stenose des Gehörgangs. Profuse, durch Druck auf Warzenfortsatz verstärkte Eiterung.

. Mässige Schwellung über Warzenfortsatz; starkes druckempfindliches Oedem vom hinteren Rande desselben nach hinten bis fast in die Medianlinie, nach vorn in eine die Spitze des Proc. mast: überlagernde, umschriebene Schwellung übergehend, die sich nach unten in einen am vorderen Rande des Kopfnickers verlaufenden i schmerzhaften derben Strang fortsetzt.

Operation: Unter dünner Corticalis grosse Abscesshöhle im Warzenfortsatz, die Antrum und Zellen umfasst. Durchbruch an der Unterfläche, Communication des Senkungsabscesses durch breite Fistel mit der unteren Gehörgangswand. In der Tiefe des Abscesses liegt die leicht verfärbte, mit Granulationen besetzte, stark pulsirende Sinus- ‚wand vor. Mehrmalige Punction des Sinus ergiebt unverändertes Blut; nach zwei Monaten geheilt entlassen.

Die Krankengeschichte dieses Falles weist auf den letzten und relativ sichersten Weg hin, den wir zur Feststellung der Sinus- phlebitis zu gehen haben, auf die explorative Freilegung des Sinus transversus. Gewöhnlich werden in den hier in Betracht kommenden Fällen die durch die localen Herde in den Mittelohrräumen indicirten Operationen schon an und für sich auf den Sinus führen. ‘Schon bei der Freilegung der Oberfläche des Warzenfortsatzes können Veränderungen am Emissarium mastoid., dessen Beschaffenheit in jedem zweifelhaften Falle zu prüfen ist, die Diagnose unterstützen. ‘Allerdings ist Eiteraustritt aus dem Emissarium nicht ohne Weiteres, wie v. Bergmann es annimmt, ein Beweis für das Vorhandensein von Sinusphlebitis. Ich komme später noch näher auf einen Fall zu sprechen, in welchem eine Eiterstrasse durch das weite Emissarium auf einen ‘grossen perisinuösen Abscess führte und der Sinus selbst intact war. Auch Jansen!) erwähnt das Vorkommen einer direct von Ostitis des -Warzenfortsatzes eingeleiteten Thrombose des Emissar. mast. bei freiem -Sinus.

1) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXV, S. 238.

128 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Auf dem Wege zum Sinus transvers. gelingt es vor Allem auch, perisinuöse Eiteransammlungen, wie sie die Thrombose des Sinns transversus fast regelmässig begleiten, aber ebenso auch, selbst- ständig aufgetreten und für sich allein bestehend, deren Bild vor- täuschen können, zu entdecken. Die localen Symptome der extra- duralen Abscesse sind denen der Sinusthrombose meist so ähnlich, dass in Fällen, denen typische pyämische Erscheinungen abgehen, Sinus- thrombose leicht dort vermuthet werden kann, wo nur eine Eiter- ansammlung an der Aussenfläche des Sinus besteht. Charakteristische, pathognomonische Erscheinungen machen diese Abscesse gewöhnlich nicht. Nur dort, wo cerebrale Symptome bestanden, wie sie unter Umständen bei extraduralen Abscessen beobachtet werden, fiel mir in einigen Fällen cin so auffällig rascher Wechsel in den Erscheinungen, eine solche In- constanz dieser localen wie diffusen Cerebralsymptome auf, wie man sie auch bei der Meningitis, deren Krankheitsbild sich doch auch nicht selten schnell verändert, kaum sieht. Vielleicht hängt diese Ver- änderlichkeit, welche in einem Falle auch prägnant im Verhalten des ophthalmoskopischen Bildes und der Weite der Pupillen zum Ausdruck kam, damit zusammen, dass extradurale Abscesse, dort wo eine fistulöse Communication durch den Sulcus sigmoid. besteht, sich zuweilen sehr rasch entleeren und bei Verlegung der Fistel durch Granulationen wieder füllen können.

Darin unterscheiden sich die extraduralen Abscesse von den die Sinusphlebitis begleitenden Hirnabscessen, dass sie, wenn Zeichen pyämischer Allgemeininfection fehlen, in dem Krankheitsbild in den Vordergrund treten können, während diese, die allerdings überwiegend im Kleinhirn localisirt sind und daher schon an sich wie Kleinhirn- abscesse oft symptomlos verlaufen können, durch die Sinusphlebitis meistens vollständig verdeckt werden.

Von der Inspection des freigelegten Sinus hat man vielfach Aufschlüsse über die Beschaffenheit seines Inhalts erwartet. Ueber die Be- deutung des Nachweises gangränöser Stellen in der Sinuswand oder von Fisteln, die in das mit Eiter oder zerfallenen Thromben erfüllte Sinus-Innere führen, besteht kein Zweifel. Die Beurtheilung einer Verfärbung oder ver- änderten Resistenz der Sinuswand lässt schon dem individuellen Ermessen einen weiten Spielraum und führt nicht selten, auch nach meinen Er- fährungen, zu Schlüssen, die sich bei weiterer Untersuchung des Sinus- innern als falsch herausstellen. Auch die directe Palpation des Thrombus durch die Sinuswand hindurch ist unzuverlässig und schon deshalb meist

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 129

gegenstandlos, weil in den Fällen, um die es sich hier handelt, gewöhn- lich nicht mehr ein derber, das Sinus-Lumen füllender und daher fühl- barer Thrombus vorhanden ist.

Besonderes Gewicht wird von manchen Autoren auf das Verhalten der Respirations- und Pulsationsbewegungen am Sinus gelegt. Der Nachweis von Respirationsbewegungen gelingt auch am normalen Sinus so selten, dass aus ihrem Fehlen Folgerungen für die Diagnose unmöglich hergeleitet werden können. Körner!) hat sie niemals beobachtet; ich habe in einem Falle nach Entleerung eines extraduralen Abscesses deutliche, der Inspiration synchrone Einsenkungen der äusseren Sinuswand, in einem zweiten bei zufälliger Freilegung des Sinus fast vollständigen, inspiratorischen Collaps und flatternde Be- wegungen der auffällig dünnen Sinuswand beobachtet. Das Vorhanden- sein von Respirationsbewegungen hat, wenn auch wegen seiner Selten- heit keinen grossen praktischen Werth, so doch hier eine zweifellose diagnostische Bedeutung, weil für ihr Zustandekommen freie Bahn vom rechten Herzen bis zu der betreffenden Stelle am Sinus nothwendige Voraussetzung ist.

Anders steht es mit den pulsatorischen Bewegungen des Sinus. Berthold?) hat zuerst den venösen Puls in den Hirnblutleitern, den er an dem rhythmisch unterbrochenen, aus der verletzten Jugularis interna herausspritzenden Blutstrahl erkannte, beschrieben. Mit diesem venösen Puls haben die pulsatorischen Bewegungen des Sinus allerdings meist nichts zu thun; sie sind sehr häufig nichts Anderes, als der Ausdruck diffuser Hirnpulsation, wie man im Einzelfalle bei breiterer Freilegung der Dura leicht feststellen kann. Damit sind zugleich die Grenzen für die diagnostische Verwerthung ihres Verhaltens gegeben. Wenn sie nur da- durch zu Stande kommen, dass dem Sinus die pulsatorische Bewegung des ganzen Schädelinhalts mitgetheilt wird, dann kann es keinen Unterschied machen, ob der Sinus thrombosirt oder von strömendem Blut erfüllt ist. Die Beobachtung der Pulsation während Compression der Jugularis (durch die Hautdecken hindurch) giebt nach meinen Erfahrungen auch keinen sicheren Anhaltspunkt für die Erkennung des Zusammenhangs der pulsa- torischen Bewegungen mit dem Venenpuls; auch dort, wo es sich um wirk- liche Pulsation des Sinusinhalts bei kaum wahrnehmbarer Hirnpulsation zu handeln schien, wurde dadurch eine Verstärkung der Pulsation nicht herbei-

-

1) 1. c. S. 83. 2) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1879, Nr. 43. Zeitschrift für Ohrenheilkunde Ba. XXIX. 9 /

130 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

geführt. Die Entscheidung, ob es sich um Venen- oder Hirnpulsation handelt, ist daher meist so schwer, dass man sich im gegebenen Falle kaum lange damit aufhalten kann, sondern besser rasch zu sichereren Methoden der Prüfung des Sinusinhalts übergeht. Praktischen Zwecken entspricht am besten die Feststellung, dass den pulsatorischen Bewegungen des Sinus weder in positiver noch in negativer Hinsicht eine nennenswerthe Bedeutung zu- kommt. Sie fehlen so häufig überhaupt, dass Abwesenheit der Pulsation durchaus nichts für Verschluss des Sinus beweist. Aber andererseits sind auch bei Thrombose des Sinus, gegen welche nach Hessler!) Sinus-Pulsation direct sprechen soll, pulsatorische Bewegungen zuweilen deutlich nach- weisbar, so dass also auch ihr Vorhandensein normale Beschaffenheit der den Sinus durchströmenden Blutmasse nicht im Mindesten verbürgt.

Zuweilen ist die externe Sinuswand bei extraduralen Abscessen mit Sinusphlebitis nicht, wie es gewöhnlich dabei beschrieben ist, sehr dünn und wenig resistent, sondern mit Granulationen besetzt oder seltener von einer dicken, kaum ablösbaren pachymeningitischen Schwarte überzogen. Bei Freilegung der Dura kommt es dann unter Umständen zu starker Blutung, deren Quelle man leicht zu Un- recht in den Sinus verlegt, wie denn überhaupt nicht alle bei äusseren Eingriffen in dieser Gegend zu Stande kommenden Blutungen ohne Weiteres als Sinusblutungen aufzufassen sind. Die Blutungen aus stark dilatirten Dura-Venen oder aus den mit diesen oder den Blutleitern communicirenden vv. diploicae (Jansen?) stehen an Reichlichkeit einer Sinusblutung zuweilen nicht nach. Die Blutungen aus Dura-Venen, die ich zweimal in besonderer Stärke, je einmal bei Sinusphlebitis und Meningitis, beobachtet habe, sind von Sinusblutungen dadurch leicht zu unterscheiden, dass sie rasch von selbst stehen. Wenn man die Ablösung der Dura unterbricht, legt sich der in den ange- legten Defect sofort nachrückende Schädelinhalt so vollständig an den Knochenrand des Defects an, dass dadurch die blutenden Venenstämme fest comprimirt werden. Zur grösseren Sicherheit, aber eigentlich über- flüssiger Weise, mag man noch zwischen Knochen und Duralsack einen Gazestreifen einschieben. Auch die Blutungen aus den vv. diploicae stehen auf Compression meist rasch, während es bei Sinusblutungen bis zur Verklebung der Wunde des dauernden Contacts der Sinuswunde mit den Tampons, durch welche eine die Compression vermittelnde feste Unterlage geschaffen wird, bedarf.

1) 1. e. S. 77. 2) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 31, S. 167.

OÖ. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 131

Die zuweilen vorhandene Schwierigkeit, den Sinus an der freige- legten, verdickten oder von Granulationen bedeckten Dura herauszu- erkennen, macht stch besonders bei den Manipulationen, welche behufs Untersuchung des Sinusinhalts vorgenommen werden, geltend. Für diesen Zweck stehen zwei Verfahren zur Verfügung: Punction nebst Aspiration mittelst Spritze und Incision des Sinus.

Die erste Voraussetzung für die Wahl einer dieser Untersuchungs- methoden ist ihre Ungefährlichkeit. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als verdiene in dieser Beziehung die Probepunction den Vorzug.

Die Erfahrungen über die Fragen zufälliger Sinuseröffnung bei Aufmeisselung des Warzenfortsatzes gestatten zwar nicht mehr ohne Einschränkung, an der früher vielfach verbreiteten Anschauung von der Ungefährlichkeit solcher Sinus-Verletzungen festzuhalten. Be- obachtungen, wie sie Roosa), Steinbrügge?), Eulenstein?), Reinhardt) u. A. erwähnen, beweisen, wenn auch die Autoren selbst den Zusammenhang zwischen der Verletzung des Sinus und den sich an- schliessenden pyämischen Erscheinungen nicht immer anerkennen, un- zweifelhaft, dass sich an Eröffnung des intacten Sinus Pyämie, deren Ursache denn wohl immer in einer Thrombophlebitis des verletzten Blut- leiters zu suchen sein wird, anschliessen kann. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist sie aber gefahrlos; auch ich habe in einer nicht ganz geringen Zahl von beabsichtigter oder zufälliger Sinuseröffnung niemals irgend welche unmittelbaren schädlichen Folgen gesehen °).

Diese Thatsache weist schon auf eine weitere, experimentell und klinisch gleich gut beglaubigte Thatsache hin, welche die Gefahr- losigkeit der Probeincision des Sinus am besten belegt. Wir wissen aus den Versuchen Brauns®), dass bei seitlich gsschlossenen

e

1) Ref. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 35, S. 103.

2) Deutsche med. Wochenschr. 1893, S. 432.

3) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1893, S. 146.

4) Chirurg. Eröffnung der Mittelohrräume. Greifswald. S. 88.

5) In einem Falle von Verletzung des Sinus, der durch eine präexistente Lücke im Sulcus sigmoideus schon in geringer Tiefe erreicht wurde, schloss sich der abundanten Blutung hochgradige Anaemie an, unter deren Einfluss sich ziemlich rasch bei vollständiger Heilung des durch Freilegung der Mittel- ohrräume behandelten Ohrenleidens Erscheinungen des Morbus Basedow. entwickelten.

6) Langenbeck’s Arch., Bd. 28.

d

132 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Venenwunden deren Verschluss mit Erhaltung des Gefässlumens ohne Thrombose zu Stande kommt. Damit stimmen die Ergebnisse der an der Hirnsinus selbst angestellten Versuche Schellmann’s !), welcher Sinuswunden zumeist ohne jegliche Veränderungen des Sinus, ohne Ver- legung seines Lumens heilen sah, und diesen Versuchsresultaten direct entsprechende klinische Erfahrungen überein. Jansen?) fand bei einer 7 Tage nach leichter Verletzung des Sinus vorgenommenen Obduction die Läsion der Sinuswand geschlossen, das Lumen frei. Ich habe bei zwei Fällen, welche wenige Tage nach der Probeineision zur Obduction kamen, die Incisionswunde verklebt, die Sinusinnenwand vollständig normal, nirgends eine Spur einer in das Lumen hineinragenden Throm- bose gesehen.

Wenn aber damit feststeht, dass Incisionswunden am Sinus gewöhn- lich ohne jede Alteration der ihn durchströmenden Blutsäule heilen, so fehlt jeder Anlass, die Probeincision für gefährlicher zu halten, als die Aspiration des Inhalts mittelst Punctionsspritze. Im Gegentheil, der aus dem normalen Sinus bei der Incision hervorstürzende Blutstrom würde eher einen Schutz gegen die Gefahr des Eindringens von Mikro- organismen, welche bei der Probepunction nicht gleich sicher zu ver- hüten ist, gewähren können. . Im Allgemeinen mag es richtig sein (Zaufal°), dass die Einführung „einiger Entzündungserreger“ mit der Spritze Dank der bactericiden Kraft des Blutes gefahrlos ist. Nur fehlt jede Sicherheit dafür, dass im concreten Falle dieser Schutz gegen die doch nicht immer so geringe Infectionsgefahr, welche bei der Einführung der Spritze durch die bei extraduralen Abscessen die Rückwand des Abscesses darstellende Venenwand besteht, auch wirklich immer ausreicht. Die Probepunction scheint mir deshalb nicht unbedingt gefahrloser, als die Incision. In einem Falle habe ich allerdings gesehen, dass bei einer von anderer Seite vorgenommenen Incision des Sinus auch seine mediale Wand perforirt wurde. Bei der Obduction fand sich ein ausgedehntes intradurales Extravasat in der hinteren Schädelgrube; im Sin. petr. inf, im Bulbus ingul. und der Vene bis nahe der Mündung in Jie Subclavia Thrombophlebitis, im Sinus transv. keine Veränderung. Dieser Gefahr, die in diesem Falle durch die auffällig geringe Weite des rechten Querblutleiters begründet war, die übrigens unter diesen Umständen auch bei der Probepunction

1) Ueber traumatische Verletzung der Hirnsinus. Dissert. Giessen 1864. 2) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 35, S. 279. | 3) Prag. med. Wochenschr. 1893, No. 18.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 133

vorhanden, dann allerdings bei dem erheblich engeren Lumen der even- tuellen Ausstichsöffnung vielleicht weniger bedenklich sein würde, kann man indessen durch geeignete oberflächliche Schnittführung sicher aus dem Wege gehen.

Der wesentlichste Nachtheil der Incision besteht darin, dass danach meistens die Unterbrechung der Operation nothwendig werden wird, während die geringe Nachblutung aus der Stichöffnung nach Probe- punction auf Compression rasch zu stehen pflegt. Da aber die Explora- tion des Sinus gewöhnlich den Schluss der Operation aa tele wird, fällt dieser Nachtheil kaum ins Gewicht.

Immerhin will ich durchaus nicht etwa ganz allgemein die Probe- incision als Ersatz für die Probepunction empfehlen. Ich gehe viel- mehr selbst gewöhnlich so vor, dass ich zuerst punctire und erst, wenn die Probepunction kein klares Resultat ergiebt, die Probeincision an- schliesse.

Die Ergebnisse der Punction sind aber nicht selten unklar und verschiedener Deutung zugänglich. Positive Resultate, d. h. Nachweis von Eiter im aspirirten Sinusinhalt, sind natürlich absolut beweisend. Unklar scheint vor Allem zu sein, was man unter negativem Punctionsbefund zu verstehen hat. Hessler!) spricht von „einer Punction ohne Blut mit negativem Resultat“, welche nach seiner Meinung für Thrombose des Sinus im Gegensatz zum eitrigen Zerfall des Thrombus, zur Thrombo- phlebitis sprechen soll. Dieser Auffassung steht zunächst schon das Bedenken entgegen, dass es, wie bereits oben näher ausgeführt, oft recht schwer oder gelegentlich sogar unmöglich sein kann, den Sinus von den angrenzenden Dura-Bezirken zu unterscheiden, dass man also in diesem Falle nicht immer ohne Weiteres sicher sein darf, wirklich den Sinus erreicht zu haben. Compression des Jugularis war auch dafür nutzlos; sie liess in den zweifelhaften Fällen den Sinus nicht deutlicher hervor- treten und ist dabei wegen der Möglichkeit gleichzeitiger Carotis- Compression, die unter Umständen während der Narkose unbequeme Nebenwirkungen haben kann, nur mit grosser Vorsicht anzuwenden, dann aber für Anstauung des Sinusbluts und Sichtbarmachung des Sinus erst recht bedeutungslos. Bei Anwesenheit eines festen obturirenden Pfropfens wäre ein negatives Resultat nur in dem Sinne zu erwarten, dass dann die Aspiration, da die Nadel in einem festen Körper stecken würde, überhaupt unmöglich ist. Thatsächlich habe ich dieses Verhalten

1) L e. S. 443.

134 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

auch in einem Falle, in dem der Thrombus im Bereich der von der Probepunction getroffenen Strecke noch fest war und vollständig das Lumen verschloss, beobachtet. Für diese Eventualitäten, für den Fall, dass der Sitz der Punctionsnadel im Sinus nicht zweifellos, der Sinus selbst bei der Inspection schwer zu differenziren ist, oder beim Miss- lingen der Aspiration, empfiehlt es sich gewiss, der Probepunction eine Incision folgen zu lassen.

Die Aspiration flüssigen Blutes aus dem Sinus schliesst die Anwesenheit eines Thrombus nicht aus. Der Zerfall der Thromben kann die Passage für den Blutstrom schon so weit frei gemacht haben, dass man im Augenblick der Punction nur flüssiges Blut findet und die wohl dann noch immer vorhandenen wandständigen Reste des Thrombus nicht erkennt. Ein charak- teristisches Beispiel dafür liefert ein Fall Lane’s!), in welchem bei Punction des Sinus Blut aspirirt, nach breiter Eröffnung der Wand aber ein 1°/, Zoll langer Thrombus extrahirt wurde. Der Ausfall der Probepunction ist verschieden je nach dem Zeitpunkt, in dem sie ausgeführt wird, oder richtiger, er ist abhängig von dem Grade des Thrombus-Zerfalls, welcher unter Umständen in solcher Ausgiebigkeit getroffen werden kann, dass die Passage bereits frei ge- worden ist und flüssiges Blut trotz noch vorhandener Sinusphlebitis aspirirt werden kann.

Lane?) hat einen Fall mitgetheilt, in dem bei der Operation trotz pyämischer Erscheinungen der Sinus nicht thrombosirt gefunden wurde und bei der Obduction, welche die Anwesenheit metastatischer Lungen- heerde ergab, ebenfalls frei war. Ich will hier nur ganz kurz einen Fall von Pyämie aus meiner Beobachtung anführen, bei welchem trotz ausgesprochener pyämischer Erscheinungen, trotz bereits nachweisbarer Metastasirung der Sinus zwar an der Aussenwand mit Granulationen besetzt, aber bei Punction nicht thrombosirt gefunden wurde. 19 Tage danach Exitus; bei der Obduction finden sich neben den bereits intra vitam beobachteten metastatischen Abscessen in beiden Fussge- lenken in beiden Kniegelenken Synovitis acuta Endocarditis ulcerosa besonders an der Mitralklappe, Milzinfaret und multiple embolische Lungenherde Als Ausgangspunkt der Pyämie wird der Sinus transversus durch den Nachweis

1) Lancet 1893, S. 138. 2) Brit. med. Journ. 1889, 4. Mai.

O.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 135

einer unscheinbaren flachen, kaum linsengrossen, fast entfärbten Thrombus-Auflagerung an der medialen Sinuswand ermittelt. Die Probepunction konnte hier, da bei ihrer Ausführung der Zerfall des primären Thrombus schon weit vorgeschritten und der Sinus wieder durchgängig war, nur flüssiges Blut ergeben. Der gleichen Erklärung, der Annahme eines wandständigen, nicht obturirenden Thrombus, neigt sich auch Barnick!) für seinen Fall von metastasirender Pyämie mit dem gleichen Punctionsresultat zu. Allerdings lassen nur klinisch beobachtete, geheilte Fälle, wie der Barnick’s, die Möglichkeit, dass der Sinus trans- versus überhaupt von vornherein frei war und nur eine Thrombose in den kleinen Blutleitern oder im Bulbus jugul. bestand, noch zu, während in der von mir oben mitgetheilten Beobachtung die Section bestätigte, dass auch bei zweifelloser Transversus-Thrombose ebenso, wie Bezold?) es schon bei Phlebitis beschrieb, aus dem Sinus flüssiges Blut aspirirt werden kann. In zweifelhaften Fällen ist es auch zulässig und zweckmässig, bei Entleerung flüssigen Blutes aus dem Sinus in ver- schiedener Höhe, besonders auch unterhalb der Höhe des Emissar. mastoid. gegen den Bulbus zu die Punktion zu wiederholen.

Aus allen diesen Ausführungen geht wohl zur Genüge hervor, dass negative Punctionsergebnisse, und zwar die Aspiration flüssigen Blutes ebenso- wenig wie ein absolut negatives Punctionsresultat, keine diagnostische Bedeu- tung beanspruchen können. Positive Befunde dagegen sind, wie bereits ausge- sprochen, absolut beweisend, vorausgesetzt natürlich, dass es sich wirklich um den Nachweis eitrig zerfallener Thrombusmassen und nicht um Befunde handelt, deren Deutung zum Mindesten zweifelhaft ist. Angaben, wie die von Lenthal, Cheatle und Pritchard?°), welche aus dem der Punctions- nadel anhaftenden Foetor bei sonst völlig ergebnissloser Probepunction die Sinusphlebitis erschlossen, könnten dagegen, wenn auch in diesem Falle diese Vermuthung durch den Operationsbefund bestätigt wurde, leicht zu Trugschlüssen führen. In solchen Fällen wird das zweifelhafte Resultat der Probepunction durch nachfolgende Probeineision, für die sich auch Zaufal*) ausgesprochen hat, ergänzt werden müssen.

In manchen Krankengeschichten lässt auch die Darstellung des bei Exploration des Sinusinhalts gewonnenen Befundes nicht klar erkennen, ob wirklich eine Sinusphlebitis vorlag. Es ist durchaus nothwendig,

1) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 38, S. 191.

2) Ref. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 14, S. 297.

3) Lancet. 1893, 4. März.

4) Verhandl. der deutschen otolog. Gesellschaft Jena 1895, S. 117.

136 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

dass die aus dem Sinus entleerte Flüssigkeit sorgfältig untersucht wird. Die diagnostische Bedeutung der Blutuntersuchung ist bereits er- örtert worden. Hier genügt ein nochmaliger Hinweis darauf, dass es sich in allen Fällen, welche die Freilegung des Sinus und Exploration seines Inhalts nothwendig erscheinen lassen, empfiehlt, das Blut unmit- telbar aus dem Sinus zu entnehmen, weil die Chancen für die Gewinnung positiver Untersuchungsergebnisse bei Entnahme aus der nächsten Nach- barschaft des phlebitischen Herdes die relativ günstigsten sind. Bei Probeineision fängt man eine beliebige Menge Bluts mit sterilem Reagenzglas direct aus der Sinuswunde auf; bei Probepunction empfiehlt es sich, sterile Spritzen von etwas grösserer Capacität, als üblich, zu verwenden. Die aus dem Sinus entnommenen Blutproben werden mikro- skopisch untersucht, der Rest möglichst nach der Entnahme theils zu Platten verarbeitet, theils auf Thiere verimpft. Die Uebertragung auf Thiere ist auch schon deshalb unerlässlich, weil es, wie in einem meiner Fälle, vorkommen kann, dass trotz steriler Beschaffenheit des Bluts, d.h. trotz Abwesenheit von Mikroorganismen, an den geimpften Thieren toxische Allgemeinerscheinungen nachweisbar werden. Bei zahlreichen Untersuchungen, welche bei Verdacht auf Sinusphlebitis nach diesem Plane vorgenommen wurden, ergab sich nur in einem als Sinusphlebitis durch die Obduction bestätigten Falle im flüssigen Blute ein positives Resultat, und zwar die Anwesenheit von Streptococcus pyogenes in Rein- cultur.

Ich will hier nur kurz einschalten, dass in dem oben besprochenen, anfänglich mit Typhus verwechselten Falle Staphylococcus pyogenus alb. nicht allein im Blute, sondern auch überwiegend im extraduralen und im Ohreiter hier neben Streptococcus pyogen. —, sowie ferner im Eiter des perijugulären Abscesses nachgewiesen wurde. Die Unter- suchung des Ohreiters in den Fällen von Sinusphlebitis ergab die gleiche Verschiedenartigkeit der Befunde, wie sie gewöhnlich bei der Unter- suchung des Ohrsecrets überhaupt zu Tage tritt, und zwar die Anwesen- heit eben sowohl von Pneumococcen, als von Streptococcen und Staphyloce. pyogen. alb. und aureus. Hessler’s!) Wiederholung der bekannten, in dieser Allgemeinheit längst nicht mehr aufrecht zu erhaltenden Angabe, dass die Prognose bei Pneumococcen-Eiterungen günstiger, als bei Strepto- coccen-Otitiden ist, macht es nothwendig, von Neuem zu betonen, dass für die Prognose nicht die Bakterienart an sich. der die Erreger an-

1) 1. c. S. 401.

O.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 137

gehören, sondern vor Allem die im Einzelfalle zu prüfende Virulenz der gefundenen Mikroorganismen massgebend ist.

Auch darin kann Hessler nicht beigestimmt werden, dass nega- tiver Ausfall der bakteriologischen Blutuntersuchung eine günstigere prognostische Auffassung eines Falles gestatte; negativen Befunden kommt vielmehr, auch nach dieser Richtung, schon deswegen nicht die mindeste Bedeutung zu, weil in der Mehrzahl der Fälle die Erreger, wenn sie auch im Blute circuliren, sich dem Nachweis entziehen. Aber selbst positive Befunde haben vorläufig ein mehr theoretisches Interesse, jeden- falls aber keinen Werth für die prognostische Beurtheilung eines be- stimmten Falls.

Die Anschauungen über die Prognose der Sinusphlebitis haben sich unter dem Einflusse unserer therapeutischen Fortschritte wesentlich verschoben. Schwartze!) hat zwar in seinem Lehrbuch noch den Tod als den gewöhnlichen Ausgang der Sinusphlebitis bezeichnet, aber schon damals hervorgehoben, dass ihre Prognose nicht so absolut ungünstig, wie bei Hirnabscess und Meningitis, ist. Die Heilungs- aussichten bei der Sinusphlebitis sind auch heute, obwohl sie für den Hirn- abscess erheblich bessere geworden sind und selbst der Arachnitis nicht mehr bedingungslos abgesprochen werden können, immer noch die relativ günstigsten unter diesen drei Formen endocranieller Folgeerkrankungen nach Mittelohreiterungen. Die Prognose des einzelnen Falls hängt bei der Sinusphlebitis im Wesentlichen ab von dem Stadium, in welchem er in die Behandlung tritt. Sie ist, wenn nicht etwa metastatische Heerde die Function lebenswichtiger Organe beeinträchtigen, auch dann nicht absolut ungünstig, wenn bereits die Aussaat der in Thrombus- Bröckel eingeschlossenen oder frei circulirenden Erreger in die Blutbahn zur Metastasenbildung geführt hat. Ob die Heilung, welche nur in einigen seltenen Ausnahmefällen spontan durch Obliteration des Sinus eintrat, definitiv bleibt, hängt von der Heilung des Grundleidens, der Ohreiterung, ab. Bleibt diese aus, dann bleibt auch die Gelegenheit für Entstehung von Thrombophlebitiden in den nicht obliterirten Blut- leitern bestehen, wie denn auch Jansen thatsächlich bereits bei einem Kranken innerhalb eines Zeitraums von acht Jahren zweimaliges Auf- treten der Erscheinungen von Sinusphlebitis und Pyämie festgestellt hat. Auch in einem meiner Fälle ergab sich aus der Anamnese, aus welcher man allerdings hier wohl noch weniger, als sonst, Schlüsse zu ziehen be- rechtigt ist, dass die gleichen Erscheinungen, die den Kranken der Behand-

1) Chirurg. Krankh. des Ohrs S. 406.

138 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

lung zuführten und von mir auf Sinusthrombose zurückgeführt werden konnten, schon drei Jahre vorher, während der Dauer einiger Wochen, bestanden hatten; die Ohreiterung war in der Zwischenzeit unverändert bestehen geblieben. Die radicale Heiluug der in den Mittel- ohrräumen localisirten primären Krankheitsprocesse ist demnach die erste Voraussetzung für die Persistenz der Heilung der Sinusphlebitis.

Die Therapie der Sinusphlebitis hat in den letzten Jahren die überraschendsten Fortschritte gemacht. Noch in Pitha-Billroth’s Handbuch schrieb Heineke: „von einer Therapie der Sinusthrombose kann natürlich keine Rede sein.“ Heute verfügt die Literatur bereits über eine so grosse Summe sicherer Heilungen, dass wir vielmehr zu dem Schlusse kommen müssen, die Schwierigkeit der Behandlung liege bei der Sinusphlebitis ebenso, wie beim Hirnabscess, nicht auf operativem, sondern fast ausschliesslich auf diagnostischem Gebiet. Gelänge es, die Sinusphlebitis frühzeitig zu erkennen, so würde man die Heilung, ent- weder durch Elimination des primären Eiterheerdes, oder sicherer durch directe Inangriffnahme des betroffenen Blutleiters selbst, mit grösserer Sicherheit herbeiführen können.

Deshalb ist es praktisch richtig, in zweifelhaften Fällen den Weg der operative diagnosis Barker’s zu gehen und bei begründetem Ver- dacht auf Sinusphlebitis den Sinus freizulegen. Bei der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes, welche in einzelnen seltenen Fällen durch die Elimination des primären Eiterheerdes schon für sich allein die Heilung der Sinusphlebitis vermittelt hat, wird man nicht mehr stehen bleiben, sondern erst am Sinus selbst Halt machen und nur dann, wenn bei directer Exploration desselben sich keine Anhaltspunkte für die An- nahme seiner Thrombosirung ergeben, danach exspectativ verfahren dürfen.

Die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes bedingt allerdings durch die starke, auf den Schädelinhaltsich übertragende Erschütterung bei der Sinusphlebitis eine gewisse Gefahr. Wenn man die Möglichkeit einer zu vorübergehender oder lange andauernder Taubheit führenden Labyrinthcommotion bei der Aufmeisselung sklero- tischen Knochens zugiebt, wird man auch ebenso anerkennen müssen, dass der Sinus-Wand anhaftende Thromben dabei losgerissen und in die Blutbahn eingeschwemmt werden können. Man verordnet bei jeder Endocarditis möglichste Vermeidung aller lebhafteren Bewegungen; man stellt bei Phlebitiden der Venen der Unterextremitäten das Glied

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach ÖOhreiterungen. 139

vor Allem ruhig. Aber man übt bei Thrombophlebitis eines Hirnsinus, d. h. an einer Stelle, an welcher die Bedingungen für die Verschleppung von Emboli zum rechten Herzen besonders günstig sind, unbedenklich ein Verfahren, welches fortgesetzte Erschütterung des Schädels zur fast sicheren Folge hat. Die Literatur umfasst bereits Beobachtungen genug, in denen sich die Symptome der Thrombus-Verschleppung unmittelbar an ein den Schädel treffendes Trauma, bezw. an die operative Frei- legung des Sinus angeschlossen hat. Ein prägnantes Beispiel dafür ist ein Fall Jansen’s!), in welchem die Section das Vorhandensein einer durch eitrige Arachnitis bedingten Thrombophlebitis des der ohrkranken Seite contralateralen rechten Sinus petrosus inf. aufdeckte, und bei Auf- meisselung des linken Warzenfortsatzes während der Operation der erste Schüttelfrost auftrat. Bei der Autopsie fand sich ausserdem ein offenbar frischer Lungeninfarct. Der mechanische Effect der Aufmeisselung, der sich hier sogar auf einen Blutleiter der entgegengesetzten Seite erstreckte, scheint mir unverkennbar.

Deshalb halte ich aber, trotz dieser Erwägungen, an der Meinung fest, welcher bereits A. Brieger?) Ausdruck gegeben hat, dass die principiell gerechtfertigten Bedenken doch nicht gestatten, eine Methode aufzugeben, welche vom Standpunkte der technischen Zweckmässigkeit und Einfachheit, wie der Asepsis die grössten Vorzüge besitzt, und deshalb bis jetzt noch unentbehrlich ist. Bei der Anwendung der elektromotorischen Kreissäge läuft man bei der variablen Dicke der den Sinus deckenden Knochenschicht Gefahr, den Sinus anzureissen; man ist bei der raschen Wirkung der Säge nicht immer im Stande, dafür zu bürgen, dass der Grundsatz, eine dünne innerste Glastafelschicht, welche dann durch schwachen Meisselschlag aus dem Zusammenhang gelöst werden kann, stehen zu lassen, auch immer zur Durchführung gelangt.

Die Entleerung extraduraler Abscesse hat ebenso, wie schon die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes allein, in manchen Fällen zur Heilung geführt. Ich will nur kurz die Krankengeschichten der beiden Fälle, welche ich danach zur Heilung kommen sah, hier anfügen.

A.M., 26 Jahr alt; seit melıreren Jahren rechtsseitige Otorrhoe. Seit 14 Tagen heftige Kopfschmerzen auf der rechten Seite. Vor 4

Tagen erster Schüttelfrost, der sich bereits zweimal wiederholte. Bei der Aufnahme: Schlitzförmig verengter, von fötidem

1) Arch. f. Ohrenheilk, Bd. XXXV, S. 89, 2) l. c. S. 36.

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Eiter erfüllter Gehörgang; in der Tiefe nur Granulationsmassen erkennbar. Hochgradiges Ödem in dem Gebiet zwischen Warzenfortsatz und Hinterhaupt, sich diffus in die Nackengegend verbreitend.. Am vorderen Rande des Sternocleidomastoid. schmerzhafter derber Strang. Neuritis optica. Temperatur bei der Auf- nahme 40,1. Puls 120.

Operationsbefund Operation am Tage nach der Aufnahme —: Breite dünne Corticalis-Schicht; grosse, mit Cholesteatom-Massen erfüllte Abscesshöhle, welche durch eine schmale Fistel mit einer grossen peri- sinuösen Eiteransammlung communicirt. Dem Sinus aufgelagert, Granulationen; Sinus pulsitt. Die Knochenhöhle im Warzenfortsatz communicirt breit mit dem ebenfalls Cholesteatom-Massen enthaltendem Antrum; Caries des Ambosses, Defect in der hinteren Gehörgangswand.

Am Operationstage Schüttelfrost; niedrigste Temperatur 38,9, höchste 40,9°. An den drei darauf folgenden Tagen Fröste, Remissionen auf 39°, 38,20, 37,4% und rasche Anstiege auf 40,5, 40,3, 39,00. Dann zwei fieberfreie Tage, denen wieder zwei Fieber- tage mit Frösten und Temperaturen zwischen 37,4 und 40°, resp. 36,5 und 39,8! folgten. Im weiteren Verlauf, bis auf den dreizehnten Tag post operationem, an welchem die Temperatur noch einmal unter Frost von 36,70 auf 40,2° anstieg, andauernd normale Temperatur. All- mälige Rückbildung der Neuritis optica. Puls, auch bei normaler Temperatur bis 140 steigend, bleibt dauernd über 100.

Nach etwa zweimonatlicher Behandlung wird Pat. geheilt Mittelohrräume breit unter einander vereinigt, von straffer glänzender Epidermis ausgekleidet —- entlassen. Heilung controlirt, persistent.

Soweit man klinisch überhaupt Sinusphlebitis zu diagnosticiren im Stande ist, war hier diese Diagnose gerechtfertigt. Weniger sicher, aber auch noch durchaus wahrscheinlich war diese Annahme in dem zweiten Falle.

A.K., 36 Jahr alt, leidet angeblich erst seit 2 Jahren an doppel- seitiger Ohreiterung. In den letzten beiden Wochen vor der Aufnahme wiederholte Schüttelfröste mit folgendem hohem Fieber, heftigen Kopf- schmerzen, die sich anfallsweise verstärkten und dann häufig vollständige Agrypnie zur Folge hatten, und Schwindel.

Pat. macht bei der Aufnahme einen schwer kranken, somnolenten Eindruck. Zeitweise heftige Exeitation in Folge furibunder Kopf- schmerzen, die in der rechten Kopfhälfte hauptsächlich localisirt zu sein scheinen. Starker Druckschmerz am hinteren Rande des Warzenfortsatzes. Ophthalmoskopisch Hyperämie der rechten, in geringerem Grade auch der linken Papille; rechts verwaschene Papillengrenzen, starke Füllung der Venen. Temperatur bei der Aufnahme 38,5°. Deutlich fühl- barer Milztumor. Otoskopischer Befund: rechts den Gehör- gang füllender, aus der Pauke kommender Polyp und fötide Eiterung;

OÖ. Briege r: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 141

nach Extraction des Polypen starke Senkung der hinteren oberen Gehör- gangswand und, anscheinend totaler, Trommelfelldefect sichtbar. Links wahrscheinlich Ambos-Caries.

Operationsbefund: Sclerotischer Knochen. In einer Tiefe von 1t/, cm Abscesshöhle, von dickem, geruchlosem Eiter erfüllt, mit dem Antrum, in dem gleich beschaffener Eiter nebst den Wänden anhaften- den Granulationsmassen sich finden, in Communication. Bei Freilegung des Sinus entleert sich, extradural gelegen, eine reichliche Menge Eiters. Sinus zeigt keine Pulsation.

Weiterer Verlauf fieberfrei. Nach 9 Tagen Augenhintergrund normal gefunden. Nach dreimonatlicher Behandlung wird Pat. geheilt entlassen; Ohr secretfrei, Gehörgang noch immer etwas eng, grosse trockene Perforation.

Heilung der Ohreiterung nicht persistent; vorübergehende Recidive.

Es fehlt in diesen beiden Fällen allerdings ein positiver Beweis dafür, dass wirklich eine Sinusphlebitis vorlag. Auch die Untersuchung des Sinus-Inhalts, die‘ vielleicht zu sicherer Diagnose geführt hätte, ist hier unterblieben. Indessen unterscheiden sich die beiden Fälle durch Art und Schwere ihrer Symptome so ausserordentlich von dem gewöhn- lichen Bilde der extraduralen Abscesse, und gleichen anderseits dem der Sinusphlebitis so sehr, dass das Bestehen dieser letzteren wohl nicht mit Unrecht erschlossen werden kann. In der Literatur sind übrigens Fälle mit viel unsichereren Symptomen, die zum Theil, wie z. B. die Schüttelfröste, nur anamnestisch eruirt worden sind, mehrfach unbedenk- lich als Sinusphlebitis beschrieben.

Die Möglichkeit der Heilung der Sinusthrombose durch Ausschaltung des primären Eiterheerds und Entleerung des den Sinus direct bespülenden Eiters scheint mir jeden- falls, auch nach diesen Erfahrungen, zweifellos. Die Angabe von Bergmann’s in seiner chirurgischen Behandlung der Hirnkrank- heiten (S. 82), die Thrombose des Sinus transversus werde durch die Entfernung des der Sinus-Wand anliegenden Eiters ihres gefährlichen Characters entkleidet, wird dadurch vollständig bestätigt. Wenn der Nachschub neuer Erreger aufhört, kann die Organisation der Thromben, vorausgesetzt dass noch kein ausgedehnterer Zerfall eingetreten war, ungehindert erfolgen. In dieser Thatsache liegt aber zugleich eine ernste Mahnung, mit allzu energischen, nicht unbedingt indieirten Eingriffen zurückzuhalten. Wenn die absolut gefahrlose, in jedem Fall nicht bloss für die vermuthete Sinusphlebitis, sondern an sich nothwendige Ent- leerung extraduraler Eiteransammlungen zur Heilung auch der pyämischen

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Erscheinungen führen kann, fehlt meines Erachtens jede Berechtigung, in solchen Fällen, ohne ganz stringente Anhaltspunkte für die Thrombose des Sinus, nach der Entleerung des extraduralen Abscesses ohne Aufent- halt direct gegen den Sinus vorzugehen oder gar von vornherein die Jugularis zu unterbinden.

Die Manipulationen am Sinus umfassen, bei nachgewiesener Throm- bose, breiteEröffnung durch Excision der Wand und Aus- räumung seines Inhalts. Schon die Thatsache, dass sehr häufig in dem von der Thrombose betroffenen Bezirk, auch bei progredientem Zerfall, herzwärts ein fester Abschluss lange gesichert bleibt, entzieht einem mehr theoretischen Bedenken, welches von der breiten Communi- .cation des Sinus nach aussen ausgehen könnte, von vornherein jede Grund- lage. Die früher so gefürchtete Gefahr des Lufteintritts in die Hirnblutleiter scheint in erheblicherem Maasse nicht zu bestehen. Auch die Beachtung der von Genzmer!) angerathenen Vorsichtsmaass- regeln, ist kaum nothwendig. Unter allen den zahlreichen Verletzungen des Sinus transversus bei Aufmeisselung des Warzenfortsatzes ist mir nur ein nicht genauer beschriebener Fall von Guye?) bekannt, in ‚welchem Lufteintritt nach Sinus-Eröffnung beobachtet wurde; auch hier erfolgte trotzdem Heilung. Gewöhnlich wird die Seltenheit der Luftaspiration der Starrheit und Unbeweglichkeit der Blutleiter, welche ein Ansaugen, wie es an anderen grossen Venenstämmen vorkommt, erschweren sollen, zugeschrieben. Thatsächlich ist aber in den Fällen, in denen bei extraduralem Abscess oder ausgiebiger Freilegung des Sinus dessen Lumen eröffnet wird, die Sinus-Wand so weit abgelöst und relativ beweglich gemacht, dass dieses Hinderniss für die Luftaspiration nur wenig ins Gewicht fallen würde. Wesentlicher ist wohl die Thatsache, dass in den Hirnblutleitern nicht, wie in der Jugularvene, schwach negativer Druck, sondern ein mehr weniger erheblicher positiver Druck herrscht. Ohne jetzt schon auf dieses bei der Thrombose des Sinus cavernosus noch näher zu erörternde Moment einzugehen, will ich nur auf diese einfachste Erklärung des Ausbleibens der an den Körpervenen nicht so seltenen Luftaspiration gerade bei der Eröffnung des Querblut- leiters hinweisen. | |

Die breite Eröffnung des Sinus transversus ist demnach im Allge- meinen unbedenklich. Was vermag sie nun für die Heilung der Sinus-

DU Verhandl. der deutsch. Gesellsch. f. Chirurg. VI. Congr., II, S. 32. 2) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XVIIL, S. 223.

O. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 143

phlebitis zu leisten? Besteht eine vollständige Einschmelzung des Throm- bus bei festem centralen Verschluss, ist der eröffnete Sinus-Abschnitt also mit Eiter- und Thrombus-Bröckeln erfüllt, so wird die Incision mit der Entleerung des Eiters ohne Weiteres zur Heilung führen können. Schwieriger ist die Erklärung des günstigen Effects der Sinus- Eröffnung in Fällen mit klinischen Symptomen der Sinusphlebitis, bei denen die Operation doch nicht zur Aufdeckung einer Sinusthrombose geführt hat. Ich lasse die Krankengeschichte eines solchen Falles folgen.

D. L., Fabrikarbeiter, 52 Jahr alt. Vor 6 Wochen an Influenza erkrankt, welcher sich linksseitige Otitis media acut. perforat. anschloss. Nach kurzer Zeit Heilung der Ohrerkrankung. Gegen das Ende dieser Erkrankung hin rechtsseitige Ohrenschmerzen, aber keine Eiterentleerung. Wiederholte Schüttelfröste. 4 Tage vor der Aufnahme Schwellung der Umgebung des rechten Ohrs.

Bei der Aufnahme Temperatur normal. Augenhintergrund ebenfalls normal. Sehr lebhafte Patellarreflexe; deutlicher Fuss- Clonus. Diffuses Dedem der Warzengegend bis nach dem Nacken hin, zugleich auch vor dem Ohre. Otoskopisch links normaler Be- fund, rechts Vorwölbung des verdickten, radiär injicirten, gelbröthlich verfärbten Trommelfells; Senkung der hinteren oberen Gehörgangswand. Totale Facialis-Lähmung rechterseits.

Operationsbefund: Nach Wegnahme der harten, fast sclero- tischen Deckschicht wird in einer Tiefe von 1!/,cm ein etwa kirschkern- grosser Hohlraum eröffnet, welcher mit zähem ' gelbem Eiter erfüllt ist und sich nach hinten in eine ausgedehnte perisinuöse Eiteran- sammlung öffnet. Im Antrum Eiter; Schleimhaut stark gequollen, mehrfach zu polypoiden Zapfen ausgewachsen. Die Abscesshöhle, welche mit dem extraduralen Abscesse communicirte, stand mit einem Senkungs- abscess an der unteren und vorderen Fläche des Warzenfortsatzes in Verbindung; Druck auf die Spitze des Warzenfortsatzes hatte Eiteraus- tritt aus dem gegen den Sulcus sigmoid. liegenden Abscess zur Folge. Bei Wegnahme des ganzen Warzenfortsatzes von der Spitze ab zeigt derselbe an dieser und gegen die untere Fläche hin diploötische Be- schaffenheit, keine Zellen. Fistulöser Durchbruch an der Ineisur.

Bei Druck auf die gegen die Hinterhauptsgegend hin gelegene Schwellung entleert sich aus dem perisinuösen Abscess von Neuem Eiter. Freilegung des etwas unterhalb der Höhe des Gehörgangs ge- legenen, ziemlich weiten Emissar. mastoid., welches thrombosirt ist und einen Verbindungscanal zwischen einer nicht sehr ausgedehnten ab- gegrenzten Eiteransammlung an seiner Aussenfläche und dem perisinuösen Abscess darstellt. Von hier aus Freilegung des ganzen ab- steigenden Sinusschenkels; der verdickten, aber schwach pul- sirenden Sinus-Wand sind Granulationen aufgelagert.

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Lappenbildung von unten her zur Verkleinerung des sehr um- fangreichen Defects. Tamponade der Höhle.

Normaler Verlauf bis zum 22. Tage post operat. An diesem zum ersten Male nach der Operation Schüttelfrost, der sich an den nächsten beiden Tagen wiederholte, und nach dem Frost rascher Temperaturanstieg auf 40,1° Tags darauf kein Frost; Temperatur 38,8; am nächsten Tage 38,7 ° mit starkem Frost.

An diesem Tage nochmalige Freilegung des Sinus, der von einer derben, den hinteren Knochenrand mit der vorderen, dem Sulcus angehörigen knöchernen Begrenzung verbindende, der Sinus-Wand adhärenten, derben röthlichen Narbenmasse überlagert it. Am Sinus deutliche pulsatorische Bewegungen. Bei Punction unsicheres Resultat. Aspiration nur unvollkommen möglich, flüssiges Blut in sehr geringer Menge aspirirt. Daher Incision; es entleert sich aus der Incisionsöffnung nur eine geringe Menge Bluts. Daher breite Spaltung nach oben hin fast in der ganzen Länge des absteigen- den Schenkels, welche von einer reichlichen stossweisen Blutung, die zu rascher Tamponade zwang, gefolgt war. Am Abend des Operationstages Schüttelfrost; rascher Anstieg von 36,9 auf 39,6% Nach der Operation Kochsalz-Infusion. Seitdem fieberfreier Verlauf und fortschreitende Heilung. Bei bakteriologischer Untersuchung der aus der V. mediana zweimal im Frost und ausserhalb desselben entnommenen Blutproben, wie des Sinus-Bluts negativer Befund. Patient wird geheilt entlassen.

Auch hier ist die Diagnose der Sinusphlebitis nicht bewiesen. Sie wäre zwar hier vielleicht besser begründet, als in manchen anderen, unsicheren, lediglich durch das Auftreten pyämischen Fiebers charakterisirten Fällen, die von den Autoren als Sinusphlebitis be- schrieben und in der Literatur unbedenklich dieser zugerechnet worden sind. Auch die Thrombose des Emissar. mastoid., mit der durch sie ver- mittelten Eitersenkung gegen das Hinterhaupt hin, ist in dieser Form bei reinen extraduralen Abscessen von einer ÖOstitis des Warzenfort- satzes, wie sie Jansen als Ursache der Thrombose des Emmissar. mast. in seinem Falle annimmt, kann hier wohl kaum die Rede sein zum mindesten ungewöhnlich.

Die Coincidenz des Rückgangs des pyämischen Fiebers mit der Er- öffnung des Sinus kann hier natürlich eine zufällige sein. Die Annahme eines Causalzusammenhangs zwischen beiden Vorgängen scheint mir je- doch plausibler als die Vermuthung, dass, nach fast regelmässiger Wieder- holung durch mehrere Tage, die Schüttelfröste zufällig gerade am Operationstage ihr Ende erreicht haben sollten. Wollten wir jedoch aus dem zwar wahrscheinlichen, aber unklaren Effect der Eröffnung des Sinus

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transversus ein die an sich unsichere Diagnose der Sinusphlebitis stützen- des Moment herleiten, so ergäbe sich eine Art der Beweisführung, welche, zwar in der Literatur der Sinusphlebitis auch wieder nicht ungewöhn- lich, aber zweifellos geeignet ist, zu bedenklichen Trugschlüssen zu führen. Deshalb möchte ich auf die Anstellung hypothetischer Erklärungs- versuche für den geschilderten Fall lieber verzichten und im Wesent- lichen aus ihm nur eine Veranlassung herleiten, vorsichtige Deutung der operativen Resultate zu empfehlen. Immerhin ist die Mög- lichkeit, durch den starken, nach aussen gerichteten Blutstrom die Losreissung und Abfuhr etwa vorhandener wandständiger Thromben zu begünstigen, vielleicht ein Anlass mehr, in zweifelhaften Fällen die Incision des Sinus, die dann ebenso practisch-therapeutischen, wie dia- gnostischen Zwecken dienen könnte, zu bevorzugen.

Darüber, welches Verfahren man nach Sinus-Eröffnung bei einfacher Thrombose, d. h. wenn eitrige Einschmelzung des Thrombus an dem freigelegten Abschnitte desselben noch nicht erkennbar ist, einschlagen soll, besteht noch keine vollständige Uebereinstimmung. Hessler!) widerräth für solche Fälle sogar die Eröffnung des Sinus zur Vermeidung einer durch diese erst ermöglichten Infection, wenn die Punction eine einfache Thrombose ergeben hat. Es ist bereits oben ausgeführt, wie wenig gerade für die Erkennung eines soliden, den Sinus füllenden Thrombus die Probepunction nützt. Die Frage kommt also praktisch kaum in Betracht. Ausserdem aber verlangt auch dieses frühe Stadium der Sinusphlebitis unter Umständen schon operative Behandlung. Man kann unmöglich dem einfachen Thrombus die doch nur durch Bacterien- wirkung vermittelte Fähigkeit, Schüttelfröste und typische, pyämische Temperaturschwankungen hervorzurufen, zuerkennen und gleichzeitig mit der Möglichkeit rechnen, dass der solide Thrombus der doch immer auf der Grundlage einer Phlebitis sich bildet „rein, bacterienfrei“ ist. Wenn man nach breiter Eröffnung des Sinus sich sicher von dem Vorhandensein eines soliden obturirenden Thrombus überzeugt hat, dürfte man vielleicht eher die Entfernung der Thrombusmassen zunächst verschieben und die Organisation des Thrombus abwarten. Dabei ist allerdings zu erwägen, dass der eitrige Zerfall discontinuirlich vor sich gehen, dass auch der Thrombus nur solide scheinen, im Centrum aber schon eitrig zerfallen sein kann. Deshalb meint Salzer?), es dürfte

1) 1. c. S. 483. 2) Wiener klin. Wochenschr. 1890, No. 34. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXIX. 10

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vorsichtig sein, vei Eiterung in der Nachbarschaft den Sinus auch bei einfacher Thrombose zu eröffnen, weil man durch die Punction nicht mit Sicherheit den infectiösen Character der Thrombenmassen aus- schliessen kann. Was aber von der Punction gilt, trifft auch für die directe Inspection des Thrombus durch die incidirte Sinuswand zu. Wie wenig man sich auf derartige Befunde verlassen kann, beweist ein Fall Herczel’s'!), in welchem die den Sinus erfüllende, in die Jugularis herabreichende Thrombusmasse, weil anscheinend noch nicht eitrig zer- fallen, im Sinus belassen wurde, und kurze Zeit darauf eine Abscedirung am Halse, ausgehend von dem vereiterten und durchgebrochenen Thrombus der Jugularis, auftrat. Ich selbst habe in dem bei Ge- legenheit der Differentialdiagnose gegen Typhus besprochenen Falle bei Eröffnung des Sinus eine cohärente, den Sinus obturirende, solide Thrombusmasse vor mir zu haben geglaubt und doch beim Einschneiden auf dieselbe deutlichen Zerfall nachweisen können.

Man kann deshalb allgemeine Grundsätze für das Verfahren, welches man bei einer dem Augenschein nach „einfachen“ Throm- bose einzuschlagen hat, nicht aufstellen. Allgemein exspectativ zu ver- fahren, bis die Wiederkehr pyämischer Erscheinungen zur Ausräumung des Sinus zwingt, wäre ein Fehler. Vorsichtige Ausräumung, bei der ich Kornzange und Pincette dem Löffel vorzog, ist, vorausgesetzt, dass der centrale Verschluss gesichert und hauptsächlich in peripherer Richtung vorgegangen wird, unbedenklich und gewiss meist zweck- mässig. Kommt es dabei zu einer vom peripheren Gebiet kommenden Blutung, so geschjeht damit kein Schaden. Man kann sich wenigstens mit mehr Recht vorstellen, dass die Durchblutung des phlebitischen Bezirkes Dank der bactericiden Kraft des strömenden Blutes, immer freilich centralen Verschluss des Sinus vorausgesetzt, günstig wirkt, als mit Lane" dass die Thrombose eine Art Abwehrvorgangs mit der Tendenz, das Eindringen der Mikroorganismen zu hemmen und sie zu zerstören, darstellt.

Die Methodik der Freilegung des Sinus ist in neuerer Zeit mehrfach so eingehend behandelt worden, dass ich auf ihre Dar- stellung verzichten kann. Der Sinus wirdin derselben Richtung gesucht und meist gefunden, in welcher die Eiterung von den Hohlräumen des Warzentheils zu ihm vorgeschritten ist. Alle Messungen und Angaben über die Lage des Sinus oder seiner

1) Wiener med. Wochenschr. 1893, No. 46. 2) Ref. Centralbl. f. die medic. Wissensch. 1893, No. 52,

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einzelnen Abschnitte zu bestimmten Punkten der Aussenfläche des Craniums sind, wie Körner!) bereits hervorgehoben hat, ebenso über- flüssig wie unzuverlässig. Auch die Freilegung des Emissarium mastoid. hat mehr Bedeutung in diagnostischer Beziehung als den Vortheil, als Wegweiser für die Aufsuchung des Sinus zu dienen. Es kann vielmehr, wenn man von ihm aus genau nach hinten eingeht, leicht passiren, dass man unter Umständen ziemlich weit hinter dem Sinus in die hintere Schädelgrube gelangt. Die Lage des Emissarium zum Sinus ist variabel; nicht selten gehört es dem Hinterhaupt- bein an und durchbohrt mit einem schräg nach vorn, innen und unten verlaufenden Canal den Schädel. Zuweilen verläuft der Canal des Emissarium mastoid. fast gerade nach hinten, um dann nicht selten, 1 bis 2 cm hinter dem Sinus zu enden und sich in eine zu diesem führende flache Knochenrinne fortzusetzen; dann könnte das Eingehen vom Emiss. mastoid. unter Umständen eine starke Blutung in die hintere Schädel- grube zur Folge haben. Allgemeine Regeln für die Aufsuchung des Sinus lassen sich daher nach keiner Richtung aufstellen. Am sichersten gelangt man eben, oft durch Fisteln im Sulcus sigmoid. geleitet, von der im Woarzenfortsatz wegen der hier localisirten Processe ohnehin anzulegen- den Operationshöhle aus zum Sinus. Man kann aber ebenso gut, wenn, wie in einem meiner Fälle, gleichzeitig ausgedehnte Caries am Dache der Mittelohrräume die breite Eröffnung der mittleren Schädelgrube be- dingt, den von v. Bergmann neuerdings vorgezeichneten Weg gehen und von der in die mittlere Schädelgrube führenden Oeffnung aus über das hintere Ende der oberen Pyramidenkante zur hinteren Schädelgrube, in welcher man auf diesem Wege zunächst dem Sinus begegnet, über- gehen.

Verletzung des unteren verticalen Bogenganges, wie sie in zwei Fällen bei Wegnahme der medialen Warzenhöhlenwand un- vermeidlich war, kann symptomlos verlaufen oder richtiger durch das schwere Allgemeinbild verdeckt werden. In einem der beiden erwähnten Fälle kam es indessen zu heftigen Schwindelerscheinungen, welche schon bei leichter Erhebung des Kopfes aus horizontaler Lage und besonders bei Drehung des Kopfes in der Richtung des verletzten Ohres auftraten, aber nach drei Tagen schon wesentlich gebessert waren.

Den Vorschriften Jansen’s gemäss wird der Sinus in der ganzen Aus- dehnung seines absteigenden Schenkels und nöthigen Falls auch in den

1) l. c. S. 83. 10*

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horizontalen Verlauf hinein verfolgt. In zwei zur Obduction gelangten Fällen habe ich mich davon überzeugen können, dass bei Freilegung des thrombosirten Sinus nur noch eine schmale Spange gegen das Foramen jugul. stehen geblieben war. Die externe Sinuswand wird in der Aus- dehnung der Thrombophlebitis excidirt.

Ich will hier kurz die zum Theil bereits erwähnten Resultate in den von mir operativ behandelten Fällen zusammen- fassen. Unter den 14 im Ganzen beobachteten Fällen fiel die Beobachtung eines Theils in eine Zeit, in der die Zweckmässigkeit operativer Eingriffe am Sinus noch nicht allgemein feststand; bei zwei Kranken wurde die Sinusphlebitis intra vitam nicht erkannt. Zu dieser Gruppe gehören im Ganzen 6 Fälle, welche sämmtlich, zwei davon trotz Aufmeisselung des Wearzenfortsatzes, letal endeten. Von den übrigen 8 durchweg operirten Fällen wurden 3 nur mit Er- öffnung extraduraler Abscesse behandelt, 2 davon geheilt: ein Todesfall durch Pyämie und Meningitis. Bei 3 Fällen wurde gegen den Sinus selbst vorgegangen; 1 Fall heilte, 2 endeten durch Pyämie. Die beiden letzten operativ behandelten Fälle finden bei Besprechung der Thrombose des Sinus cavernos. eingehende Erörterung. Probepunctionen und Incisionen des Sinus wurden ausserdem wiederholt vorgenommen, kommen aber hier, da in den betreffenden Fällen Sinusthrombose nicht nachgewiesen wurde, nicht in Betracht.

Ueber die Veränderungen, welche sich in dem eröff- neten Sinus nach Ausräumung der Thrombusmassen geltend machen, über den Heilungsmodus bei der operativ behandelten Sinus- phlebitis existiren bis jetzt keine näheren Angaben. Meist sind die operirten Fälle nicht lange genug nach der Operation in Beobachtung verblieben, sondern gestorben, ehe Veränderungen am Sinus sich aus- bilden konnten; in den geheilten Fällen ist darüber nichts zu erfahren. Deshalb war mir ein Fall, der längere Zeit nach der Operation an Pyämie endete, in dieser Beziehung von besonderem Interesse.

Ich setze die auf Seite 114 begonnene Krankengeschichte dieses Falles an dieser Stelle fort.

Die klinischen Symptome, wie das Resultat der Blutuntersuchung hatten schliesslich die Annahme der Sinusphlebitis so wahrscheinlich gemacht. dass am 19. Oct. zur Operation geschritten werden konnte.

Operationsbefund: Durch blutreichen, diploetischen Knochen erreicht man auf dem üblichen Wege zum Antrum in 1!/,cm Tiefe eine reichliche perisinuöse Eiteransammlung, deren Rückwand

0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 149

der nicht pulsirende, gegen die Norm weniger resistente, graugrünlich verfärbte Sinus bildete. Extraduraler Eiter von penetrantem Foetor (siehe bacteriologischen Befund unten). Incision des Sinus ergiebt die An- wesenheit eines, wie es zunächst scheint, soliden Thrombus, der indessen bei Erweiterung des Schnittes nach abwärts und bei auf ihn geführten flachen Einschnitten eine deutliche Zerklüftung in schmutzig grau- rothe Bröckel und besonders centralen Zerfall zeigt. Freilegung des Sinus in der ganzen Ausdehnung des absteigenden Schenkels. Aus- räumung der Thrombusmassen mit Pincette und Kornzange, bis die cerebellare Sinuswand ziemlich frei vorliegt, in fast der ganzen Ausdehnung des freigelegten Gebiets. Nach oben und unten wird die Ausräumung unterbrochen, als ein derber Thrombus Widerstand zu leisten scheint. Breite Excision der äusseren Sinuswand.

Im Antrum über erbsengrosses Cholesteatom. Wegnahme der hinteren Gehörgangswand und externen Atticuswand. Extraction der Gehörknöchelchen: Cariöser Defect am Hammerkopf, Caries des Amboskörpers und langen Schenkels. Tamponade des Sinus. Verband. Operationsdauer etwa 1!/, Stunden.

20. Oct.: Aus dem Eiter des perisinuösen Abscesses sind vorwiegend Streptococcen-Colonieen, vereinzelt auch Staphyloc. pyog. alb. gewachsen.

Temperatur ohne Frost rasch von 36,4 auf 40,4° gestiegen. "Sehr starke Schmerzen bei Kopfbewegungen.

21. Oct.: Stärkeres Lidödem und Ptosis links.

Temperatur Morgens 37,7, Abends 39,9 °.

23. Oct.: Verbandwechsel: An der Sinusinnenfläche deutliche Hirnpulsation erkennbar. Gute Beschaffenheit der Wundhöhle.

Temperatur von 38,7 auf 40,8.

26. Oct.: Temperaturverauf wie an allen vorhergehenden Tagen. Lidödem und Ptosis häufig wechselnd.

Verbandwechsel: Von der Spitze des Warzentheils, resp. vom unteren Wundwinkel vor dem inneren Kopfnickerrande nach abwärts ziehend, fluctuirende Schwellung. Eröffnung durch Trennung der bei der ersten Operation angelegten, den weit nach unten reichenden Haut- schnitt vereinigenden Nähte.

27. Oct.: Temperatur steigt innerhalb von 2 Stunden von 37,5 anf 41,2%. Schüttelfrost. Puls 160.

Leichte Somnolenz. Lidödem sehr stark. Chemosis conjunctivae links.

28. Oct.: Temperatur von 36,4 auf 40,9%. Schüttelfrost.

31. Oct.: Temperaturverlauf bisher wie am 28. Differenzen bis 4,2°, aber nicht regelmässig Fröste.

Verbandwechsel: Freilegung des Sinus im horizontalen Theile bis nahe an das For. jugul. hin; der hier vorquellende Eiter scheint von der hinteren Pyramidenfläche her zu kommen. (Empyem. sacci endolymph. ?)

150 0.Brieger: Die pyämische Allgemeininfeetion nach Ohreiterungen

2. Nov.: Geringe Besserung. Morgenremissionen; Anstiege ge- wöhnlich Mittags, nie über 39,5". Heute Frost.

Verbandwechsel in leichter Narkose: Beim Schreien presst Pat. aus dem Schädelinnern, von hinten unten kommenden Eiter hervor. Abmeisselung zum Theil von der hinteren Pyramidenfläche, um einen Zugang zu diesem Eiterherd zu schaffen. Sinus nahe dem Uebergang zum Foram. lacerum post. incidirt; es entleert sich stossweise pul- sirend dunkelrothes Blut.

5. Nov.: Temperatur innerhalb einer Stunde von 35,80 auf38,7° steigend; Schüttelfrost.

6. Nov.: Verbandwechsel. Temperatur von 36,2 auf 39,8. Schüttelfrost.

9. Nov.: Verbandwechsel: ‘Undeutliche Fluctuation in der Tiefe unter dem Kopfnicken bis zur Mitte des Halses. Derbe Infiltration im Hinterkopf und Nacken. Sensorium stark getrübt.

11. Nov.: Temperatur Mittags 40,2°.

Nachmittags Freilegung der Jugularis beabsichtigt. Bei Abnahme des Verbands zeigten sich die Tampons aus der Schädel- höhle mit Eiter stark durchtränkt; der perijuguläre Abscess scheint sich nach der hinteren Schädelgrube entleert zu haben. Bei Druck auf die jetzt diffus bis nach dem Nacken verbreitete Schwellung entleert sich sowohl beim Ausstreichen am vorderen Kopfnickerrande von unten her, als bei Druck auf die Nackenschwellung rahmiger, etwas sauer riechender Fiter. In der Schädelhöhle selbst nirgends Eiter. Incision der weit abgelösten Dura hinter dem Sinus: Punction des Kleinhirns, resultatlos.

Darauf Versuch, die Jugularis am inneren Kopfnickerrande zu verfolgen. Es gelingt nicht, die Jugularis zu finden. Beim Aufsuchen derselben werden Carotis und Vagus-in einer bis zur Schädelbasis heraufreichenden Abscesshöhle freigelegt. In Folge sehr schlechter Beleuchtung passirt es, dass der Vagus vom Wundhaken gedrückt und gezerrt wird: bei jeder Berührung desselben Husten und Würgbewegungen; der Puls stieg von 108 vor der Operation auf 186, welche Frequenz noch eine Stunde post op. nachweisbar war. Doppelte Unterbindung der thrombosirten Jugul. ext. und Durchtrennung derselben.

Nach der Operation wesentliche subjective Erleichterung, fast freies Sensorium, Temperaturabfall. Puls geht auf 164 zurück.

12. Nov.: Allgemeinbefinden wie nach der Operation. Höchste Temperatur 38,6. Puls zwischen 112 und 144.

Abends plötzlich Cyanose, heftiger Hustenanfall. Exitus 10%/, Uhr Abends.

Sectionsbefund: Mittelgrosse, stark abgemagerte weibliche Leiche. Haut bleich; an den Bauchdecken zahlreiche Striae. Linkes oberes Augenlid ödematös. In der linken seitlichen Halsgegend eine breite mit Jodoformgaze tamponirte Wunde, welche über die

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Warzengegend hinweg bis zum Niveau des oberen Ohrmuschelrandes sich nach aufwärts erstreckt. In der Umgebung derselben diffuse Schwellung. Nach Entfernung der Tampons findet sich beim Präpariren der Gefässe die Jugularis als dünner, grösstentheils oblite- rirter Strang. Das Lumen derselben ist nur stellenweise und auch dann nur schwierig für eine Sonde durchgängig. Nach ihrer Ein- mündungsstelle zu erweitert sie sich plötzlich ; ihre Wand ist hier ver- dickt, ihr Lumen mit schwarzrothen Thrombusmassen verstopft.

Der linke Warzenfortsatz ist fortgemeisselt; in der Tiefe der Operationshöhle sieht man graurothe Granulationsmassen, die der cere- bellaren Wand des Sinus sigmoid. anhaften. Bei Druck auf die Hals- muskeln quillt aus den oberen Bezirken der Wundhöhle dicker Eiter, der sich, wie eine spätere Präparation zeigt, überall zwischen die Muskeln in der Umgebung der Wirbelsäule hereinschiebt.

Beide Lungen mässig zurückgesunken. Herzbeutel liegt in normaler Ausdehnung frei. Herz von mittlerer Grösse; Muskulatur kräftig, bräunlich roth; Klappen ohne Besonderheiten; For. ovale auf 2mm Durchmesser offen.

Zunge mit gelbbräunlichem Belage bedeckt. Epiglottis und Lig. ary.-epiglott. sin. stark Ödematös. Kehlkopf und Trachea o. Bes. Im Oesophagus 9 cm von oben ein kleines Tractionsdivertikel. In der linken Vena anonyma ein gelbweisser, der Iutima fest anhaftender, im Innern erweichter Thronıbus; nach der Jugularis hin ein schwarz- rother Thrombus. Auch im oberen Theil der rechten Jugularis ein grauröthlicher, der Wand fest aufsitzender Thrombus.

Unter der Pleura costalis zwischen 1. und 2. Rippe dicht an der Wirbelsäule liegt ein haselnussgrosser, platter fluctuirender Abscess; ein doppelt so grosser, dicht darunter zwischen 2. und 3. Rippe, ein kleinerer im 4. Intercostalraum. In gleicher Höhe über der Wirbel- säule ein zweimarkstückgrosser, sich vorwölbender Abscess.

Linke Lunge stellenweise leicht emphysematös. Im Durchschnitt Unterlappen blutreich, beide Lappen ödematös.. In dem nach dem Unterlappen führenden Ast der Pulmonalis steckt ein gelbweisser, im Innern theilweise erweichter Thrombus.

Rechte Lunge: Durch den Pleuraüberzug des Oberlappens schimmert an der Spitze ein erbsengrosser, blauröthlicher, fest anzu- fühlender Heerd; ein grösserer ähnlicher im hinteren unteren Theile des Oberlappens. Auf dem Durchschnitt an diesen Stellen verdichtete, braunrothe, im Innern theilweise mit zerfallenen Massen erfüllte Heerde. Im Unterlappen, besonders nach hinten zu, mehrfache erbsen- bis hasel- nussgrosse, durch die Pleura durchschimmernde, auf dem Durchschnitt zerfallene braunrothe Massen und gelbgrünen Eiter enthaltende Abscesse.

Darmschleimhaut überall bleich und glatt, nur an der Klappe leicht gerötet; Peyer’sche Haufen zart, nicht pigmentirt. Von alten typhösen Veränderungen nichts zu sehen. Milz 17:9:4; Oberfläche glatt, Substanz etwas weich, dunkelbraunroth, leicht pulpös.

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Nieren mittelgros, von mittel-fester Consistenz; Rinde gelblich- braun, vom bräunlich rothen Mark deutlich geschieden. Leber mittel- gross; Substanz ziemlich fest, bräunlichroth, etwas getrübt. In der Pfortader frische thrombotische Massen. In der Gallenblase zahl- reiche, verschieden grosse Steine. Uebrige Bauchorgane ohne Bes.

Schädel symmetrisch, länglich oval; Spongiosa blutreich. Beim Abnehmen des Schädeldaches quillt aus der angeschnittenen Dura über der linken Hemisphäre reichlicher gelbgrüner Eiter hervor. Dura gespannt; beim Tasten an der linken Hemisphäre leichtes Fluctuations- gefühl. Sinus longitud. als fast bleistiftdicker Wulst durchfühlbar. Beim Einschneiden erweist er sich als mit gelblichem Eiter und spär- lichen Thrombusmassen erfüllt. Nach Abziehen der Dura sieht man die oberen Temporalwindungen, die Gegend der Foss. Sylvii und die seitlichen Frontalwindungen mit dickem, gelbgrünem fibrinös-eitrigem Belage bedeckt. Die von diesen Bezirken aus nach dem Parietallappen und den hinteren Theilen des Temporallappens verlaufenden Venen sind als dicke, mit gelbweissem Eiter gefüllte Stränge sichtbar. Besonders deutlich ist diese Füllung mit Eiter an einer vom oberen Rande der Foss. Sylv. längs der Central- windung verlaufenden Vene. Im linken Parietallappen dicht oberhalb des Endes der Foss. Sylv. sieht man einen etwa haselnussgrossen, fluctuirenden gelbweissen Herd durch die Pia durchschimmern; ein etwa erbsengrosser liegt 2 cm nach hinten von diesem. Die linke Kleinhirnhemisphäre fühlt sich sehr weich an; sie enthält eine über taubeneigrosse, mit dickem gelbgrünlichen Eiter gefüllte Abscess- höhle, die von einen sehr zarten gelbweissen pyogenen Membran aus- gekleidet ist. Unter der Pia des diesem Abscess anliegenden Occi- pitallappens befindet sich ein haselnussgrosser, über die Oberfläche prominirender, fluctuirender Abscess. Unter der Pia des vorderen Endes der linken unteren Schläfenwindnng liegt ein unregelmässiger, aus kleinen gelbweissen Knötchen confluirter, über erbsengrosser Heerd. Beim Betasten des Gehirns, dessen weitere Untersuchung, um das Präparat zu erhalten, unterbleibt, ist nirgends sonst Fluctuation durch- zufühlen,

Die beiden Sinus transv., der linke vom oberen Knie, wo sein Lumen wieder beginnt, während nach abwärts an seiner Stelle nur die geschilderten, von der cerebellaren Wand des Sinus ausgehenden, grau- röthlichen, Granulationen gleichenden Gewebsmassen vorliegen, sind in ihrem ganzen Verlaufe continuirlich bis zum Bulb. jugul. der anderen Seite mit Eiter erfüllt. Im linken Sinus petros. sup., welcher gerade dort, wo das Lumen des Sinus transv. wieder beginnt, einmündet, zer- fallene Thrombusmassen, ebenso im linken Sinus petros. inf. und im Sinus rectus. Im Sinus occipit. und beiden Emiss. condyl. Eiter; ebenso, neben Zerfallsproducten von Thromben, im Bulb. jugul., unter dem unmittelbar die Stenose und weiterhin Obliteration der Vene folgt. Beide Sin. cavernosi sind frei.

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Bei der Untersuchung des linken Schläfenbeins findet sich noch die Dura in der Umgebung des For. jugul. abgehoben, eitrig belegt und verdickt. Am Boden der Paukenhöhle ein offenbar nur hier liegen gebliebener Sequester. Pauke, Recess. epitymp. und Antrum stellen eine gemeinsame, meist schon glattwandige, nach hinten breit in die hintere Schädelgrube sich öffnende Höhle dar. (Weitere Untersuchung unterbleibt im Interesse der Erhaltung des Präparats.) Im rechten Mittelohr geringe Menge serösen Transsudats.

In diesem nach verschiedenen Richtungen bedeutsamen Fall inter- essirt uns zunächst mit Rücksicht auf die oben aufgeworfene Frage nach den der Sinuseröffnung folgenden Veränderungen im Sinus selbst der Befund in dem breit eröffneten Bezirk desselben. Dieser Abschnitt ist vollständig erfüllt und nach beiden Richtungen fest abgeschlossen durch Gewebsmassen, welche von der stehen gebliebenen cerebellaren Wand des Sinus aus sich gebildet haben. Es ist, um das Präparat zunächst wenigstens für Demonstrationszwecke zu erhalten, vorläufig auf die Untersuchung dieser Gewebsmassen verzichtet worden. Immerhin ist die Feststellung wichtig. dass, selbst trotz peripher und central fortschreiten- der Thrombophlebitis, die breite Eröffnung des Sinus, bei deren Aus- führung noch solider Verschluss des eröffneten Abschnitts nach oben und unten augenscheinlich bestand, unverkennbare Heilungsvorgänge auslöst, deren Nutzlosigkeit im vorliegenden Falle nur durch besondere complicirende Nebenumstände bedingt war.

Ein wesentlicher Antheil an der ungewöhnlichen Ausdehnung der Thrombophlebitis im vorliegenden Falle kommt meines Erachtens der Obliteration der V. jugularis zu. Für die Schätzung des Zeit- punkts, in welchem diese vollzogen war, fehlen allerdings zuverlässige Anhaltspunkte. Indessen giebt ein Vergleich der in dem eröffneten Sinusabschnitt nachgewiesenen Gewebsneubildung mit dem Befund an der Jugularis, welcher mit dem derben fibrösen Verschluss der Vene als ein viel weiter vorgeschrittener, mehr definitiver Zustand imponirte, der Vermuthung, dass die Verlegung der Vene zu der Zeit, als die Eröffnung des Sinus erfolgte, zum mindesten schon vorbereitet oder vielleicht bereits vollzogen war, eine gewisse Grundlage. Darauf deutet auch die Thatsache hin, dass die linksseitige Gesichtsschwellung, offenbar bedingt durch Sperrung des Abflusses aus den Gesichtsvenen, das früheste Symptom der Phle- bitis gewesen und schon vor allen anderen Localsymptomen der Sinus- thrombose aufgetreten ist. Die Schwankungen in Grad und Ausdehnung dieses Oedems schliessen die Möglichkeit eines constanten, festen Ver-

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schlusses nicht aus, können vielmehr ebenso wohl durch vorübergehende Störungen in der collateralen Versorgung erklärt werden. Ist aber die Verwandlung der Jugularis in einen streckenweise soliden fibrösen Strang schon eine Zeit lang zurückzuverlegen, und darf man somit annehmen, dass ihre Durchgängigkeit schon im Moment der Sinus-Eröffnung auf- gehoben war, so muss dieser Fall ein wichtiges Beispiel für die Bedeutung der Verlegung und damit auch der Iigatur der Vene darstellen.

Von der Unterbindung der Jugularis wird, als wichtigste Wirkung des Verschlusses der zum rechten Herzen führenden Hauptbahn, die Verhütung der Verschleppung von Thrombuspartikeln erwartet.

Auf die geringen Aussichten, welche die Verlegung der Hauptbahn für die Absperrung eines durch mehrfache andere Verbindungen mit dem Kreislauf communicirenden Heerdes bietet, weisen schon die bereits er- wähnten Versuche Genzmer’s hin, welcher durch Compression der Jugularis die Luftaspiration am Sinus transversus nicht verhüten konnte und deshalb die Möglichkeit des Luftzutritts durch den Sinus oceipitalis, den Plex. spinalis, die Vv. vertebrales, dann in die Vena azygos und Cava sup. betont. Wenn aber schon das Eindringen von Luftblasen durch die Compression der Jugularis nicht verhütet werden kann, sind die Chancen dafür, dass ihr Verschluss den Transport von Mikroorganismen oder Thrombusbröckeln zu verhindern im Stande wäre, von vornherein

ungünstig. Die Vorstellung von der mechanischen Wirkung der Jugularis-Ab- sperrung hat aber noch ein weiteres anatomisches Bedenken.

Die Jugularis ist, wenn auch gewöhnlich, so doch nicht so regel- mässig, dass man sich ausnahmslos darauf verlassen könnte, die haupt- sächlichste Verbindung des Sinus mit dem Herzen. Bei sehr enger Jugularvene können die Emissarien zu Hauptwegen werden. In dem oben geschilderten Falle z. B. war das For. lacerum post. relativ eng, die Foramina condyl. auffällig weit.

Aber zugegeben selbst, dass dieser Einwand nur seltene Ausnahme- fälle träfe, von denen man vielleicht absehen dürfte, selbst die sichere Versperrung der Hauptbahn, welche freilich den kürzesten und directesten Weg zum rechten Herzen darstellt, kann doch bei der Reichlichkeit der Nebenbahnen die Aussaat von Emboli nicht verhindern. Forselles’ meint, dass es jedenfalls besser sei, wenn nur ein anstatt zwei Wege der

Infection offen stehen. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden, wenn

1). c. 8. 100.

A

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die Absperrung der Hauptstrasse nicht die unmittelbare Folge haben könnte, dass die thrombophlebitischen Processe direct auf alle anderen möglichen Wege übergeleitet würden, von denen aus sie wieder in offener Verbindung mit čem Kreislauf stehen. Damit würde aber der mögliche Vortheil der Verlegung des Hauptabfuhrweges mehr als compensirt.

Zaufalt!) hat bei der Erörterung der Schwierigkeiten, welche die geringe Ausdehnungsfähigkeit der Venae emissariae der Entwickelung des Collateralkreislaufs bietet, darauf hingewiesen, dass bei plötzlicher Ab- sperrung der Bahn durch Thrombosirung des Sinus das Plus von Blut weniger in die Emissarien, als in die Meningeal- und Cerebralvenen hineingetrieben wird. Einen ähnlichen Effect scheint in dem oben ge- schilderten Falle die Obliteration der Jugularis gehabt zu haben, indem mit dem Blute Eitererreger oder Thrombentheile gerade besonders in die Venen der Hirnoberfläche hineingepresst wurden, so dass diese als mit Eiter gefüllte Stränge imponirten. Daneben sehen wir hier noch die Thrombophlebitis auf die Emissarien, auf fast alle Hirnsinus und schliesslich auf die Jugularis der anderen Seite fortgeleitet. Wir finden ferner ausgedehnte Lungenmetastasen, umschriebene, den mit Eiter erfüllten Venen folgende Arachnitis, multiple pyämische Hirn- abscesse, Eiteransammlung an der vorderen Fläche der Wirbelsäule als Ausdruck der Fortleitung vom emiss. condyl. post. auf die äusseren Wirbelgeflechte, subpleurale Abscesse in den Intercostalräumen, als Folge makroskopisch erkennbarer Thrombophlebitis in den mit den Wirbelge- flechten sich verbindenden Intercostalvenen. Auch die Fortleitung der Thrombophlebitis durch das Torcular bis in die Jugularis der anderen Seite ist nicht gewöhnlich.

Ich kann mich der Ansicht nicht verschliessen, dass die Ver- legung der dem thrombosirten Sinus transvers. entsprechenden Jugularis hier nicht allein die Verschleppung von Thrombenpartikeln nicht ver- hindert, sondern die ungewöhnliche Ausbreitung der Thrombophlebitis nach allen überhaupt denkbaren Richtungen, geradezu begünstigt hat. Es wäre freilich denkbar, dass diese Verlegung der Abflussbahn vielleicht weniger bedenkliche Folgen hätte haben können, wenn die Thrombo- phlebitis in ihrer ganzen Ausdehnung bei der ersten Operation erreicht, und die Gefahr der Rückstauung in die benachbarten Venengebiete durch breite Eröffnung oder Excision des Jugularis-Strangs bis zum Sinus ver- mindert worden wäre. Aber einmal ist es nach den für das operative

1) Wiener med. Wochenschr. 1868, No. 41.

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Verfahren bei Sinusphlebitis geltenden Grundsätzen, welche allerdings mit dem bereits wiederholt beobachteten Vorkommen _ discontinuirlicher Thromben nicht ganz in Einklang stehen, richtig, vor anscheinend soliden Verschlüssen am Rande eines zerfallenen Thrombus Halt zu machen. Und dann lag zur Eröffnung der Jugularis erst dann ein dringender Anlass vor, als sich ein perijugulärer Abscess gebildet hatte. Die Unterbindung allein hätte nicht mehr geleistet oder vielmehr nichts Anderes bewirkt, als ihr spontaner Verschluss. Eine Erfahrung, wie die von mir gemachte, spricht daher auch aufs schärfste für die Richtigkeit der Vorschrift Jansen’s, der Unterbindung die Er- öffnung der Vene bis zur Schädelbasis folgen zu lassen. Geschieht dies nicht, so kann das unterbundene Jugularisstück, wie in dem Falle Lancial’s'), sich schon wenige Tage nach Ausführung der J.igatur mit Eiter und jauchig zerfallenen Blutgerinnseln erfüllt zeigen.

Die Unterbindung der Jugularis ist nur dann bedingungslos be- rechtigt, wenn sie local indicirt ist, d. h., wenn eine Thrombophlebitis des Bulbus jugul. oder der Vene selbst vorliegt, aber auch dann weniger als ein Mittel, den phlebitischen Herd ven der Blutbahn abzusperren, denn als erster Act der gegen die Thrombose direct gerichteten operativ- therapeutischen Maassnahmen. Die schematische Einführung der Jugularis- Ligatur in allen Fällen ausschliesslicher Sinusphlebitis, von den neuer- dings auch bei otogener Pyämie ohne Sinusthrombose ausgeführten Unter- bindungen ganz zu schweigen, ist dagegen bedenklich.

Im Gegensatz zu Körner halte ich die Unterbindung der Jugularis bei Sinusphlebitis für nicht gefahrlos. Die Gefahr rückläufiger Embolieen ist bei so raschem, plötzlichem Verschluss der Vene, deren Wurzelgebiet zum grossen fheil noch frei sein kann, viel eher gegeben, als bei langsam, allmählig sich entwickelnder Verlegung, wie sie durch Thrombose oder consecutive Obliteration zu Stande kommt. Bei dem zunächst wenigstens ungestörten centripetalen Zufluss kommt es an der ligirten Stelle zur Stauung und zur Stromumkehr, wobei dann, wenn der rückläufige, Wirbel bildende Blutstrom an irgend einer Stelle seines Wegs auf wandständige Thromben stösst, diese mitgerissen und centrifugal verschleppt werden können. So kann man sich vielleicht die Entstehung discontinuirlicher Thromben, die durch normale Venenbezirke von einan- der getrennt sind, und vor Allem die Genese der multiplen metastatischen Hirnabscesse, wie vielleicht auch in unserem Falle, erklären. Unter-

1) Verhandl. des X. internat. med. Cungr., Bd. III, S. 166.

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bindet man bei einer herzwärts soliden Thrombose des Sinus sigmoideus die normale Jugularvene, so kann der Blutstrom, welcher bis dahin vom Sin. petrosus inf. aus, ohne den Thrombus direct zu treffen, nach dem Bulbus jugul. ging, nunmehr plötzlich umgekehrt, viel leichter, als vor- her, das Thrombus-Ende treffen und, indem er von hier Bröckel losreisst, diese in die Blutbahn führen oder zum Mindesten die Thrombo- phlebitis in den bis dahin freien Sin. petr. inf. überleiten (Jansen !).

- In erster Linie aber besteht die Gefahr, dass die Unterbindung der Jugularis die Thrombosirung der Blutsäule in dem abgeschlossenen, von Ligatur und Sinus-Thrombus begrenzten Venenabschnitt zur Folge hat. Zum Eintritt der Gerinnung genügt zwar die Ruhe der Blutmasse inner- halb eines Gefässes an sich noch nicht. Voraussetzung für ihre Entstehung ist das Vorhandensein einer Alteration der Gefässwand. Diese kann aber in den Fällen, die uns hier beschäftigen, einmal von vornherein durch Fortschreiten der Phlebitis in der Venenwand (Salzer) vorhandei sein, oder sie kann durch die im Moment der Ligatur leicht erzeugte Läsion bedingt werden. Wie schon bei geringfügigen, nicht erkennbaren Ver- änderungen der Gefässwand, scheinbar ausschliesslich durch Verlegung des Venenlumens, die Blutsäule in weiter Ausdehnung gerinnen kann, zeigt ein Fall von Wendt?), ih welchem bei Compression der Jugularis durch einen Drüsentumor am Halse der entsprechende Sinus transv. zum grössten Theil thrombosirt war. Für die Thrombosirung einer stagnirenden Blutmasse genügt eben schon eine Alteration der Gefässwand, die für das mit normaler Schnelligkeit strömende Blut noch irrelevant sein kann (Eberth und Schimmelbusch?°). Aber andererseits wird auch eine Gefässläsion gefährlich oft erst dann, wenn eine Circulationsstörung ent- steht. Aus allen diesen Gründen kann unter Umständen die Ligatur der Jugularis Thrombose in dem abgesperrten Bezirk, welche von da aus auch in den Sinus petrosus inf. hineinwachsen kann, erst zur Folge haben. ; Diese Thrombosirung der Jugularis und des Sinus transversus, welche er nach Ligatur der Jugularis bei Pyämie ohne Sinusthrombose eintreten sah, betrachtet Lanet), in dessem Falle trotzdem Heilung erfolgte, wie erwähnt, als ein nicht unwillkommenes Ereigniss. Er hat sie mit der Ligatur geradezu intendirt; die so gebildeten „gesunden“ Thrombosen sollten

1) 1, c. S. 245.

2) Arch. d. Heilk., Bd. XI, S. 593.

3) Fortschr. der Medicin 1886, No. 4. 4) Brit. med. Journ. 1890, S. 28.

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den Zufluss infectiöser Massen aus den erkrankten Knochenvenen in die Blutbahn absperren. Auf die Bedenklichkeit dieses Verfahrens hat Körner mit Recht bereits hingewiesen. Im strömenden Blut kann sich die bactericide Kraft durch Abtödtung oder Entwickelungs- hemmung der eingedrungenen Erreger äussern. Der Thrombus dagegen wird rasch von den Mikroorganismen, denen er günstige Wachsthums- bedingungen schafft, durchwachsen; die Folge davon wird unter Um- ständen progrediente Thrombophlebitis sein.

Diese a priori naheliegende Annahme ist durch Beobachtungen von Lane, Deansley!) und Langenbuch?) bestätigt. Pyämie und Sinus- phlebitis mit letalem Ausgang schloss sich den Eingriffen am normalen Sinus und normaler Jugularis an. Langenbuch meint in seinem Falle selbst, dass die Sinusthrombose sich offenbar erst nach der Operation gebildet, aber „wohl Dank der Jugularis-Unterbindung keine groben Metastasen“ gesetzt habe. In seinem in Heilung ausgegangenen Falle aber, in wel- chem bei der Operation Sinus und Jugularis frei gefunden wurden, traten trotz Ligatur der Jugularis nach Wochen noch Metastasen auf, die vor der Unterbindung der Vena gefehlt hatten. Erfahrungen dieser Art scheinen, wie bereits erwähnt, Hessler°), der früher auch bei der otogenen Pyämie ohne Sinusphlebitis die Jugularis-Unterbindung zum Schutz gegen die Verschleppung osteophlebitischer Thromben verlangte, während er doch andererseits schon von der „Blosslegung der Knochenmaschen und der phlebitischen Infectionsherde* im Warzenfortsatze eine Zunahme der Gefahr pyämischer Infection, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, be- fürchtete, neuerdings bekehrt zu haben; wenigstens tritt er in seiner Monographie nicht mehr dafür ein. Es ist geradezu unverständlich, wie bei diesen Formen der Pyämie, bei denen es sich oft um directe Aussaat von Mikroorganismen in die Blutpbahn ohne Vermittelung grösserer embolisirender Massen handelt, eine so grob-mechanische Methode, wie die Unterbindung der Jugularis, Aufnahme hat finden können, während doch schon a priori der ausserordentliche Reichthum an venösen Bahnen im Bereich des Schläfenbeins die Nutzlosigkeit dieses Verfahrens hätte erkennen lassen sollen.

Auch bei Verdacht aufSinusphlebitis mit der Ligatur der Jugularis zu beginnen, ist verfehlt. Die Litteratur enthält 1) Brit. med. Journ. 1895, p. 805.

2) Berl. klin. Wochenschr. 1895. 3) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 38, S. 16 u. 75.

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bereits Fälle genug, in denen auf das Auftreten einzelner Schüttelfröste bin oder mit Rücksicht auf den meist unzuverlässigen Nachweis eines der Jugularis entsprechenden Strangs die Jugularis unterbunden, und der nachher eröffnete Sinus normal gefunden wurde. |

Es ist meines Erachtens richtiger, zuerst dort anzugreifen, wo man den Erkrankungsherd selbst vermuthet, anstatt eine prophylaktische Operation gegen eine möglicher Weise gar nicht vorhandene Gefahr vorauszuschicken. Die Möglichkeit directer Einschwemmung von Theilen eines Sinus-Thrombus bei Manipulationen am Sinus selbst, ohne vorgängige Unterbindung der Jugularis, scheint, wie Körner hervorhebt, mehr theoretisch deducirt, als thatsächlich vorhanden: zu sein; es ist bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass der Sinus gewöhnlich herzwärts durch einen zur Absperrung genügenden soliden Thrombus verschlossen ist.

Lässt sich die Thrombose bei möglichster Freilegung des Sinus nach abwärts nicht abgrenzen, und noch mehr natürlich, wenn der Zerfall des Thrombus sich schon bei der Operation in den untersten Abschnitt des Sinus erstreckt, so dass sein Verschluss durch einen herzwärts obturirenden festen soliden Pfropf wenig warscheinlich ist oder wenn der Verlauf nach der Operation die Lösung dieses Verschlusses und die centripetale Fortsetzung der Thrombose vermuthen lässt, ist die Ligatur der Jugularis berechtigt. Sie ist von vornherein nothwendig, wenn die Thrombose sich auf die Jugularis selbst von vornherein er- streckt hat.

Die Unterbindung der Jugularis muss also auch local indicirt sein; sie soll nicht als lediglich prophylaktische Operation zum Schutze gegen die pyämische Allgemein- infection vorgenommen werden.

Zur Absperrung der Thrombose von der Blutbahn reicht die Ligatur der Jugularis nicht aus. Wollte man den thrombosirten Bezirk wirksam isoliren was ja seiner vielfachen, nicht auszuschaltenden Verbindungen wegen überhanpt nicht möglich ist so müsste man ihn folgerichtig mindestens an seinen beiden Hauptthoren, nicht allein der Jugularis, sondern auch dem Torcular absperren, wie es zuerst Horsley vorgeschlagen hat. Ducellier!) . nennt operation de Chipault ein dreizeitig auszuführendes, practisch anscheinend nicht erprobtes Verfahren, dessen ersten Akt die doppelte Ligatur der Jugul. int. mit Durchschneidung der V&ne und Fixation ihres peripheren Endes in der Wunde, dessen zweiten Akt die Ligatur

2) These de Paris 1894.

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des Sinus transv. nahe am Torcular und dessen Schluss die Eröffnung des Sinus nebst Resection „der Wunde“, und Sinus-Jugularis-Drainage darstellt. Die untergeordneteren Infectionswege, zu denen er die vv. condyl. zählt, können nach Ducellier nur durch complette „nettoyage du foyer“ verschlossen werden. Die Umstechung am Torcular hätte zu- nächst technische Schwierigkeiten. Das Torcular ist, wenn man den Sinus nicht direct in seiner ganzen Ausdehnung verfolgt, mit Hilfe der Angaben über seine Projection auf die Aussenfläche oft schwer zu finden; seine Lage ist zu inconstant. Bei der Umstechung desselben ist man, auch wenn man die Dura vorher incidirt und dann erst die Nadel durch das Tentorium senkt, vor Ver- letzung der Kleinhirn-Pia oder des Kleinhirns selbst, wie sich mir bei Leichenoperationen herausstellte, nicht genügend gesichert. Vor Allem aber würden dieser Combination von Unterbindungen am peripheren und centralen Ende des Sinus, und ebenso selbst der ebenfalls bereits in der Litteratur erwähnten Ligatur beider Jugularvenen immer dieselben Be- denken entgegenstehen, die schon den prophylaktischen Werth des Ver- schlusses der Jugularis auf der Seite der Thrombose in hohem Maasse zweifelhaft erscheinen liessen. Eine wirksame Isolation des thrombosirten Bezirks ist überhaupt nicht möglich. Die Unterbindung beider Jugular- venen würde ausserdem, gleichzeitig ausgeführt, noch durch Vermehrung der bei Sinusthrombose ohnehin oft erheblichen Stauung in den Hirn- venen eine directe Gefahr darstellen können.

Die Statistik scheint allerdings für den Nutzen der Unterbindung der Jugularis zu sprechen. Der Procentsatz der Heilungen bei Combi- nation von Sinus-Eröffnung und Venenligatur übertrifft nach Körner die der Heilung bei ausschliesslicher Operation am Sinus nicht unerheb- lich. Die Statistik kann aber in dieser Frage nicht ohne Weiteres den Ausschlag geben. Einmal sind, wie bereits wiederholt betont, in sie Fälle aufgenommen, aus deren Darstellung nicht mit vollkommener Sicherheit das Vorhandensein einer Sinusthrombose hervorgeht. Dann aber sind die einzelnen Fälle unter einander so verschieden, und in so verschiedenen Stadien operirt, die Heilung ist im Einzelfalle von anderen Momenten, als von dem eingeschlagenen Operationsverfahren, in so hohem Maasse abhängig, dass aus der Thatsache des Plus der Heilungen auf der Seite der Jugularis-l.igatur nicht ohne Weiteres der grössere Werth des combinirten Verfahrens gefolgert werden kann.

Durch eine auf grösseres einwandfreies Material aufge- baute Statistik wird das Procentverhältniss der Heilungen vielleicht noch

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wesentlich verschoben werden. Deshalb erscheint mir, bei dem gegen- wärtigen Stande der Frage, der Standpunkt nicht unberechtigt, dass eine grössere Beachtung als die aus der Zusammenstellung der von ver- schiedenen Autoren mitgetheilten, nicht immer ganz eindeutigen Beob- achtungen gewonnene grosse Statistik die Einzelresultate solcher Be- obachter verdienen, deren Material relativ gross und nach überein- stimmenden Gesichtspunkten bearbeitet ist. Schwartze, Jansen und Macewen sind aber gerade durch die Beobachtung ihres eigenen Materials zur Verwerfung der principiellen Ligatur der Jugularis bei Sinusphlebitis gekommen.

Die in unserem Falle nachgewiesene Obliteration der Jugu- laris ist bereits einige Male beobachtet worden. In einem Falle Jansen’s!) hing diese Verwachsung der Jugularis vielleicht mit einer schon einige Jahre zuvor durchgemachten, damals abgelaufenen Sinus- phlebitis zusammen. Anatomisch wurde ausserdem Obliteration bezw. partieller Untergang der Jugularis von v. Dusch?), Schwartze?), Körner4t), Grunert und Panse) beobachtet, klinisch von Makins®) angenommen.

Unser Fall, in welchem es noch bei der Autopsie schwer war, die Vene in dem für die Unterbindung in Betracht kommenden Bezirk aufzufinden und ihren Verlauf zu verfolgen, weist zugleich auf die technischen Schwierigkeiten hin, die der Ligatur der Jugularis entgegenstehen können. Durch den Nachweis geschwellter Lymphdrüsen, die man allerdings vielleicht am ehesten an der Aussen- seite der Gefässscheide und über der Jugularis erwarten sollte, darf man sich nicht leiten lassen; in unserem oben erwähnten Falle hatte die Verfolgung der einzigen im Unterbindungsgebiet erreichten geschwellten Drüse direct auf die Carotis geführt.

Ueber die Beschaffenheit der Jugularis kann man zuweilen schon bei der äusseren Betrachtung Aufschluss gewinnen, wenn man die Vene collabirt oder von einem palpablen Thrombus erfüllt oder auch von fibrinösen Auflagerungen bedeckt (Jansen) findet. Fehlen solche Anhaltspunkte, dann kann man sich durch Probepunction der

1) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 36, S. 17. 2) Zeitschr. f. ration. Med., Bd. III, 2. 3) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 16. S. 265. 4) l. e. S. 53. 5) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 35, S. 142. 6) Lancet 1891, 6. Juni. Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXIX. li

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Vene [Abbe!)], aber nicht ohne vorherige Freilegung derselben über Vorhandensein einer Thrombose und deren Ausdehnung Aufschluss ver- schaffen.

Die Angaben über die Wahl der Ligaturstelle stimmen nicht ganz überein. Es scheint fast, als ob die Differenzen in der anatomischen Nomen- clatur auch hier zum Ausdruck kämen und die Bezeichnung: V. jugul. interna einmal für den ganzen, durch die Vereinigung der V. facial. commun. mit der Ven. jugul. cerebralis entstandenen, besser als V. jugul. commun. zu bezeichenden Stamm und dann wieder nur für die eigentliche V. jugul. int. benutzt würde. In den Fällen, in denen man überhaupt die Wahl hat, in denen also die Vene selbst noch thrombusfrei ist, wird man, wenn man sich dazu überhaupt entschliesst, am besten nach der Vorschrift v. Bergmann’s?) über der Einmündungsstelle der V. facial. commun. die V. jugul. int. unterbinden. Wie weit man bei Thrombose der Vene selbst herunter zu gehen hat, hängt von der Aus- dehnung der Thrombophlebitis ab. Durch centralwärts fortschreitende Compression wird man Fingerzeige für den Beginn der Wegsamkeit der Vene gewinnen. Jansen empfiehlt von demselben Gesichtspunkte aus, der ihn bei dem Vorschlage, die eröffnete Jugularis bis hoch an die Schädelbasis zu schlitzen, leitete, die gleichzeitige Unterbindung der Vena facialis communis. Voraussetzung für die Ausführung dieser Ligatur ist natürlich die directe Einmündung der Facialvene in die Jugularis interna; wenn sie sich mit der V. jugul. ext. verbindet, ist ihre Unterbindung bei der Thrombose des Sinus transversus bezw. der Jugularis int. überflüssig. Ich habe in dem besprochenen Falle die Jugularis ext. vornehmlich deshalb doppelt unterbunden, um durch ihre Durchschneidung Raum zu gewinnen.

Bei der Unterbindung der V. facialis kann der Stamm des Hypo- glossus, über den die Vene nahe ihrer Einmündung verläuft, bei Ligatur der Jugular. int. der Ramus descendens hypoglossi, oder bei tieferer Unterbindung, die Verbindung dieses Nervenfadens mit dem Ramus cervicalis descend. infer. zu der an der Aussenfläche der grossen Halsgefässe gelegenen Ansa hypoglossi, die auch bereits Voss*) bei der Ligatur in den Weg gekommen zu scheint, verletzt werden.

In meinem Falle hat eine bei den eigenthümlichen örtlichen Ver- hältnissen schwer vermeidbare Zerrung des Vagus, welcher in der

1) New-York medic. Record 1895, 27. July. 2) Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 16. 3) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXIX, S. 94.

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eitrig infiltrirten Gefässscheide kaum zu differenziren war, bei Auf- suchung der Jugularis stattgefunden. Jeder Berührung des Nerven- stamms folgten heftige krampfhafte Würgbewegungen bis zum Erbrechen, ferner ein rasch vorübergehender Hustenanfall und als prägnantester Ausdruck der Leitungsunterbrechung eine plötzliche Steigerung der Pulsfrequenz (von 108 auf 180 P. in der Minute). Nach der Zusammenstellung von Martius!) scheint es, als wenn bei Ausschaltung des Vaguseinflusses hohe Frequenzziffern, über 150 Schläge in der Minute, nur ausnahmsweise beobachtet wurden. Auch in unserem Falle ist die absolute Höhe der Pulsfrequenz nicht ohne Weiteres maass- gebend, ebensowenig aber auch ihr Verhältniss zu der vor der Operation gezählten Frequenz, weil gerade in die Zeit der Operation eine rasch ansteigende Temperaturerhöhung fiel und während eines solchen Fieber- anfalls schon früher sehr hohe Pulsfrequenzzahlen beobachtet worden waren. Eine Untersuchung des Kehlkopfes während oder nach der Vaguscompression war nicht möglich. Aus unserer Beobachtung geht hervor, dass Symptome von Leitungsunterbrechung des Vagus schon durch einfache Quetschung des Nerven zu Stande kommen können, dass also ihr Auftreten nicht etwa als Beweis dafür, dass bei der Ligatur der Vene, wie es bei der Unterbindung der Carotis commun. bereits wiederholt vorgekommen ist, der Nerv mitgefasst wurde, verwerthet werden kann.

Läsionen der Carotis sind bei Ligatur der Jugularis nicht be- obachtet und schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil bei der Zwei- theilung der Gefässscheide die Vene ohne jede Verschiebung der Carotis isolirt werden kann. Bei Unterbindung der Carotis ist allerdings diffuse Phlebitis der Jugularvene, angeblich durch den Reiz des Ligaturfadens, von v. Nussbaum auch Usur der Venenwand und Jugularisblutung beobachtet worden.

Am bequemsten scheint die Ausführung der Jugularisligatur im Trigonum caroticum oberhalb des die Gefässscheide überkreuzenden vorderen Bauchs des M. omohyoideus zu sein (Körner). Besteht eine Thrombose der Jugularis, die über diese Stelle hinausgeht, so verfolgt man diese so weit als nöthig und möglich, nach abwärts. Wenn der phlebitische Process sich über das Bereich der erreichbaren Venenstämme nach ab- wärts, . etwa, wie in dem Falle Toynbee’s?), bis in die V. cava sup. hinab erstreckt, dann kann man trotz der geringen Chancen der

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1) Tachykardie. Stuttgart 1895, S. 37. 2) Krankheiten des Gehörorgans. Deutsche Uebersetz. S. 317.

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Heilung innerhalb des thrombosirten Gebietes so central als möglich unterbinden. Die günstigen Resultate, welche Voss in derartigen Fällen trotzdem erzielt hat, verdienen Beachtung.

Die bisher vorliegenden Erfahrungen lassen meines Erachtens bereits folgende Schlüsse für die Beurtheilung der Nothwendigkeit und des Nutzens der Jugularisunterbindung bei Sinus- phlebitis zu:

Die schematische Einführung der Unterbindung als einesintegrirenden Bestandtheils der operativen Therapie der Sinusphlebitis ist nicht gerechtfertigt. Sie ist ein Fehler bei Pyämie ohne Sinusphlebitis. Voraussetzung für ihre Anwendung ist der sichere, durch die Untersuchung des Sinusinhalts geführte Nachweis der Sinusthrombose.!) Bei Anwesenheit eines soliden Ab- schlusses gegen die Jugularvene hin ist, wenn Anhalts- punkte für die Annahme der Fortsetzung der Thrombose indie Vene fehlen, die Ligatur überflüssig und unter Um- ständen schädlich. Auch die Gestaltung des Allgemein- befindens nach der Sinuseröffnung zur Richtschnur für die Unterbindung der Jugularis zu machen, wie Jansen?) vorschlägt, hat seine Bedenken. Principiell ist meines Erachtens die Entscheidung, ob die Vene unterbunden werden soll, besser von dem localen Befund in der Vene selbst oder wenigstens am centralen Thrombusende abhängig zu machen.

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1) Anm. Den radicalsten Standpunkt nimmt, wie bereits kurz besprochen, in dieser Frage Langenbuch ein, welcher auf unsichere pyämische Allge- meinerscheinungen hin den Sinus eröffnete und die Jugularis unterband und, trotzdem in dem einen Falle metastatische Abscesse folgten, im zweiten durch eitrigen Zerfall des offenbar erst nach der Operation gebildeten Thrombus und Pyämie der Exitus eintrat, doch vorschlägt, den Sinus, einmal eröffnet, sogleich, sei er gesund oder nicht, noch breiter freizulegen und auszutamponiren. Panse (Archiv für Ohrenheilkunde Bd. XL, S. 49) hat in einem Referat diesen Standpunkt Langenbuch’s treffend beleuchtet. Mit dem Verfahren, welches L. vorschlägt, würde man nur, wenn sich bei Freilegung des Sinus und Exploration seines Inhalts die klinische Diagnose als falsch herausstellt, diesem unschädlichen Irrthum noch einen zweiten bedenklichen Fehler folgen lassen, indem man durch breite Eröffnung und Tamponade im gesunden Sinus eine Thrombose nunmehr mit absoluter Sicherheit erzeugt.

2) Verh. der deutsch. otol. Gesellsch. Jena 1895.

O0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Öhreiterungen. 165

Mit Recht hebt Hessler hervor, dass man in der Frage der Jugularisunterbindung bei Sinusphlebitis von dem rechten Wege der Therapie etwas abgekommen ist. Aprioristische Erwägungen, vor Allem die Hoffnung, durch Absperrung der directen Bahn zum Herzen die Verschleppung von Emboli zu verhüten, sind im Wesentlichen bei ihrer Einführung maassgebend gewesen. Die günstigen Erfahrungen mancher Autoren, deren Erfolge zum Theil vielleicht mehr der nach der Unterbindung wohl energischer, rücksichtsloser durchgeführten Ausräumung des Sinus. als der Absperrung der Jugularisbahn selbst zuzuschreiben wären, haben diesen theoretischen Erwägungen eine that- sächliche, wenn auch nicht durchweg unbedingt zuverlässige Unterlage verschafft. Activer, wie das Langenbuch wünscht, brauchen wir in der Therapie der Sinusphlebitis jedenfalls nicht zu werden. Es ist im Gegentheil viel wichtiger, gegenüber der übermässigen und schemati- sirenden Activität mancher Autoren zu dem Grundsatz zurückzukehren, dass nur wirklich einwandsfrei indicirte Eingriffe ausgeführt werden dürfen, und dass man vor Allem die Sinusthrombose zunächst an ihrem Sitze angreifen und sich, wenn möglich, auf die Ausräumung dieses ihres Heerdes beschränken soll.

Bestimmte Angaben über den Zeitpunkt, an welchem man bei der Sinusphlebitis frühestens und bis zu welchem man spätestens zur Operation berechtigt ist, lassen sich nicht geben. Die einzige absolute Contraindication gegen die Sinusoperation ist, abgesehen . natürlich von den allgemein giltigen Gesichtspunkten Kräftezustand, Beschaffenheit des Herzens etc. meines Erachtens die eitrige Lepto- meningitis, deren Vorhandensein dann aber durchaus einwandsfrei, nicht allein durch den Nachweis diffuser „meningealer“, auch der Sinus- thrombose unter Umständen zukommenden Symptome, am besten durch die Lumbalpunction festzustellen ist. Metastasen, speciell embolische Lungenheerde, schliessen, wie Voss, Schmiegelow!) u. A. mit Recht betont haben, die Ausführung dieser Operation nicht aus.

Die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt, welche Symptome vor- handen sein müssen, ehe man operativ gegen den Sinus vorgeht, bedarf gegenwärtig kaum noch der Discussion. Der absoluten Sicherstellung der klinischen Diagnose, welche früher meist vom Nachweis metastatischer Herde abhängig gemacht werden musste, bedarf es zur Freilegung des Sinus nicht mehr so unbedingt als früher, wo Rohden und

1) Zeitschr. f. Obrenheilk. Bd. XXIV, S. 147.

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Kretschmann!) sie, und damals zweifellos mit Recht, als unentbehr- lich bezeichneten. Durch die Möglichkeit, die Sinusthrombose direct am Sinus selbst erkennen zu können, d. h. mit der Einführung probatorischer Operationen sind wir in die Lage versetzt, frühzeitiger und deshalb mit grösserer Aussicht auf Erfolg operiren zu können.

Die unbestrittene Thatsache, dass Thrombophlebitis des Querblutleiters mit consecutiver Pyämie in seltenen Fällen spontan, häufiger offenbar noch durch die Elimination des primären Herdes im Schläfenbein, zur Heilung gelangt ist, macht die Vermeidung aller solcher Operationen zur Pflicht, welche nicht unbedingt local indieirt sind und ohne zwingende Gründe vorgenommen, die Chancen der Heilung verschlechtern können. Michael?) hat in einer, von Körner bereits richtig gewürdigten Besprechung der Behandlung der Mittelohreiterungen sich dahin ausge- sprochen, dass man mit der operativen Richtung in der Ohrenheilkunde in das wilde Fahrwasser der Jasser’schen Zeit zurückkehre Ein solcher Vorwurf, welcher jetzt nur eine vollständige Verkennung der Ziele dieser Richtung verräth, könnte, wenn z. B. die Frage der Jugularis- ligatur weiter in derselben Weise, wie es neuerdings mehrfach ge- schehen ist, schematisch behandelt wird, schliesslich für die Operationen bei Sinusthrombose einen Schein von Berechtigung gewinnen. Wie einstmals die schematische, indicationslose Aufmeisselung des Warzen- fortsatzes, ihre Anwendung in Fällen von Schwerhörigkeit und Ohrge- räuschen, bei denen sie wirkungslos bleiben musste, diese Operation auf Jahrzehnte hinaus discreditirt hat, könnte auch eine vorzeitig schema- tisirende, nicht mit scharfen Indicationen arbeitende, principiell „active“ Richtung der allgemeinen Anerkennung des hohen Werkes der Sinus- Operationen hindernd in den Weg treten. Verbesserung der Diagnostik und vor Allem sorgfältige Indicationsstellung sind die hauptsächlichsten Vorausetzungen für die Erfolge operativer Behandlung der Sinusthrombose.

III. Die Thrombose des Sinus cavernosus.

Die isolirte Thrombose des Sinus cavernosus beansprucht nach ihrer Pathogenese, wie hinsichtlich ihrer Symptomatologie eine Sonderstellung gegenüber den analogen Erkrankungen der übrigen Blut- leiter. Die Betheiligung des Sinus cavernosus an einer vom Sinus transversus her durch die Sinus petrosi fortgeleiteten Thrombophlebitis

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1) Arch. f. Ohrenhéilk. Bd. XXV, S. 113. 2) Samml. klin. Vortr. Nr. 133.

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ist bei Weitem häufiger, als die ausschliessliche Erkrankung eines oder beider Zellblutleiter. Das allgemeine Verständniss der Genese dieser letzteren Form hat besonders Körner!) durch eine Arbeit gefördert, welche das unbestreitbare Verdienst hat, durch Zusammenfassung ver- streuter, wenig beachteter Litteraturangaben das Interesse auf die Be- deutung des Canalis und Sinus caroticus für die Fortleitung von Eite- rungen auf die Sinus cavernosi und die Meningen gelenkt zu haben.

Bis dahin hatten nur Gruber und v. Tröltsch die Bedeutung des Canalis und Sinus caroticus erkannt; auch Friedlowsky?) hat schon bei Besprechung der räumlichen Beziehungen des carotischen Canals zur Paukenhöhle auf die Gefahr des Contacts der die Carotis umgebenden Venen mit dem Paukeneiter hingewiesen. Neuerdings hat dann E. Meier) mit der Mittheilung eines in der Hallenser Klinik beobachteten Falles isolirter Thrombose der Sinus cavernosi und des Sinus circularis den directen Beweis für die Fortleitung der Thrombophlebitis in den die Carotis umspinnenden Venen, welcher in dem von Styx*) beschriebenen, analog gedeuteten geheilten Falle naturgemäss fehlte, erbringen können.

Unter den drei von mir beobachteten Fällen isolirter Thrombose des Sinus cavernosus ist zweimal die Richtigkeit der Diagnose durch die Autopsie bestätigt. In dem dritten Falle waren die klinischen Er- scheinungen so prägnant, dass eine andere Erklärung für sie kaum möglich war. Einer dieser Fälle ist bereits in der Dissertation von A. Brieger?°) mitgetheilt. Hier fanden sich beide Cavernosi mit Eiter erfüllt, ausserdem frische Coagula im Sinus transversus und beiden Sinus longitudinales. Die Ohreiterung durfte als die Ursache der Thrombophlebitis, welche wahrscheinlich auch die diffus über Convexität und Basis ausgebreitete Meningitis inducirt hatte, angesehen werden, ohne dass indessen der Weg, den der Process vom Mittelohr zum Sinus genommen hatte, verfolgt werden konnte. Auf den Sinus caroticus war bei der Autopsie nicht geachtet worden.

Der zweite Fall trat fast moribund in die Beobachtung ein.

K. M., Gastwirthssohn, 14 Jahre, aus tuberculös prädisponirter Familie stammend, seit etwa einem halben Jahre lungenkrank,

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXIII, S. 230. 2) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1868, Nr. 8.

3) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXVIII, S. 259. 4) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XIX, S. 244. 5) 1, c. S. 23.

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mehrfach wegen Halsdrüsentuberkulose operirt. Einmal wurde auch ein Abscess hinter dem Ohre eröffnet. Nach eintägigem Aufenthalte auf der medicinischen Hospitalabtheilung Verlegung nach der Abtheilung für Ohrenkranke.

8. Juni. Pat. ist in extremster Weise abgemagert, somnolent, reagirt auf Anrufen nur unvollkommen. Starke fluctuirende Schwellung hinter dem linken Ohr, sich nach vorn bis gegen den äusseren Aussenwinkel hin fortsetzend.. Oedem der Stirn und beider Augen- lider, rechts in geringerem Grade. Chemosis der linken Conjunctiva. Bulbus links sehr prominent, anscheinend nicht beweglich. Pupillen weit, auf Lichteinfall nicht reagirend. Deutliche Erweiterung der Re- tinalvenen bei engen Arterien, besonders links; hier auch Pupillen- grenzen etwas verwaschen. Links leichter Strabismus divergens. Anästhesie der linken Gesichtshälfte, besonders auch an Cornea, Conjunctiva, Nasenschleimhaut. Sensibilität des linken Gehör- gangs nur herabgesetzt, nicht ganz aufgehoben. Totale Lähmung des linken N. facialis. Gehörgang mit reichlichem fötidem Eiter erfüllt, durch Schwellung der vorderen und oberen Wand fast vollständig verlegt. Temperatur, bei Morgenremissionen bis zur Norm, Abends über 39°.

10. Juni. Operationsbefund: Geringe subperiostale Eiteran- sammlung, breiter fistulöser Durchbruch der Corticalis, Zellen des Warzen- theils mit graugelblichen käsigen Massen und schlaffen Granulationen erfüllt. Antrum in 1,4cm Tiefe erweicht; gleicher Befund. Im Recessus epitympan., über der Gehörgangswand, ein kleiner Se- quester. Nach Ausräumung der Granulationen ein breiter Defect im Sulcus sigmoid., welcher durch Abtragung der noch cariösen Ränder zu über 4cm Längendurchmesser erweitert wird. Sinuswand gelblich verfärbt, verdickt und mit vereinzelten Granulationshaufen besetzt; schwache Hirnpulsation. Bei Incision des Sinus entleert sich stoss- weise, aber so schwach, dass eine Beobachtung der Blutung ohne Be- denken möglich war, flüssiges Blut; bei Erweiterung der Incisions- öffnung nach oben schiesst plötzlich ein kräftiger Blutstrom vor, der zu sofortiger Tamponade zwingt. Bei Fortsetzung der Operation wird ein ausgedehnter käsiger Heerd in der Schuppe freigelegt, welcher sich nach hinten über die Wurzel des Jochbogens zur vorderen Gehörgangs- wand erstreckt. Bei Wegmeisselung und Auskratzung dieses Herdes wird die Dura der mittleren Schädelgrube in mehr als Daumen- dicke freigelegt. Nach vorn ist der Heerd nicht bis zu seiner Grenze zu erreichen. An der freigelegten Dura einige bis linsengrosse, grau- gelbe käsige Heerde.

Die Operation wird, nach 40 Minuten langer Narkose, wegen schwacher Herzaction abgebrochen. Tamponade . Verband. Abends (nach der Operation) normale Temperatur. Sensorium etwas freier. Lidödem und Chemosis links erheblich zurückgegangen. Ptosis dagegen unverändert.

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10. Oct. Protrusion des Bulbus nur noch in geringem Maasse be- merkbar, Bulbus beweglicher. Augenhintergrund normal. Pupillen- grenzen noch etwas undeutlich. Temperatur Morgens 37,3, Nach- mittags 39,6.

Gegen Abend erhebliche Verschlechterung. Um 7 Uhr Tracheal- rasseln.. Um 10!/, Uhr Exitus.

Sectionsbefund: Stark abgemagerte kindliche Leiche. Ope- rationswunde hinter dem linken Ohr, ca. 7cm lang, 3cm breit. Herz sehr klein; rechter Ventrikel dilatirt; Muskulatur hellgelbbraun. Linke Lunge ziemlich voluminös; Lungengewebe auf Durchschnitt beiderseits von zahlreichen, im Oberlappen gruppenförmig angeordneten Knötchen durchsetzt. Bronchialdrüsen stark vergrössert, verkäst. An der rechten Halsseite ein faustgrosses Packet verkäster Lymphdrüsen. Milz vergrössert, von mittelfester Consistenz, enthält einen erbsengrossen und mehrere kleinere verkäste Knoten. Nieren mittelgross; Rinde verfettet, vereinzelte verwaschene Flecken und spärliche miliare Knötchen. Leber mit Zwerchfell fest verwachsen; Peritonealüberzug an der oberen Fläche zottig verdickt, stellenweise mit in Gruppen stehenden grauen Knötchen besetzt. Darm ohne Bes.; nur an der Serosa hier und da vereinzelte graue Knötchen. Im Mesenterium vereinzelte derbe Knoten; in der Nähe der Leberpforte ein Packet verkäster Lymphdrüsen.

Pia an der Convexität stark Öödematös; an der Basis ebenfalls von sulziger Beschaffenheit und besonders längs der Art. foss. Sylv. und der Subst. perfor. ant. mit grauen Knötchen besetzt. Linker Oculomo- torius erscheint gegen den rechten deutlich verdickt, seine Scheide leicht hämorrhagisch verfärbt. Rechte Seite der Pons ebenfalls röth- lich verfärbt; die kleinen Venen unter der Brücke stark gefüllt, zum Theil thrombosirt. Auf dem Durchschnitt, diesem Bezirk ent- sprechend, ein ziemlich grosser Erweichungsherd. Ein weiterer, über erbsengrosser, röthlicher Erweichungsherd besteht im Wurm. Der linke Sinus sigmoid. enthält einen grösseren Thrombus, der auf den Durchschnitt sich aus zwei verschieden aussehenden Abschnitten, einem dunkelrothen Mantel und einem derberen grauröthlichen Kern zusammen- gesetzt erweist. Der Thrombus haftet der geschlitzten Sinuswanl nicht an. Beide Sinus petrosi sind frei; ebenso der linke Sinus cavernosus, während in dem rechten cavernosus ein wand- ständiger, fest anhaftender, bräunlich-rother Thrombus sich befindet.

Bei weiterer Untersuchung ergiebt sich: Suleus sigmoideus und Schläfenschuppe in mehr als Daumendicke perforirt. Vom unteren Rande des Sulcusdefects bis an das Foramen lacerum heran, unmittelbar davor sich scharf absetzend, gelbröthliche Verfärbung des morschen, erweichten Knochens. Nach vorn reicht die cariöse Zer- störung in der Schuppe bis unweit der Naht zum grossen Keil- beinflügel; nach hinten geht sie über die Wurzel des Jochbogens hinaus Durchbruch in die Fossa mandibul. nach dem Os tympan. hin. Beim Abziehen der Dura von der Basis zeigen sich nach dem

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Grunde der mittleren Schädelgrube hin linkerseits mehrere scharf umschriebene, rundliche käsige Herde, deren medialster der Impressio trigemini unmittelbar benachbart ist. Die Dura in diesen Bezirken circumscript verdickt; diese Partien machen den Eindruck ver- käsender Tuberkelknoten. Dura über dem Clivus Blumenb. diffus verdickt, von grauröthlichem Aussehen; nach ihrer Entfernung ist der Knochen bläulichroth verfärbt, an der Oberfläche von fast porösem Aus- sehen, so morsch, dass die Sonde tief in den Keilbeinkörper ein- dringt. Gegen das Dorsum sellae wird der Knochen fester. Im Türkensattel die Hypophyse über bohnengross, von gräulicher Farbe und derber Consistenz, in eigenthümlich käsige, nur unterhalb des Diaphragma sellae nachweisbare Massen eingebettet. Linke Keil- beinhöhle enthält bei verdickter Wandung etwas zähflüssigen Eiter; rechte Keilbeinhöhle weiter, secretfrei, von röthlich injicirter Schleim- haut ausgekleidet.

Vordere und hintere Pyramidenfläche unverändert. In der Paukenhöhle reichliche käsige Massen. Hammer und Ambos fehlen. Bei Berührung des Stapes brechen die Schenkel von der haften bleibenden Fussplatte ab. Cariöser Durchbruch am Boden in der tief eingegrabenen Fossa jugularis. Caries am Promuntorium und der vorderen unteren Paukenwand; hier aber kein Durchbruch in den Canal. caroticus, dessen Knochenwand gegen die Pauke hin nur gelbröthlich verfärbt, aber sonst intact ist. Tube breit durchgängig, mit gleichen Käsemassen, wie die Pauke erfüllt. Mediale Wand der Pars ossae tubae zeigt eine für Sondenknopf durchgängige, unregelmässige Communication zum Canal. caroticus, in welchem die gleichen Massen, wie in Tube und Pauke, allerdings nar in unmittelbarer Um- gebung der Communicationsstelle liegen.

Die schon klinisch und anatomisch unzweifelhafte Annahme einer Knochentuberculose, mit ungewöhnlicher Ausbreitung in multiplen, zum Theil isolirten Herden im Bereich der mittleren und hinteren Schädel- grube, sowie an Schläfenschuppe, Jochbein und Paukenbein, wurde auch durch den Nachweis von Tuberkelbacillen in den der Pauke ent- nommenen käsigen Massen bestätigt. Nur im rechten Sinus cavernosus wurde ein Thrombus gefunden, obwohl die klinischen Erscheinungen haupt- sächlich auf eine Verlegung des linken Zellblutleiters hingewiesen hatten. Ich nehme aus Gründen, auf die ich eingehender erst unten zurückkomme, an, dass das im linken Sinus transversus gefundene Gerinnsel einen älteren Thrombus des Sinus cavernosus sinist. einschloss, dass also auch dieser bei der Section frei erscheinende Sinus vorher thrombosirt war und die Thrombose des anderen Zellblutleiters vielleicht nur von ihm aus durch Fortleitung im Sinus circularis entstand. Für die Erklärung der Genese gleichseitiger Thrombose waren wir auch hier zunächst auf den

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Venenplexus des canalis caroticus hingewiesen. Die Communication zwischen diesem und der pars ossca tubae ist nicht als präformirt, son- dern, wie in dem Falle Wendt’s!), als durch Caries der medialen Tubenwand entstanden anzusehen. Jedenfalls hatten damit die Pauke und Tube erfüllenden käsigen Massen breiten Zugang zu den die Carotis umspinnenden Lymph- und Venenbahnen.

Andererseits wäre es aber auch möglich, dass die Tuberculose des Keilbeinkörpers zur Thrombose in dem ihm aufliegenden Plexus basilaris geführt habe, welche dann wieder sich in den Sinus cavernosus fortsetzte. Darauf könnten vielleicht die Thrombosen in den Venen an der dem Clivus aufliegenden basalen Brückenfläche hindeuten.

Keilbeineiterung und Eiteransammlung in der Um- gebung des Hirnanhangs verdanken wohl der Fortleitung der Thrombose durch den Sinus circularis und von diesem in die hier ein- mündenden Venen der Hypophyse und des Keilbeinkörpers ihre Entstehung. Wenigstens scheint mir diese Erklärung für die hier isolirt bestehende Eiterung in der linken Keilbeinhöhle plausibler, als die Annahme einer nur zufälligen Coincidenz, für welche sich E. Meier ausspricht. In Jansen’s?) Fall hat der Nachweis eines Durchbruchs vom Sinus cavernosus in die Keilbeinhöhle die Genese der von hier auch auf Sieb- beinzellen und Stirnhöhle derselben Seite ausgedehnten Eiterung am sichersten aufgeklärt.

“Die klinischen Symptome des geschilderten Falls stimmten mit dem Schulbilde der Thrombose des Sinus cavernosus überein. Exophthalmus, Augenmuskellähmungen, Immobilisirung des Bulbus, Oedem der Lider, Chemosis der Conjunctiva bulbi, Hyperämie der Retinalvenen, Trigeminus- Anästhesie kurz alle diejenigen Erscheinungen, deren jeder man ent- weder für sich allein oder in verschiedenartiger Combination bei der Thrombose des Sinus cavernosus begegnen kann, sind hier fast aus- nahmslos vorhanden.

Freilich beweisen diese Symptome an sich noch nicht ohne Weiteres die Berechtigung der Annahme einer Thrombose des Sinus cavernosus. In dem oben geschilderten Falle von Obliteration der Jugularis z. B. war Lidödem und Schwellung der Conjunctiva so ausgesprochen, dass auch an Thrombose des Sinus cavernosus gedacht werden musste; bei der Autopsie fanden sich gerade diese Blutleiter, fast allein von allen, frei. Möglich wäre

1) Arch. d. Heilk., Bd. XI, S. 567. 2) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 73.

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auch, dass Stauungserscheinungen im Gebiet der V. ophthalmica lediglich der Ausdruck einer (Sinus-petrosus-) Thrombose wären, unter der zwar wohl nur selten gegebenen, aber durch die Angabe Merkel’s!) immerhin unterstützten Voraussetzung, dass die Vena ophthalmica mit dem Sinus petrosus in directer Verbindung steht.

Augenmuskellähmungen sind bei Sinusphlebitis häufig, viel- leicht überwiegend, nicht durch diese direct, sondern durch complicirende Meningitis bedingt. Nach Hessler’s ?) Statistik sollen sie ebenso oft mit als ohne Meningitis vorkommen. Auch bei uncomplicirter Throm- bose des Sinus cavernosus sind sie schwerlich mechanisch bedingt; der weite buchtige Sinus wird kaum so vollständig mit Thrombus-Massen ausgefüllt sein, dass er die ihm anliegenden Nerven comprimiren kann. Wahrscheinlicher ist die von Robin ausgesprochene Annahme, dass diese Lähmungen nicht durch die Thrombose, sondern durch Phlebitis, also wohl auch durch Vermittelung einer Neuritis, zu Stande kommen.

In dem oben mitgetheilten Falle war die Oculomotoriuslähmung Folge ‘einer schon makroskopisch erkennbaren, vielleicht tuberculösen Neuritis des Nerven, die dann wohl nicht der Sinusthrombose, sondern der tuberculösen Meningitis zuzuschreiben ist.

Auch die Trigeminus-Anästhesie braucht nicht nothwendig mit den Veränderungen im Sinus cavern. in Zusammenhang zu stehen. In unserem Falle konnte sie ebensowohl auf die Einwirkung der käsigen Herde an der Schädelbasis und der Dura, unmittelbar am Cavum Meckeli, auf das Ganglion Gasseri bezogen werden. Eitrige Infiltration des Ganglion Gass. in Zusammenhang mit Thrombophlebitis der Sinus cavernosi ist von Schwartze°), Hoppe*) Jansen?) beschrieben. |

Veränderungen am Augenhintergrund können bei Throm- bose des Sinus cavernosus fehlen. Ich will hier nicht nochmals die Be- denken, welche der mechanischen Erklärung der Stauungspapille ent- gegenstehen und ihre Bestätigung auch in den negativen Befunden bei Verlegung der Zellblutleiter finden, erörtern.

In allen drei Fällen meiner Beobachtung bestanden aber Stauungs- erscheinungen, wenn auch keine „Stauungspapille“. Die Möglichkeit des Auftretens solcher rein mechanisch bedingter, vielleicht nur vorüber-

1) Handbuch der topograph. Anatomie 1885, S. 74. 2) 1. e. S. 364.

3) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XVI, S. 265.

4) Dissert. Berlin, 1872.

5) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 88.

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gehender Störungen wird man auch um so weniger leugnen können, als die Häufigkeit anderer Stauungserscheinungen im Vena ophthalmica- Gebiet bei der Thrombose des Sinus cavernosus ja doch von allen Autoren übereinstimmend zugegeben wird. Andererseits aber hätte selbst das Vorhandensein ausgesprochener Neuritis hier keine entscheidende Be- deutung für die Annahme einer Beziehung zum Sinus cavernosus, schon deswegen, weil sie gemäss der Angabe Barker’s in diesen Fällen, ohne jede Erkrankung des Sinus, durch die Paukeneiterung allein und zwar durch Fortleitung der entzündlichen Processe von dieser auf die die Carotis int. begleitenden Lymphgefässe bedingt sein könnte.

Man wird daher zugeben müssen, dass keines der vielfach als patho- gnomonisch bezeichneten Symptome der Thrombose des Sinus cavernosus wirklich eindeutig und beweiskräftig genug ist, um für sich allein die Diagnose zu rechtfertigen. Dort, wo Thrombosen im Sinus cavernosus rasch und ohne anderweitige Complication, entstehen, wie bei Verletzungen des Sinus z. B., begegnet man auch gewöhnlich einer mehr oder weniger vollständigen Combination aller dieser Symptome. In einem von Sonnenburg!) kürzlich mitgetheilten Falle, in welchem eine Schuss- verletzung des rechten Sinus cavernosus stattgefunden hatte und Fort- leitung der hier entstandenen Thrombose nach dem anderen Cavernosus anzunehmen war, bestand starker Exophthalmus und Chemosis beider- seits, starke Venenfüllung in beiden Lidern und auf der rechten Seite ophthalmoskopisch starke Füllung der Retinalvenen bei „noch ziemlich scharfer“ Papille.. Aus solchen Beobachtungen ergiebt sich am sichersten, dass das durch Thrombose des Sinus cavernosus gesetzte Abflusshinderniss im Gebiete der Vena ophthalmica durch deren allerdings reichliche Collateral- verbindungen doch nicht so rasch ausgeglichen wird, sondern die Stauungserscheinungen, speciell auch im Gebiete der zuweilen in den Sinus direct einmündenden Vena centralis retinae, oft längere Zeit bei der Sinusphlebitis wegen des Zerfalls der Thrombose vielleicht weniger lange persistent bleiben können.

Der oben geschilderte Fall zeigt eine beinahe ungewöhnlich voll- ständige Combination der als characteristich geltenden Symptome. Hier scheint mir deshalb, soweit man überhaupt klinische Diagnosen, ohne einwandsfreie Bestätigung durch den Sectionsbefund, als Grundlage für weitergehende Schlussfolgerungen gelten lassen kann, sicher die Annahme gerechtfertigt, dass eine Thrombose im linken Sinuscavernosus

1) Deutsche med. Wochenschr. 1896, No. 2.

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ebenso wie im rechten bestanden hat, dass aber nach der Operation, wie der Rückgang der Stauungserscheinungen im Gebiet der Ophthalmica anzeigte, der Sinus wieder wegsam geworden ist. Zu gleicher Auffassung bin ich im folgenden Falle gelangt.

B. K., 22 Jahr alt, Bäckergeselle, am 15. März wegen chronischer Mittelohreiterung aufgenommen. Pat. klagt über häufige Kopfschmerzen in der linken Kopfhälfte.. Temperatur und Puls normal. Ophthalmo- skopisch keine Anomalie. Linksseitige Mittelohreiterung: grosse Perforation mit fötidem Secret, circumscripte Caries der Labyrinth- wand der Pauke.

Nach 9tägigem Aufenthalt, während dessen das Allgemeinbefinden normal war, plötzlich heftige bohrende Kopfschmerzen, besonders in der linken Schläfe. Tags darauf leichte Schwellung des linken oberen und unteren Augenlids, die sich bis zum Abend ausserordentlich steigerte. Abends starke Chemosis der CGonjunctiva, deutliche Protrusion des Bulbus. Temperatur Morgens normal, Abends, ohne Frost, auf 40,1 ansteigend.

Am nächsten Tage ausser Lidödem und Chemosis conjunct., eine kleine Blutung in der chemotischen Conjunctiva, Abducens- Parese, Hyperämie der linken Papille und starke Füllung der Retinalvenen. Status idem an den beiden folgenden Tagen. Abends regelmässig Fieber.

29./3. Operation. Sehr pneumatischer Warzenfortsatz. Warzen- zellen normal, zumeist sehr geräumig. In Tiefe von 31!/,cm wird der Sinus transversus erreicht, der als graublauer prominirender, pul- sirender Wulst vorliegt. Incisión des Sinus: reichliche Blutung, durch Compression behufs Fortsetzung der Operation vorüber- gehend gestillt, aber immer wieder im Strahl vorquellend ; die ausge- strömte Blutmenge ziemlich reichlich.

Antrum klein, ohne Veränderungen.

Am Tage nach der Operation waren die Stauungser- scheinungen im Gebiete der V. ophthalm. Lidödem und Chemosis, sowie die Protrusion des Bulbus fast vollständig geschwunden, nur noch die Conjunctival-Blutung und mässige Hyper- ämie der Papille nachweisbar. Nach 2 Tagen völlig normaler Befund. Rasch fortschreitende Heilung. Pat. wird am 21. April geheilt entlassen. Ohr seit 14 Tagen secretfrei, auch bei Controluntersuchungen stets (rocken gefunden.

Die Diagnose der Sinusthrombose in diesem Falle bedarf nach dem, was oben darüber gesagt wurde, wohl kaum besonderer Begründung. Den bekannten Symptomen, welche hier wieder in fast schulgemässer Combination vereinigt waren, tritt noch eine Erscheinung, auf deren

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Vorkommen bei Thrombose des Sinus cavernosus Zirm!) aufmerksam gemacht hat, das Auftreten von Blutungen in der chemotischen Conjunctiva, hinzu.

In beiden Fällen folgte der Eröffnung des Sinus transversus ein deutlicher, im zweiten Falle geradezu überraschender Rückgang der Stauungserscheinungen im Gebiet des Sinus ophthalmicus. Dieser Rückgang war ein so plötzlicher, im zweiten Falle fast unmittelbarer, dass bei aller Vorsicht in Schluss- folgerungen doch die Annahme eines nicht bloss zeitlichen, sondern causalen Zusammenhangs zwischen ihm und der Operation sich aufdrängte. Erst die Beobachtung des ersterwähnten, aber erst längere Zeit nach dem in Heilung ausgegangenen Falle beobachteten Kranken gab einem Erklärungsversuch dieses bis dahin unverständlichen Zusammenhangs eine gewisse Grundlage.

Ich habe oben eingehend die Gründe dargelegt, welche mich in dem ersten Falle zur Annahme einer bei der Section nicht mehr nachweisbaren Thrombose des linken Sinus cavernosus geführt haben. Unterstützt wird diese Annahme auch durch den Nachweis eines wand- ständigen Thrombus des rechten Sinus cavernosus. Allerdings könnte dessen Entstehung vielleicht auch selbstständig durch die Tuberkulose des Keilbeinkörpers und Thrombose des Sinus basilaris erklärt werden Solche isolirte Thrombose eines einzelnen, dem primären Krankheitsherd im Ohr contralateralen Sinus wäre durchaus kein Novum. Jansen?) hat in einem seiner Fälle eine isolirte Thrombose des entgegengesetzten Sinus petrosus inf. als Ausgangspunkt der Pyämie gefunden und ihre Ent- stehung durch eine vom Labyrinth der kranken Seite fortgeleitete Arachnitis erklärt. Eine andere Erklärung liegt aber für Fälle, in denen trotz characteristischer klinischer Erscheinungen der thrombesirt vermuthete Sinus bei der Obduction frei gefunden wird, vielleicht noch näher. Man muss dann an die Möglichkeit denken, dass bei der Autopsie ein Sinus schon frei gespült sein und makroskopisch unverändert er- scheinen kann, welcher intra vitam verlegt war. Die Thrombophlebitis ist anatomisch ein so vergänglicher, relativ rasch wechselnder Zustand, dass sich ein Missverhältniss zwischen anatomischem Befund und klini- schem Bilde leicht herausstellen kann.

1) Wiener klin. Wochenschr. 1892, S. 379. 2) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXV, S. 91.

176 0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

Aber selbst wenn im vorliegenden Falle die Thrombose des rechten Sinus cavernosus nicht durch Fortleitung von der anderen Seite, sondern idiopathisch entstanden wäre, würde doch die Thatsache, dass die Stauungserscheinungen auf dieser, der nachgewiesenen Thrombose entsprechenden Seite wesentlich geringer waren, als auf der Seite des frei gefundenen Blutleiters, darauf hinweisen, dass auch hier die gleiche, noch stärker wirkende Ursache für die Entstehung dieser Symptome bestanden hat. Dazu kommt der Nachweis des Thrombus im linken Sinus transversus, welcher bei Incision und Probepunction nicht thrombosirt, mit Blut gefüllt gefunden worden war. Es handelte sich nicht um einen geschichteten Thrombus im gewöhnlichen Sinne, sondern um einen centralen, entfärbten, homogenen Thrombus-Kern, welcher von einem dunkelrothen frischen Thrombus, wie von einem Mantel, um- schlossen war. Genauere Untersuchung wurde leider verabsäumt. Es scheint- mir nun nicht ausgeschlossen, dass der Kern dieses Thrombus aus dem Sinus cavernosus stammte und durch den Sinus petrosus sup. in den Sinus transversus gelangte, wo er in Folge Unterbrechung des Blutstroms durch die Tamponade des Sinus abgefangen und von der durch diese bedingten frischen Thrombose umschlossen wurde. In Analogie dieser Vermuthung wäre dann für den gleichartigen, geheilten Fall die Erklärung denkbar, dass ebenfalls ein den Abfluss aus dem Sinus ophthalmicus behindernder Thrombus des Sinus cavernosus unter dem Einflusse der Eröffnung des Sinus transversus flott geworden und bei der Sinus-Blutung entweder nach aussen befördert oder auch in die Blutbahn gelangt ist. Dass er hier keine manifesten metastatischen Processe angeregt hat, würde die letztere Möglichkeit nicht ausschliessen. Embolische Herde können bei nicht inficirten Thromben ohne andere Folgen, als Infarcirung des zu der betreffenden Endarterie gehörigen Gebiets, d. h. unter Umständen, je nach der Oertlichkeit, überhaupt ohne deutliche klinische Erscheinungen zu machen, rasch zur Rückbildung gelangen.

Es ist die Frage, ob die Eröffnung des Sinus transversus im Stande sein kann, eine Wirkung, wie die von mir angenommene, auszuüben. Principiell ist diese Möglichkeit meines Erachtens nicht zu bestreiten. Es ist oben bereits erörtert, dass der Blutdruck innerhalb des Blut- leitersystems hoch genug ist, um bei Eröffnung eines Sinus Luft- aspiration gewöhnlich auszuschliessen. In den Thierversuchen Genzmer’s bedurfte es ausser einer mehrere Minuten langen Dauer der Sinus-Blutung noch besonderer Bedingungen besonders tiefer, am besten dyspnotischer Inspirationen um den Druck so weit zu erniedrigen, dass Aspiration, aber

0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 177

selbst dann nicht regelmässig in allen Versuchen, zu Standekam. Die positiven Angaben über die Höhe des Blutdrucks in den Venenräumen des Schädels stimmen nur darin überein, dass die Druckdifferenz zwischen arteriellem und venösem Blute sich hier ganz anders darstellt, als im übrigen Körper. Mosso!) meint, dass der venöse Blutlauf innerhalb des Schädels unter höherem Druck steht, als in irgend einem anderen Körpertheile, wo er bisher gemessen wurde; er maass ihn bei tief narcotisirtem Thier im Stirntheile des Sinus longitud. mit 70—80 mm, allmälig auf 100 bis 110 mm ansteigend.. Kramer?) berechnete ihn in der jugularis int., deren Druck bei den Versuchsthieren dem im Sinus transversus gleich- gesetzt werden durfte, auf 50—278 mm Wasser beim Hunde, auf 90 bis 240 mm beim Kalbe. Neuerdings haben Hill und Bayliss) den Druck im Torcular direct gemessen und dabei gefunden, dass unter physiologischen Verhältnissen der Druck in den venösen Sinus gleich dem intracraniellen Druck überhaupt ist. Ich bin auf diese Angaben hier auch deshalb eingegangen, weil in der Literatur noch vielfach irr- thümliche Angaben über diese Verhältnisse, begünstigt durch die Er- innerung an die Thatsache, dass in den dem rechten Herzen nächst- liegenden grossen Venenstämmen schwach negativer Druck herrscht, sich finden.

Für unsere gegenwärtige Erörterung ergiebt sich aus der Höhe des Blutdrucks in den Hirnsinus die Erklärung für die Thatsache, dass bei ihrer Eröffnung nicht nur keine Luftaspiration zu Stande kommt, sondern vielmehr ein mächtiger Blutstrom, oft mit der- selben Stärke, wie bei arteriellen Blutungen, hervor- schiesst. Es erscheint mir nicht unmöglich, dass bei einer solchen Sinus-Blutung, wenn das Venenblut mit vermehrter Geschwindigkeit nach dem Orte geringeren Drucks hin abfliesst, Gerinnsel, die den Wänden des Sinus cavernosus nur lose anhaften, fortgerissen werden und durch den Sinus petrosus superior in den Sinus transversus gelangen Können. Nach der Darstellung Grashey’s*) werden durch die Trepanation allein schon die Circulationsverhältnisse innerhalb des Schädels vollständig verändert. Normal werden bei jedem Pulsschlage die periphersten Theile der Hirnvenen, d. h. deren Einmündungsstellen in die Sinus comprimirt,

1) Ueber den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn. 1881, S. 209. 2) Experiment. Untersuchungen über den Blutdruck im Gehirn. Dorpat. Dissert. 1873. 3) Journ. of Physiology, 18. Vol., No. 4. 4) Experiment. Beiträge zur Lehre von der Blutcirculation. München 1892. Zeitschrift für Oh'enbeilkunde, Bd. XXIX. 12

178 0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen.

und damit zugleich der Blutstrom verlangsamt. Bei der Trepanation und noch mehr bei Eröffnung eines Sinus muss dann ein continuirlicher, mit erheblich grösserer Geschwindigkeit fliessender Blutstrom die Sinus- Bahn passiren. |

Ob wirklich dieser Mechanismus bei der Eröffnung des Sinus trans- versus in den beiden geschilderten Fällen eingewirkt hat, ist freilich durchaus ungewiss. Mir kam es nur darauf an, die theoretische Zulässig- keit eines derartigen Erklärungsvetrsuchs zu begründen.

Aehnlich, nur weniger grob. stellen sich auch die Verhältnisse bei Blutentziehungen in der Nähe entzündeter Gewebsgebiete dar. In den Versuchen Genzmer’s!) wurde am curarisirten Frosch bei Einwirkung von Blutegeln an einem Entzündungsherd in der Schwimmhaut rasche Lösung der Stasen beobachtet; „die entzündeten Capillarschlingen wurden bald, bisweilen in wenigen Minuten rein geputzt.“ Genzmer erklärt sich die Wirkung localer Blutentziehungen so, dass durch verstärkte Strömung nach dem Orte der Blutentziehung im Entzündungsgebiet die wandständig haftenden Blutkörperchen losgerissen, die verstopften Capil- laren rein gespült und eine normale oder sogar .temporär verstärkte Circulation hergestellt wird. ‚, Uebertragen wir diese Beobachtungen auf die Thrombose des Sinus cavernosus, so ergiebt sich ein weiterer Stützpunkt für die Berechtigung der Annahme einer mechanischen Wirkung der Eröffnung des Sinus transversus, wie ich sie in meinen beiden Fällen vermutle. Diese hätte dann allerdings nur die Bedeutung einer Venaesection, deren Ausführung an den Sinus der Dura, an Stelle des Aderlasses aus den Venenstämmen am Halse, übrigens thatsächlich auch in der Chirurgie vergangener Zeiten als ein Mittel gegen gewisse als Hirncongestion aufgefasste Zustände empfohlen ist.

Dagegen dass die Coincidenz des Rückgangs der. Symptome der Thrombose des Sinus cavernosus mit der Operation eine rein zufällige war, spricht von vornherein die ausserordentliche Seltenheit spontaner Rückbildung einer Thrombose des Sinus cavernosus.

Die in der Literatur mitgetheilten Fälle von Spontanheilung sind nicht durchweg beweiskräftig. Immerhin ist es in den Fällen von Kolb), Styx and Keller? wie bei der Beobachtung Kirchner’st) wahrscheinlich, dass eine Thrombose des Sinus cavernosus, in ersterem

1) Centralbl. f. die medic. Wissensch. 1882, S. 225.

2) Berl. klin. Wochenschr. 1876.

3) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1888, No. 6. d 4) Wien. Naturforscherversamml. 1894.

0. Brieger: Die pyämische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. 179

Falle wohl mit Thrombose noch anderer Blutleiter combinirt, vorlag. Vorübergehenden Rückgang wohl durch Zerfall und Auflösung des Thrombus hat auch Wendt!) in einem Falle beobachtet, in welchem, wie in unserer ersten Beobachtung, trotz der Doppelseitigkeit der Stau- ungserscheinungen bei der Autopsie nur in einem Sinus cavernosus ein älteres wandständiges Gerinnsel gefunden wurde.

Das Vorkommen solcher, in Heilung ausgehender Ausnahmefälle ändert nichts an der ungünstigen Prognose der Thrombose des Sinus cavernosus. Operative Behandlung ist bisher nur in einem Falle von Bircher?) mit Erfolg ausgeführt worden; dabei wurde die ganze Pyramide aus ihren Verbindungen gelöst. Bei isolirter Thrombo- phlebitis des Sinus cavernosus hat Hessler?) die Anwendung der von Krause) für die intracranielle Trigeminus-Resection empfohlene Ope- rationsmethode zur Aufsuchung des Sinus cavernosus empfohlen. Ich hatte schon vor dem Erscheinen des Hessler’schen Buchs diese Methode an der injicirten Leiche versucht und war zu der Ueberzeugung ge- kommen, dass die Ausübung dieses Verfahrens viele Bedenken gegen sich und nur geringe Chancen für sich hat. Der Sinus cavernosus ist zwar bei der Trigeminus-Resection wiederholt (von Krause, Finney und Czerny) erreicht und verletzt worden. Trotzdem scheint mir nach den Cadaveroperationen eine bewusste, wirkliche Freilegung des Sinus cavernosus, auch nur im grössten Theil seiner Ausdehnung, ausserordentlich schwierig. Der Sinus cavernosus stellt doch kein so gleichmässiges Venenrohr dar, wie der Sinus transversus. Noch nicht zerfallene, wandständige Thromben, welche in den buchtigen Räumen des von zahlreichen Bindegewebsbalken durchzogenen Sinus liegen, werden überhaupt nicht erreicht werden können. Aber auch die Ent- leerung von Eiter und zerfallenen Thrombus-Massen, die in dem Falle Bircher’s gelang, wäre wegen der Gefahr, die der Aussenwand aufge- lagerten Nerven, besonders die beiden ersten Trigeminus-Aeste, und selbst die durch den Sinus verlaufende Carotis interna zu verletzen, nicht un- gefährlich. Derartige operative Versuche werden daher niemals zu ex- plorativen Zwecken, wie am Sinus transversus, sondern nur bei absolnt gesicherter Diagnose und auch dann nur in solchen Fällen, zunächst wenigstens, zulässig sein, in denen die Heilungschancen auch durch

1) 1. c. 8. 578. Ä bo 2) Centralbl. f. Chir. Bd. XXII.

3) 1. c. 8. 497.

4) Verhandl. der Deutsch. Gesellsch. für Chir. 1895.

12*

180 Sitzungsbericht der österreichischen otologischen Gesellschaft.

einen unglücklichen Verlauf der Operation nicht mehr verschlechtert werden können. Die Aussichten eines derartigen Operationsversuchs sind aber auch deswegen schon a priori sehr gering, weil erfahrungs- gemäss bei der Thrombose dieses Blutleiters schon früh die Tendenz zur Fortleitung durch den Sinus circularis nach der anderen Seite hinüber besteht.

Meine Erfahrungen lassen wenigstens eine practische Schluss- folgerung zu. Die Freilegung des Sinus transversus wird in den hier in Betracht kommenden Fällen, in denen gewöhnlich auch der Verdacht auf gleichzeitige Thrombose des Sinus transversus be- stehen wird, zu diagnostischen Zwecken meist an sich indieirt sein. Wenn aber der Sinus einmal freigelegt ist, dann empfiehlt es sich, die bei genügender Vorsicht unbedenkliche Incision des Sinus vorzunehmen. Vielleicht ergeben dann weitere Erfahrungen eine breitere Grundlage für die Beurtheilung der Berechtigung meiner lediglich einen Deutungs- versuch darstellenden Hypothese von der Wirkung der Eröffnung des Sinus transversus auf Thrombose des entsprechenden Zellblutleiters.

VI.

Oesterreichische otologische Gesellschaft. Sitzungsbericht vom 28. April 1896.

Demonstrationen:

1. Prof. Gruber stellte ein 6jähriges Mädchen mit Missbildung der Ohrmuschel und Mangel des äusseren Gehörganges bei hochgradiger Asymmetrie der Gesichtshälften vor.

Der Vortragende meint, von der Herstellung eines brauchbaren Gehör- ganges könne wohl keine Rede sein, das, was man nach seiner Meinung in diesem Falle leicht erzielen werde, ist, durch eine entsprechende Operation die nach vorne umgeklappte rudimentäre Muschel mehr nach rückwärts zu be festigen.

In der folgenden Discussion schliessen sich Politzer und Urbant- schitsch der Anschauung des Vortragenden an, dass die Anlegung eines künstlichen Gehörganges zwecklos sei und stimmen der Tonga ehlagenen cos- metischen Operation zu.

2. Dr. Ferd. Alt stellt eine 40 jährige Patientin der Gruber’schen Klinik vor, die vom September bis November 1895 an acutem Gelenkrheumatismaus litt und während dieser Zeit auf ärztliche Verordnung im Ganzen 149 gr Natrium salicylicum nahm. Gleich zu Beginn der Erkrankung trat Ohrensausen beiderseits

Sitzungsbericht der österreichischen otologischen Gesellschaft. 181

auf, zu dem sich dumpfer Kopfschmerz gesellte.e Im November, noch während der Salicyltherapie, begann sie an Schwindelanfällen zu leiden, sie fühlte sich nach rechts gerissen, es wurde ihr schwarz vor den Augen, sie stürzte zu Boden und war durch kurze Zeit bewusstlos; Ohrensausen rechts bestand continuirlich. Diese Anfälle traten Anfangs in je 2 bis 3 Wochen ein Mal auf, in letzter Zeit wiederholen sie sich täglich. R. O.: Trommelfell leicht retrahirt, getrübt, Lichtreflex verzogen. L. O.: Trommelfell nahezu in seiner Totalität durch eine Narbe ersetzt. Weber nach links, Rinne links positiv. Vor dem rechten Ohre werden weder hohe, noch tiefe Stimmgabeln percipirt, vom Warzenfort- satze nach links lateralisirt. Uhr links 1m, rechts Null. Laute Sprache wird rechts nur in unmittelbarer Nähe des Ohres, wahrscheinlich von links gehört. Der Fall verdient Interesse, weil hier zweifellos durch den Gebrauch grosser Mengen von Natrium salicylicum eine Labyrinth- bezw. Acusticusaffection auftrat und weil diese Affection eine einseitige ist.

Docent Dr. Pollak fragt, welche Erfolge die Collegen mit der Chinin- therapie bei der Meniere’schen Krankheit erzielt haben? Er selbst berichtet über günstige Resultate nach Darreichung kleiner Dosen, 0,10 drei Mal pro die.

Gruber, Politzer und Urbantschitsch haben mit der Chinin- therapie, namentlich in grossen Gaben, schlechte Erfahrungen gemacht und sie deshalb aufgegeben.

3. Dr. Alt stellt ferner einen 46jährigen Spediteur vor, der in der Nacht vom 18. zum 19. Januar d. J. in betrunkenem Zustande vom dritten in den zweiten Stock stürzte und bewusstlos liegen blieb. Als er zu sich kam, blutete er aus der Nase und dem rechten Ohre. Tags darauf suchte er die aruber’sche Klinik auf. Der Status praesens, ganz kurz zusammengefasst, war folgender: Die rechte Gesichtshälfte geschwellt und blutig suffundirt, an der rechten Sclera ein grosses Ecchymoma subconjunctivale, nahezu vollständire Facialis- paralyse rechts, Augenhintergrund normal, Augenbewegungen frei, Geruch und Geschmack intact, keine Störung Seitens des X., XI. und XII. Hirnnerven. Puls 84, Temperatur 36,3. Vor dem rechten Ohre eine nussgrosse, druckschmerz- hafte Schwellung, die Gegend des Tragus dunkelblau verfärbt, der Gehörgang weit, dessen Wände mit eingetrocknetem Blute bedeckt. Von der oberen und hinteren Gehörgangswand ragt eine bohnengrosse, dunkel rothblau verfärbte, weiche Geschwulst herab, die zum grössten Theile das Trommelfell verdeckt. Die sichtbaren Parthien des Trommelfells sind livid verfärbt und vorgewölbt. Linkes Ohr normal. Weber nach links, Rinne links positiv. Vor dem rechten Ohre werden weder hohe, noch tiefe Stimmgabeln gehört, vom Warzenfortsatze aus nach links lateralisirt. Uhr rechts Null. Beim Stehen mit geschlossenen Augen schwankt Pat., beim Gehen hat er die Tendenz. nach rechts zu fallen. Beim Räuspern und Schnäuzen kommt geronnenes Blut aus dem Munde bezw. aus der rechten Nasenhälfte. ne

Nach acht Tagen war die Geschwulst im Gehörgange geschwunden, nach zwölf Tagen kam kein Blut mehr beim Schnäuzen und Räuspern und das Trommelfell rechts war normal. Die Facialislähmung ging unter Anwendung

182 Sitzungsbericht der österreichischen otologischen Gesellschaft.

des faradischen Stromes rasch zurück. Der Schwindel hörte auf, dagegen stellte sich Ohrensausen ein. Der Stimmgabelbefund blieb unverändert.

4. Dr. Alt stellt schliesslich einen 7jährigen Knaben vor, der im Januar 1895 von seinen Angehörigen auf die Gruber’sche Klinik gebracht wurde mit der Angabe, dass er von Geburt an taubstumm sei. Anamnestisch wurde er- hoben, dass Vater und Mutter des Knaben taubstumm wären und Beide in einer Taubstummenschule Unterricht genossen hätten. Eine jüngere Schwester des Knaben höre schlecht. Der Trommelfellbefund beim Kinde war normal; es reagirte nicht auf Zuruf, Pfeife und Trompete und gab kein Zeichen des Ver- ständnisses, als ihm die schwingende Stimmgabel auf den Kopf aufgesetzt wurde. Da von einer medicamentösen Behandlung in diesem Falle nichts zu erwarten war, wurden Hörübungen auf der Klinik ausgeführt und dann den Angehörigen überlassen. Als der Knabe nach zwei Monaten auf die Klinik gebracht wurde, hörte er jedes zu ihm gesprochene Wort und war im Stande, es nachzusprechen. Bevor das Kind auf der Klinik erschien, hielten es die Angehörigen für taub- stumm und nahmen sich keinerlei Mühe, es sprechen zu lehren. Der Knabe befand sich in einem Zustande, wie ein Kind, das noch nicht gewohnt ist, auf Sprache und Höreindrücke überhaupt zu reagiren. Anlässlich der Hörübungen hielt er sich viel bei Angehörigeu auf, die mit ihm im Gegensatze zu den taub- stummen Eltern viel sprachen, er gewann acustische Eindrücke und lernte sprechen. Die Frage, ob derartige Kinder in Taubstummenanstalten abgegeben werden sollen, muss auf das entschiedenste verneint werden, es ist vielmehr sehr leicht möglich, diese Kinder zum Hören und Sprechen zu bringen, wenn man sie den taubstummen Eltern entzieht.

Discussion: Politzer hält den Fall für psychische Taubheit.

Gruber und Urbantschitsch schliessen sich dieser Ansicht an. Urbantschitsch warnt vor Unterbringung derartiger Kinder in Taub- stummenanstalten, weil dort die Wiedererlangung des Hörvermögens ganz aus- geschlossen bleibt.

5. Dr. Max demonstrirt einen 29jährigen Mann, der an seiner linken ÖOhrmuschel einen eigenthümlichen Defect aufweist. Ungefähr in der Mitte der oberen Muschelhälfte befindet sich nämlich ein kreisrundes, wie mit einem Loch- eisen herausgeschlagenes Loch von circa Kirschkerngrösse, welches im oberen Drittel des Antihelix beginnt, so dass die Bifurcation desselben fehlt; nach aufwärts erstreckt sich die Lücke ca. 7—8 mm Von der oberen Peripherie derselben sieht man die normal geformten oberen zwei Drittel der Crura anti- helicis wieder. Die Muschel ist sonst intact, nicht missgestaltet. Die Ränder der Lücke sind scharf umschrieben, nicht narbig. An der correspondirenden hinteren Muschelfläche ist die Lücke von derselben Grösse und Beschaffenheit

Der Defect ist nicht angeboren, entwickelte sich nach vollendetem zweiten

Lebensjahre im Laufe einiger Monate. Ueber die ursächliche Erkrankung weiss Patient nichts anzugeben.

Bericht üb. die 2. Versamml. der American laryngological etc. Society. 183 vn.

Bericht über die 2. Versammlung der American laryngological, rhinological and otological Society.

Die amerikanische laryngologische, rhinologische und otologische Ge- sellschaft wurde im vorigen Jahre gegründet und hielt am 17. und 18. April 1896 die erste wissenschaftliche Versammlung.

Vorsitzender: C. B. Dench. Schriftführer: R. C. Myles in New-York.

Verschiedene Vorträge wurden gehalten, welche zu einer lebhaften und lehrreichen Discussion Veranlassung gaben. Von den rhino-oto- logischen Vorträgen erwähnen wir folgende:

1. Hr. Thomas R. Pooley-New-York: Die diagnostische Be- deutung der ophthalmoskopischen Untersuchung bei von Ohrerkranungen abhängigen Hirnkrankheiten.

Der Vortragende nimmt an, dass optische Neuritis nie besteht, so lange die Erkrankung aufs Ohr beschränkt ist; sie kommt selten vor bei acuten Fällen. Sie ist beobachtet bei otitischer Meningitis, Sinusthrombose und Hirnabscess. Ihre Anwesenheit beweist das Bestehen einer schweren intracraniellen Compli- cation der Ohrerkrankung.

2. Hr. E. E. Hott-Portland: Eiterige Mittelohrentzündung mit ungewöhnlicher Perforation im Warzenfortsatz.

Die Pörforation erfolgte in die digastrische Grube. Der Vorsitzende be- richtete über einen analogen Fall. Es entwickelte sich eine Discussion über die Gefahren forcirter und die Vortheile zweckmässiger Ausspritzungen des Öhres bei eitrigen Ohrentzündungen.

3. Hr. Dr. W. C. Phillips: Verbiegung der Nasenscheidewand;

Operation.

Der Vortragende stellt einen Knaben vor, welchen er operirt hatte wegen fast vollständigem Verschluss beider Naseneingänge, Das Septum wurde mit der Zange von Adams vollständig zerbrochen und dann durchbrochene Kork- schienen eingelegt, wie sie von Berens empfohlen wurden. Dieselben bewährten sich sehr gut, können aber zu Ulceration Veranlassung geben, wenn sie länger als zwei bis vier Wochen gebraucht werden.

4. Hr. Dr. R. C. Myles: Fall von Actionomycosis. Der Vortragende stellt einen Patienten vor, der durch Exstirpation der Geschwulst geheilt war.

184 Bericht üb. die 2. Versamml. der American laryngological etc. Society.

5. Hr. Dr. J. E. Steppard-Brooklyn: Hysterische Affectionen des Warzenfortratzes.

Vortragender berichtet über 3 Fälle. Es bestehen keine bestimmten ob- jectiven Symptome; gewöhnlich sind beide Ohren erkrankt. Die Heilung erfolgt durch Arzneimittel (Brom etc.), Suggestion, Hypnotismus und operative Maass- nahmen.

6. Hr. Dr. R. C. Myles: Die Erkrankungen und die Behandlung der Nebenhöhlen der Nase.

Der Vortragende zeigt Photographien von Durchleuchtung. Highmor'’s Höhlenerkrankung ist ziemlich ebenso häufig verursacht durch Nasen- als durch Zahnerkrankung. Dünne Troicarts und Ausspülungsröhren erweisen sich unzu- reichend zur Diagnose. Er untersucht durch eine zwischen 1. und 2. Molarzahn hergestellte Oeffnung. In schweren Fällen von Stirnhöhlenerkrankung wird von aussen operirt. Bei starker Polypenbildung ist das Siebbein brüchig, bei Eiterung ıneist von steinharter Beschaffenheit. M. entfernt von den Zellen so viel als möglich. Die Keilbeinhöhlen sind nicht so schwer zu öffnen als ge- wöhnlich angenommen wird. Die Discussion erstreckte sich hauptsächlich auf die Unsicherheit der Durchleuchtung. Trotzdem ist dieselbe ein werthvolles diagnostisches Hilfsmittel. Die farbige Bevölkerung soll oft keine oder nur kleine Stirnhöhlen haben.

7. Hr. Dr. A. Hengst-Pittsburgh: Acute Mittelohrentzündung bei Typhus abdominalis.

Vortragender konnte feststellen, dass unter 1228 Typhusfällen 28 mit Mittelohrentzündung complicirt waren.

8. Ueber einen Vortrag von Hrn. Dr. T. C. Christy-Pittsburgh über Ulceration der Nasenscheidewand entwickelte sich eine lange Discussion.

9. Hr. Dr. E. B. Dench: Die Warzenfortsatz- und intracraniellen Complicationen bei Öhreiterung. Vortragender beschreibt die Warzenfortsatzöffnung, wie sie jetzt allgemein

ausgeführt wird und berichtet über einen Fall von acuter otitischer Leptomenin- gitis, in welchem nach der Operation Heilung eintrat.

Besprechungen.

Die Krankheiten des Gehirns und seiner Adnexa,

im Gefolge von Naseneiterungen. Von Dr. R. Dreyfuss, Specialarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenleiden in Strassburg i. Els. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1896.

Besprochen von O. Körner in Rostock.

Dreyfuss hat es in dankenswerther Weise unternommen, aus der Literatur die_Fälle yon- Hirnerkrankungen, welche durch Eiterungen in der Nase oder ihren Nebenhöhlen indueirt wurden, zusammenzustellen. Hoffentlich trägt das recht übersichtlich geschriebene Buch dazu bei, die Aufmerksamkeit der Aerzte mehr als bisher auf dieses vernach- lässigte Gebiet zu lenken. Denn was vor Allem Noth thut, ist die Vermehrung der noch recht seltenen gut beobachteten Fälle. Es ist lobend anzuerkennen, dass der Verfasser aus dem noch geringen Materiale nur mit Vorsicht Schlüsse zieht. Die Lectüre des Buches ist für den Rhinologen unerlässlich. |

Vademecum und Taschenkalender für Ohren-, Nasen-, Rachen- und Halsärzte auf die Zeit Aprıl 1896 bis März 1897. Herausgegeben von Dr. L. Jankau. Leipzig, Verlag von Eduard Heinrich Mayer. (Preis 3 Mark.)

Besprochen von Arthur Hartmann in Berlin. Wie weit ein Taschenkalender einem Bedürfnisse der Ohren- und Halsärzte entspricht, lässt sich schwer beurtheilen. Es dürfte erst der

186 Besprechungen.

Erfolg darüber entscheiden. Die practische Ausübung der in Frage stehenden Specialfächer findet nicht wie beim allgemeinen Arzt in der Behausung des Patienten, sondern in der des Arztes statt, so dass es kaum erforderlich erscheint, ein Nachschlagebuch in der Tasche mit sich zu führen. Trotzdem dürften zweckmässige übersichtliche Zusam- menstellungen der neuesten Erfahrungen und therapeutischen Maass- nahmen, insbesondere die Dosirung von Arzneimitteln in handlicher Form vortheilhaft zu benutzen sein.

Der Verf. hat in dem vorliegenden Kalender sich nicht auf das specialistische Gebiet beschränkt, er sucht auch dem Zusammenhange der specialärztlichen Thätigkeit mit der allgemeinen Medicin gerecht zu werden, von der Ansicht ausgehend, dass auch der Specialarzt, be- sonders bei Unglücksfällen, schleunige Hilfe leisten muss, Es sind deshalb aufgenommen die Capitel erste Hilfe bei plötzlichen Unglücks- fällen, die Vergiftungen und deren Behandlung, die Maximaldosen der Arzneimittel. Von dem specialistischen Inhalt erwähnen wir folgende Mittheilungen: anatomische und physiologische, pharmakologische und toxikologische Daten, die Desinfection der Hände, der heutige Stand der Serumtherapie, die nenesten Arzneimittel in der Therapie der Ohren-, Nasen-, Rachen- und Halskrankheiten. Ein besonderes Capitel nimmt die Heilung der Taubstummheit mittelst methodischer Hör- übungen ein. Am allgemeinsten und unvollkommendsten gehalten ist das Capitel Störungen im Gebiete des Ohres, der Nase und des Halses und deren diagnostische Bedeutung bei Erkrankung des Nervensystems. Der das Ohr betreffende Inhalt dieses Abschnittes lautet: »Man unterscheidet Herabsetzung des Gehörs (Hypacusis), Steigerung, Hyperacusis, Fehlen (Anacusis). Sie stellen sich ausser bei Erkrankungen des Mittel- und inneren ÖOhres ein bei hysterischer Hemianästhesie und ist also die Untersuchung in diesen Richtungen eventuell zu vervollständigen.« Wenn nicht eine gründlichere Bearbeitung des Kalenders eintritt, wird derselbe kaum grössere Beachtung finden. Es sind in dieser ersten Ausgabe viele Unvollkommenheiten und auch Fehler enthalten, auf welche der Verfasser im Vorwort selbst hinweist, sodass eine Neubearbeitung sehr noth thut. Wir bezweifeln nicht, dass sich der Kalender dann einbürgern wird, wenn die Bitte, welche der Verf. an alle Specialärzte richtet, ihn auf die Unvollkommenheiten seines Werkchens aufmerksam zu machen, erfüllt werden wird.

Ganz zweckmässig, allerdings auch noch recht unvollkommen, ist das Personalverzeichniss sämmtlicher in Deutschland practicirender

Besprechungen. 187

Ohren-, Nasen- und Halsärzte. Für dieses Verzeichniss dürfte sich eine dem englischen Directory entsprechende Einrichtung empfehlen, aus welcher der Studiengang und die wichtigeren Arbeiten der Einzelnen zu ersehen sind. Besonders wünschenswerth wäre es, in den Cur- und Badeorten die Namen von Aerzten zu kennen, welche mit den beiden Specialfächern vertraut sind.

Atlas der Beleuchtungsbilder des Trommelfells im gesunden und kranken Zustande für praktische Aerzte und Studirende. Von Dr. Adam Politzer. Mit 392 chromolithographischen Trommelfellbildern und 67 in den Text gedruckten Abbildungen. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller 1896.

Besprochen von

Arthur Hartm ann in Berlin.

„Die Aufgabe des vorliegenden Werkes ist, dem praktischen Arzte die Erkenntniss der bei den Erkrankungen des Gehörorgans vorkommen- den pathologischen Veränderungen am Trommelfelle zu erleichtern.“

Vor 30 Jahren erschien unter demselben Titel ein längst vergriffenes Buch des Verfassers mit 24 chromolithographischen Trommelfellbildern. Die Bereicherung, welche das neue Buch erfahren hat, ist die Arbeit eines Menschenalters, geleistet von der Künstlerhand eines Politzer; alle Abbildungen sind treu nach der Natur nach sorgfältigster Beobach- tung gezeichnet. Das Werk bildet zweifellos das Hervorragendste, was bis jetzt in dieser Beziehung geleistet wurde. In dem früheren Werke waren die Trommelfellbilder nach der äusseren Erscheinung angeordnet, jetzt sind dieselben nach den einzelnen klinischen Krankheitsformen ge- schildert, um die Verwerthung der Bilder dem Studirenden und prak- tischen Arzte zu erleichtern. Wenn Trommelfellbilder auch nicht im Stande sein werden, die Einüäbung und die Beobachtung am Lebenden zu ersetzen, so werden sie doch dem wenig Geübten eine werthvolle Unterstützung bei seinen Untersuchungen geben können und ihn in den Stand setzen, das Gesehene zu verstehen. Dass die Untersuchung am Lebenden immer die Hauptsache bleiben wird, hätte von Politzer vielleicht etwas mehr betont werden dürfen.

188 Besprechungen.

Der dem Atlas beigegebene Text (150 Seiten) giebt eine meister- hafte Schilderung der Otoskopie unter stetiger Berücksichtigung und unter stetigem Hinweis auf die pathologisch-anatomischen Veränderungen. Auch hier kommt die reiche praktische Erfahrung und die vieljährige Arbeit Politzer’s am Sectionstische im reichsten Maasse zur Geltung.

Der Atlas ist dem Andenken des verewigten Freundes des Ver- fassers, Prof. S. Moos, gewidmet.

Die otogene Pyämie. Von Dr. Hugo Hessler,

Docent der Ohrenheilkunde an der Universität Halle a. S. Mit 7 Figuren im Texte u. 26 Tabellen. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1896.

Besprochen von A. Scheibe in München.

Noch der eingehenden Bearbeitung, welche die Lehre von der otogenen Pyämie in den letzten Jahren seitens zahlreicher Forscher ge- funden hat, ist zwar von einer neuen Monographie ein wesentlicher Fortschritt nicht zu erwarten, aber doch bringt uns Hessler’s Buch in manchen Punkten eine dankenswerthe Erweiterung unserer Kenntnisse über diesen Gegenstand. Der Verf. hat sich seiner Aufgabe, die otogene Pyämie in möglichst umfassender Weise zu beschreiben, mit wahrem Bienenfleisse gewidmet. Das Werk ist nicht nur an Umfang, sondern auch an Material das reichste, welches wir über Pyämie besitzen. Dass auch die in Betracht kommenden anatomischen Verhältnisse und die Lehre von der allgemeinen Pyämie berücksichtigt sind, trägt zur Ver- vollständigung der Monographie wesentlich bei.

Die pathologische Anatomie ist besonders eingehend abgehandelt; mit Recht, denn von diesem Capitel lässt sich eher ein fertiges Bild entwerfen, als von der Symptomatologie. Was die letztere anbetrifft, so fehlt es in vielen der bisher veröffentlichten Krankengeschichten an der wünschenswerthen Genauigkeit. Es ist deshalb fraglich, ob Hessler recht daran gethan hat, alle Fälle als gleichwerthig zu verarbeiten. Bei einem so verschiedenwerthigen Material dürfte allein der Grundsatz: »Erst wägen und dann zählen« der richtige sein.

Dass Sinus thrombose auch symptomlos verlaufen kann, hätte wohl kräf- tiger hervorgehoben zu werden verdient. Ein Fehler in der sonst so vorsichtig

Besprechungen. 189

abgefassten Arbeit muss eingehender besprochen werden, weil er die Unklar- heit, welche ohnedies in der betreffenden Frage besteht, noch vermehrt. Hessler identificirt nämlich diejenigen Fälle von Pyämie, welche ohne Operation in Heilung übergehen, mit den Fällen von reiner Östeophlebitis im Gegensatz zur Sinusphlebitis gewiss ohne Berechtigung, da Spontanheilung von Sinusphlebitis und symptomloser Verlauf derselben erwiesen sind und wahrscheinlich noch häufiger vorkommen, als die Anzahl der Sectionen ver- muthen lässt. Aus diesem Grunde ist es nach unseren jetzigen Kenntnissen noch nicht möglich, die Pyämie mit und ohne Sinusphlebitis differentiell- diagnostisch zu trennen. Es lässt sich nur eine Unterscheidung treffen zwischen den leichten und schweren Fällen von otogener Pyämie was auch Hessler unbewusst thut wobei allerdings zu berück- sichtigen ist, dass unter den letal endenden Fällen fast ausschliesslich nur Fälle von Sinusphlebitis sich befinden. Eher dürfte der Versuch gerechtfertigt sein, die Pyämie bei der acuten Mittelohreiterung getrennt von der Pyämie bei der chronischen Mittelohreiterung zu schildern. Hier existiren, wie auch aus Hessler’s Zusammenstellung hervorgeht, ziem- lich grosse Unterschiede. Allerdings müsste gerade bei der Scheidung dieser beiden Gruppen kritischer verfahren werden. Fälle von acuter Eiterung mit jauchigem Zerfall des Thrombus dürfen berechtigte Zweifel erregen.

Im Capitel über die prophylaktische Therapie der Pyämie d.h. über die Behandlung der acuten und chronischen Mittelohreiterung verlässt Hessler seinen Grundsatz, die Gesammtheit der bisher vorliegenden Erfahrungen möglichst objectiv zu verwerthen, und giebt theoretischen Erwägungen einen verhältnismässig grossen Raum; hier dürfte er man- chen Widerspruch finden.

In Folge der in dem ganzen Buche zerstreuten ausführlich mitge- theilten Casuistik eignet sich die Monographie mehr zum Nachschlage- buch als zum schnellen Lesen. Für eine zweite Auflage dürfte es sich empfehlen, bei der Besprechung der einzelnen Capitel die hier zum Theil nochmals wiederholte Casuistik wegzulassen. Dadurch kann sich der Leserkreis des fliessend geschriebenen Buches gewiss nur erweitern.

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190 Kleine Notizen.

Kleine Notizen.

‚In Leipzig soll eine Klinik und Poliklinik „für Ohrenheilkunde und verwandte Fächer“ gegründet werden. Als Director derselben wurde Prof. Dr. O. Körner in Rostock berufen, hat aber abgelehnt.

Privatdocent Dr. Hessler in Halle erhielt den Professortitel.

Vom 1. Juni d. Js. an ist in dem Bürgerhospital zu Basel eine selbständige Ohrenklinik eingerichtet. Dieselbe verfügt über 12 Betten (worunter 5 klinische Freibetten) und steht unter der Direction von Professor Dr. Siebenmann.

Unser Mitarbeiter Arthur H. Cheatle F. R. C. S., wurde als Chirurge am Royal Ear Hospital in London angestellt.

68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt a. M. 21.—26. Sept. 1896.

Die’ vereinigten Sectionen für Otologie, Laryngologie und Rhinologie beabsichtigen in gleicher Weise, wie eine Anzahl anderer Sectionen, eine fachwissenschaftliche Ausstellung während der Dauer der Naturforscherversammlung zu veranstalten. Dieselbe soll neuere Instrumente, Apparate, Präparate und electrische Einrichtungen umfassen.

Diejenigen Herren Collegen, welche beabsichtigen, diese Ausstellung zu beschicken, werden gebeten, ihre Anmeldungen mit näherer Bezeich- nung der Ausstellungsgegenstände an Einen der Unterzeichneten bis spätestens 15. August gelangen zu lassen. Weitere Mittheilungen werden den betr. Herren auf ihre Anmeldungen hin zugehen.

Frankfurt a. M., im Juni 1896.

Dr. H. Eulenstein, Dr. B. Lachmann, Bleichstrasse 31. neue Mainzerstrasse 76.

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J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. 191 VIII.

Ein Fall von otitischen Hirnabscessen im

Hinterhauptslappen. Von Dr. J. Morf in Winterthur. Mit 1 Abbildüng im Text.

Die Casuistik der otitischen Hirnabscesse ist seit dem Erscheinen des Koerner’schen Werkes: »Die otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter« so stark angewachsen, dass es über- flüssig erscheinen möchte, von einer weiteren diesbezüglichen Beobach- tung Mittheilung zu machen. Ich halte indessen einen kürzlich be- handelten Fall von otitischen Abscessen im rechten Hinterhauptslappen in mehrfacher Hinsicht für interessant genug, um denselben weiteren Kreisen zur Kenntniss zu bringen.

Herr Bez.-Arzt Dr. Keller in Wald (Zürich) machte mir am 4. Februar 1896 folgende anamnestische Angaben über den Patienten :

»Herr J. J. K. in R. Ingenieur, 56 Jahre alt, früher immer gesund, erkrankte im Anschluss an eine Erkältung, welche er sich bei einer Tunnelbaute zugezogen hatte, am 20. November 1895 mit Frost, Schmerzen im rechten Ohr und im Hinterkopf. Der damals gerufene Arzt verordnete Heisswassereingiessungen in den rechten Gehörgang. Da das Leiden sich aber stets verschlimmerte, wandte sich Patient am 6. Dezember an einen Ohrenarzt in Zürich, der ihn innerhalb 14 Tagen 3 Mal behandelte und erklärte, dass es sich um einen kleinen Abscess im rechten Mittelohr handle. —- Ausfluss irgend welcher Art bestand nie. Herr K., der äusserst sensibel ist und nach zweimal vorgenommener Paracentese des Trommelfelles, welche den vermutheten Eiter jedoch nicht zu Tage förderte, weitere schmerzhafte Eingriffe fürchtete, ent- zog sich der specialistischen Behandlung und wandte sich an mich. Die Schmerzen in und hinter dem Ohr waren zeitweise äusserst heftig und linderten sich nur vorübergehend auf Verabreichung von Migraenin, Applikation von warmen Umschlägen und auf localen Plutentzug. Tempera- tur 37,6°—38°, keine Schüttelfröste.« Am 6. Februar 96 sah ich den Patienten im Consilium mit Dr. K. zum ersten Mal und machte folgende Notizen: Sehr corpulenter Mann mit äusserst stark entwickel- tem Paniculus adiposus. Ausser etwas Fettherz innere Organe gesund. Rechte Ohrmuschel leicht abstehend, sonst normal. Ueber dem Warzen- theil leichte oedematöse Sehwellung. Fossa mastoidea etwas druck- empfindlich. Hintere obere Gehörgangswand stark gesenkt, sodass das Trommelfell nicht zu sehen ist. H. rechts am Ohr, links >> Zimmer- länge (6m). für Flüstersprache. Rechts ergiebt das Exp. Politzer stoss- weisses Eindringen der Luft,, verbunden mit spärlichem Rasseln. H.

Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXIX. 18

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192 J.Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen.

bessert dadurch auf 20cm für Flüstersprache. Cranio-tympanale Lei- tung verlängert in’s rechte Ohr. Rinne rechts negativ.

Nase und Nasenrachenraum bieten keine Veränderungen. Ca. 2 cm hinter der Mitte des hinteren Randes des Processus mastoideus findet sich eine auf Druck schmerzhafte, circumscripte Stelle am Schädel, welche mit der Nagelgliedkuppe des Daumens vollständig bedeckt wer- den kann. Aptetit mässig. Patient klagt über rechtsseitigen Hinter- kopfschmerz. Ausser der genannten druckempfindlichen Stelle ist der Schädel auf Beklopfen nirgends schmerzhaft. Temperatur 36°. Puls 72—76 p. M. Urin ohne Eiweiss, ohne Zucker. Nirgends Paresen oder Paralysen, kein Brechen, kein Schwindel, Augenhintergrund nicht

‘verändert. Keine Otorrhoe. Ich stellte die Diagnose auf einen eiterigen

Process in den Mittelohrräumen, verordrete Bettruhe und Eisblase. Zugleich stellte ich dem Patienten die Eröffnung des Antrum in Aus- sicht, falls die entzündlichen Erscheinungen nicht bald verschwinden sollten.

15. Februar 96. Ueber der rechten Ohrmuschel, nach vorn deren

Ansatzliniie um 2—3 cm überschreitend, nach hinten auf die Pars mas-

toidea übergreifend eine starke Anschwellung, welche in der Tiefe deutliche Fluctuation nachweisen lässt. Die Ohrmuschel steht stark ab. Temperatur und Puls normal, ebenso Augenhintergrund. Schmerz in der Temporal- und Oceipitalgegend rechterseits. Es wird sofort zur Eröffnung des Abscesses und des Antrum mostoideum geschritten. Assistent Dr. Keller, Chloroformnarkose. Nach Rasi- ren und genauer Desinfection des Operationsgebietes eröffnet ein grosser Bogenschnitt, 2 cm vor der vorderen Ansatzlinie der Ohrmuschel be- ginnend, letztere in der hinteren Umschlagsfalte umkreisend und unter- halb der Spitze des Proc. mast. endigend, nach Durchtrennung der ca. 4cm dicken Weichtheile einen subperiostalen Abscess. Es entleert sich ca. 1 Esslöffel voll rahmigen, nicht übelriechenden Eiters. Da eine ver- färbte Knochenstelle oder eine Fistel nicht wahrgenommen wird, se wird zur typischen Aufmeisselung des Antrum geschritten. Um mehr Platz zu gewinnen, wird die äussere Hälfte der hinteren oberen knö- chernen Gehörgangswand mit entfernt. Die Arbeit ist etwas mühsam, da der Knochen elfenbeinhart und vollständig compact ist. Erst in ca. 2cm Tiefe wird eine hanfkorngrosse Cavität eröffnet, durch welche die Sonde mühelos in die Pauke gelangt. Es handelt sich also jedenfalls um das verkleinerte Antrum. Die Schleimhautauskleidung dieser Höhle ist hochroth, geschwellt, die Höhle ohne flüssigen Inhalt. Nirgends ist Eiter zu entdecken. Der Operationscanal wird mit Jodoformgaze tam- ponirt, der obere, horizontale Theil der Weichtheilwunde und der untere Wundwinkel genäht. Watteverband.

Ausser einer geringen Temperaturerhöhung (38°) am Tage nach der Operation und etwas Schwellung des rechten oberen Augenlides, die beide schon am folgenden Tage wieder verschwunden waren, konnte etwas Beunruhigendes nicht wahrgenommen werden. Das Allgemeinbe- finden des Patienten besserte sich, der Appetit hob sich in den folgen-

J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. 193

den Tagen, der Kopfschmerz wurde geringer, die Schwellung über und hinter der Ohrmuschel verschwand, der genähte Theil der Weichtheil- wunde heilte per primam.

Am 13. März 96 schrieb mir Herr Dr. K.: »Das Allgemeinbe- finden macht zusehends Fortschritte, sodass Patient fast den ganzen Tag in der Stube verweilt und sich sehr viel mit Besuchen und Ge- schäften abgeben kann. Noch immer aber klagt er zeitweise über heftige Schmerzen im Kopf, nur localisirt er dieselben jetzt mehr in die Nähe der Wunde sowie nach vorn und oben vom Ohr. Keine Hirn- symptome. Fieber hat sich nie eingestellt. Der Apetit ist gut, Stuhl gleichfalls, der Schlaf dagegen öfters unruhig. Bei schöneın Wetter macht Patient auch kleinere Spaziergänge.«

Am 23. März: »Zu unserer Bestürzung hat Herr K. seit zwei Tagen wieder grössere Schmerzen als je zuvor hinter und über dem Ohr, sowie namentlich auch in der rechten Stirnhälfte. Es stellte sich Temperatur von 37,3" und Pulsbeschleunigung bis auf 104 p. M. ein. Heute Morgen zweimaliges Erbrechen.«

Bei meinem Besuche am 24. März fühlte sich Patient wieder besser. Ich constatirte eine leichte Hyperämie der Papilla optica rechterseits. Die linke war normal. Keine Lähmungs- oder Reizerscheinungen. Sehnenreflexe nicht herabgesetzt. Temperatur und Puls normal. Hintere obere Gehörgangswand nicht mehr gesenkt, Trommelfell leicht schuppend. H auf beiden Ohren _- Zimmerlänge (6 m) für Flüstersprache. Bei Exp. Politzer kein Rasseln zu hören. Schmerz in der ganzen rechten Kopfhälfte. Keine Hemiopie. Sensorium vollständig intact und soll auch nie getrübt gewesen sein. Kein Schwindel, keine Ataxie.

29. März. Stark ausgesprochene Neuritis optica rechts, etwas weniger links. Im Uebrigen Status idem.

26. April. Der Zustand des Patienten war in letzter Zeit immer derselbe. Die Operationswunde bald geheilt. Patient fühlt sich heute etwas schwach. Es treten wiederholt unwillkürliche, zitternde Bewe- gungen im ]. Bein auf. Als er sich heute Abend vom Nachtstuhl ent- fernen wollte, fiel er zu Boden und konnte nicht selbst wieder auf- stehen, indem er das l. Bein und den l. Arm nur mangelhaft bewegen konnte.

38. April. Patient liegt auf dem Rücken im Bett, athmet etwas mühsam, der linke Mundwinkel hängt etwas herunter. Nasolabialfalte links verstrichen. Mund nach rechts verzogen. Augenlider und Bulbi normal beweglich. Pupillen reagiren beidseits gut. Stirn kann auch links gerunzelt werden. Händedruck links bedeutend schwächer als rechts. Patient localisirt schlecht. Mit einer Nadel in den kleinen Finger der L Hand gestochen, glaubt er am Ringfinger berührt worden zu sein. Nadelstiche werden auf der ganzen linken Seite gefühlt, aber nicht schmerzhaft empfunden. Linkes Bein fast ganz unbeweglich. Sprache nicht gestört, Sensorium frei. Patient sieht vollkommen gut, keine Hemiopie. Puls 84 p. M., Temperatur 37,4°, Herz und Lungen

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194 J.Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen.

30. April. L. Arm, l. Bein und die unteren Aeste des Facialis links vollständig paralytisch. Vollständige linksseitige Hemianistlesie. Patient spricht klosig und verschluckt sich öfters, Uvula steht nach rechts. Athmung beschleunigt und erschwert. Temperatur 37.2, Puls 88—90 p. M. Patient klagt über Hinterhaupts- und Stirnkopfschmerz, sieht gut. Pupillen nicht erweitert. Vorgeschlagene Operation wird abgelehnt.

1. Mai. Status idem. Patient zeitweise benommen.

2. Mai. Sprache lallend, Athmung stridorös. Starke Schluckbe- schwerden. Puls klein 140—144 p. M. Temperatur 38". Patient ist benommen, lässt Stuhl und Urin unter sich.

4. Mai. 5 Uhr Morgens Exitus unter Zunahme der Athembe- schwerden.

Diagnose: Otitischer Hirnabscess im rechten Schläfenlappen.

Autopsie 5. Mai Abends 7 Uhr. (Es wird nur die Kopfsection gemacht.) Schädeldach sehr dick, reichlich 1 cm, hart, wenig Diploe- haltig. Nirgends eine verdünnte Stelle zu bemerken. Gefässe der Hirn- häute prall gefüllt. Pia stark oedemafös. Dura 2'/, cm hinter dem Knie des Sinus transversus in ca. 1 Frankstück grosser Fläche verdickt. braunroth verfärbt, ohne Auflagerungen. Pia an dieser Stelle nur leicht getrübt, mit der Dura lose verklebt.

Am herausgenommenen Hirn erscheint die rechte Grosshirnhemi- sphäre gegenüber der linken vergrössert. Die Spitze des rechten Hinter- hauptslappen überragt die des linken um 2cm. Gyri leicht abgeplattet. Die erwähnte circumscripte Verklebung der Hirnhäute entspricht etwa der Mitte der III. Occipitalwindung. Hier erscheint die Hirnrinde in etwas kleinerem Umfange weisslich verfärbt, durchscheinend, an der Oberfläche aber, wie die Umgebung, glatt. feucht glänzend. Ein Horizon- talschnitt in der Ebene der Dorsalfläche des Balkens trifft überall nor- male Hirnsubstanz. Eın unter einem Winkel von 40—45° zum ersten, nach unten und aussen geführter zweiter Schnitt eröffnet zwei Abscess- höhlen. Die eine, kleinere liegt 2—3 mm unter der Hirnoberfläche. Seine Aussenwand bildet die theilweise erweichte Rindenschichte an der III. und unteren Hälfte der H. Occipitalwindung. Der Durchmesser dieser Höhle beträgt in jeder Richtung 3 cm. Die innere Wand trägt in der Mitte einen kleinen Defect, durch welchen die Sonde in den zweiten, grösseren Abscess gelangt, nachdem sie einen kurzen, ca. 1 cm langen Canal passirt hat. Während die Wände des ersteren Abscesses gleichsam nur mit grünlich-braunem Eiter, welcher nicht übel riecht, beschmiert sind, ent- hält dieser reichlich zwei Esslöffel voll Eiter von derselben Beschaffen- heit. Der Längsdurchmesser (sagittaler) dieses zweiten Abscesses beträgt 4,8cm, der quere (frontaler) 3,2cm. Die Hinterwand ist von der Spitze des Occipitallappens 3 cm, die vordere vom Nucleus lentiformis 2cm, vom Thalamus opticus 1—1!/,cm entfernt. Der Abscess liegt über dem Hinterhorn des Seitenventrikels; eine ca. 1 cm dicke Schicht weisser Substanz trennt beide Höhlen voneinander. Eine Balgmembran

J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. 195

ist nicht vorhanden. Die Wände der Abscesse sind zottig, mit vielen kleinsten Hämorrhagien durchsetzt, die benachbarte Hirnsubstanz in geringer Ausdehnung erweicht. Nirgends meningitische Erscheinungen. Ventrikel mit klarem. nicht wesentlich vermehrtem Liquor cerebrospina- lis als Inhalt, unverändert.

Fig. 1.

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. Vorderhorn des Seitenventrikels. Nucleus caudatus.

. Vorderer Schenkel der inneren Kapsel. Nucleus lentiformis.

Claustrum

Hinterer Schenkel der inneren Kapsel. Thalamus opticus.

Abscesse,

. Cerebellum.

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196 J.Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen.

2!/,cm hinter dem Knie des Sinus transversus dexter, unter der verfärbten und verdickten Partie der Dura liegt ein 2—3 qcm grosser !/,cm tiefer, ovaler, mit Granulationen erfüllter Knochendefect, welcher die Linea transversa nach oben nicht überschreitet und über welchen der Sinus unversehrt hinwegführt. Dieser Defect communicirt vermittelst eines feinen Knochencanales von etwa 3!/,cm Länge mit einer verein- zelten hanfkorngrossen Zelle im Processus mastoideus, welche ?/, cm nach aussen und hinten vom kleinen Antrum liegt. Die Zelle ist wie der Canal mit Granulationen gefüllt, nicht eiterhaltig und vollständig von Compacta umgeben. Sie liegt wenige Millimeter hinter der Hinterwand des gleichfalls mit Granulationen erfüllten Operationscanales. Eine Com- munikation zwischen beiden kann nicht gefunden werden. Ausser dem Antrum und dieser Zelle enthält der Warzentheil keinen weiteren luft- haltigen Raum. Sämmtliche Sinus sind frei durchgängig, nicht entzündet. Trommelfell und Gehörknöchelchen vollständig normal, ebenso das übrige Mittelohr mit Ausnahme der Schleimhaut im Aditus und im Antrum, welche geröthet und leicht geschwellt ist. Labyrinth und Wasserleitungen nicht verändert. Acusticus und Facialis ebenfalls frei.

Epikritische Bemerkungen.

Wir haben es hier mit einem jener selteneren Fälle zu thun, wo sich an eine acute Mittelohrentzündung eine Hirneiterung anschliesst. Nach Grunert (eitirt bei Körner ]. c.) sind otitische Hirnabscesse in 9°/, durch acute, in 91°/, durch chronische Ohreiterungen veran- lasst und Jansen (2) fand in der Berliner Universitätsklinik unter 2650 acuten Mittelohreiterungen nur eine durch Hirnabscess complicirt, unter 2500 chronischen Otorrhoeen dagegen 6 Hirnabscesse.

Der Krankheitsverlauf war von Anfang an ein atypischer und bot nicht das gewohnte Bild einer Otitis media purulenta acuta. In den Haupträumen des Mittelohres gingen die entzündlichen Erscheinungen bald zurück und erreichten überhaupt nicht jene Höhe wie diejenigen in den pneumatischen Räumen des Warzentheiles. Daher kam es nicht zu einer Perforation der Membrana tympani, Otorrhoe stellte sich nie ein und die Paraccentese förderte weder eitriges Sekret zu Tage, noch wirkte sie schmerzstillend.

Es ist zwar längst bekannte Thatsache und Bezold weist in seinen »Erkrankungen des Warzentheiles« (3) auch darauf hin, dass die Entzündung in der Paukenhöhle und am Trommelfell oft zurückgeht und sogar normale oder annähernd normale Hörweite eintritt, während die Erkrankung im Warzentheile unbehindert weiterschreitet. Also ist es nur ein Zufall, wenn diese Beobachtung auch einmal gelegentlich einer Complication der Otitis mit Hirnabscess gemacht wird. Immerhin

J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. 197

ist ein solches Zusammentreffen nicht häufig, wenigstens finde ich in der Litteratur nur 8 derartige Fälle erwähnt, je einen von Baginsky u. Gluck, Schmiedt, Gruber, (alle eitirt b. Körner |. c.) Hatsch, Schubert (eitirtb. Blau (4), Schmiegelow (5), Mathewson (6). Dann erwähnt Bezold (l. c. p. 317) einen Fall von nicht operirtem Hirnabscess, bei welchem 3 Wochen vor dem Tode »die acute Mittel- ehreiterung mit Verschluss des Trommelfelles und annähernd normaler Hörweite geendet hatte «

Inwiefern die Sclerose des Warzentheiles an dem Zustandekommen der intracraniellen Eiterung Schuld trägt, wage ich nicht zu entscheiden, obschon der frühe Nachweis der druckempfindlichen Stelle hinter dem Warzentheil, das frühzeitige Auftreten des Hinterkopfschmerzes und der späte Durchbruch des Eiters nach aussen für eine solche Annahme sprechen. Bekanntlich sind ja die Ansichten der Autoren in dieser Frage getheilte.e Während die Einen in der Eburnisation und Hyperos- tose des Schläfenbeines eine Schutzeinrichtung gegen das Uebergreifen der Mittelohreiterung auf die Organe der Schädelhöhle erblicken, vin- diciren ihr Andere im Gegentheil eine diesbezügliche Gefahr.

Was die Lage der otitischen Hirnabscesse anbetrifft, sagt Körner (l. c.): »Die von einem kranken Schläfenbein aus inducirten Hirnabscesse liegen in den demselben benachbarten Hirntheilen, also im Schläfen- lappen oder in der Kleinhirnhälfte der gleichen Seite, sehr selten in der Brücke oder den Kleinhirnschenkeln. Ausnahmen von dieser Regel sind selten.< Dieses Verhalten erklärt sich daraus, dass die primäre Eiterung in den Mittelohrräumen entweder auf präformirtem Wege (Wasserleitungen etc.) oder durch die knöcherne Wandung hin- durch in's Cavum cranii und von hier durch die meist verklebten oder gar fistulös durchbrochenen Meningen in die benachbarte Hirnsubstanz eindringt. Die von von Bergmann aufgestellte Lehre, dass otitische Hirnabscesse immer entfernt vom ursprünglichen Krankheitsherde und getrennt von letzteren durch gesunde Hirnsubstanz liegen, ist durch Körner und Jansen widerlegt und unhaltbar geworden. Den ana- tomischen Verhältnissen entsprechend wird man die Durchbruchsstelle dos primären Abscesses in die Schädelhöhle in der Regel an der vor- deren oberen (Tegmen tympani) oder an der hinteren Fläche (hintere Wand des Antrum, Saccus endolymphaticus ete.) der Schläfenbeinpyra- mide zu suchen haben. Häufig liegt sie am Sinus transversus. vor- nehmlich an seinem absteigenden Theile, dem Sinus sigmoides, seltener weiter nach hinten, wie in unserem: Falle, aus eben entwickelten Grün-

198 J.Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen.

den. Letzteres dürfte nach Hansberg (7) in erster Linie bei acuten Ohreiterungen der Fall sein und zwar deshalb, weil bei der acuten Mittelohrentzändung die den Mittelohrräumen benachbarten Gewebe mehr als bei der chronischen Otitis in einem Zustande starker Hyper- ämie sich befinden, also zur Verschleppung von Entzündungserregern in entfernter gelegene Gebiete sich gut eignen.

Gemäss der von Körner aufgestellten Regel hätte man in unserem Falle eine Eiterung im Kleinhirn erwarten müssen, da ja die perisinuöse Knochenerkrankung in der Kleinhirngrube lag. Ein Blick auf die hier in Betracht fallenden topographisch-anatomischen Verhältnisse des Schä- dels und seiner Contenta scheint diese Annahme auch a priori zu be- stätigen. Der Felsenbeinpyramide liegen folgende Hirnpartien an oder benachbart: 1. der Schläfenlappen der Grosshirnhemisphäre, welcher die ganze vordere und obere Fläche derselben bedeckt, 2. das Klein- hirn an der hinteren Fläche, 3. der Pons und die Kleinhirnschenkel gegenüber der Oeffinung des inneren Gehörganges. Da der Schläfen- lappen nach hinten die obere Kante der Felsenbeinpyramide überschreitet und mit seinem hinteren Theile dem Tentorium cerebelli aufliegt, so kommt der Occipitallappen mit dem Felsenbein nirgends in Berührung. Es wird also eine Eiterung in den Mittelohrräumen den Occipitallappen lange nicht in demselben Maasse gefährden, wie den Schläfenlappen und das Kleinhirn. Immerhin wird auch er erreicht werden können und dies voraussichtlich auf zwei Wegen, einmal vom Schläfenlappen aus, in den er ja unmittelbar übergeht und dann durch Vermittelung einer ihm benachbarten Erkrankung des Schädelknochens und der Meningen. Wie oben schon bemerkt wurde, liegen solche eitrige Knocheneinschmel- zungen der hinteren Schädelgrube meist dem Sinus transversus an. Erkrankungen der venösen Blutleiter selbst, wie Phlebitis und Throm- bose führen erfahrungsgemäss selten zu Hirneiterungen. (Körner, Jansen l. c). Der Sinus transversus verläuft vom Knie ab nach hinten zum Confluens sinuum auf der Linea transversa des Hinterhauptsbeines (Meyer) (8), einer starken, in die Spalte zwischen Kleinhirn und Hinter- hauptslappen des Grosshirns vorspringenden Knochenleiste. welche die Fossa occipitalis inferior von der Fossa occipitalis superior trennt. So- wohl der Hinterhauptslappen des Grosshirns als das Kleinhirn liegen somit dieser Knochenleiste und dem Sinus transversus an, ersterer von oben, letzteres von unten. Man sollte daher erwarten, dass Krankheits- herde am Knochen, welche unterhalb der Linea transversa liegen, zu Kleinhirnabscess Veranlassung geben sollten, solche oberhalb der Linea

J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. 199

transversa zu Abscessen im Hinterhauptslappen, dass dagegen Herde, welche sich zu beiden Seiten der Linea transversa ausbreiten, beide ge- nannten Hirntheile gefährden würden. Soll also im Anschluss an eine extradurale otitische Eiterung ein Occipitallappenabscess entstehen, so wäre anzunehmen, dass diese Eiterung hinter dem Knie des Sinus trans- versus und über der Linea transversa, in der Fossa occipitalis superior ihren Sitz habe. Dieser Voraussetzung entspricht nun freilich das Ver- halten unseres Falles nicht, denn trotzdem der Knochenabscess unterhalb der Linea transversa liegt, fanden sich die Hirnabscesse im Occipital- lappen. Ich glaube diese paradoxe Erscheinung damit erklären zu müssen, dass die verdickte Dura dem Kleinhirn vor einer Infection Schutz gewährte, während sie einer Propagation der Eiterung nach innen und oben, in den Occipitallappen hinein, nicht BEES? Widerstand zu leisten vermochte. |

Hinsichtlich des Vorkommens multipler otitischer Hirnabscesse sind die Angaben der Autoren schwankend. Körner (. c.) hält sie für selten und warnt vor Verwechselung mit metastatischen. Schwartze (9) Blau (l.c.p. 118) u. A. treten dieser Ansicht entgegen. Treitel (10) berechnet an der Hand der Körner ’schen und der Schwartze’ schen Statistik die Zahl der Fälle mit multiplen Abscessen auf 16—17 °|, aller Fälle von otitischen Hirnabscessen. Abscesse im Occipitallappen dürften aus oben entwickelten Gründen jedenfalls nur selten zur Beob- achtung kommen. Körner theilt einen einschlägigen Fall von Sahli mit. Leider konnte aber die Lage der Abscesse wegen vorgeschrittener Erweichung der Hirnmasse nicht genau bestimmt werden. Ferner ist nicht ersichtlich, welchen Weg die primäre Eiterung zur Erzeugung der Abscesse eingeschlagen hatte, da eine Beschreibung des Schläfenbein- befundes fehlt.

Ueber das Alter der Abscesse möchte ich in unserem Falle genaue Angaben nicht machen, denn wenn uns auch der Beginn des Mittelohr- processes, das Auftreten der Neuritis optica und das Manifestwerden der Abscesse zeitlich genau bekannt sind, so dürfen sichere Schlüsse auf das Entstehen derselben daraus nicht gezogen werden. Auch der Nachweis des Druckschmerzes gestattet dies nicht. Einmal muss ein Abscess. schon eine gewisse Grösse erreicht haben, um Neuritis optica zu erzeugen oder manifest zu werden und dann wäre der Defect am Schädelknochen allein schon im Stande, den Druckschmerz zu erklären. Einen sichereren Anhaltspunkt würde vielleicht das scheinbar unmotivirte

200 J.Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen.

Exacerbiren des Kopfschmerzes, das Erbrechen und die Pulsbeschleuni- gung vom 21., 22. und 23. März abgeben.

_ Wichtig erscheint mir unsere Beobachtung in diagnostischer Hin- sicht. Im Stadium der Latenz hatte man entschieden Berechtigung. an eine Erkrankung des Kleinhirns zu denken. Dafür sprachen der heftige. rechtsseitige Hinterkopfschmerz und namentlich die druckempfindliche Stelle hinter dem Processus mastoides. Wenn cerebellare Ataxie und Kleinhirnschwindel fehlten, so schmälerte das die Berechtigung zu dieser Annahme keineswegs, da diese Herdsyimptome trotz der relativen Häufigkeit der Kleinhirnabscesse nach Körner bis jetzt nur einmal einwandsfrei von Feinberg (11) beobachtet worden sind. Auch Nackenstarre kann vollständig fehlen. Der später eingetretene Stirn- kopfschmerz dürfte ebensowenig als Gegenbeweis in’s Gewicht fallen, da localisirter Kopfschmerz durchaus nicht immer für eine Erkrankung der direct unterliegenden Hirnpartie spricht. Uebrigens sind die Schmerzen im Hinterkopf nie verschwunden. Da aber dieselben Symptome auch bei einem extraduralen Abscess getroffen werden, so war die Diagnose »Kleinhirnabscess« nicht erlaubt.

Anders freilich gestaltete sich die Sachlage, sobald die Abscesse manifest wurden. Gemäss dem Stande unserer heutigen Kenntnisse über Herdsymptome des Hirns glaubten wir nicht fehl zu gehen in der Annahme eines Schläfenlappenabscesses. Obwohl wir uns bewusst waren, dass die Herdsymptome als der Ausdruck einer Fernwirkung des Abs- cesses auf die innere Kapsel angesehen werden müssen und auch ein Oceipitallappenabscess eine solche Wirkung auszuüben im Stande ist, so leitete anderseits das Fehlen von Hemiopie unser Augenmerk immer wieder auf den Schläfenlappen.

Körner nimmt an, dass in einzelnen Fällen von Schläfenlappen- abscess, wenn dieser weit nach hinten liegt und in den Oceipitallappen hineinragt, eine subcorticale Läsion der Sehstrahlung zu Hemiopie führen kann. »Im Uebrigen spricht das gleichzeitige Auftreten der Hemiopie mit andern Läsionen der inneren Kapsel dafür, dass sie auf die gleiche Weise wie diese zu Stande kam.« Warum wir in unserem Falle Hemiopie vermissen, trotzdem fast der ganze Veccipitallappen in den Abscessen aufgegangen ist, lässt sich vielleicht damit erklären, dass Erkrankungs- herde im Centrum semiovale nur dann Ausfallssymptome hervorzurufen im Stande sind, wenn die ganze betrefiende Bahn zerstört ist, dass da- gegen ein kleiner erhaltener Rest ausreicht, die Leitung von der Peri-

J. Morf: Ein Fall von otitisch. Hirnabscessen im Hinterhauptlappen 201

pherie zum Rindencentrum oder umgekehrt zu vermitteln. (Edinger (12). Merkwürdig wäre dann immerhin, dass die Sehfasern die innere Kapsel unversehrt passiren, während doch andere Ausfallssymptome dar- auf hinweisen, dass der hintere Theil derselben lädirt ist. Sei dem wie ihm wolle, jedenfalls kann unser Fall beweist dies ein recht umfangreicher Abscess im ÖOccipitallappen liegen, ohne die Sehfase- rung zu influiren. Damit kann aber die Diagnose hinsichtlich der Lage des Abscesses unmöglich werden !

Gegen Schläfenlappenabscess hätte das Intaktsein des Gehörs auf dem linken Ohr sprechen können. Leider wurde im manifesten Stadium der Abscesse eine genaue Hörprüfung nicht vorgenommen. Vorausge- setzt aber, es hätte sich ein Defect nicht nachweisen lassen, so wäre dieser Befund nicht unbedingt beweiskräftig gewesen, sind doch mehr- fach sehr grosse Abscesse im Schläfenlappen durch die Section aufge- deckt worden, trotzdem vorher jede Spur von contralateraler Lähmung fehlte, wie z. B. in einem Falle Schmiegelow’s (l. c.). Contralaterale Schwerhörigkeit konnte übrigens bis jetzt nur in einigen wenigen Fällen von Schläfenlappenabscess mit annähernder Sicherheit auf den Abscess als Ursache zurückgeführt werden.

Da ein Durchbruch der Abscesse in die Ventrikel oder in den Subarachnoidealraum nicht constatirt werden konnte, so muss als Todes- ursache Hirndruck angenommen werden. Auffallend ist nur, dass wäh- rend des ganzen Krankheitsverlaufes Verminderung der Pulsfrequenz nie nachzuweisen war.

Ob ein zweiter operativer Eingriff quoad vitam von Erfolg gewesen wäre, ist nicht wahrscheinlich, denn es ist doch sehr fraglich, ob trotz der ausgedehnten Freilegung der hinteren Schädelgrube, wie sie hier die Lage der perisinuösen Knochencaries bedingt hätte, der zweite, tiefer liegende Abscess zu unserer Erkenntniss gebracht worden wäre und die enge Fistel, mittelst welcher er mit dem kleineren, oberfläch- licher gelegenen Abscess communicirte, hätte kaum genügt, eine wirk- same Drainage zu ermöglichen, dazu kommt, dass in Rücksicht auf die Lage des Hinterbornes des Seitenventrikels ein so tiefes Einstechen des Scalpelles, wie dies beim Schläfenlappenabscess erlaubt ist, nicht statthaft gewesen und der tiefer liegende Abscess also nicht eröffnet worden wäre.

202 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

Benutzte Litteratur.

l. Körner, die otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter. Frankfurt 1896.

2. Jansen, Ueber otitische Hirnabscesse. Berl. klin. W. 1891, No. 49.

3. Bezold, Die Erkrankungen des Warzentheiles in Schwartze’s Handbuch der Ohrenheilkunde. Leipzig 1893.

4. Blau, Jahresbericht über die Leistungen in der Ohrenheilkunde während der Jahre 1892 bis 1894. Leipzig 1896.

5. Schmiegelow, Beiträge zur Diagnose und Behandlung der otitischen Him- abscesse. Zeitschr. f. Ohrhlkd. Bd. XXVI, p. 286, III. Fall.

6. Mathewson, Referat Arch. f. Ohrheilkunde. Bd. XX, p. 60.

7. Hansberg, Zur Technik der Trepanation des Schädels beim otit. Hirnabscess. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXV.

8. Meyer, Lehrbuch der physiologischen Anatomie des Menschen. Leipzig 1856.

9. Schwartze, Arch. f. Ohrheilk. Bd. XXXVII, p. 149.

10. L. Treitel, Ein Fall von multiplem otit. Hirnabscess nebst einer Statistik aus dem path.-anat. Institut zu Berlin. Zeitschr. f. Ohrheilk. Bd. XXVII, p. 26.

11. Feinberg, Berl. kl. Wochenschr. 1869, No. 22.

12. Edinger, Bau der nervösen Centralorgane. Leipzig 1893.

IX.

Bericht über die Wirksamkeit der Klinik und

Poliklinik für Ohren-, Nasen-, Schlund- u. Kehl-

kopfkrankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenhagen für die Jahre 1888— 1893.*)

Von Oberstabsarzt Ad. Levy, Chef der Klinik.

Mit 1 Abbildung im Text.

Den Bemühungen des dänischen Sanitätscorps ist es gelungen, in Kopenhagen die Errichtung einer Klinik und Poliklinik für ohren-, nasen- und kehlkopfkranke Soldaten und deren Frauen und Kinder durchzu. setzen. Dieses, in seiner Art bis jetzt einzig dastehende Institut wurde am 10. April 1888 eröffnet. Die Klinik verfügt über zwei grosse Krankensäle und zwei Zelte mit zusammen 42 Betten. Reichen die Betten nicht aus, so können auch noch Kranke in andere Säle gelegt werden. Ausserdem ist ein Consultationszimmer und ein Kontor vor-

*) Mit Erlaubniss des Herrn Verfassers habe ich diese Arbeit gekürzt und den nicht in unsere Zeitschrift gehörenden laryngologischen Theil weggelassen. Körner.

f Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenhagen. 203

handen. Für Assistenz durch Militärärzte ist gesorgt. Ein gutes In- strumentarium ist vorhanden.

Von 1838—1893 wurde die Klinik von 3156 Männern, 138 Frauen una 481 Kindern, im Ganzen von 3875 Kranken aufgesucht.

Nachdem die Klinik mehr und mehr zwischen dem Personal des Heeres und der Flotte bekannt wird, sorgt dies auch dafür, sich so schnell als möglich und gleich im Anfang der Krankheit sich an uns zu wen- den, welches nicht allein eine deutliche Abnahme in den ernsteren Fällen, welche eingelegt werden, bewirkt hat, sondern diese verlaufen, dadurch dass sie schneller unter Behandlung kommen, verhältnissmässig milder und weniger complicirt als in den ersten Jahren.

Folgende Krankheiten wurden behandelt.

Ohrkrankheiten. Das äussere Ohr und der Ohrgang. Krankheit Krankenhaus Poliklinik Im Ganzen. Aspergillus 2 2 Cerumen obturans 15 327 342 Congelatio aurium 1 1 Corp. alien. meat. audit. ext. 5 9 14 Corp. alien. lobuli auris 2 2 Eczema auris 2 17 19 Furunculosis meat. 63 120 183 Herpes auris 1 l Necrosis meat. audit. ext. 1 1 Neuralgia 1 1 Otitis ext. acuta 21 22 43 Otitis ext. chron. 8 3 LI Polypi, oxostoses et papulae meat. 6 3 9 Ulcera meat. 6 4

An Cerumen obturans wurden 342 Fälle behandelt, c. 9,3 p. Ct. von der Totalanzahl der Klinik.

- Die Basis des Pfropfens zeigte sich bei 13 als ein Stück Kautabak, bei 4 eine Erbse, und bei 2 ein vergessener Watepfropfen.

Fremde Körper im Ohre wurden bei 3 Kindern extrahirt: zweimal handelte es sich um Erbsen, welche leicht ausgespritzt wurden, der dritte Fall zeigte sich dagegen ernstlicher.

Ein sechsjähriger Knabe hatte sich ein Holzstückchen ins Ohr ge- steckt. In der Stadt waren mehrere vergebliche Extractionsversuche gemacht, und es zeigte sich bei der Untersuchung, dass es durch den vorderen obersten Theil des Trommelfells in die Trommelhöhle hinein- gedrückt worden war. Es glückte unter Chloroformnarkose, es mit

204 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

einer Listerschen Zange zu fassen und zu entfernen. Es zeigte sich als ein Stück rauhes Holz, ca. 1!/,cm lang und !/,cm in Diameter, Es wurden Einträufelungen von Mentholspiritus 1: 100 gebraucht, und Occlusion. Das grosse Loch im Trommelfell schloss sich im Laufe von 8 Tagen, ohne Suppuration, und ınit vollständigem gutem Hörvermögen.

2 Fälle von so gut als occludirenden. etwas stieligen Extosen von der hinteren Ohrgangswand, wurden leicht durch Meisseloperation ohne Komplicationen entfernt und mit retablirtem Hörvermögen. Die Opera- tionen wurden ohne Chloroform gemacht, nach einer Einträufelung von einer ca. 30 "/, Cocainauflösung im Ohrgange.

Bei einer luetischen Frau fand man vorne im Meatus eine Gruppe flache Pappeln, welche bei localer und antisyphilitischer Behandlung schwanden.

Ulcera syphilitica wurden bei zwei Frauen gefunden; bei der einen 2, bei der anderen eine Ulceration. Bei beiden zeigte sie sich bogenförmig, ca. !/, Zoll in Diameter mit einem grauartigen schmutzigen Ueberzug, mit gleichzeitiger Geschwulst, und einer bedeutenden Ein- schmälerung des Ohrganges. Sie schwanden auch leicht durch antisy- pbilitische Behandlung im Laufe eines Monats. Syphilis scheint überhaupt sehr gewöhnlich im äusseren Ohre zu sein und soll, nachdem was die Specialisten in dieser Krankheit behaupten, sich hier zeigen, selbst wenn man sie sonst an keiner anderen Stelle findet.

Trommelfell. Krankheit. Krankenhaus. Poliklinik. Im Ganzen. Myringitis acut. et subacut. 64 121 185 Myringitis chron. 8 14 22 Ruptura traumat. mbr. tymp. 18 16 ° 34

Die Zahl der acuten Myringiten ist ziemlich gross. und scheint bei den Meisten hervorgerufen durch den Einfluss des kalten Wassers beim Baden. In 21 Fällen gab der Patient selbst an, die anfangende Irritation gefühlt zu haben nach Reinigung des Ohres durch eine Haar- nadel oder ein Holzstückchen. In einem Falle erschien sie nach Ein- träufelung von Patchouli bei einer Patientin, welche fand, dass sie weniger angenehm aus dem Ohre roch, und deshalb nach diesen wohl- riechendem Corrigens gegriffen hatte. Bei den meisten fand man ein- zelne mit gelber Flüssigkeit gefüllte Bullae.

Bei 3 mit Influenza zeigten sich sehr grosse schlaffe blutgefüllte Blasen, welche theilweise eintrockneten, theils punktirt wurden mit Aus- leerungen von fliessendem Blut.

f. Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kvpenhagen. 205

Die Mehrzahl von den chronischen Myringitiden (2) rührten von Irritation der Cerumenpfröpfe her, von civilen Aerzten ausserhalb des Krankenhauses ausgespritzt. Der 3. Fall war verschuldet durch ` eine Neigung des Patienten, sich wegen Gesichtsneuralgie Kampher in die Ohren zu stecken. Die Granulationen, welche sich bei dem Einem sielig zeigten, wurden leicht entfernt, theilweise durch Galvanokauteri- sation, theils durch Touchirung mit Lapis in Substanz, und bei aller wurde vollständige Genesung erreicht.

Rupturen von dem Trommelfell waren am häufigsten (29) indirekte, hervorgerufen durch Detonationen von Gewehren oder Kanonen unmittelbar an den Ohren; mehr direkte (entweder durch Ohrfeigen von Kameraden, Commandirenden oder durch Fallen auf die Ohren) nur 5. ` Die indirekten zeigten gern multiple Rupturen, oft sehr grosse, so eine welche vorne und parallel mit dem Hammer lief, hinweg über den Processus brevis, ganz herunter nach der Insertion des Trommelfells, und so dass die gelbliche Schleimhaut der Trommelhöhle deutlich zu sehen war.

Im Gegensatz zu dem, was sonst angerathen wird, sie ganz in Ruhe zu lassen, behandelten wir sie doch mit Spiritus concentratus, und hatten Vergnügen davon, denn selbst bei grossen und multiplen Perforationen dauerte die Heilung nicht mehr als 8 Tage und was sich als das Wesentlichste zeigte, sie heilten alle ohne Suppuration, welches wohl bei grösseren die Regel ist. Selbstverständlich waren alle Patienten bettlägerig bis die Heilung eingetreten war.

Das Mittelohr.

Krankheit. Krankenhaus. Poliklinik. Im Ganzen.

Otitis media acuta catarrh. 86 -. 342 428 ` e subacuta catarrh. 9 21 30 « acuta catarrh. in chron. 12 44 56 « chron. catarrh. 180 187 367 « acuta suppurativa 281 304 585 « chron. suppur. 149 106 255 « acuta suppur. in chron. 24 54 78 Caries partis petrosae 1 ` 3 14 Mastoiditis 10 10 Seq. otit. med. acut. catarrh. 2 4 6 e e « chron. supp. 88 105 193

Bei der Behandlung der catarrhalischen sowohl acuten als chronischen Otitis media haben wir eine wesentliche Veränderung eingeführt und wie es aus den vorliegenden Resultaten hervorgeht, eine bedeutende Verbesserung und Erleichterung sowohl für den Patienten als für den Arzt, und dann namentlich für den ersteren, indem wir in den letzten 4 Jahren beinahe vollständig den Tubakatheter abgeschafft.

206 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

haben und statt dieses Instrumentes den Gebrauch eines etwas modifi- cirten Siegle’schen Trichters eingeführt haben. Wir wissen, dass dieses ein dreister, beinahe revolutionärer Schritt ist, aber zu unserer Ver- theidigung für diese scheinbar etwas unerlaubte Behandlungsweise als alleinherrschend bei diesen Krankheiten dient, dass wir mit 700 ge- nesenen oder sehr gebesserten Patienten hervortreten können, ohne dass unsere Methode bei einem einzigen Patienten eine weniger gute Kom- plication bewirkt hätte, oder irgend etwas, welches uns davon abschrecken könnte, mit der durch einen langen Zeitraum geübten Methode fortzu- fahren. Im Gegentheil sind unsere Beoba’htungen von Anfang an er- muthigend gewesen.

Der Tubakatheter ist im Allgemeinen schwer einzuführen, auch für Specialisten bei abnormer Gestaltung der inneren Theile der Nase nicht immer leicht, zuweilen unmöglich, aber namentlich für den Patienten ist die Einführung, selbst mit der leichtesten und meist geübten Hand. doch nie ohne Belästigung, und oft so unangenehm und peinlich, dass er es oft vorzieht auf die Behandlung zu verzichten.

Was uns bewog Siegle’s Trichter bei diesen catarrhalischen Krank- heitsformen in dem WMittelohr zu gebrauchen, hat folgenden Grund. Wenn wir mit diesem Apparate die Beweglichkeit des 'Trommelfelles prüften, versuchten Adhärenzen zu entdecken, oder ähnliches, fanden wir fast immer, dass das Hörvermögen nach der Benutzung dieses In- strumentes, welches Verdünnung in der Luft des Ohrgangs hervorbringt undalso das Trommelfell mit der Ohrknöchelchenkette nach aussen zieht, mehr oder weniger gebessert war, und dass diese Verbesserung sich kürzere oder längere Zeit hielt.

Wenn wir früher den Ausdruck gebrauchten, dass es ein dreister Schritt war. Siegle’s Trichter bei diesen Affeetionen zu benutzen, kam diese Bezeichnung «durch den Gedanken, dass schon mehrere In- strumente vorliegen, welche darauf ausgehen, Luftverdünnung im Ohr- gang bei Katarrhen im Mittelohre zu schaffen, und welche, dadurch dass sie Luft durch die Tuba hereinsaugen, die fehlende Ventilation vom Mittel- ohre zu Stande bringen, und eine bessere Stellung von der nach innen gesaugten Ohrknöchelchenkette bewirken, so wie Clevelands Apparat, Delstanches Rarefacteur, Lucae’s Ballon, u. s. w. Andere Apparate gehen darauf aus, auch eine massirende Wirkung auszuüben, so z. B. Lucae's federnde Drucksonde u. m. Aber alle diese Apparate haben theilweise mit den Schmerzen, die sie hervorrufen, zu kämpfen gehabt, theils hat man auch von den unglücklichen (suppurativen) Fällen, die sie hervorgerufen haben sollen, berichtet. Sie sind deshalb theilweise von den meisten Specialisten verlassen. Aber bei der Anwendung von Siegle’s Trichter haben wir in dem genannten langen Zeitraum nie einen Fall gesehen, wo unsere Behandlung weniger gut gewirkt hätte, im Gegentheil haben wir nur bei all den vielen Patienten Freude von der Application gehabt.

f. Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenhagen. 207 |

Der Apparat, welcher ja bekanntlich ein Ohrentrichter ist, in dessen breiteres Ende ein planes Glas ein- gefalzt ist, dessen anderes schmales Fig. 1. Ende, welches im Ohrgange einge- führt wird, von einem Stück Gummi- rohr umgeben ist, um luftdicht zu schliessen, hat auf der Seite eine Oefinung, woraus ein längeres Stück Gummirohr hängt. Dieses letztere führt man in seinem Mund herein, nachdem man den Öhrentrichter bis zum knochigen Theil des Ohres her- eingeführt hat, und man saugt dann die Luft aus dem Gummirohr, wo- durch sie im Ohrgange verdünnt wird, man sieht dann das Trommelfell mit der Ohrknöchelchenkette nach aussen rücken.

Hört man auf mit dem Saugen, treten diese Theile wieder theil- weise auf ihren Platz, aber auch nur theilweise, indem man namentlich nach mehreren Saugungen, aber auch schon nach der ersten, entdecken wird, dass die Stellung des Trommelfells besser geworden ist, die per- spectivische Verkürzung des Hammerstiels kleiner, die Spaltungen im Lichtreflex verschwunden, die Gefässe mehr blutgefüllt, und vor Allem der Patient hört besser. Das sieht man natürlich nur bei Tubakatarrhen ‚u. leichteren acuten katarrhalischen Otitiden, bei chronischen katarrhalischen mit Verdickungen der Membran fehlen eine oder mehrere von diesen durch die Saugung hervorgerufenen Veränderungen. Dass die Luft durch die Tuba hereinströmt, kann man durch ein Otoskop hören, entweder im Ohre des Patienten angebracht oder mit dem einen Ende in einem Loche im Trichter festgemacht. Man kann dann, wenn die Luft ein- strömt, sich zugleich eine Meinung bilden über die Beschaffenheit des Secrets. Sie dringt immer bedeutend kräftiger bei diesem Instrument ein, als durch die gewöhnliche Benutzung vom Tubakatheter. Wenn man diese Saugungen mehrere Male nach einander wiederholt, wird durch diese Behandlungsweise gleichzeitig eine Massagewirkung auf die Arti- culationen des Knöchelchen hervorgerufen, und, indem die Luft kräftig in der Trommelhöhle hereindrängt, wird das angesammelte Secret über eine grössere Fläche verbreitet, wird dadurch leichter resorbirt, sowie die Circulationsverhältnisse auch verändert werden, namentlich das Ver- hältniss der Lymphgefässe.

Der Gebrauch des Apparats bietet ausserdem zwei wesentliche Vor- theile. Man hat während des Saugens beständig das Trommelfell vor Augen und kann seine Bewegungen, Blutfüllung u. s. w. beobachten, kann auf diese Art die Wirkung des Saugens controlliren, und hat in seinem eigenen Munde ein gutes Beobachtungsmittel für die verwendete Kraft des Saugens. Man braucht nur ganz leicht und -kurz zu saugen,

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXIX. 14

208 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

dann für den Zutritt der Luft öffnen, dadurch dass man die Umschliessung der Lippen ums Gummirohr erschlaffen lässt, und diesen Process 5 bis 10 Mal zu wiederholen. Man wird dann erfahren sowohl bei den Tu- bakatarrhen, den acuten katarrhalischen, sowie den chronischen Zwischen- ohrkatarrhen von nicht zu altem Datum, oder mit nicht zu bedeutenden Veränderungen, dass der Patient erklärt, dass er besser hört, zuweilen in auffallend hohem Grade, welches durch die gewöhnlichen Methoden und Instrumente controllirt werden kann, und ausserdem, dass anwesen- des Sausen von oft sehr genirender Art sich verloren hatte, oder voll- ständig verschwunden ist. Selbstverständlich kann es auch benutzt wer- den bei mechanischer Eindrückung des Trommelfells durch grosse Cerumen- pfropfen; gutes Hörvermögen tritt dann nach einem einzelnen Saugen sofort ein.

Bei den leichteren inflammatorischen Fällen verliert sich wie bei der Katheterisation die erreichte Verbesserung des Gehörs nach 1 bis 2 Tagen. Sie muss dann wiederholt werden.

Bei stärkeren inflammatorischen Fällen benutzt man den Trichter nicht, ehe die Entzündung nachgelassen hat. Das beste Kriterium für den zu benutzenden Zeitpunkt ist Schmerzlosigkeit während der Ap- plication. Es wird dann jeder oder jeder andere Tag benutzt. Die Wirkung ist also dieselbe wie die des Tubakatheters, nur öfters mehr anhaltend, und selbstverständlich schmerzlos bei der Einführung. Ich glaube deshalb ruhig meinen Collegen dieses Instrument empfehlen zu können, welches zu ihrer Zufriedenheit durch seinen leichten Gebrauch sein wird. Es scheint auch, als ob die Heilung der Tubakatarrhe und der übrigen katarrhalischen Fälle schneller durch den Gebrauch des Instruments eintritt.

Man könnte leicht durch eine kleine Modification des Apparats den Patienten in Stand setzen, selbst die Luftverdünnungen zu gebrauchen, aber, so einladend es auch ansschen könnte, müssen wir doch entschie- den davon abrathen, da er ja doch nicht im Stande ist, sein eigenes Trommelfell zu sehen, und auch nicht versteht, die Kraft, die er beim Saugen gebraucht, zu beurtheilen.

Bei der acuten suppurativen Otitis media können wir auch ein erfreuliches Resultat notiren. Die Zahl der Patienten ist 585 ge- wesen, in den ersten 3 Jahren etwa 200, also doppelt so viele in den letzten 3 Jahren. Die Behandlung, die wir bei dieser gefihrlichen Krankheit benutzten und consequent durchführen, ist Bettruhe und dies Mittel hat seine ausserordentlich günstige Wirkung gezeigt, und ist ge- wiss der eigentliche Grund, dass wir nicht einen einzigen weniger glück- lichen Fall zwischen den ungefähr 400 zu notiren brauchen, die in den letzten 3 Jahren eingekommen sind. von welchen viele sehr heftig in ihrem Anfang gewesen sind. Wir werden wohl später 3 Ant ` meiselungen des Processus mastoideus erwähnen, aber diese waren im ersten Triennium eingekommen, und ihre Behandlung wurde in dem ersten Jahre von diesem Trinnium abgeschlossen. Sie kamen alle mit Otitis

f.Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenhagen. 209

media acuta suppurativa, welche schon längere Zeit ausserhalb des Krankenhauses gedauert haite. In den letzten 3 Jahren haben wir nicht eine einzige Aufmeiselung oder irgend eine andere Complication gehabt, welches in Wahrheit sehr glücklich genannt werden muss.

Die Paracentesen machen wir so schnell als möglich, ja wir erlauben nicht mal den Patienten nach der Untersuchung zu Hause zu gehen, um sein Zeug auf der Kaserne zu holen, indem wir ängstlich sind, dass diese Wanderung mit der Otitis auf der Grenze der Suppura- tion die Krankheit verschlimmern soll und das Resultat compromittiren, welches fast immer schlechter wird und jedenfalls mehr problematisch, wenn erst ein spontaner Durchbruch stattgefunden hat. Wir fahren auch mit unseren Spirituseinträufelungen nach der Paracentese fort, und brauchen nur Ausspritzungen, wenn das Secret übelriechend wird (blos in 10 Fällen observirt, welche alle spontan perforirt waren). Wir be- nutzen dann Sublimatausspritzungen (1: 100) 3 Mal täglich, wonach die Heilung ziemlich schnell eintritt.

Nicht ein einziges Mal sind wir durch zu frühes Schliessen der Operationswunde genöthigt gewesen, die Paracentese zu wiederholen. Aber wir machen sie auch gleich ziemlich gross, und wenn nicht Her- vorwölbung auf anderen Punkten es indicirt, dann so decliv wie möglich.

Ausser der Linderung, welche die Paracentese den Patienten ver- schafft, indem ja nach dieser Operation, wenn sie richtig gemacht ist, vollständige Schmerzlosigkeit eintritt, scheint es auch, als ob der Kranken- verlauf milder wird, und die Zeit zur Heilung bedeutend kürzer. Wir haben für das letzte Trinnium die Genesungszeit für paracentirte und spontan perforirte acute Otitiden mit folgendem Resultat verglichen.

1891:

27 Paracentesen mit Durchschnittsdauer 18,5 Tage,

28 spontan perforirte mit Durchschnittsdauer von 39,3 Tagen. 1892:

6 Paracentesen mit Durchschnittsdauer von 21 Tagen,

30 spontan perforirte mit Durchschnittsdauer von 31 Tagen. 1893:

13 Paracentesen mit Durchschnittsdauer von 13,6 Tagen,

26 spontan perforirte mit Durchschnittsdauer von 24,4 Tagen. So dass der Durchschnitt von 3 Jahren zusammen ist für Paracentesen 17,7 Tage,

für spontane Perforation 32,2 Tage, also für die letzten ungefähr die doppelte Heilungszeit als für die operirten.

Wir haben mit Willen nicht alle Paracentesen und spontane Per- forationen, welche unter unserer Behandlung gewesen sind, mitgenommen, aber nur die zum Vergleich ausgewählt, welche absolut rein gewesen sind: wo der Patient nicht zur selben Zeit an einer anderen Krankheit

14*

210 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

gelitten hat, welche die Sicherheit der Zeitbestimmung verwischen könnte, Zu Gunsten der Rechnung der Paracentesen kann noch angeführt wer- den, dass bei 3 von diesen in dieser Statistik aufgeführten, eine doppelte Paracentese gemacht worden ist, die zweite erst einige Zeit nachdem die erste gemacht worden war, wodurch die Durchschnittszeit noch mehr reducirt wäre, wenn man dies mitgerechnet hätte.

Die Paracentese präsentirt sich so als eine ausgezeichnete Opera- tion, sowohl lindernd als krankheitsverkürzend, und die gefährlichen Complicationen verhindernd, welche den Verlauf der acuten Otitis media begleiten können. Bei einzelnen Patienten haben wir einen suspecten Anlauf zur Mastoiditis, Schmerzen bei Druck, Röthe und Geschwulst der Haut gesehen, ja auch eine Pastosität über den Knochentheilen, aber alle diese Fälle haben sich verloren wenn wir ruhig den Gang der Be- gebenheiten abgewartet haben. Wir haben dann nur Einreibungen mit Unguentum cinereum 3 Mal täglich benutzt, und den folgenden Morgen das im Laufe des Tages eingeriebene mit lauwarmem Seifenwasser ab- gewaschen, Der Process ist dann immer zurückgegangen. Dies scheint gegen die frühzeitige Aufmeisselung zu sprechen. Selbstverständlich muss sie gemacht werden, wenn stärkere Üerebralerscheinungen vorkommen; halbseitige irritirende Schmerzen, unbedeutendes Uebelsein und etwas Schwindel ist in der Regel noch nicht Ursache genug um diese Opera- tion auszuführen. Nach den Temperaturverhältnissen kann man sich auch nicht richten, da diese sehr verschieden und unregelmässig sind, und ein bestimmtes Programm, auf sie basirt als Indication für die Operation, festzustellen, ist uns nicht gelungen.

Die 3 Aufmeiselungen, deren Behandlung im letzten Triennium vorging und abgeschlossen wurde. wurden alle bei Patienten gemacht, die entweder auf anderen Hospitalsabtheilungen mit ernsten Krankheiten gelegen hatten, und bei welchen die Suppuration einige Zeit gedauert hatte (2), oder die in den Dienst mit einer spontan perforirten Otitis media acuta getreten waren. Weder das Krankenverhältniss noch die Operation boten besondere Merkwürdigkeiten, sie wurden alle 3 nach 2 oder 3 Monaten mit geheiltem Trommelfell und ganz gutem Hörver- mögen ausgeschrieben.

Die chronischen suppurativen Otitiden (196) wurden wesentlich nur behandelt, insofern sie sich auf der Poliklinik einfinden konnten. Soldaten mit solchen Krankheiten wurden in der Regel gleich kassirt, oder in leichteren Dienst versetzt. Bei 30 wurde vollständige Heilung des Trommeltells erreicht.

Von Polypen im Cavum tympani zeigten sich 22 Fälle, sie wurden alle leicht mit Wildes Schlinge entfernt, der Boden mit Chrom- säure oder dem Galvanocauter geätzt.

Einen merkwürdigen Todesfall nach Ohrkrankheit muss ich in Kürze erwähnen. Der Kranke hatte eine rechtsseitige eiterige Otitis media mit Spontandurchhbruch gehabt. Dieselbe war innerhalb eines Monats mit restitutio ad integrum geheilt. 14 Tage nach der Ent-

f. Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenhagen. 211

lassung musste er wieder aufgenommen werden mit etwas Schwerhörig- keit und leichten Schmerzen in demselben Ohr, wo wir nur eine leichte katarrhalische Affection des Mittelohres entdeckten. Die Schmerzen verloren sich im Laufe des Tages, dagegen bekam er Schmerzen in der rechten Seite des Abdomen und Erbrechen mit mässigem Fieber, etwa 8 Tage lang darauf Schläfrigkeit und Schwindel ohne Kopfschmerz, zu- letzt Coma. Tod 14 Tage nach der Aufnahme. Bei der Section wurde nichts Abnormes in Abdomen gefunden, dagegen Caries in dem unter- sten Theil der Pars petrosa, und im rechten Seitenventrikel eine Menge Pus bonum. In Cavum tympani wurde eine geringe Anschwellung der Schleimhaut gefunden, kein Schleim oder Eiter. Das Trommelfell war geschlossen. Der Eiter im Seitenventrikel enthielt den Staphylococcus aureus.

Die Perforation des Trommelfells ohne Caries kann nicht als den Militairdienst absolut contraindicirend aufgefasst werden, im Gegentheil kann der Aufenthalt und die Bewegung in freier Luft, welche der Dienst mit sich bringt, nur günstig auf viele Perforationen wirken. Uebereinstimmend hiermit haben wir, als man eine militairische Commi- sion anordnete, welche ein neues Regulativ über die Dienstfähigkeit der Wehrpflichtigen ausarbeiten sollte, versucht, unseren Anschauungen einen Ausdruck zu geben durch eine Veränderung des alten Regulativs. Dies hoffen wir ist uns geglückt, und das neue Regulativ B 14 lautet auch so.

IB. 14. Absolut unbrauchbar sind Mannschaften mit: 1. Unheilbarer Perforation beider Trommelfelle, ohne Rücksicht auf das Hörvermögen ;

2. Unheilbarer Perforation eines Trommelfells mit schlechtem Hör- vermögen (gewöhnliche Sprache 2 Meter oder weniger):

3. Caries oder Nekrosis petrosa im Ohr.

Il B. 14.

Brauchbar ałs Militairarbeiter sind Leute mit: Unheilbarer Perfo- ration des Trommelfells auf einem Ohre mit mittelgutem Hörvermögen (gewöhnliche Sprache im Abstande von 2 bis 4 Meter).

III B. 14.

Brauchbar zu technischen Abtheilungen, Pferdeaufpassern, Train- soldaten, Gesundheitstruppen sind Leute mit unheilbarer Perforation mit gutem Hörvermögen (gewöhnliche Sprache auf wenigstens 6 Meter).

Sowohl das preussische sowie das französische und zum Theil auch das österreichische Regulativ sind diesen Weg gegangen, selbst wenn sie auch nicht auf diesem Gebiet vollständig so weit gehen.

312 Ad. Levy: Bericht über die Wirksamkeit der Klinik u. Poliklinik

Das innere Ohr.

Krankheit. Krankenhaus. Poliklinik. Im Ganzen. Hamorrhagia auris int. 1 2 3 Morbus Meniere 2 —- 2 Neuralgia auris 1 13 14 Surditas 1 1

Beide Fälle von Morbus Menière zeigten sich mit den charac- teristischen Symptomen, sie genasen im Laufe von 14 Tagen durch grosse Chinindosen, ca. 3 Gramm täglich.

Die meisten Fälle von Ohrneuralgie (20) waren durch cariöse Zähne hervorgerufen. 1 Fall bekam jeden anderen Tag Sehmerzen in und um die Ohren und furchtbares Ohrensausen; diese Neuralgie wurde durch- aus nicht von Chinin beeinflusst, schwand aber auf Arsenik. Die zwei übrigen Neuralgien zeigten sich bei Frauen, die keine Veränderung in der Trommelhöhle hatten. Die litten an paroxysmenweise auftretenden Schmerzen, geringer Abnahme des Gehörs und starkem Sausen auf beiden Ohren. Beide genasen vollständig, die eine nach Hebung einer Retro- flexio uteri durch ein Pessar, die zweite nachdem sie einen Uterinpolyp losgeworden war, welcher ihr Blutungen verursacht und sie ziemlich anämisch gemacht hatte.

Der eine Fall von Surditas zeigte sich unter einer Influenza, die Trommelfelle waren vollständig normal, also einer von den Fällen, wo der Arzt nichts sieht und der Patient nichts hört, aber übrigens ohne jede Erscheinung vom Centralnervensystem. Das Gehör besserte sich nach einem Monate etwas.

Nasenkrankheiten. Krankheit. Krankenhaus. Poliklinik. Im Ganzen. Caries septi narium 4 1 5 Eczema 8 12 20 Empyema antr. Highm. 3 4 7 Epistaxis chron. 8 27 35 Epistaxis acuta 4 21 25 Erysipelas 3 3 Fissura aperturae nasi 3 4 Furunculosis 6 19 25 Polypus 19 13 32 Rhinitis chron. hypertr. et atrophicans 26 117 143 Rhinitis luetica l T 8 Sequ. contus. nasi 2 2 Periostitis ossis nasi -— 1 l Tumor nasi 1 l Ulcera scrophulosa nasi 5 5

f. Ohren- etc. Krankheiten des Garnisonkrankenhauses zu Kopenbagen. 213

Sowohl dieacuten wiediechronischen Nasenblutungen haben beinahe bei allen betreffenden Kranken ihren Ausgangspunkt vom vorderen unteren Theil des Septums.

Nur bei zwei Patienten kam die Blutung anderswo her; bei einem aus der vorderen Spitze der linken Concha media, wo man grosse Varicen sah, bei dem anderen fand man eine nicht unbedeutende Telean- giektasie oberhalb des gewöhnlichen Ortes der Blutung. Beide Kranken wurden vollständig durch den Galvanocauter geheilt. Man darf bei der Diagnose in solchen Fällen nicht zu flink mit Cocain bei der Hand sein, um einen freien Ueberblick in der Nase zu bekommen, da dann solche Geschwülste vollständig zusammenfallen. Dies war eben bei dem letzt erwähnten Patienten mit Teleangiektasie ausserhalb des Hospitals ge- schehen und die Quelle der Blutung war nicht entdeckt worden.

Schlund und Kehlkopfkrankheiten.

Krankheit. Krankenhaus. Poliklinik. Im Ganzen. Angina catarrh. 12 13 ` 25 Angina croup.. 5 1 6 Angina diphth. 5 3 8 Angina phlegmon. 5 4 9 Angina follicularis 18 18 Corpus alienum faucicum 5 5 Globulus | 5 5 Hypertrophja tonsillaris 4 14 18 Pharyngitis acut. 6 6 Pharyngitis chron. 16 84 100 Laryngitis acut. et subacut. 173 61 234 Laryngitis chron. 14 24 38 Laryngitis tuberculosa 3 7 10 Tumores adenoideae cavi nasopharyng. 2 29 31 Corpus alienum laryngis 2 2 Tumor pharyngis 2 2 Polypus laryngis 5 5

Die adenoiden Vegetationen in den Naso-pharyngealräumen wurden alle mit Gottsteins Messer entfernt. In keinem Falle kam ein Recidiv.

Von Operationen sind im Laufe der Jahre in der Klinik und Poliklinik im Ganzen 487 ausgeführt. Alle die Operirten genasen. In der vor- deren Reihe stehen die Paracentesen mit einer Anzahl von 204, Extrac- tion von Ohrpolypen mit 45 und Nasenpolypen mit 32, Operation ade- noider Vegetationen mit 31, Aufmeisselung des Processus mastoideus mit 11, galvanocaustische Behandlung des Schlundes mit 31, der Nase mit 65 Fällen. Die übrigen Fälle sondern sich in weniger bedeutende und wichtige Gruppen.

914 0.Körner: Eine Bemerkung tb. Symptome d. Phlebitis d. Sin. cavern.

X.

Eine Bemerkung über die Symptome der Phlebitis des Sinus cavernosus.

Von O. Körner in Rostock.

Als Symptome der Erkrankung des Sinus cavernosus werden allgemein angeführt: Exophthalmus, stärkere Füllung der Stirnvenen, Neuritis nervi optici und Augenmuskellähmungen. Man ist darüber einig, dass die entzündliche Verstopfung eines anderen Sinus niemals den genannten Symptomencomplex, ja nicht einmal eines der genannten äusserlich wahrnehmbaren Symptome, höchstens Stauungserscheinungen im Augenbhintergrunde hervorruft.

Demgegenüber sagt Hessler in seinem Buche »Die otogene Pyämie« auf Seite 434 in gesperrtem Drucke:

»Demnach entstehen entgegen den Lehren von Robin, Urban- tschitsch, Körner und Eulenstein Stauungserscheinungen am Auge in Folge Stauung in der Vena ophthalmica schon bei reiner Thrombo- phlebitis des Lateralsinus, und dann sind die Augenmuskellähmungen nicht abhängig vom Druck!) des Thrombus im Sinus cavernosus, nicht. charakteristisch für eine Thrombophlebitis des letzteren, im Gegen- theil häufig bei reiner Thrombophlebitis des Sinus cavernosus vorge- kommen.«

Bei der Wichtigkeit der Sache scheint es mir nöthig, darauf hin- zuweisen, dass diese überraschende Behauptung durch keine einzige ein- wandsfreie Beobachtung erwiesen ist.

Geht man Hessler’s Quellen nach (l. c. 357—364) so ergiebt sich, dass in keinem der von ihm als beweiskräftig angesehenen Fälle der anatomische Nachweis der Unversehrtheit des Sinus cavernosus er- bracht ist, dass aber Hessler ein Nichterwähnen von Veränderungen an diesem Sinus dem Nachweisse gleichachtet, dass derselbe normal ge- wesen sei! Die betreffenden Fälle sind also für die Entscheidung dieser Frage zum mindesten unbrauchbar, und vorläufig muss die alte Ansicht das Gegentheil von Hessler’s Annahme zu Recht be- stehen bleiben. Auch im Einzelnen sind Hessler bei der Entschei-

1) Jansen hat mit Recht betont, dass nicht der Druck des Thrombus im Sinus cavernosus zu Augenmuskellähmungen führt, sondern dass dieselben durch entzündliche Reizung der dem entzündeten Sinus benachbarten Meningen ver- ursacht werden. Körner.

J. Hegetschweiler: Bezold’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung. 215

dung dieser Frage schwere Irrthümer mit untergelaufen. So citirt er auf S. 362 einen auf S. 143 ausführlich referirten Fall von Schwartze als »Oculomotoriuslähmung bei reiner Thrombophlebitis des Lateralsinus«, obwohl sich »ein Eiterthrombus in beiden Sinus cavernosi« fand, und auf S. 359 zählt er einen Fall mit Lagophthalmus durch Facialislähmung (Fall von Hoppe, ref. auf S. 180) als Exophthalmus durch Phlebitis des Sinus transversus.

XI.

Ueber Bezold’sche Mastoiditis mit pyämischen

Erscheinungen. Von J. Hegetschweiler in Zürick.!) Mit 1 Temperaturtabelle (Tafel I/II).

Veranlassung zu diesem Thema giebt mir ein Fall von acutem Empyem des Warzentheils, das unter ausgesprochen pyämischen Erscheinungen verlief und in der von Bezold beschriebenen Weise zum Durchbruch an der innern Wand des Proc. mast. führte.

Die Krankengeschichte ist kurz folgende: Ein 64 jähriger, kräftiger Mann erkrankte am 14. September v. J. unter Frost und Schmerzen im linken Ohr und im Kopf. Nach 3 Tagen trat ein serös -eitriger, hie und da mit Blut vermischter Ausfluss ein, gegen welchen der Hausarzt Ausspritzungen mit Borwasser und häufige An- wendung des Valsalva’schen Versuches empfahl. Mitte October er- folgte der erste Schüttelfrost, der dem bis dahin noch ambu- lanten Kranken den Ernst seiner Lage zum Bewusstsein brachte, so dass er sich niederlegte.e Der Frost wiederholte sich noch zweimal am zweitfolgenden Tage. Nach weiteren 3 Tagen (ca. am 20. Oct.) stellten sich Schmerzen in der linken Schulter und in der linken Lendengegend ein.

Am 4. November v. J., als ich den Patienten das erste Mal sah, nahm ich folgenden Befund auf:

Kräftig gebauter, seinem Alter entsprechend aussehender Mann, Sensorium vollkommen klar, Fieber mässig (M. 37,5, A. 38,9). Die linke Schulter ist geschwollen, bei Bewegung und auf Druck empfindlich; ebenso klagt der Kranke über einen dumpfen Schmerz in der Tiefe der

1) Vortrag, gehalten in der otolaryngol. Section des schweiz. ärztl. Central- vereins in Basel, Ende Mai 1896.

216 J. Hegetschweiler: Bezold’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung.

linken Lendengegend. Die innern Organe zeigen normalen Befund, auch keine Milzschwellung. Nasen- und Rachenschleimhaut bieten das Aussehen eines chronischen Catarrhs.

Ohrbefund. Profuse eitrige Otorrhoe links. Nach der Reinigung des Meatus zeigt, sich das Trommelfell in der unteren Hälfte einge- sunken; im h. o. Quadranten ist eine kleine, hochgelegene Perforation zu sehen, aus der nach jeweiligem Abwischen des Secrets in rascher Folge ein neuer Tropfen hervorquillt. Politzer macht lautes Perforations- geräusch. Der Warzentheil ist in seiner äussern Bedeckung unverändert, aber auf Druck, namentlich über der Spitze, etwas empfindlich. Längs der Vena jugul. ext. ist weder eine strangförımige Härte, noch eine In- filtration fühlbar.

Diagnose. Die initialen Schüttelfröste, die Fiebercurve mit ihren regelmässigen abendlichen Temperatursteigerungen !) und die Metastasen

in der linken Schulter und in der linken Regio lumbalis denn als solche waren auch die dumpfen Schmerzen in dieser Gegend zu deuten liessen sich bei bestehender Otitis media purulenta nur durch

die Annahme einer pyämischen Infection des Gesammtorganismus von einem Eiterherd im Schläfenbein aus erklären. Wo dieser Herd zu suchen sei, ob in einem Sinus ich dachte zunächst an eine Throm- bose des Sinus transversus oder in einer Knochenvene (Osteophlebitis) war nicht ohne Weiteres zu entscheiden. Gegen eine Sinusthrombose sprach vor allem, dass trotz wiederholter und genauer physikalischer Untersuchung der Lungen weder von mir noch vom behandelnden Collegen eine krankhafte Veränderung der Lungen nachgewiesen werden konnte. Auch die subjectiven Symptome einer pulmonalen Affection fehlten gänzlich. Ebenso sprachen die Metastasen der linken Schulter und Lendengegend mehr für einen osteophlebitischen Process; denn nach der allgemeinen Ansicht sind es hauptsächlich die kleinern Emboli aus den Knochenvenen, welche den Lungenkreislauf zu passiren ver- mögen und so zu Infarcten in peripheren Organen Anlass geben.

Auf Grund dieser Ueberlegungen fühlte ich mich verpflichtet, den Angehörigen die Eröffnung des Warzenfortsatzes behufs Ausräumung des hier vermutheten Infectionsherdes vorzuschlagen.

Leider wurde dieselbe trotz eindringlicher Vorstellungen über die Gefahren, welche aus der Unterlassung der Operation resultiren könnten, nicht gestattet.

1) Vergl. beilieg. Temperaturtabelle.

J. Hegetschweiler: Bezold'sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung 217

Der locale Process in der Paukenhöhle wurde durch die eingeleitete antiseptische Behandlung; unterstützt durch die Erweiterung der kleinen, hoch gelegenen Perforationsöffnung nach unten günstig beeinflusst, so dass die Secretion allmälich abnahm. Am 25. Dezember blieb das in- sufflirte Borpulver trocken, so dass ein Aufhören der ÖOtorrhoe ange- nommen werden durfte.

Weniger günstig gestaltete sich unterdessen der Allgemein- zustand. Wie Sie sich durch einen Blick auf diese Tabelle über- zeugen können, bestand vom 2.—24. November ein typisches pyämisches Fieber mit niedrigen, hie und da normalen Morgen- und hohen Abendtemperaturen. Als Quelle für dieselben mussten, nachdem die Paracentese dem in der Paukenhöhle angesammelten Eiter freien Abfluss verschafft hatte, neben einem Herd im Warzentheil die metastatischen Entzündungen resp. Phlegmonen in der linken Schulter und Lendengegend in’srAuge gefasst werden. Da sich indessen die Schmerzhaftigkeit und Schwellung der Schulter bald spontan verlor, fiel dieselbe ausser Betracht. Dafür machte sich die andere Metastase umso bemerkbarer. Sie war, wie der weitere Verlauf lehrte, schuld an den hohen Temperaturen im Monat November.

3—4 Tage nach dem letzten Schüttelfrost setzten die Schmerzen gleichzeitig in der linken Schulter und in der Tiefe der Lendenmusculatur ein. Während Patient im Beginn bloss über einen dumpfen Schmerz in der Lendengegend klagte, wurde allmälig ein intensiveres und schliesslich unerträgliches Bohren. empfunden.

Endlich zeigte auch die äussere Hautdecke eine ca. hand- tellergrosse Vorwölbung gegenüber der andern Seite und konnte man in der Tiefe Fluctuation nachweisen. Ich entschloss mich im Einver- ständniss mit dem Hausarzte, um allfälligen Senkungen in die Becken- höhle vorzubeugen, zur frühzeitigen Eröffnung des tiefliegenden Abscesses. Die Stelle der deutlichsten Fluctuation bestimmte die Schnittführung: Ca. 3 Finger breit nach links von der Wirbelsäule und mit ihr parallel von der Crista ossis ilei in der Ausdehnung von ca. 10 Centimetern nach oben. Nach Durchtrennung der Haut und der dicken Fettschicht erscheint die Fascia lumbodorsalis. Dieselbe wird 2 cm. weit eröffnet und die Wunde stumpf mit der Kornzange dilatirt, wobei sich rahmiger Eiter entleert. Dann wird die Fascie in der ganzen Ausdehnung der äussern Wunde mit dem geknöpften Bistouri gespalten und die Wundhöhle mit Jodoformgaze austamponirt.

218 J. Hegetschweiler: Bezolz’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung.

Wie Sie sich durch einen Blick auf diese Temperaturcurve über- zeugen können, war Patient in den nächsten 8 Tagen vollkommen fieberfrei und scheint mir damit nachträglich der Beweis erbracht zu sein, dass die hohen Temperaturen vom 2.—24. Nov. durch diesen metastatischen Abscess bedingt waren.

Während der Nachbehandlung konnte ich mich überzeugen, dass sich der Eiter bereits nach der Beckenhöhle zu senken begonnen hatte und suchte ich dem Fortschreiten des Processes in dieser Richtung durch sorgfältige Tamponade der bereits vorhandenen Ausbuchtung der Wunde nach unten vorzubeugen.

Anfaugs December änderte sich das Krankheitsbild. Nachdem Patient schon vor einigen Tagen über Hitze und Schmerz in der linken Ferse und Fusssohle geklagt, wurde am 2. December eine ödematöse Schwellung des linken Unterschenkels, besonders um die Knöchel ent- deckt, auch war in der Tiefe der Wade eine empfindliche, strangartige Resistenz durchzufühlen. Damit stand das plötzliche Wiederansteigen der Temperaturcurve am 1. December in Zusammenhang. Die Diagnose auf entzündliche Thrombose der Schenkelvenen war somit klar, weniger klar die Art ihrer Entstehung, da dieselbe nach den vorliegenden Ver- hältnissen ebensowohl durch eine vom Lumbal- und Beckenabscess aus- gehende phlebitische Thrombose, als durch eine neue Embolie vom ursprünglichen Herd im Schläfenbein aus entstanden sein konnte. Für die erstere Annahme sprach namentlich das Auftreten jener typischen Flexionscontractur des Schenkels. wie sie für Psoasabscess characteristisch ist.

Diese neue Complication schwächte den Kranken empfindlich, es traten Delirien auf, sodass wir uns veranlasst sahen, auch quoad vitam eine zweifelhafte Prognose zu stellen. Doch überwand die kräftige Constitution des Patienten, unterstützt durch eine tonisirende Behand- lung, auch diese Complication und die Sache schien einen glatten Ver- lauf zu nehmen.

Da zeigte sich am 6. Januar 1. J., nachdem sich bereits 2 Tage vorher wieder Ötorrhoe eingestellt hatte, eine ca. nussgrosse, derbe In- filtration zwischen dem Proc. mast. und dem aufsteigenden Ast des Unterkiefers, also in der Regio parotidea. Da dieselbe in den nächsten Tagen langsam sowohl in der Fläche, als auch im Tiefendurchmesser zunahm, wurde allmälig das Oeffnen des Mundes behindert. Die ex- spectative Therapie, zu der ich in diesem Falle durch die übertriebene Operationsscheu der Angehörigen verurtheilt war, hatte wenigstens das

J. Hegetschweiler: Bezold’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung. 2]9

Gute, dass mir dabei Gelegenheit geboten war, den weitern klinischen Verlauf genau verfolgen zu können. Indem sich die Infiltration langsam nach unten und hinten ausdehnte, erreichte sie schliesslich in der erstern Richtung den Schildknorpel und in der letztern die Median- linie des Halses. Nach oben fand in der Tiefe wenigstens ihre Aus- breitung eine Schranke an den am Warzentheil sich inserirenden Muskeln.

Wie Sie sehen, haben wir hier das klinische Bild vor uns, welches zuerst von Bezold als Empyem des Warzentheils mit Ausbreitung des Entzündungsprocesses unterhalb des Proc. mast. beschrieben wurde und seither in der Fachliteratur unter seinem Namen bekannt ist. Während aber Bezold angiebt!), dass der unter einer dreifachen Muskelschicht liegende Eiterherd nur schwer nach oben durchbrechen könne, so dass die Aussenfläche des Warzentheils gewöhnlich freibleibe, war ich am 26. Januar überrascht, die äussere Bedeckung desselben, die bis dahin dem Knochen enge anhaftete, als deutlich fluctuirende Geschwulst abgehoben zu sehen. Letztere hatte sich sogar noch über den obern Ansatzwinkel der Muschel hinaus auf das Gebiet der Schuppe ausgedehnt.

Am 26. Januar perforirte dieser Abscess in den Gehörgang. Da ein ähnlicher Durchbruch des unterhalb des Warzentheils angesammelten Eiters nicht zu erwarten war, erhielt ich endlich die Erlaubniss, den- selben zu Öffnen. Es geschah dies am 28. Januar mittels eines grossen Bogenschnittes um den Kieferwinkel. Den hintern Theil des Bogens führte ich ziemlich hoch hinauf, und schnitt einen am Proc. mast. inserirenden Strang (M. sternocleidom.) mit dem geknöpften Messer durch, un dem Eiter nach unten freie Bahn zu schaffen, so weit dies ohne Aufmeisselung des Warzentheils was mir eben nicht gestattet wurde möglich war. |

Nach diesem Eingriff hörte die Otorrhoe binnen 8 Tagen ohne weitere Behandlung auf und ist der Gehörgang seither trocken ge- blieben. L. Flspr. 20 cm., Rinne + 15 Sec.

Die tiefe Halswunde heilte unter Jodoformgaze-Verband bis auf eine kleine noch secernirende Fistel zu. Auch die Wunde in der Lendengegend hat sich bis auf cinen engen, aber noch immer secernirenden Hohlgang geschlossen.

1) Vergl. irch von Schwartze, Bd. II, S. 320 und Dacie med. Wochensdiniit. Jahrgang 1881, S. 383.

230 J.He getschweiler: Bezold’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung.

Epikrise.

Es möchte Ihnen vielleicht unberechtigt erscheinen, mit einem einzelnen Fall von Pyämie nach acuter Otitis media vor Ihr Forum zu treten, nachdem Hessler erst kürzlich in seinem Buche über otogene Pyämie ein casuistisches Material von 398 ähnlichen Fällen zusammen- getragen hat. |

Doch glaube ich, dass das Gesammtbild der pyämischen Erkrankung selten eine solche Mannigfaltigkeit der Symptome aufweist, wie in vor- liegendem Falle.

Wenn wir von den initialen Schüttelfrösten und der ausgesprochen pyämischen Fiebercurve mit den niedrigen, oft normalen Morgen- und hohen Abendtemperaturen als etwas Gewöhnlichem absehen, so verdienen folgende Momente eine kurze Besprechung:

L Die Metastasen. Sie kommen bei otitischer Pyämie in der Mehrzahl der Fälle (nach Hessler in 64,3°/,) zur Be- obachtung und können als pathognomonisches Symptom betrachtet werden. In unserem Falle ist vor Allem der gutartige Verlauf der Gelenkmetastase gegenüber dem insidiösen und protrahirten Verlauf der Muskelmetastase in der Lendengegend hervorzuheben. Die bacterio- logische Untersuchung ergab Folgendes:

Die directe Untersuchung des Ohreiters auf Deckglaspräparaten wies zahlreiche Diplococcen mit deutlicher Kapsel nach, welche sich nach Gram färbten.

Vom Eiter des Lendenabscesses, von dem gleich nach der Eröffnung unter antisept Cautelen eine Probe in eine sterilisirte Pipette aufge- fangen wurde, wurde auf Gelatine überimpft und letztere in Petri- Schalen ausgegossen. Die hier gewachsenen Colonien stellten eine Rein- kultur von Streptococcen dar. Da diese nur in kurzen, geraden oder wenig gebogenen Reihen und in Diplo-Anordnung erschienen, so ist die Annahme, dass es sich hier um denselben Mikro-Organismus handele, wie im Ohreiter eine sehr wahrscheinliche, umso mehr, als die differential-diagnostischen Merkmale zwischen Diplococcen und Strepto- coccen heutzutage fragliche sind.

2. Die Thrombose des linken Unterschenkels. Sie ist, wie schon hervorgehoben, wahrscheinlich auf eine von den Venen des Becken- zellgewebes auf die Vena cruralis fortgepflanzte Phlebitis zurückzu- führen. Mit ihrer Entwicklung anfangs December war ein neuer Fieber- herd gesetzt, bei dessen Elimination sich die Leistungsfähigkeit des Organismus zu erschöpfen drohte. Wie Sie aus der Fiebertabelle er-

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J. Hegetschweiler: Bezold’sche Mastoiditis mit pyäm. Erscheinung. 221

sehen, erhob sich da die Curve, mit 39,7 einsetzend, wieder auf die frühere Höhe und verlief unter regelmässigen, allmälig der Norm sich nähernden Staffeln bis zum 23. December, an welchem Tage die Abend- temperatur mit 36,4 ihren tiefsten Stand erreichte.

3. Die Bezold’sche Mastoiditis. Diese bestätigte unsere gleich Anfangs geäusserte Annahme eines osteophlebitischen Processes in dem Warzenzellen, wie sie auch die Nothwendigkeit einer Eröffnung derselben ad oculos demonstrirte. Ihre Entstehung war begünstigt durch die Anwesenheit einer oder mehrerer grösserer Terminalzellen, wie sie in dem Alter unseres Patienten so häufig getroffen werden. Diese haben durch Erleichterung des Durchbruchs nach unten eine Art Spontanheilung ermöglicht und dadurch den operationsscheuen Patienten vor der Gefahr eines Durchbruchs des Empyems in die Schädelhöhle gerettet.

Das zwischen 36,3 und 38,7 schwankende, meist intermittirende Fieber im Monat Januar war augenscheinlich veranlasst durch das Weiterspielen des Eiterungsprocesses in den Weichtheilen an der Aussen- fläche der Pars mastoidea nach dem Anfangs Januar erfolgten Durch- bruch. Interessant war dann das rasche, spontane Sistiren der Otorrhoe mit Verschluss der Perforation, nachdem dem angesammelten Eiter durch einen ausgiebigen Schnitt und Ablösung des Sternocleidomast. freier Ab- fluss verschafft worden war.

Auch in diagnostischer Hinsicht scheint mir der Fall eine gewisse Bedeutung zu haben, insofern er den Satz Körners in seiner Monographie über »Die otitischen Erkrankungen des Hirns etc.« !) bestätigt: »Wenn sich zu einer acuten Mittelohreiterung trotz unge- hinderten Secretabflusses hohes Fieber mit oder ohne Fröste gesellt, so ist die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um Pyämie durch Östeophlebitis handele. Kommen dazu Gelenk-, Schleimbeutel- oder Muskelmetastasen, so wird die Diagnose sicher.« j

Schliesslich enthält er für die Therapie einen wichtigen Finger- zeig, indem er lehrt, dass, wo zu einer Otitis media acuta Schüttelfröste und Fieber sich hinzugesellen, die Er-

1) Vergl. S. 81. Zusatz von O. Körner. In der 2. Aufl. meines citirten Buches lautet der Satz richtiger: „Wenn sich zu einer acuten Mittelohreiterung trotz ungehinderten Secretabflusses hohes Fieber mit Frösten gesellt, se ist die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um Pyänıie handele. Kommen dagu Ge- lenk-, Schleimbeutel- oder Muskelmetastasen, so darf man mit grosser Wahr- scheinlichkeit eine Osteuphlebitis-Pyänie diagnosticiren.“

9932 R. Abbe: Ein Fall von Carotis-Blutung bei Nekrose des Mittelohrs.

öffnung des Warzentheils indicirt ist, auch wenn derselbe äusserlich unverändert und nicht druck- empfindlich ist. Kommt es, wie in der Mehrzahl der Fälle, ausserdem noch zur Entwicklung von Metastasen, dann ist die Unter- lassung der Operation ein Kunstfehler und nur da zn entschuldigen, wo die Einwilligung dazu von den Angehörigen nicht zu erlangen ist.

Ich habe die feste Ueberzeugung gewonnen, dass unser Patient vollständig, d. h. ohne Fistel am Warzenfortsatz und in ungleich kürzerer Frist hergestellt worden wäre, wenn der operative Eingriff gleich nach den ersten Schüttelfrösten hätte ausgeführt werden dürfen.

Gegenüber solchen Erfahrungen ist es unbegreiflih, wenn Michael!) erst operiren will, »wenn sich Symptome einstellen, welche auf hochgradige Entzündung des Knochens oder auf Uebergang des Processes auf die Meningen, auf das Gehirn oder auf den Sinus oder auf Pyämie schliessen lassen |

XII.

Ein Fall von Carotis-Blutung bei Nekrose des Mittelohrs; Operationen.

Von Robert Abbe, M. D. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Am 12. October 1895 kam in meine Behandlung ein Kind von 2!/, Jahren mit linksseitiger, seit einem Jahre bestehender, Ohreiterung, welche, soweit die Eltern sich erinnerten, spontan aufgetreten war. Der eitrige Ausfluss war übelriechend, das Kind in elender Verfassung. Das Ohr wurde mit Borsäurelösung ausgespritzt und darauf für einige Tage Jodoform-Emulsion hineingetropft, bis das Kind sich etwas erholt haben würde. Die Temperatur war anfangs 100° Fahrenheit, wurde aber innerhalb 2 Tagen normal.

Am dritten Tag, um 2 Uhr nachmittags, während das Kind ruhig im Bett lag, bemerkte die zufällig anwesende Spitalwärterin, dass Kissen und Zeug des Kindes plötzlich von Blut durchtränkt wurden, bis zu den Knieen hinunter, und dass das Blut aus dessen Ohr kam.

1) Vergl. das Referat von Körner in der Zeitschr. f. 0., Bd. XXVIII, 2. Heft. eg a e

R. Abbe: Ein Fall von Carotis-Blutung bei Nekrose des Mittelohrs. 223

Sofort verstopfte sie letzteres mit dem Finger und schickte nach dem Hausarzte, welcher einen Jodoformgazetampon einlegte. Sobald hierzu der Finger fortgezogen wurde, strömte sogleich wieder das Blut aus dem Ohre heraus. Ich sah das Kind 2 Stunden später. Es war ausser- ordentlich blass, und konnte man den Blutverlust wohl auf 6 bis 8 Unzen schätzen. Am folgenden Tage hatte es sich soweit erholt, dass man zur Operation schreiten konnte. Hinter dem Ohr zeigte sich eine alte Narbe, die nach dem Warzenfortsatze hinführte.e Meine Ansicht war, dass wir es hier mit einer Nekrose des Warzenfortsatzes oder Schläfen- beins zu thun hätten, welche zur Erosion des Sinus lateralis geführt habe. Ich fand den Warzenfortsatz gesund, legte darauf die Wand des Sinus lateralis bloss und durch Erweiterung der mit der Trephine an- gelegten Oeffnung, auch den Boden der mittleren Schädelgrube. Kein Zeichen von krankhafter Veränderung. Mit einer Sonde ging ich nun am Felsenbein entlang bis zu dessen Spitze, ohne auf nekrotische Stellen zu stossen. Bei der Entfernung des Tampons fand ich, dass die Blutung stand, als ich indessen den Gehörkanal auf etwaige nekrotische Stellen hin sondirte, stiess ich in der Paukenhöhle auf blossliegenden Knochen, und sofort stürzte eine Blutwelle von dunkler Farbe, wie Sinusblut, hervor. Auf erneuerte Gazetamponade stand die Blutung wieder, und das Kind ward zu Bette gebracht, um die weitere Entwickelung des Falles abzuwarten.

Es bestand zu dieser Zeit keine Schwellung über der Vena jugularis. Zwei Tage darauf erfolgte eine Temperatur-Erhöhung bis auf 1041/,°, welcher convulsivische Zuckungen der rechten Körperhälfte vorangingen. Beide Augen waren nach links und oben gerollt. Die Temperatur fiel dann schnell wieder bis auf 1021/,° und Pat. hatte eine ruhige Nacht. Das Kind behielt die Nahrung bei sich, hatte kein Erbrechen und verlor auch nicht das Bewusstsein. |

19. October. 4!/, Tag nach der Blutung wagte ich es nochmals zu operiren, in der Absicht, die Vena jugularis und den Sinus auszu- schalten, indem ich so einer Wiederholung der venösen Blutung vor- beugen und die von Ballance angegebene Operation ausführen wollte. Ich unterband zuerst die Vena jugularis nach Entfernung verschiedener vergrösserten und sie überlagernden Lymphdrüsen, dann untersuchte ich den Sinus lateralis, indem ich mittels steriler Spritze etwas Blut aus ihm entnahm; es fand es flüssig. Da der Sinus also nicht throm- bosirt war, schnitt ich ihn der Quere nach durch und tamponirte ihn

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX, 15

224 R. Abbe: Ein Fall von Carotis-Blutung bei Nekrose des Mittelohrs.

mit Jodoformgaze. Nachdem ich mich so gesichert hatte, entfernte ich den Tampon aus dem Gehörgang, ohne dass Blut herausfloss; er wurde dauernd herausgelassen, um etwaigem Eiter freien Abfluss zu gewähren.

Das Kind erholte sich gut wieder und lebte nocli 36 Stunden, doch erlag es dann, ohne dass die Blutung sich erneuert hätte, der allgemeinen Erschöpfung.

Eine sorgfältige Untersuchung des dem Sinus entnommenen Blutes. durch Prof. E. K. Dunham ergab, dass es keimfrei und auch bei mikroskopischer Untersuchung normal war.

Die sorgfältig ausgeführte Autopsie ergab Folgendes: Dura adherent. über grossem Abscess des corticalen Theiles der hinteren Occipito- parietal-Windungen. Dura und Hirn am Schläfenbein normal. Kein Zeichen von Nekrose innerhalb des Schädels nachzuweisen,

Sinus lateralis und Vena jugularis mit völlig gesund erscheinendem Thrombus zwischen Gazetampon und Ligatur ausgestopft. Die Arteria. carotis durch einen septischen Thrombus verlegt, der augenscheinlich einen Embolus in die mittlere Cerebralarterie entsendet und die Ver- anlassung eines mit Nekrose des Hirngewebes endigenden Abscesses. abgegeben hatte.

Die mit grosser Sorgfalt von Herrn Dr. Th. Dunham ausgeführte Section des Schläfenbeins zeigte im Verein mit der durch Professor E. K. Dunham von Bellevue vorgenommenen mikroskopischen Unter- suchung das Vorhandensein eines kleinen losgelösten Sequesters des. Mittelohres, anscheinend ein Theil der Schnecke, in Berührung mit. einer Erosion am Knie der Carotis, ungefähr ein Drittel ihres Umfangs einnehmend.

Endarteritis hatte die Arterie verstopft, doch konnte diese Ver- stopfung zur Zeit, als die Blutungen auftraten, nur eine theilweise gewesen sein.

Der destructive Process hatte sich auf die Paukenhöhle und die daranliegenden Wandungen beschränkt, warf aber kein Licht auf die Vorgänge, welche der am Boden der Schädelgrube sich abspielenden Erkrankung zu Grunde liegen mochten.

Die Breite des Sequesters betrug nicht mehr als einen Centimeter.

Verhandlungen des 1. österreich. Ototogentages am 28. u. ?9. Juni 1896. 225 XIII.

Verhandlungen des 1. österreichischen Otologen-

tages am 28. und 29. Juni 1896. Nach dem vun Docent Dr. Jos. Pollak erstatteten ofticiellen Berichte.

Der Otologentag wurde von Prof. Gruber durch eine Begrüssungs- rede eröffnet. Zum Vorsitzenden für das nächste Vereinsjahr wurde Prof. Politzer, zu dessen Stellvertreter Prof. Gruber, die Docenten Pollak und Bing zu Schriftführern, Prof. Urbantschitsch zum Kostenführer gewählt. Die Präsenzliste enthielt 43 Theilnehmer.

I. Demonstrationen.

1. Direktor Heller demonstrirt einen Fall von ps ychischer Taubheit.

Ein 31/gjähriger Knabe konnte vor Beginn des Unterrichtes kein einziges Wort, das an ihn gerichtet wurde, verstehen und es war fast unmöglich, seine Aufmerksamkeit auf sonstige Schalleindrücke zu lenken. Er reagirte höchstens reflectorisch und nur auf ganz laute Schalleindrücke. Von Wortfragmenten, die er noch besass, waren die Wörter „Mama“ und „Berta“ die deutlichsten, doch auch diese hatten für ihn keinerlei Bedeutung oder Inhalt. Zudem befand sich der Knabe in der Regel in einem Zustande hochgradiger motorischer Agitation und Aufregung, die sich manchmal zu förmlichen tobsuchtsartigen Paroxysmen steigerten, in welchen das Kind heftig in hohen Tönen schrie, um sich schlug, auf die Wartpersonen einbiss und sich selbst beschädigte. Wenn die Erregtheit so hohe Grade erreicht hatte, dann trat Reaction in Form vollkommener Ab- spannung ein. H. hatte unter den vielen Fällen, welche er zu beobachten und zu behandeln Gelegenheit hatte, nur sehr wenige gesehen, die einen so stark ausgeprägten Hang zur Activität mit einem so erheblichen Mangel an Absicht- lichkeit und Zweckmässigkeit: vereinigt hätten.

In vollem Gegensatze zu der Unempfänglichkeit des Knaben gegenüber einzelnen lauten Schalleindrücken stand die Thatsache, dass Melodien, wie die Klänge einer Spieldose oder einer Drehorgel, am ehesten geeignet waren, den Knaben selbst in Aufregungszuständen einigermaassen zu beruhigen.

Ein Behandlungseffect wurde nach 4 monatlicher Einwirkung ersichtlich, als es durch Anwendung einer beruhigenden psychischen Behandlung gelang, das Bewusstsein des Zusammenhanges von Wort und Gegenstand zu erwecken. Zur Zeit der Vorstellung war der Knabe im Stande, Alles zu sprechen und zu verstehen.

2. Prof. Urbantschitsch demonstrirt 8 Fälle von’ Radical- operation, bei denen die retroauriculäre Oeffnung verschlossen ist.

3. Derselbe stellt einen Fall von psychischer Taubheit vor.

Der Fall betrifft eine 22jährige Lehrerin, Eugenie Kliorin aus Russ- land, die vor acht Jahren aus unbekannten Ursachen schwerhörig und in Folge 15*

326 Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896.

ihrer stets zunehmenden Schwerhörigkeit von Verstimmung und Nervosität be- fallen wurde. Patientin wurde wegen ihrer Schwerhörigkeit in Königsberg durch zwei Monate galvanisirt mit günstigem Erfolge, doch trat später anlässlich der Erkrankung ihres Vaters wieder eine beträchtliche Gehörsverschlimmerung ein, derentwegen ihr die Aerzte alle geistige Beschäftigungen untersagten. Dies wirkte auf die Patientin äusserst ungünstig ein, es traten psychische Depressions- und wieder Erregungszustände auf, Patientin verlor öfter das l’ewusstsein, ver- meinte in ihren Speisen Menschenfleisch vorgesetzt zu bekommen und verweigerte deshalb, Nahrung zu sich zu nehmen, ferner traten bei ihr verschiedene Wahn- ideen auf. Es stellte sich ferner Schwindel ein, wobei jedoch eher eine Gehörs- verbesserung beobachtet wurde. Patientin machte wiederholt Versuche, sich um- zubringen, doch es waren eigentlich nur Scheinversuche, da sie diese immer nur in Gegenwart anderer Personen vornahm. Patientin wurde im Verlaufe ihrer weiteren Erkrankung von verschiedenen Collegen mit Galvanisation, statischer Electrieität, Catheterismus ohne Erfolg behandelt und ihr Gehörleiden, wie Patientin angab, als unheilbar bezeichnet.

Patientin kam Ende December 1895 zu U. in die Allgemeine Poliklinik. Die Untersuchung beider Trommelfelle ergab eine schwache Einziehung des sonst ziemlich normal aussehenden Trommelfells; der Lichtkegel erschien etwas ver- kürzt, durch die Membran eine schwache Hyperämie der Labyrinthwand er- kennbar. Das Gehör zeigte sich für die Sprache beinahe ganz aufgehoben. Patientin vernahm nur mit dem Hörrohr einzelne Worte, die sie häufig falsch verstand. Die ohne Hörrohr in's Ohr gerufenen Vocale ergaben jedes Mal einen deutlichen Höreindruck, doch war Patientin ausser Stande, dieselben richtig nachzusprechen und verwechselte regelmässig die Vocale unter einander. Die Stimmgabeltöne wurden sowohl per Luft- als Knochenleitung pereipirt; Rinne war beiderseits negativ. Die Uhr wurde auch beim Anlegen an das Ohr nicht gehört. Dagegen unterschied Patientin mässig starke Harmonikatöne auffallend gut und erkannte von Contra F bis fIV die einzelnen Töne. Die Töne der Galtonpfeife wurden bis nahe der normalen Perceptionsgrenze für die höchsten Töne gehört. Die galvanische Reaction ergab eine gesteigerte Empfindlichkeit beider Acustici. i

Die hochgradig erscheinende Schwerhörigkeit für Sprachlaute contrastirte in diesem Falle mit dem ziemlich guten musikalischen Tongehör, weshalb der Verdacht kam, dass die erstere nicht als eigentliche Schwerhörigkeit anzu- sehen sei, sondern vielleicht, wenigstens zum Theil, auf einem mangelhaften Sprachverständniss beruhe, also wenigstens theilweise psychischer und nicht ausschliesslich physischer Natur sei,

Auf die Frage, ob die Patientin gesprochene Worte überhaupt nicht höre, theilt dieselbe mit, dass sie auch mässig laut gesprochene Worte, selbst aus einiger Entfernung, allerdings höre, aber nicht verstehe; dabei sei es sehr merk- würdig, dass ihr später, zuweilen erst nach Stunden, ein früher nicht ver- standenes Wort, ja zuweilen ein Satz plötzlich einfalle. Diese letztere Be- merkung wies fast mit Sicherheit auf die wenigstens theilweise vorhandene psychische Natur der vorhandenen Höraffection hin. Durch lange fortgesetzte Hörübungen wurde die Patientin so weit gebracht, dass man in halblauter Stimmstärke ganze Gespräche mit ihr führen konnte, zuweilen auch ganz nahe

Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u.29. Junil896. 227

dem Ohre in scharfer Flüsterstimme, mit welcher Patientin in letzterer Zeit be- sonders geübt wurde; weitere Uebungen werden jetzt auch aus einiger Ent- fernung vom Öhre mit lauter Stimme angestellt. Das Gehör ist in steter lang- samer Zunahme begriffen und betrifft auch das musikalische Gehör, indem nun- mehr melodische Bruchstücke, sowie kurze Melodien deutlich gehört und wieder erkannt werden, während Patientin früher nur die einzelnen Töne, aber nicht deren Zusammenklang und Aufeinanderfolge zu hören vermochte.

Discussion:

Gruber weist in der Discussion darauf hin, dass das schlechte Sprach- verständniss und die ungenügende Sprachentwicklung auch durch zurückge- bliebenc geistige Entwicklung veranlasst werden kann. Er erwähnt, dass er einen 9 Jahre alten Knaben in Behandlung hat, den ein gewiegter Ohrenarzt vor 4 Jahren als taubstumm und unheilbar erklärte. Als Gr. den Knaben zum ersten Male sah, diagnosticirte er eine psychische Taubheit und die seit der Zeit geübte rationelle Unterrichtsmethode brachte es dahin, Jass der Knabe in seiner Muttersprache die gewöhnliche Conversation versteht und fast normal spricht.

4. Prof. Gruber: Angioma auriculae auf operativem Wege geheilt.

Gruber zeigt die nach der Natur aufgenommene Abbildung eines An- gioma auriculae, welches weder durch seine äussere Erscheinung, noch durch die genaueste objective Untersuchung die Spur seines Wesens verrieth, vielmehr die Symptome einer gewöhnlichen Balggeschwulst zeigte, wofür es auch vor der Operation gehalten wurde. Operation mit Messer und scharfem Löffel ohne grossen Blutverlust.

5. Prof. Politzer: Vorstellung eines Falles von geheilter, otitischer Pyämie mit Thrombose der Vena jugularis und eiteriger Metastase im linken Ellenbogengelenk.

Der Fall betrifft einen 19jährigen jungen Mann, der im 7. Lebensjahre an einer schweren Scharlachdiphtherie erkrankte, die sich auf die Rachen-, Nasen- und Mundhöhle und beiderseits auf das Cavum tympani ausbreitete. Die mit nahezu vollständiger Zerstörung des Trommelfells verlaufende diph- therische Mittelohreiterung hatte in der ersten Zeit totale Taubheit zur Folge. Im Stadium der Reconvalescenz besserte sich das Gehör allmälig, doch blieb später ein gewisser Grad von Schwerhörigkeit zurück, die Eiterung hatte allmälig aufgebört, die Perforationslücken im Trommelfell blieben persistent.

Zehn Jahre nach Beginn der diphtherischen Mittelohrentzündung (6. Mai 1894) erkrankte Pat. an einem rechtsseitigen, acuten Recidive der Mittelohr- eiterung mit heftigem Fieber und Schmerz im Warzenfortsatze, so dass am 6. Tage der Erkrankung zur Eröffnung des Warzenfortsatzes geschritten werden musste. Nach Eröffnung des Antrum und Herstellung der Communication zwischen der Operationshöhle im Warzenfortsatze und der Trommelhöhle trat jedoch keine Remission des Fiebers ein, und da die Temperatur in den folgenden zwei Tagen zwischen 390 und 40,30 schwankte, so wurde zwei Tage nach der

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ersten Operation der Sinus freigelegt. Dieser zeigte normales Aussehen; in einer mittelst der Pravaz’schen Spritze entnommenen Blutmenge aus dem Sinus wurden Streptococcen nachgewiesen. Auch nach der zweiten Operation trat keine Besserung ein, vielmehr stellten sich tägliche Schüttelfröste mit dem charakte- ristischen Abfall der Temperatur unter das Normale und dem bald darauf er- folgenden Aufsteigen bis 390— 400 ein. Mit dem Auftreten der Frostanfälle entwickelte sich eine schmerzhafte Strangbildung an der rechten, seitlichen Hals- gegend, welche als Thrombus in der linken Jugularvene erkannt wurde.

Die täglichen Schüttelfröste mit zeitweiligen Remissionen des hohen Fiebers dauerten noch durch 14 Tage an, während welcher sich eine phlegmonöse Entzündung um die thrombosirte Jugularvene entwickelte, die den Kranken nahezu bis zur Erschöpfnng herunter brachten. Am 22. Tage der Erkrankung entstand eine eiterige Metastase im linken Ellenbogengelenk, von welchem Zeit- punkte ab die Sehüttelfröste aufhörten, die Temperatnr ziemlich rasch auf die Norm herabzing. Vier Wochen später konnte Pat. mt einer durch die Metastase bedingten Ankyluse des linken Ellbogengelenks geheilt das Bett verlassen. Seit zwei Jahren stellt sich nur zeitweilig beiderseits ein leichter, eiteriger Ausfluss ein.

P. reiht diesen Fall den seltenen, in der Litteratur (Gruber, Hessler, Urbantschitsch, Wreden, Politzer) verzeichneten Fällen von geheilter otitischer Pyämie mit Thrombose im Sinus und in der Jugularvene an. In diesem Falle war offenbar die Venenentzündung durch Uebergreifen der Eiterung von der unteren Trommelhöhlenwand auf den Bulbus venae jugularis und von hier auf die Jugularvene selbst entstanden. Nach den Beobachtungen P.'s zeigen die mit Metastasen einhergehenden Pyämien otitischen Ursprungs einen günstigeren Verlauf als die Septicaemien ohne Metastase.

6. Docent Dr. Bing stellt einen nach Entfernung des Hammers geheilten Fall von chronischer eitriger Mittelohrentzündung vor.

7. Docent Dr. Gomperz stellt ein Mädchen vor, an den er wegen Caries die Radicaloperation mit Körner’scher Plastik

machte.

Interessant war in diesem Falle das Verhalten des hinteren Gehörgangs- lappens. Nach seiner Anheilung zeigte sich sowohl das Antrum. als auch die Paukenhöhle von demselben überwachsen, d:rart, dass der Gehörgang in der Tiefe häutig abgeschlossen erschien und nur durch. eine enge Lücke mit dem Pauken- raum communicirte. Nach dem Sistiren der Secretion, welche durch diese Lücke ihren Ausweg gefunden hatte, begann sich dieselbe spontan zu vergrössern, offenbar durch Resorption nicht durch Necrose -- des sie bedeckenden Cutis- lappens, und nach etwa 14 Tagen lagen Antrum, oberer Trommelhöhlenraum und Paukenhöhle, von zartem. glänzendem Narbengewebe ausgekleidet, so frei da, wie sie sich bei der Demonstration präsentiren.

8. Dr. Max stellt deu in der letzten Gesellschafts-Sitzung demon- strirten Mann mit dem Ohrmuscheldefecte geheilt vor.

Durch Auffrischung der Ränder der Lücke und Anlegen von drei Nähten in Cocain-Anästhesie gelang es ihm, den Defect zu beseitigen.

Dr. Max zeigt ferner einen von ihm modificirten Polypenschnürer.

Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896. 229

II. Vorträge.

1. Dr. R. Spira (Krakau): Ueber eine unter dem Bilde einer Trigeminusneuralgie latent verlaufende centrale Ostitis proc. mast.

S. theilt einen Fall aus seiner Praxis mit, der ihm seines ungewöhnlichen Verlaufes wegen merkwürdig und beachtenswerth erscheint. Ein 73jähriger, sonst gesunder und kräftiger und nur seit einiger Zeit an Erscheinungen eines chron. Mittelohrcatarrhes leidender Mann erkrankte im Anschlusse an Influenza an einer acuten Tympanitis. Gleichzeitig traten heftige Schmerzen in der Hals- und Kehlkopfgegend und der ganzen entsprechenden Kopfhälfte auf. Exsudatan- sammlung in der Paukenhöhle. Paracentese; regelmässiger typischer Verlauf der Otitis. Vernarbung des Trommelfelles in der dritten Woche. Schmerzen im Ohre und Proc. mast. keine, wohl aber in der ganzen entsprechenden Kopf- hälfte, manchmal auch auf die andere Kopfhälfte ausstrahlend, ohne nachweis- bare Ursache. Diagnose: Trigeminusneuralgie. Ordin.: Jodnatrium innerlich und Galvanisation. Aber schon nach der zweiten Sitzung trat Parese des Ab- ‚ducens derselben Seite auf und deren Consequenzen: Diplopie und Schwindel bei binoculärem Sehen. Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Abmagerung und Ver- fall der Kräfte. Kein Fieber, keine Cerebralerscheinungen. Im Ohr und Warzen- fortsatz nichts Besonderes. Erst einige Monate später trateu von Zeit zu Zeit recidivirende, schnell vorübergehende Reizerscheinungen an der Regio mast. auf, mit welchen jedes Mal ein Nachlass der cephalalgischen Erscheinungen coinci- dirte, die mit der Rückbildung der entzündlichen Symptome hinter dem Ohre wieder exacerbirten. Nach etwa acht Monaten Eröffnung eines subperiostalen Abscesses am Proc. mast., Corticalis cariös, fistulös durchbrochen. Fistel mit Meissel und Hammer erweitert. In der Tiefe Caries, Eiter. Auskratzung, Tam- ponade. antiseptischer Verband. In sechs Wochen Heilung. Seit der Operation vollständiges und definitives Verschwinden der Kopfschmerzen, rasche Besserung der Abducensparese.

Discussion: Urbantschitsch, Frankl-Hochwart, Politzer, Gruber.

2. Prof. Politzer: Menière’scher Symptomencomplex bei traumatischer Labyrinthläsion. Demonstration des histologischen Befundes.

Der Fall betraf einen 21 jährigen Schuhmacher, dem am 28. December 1895 bei einem Baue ein Mörtelschaff auf den Kopf fiel, wonach er bewusstlos zu- sammenstürzte. Auf die chirurgische Klinik des Prof. Dittel gebracht, kehrte das Bewusstsein erst nach drei Tagen zurück, doch war er total taub und sein Gang unsicher und schwankend.

Bei dem am 17 Januar auf die Klinik des Prof. Krafft-Ebing trans- ferirten Kranken ergiebt die Untersuchung rechtsseitige Lähmung des N. facialis Lähmung der rechten Hälfte des Gaumensegels, Geschmackslähmung an der rechten Zungenhälfte, schwankenden Gang mit der Tendenz nach links zu fallen. Intelligenz mangelhaft.

Die genaue Untersuchung der Gehörorgane am 24. Januar 1896 ara beiderseits Retraction der getrübten Trommelfelle, totale Taubheit für jede Art

230 Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896.

von Tönen und Geräuschen. Am 31. Januar tritt plötzlich unter heftigen Fieber- bewegungen diffuser Kopfschmerz, Erbrechen mit benommenem Sensorium ein. Die Cerebralsymptome steigern sich in den nächsten Tagen, und es entwickelt sich gleichzeitig eine rechtsseitige, eiterige Mittelohrentzündung mit Vorbauchung des Trommelfells. Die Paracentese, welcher ein reichlicher Eiterausfluss folgt, bleibt ohne Einfluss auf die Cerebralsymptome, und es tritt drei Tage später unter Symptomen einer difiusen Meningitis der Tod ein. Die Details des Krank- heitsverlaufes bis zum tödtlichen Ausgange wurden von Herrn Dr. Jos. Hirschl mitgetheilt.

Die Section ergab diffuse eiterige Meningitis: Sprung an der Basis cranii, der durch beide Felsenbeine geht und nur bis zur inneren Trommelhöhlenwand reicht. Empyem der Keilbeinhöhle und beider Highmorshöhlen. Eiteriges Ex- sudat in der rechten Trommelhöhle. Der Sprung durch die Pyramiden geht beiderseits 2 mm hinter dem Porus acusticus intern. bis zur oberen Kante der Pyramide und lässt sich von hier an der oberen Pyramidenfläche bis zur Grenze des Tegmen tympani verfolgen. Rechts geht der Sprung durch den grössten Höhedurchmesser der Schnecke, links durch die untere Schneckenwindung. Beider- seits blutig tingirtes Exsudat im Schneckenraume.

Die mikroskopische Untersuchung der decalcinirten Labyrinthe ergiebt rechts: beide Schneckenscalen in sämmtlichen Windungen von einem theils fein- körnigen, theils aus Rundzellen bestehenden Exsudate erfüllt; an einzelnen Stellen des Endostiums Wucherung von kernhaltigem Bindegewebe. Die Details des Corti’schen Organs sind nicht mehr zu unterscheiden. Die Nervenzüge des Modiolus, der Spiralplatte und das Ganglion spirale von feinkörniger Substanz und Körnchenzellen durchsetzt. Gleiche Exsudatplaques wie in der Schnecke findet man im Utriculus, in den Ampullen und Bogengängen. An der Aussen- seite der membranösen Ampullen und Bogengänge schiesst kernhaltiges, neuge- bildetes Bindegewebe auf.

Im linken Labyrinth findet sich weit weniger freies Exsudat abgelagert als rechts. Hingegen zeigt die Scala tympani der ersten Schneckenwindung eine feine, netzförmige Bindegewebsneubildung, welche zahlreiche Spindelzellen, Kerne und nebstdem eingestreute Wanderzellen enthält. Ansätze von Bindegewebsneu- bildung am Endostium finden sich auch in der zweiten Schneckenwindung und in der Cupula. Das Corti’sche Organ durch starke Epithelwucherung unkennt- lich. Die Nervenzüge des Ramus cochleae zeigen dieselben Veränderungen wie rechts. Im Vorhofe stellenweise Verdickungen des Endostiums, desgleichen in den Ampullen und in den Bogengängen. Die membranösen Gebilde des Vorhofs und der Bogengänge zeigen nur wenig Veränderungen.

In der Epikrise des Falles bemerkt P., dass die totale Ertaubung sowohl als der M&eniere’sche Symptomencomplex durch den anatomischen Befund ge- nügend erklärt wird. Das Empyem der Keilbein- und Highmorshöhlen, sowie die rechtsseitige eiterige Mittelohrentzündung sind zweifelsohne Folge der durch die Fractur der Basis cranii hervorgerufenen eiterigen Entzündung der Rachen- gebilde. Weber die Entstehung der Meningitis in diesem Falle lässt sich nichts Bestimmtes aussagen. Ob sie die Folge des Empyems der Keilbeinhöhle oder der eiterigen Mittelohrentzündung oder durch eine makroskopisch nicht auf- findbare Läsion der Hirnhaut entstand, konnte nicht entschieden werden. Im

Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28.u.29 Juni 1896. 231

histologischen Befunde ist der Nachweis einer intensiven entzündlichen Binde- gewebsneubildung fünf Wochen nach stattgehabtem Insulte von besonderem Interesse.

Der Vortrag wurde durch eine Anzahl grosser Kohlenzeichnungen und De- monstration der betreffenden histologischen Präparate erläutert.

3. Prof. Gruber: Zur Lehre von den otitischen intracraniellen Erkrankungen. |

Der Vortragende durchsucht 40073 Sectionsprotocolle auf das Vorkommen von otitischen intracraniellen Erkrankungen. 1806 Leichen (1242 Männer, 564 Weiber), d. i. 4,5 0/4, wiesen als Todes- ursache eine oder mehrere intracranielle, entzündliche Affectionen auf. Otitische, intracranielle Folgezustände fanden sich bei 232 Leichen (163 Män- nern, 69 Weibern), das macht, wenn man die Gesammtzahl von 1806 intra- craniellen Affectionen in’s Auge fasst, 12,8 0/,; im Verhältniss zur Gesammtzahl der Sectionen (40073) 0,58 0%, Von diesen 232 Fällen wurden 81 Fälle von Ohrenärzten der Section zugewiesen, die übrigen Fälle kamen aus chirurgischen und medicinischen Abtheilungen; also 34,91 0/9 von Ohrenärzten und 695,09 0/9 von Internisten und Chirurgen. Das Alter der Verstorbenen betrug: 5—10 Jahren: Männer, 2 Weiber, 10—20 58 S 14 e

29—30 , 4&6 , op , 30—40 , 30° , 2, 40—50 , 2 , 4; 50—60 , 13 , A, 60—70 , 3 , 1,

Daraus ergiebt sich, dass die eitrige Mittelohrentzündung bei Individuen im Alter von der Pubertätszeit bis zu ihrem fünfzigsten Jahre am gefähr- lichsten ist und dass sie im früheren und im späteren Alter das Leben weniger bedroht. ,

Die Ohrerkrankung fand sich:

Rechterseits . . 118 Mal = 50,87 0), linkerseits . . 108 Mal = 44,39 0|,, beiderseits . . 6 Mal = 2,9 9% nicht angegeben > Mal = 2,15 9).

Intracranielle, secundäre, entzündliche Affectionen kamen vor bei einfacher Otitis media suppurativa sine Carie 65 Mal (44 M., 21 W.) = 28 Procent, wo- nach die mit Caries complicirten Fälle 167 (128 M., 39 W.) = 72 Procent be- ‚trügen.

Die Summe der bei den ohne Caries zur Section gekommenen Leichen mit Sinusthrombose betrug 42 (24 mit soliden, 18 mit vereiternden Thromben) ; die Summe der mit Caries zur Section gekommenen Leichen, welche Sinus- thrombose aufwiesen, betrug 106 (64 mit soliden, 42 mit stark vereiternden Thromben).

Am häufigsten zeigt sich der Sinus sigmoideus und transversus throm- bosirt, und zwar in den 42 ohne Caries secirten Fällen 24 Mal, in den 106

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mit Caries secirten Fällen 73 Mal. Dem Geschlechte nach 73 Männer, 24 Weiber. Pei den einfachen otitischen Processen ohne Thrombus in dem Sinus fand man Meningitis. . . . . 381 Mal = 13 9% (21 M., 10 W.), Abscessus cerebri . . 19 Mal= 820) (14 M., 5 W), Abscessus cerebelli. . 1 Mal = 0,4 0f (I W.).

Bei den einfachen otitischen Erkrankungen, wo sich in einem der Sinus ein Thrombus vorfand, kam es zu Meningitis . . . . . . 12 Mal (7 M., 5 W.) = 55 0l Abscessus cerebelli . . . 2 Mal (2 M.) = 0,8 0/0 In den Fällen, wo man Caries des Schläfebeins, aber keine Sinusthrombose fand, fand sich Meningitis . . . . . 40 Mal (34 M., 6 W.) = 17 Of Abscessus cerebri . . 13 Mal (12 M., 1 W.) 5,6 0!) Abscessus cerebelli . . 12 Mal (8 M, 4 W.) = 5,5 0%

In den mit Caries und Thrombose behafteten Fällen fand sich Meningitis . . . . . 21 Mal (17 M, 4 W) =9 9% Abscessus cerebri . . . 7 Mal (6 M, 1 W) =3 9% Abscessus cerebelli . . 4 Mal (2 M., 2 WI Bin Meningitis mit

Cholesteatom . 8 Mal (6 M., 2 W.) = 38,2 O/o Von den ohne Caries des Schläfebeins, aber mit Sinusthrombose behaftet gewesenen Otitischen gingen 16 (11 M., 5 W.) = 6,8 0/9, und von den mit Caries und Thrombose behaftet Gewesenen 32 (22 M., 10 W.) = 13 0/ọ an pyämischen Processen zu Grunde.

4. Prof. Politzer: Beiträge zur operativen Freilegung der Mittelohrräume.

Die Zahl der von Politzer auf seiner Klinik und in der Privatpraxis ausgeführten Operationen zur Freilegung der Mittelohrräume umfasst 53 Fälle.

In 4 Fällen wurden die Mittelohrräume freigelegt bei Kranken, bei denen längere Zeit vorher die typische Operation nach Schwartze von P. ausge- führt wurde, und wo Recidive mit anhaltender Eiterung bestand. In anderen 9 Fällen von recidivirender Mittelohreiterung, bei denen früher von anderen Ohrenärzten der Warzenfortsatz nach der typischen Methode eröffnet wurde.

In 8 Fällen war neben profuser fötider Otorrhoe mit Granulationen oder Cholesteatomen in der 'Trommelhöhle der Warzenfortsatz schmerzhaft ohne Schwellung des äusseren Integuments; 12 mal war die Schmerzhaftigkeit mit Schwellung der Haut und des Periosts des Warzenfortsatzes verbunden. In 11 Fällen fand sich ein subperiostaler Abscess am W. F., dessen Wandungen mit Granulationen ausgekleidet waren; dabei 7 mal mit einer in das Innere des W. F.'s führenden Fistelöffnung an der Corticalis des W. F.'s; 4 Mal obne Fistelbildung.

Offene Fistel am W. F. mit spontanem Durchbruch der Corticalis fand P. 8 mal; in 5 Fällen eine Fistelöffnung an der hinteren, oberen Gehörgangs-

Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u.29. Juni 1896. 233

wand, durch die man mit der Sonde entweder in das Antrum oder in eine mit Granulationen ausgefüllte Höhle im W. F. gelangen konnte.

Starke Verengerung des Gehörgangs durch Hyperostose des knöchernen Abschnittes und nicht zu beseitigende Hypertrophie der Gehörgangsauskleidung bestaud in 7 Fällen.

In 15 Fällen war ausser dem localen Schmerz im Ohre oder im W. F. auch Kopfschnierz, Fieber, einigemale auch Schlaflosigkeit, Schwindel und Brech- reiz vorhanden. Mit Faciallähmung. die bald längere, bald kürzere Zeit bestand, kamen 6 Fälle zur Operation, davon 3 bei tuberculöser Caries des W. F. und der Trommelhöhle mit und ohne Sequesterbildung.

Nach Schilderung des Operatiounsverfahrens und der durch die pathologischen Veränderungen im Schläfebein bedingten Modificationen desselben giebt P. eine Uebersicht der von ihm bei Freilegung der Mittelohrräume vurgefundenen Ver- änderungen.

In nahezu der Hälfte der Fälle fanden sich Cholesteatommassen in der Trommelhöhle, im Antrum und im Warzenfortsatze. In 14 Fällen gelangte ınan unmittelbar unterhalb der Corticalis in eine geräumige Höhle im Processus mastoid. mit gleichzeitigen cariös-necrotischen Defecten an der hinteren, oberen Gehörgangswand. Die Höhle war mit missfarbigen Granulationen, Knochen- fragmenten oder schmierig-käsigen Massen erfüllt. In 3 Fällen fehlte die hintere, obere Wand des knöchernen (sehörganges vollständig; 5 mal war der Warzenfortsatz und die hintere, obere Gehörgangswand stark sclerosirt. Der Sinus transversus war in 4 Fällen durch den Eiterungsprocess in verschiedener Ausdehnung freigelegt. In 3 Fällen lag die Dura mater, einmal oberhalb des Antrum mastoid., 2 mal oberhalb des Tegmen tymp. frei.

In der Mehrzahl der Fälle war das Antrum und die Trommelhöhlenwände erkrankt; Hammer und Amboss meist defect. P. operirt deshalb in den letzten Jahren meist nach Küster’s Methode. Die typische Eröffnung nach Schwartze empfiehlt sich bei verhältnissmässig grosser Hörweite, welche durch die Frei- legung der Mittelohrräume und Entfernung des Hammers und Ambosse geschädigt werden kann.

Von Zufällen bei der Operation erwähnt P. stärkere Blutungen aus Granu- lationen und aus Knochengefässen oder aus einem Emissarium Santorini, die leicht durch Tamponade zu stillen sind. Einmal wurde die Dura mater olıne Folgen für den Heilungsprocess freigelegt. In einem Falle wurde beim Aus- löffeln des Attic der horizuntale Theil des Facialis vom scharfen Löffel getroffen. Die dadurch entstandene Parese des Facialnerven hat sich im Verlaufe von mehreren Monaten gänzlich verloren. In 2 Fällen, wo vor der Operation Facial- lähmung bestand, trat nach derselben vollständige Heilung ein. Der horizontale Bogengang wurde in keineın Falle verletzt.

Die Plastik richtet sich nach den anatomischen Verhältnissen im speciellen Falle Am häufigsten wurde die hintere, knorpelig-membranöse Gehörgangs- wand der Länge nach gespalten und zur Erzielung eines möglichst weiten Gehörgangslumens der eine Lappen nach oben, der andere nach unten mit der äusseren Cutis vernäht. Mehrere Male wurde die Körner'sche Plastik mit gutem Erfolge angewendet. Auch die Thiersch’schen Transplantationen leisteten mehrere Male gute Dienste. Bei Granulationen im Mittcelohre und bei kleinen

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Cholesteatomhöhlen im Antrum lässt P. die Operationswunde hinter dem Ohre vernarben; bei grossen Cholesteatomhöhlen im Warzenforsatze ist es wegen der genaueren Ueberwachung des Krankheitsherdes und wegen der Möglichkeit einer gründlicheren Reinigung geboten, die Oeffnung im W.F. offen zu lassen.

Was die Heilresultate der operativen Freilegung der Mittelohrräume an- langt, so ist P. der Ansicht, dass die Angaben verschiedener Operateure über die Ausheilung der Eiterung nach dieser Operation (50—750/0) zu optimistisch lauten, da die Beobachtungsdauer im Ganzen noch zu kurz ist, und bereits Fälle vorliegen, wo nach 2, 3 Jahren Recidiv der Eiterung eintrat. Choleste- atome recidiviren bekanntlich mit nur seltenen Ausnahmen. Die Bezeichnung: Radicaloperation ist daher nach P. nicht ganz zutreffend. Von den von P. Operirten hat in 17 Fällen die Eiterung seit längerer Zeit aufgehört, die übrigen Fälle befinden sich noch in Beobachtung. Nachoperationen wurden 7 Mal aus- geführt. In einem Falle war der Gehörgang atresirt. Die Heilungsdauer ist im Allgemeinen kürzer als bei der typischen Eröffnung des W. F.’s, doch nimmt sie meist mehrere Monate in Anspruch. Das Hörvermögen wurde durch die Operation meist etwas verbessert, selten verschlimmert. Wie nach der typischen Eröffnung des W. F.'s wurden auch hier durch die Operation die lästigen Kopfsymptome beseitigt und eine Verbesserung des Allgemeinbefindens be- obachtet. Letaler Ausgang wurde in 6 Fällen beobachtet, 3 Mal bei Pyämie, die bereits vor der Operation bestand, 2 Mal bei chronischer, tuberculöser Otitis und einmal bei einem schon vor der Operation bestandenen, symptomlosen Hirnabscess.

5. Prof. Urbantschitsch: Zur operativen Freilegung des Mittelohres.

U. hat in den letzten 2 Jahren an 72 Fällen die sogenannte Radical- operation des Mittelohres vorgenommen. Unter den 72 Fällen befanden sich 47 Fälle mit reiner Caries, 13 mit cariösen und cholesteatomatösen Herden und 12 Fälle mit reinem Cholesteatom.

Das Antrum mastoideum zeigte 42 Mal keine auffällige Grössen- veränderung, 12 Mal erschien es abnorm klein, 18 Mal abnorm gross, darunter ð Mal von colussaler Vergrösserung nach hinten. Diese letzteren 5 Fälle be- trafen Cholesteatom.

U. bemerkt, dass eine solche Vergrösserung des Antrum mastoideum auf Kosten des Schädelhöhlenraums erfolge.

Der Erkrankungsprocess war unter den 72 Fällen 9Mal bis an die Dura mater (6 Mal gegen das Cerebellum, 3Mal über dem Tegmen tympani) vor- gedrungen. In 1 Falle war die Dura mater über dem Tegmen tympani perforirt und Gehirntheile in den Atticus eingelagert; der betreffende Fall genas. U. erwähnt eines anderen Falles, bei dem sich im Spülwasser Gehirntheile vor- fanden, die, wie die Operation ergab, dem Cerebellum entstammten. Dieselben waren in eine grosse Cholesteatomhöhle des Proc. mast. eingetreten, die auch gegen den Gehörgang durchgebrochen war; auch dieser Fall genas.

Der Sinus transversus fand sich öfter freiliegend vor, einmal fast in seiner ganzen Ausdehnung bis in den Uebergang in den Bulbus venae jugularis; in vielen Fällen wurde der Sinus operativ freigelegt. In einem

Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896.. 235

Falle nahm U. dessen Eröffnung vor, fand aber den Sinus blutleer, nach unten thrombosirt,

Der Hammer und Ambos ergaben folgenden Befund: Unter 72 Fällen erwies sich der Hammer 8 Mal gesund, 62 Mal cariös, 2 Mal fehlend; der Ambos 6 Mal gesund, 63 Mal cariös, 3 Mal fehlend; in 2 Fällen von Caries bestand eine knöcherne Verwachsung beider Gehörknöchelchen.

Der Facialnerv zeigte sich vor der Operation in einem Falle vollständig gelähmt, in mehreren Fällen paretisch. Die Paresen gingen nach der Operation rasch zurück; der Fall mit Paralyse ergab eine bedeutende Besserung. Während des operativen Eingriffes erfolgte in keinem Falle eine Facialparese, doch trat eine solche 6 Mal 1 bis 2 Tage nach der Operation ein, ging aber wieder zurück; in einem Falle ging die Facialparese am oberen Augenlid in einen Facial- spasmus über.

U. bespricht sodann die von ihm geübten Operationsmethoden und die Nachbehandlung.

Ueber den Ausgang der Behandlung kann U. wegen der Kürze der Be- obachtungszeit, die bei dem am längsten beobachteten Falle 2 Jahre beträgt, keine Angaben machen, sondern nur den bisherigen Verlauf mittheilen: Von den 72 Fällen ergaben bisher 23 eine vollständig trockene Höhle und zwar 13 Mal binnen 6—12 Wochen, 8 Mal innerhalb 3—4 Monate, 4 Mal in 5—6 Monaten, je 1 Mal in 7, 12 und 16 Monaten.

Auffällig günstig erwies sich die Operation auf die Symptome vonKopf- schmerz, Schwindel, Uebelkeit etc. und auf den gesammten Körper- zustand. Unter den 72 Fällen hatten 42 an derartigen Symptomen gelitten; darunter befand sich 1 Cholesteatom-Fall mit Opticus-Atrophie und erheblicher Einschränkung des Gesichtsfeldes, die sich nach der Operation auffällig besserte. U. hebt ferner den günstigen Einfluss der Operation auf psychische und Er- nährungsstörungen hervor, ferner auf die Hörfunction, die zuweilen erheblich gebessert wird (s. Fall 2, 5, 7).

U. betont, wie häufig erst durch Aufdeckung der Mittelohrräume die grosse Lebensgefahr erkannt werden kann, in der sich der Patient befindet.

Discussion: Gomperz, Kaufmann, Gruber.

6. Dr. Ferdinand Alt: Ueber apoplectiforme Labyrintherkrank- ungen bei Caissonarbeitern.

Bei Caissonarbeitern, welche einem Druck von 2,5 Atmosphären ausge- setzt waren, wurden drei schwerere Erkrankungen beobachtet. Dieselben be- trafen drei Arbeiter, W., J. und S., welche unter einem Ueberdrucke von 2,2 bis 2,4 Atmosphären die vorgeschriebene Zeit von vier Stunden arbeiteten und hierauf bei vollständigem Wohlbefinden den Caisson verliessen. Bei W. traten nach einer Stunde, bei J. nach 35 Minuten, bei S. nach 11/a Stunden die typischen Symptome des Morbus Menieri, nahezu complete Taubheit und dauernder, so hochgradiger Schwindel auf, dass die Patienten nicht stehen konnten und sofort auf die Klinik Schrötter gebracht wurden. Bei allen drei Arbeitern fanden sich starke Retraction und mehr oder weniger ausgeprägte livide Verfärbung

236 Verhandlungen des 1 österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896.

des Trommelfells, Injection der Hamimergefässe; der Stimmgabelbefund musste im Sinne einer beiderseitigen Labyrinthaffeetion gedeutet werden. Bei W. und S. bestand links, bei J. rechts complete Taubheit, die dauernd bestehen blieb, während auf dem anderen Ohre geringe Spuren vun Hörvermögen erhalten waren, die sich in wenigen Tagen beträchtlich besserten.

Alt führt den Umstand, dass die schweren Affeetionen nicht im Caisson selbst, sondern erst einige Zeit nach dem Verlassen desselben auftreten, auf Blutdruckschwankungen zurück. deren Curven er demonstrirt. Für die be- sprochenen Fälle will der Vortragende nur rein mechanische Momente, wie sie durch die Druckdifferenz im Mittelohre und im umgebenden Raume bedingt sind, als Ursache gelten lassen.

7. Docent Dr. Jos. Pollak berichtet über einen von ihm be- obachteten Fall von sogen. Perichondritis septi nar. ser.

Bei einem 53jährigen Manne war ohne Ursache eine complete Weeer der Nase eingetreten. Die äussern Nasenöffnungen fanden sich durch 2 blass- rothe "Tuinoren ausgefüllt. Auf dem Nasenrücken bestand eine haselnussgrosse weiche Geschwulst, die ineidirt war und seröse Flüssigkeit entleerte. Bei der galvanokaustischen breiten Oeffnung des einen Tumors fand sich die Cartilago quadrang. spaltförmig durchbrochen.

P. ist der Ansicht, dass der Erkrankung eine Degeneration des Knorpels ähnlich wie beim ÖOthämaton zu Grunde liegt.

8. Docent Dr. Gomperz: Ueber eine typische Veränderung der Trommelfellspannung bei ventilartig wirkenden Tubenverschlüssen.

(domperz macht auf die Vorwölbungen des hinteren oberen Qua- dranten aufmerksam, welche ab und zu bei sonst normalem Trommelfell- befund und intactem Paukenhöhlenapparat zur Beobachtung kommen.

Die Patienten, welche diese Anomalie aufweisen, kommen zumeist wegen geringfügiger Beschwerden, die in einem Gefühl von Druck oder Spannung, leichten subjectiven Geräuschen, ab und zu auch in Schwerhörigkeit bestehen, zur Beobachtung.

Charakteristisch ist das Verhalten beim Versuch mit dem Siegle’schen Trichter. Die betreffende Partie folgt prompt den Verdichtungen und Ver- dünnungen der Luft im äusseren Gehörgange, schnellt aber danach, auch wenn man mit einer Luftverdichtung abschliesst, sofort in die alte, vorgebauchte Stellung zurück.

Die Patienten geben an, dass sie auch bei den vorsichtigsten Schneuzbe- wegungen das Anschlagen der Luft ans Trommelfell verspüren.

Es kann also für das Eindringen derselben in die Paukenhöhle ein Hinder- niss nicht bestehen, wohl aber für das Zurückströmen. In den Fällen, wo die Untersuchung des Nasenrachenraumes vorgenommen wurde, fanden sich catarrha- lische Entzündungen desselben, Hypertrophien der Mucosa, Polypen und Neben- höhleneiterungen.

G. war im Stande, diese lästige Abnormität theils durch die blosse Be-

handlung der Nasenrachenaffection, theils in Verbindung mit Catheterismus und Bougirung zu beseitigen.

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Verhandlungen des 1. österreich. Otologentages am 28. u. 29. Juni 1896. 237

9. Derselbe: Erfahrungen über die Verschliessharkeit alter Trommelfelllücken.

Gomperz hat die Ergebnisse Okuneff’s einer Nachprüfung unterzogen und bei einer Anzahl obsoleter Trommelfellperforationen die Aetzung der Ränder mittelst Trichloressigsäure versucht. Die Resultate waren sehr befriedigend, indem von zehn Fällen bei vieren schon nach wenigen Aetzungen die Lücken vernarbten, darunter eine. welche die ganze untere Trommelfellhälfte bis an die Peripherie einnahm, während sie sich in den übrigen sechsen sehr bedeutend verkleinerten; Gomperz geht derart vor, dass er nach Anästhesirung mit. IO Die Cocainlösung die Aetzung mit einer dünnen Sonde ausführt, um deren Spitze einige Wattefäden gedreht und in zerflossener Trichloressigsäure getränkt werden.

Das Verfahren ist sehr schmerzhaft, wird aber ausgezeichnet vertragen. Selbstverständlich darf es nur dort angewendet werden, wo man sich vorher durch Application eines künstlichen Trommelfelles davon überzeugt hat, dass eine Hörverschlechterunz nicht zu erwarten ist. Besonders interessant erscheint G. das Aussehen des Trommelfelles nach der Vernarbung; an Stelle der Per- foration hatte sich stets eine graue, derbe, getrübte Membran gebildet, welche ohne deutliche Grenzen in das übrige Trommelfell überging, ein Befund, der für seine schon früher von ihm ausgesprochene Ansicht zeugt, dass sich bei der Vernarbung die Substantia propria auch regenerire.

Gomperz glaubt nicht, dass diese vernarbungsbefördernde Wirkung der Aetzungen der Trichloressigsäure allein zukomme, nimnit vielmehr an, dass noch andere Actzmittel sich finden dürften, welche die gleiche Wirkung ausüben.

Dass sich sechs Fälle noch nicht als geheilt aniühren lassen, hängt auch damit zusammen, dass die Behandlungszeit eine noch zu kurze ist; in den ge- heilten Fällen hat sich das Gehör wesentlich gebessert, in einem derselben schwand“n nach dem Verschlusse quälende subjective Geräusche, die den Patienten seit zwei Jahren belästigen.

10. Dr. Hammerschlag: »Ueber Athem- und Pulsationsbe- wegungen am Trommelfelle.«

Der Vortragende stellte seine Untersuchungen mit einem eigens construirten Apparate an, der ähnlich dem seiner Zeit von Mach angegebenen construirt war. Es stehen dem Vortragenden etwa 30 Beobachtungen an insgesammt 4 noch jungen ohrgesunden Individuen zu Gebote, die folgende Resultate er- gaben:

Das Trommelfell zeigt constante, mit der Systole des Herzens zusammen- fallende Bewegungen.

Das Trommelfell bewegte sich ferner bei ruhiger Respiration in allen Fällen während der Inspiration nach aussen, während der Exspiration nach innen. Beim ruhigen Athmen durch den Mund sind diese Athembewegungen weniger ausgiebig.

H. gelangt daher zu folgender Schlussfolgerung :

Die Trommelhöhle steht im normalen Zustande mit dem Nasen-Rachen- raume in offener C mmunication. ;

238 DBerichtüb.d.4. Sitzung d. Niederländ. laryngo-rhino-otolog. Gesellsch.

Der Exspirationsluftstrom reisst die Luft aus der Tube und der Trommel- höhle nach dem Principe des aörodynamischen Paradoxons mit, wodurch sich das Trommelfell nach innen bewegt.

Der Inspirationsluftstrom dringt nun in die Trommelhöhle ein und zwar um so leichter, weil dieselbe jetzt einen Ort des geringeren Widerstandes dar- stellt. Die etwas abweichenden Beobachtungen Politzer's findet H. sehr ge- eignet, zu weiteren umfangreicheren Untersuchungen anzuregen, wodurch es vielleicht in Zukunft gelingen wird, die noch bestehenden Widersprüche zu be- seitigen.

Die Erklärung für die Pulsbewegungen wurde schon von andern Autoren darin gesucht, dass die Trommelhöhle bei jeder Systole ihr Lumen verkleinert, wodurch das Trommelfell nach aussen rückt. Ein neues Argument kann der Vortragende für diese Ansicht, die wohl die richtige ist, nicht beibringen.

XIV.

Bericht über die 4. Sitzung der Niederländischen laryngo-rhino- otologischen Gesellchaft in Utrecht am 17. Mai 1896.

Erstattet von Prof. Guye in Amsterdam.

Vorsitzender: Prof. Guye.

1. Dr. Huysman. Fall von Perforation in beiden vorderen Gaumen- bogen.

Der Patient, ein junger Mann von 20 Jahren, hat als Kind Scharlach durchgemacht, und hat dann beiderseits chronische Trommelfellperforation be- halten. Dennoch betrachtet Huysman den Fall als angeborene Anomalie, hauptsächlich wegen der symmetrischen Stellung der beiden ovalen Per- forationen.

2 Dr. M. Bolt. Ueber Percussion des Processus mastoideus.

In zwei Fällen von acuter Mittelohr-Entzündung, wo der spontane Trommel- fell-Durchbruch auf sich warten liess und mässige Entzündung der Mastoid- Gegend bestand, fand Bolt bei Percussion einen ausgesprochenen dumpfen Schall, und stellte darauf die Indication zur Mastoid- Operation, welche nicht zugelassen wurde. Nach Paracentese des Trommelfells heilten dennoch beide Fälle ohne weitere Operation vollständig.

3. Prof. Guye. Demonstration eines Falles von Radicaloperation wegen Cholesteatom.

Der Patient, ein Schullehrer, 39 Jahre alt, wurde vor zwanzig Jahren, 1875, von Guye behandelt wegen eitriger Mittelohrenentzündung mit Polypen und Abscess auf dem Warzenfortsatz. 1888, dreizehn Jahre nach der ersten Be-

Bericht üb. d. 4. Sitzung d. Niederländ. laryngo-rhino-otolog. Gesellsch. 239

handlung, stellte sich der Patient wieder vor. Er war sechs Jahre gesund ge- blieben, hatte dann wegen Kopfschmerz und Ncurasthenie zweimal eine Kalt- wasserkur durchgemacht ohne Verbesserung. Jetzt hatte er wieder Ohrenschmerz und Otorrhoe. Es wurden einige Granulationen und foetider verkäster Eiter aus der Trommelhöhle und dem Antrum entfernt. Die Trommelhöhle wurde von der Tuba aus durchspült. Nachdem dieses ein paar Mal geschehen war, blieb Patient wieder ein Jahr lang ganz wohl. Er kam 1889 und 1890 mit leichtem Recidiv zurück, und blieb von 1890—1896 ganz gesund, spritzte sich einmal monatlich mit 1°0/% Sublimatlösung das Ohr aus, und hatte all diese Zeit weder Schmerz noch Otorrhoe. Am 21. März dieses Jahres kam er wieder mit Schmerz und Ötorrhoe.

Es wurde eine Masse Epidermis entfernt und es zeigte sich eine spontane Perforation in der hinteren Gehörgangswand, aus welcher ebenso viele Epidermis- Massen entfernt wurden. Drei Wochen später zeigte sich der Patient wieder. Er hatte Influenza gehabt und nachher wieder Schmerz und Schwellung am Warzenfortsatz, Am 18. April fand sich ein Abscess über dem äusseren Gehör- gang. Am nächsten Tage wurde er operirt. Guye fand ein sehr grosses An- trum voll Eiter und Cholesteatom - Masse. Als dieses entfernt war, konnte man beim Valsalva die Luftblasen aus dem Aditus ad antrum hervorkonmen sehen. (ruye entschloss sich nun, eine permanente Oeffnung herzustellen, und legte in dieser Absicht drei Tage nach der Operation ein Gummi-Drain ein, 12 mm dick und 3 cm lang, so abgeschnitten, dass es an zwei Stellen auf die hintere Wand des Antrum reichte; ausserdem führte er durch die Oeffnung in der hinteren Gehörgangswand einen Jodoformgaze-Streifen nach aussen. Er beabsichtigt damit, diese spontane Durchbruchs-Oeffnung, welche bei der Operation noch vergrössert wurde, permanent offen zu halten. Das Drain wurde natürlich nach einigen Tagen etwas kürzer gemacht, jetzt ist es 2 cm lang. Der Patient ist noch im Stande, die Luft durch beide Oeffnungen zu blasen. Guye’s Absicht ist, den Canal sich epidermisiren zu lassen, was wohl ein paar Monate dauern wird; nach dieser Zeit wird das Drain durch einen lockeren Jodoforıngaze-Tampon ersetzt und der Canal so trocken als möglich gehalten. Vor vier Jahren hat Guye in dieser Versammlung einen Patienten vorgestellt, von ihm nach dieser Methode operirt, und dieser hat jetzt seit acht Jahren diese beiden permanenten Oeffnungen ohne eine Spur von Recidiv. Er kommt nur dann und wann den Wunsch zu äussern, dass die Oefinung geschlossen würde, was natürlich nicht geschehen wird, weil dann früher oder später ein Recidiv zu erwarten wäre.

4. Dr. Moll. Ein Fall von Aufmeisselung des Warzenfortsatzes.

Der Patient, cin Mann von dreissig Jahren, hatte in der Kindheit Otorrhoe gehabt, und litt seit zwei Jahren an heftigen Kopfschmerzen. Es bestand etwas Otorrhoe und Schwellung des Warzenfortsatzes. Moll meisselte das Antrum mastoideum auf, entfernte eine Masse verkästen Eiters und machte, um die Wunde offen zu halten, eine Haut-Transplantation Es besteht in der Tiefe der Wunde eine knöcherne Brücke, unter welcher eine Sonde durchgeführt werden kann: die Brücke macht den Eindruck eines halbzirkelföürmigen Canals, aber weder Dr. Moll noch einer der Anwesenden ist der Meinung, dass es wirklich ein

Zeitschrift für Oh:enheilkunde, Bd. XXIX. 16

240 Berichtüb.d.4. Sitzung d. Niederländ. laryngo-rhino-otolog. Gesellsch.

solcher wäre. Der Kopfschmerz ist vorüber und der allgemeine Zustand des Patienten befriedigend.

5. Dr. Reinhard (aus Duisburg, als Gast anwesend). Vorstellung eines Kranken mit tiefem Hals-Abscess nach Otitis media purulenta.

Das Merkwürdige an dem Fall war, dass die Mittelohr-Entzündung abge- laufen war, als der Abscess sich entwickelte. Es bestand eine sehr grosse und harte Infiltration, die nicht fluctuirte, und bis an die Clavicula und an das Manubrium sterni reichte. Am 25. März wurde der Proc. mast. aufgemeisselt und wurde an dem Planum mastoideum eine erbsengrosse Perforation ge- funden, aus welcher gelber nicht fötider Eiter strömte. Der Senkungsabscess wurde am 10. April, und am 23. April von neuem incidirt und drainirt. Jetzt besteht noch immer nach hinten harte Intiltration, in der Tiefe noch Granu- lationen.

Dr. ten Siethoff fragt, ob der Eiter microscopisch untersucht worden ist. Die harte Infiltration vom Proc. mastoid. bis an das Schlüsselbein macht ihn vermuthen, dass Actinomyces hier im Spiele ist. Er selbst hat vor einem Jahre einen ähnlichen Fall behandelt, wo die harte Infiltration und das Fehlen von Fluctuation ihm Actinomyces vermuthen liess. Er fand richtig die Actino- myces-Körnchen im Eiter und nach einer Behandlung mit Jodkalium in Gaben von 2 Gramm pro die war der Kranke in wenigen Wochen geheilt.

(Im Laufe der Sitzung untersuchte Herr ten Siethoff mit Erlaubniss des Herrn Reinhard Eiter aus der Wunde und zeigte den Anwesenden Actino- myces-Kolben und Myceliumfäden, die von verschiedenen Anwesenden als be- weisend erkannt wurden. Herr Reinhard erklärte, dass auch ihm die Diagnose Actinomycose wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz sichergestellt schien.)

6. Dr. W. van der Heide. Demonstration von Choanalpolypen und Fremdkörper.

Herr van der Heide zeigt vier grosse Choanalpolypen, alle mit der kalten Schlinge entfernt. Einer war ein Cystofibrom ; drei wurden aus der Nase entfernt, einer durch den Mund, nachdem der ziemlich dünne Stiel von der Schlinge durchschnitten war.

Derselbe zeigte dann eine Revolverkugel, welche sich Jemand bei einem Selbstmordversuch in den inneren Augenwinkel geschossen hatte. Weder in der Wunde, noch in einem am Augenwinkel entstandenem Abscess konnte etwas von der Kugel gefunden werden. Nach einigen Wochen wurde die linke Nasen- hälfte verstopft mit fötidem Ausfluss. Zwischen Concha media und Septum mit einer Sonde hinaufgehend, fühlte v. d. H. einen Fremdkörper, und extra hirte dann mit einer gekrümmten Zange die sehr verunstaltete Kugel. Einige Tage später wurde dann noch ein Knochensequester entfernt.

Derselbe zeigte dann noch einen Tausendfuss, welcher einem Knaben von 5 Jahren beim Schlafen im Walde in die Nase gekrochen war. Der Knabe litt an Kopfschmerz und Jucken in der Nase. Redner entfernte ihm adenoide Geschwülste und eine Woche später kam der Patient zurück und zeigte eine Schleimmasse, die einige Tage nach der Operation beim Ausspritzen der Nase entfernt war und lebhafte Bewegungen zeigte. Beim Abspülen zeigte sich ein

Bericht üb. d. 4. Sitzung d. Niederländ. laryngo-rhino-otolog. Gesellsch.. 241

Insect, welches von Dr. P. P. C. Hoek determinirt wurde als Arthronomalus similis.

7. Dr. A. Sikkel. Demonstration von Gypsabgüssen des Ober- kiefers bei Adenoiden - Geschwülsten.

Diese Abgüsse zeigen die eigenthümlichen Veränderungen, auf welche Körner 1891 die Aufmerksamkeit gelenkt hat, und welche nach Körner verschieden sind, je nachdem die Nasenverstopfung entstanden ist, während der ersten oder der zweiten Dentition. Im ersten Falle findet man Hochstand des harten Gaumens, der ganze Oberkiefer ist in seiner Entwickelung zurückge- blieben, der quere Durchmesser verkürzt, der longitudinale verlängert. Im zweiten Falle kommen noch folgende Veränderungen dazu: der harte Gaumen steht noch höher, die Alveolarränder rücken noch näher zusammen, der Kiefer ist scheinbar seitlich zusammengedrückt. Es entsteht eine Knickung in der Medianlinie, die beiden mittlern Schneidezähne stellen sich unter einem Winkel und kehren sich gegenseitig die linguale Fläche zu. Auch die Incisivi laterales scheinen unter der Nasenverstopfung zu leiden: manchmal findet man den einen verkümmert und den anderen ganz fehlen. Es wäre gut, dass die Zahnärzte darauf achteten, dass oft das schiefe und unregelmässige Wachsen der Zähne eine Folge ist der Veränderungen im Oberkiefer, durch Nasenverstopfung verursacht.

8. Dr. Huysman. Therapie bei Otitis media serosa und purulenta.

Huysman erinnert daran, dass er seit 1891 zur trockenen Behandlung der Mittelohrentzündung gerathen hat. Die Erfahrungen, seitdem von Grade- nigo und anderen publicirt, haben ihn in seiner Auffassung gestärkt; er glaubt, dass manchmal complicirende Warzenfortsatzentzündungen durch die Behandlung veranlasst werden. | |

Herr Moll handelt in acuten Fällen in ähnlicher Weise; in chronischen Fällen kann man seiner Ansicht nach nicht immer damit auskommen.

Herr van der Heide ist der Ansicht, dass die trockene Behandlung in der Klinik vielleicht ausreicht, in der Poliklinik aber und wenn man die Patienten nicht regelmässig selbst behandeln kann, kann man seiner Ansicht nach die Aus spülungen nicht entbehren.

Herr Pel. Dieselbe Frage, trockene oder feuchte Behandlung, besteht bei dem Thorax-Empyem. Früher hat man regelmässig die Pleura-Höhle ausgespült, hat aber oft Fieber und Complicationen darauf folgen sehen. Mit der trockenen Behandlung sind die Resultate viel besser. Die Analogie würde also für die trockene Behandlung der Mittelohrentzündung sprechen.

Herr Zwaardemaker bemerkt darauf, dass die Fälle nicht ganz gleich sind; wir spritzen ja nicht die Trommelhöhle, sondern den äusseren Gehörgang aus: das würde also ein Analogon sein mit dem Reinhalten der Umgebung der Thorax- Wunde.

Herr Sikkel kann auch die Spritze nicht entbehren; bei der trockenen Behandlung lässt man ohne Zweifel oft Eiter in der Tiefe sitzen.

In demselben Sinn sprechen sich auch Herr Burger und Herr Guye aus.

16*

242 .Berichtüh.d.4. Sitzung d. Niederländ. laryngo-rhino-otolog, Gesellsch

9. Dr. H..Burger. Demonstration eines Falles von Radicaloperation mit persistenter Oeffnung wegen Cholesteatom.

Patient, ein Mann von 27 Jahren, kam vor 4 Jahren in Behandlung mit alter fötider Otorrhoe am rechten Ohr, die von seinem dreizehnten Jahr an be- standen hatte. Viel Schwindel und Kopfschmerz. Es wurde viel Cholesteatom- Masse entfernt, ein Theil der oberen und hinteren Gehörgangswand war ver- schwunden, durch diese Lücke kam man in eine grosse Höhle im Warzenfort- satz, aus welcher auch viel fötide Massen entfernt wurden. Kopfschmerz und Schwindel waren vorüber und Patient entzog sich weiterer Behandlung. Drei Jahre später, December 1895, stellte sich Pat. wieder vor. Er war äis Jahr ganz wohl geblieben, seit einem halben Jahr hatte er wieder Kopfschmerz und Schwindelanfälle, einmal auch Bewusstlosigkeit, Doppelsehen und Krämpfe ge- habt. Pat. wurde am 24. Dec 1895 in Narcose operirt, der Rest der knöchernen hinteren Gehörgangswand entfernt und ein Hautlappen nach Stacke-Jansen gebildet. Am 5. März war die Höhle im Proc. mast. ganz epidermisirt ohne Spur von Secret. Allgemeinbefinden viel besser, Aussehen auch, und nach des Patienten Angabe das Gedächtniss, welches die letzten Jahre schlecht war, ebenso. Flüstersprache von 0,50 m auf 2,50 m gestiegen.

Herr Reinhard. Auffallend ist das vollkonımene Geschlossensein der Tuba. Nach der Mittheilung des Herrn Burger ist das nicht absichtlich zu Stande gebracht. Ich habe bei der Operation oft versucht, den Verschluss zu Stande zu bringen, sei es durch curettiren oder cauterisiren, aber immer umsonst, Ich betrachte diesen Verschluss als einen sehr glücklichen Umstand.

Herr Guye. Mir scheint es besser, dass die Tuba offen bleibe für die normale Ventilation der Trommeihöhle.

Herr Burger. Ich betrachte, cbenso wie Herr Reinhard. den Ver- schluss als einen Vortheil. hauptsächlich beim Cholesteatom, wo Recidive so oft durch Entzündungsreize von der Tuba aus entstehen. Die Ventilation durch die Tuba kommt nach der Radicaloperation, wo Trommelfell und hintere Gehör- gangswand fehlen, nicht mehr in Betracht.

10. Dr. H. van Anrooy. Larynx-Papillom mit dem Kirstein’s Autoscop diagnosticirt.

Derselbe zeigte ausserdem einen harten runden Holzsplitter, 2 cm lang, welchen er mit Mackenzie’s Zange aus dem Larynx entfernte, wo er unter dem linken Stimmbande zwischen der Regio interarythaenoidea und der lateralen Larynxwand eingeklemnt sass.

11. Dr. Zwaardemaker. Ueber Paracusis Willisii und ähnliche Zustände.

Nach einer kritischen Beleuchtung der verschiedenen Erklärungen dieser Symptome, kommt Z. zu dem Schluss, dass bei diesen Patienten die Reiz- empfindlichkeit vermindert ist, dagegen die Unterschieds-Empfind- lichkeit normal oder sogar erhöht ist. Er hat in dieser Richtung mit der Harmonica von Urbantschitsch Untersuchungen angestellt, welche seine Hypothese bestätigen und über welche er später ausführlich bericht:n wird.

Nachtrag zum Bericht über die Deutsche Otologen-Versammlung. 243

12. M. Bolt. Ueber Behandlung von chronisch eitriger Mittelohr- entzündung mit Styron.

Bolt hat Versuche gemacht mit dem von Spalding empfohlenen Styron. Styron ist eine Mischung von gleichen 'Theilen Styrax und Perubalsam. Er wendet es an in öprocentiger alcoholischer Lösung und war von dem Erfolg sehr befriedigt.

13. Dr. Brondgeest. Ueber die chirurgische Behandlung von Lupus und Tuberculose des Larynx.

XV.

Nachtrag zum Bericht über die Versammlung der Deutschen

otologischen Gesellschaft in Nürnberg 1896. s. Bd. XXVIII, S. 365.

Hr. Leutert- Halle: Bacteriologische Mittheilungen.

Vortragender hat das Material aus acuten Warzenfortsatzeiterungen direct bei der Operation entnommen und nach den verschiedenen gebräuchlichen Methoden, auch mittelst Thierexperiments untersucht. Wie schon Bordoni- Uffreduzzi und Gradenigo gefunden, erwiesen sich auch hier die Pneumo- bacillen (Fränkel-Weichselb.) weniger virulent als in Pneumonien. Unter 41 Fällen fand L. 19 Mal Streptococceen und 2Mal Stanhylococcen allein, 2 Mal Tuberkelbacillen, Pneumobacillen (Fränkel-W.)9Mal sicher, 3 Mal un- sicher. In den Strepto- und Staphylococcenfällen dauerte zur Zeit der Anf- meiselung die Paukeneiterung meist noch an, die in der Mehrzahl der Pneumo- bacillenfälle schon abgelaufen war. Auch fand sich bei letzteren häufiger als bei anderen Keimen Epiduralabscess. Sind diese Unterschiede des klinischen Verlaufes auch nicht durchgehend, da auch eine Streptococceninfection ähnlich verlaufen kann, su glaubt Vortragender doch behaupten zu können, dass ein relativ schneller Ablauf der Paukeneiterung, ein häufigeres Uebergreifen des Processes auf Warzenfortsatz und Schädelhöhle, sowie ein zeitweiliges Latent- bleiben im Proc. mastoid. bei Pneumobacillen häufig, bei Streptococcen selten ist. Dies stimmt mit Zaufal’s Angaben überein. Findet man also iın Mittelohr oder bei der Aufmeiselung Pneumococcen, so muss man auf Complicationen getasst sein, bezw. bei letzterer sogleich nach einem Epidural- abscesse suchen, indem man die Dura über dem Tegmen antri freilegt, was ein ganz unschädlicher Eingriff ist. E. Bloch.

S. 372 ist bei 34. statt „Mainz“ „Nürnberg“ zu setzen.

Bericht

über die

Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde

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im zweeiten Quartal des Jahres 1896.

Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin.

Anatomie des Ohres.

Brieger, Oskar. Klinische Beiträge zur Ohrenheilkunde. Wiesbaden. J. F. Bergmann. | Zuckerkandl, E. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Ohr- trompete. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1896. Derselbe. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Ohrtrompete (Schluss). Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 3, 1896. Garnault, P., Paris. Peut-on tirer de la forme du crane des conclusions sur les dispositions anatomiques rendant plus on moins dangereuses les operations sur le rocher? Paris, A. Maloine 1896. Schülzke. Zur topographischen Anatomie des Ohres in Rücksicht auf die Schädelform. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XL, Hft. 3 u. 4. Flowe, Lucien. On the photography of the membrana tympani. Transact. of the Americ. otolog. Soc. Vol. 6, S. 217. Roaldès, A. W. de. Note préliminaire sur quelques-unes des particularités du nègre en otologie. Révue de laryngologie. Année 16. 1895. Ramón y Cajal, S. Beitrag zum Studium der Medulla oblongata, des Kleinhirns und des Ursprungs der Gehirnnerven. Deutsche vom Verfasser erweiterte Ausgabe besorgt von Johannes Bresler. Mit einem Vor- wort von E. Mendel. Leipzig 1896. Joh. Ambr. Barth. Meyer, S. Ueber eine Verbindungsweise der Neuronen. Nebst Mit- theilungen über die Technik und die Erfolge der Methode der subcutanen Methylenblauinjection. Arch. f. mikrosk. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. 47, 1896. Downie Walker. Ein Fall von angeborener Missbildung der Ohren. The Practitioner März 1896. Talbot, Eugen S. Das degenerirte Ohr. Americ. med. Assoc. 18. Jan. 1896.

Anatomie des Ohres. 245

139. Alexander, Gustav, Wien. Beitrag zur makroskopischen Präparation des Labyrinthes des Menschen. (Aus dem anat. Institut des Hrn. Prof. Zuckerkandl.) Arch. f. Anat. u. Physiologie 1893, Anat. Abth.

140. Dunn, John, Richmond. Spontane Dehiscenz am oberen halbzirkel- förmigen Canale. Diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 139.

128) Während der Jahre 1892/94 hat Brieger im Ganzen 11 mal Missbildungen des äusseren Ohres beobachtet, darunter 5mal Mikrotie, welche 3 mal doppelseitig auftrat. In 2 Fällen fand sich Atresie des Gehörganges neben einer ziemlich normal entwickelten Muschel. Doppel- seitige Mikrotie soll nach Verf. durchaus keine grosse Seltenheit sein. In allen Fällen von einseitiger Mikrotie war ausgesprochene Asymetrie des Gesichts vorhanden. Einmal wurde scheinbare Duplicität des Ge- hörgangs beobachtet; derselbe war durch eine Membran in einen oberen am Trommelfell und in einen unteren blind endigenden Canal getrennt. Abnorme Vergrösserung der Ohrmuschel kam nur einmal zur Beobach- tung, häufig fanden sich sogen. Auricularanhänge, ‘auch in der Um- gebung normaler Ohrmuscheln. . Krause (Berlin).

129) Beschreibung der Tube einiger seltnerer Thiere. Bei Phalangista vulpina entbehren die Tubenwandungen völlig des Knorpels und besitzen statt dessen nur eine derbe Bindegewebsmasse. Ein Tubenhacken fehlt, da die mediale Wandung die gleiche Länge hat, als die laterale; es besteht deshalb auch keine Sonderung in ein Sicherheitsröhrchen und eine Hilfsspalte.e Das auskleidende Epithel ist cylindrisch. Bei Phascolarctus cinereus sind die Tubenwände ebenfalls knorpelfrei und enthalten ein bündelförmig angeordnetes Bindegewebe. Mit Ausnahme der Gegend des Ostium pharyngeum sind die Wände drüsenfrei. Ein eigenthümliches Verhalten zeigt Procyon lotor, hier besteht die Tuben- wandung aus einem fibrösen, zellarmen Gewebe. In dem dem Ostium pharyngeum zunächst gelegenen Abschnitt der medialen Wandung finden sich jedoch zwei Knorpelkerne, eingebettet in Drüsenmassen. Die Schleim- haut ist drüsenarm und ausgekleidet von Cylinderepithel. Krause.

130) Im zweiten Theil seiner Arbeit beschreibt Zuckerkandl noch die Tuba Eustachii vom Seehund, von Propithecus diadema und Simia troglodydes.

Eigenthümlich ist das Verhalten der Tube des Seehundes, sie bildet am Ostium pharyngeum im Querschnitt einen langen, unten verzweigten Spalt, während sie nach dem Ostium tympanicum zu immer mehr die Form eines horizontal gelagerten, halbmondartigen Spaltes annimmt. In der oberen Wand der Tube finden sich mächtig entwickelte Knorpel- stücke, welche durch Drüsenmassen stark zerklüftet werden. |

246 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Die Tube von Propithecus und Simia nähert sich in ihrer Form bedeutend der des Menschen; bei ersterem zeigt der Knorpel eine sehr starke Zerklüftung durch mächtige Drüsenmassen und nimmt dadurch in seiner Gesammtheit die Gestalt eines unregelmässigen Netzwerkes an, histologisch ist er dem Faserknorpel zuzuzählen. Bei Simia besteht das Epithel aus flimmernden Cylinderzellen, in den übrigen Fällen bleibt. dieser Punkt unerörtert, da das Epithel bereits abgefallen war.

Krause.

131) Die Körner’schen Arbeiten über den Tieferstand der mitt- leren Schädelgrube und die Vorlagerung des Sinus bei Brachycephalen haben Garnault zu einer Nachprüfung veranlasst, von der aber kaum zuzugeben ist, dass sie, wie Garnault meint, der Körner’schen Theorie widerspricht. G. hat im Ganzen 60, in einer Tabelle über- sichtlich belegte Schädelmessungen stereographisch nach der Broca’schen Methode vorgenommen 27 dolichocephale, 26 brachycephale, 7 mesati- cephale und seine Ergebnisse unter den verschiedensten Gesichts- punkten zusammengestellt, von denen die wichtigsten hier hervorgehoben seien. Zuerst führt G. aus, dass mit dem Grösserwerden des transversalen Durchmessers bei Brachycephalen keineswegs die Entfernung zwischen den Warzenfortsätzen kleiner, sondern, wenn auch nicht gleichen Schritt. haltend, grösser werde. Ueber die Neigung der Pyramidenachse hat G., der zur Beurtheilung nur Frontalschnitte gelten lassen will, nur an wenigen Exemplaren Beobachtungen anstellen können, hält es trotzdem nicht für zutreffend, dass die Achse bei den Brachycephalen steiler ver- laufen sollte. G. studirt des Weiteren an 3 Vertikalen, die er je durch die Mitte des oberen Gehörgangsrandes, durch die Spina und durch einen Punkt 5 mm hinter derselben auf der horizontalen Gehörgangs- tangente errichtet, den Bogen den die Linea temporalis beschreibt und dessen Verhältniss zur mittleren Schädelgrube. Es zeigten sich da so: viele Schwankungen, die von der äusseren Schädelbildung unabhängig waren, dass die Linea temporalis als Anhaltspunkt ohne jeden Werth ist. Nur fand sich constant, dass sie durchschnittlich bei Frauen tiefer lag. Die Höhenbestimmung aber der mittleren Schädelgrube im Ver- hältniss sowohl zur Linea temporalis wie zur Horizontaltangente ergab, dass die mittlere Schädelgrube durchschnittlich bei den Brachycephalen tiefer herabreicht.. Das wäre eine glatte Bestätigung dessen, was. Körner behauptet hat; G. indessen meint, die Differenzen wären zu klein, erfolgten auch nicht in regelmässigen Abstufungen und hingen zumeist von individuellen Verhältnissen ab, als dass man ein allgemein

Anatomie des Ohres. 247

gültiges Gesetz construiren könne. Dasselbe behauptet G. auch für die Topographie des Sinus lateralis; nur fand sich als regelmässiger Befund, dass überhaupt der Sinus links im Mittel etwa 1,55 mm weiter zurück- lag; übrigens könne man höchstens zu dem Schluss geführt werden, dass der Sinus der rechten Seite bei Brachycephalen, wenn auch minimal. so doch in regelmässiger Progression nach vorn rücke. Oft fand sich die Vorlagerung des Sinus bei geringer Entwickelung des Warzenfortsatzes, die dann meist diploetisch oder compact war (Politzer). Die Aus- führungen G.’s gipfeln in der Mahnung, jedes Felsenbein bei der Operation als „gefährlich“ anzusehen, besonders wenn es die rechte Seite ist. G. Zimmermann (Dresden). 132) Schülzke kritisirt zunächst die von Körner in seinen verschiedenen Untersuchungen (Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXIV und Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVI und XIX) geübten Methoden der Messung und versucht dann an der Hand der von ihm selbst, von Körner, Randall und Garnault zusammengestellten "Tabellen das Unzutrefiende der Körner’schen Schlussfolgerungen nachzuweisen. Er kommt dabei zu dem Resultat, dass für die sogen. gefährlichen Schläfen- beine in der Schädelform kein Merkmal zu finden ist, „da sich aus der Untersuchung ergeben hat, dass der Stand der mittleren Schädelgrube und das Vordringen des Sinus nach vorn und aussen keine Beziehung ` zum anthropologischen Typus hat.“ Der Boden der mittleren Schädel- grube steht auf beiden Seiten nicht immer gleich hoch. und der Sinus dringt rechts durchschnittlich tiefer in den Knochen, als links und er- zeugt hier häufiger die gefährliche Form, als links. Krause. 135) In einer gründlichen und sorgfältigen Arbeit stellt der be- kannte spanische Forscher seine neueren mittels der Chromsilbermethode an der Medulla oblongata erhaltenen Resultate zusammen. In den hier interessirenden Capiteln von dem Ursprung des Nerv. vestibularis und Nerv. cochlearis und den akustischen Kernen bestätigt und vervoll- - ständigt Verf. vor Allem die neueren Untersuchungen von Kölliker, v. Lenhóssek und Held. Neben einer sorgfältigen Darstellung der Bifurcation der Vestibularisfasern wird der Deiters’sche, der Bechterew’sche und der Dorsalkern beschrieben. Auf die Details der Monographie kann hier unmöglich eingegangen werde, nur go viel set bemerkt, dass Verf. einen neuen akustischen Herd entdeckt hat, welchen er als Nucleus seminularis sive praeolivaris externus bezeichnet und welcher nach vorn von der Convexität der oberen Olive gelegen ist. Auch die von Held entdeckten Endfaserkörbe im Kern des Corpus

248 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

trapezoides werden von Ramón y Cajal eingehend beschrieben. Sie sollen entgegen der Ansicht Held’s entweder directe akustische Fasern oder Nervenfortsätze des ventralen Kerns repräsentiren. Krause. 136) Meyer ist es gleichfalls gelungen, mittels seiner Methode der subcutanen Methylenblauinjection und auch mit der langsamen Golgi- methode jene Endfaserkörbe mm Trapezkern darzustellen, jedoch bieten dieselben nach seiner Beschreibung wesentlich andere Bilder, wie die von Ramön y Cajal und Held gelieferten. Die meist recht starke Faser theilt sich in mehrere Aeste, welche mit zahlreichen rundlichen oder länglichen Anschwellungen versehen, den Körper der Ganglienzelle aufs engste umgreifen. (Referent hat in zahlreichen ähnlichen Versuchen ganz die gleichen Bilder gefunden und kann die Resultate Meyer’s völlig bestätigen. Grade dieses Object zeigt die grosse Ueberlegenheit der Methylenblaufärbung gegenüber der Golgimethode auf das aller- deutlichste.) Krause. 137) In Downie’s Fall war die rechte Ohrmuschel voll ent- wickelt; jedoch fand sich in der Tragusgegend eine mit dem Helix nach vorn gerichtete Miniaturohrmuschel, bestehend aus Haut und Fett mit einer geringen Schicht Knorpel. Gehörgang schlitzförmig. Trommelfell normal. Die linke Ohrmuschel war repräsentirt durch eine Masse weichen, unregelmässig geformten, knorpellosen Gewebes, der Helix durch zwei Bogenlinien, als ob der hintere Rand an seiner prominentesten Stelle nach vorn gedrängt worden wäre, die Concha durch eine lineäre Einsenkung. Vom Gehörgang war keine Spur zu entdecken. Der Mund wurde weit offen gehalten, die Unterlippe zeigte einen V-förmigen Umriss. Unter der Zunge fand sich eine umfangreiche Gewebsmasse, welche im Schlucken und im Athmen behinderte. Das Kind starb ungefähr 6 Wochen alt an Schwäche. Bei der Section fand sich links keine Spur von einem Gehörgang, der Jochfortsatz fehlte. Zwischen Haut und Knochen lag ein Polster von Gewebe, das aussah wie embryonales. Eine vollständige Section wurde nicht gestattet. Cheatle. 138) Talbot behauptet, dass eine „Vergleichung der Länge und Breite der Ohren von Armen, Verbrechern und Wahnsinnigen anzeige, dass Degenerirte bei Weitem die grössten und breitesten Ohren besässen.“ Er giebt eine Tabelle, an welcher gezeigt wird, dass der Procentsatz von Deformitäten der Verbrecher und Wahnsinnigen fast dieselbe und zusammengenommen ungefähr halb so gross als normal ist. Bei einer Untersuchung von 1000 normalen Personen wurden 92°/, mit ange- wachsenen Ohrläppchen, bei Wahnsinnigen jedoch nur 47°/, gefunden,

Anatomie der Nase. 249

wobei sich herausstellte, dass die frühere Theorie nicht korrekt war, nämlich „dass Personen, deren Öhrläppchen ihrer ganzen Länge nach angewachsen ist, Neigungen zum Wahnsinn darbieten.“ Die Tabellen zeigen, dass der Darwin’sche Knoten nicht immer am oberen Theil des mittleren Drittels des Helix gefunden wird. Ein grösserer Procentsatz findet sich bei normalen Individuen als bei degenerirten. Das linke Ohr scheint bei Normalen und Degenerirten am wenigsten afficirt zu sein. Das Ohr soll bei einer Stellung von 90° ein deutliches Zeichen von Degeneration darstellen. Gorham Bacon.

139) Nach Besprechung der bisherigen Methoden zur Präparation des häutigen Labyrinthes beschreibt Alexander die von ihm ange- wendeten Entkalkungs- und Härtungsmethoden, von denen er am meisten die „Chromsäure-Salzsäure-Methode“ empfiehlt wegen der kurzen Dauer und Billigkeit des Verfahrens, der Sicherheit völliger Entkalkung und der herrlichen Farbendifferencirung. Das Nähere hierüber sowie über die ausführlich beschriebene Technik der weiteren Präparation des Labyrinthes muss im Original nachgelesen werden. Veff. fertigt syste- matisch anatomische Präparate an zur Darstellung einzelner Labyrinththeile (z. B. eines der Bogengänge oder Vorhofsäckchen), welche er immer im Zusammenhang mit dem orientirenden Knochen lässt, und ausserdem topographisch-anatomische Präparate zur Darstellung des häutigen Laby- rinthes von der oberen, beziehentlich hinteren Felsenbeinfläche, beziehent- lich von der Fenestra vestibularis aus, ferner zur Darstellung aller drei Bogengänge mit dem ovalen Säckchen. Die der Arbeit beigegebenen Abbildungen veranschaulichen vorzüglich den Werth der so gewonnenen Präparate. Walter Haenel (Dresden).

Anatomie der Nase.

141. Duncan, W. and Dawren, A. Case of congenital absence of Nose, right palpebral fissure and right ears etc. Transactions of the gynae- cological Soc. of London V. 37, S. 16.

142. Baumgarten, E. Ueber echte und falsche Choanenverschlüsse. Monats- schrift f. Ohrenheilk. No. 1, 1896.

143. Liebe, G. Angeborene Verwachsung der Nasenöffnungen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 4, 1896.

144. Downie Walker. Congenital Membrans, occlusion of left nostril.

| Brit. med. Journ. 16. Mai 1896.

145. Crull, Paul. Congenitaler Verschluss der linken Choane. Diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 133.

146. Escat. De la sténose congénitale des fosses nasales et du nasopharynx. Arch. internat. de laryngol. ete. No. 3, 1896. |

250 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

147. Killian, G. Zur Anatomie der Nase menschlicher Embryonen. Arch. f. Laryng. u. Rhinolog. Bd. IV, Hft. 1.

148. Seydel, O. Ueber die Nasenhöhle und das Jacobson’sche Organ der Amphibien. Morphologisches Jahrbuch Bd. XXIII, Hft. 4.

149. Nussbaum, J. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Gaumens, der Stenson’schen und Jacobson’schen Gänge und der Hypuphyse beim Hund. (Polnisch.) Anzeiger der Kais. kgl Akad. d. Wiss. zu Krakau. März 1896.

141) Duncan berichtet über einen totalen knöchernen Verschluss der rechten Choane bei einem 9jährigen Mädchen bei gleichseitiger Parese der Gesichtsmuskulatur, welche er als Inactivitätsparese der bei der nasalen Athmung mitwirkenden Muskeln erklärt. Krause.

143) Beobachtung eines Falles von angeborenem partiellem Verschluss der Nasenöffnungen bei einem 18jährigen Patienten, welcher in seiner Kindheit an hochgradiger Rhachitis gelitten hatte. Jede Nasenöffnung stellt eine trichterförmige Höhle dar mit einer stecknadelkopfgrossen Oeffnung an der Spitze. Der Verschluss ist häutig. Zahnstellung abnorm, die obere Zahnreihe greift hinter die untere. Liebe glaubt, dass die Kieferdeformation durch die Ausschaltung der Nasenathmung erzeugt worden sei. Krause.

144) In der Glasgow Medico-Chirurgical Society am 8. Mai stellte Downie ein 12monatliches Kind vor, bei dem eine Membran quer über das linke Nasenloch gespannt war und dasselbe verschloss.

Cheatle.

146) Es ist klinisch und experimentell erwiesen, dass adenoide Vegetationen Veränderungen am Schädel- und Thoraxskelett zur Folge haben; andererseits sind Gründe vorgebracht, um wahrscheinlich zu machcn, dass sowohl die adenoiden Vegetationen wie die Knochenver- änderungen nur ein verschiedener Ausdruck der gleichen zu Grunde liegenden allgemeinen Degeneration sind. Escat hat deshalb die Frage wieder aufgenommen und führt 3 Fälle an, in denen er eine congenitale Stenose der Nasen- und Rachenhöhle diagnosticirt hat. 2 waren aus- gesprochene Mikrocephalen von 22, resp. 56 Jahren, bei denen sich, was aber eigentlich nichts beweist, der Nasenrachenraum vollständig frei fand; einer, ein 11 jähriger, geistig zurückgebliebener Junge, bei dem eine normale (!) Rachenmandel nachgewiesen und auch, aber ohne Er- folg, entfernt wurde. Die äusseren Zeichen der angeborenen Stenose, Gesichtsausdruck u. s. w. ähneln ebenso wie die funktionellen Störungen gänzlich denen, die im Gefolge von adenoiden Vegetationen auftreten. Der Unterschied liegt eben nur in den anatomischen Verhältnissen der

Anatomie der Nase. 251

Nase und des Rachens, die eine hochgradige Verengerung zeigen, ver- bunden mit mangelhafter Entwickelung beider Kiefer und hochgewölbtem Gaumen. Die Kleinheit des Nasenrachenraums veranschaulicht Escat durch die Abbildung zweier Durchschnitte von Abdrücken, die er je von einem 10 jährigen normalen und einem 11 !t/ jährigen Kinde mit con- genitaler Stenose gemacht hat. Zimmermann.

147) In dem zweiten Theil seiner umfangreichen Arbeit giebt Killian eine detaillirte Beschreibung des Knorpel- und Knochengerüsts der lateralen Siebbeingegend unter Zuhülfenahme der Born schen Platten- modellirmethode. Er kommt dabei zu dem Resultat, dass die knorpligen und knöchernen Muscheln insgesammt nach demselben Typus gebaut und als Lamellen aufzufassen sind mit Ausnahme des aufsteigenden Schenkels der ersten Muschel. Sie nehmen von vorn nach hinten an Grösse ab und decken sich dachziegelföürmig. Die am meisten typische Ausbildung zeigt die zweite Hauptmuschel, welche von dem mittleren Theil der Seitenlamelle entspringt und von der medialen Seite aus gesehen einen auf- und absteigenden Schenkel erkennen lässt. Von ihnen ist der erstere mit dem entsprechenden Schenkel der benachbarten Hauptmuschel secundär verwachsen. Auch die Nebenmuscheln sind nach demselben Grundplan, nur in verkleinertem Maassstab gebaut, so dass die ganze Siebbeingegend als eine grosse Lamelle der Seitenlamelle aufzufassen ist, von welcher zahlreiche kleinere Lamellen in regelmässiger Anordnung entspringen.

Von den sechs anfänglich immer vorhandenen Hauptfurchen schliessen sich die aufsteigenden Aeste später, die fünfte und sechste kommen ganz in Fortfall und in den übrigen Fällen können sich die verschiedensten Combinationen ausbilden. Es entspricht: |

die mittlere Muschel dem absteigenden Schenkel der zweiten Hauptmuschel und eineın kleinen Theil des aufsteigenden;

die obere Muschel entweder dem absteigenden Schenkel der dritten Hauptmuschel oder dem gleichen Theil der dritten bis fünften Hauptmuschel ;

die oberste Muschel dem absteigenden Schenkel der vierten plus fünften Hauptmuschel ;

der obere Nasengang dem absteigenden Ast der zweiten Hauptfurche; |

der oberste Nasengang dem absteigenden Ast der dritten Hauptfurche.

252 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Den Schluss der Arbeit bildet eine übersichtliche Darstellung von der Entstehung der Nebenhöhle der Nase. Krause.

148) Die Amphibien sind die niedrigst stehende Thierklasse, bei welchen bis jetzt ein Jacobson’sches Organ aufgefunden worden ist. Seydel hat nun bei einer Anzahl von Vertretern dieser Klasse jenes Organ näher untersucht, um so einen Einblick in die Phylogenese der- selben zu gewinnen.

Zur Untersuchung kamen Proteus anguineus, Siren lacertina, Meno- branchus, Siredon pisciformis, Triton taenabus und alpestris, Salamandra maculata und Rana esculenta; ausserdem wurden noch die von P. und F. Sarasin bei Ichthyophis erhaltenen Befunde zum Vergleich heran- gezogen. Von allen diesen Thieren entbehrt nur Proteus und Meno- branchus eines Jacobson’schen Organs. Dasselbe muss als eine Diffe- rencirung der Nasenhöhle aufgefasst werden und enthält echtes Sinnes- epithel, versorgt vom Nerv. olfactorius und zwar von einem ventralen Ast desselben. Abgeleitet muss das Organ werden von einer rinnen- förmigen Einsenkung der Riechschleimhaut, welche durch Abschnürung, Lageverschiebung und blindsackförmige Erweiterung bei den verschiedenen Formen zu differenten Bildungen führt. Bei Ichthyophis stellt es einen schlauchförmigen Blindsack dar, welcher an der medialen Wand der inneren Nasenöffnung mündet. Bei Siren und Rana erweitert sich der Blindsack und seine Mündung verschiebt sich bei der letzteren in lateraler Richtung, bei Siredon und den Urodelen endlich erfährt es eine seitliche Verlagerung.

In das Organ münden vielfach stark entwickelte Drüsen, deren Secret die Funktion hat, die Erregung der nervösen Endorgane zu ver- mitteln und das Divertikel von eingedrungenen Fremdkörpern zu reinigen.

Eine Kieferhöhle, welche mit dem Sinus maxillaris der Säugethiere zu vergleichen wäre, fehlt den Amphibien. Krause.

149) Beim Hund kommt der Verschluss des Gaumens im vorderen Theile dadurch zu Stande, dass sich die Gaumenplatten an das stark verbreiterte untere Ende der Nasenscheidewand anlegen und mit ihr verschmelzen. Im hinteren Theil dagegen ist der Verschluss analog dem des Menschen. Die Stenson’schen Gänge entstehen als selbstständige Ausstülpungen der Gaumenschleimhaut und verbinden sich dann mit Ueberresten der Gaumenspalten. Die Jacobson’schen Gänge sind blind endigende Einstülpungen derjenigen Epithelpartie, welche die Gaumenspalte bedeckt und wachsen nach hinten zu beiden Seiten des

Physiologie, | 253

Vomer. Die sie einschliessenden Knorpel entstehen vom unteren Theil des Vomer aus. Krause.

Physiologie. 150. Epstein, S. Ueber Modification der Gesichtswahrnehmungen unter dem Einfluss von gleichzeitigen Toneindrücken. Zeitschr. f. Biol. XXXIII, N. F. B. XV, 1896, S. 28. l 151. Stern, L. W. Die Wahrnehmung von Tonveränderungen. Zeitschr. f. Psych. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. XI, Hft. 1, 1896. 152. Sänger, M. Ueber die akustische Wirkung der Nasenhöhlen. Pflüger’s Archiv, 63. Band, Hft. 5 u. 6. 153. Gellé. Audition. Dictionnaire de Physiologie von Charles Richet. Paris 1895. ; 150) Diese Arbeit hat ein gewisses Interesse, weil in ihr der erste Versuch gemacht worden ist, den Speculationen über die „Audition colorée“ experimentell entgegenzutreten. Epstein hat zunächst die Erhöhung der Sehschärfe unter dem Einfluss gleichzeitiger Toneindrücke untersucht. Die Versuchsanordnung schloss sorgsam eine ganze Reihe von Fehlerquellen aus. Das Hauptresultat der 164 Versuche bestand darin, dass bei 60°/, der Gesammtzahl die Toneindrücke nicht nur auf die Modification der Sehschärfe, sondern auch auf den Farbensinn wirkten, bei den übrigen 40°;/, jedoch nur auf die Sehschärfe. E. macht zur Erklärung dieser Erscheinung die Annahme, dass die in den vorderen Vierhügeln eintretende akustische Erregung reflectorisch auf centrifugal leitende Opticusfasern wirkt, wodurch die Retina für Gesichtswahr- nehmungen empfindlicher werden soll. Asher (Bern). 151) Mit Hilfe eines sinnreichen Apparates hat Stern die Wahr- - nehmung von Tonhöheveränderungen untersucht. Das wichtigste Resultat war, dass bei gleichem Umfange der Veränderung das Urtheil um so sicherer war, je geringer die Geschwindigkeit derselben oder je länger die Dauer war. Asher. 152) Der allgemeinen Annahme nach hat an der Erzeugung der m-, n- und ng-Laute das Mittönen der in den Nasenhöhlen befindlichen Luft einen wesentlichen Antheil. Gegen diese Annahme führt Sänger folgende Versuche an: Personen, denen durch pathologische Processe oder durch Wattetampons die Nasenhöhlen verschlossen waren und die nicht im Stande waren, jene Laute hervorzubringen, konnten, wenn ihnen eine Röhre von 8 mm Durchmesser in die Mundhöhle eingeführt wurde, m und n wieder deutlich aussprechen, Auch ohne Zuhilfenahme dieser Röhre gelang es S., wenn er zuvor tief inspirirt hatte, m, n und nach einiger Uebung ng bei vorn verschlossener Nase auszusprechen. Asher.

254 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

153) Gell& giebt in seiner umfangreichen Arbeit (83 S.) nicht nur eine vollständige Schilderung der Physiologie des Gehörs, sondern auch eine sehr eingehende anatomische mit vielen Abbildungen versehene Beschreibung des Hörorganes, die sich auch auf die Embryologie und vergleichende Anatomie erstreckt. H.

Allgemeines.

154. Aus der Gruber’schen Klinik: Bericht über die im Jahre 1895 ambu- latorisch behandelten Kranken. Monatsschr. f. Ohrenbeilk. 1896, No. 4, an. D

- 155. Nicolai e Della Vedova. Statistiche e considerazioni cliniche di oto- rino-laringojatria per l'anno 1894. Milano 1895.

156. Ottolenghi. Le cordizione del sordomuto innanzi alla biologia e alla legge. Archivio Ital'ano di Otologia ecc. 1896, fasc. 1°, S. 1.

157. Suchannek, H. Ueber Scrofulose, ihr Wesen und ihre Beziehungen zur rubenden Tuberkulose der Mandeln, Halslymphdrüsen und benachbarter Organe. M. Bresgen's Sammlung zwangloser Abhandlungen etc. Halle 1896, Ba. I, Hft. 11.

158. Hagedorn, A. Ueber Beziehungen von Allgemeinkrankheiten sowie von Nasen- und Halsleiden zum Gehörorgane. M. Bresgen’s Sammlung etc. Bd. I, Hft. 10.

154) Ausser der tabellarischen Zusammenstellung sämmtlicher Krank- heitsfälle enthält der Bericht speciellere Besprechungen folgender Fälle: Missbildung der Ohrmuschel. Fremdkörper im äusseren Gehörgang, Otitis externa, nässende Flechte der Ohrmuschel. Othämatom, Trommelfellruptur, Sarcom des Ohres, Otitis media hyperplastica, Otitis media chronica mit Caries des Warzenfortsatzes, Pyämie, Entzündung der Wand des Sinus transversus und extraduralem Abscess, Heilung durch Operation. Es folgen zwei Eröffnungen des Proc. mastoideus mit beschlennigter Heilung durch Spätnaht. G. Killian (Freiburg).

155) Lie Statistik Nikolai’s und Della Vedova’s betrifft 4393 Kranke: 1748 Nasen-. 504 Ohr-. !008 Pharynx-. 489 Larynx-, 412 Hals-, 32 Oesophagus-Affectionen. Jedem Abschnitt sind zusammen- fassende klinische Erörterungen über die Hauptkrankheiten beigefügt.

Gradenigo.

156) Ottolenghi berichtet über Untersuchungen über Taub- stummheit vom biologischen und juristischen Standpunkte aus. Er sammelte die Stellungnahme bezüglich der Taubstummen, welche sich in den verschiedenen Gesetzbüchern findet, schildert auf Grund persön- licher Wahrnehmungen die anthropologischen Charactereigenschaften, den Unifang der verschiedenen Sensibilitätserscheinungen, die geistige Ent-

Instrumente und Untersuchungsmethoden. 255

wicklung und kommt zum Schlusse, dass, wenn die taubstummen Cretins ausser Acht gelassen werden, die andern eine geistige Entwicklung be- sitzen, welche nicht viel geringer ist, als die der normalen Menschen. Die Bestimmungen über Verantwortlichkeit und Strafbarkeit der Taub- stummen in den verschiedenen Gesetzen entsprechen nicht den indi- viduellen Rechten der Taubstummen und nicht der allgemeinen Sicher- heit. Der Taubstumme ist wie jeder andere Bürger zu betrachten. Jeder Fall muss für sich betrachtet werden und ist der Taubstumme nach den für Schwachsinnige oder für Personen mit beschränkter geistiger Entwicklung geltenden Bestimmungen zu beurtheilen. Gradenigo.

157) Weniger eine völlig ausgearbeitete Abhandlung ist die vor- liegende Arbeit Suchannek'’s, vielmehr eine Aufspeicherung zahlreicher Notizen und Reflexionen über das Thema, z. Th. mit Hinblicken auf nicht citirte und wenig bekannte Veröffentlichungen. Der resultirende Gedanke lässt sich vielleicht so ausdrücken: Scrofulose ist Tuber- kulose, und auch in den Tonsillen können wie anderwärts Tuberkel- bacillen inactiv lagern. Bloch.

158) Besprechung bekannter Dinge, die im Einzelnen exacter sein dürfte. Bloch.

Instrumente und Untersuchungsmethoden.

159. Ferreri. Sulla ginnastica della membrana timpanica e degli ossicini. Descrizione di un nuovo apparecchio. Archivio Italiano di Otologia ecc. IV, 1896, S. 153.

160. Courtade. Du lavage de la caisse avec une nouvelle sonde. Ann. des mal. de l'or. Mai 1896.

161. Eitelberg, A., Wien. Ueber einige unangenehme Zufälle beim Kathetrismus und bei der Bougirung der Ohrtrompeten. Wien. med. Presse No. 26, 1896.

162. Ohls, Henry G. Eine einfache Durchleuchtungsmethode. Journ. Amer. Med. Associat. 13. Juni 1896.

163. Schwartz, Wilhelm, Rostock. Ueber den Werth der electrischen Durch- leuchtung menschlicher Körperhöhlen. Beiträge zur klinischen Chlrurgie Bd. 14, S. 615 ft.

164. Gibb, Joseph P. Eine Septumnadel. Philadelphia Polyclinic 18. April 1896.

165. Bergeat, H., München. Ueber die Sichtbarkeit der oberen Nasenmuschel in nichtatrophischen Nasenhöhlen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 6, 1896.

166. Kohn, Samuel. Ueber die Bedeutung der digitalen Untersuchung für die Diagnose und Behandlung der Krankheiten des Halses und der Nase. Medical Record 18. April 1896. | |

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX, 17

256 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

159) Das von Ferreri beschriebene und abgebildete Instrument ist dazu bestimmt, eine langsame Massage des Trommelfells zu bewirken. Es wirkt automatisch unbestimmte Zeit hindurch mit Hilfe von Wasser- druck, der von einem Electromagneten ausgeübt wird. Es sollen nicht mehr als 30 Vibrationen in der Minute stattfinden. Der Apparat kann vom Patienten selbst angewandt werden und besteht keine Gefahr, den Schallleitungsapparat zu verletzen, da der angewandte Druck 24 cm Hg nicht überschreitet. Gradenigo.

160) Courtade hat an einem schräg abgehenden Handgriff ein ganz geradeliniges Paukenröhrchen construirt, an dessen vorderem Ende eine seitliche resp. zwei seitliche und eine vordere Oefinung angebracht. ist. Für sehr scheue Patienten mag es sich ja vielleicht empfehlen, die vordere Krümmung des Hartmann’schen Paukenröhrchens zu vermeiden, ob es aber von Vortheil ist, die hintere Abkrümmung wegzulassen, er- scheint sehr fraglich. Zimmermann.

161) Eitelberg beobachtete in einem Falle nach Läsion der Schleimhaut bei Bougirung der Tube ein hochgradiges ausgedehntes submucöses Emphysem, welches sich auf die correspondirende Stirngegend erstreckte, und über die Wange und Halsseite bis zur Mitte der gleich- namigen Brusthälfte reichte; in einem anderen Falle blieb die Celluloid- bougie im Isthmus tubae stecken, und als es E. mit einem grossen Kraftaufwande gelang, die Bougie zu Tage zu fördern, fehlte das Knöpfchen an derselben. Reaction blieb aus, und da weitere Bougirungen ohne. Weiteres gelangen, glaubt E., dass der Fremdkörper durch einen reflec- torisch ausgelösten Niesact ausgestossen worden sei. Pollak.

162) Ohls gebraucht eine gewöhnliche Electrode für Galvanocaustik in einem Fläschschen von 8 cbem Inhalt, welches von den Lippen des Patienten festgehalten wird, wobei der Pfropfen das Licht vom Ent- weichen zurückhält. Indem man die Flasche bis an’s Ende mit dunklem Papier bedeckt, kann man sie auch für die Durchleuchtung der Stirn- höhle benutzen. M. Toeplitz.

163) Die Durchleuchtung der Stirnhöhle von der Orbitalwand aus hält Schwartz für diagnostisch sehr werthvoll, da nach seiner Meinung auch Empyeme ganz geringen Grades bei dem grossen Absorptionsver- mögen des Eiters für Licht ein negatives Resultat der Durchleuchtung geben müssen (contra Ziem). Das Fehlen der Stirnhöhle, welches zu Täuschungen Anlass geben kann, ist ein seltenes Vorkommniss. Eigene Beobachtungen pathologischer Fälle fehlen dem Verfasser. Bei der Durchleuchtung der Oberkieferhöhle glaubt er mit seiner Methode der

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Aeusseres Ohr. | 257

isolirten Durchleuchtung jeder einzelnen Oberkieferhöhle durch ihre untere (Gaumen)-Wand wesentlich zuverlässigere Resultate zu erhalten, als mit den früheren Methoden (betreffende Lampe bei Tischbein & Schwiedeps in Rostock erhältlich). Die Pupille fand er nur in 20°;, seiner Fälle mit normalen Oberkieferhöhlen leuchtend, weshalb er diesem Phänomen keinen Werth beimisst. Ausser bei Empyem der Höhlen erwartet er ein negatives Durchleuchtungsresultat bei Hämatom, Sarcom, Carcinom, Enchondrom und Osteom derselben. Walter Haenel. 164) Zu der Roberts’schen Operation wegen Verbiegung der Nasenscheidewand, welche darin besteht, dass man dieselbe von ihrer Verbindung am Nasenboden durch einen Einschnitt, mit oder ohne Excision des überschüssigen Knorpels, ablöst, und dann mittelst einer wie ein Knopflochsträusschen befestigten Nadel fixirt, giebt Gibb eine besondere runde Nadel an, welche aus einem Metallstück mit einem kolbigen Ende angefertigt ist; die Länge der Nadel schwankt zwischen 3), und 2'/,”. M. Toeplitz. 165) Wie Bergeat an Präparaten und durch die Beobachtungen am Lebenden darthut, kann die obere Nasenmuschel in vereinzelten Fällen von vorn her gesehen werden. Killian. 166) Palpation, mit einem ganz aseptischen Finger ausgeführt, ist für die Feststellung der Diagnose von adenoiden Vegetationen, maligner Erkrankung, follikulärer Tonsillitis, eitriger Tonsillitis, peritonsillärem Abscess und Fremdkörpern von grossem Werthe. Sie dient als Führer bei der Intubation, verschiebt Rhinolithen und hilft bei der Operation von Ash dabei mit, das zerbrochene Septum an seine Stelle zurück- zusetzen. neh M. Toeplitz.

Aeusseres Ohr.

167. Eitelberg, A. Wien. Otiatrische Mittheilungen. Wien. med. Presse No. 17, 1896.

168. Richardson, C. W., Prof., Washington. Ein Fall von lebenden Fliegen- maden in normalen Gehörgängen. Diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 292.

169. Miot. De la perforation artificielle permanente. Rev. hebdom. de laryng. etc. No. 26, 1896.

167) Eitelberg sah in zwei Fällen Durchbruch von Abscessen des unteren Parotislappens durch die untere Gehörgangswand, vielfach Otitis externa circumscripta, die er als Folge von coincidenten Cerumen- anhäufungen auffasst. Pollak.

169) Miot umschneidet zunächst die hintere Peripherie, dann, in- dem er am unteren Rande einen Stiel stehen lässt, die vordere Peri-

17*

358 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

pherie, darauf wird der Stiel durchtrennt und der Hammergriff mitsammt dem daranhaftenden Trommelfell abgetragen. Unter 24 so Operirten erhielt sich bei 20 eine dauernde Oeffnung. Indieirt hält Miot die Operation bei den Fällen von trockenem Mittelohrcatarrh, wo die Para- centese eine Gehörsverbesserung ergiebt. Die Erfolge waren sehr un- gleichmässig. Zimmermann.

Mittleres Ohr.

170. Eitelberg, A., Dr., Wien. Beiträge zur Facialisparalyse bei nicht eitrigen Ohrenerkrankungen mit Meniere’schen Symptomen. Wien. med. Wochenschr. No. 27, 1896.

171. Spear, Edmond D. Die Beziehung der Schilddrüse zu gewissen Erkran- kungen des Ohres mit einer Theorie ihrer Funktion. Boston City Hospital Medical and Surgical Reports 1896.

172. Zwaardemaker, H,, Utrecht. Ein Initialsymptom der Sclerose. Diese

- Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 119

173. Bernstein, E. J. Die Behandlung des chronischen Mittelohrcatarrhs. Maryland Med. Journ. 13. Juni 1896.

174. Rudolph, Oswald, München. 18 Sectionsberichte über das Gehörorgan bei Masern. Hervorgegangen aus dem otiatrischen Ambulatorium des med. klinischen Institutes in München. Mit einem nachträglichen Resume von Prof. Dr. Bezold. Diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 209.

175. Bulling, A., Dr., München-Reichenhall. Otitis med. bei Influenza. Diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 294.

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177. Lannois. Otite moyenne catarrhale aigue et microbes. Ann. des mal. de l'or. etc. No. 6, 1896

178. Podack, Max, Königsberg. Ueber die Beziehungen des sogenannten Maserncroups und der im Gefolge von Diphtherie auftretenden Erkran- kungen des Mittelohres zum Klebs-Löffler'schen Diphtherie-Bacillus. Aus der med. Univ -Klinik von Prof. Dr. BODEN: Deutsches Archiv f. klin. Medicin Bd. 56, S. 34 ff.

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170) Ein 35jähriger Patient stürzte vom Pferde und stiess mit dem Kopfe am harten Boden auf. Sofort stellten sich Schwindel mit Er- brechen, Ohrensausen und Schwerhörigkeit auf dem linken Ohre ein.

Mittleres Ohr. 261

4 Tage später ergab die Untersuchung: Traumatische Perforation mit sugillirten Rändern der Shrapnell’schen Membran, am 7. Tage trat Facialislähmung auf. Nach 2 monatlicher Behandlung complete Heilung. In einem andern Falle begann das Leiden, Ohrensausen und Schwindel aber ohne Schwerhörigkeit im Anschlusse an eine energische Bepinselung des Rachens mit einer 10°/ igen Lapislösung; 10 Monate später recht- seitige Facialisparalyse, die seit °/, Jahren mit geringen Besserungen fortbesteht. In beiden Fällen ist E. über das Wesen der Erkrankung im Unklaren. Pollak. 171) In Fällen von progressiven Erkrankungen der Ohren, mit Geräuschen, Herabsetzung des Gehörs für die tieferen Töne und nur geringen Veränderungen am Trommelfell, fand Spear bei Patienten mit nervöser Belastung, einen grossen Procentsatz mit beträchtlicher Ver- grösserung der Schilddrüse und gleichzeitigen Hypertrophien der Schwell- körper der Nase. In den frühen Stadien dieser Affectionen wird die Verschlechterung des Gehörs durch die Zurückziehung der Gehörknöchel- chen in Folge von Tubenverschluss herbeigeführt, welcher wiederum eine Folge von Mangel von Hemmungswirkung der Schilddrüse auf die Schwellkörper ist. In den spätern Stadien werden der Hammer und Amboss anchylotisch, und der Steigbügel im ovalen Fenster fest fixirt. Gorham Bacon. 173) Bernstein verlangt in diesem Artikel, dass man nach Er- forschung der directen und indirecten Ursachen in jedem Falle auch die catarrhalische Entzündung der Eustachi’schen Trompete local be- handeln muss. Der Katheter, das Bougie und die Spritze sind speciell für die Eustachi’sche Röhre nothwendig. Einspritzungen in das Mittel- ohr, sowie Massage der anchylotischen Knöchelchen vermittelst einer mit Watte umwickelten, auf dem kurzen Fortsatz ruhenden und mit der Hand geführten Sonde oder vermittelst eines der angegebenen electrischen Vibratoren sind in manchen Fällen von Nutzen. Er hält den Vibro- meter für werthlos. Die Herausnahme der Knöchelchen hat der Ver- fasser in einigen Fällen versucht, will sie aber nicht mehr ausführen, da seine Patienten den geringen Rest ihres Gehörs noch verloren haben, obgleich für eine kurze Zeit eine ausgesprochene Verbesserung einge- treten war. Gorham Bacon. 176) Von einigen Kaninchen und von 4 Hunden wurden theils Schleimhautpart'een aus der Paukenhöhle, theils die Gehörknöchelchen selbst steril entnommen und damit Culturversuche angestellt: die Boullion blieb, soweit keine nachträglichen Verunreinigungen auftraten, steril.

262 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Diese Asepsis der Paukenhöhle erklärt Lannois damit, dass einmal von der Nasenschleimheut die etwa eingedrungenen Keime zurückbehalten und zerstört werden und dann vielleicht auch die Paukenhöhlenschleim- haut selbst wie die der Nase bacterienvernichtende Eigenschaften hat. Zimmermann. 177) In 6 Fällen von Mittelohrcatarrh hat Lannois das durch die Paracentese entleerte Exsudat 12 mal bacteriologisch untersucht und dabei gefunden, dass von den angelegten Culturen 7 steril blieben. L. sieht darin eine Uebereinstimmung mit den Theorieen, die ihn das Thierexperiment gelehrt hat und meint, dass je länger die bacterienver- nichtenden Eigenschaften der Paukenschleimhaut sich geltend machen könnten, je älter also das Exsudat sei, um so mehr die Mikroorganismen darin verschwänden. Zimmermann. 178) Von 3 Fällen tödtlich verlaufenen Maserncroups, bei denen in den Croupmembranen der Halsorgane Klebs-Löffler’sche Diphtherie- bacillen gefunden wurden, waren 2 Fälle mit Mittelohreiterung compli- cirt. Bei diesen war der Nachweis der Löffler’schen Bacillen auch im eiterigen Ohrsecret (durch Cultur und Impfversuch) gelungen. Das eine Mal lag, wie durch die Gegenwart von fibrinösen Diphtherie-Bacillen- haltigen Membranen in der Paukenhöhle bewiesen wurde, eine echte Diphtherie des Mittelohres vor; dieselbe hatte vom Rachen aus auf die durch chronische Entzündung vorbereitete Mittelohrschleimhaut überge- griffen. Im andern Falle ist es, da der Nachweis fibrinösen Exsudates im Mittelohr nicht gelang, unmöglich zu entscheiden, ob es sich auch hier um Mittelohrdiphtherie gehandelt hat oder ob die Diphtheriebacillen im Secrete einer gewöhnlichen Mittelohreiterung nur die Rolle von Saprophyten gespielt haben. Wahrscheinlich lag Anfangs (2 Wochen vor den Masern) eine gewöhnliche Mittelohreiterung, möglicherweise aber auch eine primäre Mittelohrdiphtherie vor. Die Diphtheriebacillen können vom Mittelohre aus lange nach Ablauf der Rachenaffection an- steckend wirken, in dieser Hinsicht bildet das Mittelohr einen ebenso gefährlichen Schlupfwinkel für die Bacillen wie die Nasenhöhle. Verf. sieht jeden Maserncroup, ebenso wie jeden primären Larynxcroup, für eine echt diphtherische Affection an. Haenel. 179) Im ersten Falle setzten „einige Zeit“ nach einer Parotitis bei einem 5jährigen Jungen heftige Schmerzen im r. Ohr ein mit Erbrechen, Beuommenheit und Delirien ; das ganze Trommelfell zeigte sich intensiv entzündet. Innerhalb 6 Tagen schwanden die stürmischen Erschei- nungen; es bestanden noch leichtes Schwanken bei Bewegungen, fast

Mittleres Ohr. 263

völlige Taubheit und vom Trommelfell (!) aus Secretion eines leicht gelblich gefärbten Schleimes. Aussicht auf völlige Heilung. Im andern Falle wird, ohne weitere Belege anzugeben, einfach eine vor 2 Jahren abgelaufene Labyrinthitis bei einem 13jährigen Knaben constatirt und, um jeden Zweifel an der Diagnose abzuschneiden, auf die Ocularinspection

des Kopfkissens des Kranken verwiesen. Es ist in beiden Fällen wohl kaum zweifelhaft, dass es sich um acute Mittelohraffectionen ge- handelt hat. Zimmermann.

180) Moure beobachtete bei einer 47jährigen Frau im Eingang des Gehörgangs einen röthlichen Tumor von der Grösse eines Getreide- korns, der über einem andern Tumor sass, der platt und flach an der Oberfläche von kuglicher Gestalt sich in den Gehörgang versenkte und sich an der hinteren oberen Paukenwand zu inseriren schien. Dieser Tumor war von Eiter umgeben und von ihm stammte eine gelbliche Flüssigkeit von fadem Geruch. Bei der Entfernung mit dem Schlingen- schnürer strömte eine Masse schwarzen Blutes aus dem Gehörgang, die so gross war, dass M. an ein Aneurysma der Jugularis dachte. Jodo- formgazetamponade für 4 Tage. Der Tumor bestand nur aus einer Schale, so dick wie ein starkes Gefäss.. Bei der histologischen Unter- suchung zeigte es sich, dass es sich um einen angiomatösen Polyp handelte mit einigen bindegewebigen Partieen. = Dubar.

181) Ein 2 Jahre alter Knabe wurde am 8. Januar 1896 ins Hospital aufgenommen. 2 Monate vorher hatte er eine Eiterung des rechten Ohres, welche bis dahin angedauert hatte. Vor 5 Tagen war die Ohrmuschel schwarz geworden und hatte zu stinken begonnen. Der nekrotische Process hatte die vordere und hintere Fläche der Ohrmuschel ergriffen. Die nekrotischen Stücke wurden mit der Scheere entfernt und eine Warzenfortsatzoperation ausgeführt, da der Knochen erkrankt war. Der Patient erholte sich schnell unter dem Jodoformverband. Er machte sehr gute Fortschritte zur Heilung, bis er am 25. Januar Masern bekam, an welche sich eine Pneumonie anschloss. Er starb am 31. Jan. Die Section ergab Miliartuberkulose beider Lungen und Pneumonie der rechten Lunge, Hyperämie der Hirnhäute und Hydrocephalus.

Gorham Bacon.

182) Marsh theilt folgenden Fall mit: Ein 20jähriger Mann hatte seit einer Masern-Erkrankung in seiner Kindheit an Ausfluss aus dem rechten Ohr gelitten und wiederholt Abscesse in der Warzenfort- satzgegend gehabt. Bei der Operation fand sich eine Höhle von Durchmesser im Warzenfortsatz, gefüllt mit fötidem glaserkittähnlichem

964 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Detritus. Die obere Grenze der Höhle lag einen Zoll höher als die obere Gehörgangswand. Die Höhle war überall vom Knochen umgeben, ausser nach hinten, wo man das Kleinhirn fühlen konnte. Cheatle.

183) Faraci giebt eine ausführliche systematische Besprechung der Einwirkung der chirurgischen Eingriffe auf das Hörvermögen. Es würde zu weit führen, auf die Details des interessanten Buches einzu- gehen; wir beschränken uns darauf auf die grosse Zahl der experimen- tellen Thatsachen und die wichtigen Schlussfolgerungen bezüglich der Mobilisirung des Steigbügels und der Stapesdectomie hinzuweisen.

Gradenigo.

184) Bronner empfiehlt für die Behandlung der Atticuserkrank- ungen Vergrösserung der Perforation, Entfernung von Granulationen und käsigen Massen mit Cürette und Spritze, Wegnahme des Hammers und Ambosses, falls sie gelockert sind. Wenn damit keine Heilung erzielt wird und wenn die Enge des Gehörgangs eine Behandlung nicht zulässt, legt er den Atticus frei, indem er einen langen Schnitt von hinten über dem Ansatz der Ohrmuschel bis herab zum Tragus führt, den Gehör- gang durchschneidet, das ganze Ohr nach abwärts zieht, und die äussere Atticus- und die hintere Gehörgangswand mit dem Meissel abträgt. Er berichtet von einem Mann, der 20 Jahre an Mittelohreiterung gelitten hatte, während welcher Zeit dreimal der Wilde’sche Schnitt nothwendig geworden war. Bei der Operation fand man den Warzenfortsatz gesund, dagegen den Atticus von einem grossen Cholesteatom eingenommen. Von 42 Fällen von Perforation der Shrapnell’schen Membran wurden 30 durch Cürettiren und Ausspritzen geheilt. Bei 2 wurde die Entfernung der Gehörknöchelchen in Chloroformnarcose nothwendig und 10 wurden radical operirt. Bronner weist darauf hin, dass häufig auf gleicher Höhe mit dem Atticus sich Warzenfortsatzzellen finden, welche eröffnet und ausgekratzt werden müssen. | | Cheatle.

185) Bei der Besprechung dieses Themas theilt Jones die Fälle von Ötorrhoe in 5 Gruppen und fügt jeder Gruppe das von ihm ein- geschlagene Verfahren bei.

A. 1. Einfache chronische, auf die Paukenhöhle beschränkte eitrige Entzündung mit Perforation in der Pars tensa. 2. Erkrankung be- schränkt wie bei 1., aber complicirt mit Polypenbildung, ohne dass je- doch der Knochen erkrankt wäre. 3. Fälle, wo die Entfernung von Polypen oder Granulutionen von leicht zugänglichen Theilen der Pauken- höhle oder des Gehörgangs kleine, oberflächliche, cariöse Stellen aufdeckt. Behandlung: Wenn nicht Tuberkulose vorliegt, ist diese Gruppe ein-

Mittleres Ohr. 265

facheren Methoden zugänglich, einschliesslich des Cürettirens, wenn nur die Ausführung eine kunstgerechte ist.

B. 4. Atticus-Eiterung mit oder ohne Caries der Gehörknöchelchen. 5. Fälle, die ursprünglich zu einer der oben genannten 4 Classen ge- hören, in welchen aber Adhäsionen zwischen den Gehörknöchelchen und zwischen diesen und der Paukenhöhlenwand den freien Abfluss hindern, oder hochgradige Schwerhörigkeit, subjective Geräusche oder Schwindel verursachen. Die Behandlung besteht für die Mehrzahl dieser Fälle in der Entfernung der Gehörknöchelchen.

C. 6. Chronische Eiterung im Antrum mastoideum. 7. Cholesteatom. 8. Caries des Antrum oder der Paukenhöhlenwand, die, vom Gehörgang aus unzugänglich, ohne Gefahr für wichtigere Gebilde durch Operation beseitigt werden kann. Behandlung: Radicaloperation.

D. 9. Caries oder Nekrose des Felsenbeins, die nicht ohne Zer- störung wichtiger Gebilde oder Lebensgefahr operirt werdeu kann. Be- handlung: Da die Exfoliation ihre Zeit braucht, ist es am besten, eine permanente Oeffnung im Warzenfortsatz anzulegen.

E. 10. Caries bei gleichzeitig bestehender Hyperostose oder Ex- ostosenbildung. Behandlung: Operation mittelst der Zahnbohrmaschine.

Cheatle.

186) Eine Heilung nach Extraction des Hammers. Pollak.

187) Man kann nicht sagen, dass der Aufsatz gerade Neues ent- hält, aber er verräth in der methodischen Darstellung der Wandlungen, die bisher die Therapie der chron. Otorrhoe durchgemacht hat, überall den sein Fach sorgfältig beobachtenden Forscher. Hamon du Fougeray spricht sich für die Tamponade, und zwar, nachdem er viel herumprobirt, für die mit Naphtolchinolin (Haug) imprägnirte Gaze aus; allerdings mit einiger Reserve. Er hat 66°/, Heilungen erlebt; schliesslich stellt er noch ein Schema auf, nach welchem er von nun ab seine Statistiken führen wird. Zimmermann.

188) Nichts Neues. Im ersten Theil setzt Rauget den Mecha- nismus der Infection auseinander, in den beiden folgenden die Behand- lung der Paukenhöhlenerkrankungen und der Eiterungen im Aditus und Antrum. Dubar.

189) Ein 55jähriger Mann litt seit 4 Wochen an eitriger Mittel- ohrentzündung links. Es bildeten sich deutliche Erscheinungen von Eiterung im Woarzenfortsatz, desshalb wurde aufgemeisselt und dabei viel Eiter entleert. Nach 5tägigem Wohlbefinden traten schwere menin- gitische Erscheinungen auf und am 17. Tag erfolgte der Exitus. Bei

266 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

der Autopsie fand sich eitrige Meningitis der Basis und der Convexität; Thrombosen im Sinus transversus und longitudinalis: kein Abscess. Milz gross, weich. Vorgeschrittene Lebercirrhose; zahlreiche Abscesse in beiden Nieren. Es wurden nun bacteriologische Untersuchungen an- gestellt: einerseits mit dem bei der Trepanation entleerten Eiter, andrer- seits mit Eiter, der bei der Autopsie von der Dura entnommen war, ferner mit Blut aus dem Sinus longitud., aus Herz, Leber, Milz, Nieren und mit Urin. Jedes Mal gelangte ein Bacillus in Reincultur zum Wachsthum, der nach morphologischen und culturellen Merkmalen mit dem Friedländer’schen identisch schien. Brunner nimmt an, dass dieser Bacillus vom Nasenrachenraum, wo er sich auch bei Gesunden allerdings selten vorfindet, in’s Mittelohr gelangte, die eitrige Otitis und in der Folge die metastasirende Allgemeininfection verur- sacht habe; das Eintreten der letzteren wurde durch die bestehende Lebereirrhose begünstigt, durch welche der „antibacterielle Coefficient“

des Organismus ungünstig verändert wurde. Müller. 190) Die Erhebungen Zuckerkandl’s über den Bau des Warzen- fortsatzes die Moure aber nur nach Citaten kennt will er für

die Fälle chronischer Eiterungen nicht gelten lassen. Er berechnet aus seiner allerdings sehr geringen Anzahl von insgesammt 34, darunter 16 chronischen, Operationsfällen, nur 4mal auf pneumatische, 25 mal auf eburnisirte und 4mal auf ungewöhnlich kleine Warzenfortsätze gestossen zu sein. In den acuten Fällen fand sich 14mal ein normales Antrun, 3mal war es durch fungöse Massen erweitert, lmal ganz nach vorn verlagert, bei den chronischen Fällen war das Antrum 10 mal auf ein Minimum reducirt, 5mal erheblich vergrössert und ohne andere pneu- matische Zellen. Schuld an diesen Verhältnissen, aber wohl nicht die alleinige, wie M. will, hatte entweder eine destruirende oder sclerosirende Östitis. M. führt zwei anatomisch und klinisch interessante Fälle in extenso an. Einmal wurde bei eburnirtem Warzenfortsatz der Sinus direct eröffnet und wegen der Blutung die Operation unterbrochen. Der Kranke erlag einem am folgenden Tage einsetzenden typischen Wund- erysipel, das, wie M. sich ausdrückt, auf der Krankenabtheilung erworben wurde, und die Autopsie ergab, dass das mit käsigen Massen erfüllte Antrum entsprechend der Mitte des knöchernen Gehör- gangs gelagert war, während der übrigens gesunde Sinus direct unter der Trepanationsstelle lag; auch im zwciten Falle kam man in einer Tiefe von 5mm direct in eine Höhle, die man mit Granulationen aus- gefüllt zu sehen glaubte und deshalb mit dem scharfen Löffel aus-

Mittleres Ohr. ; 267

kratzte (!); dann merkte man, dass diese Höhle der Sinus war und arbeitete sich mit Fortnahme der hinteren Gehörgangswand in die Pauke und von da in das sehr kleine Antrum. Dieses war durch den vor- springenden Sinus verdeckt und sein Dach in Folge Dehiscenz durch die Dura gebildet. Zimmermann. 191) Die Methode Toti’s unterscheidet sich von der anderer Operateure dadurch, dass er bei der Freilegung des Mittelohres nur in Fällen von Cholesteatom die Auskratzung der Wandungen vornimmt. Er tamponirt mit Jodoformgaze, lässt den tiefsten Tampon liegen, bis derselbe sich von selbst löst: zwischen den alten und den neuen Tampons wird Borsäure aufgestreut. Gradenigo. 192) Die Fälle von Warzenfortsatzeiterung, bei denen man die Pauke nicht mit erkrankt findet, sind selten Lubet-Barbon hat davon 6 beobachtet und. hebt als ihnen gemeinsame Merkmale die Art der Ent- wicklung und der Localisation hervor. Sie entstehen sehr langsam, brauchen bisweilen 3 Monate von der ursächlichen Entzündung im Pharynx bis zur vollen Entwicklung, rufen intermittirende Beschwerden hervor und die als Mittelglied anzusehende Paukenentzündung macht zuweilen nur geringe Symptome. Dabei kann aber der Verlauf insofern ein sehr tückischer sein, als unversehens Allgemeininfection und Gehirn- complicationen hinzutreten; man darf deshalb mit der Eröffnung 'nicht säumen. Besonders characteristisch ist der Sitz. Während sonst das Antrum als Verbindungsstelle von Mitteloehr und Warzenfortsatz den Hauptsitz der Erkrankung bildet, sind es in diesen Fällen gerade die Zellen an der Spitze des Warzenfortsatzes, auf die man bei der Operation sein Augenmerk richten muss. Zimmermann. 193) Von völliger Heilung kann in allen 3 Fällen nicht die Rede sein. In den beiden ersten, chronischen, Fällen, die 1!/, Jahre, resp. 1 Monat in Behandlung standen, wird im einen Falle „leichter schleimig- eitriger Ausfluss aus der Pauke“, im andern „kaum nennenswerthe Eiterung“ als Erfolg der Behandlung notirt; im dritten Falle, der acut entstand, und !/, Jahr behandelt wurde, schwanden allerdings die stürmischen Erscheinungen, aber beim Austritt aus der Behandlung be- stand noch geringe Druckempfindlichkeit über dem Warzenfortsatz. Wie die ganz ausführlich mitgetheilten Krankengeschichten ergeben, war be- sonders im .ersten und dritten Falle der Krankheitsverlauf ein sehr schwerer und es ist der Muth von Vacher zu bewundern, der auf eine Operation verzichtete, deren Unterlassung sicher vielen, die unter gleichem Verhalten einen Durchbruch nach innen beobachtet haben, äusserst be-

268 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

denklich erscheinen wird. V. rühmt die günstigen Erfolge, die er bei der Anwendung von Wasserstoffsuperoxyd gesehen hat. Zimmermann. 194) Sheppard berichtet über zwei Fälle von Warzenfortsatz- erkrankung, der eine in Folge von Aufschnupfen von Salzwasser in die Nase, der andere durch Influenza. Unter 175 Fällen von Woarzenfort- satzerkrankungen, von denen der Verf. Aufzeichnungen besitzt, hatten, soweit es ihm bekannt ist, nur zwei Diabetes. Sheppard glaubt, dass derartige Fälle, je früher, desto besser operirt werden müssen. Von den beiden operirten Fällen wurde der eine geheilt, der andere aber starb. Die Todesursache war Erysipelas und wahrscheinlich eitrige Meningitis. Gorham Bacon. 197) Die Frage beantwortet Szenes auf Grundlage eines mitge- theilten Falles dahin, dass man weder zu conservativ, noch zu radical sein, sondern möglichst die goldene Mittelstrasse wählen solle. Pollak. 198) In 17 Monaten wurden von Gradenigo 136 Warzenfort- satzaffectionen, 48 acute und 88 chronische operirt; dieselben sind tabellarisch zusammengestellt. Das männliche Geschlecht und das linke Ohr überwiegen, die acuten Formen sind häufiger im 2., die chronischen im 3. Lebensdecennium. Die Bezold’sche Warzenfortsatzeiterung figurirt mit 30°/, der Fälle. Ein Fall von septischer Sinusthrombose wurde geheilt, ebenso 4 Fälle von extraduralen perisinuösen Abscessen, 1 Fall starb an Meningitis. In den chronischen Fällen wurde in der Regel operirt mit vollständiger Naht der Warzenfortsatzwunde und Drainage des Gehörganges. In 30 Fällen bestand Cholesteatom. Die nekrotische Schnecke wurde 2 mal entfernt, 3mal Woarzenfortsatzsequester ; 2 Fälle von letaler Meningitis und 2 von Hirnabscess, 1 Hirnabscess und 4- extradurale Abscesse geheilt. Gradenigo. 199) Ein 4jähriges Kind wurde in Dr. Urban Pritchard’s Abtheilng in King’s College Hospital aufgenommen. Dasselbe litt seit 6 Tagen an Ausfluss aus dem rechten Ohr unter wiederholten Schüttelfrösten. Bei der Aufnahme zeigte der Knabe einen ängstlichen Gesichtsausdruck, klagte über Schmerz im Ohr, aus dem sich eine grosse Menge schleimig- eitrigen, nicht riechenden Secretes entleerte.e Kleine, stecknadelgrosse Perforation im Trommelfell. Druckempffndlichkeit hinter dem Ohr, aber keine Röthung oder Schwellung. Temp. 103°. In Chloroformnarcose ausgiebige Incision des Trommelfels. Am folgenden Tag keine Besserung; dagegen fand sich eine weiche Stelle unmittelbar hinter der Ohrmuschel. 2 Tage später zeigte sich daselbst Fluctuation. In Professor Urban Pritchard’s Abwesenheit operirte Cheatle und fand den Woarzen-

Mittleres Ohr. 269

fortsatz trocken, verfärbt, und von Eiter umgeben. Im Antrum keine ausgesprochenen Veränderungen, dagegen fand sich auf der Wand des Lateralsinus eine ulcerirte Stelle; keine Thrombose. 33 Stunden nach der Operation trat plötzlich der Tod ein. Bei der Section zeigte sich die Operationsstelle gesund. Bei der Eröffnung des Thorax kamen zahl- reiche kleine subpleurale Hämorrhagien und eine frische ausgedehnte Hämorrhagie im hintern Mediastinalraum zum Vorschein, welch letztere die Parietalpleura auf der rechten Seite in grossem, auf der linken in geringem Umfang abhob. Man fand ferner eine grosse, unregelmässige Oeffnung im Oesophagus, gegenüber der Bifurcation der Trachea. . Das untere Drittel der Speiseröhre erweicht und leicht zerreisslich. Blut im Magen, dagegen nicht im Dünndarm. Kein Fremdkörper. Cheatle ist der Ansicht, dass es sich um acut infectiöse Oesophagitis infolge von septischer Otitis gehandelt habe. Autoref.

200) Nichts Neues ausser der Behauptung, dass der Eiter im Warzenfortsatz besonders infectiös sei und oft zu Erysipel und Septicämie nach der Operation führe. Deshalb Empfehlung feuchter Verbände.

Zimmermann.

201) Die als neu beschriebene Methode Cozzolino’s besteht im Wesentlichen darin, dass er bei der Aufmeisselung die Weichtheile bis zur Wurzel des Jochbogens zurückschiebt und diesen zur Führung beim Eindringen in die Tiefe benützt. Gradenigo.

203) Pathologisch anatomisch theilt Gruneri die 209 dieser Arbeit zu Grunde gelegten Beobachtungen aus der Hallenser Ohrenklinik in solche von Caries und solche von Cholesteatom ein, wenn schon beides häufig vereint vor- kommt. In 113 Fällen reiner Caries war fast stets die Paukenhöhle betheiligt, wesshalb man was wohl auch alle Operateure ohnehin thun stets bis zur Pauke vordringen soll. In 190/o dieser Fälle waren nur die Knöchelchen cariös, in 130/ọ das Tegmen tympani, das Promontorium war meist nur oberflächlich augefressen. Bei Caries am Boden der Pauke war mitunter auch der angrenzende Theil des Meatusbodens betheiligt. Wenn der Hammer erkrankt ist, ist stets auch der Aınbos cariös, und nur in 250), war der Hammer gesund ge- blieben. Zweimal fand man knöcherne Ankylose zwischen beiden, je einmal an jedem Östeophytenbildung. In etwa 9/0 aller Fälle nahmen die Mastoid- räume an der Caries theil, besonders der Aditus in seiner lateralen Wand. Selbst eine grosse Strecke der hinteren Gehörgangswand kann mitergriffen sein. Tuberkel, Riesenzellen und Tuberkelbacillen wurden nur selten gefunden.

Östeosclerose fand man unter dieser grossen Zahl von Caries-Fällen nur in 100/,, davon zur Hälfte nur in der Corticalis des Proc. mast. und 2 Mal war durch diesen Process das Antrum gänzlich obliterirt. Auch G. ist Gegner der Theorie der Schutzeinrichtung der Osteosclerose, die sich fast stets nur an der Oberfläche einstellt, vom Periost ausgehend, nicht unmittelbar um den

270 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Eiterherd herumgelagert. In seltenen Fällen ist sogar der Meatus in seinem Lumen durch die Sclerose eingeengt.

Von 96 noch nicht mitgetheilten Cholesteatom fällen beschränkte sich der Process nur 5 Mal auf Recess. epitympanic. und Pauke, alle anderen wiesen Erkrankung der Warzenräume auf. 1/3 war geschwulst- und 2/3 flächenförmig entwickeltes Cholesteatom, sodass die Räume zwar mit Epidermis austapezirt waren, aber die geschichteten Abstossungsproducte fehlten. G. hält es für möglich, dass die letztere Form das erste Stadium der Erkrankung bildet. Einige Male lag eine Cholesteatoınhöhle unter dem Boden des Meatus; sie hing jeweils mit der Paukenhöhle zusammen. Auch Durchbruch der Massen nach dem Kiefergelenk wurde beobachtet.

Meist waren gleichzeitig die Ossicula erkrankt. Von der hierdurch ent- standenen Perforation der Shrapnell mag nach der bekannten Annahme die Epidermiseinwanderung erfolgen. Unähnlich der Caries, ist von der hinteren Meatuswand nicht der medialste Theil defect bei Cholesteatomen, sondern der laterale Theil oder die gesammte Wand. In 6 Fällen war das innere Ohr, das Promontorium oder der horizontale Bogengang durch das Cholesteatom eröffnet worden. Vielleicht wächst, wenn diese Eröffnung durch Caries erfolgt ist, das Epithel heraus nach dem Antrum (vom Bogengang aus) und wird so zur Ursache des Cholesteatoms.

Östeosclerose fand sich noch etwas häufiger als bei Caries nämlich in 1831/20/0.

In beiderlei Fällen beschränkt sich die Sch wartze’sche Klinik niemals auf die Atticusoperation allein, sondern eröffnet typisch das Antrum, ent- fernt die Hinterwand des Meatus, die Pars ossea u. s. w. Abweichungen finden nur in Ausnahmefällen statt. Die neugeschaffene Höhle muss stets gut über- sehbar sein. 9 Mal ist, unter mehr als 300 Operationen, Facialislähmung vor- gekommen, die in der Regel nach Tagen oder Wochen zurückgeht. Müssen aus dem Labyrinthe Granulationen oder Sequester entfernt werden, so verursacht dies keine weiteren Nachtheile für das Ohr, dessen Hörfunction dann ohne dies schon erloschen ist. Dasselbe gilt von der Entfernung des erkrankten Steig- bügels.

Bei grossen Cholesteatomen wird in Halle noch immer principiell eine persistente retroauriculäre Oeffnung angelegt.

Die Nachbehandlung erstrebt die Epidermisirung und Öffenerhaltung der durch die Operation angelegten gesammten Knochenhöhle. Zur Beschränkung der Granulationswucherungen ist sorgfältige Tamponade das beste Mittel. Im späteren Verlauf wirkt der Zutritt der Luft günstig auf die definitive Ueber- häutung. Die Obliteration der tympanalen Tubenmündung muss manchmal durch Kaustik erzwungen werden.

Uebereinstimmend mit Stacke, Schmiegelow u. A. hat auch die Schwartze'sche Klinik etwa 750/, Heilungen. Aber auch da, wo eine solche nicht erzielt wird, gewinnt der Kranke durch Schaffung günstiger Abflussver- hältnisse für den Eiter und die Möglichkeit einer nachträglichen Spätheilung.

War das Labyrinth intact, so kann das Hörvermögen durch die operative Beseitigung von Schallleitungshindernissen sogar noch gewinnen. Bloch.

Mittleres Ohr. 271

204) Gradenigo bespricht hauptsächlich auf Grund seiner eignen Statistik die Behauptungen von Michael über die relative Ungefähr- lichkeit der Otorrhoen. In den Ambulatorien ist die Zahl der intra- craniellen Complicationen in der That eine sehr geringe; eine richtige Anschauung lässt sich nur gewinnen auf Grund des klinischen Materials in den Krankenhäusern. Es folgt die Beschreibung der bei der Be- handlung der chronischen Mittelohreiterung zu befolgenden Grundsätze.

Gradenigo.

205) Bei einem 25jährigen Manne mit alter linksseitiger Ohreite- rung entwickelten sich unter Schwindel, rechtsseitiger Hemiparese, Er- brechen, Kopfschmerz, typische Gehirnabscesssymptome, die als Wort- blindheit und rechtsseitige Hemianopsie bei erhaltenem Wernicke’schen Reflex auftraten, zur Operation aufforderten. Es wurde zunächst der schwer erkrankte Warzenfortsatz und die Paukenhöhle ausgeräumt, ein Theil der Schuppe und des Tegmen abgetragen, dabei ein kleiner extra- duraler Abscess gefunden, dann die entzündete Dura eingeschnitten und nun in die Tiefe des Schläfen -Hinterhauptlappens mit der dicksten Potain’schen Nadel eingestochen, ebenso in der Richtung des Frontal- lappens; kein Eiter. ı1 Tage darauf, da keine Besserung, aber Fieber eingetreten war, nochmalige gleichfalls erfolglose Punktion; erst eine dritte Operation 8 Tage später führte zur Eröffnung des Eiterherdes im Oceipitallappen. Trotzdem Exitus am 11. Tage darnach. Die Autopsie bestätigte einen orangegrossen Abscess im linken Occipitallappen, der in den Seitenventrikel durchgebrochen war; daneben Erweichung der Frontal- windungen. Das Interessante an diesem Fall finden Verff., abgesehen von der Wortblindheit, in dem Bestehen der Hemianopsie. Sie meinen, das wäre ein Symptom, welches wohl viel öfter vorkäme, welches man nur deswegen leicht übersehe, weil die Patienten es nicht aus freien Stücken angäben. Technisch empfehlen sie für die Punktion statt der Hohlnadel, die sich leicht. wie in den beiden ersten Punktionen, durch einen Pfropf von Gehirnmasse verstopft, einen Troicart zu nehmen.

Die von v. Bergmann empfohlene Anwendung des Messers wird gar nicht erwähnt. Zimmermann.

206) In einem Theil der Fälle handelt es sich um sensorische Aphasie oder Worttaubheit, meist verknüpft mit Paraphasie oder amnes- tischer Aphasie, zuweilen auch um reine amnestische Aphasie ohne Worttaubheit. Die Sprachstörung beruht auf Läsion des sensorischen Sprachcentrums oder Unterbrechung der Bahnen, welche dieses mit an- deren Rindengebieten verknüpfen oder auf beiden Momenten zusammen.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXIX. 18

272 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

In den seltenen Fällen, in denen der Kranke überhaupt nicht spricht und so den Eindruck eines notorisch aphasischen macht, erstreckt sich vielleicht das entzündliche ODedem und die Erweichung bis in die motorische Sprachregion. Sind, wie nicht selten, die Associationsbahnen zwischen dem Klangbildcentrum und dem optischen Centrum durchbrochen, so be- steht optische Aphasie, d. i. Unvermögen die gesehenen Gegenstände zu benennen, oft auch eine gewisse Schwierigkeit, durch andere Sinne wahr- genommene Gegenstände zu bezeichnen, weil auch hierbei für die Wort- bildung das optische Erinnerungsbild eine grosse Rolle spielt. Mit der optischen Aphasie ist partielle Worttaubheit verbunden für alle Worte und Begriffe, zu deren Verständniss die associative Fähigkeit zwischen Sprach- und Sehcentrum erforderlich ist, d. i. akustisch-optische Aphasie. Haenel. 207) Poulsen hat die Krankengeschichten bezw. Sectionsprotocolle aller in den Jahren 1870—1895 im Çommune-Hospital zu Kopenhagen an Cerebralaffectionen bei Otitis media behandelten Personen zusammen- gestellt und hieran noch je einen durch Operation geheilten Fall von Hirnabscess und Sinusthrombose aus seiner Privatklinik angeschlossen. An der Hand dieses Materials bespricht er eingehend die Symptomato- logie und Therapie der in Betracht kommenden Cerebralleiden. Von den Hirnabscessen seiner Zusammenstellung sassen 12 im Temporallappen, 5 im Kleinhirn. Von letzteren waren 4 mit Sinusthrombose complicirt, die Diagnose war in keinem Falle auf Kleinhirnabscess gestellt worden. Von den Abscessen im Temporallappen sind alle 6 vor 1887 vorge- kommene Fälle unoperirt gestorben, von den übrigen 6 wurde bei 5 Fällen der Hirnabscess operativ eröffnet, 3mal mit Ausgang in Heilung. Poulsen hat häufig eine relativ schnelle Entwicklung des Hirnabscesses beobachtet. Von Sinusthrombosen enthält die Zusammenstellung 17 Fälle, davon 10 aus den Jahren vor 1891. Von diesen sind 9 der Krank- heit, ohne dass dieselbe diagnosticirt worden wäre, erlegen; 1 Fall mit ziemlich sicherer Diagnose ist ohne Eröffnung des Sinus nach der Re- section des Warzenfortsatzes ausgeheilt. Von den seit 1891 behandelten Patienten wurde bei 5 nach der Aufmeisselung die Eröffnung des Sinus vorgenommen, immer ohne Unterbindung der Jugularvene, dabei aber nur einmal Heilung erzielt. Bezüglich der Frage der Jugularisunter- bindung verkennt P. nicht, dass durch die Unterbindung der Haupt- verkehrsweg für die Thrombentheile versperrt werde, doch biete dieselbe keine absolute Sicherheit und sei nicht ganz ungefährlich. Er empfiehlt deshalb die Unterbindung nicht; ferner räth er bei der Ausräumung des Sinus sich mit der Entfernung des purulenten Thrombentheils zu be-

_ Mittleres Ohr. 273

gnügen, weil die bei gründlicher Ausräumung des Sinus leicht auftretende Sinushämorrhagie oft eine langdauernde feste Tamponade nöthig mache, welche Eiterretention bewirken könne. Von Meningitiden führt er 19 Fälle an, alle mit tödtlichem Ausgang. Wenn bei einer chronischen Mittelohreiterung Hirnerscheinungen bestehen, welche eine genaue Diagnose eines bestimmten Cerebralleidens nicht zulassen, und diese Hirnerschei- nungen auch nach eventueller Ausräumung der Paukenhöhle und Re- section des Warzenfortsatzes fortbestehen, hält Verf. die explorative Trepanation des Craniums für erlaubt, und wenn hierbei weder ein Extradural-Abscess noch Sinusthrombose gefunden wird, die Punktion beziehentlich Incision des Gehirns für voll berechtigt. Haenel. 249) In einem Fall von Cholesteatom bei einem 13jährigen Knaben waren Erbrechen, Hinterkopfschmerz, Nackenstarre, sowie Pulsverlang- samung und doppelseitige Stauungspapille aufgetreten. Bei der Operation fand sich neben einem grossen in Zerfall begriffenen Cholesteatom nur ein nicht infectiöser randständiger Thrombus im Sinus transversus, aber weder eine subdurale Eiteransammlung, noch ein Abscess im Kleinhirn, noch auch im Schläfenlappen, die beide punktirt wurden. Dagegen fiel auf die reichliche Menge von Flüssigkeit, die bei Eröffnung der Dura mit ziemlicher Gewalt herausstürzte, und das starke Prolabiren der Hirnsubstanz. Nach der Operation verschwanden sämmtliche Beschwerden. Dieser Umstand sowie die enorme Absonderung von Liquor cerebrospin. während der ersten Wochen brachten Kretschmann auf den Gedanken, dass es sich um einen Fall der von Quincke beschriebenen Meningitis serosa handeln könnte. Der weitere Verlauf bestätigte diese Annahme, denn abermals auftretende Cerebralerscheinungen schwanden nach drei Wochen von selbst, nachdem die Absonderung von Liquor cerebrospin., die mit deren Eintritt sich vermindert hatte, wieder reichlicher geworden war; es hatte sich also um eine Retention gehandelt. Für die Ursache der Meningitis serosa hält Verf. die langjährige Eiterung im Felsenbein, an Analogien für ihre Entstehungsweise fehle es in der Pathologie nicht, man denke nur an das Auftreten von seröser Pleuritis bei Rippencaries und ähnliche Processe. Für die Behandlung der Meningitis serosa werde um so eher die breite Eröffnung der Schädelhöhle in Frage kommen müssen, als meist die Diagnose nicht sicher zu stellen, namentlich Abscess- bildung nicht sicher auszuschliessen sein dürfte. Müller. 210) Lichtenberg berichtet über einen operirten Fall von oto- genem perisinuösem und periduralem Abscess der mittleren Schädelgrube, der wenig Bemerkenswerthes bietet. Pollak. | 18*

374 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

213) Gradenigo berichtet über folgende Fälle: 1. Bei einem 10jährigen Knaben mit 7 jähriger Otorrhoe stellten sich wiederholt acute Erseheinungen ein. Juli 1895 Incision am Warzenfortsatz wegen Eiter- ansammlung. Zwei Monate nachher Schwindel, schwankender Gang, Nystagmus, Erbrechen, Delirien, Fieber und Kopfschmerz. Vier Tage danach kommt Patient in die Klinik G.’s. Bei der Operation wird ein Sequester und Cholesteatommassen entfernt, danach Wohlbefinden und Entlassung nach 16 Tagen mit leichter Facialislähmung und wenig schwankendem Gang. Rückkehr nach 12 Tagen mit heftigem Kopf- schmerz und stark ausgesprochener Facialislähmung. Zweite Operation, Ausräumung der Paukenhöhle und des Warzenfortsatzes. Zunehmende Fiebererscheinungen. 18 Tage darauf Opistotonus, Schmerzen im Kreuz- bein. Die Untersuchung der durch Lumbalpunktion entleerten Flüssig- keit ergiebt ein negatives Resultat. Bei der Punktion der hinteren Schädelgrube wird kein Eiter gefunden. Sinus nicht thrombosirt. Tod 3 Tage nach dem letzten Eingriff. Section verweigert. 2. Bei einem l l jährigen Knaben entwickelte sich während einer bei Typhus ohne Trommelfellperforation aufgetretenen acuten Otitis mit Warzenfortsatzent- zündung ein perisinuöser Abscess. Rasche Heilung nach Operation.

Gradenigo.

214) Oliver berichtet über den Fall, an welchem ein gut genährter, 26 jähriger Anstreicher 4 Monate vorher an einer heftigen acuten Otitis media mit Hervorwölbung des Trommelfells gelitten hatte. Die Para- centese war ausgeführt und Flüssigkeit entleert worden. Das Trommel- fel wurde zum 2. Male durchbohrt, worauf reichlicher Ausfluss eintrat, und der Mann seine Berufspflichten erfüllen konnte. Als O. das nächste Mal gerufen wurde, fand er den Patienten komatös, mit einem Puls von 90 und Pupillen bis zu Stecknadelkopfgrösse contrahirt. Cheyne-Stokes’sches Phänomen. Pat. wurde in’s Hospital gebracht. Er wurde sehr unruhig, hatte hohes Fieber und befand sich in einem halbkomatösen Zustande. Eine Probeeröffnung des Schädels ergab, dass der Temporo-Sphenoidal- lappen frei von Eiter war. Eine Eröffnung durch Trepanation etwas unterhalb der Höhe der Protuberantia occipitalis und etwas näher dem Warzentheile des Schläfenbeins als der Protuberanz ergab auch im Klein- hirnlappen ein negatives Resultat. Der Patient starb ?/, Stunden nach seiner Leberführung in den Krankensaal. Bei der Section fand sich eine diffuse eitrige Meningitis, welche die Convexität und Basis einbe- griff. Dabei bestand ausgedehnte Caries des Schläfenbeins.

Gorham Bacon.

Mittleres Ohr. nn 275.

215) W.B., 20 Jahre alt, Kellner, trat am 22. Juli 1895 in das Hospital mit Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Uebelkeit ein. Das linke Ohr hatte seit seinem 6. Lebensjahre Ausflus. Während der letzten 3 Tage hatte er heftige Schmerzen im linken Ohr und in der linken Seite des Kopfes. Die Untersuchung ergab einen grossen Polypen mit übelriechendem Ausfluss. Der Polyp wurde theilweise entfernt und das Ohr mit antiseptischen Lösungen ausgespritzt. Der Gehörgang war stark geschwollen und die Kopfsymptome mehr ausgesprochen. Puls 60 und voll; Respiration 10; Temperatur 97° F.; Pupillen reagiren träge auf Licht. Er bekam schliesslich Delirium, Schüttelfröste, Erbrechen, Schwindel, Hinfälligkeit und Krämpfe. Es wurde keine Operation aus- geführt. Bei der Section wurden zwei oder drei deutliche Oeffnungen im Trommelhöhlendach gefunden, welche zu einem wallnussgrossen Abscess im Temporo-Sphenoidallappen führten. Gorham Bacon.

216) Ein 22jähriger Landwirth, von sonst gesundem Aussehen, hatte einen seit 4 Monaten anhaltenden Ausfluss aus dem linken Ohr, welcher mit heftigen Ohren- und Kopfschmerzen, die Nachts schlimmer wurden, schlechtem Appetit und Allgemeinzustand, und übelem Geruch verbunden war. Symptome von Warzenfortsatzerkrankung mit Schwellung des Gehörgangs und stinkender Eiter im Atticus. Temperatur 99° F,, Puls schwach. Trotz Auskratzung des Atticus wurde der Gehörgang enger und die Granulationen zahlreicher. Nach einer kurzen Zeit, in welcher der Patient sich der Beobachtung ent- zogen hatte, wurde er in sehr kritischem Zustande in’s Hospital auf- genommen. Die Augen waren geschlossen, der Mund geöffnet und die Athmung schnarchend. Das Ohr war vom Kopf abgehoben. Er klagte über Kopfschmerzen. Der Nacken war steif, Respiration 42, Puls faden- förmig und schnell. Temperatur 100,2" F. Er wurde wegen Basilar- meningitis behandelt. Der Atticus wurde wieder ausgekratzt und ein Knochenstück 1!/,‘ hinter und 1!/,' über der Mitte des Gehörgangs aus dem Schädel später entfernt. Gesunde Dura wölbte sich aus der Öefinung hervor. Es wurde mit dem Troicart kein Abscess entdeckt. Der Patient starb nach 12 Stunden. Die Section ergab viele Miliar- tuberkeln in den Lungen und eine typische Basilarmeningitis, welche sich bis über die Medulla ausdehnte. Die ganze Cochlea, die halbzirkel- förmigen Canäle und das Mittelohr waren zerfallen und mit breiigen Massen erfüllt. Im Inhalt des Mittelohres fanden sich Tuberkelbacillen.

Gorham Bacon.

276 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

218) Die betreffenden Fälle sind im Jahre 1894 in der chirurgischen Abtheilung des academischen Krankenhauses zu Upsala operirt worden. Zweimal war die Sinusthrombose im Gefolge einer acuten, davon einmal nach einer anscheinend ganz leichten, nicht perforativen, acuten Mittel- ohrentzündung entstanden; der 3. Fall betraf eine Sinusthrombose bei Cholesteatom des Mittelohres. Nach Eröffnung des Warzenfortsatzes wurde jedes Mal der Incision beziehungsweise Ausräumung des Sinus die doppelte Unterbindung und Durchschneidung der Jugularvene vorausgeschickt, was Dahlgren für alle Fälle zu thun räth. In allen 3 Fällen hatte die Operation auch hinsichtlich des Ohrenleidens den besten Erfolg.

Haenel.

219) Die Arbeit Ventrini’s basirt auf 3 Fällen aus der Klinik von Prof. Gradenigo; in 2 dieser Fälle war der Ausgang ein günstiger nach der Operation, im 3. Falle trat der Tod ein, da nicht rechtzeitig eingegriffen werden konnte. Die Erscheinungen und die Behandlungs- methoden werden eingehend besprochen. Gradenigo.

220) Unter 214 Fällen von Influenzaotitis war 64 mal blos die Pars epitympanica erkrankt. 10 klinische Beobachtungen und 2 Sectionsbefunde werden als typische Formen mitgetheilt. In einzelnen Fällen sind die Influenzabacillen gefunden worden. Als bezeichnend erwähnt Haug in Uebereinstimmung mit Anderen den hämorrhagischen Charakter der Entzündung. Das Exsudat kehrt nach früh- zeitig ausgeführter Paracentese nicht wieder oder es wird auch ohne diese resorbirt. Nur die „zapfenförmigen* Vorwölbungen mit Perforation an der Spitze mussten chirurgisch behandelt werden, da sie nicht von selbst zurück- gingen. Lag das Exsudat blos nach vorn vom Proc. brevis, so fehlten Schwindel und Betheiligung des Warzenfortsatzes, die bei Erkrankung des hinteren Theiles des Atticus meist hinzukamen. Doch kann in Fällen letzterer Art der Proc. mast. auch der primär erkrankte Theil sein, und der Verlauf unterscheidet sich nicht von denjenigen in anderen ähnlichen Fällen. Nach der 3. oder 4. Woche, wenn nicht früher operirt worden ist, findet man auch Caries. Die Heilungsdauer der operirten Fälle beträgt wieder wie sonst Bh bis 17 Wochen. In dem Falle von Sinusthrombose wurden die zerfallenden Massen entfernt. Die Heilung erfolgte ohne Unterbindung der Jugularis. Bloch.

Nervöser Apparat.

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221) Bei Labyrintherkrankungen, die ausgesprochene Störungen des Gleichgewichts und Gesichts- und bulbäre Symptome hervorrufen, hat Bonnier versucht zu erforschen, ob eine Einwirkung auf das Knie-

Nase und Nasenrachenraum. 277

phänomen eintritt. Er konnte beobachten, dass, wenn die Labyrinth- symptome langsam entstehen, und bei acuten Labyrintherkrankungen durch Ergüsse in’s Labyrinth, die Reflexe wenig verändert werden. Hingegen werden bei der acuten „insuffisance“ des Labyrinths die Patellarreflexe verstärkt; wenn eine labyrinthäre Reizung vorliegt, her- abgesetzt. Dubar. 222) Gell& stützt sich auf die ganz erstaunliche Anzahl von über 500 Fällen von Ohrschwindel.e. Er unterscheidet 8 Unterarten von Schwindel: 1. abhängig von Druckwirkung von Seiten des Mittelohrs, 2. in Folge von Blutung, 3. von Blutwallung, 4. Blutleere, 5. Hyper- ästhesie, 6. von Entzündung im Labyrinth, 7. in Folge von Toxämie und 8. in Folge von Reflexen. Diese verschiedenen Arten aber scheinen sich combiniren zu können. Die Hauptrolle bei der Behandlung spielt das Chininum sulfuricum. Zimmermann.

Nase und Nasenrachenraum.

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223) Heymann und Kronenberg geben in dem vorliegenden

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280 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

225) Die ausgedehnte Arbeit von Fermi und Bretschneider basirt auf zahlreichen eigenen bacteriologischen Untersuchungen und Experimenten am Thier und am gesunden Menschen, um die Patho- genese der acuten Coryza festzustellen. Nach einer kurzen Einleitung folgen Capitel über die Symptome, den Ursprung, die allgemeinen Ur- sachen der Coryza und über die verschiedenen Hypothesen. Es folgen die sehr eingehenden Untersuchungen über das Vorkommen von Mikro- organismen auf der gesunden und der mit catarrhalischer Rhinitis be- hafteten Schleimhaut, sodann solche über die Uebertragbarkeit der Coryza auf Menschen und Thiere. Bezüglich der Einzelheiten muss auf’s Ori- ginal verwiesen werden. Die Verf. kommen zum Resultate, dass die acute Coryza keine specifische Infectionskrankheit ist; für die Entstehung kommen andere Ursachen, directe Einwirkungen, äussere Agentien in Verbindung mit Infectionskrankheiten und mit Einfluss des nervösen Systems in Betracht. Gradenigo.

226) Als Folge- und Begleiterscheinungen der chron. Rhinitis führt Woodruffan: Bronchitis, Pavor nocturnus, Enuresis nocturna, mangel- hafte Entwicklung des Brustkastens, skoliotische Verkrümmung der Wirbel- säule(!), Beeinträchtigung des Gehörs, eitrig-catarrhalische Entzündung des Thränennasenganges, gestörte Function des Gehirns, Retropharyngeal- abscesse, Cerebrospinalmeningitis. Pollak.

227) Gerber und Podack gelang es, bei 5 Fällen von primärer Rhinitis fibrinosa die echt diphtherische Natur dieser Krankheit durch den Nachweis virulenter Klebs-Löffler’scher Bacillen in den fibrinösen Absonderungen der Nase festzustellen. Sie machen auf die grosse Ge- fahr aufmerksam, welche diese Fälle gerade in Folge ihrer relativ ge- ringen Erscheinungen und wegen ihres langsamen chronischen Verlaufes für die Umgebung haben, und fordern strenge Isolation. Wegen der Spärlichkeit der Diphtleriebacillen im directen Trockenpräparat halten sie die Untersuchung durch das Culturverfahren und das Thierexperi- ment für unbedingt erforderlich zur Diagnostik. Den Pseudodiphtherie- bacillus haben die Verff. in 3 von den erwähten Fällen lange nach Auf- hören der fibrinösen Exsudation gefunden, 2 mal im eitrigen Nasensecret, einmal im Secret einer eitrigen Mittelohrentzündung, welche 2 Monate nach Verschwinden der Membranen aus der Nase eingesetzt hatte. Bei einem Mädchen, das 12 Jahre vorher eine Diphtherie mit Betheiligung der Nase überstanden hatte, konnten sie in den Borken einer Rhinitis atrophicans ebenfalls den Pseudo-Diphtheriebacillus nachweisen. Sie be- zweifeln einen ätiologischen Zusammenhang zwischen Pseudo-Diphtherie-

Nase und Nasenrachenraum. 981.

bacillen und den gleichzeitig bestehenden pathologisch-anatomischen Ver- änderungen, halten aber einen directen Zusammenhang zwischen der ur- sprünglichen diphtherischen Erkrankung und der späteren Gegenwart von Pseudo-Diphtheriebacillen in der Weise für möglich, dass letztere als echte avirulent gewordene Diphtheriebacillen aufzufassen wären, welche ge- legentlich durch irgend welche Momente (Symbiose mit Streptococcen etc.) wieder ihre Virulenz erlangen könnten (cf. Yersin, Roux, C. Fränkel). Hänel. 228) Abercrombie erzielte bei einem an Heufieber leidenden Mann Heilung durch Darreichung vou Zincum valerianicum in Pillen- form, 3 gran 3 mal täglich. Cheatle. 229) Bulette berichtet über den Fall eines 11jähr. Mädchens, welches zwei Jahre lang an Athmungsbeschwerden und asthmatischen An- fällen, besonders während der Nacht, und auch an Öhrensausen und Kopfschmerzen gelitten hatte. Hypertrophie der vorderen und hinteren Enden der unteren Muscheln, eine grosse L:iste an der linken Seite der Nasenscheidenwand und ungeheuere Massen von adenoidem Gewebe im Nasenrachenraum hatten die Anfälle verursacht, welche durch die Operation prompt geheilt wurden. Ä M. Toeplitz. 230) Fortunati beschreibt zwei schwere ulcerative Ceratiten, bei welchen ein bestimmter Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Augen und den hypertrophischen Veränderungen in der Nase bestand. | Gradenigo. 231) Ein 121!/,jähriger Junge hatte seit 2 Jahren constant in den frühen Morgenstunden Krämpfe, denen eine Aura von Ameisen- laufen, Angstgefühl und Erstarrungsgefühl in der Zunge vorausging. Die Krämpfe selbst waren mit Bewusstseinsverlust, Extremitätenstarre und Asphyxie verbunden. Unfreiwilliger Urinabgang; keine Zungenbisse. Promptes Verschwinden nach Exstirpation der Gaumenmandeln. Zimmermann. 232) Scheppegrell bekämpfte den Gebrauch von Cocain, der Galvanocaustik, Chromsäure und Trichloressigsäure für die Behandlung der hypertrophischen Rhinitis, und befürwortet die Electrolyse, welche in submucöser Anwendung die Bildung von Narben verhindert. Er ge- braucht den galvanischen Strom mit dem Stromwähler oder den Edison- schen Strom mit einem Rheostaten uud für beide einen Milliampere- meter. Die bipolare Methode vermittelst der Einführung zweier an Kupfer gelötheten Platinnadeln wird jetzt ausschliesslich angewendet. M. Toeplitz.

282 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

233) Im Anschluss an eine ausführliche Beschreibung der Ana- tomie der Nasenschleimhaut bekämpft Mayer den Gebrauch der Säge, des electrischen Bohrers oder Hobels und des Galvanocauters, welche zu viel Schleimhaut zerstören. Er entfernt Ecchondrosen der Nasenscheiden- wand, indem er die Schleimhaut in einem L-förmigen Lappen abprä- parirt und später wieder annäht, oder er gebraucht den electrischen Trepan durch den Knorpel hindurch unterhalb der Schleimhaut. Weiche Hypertrophien werden mit der kalten Schlinge entfernt.

M. Toeplitz.

234) Belfanti und Della Vedova untersuchten 63 Fälle von Ozäna auf das Vorkommen des Bacillus mucosus von Löwenberg und Abel und fanden dabei einen anderen Mikroorganismus, der wegen seines constanten Vorkommens keine indifferente Rolle in der Aetiologie der Ozäna spielen soll Es handelt sich um einen Bacillus mit den Eigenschaften des Diphtheriebacillus, der sich vom Pseudo-Diphtherie- bacillus unterscheidet durch absolute Inactivität bei Thieren. Mäuse sind unempfänglich, bei Meerschweinchen treten Oedeme und Abscesse an der Injectionsstelle auf. Der Ozänabacillus ist am meisten analog dem Xerosisbacillus, er wächst nicht auf Gelatine, gut auf coagulirtem Serum. Bei der von den beiden Verff. bei Thieren festgestellten anta- gonistischen Wirkung des Antidiphtherieserums gegen diesen Ozänamikro- organismus wurde bei 32 Kranken die Behandlung mit Antidiphtherie- serum eingeleitet. Fast in allen Fällen soll eine Besserung erzielt worden sein, in vielen ein der Heilung entsprechender Zustand. Es wurden 5200 27260 Immunitätseinheiten injieirt. Gradenigo.

235) Gradenigo berichtet über seine ersten Untersuchungen, die angestellt wurden, um die Resultate von Belfanti zu controliren. Es wurden 14 Fälle geheilt, von diesen hat bei 9 die Heilung genügende Zeit gedauert, um von einem Resultate sprechen zu können. Die Maxi- maldose der bei einem Kranken injicirten Immunitätseinheiten betrug 17450; die geringste 6000. In keinem Falle konnte G. eine Heilung erzielen; in 5 Fällen bemerkenswerthe Besserung die sich sofort nach der ersten Injection zeigte, aber später trotz der fortgesetzten Behand- lung nicht zunahm. Bei einem Kranken zeigte sich nur vorübergehende Besserung, in 3 Fällen war es überhaupt nicht möglich, Aenderungen zu erzielen. G. glaubt, dass die Ozäna in einer gewissen Anzahl auf hereditäre Syphilis, in einer andern auf Tuberkulose zurückzuführen ist, während in andern Fällen eine Diathese sich nicht erkennen lasse. Dem

Nase und Nasenrachenraum. 283

entsprechend wäre anzunehmen, dass auch bacteriologisch verschiedene Formen von Ozäna bestehen. Gradenigo.

236) In einer weiteren Mittheilung berichtet Gradenigo, dass er in weiteren 50 Fällen das constante Vorkommen des Bacillus von Belfanti bestätigen konnte. 24 Fälle wurden in Behandlung ge- nommen, von denselben befinden sich 2 in einem Zustande, dass sie als geheilt betrachtet werden können, 9 sehr gebessert, 5 mit leichter Besse- rung oder keiner, 7 unbestimmt. In einem Falle der nahezu Geheilten trat die Besserung erst einige Tage nach Aufhören der Behandlung, die sich mit 28500 Immunitätseinheiten auf 41 Tage erstreckt hatte, ein. Die erzielten Besserungen standen nicht im Verhältniss zur Zahl der angewandten Immunitätseinheiten und zur Dauer der Behandlung. Erst nach ca. 15 Injectionen mit 1000 Einheiten tritt definitive Besserung ein. Bei chronischen eitrigen Otititen und bei der trockenen mit Ozäna verbundenen Otitis brachte die Serumtherapie erhebliche Besserung. Auch bei andern Formen von Otitis purulenta kann die Serumtherapie indieirt sein, wenn der Belfanti’sche Bacillus gefunden wird.

| Gradenigo.

237) Arslan und Catterina bestätigen das constante Vorkommen des Löwenberg’schen und des Belfanti’schen Bacillu. Durch die Serum- therapie wurde in 4 Fällen von Ozäna Besserung erzielt.

Gradenigo. 238) Della Vedova erzielte unter 7 Fällen 2 Heilungen und 2 geringe Besserungen. Gradenigo.

239) Bei einem Mädchen mit schwerer Ozäna und Veränderungen im Alveolarfortsatze wurde aus der Nase ein Molarzahn mit zwei Exo- stosen mit Eindruck von anderen Zähnen extrahirt. Beispiel von über- zähliger Zahnbildung. Gradenigo.

240) Fränkel hat an einem Sectionsmaterial von 146 Fällen die Erkrankung der Nasennebenhöhlen studirt und kommt auf Grund seiner grösstentheils auch bacteriologisch und mikroskopisch-histologisch durch- geführten Untersuchungen zu folgenden Resultaten, die ich theilweise mit den Worten des Verf. anführe: Ein grosser Theil von in Bezug auf das Verhalten der Nasennebenhöhlen normalen Menschen beherbergt in diesen Cavitäten Mikroorganismen, von denen wir wissen, dass sie bei vielen entzündlichen Processen der menschlichen Athmungsorgane eine hervorragende Rolle spielen (Diplococcus lanceolatus Fränkel, Staphylococcus pyogenes flavus et albus u. a. m... Die Erkrankungen der Nasennebenhöhlen finden sich überraschend häufig.

284 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Verf. fand in 43°/, seiner Fälle eine oder mehrere Nebenhöhlen erkrankt und zwar waren am häufigsten die Higmorshöhlen erkrankt (53 mal), demnächst die Keilbeinhöhlen (25 mal), unverhältnissmässig selten die Stirnhöhlen (nur 5 mal).

Wir haben in dem Gros der entzündlichen Nebenhöhlenerkrankungen völlig unabhängig von Nasenhöhlenaffectionen entstandene Erkrankungen zu erblicken; auch wird der dentale Ursprung der Kieferhöhlenentzün- dung für die Aetiologie dieser Erkrankung entschieden überschätzt. Da- gegen fällt wahrscheinlich hierbei gewissen Allgemeinerkrankungen eine bei weitem grössere Rolle zu als dies bisher angenommen wurde, so be- sonders der acuten fibrinösen Pneumonie, ferner den Masern, dem Schar- lach, der Rachendiphtherie, der Meningitis cerobrospinalis, der acuten Peritonitis und anderen Krankheiten mehr.

Mit dieser Ansicht tritt Verf. in Gegensatz zu den Anschauungen Zuckerkandl’s welcher die meisten Nebenhöhlenentzündungen für fortgeleitete Erkrankungen der Nasenhaupthöhlen hält.

Die Wirkungsweise der Bacterien auf die Nebenhöhlen ist eine durchaus inconstante, und es ist aus dem Charakter der Veränderungen nicht möglich, auf die Anwesenheit eines bestimmten Mikroorganismus Schlüsse zu ziehen. Vielleicht sind die verschiedenen Mikroorganismen hinsichtlich der Verlaufsdauer und Heilungsfähigkeit der Erkrankungen verschieden zu beurtheilen. Wenn man sich nicht beschränken würde, die Nasenhöhlen nur bei dem Bestehen von direct auf eine Affection dieses Organes hinweisenden subjectiven Beschwerden zu untersuchen, sondern systematisch bei allen Erkrankungen der Athmungswege mit einer Betrachtung des Naseninnern begänne, würden die Erkrankungen der Nasenhöhlen häufiger diagnosticirt werden als bisher. Die Ver- dickung der Infundibulumgegend entsteht secundär durch den Reiz des aus den Nebenhöhlen tretenden Exsudates. Der Nachweis von Nasen- ‚polypen berechtigt nicht auf voraufgegangene Nebenraumerkrankung zu schliessen. Caries und Nekrose der Nasenwände hat Verf. nur bei Tuberkulosen und Syphilis gefunden. Haenel.

241) Rethi giebt eine übersichtliche Darstellung der von ihm behandelten Nebenhöhlenempyeme, namentlich was die thera- peutischen Erfolge betrifft. Von Kieferhöhlenempyemen wurden 78 behandelte Fälle berücksichtigt. R. stellt dieselben, um den Werth der verschiedenen Behandlungsmethoden besser zu beleuchten, in zwei Gruppen zusammen: solche die vom mittleren Nasengang aus (der natür- lichen Oeffnung, einem vorhandenen accessorischen Ostium oder durch

Nase und Nasenrachenraum. | 285

eine in der äusseren Wand angebrachte Punctionsöffnung) und solche, die vom unteren Nasengang, dem Proc. alveol. und der Fossa canina aus behandelt wurden. In beiden Beobachtungsreihen waren die Re- sultate nahezu die gleichen, nähmlich ca. 43°’, Heilungen. R. schlägt daher vor, die Behandlung der Kieferhöhlen, wo dies möglich, und wenn keine Caries oder bedeutende Schleimhautwucherung vorhanden sind, durch das natürliche Ostium einzuleiten, welches in etwa der Hälfte der Fälle sondirbar war; wo es aber schwer oder überhaupt nicht zu- gänglich oder geschlossen ist, ist die Eröffnung durch die äussere Wand des mittleren Nasenganges vorzunehmen. Sind dagegen cariöse Zähne vorhanden, und diese als Ursache des Empyems anzusehen, so wird die Eröffnung von der Alveole aus vorgenommen. Waf den Vortheil an- belangt, den die Kranken bei der letztgenannten Operationsmethode haben, indem sie die Höhle selbst ausspülen können, so verzichten sie lieber auf denselben, wenn sie die Operation umgehen können und das thun sie, wenn sie die zweifelhaften Chancen der Operation kennen; auch opfern sie nicht leicht einen gesunden Zahn, wenn man ihnen nicht be- stimmt Heilung in Aussicht stellen kann. Stirnhöhlenempyeme hat R. 19 behandelt. Die Sondirung gelang in etwa JI. der Falle und stets nach Entfernung der polypösen Wucherungen und des vorderen Endes der mittleren Muschel. Durch Spülungen vom natürlichen Canal aus wurde in 58°/,, also in einem grösseren Procentsatze Heilung erzielt, als bei Kieferhöhlenempyemen. Dann führt R. 35 Siebbeinempyeme vor, bei denen Polypen, Hypertrophien und Theile der mittleren Muschel entfernt wurden, bezw. die Auskratzung sich als nothwendig erwies, mit 46°/, Heilungen. Schliesslich hat R. 16 Keilbeinempyeme behandelt, 2 mal durch die natürliche, in diesen Fällen sehr weite Oefinung, und 14 mal nach breiter Eröffnung der vorderen Wand mit ca. 70°), Heilungen. Im Ganzen giebt R. an, in seinem Vorgehen bei der Be- handlung der Nebenhöhlenempyeme auf Grundlage seiner mehrjährigen Erfahrungen wesentlich conservativer geworden zu sein. Pollak. 242) Gleitsmann demonstrirt die Anatomie der Nebenhöhlen durch Präparate und Zeichnungen, berührt die Pathologie nur ganz kurz, verweilt aber bei der Symptomatologie ziemlich lange. Er hält die Durchleuchtung für werthvoll, aber für überschätzt, und räth, sie in jedem Falle anzuwenden. Die Bestimmung der Lage des Eiters unter- stützt mit wenigen Ausnahmen, welche angeführt werden, die Diagnose. Die Sondirung der Oeffnungen ist von Wichtigkeit. Die Entfernung des Keilbeins wird bei Männern auf mindestens 8cm, bei Frauen auf

286 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenkeilkunde.

7 cm angegeben. Für die Behandlung folgt Verf. dem von Moritz Schmidt angegebenen Plane, zuerst das Antrum durch die natürliche Oeffnung hindurch auszuwaschen, dann den Troicart durch den untern Nasengang hindurchzustossen und schliesslich von den Alveolen des zweiten Backzahnes oder der Fossa canina aus zu eröffnen. Die Sieb- beinzellen werden dann in den Vereinigten Staaten durch Abtragung der vorderen Partien und Hypertrophien, und durch Auslöffelung be- handelt. Für die Stirnbeinhöhlen ist die äussere Eröffnung vorzuziehen. Die Keilbeinhöhlen werden intranasal ohne grosse Schwierigkeiten durch- bohrt. M. Toeplitz. 243) Bei dem Patienten Lack’s wurde die Kieferhöhleneiterung binnen wenigen Wochen durch Ausspritzen geheilt. Die Stirnhöhle wurde durch einen Schnitt in der Linie der Augenbrauen geöffnet, die Grenze des Operationsfelds bildeten die Incisura orbitalis und die Rolle des M. obliquus superior; es wurde ein grosses Stück Knochen mit dem Meissel entfernt und viel Eiter entleert. Sodann wurde eine Röhre durch’s In- fundibulum nach der Nase zu gelegt und 6 Wochen getragen, worauf die Erscheinungen verschwanden. Es blieb nur eine unbedeutende Narbe in der Augenbraue. Der Patient ist seit 2 Jahren gesund. | 245) Baber hält für das einzige sichere oder pathognomonische Zeichen den Nachweis von Eiter in der Höhle mittelst 1. Sondirung der natürlichen Ausgangsöffnung, 2. Punction durch den Alveolarfortsatz, 3. Punction vom unteren Nasengang aus; er selbst befürwortet die letzt- genannte Methode; er gebraucht dabei den von Grünwald empfohlenen geraden Trocar und Canüle; die Stelle der Punction sei die Grenze zwischen vorderem und mittlerem Drittel und zwar hoch oben; sodann wird eine kleine Aspirationsspritze in den Trocar eingeführt, dessen Spitze nach abwärts gedrückt wird; wird durch die Aspiration kein Eiter zu Tag gefördert, verbindet er nach dem Vorgang Grünwald’s die Canüle mit einem Gummiball und bläst Luft hindurch; dabei wird darauf geachtet, ob in der Gegend der mittleren Muschel Eiter erscheint. Verf. meint, man solle die Aspiration erst anwenden, nachdem Luft in die Höhle geblasen worden ist, da die Luft eine Emulsion mit dem Eiter bilde und so die Aspiration erleichtere. Er hat die Grünwald- sche Methode in 26 Fällen angewendet, ohne dass die Höhle verfehlt worden wäre. Cheatle. 246) In den Berichten des Massachussets General Hospital der letzten zwanzig Jahre finden sich nur etwa ein Dutzend Fälle von Em- pyem des Antrums, welche, alle ziemlich schwerer Natur, aber leicht

Nase und Nasenrachenraum. 287

zu diagnosticiren waren und von aussen durch Einschnitt der fluctu- irenden Theile operirt wurden. Mildere Fälle wurden übersehen. Cobb hesprach dann die Diagnose, welche nicht immer durch die Durchleuchtung, aber stets sicher durch Probepunction vom unteren Nasengang aus ver- mittelst des electrischen Drillbohrers mit nachträglicher Auswaschung der Höhle festgestellt wird. Er durchbohrt die Fossa canina nicht sehr gern, weil als Reaction die Backe anschwillt. Eigenthümliche braune Flecken, die sich nach dem Schnäuzen auf dem Taschentuch zeigen, werden von Cobb als werthvolles Zeichen für die Diagnose angesehen. Bei heftigen Fällen ist die weite Eröffnung mit Drainage unbedingt er- forderlich. Latente Fälle sind gewöhnlich sehr hartnäckig. Verf. be- fürwortet grosse Oeffnungen von der Alveole aus. Seine besten Er- folge erreichte er in acuten Fällen. Er schliesst mit einem ausführlichen Bericht über neun Fälle. M. Toeplitz.

247) Empfehlung einer Zahnplatte aus Hartgummi mit Stift, der in den Bohrcanal eingeführt und der nach Heilung des Empyem einfach . abgetragen werden kann. Zimmermann.

248) Der Inhalt ist durch die ausführliche Ueberschrift im Wesent- lichen wiedergegeben; es erübrigt vielleicht auf die Beobachtung Luc’s hinzuweisen, dass rahmiger Eiter bei Stirnhöhlen-, Klümpchen enthaltender bei Oberkieferhöhleneiterung charakteristisch sei. Der Aufsatz schliesst mit einer Krankengeschischte (Abbild.). Zimmermann.

249) Nach der Entfernung von Polypen in der Gegend unter der . linken mittleren Muschel fand Tilley, dass leicht eine Sonde in die Stirnhöhle eingeführt werden konnte. Beide Stirnhöhlen wurden durch einen medianen Verticalschnitt eröffnet und es fand sich, dass beide mit Granulationen gefüllt waren; es wurde ausgekratzt und mit Chlorzink- lösung ausgewaschen, Drainageröhren eingelegt und eine Woche lang liegen gelassen, wobei täglich mit Borlösung ausgespült wurde; dann liess man die Oeffnung zuheilen und es erfolgte völlige Heilung. Die Kieferhöhle wurde ebenfalls untersucht, aber gesund befunden. Cheatle. 250) Die lange Leidensgeschichte eines 36 jährigen Arbeiters, bei dem so ziemlich sämmtliche Nasennebenhöhlen erkrankt und operirt waren und dem Mermod schliesslich den Sinus front. sondirte. Aber bei der Operation darauf fand sich, dass der Sinus vollständig fehlte und dass eine Meningo encephalitis eingetreten war, ein Ergebniss, welches durch die Autopsie bestätigt wurde. M. verurtheilt streng die von Zeitschrift für Ohrenheilkunde Bd XXIX. 19

288 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Schäfer empfohlene Methode und räth überall zu breiter Eröffnung der erkrankten Höhlen. Zimmermann. 251) Ein 32jähriger Mann litt 9 Jahre nach der Ansteckung mit Syphilis an Empyem des rechten Antrum Highmori, welches vom unteren Augenlide, von der rechten Wange und dem rechten Dens caninus er- öffnet wurde, und aus welchem später zwei grosse Sequester entfernt wurden. Sechs Monate nach der Operation entfernte Somers in zwei Monaten aus der Nasenhöhle: Den ganzen rechten Gaumenknochen, den Vomer, alle Nasenmuscheln, verschiedene Theile der senkrechten Platte des Siebbeins und der knorpeligen Scheidewand.. Die Mandeln, das Zäpfchen und die rechte Seite des Schlundes waren geschwunden und der Gaumenbogen war mit der hinteren Rachenwand verwachsen. Die Ozäna und die Eiterung wurden durch grosse Dosen von Kali jodat. und Quecksilber sehr gemildert. M. Toeplitz. 252) Bei Besprechung des Capitels der Fremdkörper in der Nase bei kleinen Kindern schildert Symonds die Symptome in den Fällen, wo der Fremdkörper schon einige Zeit in der Nase verweilt hat, folgendermaassen: einseitiger, oft blutig tingirter oder braun gefärbter eiteiger Ausfluss, ohne besonders unangenehmen Geruch (?), dabei Ver- stopfung. Bei der Untersuchung findet man Schleimhautschwellung und Granulationen, der Fremdkörper selbst ist gänzlich unsichtbar oder er- scheint schwarz, letzteres entweder durch seine eigene Farbe oder durch angetrocknetes Blut. Er empfiehlt die Anwendung eines Anästheticums für die Untersuchung, falls das Kind nicht besonders gut hält. Für die Differentialdiagnose kommt in Betracht: einseitige Ozäna, tuberku- löse oder syphilitische Ulcerationen und Lupus. Er beschreibt den Fall eines lljährigen Kindes, aus dessen Nase er einen wahren Rhinolithen entfernte; der Ausfluss hatte seit dem 3. Jahre bestanden, wo einige Rosenblätter eingeführt worden waren. Bezüglich der Behandlung be- fürwortet er die häufigere Anwendung eines starken Wasserstroms (!) von der gesunden Seite aus mittelst der Higginson’schen Spritze. Nur einmal hat er einen Fremdkörper im hinteren Theil der Nase gesehen und zwar einen Spargelkopf, der hinter dem weichen Gaumen heraufgehustet worden war. Die Fremdkörper im Pharynx theilt er in 2 Classen: 1. kleine und penetrirende, die gewöhnlich in der Zungenwurzel, Mandel oder Rachenwand oder in der Falte zwischen Rachen und Zunge ein- bettet sind; 2. grosse Fremdkörper, wie Speisemengen und Zahnplatten. Beim Suchen nach Fremdkörpern der ersten Classe empfiehlt er, zuerst unter guter Beleuchtung sorgfältig zu untersuchen, ehe man zur Digital-

Nase und Nasenrachenraum. 289

untersuchung schreitet, weil durch letztere ein penetrirender Körper ein- getrieben, verschoben oder weiter abwärts gestossen werden könnte. Bei der Entfernung eines grossen und eingekeilten Körpers wie eines Pfeifen- stieles, in der Nachbarschaft der Tonsille, soll man an die Möglichkeit einer starken Blutung denken. Cheatle. 253) Der Rhinolith wurde in der rechten Nasenhälfte eines 13 jähr. Mädchens beobachtet, welches 3 Jahre lang an einem einseitigen Aus- fluss, -an Kopfschmerzen und Mundathmung gelitten hatte. Die linke Nasenhälfte war durch die verbogene Nasenscheidenwand verengt, die rechte erschien als atrophisch, enthielt aber eine schwarze Masse am Boden, welche theilweise mit einer starken Zange zerbrochen, und dann die übrigbleibende Partie leicht extrahirt wurde. Der Stein wog 24'/,gr. Der Kern wurde durch einen Blutklumpen gebildet. Der Artikel schliesst mit einem Literaturverzeichniss, einem Ueberblick über die Theorien der Aetiologie, die Symptomatologie und die Entfernung durch Operation oder Salzsäure. M. Toeplitz. 254) Knight’s Fall eines reinen Fibroms trat bei einem 21 jähr. Mann auf. Es entsprang vom hinteren Ende der linken mittleren Muschel. Die von Jonathan Wright ausgeführte mikroskopische Untersuchung ergab ein rein fibröses Gebilde, ohne myxomatöses Gewebe oder Gefässe, aber mit einer Ansammlung von kleinen Rundzellen an vereinzelten Stellen nahe der Oberfläche, welche wahrscheinlich von einer Entzündnng herrührten. M. Toeplitz. 255) Im October 1893 kam ein 62 jähriger Mann zu Bond mit der Angabe, dass er seit November 1892 heftige Anfälle von Nasen- bluten gehabt habe. Bei der Untersuchung fand sich die linke Nasen- seite geröthet, stark geschwollen und im vorderen Theil verlegt durch eine fungöse, wenig bewegliche Masse, die bei der Untersuchung mit der Sonde stark blutete; unter dem rechten Kieferwinkel waren ver- grösserte Drüsen zu fühlen. Die Geschwulstmasse wurde mit Schlinge und Curette entfernt und die Nase tamponirt. Die Ansatzstelle der Geschwulst (unterer Theil des Septums, Nasenboden und vorderer Theil der unteren Muschel) wurde nachträglich mit dem Galvanocauter ver- ätzt; ausserdem wurden die Drüsen entfernt. Ein Recidiv im März 1896 wurde abermals operativ beseitigt, allein zur Zeit des Vortrags war die Neubildung wieder gewachsen und hatte sich am Hals eine vergrösserte Drüse gezeigt. Cheatle. 256) Freytag berichtet über einen Fall von Bruch des Processus nasalis des Oberkiefers und der unteren Muschel mit Ausstossung der 19*

290 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

letzteren. Das Septum war luxirt und wahrscheinlich war auch die

vordere Siebbeingegend mitverletzt. Pat., ein 1Ojähriger Knabe, hatte

von der rechten Seite her einen Faustschlag auf die Nase erhalten. Killian.

257) Lermoyez lässt hier zu seinen schon publicirten 11 Fällen von Entwicklungshemmung des knöchernen Gaumens noch 2 weitere publiciren. Beide zeigten wieder die vom mangelnden Abschluss der Rachen- gegen die Nasenhöhle abhängigen Störungen; das Gaumensegel war von normalen Dimensionen, konnte nur wegen seines nach vorn gerückten Ansatzpunktes seinen Zweck nicht erfüllen.

Zimmernann.

258) Collier ist der Ansicht, dass die unmittelbare Folge nasaler Obstruction eine partielle Luftleere in den Räumen der Nase ist, die dann, wenn die Verstopfung chronisch ist, einen Collaps der Nasenwände herbeiführt ; auf dieses Verhältniss führt er die Hochwölbung des Gaumens und die Unregelmässigkeiten in der Zahnstellung zurück.

Cheatle.

259) Unter 60 Fällen von totaler Verwachsung des Gaumensegels, welche Kollbrunner aus der Literatur zusammenstellte, fanden sich bei 28 bestimmte Angaben über Syphilis, bei den übrigen fanden sich keine bestimmten Angaben oder war Syphilis nicht vorhanden. Die Einwirkung des Mündathmens auf das Allgemeinbefinden, die übrigen Athmungs- organe, die Gesichts- und Oberkieferbildung, auf die Zähne und auf die Stimme werden sehr eingehend besprochen. Zum Schluss werden die Krankengeschichten von 2 von Kuhn operirten Fällen mitgetheilt. Zur Nachbehandlung wird die mit einer Gaumenplatte in Verbindung stehende, nach dem Nasenrachenraume geführte Röhre empfohlen.

Hartmann.

260) In dem ersten Falle von Scheppegrell, welcher zufällig bei einer 21jährigen jungen Frau entdeckt wurde, zeigte sich die Ge- schwulst mit dem 15 mm langen Stiele an dem weichen Gaumen nahe dem Zäpfchen inserirt. Sie war kugelförmig, maass 9 mm im Durch- messer und erzeugte keine Beschwerden. Der zweite Fall trat bei einem 18jährigen jungen Mann auf und war eine gestielte Geschwulst, welche ebenfalls am weichen Gaumen befestigt war, am Zäpfchen herunterhing und, obgleich nur 3mm im Durchmesser gross, einen Reizhusten erzeugte, welcher gleich nach dem Schlafengehen begann. Die Beschwerden wurden durch die Entfernung der Geschwulst beseitigt. M. Toeplitz.

Nase und Nasenrachenraum. 291

261) In dieser Arbeit führt Heller seine schon’ 1894 in der Münchener med. Wochenschr. ausgesprochene Ansicht über die Genese der Infectionskrankheiten näher aus. Nach ihm sind fast alle Infections- krankheiten als Inhalationskrankheiten aufzufassen. Die erste Locali- sation der betreffenden Keime findet im Nasen- und Rachenraum statt (Incubationsperiode und Initialstadium mit localen Reizerscheinungen) und von hier geht die Resorption d. h. die Allgemeininfection vor sich. Auf Grund seiner Anschauungen hat Verf. seit 25 Jahren eine be- sondere Behandlungmethode der Infectionskrankheiten geübt, welche im Wesentlichen auf gründlicher Ausspülung des Nasenrachenraums beruht. Weiterhin weist der Verf. auf die wichtige Bedeutung hin, welche der Nasen- und Rachenraum auch für viele andere Krankheiten, sowohl in genetischer als therapeutischer Beziehung, hat, insbesondere für die Localerkrankungen der oberen Luftwege, aber auch für das Gesichts- ekzem, für verschiedene Formen von Neuralgien (Gesichts-, Frontal-, Occipital-Neuralgien), für manche Formen von Struma, wahrscheinlich auch für den Morbus Basedowii und viele Chlorosen. Haenel.

262) Sticker hat an Patienten der Giessener med. Poliklinik häufig chronische trockene Pleuritis mit chronischem Rachencatarrh ver- einigt gefunden und konnte diese Fälle bezüglich ihrer Aetiologie und ihres klinischen Befundes in zwei Gruppen sondern. Gruppe I betrifft scrophulöse oder tuberkulöse beziehentlich zu Tuberkulose disponirte In- dividuen. Ihre Rachenaffection besteht in chronischer Hyperämie der Schleimhaut mit Granulationen und Hypertrophie der Seitenstränge oder in diffuser Hypertrophie der ganzen Rachenschleimhaut mit oder ohne partielle narbige Atrophie. Der Gruppe II gehören Personen an mit ausgesprochenen Zeichen oder bedeutenden Verdachtsgründen erworbener oder vererbter Syphilis. Die Rachenveränderung besteht in einfacher Trockenheit mit oder ohne diffuse Atrophie der Rachenauskleidung. Für beide Gruppen werden ausführliche Krankengeschichten angeführt. Weiterhin giebt Verf. eine genaue Beschreibung der idiopatischen diffusen Atrophie der Rachenschleimhaut, der „Xerosis faucium“, welche im Gegensatz zu der Rachenerkrankung der Tuberkulösen sich durch mangel- hafte Entwicklung und zunehmenden Schwund des ganzen lymphatischen Rachenapparates auszeichnet. Die Atrophie befällt gleichzeitig Mucosa, Submucosa und Muscularis, und greift häufig von ihrem Lieblingsitz, dem Nasenrachenraum, auf die benachbarten Schleimhäute des Respi- rationstractus von der Nase bis zu den Lungen über. Sie ist nicht, wie vielfach behauptet wurde, das Product wiederholter entzündlicher

292 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Schwellungszustände, sondern sie ist das primäre und auf ihrem wider- standslosen Boden entwickeln sich als zufällige Complicationen entzünd- liche Processe; so kann sich auch die echte Ozäna als Complication der Xerosis entwickeln. Die mit Xerosis faucium behafteten Individuen sind der überstandenen hereditären oder acquirirten Syphilis äusserst ver- dächtig. Die Schädlichkeiten des Berufes und der Lebensgewohnheiten verursachen nach des Verf. Meinung bei nicht syphilitisch belasteten Personen nur die vorühergehende, heilbare Trockenheit im Halse, bei belasteten Indiviiuen aber können sie die Gelegenheitsursachen zum Ausbruch der unheilbaren Xerosis abgeben. Haenel.

263) Campbell beschreibt einen Fall von Pharyngomycosis lepto- thrieia bei einem 1Sjährigen Mädchen, welche nach Diphtherie aufge- treten und in 3 bis 4 Tagen wieder verschwunden war, um zu allen Jahreszeiten wieder zu erscheinen. Drei Jahre später traten die An- fälle nach Scharlach in Zwischenräumen von 2 Monaten bis nach 2). Jahren wieder auf, worauf «ie meisten Flecken sich dauernd festsetzten. Dieselben dehinten sich über beide Mandeln und eine kleine Partie der hinteren Rachenwand aus und ragten aus den Lacunen heraus. Einen ‚Monat später wurden sie auch auf dem Zungengrunde beobachtet. Sie | wurden zur mikroskopischen Untersuchung, welche von Dr. Lewellyn F. Barker vom Johns Hopkins Hospital vorzüglich beschrieben ist, herausgeschnitten. Behandlung mit Chromsäure. M. Toeplitz.

264) Koplik stützt seine Erfahrung auf 77 Fälle, welche er in folgende Gruppen eintheilt:

l. Acuter, a) gänzlich nach innen, b) nach innen und aussen, c) hauptsächlich nach aussen drängender Abscess.

2. Chronisch tuberkulöser und

3. Septischer Retropharyngealabscess. Letztere sind Senkungsabscesse in Folge einer Infection von exanthematischer Erkrankung, nach oder zugleich mit derselben auftretend. Idiopatische Abscesse sind unmöglich, da zwischen den Mandeln, dem Zahnfleisch, weichen Gaumen und Lymph- system hinter dem Pharynx intime Beziehungen vorwalten. Streptococcen sind in der Tiefe der Mandelkrypten immer vorhanden. Stomatitis, An- gina und Influenza sind die erregenden Ursachen des Retropharyngeal- abscesses, dessen Eiter vier nicht virulente Formen von Streptococcen enthält. Der acute Abscess ist weitaus überwiegend eine Erkrankung des frühesten Kindesalters und am häufigsten zwischen dem 6. und 12. Monate während der Säuglingsperiode. Der Abscess kann sich auch

Nase und Nasenrachenraum. 293

spontan Öffnen und dann zur Heilung führen. Complicationen, etwa durch Asphyxie, Pneumonie, reflectorische Synkope, Blutung aus einem grossen Blutgefäss und Ohrentzündung sind beobachtet worden. Verf. hält die Prognose der nichtcomplicirten Fälle für günstig, wenn sie durch frühzeitige Operationen behandelt werden. Für die meisten Fälle genügen Einschnitte von innen; besonders für Gruppe I. Für die zweite Gruppe, bei welcher die tiefen Halsdrüsen an der Seite des Halses mit dem primären Abscess hinter dem Rachen mitergriffen sind, und für tuberkulöse Abscesse, empfiehlt Verf. die Operation von aussen. M. Toeplitz.

265) Meyer berichtet über die in vier Fällen von retropharyn- gealem Abscess durch Eröffnung von aussen erreichten Erfolge. Er zieht Burkhardt’s Methode vor, welche im Einschnitt auf der Höhe des Kehlkopfs an der Innenseite des M. sterno-cleido-mastoideus und in der Unterbindung der angetroffenen subcutanen Venen besteht. Die frei- gelegte Carotis wird zurückgehalten und der Einschnitt in der Tiefe, gerade an der Seite des Kehlkopfes, gemacht. Die Operation muss in der Rose’schen Lage (bei herabhängendem Kopfe) bei septischen und tuber- kulösen Fällen Erwachsener und auch bei Kindern ausgeführt werden.

M. Toeplitz.

266) Mayer bespricht erst die Seltenheit des Retropharyngeal- abscesses, welcher vorwiegend in früher Kindheit, gelegentlich auch bei Erwachsenen, selbst in der acuten Form auftritt, und dann seine Symp- tome und Behandlung. Er zieht wegen Mangel an Zeit, wegen der Ge- fahr des Chloroforms, der Abwesenheit aseptischer Zustände in der Um- gebung des Patienten, des schnellen Erfolges und der langen Verzöge- rung der schliesslichen Heilung nach der Operation von aussen, welche eine bestehen bleibende äussere Narbe hinterlässt aus allen diesen Gründen die Operation von innen vor. Er berichtet über drei Fälle, welche er bei einem ljährigen, sechsmonatlichen und sechswöchentlichen Kinde beobachtet hatte, von denen das erste durch einen Einschnitt ge- heilt wurde, das zweite an Erschöpfung gestorben war, bevor noch ein Operationsversuch gemacht worden war und das dritte durch Resorption ohne Operation geheilt wurde. Der Artikel schliesst mit einer ausführ- lichen Literaturübersicht. M. Toeplitz.

267) In Semon’s Fall bildete sich ein Abscess in der hinteren Rachenwand ohne erkennbare Ursache. Bei dem 37 jährigen Patienten waren die anamnestischen Angaben nicht ganz klar hinsichtlich der

294 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Syphilis. Obgleich der Eiter entleert worden war, war keine Besserung eingetreten. Man hatte Jodkali verordnet. Falls keine Heilung erziehlt würde, so möchte Verf. vorschlagen, breit zu eröffnen und auszukratzen. Der Fall wurde vorgestellt, weil ein solcher Befund ohne bekannte traumatische oder constitutionelle Ursache selten ist. Cheatle.

268) Ruge berichtet über einen in der Gerhardt’schen Klinik peobachteten Fall von primärer Tuberkulose der rechten Gaumenmandel mit secundärem Malum Pottii suboccipitale und fügt diesem aus einer älteren Krankengeschichte noch einen zweiten Fall von Malum Pottii mit gleichzeitiger Tonsillenschwellung hinzu, bei dem möglicherweise ebenfalls primär eine Tonsillartuberkulose vorgelegen hat. Um über die Häufigkeit der Tonsillartuberkulose Aufschluss zu erhalten, hat Verf. von 18 beliebig ausgewählten Patienten die Tonsillen untersucht und ausser in dem oben berichteten Fall noch in 5 Fällen Tonsillartuber- kulose histologisch festgestellt. Makroskopisch war die Tuberkulose in keinem der Fälle erkennbar gewesen, sondern sie war unter dem Bilde einer einfachen catarrhalischen Angina oder einer einfachen Mandel- hypertrophie erschienen, in zwei Fällen hatten die kleinen und flachen Mandeln überhaupt nichts auffälliges gezeigt. In allen fünf Fällen be- stand gleichzeitig Lungenphthise; 4 mal war die Infection der Tonsille secundär durch das Sputum erfolgt, einmal die Tonsillarerkrankung viel- leicht das primäre gewesen. Verf. ist der Ansicht, dass sich die primäre Tuberkulose der Mandeln bei scrophulösen Kindern nicht selten findet. Dies machen ihm die Impfversuche von Dieulafois wahrscheinlich und die Untersuchungen von Orth, der in diphtherisch erkrankten Mandeln öfters Tuberkel gefunden hat bei Kindern, bei denen keine tuberkulöse Lungenerkrankung vorhanden war. Die primäre Infection der Mandeln kann durch Nahrung wie durch die Athmungsluft erfolgen, die secundäre durch das tuberkulöse Sputum (am häufigsten), durch das Blut und die Lymphe. | Haenel.

269) Deichert fügt den 2 Fällen Orth’s mit Knochen- bezw. Knorpelbildung in den Tonsillen 3 weitere hinzu. Auch in seinen Fällen lag der Knochen bezw. Knorpel in der Peripherie der Iymphatischen Substanz, in derbes Bindegewebe eingelagert und sich mit ihm gegen den Grund der Lacunen vorschiebend. Verf. hält mit Orth diese Bildungen für congenitale Störungen und zwar, ebenso wie die Knorpel- und Knochenstücke im Ligamentum styloideum, für Theile des zweiten Kiemenbogen. In einem seiner Fälle fanden sich diese beiden Bildungen

Nase und Nasenrachenraum. | 295

vereinigt. Diese Knorpel-Knochenherde könnten möglicherweise einmal practische Bedeutung gewinnen, wenn sie in Folge entzündlicher Reizung zur Geschwulstbildung veranlasst würden. Haenel.

270) Lacoarret meint, dass es sich nicht um einen entzünd- lichen, sondern um einen durch das Diphtheriegift gesetzten infectiösen lymphadenischen Process gehandelt habe. Wodurch diese beiden Unter- scheidungen verschieden sind, wird nicht gesagt. Die anfänglich sich in der Mittelinie berührenden Mandeln waren nach medikamentöser Be- handlung im Laufe von 1!/, Monat ganz zurückgegangen.

| | Zimmermann.

271) Zur Diagnose der primären Syphilis des Mundes und der Mandeln gelangt man durch Ausschliessung, da alle geschwürigen Pro- cesse dieser Theile maligner, tuberkulöser oder syphilitischer Natur sind. Beim Carcinom der Mandel gehen die Schmerzen und Schwellung der Geschwürsbildung um mehrere Monate voran. Primäre Geschwüre unter- scheidet man am besten von den secundär und tertiär -syphilitischen durch die einseitige Betheiligung der cervicalen und submaxillaren Drüsen. Diese Thatsachen werden durch vier Fälle erläutert. Die Mandel ist nächst den Lippen der häufigste Sitz des extra-genitalen Schankers. Secundäre Ausschläge, hauptsächlich in Form von Papeln, erscheinen ziemlich frühzeitig nach dem Schanker der Mandel, welcher häufig in unschuldiger Weise erworben ist. M. Toeplitz.

272) Griffin berichtet über weitere 20 Fälle von extragenitalem Schanker, welcher gewöhnlich einem Schleimhautgeschwür entspringt, oft aber auch direct vom Schankergift eingeimpft wird. Der Bubo an der entsprechenden Seite des Halses war, mit Ausnahme eines einzigen Falles, in allen Fällen vorhanden. Der Schanker ruft wenig Schmerzen hervor. Schanker des Mundes tritt früher auf als alle andern, oft schon während der ersten und zweiten Woche. Bei scrophulösen Personen sind die Drüsen grösser, als bei sonst gesunden. Der Ausschlag entwickelt sich schon frühzeitig, sogar oft schon 6 Tage nach dem primären Schanker, wobei sich jedoch die Schwere je nach der Constitution gleich bleibt. Viele Fälle entstehen durch Küssen. Verf. beobachtete 8 Schanker der Lippe; 4 der Zunge (unter welchen sich einer am Zungengrund ohne Bubo befand); 2 der Mandel von thierischer Ausübung des Actes her- rührend; ein Geschwür der Nase; ein gleiches des Zahnfleisches, durch eine Zahnbürste übertragen; eins der Brustwarze durch Nähren; eins am Anus eines 26 Monate alten Kindes durch Abwischen mit einem

296 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

vom syphilitischen Grossvater gebrauchten Tuche verursacht; eins des unteren Theiles der Hand durch einen Biss und eins am Anus eines 10jährigen Knaben durch Sodomie. Verf. bekämpft die Ausübung des Küssens. Syphilis ist nicht immer eine venerische Erkrankung und muss angezeigt werden. Die Prostitution muss gesetzlich überwacht werden. M. Toeplitz.

273) Bei einem 20jährigen Patienten wurde beiderseits mit dem Tonsillotom die partielle Abtragung der Mandel vorgenommen. Sieben Stunden nachher trat eine schwere Hämorrhagie rechterseits ein, neun Stunden später eine zweite, welche sehr schwierig zum Stehen gebracht werden konnte. Nach 5 Tagen eine neue Hämorrhagie, die sich am 8. und 13. Tage nach der Operation wiederholte. Es wird die Unter- bindung der rechten Carotis communis vorgenommen. In den 2 Tagen nach der Unterbindung Temperatur von 40° und Convulsionen der rechten Gliedmaassen mit Parese und Delirien. Alle diese Erscheinungen besserten sich und verschwanden bis zum 7. Tage. Gradenigo.

274) Arslan sammelte aus der Literatur 110 Fälle von Tumoren der Tonsillen. Neben den syphilitischen Fällen ist am häufigsten das Sarkom. A. berichtet sodann über eine eigene Beobachtung von Angio- sarkom der rechten und von Carcinom der linken Tonsille.

Gradenigo.

Besprechungen.

Ergebnisse der speciellen pathologischen Morpho- logie und Physiologie der Sinnesorgane. Her- ausgegeben von OÖ. Lubarsch und R. Ostertag. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1896.

Besprochen von Arthur Hartmann in Berlin.

Der vorliegende Band, die 4. Abtheilung der „Ergebnisse der all- gemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie“, bildet einen Theil des umfangreich angelegten Sammelwerkes. Es soll in demselben das- jenige, was auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie und der all- gemeinen Pathologie des Auges, des Ohres und der Haut geleistet wurde, in möglichst knapper Form festgelegt werden. Der Band enthält 535 Seiten, von denen die Hälfte auf die Haut, 236 Seiten auf das Auge und nur 24 auf das Ohr entfallen. Das Mittelohr, Warzenfortsatz und intracranielle otitische Folgeerkrankungen sind von E. Grunert- Halle; die pathologische Anatomie und Funktionsstörung des Labyrinths von L. Katz-Berlin bearbeitet. Trotz des geringen Umfanges sind die bei- den Berichte ziemlich vollständig. Wir beschränken uns darauf, auf das verdienstvolle Werk der beiden Herausgeber hinzuweisen.

La pratique des maladies du larynx, du nez et des oreilles dans les hospitaux de Paris. Aide-memoire et formulaire de therapeutique appli- quée par le Professeur Paul Lefert. Paris, J. B. Baillière et fils, 1896. (3 Fr.)

Besprochen von

Arthur Hartmann in Berlin.

In dem Buche werden die bei den verschiedenen Hospitalärzten in Paris üblichen Behandlungsmethoden in Kürze nach den Erkrankungen alphabetisch geordnet angeführt. Die einzelnen Vorschriften stammen von Baratoux, Barth, Broca, Castex, Chatellier, Courtade,

298 Besprechungen.

Dieulafoy, Duplay, Gell&e, Gerard-Marchand, Gougenheim, Hermet, Ladreit deLacharriere, Lermoyez, Lubet-Barbon, Luc, Natier, Périer, Poyet, Quenu, Reclus, Ruault, Schwartz, Tillaux, Variot etc.

Man findet entsprechend der grossen Zahl von Mitarbeitern eine recht reichhaltige Sammlung von Behandlungsmethoden. Es sind z. B. für die Behandlung des acuten und chronischen Schnupfens gegen 30 Recepte zu Einspritzungen und Einblasungen von verschiedenen Seiten mitgetheilt. Im Allgemeinen entsprechen die Behandlungsmethoden viel- fach nicht den ausserhalb Frankreichs herrschenden Anschauungen. So schlägt, um nur ein krasses Beispiel anzuführen, Duplay vor, bei traumatischer Perforation des Trommelfells antiseptische Einspritzungen zu machen (S. 177). Tillaux empfiehlt S. 183 noch die Exstirpation der Nasenpolypen mit der ohne Controlle eingeführten Zange, da man im hinteren Theile der Nase wegen vorliegenden Blutes nichts sehen könne.

Die grosse Mehrzahl der Notizen ist so kurz und so allgemein ge- halten, dass für eine rationelle Therapie kaum Anhaltspunkte gewonnen werden können.

Bilder aus dem menschlichen Vorhofe. Atlas, ent- haltend 25 Photographien nach mikroskopischen Serienschnitten. Von Prof. H. Steinbrügge und Dr. O. Nieser. Verlag von Franz Deutike.

Besprochen von

A. Barth, Breslau - Leipzig.

Steinbrügge bringt aus seiner reichen Sammlung eine Reihe durch Dr. Nieser reproducirter Bilder des Vorhofes, welche recht wohl geeignet sind, dem von den Verfassern gewollten Zwecke zu entsprechen, nämlich eine Vorstellung von den Raumverhältnissen des Vorhofes und der Form und den Verbindungen der in ihm lagernden Säckchen und Canäle zu geben. Jeder, der sich für die Anatomie des Ohres interessirt, wird die Bilderserie gern durchmustern, nur ist die Anordnung in Buch- form gerade für diesen Zweck recht ungeeignet, wo man nur immer ein Blatt betrachten kann und der nebengedruckte Text noch durch das zurückgeschlagene Seidenpapier verdeckt wird. Ref. hat zunächst das ganze Buch auseinandergenommen, um die nebeneinandergelegten Tafeln mit vollem Genuss betrachten zu können. Die Wiedergabe und Aus- stattung der vorzüglich gelungenen Präparate ist im übrigen eine gute.

Besprechungen. 209

Wilh. Kirchner, Handbuch der Ohrenheilkunde

für Aerzte und Studirende. 5. Aufl. Berlin 1896 VIII und 232 S. Preis broch. 4 M. 80 Pf.

Besprochen von

E. Bloch in Freiburg i. B.

In 7 Abtheilungen erörtert der Verfasser des kleinen Handbüchleins, das in etwa einem Jahrzehnt fünf Auflagen erlebt hat, alle wesentlichen Abschnitte der gesammten Disciplin. Einleitend werden zunächst die Ursachen der Ohrenkrankheiten, besonders auch ihr Zusammenhang mit anderen Organ- und den Allgemeinkrankheiten dargelegt, sodann werden in knapper Weise die Untersuchungsmethoden vorgetragen, wobei aller- dings diejenigen der Functionsprüfungen zu kurz kommen, ein Mangel, welchen das Werkchen mit viel umfangreicheren Lehrbüchern (helt, In weiter folgenden Kapiteln werden die Erkrankungen des äusseren Ohres, des Trommelfells, der Tube, der Paukenhöhle nebst denjenigen des Warzenfortsatzes, des Labyrinthes abgehandelt. wobei stets auf die praktische. besonders die therapeutische Seite der Ohrenheilkunde die grösste Rücksicht genommen wird. Bei der Besprechung der Mastoid- erkrankungen hätte dem operativen Theile ebenfalls etwas mehr Raum gegönnt sein dürfen. In einem letzten Abschnitte sind die Taubstumm- heit, die Entlarvung der Simulation und die Verwendung von Hörmaschinen besprochen.

Wo es nöthig ist, sind stets kurze anatomische und physiologische Bemerkungen den einzelnen Abschnitten vorausgeschickt. Eine Anzahl sehr klarer Abbildungen dienen zur leichteren Veranschaulichung; Figur 10 und 19, sowie 16 und 38 sind jeweils identisch.

Das Buch enthält in jedem seiner Theile eine Fülle von wichtigen Thatsachen und treffenden, der reichen praktischen Erfahrung wie der Litteraturkenntniss des Verfassers entquellenden Bemerkungen, so dass man naclı der Lectüre desselben sich gestehen muss: Alles in allem bringt es viel mehr, als man nach seinem geringen Umfange erwartet hätte. Und so wird auch in der neuen Auflage das Kirchner ’'sche Buch die Zwecke erfüllen, welche sein Verfasser im Auge hat.

Die Ausstattung seitens des Wreden’schen Verlages ist eine musterhafte.

300 Fachangelegenheiten.

Nekrolog. Prof. Dr. Rüdinger f.

Am 15. August d. Js. starb nach kurzem Leiden der Münchener Anatom Prof. Dr. Rüdinger, dem die Otologie eine grosse Anzahl werthvoller Arbeiten verdankt. Er war Mitbegründer der Monatsschrift für Ohrenheilkunde, in welcher die meisten seiner kleineren Arbeiten erschienen sind: „Die Nerven und das Epithel in den Ampullen und Säckchen des häutigen Labyrinths und über eigenthümliche Zellen bei Salmo hucho“ (1870), „Ueber die Venen im carotischen Canale des Schläfenbeins* (1871), „Die Fossa jugularis und ihre individuelle Grössenverschiedenheit“ (1875), „Ueber das Sprachcentrum im Gehirn“ (1880), „Zur Anatomie und Entwicklung des inneren Ohres“ (1383).

In den Jahren 1867—70 erschien in 3 Lieferungen der „Atlas des menschlichen Gehörorganes“.

Ausser in der Monatsschrift für Ohrenheilkunde sind in Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben, in der Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte, in den Abhandlungen der Münchener Akademie das Hörorgan betreffende Arbeiten von Rüdinger ver- öffentlicht.

Dem Verstorbenen werden auch die Ohrenärzte ein dankbares An- denken bewahren. Hartmann.

Fachangelegenheiten.

Nach Professor Körner’s Ablehnung wurde Professor Barth aus Breslau nach Leipzig berufen und hat angenommen.

In Leipzig 'hat sich der Assistent der medieinischen Poliklinik Dr. Friedrich für Laryngologie. Rhinologie und Otologie habilitirt.

Professor Moldenhauer in Leipzig hat nach langer Krankheit seine Thätigkeit wieder begonnen.

Eine Delegirtenversammlung der deutschen medicinischen Fakul- täten (mit Ausnahme von Berlin und Strassburg) in Eisenach hat sich auf Antrag des Pharmakologen Kunkel-Würzburg gegen den Antrag des Hygienikers Gärtner-Jena einstimmig dahin ausgesprochen, dass in der neuen ärztlichen Prüfungsordnung die Ohrenheilkunde vom Chi- rurgen geprüft, und dass der Besuch der Öhrenklinik für die Studenten nicht obligatorisch werden soll.

E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss der genuinen Diphtherie. 301

XVI.

Beiträge zur Kenntniss des pathologisch- anatomischen Befundes im Mittelohr und in den Keilbeinhöhlen bei der genuinen Diphtherie (25 Sectionsberichte).

Von Dr. E. Lommel.

Aus der Ohrenklinik von Prof. Dr. Siebenmann in Basel.

Vor Kurzem wurde von Bezold die Arbeit seines ehemaligen Schülers Rudolf »18 Sectionsberichte über das Gehörorgan bei Masern« veröffentlicht ?').

Auf Veranlassung des Directors des otiatrischen Institutes in Basel, Prof. Dr. Siebenmann, habe ich mich entschlossen, als Gegenstück dazu die Befunde der Sectionen von Gehörorganen bei Diphtheritis an Handen der Protokolle dieses Autors zu untersuchen und zu publiciren.

Während über die Complicationen von Öhrenerkrankungen bei Masern, Scharlach, Typhus, Tuberkulose, Pocken, und ganz besonders bei Influenza eine Anzahl von Publicationen vorliegen, ist die Diphthe- ritis bisher etwas stiefmütterlich behandelt worden; speciell über die pathologische Anatomie der Otitiden bei Diphtheritis wurden nur ganz wenige Arbeiten geschrieben.

Die erste Abhandlung über das Vorkommen von diphtheritischer Entzündung auf der Schleimhaut des Mittelohres stammt aus dem Jahre 1868. Im Anhang zu dem Bericht: »Otitis media neonatorum« be- . schreibt Wreden!) 2 Fälle unter dem Titel »Otitis diphtheritica«. Im ersten Fall handelte es sich um ein 6-wöchiges Kind, das an reiner Diphtheritis ohne vorausgegangene Scarlatina erkrankt war. Der Befund im Mittelohr war: Schleimhaut des Cavum pharyngonasale stark geröthet und geschwollen, besonders am pharyngealen Ostium tubae. Schleimhaut der Ohrtrompete stark injieirt und mit Eiter bedeckt. Cavum tympani upd Antrum mastoideum mit dickem Eiter und diphtheritischen Pseudo- membranen angefüllt, welche sich nicht ausspritzen, sondern blos mit der Pincette entfernen lassen. Sämmtliche Knochenwände stark injicirt. Trommelfell und Annulus tympani gar nicht injieirt, sondern blos an der Innenfläche mit Eiter bedeckt. Gehörknöchelchen intact. Ambos und Steigbügel bieten feine Gefässinjection dar. Keine Caries vor-

handen. Im zweiten Fall, einem 3!/,monatlichen Knaben, handelte Zeitschrift für Oh:enbeilkunde, Bd. XXIX. Ou

302 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

es sich um keine reine Otitis diphtheritica, sondern um eine Complication mit Otitis gangraenosa.

Bei älteren Kindern hat Wreden 18 Mal Gelegenheit gehabt, heftige diphtheritische Entzündungen des Mittelohres, welche im Verlauf einer mit Nasen- und Rächendiphtheritis complicirten Scarlatina aufge- ' treten waren, zu beobachten.

Von Wendt?) wurden dann vor etwa einem Vierteljahrhundert eingehendere pathologisch-anatomische Untersuchungen der Gehörorgane verstorbener Kinder vorgenommen. In seiner Arbeit: »Ueber das Ver- halten des Gehörorganes und des Nasenrachenraumes bei Variola« hat er genaue und ganz ausführliche Berichte über seine Befunde bei dieser Infectionskrankheit gegeben. Daneben hat er zu dieser Zeit die Gehör: organe fast sämmtlicher Leichen, die am Jakobsspital zu Leipzig zur Section gelangten, zergliedert, und auf ihren anatomisch-pathologischen Befund untersucht. In seinen »Beiträge zur pathologischen Anatomie des Ohres« hat er speciell die Sectionsbefunde des Mittelohres bei Diphtheritis und Croup der benachbarten Schleimhäute veröffentlicht: Er illustrirt dieselben durch fünf Beispiele, wovon drei ganz ausführlich mitgetheilt werden. Unter diesen fünf untersuchten Fällen fand sich nur in einem eine directe Betheiligung der knorpeligen Tube an dem croupösen Process des Pharynx und Larynx, mit collateraler Hyperämie und Schwellung der Schleimhaut der übrigen Theile des Mittelohres. In den 4 anderen Fällen fand sich 3 Mal einfache eitrige Entzündung des Mittelohres, einmal acute catarrhalische Entzündung desselben :»wohl, wie die Hyperämie und Schwellung der Schleimhaut des Nasenrachen- raumes collateral bedingt, durch den Croup der unteren Rachentheile«.

Fast um die gleiche Zeit wurde von Moos) ein Fall be- schrieben von »plötzlichem Bluterguss in die rechte Trommelhöhle im Verlauf von Angina diphtherica«. Verfasser nimmt hier an, dass eine Blutung aus der Gegend der Rachenmündung der Ohrtrompete durch Niessen per tubam in die Paukenliöhle geschleudert wurde. Moos hat aber hauptsächlich histologische Beiträge herausgegeben. Er ver- öffentlichte im Jahre 1884 mit Steinbrügge?) zusammen seine histologischen Befunde an 6 Schläfenbeinen dreier an Diphtherie ver- storbener Kinder. Sämmtliche Schläfenbeine rührten her von Kindern innerhalb, resp. an der Grenze des 1. Lebensjahres, welche an Diphtherie des Rachens und der oberen Luftwege zu Grunde gegangen waren. Im Meatus externus war die Epidermis abgelöst oder leicht abziehbar. Die Tronmelfelle zeigten starke Vascularisation. Einmal bestand eine Per-

Befundes im Mittelohr u. d Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 303

foration des Trommelfells. In der Paukenhöhle war zäher Schleim oder solcher mit Blut vermischt. Mucosa war überall geschwellt, mit Rund- oder Eiterzellen infiltrirt. Diese Veränderungen erstreckten sich auf Antrum, pneumatische Räume, spongiöse Hohlräume in der Um- gebung der Paukenhöhle und periostale Fortsätze, die in Begleitung von Gefässen in die knöcherne Paukenhöhlenwand und in die Gehör- knöchelchen eindringen. Dagegen war die Tubenschleimhaut ausnahms- weise weniger afficirt, mithin möglicherweise der diphtheritische Process nicht per continuitatem, sondern mit Ueberspringung der Tuba auf die Paukenhöhle fortgeschritten. Microorganismen liessen sich an den er- krankten Parthieen nirgends constatiren. Das Labyrinth verhielt sich bis auf eine meist vorhandene Gerinnung der Lymphe normal.

Vier Jahre später veröffentlichte Moos°) in der Zeitschrift für Ohrenheilkunde seine »histologischen und bacteriellen Untersuchungen über Mittelohrerkrankungen bei den verschiedenen Formen der Diphtherie«. Verfasser untersuchte 6 Felsenbeine von 6 Kindern im Alter von 2 bis 7 Jahren, von denen 3 an primärer Rachendiphtherie (eines an der septischen Form) und 3 an Scharlachdiphtherie gelitten hatten. Das Trommelfell war durchgängig nicht perforirt, der Lichtfleck und der Hammergriff waren nur undeutlich oder gar nicht sichtbar, die Hammer- griffgefässe zuweilen injicirt. Seine Schleimhautfläche war in der Hälfte der Fälle nicht injicirt, während sie in den übrigen, besonders an der Peripherie, ein zierliches Gefässnetz erkennen liess. Die Schleimhaut des Mittelohres, diejenige der knöchernen Tuba, der Gehörknöchelchen, sowie der pneumatischen Räume über dem Gehörgang und der Zellen des Warzenfortsatzes, war nur zweimal blass, in den anderen vier Fällen erschien sie bald mehr, bald weniger geröthet und geschwellt, Veränderungen, welche sich vorzugsweise am Boden der Paukenhöble und an der Labyrinthwand geltend machten. Das Lumen der Pauken- höhle war viermal frei, zweimal mit gelbgrüner Flüssigkeit angefüllt. Der Binnenraum der Tuba war entweder frei oder enthielt Schleim- massen. Hervorzuheben ist der Mangel jedwelcher Eiterung im Mittel- ohr; es war nur partielle Mortification des Epithels, Infiltration der Mucosa und Necrose der Blutgefässe und des Knochens vorhanden.

An den gleichen Präparaten machte Moos) später noch Unter- suchungen über die Labyrinthbefunde und vervollständigte damit das Bild.

In seinen Sectionsbefunden erwähnt Küpf er) einen Fall von croupöser Entzündung der Schleimhaut der Paukenhöhle und Ohr- trompete bei einem 4jährigen Mädchen, das an Diplitheritis gestorben

20*

304 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

war. Der äussere Gehörgang war ganz normal, Trommelfell stark injicirt, nach aussen vorgetrieben; Paukenhöhle ganz ausgefüllt von einem geronnenen Exsudat, ebenso die Tuba; aus letzterer konnten diese Massen in Zusammenhang wie eine Röhre entfernt werden; die darunter gelegene Schleimhaut gelockert nnd sehr blutreich, unter dem Mikroskop zeigt sich, dass in dem geronnenen Faserstoff viele Eiterzellen einge- bettet lagen. Die Rachengebilde waren in der bösartigsten Weise von Diphtherie befallen; die Schleimhaut des Kehlkopfes war ganz frei von exsudativen Processen.

In einem andern Fall hochgradiger Diphtheritis, welcher auch von Küpfer publicirt wurde, blieb die Schleimhaut der Tuba und Pauken- höhle ganz intact trotz ausgedehnter diphtheritischer Geschwüre in Rachen, Kehlkopf und Luftröhre.

Einen Beweis für den Umstand, wie wenig zu dieser Zeit die Diphtheritis als verursachendes Moment bei Otitis berücksichtigt war, liefert die Inaugural-Dissertation von Heydloff®) (Halle 1876) mit der Ueberschrift: »Ueber Ohrkrankheiten als Folge und Ursache von Allgemeinkrankheiten«. Unter den veranlassenden Infectionskrankheiten für Ohrleiden bespricht Verfasser: Masern, Scharlach, Variola, Typhus, Meningitis cerebro-spinalis, Syphilis; als Allgemeinleiden, ausgehend von einem Ohrleiden: Miliartuberkulose und Pyämie. Die genuine Diphtherie dagegen wird dabei nicht erwähnt.

Gottstein?) berichtet 1881 über einen Fall von Otitis media diphtheritica. Letztere trat auf als Begleiterscheinung eines mit Diph- therie des Velum, des Pharynx und der Nase complieirten Scharlachs. In einer zweiten Beobachtung desselben Autors beschränken sich die Pseudomembranen auf den äusseren Gehörgang; das Trommelfell war perforirt, in der Paukenhöhle fand sich Eiter, aber keine Auflagerung. Gottstein bringt nun die gleichzeitige Diphtherieerkrankung des Bruders zu dieser Scarlatina in Beziehung; die Diphtberitis des äusseren Gehörganges denkt er sich aber nicht durch Fortpflanzung vom Rachen aus entstanden, sondern er nimmt an, dass die Ohrenerkrankung unter dem Eintluss der specifischen Infection den diphtheritischen Charakter aquirirt hat. Der betreffende Fall hat eigentlich für uns weniger Interesse, weil es sich nicht um genuine, sondern um Scharlachdiphtherie handelt. TE

Burckhardt-Merian!®) in seiner Arbeit »Ueber den Scharlach in seinen Beziehungen zum Gehörorgan«, schreibt die Malignität der Mittel- ohrentzündungen bei Scharlach den diphtheritischen und croupösen

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 305

Processen zu, welche dabei mehrfach beobachtet sind. »Leichtere Fälle,« sagt er, »können ohne croupös-diphtheritische Processe verlaufen, die schweren beruhen indessen auf diphtheritischer Grundlage«. Nach der Ansicht von Gottstein geht Burckhardt-Merian zu weit, wenn er annimmt, dass die Tuba der einzige Weg ist, auf welchem sich eine diphtheritische Ohrenentzündung bei einer Angina diphtheritica bildet. Dieselbe kann ebensogut die Symptomäusserung der diphtheri- tischen Infection sein, wie zweifellos nicht jede einfache Mittelohrent- zündung bei Scharlach vom entzündeten Pharynx fortgeleitet ist, sondern durch den specifischen Krankheitserreger der Scarlatina hervorgerufen sein kann.

Wolf!!) ist auch sehr geneigt, immer eine Fortpflanzung des diphtheritischen Processes durch die Tube auf die Paukenhöhle anzu- nehmen. Er publicirte mehrere Fälle von schweren Öhrenaffectionen nach Scharlach-Diphtheritis.

Eine zusammenhängendere Arbeit über die bei acuten Infections- krankheiten vorkommenden Erkrankungen des Gehörorganes wurde im Jahre 1881 von Blau!?) geschrieben. Speciell hat er die diph- theritischen Erkrankungen des Gehörorganes nach Scarlatina und Morbilli geschildert.

Marian!) erwähnt in seinem Bericht über die von October 1380 bis October 1882 behandelten Ohrenkranken den letal abge- laufenen Fall von einem 4jährigen Mädchen, das im Verlauf der Scarlatina an Diphtheritis des Pharynx, der Tonsillen, der Nasen- schleimhaut und der linken Paukenhöhle litt. Verfasser sagt: » Während sonst bei der croupösen und diphtheritischen Rachenentzündung die Paukenhöhle nur von einer einfachen nicht diphtheritischen Entzündung befallen wird, bot sich hier das Bild einer der Continuität nach vom Pharynx und der Nasenhöhle fortschreitenden diphtheritischen Pauken- höhlenentzündung dar; die Paukenhöhle, sowie der Gehörgang waren mit diphtheritischen Membranen durchsetzt, die sich äusserst schwer entfernen liessen und unter denen dann eine lebhaft granulirende, äusserst leicht blutende Geschwürsfläche zu Tage trat. Trotzdem der diphtheritische Process die Schleimhaut beider Nasenlöcher stets heftig angegriffen hatte, hatte sich die Entzündung nur auf ein Ohr, das linke, fortgepflanzt.

Bezold 1) im Gesammtbericht über die 1882—1883 inclusive behandelten Ohrenkranken, giebt an, dass er im Ganzen 15 Mal Er- krankungen des Ohres nach genuiner Rachendiphtherie fand und zwar

306 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch,

bei 9 Kindern und 6 Erwachsenen: 8 Mal bestand bereits Otitis media purulenta chronica, 5 Mal lag Otitis media purulenta acuta vor und 2 Mal wurden Residuen von Otitis purulenta auf eine tüberstandene Diphtheritis zurückgeführt.

Zwei weitere Fälle von dipbtheritischer Entzündung der Pauken- schleimhaut wurden 1889 von Hirsch ID angeführt: im ersten Fall war eine Fortleitung des diphtheritischen Processes vom Rachen per tubam in’s Mittelohr, die Paukenhöhle selbst bot nur geringe Zeichen von Ent- zündung; die Untersuchung der Schleimhaut der Tuba ergab ein klein- zelliges Infiltrat und am Boden der Tuba war eine geringe Menge Exsudat, das mikroskopisch aus Eiterzellen, Fibringerinnsel und Schleim bestand. Im zweiten Fall waren verhältnissmässig geringe Entzündungs- erscheinungen in der Tuba Eustachii bei ausgeprägter Diphtheritis im Rachen und Paukenhöhle, so dass man annehmen konnte, dass die In- fection der Paukenhöhle mit den specifischen Krankheitserregern aut dem Wege der Blut- und Lymphbahnen vor sich ging, denn eine Ueber- leitung durch die Tube vom Rachen her wäre in diesem Falle ohne bedeutende Afficirung der Gewebe der Tube selbst nicht denkbar.

Löring !‘) beschreibt einen Fall von Otitis media crouposa mit consecutiver Leptomeningitis; es wird aber ausdrücklich betont, dass Pharynx, Fauces und Luftröhre frei von fibrinöser Entzündung waren; auch konnten mikroskopisch keine Fibrinfasern nachgewiesen werden.

Speciell mikroskopische Berichte sind diejenigen von Sieben- mann!) und von Kirchner '%). In seiner Arbeit »Beitrag zur Betheiligung von Mikroorganismen bei der Otitis media diphtheritica« beschreibt Siebenmann einen Fall von diphtheritischer Erkrankung des Gehörorgans nach Scarlatina maligna. Die Untersuchung von einer speckigen frischen Diphtheriemembran aus einer entlegenen Warzenzelle ergab mit der Weigert’schen Fibrinfärbungsmethode ein prachtvolles, feinfädiges, scharf contourirtes blaues Fibrinnetz, welches stellenweise deutlich alveoläre Structur aufwies und grössere Hohlräume enthielt. Von Mikroorganismen dagegen war auch bei Anwendung der besten Immersionssysteme nichts wahrzunehmen. Im Fall, der von Kirchner) beschrieben wurde, zeigte die Weigert’sche Färbung, dass die Schleimhaut mit dichtem diphtheritischem Netze durchsetzt war; ferner waren Haufen von Mikrococcen, nekrotische und zerfallene Epithel- zellen vorhanden. KE X

Bei primärer Diphtherie des Rachens soll nach der Statistik von Bürkner !?) über die relative Häufigkeit der Ohrenerkrankungen

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 307

dieselbe 1,5°/, für die acute eitrige Mittelohrentzündung betragen. Die primäre Diphtherie sei im übrigen seltener mit Affectionen des Mittel. ohres complicirt als Scharlachdiphtherie. Nicht in allen Fällen dient die Tube als blosse Passage für das EEN sie kann viel- mehr auch selbstständig erkranken.

Im Handbuch der Ohrenkrankheiten von Schwartze sagt Moos!?) (vergleiche das Kapitel: Beziehungen der Allgemein- erkrankungen zu Krankheiten des Gehörorganes.) »Der Klebs-Löffler- sche Diphtheriebacillus kommt bei der Genese der Diphtherieotitis nicht in Betracht; er erzeugt blos die lokale Schleimhautaffection. Dagegen wird sowohl die regionäre wie die allgemeine Infection, wie Heubner, Kolisko, Pollak und Baginsky nachgewiesen haben, stets durch Trauben- und Kettencoccen erzeugt, die neben dem Diphtheriebacillus immer in wechselnder Menge vorhanden sind. Es giebt drei Möglich- keiten für den Zusammenhang der Ohraffectionen mit den verschiedenen Formen der Diphtherie:

1. die hämatogene Genese,

2. die Fortpflanzung der accidentellen Mikroorganismen durch die Tube auf das Mittelohr und

3. die Combination beider.«

Zum Schluss will ich die neulich erschienene Arbeit von Harke ?°) erwähnen: »Beiträge zur Pathologie und Therapie der oberen Athmungs- wege, einschliesslich des Gehörs.« Unter seinen zahlreichen Sections- protokollen kommen auch 16 Fälle von Diphtheritis vor, in welchen er kurz den Befund des Mittelohres berührt. Es fanden sich:

In 3 Fällen (18,75°/,) normale Verhältnisse (1 Mal war die Schleimhaut nur mit einigen erweiterten Gefässen durchzogen). In 2 Fällen (12,5°/,) catarrhalische Entzündung ohne Exsudat. In 3 Fällen (18,75°/,) Catarrh mit nicht eitrigem Exsudat und zwar 1 Mal serös, 1 Mal glasig und 1 Mal schleimig. In 8 Fällen (50°/,) eitrige Otitis. In keinem Fall waren im Mittelohre diphtheritische Auflagerungen.

Wie man sieht, liegt eine nicht geringe Menge von Sections- protokollen vor, meistens aber handelte es sich bei den angeführten Fällen um eine Complication von Scarlatina mit der Diphtherie. In den verschiedenen Krankengeschichten werden oft genuine Diphtherie und Scharlachdiptherie in einer Art durch- einander gemengt, dass es schwer fällt, jeden speciellen Fall sicher zu beurtheilen.

308 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Es wird unter diesen Umständen wohl berechtigt erscheinen, einen weiteren Beitrag zu dieser Frage zu liefern.

Wir verfügen nämlich über ein grösseres Material von Fällen genuiner Diphtherie. Diese Beiträge haben insofern einen sehr ein- heitlichen Charakter, als erstens mehr als die Hälfte aller dieser Fälle aus dem Jahre 1896 stammen (wo in Basel eine grössere Diphtherie- Epidemie herrschte) und zweitens sämmtliche Schläfenbeine durch Prof. Siebenmann secirt wurden, dem dieselben von Prof. Roth, Director des pathologischen Institutes in Basel in entgegenkommendster Weise überlassen wurden.

In keinem einzigen dieser Fälle bestand eine Complication mit Scarlatina, einer Erkrankung, die gerade während der letzten Zeit in Basel äusserst selten war; fast durchwegs wurden die Beläge, entweder während der klinischen Beobachtungen oder dann post mortem unter- sucht und in ihnen der Löffler’sche Bacillus im Ausstrichpräparat und culturell nachgewiesen.

Eine so grosse Reihe von Sectionsberichten des Mittelohres bei reiner genuiner Diphtherie ist noch nie publicirt worden. Sie bildet ein Seitenstück zu den ausführlichen ' Mittheilungen von Bezold über den Befund des Mittelohres bei Typhus, Masern und Tuberkulose, und wird ohne Zweifel ebenfalls dazu beitragen, die Aufmerksamkeit der Aerzte auf die bei den verschiedenen allgemeinen Infectionskrankheiten vorkommenden Mittelohrentzündungen zu lenken.

Die Erlaubniss zur Benutzung der Sectionsprotokolle behufs Auf- stellung der allgemeinen anatomisch-pathologischen Diagnose und der Krankengeschichten wurde mir in zuvorkommender Weise von den Herren Prof. DDr. Roth, Socin, Immermann und Hagenbach ertheilt. Ich erlaube mir, ihnen an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.

Was die Reihenfolge der Fälle betrifft, haben wir das gleiche Princip wie Rudolf und Bezold befolgt: Der Zeitraum, der zwischen Beginn der Erkrankung und Exitus letalis lag, war maassgebend; die ersten Fälle sind diejenigen, bei denen die Krankheit am raschesten zum Tode geführt hat, die Krankheitsdauer also am kürzesten war. Letztere schwankte bei unsern Fällen zwischen 4 und 24 Tagen. Voraus- geschickt muss noch werden, dass in 4 dieser Fälle (I, IV, V, XXI) eine Morbillenerkrankung 2—3 Wochen vorher bestanden hatte und dass bei Fäll XVI eine solche zu der Diphtherie hinzutrat, sodass wenigstens dieser letztere Fall nicht als ganz rein zu bezeichnen ist.

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 309

Fall I.

Hedwig M., 9 Monate alt, Eintritt den 28. April 1896 in das Bürgerspital, medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis narium et laryngis. Masernpneumonie. |

Anamnese: Am 8. April 1895 machte Pat. Masern durch; seit- her immer Husten und Fieber. Am 25. April trat Heiserkeit auf.

Status praesens den 28. April 1896. Blasses, etwas cyano- tisches Kind mit stimmlosem Husten; etwas vergrösserte Tonsillen ohne Belag, zieht etwas ein. Starker eitriger Ausfluss aus der Nase. Auf den Lungen H. L. U. einzelne Rasselgeräusche. Temperatur 39,1 bis 40,4. Puls sehr klein, 210. Exitus letalis am gleichen Tag.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Laryngitis, Tracheitis crouposa. Bronchopneumonia duplex. Gereinigte Ge- schwüre der Tonsillen. Milz’umor. Pachymeningitis haemorrhagica interna.

Linkes Felsenbein: Otitis media purulenta acuta, non perforans. Rachendachtonsille mässig geschwellt, hochroth ; ebenso die Schleimhaut der Tubenöffnung.

Trommelfell grau, glanzlos, mit macerirten, theilweise abgestossenen Epidermisfetzen. Keine Perforation. Schleimhaut des Tegmen tympani, der knöchernen Tuba und des Trommelfells mässig verdickt, ödematös, injicirt, weniger ist dies der Fall an der Labyrinthwand, am wenigsten im Antrum. Auf dem Bogengangwulst nur vereinzelte Gefässchen. Sämmtliche Räume mit dickschleimigem Eiter ausgefüllt. Knorpelige

» Tube blass, enthält wenig blutigen Schleim.

Fall H.

Anna M., 1!/, Jahr alt, Eintritt den 31. Mai 1896 in das Bürgerspital, medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium. Croup. Bronchopneumonie. Nephritis. |

Anamnese: Pat. litt seit 4 Tagen an Schnupfen. Seit gestern trat Engigkeit ein.

Status praesens den 31. Mai 1896. Ziemlich mageres, etwas rachitisches Kind; stimmlos, ziemlich stark einziehend. Submaxillar- drüsen vergrössert, ebenso die anderen Drüsen am Halse. Auf den Lungen: H L. U. Schall kürzer als rechts; unten auf beiden Seiten ziemlich viele Rasselgeräusche. Auf der rechten Tonsille weisser, klein- fleckiger Belag. (Löffler-Bacillus). Herz normal. Puls etwas unregel- mässig. Respiration 84 mit etwas Stenosengeräusch, wenig Einziehen. Temperatur 39,7 bis 40,2. Um 5 Uhr Nachmittags: Tracheotomia inferior.

Den 1. Juni: Puls nicht zälılbar. Herzaction regelmässig. Respi- ration stets sehr frequent. Vorn über den Lungen überall Rasseln, R. U. mit klingendem Charakter. Sehr trockener Husten, wenig Aus- wurf. Temperatur 37,7— 40,3. |

3l0 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Den 2 Juni: Hinten beiderseits massenhaft Rasselgeräusche. Puls unzählbar. Cyanose. Temperatur 39,4— 40,0.

Den 3. Juni: Exitus letalis Morgens 4 Uhr.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis faucium, laryngis, tracheae (Tracheotomie). Bronchopneumonia hypostatica duplex. Milztumor. XNephritis parenchymatosa. Schwellung der Plaques und Solitärfollikel. Schwellung der substernalen, bronchialen und mesenterialen Drüsen. Spulwürmer. Assymmetrie der Ligg. uteri. Leichte Rhachitis der Rippen. ? Lunkes Felsenbein: Otitis media purulenta acuta, non perforans. Schleimhaut des Nasenrachenraums der am Präparat erhaltenen beiden hinteren Nasenhöhlen mässig geschwellt, stellenweise mit rahmigem Eiter, aber ohne diphtheritische Auflagerungen und ohne Substanzverluste. Rachendachtonsille nur wenig geschwellt. `

Trommelfell undurchscheinend , röthlichgrau, Hammergriff nicht differencirt. Nach Wegmeisselung der unteren vorderen Gehörgangswand erscheint das vorher glanzlose Trommelfell bei senkrechter Stellung glatt und glänzend. Nach Abmeisselung des Tegmen tympani et antri erweist sich daselbst die Schleimhaut verdickt, nach Einschneiden fliesst rahmiger Eiter heraus, der sämmtliche Cavitäten ganz ausfüllt.

Schleimhaut in Antrum und Paukenhöhle gleichmässig hochroth und ziemlich stark geschwellt, sodass die runde Fensternische ver- schlossen, die ovale Fensternische verengt erscheint, das Stapesköpfchen erkennbar, seine Sehne dagegen ist in der. diffussen Schwellung ver- schwunden. Am wenigsten geschwellt und geröthet ist die innere Fläche des Trommelfells mit dem Hammergriff. Am Isthmus der Tube hört Schwellung und Röthung auf. Die knorpelige Tube ist etwas feuchter als normal, im Uebrigen aber ganz urverändert bis hinab an das pharyngeale Ostium. Bei Loupenbetrachtung erscheint die geschwellte Schleimhaut des knöchernen Mittelohres grau, Ödematös, von einem ungemein ` dichten Gefässnetz durchzogen. Ecchymosen fehlen.

Mikroskopische Untersuchung des Eiters aus der Pauken- höhle ergab zahlreiche Kapseldiplococcen, desquamirte Epithelien ; einzelne Streptococcenketten und Eiterzellen.

| Fall I. Karl J., 3 Jahre alt, Eintritt am 28. Denker 1895 in das Kinderspital. Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryngis. (Tracheotomie).

Anamnese: Erkrankung begann am 26. December mit Hals schmerzen und Heiserkeit; am 27. December rasche Verschlimmerung, Engathnigkeitsanfälle in der Nacht; Pat. soll öfters eingezogen en ‚Rauher Husten.

Status praesens den 28. December 1895. Sehr SE gut aussehendes Kind. Stark heisere Stimme; leichte Cyanose; leichte Einziehungen ; mässige Dispnoe. M a

Befundes im: Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b, d. genuin. Diphtberie. 311

Auf den Lungen: H. sehr schwaches Athemgeräusch mit viel Giemen. Stenosengeräusch. Keine Dämpfung. Herz normal. Hals- organe: Drüsen mässig geschwollen und druckempfindlich. Pharynx geröthet. Tonsillen geschwellt, geröthet, mit grau-gelblichem Belag; ebenso streifenförmiger Belag an der hinteren Rachenwand. Uvula und Gaumenbogen frei. Am Abend werden die Einziehungen stärker ;. grosse Unruhe. Mässige Cyanose. Temperatur 38,0. Nach Intubation Besserung der Erscheinungen. |

Den 29. December: Tube wird ausgehustet;' gleich därauf starke Dispnoe; sehr grosse Unruhe; starke Einziehungen; sehr frequente Athmung. Puls 160. Abends sebr schlechtes Aussehen; ziemlich starke Cyanose. Puls klein und frequent. Keine EE Sehr starke Verschleimung. Temperatur 37,8—39,7.

Den 30. December: Wegen zunehmender Dyspnoe ir die Tracheo- tomie vorgenommen. Kurz nach der Operation Apnöa, hochgradige Cyanose und trotz aller Wiederbelebungsmittel Exitus letalis. |

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryngis (Tracheotomie). Bronchitis purulenta. Atelec- tase des linken unteren Lappens. Phlegmone des. Halszellgewebes. Milztumor. Nephritis parenchymatosa. Hyperplasie der rechten, Hypo- plasie der linken Niere.

Linkes Felsenbein: Otitis media E are Rachenschleimhaut stark geschwellt. Keine diphtheritische Membran, weder hier noch in der Nasenhöhle. Trommelfell normal. Diffuse Röthung ohne- wesentliche Schwellung der Mucosa. Knöcherner Raum des Mittelohres ohne Secret. Hammer und Ambos injicirt. Knorpelige Tube im unteren Abschnitt blass, mit dünnem zähem Schleim. Im Mittelohr nirgends eine Spur von diphtheritischer Auf- oder Einlagerung.

Fall IV.

Paul W., 2 Jahre alt, Eintritt am 11. ehr: 1891 in DS Bürgerspital, chirurgische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Laryngitis äishkheritien, ege: monia.

Anamnese: Vor 3 Wochen Morbilli; seither Brustcatarrh mit vermehrtem Husten. Seit dem 10. Februar Fieber, Halsweh, E beschwerden, sich steigende plötzlich eintretende Dispnoe.

Status praesens den 11. Februar 1891. Kräftiger Knabe. Auf den Lungen: Schall sonor. H. R. etwas abgeschwächt; neben dem lauten laryngealen Stenosengeräusch ist kein anderes zu hören. Kehl- kopf, Trachea: Hochgradige Orthopnoe, das Kind wirft sich hin und her; laut hörbares Stenosengeräusch; bellender Husten. Lippen und Wangen bläulich verfärbt, Nasenflügelathmung; trichterförmige Ein- ziehungen des Epigastriums; Einziehungen der Supra- und Infraclavi- ‚eulargruben und der unteren Intercostalräume. Tonsillen angeschwollen, hochroth, ebenso die hintere Rachenwand; an einigen Stellen fleckig-

312 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

weisslicher Belag. Wegen der sich steigernden Dyspnoe wird sofort die Tracheotomie superior vorgenommen. Aushusten von viel Schleim und Membranen. Nachher ruhige Athmung. Kein Brechen. Wenig Husten. Temperatur 37,0.

Den 12. Februar: Wenig Husten, keine Membranen, Pat. ver- weigert die Nahrung. Athbmung ruhig, geringe Einziehungen der unteren Thoraxparthien. Temperatur 38,4— 39,0.

Den 13. Februar: Zunehmende Dyspnoe, keine Membranen. Cya- notische Verfärbung der Haut. Lunge H. R. U. gedämpfter Schall, Bronchialathmer, Rasselgeräusche. Dämpfung am deutlichsten über dem Scapularwinkel. Temperatur 38,3— 38,5.

Den 14. Februar: Exitus letalis Morgens 4 Uhr.

Anatomisch -pathologische Diagnose: Diphtheritis faucium, pharyngis, laryngis, palati mollis. Bronchitis crou- posa. Allgemeine Miliartuberkulose. Käsige Pneumonie. Verkäsung der bronchialen und trachealen Drüsen. Tuberkulose der Lungen, der Pleura, der Milz, Nieren, Leber. Peritonitis tuberculosa. Rachitis.

Linkes Felsenbein: Otitis media catarrhalis acuta. Wenig blutreiches Präparat, an welchem der hintere Theil der Nasen- höhle erhalten, die Rachentonsille aber entfernt ist. Schleimhaut der Nasenböhlen leicht geschwellt, blassrosa, fast überall bedeckt mit zähem Schleim; stellenweise auch mit locker aufsitzenden fibrinösen Massen, welche bis zur Tubenöffnung reichen, sich aber nicht in dieselbe hinein erstrecken; keine nekrotischen und keine erodirten Parthieen.

Trommelfell matt, dunkel, nur an einer hinter dem Umbo circum- cripten Stelle heller glänzend. Beim Eröffnen der Paukenhöhle von oben zeigt sich dieselbe gefüllt mit trübem, zähem Schleim, Antrum und Aditus ad antrum dagegen sind leer.

Nach Durchtrennung der Tensorsehnen des Ambos- Steigbügel- gelenkes wird das Felseubein in der Längsachse durchsägt und die Schleim- massen mit der Pincette entfernt. Die Schleimhant der Paukenhöhle des Aditus ad antrum und des Antrums selbst erscheinen leicht verdickt, hell- rosa; unter der Loupe betrachtet zeigen sich zahlreiche feinste dendritisch verzweigte Gefässchen auf der glatten Mucosa, die im Aditus und im Antrum transparent hellgelb, in der Paukenhöhle und in der Tuba ossea etwas dunkler erscheinen.

Das Trommelfell zeigt auf seiner Innenfläche ein grösseres und ein kleineres, mit serös blutigem Inhalt gefülltes Bläschen. Das grössere derselben ist kaum stecknadelkopfgross und entspricht der eingangs er- wähnten glänzenden Fläche auf der Aussenseite des Trommelfells. Ver- einzelte Ecchymosen finden sich auf der Labyrinthwand und zwei ganz kleine blutige seröse Bläschen sitzen auf der lateralen Fläche des An- trums. Die knorpelige Tube erscheint in ihrem Innern mit ganz wenig Schleim überzogen, blass, ohne weitere Auflagerungen.

Befundes im Mittelohr u. d Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 313

Fall V.

Albertine R., 10 Monate alt, Eintritt am 22. Januar 1891 in das Bürgerspital, medizinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtherie. Pneumonia crouposa duplex.

Anamnese: Pat. machte vor Kurzem Masern und Lungencatarrh durch, später grosse Engigkeit; hierauf rauher bellender Husten mit heiserem Schreien. Pat. nimmt nichts mehr zu sich. Erstickungsanfall, sehr forcirte Athmung. Stuhl hart, spärlich.

Status praesens den 22. Januar 1891. Gut ernährtes Kind. Temperatur 39,0. Puls 140, regelmässig. Zunge schleimig belegt. Auf den Lungen: rauhes vesiculäres Athmen, einzelne Ronchi; kein Rasseln. starke Dyspnoe, Herz normal, Action beschleunigt. Im Abdomen nichts abnormes.

Den 23. Januar. Nachts mehrere Erstickungsanfälle.. Pat. wird dyspnoisch. Athmung sehr mühsam. Ab und zu einzelne Hustenstösse. Nachmittags Aushusten einzelner gelblichen Massen. Nachmittags trinkt Pat. gerne ziemlich viel Milch zum ersten Mal seit längerer Zeit. Temperatur 39,0.

Den 24. Januar. Heute Athmung sehr dyspnoisch, gegen Morgen Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis des weichen Gaumens und des Kehlkopfes. Bronchitis et tracheitis crouposa. Doppeltseitige Pleuropneumonie. (Cysten der Sub- maxillargegend.)

Linkes Felsenbein: Otitis media purulenta acuta (non perforans) Meatus normal. Rachendachtonsille mit normal entwickeltem und sonst auch normal aussehendem Tonsillargewebe. Trommelfell getrübt, glanzlos, leicht geröthet. Dura normal, leicht abziehbar. Tegmen tympani mit hochdradig verdickter Mucosa ; dieselbe scheint auch in den tieferen Parthieen der Paukenhöhle das Lumen derselben beinahe ganz auszu- füllen. Luft ist keine im Mittelohr, dagegen eine trübe seröse Flüssig- keit ohne Beimengungen von Schleim. Aehnliche Verhältnisse im Antrum. Nach dem üblichen Längsschnitt durch das Felsenbein zeigt sich die Mucosa von Paukenhöhle, Aditus und Antrum hochgradig ver- dickt, rosaroth getrübt, leicht zottig; ebenso auf den Gehörknöchelchen und den Sehnen des Tensor und des Stapedius. Das Trommelfell ist weniger injicirt. Eine circumscripte, vascularisirte, stärkere Verdickung findet sich in der Grösse eines Stecknadelkopfes unten in der inter- mediären Zone der Mucosa des Trommelfells aufgelagert. Die entzünd- liche Schwellung der Mucosa nimmt von der Paukenhöhle weg gegen die Tube zu. Knorpelige Tube ist intact.

Fall VI.

Sophie W., 3 Jahre alt, Eintritt am 25. März 1896 in das Bürgerspital, medicinische Abtheilung.

314 E: Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Klinische Diagnose: Diphtheritis narium et faucium septica. Nephritis parenchymatosa.

Anamnese: Am 22. März Unwohlsein; am 23. März Halsweh und Nasenfluss; leichte Heiserkeit. Eins der Geschwister zu Hause an Halsweh leidend. |

Status praesens den 25. März 1896. Mässiger Ernährungs- zustand, blasse Hautfarbe. Blutig-seröser Nasenflus. Athmung frei, Stimme hell. Am Kieferwinkel beiderseits wallnussgrosses Drüsenpacket. Racheninspection: Rachen und Gaumensegel, Uvula, Tonsillen und hintere Rachenwand mit dicken festen Pseudomembranen (Löffler- Bacillus) austapezirt. Auf den Lungen: Schall sonor, Athmung vesiculär, Puls sehr klein, kaum fühlbar. Schlundlähmung. Urin eiweisshaltig, init körnigen und epithelialen Cylindern. Beiderseits auf den grossen Schamlippen breite Condylome. Temperatur 36,8.

Den 26. März. Stat. idem Temperatur 36,8— 37,2.

Den 27. März. Pat. sieht sehr blass-cyanostisch aus; Abends kein Puls mehr fühlbar, blutiger Nasenfluss. Temperatur 36,4— 36,5.

Den 28. März. Exitus letalis Morgens 9 Uhr. |

Anatomisch-pathologische Diaguose: Diphtheritis des Rachens und Kehlkopfes. Nephritis parenchymatosa. Broncho- pneumonie des linken Unterlappens. Vitium cordis (Insufficienz der Mitralis, Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels). Gastro- enteritis baemorrhagica. Blutungen der Haut, ` Pleura, Peri- und Endocard.

'Linkes Felsenbein: Diphtheria baste narium tonsillae, pharyngis. Otitis media catarrhalis subacuta haemor- rhagica. Sinuitis sphenoidalis catarrhalis haemorrhagica. Schleimhaut der Nase und Nasenschleimhaut gleichmässig braunroth, auch auf dem Schnitt, wie getrocknetes Fleisch, aber feucht. Die diphtheritische Auflagerung, welche den Nasenrachenraum ein wenig überschreitet, ebenfalls braunroth. Tubenöffnung in der hochgradig ge- schwellten Rachendachtonsille nicht deutlich zu erkennen. Rechte Keil- beinhöhlen leer, wenig injieirt, links mit blutigem Inhalt und Schleim- klumpen. Trommelfell von erhöhtem Glanz. im Uebrigen unverändert. Obere Hälfte der knöchernen, sowie der knorpeligen Tube, Paukenhöhle, Aditus, Antrum und sämmtliche relativ gut entwickelten pneumatischen Hohlräume mit nur wenig injicirter und kaum verdickter Mucosa; überall mit vereinzelten, durch die Loupe deutlich erkennbaren Ecchymosen und mit einem continuirlichen, ganz hellen Schleimbelag; nirgends stärkere Injection, auch nicht an den Gehörknöchelchen; ebensowenig in den halbkreisförmigen Kanälen und im Vestibulum.

Fall VI.

Hans U., 1°/, Jahre alt, Eintritt am 12. Mai 1896 in das Bürgerspital, medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium, laryngis, tracheae. Pleuropneumonia dextra. Nephritis, |

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie 315

Anamnese: Pat. fiebert seit dem T. Mai. Am 11. Mai viel Husten und erschwerte Athmung. =: Sea

Status praesens den 12. Mai 1896. Blasses, ‚mageres Kind mit stimmlosem Husten, zieht etwas ein; Submaxillardrüsen wenig ver- grössert. Zunge belegt. Auf den Tonsillen grauweisslicher Belag, grossfleckig, adhärent (Löf fler- Bacillus). Sehr viel Schleim im Rachen. Reichlich eitriger Ausfluss aus der Nase. Lungen normal. Puls circa 200. Etwas Cyanose. Temperatur 39,2—40,0.

Den 13. Mai. Zieht etwas ein. Starke Albuminurie. Temperatur 39,7—40,1. | | i

Den 14. Mai Auf der rechten Scapula Dämpfung bis zum Mittel, _ lappen. Starkes Bronchialathmen. Puls 200, regelmässige Son 39,8— 40,2 |

Den 15. und 16. Mai. Temperatur schwankt von 39, 1—40, 2.

Den 17. Mai. Puls circa 240. Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose: rein laryngis et tracheae. Bronchopneumonia sinistra. Pleuropneumonia totalis dextra. Meningitis exsudativa.. Milztumor. Nephritis paren- chymatosa.. Ecchymosen der Magenschleimhaut, des Pericards, der Pleuren. Endocarditis mitralis. Rachitis der Rippen. Diverticulum ilei.

Linkes Felsenbein: Otitis media diphtheritica. Sinuitis sphenoidalis catarrhalis. Schleimhaut der Muskulatur, ‘sowie des Knochen auffallend anämisch. Ganze Nasenhöhle und Rachendach- tonsille, sowie die Rosenmüller’sche Grube mit diphtheritischen Auf, lagerungen, welche theilweise in Zerfall begriffen sind; auf der Rachen- dachtonsille ist der Zerfall am wenigsten fortgeschritten.

Tubenöffnung und Tubenwülste, sowie die knorpelige Tube blass, mit wenig zähem Schleim. Trommelfell transparent; Reflexe normal, hintere Trommelfelltasche gelblich durchscheinend, im Uebrigen keine Abnormität der Färbung.

Paukenhöhlenschleimhaut des ganzen knöchernen Mittelohres blass, nur an der Labyrintbwand vermehrte Injection. Die vor und über der Tensorsehne befindliche, grosse, sich regelmässig dort findende Zelle, zeigt diffuse Röthung und bedeutende Schwellung und ist ganz erfüllt von einer speckigen, noch nicht in Zerfall begriffenen hellgrauen Croup- membran. Am Boden der Paukenhöhle und der Fensternischen etwas trübes, nicht schleimiges Secret. Keilbeinhöhlen sehr klein, ohne nach- weisbaren diphtheritischen Belag, dagegen mit mässiger Schwellung der Mucosa.

Fali VIII. Paul K., 2 Jahre, Eintritt am 24. März EE in das Bürger- spital, chirurgische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Tonsillitis, Gebees RRE et Lag gitis diphtheritica. Pneumonia duplex.

316 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Anamnese: Beginn der Erkrankung am 22. März 1890 mit Un- wohlsein und Erbrechen, am 23. Abends heftige Hustenanfälle mit starker Schleimabsonderung aus Mund- und Nasenhöhle. Erstickungs- anfälle. |

Status praesens den 24. März 1890. Schwächliches Kind mit aufgedunsenem Gesicht. Scrophulöser Habitus. Chronische Blepharitis und Conjunctivitis. Auf den Lungen Schall überall sonor; über den oberen Lungentheilen wird blos das Stenosengeräusch, daneben kein Athmungsgeräusch gehört; über den unteren Parthieen vesiculäres In- spirium, rauhes Expirium, zahlreiche Rasselgeräusche.

Pharynx und Larynx: Das Kind zeigt Symptome starker Dyspnoe, ist unruhig und will nicht abliegen; von Zeit zu Zeit trockener Husten. Starke Einziehungen des Epigastriums, der unteren Intercostal- räume und der Supraclaviculargruben. Auf den Tonsillen der hinteren Rachenwand und an den Gaumenbögen grauweisser diphtheritischer Belag. Pat. hat fortwährend sehr eng. Respiration sehr rasch, sehr unruhig. Temperatur 37,1—37.7. Tracheotomia superior. Nach der Operation athmete Pat. ganz ruhig.

Den 25. März. Pat. hat während der Nacht viel geschlafen, ist ruhig; fast kein Husten mehr, nur einmal werden kleine Membran- fetzen ausgehustet. Pat. trinkt viel Milch und Malaga. Temperatur 38,8 bis 39,2.

Den 26. März. Temperatur 38,7 39,3..

Den 27. März. Seit gestern früh hat Pat. wieder sehr eng. Er setzt sich im Bett auf. Aussehen hochgradig cyanotisch. Heute Morgen um 9 Uhr Erstickungsanfall. Pat. athmet nicht mehr. Kanüle wird heraus- gezogen; Entfernen von Membranen, nachher athmet Pat. ziemlich ruhig. Temperatur 38,7 39,1.

Den 28. März. Starke Cyanose. Exitus letalis Morgens 5 Uhr.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis faucium, pharyngis, palati mollis, laryngis tracheae et bronchorum. Tracheotomiewunde.

Linkes Felsenbein: Otitis media catarrhalis acuta. Mucosa sehr blutreich ohne besondere Schwellung. Rachendachtonsille von mittlerer Mächtigkeit. Trommelfell glanzlos, aber ohne sonstige Abnormitäten.

Paukenhöhle: Mucosa der Plica transversa stark, der Gehör- knöchelchen weniger injicirt, am medialen Paukenhöhlenrand etwas ge- schwellt, namentlich in der Pelvis ovalis mit reichlicher Injection der feinen und feinsten Gefässchen. Ebenso zeigt die Innenfläche des Trommelfells die vom Umbo ausgehenden, radiär angeordneten Gefässe stärker gefüllt. |

Auch die Mucosa der Tuba ossea etwas geschwellt und geröthet; die Wände des Antrums und die Cellulae pneumaticae dagegen blass.

Im Antrum einige feine fadenförmige röthliche quergespannte Pseudo- membranen.

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 317

Fall IX.

Robert H., 4!/, Jahre alt. Eintritt am 30. December 1890 in das Kinderspital.

Klinische Diagnose: Diphtheritis, Croup der Luft- wege. Nephritis acuta.

Anamnese: Beginn der Erkrankung am 25. December 1890 mit Frieren, Schmerzen im Hals, Husten, Heiserkeit, wenig Auswurf; Schlucken geht gut.

Status praesens den 30. December 1890. Gesicht stark cyanotisch; Athmung mühsam. Stark inspiratorische Einziehungen. Ernährungszustand gering. Husten heiser. Aphonie. Auf den Lungen: Athmung scharf, viele pfeifende und schnurrende Rhonchi. Herzaction sehr frequent, regelmässig, Töne rein. Puls 160. Urin trüb, saturirt gelb mit vielem Eiweiss. Im Rachen ausgebreitete diphtheritische Beläge der Uvula, Gaumenbogen und hinteren Rachenwand. Zunge stark belegt. Wegen starker Dyspnoe und Cyanose: Tracheotomie. Es werden grosse Croupmembranen ausgehustet. Nach der Operation Ath- mung ruhiger. Aussehen blass. Puls klein, fast nicht zu fühlen, sehr frequent. Temp. 40,5. Abends ist das Aussehen noch immer sehr schlecht, blass-blau. Respiration frequent. Puls enorm beschleunigt; kleine Fetzen von Croupmembranen werden durch die Canüle expectorirt.

Den 31. December: Collaps. Puls nicht fühlbar. Cheyne- Stocke’s Athmung. Patient knirscht immerfort mit den Zähnen, sehr gereizte Stimmung. Auf Cognac Puls besser. Temperatur 40,0 um 1!/.7 Morgens, normaliger Collaps und Exitus letalis.

Pathologisch-anatomische Diagnose: Diphtheritis faucium, pharyngis, laryngis, palati mollis. Tracheitis et bronchitis crouposa. Doppeltseitige Bronchopneumonie. Interstitielles Emphysem und Atelectase der Lungen. Nephritis parenchymatosa levis. Enteritis follicularis, Schwellung der Mesenterialdrüsen.

Linkes Felsenbein. Otitis media catarrhalis acuta. Sinuitis sphenoidalis catarrhalis. Rachendachtonsille halb- kugelig prominent mit zahlreichen unregelmässig verlaufenden tiefen Recessus; ragt über den oberen choanalen Rand hinunter und reicht nach vorn bis zum Tubenwulst. Letzterer ebenfalls verbreitert, sodass die Tubenöffnung spaltförmig erscheint. Mu‘osa des Rachendaches und des Tubeneinganges gleichmässig rosaroth, mit leicht getrübtem Epithel. In der Tubenöffnung Schleim. Mucosa der Keilbeinhöhlen leicht ödematös, Trommelfell nicht transparent, in toto leicht injicirt. Reflexe von normaler Gestalt aber matt. Beim Eröffnen des Tegmen tympani erweist sich die Paukenhöhlenschleimhaut an demselben sowie an den Gehörknöchelchen verdickt; die Höhle selbst mit Schleim angefüllt. Nach Durchtrennung der Tensor tympanı-Sehne, des Steigbügel- Am- bos-Gelenkes und typischem Sägeschnitt durchs Felsenbein erscheinen auch Antrum und Warzenzellen ganz mit zähem Schleim gefüllt. Mucosa des Trommelfells mässig injieirt, in den übrigen Räumen blass.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 21

318 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

FallX.

Clara M., 2 Jahre. Eintritt am 2. April 1896 in das Bürger- spital. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis narium, faucium, laryngis, tracheae. Tracheotomie. Bronchopneumonie.

Anamnese: Patient hatte vor 14 Tagen Morbilli. Am 1. April begann das Kind stark zu husten und hatte Schluckbeschwerden.

Status praesens den 2. April 1896. Ordentlich genährtes Kind. Starker Ausfluss aus der Nase. Lippen cyanotisch mit Borken. Respiration frequent ca. 50, mit leichtem Stenosengeräusch. Husten trocken. Pharyux: Tonsillen, Uvula, Gaumenbogen mit weissem schleimigen Belag, geröthet und geschwollen. Massenhaft Löffler’s Bacillus. Puls frequent. Auf den Lungen hinten beiderseits zahlreiche Rasseln, einzelne Rhonchi. Abends Puls sehr unregelmässig. Temperatur 39,1. Trache- otomia inferior.

Den 3. April. Puls regelmässige. Ueber den ganzen Lungen ver- breitete Rasseln und Ronchi. Allgemeiner Zustand scheint etwas besser zu sein. Diarrhoe. Temperatur 37,7—38,4.

Am 4. April. Albuminurie. Temperatur 37,9—39,0.

Am 5. bis 7. April blieb der Puls unregelmässig. Temperatur schwankte zwischen 38,3 und 40,2.

Am 8. April. Temperatur 40,2. Exitus letalis.

Anatomisch -pathologische Diagnose Diphtherie nach Masern. Tracheotomia inferior. Geschwüre des Rachens und Kehlkopfes. Diphtheritis der Hauptbronchien. Ausgedehnte Atelectase und partielle Hepatisation der Lunge. Emphysem des Mediastinum anterior und des vorderen Halszellgewebes.. Milztumor. Schwellung des Peyer’schen Plaques und Mesenterialdrüsen. Hautgeschwüre aus Furunkeln hervorgegangen. Nephritis parenchymatosa. Fettleber.

Linkes Felsenbein. Otitis media acuta catarrhalis. Rachendachtonsille geschwellt, hochroth, ohne diphtheritische Auflage- rungen. In Paukenhöhle und Antrum etwas getrübter Schleim; Schleim- haut mässig geschwellt, hell transparent, mit reichlicher Injection und stellenweise mit Ecchymosenbildung: ebenso die knöcherne Tube. Nirgends auffällige Epitheltrüäbung, noch diphtheritische Auflagerung. Trommelfell transparent mit mattem Glanz des äusseren Ueberzuges.

Fall XI.

Albert Sch., 7 Jahre alt. Eintritt am 8. März 1896 in das Bürgerspital. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium, laryngis et bronehorum. Tracheotomia superior. Bronchopneumonia duplex.

Anamnese: Seit 8 Tagen Kopfweh und Schmerzen im Halse.

Status praesens den 8. März 1896. Starke Cyanose, rasche stridoröse Athmung. Stimme tonlos, trockener rauher Husten. Rachen-

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 319

inspection: Rachen wenig geröthet, Tonsillen klein; auf der rechten ein linsengrosser weisser Belag (Löffler-Bacillus). Nasenflus. Lungen H. U. R. leicht verkürzter Schall, sehr viele Rasselgeräusche. Puls an der Radialis beiderseits nicht fühlbar, sehr schnell, an der Brachialis gefüllt, sehr schnell), leicht unterdrückbar. Expectoration von Schleim und Membranen. Athmung frei. Aussehen bleibt cyanotisch. Temp. 39,4— 41,4.

Den 9. März. Puls immer gleich schlecht, wird gegen Mittag kaum mehr fühlbar. Temperatur 38,7—39,7. Um 3 Uhr p. m. Exitus letalis.

Anatomisch -pathologische Diagnose: Diphtheritis laryngis, tracheae, bronchorum. Bronchitis crouposa et catarrhalis. Bronchopneumonia duplex. Nephritis, Hämorrhagien. Oedem und Hyperämie des Gehirns. Hyperplasie der Trachealdrüsen. Endocarditis mitralis et aortica fibrosa. Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels. Enteritis follicularis. Struma gelatinosa.

Linkes Felsenbein. Catarrhalischer Tubenver- schluss. Sinuitis sphenoidalis catarrhalis haemor- rhagica. Mittelohrbefund identisch mit dem von Bericht XII. Die Keilbeinhöhlen erbsengross. Schleimhaut der rechten leicht verdickt, feucht, etwas geröthet; links gefüllt mit schleimig-sanguinolenter Flüssig- keit. Schleimhaut bei Loupenbetrachtung mit einer grösseren Anzahl theils ausgedehnter, theils kleinerer Petechien; abgehoben erscheint sie etwas dicker als auf der rechten Seite. Am grössten und zahlreichsten sind diese Petechien an der vorderen und medialen Wand.

Fall XII.

Adolf Sch., 21/, Jahre alt. Eintritt am 9. März 1896 in das Kinderspital.

Klinische Diagnose: Diphtheritis narium (abgelaufene Rachendiphtherie). Degeneratio cordis. Nephritis parenchymatosa.

Anamnese: Patient war bis vor 14 Tagen immer vollkommen gesund; dann Convulsionen und Diarrhöe, die sich bald besserten. Vor 8 Tagen bekam Patient reichlich eitrig - blutiger Nasenflus. Am 6. März Auftreten von Fieber; Patient wurde sehr unruhig, vollständig appetitlos. Kein Husten. Auch sonst keine Halsbeschwerden. Diph- theritische Belege der Nasengänge.

Status praesens den 9. März 1896. Guter Ernährungszustand. Auffallende allgemeine Blässe. Ziemlich starke Cyanose der Schleim- häute. Keine Erscheinungen von Stenose. Halsorgane: Drüsen nicht geschwellt, Pharynx und Schleimhaut blass; beide Tonsillen nicht ver- grössert. Nirgends im Rachen ist Belag. Nase hat äusserlich einige Eczemborken an den XNasenflügeln; starke blutig-eitrige Sekretion. Schon bei oberflächlicher Inspeetion sieht man flächenhafte weisse Beläge an den sichtbaren Theilen der Nasengänge. Durch Spülung Entfernung von ganzen Membranen und trübem, eitrigem Schleim Stimme vollkommen

21*

320 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

rein, wenig Husten. Auf den Lungen H. U. beidseits feuchtes Rasseln. Keine Dämpfung, vesiculäre Athmung. Herzdämpfung nicht vergrössert, Töne rein. Action sehr frequent, regelmässig Puls 200, sehr schwach, zeitweilig kaum fühlbar. Patient höchst unruhig und aufgeregt, schreit bei jeder Berührung; sehr frequente Athmung. Am Abend grosse, zu- nehmende Unruhe; immerwährend Lautaufschreien. Puls nicht mehr fühlbar, zunehmende Dyspnoe und Cyanose; keine Stenose, jagende Herz- action. Temperatur 38,2. Am 10. März Exitus letalis Morgens früh.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtherie der Nasenhöhle. Gereinigte Geschwüre der Tonsillen. Hyper- trophie und Dilatation des Herzens. Vitium cordis (Insufficienz und Stenose der Mitralis).. Nephritis parenchymatosa. Beginnender Aseites, Hydrothorax und Hydropericard. Hypostase der Lungen. Enteritis follicularis. Hydrocephalus externus et internus.

Linkes Felsenbein. Catarrhalischer Tubenver- schluss. Trommelfell mit leichterer hinterer Falte, sonst nichts Abnormes. In der Paukenhöhle scheint die Schleimhaut nicht verdickt, dagegen sind die feineren und feinsten Gefässchen etwas stärker injicirt als normal; auch ist die Schleimhaut etwas abnorm feucht; keine Secretansammlung. Auf der Rachendachtonsille, welche abnorm blutreich ist reichlicher zum Theil blutiger Schleim. Auf dem Tubenwulst eine diphtheritische Auflagerung von Linsengrösse. Auch die knorplige Tube zeigt keine wesentliche Röthung. Uebriger Befund normal.

Fall XII.

Hedwig A., 2 Jahre alt. Eintritt am 8. December 1892 in das Bürgerspital. Chirurgische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Pharingitis, Laryngitis, Rhinitis crouposa. Nephritis acuta.

Anamnese: Beginn am 1. December mit Kopfweh, Schmerzen im Hals, Schluckbeschwerden. Stimme nicht heiser. Am 5. December, hintere Rachenpartien, Tonsillen, Uvula bedeckt mit gelblich-weisslichem Belag. Am 7. December Heiserkeit und Crouphusten, Athemnoth. Am 8. December Steigerung der Beschwerden, Eintritt in das Spital.

Status praesens am 8. December 1892. Mageres Kind. Blasses Aussehen, Cyanose des Gesichts. Lungen, Herz und Bauch- organe normal. Pharynx, Larynx, Nasenhöhlen: leichtes Einziehen im Epigastrium und seitlichen Thoraxparthien. Beide Tonsillen sehr stark angeschwollen, berühren sich in der Mittellinie mit ihren Kuppen. Beide Tonsillen, Uvula und hintere Rachenwand bedeckt mit dicken weissgelben Membranen. Atlımung beschleunigt, stridulös. Stimme wenig heiser. Patient hustet viel Schleim aus. Beide Nasenhöhlen ausgefüllt mit gelblichen halbflüssigen Membranen. Starker Foetor, Hautränder eczematös geröthet. In beiden Seiten des Halses, hinter dem

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 321

Unterkieferwinkel, ein Packet druckempfindlicher vergrösserter Drüsen. Temperatur 39,6. Galvanocauterisation der Tonsillen, Uvula und hinteren Rachenwand. Athmung nachher etwas leichter.

Den 9. December. Morgens 10 Uhr. Stärkeres Einziehen, Cyanose des Gesichts. Puls sehr klein und sehr frequent. Temperatur 38,6—40,0. Cricotracheotomie. Nachher ruhige Athmung. Patient wirft fast nichts aus. Nasenhöhlen vollständig verlegt.

Den 10. December. Patient war über Nacht wieder sehr unruhig. Temperatur 38,8. Springt aus dem Bett. Nimmt Morgens ordentlich Cognac. Urin stark eiweisshaltig. Von Morgens 6 Uhr an keine Ant- wort auf Anreden; um 10 Uhr, Athmung verlangsamt sich. Pupillen werden weiter; Radialpuls kaum fühlbar. Allmählich langsamere und oberflächlichere Athmung. Um 12 Uhr 30 Min. Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtherie oris, faucium, pharyngis, palati mollis. Laryngitis, Tracheitis et Bronchitis crouposa. Doppeltseitige Broncho- pneumonie und beginnende rechtsseitige Pleuritis fibrosa. Schwellung der Submaxillar- und Tracheal-Lymphdrüsen. Nephritis parenchymatosa. Subpleurale und subendocardiale Hämorrhagien. Gastritis hamorrhagica. Enteritis. Endocarditis verrucosa der Mitralis. Erweiterung des rechten und linken Ventrikels.

Linkes Schläfenbein. Otitis media catarrhalis acuta. Catarrhalischer Tubenverschluss. Sinuitis sphenoidalisdiphtheritica. Ganzer Retronasalraum mit dicken, grauen, speckigen, an den meisten Stellen auf der Unterlage ganz fest adhärenten Croupmembranen austapezirt. Rachentonsille füllt das ver- engte Cavum retronasale vollständig aus. Auf dem Durchschnitt durch die Nasenhöhle wegen hochgradiger Schwellung und diphtheritischen Auflagerungen ebenfalls kein Lumen. In der rechten Keilbeinhöhle eine Croupmembran, links schleimige seröse Flüssigkeit. Trommelfell rechts transparent, in der unteren Hälfte dem Promontorium vollständig aufliegend, matt, ohne Reflex, hintere Falte. In dem Mittelohrraum gleichmässige und nicht bedeutende Injection der ganzen Mucosa; Knochenfarbe überall durchscheinend.. Im Antrum einige wenige quergespannte Pseudomembranen, kein Transudat. Fensternischen nicht abnorm verengt. Die knocherne und knorplige Tubenschleimhaut hoch- gradig geschwellt, auch in der unteren Hälfte ohne diphtheritische Auf- lagerungen. Vom pharyngealen Tubenende ist am Präparat das hervor- stehende Ende des Knorpels weggeschnitten.

Fall XIV. Anna St., 4!/, Jahre alt. Eintritt am 10. März 1895 in das Kinderspital. Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryngis. Tracheotomia. | Anamnese: Patient erkrankte am 7. März an Fieber und Appetit- losigkeit.e. Am 8. März rauher Husten, Athemnoth, mehrmals Brechen.

322 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

In der Nacht vom 9. auf 10. März mehrere Erstickungsanfälle, die Ueberführung in das Spital nöthig machten.

Status praesens den 10. März 1895. Ziemlich guter Ernäh- rungszustand; gutes Aussehen. Im Gesicht leichte Cyanose. Beidseits am Kieferwinkel mandelgrosse, harte, druckempfindliche Drüsenschwel- lungen. Racheninspection: Gaumensegel und Tonsillen geröthet. Vordere Fläche beider Tonsillen mit dickem weissgelbem Belag; auf dem linken Arcus palato-glossus, ausgedehnter dünner Belag mit Löffler- Bacillus. Athmung sehr angestrengt. Starker Stridor. Epigastrische und jugulare Einziehungen. Auf den Lungen verbreitete Rhonchi. Nirgends Dämpfung. Sofort nach der Ankunft Intubation. Athmung wird sogleich apnoich. Später wird die Tube ausgehustet und damit ein 4cm langer Ausguss eines Hauptbronchus. Wegen zu- nehmender Larynxstenose Reintubation. Temperatur 37,1— 39,1.

Den 11. März: Temperatur 38,0—38,5.

Den 12. März: Morgens 8 Uhr Extubation, wonach 5cm lange röhrenförmige Trachealmembran ausgehustet wird. Wegen zunehmender Stenose Reintubation. Im Rachen sind jetzt scharf umschriebene weisse Beläge. Patient trinkt gut die Milch. Temperatur 37,3— 39,2.

Den 13. März: Im Rachen kein Belag mehr; auf beiden Gaumen- bogen flache oberflächliche Geschwüre; leichte Albuminurie. Tempe- ratur 37,6 37.7.

Den 14. März: Patient hat Stimme; dennoch beständige Ein- ziehungen der seitlichen Thoraxparthien. Kein Auswurf.

Den 15. März: zunehmende Stenose. Expectoration von ver- flüssigtem Trachealschleim und kleinen Membranfetzen. Athmung freier. Puls regelmässig, frequent, ziemlich kräftig. Temperatur 37,6 39,1.

Den 16. März: Hohe3 Fieber. Grosse Unruhe Keine Larynx- stenose, aber rasche Athmung. Auf den Lungen fast kein Athemgeräusch hörbar. Patient blass, müde, hustet gar nicht aus. Stimme etwas heiser. Puls frequent, sehr schwach. Temperatur 38,7—40,1.

Den. 17. März: Puls regelmässig, kräftiger als gestern. Absolut kein Auswurf. Wegen Annahme von Schleimretention: Tracheotomia superior; hierauf wird nur wenig dünnflüssiger Schleim expectorirt. Athmung sehr frequent. Temperatur 39,1 39,6.

Den 18. März: Anhaltend hohe Fieber. Kein Auswurf durch die Canüle. Auf den Lungen Dampfung, Bronchialexpirium; kleinblasiges Rasselgeräusch. Temperatur 39.1— 40,0. Exitus letalis um 1!/, p. M.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtherie. Schwellung der Tonsillen. Pseudomembranen. Belag des Kehlkopfs und Trachea. Ansammlung eitriger klumpiger Massen in Trachea und Bronchicn. Eitrige Bronchitis, doppeltseitige Bronchopneumonie, Schwellung der Milz. XNephritis und Hepatitis parenchymatosa.

Rechtes Felsenbein. Otitis media purulenta acuta non perforans. Rachendachtonsille geschwellt. Stellenweise dünne speckige graue Infiltration der Recessus und ihrer Eingänge. Ostium

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 393

tubae frei von diphtheritischem Belag, aber ebenfalls hochroth und geschwellt. Trommelfell gelblich durchscheinend, namentlich an der unteren Hälfte. Nach Abtragung des Tegmen: Mucosa nur mässig verdickt, überall stark getrübt, stellenweise mit dendritischer Injection, an anderen Stellen auffallend blass. In Antrum und Paukenhöhle liegt je ein zusammenhängender, nicht schleimiger Eiterklumpen. Nach Abtragung der lateralen Paukenhöhlenhälfte: Nirgends deutliche Nekrose der Schleimhaut, Nischen des runden und ovalen Fensters verstrichen in Folge der Schwellung der Mucosa.

Fall XV.

Fritz W., 4 Jahre alt. Eintritt am 31. März 1891 in das Bürgerspital. Chirurgische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Laryngitis crouposa.

Anamnese: Beginn der Erkrankung am 23. März mit Heiser- keit, die immer mehr zunahm; dann Halsschmerzen. Auswerfen von weisslichen Fetzen, Athembeschwerden.

Status praesens den 31. März 1891. Blasses Kind, ganz leichte Cyanose der Lippen und Conjunctiva. Auf den Lungen: Schall sonor, überall scharf vesiculär, Athmen von mässig lautem Stenosen- geräusch begleitet. Keine Rasseln. Appetit schlecht, Urin eiweiss- haltig. Tonsillen etwas geschwellt, geröthet, ebenso die Gaumenbogen und hintere Rachenwand; kein Belag. Bei jeder Inspiration, die leicht hörbar ist, Einziehungen des Epigastriums und der unteren Thorax- partien. Bewegungen der Nasenflügel mit den respiratorischen Ein- ziehungen der Supraclaviculasgruben. Gegen 4 Uhr vermehrt sich die Dyspnoe, Cyanose deutlich zunehmend. Patient wird unruhig, sitzt im Bette auf. Um AL, Uhr Tracheotomia superior. Nachher athmet Patient ruhig; geniesst nichts. Wenig Husten. Partielle Membranen werden ausgehustet. Temperatur 38,3— 38,6.

1. April. Wenig geschlafen. Patient wirft nicht aus. Wenig Husten. Aussehen blass, eyanotisch, Athmung regelmässig. etwas frequent. Urin enthält etwas mehr Eiweiss. Temperatur 38,5—39,1.

2. April. Auf den Lungen H. U., beidseits kleinblasiges Rasseln. Patient ist hie und da völlig abwesend; starrer Gesichtsausdruck; zu- nehmende Cyanose. Gegen Abend wieder merkwürdige Besserung, Euphorie, Athmung frequent, oberflächlich Puls 120 regelmässig. Temperatur 37,1—39,2.

3. April. In der Nacht und gegen Morgen zunehmende Schwäche. Puls frequenter. Patient geniesst nichts mehr. Exitus letalis Morgens 81/, Uhr.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryngis, Tracheitis et bronchitis crouposa. Pneumonia lobularis duplex. Pleuritis fibrinosa incipiens. Vitium cordis. Endocarditis aortica adhacesiva. Perforatio septi ventricul. Aneurysma septi. Hypertrophia et dilatatio cordis. Defecte des Muscul. papillaris dexter. Stenosis aortae descend. Ductus Botalli apertus.

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324 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Rechtes Felsenbein. Otitis media catarrhalis acuta. Massig blutreiche Weichtheile; verschiedene geschwellte harte, auf dem Schnitt gleichmässig blassrosafarbene Lymphdrüsen an der Basis des Felsen- beines. In der Fossa Rosemüller; eine fest aufsitzende ca. 1 mm dicke Croupmembran. Ostium pharyngeale tubae zugeschwollen. Rachen- tonsille hochroth, stellenweise oberflächlich erodirt. Trommelfell normal in Glanz, Transparenz und übrigem Aussehen. Mucosa des Tegmen tympani normal, Mucosa der medialen Paukenhöhlenwand gelblich, nicht verdickt, aber mit einem dichten feinen dendritischen Gefässnetz, namentlich am ovalen Fenster. Ostium tubae tympani diffus geröthet; hier und auch am Grund der Paukenhöhle heller, zäher, glasiger Schleim. Mucosa der knorpligen Tube glatt, schmutzig grau, mit einem leichten Stich in’s röthliche. Kanal der knorpligen Tube wenig Schleim enthaltend.

Aditus, Antrum und die wenig entwickelten Warzenzellen etwas stärker injicirt als die mediale Paukenhöhlenwand, im Uebrigen aber sich wie letztere verhaltend.

Fall XVI.

Rosa E., 2!', Jahre alt. Eintritt am 9. April 1896 in das Bürgerspital. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryn- gis. Morbillen pneumonie.

Anamnese: Seit gestern an Catarrh und Schnupfen erkrankt.

Status praesens den 9. April 1896. Blasses, ziemlich gut ernährtes Kind. Husten. Stimmlos. War von 11!/, Uhr bis morgens 2 Uhr intubirt. Eitriger Ausfluss aus der Nase. Zieht etwas ein; leicht cyanotisch. Puls regelmässig trequent. Stenosengeräusch der Trachea, über den Lungen grobe Rasselgeräusche. Zunge leicht belegt. Tonsillen stark geschwollen, berühren sich beinahe, wenig geröthet mit gelblichem Belag. Submaxillardrüsen ziemlich vergrössert. Belag auf Tonsillen und Gaumenbögen derb, membranös, beim Abstreifen blutend.

Den 10. April. Tracbeotomia superior; reichliche Membranen, die massenhaft Löffler- Bacillus enthalten. Temperatur 38,2—38,5.

11. und 12. April. Auf den Tonsillen noch dicker, weisser Belag. Patient geniesst wenig. Temperatur 38,2— 39,1.

13. und 14. April. Rauhes Athmen und Rhonchi. Temperatur 39,5— 40,1.

Den 15. April. Patient ist den ganzen Tag ohne Canüle.

Den 16. April. Einige masernähnliche Flecken auf Wangen und Thorax. Conjunctivitis catarrhalis. Athmet ohne Canüle. Temperatur 40,2 40,9. | Den 17. und 18. April. Steife Glieder, Exanthem sehr schön entwickelt. Auf den Lungen hinten Rasseln und Rhonchi. Kind ist somnolent. Puls sehr frequent. Temperatur 39,0—41,0.

Den 19. April. Exitus letalis.

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 325

Anatomisch -pathologische Diagnose: Laryngitis, Tracheitis diphtheritica. Tracheotomie. Bronchopneumonia duplex. Pleuritis fibrinosa dextra. Thrombose der Vena magna Galeni und des Sinus perpendicularis. Embolie beider Lungenarterien. Nephritis parenchymatosa. Fettleber. Tuberkulose einer Tracheal- und Bronchialdrüse. Miliartuberkulose der Milz.

Rechtes und linkes Felsenbein. Otitis media puru- lenta acuta non perforans, Sinuitis sphenoidalis puru- lenta. Rachendachtonsille normal, nicht vergrössert. In der Nasen- höhle schleimiger Eiter. Untere Hälfte beider Nasenhöhlen mit stark injicirter und etwas geschwollener Schleimhaut; obere Hälfte normal. Keilbeinhöhlen kaum hanfkorngross, mit eitrigem Schleim gefüllt. mit hochrother, bedeutend verdickter undurchscheinender Mucosa. Nirgends Spuren von diphtheritischen Belägen oder Ulcerationen. Trommelfell glanzlos, röthlichgelb, nicht vorgewölbt. Das ganze knöcherne Mittel- ohr von schleimigem Eiter vollständig ausgefüllt, es ist ausgekleidet von hochrother, mässig verdickter Mucosa, welche bei Lupenbetrachtung blass, aber von einem äusserst dichtem Netz feiner Gefässe durchzogen erscheint. Fensternischen nur wenig verengt. Beide Steigbügel deutlich prominirend, ebenso die Stapediussehnen. Die Injection ist am stärksten in der knöchernen Tube und in der Paukenhöhle, fehlt aber, ebenso wie der eitrige Inhalt in keinem der wenig zahlreichen, durch mehrere Schnitte eröffneten Nebenräumen des Antrum. Nirgends An- deutung von nekrotischen oder diphtheritischen Processen. Knorplige Tube ganz normal bis an’s Ostium pharyngeale hinunter.

Fall XVII.

Marie R., 2 Jahre. Eintritt am 28. Mai 1896 in das Bürger- spital. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis und Croup. Peri- bronchitis tuberculosa.

Anamnese: Seit gestern Schnupfen; seit heute Nacht Engigkeit; noch keine Schluckbeschwerden.

Status praesens den 28. Mai 1896. Uvula, weicher Gaumen, Gaumenbögen, hintere Rachenwand mit dickem, weissem Belag. Rachi- tischer Rosenkranz; zieht sehr stark ein; keine Stimme. Stark ver- grösserte Drüsen rechts. Auf den Lungen pfeifende Respiration hörbar. Ausfluss aus der Nase. Puls 150, regelmässig. Temperatur 38,5, um 2 Uhr Tracheotomia superior.

Den 29. Mai. Ziemlich viel Membranen aus der Trachea, ent- haltend. Löffler-Bacillen und Streptococcen. Temperatur 39,0 39,2.

80. Mai bis 1. Juni. Temperatur 38,7 39,0.

Den 2. Juni. Herzaction regelmässig 162. Seit 24 Stunden decanulirt. Auf den Lungen überall zerstreut KADRENN Rasseln. Temperatur 39,9— 40,0.

3. bis 5. Juni. "Temperatur 39,4— 40,0.

326 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Den 6. Juni. Puls 150—160 regelmässig; am Mund schwarze Borken; aashafter Geruch. Uvula eitrig belegt. Auf den Tonsillen grosse eitrige Geschwüre. Temperatur 38,9 - 39,4.

Den 7. Juni. Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis des Rachens, Kehlkopfes, Trachea. Tracheotomie. Peri- bronchitis tuberculosa. Vitium cordis (Insufficienz der Mitralis). Nephritis parenchymatosa. Enteritis follicularis. Hirnödem. Pleuritis fibrinosa dextra. Pachymeningitis interna haemorrhagica. Perisplenitis adhaesiva.. Milztumor. Rachitis.

Lunkes Felsenbein. Otitis media purulenta acuta. (Nekrose des Trommelfells?). Präparat nur mässig blutreich. Rachen- dachtonsille mit grauen, diffusen, diphtheritischen Einlagerungen in der Schleimhaut; an anderen Stellen erscheinen die oberflächlichen Schichten mit zähem grauem Schleim bedeckt. Schleimhaut der Nasenhöhle sehr blass. Tubenöffnung frei. Trommelfell glanzlos, transparent; stellen- weise schimmert deutlich grünlicher Eiter durch. Beim Eröffnen des Tegmen tympani erweisen sich Antrum und Paukenhöhle vollständig ge- füllt mit zähem eitrigem Schleim, welcher in den lateralen Partien des Antrums heller, ärmer an Eiterkörperchen erscheint. Köpfchen von Hammer und Ambos olıne Veränderung; nach Abtrennen der Schuppe erweisen sich die Zellen an der Spitze des Warzentheils leicht geröthet, entweder leer oder mit rein-schleimigem Inhalt, während in den übrigen Mittelohrräumen der oben beschriebene Inhalt sich findet. Nach Weg- schwemmen des letzteren zeigt sich das Trommelfell von eigenthümlich dunkelgrüner Farbe ınit ganz blassem, auf der Schleimhautseite ganz gefässlosem Hammergriff (Nekrose); bei Lupenbetrachtung erscheinen namentlich die Gefässe grünlich gefärbt, ähnlich wie Venen von Corrosions- celloidinpräparaten, welche mit Berlinerblau injicirt und dann mit Salpeter- säure behandelt worden waren. Auf dem hinteren oberen Quadrant eine kaum stecknadelkopfgrosse, flache, röthlich transparente Auflagerung auf der Schleimhautseite (blutig-seröses Extravasat). Uebrige Schleimhaut der Paukenhöhle nur wenig geschwellt. Stapessehne deutlich zu unterscheiden. Knöcherne Tube blass. Knorplige Tube normal.

Fall XVIII.

Ernst E., 4 Jahre alt. Eintritt am 7. April 1896 in das Bürger- spital. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtherie der Respirations- schleimhaut. Pneumonie.

Anamnese: Am 6. April war Patient weniger lebhaft; letzte Nacht Fieber, Engigkeit. Angeblich kein Husten vorher.

Status praesens den 7. April 1896. Patient wird in höchster Oyanose gebracht; sofort Traclıeotomia inferior. Athmung kaum mehr vorhanden. Reflexe fehlen. Kräftirer Knabe. Puls ziemlich gut, leicht unregelmässig. Nach der Tracheotomie noch s!arke Cyanose. . Zunge

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin Diphtherie. 327

rein. Tonsillen etwas geschwellt, wenig geröthet, mit dickem, grauem, speckigem Belag,. der den Löffler-Bacillus ın Reincultur enthält. Die Unterkieferdrüsen auf beiden Seiten leicht vergrössert In der Trachea eine Membran und blutiger Schleim. Auf den Lungen hinten nichts Abnormes, vorn vereinzelte Rhonchi. Herzaction regelmässig 150. Temperatur 38,4.

Den 8. April. Nachts Erstickungsanfall; Erbrechen zweier Spul- würmer. Hinten Athmen pfeifend mit Rhonchi und vereinzelten Rasseln. Keine deutliche Dampfung. Urin leicht opalescirend. Temperatur 39,3 bis 40,5. |

Den 9. April. Nachts sehr dyspnoisch; es werden grosse Mem- branen entfernt. Temperatur 38,0— 40,0.

Den 10. und 11. April. Zeitweise immer noch stark Dyspnoe. Wenige Membranen werden ausgehustet. Puls gut. Temperatur 38,0 bis 39,0.

Den 12. April. Versuchsweise decanulirt. Beide Tonsillen noch sehr gross, immer noch mit spärlichem gelblichem Belag. Hinten auf den Lungen Rasseln. Temperatur 39,0— 39,5.

13.—15. April. Temperatur 39,0— 40,4.

Den 16. April. Respiration wird sehr mühsam. Auswurf eitrig, zäh. Wiedereinführen einer Canüle; hierauf Respiration etwas besser. Ueber den Lungen überall Rasseln und Rhonchi. Temp. 38,7— 40,1.

Den 17. April. Puls wird unregelmässig ; wenig Auswurf; etwas rasche Respiration. Starke Cyanose. Trachealwunde stark belegt. Temperatur 39,3. |

Den 18. April. Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose, Diphtheritis faucium. Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis diphtheritica. Trache- otomie (falscher Weg). Decubitalgeschwüre der Trachea. Broncholitis duplex. Bronchopneumonia duplex. Pleuritis fibrinosa dextra. Leichter Milztumor. XNephritis parenchymatosa. l

Linkes Felsenbein. Otitis media purulenta non per- forans. Sinuitis sphenoidalis muco-purulenta. Im Nasen- rachenraum keine Zeichen von Diphtheritis. Mucosa der Keilbeinhöhlen mässig geschwellt, diffus grauroth, mit schleimig eitrigem Inhalt, ohne erkennbare Gefässe, Trommelfell matt; eitriger Inhalt der Paukenhöhle schimmert graugelb durch. Schleimhaut von Paukenhöhle, Antrum und pneumatischen Nebenhöhlen blass, mit starker Gefässfüllung bis in die feinsten Capillaren hinaus, und daher makroskopisch ohne Lupen- betrachtung blassrosa erscheinend. Injection in der Paukenhöhle und auf dem Trommelfell besonders ausgesprochen, auf welch’ letzterem die radiäre Injection sehr schön zum Ausdruck kommt. Paukenhöhle ganz mit schleimigem Eiter ausgefüllt; die übrigen pneumatischen Räume dagegen leer. Knorplige Tube ganz normal.

328 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Fall XIX.

Elise G., 3 Jahre alt. Eintritt am 12. April 1896 in das Bürgerspital. . Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium etlaryngis. Masernpneumonie.

Anamnese: Seit dem 11. April Husten und Keuchen.

Status praesens am 12. April 1896. Kräftiges Kind. Heiser. Bellender Husten. Stimme gut. Tonsillen ziemlich stark vergrössert, mit dickem membranösem Belag, der den Löffler-Bacillus enthält. Hie und da leichte Symptome von Stenose. Unterkieferdrüsen leicht vergrössert. Puls regelmässig.

Den 13. April. Temperatur 38,8—39,8. Tracheotomia inferior. 14. und 15. April. Temperatur 39,2— 40,4.

Den 16. April. Belag verschwunden. Athmet ohne Canüle. Temp. 39,1 40,5. Urin leicht opalescirend.

Den 17. April. Masernexanthem über dem ganzen Körper ver- breitet. Puls regelmässig. Conjunctivitis. Athmung ohne Canüle ganz leicht. Temperatur 40—41.

Den 18. April. Exanthem blasst ab. Respiration sehr frequent, ebenso der Puls. Temperatur 38,6— 40,4. Pharynx normal. Auf den Lungen R. H. U. lautes Bronchialathmen. Rhonchi und Rasseln.

Den 19. April. Massenhaft zäher Schleim aus der Trachealwunde, die noch weit offen ist. Lungen status wie am 18. April.

20.— 23. April. Temperaturen schwanken von 38,9— 40,3. Am 24. April. Exitus letalis. |

Anatomisch-pathologische Diagnose: Bronchopneu- monie nach Croup. Cricotracheotomie. Peribronchitis tuberculosa Nephritis parenchymatosa. Enteritis follicularis. Gereinigte Geschwüre der Tonsillen. |

Rechtes Felsenbein. Otitis media purulenta acuta. Sinuitis sphenoidalis catarrhalis subacuta. Keilbeinhöhlen ohne Secret; Schleimhaut etwas verdickt, blassrosaroth; unter der Loupe blass, transparent, mit zahlreichen gefüllten feinen Gefässchen durch- zogen. Schleimhaut von Nase und Nasenrachenraum hochroth. Rachen- dachtonsille mässig geschwellt. Nirgends diphtheritische Auflagerungen. Trommelfell mit glänzendem, verschmälertem Dreieckreflex, hochroth. Paukenhöhle bis an das Dach mit schleimigem Eiter ausgefüllt. Schleim- haut der Labyrinthwand blauroth, ziemlich stark geschwellt. Knöcherne Tube, Aditus und Antrum hochroth. Pneumatische Zelen blassroth (unter der Lupe blass, transparent, mit dichter Gefässinjection). Trom- melfell mucosa mit radiären Gefässchen. Schleimhaut von Hammer und Ambos ohne wesentliche Schwellung und mit relativ geringer Injection. In den pneumatischen Räumen ist kein eitriges Secret. Knorplige Tube ist normal. =

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherje. 329

Fall XX.

Johanna B., 2 Jahre alt. Eintritt am 30. April 1896 in das Bürgerspital. Medicinische Abtheilung. ` u

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium, laryngis, tracheae, bronchorum. Peribronchitis tuberculosa.

Anamnese: Patient hustet seit 6 Tagen. Seit dem 29. April hat er Athemnoth.

Status praesens am 30. April 1896. Heisere Stimme; zieht etwas ein und hat laryngeales Stenosengeräusch. Ziemlich blasses, wohl- genährtes Kind. Ausfluss aus der Nase. Bellender Husten. Auf beiden Tonsillen weisser, grossfleckiger Belag, der den Löffler-Bacillus ent- hält. Submaxillardrüsen auf beiden Seiten etwas vergrössert. Auf den Lungen normaler Befund. Puls 162, regelmässig. Herztöne rein. Temperatur 38,5. Nachts wegen zunehmender Athemnoth Tracheotomia inferior. | | 1. Mai bis 5. Mai. Temperatur schwankt zwischen 38,6 und 40,2.

Den 6. Mai. Ueber der ganzen Lunge verbreitete Rasseln, zum Theil mit klingendem Charakter. Patient hustet schlecht. Zäher Schleim. Temperatur 40,2—40,5. |

7. Mai bis 10. Mai. Temperatur 39,2— 40,7.

Den 11. Mai. Herzaction sehr frequent, aber regelmässig. Pat. zieht in den Seitenpartien etwas ein. Auf der Lunge massenhafte feuchte Rasselgeräusche. Temperatur 39,8—40,1. Ä = Den 12. Mai. Temperatur 39,3— 40,1.

Den 13. Mai. Zunehmende Schwäche; Cyanose, Puls unregel- mässig. Exitus letalis.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis crouposa. Tracheotomie. Peribronchitis tuberculosa. Pleuritis incipiens dextra. Gereinigte Geschwüre der Ton- sillen. Käsiger Herd einer Trachealdrüse. Milztumor. Miliartuber- culose der Leber. Enteritis follicularis. |

Linkes Felsenbein. Otitis media purulentaacuta non perforans. Mässig starke Schwellung und Röthung der Mucosa von Nasenhöhle und Cavum pharyngonasale. Trommelfell geröthet; ver- minderte Transparenz; Dreieckreflex etwas matt, aber von normaler Gestalt. Mucosa des ganzen knöchernen Mittelohres, geschwellt, grau- roth, namentlich am Tegmen und am Promontorium, wo die Oberfläche ein maulbeerförmiges Aussehen hat. Stapes geschwellt, Köptchen noch deutlich differenzirbar. Hammer- und Ambos-Schleimhaut relativ blass. Die Schwellung und Röthung ist am geringsten in den pneumatischen Nebenräumen des Warzentheils, und nimmt hier gegen die Spitze zu an Intensität ab. Immerhin sind auch hier alle Cavitäten mit dünnem reinem Eiter complet gefüllt.

Fall XXI.

Heinrich M., 2 Jahre alt. Eintritt am 30. März 1896 in das Bürgerspital. Medicinische Abtheilung. Ä

330 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Klinische Diagnose: Group nach Masern. Broncho- pneumonie. Tracheotomie.

Anamnese: Vor 14 Tagen Masernexanthem; dann Pneumonie; seit dem 28. März starke Athemnoth.

Status praesens am 30. März 1896. Mässiger Ernährungs- zustand. Bilasse Hautfarbe. Cyanose im Gesicht. Am Kieferwinkel beidseits bohnengrosse Drüsen. Stimme tonlos. Rachen geröthet. Ton- sillen klein ohne Belag. Stridor und Einziehungen. Auf den Lungen H. O. beidseits Dämpfung, scharfes Bronchialathmen, sehr viel Rasseln. Tracheotomia superior. Aushusten von Schleim. Keine Membranen. Athmung wird frei. Puls regelmässig, weich. Urin eiweissfrei. Temp. 37,8.

Den 31. März. Temperatur 38,4.

Den 1. April. Beidseits hinten unten Rasselgeräusche. Puls regel- mässig frequent. Vorne kein Rasseln. Herzaction gut. Temperatur 37,7— 38,4. i Den 2. April. Temperatur 37,7— 39,0.

Den 3. April. Entfernung der Canüle. Temperatur 37,4—-38,5.

Den 4. und 5. April. Tagsüber ohne Canüle; über den Lungen noch viele Rasseln und Rhonchi. Athmung rauh. Temp. 37,5—39,7.

Den 6. bis 11. April. Temperatur schwankt zwischen 37,8 und 40,5. Nach dem Versuche des Decanuliren höheres Fieber; hat seit dem 9. April wieder den ganzen Tag die Canüle. Ueberall Rasseln. Puls sehr klein. | |

Den 12. April. Hustet heute fötide Massen aus der Canüle. Puls regelmässig. Respiration sehr frequent. Ueberall Rasseln über den Lungen. Temperatur 39,4—40,3.

Den 13. April. Puls unregelmässig. Temperatur 37,8—39,7.

Den 14. April. Exitus letalis. Morgens 4 Uhr.

Anatomisch -pathologische Diagnose: Diphtherie, Croup. nach Masern. Tracheotomie, Laryngitis, Tracheitis. Bronchitis duplex. PBroncholitis. Bronchopneumonia duplex. Pleuritis fibrinosa dextra. Schwellung der Nieren und Leber. Hydrocephalus chronicus internus levis.

Linkes Felsenbein. Otitis media purulenta acuta mit Nekrose der Schleimhaut. Nasenrachenraum, abgesehen von einer starken Schwellung der Rachendachtonsille, normal. Auch in den Keil- beinhöhlen zeigt die Mucosa keine wesentlichen Veränderungen. Trom- melfell glanzlos, getrübt, undurchscheinend. Paukenhöhlenschleimhaut gleichartig verdickt, diffus geröthet. Hinterster Theil des Antrum blasser, trotzdem die Verdickung der Mucosa im gleichen Maasse besteht. Eitriger Inhalt der Paukenhöhle. Die pneumatischen Nebenräume bilden eine einzige bohnengrosse, bis in die Spitze des Proc. mastoideus reichende Zelle, deren Schleimhaut in ihrer ganzen Ausdehnung gelblich verfärbt, und deren oberste Schicht sich als eine zusammenhängende aber etwas morsche Membran von der periostalen gut vascularisirten Lage abheben

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 331

lässt. Diese atıfgelagerte Membran sieht nicht speckig aus, sondern macht eher den Eindruck einer Nekrose der Schleimhaut. Der unter- liegende Knochen erscheint normal vascularisirt.

Fall XXII. Johann Th., 3!/, Jahre alt. Eintritt am 17. April 1891 in das Bürgerspital. Chirurgische Abtheilung. = Klinische Diagnose: Croup., Diphtheritis faucium. Bronchitis.

' Anamnese: Beginn der Erkrankung am 12. April 1891 mit Husten und Heiserkeit. Drei Tage später trat auffallende Beengung ein. Kein Fieber. Am 16. April zunehmendes Keuchen, sowie starke Einziehungen auf der Brust beim Athmen.

Status praesens den 17. April 1891. Blasses, anämisches Kind. Gesicht leicht cyanotisch. Auf den Lungen Schall sonor; scharf vesiculärer Athem, begleitet von gut hörbarem Stenosengeräusch. Appetit gering. Stuhl normal. Urin eiweisshaltig. Tonsillen leicht geröthet und geschwellt.e. Kein Belag. Athmung sehr stark beschleunigt. Bei jeder Athmungsbewegung wird das Epigastrium, sowie die Supraclavicular- partien ziemlich stark eingezogen, ebenso die untersten Thoraxpartien. Athmungsgeräusch ziemlich weit hörbar, von pfeifendem Charakter. In kurzen Intervallen starke Hustenanfälle.e Tem eratur 37,6—37,8. Wegen zunehmender Dispnoe wird die Cricotracheotomie vorgenommen. Nachher athmet Patient gut; geniesst etwas Milch und Marsala. |

Den 18. April. Canüle durch Schleim und Membran verengt; wird gewechselt. Patient athmet nachher wieder gut. Temperatur 37,7—38,5.

Den 20. April. Patient hustet mehr, ist unruhig. Auf der Lunge H. U. Vereinzelte feuchte Rasseln. Temperatur 37,0—38,3.

Den 23. April. Athmung ruhiger. Wenig Husten. Keine Mem- branen mehr. Patient ist fröhlich und ohne Beschwerden. Temperatur 37,2 38,5.

Den 26. April. Canüle wird weggelassen. Athmung gar nicht frequent. Wenig Husten.

Den 29. April. Morgens Erstickungsanfall. Canüle wird sofort wieder eingeführt; nachher ist die Athmung ruhiger. Abends wird Patient wieder unruhiger, fängt an zu husten; es werden kleine mem- branähnliche Fetzchen ausgehustet. Temperatur 37,0— 38,3.

28. April. Wieder ein Erstickungsanfall. Auf den Lungen diffus verbreitete feuchte Rasseln. Urin eiweisshaltig.., Temp. 38,1—38,6.

Den 29. April. Kind unruhig; wenig Husten und Auswurf. Ge- niesst fast nichts mehr. Temperatur 37,9— 38,3.

Den 30. April. In der Nacht erfolgte Erbrechen. Exitus letalis Morgens 9 Uhr. M

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis. Tracheotomie. Nephritis parenchymatosa. Endocarditis mitralis. Milz-

332 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

tumor. Schwellung der Mesenterialdrüsen und der Peyer’schen Plaques. Hyperämie des Gehirns. Rachitis. Anämie.

Linkes Felsenbein. Ueberall ganz normale Verhältnisse. Auch die Rachendachtonsille, die leicht hypertrophisch ist, zeigt weder auffallende Röthung, noch Alteration der epithelialen Decke.

Fall XXII.

. Emil Fr., 4!/, Jahre alt. Eintritt am 25. Februar 1896 in das Bürgerspital.e. Medicinische Abtheilung.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium, laryngis et bronchorum. Brochopneumonia duplex. Nephritis parenchymatosa.

Anamnese: Vor 11 Tagen Heiserkeit, Schmerzen im Hals, der geröthet war; angeblich kein Belag. Seit dem 22. Februar Engigkeit; keuchende Athmung. Gestern und heute Nacht Erstickungsanfall mit Blauwerden im Gesicht.

Status praesens den 25. Februar 1896. Ernährungszustand sehr schlecht; blasse Hautfarbe; beiderseits am Kieferwinkel bohnen- grosse Drüsen. Beide Tonsillen, besonders die rechte, sehr gross mit festhaftendem weissem Belag überzogen. Auf den Lungen: Schall sonor. H. R. U. Zahlreiche feuchte Rasselgeräusche und Rhonchi über allen Lungenpartien. Athmung beschleunigt mit ganz leichten epigastrischen und jugularen Einziehungen, Stridor. Stimme deutlich etwas heiser; trockener Husten. Puls etwas unregelmässig, klein, kaum fühlbar; sehr leicht unterdrückbar. Herztöne rein. Urin eiweisshaltig. Temperatur 38,7.

Den 26. Februar. Wegen zunehmender Stenose wird Abends 5 Uhr die Tracheotomia superior vorgenommen. Aushusten einer grossen Membran und einer bedeutenden Menge Schleim durch .die Canüle. Temperatur 37,9— 39,9.

Den 27. Februar. Durch die Canüle werden im Laufe des Tages sehr viele eingeschmolzene Membranen ausgehustet. Patient bekommt mehrmals Dyspnoe durch Membranmassen, die sich vor die Canülen- öffnung legen. Temperatur 39,2— 39,5.

28. Februar bis 2. März. Temperatur schwankt von 38,8—39,7.

Den 3. März. Decanulement, Athmung frei. Temp. 39,2 —40.

Den 4. März. Puls unregelmässig. Urin eiweisshaltig, sehr hohe Temperaturen 39,2—39,9. Athmung sehr beschleunigt, dispnoisch.

Den A März. Puls kaum fühlbar. Temperatur 39,9. Exitus letalis um 3 Uhr p. m.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Diphtheritis von ca. 3 Wochen Dauer. Tracheotomie, Bronchitis catarrhalis et diphtheritica duplex. Tracheitis diphtheritica. Ausgedehnte Broncho- pneumonia duplex. Gastroenteritis. Nephritis parenchymatosa. Offener ductus arteriosus Botalli. Mangelhafter Descensus testiculorum.

Linkes Felsenbein. Otitis media purulenta acuta non perforans. Sinuitis sphenoidalis purulenta. Im Nasenrachenraum wenig schleimig-eitriges Secret. Rachendachtonsille

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 333

lcm dick, obne diphtheritischen Belag und ohne Ulceration. Tuben- öffnung spaltförmig, leicht geröthet. Trommelfell durchscheinend mit normalem Reflex. In den unteren Partien schimmert Eiter durch. Mucosa der Paukenhöhle mit mässiger dendritischer Injection, ohne deutliche Verdickung. Im untern und hinteren Theil der Paukenhöhle 1—2 Tropfen nicht schleimigen Eiters. Knöcherne Tube nicht stärker, Antrum und pneumatische Zellen bedeutend weniger injicirt als die Pauken- höhle. Stapes leicht beweglich. Nirgends Knochenveränderung, ebenso keine Veränderung an Dura und. Saccus endolymphaticus. Knorplige Tube schwach injieirt. Sinus sphenoidalis mit wenig verdickter, leicht ge- rötheter Mucosa und einer ziemlich grossen Menge dünnflüssigen Eiters. Nasenhöhle am Präparat nicht erhalten. Im Vestibulium des Labyrinths nichts Abnormes.

Fall XXIV.

Lydia Str., 8 Monate alt. Eintritt am 15. December 1895 in das Kinderspital.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium etlaryngis. Croup. Pneumonie.

Anamnese: Beginn der Erkrankung am 7. December mit Hals- entzüändung. Am 14. December Engigkeit und Cyanose.

. Status praesens den 15. December 1895. Sehr guter Ernäh- rungszustand. Submaxillardrüsen nicht merklich geschwollen. Hintere Rachenwand, Uvula und linke Tonsille mit dickem membranösem Belag, der den Löffler’schen Bacillus enthält, austapezirt. Heiserkeit. Auf den Lungen feuchte Rasseln; keine Dämpfung. Herz normal. Im all- gemeinen sehr blasses Aussehen, leichte Cyanose; sehr starke Ver- schleimung, viel Husten. Temperatur 37,4.

Den 16. December. Starke Dyspnoe, Cyanose, sehr blasses Aus- sehen. Puls unregelmässig, sehr frequent;' trotz der Intubation wenig Besserung, daher Tracheotomie. Nachher ruhige Athmung. Temp. 39,2.

Den 17. December. Den ganzen Tag sehr frequente Athmung. Zunehmendes Fieber, sehr schlechtes Aussehen; sehr frequenter Puls. Temperatur 39,6— 40,2.

Den 18. December. In der Nacht oft Cheyne-Stockes Phänomen. Abends ganz unregelmässige Athmung. Puls unregelmässig, arythmisch. Auf den Lungen deutliches Bronchialathmen. _ Wenig Rasseln.

19.—21. December. Etwas Besserung. Temperatur 37,4—38,6.

Den 22. December. Wesentliche Besserung. Puls und Respiration weniger frequent. Viel Husten. Dämpfung über der linken Lunge. Bronchial- athmen, feuchtes kleinblasiges Rasseln. | |

23.—26. December. Recht ordentliches Aussehen.

Den 27. December. Wieder höhere Fieber. sehr frequente Respiration; rascher Puls; leichte Cyanose; unregelmässige Athmung. Ganze linke Lunge gedämpft: lautes Bronchialathmen. Feuchtes Rasseln, Temperatur 38,7—-39,0.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde Bd, XXIX. 29

334 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Den 28. December. Etwas besseres Befinden; immer noch sehr frequente Athmung. Temperatur 38,8—39,3.

Den 29. . December. Rasche ` bocheradige Verschlimmerung. Schlechter Puls; mangelhafte Expectoration. Temperatur 38,2—39,2. Den 30. December. Exitus letalis unter Collapserscheinung.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Bronchopneu- monia duplex nach Diphtherie. Pleuritis fibrinosa sinistra. Tracheostenose. Decubitusgeschwüre des Kehlkopfes. Tracheitis, Bronchitis purulenta. Nephritis parenchymatosa. Milztumor.

Linkes Felsenbein. Otitis media diphtheritica. Rachendachtonsille etwas vergrössert, aber nirgends diphtheritische. Infiltration oder Auflagerung. Durch das Trommelfell scheint aus der Paukenhöhle etwas Eiter durch. Nach Eröffnen des Tegmen: Mucosa des Daches kaum verdickt. Paukenhöhle und Antrum prallgefüllt mit dickem, nicht schleimigem Eiter. Auch die übrigen Hohlräume mit gleichem Secret angefüllt. Diphtheritische Membran nur in den seit- lichen und hinteren Zellen des Antrums; die Zwischenwände, zwischen diesen Zellen auffallend blutleer, gelblich verfärbt. Rundes und ovales Fenster durch geschwollene dunkelrothe Schleimhaut angefüllt. Knorp- lige Tube normal.

Fall XXV.

Fritz G., 2!/, Jahre alt. Eintritt am 17. November 1892 in das Kinderspital.

Klinische Diagnose: Diphtheritis faucium et laryn- gis. Pneumonia crouposa dextra. Nephritis parenchymatosa.

Anamnese: Patient erkrankte Nachts plötzlich mit Erstickungs- anfällen.

Status praesens den 17. November 1892. Schwächliches Kind von kränklichem Aussehen, blass und ziemlich mager. Lippen stark geschwollen, bluten. Foetor ex ore. Stomatitis am Zahnfleischrand. Zunge belegt. Pharynx, Tonsillen, Gaumenbogen geröthet; kein Belag. Stimme rein. Kein Husten. Temperatur 39,7. Puls ziemlich kräftig, 140, regelmässig. Auf Lungen überall normaler Befund. Leber nicht vergrössert. Milz vergrössert. Urin eiweissfrei; starke Diazoreaction.

Den 13. November. Lungen normal. Temperatur 39,7. Patient ‚verweigert die Nahrung. Pharynx stark geröthet.

Den 19. November. An dem linken Gaumenbogen eine kleine ‚grauweiss belegte Stelle. Temperatur 36,6—39,8.

Den 20. November. Belag etwas zugenommen, starke Röthung und Schwellung der Gaumen und Tonsillen. Temperatur 38,9—39,4.

Den 21. November. Kein Belag mehr sichtbar; aber noch sehr starke Schwellung und Röthung der Tonsillen. Temperatur 38,6.

Den 22. November. Besserung der Schwellung im Hals; Lippen noch geschwollen, bluten leicht. Temperatur 37,8.

23.—27. November. Kein Belag; noch Schwellung und Röthung im Halse. Temperatur 37,1—39,9.

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 335

‘Den 28. November. Abends hohes Fieber; auf der rechten Ton- sille kleiner weisslicher Punkt. Lungen normal. Temperatur 40,0.

Den 29. November. Dämpfung des rechten oberen Lungenlappens. Athemgeräusch unverändert. Temperatur 39,6 —40,9.

Den 30. November. Status idem. Temperatur 39,7—41,5.

Den 1. December. Dämpfung gleich; deutliches Bronchialathmen ; einzelne trockene Ronchi. Milztumor. Temperatur 39,1 41,1.

2.—5. December. Stat. auf der Lunge gleich. Patient ist etwas heiser; im -Hals Röthung und Schwellung. Kein Belag.

Den 6. December. Bellender, heiserer Husten.

Den 7. December. Etwas Einziehungen, welche zunehmen. Hals geröthet; kein Belag. Abends starke Einziehung und Cyanose. Pat. ist unruhig. Puls weich, 180. Temperatur 38,1—40,0. Tracheotomia superior: Trachea zeigt intensiv geröthete Schleimhaut; kein diphthe- ritischer Belag.

Den 8. December. Status der Pneumonie gleich. Belag auf beiden Tonsillen. Temperatur 39,9— 40,9.

Den 9. December. Starke Schwellung des Gesichtes und der Maleolengegend.. Am Hals deutliche Vergrösserung der Submaxillar- drüsen. Im Rachen dicker Belag beider Tonsillen, hauptsächlich an der Innenfläche. Urin enthält 4°/,, Eiweiss. Viele gekörnte Cylinder. Puls sehr frequent. Temperatur 39,6— 41,6.

Den 10. December. Patient sehr apatisch; trinkt wenig. Athmung frequenter; Cheyne-Stockes Phänomen. Körper gedunsen. Puls unfühlbar.

Den 11. December. Exitus letalis um 2 Uhr Morgens.

Anatomisch-pathologische Diagnose: Pharyngitis und Laryngitis crouposa. Tracheitis. Bronchopneumonia crouposa dextra. Käseherde im rechten Oberlappen. Partielle Atelectase der beiden Lungen, besonders des rechten Unterlappens. Nephritis paren- chymatosa duplex. Enteritis follicularis des Dickdarmes.

Linkes Felsenbein. Otitis media catarrhalis acuta. Rachendach- und linke Tonsille geröthet, geschwellt, mit leicht abzieh- barer, dünner, grauer, diphtheritischer Membran überzogen. Tuben- eingang dagegen frei von Auflagerungen. Trommelfell transparent, glanzlos, mit starker hinterer Falte und injicirtem Hammergriff. Sacculus endolymphaticus normal. Nach Entfernung des Tegmen tympani zeigt sich die Paukenhöhle ohne feuchten Inhalt; das Dach von rothen quer- verlaufenden Schleimhautfalten und Fäden locker durchzogen. Mucosa intensiv geröthet, aber nicht wesentlich geschwellt, sodass die gelbliche Farbe des Knochens, wenigstens an den Gehörknöchelchen, durchscheint. Etwas mehr verdickt ist der Uecberzug der Labyrinthwand; doch ist die Form des Stapes schlauk und treu erhalten; nur die Nische des runden Fensters durch geschwellte Schleimhaut ganz angefüllt.

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336 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

Aus obigen Berichten sehen wir vor allem, dass Erkrankungen des Gehörorgans und speciell des Mittelohrs als Begleiterscheinung der genuinen Diphtherie ungemein häufig vorkommen.

Wir können fast als Regel aufstellen, dass eine Otitis media zum Bilde der diphtheritischen Erkrankung der Respi- rationsorgane gehört.

Wir haben nämlich unter allen unseren Sectionen nur einen einzigen Fall (XXID) = 4°/,, bei dem der Befund des Mittelohrs ein absolut normaler war, während somit in 96°,, der Fälle das. Ohr an der all- gemeinen Erkrankung betheiligt war; die 4°/, bilden dann die Aus- nahme, die zu jeder Regel gehört.

Was die klinische Beobachtung unserer Fälle anbetrifft, so ist zu bemerken, dass die Erkrankung des Ohrs offenbar intra vitam selten diagnosticirt wurde. Als Erklärung dazu trägt vielerlei bei: Vor allem ist das Auftreten der Ohrerkrankung in der Regel kein stürmisches, sondern dasselbe verläuft ohne bedeutendere Erscheinungen; wir sehen nämlich in allen unseren Fällen niemals das Vorkommen einer Trommelfellperforation, die durch den nachfolgenden eitrigen Aus- fluss das Auge des Klinikers auf das Gehörorgan gelenkt hätte. Es sind ferner bei fast allen unseren Fällen die Patienten so jugendlichen Alters, dass sie sich über eventuell vorkommende Be- schwerden seitens des Ohres nicht verständlich hätten machen können. Schliesslich ist zu bemerken, dass bei allen diesen letal verlaufenen Fällen die allgemeine Erkrankung so schwerer Art war, dass dabei die Nebenaffection am Gehörorgan leicht zu übersehen war.

Aber auch eine Untersuchung des Trommelfells hätte noch keinen genügenden Aufschluss über den Process im Mittelohr geben können; denn es ist auffällig, wie im allgemeinen das Trommelfell wenig afficirt war.

Dasselbe zeigte nämlich selten stärkere Zeichen von Entzündung: nur in 1 Fall (XVIII) (4°/,), war stärkere Injection vorhanden; in 5 Fällen (20°/,) (V, IX, XIX, XX, XXV) war die Injection geringen oder mässigen Grades. Zweimal (IV und XVII) (8°/,) fanden sich auf der Schleimhautseite Ecchymosen, einmal eine polypenförmige Verdickung (Fall V), und ein anderes Mal (XVII) (4°/,) wurde eine Nekrose des Trommelfells constatirt. In den übrigen 17 Präparaten (68°/,) fehlte die entzündliche Injection.

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 337

Wenn wir die Ergebnisse der Obduction der Mittelohrräume bei diesen 25 Fällen zusammenfassen, so ergiebt sich folgendes:

1. In 1 Fall (XXI) (4°/,) war das Mittelohr absolut normal. Bemerkenswerth bei diesem Falle ist erstens der relative ziemlich lange Intervall (18 Tage) zwischen Beginn der Erkrankung und Exitus letalis; und zweitens der Umstand, dass der Rachen frei von Belag war, und es sich um eine Diphtherie der unteren Luftwege handelte.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass vielleicht auch in diesem Falle von Freibleiben des Mittelohrs es sich doch um eine leichte Er- krankung gehandelt hatte, welche unterdessen wieder zur Heilung gelangt wäre.

2. In 2 Fällen (8°/,) (XI und XII) bestand catarrhalischer Tubenverschluss, und in einem dieser Fälle (XI) ausserdem noch eine Sinuitis sphenoidalis catarrhalis et haemorrhagica.. Der Verlauf zwischen Beginn der diphtheritischen Erkrankung und Exitus letalis dauerte 8 resp. 9 Tage. Bemerkenswerth ist, dass es sich im Falle XII nur um Diphtheritis narium handelte, und bei Fall XI die diphtheritische Erkrankung hauptsächlich in den unteren Respirationswegen localisirt war: auf einer nicht geschwollenen Tonsille befand sich nur ein linsen- grosser weisser Belag.

Der Befund in der Paukenhöhle (stärkere Durchfeuchtung und etwas vermehrte Injection) entspricht dem Status derjenigen Affection, welche auf Grund von anatomischen und klinischen Erfahrungen durch Bezold scharf abgetrennt wird von den entzündlichen Erkrankungen des knöchernen Mittelohrraumes und welche sich leicht zurückführen lässt auf mechanische Missverhältnisse, d. h. auf den sich bei Tuben- ` verschluss regelmässig einstellenden negativen Druck. Der Umstand, dass diese zwei Fälle ziemlich rasch nach Auftreten der Erkrankung zur Section kamen, spricht gegen die Annahme, dass es sich um einen Tubenverschluss von der Art handelte, wie er auch im Endstadium von cyclisch verlaufenden Entzündungen der knöchernen Mittelohrräume sich einstellt.

3. In 5 Fällen (29 °/,) (III, VI, VHI, XII, XXV) fand sich eine Otitismedia catarrhalisacuta, mässigeren oder stärkeren Grades und ohne Exsudation. In zwei dieser Fälle (VI und XIII) bestand noch daneben eine Sinuitis, im ersten (VI) war es eine Sinuitis sphenoi- dalis catarrhalis hämorrhagica; dieser Befund entspricht dem Charakter der allgemeinen Erkrankung, einer hämorrhagischen Diphtherie der oberen Respirationswege; auch in allen pneumatischen Räumen waren

338 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

hier vereinzelte Ecchymosen. Im zweiten Fall (XIII) handelte es sich um eine Sinuitis sphenoidalis diphtheritica, indem sich in der rechten Keilbeinhöhle eine Croupmembran vorfand; dazu bestand noch catar- rhalischer Tubenverschluss.

4. Otitis media catarrhalis acuta mit Ansammlung nicht eitrigen Sekretes kam in 4 Fällen 16 °/, vor (IV, IX, X, XV); der Inhalt war durchgehend schleimig, in keinem Fall serös. In zwei Fällen (X und XV) fanden sich nur geringe Mengen, in den zwei anderen (IV, IX) war die Paukenhöhle ganz mit Schleim angefüllt. Die Mucosa erwies sich einmal (XV) nur leicht injicirt, sonst mehr oder weniger verdickt. Zwei Mal (IV, X) konnte man in Antrum und Paukenhöhle das Vorhandensein von Ecchymosen constatiren, im erstern Falle mit Bildung von Bläschen, deren Inhalt theils serös, theils blutig war und welche auf der Schleimhaut von Paukenhöhle und Antrum sich befanden.

5. In mehr als der Hälfte (13 Fälle —= 52°/,) aller Felsenbeine eine Zahl, welche mit derjenigeu Harke’s ziemlich genau über- einstimmt fand sich ein eitriger Inhalt der Paukenhöhle; davon sollen aber zwei Fälle (VII und XXIV) ausgesondert werden, da neben der Otitis media purulenta eine diphtheritische Mittelohrer- krankung vorhanden war, und diese zwei Fälle deswegen unter die be- sondere Rubrik »Otitis media diphtheritica« zu stehen kommen. Es bleiben also 11 Gehörorgane 44 °/, (V, XIV, XX, XXI, XXIII; I, XVI, XVII, XVII, XIX; ID), bei denen die Paukenhöhle nur eitrigen Inhalt aufwies.

In den 5 ersten (20°/,) war der Charakter des Eiters re serös; in den 5 folgenden (20°/,) schleimig, und in dem letzten (4°/,) rahmig. Bei den Felsenbeinen, wo der seröseitrige Inhalt sich vorfand, war auch durchwegs die Mucosa mehr oder weniger geschwellt; einmal (V) war dies in sehr hochgradiger Weise der Fall, in einem anderen Präparat (XXI) bestand sogar eine partielle Nekrose der Schleimhaut; auch fand sich im Falle XXIII eine Sinuitis sphenoidalis. Da, wo der eitrige Inhalt nur den schleimigen Charakter zeigte, war die Schwellung der Schleim- haut nur eine mässige, einmal (XVIII) fehlte sie sogar ganz; Sinuitis sphenoidalis zeigte sich unter diesen fünf Fällen drei Mal, und zwar einmal (XIX) rein catarrhalisch, zweimal dagegen (XVI, XVIII) war der Inhalt der Keilbeinhöhlen ein muco-purulenter. In den zwei anderen Fällen fehlen die Berichte über den Befund der Keilbeinhöhlen, weil diese nicht untersucht wurden oder fehlten. Im Präparat XVII bestand

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie 339

anscheinend eine Totalnekrose (embolische?) des Trommelfells (die mikro- skopische Untersuchung desselben steht noch aus). Wenn man den von Bezold betonten und mit unsern Erfahrungen übereinstimmenden Umstand in Betracht zieht, dass die Masernotitis sehr langsam abläuft, so wird man sich kaum wundern, dass bei den 5 Fällen, bei welchen eine Morbillenerkrankung der Diphtherie vorausging oder sogar dieselbe complicirte, eine cumulative Wirkung sich geltend machte und dass von diesen Fällen 4 (I, V, XVI, XXI) sich hier unter den eitrigen Formen der Mittelohrentzündung verzeichnet finden. Die stärkste Schleimhaut- schwellung fand sich da, wo beide Krankheitsformen Diphtherie und Morbilles gleichzeitig neben einander bestanden. Auch bei Fall XX bietet sich uns eine Erklärung für die intensive Form der Mittelohr- entzündung, indem hier der Organismus in seiner Widerstandsfähigkeit reduzirt war durch die in der Lunge nachgewiesene Tuberkulose.

Die mikroskopische Untersuchung des rahmigen Eiters von Fall II ergab Kapseldiplokokken (es bestand auch eine doppeltseitige Pneumonie), dann vereinzelte Streptokokkenketten, desquamirte Epithelien und Eiter- zellen; Löffler-Bacillen fehlten; die Schleimhaut der Paukenhöhle war ziemlich stark geschwellt.

In den übrigen Fällen ist leider eine bakteriologische Untersuchung des Eiters unterlassen worden.

Ich möchte hier noch einmal betonen, dass unter diesen zahlreichen Fällen von Otitis media purulenta acuta kein einziges Mal eine Per- foration des Trommelfells nachweisbar war. Auch Ecchymosen, die in den Felsenbeinen von rein catarrhalischen Erkrankungen unseres patho- logisch-anatomischen Materials gefunden wurden, fehlten bei den eitrigen gänzlich.

6. Diphtheritische Erkrankung des Mittelohres wurde an zwei Präparaten (8°/,) (VIL, XXIV) constatirt. Leider wurden die gefundenen Membranen weder histologisch (Fibrinfärbung nach Weigert) noch bakteriologisch (Bacillus) untersucht; sie zeigten aber durchaus den Charakter von echt diphtheritischen Auflage- rungen, waren weiss speckig und hafteten der Schleimhaut sehr fest an!). Beide Fälle boten das Bild einer acuten purulenten Entzündung. Im Felsenbein (VII) bestand noch dazu eine Sinuitis

1) Podack, M. (D. Arch. f. klin. Med., Bd. LVI, S. 34) fand bei der Untersuchung des Mittelohres zweier Maserndiphtherieleichen den Löffler- Bacillus in dem einen Fall im Eiter, im andern Fall in der dem Mittelohr entstammenden Diphtheriemembran.

340 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

sphenoidalis catarrhalis, gekennzeichnet durch mässige Schwellung der Mucosa. Auffallend war das blasse Aussehen der Paukenhöhlenschleim- haut trotz des Vorhandenseins der diphtheritischen Membran, welche die vor und über der Tensorsehne befindliche grosse Zelle ganz ausfüllte. Auch beim zweiten dieser Felsenbeine, wo diphtheritische Membranen in den seitlichen und hinteren Zellen des Antrums vorhanden waren, sehen wir wieder den Befund von auffallender Blutleere und ausserdem von beginnender Knochennekrose.

Es wäre sehr interessant gewesen, die Resultate zu vergleichen, welche der Befund des Mittelohres ergab bei ungefähr gleichwertigen Fällen, wo die allgemeine diphtheritische Erkrankung entweder nur in den oberen Respirationswegen, oder nur in den unteren, oder schliesslich auf dem ganzen Respirationstractus lokalisirt war. Auch wäre es wichtig gewesen, festzustellen, ob das Mittelohr bei intaktem Nasenrachenraum weniger betheiligt ist, als in den Präparaten, wo der diphtheritische Prozess in nächster Nähe der Tubenöffnung eingewirkt hatte. Im Uebrigen handelte es sich bei unseren schweren, letal verlaufenen Fällen meistens um diphtheritische Erkrankung des ganzen Respirationstractus; aus dem Befund, der aber nur aus einem Material von 3 Felsenbeinen stammt, dürfen wir noch keine allgemeine Regel aufstellen. Zudem scheint schon aus diesen wenigen Fällen hervorzugehen, dass eine solche Regel gar nicht besteht (vergl. auch S. 342).

Was das Verhalten der Entzündungserscheinungen des Antrums, im Verhältniss zu denjenigen der Pauken- höhle betrifft, so ist hervorzuheben, dass in der Mehrzahl der Fälle (14—=56°/,) das Antrum weniger affıcirt war als die Paukenhöhle; in 9 Fällen (36 °/,) war der Befund im Antrum und Paukenhöhle ungefähr der gleiche, und nur in zwei Präparaten 8 °/, war die Natur des Processes schwererer Art im Antrum und in den Warzenzellen. Im Präparat XV nämlich heisst der Bericht: »Aditus, Antrum und die wenig entwickelten Warzenzellen etwas stärker injieirt als die mediale Paukenhöhlenwand, im übrigen aber sich wie letztere verhaltend. Im zweiten Fall (XXIV) war der Befund in beiden Räumen identisch, mit der Ausnahme, dass in den seitlichen und hinteren Zellen des Antrums sich eine diphtheritische Einlagerung vorfand, die in der Paukenhöhle fehlte und dass der Knochen daselbst, seines ernährenden Periostes beraubt, stellenweise nekrotisch war; ohne Zweifel hätte sich hier die Ohraffection in ihrem weitern Verlauf zu einer sehr schweren gestaltet, falls das

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 341

Kind nicht der Primäraffection und der Bronchopneumonie so früh er- legen wäre.

Ueber das Verhalten der knöchernen und knorpligen Tube geben unsere Protokolle folgende Auskunft: In 16 Fällen (64 °/,) waren die Entzündungserscheinungen in beiden Abschnitten entweder negativ, gering oder stark; in den übrigen 9 Präparaten (30 °/,) war die knorplige Tube durchwegs weniger äffıcirt als die knöcherne.

Der Befund der knorpligen Tube hat grosse Bedeutung bei dem Aufsuchen des ätiologischen Momentes für die Erkrankung des Mittel- ohres. Es wurde nämlich behauptet (wie aus der Literatur zu ersehen ist), dass die Otitis media acuta bei Diphtheritis des Rachens gewöhnlich ein per continuitatem fortgeleiteter Process und dass die Tube derjenige Weg sei, auf welchem diese Fortleitung vom Rachen nach dem Mittelohr sich vollziehe. Wir wollen daher unsere Präparate in Bezug auf diesen Punkt näher betrachten.

In 21 aller vorkominenden Fälle (d. h. in 84 °/,) war die innere Schleimhaut-Auskleidung der knorpligen Tube normal; ich möchte zwar gleich bemerken, dass hier und da, bei normalem Befund der Schleimhaut, das Lumen der knorpligen Tube etwas Schleim enthielt, es ist aber anzunehmen, dass dieser Schleim nicht ein entzündliches Produkt war, da die Entzündung ja felılte, sondern dass derselbe wahrscheinlich in der Agone, durch die Atmungs- bewegungen des Mittelohres zur Zeit, wo der Rachen voll von dem aufsteigendem Schleim war, auch in die knorplige Tube aspirirt wurde. In den übrigen 4 Präparaten (16 °/,) zeigte sich die knorplige Tube entzündlich afficirt. Es sei mir erlaubt, auf diese 4 Fälle (VI, XI, XV, XXIII) etwas näher einzugehen. Zwei Mal (VI und XXI) war die Entzündung nur geringer Art; im Bericht VI heisst es: »Obere Hälfte der knorpligen sowie der knöchernen Tube mit nur wenig injicirter und kaum verdickter Mucosa« und im Bericht XXIII: »Knorplige Tube schwach injicirt« ; bemerkenswerth ist. dass in beiden Fällen der Nasen- rachenraum eine starke diphtheritische Erkrankung aufwies, und der Befund der Paukenhöhle das eine Mal eine hochgradige, catarrhalische, das zweite Mal eine purulente Entzündung zeigte. In den zwei anderen Berichten dagegen war der Befund im Mittelohr ein relativ milder ; eitrige Entzündung fehlte beide Mal; beim Präparat XIII handelte es sich um eine leichte catarrhalische Affection; im Präparat XV war am Grund der Paukenhöhle etwas glasiger Schleim; die Mucosa der knorp-

342 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

ligen Tube zeigte sich hier glatt, schmutzig grau mit einem leichten Stich in’s röthliche.

Fall XIII ist eigentlich der einzige, wo die knorplige Tube stärkere entzündliche Erscheinungen zeigte, denn die Schleimhaut erwies sich in der unteren Hälfte als hochgradig geschwellt, wenn auch ohne diphtheri- tische Auflagerungen; der Nasenrachenraum wies eine starke diphtheri- tische Erkrankung auf; im Fall XV dagegen wurden die Tonsillen nur geröthet und ohne Belag gefunden.

Ein besonderes Interesse verdient Fall XII, insofern als hier (wie in FallIV) eine diphtheritische Auflagerung sich auf dem Tubenwulst selbst vor- fand. Trotzdem hier der diphtheritische Process vom Rachen her so nahe ans Mittelohr sich hinanbewegt hatte wie in keinem andern unserer Fälle, zeigte das Mittelohr keine entzündlichen Erscheinungen,

Wir sehen also, dass eine Beteiligung der knorpligen Tube an den allgemeinen entzündlichen Processen zu den Seltenheiten gehört, und dass, auch wenn Entzündung der Schleimhaut an beiden Enden besteht, die mittlere Hauptpartie doch unverändert bleibt.

Unter diesen Umständen scheint es höchst unwahrscheinlich, dass der Process im Mittelohr nur ein vom Pharynx aus durch die Tube fort- geleiteter sei; es ist im Gegentheil viel plausibler anzunehmen, dass wir in den knöchernen Mittelohrräumen mit einer bei Diphtheritis auf- tretenden genuinen, und mit keiner per tubam fortgeleiteten Erkrankung zu thun haben, und dass somit hier nach dieser Richtung identische Verhältnisse vorliegen, wie diejenige, welche Bezold bei seinen Unter- suchungsreihen für andere acute Infectionskrankheiten gefunden hat.

Wie bei einer Infectionskrankheit das Gift an verschiedenen Orten zugleich seine Wirkung entfalten kann, so wäre die entzündliche Affec- tion des Mittelohres bei Diphtheritis als eine zu der Erkrankung im Respirationstractus parallele Erscheinung zu betrachten.

Insofern wäre die Mittelohrerkrankung auf den gleichen. Fuss zu stellen, mit Affectionen von anderen Organen, welche in keinem direkten Zusammenhang mit dem Rachen stehen, aber doch bei Diphtherie der obern Luftwege sich häufig erkrankt finden, so die Nieren, Milz, Ge- hirnhäute, Darmschleimhaut, seröse Höhlen.

Vergleichen wir nun zum Schlusse die bei Diphtherie :gefundenen Veränderungen im Mittelohr mit denjenigen, wie sie bei anderen In-

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 343

fectionskrankheiten an der Leiche constatirt wurden, so ergeben sich folgende bemerkenswerte Punkte.

Im Gegensatz zu der Ansicht .der Autoren scheint der als Com- plication der Diphtherie des Respirationstractus auftretende Mittelohr- process meistens leicht und durchaus nicht stürmisch zu verlaufen, eher einen torpiden Charakter zu besitzen, wie dies auch Bezold bei den Erkrankungen des Mittelohres nach Masern gefunden hat.

Es ergiebt sich aus seinen Sectionsprotokollen, welche von Rudolf?!) eingehend studirt wurden, dass die Morbillenotitis auf der Höhe der. Allgemeinerkrankung nur ausnahmsweise zu einem spontanen Durchbruch des Trommelfells führt; in zwei Fällen (12,5 °/,) wurde allerdings auf dem Sectionstisch eine Perforatio tympani constatirt: im ersten dieser Fälle aber war der Befund aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine schon vor den Masern bestehende chronische Mittelohrentzündung zurückzu- führen; im zweiten Fall, wo eine längsovale Perforation bestand, war eine Paracentese vorausgegangen. Im Grossen und Ganzen aber war der Process im Mittelohr bei jenen Fällen nach Masern schwererer Art als bei unseren Diphtherie- felsenbeinen. Die Paukenhöhle wurde nämlich wie aus der Arbeit Rudolf’s2!) zu ersehen ist ein Mal (6,25 °/,) normal gefunden (es ist vielleicht nicht ohne Interesse, zu erfahren, dass in diesem Falle die klinische Diagnose auf MorbilliÄ, die anatomische Diagnose und wahrscheinliche Todesursache dagegen auf Diphtheritis lautete); Otitis media catarrhalis bestand auch nur in einem Fall (6,25 °/,); der Bericht lautet für Paukenhöhle, Antrum und Zellen: »Nur in der Nische des runden Fensters etwas Secret, sonst Schleim- haut etwas feuchter, lebhaft roth injieirt, nur sehr wenig geschwellt; einzelne Gefässe deutlich hervorstehend«; in allen übrigen Felsenbeinen enthielt die Paukenhöhle eitriges Secret; es bestand somit in 87,5 °/, aller Fälle eine Otitis media purulenta.

Bei Typhus und besonders bei Scarlatina ist der Befund meist schwerer Natur. Aus den 6 Sectionsberichten, betreffend Erkrankungen des Gehörorganes bei Ileotyphus, welche von Bezold °?) publizirt wurden, sehen wir, dass ein Mal eine Otitis media catarrhalis acuta, in allen den übrigen Fällen dagegen eine eitrige Mittelohrerkrankung vorhanden war, die jedesmal mit Trommelfellperforation einherging. Ich möchte aber gleich bemerken, dass es sich hier um besonders schwere Fälle handelte, die zu Lebenszeit Erscheinungen seitens des Gehörorganes gezeigt hatten. Der gleiche Autor hat dann als weiteren Beitrag zu

344 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss des pathologisch-anatomisch.

der Frage der Erkrankungen des Gehörorganes bei Ileotyphus kurze Notizen veröffentlicht, die er sich bei einer Reihe von Schläfenbein- sectionen Typhuskranker gemacht hatte, welche während des Lebens keine auffälligen Krankheitssymptome von Seiten des Ohres geboten hatten. Wenn wir diese letzteren Notizen vergleichen mit den in unserer Arbeit publieirten Sectionsprotokollen, so fällt vor allem uns auf, dass kaum in der Hälfte der Typhusfelsenbeine sich die Schleimhaut des knöchernen Mittelohres verändert fand und nur in etwa !/, der Fälle eine Eiterung vorhanden war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist also die Diphtherieotitis eine schwerere Complication als die Mittelohrent- zündung bei Typhus.

Einen Gegensatz dazu bildet die Scharlachotitis, deren Ge- fährlichkeit allgemein anerkannt ist, und deren destruirende Wirkung namentlich deutlich hervorgeht aus einer Arbeit von Burckhardt- Merian!®). Dieser Autor verfügt nämlich über ein Material von 85 Be- obachtungen von Ohrenerkrankungen nach Scarlatina.. Davon wollen wir aber nur jene 16 Fälle mit 30 Gehörorganen zum Vergleich herbei- ziehen, welche auf der Höhe der Erkrankung untersucht wurden (die anderen Fälle gelangten erst zur Untersuchung, nachdem die Ohren- affection länger wie !/, Jahr bestanden hatte.)

Von diesen so afficirten (rehörorganen zeigten: Gehörorgane Procente

Acute Mittelohrentzündung ohne Perforation . 1 ` 36,66 e ep mit Perforation . 12 40,00 j m; Zerstörung des Trommelfells 7 23,34

Wir glauben nun mit unserer Abhandlung nicht nur einen weiteren Beitrag zur Kenntniss des Befundes des Mittelohres bei Diphtherie, sondern auch eine Bestätigung einer Thatsache geliefert zu haben, welche noch viel zu wenig gewürdigt wird, dass nämlich die Mittelohr- Erkrankung in weitaus den meisten Fällen nicht eine genuine Erkrankung darstellt, sondern als Theilerscheinung einer allgemeinen Infection auftritt.

Anhangsweise möchte ich, obgleich es ursprünglich nicht in den Rahmeri meiner Arbeit hineingehörte, noch kurz auf den Befund der Keilbeinhöhlen hinweisen. e

Es wurde nämlich das Felsenbein vom Anatomiediener so heraus- gesägt, dass die Keilbeinhöhlen am Präparat erhalten waren, gerade so,

Befundes im Mittelohr u. d. Keilbeinhöhlen b. d. genuin. Diphtherie. 345

wies dies geschah bei den Influenzaleichen, welche auf Veranlassung von Prof. Siebenmann durch A. Kuchenbecker (Beitrag zur Aetiologie des Empyema Antri Highmori; Monatsschrift für Ohrenheil- kunde 1892) beschrieben wurden.

Bei so jugendlichen Individuen, wie die meisten unserer Fälle sind, waren oft die Keilbeinhöhlen nicht entwickelt. Dieser Befund ist auch in den Sectionsprotokollen von Harke?®) in sehr auffälliger Weise zu constatiren. Unter allen von ihm daraufhin untersuchten Diphtherie- leichen bestand einmal (6,25 °/,) mässig viel schleimig-eitriges Exsudat bei sulzig gequollener Schleimhaut der Keilbeinhöhlen ; ein anderes Mal (6,25 °/,) waren dieselben sehr klein, ohne besonderen Befund; in allen übrigbleibenden Fällen (87,5 °/,) waren die Keilbeinhöhlen noch nicht entwickelt.

Wir selbst verfügen nun über 10 Berichte (40 °/,) mit Beschreibung das Zustandes der Keilbeinhöhlen (VI, VII, IX, XI, XII, XVI, XVIII, XIX, XXI, XXI. Ein Mal (XXI, 4 /,) waren im Sinus sphenoidalis keine wesentlichen Veränderungen zu constatiren, bemerkenswerth ist, dass in diesem Fall der Nasenrachenraum frei von diphtheritischer Er- krankung war; in den übrigen 9 Fällen (36 °/,) nahmen die Keilbein- höhlen am entzündlichen Process theil. Drei Mal (12 °/,) (VII IX, XIX) war der Sinus sphenoidalis einfach catarrhalisch erkrankt mit mässiger Schwellung und Röthung der Mucosa; drei Mal (12 °/,), (VI, XI, XIII) war in den Keilbeinhöhlen Flüssigkeit ohne eitrigen Charakter, zweimal aber mit blutigen Beimengungen (VI und XI) und einmal (XIII) mit einer Croupmembran; drei Mal (12 °/,) endlich (XVI, XVII, XXIIT) war der Inhalt ein eitriger. Bishernoch von keiner Seite beschrieben und daher von besonderem Interesse ist die hämorrhagische Form der Sinuitis, wie sie uns hier relativ häufig entgegentritt (Fall VI, XI, XII).

In den übrigen 15 Protokollen (60 °/,) fehlt jeder Bericht über den Zustand der Keilbeinhöhlen, wahrscheinlich weil dieselben noch nicht entwickelt waren.

Zum Schlusse erlaube ich mir, Herrn Prof. Dr. Siebenmann meinen wärmsten Dank auszusprechen für die Opferwilligkeit, mit welcher er mir bei dieser Arbeit durch Rath und That zur Seite ge- standen ist.

346 E. Lommel: Beiträge zur Kenntniss der genuinen Diphtherie.

10.

11. 12.

13. 14. 15.

16. 17.

18.

19. . Harke. Beiträge zur Pathologie und Therapie der oberen Athmungswege

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H. Eulenstein: Ein geheilter Fall von otitischer Pyämie. 347

XVII.

Mittheilung eines durch Excision der throm- bosirten Vena jugularis interna geheilten Falles

von otitischer Pyämie. Von Dr. H. Eulenstein, Frankfurt a. M.

Nach der Zusammenstellung von Körner, die er in der II. Auf- ‚lage seines Buches S. 78 giebt, ist in 41 von 79 Fällen operirter Sinus- krankheiten die Jugularis interna unterbunden worden; unter diesen 41 Fällen finden sich 4, in welchen wegen Fortsetzung der Erkrankung auf die Jugularis interna grössere Stücke derselben excidirt wurden. Es sind dies die Fälle von Ballance, Parker und Pritchard (Cheatle), welche in der I. "Auflage des genannten Buches referirt sind (S. 63, 69 und 70), sowie ein Fall von Voss, dessen Kranken- geschichte sich in der II. Auflage Seite 73 findet. In dem Falle von Ballance handelte es sich um einen perisinuösen Abscess und eitrige Sinusphlebitis; die Jugularis interna war collabirt, erschien als dünner runder Strang. Da sich beim Durchschneiden der Vene die Schnitt- stelle als thrombosirt erwies, wurde tiefer unten nochmals unterbunden und das zwischenliegende Stück entfernt.

In Parker’s Fall war die Jugularis bis zur Vereinigung mit der Vena facialis thrombosirt, ebenso ein kurzes Stück der letzteren. Der Sinus transversus war mit Jauche gefüllt und enthielt das Ende des Thrombus, welcher die Jugularis verstopfte; die thrombosirte Jugularis wurde nun 1 Zoll weit vom Knochen abgeschnitten und der Rest mit scharfem Löffel ausgekratzt. Das thrombosirte Stück der Jugularis und Facialis wurde excidirt.

Im UI. Falle von Pritchard (Cheatle) wurde der Sinus aus- geräumt und nach beiden Richtungen sondirt, ohne dass sich Blut ent- leerte; die collabirte Jugularis interna wurde doppelt unterbunden. ‚Da Patient weiter fieberte wurde der Sinus weiter aufgedeckt, gespalten ‘und nach hinten ausgeräumt, bis eine starke Blutung eintrat, Tampo- nade; Abtragung der äussern Sinuswand; Wiedereröffnung der Wunde am Halse und Excision des obern Stumpfes der Jugularis.

In dem IV. von Voss operirten Falle handelte es sich um eine an acute Osteomyelitis des Proc. mast. sich anschliessende Pyämie. Es wurde die Jugularis tief unten unterbunden und bis zur Schädelbasis exstirpirt, darauf der Sinus freigelegt und gespalten.

A

348 H. Eulenstein: Ein durch Excision der thrombosirten

Von diesen 4 Fällen, in denen grössere Stücke der erkrankten Jugularis excidirt wurden, sind 2 geheilt, nämlich die von Parker und Pritchard (Cheatle), 2 sind gestorben, nämlich die von Ballance und Voss.

Die 2 geheilten Fälle beweisen, dass selbst bei so ausgedehnten thrombophlebitischen Processen, welche auch die Jugularis mit einbe- greifen, noch Aussicht auf Rettung des Patienten vorhanden ist. Ich kann den 2 geheilten Fällen einen dritten, gleichfalls glücklich ver- laufenen beifügen, der in mancher Beziehung mittheilenswerth erscheint.

Patient F. M., ein grosser, kräftig gebauter Mann von 25 Jahren, der vordem noch keine schwerere Allgemeinerkrankung durchgemacht hatte, consultirte mich zum ersten Male am 12. März d. J. wegen eines linksseitigen eitrigen Ohrenflusses, welcher seit der Kindheit besteht und bald stärker, bald geringer auftritt. Ueber die Entstehungsursache weiss Patient nichts anzugeben. Verschiedene dagegen unternommene Kuren waren ohne Erfolg. In letzter Zeit traten häufig Kopfschmerzen und Eingenommenheit des Kopfes auf, der nicht reichliche, übelriechende Ausfluss war bisweilen röthlich gefärbt. Die Untersuchung des linken Ohres ergab Folgendes: Das äussere Ohr, sowie seine Umgebung, insbesondere der Warzentheil weisen keine sichtbaren Veränderungen auf; Druckschmerzhaftigkeit mässigen Grades ist nur zwischen Spitze des Proc. mast. und dem Kieferwinkel vorhanden. Im Gehörgang nur spärliche, sehr übel riechende, röthlich gefärbte Absonderung; in der Tiefe sind Granulationen sichtbar, dagegen vom Trommelfell und Hammer nichts zu sehen, HO ragen Fetzen weisser Epidermisschollen in das Lumen des Gehörgangs hinein. Die Hörfähigkeit des linken Ohres ist sehr herabgesetzt: Flüsterzahlen werden nur in der Nähe des Ohres gehört; die Knochenleitung ist erhalten. Fieber besteht nicht; der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. Der dem Patienten gemachte Vorschlag der Radicaloperation wurde acceptirt; die Ausführung der- selben aber wegen augenblicklicher, geschäftlicher Unabkömmlichkeit des Patienten noch ein paar Wochen verschoben. Am 13. April er- schien Pat. wieder bei mir mit der Klage, dass wieder heftige Kopf- schmerzen sich eingestellt hätten, er einige Male gefroren habe und sich krank fühle. Die Temperatur stieg am selben Abend nach einem Schüttelfrost auf 41,5. Der Befund im Ohre hatte sich nur insofern geändert, als die Absonderung nahezu vollständig sistirtee Da unter diesen Umständen die Vornahme der Operation dringend war, so wurde die Ueberführung des Pat. in das Schwesternhaus des Bethanien-Vereins veranlasst. Am 14. April war kein Schüttelfrost mehr aufgetreten, die Temperatur betrug 36,5—38,0. Am 15. April Morgens 8 Uhr wurde zur Operation geschritten (Assistenz: Herr Dr. Cuno, Narkose: Herr Dr. Altschul). Nachdem das Operationsfeld in der von Zaufal angegebenen Weise freigelegt war, wurde die hintere knöcherne Gehör-

Vena jugularis interna geheilter Fall von otitischer Pyämie. 349

gangswand abgemeisselt; dabei stiess ich auf ein etwa klein-wallnuss- grosses Cholesteatom, das sich einerseits in das sehr vergrösserte An- trum und nach der Pauke zu erstreckte, andrerseits durch den Sulcus transversus hindurch bis an den Sinus transversus reichte. Hier war ein grosser perisinuöser Abscess, der sich bei der Entfernung des mit einer Umhüllungsmembran versehenen Cholesteatoms entleerte.. Nach- dem ich nun zunächst die Mittelohrräume freigelegt und von Granu- lationen und schmierigen Massen entleert hatte, wobei die Gehör- knöchelchen sich nicht fanden, legte ich den Sinus weiter frei; seine Wand war theils gelblich verfärbt, theils von Granulationen bedeckt, so dass er, besonders in seinem peripheren Verlaufe, sehr schwer von der übrigen gleichfalls mit Granulationen bedeckten Dura mater zu differenciren war, da der Knochen so weit entfernt wurde als die Dura sich krank zeigte, so musste die hintere Schädelgrube in der Aus- dehnung von mehreren Centimetern aufgedeckt werden. Ich verfolgte nun weiterhin den Sinus centralwärts weit herab bis in die Nähe des Foramen jugulare; dabei riss die Wand des Sinus ein und es quoll sofort aus der Rissstelle Eiter in reichlicher Menge hervor; es war sonach der Thrombus im Sinus schon z. Th. eitrig eingeschmolzen. Nachdem die Sinuswand der Länge nach gespalten war, wurde vor- sichtig central- und peripherwärts sondirt, ohne dass eine Blutung er- folgte, oder sich ein solider Thrombus fühlbar machte; mit dem vor- sichtig eingeführten kleinen scharfen Löffel werden nur einige wenige, weiche, weisslich gefärbte Thrombentheilchen zu Tage gefördert. Es handelte sich nun um die Entscheidung der Frage, ob die Jugularis gleich mit unterbunden werden sollte oder nicht. Da in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, und in Anbetracht der langen Dauer der Operation (1!/, Stunden), die Patient durchgemacht und bei der er sehr viel Blut verloren hatte, entschied ich mich dafür, zunächst den Erfolg der Operation abzuwarten, und die Jugularisunter- bindung eventuell nachträglich vorzunehmen. Die grosse Knochenwünd- höhle, sowie der Sinus wurden mit Jodoformgaze ausgestopft und der übliche Verband angelegt. Am Abend war die Temperatur 38,5, das Allgemeinbefinden zufriedenstellend.

Am 16. April Temperatur 38,6 40,4. Mittags war ein leichter Frost aufgetreten.

17. April Temperatur 40,1—39,4. Morgens 9 Uhr und Abends 6 Uhr Frösteln. Es hat sich Husten und blutig gefärbter Auswurf eingestellt; auf der Lunge ist percutorisch und auscultatorisch nichts nachweisbar. Milz ist nicht vergrössert. Unterhalb des l. Kieferwinkels "besteht noch eine mässige Druckschmerzhaftigkeit, jedoch nicht in höherem Maasse, als eine solche nach derartigen Operationen, bei denen der Ansatz des Sternocleido-mastoideus z. Th. abgelöst wird, gewöhnlich beobachtet wird. Am Hals ist keine Schwellung vorhanden, in der Tiefe kein Strang zu fühlen.

18. April. In der Nacht um 2 Uhr Schüttelfrost von 25 Minuten Dauer. Die Temperatur war danach 39,6. Am Morgen 36,7. Abends

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX, 23

350 H. Eulenstein: Ein durch Exeision der thrombosirten

38,5. Der blutige Auswurf besteht fort bei negativem Lungenbefund; es hat sich ein leichter Icterus entwickelt. Milzschwellung auch jetzt noch nicht nachweisbar. Ich schritt nun zum letzten Rettungsversuch des Patienten und unterband die Jugularis interna. Dieselbe wurde ungefähr in der Höhe des obern Schildknorpelrandes freigelegt; sie er- schien nicht blau, sondern mehr weisslich gefärbt; bei vorsichtigem Anfühlen erwies sie sich weich; weder Verwachsungen mit der Gefäss- scheide, noch sonstige periphlebitische Processe waren vorhanden.

Ich unterband nun doppelt und durchschnitt zwischen den Ligaturen; da quoll zu meiner grössten Ueberraschung an den Schnittenden weiche, schmierige, gelblich gefärbte Thrombusmasse heraus. Ich ging nun weiter nach abwärts; dort wiederholte sich derselbe Vorgang. Nun blieb nichts übrig, als den Hautschnitt bis in die Nähe der Clavicula zu verlängern, den Sternocleido-mastoideus mit stumpfen Haken bei Seite ziehen zu lassen und die Jugularis so tief hinab, als sie erreichbar war, vorsichtig, stumpf frei zu präpariren. Ich legte dann so tief, als ich immer nach abwärts gehen konnte, nochmals eine doppelte Ligatur an und es zeigten sich bei der Durchschneidung wohl eine paar Tropfen Blut, jedoch enthielt der ligirte Stumpf der Jugularis noch Thrombus- masse, die aber mehr röthlich gefärbt war. Das ganze Stück der Jugularis von der Höhe des obern Schildknorpelrandes bis nahe an die Einmündungsstelle in die Vena’ anonyma wurde- darauf excidirt. Die Halswunde wurde nur ganz oben mit 2 Nähten geschlossen, im übrigen offen gelassen und drainirt; darüber Verband mit sterilisirter Gaze und Watte. Die Narkose hatte Herr Dr. Altschul, die Assistenz die Herren DDr. von Wild und Benario. Letzterer hatte die Güte, von der Thrombusmasse Culturen zu entnehmen und fand vorwiegend Streptococcen.

‘19. April. Temperatur 37,5—39,4. Sputa noch blutig bei nega- tivem Lungenbefund; Pat. hat keine besonderen Klagen. Um 4!/, Mittags trat leichtes Frösteln auf, danach Temperatur 40,1. .

Am 20. April wurde der Verband gewechselt Temperatur 38,5 bis 40,3. Wunden in Ordnung. Allgemeinbefinden zufriedenstellend.

21. April. Temperatur 39.9—37,0. Vermehrter Husten. Respi- ration 24. Puls 112. Dämpfung entsprechend dem R Mittellappen; hier ist crepitirendes Rasseln zu hören; Sputum blutig gefärbt. Linke Wange etwas angeschwollen, druckschmerzhaft.e. Nachts zwei leichte Schüttelfröste von 10 Min. Dauer, danach Temperatur 40,3.

22. April. Temperatur 38,7—39,5. Nachts wieder zwei Schüttel- fröste von ca. 30 Minuten Dauer. Icterus besteht weiter. Milz ge- schwollen.

23. April. Temperatur 36,6 —38,4. Vormittags 11 Uhr Schüttel- frost, danach 40,3. Kein Blut mehr im Auswurf, Husten hat abge- nommen. Respiration: 16. R. Mittellappen schallt noch gedämpft. Milz ‚sehr deutlich geschwollen. Der Urin enthält etwas Eiweiss. Die Schwellung

Vena jugularis interna geheilter Fall von otitischer Pyämie. 351

und Schmerzhaftigkeit der linken Wange hat zugenommen; das linke untere Augenlid ist ödematös.. Keine Fluctuation. |

24. April. Temperatur 36,3—38,8. Gegen Morgen ist ein Abscess der linken Wange in die Mundhöhle durchgebrochen, es entleert sich höchst übelriechender Eiter. Erweiterung der Durchbruchsstelle mit dem Messer, weitere Entleerung von fötidem Eiter. Rechter Mittel- lappen schallt gedämpft tympanitisch. Auscultatorisch nichts mehr. Linkes unteres Augenlid stark ödematös. Allgemeinbefinden gut. Verbandwechsel. (Von jetzt ab werden die Verbandwechsel nicht mehr angeführt werden.)

25. April. Temperatur 38,4—38,9. Schwellung und Schmerzhaftig- keit des linken untern Augenlids nimmt zu. Die Milz reicht nicht mehr bis zum Rippenrand.

26. April. Incision des linken unteren Augenlides, es entleert sich eine grosse Menge stinkenden Eiters, die Sonde dringt von der Wunde aus unter dem Bulbus tief in die Orbita ein. Drainage. Verband.

28. April. In der immer noch geschwollenen Wange zeigt sich in den untern Partieen Fluctuation Incision Eiterentleerung Drainage.

1. Mai. Temperatur 36,0—38,1 Icterus besteht in geringem Maasse noch fort, Milz noch vergrössert. Lungen gut.

2. Mai. Temp. 37,2—38,9. Urin eiweissfrei. Linke Wange in den oberen Partien mehr geschwollen und schmerzhaft. Allgemein- befinden zufriedenstellend.

3. Mai. Incision eines neuen Abscesses der linken Wange in den obern Partien, der nicht mit dem am 28. April incidirten com- municirt.

5. Mai. Icterus verschwunden. In der Zwischenzeit nur geringe Temperaturerhöhungen. |

6. Mai. Nachmittags 2'/, Uhr Schüttelfrost von 30 Minuten, danach 40,1. |

=- 7. Mai. Vormittags 9!/, Uhr Schüttelfrost von 20 Min. Temp. 41,3. Nachmittags 4!/, und Nachts 11!/, Uhr Schüttelfröste bis zu 40 Min. Temp. 41,3. Am linken Kieferwinkel stärkere Schwellung.

8. Mai. Mittags 12 Uhr Schüttelfrost von 30 Min. Temp. 40,1. Nachts 2 Uhr Schüttelfrost von 40 Min. Temp. 40,4. Milz wieder handgross, bei der Palpation sehr schmerzhaft. Die Schwellung und Schmerzhaftigkeit am Kieferwinkel hat zugenommen.

9. Mai. Incision und Eiterentleerung am linken Kieferwinkel. Drainage. |

11. Mai. Temp. 37,9—39,8. Es hat sich wieder Husten einge- stellt. L HU Dämpfung etwa handbreit; auscultatorisch nichts. | 12. Mai. Vermehrter, quälender Husten und eitriger, fötider Auswurf. Temp. 38,8. | 13.— 21. Mai. Temp. hält sich zwischen 36,8 und 35,4. Die Dämpfung L HU und der übelriechende, eitrige Auswurf bestehen fort. Inhalationen von Terpentindämpfen.

23*

352 H Eulenstein: Ein durch Execision der thrombosirten

Vom 22. Mai an ist Pat. fieberfrei; der Auswurf vermindert sich, ist aber noch fötid; die Dämpfung LHU besteht fort, die Milz ist noch geschwollen, jedoch bei der Palpation nicht mehr schmerzhaft. Die Wundheilung geht obne Störung von statten.

Vom 26. Mai an bringt Pat. täglich einige Stunden auf dem Lehnstuhl zu; subjectives Wohlbefinden.

Am 5. Juni tritt plötzlich bei einer Temperatur von 38,1—39,2 starke Schmerzhaftigkeit LH U und in der linken Seite auf. Athem- geräusch und Pectoralfremitus LH U aufgehoben; Milz wieder sehr viel mehr geschwollen, überragt weit den Rippenrand und ist schon bei leisester Palpation excessiv schmerzhaft. Husten und Auswurf mässig; Sputum noch eitrig. aber nicht mehr übelriechend. Halswunde ist geschlossen. Wunde hinter dem Ohr in dem untern Theil noch offen gehalten.

Am 10. Juni nochmals 39,2, von da ab wieder fieberfrei. Die Schmerzen in der Milzgegend lassen nach, Milz schwillt ab. Auswurf und Husten verschwinden. Die Dämpfungsgrenze geht zurück und die Dämpfung ist am 17. Juni verschwunden. |

Am 21. Juni durch Angina lacunaris hervorgerufenes 2tägiges Fieber, danach keine Temperaturerhöhung mehr. Pat. verliess das Schwesternhaus am 25. Juni. Die Nachbehandlung der freigelegten Mittelohrräume war natürlich durch die schwere Allgemeinerkrankung und die Unmöglichkeit die Granulationen genügend oft zu ätzen und so in Schranken zu halten, sehr erschwert, jedoch ist auch das Resultat bezüglich des Ohres ein durchaus gutes zu nennen. Aus den ange- führten Gründen konnte sich eine Scheidewand in der grossen, Operations- rinne, Antrum und Mittelohr umfassenden Höhle ausbilden, welche die letztere in 2 Theile theilt, da aber dieselbe nach oben eine genügend grosse Öefinung aufweist, so dürfte der Schaden nicht gross sein. Im Uebrigen ist die Höhle gut epidermisirt und nun seit Anfang August vollständig trocken. Auf eine persistente Oeffnung hinter dem Ohr habe ich ver- zichtet, schon aus dem Grunde, weil ein Stück der medialen Wund- höhlenwand durch den Inhalt der hintern Schädelgrube gebildet wurde, der füglich durch die feste Hautnarbe besser geschützt ist, als wenn er frei zu Tage liegt. Patient ist seit dem 1. August wieder vollständig arbeitsfähig und im Geschäfte thätig. Das Hörvermögen ist nach der Heilung dasselbe, wie vor der Operation.

Zu erwähnen ist noch, dass sich der Hammer Mitte Juli zwischen den aufschiessenden Granulationen weit entfernt von seinem Platze vorfand.

Der Fall ist nach verschiedenen Seiten hin interessant. Auffallend ist zunächst das Fehlen aller Erscheinungen am Halse, die auf eine so tiefgreifende Erkrankung der Vena jugularis hinweisen.

Auf dieses Vorkommniss macht auch Crockett aufmerksam (referirt A. f. O. Bd. 40, S. 32).

Vena jugularis interna geheilter Fall von otitischer Pyämie. 353

Wir können also bei fehlenden äussern Erscheinungen am Halse nicht ohne weiteres auf ein Intactsein der Jugularis interna schliessen, denn sie kann, wie der vorliegende Fall zeigt, in ihrer ganzen Aus- dehnung thrombosirt sein, ohne äussere charakteristische Anzeichen dafür hervorzurufen. Die verschiedenen Abscesse der linken Gesichts- hälfte müssen wohl als ein Ausdruck einer rückläufigen Thrombophlebitis der Vena facialis angesprochen werden. In dem Eingangs erwähnten Falle von Parker war auch ein kurzes Stück der Vena facialis throm- bosirt und wurde deshalb gleichzeitig mit dem thrombosirten Stück der Jugularis entfernt. Jansen macht in seinen »Erfahrungen über Hirn- sinusthrombosen nach Mittelohreiterung, Volkmann's Sammlung klin. Vortr. Nr. 130«, den Vorschlag, nach Ausräuniung des Sinus, wenn hohes Fieber andauert oder Schüttelfröste eintreten, oder Eiter aus dem Bulbus hervorgquillt, die Jugularis zu unterbinden, bis an die Schädel- basis zu schlitzen und die Vena facialis mit zu unterbinden.

Ich halte diesen Vorschlag nach der Erfahrung, welche ich in meinem Falle gemacht habe, für durchaus gerechtfertigt, besonders für den Fall, dass der Thrombus sich in die Jugularis hinein bis jenseits der Einmündungsstelle der Vena facialis erstreckt; je nach dem Befund an dieser Stelle wird man dann entweder unterbinden, oder ein eventuell thrombosirtes Stück der Vena facialis mit excidiren. Der sehr nahe liegenden Gefahr einer Fortsetzung der Phlebitis auf den Sinus petrosus inferior ist der Patient glücklich entgangen.

Was nun die Frage des Zeitpunktes der Unterbindung der Jugu- laris im vorliegenden Falle betrifft, so muss ich jetzt, wo ich den ganzen Verlauf übersehe, gestehen, dass es richtiger gewesen wäre, wenn ich bei dem geschilderten Befunde am Sinus transversus die Unter- bindung der Jugularis sofort angeschlossen hätte; es lässt sich ja frei- lich nicht mit Bestimmtheit sagen, dass ich zur Zeit der ersten Operation wesentlich günstigere Verhältnisse getroffen hätte, da ja eben die Zeichen einer Jugulariserkrankung vor, wie nach fehlten, ich würde aber in einem zweiten, gleichliegenden Falle es doch für gerathener halten, die Unterbindung der Jugularis gleichzeitig mit der ersten Operation vorzunehmen. Fine der Schläfenbein- resp. Sinusoperation vorausgehende Unterbindung der Jugularis, wie sie Körner für Fälle von Phlebitis des obern Bulbus der Jugularis, oder von Thrombo- phlebitis der Jugularis fordert, konnte in meinem Falle nicht in Frage kommen, da eben die Jugulariserkrankung vorher überhaupt nicht diagnosticirt werden konnte und eine Phlebitis des Bulbus erst nach

354 H. Eulenstein: Ein geheilter Fall von otitischer Pyämie.

Entleerung des Sinusinhaltes wahrscheinlich wurde. Jedenfalls muss ich jetzt nach meiner Erfahrung Körner beistimmen, wenn er die Unterbindung der Jugularis vor jedem weitern Eingriff am Sinus dann für nöthig erachtet, wenn man im Sinus in der Richtung nach dem Herzen zu auf einen soliden Verschluss nicht stösst und werde in einem gleich gelagerten Falle künftig nicht erst den Effect der ersten Operation abwarten.

Es ist ausser Frage, dass die nach der Jugularisunterbindung auf- getretenen Fröste weitere Verschleppungen anzeigten, welche aus dem untersten, wohl nur kleinem, mit unterbundenem Thrombusende stammten. Körner erwähnt in der II. Auflage seines Buches Seite 84 einen Fall von Clutton, in welchem gleichfalls das dünne Ende eines Thrombus mit unterbunden wurde. Dass die Verschleppungen von den secundären Herden in der linken Wange und dem linken Augenlide stammten, ist auszuschliessen, da diese als Ausdruck einer rückläufigen Thrombo- phlebitis aufzufassen sind und das Gebiet der Vena facialis nach dem Herzen zu abgeschlossen war; so war also ein anderer Herd für Ver- schleppungen als das unterbundene Thrombusende überhaupt nicht vor- handen,

Während der Infarct des rechten Mittellappens offenbar dorch ooch nicht inficirte Thrombentheilchen hervorgerufen war, ist der später sich entwickelnde Lungenabscess sicher durch infectiöse Thromben ent- standen, wie der Auswurf von fötidem Eiter beweist; es ist dabei aus- drücklich zu erwälınen, dass zur Zeit, als der fötide Auswurf mit den Erscheinungen im linken Unterlappen auftrat, eine Eiterentleerung aus dem ersten Wangenabscess nach der Mundhöhle zu längst nicht mehr stattfand, so dass eine Verwechslung hiermit sicher ausgeschlossen ist. Obgleich die Prognose durch das Auftreten der Lungen- und Pleura- complication ungemein sich verschlechtert hatte, so hat Pat. doch auch diese grosse Gefahr, die ihm von der Entwicklung eines Pyo-Pneumo- thorax drohte, glücklich überstanden, indem der für ihn günstigste Fall einer Entleerung des Eiters durch die Bronchien eintrat; das gleichzeitig vorhandene pleuritische Exsudat ist demnach nur als Aus- druck einer begleitenden entzündlichen Reizung anzusehen, und muss dasselbe als seröses Exsudat aufgefasst werden, da es mit dem Nachlass der Lungenerscheinungen vollständig zur Aufsaugung gelangte. Die am 5. Juni unter stürmischen Erscheinungen auftretende acute hochgradige Milzschwellung dürfte wohl am ungezwungensten ihre Erklärung in der Annahme eines Milzinfarctes finden; der Embolus muss jedoch, keine

Cohen-Kysper: Neues Verfahren z. Behandl. d. Schwerhörigkeit. 355

oder nur wenige Eitererreger beherbergt haben, da ein Milzabscess nicht aufgetreten ist.

Nach dem ganzen Verlaufe ist es klar, dass die [Unterbindung, resp. die Excision der thrombosirten Jugularis zwar nicht unmittelbar die Lebensgefahr für den Patienten beseitigen konnte, da es eben nach Lagerung der Dinge nicht möglich war, jede weitere Verschleppung infectiöser Massen vollständig auszuschliessen, wohl aber verhütete de selbe, dass immer neue Infectionsträger aus der Peripherie nachrücken und in die Blutbahn gelangen konnten; so wurde eben durch die Operation nur die Menge der in die Blutbahn gelangenden Infections- träger auf das geringste in diesem Falle mögliche Maass beschränkt und damit die Möglichkeit geschaffen, dass Patient mit den aufge- nommenen septischen Massen fertig werden konnte.

XVIII.

Ueber ein neues Verfahren zur Behandlung der Schwerhörigkeit beim chronischen Catarrh und

nach Eiterungen der Paukenhöhle. Nach einem Vortrag, gehalten am 16. Juni 1896 im ärztl. Verein zu Hamburg. Von Dr. Cohen-Kysper, Hamburg.

Die krankhaften Veränderungen, welche beim chronischen Catarrh der Paukenhöhle zu dauernder Schwerhörigkeit führen können, bestehen bekanntlich häufig in einer Hyperplasie der Schleimhaut, bedingt durch Epithelwucherung und Bindegewebseinlagerung, durch welche die Func- tionsfähigkeit der Gehörknöchelchen beeinträchtigt wird. Analog den Catarrhen anderer Schleimhäute kann sich hieran, wesentlich durch weitere Bindegewebsvermehrung, ein degeneratives Stadium anschliessen, welches zu Schrumpfung, Verhärtung und Verdichtung der Schleimhaut führt. Ein häufiger Befund ist bekanntlich auch die Bildung von binde- gewebigen Strängen und Membranen, welche durch Verlöthung der hyperplastischen Schleimhaut zwischen den enggedrängten Theilen im Mittelohre entstehen. Diese Form des chronischen Catarrhes, bekannt- lich eine der häufigsten Ursachen unheilbarer Scnwerhörigkeit, wird als hypertrophischer, trockener Catarrh, Otitis media adhäsiva, häufig auch als Sclerose bezeichnet. Auch als Ausgang und Heilung von chronischen Eiterungen handelt es sich neben anderen Ursachen der Schwerhörigkeit

356 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

bekanntlich wesentlich um Bildung von Narbengewebe, narbigen Fixa- tionen, Verwachsungen, Schwielenbildung und dergl.

Ich habe nun den Versuch gemacht, diese meistens irreparablen Processe dadurch anzugreifen, dass ich Lösungen von Eiweiss lösen- den Fermenten in das Mittelohr brachte, zu dem Zwecke, die hyper- plastischen Substrate und bindegewebigen Degenerationsproducte einem Verdauungsprocess zu unterziehen, sie nach Möglichkeit aufzulösen oder zu verkleinern und dadurch die Schallleitung wieder gangbarer zu machen.

Dass Organgewebe in vivo überhaupt verdaut werden kann, ist hinreichend bekannt. Ich erinnere nur an die Versuche, dass Kaninchen- ohren und Froschschenkel, in Magenfisteln von Hunden gebracht, voll- ständig aufgelöst wurden. Was speciell die einzelnen Gewebsformen betrifft, welche hier in Frage kommen, so ist es erwiesen, dass ebenso die verschiedenen Epithelformen, wie Bindegewebe und elastisches Ge- webe von verdauenden Lösungen, insbesondere von Pepsinlösung, aufge- löst werden,

Für derartige Versuche schienen nun a priori die Bedingungen im Mittelohr besonders günstig zu liegen. Zunächst ist es ein grossentheils starrwandiger Hohlraum, in welchen die Flüssigkeit gelangt, und in welchem sie längere Zeit einwirken kann. Wenn es nun gelingen konnte, auch nur eine oberflächliche Wirkung zu erzielen und kleinste Gewebs- . partien zur Auflösung zu bringen, so konnte man sich denken, dass dies bei den speciellen Verhältnissen des Schallleitungsapparates doch schon für die Besserung der Schallleitung von Bedeutung sein musste. Ferner waren die mangelhaften Circulations- und Ernährungsverhältnisse in Be- tracht zu ziehen, welche bei den fraglichen Krankheitsprocessen bestehen und für die Auflösung prädisponiren, wenigstens bei Anwendung von Pepsinlösung. Die Theorie des runden Magengeschwürs nimmt bekannt- lich ähnliche Verhältnisse an, Störungen der Circulation in einzelnen Gefässbezirken, welche Selbstverdauung verursachen, während die normale Schleimhaut durch die Alkalescenz des Blutes geschützt wird. Speciell die verschiedenen bindegewebigen und narbigen Neubildungen und De- generationsproducte mussten bei ihrer relativ geringen Säftecirculation besonders günstige Angriffsobjecte sein.

Endlich handelt es sich um diffuse Processe, bei se eine diffuse Einwirkung, d. h. auch auf functionell irrelevante Partien, nicht von Belang sein konnte, umsoweniger, als tiefere Zerstörungen ausser aus andern Gründen, die sich später ergeben, schon dadurch ausge-

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle. 357

schlossen sind, dass nur ein sehr kleines und daher schnell gesättigtes Injectionsquantum in Frage kommen kann.

Ich . habe diese Versuche seit nahezu 4 Jahren nach allen Rich- tungen und an der Hand eines grossen Materials durchgeführt. Es waren dabei zunächst eine ganze Reihe von Schwierigkeiten zu über- winden, sowohl nach der klinischen Seite des Verfahrens wie haupt- sächlich in Bezug auf Auswahl und Zubereitung einer durchaus ge- eigneten Fermentlösung, da ja unsere Kenntnisse über diese Körper in vieler Beziehung noch mangelhaft sind und für den vorliegenden Zweck eine Reihe schwieriger theoretischer Untersuchungen derselben nöthig waren.

Ich habe verschiedene Fermente durchprobirt, beispielsweise 1 Jahr lang mit dem bekannten Pflanzenferment Papayotin gearbeitet. Eine definitive und nach jeder Richtung befriedigende Injectionslösung ergab sich schliesslich aus einer Arbeit von Klug in Budapest: „Unter- suchungen über Pepsinverdauung“, welche im Januar vorigen Jahres er- schien.!) Klug hat eine neue, ebenso einfache wie exacte Methode ersonnen, auf photometrischem Wege die Energie der Verdauungsfermente zu messen, mit welcher er insbesondere über Concentration des Pepsins und der Salzsäure und über den Unterschied des Pepsins von verschie- denen Thieren exacte Bestimmungen machen konnte. Er fand dabei, dass der Magensaft des Hundes, des Fleischfressers, den des pflanzen- fressenden Rindes und omnivoren Schweines in jeder Beziehung weit übertrifft, sowohl an Schnelligkeit, wie an Intensität der Verdauung. Das Hundepepsin verdaut so energisch, dass sich schon nach 20—40 Min. fertige Peptone in der Lösung nachweisen lassen, was bei den beiden anderen Pepsinen erst am Ende der 4. Stunde der Fall ist. Diese erstaunliche Schnelligkeit der Wirkung zeigte sich auch bei der klinischen Anwendung. In gewissen Fällen von abgelaufener Eiterung, in welcher die Lösung nur auf Narbengewebe kommt, gaben die Patienten häufig schon nach 10 Minuten an, dass sich ihr Gehör aufhelle und sie das Gefühl hätten, als ob sich ein Schleier vom Ohr wegzöge und objectiv konnte man dann ebenfalls die Zunahme der Hörweite constatiren.

In Bezug auf die Concentration des Pepsins fand Klug, dass ent- gegengesetzt der bisherigen Anschauung das Optimum der Wirkung bei einem sehr geringen Procentsatz liegt, und zwar für das Hundepepsin bei einem Gehalt von 1:10000, in welcher Verdünnung ich dasselbe

1) Pflüger’s Arch. f. Phys. 1895, Bd. 60.

358 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

auch anwende. Ueber die Zubereitung desselben zu einer geeigneten Injectionslösung ist alles Nähere aus der Arbeit Klug’s zu entnehmen; ich bemerke nur, dass eine chemisch reine Lösung zur Anwendung kommt, welche vorher noch ein Bacterienfilter passirt. Der Salzsäure- gehalt kann natürlich nicht, wie Klug als Optimum für die Ver- dauung gefunden hat, 0,6 °/, betragen. Empirisch kam ich zu einer Concentration von 0,15 °/..

Ueber den Modus der Injection musste ich für den vorliegenden Zweck erst genauere Untersuchungen an der Leiche vornehmen. Der stets unsichere Weg per tubam war hier von vornherein ausgeschlossen, da es hier nicht bloss darauf ankam, dass die Lösung überhaupt nur in das Ohr gelangt, wie bei anderen Medicamenten, welche etwa injicirt werden, sondern dass ein Minimum von Lösung in möglichst exacter und sicherer Weise an die Gelenke der Gehörknöchelchen gebracht wird. Ich habe Versuche nach dieser Richtung an einem Material von über 150 Leichen angestellt, welches mir durch die Zuvorkommenbheit des Herrn Dr. Simonds zur Verfügung stand und zwar in der Weise, dass ich in die Paukenhöhle flüssige Gelatine einspritzte, dieselbe erstarren liess und dann die Section machte, um die Wirkung des jeweiligen In- jectionsmodus festzustellen. Auf diese Weise ergaben sich alle wünschens- werthen Aufschlüsse über die geeignetste Operationsmethode, das nöthige Quantum Lösung und die richtige Lagerung des Patienten.

Ich glaubte ursprünglich, den Schallleitungsapparat soviel wie möglich unter Flüssigkeit setzen zu müssen, also auch denjenigen Theil, welcher im oberen Paukenhöhlenraum liegt, die Masse des Hammer-Amboskörpers, und hatte auch ein entsprechendes Verfahren gefunden, dessen ich in einer früheren vorläufigen Notiz erwähnt habe.!) Macht man nämlich nur eine einfache Injection durch das Trommelfell mittelst einer gewöhn- lichen Injectionsnadel, so wird die Paukenhöhle selbstverständlich im Wesentlichen nur soweit von Flüssigkeit gefüllt, als sie in der Projection des Trommelfells liegt. Der ganze obere Paukenhöhlenraum bleibt frei, von den Gehörknöchelchen wird nur der Steigbügelcomplex getroffen. Da dies aber derjenige Theil des Schallleitungsapparates ist, welcher physiologisch wie besonders auch pathologisch bei den vorliegenden Krank- heitsprocessen die wichtigste Rolle spielt, so konnte man sich auf diesen allein beschränken, wenn dafür alle complieirteren und schwierigen Ver- fahren in Wegfall kommen konnten gegenüber einem so vollkommen

1) Münchn. med. Wochenschr. 1893, No. 34.

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle.. 359

harmlosen Operationsverfahren, wie es eine einfache Injectisn ist. Die Injection hat dann selbstverständlich in möglichster Nähe des Steigbügels zu erfolgen, also hinter dem Hammergriff im Bereiche dessen oberer Hälfte oder zwischen Trommelfellrand und absteigendem Ambosschenkel, wenn dieser durch das Trommelfell durchschimmert und hier genügend Platz zum Einstiche vorhanden ist.

Ich habe mich an der Leiche zur Genüge davon überzeugt, dass hierbei die Nische des ovalen Fensters mit dem Steigbügel stets und mit Sicherheit von der Injectionslösung erfüllt wird; meistens zeigte sich auch die Verbindung zwischen Steigbügel und Ambos in die Flüssigkeit eingetaucht, welche selbstverständlich stets auch die Nische des runden Fensters bedeckte und häufig die Tensorsehne erreichte. Ist das Trommelfell sehr stark retrahirt und die hintere Falte stark ausgeprägt, so kann man in diese selbst einstechen oder man bedient sich einer vorne abgebogenen In- jectionsnadel. Nicht selten passirt es, dass unter dem Injectionsdrucke die Eustachische Röhre eröffnet und ein Theil der Lösung durch dieselbe durchgepresst wird, auch wenn man langsam und vorsichtig injicirt. In- dessen bleibt nach den Beobachtungen an der Leiche stets ein ge- nügendes Quantum in den Räumen der Steigbügelregion haften, die ja von capillarer Kleinheit sind, auch wenn die Paukenhöhle sonst ganz leer ist. Eine Verstopfung der Tuba durch Bougies ist daher überflüssig. Neuerdings habe ich es übrigens geübt, vor der Einspritzung gleich mit der Injectionsnadel eine Gegenöffnung über der nachfolgenden Injections- öffnung anzulegen, welche sich, wie es scheint, gut bewährt, um die Luft und etwa überschüssige Flüssigkeit auszulassen. Für die Fälle von Adhäsion des Trommelfelles oder Tubenverengung ist dies selbstverständ- lich überflüssig. |

Das Injectionsquantum, welches nach den Untersuchungen an der Leiche genügt, um den Steigbügel zu bedecken, beträgt !/, bis 1 deg. Da ein grösseres Quantum jedoch intensiver zu wirken vermag und den Zweck mit grösserer Sicherheit erreicht, injicire ich 2—3 dcg, je nach der Grösse des Trommelfells, wodurch es stets und mit Sicher- heit gelingt, die Theile in der Paukenhöhle in der erwähnten Weise zu treffen. Grössere Mengen sind unnütz und wegen der Gefahr einer zu starken Reizung zu vermeiden. Die Lösung muss selbstverständlich an- gewärmt werden, wobei daran zu denken ist, dass übermässige Erhitzung das Pepsin zerstört. Die Lagerung des Patienten ist am besten so, wie sie für den Arzt am bequemsten ist: Rückenlage, der Kopf auf einem

360 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

niedrigen Kissen, zur andern Seite gewendet. Nach der Injection bleibt der Patient noch etwa 1 Stunde in dieser Lage.

Die Spritze ist eine Koch sche Injectionsspritze nach den Erforder- nissen der Ohrinstrumente modificirt; die Canüle ist winkelig abgebogen, die Nadel vorne möglichst dünn, der Schliff kurz. Die Einschaltung eines Stückes Gummischlauch zwischen Ballon und Glascylinder ist un- erlässlich, um eine ruhige und sichere Handhabung zu ermöglichen. Der Ballon muss von einem Assistenten comprimirt werden, welcher auch das Ausfliessen der Flüssigkeit zu überwachen hat, damit nicht durch den nachfolgenden Luftstrom die Flüssigkeit wieder aus der Paukenhöhle herausgetrieben wird.

Obwohl nur eine einfache Injection, ist das Verfahren doch stets ein subtiler, manchmal ziemlich schwieriger Eingriff. Vor allem ist zu bedenken, dass es auf das exacte Gelingen einer einmaligen Injection ankommt, demnach im Falle des Misslingens eine Wiederholung wegen der Gefahr einer übermässigen Reizung nicht sofort stattfinden darf, meines Erachtens nicht vor Verlauf von einigen Monaten. Die Verwundung darf selbstverständlich nur eine minimale sein, Blutungen sind wegen der Neutralisation des Magensaftes zu vermeiden; daher ist der von der oberen Gehörgangswand auf das Trommelfell herabziehende Cutisstreifen, welcher die gröberen Gefässe führt, zu vermeiden. Schon aus Gründen eines sicheren Operirens und weil das Verfahren häufig sehr schmerzhaft ist, wird daher öfter die Anwendung von Chloroform, wenigstens bei empfindlichen Personen, nöthig.

Sehr viel einfacher ist das Verfahren meistens in Fällen von abgelaufener perforativer Eiterung. Auch hier habe ich mich auf den Steigbügelcomplex beschränkt und das Verfahren im einzelnen Falle dem angepasst. Bei völligem Defect des Trommelfells oder genügend grosser Perforation in der hinteren Hälfte genügt es, einige Tropfen einzuträufeln, soviel eben hinreicht, um die Tiefe zu erfüllen. Darauf kommt ein Wattepfropf in’s Ohr, um den Wärmeabfluss zu verhindern und man lässt den Patienten etwa 1 Stunde liegen. Ebenso verfahre ich bei totaler Adhäsion des Trommelfells, wo ein Einstich und Injection von Elüssigkeit unmöglich ist. Ist die Perforationsöffnung zu klein oder zu ungünstig gelegen, so bedient man sich einer stumpfen Canüle, eventuell mit gebogener Spitze, oder man verfährt auch hier wie bei intactem Trommelfell, indem man hinter dem Hammergriff eingeht.

In derartigen Fällen, bei grösseren Defecten des Trommelfells nach ab- gelaufener Eiterung, kann man nun sehr häufig über die Art und Weise,

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle 361

wie die Pepsinlösung im Ohr wirkt, nähere Aufschlüsse erhalten. Be- sonders eignen sich hierzu jene Fälle, bei welchen die Lösung ausschliess- lich auf Narbengewebe kommt, etwa wenn der Steigbügel in eine narbige Membran eingebettet oder die Schleimhaut vollkommen epidermisirt ist. Hier sind alle möglichen Nebenwirkungen ausgeschlossen, es liegen durchaus reine Bedingungen vor, wie bei einem Verdauungsexperiment im Brutofen.

Zunächst geht aus diesen Fällen unzweideutig hervor, dass wirk- lich eine Verdauung von Narbengewebe stattfindet. Anders dürfte es meines Erachtens kaum zu erklären sein, wenn in derartigen Fällen das Gehör unmittelbar nach Beendigung des Verfahrens etwa auf das 5fache der früheren Hörweite gelangt und vor Allem fortab dabei bleibt. Ferner liess sich hier, da das Verfahren hier stets unter- brochen und beliebig wiederholt werden kann, Näheres über die nöthige ‚Dauer der Einwirkung ermitteln. Es stellte sich heraus, dass die Wir- kung nicht nur sehr rasch eintritt, wie bereits erwähnt, sondern auch sehr schnell erschöpft ist. Bereits nach !/,—1 Stunde ist gewöhnlich .das mögliche Resultat erreicht, welches durch spätere Wiederholung meist nicht übertroffen wird. Es geht daraus hervor, dass das, was an angreifbaren Schallleitungshindernissen überhaupt vorhanden ist, nur ganz minimale Gewebsmassen sein können, wenn auch durch dieselben die ‚Schallleitung ganz bedeutend erschwert sein kann.

Ich habe daher auch in solchen Fällen nach dieser kurzen Zeit der Einwirkung eine beträchtliche Abnahme der vorliegenden Theile, etwa eine Maceration des Kochens, niemals beobachten können. Was man von directer gewebslösender Wirkung beobachten kann, das ist, dass sich die Theile, auf welche die Fermentlösung gelangt, sehr rasch mit einer zarten, weissgrauen, flockigen Membran, ähnlich einem Aetz- schorfe, bedecken und zwar ebenso sehr nach Einträufelung von Pepsin, wie von neutraler Papayotinlösung, also zweifellos eine Folge von An- dauung und Auflockerung oberflächlicher Gewebsschichten. Bisweilen konnte ich es auch beobachten, dass zarte Membranen nach Einwirkung der Lösungen völlig verschwunden waren. Nach der Injection durch ‚das intacte Trommelfell kam es in einigen Fällen vor, dass sich die feine, kaum sichtbare Stichöffnung zu einem kleinen runden Loche er- weiterte.

In den erwähnten Fällen von abgelaufener Fiterung, wo die Wir- kung der Injectionslösung nur Narbengewebe betrifft, sind, wie bemerkt, Nebenwirkungen völlig ausgeschlossen. Hier ist das ganze Verfahren

362 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

mit der Einträufelung erledigt. Anders liegt aber der Fall, wenn die Lösung auf Schleimhaut einwirkt, und zwar auf eine so empfindliche, wie die des Mittelohrs, überdies im Zustande chronischer Entzündung. ‚Hier treten häufig Reactionserscheinungen auf, welche eine be- sondere Besprechung erfordern. Denn da ein Theil der Fälle resul- tatlos bleibt. so muss mindestens die Gefahr einer Schädigung ausge- schlossen sein.

Zwar ist auch beim chronischen Catarrh der Verlauf in über der Hälfte der Fälle vollkommen oder nahezu reactionslos, soweit sich wenigstens aus dem Trommelfellbefund ergiebt und schon hieraus geht hervor, dass die Pepsinlösung, wie sie zur Anwendung kommt, im All- gemeinen keine intensive Reizung involvirt. In solchen Fällen, welche auch die besten Resultate ergeben, ist am Tage nach der Injection ent- weder überhaupt nichts mehr von dem vorgenommenen Eingriff zu sehen oder es besteht noch einige Tage lang eine geringe Injection des Trommel- fells in der Umgebung der Einstichstelle.e. Gewöhnlich am nächsten Tage macht sich die Zunahme des Gehörs und die Besserung eventueller Ohrgeräusche bemerkbar. Dass eine geringe latente Reizung der Schleim- haut auch in diesen Fällen stattfindet, geht daraus hervor, dass die Besserung des Gehörs nicht wie meistens bei abgelaufener Eiterung sofort ihre volle Höhe erreicht, sondern sich allmählich steigert, um gewöhnlich nach einigen Tagen, bisweilen erst nach ein bis zwei Wochen auf einen con- stanten Grad zu gelangen.

In den übrigen Fällen dagegen entwickelt sich das Bild einer stärkeren acuten Reizung, am Trommelfell durch eine mehr oder minder starke Injection angezeigt, deren Spuren gewöhnlich noch nach 1—2 Wochen zu sehen sind. Trotzdem kann der Erfolg ebenfalls schon am Tage nach der Injection bemerkbar sein, besonders subjectiv, um sich dann in den nächsten Tagen mit dem Ablauf der Reactionserscheinungen noch weiter zu entwickeln. Häufig tritt jedoch in diesen Fällen die Besserung erst nach ungefähr einer Woche ein; in einigen seltenen Fällen vergingen darüber sogar 2—3 Wochen, darunter befanden sich auch solche, bei welchen keine reactiven Symptome sichtbar waren. Wichtiger ist, dass sich bisweilen zunächst eine Verschlechterung des Gehörs ergiebt, welche gewöhnlich einige Tage, nur selten über eine Woche an- hält und welche die Prognose in Bezug auf das definitive Resultat keineswegs beeinträchtigt. Aus alle dem geht hervor, dass der Ver- lauf ein durchaus unregelmässiger ist. Irgend welche Normen für diese verschiedenen Varianten liessen sich nicht ermitteln; "in keinem

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle. 363

Falle lässt sich die Wirkungsweise der Injection auch nur einigermaassen vorausbestimmen ; ebensowenig lässt sich das definitive Resultat aus dem klinischen Verlauf vermuthen. Nur s3viel kann man sagen, dass im Allgemeinen die Besserung um so bedeutender sein wird, je früher sie sich anzeigt, und dass die Chancen um so ungünstiger werden, je länger sie ausbleibt. |

Zur richtigen Beurtheilung der Reizwirkung trägt eine be- merkenswerthe Erscheinung bei, auf welche näher einzugehen ist. Sehr häufig kommt es nämlich vor, dass sich schon kurze Zeit nach der In- jection ein seröser Erguss in der Paukenhöhle ausscheidet, welcher sich durch Austritt in den äusseren Gehörgang bemerkbar macht. Nach Pepsininjection ist derselbe stets nur gering, sodass eben nur etwas Flüssigkeit im äusseren Gehörgang nachzuweisen ist, von deren alkalischer Reaction man sich leicht überzeugen kann; nach Injection von Papayotin- lösung dagegen und zwar auch von neutraler, ist diese Ausscheidung viel copiöser, häufig in dem Maasse, dass sich rasch der ganze Gehör- gang anfüllt und die Watte im Ohr vollständig durchtränkt wird. Dies giebt auch eine Erklärung dieser Erscheinung. Das Papayotin besitzt nämlich die besondere Eigenschaft, die Gewebe nicht nur aufzulösen, wie das Pepsin, sondern vorher in sehr energischer Weise zu lockern und zum Zerfall zu bringen. Sehr deutlich zeigt sich dieser Unter- schied, wenn man ein Stück Sehne oder Gelenkband theilweise verdauen lässt und den Rückstand trocknet. Nach Pepsinverdauung erhält man dann eine feste, zusammengebackte Masse, nach Papayotin dagegen ein feines amorphes Pulver. Es ist danach anzunehmen, dass auch im Ohr eine starke Lockerung der oberflächlichen Gewebsschichten stattfindet, in Folge dessen ein Austritt von Gewebsflüssigkeit erfolgt. Es handelt sich also offenbar weniger um ein entzündliches Exsudat, als um eine Transsudation. Es ist zu vermuthen, dass dieser Erguss öfter entsteht als er direct bemerkt werden kann, auch dann, wenn die ausgeschiedene Flüssigkeit in der Paukenhöhle bleibt und kein Ausfliessen durch die Injectionsöffnung erfolgt.

Bei Injection von Pepsinlösung stellt sich nun die Sache so dar, dass diese Ausscheidung, da von alkalischer Reaction, die schwache Salzsäurelösung neutralisirt und damit jede weitere Wirkung, daher auch Reizwirkung der injicirten Pepsinlösung inhibirt. Zugleich geht hieraus hervor, dass nur oberflächliche Gewebspartien aufgelöst werden können. Dieser Erguss verschwindet ebenso rasch wieder, wie er gekommen ist. Fast ausnahmslos erweist sich am Tage nach der Injection die Pauken-

364 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

höhle vollkommen frei von Flüssigkeit. Es ist daher anzunehmen, dass die Einwirkung der Injectionslösung auch eine gesteigerte Resorption bedingt. Obschon also eine Reizung in vielen Fällen erfolgt, so sind doch diese speciellen Verhältnisse zu beachten: die kurze Dauer der Reizwirkung, welche sich im Momente stärkerer Action selbst anullirt, die Anätzung eines grossen Theils der Schleimhaut, die Entziehung von Gewebsflüssigkeit und die Anregung zu gesteigerter Resorption, Alles Momente, welche die Pepsinlösung, falls überhaupt Reactionssymptome auftreten, jedenfalls nicht ohne Weiteres mit den Reizmitteln vergleichen lassen, die man früher bisweilen ad hoc, das heisst um eine Reizung zu erzielen anwandte und propter hoc wieder aufgegeben hat. Ich habe daher auch bei dieser Art des Verfahrens schädliche Nachwirkungen irgend welcher Art niemals beobachtet, wobei ich mir angelegen sein liess, besonders die Fälle, bei welchen: sich stärkere Reactionserschei- nungen zeigten, fortgesetzt im Auge zu behalten. Im Gegentheil ergaben -mir eine Reihe von Beobachtungen, besonders in Bezug auf die Dauer der Erfolge als zweifellos, dass diese Injection, abgesehen von dem nächsten mehr symptomatischen Zwecke, auch den chronischen Catarrh selbst vielfach günstig beeinflusste.

Eine Nachbehandlung ist unnöthig, wenn sich keine reactiven Er- -scheinungen entwickeln; andernfalls können diese durch frühzeitige, vor- sichtige Anwendung des Catheters zu rascherem Ablaufen gebracht werden.

Auch nach abgelaufener Eiterung kommen bisweilen reactive Er- scheinungen vor, wenn die Schleimhaut noch nicht epidermisirt ist. Hier entwickeln sich dann leichte Recidive, eine geringe seröse oder serös-eitrige Exsudation, welche meist nur einige Tage anhält. In keinem Falle dauerte sie über 14 Tage an. Der Erfolg wird hierdurch nicht beeinträchtigt oder verhindert, es liegt also keine voranlassung vor, diese Fälle auszuschliessen.

Was nun die Erfolge des Näheren anbelangt, so möchte ich noch- mals kurz darlegen, was sich theoretisch als möglich erwarten lässt. Was von den mannigfachen krankhaften Vorgängen bei diesen Affectionen der Paukenhöhle in Betracht kommen kann, das sind ausschliesslich hypertrophische und bindegewebig-degenerative Processe der Schleimhaut, soweit sie den unteren Theil des Schallleitungsapparates betreffen, speciell die Nischen der beiden Fenster und den Steigbügelcomplex. Soweit die Injectionslösung, welche, wie wir gesehen haben, nur oberflächliche Ge- websschichten anzugreifen vermag, hier einwirken kann, ist ein Erfolg möglich. Alle übrigen Ursachen der Schwerhörigkeit bleiben ausge-

d

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle.. 365

schlossen; also die gleichen Processe im oberen Paukenhöhlenraum und die ganze Reihe der schwereren und tiefer greifenden pathologischen Ver- änderungen, speciell die mannigfaltigen Erkrankungsformen am Knochen, Kalkablagerung, Ankylose der Gelenke u. s. w., vor Allem auch die Mit- erkrankung des I,abyrinthes. Es lässt sich demnach a priori voraussetzen, dass nur frühere Stadien der Schwerhörigkeit in Frage kommen, bei welchen offenbar die Erkrankung der Schleimhaut als Ursache der Schwer- hörigkeit noch eine wesentliche Rolle spielt, und dass auch in diesen Fällen nur von einer Besserung die Rede sein kann. Es stellte sich sehr bald heraus, dass die Indication nur dann gegeben ist, wenn Flüster- stimme mindestens noch am Ohr gehört wird. Für den Fernerstehenden ist dieser Grad von Schwerhörigkeit bei beiderseitiger Erkrankung im Allgemeinen dadurch charakterisirt, dass die Patienten angeben, den Einzelnen noch leidlich verstehen zu können, wenn man deutlich und nicht zu leise spricht, während sie in der Conversation mit mehreren Personen Schwierigkeiten haben oder sich völlig ausgeschlossen sehen. Es ist kaum nöthig hinzuzusetzen, dass des Weiteren dieses Verfahren nur dann angebracht sein kann, wenn der Catheter nach genügender Anwendung erschöpft ist oder sich überhaupt als un- wirksam erweist.

Im Ganzen kamen rund 150 derartig indicirte Fälle von chron. Catarrh zur Behandlung, darunter 40 doppelseitige; die Mittheilungen über die Injection von Pepsinlösung, wie sie in der vorgetragenen Weise vorgenommen wurde, stützen sich auf ein Material von rund 80 Fällen. Bei den übrigen wurden andere Fermente angewendet. Die Zahl der gebesserten Fälle beläuft sich insgesammt auf über zwei Dritt- theile, wobei auch diejenigen Doppelfälle mitgerechnet sind, bei welchen nur ein Ohr gebessert wurde. Es ist bemerkenswerth, dass sich das gleiche Resultat aus grösseren Versuchsreihen mit anderen Fermenten ergab, speciell mit Papayotin in verschiedener Form der An- wendung (45 Fälle) und mit verschiedenen Lösungen von Schweinepepsin [ca. 20 Fälle]. Stets stellte sich eine Besserung für ungefähr zwei Drittheile der oben charakterisirten- Fälle heraus.

Was die einzelnen Formen des chronischen Catarrhs im Näheren anbelangt, so kommen, indem ich der Eintheilung Walb’s!) folge, zu- nächst die Fälle von hypertrophischem Catarrh in Betracht, am Trom-

1) Krankheiten der Paukenhöhle und der Tuba eust., Schwartze’s Handb. der Ohrenheilk., Bd. II. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXIX. 24

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366 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

melfell charakterisirt durch Trübung, Verdickung, weissgraue Verfärbung und meistens fixirte Einziehung; ferner diejenigen Formen, welche als Endstadium des einfachen chronischen Catarrhes anzusehen sind, charakte- risirt durch starke Einziehung des Trommelfells bei stark ausgeprägter hinterer Falte, häufig partielle oder totale Verdünnung desselben, Ver- wachsungen mit den inneren nächstliegenden Theilen bei abgelaufener Secretion. Dagegen ist diejenige Affection, für welche die Bezeichnung Sclerose im klinischen Sinne reservirt wird, auszuschliessen. Ueber die Zugehörigkeit dieser Mittelohrerkrankung zu den Catarrhen, sowie über die klinische Umgrenzung derselben sind bekanntlich zur Zeit die Ansichten der Autoren noch getheilt. Ziemlich allgemein scheinen diejenigen Fälle hierunter subsumirt zu werden, bei welchen neben ausgeprägt progres- siver Tendenz der Schwerhörigkeit der Trommelfellbefund wesentlich negativ ist, oder das von Schwartze angegebene Symptom zeigt, durch- scheinende Hyperämie des Promontoriums. Nach den anatomischen Er- gebnissen kann bei denselben eine isolirte Steigbügelankylose vermuthet werden, welche nach neueren Untersuchungen Politzer’s als die Folge primärer Erkrankung der knöchernen Labyrinthkapsel zu betrachten ist. Ferner wird diejenige Form hier einbezogen, welche den offenbaren Charakter einer primären Atrophie der Schleimhaut trägt. Dies ergiebt sich sowohl aus dem Trommelfellbefund, welcher keine Symptome einer hyperplastischen Entzündung enthält, wie besonders aus dem Befund des Nasenrachenraums, welcher stets den sogenannten atrophischen Catarrh aufweist, sodass die Erkrankung des Mittelohrs als ein Correlat zu der des Nasenrachenraums anzusehen ist. Aus diesem ergiebt sich daher in diesen, diagnostisch oft sehr zweifelhaften Fällen häufig eine genauere Beurtheilung der Verhältnisse im Mittelohr als aus dem Befund des Trommelfells, welches nur zu häufig die Veränderungen in der Pauken- höhle mehr verhüllt als anzeigt. Nach verschiedenen Angaben spielen sich hier die Processe vorwiegend in den tieferen Schleimhautschichten ab. Von 6 ausgesprochenen derartigen Fällen, welche ich nach diesem Verfahren behandelte, ergab nur einer ein positives Resultat; ebenso wurden von 10 diagnostisch zweifelhaften Fällen nur 2 gebessert. In 2 weiteren, wo allerdings das stärker reizende Papayotin zur Anwendung kam, ergab sich sogar bei späterer, nach Monaten wiederholter Unter- suchung, dass eine ungünstige Beeinflussung durch die Reizung nicht ausgeschlossen werden konnte, wenn dieselbe auch in keinem Falle er- heblich war. Auf Grund dieser Erfahrungen habe ich späterhin diese Gruppe völlig ausgeschlossen.

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle.. 367:

Im Gegensatz hierzu ist es durchaus bezeichnend, dass: diejenigen Fälle die grösste Wahrscheinlichkeit eines Erfolges bieten, bei welchen erst noch durch genügende Anwendung des Catheters oder durch Ent- fernung hyperplastischer Partien im Nasenrachenraum eine anhaltende Aufhellung des Gehörs zu erreichen war. Von 20 derartigen Patienten wurden fast sämmtliche durch die Injection gebessert und zwar war, wenn die Wirkung der vorangegangenen Behandlung nicht sehr. eclatant war, die der Injection meistens subjectiv und objectiv bedeutender.

Der Grad der Gehörszunahme wird im Allgemeinen bestimmt durch den Grad der Schwerhörigkeit, ist also absolut um so bedeutender, je besser das Gehör noch erhalten war. Relativ dagegen war die Zunahme der Hörweite durchschnittlich die gleiche und zwar ergab sich im All- gemeinen mit bemerkenswerther Regelmässigkeit eine Besserung auf das Doppelte bis Dreifache für Flüsterstimme. Selten war die Besserung geringer, mehrfach wurde eine weit bedeutendere Steigerung bis zum Zehnfachen constatirt; in der Regel wird aber eine Hörweite von etwa 0,2 m für Flüsterstimme auf 0,4—0,6 m kommen, eine solche von 1 m auf 2—3 m. Eine Wiederherstellung bis zu leidlicher Gebrauchsfähig- keit des Gehörs ist demnach im Allgemeinen nur dann zu erwarten, wenn das Gehör noch nicht zu weit darunter stand, besonders wenn ein Erfolg bei beiderseitiger mässiger Schwerhörigkeit eintritt. Subjectiv wurde die Besserung ebenfalls im Allgemeinen in gleicher Weise em- pfunden, da ja der Werth derselben für den Patienten ebenfalls ein relativer ist je nach dem Grade der Schwerhörigkeit und zwar wurde fast in allen Fällen, bei welchen ein Erfolg eintrat, derselbe von den Patienten als eine bedeutende Besserung bezeichnet.

Vor Allem aber ist zu erwägen, dass es sich meistens um Fälle handelt, welchen unsere Therapie sonst nur geringe Ansichten gewährt. Am meisten befriedigt waren daher auch diejenigen Patienten, welche bereits in der Lage waren, einen Vergleich mit den Leistungen anderer Methoden zu ziehen.

Nicht immer ergab sich eine gleichmässige Zunahme der Hörweite für die verschiedenen Prüfungsmittel; in einigen Fällen war die Besse- rung für die Perception der Uhr bedeutender als die für Flüstersprache und umgekehrt. Wiederholt beobachtete ich, dass die verlängerte cranio- tympanale Empfindung tiefer Töne zurückging, während die Luftleitung für dieselben gebessert wurde. Bei doppelseitiger Erkrankung reagiren beide Ohren meistens in gleicher Weise, besonders bei ungefähr gleichem

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368 Cohen-Kysper: Neues Verfahren zur Behandl. d. Schwerhörigkeit

Stadium der Erkrankung. Dies ist deshalb von Wichtigkeit, weil man sich bei negativem Verhalten eines Ohres die Behandlung des andern ersparen kann.

Wesentlich erhöht wird der Werth dieses Verfahrens durch die Besserung der subjectiven Geräuscbe und sonstiger nervöser Begleiter- scheinungen. Hier wirkte das Verfahren im Allgemeinen in demselben Sinne wie auf die Schwerhörigkeit. Wurde diese gebessert, dann liessen auch meistens diese Beschwerden nach oder sie verschwanden vollständig. Mehrmals kam es jedoch auch vor, dass das Gehör völlig unverändert blieb, während die subjectiven Geräusche gebessert wurden, ebenso wie umgekehrt. Sehr häufig war die Angabe der Patienten, dass verschie- dene nervöse Symptome, wie chronischer Kopfschmerz, Druckgefühl im Ohr, Schwindelanfälle verschwanden oder wenigstens bedeutend gebessert wurden und sich in Folge dessen Stimmung, Allgemeinbefinden und Arbeitslust hoben. Es kamen Fälle vor, bei welchen Schwindelerschei- nungen sehr schwerer Art, ebenso solche, bei welchen aussergewöhnlich starke Ohrgeräusche völlig und bei über einjähriger Beobachtung dauernd beseitigt wurden, nachdem die Patienten vorher mehrfach vergeblich be- handelt worden waren.

Ueberhaupt ergaben die Beobachtungen über die Dauer der er- reichten Besserung, soweit es bei einem theilweise poliklinischen Material möglich war, hierüber auf dem Laufenden zu bleiben, im Allgemeinen günstige Resultate. Es entsprach zwar dem Charakter der in Frage kommenden Affectionen, dass bei einer Beobachtung, welche sich meistens auf 2 und 3 Jahre erstreckte, in dem einen und andern Falle die Besserung schliesslich wieder theilweise oder gänzlich zurück ging. Immerhin wurde dann der Verlauf retardirt. Indessen sind ja an sich diejenigen Fälle häufiger, bei welchen die Schwerhörigkeit Jahre lang auf einem gewissen Grad stationär bleibt, besonders wenn eine geeignete Prophy- laxe gegen weitere Nachschübe aus dem Nasenrachenraum eingeleitet ist. Die erwähnten Fälle waren denn auch die Ausnahmen. Im All- gemeinen konnten die Patienten immer wieder die Fortdauer der Besse- rung des Gehörs und der subjectiven Geräusche versichern. In mehreren Fällen war sogar zu bemerken, dass das operirte Ohr stationär blieb, während das andere, welches ursprünglich noch besser hörte und daher nicht vorgenommen worden war, schliesslich das sehlechtere wurde.

Von Fällen von abgelaufener Eiterung kamen 45 zur Behandlung. Diese zeigten eine beredte Uebereinstimmung mit dem Verhalten beim

beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle. 369

chronischen Catarrh. Auch hier ergaben zwei Drittheile eine Besserung, welche ebenfalls meistens in einer Steigerung der Hörweite auf das Doppelte bis Dreifache bestand neben selteneren bedeutenderen Resul- taten. Ein Erfolg ist bier ebenfalls nur dann zu erwarten, wenn min- destens noch Flüsterstimme am Ohr gehört wird, also schwere Verände- rungen noch nicht eingetreten sind. Jedoch ist hier zu bemerken, dass eine Schwerhörigkeit geringen Grades, etwa Flüsterstimme lm und darüber, nicht so häufig gebessert wurde wie beim chronischen Catarrh. Dies rührt offenbar daher, dass hier eine leichte Schwerhörigkeit durch circumscripte Processe an beliebigen Theilen verursacht werden kann, während beim chronischen Catarrh die Erkrankung diffus ist, demnach die Chancen für ein Verfahren, welches immer nur dieselben Tbeile in Angriff nimmt, grösser sind. Die erzielten Resultate waren hier, wie vorauszusetzen, stets von constanter Dauer.

Indem ich kurz resümire, glaube ich hervorheben zu müssen, dass dieses Verfahren stets nur ein therapeutischer Versuch ist. Im einzelnen Falle lässt sich ein Erfolg höchstens mit einer gewissen Wahrschein- lichkeit versprechen, man kann also dem Patienten stets nur eine reser- virte Prognose stellen. Für die Fälle von Schwerhörigkeit nach ausge- heilter Eiterung, welche ambulant behandelt werden können und ohne dass die Patienten Beschwerden haben, ist dies zwar irrelevant. Schwerer wiegt dies beim chronischen Catarrh, da hier das Verfahren häufig schmerzhaft und angreifend ist, häufig auch Narkose nöthig ist. Anderer- seits ist das Verfahren ungefährlich und vermag wenigstens in der Mehr- zahl der indicirten Fälle eine Besserung zu bewirken, welche durch sonstige Mittel nicht erreicht wird und welche, wenn sie auch weit- gehende Ansprüche nicht immer zu befriedigen vermag, doch stets von den Patienten dankbar empfunden wird.

Ich bemerke noch, dass das chemisch-physiologische Institut von Dr. Carl Enoch es übernommen hat, eine geeignete, gebrauchsfertige Injectionslösung von Hundepepsin abzugeben. Die Injectionsspritze ist von C. G. A. Dannenberg zu beziehen.

370 .W.C. Braislin: Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohr.

XIX.

Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohr ohne vorausgegangene Eiterung. Von William OG Braislin MD,,

Assistenzarzt an der Ohrenabtheilung des Hospitals für Augen- und Ohrenleiden in Brooklyn. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Berichte über Fälle von im Gehörgange gefundenen Larven von Dipteren, ohne dass eine vorhandene Eiterung ihr Erscheinen veranlasst hätte, sind selten.

Schreiber dieses hat 4 solcher Fälle in der Literatur finden können, nämlich 1) den von Dr. Gruening gelegentlich der Sitzung der New- Yorker ophthalmoskopischen Gesellschaft im Jahre 1882 berichteten; einen zweiten in den Archives of Otology, Vol. XX, No. 1, von Baxter, welcher auf einen dritten ähnlichen Fall von Dr. Kuntzmar Bezug nimmt. Ein vierter Fall wurde gleichfalls in den Archives of Otology, Vol. XXIV, No. 3 u. 4 berichtet und zwar von C. W. Richardson.!)

Die Maden, welche in unserem Falle 5 an der Zahl waren, ge- hörten, soweit es sich bestimmen lässt, der aus Texas stammenden Screw- worm-Fliege (Lucilia macellaria) an. |

Eine Thatsache von grossem Interesse bei diesem Falle hinsichtlich einer möglichen Lösung der Frage „Wie und warum hatte das mütter- liche Insect sie dorthin gebracht?“ bestand in dem gleichzeitigen Vor- -handensein eines fötiden Nasenkatarrhs. Es ist bekannt, dass Fliegen dieser Ordnung, während sie sich im Larvenzustande befinden, Aas ver- zehren, und dass das Weibchen solche Stoffe aufsucht, um so, angelockt durch deren Geruch und durch den eigenen Geruchsinn richtig geführt, einen für die Ablage ihrer Eier passenden Platz zu finden. Dass der Geruchsinn allein es ist, welcher den Ort der Eierablage bestimmt, zeigt Dr. Blake (Arch. of Otology, Vol. II, No. 2), welcher fand, dass die „blue-böttle fly“ (Schmeissfliege) ihre Eier auf einem Stück Seidenzeug ablegte, von dem soeben erst in Fäulniss übergegangenes Fleisch ent- fernt worden war. Im folgenden Falle schien der muthmaassliche An- ziehungspunkt für das mütterliche Insect ein übler Geruch zu. sein, welcher in der Nase des Patienten seinen Ursprung hatte.

1) Confer.: Diese Zeitschrift XXVIII. Bd., 4. Heft, pag. 292 u. 293. Anm. d Uebersetzers.

W.C. Braislin: Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohr. 371

Die Geschichte des Falles ist folgende:

Sam. Eis, Barbier, Deutscher von Geburt und von jüdischer Ab- stammung, 25 Jahre alt, consultirte mich am 22. Juli 1895, EE 9 Uhr.

Er klagte bitterlich über Schmerzen im rechten Ohr, die, wie er sagte, seit 12 Uhr voriger Nacht andauerten, als er nämlich durch sie auf- geweckt wurde. Das Ohr fühlte sich an, als ob irgend etwas darin sei. Um dies Symptom los zu werden, hatte er mit einer Stecknadel im Ohr „berumgegraben“, worauf das Heraussickern einer geringen Menge wässerig-blutigen Stoffes erfolgte.

Bis zu der Zeit hatte er niemals Schmerzen oder irgend welche Belästigung seitens des Ohres gehabt und wusste auch nicht, welches die Ursache des angeblich vorhandenen Anfalles sein könne. Der Schmerz breitete sich weiter nach vorwärts bis zum Auge derselben Seite aus; letzteres hatte ein wässeriges Aussehen, und das umgebende Gewebe schien etwas geschwollen, so dass das Auge leicht geschlossen erschien. Eine Hörprüfung ergab fast normales Gehör.

Bei der ersten Besichtigung des Ohres konnte nichts bemerkt werden, was die heftigen Schmerzen erklärt hätte. Nur eine schwach ange- deutete Röthe war am kurzen Fortsatz vorhanden. Genaueres Zusehen liess jedoch an den Wänden des Gehörganges zwischen Bruchstücken exfoliirten Epithels befindliche weisse Gegenstände wahrnehmen mit selt- samen „Vibrio“-artigen Bewegungen, welche an. die Geisselbewegung gewisser Bacterien erinnerten, die man bei der mikroskopischen Unter- suchung zu sehen bekommt. Das Trommelfell war nicht perforirt.

Es wurden Chloroformdämpfe in den Gehörgang eingeblasen und das Ohr darauf ausgespritzt. Unter den geringen Mengen von Epithel- fetzen befanden sich 5 Maden.

Die Schmerzen im Ohr hörten jetzt gänzlich auf und auch die im rechten. Auge geklagten beruhigten sich nach Angabe des Patienten. Als ich diesen einige Tage später wiedersah, behauptete er, dass sämmt- liche Symptome nach dem Ausspritzen verschwunden wären, und dass er im Ohre seitdem keinerlei Belästigung mehr gespürt habe.

Der Patient, welchen ich in seiner Eigenschaft als Barbier seit mehreren Jahren kannte, war nicht im Stande oder nicht willens, irgend welche Daten anzugeben, die ein Licht hätten werfen können auf den Zeitpunkt oder die Art und Weise, in der die Eier, aus welchen die Maden sich entwickelt hatten, im Gehörgang niedergelegt sein mochten,

372 W.C.Braislin: Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohr.

Er leugnete betrunken gewesen zu sein, sagte aber, dass er am ‚vorhergehenden Tage, einem Sonntage, in Concy Island gewesen und daselbst ein Wellenbad genommen habe. Von Beobachtern ist häufig die Erfahrung gemacht worden, dass bei Fällen von in den Kanälen des Ohres und der Nase sich vorfindenden Maden der betreffende Patient kurze Zeit vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen im Freien ent- ‚weder tief geschlafen oder unter dem Einfluss mehr oder minder hoch- gradiger Alcoholvergiftung gestanden hatte.

Die Maden waren von weisser Farbe, abgesehen davon, dass an einem Ende eine kleine schwarze Linie den Verdauungskanal anzeigte; sie waren je 2 mm lang. Die Grösse der Maden war in diesem Falle sehr gering, und es zeigte sich, dass sie schon in einer früheren Lebens- periode Schmerz verursachen konnten. Wir dürfen dies, wie wir an- nehmen, auf zwei verschiedene Ursachen zurückführen: einmal darauf, dass der von chronischer Eiterung freie Gehörkanal sich im Zustande normaler Empfindlichkeit befand; zweitens, dass die Maden in Ermange- lung von Eiter, der ihnen als Nahrung hätte dienen können, sich in einer früheren Periode ihres Daseins zu thätlichen Angriffen auf das lebende Gewebe veranlasst fühlten, als sie es in Fällen chronischer Ei- terung für nothwendig finden. | Unglücklicherweise konnte die Art der Larven in diesem Falle nicht mit absoluter Sicherheit festgestellt werden. Unmittelbar nach dem Ausspritzen wurde eine von den Maden, welche noch Lebenszeichen von sich gab, in ein Stück rohes Fleisch gesetzt in der Absicht, dass sie sich daselbst zum vollkommenen Insect entwickeln und so die genaue Art erkennen lassen sollte. Diese Hoffnung ging indess nicht in Er- füllung.

Doch ist es höchst wahrscheinlich, dass die Larven der Schrauben- wurmfliege (Lucilia macellaria !) zugehörten, welche in verschiedenen land- wirthschaftlichen Zeitschriften abgebildet und beschrieben worden ist, weil sie durch ihre Gefährlichkeit für das Vieh eine volkswirthschaft- liche Bedeutung hat. Diese Fliegen werden gewöhnlich durch den Ge- ruch in Zersetzung befindlicher Stoffe oder offener Geschwüre angelockt und pflanzen ihre Art dadurch fort, dass sie ihre Eier darin ablegen.

1) Probeexemplare von Larven dieser Art wurden mir freundlichst zuge- schickt von Dr. M. Francis von der Landes-Ackerbau-Hochschule in Texas; die Exemplare des von mir geschilderten Falles hatten mit ihnen eine grosse Aehnlichkeit, während sie dem Genus Musca oder Schmeissfliege durchaus nicht ähnlich sahen.

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J: U. Woodward: Eitrige Mittelohr-Entzündung etc. 373

Bei der Abwesenheit jeglichen Eitergeruchs im Ohre sehen wir uns ver- anlasst, uns nach einer anderweitigen Ursache umzusehen, die dazu ge- dient haben mag, die Insecten anzulocken, deren Instinkt sie veranlassen, solche Oertlichkeiten zur Ablage ihrer Eier auszuwählen, wo Ver- wesungsgerüche herrschen.

Eine Rhinitis atrophicans foetida, an welcher der Patient leidet, schien dem Schreiber dieses als der unzweifelhafte Ausgangspunkt der Anziehung für die Fliege, welche aus irgend einem Grunde ihre Eier, dem Instinkte folgend, im Gehörgange ablegte.

XX.

Eitrige Mittelohr-Entzündung ; Abscess im Kleinhirn; Tod; Autopsie.

Von J. U. Woodward, Mà. Burtington, Vermont,

Professor der Augen-, Ohren- und Hals-Krankheıten an der Universität von Vermont, Augenarzt an den Hospitälern Mary Fletcher und Fanny Allen.

(Uebersetzt von Dr. med. Th. Schröder in Rostock.)

J. D., 14 Jahre alt, wurde im Mai 1892 in meine Klinik im Mary Fletcher Hospital gebracht, zwecks Behandlung einer linksseitigen Ohreiterung, sowie einer starken Schwellung in der Gegend des linken Warzenfortsatzes. Durch die Wilde’sche Incision ward eine Quantität Eiter entleert, von einem weiteren operativen Eingriff aber abgesehen, da es sich bei Abhebelung des Periostes herausstellte, dass in der äusseren Knochentafel eine zur ausreichenden Drainage genügend grosse Oeffnung vorhanden war. Nach 24 Stunden wurde der Patient nach Hause transportirt und weiterhin von seinem Hausarzte behandelt, welcher mir in der Folge berichtete, dass er vollkommen genesen sei.

Im Juli 1893 sah ich diesen Patienten zum zweiten Male. Das linke Ohr sonderte wieder Eiter ab. Hinter dem Ohre fand ich eine secernirende Fistel und an ihrem Grunde entblössten cariösen Knochen. Es wurde die sofortige Vornahme einer Operation angerathen, und zwar rieth ich, da ich selbst im Begriffe stand, die Stadt für längere Zeit zu verlassen, dass man einen meiner Collegen auffordere, um die Operation zu vollziehen und die weitere Fürsorge des Falles zu übernehmen. Zu gleicher Zeit wurde dem Hausarzte gerathen, die Fistel offen zu halten und die Theile so gründlich als möglich zu desinficiren, falls Seitens

"374 <J. U. Woodward: Eitrige Mittelohr-Entzändunig ;

` der Familie des Patienten die vorgeschlagenen radicalen Maassnahmen zurückgewiesen werden sollten.

Zum dritten Male sah ich den Patienten am 17. April 1894, nachdem er wiederum in meine Klinik im Mary Fletcher Hospital ge- bracht worden war. Ich erfuhr zugleich, dass das Ohr im Sommer 1893 geheilt sei unter Ucberwachung des Hausarztes, welcher gemäss meinen als Ergänzung gegebenen Rathschlägen gehandelt, die empfohlene Radical-Operation am Processus mastoideus aber nicht vorgenommen hatte. Bis Anfang April 1894 war der Knabe gesund gewesen und das Ohr hatte nicht geeitert. Von da ab fing er an, an heftigen Schmerzen in der Gegend des linken Processus mastoideus und über der linken Seite des Schädels zu klagen; und auch das Ohr hatte wieder angefangen zu eitern. Während einiger Tage hatten die Schmerzen langsam. nachgelassen, bis sie, als ich den Patienten sah, bei dem Falle überhaupt als Symptom keine Rolle mehr spielten. Eine profusc, schmutzig-gelbe Eitermasse entströmte dem linken Ohre, doch war weder eine Schwellung, noch Empfindlichkeit in der Warzenfortsatzgegend vor- handen. Der Knabe war im Stande, umherzugehen und schien bei gelegentlich vorgenommener Inspection nicht sebr krank zu sein. Er war indessen sehr anämisch und seine Haut etwas icterisch. Er sagte, er befände sich wohl. Störungen im Bereiche des motorischen oder sensiblen Nervensystems liessen sich nicht nachweisen. Das Ohr ward täglich mehrmals mit Wasserstoff- Superoxyd ausgespritzt und dem Patienten erlaubt, nach Belieben im Bereiche des Hospitals umher- zustreifen.

Die Temperatur des Patienten betrug am Morgen des 18. April 98!/,°. Während des Vormittags hatte er einen heftigen Schüttelfrost und seine Temperatur stieg bis auf 1031/,° am Nachmittag. Am 19. betrug die Morgentemperatur 981/,°, die Abendtemp. 102!/,°. Am 20. Morgentemp. 981/,°, Abendtemp. 100!/,. Am 21., als die Morgen- temperatur 104° betrug, operirte ich den Woarzenfortsatz. Während dieses Zeitraumes hatte ich den Pat. täglich gesehen und mit grosser Sorgfalt untersucht in der Hoffnung, irgend etwas zu entdecken, welches den Sitz des unzweifelhaft in seinem Kopfe irgendwo vorhandenen Eiters anzeigen würde. Aber ich vermochte nicht ein einziges objectives, auf sein Nervensystem zu beziehendes Symptom zu entdecken. Auch sub- jective Symptome fehlten, er klagte über keinerlei Schmerz. Es. war auch nicht das geringste Zeichen einer Coordinationsstörung vorhanden, noch irgend eine Parese, ein Tremor, oder Spasmus, oder irgendwo

-7 Abscess im’ Kleinhirn; Tod; Autopsie ` "` 975

eine Aenderung im Empfindungsvermögen. Der Knabe war zwar nicht sehr kräftig, seine Schwäche aber eine allgemeine und in keiner Hin- sicht specialisirt. Vielleicht würde man auf den Geisteszustand des Patienten hinweisen. Er war bei völlig klarem Verstande und beant- wortete an ihn gerichtete Fragen prompt und richtig. Doch lag in seiner Art zu reden eine gewisse Keckheit und eine gewisse nicht gut zu beschreibende Besonderheit, welche mir und Anderen unnatürlich erschienen. Sein Charakter war schon von Natur ein eigenthümlicher, und mag seine Lebensführung als die eines Zeitungsjungen diese Sonder- barkeit, welche wir in der Art seines Denkens und der seine Gedanken auszudrücken bemerkten, noch mehr entwickelt haben. i

Am Vormittag des 21. April eröffnete ich die Warzenfortsatzzellen auf der ergriffenen Seite, fand aber keinen Eiter. Den Schädel bohrte ich nicht an.

Am 21. Abends klagte der Knabe über sehr heftige Schmerzen genau in der Mitte seiner Stirn. Er litt sehr heftig durch diese Schmerzen, so dass ihm eine Morphium-Injection gegeben wurde. Ich sah ihn wieder am 22. Morgens und ordnete an, ihm kein Morphium mehr zu geben; bei dieser Visite behauptete er unausgesetzt, dass er sich wohl fühle. Sein Sensorium war frei; das Ohr sonderte weniger Eiter ab, die Temperatur betrug 99°. Der Puls war unregelmässig im Rhythmus wie hinsichtlich seiner Kräftigkeit, im Uebrigen war sein Zustand anscheinend unverändert. Abends war seine Temperatur 102!/,° und hatte er einen zweiten Anfall von heftigen Schmerzen mitten in der Stirn, der durch Bromid nicht gelindert wurde, hingegen aufhörte, als man das Fussende des Bettes erhöht hatte. Am 23. war die Morgentemperatur 991/,°; die Abendtemperatur 100'/,°; am 24. die Morgentemperatur 991], °.

Am 24. April, etwa 4 Uhr Nächmiktage, sah ich ihn zum je Male lebend. Das Ohr hatte aufgehört zu secerniren und in der Wunde hinter dem Ohre hatte sich kein Heilungsvorgang bemerklich gemacht. Der Knabe war reizbar und bat mich, ihn schlafen zu lassen. Nichts- destoweniger beantwortete er meine Fragen ganz vernünftig, Er war im Stande, ohne fremde Hülfe aufrecht im Bett zu sitzen, und ich konnte trotz sorgfältiger Untersuchung kein Symptom Seitens des motorischen oder sensiblen Nervensystems finden. Auch nahm ich jetzt eine sorgfältige ophthalmoskopische Untersuchung vor, wobei ich die Medien klar und den Augenhintergrund beiderseits normal fand. Sein

‚876 J. U. Woodward: Eitrige Mittelohr-Entzändung etc.

Puls war an Stärke und Rhythmus noch unregelmässig und schwächer als bei irgend einer früheren Visite. Während des Abends hatte er wieder mehr Schmerzen in der Mitte der Stirn, die ibn jedoch nicht -lange mehr belästigten. Er wurde am 25. April gegen 3 Uhr Morgens todt in seinem Bette gefunden.

Die Autopsie wurde von Profesor H. C. Tinkham an der Universität von Vermont vorgenommen. Es fand sich, dass eine eitrige Pachymeningitis einen Bezirk auf der hinteren Oberfläche der Felsbein- ‘partie des linken Schläfenbeins nahe der inneren Gehörgangsöffnung befallen hatte. Der Knochen war in dieser Gegend cariös; sie selbst erstreckte sich bis unterhalb des Sinus lateralis, in dem sich kein geronnenes Blut fand. Verschiedene kleine Oeffnungen in der Sinuswand stellten eine Verbindung mit dem Eiterherd ‘unter der Dura mater her. Die an letzterer anliegende Rindenpartie des linken Seitenlappens des Kleinhirns war verfärbt, erweicht und über einen kleinen Bezirk nekrotisch. : Der übrige Theil der Kleinhirnrinde hatte ein völlig normales Aussehen und es waren auch keine Adhäsionen Seitens der Dura oder der Pia mater auf ihr vorhanden. Ein in diesen Lappen gemachter Einschnitt offenbarte die Thatsache, dass dessen gesammtes Innere in eine Abscess-Höhle umgewandelt war, welche ausserordent- lich übelriechenden Eiter enthielt. Die genaue Untersuchung zeigte, dass die weisse Substanz vollständig zerstört und die Abscess-Höhle von einer Hülle grauer Substanz umschlossen war, deren äusserer Anblick normal erschien. Die dünnste Stelle dieser Hülle betrug nicht weniger als !/,Zoll an Dicke. Der übrige Theil des Kleinhirns war gesund. Die Seitenventrikel enthielten einen Ueberfluss von klarem Serum. Ein sehr kleines fibröses Knötchen wurde in der Piamater etwa einen Zoll links vom Sinus longitudinalis gegenüber dem äussersten Ende der Fissura Rolandi gefunden. Im Uebrigen war das Cerebrum dem An- scheine nach normal.

Es ist völlig klar, dass kein operativer Eingriff diesen Patienten zu irgend einer Zeit nach dem 17. April, als er zum dritten Male zu mur gebracht wurde, hätte retten können. Die muthmaassliche Dauer indessen dieses -Kleinhirn-Abscesses von genügend grossen Dimensionen um die Funktioı eines ganzen Lappens zu vernichten, ist gewiss Gegen. stand einer interessanten Betrachtung.

Verhandl. d. Abth. f. Ohrenheilk. d. 68. Naturforscher- u. Aerzte-Vers. 377

XXI.

Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte -in Frankfurt a. M. September 1896.

Erstattet von E. Bloch in Freiburg i. Br.

I. Sitzung am 21. September Nachmittags.

Der Einführende Herr Oskar Wolf eröffnet die Verhandlungen unter Betonung der Nothwendigkeit für die Ohrenärzte, ausser ihrem Sondercongresse auch die Naturforscherversammlung zu besuchen; andern- falls würden sie sich und ihr Fach allzusehr isoliren. Er skizzirt so- dann die Entwicklung der Disciplin in den letzten drei Jahrzehnten, die von den bahnbrechenden physiologischen Arbeiten Helmholtz’ aus- ging. Die erste Aufmeisselung des Warzenfortsatzes in unserer Zeit habe Louis Mayer in Mainz ausgeführt.

1. Hr. Körner-Rostock: Demonstrationen aus dem Gebiete der Erkrankungen des Schläfebeines.

Vortr. zeigt zuerst ein Schläfebein, aus welchem nach Durchsägung längs der Paukenhöhle und des Antrums das gewöhnlich operirte Stück in Form eines Keiles aus der vorderen Hälfte des Schläfebeins herausgesägt ist zu Demon- strationszwecken beim Unterricht. 2. Ein Präparat, an welcbem, wie nach einer Zaufal’schen Operation, Spontanheilung eingetreten war. 3. Präparate mit tuberkulösen Erkrankungen, wobei hervorgehoben wird, dass nicht blos durch die Tuba, etwa beim Husten, sondern auch auf hämatogenem Wege Tuberkel- bacillen ins Ohr gelangen, wie dies allgemein angenommen wird, So erklären sich die oft weit fortgeschrittenen Zerstörungen im Knochen. Ein Präparat zeigt eine erworbene Dehiscenz in der Paukenwand des Canal. carotic., ein anderes eine Fistel der hinteren Gehörgangswand. In einem anderen ist die tuberkulöse Erkrankung der Pauke und des Warzenfortsatzes älter als die Lungenaffection gewesen. In einem Falle war acut eine Mittelohrentzündung mit Mastoidbe- theiligung unter Fieber und Schmerzen entstanden. Es wurde operirt, aber der weitere Verlauf zeigte fortschreitende Einschmelzung des Knochens, so dass noch zwei Nachoperationen folgen mussten. Es trat Lungen- und verbreitete Miliar- tuberkulose hinzu, auch an der Dura, von welcher die Tuberkelknoten direct in die Hirnsubstanz hineinwuchsen. Das Schläfebein zeigt ausgedehnte Defecte. Bei einem 2jährigen Kinde fand sich ein Extraduralabscess unter der Schuppe, Zerstörung des Knochens gegen die hintere Schädelgrube, EE EE GE primärer Knochentuberkulose.

378 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

Die Bilder der Tuberkulose im Warzenfortsatz und der Pauke sind klinisch und anatomisch in verschiedenen Fällen oft so sehr von einander abweichend, so dass man verschiedene charakteristische Gruppen herausarbeiten kann. Solche Krankheitsbilder müssen zunächst klinisch abgegrenzt werden, da sie’ nicht nur eine verschiedene Genese haben, sondern Se? einer verschiedenen Behandlung zu bedürfen scheinen.

Discussion:

Hr. v. Wild berichtet von einem Kranken mit Lupus, welcher an tuber- kulöser Mittelohrentzündung unter Schmerzen und continuirlichem Fieber er- krankte. Beide Symiptome bleiben bestehen, trotzdem ein Chirurg zweimal auf- gemeisselt, und verschwinden erst nach einer von v. W. ausgeführten Radical- operation.

Hr. Jansen: Die Tuberkulose lässt sich klinisch nicht so leicht zusammen- fassen als ätiologitch. Bei Kindern tritt besonders die Knocheneinschmelzung nicht so hervor wie bei Erwachsenen. Bei letzteren schreitet dieselbe nach der Operation rascher fort, und bei Cholesteatomen sieht man dann tuberkulöse Granulationen aufschiessen.

Hr. Bloch berichtet über einen Lungenschwindsüchtigen mit weit vorge- schrittener Zerstörung der Schläfebeinpyramide. Bei der Section zeigte sich, dass von derselben fast nichts als die obere Kante übrig geblieben war. Die Aufmeisselung, welche er auf Wunsch der med. Klinik ausführte, war dennoch für den Kranken eine Wohlthat, da sich sein Allgemeinbefinden besserte, das bis dahin. constant auftretende Fieber für einige Zeit schwand, bis der Kranke nach längeren Wochen an Darmtuberkulose zu Grunde ging. B. will damit zeigen, dass man auch bei Tuberkulösen die Grenzen der Indication für die Operation recht weit stecken kann.

Hr. Kümmel: Bei Kindern wird die tuberkulöse E EE des Ohres manchmal nicht diagnostieirt, weil sie nicht über ihre Ohren klagen, und weil die Allgemeinerscheinungen überwiegen. Und doch können auch bei ihnen enorme Zerstörungen am Knochen eintreten, wiewohl die Ausbreitung des Processes bei anderen Erkrankungen rapider geschehen kann. Er möchte bei Tuberkulösen nicht operiren |

Hr. Passow hat in 3 Fällen Tuberkulöse operiren müssen, da ein subperios- taler Abscess entstanden war. Stets trat dann Besserung und rasche Heilung des Ohres ein. Bei einem Kinde (rat Fieber und Schmerz am rechten Warzenfort- satz auf. Es fand sich eine grosse Höhle sofort unter der Haut, der Knochen fehlte, die unverfärbte Dura lag auf grosse Strecken frei, auch der Sinus sah gut aus. Da traten nach einigen Tagen meningitische Erscheinungen auf. Man fand Atrophie des Opticus, grossen Solitärtuberkel | im Kleinhirn und miliare an der Basis.

‚Hr. Kuhn stimmt Bloch bei, dass man bei Tuberkulösen öfter operiren müsse. Es kommt namentlich auf die Form der Erkrankung an.. Bei Erwachsenen ist das Ohr gewöhnlich secundär ergriffen. Wenn entsprechende Indicationen vorliegen, kann man wohl den Eingriff ausführen. Bei Kindern, bei welchen der Process oft local im Schläfebein sitzt, kann man mittelst Harıcaloperanon Heilungen erzielen.

auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 379

Hr. Kümmel will bei dringenden Indicationen auch operiren. Aber eine Radicaloperation lediglich zur Heilung der Eiterung hält er für eine leichtsinnig unternommene. Man ist auch in der Chirurgie der Gelenktuberkulosen sehr conservativ geworden.

Hr. Hartmann weist darauf hin, dass man bei der Section von Phthisikern in den Hospitälern häufig auf ausgedehnte Zerstörungen im Schläfebein stosse, ohne dass Erscheinungen von Erkrankung desselben zu Lebzeiten beobachtet wurden. Nur bei Entzündungserscheinungen soll operativ vorgegangen werden. Bei einem im Institut für Infectionskrankheiten in Berlin beobachteten Krank- heitsfalle kam es zu acnter Miliartuberkulose durch den Durchbruch eines tuberkelbaeillenhaltigen Cholesteatoms in den Sinus.

Hr. Jansen meint, dass namentlich die knöcherne Labyrinthkapsel bei Erwachsenen manchmal rasch tuberkulös einschmilzt, bei Kindern aber nicht. Auch er operirt bei geeigneter Indication, aber nicht wegen der tuberkulösen Eiterung allein.

Hr. v. Wild: Pei einem Kinde, welches er vor mehreren Jahren operirt, ist die tuberkulöse Ohrerkrankung vollständig geheilt; jetzt hat es tuberkulöse Kehlkopfgeschwüre. Bei einem zweiten, 8 Monate alten Kinde mit beiderseitigen subperiostalen Abscessen und fötider Ohreiterung trat nach der Radicaloperation Heilung auf der einen Seite ein, auf der anderen blieb eine Fistel zurück, und jetzt sind tuberkulöse Drüsenpackete vorhanden. |

II. Sitzung am 22. September Vormittags, gemeinsam mit der Abtheilung für Neurologie und Psychiatrie.

Hr. Oppenheim-Berlin: Die Differentialdiagnose der Hirnabscesse.

Vortr. will sich auf die Erörterung der traumatischen und otitischen Abscesse beschränken. Bei traumatischen kommen auch traumatische Meningitis, trau- matische Neurosen, ebensolche Encephalitis u. A. in differentialdiagnostischer Hinsicht in Betracht. Traumatische Apoplexie und Hirnabscess können ver- wechselt werden. Contusionen des Schädels können Blütungen verursachen, welche sich erst nach Wochen enthüllen, selbst erst nach Jahren, wenn aus dem Bluterguss eine Cyste geworden ist. Hier kommt das Bestehen einer Eiterung bezw. wachsender Hirndruck differentialdiagnostisch in Betracht. Funktionelle Neurosen, wie traumatische Hysterie und Hysteroneurasthenie sind ebenfalls zu erwägen; hier fehlt die Ursache zu Abscessen. Sie werden nach Friedmann durch Erkrankung des feineren Hirngefässapparates erzeugt

Die otitischen Abscesse können, selbst wenn sie sehr gross sind, symptom- los verlaufen, und die Diagnose ist oft schwierig gegenüber einer Meningitis, Sinusthrombose, Extraduralabscess, Anderweite Hirnkrankheiten und Symptomen- complexe, mit und ohne Öhrenleiden, können die Lage verwirren, etwa uncom- plicirte Otitis media, seröse Meningitis, Hirntumor, Arteriosclerose, Hysterie u. A. Schon die gewöhnliche eitrige Meningitis kann dies thun; eine umschriebene kann ähnliche Erscheinungen wie ein Abscess veranlassen, eine diffuse anderer- seits ohne alle oder mit wenig Symptomen verlaufen, wie Jansen u. A. schon angegeben haben. Wo gar diffuse eitrige Meningitis cerebrospinalis neben dem

380 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

Hirnabscess hesteht, ist die Diagnose überhaupt nicht stets zu stellen. Die eine Erkrankung kann sich hinter den Erscheinungen der anderen vollkommen ver- bergen. Bei der otitischen Meningitis ist es wichtig, auf spinale Symptome zu achten, wie Rückensteifigkeit, Rigidität der Extremitätenmuskulatur, ausstrahlende Schmerzen,: auf die Sehnenreflexe, die Blasen- und Mastdarmfunktion „Rücken- phänomene*“. Doch ist auch schon bei Hirnabscess das Westphal’sche Zeichen gesehen worden. Eine die Otitis begleitende Meningitis kann sich auf bestimmte Theile der spinalen Meningen beschränken, so auf den Lumbaltheil allein. Die Temperatur ist nach Mac Ewen bei Hirnabscessen normal oder subnormal, wenigstens gehört Fieber nicht zu den diagnostischen Behelfen. Anhaltend hohe Temperaturen machen einen uncomplicirten Hirmabscess unwabrscheinlich; vor- übergehende Steigerungen kommen dagegen oft vor. Vielleicht das wichtigste Zeichen für einen Hirnabscess ist die Pulsverlangsamung. Differentialdiagnostisch wichtig ist auch die Meningitis serosa, welche einer schwereren Erkrankung längere Zeit vorausgehen kann. Hier ist vielleicht die Lumbalpunktion mit diagnostischem Erfolge zu verwenden. Doch lässt das Verfahren auch oft im Stiche. Die uncomplicirte Otitis media kann ähnliche Erscheinungen liefern, wie ein Abscess, besonders auch die Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen u. A. Auch hier sind Fehlgritie nicht ganz zu vermeiden, wenn man nicht manchmal zu spät kommen will. Eine nicht eitrige Encephalitis kann den Verdacht auf Hirnabscess erwecken, besonders die Encephalıtis hämorrhagica kann denselben vortäuschen. Auch der Irrwisch der Hysterie kann uns „in den Sumpf der Fehldiagnose locken“. Wenn auch sie selbst leicht zu erkennen ist, so kann sich unter dem Mantel derselben ein schweres Hirnleiden verbergen.

Discussion:

Hr. Leutert befürwortet die Lumbalpunktion bei der Differentialdiagnose zwischen Meningitis und Sinusthronıbose. Dazu genügen wenige Cubikcentimeter Flüssigkeit. |

Hr. Freund macht darauf aufmerksam, dass auch eine Verlegung der Gefässe an der Hirnbasis ähnliche Störungen verursachen kann (Hemianopsie). Auch Anästhesia dolorosa im Gesicht, vom Gangl. Gasseri oder den Quintus- Acsten selbst ausgehend, kann Herdsymptom oder Druckwirkung sein.

Hr. Eulenstein betont die Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Tumor und Abscess und erzählt einen Fall von fötider Ohreiterung mit Hirn- tuberkeln und Erweichungsherd.

Hr. Körner: Bei der Diagnose ist stets zu berücksichtigen, dass bei Kindern die Symptome ganz andere sind als bei Erwachsenen. Selbst bis zum 20. Lebensjahre herauf macht oft schon eire einfache Otitis media schwere Hirnsymptome, oder eine phlebitische Sinusthrombose oder ein extraduraler Abscess der mittleren Schädelgrube täuschen Meningitis vor. Extraduralabscesse machen nur bei Kindern Sprachstörungen.

Hr. Oppenheim: Ueber die Lumbalpunktion besitzen wir noch zu ge- ringe Erfahrungen, um schon endgiltig urtheilen zu können. Die Schwierig- keiten gegenüber einem Hirntumor sind genügend bekannt und betont. Anch bei Erwachsenen kann. einfache Otitis media schwere Symptome hervorrufen.

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auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher nnd Aerzte. 381

- ITI. Sitzung am 22. September Vormittags.

1. Hr. Ostmann-Marburg: Ueber die Beziehungen zwischen Auge und Ohr.

Vortr. will nur die directen oder indirecten Beziehungen zwischen beiden Organen besprechen, nicht aber die von dritter Seite veranlassten. Meist handelt es sich um Fulgeerscheinungen am Auge bei Öhrenkrankheiten. Jeder Theil des Ohres kann solche veranlassen, reflectorisch oder indirect vom Gehirn aus. Die Bahnen laufen durch die n. trigemin., facial., acustic., sowohl ram. vestibul. als cochlear. Beide Organe versieht der Quintus mit sensiblen Nerven, daher Schmerzer, Thränensecretion, Lichtempfindlichkeit. Bei eitrigen Ohrprocessen kann das Gang]. Gasseri afficirt werden, und so kann Gesichtsschmerz entstehen (v. Tröltsch). Hier wird die Ueberleitung der Erkrankung durch die pneumatischen Zellen des Felsenbeins besorgt. In einem solchen Falle sah O. heftige Zahn- und Kaumuskelschmerzen. Mun findet in solchen Fällen typische Supra- und Infra- orbitalneuralgie und Schmerzen in der Tiefe der Orbita.

Die Beobachtung Urbantschitsch’s, dass bei Ohrerkrankungen das Sehvermögen beeinträchtigt wnrde, konnte O. bei eigenen Untersuchungen nicht bestätigen.

Bekannt ist der Einfluss des Ohres vom ram. vestibularis aus auf die Augenmuskeln. Das Centrum liegt in den Vierhügeln oder in deren Nähe, die Reflexbahn ist ständig und von selbst thätig. Vielfache Versuche (Mach, Goltz, Breuer u. A.) haben die Entstehung von Nystagmus bei Reizung der häntigen Bogengänge festgestellt, und die klinische Beobachtung stimmt mit ihnen überein. Letztere sind also (mit Ewald) als Tonuslabyrinth zu betrachten. Reizung einer Seite erzeugt doppelseitige Augenbewegungen. Urbantschitsch’s Annahme, dass letztere wesentlich vom Mittelohr ausgelöst werden, ist noch nicht erwiesen. In ähnlichen Fällen ist eine abnorme Nervenverbindung anzu- nehmen, etwa bei Zerstörung der Paukenwand gegen das Labyrinth. Eine directe Reflexlähmung von Augenmuskeln vom Ohre aus ist noch nicht sicher festgestellt worden. Ausser dem Tonuslabyrinthe kommen noch Hirnleiden bei den Augenmuskelerscheinungen in Betracht, Reizungen und Erkrankungen ver- schiedener Hirntheile, sowie der Dura.

Doppel- und secundäre Sinnesempfindungen, Schallphotismen und Licht- phonismen (Bleuler und Lehmann) sind öfter beobachtet. Urbantschitsch hält sie für physiologische Erscheinungen, Andere mindestens auf der Grenze stehend. Manche die sie bieten, sind psychisch belastet. Die durch Tonempfin- dungen erweckten Licht- und Farbenempfindungen werden in das Ohr verlegt, das Auge wird in seinen Functionen dabei nicht beeinflusst. Aehnliches findet umgekehrt statt. Man muss diese Vorgänge anderen pathologischen Reflexen an die Seite stellen.

Hier wäre die von Urbantschitsch studirte Miterregung eines Sinnes bei Erregung eines anderen anzureihen. Wenn bei Augenschluss tieferes Summen entsteht und bei einem Krampf des m. staped. Blepharospasmus oder letzterer bei Ohrerkrankungen, so erfolgt dies durch die Bahnen der Facialisäste.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, BA. XXIX, | 25

382 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

Wird bei schweren Öhreiterungen der Process auf die Orbita weiter ge- leitet, so erhalten wir Zeichen an der papill. optic. Bei Fortleitung in das cav. cran. erhalten wir weitere Augensymptome, und die Wichtigkeit der Unter- suchung des Augenhintergrundes in solchen Fällen ist allgemein gewürdigt. Hier ist ein positiver Befund eine Mahnung zu raschem operativem Eingriff einem negativen fehlt alle Beweiskraft. Für eine Thrombose des sin. cavernos. ist unter den Augensymptomen allein die Schwellung der Lider bezeichnend ; sonst sind die Augensymptome differential-diagnostisch wenig verwerthbar. Hier bleibt noch Manches genauer zu studiren übrig.

Discussion:

Hr. Kümmel hat eitrige Infiltration des Gangl. Gasseri von pneumatischen Zellen aus getroffen. ohne dass Quintusneuralgie vorhanden gewesen wäre.

Hr. Jansen möchte doch dem Nystagmus eine grössere Bedeutung für 'Labyrinthleiden beimessen als der Vortr. annimmt.

Hr. v. Stein findet bei seinen Untersuchungen oft Nystagmus in be- stimmten Richtungen, auch Veränderungen an der Pupille.

Hr. Schwartze: Die Thatsache ist bekannt, dass bei Sondenberührung eines Bogenganges seitlicher, nie rotatorischer Nystagmus entstehen kann. Frägt O., ob das Auftreten einer Neuritis optic. schon durch Paukenerkrankung allein erklärt werden kann.

Hr. Ostmann verneint; desshalb ist Neuritis optic. wichtig für die Indi- cation zur Operation. l

Hr. Jansen findet nicht immer Nystagmus bei Berührung eines blos- liegenden Bogenganges, auch wenn dieser als normal zu betrachten ist.

Hr. Schwarze: Dass die Erscheinung bei Zerstörung der Ampulle fehlt, ist begreiflich.

Hr. O. Wolf frägt, ob auch Schwindel bei solchen Berührungen beob- achtet worden sei.

Hr. Schwartze: Schwindel ist in solchen Fällen stets vorhanden.

Hr. Jansen: Auch der Schwindel kann bei Bogengangsdefecten fehlen oder ist nur anamnestisch festzustellen.

2. Hr. Schwartze: Cholesteatoma verum squamae oss. temp.

Vortr. zeigt das Schläfenbein eines an Lungenschwindsucht gestorbenen 4ljährigen Mannes, in dessen Schuppe ein grosses Cholesteatom sich vorfand. Mittelohrräume ohne Geschwulst, Narbe im Trommelfell, Anamnese fehlt, ebenso jeder Hinweis auf eine äussere Verletzung. Das Präparat spricht gegen die Einwanderungstheorie.

3. Derselbe: Ueber die Exeision der cariösen Gehörknöchelchen.

Vortr. legt eine Sanımlung von gegen 2000 Stück cariöser Hämmer bezw. Ambose vor, theils durch Excision vom Gehörgang aus, theils bei Mastoid- operationen gewonnen. Häufig wird der Hammerkopf isolirt cariös, noch häufiger der Ambo, besonders der lange Schenkel; die Gelenkflächen beider Knochen sind fast immer unversehrt, sie sind nur ganz ausnahmsweise Ausgangspunkt der Erkrankung. In einzelnen Fällen ist Ankylose zwischen beiden gefunden worden, noch seltener sind Exostosen oder Osteophyten. Für Hammercaries

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auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 383

charakteristisch ist die Perforation der Shrapnell über dem proc. brev. Vortr. steht noch heute auf seinem seit lange eingenommenen Standpunkte der Ope- ration vom Gehörgange aus, im Gegensatze zu Stacke, Radical soll dann vorgegangen werden, wenn der Process weiter greift und wenn Cholesteatom besteht. Discussion: Ge

Hr. Jansen hat gesehen, dass cariöse Knöchelchen bei vollständig aus- geheiltem Processe extrahirt wurden, hat aber auch bei Perforationen aın oberen Pol gesunde Ossicula entfernt. Solche Perforation kann auch lediglich durch Warzenfcrtsatzeiterung erzeugt sein, wenn der Knochen sclerosirt ist und Ver- wachsungen mit der Labyrinthwand bestehen, wenn also in der m. flaccida der einzige Ausweg liegt.

Hr. Schwartze. Nur genau senkrecht über dem proc. brev. stehende Fisteln, nicht aber andere in der Shrapnell beweisen Hammercaries. |

4. Hr. Leutert-Halle: Pyämie und Sinusthrombose.

Die Diagnose einer Sinusthrombose ist nicht immer rechtzeitig zu stellen. Diese Schwierigkeit wäre sofort beseitigt, wenn nıan annehmen dürfte, dass jede Pyämie bei Ohreiterung und acutem Warzenfortsatzempyem stets durch Sinus- thrombose bedingt ist. Dass Knochenvenenthrombose Pyämie erzeugt, ist nicht erwiesen. Für die Entstehung eines Thrombus sind namentlich die Verhältnisse im Bulbus jugular. güustig: die Erweiterung der Blutbahn, die Wirbelbildungen in derselben leisten ihr Vorschub. L. hat einen solchen Fall beobachtet. Dass nicht stets ein Thrombus gefunden worden ist, mag von ungenauem Suchen, besonders im Bulbus, herrühren. Darum bezweifelt er die Vollwerthigkeit aller bezüglichen Sectionen, in welchen Thromben nicht gefunden wurden. Die kleinen Knochenvenen konımen desswegen nicht in Betracht, weil sie sich zu rasch voll- kommen schliessen, um grössere Mengen von Toxinen ins Blut gelangen zu lassen. Bei der acuten Östeonyelitis ist auch hauptsächlich das Knochenmark mit seinen weiten, dünnwandigen Gefässen in grösserer Ausdehnung betheiligt; sie kann man darum den Mastoiderkrankungen nicht vergleichen. Auch den Lymphweg glaubt L. ausschliessen zu sollen. Er behauptet also, dass anhaltendes, bei acuter oder chronischer Mittelohreiterung ohne Eiterretention und bei Aus- schluss von Meningitis bestehendes Fieber Ausdruck einer Sinusaffection ist. Schüttelfröste im acuten Stadium sichern bei Fehlen anderer zureichender Gründe die Diagnose. Und er überlässt es den Gegnern seiner Ansicht, das Fehlen einer Sinusthrombose nachzuweisen. Die Septikämie wird durch die Toxine er- zeugt. Genau zu unterscheiden ist zwischen wandständigen und obturirenden Thromben. Erstere geben, wenn sie glatt sind, keine Bacterien an die Blutbahn ab, sind auch für das Gehirn weniger gefährlich. Aber auch von der Aus- dehnung und dem Sitze der Thrombose ist die Schwere des Falles abhängig.

Besteht schon mehrere Tage hohes Fieber, so muss bei der Operation der Sinus freigelegt werden. In acuten Fällen wartet man dann den Erfolg ab. Die Probepunction beweist nichts, weil sie bei wandständiger Thrombose flüssiges Blut giebt (Brieger) und weil der Thrombus im Bulbus sitzen kann es sei denn, dass sie positiv ausfällt. Fällt nun das Fieber nach der Operation nicht bald ab, so muss der Sinus breit gespalten werden. Blutung ist durch Tampo-

25*

384 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

nade zu stillen. Vortr. fasst seine Ansichten zum Schluss in folgende Thesen zusammen: „l. Eine Pyämie ohne Sinusthrombose ist bis jetzt noch nicht er- wiesen. 2. Ich balte das Vorkommen derselben für so unwahrscheinlich, sicher aber so selten, dass sie diagnostisch nicht in Betracht kommt. 3. Die Ver- schiedenartigkeit der Metastasen bei der nach acuten und chronischen Eiterungen auftretenden Sinusthrombose findet in der verschiedenen Art der Thromben ihre Erklärung. 4. Jeder Fall von Empyem des Warzenfortsatzes, welcher nach acuter Ohreiterung auftritt, soll sofort mit Freilezung des Sinus operirt werden, sobald nach dem acutesten Stadium trotz genügenden Eiterabflusses aus der Pauke Fieber von 390 und darüber eintritt. 5. In frischen Fällen ist der Erfolg abzuwarten. Fällt das Fieber nicht spätestens am 3. Tage ab oder treten nach einer fieberfreien Zeit von neuem hohe Temperaturen mit oder ohne Schüttel- fröste auf, so ist der Sinus sofort breit zu eröffnen. 6. Ist der Fall acut und älter, besteht also hohes Fieber schon mehrere Tage, insbesondere aber wenn zu einer chronischen Eiterung, auch ohne dass die Warzenfortsatzerkrankung auffällig ist, einige Tage anhaltendes hohes Fieber tritt, so ist bereits in der ersten Sitzung der Sinus zu eröffnen. Selbsverständlich ist zuerst Meningitis durch Lumbalpunction auszuschliessen. 7. Bei kleinen Kindern darf man den diagnostischen Werth hohen Fiebers nicht so hoch anschlagen, muss jedoch stets die Diagnose Sinusthrombose im Auge behalten. 8. Die isolirte Thrombose des Bulb. ven. jugular. entsteht zumeist indirect durch Mikroorganismen, welche die erkrankte Sinuswand passirt haben und im Bulbus ebenso günstige Bedingungen zur Thrombusbildung finden. 9. Aus dem Resultate der Probepunction dürfen Schlüsse nur dann gezogen werden, wenn dieselbe positiv ausfällt.“

Die Discussion wird verschoben und nach den Vorträgen von Eulen- stein, Hartmann und L. Wolff in der Nachmittagssitzung aufgenommen.

5. Hr. Eulenstein-Frankfurta. M.: Vorstellung eines durch Resection der thrombosirten Vena jugul. intern. geheilten Falles von otitischer Pyämie.

Cholesteatom bei einem jungen Manne, in die hintere Schädelgrube durch- gebrochen, perisinuöser Abscess, Sinus erkrankt, mit Granulationen durchsetzt, wird freigelegt und reisst ein, es quillt Eiter heraus. Nach beiden Richtungen gelangt die Sunde nicht auf soliden Thrombus. Freilegung der Jugular., doppelte Unterbindung, nach unten so tief als möglich. Es tolgen Lungeninfarct, Albu- minurie, Icterus, Oedem im Gebiete der 1. Ven. facial. (der kranken Seite), Abscess der Orbita, Abscess des 1. Unterlappens, rasche schmerzhafte Anschwel- lung der Milz (wohl ebenfalls Infarct), aber ohne Abscess. Jetzt ist der Operirte genesen. (Vortr. zeigte, wie s. Z. berichtet, auf dem heurigen deutschen Oto- logentag das resecirte Stück der Jugular.) Von 4 dem Vortr. bekannten Fällen sind 2 lethal verlaufen.

6. Hr. Hartmann-Berlin: Unterbindung der V. jugularis bei

einem Falle von Hirnabscess und Sinusthrombose mit letalem Ausgange.

Der 23jährige Patient litt an einer nach Scharlach im 5. Lebensjahre auf- getretenen rechtsseitigen Otorrhoe. Wiederholt waren Polypen entfernt worden.

auf der 63. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 8385

Im Juli 1895 trat heftiger mehrtägiger Schwindel uud dumpfes schmerzhaftes Gefühl im Kopfe auf. Nach Entfernung von Polypen stellte sich wieder voll- ständiges Wohlbefinden ein. Am 10. Januar cr. stellten sich wieder Schwindel- erscheinungen, Uebelbefinden und Fieber ein. Am 14. Januar Nachts epilepti- forme Krämpfe und Bewusstlosigkeit, Schüttelfrost, heftigste Kopfschmerzen auf der ganzen kranken Seite, Apetitlosigkeit. Am 15. Januar kam Patient in die Sprechstunde und fand sich äusserst putride Eiterung, der Gehörgang mit Polypen gefüllt. Nach Entfernung derselben wesentliche Erleichterung. Fortbestehen von Fieber und Kopfschmerzen, Wiederauftreten starken Schendels, Am 18. Januar Radicaloperation.e Von da ab Aufhören des Schwindels, vorüber- gehende Besserung der Kopfschmerzen, Schüttelfrost nach der Operation. Bei der Operation wird die mittlere Schädelgrube und der Sinus freigelegt, welche keine krankhaften Veränderungen zeigten. Darauf wieder stetig zunehmende Tempeıatursteigerungen, keine Pulsverlangsamung, vorübergehende Protrusio bulbi dextri, Schwellung hinter und unter dem Warzenfortsatze, Sensorium stets frei, zunehmende Schwäche. 27. Januar wird der Sinus ausgedehnt freigelegt. Bei der Punktion Blut mit Eiter, eine starke Blutung muss durch Tamponade gestillt werden. Sodann ausgedehnte Eröffnung der mittleren Schädelgrube über dem äusseren Gehörgange; bei der Incision entleert sich ein Strahl äusserst fötiden Eiters, der, wie die später vorgenommene bakteriologische Untersuchung ergab, keine pathogenen Keime enthielt. Ausfüllung der Abscesshöhle mit Jodo- formgaze.

Nach der Operation Kopfschmerzen beseitigt, Abends Schüttelfrost, zu- nehmende Apathie, Ausbreitung der ödematösen entzündlichen Schwellung unter- halb des Warzenfortsatzes. Jugularis interna nicht zu fühlen, nicht druck- empfindlich. 30. Januar Eröffnung des Sinus an der Operationsstelle, geringe Eiterentleerung. 1. Februar Unterbindung der Vena jugularis interna, die sich nicht thrombosirt erweist. Zunahme der entzündlichen ödematösen Schwellung bis nach dem Rücken und der Schulter. Trotz der Unterbindung Fortbestehen von Schüttelfrösten. Zunehmende Apathie, zeitweilig Delirien, Incontinentia alvi. Der Versuch, durch eine tiefe Incision am Halse einen Eiterherd freizu- legen, misslang. Es zeigt sich diffuse eitrige Infiltration. Plötzlicher Tod am 5. Februar.

Bei der Section des Kopfes fand sich die Abscesshöhle im Schläfelappen stark verkleinert. Entsprechend dem Tegmen tympani, das sich cariös durch- löchert vorfand, bestand ein fünfzigpfennigstückgrosser Substanzverlust an der Dura mater, bis zu welcher die Abscesshöhle sich erstreckte. Der Sinus war im oberen Theil fest thrombosirt, im unteren Theil von Eiter umspült, wenig Eiter enthaltend. Meningitis war nicht vorhanden. Eine Section des übrigen Körpers zum Nachweise der Metastasen konnte nicht vorgenommen werden.

Während im ersten Stadium der Erkrankung die Erscheinungen des Hirn- abscesses überwogen, kamen hinzu die der septisch-pyämischen Infecetion und der ausgedehnten phlegmonösen Entzündung. Weder die Eröffnung des Sinus, noch dic Unterbindung der Vena jugnlaris waren im Stande, die pyämischen Er- scheinungen zu mildern.

386 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

7. Hr. Ludwig Wolff-Frankfurt a. M.: Bericht über einen Fall von eitriger Sinusthrombose mit Pyämie.

Die Kranke ist nun seit 2 Wochen fieberfrei und fast geheilt. Es bestand 3 Wochen lang Ohreiterung, hohes Fieber, Schwindel, Schiefhals nach rechts, Schmerz längs des r. Sternocleido, an 2 Tagen je ein Schüttelfrost. Warzen- fortsatz empfindlich. Bei der Aufmeisselung desselben fand sich eine grosse mit Granulationen gefüllte Höhle, der freigelegteSinus war dunkelroth, mit Wuche- rungen bedeckt. Punction desselben ergab blutigen Eiter; Eröffnung und Ausräumung, keine Unterbindung, Freilegung bis zum Normalen. Eine von unteren Ende her eintretende Blutung sistirte die Operation. Alsbald hörten die Schmerzen, nach einigen Tagen das Fieber auf. Doch entstand noch ein Abscess am Oberarm, sowie Schwellung und fötide Eiterung unter dem Kinn. Die Operation konnte also am Beginne der pyämischen Erscheinungen aus- geführt werden.

Discussion zu No. 4, 5, 6 und 7:

Hr. Kümmel: Ebensogut wie im Bulb. jugul. könnte irgendwo sonst im Felsenbeine Thrombose entstehen, man müsste also schon dasselbe genau mikroskopisch durchforschen, um Leutert’s Forderung gerecht zu werden. Der Bulbus und die V. jugular. sind auch schon von Anderen auf Thromben- bildung untersucht worden, die solche gewiss nicht übersehen haben würden, Und auch diese Fälle müssen uns beweiskräftig sein.

Hr. Jansen: Leutert’s Ausführungen decken sich ätiologisch und diagnostisch mit seinen eigenen. Er stimme aber L. darin nicht bei, dass man den Sinus incidiren soll, statt ihn zu punktiren. Wenn eine umschriebene Menningitis besteht, gibt die Lumbalpunktion keinen Aufschluss.

Hr. Grunert: Eine umschriebene Meningitis darf uns von weiteren Ein- griffen auch nicht abhalten. L. sprach nur von der diffusen.

Hr. v. Wild macht ebenfalls Einwendungen gegen die von L. vorgetragenen Theorien vom allgemeinen pathologischen Standpunkte aus.

Hr. Leutert: Hier mit positivem Material zu arbeiten, sei allerdings . schwierig. Er leugnet nicht, dass im Warzenfortsatze Thromben entstehen, aber dass sie ausgesprochene Pyämie.erzeugen. Die blosse Punktion des Sinus kann Irrthum erzeugen, die Lumbalpunktion giebt bei diffuser Meningitis ein posi- tives Ergebniss, bei circumscripter kann man ruhig am Sinus operiren.

Hr. Jansen: Auch umschriebene Meningitis kann eine Gegenanzeige werden.

Hr. Küm mel möchte auf dem Standpunkte beharren, dass nur positive Ergebnisse entscheidend seien.

Hr. Leutert möchte Niemanden den Vorwurf ungenauer oder mangel- hafter Untersuchung machen, aber auf die Nothwendigkeit genauestor Unter- suchung hinweisen.

Hr. Körner: Um Klarheit in das vielgestaltige Bild der otitischen Pyämie zu bekommen, müssen wir zuerst einzelne, wohlcharakterisirte Bilder klinisch abgrenzen. Ein solches abgegrenztes Krankheitsbild ist das, was ich als Osteo- phlebitis-Pyämie aufgefasst habe. Dieses Krankheitsbild ist so charakteristisch, dass es nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Eine andere Frage ist,

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auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 387 l

ob dieses Krankheitsbild immer durch eine Phlebitis der kleinen Knochenvenen hervorgerufen wird. Ich habe stets betont, dass ausnahmsweise auch eine latente Sinuserkrankung unter dem Bilde der Osteophlebitis-Pyämie verlaufen kann, namentlich die Erkrankung eines der kleinen Sinus. Dass aber eine Osteo- phlebitis im Warzenfortsatze nicht vorkommen, oder, wenn sie vorkommt, keine Pyämie hervorrufen könne, ist von Niemand, auch nicht von Herrn Leutert, bewiesen worden. i

Hr. Jansen hat dasselbe Krankheitsbild als für die Sinusthrombose bezeichnend geschildert.

Hr, Leutert schliesst mit einigen Bemerkungen die Debatte.,

V. Sitzung am 24. September Vormittags.

1. Hr. Jansen-Berlin: Ueber eine häufige Form von Labyrinth- erkrankungen bei chronischen Mittelohreiterungen.

Vortr. hat 170 Fälle von eitriger Erkrankung des Labyrinths gesehen, meist Defecte im horizontalen Bogengang und fast stets durch Cholesteatom bedingt, nur selten durch Tuberculose oder Scharlach. Letztere sind dann gewöhnlich von der Pauke her entstanden, nicht, wie bei Cholesteatom, vom Antrum aus. Auch traumatische Eröffnung der Bogengänge, meist des horizon- talen, hat er häufig gesehen. Das Symptomenbild ist gleichmässig und cha- rakteristisch. Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Unsicherheit beim Gehen, hori- zontaler oder rotatorischer Nystagmus. Die Gehörprüfung ergiebt in der Regel keine Aenderung. Wo nur der knöcherne Halbzirkelcanal eröffnet wurde, fehlten alle Symptome.

Bei den eitrigen Labyrinthentzündungen ist ebenfalls der Bogengang- apparat nebst Vorhof häufiger als die Gehörschnecke ergriffen. Manchmal ver- laufen sie ganz ohne Symptome, besonders bei kleinen Kindern. Die Gleich- gewichtstörungen sind bei centraler Ursache geringer als bei labyrinthärer, und sie sind überhaupt häufiger als der Nystagmus in seinen Beobachtungen. Letzterer verschwindet rascher wieder. Bei Defecten im oberen Bogengang ist das Krank- heitsbild das gleiche wie bei solchen des äusseren. Beschädigungen der oberen und hinteren Schenkeltheile kommen mehr nach acuten Mittelohrentzündungen vor, bei subduralen Abscessen und Meningitis.

Geheilt sind 830/09 In 8 bis 100; trat in Folge der Labyrintheiterung Meningitis ein. Einige Male wurden die erkranktsn Labyrinththeile operativ angegriffen, Ausschabungen des Vestibulum oder des horizontalen Bogenganges gemacht, ein Theil der Labyrinthkapsel entfernt, misfarbene wuchernde Granu- lationen fortgenommen und das ohne grosse neue Gefahren für diesen Ohr- theil. Indessen heilen Labyrintherkrankungen oft auch spontan aus.

Discussion:

Hr. Adler: Wenn in Fällen von operativen Eingriffen. von Basisfracturen oder Meningitis die stürmischen Erscheinungen vorüber sind, so bleibt dann Taubheit der befallenen Seite zurück. Die Gleichgewichtstörungen treten bei geschlossenen Augen nach der verletzten Seite ein, das Schwindelgefühl wurde in seinen Beobachtungen dann heftig, wenn der Kopf nach der kranken Seite

388 Bericht über die Verhandlungen der Abtheilung für Ohrenheilkunde

gedreht wurde. Will nicht behaupten, dass bei einseitigen Labyrinthbeschä- digungen die Gleichgewichtstörungen immer auftreten.

Hr. Bloch hat in einem Falle ebenfalls Eröffnung des horizontalen Bogen- gangs ohne Läsion des häutigen Canales gesehen, ohne dass irgend welche Störungen eingetreten wären.

Hr. Rudloff: Bei der Operation eines Cancroids wurde der horizontale Canal eröffnet. Es entstanden Gleichgewichtstörungen, aber kein Nystagmus.

Hr, Kessel glaubt, dass solche Verletzungen häufiger vorkommen, als man ahnt, und freut sich, dass allmählich das Labyrinth operativ zugänglicher wird. Er hält die dagegen geltend gemachten physiologischen Einwände für Vorurtheile.

Hr. Szenes sah Gleichgewichtstörungen, sowie Erbrechen, aussetzenden Puls und schlechte Athmung beim Ausspritzen mit dem Paukenröhrchen.

Hr. Adler will nicht behaupten, dass die genannten Erscheinungen bloss durch das Labyrinth bedingt werden.

Hr. Guye beobachtet die Gleichgewichtstörungen beim Drehen nach der kranken, höchst selten nach der gesunden Seite.

Hr. Adler freut sich, dass Guye an einem grossen Materiale das bestätigt findet, was er als gesetzmässige Erscheinung ansieht.

Hr. Kessel: Bei Basisfracturen können alle möglichen Theile beschädigt sein. Jansen hat ja auch in 400/, seiner Fälle keine solchen Störungen getroffen.

Hr. Adler: Die ersten Erscheinungen bei Basisfracturen will er nicht verwerthen, sondern die späteren „Herdsymptome“.

Der Herr Vorsitzende glaubt nicht, dass jetzt dieses Thema erörtert werden soll.

Hr. Jansen kann nicht zugeben, dass nicht auch Gleichgewichtstörungen beim Drehen nach der gesunden Seite vorkommen.

2. Hr.Guranowski-Warschau: Zur Casuistik der Labyrinthnekrose.

Linksseitige Ohreiterung bei Scharlach. Abscess am Warzenfortsatz, Incision, Fistel im Knochen, im Gehörgange Polypen vom Antrum her, Hammer cariös, Facialislähmnng. Jetzt erst wird die Radicaloperation gestattet. Nach drei Monaten noch geringe Eiterung der Pauke, nach sechs Monaten wird, nach Wiederöffnung der Operationsnarbe ein Sequester entfernt, welcher alle drei Bogengänge und Theile des Vorhofs umfasst. (Demonstration.) Dann definitive Heilung bis auf die Nervenlähmung.

3. Hr. Vohsen-Frankfurt a. M.: Zur operativen Freilegung des Kuppelraums der Trommelhöhle. Zur Gehörgangsplastik.

Zeigt für den ersteren Zweck ein trepanartiges Instrument mit Schutz- . vorrichtung, so dass tiefere Verletzungen vermieden werden. Zu dem anderen Zwecke eine Nähvorrichtung, um den Gehörgangslappen am Knochen zu be- festigen und das Nekrotischwerden desselben zu verhüten.

Discussion: Hr. Seligmann fürchtet das Abgleiten des Bohrers im Gehörgange.

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auf der 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 389

4. Hr. Seligmann-Frankfurt a. M.: Zur Therapie der subjectiven Gehörsempfindungen bei Sclerose des Mittelohrs.

Hr. Seligmann hat einen elektrisch zu betreibenden Apparat construirt, welchen er vorzeigt und welcher mit dem Siegle’schen Trichter verbunden wird. Er dient wie die Delstanche’schen Apparate zur Hin- und Herbewegung der Leitungskette des Mittelohres, nur in viel rascherer Folge. S. macht seine Mittheilung hauptsächlich deshalb, weil man mit dem Apparate das Sausen bei Selerose stets binnen 1 bis 2 Minuten auf Stunden hinaus zum Schweigen bringen kann, wenn keine Nerventaubheit zugegen ist. Die Hörweite bleibt nach beiden Richtungen gänzlich unbeeinflusst. Natürlich eignen sich nur solche Fälle für diese Behandlung, in welchen das Trommelfell beweglich ist. Die Verschieden- heit der Wirkung auf das Sausen und auf das Hörvermögen regt die Frage an, ob nicht die Geräusche an einer anderen Stelle entstehen als die Hörstörung selbst.

Discussion:

Hr. v. Stein: Wegen der Schmerzen, welche bei der Ohrmassage die Lucae'sche Drucksonde zuweilen verursacht, hat er sich ebenfalls ein anderes Instrument anfertigen lassen, welches er kurz beschreibt,

Präsenzliste:

1. Bloch-Freiburg, 23. Lommel-Homburg, 2. Dreyfuss-Strassburg, 24. Lubet-Barbon-Paris, 3. Eulenstein-Frankfurt a. M., 25. Manasse-Strassburg, 4. Fischenich- Wiesbaden, 26. Martin-Paris, 5. Grunert-Halle. 27. Moxter- Wiesbaden, 6. Guranowski- Warschau, 28. Müller-Frankfurt a. M., 7. Guye-Amsterdam, 29. Nehab-Ems, 8. Hartmann-Berlin, 80. Nöll-Schwalbach, 9. Hirsch-Frankfurt a. M., 31. Passow- Heidelberg, 10. Jansen- Berlin, 32. Pluder-Hamburg, 11. Jo&l-Gotha, 33. Rudloff-Wiesbaden, 12. Kaufmann - Heidelberg, 84. Schwartze-Halle, 13. Kayser- Breslau, 35. Seligmann- Frankfurt a. M., 14. Kessel-Jena, 86. Simon- Breslau, 15. Körner-Rostock, 87. von Stein-Moskau, 16. Koll-Aachen, 38. Stern- Metz, 17. Kümmel- Breslau, 89. Szenes- Budapest, 18. Knhn-Strassburg, 40. Veis-Frankfurt a. M., 19. Leutert-Halle, 41. Walther-Frankfurt a. M., 20. Levi-Hagenau, 42. von Wild- Frankfurt a. M., 21. Limbach-Frankfurt a. M., 43. L. Wolff-Frankfurt a. M,,

22. Lindemann-Berlin, 44. ©. Wolf-Frankfurt a. M

390 Fachangelegenheiten.

Fachangelegenheiten. Professor Zaufal in Prag wurde zum Ordinarius befördert.

Die erledigte otiatrische Professur in Breslau soll vorläufig nicht wieder besetzt werden, und die erst vor einem Jahre begründete Ohren- klinik daselbst wird aufgelöst. Dagegen soll die Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke weiter bestehen. Mit ihrer Leitung ist der Privatdocent Dr. Kümmel betraut worden.

In Rostock wurde der Ohren- und Kehlkopfklinik ein zum Stadtkrankenhause gehöriges Gebäude mit Operationszimmer als provi- sorische stationäre Abtheilung bis zur Vollendung des projectirten Baues einer besonderen Klinik zur Verfügung gestellt. Seither waren die klinisch behandelten Ohren- und Kehlkopfkranken in den Räumen der medicinischen Klinik untergebracht und im Operationssaale der chirur- gischen Klinik operirt worden.

Vor der Strafkammer des Landgerichts Nordhausen wurde ein Arzt wegen fahrlässiger Tödtung zu Gefängniss verurtheilt, weil er bei einem Kinde, das sich einen Johannisbrodkern ins Ohr gesteckt hatte, bei den Extractionsversuchen derartige Verletzungen verursachte, dass eine Ge- hirnhautentzündung mit letalem Ausgange eintrat. In der Presse wird darauf hingewiesen, dass der Angeklagte zu entschuldigen sei, da die Prüfungsordnung für Aerzte die bedenkliche Lücke enthalte, dass der approbirte Arzt nichts von der Untersuchung und Behandlung der Er- krankungen des Olıres zu wissen brauche. H.

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