Google

Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nutzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen unter Umständen helfen.

+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sıe sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.

Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen.

D »» P ) 4 ms

| » ) > » P 3

| | | >> | 230) D P ES D. DE

"R^

BOSTON

MEDICAL LIBRARY

& THE FENWAY.

T'AZ

iae

à % 7

_ PP ben "ES x » = m, S s » - » { ES SRE J a LN Y. LI eed j ; > . » PME EA A M B yi « EC 3 é M 4 Ca i ~ p > art "e It i , s T ` AE mP i N wig b 17^ wor E E c EH RR KS - s TSA s Pr T. " e. xe AE N i, n5 5-3 A TE Im fi Bi E P] | D a EU ER ee er. s pa COD T e tr a ET lg: iiu ues No A "E. PAE a ea E d "Tz icc X od T C a tuU. P ^- D 1 M bnt EX uel Le» T Ara, + Ta i y m "x a EEE " | RM. er rw 4 a "rg PS à LN B It 8j Er E " pn n DER, L4 iur uA A Pe y A pet al e C Re AD, N N A ee Te Jt / M t rr S. a ME RE ONU VER e de tico ate REN ^4 be] m A LE ^ ee ou ds SY M P a ee E < 1

g LET a ' " "n E SUE | A CT be ENS. iE. i EVE t: E ^. - . t 4 (5 | V i a 4 P f 4 2 Hr ME * A $ ü k Fe LIA s Pm AT E d i A J A " "^ y À ME 25 MEE B t Fy P. i d Ew | AT ! T" ia IE" d^ e A E m e ar t, os Lj M WC LI a Mr < $ y p P3 4 UN y

" - "t P d r B ~ Re N ~ 1" E -. " E A " E

G ~ M H le D. À * Ww ^ > E , x

A 1 ; f u ` 4 Ls bs ? x v À r » M P aM v - i $ E

m Pw

4 at t. VE. ,""Digitized-by Joe abr; z u. n E eT

. "wm! i p d à > p "ov * in 3 Lt eis a ri

AS WS ( er. oru! d 2-4 S X ra p Pa le 4 De "E ALS - AY ia

P

ZEITSCHRIFT

FÜR

OHRENHEILKUNDE

IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE

HERAUSGEGEBEN VON

Pror. DR. H. KNAPP Phor. Ds. 0. KÖRNER

in New -York in Rostock

DR. ARTHUR HARTMANN Pror. Der. U. PRITCHARD

in Berlin in London.

DREISSIGSTER BAND.

MIT ZWEI TAFELN UND EINER ABBILDUNG IM TEXTE.

WIESBADEN. VERLAG VON J. F. BERGMANN. 1897.

Druck von Carl Ritter in Wiesbaden.

N RE EEE rn TE EEE gl

—-—mı.- oe u

l.

JII. IV.

VI.

VII.

VIII.

IX.

XI.

XII.

XIII.

XIV. XV.

XVI.

INHALT.

Casuistische Mittheilungen. I. Otitis media purulenta acuta

. sinistra. Meningitisoder Gehirnabscess!? Amnestische Aphasie.

Operation. Tod. Meningitis. II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. Während der Operation Tod in Folge von Luft- eintritt in den verletzten Sinus sigmoideus. Von Prof. Dr. A. Kuhn in Strassburg

Ausgedehnte, nicht infieirte Thrombose mehrerer Time und der "Jugularis in Folge einer Operationsverletzung des Sinus transversus, Heilung. Von Dr. med. Richard Hoffmann, Ohrenarzt in Dresden

Volksmedicin auf dem Gebiete dër Ohren-, Nasen- und Hals- krankheiten. Von Dr. Karutz in Lübeck :

Ein Fall von sogenannter Bezold'scher Mastoiditis. Eröffnung des Abscesses der seitlichen Halsgegend und des Antrum. Resection des Warzenfortsatzes; Heilung. Von Dr. L. Lichtwitz in Bordeaux

. Ueber Hyperostose des äusseren Gehórganges. Von Dr. Arthur

Hartmann in Berlin. Mit 1 Abbildung im Texte

Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. Verzeichniss der von der Commission der anatomischen Gesellschaft festge- stellten Namen, eingeleitet und im Einverständnisse mit dem Redactionsausschuss erläutert von W. His. Besprochen von Prof. Dr. O. Körner in Rostock .

Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe. (Erster Nach- trag zum „Hörvermögen der epu E. Von Prof. Dr. Fr Bezold in München .

Die Erkennung der Trommelfellperforatin "Von Dr. E. Bloch in Freiburg i. Br. .

Ueber einen Fall von zleichseitiger Afgelretöner Eiktanking des Acusticus, Facialis und Trigeminus. Von Dr. Danie Kaufmann, Assistent an der Ohrenklinik des Prof. Politzer in Wien .

Bemerkungen über Neuralgia buc ti im Anschluss an die Mittheilung eines Falles von NEED CS Von Prof. Dr. O. Kórner in Rostock

Nachprüfung der im Jahre 1893 untersuchten Taukstumment. (Zweiter Nachtrag zum „Hörvermögen der Taubstummen“.) Von Prof. Dr. Fr. Bezold in München. Mit 2 Tafeln

Ein Fall von Temporo-sphenoidal Abscess im Anschluss an links- seitige acute Mittelohr-Eiterung; Operation; Acute Hernia cerebri ; Tod. Von W. Milligan, MD., in Manchester. ien ee von Dr. Th. Schróder in Rostock).

Zwei Fälle von Sarcom des Mittelohres. Yon wi l li iam Milligan, MD., in Manchester. P von Dr. Th. Schröder in Rostock) :

Die Literatur über das Chlorom des Schlüfenbeins and dés Ohres. Von Prof. Dr. O. Körner iin Rostock . . .

Ueber inspiratorisches Zusammenklappen des Wise Sinus transversus und über Luftembolie. Von Prof. Dr. O. Kórner in Rostock. (Aus d. Klinik f. Ohren- u. Kehlkopfkranke zu Rostock)

Ein Fall von erworbener totaler Taubheit in Folge von here- ditárer Sy e mit Sectionsbericht. Von Walker Downie, M. B., F. E P. & S. G., Dozent für Hals- und Nasenkrankheit:n an der Universität Glasgow ; Ohrenarzt am königlichen Spital für kranke Kinder etc. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock) . ^ HUP bes po ana Aare eee ae e E A

Seite

17 86

48

105

114

121

125

133

203

223 `

226 229

231

236

IV Inhalt.

XVII. Studien über die Form des Ohres. Von Dr. Karutz in Lübeck. I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel . I IL. Die Ohrforia als Rassenmerkmal ; XVIII. Zur Frage der Nachbehandlung nach der operativen Eröffnung der Mittelohrräume. Von Dr. L. Grünwald in München j XIX. Casuistische Beiträge zur Pyámiefrage. Von Dr. H. Eulenstein in Frarkfurt a. M. XX. Die Krankheiten des Ohres beim acuten und chronischen Morbus Brightii. Von Dr. J. Morf in Winterthur . . XXI. Studien über die Form des Ohres. Von Dr. Karutz in Lübeck. III. Die Ohrform in der Physiognomik . . XXII. Ein Fall von Otitis media acuta mit nachfolgendem Abscess ~ im Lobus temporo-sphenoidalis. Operation; Tod durch Shock. Autopsie. Von Gorham Bacon, M. D. (Vebersetzt von Dr. Th. Schróder in Rostock). . XXIII. Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose "und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. Von Dr. A. Scheibe in München. (Aus dem otiatr. Ambulat. des med. klin. Instituts.) . ] XXIV. Ueber die Beziehungen zwischen Schádelform, Gaumenwölbung und Hyperplasie der Rachenmandel. Von Dr. W. Schwartz in Rostock

Bericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde im dritten und vierten Quartal des Jahres 1896, sowie im ersten Quartal des Jahres 1897. Zusammengestellt

von Dr. Arthur Hartmann in Berlin . . . . . 53. 1986.

Besprechung von Prof. Dr. Hermann Knapp in New-York:

Traité de Chirurgie cérébrale. Von A. Broca und Maubrac.

582 Seiten mit 72 Textbildern . Besprechung von Dr. Arthur Hartmann in Berlin:

Die operative Freilegung der Mittelohrräume nach Ablösung der Ohrmuschel als Radicaloperation zur Heilung veralteter chroni- scher Mittelohreiterungen, der Caries, der Necrose und des Cholesteatoms des Schläfenbeins. Nebst den Kr ankengeschichten der ersten 100 operirten Fälle. Von Dr. Ludwig a Ohrenarzt in Erfurt . zx

Besprechungen von Prof. Dr. Passow in Heidelberg:

Die Neuralgie des Trigeminus nebst der Anatomie und Physiologie des Nerven. Von Dr. T. Krause in Altona. .

L'oreille. P. Bonnier. Encyclopédie scientifique des Aides- Mèmoire, publié sous la direction de M. Léaulé V

Besprechung von Prof. Dr. Ad. Barth in Leipzig:

Die Krankheiten der oberen Luftwege. Von Prof. Dr. Moritz Schmidt :

Bespreehung von Prof. Dr. O. Körner in Rostock:

Die Meningitis serosa acuta. Eine kritische Studie von Dr. med. Georg Boeuninghaus in Breslau e.c

Emilio de Rossi's Jubilàum 25jühriger Unterrichtathätiekeit

XII. internationaler medicinischer Congress zu Moskau 1897 .

Deutsche Otologische Gesellschaft

69. Versammlung Deutscher Naturforscher viti Kelten in “Braunschweig

Fachangelegenheiten . . . . . . . 104. 201.

Eingabe der akademischen Vertreter der Ohrenheilkunde an das Reichs- kanzleramt ne i À oUr g TASE:

Nekrolog: DR. J. MICHAEL F. . Berichtigung. Von Dr. E. Bloch in Editus: i. T Nachtrag zur Besprechung der anatomischen Nomenclatur

S

Seite

242 261

301 307 313 344

361

366 377

189

193 194

392 194 103 195 305 304

196 200 202 oC4-

On M e Ds

C$

JUN 15 1909 vessup oco

LIBRAEV I.

(Aus der Klinik für Ohrenkrankheiten der Universität Strassburg.)

Casuistische Mittheilungen.

I. Otitis media purulenta acuta sinistra. Meningitis oder Gehirnabscess!? Amnestische Aphasie. Operation. Tod. Meningitis.

II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. Während der Operation Tod in Folge von Lufteintritt in den verletzten Sinus sigmoideus.

Von A. Kuhn.

I.

Unter den endocraniellen otitischen Folgekrankheiten sind es be- sonders die Meningitis purulenta und der Hirnabscess, deren differentielle Diagnose in manchen Fällen ungemein schwer ist; hauptsächlich ist dies der Fall, wenn diese Erkrankungen sich in stürmischer Weise im Ver- laufe acuter Mittelohraffectionen entwickeln. Die meisten der hier in Betracht kommenden Symptome sind beiden Krankheitsformen gemeinsam ; das Fieber kann fehlen oder sehr hoch, intermittirend oder continuirlich sein; die Kopfschmerzen sind in beiden Affectionen zuweilen sehr intensiv, fast unerträglich und continuirlich, andere Male nur vorüber- gehend und geringen Grades; in manchen Fällen beobachtet man starke Empfindlichkeit bei der Percussion der betroffenen Schädelseite, in anderen fehlt dieselbe vollständig; ebenso variabel ist das übrige Symp- tomenbild : die Gleichgewichtsstörungen, das Erbrechen, die klonischen oder tonischen Spasmen der Extremitäten und der Gesichtsmuskulatur oder auch deren Parese, ebenso variabel und unsicher sind die Genick- starre, die Einziehung der Bauchdecken und gleich wechselnd das ophthalmoskopische Bild des Augenhintergrundes.

Für ein hochwichtiges Merkmal zur Unterscheidung zwischen Meningitis und Gehirnabscess hält man die sogenannten Herder- scheinungen und von diesen insbesondere die Störungen im sen-

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX, 1

2 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

sorischen Sprachgebiete, die bei Abscessen im linken Schläfenlappen als geradezu klassisch gelten, wie dies unter anderem auch aus einer Zusammenstellung S chmiegelow's !) von derartigen eigenen und fremden Beobachtungen hervorgeht. Schmiegelow fand unter 54 Füllen linksseitiger otitischer Schlüfenlappenabscesse 23 mit Sprachstórungen. Die aphasische Form, um die es sich hierbei handelt, ist die sensorielle und beruht auf einer Läsion des sensorischen Sprachcentrums oder auf der Unterbrechung jener Bahnen, welche dieses Centrum mit den Rinden- gebilden verbinden. Derartige Sprachstörungen wird man mit vielem Recht, wenn sie neben anderen Gehirnerscheinungen im Verlaufe links- seitiger Mittelohreiterungen auftreten, für das entscheidende Symptom eines Abscesses im linken Schläfenlappen halten und die hieraus sich ergebende Berechtigung zu einem operativen Eingriffe ableiten dürfen.

Es giebt jedoch hin und wieder Fälle, in welchen auch dieses Symptom trügerisch ist und einen derartigen will ich hier mittheilen.

I. C. M., 23 Jahre, (Journ. No. 645/96). Gesunder, kräftiger Mann erkrankt gegen Fastnacht 1896 an heftigem Schnupfen, zu dem einige Tage später starke Schmerzen im linken früher stets gesunden Öhre hinzutreten. Bei der poliklinischen Behandlung finden sich die Zeichen einer acuten Mittelohrentzündung mit geringem Exsudate in der Paukenhóhle und ohne Durchbruch des acut infiltrirten Trommel- fells.. Zimmeraufenthalt, Carbolglycerin 10?/, und Jodtinctur auf den Warzenfortsatz, Priessnitz. Die Schmerzen hóren nach wenigen Tagen auf, das Exsudat geht zurück und ebenso die starke Hyperümie und Infiltration des Trommelfells; das Gehór jedoch bleibt noch stark vermindert. Mitte April Rückfall, Róthung des Trommelfells und starke Vorbauchung in seiner unteren Hälfte, Klopfen, Pulsiren und Schwindelgefühl. Bei der Paracentese entleert sich serös-eitrige Flüssigkeit und die schmerzhaften Symptome verschwinden für mehrere Tage; eine Woche später wird die Paracentese wieder nothwendig, nach welcher dann die reichliche eitrige Secretion fortbesteht; trotzdem Fort- dauer des heftigen halpseitigen Kopfschmerzes und starker Schwindel nach der kranken Seite zu. Der Kranke wird in die stationäre Klinik aufgenommen und verbleibt daselbst vom 2.—20. Mai; während dieser ganzen Zeit ist der Kranke fieberfrei, hat keine Schmerzen, da- gegen besteht starkes Schwindelgefühl, besonders beim raschen Aufsetzen im Bett. Die Paracentesenöffnung ist in der ersten Woche weit offen und es entleert sich reichliches eitriges Secret. Flüstersprache rechts: normal, links: 30cm; W. V. nach L.; R. V. r. -; l. —: Knochen- leitung links (— 10) verkürzt. Der Augenhintergrund ist normal. Am ersten Tage seines Spitalaufenthaltes erbricht der Kranke

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. 1895, p. 265.

a

-—

I. Otitis media purulenta acuta sinistra. 3

mehrere Male, was er auf eine Ueberladung des Magens zurückführt. Eispillen; Borglycerin 10°/, ins Ohr; Umschläge mit Burow’scher Lösung. Vom 4. bis 13. Mai hat das Erbrechen aufgehört und auch der Schwindel ist viel geringer. Die Perforation ist gut durchgängig, mässige Secretion. In der Nacht vom 13./14. wieder Erbrechen, Kopfschmerz, starker Schwindel; vom 15. bis 18. Mai weder Kopf- schmerz noch Erbrechen, noch Schwindel; Trommelfell durchgängig, ge- ringe Secretion. Der Kranke verlangt nach Hause und wird entlassen, da er sich in den letzten Tagen ganz wohl gefühlt hat; es besteht nur noch leichter Schwindel. Flüstersprache: L. nur dicht am Ohre; R. 8m W. V. =; R. V.: R.+; L.—; L. fehlt die Luftleitung für C-l; c, c! u. c?, Knochenleitung beiderseits verkürzt, r 15; 1 10.

Am 21. Mai kommt Patient in die Poliklinik, giebt an ganz wohl zu sein und will eine Pfingstreise machen; das Trommelfell ist noch infiltrirt, die Paracentesenöffnung ist geschlossen; es bestehen weder Kopfschmerzen noch Schwindel, der Gang jedoch ist etwas unsicher.

Am gleichen und folgenden Tage macht der Kranke das Jubiläums- fest seines Regiments mit und nun stellen sich vom 24. bis 27. Mai wieder sehr starke Kopfschmerzen und so heftiger Schwindel ein, dass der Patient sich führen lassen muss. Bettruhe, Eis.

Am 28. Mai Abends 40,0?; Jammern, Stóhnen, erkennt den Arzt nicht mehr, grosse Unruhe, Schreien, verwirrtes Sprechen; nach einer Morphiuminjection Ruhe wührend einer Stunde, dann wieder Schreien und Toben, sehr starke Kopfschmerzen, springt aus dem Bette, wirft Móbel um u. s. w. und muss am 29. Mai Morgens auf die Wache- abtheilung der psychiatrischen Klinik gebracht werden die Ohren- klinik war überfüllt —. Herr Prof. Fürstner stellte am 29. Mai 10 Uhr folgenden Status fest: Temp. 39,9; Puls 100; Respiration frei. Kopf etwas steif gehalten und leicht nach hinten gebogen, die Be- wegungen im Nacken etwas schmerzhaft, ebenso Druck auf die Nacken- muskulatur. Percussion der linken Kopfseite, besonders oberhalb der Schläfe recht schmerzhaft; gleiche Pupillen aber schwach reagirend; Augenbeweguugen frei, in den Endstellungen lebhafter Nystagmus; der linke Facialis scheint etwas weniger innervirt, im rechten sehr häufige kurze Zuckungen. Die Zunge wird gerade vorgestreckt und bleibt ruhig. An Armen und Beinen keine Lähmung und keine besondere Muskelspannung; Patellarreflex rechts ein klein wenig leb- hafter; kein Dorsalclonus; Plantar-, Cremaster- und Abdominalreflex beiderseits sehr lebhaft; das Abdomen ist etwas eingezogen; ziemlich grosse vasomotorische Erregbarkeit, überall starke Hyperästhesie auf Druck, Kneifen u. s. w. ohne deutliche Differenz zwischen beiden Seiten. Sensorium benommen; der Kranke giebt keine correcten Antworten, oft ganz unpassende; schwatzt häufig spontan und undeutlich vor sich hin. Bei weiteren Fragen zeigen sich aphasische Störungen, besonders Worttaubheit und Nachklingen, auch Paraphasie. Patient kann vorgehaltene Gegenstände nicht benennen, kennt sie aber, so z. B.

1*

4 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

ein Glas: „es ist nichts darin, soll ich trinken?“, setzt es an den Mund; weiterhin ein Buch: „ich brauche es jetzt nicht“ und blättert in demselben u. s. w. Nachsprechen geht; beim spontanen Sprechen bricht der Kranke meist nach wenigen Worten ab und bringt dann den Rest nicht heraus. Patient ist sehr unruhig, wühlt beständig im Bett, läuft im Zimmer umher, legt sich in andere Betten, scheint mit Vorliebe auf der rechten Seite zu liegen. Augenhintergrund normal. 12 Uhr: Patient noch stärker benommen, giebt nur selten verständliche Antworten; beständige Unruhe, viel Durst, schluckt gut; kein Erbrechen, oft Aufstossen. Die Paracentese des Trommelfells ergiebt wieder viel Eiter.

Ansesichts dieser Symptome und besonders in Anbetracht der

deutlich ausgesprochenen amnestischen Aphasie hält Professor Fürstner einen otitischen Abscess im linken Schläfen- lappen für wahrscheinlich und räth zur Operation; ich schliesse mich dieser Ansicht an und bin um so mehr für einen operativen Eingriff, als die Entleerung eines solchen Eiterherdes die einzige Möglichkeit bietet, den so schwer erkrankten Patienten zu retten.

Nachmittags 5 Uhr nehme ich die Operation vor im Beisein der Herren Fürstner, Beyer, Manasse und Lobstein und zwar in der jetzt üblich gewordenen Weise vom Warzenfortsatze aus; nach breiter Eröffnung dieses Knochens, der stark scelerotisch und blutreich ist, lege ich das sehr kleine Antrum frei und eróffne die etwas Eiter enthaltende sonst aber nicht erkrankte Paukenhóhle; alsdann wird vom Tegmen tympani aus der Schuppentheil nach oben zu allmählich abgetragen und die mittlere Schädelgrube in einer Ausdehnung von 4cm Breite auf 3,5 cm Höhe frei gelegt. Die Dura ist stark geröthet, aber ganz glatt und pulsirt deutlich; mehrere Probepunctionen durch die Dura nach verschiedenen Richtungen hin haben kein Ergebniss und auch nach kreuzförmiger Spaltung der Hirnhäute und tiefer Punction des stark pulsirenden Gehirns mit dem Scalpel findet sich kein Eiter. Da es sich nur um einen Abscess im Schläfenlappen wenn überhaupt Gehirnabscess handeln konnte, so wurde bei diesem negativen Operationsresultate von weiteren Eingriffen Abstand genommen und die Wunde mit Jodoformgaze verbunden.

Abends 8 Uhr: 39,8, sehr frequenter Puls, kein Erbrechen; der Kranke ist ziemlich ruhig, jedoch vóllig benommen.

11 Uhr. 40,1, Puls kräftig, sehr frequent; Respiration stark be- schleunigt, zuweilen aussetzend (Che yne-Stockes!); kein Erbrechen, sehr starker Schweiss; beide Augen nach links eingestellt, fast be-

I. Otitis media purulenta acuta sinistra. 5

ständiger Nystagmus; grosse Unruhe mit den rechten Extremitäten, die linken liegen ruhig.

30. Mai 8 Uhr Morgens. Patient hat in der Nacht mehrmals flüssige Nahrung genommen und gut geschluckt; Gesichtsausdruck etwas ruhiger ; Temp. 39,8, Puls 130, ziemlich kräftig und regelmässig; Augen beständig in Bewegung. Auf Anrufen blickt der Kranke auf, kann aber nicht fixiren; keinerlei sprachliche Reaction; Abdomen nicht ein- gezogen, kein Erbrechen, hat Urin unter sich gelassen. Im rechten Facialis keine Zuckungen mehr, dagegen ziemliche Unruhe in den Armen und im rechten Bein; alle Reflexe lebhaft, nichts deutliches von Parese.

ll Uhr. 39,6, Puls 140, klein; Respiration zuweilen aussetzend, seufzend; Augen zucken beständig; meist nach links und oben einge- stellt, nimmt keine Nahrung mehr.

] Uhr. Sichtlicher Verfall; Puls klein, unregelmässig, nicht zählbar; Respiration deutlich Cheyne-Stockes Typus.

3 Uhr. Zunehmende Schwäche, oberflächlicke Athmung; 39,9; starker Schweiss. |

3 Uhr 50 Min. Exitus.

Sectionsprotokoll vom 1l. Juni (Herr v. Recklinghausen): Aus dem Sack der Dura mater spinalis kommt beim Aufschneiden eitrige Flüssigkeit (c* 20 ccm); die Dura ist in ihrem oberen Theile sehr stark injicirt; am Brusttheile und im subarachnoidealen Raume ebenfalls theils trübe, theils eitrige Flüssigkeit in grosser Menge; im Halstheile nur wenig; an der vorderen Seite des Rückenmarkes im subarachnoidealen Raume wenig Flüssigkeit, nur ziemlich starke Róthung der Pia mater; das Rückenmark in seiner ganzen Ausdehnung ist sehr weich. Hinter dem linken Ohre eine bogenfórmige Operations- wunde bis zum Processus mastoideus 6 cm lang und oben nach vorn zu noch 2cm mehr; grosser Defect in der Schuppe 4cm lang und 2 cm breit, desssen Knochenründer etwas flach. Am Schädeldache nichts besonderes (183 : 154) ; Stirnbein 6 mm dick, sonst Knochen dünn, etwas lange Pfeilnühte, bereits im Verstreichen begriffen. Die Dura hängt in den vorderen Theilen besonders rechts, entsprechend der Coronalsutur fest mit dem Schädeldache zusammen; ganz schwache Osteophytenauflagerungen an dieser Stelle, besonders links. Im Allge- meinen trennt sich das Schüdeldach sehr leicht von der Dura; nur schwache Pacchionische Gruben. Der Sinus longitudinalis superior ist weit und enthält dick geronnenes Blut; Dura und Pia sind links etwas angeschnitten; die Dura dünn, mässig injicirt. Links längs der Aus- läufer der Fossa Sylvii bis in die convexen Theile ist die Pia mater mit grüner, eitriger und sehr consistenter Substanz durchsetzt: an der Convexität beider Stirnlappen findet sich hämor- rhagisch-eitriges Infiltrat längs der Sulci selbst. Die Dura ist in der Tiefe der Operationswunde losgewühlt und stark hämorrhagisch, nament- lich bis in die Tiefe der mittleren Schädelgrube hinein; keine besonderen Verbindungen zwischen dem linken Schläfenlappen und der Dura; am

6 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

Schläfenlappen geht die hämorrhagische Infiltration bis zur Spitze. Auf dem hinteren Theile der zweiten Schläfenwindung ist die Pia mater defect in einer Ausdehnung von 2:2,5cm und die bröckelige weiche Gehirnsubstanz liegt zu Tage. Von der Spitze des Schläfen- lappens bis zur Fossa Sylvii ist die Pia eitrig infiltrirt wie auf der anderen Seite; der ganze Gehirnlappen ist weicher und dicker; in der Tiefe sieht man wieder stark hämorrhagische Infiltrate der Pia mater; das ganze Gehirn ist weich, besonders aber der linke Schläfenlappen. Die rechte Arter. fossae sylvii ent- hält dickes postmortales Gerinnsel. Sonstige Differenzen zwischen beiden Hemisphären sind nicht vorhanden; doch scheint es, dass die grosse Längsspalte der linken Hemisphäre mehr medial geht als rechts. Der linke Ventrikel ist ziemlich weit; etwas röthliche Flüssigkeit in beiden Ventrikeln. Die Venae magnae Galeni sind sehr stark gefüllt; das Gerinnsel geht bis in den Sinus rectus hinein. Eitrige Streifen sind auch im Velum chorioid. Am Oberwurm ist der Piaüberzug eben- falls eitrig infiltrirt; im 4. Ventrikel röthliche Flüssigkeit. Bei den durch das Grosshirn angelegten Hauptschnitten ergiebt sich kein Eiter- herd; an der operirten Stelle der zweiten Schläfenwindung wird in der Achse des Lappens eingeschnitten und 3 cm tief findet sich hier in der weissen Substanz eine Höhle, die theils flüssiges Blut, theils feste Ge- rinnsel enthält, welch letztere auch die weich gewordenen Theile durch- setzen; die Umgebung zeigt hier erweichte Hirnsubstanz von blutigen Flecken durchsetzt. In der rechten Fossa Sylvii setzt sich die Eiterung weit fort; die darunter gelegene Substanz zeigt nur geringe Erweichung und leichte Röthung. Hinter dem Chiasma im Subarachnoidealraum und über dem Pons etwas eitrige Substanz. An den linksseitigen Nervi acusticus, facialis, glossopharyngeus und vagus ebenfalls etwas eitrige Flüssigkeit; sonst zeigt die Dura über dem Schläfenbein ausser starker Róthung nichts Besonderes; nach Ablósung derselben keine Perforation in derselben, wohl aber auf dem hinteren Theile der Felsenbeinkante eine Grube, in welcher róthlicher Eiter liegt ; die Dura ist hier an ihrer Innenseite mit röthlicher, schmieriger Substanz bedeckt, die sich mehrere Milli- meter tief (22mm tief und 13 mm breit) in das Felsenbein fortsetzt; die Ränder dieser Grube sind ziemlich stark ausgezackt; röthlich-weisse weiche aber nicht flüssige Substanz ist auf dem Grunde dieser Grube, darunter kommt man auf eine Platte bei deren Berührung ein trommel- artiger Ton entsteht; in mittleren Theile dieses Knochenherdes lässt sich die Sonde 3 mm tief bis in die Paukenhóhle vorschieben. Beim Durchsügen des linken Warzenfortsatzes findet man mehrere kleine Eiterherde in der Spongiosa und von diesen liegt ein etwa bohnen- grosser unmittelbar am hinteren und oberen Rande der Meisselstelle, von dem aus eine Haarborste bis zum erweichten Knochenherd des hinteren Pyramidentheiles vorgeschoben werden kann. Das Trommel- fell ist, wie noch in vivo gesehen werden konnte, stark verdickt und in seinem hinteren und unteren Quadranten liegt die Paracentesenspalte ;

I. Otitis media purulenta acuta sinistra. 7

die Gehórknóchelchen sind intact. Mit Ausnahme einiger hämor- rhagischen Erosionen und mehrerer braunschwarzer Stellen in der Schleimhaut des Duodenum ergiebt die Section keine weiteren Ver- änderungen an den übrigen Organen. Die Thymus ist ziemlich gross in Gestalt zweier Lappen und hat 9 cm Länge.

In unserem Falle hat das Symptom der amnestischen Aphasie zur Annahme eines Abscesses im linken Schläfenlappen geführt und die Operation veranlasst; das Sectionsergebniss war jedoch insofern negativ, als sich neben der intensiven eitrigen Meningitis keine Abscess- bildung, aber immerhin wesentliche Veränderungen in der Substanz der linken zweiten Schläfenwindung vorfanden (leichte Erweichung, stark hämor- rhagische Infiltrate und hlutige Flecken in der Hirnsubstanz); fernerhin war das grüne eitrige Infiltrat der Pia gerade am vorderen und mittleren Theile der zweiten Schläfenwindung am stärksten aufgelagert. Diese Störungen in der Gehirnsubstanz und insbesondere die Kreis- laufsstörungen, so wie auch bis zu einem gewissen Grade der directe Druck des consistenten Eiterinfiltrates der Pia dürften mit die Veran- lassung der Aphasie gewesen sein, wie ja auch Salzer (Wiener klin. Wochenschrift 1890, p. 34) bei einem epiduralen Abscesse in der mittleren Schädelgrube amnestische Aphasie beobachtet hat; auch in seinem Falle war die Sprachstörung durch derartige Veränderungen in der Marksubstanz des ersten Temporalgyrus, durch secundäre Kreislauf- störungen oder durch den directen Druck des epiduralen Abscesses be- dingt. In gleicher Weise erwähnt Macewen (Pyogenic diseases of the Brain, p. 203) einen Fall von Worttaubheit und Seelenblindheit bei einem Abscess im Cerebellum neben einem grossen epiduralen Abscess in der mittleren Schädelgrube; nach Entleerung des letzteren ging die Aphasie zurück; auch hier war der Druck des epiduralen Abscesses das veranlassende Moment der Aphasie. Auch im Jo&l’schen Falle (Bonner Versammlung der otolog. Gesellsch. 1894) waren geringe aphasische Sötrungen vorhanden, trotzdem es sich nur um ein acutes otitisches Gehirnödem gehandelt hatte. Ein zweiter Punkt in unserer Beobachtung ist nicht ohne Interesse, nämlich die Fortpflanzung der Mittelohrent- zündung, theils nach dem Warzenfortsatze, anderntheils nach dem hinteren Abschnitte der Pyramide; der Duraüberzng dieser letzteren Knochenpartie war der unmittelbare Ausgangspunkt der tödtlichen Meningitis. Die hochgradigen Gleichgewichtsstórungen so wie auch das Resultat der Stimmgabelprüfungen (verkürzte Knochenleitung, aufge- hobene Perception für hohe Töne u. s, w.) liessen schon während des

8 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

Lebens eine Betheiligung des Labyrinthes an der Mittelohrentzündung mit aller Wahrscheinlichkeit voraussagen; immerhin hatten wir eine so tief greifende Zerstörung in der Knochensubstanz der Pyramide nicht vermuthet. Aeussere Umstände haben es bis jetzt noch nicht er- möglicht, die mikroskopische Untersuchung des inneren Ohres vorzu- nehmen, um zu sehen, wie weit auch dessen häutige Theile er- griffen waren.

II.

Seit langen Jahren haben Chirurgen und Pathologen die Fülle von sogen. Luftembolie mit grossem Interesse verfolgt (Redi 1667, Virchow 1847, Panum 1854). Eine grosse Zahl derartiger Fälle sind bekannt geworden (Gurlt und Langenbeck’s Archiv VIII, p. 219) und meist war dies bei der Entfernung von Geschwülsten am Halse, in der Achselhöhle, bei Exarticulationen im Schultergelenk, bei der Unter- bindung der Subclavia u. s. w. der Fall; dieser Unfall kommt zu Stande, wenn eine grössere Menge Luft in ein dem Herzen ziemlich nahe gelegenes venöses Blutgefäss eintritt, von da ins rechte Herz ge- langt und nun die Luftmenge wie ein Embolus in die Lungenarterien getrieben wird; die hierdurch eintretende Verstopfung dieser Blutgefässe unterbricht für einen Moment alle Circulation, es gelangt kein neues Blut in den linken Ventrikel und schliesslich tritt eine rasch tödtliche Gehirnanämie ein. Geringere Luftmengen können vom rechten Herzen noch fortbewegt und so bedenkliche Folgen verhindert werden.

Nach Senn (Experimental and clinical study of air embolies 1885. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie XXV, 1887, p. 309) kommen die schlimmen Zufälle des Lufteintrittes in die venöse Blutbahn bald über- wiegend auf Rechnung der Herzparalyse in Folge übermässiger Aus- dehnung des rechten Ventrikels, oder einer acuten Hirnanämie, oder auch auf Rechnung der Asphyxie in Folge behinderter Blutpassage in den Lungencapillaren.

Das Bild bei dieser Luftembolie ist stets dasselbe: es tritt unter schlürfendem Geräusche Luft in die verletzte Vene ein und sofort ent- steht Synkope; die Lippen sind blass und bläulich; der Puls setzt aus und nach wenigen Minuten erfolgt der Exitus letalis. Der, rechte Ventrikel ist durch schaumiges Blut enorm dilatirt, die Lungenarterien sind ausgedehnt und zum Theil mit Luftblasen gefüllt.

Im Allgemeinen glaubt man nicht an die Móglichkeit derartiger Unglücksfülle bei Lufteintritt in Venen, die entfernter vom Herzen ge-

AE

-

II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. 9

legen sind, oder in die venösen Blutbahnen des Schädelinneren; nach Senn erfolgt in letztere der Lufteintritt nur bei erhobenem Kopfe und wenn nach grösseren Blutverlusten der Druck im Sinus so tief sinkt, dass bei heftigen Inspirationen die Luft in den offenen Sinus einge- sogen wird; so lange der Kopf tief gehalten wird, bleibt der Blutdruck im Sinus grösser als der Druck der äusseren Luft und das durch die Gefässwunde ausströmende Blut verhindert den Eintritt der Luft.

Uterhardt hat fernerhin experimentell nachgewiesen, dass beim Hunde bis zu 300 ccm Luft in vom Herzen etwas entfernt liegende Venen ohne schweren Erscheinungen eingespritzt werden kann.

Ich habe vor einigen Wochon bei der Operation eines ausge- breiteten Mittelohrcholesteatoms einen plötzlichen Todesfall in Folge von Lufteintritt in den verletzten Sinus sigmoideus zu beobachten Gelegenheit gehabt; die Mittheilung desselben scheint mir in Anbetracht der Seltenheit solcher Unfälle bei Verletzungen der Hirnblutleiter gerechtfertigt und fernerhin soll dieser Fall bei den operativen Eingriffen in der Nähe des Ohrsinus, die wir so häufig vor- nehmen müssen, auf die Möglichkeit eines derartigen Unfalles aufmerksam machen, um eventuell zu dessen Abhülfe gerüstet zu sein.

Marie G., 15 Jahre, (No. 991/96). Blasses schwächliches Mädchen, hat zuweilen an Husten gelitten, jedoch nur kurze Zeit. Nach Angabe des Hausarztes soll Tuberkulose in der Familie bestehen. Bis Januar 1896 hat die Kranke nie an den Ohren gelitten: zu dieser Zeit hat das rechte Ohr plötzlich ohne Schmerzen zu eitern begonnen, mehrere. Wochen später ist eine Geschwulst hinter dem Ohre entstanden, die dann vor 6 Wochen aufgebrochen ist.

Status praesens am 5. Juni 1896: Ziemlich gross aufge- schossenes Mädchen von mässigem Knochenbau und Muskulatur, blasse etwas livide Gesichtsfarbe. Nichts Abnormes an den Lungen, überall reines vesiculäres Athmen; Herzdämpfung nicht verbreitert, Spitzenstoss nach innen von der Mamillarlinie, stark hebend, auch im Epigastrium; Spitzentöne rein, an der Basis erster Ton unrein, jedoch kein Geräusch. Linkes Ohr normal; Rechts: Haut- und Knochenfistel auf der Mitte des Warzenfortsatzes, von Granulationen umwuchert; gelber blutiger Eiter entleert sich in mässiger Menge aus der Fistelöffnung, durch welche man mit der Sonde leicht auf den rauhen, ziemlich weit blosliegenden und durchbrochenen Warzenknochen gelangt; Gehörgang mit dünnem wenig fötidem Eiter angefüllt, nach dessen Ent- fernung mehrere tief liegende, etwas derbe Granulationen sichtbar werden; die hintere Gehörkanalswand ist so stark herabgesunken, dass vom Trommelfell nichts zu sehen ist, dagegen fühlt man mittelst der Sonde rauhen Knochen in der Paukenhóhle. Gehörvermögen rechts vollständig

10 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

aufgehoben. Caries der Paukenhöhle und des Warzen- fortsatzes. | Bei der am nächsten Tage Nachmittags 4 Uhr vorgenommenen Operation wird durch den gewöhnlichen Hautschnitt hinter der Ohr- muschel die Corticalschichte der Warze in grosser Ausdehnung freigelegt; es wird hiebei eine haselnussgrosse Fistelöffnung in der Mitte des Knochens sichtbar, deren Ränder unregelmässig ausgezackt sind und durch welche hindurch eine weiss glänzende Geschwulst in der Warzenhöhle zu sehen ist; zur besseren und vollständigen Ent- fernung dieses Tumors wird die Knochenfistel vergróssert und die Ge- schwulstmasse mit dem scharfen Löffel herausgehoben ; das Cholesteatom, denn um ein solches handelte es sich, erfüllte die Warzenhöhle bis in deren Spitze, hatte nach vorn die hintere knöcherne Gehörkanalswand durchgedrückt und erstreckte sich tief in die Paukenhöhle; ebenso waren die grauweissen Tumormassen nach hinten zu gegen die hintere Schädelgrube gewachsen; nachdem mit dem scharfen Löffel die vordere Höhle ausgsräumt war, wollte ich auch hinten und oben die Tumor- massen vollständig entfernen und war gerade im Begriff, behufs besserer Einsicht in diese Gegend, die darüber hängenden Knochen- theile mit dem Meissel abzutragen, als der chloroformirende Assistenz- arzt mir zurief „die Kranke athmet nicht mehr“. Die Blutung war während der ganzen Operation eine auffallend geringe Die Patientin war cyanotisch geworden, Puls und Respiration hatten plötzlich aufgehört, die Pupillen waren stark erweitert. Die verschiedenen Wieder- belebungsversuche (künstliche Athmung, Faradisirung des N. phrenicus, Massage des Herzens durch das Zwerchfell, fortwährendes rythmisches Hervorziehen der Zunge nach Laborde) werden ?/, Stunden ununter- brochen fortgesetzt, aber leider vergeblich, die Patientin war todt. Wir glaubten es mit einem Chloroformtod zu thun zu haben und hatten hierfür folgende Anhaltspunkte: Die unregelmässige Herzthätigkeit und den unreinen ersten Ton der Aortaklappe; das verbrauchte Chloroform war aus unserer Spitalapotheke und wir konnten von dessen Reinheit überzeugt sein; die Narkose war gleich von Beginn sehr vorsichtig gemacht worden, denn schon nach den ersten Einathmungen war der vorher gleichmässige, langsame und ziemlich kräftige Radialpuls der Art unregelmässig geworden, dass zuweilen nach einem jeden, zuweilen nach jedem dritten Pulsschlage eine deutliche Pause eintrat; der Hautschnitt wurde deshalb noch vor dem Erlöschen des Cornealreflexes gemacht und die Kranke hatte stark dagegen reagirt; dann wurde das Chloroform

II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. : 11

nur tropfenweise gegeben, die Athmung war ruhig, der Conjunctival- reflex sehr stark, Patientin spannte die Muskeln, alles dies, weil ab- sichtlich die Narkose nicht tief gemacht werden sollte; hierauf zwei- maliges Erbrechen von geringen Mengen grüner galliger Flüssigkeit; auch in der Folge wurde nur noch sehr wenig Chloroform aufgeträufelt. die Kranke bewegte Hände und Füsse und während jetzt die Cholesteatom- massen nach und nach entfernt werden und der hintere obere Theil des Warzenfortsatzes abgemeisselt werden soll, stehen plötzlich Athmung und Puls still und können nicht mehr wieder angeregt werden. Alle diese Verhältnisse mussten uns an einen Chloroformtod durch Herzparalyse denken lassen; die am nächstfolgenden Tage von Herrn v. Recklinghausen ausgeführte Section belehrte uns eines Anderen.

Secetionsprotokoll vom 8. Juni 1896. Schlanker Körper, grosse Blässe, bläulich ; hinter dem rechten Ohre bogenförmige Operations- wunde 6cm lang; blutig infiltrirte Weichtheile um die Knochenöffnung, in welche man bequem die Kuppe des letzten Mittelfingergliedes ein- schieben kann. In der Tiefe spongiöse Knochensubstanz, etwas lücken- haft, im hinteren Theile blossliegend; im vorderen Theile kleine Oeffnung, die sich als der äussere Gehörkanal in seinem knöchernen Verlaufe erweist; gegenüber hiervon die beweglichen häutigen Theile des äusseren Gehör- ganges; dazwischen eine verbindende Rinne am Knochen vorhanden. Ziemlich dünner Schädel, Stirnbein durchscheinend; Seitenwandbeine etwas dicker, rother Gefässstreifen sichtbar. Dura mater gespannt, blass. An der Schädelbasis gar keine Flüssigkeit, Oberfläche der Dura feucht. In der Hinterhauptsgrube etwa 5 cem Flüssigkeit. Keinerlei Röthung des Gehirns, auch nicht am rechten Schläfenlappen. Dura am Felsenbein ganz intact (Hirngewicht 1230 gr); im linken Sinus sigmoideus nichts Besonderes. Die Dura mater auf der oberen Fläche der Felsenbeinpyramide durch ein Höckerchen und sich daran- schliessenden Wulst emporgehoben; perlweiss; nach Ab- heben der Dura mater sieht man einen Wnlst quer zur Axe des Felsen- beins, der Schnecke entsprechend, bis zur oberen Kante der Felsenbein- pyramide; dann tritt weiter nach vorn ein zweites Höckerchen zu Tage; endlich an der Basis des Felsenbeins, wo senkrecht die Schuppe des Schläfenbeins emporsteigt, ist der Knochen weiss gefärbt und hier befindet sich ein Knochendefect von lem Durchmesser und eine äusserst dünne Knochenplatte lässt sich durchstossen; hier drängt von aussen her die Operationsstelle so weit vor, dass man Instrumente durch- scheinen sieht. Die weissen Stellen der Hóckerchen sind ganz weich, perl- mutterartig glänzend, richtiges Cholesteatom. Im untersten Theile des rechten Sinus sigmoideus ist ein grosser Knochenspalt vorhanden, der 23 mm lang ist und an dessen hinterer Seite eine

12 | A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

breite Oeffnung sichtbar wird, die im Sinus selbst sich befindet, die etwas zackig und blutig gefärbt ist und eine Länge von 3mm hat. Aussen liegt der Dura des Sinus etwas röthlich-weisse

Substanz auf. Am linken Felsenbein nichts Aehnliches. Das Gehirn im Ganzen weich und recht feucht, blass; gar keine Striae acustic. In der Pia mater enthalten die Gefässe der Convexität

etwas Luft. (Der Cadaver ist nach Eröffnung des Schädels noch mehrfach hin und her transportirt worden.)

Starker Vorsprung über der Trachea (Struma); etwas schwache Muskeln von guter Farbe. Uterus gross, breit, etwas reclinirt; corpus auf dem l. Ovarium (geplatzter Follikel). 20 ccm Flüssigkeit in der Bauchhóhle; ziemlich starke Röthung der Därme. In den grossen Venen des Halses etwas Luft enthalten; die rechte Vena jugularis ist ganz glatt, die linke ebenso und auch in dieser schaumhaltiges Blut. Schilddrüsenlappen 6 cm lang, starker pyramidaler Lappen nach oben. Venae mammar. intern. nur flüssiges Blut, keine Luft darin. In jedem Pleurasack ein paar Tropfen klarer Flüssigkeit: Lungen etwas retrahirt, blass. Herzbeutel stark vor- gewölbt, stark tympanitischer Schall bei der Percussion. Sehr grosse Thymusdrüse, die beiderseits, namentlich nach links hinüber- reicht bis zu einer käsigen Lymphdrüse, die an der Lungenwurzel ge- legen ist. Das Herz ist ungemein gross, reicht weit nach links; nur der rechte Ventrikel nach vorn sichtbar, ist stark aufgetrieben, stark tympanitischer Schall, wenn auch nicht stark gespannt; der linke Ventrikel giebt dumpfen Schall, rechter Vorhof schlaff und nicht so aufgetrieben; der linke Vorhof viel kleiner. Beim Erheben des Herzens tritt gurrendes Gerüusch auf; beim Anschneiden des linken Vorhofes entleert sich ganz flüssiges Blut, anfangs ohne alle Luftblasen, erst allmälich kommen Luftblasen zum Vorschein; gegen 60 cem flüssiges Blut; das rechte Herz collabirt dabei sehr stark; im rechten Ventrikel nur wenig Blut, schwache Gerinnsel ; namentlich aber in den tieferen Theilen durch viele Luftblasen etwas schaumige Gerinnsel, besonders am Tricuspidalsegel. Die Arteria pulmonalis, in situ aufgeschnitten, enthält beim Streichen gegen die Lunge ebenfalls Luftblasen; rechter Vorhof ganz collabirt. Das Blut aus der Vena cava ist ganz dünnflüssig, die Kranzvenen nicht besonders aufgetrieben, am linken Ventrikel platt, keine Luft darin; das Foramen ovale ist so weit offen, dass man das Endglied des kleinen Fingers durchführen kann. Herzfleisch etwas blass, rechts schlaff, etwas dicke Papillarmuskeln und kleine sehnige Stelle an der Spitze des vorderen Papillarmuskels. Auf der Pulmonalarterie ein kleiner sehniger Fleck. Ein paar Luftblasen in der Trachea und etwas Schleim. Auf Schnitt durch die Thymus (27 gr schwer) ergeben sich die Läppchen als stark fettig durchsetzt. Milz blut- und saftreich. Schr kleine Nebenniere links; blutreiche Nierensubstanz. Dünnflüssiges Blut in der Vena cava inferior. Leber ziemlich blutreich, schlaff. Róthliche Flüssigkeit im

p———

II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. 13

Magen. Linke Tonsille stark vergrössert, rechte weniger, sehr grosse Krypten, namentlich auf dem Durchschnitt sehr gross; mit gelben Pfröpfen gefüllte Canäle. Die hinteren Theile beider Lungen zeigen blaurothe Farbe; Ecchymosen auf der Pleura. Wenn man auf die herausgenommenen Lungen drückt, kommt aus Arterien und Venen dunkelrothes Blut heraus, ohne Luft; die vorderen Theile der Lnnge ziemlich stark gebläht. Magenschleimhaut geröthet. Grosse Drüsen am Lungenhylus und den Bronchieen, namentlich rechterseits eine zum Theil aus schwarzer, zum Theil aus weisser Substanz bestehend; dieselbe ist stark kreidig. Im Fundus uteri die Mucosa sehr stark geschwollen.

Diagnose: Cholesteatom des rechten Ohres; Todes- ursache: Luftembolie im rechten Herzventrikel vom Sinus sigmoideus aus. l

Epikrise: Wenn wir mit dieser anatomischen Diagnose und dem ihr. zu Grunde liegenden Sectionsergebnisse die klinischen Erscheinungen während des Unfalles vergleichen, so erklärt sich der blitzartige Still- stand der Athmung und Circulation, es erklärt sich die starke Cyanose des Gesichtes und ebenso auch die Nutzlosigkeit der angestellten Wieder- belebungsversuche: dagegen vermissen wir die bei den Sinusverletzungen stets auftretenden, meist starken Blutungen, so wie uns auch das deut- lich erkennbare, schlürfende Geräusch, das stets hörbar wird, wenn Luft plötzlich in ein durchschnittenes venöses Blutgefäss eintritt. Wir müssen dementsprechend annehmen, dass der Sinus sigmoideus platt zusammen- gedrückt war und kein Blut mehr enthielt. Wie in der Krankenge- schichte schon hervorgehoben, war die Kranke hochgradig blutarm und es war während der ganzen Operation die Blutung aus den Weichtheilen sowohl wie auch aus den abgemeisselten Knochentheilen eine auffallend geringe; beim Auskratzen der Cholesteatommassen aus dem hinteren und oberen Theile der Warzenhóhle, also in der Nähe des Sinus sig- moideus blutete es gar nicht. Es müssen deshalb die Tumormassen, welcher die hintere Wand’ des Meatus osseus zerstört hatten, tief in die Paukenhöhle sich erstreckten und sogar, wie dies an der Leiche ge- funden, in die Pyramide hinein vorgedrungen waren und dieselbe nach der Schädelhöhle zu usurirt hatten, es müssen diese Cholesteatommassen nach hinten zu ähnliche Zerstörungen an der knöchernen Decke des Sinus gesetzt haben, in den Sulcus sigmoideus hineingewuchert sein und allmählich den Blutleiter vollständig comprimirt und blutleer gemacht haben; nur auf diese Weise ist es erklärlich, dass wir bei der Ver- letzung dieses Gefässes keine Blutung hatten; fernerhin dürfte sich hie- durch auch die so leicht eingetretene Verletzung der Sinuswand erklären;

14 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

die gesunde Wand dieses Blutleiters reisst, wie wir dies aus den häufigen Operationen in dieser Gegend wissen, nicht so rasch ein; dieselbe muss in Folge des Druckes durch die Neubildung erkrankt und brüchig ge- wesen sein, um bei einer nur mit geringer Kraft ausgeführten An- wendung des scharfen Löffels verletzt zu werden. Die Erkrankung des Ohres dauerte erst 5 Monate und die Neubildung hatte sich zweifels- ohne in diesem verhältnissmässig kurzen Zeitraume ungemein rasch und in grosser Ausdehnung entwickelt; sie hatte in diesen wenigen Monaten den knöchernen Gehörkanal, grosse Theile der Paukenhöhle verdrängt und zerstört, war in das Knochengewebe der Pyramide hinein gedrungen und schliesslich waren alle Theile der Warzenhöhle von der Spitze bis zum knöchernen Sinus zerstört worden. Das rasche Wachsthum des Cholesteatoms und sein tiefes Eindringen in die elfenbeinerne Knochen- substanz der Pyramiden können in diesem Falle nach der Ansicht unseres Anatomen als charakteristisch für ein „wahres Cholesteatom“ aufgefasst werden und es muss für die primäre Natur unserer Neubildung auch das klinische Moment geltend gemacht werden, dass die Kranke, nach ihren eigenen Angaben sowohl, wie auch nach denen’ der sehr sorgsamen Angehörigen, zu keiner früheren Zeit an einer Erkrankung oder gar Eiterung des Ohres gelitten hatte.

Unsere Specialliteratur kennt keinen derartigen Unfall bei Ver- letzungen dieses Ohrsinus; nur Guye (Arch. f. Ohrenheilk. 1882, XVII, p. 223) theilt gelegentlich einer Discussion über die Gefahren der operativen Eröffnung des Warzenfortsatzes mit, „dass er in einem der- artigen Falle mit dem Perforatorium den Sinus verletzt habe, dass aber trotz Blutung und Lufteintritt in die Venen Heilung erfolgt sei.“ Bei der immerhin nicht geringen Zahl von Todesfällen durch Luft- embolie in Folge von Verletzungen nahe am Herzen gelegener Venen ist es auffällig, dass von derartigen Unfällen bei Verwundungen der Hirnblutleiter im Allgemeinen nur ein einziger, genau beobachteter Fall bekannt geworden ist; derselbe ist von Genzmer beschrieben (Langenbeck’s Archiv XXI, p. 664) und betraf die Exstirpation eines faustgrossen Spindelzellensarcoms der Dura mater bei einer älteren Frau; Volkmann, der die Operation machte, hatte dabei, um den Tumor von der Falx cerebri vollständig abzupräpariren, den Sinus longitudinalis eröffnet, als plötzlich unter starker Blutung mit dem be- kannten schlürfenden Geräusch Luft in die Vene eintrat und die Kranke blitzartig starb. Bei der Section fand man im rechten Herzen massen-

II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. 15

haft grosse Luftblasen und auch die Lungenarterien waren theilweise mit Blut gefüllt. Das linke Herz war blutleer.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen tritt keine Luft in einen ver- letzten Sinus, denn nach den Versuchen von Cramer beträgt der Blutdruck in den Schädelvenen im normalen Zustande wenigstens 90 mm Wasser über dem Atmosphärendruck und wenn man den Blutgehalt des Schüdels z. B. durch Wasserinjection ins Cavum cranii erniedrigt, so sinkt er höchstens nur bis 39 mm Wasserhöhe. Zum Lufteintritt ist aber ein Sinken bis unter Null erforderlich. Es müssen demnach im Falle von Genzmer wie in dem meinen besondere Verhältnisse das Unglück erschwert haben. Bei den hierauf bezüglichen Versuchen an Hunden fand Genzmer, dass eine Luftaspiration durch die Hirnsinus stattfand, wenn die Thiere zunächst durch starken Blutverlust anämisch gemacht waren und man nun Dyspnoe erzeugte.

Diese Bedingung der künstlichen Dyspnoe zum Lufteintritt in die Hirnsinus wird auch von P. Müller (Langenbeck's Archiv XXII, p. 712) bestätigt; er constatirte Lufteintritt in den verletzten Sinus longitudinalis bei einem der Perforation unterworfenen Kinde. Müller hatte schon früher beobachtet, dass bei der Cephalotripsie eines lebenden Kindes in Folge der Gehirnverletzung reflectorisch sehr energische intra- uterine Respirationsbewegungen ausgelöst wurden und dass bei diesen Kindern, wo doch keine Luft in die Bronchieen dringen kann, bei der inspiratorischen Thoraxerweiterung der Druck in der Brusthöhle so sehr herabgesetzt wird, dass eine Aspiration von Luft durch die von der Scheide aus eröffneten Venenräume selbstverständlich ist (Bergmann, Kopfverletzungen, p. 366); auch Bouchard (Gaz. des hopitaux 1865, p. 114) hat bei einer Reihe von Cephalotripsien lebender Kinder bei den Sectionen der noch frischen Leichen Gas im Herzen und in den Venen gefunden; aller Wahrscheinlichkeit nach war auch hier Luft in die bei der Operation verletzten Sinus eingedrungen. Müller konnte in seinem Falle „durch die Auscultation deutlich erkennen, dass die Herz- töne des Kindes, die vor der Operation sehr deutlich und rein gehört worden waren, nach der Anwendung des Trepanes durch ein Geräusch ersetzt wurden, das ganz rythmisch mit den Herzbewegungen war, aber einen „schlürfenden“ oder „gurgelnden“ Charakter hatte“. Claude Bernard (s. Genzmer) will ebenfalls „in Folge der Eröffnung des Gehirnsinus das Eintreten von Luft in die Venen beobachtet haben, welche dann durch die Vertebralvenen und die Vena azygos bis ins

16 A. Kuhn: Casuistische Mittheilungen.

rechte Herz gelangte.“ Schliesslich berichtet auch Bergmann (l. c.) von einem hierher gehörigen Fall; es betraf einen Mann mit compli- cirtem Bruche des Occiput; schaumige Flüssigkeit floss aus Mund und Nase des tief comatösen Mannes und vier Stunden nachher starb der- selbe; bei der Section fand Böttcher eine sehr verbreitete Luftembolie am gehärteten Präparate; ob es sich um eine Verletzung des Torcular oder des Sinus transversus gehandelt hatte, ist nicht angegeben.

In unserem Falle handelte es sich um ein hochgradig anämisches Mädchen, dessen Gefässsystem an und für sich sehr wenig Blut enthielt, fernerhin hatte das Cholesteatom den Sinus sigmoideus vollständig com- primirt und blutleer gemacht; im Augenblicke der Abmeisselung der überhängenden Knochenparthieen dürfte durch die Erschütterung des Knochens die verletzte Sinuswand abgehoben worden sein und das Lumen des Sinus geklafft haben. Die Patientin war ganz kurze Zeit vor dem Unfalle sehr unruhig gewesen, wie dies bei der vorsichtig ausgeführten Narkose mehrere Male der Fall war, hatte wiederholt tief geathmet und es wird im Momente mehrerer tiefer Inspirationen der Riss im Sinus geklafft haben und die. Luft eingetreten sein.

Wie dem immerhin sei, jedenfalls besteht bei zufälligen oder absicht- lichen Verletzungen der Hirnblutleiter und speciell des Sinus sigmoideus die Möglichkeit des Lufteintrittes in denselben und hiermit auch die Gefahr einer tödtlichen Luftembolie. Um einen derartigen Unfall zu vermeiden, räth Genzmer dafür zu sorgen, dass

1. der Blutdruck noch nicht zu sehr gesunken ist, 2. dass der Kranke keine gewaltsamen Inspirationen macht und

3. dass die Sinuswand immer durch Flüssigkeit von der Luft ab- gesperrt ist.

Ist schon Luft in den Sinus und dann ins rechte Herz einge- drungen, so wäre immerhin nach Senn (l. c.) der Versuch zu machen, durch Punction und Aspiration des rechten Ventrikels die eingedrungene Luft zu entfernen und den tödtlichen Ausgang vielleicht zu verhindern

R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus. 17

II.

Ausgedehnte, nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung des Sinus transversus.

Heilung.

Von Dr. med. Richard Hoffmann,

Ohrenarzt in Dresden.

Am 10. April 1895 consultirte mich die 40 jährige Frau B. aus R. Dieselbe klagte über Schmerzen im linken Ohr, besonders aber in der ganzen linken Kopfhülfte. Nach ihrer Angabe bestehen die Schmerzen in der jetzigen Intensität seit 4 Wochen im Anschluss an Influenza und damit gleichzeitig auftretender linksseitiger Mittelohrentzündung. Das Trommelfell wurde gleich bei Beginn von dem behandelnden Arzt ge- öffnet und mehrmals tägliche Ausspülungen des Ohres verordnet. Nach diesen Maassnahmen trat zwar für kurze Zeit Nachlass der Schmerzen ein, dieselben traten jedoch bald wieder in alter Stärke auf. Damit hatte sich dann auch das Trommelfell wieder geschlossen bezw. die an- gelegte Oeffnung war sehr verkleinert. Eine in der Folge mehrmals wiederholte Oefinung des Trommelfells brachte immer für geringe Zeit Linderung der Beschwerden, ohne dauernden Erfolg, da sich der Para- centesenschnitt immer schnell wieder verengte.

Seit dem Auftreten des Ohrenleidens ist Patientin häufig schlaflos, tagsüber sehr unruhig und aufgeregt und leidet an hartnäckiger Obstipation.

Am 9. April trat unabhängig von der Nahrungsaufnahme einmaliges Erbrechen auf, das auf Gallensteine zurückgeführt wurde.

Voriges Jahr hat Patientin an dem rechten Ohr im Anschluss an Influenza ebenfalls eine Mittelohrentzündung durchgemacht. Diese ver- lief gleichfalls mit heftigen Kopfschmerzen, die auch nach Aufhören des Ohrenflusses noch. bestehen blieben, schliesslich jedoch durch den Gebrauch von Dampfbädern geschwunden sein sollen.

Vor diesen Ohrerkrankungen ist Patientin niemals ohrenleidend ge- wesen, war auch sonst angeblich niemals ernstlicher erkrankt.

Der Vater der Patientin ist an Gehirn- die Mutter an Herzschlag, mehrere Geschwister sind in früher Jugend gestorben.

Patientin ist eine mittelgrosse, kräftig gebaute Frau von etwas anämischem Aussehen.

Der Kopf wird nach links und gleichzeitig etwas nach hinten ge- beugt gehalten.

Das Trommelfel ist glanzlos, blass gelblichroth, am hinteren Segment mässig hervorgewölbt. Im hinteren unteren Quadranten inter- mediär eine sehr kleine Perforation.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 2

18 R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und \

Wenig Eiter im Gehörgang. Der Gehörgang im medialen Theile, nach dem Trommelfell zunehmend, geröthet, aber durchaus ohne Schwellung seiner Wände.

Die äusseren Bedeckungen des Warzenfortsatzes sind frei von Rötung und Schwellung, nur unterhalb der Spitze des warzenförmigen Fortsatzes, in der Unterkieferwarzenfortsatzgrube ist eine leichte Schwellung zu constatiren, dort ist auch eine geschwollene Drüse deut- lich zu fühlen. Letztere Gegend und die Spitze des Warzenfortsatzes sind auf Druck ziemlich empfindlich, ebenso auf Percussion, während die Gegend des Antrums, der Schuppe, des Scheitel- und Hinterhaupt- beins wohl auch schmerzhaft waren, aber nicht so stark wie die zuerst genannten Theile.

Die functionelle Prüfung ergab: Erhaltensein der Luft- und Knochenleitung für die Uhr. Projection der Stimmgabel a vom Scheitel nach links.

Hörschärfe für Flüstersprache links vor dem Ohr; rechts normal. Das rechte Ohr zeigte otoskopisch, wie functionell keine auffallende Ab- weichung von der Norm.

Eine zugleich vorgenommene ophthalmoskopische Untersuchung er- gab normale Verhältnisse.

Wiewohl unter diesen Verhältnissen der Verdacht bestand, dass die Eiterung bereits die Grenzen des Mittelohrs überschritten habe und sich daher wohl nur auf operativem Wege eine Beseitigung der Be- schwerden würde erzielen lassen, beschloss ich zunächst noch bei dem ablehnenden Verhalten der Patientin jedem operativem Eingriff gegen- über und unter der Voraussetzung tüglicher Controlle durch Application von Eis und ausgiebige Paracentese den Versuch zu machen, die Er- scheinungen zum Rückgang zu bringen. Es wurde demgemäss das ganze hintere Trommelfellsegment gespalten, wobei sich nur wenig Eiter ent- leerte. In den Gehórgang wurde ein Gazestreifen eingelegt und der Patientin aufgegeben Tag und Nacht Eis auf den Warzenfortsatz zu appliciren und sich am nächsten Tage zur Untersuchung wieder einzu- stellen.

Erst am 16. April erschien Patientin wieder. Die Schmerzen hatten wohl kurze Zeit nach der Paracentese nachgelassen, waren jedoch bald wieder so heftig gewesen, dass Patientin deshalb nicht habe kommen können. Eisapplication habe keine Erleichterung geschafft, es sei ihr vielmehr vorgekommen, als ob die Schmerzen darnach eher stärker würden.

Der Befund war derselbe wie am 10. April. Die Oeffnung im Trommelfell war bis auf eine sehr kleine, enge Stelle geschlossen, die Membran hervorgewölbt, an der kleinen Perforation hing ein minimales Tröpfchen Eiter, sonst war der Gehörgang ohne Secret und auch ohne Schwellung seiner Wände.

Der Vorschlag eines operativen Eingriffs wurde abgelehnt. Wieder- holung der Paracentese und Ordination von Eiswassercompressen.

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 19

In der Folge trat kein Nachlass der Erscheinungen ein. Die Trommelfellóffnung wurde noch mehrmals erweitert, da dieselbe sich immer wieder schloss. Am 19. April und 24. April wurden je sechs Blutegel applicirt ohne jeden Erfolg.

Am 26. April zeigte sich deutlich Röthung und Schwellung über dem ganzen Warzenfortsatz, die Schmerzhaftigkeit blieb jedoch haupt- sächlich auf die Spitze beschränkt, damit nahm die Intensität der Kopf- schmerzen zu.

In der Nacht zum 29. April waren dieselben so stark, dass Patientin sich von ihrem Hausarzt eine Morphiuminjection machen liess.

Nun ging Patientin auf den Vorschlag einer operativen Behandlung ein und liess sich am 29. April in meine Anstalt aufnehmen.

Temperaturmessungen sind während der Zeit der Beobachtung nicht regelmässig vorgenommen worden. So oft dies jedoch geschah, zeigte sich keine Erhöhung der Körpertemperatur. Der Puls wurde stets regelmässig voll und an Zahl durchschnittlich 80 befunden.

Der am 29. April weiter vervollständigte Status ergab: Innere Organe ohne Abnormität. Nirgends Oedeme, sichtbare Schleimhäute blass, Urin frei von Eiweiss und Zucker.

Ophthalmoskopisch keine Abnormität; kein Nystagmus, Pupillen, gleichweit reagirend. Im Ohrbefund keine Aenderung.

30. April. Narkose (Dr. Schanz): Corticalis gesund. Eröffnung des Antrums an typischer Stelle. Dasselbe wird in einer Tiefe von 0,5 cm erreicht und ist voll von Eiter und Granulationen. Derselbe Befund im übrigen Warzenfortsatz.

Der krankhafte Process betrifft das vordere und mittlere Drittel der Pars mastoidea, dehnt sich mehr in horizontaler als in vertikaler Richtung aus. Nach Abtragung der Spitze des Warzenfortsatzes zeigt sich dessen mediale Fläche frei. Beim Entfernen einiger Granulationen aus dem hinteren oberen Winkel des Operationsgebietes mit dem scharfen Löffel Blutung aus dem Sinus. Tamponade mit Jodoformgaze. Verband.

Am Abend desselben Tages zeigte sich, dass die Kopfschmerzen durch den Eingriff in keiner Weise beeinflusst waren. Dieselben nahmen in den folgenden Tagen an Intensität noch zu. Der linksseitige Hinter- kopfschmerz erstreckte sich nach hinten und unten in den Nacken, nach oben überschritt der Kopfschmerz die Mittellinie und dehnte sich auf die rechte Kopfhälfte aus.

Weiter klagte Patientin über Schmerzen in der linken seitlichen Halsgegend entsprechend dem Verlauf der Vena jugularis interna, in der linken Schulter und im linken Arm und ebenso über ziehende Schmerzen in der rechten Schulter und im rechten Arm. Dazu kam ferner Ein- geschlafensein der Beine: das Gefühl, »als gehörten die Beine nicht mehr zu ihr.« Patientin fühlt sich sehr matt und elend. Der Gang war »watschelnd« und unsicher. Ä

Selbst leise Berührungen der Haut des Schädels, besonders der linken Kopfhälfte, des Nackens, der linken Schulter und des linken

9*

20 R. Hoffmann: N icht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

Armes riefen lebhafte Schmerzensüusserungen hervor, ebenso die der linken seitlichen Halsgegend. Berührungen uud Bewegungen der rechten Schulter und des rechten Armes waren ebenfalls ziemlich stark schmerzhaft.

Eine Schwellung entlang der Vena jugularis bestand nicht. Die Halsvenen waren nicht stürker ausgedehnt und eine stürkere Füllung derselben war nicht zu constatiren.

Zu diesen Erscheinungen gesellte sich hartnückige Obstipation, die durch Abführmittel und Klysmata nur sehr schwer bekümpft wurde.

Am 7. Mai. Erster Verbandwechsel: Derselbe lässt keine Ab- normitäten erkennen. Ebenso war es bei den folgenden Verbänden. Die Operationswunde zeigte durchaus normalen Heilungsverlauf. Die Um- gebung des Ohres und der Wunde waren frei von Schwellung bis auf

eine geringe in der Unterkieferwarzenfortsatzgrube. Das Mittelohr zeigte

geringe Secretion. Trommelfell glanzlos und abgeblasst.

In der Folge liessen die ziehenden Schmerzen in den Schultern und Armen wohl zeitweilig etwas nach, die Klage über den Kopf blieb jedoch unverändert.

Patientin lag mit nach links und etwas nach rückwärts geneigtem Kopf im Bett, beim Aufsitzen unterstützte dieselbe den Kopf mit beiden Händen. Die Neigung des Kopfes nach der gesunden Seite, sowie die Drehung waren stark schmerzhaft.

Am 9. Mai stellten sich Parästhesien in der rechten Hand, in Gestalt von Ameisenlaufen, Kribbeln und Eingeschlafensein, ein.

An demselben Tage untersuchte Nervenarzt Dr. Teuscher die Patientin: Hirnnerven intact, keine Motilitütsstórungen. Ausser der Hyperásthesie an den oben genannten Theilen keine Stórungen der Sensibilität. Ebenso die Reflexe normal.

Beim Stehen und Gehen mit geschlossenen Augen Schwanken ohne ausgesprochene Neigung nach einer bestimmten Seite.

Am Abend desselben Tages untersuchte ich den Augenhintergrund und fand besonders rechts Röthung der Papille und Verschwommensein der Grenzen derselben, sowie stärkere Füllung und Schlängelung der Venen. Pupillen mittelweit, beiderseits gleich, reagirend. Kein Oedem an den Lidern.

Erhöhte Temperaturen sind bis jetzt nicht aufgetreten. Puls voll, regelmässig, durchschnittlich 80.

Am 10. Mai zeigte sich deutlich Schwellung längs der Vena jugularis interna, allerdings in geringem Grade. Die Vene selbst war als Strang zu fühlen.

Die Pulsfrequenz stieg auf 120—140 Schläge in der Minute, um vom 14. Mai ab niedrigere Zahlen, 70—58, zu zeigen.

Am letzteren Tage trat als neues Symptom ausgesprochene rechts- seitige Facialisparese auf. Die Lähmung betraf anfangs nur den unteren Facialis, setzte sich aber schnell auch auf den oberen fort und wurde in den nächsten Tagen immer ausgesprochener. Die Kopfschmerzen

a je m g mm em me Hi,

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d.Sin.transversus. 21

hatten sich eher gesteigert. Dazu kamen Klagen über Schwindel beim Aufrichten.

Am 17. Mai constatirte Augenarzt Dr. Schanz: Doppelseitige Neuritis. Beiderseits leichte Röthung und Schwellung der Papille, Grenzen derselben verwaschen. Geringes Oedem der benachbarten Netz- haut, die Venen ausserordentlich stark gefüllt und geschlängelt, Aterien nicht merklich verändert. Links ausserhalb der Papille im oberen lateralen Quadranten eine mittelgrosse streifige Blutung.

Um eine Affection des Facialis durch das andere Ohr auszuschliessen untersuchte ich dieses nochmals, fand dasselbe aber durchaus normal. Stimmgabel a wurde vom Scheitel nach links projieirt. Luft- und Knochenleitung für die Uhr beiderseits erhalten. Töne von 64 bis 40000 Schwingungen beiderseits durch Luftleitung deutlich percipirt. Hör- schärfe für Flüstersprache rechts mindestens 10 Meter, links 1 Meter.

Trommelfell links geschlossen. Gehörgang ohne Secret.

Eine Aenderung des Nervenstatus vom 9. Mai nicht zu constatiren.

Am 18. und 19. Mai traten weitere Veränderungen auf. Patientin die bis dahin vollständig klar war, war zuweilen, wenn auch nur auf kurze Zeit, benommen, delirirte bisweilen, liess Urin und Koth unter sich gehen. Es trat Tags mehrmaliges Erbrechen auf. Die Temperatur blieb andauernd normal. Pulsfrequenz durchschnittlich 50 bis 60.

Bei dieser Steigerung der Allgemeinerscheinungen, besonders den unerträglichen Kopfschmerzen, die der Patientin Tag und Nacht den Schlaf raubten, war ein weiterer Eingriff unabweisslich.

Die schweren allgemeinen cerebralen Erscheinungen konnten bei deutlich fühlbarer Jugularis sehr wohl auf die sicher vorhandene Sinus- thrombose bezogen werden. Die gekreuzte Facialislähmung, die mangels peripherer Ursache als centrale angesehen werden musste, veranlasste jedoch, an die Möglichkeit eines Abscesses zu denken. Demgemäss wurde die Operation eingerichtet.

20. Mai. Chloroformnarkose!) (Dr. Schanz): Schnitt 10 cm lang horizontal dicht an der oberen Insertionsfurche der Ohrmuschel nach vorn bis etwas über die Gegend des Unterkiefergelenks, nach hinten bis über den Zusammenfluss der Lambda-, Parietal- und Mastoidealnaht hinaus.

Lothrecht auf diesen entsprechend der Mitte des Gehórgangs ein zweiter Vertikalschnitt 5 cm lang. Ablósen der Weichtheile vom Knochen. Aus der Squama wird einen Querfinger breit über dem oberen Ansatz der Ohrmuschel ein gut zweimarkstückgrosses Stück theils mit Meissel, theils mit Knochenzange entfernt. Dic vorliegende Dura ist prall ge- spannt und ohne sicht- und fühlbare Pulsations- bezüglich Respirations- bewegung. Mehrfache Einstiche ins Hirn (6—8) mit dem Messer bis

1) Herr Hofrath Dr. Rupprecht, Oberarzt des Diakonissenhauses hier, war so liebenswürdig, mich bei Beobachtung und Behandlung des Falles zu unterstützen, wofür ich auch hier danken möchte.

99 R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

zu 4cm Tiefe und in den verschiedensten Richtungen ergeben nirgends Eiter. Aus den Schnitten sickert nur sehr reichlich Cerebrospinal- flüssigkeit nach. Nach diesem negativen Befunde wird nach unten der oberhalb der oberen Gehörgangswand stehen gebliebene Rest der Squama entfernt und die obere Gehórgangswand selbst etwa 1!/, cm weit nach innen bis zum Limbus des Trommelfells abgemeisselt, die Dura vom Tegmen tympani mit Elevatorium abgehoben. Auch hier kein Eiter.

Nun wird die angelegte Trepanationsöffnung nach hinten und unten erweitert, die Basis des Warzenfortsatzes und der obere Theil der Pars mastoidea fortgemeisselt und so der Sinus transversus in seinem Knie, einem Theil seines transversalen und absteigenden Verlaufs freigelegt und die hintere Schädelgrube noch weiter in geringer Ausdehnung er- öffnet.

Der Sinus zeigt sich im absteigenden Theil und am Knie ohne Pulsation als prall gespannter dicker Wulst vorspringend und gelblich- grau verfärbt, während nach hinten zu der transversale Theil einen leicht bläulichen Schimmer darbietet.

Die Probepunktion des Sinus ergiebt wenig flüssiges dunkles Blut, die Incision erweist denselben mit braunrothen Thrombusmassen erfüllt.

Die Umgebung des Sinus ohne auffallende Veränderung. Jodoform- gaze. Verband.

20. Mai Abend. Die vor der Operation unertrüglichen Kopf- schmerzen haben an Intensität wesentlich abgenommen. Keine Brech- bewegungen mehr. Patientin ist viel ruhiger geworden. Sensorium frei. Temperatur 36,8°, Puls 96.

21. Mai. Die Nacht verlief entschieden ruhiger als die vorigen. Die heftigen Schmerzen im Kopf haben nachgelassen. Patientin klagt über Schmerzen im Nacken und Rücken und über Reissen in beiden Armen. Gegen Abend ist Patientin sehr unruhig und klagt über Reissen im ganzen Körper. Obstipation besteht fort. Klystier. Abendtem- peratur 36,8°. Puls 110.

22. Mai. Nacht sehr unruhig. Klage über vom Hinterkopf aus- strahlende Schmerzen nach der linken, bisweilen rechten Schulter. Von den Schultern strahlen die Schmerzen bisweilen angeblich in den ganzen Körper aus. Gegen Morgen ist der reissende Schmerz im Hinterkopf geringer, ist aber in beiden Armen und Schultern noch vorhanden. Seit Mittag keine Klagen über Kopf, Arme und Schultern.

Parästhesien in der rechten Hand bestehen fort. Seitliche Hals- gegend im Verlaufe der Vena jugularis geschwollen und schmerzhaft.

Leichtes Oedem beider Augenlider, besonders des unteren und links.

Facialislähmung entschieden besser. Nasolabialfalte mehr ausge- prägt. Oberer Facialis unverändert.

Ophthalmoskopisch (Dr. Schanz): Papillenveränderungen bestehen fort. Links ist auf der Papille noch eine streifige Blutung. Rechts die Grenzen der Papille noch mehr verwaschen.

Ol, Rieini. Klysma. Puls 100—110, Temp. 36,8— 37,2.

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 23

23. Mai. Nacht verlief anfangs ziemlich ruhig, später klagt Patientin über Schmerzen im Kopf, welche von dort aus sich über den Nacken nach beiden Schultern und Armen erstreckten. Vormittags sind diese Schmerzen geringer. Im Laufe des Nachmittags klagt Patientin über ziehende Schmerzen, die von der Gegend des rechten Ohres aus- gehen und von da aus über den Nacken nach der linken Kopfhälfte in das linke Schulterblatt und den linken Arm ausstrahlen.

Sensorium bleibt frei, Appetit gut, Stuhl immer noch nicht spontan.

Verbandwechsel: Die oberflächlichen Verbandschichten entfernt. Dieselben sind mässig durchtränkt. Streifen auf Dura und Sinus bleiben liegen.

Rechte Nasolabialfalte wie gestern. Bei activen Bewegungen bleibt der rechte Mundwinkel noch stark zurück. Oberer Facialis unvcrändert. Parästhesien der rechten Hand bestehen fort, die der Beine sind seit der Operation geschwunden. Abendtemperatur 37,1. Puls 100.

Vom 24. bis 28. Mai treten die Klagen über den Kopf nur zeitweilig und schnell vorübergehend auf. Dagegen wird über heftige kolikartige Leibschmerzen geklagt in wechselnder Intensität verbunden mit Aufstossen, Brechbewegungen und Erbrechen. Dabei ist das Ab- domen in toto ziemlich druckempfindlich, anfangs besonders in der Gegend der Gallenblase. Die Untersuchung ergiebt ziemlich reichliche Anhäufung von Kothmassen im Dickdarm.

Nach Application von zweimaligem Oelklystier gehen mit Be- seitigung der Koprostase sämmtliche Erscheinungen allmählich zurück.

Temperaturen 37,3— 37,5. Puls durchschnittlich 100.

25. Mai. Rechter Facialis wird zweifellos besser. Beim Sprechen tritt die Muskulatur des Mundes deutlich hervor. Die Nasolabialfalte vertieft sich.

28. Mai. Facialis noch besser. Rechtes Auge wird fast völlig geschlossen.

29. Mai. Patientin hat die Nacht gut verbracht, zum ersten Mal einige Stunden geschlafen. Sonst keine Klagen. Temp. 36,8 bis 37,3. Puls 88— 96.

Augenspiegelbefund (Dr. Schanz): Die Grenzen der Papille beider- seits noch ziemlich verwaschen, rechts ist die Schwellung des Sehnerven- kopfes nicht mehr so bedeutend, auch die Venen nicht mehr so stark gefüllt. Links ist die Schwellung der Papille noch beträchtlich, Venen stark gefüllt. Aterien dünn und nur streckenweis zu sehen.

30. Mai. Verbandwechsel: Unter Irrigation mit steriler Kochsalz- lósung werden die Streifen von der Dura entfernt. Dura pulsirt nicht. Dura und Sinus mit Granulationen bedeckt.

Ruhige Nacht, keine Klagen. Temp. 37,0—37,3. Puls 96.

31. Mai. Keine Klagen. Steht auf. Puls 80— 110. Temperatur 37,42.

, 1. Juni. Verbandwechsel: Gesund aussehende Granulationen. Keine Klagen. Appetit gut. Stuhl noch nicht spontan. Cascara sagrada. Seitliche Halsgegend noch geschwollen und druckempfindlich.

24 PR. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

Die Parästhesien der rechten Hand betreffen nur noch die distale Hälfte derselben und die Finger. Temp. 37°. Puls 96.

2. Juni. Reissen im linken Arm, sonst keine Klagen. Temp. 37°. Puls 88.

3. Juni. Unruhige Nacht. Klagen über Reissen in beiden Armen und Schultern, die am Tage nachlassen. Später Schmerzen im ganzen Kopf. Appetit gut. Temp. 37°. Puls 88.

4. Juni. Unruhige Nacht. Schmerzen im linken Hinterkopf, gegen Morgen geringer. Gegen Abend Klagen über Stechen durch den ganzen Kopf.

Verbandwechsel: Wunde granulirt gut. Einige eiternde Um- stechungsfäden entfernt.

Tagsüber keine Klagen. Gegen Abend solche über Stechen durch den Kopf. Temp. 36,8. Puls 80.

5. Juni. Ruhige Nacht. Bisweilen Stiche im Kopf. Temp. 37°. Puls 92.

6. Juni. Unruhige Nacht. Stechen und Ziehen in der linken Kopfseite. Am Tage zuweilen dieselben Klagen, bisweilen Stechen durch den ganzen Kopf.

Verbandwechsel: Temp. 36,8—37?. Puls 84.

7. Juni. Nacht gut. Wohlbefinden. Temp. 37,2. Puls 84.

8. Juni. Keine Klagen. Appetit gut. Gefühl als ob ein Reifen um den Kopf gelegt wäre. Verbandwechsel.

Facialislähmung kaum mehr bemerkbar. Rechtes Auge fast völlig geschlossen.

Ophthalmoskopisch (Dr. Schanz): Rechts die Venen jetzt wieder von normaler Füllung, ebenso die Aterien. Beide in ihrem Verlauf jetzt wieder ganz deutlich. Papille nicht mehr geschwollen. Die Grenzen derselben noch verwaschen. Die benachbarte Netzhaut leicht streifig.

Links die Schwellung der Papille geringer, ebenso die Füllung der Netzhautvenen, die Aterien noch wenig gefüllt. Aterien und Venen noch streckenweis verwaschen erscheinend. Auf der Papille nach unten und nasalwärts ein auffallend weisser bis grünlich schimmernder Fleck. Die Grenzen der Papille noch verwaschen, nach oben und innen streifige Blutung. Die Blutung im oberen lateralen Quadranten der Netzhaut ist verschwunden.

Schwellung in der seitlichen Halsgegend sehr viel geringer. Em- pfindlichkeit noch ausgesprochen. Temp. 36,8. Puls 88.

9. Juni. Ziehende Schmerzen im Nacken und längs der Wirbel- säule. Temp. 37°. Puls 90.

10. Juni. Verbandwechsel: Eine eiternde Umstechungsnaht entfernt, sonst normaler Wundverlauf. Klage über Schmerzen im linken Hinter- kopf, nach der seitlichen Halsgegend und Schulter ausstrahlend. Tem- peratur 36,5. Puls 88. j

11. Juni bis 12. Juni. Ruhige Nächte. Tagsüber öfter dieselben Klagen wie am 10. Juni, Temp. 37,2, Puls 88.

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 25

12. Juni. Verbandwechsel.

13. Juni. Druck und zeitweilige Stiche im Hinterkopf, von hier nach der Wunde und linken Stirngegend ausstrahlend. Temp. 36,8. Puls 100.

14. Juni. Unruhige Nacht. Klagen über Schmerzen im Rücken. Stiche in der Gegend des linken Scheitelbeins.

Verbandwechsel: Oedem in der Umgebung des oberen Wundwinkels, Sonde fühlt rauhe Stelle entsprechend dem oberen Rand der Schuppe. Tamponade. Temp. 36,5. Puls 84.

15. Juni. Während der Nacht öfter Stiche in der Gegend des linken Scheitelbeins. Tagsüber Wohlbefinden. Temp. 36,7. Puls 84.

16. Juni. Verbandwechsel: Oedem geringer. Linsengrosser schalen- förmiger Sequester der Schuppe. Nach dem Verbandwechsel Andauern der Stiche im linken Scheitelbein bis zum Abend, dann schwinden die- selben. Temp. 37,9. Puls 88.

Sensibilitätsstörungen der rechten Hand beschränken sich auf die Finger.

17. Juni bis 21. Juni. Wohlbefinden. Temp. 37,6—37,8. Puls 80 bis 100.

18. Juni. Verbandwechsel, Oedem geschwunden.

20. Juni. Verbandwechsel.

21. Juni. Linke Pupille weiter als die rechte, beide auf Licht prompt reagirend. :

Augenspiegelbefund (Dr. Schanz): Rechte Papille geröthet. Grenzen verwaschen, keine Prominenz. Gefässe normal gefüllt.

Links auch noch Röthung. Grenzen verwaschen. Einige Gefässe stellenweis noch unklar. Keine abnorme Füllung mehr, keine Blutungen, keine Prominenz.

Facialis fast völlig intact. Nur das rechte obere Lid bleibt beim Schliessen noch unmerklich zurück.

Leichte rechtsseitige Ovarie. Sensibilitätsstörungen fast vollständig geschwunden, nur noch leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen der rechten Hand.

Verbandwechsel: Oberer Theil der verticalen und hinterer Theil der horizontalen Schnittwunde vernarbt. Trepanationswunde wesentlich verkleinert, gut granulirend. Warzenfortsatzwunde noch 1 cm tief. Seitliche Halsgegend im Verlaufe der Vena jugularis nicht mehr ge- schwollen und auch nicht mehr empfindlich.

23. Juni. Entlassen in die ambulante Behandlung. 5. Juli. Facialislähmung nicht mehr vorhanden.

15. Juli. Augenspiegelbefund (Dr. Schanz): Rechts Papille nicht mehr prominirend. Gefässe normal gefüllt. Conuren deutlich. Grenzen der Papille noch leicht verwaschen. Benachbarte Netzhaut leicht streifig. Links: Gefässe normal gefüllt, die oberen Venen auf der Papille noch nicht scharf conurirt. Papillengrenzen noch etwas verwaschen. Be-

26 R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

nachbarte Netzhaut streifiger als rechts. Pupillendifferenz nicht mehr nachweisbar. 20. Juli. Keine Parästhesieen in den Fingern mehr.

31. Juli. Trepanationswunde vollständig vernarbt. Sicht- und fühl- bare Pulsation der Dura. Wunde am Warzenfortsatz noch !/,cm tief. Temp. vom 24. Juni bis 25. Juli 37,4—37,8. Puls 88.

20. August. Wunde am Warzenfortsatz vernarbt.

Trommelfell diffus getrübt. Hammer mässig eingezogen. Hör- schärfe normal. |

Verband bleibt weg. Augenspiegelbefund und Sehschürfe normal.

Patientin erhält eine Pelotte auf die Trepanationslücke. Eine plastische Deckung derselben wurde seiner Zeit abgelehnt.

30. April 1896. Trepanationslücke ausserordentlich verkleinert. Pelotte wird weggelassen, da die Ohrmuschel hinreichend Schutz gewährt.

26. Juni 1896. Alles in Ordnung. Absolutes Wohlbefinden der Patientin.

Im obigen Fall hatte sich an Influenza eine acute Mittelohrent- zündung angeschlossen, die zugleich die Nebenräume des Mittelohrs betraf. Trotzdem sogleich beim Beginne der Erkrankung das Trommel- fell geöffnet wurde und dieser Eingriff auch in der Folge mehrmals wiederholt wurde, brachte derselbe doch immer nur auf kurze Zeit Linderung der heftigen Beschwerden. Die Trommelfellöffnung verkleinerte sich immer wieder sehr schnell und die Beschwerden traten damit in alter Intensität wieder auf. Ebenso vermochten lokale Applicationen von Eis und Blutegeln keine Abhilfe zu schaffen, so dass schliesslich die unerträglichen Schmerzen, nachdem auch noch Schwellung und Róthung der Weichtheile über dem ganzen Warzenfortsatz aufgetreten war, zur Eróffnung des letzteren führten.

Bei der Operation fanden sich im Warzenfortsatz ausgedehnte, mit Eiter gefüllte Hohlräume, die vielleicht durch die Eiterung noch er- weitert waren, aber doch wohl auch schon vorher eine grössere Aus- dehnung gehabt haben mögen.

In diesem Operationsbefunde liegt wohl hauptsächlich die Erklärung für die Andauer der krankhaften Processe im Warzenfortsatz und für die Erfolglosigkeit aller Maassnahmen, dieselben ohne Operation zum Rückgang zu bringen.

Bald nachdem sich die Infection auf den warzenförmigen Fortsatz verbreitet hatte, kam dann wohl von hier aus ein Verschluss des Aditus ad antrum zu Stande, so dass die Paukenhöhleneiterung Neigung zur Ausheilung zeigen konnte.

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d.Sin. transversus. 27

Durch die Paracentese wurde dieser Verschluss wahrscheinlich für kurze Zeit gelöst, trat jedoch sehr bald wieder ein mit gleichzeitiger Verkleinerung der angelegten Trommelfellöffnung. Deswegen nach ge- ringem Nachlass der Beschwerden wieder sehr baldiges Auftreten der- selben in früherer Intensität.

Der krankhafte Process im Warzenfortsatz erstreckte sich hinten oben bis an den Sinus, bei der Entfernung einiger Granulationen aus der hinteren oberen Ecke des Operationsgebietes trat eine Blutung aus dem Sinus ein.

Nach der Operation schwanden die Kopfschmerzen nicht, steigerten sich vielmehr mehr und mehr; es stellten sich weitere cerebrale Symp- tome ein: Verminderung der Pulsfrequenz, Schwindel, Erbrechen, Somnolenz, Delirien, Neuritis optica, Facialislähmung der gegenüber- liegenden Seite.

Die Kranke litt ferner an hartnückiger Obstipation.

Am Hals war die Vena jugularis deutlich als Strang abzugrenzen.

Die genannten Erscheinungen veranlassten einen weiteren Eingriff.

Dieser erwies den Sinus transversus in seinem absteigenden Theil, seinem Knie und auch in seinem horizontalen Verlauf durch einen ob- turirenden Thrombus verschlossen. Der horizontale Theil schien jedoch nur etwa 1,5 cm weit vom Knie thrombosirt zu sein, wenigstens kam an dieser Stelle die normale Sinusfarbe zum Vorschein.

Nach unten setzte sich der Thrombus in die Vena jugularis fort (cf. oben).

Weiterhin ist wohl auch der Sinus cavernosus von der Thrombose ergriffen worden.

Von den Symptomen der Sinus cavernosus-Thrombose wurden Oedem beider Augenlider, besonders des unteren und links beobachtet und ferner Stauungspapille.

Oedem der Augenlider wurde zwar auch in einigen Fällen von Sinus transversus-Thrombose ohne Betheiligung des Sinus cavernosus (1) be- obachtet und auch die Neuritis optica kommt nach Jansen’s (2) Beobach- tungen ohne Ergriffensein des Sinus cavernosus vor, aber in unserem Falle weisen doch die Veränderungen am Augenhintergund, die links mit Blutungen complicirt waren, auf ein starkes Circulationshinderniss im Gebiete der Vena ophthalmica hin.

Was das Lidödem angeht, so wurde dasselbe erst nach der zweiten Operation beobachtet, aber zu einer Zeit, wo die ophthalmoskopischen Veränderungen noch progressiv waren.

28 R. Hoffmann: Nicht infieirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

Das auch rechtsseitige Oedem ist wohl auf eine gleichzeitige Be- theiligung des Sinus cavernosus dieser Seite zu beziehen.

Ob auch das Emissarium mastoideum thrombosirt war, kann ich nicht sagen, da ich bei der Operation auf dasselbe nicht geachtet habe, bezw. nicht mit ihm in Berührung gekommen bin.

Eine Anschwellung hinter dem Warzenfortsatz in der entsprechenden Region war nicht vorhanden.

In einem später operirten Falle war die Anschwellung deutlich ausgeprägt. Bei der Operation trat jedoch eine ziemlich starke Blutung aus dem Emissarium auf.

Das Emissarium mastoideum vermittelt die Verbindung des Sinus mit den Hinterohrvenen, die einen guten Abfluss durch die Vena occipitalis haben.

Es scheint mir die Annahme von af Forselles (3) aus diesem Grunde gerechtfertigt, das Oedem nicht sowohl als Stauungs- als viel- mehr als inflammatorisches aufzufassen.

Der Sinus transversus bildet einen Hauptabflussweg für das intra- cranielle Venenblut. Neben dem Sinus cavernosus und dem Sinus petrosus superior stellt derselbe das Hauptabzugsgebiet für das grösste System der Gehirnvenen, das der unteren, dar. Dieses umfasst bekanntlich die Venen des Temporallappens, des Occipitalhirns, des Kleinhirns und einige Aeste der Medulla oblongata.

Ausserdem vollführen die Sinus noch eine andere Aufgabe, die der Ableitung eines grossen Theil der Cerebrospinalflüssigkeit. Den Abfluss des Liquor in das Venensystem der Dura vermitteln, wie bekannt, die Arachnoidealzotten.

Die grösste Mehrzahl der Zotten ragt in den Sinus longitudinalis, den Sinus sphenoparietalis und in den Sinus transversus hinein. (4).

Bei einer Thrombose, die nachweisslich Sinus transversus, Vena jugularis und Sinus cavernosus ergriffen hat, werden sich in den be- treffenden Theilen schwere Circulationsstörungen geltend machen und hieraus werden denn auch die schweren cerebralen Erscheinungen unseres Falles begreiflich. |

Bei der Operation fanden wir die Dura prall gespannt ohne sicht- resp. fühlbare Pulsations-Respirationsbewegung. Aus den Einstichen in das Cerebrum quoll reichlich Cerebrospinalflüssigkeit nach.

Mit der Ausbreitung der Thrombose sehen wir die cerebralen Erscheinungen sich mehr und mehr steigern. .

der Jugularis in Folge einer Öperationsverletzung d. Sin. transversus. 29

Mit der Entlastung des Gehirns sehen wir diese Symptome Schritt für Schritt wieder verschwinden.

Von den cerebralen Symptomen erreichten besonders die Kopf- Schmerzen, die schon vor der ersten Operation sehr intensiv waren, nach derselben einen fast unertrüglichen Grad. Dieselben verbreiteten sich von der afficirten Kopfseite ausgehend sowohl nach der andern als nach dem Nacken, den Schultern und beiden Armen.

Die Haut über dem ganzen Schädel, besonders der linken Kopf- hälfte, dem Nacken, den Schultern und den Armen war stark hyper- ästhetisch. Die Bewegungen des Kopfes, besonders nach der gesunden Seite und die Drehung waren ziemlich stark schmerzhaft, ebenso be- sonders die passive Bewegung der Arme.

Nach der zweiten Operation verloren sich diese Erscheinungen ganz allmählich, am längsten blieben die Klagen über den Kopf bestehen.

Während aber vor der zweiten Operation die Klagen über Schmerzen im Kopf, Schultern und Armen constant waren, unterlagen dieselben nach derselben häufigem Wechsel, manchmal an demselben Tage. Zeit- weilig verschwanden dieselben ganz, um später wieder aufzutreten, allerdings in fortschreitend geringerem Maasse.

Noch zu bemerken ist, dass Nacken, Schultern, Arme, ohne jegliche sichtbare Veränderung waren, speciell waren die Gelenke vollständig frei von Schwellungen.

Die Ueberempfindlichkeit der Haut über Schultern und Armen, die ziehenden Schmerzen in denselben könnnen wohl ebenso wie sicher die des Kopfes und des Nackens mit den durch die ausgedehnte Throm- bose gesetzten Circulationsstörungen nnd ihren Folgen in Zusammenhang gebracht werden.

Anderseits legt das Verhalten derselben nach der zweiten Operation den Gedanken nahe, dass dieselben zu der ausgesprochenen Hysterie der Patientin in Beziehung stehen. |

Letzterer Deutung unterliegen auch wohl die sensiblen Reizungs- erscheinungen in den Beinen und in der rechten Hand. Gleichwohl dürfte auch die Abhängigkeit dieser Erscheinungen von der weit- greifenden Thrombose nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Eigenthümlich war auch der Gang der Patientin, den ich nicht anders als: »als watschelnd« bezeichnen kann.

Das Auftreten so schwerer cerebraler Erscheinungen nach Sinus- verletzung ist zwar an sich etwas Ungewöhnliches, aber in Berücksich-

30 NR. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

tigung der anatomischen Verhältnisse und der nachweishar ausgedehnten Thrombose finden dieselben vollkommen ihre Erklärung.

Der Fall wäre auch nicht anders gedeutet worden, wenn nicht zu den allgemeinen Drucksymptomen noch eine Herderscheinung in Gestalt einer gekreuzten Facialislähmung hinzugekommen wäre. Diese letztere liess die Eiterung als ätiologisches Moment für die vorhandenen Erscheinungen mit in Berücksichtigung ziehen und daran denken, dass neben der Thrombose möglicherweise ein Abscess vorhanden sei.

Da nach Körner (5) otitische Hirnabscesse stets in nächster Nähe des kranken Ohres bezw. Knochens liegen, wurde der Abscess in den Temporallappen verlegt und die Facialislähmung als durch Fern- wirkung desselben auf die Capsula interna entstanden angesehen.

Nun treten ja allerdings Abscesse nach acuten Eiterungen sehr viel seltener auf als nach chronischen, aber es sind doch einige Fälle beobachtet, wo eine acute Eiterung ätiologisch wirksam war.

Die Abscesse entwickelten sich in solchen Fällen manchmal ziem- lich rasch.

So starb z. B. ein von Bezold (6) beobachteter junger Mann 46 Tage nach Beginn der Otitis an Hirnabscess, Sinusphlebitis und Meningitis. In einem Falle von Baginsky und Gluck zeigten sich deutliche Hirnsymptome schon am 22. Tage nach Beginn der durch Eindringen eines Fremdkörpers bedingten Ohreiterung.

Die Operation und der weitere Verlauf haben gezeigt, dass die Annahme eines Abscesses eine irrige war. Mehrfach in verschiedener Richtung und in verschiedener Tiefe ausgeführte ausgiebige Einstiche ins Hirn ergaben nirgends Eiter.

In der Facialislähmung trat fast unmittelbar nach der Entlastung des Schüdelinhalts eine Besserung ein, die mit der allmühlicnen Wieder- herstellung der Circulation weitere Fortschritte machte und schliesslich ganz verschwand, als auch die übrigen durch die Thrombose bedingten Erscheinungen rückgängig wurden.

Man muss somit die Facialisläihmung mit der Sinusthrombose in Zusammenhang bringen und da ist es wohl am wahrscheinlichsten, eine Blutung für das Entstehen derselben verantwortlich zu machen.

Das stimmt auch mit den sonstigen Beobachtungen überein, inso- fern als nach Dusch (8) sich in 50°/, der Fälle bei marantischen und Stauungsthrombose Blutergüsse in Hirn und Hirnhäute vorfinden.

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 31

Mit der Wiederherstellung der Cirulation trat in unserem Fall eine Resorption des Blutergusses ein.

Bei der Betheiligung des ganzen Facialis haben wir natürlich auch an eine peripherische Aetiologie gedacht. Eine basale Affection des Facialis war zunächst auszuschliessen, da eine solche kaum isolirt vor- kommt und in solchen Fällen durch Betheiligung der benachbarten Hirnnerven die Diagnose gestellt wird (9). Den Acusticus erwies die Untersuchung als vollständig intact. Eine Mittelohraffection war ebenso nicht nachzuweisen und so war auch in Uebereinstimmung damit, dass Geschmack, Speichelsecretion, das Gaumensegel sich normal verhielten, nur noch an eine Läsion des Facialisstammes ausserhalb des Canalis fallopiae und in dieser Beziehung an eine rheumatische Affection zu denken.

Leider war die für die Differentialdiagnose so wichtige elektrische Untersuchung aus üusseren Gründen nicht ausführbar.

Anderseits ist nun aber auch bei centralen Facialislähmungen nicht immer nur der untere Facialis betheiligt, sondern auch die Oculofrontal- äste nehmen an der Lähmung Theil.

Des weiteren kommen Facialisláhmungen, wenn auch selten, isolirt ohne Betheiligung der gleichnamigen Extremitäten bei Hirnläsionen dann zur Erscheinung, wenn bei engbegrenzter, wenig umfangreicher Blutung die Allgemeinerscheinungen schnell zurückgegangen sind und die isolirte Lähmung im Gesicht nur den Rest der anfangs in grösserer Ausdehnung und Intensität vorhanden gewesenen halbseitigen Lähmungs- erscheinungen darstellt oder es sind bestimmte an der Oberfläche (der motorischen Zone) des Hirns oder im Verlaufe der von der Rinde durch das Centrum ovale hindurchgehenden Markfasern gesetzte Continuitäts- trennungen circumscripter Natur, von welcher diese isolirte Lähmung abhängig zu machen ist (10).

Bei den cerebralen Erscheinungen unseres Falles lag es nahe, die Lähmung mit diesen in Zusammenhang zu bringen.

Die Art des Auftretens der Lähmung und des Verlaufs derselben nach der Trepanation haben diese Annahme bestätigt. Dieselbe stellte sich ein mit Zunahme der allgemeinen cerebralen Erscheinungen und auch, nachdem sich im ophthalmoskopischen Bild deutliche Circulations- stórungen sichtbar machten.

Weiter war bereits am zweiten Tage nach der Trepanation, wie wir bereits oben erwähnten, ein deutlicher Nachlass der Lähmung be-

r

"89 R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

merkbar, die stetig weiter sich besserte mit der Abnahme der cere- bralen Erscheinungen und verschwunden war mit diesen und nachdem die ophthalmoskopisch sichtbaren Circulationsstörungen normalen Ver- hältnissen sich wieder näherten.

Da die Facialislähmung isolirt war, so kann die dieselbe ver- ursachende Blutung nur wenig umfangreich gewesen sein.' Dieselbe war wohl nicht cortical, da die Láhmung weder unter Reizungserscheinungen zu Stande kam, noch sich auch später partielle klonische Zuckungen in den gelähmten Abschnitten zeigten. |

Bei Kernlüsionen des Facialis ist meist nur der untere, selten auch der obere gelühmt, weil die Kerne órtlich getrennt zu sein scheinen. Allerdings kommen auch hier Ausnahmen vor. Jedoch sind solche Kern- làhmungen kaum isolirt beobachtet (11).

Wahrscheinlich hat die Blutung dort stattgefunden, wo sich die Facialisbahn am wenigsten dem Verlauf anderer Bahnen nähert, d. i. im Verlaufe der von der Rinde durch das Centrum semiovale hindurch- gehenden Markfasern.

Eine Beobachtung noch wollen wir nicht unerwühnt lassen, die wir bei der Patientin machten, dass nümlich die activ nicht bewegliche Ge- sichtshälfte bei psychischen Affecten (Freude, Schmerz) an den mimischen Bewegungen theilnahm. Derartiges ist besonders von Nothnagel bei ausgesprochenen cerebralen Facialislühmungen gesehen worden (10).

Was endlich die Temperaturverhültnisse des Falles anlangt, so verlief derselbe vollstindig fieberfrei in Uebereinstimmung damit, dass wir es mit einer nicht inficirten Thrombose zu thun haben.

Im besprochenen Fall hatte sich also an eine Verletzung des Sinus transversus eine ausgedehnte Thrombose mit consecutiven schweren cerebralen Erscheinungen angeschlossen.

Sinusverletzungen scheinen sonst selten mit nachtheiligen Folgen für den weiteren Verlauf der Krankheit gewesen zu sein, wenigstens ist wenig darüber berichtet worden (12).

Nach den Beobachtungen von Jansen (13) erscheint es sicher, dass dort, wo die Verletzung des Sinus nur klein ist und der Sinus nur in geringer Ausdehnung frei liegt, eine Circulationsstörung nicht stattfindet, dass jedoch andererseits bei breiter Freilegung des Sinus und grösserem Defect in dessen Wand eine das Lumen verschliessende

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 33

Thrombose fraglos eintritt. Jansen hat mehrerere solcher Fälle beobachtet. Bei etwa 15—20 Verletzungen des Sinus, einmal doppelseitig, hat dieser Autor jedoch nie andere Symptome gesehen als Schwindelgefühl beim Aufrichten, welches mehrere Tage anhielt, Druckempfindlichkeit in der Unterkieferwarzenfortsatzgrube, leichtes Frösteln nach dem Ver- bandwechsel.

In einem Falle leichter Sinusverletzung fand derselbe Autor die kleine lädirte Stelle der Sinuswand geschlossen, leicht gelblich verfärbt, das Lumen durchaus frei.

Auch Brieger (14) hat in einer nicht ganz geringen Zahl von beabsichtigter oder zufälliger Sinuseröffnung niemals irgend welche un- mittelbaren schädlichen Folgen beobachtet.

In einem Falle desselben der Sinus wurde durch eine präexistente Lücke im Sulcus sigmoideus schon in geringer Tiefe erreicht schloss sich der abundanten Blutung hochgradige Anämie an, unter deren Ein- fluss bei vollständiger Heilung des Ohrenleidens sich ziemlich rasch Er- scheinungen des Morbus Basedow. entwickelten.

Ich selbst habe zwei Fälle von Sinusverletzung gesehen ohne üble Folgen. Die Verletzung fand hier mit dem scharfen Löffel statt.

In einem dritten Falle eigener Beobachtung, bei dem die Verletzung (Meisselverletzung) etwa dieselbe Ausdehnung hatte, wie im vorliegenden, fand ich, nachdem aus anderer Ursache der Tod 6 Tage post operationem eingetreten war, bei der Obduction an der Stelle der Verletzung einen kleinen wandständigen Thrombus, das Lumen jedoch sonst durchaus frei.

In der Mehrzahl der Fälle scheint also die Sinusverletzung gefahr- los zu sein.

Knapp (15) beobachtete in einem Falle ebenfalls durchaus reactionslosen Verlauf. In derselben Mittheilung erwähnt derselbe je- doch ohne weitere nähere Angabe, dass in anderen der Ausgang letal gewesen sei.

Ein solcher hatte in einer Publication Reinhard’s (16) statt. Bei dem Versuch einen dem Sinus aufliegenden Sequester mittelst

Pincette zu extrahiren wurde der Sinus verletzt. Die Folge war infectiöse Sinus- und Jugularisthrombose und von dieser aus inducirte Meningitis.

In anderen Fällen von Thrombophlebitis und consecutiver Pyämie trat Heilung ein. Zeitschrift fúr Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 3

34 R. Hoffmann: Nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und

So bei einer wegen Neuralgie des Warzenfortsatzes von Stein- brügge (17) operirten Patientin, wo sich nach der Verletzung Phlebitis des Hirnsinus entwickelte mit Exophthalmus des rechten Auges und pyämischen Ablagerungen in den Lungen nebst vielen Muskelabscessen.

Roosa (18) (Verletzung mit einem Drillbohrer) constatirte conse- cutive Pyämie mit metastatischer Lungenerkrankung, Röthung und Schwellung unterhalb des rechten Knies, sowie unterhalb des linken äusseren ÜOlavicularendes.

In einem aus der Schwartze’schen Klinik von Rohden und Kretschmann (19) publicirtem Falle schloss sich an eine Läsion der, wie die Autoren annahmen, eitrig infiltrirten und erweichten Sinus- wand mit dem scharfen Löffel eine infectiöse wandständige, den Sinus nicht vollständig obturirende Thrombose an mit nachfolgenden pyämischen Attacken ohne Metastasenbildung.

Zu erwähnen wäre an dieser Stelle noch eine Beobachtung von Eulenstein (20).

Hier kann man jedoch zweifelhaft sein, ob es sich wirklich um die Folgen einer Sinusläsion (scharfer Löffel) gehandelt hat oder ob nicht vielmehr die pyämischen Erscheinungen auf Rechnung einer schon vor der Operation vorhandenen Osteophlebitis des Felsenbeines zu setzen sind, wobei denn vielleicht durch den Eingriff ein Flottwerden der Thrombentheile bewirkt worden ist.

Die Sinusverletzung war, wie schon bemerkt, im vorliegenden Fall anscheinend nicht grösser als dieselbe in den Fällen war, wo ich keine .nachtheiligen Folgen sah. Der Sinus lag ferner nur in geringer Aus- dehnung frei, wie die spütere breite Freilegung desselben erwies.

Allgemeine Anhaltspunkte für das leichtere Zustandekommen einer so ausgedehnten Thrombose fehlten bei der sonst durchaus gesunden Frau.

Vielleicht hat die Eiterung durch Vermittelung kleiner mit dem Sinus in Verbindung stehender Knochengefässe locale Alterationen der Sinuswand bewirkt, die bei eingetretenem Insult die weite Ausbreitung der Thrombose begünstigten.

Da nach Brieger (21) und Anderen Incisionswunden am Sinus gewöhnlich ohne jede Alteration der ihn durchströmenden Blutsäule heilen, scheint neben der Grösse der Verletzung auch die Art derselben

der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung d. Sin. transversus. 85

für das Entstehen und die Ausdehnung eines Thrombus maassgebend zu sein.!)

Im vorliegenden Fall wurde die Dura, da dieselbe gesund aussah, nicht gespalten, sondern alle Einstiche ins Hirn durch dieselbe aus- geführt. :

Es hat solches Vorgehen wohl weiter noch den Vortheil, dass bei negativem Befund dadurch eine Infection des Schädelinhalts von Seiten der infectiósen Warzenfortsatzwunde leichter vermieden wird.

Litteratur.

1. Pichler. Prager med. Wochenschr. 1895, No. 8. p. 83.

2. Yon Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge No. 35, p. 240.

8. af Forselles. Die durch eitrige Mittelohrentzündung verursachte Lateral- sinusthrombose etc. 1893, p. 65, 66.

4. B. von Beck, Bruns. Beiträge zur klinischen Chirurgie, Bd. 12, Heft 1.

5. Die otitischen Erkrankungen des Hirns etc. 1896, p. 101.

6. Arch. f. Ohrenheilk. 21, 36, Fall 6.

7. Baginsky u. Gluck. Berliner klin. Wochenschr. 1891, No. 48.

8. Dusch, Henle u. Pfeiffer’s Zeitschrift 3, S. VII, 161.

9. Möbius. Diagnostik der Nervenkrankheiten, 1894, p. 338.

0. Bernhard. Specielle Pathologie und Therapie von Nothnagel. Erster Theil, p. 194.

11. Móbius. l c. p. 338.

12. Sehwartze. Handb. f. Ohrenheilk. Bd. II, p. 807 und Jacoby, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXI, p. 62.

13. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 35, 3. u. 4. Heft, p. 279.

14. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, 1. u. 2. Heft, p. 131.

15. Diese Zeitschr. Bd. XI, p. 225.

16. Chirurg. Eróffnung der Mittelohrráume. Greifswald. p. 88.

17. Deutsche med. Wochenschr. 1898, p. 432.

18. Roosa, Ref. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXV, p. 103.

19. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXV, p. 125.

20. Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1893, p. 146.

21. 1. c. p. 132.

1 Anm. Uebrigens kann nach Versuchen im Würzburger chirurgischen Laboratorium (Riese, Deutsche med. Wochenschr. 1896, No. 5) bei stürkerer Reizung der Gefüsswand nur mit einer Sonde ein Thrombus in dem betreffenden Gefüss entstehen. Obturirende Thromben sahen Eberth und Schimmelbusch (Die Thrombose, Stuttgart 1888) sich entwickeln nach Einwirkung chemischer Insulte auf die Gefässwand bei Thieren, wenn die betreffenden Gefässe erst nach mehreren Tagen denselben zur Untersuchung entnommen waren.

Dieselben Symptome, die Jansen (s. oben) nach Sinusverletzung beobachtet hat, sah ich einmal nach einer wohl stärkeren Reizung der Sinuswand mit einer Sonde.

9*

36 Karutz: Volksmedicin auf dem Gebiete

III.

Volksmedicin auf dem Gebiete der Ohren-, Nasen-

und Halskrankheiten. Von Dr. Karutz in Lübeck.

Kulturgeschichtliche Arbeiten, die ich in jüngster Zeit für zwei ethnologische Vorwürfe ausführte, haben mir einiges volksmedicinisches Material geliefert, das ich hier in Kürze zusammenstellen móchte, soweit es unser Specialfach der Otologie und ihrer verwandten Gebiete berührt. Eine ganze Reihe der Heilmittel ist dem Arzte aus den Sprechstunden- beichten seiner Patienten bekannt; vielleicht interessirt es aber die mit mir denselben Weg in der Medicin gehenden Herren, Einiges mehr von dem Unkraut zu hören, das auf ihrem Acker so üppig spriesst, so beharrlich der Ausrottung widersteht und das so manche ihrer saftvollen Schollen zur bedauerlichen Sterilität verurtheilt.

Bevor wir uns die Methoden der eigentlichen Behandlung ansehen, wie sie ein auf Grund der abergläubischen Vorstellungen, missverstandenen Zufälligkeiten oder halbrichtigen Beobachtungen sich herausgebildet und dank einer blind vertrauenden, unurterbrochenen Tradition sich Jahrhunderte hindurch erhalten haben, verdient die volksthümliche Prophylaxe unserer Krankheiten noch einige Worte. Sie bewegt sich natürlich in paralleler Linie mit der Auffassung von der Aetiologie der letzteren und lässt daher Anklänge an den alten heidnischen Dämonen- glauben selbst noch in der Verquickung mit dem späteren Christenthum erkennen. Goldene, silberne und bleierne Ohrringe gelten in allen Theilen Deutschlands wie gegen Augenentzündungen, so auch als Schutzmittel gegen die Erkrankungen des Ohres, und es ist wahrscheinlich weniger die ableitende Wirkung der Wunde oder des dauernden Reizes, wie man wohl gesagt hat, als vielmehr der unbewusste Rest einer einstigen Kultushandlung, der das Vertrauen des Volkes zu diesen Ringen bis in unsere Tage nicht hat erschüttern lassen. In Baiern tritt dazu die weitverbreitete und bekannte Mär von der Krankheitsübertragung und verlangt, dass die bleiernen Ohrringe nur einige Zeit getragen und dann unbeschrieen rückwärts in fliessendes Wasser geworfen werden. Neben den Ringen erfreuen sich auch Armbänder von Bernstein des Zuspruchs von Seiten des ohrenleidenden Volkes. Die Hurzulen in den Ostkarpathen hüten sich, dem Kinde vor Ende des ersten Lebensjahres die Ohren zu reinigen; sie würden sonst »rinnen«. Wer viel aus der Nase blutet,

der Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten. 37

soll rothe Seide opfern. Wenn Einem im Canton Bern über Nacht die Nase schwillt, so hat ihn die Hexe angeblasen. In Ostpreussen bleibt das Kind von einem bösen Hals verschont, wenn die Mutter beim ersten Abendmahlgang nach der Entbindung ihm dreimal in den Hals haucht. In Tyrol schluckt man drei geweihte Palmen, um sich vor Halsweh zu schützen, in Mecklenburg bindet man dazu dem Kind einen blauen Wollfaden um den Hals. In Böhmen darf man nicht auf Brod treten, sonst wird man taub. Wenn uns Jemand, der den Schnupfen hat, sein Leid klagt, soll man in der Stille antworten: »Klag’s dem Stein und behalts für Dich allein«. In Mecklenburg bekommt man den Schnupfen, wenn man eine unreine Stelle überschreitet: das klingt beinahe hygienisch, unrein steht aber da wohl sicher mit Beziehung auf den Gegensatz christlich unchristlich. Eine populäre Vererbungstheorie verbietet der schwangeren Frau, sich die Nase zuzuhalten, wenn es irgendwo sehr stinkt, weil sonst das Kind aus dem Munde riechen wird. . Sonderbar ist der Chemnitzer Glaube, dass ein Kind, welches vor dem ersten Jahre etwas riecht, später nicht mehr riechen lernt. Wer an Blumen, die auf einem Grabe gewachsen sind, oder an einer Citrone riecht, womit der Leichnam eines Kindes im Sarge geschmückt worden, verliert den Geruch. In Mecklenburg bekommt man den Nasenkrebs, wenn man am Johannistag an einer Blume riecht, auf der der Erdkrebs (die Maulwurfsgrille) gesessen oder über die er geflogen. Da ist freilich die Prophylaxe schwierig. Besser kann man sich in Böhmen vor Heiserkeit schützen, wenn man tüchtig mitschreit, sobald im Frühling die Frösche zum erstenmale quaken. Eine taubmachende Wirkung schreibt endlich Plinius merkwürdiger Weise der Blüthe des Buchweizens zu, sobald sie in den äusseren Gehörgang gelangt.

Sind nun trotz obiger Vorsichtsmaassregeln Halsschmerzen und Heiserkeit eingetreten, so greift man zum Gurgelwasser aus Salbei und Honig, das aber nachher heruntergeschluckt werden muss, soll es gut helfen, oder, wie im Aargau, zum Wasser, in dem man eine Hand voll Hauslaub und sechs lebendige Krebse gekocht hat. Man lässt hier auch die Kinder Wasser oder Milch durch ein Hollunderrohr trinken, Hollunder ist von Alters her ein heiliger Strauch.

Ueberall wird ein getragener Strumpf empfohlen. Ursprünglich vielleicht nur gewählt, um eine gleichmässig warme Temperatur zu er- halten, verlangt dann der suggerirende Hokuspokus, dass man den Strumpf umgekehrt anlegt, oder dass man den vom linker Fuss nimmt. Ein in der Mühle gestohlenes Sackband, ein seidenes Band in Schwaben,

38 Karutz: Volksmedicin auf dem Gebiete

unausgekochter Flachs in Ostpreussen, Hecht:ühne und in Franken das Hirn einer schwarzen Katze werden dem halskranken Kinde um den Hals gebunden. Der Wendische Volksglaube schreibt dem Gewitterstein oder Donnerkeil, dem vorgeschichtlichen durchbohrten Steinbeil heilende Kräfte zu; gegen den Hals gedrückt, heilt er jedes Leiden desselben. In Halle streift man dreimal mit der Hand einer Leiche vom entgegen- gesetzten Geschlecht über den Hals. Als innerlich zu nehmende Medicin wird bei Halsleiden der Same der Silberdistel empfohlen, zerklopft mit Branntwein oder Wasser zu geben.

Gegen Mandeln, womit wohl weniger die Tonsillen als die sub- maxillaren Lymphdrüsen gemeint sind, brät man sich eine Hand voll Hasenkohl in Butter, bis er weich wird und legt ihn auf einem Läppchen warm auf.

Die Mundfäule curirt man in Schwaben durch folgende Be- schwörungsformel :

„Der heilige Hiob ging über Land,

Er nahm den Stab in seine Hand; Warum bist Du so traurig?

Weil mir mein Mund thut faulen.

So nimm das Wasser in den Mund Und lass es laufen durch den Schlund. Im Namen Gottes etc."

Das muss je dreimal an drei Tagen gesprochen und bei Erwähnung des Wassers jedesmal ein Schluck davon getrunken werden. In der- selben Krankheit haucht der Aargäuer seinem kranken Kinde jeden Morgen nüchtern dreimal in den Mund und hüngt dann sieben Holz- wanzen zum Verdorren in den Schornstein.

Die Volks-Rhinologie beschrünkt sich auf den Schnupfen und das Nasenbluten, was um so weniger zu verwundern ist, als ja bekanntlich jede, auch eitrige, Absonderung als Schnupfen und jede Verstopfung der Nase als Stockschnupfen bezeichnet wird.

Erschwert in Bayern eine verstopfte Nase dem Kinde das Saugen, so wird Schmalz hineingeschmiert. In Bóhmen darf Niemand, der an Schnupfen leidet, über ein Wasser gehen, sonst wird er ihn nie los. Die Chemnitzer Frau riecht in diesem Falle in die Schuhe ihres Mannes, in Mecklenburg muss das dreimal stillschweigend geschehen und der Strumpf, mit dem die gleiche Procedur vorgenommen werden kann, muss auf dem linken Fuss getragen sein. Der Pforzheimer trinkt ein Glas Wasser durch eine dreizinkige Gabel. Gerade beim Schnupfen glaubt man am ehesten durch Uebertragung auf andere Personen von

der Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten. 39

seinem Leiden loszukommen ; daher schneuzt sich der Thüringer die Nase dreimal durch einen Thürring hindurch, der als Griff oder Klopfer dient. Wer den Ring daun zuerst anfasst, bekommt den Schnupfen. Oder man schneuzt sich in ein Stück Papier, wickelt einen Pfennig hinein und wirft es rücklings auf die Strasse. Wer es aufnimmt, nimmt den Schnupfen mit. Man schneuzt auch anderen Personen in die Schuhe oder man bestreicht am frühen Morgen einen Thürgriff mit dem Nasen- secret und hängt so den Schnupfen Demjenigen auf, der den Griff zuerst berührt. Eine ganz tolle Ansicht giebt Plinius zum Besten, der Beseitigung des Niesens (d. h. wohl des Schnupfens) verspricht durch ein »Osculum in mulae nares«. |

Unzählig geradezu sind die Vorschriften, die sich das Volk gegen das Nasenbluten gegeben hat. So unschädlich und unbedeutend dieser Zufall meistentheils ist, so allgemein legt man dieser eigenartigen und plötzlichen Störung des täglichen Einerlei eine mystische Bedeutung, eine ganz besonders geheimnissvolle, durch Einwirkung dämonischer Kräfte bedingte Symbolik bei. In der Pfalz, Schweiz und Oldenburg stirbt Jemand aus der Familie, wenn Einem drei Blutstropfen aus der Nase tröpfeln oder ein solcher auf die Hand fällt. Wer aus dem linken Nasenloch blutet, dem misslingt sein Vorhaben. Wenn am Rhein dem Einen von zwei Liebenden drei Blutstropfen aus der Nase fallen, wird die Liebe zwischen ihnen gebrochen.

Entsprechend dieser Bedeutsamkeit, die dem Volke im Nasenbluten zu liegen scheint, wird bei seiner Behandlung das Besprechen ganz be- sonders bevorzugt. Der Beschwörungsformeln und Zaubersprüche zu diesem Zwecke giebt es unzählige. In Mecklenburg schreibt man mit dem von einer Sense durchschnittenen Stoppelende eines Getreidehalmes dem Leidenden die Worte auf die Stirn »Uhi Upuli«. Im Aargau spricht man sehr vorsichtig :

„Loss regne, wenn es regne will, Und lo dem Bach den Lauf, Und wenn es gnue gregnet hat, So hörts von selber auf.“

In Westphalen heisst es: »In Gottes Garten stehen drei Rosen, die eine heisst Gottes Güte, die andere Gottes Geblüte, die dritte Gottes Wille; Blut ich gebiete dir, stehe stille, im Namen Gottes etc.» : oder »Ich ging einmal durch eine Gasse, da fand ich Blut und Wasser; das Wasser liess ich fliessen, das Blut macht ich giessen; im Namen Gottes etc.« oder ähnliche.

40 Karutz: Volksmedicin auf dem Gebiete

Schwaben sagt: »Auf unseres Heilandes Jesu Christi sein Grab wachsen drei Rosen, die erste ist weiss, die andere ist roth, die dritte ist Gott, der Dir dein Blut stellen thut« oder »Blut stelle dich wie der Regen im Staub« oder dergl.

Preussen bespricht: »Blut steh stille und vergiss deinen Lauf, wie unseres Heilandes Jesu Christi heilige fünf Wunden am Kreuz still standen.« Brandenburg: »Als Jesus an dem Kreuze hing, da war er voller Wunden, sie bluten nicht, sie schauren nicht, sie thun auch nicht weh, im Namen etc. oder »Christi Wunden schwellen nicht, Christi Wunden dellen nicht, im Namen etc.« Der Mecklenburger legt die rechte Hand über die linke, streicht so dem Leidenden den Rücken herunter und spricht einfach: »Blut, steh still, das ist Gottes Will.« Noch weitere Formeln anzuführen, lohnt nicht der Mühe, weil die Art und Weise aus den obigen kenntlich ist und die Varianten nur unbe- deutend und nur formaler Natur sind. Ausser dem Besprechen aber haben sich dem Volke noch zahlreiche Gebräuche bewährt, die zum grösseren Theile völlig in das Gebiet der reinen Magie fallen.

Man zieht einen Keil aus einem Schemel oder einer Leiter, netzt ihn mit Blut und schlägt ihn darauf wieder in das alte Loch. In Krempelsdorf bei Lübeck nimmt man drei Steine, lüsst auf jeden einen Tropfen fallen und legt sie wieder auf die frühere Stelle. In Franken träufelt man drei Tropfen Blut auf einen von einem Grasplatz oder unter der Dachtraufe genommenen Stein, betet drei Vaterunser und legt den Stein wieder genau an seine alte Stelle. Der Holsteiner nimmt einen hólzernen Keil aus dem Wagenleder, einem Stuhl oder sonst woher, lüsst Blut darauf fallen und steckt ihn umgekehrt wieder in das Loch, aus dem er genommen. Hier ist es also überall dieselbe Anschauung von dem Uebertragen der Krankheit auf Gegenstünde, wie wir sie schon oben angetroffen haben.

Eine sympathische Wirkung aus der Ferne versucht der Steier- mürker, wenn er den kleinen Finger der linken Hand oder beider Hände mit einem Faden fest umwickelt. In Holstein passt dazu nur der Zeigefinger der entgegengesetzten Hand. Man kann auch den der blutenden Seite entsprechenden Arm mit ausgestrecktem Mittelfinger in die Höhe halten, wenn man den andern ebenso niederwärts richtet. Beliebte, zum Theil etwas brutale Derivantien sind kaltes Wasser, in Gesicht oder Nacken gegossen, Campher- und Saphranbranntwein auf den Wirbel oder an die Schläfe gerieben, ein Zweigroschenstück auf die Nasenwurzel, der Hausschlüssel an den Nacken gehalten. Pfirsich-

der Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten. 41

kerne und bittere Mandeln stösst man klein und legt sie mit scharfem Essig und Rosenwasser vermischt warm um den Hals.

Sehr practisch sind die auf die Geduld der Patienten speculirenden Regeln. Halte den Blutstein, ungekochtes Sauerkraut oder Kornblumen- wurzeln, die am Frohnleichnamstag aus dem Boden gerissen und auf- gehoben worden, in der Hand, bis sie warm werden; in Schlesien und Mecklenburg sollen es zwei weisse oder blaue Kornblumen sein, die am Johannistage Schlag 12 Uhr gepflückt und dann aufbewahrt sind. In Schwaben stillen Wollwurz und Täschelkraut, in die Hand genommen oder unter die Fusssohlen gelegt, das Nasenbluten; den dreieckigen Karpfenstein, zusammengelegtes Fliesspapier trägt man unter der Zunge, eine gedörrte Kröte soll man unter den Arm legen, bis sie erwärmt ist, doch muss es auf derselben Seite geschehen, auf der die Nase blutet. Auch Jaspis nimmt man unter den Arm oder unter den Daumen der betreffenden Hand oder bindet ihn auf die Stirn, wie gestossene Schnecken und frischen Schweinekoth.

In Bosnien lässt man einige Tropfen Blut durch den einem Todten von der rechten Hand gestohlenen Fingerring fallen. Sehr weitverbreitet trifft man den Brauch, das Blut auf ein von Strohhalmen oder Streich- hölzern gemachtes Kreuz fallen zu lassen, wobei die einzelnen Landes- theile unbedeutende Variationen zeigen. In Holstein lässt man auf einen Strohhalm drei Tropfen Blut und kreuzweis dazu noch drei Tropfen fallen, der Mecklenburger legt zwei Strohhalme kreuzweis übereinander und springt dreimal drüber. Wendische Sitte fängt das Blut in einer Eierschale auf und legt diese auf glühende Kohlen. Sobald das Blut vertrocknet ist, hört das Nasenbluten auf. Man lässt auch aus einem frisch gelegten Hühnerei etwas Eiweiss heraus, tröpfelt ein paar Blutstropfen hinein und setzt das Ei dann aufrecht in heisse Asche. Man rührt nun so lange mit einem Span um, bis das Eiweiss gerinnt; dann stillt sich auch das Blut. In Mecklenburg spinnt eine der Familie nicht angehörende Fremde einen Faden unrecht, schreibt mit dem Blut auf einen Zettel den Vor- und Zunamen des Blutenden und hängt den Zettel mit dem Faden so um den Hals des Kranken, dass er, blutet die rechte Nase, unter die linke Achselhöhle kommt, und umgekehrt.

In Schwaben schnupft man gedörrtes Taubenblut, anderswo schiebt man Moos in die Nase, das auf der Hirnschale Erhängter gewachsen ist; Koth von Eseln oder grassfressenden Schweinen halte man mit Essig

49 Karutz: Volksmedicin auf dem Gebiete

vermischt unter die Nase. Alaunzüpfchen endlich werden in die Nase eingeführt.

Wenden wir uns nun zu den Erkrankungen des Ohres, so sei vorher noch ein Mittel genannt, mit dem man Jagdhunden ein feines Gehór verschaffen kann; man trüufele ihnen drei oder vier Morgen nach einander den Saft von unreifen Trauben mit gebranntem Geisblatt- wasser in die Ohren. Dann sei der sogenannte Ohrwurm erwähnt, der in früherer Zeit die Gemüther nicht wenig in Schrecken hielt, da man glaubte, er króche vom Gehörgang aus ins Gehirn, und der heute sich noch im bairischen Sprachgebrauch erhalten hat. Im 16. Jahrhundert gab es eine Vorschrift für diese Gefahr, nach der man Sauerteig vor’s Ohr kleben sollte »so kompt der wurm herfür genagen.« Mit Nadeln und Zangen sollte man ihn dann herausnehmen.

Von den Hauptsymptomen der Ohrkrankheiten ist es naturgemäss der Ohrenschmerz, um den sich die grösste Menge der empfohlenen Mittel gruppirt.

Durchweg bis auf unsere Zeit im Gebrauche sind die verschiedenen Oele, die lauwarm in den Gehörgang gegossen werden; Rosen-, Mandel-, Baum- und Citronenöl mögen die bevorzugtesten sein. Dann folgt wohl in der Häufigkeit der Anwendung die Milch. In manchen Gegenden wählt man mit Vorliebe Frauenmilch, im Alterthum war Hundemilch beliebt. Urin, namentlich Kinderurin, nach Plinius Ziegen- und Eber- urin und Harn vom Kalb, das noch kein Gras gefressen hat; Bibergeil- essenz, Myrrhenessenz, Ameisenspiritus; bei den Alten Galle vom Eber, Schwein, Rind, Stier, Mäusen mit Essig oder Oel, mit Milch oder Saft von Schnittlauch zerrieben ; Mischungen von Koth, Galle, Honig; Basilien- kraut mit Kümmel, Ebersamen, von der Sau genommen, Asche von Mäusen mit Honig, das ist eine Anzahl von Mitteln, die wohl oft mehr geschadet als genützt haben und deren Hauptzweck vielleicht nur in der damit applicirten Wärme zu suchen ist. In Baiern macht man sich gegen Ohrreissen Umschläge mit heissem Brod oder frisch aus dem Ofen genommenen Wecken, die aber setzt der Volksmund hinzu erbettelt sein müssen, sollen sie recht wirksam sein. In Chemnitz windet sich die Frau ihres Mannes Hosen um den Kopf. Eine wunderbare Vorschrift noch lässt Regenwürmer und Ameiseneier in Cardobenediktenwasser kochen und ins Ohr träufeln. In Ostpreussen wickelt man Hauslauch in Watte und steckt den Ballen ins Ohr. Beliebt ist auch das Bähen, selbst heute noch unter Aerzten gebräuchlich, sodass man Kräuter wie Wermuth, Feldkümmel u. s. w. bebrüht und den

der Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten. 43

heissen Dampf einströmen lässt, während hinter dem Trommelfell das akute Exsudat unentwegt fortwüchst.

Auf ganz dümonischer Anschauung basirt der bóhmische Brauch, sich die Ohrenschmerzen zu vertreiben. Der Patient legt den Kopf, mit dem kranken Ohr nach oben, auf einen Tisch. Auf das Ohr setzt man eine zinnerne Schüssel, füllt sie etwa einen Finger hoch mit Wasser, schmilzt dann Blei und giesst es gerade der Ohróffnung gegen- über in die Schüssel. Das dreimal hintereinander. Dem Kranken soll es dabei wie Kanonenschüsse im Ohre hallen und durch diesen Ton wird er gesund.

Gegen Ohrensausen steckt man Geranium-, Knoblauch- und Zwiebel- blätter ins Ohr; die Aegypter verwendeten die Blätter der Haselwurz, des Löffelkrauts und der Wasserminze zu demselben Zweck. Wendischer Brauch schneidet Stengel von Kürbis klein, räuchert sie auf glühenden Kohlen und lässt den Rauch in die Ohren ziehen. Man empfiehlt auch zur Ableitung, die Füsse in laues Regenwasser zu stecken.

Gegen Schwerhörigkeit empfiehlt Plinius Hundefett mit Wermuth und altem Oel, Gänsefett, Zwiebelsaft. In Böhmen zerreibt man Haus- wurz zwischen zwei Kieselsteinen und träufelt den Saft in die Ohren, in Baiern nimmt man Glockenschmalz, womit Glocken geschmiert sind, und reibt es sich hinter die Ohren. In Schwaben scheint als Rest antiken Lebens die Galle das Vertrauen des Volkes sich bewahrt zu haben: Forellen-, Aal-, Hasen- oder Rabengalle wird mit Branntwein in einem verschlossenen Hafen gesotten und ins Ohr gegossen. Empfohlen wird ferner, einen im Hechtmagen gefundenen Fisch zu trocknen, zu Pulver zu stossen und dem Kranken nüchtern Morgens zwei Tage hintereinander einzugeben. Nach wendischer Ueberlieferung nehme man Blätter von der Erle, die der Wind in Furchen getrieben hat oder Zäckchen, die der Wind dahingeweht, lege sie auf Kohlen, sodass sie rauchen und halte sie in einem Trichter gegen das Ohr, damit das Brausen und der Dampf ins Ohr zieht.

Ist ein Thier in den Gehörgang gekrochen, so räth Plinius Galle von Mäusen mit Essig einzugiessen, ist Wasser eingedrungen, so thue man Gänsefett mit Zwiebelsaft hinein. '

Bei Ohreiterung werden Aufgüsse von Kräutern und Wurzeldecocte aller Art gebraucht. Die alten Vorschriften nennen eine unzählige Menge derselben und gefallen sich in den complicirtesten Zusammensetzungen. Plinius empfiehlt die Blüte des Bärwurz und hält, wie bei der Be- handlung des Ohrreissens, besonders viel von der Galle. Stiergalle mit

44 L. Lichtwitz: Ein Fall von sogen. Bezold’scher Mastoiditis.

Honig, bei Foetor in einer Granatapfelschale zu erwärmen. Alte Schlangen- haut zerrieben, fetter Speck, frischer Eselskoth, Schaum vom Pferde, frische Butter, Talg vom Rind mit Eselsfett, Galle des Ziegenbocks, Ziegenkoth mit Wagenschmiere, Hode vom Fuchs, »Ventris membrana« der Hühner getrocknet und in Wein verrieben, Fett von der Henne und von der Schwabe, wie es herausfliesst, wenn ihr der Kopf abgerissen wird, Asche von frischeın Pferdekoth mit Rosenól, das sind einige Mittel, die nach Plinius in der Volksmedicin der Alten eine Rolle gespielt haben. In unserem Vaterlande treffen wir noch Huflattigsaft, Zwiebel- saft mit Rosenhonig, Essig und Honig, Eisenschlacke mit Essig und Wein gekocht.

Zum Schluss sei eine weder appetitliche noch aseptische Methode der Ohrenreinigung aus Marokko erwähnt. Die Spritze wird hier durch einen Bekannten des Kranken ersetzt, der seinen Mund mit Oel füllt und dann geschickt diese Spülflüssigkeit in das Ohr des Betreffenden spritzt.

IV.

Ein Fall von sogenannter Bezold’scher Mastoiditis. Eröffnung des Abscesses der seitlichen Halsgegend und des Antrum. Resection des Warzenfortsatzes; Heilung. Von Dr. L. Lichtwitz in Bordeaux.

(Vortrag, gehalten in der Société d'Otologie de Paris, Juli 1896.)

Unter den verschiedenen Formen, welche die Warzenfortsatz- erkrankungen annehmen kónnen, giebt es eine, welche in Wirklichkeit erst in der letzten Zeit näher beschrieben wurde. Wir meinen .jene Form, bei welcher der im Antrum und in den Warzenzellen gebildete Eiter durch die untere und innere Wand des Processus mastoideus durchbricht, anstatt sich ausschliesslich in die Trommelhóhle durch den Aditus ad antrum oder nach aussen durch die äussere Wand des Fortsatzes oder in die Hirnschale zu entleeren. Die Localisation des Durchbruches an der unteren und inneren Wand wird begünstigt durch den Bestand von Warzenzellen, welche ganz nahe an die Oberfläche des Fortsatzes an dieser Stelle herantreten. Diesen Zellen begegnet man.

L. Lichtwitz: Ein Fall von sogen. Bezold’scher Mastoiditis. 45

hauptsächlich bei erwachsenen Personen, woraus sich die relative Häufig- keit der Perforation an diesem Orte im höheren Alter erklärt.

Wiewohl diese Form der Mastoiditis, wie Schwartze (1) erwähnt, bereits zum erstenmale von Kuh(2) im Jahre 1847 und von Böcke (3) im Jahre 1872 erwähnt wurde, so gebührt doch Bezold (4) das Ver- dienst, eine eingehende Studie über die Pathogenese und über die Symptomatologie dieser Affection gegeben zu haben. weshalb man über- eingekommen ist, diese Krankheit Bezold’sche Mastoiditis zu nennen. Wenn wir die Arbeiten der Autoren (siehe den Literaturnachweis) durchsuchen, so finden wir, dass nur eine kleine Zahl von Beispielen dieser Affection veröffentlicht wurde. Namentlich in Frankreich giebt es deren nur 4 und zwar der Fall von Broca und Lubet-Barbon (17), von Luc(18), von Tissot(19) und von Mendel(20) der Fall von Broca und Lubet-Barbon, wie die Autoren selbst zugeben, ist zweifelhaft und Mendel sagt von seinem Fall selbst, dass bei den- selben die anatomische Sanction fehlt, denn der Kranke genas ohne Operation; es bleibt daher nur der zweifellose Fall von Luc und der von Tissot übrig, die beide einen tödtlichen Ausgang nahmen. Darum erschien es uns interessant, folgende Beobachtung mitzutheilen, welche den classischen Typus der Bezold’schen Erkrankung darstellt.

Beobachtung.

D., 44 J., war bis Ende October immer gesund. Zu dieser Zeit trat plótzlieh ein Ausfluss am linken Ohre auf. Gleichzeitig stellten sich Schmerzen im ganzen Kopfe und namentlich hinter dem linken Ohre ein; Appetitverlust, Fieber, Schlaflosigkeit. Zu wiederholten Malen hórte einen Tag lang der Ohrenfluss auf, wobei die Schmerzen intensiver wurden. Der Kranke stand in Behandlung bei einem Collegen, welcher Einspritzungen und Eintrüufelungen mit verschiedenen anti- septischen Medicamenten anordnete, die in Nichts den Zustand des Kranken besserten. Der Fall wurde als ein leichter hingestellt und es wurde kein chirurgischer Eingriff vorgeschlagen. Wir bekamen den Kranken erst am 15. Mai 1895 zu sehen. Zu dieser Zeit constatirten wir hinter und unter dem linken Warzenfortsatz eine diffuse und bei Druck schmerzhafte Schwellung; keine Röthe und keine Fluctuation. Bei der Untersuchung des Ohres bemerkt man eine Perforation des Trommelfelles im oberen und hinteren Segment, durch welche man namentlich bei Druck auf die Schwellung des Halses Eiter sickern sieht.

Hórvermógen: r. O. 0,25, 1:0; ——:0; Stimmgabel vertex links besser; Rinne: r. 0. + 1.0. —.

46 L. Lichtwitz: Ein Fall von sogen. Bezold’scher Mastoiditis.

Die Durchwaschung der Trommelhöhle durch die Tuba verschafft dem Kranken eine Erleichterung von kurzer Dauer, aber bald darauf tritt der Ausfluss wieder sehr reichlich auf. Wir empfahlen dem Kranken, mehrmals im Tage seinen Halsabscess durch kräftigen Druck zu entleeren und wir waschen alle Tage die Trommelhöhle durch die Tuba aus. Ungeachtet dieser Behandlung besteht die Otorrhoe fort; der Kranke isst nicht mehr und schläft kaum 2 Stunden. Der Puls ist sehr beschleunigt (140— 170 Pulsationen in der Minute). Die Temperatur, die zu verschiedenen Stunden des Tages gemessen wurde, war normal. Im Harn weder Zucker noch Eiweiss.

Wir stellen die Diagnose: Bezold'sche Warzenfortsatzerkrankung, und mit Rücksicht auf den stationüren Zustand des Patienten empfehlen wir die Eröffnung des seitlichen Abscesses und des Antrum. Die Operation wird am 21. Juli 1895 ausgeführt. Schnitt von ungefähr 8 Cmtr. Länge parallel dem Ansatze der Ohrmuschel und !/, Cmtr. hinter demselben bis ungeführ 2 Cmtr. unter die Spitze des Processus herab. Das Periost wird nach beiden Seiten zurückgeschoben. Die Oberfläche des Fortsatzes erscheint dann etwas mehr vascularisirt als im normalen Zustande; man findet aber hier nirgends Eiter noch Fisteln.

Vor Eröffnung des Antrum schreiten wir zur Aufsuchung des Senkungsabscesses, indem wir die verschiedenen Muskeln, die sich an der unteren und inneren Wand des Fortsatzes inseriren (Sternocleido- Mastoideus, Splenius und Cirenter) ablösen. Diese Muskeln werden nach vorne gedrängt und mittelst einer Hohlsonde fallen wir unter ihnen in eine Höhle, welche 4 Cmtr. hinter und unter dem Warzen- fortsatz liegt und aus welcher sich eine grosse Menge von normalem, nicht übelriechendem Eiter entleert.

Hierauf eröffnen wir das Antrum mastoideum nach der von Zaufal(22) angegebenen Vorschrift. Mit kleinen Hammerschlägen, wobei der Hohlmeissel fortwährend von hinten nach vorn gerichtet ist, sprengen wir den oberen Theil der hinteren Wand des knöchernen Gehörgangs ab und legen auf diese Weise eine tiefe und breite Mulde im Processus selbst an. Der Knochen erscheint beträchtlich verdickt, hat 12—14 Mmtr. und eine elfenbeinerne Consistenz. Wir stossen hierauf auf das Antrum, das klein und mit Eiter und mit Granulationen erfüllt ist. Ebenso auch wie die wenigen Warzenzellen, die wir mit Hilfe des Hohlmeissels bis zur Spitze des Warzenfortsatzes verfolgen.

Die Entleerung und Ausschabung wird mit grosser Sorgfalt vor- genommen. Schliesslich, als wir die Ausmeisselung des Warzenfort- satzes beendeten, wobei auf den Facialcanal achtgegeben wird, ent- decken wir einen Eiterstreifen, der gegen die Incisura mastoidea hinziebht. Es wird hierauf die ganze Spitze des Fortsatzes weggemeisselt. Da keinerlei Läsion des Atticus bemerkt worden war, halten wir es für unnöthig, denselben zu öffnen. Dagegen wird mit Hilfe von scharfen Lóffeln die Wand der Warzenzellen und die tiefgelegene Höhle des

L. Lichtwitz: Ein Fall von sogen. Bezold’scher Mastoiditis. 47

Abscesses der seitlichen Halsgegend abgeschabt. Dieser letzte Theil der Operation nahte seinem Ende, als sich plötzlich eine ausserordent- lich reiche venöse Blutung einstellte, die mittelst Compression mit dem Finger nach hinten und unter dem Fortsatze gestillt wurde. Diese Blutung rührte wahrscheinlich von einer Verletzung der Vena occipi-

talis her’). Tamponiren mit Jodoformgaze, oberflächliche Nähte an den beiden Enden der Incision; Compressivverband. Die Folgen derselben waren

vortrefflich, weder Blutung, noch Fieber. Schon am nächsten Tage beginnt der Patient gut zu essen und zu schlafen, was er seit acht Monaten entbehrte. Die Pulszahl fiel von 140—170 auf 100—110 herab. Ende September, 2 Monate nach der Operation, war die Wunde hinter dem Ohre vollständig geschlossen, ebenso auch die Perforation des Trommelfelles. Die Uhr wurde contact gehört. Der Patient hatte noch etwas Ohrensausen. Nach kurzer Zeit bessert sich das Hör- vermögen und das Ohrensausen verschwindet. Die Heilung hält an und 6 Monate später, am 23. März 1896, wird der Kranke von unserem Assistenten Herrn Lapalle (21) der Gesellschaft für Anatomie vor- gestellt. Der allgemeine Zustand ist sehr gut, auch besteht keinerlei Bewegungsstörung des Kopfes, wiewohl man genöthigt war, die Muskel- ansütze von der Spitze des Fortsatzes abzulósen.

Die vorstehende Beobachtung ist interessant, weil sie uns alle Zeichen zu vereinigen scheint, welche der unter dem Namen Bezold- sche Mastoiditis beschriebenen Affection zukommen. Sie bietet ausser- dem auch vom operativen Standpunkt aus Interesse dar, denn sie zeigt, wie erfolgreich die chirurgische Behandlung war. Man kann nicht warm genug einen operativen Eingriff in Fällen dieser Art empfehlen. Die Operation besteht nicht nur in der Eröffnung des Abscesses der seit- lichen Halsgegend, sondern auch des Herdes, der den Eiter erzeugt, d. i. des Antrums und der Warzenzellen; wenn nöthig, wird man die ganze Spitze des Fortsatzes reseciren.

Literaturnachweis.

1. Schwartze. Operationslehre (in Schwartze: Handbuch der Ohrenheil- kunde II, p. 801, 1893).

2, Kuh. Klinische Beitráge. Breslau 1847.

9. Bócke. Ueber Caries des Felsbeines. Arch. f. Ohrenheilk. VI, p. 285, 1872.

4. Bezold, F. Ein neuer Weg für die Ausbreitung eitriger Entzündung aus den Räumen des Mittelohrs auf die Nachbarschaft und die in diesem Falle einzuschlagende Therapie. Deutsche medicin. Wochenschr. No. 28, 9. Juli 1881.

1) Ein ähnlicher Zwischenfall, übrigens ohne ernste Folgen, findet man in einer Beobachtung von Moos (2. Fall) verzeichnet (7).

48 A. Hartmann: Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges.

5. Jacoby. Arch. f. Ohrenheilk. XV, p. 286.

6. Cholewa. Deutsche medic. Wochenschr. 1888, No. 49.

7. Moos. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XX, p. 47, 1890.

8. Thiry. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XX, p. 77, 1890.

9. Politzer. Lehrbuch, 2. Aufl, p. 389.

10. Hartmann, A. Die Krankheiten des Ohres, 4 Aufl. 1889, p. 202.

11. Kirchner. Lehrbuch, 3. Aufl, p. 152.

12. Kisselbach. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XXI, 114. 10. Versammlung süd- deutscher und schweizerischer Ohrenürzte; Nürnberg, 25. Mai 1890.

13. Orne Green. The Americ. Journ. of the Med. Scienc, Dec. 1890.

14, Bacon, Gorham. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XXII, p. 63, 1891.

15. Guye. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XXIII, p. 40, 1892.

16. Knapp. Zeitschr. f. Ohrenheilk, XXIV, p. 161, 1893.

17. Broca et Lubet-Barbon. Les supperations de l'apophyse mastoide et leur traitement. Paris 1895, p. 47.

18. Luc. Contributions à l'étude des mastoidites de Bezold. Arch. int. de Laryngol, d'otol. etc., No. 1, Janvier-Février 1896.

19. Tissot. Un cas de mastoidite de Bezold. Dauphiné méd., No. 5, 1896.

20. Mendel. Un cas de mastoidite. Soc. franc. de laryngol. d'otol. etc., 1896. Mai, in Archives intern. de laryng. etc., No. 3, 1896, p. 297.

21. Lapalle. Ouverture de l'apophyse mastoide d'aprés la methode de Zaufal, présentation de trois malades. Soc. d'anatomie et de physiol. de Bordeaux, 23. mars 1896, in Journal de méd. Bordeaux, 5. Avril 1896.

22. Zaufal. Arch. f. Ohrenheilk. XXXVII, p. 33—81, 1894.

V.

Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges.

Von Dr. Arthur Hartmann in Berlin. Mit einer Abbildung im Texte.

Auf der zweiten Versammlung der Deutschen otologischen Gesell- schaft in Frankfurt a. M. 1893 habe ich zwei Präparate von Hyperostose des äusseren Gehörganges aus meiner Sammlung demonstrirt. Ich habe es damals als zweifellos erklärt, dass es sich in diesen Fällen um Ent- wicklungsanomalien handle, da das beiderseitige gleichmässige Auftreten, die Beschränkung auf die Pars tympanica und die dem übrigen Knochen vollständig gleiche Beschaffenheit der Hyperostose keine andere Deutung zulasse. Diesen bereits früher hervorgehobenen Beweisgründen tritt noch hinzu die hereditäre Anlage. Bei einer Patientin, welche kürzlich wegen furunkulöser Entzündung des äusseren Gehörganges in meine Behandlung getreten war, bestand knochenharte Schwellung der Gehörgangswandungen;

A. Hartmann: Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges. 49

insbesondere war die hintere Wand stark vorspringend. Zuerst wurden die Schwellungen als entzündliche betrachtet, die Untersuchung des ge- sunden Ohres zeigte jedoch, dass auf diesem dieselben Veränderungen bestanden. Ausserdem konnte nun noch festgestellt werden, dass die Mutter und eine Schwester der Patientin gleichfalls mit hyperostotischen Auftreibungen im Gehörgange behaftet waren, was denselben bis dahin noch nicht bekannt war und erst durch die Untersuchung vorgefunden wurde.

Ich habe nun gefunden, dass bereits auch von anderer Seite auf das hereditäre Vorkommen der Hyperostose aufmerksam gemacht wurde. Die bemerkenswertheste Mittheilung in dieser Beziehung stammt von Boyer), eine Frau P. betreffend, die selbst mit mehreren Exostosen behaftet war, der Vater, die Brüder, die Schwestern, die Neffen und die Kinder hatten ähnliche Geschwülste. Ausserdem erwähnt Schwartze?), dass er die Exostosen wiederholt hereditür gesehen habe. Blake?) fand, dass die meisten der von ihm beobachteten Fülle in einzelnen Familien vorkamen, in welcher Glieder der sich folgenden Generationen damit behaftet waren, als beweisendstes Beispiel führt er 3 Generationen einer Familie an.

Da in der otologischen Litteratur die Hyperostosen und Exostosen unter letzterer Bezeichnung immer noch zusammengeworfen werden, ob- wohl es sich zweifellos um ganz verschiedene Vorgänge handelt, ist auch die Schilderung eine sehr verworrene, je nachdem der Autor mehr die Exostosen oder mehr die Hyperostosen im Auge hatte. Dass die beiden Processe auseinanderzuhalten sind, wurde auch von Virchow, dem ge- rade bezüglich der Exostosen eine grosse Erfahrung zur Seite steht, ge- legentlich eines Vortrages von mir in der Berl. medicin. Gesellschaft ausgesprochen, indem er sagt*): »Ich stimme mit dem Herrn Vortragen- den namentlich in einem Punkte überein, der mir vor Jahren schon bei meinen ethnologischen Untersuchungen über die Schädel aus den nörd- lichen Theilen der pacifischen Küste entgegentrat; ich meine in der Deutung der mehr diffusen Hyperostosen, die er uns in seinem ersten Bilde gezeigt hat. Ich würde das auch nicht eine Exostose nennen.

1) Nelaton. Eléments de pathologie chirurgicale, 2. Edit. 1869, Tome II, S. 497. Citirt nach Delstanche.

?) Sch wartze. Pathol Anatomie des Ohres 1878, S. 41.

3) American Journ. of Otology Bd. II, S. 88.

4) Berl. klin. Wochenschr. No. 3, 1893.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 4

50 A. Hartmann: Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges.

Die diffuse Hyperostose ist verschieden von der eigentlichen Exostose, sitzt auch anders. Da gerade die Exostosen einen sehr typischen Sitz haben, so ist diese Deutung sehr augenfillig.«

Die Hyperostose des äusseren Gehórganges erstreckt sich immer nur auf die Pars tympanica, wührend die angrenzende Schuppe keine knócherne Auftreibungen zeigt. Wenn solche an der oberen Gehör- gangswand besonders im inneren Theil des Gehórganges sich finden, so entspringen sie nicht von der Schuppe, sondern von der Pars tympanica, deren Suturlinien mit der Schuppe nach innen bis zum Rivini’schen Ausschnitt vorn und hinten sich hinaufziehen. Die Pars tympanica kann

Fig. 1.

in ihrer ganzen Ausdehnung verdickt, hyperostotisch sein. An der vorderen und hinteren Wand des Gehörganges springt die hyperostotische Verdickung hauptsächlich nach der Mittellinie vor, an der unteren Ge- hörgangswand findet, wie die vorstehende Figur 1 zeigt, die Verdickung mehr nach unten statt. Während die Verdickung nach hinten sich nicht ausdehnen kann wegen des compacten Warzenfortsatzes und nach vorn nicht wegen des Gelenksfortsatzes, scheint die Ausdehnung nach unten nicht beschrünkt. Auf diese Weise kommt es zur schlitzfórmigen Ver- engerung des äusseren Gehörganges, indem die Verengerung hauptsäch- lich im horizontalen Durchmesser stattfindet, während der verticale ziem- lich erhalten bleibt. Es erscheint desshalb besonders die vordere und

A. Hartmann: Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges. 51

hintere Wand stärker verdickt, bisweilen halbkugelig vorspringend. Die Verdickung ist nicht immer eine gleichmüssige, besonders neigen die Ränder der Pars tympanica nicht selten zu stürkerer Auftreibung, so dass die vordere und hintere Suturlinie der Pars tympanica mit der Schuppe stärker vorgewólbt oder sogar hóckerig oder halbkugelig an- geschwollen erscheinen. Insbesondere ist es das innere Ende der Sutur- linie, welche vorn und hinten an der Shrapnell’schen Membran kugelige Auftreibungen zeigen. Ebenso kommt es auch im äusseren Theil der Suturlinien zu einer stärkeren Verdickung. Ist der freie äussere Rand stark verdickt, so kann eine circumscripte am Eingang des Gehörgangs liegende Exostose vorgetäuscht werden, bei der Abmeisselung findet sich dann, dass dieselbe nicht auf den Eingang sich beschränkt und keine circumscripte Ansatzstelle hat, sondern dass sie weit in das Innere des Gehörganges sich hineinerstreckt und breitbasig aufsitzt.

In der Abbildung entspricht auf der hinteren Gehörgangswand der abgerundete Vorsprung der Nathlinie der Pars tympanica, ebenso ist die nach innen verdickte vordere Suturlinie deutlich ausgesprochen. Bei dem zweiten Präparate meiner Sammlung sind die Suturlinien bis zum inneren Ende des Gehörganges sichtbar, die Pars tympanica hat die Form eines nach oben nicht vollständig geschlossenen Cylinders aus Pappe, die Pars tympanica erscheint nicht mit der Schuppe in gleicher Fläche, wie dies normaler Weise der Fall ist, verwachsen, sondern er- scheint der Schuppe aufgelagert. Man erhält den Eindruck, als ob bei der Entwicklung die Pars tympanica etwas zu spät kam, so dass sie nicht mehr eingefügt, sondern aufgelagert werden musste. |

Die Verhältnisse lassen sich am Lebenden nicht immer in ganzer Ausdehnung feststellen, da allein das Knochenpräparat vollständig Auf- schluss geben kann. Wenn man die Abbildungen in den Veróffent- lichungen über Exostose nach dem Lebenden sieht, so weisen dieselben häufig auf die geschilderten Entwicklungsverhältnisse hin, in anderen Fällen sitzen die Schwellungen so, dass man kleine Abweichungen wohl auf Rechnung des mit den Verhältnissen nicht vertrauten Zeichners setzen darf. Jedenfalls wird man bei Beachtung der Entwicklungsverhältnisse, wenn man sich die Ausdehnueg und die Begrenzung der Pars tympanica vor Augen hält, sich bei der Untersuchung am Lebenden davon. über- zeugen, dass die den knöchernen Gehörgangsgeschwülsten zu Grunde liegende Entwicklungsanomalie viel häufiger vorkommt, als man gewöhn- lich annimmt.

4*

59 A. Hartmann: Ueber Hyperostose des äusseren Gehörganges.

Alle diese Veränderungen sind als Bildungsanomalien zu betrachten, die mit der Entwicklung des äusseren Gehörganges und mit dem fort- schreitenden Wachsthum der Pars tympanica auftreten.

Was die Häufigkeit des Vorkommens von Hyperostose betrifft, so habe ich seiner Zeit mitgetheilt, dass ich unter 9630 Patienten 14 Fälle von beiderseitiger Hyperostose verzeichnet gefunden habe, dass somit auf 650 Patienten 1 Fall kommt. Spuren von früher stattgehabter Eiterung sind bei Hyperostose nicht vorhanden. Nach beendigtem Wachs- thum des Individuums tritt eine Vergrösserung der hyperostotischen Ge- schwulstbildungen nicht mehr auf.

Wenn ich die Beweise dafür, dass es sich bei den geschilderten Veränderungen nicht um entzündliche oder andere krankhafte Vorgänge, sondern um Entwicklungsanomalien handelt, kurz zusammenfasse, so sind dieselben:

1. Das Fehlen von Veränderungen, welche auf früher stattgehabte Entzündung zurückgeführt werden könnten;

2. die vollständig gleichmässige Beschaffenheit des Knochens, der sich von normalem und von benachbartem Knochen insbesondere der Schuppe nicht unterscheidet ;

3. das Beschrünktsein der Hyperostose auf die Pars tympanica; das gleichmüssige Vorkommen auf beiden Seiten;

5. das Stehenbleiben des Wachsthums der Hyperostosen beim Er- wachsenen ;

6. das nicht selten beobachtete hereditäre Vorkommen.

Bericht a über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde im dritten Quartal des Jahres 1896.

Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann. er u ren

Anatomie des Ohres.

275. Bonnier. Rapports entre l'appareil ampullaire de l'oreille interne et les centres oculo-moteurs. Revue neurologique Tome 3, No. 23.

276. Krause, R. Die Endigungsweise des Nerv. acusticus im Gehörorgan. Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft auf der X. Versammlung in Berlin vom 19.—22. April 1896. Jena, Gustav Fischer.

277. Siebenmann, Prof., Basel. Ueber die centrale Hörbahn und über ihre Schädigung durch Geschwülste des Mittelhirns speciell der Vierhügelgegend und der Haube. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 28.

278. Rawitz, B. Ueber das Gehirn eines Hundes mit blauen Augen. Verh. der anatom. Gesellsch. auf der X. Versamml. in Berlin vom 19.—22. April 1896. Jena, Gustav Fischer.

276) Die Untersuchungen von Krause erstrecken sich auf die Entwickelung der Acusticusendigungen bei der Forelle und beim Lachs und wurden angestellt mittels der vitalen Methylenblaufärbung. Die Nerven wachsen als die peripheren Ausläufer der bipolaren Acusticus- ganglienzellen in die Nervenendstellen hinein und bilden in der Macula acustica charakteristische Endkelche, von welchen eine grosse Anzahl feinster Fibrillen ausschiessen. Die letzteren legen sich den Haarzellen ausserordentlich eng an. In der Crista acustica dagegen nehmen die Endzweige mehr die Form kurzer, kräftiger Klauen an.

Anhangsweise wird dann noch über die Nervenendigung in der Macula acustica des Kaninchens berichtet. Verf. konnte im Gegensatz zu Leuhossék die älteren Angaben von Retzius, Niemack uud Kaiser bestütigen, nach welchen die Anlagerung der Nervenfaser an die Haarzelle auch hier eine ausserordentlich enge und innige ist. In der sich an den Vortrag anknüpfenden Discussion schliesst sich übrigens

Retzius den Resultaten Leuhossek’s völlig an. Krause (Berlin).

54 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

278) Das betreffende Thier war völlig taub und zeigte eine hoch- gradige Reduction beider Gehörschnecken und der Lobi temporales des Grosshirns. Krause.

Anatomie der Nase.

279. Bergeat, H. Ueber die Sichtbarkeit der oberen Nasenmuschel. Monats- schrift f. Ohrenheilk. No. 6, 1896.

280. Broom, R. Observations on the relations of the organ of Jacobson in the horse. The proecedings of the Linnean Soc. of New South Wales. Vol. XXI, Part. 1, No. 81.

281. Bruner, Henry L. Ein neuer Muskelapparat zum Oeffnen und Schliessen der Nasenlócher bei den Salamandriden. Anatom. Anzeiger Bd. XII, No. 11.

282. Mayer, E. The nasal mucous membrane. New-York. med. Journ. Vol. 63.

283. v. Mihalkovics, V. Bau und Entwicklung der pneumatischen Gesichts- hóhlen. Verh. der anatom. Ges. auf der X. Vers. in Berlin vom 19. bis 22. April 1896. Jena, Gustav Fischer.

284. Schmidt, E. Ueber das postembryonale Weiterbestehen des Jacobson'schen Organs und Knorpels beim Menschen und die Beziehungen derselben zu einander. Inaug.-Dissert. Berlin, 1896.

285. Spurgat, F. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Nasen- und Schnauzenknorpel des Menschen und der Thiere. Freiburg.

286. Waldow, A. Untersuchungen über Kiefermissbildungen in Folge von Verlegung der Nasenatlımung. (Aus der Poliklinik für Ohren- u. Kehl- kopfkranke des Hrn. Prof. O. Körner in Rostock.) Arch. f. Laryngol. Bd. II.

279) Bei nicht atrophischer mittlerer Muschel konnte Bergeat in drei Fällen die obere Muschel beim Lebenden von vorn direct sehen. Auch eine Reihe von macerirten Schädeln berechtigten bei genauerer Besichtigung zu der Annahme, dass dasselbe während des Lebens der betreffenden Individuen möglich gewesen wäre. Killian (Freiburg).

280) Beim Pferd findet sich als Regel ein Verschluss der vorderen Parthie des Canal. naso-palatinus. Die vorderen Knorpelfortsätze sind hier mit den seitlichen in Verbindung geblieben und stellen wahr- scheinlich ein Verschmelzungsproduct der Jacobson’schen und Sten- son’schen Knorpel dar. Krause.

281) Während nach den Untersuchungen von Gaupp beim Frosch äussere Nasenmuskeln völlig fehlen, findet sich ein solcher muskulöser Apparat bei den Salamandrinen und besteht im ausgebildeten Falle aus drei Muskeln, einem Musc. dilatator naris, einem Musc. constrictor naris und einem Musc. dilatator naris accessorius. Alle drei setzen sich aus glatten Muskelfasern zusammen, Krause.

Anatomie der Nase. 55

283) Die häufig vorkommenden Verbiegungen der Nasenscheidewand treten, wie vielfach behauptet worden ist, nicht erst in den Kinder- jahren auf, sondern finden sich schon im fötalen Leben und stehen auch nicht in genetischer Beziehung zu den Jacobson’schen Gängen. Die letzteren sind nicht, wie Gegenbaur das gethan hat, mit der Nasen- drüse von Stenops zu homologisiren, auch nicht wie Seydel will, mit der Kieferhöhle der Amphibien. Die Kieferhöhle ist phylogenetisch eine sehr alte Erwerbung, als eigentliches Jacobson'sches Organ ist hier nur die mediale Ausbuchtung der Nasenhöhle anzusprechen. Bei Vögeln kommt kein Jacobson’sches Organ vor.

Was die laterale Wand der Nasenhöhle anlangt, so sind beim menschlischen Embryo 4 oder auch 5 knorpelige Muscheln vorhanden. Die untere Muschel der Menschen ist die ältest erworbene und ent- spricht dem Maxilloturbinale der Säugethiere, sie ist bei Säugethier- embryonen mit einer Art Riechepithel bedeckt, welches sich aber noch während des Embryonallebens in Respirationsepithel umwandelt.

Das Agger nasi ist dem Nasoturbinale der Säugethiere homolog ; der Proc. uncinatus und die Bulla sind rudimentüre Nasenmuscheln, so dass der Mensch also 6 oder 7 Nasenmuscheln besitzt. Entgegen Zuckerkandl glaubt Verf.. dass angeborener Mangel der Muscheln vorkommt. |

Die Decke der Nasenhóhle besteht aus zwei Theilen, dem Eth moidal- und dem Sphenoidaltheil, der Boden aus dem Zwischenkiefer und dem Palatinalantheil. Am Boden ist das Epithel niedriger als in der übrigen Nasenhöhle, weil dieser aus der Mundrachenhóhle entsteht.

Der ethmoidale Abschnitt der Nasenhöhle ist aus der primären Nasenhöhle, der maxillare Abschnitt aus dem Nasenrachengang ent- standen.

Das knorpelige Gerüst der Nasenhöhle besteht aus drei Haupt- platten und mehreren Nebenknorpeln. Die eine Hauptplatte liegt im mittleren Stirnfortsatz und ist als modificirte Verlängerung des Schädel- wirbelkörpers zu betrachten. Vorn geht sie am Nasenrücken in die paarigen lateralen Knorpelplatten über, welche sich von der Schädel- basis bis zum freien Rand der unteren Muschel hinunter entwickeln. Die ganze knorpelige Nasenkapsel ist eine Fortsetzung der knorpeligen Schädelbasis und häugt mit dem vorderen Keilbeinwirbel ähnlich zu- sammen, wie der hintere Keilbeinwirbel mit dem Hinterhauptwirbel.

Gleichzeitig mit der Ausbildung der knorpeligen Nasenkapsel er-. folgt die Bildung der Nebenhöhlen. Sie sind primär angelegte Gebilde,

56 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

welche nicht, wie man bis jetzt annahm, ihre Entstehung der Resorption der knorpeligen Nasenkapsel verdanken. Der Sinus maxillaris ist schon im 3.—4. Fótalmonat angelegt, ebenso die Keilbeinhóhle. Krause.

285) Wührend nach den Untersuchungen von Rose und Spurgat die Jacobson’schen Knorpel des Menschen nicht zu dem gleich- namigen Organ gehóren, sind sie nach der Ansicht des Verf. als rudi- mentüre Ueberreste der beim Süugethier als Schutzknorpel des Jacobson- schen Organs dienenden Knorpelkapsel zu betrachten. Krause.

286) Nach einer historischen Einleitung recapitulirt Waldow die wesentlichen Ergebnisse der bekannten Untersuchungen Kórner's (Untersuchungen über Wachsthumsstörung und Missgestaltung des Ober- kiefers und des Nasengerüstes in Folge von Behinderung der Nasen- athmung, Leipzig 1891). Er ergänzt und berichtigt dieselben durch die Mittheilung, dass sich eine V-form des Oberkiefers nach dem Zahn- wechsel nur dann heraustellt, wenn adenoide Wucherungen das Athmungs- hinderniss abgeben. In anderen Fällen (z. B. bei Verlegung der Nase durch angeborenen Choanenverschluss, durch traumatische Dislocationen u. a.) soll die Winkelform regelmässig ausbleiben, vielmehr eine Ver- bildung eintreten, die mit der bei adenoiden Veg. vor dem Zahnwechsel von Körner beschriebenen übereinstimme. Ueber die Ursachen dieser Verschiedenheiten ist bisher nichts bekannt. Vielleicht werden Blut- untersuchungen, die Körner und Lubarsch bei Kindern mit Adenoiden z. Z. anstellen, darüber näheren Aufschluss geben.

Zarniko (Hamburg).

Physiologie des Ohres.

287. Kuttner, A. Dr. Die Hórfihigkeit labyrinthloser Tauben. Pflüger's Arch. f. Physiol. 64. Bd., 5. u. 6. Hft., S. 249.

288. Denker, A., Dr. Ein Beitrag zur Lehre von der Funktion des Schall- leitungsapparats des Sáugethier-Ohres. Pflüger's Arch. f. Physiol. 64. Bd., 10., 11. u. 12. Hft., S. 600.

289. Jensen, P., Dr. Ueber den galvanischen Schwindel. Pflüger's Arch. f. Physiol. 64. Bd., 3. u. 4. Hft., S. 182.

290. Raugé, P. Le relief acoustique et l'audition biauriculaire. Rev. hebdom.

287) Kuttner vermag das Thatsáchliche von Ewald's Angaben über die Reactionen, welche eine labyrinthlose Taube zeigt, zu be- státigen; insbesondere hat er sich davon überzeugt, dass mit der Ewald'schen Operationsmethode alle Theile des hüutigen Labyrinthes vollständig entfernt werden können. Die labyrinthlose Taube giebt, wenn dieselbe ungefesselt und ungezwungen beim Einschlafen beobachtet wird,

Physiologie des Ohres. 57

Reactionen vor Allem auf tiefe Tóne, welche unter geeigneten Vorsichts- maassregeln gegen directen Luftstoss zugeleitet wurden. Hohe Töne blieben stets unbeantwortet. Bei Benutzung einer Dunkelkappe über die Augen wurden die Reactionen seltener und hörten ganz auf, wenn die Taube in einer Schwebe gefesselt wurde. Es scheint demnach, dass die Veränderung der Versuchsanordnung auch eine Veränderung in der Perceptionsfähigkeit der Thiere mit sich führte. Da aber für alle gelungenen Versuche doch der Nachweis fehlt, dass die angewandten Reize jenseits des von den sensiblen Nerven der Körperoberfläche wahr- nehmbaren Schwellenwerthes liegen, so ermangeln dieselben der Beweis- kraft im Sinne Ewald’s, dass ‘die labyrinthlose Taube Hörfähigkeit besitzt. Daher wurde folgender Versuch angestellt: Tauben wurden einseitig des Labyrinthes beraubt, unter der Dunkelkappe in die Schwebe gebracht und das gesunde, sowie das operirte Ohr mit einem Hörschlauch verbunden. Auf der operirten Seite gelang es Kuttner niemals, mittelst des Hörschlauches irgend welche Reaction auszulösen, auf der nichtoperirten trat, wenn auch nicht immer, so doch häufig eine Reaction auf. Diesem Versuche zufolge müssten demnach die auf Schall- reize wahrgenommenen Reactionen als von den sensiblen Nervenend- apparaten der Körperoberfläche ausgelöst angesehen werden. Asher (Bern).

288) In das Labyrinth des Pferdeschläfebeines wurden capillare Mano- . meterröhrchen wasserdicht eingesetzt, um, analog den Versuchen Bezold’s am menschlichen Ohr, die Schwingungen der Schallleitungskette als Ganzes zu untersuchen. Die Untersuchungen sind beim Pferde schwieriger. Luftdruckschwankungen wurden durch Inspirations- und Exspirations- bewegungen erzeugt und durch einen Gummischlauch zugeleitet. Schon bei Athmungsbewegungen mässiger Stärke wurde das Maximum der Inkursion als auch der Excursion erreicht, und eine Steigerung des Druckes brachte, wie beim menschlichen Schläfebein, keine Steigerung der Bewegung im Capillarröhrchen hervor. Kein einziges Mal erreichte bei demselben Präparate die Incursionsfähigkeit die Höhe der Ex- cursionsfáhigkeit. Beim Pferde sind sowohl die Bewegungsmaxima, als auch die einzelnen Phasen der Bewegungsamplituden geringer, als beim Menschen. Nach Eröffnung der Paukenhöhle erhielt Denker erheblich geringere Werthe, als bei geschlossener. Wenn die Luftdruckschwan- kungen von der Tuba Eustachii her ausgeführt wurden, so erzeugte Luft- compression in die Paukenhöhle stets ein Steigen der Manometerflüssig- keit, die Luftverdünnung in allen Fällen ein Sinken derselben. Asher.

58 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

289) Ob die Reactionen, welche bei querer Durchströmung des Kopfes der Taube eintreten, vom Labyrinth abhängen oder nicht, ist noch Gegenstand widersprechender Anschauungen. Jensen unter- suchte einerseits normale, andererseits labyrinthlose Tauben vergleichs- weise mit genau abgemessenen (in Milli-Amperes) Stromstärken. Schon bei Strömen von 0,05—0,1 M.-A. erfolgte bei der Schliessung eine Neigung des Kopfes nach der Anode von etwa 15 °, welche mit der Stromstärke zunimmt und bis zu einem Winkel von 90? und darüber hinaus bis fast 180 ^ anwachsen kann. Bei der Oeffnung der Kette giebt der Kopf seine abnorme Lage auf und kehrt bei schwächeren Strömen ohne Weiteres wieder in die Normalstellung zurück, bei stärkeren aber führt er eine Neigung nach der Kathode aus. Alle diese Bewegungen („Dauerreactionen*) sind durch eine geringe, ziemlich gleichförmige Geschwindigkeit ausgezeichnet. Sobald die Kopfneigungen eine gewisse Grösse erreicht haben, macht sich „Kopfnystagmus“ geltend (d. h. ruck- artige, kurze Bewegungen nach der der Neigung entgegengesetzten Richtung); bei stärkeren Strömen sind diese pendelnden Kopfbewegungen zuckungsühnliche. Von 0,3 M.-A. treten „Zuckungsreactionen® auf, welche in ruckartigen, schnellen Bewegungen nach der Anode bei Schliessung, nach der Kathode bei der Oeffnung des Stromes bestehen. Tauben, welche vor etwa einem Jahre ihre beiden Labyrinthe einge- büsst hatten, zeigten nur bei den stärksten der angewandten Ströme schwache Dauerreactionen. Die Oeffnungsneigung nach der Kathode, sowie der typische Kopfnystagmus fehlt den operirten Thieren. Hingegen Zeigen sie gleichfalls die Zuckungsreactionen. In den „Dauerreactionen“ sieht Jensen die Anzeichen des galvanischen Schwindels. Schwächere Stadien der Narkose liessen die sämmtlichen Reactionen meist noch deutlicher hervortreten. Im zweiten Stadium der Narkose (schlaffe Muskulatur, Cornealreflex nicht erloschen) werden die Dauerreactionen schwächer, hingegen sind die Zuckungsreactionen noch ausgeprägt. Im dritten Stadium der Narkose schwindet Alles. Jensen zieht aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass der galvanische Schwindel vom Labyrinth ausgehe. Versuche an einer grosshirnlosen Taube zeigten, dass die galvanischen Reactionen der Taube in keiner engeren Abhängigkeit vom Grosshirn stehen. Asher.

290) Raugé bespricht zuerst recht ausführlich, dass, wie das binoculäre Sehen ebenso das biauriculäre Hóren für die Orientirung im Raum und über körperliche Verhältnisse unerlässlich sei. Raugé belegt das durch zwei sehr prägnante Beispiele aus seiner Praxis, wo

Allgemeines. s 59

eine plötzlich eingetretene Taubheit eine richtige Paracusis loci zur

Folge hatte. Dasselbe konnte Rang& auch experimentell erreichen,

wenn er einem sonst gut Hörenden das eine Ohr hermetisch verschloss. Zimmermann (Dresden).

Physiologie der Nase.

291. Zwaardemaker, Utrecht. Ein verbesserter Riechmesser. _ Arch.. für Laryngol. III, 3. ;

292. Danziger, Fritz, Dr., Beuthen. Untersuchung über die Luftbewegung in der Nase. während des Athmens. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 7, 1896.

291) Das Porzellanröhrchen des bekannten Riechmessers von Zwaardemaker befindet sich bei der neuesten Modification in einer gleichlangen. Glasróhre. Der zwischen beiden Röhren freibleibende . Mantelraum ist durch endständige Flanschen wasserdicht geschlossen. In ihn wird die Riechflüssigkeit gefüllt. So wird erreicht, dass das Porzellanröhrchen ständig in der Riechflüssigkeit liegt. Vortheile: Bequeme Handhabung, stete Gebrauchsfertigkeit, Unveränderlichkeit der Olfactienwerthe. Diese sind für Valeriansäure 1: 10000 = 0,4 cm.: für essigsaures Isoamyl 1: 10000 = 0,7 cm; Vanillin 1: 1000 Glycerin = 0,4 cm; Trinitrobutyltoluol 1:5000000 = 0,4 cm; Allylsulfid 1 : 5000 = 0,3 cm; Pyridin 1:2000 = 0,1—0,2 cm; Scatol 1:100000 = 0,5 cm. Mechaniker Harting Bank in Utrecht liefert das Instrument für 10 Mark. Zarniko.

292) Danziger fand, dass der Weg der Luft durch die Nase bei jedem Indiyiduum ein anderer ist. Die Art des Naseneinganges beein- flusst die In-, die des Rachens die Exspirationsbahn. Es werde immer nur ein Theil des Naseninnern und nie die oberste Muschel von der Luft bestrichen. Killian.

Allgemeines.

298. Gruber, Prof, Wien (aus dessen Klinik). Bericht über die im Jahre 1895 ambulatorisch behandelten Kranken. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 4—6, 1896. |

294. Levy, Ad. Oberstabsarzt. Bericht über die Wirksamkeit der Klinik und Poliklinik für Ohren-, Nasen-, Schlund- und Kehlkopfkrankheiten des Garnisonkrankenhauses in Kopenhagen für die Jahre 1888—1893. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 202.

295. Ostmann. Mittheilungen von der Ohrenstation des Garnison-Lazareths Königsberg i. Pr. Deutsche militärärztliche Zeitschr. 1896.

296. Ostmann, Prof, Marburg. Simulation und Verkennung von Krankheits- zustànden des Gehórapparates. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 9, 1896.

60 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

297. Ferreri. Ueber die senilen Veründerungen des Mittelohres. Archivio ital. di Otologia etc. Hft. IV, 1896.

298 Asch, Paul, Strassburg. Das Sarkom des Ohres. Inaug.-Dissert. 1896.

299. Jankau. Otologische Mittheilungen. Deutsche med. Wochenschr. No. 37,

1896. 300. Geronzi. Guayakol zur localen Anästhesie. Archivio ital. di Otol. ete. Hft. IV, 1896.

301. Lacoarret. Vertige auriculaire et spasme du muscle tenseur. Revue hebdom. de laryng. d’otolog. No. 34, 1896.

302. Bayer, Prof, Prag. Ein Beitrag zur Kenntniss der Reflexe während der Narkose. Prag. med. Wochenschr. No. 27, 1896.

303. Redlich, E., Dr. und Kaufmann, D. Dr, Wien. Ueber Ohrunter- suchungen bei Gehörshallucinanten. Wien. klin. Wochenschr. No. 33, 1896.

304. Danziger, Fritz, Dr., Beuthen. Ein Beitrag zum Werthe der akustischen Uebungen bei Taubstummen nach Urbantschitsch. "Wien. med. Presse No. 32, 1896.

293) Zwei Fälle von Wearzenfortsatzoperation mit beschleunigter Heilung durch Spätnaht und ein Fall von chronischer Mittelohreiterung mit Caries des Proc. mastoideus, Entzündung des Sinus, extraduralem Abscess und Pyämie, der zur Heilung kam, sind besonders zu er- wähnen. Killian.

295) In dieser Arbeit berichtet Ostmann über einige interessante Fälle von traumatischer Verletzung des Gehörorganes. Unter den Ver- letzungen in Folge directer Gewalteinwirkung bespricht er zwei Fälle von absichtlicher Durchstechung des Trommelfelles, welche gerichtsärzt- lich als Versuche zur Herbeiführung von Dienstunbrauchbarkeit zu be- urtheilen sind. Die in beiden Fällen ungewöhnliche Lage der Perforation im vorderen Abschnitt des Trommelfelles erklärt sich durch die besondere Weite und den gerade gestreckten Verlauf der betreffenden Gehörgänge. Es folgt der Bericht über eine Schussverletzung mittels Platzpatrone (Infanteriegewehr M/88) aus unmittelbarer Nähe von hinten gegen den Warzenfortsatz mit mehrfachen Weichtheilswunden auf diesem und schwerer Erschütterung des Hörnerven, bei welcher die Reizsymptome (Ohrensausen und Schwindel) beim ersten Schiessversuche des wieder in Dienst gestellten Verletzten von neuem in höchstem Grade hervortraten. Die tiefe Einbettung des Ohrlabyrinthes in den compacten Knochen bietet keinen Schutz gegen seine traumatische Erschütterung, welche unter Umständen schon durch einen leichten Schlag auf die Stirn zu Stande kommen kann (Fall von Urbantschitsch). Die auffallende, durch eine Tabelle veranschaulichte Häufung der Ohrenkrankheiten in den

Allgemeines. 61

Monaten Juni und Juli erklärt sich aus der Mehrung der Schädlich- keiten für das Ohr in dieser Zeit durch das Baden. Doch sind Ohren- erkrankungen in Folge Badens immerhin selten im Verhältniss zu der ungemein vielfachen Erkrankungsgelegenheit.e.. Das Ohr kann hierbei erkranken 1. durch Eindringen von kaltem Wasser in die Tiefe des äusseren Gehórganges ; 2. durch Eindringen von Wasser in das Mittelohr durch die Tube bei Schluckbewegungen unter Wasser.

Am häufigsten kommt der erstgenannte Erkrankungsmodus zu Stande bei Leuten mit besonders weiten, gerade gestreckten und cerumen- freien Gehörgängen. Bei ihnen kann es sogar zu directer traumatischer Verletzung des Trommelfelles kommen, durch den Anschlag des Wassers beim Fusssprung ins Wasser. Es folgen zwei derartige Fälle mit Blut- extravasatbildung im sonst nicht entzündeten Trommelfell und ein Fall zweifelhafter Aetiologie (schwere Entzündung des Trommelfelles, ent- weder durch directes Trauma, oder durch die Reizwirkung des ein- gedrungenen Wassers hervorgerufen).

Unter den Verletzungen in Folge indirecter Gewalteinwirkung führt Ostmann noch einen Badeunfall an: doppelte Zerreissung des Trommel- felles durch seitliches Aufschlagen des Kopfes auf das Wasser beim Kopfsprung (ebenfalls weiter, gerade gestreckter und cerumenfreier Gehórgang).

Fall 2 betrifft eine schwere Commotion beider Hórnerven mit links sofort vollständiger, rechts erst allmählig in der ersten Woche vollständig gewordener Taubheit (rechts Blutung ins Labyrinth?) Die Behandlung bestand in absoluter Ruhe, Schutz vor Schalleinwirkung, Ableitung auf den Darm, Blutentziehung, während des 2. Monats in täglichen Strychnininjectionen. Nach 23 Tagen wurde erstmals wieder eine Spur von Hörvermögen constatirt; Ausgang in Heilung nach 9 Wochen. Weiterhin 12 Fälle von Trommelfellruptur durch Schlag auf das Ohr etc. Hiervon waren 5 Rupturen im vorderen unteren Quadranten gelegen; 7 mal findet sich besondere Weite beziehentlich geradegestreckter Verlauf des Gehörganges erwähnt, 6 mal eiue Ver- änderung der Structur oder Wölbung des Trommelfelles. Nur ganz frische Trommelfellrupturen darf man mit einiger Sicherheit auf eine stattgehabte Misshandlung zurückführen, wenn mau jede andere trau- matische Einwirkung ausschliessen kann, während in der Beurtheilung

62 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

grosse Vorsicht geboten ist, sobald durch eine hinzugetretene Ent- zündung das charakteristische Aussehen der Ruptur verändert ist. Vor- sicht ist auch in der Beurtheilung der möglichen Folgen für Gesund- heit und Dienstfähigkeit am Platze. Vorher schon vorhandene krank- hafte Veränderungen am Trommelfell des Misshandelten, welche das Zustandekommen einer Verletzung erleichtern, kommen nach Ostmann bei der SWALUESSUNE nicht in Betracht (contra Trautmann). Walter Haenel Dre 296) Zur richtigen Beurtheilung und Behandlung der Simulation ist ausser einer reichen Erfahrung in Ohrenheilkunde, besonders Men- schenkenntniss nothwendig. Durch freundlichen Zuspruch und die Ver- . sicherung, dass das Gehör sich bald wieder bedeutend bessern werde, hat Ostmann grosse Erfolge gehabt. Killian.

297) Die Arbeit Ferreri’s basirt auf der klinischen Untersuchung der Ohren von 200 Greisen und auf der histologischen der Schläfen- beine von 2 nahezu 100jährigen Greisen. Die Resultate der Hörprüfung sind in Tabellen zusammengestellt. Unter den senilen Veränderungen überwiegt die Atrophie des Knochens, speciell der Gehörknöchelchen. Ausserdem besteht Infiltration und kalkige Degeneration der Gelenk- apparate. Gradenigo.

298) Asch giebt in seiner auf Anregung von Kuhn verfassten Dissertation eine zusammenfassende Abhandlung über das Sarcom des Ohres. Aus der Litteratur konnte Asch 10 Fälle von Sarcom der Ohrmuschel, 3 Fälle von Sarcom des äusseren Gehörganges zusammen- stellen. Der den Haupttheil der Arbeit einnehmenden Besprechung des Sarcoms des Mittelohrs schickt Asch die Krankengeschichten von 3 in der Strassburger Ohrenklinik beobachteten Fälle voraus. Ausser

diesen sind bis jetzt etwa 50 Fälle veröffentlicht worden und zwar 40 primäre und 10 secundäre Sarcombildung. Von Sarcomen des inneren Öhres sind etwa 20 Fälle mitgetheilt. Die Schilderung von Asch erstreckt sich neben der Mittheilung einer grösseren Anzahl von Kranken bei den einzelnen Gruppen auf die Aetiologie, die Symptome, die Diagnose und die Therapie. | H.

299) Jankau:.:.ist durch seine Unasi zu der Ueber- zeugung, gekommen, dass erst mit dem zehnten und zwölften Jahre eine dem Erwachsenen gleiche Hörschärfe beobachtet wird, während jüngere Kinder die Flüstersprache auf weniger weite Entfernung als Erwachsene percipiren. Gleichzeitig behauptet Jankau, „dass der normal hörende

Allgemeines. 63 |

Erwachsene nur eine Hórweite von 10—12 m für Flüstersprache (Worte) und etwa 14—15 m Flüstersprache (Zahlen) im Durchschnitt besitze^ - und glaubt sich zu der Vermuthung berechtigt, dass der moderne Grossstüdter ,sich in einem gewissen Grade von Paracusis Willisii be- finde“. (Ref. glaubt, dass obige Differenz sich ungezwungen aus der grösseren oder geringeren Intensität erklärt, mit der die verschiedenen Untersucher sich der Flüstersprache bedient haben).

Verf. empfiehlt denjenigen Personen, die in Folge ihres Berufes der Einwirkung eines beständigen starken Geräusches ausgesetzt sind, sich zweier an einem Faden um den Hals hängenden Ohrverschliesser zu bedienen, die aus vulcanisirtem Gummi, der mit Mull überzogen ist, bestehen, und jederzeit leicht abgelegt werden können.

Weiter empfiehlt Verf. den bekannten Politzer’schen Ballon mit zwei Ventilen zu versehen, das eine am Ansatz, das andere am Ballon, um beim Catheterisiren das beständige An- und Absetzen des Ballons zu vermeiden, oder statt des gewöhnlichen Modells sich eines Kugelballons mit weichem Schlauch und Catheteransatz und Doppelventil zu bedienen, Derselbe hat nach rückwärts einen zweiten Gummischlauch mit Ansatz für den äusseren Gehörgang, um die Luft im äusseren Ge- hörgang zu verdünnen.

Schliesslich beschreibt. er ein Instrument zur Entfernung von Cerumen. Da Ref. sich nach der Beschreibung kein klares Licht von demselben machen kann, so folgt der betreffende Passus wörtlich; „Das Instrument besteht aus einem einer Haarnadel gleich gebogenen Draht, der an dem Biegungswinkel eine löffelartige Kappe enthält“ (?) Das Instrument gestatte rotirende und andere Bewegungen im äusseren Gehörgange, ohne dass auch die geringste Verletzung verursacht werden könne. Noltenius (Bremen).

300) Geronzi benutzt eine Lösung von Guayakol 2,0: Alkohol und Aq. destill. aa 15,0 mit einigen Tropfen ätherischen Oels zur Anästhesirung im Pharynx, in der Nase und im Ohre. Gradenigo.

301) Bei einem 64jährigen Manne hatten sich im Laufe eines Jahres zuerst intermittirend, dann continuirlich zirpende Geräusche im linken Ohr herausgebildet. Während dieser Geräusche stellte sich zeit- weilig ein kurzdauerndes Knacken und Schwindelgefühl ein, das zuletzt sehr häufig wurde. Das Schwindelgefühl war nicht von Uebelkeiten und Erbrechen begleitet, war nicht so stark, dass Patient nicht hätte _ allein ohne Stock ausgehen können, aber setzte alle 15 Schritt ein und

64 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

rief ein kurzes, wie trunkenes Schwanken hervor. Gehörvermögen nur wenig alterirt. Auf beiden Ohren leichte Einziehungen und Schwer- beweglichkeit der Membran, besonders links, wo die hintere Falte stark vorsprang und in gleicher Höhe das Trommelfell adhärent schien. Leichter Sondendruck auf den Hammer löst Schwindel aus, das knackende Geräusch konnte mit dem Otoscop objectiv nicht wahrgenommen werden. Dreiwöchentliche Behandlung mit Brom, Nasenspülung, Catheterismus und Massage erzielte keine Besserung. Deshalb Plico- und Tenotomie. Darnach dauerndes Verschwinden des Geräusehes und des Schwindels. G. Zimmermann (Dresden.) 302) Bayer theilt den Fall mit, dass ein Patient im Beginn einer vollständigen Chloroformnarkose, nachdem die Operation eines Mastdarm- polypen bereits begonnen war, durch eine starke Schalleinwirkung wieder empfindlich wurde und in einen ohnmachtähnlichen Zustand kam (Aussetzen des Radialpulses, Stocken der Respiration, Leichen- blässe). Die Erscheinung soll bisher nicht beobachtet worden sein. Bekannt ist, dass die Gehörwahrnehmungen bei der Narcose meist später schwinden als z. B. die Gesichtswahrnehmungen. nH. 303} Redlich und Kaufmann fassen das Ergebniss ihrer Unter- suchungen an 81 Geisteskranken mit Gehörhallucinationen (darunter 50 Fälle von Paranoia, 12 von Amentia, 17 alcoholische Geistes- störungen) in Folgendem zusammen: Für das Zustandekommen der Ge- hörshallucinationen muss ausser einer eigenthümlichen Störung der Ge- hirnthätigkeit meist ein Reizzustand der für die Aufnahme der Gehörs- eindrücke in Betracht kommenden Apparate vorhanden sein. In einer grossen Zahl von Fällen war der Ausgangspunkt dieses Erregungs- zustandes, ein peripheres Sinnesorgan, selbst nachzuweisen; für eine Minder- heit derselben, mag es sich bloss um functionelle Schädigungen desselben handeln, oder um anderweitig ausgelöste Reizzustände in der nervösen Sinnesbahn bis zur corticalen Endausbreitung des Akusticus. Pollak (Wien). 304) Danziger berichtet über zwei nach der Methode von Urbantschitsch behandelte Taubstumme. In beiden Fällen war Cerebrospinalmeningitis die Ursache der Taubstummheit. In dem ersten Falle konnte der Patient nach 3 Monaten alle Vocale deutlich ver- stehen; der zweite Kranke, der während der Krankheit überdies eine linksseitige Otorrhoe durchmachte, verstand uach 4 monatlichen Uebungen laute Conversationssprache in der Nähe des rechten Ohres, einzelne Worte am link-n Ohre. Pollak.

Instrumente und Untersuchungsmethoden. | 65

Instrumente und Untersuchungsmethoden.

805. Lucae, Prof. Zwei Arten automatischer Drucksonden zur Behandlung gewisser Formen von Hórstórung und die Regulirung der Druckstürke an meiner ursprünglichen Handdrucksonde. Berl. klin. Wochenschr. No. 24, 1896.

306. Thornton, Bertram. Das Telephon uud seine Anwendung bei Taub- stummen. Lancet 15. August 1996. |

307. Bezold, Fr., Prof., München. Ueber den gegenwärtigen Stand der Hör- prüfungen. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 1.

308. Rauge, P. Sur les notations acoumétriques. Ann. des mal. de l'oreille du larynx etc. Juli 1896.

809. Killian, Prof., Freiburg. Ueber Rhinoskopia media. Münch. wedicin. Wochenschr. No. 33, 1896.

310. Wolff, Metz. Ein weiterer Beitrag zur Verwendung des Eleciromotors in der Rhinochirurgie. Arch. f. Laryngol. III, 3.

3ll. Lester, John C. Nasenscheere nach der Art eines Habichtsschnabels. New-York. Med. Journ. 5. September 1896.

912. Hessler, Prof., Halle. Eine Modification des Schütz'schen Pharynx- tonsillotoms. Deutsche med. Wochenschr. No. 37, 1896.

813. Kelson, W. H. Eine Modification des Tonsillotoms. Lancet 15. August 1896.

314. Hartmann, Arthur, Dr. Instrumente zu operativen Eingriffen an den Mandeln. Deutsche Aerztezeitung No. 3, 1896.

315. Hill, Wm. Tonsillenzange. British Medical Journal 26. September 1896.

316. Winckler, Bremen. Eine Curette zu Operationen an der Zungentonsille. Arch. f. Laryngol. III, S. 213.

317. Acland, W. R. Ein verbesserter Mundsperrer. British Medical Journal 25. Juli 1896.

305) Lucae beschreibt in der vorliegenden Arbeit zwei neue Modificationen seiner federnden Drucksonde; die eine betrifft die An- fertigung einer electrischen Drucksonde, bei welcher man in Secunden ebenso viele Stósse erreichen kann, als mit der Handdrucksonde in Minuten. Ob damit auch grössere therapeutische Erfolge erreicht werden können, lässt Lucae vorläufig noch dahingestellt. Nachtheile sind, dass eine geschulte Hand erforderlich ist und der Patient durch das starke Schnarren des Instrumentes erschreckt wird und den Kopf bewegt, wodurch das Instrument abgleitet und Schmerz verursacht wird. Bei der zweiten Modification wird die Drucksonde durch eine Uhrfeder, die vor dem Gebrauche aufgezogen wird, in Bewegung gesetzt. Zum Schlusse macht Lucae noch auf eine dritte Modification aufmerksam, durch welche bei der gewöhnlichen Handdrucksonde durch eine Schraub- vorrichtung die anzuwendende Druckstärke beliebig vergrössert oder verkleinert werden kann. H.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 5

66 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

306) Thornton, Anstaltsarzt an dem Taubstummenasyl von Margate, beschreibt ein tragbares, zum Gebrauch für die Taubstummen geeignetes Telephon. Als Ergebniss seiner Untersuchungen in der Anstalt stellt er die Behauptung auf, dass es bei 10—15 °/, der Kinder ein wesentliches Hilfsmittel für die Erziehung zu werden verspricht; er spricht ihm folgende wesentliche Vorzüge vor dem einzelnen Sprachrohr zu: 1. dass die Lautschnüre von verschiedenen Empfängern in eine einzige zusammengefasst werden können, so dass der Lehrer in den Stand gesetzt ist, gleichzeitig mehrere Kinder zu unterrichten, und 2. bleiben Gesichtsausdruck und Lippenbewegungen des Lehrers den Kindern sichtbar, denn dieser hat nicht nöthig, den Mund unmittelbar an den Schallfänger zu halten, wie dies bei einem Sprachrohr oder einer Trompete der Fall ist. Der Apparat ist zum Gebrauch bei Tisch u. s. w. eingerichtet und könnte leicht für Kirche, Theater und Gerichtssaal zurechtgemaeht werden. Der Preis des Instrumentes ist nicht sehr hoch; man kann es sehen und kaufen bei Mstr. Maw, Son & Thompson, London. Thornton schlägt dafür die Bezeichnung Lamprophone (Aauroos hell) vor. Cheatle.

308) Dem vielfach empfundenen Bedürfniss nach einer einheitlichen und wie in der Augenheilkunde durch Verhältnisszahlen ausdrückbaren Bestimmung der Sehschürfe sucht Raugé durch den bekannten Vor- schlag abzuhelfen, jeder Untersucher solle zunáchst die von ihm be- nutzte Schallquelle, Uhr, Akumeter u.s. w. auf die normale, mittlere Hórweite prüfen und dann die gefundene Zahl als Nenner eines Bruches nehmen, dessen Zähler die jeweilige pathologische Hörentfernung würde. Nur solle man in Berücksichtigung des betreffenden physikalischen Ge- setzes die Quadrate der Entfernungen vergleichen, deshalb den gefundenen

: : / dV? s Bruch ins Quadrat setzen p ; auch müsse man die verschiedenen

Altersklassen berücksichtigen, deshalb bei der Bestimmung der mittleren Hörschärfe Scheidungen von etwa 5 zu 5 Jahren vornehmen und dann die dem Alter des Patienten entsprechende Hörweite zu Grunde legen. Zimmermann.

309) Rhinoskopia media nennt Killian eine neue Untersuchungs- methode, die uns Riechspalte, sowie mittleren und unteren Nasengang zu Gesicht bringen soll. Sie besteht in der Anwendung eines modifi- eirren Kramer-Hartmann'schen Speculums, dessen Branchen ent- sprechend verlängert sind und vorn in 2 dünne, flach aufeinander liegende Platten auslaufen (Abb.), so dass man damit bequem in enge

Instrumente und Untersuchungsmethoden. ZEN Y!

Spalten eindringen kann. Es ist so Killian in einzelnen Fällen ge- lungen, die seitlichen Wände der Riechspalte, die vordere Keilbeinfläche und die Mündung der Keilbeinhöhle, den mittleren Nasengang, sowie endlich den lateral von der unteren Muschel gelegenen Raum bis zur Mündung des Thränennasengangs zu überblicken. Müller (Stuttgart). 310) Wolff empfiehlt eine von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall in Erlangen verfertigte Maschine, die sich von den bis dahin gebräuchlichen durch eine am Schlauchansatz befindliche Brems- vorrichtung auszeichnet, mit der man ohne Stromunterbrechung die Rotationen beliebig beschleunigen, verlangsamen oder aufheben kann. Wolff glaubt, dass die Trephine, die sieh in der Rhinochirurgie für manche Fülle gewiss mit Vortheil verwenden lüsst, auch in der Oto- chirurgie eine Rolle zu spielen berufen sei. eh Zarniko. 311) Das Instrument ist eine Anpassung der Skene’schen chirurgischen Scheere von der, Habichtsschnabelform für die Nase und wird zur Entfernung der mittleren el gebraucht, welche in V-förmigen Stücken stattfindet. Ä Toeplitz. 312) Die Modification besteht darin, dass das zweischneidige Messer sowohl beim Vorschieben, als auch. beim Zurückziehen in Wirkung tritt und sicher die ganze Nasenrachenmandel entfernen soll, ohne vorne oder hinten einen Rest stehen zu lassen. Das Instrument ist in 2 Grössen zum Preise von 30 Mark bei Poumgartel in Halle a. S. erhältlich. Noltenius. 313) Kelson hat das Mackenzie’sche Tonsillotom modificirt. Das Instrument ist ganz aus Metall hergestellt, der schneidende Theil ist kürzer und, um Rotation zu vermeiden, mit dem Griff durch einen Zapfen statt durch eine Schraube verbunden; der Griff bildet mit dem schneidenden Theil einen spitzen statt einen stumpfen Winkel, wodurch der Daumen des Operateurs in den Stand gesetzt wird, grössere Kraft beim Zurückziehen der Klinge zu entfalten. | Cheatle. 314) Die von Hartmann früher als Conchotom beschriebene Doppelringzange hat sich für die Nase als etwas zu gross, für die Mandeln als etwas zu klein erwiesen, so dass nunmehr ein kleineres Instrument für die Nase und ein grösseres zur Abtragung der Tonsillen angefertigt wird. Dieses Tonsillotom ist besonders dann mit Vortheil anzuwenden, wenn nur einzelne Theile der Mandeln zu entfernen sind oder wenn dieselben nicht stark vergróssert sind. Bei fibrósen Mandeln gelingt die Abtragung leichter, wenn erst die Schlitzung von den 5*

68 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Lacunen aus stattgefunden hat. Hierzu benutzt Hartmann keinen stumpfen Haken, sondern ein spitzes, rechtwinklig zum Griffe auf die Fläche abgebogenes, sichelfórmiges Messer. H.

315) Hill macht auf die Kretschmann'sche Tonsillenzange aufmerksam und empfiehlt ihren Gebrauch für die Entfernung erkrankter, : tiefliegender Mandeln. | Cheatle.

316) Winckler entfernt die hyperplastische Zungentonsille mit einem Ringmesser, das er dem Gottstein’schen Instrument nachgebildet hat. Beschreibung und Anwendungsweise sind im Original nachzusehen.

Zarniko.

317) Acland hat die Branchen des Mundsperrers von Mason und Anderen dahin modificirt, dass die mit Gummi überzogenen Theile, wenn das Instrument geschlossen wird, nebeneinander anstatt übereinander zu liegen kommen. Man erhält so einen dünneren Keil. Cheatle.

Aeusseres Ohr.

318. Karutz, Dr., Lübeck. Öhrdurchbohrung und Ohrschmuck. Globus Bd. LXX, No. 12 u. 13. 319. Robertson. Hämatoma Auris. The Medical Press 3, August 1896.

920. Gruber, Jos, Prof, Wien. Ein Fall von Angioma auriculae, durch Operation geheilt. Wien. med. Wochenschr. No. 32, 1896.

321. Arslan. Acutes Hämatom des äusseren Gehörganges. Archivio ital. di Otologia ete. S. 108, 1890.

922. Braunberger. Eugen, Hagenau. Ueber die Exostosen des äusseren Ge- -

. hórganges. Dissert. Strassburg 18960.

` 823. Ostmann, Prof, Marburg. Behandlung bindegewebiger Stricturen des . Busseren Gehürganges mittelst Electrolyse. Berl. klin. Wochenschr. No. 34, 1896.

324. Breitung, Max, Dr. Coburg. Beitrag zur Aetiologie von Geisteskranken. Deutsche med. Zeitung No. 16, 1896.

325. Raoult, Fremdkörper in der Paukenhöhle, Operation: Ablösung der Ohr- muschel, Eröffnung des oberen Theils der Paukenhöhle, Entfernung des Fremdkörpers, Heilung. Revue mens. d’otol. Juli 1896.

326. Preobaschensky, L.S,, Dr., Moskau. Ueber die Fremdkörper im Ohre und die Extraction derselben. Wien. klin. Rundschau No. 33 etc., 1896.

327. Hammerschlag, V. Dr. Wien. Ueber Athem- und Pulsationsbeweg- ungen am Trommelfelle. Wien. med. Wochenschr. No. 38 u. 39, 1896.

^"918) Im ersten Theile dieser ethnographisch-ethnologischen Studie entwickelt Karutz die Ideengünge, die bei den Naturvülkern und Urkulturen zur. Sitte der Ohrdurchbohrung geführt haben. In den selteneren Fällen geschah es in der Absicht, den Körper aus Eitel-

Aeusseres Ohr. 69

keit oder zur Liebeswerbung zu schmücken. Meist lagen ihre An- fänge im Religionsceremoniell. Der Schmuck ist erst das Secundäre, wie auch dort, wo seine ursprüngliche Bedeutung die eines Abzeichens, einer Auszeichnung, Trophäe, individueller oder Stammesmarke gewesen ist. Die über die ganze Welt verbreitete Verwendung der Ohrdurch- bohrung und der Ohrfalte zum Aufbewahren praktischer Gebrauchs- gegenstände brachte Verf. zu einer neuen Ansicht über die Entstehung des Ohrschmuckes. Weiter bespricht er den Act der Ohrdurchbohrung, Zeit, Ort und Art derselben bei den verschiedenen Völkern. Als Instrumente dienen Palmblattrippen (Ceram), Dornen (Wakareba), Straussenknochen (Hottentotten und Patagonier) Feuersteine (Polynesier) u. s w. Dnrchbohrt wird meist das Ohrlüppchen, aber auch die Spitze und der Rand der Muschel. Letztere oft mit 10—15 Löchern, auf Neu-Guinea gar 20fach für die kleinen Kupferringe. Als Material dient zum Ohrschmuck eigentlich die ganze anorganische und organische Welt, vom Pandanusblatt zur Menschenlocke, von der Citrone zum Kolibrikopf, von der Sardinenbüchse zum Diamant. Es ist unmöglich, die Fälle der Variationen wiederzugeben, in denen man sich für den Zweck der Ohrverschönerung gefällt. Die Uebertreibungen in der Masse des Schmuckes Holzscheiben von 15 cm Durchmesser, Drahtspiralen von demselben Umfang, Hängewerke von 2 Pfund Schwere führen zu kolossalen Entstellungen des Ohrläppchens, Löcher, durch die zwei Fäuste gesteckt werden können, Läppchen, die nur noch einen dünnen, schlaffen Zügel darstellen, bis zur Schulter, ja bis zur Brust reichende Ohren, im Nacken aneinandergebundene oder knotenartig um einen Pfeifenstiel geschlungen werden, beobachtet. Verf. erinnert hier an die Erzählungen Strabos, Plinius und anderer Schriftsteller des Alter- thums. Alle diese Verunstaltungen werden sehr hochgeschätzt; man erreicht sje durch künstliches Aufweiten mittelst Holz- oder Metall- cylinder, ja man versucht durch Ablösung der Wangenhaut am Ohr- ansatz das Ohrloch noch grösser zu machen. Bei vielen Negern hält ein über den Kopfscheitel laufender Lederriemen, der oft tiefe Ein- schnitte in die Haut macht, den massiven Metallschmuck. Reisst. der Ohrlappen unter der Last durch, so hängt er in zwei dicken, kolbigen Wüisten schlaff herunter. Zum Schluss wird der Schminke und Täto- wirung als Schmuckmittel gedacht und einer Neu-Caledonischen - Sitte, nach der man durch Reizung der Haut, wie auf der Nase, so auch auf und hinter den Ohren Knótchen erzeugt zum Schmuck! Autoref.

70 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

319) In der Jahresversammlung der British Medical Association hielt Robertson eine sehr interessante und instructive mikroskopische Demonstration über die einzelnen Stadien dieser Krankheit. Er hat gefunden, dass das erste Stadium in einer Degeneration der Knorpel- zellen besteht, dass die neuen Gefässe, die sich in den durch die Degeneration gesetzten cystischen Hohlräumen bilden, zu degenerativen Veränderungen neigen und dass Degenerationsherde ebenso gut beim geistig Gesunden als beim geistig Kranken vorkommen, dass sich aber beim Gesunden keine Cysten bilden. Die Krankheit ist am ausge- prägtesten bei allgemeiner Paralyse und bei acuten geistigen Erregungs- zuständen. Cheatle.

320) Gruber fand an der linken Ohrmuschel eines 53 jührigen Mannes einen taubeneigrossen, die Concha ganz ausfüllenden Tumor von kugeliger Form, der mit breiter Basis auf der Concha sass, von normaler Cutis überzogen, hochgradig elastisch anzufühlen und durchaus un- schmerzhaft war. Die mikroskopische Untersuchung des Tumors, der als Balggeschwulst diagnosticirt, durch Operation mit vollem Heilerfolge entfernt wurde, ergab eine Gefässneubildung von venöser Beschaffenheit. Jede Pulsation an der Geschwulst während ihres Bestehens an der Ohr- muschel fehlte. Pollak.

321) Bei einem Manne von 40 Jahren entwickelte sich ohne vorangegangene andere Erscheinungen heftiger Schmerz im linken Ohre mit Schwerhórigkeit und Uebelfinden. Der Gehörgang war von einer fluktuirenden blauen Schwellung eingenommen, schmerzhaft bei Druck, breitbasig der unteren Wand aufsitzend. Bei der Incision entleerte sich reichlich flüssiges Blut. Es zeigte sich dann, dass sich das Hämatom bis zum Trommelfell erstreckte. Gradenigo.

322) Die Braunberger’sche Dissertation enthält eine sorgfältig zusammengestellte Litteraturübersicht über alle bei den Exostosen des äusseren Gehörganges in Betracht hommenden Verhältnisse. Durch Zusammenwerfen der als Hyperostose und Exostose zu bezeichnenden Veränderungen ist die Schilderung etwas verwirrt. Der allgemeinen Besprechung sind 3 Fälle, 2. Patienten betreffend, angeschlossen. Der 1. Fall betraf einen Patienten mit chronischer Ohreiterung mit von der hinteren und vorderen Gehörgangswand ausgehenden je: halbhasel- nussgrossen Exostosen. Abmeisselung in Narkose nach Ablösnng der Ohrmuschel. Bei Fall 2 war in der Kindheit beiderseitige Mittelohr- entzindung vorhanden gewesen. Es bestand rechts vorn und unten

Aeusseres Ohr. 71

harte, unregelmässige, halbbohnengrosse Exostose, am Beginn des Meatus osseus bis nahe an das Trommelfell heranreichend, links 2 Exostosen von der hinteren und vorderen Gehörgangswand ausgehend länglich ge- formt, am Beginn des Meatus. Ein. operativer Eingriff war nicht er- forderlich. H.

323) Ostmann gelang es bei einem Falle von bindegewebiger Strictur des äusseren Gehörganges ein freies Lumen zu schaffen durch Electrolyse. In 4 Sitzungen wurde mit einer Doppelnadel 5 Minuten lang ein 4—5 M.-A. starker Strom durchgeleitet. Der Schmerz war ziemlich lebhaft. Die Reaction eine äusserst geringe. H.

324) Der Patient Breitung’s fiel in der Schule dem Lehrer durch zunehmende Schwerhörigkeit und Indolenz auf. Nach Entfernung eines Fremdkórpers schwanden Kopfschmerzen, Ohrensausen und Schwindel.

H.

325) Es handelt sich um einen Glasknopf, an dem schon ärztlicher- seits Extractionsversuche gemacht waren. Alles Uebrige sagt die Ueber- schrift. Zimmermann.

326) Die umfangreiche Veröffentlichung über Fremdkörper von Preobaschensky enthält nichts Neues. Pollak.

327) Hammerschlag untersuchte nach Mach's stroboskopischer Methode 4 ohrgesunde Individuen. Die Beobachtungen ergaben folgende Resultate: Das Trommelfell zeigte constante, mit der Systole des Herzens zusammenfallende Bewegungen. Das Trommelfell bewegt sich bei ruhiger Respiration in allen Fällen während der Inspiration nach aussen, während der Exspiration nach innen. Es kommt daher die folgende Schlussfolgerung: Die Trommelhöhle steht im normalen Zustande mit dem Nasenrachenraum in offener Communication. Der Exspirationsluft- strom reisst die Luft aus der Tube und der Trommelhöhle nach dem Princip des aöro-dynamischen Paradoxons mit, wodurch sich das Trommel- fell nach innen bewegt. Der Inspirationsluftstrom dringt nun in die Trommelhöhle ein, weil dieselbe jetzt einen Ort des geringeren Wider- standes darstellt. Bezüglich der Pulsbewegungen schliesst sich H. den Erklärungen anderer Autoren an, die annehmnn, dass die Trommelhöhle bei jeder Systole ihr Lumen verkleinert, wodurch das Trommelfell nach aussen rückt. Pollak.

72

328. 329. 330. 331. 332. 333, 334. 335. 336. 337.

338.

339.

341.

342,

344. 345. 346. M

347.

Bericht über die Leistungen ünd Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Mittleres Ohr.

Gomperz, B., Dr. Wien. Erfahrungen über die Verschliessbarkeit alter Trommelfelllücken. Wien. klin. Wochenschr. No. 88, 1896. Cartaz, À. Facialisparalyse otitischen Ursprungs. Arch. internat. de

- laryng. et d'otologie 4, 1896.

Vulpius, W. Ueber ee an bei adhäsiven Ohrprocossen. - Arch.-f. Ohrenheilk: Bd. 41, S. 8.

Shastid, Thomas H. Beobachtungen über die Behandlung PEA "Taubheit. Journ. Amer. Med. Assoc. 19. September 1896.

Ostmann. Gemeinverständliche Anweisung zur Heilung der PEE des Ohres. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 1896.

"Villa. Wasserstoffhyperoxyd und Jod bei der chronischen, eiterigen

Mittelohrentzündung. Archivio ital. di Otologia etc. IV, 1896. Lauterbach, Louis J. Phono- und Pneumomassage bei eitriger Er-

. krankung des Ohres. Medieal and Surgical Reporter 18. Juli 1896. Gomperz. Bemerkungen zu Dr. L. Grünwaldt’s Aufsatz: „Beiträge

zur Ohrchirurgie*. Deutsche med. Wochenschr. No. 37, 1896. Steinbrügge, H., Giessen. Ein Fall von Cholesteatom des Schläfen- beins. Berl. klin. Wochenschr. No. 26, 1896.-

Stiles, H. J. Ueber die Behandlung tuberkulöser Drüsen im Nacken. British Medical Journal 12. September 1896.

Körner, O., Prof., Rostock. Ein Fall von Chlorom beider Schläfenbeine, beider Sinus sigmoidei und. beider Orbitae, eine otitische Phlebitis des

. Sinus cavernosus vortäuschend. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 92.

Urbantschitsch, Viktor, Dr. Zur operativen Freilegung des Mittel- Oohres. Wien. klin. Wochenschr. No. 29, 1896; s. Bd. XXIX, S. 234 dieser Zeitschr. |

. Pooley, Thomas R. Ueber den Werth des Ophthalmoskops als Hülfs-

mittel für die Diagnose von Gehirnerkrankung bei eitrigen Erkrankungen des Mittelohres. New-York. Medical Record 15. August 1896. | Moll. Ein Fall von Warzenfortsatzoperation, bei welchem sich eine Un- regelmässigkeit in der Gegend des Promontoriums gebildet hatte. Revue

" hebdom. September 1896.

Clayton, J., Heglewood. Ein Fall von Eiterung über dem Felsenbein. The Birmingham Medical Review August 1896.

. Randall, B. Alex. Extraduraler Abscess in Folge von HatseniDriea ue

empyem. Journ. Amer. Med. Assoc. 12. September 1896. .

.Breitung, M., Coburg. Casuistischer P'eitrag zur Pathogenese der Lepto- meningitis otica, Münch. med. Wochenschr. No. 34, 1896.

Abbe, Robert, M.D. Ein Fall von Carotis- Blutung bei Nekrose des Mittelohrs; Operationen. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 222.

Morf, J., Dr, Winterthur. Ein Fall von otitischen Hirnabscessen im Hinterhauptlappen. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 191. Kiernander, H. B. Notiz über die Trepanation wegen Abscesses inr Temporo-sphenoidallappen. The Australian Medical Gazette 20. Juni 1896.

‘Mittleres Ohr. 73

348. Le dermann, M. D. Centralerkrankung nach Mittelohreiterung. Journ. Amer. Med. Assoc. 12. September 1896.

949. Wall, G. E. Abscess des Warzenfortsatzes mit Thrombose des Sinus lateralis und Diabetes complicirt. Heilung. Annals of Ophthalm. and Otology. Juli 1896.

350. Denker, Alfred, Dr. Ein Fall von otitischer Sinusphlebitis und metas- tatischer Pleuritis purulenta, durch Operation geheilt. Monatsschr. für

Ohrenheilk. No. 9, 1896.

991. Brieger, O., Dr., Breslau. Ueber die pyámische Allgemeininfection nach Ohreiterungen. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 97.

852. Körner, O., Prof., Rostock. Eine Bemerkung über die Symptome der Phlebitis des Sinus cavernosus. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 214.

358. Danziger, F. Beitrag zur Kenntniss des Felsenbeincarcinoms. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XLI, S. 35.

328) Gomperz bestätigt die Angabeu Okuneff's, der durch Aetzungen der Perforationsründer bei alten Trommelfellleiden mit Trichloressigsäure bei der Hälfte seiner Fälle eine Vernarbung der Defecte erreichte. Die Erfolge von Gomperz bei 10 in derselben Weise behandelten Patienten waren folgende: In 4 Fällen schloss sich die Lücke vollständig, in den übrigen 6 Fällen war eine deutliche Ver- kleinerung der Defecte nachzuweisen. Gomperz glaubt, dass diese Wirkungen nicht blos der Trichloressigsäure zukommen, da in einem Falle auch durch Aetzung mit Lig. ferr. sesquichl. eine grosse Lücke innerhalb 11 Tagen bis auf eine stecknadelgrosse Oeffnung verheilt war. Pollak.

329) Viel häufiger als die refrigeratorische oder rheumatische Facialislähmung ist die von einem Mittelohrcatarrh abhängige; sie entsteht entweder in Folge einer Druckwirkung seitens des Exsudats. oder in Folge directen Uebergreifens der Entzündung auf den Nerven: für beide Ent- stehungsmöglichkeiten bringt Cartaz je einen Beleg: im ersten Falle war nach der Paracentese am andern Morgen die Paralyse geschwunden ; im andern Falle war es zu einer hartnückigen wahren Neuritis ge- kommen, die erst nach E Electrisiren abheilte.

Zimmermann.

330) Einleitend erórtert valoi: den nach seiner Meinung ge- ringen Werth unserer üblichen Hörprüfungsmittel (W., R. und Schw.) gegenüber den mit wachsender Schwerhörigkeit einhergehenden Er- krankungen des Ohres, Die Behandlung der Adhäsivprocesse mit Luft- eintreibungen beurtheilt er nach dem Vorbilde Toynbee’s und Wilde’s abfällig und will sie durch eines der Massageverfahren vom

74 . Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Gehórgang aus ersetzt wissen. Die Massage ist von Nutzen, wenn das Trommelfell schwerer beweglich, zwecklos, wenn die Leitungskette ganz fixirt ist. In diesem Falle hilft auch die Lucae’sche Drucksonde nicht, die Vulpius bei reiner Stapesankylose lobt. Von der Ton- behandlung ist er weder hinsichtlich der Gehörsverbesserung, noch der subjectiven Geräusche befriedigt.

Paracentese, Tenotomien, Plicotomie haben nur vortibutzdhanden Werth. Auch die in Amerika häufig ausgeführten Excisionen am Hammer und Ambos leisten bei Sclerosen nicht, was man von ihnen erwartet hatte. Nur wenn Synechien oder Ankylose der äusseren Knöchelchen bestehen, oder das Trommelfell in eine starre Membran verwandelt ist, kann die Excision für das Gehör oder gegen die sub- jectiven Geräusche von Vortheil sein vorausgesetzt, dass gleich- zeitig Stapesankylose ausgeschlossen werden kann. Die Diagnose dieser letzteren ist, nach Schwartze, nur auf operativem Wege zu stellen. Zur Entfernung des Amboses hat sich Vulpius einen von den ändern abweichenden Haken fertigen lassen. Auch die Extraction des Steig- bügels liefert. zweifelhafte Resultate.

Angesichts der geringen Erfolge der operativen Therapie kehrt Vulpius zur internen zurück und empfiehlt die Thyroidbehand- lung. Bei knóchernen Ankylosen nutze auch diese nichts, wohl aber bei „mässigen Sclerosen jugendlicher Individuen“. Zur Erhaltung und Befestigung des Erfolges wird die Trommelfellmassage längere Zeit geübt. Er giebt täglich 1—2 Tabletten, Kindern die Hälfte, 4—5 Wochen lang mit kleinen Pausen. Der Erfolg zeigt sich, wenn über- haupt, schon in der ersten oder zweiten Woche. Die Art der Wirkung muss als eine resorptive aufgefasst werden.. E. Bloch.

331) Shastid hält die Operationen zur Entfernung von einem oder mehreren Gehörknöchelchen mit oder ohne theilweise oder gänzliche Entfernung des Trommelfells und Mobilisirung des Steigbügels kaum für nützlich für das Gehör, und sogar für gefährlich. Diese Operationen führen häufig neue Eiterung und sehr selten eine wirklich schätzens- werthe Zunahme des Gehörs herbei. Shastid erreicht in diesen Fällen viel bessere Erfolge mit einfacher und multipler Excision des Trommel- fells, mit partieller Myringektomie, Plicotomie, Zug am Hammergriff und Tenotomie des M. tensor tympani. Gorham Bacon.

332) Auf Grund der Erfahrung, dass eine einmalige mündliche Belehrung des Patienten allein nicht genügt, um ihn bei seiner oft nicht zu entbehrenden Mithülfe an der Behandlung seiner Ohreiterung

Mittleres Ohr. 75

alle die vielen möglichen Verstösse gegen eine sachgemässe Behandlung vermeiden zu lassen, hat Verfasser in dem vorliegenden Schriftchen für seine poliklinischen Patienten die nothwendigen Vorschriften kurz und leicht verständlich zusammengestellt, in einzelnen Vorschriften über Reinigung der Hände, Säuberung der Ohrmuschel, Ausspritzen bezw. Auswaschen und Austrocknen des Ohres, über das Verschliessen des- selben mit Verbandstoff, über die Zubereitung der Spülflüssigkeiten, über die Einträufelung der Heilflüssigkeiten, die Reinigung der Ohr- pincetten etc. Die kleine Broschüre wird sich in allen Fällen, in denen man wirklich gezwungen ist, dem Patienten bezw. dessen Ange- hörigen einen Theil der Ohrenbehandluug zu überlassen, nützlich er- weisen. Walter Haenel (Dresden). 333) Villa benutzt zur Behandlung der chronischen eitrigen Mittelohrentzündung das frisch präparirte Wasserstoffhyperoxyd zusammen mit einer Jodkaliumlösung (1:30). Beim Eingiessen in den Gehörgang entwickelt sich Jod. Diese Behandlung soll der mit anderen Mitteln vorangehen. Gradenigo. 334) Lauterbach gebraucht seine Pneumomassage -Instrumente zur Entfernung von Eiterungen aus dem Ohre in Verbindung mit feuchter und trockener Reinigung. Pneumo- oder Saugmassage erfüllt, wie er glaubt, alle drei Indicationen der Behandlung: sie verhütet die weitere Ausbreitung der Erkrankung, sie begünstigt die Verminderung der Entzündung und sie verbessert und erhält das Gehör. Sie erfüllt diese drei Indicationen durch die vollständig herbeigeführte Reinigung, und ausserdem die letzte derselben durch die gründlichen Knetbewegungen im Leitungsapparat, wodurch ein Verlust der functionellen Thätigkeit verhütet und der Druck auf das innere Ohr entlastet wird. Gorham Bacon. 335) Gomperz bekümpft die Ausführungen Grünwaldt's und weist demselben verschiedene Irrthümer nach. Die Einzelheiten lassen sich in einem kurzen Referat nicht wiedergeben. Noltenius. 336) Steinbrügge theilt einen Fall von Cholesteatombildung im Schláfenbein mit. eine 37jührige Patientin betreffend, die nie an Ohreiterung gelitten hatte. Dieselbe war 3 Wochen bevor dieselbe in Behandlung trat, aufgetreten. In der Tiefe des Gehörganges fanden sich Granulationen, der Warzenfortsatz war schmerzhaft, es bestanden heftige Schmerzen im Ohr und derselben Kopfhälfte. Bei der Auf- meisselung fand sich im Warzenfortsatz ein 25 mm langes, 15 mm breites und hohes Cholesteatom. H.

76 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

337) Gelegentlich einer Discussion über die Behandlung der tuber- kulösen Halsdrüsen in einer Sitzung der British Medical-Association be- tont Stiles, dass in allen Fällen, wo die Vergrösserung der Hals- drüsen eine Folge von tuberkulöser Mittelohreiterung ist, es nothwendig sei, den Warzenfortsatz zu eröffnen und das Mittelohr auszuräumen.

| Cheatle.

| 340) Pooley's Patient litt an einer alten chronischen Mittelohr- eiterung. Bei seiner Aufnahme am 20. Juli 1892 zeigte sich eine grosse, feste Schwellung über dem linken Warzenfortsatz, welcher stark geröthet und sehr empfindlich war. "Temperatur 39,3? C., Puls 128. Ein Wilde'scher Einschnitt brachte vorübergehende Erleichterung; am folgenden Nachmittag wurden aber die Warzenfortsatzzellen eröffnet, woraus sich der Eiter in grosser Menge entleerte. Käsige Massen wurden aus dem Antrum entfernt, und die Dura über dem Sinus lateralis freigelegt. Am folgenden Tage wurde eine Paracentese des linken. Trommelfells gemacht. Zwei Tage später traten Schüttelfröste mit einer Temperatur vou 40,2? C. auf. Am folgenden Tage zeigten sich heftige Schmerzen im Kopf und den Augen. Die Pupillen waren contrahirt und links sah man eine Stauungspapille. Während der darauf folgenden 20 Tage wurde der Patient schlimmer, mit Temperaturen zwischen 38,7 ° bis 40,7 ° C. und vorübergehenden maniakalischen An- fällen. Am 31. Tage wurde er im rechten Auge blind. Im rechten Auge fand sich geringe venóse Hyperümie, im linken hochgradige Stauungspapille. Der Patient wurde allmählich comatös und starb. Die Section ergab starke Füllung der Duragefässe, Eiter über der ganzen linken Gehirnoberfläche und der ganzen Gehirnbasis. Schwellung der Sehnerven und Ausdehnung ihrer Scheiden. Grosser abgekapselter Abscess im vordern Theile des linken Hinterhauptlappens. Ausgedehnte Thrombose des Lateralsinus bis zum Torcular Herophili. Gorham Bacon.

341) Der Warzenfortsatz war mit Gehórgang und Paukenhóhle zu einer einzigen grossen Hóhle eingeschmolzen, die wührend und nach der Operation eine Orientirung sehr erschwerte. Im Grunde der Hóhle fanden sich bei den späteren Sondirungen 2 Vertiefungen, die durch eine Art knöchernen Brückenbogen, unter dem man mit der Sonde durchfahren konnte, von einander getrennt waren. Moll rechnet mit der Möglichkeit, dass dieser Bogen ein Halbzirkelcanal sein könne, hält aber für wahrscheinlicher, dass einerseits es sich bei der Vertiefung

Mittleres Ohr. | 77

um cariöse Processe, andererseits bei der Brückenbildung um Knochen- neubildung gehandelt habe. . Zimmermann.

342) In Clayton’s Fall handelte es sich um ein 12jähriges Mädchen, das am 1. Februar in Queen’s Hospital in Birmingham aufgenommen wurde. Es hatte von Kindheit an Ausfluss aus dem linken Ohr bestanden. Vor 5 Wochen stellte sich heftiges Kopfweh ein und 14 Tage vor der Aufnahme traten 2 Tage dauernde Bewausstlosigkeit und Schüttelfrost hinzu. Die rechte Seite war gelähmt, in der Warzen- fortsatzgegend fand sich leichte Schwellung, aber keine Rótung, Tem- peratur 40? C. Das Antrum wurde eróffnet und eine Probepunction in der Gegend der linken Roland'schen Furchc gemacht, dabei aber nur einige Drachmen Cerebrospinalflüssigkeit zu Tage gefórdert. Am 2. Februar Patientin halb bewusstlos, reizbar; keine Lähmung, aber Zuckungen auf der rechten Seite. Am 5. Februar wurde über dem Temporo-sphenoidallappen trepanirt, aber nichts im Gehirn gefunden. Dagegen fand sich eine Drachme Eiter unter der Dura mater, am Grund der Trepanationsóffnung. Am 7. Februar Ptosis beider Augen. Am 13. Februar verminderte sich die Ptosis auf der rechten Seite, dagegen entdeckte man Fluctuation über dem linken Augenlid. Bei der Incision wurde ein Quantum dicken, fótiden Eiters entleert. Tod 6 Stunden später. Bei der Section fand sich ein kleiner, haselnussgrosser Abscess in der äussersten Spitze der linken unteren Schläfenwindung; Eiter- ansammlung im Antrum und auf der oberen und hinteren Fläche des Felsenbeins, die sich nach vorn durch die Fissura sphenoidalis bis in die Orbita erstreckte und nach hinten zur Thrombosirung des Lateralsinus geführt hatte. Cheatle.

343) Randall berichtet in diesem Artikel über den Fall eines Knaben mit Warzenfortsatzabscess in Folge eines leichten Schlages auf das chronisch eiternde rechte Ohr, worauf sofort Brechreiz und all- gemeines Uebelbefinden eintrat. Das Fieber war ausgesprochen. Es bestanden keine Veränderungen an den Augen. Der sehr harte Warzen- fortsatz wurde aufgemeisselt und der ganze cariöse Knochen im Antrum und den benachbarten Zellen ausgelóffelt. Das Fieber sank, stieg aber wieder; es traten Pleuritis und Lungenentzündung auf und der Patient starb am 6. Tage nach der Operation. Die Section ergab septische Pleuritis und Lungenabscesse, während in der Schädelhöhle ein pflaumen- grosser Kleinhirnabscess bei der Entfernung des Gehirns an einer Stelle platzte, wo er mit der subduralen Ansammlung zusammenhing, welche

78 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

sich nach hinten vom Tegmen tympani auf die hintere Fläche des Felsenbeins erstreckte. . Gorham Bacon.

344) Der Fall betrifft einen 12jührigen Knaben, der unter Schüttel- frost, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung, Schlaflosigkeit er- krankt war. Dazu gesellte sich Reizbarkeit der Sinne, Unruhe, und wie Breitung aus den Angaben der Mutter schliessen zu dürfen glaubt, De- lirien. Dio Untersuchung ergab folgenden Befund starrer, apathischer Ge- sichtsausdruck, blasse Gesichtsfarbe, harter, voller, frequenter Puls, erhóhte Hauttemperatur, Sensorium frei, Pupillen normal. Beklopfung des Schädels schmerzhaft. In dem geschwollenen Gehörgang, aus dem sich Eiter entleert, lässt sich mit der Sonde ein Fremdkörper (Stück Holz) constatiren. Nach dessen Entfernung verschwanden alsbald sämmtliche Erscheinungen.

Die Annahme des Verfassers, man müsse nach diesem „abgerundeten Symptomencomplex“ annehmen, dass es sich um otitische Leptomeningitis gehandelt habe, dürfte nicht als zutreffend erscheinen, da nach der allgemeinen Erfahrung auch bei reiner Otitis media insbesondere im kindlichen Lebensalter schwere meningitische Erscheinungen auftreten können. E. Müller.

347) Kiernander’s Patient war bereits comatös und wurde des- halb ohne Narcose operirt. Man wählte einen Punkt, der 2 Zoll senk- recht über dem knöchernen Gehörgang lag. Es wurde ein halbmond- förmiger Lappen mit der Convexität nach abwärts gebildet, und der Schädel an der markirten Stelle mittels eines Trepans eröffnet. Sodann wurde eine dünne, silberne, mit einer pfeilföürmigen Spitze versehene Röhre durch einen kleinen Einschnitt in der Dura mater in den Temporo- Sphenoidallappen eingeführt und eine Unze übelriechenden Eiters ent- leert, worauf sieh der Patient erleichtert fühlte. Kiernander glaubt, dass dies der erste veröffentlichte Fall von Gehirnabscess in der australischen Chirurgie ist. Cheatle.

348) In diesem Artikel berichtet Ledermann über drei Fülle, wie folgt: Fall 1, 8jühriges Mädchen mit chronischer Eiterung aus beiden Ohren seit drei Jahren. Die Eiterung versiegte durch örtliche Behandlung. Zwei Jahre später fiel das Kind und schlug sich am Hinterkopf. Unregelmässige Temperaturen und geringe Schmerzeu am linken Ohr traten auf. Wenige Tage später entwickelten sich Krampf- anfile. 48 Stunden später wurde der Warzenfortsatz wegen Empfind- lichkeit des Knochens eröffnet. Der Zustand der Patientin gestattete zur Zeit keine weitere Operation. Am folgenden Tage wurde ein

Mittleres Ohr. 19

knopfförmiges Knochenstück entfernt nnd ein Temporo-Sphenoidalabscess, aus dem sich etwa drei Unzen von Eiter entleerten, gefunden. Die Patientin starb am folgenden Tage. Fall 2, 16jähriger Patient; chronische Eiterung des rechten Mittelohres nach Masern, seit einem Jahre. Bei der Aufnahme ins Hospital war er im Delirium, mit einer Temperatur von 40 ? C. und einem Pulse von 110. Der rechte Warzen- fortsatz war geschwollen und es entleerte sich ein wenig Eiter. Der Patient starb 6 Tage spüter unter Symptomen von Gehirndruck. Section: Temporo-Sphenoidalabscess mit Verdickung der Dura; auf der Gehirn- oberfläche des Tegmen wurde ein nekrotischer Herd gefunden. Fall 3. 62jührige taubstumme Frau wurde am 6. Mai 1895 ins Hospital auf- genommen. Während des vorausgegangenen Jahres hatte sie Schmerzen im rechten Ohr mit geringem Ausfluss, und vor drei Monaten ent- wickelte sich auf der rechten Seite eine Facialisparalyse. Es bestand übelriechender und reichlicher Ausfluss aus dem rechten Ohre. Es wurde die Radikal-Operation ausgeführt; da der Warzenfortsatz mit er- griffen war, wurde fast die ganze Warzenfortsatzspitze mit entfernt. Die aufwärts geführte Sonde stiess auf die Dura. Am 11. Juni erfolgte eine Blutung vom Warzenfortsatz durch das Ohr, die Nase und den Hals hindurch. Nach einer zweiten Blutung aus dem Nasenrachenraum wurde die hintere Nasentamponade ausgeführt. Am 14. Juni starb die Patientin in Folge des Blutverlustes. Die Section ergab eine aus- gesprochene Nekrose des Felsen-Warzenfortsatztheiles des Schläfenbeins. Die Sonde liess sich leicht in die hintere und mittlere Schädelgrube einführen. Die Ursache der Blutung lag in geschwürigem Zerfall des Sinus. Es bestand auch eine Erweichung des rechten Temporo-Sphenoidal- lappens des Gehirns. Gorham Bacon. 349) Die 62jährige Patientin hatte an Schmerzen gelitten, an welche sich eine spontane Eröffnung des rechten Trommelfells mit ge- ringem, schleimig-blutigem Ausfluss anschloss. Das linke Trommelfell war stark geröthet und sehr schmerzhaft; es wurde eröffnet, worauf etwas Blut austrat. Der Fall verlief ohne weitere Aenderung, als nach 10 Tagen der Ausfluss aus beiden Ohren eitrig wurde. Die Unter- suchung des Urins ergab 7°/, Zucker. Der Ausfluss aus dem rechten Ohre hörte auf, während das linke ebenso wie früher secernirte. Nach etwa einem Monate entwickelten sich schwere Symptome: Schüttelfröste, hohes Fieber und heftige Schweissausbrüche mit ausgesprochener Empfind- lichkeit über dem Warzenfortsatz und Schmerzhaftigkeit und Verdickung entlang dem vorderen Rande des M. sternocleido- mastoideus. Die

80 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Patientin wurde narcotisirt, der Warzenfortsatz eröffnet und der Sinus freigelegt. Der Sinus wurde eingeschnitten, geronnenes Blut daraus entfernt, worauf eine ausgiebige Blutung erfolgte. Die Wunde wurde dann mit Jodoformgaze vollgepfropft. Der Patient wurde bald vollständig geheilt. Der Zuckergehalt verminderte sich sehr im Urin durch die Regulirung der Diät. Gorham Bacon.

350) Das Leiden hatte sich bei dem 7jährigen Knaben aus einer chronischen Mittelohreiterung mit Perforation der Shrapnell’schen Membran entwickelt. Der Sinus war mit einem festen, kräftigen Thrombus ausgefüllt. Die Jugularis wurde nicht unterbunden. Die Lungencomplication trat erst vier Tage nach der Operation auf; 22 Tage darnach wurde die Eröffnung der Pleurahöhle nöthig. Vollständige Heilung. | Killian.

353) Geschwulst vor dem linken Ohre, die nach einer Operation rasch recidivirt. Schliesslich sensorische Aphasie, Meningitis. Die Section findet einen apfelgrossen Tumor, welcher Gehirn und Felsenbein verbindet, das Schlüfenbein und die Dura in grosser Ausdehnung zer- stört hat. Der linke Gyrus temporal. med. ist theilweise, der inferior ganz verschwunden, der superior durch Druck verschmälert. In dem vom Verfasser voriges Jahr beschriebenen Falle (Monatsschr. f. Ohren- heilk.) war eine 40jährige Eiterung vorausgegangen, in diesem über- haupt kein Ohrenleiden, wohl aber Lues; es war ein blumenkohlförmiges alveoläres Sarcom (Carcinom). Bloch.

Nervöser Apparat.

954. Lermoyez, M. L'anémie chronique du labyrinthe et l'épreuve du nitrite d'amyle. Ann. des mal. de l'or. Juli 1896.

355. Alt, Ferd., Dr. und Pineler, Dr., Wien. Ein Fall von Morbus Meniére, bedingt durch leukämische Erkrankung des Nervus acusticus. Wien. klin. Wochenschr. No. 38, 1896.

956. Alt, Ferdinand, Dr. Ueber apoplektiforme Labyrintherkrankungen bei Caissonarbeitern. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 8, 1896.

357. Kenefik, Thomas. Meniere'sche Erkrankung. New-York. Med. Record. 25. Juli 1896.

354) Ein 43jähriger Herr, Diabetiker, früher syphilitisch und Alkoholiker, hatte bald nach einer Entziehungskur subjective Geräusche, Schwerhörigkeit und Schwindelanfälle bemerkt, oft 3 bis 4 den Tag. Diese Erscheinungen waren im Laufe von 3!/, Jahren geringer geworden, aber nie ganz fortgeblieben. Trommelfell stark eingezogen und wenig

Mittleres Ohr. | 81

beweglich, das rechte lüsst das geróthete Promontorium durchscheinen, das linke verdickt. Hórschürfe sehr herabgesetzt besonders links, wo leise Stimme nur 0,16 gehórt wird. Knochenleitung für die Uhr aufgehoben, Weber ins bessere rechte, Rinne +; Katheter erzielt weder Geräusche noch Verbesserung. Ein strenges diätetisches Regime verschlimmerte nur den Zustand, deshalb 5 Monate später Pilocarpininjectionen, aber auch ohne Erfolg. Da kam Pat. selbst mit der Angabe, dass er allemal nach der Mahlzeit eine Schwere in der Stirngegend empfinde und gleich- zeitig besser höre und die Geräusche schwächer würden; die Besserung halte 4—5 Stunden vor. Lermoyez schloss daraus, dass, während er bisher an eine Labyrinthhyperämie gedacht hatte, es sich um eine Anämie handeln müsse, welche durch die bei Dyspeptikern während der Verdauung eintretende Gehirncongestion günstig beeinflusst würde Zu dieser Annahme wurde Lermoyez durch einen Versuch mit Amylnitrit bestärkt, wo sich während der Einathmung die Hörschärfe von 0,18 auf 0,33, resp. von 0,20 auf 0,37 hob. Zu dauerndem Gebrauch gab nun Lermoyez eine schwache Trinitrinlösung, welche das Gehör auf 0,60 resp. 2,00 hob. Ein Aussetzen des Mittels führte wieder eine Verschlechterung herbei.

Dieser ganz ausführlich geschilderten Krankengeschichte fügt Lermoyez eine ebenso ausführliche Betrachtung der bisherigen klinischen Erfahrungen über Circulationsstörungen, besonders über die seltene Anämie des Labyrinths an und weist auf den diagnostischen Werth hin, den in Zweifelsfällen das Amylnitrit hat, und den therapeutischen Werth von schwachem Trinitrin geben. Zimmermann.

355) Es handelte sich um einen typischen Fall von apoplektiformer Meniere’scher Krankheit, in welchem bei vollkommen normalem Mittelohr und negativem Befunde im Labyrinth, als anatomische Basis des Krankheltsprocesses eine isolirte leukämische Erkrankung des Acusticus vorgefunden wurde. Pollak.

356) Die Vornahme von Caissonarbeiten in Wien, in einer Tiefe von bis 25 m unter dem Wasserspiegel der Donau und unter einem Ueberdruck von mehr als 2,5 Atmosphären gaben Alt Gelegenheit, drei Fälle von plötzlicher Labyrintherkrankung zu beobachten, welche in Gestalt des Meniére'schen Symptomencomplexes !/,—2 Stunden nach Verlassen des Caisson bei sonst gesunden Arbeitern auftraten. In dem einen Falle trat ein schwerer Collaps, in dem anderen voll- stándige Bewusstlosigkeit ein. Alle hatten starke Schwindelerscheinungon und Schwerhörigkeit bis zur Taubheit. Die Stimmgabelbefunde wiesen

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXX. 6

82 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

unzweideutig auf das Labyrinth, als den Sitz des Uebels hin. Ent sprechende Thierversuche bestätigten diese Auffassung. Einzelne Ohren blieben fast taub, andere besserten sich allmählich bis zu einer ge- wissen Grenze.

Wenn durch die Tuba kein genügender Ausgleich des Luftdruckes in der Paukenhöhle mit dem äusseren stattfindet, kommt es am Trommel- fell! im Mittelohr und Labyrinth in Folge des negativen Druckes in der Paukenhöhle zu starker Hyperämie, welche zu Blutaustritten und Transsudationen Veranlassung giebt. Letztere machen vorübergehende Erscheinungen. Das verspätete Auftreten der Störungen erklärt Alt aus den von ihm mit dem Basch’schen Sphigmomanometer ausgeführten Blutdruckmessungen, welche Druckdifferenzen von bis 40 mm nachwiesen Beim Einsteigen in den Caisson nimmt der Blutdruck ab, beim „Aus- sehleussen“ zu, ja er übersteigt sogar die frühere Höhe. Einem solchen Ueberdruck leisten die alterirten Gefässe nur auf eine beschränkte Zeit Widerstand.

Es wäre noch wünschenswerth gewesen, zu erfahren, wie lange die Aenderung des Blutdruckes nach dem Verlassen des Caisson anhält.

Killian.

357) Plötzliche Erkrankung Nachts mit heftigem Erbrechen, Schwindel und Taubheit. Erbrechen durch kleine Dosen Ipekakuanha gebessert, Taubheit blieb 2 Wochen bestehen, Schwindel nach 6 Wochen so gebessert, dass Patient mit Unterstützung gehen kann. Zuerst wurden grosse Dosen Chinin angewandt, später Brom- und Jodkalium und Galvanisirung. Gorham Bacon.

Nase und Nasenraehenraum.

358. Suchannek, H., Zürich. Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie der Nase, des Rachens, Kehlkopfs und der Luftröhre. Sep.- Abdr. aus Ergebnisse der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie des Menschen uud der Thiere. Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden.

359. Fränkel, B. Der Eisenbahnschnupfen. Arch. f. Laryngol. III, 3.

360. Schech, Prof., München. Das nasale Asthma und seine Beziehungen zum Emphysem. Münch. med. Wochenschr. No. 33, 1896.

361. Bayer. Glycosurie d'origine nasale. Ann. de l'instit. chirurg. Brüssel 1896.

362. Maxwell, P.W. Die Einwirkung von Nasenverstopfung auf die Accom- modation. Lancet 8. August 1896.

369. Abel, R. Greifswald. Zur Aetiologie der Ozäna. Zeitschr. f. Hygiene u. Infectionskrankh. Bd. XXI, S. 89. |

366.

367.

868.

369.

870.

911.

912.

919.

914. 375. 376. 377. 378, 919. 980. 981. 982. 989.

984.

Nase und Nasenrachenraum. 88

. Dreyfuss, Strassburg. Zur Bacteriologie der Ozäna. Naturforschervers.

1896, Section f. Laryngologie.

. Bayer, Dr., Brüssel. Ueber Ozàna, ihre Aetiologie und Behandlung ver-

mittelst der Electrolyse. Münch. med. Wochensehr. No. 32 u. 39, 1896. Ertler, M., Dr., Wien. Beitrag zur Behandlung der Nasen- und Rachen- krankheiten. Wien. med. Presse No. 31, 1896.

Dunn, John, Richmond. Ueber das Wachsthum von Aspergillus glaucus in der menschlichen Nase. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 95.

Herck. Bemerkung über die Abscesse der Nasenscheidewand. Arch. internat. de laryng. etc. No. 4, 1896.

Myles, Robert C. Chirurgie des Nasenvorhofs mit Berücksichtigung ge- wisser Formen von Stenose und Entstellung des Gesichts. Journ, Amer. Med. Assoc. 26. September 1896. |

Ripault. Beiderseitige Exostosen in der Nase durch hereditäre Syphilis. Ann. des mal. de l'or. etc. September 1896.

Stieda, Alfred. Ueber Knochenblasen in der Nase. Aus der Poliklinik für Ohren- u. Kehlkopfkranke des Herrn Prof. Kórner und aus dem patholog.-anatom. Institut zu Rostock. Arch. f. Laryngol. III, 3.

Demonstration eines aus phosphorsaurem Kalk bestehenden Rhinolithen, der sich um einen Kirschkern gebildet hatte. Rev. hebdom. de laryng. d'ot. August 1896.

Coolidge, Fr. A. Die Blutstillung bei Operationen der Nase und des Halses. New-York. Med. Journ. 12. September 1896.

Mackenzie, G. Hunter. Ein Fall von diffuser, papillomatöser Degene- ration der Nasenschleimhaut. Lancet 15. August 1896.

Douglass, Beamann. Primäres Carcinom der unteren Nasenmuschel. Medical Record 8. August 1896.

Black, G. Melville Sarkom der Nase durch Operation geheilt. New-York. Med. Journal 15. August 1896.

Bliss, Arthur Ames. Zwei Fälle von Sarkom der Nase und ihrer Neben- höhlen. New-York. Med. Journ. 25. Juli 1896.

Boylan, J. E. Spindelzellensarkom der Nase. New-York. Med. Journal 11. Juli 1896.

Wagner, Henry Lewis. Serös-eitrige Entzündung der Oberkieferhöhle bei chronischer Bleivergiftung. New-York. Med. Journ. 15. August 1996. Killian, Prof., Freiburg. Die Probepunktion der Nasennebenhöhlen. Münch. med. Wochenschr. No. 31, 1896.

Winckler, Bremen. Zur Therapie der Nebenhöhlenerkrankungen. Arch. f. Laryngol. III, 3.

Bois, Raphael Studie über die Fisteln des Sinus frontalis. Archives générales de médecine Juli/September 1896.

Claoué, R. Diagnose und Behandlung der Siebbeinzelleneiterung. Rev. hebdom. de laryng. etc. August 1896.

Hellmann, Würzburg. Caries syphilitica (?) ossis ethmoidei. Aus- kratzung. Hirntod ohne Zusammenhang mit der Operation. Arch. für Laryngol. Bd. III, S. 210 ff.

6*

84

985. 386. 387. 388.

389.

390. 391.

392.

393.

394. 395.

396.

397.

398.

399. 400. 401. 402. 403.

404.

Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Jacquemart. Ueber einen Fall von schwerem Nasenrachencatarrh. Rev. hebdom. de laryng. d'otol. September 1896.

Brindel. Resultate der histologischen Untersuchung von 64 Fällen von adenoiden Wucherungen. Revue hebd. August 1896.

Gottstein, Georg, Dr. Pharynx- und Gaumentonsille primäre Eingangs- pforten der Tuberkulose. Berl. klin. Wochenschr. No. 31, 1896.

Gillette, Arthur J. Caput obstipum in Folge von adenoiden Vege- tationen und chronischer Hypertrophie der Mandeln. New-York. Med. Journ. 1. August 1896.

Hardie, J. Melville. Adenoide Vegetationen: Anästhetica, Instrumente, Operationen mit besonderer Berücksichtigung derselben in der Narkose mit Bromäthyl. Annals of Ophthalm. and Otology ete. Juli 1896. Shields, Chas. M. Fibrome des Nasenrachenraums. New-York. Med. Jouru. 12. Sept. 1896.

Ingols, E. Fletcher. Ein Fibroid des Nasenrachenraums. New-York. Med. Journ. 19. Sept. 1896.

Hubbard, Thomas. Epitheliom des weichen Gaumens durch Injectionen von Liquor Kal. caustici beseitigt. New-York. Med. Journ. 12. September 1896.

Porter, William. Primäres Erysipel des Rachens. New-York. Med. Journ. 15. August 1896.

Chappell, Walter F. Primäre und secundäre Tuberkulose des Rachens vom klinischen Standpunkt aus betrachte. New-York. Med. Journal 19. September 1896.

Wright, Jonathan. Tuberkulöse Infection des Lymphgewebes im Rachen mit Bemerkungen über Infection des Kehlkopfes. New-York. Med. Journ. 26. September 1896.

Monnier. Localisations pharyngiennes rares dans la syphilis hereditaire tardive. Ann. des mal. de l'or. etc. August 1896.

Breitung, Max, Dr. Coburg. Beitrag zur vorbeugenden Behandlung der Diphtherie. Deutsche med. Zeitung No. 57, 1896.

Nichols, J. E. H. Die Folgezustände von Syphilis im Rachen und ihre Behandlung. New-York. Med. Journ. 26. September 1896.

Friedland, Franz, Prag. Ueber drei Fälle von Hyperkeratosis lacunaris (Siebenmann) des Zungengrundes. Zeitschr. f. Heilk. Bd. 17, S. 275 ff. Kelly, A. B. Mycosis pharyngis leptothricia und Keratosis pharyngis. Glasgow Medical Journal August 1896.

Killian, J., Dr., Worms. Zur Behandlung der Angina phlegmonosa und Peritonsillitis abscedens. Münch. med. Wochenschr. No. 30, 1896. Grünwald, L., München. Zur Behandlung der Angina phlegmonosa und Peritonsillitis abscedens. Münch. med. Wochenschr. No. 38, 1896. Griffin, J. Harrison. Zwei Fülle von vergrósserter Arteria ascendens pharyngis. Medical Record 15. August 1896.

Bottome, J. A. Secundáre Blutung nach einer Tonsillotomie. Medical Record 29. August 1896.

Nase und Nasenrachenraum. 85

405. Swain, H. L. Acute Erkrankung der Zungenmandel. New-York. Med. Journal 25. Juli 1896.

406. Washburn, W. Ein Fall von Glossitis. Medical Record 1. August 1996.

407. Mingrazzini. Klinische und anatomische Beobachtungen über die Hemiatrophia linguae. Archivio ital. di Otologia etc. IV, 1896.

858) Suchannek's Bearbeitung der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie der Nase etc. basirt auf grosser Sachkenntniss und eigenen ausgedehnten Erfahrungen, so dass in Verbindung mit der sorgfältigen Zusammenstellung der neueren Forschungen auf diesem Ge- biete die kritische Beleuchtung überall zu Tage tritt. Es würde zu weit führen, auf den speciellen Inhalt der Arbeit einzugehen, wer sich über die Verhültnisse orientiren will, wird die Arbeit mit Vortheil be- nutzen kónnen. H.

359) Als Eisenbahnschnupfen bezeichnet Fränkel eine besondere Form der Coryza nervosa, die bei disponirten Individuen durch die bei Eisenbahnfahrten stets in die Nase gelangenden Staub- und Kohlen- theilchen ausgelöst wird. Zur Herabsetzung der Irritabilität empfiehlt Verf. aufs Neue Einspritzungen von Höllensteinlösungen !/,—1 pro mille, als Prophylacticum Einlegen von Watte in die Nasenlöcher. Zarniko.

360) Auf Grund seiner Erfahrungen ist Schech zu dem Schluss gelangt, dass nur wiederholte oder jahrelang dauernde Anfälle von nasalem Asthma namentlich bei älteren Individuen zu Emphysem im anatomischen Sinn führen, während bei jüngeren selbst nach vielen Jahren noch völlige Rückbildung möglich ist, dass andererseits bei Emphysematikern mit fassfórmigem Thorax und ausgedehnten bron- chitischen Erscheinungen wirkliche durch Bronchialkrampf erzeugte asthmatische Beschwerden zu den Seltenheiten zählen; die Dyspnoe wird bei denselben meist durch körperliche Anstrengung, Hustenanfälle, be- sonders bei Bronchialcatarrh hervorgerufen, zum Theil ist sie auch auf Rechnung des geschwächten Herzens zu setzen.

Im Weiteren weist Schech auf einige Eigenthümlichkeiten des nasalen Asthmas hin: das halbseitige Vorkommen des Bronchialkrampfs (er hat selbst 2 Fälle beobachtet, wo bei einseitigen Veränderungen in der Nase nur die Lunge derselben Seite afficirt war), sodann das Auf- treten von larvirten Formen (in Form von chronischer Bronchitis mit leichten Athembeschwerden), deren Charakter als Neurosen daraus her- vorgeht, dass sie nach einer Nasenoperation oder Ortswechsel plötzlich verschwinden. Müller.

86 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

361) Zusammentreffen von Diabetes und hochgradiger hypertroph. Rhinitis bei einem 45jährigen Mann. Die Schleimhauthypertrophieen wurden mit Mentholvasogen behandelt, daneben diätetisches Regime und Kissinger Brunnen verordnet. In Folge davon völliges Verschwinden der Nasenstenose und des Diabetes. Beide recidivirten ein Jahr später und wurden durch die gleiche Behandlung der Nase geheilt.

Bayer hält einen Zweifel an der ursächlichen Abhängigkeit des Diabetes von der nasalen Verstopfung für rein unmöglich und erklärt sich den Zusammenhang so, dass die behinderte Athmung entweder eine ungenügende Oxydation der Glycose verursacht oder reflectorisch die nervösen Centren spec. den Bulbus in Mitleidenschaft ziehe.

Zimmermann.

362) In der ophthalmologischen Section der Versammlung der British Medical Association erwähnt Maxwell, dass Patienten, die an accommodativer Asthenopie lciden, oft mit Obstruction der Nase und catarrhalischen Ohraffectionen behaftet sind. Die Augensymptome bessern sich dann nach Behandlung der Nase. Zur Erklärung glaubt er reflectorische Vorgänge annehmen zu müssen, indem der centripetale Reiz durch den Trigeminus, der centrifugale durch den Ciliaris longus sich bewegt, dessen Reizung nicht allein die Pupille erweitert, sondern auch die Accommodation vermindert oder aufhebt. Rayner Batten, der an der Discussion theilnahm, sucht die Erklärung in Circulations- störungen; denn wenn man die Nase zuhält und bei geschlossenem Mund eine Expiration versucht. so nähert sich der Fernpunkt, indem das Auge thatsächlich myopisch wird und wenn eine forcirte Inspiration ge- macht wird unter ähnlichen Verhältnissen, so weicht der Nahepunkt zurück und das Auge wird zeitweilig presbyopisch; diese Wirkung führte er auf die Leerung und Füllung des Ciliarkörpers zurück. Batten machte ausserdem aufmerksam auf das Vorkommen von Staphylom auf der nasalen Seite der Sehnervenscheibe in manchen Fällen von Nasenerkrankungen; die Papille selbst sei dabei ebenfalls nach der nasalen Seite verzogen. Cheatle.

363) Abel theilt in der vorliegenden Arbeit die Resultate der eingehendsten bacteriologischen Untersuchung über Ozäna mit. Er ist ohne die früheren Untersuchungen zu kennen, zu demselben Resultat ge- kommen wie Löwenberg, in dem er gleichfalls den von diesem ent- deckten Mikroorganismus für den Erreger der Ozäna erklärt. Abel giebt zunächst ein Bild der Krankheit und bespricht die verschiedenen Theorien über die Entstehung der Ozäna, Die Zaufal’sche Theorie,

Nase und Nasenrachenraum. 87

dass eine abnorme Weite der Nasengänge in Folge von Verkümmerung der Muscheln zur Ozäna disponire, glaubt Abel leicht dadurch wider- legt. dass Ozäna auch in ganz engen Nasengängen sich entwickeln kann- Nach der Erfahrung der Ref. ist dies nicht richtig. Es findet sich keine Ozüna bei ganz engen Nasengängen. „Die Bildung eines eigen- artigen, schleimig-eitrigen, schnell zu Borken eintrocknenden Secrets“ ist das wesentliche und unentbehrliche Attribut des Ozänaprocesses. Auf Grund seiner Untersuchungen bei 100 Fällen glaubt Abel mit Sicher- heit den Nachweis führen zu können, dass der Ozünaprocess eine durch den Ozänabacillus verursachte Infectionskrankheit ist.

Unter den verschiedenartigsten Organismen, welche das der Ozäna- nase entnommene Secret enthält, finden sich fast stets bald mehr, bald weniger zahlreich die durch besondere Grösse auffallenden Ozänabacillen, plumpe Stäbchen, bald kürzer, bald länger, mit Kapsel versehen. Die- selben lassen sich leicht mit den üblichen Farblösungen, nicht nach der Gram'schen Methode färben. Wegen der in Culturen sich bildenden schleimigen Masse nennt Abel den Bacillus B. mucosus ozünae. Auf der Oberfläche bilden sich graugrüne, halbkugelige Erhabenheiten. Die Gelatine wird nicht verflüssigt. Zur Cultur besonders geeignet ist die Aussaat auf Agar, auf dem sich bei 39° schon in 12—24 Stunden grosse zusammenfliessende nach unten rutschende Colonien bilden. Der Ozänabacillus ist nicht beweglich und bildet niemals Sporen. Geimpfte Mäuse starben in 1—4 Tagen. In jedem Falle, in welchem die Diagnose auf Ozäna gestellt war, wurden auch die Ozünabacillen im Secret ge- funden, bei Perforation des Trommelfells waren die Ozünabacillen auch im Mittelohrsecret zu constatiren, bei Conjunctivitis im Conjunctivalsecret. In ausgeheilten Fällen fehlen die Bacillen. Ohne das Vorhandensein des Ozänaprocesses in der Nase kommt auch der Ozänabacillus nicht vor. In einem Falle gelang es Abel, durch Einbringung von Reincultur- material des Bacillus in eine gesunde Nase (Phthysiker in extremis), auf dieser die ersten Stadien des Ozünaprocesses hervorzurufen und damit dessen ätiologische Bedeutung noch besonders zu erhürten. H.

364) Dreyfuss berichtet über in Gemeinschaft mit Klemperer ausgeführte Untersuchungen, die sich hauptsächlich auf die Frage von der Specifieität des Loewenberg-Abel’schen Ozänabacillus erstrecken.

Vor Allem, betonen Dreyfuss und Klemperer, müsse einwands- frei bewiesen werden, dass der Abel’sche Ozänabacillus und der Fried- länder’sche Pneumobacillus nicht identisch sind. Denn gerade dieser ist ein nicht seltener Bewohner kranker und gesunder Nasenhöhlen

88 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

(wenn auch nicht so häufig, als man bisher glaubte). Die Differenzen in morphologischer und cultureller Beziehung und in der Virulenz beider Bacterien sind aber, wie Dreyfuss und Klemperer fanden, nicht so constant und so wesentlich, dass man auf sie eine sichere Unter- scheidung begründen könnte.

Eines der besten Unterscheidungsmerkmale wäre der positive oder negative Ausfall der specifischen Immunitätsprobe. Dreyfuss und Klemperer sind hierüber noch zu keinem definitiven Entscheid gelangt und behalten sich hierfür spätere ausführliche Mittheilungen vor.

Dagegen können sie jetzt schon mit Entschiedenheit die Infectiosität des Ozänabacillus leugnen, d. h. sein Vermögen, auf die gesunde mensch- liche Nasenschleimhaut verpflanzt, Ozäna zu erzeugen. was bekanntlich Abel auf Grund eines durchaus nicht einwandsfreien Versuchs an einem Phthisiker annahm.

Das Resumé lautet dahin, dass bei der Ozäna fast regelmässig ein Bacillus nachweisbar ist, der in gesunden Nasen und bei anderen Nasen- krankheiten relativ selten vorkommt. Derselbe ist bacteriologisch nicht scharf vom Friedländer’schen Pneumobacillus zu unterscheiden. Die geringen Differenzen lassen sich durch sein Wachsthum auf einem be- sonderen Nährboden, d. h. der ozänaerkrankten Nase wohl verstehen. Auf gesunde und selbst auf atrophische Nasen verimpft, erzeugt dieser Bacillus keine Veränderungen. Dass er die Ursache des Fötors bei der Ozäna ist, ist direct auszuschliessen. Er kann (Abels Versuch) eitrige Secretion verursachen. Dass er Atrophie im Gefolge hat, ist durch nichts erwiesen, da er nicht ins Gewebe selbst eindringt, sogar unwahr- scheinlich. Als die Ursache der Ozäna ist er darum ebensowenig, wie einer der andern, ihn stets zahlreich begleitenden Mikroorganismen an- zusehen. Autoref.

365) Die Lösung der Ozänafrage wird in der vorliegenden Arbeit von Bayer sowohl hinsichtlich der Aetiologie als der Therapie von einer ganz neuen Seite angefasst. Veranlasst durch die seitens mehrerer belgischen Laryngologen und Otologen erfolgte Proklamirung der Heilung der Ozäna in einer Sitzung mittelst „interstitieller cuprischer Electro- lyse^ (nach Gautier), hat Bayer selbst Versuche mit dieser Methode angestellt und in der That ganz erstaunliche Resultate erzielt, nur dass sich dabei das Verfahren nicht wie behauptet war, als ein ganz unge- fährliches erwies. Eine Sitzung von 10—15 Minuten Dauer und einer Stromstärke von höchstens 15 M.-A., wobei die Kupfernadel in die mittlere Muschel, die Platinnadel in die Basis des Septums oder unteren

Nase und Nasenrachenraum. 89

Theil der äusseren Nasenwand eingestochen wurde, genügte häufig, Fötor und Borkenbildung binnen wenigen Tagen zum Verschwinden zu bringen, und das Bild eines mässigen chronischen Catarrhs blieb zurück. 7 Krankengeschichten dienen als Illustration (darunter ist 4 mal das Fortbestehen der Besserung noch nach !/, Jahr constatirt).

Was die Erklärung der Heilung anlangt, so kommt Bayer zu dem Schluss, dass sie nur in den Aenderungen in der Ernáührung der durchströmten Gebiete gesucht werden kann, denn die chemische und mikrobicide Wirkung des electrischen Stroms könne sich unmöglich auf einen so grossen Umkreis (andere Seite, Nasenrachenraum und Pharynx) erstrecken und dann müsste ja, wenn die Wirkung in einer Tótung der den Fötor producirenden Mikroben bestände, dieser sofort ver- schwinden, was nicht der Fall sei. Er nimmt an, dass der auf die Endigungen der sensiblen Nasenwand wirkende Strom eine reflectorische, eine „trophomotorische Impulsion“ hervorruft, deren Folge die Wiederher- stellung der normalen, der Weiterentwickelung von Mikroorganismen ungünstigen Secretion ist und diese Annahme führt ihn weiter zu dem Schluss, dass die Ozäna eine Trophoneurose ist, die besteht in einer Secretionsanomalie, deren Product als Nährboden dient für einen specifi- schen und den Fötor bedingenden Mikroben, in einer Ernährungsstörung mit Atrophie der Schleimhaut und einer anfänglich hypertrophischen Rhinitis, bedingt durch die gleich einem Fremdkörper wirkenden Producte und dass die beste gleichsam specifische Behandlung die Electrolyse ist. Müller.

366) Ertler berichtet über sehr günstige Erfolge bei Behandlung der Ozüna mit Durchspritzungen einer 2—5°/, Ichthyollösung durch die Nase, sowie der Pinselungen desselben Mittels bei Pharyngitis.

Pollak. 368) Herck empfiehlt die Abscesse der Scheidewand am unteren Pol zu öffnen und zu drainiren. Zimmermann.

369) Bei theilweiser Stenose in Folge von Verbiegungen des vorderen Theiles der Cartilago triangularis mit oder ohne Verdickung der convexen Seite, entfernt Myles den unteren Theil des Knorpels submucós und vereinigt den Einschnitt durch kleine Seidennähte.

Toeplitz.

370) Seit 2 Jahren bestehende Nasenverstopfung bei einem 13 jähr. Jungen, die in den letzten 4 Monaten vollständig geworden war. Beider- seits am aufsteigenden Oberkieferast symmetrische harte Vortreibungen;

90 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

das Nasenlumen von vorn bis in die Choanen durch gleichfalls harte, platte Tumoren verlegt, die sich nicht bewegen, nicht mit der Sonde umgreifen liessen; bei der Operation von aussen mit Aufklappung der Nase zeigten sich die Exostosen aussen und die in der Nase im Zu- sammenhang, es wurde mit dem Meissel ein Tunnel bis in die Choanen hinein angelegt und damit erhebliche Besserung erzielt, die 6 Wochen nach der Operation noch zu constatiren war. Von welchem Knochen die Exostosen ausgegangen waren, ob noch Reste von Nasenmuscheln vorhanden waren, wird nicht mitgetheilt. Die Oberkieferhöhle war nicht betheiligt. Zimmermann.

371) Nach einer Wiedergabe der einschlägigen Literatur schildert Stieda 2 Fälle von Knochenblasenbildung, die er in Körner’s Poli- klinik beobachtet hat. Im ersten Falle handelte es sich um eine von der rechten mittleren Muschel einer 16 jährigen Patientin ausgehende, etwa hühnereigrosse Knochenblase, die mit einer zweiten ihr vorn auf- sitzenden, etwa kirschgrossen communicirte. Bei der Wegnahme (Con- chotom, Glühschlinge) zeigten sich die Höhlen mit Eiter gefüllt, ihre Schleimhaut war innen mit einigen erbsengrossen Polypen besetzt. Mikroskopisch zeigte die Höhlenschleimhaut Mangel an Schleimdrüsen, Flimmerepithel, stellenweise Plattenepithel. Der Knochenschicht lagern zahlreiche Osteoblasten an, an einzelnen Stellen auch Osteoblasten in Howshiph'schen Lacunen. Der 2. Fall betraf eine 19 jähr. Kranke, die sich mit. nervösen Beschwerden (heftige Kopfschmerzen, Athembe- klemmung etc.) vorstellte. Die linke mittlere Muschel war vorn blasen- artig aufgetrieben. Entfernung der Blase mit dem Conchotom hatte keinen Einfluss auf die Beschwerden. Mikroskopisch: Keine Schleim- drüsen, Schleimhaut stellenweise Ödematös. Arterienwände verdickt. Dünne Lage von Osteoblasten, stellenweise Resorptionsprocesse. |

Verf. zieht aus seinen Untersuchungen den Schluss, dass die Knochenblasen durch Erweiterung congenital angelegter Zellen entstünden. Ursache der Erweiterung sei eine Entzündung sowohl der Schleimhaut wie des Periosts. Zarniko.

372) Der Stein stammte von einer 54jähr. Frau, sass im hinteren Drittel des mittleren Nasengangs, war kirschgross und vielleicht bei einem Hustenanfall während des Schluckens in die Nase gekommen.

Zimmermann.

373) Coolidge bespricht zuerst die verschiedenen Lagen für

Operationen im Nasenrachenraum, Mund und Kehlkopf. Blutungen dürfen

Nase und Nasenrachenraum. 91

nicht durch Styptika gestilt werden. Die Grósse der Blutung hüngt von der‘ Zusammenziehbarkeit ‘der Gefässe ab. Blutstillung durch hintere. Tamponade resp. durch Compression wird durch den Bericht über zwei Fälle von secundärer Blutung nach Entfernung der Rachen- und Gaumenmandel illustrirt. Die hintere Tamponade muss prophy- laktisch vor der Entfernung von Fibromen des Nasenrachenraums vor- bereitet werden. Toeplitz.

374) Mackenzie fand bei einem 30jährigen Manne die Nasen- schleimhaut beiderseits völlig besetzt mit zahlreichen Wucherungen von der Grösse eines Stecknadelkopfes bis zu der eines Reiskorns, am reich- lichsten fanden sie sich in den oberen Regionen; dabei waren beide Nasenhöhlen in gleicher Weise afficirt. Die Entfernung geschah mittelst der kalten Schlinge und der Nasencurette. Noch nach 4 Monaten kein Recidiv. Bei der mikroskopischen Untersuchung erwiesen sie sich als papillomatós. Eine Photo-Mikrographie ist beigefügt. Cheatle.

375) Der 31jährige Patient von Douglass litt fünf Jahre lang an Ausflus aus dem linken Nasenloch, Nasenbluten, gelegentlichen Schmerzen und einer Schwellung, welche sich vor Kurzem so vergrösserte, dass der Thränenkanal dadurch verstopft wurde. Die linke untere Nasenmuschel schien atrophirt zu sein und war in der Ausdehnung eines Zolles oberflächlich ulcerirt. An herausgenommenen Stücken der Ge- schwulst zeigten sich mikroskopisch alle Eigenthümlichkeiten eines Carcinoms. Dieses ist der einzige Fall von Carcinom in der Litteratur welcher von den Schwellkörpern ausging. Das Antrum Highmori war nicht angegriffen. Toeplitz.

376) Black’s 38jährige Patientin litt an schnell eingetretenem Verschluss der rechten Nasenhälfte, gelegentlicher Blutung, Stirnkopf- schmerzen, Temperaturerhöhung bis auf 38,4? C. und äusserer. Ver- grösserung der Nase. Die Geschwulst erstreckte sich bis in die Choanen. Sie wurde in der Narkose mit Schlinge und scharfem Löffel entfernt. Sie war 1'/, Zoll lang, °/,‘‘ breit und hoch. Ein kleineres Stück und Granulationen wurden in zwei späteren Sitzungen mit der kalten Schlinge und dem scharfen Löffel entfernt und die Basis mit Trichlor- essigsäure geätzt. Zwei Jahre lang ist kein Rückfall eingetreten. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Geschwulst ein alveoläres Sarcom war. Toeplitz.

377) Bliss berichtet über die an zwei Brüdern von vier resp. neun Jahren beobachteten Fälle von Geschwülsten der linken Nasenseite

99 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenkeilkunde.

mit Exophthalmus. Nach vielen vergeblichen Versuchen vollständiger Entfernung von der Nase aus mit der Zange und immerwährender Wiederkehr derselben wurde die Ausräumung von der Fossa canina aus durch das miterkrankte Antrum maxillare hindurch versucht, jedoch ohne Erfolg. Das Kind starb drei Monate später, Eine Beschreibung der Section oder des mikroskopischen Befundes wird nicht gegeben. Der andere Knabe wurde nicht operirt. Die Fälle ähneln ihrer Be- schreibung nach den von Bensch in seiner klassischen Monographie über die gefässreichen Nasenrachenpolypen beschriebenen. Toeplitz. 378) Boylan's Patient, ein 45jühriger Mann, litt ein Jahr lang an schwerem Nasenbluten, Verstopfung der linken Nasenhälfte und heftigen Kopfschmerzen. Die braunrothe Geschwulst reichte vom vorderen bis zum hinteren Ende der Nasenhóhle und entsprang von der Seiten- wand. Sie wurde in zwei Sitzungen mit der Drahtschlinge und der flachen Zange entfernt und ihre Basis ausgekratzt. Sie war so. gross wie ein Hühnerei und setzte sich entlang der unteren Nasenmuschel in einer Ausdehnung von 1!/," an. Nach der mikroskopischen Unter- suchung war sie ein Spindelzellensarcom. Zwei Jahre nach der Operation war kein Rückfall eingetreten. Boylan schliesst aus den seit Bos- worth’s Zusammenstellung von 42 Fällen der Litteratur entnommenen 21 Fällen, dass die Radicaloperation prompt indieirt ist, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, die Geschwulst vollständig zu entfernen, was besonders bei kleineren Geschwülsten der Fall ist. Toeplitz. 379) Wagner berichtet über einen Fall von Empyem des Antrum Highmori, welches bei einem 32jührigen Wagenanstreicher unter dem Bilde einer 3 Jahre lang anhaltenden schweren Neuralgie der rechten Supraorbitalgegend aufgetreten war. Die angesammelten Borken über dem Hiatus semilunaris enthielten den Staphylococcus aureus. Das Antrum wurde mit einem, wie eine Lanzenspitze geformten Drillbohrer durch den harten Gaumen hindurch unter Cocain und bald darauf durch die Fossa canina mit einem grossen Trepanbohrer unter Chloroform eröffnet. Das vom Antrum entfernte Gewebe ergab mit Natron sulfuric. die charakteristische Bleireaction. Der Patient wurde durch Jodbehandlung vollständig geheilt. Toeplitz. 380) Die günstigen Erfahrungen mit der Probepunction der Kiefer- höhle (für welche Killian auch hier das Eindringen nach Hartmann im mittleren Theil des mittleren Nasengangs befürwortet) haben Killian zu Versuchen, allerdings zunächst an Präparaten, veranlasst, auch bei den anderen Nebenhöhlen in analoger Weise vorzugehen. Während die

Nase und Nasenrachenraum. 93

Verhältnisse für die Keilbeinhöhle relativ einfach liegen, verhält es sich mit der Probepunction der Siebbeinzellen schwieriger. Nach Killian’s Untersuchungen nun können sie entweder von der Riechspalte aus er- reicht werden, wobei man sich nur über einer Linie halten muss, welche vom oberen Choanenrand bis zur Ansatzstelle der mittleren Muschel ge- zogen zu denken ist, oder aber wenn hier der Raum zu eng ist, vom mittleren Nasengang, indem man an der Umbiegungsstelle der mittleren Muschel senkrecht nach oben geht. Für den ersteren Weg benutzt er scharfe Canülen mit kurzer seitlicher Abbiegung, für den zweiten eben- solche mit Abbiegung rechtwinklig nach oben; die Abbiegungen sind mit Rücksicht auf Verletzung der Orbita resp. der Schädelhöhle möglichst kurz zu wählen. Am wenigsten zugänglich ist die Stirnhöhle, als letztes Mittel bleibt hier stets die Wegnahme des vorderen Endes der mittleren Muschel, die den Weg gewöhnlich für die Canüle frei macht. Killian betont zum Schluss, dass der Anwendung der Punctionen am Lebenden genaue Kenntniss der Anatomie und Versuche an Präparaten zur Voraussetzung haben sollten. Müller.

381) Nach einigen polemischen Bemerkungen gegen Schech, die sich auf dessen Kritik des Schäffer’schen von Winckler ver- fochtenen Verfahrens zur Eröffnung der Stirnhöhle beziehen, präcisirt Winckler seinen neuesten Standpunkt in der Nebenhöhlenfrage. Er hat jetzt jede intranasale Behandlung sowohl beim Empyem des Sinus -frontalis wie des Antrums aufgegeben. Die Kieferhöhle operirt er nach Jansen’s Vorschlag, für die Stirnhöhle ist er zur Kuhnt’schen Methode übergegangen. Ist kein fötides Secret vorhanden und lässt der Fall abwarten, so versucht er durch Beseitigung von Schwellungen der Nasen- schleimhaut (Adstringentien, schwache Höllensteinlösungen, schwache Cocainsalben) oder bei Atrophie und Borkenbildung durch Anregung der Secretion (Gottstein’sche Tampons mit Perubalsam, Glycerin aa oder mit Europhenöl, darauf Spülung) eine Besserung zu erzielen. Bleibt diese aus, so spült er nach Anlegung einer Gegenöffnung oder schreitet zur breiten Eröffnung. Bei Siebbeinerkrankungen führte meist die endonasale Chirurgie zum Ziele, ebenso bei Empyem der Keilbeinhöhle.

Zarniko.

382) Eine eingehende Besprechung des Themas hinsichtlich Aetiologie, Pathologie, Diagnose und Therapie und eine Zusammenstellung von 36 behandelten Fällen aus der Litteratur. Bois empfiehlt bei den durch Stirnhöhlenentzündung entstandenen Fisteln als einzig rationelle Therapie die breite Eröffnung der Stirnhöhle unter Wegnahme der

04 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

vorderen oder unteren Wand oder je nach den räumlichen Verhältnissen der Höhle auch beider Wände zusammen, hierauf Curettement der Höhle. Besonderen Werth legt er auf die Herstellung einer freien Communi- cation mit der Nasenhöhle nöthigen Falles mittelst Durchstossung der vorderen Siebbeinzellen und Drainage dieses Weges, gut aus- ausführbar mittelst des von Prof. Panas construirten Katheters, welcher sich vermöge seiner Krümmung leicht von der eröffneten Stirnhöhle aus in die Nase und zum Nasenloch heraus führen lässt und dann mit dem Drain armirt in die Stirnhöhle zurückgezogen wird. Unter der Voraus- setzung genügender Drainage nach der Nasenhöhle empfiehlt Bois die primäre Naht der äusseren Wunde, wodurch meist die Heilung in 3 bis 6 Wochen erzielt werde. Haenel.

383) Claoué registrirt zuerst die von Bosworth, Grünwald und Baumgarten aufgestellte Eintheilung der Siebbeinerkrankungen und giebt dann seine Unterscheidungen an: 1. Empyeme mit orbitalen Erscheinungen, 2. latente Empyeme ohne äussere Erscheinungen, 3. en- kystirte Empyeme. Alle können primär oder secundär mit Caries und Polypen vergesellschaftet sein. Die folgenden Auseinandersetzungen ent- halten nichts Neues und beschränken sich auf eine Wiedergabe der bisher publicirten diagnostischen und operativen Methode.

| Zimmermann.

.. 884) Die 50 Jahre alte Patientin hatte mit 20 Jahren eine Lues überstanden, derentwegen sie mehrere Schmiercuren durchmachte. Seit 15 Jahren Kopfschmerzen und Bildung übelriechender Borken in der Nase. Hellmann fand bei der sehr decrepiden, mit Lungen- emphysem behafteten Frau die Nasenwurzel rechts druckempfindlich, den rechten mittleren Nasengang voller eiterbedeckter Granulationen, im Uebrigen Atrophie des Gerüstes.. Die Probepunction ergab zähen, nicht fötiden Eiter in der rechten Kieferhöhle. Mit dem scharfen Löffel kratzte Verf. die Granulationen ab, wobei er mehrere morsche Knochen- splitterchen entfernte und aus einer Zelle in der mittleren Musehel übelriechenden Eiter entleerte. Wenige Tage darauf trat Aphasie, Lähmuug der rechtsseitigen Extremitäten auf, Oedem der Augenlider und der Gegend hinter dem rechten Ohre. Am 44. Tage nach der Operation Exitus.

Die Section lehrte, dass die Operation den Tod nieht verschuldet hatte. Die Lamina cribrosa fand sich unverletzt, die Hirnhüute waren gesund, die Sinus intact. Im Gehirn zahlreiche, capillare Apoplexien, Hypertrophia cordis, Emphysema pulm. Zarniko.

Nase und Nasenrachenraum. 05

385) Sehr „detaillirte* Krankengeschichte eines schweren Falles von chron. hypert. Rhinitis mit allen directen und indirecten Folge- erscheinungen, ausserdem starken Wucherungen im Nasenrachenraum und Verlöthungen der Muschel- und Septumschleimhaut in Folge voraus- gegangener galvanokaustischer Operationen. Die Verwachsungen wurden in 20 Sitzungen je eine jeden zweiten Tag galvanokaustisch zer- stört, dann der Nasenrachenraum wenigstens zu einem Theil mit der heissen Schlinge ausgeräumt. - Darauf sechswöchentliche Pause. Dann wieder dasselbe Bild, nur die Verwachsungen waren nicht wiederge- kommen. Von neuem Galvanokaustik, bis man von vorn die aden. Vegetationen sehen konnte. Diese wurden von der Nase aus ausgekratz- und dabei stiess man auf rauhe steinharte Concretionen, die sich wahrt scheinlich primär aus den Secreten niedergeschlagen und dann secundär die Wucherungen veranlasst hatten. Sie konnten wegen Aengstlichkeit der Pat. nur gelockert werden, trotzdem wurde unter Spülungen Heilung der Beschwerden erzielt, wie sich Jacquemart 3 Monate darauf und später überzeugen konnte. Was aus den Concretionen geworden ist, wird mit Stillschweigen übergangen. Zimmermann.

386) An der Hand dieser 64 wahllos aus einem grösseren Material herausgegriffenen adenoiden Vegetationen widerspricht Brindel zunächst der Meinung, dass sie bei Erwachsenen selten vorkämen; von einem Stillstand der Entwickelung und einem Verschwinden in Folge binde- gewebiger Schrumpfung sei gar keine Rede. Die histologischen Be- funde beziehen sich 1 Mal auf den epithelialen Ueberzug, 25 Mal fand sich normales Flimmerepithel, aber in verschiedener Mächtigkeit und Einsenkung, 25 Mal waren die Zellen auf der Oberfläche, 14 Mal auch in den Crypten abgeplattet, ohne dass man hierfür Altersunterschiede hätte verantwortlich machen können. Schleimdrüsen kamen nur 7 Mal zu Gesicht und zwar stets in der Tiefe, nahe oder inmitten der fibrösen Ursprungsstelle. Daraus zieht Brindel den Schluss, dass das lymphoide Gewebe stets unmittelbar unter dem Epithel zu wuchern beginne; das erkläre, warum es nach der Ausschabung nie zur Narbenbildung käme; durch die Erdrückung der Schleimdrüsen werde ausserdem die Ab- sonderuug bactericiden Schleimes aufgehoben und in Folge davon eine Infectionsgefahr für das Gewebe geschaffen. Was sodann das Vorhanden- sein von Bindegewebe in den Wucherungen anbelangt, konnte Brindel nur 19 Mal ein stürkeres Stroma davon erkennen, 21 Mal überwogen die Follikel, 24 Mal fand sich keine Spur von Bindegewebe. Das Alter der Patienten hatte auf diese Verhältnisse keinen Einfluss, eher

O6 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

könnte man eine besondere Weichheit der Wucherungen bei Erwachsenen annehmen. Wo aber das Bindegewebe stark entwickelt war, fand sich meist auch eine Verdickung der Gefässwände, die 22 Mal deutlich aus- gesprochen, 9 Mal stellenweise und 33 Mal nicht zu beobachten war. Bei einem Falle, wo am 5. Tage nach der Operation eine profuse Blutung aufgetreten war, fand sich an vielen Stellen eine Endarteritis, Ein Fall war 2!/, Monate lang mit 50 ?/, Resorcinspülungen behandelt, schliesslich dann operirt und es fand sich auch nicht die Spur einer regressiven Veränderung, die das Resorcin erwirkt haben könnte. In 10°/, der gesammten untersuchten Fälle fand sich, was man eine „latente, encystirte, lakunäre Adenoiditis* nennen könnte: Epidermis- trümmer und Mikroorganismen in einem mit verschieden dicken Platten oder auch Cylinderepithel ausgekleideten Balg, der durch die ober- flächliche Verwachsung der Lakunenmündung wohl entstanden war. In acht Fällen will Brindel tuberkulöse Käseherde mit Riesenzellen und davon in einem Falle auch mit 3 Bacillen gefunden haben; diese Fälle würden überzeugender wirken, wenn der Befund genauer prä- cisirt wäre. Bacteriologische Nachprüfungen sind nicht gemacht. Zimmermann. 387) Gottstein bespricht auf Grund von 6 Beobachtungen die primäre Tuberkulose der Rachen- und Gaumentonsille; 5 Fälle ent- stammten dem Ambulatorium von Störk und zwar 3 mit Tuberkulose der hyperplastischen Pharynxtonsille, einer mit tuberkulóscr Gaumen- tonsille und einer mit combinirter Tuberkulose von Rachen- und Gaumentonsille. Der 6. Fall entstammte der Poliklinik des Vaters des Verfassers und konnte 6 Jahre nach der Operation von adenoiden Wucherungen, in welchen sich Tuberkeln fanden, die blühende Gesund- heit des operirten Kindes festgestellt werden. Keiner der untersuchten Fälle bot klinisch den geringsten Anhalt für Tuberkulose. Die Be- funde wurden durch die systematische Untersuchung aller excidirten Pharynx- (33 mit 12 °/, Tuberkulose) und Gaumentonsillen (20 mit 10 °/, Tuberkulose) gewommen. Die mikroskopische Untersuchung er- gab Tuberkelbildung, keine Verkäsung und keine Tuberkelbacillen, so dass vom bacteriologischen Standpunkte aus die Befunde nicht als Tuberkulose anzuerkennen sind (Ref.). Um eine Ausbreitung der Infection zu verhindern, soll in allen Fällen von hyperplastischer Rachen- und Gaumentonsille operativ eingegriffen werden. H.

388) Gillette berichtet über 3 Fälle von Caput obstipum, ver- bunden mit adenoiden Vegetationen und Hypertrophie der Mandeln. Im

Nase und: Nasenrachenraum. 97

ersten Falle handelte es sich um congenitales Caput obstipum bei einem ? jährigen Knaben, der von Kindheit an durch den Mund geathmet hatte. Durch Entfernung der adenoiden Vegetationen bessert sich das Caput obstipum zwar einigermaassen, aber es wurde doch schliesslich durch die Durchtrennung des M. sterno-cleidomastoideus und ortho- pädische Maassregeln geheilt. Im zweiten Falle besserte sich das congenitale Caput obstipum eines 16 monatlichen Kindes ebenfalls durch Entfernung der alenoiden Vegetationen, wurde jedoch dadurch nicht geheilt. Der dritte Fall trat bei einem 3jährigen rhachitischen Kinde auf, bei welchem das Caput obstipum in diesem Alter nach einer Erkältung aufgetreten war, 5 Wochen angehalten hatte und durch Entfernung der ađdenoiden Vegetationen vollständig geheilt wurde. Toeplitz. 389) Hardie gelangt zu folgenden Schlüssen: Adenoide Vegeta- tionen müssen bei jungen Kindern in der Narkose entfernt werden. Coesin und die kalte Drahtschlinge werden bei älteren Kindern ge- braucht. Die Lachgasnarkose ist zu kurz. Bromäthyl ist wünschens- werther, wird aber von nervösen Kindern nicht vertragen. Aether wird dafür bei ausgedehnten Operationen benutzt. Gottstein's Curette ist das zufriedenstellendste Instrument, besonders bei Operationen unter Bromäthyl. Toeplitz.

390) Shield's Fall I. Die Geschwulst trat bei einem 23 jährigen jungen Manne auf, entwickelte sich mit breiter Basis vom Basilarfort- satz, war mit der hinteren Rachenwand verwachsen und sandte einen grossen Fortsatz in die linke und einen kleinen in die rechte Nasen- hälfte. Sie wurde mit einer kalten, um den Tumor herumgelegteu Drahtshhlinge, welche einen Einschnitt machte, aber abbrach, schliess- lich mit der galvanokaustischen Schneideschlinge und die übrigen Fort- sätze wurden ebenso später entfernt. Vierzehn Monate später wurde ein maiskorngrosses Stückchen aus der linken Nasenhälfte und eine Verdickung am Rachendach mit dem Kauter reducirt. Die Geschwulst war eine von der Art der von Bensch beschriebenen vasculären Fibrome. Fall II ist von grossem Interesse wegen seines Auftretens bei einer über 48 Jahre alten Negerin, übrigens der einzige Fall, der in der Negerrasse beobachtet worden ist. Die Galvanokaustik ohne ein- leitende Operationen ist für diese Fälle am besten geeignet. Toeplitz.

391) Ingols fand das hintere Drittel der rechten Nasenhälfte eines lljührigen Knaben durch eine róthliche, weiche und den Nasen- Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 7

98 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

rachenraum durch eine feste Geschwulst ausgefüllt, welche nach der Entfernung 1:1!/,:2!/, Zoll maass. Die rechte ‘Wange war abnorm voll und nach hinten unterhalb des Jochbogens verdickt. Die Ge- schwulst wurde langsam mit dem galvanokaustischen Ecrasaur durch- geschnitten. Die Schwellung der Wange beruhte auf einem Fortsatz der Geschwulst hinter dem Gaumenknochen und Jochbogen, welcher 2—3cm im Durchmesser maass und durch den Mund mit Injectionen von 15—35 procentiger Milchsäure, combinirt mit 5 procentiger Carbol- säure, nach voraufgegangenen Cocaineinspritzungen behandelt. Die Ge- schwulst wurde so in 10 Monaten um volle °/,, ihrer Grösse reducirt. Toeplitz. 392) Hubbard's Patient, ein etwa 50 Jahre alter Mann, litt an Excoriationen, welche vom hinteren Rande der oberen Zahnplatte ver- ursacht waren, und an einem flachen, tafelförmigen Geschwulst, von der Grösse eines Fünfcentstückes, welche auf der rechten Seite des weichen Gaumens und vorderen Bogens gelegen war. Jonathan Wright erklärte es für ein deutliches Epitheliom. Einspritzungen von Liquor Kali caustici, in Bruchtheilen eines Tropfens, führten zur Bildung einer Narbe und rasehen Besserung des Patienten, „Ohne Wiederkehr der Ge- schwulst. Der Patient starb nach 20 Monaten an einer combinirten Herz- und Nierenkrankheit. Toeplitz. 393) Porter hat die ersten beiden seiner 3 Fälle bereits früher in den „Archives of Laryngology 1880“ veröffentlicht. Der dritte Fall spielte sich im Rachen und Nasenrachenraume eines jungen Mannes ab. Die Schwellkörper der Nase waren in der Woche vorher acut entzündet gewesen, woran sich ein Erysipel der äusseren Nasenfläche, das sich über den Hals ausdehnte, angeschlossen hatte. Die rechte Eustachische Röhre und das Mittelohr wurden mitergriffen. Der Patient wurde vollständig wiederhergestellt. Toeplitz. 394) Chappell berichtet über drei Krankheitsgeschichten, eine von primärer und zwei von secundärer Tuberkulose des Rachens. Die letzteren traten bei zwei jungen Leuten von 24 resp. 25 Jahren auf. Bei Beiden war der Kehlkopf vor dem Rachen angegriffen und der letztere begann sich 4 resp. 6 Wochen vor dem Tode am unteren Theile des rechten Gaumenbogens zu verdicken. Gelbe Flecken zeigten sich dann darauf (durch Zeichnung illustrirt), welche geschwürig wurden, zusammenflossen und stark secernirten. Der dritte Fall wurde bei einem 19jährigen Mädchen beobachtet, welches im September 1895 postnasalen Ausfluss, acute Schwellung der Rachenmandel und Eiterung

è

Nase und Nasenrachenraum. . 99

des rechten Ohres darbot. Die adenoiden Vegetationen wurden inner- halb von 10 Tagen entfernt. Nach einer Woche stellten sich Schüttel- fröste und Schmerzen hinter dem Gaumen ein. Die Schleimhaut des Nasenrachenraumes sah unregelmässig aufgedunsen, aber wie bei Adenoiden aus und erschien hart. Nach 3 Wochen schwolleu auch die Drüsen und die seitlichen Rachenfalten der rechten Seite an. Die Lungen waren noch normal. Die Schwester der Patientin war kürzlich an. einer acuten Lungenaffection gestorben und letztere hatte dasselbe Zimmer und Bett benutzt. Der Rachenschleim enthielt Tuberkelbacillen. Entleerte Gewebsstücke enthielten nach einer Untersuchung von Dr. Jonathan Wright Miliartuberkel. Zwei mit dem Gewebe von Dr. W. H. Park geimpfte Meerschweinchen boten disseminirte Tuberkulose dar. Im Januar 1896 verbreiteten sich die Verdickungen des Rachens nach oben bis zum weichen Gaumen und nach unten bis zum Kehl- kopf. Erst 4 Monate, seitdem die Infection des Rachens erkannt worden ‚war, bemerkte man zuerst die Betheiligung der rechten und 3 Tage später auch die der linken Lungenspitze. Die Tuberkulose griff nun schnell um sich und die Patientin starb in der letzten Märzwoche. . | Toeplitz. . 395) Wright untersuchte ungefähr 60 Mandeln und adenoide .Vegetationen auf Zeichen von Tuberkulose und färbte 28 Schnitte mit Ziehl’scher Lösung, aber mit negativem Resultat. Er wiederholt die Dieulafoy'schen Experimente, indem er die Bauchhöhle und die subeutanen Gewebe von Meerschweinchen in 5 Fällen mit Gaumen- mandeln und in 7 Fällen mit adenoiden Vegetationen impfte, ohne Tuberkulose zu verursachen, während Impfungen mit Stücken, die der Patientin von Dr. Chappell entnommen waren, die Infection der Thiere ergaben, Wright nimmt mit Botey das Vorhandensein der primären Tuberkulose in hypertrophischen Mandeln an. Die Abbildungen zeigen das Durchtreten der Tuberkelbacilen durch das unverletzte Kehlkopfepithel resp. einen Miliartuberkel. Toeplitz.. 396) Mornier berichtet über drei junge Mädchen, bei denen ein ‚geschwürig zerfallenes Gumma der hinteren Rachenwand das einzige Zeichen von Lues war. Die Localisation gehört nicht zu den seltenen. Zimmermann. 397) Breitung empfiehlt zur Prophylaxe der Diphtherie Ent- fernung der adenoiden Wucherungen, Ausspülungen des Nasenrachen- raumes, Schlitzung der Mandeln und Abtragen derselben mit dem ‚Konchotom.. . .. | H. Tr

100 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

398) Adhäsionen zwischen dem weichen Gaumen und der hinteren Rachenwand werden von Michols ähnlich wie bei der Operation der durch Häute verbundenen Finger behandelt. Er versucht ein Band, welches vermittelst einer gekrümmten Nadel in die Wunde gedrängt wird, mehrere Wochen lang in seiner Lage zu erhalten. Durch den so gebildeten Narbenkanal wird ein rechtwinkliges Messer gestossen und die Schnittwunden bleiben nun von einander getrennt. Die Operation muss oft mehrere Male wiederholt werden. Toeplitz.

399) Anschliessend an die betreffende Arbeit Siebenmann’s (Arch. f. Laryngol. u. Rhinol. 1895, Bd. II) berichtet Friedland über 3 Fälle van Hyperkeratose der Zungenbalgdrüsen, in einem Fall auch der Gaumentonsillen (Pharyngomycosis leptothricia, Mycosis benigna). Auch Friedland sieht, ebenso wie Siebenmann, als das Wesent- lichste bei diesen 1—3 mm langen, aus den Krypten der Balgdrüsen bez. Tonsillen hervorragenden Stachelbildungrn den abnormen Ver- hornungsprocess des Epithels an und hält das Vorkommen von Lepto- thrixfäden auf der Oberfläche der Stacheln für ganz untergeordnet; die Leptothrixfäden fanden sich niemals in den tieferen Hornschichten, noch auch in dem Epithel der Kryptenwand und es fehlte jede Spur entzündlicher Infiltration der Umgebung. Der von Friedland ge- gebene mikroskopische Befund stimmt im Ganzen mit dem Sieben- mann'schen überein; nur konnte Friedland in der Mucosa der Krypten deutlich abgeflachte Papillen nachweisen und eine Verdünnung der nicht verhornten Epithelschicht der Krypten im Vergleich zum Epithel der freien Oberfläche. Haenel.

400) Kelly bringt weiteres Beweismaterial für die Behauptung Siebenmanns, dass die unter dem Namen Mycosis leptothricia be- kannte Krankheit in Wirklichkeit eine Keratose ist; aber er behauptet, dass diese Keratose viel mehr ausgebreitet ist, als Siebenmann an- nimmt, und schlägt vor die Bezeichnung Keratosis pharyngis an Stelle von Hyperkeratosis lacunaris zu setzen. Er betont, dass es einen Zu- stand giebt, den man als Mycosis pharyngis leptothricia bezeichnen könnte, derselbe sei aber ganz verschieden von der Affection, welche gegenwärtig diesen Namen trägt. Cheatle.

401) Durch mehrfache Beobachtung ist Killian zu der Ueber- zeugung gelangt, dass peritonsillitische Abscesse am sichersten und leichtesten von der Fossa supratonsillaris (nach aussen und oben ven der Mandel) erreicht werden. Man geht mit einer dicken Sonde an dieser Stelle ein und dringt nach aussen und oben vor, bis Eiter neben

Nase und Nasenrachenraum. 101

der Sonde hervorquillt. Sodann führt man die geschlossene Kornzange ein und erweitert durch Oeffnen derselben in der Richtung von oben nach unten; dies wird in den nächsten Tagen wiederholt. Ein grosser Vortheil des Verfahrens gegenüber den messerscheuen Patienten ist jeden- falls der, dass kein schneidendes Instrument zur Anwendung kommt. Müller. 402) In der kurzen Notiz befürwortet Grünwald aufs Wärmste das J. Killian’sche Verfahren (s. oben), das er selbst ebenfalls seit geraumer Zeit mit bestem Erfolg geübt habe. Der eingeschlagene Weg folge genau dem der Infection und führe deshalb auch am sichersten zum Ziel. Erreicht man von der Fossa supratonsillaris aus den Abscess nicht, so könne man getrost annehmen, dass dieser gar nicht von der Mandel ausgegangen ist. Als Beleg führt er einen diesbezüglichen Fall an, wo das typische Bild eines Peritonsillen -Abscesses durch eine von dem cariösen III. Molar. inf. ausgehende Eiterung verursacht war. Müller. 403) Griffin beobachtete die abnorme Lage der Rachenarterie l. bei einer 49jührigen Frau mit grossen syphilitischen Narben des Rachens, welche so dick wie ein Bleistift waren und bis an die Mittel- linie und 1!/, Zoll nach unten reichten, und 2. bei einer 49jührigen Frau, auf der linken Seite ungeführ !/, Zoll nach innen vom hinteren Gaumenbogen derselben Seite, welche oben über den Rand des weichen Gaumens und nach unten, soweit man durch Herabdrücken der Zunge sehen konnte, reichte. Toeplitz. 404) Während der Entfernung der linken Mandel, welche Bottome an einem 3ljährigen Manne ausgeführt hatte, brach das Ringmesser des Mathieu’schen Tonsillotoms ab; die Mandel wurde schliesslich mit einem Mackenzie’schen Tonsillotom ohne bedeutende Blutung amputirt. Die rechte Mandel, welche, ebenso wie die linke, zu den harten Mandeln gehörte, wurde 2 Tage später entfernt. Es trat 6 Stunden. nach der Operation eine schwere Blutung ein, welche mit Galvanokaustik und Tannin nur schwer zu stillen war. T oeplitz. 405) Swain betont die Seltenheit von acuter Erkrankung der Zungenmandel im Vergleiche mit der Häufigkeit der chronischen Form und die Spärlichkeit der Mittheilungen darüber in der Litteratur. Er selbst hat in letzter Zeit die acuten Erkrankungen viel häufiger be- obachtet. Nach ausführlicher Beschreibung der makroskopischen Ana- tomie der Zungenmandel hebt er den Unterschied zwischen den Rachen- und Schlundmuskeln und ihren Erkrankungen hervor. Swain unter-

102 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

scheidet 4 Formen von acuter Erkrankung der Zungenmandel: 1. die einfache Entzündung der chronischen Hypertrophie; 2. die follikuläre, im Anschluss an die des Schlundes; 3. die peritonsilläre, mit gelegent- lichem Ausgang im Abscess, und 4. die diphtheritische. Unter allen Symptomen, wie das Gefühl eines Klumpens, Schluckbeschwerden, bis in die Ohren ausstrahlende Schmerzen, ist der Husten am hartnäckigsten. Bei der follikulären Form besteht mehr Fieber und die localen Symp- tome sind ausgesprochener, aber die Besserung findet trotz einer Neigung zum Rückfall viel schneller statt. Die peritonsillen Fälle sind viel schwerer, die umliegenden Partien zeigen mehr Schwellung, welche resorbirt werden und sich von selbst oder durch Incision öffnen kann. Die Behandlung geschieht antiphlogistisch und antiseptisch durch Priessnitz’sche Umschläge, Eis, Gurgelwässer und Sprays, und in phlegmonösen Fällen durch Inhalationen von Dampf, Pinselungen mit Borglycerin mit darauffolgenden Inhalationen von 2!/, °/, Morphin ent- haltenden Tannin, Skarificationen, Blutegeln auf die Zungenbeingegend

und Cocain vor der Mahlzeit. Swain schliesst mit einem ausführ- lichen Bericht über einen Fail von Abscess der Zungenmandel. | Toeplitz.

406) Washburn's Patient, ein Mann von 45 Jahren, bekam plötzlich nach einer Mandelentzündung sehr starke Athem- und Schluck- beschwerden in Folge einer Schwellung der linken Zunge, welche den ganzen Mund ausfüllte und fast 3 Zoll dick war. Als die Schwellung nach Eröffnung der sublingualen Venen geringer geworden war, fingen die linke Wange .und Halsseite, bald aber auch die rechte Seite des Halses, der Zunge und des Gesichts schnell an, sich zu vergrössern. "Wegen Umrollens des Zunge nach rechts mussten Lüngsschnitte gemacht werden.. Es trat vollständige Heilung ohne Eiterung ein.

| | Toeplitz.

407) Mingrazzini sammelte die wenigen Fälle von Hemia- trophia linguae aus der Literatur und berichtet über eine eigene Be- obachtung mit histologischer Untersuchung der nervósen Centren. Die Befunde wurden durch zahlreiche Abbildungen erläutert.

Gradenigo. -

XII. internationaler medicinischer Congress in Moskau 1897. 103

Das Comité der Section XIIa. Maladies de l'oreille des vom 19. bis 26. August 1897 in Moskau stattfindenden XII. internationalen medicinischen Congresses besteht aus folgenden Herren:

Präsident: Stein, S. F., agrege, Moskau;

Mitglieder: Br W. R., Dr., Moskau, Heiman, Th., Dr., Warschau, Jirmounsky, M. S., Dr., Moskan: Malutine, E.N., Dr., Moskau, Okounew, W. N., ` Dr., St. Petersburg, Préobrajensky, S. S., agrégé, Moskau, Voss, Fr., Dr., Riga, von Schwanebach, A. Chr., Dr., St. Petersburg;

Secretär: Kaspariantz, K. I, Dr., Moskau.

Das vorläufige Programm lautet:

1. Inflammation de l’oreille moyenne chez les nouveaux-nés.

2. Classement des inflammations de l'oreille moyenne suivant les produits de lPinflammation.

3. Importance physiologique des parties distinctes du labyrinthe, principalement en ce qui concerne la question de savoir si une altération partielle du labyrinthe cause une surdité compléte.

4. Traitement des suppurations attico-mastoidiennes et des affections intracrániennes subséquentes.

5. Contribution à l'étude de la question des cholésteatomes.

6. Complications auriculaires des sinusites (maxillaires, frontales ou sphénoidales).

7. Valeur comparée de la trépanation simple et de l’ouverture large des cavités de l'oreille dans Potorrhé chronique.

8. Traitement chirurgical de l'otite scléreuse et sa valeur théra- peutique.

9. Les adénoidites aigués chez les adultes.

10. Etude et traitement des complications internes de l'inflammation purulente de l'oreille.

11. Affection primaire des parois osseuses du labyrinthe.

12. Importance thérapeutique des exercices de l'oreille pour les sourds et les sourds-muets.

13. Les dimensions des cavités auditives considérées comme une moment prédisposant des maladies de l'oreille.

14. Pathologie et traitement du sclérose de la cavité tympanique avec les affections du labyrinthe subséquentes.

104 Fachangelegenheiten.

Fachangelegenheiten.

Die Universitäts-Ohrenklinik in Heidelberg hat am 16. October 1896 ihr eigenes Haus bezogen. In den Räumen des Erd- geschosses befinden sich Untersuchungs- und Operationszimmer, Warte- zimmer, Laboratorium und das Zimmer des Directors, des Nachfolgers von Moos, Herrn Prof. Passow. In der ersten Etage sind 5 Kranken- zimmer (2 für je 4 Betten, 1 für 3 (Kinder) 1 für 2 und 1 für 1) und Baderaum. Bei Bedarf kónnen noch 6 weitere Betten untergebracht werden. In der zweiten Etage sind 2 Assistenten untergebracht.

Im Laboratorium ist die der Klinik testamentarisch vermachte, werthvolle Moos’sche Sammlung makroskopischer und mikroskopischer Präparate aufgestellt. Ein von Moos’ Freunden gestiftetes Oelbild des- selben wird im Untersuchungszimmer einen würdigen Platz finden.

In Strassburg i. Els. hat sich der I. Assistent der Universitäts- Öhrenklinik, Dr. Manasse, habilitirt.

In New-York starb im Juli 1896 Dr. Samuel Sexton, bekannt durch seine praktische Thätigkeit und als Schriftsteller. Im Jahre 1888 erschien sein Lehrbuch „The ear and its diseases“; mehrere seiner Arbeiten sind in unserer Zeitschrift veröffentlicht.

i -— -«——— ——P uu —5 T m |.

-F åy n -w a

--

« ^O --— 0 -o——— ——— m 00 m —— m ———— —— =

=- p ga mm

O. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. 105 VI.

Dieanatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. Verzeichniss der von der Commission der anatomi- schen Gesellschaft festgestellten Namen, eingeleitet und im Einverständniss mit dem Redactionsausschuss erläutert von W. His.)

Besprochen von O. Körner in Rostock.

Dieses Werk ist das Resultat einer achtjährigen Arbeit der ana- tomischen Gesellschaft. Es schafft eine einheitliche anatomische Nomen- clatur, die voraussichtlich auch von den Anatomen der übrigen euro- päischen Länder angenommen wird.

Da an allen deutschen Universitäten die Studenten der Medicin schon jetzt nur die in der Nomenclatur festgestellten Bezeichnungen kennen lernen, sind die Lehrer der klinischen Fächer gezwungen, nun- mehr die gleichen Namen anzuwenden, wenn sie ihren Schülern ver- ständlich sein wollen. Aber nicht nur Zweckmässigkeitsgründe lassen es räthlich erscheinen, die vorliegende Nomenclatur vollkommen anzu- . nehmen. Mit Recht schliesst das Werk mit den beachtenswerthen Worten:

„Und damit mögen die Nomina anatomica dem Wohlwollen eines jeden Betheiligten auf das Eindringlichste empfohlen sein. Es giebt auch im wissenschaftlichen Leben einen Gemeinsinn, dessen Bethütigung dem Einzelnen Ehre und Befriedi- gung, dem Ganzen aber Fortschritt und Gedeihen bringt. Die Annahme einer gemeinsamen Schulsprache muss als ein solcher Akt wissenschaftlichen Gemeinsinns ver- standen und durchgeführt werden“ Ä

Im Folgenden gebe ich zunächst aus der Nomenclatur alles den Otologen Angehende wieder.?)

Os temporale. Pars mastoidea. Margo occipitalis. Processus mastoideus. Incisura mastoidea. Sulcus sigmoideus. Sulcus a. occipitalis. Foramen mastoideum.

1) Separatabdruck aus. dem Archiv für Anatomie und Physiologie, 1895, Suppl.-Band. 2) Die Namen aus dem Gebiete der Rhinologie und Laryngologie hat Fränkel im Archiv für Laryngologie zusammengestellt. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 8

106 0. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica.

Pars petrosa [Pyramis] Facies anterior pyramidis. Facies poste- rior pyramidis. Facies inferior pyramidis. Apex pyramidis. An- gulus superior pyramidis. Angulus anterior pyramidis. Angulus posterior pyramidis. Sulcus petrosus superior. Tegmen tympani. Eminentia arcuata. Canalis facialis [Falloppii]. Hiatus canalis facialis. Geniculum canalis facialis. Sulcus n. petrosi superficialis majoris. Sulcus n. petrosi superficialis minoris. Impressio trige- mini. Porus acusticus internus. Meatus acusticus internus. Fossa subarcuata. Aquaeductus vestibuli. Apertura externa aquaeductus vestibuli. Sulcus petrosus inferior. Incisura jugularis. Processus intrajugularis. Fossa jugularis. Canaliculus mastoideus. Sulcus canaliculi mastoidei. Processus styloideus. Vagina processus stylo- idei. Foramen stylomastoideum. Fossula petrosa. Canaliculus tym- panicus, Sulcus tympanicus. Apertura inferior canaliculi tym- panici. Apertura superior canaliculi tympanici. Canaliculus cochleae. Apertura externa canaliculi cochleae. Canalis caro- ticus. Canaliculi caroticotympanici. Canalis musculotubarius. Semicanalis m. tensoris tympani. Semicanalis tubae auditivae. Septum canalis musculotubarii. Cavum tympani (v. Organon auditus). Canaliculus chordae tympani. Fissura petrotympanica [Glaseri]. Fissura petrosquamosa.

Pars tympanica. Annulus tympanicus. Meatus acusticus externus. Spina supra meatum. Fissura tympanomastoidea. Spina tympanica major. Spina tympanica minor. Porus acusticus externus.

Squama temporalis. Margo parietalis. Incisura parietalis. Margo sphenoidalis. Facies temporalis. Processus zygomaticus. Fossa mandibularis. Facies articularis. Tuberculum articulare. Facies cerebralis. Sulcus a. temporalis mediae.

Aus Suturae cranii. Sutura occipitomastoidea. Sutura squamosa. Sutura parietomastoidea. (Sutura squamomastoidea).

Aus Synchondroses cranii. Synchondrosis sphenopetrosa. Synchon- drosis petrooccipitalis. Fonticulus mastoideus.

Aus Musculi capitis. Musculus auricularis anterior. Musculus auricularis superior. Musculus auricularis posterior. Musculus masseter. Musculus

. temporalis.

Aus Musculi oss. hyoidei. Musculus digastricus. Venter anterior. Venter posterior. Musculus stylohyoideus.

Aus Musculi colli. Musculus sternocleidomastoideus.

O0. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. 107

Aus Arteria occipitalis. Ramus mastoideus. Ramus auricularis.

Aus Arteria auricularis posterior. Arteria stylomastoidea. Ramus tympanicus. Ramus stapedius. Ramus auricularis.

Aus Arteria temporalis superficialis. Rami auriculares anteriores. Arteria temporalis media.

Aus Arteria maxillaris interna. Arteria auricularis profunda. Arteria tympanica. Ramus petrosus superficialis. Ramus tympanicus.

Aus Arteria carotis interna. Ramus caroticotympanicus. Aus Arteria basilaris. Arteria auditiva interna.

Aus Vena jugularis interna. Bulbus venae jugularis superior. Vena canaliculi cochleae.

Aus Sinus durae matris. Sinus transversus. Confluens sinuum. Sinus petrosus inferior. Sinus petrosus superior. Sinus cavernosus. Sinus intercavernosus anterior. Sinus intercavernosus posterior. Sinus circularis. Vena diploica temporalis anterior. Vena diploica temporalis posterior. Emissarium mastoideum. Plexus venosus caroticus internus.

Aus Vena facialis posterior. Venae temporales superficiales. Venae auriculares anteriores. Venae tympanicae. Vena stylomastoidea. Venae temporalis media. Venae temporales profundae.

Aus Vena jugularis externa. Vena auricularis posterior.

Aus Lymphoglandulae. Lymphoglandulae auriculares posteriores. Lympho- glandulae auriculares anteriores.

Aus Nervus trigeminus. Ganglion semilunare [Gasseri].

Aus Ganglion sphenopalatinum. Nervus canalis pterygoidei [Vidii.] Nervus petrosus superficialis major. Nervus petrosus profundus.

Aus Nervus mandibularis. Nervus temporalis profundus anterior. Nervus temporalis profundus posterior. Nervus auriculotemporalis. Nervus meatus auditorii externi. Ramus membranae tympani. Nervi auriculares anteriores.

Aus Ganglion oticum. Nervus petrosus superficialis minor. Nervus tensoris tympani. Ramus anastomoticus cum nervo auriculo- temporali. Ramus anastomoticus cum chorda tympani.

Aus Nervus facialis. Geniculum nervi facialis. Ganglion geniculi. Nervus stapedius. Ramus anastomoticus cum plexu tympanico. Nervus auricularis posterior. Ramus digastricus. Ramus stylohyoideus.

Nervus intermedius. Chorda tympani.

&*

108 O. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica.

Nervus acusticus. Radix vestibularis. Radix cochlearis. Fila ana- stomotica. | :

Nervus vestibuli. Ganglion vestibulare. Nervus utricularis. Nervus ampullaris superior. Nervus ampullaris lateralis. Nervus ampul- laris inferior. | |

Nervus cochleae. Ganglion spirale. Nervus saccularis.

Aus Nervus glossopharyngeus. Ganglion petrosum. Nervus tympanicus. Intumescentia tympanica. Plexus tympanicus [Jacobsoni]. Nervus caroticotympanicus superior. Nervus caroticotympanicus inferior. Ramus tubae.

Aus Nervus vagus. Ramus auricularis. Ramus anastomoticus cum nervo glossopharyngeo.

Aus Systema nervorum sympathicum. Nervus caroticus internus. Plexus caroticus internus. Plexus cavernosus.

Organon auditus.

Auris interna.

Labyrinthus membranaceus.

Aquaeductus vestibuli. Saccus aquaeductus vestibuli. Ductus utriculo- saccularis. Utriculus. Ductus semicircularis. Ductus semicir- cularis superior. Ductus semicircularis posterior. Ductus semi- circularis lateralis. Ampullae membranaceae. Sulcus ampullaris. Crista ampullaris. Ampulla membranacea superior. Ampulla membranacea posterior. Ampulla membranacea lateralis. Sacculus. Ductus reuniens [Henseni] Maculae acusticae. Macula acustica utriculi. Macula acustica sacculi. Otoconia. Endolympha. Peri- lympha.

Ductus cochlearis. Caecum cupulare. Caecum vestibulare. Lamina basilaris. Membrana vestibularis [Reissneri]. Ligamentum spirale cochleae. Prominentia spiralis. Stria vascularis. Sulcus spiralis. Labium tympanicum. Foramina nervosa. Labium vestibulare. Ganglion spirale cochleae. Organon spirale [Cortii].

Vasa auris internae. Arteria auditiva interna. Rami vestibulares.

Ramus cochleae. Glomeruli arteriosi cochleae. Venae auditivae

, internae. Vena spiralis modioli. Vas prominens. Venae vestibulares. Vena aquaeductus vestibuli. Vena canaliculi cochleae.

O. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. 109

Labyrinthus osseus.

Vestibulum. Recessus sphaericus. Recessus ellipticus. Crista vesti- buli. Pyramis vestibuli. Recessus cochlearis. Maculae cribrosae. Macula cribrosa superior. Macula cribrosa media. Macula cri- brosa inferior. Canales semicirculares ossei. Canalis semicircularis superior. Canalis semicircularis posterior. Canalis semicircularis lateralis. Ampullae osseae. Ampullaà ossea superior. Ampulla ossea posterior. Ampulla ossea lateralis. Crura ampullaria. Crus commune. Crus simplex.

Cochlea. Cupula. Basis cochleae. Canalis spiralis cochleae. Modi- olus. Basis modioli. Lamina modioli. Lamina spiralis ossea. Hamulus laminae spiralis. Scala vestibuli. Scala tympani. Heli- cótrema. Lamina spiralis secundaria. Canalis spiralis modioli. Canales longitudinales modioli. |

Meatus acusticus internus. Porus acusticus internus. Fundus meatus acustici interni. Crista transversa. Area facialis. Area cochleae. Tractus spiralis foraminosus. Area vestibularis superior. Area vestibularis inferior. Foramen singulare.

Cavum tympani.

Paries tegmentalis. Recessus epitympanicus. Pars cupularis. Paries jugularis. Prominentia styloidea.

Paries labyrinthica. Fenestra vestibuli. Fossula fenestrae vesti- buli. Promontorium. Sulcus promontorii. Subiculum promontorii. Sinus tympani. Fenestra cochleae. Crista fenestrae cochleae. Processus cochleariformis.

Paries mastoidea. Antrum tympanicum. Prominentia canalis semi- circularis lateralis. Prominentia canalis facialis. Eminentia pyra- midalis. Fossa incudis. Sinus posterior. Apertura tympanica canaliculi chordae. Cellulae mastoideae. Cellulae tympanicae.

Paries carotica.

Paries membranacea.

Membrana tympani. Pars flaccida. Pars fensa. Limbus mem- branae tympani. Plica malleolaris anterior. Pliea malleolaris poste- rior. Prominentia malleolaris. Stria malleolaris. Umbo mem- branae tympani. Stratum cutaneum. Annulus fibrocartilagineus. Stratum radiatum. Stratum circulare. Stratum mucosum.

110 0. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica.

Ossicula auditus. Stapes. Capitulum stapedis. Crus anterius. Crus posterius. Basis stapedis. l Incus. Corpus incudis. Crus longum. Processus lenticularis. Crus breve.

Malleus. Manubrium mallei. Capitulum mallei. Collum mallei. Pro- cessus lateralis. Processus anterior [Folii].

Articulationes ossiculorum auditus. Articulatio incudomalle- olaris. Articulatio incudostapedia. Syndesmosis tympanostapedia.

Ligamenta ossiculorum auditus. Ligamentum mallei anterius. Ligamentum mallei superius. Ligamentum mallei laterale. Liga- mentum incudis superius. Ligamentum incudis posterius. Membrana obturatoria (stapedis). Ligamentum annulare baseos stapedis. [M. fixator baseos stapedis].

Musculi ossiculorum auditus. Musculus tensor tympani. Musculus stapedius.

Tunica mucosa tympanica. (Glandulaetympanicae). Plica malleolaris posterior. Plica malleolaris anterior. Recessus membranae tym- pani anterior. Recessus membranae tympani superior. *) Recessus membranae tympani posterior. Plica incudis. Plica stapedis. Membrana tympani secundaria.

Tuba auditiva [Eustachii].

Ostium tympanicum tubae auditivae.

Pars ossea tubae auditivae. Isthmus tubae auditivae. Cellulae pneu- maticae tubariae.

Pars cartilaginea tubae auditivae. Cartilago tubae auditivae. Lamina [cartilaginis] medialis. Lamina [cartilaginis] lateralis. Lamina membranacea. Tunica mucosa. Glandulae mucosae. Noduli lymphatici tubarii.

Ostium pharyngeum tubae auditivae. Labium anterius. La- bium posterius. Torus tubarius. Plica salpingopharyngea. Re- cessus pharyngeus [Rosenmuelleri].

Meatus acusticus externus.

Porus acusticus externus. Incisura tympanica [Rivini]. Meatus acusticus externus cartilagineus,

Cartilago meatus acustici. Incisurae cartilaginis meatus acustici externi [Santorini]. Lamina tragi.

1) Nach den ,Erlàuterungen" die obere Trommelfelltasche von Prussak.

O. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. 111

Auricula.

Lobulus auriculae. Cartilago auriculae. Helix. Crus helicis. Spina helicis. Cauda helicis. Anthelix. Fossa triangularis [auriculae]. Crura authelicis. Scapha. Concha auriculae. Cymba conchae. Cavum conchae. Antitragus. Tragus. Incisura anterior [auris]. Incisura intertragica. (Tuberculum auriculae [Darwinii]). (Apex auriculae [Darwini].) Sulcus auriculae posterior. (Tuberculum supratragicum). Isthmus cartilaginis auris. Incisura terminalis auris. Fissura antitragohelicina. Sulcus anthelicis transversus. Sulcus cruris helicis. Fossa anthelicis. Eminentia conchae. Emi- . nentia scaphae. Eminentia fossae triangularis. Ligamenta auricularia [Valsalvae]. Lig. auriculare anterius. Lig. auriculare superius. Lig. auriculare posterius. M. helicis major. M. helicis minor. M. tragicus. (M. pyramidalis auriculae [Jungi].) M. antitragicus. M. transversus auriculae. M. obliquus. M. incisurae helicis [Santorini].)

Aus Glandulae cutis. Glandulae ceruminosae. Cerumen.

Aus Pili. Tragi.

Aus Lingua, Fauces, Pharynx. Tonsilla lingualis. Folliculi tonsillares

[linguales]. Tonsilla palatina Fossulae tonsillares. Gl. pharyn- geae. Tonsilla pharyngea. Fossulae tonsillares.

Die Mitglieder der Commission, welche die Nomenclatur bearbeitet hat, waren ohne Ausnahme Anatomen vom Fach. Eine besondere Rück- sicht auf die Bedürfnisse der einzelnen klinischen Fächer, ist nicht genommen worden. Es ist das aber auch zunächst nicht nöthig, da es Jedem freisteht, auf der gegebenen Grundlage für seine Bedürfnisse neue Namen einzuführen. Wohl aber wird es für die weitere Entwicke- lung der Nomenclatur wichtig sein, wenn die Vertreter der klinischen Fächer auf ihre besonderen Bedürfnisse aufmerksam machen und dahin zu wirken suchen, dass denselben in der weiteren Entwickelung der Nomenclatur Rechnung getragen werde.

Einige solche Bedürfnisse aus der Anatomie der Paukenhöhle und des Gehörganges will ich hier anführen.

Der obere Theil der Paukenhöhle soll Recessus epitympa- nicus heissen. Da wir sehr viel mit diesem Raum zu thun haben, wäre uns eine kürzere Bezeichnung erwünscht. Einstweilen helfen wir

112 0. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica.

uns mit der deutschen Bezeichnung Kuppelraum oder Kuppel. (Die barbarische aus Amerika übernommene Bezeichnung Atticus oder gar Attic sollten wir endlich abstossen, ebenso den unklaren Begriff Aditus ad antrum).

Für die laterale Wand des Recessus epitympanicus, die bisher nur von Walb getauft worden ist (Pars ossea), fehlt jede Bezeichnung in der Nomenclatur. Die ganze laterale Wand der Paukenhóhle heisst Paries membranacea; sie müsste heissen: Paries externa oder lateralis oder meatica oder tympanica, und müsste getheilt werden in Pars ossea und Pars membranacea.

Da ferner die Paukenhóhle bekanntlich die Lichtung des knócher- nen Gehórganges nicht nur nach oben, sondern auch nach unten über- ragt, brauchen wir auch für den unteren, sowohl für die Bedürfnisse der descriptiven Anatomie als auch der Pathologie wichtigen Theil einen besonderen Namen. Ich nenne ihn im Gegensatz zur Kuppel den Keller der Paukenhóhle. Kretschmann schlug den Namen Re- eessus hypotympanicus vor, im Gegensatz zum Recessus epitym- panicus. Sehr viel anschaulicher würde die Beschreibung der Pauken- höhle, wenn man sie nach Kretschmann’s Vorschlag in eine Pars superior, media und inferior eintheilte, von welchen Theilen superior und inferior die beiden Recessus, media den übrig bleibenden, der Lich- tung des knöchernen Gehörganges entsprechenden Theil bezeichnete.

Am Boden des Recessus hypotympanicus verdienen die dort fast immer vorhandenen riffartigen Knochenvorsprünge, die bisweilen ein wabenartiges Aussehen haben, einen besonderen Namen. Auch die sehr häufige blasenartige Vorwölbung der Fossa jugularis in die Paukenhöhle sollte benannt werden (Bulla jugularis).

Durch den Annulus tympanicus schwellenartig vom Recessus hypo- tympanicus getrennt, liegt am inneren Ende das Meatus auditorius externus eine oft sehr tiefe Bucht, deren Bedeutung als Lieblingssitz der Fremdkörper im Gehörgange uns wohl bekannt ist. Sie hat auch keinen Namen erhalten und könnte Recessus paratympanicus heissen.

Warum nun die von Anatomen und Otologen stehts Antrum ma- stoideum genannte Hóhle jetzt Antrum tympanicum heissen soll, ist nicht zu ersehen. Das Antrum mag entwickelungsgeschichtlich der Paukenhöhle zuzurechnen sein; es liegt aber ganz in der Pars mastoidea, wird bei dieser aufgeführt und hat auffälligere Verbindungen mit dem durch die ganze Pars mastoidea verbreiteten System der Cellulae ma-

0O. Körner: Die anatomische Nomenclatur, Nomina anatomica. 113

stoideae als mit dem Cavum tympani. Schwalbe, das auf dem Gebiete der Ohranatomie erfahrenste Mitglied der Nomenclatur-Commission, hat auch in seiner Anatomie der Sinnesorgane, wie seither alle Schriftsteller, nur ein Antrum mastoideum, aber kein Antrum tympanicum gekannt.

Ferner ist der Mangel einer Bezeichnung für das, was Schwalbe so anschaulich „Antrumschwelle“ genannt hat, zu bedauern. Limes antri wäre ein brauchbarer Name dafür.

Ungenügend beschrieben ist die Aussenfläche des Schläfenbeins. Wir vermissen die so augenfällige und practisch wichtige Linea temporalis. Auch die flache Grube unterhalb der Linea temporalis und direct hinter dem Porus acusticus externus Bezold’s Fossa mastoidea hat eine so grosse Bedeutung für uns, dass sie in der Nomenclatur Aufnahme finden könnte.

Schliesslich ist nicht zu verstehen, warum die Eintheilung des Gehörorgans in Auris interna, media und externa nicht durchgeführt wurde. Wir finden nämlich nur Auris interna als besondere Unter- abtheilung, während media und externa fehlen.

Ich habe mich in diesen Bemerkungen auf diejenigen Theile des Gehörorgans beschränkt, mit denen wir Ohrenürzte am meisten zu thun haben. Ich glaube, dass die geäusserten Wünsche Dinge betreffen, die nicht nur den Bedürfnissen des Praktikers, sondern auch denen der beschreibenden Anatomen entsprechen.

114 Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe. VII,

Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe.

(Erster Nachtrag zum „Hörvermögen der Taubstummen“.)

Von Prof. Dr. Bezold in München.

Seitdem ich die 79 Zöglinge des Münchener kgl. Central-Taub- stummen-Instituts durchgeprüft habe, um die bei denselben vorhandenen Hörreste aufzufinden und für jeden Einzelfall mit Hülfe der continuir- lichen Tonreihe genauer abzugrenzen, sind etwa 31/, Jahre verflossen. Die Zusammenstellung und Bearbeitung des umfangreichen Materials hat mich so lange aufgehalten. dass erst im Anfange dieses Jahres das Gesammtresultat in meiner Schrift über „das Hörvermögen der Taub- stummen“ !) mitgetheilt werden konnte.

Meine damaligen Untersuchungen erstreckten sich nicht nur auf das qualitative und quantitative Perceptionsvermögen für Töne, sondern auch auf dasjenige für Vocale, Consonanten und Worte, sowie auf das Ver- hältniss zwischen dem in jedem Falle vorhandenen Ton- und Sprachgehör.

Bereits nach der Untersuchung weniger Zöglinge war es mir damals klar geworden, dass den mit Hülfe der Tonreihe zu gewinnenden Hör- ergebnissen bei den Taubstummen nicht nur eine hohe theoretische Bedeutung zukommt ebensowohl für die Bestimmung der verschiedenen Erkrankungsformen, welche zur Ertaubung geführt haben, als auch für die physiologische Dignität der einzelnen Bezirke im Gehörorgan, ins- besondere für die Analyse der Schalleindrücke in der Schnecke nach der Theorie von Helmholtz, sondern dass eine derartige genaue Feststellung der Hörreste mittelst der continuirlichen Tonreihe auch praktisch zu verwenden ist, indem sie künftig die verlässigste Grund- lage zu bilden im Stande sein wird für die Auswahl derjenigen Zög- linge, welche einem Sprachunterricht vom Ohre aus zugänglich sind, und für die Beurtheilung, bis zu welchem Grade im Einzelfalle durch einen solchen Unterricht Besserung der Sprache zu erreichen sein wird.

Als total und doppelseitig taub für Sprache und Töne erwiesen sich bei der damaligen Prüfung der 79 Zöglinge nur 15 oder

19,0°/ Im weiteren Verlauf dieser Abhandlung wird sich ergeben, dass auch diese Procentzahl noch zu hoch ist.

1 Wiesbaden, Verlag bei J. F. Bergmann, 1896.

Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe. 115

28 oder 35,4°/, besassen noch auf der einen oder auf beiden Seiten ein Gehór nicht nur für einen Theil der Tonscala, sondern auch für Vocale resp. Worte. 17 von diesen 28 Zóglingen waren sofort bei der ersten Prüfung im Stande, unter Ausschluss des Auges aus verschiedener, zum Theil eine Anzahl von Metern betragender Distanz einzelne oder sämmtliche Zahlworte, welche gegen das Ohr gesprochen wurden, in gleichem Tonfall und Rhythmus zu wiederholen, wie sie vorgesprochen wurden; und zwar wiederholten 9 die sämmtlichen Zahlworte, 5 sämmtliche Zahlworte ausser „fünf“ und 3 nur einzelne Zahlworte oder ein einziges. Die übrigen 11 Zöglinge dieser Rubrik waren nur im Stande, einen bis alle Vocale bei Ausschluss des Auges richtig zu wiederholen.

Ausser diesen 28 Vocale resp. Worte hörenden Zöglingen fanden sich noch 3, denen zwar ein Vocalgehör felılte, welche aber einzelne durch das Ohr zugeleitete Consonanten richtig wiederholten. Für die Consonanten P, T und R, wenn sie direct am Ohr producirt werden, besitzt auch eine grössere Anzahl von total Tauben die Fähigkeit der Unterscheidung, da dieselben durch das Gefühl erkannt werden können; sie müssen daher hier ausser Betracht bleiben.

Diese in Summa 31 Zóglinge, welche noch ein partielles Hör- vermógen für die Sprache aufwiesen, bildeten nur einen Bruchtheil von der Gesammtheit der hörenden Zöglinge. Denn ausser ihnen hatten noch 32 .ein Gehör für Töne, welches sich auf verschieden grosse Strecken der Tonscala ausdehnte, und nur 15 erschienen, wie erwähnt, beiderseits total taub; ein Zögling war wegen Ungeschicklichkeit nicht zu prüfen gewesen.

Es erschien mir zweckmässig, hier nachträglich diese Zusammen- stellung der von mir damals ausgeführten Hörprüfungen nach der Zahl der Individuen zu machen, weil sie eine deutlichere Uebersicht über die Resultate zu geben vermag, welche durch Hörübungen an Taub- stummen in Zukunft zu erzielen sein werden, als die Zusammenstellung nach den einzelnen Gehörorganen, wie sie für die Fragen hatte gewählt: werden müssen, deren Lösung ich mir in der damaligen Arbeit zur Aufgabe gestellt hatte.

Die bei der Gesammtheit der hörenden Taubstummen durchgeführte Vergleichung zwischen ihrem Hörvermögen für die einzelnen Theile der Tonscala und ihrem Sprachverständniss hatte mich zu dem folgenden Schlussergebniss geführt:

A X i "AMEN itn

i

-* À r s T HE I a a ar f i à ee II ALT, Ta act t rt ati

MORE

UNO E guns

rg! Lo o - "m -=m | |

116 Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe.

Unbedingt nothwendig für das Verständniss der Sprache ist nur die Perception der von den Tönen b!—g? incl. umfassten Strecke in der Tonscala; auch schon wenn die Hördauer für die in dieser grossen Sexte enthaltenen Töne unter ein gewisses Niveau herabsinkt, wird sie ungenügend für das Sprachverständnis. Wo das Gehör für das hier umgrenzte Stück der Tonscala doppelseitig verloren gegangen ist, da findet sich durchgängig auch das Gehör für die Sprache verloren.

Im Weiteren habe ich damals ausgeführt, wie dieses Ergebniss gut übereinstimmt mit den physiologischen Forschungen über die Eigen- töne der Vocale, da dieselben grösstentheils innerhalb der hier begrenzten Strecke der Tonscala liegen.

Wir dürfen erwarten, und es haben sich mir bereits bei meinen damaligen Untersuchungen einzelne Anhaltspunkte dafür ergeben, dass durch eine consequente in dieser Richtung fortgesetzte Ton- und Sprach- gehör vergleichende Prüfung an einer grossen Zahl von Taubstummen sich allmählich die Stellen der Tonscala finden lassen werden, welche für die Perception jedes einzelnen Vocales und auch Consonanten noth- wendig sind.

Die Auffindung dieser Stellen hat viel mehr als rein theoretisches Interesse. Denn wenn uns dieselben vollkommen bekannt wären, so würde schon auf Grund der Tonprüfung auch die Methode der practischen Hörübungen für jeden Einzelfall genau bestimmt sein; es wäre möglich, dem Lehrer anzugeben, welche einzelne Sprachlaute bei einem bestimmten Zögling vom Ohre aus mehr oder weniger vollkommen pereipirt werden können, und welche anderen ausfallen und mit Hülfe des Articulations- unterrichts eingeübt resp. bei der Aufnahme der Sprache vom Ohre aus durch Combination ergänzt werden müssen.

Um die vielfachen Aufgaben, welche sich mir bei der Durch- arbeitung des Untersuchungsmaterials für mein Buch über ,das Hór- vermögen der Taubstummen“ darboten, nicht noch weiter zu compliciren, habe ich es damals unterlassen, auch auf das Verhältniss genauer ein- zugehen, in welchem die Perceptionsfähigkeit für die einzelnen Con- sonanten zu der in jedem Fall noch vorhandenen Ausdehnung der Hörstrecke stand, wie dies für die Vocale durchgeführt wurde.

Durchgeprüft habe ich auch die Consonanten ebenso wie die Vocale damals bei den sämmtlichen Zöglingen und die Resultate dieser

Prüfung sind daselbst in den Tabellen VII bis XI im Einzelnen mit- getheilt.

Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe. 117

Eine übersichtliche Zusammenstellung auch dieser Resultate bietet nach den obigen Ausführungen genug theoretisches und practisches Interesse, um sie hier nachzuholen.

Es hat sich bei der Prüfung der Taubstummen mittelst der Sprache vom Ohre aus oftmals gezeigt, dass ein Verstündniss für Worte durch- aus nicht zugleich eine distincte Perception auch für die sümmtlichen in dem geprüften Wort enthaltenen Sprachlaute bedeutet. Wenn man diese letzteren hinterher einzeln prüft, so kann eine Reihe derselben ausfallen. Die Erklärung dafür ist, dass ein Theil der hörenden Taub- stummen bereits von selbst gelernt hat, aus den oft nur geringen und vereinzelten Lautresten, welche ihr Ohr aufzufassen im Stande ist, das ganze Wort, wenn sie bereits damit bekannt sind, zu errathen.

Es war daher nothwendig, nicht nur Worte zu prüfen, wofür der Einheitlichkeit halber, die ein- und zweistelligen Zahlworte verwendet wurden, sondern auch jeden einzelnen Vocal und jeden Consonanten isolirt vorzuführen. Die Ergebnisse dieser Prüfung wurden in den oben genannten Tabellen, gesondert in drei Rubriken für Vocale, Consonanten und ganze Worte und Sätze, mitgetheilt.

Aus dieser Zusammenstellung der Einzelprüfungen lassen sich betreffs der Perceptionsfühigkeit für die einzelnen Consonanten folgende Ergebnisse gewinnen:

Die Consonanten P, T und R müssen hier ausser Betracht bleiben, da sie sich, wie damals eingehender besprochen wurde, durch das Ge- fühl am Ohre allein verrathen kónnen und deshalb auch von einer Reihe total Tauber richtig wiederholt werden.

Am Häufigsten fielen die Consonanten M, N, L und K aus.

M und N sind die einzigen Consonanten, über deren ungefähre Lage in der Tonscala sich Helmholtz in seiner „Lehre von den Tonempfindungen“ ausspricht. Die übrigen Consonanten werden von ihm nicht berücksichtigt, „weil sie Geräusche ohne constante Tonhöhe geben, nicht musikalische Klänge“ !), auf die sich sein Werk beschränkt. Nach Helmholtz schliesst sich der brummende Ton, welcher bei der Bildung der Consonanten M, N und Ng erzeugt wird, an das unter den Vocalen am Tiefsten in der Scala liegende U an; dessen Eigenton wird von Helmholtz auf f verlegt, seine Klangfarbe lässt aber nach Helmholtz Schwankungen des Eigentons fast in der Breite einer

1) Die Lehre von den Tonempfindungen, 5. Ausgabe 1896, p. 189.

118 Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe.

Octave!) zu. „Die Nasenhöhle, welche bei der Bildung der genannten Consonanten für den Ausgang des Luftstroms dient, hat im Verhältniss zur Grösse ihrer Höhlung eine noch engere Oeffnung als die Mundhöhle beim Vocale U.*?) Der diesen durch Resonanz der Nasenhöhle ent- stehenden Consonanten zukommende Eigenton muss also noch tiefer als derjenige des Vocals U gesucht werden.

Oskar Wolf?) schliesst sich diesen Bestimmungen von Helm- holtz über die Lage der beiden Consonanten M und N in der Ton- scala an. „Geht der Resonant dem Vocal voran, so entsteht Anfangs ein tiefer brummender Vorschlag oder Ansatz zu einem Vocaltone, und erst mit dem vollständigen Oeffnen der Mundöffnung und entsprechendem, vollständigen Verschlusse der während des Tönens des Resonanten theil- weise offenen Gaumenklappe fängt der Vocalton an, seinen reinen Charakter zu gewinnen.“ . . . „Folgt dagegen der Resonant dem Vocale, so wird ... der Vocalton allmählich dumpfer, tiefer und brummender werden.

Die gleiche Wirkung schreibt Wolf auch dem Consonanten L als vorangehendem oder nachfolgendem Begleiter eines Vocales zu.

Für den Consonanten K nimmt Wolf dl und dl!als untere und obere Tongrenze an, also ebenfalls, wenigstens gegenüber den Zisch- lauten, welche für uns ausser den oben genannten Consonanten vor Allem noch in Betracht kommen, eine verhältnissmässig tiefe Tonlage.

Die Häufigkeit, mit welcher gerade das Ausfallen der vier Con- sonanten M, N, L und K bei den Taubstummen mit erhaltenen Gehör- resten von mir beobachtet wurde, findet ihre den eben mitgetheilten Annahmen entsprechende Erklärung in den Ergebnissen der Prüfung mit der continuirlichen Tonreihe. Denn gerade der untere Theil der Tonscala, wo wir das Tongebiet für diese Consonanten suchen müssen, ist es, welcher anı Häufigsten und in der grössten Ausdehnung bei der Gesammtheit der Taubstummen sich als verloren gegangen erwiesen hat.

Die wenigen Taubstummen, welche neben den übrigen auch diese Consonanten isolirt richtig zu wiederholen im Stande waren, besassen durchgängig eine Hörstrecke für Töne, welche mindestens bis zum E der grossen Octave herabreichte.

1) Ibid.. p. 183. 2) Ibid., p. 189. 3) Sprache d. Ohr. Braunschweig 1871, p. 44, ff.

Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe. 119

Von besonderem Interesse war auch in dieser wie in so vielen anderen Beziehungen der damalige Fall 19 rechts und links. Abgesehen von einer ganz kleinen Strecke (blll—cIV rechts) fehlte hier auf beiden Seiten die Perception für die obere Hälfte der Tonscala und zwar rechts von al, links von gis! an, während der unterhalb dieser Grenze liegende Theil der Scala sehr vollkommen gehört wurde und durch- gängig eine ungewöhnlich lange Hördauer aufwies. Obgleich dieser Taubstumme, besonders links, Zahlen und auch kleine Sätze sehr gut verstand, konnte er ausser der durch das Gefühl sich verrathenden P, T und R von isolirten Consonanten beiderseits nur noch L und N richtig wiederholen. Dem bei keinem anderen Taubstummen beobach- teten doppelseitigen Defect des oberen Theils der Tonscala in der er- wähnten grossen Ausdehnung entsprach also auch ein ausschliessliches Hören der in der Scala tiefliegenden Consonanten L und N, während die höher liegenden Consonanten für sich allein gesprochen nicht per- cipirt wurden.

5 Gehörorgane konnten von isolirten Consonanten nur das K, darunter dreimal zugleich auch das Sch richtig percipiren. Die Hör- strecke reichte hier von der Mitte des Galtonpfeifchens oder darüber als obere Grenze

in Fall 17 r. bis zum fU,

wb dx 0D feo a ds » » Dl , , b und » x A8 Po x HL

Der Fall 17 rechts beweist, dass eine Perception für den Con- sonanten K vorhanden sein kann, trotz dem Ausfall des ganzen unteren Theils der Tonscala bis mindestens zum e!!, und seine Lage in der Scala also oberhalb dieses Tones zu suchen ist Oskar Wolf hat als Tonhóhegrenzen für den K-Laut dl bis d!! angegeben.

Bei 4 Gehórorganen beschrünkte sich die Perception von isolirten Consonanten auf das F und zwar

bei 21 r. mit einer Tonstrecke von fis! Galton 4,92,

x eO E. x ; , fis! Galton 3,6,

=. Eier a : » F-—gl' und Galton 9,0—6,8 und ,211Ll , , : , Gisı— Galton 4,4.

Wenn wir von der kleinen Insel im Galton bei Fall 1 1l. absehen, so muss auf Grund dieser Hörstrecken die Tonhöhe des Consonanten F

120 Fr. Bezold: Die Stellung der Consonanten in der Tonreihe.

zwischen fis! und g!V gesucht werden. Oskar Wolf findet als Ton- - hóhegrenzen für diesen Consonanten al und alll,

Von Zischlauten wurden nur S und Sch geprüft; Z durfte, da es sich lautlich aus T und S zusammensetzt, unberücksichtigt bleiben.

5 Gehörorgane konnten von isolirten Consonanten (ausser P, T und R) nur das S, zweimal zugleich auch das Sch percipiren. In diesen sämmt- lichen Fällen ragte die für Töne vorhandene Hörstrecke hoch in das Galtonpfeifchen hinauf, bis zum Theilstrich 3,5—2,5. Als untere Ton- grenze fanden sich e! (Fall 29 1), h (Fall 2 r), E (Fall 43 r.), Cis; und Bg (Fall 51 r. u. 1.).

Nach den Taubstummenuntersuchungen ist also der Tongrenzbereich für den Consonanten S zwischen e! und Galton 3,5 zu suchen. Oskar Wolf fand die Tonhóhe für denselben c!V—cV. Die Hördauer für den Ton c!Y betrug in den angeführten 5 Fällen zweimal 0,4 und je einmal 0,6, 0,8 und 0,9, war also durchgängig eine beträchtliche.

Am Häufigsten bestand neben Taubheit für die anderen Consonanten noch ein richtiges Perceptionsvermögen für den Zischlaut Sch, nämlich in 12 Gehörorganen. Neben diesem Consonanten wurde dreimal noch K, zweimal S und einmal F gehört.

Das Hörvermögen für die Tonscala nach aufwärts erstreckte sich in einem dieser Fülle nur bis eV, nach abwärts in einem Falle nur bis cis; Darnach ist die Perception für den Consonanten Sch zwischen cis! und eV zu suchen. Oskar Wolf findet im Sch den Dreiklang alll, gIV und fisIV, | In allen übrigen Fällen, welche mehr Consonanten als die oben aufgeführten zu percipiren im Stande waren, fand sich eine grössere continuirliche Hórstrecke für die Tonreihe, zum Mindesten von fis! bis in die Mitte des Galtonpfeifchens.

Nur in 6 Fällen konnten die sämmtlichen Consonanten isolirt richtig nachgesprochen werden. Die Hörstrecke für diese letzteren ‘Fälle reichte mindestens von E bis in die Mitte des Galtonpfeifchens.

Wenn wir die Ergebnisse im Ganzen überschauen, welche uns die obige Vergleichung zwischen Perception der einzelnen Consonanten und Umfang der Hörstrecke innerhalb der Tonreihe für den Einzelfall ge- liefert hat, so stehen dieselben in ebenso befriedigendem Einklang mit den bisher geltenden Annahmen über die Lage der Consonanten in der Tonscala, wie wir dies be- reits in der ersten Arbeit für die Vocale gefunden haben,

E. Bloch: Die Erkennung der Trommelfellperforation. 191

wenn auch die relativ geringe Zahl der zur Untersuchung gelangten Taubstummen uns noch nicht erlaubt, die Grenzen für die Lage eines jeden einzelnen Lautes in der Tonscala so einzuengen, als dies vielleicht später grössere nach dem gleichen Princip vorgenommene Untersuchungs- reihen gestatten werden.

Zu analogen Ergebnissen haben ja auch die Hörprüfungen bei Schwerhörigen geführt, indem neben Defecten im unteren Theil der Tonscala, wie sie bei den chronischen Affectionen des Schallleitungs- apparats charakteristisch sind, das Verständniss am Mangelhaftesten für Worte mit in der Scala tief liegenden Lauten gefunden wird, während bei Erkrankungen des nervösen Apparats mit ihren häufiger den oberen Theil der Scala betreffenden Defecten vorwiegend das Verständniss für die Worte mit S-Lauten beeinträchtigt ist.

VIII.

Die Erkennung der Trommelfellperforation. Von E. Bloch in Freiburg i. B.

Die Erkennung einer Trommelfellperforation gehórt im Allgemeinen zu den leichten Aufgaben der otologischen Diagnostik. Wenn das unter- suchende Auge in der Tiefe des Gehórganges eine Strecke der normalen gelblich-weissen, feuchtschimmernden Paukenschleimhaut erblickt, oder diese Schleimhaut geróthet, granulirend, mit Eiter bedeckt, so kann dies selbstvenstándlich nur geschehen, weil ein Defect in der Membrana tympani besteht. Und wenn andererseits hinter einer scharfumrandeten Lücke der Oberflüchenebene des Trommelfells das Promontorium mit grauweisser, mattglünzender, trockener Epidermis bekleidet hervorschaut, so denken wir in erster Reihe nicht an eine Perforation, sondern an eine Narbe, an eine eingesunkene, eine Hohlnarbe. Selbst ganz winzige Perforationen werden bekanntlich bei der monocularen Besichtigung noch leicht diagnosticirt, wenn sie von einem Flüssigkeits- z. B. einem Eitertröpfehen ausgefüllt sind, auf dessen dem Untersucher zugekehrter Kuppe ein kleiner Lichtreflex in einer mit dem Pulse isochronen Be- wegung spielt.

Daneben giebt es aber auch Fälle, in welchen diese Untersuchungs- art nicht so leicht und sicher zum Ziele führt Kleine Auflagerungen auf dem Trommelfelle, ein dunkles Cerumenklümpcehen, ein Fremdkörper, eine Blutkruste, eine kleine Sugillation im Trommelfellgewebe, selbst

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 9

122 E. Bloch: Die Erkennung der Trommelfellperforation.

Narben können ein Bild erzeugen, welches bei der Betrachtung mit einem Auge demjenigen einer Perforation täuschend ähnlich sieht. Trauma- tische Rupturen des Trommelfelles, die durch indirecte Gewalteinwir- kungen entstanden sind plötzliche und starke Luftdruckänderungen, Schlag oder Sturz auf den Kopf oder das Ohr Rupturen, welche, wie wir wissen, ohne Eiterung heilen, wenn sie sich selbst überlassen bleiben, können in einem Stadium in unsere Beobachtung gelangen, in welchem wir ausser Stande sind nach der blossen Besichtigung auszu- sagen. ob noch eine Perforation zugegen, oder ob die Vernarbung schon vollendet ist. |

In solchen zweifelhaften Füllen nehmen wir dann weitere Mittel der Untersuchung zu Hilfe, wenn wir die Frage nach der Anwesenheit einer Perforation zu beantworten haben.

Manchmal ist es möglich und gestattet, mit der Sonde Aufklärung zu gewinnen. Eine kleine Auflagerung kann mittelst derselben zur Seite geschoben werden, und wir können uns von dem unversehrten Zustande des Trommelfells überzeugen. Aber gerade in jenen Fällen, in welchen wir mit Wahrscheinlichkeit die Gegenwart einer Perforation erwarten, besonders bei den erwähnten traumatischen Einwirkuugen, ist es nicht räthlich zur Sonde zu greifen. Denn wenn noch eine Lücke besteht, so könnten leicht auf der Spitze der Sonde Infectionskeime in die Wunde hineingetragen werden unter Störung des normalen Heilungsverlaufes. Auch zur Untersuchung einer Hohlnarbe eignet sich das Instrument nicht, weil wir mit ihm nicht genau genug die hinter den Oberflüchen- rand zurücktretenden Seitenwünde der Narbenhóhle abzutasten vermógen.

Die Sonde lässt uns also gerade in jenen Fällen im Stiche, in welchen auch die optische Untersuchung am wenigsten zuverlässig ist. Dazu kommt als weiterer Nachtheil, dass ihre Berührung für das Tromimelfell der meisten Menschen unangenehm, sogar schmerzhaft ist.

Wenn uns weder das Auge noch der Tastsinn die gewünschte Auskunft liefern, so fragen wir unser Gehör: wir leiten einen Luftstrom gegen das Trommelfell und horchen nach dem hierbei entstehenden Geräusche. Die Luft kann von der Gehörgangs- oder von der Pauken- seite gegen dasselbe gepresst werden; betreten wir zunächst den erst- genannten Weg.

Wir setzen durch ein beliebiges Zwischenstück einen Gummiballon mit dem Gehörgange in luftdichte Verbindung. Drücken wir nun auf den Ballon, so entsteht bei intactem Trommelfell keinerlei Geräusch am Ohre. Befindet sich dagegen ein Loch in der Membran, so gelangt

E. Bloch: Die Erkennung der Trommelfellperforation. 123

der Luftstrom in die Paukenhöhle hinein und weiter durch die Tuba in den Rachen. Und während die Luft durch die Rachenmündung der Ohrtrompete austritt, entsteht ein leise schmetierndes Geräusch, welches der Untersucher wahrnimmt, wenn er sein Ohr der Nase des Kranken nähert oder durch den Hörschlauch mit ihr verbindet. Das Auftreten dieses Geräusches ist ein sicherer Beweis für das Vorhandensein einer Trommelfellperforation in den Fällen, welche wir hier im Auge haben.

Aber das Ausbleiben desselben schliesst eine solche nicht mit Sicherheit aus. Nicht in allen Fällen dringt der Luftstrom durch die Tuba hindurch bis zum Rachen vor. Die weite Bucht der tympanalen Tubenmündung ist zwar in den bezüglichen Fällen nicht verlegt, aber das Lumen des Tubencanales selbst kann verstopft sein, undurchgängig für den mässigen Luftdruck, welchen wir hier ausüben dürfen. Denn unter einem allzu hohen Drucke könnte eine junge nachgiebige Narbe oder eine atrophische Stelle einreisseu.

Führt uns dieses Verfahren nicht zum Ziele, so schreiten wir zu dem weniger bequemen uud angenehmen des Katheterismus. Wenn es gelingt, was ja die Regel ist, so beantwortet das scharfe, zischende Perforationsgeräusch, welches gerade den kleinen Durchlöcherungen des Trommelfells eigen ist, unsere Frage in bejahendem Sinne, und aus einem einfachen Einströmungsgeräusche schliessen wir auf das Fehlen eines Defectes. Die Methode ist wohl die sicherste von allen gebräuchlichen, bleibt aber darum in vielen Fällen nicht minder unangenehm für den Untersuchten. Gerade die erste Anlegung des Ohrkatheters ist selbst unter der geübtesten Hand mitunter recht lästig und selbst schmerzhaft, und zwecks einer einfachen Untersuchung dem Kranken Schmerzen zu bereiten, ist immer misslich. Auch mag an die freilich seltenen Fälle erinnert werden, in welchen die erfolgreiche Anwendung des Katheters eben nicht gelingt.

Die Ersatzverfahren des Katheterismus sind zwar nicht belästigend, bieten aber auch nicht die diagnostische Sicherheit der klassischen Methode der Lufteintreibung. |

Wie ersichtlich, lässt also die Erkennung kleiner und unsicherer Trommelfellperforationen mitunter zu wünschen übrig. Bei dieser Sach- lage glaube ich mir den Dank eher der ärztlichen Praktiker, als meiner Specialcollegen zu erwerben, wenn ich auf eine einfache und bequeme Methode der Erkennung zweifelhafter Perforationen der Membrana tym- pani aufmerksam mache, zu welcher wir nur eines Siegle’schen Trichters bedürfen.

9*

124 E. Bloch: Die Erkennung der Trommelfellperforation.

Dieser kleine Apparat wird ja gewöhnlich als Mittel zur Beob- achtung der Beweglichkeit des Trommelfells und seiner einzelnen Theile gebraucht. Legen wir den Siegle’schen Trichter an und verdünnen die Luft im Gehörgange, so bleibt bei dem Vorhandensein einer Perforation jede Bewegung am Trommelfell aus. Von den Perforationen der Membrana flaccida können wir aus naheliegenden Gründen hier absehen; sie verhalten sich aber cum grano salis analog den übrigen.

Warum eine Bewegung nicht entstehen kann, ist leicht zu erklären. Bei intactem Trommelfelle vermindern wir durch die Luftverdünnung im Siegle’schen Trichter den Luftdruck im Gehórgange. Der Druck der Paukenluft wird also relativ höher, darum das Trommelfell nach aussen gedrängt. Das Verhältniss zwischen dem Gehörgangs- und dem Paukenluftdruck wird ein anderes.

Besteht dagegen eine Perforation, d. h. eine Communication der äusseren niit der Luft im Mittelohre, so muss bei der Verdünnung der Luft im Gehórgang gleichzeitig eine Aspiration von Paukenhóhlenluft durch die Oeffnung im Trommelfell hindurch stattfinden, die letztere wird gleichzeitig und gleicherweise mit verdünnt. Eine Aenderung des Verháltnisses des Luftdruckes zu beiden Seiten des Trommelfells tritt nicht ein. Und somit entfällt auch der Anlass zu einer Lageänderung des lctzteren während der Aspiration im Siegle.

Man kann sich von der Richtigkeit des hier Vorgetragenen an zwei einfachen Modellen überzeugen, die man aus gewöhnlichen Pappe- röhrchen, wie sie die Cigarrenläden verschenken, herstellt. Mit einem aufgeklebten Stückchen von einem und deniselben Bogen dünnen Seiden- papieres wird das trichterförmige Ende jedes der beiden Röhrchen lose, aber luftdicht verschlossen. In die eine der beiden Verschlussmembranen wird ein kleines Loch hineingebrannt. Verbindet man nun, um bei beiden Modellen stets die gleiche Druckstärke zu erhalten, das Röhrchen mit dem intacten Verschlusse mit dem Raréfacteur oder dem Masseur von Delstanche, so bewegt sich das Papierhäutchen ähnlich einem beweglichen Trommelfelle. Setzt man sodann den Apparat auf das zweite Röhrchen, mit der perforirteu Membran, so tritt bei gleich starker Aenderung des Luftdruckes absolut keine Bewegung ein.

Das Verfahren vereinigt in so hohem Maasse die Vorzüge des ,cito, tuto et jucunde,^ dass es auffüllig erscheint, dasselbe nirgends in der Litteratur erwähnt zu finden.

Daniel Kaufmann: Ein Fall von Erkrankung des Acusticus etc. 195

IX.

Ueber einen Fall von gleichseitiger, acut auf- getretener Erkrankung des Acusticus, Facialis und Trigeminus.

Von Dr. Daniel Kaufmann, Assistent an der Ohrenklinik des Professor Politzer in Wien. Vorgetragen in der Sitzung der ósterreichischen otologischen Gesellschaft am 24. November 1896.

Primäre, nicht durch äussere Einflüsse (Traumen, Erschütterung u. dgl.), oder nicht durch organische Leiden, oder durch Affectionen des Mittelohres hervorgerufene Erkrankungen des Hörnervenapparates sind nicht häufig beobachtet. In der Mehrzahl der Fälle betrifft eine solche Affection beide Gehörorgane, sehr selten kommt man in die Lage, einseitige, plótzlich entstandene Erkrankungen des schallperci- pirenden Apparates mit Mitbetheiligung anderer Hirnnerven zu unter- suchen.

Gemeinsam mit Herrn Docenten Dr. H. Lorenz hatte ich im Sommer dieses Jahres Gelegenheit, einen solchen Fall zu behandeln und ich erlaube mir nun in Kürze darüber zu referiren.

Ein circa 34jühriger, stets gesund gewesener Mann, der niemals ohrenleidend war und immer gut gehórt hat, erkrankte ohne bekannte Ursache am 20. Juli d. J. unter Allgemeinerscheinungen: | Unwohlfühlen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, zeitweise Kopfschmerz, abendlichen Tem- peratursteigerungen bis 38,4.

Am 25. Juli trat unter Gefühl schmerzhafter Spannung in der linken Gesichtshälfte eine Röthung der Haut der linken Wange auf mit kleinen Bläschen. Herr Professor Drasche stellte die Diagnose auf Herpes zoster. An demselben Nachmittage hatte der Patient inten- siven Kopfschmerz, grosse Schwüche, Schwindel mit nachfolgendem wieder- holtem Erbrechen und musste sich zu Bett legen. In den nächsten Tagen litt der Kranke an heftigem wiederholt auftretendem Erbrechen und starkem Schwindel, dabei bestand heftiger Kopfschmerz bei geringer Temperatursteigerung, ohne dass in den inneren Organen irgend eine Erkrankung nachweisbar gewesen wäre. Am 29. Juli trat plötzlich linksseitige Gesichtslähmung und Ohrensausen mit totaler Taubheit des linken Ohres auf. Die Krankheitserscheinungen liessen dann etwas nach, das Fieber ging zurück, die Röthung und Schmerzhaftigkeit der linken Wange schwand, der Patient litt aber noch an zeitweisem Kopf- schmerz, vollständiger Appetitlosigkeit, grosser Schwäche, unruhigem

t ara r

us mir. dm

126 Daniel Kaufmann: Ueber einen Fall von gleichseitiger, acut

Schlaf, Schwindel und Ohrensausen und musste deswegen noch das Bett hüten.

Herr Dr. Lorenz, der nun zu dem Kranken gerufen wurde, con- statirte, dass die inneren Organe vollkommen normal sind, dass keine Erscheinungen seitens des Gehirns und Nervensystems vorhanden : seien als complete linksseitige Facialislähmung in allen Aesten (Stirn-, Augen-, Mundast), mit Geschmackslähmung in der linken Zungenhálfte (die Uvula war nicht gelähmt) und Taubheit. Als ich den Kranken am 10. August zum ersten Male sah, bestand noch complete Facialis- lähmung (Thränenträufeln in Folge des Lagophthalmus). Der Ohrbefund war folgender: R.: Ohr vollkommen normal, L.: Gehörgang normal. Trommelfell in der Cutisschichte etwas aufgequollen (in Folge wieder- holter Cocaineinträufelungen wegen Ohrensausen), von normaler Wölbung, Nasenrachenraum, Tuba, Warzenfortsatz normal. Patient hört nur mit dem rechten Ohre, was sich daraus ergiebt, dass Flüstersprache L. nur ad concham, Jaute Sprache kaum auf t/m verstanden wird, wobei es aber gleichgiltig war. ob der linke Gehörgang bei der Hörprüfung mit dem Finger fest verstopft oder offen gelassen wird. Die auf den Scheitel aufgesetzte Stimmgabel wird nur noch r. gehört, bei leisem Anschlage wird per Luftleitung 1l. gar keine Stimmgabel gehört, die Knochenleitung ist hochgradig verkürzt. (Hören auf dem andern Ohre?)

Pat. zeigt starken Schwindel, besonders bei Stehen mit geschlossenen Augen, kann nicht in einer Linie gehen, nicht auf einem Bein stehen.

Es wurde dem Patienten noch strenge Ruhe angeordnet und intern 1,0 Jodnatrium ‚pro die verabreicht, Electrieität vorläufig nicht angewendet.

Am 17. August war das Allgemeinbefinden besser, kein Erbrechen, der Kranke spürt noch hochgradige Mattigkeit, hat Schlafsucht. Die Lähmung des Facialis gebessert, die linke Stirnhälfte kann bereits ge- runzelt, das Auge nahezu geschlossen werden, keine Geschmacksláhmung ; die Lähmung der unteren Facialisäste unverändert. Das linke Trommel- fell zeigt sich jetzt als ganz normal, Pat. hört einzelne Worte in Flüstersprache auf eine Distanz von !/,m, in lauter Sprache auf 2 bis 3m.

Der Kranke nimmt Jodnatrium fort und erhält gleichzeitig Pilo- carpininjectionen, beginnend mit 0,005; auch werden Hörübungen an- gerathen.

Am 20. August besteht noch Mattigkeit und Schlafsucht, keine Klage über Schwindel, nur fast continuirliches Sausen und Klingen im linken Ohre. Der Mundast der Facialis wird schon besser innervirt, Hörweite für einzelne Worte in lauter Sprache bis 3m, Weber con- stant r. Hochgradige Verkürzung der Perceptionsdauer bei Luft- und Knochenleitung besonders für hohe Töne.

Bis zum 4. September erhielt Pat. 10 Pilocarpininjectionen subcutan, jedesmal trat starke Speichel- und Schweisssecretion auf, zeitweise ge- ringe Uebelkeit im Magen und Blasenbeschwerden, welche nach !/, Stunde

P= rm m lien

aufgetretener Erkrankung des Acusticus, Facialis und Trigeminus. 197

schwanden. Dabei nahm der Kranke gleichzeitig Jodnatrium fort (circa 1,0 pro die), die Hörübungen wurden stets ausgeführt. Die Allgemein- erscheinungen hatten sich stetig gebessert, der Kranke konnte schon wenn auch mit grosser Anstrengung und leichter Ermüdung 1—2 Stunden im Bureau arbeiten, die Facialisláhmung war schon am 27. Àugust vollkommen geheilt, aber es bestand noch grosse Schwüche, geringer Appetit, der Schwindel trat noch zeitweise auf, der Gang war noch nicht vollkommen normal; es bestand continuirliches Ohrensausen und das Hórvermógen blieb für Flüstersprache auf !/,m, für laute Sprache auf 2—3 m (für einzelne oft geprüfte Worte und Zahlen manchmal weiter; Distanz stehen.

Es wurde nun dem Patienten angerathen, zur Kräftigung und Er- holung nach dem Süden zu gehen und da das Hörvermögen in den letzten Wochen gleichgeblieben war die Pilocarpininjectionen aus- gesetzt. Nach seiner Rückkehr sah ich den Kranken am 5. November wieder. Der Mann hat sich sehr gut erholt, hat keine weiteren Be- schwerden als continuirliches Sausen auf dem linken Ohre und Gefühl der Taubheit linkerseits. Die Hördistanz für laute Sprache beträgt ungefähr 2m, Weber wird rechts (gutes Ohr) lateralisirt, Rinne ist für Stimmgabeln von mittlerer Tonhóhe positiv, mit hochgradiger Ver- kürzung der Perceptionsdauer, c, wird bei leisem Anschlage links gar nicht, ce nur kurze Zeit gehört. Kein Schwindel, auch nicht bei Gehen

mit geschlossenen Augen.

Ueber die Natur des bei unserem Patienten bestehenden Krank- heitsprocesses lässt sich nichts bestimmtes aussprechen.

Wegen der gleichzeitig bestehenden Affection des zweiten Astes des Trigeminus (Herpes), des Facialis oberhalb des Abgangs der Chorda und der mit Schwindelerscheinungen einhergehenden Taubheit muss wohl der Sitz der Erkrankung ausserhalb des Schläfenbeins, wahr- scheinlich in den Nervenstäinmen an der Basis cranii linkerseits ange- nommen werden.

Gegen die Diagnose Tumor (sei es vom Knochen, von den Meningen oder von der Hirnsubstanz ausgehend), oder Aneurysma, oder Blutung spricht das acute, fieberhafte Einsetzen der Erkrankung, das Fehlen von Hirndruckerscheinungen (normaler Augenspiegelbefund !), das normale Verhalten aller anderen Hirnnerven, das Zurückgehen aller Erscheinungen. Hysterie ist wohl leicht auszuschliessen, Lues besteht bei dem Kranken bestimmt nicht. Eine Meningitis (cerebrospinalis epidemica oder chronica) kann wohl auch nicht vorhanden gewesen sein, da niemals Bewusstlosigkeit bestand, die Erscheinungen nur eine Seite betrafen und zurückgingen.

128 Daniel Kaufmann: Ueber einen Fall von gleichseitiger, acut

Man könnte also zunächst an die in der Litteratur beschriebenen Fälle von rheumatischer Taubheit denken (Bing). Frankl sah unter 120 entschieden rheumatischen Lähmungen des Facialis 4 mal gleich- zeitig Taubheit, in 2 Fällen soll anfangs complete Taubheit bestanden haben; »als ich untersuchte, war in allen Fällen bedeutende Herab- setzung des Hörvermögens vorhanden« Frankl-Hochwart (Der Méniére'sche Symptomencomplex etc. S. 107).

Bei dem zweifellosen Zusammenhange von »Rheumatismus« und Neuritis liegt es vielleicht nahe, die Erkrankung unseres Patienten als eine Neuritis aufzufassen, welche den zweiten Ast des Trigeminus, den Facialis und Acusticus betroffen hat. Herr Docent Dr. Lorenz sprach sich dahin aus und ich schliesse mich dieser Ansicht an. Es ist wohl richtig, dass eine Neuritis die Sinnesnerven sehr selten betrifft. In Bernhard's Monographie »Die Erkrankungen der peripherischen Nerven« (in Nothnagel's Handbuch) ist kein solcher Fall beschrieben. Remak (Artikel Neuritis in Eulenburg's Realencyclopádie, XIV, 1888) erwühnt nur die Betheiligung des Abducens, Facialis, Hypoglossus, des sensiblen lrigeminus, Vagus und Opticus.

In unserem Falle spricht für Neuritis die der Erkrankung voran- gegangenen Erscheinungen, der fieberhafte Beginn, das Auftreten von Herpes zoster, der rasche Verlauf, das Zurückgehen der meisten Er- scheinungen. Dass gerade leider die Function des Ohres nicht voll- stándig wiederhergestellt wurde, mag in der schon von Politzer her- vorgehobenen Thatsache begründet sein, dass »im Grossen und Ganzen die Rückkehr zur Norm eine seltene ist. Es bewcist dies zur Genüge die geringe Widerstandsfähigkeit des Hörnerven, insbesondere seiner Endorgane im Labyrinth, gegen die Einwirkung der gesetzten Krank- heitsproducte. Hyperämieen im Labyrinth, die seröse Durchfeuchtung der Gebilde desselben, capilläre Ecchymosen, wahrscheinlich auch die kleinzellige Infiltration, dürften, ohne eine Hörstörung zu hinterlassen, gänzlich zurückgehen. Hingegen kann nach der klinischen Beobachtung als wahrscheinlich angenommen werden, dass tiefgreifende Veränderungen wie eitrige Entzündungen, stärkere Blutergüsse, reichliche Coccenmvasion die regressiven Veränderungen u. s. w. zu einer mehr oder weniger raschen, mit Vernichtung der Hörfunction verbundenen, nicht rückbildungs- fähigen Desorganisation des Acusticus führen.» (Politzer, Lehrbuch der Ohrenheilkunde, 3. Auflage, S. 523).

Dass aber gerade die Schwindelerscheinungen vollkommen schwinden, ist eine hinlänglich bekannte Thatsache.

dede c9

aufgetretener Erkrankung des Acusticus, Facialis und Trigeminus. 129

Aehnliche Erkrankungen sind in der Litteratur nur wenige ver- zeichnet. Sehr interessant sind die von J. Hofmann in seiner Arbeit »Zur Lehre von der peripherischen Facialisläihmung« (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., V. Band, 1894) erwähnten analogen Fälle.

Fall II.

Ein 31 jähriger Landwirth brachte eines Tages, nachdem er stark geschwitzt, Bierfässer in einen sehr kalten Keller. Auf diese Erkältung folgte ohne fieberhafte Allgemeinerscheinungen zwei Tage lang Kopf- schmerz, dann gleichzeitig bilaterale totale Facialislähmung mit Be- theiligung des Geschmacksinnes auf der vorderen Zungenparthie und Sensibilitätsstörung in beiden Gesichtshälften. Drei Wochen nach dem Eintritte dieser Erscheinungen wird der Kranke von einer starken Ueberempfindlichkeit des beiderseitigen Gehörapparates und gleichzeitig damit von einer Sehstörung befallen, welche von einer Neuritis nerv. optici ocul. utriusque herrührte. Dann wurden die Störungen rückgängig und schwanden zum Theil vollständig.

Hoffmann nimmt für diesen Fall (nach Ausschluss der Diagnose Syphilis, Tumor, Blutung, Meningitis, traumatischer Läsion, doppelseitiger Otitis, functioneller Störung, Diphtherie, Alcoholismus). als ätiologisches Moment die Kälteeinwirkung an und und stellt die Diagnose auf Neuritis multiplex. »Da als Ursache der Sehstórung im Augengrund Hyperümie : und Trübung, also Zeichen von Entzündung direct gesehen wurden, so wird der Schluss nicht zu gewagt erscheinen, dass in dem N. facialis ein gleichartiger entzündlicher Process sich abspielte wie im N. opticus. i qM Weitere Schlussfolgerungen zu ziehen, würde übereilt sein. Wie die Kälte oder die Erkältung die Lähmungen u. s. w. bewirkt, wissen wir nicht. In obigem Falle wird man ohne die Annahme einer Blutveränderung, z. B. infectiöser Natur, nicht gut auskommen, da 3 Wochen zwischen der Entstehung der Facialis- und Opticusaffection lagen, für welche eine gleichartige Ursache ziemlich sicher ist.«

Die grósste Aehnlichkeit mit der Erkrankung unseres Patienten zeigt der von Hoffmann erwähnte Fall VHI.

25 jähriger Kaufmann, aus ganz gesunder Familie. war selbst nie krank, Lues, Potatorium in Abrede gestellt, nie Ohrenleiden, hörte stets gut.

9. Juli 1832: Erkältung (er wusch sich, mit Schweiss bedeckt, das Gesicht in kaltem Wasser).

13. Juli Parästhesien und Schmerzen in der rechten Nacken- und Halsseite.

14. Juli Bläschenausschlag im Bereiche dieser Region und »Schwellung« der rechten Gesichtshälfte mit Schmerzhaftigkeit.

130 Daniel Kaufmann: Ueber einen Fall von gleichseitiger, acut

Am 22. Juli bemerkte er, dass die rechte Gesichtshälfte gelähmt war, nachdem er schon vom 15. Juli ab Ohrensausen und Schwer- hörigkeit auf dem rechten Ohre empfunden hatte. Zu der gleichen Zeit Geschmacksstörung rechterseits und weniger zähen Speichel. Die Anschwellung des Gesichtes war wieder geschwunden. Im Beginn etwas Schwindel bei raschen Bewegungen des Kopfes.

Ausser einem allgemeinen Krankheitsgefühl fehlten krankhafte Symptome seitens der Gehirnnerven, der Gliedmaassen u. s. w.

Aus dem genauer beschriebenen Status praesens vom 30. Juli und dem weiteren Verlauf will ich hier nur folgendes hervorheben.

Kräftiger, gesund aussehender Mensch. Die inneren Organe und Harn normal. Fast vollständige Lähmung aller Aeste der rechten Facialis mit geringer Herabsetzung der indirecten Erregbarkeit, . . .. Es fehlt die Geschmacksempfindung der vorderen ?/, der rechten Zungen- hälfte; galvanische Geschmacksempfindung in dem gleichen Bezirk er- loschen.

Das Gaumensegel hebt sich beiderseits gleich gut. Gaumenreflex leicht auszulösen.

Die Taschenuhr wird auf dem rechten Ohre nur beim Anlegen an das Ohr gehört, links bei dem gewöhnlichen Abstand vom Ohr. Aus- gesprochene einfache galvanische Hyperästhesie des Hörapparates, während " links eine Reaction mit starkem Strom überhaupt nicht erzeugt wird; paradoxe Reaction für das rechte Ohr.

Herpes zoster mit dicht stehenden Blüschengruppen im Gebiet der oberen vier Halsnerven, des Plexus cervicalis superior dexter (Nn. occi- pitalis major et minor, auricularis magnus cutaneus colli medius et inferior, supraclaviculares), in gleicher Ausdehnung die Cervicooccipital- neuralgie.

Keinerlei Sensibilitütsstórungen im Gesicht. Pupillen, Augenmuskeln Sehapparat u. s. w. in Ordnung. Ueberhaupt sonst keine Krankheits- erscheinungen.

1. August. Nach Angabe des Kranken hat sich die Beweglichkeit an der linken Stirn und im mittleren Gesicht seit vorgestern nach der electrischen Sitzung gebessert ; ebenso die Hörfähigkeit.

Der objective Befund weicht nur in insofern vom 30. Juli ab, als die Taschenuhr jetzt rechts bei 4—5 cm Entfernung vom Ohr gehört wird. Die Untersuchung mit dem Ohrenspiegel ergiebt keine krank- haften Veränderungen.

Therapie: Galvanisation, lauwarme Bäder; Natron salicylicum und Morphium 0,005 —0,01 Abends gegen die Neuralgie.

4. August. Taschenuhr auf 11 cm Entfernung gehórt; Ohrensausen, Schmerzen im Plexus cervicalis sup. Nachts.

aufgetretener Erkrankung des Acusticus, Facialis und Trigeminus. 131

6. August. Schmeckt jetzt wieder auf der rechten vorderen Zungen- hälfte. Willkürliche Bewegungen kehren in der gelähmten Gesichts- hälfte wieder.

12. August. Die Neuralgien nehmen ab; die Herpeseruption heilt ab. Geschmack für alle vier Qualitäten wiedergekehrt.

20. August. Die Gesichtslähmung fast beseitigt. Die Cervico- occipitalneuralgie und der Hautausschlag verschwinden. Empfindung für sämmtliche Geschmacksqualitäten gut auf der rechten Zungenspitze. Das electrische Verhalten im rechten Facialisgebiet wieder normal. Hief und da noch stechender Schmerz im rechten Ohre, Ohrensausen, galvanische Hyperüsthesie des Acusticus; er hórt die Taschenuhr auf 12 cm Entfernung.

Hoffmann ist »geneigt, die (bei diesem Patienten constatirte) Gehórstórung auf einen leichten Mittelohrkatarrh und nicht auf eine Erkrankung des Gehórnerven zurückzuführen, wenn auch die Combination von Mittelohrkatarrh und rheumatischer Facialisláhmung nach den An- gaben von Bernhardt entgegen den Behauptungen eines franzósischen Autors entschieden zu den Seltenheiten gehórt.«

»Sensible Krankheitserscheinungen sind bei der rheumatischen peripherischen Facialisláhmung schon seit langem bekannt. Dr. Weber (cit. bei Charcot) giebt an, dass in der Hälfte der Fälle Schmerzen in der Ohrschlüfengegend, in der ganzen Gesichtshälfte oder in dem Hinterhaupte der Facialislähmung vorausgingen, wenn sie dieselbe auch nur wenige Tage überdauerten. Andere Autoren wie Möbius, Testaz, Bernhardt, v. Frankl-Hochwart, haben die Häufigkeit des Vor- kommens in den letzten Jahren wieder bestätigt und die von mir bis dahin mitgetheilten Beobachtungen sprechen in gleichem Sinne. Auch dass objectiv nachweisbare Sensibilitütsstórungen kurze Zeit (selten länger y. Frankl-Hochwart) dauern, wofür Fall II ein gutes Beispiel liefert, ist bekannt.«

»Manche Autoren sind geneigt, diese Sensibilitätsstörungen und auch die zuweilen vorkommenden Herpeseruptionen im Gesicht nur auf die Erkrankung des Facialis zurückzuführen), welcher bei einer An- zahl von Menschen sensible und vasomotorische Fasern führen soll.

1 Anmerkung. ,Zuweilen tritt, wie ich in einigen Fällen beobachtete, gleichzeitig mit der Eruption des Herpes zoster auricularis eine Paralyse des Facialnerven der betreffenden Seite ein, welche erst mehrere Wochen nach erfolgter Heilung zurückgeht.“ (Politzer, Lehrbuch der Ohrenheilkunde, 9. Auflage, S. 167).

m TU gu na 1 E E SS Te

A j C]

- m

DEL VET.

» é.

LN | VR EE su o3 3

e À o noe e «è

132 Daniel Kaufmann: Ein Fall von Erkrankung des Acusticus etc.

Dass neben dem Facialis auch der Trigeminus erkranke durch Ein- wirkung der gleichen Ursache, findet Dr. Frankl-Hochwart nicht sehr plausibel, da die sensiblen Symptome nur sehr geringfügig und flüchtiger Natur seien. Gerade die Thatsache, dass die sensiblen Er- scheinungen gewöhnlich flüchtiger Natur sind, sogar bei schwerer Facialislähmung mit langer Fortdauer der Geschmacksinnstörung scheint mir aber eher ein Beweis dafür zu sein, dass ausser oder neben dem Facialis der Trigeminus selbst erkrankt. Wer wegen der kurzen Dauer der Sensibilitätsstörungen und der Schmerzen annehmen will, dass der Quintus nur in seinen Endverzweigungen erkrankt, mag dies thun. Bestimmtes wissen wir darüber nicht.« (Hoffmann l. c.)

Bei den anderen, aus der Litteratur bekannten Füllen von acut entstandener einseitiger Taubheit mit Facialislàhmung (ohne Trauma) sind Erscheinungen seitens des Trigeminus nicht beschrieben. So be- richtet Dr. Toby Cohn in No. 21 des neurologischen Centralblattes 1896 aus der Poliklinik des Prof Mendel in Berlin einen Fall von acut entstandener linksseitiger Gesichtslähmung und linksseitiger Taub- heit und bemerkt: »Soviel mir bekannt geworden und Herr Dr. Baginsky bestätigte mir das ist ein derartiger Fall ganz plötzlich und nicht traumatisch entstandener halbseitiger Nerventaubheit mit Facialislähmung in der Litteratur nicht beschrieben.«

In der Monographie von Frankl-Hochwart (Der Méniére- sche Symptomencomplex 1895, S. 14--15) sind aber drei ähnliche Krankengeschichten veröffentlicht. Der eine Fall betrifft einen 53 jähr. Officier mit Lues, bei welchem nach vorausgegangenem Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerz und Brechreiz eines Morgens plötzlich ein Anfall von grossem Uebelbefinden, Brechreiz und Ohrensausen bei freiem Bewusstsein auftrat. Seit dieser Zeit Facialislähmung, fort- währendes, sehr quälendes Ohrensausen und Taubheit in Folge »cen- traler Affection« (Gruber). (Am Tage nach der ersten Untersuchung ein neuer apoplektischer Insult, der bald zum Tode führte) Bei dem zweiterwähnten Kranken trat ebenfalls unter Erscheinungen von Ohrensausen und Schwindel linksseitige Gesichtslähmung und Taubheit auf, (Prof. Gruber: centrale Affectionen am linken Ohre) bei voll- ständig normalem Verhalten der andern Hirnnerven.

Dr. v. Frankl meint von diesen Fällen: »das gleichzeitige Er- griffensein des 7. und 8. Nervs spricht mit Wahrscheinlichkeit für einen basalen Process (Ruptur einer luetisch degenerirten Arterie oder eines

O. Körner: Bemerkungen über Neuralgia tympanica etc. 133

kleinen Aneurysma an der Basis). Denkbar wäre natürlich auch eine gleichzeitige Blutung ins innere Ohr.«

Der 3. Fall, den Frankl-Hochwart eitirt (l. c. S. 121 An- merkung), betrifft einen von Ziemssen erwähnten Fall, in welchem bei einer Frau nach einer Apoplexie Taubheit, Facialisláhmung und Schwindel constatirt wurde. »Da jedoch aus der Krankengeschichte nicht hervorgeht, ob die Patientin vorher normalhórig war, da der otiatrische Befund fehlt, ist nicht zu bestimmen, ob dieser Fall mit dem meinen identisch ist.«

X.

Bemerkungen über Neuralgia tympanica im An- schluss an die Mittheilung eines Falles von Zungenabscess.

Von O. Körner in Rostock. (Aus der Ohren- und Kehlkopfklinik zu Rostock.)

Der 36jährige Knecht Helmut Kaempfert aus Kritzmow wurde am 2. September 1896 in die Klinik aufgenommen. Seit einem im dritten Lebensjahre überstandenen Scharlach leidet er an beiderseitiger Ohren- eiterung und in langen Zwischenráumen auch an Ohrenschmerzen. Seit 14 Tagen hat er heftige Schmerzen in der rechten Schlundhälfte und im rechten Ohre. Dieselben bestehen unausgesetzt und steigern sich beim Schlucken so, dass der Kranke in der letzten Woche kaum Nahrung nehmen konnte. In Folge dessen fühlt er sich sehr schwach.

Bei der Untersuchung des blassen, elend aussehenden Mannes fand man zunächst eine taubeneigrosse, starke Drüsenschwellung zwischen dem rechten Unterkieferrande und dem rechten Zungenbeinhorne. Bei leichtem Druck auf diese Drüse steigerten sich die Schmerzen im rechten Ohre. Der Mund konnte nur mit Schmerzen geöffnet werden. Die Zunge war dick-schmierig belegt. Auf dem Zungengrunde, von der Mitte der Epiglottis bis zum rechten vorderen Gaumenbogen hin, erhob sich eine dunkelrothe halbkugelige Schwellung von der Grösse einer Haselnuss. Beide Trommelfelle waren bis auf das obere Drittel zer- stört, die Paukenhóhlenschleimhaut beiderseits dunkelroth und von spár- lichem Eiter bedeckt. Fieber bestand zur Zeit nicht.

Bei der Demonstration der Anschwellung auf der Zunge riss die stark gespannte Schleimhaut ein und es entleerte sich dicker geruch- loser Eiter aus einer Oeffnung, welche auf dem Zungengrunde direct nach innen von dem Ansatze des rechten vorderen Gaumenbogens ent- standen war.

134 O. Körner: Bemerkungen über Neuralgia tympanica

Drei Tage nach der Entleerung des Abscesses waren die Schmerzen im Halse und im rechten Ohre verschwunden. Die Drüse unter dem Kieferrand wurde schnell kleiner und der Kranke konnte zur Heilung seiner Ohreiterung am 9. September in poliklinische Behandlung ent- lassen werden.

Der Fall ist in mehrfacher Beziehung interessant.

Zunächst beschäftigte uns die Frage, ob der gleichseitige Ohren- schmerz des Kranken eine Folge der chronischen Entzündung des Mittelohrs, oder eine vom entzündeten Zungengrunde aus erregte Neu- ralgia tympanica war. Da die Neuralgia tympanica nicht selten bei Erkrankungen der Zunge, namentlich bei Zungenkrebs, auftritt und so- wohl peritonsilläre Phlegmonen als auch Ulcerationen der Epiglottis zu begleiten pflegt, war es von vornherein wahrscheinlich, dass es sich auch hier lediglich um einen irradiirten Ohrschmerz handelte. Da aber die Paukenhöhlenschleimhaut entzündet war und schon öfter Schmerzen verursacht hatte, so wäre diese Annahme keineswegs sicher gewesen, wenn nicht eine andere Erscheinung uns von ihrer, durch den weiteren Verlauf bestätigten Richtigkeit überzeugt hätte. Das war die Steigerung des Ohrschmerzes beim Druck auf die geschwelllte Drüse zwischen Unterkieferrand und Zungenbein. Drüsen in dieser Gegend schwellen auch bei Erkrankung unterer Backenzáhne und ein Druck auf sie kann dann Schmerz erzeugen. Ich habe das an mir selbst be- obachtet. Ohne bekannte Ursache bekam ich im vorigen Jahre ein unangenehmes Druckgefühl in der Gegend des Endes des rechten Zungenbeinhornes, das sich bei Schluckbewegungen am lästigsten be- merkbar machte und in das rechte Ohr ausstrahlte. Die Otalgie, ein dumpfer, drückender Schmerz, steigerte sich zu einem recht empfindlichen Stechen, wenn ich auf die Gegend des Zungenbeinhornes drückte. Ich glaubte zuerst an Rheumatismus eines der am Zungenbein haftenden Muskeln, konnte aber in einigen Tagen eine bohnengrosse Drüse als Ursache des Schmerzes tasten. Gleichzeitig entdeckte ich an der Aussenseite des unteren Weisheitszahnes, ganz nahe am Zahnfleisch- rande, eine cariöse Höhle, nach deren Füllung die Schmerzen schwanden.

Seitdem habe ich die Steigerung des Ohrschmerzes bei Neuralgia tympanica ex dentibus cariosis durch Druck auf die Zungenbeingegend wiederholt, freilich nicht in allen Fällen, beobachtet. Ich sehe deshalb in diesem Symptome ein gutes Zeichen bei der Diagnose.

im Anschluss an die Mittheilung eines Falles von Zungenabsces. 135

Die Literatur über die phlegmonösen Entzündungen des Zungen- grundes hat Seifert!) 1893 zusammengetragen und die Symptome dieser Erkrankung besprochen. Er erwähnt dabei die Neuralgia tym- panica nicht. In einer späteren Beobachtung von Escat?) findet sich übrigens dieses Zeichen erwähnt, das man ja aus den oben erörterten Gründen bei dieser seltenen Erkrankung von vorn herein erwarten muss.

. In Betreff der Neuralgia tympanica ex dentibus cariosis findet man die Ansicht verbreitet, dass sie sich nur bei Caries der unteren Backen- zühne finde. Wir haben seit etwa zwei Jahren darauf geachtet und in der That mit nur einer einzigen Ausnahme stets carióse untere Backen- zähne als Ursache gefunden. Oft waren freilich gleichzeitig obere Backenzähne krank. Erst in den letzten Tagen haben wir einen Fall gesehen, der das Vorkommen der Otalgie bei Erkrankung eines oberen Zahnes beweist. Derselbe betrifft ein: älteres Fräulein, das im Unter- kiefer alle Molares und Praemolares längst verloren hat, dagegen im Oberkiefer auf der betreffenden (rechten) Seite Caries des 2. Praemolaris und 1. Molaris aufweist.

1) Seifert. Die Pathologie der Zungentonsille. Archiv f. Laryngologie und Rhinologie, Bd. 1.

?) Escat. Phlegmonous lingual amygdalitis. Medical News. March 21, 1896. Ref. im Centralblatt für Laryngologie XII. S. 431, September 1896.

Bericht

über die

Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde

408.

409.

410.

411.

412.

413.

im vierten Quartal des Jahres 1896.

Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann.

x

Anatomie des Ohres.

Randall, B. A. Craniometrische Messungen von 500 Schädeln bezüglich der topographischen Anatomie des Ohres. Transactions of the first pan- americ. med. Congr. Washington. i

Hennicke, C. Ueber die Anpassung des Gehörorgans der Wassersäuge- thiere an das Leben im Wasser. Die Natur, Jahrg. 45, No. 33. Bloch, E. Ueber den Sinus caroticus. Verhandl. der deutschen otolog.

Gesellschaft auf der V. Versammlung zu Nürnberg. Jena 1896. S. diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 266.

Poli, C. Entwicklung des Hörbläschens bei den Vertebraten. Morpho- logische Studie. Genova.

Witebsky, M. Zur Entwicklungsgeschichte des schallleitenden Apparats der Axolotls. Inaug.-Diss. Berlin 1896.

Siebenmann, F. Mittelhirntaubheit und centrale Cochlearisbahn. Ver- handlungen der deutschen otologischen Gesellsch. auf der V. Versamml. zu Nürnberg. $S. diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 298.

. Hartmann, A. Ueber Veränderungen des knóchernen Gehórganges bei

deformirten Schádeln. Ebenda. S. diese Zeitschr. Bd. XXVIII, S. 368.

. Duncan, W. Ei Fall von congenitalem Fehlen der Nase, rechtseitige

Palpebralfissur ete. Transact. of the obstetric. Soc. of London. Vol. 37.

, Addinsell, A W. Fall von congenitaler Deformation (Abwesenheit des

Unterkiefers, des äusseren Ohres und des äusseren Gehörganges). Ebenda. Vol. 37.

Anatomie des Ohres. 137

417. Rawitz, B. Gehörorgan und Gehirn eines weissen Hundes mit blauen Augen. Morphologische Arbeiten von G. Schwalbe. Bd. VI, Hft. 3.

418. Bürkner. Ueber einen anatomischen Befund bei Mikrotie und Atresie des Gehörganges. Verhandl. der deutschen otologischen Gesellschaft auf der V. Versamml. zu Nürnberg. Jena 1896.

419. Gruber, Prof., Wien. Sechsjähriges Mädchen mit Missbildung der Ohr- muschel ete. Monatsschr. f. Ohrenheilk. Bd. 29, Heft 1/2.

420. Binnie, J. J. Bemerkungen über einige Fälle von Missbildung des äusseren Ohres. Annals of Surgery. Pt. 44.

421. Broca und Lenoir. Bemerkung über einen Fall von Persistenz ise Meckel'schen Knorpels mit Fehlen des äusseren Ohres derselben Seite. Journal de l'anat. et de physiol. XXXII. Jahrg. No. 5.

412) Witebsky hat die Angaben von Parker, Reichert und Wiedersheim, nach welchen das Operculum ein abgeschnürter Theil der Labyrinthkapsel ist, einer Nachuntersuchung unterzogen und kommt dabei zu wesentlich anderen Resultaten. Nach seinen Befunden stellt das Operculum mitsammt der Columella genetisch ein einheitliches Ge- bilde dar, welches sich vom Visceralskelett herleitet und zwar vom oberen Abschnitt I zweiten Schlundbogens, des Hyoidbogens.

Krause,

417) Seit Blumenbach und Darwin wissen wir, dass Katzen und Hunde mit weisser Behaarung und blauen Augen taub sind. Ra- witz war nun in der glücklichen Lage, einen solchen Fall anatomisch untersuchen zu können. Das Thier, ein junger Dalmatinerhund, war völlig taub. Die Untersuchung ergab auf beiden Seiten normales Ver- halten der Bogengänge, dagegen war die Schnecke hochgradig reducirt. Während sie normaler Weise beim Hund 2!/, Windungen hat, fanden sich hier rechts 2, links nur 1!/, Windungen. Es ist keine Spur von Corti'schem Organ, Reissner'seher Membran und Stria vascularis vor- handen. Mehr oder weniger veründert erscheint die Membr. basilaris, das Lig. spirale und die Membr. tectoria. Die Zellen des Ganglion spirale und die Fasern des Nerv. acusticus erscheinen hochgradig de- generirt. Links sind die Veränderungen ausgesprochener als rechts; dementsprechend fand sich auch der linke Lobus temporalis des Gross- hirns stärker reducirt als der rechte, er erreicht dort. kaum ein Drittel der Norm, sodass der Gyrus hippocampi in seinem caudalen Abschnitt frei zwischen Gross- und Kleinhirn sichtbar ist. | Krause.

418) Bei dem von Bürkner mitgetheilten Falle von fehlendem äusseren Gehörgange fehlte das Os. tympanicum, der frühere Annulus Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX, 10

138 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

tympanicus vollständig. Ausserdem bestanden verschiedene Verände- rungen in der Paukenhóhle. Normales Labyrinth. Krause.

419) Sechsjähriges Mädchen. Linke Ohrmuschel im Allgemeinen normal. Rechte Gesichtshälfte auffallend kleiner als die linke. Dach der Mundhöhle stark concav. Mundspalte nach rechts verzogen. Die rechte Ohrmuschel stellt einen rundlichen, mit breiter Basis inserirenden Hautlappen dar, welcher als excessiv entwickelter Lobulus aufzufassen ist. Ueber demselben findet sich ein von Knorpel gestützter längsovaler Hócker. Process. mastoideus an normaler Stelle. Von einer äusseren Ohróffnung ist keine Spur zu erkennen. Die Tube ist leicht zu catheteri- siren. Ueber die Beschaffenheit des Mittelohres lässt sich nichts sicheres ermitteln. Links Hórvermügen normal, rechts vermindert. Krause.

421) Es handelt sich um ein drei Monate altes Kind. Rechts geringe Abnormitüten der Ohrmuschel; mittleres Ohr normal. Links fehlt der äussere Gehörgang völlig, die Ohrmuschel wird durch zwei oder drei kleine Hautwülste reprüsentirt. Die Muskeln dieser Gesichts- hälfte sind stark reducirt. Im Innern des Unterkieferknochens ist der Meckel'sche Knorpel erhalten. Die Tuba Eustachii ist vorhanden, sie führt in eine allseitig geschlossene Hóhle, die rudimentüre Paukenhóhle, in welcher sich verkümmerte Gehórknóchelchen finden. Der Hammer steht in Verbindung mit dem Meckel’schen Knorpel und dem Liga- mentum stylo-hyoideum. Der Ambos ist sehr stark reducirt. Das innere Ohr ergiebt normale Verhältnisse. Nach diesen Befunden er- scheint es höchst wahrscheinlich, dass Hammer und Ambos von den beiden ersten Schlundbogen herstammen. Krause.

Anatomie der Nase.

422. Seydel, O. Ueber die Nasenhöhle und das Jacobson’sche Organ der Land- und Sumpfschildkröten. Festschrift zum siebenzigsten Geburtstag von Carl Gegenbaur. Bd. II. Leipzig 1896.

423. Tiemann, H. Ueber die Bildung der primitiven Choane bei Säuge- thieren. Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würzburg. N. F. Bd. XXX.

494. Bergeat, H. Die Assymmetrien der knóchernen Choanen. Archiv für Laryngologie u. Rhinologie. Bd. IV, Heft 3.

422) Aus der umfangreichen Arbeit seien hier nur folgende Haupt- punkte hervorgehoben. Die Nasenhöhle der Landschildkröten schliesst sich an die der niederen Amphibien an, sie zerfällt in eine Pars olfactoria,

Anatomie der Nase. 139

welche der eigentlichen Nasenhöhle der Amphibien entspricht und der Pars respiratoria mit dem Jacobson’schen Organ. Bei den Sumpfschild- kröten erreicht das Jacobson’sche Organ einen sehr hohen Grad der Entwicklung, die ganze Pars respiratoria erscheint mit Sinnesepithel ausgekleidet. Mit der Nasenhöhle stehen zwei Drüsen in Zusammen- hang, die Gl. nasalis externa und medialis. Bei den Landschildkröten zeigt das periphere Geruchsorgan primitivere Verhältnisse, als bei den Sumpfschildkröten. | Krause.

423) Die Arbeit Tiemann’s enthält die Bestätigung der von Hochstetter und Keibel vertretenen Anschauungen, nach denen die Bildung der primitiven Choane eine secundäre ist. Anfangs stellt sie einen Blindsack dar, entstanden durch Aneinanderlagerung des medialen und lateralen Nasenfortsatzes. Während sich vorn zwischen die verschmolzenen Epithelflächen Mesodermmassen einschieben, erhält sich hinten zunächst noch eine Epithelbrücke, die Membr. bucco-nasalis, welche dann später einreisst und als primitive Choane eine Communi- cationsöffnung zwischen Nasenhöhle und primitiver Mundhöhle darstellt. Der Oberkieferfortsatz ist an der Bildung der primitiven Nasenhöhle nicht betheiligt. Krause.

424) Bergeat berichtet über eine Untersuchung an über 100 Thier- und circa 1200 Menschenschädeln. Besonders auffällig ist die grosse Häufigkeit von Choanenassymmetrien bei grossen Affen, sämmt- liche vom Verf. untersuchten Schädel dieser Art weisen deutliche Assym- metrien auf. Beim Menschen nıuss man unterscheiden einmal die assym- metrische Stellung der gesammten Choanenanlage im Körper und dann die eigentliche Assymmetrie, die Ungleichheit der beiden Choanen unter einander. Nach von Török sind 50°/, sämmtlicher Schädel assym- metrisch, Verf. schätzt die Häufigkeit der rechten Choanenassymmetrien auf circa 10°/ Der häufigste und charakteristischste Typus ist der, bei welchem der eine Flügelfortsatz mehr nach unten und aussen steht, als der andere. Seltner ist diese Auswärtsneigung nur auf den Basal- theil beschränkt. Sehr selten ist die Assymmetrie durch Einwärtsneigung des einen Flügelfortsatzes. Die Assymmetrien scheinen nur in seltenen Fällen angeboren, meistens erst später erworben zu sein. Von ätio- logischen Momenten führt der Verf an: 1. Ungleichmässige Einwirkung mechanischer und statischer Momente bei nicht genügend consolidirtem Schädel- und Knochenbau; 2. primäre Unregelmässigkeiten am Choanen- rahmen; 3. secundäre Verschiebungen am Keilbein und Vomer in Folge

10*

140 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

assymmetrischen Wachsthums des übrigen Schädels und 4. anthropo- logische Momente; so war von 6 Schädeln von Abessyniern und Ober- egyptern in 5 Fällen die rechte Choane nach oben verlängert, ohne Vorhandensein von anderen Verschiebungen am Schädel. Krause.

Physiologie des Ohres.

425. Dennert, H. Zur Wahrnehmung der Geräusche. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 109.

426. Luzatti. Das Hörfeld im Raume, Beitrag zur Physiologie des Hör- organes. Ann. des mal. de l'oreille du larynx etc. 1896. 12.

425) Dennert ist schon durch frühere Untersuchungen zu der Ueberzeugung gelangt, dass Klänge und Gerüusche von ein und dem- selben Nervenapparate aufgenommen werden, in Uebereinstimmung mit der Meinung wohl der meisten Physiologen. Diese Ansicht will er durch folgenden Versuch von neuem stützen: klemmt man ein dünnes, schmales Holzstäbchen zwischen die Zähne und reisst es am freien Ende an, so erhält man einen Ton, der um so höher ist, je weiter das Stäbchen in den Mund hinein geschoben wird. Schliesslich hört man nur noch ein gleichbleibendes hohes Geräusch. Dieses entsteht also durch die gleiche Schallquelle auf die nämliche Art wie der Ton, und bei verschiedenen Personen liegt die Uebergangsstelle von letzterem zu dem ersteren auf verschiedenen Strecken des obersten Scalentheiles, Sodann berührt D. nochmals die Bedeutung des Schallquantums für die Gehórsempfindungen und betont, dass in der Zeiteinheit von hóheren Tónen ein grósseres Quantum zur Wirkung gelangt, weil die Schwingungszahl grósser ist.

Bloch (Freiburg).

426) Luzatti hat sich an 40 Personen der Mühe unterzogen, analog dem Gesichtsfeld der Ophthalmologen ein Gehórfeld zu ermitteln. An einem ausziehbaren Stativ hat er eine sich um einen Drehuunkt vertical drehende Stange angebracht, welche die Schallquelle Uhr trägt. Der Drehpunkt wird in eine Linie mit der Gehórgangsachse und in 40 cm Abstand gebracht, und nun die Uhr in den verschiedenen 8 Meridianen dem Centrum genähert bis sie gehört wird. Aus den verschiedenen Zahlen hat L. ein ideelles Gehörfeld von unregelmässiger Gestalt gefunden, nach Maassgabe der verschiedenen Hörweite, die für den vorderen oberen Meridian am grössten war. Von Einfluss, meint L., sei das verschiedene Verhalten der Ohrmuschel; er schliesst mit einer Wiedergabe der bisher dafür aufgestellten Hypothesen.

Zimmermann (Dresden).

Physiologie des Nase. 141

Physiologie der Nase. 427. Zwaardemaker, Utrecht und Reuter Ems. Qualitative Geruchs- messung. Arch. f. Laryngol. IV, 1.

428. Goodale, J.L. Eine experimentelle Studie der Athmungsfunctionen der Nase. Boston Med. and Surg. 5. und 12. November 1896. |

427) Die hier angegebene Methode der qualitativen Geruchs- messung erstrebt, ,mit einfachen Hilfsmitteln schnell einen Ueberblick zu verschaffen über das Verhalten einer Anosmie den verschiedenen Klassen der Riechstoffe gegenüber, und wenn einmal Abweichungen gefunden sind, diese nach strenger Methode zu prüfen.“ Um dieses Ziel zu erreichen galt es: 1. die Gerüche nach einem natürlichen System zu klassificiren. 2. Aus den vorhandenen Riechstoffen für jede Gruppe solche auszuwählen, die zur Verwendung für das Olfactometer Zwaardemakers in seinen beiden Typen (fester Riechcylinder, imprägnirtes Thonröhrchen) geeignet sind. 3. Das olfactometrische Verhältniss der einzelnen Teststoffe zu einander festzustellen. Wir geben im Folgenden eine Uebersicht der von den Verff. festgelegten Gruppen, nebst ihren zur Olfactometrie ge- wählten Repräsentanten.

I. Aetherische Gerüche. Bienenwachs (essigsaures Isoamyl. 1:10000)). I. Aromatische Gerüche. Anissamen (Citral 1 : 10000). II. Odores fragrantes Linné, d. s. Blumendüfte und balsamische Gerüche. Benzoéharz (Vanillin 1: 1000). IV. Moschus- und Ambergerüche. Radix Sumbul (Trinitro - isobythyltoluol 1:5000000) V. Lauchartige Gerüche. Asa foexida 1: 10 Dam- marharz (Allylsulfid 1:5000). VI. Odores empyreumatici. Theer (Pyridin 1:2000). VII. Hircinische oder Caprylgerüche. Hammeltalg (Acid. valerianic. 1:10000). VIII. Odores tetri Linné. Opium (vacat). IX. Odores nauseosi Linné. Scatolholz (Scatol- spiritus 1 : 10 000).

Für einen Ueberblick über die Riechschürfe eines Individuums eignen sich am besten die festen Riechcylinder. Zur genauern Erfor- schung zweifelhafter Fälle werden die Flüssigkeitsolfactometer benutzt. Eine Vergleichung der Riechwerthe der einzelnen Stoffe lehrt, dass 10cm Riechcylinder 50 Olfactieen für gelbes Wachs reprüsentiren ; 12000 Olf. f. Anissamen; 50 OIlf. f. Benzoé; 1000 Olf f. Radix sum- buli; 500 Olf. f. Asa foexida; ca. 10000 Olf. f. Theer; 3000 Olf. f. Hammeltalg; 1000 Olf. f. Opium; 6000 OIf. f, Scatolholz. Die

1) In Klammern steht der Flüssigkeitsrepräsentant der Gruppe.

oe.

142 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

beträchtlichen Differenzen in den Riechwerthen, die auf den ersten Blick als etwas Nachtheiliges erscheinen, erweisen sich bei genauerer Be- trachtung als vortheilhaft, denn sie erlauben es, mit einer relativ geringen Zahl von Riechmessern eine grosse Breite der Anosmieenwerthe durch- zuprüfen. Zarniko (Hamburg).

428) Goodale betrachtet I. die Wirkung der Nasenschleimhaut auf die Athmungsluft mit Rücksicht auf Hitze und Feuchtigkeit. Er gebrauchte dazu einen Apparat, der nach dem Prinzipe des aspirirenden Psychromoters construirt ist. Die damit bestimmten Ergebnisse sind auf vier Tabellen registrirt, worin die Experimente A. mit kalter, trockner Luft, B. mit kalter, feuchter Luft, C. mit warmer, trockner Luft und D. mit warmer, feuchter Luft verglichen sind, und wobei noch jeder Tafel die Temperatur, relative und absolute Feuchtigkeit und die Ca- lorien der Luft I. nach ihrem Durchstreichen durch die Nasenhöhlen, Il. naeh normaler In- und Expiration, III. nach oraler In- und Expi- ration und IV. nach nasaler In- und oraler Expiration angiebt. Die letztere zeigt die grósste Zunahme an Temperatur und Feuchtigkeit der ausgeathmeten Luft. Orale In- und orale Expiration ergiebt eine unter- geordnete Beschaffenheit der Luft, während die durch die Nase inspirirte und durch den Mund expirirte Luft nur wenig niedrigere Temperatur und Feuchtigkeit bei warmer und deutliche Verschiedenheit bei kalter Temperatur zeigt.

Die relative Feuchtigkeit der Luft nach dem Durchstreichen durch die Nasenhöhlen erreicht den Sättigungspunkt ihrer eigenen Temperatur, ist aber weit davon entfernt bei ihrer schliesslichen Temperatur, d. h. die Nase sättigt den Inspirationsstrom und trägt ?/, vom gesammten Feuchtigkeitsgehalt bei, welcher vom Respirationstractus verdunstet wird.

II. Die physiologische Veränderung beim intranasalen Luftdruck während der Athmung. Goodale misst den Druck mit Wassermano- metern und findet die In- zur Expiration im Verhültniss von 3:2. Da die pathologischen Schwankungen im intranasalen Luftdruck mit dem vorhandenen Material selbst nicht annähernd bestimmt werden können, so ahmt Goodale die Erscheinungen durch einen Apparat nach, in welchem der Druck regulirt und die Wirkungen der vorderen und hinteren, einseitigen und doppelseitigen Stenose registrirt werden kann. Die vordere Druckveründerung der einen Seite bewirkt eine Zunahme der freien Seite, und hinter der Stenose nimmt der Druck zu. Doppel- seitige vordere Verstopfung führt neue Zunahme des Druckes dahinter

Allgemeines. 143

herbei. Hintere Verstopfung verringert den Druck bei der In- und Expiration. Der letztere wird selbst negativ. Die gesammten Structur- veränderungen. werden so durch den Nichtgebrauch der Nase erklärt, Die Druckschwankungen beeinflussen ihre Entwicklung.

III. Der Weg, welchen die Athmungsluft innerhalb der Nase ein- schlägt, verläuft zuerst gegen das knorpelige Septum (ausgenommen bei aufgestülpten Nasen, in welchen er tiefer verläuft) und von dort gegen das vordere Ende der mittleren Muschel. Dies wurde durch die Ein- athmung von zinc. stear. comp. festgestellt, welches sich auf diese Theile niederschlägt.

Die ausgezeichnete Arbeit erhielt den Boylston Medical Preis des Harvard College. M. Toeplitz.

Allgemeines.

429. Noltenius, Dr, Bremen. 2. Jahresbericht über die Thätigkeit meiner Privat-Klinik für Kehlkopf-, Nasen- u. Ohren-Krankheiten. Monatsschr. f. Ohrenkrankh. No. 10, 1896. |

490. Gradenigo, G. Bericht über die oto-rhino-laryngologische Klinik in

. Turin. Schuljahr 1895/96. Archivio ital. di Otologia ete. Bd. 4, S. 489.

431. Arslan, Y. Statistischer Bericht über ein Triennium der oto-rhino-laryngo- logischen Abtheilung der Poliambulanza in Padua. Archivio ital. di Otologia etc. Bd. IV, S. 305 u. 444.

432. Schepegrell. Die Wichtigkeit einer genauen Untersuchung des Ohres, der Nase und des Halses in gerichtsürztlicher Beziehung. Rev. hebdom. 1896, 40.

493. Kaufmann, Dr. Otalgie bei Influenza. Wien. medic. Blätter No. 50, 1896.

434. Haug, Dr., München. Beitrag zur Casuistik der im Verlaufe der Bright’- schen Nierenerkrankung auftretenden complicatorischen Ohr- und Nasen- blutungen. Deutsche med. Wochenschr. No. 45, 1896.

485. Randall, B. Alexander. Beobachtungen über objectives und subjectives, aneurysmales, anämisches und durch Muskelcontractionen hervorgerufenes Ohrensausen. Transact. Amer. Otolog. Soe. Bd. Vl, No. 3, 1896.

436. Botey Behandlung von Schwindel, Ohrensausen und einigen Labyrinth- affectionen durch Punktion des Labyrinihs mit nachfolgender Aspiration. Ann. des mal. de l'oreille du larynx etc. No. 12, 1896.

437. Boucheron. Ueber die Anwesenheit von Harnsäure im Speichel bei gichtischen Affectionen des Halses und des Ohres. Revue hebdom. de laryng. etc. No. 4, 1896.

498. Hamon du Fougeray. Bemerkung über die Wirkung von Chloroform in sehr kleinen Dosen nach Bromäthyl etc. Ann. des mal. de l'or. etc. No. 10, 1896.

499. Stórk, Prof, Wien. Ueber Cocainanüsthesie, Wien. med. Wochenschr. No. 44, 1896. |

144 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

440. Phillips, Wendell C. Bemerkungen über die Ursachen und Verhütung des chronischen Catarrhs der Nase, des Halses und Ohres. Amer. Med. Surg. Bull. 17. October 1896.

441. Gelle. Das Wasserstoffhyperoxyd, seine doppelte Wirkung als Hämo- statikum und als Antiseptikum. Rev. hebdom. des mal. de l'oreille No. 46 u. 47, 1896.

442. Denker, Alfred, Dr., Hagen. Bemerkungen zu den in der Deutschen medicinischen Wochenschr. veröffentlichten „Otologischen Mittheilungen“ des Herrn Dr. L. Jankau. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 10, 1896.

443. Jankau, Ludwig, Dr. Zur Perceptionsfühigkeit des normalen mensch.

j lichen Ohres. (Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Dr. Denker.) Ibid. No. 11, 1896.

444. Karutz, Dr., Lübeck. Volksmedicin auf dem Gebiete der Ohren. Nasen- und Halskrankheiten. Diese Zeitsehr. Bd. XXX, S. 36.

445. Frankenberger, O., Dr. Adenoide Vegetationen bei Taubstummen, nebst einigen Bemerkungen über die Aetiologie der Taubstummheit. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 10, 1896.

429) Aus dem Bericht heben wir hervor, dass Noltenius hyper- trophische Gaumen- und Rachentonsillen seit lingerer Zeit nur noch in Narcose operirt. Einen Fall von Tic convulsif heilte er durch Ent- fernung einer Septumleiste, einen Tic douloureux durch galvanocaustische Behandlung der Nase. Unter den beobachteten Entzündungen des Warzenfortsatzes befand sich eine primäre. Bei Warzenfortsatzope- rationen vernäht N. die Hautwunde stets gänzlich nach vorausgegangener Erweiterung des Gehörganges durch 2 in die Concha reichende Längs- schnitte, welche einen mindestens lcm breiten Lappen zwischen sich lassen. Bei der Ausrüumung des Mittelohres kam 2 mal der Steig- bügel unbeabsichtigter Weise mit, ohne dass danach starke Sehwindel- erscheinungen eingetreten würen. In 3 Füllen wurden bei der Operation extradurale Abscesse im Bereiche der mittleren Schüdelgrube gefunden.

Killian (Freiburg).

430) Gradenigo bemerkt, dass die Ziffern, die Häufigkeit der verschiedenen Krankheitsformen betreffend, sich nicht zu allgemeinen Betrachtungen eignen, da sie verschieden sind, je nachdem sich das Material aus den Ambulatorien oder aus den Kliniken zusammensetzt. Z. B. fanden sich otitische Complicationen mit 41°/, bei den Kranken der Klinik, während sie bei den Ambulatorien kaum 1!/,?/, erreichen. Es folgen dann Tabellen über die Häufigkeit der verschiedenen Affec- tionen nach Alter und Geschlecht und detailirt die wichtigsten klinischen Beobachtungen mit epikritischen Betrachtungen.

Gradenigo.

Allgemeines. | 145

431) Das Alter, in welchem Ohren- und Nasenkrankheiten am häufigsten zur Beobachtung kommen, ist zwischen 16 und 30 Jahren. Die Affectionen der verschiedenen Theile des Ohres zeigeu uns 26,3 9/, für das äussere Ohr, 63,2 °/, für das mittlere und 10°/, für das innere Ohr. Männer 62°/,, Frauen 37 °/,. Dann folgen erläuternde Tabellen über die Häufigkeit der verschiedenen Krankheitsformen und über die operativen Eingriffe, bezüglich derer wir den Leser auf die Original- arbeit verweisen. Arslan erläutert dann die von ihm befolgten Be- handlungsmethoden. . Gradenigo.

432) Ein Mädchen hatte sich auf den Rath eines Nachbars wegen Zahnschmerzen Pfeffer und Salz in’s Ohr gethan, danach eine Eiterung bekommen und den Nachbar verklagt. Bei der Untersuchung fand sich eine Phlegmone des Gehörgangs und ausserdem eine Trommelfell- perforation vorn unten, die Schepegrell nur auf eine traumatische Ein- wirkung zurückführen zu können glaubte. Dies wurde zuerst geleugnet, schliesslich aber zugegeben, dass das Mädchen sich einen alten Zahn- stocher eingeführt hätte. Die Klage wurde deshalb zurückgewiesen.

| Zimmermann.

483) Kaufmann beobachtete bei 7 Patienten Otalgien, welche unter Fiebererscheinungen und Allgemeinsymptomen beginnend rasch grosse Intensität erreichten, 4—8 Tage anhielten bei negativem Ohrbefunde. K. nimmt an, dass diese Otalgien durch Influenza bedingt seien.

Pollak.

434) Haug referirt zunächst die dasselbe Thema behandelnden Fälle anderer Autoren und fügt dann eine eigene Beobachtung hinzu. Ein 39jähriger Herr (früher mässiger Potator) erkrankte an profusem Nasenbluten, das sich nach ?/, Jahren in verstärkter Weise wiederholte. Gleichzeitig mit der zweiten Attaque erkrankte Patient an heftigen Ohrschmerzen und starken subjectiven Gerüuschen. Bei der Unter- suchung zeigt das rechte Trommelfell im hinteren Abschnitte eine bei- nahe blauschwarze Vorwölbung. Das linke Trommelfell zeigt zwei pfefferkorngrosse Blutblasen, daneben punktförmige Ekchymosen. Gleich- zeitig wurde doppelseitige Retinitis albuminurica constatirt. Das hämor- rhagische Exsudat kam in drei Wochen zur Resorption, ohne dass Paracentese nöthig war. Die Blutungen aus der Nasenmucosa und in die Paukenhöhlen traten zu einer Zeit auf, als im Urin noch kein Ei- weiss und keine Cylinder nachzuweisen waren. Bei plótzlich auftretenden, sonst nicht erklärlichen Blutungen in die Paukenhöhle empfiehlt es sich,

to. c o

146 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

den Urin zu untersuchen, um den Beginn einer eventuellen Nephritis möglichst frühzeitig zu erkennen. Noltenius. 435) Randall behauptet, dass »man sich wundern muss, wenn

man die sonderbaren Veründerungen des Bulbus venae jugularis studirt,

welcher sich oft in die Trommelhöhle eindrängt und sich zuweilen bis zur Berührung mit dem N. acusticus im inneren Gehörgang erweitert, dass man das in ihm entstehende Geräusch in gesundem Zustande nicht hórt«. Ein von R. berichteter Fall betraf einen 45jährigen Mann, welcher über quälendes Ohrensausen klagte. Er war im rechten Ohre ziemlich stark, im linken mässig taub geworden, und zeigte dabei ein- gesunkene Trommelfelle und negativen Rinne. Das Geräusch war im Allgemeinen scharf blasend; es änderte sich zuweilen, wurde gelegent- lich durch Autoinsufflation gelindert und durch Anstrengungen, wie Bücken oder Liegen auf der linken Seite verstärkt. Er hatte viel an Kopfschmerzen und heftigem Schwindel gelitten. Der Fall wurde als aneurysmale Erweiterung am Beginne des Canalis carotic diagnosticirt. Man rieth zur Unterbindung der Carotis communis. R. glaubt, dass das objective Geräusch, welches oft dem M. tensor tympani zugeschrieben wird und mit den spasmotischen Bewegungen des weichen Gaumens synchron ist, sicherlich auf der Trennung der feuchten, klebrigen Flächen der collabirten Eustachischen Röhre beruht. Gorham Bacon.

. 436) Botey hat sich an Thierversuchen von der Gefahrlosigkeit der Aspiration von Perilymphe überzeugt und an der Leiche genau die Methodik der Eröffnung des runden Fensters studirt. Wenn man die Spitze der Punktionsnadel dicht am oberen Rande des runden Fensters nach oben und etwas nach innen sticht, so ist die Gefahr einer Ver- letzung des háutigen Labyrinths ausgeschlossen. B. hat 3 mal am Lebenden die Operation ausgeführt und beschreibt genau die Technik der Vorbereitung, der nöthigen Trommelfellablösung und der Punktion. Der erste Fall war eine Probe an einem tauben, blinden Siechenhäusler, die beiden anderen betrafen Leute mit labyrinthären Symptomen, wo man an eine gesteigerte Secretion oder verminderte Resorption von Peri- lymphe hatte denken können. Der Erfolg war gering. Die Taubheit wurde gar nicht gebessert, wohl aber etwas die Schwindel- und Uebel- keitsgefühle. B. wird noch ausführlicher auf das Thema zurückkommen, will sich aber zunächst seine Priorität sichern. Zimmermann.

437) Boucheron hält die gichtischen Affectionen des Ohres, Halses und Kehlkopfs für sehr häufig und hat allemal dabei Harnsäure

Allgemeines. 147

im Speichel mit der Murexidprobe gefunden, aber auffallender Weise nur während der Verdauungspause. Zimmermann.

438) Bei den meisten Kindern bis zu 15 Jahren genügen Dosen von im Maximum 20 gr Bromäthyl, um eine 3—4 Minuten dauernde Anästhesie zu erzielen. Unter 300 Fällen hat Hamon du Fougeray indess dreimal bei je 7, 9 und 10 Jahre alten Jungen eine ganz ausser- ordentliche Erregung danach auftreten sehen. Diese wurde durch Auf- giessen von. 8—10 Tropfen Chloroform auf dieselbe Compresse rasch beseitigt mit dem Erfolge guter Anästhesie. Zimmermann.

439) Zur Anästhesirung des Larynx verwendet Störk 20°/,, in der Nase höchstens 5°/, Lösungen. Trotzdem traten in einem Falle. wo die Nasenschleimhaut zum Zwecke einer Hypertrophie der unteren Nasenmuschel mit einer nur geringen Menge von 5°/, Cocainlösung bepinselt wurde, die heftigsten Intoxicationserscheinungen, und zwar epileptiforme Krämpfe auf. Pollak.

440) Phillips räth, beim ersten Beginn eines Anfalls einer exanthematischen Infection die Nase und den Rachenraum häufig und gründlich zu reinigen. Ein Spray mit warmen antiseptisch-alkalischen Lösungen mit dem ausgiebigen Gebrauch medicamentöser Oelsprays, welche passende Antiseptica enthalten müssen, abwechselnd, werden ge- wöhnlich genügen. Das Klima spielt unzweifelhaft eine wichtige Rolle in der Aetiologie von adenoiden Vegetationen, vergrösserten Mandeln und Erkrankungen der Nasenhöhlen. Ph. räth gewöhnlich nicht zu Operationen in der Nase von Kindern, indem er sich meistens auf den fortgesetzten Gebrauch von reinigenden und adstringirenden Lösungen verlässt. Gorham Bacon.

441) Eine begeisterte Anpreisung des Wasserstoffsuperoxyds wegen seiner blutstillenden(?) und antiseptischen Wirkung mit ausführlichster Angabe seiner Indicationen und Anwendungsweise. Zimmermann.

442) Von einigen polemischen Bemerkungen abgesehen berichtet Denker über seine Hörprüfungen mit Flüsterzahlen bei 2500 Gehör- organen von Schülern und Schülerinnen (im Alter von 9—25 Jahren). 1134 hatten eine Hörweite von 20—25 m, und 1600 eine solche von mehr als 15 m. Killian.

443) Jankau macht geltend, dass das Material des Herrn Denker ein einseitiges sei, da es sich nur auf ganz jugendliche Personen und dazu noch auf solche von besonderer Intelligenz, wie z. B. »Gym- nasiasten« etc, beziehe. Er habe eine Hörweite bestimmen wollen, wie

148 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

sie bei einem gemischten Publikum beobachtet werde und zwar einem solchen, welches aus Erwachsenen Leuten besteht und die verschiedensten Berufsklassen in sich schliesst. Killian.

445) Von 158 Taubstummen litten 59°/, an Hypertrophie der Rachentonsille, wobei mässige Verdickungen dieses Organs nicht mit gerechnet wurden. In 42 Fällen wurden Mittelohreiterungen oder Re- siduen derselben nachgewiesen; 37 von ihnen zeigten adenoide Vege- tationen. Diese Wucherungen sollen nach Frankenberger besonders bei dem Ausbruch von Infectionskrankheiten die Erkrankung des Ge- hörorgans wesentlich begünstigen, da ihre Spalten pathogenen Mikro- organismen bequemen Aufenthalt gewähren und da sie selbst als lym- phatische Apparate »die Verschleppung von Krankheitserregern in die tieferen Partien des Felsenbeines wesentlich unterstützen«e. In 64 Fällen des Autors war die Taubstummheit nicht angeboren, sondern erworben. Die bisher bekannt gewordenen Sectionsprotocolle von Taubstummen zeigen, dass meist Mittelohrentzündungen oder Reste derselben zugleich mit Labyrinthveränderungen gefunden wurden. In vereinzelten Fällen war das Mittelohr allein erkrankt. Was die Labyrinthveränderungen bei Taubstummen angeht, so sind diese überhaupt häufiger entzünd- licher Natur als Bildungsanomalien, und wohl meist, auch in vielen an- geblich angeborenen Fällen, nach der Geburt entstanden. Killian.

Instrumente und Untersuchungsmethoden.

446. Wegener. Zur mechanischen Behandlung der Sclerose der Pauken- schleimhaut. Arch. f, Ohrenheilk. Bd. 41, S. 199.

447. Jankau, Dr, München. Die Doppelmassage, eine neue Behandlungs- methode bei gewissen Ohrerkrankungen; ein otiatrisches Besteck. Deutsche med. Wochenschr. No. 46, 1896. |

448. Blake, Clarence J. Der Gebrauch des Drillbohrers bei Warzenfortsatz- Operationen. Transact. Amer. Otolog. Soc. Bd. VI, No. 3, 1896.

449. Daae, Hans, Christiania. Ein Apparat zur Ausspritzung der Nase.

| Arch. f. Laryngol. IV, 1.

450. Ingols, E. Fletcher. "Transportabler Apparat zur Compression der Luft und eine Nasensäge. Journ. Amer. Med. Assoc. 3. October 1896.

451. Dionisio, J. Ueber die Anwendung des Acetylenlichtes in der Medicin. Gazetta med. di Torino No. 14, 1896.

446) Wegener verwendet zur »Vibrationsmassage« des Ohres statt des Delstanche’schen Instrumentes eine Maschine mit zwei durch Trans- missionsriemen verkuppelten Rädern und einer Pumpe. Ueble Folgen hat er bis jetzt nicht beobachtet. Bloch.

Instrumente und Untersuchungsmethoden. 149

447) Jankau hat ein otiatrisches Besteck zusammengestellt (er- hältlich bei Stiefenhofer, München, für 20 M.) und meint, dass der practische Arzt, für den das Besteck in erster Linie bestimmt ist, in demselben »Alles findet, was für ihn in seiner Ohrenpraxis nöthig werden kann«. Ueber die Doppelmassage wird eine grössere Arbeit angekündigt. Hinsichtlich des dazu nöthigen Instrumentes vergl. das Referat No. 299 in Bd. 30 dieser Zeitschrift. Noltenius.

448) Blake zeigte einen Drillbohrer, welchen er während der letzten fünfzehn Jahre fortwährend gebraucht hat. Derselbe schneidet im stumpfen Winkel, wird mit einer Hand gedreht und mit der anderen Hand festgehalten. Dieses Instrument wird zur Herstellung der anfäng- lichen Oeffnung in der Corticalis, welche später mit dem Meissel er- weitert wird, und zum Durchdringen durch einen sclerosirten Warzen- fortsatz in das Antrum oder seine angrenzenden pneumatischen Zellen gebraucht. Gorham Bacon.

449) In der Universitütspoliklinik in Christiania kamen häufige Mittelohrentzündungen als Folgen der Nasendusche zur Beobachtung, obwohl dieselbe correct gehandhabt wurde. Um dem abzuhelfen, wird jetzt als Ansatzstück ein Nelatonkatheter benutzt, dessen Auge ver- schlossen ist und der bis auf 8cm von der Spitze durchlöchert ist. Danach kam bei ca. 5000 Spritzungen nur eine einzige Ohraffection vor. Zarniko.

450) Der Apparat besteht aus einem 8 Zoll langen und 3!/, Zoll im Durchmesser messenden Cylinder mit Spray-Róhre und Zweiradpumpe. Die Nasenságe. mit anpassbarem Griff für verschiedene Winkel, ist mit vorwärts und rückwärts schneidenden Blättern versehen und ganz aus Metall angefertigt. Toeplitz.

451) Dionisio beschreibt die Verwendung des Acetylenlichtes, welches an einem an der Stirnbinde befestigten Concavspiegel angebracht ist. Die Flamme ist mit einer doppelten Aluminiumhülle versehen.

Gradenigo.

Aeusseres Ohr. 452. Webstu, Geo. A. Othämatom, mit Bericht über einen Fall. Boston Med. and Surgial Journ. 8. October 1896. 453. Morselli, E. Die älteste Darstellung des Hämatoms. Bollet. delle mal. dell’ orecchio etc. S. 61, 1896. 454. Max, Emanuel, Dr.. Wien. Beitrag zur Casuistik der Ohrmuscheldefecte. Wien. medic, Wochenschr. No. 46, 1596.

150 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

455. Scheppegrell, William. Keloidgeschwülste des äusseren Ohres. New- York. Med. Journ. 17. October 1896 und Rev. hebdom. de laryng. etc. No. 44, 1896.

456. Somers, Lewis L. Herpes des Ohres. Amer. Medico-Surg. Bulletin 31. October 1896.

457. Colles, C. J. Trommelfellruptur in Folge von heftiger Lufterschütterung mit einem Bericht über zwei Fälle. Amer. Medico-Surg. Bulletin 5. De- cember 1896.

458. Ostmann, Prof, Marburg. Stichverletzung des rechten Ohres. Deutsche med. Wochenschr. No. 46, 1896.

459. Braislin, William C. Ein Fall von lebenden Fliegenmaden im Ohre ohne vorausgegangene Eiterung. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 370.

460. Hartmann, Arthur, Dr., Berlin. Ueber Hyperostose des äusseren Gehör- ganges. Diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 48.

452) Der Fall betraf einen 40jährigen Mann mit einer haselnuss- grossen Schwellung an der oberen und vorderen Oberfläche der Ohr- muschel, welche den Helix, die Fossa helicis und den Anthelix mit umfasste. Die Ursache der Geschwulst war unbekannt. Nach der Incision entleerte sich etwas blutige Flüssigkeit. Eine zweite Incision erstreckte sich dann entlang der Linie der Fossa helicis nach vorn, worauf sich die ganze Flüssigkeit entleerte. Der Knorpel wurde glatt und gelb befunden. Ein dritter Schnitt wurde durch den Knorpel und die Haut hindurch nach der hinteren Fläche der Ohrmuschel geführt. Der vor- dere Schnitt wurde genäht und heilte per primam intentionem. Der hintere Schnitt wurde mit Gaze fest ausgefüllt und täglich ungefähr eine Woche verbunden, worauf Heilung mit geringer Verdickung der Ohrmuschel erfolgte, welche jedoch später verschwand.

Gorham Bacon.

453) Morselli fand im neuen archäologischen Museum der dio- kletianischen Bäder in Rom eine Broncestatue, einen Atlethen in Ueber- lebensgrösse darstellend. Derselbe hat an seinem Körper viele sichtliche Quetschungen, Wunden, Narben. Die Nase ist schief gebogen mit einem Eindruck unterhalb der Glabella, als ob die Knochen gebrochen wären. Die linke Ohrmuschel zeigt ein typisches Hämatom. Gradenigo.

454) Max berichtet über einen Fall von erworbener Lücken- bildung in dem knorpeligen Theile der Ohrmuschel. Der Defect befindet sich in der Mitte der oberen Ohrmuschelhälfte, ist von kreisrunder Gestalt, wie mit einem Locheisen herausgesehlagen und von der Grösse

r

eines Kirschkernes. Max schliesst aus dem Fehlen gewulsteter oder

Aeusseres Ohr. 151

verdickter Perforationsränder, dass es sich hier nur um einen Fall von ausgeheilter, trockener Gangrün der Ohrmuschel handelt. Pollak.

455) Das Keloid an künstlich durchbohrten Ohrläppchen tritt nach Scheppegrell hüufiger beim Neger, als beim Weissen auf und beruht nicht so sehr auf der Beschaffenheit der Ohrringe, wie von manchen Autoren angegeben wird, als auf der dieser Rasse eigenen Neigung zur Bildung fibroider Geschwülste. Er sagt ferner, dass die Neigung zu Rückfüllen sehr gross ist. Von vierzehn Fällen, welche er beobachtet hat, traten zwei bei Weissen, zehn bei Negern und nur zwei bei Mulatten auf. Scheppegrell prüparirt die Geschwulst sorg- fältig heraus, nachdem er sie durch Injection von 5—10 Tropfen einer 4°/,igen Lösung von Cocain. hydrochlor. anästhesirt hat, schliesst die Wunde, wenn es nothwendig ist, durch eine plastische Operation voll- ständig, und lässt die Wunde per primam intentionem heilen. Unter zehn auf diese Methode operirten Fällen trat nur ein Rückfall auf.

Gorham Bacon.

456) Somers berichtet über den Fall eines 16jährigen Mannes, welcher bei der ersten Vorstellung über einen Ausschlag an der Mün- dung des äussern Gehörgangs klagte. Vor einer Woche hatte er einen Anfall von acutem Schnupfen mit Fieber und Ohrenschmerzen (rechts). Die Neuralgie hielt einige Tage an, als sich ein Ausschlag im Ohre einstellte. Es zeigten sich 13 bis 14 Bläschen, welche fast gänzlich innerhalb des Gehörgangs lagen. Das Allgemeinbefinden des Patienten war nicht ganz normal, da er an Nervosität und Atonie des Unterleibes litt. Unter dem Gebrauche von Abführmitteln und gelbem Quecksilberoxyd, local angewandt, verschwanden bald die subjectiven Symptome und der Bläschenausschlag. Gorham Bacon.

457) In Folge vorzeitiger Explosion einer Kanone wurden zwei Leute auf der Plattform getödtet und vier Andere auf den Boden geworfen; Einer davon wurde geblendet, während ein Anderer und der befehligende Officier folgende Ohrenverletzungen davontrugen:

Fall I konnte eine Zeit lang nach der Explosion nicht hören. Es bestanden keine Schmerzen, aber starkes Ohrensausen. Der rechte äussere (Grebörgang war mit Blut gefüllt. Die gewöhnliche Stimme wurde auf eine Entfernung von 3 Fuss gehört; die Uhr gar nicht. Ein grosser Theil der vorderen unteren Abschnitte des Trommelfells waren zerstört. Das liuke Trommelfell zeigte geringe Congestion. Das

1529 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Gehör wurde schliesslich so gut als je zuvor, obwohl leichtes Ohren- sausen bestehen blieb.

Fall II bekam nach der Explosion heftiges Nasenbluten und fühlte starkes Hämmern in seinen Ohren. Sechs Wochen lang hatte sich Eiter entleert, als sich Patient zuerst vorstellte. Die Eiterung des rechten Ohres hatte zu dieser Zeit bereits aufgehört. Das rechte Trommelfell zeigte eine kleine Perforation im oberen, hinteren Segment. Im linken Trommelfell bestand ein grosser Substanzverlust in der unteren Hälfte. Die Knochenleitung ist besser als die Luftleitung. Die Uhr wird auf drei Zoll und gewöhnliche Stimme auf ungefähr zelın Fnss mit beiden Ohren gehört. Die Perforation im rechten Ohre schloss sich und das Gehör für die Uhr nalım bis auf zehn Zoll zu. Links Verkleinerung der Perforation und ebenfalls Besserung des Gehörs.

Gorham Bacon.

458) Bemerkenswerth ist der Umstand, dass eine offenbar von einem Messerstich herrührende Messerspitze 12 Jahre in der hinteren Gehór- gangswand eingekeilt sass, bevor es zu Reactionserscheinungen kam. Durch Operation wurde der Fremdkörper entfernt und damit das Ohr- leiden beseitigt. Noltenius.

Mittleres Ohr.

461. Cohen-Kysper, Dr, Hamburg. Ueber ein neues Verfahren zur Behand- lung der Schwerhörigkeit beim chronischen Catarrh und nach Eiterungen der Paukenhöhle. Deutsche med. Wochenschr. No. 45 und 46; cf. diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 355.

462. Lommel, E., Dr., Spiez. Beiträge zur Kenntniss des pathologisch - ana-

l tomischen Befundes im Mittelohr und in den Keilbeinhöhlen bei der genuinen Diphtherie (25 Sectionsberichte). Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 301.

463. Wolf, Oskar, Dr., Frankfurt. Otitis media acuta, ein Frühsymptom der Polyarthritis rheumatica acuta. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 213.

464. Grunert, Dr. Was können wir von der operativen Entfernung des Steigbügels bei Steigbügelvorhofankylose zum Zweck der Hörverbesserung erhoffen? Ibid. S. 294.

465. Spira, R. Ueber eine unter dem Bilde einer Trigeminusneuralgie latent verlaufende centrale Ostitis processus mastoidei. Ibid. S. 123.

466. Sheppard, J. E. Eine Analyse von 150 Fällen von Betheiligung des Warzenfortsatzes als Complication acuter Mittelohreiterung. Transact.

Americ. Otol. Soc. Bd. VI, No. 3.

467. Jack, Fred. L. Acute Eiterung des Mittelohres mit nachfolgender Caries des Fallopi'schen Canals und Facialisparalyse. Keine Betheiligung der Warzenfortsatzzellen. Transact. Americ. Otol. Bd. VI, No. 3.

469.

470. 471.

472. 473.

474.

415.

476.

477.

478.

479.

480.

481.

482. 483. 484.

485.

` Mittleres Ohr. m 153

. Fridenberg, Edward. Latente Warzenfortsatzerkrankung. Med. News

24. October 1896.

Schwartze, H. Ueber Caries der Ossicula auditus. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 204; siehe das Referat über die Sectionsverhandlungen der Naturforschervers. zu Frankfurt a. M. in dieser Zeitschr. Bd. XXIX, S. 382.

Schwartze, H. Cholesteatoma verum squanıae ossis temporum. Ibid.

Walker, S. Ein Fall von ausgedehnter Nekrose des Schläfebeins bei einem Kinde von 3 Jahren. British Medical Journal 31. October 1896.

Guranowski, Dr., Warschau. Zur Casuistik der Labyrinthnekruse. Exfoliation der knöchernen Bogengänge und des hinteren Vorhoftheiles. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 12, 1896.

Kipp, Chas. J. Ein Fall von eitriger Entzündung des Mittelohres, mit Perforation der Warzenfortsatzzellen, gefolgt von Erisypel (mit Teınperatur- tafel) Transact. Amer. Otolog. Soc. Bd. VI, No. 3.

Hegetschweiler, J., Dr., Zürich. Ueber Bezold'sche Mastoiditis mit pyämischen Erscheinungen. Diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 215.

Lichtwitz. Ein Fall von Bezold’scher Warzenfortsatzerkrankung, Oeff- nung des Halsabscesses und des Antrums, Resection des Warzenfortsatzes, Heilung. Arch. internat. de laryng. etc. Bd. IX, No.5; s. . diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 44.

Luc. Ein Fall von Bezold'scher Warzenfortsatzentzündung mit letalem Ausgange, Erscheinungen von Hirnabscess. Arch. internat. de laryng. etc. Bd. IX, No. 5.

Toeplitz, Max. Die Radikalheilung der discnbichen Mittelohreiterung. The Post-Graduate. November 1896.

Kuhn, A., Prof. in Strassburg. Casuistische Mittheilungen. I. Otit. media purul. acuta sin. Meningitis oder Gehirnabscess? Amnestische Aphasie. Operation, Tod. Meningitis. II. Cholesteatom des rechten Mittelohres. Während der Operation Tod in Folge von Lufteintritt in den verletzten Sinus sigmoideus. Diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 1.

Broca, A. Die intracraniellen Complicationen der Mitdulirentedudung Ann. des mal. de l'or. etc. November 1896.

Macewen, William. Gehirnchirurgie. Occidental Med. Times. Nov. 1896.

Bacon, Gorham. Ein Fall von Gehirnabscess in Folge von chronischer Eiterung des Mittelohres, welcher ungewöhnliche Symptome darbot. Operation, Heilung. Transact. Americ. Otolog. Soc. Bd. VI, No. 3.

Myles, Robert C. Ein Fall von otitischem Gehirnabscess bei einem jährigen Kinde. Heilung. Trans. Amer. Otol. Soc. Bd. VI, No. 3.

Woodward, J. U., Dr., Burtington. Eitrige Mittelohr- Entzündung ; Abscess im Kleinhirn; Tod; Autopsie. Diese Zeitsehr. Bd. XXIX, S. 373.

Lannois et Jaboulav. Hämianopsie bei otitischen Cerebralabscessen.

Arch. internat. de laryngol. 1896,

Acland, T. D. und Ballance, C. A. Kleinhirnabscess nach Ohr- erkrankung. St. Thomas’ Hospital Reports 1894.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bà. XXX. 11

154 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

486. 487. 488. 489.

490.

491.

492.

493.

494. 495.

496.

49.

A98.

499.

500.

901.

Walker, Secker. Kleinhirnabscess, Complication von Warzenfortsatzer- krankung. British Medical Journal 21. November 1896.

Schwartze, H. Otogener Cerebellarabscess. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 209.

Leutert, E. Ueber die otitische Pyämie. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 217; cf. diese Zeitschr. Bd. XXIX, S. 383.

Zaufal, Prof, Prag. Ein durch Operation geheilter Fall septischer otitischer Sinusthrombose. Prag. nied. Wochenschr. No. 49, 1896.

Eulenstein, H., Dr., Frankfurt a. M. Mittheilung eines durch Excision der thrombosirten Vena jugularis interna geheilten Falles von otitischer Pyümie. Diese Zeitschr. Bd. XXIX. S. 347.

Hoffmann, Richard, Dr., Dresden. Ausgedehnte nicht inficirte Thrombose mehrerer Hirnsinus und der Jugularis in Folge einer Operationsverletzung des Sinus transversus. Heilung. Diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 17,

Rimini, E. Ueber einen Fall von Pyämie bei acuter Otitis media. Bollettino delle malattie del’orrecchio 1896, 161.

Pooley, Thomas R. Ein Fall von eitriger Mittelohrentzündung, periostaler Mastoiditis, innerer Mastoiditis, Gehirnabscess, Thrombose des Lateral- sinus, Meningitis, optischer Neuritis, Tod. Trans. Amer. Otolog. Soc. Bd. VI, No. 3.

Ridley, Walter. Mittelohrpyámie. Heilung. Lancet 28. Nov. 1996.

Stewart, W. R. H. Ein Fall von Pyámie bei Mittelohreiterung. Operation. Heilung. Recovery. Lancet 7. November 1896.

Stern. Warzenfortsatzeróffnung, Phlebitis der Vena jugularis, intracranielle Erscheinungen nervósen Ursprungs. Heilung. Rev. hebdom. de laryng. d'otol. No. 50, 1896.

Adams, John L. Ein Fall von Thrombose des Sinus lateralis, mit Heilung nach der Operation. Trans. Amer. Otol. Soc. Bd. VI, No. 3.

Dench, E. B. Thrombose des Sinus lateralis nach Otitis media purulenta. Operation. Heilung. Trans. Amer. Otol. Soc. Bd. VI, No. 3.

Dench, E. B. Otitische Meningitis. Operation. Heilung. Trans. Amer. Otolog. Soc. Bd. VI, No. 3.

Knapp, Hermann. Ein Fall von eitriger Otitis media, bei welchem sich deutliche Symptome von Meningitis entwickelten. Auf die Eröffnung des Warzenfortsatzes und der Schädelgrube erfolgte prompt Besserung und schliessliche Heilung. Trans. Amer. Otol. Soc. Bd. VI, No. 3.

Riehl, Carl, Dr., Wien. Zur Casuistik der otogenen Meningitis. Wien. klin. Rundschau No. 47, 1896.

463) Ein 50jähriger Kaufmann erkrankt im Anschluss an einen

acuten serösschleimigen Mittelohrkatarrh an schwerem Gelenkrheuma-

tismus mit Endocarditis, welcher er nach 1!/, Jahren erlag. 2. Ein

18 jähriger Gärtner bekommt 4 Tage nach Beginn einer leichten Angina einen rechtsseitigen acuten Mittelohrkatarrh und nach einer weiteren Woche Polyarthritis acuta mit Pericarditis und Pleuritis von längerer

Mittleres Ohr. 155

Dauer. Die in beiden Fällen nach Ablauf des Rheumatismus zurück- gebliebene Verdichtung der Paukenauskleidung (am Trommelfelle er- kennbar) fasst Wolf als Anfang der »Sclerose« auf und vindicirt dieser eine rheumatische Basis. Er glaubt, dass das specifische Rheumatismus- gift aut dem Blutwege, vielleicht auch direct per tubam zuerst in's Ohr gelangt sei und sich hier zuerst localisirt habe. Bloch.

464) Grunert beantwortet die gestellte Frage dahin: bei vor- handener Labyrintherkrankung gar nichts, bei Anwesenheit mancher anderer Veründerungen, z. B. am runden Fenster, auch nichts. Selbst die Wirkung auf die Geräusche ist zweifelhaft. Gleichwohl sollen die Versuche fortgesetzt werden. Bloch.

465) Wahrscheinlich handelte es sich um einen subduralen Abscess nach acuter Otitis media. Bloch.

466) Sheppard bespricht auf Grund von 150 Fällen von Warzen- fortsatzerkrankung bei acuter Mittelohrentzündung sehr eingehend die Symptome, die Diagnose und die Behandlung; als allgemeine Regel sollte gelten, zu operiren, wenn man im Zweifel ist. Gorham Bacon.

467) Bei einem Patienten mit Facialislähmung bei acuter Mittelohr- entzündung fand Jack bei der Operation die Warzenfortsatzzellen frei von Eiter, im freigelegten Facialcanal Eiter und erweichten Knochen. Heilung. Gorham Bacon.

468) Unter dem Titel latenter Warzenfortsatzerkrankung berichtet. Fridenberg über vier Fälle, bei welchen die Warzenfortsatzzellen eröffnet werden mussten und er behauptet, dass diese Fälle nur Typen von Fällen sind, bei welchen die acute oder chronische Erkrankung des Warzenfortsatzes grosse Zerstörung innerhalb des Knochens herbei- führt, ohne dass Symptome entstehen, bis der pathologische Process einerseits die Hirnhäute, halbzirkelförmigen Canäle, andererseits das Periost erreicht. Auf die Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnose und : Behandlung wird hingewiesen. Gorham Bacon.

471) Walker entfernte einen Sequester, der sich nach Scharlach- erkrankung gebildet hatte, und der aus Schnecke, halbzirkelförmigen Canälen, innerem Gehörgang und einem Theil der Warzenzellen bestand. Es blieb eine grosse Höhle zurück, deren hintere und obere Wand von der Dura der mittleren und hinteren Schäde!grube gebildet wurde.

| Cheatle.

472) Es handelte sich um ein 2!/, Jahre altes Kind, welches seit dem neunten Lebensmonat an Scharlachotorrhoe litt, die sich schon in

11*

156 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

der ersten Zeit mit Entzündung des Warzenfortsatzes complicirte. Eine ausgedehnte Felsenbeincaries führte zur Sequestrirung der knöchernen Bogengänge und des hinteren Vorhoftheiles. Der Sequester wurde auf operativem Wege entfernt. Killian.

473) Kipp’s Patientin, eine verheirathete 37 jährige Frau, wurde zuerst im Januar 1895 gesehen. Zu dieser Zeit bestand eitrige Ent- zündung beider Mittelohren mit Perforation des Trommelfells. Sie ver- nachlässigte ihre Behandlung eine Zeit lang, kam aber am 22. März nach dem »Infirmary« zurück. Es bestand ausser der Mittelohrerkrankung noch eine grosse Schwellung unterhalb des rechten Warzenfortsatzes, welche sich nach unten über die Seite des Halses ausdehnte; die Haut war nicht roth und es war nur undeutliche Fluctuation vorhanden. Beim Einschnitt fand sich eine Perforation an der medialen Seite des Warzen- fortsatzes in die Fossa digastrica und der Eiter hatte sich am Halse unter die tiefe Halsfascie gesenkt. Im Warzenfortsatze fanden sich Eiter und Granulationen. Zur Zeit der Operation war die Haut der Ohrmuschel roth und hatte das Aussehen von Erisypel. Am folgenden Tage stieg die Temperatur plótzlich auf 40?. Das Erisypel wanderte quer über das Gesicht auf die andere Ohrmuschel. Die Temperatur blieb bis zum 7. Tage hoch. Die Patientin wurde am 24. April aus dem Hospital entlassen. Gorham Bacon.

476) Bei der Operation fand sich der ganze Warzenfortsatz zu einer Höhle eingeschmolzen; nach der Ausräumung zeigte sich, dass bei Druck auf die Infiltration unterhalb des Warzenfortsatzes von Neuem in ein Loch an der knöchernen Hinterwand der Operationshöhle Eiter eintrat; in das Loch wurde eine gekrümmte Sonde eingeschoben, bis man sie am Halse unter der Haut fühlte, und auf der Sonde alle trennenden Weichtheil- und Knochenpartieen durchtrennt, die ganze grosse Höhle austamponirt. Der Fall wurde zwar als in Heilung begriffen in einer ärztlichen Versammlung vorgestellt, Patient ging aber knapp einen Monat- später an einer intracraniellen Complication wahrscheinlich Gehirn- abscess zu Grunde. Leider wurden Luc sowohl die Operation als nachher die Autopsie von dem Hausarzt verweigert. Zimmermann.

477) Toeplitz glaubt, daes in den auf den Atticus beschrünkten Fällen chronischer Eiterung, in welchen nur der Hammer und der Amboss ohne Betheiligung der Knochenwünde cariós sind, die blosse Entfernung der Knóchelchen eine Radicalheilung herbeiführt. Eine Reihe solcher von ihm ausgeführter Operationen bestütigen diese Ansicht. Wenn aber

Mittleres Ohr. 157

die Caries die Knochenwände, besonders die hintere oder innere Labyrinth- wand ergriffen hat, ein Zustand, welcher mit der Sonde diagnosticirt wird, wenn der Ausfluss sehr übelriechend bleibt, wenn die Schmerzen im Ohr und der entsprechenden Seite des Kopfes so hartnäckig werden, dass dem Patienten das Leben zu einer Qual wird, dann wird, wenn alle anderen Linderungsmittel erschöpft worden sind, die radicale Ent- fernung aller erkrankten Partieen nothwendig. Toeplitz empfiehlt Stacke’s Operation für diese Fälle und giebt an, dass er seit Februar 1895 fünf Fälle nach dieser Methode operirt habe, von denen zwei vollständig geheilt sind. Die übrigen drei Fälle sind noch in Behand- lung; in zweien derselben musste er den grössten Theil des Felsenbeins stückweise nach hartnäckiger Behandlung mit reinen Säuren entfernen. Er glaubt. dass auch diese bald geheilt sein werden. Gorham Bacon. 479) In sehr überzeugender Weise kommt Broca an der Hand eingeflochtener Beispiele auf seine früheren Ansichten zurück. Das operative Verfahren ist nur bei der Meningitis erfolglos. Trotzdem wird man auch hier zuweilen operiren, weil selbst für den besten Kliniker die Symptome nie ganz eindeutig sind und nie sicher andere intracra- nielle Complicationen ausschliessen lassen. Broca hat selbst ausser seinen schon publicirten Fällen zwei weitere bei Kindern erlebt, die er ausführlich citirt. Der erste Grundsatz bei Verdacht auf intracranielle Complicationen ist, stets Pauke und Warzenfortsatz gründlich freizulegen und von da und zwar ohne Anlegung einer zweiten Oeffnung tiefer vor- zudringen. Das gilt besonders für den extraduralen Absces. Broca ist nicht der Ansicht, dass man unterschiedslos auch bei gesunden Knochen das Schädelinnere eröffnen soll, sondern meint selbst bei Vor- handensein undeutlicher cerebraler Symptome genüge es, in acuten Fällen das Antrum, in chronischen Fällen Antrum und Pauke freizu- legen; wo sich cariöse Knochen fänden, solle man mit der Möglich- keit eines extraduralen Abscesses rechnen. Bei extraduralem Abscess solle man sich mit der Freilegung desselben begnügen, denn be- sonders bei Kindern seien dadurch allein oft schwer erscheinende Symptome hervorgerufen. Bei den Sinusthrombosen ist Broca Anhänger der vorgängigen Jugularisunterbindung und stellt die Prognose um so günstiger, je früher der Fall operirt wird. Der Ausgangspunkt für die Operation ist wieder das Antrum. Das soll auch die Regel bei den Gehirn- und selbst bei den Kleinhirn-Abscessen sein, obwohl hier der Zugang enger und gefährlicher ist. Broca belegt seine Ansicht durch ausführliche Krankengeschichten. Zimmermann.

` ee RA & E Moa n E an io Mr ege Ed . [el A o igo f Er 3 E = T d dut z `

Eu y ELE

158 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Obrenheilkunde.

480) Macewen hielt auf die Einladung des Cooper Medical College hin fünf Vorlesungen über Gehirnchirurgie, wodurch er den „Laue’schen Vorlesungscursus“ feierlich eröffnete.

Die erste Vorlesung war der Betrachtung der Gehirnanatomie ge- widmet, worin der Vortragende ausführt, dass „die wirkliche Gestalt des Gehirns in seiner Beziehung zu den Hüllen in Gefrierschnitten am besten gesehen wird.

Das Hervorragen des Kleinbirns über das Foramen magnum hinaus, verschafft den Lebenscentren nicht nur sehr viel Schutz, sondern dient auch zur Erklärung des offenbaren Widerspruchs bei den klinischen Beobachtungen von Symptomen, von Seiten der Geschwülste, welche in einem oder dem andern seitlichen Lappen gelegen sind."

Der Vortragende bezog sich dabei auf einen Fall, in welchem der Patient eine Woche vorher einen Fall erlitten hatte, aber sich seit der Verletzung nicht niedergelegt hatte, weil er in liegender Stellung ein Gefühl des nahenden Todes hatte. Bei der Aufnahme ins Hospital wurde er dazu überredet zu Bett zu gehen, und der Tod erfolgte in kurzer Zeit. Dies erklärte sich bei der Section aus dem Druck eines Blut- klumpens auf das Athmungscentrum.

In der zweiten Vorlesung sprach Macewen über Gehirnlocali- sation, zeigte eine Anzahl pathologischer Gefrierschnitte und eine Zeich- nung eines frühzeitig von ihm operirten Gehirntumors.

Die dritte Vorlesung war der Betrachtung der Art der Ent- deckung von Gross- und Kleinhirntumoren und ihrer Behandlung ge- widmet. Er räth bei der Erkennung irgend eines Gehirnfalles als den ersten wesentlichen Punkt dies festzuhalten, dass man alle von anderen Erkrankungen herrührenden Symptome ausschalte.“

Der Gegenstand der vierten und fünften Vorlesung ist der Gehirnabsces. Macewen glaubt, dass Gehirnabscesse sehr häufig auftreten, dass sie häufig nicht erkannt werden, und dass sie am häufigsten durch pyogene Erosionsprocesse im’ Schädel und den ihn bedeckenden Weichtheilen herbeigeführt werden, welche durch directe Ueberleitung in das Gehirn eindringen. Er behauptet, „wenn ein Kleinhirnabscess durch einen Herd im Mittelohr verursacht worden ist, so findet man diesen Abscess in unmittelbarer Berührung mit dem Sinus (lateralis); man findet ihn nicht in andern Theilen. Wenn man daher nach Eröffnung des Mittelohres findet, dass der Erosionsprocess eine rückwärtige Richtung eingeschlagen hat, und

Mittleres Ohr. 159

wenn die Symptome eines Abscesses bereits bemerkt worden sind, so kann man versichert sein, dass man diesen Abscess durch Umgehung dieses grossen Blutkanals nach hinten erreichen kann. Dies war bei allen von ihm operirten Fällen von Kleinhirnabsces, welche vom Mittelohr ausgingen, der Verlauf gewesen.“

Die Symptome des Abscesses bestehen in einer deutlichen Herab- setzung des Pulses und in einer ausgesprochenen Herabminderung der Temperatur. Im frühen Stadium wird jeder Fall über schwere Kopfschmerzen klagen. Die Schmerzen werden in einigen Tagen geringer werden, aber zu jener Zeit wird man eine deutliche Verlangsamung des Denkens bemerken Macewen glaubt, dass man bei der Operation zuerst das Antrum des Warzenfortsatzes eröffnen soll, und dass man sich, einmal in dieser Höhle angelangt, einen sehr guten Führer für weitere Operationen verschafft hat. Nach Eröffnung des Antrum muss man die Lage der Erosionen und ihre Richtung sorgfältig prüfen. Der Vor- tragende braucht zur Entfernung der äusseren Knochenpartien einen Hohlmeissel mit grossem, abgeflachtem Kopfe, welcher in der flachen Hand gehalten werden kann. Ausserdem empfiehlt er Bohrer (von der S. S. White Co. angefertigt), welche von einer chirurgischen Maschine rotirt werden. Er warnt vor dem Gebrauch von Drainageröhren in Abscesshóhlen. Wenn Ausspülungen des Gehirns wünschenswerth er- scheinen, so soll man zwei Canülen so einführen, dass die durch die obere eingespritzte Flüssigkeit, durch die untere grössere wieder abfliessen kann. Gorham Bacon.

481) Der Fall betraf einen jungen 32jährigen Mann mit chroni- scher Eiterung des linken Ohres von 18jähriger Dauer in Folge von Masern. Er hatte über Schmerzen im Kopfe geklagt und sich während einer kurzen Zeit sonderbar benommen. Am 5. December 1895 wurde der Patient bei einer Temperatur von 40? C. an das Zimmer gefesselt, hatte heftige Kopf- und Ohrenschmerzen und war eine halbe Stunde lang bewusstlos. Der äussere Gehörgang war mit Granulationen und. sehr übelriechendem Eiter angefüllt.

In Narkose wurden die Warzenfortsatzzellen eröffnet und eine Ver- bindung mit dem Antrum hergestellt. Der äussere Gehörgang wurde mit dem Löffel gründlich ausgekratzt. Der Sinus lateralis wurde während der Operation in seinem ungewöhnlichen Verlaufe verletzt, wobei reichlicher Bluterguss erfolgte, der durch Tamponade gestillt wurde. Der Patient wurde durch die Operation sehr erleichtert und blieb es zwei Tage lang, als

160 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

sich am 8. December Aphasie einstellte. Am folgenden Tage bekam er einen schweren Schüttelfrost mit profusem Schweiss und heftigen Kopf- schmerzen. Temp. 40° C. Der Fundus beider Augen normal. Am 10. December wurde der Patient wieder narcotisirt, der Sinus untersucht, aber ohne Gerinnsel befunden. Ein Knochenstück wurde dann mit dem Trepan entfernt, dessen centrale Nadel zwei Zoll oberhalb der Mitte des äussern Gehörgangs aufgesetzt wurde. Die Dura war hervorgewölbt, aber pulsirend. Die Knochenöffnung wurde bedeutend vergrössert. Bei der Abtrennung der Dura vom Knochen über dem Dach der Trommel- höhle schoss ein Strom stark übelriechenden Eiters heraus. Ein Y-för- miger Einschnitt wurde in die Dura gemacht und eine grosse Abscess- höhle im Temporo-Sphenoidallappen gefunden, woraus sich 1!/, Unzen Eiters und zerfallene Gehirnmassen entleerten. Die Abscesshöhle wurde nicht ausgespritzt, sondern mit Jodoformgaze lose tamponirt.

Schwankungen in der Temperatur bestanden bis zum 15. December fort, worauf sie normal wurde. Die Abscesshöhle füllte sich allmählich aus und der Patient ging ununterbrochen einer langsamen, aber voll- ständigen Heilung entgegen. Ueber den Fall wurde ganz besonders deshalb berichtet, um zu zeigen, dass ein Patient mit einem Gehirn- abscess Schüttelfröste, hohe Temperaturen, schnellen Puls und Krämpfe haben kann, so dass eine Differenzial-Diagnose zwischen Gehirnabscess und Lateralsinusthrombose schwierig werden kann.

| Gorham Bacon.

482) Der Fall von Myles betraf ein 7jähriges Mädchen mit 3jähriger Mittelohreiterung nach Scharlach. Bei der ersten Vorstellung war die "Patientin komatós und konnte nicht erweckt werden. Die rechte Ohrmuschel war hervorgewölbt; es bestand eine ausgedehnte Schwellung über der Warzenfortsatzgegend und eitriger Ausfluss aus dem Ohre. Der. Warzenfortsatz wurde eröffnet und die äussere Wand vollständig entfernt. Der Knochen war weich und nekrotisch, und mit Granulationsgewebe und Eiter gefüllt. Der Löffel nach oben in den Attikus eingeführt, glitt beim Entfernen von Granulationen in die Schädel- hóhle. Ein Theil des Daches des Attikus wurde entfernt, und ein dem Inhalt eines Weinglases entsprechende Menge Eiters entleerte sich. Drei Wochen etwa nach der Operation zeigte sich eine grosse Schwellung unter dem hintern Rande des Warzenfortsatzes und des Hinterhaupts- beines. Ein grosser Senkungsabscess wurde gefunden und eine Gegen- óffnung angelegt. Heilung. Gorham Bacon.

Mittleres Ohr. 161

484) Es handelte sich um einen Patienten mit 25 jähriger Otorrhoe, bei welchem sich plötzlich alle Zeichen eines Hirnabscesses entwickelten, plötzliches Auftreten mit Schwindel, Unsicherheit des Ganges, Uebelkeit, Dysphasie, heftigem Kopfschmerz, rechtseitiger Hemiparese ohne Tempe- raturerhöhuug. Störungen, welche man auf sensorische Aphasie beziehen musste und das Vorhandensein einer lateralen Hemianopsie mit Erhal- tung der Pupillenreaction gestatteten den Sitz des Abscesses festzustellen. Der Reflex von Wernicke zeigte in der That, dass es sich nicht um einen Abscess im Schläfenlappen, sondern vielmehr im Hinterhauptslappen handeln musste.

Trotz der bestimmten Diagnose schlug die Aufsuchung des Abscesses zwei Mal fehl und erst beim dritten Versuch, der sich auf die bestimmte Diagnose gründete gelang es die Eiterhöhle zu erreichen. Die Autopsie bestätigte die Diagnose. Hartmann.

485) 15jähriger Knabe, der seit seinem sechsten Jahre an rechts- seitiger Otorrhoe nach Masern litt. 5 Tage vor der Aufnahme waren Kopfweh und taumelnder Gang aufgetreten; danach Schwindel, Er- brechen, Nystagmus und heftiger Hinterkopfschmerz. Magerer, blasser Junge; benommen; linke Kórperhülfte in gekrümmter Haltung mit all- gemeiner Flexionstellung der Glieder; beide Augen nach links stehend, Nystagmus, Pupillen normal, Zeichen von beginnender Papillitis, keine Facialislähmung; rechter Arm und beide Beine in ihrer Kraft augenscheinlich herabgesetzt; rechter Patellarreflex verstärkt. Aus dem rechten Ohr Ausfluss von fötidem Eiter. Am Warzenfortsatz keine abnormen Erscheinungen. Temperatur subnormal. Puls etwa 56. Es wurde der Warzenfortsatz, Paukenhöhle und Antrum gründlich von Eiter und Granulationsgewebe gesäubert, die hintere Gehórgangswand entfernt. Eine halbe Unze Eiters wurde aus dem rechten Kleinhirn- lappen entleert. Auf die Operation trat bedeutende Besserung ein. 9 Tage später kehrten dieselben Symptome plötzlich wieder, dabei floss eine röthliche dünne Flüssıgkeit in den Verband ab. Abermals nach einer Woche entleerte sich eine Ansammlung von Blut in der Nähe des Abscesses. Heilung. An diese Krankengeschichte schliessen Acland und Ballance eine erschöpfende Abhandlung über den Gegenstand, die sorgfältiges Studium verdient; es ist darin besonders hingewiesen auf die Parese der Extremitäten und die Verstärkung des Patellarreflexes. Cheatle.

486) In einer Versammlung der Leeds und West Riding Medico- Chirurgical Society theilte Walker die Krankengeschichte eines

162 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

14jährigen Knaben mit, der nach Entleerung eines Abscesses im linken Kleinhirnlappen genesen war.

Unter den Symptomen sind zu nennen: zeitweise Schüttelfröste und Erbrechen mit Stuhlverstopfung, Muskelschwäche beider Arme, verstärkter Patellarreflex auf der linken Seite. Stauungspapille war nicht vorhanden, ebensowenig Augenmuskel- oder Facialislähmung. Bei dem Ausspritzen der Abscesshöhle folgte man dem Rath Macewen's, zwei verschieden grosse Röhren einzuführen und vorsichtig durch die kleinere einzuspritzen. Ch ea tle.

487) Chronische fötide Ohreiterung, Defect der hinteren Hälfte des Trommelfells, Hinterkopfschmerz mit Sausen, Erbrechen, Ver- stopfung, Schwindel bei Augenschluss, Taumeln nach der gesunden Seite, rechte Pupille weiter, Patellarreflex gesteigert, Puls klein, frequent, oft unregelmüssig, Temperatur subnormal. Tod unter Respirationsläihmung. Nussgrosser Abscess der rechten Kleinhirnhemi- sphüre, umschriebene Lepto- und Pachymeningitis interna, alte Endocarditis deformans. Im Labyrinth Bindegewebsneubildung. Als Symptome des Abscesses sind nur der Kopfschmerz, das Erbrechen und die Pupillen- differenz anzusehen. Die Herzaffection war im Leben nicht zu erkennen.

Bloch.

489) Rechtsseitige acute Otitis media purulenta mit Perforation im vorderen unteren Quadranten, Fieber, keine Schüttelfröste, halbseitige Kopfschmerzen, leichte Unbesinnlichkeit, Nackensteifheit, träge Reaction der Pupillen, negativer Befund im Augenhintergrund, Paralyse der Blase, Pulsverlangsamung, Schmerzhaftigkeit des rechten äusserlich unveränderten Proc. mast. Bei der Operation fand sich Eiter in den tieferen, hinteren Zellen des Proc. mast. Beim Abmeisseln des Sulc. sigm. wird ein perisinuöser Abscess aufgedeckt, die Zitze mit einem Meisselschlag entfernt, der Sinus blossgelegt, mit der Scheere eröffnet, die laterale Wand ausgeschnitten, die Vena jugularisin der Höhe des Schildknorpels unterbunden. Im weiteren Verlaufe bildeten sich metastatische Abscesse zwischen den linken Glutäen und eitrige Pleuritis, die gespalten wurden, beziehungsweise punctirt. Vollständige Heilung in sechs Wochen. Pollak.

492) Es handelt sich um ein siebenjähriges Kind, ergriffen von einer linksseitigen acuten catarrhalischen Otitis media, zwei wiederholte Paracentesen hatten ganz geringen schleimigen Ausfluss herbeigeführt. Es stellte sich ein starkes Frostgefühl ein, erhöhtes Fieber von

Mittleres Ohr. 163

piàmischem Charakter und später Schmerzen im rechten Handgelenk und im linken Kiefergelenk. Bei der Operation des Warzenfortsatzes fand sich nichts pathologisches, bei der Freilegung des Sinus eine geringe Menge Eiter. Entfärbte Wände, fehlender Puls. Beim Einschnitt wurden kleine Thromben herausgezogen, die an den Wänden festhingen. In dem Sinus selbst fand sich kein Eiter. Trotz des Eingriffs be- standen die piämischen Erscheinungen fort. Es entstanden darauf Metastasen im rechten Hand- und im linken Hüft-Gelenk, welche operirt wurden. Zwei Tage nach der Trepanation erschien Icterus mit Ent- fárbung der Füces. Heilung in drei Monaten. Der Fall ist selten, weil es sich um eine acute Otitis handelte, und weil diese von Anfang an einen gutartigen Character hatte. Gradenigo.

493) Pooley berichtet über den Fall eines 12jährigen Jungen, welcher viele Jahre an Otorrhoe der linken Seite gelitten hatte. Bei der Aufnahme ins Hospital bestanden alle characteristischen Symptome von Warzenfortsatzerkrankung; Temperatur 38.9?, Puls 128. Eine Wilde'sche Incision brachte für mehrere Tage vorübergehende Er- leichterung. Sechs Tage später wurden die Warzenfortsatzzellen eröff- net, und übelriechender Eiter und cariöser Knochen entfernt. Der Sinus lateralis wurde während der Operation freigelegt. Am folgenden Tage hatte der Patient einen schweren Schüttelfrost mit Fieber von 40,4°. Am 29. Juli wurde Schwellung der linken Papilla nervi optici entdeckt. Es war versucht worden, die Temperatur durch innere Mittel und Eis herunterzudrücken. Der Patient wurde allmählich schlimmer und wurde im rechten Auge am 20. August blind. Am 22. August fand sich hochgradige Schwellung der Papille mit Blutungen im linken Auge. Am 23. August entwickelte sich eine motorische Paralyse der rechten Seite. Der Patient wurde comatös und starb am 3. September. Section: Die Gefässe der Dura mater waren stark gefüllt, bei der Eröffnung der Dura bedeckte eine Lage übelriechenden Eiters die ganze linke Hemispháre. Die Pia war stark geschwollen und die ganze Basis der Stirnlappen in Eiter gebadet. Die Sehnerven waren geschwollen und ihre Scheiden ausgedehnt. Ein grosser, abgekapselter Abscess fand sich im vorderen Theile des Hinterhauptlappens der linken Seite. Es bestand ausgedehnte Thrombose des Lateralsinus, welche sich bis ins Torcular herophili hinein fortsetzte, und Caries des Schläfenbeins.

Gorham Bacon.

494) In der Northumberland and Durham Medical Society stellte

Ridley einen jungen Mann vor, bei dem wegen hohen Fiebers und

164 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

wiederholter Schüttelfröste, die im Verlauf einer fötiden Mittelohreiterung auftraten, die V. jugularis int. unterbunden und die Schädelhöhle er- öffnet worden war. Die Vene fand sich, soweit ihr Verlauf nach ab- wärts verfolgt werden konnte, durch einen fötiden Thrombus ausgefüllt. Ausserdem wurde ein subduraler Abscess eröffnet, und der Sinus, der nur in seinem an den Warzenfortsatz angrenzenden Teil sich thrombosirt fand, ausgeräumt. Heilung. Cheatle.

495) In Steward's Fall handelte es sich um einen 11 jährigen Knaben, der 5 Tage vor der Aufnahme ins Hospital mit Schmerzen im rechten Ohr, Erbrechen und Frieren erkrankt war. Bei der Aufnahme Temperatur 39?, Schwellung und Druckempfindlichkeit hinter dem Ohr und geringgradige rechtsseitige Stauungspapille. Das Antrum wurde eröffnet, aber es trat nur vorübergeheud Besserung ein. Bei der Exploration des Lateralsinus fand sich ein nicht infectiöser (gesunder) Thrombus, eine Incision der Dura mater entleerte eine grosse Menge seröser Flüssigkeit. Da aber die Schüttelfröste anhielten, wurde der Lateralsinus eröffnet und der Thrombus, der sich als ganz frisch erwies, entfernt. Heilung. Cheatle.

496) Der Sinus erschien bei der Operation nicht verfärbt und wurde deshalb nicht eröffnet; 4 Tage p. o. wurde die V. jugularis schmerz- haft und ihre Umgebung infiltrirt; am 10. Tage erster Schüttelfrost und am 12. Incision der Infiltration unter dem Warzenfortsatz, ohne Eiter zu finden; am 14. Tage zweiter Sehüttelfrost und zunehmende Schwellung um die Jugularis; erstere am 27. Tage gespalten, enthielt vielen Eiter. Danach spontane Abheilung. Dieselbe wurde nach nervösen Aufregungen bald danach durch Symptome unterbrochen, die eine intracranielle Complication annehmen liessen, innerhalb der nächsten 3 Wochen aber unter interner Behandlung dauernd und völlig sich wieder zurückbildeten. Zimmermann.

497) Adams berichtet über den Fall einer 24jährigen jungen Frau, welche er am 9. März 1896 zum ersten Mal sah und die bereits vor fünf Jahren in Folge einer Erkältung am linken Ohr gelitten hatte. Es stellte sich eine Ohreneiterung ein, welche ein Jahr lang anhielt, und seitdem litt sie an Ohrensausen in demselben Ohre und wurde immer schwindlig, wenn der geringste Druck auf den äusseren Gehör- gang ausgeübt wurde. Vor sechs Wochen zog sie sich wieder eine Erkältung zu, welche von Schmerzen in demselben Ohre gefolgt war. Das Ohr begann zu eitern und wurde mit einer warmen Borsäure-

Mittleres Ohr. 165

lösung ausgespritzt. Die Schmerzen waren so heftig, dass ein Blutegel und warme Umschläge verordnet wurden. Ein Ohnmachtsanfall und Schüttelfröste mit Temperatur von 40° und Erbrechen erfolgten. Es bestanden heftige Schmerzen im Ohre und der Stirngegend. Die Patientin kam nun unter Adams Behandlung und wurde ins Hospital aufgenommen. Heftige Schmerzen traten über dem linken Warzenfort- satz auf; der letztere war geschwollen und, besonders an der Spitze sehr druckempfindlich. Die Schwellung breitete sich nach unten über den Hals aus, es konnte aber kein strangartiger Zustand der Jugular- vene entdeckt werden. Der Gehörgang war mit weisslichen eitrigen Massen angefüllt und die hintere Wand geschwollen und eindrückbar. Das Trommelfell war fast ganz zerstört.

Die Patientin wurde narcotisirt. Bei der Aufmeisselung fand sich ausgedehnte Zerstörung und eitrige und cholesteatomatöse Ablagerungen im Warzenfortsatz. Eiterung um den Sinus. Bei Eröffnung desselben kein Blut. Ein Blutklumpen wurde vom oberen Ende des Sinus ent- fernt und ein kleiner Löffel nach dem Torcular herophili geführt. Der Inhalt unterhalb desselben wurde, soweit als der Löffel reichen konnte, entfernt. Zehn Tage nach der Operation schwankte die Temperatur mehr oder weniger, wobei sie zuweilen beträchtlich stieg. Rasche Heilung. Gorham Bacon.

498) Bei einem 18jährigen jungen Manne, welcher fünf Jahre lang an Otitis media purulenta gelitten hattte, traten schwere Schmerzen im Ohre, welche sich allmählich über die Gegend des Warzenfortsatzes ausbreiteten und Uebelkeit uud Schwindel auf. Bei der Aufnahme ins Hospital war geringer, seröseitriger Ausfluss vorhanden. Es bestand eine Hervorwölbung des oberen Theiles des Trommelfells; dabei war beträchtliche Empfindlichkeit über dem Antrum vorhanden. Temp. 38,3 9 C. Das Trommelfell wurde ausgiebig incidirt und die Leiter’schen Röhren angelegt. Zwölf Stunden später hatte der Patient einen schweren Schüttelfrost, wobei die Temperatur 41,6? C. erreichte, ausserdem be- standen schwere Kopfschmerzen, Delirium und Incontinenz des Urins, des Stuhls. Die Temperatur fiel, stieg aber wieder. Bei der Operation fanden sich die pneumatischen Rüume mit faulem, küsigen Eiter angefüllt, die Meningen lagen frei. Der Sinus wurde mit einer Nadel durchsucht, leer befunden. Sinus eröffnet und ein fibrinöses Gerinnsel mit dem Löffel entfernt. Der Sinus wurde weiter ein- geschnitten und nach unten bis etwa innerhalb eines Viertel Zolles

an

166 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

vom Bulbus venae jugularis verfolgt. Durch festen Druck auf Jugularis interna des Halses und durch Einführung eines Lóffels nach unten in der Richtung des Bulbus floss das Blut frei aus. Der Sinus wurde dann in der anderen Richtung gegen das Torcular hin eróffnet, und ein Lóffel beseitigte auch hier ein fibrinóses Gerinnsel, worauf eine reichliehe Blutung erfolgte. Die Wunde wurde mit Jodoformgaze ver- bunden, welche fünf Tage lang nicht entfernt wurde. Während dieser Zeit stieg die Temperatur nicht über 37,4?. Der Patient wurde voll- kommen wieder hergestellt. | Gorham Bacon.

499) Die Krankengeschichte des Falles von Dench lautet, wie folgt: Ein 60jähriger Mann hatte vor 20 Jahren an einer doppel- seitigen eitrigen Mittelohrentzündung in Folge von Abdominaltyphus gelitten. Vor fünf Wochen wurde er von heftigem Schwindel und einem Gefühl von Fülle in der linken Seite des Kopfes ergriffen. Die Gleichgewichtsstörung liess nach kurzer Zeit etwas nach, worauf sich heftige Schmerzen im linken Ohre und der linken Seite des Kopfes einstellen. Während eines Zwischenraumes von drei Wochen blieb die Temperatur normal; sie begann dann plötzlich zu steigen und fluctuirte zwischen 38,90 und 40°. Die Schädelhöhle wurde aseptisch eröffnet, ohne das Antrum des Warzenfortsatzes zu berühren, welches bei einer vorausgeschickten Untersuchung sich gesund erwies. Bei der Eröffnung des Schädels grade über dem äussern Gehórgang fanden sich die Hirn- häute stark injicirt und es zeigte sich freier Ausfluss von blutigem Serum aus dem Epiduralraum. Mit der am Trommelhöhlendach ent- lang geführten Sonde fühlte man leichte Rauhigkeit und noch grössere Mengen blutigen Serums entleerten sich. Dieser Ausfluss war sehr reichlich. Darauf wurde ein Lappen der Dura nach unten gedreht und

die Gehirnsubstanz nach mehreren Richtungen mit einer Aspirations-

nadel durchsucht. Es fand sich kein Eiter. Der Lateralsinus wurde durchsucht und normal befunden. Nach der Operation stieg die Temperatur niemals über 38,3°; Kopfschmerzen und Schwindel ver-

schwanden. Der Patient verliess das Hospital mehrere Wochen später.

Gorham Bacon.

500) Der Fall betraf eine gesunde Frau, welche zuerst an folliculärer Tonsillitis und Catarrh des Nasenrachenraumes erkrankte. Neun Tage später hatte sie einen neuen Anfall, auf welchen heftige Schmerzen im linken Ohr, Schwindel und eine Temperatur von 38,9? bis 40? folgte. Das Trommelfell war hervorgewólbt und platzte am

Mittleres Ohr. 167

dritten Tage. Nach dem erfolgten Ausfluss trat Erleichterung ein. Drei Tage später hörte die Eiterung plötzlich auf, mit folgender Steigerung der Schmerzen und Erbrechen. Darauf trat wieder eine Besserung ein; sie fühlte sich neun Tage wohl, als die Eiterung noch- mals aufhórte. Die Schmerzen im Kopf und Ohr wurden heftig; es bestanden Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Delirium, Apathie und Schlüfrigkeit; sie antwortete langsam und verworren. Die Temperatur betrug 40?, der Puls, welcher früher langsam gewesen war, hatte jetzt 140 Schläge. Der Warzenfortsatz war druckempfindlich, der äussere Gehörgang durch Hervorwölbung der hinteren Wand verengt; die linke Papille nervi optici injicirt.

Die Warzenfortsatzzellen und die hintere und mittlere Schädel- grube wurden ausgiebig eröffnet, und eine Verbindung zwischen dem Antrum des Warzenfortsatzes und dem Atticus der Trommelhóhle her- gestellt, Es wurde kein Eiter, aber ausgedehnte zerstörende Osteitis (Caries) gefunden. Auf die Operation erfolgte schnelle Besserung und in sechs Wochen vollkommene Heilung. Knapp gibt an, dass »das merkwürdigste Ereigniss bei dem Falle in dem zwei Tage nach der Operation plötzlich auftretenden Ausfluss von reichlichem, etwas übel- riechendem, leicht grünlichem Eiter aus der Warzenfortsatzwunde be- stand, mit welchem sich der krankhafte Prozess erschópft hatte. Er war überzeugt, dass »die zerstörende Ostitis Material in die Schädel- höhle überführt hatte, welche, wenn man ihm nicht durch die Eröffnung der ergriffenen Theile Luft gemacht hätte, wahrscheinlich durch die Entwicklung allgemeiner Meningitis zum Tode geführt haben würde.«

Gorham Bacon.

501) Obductionsbefund eines am dritten Krankheitstage unter den Erscheinungen einer acuten Meningitis verstorbenen Patienten. Man fand Basal- und Convexitätsmeningitis, Thrombose des Sinus sigmoideus, die Paukenhöhle, das Antrum mastoid. und die Warzenzellen von einem himbeergeléeartigem Inhalte erfüllt, das Trommoelfell vollständig erhalten, atrophisch und stark eingezogen, nicht perforirt. Die bacteriologische Untersuchung sprach für acute Influenza-Infection, die Biehl mit Hin- blick auf das klinische Bild und den Obductionsbefund im Gehirn und im Schläfenbeine als hämatogen annimmt. Pollak.

168 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Nervöser Apparat.

502. Politzer, A., Prof. Meniere’scher Symptomencomplex in Folge trauma- tischer Labyrinthläsion. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 41, S. 165.

503. Alt, Ferdinand, Dr. Ueber Mumpstaubheit. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 12, 1896.

504. Bonnier. Ueber eine Form von Taubheit genitalen Ursprungs. Revue hebd. de laryngol. etc. No. 40, 1896.

505. Kienberger, L., Dr, Wien. Ueber psychische Taubheit. Wien. medic. Presse No. 48, 49, 51, 1896.

506. Anton, W. Beitrag zur Casuistik der Acusticustumoren. Zwei Fälle

von Fibrosarkom des Nerv. acusticus. Arch. f. Ohrenheilk, Bd. 41, S. 116, s. Bd. XXVIII, S. 367 dieser Zeit chr.

507. Thomas, Henry M. Álveolares Sarkom des Kleinhirns. Klinischer Be- richt. Bull. Johns Hopkins Univ. November/December 1896.

502) 71jähriger Mann, Schädelfractur mit rechtsseitiger Facialis- und Acusticuslähmung, Gleichgewichtsstörungen, Otitis med. ac. suppur. Tod nach 39 Tagen an eitriger Meningitis, Bronchitis und lobulärer Pneumonie. Der Bruch in der rechten Pyramide geht durch den Meatus auditor. intern. und die Schnecke; letztere ist von röthlichgelben Granu- lationen ähnlichen Massen erfüllt. Ganz analoge Verletzung links, nur ist hier blos die untere Schneckenwindung mit röthlicher Flüssigkeit gefüllt. Histologisch fand sich in der Schnecke ein theilweise aus Rund- zellen bestehendes Exsudat, das Endost in entzündlicher Wucherung begriffen. Dieselben entzündlichen Producte in Vorhof, Ampullen und Bogengängen. Die Bindegewebsneubildung ist links schon weiter ge- diehen. Dieselbe Richtung zeigte der Bruch auch in den beiden früher von Voltolini und von Politzer beschriebenen Fällen; sie scheint unabhängig von Ort und Richtung der traumatischen Einwirkung zu sein. Es ist anzunehmen, dass auch bei Labyrinthentzündungen anderer Herkunft diese rapide Bindegewebsentwicklung (mit späterer Verknöche- rung) zu der baldigen und bleibenden Taubheit führt. Bloch.

503) An eine genaue Literaturübersicht schliesst Alt die Be- schreibung eines Falles, der ein 12jähriges Mädchen betraf, bei dem sich am 3. Tage der Erkrankung an Mumps complete Taubheit beider- seits eingestellt hatte. Unter Anwendung von Pilocarpin, Jod und Hör- ‚übungen ging die Taubheit im Verlauf eines Vierteljahres soweit zurück, dass Conversationssprache in mässiger Entfernung verstanden wurde.

Killian.

504) Ein 13jähriger Junge litt seit einigen Jahren an zeitweilig

auftretender völliger Taubheit. Diese konnte dadurch, dass man seine

Nervöser Apparat. 169

Aufmerksamkeit wach rief und wach hielt, allmählich beseitigt werden. Onanie, Hysterie oder Epilepsie, die man als Ursache hätte beschuldigen können, waren nicht vorhanden, nur wurde eine linksseitige Hodenectopie nachgewiesen. Das nämliche Bild fand sich bei einem 22jährigen Mädchen; auch hier waren keine nervösen Symptome ausser geringer Gedächtnissschwäche vorhanden, doch wurde hier Onanie zugestanden. Im dritten Falle, der einen 9jührigen Jungen betraf, war die Taubheit keine so vollstündige, es fand sich Monorchismus. In allen 3 Fällen war die Taubheit beiderseits und beiderseits gleich stark. Bei den sonst normalen Verhältnissen der peripheren Organe erklärt sich Bonnier die Taubheit dadurch, dass die vorhandenen Gehörsempfindungen nicht zum Bewusstsein kämen. Die supponirte Abhängigkeit der Taubheit von den Genitalien wird weiter nicht zu erklären versucht. Zimmermann. 505) Kienberger lehnt sowohl die Begriffsbestimmung als auch die Causalerklärungen der psychischen Taubheit, wie sie Heller in einem am 1. österreichischen Otologentage gehaltenen Vortrage gab, ab und spricht sich gegen das methodische Verfahren desselben aus. Pollak. 507) Der von Thomas berichtete Fall betraf eine 30 jährige junge Dame, welche am 17. October 1895 zuerst gesehen wurde. Sie klagte über Beschwerden beim Gehen, Hören und Sehen. Sie war immer zart gewesen. Vor .drei Jahren hatte sie sehr heftige Kopfschmerzen, welche fast täglich bis August 1895 wiederkehrten. Zuweilen klagte sie über plötzlichen Sehverlust, besonders im linken, manchmal aber auch in beiden Augen. Ungefähr ein Jahr lang hatte sie Beschwerden beim Gehen, so dass sie zuweilen schwankte, ferner ein Gefühl von Einschlafen der. Füsse und Erstarrung der Nase und des Mundes. Seit dem Januar 1895 war sie mehr oder weniger taub geworden. Bei der im October 1895 vorgenommenen Untersuchung bestand rotatorischer Nystagmus, welcher beim Blick nach links zunahm; die Gesichtsfelder waren leicht verengt, die Sehschürfe normal. Die ophthalmoskopische Untersuchung zeigte eine ausgesprochene Neuro-Retinitis beider Augen. Die Patientin war ganz taub im linken Ohr. Das Gehór war ziemlich gut im rechten Ohr. Mit geschlossenen Augen schwankte sie und würde nach links hingefallen sein, wenn sie nicht festgehalten worden wäre. Man ver- muthete eine Gehirngeschwulst, obgleich die Möglichkeit einer multiplen Sclerose, mit hysterischen Symptomen combinirt, nicht von der Hand zu weisen war. Sie. blieb ungefähr in demselben Zustande bis zum Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 12

170 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

25. October, als sie auf der Strasse hinfiel, worauf sie nie wieder im Stande war zu gehen. Die Kopfschmerzen wurden dann heftig, Taubheit auch rechts. Das Sehen wurde schliesslich auch unmöglich. Sie hatte zwei oder drei Brechanfälle, leichte Krämpfe und später trat eine voll- ständige rechtsseitige Facialislähmung auf. Nachdem sich diese späten Symptome entwickelt hatten, glaubte Thomas, dass die Geschwulst auch die Corpora quadrigemina ergriffen hatte. Die Section wurde von Dr. Flexner gemacht und der pathologische Bericht lautet, wie folgt: Die Dura mater war frei von Adhäsionen. Nach innen war die Dura mit einer Geschwulstmasse fest verwachsen, welche auf der linken Seite in die untere Schädelgrube hineinragte. Die Geschwulst maass 6: 4: 4 cm und war mit der medianen Seite der linken lateralen Kleinhirnhemisphäre verwachsen, indem sie sich nach vorn entwickelte. Die Geschwulst hatte lateral auf die linken Corpora quadrigemina einen Druck ausgeübt, während die rechten, wenn überhaupt, nur wenig gedrückt wurden. Die Geschwulst hatte auch die linke Hälfte fast bis zur Mittellinie abge- flacht. Sie hatte auf das linke Crus cerebri, besonders auf dessen obere Fläche gedrückt und der linke obere Kleinhirnstiel war theilweise ab- geflacht. Der mittlere und rechte Lappen des Kleinhirns waren frei von der Geschwulst und den Wirkungen directen Druckes. Die Geschwulst dehnte sich unterhalb der Dura bis zu der Stelle aus, wo sie den Felsentheil des Schläfenbeins bedeckt. Der siebente und achte Gehirn- nerv der linken Seite war zerdrückt und abgeflacht, während die der rechten Seite klein und atrophisch erschienen. Alle Gehirnventrikel waren erweitert und enthielten ein Uebermaass klarer Flüssigkeit. Die mikroskopische Untersuchung stellte die Diagnose eines alveolaren Sar- koms fest, und man nahm an, dass die Geschwulst vom Kleinhirn aus- gegangen war. Gorham Bacon.

Nase und Nasenrachenraum.

508. Lacroix. Gesichtsdermatosen und Nasenerkrankungen. Arch. internat. de laryng. d'otol. ete. No. 5, 1896. |

509. Pluder, Dr., Hamburg. Ueber Rhinitis fibrinosa diphtherica. Deutsche med. Wochenschr. No. 44 u. 46, 1896.

510. Price Brown, J. Halsentzündung der Prediger. Amer. Med. Surg. Bull. 3. October 1896.

511. Seiss, Ralph W. Behandlung der atrophischen Rhinitis. Medical News 28. November 1896.

512. Cozzolino, V. Ueber die Serumtherapie bei der Behandlung der Ozàna. Bollet. delle mal. dell’ orecchio ete. S. 263, 1896.

913.

514.

515.

516. 917. 518.

519.

521. 522.

523.

524.

525.

526.

527.

528.

529.

5230.

531.

532.

533.

Nase und Nasenrachenraum. 171

Simoni, de. Ueber das constante Vorkommen des diphtherieühnlichen Bacillus bei Ozána. Bollettino delle malattie dell' orecch. S. 177, 1896.

Guarnaccia. E. Bacteriologische Untersuchungen über die Rhinitis caseosa. Archivi ital. di Laryng. etc. S. 52, 1896.

Lantin, G. Ueber Fremdkörper der obern Luftwege und vier neue Fälle von Rhinolithen. (Aus der Wiener allgem. Poliklinik, Abth. des Prof. Chiari.) Arch. f. Laryngol. IV, S. 2.

Smith, J. W. Fremdkörper in verschiedenen Körpergegenden. The Medical Chronicle September 1896.

Rochard et Gougenheim. Enormer Sequester der linken Nasenhóhle bei Syphilis. Ann. des mal. de l'or. du lar. No. 10, 1896.

Maclay, Alex. W. MHineindringen von Zähnen in die Nasenhöhlen. New-York. Med. Journ. 26. December 1896.

Arslan, Y. Abscess der Nasenscheidewand. Bollet. delle mal. dell orecchio etc. S. 70, 1896.

. Watson, Arthur W. Die Operation der Verbiegung der Nasenscheide-

wand. New-York. Med. Journ. 3. October 1896. | Bergeat, Hugo, Dr. Die Aetiologie der Verbiegungen und Auswüchse am Gerüst des Nasenseptums. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 11, 1896. Acerbi, F. Endotheliom der Nase. Arch. ital. de Laryngologia S. 109, 1896.

Bond, J. W. Angiom der Nasenscheidewand. Proceedings of the Laryngo-

logical Society of London 11. November 1896.

Rupp, Adolph. Nasenpolyp bei einem vierwöchentlichen Säugling. Medical Record 14. November 1896.

Joël, Eugen, Dr. in Gotha. Die Neubildungen der Nasenhöhlen und des Nasenrachenraumes, unter besonderer Berücksichtigung der gutartigen (mit Ausschluss der adenoiden Vegetationen). Klinische Vorträge I. Bd. 12. Heft. Jena 1896.

Bond, J. W. Fall von Sarcom der Nase. Proceedings of the Laryngo- logical Society of London 11. November 1896.

Gleitsmann, J. W., New-York. Ueber Behandlung von Septum- deviationen mittelst der Trephine und der Methode von Asch. Arch. f. Laryngol. IV, 1.

Ripault. Die Behandlung der Kieferhöhlenempyeme durch breite Oeff- nung. Ann. des mal. de l’or. du lar. No. 14, 1896.

Moure. Kieferhóhlenempyem bei Kindern. Revue hebdom. de laryng. d'otol. etc. No. 43, 1896. Nairne, J. Stuart. Fälle von Stirnhöhlenempyem. British Medical Journal 19. December 1896. Baber, Crosswell. Mucocele der Stirnhóhle, Radikaloperation, Heilung. Proceedings of Laryngological Society of London 11. November 1896. Margarucci, O. Beitrag zur Chirurgie des Sinus frontalis. Archivio ital. di Otologia etc. Bd. IV, S. 457. Treitel, Dr., Berlin. Ueber Hirnabscesse nach Stirnhóhleneiterung. Deutsche med, Wochenschr. No. 47, 1896.

12*

172 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

‚534. Thelwalt, Thomas. Exostose in der linken Stirnhóhle. Lancet 19. Oct. 1896.

535. Fränkel, B., Berlin. Die infectiösse Natur der Tonsillitis lacunaris. Arch. f. Türsngol IV, 1.

9396. Gouguenheim. Streptococcen- nons Ann. des mal. de l'or. du lar. etc. No. 10, 1896.

537. Meyer, Edmund, Berlin. Bacteriologische Befunde bei Angina lacunaris. (Aus der Königl. Universitätspoliklinik für Hals- und Nasenkranke in Berlin.) Arch. f. Laryngol. IV. 1.

538. Colin. Behandlung der Mycosis leptothricia durch Eisenchlorid. Arch. internat, de laryng. d’utol. No. 5, 1896.

539. Delie. Ein Fall von papillomatösen Schwellungen im Schlund und im Kehlkopf bei einem 21!/5jáhrigen Kinde. Rev. hebdom. de laryng. d'otol. No. 42, 1896.

540. Pluder, F., Hamburg. Zwei bemerkenswerthe Fálle von Tuberkulose der . obersten Athmungswege. Arch. f. Laryngol. 1V, 1.

541. Mouret Ueber Tonsillentuberkulose. Rev. hebdom. de lar. d'otol. etc. No, 45, 1896.

542. Arslan. Zwei Fälle von syphilitischem Schanker der Mandeln. Revue hebdom. de laryng. d’otol. No. 49.

543. Logucki, A. Ein Beitrag zur Aetiologie des peritonsillären Abscesses. Arch. f. Laryngol. IV, 2.

544. Stirling, Alex. W. Ein knöchernes Gewächs in der Mandel. Journal Amer. Med. Assoc. 3. October 1896.

545. Thomson, Wm. Zwei Fälle von Spontanheilung: 1. Tumor der High- morshöhle, 2. Geschwulst am weichen und harten Gaumen. British Medical Journal 28. November 1896.

546. Gould, Pearce. Neubildung im Pharynx. Entfernung nach Laryngotomie. Heilung: Lancet 24. October 1896.

547. Newman, David, Epitheliom der linken Tonsille und des hinteren Gaumenbogens, entfernt durch laterale Pharyngotomie. Lancet 13. Nov. 1896.

548. Ruge, Hans. Ueber Actinomyces-ähnliche Gebilde in den Tonsillen. Zeitschr. f. klin. Medicin Bd. 30.

508) Lacroix belegt durch 3 Krankengeschichten die bekannte Thatsache, dass Erkrankungen der Haut des Gesichts von tiefergelegenen Störungen in der Nase ausgehen können, weil diese allerhand Circu- lationsstörungen setzen. In einem Falle war eine Acne rosacea, in den beiden andern ein Erythem der Wangen durch Behcbung der Nasen- stenose wesentlich gebessert. Zimmermann.

509) Pluder hat 6 Fälle von Rhinitis fibrinosa diphtherica be- obachtet und 5 derselben im Hamburger bakteriologischen Institut unter- suchen lassen. Stets wurden die echten Löffler’schen Diphtheriebacillen

Nase und Nasenrachenraum. | 173

nachgewiesen. Verf. beobachtete sowohl »Combination mit Rachen- diphtherie bei demselben Patienten, als auch Vergesellschaftung mit schwerer und leichter Schlunddiphtherie und mit diphtheritischer Angina bei Personen der Umgebung«, wobei die Nasenaffection bald vorauf ging, bald folgte. Pl. ist sonach der Meinung, dass ein scharfer Gegensatz zwischen Rhinitis fibrinosa und Diphtherie nicht besteht, und dass es nicht gestattet ist, die Rhin. fibr. als eine stets harmlose Erkrankung anzusehen. Eine nennenswerthe Schwierigkeit für das Bestreben, die beiden in Rede stehenden Erkrankungen zu identificiren, besteht nur darin, dass bis jetzt noch kein sicherer Fall einer Lähmung nach Rhinitis fibrinosa beobachtet ist. Noltenius.

510) Die Bezeichnung der Halsentzündung der Prediger ist veraltet. Die grosse Mehrheit chronischer Halskrankheiten werden durch Verstopfung der Nase und des Nasenrachenraums verursacht. Pharyngitis follicularis, Tonsillitis catarrhalis und follicularis mit vergrösserten und verhärteten Mandeln, und Hyperämie der Stimmbänder bilden die wirkliche Hals- entzündung der Prediger. In den von Price Brown berichteten zehn Fällen wurden grosse Nasenpolypen, Verbiegung des Nasenknorpels, schraubenförmiges Zäpfchen, Hypertrophie der Schlundmandeln, Geschwür der Fossa hyoidea, Leisten und Vorsprünge des Septums, hintere katar- rhalische Hypertrophie des Septums, Pharyngitis granulosa und Hyper- trophie der Nasenmuscheln gefunden. Toeplitz.

511) Unter den Mitteln, welche von Seiss bei der atrophischen Rhinitis gebraucht werden, wird Thymol in wässeriger Lösung mit Alcohol und Glycerin oder noch besser in Albolin, Glymol oder Ben- zoinol, im Verhältniss von 0,2—0,6:30,0g, auch mit 1—3°/,igem Menthol, Fichtennadelöl und Eukalyptus combinirt, noch irnmer als das Beste betrachtet. Europhen in Salben oder als Streupulver mit Zinc. stearat oder rein ist dem Aristol und Jodoform vorzuziehen. Zimmtöl (10°/,) in 30 g Albolin wird als antiseptischer Spray gebraucht.

Toeplitz.

512) Cozzolino stellt die modernen mikrobischen Theorien über die Genesis der Ozüna, vor allen Dingen die in der letzten Zeit von Belfanti gemachten Entdeckungen den. älteren Theorien von der individuellen Disposition gegenüber und schlägt eine locale Behandlung vor, welche in dem Auskratzen der kranken Schleimhaut besteht mit nachfolgender aseptischer Behandlung, mit der Absicht, das Terrain ganz und gar zu verändern und dadurch die Entwickelung der

174 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

Mikroorganismen, welche sich gewöhnlich bei dieser Krankheitsform finden, zu beiseitigen. Gradenigo.

513) Bei einer Serie von praktischen Versuchen in der Oto-rhino- - laryngologischen Klinik zu Turin bestätigt De Simoni das Vorhanden- sein des diphtherieähnlichen Bacillus im Secret der Ozäna, mit den von Belfanti beschriebenen Eigenschaften. Er legt Werth auf die Gram-Weigert’sche Färbungsmethode. Gradenigo.

514) Guarnaccia zählt zuerst die verschiedenen Meinungen der Autoren über die sogen. Rhinitis caseosa auf und constatirt, dass bei einigen die Rhinitis eine Krankheitsform für sich darstellt, während sie bei anderen nur eine Begleiterscheinung verschiedener Krankheiten der Nase oder ihrer Nebenhöhlen ist. Bei der mikroskopischen und bacteriologischen Untersuchung der käsigen Massen, welche er in seinem Fall erhielt, entdeckte er einen besonderen Mikroorganismus, der entsprechend dem Urtheil des Professors de Giasca nach seiner morphologischen und culturellen Eigenschaft zur Gattung des Streptothrix alba gehört. Dieser Microorganismus findet sich in sehr reichlicher Anzahl vor und scheint der Aufmerksamkeit der Autoren, die sich bis- her mit der Rhinitis caseosa beschäftigten, entgangen zu sein. Derselbe kann als die Ursache der Bildung der specifischen Masse angesehen werden. Gradenigo.

515) Die Mittheilungen Lantin's über die eigentlichen Fremd- körper der Nase und die 18 beschriebenen Fälle enthalten nichts Be- merkenswerthes. Dagegen erwecken die genauen mikroskopischen und chemischen Untersuchungen sowohl der aufgelösten Concremente, wie des Kernes unser Interesse. Verfasser glaubt seine Beobachtungen dahin verallgemeinern zu können, dass es Nasensteine ohne centralen Fremdkörper nicht giebt. Die zahlreichen, in jedem Nasensteine be- findlichen Bacterien sollen für die Ablagerung der Kalksalze keine ursächliche Bedeutung haben, sie sollen vielmehr lediglich passives Bau- material sein. Von den Fremdkörpern des Rachens, die Verf. be- schreibt, sei hier nur einer abgebrochenen Nähnadel gedacht, die an der äusseren Halshaut einer 44jähr. Pat. zum Vorschein kam. Diese hatte die Nadel vor einem Jahr mit einem Brotbissen verschluckt. Ein letzter Abschnitt behandelt eine Eierschale, die sich im Kehlkopf eines 1!/,jührigen Kindes festgekeilt hatte und erst nach vorgenommener Tracheotomie herausbefördert werden konnte. Zarniko.

i AAA ii me i ta IR s

Nase und Nasenrachenraum. 175

516) Unter den von Smith berichteten Fällen befindet sich der eines Knaben, dem ein Griffel durch den harten Gaumen gedrungen war. Das obere Ende desselben ragte in die Nase herein, während das untere im Gaumen eingebettet war.

Nachdem unter Anästhesie ein Finger in den hinteren Theil der Nase eingeführt war, wurde der Griffel mittelst einer schmalen Knochen- zange in der Nase abgebrochen, der zurückbleibende Theil sodann mittelst eines Drillbohrers in die Nase gestossen. Cheatle.

517) 33jähr. Mädchen, das vor 18 Jahren Syphilis acquirirt und seit 5 Jahren Eiterung und Verstopfung der Nase bemerkt hatte. Nur die linke Seite war erkrankt; hier fand sich ein so grosser Sequester, dass selbst die temporäre Ablösung der Nase nach Rouge zur Ex- traction nicht genügte, sondern die temporäre Resection nach Ollier gemacht werden musste. Hinter dem ersten Sequester fand sich noch ein gleich grosser zweiter, beweglicherer, beide waren unregelmässig und schwarz verfärbt; genauere Angaben der Grösse fehlen leider. Ueber die Herkunft der Sequester liess sich bei der Operation kein Urtheil abgeben. Zwei Monate später fand sich bei der Nachuntersuchung eine Perforation im hinteren Theile des Septum und eine so nachgiebige Weichheit der hinteren Parthie sowohl der mittleren als unteren Muschel, dass man an ein Fehlen des knöchernen Muschelskeletts denken musste.

Zimmermann.

518) Maclay giebt eine vollständige Litteraturübersicht mit aus- führlichem Bericht über alle Fälle, denen er noch einen von A. W. Watson und einen von ihm selbst beobachteten Fall hinzufügt. Der Fall von Watson betraf einen 33jührigen Patienten mit Nasensarcom der rechten Nasenhälfte, in welchem eine Zahnwurzel unter der unteren Nasenmuschel eingebettet gefunden wurde. Maclay’s 45jährige Patientin hatte nach der Geburt eine Schwellung unter der rechten Augenhóhle, welche mehrere Jahre hindurch mit ausgedehnter Necrose der Gesichtsknochen vereiterte und dann mit einer Einsenkung geheilt war. Zur Zeit der Geburt waren zwei Zähne am rechten Oberkiefer gerade hinter dem gewöhnlichen Sitz des Augenzahnes vorhanden. Die primäre Dentition war normal, alle Zähne kamen mit Ausnahme des Zahnes hinter dem rechten Augenzahne Diese Zähne blieben permanent, waren aber immer schlecht. Es fand keine zweite Dentition statt. Uebelriechender Catarrh der rechten Nasenhälfte mit gelegentlicher Entleerung kleiner schwarzer Knochentheile dauerten fort. 1884 fühlte

176 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenkeilkunde.

die Patientin einen lockeren sandigen Knochen nnterhalb der rechten Augenhöhle und ebenfalls eine harte Substanz in der rechten Nasen- hälfte. Im September des Jahres 1895 stellte sich die Patientin mit Schmerzen im Hinterhaupt und der Schläfe vor. Ein Zahn wurde aus der rechten Nasenhälfte, 4cm hinter dem Naseneingang entfernt. wo- durch eine Vertiefung im Nasenboden zurückblieb. Es war. keine Necrose zu erkennen. Der Zahn war ein permanenter bicuspidalis. Toeplitz. 519) Arslan erwähnt kurz die Litteratur des Abscesses der Nasenscheidewand und berichtet über 8 eigene Beobachtungen. Bei all seinen Patienten war kein Trauma vorhergegangen; nicht einmal fand sich eine Deformation der äusseren Nase. Nur in zwei Fällen kam es zur Perforation der Scheidewand. Fast alle seine Patienten hatten Störungen in der Nase, Verbiegung des Septums, Hypertrophie der unteren Muschel, Empyem der Kieferhöhle, Nasen-Rachencatarrh etc. Es ist anzunehmen, dass solche Veränderungen die Entwickelung der Infection begünstigt haben. | Gradenigo.

520) Watson schneidet unter Cocain ein Knorpelstück aus dem hervorragendsten Theil der Scheidewand ohne Verletzung der darunter- liegenden Schleimhaut heraus, stellt das Septum mit einer zertrümmernden Zange grade und hält die Bruchstücke durch eine Nadel zusammen, welche, wie bei der Operation von Roberts wie ein Knopflochbouquet befestigt wird. Die Operation von Asch, gegenwärtig die beste für diese Verbiegung, wird in dem Artikel nicht erwähnt. Toeplitz.

521) Die an Details ausserordentlich reiche Arbeit lässt sich in einem Referate nicht wiedergeben und muss im Original nachgesehen werden. Killian.

522) Kurz die Litteratur berührend, beschreibt Acerbi eine Geschwulst, die plötzlich sich aus der Nasenhöhle einer Dame mit Rhinitis caseosa ausgestossen hatte. Sie bestand grösstentheils aus alveolärem Bindegewebe. Die Höhlungen waren ausgekleidet mit endo- thelialen Zellen. Die Ursprungsstelle war nicht mit Sicherheit festzu- stellen. Gradenigo.

523) Bond entfernte einen weichen, gefässreichen Polypen von etwa 1/ Zoll Durchmesser, der linkerseits vom knorpeligen Septum ausging. Der Patient, ein 30 jähriger Mann hatte an heftigen Blutungen aus der linken Nasenseite gelitten. Cheatle.

Nase und Nasenrachenraum. | 177

524) Die gestielte röthliche Geschwulst, welche im linken Nasen- eingang eines Mädchens von vier Wochen gefunden wurde, war an der mittleren Muschel hoch oben befestigt und wurde mit der kalten Schlinge und dem Ringmesser entfernt, wodurch vollständig freie Athmung hergestellt wurde. Toeplitz.

525) Allgemeine Schilderung der verschiedenen Neubildungen der Nase und deren Behandlung.

526) Bond operirte einen Mann wegen Sarcoms der Nase. Die Neubildung hatte seit 5 Jahren bestanden. Die Nase wurde durch eine Incision längs der Seite am Uebergang in die Wange eröffnet und nach der anderen Seite übergelegt. Das Septum wurde, soweit sich die Neubildung darauf erstreckte, abgetragen, ebenso der Boden bis auf den Knochen. Die Ursprungstelle der Neubildung curettirt und mit dem Paquelin kauterisirt. Kein Recidiv nach 5 Monaten. Cheatle.

527) Nach einem historischen Rückblick, aus dem hervorgeht, dass die Verwendung der electrisch getriebenen Trephine in Amerika viel früher als in Europa bekannt war, empfiehlt Verf. die Methode von Asch zur Correction hochgradiger Deviationen des Septum cartilagineum (New-York med. Journ. 1890, 20, XII) Asch schneidet mit einer Art von Knopflochscheere das Septum durch, führt einen zum ersten senkrechten Schnitt über die Kuppe der Ausbiegung. richtet die: Frag- mente gewaltsam gerade und hält sie bis zur Heilung durch eingelegte Kautschukobturatoren fest. Narcose ist nothwendig. Die Resultate sollen glänzend sein. Zarniko.

528) Ripault hat 6 Mal von der Fossa canina aus operirt. Ausser den bekannten Indicationen stellt er noch den Befund von Streptococcen als solche auf. Die Operationsöffnung wird nur etwa 1 qcm gross angelegt; die Höhle zunächst mit Chlorzinklösung ausge- spült oder mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, danach mit 5°/, Chlor- zinklösung bis in alle Buchten ausgerieben und mit Jodoformgaze locker tamponirt, um keine Schmerzen hervorzurufen. Der Tampon wird schon nach 48 Stunden herausgenommen, der folgende bleibt 4, der dritte 8 Tage liegen. Vorsichtshalber empfiehlt R. von der Alveole aus noch anzubohren und eine Canüle einzulegen, um von hier aus durchspülen zu können, falls die breite Eröffnung im Stich lässt. Und das scheint sie bei R. in mehr als der Hälfte der 6 Fälle gethan zu zu haben, so dass die Bezeichnung breite Oeffnung nicht berechtigt er- scheint. Zimmermann.

178 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

529) Moure citirt zunächst wörtlich je einen von Rudeaux und von Greidenberg beobachteten Fall bei 3 wöchentlichen Kindern, bespricht dann die Entwickelung der Highmorshóhle bis zur zweiten Dentition mit wórtlicher Wiedergabe der Befunde von Bourgois und wühlt dann aus der scheinbar grossen Anzahl seiner eigenen Fülle einen aus, der aber leider unvollständig ist. Er betraf ein 11 jähr. Mädchen, das seit 5 Jahren an eitrigem Schnupfen litt und bei dem sich Polypen- bildung nnd localisirte Eiterung im linken Infundibulum fand. Durch Punction vom unteren Nasengaug liess sich ein Empyem der Highmors- höhle nachweisen und es sollte nun die Höhle von der Alveole aus an- gebohrt werden. Ein Zahnarzt brach aber den zu extrahirenden Zahn ab und M. will nun warten bis diese Wunde geheilt ist. Das Haupt- gewicht legt M. auf seine Entdeckung, dass bei Kindern wegen der Dünnheit der Knochen die Durchleuchtung der Oberkieferhöhle keinen Werth hat. Zimmermann.

530) Nairne theilt 3 Fälle von Empyem der Stirnhöhle mit. In einem bestand Necrose der hinteren Wand mit grossem Subdural- abscess, daneben auch ein Empyem der Kieferhóhle. In einem andern hatte sich eine Perforation durch die Orbitalwand gebildet mit Abscess in der Orbita. Heilung in beiden Fällen. Cheatle.

531) In Baber’s Fall handelte es sich um eine 52jährige Frau, die an linksseitigem Stirnschmerz, fötidem Ausfluss aus der Nase und Prominenz des linken Bulbus litt. Die Stirnhöhle wurde mittelst Trepans geöffnet und es fand sich als Inhalt eine klare viscide Flüssigkeit und Cholestearinkrystalle; die Oeffnung nach der Nase zu war verlegt, hóchst wahrscheinlich in Folge von Erkrankung der Siebbeinzellen. Es wurde sodann eine Communication mit der Nase hergestellt mittelst Drillbohrers und Meissels. Als die Stirnhöhle anfıng zu eitern, wurde die vordere Wand abgetragen mit Ausnahme eines !/, Zoll hohen Randes an ihrer unteren Grenze. Die verdickte Schleimhaut wurde ebenfalls entfernt mit Ausnahme einer Stelle, wo sie eine Lücke im knöchernen Orbital- dach überdeckte. Es wurde ein Train eingelegt und Haut und Periost darüber genäht. Heilung nach ungefähr einem Monat. Cheatle.

532) I. Fall. 23 jähriger Mann. Schmerzen und Anschwellung der Gegend des linken Sinus frontalis, aufgetreten 3 Jahre vorher in Folge eines Meerbades. Wiederholte Einschnitte in die Weichtheile gaben unvollständige Resultate. Bei der Operation konnte man einen knöchernen Sequester wegnehmen, der Sinus frontalis enthielt Granulationen und

Nase und Nasenrachenraum. 179

übelriechenden Eiter, Auskratzung, Tamponade, Naht nach 24 Stunden. Nach circa 14 Tagen musste man die Wunde wieder öffnen, eine neue Auskratzung vornehmen und eine grosse Oeffnung nach der Nasenhöhle machen. Heilung.

II. Fall. 58jährige Frau. Die Affection datirt seit 11 Jahren. Grosse Geschwulst vom linken Augenwinkel bis zur Nasenwurzel, bedeckt mit gerótheter Haut. Die Operation bestand in der Oeffnung des Sinus frontalis von vorn; Auskratzung und Naht. Starb an Broncho- pneumonie. |

III. Fall. 30jáühriger Mann. Die Affection datirt seit 16 Jahren; ausgesprochener Exophthalmus, besonders in den letzten Jahren. Oeffnung des Sinus, welcher dicke Flüssigkeit von gelblicher Färbung enthielt. Auskratzung. Naht. Heilung.

IV. Fall. 21jähriger Mann. Die Affection datirt seit 2 Jahren. Man machte die Diagnose Osteome des rechten Sinus frontalis, ent- standen auf dessen Boden. Bei der Operation fand sich eine Geschwulst von elfenbeinharter unregelmässiger Oberfläche, welche fast den linken Sinus frontalis ausfüllte. Die Geschwulst war ein typisches, kompaktes Osteom von der Grösse eines Hühnereies. Gradenigo.

533) Eine 22jährige Patientin litt seit Jahren an chronischer hypertrophischer Rhinitis und eitrigem Nasenfluss linkerseits. Mehrfach vorgenommene endonasale Eingriffe brachten nur vorübergehende Besserung. Daher Eröffnung der Stirnhóhle von aussen. Dieselbe war erfüllt mit Granulationen und Eiter. Eiterung besteht fort, beim erneuten Aus- kratzen von Granulationen gelangt die Sonde durch die carióse Knochen- wand in das Schädelinnere. Breite Freilegung der Dura und Punction des Gehirns; es wird kein Gehirnabscess gefunden. Nach einigen Wochen wird dasselbe Verfahren mit dem gleichen negativen Ergebniss ange- wandt. Hemiparese der rechten Körperseite, später auch Facialisparese. Letzter Versuch durch Ausräumung des Siebbeins der Sache Herr zu werden, misslingt ebenfalls. Bald darauf Tod. Bei der Section zeigte sich im linken Stirnlappen ein grosser Abscess und eitrige Basilar- meningitis. Verf. spricht die Vermuthung aus, dass der Abscess des- wegen intra vitam nicht gefunden sei, weil ursprünglich mehrere kleine entstanden seien, die erst später sich zu einem verschmolzen hätten.

Noltenius.

534) In einer Sitzung der Liverpool Medical Institution stellte

Thelwall einen Patienten vor, bei dem er eine elfenbeinharte Exo-

180 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

stose entfernt hatte, welche von der inneren Wand der Stirnhöhle aus- ging und noch etwas in die Orbita hineinragte. Die Patientin, eine 46jáhrige Frau, hatte 13 Jahre früher einen Schlag erhalten. Der Tumor war uneben und hóckerig und wog ?/, Unzen. Cheatle.

535) In diesem der laryngologischen Section der British Medical Association erstatteten Referate fasst Frünkel seine den Lesern dieser Zeitschrift gewiss bekannten Anschauungen kurz und klar zusammen. Die Angina lacunaris ist eine Infectionskrankheit. Prüdisponirende Ur- sachen sind Schädigungen des Organismus (z. B. Trauma bei Nasen- operationen, Erkältung, Coryza u. a.). Die Infectionserreger können auch auf dem Wege des Lymphstroms ins Parenchym der Mandeln gelangen und erzeugen hier eine Tonsillitis im eigentlichen Sinne, nämlich eine reichliche Auswanderung von Leucocyten. Zarniko.

536) Gouguenheim berichtet über eine Streptococcen-Angina, die pyämisch zu Grunde ging. | Zimmermann.

537) In den Lacunen gesunder Tonsillen fand Meyer einen Streptococcus salivae, der dem Pyogenes sehr ähnlich, aber nicht gleich ist; ferner mehrere andere Coccenarten, darunter auch den Staphylococc. pyogenes alb. und aureus; endlich den Leptothrix. In 55 Fällen von Angina lacun. erhielt er 14 Mal den Staphylococce. pyog. rein; in 24 Fällen den Staphylococc. neben dem Streptoc. pyogenes; in 15 Fällen den Streptococc. pyog. rein. In 2 Fällen fand er den Diph- theriebacillus, einmal den Pseudodiphtheriebacillus. Verf. hält den Eiterstreptococcus für den hauptsächlichsten Erreger der lacunären Angina. Er glaubt, dass er ihn in den zuerst aufgeführten 14 Fällen nicht gefunden habe, weil die Reaction seines Nährbodens für ihn nicht ganz geeignet gewesen war. Neben dem Streptococcus lässt er auch den Staphylococcus und den Pneumococcus, sowie den Diphtherie- bacillus für einzelne Fälle von Ang. lac. als Erreger gelten.

| Zarniko.

538) Die Leptothrixrasen fanden sich auf dem Zungengrund, den Mandeln und der hinteren Rachenwand. Da Jodpinselung erfolglos war, griff Colin zu Eisenchlorid. Die Pilzrasen wurden innerhalb 2 Tage schwarz und waren leicht abzuziehen. Nach 3—4 Pinselungen waren nur noch in den schwer zugänglichen Crypten Pilzwucherungen, die in 3 Wochen in Folge 2tägigen Pinselns auch verschwanden.

Zimmermann.

Nase und Nasenrachenraum. 181

539) Erschwerte Respiration besonders Nachts bei sonstiger Ge- sundheit: der weiche Gaumen und eine schmale Zone des harten Gaumens, ein Theil der Mandeln, beide Gaumenbögen und die Seiten- wände des Rachens zeigten sich überzogen mit dichten, etwa 1 mm dicken und 3 mm langen, rosigen Zäpfchen von ziemlich fester Consistenz, nirgends Ulceration. Nasenrachenraum frei. Die Zäpfchen gingen seitlich im Larynx, die Epiglottis frei lassend, herab bis auf die Taschenbänder, wo sie nur feiner und weicher waren. Das erklärte die erschwerte Respi- "ration. Es lag Verdacht auf Lues vor und wurde durch den Erfolg einer Jodbehandlung bestätigt. In 14 Tagen sah man schon Besserung und nach 4 Monaten völlige Heilung. Zimmermann.

540) Sorgfältige Schilderung zweier Fülle von ausgesprochener Tuberkulose der obersten Athmungswege, von denen der erste eine secundäre Erkrankung der Nase, des Nasenrachens und der Mundhöhle bei bestehender Lungen- und Kehlkopfphthise darstellt, der andere eine ausgebreitete Affection des Isthmus fauc. und des Rachens zeigte, die bei negativem sonstigen Befunde als primäre Tuberkulose aufgefasst werden musste. Zarniko.

541) Schon früher war Mouret bei Phthisikern das Vorkommen zapfenförmiger Wucherungen an den Mandeln aufgefallen. Dasselbe Bild beobachtete cr bei einem 20jähr. Koch, der seit einem Jahr an Schluckschmerzen litt. Es fanden sich auf beiden, blass wie die ganze Schleimhaut aussehenden Mandeln 2 oder 3 bis erbsengrosse, aber: abgeflachte, spitz auslaufende Zapfen, die zur histologischen Unter- suchung abgetragen wurden. Daneben bestanden flache Geschwüre am Epiglottisrand, Warzen- und Lungenspitzencatarrh. Die mikroskopische Untersuchung der Zapfen ergab das Vorhandensein von Riesenzellen und Tuberkelbacillen. M. neigt sich der Ansicht zu, dass die Mandeln primär tuberkulös erkranken können und fordert zu weiterer mikro- skopischer Nachprüfung auf. . Zimmermann.

542) Im ersten Falle hatte sich der Primüraffect ganz in der Tiefe der linken Mandel, wahrscheinlich auf dem Boden einer Lacune ent- wickelt und wurde bei der Resection der über die Mittellinie hinaus entzündlich geschwollenen Mandel gerade getroffen. Im zweiten Falle fand sich eine grosse Ulceration mit grauem Belag und hartem Grund am unteren Pol der Mandel. Beide Male brachte merkurielle Behand- lung Heilung. Zimmermann.

182 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

543) Logucki fand bei der bacteriologischen Untersuchung von 11 peritonsillären Abscessen 2 Mal nur Streptococcen, 6 Mal Staphylo- coccen und 3 Mal beide Arten zusammen. Er zieht hieraus und aus den klinischen Beobachtungen folgende Schlüsse: 1. Der peritonsilläre Abscess ist ein secundüres Leiden, das von den Tonsillen ausgeht und durch Verwachsungen zwischen Tonsille und Gaumenbogen begünstigt wird. 2. Die Infectionserreger stammen aus den Crypten der Tonsillen. 3. Die Erfahrung, dass sich bei der Eröffnung des Abscesses über- wiegend Streptococen, dann weniger, zuletzt Staphylococcen vorwiegend fanden, erklärt sich wohl so, dass die Staphylococcen die Streptoco«ecen überwuchern; daher begreife sichs wohl, dass ein Process, der im Be- .ginn einen schweren Charakter zeige, gewóhnlich nach Entleerung des Eiters gutartig verlaufe. Zarnik o.

544) Stirling berichtet über 3 Fälle von knöchernen Gewächsen der Mandel, von denen das erste auf einer Seite bei einer jungen Dame, die beiden anderen doppelseitig bei Bruder und Schwester von 63, resp. 64 Jahren aufgetreten waren. Sie wurden mit dem Finger als harte unbewegliche Massen gefühlt, welche hinter der Mandel unterhalb derselben nach vorne bis zum Niveau der vorderen Fläche hervortraten und in jedem Falle von verschiedener Grösse waren. Im ersten Falle allein verursachte das Gewächs geringe Schmerzen. Stirling betrachtet sie als Verlängerungen des hinteren Schenkels des Querfortsatzes des Atlas und des Processus styloideus. Chirurgische Eingriffe sind nicht erforderlich. Toeplitz.

545) In einem in der chirurgischen Section der Royal Academy of Medicine in Irland gehaltenen Vortrag berichtete Thomson über 2 ungewöhnliche Fälle aus seiner Praxis.

1. Ein Herr litt an einer Geschwulst in der Nase; sie wurde als maligne Erkrankung des Antrums diagnosticirt und eine Explorativ- operation gemacht. Da der Patient eine Excision des Oberkiefers ver- weigerte, so wurde der Tumor so gut als es unter diesen Umständen móglich war, entfernt; Dr. O'Sullivan, Professor der Patbologie im Trinity College erklärte die Neubildung als Rundzellensarcom. Als nach 2 Monaten ein Recidiv auftrat, gab der Patient seine Zustimmung zu der mehr radicalen Operation, die auch ausgeführt wurde; dabei fand sich, dass der Tumor das ganze Antrum ausfüllte, die Schädelbasis infiltrirt hatte und nachdem er das Septum durchbrochen, in die andere Seite eingedrungen war. Nach einem Monat zeigte sich abermals ein

omo m rn A e De BR E

Nase und Nasenrachenraum. 183

Recidiv. Die Geschwulst drängte sich durch die Incisionswunde und breitete sich auf dem Gesicht aus. Eine weitere Operation wurde als nutzlos erklärt. Der Patient machte nun von sich aus Umschläge mit Walwurz. Nach ungefähr 4 Monaten kam er wieder zu Thomson. Die Geschwulst war vollständig aus dem Gesicht verschwunden, ebenso jede Spur derselben im Mund und es bestanden keinerlei Beschwerden.

2. Ein 75jähriger Herr litt seit ungefähr 2 Monaten an Hals- schmerzen. Es fand sich die rechte Seite des weichen Gaumens und ein beträchtlicher Theil des harten von einer malign aussehenden flachen Geschwulst eingenommen, die etwa 1/, Zoll über die Oberfläche hervor- ragte, am freien Rand des Gaumens ein Geschwür, das sich bis auf die Mandel erstreckte; am Kieferwinkel eine Menge vergrösserter, fixirter, nicht schmerzhafter Drüsen. Eitriger Ausfluss aus der Nase, hintere Nasenóffnung verlegt; das Gewebe über dem Alveolarfortsatz des Oberkiefers an seinem hinteren Theil infiltrirt und resistent. Diagnose: maligne Erkrankung. Nach 2 Monaten entwickelte sich Necrose, sämmtliche ergriffenen Gewebstheile stiessen sich ab und es blieb eine zerfetzte Höhle zurück, welche granulirte und heilte. Der Patient lebt noch und ist 79 Jahre alt. Cheatle.

546) Nach vorausgeschickter Laryngotomie spaltete Peare Gould den weichen Gaumen und entfernte ein Fibrom, das von den oberen Halswirbeln ausging und sich bis in dle Keilbeinhóhlen erstreckte. Der Patient war ein Mann von 29 Jahren und hatte an Nasenobstruction, Schwerhörigkeit, Abmagerung gelitten und einmal eine Blutung aus der Nase gehabt. Cheatle.

547) Die Neubildung beschränkte sich nahezu auf die linke Tonsille, nur der vordere Theil des hinteren Gaumenbogens war mitergriffen. Drüsenschwellung war nicht vorhanden. Es wurde die laterale Pharyn- gotomie mit Spaltung des Unterkiefers an seinem Winkel gemacht. Noch 7 Monate nach der Operation kein Recidiv. Cheatle.

548) Bei der mikroskopischen Untersuchung einer Anzahl von Tonsillen hat Ruge öfters (unter 25 Fällen 4 Mal) und bei verschiedenen Krankheitszuständen (einmal bei schwerer Sepsis mit Angina follicularis, zweimal bei einfacher catarrhalischer Angina, einmal bei Tonsillartuber- kulose und Phthisis pulmon.) eigenthümliche, drüsige Gebilde in den Lacunen gefunden, welche er zu den Strahlenpilzen rechnet, aber nicht für identisch mit dem Actinomyces hominis hält wegen gewisser Unter-

184 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

schiede in der Form, Färbbarkeit und in der pathogenen Bedeutung. Verfasser hält einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Sepsis in dem einen Falle und dem Vorkommen des Strahlenpilzes für aus geschlossen, bezweifelt aber nicht, dass der Pilz Mykosen der Tonsillen und des Pharynx und Tonsillarhypertrophie hervorrufen könne, eventuell auch Abscesse und andere Krankheitsformen, worauf die Fälle von Sabrazés und ein Fall von J. Israel hindeuten, falls es sich bei diesen um das Vorkommen desselben Pilzes gehandelt hat. In des Verfassers Fällen fand sich der Strahlenpilz nur in den Crypten der Tonsillen; er hatte hier an verschiedenen Stellen das Epithel zerstört und theilweise reactive Veränderungen im umliegenden Gewebe bedingt, z. B. Rundzellenauswanderung und Infiltration. Die von Chiari und Jacobson beschriebenen weissen Klümpchen aus den Tonsillarcrypten sind wahrscheinlich mit den von Ruge beschriebenen actinomyces- ähnlichen Gebilden identisch. =- Haenel (Dresden).

Besprechungen.

Traité de Chirurgie cérébrale. Von A. Broca und Maubrac. Grossoctav, 582 Seiten mit 72 Textbildern. Paris, Masson & Co. 1896. Preis 12 Frs.

Besprochen von Hermann Knapp in New-York.!)

Das erste Kapitel giebt eine genaue auf embryologische und ver- gleichend anatomische Thatsachen gestützte Beschreibung der Topographie des Gehirns. Das zweite enthält die Methoden, Apparate, Maasse und Aufzeichnungen, durch welche die Lage verschiedener Theile des Gehirns Windungen, Fissuren etc. auf der äusseren Oberfläche des Schädels nachgewiessen werden können, wenn chirurgisches Eingreifen in Betracht kommt. Das dritte und das vierte Kapitel behandeln die Gehirn- localisation vom physiologischen, pathologischen und diagnostischen Stand- punkte aus, besonders die motorischen und sensorischen Symptome, so- wohl bei Krankheiten des grossen als des kleinen Gehirns, und den dia- gnostischen Werth dieser Symptome. In dem fünften und in dem sechsten Kapitel sind die Technik und die Gefahren einer Gehirnoperation, besonders die Vor- und Nachtheile des Trepanirens und des Meisselns beschrieben. Diese sechs Kapitel 130 Seiten bilden den allgemeinen Theil des Gegenstandes.

Der besondere Theil behandelt in seinem ersten Kapitel, sehr klar und mit grosser Detailkenntnis, die traumatischen Gehirnverletzungen,

1) Uebersetzung. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXX, 13

186 Besprechungen.

die sich zu der chirurgischen Behandlung eignen. Das zweite Kapitel, welches unsere Leser am meisten interessiren wird, enthält in genau hundert Seiten eine ausgezeichnete Darstellung der intracraniellen Com- plicationen der eitrigen Mittelohrentzündung und ihrer Behandlung. Die Verfasser legen grossen Werth auf die Prophylaxis, d. h. auf die richtige Würdigung und Pflege der primären Ohrenkrankheit und berufen sich auf die Abhandlung eines von beiden (A. Broca und Lubet-Barbon, Les Suppurations de l’Apophyse mastoide et leur Traitement, Paris 1895). Die intracraniellen Complicationen der Otitis sind unter den Titeln Meningitis, Sinus- phlebitis und Abscess, der letztere als epiduraler, cerebraler oder cerebellarer Abscess beschrieben.

Die Verfasser sind der Ansicht, dass die medicinische Kunst bei acuter diffuser Meningitis machtlos ist; aber partielle und subacute Meningitis mag manchmal durch eine Operation geheilt werden. Broca theilt zwei Fälle von schwerer Meningitis aus seiner eigenen Beobachtung mit, sowie eine beträchtliche Anzahl eigener und fremder Fälle, in denen mehr oder weniger ausgesprochene Symptome die Diagnose be- stätigten, wo Genesung mit und manchmal ohne Operation stattfand. In einigen Fällen wurde die Warzenfortsatz- und Schädelhöhle eröffnet, in einigen wurde auch die Hirnhaut eingeschnitten; es wurde kein Eiter gefunden, die Patienten genasen. Sie nennen diese Fälle Pseudo- Meningitis oder Meningism, eine schwächere Form von Meningitis, und erklären sie durch das begleitende Oedem und selbst Eiter, welche einen Herd frischer Eiterung umgeben und verschwinden, wenn der Herd beseitigt ist. Sie vergleichen es mit dem Peritonismus, welcher oft umschriebene Peritonitis und sogar extraperitoneale Entzündung begleitet. Die Verfasser führen Körner an für die Beobachtung, dass solche Fälle, namentlich bei Kindern ungünstigen Ausgang nehmen können und bei der Autopsie wird nichts als Oedem der Menjngen und des Gehirns gefunden. Solche‘ Fälle sind jüngst unter dem Namen Meningitis serosa beschrieben worden. In allen zweifelhaften Fällen empfehlen die Verfasser Operation (Paukenhöhle, Warzenfortsatz, Schädel- höhle, je nach den vorgefundenen Verhältnissen) um keine Zeit mit einfachen Proceduren, der Luftdouche z. B. zu verlieren, «deren Wirkung jedoch bei manchen Patienten sehr gross ist (dont l'éfficacité est. cependant grande chez bien des sujets)». Wir können mit dieser letzten Behauptung nicht übereinstimmen, im Gegentheil betrachten wir Einblasung sogar als gefährlich in Fällen von acuter Mittelohrentzündung, da wir durch

-— w =i r a m

Besprechungen. 187

‚persönliche und andere Erfahrungen wissen, dass ihr sofortige Steigerung des Schmerzes und der Entzündung folgt. D

Das Bild von Sinus-Phlebitis ist sehr sorgfáltig und genau gezeichnet. Die Pathogenese, Entwicklung, Verschiedenheiten und verschiedenen Endungen dieser Krankheit sind nach eigenen Beobachtungen (die ersten drei ungünstig) und nach der sehr reichhaltigen Literatur geschildert. Die Verfasser führen die Fälle auf, wo Sinusphlebitis mit ausgesprochenen pyämischen Symptomen nur durch eine Warzenfortsatzoperation geheilt worden sind. Jedoch betrachten sie dies nicht als ein genügend sicheres Verfahren in solchen Fällen (eine Meinung, welche der Berichterstatter theilt, obgleich die Verfasser sie durch zwei auf diesem Wege geheilte Fälle bestätigen), sie rathen sorgfältig allen kranken Knochen, der mit der Curette zu beseitigen ist, zu entfernen, dann, als Regel und nach den vorgefundenen Zuständen, die epidurale Anhäufung des Eiters zu be- seitigen, den Sinus zu desinficiren und die Jugularvene zu unterbinden. Die Reihenfolge der Operation ist: Unterbinden der Jugularis am Halse, unter dem Thrombus wenn möglich; 2. Oeffnung der Warzenfortsatz- und Paukenhóhle ; 3. Freilegen, Einschneiden und Desinficiren des Sinus ; 4. Ausspülen der Knochenhóhle und des oberen Endes der Jugularvene ; 5. den Sinus mit Jodoformgaze verstopfen.

Die Symptome des Abscesses im grossen und kleinen Hirn werden eingehend besprochen unter Hervorhebung der Schwierigkeit der Diagnose und Localisirung. Die Symptome sind in der gewöhnlichen Weise eingetheilt und aufgezählt als 1. die von Eiterung herrührenden Symptome, 2. diejenigen von Vermehrung des inneren Schädeldruckes und 3, Symptome der Localisation. Die Aetiologie und die Gesammt- heit des Krankheitsbildes müssen zur Diagnose führen mehr als das Vorhandensein besonderer Symptome. Von der Semiologie des Klein- hirnabscesses sagen die Verfasser, dass sie nicht sehr bestimmt sei. Die Symptome von einigem Werthe sind: Hinterhauptsschmerz, Erbrechen, trunkenes Schwanken, Schwindel und Steifigkeit des Genickes. Da diese Symptome fast nie in einem gegebenen Falle vereint sind, bleibt die Diagnose schwierig. Sie werden in Kapitel IV, Seite 93, besprochen. Wie jeder Operateur in diesem neuen Gebiet, gesteht A. Broca Fehler in der Diagnose ein, welche erst die Autopsie aufklärte. Seine Ent- schuldigung ist, dass er in guter Gesellschaft Fehler machte. Er betont, dass in mehreren Fällen verschiedene Processe vorhanden seien und daher ist er ein warmer Vertheidiger der sog. Mastoidmethode, welche

13*

co A mmy d $ « dw.

188 Besprechungen.

zuerst besprochen und empfohlen wurde von Wheeler, bei der Brit. Med. Ass. 1887 (Lancet, 1887, Vol. II, p. 317). Diese Methode, welche in jüngster Zeit verschiedentlich vertreten worden ist, besteht darin, dass man zuerst Warzenfortsatz und Mittelohr óffnet und reinigt und dann, je nachdem es nach den vorgefundenen Verhältnissen rathsam erscheint, die Wunde weiter nach rückwärts ausdehnt bis in die hintere Schädelhöhle, wo epiduraler Abscess, 'I'hrombose des lateralen Sinus und Abscess im kleinen Hirn gefunden werden können; oder die Wunde wird nach oben und vorn ausgedehnt von dem Zugang zum Antrum hinauf zur mittleren Schädelgrube, wo epidurale und temporo-sphenoidale Abscesse erreicht und behandelt werden können. Die anderen Methoden sind im Detail besprochen und viele lehrreiche Fälle von vielen Ver- fassern sind entweder ganz oder mehr oder weniger verkürzt angeführt. Die Indicationen, die Differenzialdiagnose und Operationstechnik sind an verschiedenen Stellen Wiederholungen von dem, was sehr sorgfältig in dem allgemeinen Theil, Kap. III—IV, beschrieben worden ist, die Schilderung geht jedoch mehr in's Specielle, ist nirgends ermüdend.

Die übrigen 220 Seiten des Buches sind der Beschreibung intra- cranieller Geschwülste gewidmet, sowie verschiedenen Gehirnerkrankungen (Blutung, Erweichung, Meningitis, Abscess und Lähmung durch ver- schiedene Ursachen), Hydrocephalus, Mikrocephalus und Idiotie, Ver- rücktheit, functionelle Störungen (Epilepsie, Psychosen, hartnäckiges Kopfweh) und Encephalocele.

Das ganze Werk giebt eine vollständige Darstellung von dem, was die Chirurgie des Gehirns fordern und was auf experimentellem Wege erreicht werden kann. Es ist anziehend geschrieben, niemals schwer, nicht sehr dogmatisch, aber mit dem ernsten Vorsatz, lehrreiche Mit- theilungen zu bringen. Von der Literatur ist sehr ausgiebiger und unparteiischer Gebrauch gemacht worden. Wir waren überrascht, so viele amerikanische Verfasser aufgeführt zu sehen, namentlich im letzten Drittel des Buches.

Wir haben dieses gelegene Werk mit Vergnügen und sehr viel Nutzen gelesen und sind sicher, dass es allen denen willkommen sein wird, welche an der neuesten Entwicklung dieses Zweiges der Chirurgie Interesse haben, insbesondere den Otologen.

Besprechungen. ` 189

Die operative Freilegung der Mittelohrräume nach

Ablösung der Ohrmuschel als Radicaloperation zur Heilung veralteter chronischer Mittelohreiter- ungen, der Caries, der Necrose und des Cholesteatoms des Schläfenbeins. Nebst‘den Krankengeschichten der ersten 100 operirten Fälle. Von Dr. Ludwig Stacke, Ohrenarzt in Erfurt. Verlag von Franz Pietzker, Tübingen 1897.

Besprochen von Dr. Arthur Hartmann.

Das vorliegende Buch enthält eine auf reicher practischer Er- fahrung beruhende Schilderung der von dem Verfasser eingeführten Art der Radicaloperation zur Heilung der chronischen Mittelohreiterung. Wenn auch diese Schilderung dadurch an grosser Einseitigkeit leidet, dass Stacke allein die von ihm befolgte Operationsmethode in den Vordergrund stellt, so sind doch die sehr bestimmt gehaltenen Aus- führungen sehr interessant zu lesen, besonders für denjenigen, der mit der sonstigen Literatur über die Radicaloperation vertraut ist.

In der Einleitung bespricht Stacke eingehend seine Prioritäts- ansprüche bezüglich der Radicaloperation überhaupt. Er sieht sich dazu »herausgefordert« durch »die unablässigen (?) Prioritätsansprüche Zau- fals«. Aus dem eifrigen Bemühen Stacke’s, seine Prioritätsan- sprüche zu sichern, dürfte schon hervorgehen, dass dieselben, so weit sie die Radicaloperation überhaupt betreffen, nicht auf allzusicherer Basis beruhen. Unbestritten bleibt dem Verfasser die Methode, » welche nach Ablösung der Ohrmuschel im Kuppelraum beginnt und im Antrum endigt« während die übliche Radicaloperation, bei welcher die Abmeisselung von aussen beginnt und nach Eröffnung des Antrums dieses und der Kuppelraum freigelegt wird, bereits vor Stacke empfohlen und ausgeführt wurde. Ref. kann in dieser Beziehung auf seine früheren Ausführungen in dieser Zeitschrift verweisen.!) Als verfehlt muss der Nachweis Stacke's erscheinen, wenn er durch Anrufung verschiedener Zeugen zeigt, zu welchen Zeiten er die be- treffenden ersten Operationen ausgeführt hat, um daraus Prioritátsan-

1) Geschichtliche Bemerkungen über die Freilegung des Kuppelraumes, der Paukenhóhle und des Antrum mastoideum. Bd. 26, S. 105.

190 Besprechungen.

sprüche abzuleiten. Es ist Sitte in der Wissenschaft, dass solche nur von dem Datum der Publication abgeleitet werden können.

Ref. glaubt annehmen zu dürfen, dass wohl von den meisten Ohrenárzten die Radicaloperation nicht in der von Stacke empfohlenen vom Kuppelraum und Antrum ausgehenden Weise ausgeführt wird, sondern dass zuerst die Corticalis und die 'hintere Gehörgangswand bis zum Antrum entfernt und dann der Kuppelraum freigelegt wird. Die Stacke’sche Methode, zuerst vom Kuppelraum aus das Antrum zu eröffnen, wird dann zur Anwendung zu bringen sein, wenn man bei der Aufmeisselung von aussen das Antrum nicht findet. Da dies äusserst selten der Fall ist, so wird man auch nur ausnahmsweise zu dieser Art des Vorgehens gezwungen sein.

Dass nun deshalb, weil diese Methode »am universellsten« ist, die- selbe auch vor andern den Vorzug verdiene, kann nicht als berechtigt erscheinen, wenn sich ergibt, dass die gewóhnliche Methode von aussen zu operiren einfacher und ebenso sicher und gefahrlos ist. Es besteht nun kein Zweifel darüber, dass bei Einführung der Radicaloperation von verschiedenen Operateuren Facialisverletzungen gemacht wurden. Es dürfte dies jedoch zurückzuführen sein auf die ungenügende Berück- sichtigung der anatomischen Verhältnisse und auf die von Küster und auch von Zaufal gegebenen Anweisung die hintere Gehörgangswand bis zur Paukenhóhle abzumeisseln. Ref. hat mehrfach darauf hinge- wiesen, dass dies nicht bis zum inneren Ende der hintereu Gehörgangs- wand geschehen dürfe, da wie aus seinen Abbildungen hervorgeht, hier- bei eine Verletzung des Facialis nicht ausgeschlossen werden kann. Ref. hat stets darauf hingewiesen, dass das Antrum zu eröffnen sei und dann die vordere untere Wand desselben und die äussere Wand des Kuppelraumes abzutragen sei. Bei einem solchen Vorgehen wird der Facialis nicht verletzt und scheint es, dass bei den jetzt üblichen Radicaloperationen die Facialisverletzungen auch nicht mehr vorkommen.

Bezüglich der Cholesteatome steht Stacke auf dem Standpunkte, den auch Zaufal einnimmt, die ganze Auskleidung der Hohlräume zu entfernen, indem er befürchtet, dass nur dadurch Recidive verhütet werden können. Dieser Standpunkt wird von vielen Operateuren nicht getheilt werden. Bereits Siebenmann zeigte, dass auch ohne die Entfernung der Auskleidung Heilung erzielt werden kann. Auch Ref. hat mehrere Fälle beobachtet, wo nach der einfachen Radicaloperation nach mehreren Jahren keine Recidive aufgetreten sind. Die vollstándige Entfernung der Auskleidung erklärt die lange Heilungsdauer der Operirten trotz der vorgenommenen

Besprechungen. 191

plastischen Operationen. Bei einem von Stacke besonders hervorge- hobenen Falle wird ausgeführt, dass nach ausgedehnter Aufmeisselung ohne Entfernung der Auskleidung immer wieder Recidive aufgetreten seien, so dass von Stacke eine Nachoperation vorgenommen, die Cholesteatomhaut entfernt, die Oberfläche des Knochens abgemeisselt und dann wieder plastisch gedeckt wurde. Ueber eine endgüldige Heilung kann Stacke jedoch nicht berichten. Der Fall scheint ihm nur geheilt zu sein. Jedenfalls sind zur Entscheidung dieser Frage noch viele Beobachtungen erforderlich. Auch bei Erhaltung der Aus- kleidung ist es durchaus nicht erforderlich, eine retroauriculäre Oeff- nung bestehen zu lassen, mit Hilfe des Körner’schen Lappens kann die dauernde Freilegung selbst ausgedehuter Hohlräume herbeigeführt werden.

Der erste Act bei der Operation Stacke’s besteht in dem bogenförmigen Schnitt hinter dem Ohre und der Heraushebelung des äusseren Gehör- ganges in der bereits früher von ihm beschriebenen Weise, Durchtrennung der Gehörgangswand möglichst medianwärts mit einem schmalen Scalpell, Heraushebelung des Gehörganges vermittels eines Raspatoriums. Der zweite Theil der Operation besteht in der Freilegung der Mittelohr- räume. Zuerst wird der etwa noch vorhandene Hammer entfernt, dann abweichend von der sonst üblichen Radicaloperation die Pars epitympanica und nachfolgend die hintere, obere Gehörgangswand abge- meisselt, bis die Sonde frei in das Antrum eindringt. Nunmehr folgt erst die Abtragung der äusseren Corticalis und des lateralen Theils der hinteren Gehörgangswand.

Das dritte Operationsstadium bildet die Deckung der entblössten Knochenstücke durch plastische Verwendung von Weichtheilen. Stacke bildet einen Lappen durch einen Horizontalschnitt parallel der Axe des Gehörganges die obere Wand spaltend nach aussen bis zur Concha reichend und einen zweiten Schnitt, der von dem äusseren Endpunkt des letzteren nach unten geführt wird. Der Lappen kommt durch ein- geführte Tampons auf die untere Fläche der knöchernen Wundhöhle zu liegen. Stacke erwähnt sodann den Panse’schen Lappen, der einen viereckigen Lappen aus der hinteren Gehörgangswand bildet. Als einziger Vortheil des Panse’schen Lappens betrachtet Stacke die Heilung der retroauriculären Wunde per primam, bezweifelt dabei aber wohl nicht mit Unrecht, ob es ein Vortheil sei, bei dieser Lappen- bildung die Nachbehandlung durch den Gehörgang stattfinden zu lassen. Die Kórner'sche Lappenbildung scheint Stacke nicht versucht zu

192 Besprechungen.

haben. Dieselbe unterscheidet sich von der Panse’schen fundamental dadurch, dass zum viereckigen Lappen ein Theil der Concha hinzuge- nommen wird. Hierdurch allein ist es möglich, die ganze retroaurieu- läre Wunde per primam heilen zu lassen, da eine solche Erweiterung des Gehörgangs erzielt werden kann, dass die Nachbehandlung sehr bequem und sicher stattfinden kann. Mit der Körner’schen Methode wird die Heilungsdauer so abgekürzt und die Behandlung für Patienten und Arzt so vereinfacht, dass wohl keiner der dieselbe zur Anwendnng gebracht hat zur Offenerhaltung der retroauriculären Wunde oder zur Stacke’schen oder Panse’schen Lappenbildung zurückkehren wird. Die theoretischen Bedenken, die Stacke gegen die Körner'sche Lappenbildung geltend macht, Verunstaltung und gróssere Schwierig- keit bei Beschränkung der Granulationsbildung können nicht in Be- tracht kommen, da dieselben gegenüber den Vortheilen nicht in die Waagschale fallen.

Die Nachbehandlung ist naturgemäss dieselbe wie die bei jeder Radicaloperation. Einen besonderen Werth legt Stacke auf das Austamponiren zuerst mit kleinen Gazestücken und dann mit grösseren. Stets wird wie auch bei der Operation strengste Asepsis angestrebt. Zur Beschränkung der Granulationen wird Lapis angewandt und wenn dieser nicht ausreicht, sofort zur Galvanokaustik gegriffen. Ref. kann hierbei die Bemerkung nicht unterdrücken, dass sowohl dem Höllenstein als der Galvanokaustik die Chromsäure bedeutend vorzuziehen ist, s30- wohl wegen der Schmerzlosigkeit und der bequemen Anwendung, als wegen der grösseren Sicherheit der Wirkung.

Die Prognose der Radicaloperation ist eine sehr günstige und kann die Operation als absolut gefahrloser Eingriff betrachtet werden. Von 100 operirten Fällen Stacke's sind 96 geheilt, 3 gestorben, 2 ausge- blieben, 1 ungeheilt. 49 mal fand eine Verschlechterung des Gehöres nach der Operation nicht statt, Besserung 31 nal, Verschlechterung 6 mal, in 14 Fällen war die Hörprüfung nicht notirt.

Die durchschnittliche Heilungsdauer betrug bei den 100 Operirten 3!/, Monate.

Soweit Stacke davon' Kenntniss erhielt, traten bei den 100 von ihm Operirten 20mal Recidive auf, Hautrecidive (oberflüchliche Ab- sonderung) 12, ossale Recidive 4, Recidive auf Grund schlechter allge- meiner Ernährung 4. Dieselben kamen sämmtlich wieder zur Heilung.

Den zweiten Theil des Buches bilden 100 kurzgefasste Kranken- geschichten.

Besprechungen. 193

Die Neuralgie des Trigeminus nebst der Anatomie und Physiologie des Nerven. Von Dr. F. K rause in Altona. F. C. W. Vogel, Leipzig.

Besprochen von Prof. Dr. Passow in Heidelberg.

Das vortreffliche Buch hat vorwiegend Bedeutung für den Chirurgen und Neurologen, es berührt jedoch eine Reihe von Punkten, die auch für den Ohrenarzt bemerkenswerth sind. K. empfiehlt in denjenigen Fällen von Trigeminusneuralgie, bei welchen weder die allgemeine Be- handlung noch extracranielle Operationen Erfolg haben, die Entfernung des Ganglion Gasseri nach der von ihm gegebenen Methode. Er hat damit 12 mal dauernde (jahrelange) Heilung erzielt. Die Ausfallserschei- nungen im Gebiete des Trigeminus sind nicht so lästig, wie man er- warten sollte, und stehen in keinem Vergleich zu den entsetzlichen Qualen, die von den Kranken vor der Operation zu ertragen sind.

Das Hörvermögen erleidet begreiflicher Weise keine Einbusse. _ Eine Kranke hat seit der Operation die Empfindung, als ticke in der Schläfe eine Taschenuhr; bei einer zweiten stellte sich anfallsweise einige Stunden dauerndes, nicht sonderlich lästiges Sausen ein. Otitiden, wie sie von Baratoux und Berthold bei Trigeminus- Affection, sowie von v. Beck und Asher nach intracranieller Resection des Nerven beschrieben sind, hat K. nicht gesehen. Der äussere Gehör- gang ist im Anfangstheil seiner vorderen Wand bei einigen l'atienten unempfindlich. Die Differenzen erklären sich aus den Variationen der Nervenversorgung des Meatus. Einmal hat K. den Sinus cavernosus eröffnet. Die ausserordentlich heftige Blutung stand sofort auf Tampo- nade, also ebenso leicht wie bei Verletzung des Sinus transversus. Die Operation konnte zu Ende geführt werden.

194 Emilio de Rossi’'s Jubiläum 25jähriger Unterrichtsthätigkeit.

L'oreille P. Bonnier. Encyclopédie scientifique des Aides-Mémoire, publié sous la direction de M. Léaulé. Paris, Masson & Cie.

Besprochen von

Prof. Passow in Heidelberg.

Das Werk soll in fünf Theilen erscheinen: I. Anatomie de l'oreille, II. Physiologie de l'oreille: Physiogénie et mécanisme, III. Physiologie de l'oreille: les Fonctions, IV. Pathologie interne de l'oreille, V. Patho- logie externe de l'oreille.

Der erste Theil liegt vor. Das Buch eignet sich nicht zum ein- gehenderen Studium; es ist ein Compendium, in dem sich der Anfünger über die schwierigen anatomischen Verhältnisse des Ohres gut orientiren kann. Die Beschreibung enthält im Grunde genommen nicht viel mehr als eine ausführliche Erklärung der in den Text gedruckten 76 Ab- bildungen. Diese Abbildungen, zum Theil schematisch gehalten, sind fast durchweg recht gut und erleichtern das Verständniss sehr. Es gilt das besonders von den Figuren, welche die Entwicklungsgeschichte des Ohres demonstriren; auch die Schichten des Trommelfells und die Lage der Gehörknöchelcnen sind anschaulich dargestellt; ein Schema der Acusticusbahnen ist übersichtlich. Etwas mehr hätte über den Ver- lauf des Facialis und seine Lage zu den Nachbarorganen gesagt werden sollen, ferner über den Proc. mastoideus, das Antrum und den Sinus transversus. Die Spina supra meatum ist nicht erwähnt.

Emilio de Rossi’s Jubiläum 25 jähriger Unterrichtsthätigkeit.

Soeben erhalten wir die umfangreiche Festschrift, welche zu Ehren der 25jährigen Lehrthätigkeit des Prof. E. de Rossi in Rom heraus- gegeben wurde. Dieselbe bildet ein Heft des Archivio italiano di Oto- logia und enthält 38 Originalarbeiten der verschiedenen Vertreter der Ohrenheilkunde in Italien und liefert den Beweis, welche Bedeutung dieser Zweig der Medicin nunmehr auch in Italien erlangt hat. Wir werden über die einzelnen Arbeiten in unserem nächstsn Berichte referiren. Die Festschrift ist geschmückt mit dem Bildniss de Rossi’s und bringt

Deutsche Otologische Gesellschaft. 195

eingangs biographische Mittheilungen über den um die Entwicklung der Ohrenheilkunde in Italien hochverdienten Fachgenossen. Aus seiner Schule sind die meisten italienischen Ohrenärzte hervorgegangen und verdankt unsere Wissenschaft seiner Feder eine grosse Anzahl von hauptsächlich auf therapeutischem Gebiete liegenden Mittheilungen. Be- sonders in den Jahresberichten über die Unterrichtsthätigkeit sind die reichen praktischen Erfahrungen des Jubilares niedergelegt.

E. de Rossi ist geboren am 10. Februar 1844 in Mentone und zeigte schon in der Schule ebenso wie später auf der Universität hervor- ragende Begabung. Nach beendeten Studien hielt er sich wiederholt längere Zeit in Paris auf und veröffentlichte bald sein Lehrbuch der Krankheiten des Ohres. 1870 wurde er von der italienischen Regierung nach Rom berufen und ihm 1871 der Unterricht in Ohrenheilkunde übertragen.

Auch wir senden unserem hochgeehrten Fachgenossen aus dem Norden unsere herzlichsten Glückwünsche zu seinem Jubiläum. Möge ihm noch eine recht lange ebenso erfolgreiche Thätigkeit beschieden sein, wie er sie bisher entwickelt hat. Hartmann.

Deutsche Otologische Gesellschaft.

Die sechste Versammlung der Deutschen Otologischen Gesellschaft wird in diesem Jahre

am 4. und 5. Juni in Dresden stattfinden.

Diejenigen Herren Collegen, welche Vorträge oder Demonstrationen zu halten beabsichtigen, werden gebeten, ihre Themata bis zum 30. April d. J. an den Unterzeichneten gelangen zu lassen.

Anmeldungen zur Aufnahme in die Gesellschaft sind gleichfalls an den Unterzeichneten zu richten.

Das ausführliche Programm wird Anfang Mai versendet werden.

Im Namen des Ausschusses:

Göttingen, den 1. März 1897. der Ständige Secretär: Prof. Dr. K. Bürkner.

Eingabe der akademischen Vertreter der Ohren- heilkunde an das Reichskanzleramt.

Die Unterzeichneten beehren sich dem Reichskanzleramte die gehorsame Bitte vorzulegen, dahin wirken zu wollen:

Dass bei der ärztlichen Approbations-Prüfung die zu Prüfenden auch die für alle praktischen Aerzte nothwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten in der Ohrenheilkunde nachweisen müssen.

Von Seiten des Reichskanzleramtes ging vermittelst der deutschen Bundesregierungen den medizinischen Fakultäten ein Entwurf für die neue Prüfungsordnung der Aerzte zur Begutachtung zu. Die Fakultäten haben, um conforme Vorschläge zu machen, aus ihrer Mitte Vertreter nach Eisenach entsandt. Die Mehrzahl dieser Vertreter übt die ärzt- liche Praxis nicht aus, steht daher den Bedürfnissen derselben fern. Auch bei den Berathungen der Fakultäten waren mit Ausnahme einer Universität die amtlichen Vertreter der Ohrenheilkunde nicht hinzu- gezogen, sie konnten sich daher auch nicht zur Sache äussern. Die Gründe, welche sie veranlassen, dies hier zu thun, leiten sich aus ihrer klinischen und consultativen Thätigkeit ab und nöthigen sie ihre Ueberzeugung dahin auszusprechen, dass, im Falle die Eisenacher Vor- schläge zur Ausführung kämen, nachweisbare Mängel in der Ausbildung der praktischen Aerzte und infolge dessen schwere Schädigungen der Ohrenkranken nicht verhütet werden können.

Zur Begründung ihrer Bitte sei kurz angeführt:

dass es im Deutschen Reiche etwa 38 000 Taubstumme giebt, deren Gebrechen in der Mehrzahl nicht angeboren, sondern ein erworbenes ist und von Ohrenerkrankungen herrührt, die, zur rechten Zeit in ürztliche Behandlung genommen, oft heil- bar sind; ;

dass bei 75 Procent der verstorbenen Säuglinge Mittel- ohrentzündung constatirt ist, die am Lebenden erkannt und behandelt werden könnte;

Eingabe der akademischen Vertreter der Ohrenheilkunde. 197

dass unter den Schulkindern 25 Procent vorhanden sind, welche nicht normal hören;

dass dieser Procentsatz sich bei Erwachsenen auf 33 Procent erhöht ;

dass eine nicht normale Hörschärfe bei Kindern die geistige Entwickelung und bei Erwachsenen die Existenz erschwert;

dass unter 158 Todesfällen einer auf Ohreiterung kommt, wie die Sectionen aus allen Alterstufen ergeben.

Besonderen Schaden erleidet durch die mangelhafte Ausbildung der praktischen Aerzte in der Ohrenheilkunde die Landbevölkerung, unter welche die Ohrenspecialisten, so sehr sie sich auch mehren mögen, niemals gehen werden, zum nicht geringen Theil auch deshalb, weil jene im guten Glauben lebt, dass der Arzt, der seine Studien an der Universität vollendet und seine Staatsprüfung bestanden hat, sich auch mit der Behandlung der Ohrenkranken vertraut gemacht habe. Die klinischen Journale erweisen jedoch, dass die schweren Fälle von chronischen Ohreiterungen, complicirt durch Knochenfrass, Hirnhautent- zündung, Hirnabscess, Blutvergiftung u. s. w. gerade aus dieser Be- völkerungsklasse stammen, und dass eine rechtzeitige und zweckmässige Behandlung in den meisten Fällen nicht stattgefunden hat. Bis zur endgiltigen Heilung und vollen Erwerbsfáhigkeit wird bei derartigen : Kranken viel Zeit in Anspruch genommen, oft viele Wochen und Monate, wodurch das Individuum, die Krankenkassen, die Gemeinde und der Staat in materieller Hinsicht schwer belastet werden.

Nicht besser steht es mit den acuten Ohrerkrankungen, welche sich den Infectionskrankheiten entweder im Fieberstadium oder in der Reconvalescenz anschliessen. Derartige Kranke liegen schwer danieder, sind nicht transportabel. Gerade hier muss der praktische Arzt nach dem heutigen Stand otiatrischen Wissens und Könnens handeln, die Diagnose am Krankenbette stellen und ohne Verzug die Behandlung einleiten. Dadurch, dass dies nicht geschieht, der Gefahr nicht vorgebeugt wird, sterben so viele Menschen und es entstehen die chronischen Ohreiterungen mit ihren schweren Folgen.

Aber nicht nur als Berather am Krankenbette, sondern auch als Begutachter bei Unfällen, Invalidität und daran anschliessend bei Lebensversicherungs- und Rekrutirungsgeschäften, welche sich auf das

198 Eingabe der akademischen Vertreter der Ohrenheilkunde.

Gehörorgan beziehen, wird die Thätigkeit des Arztes in Anspruch genommen.

Wie steht es nun demgegenüber mit der Ausbildung der praktischen Aerzte in der Ohrenheilkunde?

Nach den Erfahrungen, welche die Docenten der Ohrenheilkunde an den deutschen Universitäten gemacht haben, hören etwa 20 Procent der Medicin Studirenden klinische Vorlesungen über Ohrenheilkunde. Es gehen demnach 80 Procent in die Praxis, ohne mit den nöthigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vertraut zu sein.

Durch Selbstunterricht können die nothwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten in der Ohrenheilkunde nicht erworben werden, wie sich dies durch die zahlreich besuchten Aerztefortbildungskurse und die so häufig vorkommenden Kunstfehler bei Entfernung von Fremdkörpern aus dem äusseren Ohre zur Evidenz erweisen lässt. Auch lehren uns die Erfahrungen beim Unterricht, dass das »Nothwendige« nur durch ein methodisches Vorgehen erreichbar ist.

Aus diesen Gründen scheint es uns geboten, dass der Medi- ciner, bevor er in die Praxis geht, sich mit denjenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vertraut gemacht hat, welche ihn befühigen, ein Helfer in der Noth zu sein und dass er diese erworbenen Kenntnisse durch eine obligate Prüfung in der Ohrenheilkunde nachweist.

Die Eisenacher Vorschläge überlassen den Besuch der Ohrenklinik der freien Wahl des Studirenden, lehnen den obligatorischen Besuch derselben ab und weisen die Prüfung in der Ohrenheilkunde dem Chirurgen zu.

Der Chirurg ist durch den Unterricht, durch die abzunehmenden Prüfungen, durch seine praktische und wissenschaftliche Thätgkeit in seinem Fache voll in Anspruch genommen. Ob er daneben noch Zeit und Lust hat, sich in das Gebiet der Ohrenheilkunde so zu vertiefen, dass er das Examen abnehmen kann oder will, das wissen wir nicht, da unter den Eisenacher Delegirten kein Vertreter der Chirurgie zugegen war, um sich über diese Frage zu äussern. Wir wissen nur, dass sich keiner der Chirurgen an den Deutschen Universitäten mit dem Unterricht in der Ohrenheilkunde, mit der Diagnostik und denjenigen therapeutischen Eingriffen beschäftigt, welche von den praktischen

Eingabe der akademischen Vertreter der Ohrenheilkunde. 199

Aerzten verlangt werden können; auch verfügt er nicht über das noth- wendige Material.

Bisher sind nur Fachmänner zur Prüfung ihrer Disciplin heran- gezogen worden. Auch die Eisenacher Vorschläge weisen die Prüfung der Irrenheilkunde den Psychiateru zu; sie empfehlen obligate Prüfungen sowohl in der Irren- wie in der Ohrenheilkunde. Warum soll nun aber die Prüfung in letzterer Disciplin nicht vom Fachlehrer abgehalten werden? Es scheint dies um so bedenklicher, als beide Fächer, Irrenheilkunde uud Ohrenheilkunde, für den praktischen Arzt keineswegs gleichwerthig sind, was sich schon aus der Thatsache er- giebt, dass die Zahl der Irren gegen die der Ohrenleidenden eine fast verschwindende zu nennen ist.

Die Nothwendigkeit des ernsten otiatrischen Studiums für den praktischen Arzt wird ausserdem von nicht speciell fachmännischer Seite, sowohl aus der Reihe der praktischen Aerzte sowie der einzelnen Professoren der Medicin, klar gelegt, indem nachdrücklich von ihnen betont wird, »dass für den Heilberuf des frei prakticirenden Arztes gewisse otiatrische Kenntnisse viel wichtiger sind als psychiatrische, dass der praktische Arzt mit otiatrischen Kenntnissen und Fertigkeiten ganz unverhältnissmässig mehr Nutzen stiften und Unheil verhüten kann als mit psychiatrischen.«

Hiernach scheint es im humanen und staatlichen, besonders auch im ärztlichen Interesse ‚gelegen, für die Ausbildnng aller Aerzte in der Ohrenheilkunde zu sorgen und zu diesem Zwecke:

le Die Zulassung zur ärztlichen Approbationsprüfung nicht ohne einen Nachweis von mindestens halbjährigen Besuches einer Klinik oder Poliklinik für Ohrenkranke zu ertheilen.

2. Die Ohrenheilkunde als Gegenstand der Prüfung in die Prüfungsordnung aufzunehmen. Hierbei hat der Examinand in Gegenwart des Examinators einen ÖOhrenkranken zu unter- suchen, die Diagnose und den Heilplan mündlich zu erörtern und nachzuweisen, dass er in der Technik die nothwendigsten Handgriffe und Operationen beherrscht, welche geeignet sind, einer etwaigen Lebensgefahr entgegen zu wirken.

3. Die Prüfung von den officiellen Vertretern der Ohrenheilkunde abhalten zu lassen.

| Nekrolog. Dr. J. Michael 7.

In Hamburg wurde am 6. Januar dieses Jahres Dr. J. Michael plötzlich durch einen Herzschlag seinem ausgedehnten Wirkungskreise entrissen. Er war am 16. November 1848 in Hamburg als Sohn eines Arztes geboren, studirte nach absolvirtem Gymnasium zuerst zwei Jahre Jura, sattelte dann um, um sich mit grossem Eifer dem Studium der Medicin, besonders in Berlin zu widmen. Von äusserst regsamer Natur und mit grossem Wissensdrange erfüllt, verschaffte er sich besonders in Famulusstellen bei Virchow, Traube, Langenbeck hervor- ragende Kenntnisse. Nach beendetem Staatsexamen ging er, um sich in der Ohrenheilkunde und Laryngologie specialistisch auszubilden, nach Wien, wo er sich besonders Politzer und Urbantschitsch, letzterem als Assistent anschloss, während er bei Schnitzler, Schrötter und Störk den laryngologischen Studien oblag. In seine Vaterstadt zurückgekehrt wirkte er als Specialist für Hals- und Ohren- kranke, ohne jedoch auf die Ausübung der allgemeinen Praxis, für die er eine besondere Vorliebe hegte, zu verzichten.

Neben seiner ausgedehnten practischen Thätigkeit fand er stets auch Zeit zu literarischen Arbeiten. So verdankt ihm unsere Zeit- schrift mehrere kleinere Mittheilungen »Ueber die Anwendung des Amyleitrits«, Bd. V, S. 428; »Otitis media purulenta mit Necrose der inneren Paukenhóhlenwand und des Warzenfortsatzes«, Bd. VIII, S. 300. Eine gróssere Ánzahl seiner Arbeiten sind in den medic. Wochenschriften veróffentlicht. Eine seiner letzten Arbeiten war ein Vortag der Volk- mann'schen Sammlung über »die Behandlung der Mittelohreiterungen.«

Hartmann.

Fachangelegenheiten.

Professor Körner in Rostock wurde zum Ordinarius honorarius befördert.

Herr Professor Moldenhauer in Leipzig hat seine Lehrthätig- keit mit einer öffentlichen Antrittsvorlesung über »das Specialistenthum in der Medicin der Gegenwart« am 14. November 1896 wieder be- gonnen. Der Vortrag ist im Vogel'schen Verlage erschienen.

Durch die Schaffung einer besoldeten ausserordentlichen Professur für Ohrenheilkunde, welche unserem langjührigen Mitarbeiter Herrn Prof. Barth übertragen wurde, und durch die Errichtung einer Ohrenklinik ist nunmehr auch die Universität Leipzig in die Reihe derjenigen Universitäten getreten, an welchen die Ohrenheilkunde die ihr gebührende Stellung erhalten hat. Die Ohrenklinik in Leipzig ist ebenso wie die rein chirurgische und dermatologische Klinik im städtischen Krankenhause St. Jacob untergebracht. In der jetzt festgelegten Ab- theilung lassen sich 24—30 Betten aufstellen; bei Bedarf kann jedoch eine bedeutend grössere Anzahl von Betten hinzugefügt werden. Das Gehalt des Directors beträgt 5000 Mark, zwei Assistenten erhalten je 1200 Mark. Ausserdem fungiren noch zwei Famuli und ein vom Staate angesteller Diener und Heilgehilfe. Für poliklinische Zwecke sind 2000 Mark p. a. zur Verfügung gestellt Die Kosten der Klinik für Wartepersonal, Verbandstoffe etc. trägt die Krankenhausverwaltung.

Wir entnehmen der Revue hebdom. de Laryngologie, d’Otologie etc., dass endlich auch an der Pariser Faculté de médecine dem Studium der Krankheiten des Larynx, der Ohren und der Nase eine officielle Stellung eingeráumt wurde, indem Dr. Castex ein Lehrauftrag ertheilt wurde. Wie wir erfahren, ist der Auftrag, wofür 3000 Frs. ausgesetzt sind, nur auf ein Jahr ertheilt. Dr. Castex besitzt eine Privatklinik für die betreffenden Fächer.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXX. 14

202 Fachangelegenheiten.

Aus dem Weimar’schen Landtage (Sitzung vom 25. Februar 1897) wird berichtet: Der Abg. Schönemann interpellirte die Staats- regierung über die Prüfung der Candidaten der Medicin in der Ohrenheilkunde. Man müsse sich wundern, dass bis jetzt Ohrenkranke von einem Civilarzt behandelt werden dürften, ohne dass er eine Prüfung in der Ohrenheilkunde abgelegt, oder eine Ohrenklinik besucht habe. Im Deutschen Reiche bestehen 86 Taubstummenanstalten mit 38000 Zöglingen. Noch erschreckender aber als diese Zahl ist die Thatsache, dass diese Unglücklichen zumeist an einem erworbenen Uebel leiden, welchem bei richtiger Behandlung hätte vorgebeugt werden können. Die Militärärzte müssen längst eine Prüfung in der Ohren- heilkunde bestehen. Soll das Civil weniger geschützt werden, als das Militär? Es fragt sich, ob die Vorschläge der Reichsregierung ge- nügend seien, die nur allgemeine Kenntnisse verlangt, die in einem Examen vor einem Chirurgen nachzuweisen sind. Wenn dies nicht vor einem Specialisten abgelegt werde, dann bleibe es ein Scheinexamen und was nützen die allgemeinen Kenntnisse ohne die in einer Ohren- klinik erworbene praktische Erfahrung? Er fragt bei der grossherzoz- lichen Staatsregierung an, wie sie sich zu den diesbezüglichen Vor- schlügen der Reichsregierung stelle. Er beantragt: 1. Der Candidat der Medicin muss mindestens ein Semester eine Ohrenklinik besucht haben, um sich neben der allgemeinen Kenntniss die ein- schlägigen praktischen Kunstgriffe zu erwerben. 2. Die durch einen Ohrenarzt vorzunehmende Prüfung muss sich auf den Ausweis nicht blos allgemeiner Kenntnisse, sondern einer speciellen Vorbildung erstrecken.

Berichtigung.

In Band XXIX dieser Zeitschrift S. 377 soll es Z. 18 v. o. statt die erste »Aufmeisselung« heissen, die erste »Eröffnung« u. s. w. E. Bloch.

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 18983 untersuchter Tauhstummen. 203

XI.

Nachprüfung der im Jahre 1893 untersuchten Taubstummen.

(Zweiter Nachtrag zum ,Hórvermügen der Taubstummen".) Von Prof. Dr. F. Bezold in München. Mit 2 Tafeln.

Von Seiten des kgl. bayerischen Ministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten sind die Untersuchungen über das Hórvermógen der Taubstummen, welche vor 3!/, Jahren im kgl. Central- Taubstummen-Institut zu München von mir angestellt und in diesem Jahre publicirt worden sind,!) nicht unbeachtet geblieben, und unser Cultus- minister hat mir Gelegenheit gegeben, ihm das Vorhandensein von Hór- resten bei einer Anzahl von Zöglingen mittelst der continuirlichen Ton- reihe und der Sprache persónlich in der Anstalt zu demonstriren.

Bei diesem Anlasse habe ich erfahren, dass noch 28 der früher von mir untersuchten Zöglinge sich in der Anstalt befinden.

Verschiedene Gründe liessen es mir wünschenswerth erscheinen, meine damaligen Untersuchungsergebnisse durch eine nochmalige Prüfung mit der seitdem von Professor Edelmann vielfach verbesserten conti- nuirlichen Tonreihe einer Controlle zu unterziehen, für deren Vornahme mir die Anstaltsleitung mit der gleichen Bereitwilligkeit entgegenge- kommen ist wie bei der früheren Untersuchung.

Ich gestehe, dass ich nicht ohne ein gewisses Bangen an diese Nachprüfung gegangen bin. Obgleich ich bei der erstmaligen Unter- suchung mit der peinlichsten Sorgfalt vorgegangen war, liess sich doch die Möglichkeit keineswegs mit Sicherheit ausschliessen, dass ich da- mals mannigfachen Täuschungen unterlegen sein konnte.

Denn erstens war die damals von mir benutzte Tonreihe eine viel unvollkommenere, indem die Intensität ihrer Töne in den verschiedenen Strecken der Scala stark differirte und besonders in der zweigestrichenen Octave verhültnissmüssig gegen die übrigen Octaven zu schwach war, ein Missverhältniss, welches Edelmann in der neuen Tonreihe nach Möglichkeit ausgeglichen hat; in den drei Pfeifen der neuen Reihe,

1) Das Hórvermógen der Taubstummen etc. Verlag von J. F. Bergmann. Wiesbaden 1896.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd, XXX. 15

204 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

welche den oberen Theil der Tonscala, also gerade diejenige Strecke enthalten, die bei den Taubstummen am Häufigsten sich erhalten findet, ist durchgängig die Intensität des Tones eine stärkere geworden.

Ein weiterer Grund, warum ich befürchten musste, dass meine erstmalige Untersuchung in manchen Beziehungen zu Täuschungen ge- führt haben könnte, war die Jugend und in Folge dessen die Mangel- haftigkeit und Unzuverlässigkeit der Angaben gerade von den Zöglingen, deren Untersuchung mir noch möglich war. Denn während der 31, Jahre sind die älteren und in ihren Angaben zuverlässigeren Zöglinge sämmtlich ausgetreten und nur mehr die damals jüngsten und am wenigsten geschulten noch in der Anstalt zurückgeblieben. Oft genug fand ich bei ihnen von der ersten Untersuchung her die Bemerkung eingezeichnet »anscheinend totale Taubheit«, »unzuverlässige Angaben« etc. Auch der einzige damals gar nicht zu untersuchende Fall befand sich unter denselben.

Um so nothwendiger und erwünschter musste mir eine nochmalige Controlle für die damals Jüngsten nach einem grösseren Zeitraum er- scheinen.

Es lassen sich aber auch noch eine Anzahl weiterer Fragen stellen, deren Beantwortung durch diese Nachprüfung zu erwarten war.

Zunüchst wollte ich erfahren, in wie weit die neue von Edelmann mir gelieferte Tonreihe mit ihren bedeutend verstürkten Tónen andere Hórresultate ergiebt, als die damals verwendete, vor Allem für die Strecken, welche in der letzteren besonders mangelhaft waren.

Von einzelnen Autoren ist ja sogar die Behauptung aufgestellt worden, dass gleich starke reine Töne, wenn sie von verschiedenen Instrumenten erzeugt werden, nicht das gleiche Hörresultat liefern. An der Unrichtigkeit dieser Behauptung hatte mich allerdings bereits meine erste Untersuchung nicht mehr zweifeln lassen. Dass dagegeu für eine Reihe von Tönen noch ein Perceptionsvermögen vorhanden sein konnte, welches mir damals vielleicht entgangen war, weil in ein- zelnen Strecken die Intensität der alten Tonreihe eine zu schwache war, das habe ich bereits in der ersten Arbeit ausgesprochen.

Wir besitzen aber auch keine unbedingte Sicherheit darüber, ob überhaupt die Reste von Hórvermógen, die sich bei Taubstummen finden, durchgängig so ganz stationär bleiben.

In der Mehrzahl der Fülle müssen wir ja annehmen, dass patho- logisch-anatomisch wirkliche Defecte im percipirenden Apparate vor-

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 205

liegen, zwischen denen nur einzelne Stücke erhalten geblieben sind, und dass die Krankheitsprocesse, welche diese Defecte zeugt haben, längst ihr Ende erreicht haben.

Dabei liesse es sich aber wohl vorstellen, dass beispielsweise eine Narbencontraction, eine Verkalkung oder Verknöcherung innerhalb der Schnecke auch noch nach Jahren weitere Fortschritte in ihrer Umgebung macht und auf diesem Wege weitere Theile der Hörstrecken, insbesondere kleinere Inseln, verloren gehen können.

Das Umgekehrte, dass durch eine spätere Involution eine Hörstrecke ihre Function wieder gewinnen kann, muss, schon mit Rücksicht auf die gewöhnlich zu Grunde liegenden Krankheitsprocesse und auf die lange Zeit, welche seit ihrem Ablauf verflossen ist, a priori als viel unwahr- scheinlicher bezeichnet werden.

Was endlich die Frage betrifft, ob nicht einzelne Defecte nur auf einer Torpidität der Hörnervenelemente beruhen, und nicht etwa durch Hórübungen mit den der ausgefallenen Strecke entsprechenden Tönen zum Theil ausgeglichen werden können, so liess sich darüber nach den günstigen Erfolgen, welche Urbantschitsch u. A. nicht nur durch die specielle Einübung mit der Sprache, sondern auch mit einfachen Tónen erzielt zu haben glauben, ebenfalls nur durch die practische Er- fahrung entscheiden.

In allen diesen Beziehungen erscheinen die Resultate, welche mir die nochmalige Prüfung der 28 in der Anstalt noch anwesenden Zóg- linge nach. einem Zeitraum von 3!/, Jahren ergeben hat, als wichtig genug, um sie noch einmal graphisch wiederzugeben und mit denjenigen der ersten Untersuchung in Vergleich zu stellen.

Zu meiner Freude sind die Differenzen geringer ausgefallen, als ich sie auf Grund der obigen Erwügungen im Voraus erwartet hatte.

Für die Taubstummen mit noch vorhandenen Hórresten geben die Tafeln 1 und 2 einen bequemen Ueberblick. Die rothen Striche stellen hier die bei der früheren Untersuchung, die blauen Striche die bei der diesmaligen Untersuchung gefundenen Hörstrecken dar. Die Zahlen mit Bezeichnung der Seite am Fusse der beiden Tafeln, ebenso wie diejenigen im weiteren Verlauf dieser Arbeit bezeichnen die Reihenfolge, in welcher das erste Mal die Untersuchung der Zöglinge stattgefunden hat, und es beziehen sich also in beiden Arbeiten die gleichen Zahlen auf die gleichen Fälle.

15*

206 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

Die grössten Ungenauigkeiten fanden sich unter den 54 Gehör- organen der 27!) nachcontrollirten Zöglinge bei den das erste Mal als total taub bezeichheten.

Damals waren unter diesen 54 Gehörorganen 25 als total taub erschienen, welche 18 Individuen angehörten.

Die Nachprüfung zeigte nun, dass bei 4 der letzteren Gehörorgane (3 Individuen angehörig) nicht totale Taubheit, sondern bei 2 Gehör- organen (2 Individuen angehörig) eine Insel und bei 2 Gehörorganen (1 Individuum angehörig) eine grössere Hörstrecke, rechts der IV. und links der VI. Hörgruppe zugehörend, vorhanden war.

Die eine Insel, Fall 62 rechts (cf. Tafel 1, Gruppe I), erstreckt sich von aT —alY und war nur mittelst der stark klingenden Edelmann- schen Orgelpfeifen bei kräftigstem Anblasen derselben nachweisbar.

Die andere Insel, Fall 38 links (cf. Tafel 1, Gruppe I), reicht von ff _eVY und wurde ebenfalls durch die Edelmann’schen Pfeifen gefunden; doch wurden hier diesmal auch die beiden Lucae’schen Stimmgabeln c!Y und fis!Y bei stärkstem Anschlag gehört.

Der Fall 73 rechts und links (cf. Tafel 2, Gruppe IV und VI) war das erste Mal nur sehr unvollkommen zu prüfen gewesen, und als »anscheinend totale Taubheit« bezeichnet worden. Es ist eine sehr gering begabte Taubstumme, die trotz ihrer ziemlich ausgedehnten llörreste nicht zum Sprechen zu bringen ist.

Ausser diesen 4 Gehörorganen erwiesen sich alle übrigen 21 da- mals total taub gefundenen auch diesmal wieder trotz der stärkeren zur Verwendung gekommenen Tonquellen als total taub.

Dagegen wurde unter den 29 Gehörorganen, welche bei der früheren Untersuchung Hörreste aufgewiesen hatten, nur eines ge- funden, bei dem damals eine Insel (von cis!’—a!Y) vorhanden war und jetzt totale Taubheit vorliegt (Fall 44 links. Tafel 1, Gruppe I). Eine äussere Ursache für den Verlust des geringen Hörrestes auf dieser Seite, etwa in Form eines obturirenden Pfropfes, war nicht auffindbar; das Trommelfell erschien ebenso wie bei der ersten Untersuchung normal.

Für die Beurtheilung des hier vorliegenden von früher abweichenden Befundes interessirt uns das Verhalten der anderen rechten Seite dieses Zöglings (44 rechts, Tafel 1, Gruppe II) bei der Nachprüfung. Hier

1) Der 28. Fall war das erste Mal nicht zu prüfen gewesen und gehört, wie die diesmalige Prüfung ergab, beiderseits der VI. Gruppe, d. h. den Best- hörenden an.

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 207

bestand früher innerhalb einer sonst sehr ausgedehnten Hörstrecke eine Lücke von eH —e!I Mit Ausnahme einer wegen ihrer Kleinheit nicht in Betracht kommenden Differenz am unteren Ende, fand sich nun bei der jetzigen Prüfung ganz die gleiche Hörstrecke; die Lücke lag auch diesmal wieder an der gleichen Stelle, und stimmte trotz der stärkeren Tonquellen, bis auf einen halben Ton an ihrem unteren Ende mit der das erste Mal constatirten vollkommen überein.

Die Verlässigkeit der Angaben von diesem Zöglinge sowohl damals als jetzt, ist somit durch dieses gleichartige Ergebniss an seinem rechten Ohre unzweifelhaft sicher gestellt, und es bleibt uns nichts übrig als die Annahme, dass die damals vorhandene Hörinsel auf dem linken Ohre im Laufe der 3!/, Jahre vollends verloren gegangen ist.

An diesen Fall schliesst sich ein zweiter mit einem ähnlichen Be- fund an, nämlich 39 links (Tafel 1, Gruppe ]).

Es hatten hier bei der früheren Untersuchung zwei Hörstrecken bestanden, eine obere von bl! —dY und eine untere nur zwei halbe Töne umfassende von fisi—g!. Diese letztere kleine Strecke war eben- falls, wie die Nachprüfung erwies, in der zwischenliegenden Zeit verloren gegangen. (Der Fall musste deshalb dieses Mal aus der Gruppe der Lücken, wo er sich früher befand, unter die Inseln versetzt werden.) Auch am oberen Ende der grösseren Hörstrecke fand sich trotz der stärkeren Tonquellen, welche diesmal zur Verwendung kamen, eine Verkürzung um 7 halbe Töne, während auf der anderen, rechten Seite (cf. Tafel 1, Gruppe I), die damals wie jetzt vorhandene Insel nach oben wieder an der gleichen Stelle der Tonleiter aufhörte und nach unten, entsprechend den stärkeren Tonquellen eine mässige weitere Ausdehnung zeigte.

Auch die in diesem Falle beobachteten neu aufgetretenen Hördefecte sind kaum als Beobachtungsfehler aufzufassen, sondern bedeuten aller Wahrscheinlichkeit nach ein wirkliches spät eingetretenes geringes Fort- schreiten des Zerstörungsprocesses am Corti’schen Organ. Dies ergiebt sowohl der Vergleich mit dem oben erwähnten Befund auf der anderen Seite als auch eine Ueberschau über die Untersuchungsergebnisse bei der Gesammtheit.

Unter den sämmtlichen 28 Gehörorganen, welche sowohl bei der ersten als bei der zweiten Untersuchung ein Hörgebiet aufwiesen, fanden sich nämlich nur noch zwei (37 rechts und 26 rechts, Tafel 1, Gruppe II), deren früher festgestellte obere Hörgrenze die neuerdings gemessene um mehr als einen halben Ton (und zwar in Fall 37 rechts um zwei

208 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

und in Fall 26 rechts um drei halbe Tóne) überragte. Das können leicht kleine Beobachtungsfehler sein.

In allen anderen Fällen erweist sich, wie dies ja bei der Ver- wendung der lauteren Edelmann’schen Instrumente von vornherein zu erwarten war, die neu gefundene Tonstrecke gegenüber der alten als mehr oder weniger verlängert; oder sie stimmt nahezu bis ganz mit der alten überein. Dieses Verhalten findet sich nicht nur an der oberen Hörgrenze, sondern, mit einer einzigen Ausnahme,!) durchgängig an allen Stellen, wo die Hörstrecke abgeschnitten oder unterbrochen ist, d. h. nicht nur an ihrem unteren ebenso wie an ihrem oberen Ende, sondern auch allenthalben an den beiden Enden, welche die einzelnen Lücken begrenzen.

Als besonders auffüllig muss es bezeichnet werden, dass trotz der stellenweise sehr grossen Unterschiede in der Tonstürke der alten und neuen Instrumente doch so häufig vollkommen oder wenigstens bis auf einen halben Ton wieder die gleiche Grenze ge- funden wurde, wie das erste Mal.

Wenn wir von der Strecke im Galtonpfeifchen absehen, für welche sich die Grenzen nicht nach halben Tönen feststellen lassen, so findet sich unter den 28 hier in Betracht kommenden Gehörorganen ein Ab- schneiden der Hörstrecke mit dem gleichen oder dem nächstliegenden halben Ton

an ihrem oberen Ende 7 mal, an ihrem unteren Ende 12 mal,

unter den 6 diesmal zur Untersuchung gekommenen Gehörorganen mit Lücken findet sich das gleiche Verhalten,

am oberen Ende der Lücke 2 mal, am unteren Ende der Lücke 2 mal.

Dazu kommt noch 11 mal Uebereinstimmung der oberen Grenze der Hórstrecke im Galtonpfeifchen bis auf 1 mm und weniger.

Es hat sich somit eine nahezu oder ganz vollständige Deckung mit der erstmaligen Untersuchung im Ganzen an 34 Stellen gefunden.

Gegen das obere Ende des Galtonpfeifehens ebenso wie gegen die untere Tongrenze zu darf uns diese Uebereinstimmung weniger Wunder nehmen, weil hier die Differenzen der Tonintensitit der alten und neuen Reihe, resp. unsere Perceptionsfühigkeit successive gegen das

1 In Fall 60 links (Tafel 1, Gruppe I) erstreckt sich die untere Grenze der alten Hórstrecke um 4 halbe Tóne weiter herab als die neue.

Fr Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 209

Ende abnehmen. Sie kam aber nicht weniger häufig auch an allen übrigen Stellen der Tonscala zur Beobachtung.

Für alle diese Stellen, an welchen die Nachprüfung eine voll- kommene oder bis auf einen halben Ton gleiche Abgrenzung trotz der viel stärkeren bei ihr zur Verwendung gekommenen Tonquellen ergeben hat, wie sie bei der ersten Untersuchung gefunden worden war, wird die Annahme nothwendig, dass pathologisch-anatomisch direct an eine für die Function völlig unbrauchbar gewordene Stelle von Nervenelementen eine noch relativ gut funetionirende anschliesst. |

Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind gerade diese scharf ab- schneidenden pathologisch-anatomischen Veränderungen da zu suchen, wo die percipirenden Organe für die Tonscala am Weitesten auseinander- gebreitet liegen, d. h. da, wo wir annehmen, dass ihre Analyse statt- findet, also im Corti'schen Organ der Schnecke, Sie geben uns somit ein scharfes Bild von der Vertheilung der zerstörten Strecken selbst. Ja, wir sind zu der Annahme berechtigt, dass dieses Bild ein noch viel schürferes und vollkommeneres ist, als wir es sogar durch eine directe mikroskopische Untersuchung des Labyrinths an Serienschnitten gewinnen könnten; ebenso wie die Bestimmung des Gesichtsfeldes für das Auge uns viel exacter die Form und Ausdehnung von Gesichts- defecten kennen lehrt, als dies eine mikroskopische Durchforschung der Netzhaut zu leisten vermag.

Diesem gleichmässig scharfen Abschneiden an 34 Stellen bei den in Rede stehenden 28 Gehörorganen steht, und zwar theilweise an anderer Stelle in ein und demselben Gehörorgan, ein mehr oder weniger grosses Ueberschreiten der Tonstrecke gegenüber, welche mit der neuen intensiveren Tonreihe festgestellt werden konnte.

Ein solches Ueberschreiten um mehr als einen halben Ton oder im Galtonpfeifchen um mehr als 1 mm fand sich an der oberen Tongrenze mit Einrechnung der Strecke im Galton 7 mal (darunter 4 mal in der Galtonstrecke), an der unteren Grenze 14 mal. Unter den beide Male gefundenen einfachen und doppelten Lücken an der oberen Lückengrenze 2 mal, an der unteren Lückengrenze 3 mal. Ein Ueberschreiten der mit der neuen Tonreihe gemessenen Hör- strecken über die früheren fand sich also im Ganzen an 26 Stellen,

210 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

während wir eine nahezu oder vollkommene Uebereinstimmung beider im Ganzen an 34 Stellen gefunden haben.

Dieses Ueberschreiten beträgt nur 3 mal mehr als eine Octave und 1 mal im Galtonpfeifchen 6!/; mm (von der unteren Grenze ab); an den übrigbleibenden 22 Stellen überschreitet die neugefundene Ton- strecke die alte nur um 2—12, durchschnittlich um 6 halbe Tóne und im Galtonpfeifchen um 1!/,—2 mm.

Beobachtungsfehler brauchen diesen Differenzen durchaus nicht zu Grunde zu liegen. Grósstentheils kónnen sie ihre Erklürung in der grósseren Stürke der von der neuen Reihe producirten Tóne finden.

Es musste eben dieses Verhalten an allen denjenigen Stellen zu Tage treten, wo der Uebergang der hórenden zur tauben Strecke im Corti'schen Organ kein so plötzlicher, sondern ein mehr allmählicher ist. Wir werden, diesem Hörbefund entsprechend, an den letztaufge- zählten Stellen die Grenzen mehr diffus sich verlierender Zerstörungs- herde im percipirenden Organe zu suchen haben.

Von den 4 stark abweichenden Stellen finden sich übrigens 3 bei ein und demselben Individuum, dem Fall 69 rechts und links (cf. Tafel 2, Gruppe IV und V); es ist darnach nicht unwahrscheinlich, dass hier vom ersten Male her mangelhafte Angaben vorliegen.

Bei dem 4. Fall, 26 rechts, untere Grenze (cf. Tafel 1, Gruppe IL), wo im unteren neu hinzugekommenen Stück sogar eine Lücke aufgedeckt wurde (weshalb dieser Fall jetzt zu den Lücken gestellt werden musste), wurden im unteren Theil die Edelmann'sehen Stimmgabeln nur bei stárkstem Anschlag und die Edelmann'sche Orgelpfeife bei stürkstem Anblasen gehört. Zudem fällt der untere Theil der neu aufgedeckten Strecke in die zweigestrichene Octave, welche in meiner alten Tonreihe an Intensität die schwächste Stelle bildet.

Differenzen zeigen sich, wie die obige Zusammenstellung zeigt, vorwiegend (14 mal unter 26) an der unteren Grenze der Hörstrecke. An dieser Stelle lässt sich auch für einen Theil der Fälle noch an eine andere Ursache denken.

Es ist dies nämlich die Strecke, auf welche Mittelohr processe, wie sie bei Kindern, taubstummen sowohl als normal hörenden, ja oft genug in Form von Tubencatarrlen etc. vorkommen, hauptsächlich ihre hörbeeinträchtigende Wirkung ausüben; und es wäre wohl möglich, dass bei einem oder dem anderen der Untersuchten während der ersten Prüfung eine solche Complication vorgelegen hatte; es konnten ja aus

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstnmmen. 211

Gründen, die ich in meiner früheren Arbeit ausgeführt habe, die Taub- stummen nur per Luftleitung auf ihr Hörvermögen geprüft werden.

Fassen wir unsere mit den neuen Instrumenten gewonnenen Er- gebnisse der Tonprüfung an den 28 zum zweiten Male untersuchten Zöglingen zusammen, so wurde, abgesehen von dem das erste Mal nicht genauer zu prüfenden Fall, der jetzt doppelseitig eine ausgedehnte Hörstrecke (VI. Gruppe) nachweisen liess, bei 3 damals anscheinend total tauben Zöglingen jetzt 2 mal einseitig und 1 mal doppelseitig das Vorhandensein einer Hüórstrecke festgestellt. Die Zahl der Totaltauben hat sich also auf Grund der Nachprüfung noch kleiner ergeben, als ich sie das erste Mal gefunden hatte.

Bei 2 Taubstummen war dagegen ein beträchtlicheres Stück der damals vorhandenen Hörstrecke verloren ge- gangen, und es erscheint anf Grund dieser zwei anscheinend zu- verlässigen Beobachtungen die Annahme berechtigt, dass in einzelnen Fällen noch ein langsames Fortschreiten des Zerstörungsprocesses in der Schnecke stattfinden kann.

2 Taubstumme liessen eine bedeutend grössere Ausdehnung ihrer Hörstrecke für die Tonleiter nachweisen, als sie das erste Mal gefunden worden war. Bei dem einen derselben lagen wahrscheinlich von der ersten Untersuchung her mangelhafte Angaben vor, bei dem anderen war das Gehör für die neu zu Tage tretende Strecke ein so geringes und gerade die entsprechende Stelle in meiner alten Reihe eine so unvollkommene, dass sich die Vergrösserung der Hörstrecke wohl aus der stärkeren Tonintensität der Edelmann'schen Reihe erklärt.

Die übrigen 20 Zöglinge ergaben entweder nahezu die gleiche Hörstrecke wie das erste Mal oder eine Ver- grösserung derselben in mässigen Grenzen (bis zu einer Octave, durchschnittlich um 6 halbe Tóne) bei der Untersuchung mit der neuen intensiveren Tonreihe.

Dererstere auffällig häufig constatirte Befund (gleiche oder nahezu gleiche Grenzen) zeigt uns an, dass oftmals die Abgrenzung des Zerstörungsherdes in der Schnecke eine sehr scharfe ist.

Der letztere Befund (Vergrösserung der Hörstrecke in .mässigen Grenzen) lässt uns eine annähernde Vor-

212 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

stellung davon gewinnen, wie weit unsere Untersuchungs- resultate beeinflusst werden durch Ungleichheiten der Intensität bei der Verwendung verschiedener Tonreihen. Dieser Einfluss ist im Ganzen noch geringer ausgefallen, als ich dies erwartet hatte.

Den hier aufgezählten gewiss nicht sehr zahlreichen gröberen Ab- weichungen, welche die Nachprüfung aufgedeckt hat, stehen so viele Uebereinstimmungen gegenüber, dass eine Heranziehung auch der jüngeren im ersteu und zweiten Schuljahr stehenden Zöglinge für derartige Hörprüfungen unbedenklich er- scheint, und dass die Basis, welche auf diesem Wege für die Aus- wahl der vom Obre aus zu unterrichtenden Zöglinge gewonnen werden kann, als eine ziemlich sichere hezeichnet werden darf.

Einige Monate vor meiner Untersuchung war von dem Inspector des kgl. Central-Taubstummen-Instituts, Herrn Koller, mit Hörübungen vom Ohre aus durch Vorsprechen von Worten begonnen worden. Die Ilórübungen mit Tónen wurden nicht eingeführt, weil sie mir, allerdings zunächst nur aus theoretischen Gründen, als aussichtslos erschienen, während die Zuleitung von Sprachlauten bei geeigneten Fällen sich mir gleich nach den ersten Versuchen als in hohem Grade aussichtsreich erwiesen hatte.

Urbantschitsch glaubt nach seinen Beobachtungen annehmen zu müssen, dass sich auch bei ausschliesslich mit der Sprache vorge- nommenen Hörübungen das Gehör nicht nur für die Sprache allein bessert, sondern dass »gleichzeitig damit eine allmähliche Perceptions- zunahme für verschiedene früher nicht pereipirte Schallquellen eintritt, wie für Stimmgabeln, Glocken, verschiedene musikalische Töne, ohne dass eine besondere Einübung mit diesen stattgefunden hätte.«!) Die von nir mitgetheilten Prüfungsergebnisse mit der Tonreihe an den seit mehreren Monaten mittelst der Sprache vom Ohre aus geübten Zóglingen machen diese Annahme nicht sehr wahrscheinlich.

Ueber die Einwirkung methodischer Hörübungen mit Tönen habe ich übrigens auch Gelegenheit gehabt, bei einem dem Taubstummen- Institut nicht angehörigen älteren ertaubten Kranken eigene Erfahrungen zu machen, deren Mittheilung hier am Platze erscheint

1 Urbantschitsch. Ueber Hórübungen bei Taubstummheit etc. Wien, Verl. Urban u. Schwarzenberg, 1395, pag. 72. .

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 213

Der Fall betrifft einen 15jährigen Schriftsetzer, Konrad E., welcher drei Jahre vor seiner ersten Untersuchung meinerseits, die am 27. Oktober 1895 stattfand, 16 Wochen lang an einer schweren Krankheit mit furchtbaren Kopfschmerzen gelitten hatte. Gegen Ende der Erkrankung wurde zuerst auf dem einen und 8 Tage später, nach eintägiger Bewusstlosigkeit, auch auf dem anderen Ohre Taubheit be- merkt. Nach der Krankheit war E. in sehr hohem Grade abgemagert und sein Gang war ein so unsicherer geworden, dass er immer umzu- fallen drohte. Auch gegenwärtig tritt noch insbesondere beim Umdrehen etwas Schwanken hervor.

Beide Trommelfelle verhalten sich normal.

Schallgehör ist nur rechts vorhanden. Von Vo calen und Consonanten wird beiderseits keiner verstanden, auch P und T werden verwechselt. Seine Sprache ist vollständig erhalten.

Die Prüfung mit der (alten) Tonreihe ergab rechts als untere Tongrenze H, von da continuirliche Hörstrecke bis eT in den Stimm- gabeln bei starkem Anschlag, resp. g" in den Orgelpfeifen (hier scharfe Grenze). Dann beginnt in der Pfeife ein Hören wieder von bI an, aber nur bei stärkstem Anblasen und setzt sich continuirlich bis zu seiner oberen Hörgrenze im Galtonpfeifchen fort, welche bei 5,5 liegt.

Links reicht die Hórstrecke in der Stimmgabelreihe von A— cf, dann Lücke in Stimmgabeln und Pfeifen bis zum Galtonpfeifchen, dessen unterer Theil bis zu 10,5 wieder gehórt wird, wo seine obere Hórgrenze links liegt.

Es bestand also beiderseits eine ausgedehnte Lücke, im oberen Theil der Tonscala. In diese Lücke fällt auch, rechts theilweise. links ganz, die Sexte bl—g!l, das ist diejenige Strecke, deren Vorhandensein sich mir bei meinen Taubstummenuntersuchungen als die wichtigste für das Sprachverstündniss erwiesen hat. Rechts war diese Strecke zwar in Spuren noch vorbanden, d. h. die Pfeife wurde bei starkem An- blasen bis g! gehört, die Stimmgabeln aber nur bis ell,

Wenn irgend ein Fall für Hörübungen mittelst Zuleitung von Tönen geeignet erscheinen konnte, so musste es dieser scin, indem rechterseits die für die Sprache nothwendige Hörstrecke in der Ton- scala, wenigstens für Töne stärkster Intensität noch vorhanden war, und daher schon von einer mässigen Besserung in dieser Hörstrecke ein grosser Einfluss auf das Sprachvermögen erwartet werden durfte.

214 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

Diese Gründe bewogen mich, einen freiwilligen Assistenten meines Ambulatoriums, Herrn Dr. Wanner, zu veranlassen, dass er längere Zeit methodische Hörübungen mit E. vornehme. Derselbe unterzog sich dieser mühevollen Arbeit nahezu drei Monate lang, indem er so ziem- lich jeden 2. Tag während dieses Zeitraumes Hörübungen von mindestens 20 Minuten Dauer mit E. anstellte. Die Uebungen erstreckten sich auf beide Ohren. Die am Häufigsten theils mittelst Stimmgabeln, theils mittelst Pfeifen zugeleiteten Töne waren die der unteren Lückengrenze zunächst benachbarten, also rechts von fll und links von cis! aufwärts, weil durch ein Fortschreiten der Hörstrecke an dieser Stelle, insbe- sondere rechts, am Sichersten ein Gewinn für das Sprachverständniss zu erwarten war. Mit der Sprache, resp. mit in das Ohr gesprochenen Vocalen wurde nur auf der re chten, aussichtsreicheren Seite geübt.

Mein Assistent glaubte, während dieser Zeit ein Fortschreiten der Hörstrecke in die Lücke hinein constatiren zu können und setzte daher seine Bemühungen mit um so grösserem Eifer fort.

Als wir aber am Ende unter Beobachtung aller Cautelen, d. h. unter Ausschliessung sowohl des Auges als jeder Tastempfindung noch- mals die ganze Tonreihe durchprüften, ergab sich als Schlussresultat, dass die ganze scheinbare Zunahme der Hörstreeke eine Täuschung ge- wesen war, und dass für die Lücke rechts wie links noch genau die gleichen Grenzen vorlagen, wie ich sie bei der ersten Untersuchung vor den Hörübungen constatirt habe. Ebensowenig fanden sich am oberen und unteren Ende der beiderseitigen Hörstrecken Abweichungen von der erstmaligen Untersuchung, welche irgend in Betracht kommen könnten, nämlich an der oberen Tongrenze im Galtonpfeifchen rechts 5,1 statt 5,5, links 10,0 statt 10,5 und an der unteren Tongrenze links G statt A. Sümmtliche Vocale wurden jetzt noch ebenso ver- wechselt wie am Anfang. Der Gewinn dieser nahezu dreimonatlichen Bemühungen in einem Falle, welcher nach der Lage der beiderseitigen Hórdefecte wie selten ein anderer geeignet erscheinen musste, um von Tonübungen auch für das Sprachverständniss Fortschritte erwarten zu

lassen, war also für dieses sowohl als für die Vergrösserung der Hör- strecken gleich Null.

Nach der obigen Erfahrung werde ich selbst kcine weiteren Ver- suche jn dieser Richtung mehr anstellen und kann auch der Aus- breitung dieser Art von Hörübungen mit dem Harmonium oder anderen

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 215

Tonquellen in den Taubstummenanstalten nicht das Wort reden. Die vielfachen Enttäuschungen, zu welchen nach meiner Ueberzeugung die Hörübungen mit Tönen führen würden, könnten leicht ihre Schatten auch auf die Beurtheilung der Uebungen mittelst der Sprache vom Ohre aus werfen und dadurch von einer neuen Unterrichtsmethode ab- schrecken, welche, wenn sie sich auf die Fälle beschränken wird, die in Besitze der für Sprachelemente unentbehrlichen Tonstrecken sind, ungeahnte Aussichten für einen nicht geringen Theil der Taubstummen eröffnet, und deren consequente Durchführung mir nicht weniger am Herzen liegt als Urbantschitsc h.

Die Prüfung auf Sprachlaute, Vocale, Consonanten und Worte bei den 28 nochmals zur Untersuchung gekommenen Zöglingen beschränkte ich dieses Mal auf die Fälle, welche auf Grund der Ausdehnung ihrer Hörstrecke in der Tonscala ein Hörvermögen auch für die Sprache erwarten liessen. Diese Kinder waren es auch, welche von mir dem Inspector als geeignet für Sprachübungen vom Ohre aus bezeichnet worden waren und bereits einen kurzdauernden Sprachunterricht vom Ohre aus empfangen hatten. |

Ein mehr oder weniger umfassendes Sprachverständniss fand sich unter der obigen Zahl in 9 Gehörorganen, 7 Individuen an- gehörig, das ist bei dem vierten Theil der neuerdings zur Untersuchung Gekommenen.

Nach ihrer Hörstrecke in der Tonscala sind von diesen 9 Gehör- organen

2 (44 rechts und 58 links) der II. Gruppe (Lücken),

1 (26 links) der V. Gruppe und

6 (58 rechts, 66 rechts, 78 links, 43 rechts, 41 rechts und 41

links) der VI. Gruppe

angehörig. Die folgende Zusammenstellung zeigt, wie sich das Hörver- mögen der hier aufgezählten zum zweiten Mal geprüften Gehörorgane bei der ersten und zweiten Untersuchung erhalten hat.

216 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

Tabelle

bei der ersten Untersuchung 1893.

Taubheit Hörvermög en | Hörvermögen | Hörvermögen für alle nen für die meisten für alle Vocale und

Sprachlaute Consonanten Zahlworte Zahlworte Gruppe II 1 1 Ec E Gruppe V 1 = = - Gruppe VI 2 2 2

bei der zweiten Untersuchung 1896. Gruppe II Gruppe V Gruppe VI

Taubheit für alle Sprachlaute mit Ausnahme der Üonsonanten P, T und R, welche schon durch die tactile Empfindnng allein sich verrathen,

damals jetzt wurde also gefunden bei 4 bei O, ein Hórvermógen für einzelne Vocale und Consonanten bei 3 bei 2,

ein Hörvermögen für

Worte bei 2 bei 7.

So klein die Zahl der diesmal von Neuem auf ihr Sprachverständ-

niss zu Prüfenden war, so lieferte sie mir doch einige nicht unwesentliche

Ergänzungen zu den Ergebnissen meiner das erste Mal auf die Ge-

sammtzahl der Taubstummen ausgedehnten Prüfungen über das Sprach- und Vocalgehör.

In meiner ersten Arbeit habe ich den oberen und unteren Bezirk

in der Tonscala abgegrenzt, welcher für das Gehör ausfallen kann, ohne

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 217

dass das Sprachverständniss vollständig verloren gegangen zu sein braucht. . Als unumgänglich nothwendig für das Verstehen von Worten durch das ‚Ohr hat sich auf Grund der damaligen Znsammenstellung nur die kleine Strecke b!— gH ergeben.

Unter den von Neuem untersuchten Gehórorganen befinden sich nun zwei, welchen sogar aus dieser kleinen Strecke noch 1 bis 3 halbe Töne an deren oberen Grenze fehlen, nämlich im Fall 58 links das gl! und im Fall 44 rechts das fl! fis! und gH.

Der erstere den Lücken angehórige Fall besitzt überhaupt ausser noch einem kleineren Tonbereich in der drei- und viergestrichenen Octave und einem kleinen Bezirk im Galtonpfeifchen nur die Strecke al—fisT, also die von mir postulirte Sexte um einen halben Ton in der Scala nach abwärts verschoben. Derselbe versteht allerdings von Worten nur die einzige Zahl »8« und von Vocalen kann er nur A und E richtig wiederholen; ausserdem percipirt er mit dem anderen Ohr, das eine ausgedehnte, der VI. Gruppe angehörige Hörstrecke für Töne be- ‚sitzt, die gleichen Vocale und wiederholt die sümmtlichen Zahlworte ausser »5« und »6«, sodass immerhin ein Mithóren des anderen Ohres hier nicht unbedingt sicher ausgeschlossen werden kann, für so unwahr- scheinlich ich ein solches auch nach einigen weiter unten mitzutheilenden Beobachtungen halten muss.

Anscheinend noch viel vollkommener ist das Wortgehór bei dem zweiten Falle (44 rechts, cf. Tafel 1, Gruppe II) dem sogar die drei oberen halben Tóne der genannten Sexte fehlen, und der ausserdem bei der diesmaligen Untersuchung auf der anderen Seite vollkommen taub gefunden wurde (während früher bier noch eine kleine Insel vorhanden gewesen war). Trotzdem wiederholte derselbe eine ganze Reihe von Zahlen richtig, nämlich »7«, »9«, »4«, »20« und »8«, wenn sie direct am Ohr gesprochen wurden. Von isolirten Vocalen konnte er dagegen keinen ausser dem U percipiren. Abgesehen von seiner Lücke, die sich von fli el erstreckt, besitzt dieser Taub- stumme ein ungewóhnlich vollkommenes Tongehór, welches von 16 v. d. bis zur unteren Grenze des Galtonpfeifehens hinaufreicht. Auch die Hördauer erwies sich, werigstens was den unterhalb der Lücke gelegenen Theil betrifft, als eine ungewöhnlich lange, nämlich für A, = 0,98, für A = 0,8, für a= 0,7 und für a! =- 0,6 der meinigen, während ober- halb der Lücke von Stimmgabeln nur c!V bei stürkstem Anschlag ge- hórt wurde. | |

318 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

Diese Beobachtung verdient in doppelter Beziehung unser Interesse:

Erstens zeigt sie, wie viel trotz dem vollständigen Ausfall aller Vocale mit Ausnahme des U noch von der Sprache verstanden werden kann. Wir müssen annehmen, dass die oben angeführten Zahlworte lediglich mit Hülfe der Combination aus den sie zusammensetzenden Consonanten erkannt wurden, obgleich deren Verständniss ebenfalls, wenigstens theilweise, sicher als beeinträchtigt, für die Zischlaute wahr- scheinlich sogar als aufgehoben angenommen werden muss. Es ist für die Beurtheilung dessen, was durch einen Sprachunterricht vom Ohre aus in Zukunft geleistet werden kann, gewiss beachtenswerth, wie aus- gedehnte Sprachdefecte von älteren intelligenten Zöglingen durch Com- bination ergänzt zu werden vermögen.

Zweitens ist in diesem Falle bemerkenswerth, dass der Vocal U percipirt wurde, obgleich innerhalb der Lücke hier auch die Strecke d'—eH liegt, in welche neuerdings von L. Hermann!) einer der Eigentóne des U verlegt wird, im Gegensatz zu Helmholtz. der als einzigen Eigenton des Vocals U das in die Hörstrecke dieses Zöglings fallende kleine f angegeben hat.

Bezüglich des Vocalgehörs in seinen Beziehungen zu der Lage der erhaltenen Strecke in der Tonscala möchte ich hier gleich noch eine Correctur anbringen, welche ich ebenfalls meiner Nachcontrolle der noch in der Anstalt anwesenden Zöglinge verdanke:

Unter denselben befand sich nämlich auch der einzige Fall (39 rechts, cf. Tafel 1, Gruppe I), dessen Verhalten mir unter den 50 damals Vocale percipirenden Gehórorganen ganz unverständlich geblieben war, »indem die Vocale A und O richtig wiederholt wurden, obgleich die kleine erhalten gebliebene Hórinsel von den Eigentónen dieser Vo- cale weit entfernt liegt.«?) Die gleiche Insel wurde zwar auch diesmal wieder gefunden, nur dass sie sich jetzt nach abwärts mit Hülfe der stárkeren zur Verwendung gekommenen Tonquellen noch um 9 halbe Töne (bis cH! als untere Grenze) verlängert zeigte. Trotzdem aber wurden die Vocale A und O dieses Mal nicht mehr percipirt, ebensowenig wie irgend ein anderer Sprachlaut. Es lag also in diesem einzigen an- scheinenden Ausnahmsfalle wirklich eine Täuschung bei der ersten

1) Phonophotographische Untersuchungen. Archiv f. d. gesammte Physio- logie, Band 53, 1893, pg. 1. 2) cf. 1. c. pg. 127.

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen. 219

Prüfung vor, wie ich dies schon damals a. a. O. vermuthet habe an- gesichts der sonst fast durchgüngig übereinstimmenden Resultate, welche mir die vergleichende Untersuchung von Ton- und Sprachgehör bei den übrigen Zöglingen ergeben hatte.

In einem Fall (26 links, cf. Tafel 2, Gruppe V) mit einer Hör- strecke von fis" bis in die Mitte des Galtonpfeifchens, der früher absolut sprachtaub gefunden worden war, wurde diesmal auch Sch und manch- mal auch I richtig wiederholt, ein Befund, welcher der Lage der diesen beiden Lauten zugehörigen Eigentöne für Sch vollkommen, für I wenigstens dessen oberem Eigenton (nach Helmholtz) entspricht.

Eine hohe Bedeutung für die Frage, in wie weit ein künftiger Sprachunterricht vom Ohre aus bei partiell hörenden Taubstummen Erfolge verspricht, kommt endlich den wenn auch wenigen Fällen der VI. Hörgruppe mit am Weitesten ausgedehnter Hörstrecke zu, welche nochmals untersucht werden konnten.

Es sind dies 6 Gehörorgane, 5 Individuen angehörig. (Der Fal 73 muss ausser Betracht bleiben, weil er das erste Mal nicht hatte ge- prüft werden können.)

Auf Grund der umfangreichen meist nur geringe Defecte am oberen und unteren Ende der Tonscala aufweisenden Hörstrecken und der langen Hördauer, welche dieser Gruppe eigen sind, musste es für wahrscheinlich erklärt werden, dass derartigen Fällen nicht Zer- störungen im Labyrinth, sondern vielmehr centrale Störungen, wahr- scheinlich in der Hörsphäre des Schläfenlappens, zu Grunde liegen, und dass sie dementsprechend als Worttaubheit im eigentlichen Sinne auf- zufassen sind.

Die Fälle dieser Gruppe besassen zwar zum grossen Theil, ent- sprechend ihrem umfangreichen und guten Tongehör, auch die ver- hältnissmässig zahlreichsten Sprachreste, welche sich indess doch bei Allen für einen Unterricht in der Volksschule als nicht ausreichend erwiesen hatten. 10 von diesen 33 Gehörorganen waren aber damals vollkommen worttaub und 4 unter diesen 10 waren trotz einem theilweise nahezu der Norm entsprechenden Tongehór sogar noch zudem taub für alle Vocale gefunden worden.

Ob auch diese centrale Form von Sprachtaubheit bei Taubstummen sich einem Sprachunterricht vom Ohre aus als zugünglich erweisen würden, darüber konnte nur die Erfahrung entscheiden.

Auch in dieser Beziehung weisen nun schon die wenigen in der Anstalt mit diesem Unterricht gemachten Versuche günstige Resultate

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 16

220 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

auf, wie sie ja bereits auch von anderer Seite bei »psychisch Tauben« mehrfach gewonnen worden sind.

Zufällig befanden sich unter den 5 von Neuem zur Untersuchung gekommenen Zöglingen dieser Gruppe 4 (58 rechts, 66 rechts, 78 links und 43 rechts), die damals vollständig worttaub gefunden worden waren. Die Nachprüfung hat dieses Mal auch bei diesen 4 Zöglingen ein ausgedehntes Wortverständniss ergeben ; 2 konnten jetzt die meisten, die anderen 2 alle Zahlen richtig wiederholen. Der 5. (Fall 41 rechts und links), welcher bereits damals beiderseits alle Zahlen percipirt hatte, ist dieses Mal im Stande, dieselben auf die ganze Zimmerlänge zu wiederholen und auch andere, sogar ihm unbekannte lateinische Worte richtig nachzusprechen.

Es kann schon nach diesen wenigen Erfahrungen keinem Zweifel unterliegen, dass auch die Taubstummen der VI. Gruppe, die sich dadurch charakterisiren, dass ihr Sprachverständniss trotz einem nur wenig beein- trächtigten Hörvermögen für die Tonscala ein auffällig mangelhaftes ist, oder sogar ganz fehlt, einem Sprach- unterricht vom Ohre aus sehr wohl zugänglich sind.

Da gerade in der Gruppe VI weitaus die Mehrzahl derjenigen Taubstummen gefunden wurde, welche noch ausgedehntere Hörreste be- sitzen und also überhaupt einen Erfolg von Hörübungen erwarten lassen, so dürfen die obigen Erfahrungen an den Zöglingen dieser Gruppe als entscheidend dafür betrachtet werden, dass einer consequenten Durch- führung der Sprachübungen vom Ohre aus eine practische Bedeutung für die Gesammtheit der hörenden Taubstummen zukommt. Denn wir wissen damit, dass überall da, wo überhaupt genügende Reste von Tongehör vorhanden sind, auch eine ent- sprechende Verwerthung dieser Reste für das Sprach- verständniss durch einen zielbewussten auf diesen Resten fussenden Unterricht gewonnen werden kanı, mögen die den Hördefeeten zu Grunde liegenden patho- logischen Veränderungen in der Schnecke, oder mögen sie an irgend einer Stelle jenseits derselben ihren Sitz haben.

Der eine der obigen Zöglinge (Fall 66) hatte auf der anderen, linken Seite zwar ebenfalls eine sehr ausgedehnte Hörstrecke; in die Mitte derselben aber fiel cine gróssere Lücke, welche auch die für das Sprachverständniss von mir als nothwendig gefundene Sexte b!— gl um-

Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1898 untersuchter Taubstummen. 221

schloss. Wurde nun bei diesem Zöglinge das andere der VI. Gruppe angehörige und alle Zahlen percipirende Ohr durch Einstecken des nassen Fingers in den Gehörgang verschlossen, so war derselbe auf der Seite, wo sich die Lücke befand, weder im Stande, einen Buch- staben noch ein Wort zu wiederholen. Ebenso verhielten sich au(h Fall 48 und 78, welche auf der anderen Seite nicht nur tontaub, sondern auch sprachtaub sind.

Daraus geht hervor, dass zum Mindesten in der Mehr- zahl der Fülle ein Verschluss des Gehórgangs mit dem Finger bei Taubstummen genügend ist, um das andere Ohr, wenn dieses auch reichliche Hórreste besitzt, voll- kommen vom Hóren auszuschliessen. In Folge dessen kónnen bei Taubstummen auch die Prüfungen jedes ein- zelnen Ohres für zuverlüssiger betrachtet werden, als dies bei Schwerhórigen der Fall ist.

Einen Anhalt dafür, dass zum Wenigsten ein Theil des jetzt bei diesen Zóglingen vorhandenen Sprachverstündnisses auf Rechnung des vorangegangenen Sprachunterrichts vom Ohre aus zu schreiben ist, liefert uns der Fall 78. Diese Taubstumme war nämlich bisher nur mit einstelligen Zahlen geübt worden und konnte dementsprechend auch nur diese Zahlen wiederholen, während ihr alle zwei- und mehrstelligen Zahlen unverständlich blieben, obgleich sie eine nahezu von der oberen Grenze des Galtonpfeifchens bis in die Mitte der grossen Octave sich ausdehnende Hórstrecke besass.

So klein die Zahlen sind, welche mir hier zur Verfügung stehen, so zeigt doch die oben gegebene Zusammenstellung der Hörergebnisse für die Sprache, welche überraschenden Resultate schon ein kurz dauernder Unterricht vom Ohre aus im Sprachverständniss zu erzielen vermocht hat. Dazu kommt noch, dass die untersuchten Kinder eben aus den Ferien gekommen waren und nach denselben erst wieder wenige Unterrichtsstunden empfangen hatten. Ein Vater hatte sein Kind mit den Worten in die Anstalt zurückgebracht: »Mein Kind hört ja jetzt

Aeussere Umstände waren die Veranlassung gewesen, dass mit diesem Unterricht erst so spät begonnen werden konnte. In der Zeit zwischen meiner ersten und dieser Arbeit fällt nämlich der Neubau des kgl. Central- Taubstummen-Instituts und der Umzug in das neue Haus.

Das warme Interesse, welches das bayerische Ministerium dem kórper- 16*

222 Fr. Bezold: Nachprüfung im Jahre 1893 untersuchter Taubstummen.

lichen Wohle und der geistigen Ausbildung der Taubstummenzöglinge entgegenbringt, lässt mit Sicherheit erwarten, dass, ebenso wie unsere Taubstummen jetzt in einem Hause wohnen, bei dessen Bau und Einrichtung alle sanitären Ansprüche in selten vollkommenem Maasse ihre Berück- Sichtigung gefunden haben, auch künftig diese neue Seite des Unterrichts ihre stetige Pflege und die weitere Ausbildung finden .wird, deren sie sich bereits als fähig erwiesen hat.

Nachträgliche Bemerkung.

Der am Schlusse der obigen Abhandlung ausgesprochene Wunsch geht seiner Erfüllung rascher entgegen, als dies erwartet werden konnte. Wenige Tage nach Ablieferung des Manuscripts an die Redaction er- hielt ich von dem k. bayer. Cultusministerium eine Entschliessung zu- gesendet, welche für den künftigen Unterricht der Taubstummen mit Be- rücksichtigung ihrer Hör- und Sprechreste von so weittragender Bedeu- tung ist, dass es mir am Platze erscheint, ihren Wortlaut mit Weglassung des mich persönlich betreffenden Theiles hier zur Mittheilung zu bringen.

Dieselbe lautet folgendermaassen:

»Das k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul- angelegenheiten an die Inspection des k. Central-Taubstummen-Instituts in München. Betreff: Vervollkommnung des Taubstummen-Unterrichts.

Auf den Bericht vom 28. September d. J. wird der Inspection des k. Central-Taubstummen-Instituts Folgendes eróffnet.

1) Dem Antrage des k. Universitätsprofessors Dr. Friedrich Bezold in München entsprechend wird genehmigt,

dass a. die in die Taubstummenanstalten neu eintretenden Zöglinge künftig alsbald nach dem Eintritte einer eingehenden Prüfung bezüglich der etwa noch vorhandenen Hörfähigkeit unterzogen werden,

dass b. die in diesen Anstalten bereits vorhandenen Zöglinge, so weit sie noch Reste des Hörvermögens zeigen, in gleicher Weise näher geprüft werden,

dass c. bei allen Zöglingen die gefundenen Hör- und Sprechreste die geeignete Verwendung finden, indem sowohl den partiell hörenden als den partiell sprechenden Zöglingen nach Thunlichkeit neben dem gemeinsamen Unterricht in besonderen Stunden ein eigener, ihr Hör- und Sprechvermögen erhaltender und ausbildender Unterricht ertheilt wird.

2) Diesem besonderen Hör- und Sprech-Unterrichte sind die in der Schrift des k. Universitätsprofessors Dr. Bezold »das Hörvermögen der

W. Milligan: Ein Fall von Temporo-sphenvidal-Abscess, 999

Taubstummen« (Wiesbaden, Verlag von Bergmann, 1896) enthaltenen Normen und Weisungen zu Grunde zu legen.

Das k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul- angelegenheiten wird den in Bayern bestehenden Taubstummen-Er- ziehungs- und Unterrichtsanstalten je ein Exemplar dieses Buches zum dienstlichen Gebrauche zusenden. «

Es darf mit Sicherheit erwartet werden, dass die gesonderte Für- sorge für den partiell hörenden und sprechenden Theil der Taub- stummen, wie sie in Bayern durch. diese Entschliessung angebahnt ist, bald auch in den übrigen Bundesstaaten des deutschen Reiches ihre Nachahmung finden wird, und dass in absehbarer Zukunft für die Taubstummen aller Länder ein Unterricht zur Durchführung gelangen wird, welcher die Hör- und Sprechreste, soweit solche vorhanden sind, nicht mehr verkommen lässt, sondern als Grundlage für die Erlernung der Sprache benützt, wie ein solcher nach dem Bericht Myginds!) in den Anstalten Dänemarks von Staatswegen bereits besteht und in einigen andern Ländern, Nordamerika, Frankreich, Oesterreich ?) wenigstens an einzelnen Anstalten geübt wird.

XII.

Ein Fall von Temporo-sphenoidal Abscess im Anschluss an linksseitige acute Mittelohr- Eiterung; Operation; Acute Hernia

cerebri; Tod. Von W. Milligan, MD., in Manchester. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Intracranielle Abscesse otitischen Ursprungs finden sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Anschluss an chronische Mittelohreiterung.

Da relativ wenige Fälle von intracraniellen Abscessen im Anschluss an Otitis media acuta berichtet worden sind, so mögen die Auf- zeichnungen über die folgenden von einigem Interesse sein.

1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. von Knapp und Moos 60, XXII, S. 237. 2) cf. Urbantschitsch, „Ueber Hörübungen bei Taubstummheit etc. Wien, Urban & Schwarzenberg 1895, S. 8.

994 W. Milligan: Ein Fall von Temporo-sphenoidal-Abscess im

F. M., männlichen Geschlechts, 48 Jahre alt, hatte sich einer guten Gesundheit erfreut bis zum März 1895, als er einen schweren Influenza-Anfall bekam. Er war einige Wochen hindurch bettlägerig, worauf er seine Beschäftigung als Correspondent für das Ausland bei einer grossen Handelsfirma wieder aufnahm und bis zum September desselben Jahres in Dienst blieb. Zu dieser Zeit fing sein linkes Ohr plötzlich an, schmerzhaft zu werden und eine überaus reichliche Menge Eiter abzusondern. Er wurde durch unaufhörliche, pulsirende Ge- räusche belästigt und war in merklichem Grade schwerhörig. Ein Vierteljahr lang blieb er in der Behandlung seines ihn für gewöhnlich behandelnden Arztes, währenddem verschiedene Formen localer Behand- lung versucht wurden. Schmerzen in und um das Ohr herum sowie über der entsprechenden Kopfseite waren so andauernd und heftig, dass sie ihn thatsächlieh arbeitsunfähig machten.

Als ich ihn am 6. December 1895 zum ersten Male sah, machte ich folgende Notizen:

»Der Patient klagt über intensiven Schmerz im Kopf und zwar besonders über der Stirngegend. Gesteigert wird dieser Schmerz durch jede Kopfbewegung, sowie besonders durch die Percussion. Sein geistiger Zustand ist deutlich apathisch und seine Gehirnthätigkeit langsam und schwerfálig. Er zeigt in bemerkenswerthem Grade den Zustand eines an sensorischer Aphasie oder Worttaubheit Leidenden, während ausserdem, wenn auch weniger deutlich ausgesprochen, motorische Aphasie vorhanden ist. Es besteht hochgradige Ptosis und linksseitige Pupillen-Erweiterung. Die linke Sehnerven-Papille ist geschwollen und ihre Ränder verwachsen. Links ist Facialislühmung vorhanden, aber keine deutliche Parese der Gliedmaassen. Der äussere Gehörgang ist theilweise verschlossen durch Prolaps seiner hinteren oberen Wand. Das Trommelfell ist, soweit sichtbar. hyperämisch und im hinteren oberen Quadranten von einer kleinen Perforation durchbrochen. Das Hörvermögen für die Uhr ist auf der befallenen Seite = 0: auf der gegenüberliegenden erscheint es normal. Die auf den Scheitel aufge- setzte Stimmgabel wird in dem erkrankten Ohre am besten gehört. Temperatur ist 98,8°, Puls 66. Während der letzten Tage hat, nach Aussage seiner Frau, Incontinenz für Urin und Stuhl bestanden. Auch giebt sie an, dass er seit 8 Tagen kaum irgend welchen Schlaf ge- nossen habe, in Folge des heftigen Schmerzes im Kopfe, den er unaufhórlich mit den Händen umfasst und über den er fortwährend klagt.« |j

Es wurde die sofortige Aufnahme des Patienten ins Krankenhaus angerathen, welche jedoch erst zwei Tage darauf durchgesetzt wurde.

Er war bei der Aufnahme gänzlich bewusstlos. Ich rieth zur sofortigen Operation, welche auch nach wenigen Stunden vorgenommen wurde.

Anschluss an linksseitige acute Mittelohr-Eiterung; Operation; Tod. 225

Eine Knochenscheibe von ?/, Zoll im Durchmesser, deren Mittelpunkt 1!/, Zoll oberhalb und 1!'/, Zoll hinter der Mitte des äusseren Gehör- gangs lag, wurde mit der Trephine entfernt. Das Gehirn zeigte sich vorgewölbt und ohne Pulsation. Es wurde eine kleine Oeffnung in die Dura mater gemacht und eine spitz zulaufende Hohl-Sorde in die Substanz des Lobus temporo-sphenoidalis in der Richtung nach unten und vorn eingestochen. Als sie in die Hirnsubstanz etwa ?/, Zoll weit eingedrungnn war, sah man, wie Eiter lüngs der Rinne der Hohlsonde hervorquoll. Die Branchen einer feinen Fistel-Zange wurden sogleich in die Abscesshöhle längs der Furche der Hohlsonde eingeführt und die Bahn für den Eiter damit betrüchtlich erweitert. Alles in Allem wurden etwa 4 Drachmen vóllig geruchlosen Eiters entleert. Der Abscess wurde sofort mit einer warmen Carbolsäurelösung (1:60) irrigirt, darauf ein weiches Kautschuk-Drainrohr eingeführt und die Theile in der gewöhn- lichen Art und Weise verbunden. Die Temperatur, welche zur Zeit der Operation 101° F. betragen hatte, fiel gegen 6 Uhr am nächsten Morgen auf 97,8° F. und der Puls von 108 auf 82. Während der ersten paar Tage nach der Operation machte die Besserung des Patienten gute Fortschritte, wenn auch die Temperatur etwas subnormal blieb und der Puls zwischen 90 und 100 schwankte. Sechs Tage nach der Ent- leerung des Abscesses entschied ich mich dafür, das Antrum mastoideum zu eröffnen und zu drainiren. Dies war mit Absicht aufgeschoben worden wegen des gefährlichen Zustandes, in dem der Patient sich bei der Aufnahme befand. Bei der Eröffnung des Antrums wurde kein Eiter gefunden, doch war die die Warzenfortsatzzellen auskleidende Schleimhaut intensiv geróthet. Die Wunde wurde demgemäss sogleich wieder geschlossen und heilte sehr schnell. Von Mitte December bis Ende Januar machte der Patient gute Fortschritte in seiner Besserung und war im Stande, im Hospital umherzugehen. Um diese Zeit jedoch fing eine Hernia cerebri an, sich bemerklich zu machen und wuchs mit staunenswerther Raschheit. Die Temperatur des Patienten stieg auf 103? F. und blieb ungefähr auf dieser Höhe einige Tage lang stehen. Die Wunde wurde demzufolge wieder geöffnet und eine Hohlsonde nach vorn und unten in der Richtung der Abscesshöhle eingeführt, es wurde aber kein Eiter gefunden. Der Patient wurde schnell schlechter und zeigte alle Symptome einer fortschreitenden Basilar-Meningitis.. Der Tod erfolgte am 8. Februar, gerade 2 Monate nach seiner Aufnahme ins Hospital.

226 W. Milligan: Zwei Fälle von Sarcom des Mittelohres.

Bei der Obduction, welche 12 Stunden nach dem Tode gemacht wurde, fand sich die Abscesshöhle leer und zum Thetl geschrumpft, ferner diffuse Leptomeningitis basilaris von augenscheinlich frischem Ursprung. Die das Tegmen tympani bedeckende Durapartie schien ganz gesund zu sein. Auch konnte keine Erosion am Dache oder an den Wandungen des Mittelohres constatirt werden, noch war Eiterung in den Warzenfortsatzzellen vorhanden. Augenscheinlich waren die pathogenen Organismen direct vom Mittelohr in die inneren Theile des Lobus temporo-sphenoidalis verschleppt worden, sei es auf dem Wege der Lymphgefässe oder kleiner venöser Gefässwurzeln, aber ohne dabei den Knochen in Mitleidenschaft zu ziehen.

XIII.

Zwei Fälle von Sarcom des Mlittelohres. Von William Milligan, MD., in Manchester.

(Uebersetzt von Dr. Th. Schróder in Rostock.)

Bösartigen Gewächsen, die ihren Ausgang von einem Theile des Gehórapparates nehmen, begegnet man in der Praxis nicht häufig. Sie können ihrem Gewebe nach entweder von epitheliomartiger oder sarcomatöser Structur sein, und trifft man die ersten gewöhnlich bei Patienten in vorgerückteren Jahren an, letztere bei Kindern und jungen Leuten. Von beiden Formen ist das Sarcom die seltenere. Das Sarcom kann das äussere oder innere Ohr ergreifen, oder es kann den Gehör- apparat durch Uebergreifen von einem benachbarten Organ aus in Mit- leidenschaft ziehen, z. B. von der Parotis, Dura mater etc. Es kann im Verlaufe einer lang dauernden Ohreiterung auftreten oder aber, und das ist nach Schwartze das Gewöhnliche, es kann ein vorher ge- sundes Ohr ergreifen.

Die Diagnose der Affection kann in der Regel nur mit Hülfe des Mikroskops gestellt werden. Häufig erscheint das Mittelohr-Sarcom unter dem Bilde eines Polypen, der nach seiner Entfernung schnell wieder wächst, stark blutet und so den Verdacht des Arztes erweckt, dass noch etwas mehr, als ein bloss entzündlicher Process vorhanden

W. Milligan: Zwei Fälle von Sarcom des Mittelohres. 227

ist. In den beiden folgenden Fällen hatte 2 Jahre lang Eiterung be- standen, Anfälle von spontan auftretender Blutung waren häufig gewesen, während das Aussehen des Gewächses, welches aschgrau und fleisch- ähnlich war, seine maligne Natur wahrscheinlich machte. Die Be- stätigung dieses Verdachtes wurde mit Hülfe des Mikroskops erbracht.

Falll.

S. M., weiblichen Geschlechts, 36 Jahre alt, consultirte mich wegen des, Bestehens eines fleischähnlichen Gewächses im rechten, äusseren Gehörgang. Sie gab an, viele Jahre hindurch eine Absonderung daraus gehabt zu haben, war aber nicht im Stande, genau zu sagen, wie lange dieselbe bestanden hatte oder welches die Veranlassung der Eiterung gewesen war. |

Während der vorhergehenden 2 oder 3 Jahre waren häufige Anfälle von spontaner Blutung eingetreten, und während dieser Zeit hatte sie allmählich an Gewicht und Stärke abgenommen. Vorher war ihre Ge- sundheit gut gewesen und auch die Anamnese rücksichtlich Erkrankungen von Familienmitgliedern ergab nichts von besonderer Bedeutung.

Bei der Untersuchung zeigte sich der rechte äussere Grehörgang durch ein fleischähnliches Gewächs verstopft, welches selbst bei leiser Berührung mit der Sonde reichlich blutete. Es fand sich eine ausge- dehnte Caries der umliegenden knóchernen Wandungen. Das Hör- vermögen auf der affıcirten Seite war O und die auf den Nasen- rücken aufgesetzte Stimmgabel wurde am besten auf dieser selben Seite gehört. Es war Paralyse des rechten Facialis vorhanden und die ver- schiedenen von diesen Nerven versorgten Muskeln zeigten secundäre Degeneration. Der Geschmackssinn fehlte auf der rechten Seite der Zunge ebenfalls völlig. Die Patientin klagte über häufigen und zwar heftigen Schmerz über der rechten Schläfen- und Hinterkopfgegend, obwohl bei der. Percussion kein Schmerz geäussert wurde. Das Alter der Patieniin, das Aussehen der Geschwulst, die häufigen Anfälle spontaner Blutung, sowie die Angaben, welche in Bezug auf den all- mählich zunehmenden Gewichtsverlust gewacht wurden, legten die An- nahme nahe, dass es sich um ein Gewächs bösartiger Natur handle. Ein kleines Stück der Geschwulst wurde zur mikroskopischen Unter- suchung entfernt. Es wurde das mittels einer kalten Drahtschlinge gemacht, worauf eine so profuse Blutung unmittelbar folgte, dass das Blut von der Schnittfläche des Gewächses in ununterbrochenem Strome sich ergoss. Der Gehörgang ward sofort mit trockner Jodoformgaze verstopft, doch stand die Blutung erst nach energischer Cauterisation der Schnittfläche mit einem spitzen Galvanocauter. Die mikroskopische Untersuchung von Schnitten des .Gewüchses ergab, dass dasselbe ein Angiosarcom von sehr gefässreichem Typus war.

m

+ «XU 8 ER

228 W. Milligan: Zwei Fille von Sarcom des Mittelohres.

Fall II.

E. D., weiblichen Geschlechts, 18 Jahre alt, hatte 17 Jahre lang an linksseitiger Mittelohreiterung in Folge von Scharlach gelitten. Das rechte Ohr war aus gleicher Veranlassung total zerstört und die Patientin taubstumm. Ihre Gesundheit war im Uebrigen gut gewesen, und Nach- forschungen über Erkrankungen in der Familie ergaben nichts Beson- deres. ]lhr Vater und ihre Mutter waren beide noch am Leben und gesund, uud ihre Brüder und Schwestern erfreuten sich gleichfalls einer vollständigen Gesundheit. Während des vergangenen halben Jahres bemerkte man, dass der linke äussere Gehörgang von einer fleischig aussehenden Masse verstopft war, während die Patientin über häufige und heflig auftretende Schmerzen im Ohr und dessen Umgebung klagte. Ausserdem sagte die Mutter aus, dass das Mädchen an Gewicht abge- nommen habe und sehr apathisch geworden sei.

Bci der ersten Besichtigung wurde folgender Befund notirt:

Der linke äussere Gehörgang war durch eine fleischähnliche, ge- fässreiche Geschwulst verlegt. Betastung mit der Sonde ergab das Vorhandensein von Caries in der Tiefe. Die Gewebetheile über dem entsprechenden Warzenfortsatz und vor dem Gehörgang waren ge- schwollen und ödematös. Die gegen die linke Ohrmuschel angedrückte Uhr wurde eben noch gehört, und die auf den Nasenrücken aufge- setzte Stimmgabel auf das linke Ohr bezogen. Facialis-Lähmung be- stand nicht. Man entschied sich dafür, die radicale Entfernung des Gewüchses zu versuchen und die Patientin wurde demzufolge chlori- formirt und die Ohrmuschel abgelóst und nach vorn oben auf die Wange emporgehoben. Der äussere Gehörgang fand sich vollständig verstopft durch eine Geschwulstmasse, welche augenscheinlich von der innern Wand des Mittelohres ihren Ausgang nahm und sich nach vorn bis unter die Parotis, sowie bis in die Warzenfortsatzzellen erstreckte. Es wurde so viel wie möglich von der Geschwulst entfernt und so lange ausgekratzt, bis die Carotis interna blossgelegt war. Während dieser Manipulation blutete es stark, doch wurde die Blutuug durch festes Tamponiren mit Jodoformgaze im Zaume gehalten. Die Patientin er- holte sich schr schnell von der Operation, es trat aber, wie erwartet, nach kurzer Zeit ein Recidiv auf.

Mikroskopische Schnittpräparate der Neubildung zeigten, dass es sich um ein Myxo-Sarcom von ziemlich vasculärem Bau handelte.

O. Körner: Die Literatur üb. d. Chlorom d. Schläfenbeins u. Ohres. 229 XIV.

Die Literatur über das Chlorom des Schläfenbeins und des Ohres.

Von O0. Körner in Rostock.

Als ich vor Kurzem einen Fall von Chlorom beider Schläfenbeine, beider Sinus sigmoidei und beider Orbitae mittheilte (diese Zeitschrift Bd. 29, S. 92), constatirte ich, dass das Vorkommen des Chlorom’s im Schläfenbein in der otiatrischen Literatur noch nicht erwähnt worden war.

Inzwischen habe ich die gesammte Literatur über das Chlorom nachgesehen und daraus erfahren, dass das Schläfenbein und das Ohr von dieser merkwürdigen und sehr seltenen Geschwulst in der Hälfte aller Fälle ergriffen war. Unter den 20 bisher beschriebenen Chlorom- fällen sind 10, in welchen Ohrsymptome bestanden haben! Bei zweien derselben sind, trotz der intra vitam beobachteten Ohrensymptome, Ohren und Schlüfenbeine weder klinisch noeh anatomisch untersucht worden. In den 8 übrigen wurden die Tumoren im Ohre bezw. im Schläfenbeine anatomisch nachgewiesen. Eine klinische Untersuchung des Ohres liegt nur in meinem Falle vor.

Das Chlorom kommt vorzugsweise bei Kindern und jungen Leuten vor, tritt, wie es scheint, stets multipel auf und entwickelt sich vor- zugsweise in der Dura, in der Wandung der Sinus, in dem Pericranium und in den Hohlräumen der Schädelknochen, sowie in der Orbita. Sehr häufig findet es sich bilateral symmetrisch. Ein Lieblingssitz ist die Schläfengrube, wo es sich vom Periost aus zwischen Knochen und Muskel oder im Muskel selbst entwickelt. Wäre mir diese Thatsache bekannt gewesen, so hätte ich in meinem Falle schon allein aus der auffälligen Schwellung in beiden Schläfengruben die Diagnose stellen können; die häufige Localisation in den Sinus und den Augenhöhlen neben der Er- krankung des Ohres und Schläfenbeins macht die Kenntniss des Tumors für den Ohrenarzt ganz besonders in diagnostischer Hinsicht wichtig nnd interessant.

Leider sind die vorhandenen Sectionsberichte, soweit sie die Be- theiligung der uns vorzugsweise interessirenden Schläfenbeine und Ohren betreffen, sehr kurz und unvollstándig. Ich referire dieselben kaum kürzer, als die betreffenden Autoren gethan haben.

230 0. Körner: Die Literatur üb. d. Chlorom d. Schläfenbeins u. Ohres.

Literatur-Bericht.

l. Durand Fardel. Bulletin de la société anatomique, tome XI, 1835, p. 195. Geschwulst im Gehörgang und in der Pauke beiderseits.

2. King. Monthley Journal, August 1853, Beide Temporalmuskeln, Aussen- seite der Warzenfortsütze, Basis des Felsenbeins (mit Arrosion des Knochens), Sinus sigmoideus. Knochen des Mittelohrs verfärbt und schneidbar.

9. Aran. Archives gencrales de medicine. Octobre 1854. p. 385. Klinisch unter anderem beobachtet: Facialislàhmung, subjective Geräusche und Taubheit. Tumor im Sinus transversus, Sinus petrosus inferior, Verün- derungen im Mittelohr (,le tissu est gris et amincie^) und andere Localisationen.

4. Balfour, citirt bei Aran. Taubheit, Schwindel, Ohreiterung erwähnt. Unter anderen Befunden: Tumor ,sur le temporal droit".

9. Dressler. Virchow's Archiv, 1866. XXXV, p. 605. Schwellung in der Fossa temporalis und auf dem Processus mastoideus. Tumoren an der Hinterseite des Schläfenbeins und im Sinus transversus.

6. Behring und Wicherkiewicz. Berliner klin. Wochenschrift, 18%, No. 99. Klinisch, unter Anderem: Taubheit, subjective Geräusche, Schwellung des Processus mastoideus, Facialislähmung. Tumoren unter Anderem: in den Warzenzellen, in den am Processus mastoideus inseriren- den Muskeln, im Canalis stylomastoideus.

7. Gade. Nord. med. Archiv, 1884, XVI, No. 9. Klinisch unter Anderem: Ohrschmerz und Ohreiterung. Anatomisch unter Anderem: Tumoren am Schläfenbeintheil des Jochbogens, in der mittleren Schädelgrube, im Mittelohr und im Labyrinth beiderseits.

8. Horing. Beitrag zur Kenntniss des Chloroms. Dissertation. Tübingen 1891. Ohrschmerzen, Schwellung hinter beiden Ohren und Schwerhörig- keit als erste Symptome. Bei der klinischen Beobachtung und beim Setionsberichte wird sonst nichts von den Ohren erwähnt. Es fanden sich Tumoren der Sinus sigmoidei, auf einer Seite eine Vorwölbung aussen am Schädel machend.

9. Dock. American journal of the medical sciences, August 1893. Exoph- thalmus, Schwellung in beiden Schläfengruben, Schwerhörigkeit, Tumoren

in den Sinuswänden, den Augenhöhlen, beiden Schläfengruben. Ohr nicht untersucht. 10. Körner. S. o.

Die übrige Literatur (Fälle ohne Betheiligung der Ohren und Schläfen- beine) findet man in den Arbeiten von Lang, Monographie du chloroma, Archives générales de médécine, 1893, Vol. II. 1894, Vol. I; Dock, s. 0.; 0. Schmidt, Ein Fall von Chlorom, Göttinger Dissertation, 1895.

0. Körner: Ueb. inspirator. Zusammenklapp. d. Sinus transversus. 231 XV.

Ueber inspiratorisches Zusammenklappen des blossgelegten Sinus transversus und über

Luftembolie. Von O0. Körner in Rostock. (Aus der Klinik für Ohren- und Kehlkopfkranke zu Rostock.)

Respirationsbewegungen an dem im Bereiche des Schläfenbeines freigelegten Sinus transversus hat, so viel ich weiss, bisher nur Jansen (Archiv für Ohrenheilkunde, Band 37, S. 21, Fall 18) beobachtet. Ich gebe seine Beobachtung wörtlich wieder:

»Sinus vom oberen Knie abwärts ca. 5cm weit freigelegt, scharf »prominent; etwa 1?/,cm hinter dem Gehórgange gelegen; der Sinus »allein mit dickem, weissgrauem, pseudomembranósem Belag versehen. »Sinus nicht hart und derb anzufühlen, sinkt bei der Respiration wie- »derholt ganz zusammenklappend ein. Punction des Sinus negativ, aber »aus der Punctionsóffnung im Sinus quillt Eiter hervor. Incision des »Sinus in seiner ganzen Länge. Die Wände verdickt, mit zerfallenen »Thrombusmassen von grüngelber Farbe erfüllt. Beim Tupfen nach »oben erscheint stark hämorrhagisch gefärbte Masse, so dass der »Thrombus oben seinem Ende nahe zu sein scheint; nach unten wird »der Thrombus in Ruhe gelassen. «

Kürzlich habe ich eine ähnliche Beobachtung gemacht, die ich zunächst mittheilen will.

Acute, jauchige Eiterung in beiden Schläfenbeinen, angeblich nach Masern; schwere Pyämie mit multiplen, jauchig-eitrigen Gelenkmetastasen. Eröffnung beider Warzenfortsätze und dreier Gelenkabscesse. Tod sechs Stunden nach der Operation. Keine Section.

Der 4!/,jährige Knabe W.T. aus G. bekam nach Angabe seiner Eltern Anfang October 1896 Masern, die ohne ärztliche Behandlung .abliefen. Am 16. October wurde der Hausarzt gerufen, weil das Kind in der Nacht heftige Schmerzen im rechten Ohre gehabt hatte und stark fieberte. Ueber den Befund und weiteren Verlauf schreibt der Hausarzt Folgendes:

»Die Untersuchung ergab acuten Mittelohrkatarrh, aber ohne starke »Vorwólbung. Die Schmerzen kamen kaum wieder, das Fieber ver- »schwand nicht. Nach 3 Tagen perforirte das Trommelfell, es entleerte »sich seröse, leicht blutig gefärbte Flüssigkeit, die nach 2—3 Tagen »dünneiterig und übelriechend wurde. Nach Verlauf einer Woche war »die Perforationsöffnung so gross, dass vom Trommelfell nur noch die

232 O. Körner: Ueber inspiratorisches Zusammenklappen

»obere Hälfte, mit dem Hammergriff verbunden, zu sehen war. Dies »war ungefähr den 23. October. In eben diesen Tagen markirte sich »das Steigen der in der Nacht meist abgefallenen Temperatur mit »starken Schüttelfrösten. Gleichzeitig traten ausgedehnte schmerzhafte »Erytheme auf den Extremitäten auf. Ende November gesellte sich »eine Otitis media sinistra hinzu, unter geringen Schmerzen wenig Aus- »fluss. Am 3. November zeigten sich bei besonders hohem Fieber und »schlechtem Allgemeinbefinden schmerzhafte Anschwellung der rechten »Parotis, des linken Ellenbogens und am linken Fussrücken, sowie »stärkere Schwellung der Kieferwinkeldrüsen rechts als bisher bestanden »hatte. Fieber ist seit diesen Tagen zwischen 39 und 40,5 (Achsel). »Cerebrale Erscheinungen haben nie bestanden. Nie ist auch nur die »geringste Schwellung oder Róthung in der Gegend des Warzenfort- »Satzes zu sehen gewesen. Ich habe deshalb geglaubt, dass für eine »operative Behandlung dieser Pyümie kein Anlass gegeben sei, und das »Schwergewicht der Behandlung nächst Reinigung der Ohren auf »Kräftigung des Körpers, soweit irgend möglich, gelegt.«

Am Abend des 8. November sah ich den Kranken zum ersten Male und notirte folgenden Befund:

Grosse Blässe. Mässige Abmagerung. Kein Exanthem, keine Ab- schuppung. Sensorium völlig frei. Temperatur stark erhöht. Puls beschleunigt, regelmässig, mittelgross, weich. Athmung nur wenig be- schleunigt. Pupillen und Augenbewegung normal. Kein Exophthalmus. Keine Facialislähmung. Zunge dick graugelb belegt, trocken. Gegend des rechten Kiefergelenks stark geschwollen bis zum vorderen Ende des Jochbogens. Schwellung ohne Fluctuation. Fingerdruck hinterlässt keine Delle. Nach hinten schneidet die Schwellung an der Basis des Tragus scharf ab. Im rechten Kieferwinkel eine Drüse. An den Hautvenen des Gesichts und Halses keine ungewóhnliche Füllung und keine Ver- schiedenheit zwischen beiden Seiten. Beiderseits keine Strünge und keine Drüsen in der Jugularis-Gegend fühlbar. Bewegungen des Kopfes nach allen Seiten frei. Beide Warzenfortsütze erscheinen bei der Be- sichtigung und bei der vergleichenden Betastung völlig unverändert. Auch an der Spitze und in der Gegend des Foramen mastoideum nichts Abnormes. Keine Schmerzäusserung bei Druck. Die vergleichende Pereussion ergiebt eine merkliche Schalldifferenz zwischen beiden el links Knochenschall mit tympanitischem Beiklang, rechts Schall dumpfef, aber keine ausgesprochene Dämpfung. Im rechten Gehörgang stinkendes schleimig-eitriges, dünnflüssiges Secret. Keine Senkung der hinteren oberen Gehörgangswand. Vom Trommelfell nur noch der obere Theil mit dem Hammer erhalten. Membran stark gequollen. Paukenschleim- haut geröthet. Links ist der Eiter geruchlos und die im hinteren unteren Quadranten gelegene Perforation bedeutend kleiner als rechts. Auch hier keine Senkung im Gehörgang. Gehör für Conversations- sprache noch ausreichend, sonst nicht genauer geprüft. Starke Schwel-

des blossgelegten Sinus transversus und über Luftembolie. 233

lung der linken Ellenbogengegend ; Fluctuation oberhalb des Olecranon. Schwellung und Fluctuation auf dem linken Fussrücken und auf der Streckseite des rechten Vorderarms oberhalb des Handgelenks. Am Thorax vereinzelte mittelblasige Rasselgeräusche. Herz normal.

Da wir an Ort und Stelle nicht operiren konnten, und da der Puls verhältnissmässig gut war, auch keine Zeichen einer die absolute Ruhe nóthig machenden Thrombenbildung in der Jugularis vorbanden waren, rieth ich zum Transport des Kranken nach Rostock. Er wurde am nüchsten Tage (9. November) in die Klinik gebracht und nach einigen Stunden Ruhe Abends 7 Uhr operirt.

Operation in Chloroformnarkose. Dauer der Narkose 1!/, Stunde. OChloroformverbrauch 70 gr, wovon etwas verschüttet. Puls wird in der Narkose sehr elend, Athmung ununterbrochen, kein Er- brechen. Wiederholtes Husten. Schnelles Erwachen aus der Narkose.

Rechter Warzenfortsatz. Gerader Hautschnitt von der Linea temporalis bis zur Spitze, den Muschelansatz tangirend. Periost normal. Knochenoberfläche leicht bläulich gefärbt, spärliche Blutpunkte zeigend. Aufmeisselung. Corticalis ganz ausserordentlich dünn, darunter zunächst kleine, leere Hohlräume mit bläulich verfärbter, nicht blutender Schleim- hautauskleidung. Keine Diploe. In ?/,cm Tiefe stinkender Eiter und Granulationen, brüchiger Knochen. Mit scharfem Lóffel und schneidender Zange Antrum eróffnet, das mit Granulationen und Eiter gefüllt ist. Aufdeckung des Knies und des herabsteigenden Theiles des Sinus trans- versus mit Meissel und Zange auf 2!/,cm Länge und 1 cm Breite. Zwischen Knochen und Sinus ein kleiner grauweisser, schmieriger Fetzen, der sich vom Sinus leicht abheben lässt. Sinuswand glatt, nicht injicirt, grau gefärbt, pulsirt deutlich sicht- und fühlbar. Die weitere Untersuchung des Sinus wird zunächst aufg:schoben und der linke Warzenfortsatz aufgemeisselt. Der Befund in den Zellen und im Antrum genau derselbe wie rechts. Dagegen ist die Corticalis von normaler Farbe, ganz ohne Blutpunkte. Ferner liegt der Sinus sehr weit nach vorn und so oberflächlich, dass er aussen in der ganzen Strecke, in der er blossgelegt wird. (2!/,cm Länge, 1 cm Breite) von einer höchstens 2 Millimeter dieken Knochenschicht gedeckt erscheint. Dies mag den auffallenden tympanitischen Knochenschall bei der Per- cussion verursacht haben. Sinus völlig normal, bläulich durchscheinend.

Pulsationsbewegungen suchen wir an ihm zunächst vergeblich wahrzunehmen, biseinetwasseitwärtsstehen- der Assistent uns auf einen mit dem Puls synchronisch bewegten Lichtreflex an der Sinuswand aufmerksam macht. Wührend wir diese Erscheinung beobachten, hustet der Kranke, und bei der dem Hustenstosse fol- genden tiefen Inspiration fállt der vorher beim Athmen nicht bewegte Sinus platt zusammen, um sich wieder auszu-

234 O. Körner: Ueber inspiratorisches Zusammenklappen

dehnen und mit der nächsten Inspiration wieder zusammen- zufallen. Ist der Sinus zusammengeklappt, so erscheint er grau, ist er gefüllt, so schimmert das Blut bläulich durch. Bei erneuten Hustenstössen füllt er sich so plötz- lich und prall, dass man Sorge hat, er könne einreissen. Jetzt geht dieses Spiel mit jedem Athemzuge fort. Beim Zusammenklappen kann man nach beiden Richtungen zwischen Knochen und Sinuswand in den Sulcus sigmoi- deus bezw. transversus hineinsehen.

Um weitere Hustenstösse zu vermeiden, ist es nöthig, die Narkose schnell zu beenden. Daher Jodoformgazetamponadd beider Operations- wunden und Kopfverband. Um aber die Gefahr einer in kurzer Frist wiederholten Narkose dem Kinde zu ersparen, werden schnell noch die fluctuirenden, periarticulären Schwellungen am linken Ellenbogen, dem rechten Vorderarm und dem linken Fussrücken incidirt. Jedesmal ent- leert der erste Schnitt jauchigen Eiter in Menge. Keine Blutung. Drainage durch Gazestreifen.

Rasches Erwachen aus der Narkose. Frequenter, schwacher Puls. Beschleunigte Athmung. Hochlagerung der Beine. Alcohol. Um Mitternacht Temperatur 36,4. Collaps. Exitus 6 h. post operationem.

Section verweigert.

Epikrise.

Soweit der im Vorstehenden berichtete Fall ohne Sectionsbefund zu verstehen ist, liegt er für den sachverstündigen Leser dieser Zeitschrift völlig klar und bedarf keiner epikritischen Besprechung. Dagegen giebt das ungewöhnliche Phänomen zu denken, welches wir am linken Sinus beobachteten.

Ein inspiratorisches Zusammenklappen am blossgelegten und da- durch dem Atmosphärendruck zugänglich gemachten Sinus kann nur eintreten, wenn der Sinus herzwärts von der aufgedeckten Stelle frei ist und wenn er gleichzeitig hirnwärts verschlossen ist, so dass das bei Inspiration nach dem Thorax angesaugte Blut nicht vom Hirn her er- setzt werden kann, oder wenn gleichzeitig eine so grosse Hirnanämie besteht, dass der Ersatz des aus dem Sinus weggesaugten Blutes nicht schnell genug erfolgen kann. Der plötzliche Beginn vorher gäuzlich fehlender Respirationsschwankungen mit einer tiefen, auf einen Husten- stoss folgenden Inspiration legt den Gedanken nahe, dass der Sinus zuerst herzwärts durch einen beim Husten flott gewordenen Thrombus verschlossen gewesen sein könnte. Da jedoch keine Section gemacht wurde, bleibt dies unentschieden,

des blossgelegten Sinus transversus und über Luftembolie. 235

Wo aber die saugende Kraft der Inspiration so stark sich äussert, dass der Sinus zusammenklappt, da wird auch, falls der Sinus bereits eröffnet ist, Luft angesaugt werden müssen und zum Tode durch Luftembolie führen können.

Bisher ist freilich nur ein Fall von Tod an Luftembolie vom Sinus transversus aus beschrieben worden (Kuhn, diese Zeitschrift Bd. XXX, S. 1). Da aber die oben mitgetheilte Beobachtung zeigt, unter welch' unberechenbaren Umstünden Verhá!tnisse eintreten künnen, die einen solchen Unglückstal móglich machen, so liegt der Gedanke nahe, dass die Gefahr der Luftembolie bei Er- óffnung des Sinus transversus grósser ist, als man seit- her allgemein geglaubt hat.

Welche Verhültnisse man zu berücksichtigen und welche Vorsichts- maassregeln man zu ergreifen hat, um bei Eröffnung und Ausräumung des phlebitisch erkrankten Sinus transversus Luftembolie zu vermeiden, hat Kuhn bereits erórtert.

Zeigt der Sinus respiratorische Bewegungen, so darf er erst nach Unterbindung der Jugularis eróffnet wer- den, weil dieser Abschluss nach dem Thorax den einzigen sicheren Schutz gegen die Luftembolie bietet. Da ferner die vorher ganz fehlende inspiratorische Ansaugung plötzlich auftreten kann, so empfiehlt es sich, die schon aus bekannten anderen Gründen räthliche Unterbindung der Jugularis »vor« Eröffnung des Sinus in allen den Fällen auszuführen, in denen kein fester Verschluss des Blutweges in der Richtung nach dem Herzen nachgewiesen ist.

Nachtrag bei der Correctur.

Auch Schwartze hat einmal Respirationsbewegungen an dem mit Trepan und Meissel aufgedeckten Sinus sigmoideus gesehen. Vergl. Arch, f. Ohrenheilk. Bd. X, S. 23, Fall II.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 17

236 W. Downie: Ein Fall von erworbener totaler Taubheit

. XVI.

Ein Fall von erworbener totaler Taubheit in Folge von hereditärer Syphilis; mit Sectionsbericht. Von Walker Downie, M.B,F.F.P.&S.G.

Dozent für Hals- und Nasenkrankheiten an der Universität Glasgow; Ohrenarzt am königlichen Spital für kranke Kinder etc.

(Uebersetzt von Dr. Th. Schröder, Rostock.)

Im October des Jahres 1891 wurde mir in die Abtheilung der Poli- klinik für Ohren-, Hals- und Nasenkranke ein Bursche von 17 Jahren zu- geführt, der, wie es hiess, während der voraufgegangenen 6 Jahre völlig taub geworden war. Seine Mutter berichtete, dass er bei der Geburt ein schwächlicher Knabe gewesen und bis zum Alter von 5 Jahren fort- dauernd von zarter Gesundheit geblieben sei. Mit 7 Jahren begannen seine Augen sich zu »entzünden«, weswegen er als sogen. Aussenpatient über 2 Jahre hindurch an der Augenheilanstalt zu Glasgow in Be handlung stand. Er wurde dann mit 8 Jahren zur Schule geschickt, doch empfahl der Lehrer noch vor Schluss der Schulperiode, ihn zu Hause zu lassen, bis seine Augen wieder besser wären und das Haar, welches angefangen hatte, auszugehen (mit Hinterlassung von kahlen, weissen Flecken), ihm wieder gewachsen wäre. Als er 11 Jahre alt war, zeigte sich die Kopfhaut frei von diesen Flecken, sein Haar war gesund und gut gewachsen, und auch die Augen erschienen gut und gesund d. h. die mit dem entzündlichen Process einhergehende Röthe und Empfindlichkeit waren geschwunden, während das Sehver- mögen hauptsächlich in Folge des Vorhandenseins von Cornealtrübungen ein schlechtes war. Während diese Besserung Platz griff, fing sein Gehör an, schlechter zu werden; erst schien nur das linke Ohr er- griffen, bald indessen waren es beide, und nach Verlauf von einem halben Jahre war Patient total taub. Und zwar schien der Uebergang vom Zustande des Schwerhörens zu dem der völligen Taubheit sehr schnell erfolgt zu sein; denn seine Mutter schilderte mir, wie sie ihn eines Morgens, als er noch im Bette lag, bitterlich habe schluchzen hören, und dass er, als sie sich ihm näherte, ausgerufen habe: »es ist ganz und gar weg!« und von der Zeit an war er vollständig taub.

Familien-Krankengeschichte:

Nachforschungen in Bezug auf die in der Familie des Patienten etwa vorgekommenen Krankheiten brachten Dinge ans Tageslicht, die

in Folge von hereditärer Syphilis; mit Sectionsbericht. 237

für die schrecklichen Verwüstungen, welche die Seitens eines der Ehegatten eingeschleppte Syphilis im Gefolge haben kann, sehr be- lehrend sind. |

Die Mutter des Patienten war 50 Jahre alt, als sie mich wegen ihres Sohnes consultirte. Sie heirathete mit 23 Jahren, und es sind die hier folgenden Details über den Ausfall der 14 von ihr durchge- machten Schwangerschaften gewiss von Interesse:

1. Ein gesunder Knabe zur richtigen Zeit geboren. Er starb, 6 Jahre alt, an Lungenentzündung. Kurz nach der Geburt dieses Kindes scheint die Mutter Syphilis acquirirt zu haben, deren erste All- gemeinerscheinungen, ihrem eigenen Berichte nach, ziemlich heftig und deutlich ausgesprochen waren. Mit diesen behaftet, wurde sie ein zweites Mal schwanger und brachte 15 Monate nach ihrer ersten Niederkunft ein todtgeborenes Mädchen im 7. Monat dieser Schwanger- schaft zur Welt.

3. Ein Knabe, gegen Ende des 7. Monats geboren, lebte 10 Stunden.

4. Männliche Zwillinge, im 8. Monat geb., der eine todtgeboren, der andere lebte 2 Tage.

5. Ein Knabe, todtgeboren, im 7. Monat.

6. Ein Mädchen, rechtzeitig geboren; dasselbe lebt noch und befindet sich anscheinend in guten, gesundheitlichen Verhältnissen.

7. Ein Abort im 3. Monat.

8. Ein Mädchen, todtgeboren im 7. Monat.

9. Ein Abort genau nach Ablauf des 3. Monats.

10. Unser Patient, jetzt 17 Jahre alt.

11. Ein rechtzeitig geb. Mädchen, noch am Leben und ziemlich gesund.

12. Ein Abort im 3. Monat.

13. Ein Mädchen, rechtzeitig geboren, starb, 2 Jahre alt, an den Masern.

14. Ein Abort im 4. Monat; dieser ereignete sich vor 5 Jahren.

Gesundheitszustand des Patienten bei der ersten Untersuchung:

Der früher als geweckt und munter geschilderte Bursche machte einen theilnahmlosen und stupiden Eindruck, auch war er mager und anämisch. Seine Stirn war etwas hervorstehend, die Nase wohl ge- bildet, die Cornea beider Augen sah im Allgemeinen wie mattgeschliffenes Glas aus, zeigte aber verschiedene, deutlich undurchsichtige Flecken; seine Schneidezähne waren sägeartig gezackt, der Gaumen hoch und eng mit vortretenden, quer verlaufenden Wülsten, die Stimme eintönig.

Als sein Hörvermögen zuerst beeinträchtigt wurde, klagte er über heftige Schmerzen in beiden Ohren, sowie über laute Geräusche in den

17*

238 W. Downie: Ein Fall von erworbener totaler Taubheit

Ohren und im Kopfe, welche indessen längst geschwunden waren. Niemals hatte er eine Ohreiterung, auch über das Vorhandensein sonstiger Mittelohrerkrankungen wurde nichts in Erfahrung gebracht.

Für den Klang der Stimme, für die Stimmgabel und laute Glocke war er völlig taub. In seinem Eifer behauptete er gelegentlich, die auf den Processus mastoideus aufgesetzte Stimmgabel zu hören, doch geschah das ebenso oft, wenn diese in Ruhe, als wenn sie schwingend war.

Die Gehörgänge waren beiderseits nach Bau. und Aussehen normal, die Trommelfelle intact, leicht eingezogen und etwas weisser als normalerweise.

Ueber dem rechten Tuber parietale fand sich eine in die Augen fallende Schwellung von glatter, harter Beschaffenheit, dabei schmerzlos; an der Basis betrug diese Schwellung 11/, Zoll Länge bei gut 1 Zoll Breite. Es wurde nun erzählt, dass der Patient vor 2 Jahren einen Schlag mit einem Stück Holz auf die rechte Kopfseite erhalten habe, deren Folge erhebliche Schmerzen und eine an Grösse zunehmende Schwellung gewesen seien. Auch noch verschiedene andere ähnliche, wenn auch kleinere Schwellungen an anderen Theilen des Kopfes waren in der Zwischenzeit bemerkt worden; sie waren jedoch zum Theil nach einigen Tagen, zum Theil nach einigen Wochen wieder verschwunden. Es wurde nun gray-powder und die regelmässige Anwendung von Quecksilber-Salbe verordnet, allerdings ohne Hoffnung auf günstigen Erfolg. Als der Patient indessen nach Ablauf von 6 Wochen zu seiner Mutter zurückkehrte, berichtete diese, dass er das Wagen-Gerassel auf der Strasse hören könne und in Folge dessen auf weitere Besserung hoffe. Es liess sich nun zwar eine Aenderung bei Anwendung ver- schiedener Mittel nicht mehr constatiren: da jedoch das Allgemein- befinden sich merklich gebessert hatte, so wurde die Fortsetzung der Behandlung angerathen.

Während er unter ärztlicher Beobachtung stand, besserte sich sein Allgemeinbefinden ständig und er war im Stande, seinem Vater bei der Bäckerei hülfreiche Hand zu leisten. Uebrigens liess sich eine Zunahme der Schwellung (Gumma) über der rechten Scheitelbeingegend von Zeit zu Zeit constatiren. Nach Ablauf eines halben Jahres, von der ersten Beobachtung an gerechnet, konnte Patient den Ton einer in Schwingung versetzten Stimmgabel unzweifelhaft per os hören und zwar etwa !/, Mal so lange wie ein normales Ohr.

in Folge von hereditärer Syphilis; mit Sectionsbericht. 239

Ich sah ihn darauf erst am 12. Juni wieder in Folge einer Aufforderung zur Consultation mit dem Hausarzte, wobei ich erfuhr, dass kurze Zeit nach seinem letzten Besuch in der Poliklinik (März) die Schwellung auf dem Kopfe angefangen hatte, wässerige Flüssigkeit abzusondern, dann aufgeborsten war und einen höchst fötiden Eiterausfluss veranlasst hatte; aus diesem Grunde war er zu Hause gelassen.

Am 10. Juni Morgens, nachdem er einige Stunden am Backofen gearbeitet und darauf sich gewaschen hatte, setzte er sich dem Küchen- feuer gegenüber, um zu lesen. Während er damit beschäftigt war, fiel ihm das Buch mehrere Male aus den Händen, und als die Mutter ihn wegen seiner augenscheinlichen Nachlässigkeit zurechtweisen wollte, bemerkte sie, dass seine Hand zuckende Bewegungen maehte; darauf gerieth auch die linke Seite in Convulsionen, und er würde zu Boden gefallen sein, wenn sie ihn nicht gehalten hätte. Als man ihn ins Bett legte, fand sich, dass sein linker Arm und sein linkes Bein gelähmt waren. In der darauffolgenden Nacht hatte er einen zweiten Anfall, bei dem die Convulsionen weniger deutlich waren und haupt- sächlich das Gesicht betrafen.

Ich fand ihn erheblich abgemagert bei Bewusstsein und Verstand, wenn er auch nur unter Schwierigkeiten zu sprechen vermochte. Die von der Schwellung eingenommene Fläche war fast so gross wie das rechte Scheitelbein, die Schwellung selbst pilzartig, zusammengesetzt aus zerfallenem entzündlichen Gewebe und Hirnmasse. Ich ordnete die Ueberführung des Patienten ins Hospital an, welche indessen erst am 16. erfolgte. Am 17. Juni, Morgens wurde in Chloroform-Narcose die Kopfhaut sorgfältig gereinigt und die sich ablösenden Theile ent- fernt. Darauf nahm ich ein betrüchtliches Stück (1!/," 2'") vom rechten Scheitelbein weg, das völlig nekrotisch war, und verschaffte dadurch einer grossen Menge sehr fötiden Eiters den nöthigen Abfluss. Im Krankenjournal ist erwähnt, dass »die Lähmung des linken Armes und Beines, sowie der linken Gesichtshälfte, zwar vorhanden bei der Aufnahme, kurz nach der Operation deutlicher wurden. Auch drängt sich während der Verbandwechsel mehr oder weniger zerfallene Hirn- masse durch die Schädelöffnung weit vor. Der Patient blieb bei vollem Bewusstsein und gutem Befinden bis zum 22.; an diesem Tage wurde das Schlucken und Athmen schwierig und er starb ziemlich plötzlich am selben Nachmittag. Nach der Operation hatte er keine Convul- sionen mehr«. |

240 W. Downie: Ein Fall von erworbener totaler Taubheit

Am folgendeu Tage wurde die Obduction gemacht, und ergiebt ein Auszug aus dem Sectionsprotocol Folgendes: |

»Die Hautdecke ist durchweg von bleicher Farbe, der Kórper sehr mager. In der Nähe des Scheitels rechts von der Mittellinie . findet sich eine klaffende Wunde (theilweise Schnittwunde), deren vorderer Rand unmittelbar über dem äusseren Gehörgang liegt.

Diese Wunde ist in ihrem mittleren Theil von einer weichen hämorrhagischen Masse ausgefüllt, welche aus einer Schädelöffnung hervorragt.

In der Duramater, mit welcher die Hirnsubstanz theilweise verklebt ist, besteht eine ansehnliche Lücke; eine entsprechende findet sich in der Hirnsubstanz selbst, und kann man letztere im Allgemeinen so beschreiben: sie umfasst, die aufsteigende Parietal-Windung ausgenommen, deren tiefergelegenen Endtheil, und einen beträchtlichen Theil des Scheitel-Lappens. An der Basis macht sich eine erhebliche Eiter- infiltration der weichen Hirnhäute geltend, die sich auch noch etwas in die Fossa Sylvii hinein erstreckt.

Längs des rechten Leberrandes fand man zahlreiche, tief ein- gezogene Narben, aber kein frisches Gumma. Die Organe des Thorax und des Abdomens waren allgemein im Zustande hochgradiger amyloider Degeneration.

Das rechte Schläfenbein wurde entfernt und zwecks vorzunehmender Section in eine Säurelösung gelegt.

Bei der äusserlichen Besichtigung des Knochens fiel die geringe Grösse des Processus mastoideus als einziges charakteristisches Merkmal auf, wodurch er vom normalen abzuweichen schien.

Der Knochen wurde nunmehr so gespalten, dass die Schnittlinie durch die Längsachse des Felsbein-Theiles ging und demzufolge den äusseren Gehörgang in seiner ganzen Länge freilegte, ferner die Pauken- höhle, die vordere Partie der Schnecke und den Meatus internus.

Der äussere Gehörgang wurde dem Anscheine nach normal be- funden; das Trommelfell dünn, durchscheinend und frei von Adhäsionen. Der Hammer war gesund und sowohl an Grösse wie Gestalt normal. Der Amboss, welcher während der Zerlegung des Knochens aus seiner Lage gerückt war, ebenfalls gesund; dagegen war die Basis des Steig- bügels mit dem Rande des ovalen Fensters innigst verbunden oder mit ihm knöchern verwachsen, so dass sie unbeweglich an der inneren

in Folge von hereditärer Syphilis; mit Sectionsbericht. 241

Wand der Paukenhóhle fest haftete. Die das Cavum tympani aus- kleidende Membran war intakt und die Ohrtrompete offen. _

Die Paukenhóhle war von mittlerer Grösse, der Atticus gut entwickelt; doch fanden sich im Knochen hinten keine Lücken, d. h. der Warzentheil des Schläfenbeins bestand bei seiner wie bereits erwähnt ungewöhnlichen Kleinheit aus festem Knochen. Der innere Gehörgang wurde darauf zunächst untersucht. An seinem inneren Ende war er von ungefähr normaler Weite und die in ihm enthaltenen Nerven (Acusticus u. Facialis) waren gesund. Verfolgte man ihn aber weiter nach Aussen hin bis auf einen Abstand von 1 Cmtr. von der inneren Oeffnung, so verdickte sich die obere Wand plötzlich, indem sie dadurch das Lumen des Canals beeinträchtigte, welch’ letzterer bei einer weiteren Entfernung von 3 Mmtr. fast völlig obliterirt war.

Das Vestibulum war in seiner Ausdehnung so wesentlich beein- trächtigt, dass es zweifelhaft blieb, ob überhaupt ein Theil dieses Raumes übrig geblieben sei. Die Cochlea liess sich bequem unter- suchen; sie war von mittlerer Grösse, der Modiolus aber und die Lamina spiralis ossea waren dermaassen verdickt, dass sie einen ungewöhnlich grossen Theil vom Hohlraum der Schnecke einnahmen. Von den halb- zirkelförmigen Canälen war nur eine Spur des äusseren (horizontalen) aufzufinden; die übrige Partie dieses Labyrinththeils verlor sich in einer Masse dichten, elfenbeinharten Knochens,

Der chronisch-entzündliche Process, welcher zu einer so ausser- ordentlich umfangreichen Neubildung von Knochengeweben geführt hatte, war meiner Meinung nach unzweifelhaft syphilitischen Charakters. Er endigte in einer Sclerosirung des für gewöhnlich spongiösen Processus mastoideus, in der Obliteration des äusseren Drittels des inneren Gehör- gangs mit folgender Vernichtung der Lebensfähigkeit des Gehörnerven und trennte so nicht bloss den inneren Gehörgang vom inneren Ohr, sondern führte zur Obliteration eines bedeutenden Theils des Labyrinths selbst und zwar alles dies bis zuletzt ohne andere Folgeerscheinung, als die des völligen Gehörverlustes.

242 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

XVI.

Studien über die Form des Ohres. Von Dr. Karutz in Lübeck.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel.

Die vergleichende Anatomie hat bereits auf einer der untersten Stufen der Thierreihe, bei den Coelenteraten, Gebilde nachgewiesen, die als Sinnesapparate und zwar als die primitiven Anfänge des so complicirten menschlichen Gehörorganes anzusehen sind. Neuere Physio- logen !) stellen sich zwar auf einen durchaus ablehnenden Standpunkt gegenüber der Frage, ob die niederen unter Reptilien und Amphibien rangirenden Thiere ein Gehörvermögen besitzen und sehen die von der Anatomie nachgewiesenen Bildungen als statische Organe an. Ver- worn schlägt geradezu vor, den Ausdruck »Otolithen« durch »Stato- lithen« zu ersetzen. Der Streit darüber, ob alle die bisher so genannten Gehörorgane der Würmer, Gliederthiere, Mollusken und Fische nur die Functionen eines statischen Sinnes versehen, ist noch unentschieden und wird es für eine geraume Zeit wohl noch bleiben; es ist hier nicht der Ort, ihm näher zu treten, so bemerkenswerth und aussichtsvoll auch die Untersuchungen vielleicht für eine zukünftige Lehre von der Ent- stehung und Entwicklung des Gehörsinnes zu sein scheinen. Auf alle Fälle bleiben jene Gebilde die erste Form unseres Gehörorganes, wenn auch nur der für die Erhaltung des Körpergleichgewichtes bestimmten einen Hälfte desselben.

Viel später, lange nachdem bereits die Formen des mittleren und inneren Ohres sich den menschlichen genähert haben, tritt zu ihnen der dritte, äussere, Abschnitt, die Ohrmuschel. Diese Thatsache sollte allein schon ihren Werth für den Hörakt als zweifelhaft, ihre functionelle Be- deutung als minderwerthig erscheinen lassen.

Man hat über den Zweck und den physiologischen Nutzen der Ohrmuschel bekanntlich seit Langem sich gestritten und theoretisch so- wohl wie experimentell versucht, zur Klarheit über diesen Punkt zu kommen. Früher glaubte man wohl allgemein, dass die Ohrmuschel die Schallwellen auffängt und in den Gehörgang wirft; man wiederholte

1) Beer, „Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse über das Hören der Thiere“. Wiener Klinische Wochenschrift 1896, No. 39.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 243

immer wieder die alte Erzählung Galens, dass schon der Consul Hadrian die hohle Hand hinter den Gehörgang gehalten habe, um besser zu hören. Mir scheint, diese Geschichte beweist recht wenig, wenn nicht das Gegentheil; denn wenn ich mit der Hand eine Hohlmuschel bilde, um den Ton zu verstärken, so ändere ich durchaus die Gestalt des Ohres selbst, darf also nicht von einer Verstärkung. seiner eignen Thätigkeit sprechen, da ich für diese eine gänzlich andere anatomische Grundlage geschaffen habe; mit der letzteren wird auch jene verändert; ebensowenig darf ich umgekehrt daraus Rückschlüsse auf die Physiologie der Ohrmuschel machen.

Galen betrachtete die Muschel nur als Ganzes, und nur so nahm er sie für den Hörakt in Anspruch. Ueber ihre besondere eigenthüm- liche Form dagegen äusserte er, dass die »Excavati concinne auricularum anfractus« ein Schmuck seien, den die Natur dem Menschen gegeben, »praeter utilitatem necessariam«. Später hat man die schallleitende Wirkung näher zu analysiren versucht, man sah in jeder einzelnen Ver- tiefung eine zweckmässige Einrichtung für die Reflexion, die Windungen des Knorpels sollten die Schallwellen gleich Billardkugeln !) von einem Punkte zum anderen der Art zurückwerfen, dass sie schliesslich alle in dem äusseren Gehürgang gesammelt würden; das Ohrlüppchen sollte, gleich dem Dümpfer am Klavier, gewisse Vibrationen des Ohrknorpels hemmen und ablenken.

Magnus) hält den Ohrknorpel als elastischen Körper für wohl- geeignet, Schallwellen zu empfangen und fortzuleiten und sieht das Wesentliche seiner Windungen darin, dass sie nach allen Richtungen hin den andringenden Schallwellen senkrecht gegenübergestellte Flächen bilden und dadurch in der günstigsten Position seien, jene aufzufangen. Aeltere Physiologen, wie Heuermann, lehrten schon ähnlich, dass das ganze äussere Ohr vermóge seiner Elasticitát selbst mit in oscillirende Bewegung gerüth, als fester Kórper den Schall fortpflanzt und verstärkt.

Im Anfang dieses Jahrhunderts sagt Curtis°): »Der Mensch hört den Schall nicht nur von allen Seiten her, sondern auch ganz besonders

1) Boerhave, citirt nach Magnus , Ueber die Gestalt des Gehórorganes bei Thieren und Menschen", Sammlung wissenschaftl. Vortrige v. Virchow und v. Holtzendorff, 130. Heft.

2) a. a. O. | |

3) Curtis, „Abhandlung über den gesunden und kranken Zustand des Ohres'* 1819.

244 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

aus der Höhe, und es ist daher auch sein äusseres Ohr breit vertikal gerichtet und etwas nach vorn hingewandt«. |

Die Erfahrung lehrte andererseits, dass Menschen ohne Ohrmuschel denen sie abgefroren oder abgeschnitten war keine merklichen Hörstörungen zeigten. Bartholin, Du Verney. Valsalva, Haller meinten zwar, -dass solche schwerhörig, wenn auch nicht taub, und die Töne getrübt, dumpf und mit fremdem Geräusch vermischt wahrnehmen würden; Schneider und Politzer füllten die Concha mit Wachs aus bezw. deckten sie mit einem steifen Papierstück und glaubten eine Verminderung der Hörfähigkeit nachweisen zu können.

Andere kamen aber bei den gleichen Experimenten zu dem ent- gegengesetzten Resultat, und die Mehrzahl der Physiologen hat sich Politzer jedenfalls nicht angeschlossen, nach dem die Ohrmuschel durch Reflexion wesentlich zur intensiveren Schallempfindung beiträgt. So sagt Küpper '!): »Die Ohrmuschel gehört in die Reihe der nur ge- erbten, nicht mehr functionirenden Organe. Bei Thieren dient sie zur Bestimmung der Schallrichtung«, und Mach?) hält die Ansicht, die Ohrmuschel habe die Aufgabe, den Schall zu sammeln und in den Ge- hórgang zu reflectiren, für eine physikalisch ganz unhaltbare; auch für die Erkenntniss der Schallrichtung könne sie nicht förderlich sein. Die Windungen sind nach ihm die zurückgebliebenen Stützen der grösseren Thierknorpel und haben, wie auch wohl am Thierohr, keine akustische Function, da sie zu klein sind für die Wellenlänge der Schallschwingungen. Er sucht die Bedeutung der Ohrmuschel vielmehr in ihren qualitativen Einflüssen auf die Gehörswahrnehmung und findet in ihr einen Resonator für höhere Töne, dessen Wirkung theilweise von der Stellung gegen die Schallrichtung abhängt und Aenderungen der Klangfarbe bedingt, die zur beiläufigen Kenntniss der Schallrichtung führen.

Kessel glaubt, die Gruben der Ohrmuschel wirkten als Ge- räuschverstärkende Resonatoren, und ihr Hauptzweck bestehe darin, die Richtung zu bestimmen, aus der die Geräusche kommen.

Curtis meint, sollte sich das äussere Ohr beim Menschen bewegen wie beim Thier, so würde hierdurch der Gehörssinn keineswegs, wie bei diesem, verstärkt, sondern immer derselbe bleiben. Toynbee sagt, die Ohrmuschel sei von keinem besonderen Nutzen.

1) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. II. 2) Mach, „Bemerkungen über die Function der Ohrmuschel“. Archiv für Ohrenheilkunde 1875.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 245

Neuerdings fragt Schäffer!) wieder, ob »dieses in jeder morphologischen, menschlich ontogenetischen Hinsicht, wie bei der Com- plicirtheit, sogar vielfach entwickelteren Form als bei den tieferstehenden Säugethieren so hochstehende Organ“ wirklich nur rudimentär sein, ob „ein so complicirt entwickeltes Organ überhaupt ohne Function existiren könne, was aller Erfahrung widersprüche«. Er glaubt, es stimme die äussere Resonanz tiefer, mache die hohen Töne unserer Musikinstrumente für uns angenehmer, lasse alle Klangfarben gedämpft zum Trommelfelle und bedinge dadurch zum Theil die Musikempfänglich- keit. Meint Schäffer hier das feinere musikalische Verständniss, so denke er an den rauschenden Höllenlärm, der für den Neger der In- begriff musikalischen Genusses ist, ohne gedämpfte Klangfarbe ; meint er die rohe Unterscheidung von Tönen, so schmettern ihm die Vögel den Gegenbeweis in die Ohren. Das Ohrläppchen kann nach demselben zu einer Art Schallfänger werden, wenn Töne »etwas seitlich nur von vorn darauf treffen«.

Ich finde, man muss hier unterscheiden zwischen Wirkungen, die von einzelnen Theilen der Ohrmuschel ausgehen kónnen und dem wahren eigentlichen physiologischen Zweck dieses Organs. Nur der letztere kommt in Betracht, wenn man von einer Function sprechen will. Es mag gern sein, dass bei einem tiefmuschligen Bau die Concha wie ein Hörrohr wirkt, vielleicht auch dass hohe Töne gedämpft werden; die ursprüngliche Bedeutung scheint mir aber nicht in diesen zufälligen und wechselnden Möglichkeiten zu liegen. Gerade, wer sich mit der Anthropologie des Ohres befasst, wie Schäffer, müsste in der unend- lichen Variabilität desselben einen entscheidenden Beweis dafür finden, dass diese bei jedem Individuum differirenden Gestaltungen der Muschel- oberfläche keine akustische Function besitzen können. »Wie ein mit verschiedenen Facetten geschliffenes Glas viele Lichtstrahlen empfängt und einen grösseren Effekt macht als glatte Flächen, ebenso wirkt auch das vielfach »gewundene äussere Ohr in Bezug auf die Schallwellen« sagt Magnus?) Er vergisst dabei aber, dass diese Schliffflächen an jedem Ohre anders fallen, dass von einer constanten wie bei den Krystallen berechenbaren Wirkung keine Rede sein kann, und dass dieselben Schallwellen, die bei dem einen Ohre hübsch in den Gehör- gang kommen, bei dem anderen in die weite Welt geschleudert und

1) Schäffer, „Ueber foetale Ohrformen etc.“ Archiv für Anthropologie, Bd. XXI. 2) a. a. O.

246 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

vergeudet würden. Hätte die Ohrmuschel die Function, den Schall aufzufangen und zum Meatus externus zu leiten, oder hätte sie die Auf- gabe, die Qualität der Töne zu modificiren, so müsste man von ihr eine Regelmässigkeit der anatomischen Bildung erwarten, die eine sich gleichbleibende und correkte Leitung garantirt. Die drei Muscheln der Nasenhóhlen führen bei jedem Menschen den Luftstrom in seine bestimmten Bahnen, theils zur Sch neider'schen Membran, theils direkt in den Nasenrachenraum ; die Brechungsmedien des Auges lenken in jedem Individuum den Lichtstrahl in der mathematisch vorgeschriebenen und vorauszusehenden Richtung ab. Wäre die Ohrmuschel ein echter Schallleitungsapparat, nothwendig zur Sinneswahrnehmung, angelegt als unterstützendes Hilfsorgan des Gehörssinnes, so dürfte die Analogie mit den Zuleitungseinrichtungen der übrigen Sinne nicht fehlen.

Neue Schwierigkeiten entstehen, wenn man die Physiologie der Ohrmuschel vom o und PPE RESA Stand- punkte aus beleuchtet.

Die heutige Wissenschaft lehrt und ich dinika Schwalbe hat die letzten Zweifel darüber endgültig zerstreut dass das äussere Ohr des Menschen cin rudimentäres Organ, ein rückgebildetes Thierohr ist. Wirft man nun aber die Frage auf, warum denn das grosse, spitze, aus drei Knorpeln bestehende, bewegliche Thierohr mit der höheren Entwicklung der Lebewesen eine Involution erfahren hat, so erhält man bis heute von keiner Seite eine genügende Antwort. Nur über die Ursache des Verlustes der Ohrbeweglichkeit sind einige Theorieen ausgesprochen worden.

Darwin sagt 1): »Warum diese Thiere (Schimpanse und Orang) ebenso, wie die Voreltern des Menschen, die Fähigkeit, ihre Ohren auf- zurichten, verloren haben, können wir nicht sagen. Es könnte sein, doch bin ich nicht völlig von dieser Ansicht zufriedengestellt, dass sie infolge ihres Lebens auf Bäumen und wegen ihrer grossen Kraft nur wenigen Gefahren ausgesetzt waren und deshalb während einer langen Zeit ihre Ohren nur wenig bewegt und dadurch allmählich das Ver- mögen, sie zu bewegen, verloren haben.« Dass Darwin selbst diese Theorie nicht für ausreichend hielt, überhebt uns eigentlich der Mühe, auf sie einzugehen. Man würde sonst mit Recht fragen dürfen, ob die niederen Affen, Halbaffen etc. nicht ebenfalls durch ihr Baumleben, vor Nachstellungen geschützt sind, warum, wenn Kraft allein ein Gefühl

1) „Die Abstammung des Menschen und die san Zuchtwahl“, 9. Aufl, I. S. 18.

. Il. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 247

der Sicherheit giebt, nicht schon bei den riesenhaften Elephanten oder bei gewissen Raubthieren jene Bewegungsfühigkeit eingebüsst werde. Auf der anderen Seite darf man wohl gewiss nicht glauben, dass die Vertreter jener Thierstufe, auf der die Ohrmuskeln sich zurückgebildet, im Kampf um’s Dasein geschützter waren. Selbst wenn es der aus- gebildete, anscheinend so gewaltige Gorilla wäre, der als direkter Stamm- vater des Menschen ein unmittelbares Glied in der Kette der Entwick- lung bildete, dürfte man für ihn keinen höheren Grad der Sicherheit annehmen, als für jedes andere Thier. Vor dem jähen Sprung des Tigers, vor der packenden Pranke des Löwen schützt ihn nichts. Nun fehlt aber bereits den Anthropoiden die Fähigkeit, die Ohren nach Art der übrigen Thiere zu bewegen; schon auf einer früheren Stufe hat sie aufgehört zu existiren, und diese frühere Stufe, von der nach der einen Seite die Entwicklung zu den Anthropoiden, nach der anderen zum »missing link« und zum Menschen ihren Weg genommen hat, war gewiss eine der körperlichen Gestalt und Kraft nach kleine Affenart, die sich ganz gewiss nicht im Gefühl der Sicherheit behaglich wiegte und ihren Ohren jene dauernde Ruhe gestattete, aus der die Involution ihrer Muskeln resultirte.

Eine andere Theorie !) sucht die Ursache in der allgemeinen Ver- minderung der zahlreichen Muskeln, die bei den Thieren die Oberhaut bewegen. Mit diesen sind aber wohl höchstens die sogenannten inneren, zwischen den einzelnen Theilen des Ohrknorpels verlaufenden Muskeln zu vergleichen, nicht aber auch diejenigen, die von aussen an das Ohr herantreten und es im Ganzen bewegen. Auch steht die Wichtigkeit der beiderseitigen Functionen nicht in Einklang mit einander, wenn man annimmt, dass die Ohrmuskeln sich entwickelt haben, um es den Schallwellen von allen Seiten zu ermöglichen, in den Gehörgang und zur Wahrnehmung zu gelangen; sie würden dann in dem Haushalt des Organismus eine bei Weitem wichtigere und unentbehrlichere Rolle spielen, als die Muskeln der Haut, ihre Rückbildung daher gewichtigere Gründe zur Voraussetzung haben müssen. Endlich bliebe bei dieser Theorie immer noch die Frage unbeantwortet, warum denn die Ohr- muskeln analog den Hautmuskeln zurückgebildet sind. Wir kommen auch hier auf Darwin, wenn er als die hauptsüchlichste Ursache rudimentärer Organe den Nichtgebrauch annimmt.

Nach Ranke?) ist man auch bei uns bestrebt, »die Ohren der

1) Nach Carus Sterne: „Die Krone der Schöpfung“. 2) „Der Mensch“, Bd. II.

248 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Kinder durch festgeschlossene Häubchen möglichst an den Kopf zu pressen, wodurch die Ohrmuschel ihre normale Fähigkeit, als Hörrohr zur besseren Auffassung des Schalles zu wirken, zum Theil einbüsst«. Soweit dies auf die Beweglichkeit der Ohren gemünzt ist, wie es von anderer Seite noch deutlicher ausgesprochen worden, genügt der ein- fache Hinweis auf die Anthropoiden und die Naturvölker, die auch ohne Kinderhäubchen keiner grösseren Aktivität der Ohrmuskeln sich erfreuen als wir, um das Irrige der Ansicht zu beweisen. Aehnliches meint vielleicht Magnus), wenn er schreibt: »Der Mensch hat zwar auch Muskeln, mit denen er seine Ohren bewegen kann, aber unter cultivirten Völkern ıst diese Fähigkeit in sehr geringem Grade aus- gebildet«. Bezüglich des. Gegensatzes, den Magnus hier etwas versteckt zwischen den »Wilden« und uns construirt, werden wir noch öfter Gelegenheit nehmen müssen, derartige aus früheren ober- flächlichen Beobachtungen geschöpfte Urtheile als unberechtigt oder falsch zurückzuweisen. | Die mitgetheilten Versuche, sich das Rudimentürwerden des Thier- ohres zu erklüren, gehen alle von der bisher unbestrittenen Ueberzeugung aus, dass die Muschel beim Thiere der Unterstützung der Gehórswahr- nehmung und der Bestimmung der Schallrichtung dient. Brehm sagt sogar ?): »Das äussere Ohr giebt einen so ziemlich richtigen Maassstab zur Beurtheilung der geringeren oder grösseren Entwicklung des Sinnes; d. h. alle Thiere, welche grosse stehende und bewegliche Ohrmuscheln besitzen, hören besser als diejenigen, deren Ohrmuscheln hängend, klein oder gar verkümmert sind«. Die Autorität eines Brehm natürlich in Ehren; aber ich kann mich einiger Zweifel an der unbeschränkten Richtigkeit dieses Satzes nicht erwehren. Muss es einmal nach Brehms eigenem Geständniss äusserst schwer sein, das Hörvermögen eines Thieres zu beurtheilen, schier unmöglich aber, die Differenzen ‘in dieser physiologischen Function zwischen verschiedenen Thieren der- selben oder verschiedener Gattungen auch nur einigermaassen festzulegen, so nöthigen noch andere Ueberlegungen zu einer vorsichtigen Kritik. Selbst wenn wir diejenigen Ordnungen bei Seite lassen, deren Ge- hörorgane wie anfangs erwähnt heute in Zweifel gezogen werden, kann die Existenz eines guten, ja vorzüglichen Gehörs bei fehlender Ohrmuschel in der Thierwelt nicht geleugnet werden. »Dass die Vögel ganz vortrefflich hören, geht sehon aus ihren tonkünstlerischen Be-

1) a. a. O. ?) Brehm's Thierleben, dritte Aufl, Bd. I, p. 17.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 249

gabungen hervor« sagt Brehm. Ueber die Monotremen lautet eine Notiz Bennett’s!): »Der Stacheligel hórt sehr leicht, sodass man sich sehr vorsichtig und langsam bewegen muss, da er beim geringsten Rascheln eines Blattes sich duckt und sich sofort in den Boden zu scharren beginnt«. »Das Gehör des Maulwurfs ist vortrefflich;« »alle Wale beweisen, dass sie Geräusche aller Art gut wahrnehmen »das Gehör der Pottwale muss gut sein, weil schon leichte Geräusche wahr- genommen werden;« »unter den Sinnen der Robben ist das Gehör trotz der fehlenden oder doch kleinen Ohrmuscheln vorzüglich »wenn wir, und wohl mit Recht, das Gesicht als den am höchsten entwickelten Sinn der Seehunde ansehen, dürfen wir wahrscheinlich das Gehór als den zweitbesten betrachten«. »Das Gesicht der Walrosse ist schlecht, das Gehör schon weit besser;« Bemerkungen, wie die vorstehenden, sind bei Brehm zahlreich und sicherlich auf Grund tadelloser Be- obachtungen gemacht. Das einzige Thier, das nach den Berichten neben dem Mangel einer Ohrmuschel auch nur über einen schlecht entwickelten Gehörssinn zu verfügen scheint, ist das Schuppenthier, doch sind bei ihm: auch Gesicht und Geruch höchst mangelhaft, sodass die geringe Hörfähigkeit schwerlich auf Kosten des fehlenden äusseren Ohres gesetzt werden darf.

Auf weitere. Widersprüche macht uns die Beobachtung der mit einer Ohrmuschel ausgestatteten Säugethiere aufmerksam. Das gewaltige Ohr des Elephanten ist sicher kein Schallfänger, und doch kennen alle Jäger sein scharfes Gehör; in der ganzen Katzen- und Marderfamilie verfügen die kleinen, oft winzigen Ohren über ein sehr feines, die kleinen fast versteckten des Bibers über ein vorzügliches Gehör, die hängenden Ohren der Hausthiere haben ihrer Hörfähigkeit keinen Abbruch gethan; innerhalb ein und derselben Thierfamilie wechseln Grösse und Form der Muschel, ohne dass ein entsprechender Einfluss auf die Sinnesfunction zu Tage tritt. Ä

Der Ohrenmaki vernimmt das leiseste Geräusch auch bei vollkommen eingerollten, den Gehörgang völlig abschliessenden Ohren; bei den Fleder- . máüusen, die man mir vielleicht entgegenhalten kónnte, scheinen mir die grossen Ohren die Function der Flughäute zu unterstützen. Cuvier?) führt sie freilich als Beweis für seine Behauptung an, dass »fast alle "Fhiere, die eine auffallend grosse Ohrmuschel haben, entweder furcht- same oder Nachtthiere sind und folglich das Dedürfniss haben, gut zu

1) Brehm's Thierleben, Bd. III, p. 716. 2) Cuvier „Vergleichende Anatomie“.

250 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

hóren«. Die ganz unverhältnissmässig entwickelte Grösse der Ohren, die oft grösser als der Kopf, ja fast so gross wie der ganze Körper sind, ihre zuweilen zu einer einzigen Ohrmuschel sich schliessende Breitenausdehnung, ihre überaus leichte Beweglichkeit und vor allem die merkwürdige Bildung eines besonderen Ohrdeckels führen mich zu der Annahme, dass entweder die letztere Klappe von jeher die eigent- liche Ohrmuschel gewesen ist, und die grossen bisher so genannten Ohren als Fortsetzungen der Oberhaut, als Hilfsorgane des Flugapparates in Anpassung an erhóhte functionelle Anforderungen aufzufassen sind, oder dass sich die ursprünglichen Ohrmuscheln in den Dienst einer anderen physiologischen Function gestellt und als Ersatz für sie die Ohrdeckel sich gebildet haben.

Um zu beweisen, dass die Flatterthiere ein scharfes Gehör be- sitzen, und durch dieses in ihrem Fluge geleitet werden unter der stillen Voraussetzung nämlich, dass Beides wieder auf der Grössenent- wicklung der Ohrmuschel beruht weist Brehm darauf hin, dass sie in ihrem Fluge irre werden und überall anstossen, wenn man die Ohrlappen und Ohrdeckel abschneidet. Ich glaube nicht, dass dieses Experiment etwas beweist. In der plötzlichen, bei der Grösse der ab- geschnittenen Theile und ihrer im Verhältniss zum ganzen Körper be- deutenden Schwere recht beträchtlichen Störung des Gleichgewichtes scheint mir eine genügende Erklärung für die Flugbehinderung zu liegen.

Was also die Erfahrung und der Laboratoriumsversuch beim Menschen gelehrt haben, dass nämlich die Ohrmuschel für die Function des Gehörs von untergeordneter Bedeutung ist, wird durch die Beobachtung im Thierreiche bestätigt. Halte ich daneben die vorhin erwähnten frucht- losen Versuche, auf Grund der bisherigen Anschauungen die Rückbildung des Ohres zu erklären, so liegt es nahe, den ursprünglichen Zweck der Ohrmuschel anderswo zu suchen. Denn nur auf der richtigen Erkenntniss dieses kann sich das Verständniss der Transformation aufbauen.

Ich wende mich wieder zur vergleichenden Anatomie und erfahre, dass zum ersten Male in der Thierreihe ein äusseres Ohr gefunden wird bei den Krokodilen: Zwei Hautfalten schliessen klappenartig den kurzen . und engen Moeatus bis auf eine schlitzartige Oeffnung ab; die obere grössere kann durch einen vom Os squamosum entspringenden Muskel bewegt werden, die untere kleinere ist mehr in die Höhe gerichtet. Die phylogenetisch erste Form der Ohrmuschel weist mit aller Ent- schiedenheit auf die Bedeutung einer Schutzvorrichtung, die für das Ohr in analoger Weise wie für das Auge geschaffen ist als Modification

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 251

des äusseren Integuments und wie das obere Augenlid seinen besonderen Levator erhält, damit die Lichtstrahlen zur Cornea gelangen können, so auch das obere »Ohrenlid« für den Zugang der Schallwellen.

In dieser Beziehung war mir eine Bemerkung Gradenigo's interessant. Er spricht !) von dem embryonalen Stadium der Vorwärts- biegung der Ohrmuschel, bemerkt, dass »bei einigen Säugethieren in derselben Epoche eine wirkliche epitheliale Anheftung der vorderen Fläche des Helix hyoideus an den freien Rand des Helix mandibularis stattfindet« und sagt: »Die erwähnte epitheliale Verschmelzung dürfte als analog dem Verschmelzungsprocess der Augenlidränder bei Säuge- thierembryonen betrachtet werden«.

Die Vögel besitzen keine Ohrmuscheln, nach Magnus ?), weil die Schallwellen in ununterbrochenem regelmüssigem Zuge zu ihren Ohren gelangen, mit untrüglicher Sicherheit daher die Stärke der Empfindung ihr Urtheil auf den Ursprung des Schalles lenkt und das Hilfsmittel des äusseren beweglichen Schallfüngers entbehrlich macht; wie Curtis) meint, weil sie ihnen sehr lästig sein und sich während des Fluges durch Dickichte und andere unzugängliche Orte leicht verstopfen würden. Das letztere beweist nur, dass das Ohr in der That, obschon es auf den ersten Blick so sehr viel weniger empfindlich und verletzbar erscheint als das Auge, eines Schutzapparates bedarf, und dieser ist durch die feinen elastischen Federn gegeben, die regelmässig, strahlig um die äussere Ohröffnung herum gruppirt sind. Vielleicht dienen die läng- lichen Hautwülste, die bei vielen Vógeln an der Innenfláche des kurzen membranósen Meatus externus sitzen, demselben Zweck; bei der Mehr- zahl der Eulenarten besteht die Ohróffnung aus einer Falte, die von oben nach unten zieht und aufgeklappt werden kann, sodass eine sehr ‚weite, durch die strahligen Federn ringsum noch vergrösserte Muschel entsteht (Brehm). Nachdem der ursprüngliche Zweck, das Ohr zu schützen, erfüllt war, konnte die weitere Entwicklung zu einer wahren Ohrmuschel unterbleiben.

Von Interesse und Bedeutung ist ferner, dass fast alle Säuge- thiere, die eine Ohrmuschel nicht besitzen, dennoch irgend eine als Schutzvorrichtung aufzufassende Bildung zeigen, die an die primitiven Hautfalten der Krokodile erinnert. Die Monotremen decken ihren weit

1) Gradenigo: „Ueber die Formanomalien der Ohrmusche]“. Archiv für Ohrenheilkunde, XXXIII, p. 3. 2) a. a. O.. 3) a. a. O. | "Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 18

259 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

hinten am Kopf unter dem stacheligen Pelz verborgenen Gehórgang durch eineu Hautsaum, den sie beim Lauschen emporheben und mit auffallender Schnelligkeit bewegen können. Die Ohren des Maulwurfs bestehen in einem kurzen Hautrande, der zum Oeffnen und Schliessen des Gehörgangs dient; ein erhöhter Hautwall umgiebt die Ohröffnung der Gürtelmaus und der Schuppenthiere; die Ohren der Seehunde sind verschliessbar, während beim Walfisch die stecknadelfeine Lumenver- engerung des Gehörganges allein diesen genügend schützt.

Aus dem mit einem Levatormuskel ausgestatteten Ohrdeckel hat sich die spätere Ohrmuschel entwickelt, indem durch Antheilnahme am allgemeinen Wachsthum, durch vermehrte Functionsansprüche, durch Anpassung an verändertes Schädelwachsthum die Fläche jenes Deckels sich vergrósserte. Das Fehlen eines hemmenden Knochenrandes wie beim Augenlid, die freiere Bahn für eine derartige Entfaltung möchte ich Demjenigen entgegenhalten, der mich an meine oben gezogene Parallele zwischen Augenlid und Ohrenlid erinnern will.

Die hängenden Ohren unserer Hausthiere wären hiernach kein eigentlicher Verlust einer erworbenen Eigenschaft, keine völlig neue Er- scheinung im Transformismus, sondern die Rückkehr zu einem Zustande, der in früheren Zeiten stationär gewesen ist. Als Ursache dieses Rück- falls bleibt der von Darwin und anderen betonte Nichtgebrauch an- erkannt; es klingt recht gezwungen, wenn Curtis!) sagt, dass die Spür- und Schweisshunde lang herabhängende Ohren baben wegen ihrer besonderen Eigenschaft, den Ton genau von der Erde zu hören.

Dass vermehrtes Grössenwachsthum die Vorstufe zu der hängenden Ohrmuschel ist, bestätigt Darwin selbst, wenn er den Vorgang auch nur für die Hausthiere kennt, während ich ihn als eine Entwicklungs- phase im Thierreich verwerthe. Er sagt über Zuchtrassen von Kanin- chen ?): »Es giebt auch Halbhängeohren, d. h. ein Ohr hängt, das andere steht aufrecht, es ist dann zuweilen das herabhängende Ohr breiter und länger als das aufrechte. Diese Verschiedenheit in der Stellung und Grösse der beiden Ohren weist wahrscheinlich darauf hin, dass das Hängen des Ohres eine Folge seiner grossen Länge und seines grösseren Gewichtes ist .. . In diesem letzteren Zusammenhang sehe ich, wie erwähnt, die Ursache für eine frühere, von den heutigen Ver- tretern der Thierarten überwundene Form der Ohrmuschel, für die

1) a. a. O. 2) „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der -Domestikation“. 3. Auflage 1878, I, p. 118, II, p. 348.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 259

könnte man sagen phylogenetische Hängeförm derselben, eine mehr oder weniger grosse, über den Gehörgang herabfallende schützende Hautfalte.

Einen ferneren Beweis sehe ich in der foetalen Entwicklung des menschlichen Ohres. Nachdem die erste Bildung desselben aus den wulstigen Rändern, welche die Schlundspalte äusserlich umgeben man vergleiche die Befunde bei den einer Ohrmuschel entbehrenden Sáuge- thieren vollendet ist, »wächst ?) vom Beginn des dritten Monats ab der hintere obere Theil der Ohrmuschel mehr aus der Kopffläche heraus, seine Rückflüche richtet sich dabei auf und sie biegt sich weiter- hin mehr und mehr vornüber, sodass schliesslich der Anthelix und die Fossa angularis völlig überdeckt werden. Dieselbe Veränderung tritt auf entsprechender Stufe auch bei Säugethierohren ein (Schaf, Schwein etc.) und während der Zeit kommt es bei diesen zur Ent- wicklung der Spitze der Ohrmuschel. Beim menschlichen Foetus dauert die Umkrempung der Ohrmuschel nicht lange, vielleicht kaum mehr denn einen halben Monat. Nach dieser Zeit tritt der Helix wieder zurück und der Anthelix wird abermals in seiner ganzen Ausdehnung frei«.

Erkennen wir in der ontogenetischen Entwicklung eine summarische Wiederholung der phylogenetischen Formenreihe, so dürfen wir meines Erachtens an der erwähnten kurzen Phase der menschlichen Ohr- bildung nicht achtlos vorübergehen, so können wir gar nicht anders, als in ihr die Erinnerung an eine frühere Zeit zu erblicken, in der jene Ohrform die bleibende war. Und diese Form ist wieder gar nicht anders zu verstehen, als eine die Gehörgangsöffnung deckende schützende Klappe, als ein »phylogenetisches Hängeohr«.

Durch die massigere Ausbildung der Ohrmuschel wurde nun eine entsprechende Verstärkung ihrer Muskeln nothwendig, sie mussten parallel der ersteren ihre Leistung erhöhen; die Anpassung an die gesteigerten Ansprüche stellte bald das Gleichgewicht her, dazu trat aber die aus dem Kampf um’s Dasein und aus der natürlichen Zuchtwahl resultirende Vermehrung der gesammten Körpermuskulatur und schuf für die Ohr- muskeln einen Ueberschuss, der zur Aufrichtung und dauernden Aufrecht- erhaltung der Hängeohren führte. Was am foetalen Ohr gegen Ende des dritten Monats geschieht, das Zurücktreten des Helix, das Lüften des umgebogenen hinteren oberen Randes ist die Wiederholung jenes im Naturzustande auf einer sehr niedrigen Stufe der Säugethierreihe vor sich gegangenen Processes.

Die abnorme Ansbildung ihrer Muskulatur ist allein der Grund für

3) His, „Anatomie menschlicher Embryonen“, III. p. 205. 18*

254 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

das lebhafte und charakteristische mimische Spiel, welches eine grosse ‚Reihe von Thierohren auszeichnet, nicht die Beziehungen zum Hörakt oder zur Psyche. Es sind Mitbewegungen gleich denen anderer Körper- muskeln, nur dass sie einerseits durch die besonders kräftige Thätigkeit, andererseits durch die leicht in die Augen springende Ansatzstelle und . die auffallende Form des bewegten Theiles die Aufmerksamkeit des Beschauers in aussergewóhnlichem Grade erregen. Ganz richtig sagt Buffon ): »Sie (die Ohren) sind bei den meisten vierfüssigen Thieren sehr bemerkenswürdig und tragen viel zum Aussehen des Kopfes der Thiere bei. An ihnen kann man abnehmen, ob das Thier noch frisch gesund oder ob es matt und krank ist«. Wenn er dann fortfährt, »die diesem Theile eigenen Bewegüngen der Muskeln bezeichnen das Gefühl des Thieres und entsprechen der Handlung, die in seinem Innern vor- geht«, so will er gewiss nicht sagen, dass die Ohrmuskeln in speciellen Beziehungen zur Psyche stehen, sondern nur, dass sie als ein Theil, freilich als ein ganz besonders engagirter Theil der Gesammtmuskulatur .die Vorgánge des seelischen Innenlebens wiederspiegeln. Denn weiter unten sagt er: »Die Pferde pflegen beim Schalle der Trompete die Ohren zu recken und scheinen eine stolze und feste Stellung anzunehmen«. Also dem gesammten Kórper theilt sich die Erregung mit, in der Stellung und Spannung sämmtlicher Körpermuskeln gelangen Temperament und Stimmung zum Ausdruck und mit ihnen in der Bewegung und Haltung der von einem so lebhaften Muskelspiel getriebenen Ohren.

Man könnte sogar sagen, wäre die Ohrbeweglichkeit beim Thiere eine direkte Folge der centralen Vorgänge der Psyche, so hätte sich die Muskulatur nicht in dem Maasse zurückgebildet, wie es in Wirk- lichkeit der Fall ist. Die Affekte haben sich nur quantitativ und quali- tativ modificirt; sie sind nicht von Grund aus andere geworden und die Anthropoiden haben sich nicht in der Ruhe der Domestikation, sondern im vollen Lebenskampfe, in der Wildniss entwickelt!

Mir scheinen daher auch die vielfachen Detail-Bemerkungen über Gemüthsbewegungen, die von den Ohren zum Ausdruck gebracht werden, etwas gesucht. Gratiolet bemerkt ?), dass, »wenn die Hunde sich zuneigungsvoll fühlen, sie ihre Ohren herabhängen lassen, um alle Laute abzuschliessen, sodass ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Liebkosungen ihrer Herren concentrirt werden kann«. Ich möchte darin eher. eine aus dem Gefühl der Ruhe, Sicherheit und Behaglichkeit, meinetwegen

1) Buffon, „Naturgeschichte des Menschen“. 2) Citirt bei Darwin’s „Ausdruck der Gemüthsbewegungen“.

‚J. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 255

auch der freundlichen Zuneigung und Anhänglichkeit resultirende all- gemeine Erschlaffung der Muskulatur sehen, wie sie Jeder aus der Be- obachtung der Thiere und Menschen kennt. »Werden die Ohren, sagt Darwin?) scharf nach hinten gezogen und dicht an den Kopf an- gedrückt, so wird damit ein böser Gemüthszustand gezeigt. Eine Erklärung dieser Haltung bietet die Sorgfalt, mit welcher sie es zu verhüten suchen, dass sie von ihren Gegnern bei den Ohren ergriffen werden«. Ich halte es für einen Theil der allgemeinen Muskelanspannung, soweit sie aus der Erregung des einen Angriff erwartenden oder vor- bereitenden Thieres unmittelbar und unbewusst hervorgeht. Nicht. anders scheint es mir mit den in Zorn und feindseliger Stimmung nach vorn gestreckten Ohren der Hunde, den drohend nach hinten gedrückten der Katzen, den erschreckt gespitzten der Pferde zu sein. Man wird auch hier die entsprechende Spannung in dem übrigen Körper nicht vermissen, wird auch hier die Stellung der Ohren als Mitbewegung auffassen dürfen. Wenn endlich das gejagte Thier die Ohren nach hinten gerichtet halten soll, um die Fusstritte des Verfolgers zu hören, und Darwin meint, es würde aus Gewohnheit auch gethan, wenn die Gefahr vor dem Thiere liegt, so scheint mir das erstere eine interessante Hypothese, das letztere aber nur ein ungeschickter Versuch zu sein, eine misslungene Erklärung quand m&me aufrecht zu erhalten. Es dürfte viel näher liegen, wenn die Ohren sich der langgestreckten Körperhaltung des ventre & terre hinjagenden Thieres gleichfalls anpassen und sich deshalb in selbstver- ständlicher Weise nach hinten an den Kopf anlegen, schon weil alle verfügbare Kraft den Extremitäten zugeführt wird, um der Gefahr zu entrinnen, den Ohren nur die spannende Erregung des Gesammtkörpers übrigbleibt, und weil dem Luftwiderstand so wenig Körperoberfläche wie möglich dargeboten werden soll.

Ist die organische Entwicklung bis zur Ordnung der Affen vor- geschritten, so sehen wir an der Form der Ohrmuschel sich weitere ein- greifende Aenderungen vollziehen. Bei den niederen, Cercopithecus-, Macacus- und den meisten Cynocephalusarten wird das Ohr kleiner, rundlicher und platter, sodass nur die scharfe Spitze nach hinten und oben vorspringt und dadurch mehr in die Augen fällt, die Muskulatur des Ohres redueirt sich, erhält ihm auf dieser Stufe aber noch die, wenn auch geringere Beweglichkeit. Bei den höheren Affen, den An- thropoiden ist die letztere auf demselben rudimentären Stand angelangt,

1) Ebenda, 3. Auflage, p. 101.

256 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

auf dem sie beim Menschen bleibt. »Mir haben, sagt Darwin!), die Wärter in den zoologischen Gärten versichert, dass diese Thiere die Ohren nie bewegen oder aufrichten«.

Gleichzeitig legt sich der äussere scharfe Rand des Ohres nach innen um, rollt sich zur krämpenartigen Leiste des Helix ein, und vereinzelt zeigt sich am unteren Rand der Muschel das Ohrläppchen.

Man behauptete früher, dass nur der Mensch ein solches besitzt. Gegenbauer?) spricht es ausdrücklich aus: »Das Lüppchen fehlt dem sonst dem menschlichen Ohre sehr áhnlich gestalteten Ohre der anthro- poiden Affen«. Zu wenig concedirt auch Kuhn ?), wenn er sagt: »Nur bei den anthropoiden Affen findet sich eine geringe Andeutung des Ohrlüppchens, das eigentlich nur beim Menschen sich findet und daher eine charakteristische Bildung des menschlichen Ohres darstellt«. Ich finde in den Hartmann'schen Abbildungen so oft und so deutlich aus- gesprochene Läppchenbildung, dass es nicht angeht, sie dem Gorilla, Schimpanse und Orang nur bedingt zuzuerkennen, besonders wenn wir später erfahren, wie oft auch der Mensch sie vermissen lässt. Nur dem Gibbon fehlt nach Hartmann *) stets ein abgesetztes Lüppchen. In den berühmten Lübecker Anthropoidengruppen haben alle vier Gorillas ein deutliches, im Verhältniss zur Ohrgrösse entwickeltes Läppchen, bei den Orangs und Gibbons verjüngt sich das Ohr nach unten in zierlicher ge- rundeter Schweifung ähnlich dem menschlichen Läppchen, wird aber nicht wirklich abgesetzt, soweit die Schrumpfung am ausgestopften Exem- plar es erkennen lässt. Bei den Schimpansen scheint das gesammte Muschelmaterial für das excessive Breitenwachsthum des Flügelohres verbraucht zu sein.

Der ontogenetische Reflex fehlt auch diesen in der Thierreihenent- wicklung erfolgten letzten Veränderungen nicht. Während vom 4. bis 6. Monat die Ohrmuschel ihre thierähnlichste Gestalt besitzt, überall, mit Ausnahme der Nachbarschaft der oberen Insertion, einen frei ent- falteten Rand, stets an bestimmter Stelle eine deutliche Ohrspitze be- sitzt °), beginnt dann »ein Reductionsprocess der Ohrfalte, welcher sich

1) „Abstammung des Menschen". 1875, I, p. 18.

2) Gegenbauer: „Lehrbuch der Anatomie des Menschen“. 2. Aufiage 1885, p. 1011.

®) Kuhn: „Vergleichende Anatomie des Ohres“ in Schwartze’s Hand- buch der Ohrenheilkunde 1892, Bd. I, p. 190.

4) Hartmann: „Der Gorilla“ 1880 und ‚Die menschenähnlichen Affen 1883“.

5) Schwalbe: „Das Darwin’sche Spitzohr beim menschlichen Embryo“. Anatomischer Anzeiger 1889.

I. Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 257

im Wesentlichen in Einrollung des Ohrrandes und stärkerer Ausbildung des Anthelixsystems ausprägt«. Das Ohrläppchen beginnt nach dem 3. Monat !) als selbstständiger Theil hervorzutreten, indess der hinter der Anheftungsecke gelegene Theil der Taenia lobularis sich nach unten hin ausbaucht. Aber erst nach dem 6. Monat wird das Läppchen wirklich frei und abgesetzt. Nach Schäffer ?) beginnt »zugleich mit der ersten Spur seiner (des Ohrläppchens) Bildung auch der Helix- rand sich umzukrempen, wenn auch nur schüchtern bis zu dem Scheitel hin«.

Wodurch mag diese Reduction der Ohrmuschel entstanden sein? Darwin sagt ?): »Der Helix besteht offenbar aus dem nach innen ge- falteten äusseren Rande des Ohres, und diese Faltung scheint in irgend einer Weise damit zusammenzuhängen, dass das ganze äussere Ohr be- ständig nach rückwärts gedrückt wird«. Ich möchte glauben, dass ein derartiger constanter Druck auf die Muschel eine Abplattung ihrer Oberfläche zur Folge haben müsste statt einer Umknickung nach vorn. Eher liesse sich ein von hinten ausgeübter Druck als Ursache denken; aber der würde viel mehr die ganze Muschel nach vorn vom Kopfe abdrängen, also ein abstehendes Ohr bedingen, als einen so schmalen Streifen des Randes allein plattdrücken. Nebenbei sei daran erinnert, dass man Missbildungen des Ohres, wie die Spaltungen des Ohr- läppchens u. a. auf Amniondruck zurückführt; es dürfte misslich sein, die gleiche mechanische Ursache für die Erklärung normaler Entwick- lung und pathologischer Processe zu verwerthen.

Wie man sich den Verlust der Beweglichkeit des Ohres bisher gedeutet hat, wurde bereits auseinandergesetzt; es bleiben noch die An- sichten über die Entstehung des Ohrlüppchens zu referiren.

Gegenbauer?*) denkt sich folgenden Zusammenhang: »Wo die Haut der knorpeligen Unterlage entbehrt, wie am hinteren unterm Theile der Helix, beginnt in jenem Gewebe reichliches Fett aufzutreten, welches noch bedeutender im ÖOhrläppchen sich zu entwickeln pflegt und dieses damit bildet«. Weshalb diese Fettbildung erst bei den anthropomorphen Affen oder, nach Gegenbauer selbst, erst beim Menschen vor sich geht, wird nicht gesagt. Schaafhausen?) setzt

1) His a. a. O., p. 216.

2) a. a. O.

3 Darwin's „Abstammung des Menschen“, 3. Aufl, I, p. 20.

4) a. a. O.

5) Schaafhausen: „Ueber Physiognomik“. Archiv f. Anthropologie 1888.

258 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

sich merkwürdiger Weise über jede naturwissenschaftliche Erklärung hinweg, ignorirt auch die Thatsachen der vergleichenden Anatomie und sagt: »Das Ohrläppchen hat nur der Kulturmensch, es ist durch die Ohrgehänge hervorgebracht und bei manchen Wilden wie bei den Botokuden unnatürlich ausgedehnt«. Ich glaube kaum, dass ein Anthropologe oder Ethnologe ihm darin Recht geben und in dieser An- Sicht etwas anderes finden wird wie eine arge Verwechslung von Ur- sache und Wirkung ). Schäffer?) lässt die Frage offen, ob das Ohrláppchen als akustisches Hilfsorgan gebildet wurde oder ob es »ein combinirtes Resultat des überschüssigen Hautfaltenwachsthums ist, welches hier ungestützt durch Knorpel umsomehr der Schwerkraft und dem Herab- wachsen anheimfällt, als der Mensch aufrecht geht«.

Man würde also mit Darwin die Reduktion des Thierohres auf Nichtgebrauch zurückführen können, wobei die Rückbildung der Mus- kulatur das Primäre wäre; dabei entsteht die Schwierigkeit, dass einmal bei den domesticirten Hausthieren der Nichtgebrauch eine Ver- grósserung der Ohrmuschel, ein ander Mal im Naturzustande die- selbe Ursache eine Verkleinerung derselben zur Folge gehabt hätte.

Nach allen diesen Erwägungen kann ich mir den Vorgang nur auf andere Weise erklären. Ich gehe von meiner mitgetheilten Auffassung aus, dass die ursprüngliche physiologische Bestimmung der Ohrmuschel die eines Schutzorganes ") ist, und finde den Beginn ihrer Reduction in dem Augenblicke, wo diese ihre Funktion nicht mehr benóthigt wird, d. h. wo die werthvollen inneren Theile des Gehórorganes durch einen längeren Meatus externus zur Genüge vor äusseren Schädlichkeiten be- wahrt werden. Ich habe versucht, durch vergleichende Messungen an den Gehörgängen der Säugethiere den exakten Beweis für diese Ver- muthung zu erbringen; Mangel an Material und, wie ich gern gestehe, an genügenden zoologischen Kenntnissen sind die Ursache dafür, dass ich es bei der Vermuthung lassen muss. Es hat mir den Anschein, aber ich kann es nicht beweisen, als gehe die steigende Entwicklung der Säugethiere einher einerseits mit der Ausbildung eines längeren Gehörganges statt durch die Länge kann der Schutz auch erreicht

1) Näheres siehe Karutz: „Ohrdurchbohrung und Ohrschmuck*. Globus, Bd. LXX, No. 12 und 13. :

2) a a. O.

3) Nur bei Galen finde. ich dem Ohre nebenbei die Funktion zugesprochen, „die inneren Theile zu schützen“. Die Hauptsache war auch ihm jedenfalls das Auffangen des Schalles.

IL Zweck und Gestaltung der Ohrmuschel. 259

werden durch Aenderung der Richtung nach vorn, oben, hinten oder unten oder durch Ausbildung einer den Ohreingang umrahmenden starken Knochenspapnge, wie beim Seehund und andererseits, parallel zu ihr, mit einer Verkleinerung der Ohrmuschel. Ja, innerhalb derselben Ord- nungen scheint es mir, als hätten die grösseren, durch mächtigere Aus- bildung des Kopfskelettes ausgezeichneten Thiere die kleineren Ohr- muscheln.

Die Vermuthung muss umsomehr eines Beweises entbehren, als wir in den heutigen Artvertretern ja bekanntlich nicht die Entwicklungsphasen der Thierreihe so vor uns haben, wie sie direkt aufeinander gefolgt sind. Für die letzten Stufen drückt das Vogt!) so aus: »Der Mensch kann weder von einem der bis jetzt bekannt gewordenen fossilen, noch von einem der lebenden Affen abstammen. Vielmehr müssen beide Typen einer gemeinschaftlichen Grundform entstammen, die in der kindlichen Be- schaffenheit noch stärker ausgedrückt ist, weil das kindliche Alter der- selben näher gerückt ist«. .So ist es aber in der gesammten Thierwelt. Nirgends sehen wir eine der bekannten Arten sich unmittelbar an- schliessen an eine andere derselben, sondern überall fehlen uns die verbindenden Zwischenglieder, überall müssen wir uns beschrünken auf einen durch gewisse Aehnlichkeiten verbürgten, aber nur lockeren Zu- sammenhang; müssen in den gegenwärtig lebenden Thieren nur die Aeste eines Baumes sehen, dessen Stamm längst im Weltenbrand zur Asche geworden; oder besser, wie ein Strom, viele Seitenarme aus- schickend durchs Land zieht, durch elementare Gewalten aus seiner Bahn geworfen wird und verschwindet, seine einstigen Nebenflüsse aber als abgeschlossene Seen zurückbleiben und aus sich selbst sich forterhalten so sind auch die heutigen Species stehengebliebene Reste eines ver- zweigten Systems, dessen Axe vom Erdboden verschwunden und unserer Kenntniss verloren gegangen ist.

Nachdem die Verkleinerung der Ohrmuschel infolge der Abnahme der an sie als Schutzorgan gestellten Ansprüche begonnen hat, folgt ihr in entsprechender Anpassung die Rückbildung der Muskulatur, die Bewegungen des Ohres werden eingeschränkter, bis sie bei den Anthro- poiden und Menschen in der Regel gänzlich ausgeschaltet werden. Damit hört auch die dauernde Spannung auf, die in allen Theilen der Muschel durch den beständig, namentlich nach hinten oben wirkenden Muskelzug unterhalten war. Hierdurch sinkt der obere Theil des

1) Carl Vogt: „Die Säugethiere in Wort und Bild“.

260 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Ohres herunter, faltet sich und wandelt sich zum Helix um. An ihrem unteren Pole entsteht durch dieselbe Ursache das Ohrlüppchen. Wenn Schüffer!) für die Bildung des Letzteren die vereinigte Wirkung des aufrechten Ganges des Menschen und der natürlichen Schwerkraft be- schuldigt, so weiss ich nicht, ob unsere Ohren in ihrer Lüngsachse zur Erde wesentlich anders gestellt sind wie die der übrigen Säugethiere- Ich meine, auch bei ihnen liegt die Stelle der späteren Läppchenbildung am tiefsten Punkte des Ohres, sodass die Schwerkraft auch bei ihnen hätte wirken können. Dem aufrechten Gange aber ausserdem eine Wirkung auf so winzig kleine Körpertheile zuzuschreiben, könnte die Frage berechtigen, warum zum Beispiel nicht auch hängende Unter- lippen, geschwollene untere Augenlider oder dergl. von ihm verursacht würden. Die mechanische Entstehung ist mir ebenfalls die wahrschein- lichste, aber ich halte das Aufhören des entgegenwirkenden Muskelzuges für erforderlich, damit unter dem Gewicht der eigenen Schwere allmählich jener Hautanhang heraustritt: Daher das gleichzeitige Auftreten des Helix und des Läppchens bei den Anthropoiden, daher die oben er- wähnte zeitliche Uebereinstimmung ihrer Bildung beim menschlichen Foetus.

Mir scheint daher auch die Bemerkung Binder’s?) nicht ganz logisch zu sein, dass es auffallend sei, »dass bei einem der Verkümmerung anheimgefallenen Organ sich im Verlaufe der fortschreitenden Verkümme- rung im Gegentheil einige Abschnitte neu hinzu entwickelt haben, die sich bei Thieren (Affen) nicht finden (deutliches Läppchen und Helix), welche beide uns doch Attribute des normalen menschlichen Ohres sind«. In ihnen besteht ja eben die Verkümmerung, sie eben sind das Product der Rückbildungsvorgänge, das Endglied das vorläufige Endglied in der Kette der Veränderungen, die das Ohr zu einem rudimentären Organ gemacht haben. Ob sie in diesem jetzigen Stadium als selbst- ständige Gebilde imponiren, ändert nichts an dem Wege, auf dem sie entstanden sind. Diesen Weg aber, heisst es, in seiner ganzen Länge zurückzuwandern, will man die Ursache der Verkümmerung ergründen; auf die ursprüngliche Anlage und auf die ursprüngliche Bedeutung der Ohrmuschel muss man zurückgreifen, wenn man eine einigermaassen be- friedigende Vorstellung von den Gründen gewinnen will, die zu ihrer Rückbildung geführt haben. |

1) a. a. O. 2) Binder: „Das Morel’sche Ohr“. Archiv für Psychiatrie, Bd. XX, p. 562.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmsl. 261

II. ‘Die Ohrform als Rassenmerkmal.

Ob mein Versuch, mir die Ursachen für die Rückbildung des äusseren Ohres klar zu machen, gelungen ist, muss ich dahin gestellt sein lassen; dass es aber in seiner gegenwürtigen Gestalt ein rudimen- täres Organ ist, wird die Voraussetzung für meine weiteren Ausführungen bleiben.

Die flüchtigste Beobachtung lehrt, dass die Form der Ohrmuschel so genau man auch für sie einen normalen Typus aufgestellt hat niemals bei zwei Individuen die gleiche ist, ja dass die beiden Ohren derselben Person unter sich meist wieder verschieden sind. Man braucht nur wenige Fälle hierauf zu untersuchen, und wird bald zu einer Ueber- zeugung von der wechselnden Gestaltung der Muschel gelangen, die sich mit der Zahl und Exaktheit der Beobachtungen nur befestigen kann. Diese Eigenschaft der Veränderlichkeit hat das Ohr gemeinsam mit allen übrigen Theilen der menschlichen nicht nur, sondern auch der thierischen und pflanzlichen Organisation und beruht nach Virchow!) darauf, dass in der Summe der constituirenden Theile eine mehr oder weniger grosse Anzahl eine von dem Typus abweichende Entwickelung nimmt oder, anders ausgedrückt, dass partielle Transformationen inner- halb des Individuums stattfinden.« Eine Sonderstellung nimmt das Ohr insofern ein, als wir es für ein rudimentäres Organ erklärt haben und ein solches jenes Gesetz der Variabilität ganz besonders lebhaft be- thütigt. »Rudimentüre Organe sind meist variabel, wie mehrere Natur- forscher bemerkt haben, denn da sie nutzlos sind, werden sie nicht durch natürliche Zuchtwahl regulirt und unterliegen mehr oder weniger dem Rückschlag. «?) |

Die individuellen Verschiedenheiten liegen in den Grössen- und Lageverhältnissen, in der allgemeinen Forn, in der feineren Modellirung und intimeren Ausführung der einzelnen Muscheltheile. Man spricht also von grossen oder kleinen, langen oder kurzen, schmalen oder breiten, ovalen oder runden, abstehenden oder anliegenden Ohren. Seitdem man ferner angefangen hat, der Struktur und den gegenseitigen Beziehungen der am Ohr bemerkbaren Windungen, Furchen, Gruben und Vorsprünge seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, sind eingehendere

1) Virchow, „Ueber den Transformismus“. Archiv für Anthropologie, Bd. 18, 1889.

2) Darwin, „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation,* 3. Aufl., II, p. 339.

262 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Schemata zur Classificirung der Befunde aufgestellt worden. Morel!), Féré und $églas?, Stahl?, Wildermuth^?, Binder), Gra- denigo®) haben sich vorzugsweise darum bemüht, feste Typen für die Ohrformen aufzustellen. Es genügt, auf ihre Arbeiten zu verweisen, von denen besonders diejenige Binder’s mit ihren 21 Gruppen eine gute Anleitung giebt, die Anomalien der Ohrmuschel auseinander zu halten. Vielfach scheint es mir freilich praktischer, diese abgeschlossenen Typen wieder in ihre Bestandtheile aufzulösen, scheinen mir in ihnen Formen vereinigt, die für ein klares Bild und für eine vergleichende Betrachtung und Kritik vortheilhafter getrennt bleiben; auch hat wohl Gradenigo Recht, wenn er es vorzieht, die Typen nicht unter dem Namen der Autoren aufzuführen, sondern wirklich zu schildern.

Ohne in diesem Augenblick auf die Details der erwähnten Sche- mata einzugehen, drüngt mir die Thatsache jener reichen Formen- mannigfaltigkeit an sich zunüchst die Frage^ auf, ob man nicht in ihr ein im engeren Sinne anthropologisches Hülfsmittel besitzen, ob man nicht wie nach der Form der Nase, der Lidspalte, des Schüdels, nach der Farbe der Haare nnd der Haut etc., so auch nach der Form des Ohres die Völker der Erde unterscheiden und bestimmen, vielleicht die Menschenrassen von einander abgrenzen könne; ob sich auf Grund der Beziehungen zum Thierohr und der Entwickelung aus diesem gewisse Arten jener Ohrbildungen finden liessen, die den Naturvölkern, den sogen. »Wilden« eigenthümlich, andere, die für die höherstehenden Kulturvölker charakteristisch sind. Es würde die Möglichkeit vorhanden sein, daraus für Zusammengehörigkeit, Ursprung und Entwickelung der Rassen klärende Momente zu gewinnen oder gar einen Baustein mehr für das unvollendete Gebäude. der Lehre von der Entstehung des Menschen. Umgekehrt könnten dabei auch einige Streiflichter auf die fragliche Entwickelnng des Ohres sich verirren.

Zuvor möchte ich es nicht unterlassen, auf den Werth hinzuweisen, den die Inconstanz seiner Form dem Ohre für die individuelle Anthro-

1) „Traité des dégénérescenoes," 1837.

?, Contribution à l'étude du quelques variétés morphologiques du perillon de l'oreille humaine.*“ Revue d'anthropologie 1886.

3) Zeitschrift für Psychiatrie, Bd. XVI.

4) Württembergisches Correspondenzblatt 1886, No. 40.

5) a. a. O. |

6) „Zur Morphologie der Ohrmuschel bei gesunden und geisteskranken Menschen und bei Delinquenten.“ Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXX und „Ueber die Formanomalien der Ohrmuschel, ebenda Bd. XXXII und XXXIII.

e

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 263

pologie geschaffen hat. Langer sagt in seiner Anatomie der äusseren Formen des menschlichen Körpers »Die Varietäten in den Umrissen und der Modellirung der Ohrmuschel sind ausserordentlich zahlreich und mitunter so eigenthümlich, dass sie geradezu als individuell bezeichnet werden können und thatsächlich Polizeibeamten Kennzeichen für Indi- vidualität abgeben.« Ebenso Ranke!) »Diese charakteristischen Form- verschiedenheiten des Ohres bei der europäischen Bevölkerung können sich fast bis zu individuellen Kennzeichen steigern, auf welche die Polizeibeamten bei Constatirung der Identität von Persönlichkeiten schon

zu achten pflegen.« Wo Mies?) räth, mit Hülfe von Körpermessungen

das Wiedererkennen von Personen zu erleichtern, giebt er auch specielle Anleitung über das Messen des Ohres, 1890 empfiehlt Boulland die Verschiedenheiten der Ohrform zur Identificirung zu benutzen und in neuester Zeit hat gànz besonders Bertillon wieder darauf auf- merksam. gemacht, dass das Ohr wührend der ganzen Lebensdauer un- veründert bleibt und deshalb, sowie wegen seiner charakteristischen Formen besonders geeignet ist, die Identitüt von Verbrechern z. B. festzustellen. In der »Bertillonage« werden die Photographieen der Ohrmuscheln eine wichtige Rolle spielen. '

Die Ethnologie der Ohrvarietüten hat man bislang nur aphoristisch oder mindestens einseitig behandelt. Das Alterthum überliefert uns die hübschen Kindermärchen von den indischen Völkern mit Hundsohren, von Solchen, die ihre bis zur Erde reichenden Ohren als Schlafdecken benutzen oder sich hinter ihnen verstecken konnten, von Menschen in Afrika, die ihre Ohren gleich Flügeln vorstreckten, sodass man glauben kónnte, sie wollten auffliegen, von Vólkern ohne Ohren und Nasen u. s. w. So albern diese Erzählungen klingen, so sehr halte ich sie nur für Uebertreibungen, nicht für willkürliche Erfindungen’), für Aufschneidereien Jener, die über die schulterberübrenden Ohrlappen erstaunt sein mussten, die sie in den exotischen Ländern so verbreitet fanden. Wenn wir heute noch von Forschungsreisenden hören, dass sie z. B. in dem mächtigen centralafrikanischen Königreiche Uganda auffallend viel ohren- losen Menschen begegneten, weil das Ohrabschneiden zu den beliebtesten Strafmitteln dort gehört, so sehe ich nicht ein, weshalb nicht ähnliche Facta die alten Seefahrer und die Schriftsteller, die von ihnen sich

1) „Der Mensch“, II. p. 39.

2) „Ueber Körpermessungen etc.“ Correspondenzblatt der deutschen Ge- sellschaft für Anthropologie, 1891, p. 127.

3) Karutz. a. a. O.

264 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

ihre Kenntnisse holten, zu verfrühter Generalisirung und zu den Be- richten von ganzen Völkern, denen die Ohren fehlten, verleitet haben sollten.

Ist Volksaberglaube im Spiel, so entstehen, begünstigt von religiösem Hass und unbewusster Scheu, Geschichten, wie die norddeutsche von. den Schweinsohren der Juden.

Die Reiseberichte der im Anfang der neuen Zeit auf den länder- verbindenden Meeren sich herumtreibenden Abenteurer bringen über die Ohren der fremden Völker wenig, und dieses Wenige ist so allgemein und nichtssagend oder geradezu unverständlich, dass man es nicht gebrauchen kann, aber auch nicht gebrauchen sollte; es besteht ferner nur aus oberflächlichen Eindrücken, aus Einzelbefunden. die man sich hüten muss für durchgehende ethnologische Merkmale zu nehmen. Von den Singhalesen heisst es so, »die Ohren sind lang und offen«, von den Siamesen »die Ohren sind etwas grösser als beim Europäer«, von den Baschkiten: »viele haben grosse Ohren«. Die Chinesen sollten »weit- geöffnete, lange und breite, schlaffe«, die Malabaresen »breite lang herabhüngende«, die Abessinier »etwas lange Ohren« haben. Das Ohr der Albinos sollte von dünnerem Gewebe, häutiger als bei anderen Menschen, das Ohrläppchen lang und schlaff sein. Schon Buffon weist diese letztere Behauptung als »natürlich sich nicht bestätigend« zurück. Nach ihm haben die Samojeden und Kalmücken grosse ab- stehende, die Nikobaresen grosse, die Ceylonesen breite hängende Ohren. Vielfach wird auch, wie man sieht, die künstliche, durch Ohrenschmuck entstandene Deformation mit den Bemerkungen über grosse Ohren ge- meint sein.

Die Ueberzeugung von der Inferiorität der Naturvölker war damals und noch lange danach so allgemein, dass man als etwas Selbstver- ständliches wie alle möglichen anderen thierischen Merkmale, so auch thierähnliche Ohren den Wilden zuschrieb. Nur der völlige Mangel persönlicher Beobachtung neben kritikloser Speculation kann Blumen- bach’s Ausspruch!) erklären, dass die wilden Menschen bewegliche abstehende Ohren und deshalb ein ungleich schärferes, weiter reichendes Gehör haben als wir. Das war freilich in einer Zeit, wo man ernst- lich darüber discutirte, ob die Neger überhaupt Menschen seien, wo Sömmering’s Schrift?) »Ueber die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer« missverstanden werden konnte und er »um allen

1) , Vom Bildungstriebe*, S 39. : 2) Frankfurt und Mainz 1785.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. ` 265

gehüssigen Schlüssen und Missbrauche vorzubeugen« es noch besonders aussprechen musste »die Negern sind wahre Menschen, so gut wie wir«. Und doch hatte schon fast fünfzig Jahre früher Montesquieu!) seinen Landsleuten die bitteren Worte entgegen gerufen: »Il est im- possible que nous supposions que ces gens-là (les nègres) soient des hommes, parce que, si nous les supposions des hommes, on commencerait à croire que nous ne sommes pas nous-mêmes chrétiens. «

Eine ähnliche Kritiklosigkeit erzählt Virchow in seiner Ab- handlung ?) »über die Weddas von Ceylon«, ein gewisser Bennett hatte von ihnen gesagt »Their ears seemed almost as restless as their eyes.«

Die Negerohren bezeichnet Sömmering als »gewöhnlich ründ- licher als bei uns und, fürwahr schon etwas weniges dem Affen ähn- licher, an manchen schienen sie mir auch etwas mehr vom Kopfe abzu- stehen.« Es ist interessant zu sehen, wie hier bereits die Affentheorie herumspukt, wie man bemüht ist, directe Aehnlichkeiten zwischen den Negern und den Affen herauszufinden. Das Ohr war leider für diese Bestrebungen ein undankbares Object. Burmeister?) sagt: »Die Kleinheit der Ohrmuscheln bei den meisten Negern ist wahrhaft über- raschend, sie steht in einer augenfülligen Harmonie mit der Nase und weicht sehr von dem breiten flachen Ohr der Affen ab. Bei allen Negern ist die Krümmung des Randes stark, besonders nach hinten, wo sie beim Affen völlig verschwindet und dieser Umstand bildet im Bau des Ohres einen der hervorragendsten Züge der Menschheit.« An anderer Stelle spricht er von »ganz auffallend kleinen, im oberen Theil besonders stark abstehenden, dickwandigen Ohren.« Auch Peter Camper*) sagt: »Die Neger haben kleine Ohren; allein weil die Zitzenfortsätze des Schläfenbeins ebensoweit von einander entfernt sind wie die Joch- bogen, so stehen sie weit vom Kopfe ab, welches man bei allen trifft.« Das ist nach meinen eigenen Beobachtungen an mehreren tausend Negern ganz und gar nicht der Fall, die Berichte unserer Forscher, die Untersuchungen unserer modernen Anthropologen unterstützen mich in diesem Widerspruch, und ich glaube, ein Jeder wird sich durch einen Blick auf die Abbildungen der Neger in unseren Reisewerken von dem Gegentheil überzeugen. Auch den Eindruck, den Burmeister im Allgemeinen von ihnen gehabt hat, sie seien hässlich, ihre Substanz zu

1) „De l'esprit des lois“ Livre XV, Chapitre VIII.

2) Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1880/81. 3) „Geologische Bilder“ 1853, II, p. 129.

4) „Ueber den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge.*

266 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

dick gegen den Umfang, das Ohr mache eher den Eindruck einer ver- kümmerten zwerghaften als zierlichen niedlichen Bildung, habe ich nicht empfunden, sondern gebe vielmehr Hartmann Recht, wenn er sagt!) »Die Nigritier sind von mancher Seite mit krassem Unrecht des durch- gehenden Besitzes hässlicher affenähnlicher Ohren beschuldigt worden. Vielmehr zeigt dieser Körpertheil gerade unter den afrikanischen Schwarzen eine überwiegend gefällige Bildung.« Ich werde auf diese Frage noch einmal zurückkommen.

Bis in die neueste Zeit hinein begnügte man sich mit ein paar kurzen zum Theil sich widersprechenden Bemerkungen über die vom anthropologischen Gesichtspunkte aus unterscheidbaren Formen der Ohr- muschel; weil man nichts Bestimmtes vorzubringen hatte, blieb es bei der Wiederholung der älteren, oberflächlichen, weniger aus Erfahrung geschöpften als auf herrschende Theorien willkürlich gegründeten Ur- theile. Ohne ernstlich nachzuprüfen, kommt man so mit einigen Redens- arten über die heikle Stelle hinweg. »Wie ich von Prof. Preyer höre, fehlt es nicht selten beim Neger« lautet über das Ohrläppchen eine Stelle bei Darwin?) Gegenbauer) meint, es werde regel- mässig bei einzelnen Negerstämmen vermisst, nach Burmeister ist »der Ohrlappen klein, obgleich wie das ganze Ohr, sehr fleischig.«

Etwas ausführlicher ist Topinard), der bedauert, dass die Ohren nicht genug studirt worden sind »car eiles fournissent des caracteres d'une certaine valeur.« Was nützen indess Bemerkungen, wie »die Kabylen haben die Ohren theils abstehend, theils anliegend« oder »das Läppchen fehlt bei gewissen Kabylen der Provinz Constantine«! Bei den Negern nimmt nach ihm das bei dem Europäer ovale wohlgeformte (bien dessinée) Ohr eine runde oder viereckige Form an. Er stellt auch einen besonderen Type Berber mit abstehenden Ohren auf. 1893 noch gesteht Kurella°) »Die Ethnologie der Ohrmuschel-Varietäten ist noch wenig erforscht« und weiss nur die oben citirte Preyer'sche Bemerkung und die Mittheilung über die Kabylen von Constantine anzu- führen. Hartmann sagt®): «Nach dem Wenigen, was ich in Bezug auf die Australneger, die Malayen, Mongolen und Indianer selbst in Erfahrung

1) „Die menschenähnlichen Affen“ 1883, p. 84 ff.

2) „Abstammung des Menschen“ I, p, 19.

3) a. a. O.

4) „L’anthropologie“ Troisieme Edition Paris, 1879, p. 372. 5) ,Naturgeschichte des Verbrechers^ 1893, p. 80.

6) a. a. O.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. - 207

zu bringen vermocht. dürfte die individuelle Variation auch unter diesen Völkern häufig vorkommen.< Schäffer!) endlich stellt die zerstreuten Notizen zusammen, dieer Ranke, Schwalbe, Langer und Anderen entnommen hat. Dabei laufen natürlich auch manche der älteren »er- erbten« Ansichten mit unter; mancher individuelle Ohrbefund wurde als typisch angesehen und geht, wie das Langer'sche Buschmannohr, von Buch zu Buch, um endlich zum Typus der Rasse zu werden. Schäffer weist selbst auf den Mangel einer anthropologischen Ohr- statistik hin und will auch nur das wiedergeben, was er vorgefunden hat. Es ist herzlich wenig. Diese Thatsache jedoch unserer dürftigen Kenntnisse über die Ohrformen der fremden Völker und Rassen wird nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass wir bis vor Kurzem auf die Mittheilungen von Reisenden angewiesen waren, die kaum ana- tomisch, geschweige denn anthropologisch vorgebildet, meist auf flüchtigen Pfaden durchs Land eilend nur eine geringe Zahl der einzelnen Stamm- vertreter beobachten konnten und die nach dem ersten allgemeinen Eindruck ihre Notizen machten, wobei der Wunsch, etwas Absonderliches an den Exoten zu constatiren, oft wohl noch der Vater des Gedankens und der Tagebuchbemerkung war. Speciell für das Ohr hatten sie kaum einen sicheren Maassstab betreffs Grüsse und Form aus der Hei- ` math mitgebracht, um die Proportionen richtig schützen und ein unan- fechtbares Urtheil abgeben zu kónnen.

Als dann der wissenschaftliche Zweck der Reisen in den Vorder- grund zu treten begann und Schemata zum Einzeichnen für die Forscher ausgearbeitet wurden, vergass man das Ohr fast ganz. In dem von Virchow ausgearbeiteten anthropologischen Theil der vielfach be- nutzten Neumayer’schen »Anleitung zu wissenschaftlichen Beobach- tungen auf Reisen« (1875) fehlt es unter den geforderten Messungen und unter den 28 Nummern des Schemas gänzlich. Es wird nur auf die Deformation durch den Schmuck und auf diesen selbst als wichtig hingewiesen. Eine ebenso aphoristische Besprechung erfährt das Ohr in Schmidt’s »Anthropologische Methoden. « Darnach haben denn auch die Reisenden in der Hauptsache gehandelt. In neuerer Zeit reiht sich an die oft ausführlichen Bemerkungen über den Ohrschmuck hier und da das Maass der Ohrhöhe, eine allgemeine Notiz über die schöne oder hässliche Form und über Vorhandensein oder Fehlen des Läppchens. Ferner giebt der Import von Eingeborenen unserer Colonien jetzt reich-

1) a. 8. O.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Pd. XXX. 19

268 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

licher Gelegenheit zu genaueren Beobachtungen, die sich bisher aber immer im Rahmen der auch draussen von den Anthropologen und Eth- nologen befolgten Vorschriften halten und sich um das Ohr wenig oder gar nicht kümmern. So kommt es, dass so moderne Forscher wie O. Finsch grössere anthropologische Arbeiten veröffentlichen !), ohne des Ohres auch nur mit einem Worte zu gedenken. Unser Material wird nicht früher reichhaltiger, zuverlässiger und brauchbarer werden, als bis in den Schematen der Forschungsreisenden auch das Ohr in seinen Längen- und Breitemnaassen, seiner allgemeinen Form und dem speciellen Verhalten seiner einzelnen Abschnitte berücksichtigt wird. Von hóchstem Werthe für eine lohnende vergleichende Forschung würen dann Schuluntersuchungen nach Art der von Virchow ins Leben ge- rufenen Enquéte über Haut-, Haar- und Augenfarbe der Schulkinder in Deutschland. Dabei muss dem Streite Rechnung getragen werden, der, so kurze Zeit er besteht, so heftig und bislang unentschieden über die Bedeutung der Varietüten des Ohres geführt wird; den feineren Unterschieden in der Ohrgestaltung muss auch von den anthropologisch ausgebildeten Forschungsreisenden wie von den Anthropologen in der Heimath die Aufmerksamkeit zugewandt werden, die sie verdienen und die sie benöthigen, damit ihr wahres Wesen erkannt und mit Hülfe einer lückenlosen Anthropologie der Ohrmuschel ihre Beziehung zur Persönlichkeit ihres Trägers richtig gewürdigt bezw. richtig gestellt werden kann. Ä

Wenn ich mich nun bemüht habe, aus einer Durchsicht der neueren Litteratur positivere Werthe für die Ethnologie des Ohres zu erhalten, als sie bis jetzt bekannt geworden sind, so ist das Resultat in Bezug auf diese Varietäten ausserordentlich dürftig; von einem bandförmigen oder fehlenden Helix, von dem Anthelix und seinen Schenkeln ist nirgends, vom Darwin'schen Knótchen, dem Ansatzwinkel etc. ver- schwindend selten die Rede, während über die Grösse, allgemeine Form und besonders über das Läppchen die Notizen etwas reichlicher fliessen. Wie schon ausgesprochen, wird es so bleiben müssen, bis das Binder- sche oder sonst irgend ein Schema über die Ohrvarietüten in die Ta- bellen eingefügt wird, deren sich der Forscher auf einer Expedition oder Station bedienen soll. Zusammen mit den in der Heimath ge- wonnenen grósseren Daten wird dann unser Blick das Vorkommen. der Formverschiedenheiten der Ohrmuschel prüfen kónnen, ungetrübt von

1) „Anthropologische Ergebnisse einer Reise in der Südsee,“ Zeitschr. für Ethnologie, Supplement 1883.

un m u si

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 269

dem Glanz des Neuen, Ungewohnten, frei von dem enthusiastischen Uebereifer, der an eine junge Entdeckung, eine unbekannte Erscheinung sich heftet.

Es würe móglich, dass einem spüteren Bearbeiter dieses Gegen-

Standes dann eine Zusammenstellung des bisherigen Materiales, wenn sie auch klein und unvollstàndig sein mag recht gelegen kommt. Ich habe die folgenden Zahlen und Bemerkungen vorwiegend der Zeit- schrift für Ethnologie, dem Archiv für Anthropologie, der Revue d'an- thropologie und den Verhandlungen der Rerliner anthropologischen Ge- sellschaft entnommen. e Ich wende mich zum Beginn den Maassen der Ohrmuschel zu, wobei ich bemerke, dass es im Interesse einer vergleichenden Darstellung geboten schien, die bisher übliche Länge des Ohres, die physiognomische, beizubehalten statt der morphologischen, die Schwalbe nach seinen Untersuchungen über die Entwickelung der Muschel als die wahre Ohrlänge erkannte und deren Einführung in die Praxis er für noth- wendig erachtete.')

Die Länge der Ohrmuschel wechselt nach Quain-Hofmann?) zwischen 5 und 7 cm, nach Schäffer?) zwischen 50 und 73 mm, nach Frigerio*) bei 37?/, normaler Personen zwischen 40 und 50, bei 639/, zwischen 51 und 60mm. Kurella, offenbar Frigerio als Gewührsmann folgend, legt sie in der Norm zwischen 50 und 55 mm. Diese niedrigen Zahlen. die sowohl mit denen Quain-Hofmann's und Schäffer’s wie mit meinen und den von mir vorgefundenen Zahlen in auffallendem Widerspruch stehen, weiss ich mir nicht zu er- klären. Ob sie in Wirklichkeit typisch sind für die Italiener oder ob das Läppchen bei den Messungen ausgeschlossen wurde, jedenfalls ent- sprechen sie nicht dem Durchschnitt unserer Bevölkerung und werden mir daher auch später Gelegenheit geben, die aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen anzuzweifeln.

Elsholz?) berechnet die Ohrlünge auf */,, der ganzen Kórper- làge, Albrecht Dürer auf !/, der Kopflünge oder gleich der

1) „Beiträge zur Anthropologie des Ohres“ in „Internationale Beiträge zur wissenschaftlichen Medicin“ Bd. 1, Referat von Schäffer im Archiv f. Anthro- pologie, Bd. XXT.

2) Citirt bei Binder a. a. O.

8) a. a. O.

4) Citirt bei Kurella a. a. O.

5) Anthropometria 1655.

19*

270 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Nasenlünge. Ebenso sagt Carus!) »der rechte Maassstab für die Länge des Ohres ist jedenfalls die Länge der regelmässig gebildeten Nase.« Nach ihm beträgt die Länge des Ohres 8 Modulminuten 60 mm, die Breite 4!/, Modulminuten 33,75 mm. Nach Peter Camper?) beträgt die Ohrlänge, die Höhe des Kopfes zu 4 gesetzt, beim Europäer und alten Menschen 1!/, beim Kalmücken 1!/,., bein Neger, den An- tiken, dem Neugeborenen und einjährigen Kinde 1. Nach Quetelet ist in allen Altersstufen stets die Länge des Ohres gleich der doppelten Länge der Augenlidspalte oder auch gleich der halben Höhe des Ab- standes der Ohröffnung vom Scheitel des Kopfes. | Die Breite des Ohres ist nach Elsholz = ?/,, der Körpergrösse, soll sich also zur Ohrhöhe verhalten wie 2:3. Aus Breite und Länge L--B 2 ihn umso höher, je niedriger die Rasse steht; so z. B. für Europäer 54, für Afrikaneger = 61,2, für Affen 90,5. Nach Schwalbe ist dieser Index = 52,4 bei Männern und 48,2 bei Frauen. Derselbe stellt noch einen anderen Index auf nach dem Verhältniss zur Kopfhöhe und findet ee 33,9, beim Gorilla 29,5, beim Orang 20,5, beim Schimpansen 41,2. Ich habe aus den erwühnten Zeitschriften im Ganzen 1452 Messungen fremder Vólker verwerthen kónnen, die sich folgendermaassen vertheilen: 780 Arier, 287 echte Neger, 163 Mongolen, 58 Malayen, 47 Papuas, 33 Amerikaner, 27 nilotische Neger, 14 Finnen (Lappen), 10 Semiten, 10 Australier, Singhalesen, Hamiten, Hottentotten und Buschmänner, Mischlinge von Indern und Negerinnen.

einen Index und findet

berechnet Topinard nach der Formel

~I

VN

1452

1) „Symbolik der menschlichen Gestalt,“ 1858, p. 245. 2) a. a. O. ) Citirt bei Ranke „Der Mensch.“

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 271

Die benutzten Messungen betreffen Ohrhóhe, Ohrbreite, Kórper- länge une Augenlidspalte, die meist aus der. halben Differenz der äusseren und inneren Augenwinkeldistanz berechnet ist. Die Ohrbreite wurde nur in einer einzigen Arbeit angegeben gefunden, bei Dr. Weissenberg (Elisabethgrod, Russland) »Ein Beitrag zur Anthro- pologie der Turkvólker«, Zeitschr.. f. Ethnologie 1892. Es sind russische Soldaten, die den Volksstimmen der Merschtscherjaken und der Basch- kiren angehören. Nur Ohrhóhe und Augenlidspalte enthielten die »Kopfmessungen kaukasischer Vólker«, ausgeführt von v. Erckert und publicirt im Archiv für Anthropologie Bd. 18 ünd 19; nur Kórperhóhe und Ohrhóhe v. Luschan's »Die Tachtadschy und andere Ueberreste der alten Bevölkerung Lydiens« (Archiv. f. Anthropol.. Bd. 19) in ihrem ersten Theil, während im zweiten Körpergrösse, Oh ghe und Augenlidspalte vorgefunden bezw. berechnet wurden.

Für Europäer konnte ferner benutzt werden :

Virchow, Ueber Bulgaren. Verhandl. der Berliner anthropologischen Gesell- schaft 1886. Derselbe, Ueber Lappen, ebenda 1885.

Für Afrikaner:

Virchow: Ueber Zulus, ebenda 1885.

Derselbe, Ueber Buschmänner und Hottentotten, ebenda 1886 Ben 1887. Derselbe, Ein Ukussoknabe, ebenda 1883.

Derselbe, Zwei Duallaknaben, ebenda 1891.

Derselbe, Ein Weiknabe, ebenda 1889.

Derselbe, Ein Masseiknabe, ebenda 189.

Dsrselbe, Darfurneger, ebenda 1885.

Dr. Ludwig Wollf, Centralafrikanisehe Neger, ebenda 1886. Mense, Neger vom oberen Congo, ebenda 1887.

Dr. Stuhlmann, Ostafrikaner, ebenda 189.

Derselbe, Dinkaneger, ebenda 1889.

Conradt, Togoneger, ebenda 1894.

Kund, Desgl,, ebenda 1889.

Dr. Zintgraff, Duallas, ebenda 1886.

Dr. Wollf, Haussas, ebenda 1891.

Graf Schweinitz, Ostafrikaner, ebenda 1893.

Keller, Somali, Globus LXX, No. 21.

Für Marokkaner: | Verhandl. d. Berl. Anthropol. Gesellsch. 1887 und 1889.

Für die Malayen:

Bässler, Batakstamm der Rajas auf Sumatra, ebenda 1892. Langen, Messungen etc., ebenda 1889.

919 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Für die Singhalesen: Virchow, ebenda 1885.

Für Amerikaner:

Virchow, Rella-Coola-Indianer, ebenda 1886. Derselbe, Chippeway-Indianer, ebenda 1882. Derselbe, Feuerländer, ebenda 1881. Derselbe, Eskimos von Labrador, ebenda 1880. Rohde, Payagua-Indianer (Paraguä), ebenda 1886. Dreising, Patagonier, ebenda 1883.

Für Australier:

Virchow, ebenda 1883 und 1884. Für Papuas:

Schellong, Beiträge zur Anthropologie der Papuas, Zeitschr. f. Ethnologie 1891, p. 156.

Langen, Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1889.

v. Luschan, ebenda 1893.

Die sonstige noch benutzte Litteratur ist in den Bemerkungen mitgetheilt.

Um die Maasse der fremden Rassen mit denen unserer Bevölkerung vergleichen zu können, suchte ich die bekannten Durchschnittszahlen durch eigene Messungen zu ergänzen, die an 273 Rekruten des hiesigen Bataillons (Hamburger Ersatz 1896), 27 anderen erwachsenen Männern 21 erwachsenen Frauen und 131 Kindern vorgenommen wurden.

Die Messungen ergaben mir nun Folgendes:

Unter 300 erwachsenen Männern schwankte die Ohrlänge zwischen 50 und 80, bei 21 erwachsenen Frauen zwischen 50 und 65 mm, so dass das Mittel bei Jenen 65, bei Diesen 60 beträgt, wobei allerdings die erstere Zahl durch die grössere Untersuchungsreihe zuverlässiger erscheint. Vergleiche ich hiermit den Ohrlängendurchschnitt der fremden Völker, so treten sie in folgender Reihenfolge an

Mongolen . . . . . . . 70,5 Malayen . . . . . . . 604,5 Arler . . . . . . . . 64 Ssemiten . . . . . . . . 64 Amerikaner . . . . . . 68 Papuas . . . . . . . . 61,5

Australier . . . . . , . 59,5 Echte Neger . . . . . . 58,5

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 273

Mischlinge . EU dA x ue 10d

Niltier. . . . . . . . 56

Finnen . . . . . . . . 55,5 Singhalessen. . . . . . 58. Hamiten . . . | 50,5

Hottentotten und Buschmänner 48,5

Hiernach hätten also die mongolischen Völker bei weitem die längsten Ohren, ihnen würden die mongoloiden und indogermanischen in ungefähr gleichen Zahlen folgen, dann die Papuas, Australier und afrikanischen Neger. Die niedrigsten Ziffern hätten die Finnen, Sing- halesen und Buschmänner. Auffallend und woh) nur durch Zufällig- keiten bei der geringen Zahl der Fälle erklärlich ist die niedrige Ohr- höhe der Hamiten, die wegen ihrer Abstammung mehr den arischen Völkern zuneigen sollten.

Diese Art der Gegenüberstellung liefert jedoch keine zuverlässigen Resultate. Unter den 163 Mongolen ist z. B. ein einziger mit der ungewöhnlichen Ohrlänge von 87, während die meisten sich zwischen 50 und 70 bewegen und erhöht durch sich allein den Durchschnittssatz um ca. !/,cm; unter den Hamiten ist ein einziger mit 40 mm und drückt das Mittel um !/,cm herunter. Wollte man sich daher allein an die Durchschnittszahl halten, so würden wir ganze falsche Vor- stellungen von dem realen Typus des Ohres bei den betreffenden Völkern gewinnen. wir würden namentlich bei kleineren Zahlen in den Fehler der alten Forscher und der oberflächlich urtheilenden Reisenden zurück- fallen. Richtiger werden wir treffen durch procentuarische Berechnung der Ohrhöhe.

Unter 300 erwachsenen Männern hatten eine Ohrlänge von

50—60 mm 67 = 22,3°/, 61—70 « 214= 713 « 71—80 « 19= 63«, bei den erwachsenen Frauen stellten sich die Zahlen auf 38], 61,9 « 0,0 «.

Die Frauen sind also durch eine kleinere absolute Ohrhöhe ausgezeichnet. »Das weibliche Ohr ist im Allgemeinen kleiner«, sagt auch Ranke.

274 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Die entsprechende. Berechnung bei den 1452 Individuen ver- schiedener Menschenrassen ergiebt folgende Zahlen. .. Es hatten eine Ohrhóhe von unter 50mm 50—60 61—70 71—80 mehr als 80

Mongolen . . . . 18,59 742°, 11,6%, 0,6°% Malayen . . . . . 56,9 « 34,4 « 8,6 « ATIEr + 3.3 a e à 0,1%, 26,1« 671« 6,5 « Semiten . . . . . 10 « 90 « Amerikaner . . . . 22,2« 559,2 « 18,5 « Papuas . . . . . 67,4« 304« 21« Australier... . . 70 « 30 « Neger. . . . . . 6,3 « 73,6 « 319,7« 0,3 « Mischlinge . . . . 50 « 50 « | Nilotische Stämme . . 3,7« 74 « 222« "Finmen . . . . . $,1« 714« 21,4« -— Singhaleen . . . . 14,3 « 85,7 «

Buschmänner . . . 71,4 « 28,5

R

Diese Tabelle lehrt zusammen mit den Zahlen meiner eigenen Messungen, dass die arischen, mongolischen und amerikanischen Völker in der bei Weitem grösseren Mehrzahl Ohrhöhen von 61—70 mm be- sitzen; die beiden Letzteren zeigen daneben einen grösseren Procentsatz von Ohrlängen zwischen 71 und 80 mm, aber durchaus nicht in einer so. beträchtlichen Höhe, um diesen Rassen durchweg ein grösseres Ohr zuzuerkennen. Die Malayen Papuas und Australier unterscheiden sich wesentlich durch den gemeinsamen höheren Satz von Ohren zwischen 50 und 60 mm. Den Negern, Nilotiern, Finnen, Singhalesen und Busch- männern kommen endlich in auffallend übereinstimmenden Zahlen die kürzesten Ohren zu.

Es fragt sich nun, ob diese Längenunterschiede in den Ohren der verschiedenen Völker selbstständige Rassezeichen sind, ob sie für sich allein genommen, herausgelöst aus dem Rahmen der Körperrelationen, typisch sind. Erst dann käme der Grösse der Ohrmuschel eine anthro- pologische Bedeutung zu.

Wir sahen, dass man die Länge des Ohres zur Körpergrösse in Beziehung gebracht und sie auf °/,, derselben berechnet hat oder mit anderen Worten, die Länge des Ohres soll sich zu der des ganzen Körpers verhalten wie 1:24. Bei meinen 253 Rekruten, deren. Kórpermaasse

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal.

275

notirt werden konnten, stellte sich das Verhältniss im Mittel etwas anders, wie 1:26,5.!1) Im Einzelnen war es in 5,1%), = 1: 22,4—23,9

11,8 «

. 20,5 « 22,5 « 20,5 « 11,8 « 3,9 «

1: 24—24,9 1:25 —25,9 1:26— 26,9 1:27—27,9 1: 28—28,9 1:29 —29,9

3,1« = 1:30—30,9

0,4 = l: 31—31, 9. Nachdem ich bereits dieses Verhültniss als eine der Grundlagen

für meine anthropologische Gegenüberstellung gewählt und durchgeführt hatte, freute ich mich, dass dasselbe auch von Giltschenko?) für. seine Osseten-Untersuchungen benutzt war. Er findet das Verhültniss der mittleren Ohrlänge zur Körpergrösse = 30.?) Die von mir gesammelten Messungen fremder Völker ergeben die Ziffern der folgenden Tabelle.

fd bed deu pai pd pi pd pd pd pd pi peu jmd

: 20— 22,9 : 23— 23,9 : 24— 24,9 : 25—25,9 : 26—26,9 : 27—2'1,9 : 28—28,9 : 29—29,9 : 90 —30,9 : 981—31,9 : 32—32,9 : 99—39,9 :94 und darüber

Malayen

e —M ©

© M s Arier.

12,0 17,0 22,4 19,0 10,3

6,9

5,1

1,7

E o E c A om; $mi D S -

e a ©

12,9 16,1 19,3

Australier

© m e

Nilotier

e e

z = $|s85 = Bg ed EIS S| E Un eq

Ojo | ojo

11, 1 18,5

14,8 18,5 7,4

18,5 7,4 |

1) Nach Zeising „Neue Lehre von der Proportion des Menschen“ ist es 1:28,7.

2) „Materialien zur Anthropologie des Kaukasus, 1. die Osseten“. im Archiv für Anthropologie 1894.

Referat

..9) Im Text steht 3,0 Ich habe einen Druckfehler angenommen.

276 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Durch diese Tabelle gewinnen die einzelnen Rassen eine andere Rangordnung. Während die absolute Ohrhöhe die Mongolen, Amerikaner und Arier ziemlich gleichstellte, erfahren wir hier, dass die beiden Ersteren im Verhältniss zur Körpergrösse eine wesentlich grössere Ohrlänge be- sitzen, als wir. Ihnen schliessen sich hierin an die Malayen und sehr bemerkenswerther Weise die Finnen, trotz ihrer absolut so kurzen Ohr- muschel. Die Papuas und Australier haben ziemlich dasselbe Ver- hältniss zur Körpergrösse wie wir; höchst charakteristisch sehen wir dagegen bei den Singhalesen, Buschmännern, Negern und nilotischen Stämmen die Ziffern sich nach unten hin verschieben. Sie haben alle, wie absolut, so auch im Verhältniss zur Körpergrösse kleine oder besser kurze Ohrmuscheln.

Einen anderen Maassstab für die Länge des Ohres suchte Quet£let zu gewinnen durch den Vergleich derselben mit der Augenlidspalte. Ich habe diese Beziehungen an meinen Untersuchten nachgeprüft, während ich wegen äusserer Umstände bei den Rekruten den Abstand der Ohröffnung vom Scheitel nicht messen und daher den zweiten Theil des Quöt&älet’schen Satzes, wonach die Länge des Ohres gleich der halben Länge dieses Abstandes ist, nicht berücksichtigen konnte. Der mangelnde Vergleich mit der hiesigen Bevölkerung machte die Be- rechnung für die fremden Völker unnütz.

Ich muss von vornherein gestehen, dass mir dieses Quetelet’sche Verhältniss sehr wenig geeignet erscheint, einen Anhalt für die Beur- theilung der Ohrgrösse abzugeben. Wenn Ranke sagt, die individuellen Grössendifferenzen seien dabei sehr auffällig, so möchte ich sogar meinen, dass sie so zahlreich und so beträchtlich sind, dass von irgend einer Norm, irgend einem Durchschnitt überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Unter 300 Männern war das Verhältniss in

25,33%, = 1,6—1,9:1 32,66 « —= 2:1 36,66 « = 2,1—2,3 : 1

5,3 « = 2,4—2,6: 1 | unter 21 Frauen stimmte es nur fünfmal, unter 42 Kindern nur zehn-

mal. Die Kinder gehören hierher, weil das Verhältniss ja in allen Altersstufen wie 2:1 sich stellen sollte.

Eine Proportion, die noch nicht in einem Drittel der Fälle zutrifft, kann unmöglich als typisch angesprochen werden. Das Ohr ist wohl ungefähr zweimal so lang wie die Augenlidspalte, wir dürfen es aber

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 277

nicht auf Grund seines Verhältnisses zur Letzteren als zu gross oder zu klein, als normal oder abnorm bezeichnen. Mir scheinen Beziehungen zwischen Ohrmuschel und Augenlidspalte in keiner Weise zu bestehen, das Zahlenverhültniss zwischen ihnen lediglich ein zufülliges zu sein, das dank seiner Inconstanz für Vergleiche oder Schlussfolgerungen nicht zu verwerthen ist. Noch weniger richtig erweist sich die Quétélet'sche Proportion bei den aussereuropäischen Völkern:

o $a = = £1 a 3 m = P a a 9 28 Eros | ua ros S alit 0:A Si&|l?5iu.isS$itisiB!Isi|ia3s!a|8 c E34 $|B8 B|IR|IS?"|3|B8 BIS z|=|sS3|<|2|<|a|<|2|2|E|2|A % 1% | %o | %o | Yo I Mo | fo | %o | 9/o | lo |o | Mo | %o

1,2—1,39:1 1,4—1,59:1 1,6—1,9:1 2:1 2,1—2,3:1 2.4--2,6:1 2,7—9,4:1

Das Verhältniss zwischen Ohrhöhe und Augenlidspalte schwankte also zwischen 1,2:1 und 3,4:1, war höchstens in 20—30°/,, oft nur in 6—79/, wie es Quétélet gewünscht. Die Reihenfolge unserer Völker würde sich nach dieser Tabelle wiederum verändern ; so hetero- gene Rassenvertreter wie die Norddeutschen, die Australier, die Ameri- kaner und die Singhalesen gehen zusammen. auf der anderen Seite halten sich die uns stammverwandten kaukasischen Stämme mit den Semiten zu den Mongolen. Bei den Malayen wechselt das Verhältniss so sehr, dass man ihnen kaum einen Platz anweisen kann. Ein kurzes Ohr zeichnet auch im Verhältniss zur Augenlidspalte die Neger, Nilotier, Finnen und Buschmänner aus, denen sich die Papuas anschliessen. Konnte also das procentuarische Verhalten bei unserer heimischen Be- völkerung kein Vertrauen zu dem Lehrsatze »Ohrhöhe gleich doppelter Augenlidspalte« erwecken, so schränkt sich seine anthropologische Be- deutung mit der Verallgemeinerung auf das Menschengeschlecht noch weiter ein. Das längere Ohr der Mongolen, durch die absoluten Zahlen angedeutet, durch sein Verhältniss zur Körperhöhe energisch ausge- sprochen, bestätigt sich auch nach der Proportion zur Lidspalte. Das

278 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

liegt aber nicht an dem Ohr, sondern an dem zweiten Gliede des Verhältnisses. Während bei meinen Norddeutschen eine absolute Augen- lidspalte vorhanden war von 24—28 mm bei 6,3°;, 29—31 « « 73 « 32—35 « « 203 « lauten dieselben Zahlen bei den Mongolen 35,4], 59 « 5.6 «.

Die Proportion besagt also für die Ohrgrösse bei den Mongolen im Vergleich zu anderen Rassen und in Rücksicht auf den physiogno- mischen Ausdruck des Kopfes nichts. Wenn ferner so weit von einander verschiedene, durch andere anthropologische Merkmale so wohl charakterisirte und trennbare Völker wie Neger, Buschmänner und Finnen sich gleich sind in jenem Verhältniss der Ohrhöhe zur Lidspalte so ist es klar, dass es so wenig Anspruch auf ein brauchbares Rassen- kriterium machen darf, wie es sich bei den Individuen eines und des- selben Volkes schlecht bewährt und als höchst unsicher und atypisch erwiesen hat.!)

Trotzdem kann das lüngere Ohr der Mongolen als ein sicheres Er- gebniss der zahlenmässigen Untersuchungen, soweit sie bisher vorliegen, angesehen werden; ob es auch ein grösseres ist, wäre eine andere Frage.

Der russische Oberst Prshewalski nennt auf Grund der Beob- achtungen einer dreijährigen Reise das Mongolenohr gross, nach Anderen ist es gar von ungewöhnlicher Grösse, sind die Nomadenvölker Ostasiens (Jakuten, Kirgisen etc.), die Samojeden und die Krimtataren durch grosse Ohren ausgezeichnet. Andererseits haben nach Ranke’) die Kalmücken kleine Ohrmuscheln, nach Seeland’) die Kirgisen »des oreilles de grandeur moyenne« und Weissenberg?) notirt bei

) Sómmering sagt in seiner Abhandlung über die körperliche Ver- schiedenheit des Negers vom Europäer (Seite 10): „Die Oeffnung, die die Augen- lider bilden, ist im Durchschnitt kleiner, daher man verhältnissmässig weniger vom Augapfel zu sehen bekommt." Ich kann nach meinen Zahlen diese Be- merkung nicht bestätigen, da der Durchschnitt der Augenlidspalte bei den Negern 31, der meirer Erwachsenen 32 war.

2) „Der Mensch.“

3) „Les Kirghis,“ Revue d'anthropologie 1886, p. 56.

4) „Ein Beitrag zur Anthropologie der Turkvólker," Zeitschr. f. Ethnologie 1592, p. 191.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 279

83 Soldaten mongolischer Abstammung 2 Mal grosse und 18 Mal kleine Ohren, nimmt also eine mittlere Grösse der Ohrmuschel an. Zur Ent- scheidung haben wir noch einen Weg offen.

Weissenberg ist einer der Wenigen, dic nicht bloss die Ohr- länge, sondern auch die Ohrbreite gemessen haben. Das Verhültniss beider trägt sicherlich nicht wenig zu dem Eindruck der Ohrgrösse bei, wie ich aber glaube, je nach dem subjectiven Empfinden des Beob- achters verschieden. Dem Einen imponirt ein langes Ohr nur als gross, wenn es zugleich übermässig breit, dem Andern schon durch die Länge selbst bei geringem Breitendurchmesser. Diese Abhängigkeit vom Augenmaass und vom freien Belieben des ohne Zahlen operirenden Unter- suchers erklärt mir die widersprechenden Urtheile über das Mon- golenohr. |

Nach Elsholz sollte die Ohrbreite zur Ohrhóhe sich verhalten wie 1:1,5. Auch hier, wie bei dem Verhältniss der Ohrlänge zur Körpergrösse, sind meine Zahlen höher als bei Jenem. Unter 300 erwachsenen Männern war die Ohrbreite im Durchschnitt 35,5, bei den Soldaten Weissenberg's 36,5 mm. Das Verhältniss der Breite zur Höhe aber war bei beiden Serien 1: 1,8. Im Einzelnen verhielt sich die erstere zur letzteren wie

bei mir bei Weissenberg

in 9^, in °/, 1:25 0,3 : 1:2,3 0,3 1:2,2 0,6 1,2 1:2,1 43 3,8 1:32 10 24 1:1,9 16,6 19,2 1:1,8 28 33,7 1:1,7 25,3 13,2 1:1,6 11 4,8 1:15 3 1:14 0,3

Die mongolischen Soldaten zeichneten sich also durch etwas lüngere und gleich breite oder ein wenig schmalere Ohren vor ihren kaukasischen Kameraden aus. Ein grosses Ohr als Rassenmerkmal darf man, wie mir daraus hervorzugehen scheint, den Mongolen nicht zuerkennen.

Das Ohr der Malayen unterscheidet sich in seinen Grössenverhält- nissen etwas von dem unserigen, es ist kleiner; sein Verhältniss zur

980 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Augenlidspalte áhnelt dem bei uns gefundenen mit all seiner Inconstanz. Dass es wegen der niedrigeren Statur seiner Besitzer gegenüber der Körperlänge zu gross, mongolenähnlich wird, scheint mehr in den Ziffern wie in der Wirklichkeit des physiognomischen Eindrucks hervorzutreten. Wenigstens sagt Dr. Büssler!) von dem Batakstamm der Rojas im Innern Sumatras, die Ohren seien klein.

Die Amerikaner besitzen nach unseren Zahlen Ohren mittlerer Länge wenn ich damit den Durchschnitt der unserigen bezeichnen darf mit geringer Neigung zu grösseren Formen. Auch wenn man die einzelnen Stämme gesondert betrachtet, die hierbei als Amerikaner zusammengefasst werden, Nord- und Südamerikaner sowie Eskimos, er- hält man mindestens mittlere Werthe. Das Verhältniss zur Augenlid- spalte entspricht dem unserigen, das zur Kórpergrósse zeigt entschieden mongolischen Charakter. So weiss ich nicht, warum Rohde?) die Ohren der Payagua-Indianer (Durchschnitt 63), Virchow die der Chippeway- Indianer (Durchschnitt 68) klein nennt, wenn sie damit nicht ausdrücken wollen, dass es nicht übermässig gross war. Den Eskimos ‘spricht der Letztere mit ihren 65 mm Ohren dagegen ein grosses Ohr zu, sodass auch hier zutreffen mag, was ich vorhin von der Relativität physiog- nomonischen Eindrucks sagte, soweit sie dem Verhältniss der Ohrbreite zur Ohrhöhe entspringt. |

Es ist jedenfalls interessant, dass bei den Mongolen, Amerikanern

und Malayen diesen stammverwandten Rassen die gemeinsame Erscheinung der im Verhältniss zur Körpergrösse langen Ohren zu Tage tritt.

Bei den sechs von Virchow untersuchten Feuerländern sind die einzelnen Maasse des Ohres nicht angegeben, im Mittel soll seine gerade Höhe 60,6 betragen und Virchow beschreibt es als »im Ganzen eher klein und zierlich, nur zwei haben grosse Ohren.« Ebenso Seitz?) während Hyades*) die Ohren »im Allgemeinen gross« nennt. Wenn man die Höhe von 60,6 auf die Körpergrösse bezieht, so erhält man unser mittleres Verhältniss von 1:26,5. Gewisse Widersprüche finde ich auch bei den Bemerkungen über die Lappen; ihre Ohren sind zweifellos zu den kleinen zu zählen, die Procentaufstellung bringt sie in

1) Verhandlungen der Berliner anthropolog. Gesellsch. 1892.

2) Ebenda 1886.

3) „Ueber die Feuerländer.“ Virchow’s Archiv, Bd. 91, p. 154.

4) Citirt bei Martin „Zur physischen Anthropologie der Feuerländer.“ Archiv für Anthropologie 1894.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 281

eine Reihe mit den Negern, trotzdem sagt Virchow: »Die Muschel ist meist gross.« Das Missverhältniss zwischen Ohr und Körperlänge, das, wie wir bereits sahen, dié Finnen den Mongolen rechtmässig an die Seite stellt, hat hier das Urtheil des Beobachters bestimmt.

Die Neger und Nilotier sind, sowohl absolut wie in den Yerhält- nissen zur Körperlänge und Augenlidspalte durch kurze Ohren: ausge- zeichnet. Schon die älteren Forscher vertraten in der Mehrzahl diese Ansicht, die neueren Autoren stimmen mit ihr überein und die Zahlen bestätigen sie.. Dennoch scheinen auch hier Abweichungen vorzukommen. Emin Pascha!) bezeichnet in einem Bericht über die Akkas und Brais unter 14 Individuen 13 Mal die Ohren als gross, einmal als klein, ohne Messungen beizufügen. Die Pygmäen Stuhlmann’s werden ge- schildert als mit grossen, flachen, breiten Ohren versehen. Es lässt sich kaum entscheiden, ob diese angebliche Grösse wirklich besteht, ob sie besteht mit Hinsicht auf die Ohren anderer Negerstämme oder gar im Verhältniss zu unseren Durchschnittsmaassen. Interessant ist, dass jenen umstrittenen Völkern, die man für verwandt den Akkas und anderen zwergartigen Stämmen hält und als die Urrasse Afrikas oder doch wenigstens als den am meisten mit ihr gemischten Theil der zu- gewanderten Neger ansieht, den Buschmännern und Hottentotten von Fritsch grosse unförmliche Ohren zugeschrieben werden, während die Messungen der in Berlin untersuchten Exemplare umgekehrt Muscheln ergaben, die klein waren, sowohl in ihren absoluten Maassen, wie in ihren Verhältnissen zur Körpergrösse und zur Augenlidspalte. Die erstere Proportion verdient besonderer Beachtung, weil bei der ver- kümmerten zwerghaften Statur selbst mittlere Ohrlängen ein unseren oder gar den Mongolen-Werthen entsprechendes Verhältniss geliefert haben würden. Virchow?) nennt denn auch bei der Demonstration die Ohren klein, bezw. sehr klein. W. Belek?) (Walfischbai) be- zeichnet unter 4 Buschmannohren 2, unter 25 Hottentottenohren 4 als klein, eines als gross, was jedenfalls nicht für die Auffassung von Fritsch spricht. Wenn das Augenmaass so desavouirt wird durch die Kritik der Zahlen, so wird man einige Skepsis sogar einem Emin gegenüber gestatten kónnen. |

Bei den Papuas stimmen die Bemerkungen der Beobachter mit den

1) Verhandlungen der Berliner anthropolog. Gesellsch. 1856. 2) Ebenda 1887. 3) Ebenda 1885.

282 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Zahlen überein. Schellong!) notirt nur einmal ein grosses Ohr, sonst ist es »von entsprechender Grósse« oder klein. Als klein werden auch die Ohren der Polynesier beschrieben. Ueber die Singhalesen sagt Virchow: »Das Ohr ist in der Regel zierlicb und bei manchen klein.« Die Messungen selbst weisen diesen Ceylonbewohnern die Stelle neben Negern, Nilotiern und Buschmännern an, besonders auch nach dem Verhältniss der Ohrlänge zur Körpergrösse.

Der Vergleich zwischen den Ohren verschiedener Monschontasson hat uns also in Bezug auf ihre Grössenverhältnisse nicht unwesentliche Differenzen ergeben. Sehen wir zu, ob ein Gleiches auch mit Rücksicht auf die Form der Fall ist.

Nach Hyrtl soll bei den Mongolen häufig die Ohrkrempe fehlen, so dass die Form der Stutz- oder Schweinsohren entstände. Nach älterer, allgemein verbreiteter Ansicht und auch nach neueren Berichten (Prshewalski, Seeland) haben sie abstehende, weit vorspringende Ohren. Weissenberg sah unter 68 Baschkiren 16 abstehende und ein anliegendes, nnter 14 Meschtscherjaken 5 abstehende Ohren. Unter 74 Tataren des Kaukasus notirt v. Erkert?) einmal »Ohr an- liegend«, bei 10 Mongolen ist über die Ohrstellung keine Bemerkung gemacht. Man darf wohl nicht annehmen, dass von Erkert das Ab- stehen der Ohren als eine allgemein bekannte Rassenvarietät voraussetzt und jenes eine anliegende Ohr als Ausnahme besonders hervorheben will, sondern muss glauben, dass alle übrigen Ohren zum Schädel normal gestellt waren. |

Es würe gezwungen, das abstehende Ohr als eine der gesammten mongolischen Rasse eigenthümliche Bildung anzusehen. Dass es inner- halb derselben bei einzelnen Stämmen häufiger, in gewissen Nomaden- familien vielleicht durchweg vorkommt, kann nach den neueren Be- richten der Reisenden nicht geleugnet werden. Die Letzteren selbst aber erklären es für artificiell. Seeland sagt a. a. O.: »chez: la plupart des Kirghis la partie supérieure du pavillon est écartée de la tête ce qui s'explique par l'habitude d'enfoncer la toque de fourrure jusqu'aux oreille.« . Dieselbe Deutung findet Giltschenko?) für unsere Ohrform, er betont, dass man bei Frauen und Mädchen seiner Osseten niemals, wohl aber bei fast allen Knaben und Männern ab- stehende Ohren sah und fährt. fort: »Der Grund scheint in der Kopf-

1) a. a. O.

2) a. a. O. 3) a. a. O.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 983

bedeckung zu liegen. Die Frauen bedecken den Kopf mit einem Tuche, wodurch die Ohren an den Kopf angedrückt werden; die Männer da- gegen, schon die Knaben, tragen eine grosse und schwere Mütze aus Schaffell, durch welche die Ohren vom Kopfe abgedrüngt werden.« Nach Klemm stehen »den mongolischen Vólkern die ohnehin sehr grossen Ohren weit vom Kopfe ab, weil die gewöhnlichen Mützen fast bis an die Wurzel der Ohren herabreichen und sie niederdrücken.« Auch Binder!) gesteht: »Beim Abstehen der Ohren stellen die Männer ein weit höheres Contingent als die Frauen, was möglicherweise von dem bei Letzteren viel häufigeren Tragen von Kopfbinden abhängig sein mag.« Eine andere Ansicht, die das lange Liegen kranker rachi- tischer Kinder für das Abstehen der Ohren verantwortlich macht, werde ich später zu erwähnen haben. Sehr instructiv sind ferner in unserem Sinne die Kopfmessungen kaukasischer Völker, die v. Erckert. aus- geführt hat. Unter dem Namen Lesghier vereinigt er sechs verschiedene offenbar eng rassen- und stammverwandte Gruppen. In einer derselben, den Awaren, notirt er 25 Mal unter 55 Füllen abstehende Ohren, während sie bei den kürinischen Stämmen unter 169 Fällen nur 3 Mal und unter 277 Vertretern der übrigen vier Gruppen kein einziges Mal aufgezeichnet sind. Anthropologisch zusammengehörend, wie es nur Völker sein können, zeigen sie in der Ohrstellung Verschiedenheiten, die durch eine ethnologische Sitte recht wohl erklürt werden kónnen.

Von den Key-Inseln im malayischen Archipel wird berichtet, dass ihre Eingeborenen das Abstehen der Ohren künstlich hervorbringen, wahr- scheinlich als Schmuck und Auszeichnung oder unter dem Zwange eines Aberglaubens, wie ich ihn gleich erwähnen werde.

Man mag den Autoren umso eher die artificielle Entstehung der abstehenden Ohren glauben, als auch Virchow die entgegengesetzte Form, das übermässig anliegende Ohr, auf ähnliche Ursachen zurückführt. Er sagt bei der Demonstration der Lappen in der Berliner anthropo- logischen Gesellschaft 1879: »Sehr eigenthümlich wirkt das geringe Hervortreten der Ohren. Es ist mir dabei nicht zweifelhaft, dass ein nicht geringer Theil der Eigenthümlichkeiten des äusseren Ohres arti- ficiell hervorgebracht wird, indem durch das Hinübergreifen der bei beiden Geschlechtern angewendeten Kopfbedeckungen, die schon in ganz zartem Alter angelegt werden, das Ohr einem anhaltenden starken Druck ausgesetzt wird. Sowohl der helmartige Aufputz der Frauen,

1) a. a O. p. 550. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 20

284 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

als die grosse viereckige Mütze der Männer werden bis über die Ohren herunter getragen, so dass bei den Ersteren nicht einmal das Haar sichtbar wird. Das Ohr erscheint daher ganz dicht an den Kopf an- gelegt und abgeflacht.« Curtis meint sogar, dass in Europa das nor- mal etwas abstehende Ohr durch den Geist der Gewohnheit und Mode grósstentheils flach an die Schlüfenbeine angedrückt werde.

Kehre ich zu den Mongolen zurück, so meine ich, dass die moderne Wissenschaft alle ihr zu Gebote stehenden Hülfsmittel benutzen soll, um zur Wahrheit zu gelangen, dass die Anthropologie hier und dort auch bei der Ethnologie umfragen soll, wenn ihr die Deutung eines ihrer Probleme nicht gelingen will. Das haben Jene bereits gethan, die das abstehende Ohr vieler Mongolen auf die Kopfbedeckung zurück- führten; ich glaube noch einen anderen Weg betreten zu kónnen, indem ich auf ihren Volksglauben hinweise, der abstehende Ohren für ein glückbringendes gutes Omen ansieht. Alltäglichen Erscheinungen pflegt man keine besondere Bedeutung oder Bedeutsamkeit unterzulegen, nur das Seltene reizt den Naturmenschen wenigstens zum Nach- denken, umgiebt sich ihim mit dem mystischen Schleier eines unlösbaren geheimnissvollen Räthsels und erzeugt mit seiner furchtsamen Unwissen- heit den Kobold »Aberglauben.« Warum es regnet, lässt den Neger gleichgültig; Erdbeben, Gewitter, Mondfinsterniss wecken in ihm aber- gläubische Vorstellungen, die im Grunde nichts Schlechteres sind als ein stammelnder Erklärungsversuch. Hätten die mongolischen Stämme als Rassentypus das abstehende Ohr, wie behauptet, so halte ich die Entstehung einer volksthümlichen Anschauung, wie die erwähnte, für unmöglich. Warum soll ein abstehendes Ohr Glück bringen, wenn alle Menschen es haben? Warum sollte man seiner überhaupt besonders Erwähnung thun, wenn es zum Körperbau des ganzen Stammes gehört, wenn man nie etwas Anderes gesehen hat? Die schwarze Farbe seiner Haut bedeutet dem Neger nichts, wohl aber die helle des Albinos.

Jene Ohrform muss also bei den Mongolen ebenso eine mehr oder weniger selten vorkommende Varietät sein wie bei uns. Dass sie sich in gewissen Stämmen durch die Kopfbedeckung eingewurzelt hat, kann gern zugegeben werden und es ist dabei gleichgültig, ob man an das Typischwerden einer Varietät, an die Vererbung einer erworbenen Eigen- schaft glaubt, oder ob man annimmt, dass jedem Kind erst durch den Druck der Kappen und Mützen die Ohren vom Schädel abgedrängt werden. Die Bemerkungen Giltschenko’s sprechen wohl. für das Letztere, weil die Vererbung der Ohrform diese auch auf die Mädchen

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. . 285

oder gerade auf die Mädchen fortgepflanzt haben würde. Ich halte es aber weiterhin nicht für unmöglich, dass ein Aberglaube von dem Glückbringen dieser Ohren eine künstliche Zuchtwahl insce- niren kann, insofern ihre Träger bevorzugte Stellungen genossen oder sich mit Vorliebe Frauen mit gleichen Ohren denn als Variation werden sie auch bei diesen ab und an vorkommen wählten. Der Aberglaube vermag ja mehr als man glaubt, und wenn er nach Jean Paul ein Glaube mit einem Aber ist, so hat dieses Aber eine Kraft, an die jener nicht entfernt heranreicht.

| Man müsste nur annehmen, dass die Mongolen im Punkte der Zuchtwahl klüger sind als wir.

Soviel scheint mir sicher, dass wir ein abstehendes Ohr nicht als Merkmal der mongolischen Rasse anzusehen haben; der malayische und amerikanische Zweig derselben entbehrt, soviel ich sehe, nicht weniger seines regelmässigen Vorkommens.

Abstehende Ohren hat man ferner den Australiern und den afrikanischen Negern zugeschrieben. Die zehn von Virchow in der Berliner anthropol. Gesellschaft vorgestellten Australier besassen sie nicht, dagegen finde ich in den Verhandlungen von 1881 die Photo- graphien dreier haarloser Australier mit grossen abstehenden Muscheln ; die Bilder sind in Hartmann’s »Die menschenähnlichen Affen« über- gegangen. Die Ohren stehen hier in der That auffallend ab, verdanken das aber zum Theil zweifellos dem fehlenden Haupthaar. Setzen wir einen kahlrasirten Europäerschädel daneben, so werden an ihm eben- falls die Ohren, selbst bei mittlerem Ansatzwinkel, als abstehende im- poniren. Den Glauben von den abstehenden Ohren der Neger habe ich bereits oben aus meinen eigenen Erfahrungen heraus bestritten. Die Mittheilungen der Forscher, denen ich meine Messungen entnommen habe, geben mir Recht. Unter 59 Kru- und Wei-Negern hat Zint- graff!) einmal abstehende Ohren notirt, Mense unter 101 Central- afrikanern kein einziges Mal, trotzdem er Einer von den Wenigen ge- wesen ist, die auf die Form des Ohres neben seiner Grósse geachtet haben, und ebenso vergebens sucht man in den Notizen anderer Afrika- reisenden oder in den Beschreibungen der in Europa untersuchten Neger danach.

Dagegen lautet das einstimmige Urtheil dahin, dass die Neger durch feine zierliche Ohren ausgezeichnet sind und bestätigt den Ausspruch Hart- 9) „Kopfmaasse von 40 Wei- und 19 Krunegern". Verhandl. der Berliner anthropologischen Gesellschaft 1889.

20*

286 . Karutz: Studien über die Form des Ohres.

mann's, den ich früher bereits gegen andere Urtheile in's Feld führte, »Die Bildung des Ohres an sich ist eine feinere, ja zierliche«, sagt Virchow von den Zulus; »das Obr ist áusserst zierlich, bei den meisten fein«, Leisst es von den Dinkanegern; »Ohren meist fein, zum Theil sogar zierlich« von den Darfuresen; »Ohren zierlich und fein« von den Baluba des oberen Congo. So konnte in diesem Sinne Langer mit Recht sagen, dass das Ohr des Negers sich nicht typisch von dem des Europáers unterscheidet. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass die alte schon von Sömmering ausgesprochene, von Topinard später wiederholte Ansicht von der runderen Formung des Negerohres sich zu bestätigen scheint. Mense sagt, »es zeigt Neigung zu runderen und breiteren Formen«, bei den Negern von Darfur war es nach Vir- chow, bei den Duallas nach Kund von mehr rundlicher Form. Die- selbe Bemerkung findet man so oft, dass sie trotz der fehlenden Ohr- breitenmessungen für eine richtige gehalten werden darf.

Àn den Ohruntersuchungen hat die Anthropologen bisher haupt- sächlich oder eigentlich einzig und allein das Verhalten des Läppchens interessirt. Seit man glaubte, dass in ihm ein wesentlicher Unterschied des menschlichen Ohres vom thierischen beruhe, dass nur der Mensch ein freies Ohrläppchen besitze, hielt man das Fehlen desselben für eine Thierähnlichkeit und suchte bei den Naturvölkern nach diesem Kriterium tieferer, dem Thiere näherer Entwicklungsstufe. _ Sehen wir zu, was unser Material für diese Frage bringt.

Unter 68 Baschkiren war das Läppchen

frei . . . . . . . 11 Mal, theilweise frei . . .26 , nicht frei . . . . .26 , nur das rechte frei. . 1 nur das linke frei . . 4 ,, Bei 15 Meschtscherjaken war es frei . . . . . . . 8 Mal, theilweise frei . . . 4 ,, nicht frei . . . 8 ,

Unter 84 Tataren und Mongolen war es 2 Mal, unter 702 Kau- kasiern 33 Mal angewachsen; unter 7 Singhalesen 3 Mal, 2 Vorder- indiern 1 Mal, 10 Lappen 5 Mal, 58 Malayen kein Mal, bei Samoanern gelegentlich, bei Indianern, Feuerländern und Eskimos meistens ganz oder grossentheils angewachsen. Bei den Malayen war 31 Mal kleines Lüppehen bemerkt. Die Buschmänner und Hottentotten sollten nach

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 287

Fritsch schwach entwickelte oder gar fehlende Läppchen haben; Virchow sah unter 10 Fällen 4 Mal angewachsenes, davon ein spitz- winklig auf die Wange fortgesetztes Läppchen; bei Mense’s 101 Congo- negern fehlte es 30 Mal, bei 13 Akkas und Baris 3 Mal, 3 Mal war es hier angewachsen. Bei 20 Nilotiern wurde es 6 Mal fehlend, 1 Mal angewachsen, bei Darfurnegern nur vereinzelt etwas angewachsen, bei den Bergdamara ein deutlich ausgebildetes, bei den mongolenähnlichen Ainos- grosses und abgesetztes Läppchen gefunden.

Nirgends zeigt sich das Fehlen des Läppchens als Rassenmerkmal ; selbst von Amerikanern, denen es meistens fehlen soll, berichten Andere wie Hyades nur einen häufigen Mangel. Von den Japanern sagt Virchow !), »ein ausgebildetes Läppchen ist an sich sehr selten; meist ist dasselbe nach vorn angewachsen und häufig so wenig ausgebildet, dass es eigentlich nur wie eine Art Hautfalte erscheint«. Nach E. Bälz fehlt es ihnen in der Hälfte der Fälle. Von demselben Forscher finde ich aber den Ausspruch: »Das Ohr der Japaner bietet nichts Bemerkenswerthes«. Der Widerspruch ist nur so zu erklären, dass eine erste Beobachtungsreihe auffallend viel angewachsene Ohrlüppchen ge- bracht hatte und ein Urtheil hervorrief, das bei zunehmendem Unter- suchungsmaterial sich modificirte.

Von Negern mag man immerhin mit Mense und Anderen an- nehmen, dass sie zu schwacher Lappenbildung neigen. Es entspricht das dem im Ganzen kleineren Ohre. Dasselbe gilt von den kurzen und schwüchlich entwickelten Lobuli der Lappen, für die daneben vielleicht die Móglichkeit noch vorliegt, durch den Druck der Kopfbedeckung zur Atrophie gebracht zu sein.

Was die sonstigen Varietüten der Ohrmuschelform anlangt, so liegen, wie ich schon gestehen musste, so spürliche Nachrichten von den fremden Vólkern darüber vor, dass es geboten erscheint, sich positiver Urtheile zu enthalten. Mense hat den Eindruck, dass die Ohren alle Ver- schiedenheiten aufweisen, welche man beim Europäer oft findet, und sah 12 Mal auf 101 Fälle »an der Spitze der Ohrleisten das von Darwin als Thierähnlichkeit bezeichnete Knötchen oder an seiner Stelle eine scharfe Knickung des Randes«. Nach Bälz sind bei den Ost- asiaten (Chinesen, Japanern, Koreanern) die zahlreichen Furchen, Leisten und Krümmungen selten schön ausgeprägt, nur die obere Wölbung des Ohres ist oft gut geformt. Schäffer referirt die Bemerkung, dass

1) „Pankratiastenohren bei einem japanischen Ringer". Virchow's Arch.,

Bd, CI, p. 387.

988 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

bei ihnen ófters die Darwin'sche Spitze vorkommt und dann meist mit grossen gutgeformten Läppchen. Man sieht hier wieder das Trügerische der mit »oft«, »meist«, »häufig« argumentirenden Definitionen. Vorhin war ein ausgebildetes Läppchen bei den Japanern höchst selten, hier ist es häufig gut geformt, ja gross!

Die Ohren der Juden, nach Weisbach mittelgross, sollen nach Schaafhausen fleischiger sein, als beim Europäer. Ich habe mich vergebens bemüht, dies bestätigen zu können. Bei den jüdischen Frauen, meint Schäffer, überwiegt die Normalität, und die Adhärenz scheint bei ihnen erheblich seltener zu sein. Die kleinen Zahlen, aus denen dieser Schluss gezogen wird, sichern ihnen nicht die Unterstützung, deren er in solcher Verallgemeinerung bedarf. Ich verfüge in diesem Falle nicht über eine Statistik und darf deshalb nur bemerken, dass mein persönlicher Eindruck jenem Verhältnisse nicht entspricht.

Bei den Feuerlündern fand Hyades unter 8 Fällen 3 Mal »des oreilles pointues«. Darwin'sche Spitze oder Satyrohr, fragt Martin mit Recht. Auch Seitz erwühnt an ihrem Helixrand einen deutlichen, aber nicht gerade stark vorspringenden Punkt, vermuthlich das Dar- win'sche Knótehen, Virchow bei einer Feuerländerin Ansatz zum Spitzohr. An Buschmannohren sah derselbe winklige Knickung des Helixrandes (Spitzohr) neben dem Lüppchen präauriculare Anhänge. Bei Finschhafen beobachtete Schellong ein verkrüppeltes Ohr mit fehlendem Meatus. Der Stumpf wurde bei Annäherung an denselben oder bei Reizung der Stirnhaut lebhaft in die Höhe gezogen; der Muskel des anderen Ohres functionirte nur ganz andeutungsweise.

Wieviel erfüllt sich nun von den Erwartungen, die man an eine Anthropologie des Ohres knüpfen darf? Besitzen wir im Ohr ein Kriterium zur Rassenunterscheidung ?

Weder Linne noch Blumenbach, weder Huxley noch Topi- nard oder Hartmann klassificiren das Menschengeschlecht nach der àusseren Form des Ohres, wie sie es nach der Hautfarbe, der Nasen- form, der Beschaffenheit der Haare thun. Und gewiss kann man aus der Ohrmuschel allein nicht erkennen, woher ihr Träger stammt, wie man es aus einer Haarprobe muthmassen, aus einem Schädel mehr oder weniger sicher diagnosticiren mag. Jedoch lassen sich, wie ich glaube, alle heute existirenden Menschenrassen von unserem Gesichtspunkte aus in zwei grosse Gruppen bringen, die ich als »Grossohren« und »Klein- ohren« unterscheiden möchte. Zu jenen würde die grosse Völkerfamilie der Indogermanen und als Unterart der »Langohren« die der

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 289

Mongolen mit ihren amerikanischen Zweigen zu rechnen sein; die finnischen und malayischen Aeste desselben Stammes verleugnen gleich” falls diesen ihren Ursprung nicht, wie wir aus der Tabelle ersahen, die das Verhültniss der Ohrlänge zur Körperhöhe darstellte. Zu den » Kleinohren « würden gehören die Südsee- und Afrikaneger, Australier, Singhalesen und Buschmänner.

Eine alte Streitfrage hat von je die wissenschaftliche Welt be- schäftigt, ob nämlich alle Rassen auf ein einziges erstes Menschenpaar zurückzuführen sind, ob nur einmal und an einem Orte die Entwicklung des »missing link« und des Menschen der Natur gelang oder ob, wie schon Steffens!) meint, »mehrere Punkte der Erde im Stande waren, das Hóchste zu erreichen, nach ihrem Maasse«. Ich glaube, die meisten unserer heutigen Führer in der anthropologischen Wissenschaft haben sich die letztere Ansicht zu eigen gemacht. »Warum, sagt Virchow ?), sollte nicht derselbe Vorgang der Umbildung sich zu derselben Zeit an mehreren Individuen oder selbst zu verschiedenen Zeiten unter gleichen Bedingungen wiederholen?« Ja, man hat versucht, aus einem directen Vergleich der verschiedenen Anthropoiden mit den Menschentypen den Beweis dafür zu erbringen. Wilser sagt in einem Artikel?) über »Klima und Hautfarbe«: »In Asien sind die Menschenrassen, Mongolen und Malayen, wie die menschenühnlichen Affen rundköpfig; in Afrika und Europa dagegen, wie Gorilla und Schimpanse langkópfig. Auch in der Fürbung stimmen der rothe Orang und die, bis auf eine dunkle Art, braunen oder gelben Gibbons mit den Asiatischen, der schwarze Gorilla und Schimpanse dagegen mit den Negerrassen überein. Daraus kann man schliessen, dass es überhaupt niemals eine nach Farbe und Schädelform einheitliche menschliche Urrasse gegeben, dass sich vielmehr in Asien und Afrika unabhängig von einander je eine im vornherein durch die Färbung und besonders durch die Kopfform unterschiedene Rasse sich entwickelt habe«.

Virchow, der ursprünglich die gleiche Bemerkung gemacht hatte, fand später, dass der junge Gorilla ebenfalls brachycephal ist, und wenn ich Wilser’s Theorie auf die beiden Gruppen der ‚Menschheit anwenden sollte, die ich glaubte nach der Ohrgrósse unterscheiden zu kónnen, so würde das kleine Ohr der Afrikaner in dem kleinen Gorillaohr, das gróssere der Asiaten aber nicht in einem

1) Anthropologie 1822. 2) „Ueber den Transformismus“, a. a. O. 3) Corresp. Blatt der Deutsch. Ges. f. Anthrop. 1894, p. 17,

390 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

gleichen ihrer Anthropoiden seine Analogie finden. Denn das Orang- Ohr hat nach Hartmann!) durchschnittlich eine Höhe von 35 und eine Breite von 12 mm, ist entschieden klein, ja wesentlich kleiner noch als das ca. 60 mm hohe Gorillaohr. Eher hätte man einen Menschenaffen in Asien erwartet gleich dem Schimpanse, der mit seinen meist grossen Ohren 60—70 mm Höhe, 50—55 Breite, Ohrhöhe zur Körperlänge ca. 1:23 so oft für die Affentheoretiker das Vorbild abgegeben hat. Der findet sich aber bekanntlich nur in den Wäldern Westafrikas, in einem Erdtheil, dessen Völker selbst in ihren niedrigsten Entwicklungsstufen, mögen diese Urrassen oder die am wenigsten mit den Einwanderern verschmolzenen letzten Reste der- selben sein, durch kleine Ohrmuscheln ausgezeichnet sind. Man ist nicht im Stande, eine intimere Beziehung zwischen Schimpanseohr einer- seits und Neger- oder Menschenohr überhaupt andererseits zu entdecken. Und was für Unfug ist und wird heute noch getrieben mit den »affen- ähnlichen« abstehenden Ohren! Eine Species greift man aus der Gattung heraus, setzt den Theil für das Ganze, übersieht geflissentlich die übrigen Anthropomorphen und construirt Theorien über Theorien auf einem Funda- ment, das mehr Lücken als Bausteine zeig. Nie hat man mit Aus- nahme Burmeister’s die Kleinheit der Ohren für affenähnlich er- klärt, schlechter als die alten Physiognomiker beobachtete oder wollte man beobachten und holte das grosse abstehende Ohr des Schimpanse als den Beweis der Thierühnlichkeit hervor. Auf demselben Continent kommen Gorila und Schimpanse, die beiden Extreme in der Gróssen- entfaltung des Ohres, vor; immer aber sollte das des Letzteren die Vor- stufe des menschlichen gewesen und umgekehrt ein grosses abstehendes Ohr den Naturvölkern eigen und in den Kulturvölkern ein Rückschlag in die thierische Form, ein Atavismus sein. Selbst die Wissenschaft hat sich dem ästhetischen Unbehagen nicht entziehen können und dem instinktiven Gefühl eine Beeinflussung ihres Urtheils gestattet. Wenn Hartmann zu den Abbildungen der haarlosen Australier meint, dass ihre abstehenden Ohren zu einem Vergleich mit einem enthaarten Schim- panse Veranlassung geben, so bat er sich selbst von diesen Eindruck vielleicht nicht bestimmen lassen, illustrirt mit seinen Worten aber vor- trefflich den Gedankengang Anderer. Die Australier sind, wie wir:.aus den Tabellen ersehen, zu den »Kleinohren« zu rechnen. Eine autoch- thone Bevölkerung stellen sie wohl gar nicht dar, sondern sie sind auf dem Continent mit ihrem Dingo eingewandert oder zurückgeblieben bei

1) a. a. Ort,

d Mi u m o

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 291

der Lostrennung des Ersteren aus dem Zusammenhang eines grösseren Erdtheils. Weder Schimpansen noch eine andere Affenart giebt es in Australien, und wenn man glaubt, sie könnten durch paläontologische Funde noch entdeckt werden, so wäre es in der That sonderbar, wenn auf einem Erdtheil sämmtliche Species einer Familie völlig aus- gestorben sein sollten, die in den übrigen so gut und so vielgestaltig vertreten ist.

Und ist der Australier eingewandert, dann jedenfalls nicht aus den ‘Wäldern des Ogowe; er verwahrt sich dagegen, nach der Photographie eines kahlen Schädels für pithekoid erklärt zu werden. Es kommt hinzu, dass der Schimpanse selbst nicht durchweg ein grosses abstehendes Ohr zeigt. »Dieser Organtheil variirt individuell so beträchtlich, sagt Hartmann?, dass es mir schwer füllt, hier eine genügende Norm seiner Gróssenverhültnisse aufzustellen«. Er hat Schimpanseohren von nur 59 und Gorillaobren andererseits von 70 mm Länge gesehen. So hält die Affenühnlichkeit der Form des abstehenden Ohres vor der Kritik nicht Stand, auf beiden Seiten der Gleichung ist die Rechnung fehlerhaft. Man muss endlich aufhören, den Schimpanse als Vertreter der anthropomorphen Affen vorzuschicken, wenn man Vergleiche mit dem Menschen anstellen will.

Bereits im ersten Abschnitt habe ich hervorgehoben, dass ein direkter entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen den Primaten und dem Homo sapiens nicht besteht, dass es keinen Sinn hat, die Formen des Letzteren durch jene erklären zu wollen. Nicht der ausgewachsene Gorilla steht dem Menschen am nächsten, sondern das Gorilla-Junge. »Nicht von den Ohren der anthropoiden Affen, sagt Schwalbe?), darf man die menschlichen Ohrformen ableiten, sondern beide aus gemein- samer Quelle, aus den Ohrformen der Gattungen Cynocephalus, Macacus und Cercopithecus«. Hierin liegt cin ferneres Motiv, um gegen den Affentypus der abstehenden Ohren Front zu machen. Denn bei den genannten als Vorstufen des Missing link anzusehenden Gattungen stehen die Ohrmuscheln durchaus nicht vom Kopfe ab; sie sind lang und zu- gespitzt, und dieser verlängerte Scheitel des weit hinten oben am Kopf ansetzenden Ohres ruft in manchen Fällen den Eindruck des ab- stehenden Ohres hervor. »Am jungen Gorillamännchen behaupten die Ohren noch eine gewisse erhabene Stellung an dem noch nicht so stark

1) ;,Der Gorilla", p. 24. 2) a. a. O.

209 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

nach oben und nach hinten ausgebildeten Kopfe« !). Die Muschel als solche hat einen mittleren Ansatzwinkel und eine ganz andere Stelle als das quere Flügelohr mancher Schimpansen.

Bei einer derartigen kritischen Ueberlegung durfte man von den niedrigstehenden Völkern das abstehende Ohr als Rassentypus, als primitivere Bildung gar nicht erwarten; das kleine Ohr lag dem Ge- dankengange viel näher und wird in der That durch die ethnologischen Befunde bestätigt. Die sogenannten Urrassen, Buschmänner, Berg-Da- mara, Singhalesen haben die kleinsten Ohren; ihnen folgen die Neger des afrikanischen Festlandes, wobei die arische Mischung der Nilotier auch an der Ohrgrósse recht klar zum Vorschein kommt, und die der Südsee mit den Australiern. Es sind die am tiefsten in der körperlichen und geistigen Entwicklung stehenden Rassen, die zu den »Kleinohren« gehören.

Wer an die Einheitlichkeit des Menschengeschlechtes nicht glaubt, kann sich aus der Abstammung von verschiedenen Affenspecies die beiden Gruppen der »Grossohren« und »Kleinohren« erklären und wird für diese die erwähnten niederen Affen Afrikas und ihnen nahestehende Arten als Ursprungsquelle beanspruchen, für die ersteren vielleicht in den Gibbons einen Anhaltspunkt finden für das jetzige oder frühere Vorhandensein von Affen, denen der abweichende Typus der Grossohren seine Entstehung verdankt. Die Anderen mögen in Klima, Ernährung oder sonstigen Einflüssen eine Erklärung für die Transformation suchen, die allerdings nicht befriedigender ausfallen dürfte, oder besser gestehen, dass bisher noch keine Erklärung für sie gefunden wurde.

Einen anderen Weg zur Erklärung von Rasseneigenthümlichkeiten hat Ranke beschritten. Er sagt?): »Fast überall, wo man bei Rassen oder Individuen eine niedere Bildung fand, erklärte man sie früher für affenähnlich. . . .. Sie erklären sich aber nicht durch Vergleich mit den Affen aus der vergleichenden Anatomie, sondern durch Vergleich des Erwachsenen mit dem Kinde, d. h. aus der individuellen Ent- wicklungsgeschichte des Menschen. Bezüglich der gesammten Proportions- verhältnisse erreicht die individuelle Entwicklung, die jeder Mensch von der Kindheit bis zum erwachsenen Alter durchmacht, eine höhere Stufe beim Neger als beim Europäer (längere Beine. kürzerer Rumpf, kleinerer Kopf). Dasselbe gilt für den Australier und andere. Der Europäer

1) Hartmann, „Der Gorilla“, p. 18. 2) Ueber höhere und niedrigere Stellung der Ohren am Kopfe des Menschen“. Corresp. Blatt der Deutsch. Ges. f. Anthrop. 1889, p. 172.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 293

steht sonach in Beziehung auf die:e Proportionen dem Kinde näher, als der Wilde. Dies gilt aber keineswegs für die gesammte übrige Kórperentwicklung. Namentlich in Beziehung auf das Gesicht sehen wir im Gegentheil die niederen Rassen der Kindheitsstufe náher stehend als die Europäer«. An anderer Stelle sagt derselbe Autor !): »Be- züglich der Ausbildung des ganzen Gesichtes, der Augen und vor allem der Nase stehen die Europäer den anderen Rassen weit voraus. Ich glaube, dass sich auch bezüglich der Ohren dasselbe behaupten liesse, doch liegen darüber noch keine ausgedehnteren statistischen Unter- suchungen vor«.

Wenn ich in diesem Sinne das Ohr messe, so hätten wir eine Grösse desselben zu erwarten, die beim Neger und Kinde gegenüber dem erwachsenen Europäer in gleichen Zahlen sich bewegt, ein Ohr, das bei dem Kinde dieselbe Stellung einnimmt, wie die Australiernase, mit der nach Ranke 40°/, aller Kinder geboren werden. Ich hatte nun schon lange den Eindruck, als zeichneten sich die Kinder durch rundlichere und breitere Formen vor den Erwachsenen aus. Beides gehört zusammen, wie Ranke richtig bemerkt ?): »Die Grösse der Ohrmuschel scheint insofern mit der Form im Zusammenhang zu stehen, als grosse Ohren vielleicht stets oval, kleinere dagegen gern gerundet erscheinen «.

Denn während im allgemeinen, ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter, zwischen Ohrbreite und Ohrhóhe das Verhältniss war

l: 1,7—1,8 in 57,7 °/ ec Tr 3:29:29 13 > 1:8 » 23, 5 lo war es bei einer Ohrhöhe unter 50 mm 1:1,7—1,8 in 46,6 9/, = 131,7 5:59:90. > 1:1,8 s». 0,0915 bei einer Ohrhóhe von 60—69 mm 1:1,7—1,8 in 45,1 9j, < 1:1,7 „16,1%, > 1:1,8 5 98:7 16 bei einer Ohrhóhe von 70 und mehr mm 1:1,7—1,8 in 42 9j, < 1:1,7 "EN N > 1:18 55:02 0.9]. 1) Verhandl. der 19. Versammlung d. Deutsch. anthrop. Gesellschaft 1883. 2) „Der Mensch‘, II, p. 38.

294 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Bei Ohren unter 50 mm war das Verhältniss der Ohrbreite zur Ohrlänge in mehr als der Hälfte der Fälle kleiner als 1:1,7 und kein einziges Mal grösser als 1:1,8. Bei den grossen Ohren kehrt es sich fast um, es bleibt nur in 16,1 bezw. 5 °/, kleiner als 1:1,7 und wird in 38,7 bezw. 52,6 °/, grösser als 1:1,8. Kleinheit und rundere Formung gehen also man darf sagen, regelmässig neben einander her, und diese Ohrform glaubte ich, wie betont, vorwiegend bei Kindern bemerkt zu haben. Obwohl bei ihnen die absolute Ohrlänge natürlich kleiner ist als bei Erwachsenen, war es durchaus nicht als selbst- verständlich zu erwarten, dass ihr im Verhältniss eine grössere Ohrbreite entspricht, Das kindliche Ohr konnte man sich als in allen Durch- messern kleiner, als eine concentrische Verkleinerung, eine Miniatur- ausgabe des ausgewachsenen vorstellen. Die Berechnung der Durch- schnittszahlen ergab denn auch keinen Unterschied zwischen den beiden; sie verhielten sich bei Erwachsenen wie 1: 1,8, bei Kindern wie 1: 1,7. Diese Bestimmung des Durchschnittes halte ich aber, wie früher,. so auch hier nicht für ausreichend zu einer klaren Uebersicht über die thatsächlichen Verhältnisse; sie beweist nur, dass die extremen Werthe bei Kindern und bei Erwachsenen vorkommen, verschweigt ‚dagegen alles, was zwischen ihnen passirt. Eine ganz andere Sprache reden die Zahlen, wenn ich die Proportion zwischen Ohrbreite und Ohrlänge nach den Lebensaltern procentuarisch berechne. Sie ist

1:1,2—1,8, 1:17, >> 1:1,8 bei Erwachsenen in . . . . 53,89], 14,8 9o, 32,1 955 bei Kindern von 13—15 Jahren 69 9j, 11,5 91, 19,1 °/o bei Kindern von 7—12 Jahren 46,4 9j, 26,5 9/,, 25,4 9, bei Kindern von 1—6 Jahren . 50 ?9/, 35 un 15 9.

Aus dieser Tabelle geht mit Sicherheit hervor, dass vom ersten Kindesalter bis zur Reife die Ohrbreite im Verhältniss zur Ohrhöhe kleiner wird. Fast genau übereinstimmende Zahlen beweisen, wie die Proportion sich im Laufe der Jahre umkehrt:

35 9/,—14,8 ?/, unter 1:1,7 15 0/,— 32,1 °/, über 1:1,8.

Das Wachsthum des Ohres bevorzugt mithin in von der Geburt an stetig zunehmendem Maasse seinen Längendurchmesser, während die Breite gegen ihn zurückbleibt. Bekanntlich ist eine noch grössere Längen- ausdehnung im höheren Alter zu constatiren als Folge der Erschlaffung der Gewebe und der Abnahme der Elasticität vom 50. Lebensjahre ab.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. |. 995

Es war daher sehr unvorsichtig von Váli!), dieses allgemein bekannte Verhalten als Verbrecheranomalie hervorzuheben: »Bei älteren Verbrechern fand ich häufig die auffallende Asymmetrie, dass z. B. die Breite einer 70 mm langen Muschel blos 22—24 mm betrug«.

Einen Unterschied in diesem Verhältniss der Ohrbreite zur Ohr- länge zwischen männlichem und weiblichem Geschleeht glaubte ich nicht

zu bemerken. Es war: bei Knaben bei Mädchen

in in grösser als 1:1,8 24,30%), 26,8"|, kleiner als 1:1,?7 31 9%, 24,5 9. gleich 1 : 1,7—1,8 44,6%, 49 9j.

Bei erwachsenen Frauen war es

grösser als 1:1,8 in 57,1 9f, kleiner als 1:1,7 in 14,8 9J,.

Die letzteren Zahlenreihen waren sehr klein, aber mit den Be- funden bei den Müdchen beweisen sie jedenfalls, dass das weibliche Ohr nicht die Eigenschaft des kindlichen runden besitzt, dass dieses Organ keine Anhaltspunkte Jenen giebt, die das weibliche Geschlecht als dem Kinde näherstehend, als inferior hinstellen. Eher könnte man das Gegentheil behaupten, da das Ohr mit seiner geringeren Grössen- ausdehnung, seiner proportionirt ovalen Form einen zierlicheren und feineren Bau vereinigt, als ihn das männliche Geschlecht zeigt. Wir werden später noch sehen, inwieweit dieser Allgemeineindruck der ge- naueren Untersuchung entspricht.

Von einem Negerohr ist bisher noch Kein einziges Breitenmaass veröffentlicht. Aber aus den übereinstimmenden Urtheilen über seine rundere und breitere Formung und aus den Messungen der ÖOhrlänge, die einen so eklatanten Gegensatz zwischen »Grossohren« und »Klein- ohren« ergaben, kónnen wir wohl ohne Gefahr einer Desavouirung den Satz von dem kindlichen Ohr der Neger ableiten und bestätigen damit die Vermuthung, die Ranke auf der 19. Anthropologenversammlung ausgesprochen hat. Waren meine Untersuchungen auch nicht die ge- wünschten »ausgedehnteren statistischen«, so mögen sie als erster Ver- such zu einer exacteren Bearbeitung unseres Gegenstandes gelten, als die erste Parallele, an die sich in späterer Zeit hoffentlich die zweite und dritte erfolgreich anschliessen werden. So kommt denn auch Peter

1) „Untersuchungen an Verbrechern über morphologische Verinleringen der Ohrmuschel“. Archiv für Ohrenh., Bd. XXXIV, p. 518.

996 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Camper wieder zu seinem Recht, der schon in Bezug auf die Ohr. länge Neger, Neugeborene und einjährige Kinder zusammen dem Euro- päer gegenüberstellte.e Vorzüglich passt dazu auch die Entdeckung Rankes von der stürkeren Neigung des Jochbogens gegen die deutsche Horizontale bei Kindern und niederen Rassen gegenüber dem erwachsenen Europäer.

In grössere Schwierigkeiten kommen wir, wenn die Frage nach der anthropologischen Bedeutung der Ohrform beantwortet werden soll, wenn eine Untersuchung darüber verlangt wird, ob sie ein Rassen- merkmal abgiebt und ob wir bei niederen Völkern Typen finden, die als thierühnlich, als ein früheres Stadium der Rückbildung anzusprechen und charakteristisch sind für die unteren Stufen der heute unserer Er- kenntniss zugänglichen Menschheit. Man muss bekennen, dass nichts derartiges bisher bekannt geworden ist.

Ich erwähnte früher bereits, wie man soweit gegangen war, den Naturvölkern bewegliche Ohren zuzuschreiben. Abgesehen von der Er- fahrung, die das Gegentheil beweist, erledigt sich dieser tolle Einfall durch die Thatsache, dass die Beweglichkeit der Ohren bereits bei den Anthropoiden völlig verschwunden ist; sie war also von einer anthro- pologischen Vergleichung nicht mehr zu erwarten. Vereinzelt und in beschränktem Maasse tritt sie, wie man weiss, auch bei uns auf. Wenn ich berühmte Beispiele anführen soll, so citire ich den Kaiser Justinian !), den Philosophen Crassot, den Leidener Anatom Albin, der mit ab- genommener Perrücke seinen Zuhörern diese Fertigkeit demonstrirte und den bekannten Tübinger Anatom Luschka. Ich würde auch Robes- pierre nennen, wenn ich nicht schon die Schlagwörter »Wahnsinn«, »Genialität«, »Verbrechen« mir entgegentönen hörte. Ein Jeder wird übrigens in seinem Kreise Diesen oder Jenen kennen, der dieselbe Ge- walt über seine Ohrmuscheln hat. Immer freilich nur in geringem Grade und nur in der einen Zug-Richtung nach hinten und oben.

Eine ebenso negative Antwort erhält man weiterhin, wenn man nach den übrigen Kriterien des Thierohres bei den Naturvölkern fragt, nach flachen, spitzen. randlosen Ohren. Wir haben gehört, dass die Form des Negerohres fein, zierlich, wohlgebildet ist; selbst bei den niedrigsten Rassen ist die Faltung des Helix, die Bildung des Läppchens und des Anthelixsystemes vollendet. Das spitzwinklig auf die Wange fortgesetzte Läppchen, das Langer bei einem Buschmannohr, Virchow bei einer Hottentottin antraf, kommt auch bei uns vor. Wenn Ranke

1) Citirt nach Carus Stern: „Die Krone der Schöpfung“.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 297

meint, das Fehlen des Läppchens sei eine affenähnliche Bildung, »insofern als sich, wie es scheint, ein gut entwickeltes Ohrläppchen nur beim Men- schen findet«, so habe ich schon das Läppchen der anthropomorphen Affen als sicher festgestellt und gar nicht so selten vorkommend erwähnt. Hier möchte ich nur noch auf die geringe Zahl der Affenexemplare hin- weisen, die man erlegt oder gar wissenschaftlich untersucht hat und die keinen zahlengestützten Schluss auf die Seltenheit des Läppchens ge- stattet.

Dann haben wir gesehen, dass das Letztere den Naturvölkera keines- wegs fehlt ung endlich muss daran erinnert werden, dass die Statistiken bei uns einen Procentsatz fehlender und adhürenter Ohrlüppchen nach- gewiesen haben, der uns kaum anders stellen kann wie die Natur- völker.

Schäffer!) findet in 12 °/, der Neugeborenen Adhärenz, Fränkel?) in 8 ?/, untersuchter Rekruten keine oder angewachsene, Binder in einem Drittel, bei einer besonders ausgewählten Beobachtungsreihe, die uns später noch beschäftigen wird, 15 °/, abnorme Läppchen. Nach Féré? war unter 473 normalen Menschen

Lobule absent 26 Mal, adhérent . . 88 ,, demi-adhérent 23 ,, indistinct . . 50 peu indistinct. 54 ,,

Also fast die Hälfte fehlerhaften Läppchenansatzes *). Grade- nigo +*+) fand: '

Bei Männern 21,3 °/, einfach angewachsene,

5 - 5,2 °/, unterspitzemWinkel angewachsene Lüppchen. Bei Frauen 9,5 ?/, einfach angewachsene,

» » 2,6?|, unter spitzem Winkel angewachsene Lüppchen.

Ich habe unter 549 normalen Individuen 23,3 °/, einfach ange- wachsene oder fehlende, 2 ?/, spitzwinklig fortgesetzte Läppchen an- gemerkt. Diese Zahlen beweisen vorläufig jedenfalls, dass die Läppchen- bildung auch innerhalb unserer Rasse keine durchgängige, ausnahmslose ist, und dass die Fälle von fehlendem Läppchen bei Negern und so

td

1) a. a. O.

2) „Ueber Degenerationserscheinungen bei Psychosen“. Zeitschrift für Psychiatrie 1886.

3) a. a. O.

4) „Zur Morphologie der Ohrmuschel“. Arch. f. Ohrenh., Bd. XXX, p. 232.

298 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

weiter weder für sie charakteristisch noch für ihre niedrigere, dem Thiere nähere Stellung in der Menschheit beweisend sind.

Ebenso ergeht es einem anderen Ueberrest des rudimentär ge- wordenen Thierohres, der Darwin'schen Spitzé. Sollte das Ohr Kriterien mehr oder weniger entwickelten Menschenthums zeigen, so er wartete man mit Recht ein hüufigeres Vorkommen des Restes der Thier- ohrspitze, der in Form des Darwin'schen Knótchens am Ohrrande sich erhalten hat. Auch das ist keineswegs der Fall. Etwas schwierig musste es freilich auch für die Wilden sein, uns zu überbieten, seitdem Schwalbe !) das Knötchen in 73,4 °/, aller Männer und in 32,8 ?/, aller Frauen nach- gewiesen, seitdem er von ihm gesagt hatte 2), »dass es nur in einer relativ kleinen Zahl von Fällen vermisst wird oder wenigstens verwischt erscheint« und dass »nur wenige Ohren eine genaue Bestimmung der Lage der Darwin’schen Spitze am Helixrande verweigern«. Da konnte es bei Jenen selbst im besten Falle nicht viel öfter gefunden werden. Nun fehlt uns über das Vorkommen dieser Anomalie bei den Natur- völkern fast jede Nachricht. Aus welchem Grunde, habe ich früher auseinandergesetzt. Wenn nun Schäffer’) meint, »auffallend ist es, dass die niedrigen Völker keineswegs in dem Vorkommen der Darwin- schen Spitze prävaliren«, so möchte ich einerseits den Hinweis auf ihre Häufigkeit bei uns wiederholen, andererseits aber betonen, dass wir in keiner Weise berechtigt sind, über diesen Punkt ein auch nur allgemein gehaltenes Urtheil abzugeben. Uns fehlt jede Statistik, jegliche zu- verlässige Mittheilung. Wie man aber gar aus dem Fehlen einer solchen den positiven Schluss auf das Fehlen der Anomalie machen kann, weiss ich nicht. Wie von einer vollendeten unbestrittenen Thatsache schreibt Schäffer, »weil nämlich die niedrigeren Völker seltener die Dar- win’sche Spitze hervorbringen«. Uebrigens fand sie Mense in fast 12 9|, seiner centralafrikanischen Neger. Ist die Zahl gegenüber denen Schwalbe’s auch gering, so bedenke man, dass Gradenigo nur 3,5 bezw. 3 °;, bei normalen Männern und Frauen, Väli nur 3 bezw. 0,8?/, angiebt und Féré und Séglas nur 6,9 °/, finden konnten. Wodurch diese grossen Differenzen bedingt sind, ob durch verschiedene Auffassung des Begriffs der Darwin'schen Spitze oder sonst wie, ist zunächst gleichgültig. Die Thatsache an sich der so weit auseinander- gehenden Beobachtungsresultate lässt die Möglichkeit offen, dass jene

1) Internationale Beitráge etc. 2) Anatomischer Anzeiger 1889. 3) a. a. O.

II. Die Ohrform als Rassenmerkmal. 299

Hemmungsbildung auch bei den Naturvölkern in derselben Häufigkeit vorkommt, wie bei uns. Die dunkle Hautfarbe mag ihr ausserdem viel von dem Auffälligen ihrer Erscheinung nehmen, und wenn die Berichte über die Negerohren uns von »fein, zierlich, wohlgebildet« erzählten, stützt sich dieses Urtheil lediglich auf die groben Grössen- und Form- verhültnisse; die Darwin'sche Spitze fand bei den Reisenden keine Beachtung und ist für sich allein auch nicht, oder nur selten im Stande, den Eindruck eines zierlichen hübschen Ohres zu verwischen. Ein gut Theil dieser Zierlichkeit des Negerohres mag darauf zurückzuführen sein, dass fleischige Kórpertheile beim Neger überhaupt selten, also auch dicke Ohrmuscheln mit voluminösen Rändern und Läppchen in den Rahmen der allgemeinen Erscheinung nicht passen würden. Endlich wäre es nicht unwahrscheinlich, dass die dunkelbraune oder schwarze Farbe den Eindruck der an sich schon sicher bestehenden Kleinheit eindringlicher macht. Dunkle oder helle Färbungen be- wirken ja wesentliche Täuschungen über die Grösse eines und des- selben Gegenstandes.

Sollte es sich jedoch als wahr herausstellen, dass die Neger mehr »normále« Obren besitzen, mehr die Spuren früherer Zustände Dar- win’sche Spitze, angewachsenes Läppchen, Ausglättung des Helix überwunden haben wie wir, so müsste man ihnen in diesem Punkte eine vorgeschrittenere Entwicklung einräumen, als wir uns erfreuen. Schwalbe sagt, »am reducirtesten ist das Ohr des Orang und die Ohrformen der Buschmünner mit der stärkeren Einrollung des Helix- randes machen in dieser Beziehung einen ähnlichen Eindruck wie die stark eingerollten Ohren des Orang«. Ist der Vergleich eines Orang mit einem Buschmann recht willkürlich, entspricht nach meiner Ueber- zeugung die Voraussetzung der Buschmann-Ohrform nicht den That- sachen, so wäre es auch wenig einleuchtend, wieso ein Organ allein, wieso das Ohr allein bei den Negern auf der höchsten Entwicklungs- stufe stehen soll, während man sonst ihre Gesichts- und Schädelbildung für die primitivere gegenüber der unserigen ansieht. Oder könnte man umgekehrt daraus den Schluss ziehen, dass die ganze europäische Be- völkerung eine degenerirte Species des Menschengeschlechtes darstellt gegenüber den »besseren Wildenmenschen«, insofern sie wieder Ohr- typen hervorbringt, die bereits auf tieferer Stufe überwunden waren? Will man vielleicht die Beobachtung Binder’s!) verwerthen, dass die

1) a. a. 0., p. 588 und 558. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 91

300 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

durch Trunksucht Belasteten am meisten abnorme Läppchen aufweisen und dass unter 27 Nachkommen von Trunkenbolden 25 Merkmale von Degeneration der Körperbildung geerbt haben? Ob Jemand eine solche Thatsache in’s Ungemessene verallgemeinern will, eine solche Alkohol- durchseuchung unserer civilisirten Menschheit im Ernste behaupten vill, weiss ich nicht. Dass er es könnte, möchte ich bestreiten. Sollte eine ganze Rasse in Atavismus verfallen? Oder wäre gar Civilisation selbst Degeneration, geistige und körperliche Entartung, welch’ letztere sich zuerst an den rudimentären Organen, am Ohr z. B., zeigt ? Die Jünger einer gewissen Schule werden freudig in diesen Ruf einstimmen und desto lauter die Degeneration proklamiren, je energischer sie ihre eigene werthe Person dagegen verwahren. Eine kurze Herrlichkeit wär's ge- wesen, die Menschheit in ihrer Vollendung auf der Stufe des Negers! Nein, wir sind ganz und gar nicht degenerirt.

Man könnte wie bei der Grössenausdehnung des Ohres s0 auch hier bei seiner Gestaltung ganz verschiedene Entwicklungsreihen annehmen und glauben, dass dem Ohr in Afrika die Involution besser gelungen ist, als in Asien. Hierbei ist die Beobachtung der Natur. forscher nicht uninteressant, dass das Darwin’sche Knötchen am Örangohr häufiger als bei den afrikanischen Anthropoiden gefunden wird. Eine plausiblere Erklärung würde ich immer in einer be uns durch grössere Rassenmischung gesteigerten Variabilität eines an sich ungemein variablen rudimentären Organes finden.

Doch das war ja nur die Entgegnung auf eine Behauptung. die durch keinen Schein eines Beweises gestützt ist. Nach unseren heutigen Kenntnissen besteht in der Form des Ohres kein tiefgreifender Uhnter- schied innerhalb der verschiedenen Rassen. Wenn ich in seinen Grössen- verhältnissen Differenzen gefunden habe, die mich dazu führten, die »Kleinohren« den »Grossohren« gegenüberzustellen und in jenen das kindlichere Stadium gegenüber den Letzteren zu erblicken, so wird diese Auffassung durch jenen Mangel in keiner Weise alterirt. Auch bei uns ist die kindliche Form des Ohres von der reifen nicht unterschieden. die Variationen der Modellirung erleiden während des extrauterinen Lebens keinerlei Veränderung.

m~ yy

I c o71

L. Grünwald: Zur Frage der Nachbehandlung etc. 301 XVIII.

Zur Frage der Nachbehandlung nach der opera- tiven Eróffnung der Mittelohrráume. Von Dr. L. Grünwald in München.

Ende des Jahres 1893 habe ich ein Verfahren zur Nachbehandlung der radicalen Antrum-Kuppelraumeröffnung kurz und später in extenso veröffentlicht !), welches mehrfach in seinem Endzweck und seiner Aus- führung ganz missverstanden worden ist. So hat noch kürzlich Kretsch- mann in seiner letzten Veröffentlichung ?) dasselbe als Verfahren zur Erzielung bleibender retroauriculärer Oeffnungen mittels Lappenbildung »aus der hinter dem Eröffnungsschnitt gelegenen Gegend« bezeichnet. Das ist ganz irrig. Mein Verfahren nimmt weder Lappen aus dieser Gegend, noch erzielt es retroauriculäre Oeffnungen, sondern gerade im Gegentheile sofortigen Verschluss der Wunde. Nur das letztere ist der entscheidende Punkt, in dem sich dasselbe seinerzeit im Gegen- satz zu allen anderen bis dahin geltenden Verfahren, welche alle nur Modificationen der dauernden Retroauricularóffnung darboten, stellte.

Unabhängig von mir war dieses neue Vorgehen (nämlich der so- fortige Verschluss) noch von zwei anderen Autoren ausgeführt und em- pfohlen worden und zwar in folgender zeitlicher und sachlicher Reihen- folge: Panse?) (Mai 1893), Grünwald (November 1893), Körner‘) (Mai 1894).

Ich halte gerade das diesen drei Methoden gemeinsam zu Grunde liegende Princip, durch sofortigen Verschluss die Wundbehand- lung abzukürzen und die hässliche Entstellung durch die persistente Oeffnung hinter dem Ohre zu vermeiden, für so wichtig, dass hinter demselben die Art der Lappenbildung weit in zweite Reihe zurücktritt, es also nicht angeht (wie das auch schon geschehen ist), mein Ver- fahren als grundverschieden von dem Kórner's hinzustellen. Kórner's Verfahren ist in der That, auch bezüglich der Lappenbildung, nur eine

1) Münch. Med. Wochenschrift, 1893, 52, Deutsche Medicin. Wochenschrift, 1895, 47. 2) Klinische Vorträge aus dem Gebiete der Otologie und Pharyngo-Rhino- logie, Jena 1896, II. Bd., I. H., p. 20. 3) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXIV. 4) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXVII. 21*

302 L. Grünwald: Zur Frage der Nachbehandlung etc.

Modification des Panse’schen, insofern Körner dem Panse’schen Lappen nur eine verlängerte Basis aus der Ohrmuschel heraus verleiht. Panse benutzt aber den aus dem häutigen Gehörgang resp. der Ohrmuschel gewonnenen Lappen nicht zur Deckung des Knochen- defectes.

In dieser Hinsicht liegt der einzige und, wie gesagt, nicht wesentliche Unterschied meines Verfahrens, welches den gespaltenen Gehörgangsschlauch nur zur Knochendeckung verwendet, gegenüber dem Panse’s

Ueber den Werth des sofortigen Verschlusses, sobald nur der Zu- gang von vorn durch ausgiebige Knochenoperation und Weichtheil- spaltung hinlänglich für die Dauer erweitert ist, mich hier auszulassen, ist kein Bedürfniss, da unterdessen genügend praktische Erfahrungen selbstständiges Urtheilen ermöglicht haben.

Auch den Werth der Panse-Körner’schen gegenüber meiner Art der Plastik abzuwägen, muss sowohl dem Urtheile anderer als, meiner Meinung wenigstens nach, dem jeweiligen Verhalten des Einzelfalles überlassen bleiben. Nur möchte ich noch hervorheben, dass die Mängel, welche Kretschmann ?) noch bei Körner’s Plastik empfunden hat, nämlich zuweilen Eintreten von Perichondritis und Entstellung durch die grosse Ohróffnung bei der von mir geübten Plastik, mir wenigstens noch nicht zur Kenntniss gekommen sind. Da letztere auch, bei Ver- dacht auf nicht aseptischen Wundverlauf, ohne Stórung der Lappen- anheilung eine temporüre oder auch lünger dauernde Offenhaltung der hinteren Wunde ermöglicht (in einem meiner späteren Fälle ausgeführt), so glaube ich das Recht zu haben, dies Verfahren genau nach der seiner Zeit gegebenen und jedes Missverständniss ausschliessenden Schilderung wenigstens einmal der Nachprüfung empfehlen zu dürfen.

Besprechungen

Die Krankheiten der oberen Luftwege. Von Prof. Dr. Moritz Schmidt. Berlin 1897.

Besprochen von

Prof. Dr. Ad. Barth in Leipzig.

Schon nach drei Jahren erscheinen „die Krankheiten der oberen Luftwege“ in zweiter Auflage. Dieser einen Begleitbrief auf den Weg zu geben. ist eigentlich überflüssig. Bringt sie doch alles Gute der ersten Auflage und noch vieles mehr. Sie erscheint zum grössten Theil völlig umgearbeitet und mit noch vielen neuen Zusätzen, so dass die Seitenzahl trotz einzelner Streichungen sich um mehr als 150 vermehrt hat. Vor allem sind die Abschnitte über Diphtherie und Schilddrüse gründlich neu bearbeitet. Es sind überall bereits die Namen der neuen anatomischen Nomenclatur eingeführt. Die früher photographischen Tafeln der pathogenen Mikroorganismen sind durch farbige ersetzt. Mehr als in der ersten Auflage ist auch die Literatur, und besonders die der letzten Jahre berücksichtigt. Mit mir wird mancher den Wunsch theilen, dass in einer neuen Auflage, die ja sicher nicht lange auf sich warten lassen wird, die Individualität des Verfassers gegen die aufgenommenen fremden Leistungen wieder mehr in den Vordergrund tritt. Jeder Ein- geweinte wird dann das Buch um so lieber zur Hand nehmen, der An- fänger aber trotzdem noch immer mehr finden, als er braucht.

Fachangelegenheiten. Der practische Arzt Dr. Stacke in Erfurt erhielt den Professortitel.

Dem Geheimen Medicinalrath Prof. Dr. Trautmann in Berlin wurde der Kgl. Preussische Kronenorden 2. Klasse verliehen.

Im December vorigen Jahres starb in Genf Dr. Colladon im Alter von 55 Jahren, Verfasser mehrerer otologischer Arbeiten.

Professor Prussak, dessen Name durch den nach ihm benannten Prussak’schen Raum verewigt ist, starb in Petersburg 58 Jahre alt.

Die von uns abgedruckte Eingabe der akademischen Vertreter der Ohrenheilkunde hat der Petitionscommission des Reichstags vorgelegen. In den Berathungen der Commission wurde allseitig die grosse Bedeutung der Wünsche der Patienten anerkannt und einstimmig beschlossen, die Petition dem Reichskanzler zur Berücksichtigung zu überweisen.

An der medicinischen Poliklinik in Leipzig bestand seither eine Abtheilung für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke unter Leitung des für diese Fächer habilitirten Assistenten der medicinischen Poliklinik Dr. Friedrich. Seit dem 1. April d. J. ist diese Abtheilung der medicinischen Poliklinik beseitigt und ihr Leiter als Assistent an der Klinik für Ohrenheilkunde und verwandte Fächer eingetreten.

Der Oesterreichische Otologentag findet am 28. u. 29. Juni in Wien statt. Anmeldung von Vorträgen etc. sind an Herrn Docenten Dr. Jos. Pollak zu richten.

Nachtrag zur Besprechung der anatomischen Nomenclatur.

Die von mir in der Besprechung der anatomischen Nomenclatur empfohlene Bezeichnung „Keller“ für den untersten Theil der Pauken- höhle ist bereits früher von Grunert gebraucht worden. (Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. 35, S. 200.) Kórner.

69. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Braunschweig, 20.—25. September 189".

Die unterzeichneten Mitglieder des Vorstandes der Abtheilung für

Ohrenheilkunde

beehren sich, die Herren Fachgenossen zu der vom 20.—25. September hier stattfindenden Jahresversammlung ergebenst einzuladen.

Wir bitten, Vorträge und Demonstrationen spätestens bis Mitte Mai bei einem der Unterzeichneten anmelden zu wollen, da den allge- meinen Einladungen, welche von den Geschäftsführern Anfangs Juli zur Versendung gebracht werden, bereits ein vorläufiges Programm der Ver- sammlung beigegeben werden soll. |

Für Mittwoch, den 22. September, ist von Seiten der naturwissen- schaftlichen Hauptgruppe des wissenschaftlichen Ausschusses eine ge- meinsame Sitzung aller sich mit der Photographie wissenschaftlich beschäftigenden oder dieselbe als Hülfsmittel der Forschung benutzenden naturwissenschaftlichen und medicinischen Abtheilungen in Aussicht ge- nommen, für die Herr Prof. H. W. Vogel in Charlottenburg den ein- leitenden Vortrag über den heutigen Stand der wissenschaftlichen Photo- graphie zugesagt hat. An denselben sollen sich Berichte über die von anderen Seiten gemachten Erfahrungen anschliessen; auch soll eine Aus- stellung wissenschaftlicher Photographien damit verbunden werden, deren Organisation Herr Prof. Max Müller hieselbst übernommen hat. Die Anmeldung von Mittheilungen für diese Sitzung und von auszustellenden Photographien erbitten wir gleichfalls spätestens bis Mitte Mai.

Zugleich ersuchen wir, uns etwaige Wünsche in Betreff weiterer gemeinsamer Sitzungen mit einzelnen anderen Abtheilungen kundgeben und Berathungsgegenstände für diese Sitzungen nennen zu wollen.

Der Einführende: Der Schriftführer: Dr. med. Hugo Koch Dr. med. Waldemar Kühne Arzt für Ohren-, Nasen- und Ohrenarzt Halskrankheiten Siegesplatz 1 a. p.

Brabantstrasse 7. I.

Rub. i. y ue eom gu LIU LLLA PU ep cu

Verlag von J. F. BERGMANN in Wiesbaden.

Die Ohrenheilkunde des Hippokrates.

Vortrag gehalten in der Abtheilung für Ohrenheilkunde der 67. Versammlung Deutscher Natur- forscher und Aerzte zu Lübeck im September 1895. Von

Dr. Otto Körner, Professor und Direktor der Universitätspoliklinik für Ohren- und Kehlkopfkranke in Rostock.

Preis M. —.80.

Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit.

Klinische Beiträge

zur Kenntniss der sogenannten

subcorticalen sensorischen Aphasie

sowie des

Sprachverständnisses der mit Hörresten begabten Taubstummen Dr. C. ud.

Nervenarzt in Breslau.

Preis M. 3.60.

Torino Carlo Clausen Torino.

ARCHIVIO ITALIANO

OTOLOGIA, RINOLOGIA E LARINGOLOGIA

Pubblicato per cura dei Professori . G. Gradenigo, E. De Rossi,

Torino. Roma.

Vol. V di pagine 608, illustrato da 19 figure, il ritratto di E. DE ROSSI e una doppia tavola a colori. Fr. 15.—

Pubblicazione Giubilare per festeggiare il 252 anno di cattedra del Prof. Emilio De Rossi di Roma. Il volume, alla cui buona riuscita cooperarono quasi tutti gli odierni Specialisti Italiani e qualche insigne collaboratore estero dell’ Archivio, da la

misura delle fiorenti condizioni nelle quali si trova attualmente in Italia lo studio di tali discipline.

Pruck von Carl Ritter in Wiesbaden.

H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage. 307 XIX.

Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage.

Von Dr. H. Eulenstein in Frankfurt a. M.

Trotz der vortrefflichen Bearbeitungen, welche die otitische Pyämie in den letzten Jahren gefunden hat, sind doch über die Entstehungs- ursachen gewisser Formen derselben die Meinungen noch getheilt. Die Pyämie durch totale Hirnsinusthrombose ist ein so typisches Bild für die Entstehung und den Verlauf der Pyämie überhaupt, dass über diese Form natürlich eine Meinungsverschiedenheit zur Zeit nicht mehr besteht; vielmehr sind es diejenigen Formen der otitischen Pyämie, die klinisch unverkennbare Abweichungen zeigen von der erstgenannten und die insbesondere Körner in seinem Buche und neuerdings auf der Naturforscherversammlung zu Frankfurt a. M. von den verschiedenen Bearbeitern dieses Gegenstandes am schärfsten von den durch Sinus- thrombose entstandenen abtrennt. Es sind dies die Fälle, die von Hessler und Brieger als einfache otogene Pyämie ohne Betheiligung eines Sinus, von Körner als Pyämie durch Osteophlebitis bezeichnet werden. Diese letztgenannten Formen unterscheiden sich insbesondere durch die Verschiedenneit der Localisation der Metastasen, beziehungsweise vollständiges Fehlen derselben, sowie dadurch, dass sie häufiger bei acuten als bei chronischen Eiterungen im Schläfenbein auftreten, und gewöhnlich eine bessere Prognose haben wie die Ersteren.

Bekanntlich hat Leutert das Verdienst, auf der letzten Natur- forscherversammlung zu Frankfurt a. M. und in einer eingehenden Arbeit im Archiv für Ohrenheilkunde (Bd. XLI, Heft 3 u. 4) die Auf- merksamkeit auf eine Entstehungsweise der otitischen Pyämie hingelenkt zu haben, die bislang durchaus nicht genügend gewürdigt worden ist und die geeignet erscheint, ein ganz neues Licht auf manche Formen der otitischen Pyämie zu werfen; es ist das die wandständige Hirnsinusthrombose. _Um nun in dieser Frage vorwärts zu kommen und vor Allem, um zu entscheiden, ob solche scheinbar ohne Sinusaffection verlaufenen Fälle von Pyämie wirklich stets auf einer partiellen Sinuserkrankung oder wandständigen Sinus- thrombose beruhen, erscheint es dringend geboten, ein möglichst grosses Material zusammenzutragen, wie das ja auch Leutert fordert.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 22

308 H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage.

Es muss darum jeder genau beobachtete Fall, sofern er nur einwands- frei ist, zur Klärung dieser Frage beitragen. Ich habe in der letzten Zeit zwei einschlägige Beobachtungen gemacht, die ich deshalb den Collegen mittheilen möchte.

I. Beobachtung. .

= Alex M., 14 Jahre, aus Offenbach a. M., erkrankte in den ersten Tagen des März 1897 an Fieber und rechtsseitigen Ohrenschmerzen, welche mit dem Eintritt einer eitrigen Otorrhoe nachliessen; doch hatte Pat. noch zeitweise geringe Temperatursteigerungen. Nach einigen Tagen vollständigen subjectiven Wohlbefindens trat plötzlich in der Nacht vom 12. auf 13. März ein Schüttelfrost mit Temperatursteigerung auf 40,4 und zweimaliges Erbrechen auf.

Am 13. März war die Temperatur 40,4, ohne dass Pat. irgend- welche Klagen hatte. Am 14. März sah ich den Patienten zum ersten- mal. Die Temperatur war 40,4, der Puls beschleunigt; Pat. machte den Eindruck eines schwer Kranken; es bestanden weder Ohr- noch Kopfschmerzen. Die eitrige Absonderung aus dem rechten Ohr war minimal; das Trommelfell, zum Theil mit Epidermisschollen bedeckt, erschien aufgequollen, die Perforationsstelle nicht sichtbar, keine Vor- wölbung. Der rechte Warzenfortsatz, dessen Weichtheile keine Schwel- lung zeigten, war nur an der Vorderseite der Spitze deutlich druck- schmerzhaft und hier war auch eine Schwellung des Periost durchzu- fühlen. Percussion des Schädels an keiner Stelle schmerzhaft, Pupillen reagirten normal. Der in Anbetracht der bedrohlichen Erscheinungen den Eltern gemachte Vorschlag der Operation der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes wurde sofort angenommen und Pat. am Abend desselben Tages nach Frankfurt a. M. in das Schwesternhaus des Bethanien- Vereins geschafft. Temperatur Abends 38,6.

15. März. Temperatur Morgens 40,1. Erbrechen war nicht mehr aufgetreten, ebensowenig ein Schüttelfrost. Keine Kopfschmerzen. Operation Morgens 8 Uhr: Der Warzenfortsatz war sehr blutreich und der Knochen in grosser Ausdehnung erweicht, dagegen fand sich nur eine geringe Menge Eiter; das auffallend weit nach hinten innen liegende Antrum mastoideum war mit Granulationen gefüllt, enthielt aber keinen Eiter. Nachdem ich alles, was krank erschien, mit Meissel und scharfem Löffel entfernt hatte, wartete ich zunächst den Erfolg dieses Eingriffes ab und verzichtete vorerst auf eine Freilegung des Sinus, da dem Frost vom 12. März kein zweiter gefolgt und das Fieber kein typisch pyämisches, auch keine Metastase entstanden war. Eine Stunde nach der Operation Schüttelfrost von !/,stündiger Dauer. Mittags wurde der Augenhintergrund augenärztlich untersucht und erwies sich beiderseits normal. Abends Temperatür''40,1. Keine Milzvergrósserung nachweisbar.

H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage. 309

16. März. Morgens Temperatur 36,6 bei subjectivem Wohlbefinden. Mittags 1 Uhr tritt plötzlich ein schwerer Collaps auf, sowie zweimaliges Erbrechen kaffeesatzartiger Massen; das Sensorium ist frei, Pat. hat keine Klagen. Durch energische Anwendung von Campher und andern Excitantien wird der Puls zeitweise wieder fühlbar. Pat. wird den ganzen Abend und die Nacht unter Campherwirkung gehalten; gegen Morgen des 17. März wurden wiederholt kaffeesatzartige Massen erbrochen. Allmáhliches Schwinden des Sensoriums. Gegen 6 Uhr morgens werden die Pupillen weit, reagiren nicht mehr, das Sensorium ist geschwunden; da tritt noch einmal ein fast ?/,stündiger Frost auf ohne folgende Temperatursteigerung; die Athmung wird geräuschvoll (inspiratorisches Schlürfen), bleibt aber regelmässig. Exitus im tiefsten Coma °/,10 Uhr Vormittags.

Sectionsergebniss:

(Die Section wurde 50 Stunden post mortem von Herrn Dr. Müller, Assistenten des hiesigen pathologischen Instituts, ausgeführt).

Nach Eröffnung der Schädelhöhle zeigte sich die Dura mater prall gespannt. Im Sinus longitudinalis superior frisches Gerinnsel und flüssiges Blut. Die weichen Hirnhäute stark hyperämisch. Die Seitenventrikel in geringem Maasse erweitert, enthalten weniges trübes Serum. In der Substanz des Grosshirns, im Klein- hirn, Pons und Medulla oblongata findet sich nichts Bemerkens- werthes. Im Sinus longitudinalis inferior frisches Blutgerinnsel. Im rechten Sinus transversus, sowie in den süámmtlichen übrigen Sinus der rechten und linken Seite theils flüssiges Blut, theils frisches Gerinnsel. Nachdem die Dura mater von ihrer knóchernen Unterlage abgezogen war, zeigte sich die äussere Wand des rechten Sinus sigmoideus in der Ausdehnung von 2 cm ungefähr in der Mitte des dem Warzenfortsatz angelagerten Theiles hóckerig, uneben, durch derbe Granulationen verdickt, und genau dieser Stelle entsprechend findet sich an der Innenwand in das Lumen des Sinus hineinragend ein lünglicher, spitz zu- laufender, etwa 1!/,cm grosser, der Sinuswand flach aufsitzender Thrombus, der an seinem centralen Ende theilweise eitrig zerfallen ist.

Im rechten Sulcus transversus findet sich an der entsprechenden Stelle die den Sinus von der Operationshóhle trennende fast papierdünne Knochenschicht erweicht und mit Eiter durchsetzt. Die Pauke enthält Eiter und Granulationen. Im Endocard keine Blutungen. Lungen etwas hyperämisch; die vergrósserte Milz im Zustande vorge- schrittener Fäulniss, ebenso die Nieren. Im Oesophagus und Magen verändertes Blut (kaffeesatzartig), dessen Quelle in der schon ziemlich macerirten Schleimhaut nicht zu finden war.

22*

310 H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage.

I. Beobachtung.

Else G. aus Höchst a. M., 12 Jahre alt, erkrankte wenige Wochen, bevor ich sie zum ersten Mal sah, nach einer lacunären Angina an Ohrenschmerzen links und Fieber, worauf bald unter Nachlass der Erschei- nungen eitriger Ohrenfluss links auftrat. Die Temperatur war in der Folge nur zeitweilig Abends auf 37,8—9 gestiegen. Am 21. März 1897 sah ich Pat. zum ersten Mal und konnte eine teigige Infiltration der Bedeckung des linken Warzenfortsatzes feststellen, die sich bis nach der Hinterhauptsschuppe zu erstreckte und stark druckschmerzhaft war. Die Eiterabsonderung aus dem linken Ohr war minimal, das Trommel- fell aufgequollen, verdickt, Perforationsstelle wegen vorliegender er- weichter schmieriger Epidermismassen nicht zu sehen. Temp. 38,7. Pat. wurde noch am selben Abend in das hiesige Diaconissenhaus über- führt und nahm ich am nächsten Morgen, 22. März, die Aufmeisselung in der üblichen Weise vor. Schon der erste Meisselschlag eröffnete eine mit Eiter gefüllte Höhle; es wurde die ganze äussere Wand des Warzenfortsatzes von der Basis bis zur Spitze und weit nach hinten abgetragen; der Knochen erwies sich als sehr zellenreich ; sämmtliche Zellen waren mit Eiter gefüllt, so dass sie ein Bild darboten, wie ge- füllte Honigwaben.

Wegen der Ausdehnung des Krankheitsherdes nach hinten zu musste ich das Operationsfeld noch durch einen Horizontalschnitt weiter freilegen, um die sehr weit nach hinten reichenden. erkrankten Zellen freilegen zu können. Dabei entstand eine starke Blutung aus dem Emissarium 'mastoideum, die auf Tamponade bald stand. Das Antrum enthielt Eiter und Granulationen und wurde breit freigelegt. Bei der Abmeisselung des erkrankten Knochens nach hinten zu ergab es sich, dass die Erkrankuug bis an den Sinus transversus heranreichte; derselbe wurde freigelegt und es zeigte sich, dass seine äussere Wand in der Ausdehnung von 1!/, cm entzündlich ver- dickt mit hóckerigen derben Granulationen bedeckt war. Nachdem alle kranken Knochentheile entfernt waren, wurde die grosse Wundhóhle mit Jodoformgaze austamponirt. Abends Temperatur 38,3. Am folgenden Tage wurde der Augenhintergrund augenärztlich unter- sucht und ergab beiderseits normale Verhältnisse. Die Temperatur fiel nun zwei Tage nach der Operation wohl für zwei Tage zur Norm zurück, um dann aber die nächsten 8 Tage einen ausgesprochen pyämischen Charakter anzunehmen; sie bewegte sich in mehr weniger steilen Anstiegen und Abfällen zwischen 36,0 und 39,4. Milzschwellung war während des ganzen Verlaufes klinisch nicht nachweisbar; es traten keine Metastasen auf, das Allgemeinbefinden entsprach den jeweiligen Temperaturverhältnissen. Die Wundheilung ging ohne Zwischenfall von Statten und ist Patientin nach 6 Wochen vollständig geheilt.

Epikrise: Bei dem ersten Fall interessirt zunächst der rapide Verlauf. Es handelt sich bei demselben unzweifelhaft um eine echte

H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage. 311

Intoxication, hervorgerufen durch hochgradige Virulenz der in das Blut gelangten Toxine, welche das Ende herbeiführten, bevor noch sich eine wirkliche, typische Pyámie überhaupt ausbilden konnte. Für diese Auffassung spricht der ungemein rapide Verlauf, die mehr- tàgige hohe Continua, die Euphorie des Patienten, das allmähliche Schwinden des Sensoriums, sowie die Hämorrhagie der Magenschleimhaut.

Ich glaube, dass in solchen Fällen vor Allem für den klinischen Verlauf der Grad der Virulenz der aufge- nommen toxischen Substanzen maassgebend ist, je nach diesem wird sich dann der Verlauf entweder bei hoch- gradiger Virulenz so gestalten, wie in dem vorliegenden ersten Falle und dieser dürfte sich mit dem Bilde, das Körner unter dem Namen der otitischen Sepsis gezeichnet hat, decken, oder aber bei geringerer Virulenz werden nicht die Toxine direct todtbringend wirken, sondern es werden die typischen klinischen Symptome der Pyämie das Krankheitsbild beherrschen.

Der Fall zeigt uns weiter die Wichtigkeit genauesten Suchens nach Thromben in derartigen Fällen, eine Forderung, die Leutert ja aufs Nachdrücklichste stellt. Hätten wir uns bei der Section auf die übliche Eröffnung des Sinus transversus von oben her beschränkt, wir hätten den Thrombus niemals zu Gesicht bekommen; denn er wurde erst gefunden, als wir die Dura mater von der knöchernen Unterlage loslösten und den Sinus ausgebreitet von aussen und innen untersuchten. Trotzdem ich glaubte, alles Kranke bei der Operation entfernt zu haben, zeigte die Section doch, dass ein kleines, fast papierdünnes Stückchen Knochen noch erkrankt war und der Sinuswand anlag; es ist das wiederum eine Mahnung, auch in den Fällen, wo sehr hohe Tempera- turen vorhanden sind, ohne dass typische Zeichen von Pyämie bestehen, doch den Sinus gleich freizulegen.

Was den zweiten Fall betrifft. so muss ich zunächst ausführen, aus welchen Gründen ich mich für berechtigt halte, denselben als einen Fall von wandständiger Sinusthrombose aufzufassen. Bei der Operation fand ich tie äussere Sinuswand unzweifelhaft entzündlich erkrankt und zwar bot dieselbe genau dasselbe Bild dar, wie ich es wenige Tage zuvor bei der. Section des Falles I gesehen hatte. Patientin hatte trotz gründlichster Entfernung der erkrankten Knochentheile noch ein längere Zeit andauerndes Fieber von typisch pyämischem Charakter, zu dessen

312 H. Eulenstein: Casuistische Beiträge zur Pyämiefrage.

Erklärung, da eine totale Sinusthrombose mit ihren Folgeerscheinungen nicht eintrat, doch nur drei Möglichkeiten offen bleiben, entweder handelte es sich um eine osteophlebitische Pyämie oder um eine wand- ständige Thrombose des betr. Sinus transversus, oder um eine Throm- bose eines andern Sinus. Von diesen 3 Möglichkeiten kann hier meines Erachtens nur die einer wandständigen Thrombose des Sinus transversus in Betracht kommen; denn es fand sich bei der Operation der Krank- heitsherd nicht nur bis an den Sinus transversus heranreichend, sondern die äussere Sinuswand war unzweifelhaft entzündlich erkrankt. Sollen wir nun bei diesem Befunde annehmen, dass trotz der Erkrankung der Wand des Sinus transversus das pyämische Fieber seine Entstehung einer Osteophlebitis verdankt, die in diesem Falle schon darum unwahr- scheinlich ist, weil der kranke Knochen so gründlich als nur möglich entfernt worden ist; oder aber sollen wir annehmen, dass, trotzdem wir die erkrankte äussere Wand des Sinus transversus vor Augen gehabt haben, die innere Wand irgend eines andern Sinus erkrankt war? Beide Erklärungsversuche wären in Anbetracht des thatsächlichen Be- fundes ungemein gezwungene und durchaus unbefriedigende. Ich stehe darum nicht an, auch diesen zweiten Fall, obgleich ich glücklicherweise kein Sectionsprotocoll darüber aufweisen kann, als wandständige Throm- bose des Sinus transversus aufzufassen. Der Anschluss an eine lacunäre Angina bestätigt die bekannte Thatsache, dass diese Erkrankung besonders leicht sehr bösartige Ohrerkrankungen nach sich zieht. Die beiden Fälle sind im Anschluss an acute Schläfenbein- erkrankungen entstanden; es verdient dies besonders hervorge- hoben zu werden, da wir bei der geringen Zahl bis jetzt bekannt gewordener Fälle von wandständiger Sinusthrombose noch nicht in der Lage sind zu entscheiden, ob gerade die acuten Erkrankungen des Schläfenbeins bei ihrem Zustandekommen eine hervorragende Rolle spielen. Diese Beobachtungen können natürlich die vorliegende Streit- frage von der Entstehung gewisser Formen der otitischen Pyämie nicht entscheiden, denn das kann erst durch ein sehr grosses Beobachtungs- Material geschehen, sie sollen aber einen bescheidenen Beitrag liefern, die schwebende, hochwichtige Frage ihrer Entscheidung ein wenig näher zu rücken. e

e eE e a aiaa i EE y, =

J. Morf: Die Krankheiten des Ohres etc. 313 XX.

Die Krankheiten des Ohres beim acuten und chronischen Morbus Brightii.

Von Dr. J. Morf in Winterthur.

Sehstórungen sind beim Morbus Brigthii bekannte Symptome, und gewisse Veränderungen am Augenhintergrunde haben für denselben geradezu pathognomonische Bedeutung erlangt, so dass die Fälle nicht selten sind, wo mit dem Augenspiegel das Nierenleiden zuerst erkannt wird. Es existirt denn auch kaum eine Abhandlung über Nierenkrank- heiten, welche, sofern sie Anspruch auf Vollständigkeit macht, nicht diese Beziehungen einer eingehenden Besprechung würdigte. Angesichts dieser Thatsachen verfolgte ich mit nicht geringem Interesse einige Fälle chronischer Nierenentzündung, bei welchen Gehörstörungen in ganz hervorragender Weise das Krankheitsbild beherrschten. Es veranlasste mich das um so mehr, in der Literatur nach weiteren derartigen Be- obachtungen Umschau zu halten, als ich mich nicht erinnern konnte, ausser in einigen wenigen otiatrischen Arbeiten hierüber etwas gelesen zu haben. Und in der That gehen die Abhandlungen über Nieren- krankheiten fast ausnahmslos mit lakonischer Kürze über diesen Gegen- stand weg. Es ist das um so auffallender, als sie anderseits gerne daran erinnern, dass im Verlaufe und im Zusammenhange mit acuten und mehr noch mit chronischen Nierenentzündungen Erkrankungen der verschiedensten Organe des Körpers einhergehen und sogar oft die unmittelbare Todesursache abgeben. Ich finde aber keinen Grund, anzunehmen, dass nicht auch das Ohr hie und da an diesen secundären Vorgängen Antheil nehmen sollte, ein Organ, das doch bekanntermaassen leicht primär und sekundär im Anschluss an andere locale und All- gemeinleiden erkrankt. |

Die ersten Angaben über den Zusammenhang von Hörstörungen mit Nierenkrankheiten finden wir bei Rayer(1), den ersten ausführlich beschriebenen Fall bei Rosenstein(2). Es ist aber das unbestreitbare Verdienst Dieulafoys(3), zuerst gezeigt zu haben, dass ein solcher Zusammenhang weit häufiger vorkommt, als bisher allgemein angenommen wurde und dass für gewisse Formen von Nierenentzündungen die Hör- störungen gleich wie die Störungen von Seiten des Auges hervorragende diagnostische Bedeutung erlangen können. „Ces Symptömes peuvent étre d'un grand secours dans les formes frustes des néphrites alors que

314 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

la maladie ne se revele ni par des oedémes ni par d'autres signes apparents. Deux fois j'ai vu la nephrite interstitielle caracterisée seulement par un bruit de galop, mais il existait en méme temps des troubles anditifs, et l'examen des urines decelait l’albumine et confir- mait le diagnostic“. Dieulafoy und seine Schüler Pissot (4), Alibert (5) und Doumergue (6) fanden unter 72 Patienten mit acutem und chronischem Morbus Brightii 35, welche zugleich Störungen von Seite des Gehörs aufwiesen.

Freilich scheinen diese Mittheilungen nicht die erwünschte Auf- merksamkeit erzielt zu haben, bis heute wenigstens flossen das in Rede stehende Thema betreffende Beiträge verhältnissmässig sparsam. Dazu mag allerdings der Umstand beigetragen haben, dass die von den oben eitirten französischen Autoren publicirten Krankengeschichten insofern wesentliche Mängel aufweisen, als das Ohr jeweils nicht nach allen Richtungen so genau untersucht wurde, dass uns ein sicheres Urtheil über Art und Sitz der Störung möglich wäre. Daher kommt denn wohl auch die vielfach vertretene Ansicht, es seien alle die Hör- störungen bei Nephritis Prodrome oder Symptome der Uraemie.

Schon vor Dieulafoy haben Schwartze (7) und Buck (8) Mittelohrblutungen bei Morbus Brightii beobachtet und beschrieben und auch alle späteren diesbezüglichen Mittheilungen verdanken wir mit einer einzigen Ausnahme Ohrenürzten.

Ich konnte aus der Literatur 53 Fälle zusammenstellen. so dass wir unter Hinzufügung meiner drei eigenen Beobachtungen über ein Material von 56 Fällen verfügen. Hierzu habe ich aber zu bemerken, dass ich nur diejenigen Beobachtungen berücksichtigt habe, welche keinen Zweifel über den Zusammenhang der Hörstörungen mit der Nephritis aufkommen lassen. Aus diesem Grunde musste ich ausschalten 1. den Fall von Gellé (9), weil der geringe Eiweissgehalt des Urins nicht mit Sicherheit auf eine Nephritis zurückgeführt werden kann. Es handelt sich bei demselben um eine 50jührige Frau mit Mediastinal- tumor und rechtsseitiger Recurrenslähmung, welche in der Reconvales- cenz von einer heftigen Bronchitis und binnen 48 Stunden voll- ständig taub wird. Urinmenge normal, otoscopischer Befund negativ. 2. Pooley’s(10) Fall einer apoplectiformen Ertaubung, welche beim Fehlen von Nierenveränderungen (durch die Section constatirt) trotz bestehender Polyurie und Retinitis apoplectica, wie auch Gradenigo (11) annimmt, mit demselben Recht auf erworbene Syphilis zurückgeführt werden kann. 3. Schwartze’s (12) Fall multipler Haemorrhagien

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 315

ins Labyrinth, auf welchen wir unten noch zurückkommen werden. Ferner berichtet Bürkner (13), zwei Fälle von acutem Mittelohr- catarrh in Folge von chronischem Morbus Brightii beobachtet zu haben, ohne aber dieselben weiter zu beschreiben, und Haug (14). spricht gleichfalls von einer acuten Mittelohrentzündung bei Scharlach- nephritis, begnügt sich aber damit den Fall erwähnt zu haben, ohne genauere krankengeschichtliche Details beizufügen. Wir konnten deshalb diese drei Fälle zwar in unsere Statistik aufnehmen, nicht aber in wünschenswerther Weise verwerthen. Dasselbe gilt von 28 Beobachtungen der französischen Autoren (Pissot 15, Alibert 4, Doumergue 9), in welchen die otoscopische Untersuchung nur aus- nahmsweise (Doumergue) vorgenommen wurde, die functionelle: Prüfungsmethode überhaupt nie zur Anwendung gelangte, so dass uns allerdings die functionellen Störungen bekannt sind, irgend welche Schlüsse auf Sitz und Ursache in Bezug auf das Ohr uns aber gänzlich abgehen.

Nur folgende Fälle sind derart genau beschrieben, dass sie uns gestatten, ein, wenn freilich noch lückenhaftes Bild von den „Erkran- kungen des Ohres beim acuten und chronischen Morbus Brightii zu entwerfen:

I. Doumergue, Thèse de Paris 1881. Fall 1.

II. š Ebenda. Fall 12.

HI. Stillkraut. Inaugural-Dissert. München 1894, p. 6.

IV. Pissot, Thèse de Paris 1878. Fall 8.

V. Doumergue, l. Fall 4.

Vi. Gurowitsch, Berl. klin. Wochenschr. No. 42, 1880. VII. Roosa, Transact. of the amerik. otpl. society. Vol. 4, Part. 1, 1887. VIII. Hedinger, Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. XVII, p. 237.

IX. Pissot, l. c., Fall 5.

X. Haug, Die Krankheiten des Ohres in ihren Beziehungen zu den Allgemeinerkrankungen. Wien und Leipzig 1893. XI. Alibert, Thése de Paris 1880. Fall 2. XII. Schwartze, Arch. f. Ohrenheilk,, Bd. IV. XIII. Trautmann, Arch. f. Ohrenheilk,, Bd. XIV. XIV. Buck, The med. Rec. No. 136, 1871.

XV. Stillkraut, l. c., Fal 3.

XVI. Bürkner, Arch. f. Ohrenheilk.,, Bd. XVII, p. 185. XVII. Stillkraut, l. c, Fall 1. XVIII. RR, 1 $5.3 -

XIX. Haug, Deutsche med. Wochenschr. No. 45, 1396.

XX. Downie. Glasgow med. Jour. Sept. 1885.

XXI. Gradenigo, Il sordomuto No. 5, 1890.

316 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

XXII. Rosenstein, Pathologie und Therapie der Nierenkrankheiten Berlin 1863. XXIII. Morf, Diese Arbeit Fall 1. —. XXIV. 5 : 5 „2. XXV. » š 5 » 9. Ueberdies giebt uns Voss(15) eine summarische Beschreibung seiner bei der Scharlachnephritis gemachten Erfahrungen über Mittel- ohrentzündungen.

Man theilt zweckmässig die nephritischen Hör- störungen in zwei Gruppen. Die erste Gruppe umfasst alle diejenigen Störungen, welche durch makroskopisch oder mikroskopisch oder durch die funktionelle Prüfung nachweisbare pathologische Processe im 'Ohre selbst verursacht werden; in die zweite Gruppe dagegen müssen wir alle diejenigen Fálle unterbringen, bei welchen es nicht gelingt, irgend welche Gewebsveränderungen für die Funktionsbeeinträchtigung verantwortlich zu machen.

Ich gebe zwar gerne zu, dass einer solchen Eintheilung gewisse Mängel anhaften, indem ja angenommen werden darf, dass mit der Ver- vollkommnung unserer Untersuchungsmethoden wenn nicht für alle, so doch gewiss für einen Theil der Fälle der zweiten Gruppe ein ana- tomisches Substrat für die funktionellen Störungen ausfindig gemacht wird. So lange das aber nicht möglich ist, halte ich unser Vorgehen für rationell.

Von den vorstehend verzeichneten, genauer untersuchten Fällen, sind der ersten Gruppe zuzuweisen I bis und mit XXI, der zweiten XXII bis und mit XXV. Ausserdem sprechen verschiedene Umstände dafür, dass mehrere der französischen Beobachtungen, bei welchen der oto- scopische Befund negativ ausfiel, der zweiten Gruppe zuzuweisen sein dürften.

Die ersteGruppe umfasst ausschliesslich Affectionen des mittleren und des inneren Ohres. Auf erstere entfallen die Beobachtungen I bis und mit XIX, auf letztere XX und XXI. Combinationen der beiden Arten von Stórungen sind mir nieht zur Kenntniss gelangt, obschon solche à priori zugegeben werden müssen. Was das üussere Ohr anbetrifft, so erwühnt einzig Stillkraut (XVIII) eine Blutblase im äusseren Gehörgang neben sero-sanguinolenter Exsu- dation im Mittelohre.

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 317

Die Mittelohrerkrankungen finden sich in drei verschiedenen Formen, einmal als entzündliche, dann als entzündlich- haemorrhagische und endlich als rein haemorrhagische. Klinisch bieten sie das Bild der Otitis media catarrhalis acuta (I., II., III.) und chronica (IV. und V.), Otitis media purulenta acuta (VIL, VII. VIIIL., IX.5), X.) und chronica (XI), Otitis media haemorrhagica purulenta acuta (XI. und XII.) und haemorrhagica acuta (non puru- lenta) (XII. rechtes Ohr, XII., XIV., XV., XVI., XVII., XVIIL, XIX). Als reine (nicht entzündliche) Mittelohrapoplexien erscheinen die Blu- tungen in den Fällen XII. (rechtes Ohr), XIII., XIV. und XV.

Bedeutende Schwierigkeiten bereitet die Beurtheilung der Laby- rinthaffectionen, da Sectionsresultate bis jetzt nicht vorliegen. Zwar dürfen wir in Downie’s (16) Falle (XX.) aus den Symptomen mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Blutung diagnosticiren, dagegen müssen wir uns in Gradenigo’s(17) Beobachtung überhaupt damit zufrieden geben, eine Erkrankung der Schall percipirenden Organe nachgewiesen zu wissen, denn die Vermuthung Gradenigo’s, es möchte sich um ähnliche Veränderungen in der Endausbreitung des Hörnerven im Labyrinthe handeln, wie bei der Retinitis albuminurica in derjenigen des Opticus, wird so lange Hypothese bleiben, als der anatomische Nachweis dafür nicht erbracht ist.

Die pathologisch-anatomischen Veründerungen am Schläfenbeine unterscheiden sich bei den Mittelohraffectionen auf den ersten Blick nicht wesentlich von denjenigen nicht nephritischen Ur- sprungs. Bei genauerem Zusehen lassen sich aber unzweifelhaft Merk- male feststellen, welche für dieselben charakteristisch sind. Moos (18) sah an zwei Schläfenbeinen, welche von einem Patienten mit chronischem Morbus Brightii herstammen, deutlich ausgesproehene Hyperplasie der Submucosa des Mittelohres und Gurowitsch (19) spricht gleichfalls von starker Verdickung und Wulstung der Mittelohrschleimhaut, welche in diesem Falle allerdings zum Theil auch einem Oedem derselben zu-

1) Obschon die Krankengeschichte nur von einem Riss (dechirure) im Trommelfell spricht und von einer Eiterung nichts gesagt wird, glaube ich diesen Fall: doch den acuten Eiterungen zurechnen zu müssen, da die anhaltenden Schmerzen im Ohr auf einen entzündlichen Process hinweisen und von einer Verletzung nirgends die Rede ist. Auch Doumergue l. c. p. 44 fasst den Riss als Folge eines entzündlichen Processes im Mittelohr auf. Da dasselbe Ohr schon zwei Jahre zuvor auf ähnliche Weise erkrankt war, liegt die Ver- muthung nahe, dass es sich um Residuen mit Recidiv handelte.

318 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

zuschreiben sein dürfte. Ich möchte diese Befunde schon deshalb nicht als zufällige betrachten, weil bekanntlich hyperplastische Zustände der Schleimhäute bei Nephritikern häufig getroffen werden. So haben Fenwick(20), Hlava u. Thomayer(21) schon längst als Gastritis interstitialis Veränderungen an der Submucosa der Magenschleimhaut beschrieben, welche in einer bindegewebigen Wucherung und consecu- tiven Verdickung der Submucosa bestehen, und auch in der Darm- schleimhaut sind ähnliche Veränderungen constatirt worden.

Als ein weiteres Merkmal ist die Anämie der Paukenhöhlenschleimhaut zu erwähnen (Fälle Gurowitsch u. Trautmann (22). Zum Unter- schied von der meist stark ausgesprochenen Injection und Röthung, welche wir bei der nicht nephritischen Mittelohrentzündung zu sehen gewohnt sind.

Bei den eiterigen Processen des Mittelohres fällt eine ausser- gewöhnliche Neigung zu necrotisirender Ostitis und cariöser Ein- schmelzung der knöchernen Wandungen der pneumatischen Räume des Schläfenbeines ins Auge (4mal unter 8 Fällen!). So ergab die Section in Roosa’s (23) Falle „cariöse Erweiterung der Paukenhöhlenwände; der Facialis war durch den Schwund der Knochenwand blossgelegt und lag frei in der mit Eiter erfüllten Paukenhöhle“. Hedinger (24) beschreibt ausgedehnte Caries der Wände der Paukenhöhle und des Antrum mastoideum mit Fistelgängen nach verschiedenen Richtungen, Sinus phlebitis des Sinus transversus und petrosus inferior. Haug (l. c) extrahirte einen grossen Sequester aus dem entzündeten und cariösen Warzentheil und Löwenberg constatirte in Alibert’s (l. c.) Falle grosse polypsöse Wucherungen von den Paukenhöhlenwänden aus- gehend.

Sollte sich bei Vermehrung der Casuistik dieses auffallende Ver- hältniss in demselben Maase zeigen, so läge es nahe, hierin eine ähn- liche Erscheinung zu erblicken, wie wir sie beim Diabetes mellitus längst kennen und wäre auch hier wie dort die Ursache in der abnormen Mischung des Blutes und der Gewebesäfte mit Bestandtheilen des Harns und vielleicht auch in der Herabsetzung der Widerstands- fähigkeit der Gewebe in Folge der anhaltenden Eiweissverluste zu suchen. Ueberraschen könnte eine derartige Eigenschaft der durch Nephritis veranlassten Mittelohrentzündungen nicht, denn sie würde

') Vergl. auch Kirchner, Ueber Beziehungen von Ohrenkrankheiten zu allgem. Erkrankungen d. Körpers. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXII, p. 274.

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 319

durchaus im Einklang stehen mit der allgemein anerkannten Thatsache, dass Nephritiker ungemein zu plegmonösen und eiterigen Processen disponirt sind. Ob aber und inwiefern abgelaufene oder noch bestehende Affectionen des Mittelohres und seiner Adnexa hier begünstigend mit- zuwirken vermögen, wage ich nicht zu entscheiden und will nur er- wähnen, dass im Falle Roosa’s die Eiterung auf dem Boden eines . chronischen Mittelohrcatarrhs entstand. Jedenfalls nimmt Bartels (25) einen solchen Einfluss für andere Organe an, wenn er sagt: „Für die Localisation der Exsudativprocesse wird übrigens im gegebenen Falle der jeweilige Zustand des davon ergriffenen Organes mitbestimmend sein^. Und neuerdings vertritt E. M üller(26) den Standpunkt, dass neben der Qualität und Quantität der Entzündungserreger besonders auch die jeweilige Beschaffenheit des Gewebes für die Art der patho- logischen Veränderungen maassgebend sei.

Entzündliche Veränderungen an der Tube, im Nasen- und Nasen- rachenraum können fehlen, sind aber oft beobachtet worden, gewöhnlich zu Beginn der Entzündung des Mittelohres und in Form geringer Ge- fässinjection bis zu hochgradiger Schwellung und Röthung der Schleim- haut, mit und ohne Hämorrhagien in dieselbe. Ist der Rachen affıcirt, 80 müssen wir uns die Mittelohrentzündung von hier aus auf dem Wege der Tube inducirt denken, trotzdem beide, Rachen- und Mittelohr- entzündung meist so gleichzeitig auftreten, dass dies zweifelhaft er- scheint. Dagegen muss betont werden, dass beide, Rachen- und Mittel- ohrentzündung, ihre gemeinsame Ursache in der Nephritis haben, worauf verschiedene Umstände hinweisen, welchen wir später noch näher treten werden.

Nicht so klar liegen die Verhältnisse hinsichtlich der Infection der Mittelohrräume bei denjenigen Fällen, bei welchen wir entzündliche Veränderungen in Nase und Nasenrachenraum vermissen. A priori müssen für diese zwei Infectionsmöglichkeiten zugegeben werden. Einmal kann es sich um Verschleppung inficirender Keime von irgend einem Entzündungsherde aus und solche finden sich beim Nephritiker nicht selten durch die Blutbahnen handeln, dann aber muss die Prä- existenz lebender, pathogener Mikroorganismen in der Pauke und ihren pneumatischen Nebenräumen in Betracht gezogen werden, mit der Voraussetzung, dass sie sich da unter normalen Verhältnissen ruhig und unschädlich verhalten, unter besonders günstigen Bedingungen aber ihre schädigenden Eigenschaften zur Anwendung bringen. Im ersteren Falle würde es sich um eine metastasirende, pyämische Entzündung oder

320 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

Eiterung handeln, welche mit der Nephritis nur mittelbar in Zusammen- hang stünde, sonst aber mit derselben weiter nichts zu schaffen hätte und deshalb auch unsere Aufmerksamkeit ferner nicht in Anspruch nehmen könnte. Wir haben übrigens alle Fälle, welche eine derartige Beurtheilung zuliessen, von unserer Betrachtung ausgeschlossen.

So bleibt uns denn nur noch die zweite Möglichkeit, die Annahme der Präexistenz pathogener Keime in der gesunden Paukenhöhle übrig. Allerdings sprechen die Untersuchungen von Scheibe (27) und Brieger (28) dagegen. Beide Autoren fanden nämlich das seröse Transsudat (ex vacuo) der Paukenhöhle beim Tubenabschluss immer steril, was mit grosser Berechtigung auf keimfreie Mittelohrräume schliessen lässt. Brieger dürfte indessen Recht behalten, wenn er aus der Thatsache, dass Scheibe im Transsudat zwar einzelne wenige Coccen fand, jedoch entwicklungsunfähige, der Vermuthung Raum giebt, es dürfte das Transsudat ähnlich dem Blutserum bactericide Eigen- schaften besitzen und das Mittelohr auch im gesunden Zustande nicht keimfrei sein und dürfte dafür eine weitere Stütze in einem an der- selben Stelle publicirten Falle von traumatischer Fissur des Tegmen tympani mit consecutiver Basilarmeningitis erhalten. Von Wichtigkeit für die Entscheidung dieser Frage erscheint mir ferner eine Beob- achtung, welche ich beim Durchgehen der für die vorliegende Arbeit gesammelten Krankengeschichten immer und immer wieder gemacht habe und welche deshalb nicht auf Zufälligkeiten beruhen kann, ich meine die Erscheinung, dass der Beginn der Erkrankung des Ohres fast ausnahmslos mit einer acuten Verschlimmerung des Nierenleidens ein- setzt. Ich kann mir das nur so erklären, dass mit der Verschlimmerung der Nierenkrankheit eine derartige Umgestaltung in den Nutritions- verhültnissen der Mittelohrgewebe stattfindet, dass die hier ruhenden pathogenen Keime dadurch rasch sick entwickeln, an Virulenz gewinnen und nun mit Erfolg ihr Zerstörungswerk beginnen können.

Die Blutungen sind meist sehr abundante. Schwartze (l.c.) fand die Pauke linkerseits erfüllt mit blutig-eiteriger Flüssigkeit, nach- dem er vorher durch die Trommelfellperforation mehrfach Blutcoagula und Fibringerinsel ausgespritzt hatte. Die rechte Trommelhöhle war nicht entzündet, aber gleichfalls mit serös-blutiger Flüssigkeit erfüllt. Im Falle Alibert’s entleerte sich das Blut in starkem Strome durch den äusseren Gehörgang und Buck fand die Pauke bis zur Hälfte, Haug (XV.) völlig mit Blut gefüllt. Weniger reichlich war der Erguss in Trautmann's Falle, wo es nicht zur freien Ansammlung

Meilen Benn EE er er rg M M

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 391

von Blut in den Mittelohrräumen kam, trotzdem die Schleimhaut an mehreren Stellen derartig blutig infiltrirt war, dass die Structur der Gewebe nicht mehr erkannt werdeu konnte.

Trautmann(l.c.) ist der einzige Autor, der sich über dasWesen der Blutungen genauer ausspricht. Nach ihm handelt es sich um diffuse Infiltrationen der Schleimhaut, um unregelmässig geformte, an den Rändern verwaschene Flecke, welche mehr die vorderen Abschnitte der Mittelehrráume, die Pauke und die Tube einnehmen, zum Unter- schied von den meist bedeutend kleineren, stecknadelkopfgrossen, punkt- fórmigen und scharf begrenzten, zahlreichen embolischen Hämorrhagien, welche im Gegentheil mehr in den hinteren Abschnitten des Mittel- ohres, im hinteren Theile der Pauke, im Aditus, im Antrum und in den Warzenzellen sich finden, weil eben der Embolus durch den Ramus tympanicus der Arteria stylo-mastoidea an Ort und Stelle gelangt.

Daneben sind Blutungen beobachtet worden in der Schleimhaut der Nase, besonders der hinteren Abschnitte derselben und des Nasen- rachenraumes, ferner in der Netzhaut neben anderen für die Nephritis typischen Veränderungen derselben (Trautmann, Haug) und Netz- hautablösung (Schwartze). In allen Fällen von Mittelohrblutungen war das innere Ohr intact.

Im Labyrinth ist bislang noch keine Blutung durch die Autopsie nachgewiesen worden; denn der von Schwartze (12) mitgetheilte Fall ist nicht einwandsfrei, da die Ursache des Blutaustrittes mit demselben Recht auf die Pyämie wie auf die Albuminurie zurückgeführt werden kann, indem nur kurze Zeit nach Eintritt der beidseitigen Schwer- hörigkeit die pyämischen Erscheinungen manifest wurden. Dagegen muss wohl in Downie’s(16) Fall die rasch eintretende doppelseitige Ertaubung einer Hämorrhagie zugeschrieben werden: Der 27 jährige Packer, welcher an chronischer Nephritis litt und wegen Anschwellung seiner unteren Extremitäten schon zwei Monate das Bett hüten musste, wurde Nachts plötzlich von heftigen Schmerzen im rechten Ohr befallen. Bis am folgenden Morgen verloren sich diese Schmerzen, allein Patient war auf diesem Ohre völlig taub. 14 Tage später ganz dieselben Er- scheinungen auf dem linken Ohre. Das Mittelohr war beiderseits un- versehrt und die funktionelle Prüfung ergab Resultate, wie sie für Labyrinthtaubheit als typisch bekannt sind. Schwindelerscheinungen fehlten, weshalb Downie eine separate Blutung in die Schnecke, ohne Betheiligung : des Vestibularraumes und der Bogengänge annehmen zu müssen glaubt. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass mehrfach Er-

322 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

krankungen des Vestibularraumes durch die Section constatirt worden sind, in Fällen, wo während des Lebens jegliche Gleichgewichtsstörungen vermisst wurden.

Die Ohrblutungen sind als eine Theilerscheinung der allgemeinen hämorrhagischen Diathese der Nephritiker zu betrachten. Worin die Ursache für letztere liegt, ist freilich heute noch eine vielumstrittene Frage. Trautmann |]. c. lässt die Blutaustritte per Diapedesin entstehen und ist jedenfalls geneigt, eine fettige Entartung der Gefäss- wände anzunehmen, wenn er vermuthet, durch Phosphorvergiftung experi- mentell hierüber Aufschluss zu erhalten. Bartels l. c. spricht gleichfalls von Diapedesis, weil es ihm nie möglich war, bei Sectionen Rupturen der Gefässwandungen nachzuweisen.

Was die Gefässveränderungen am Augenhintergrunde bei der Reti- nitis albuminurica anbetrifft, so bestehen dieselben nach den Unter- suchungen des Herzog Carl Theodor in Bayern in einer Ver- dickung der Intima, welche zu Verengerung des Lumens (Endarteriitis obliterans) und häufigen Thrombenbildung führt. (Eichhorst) (29).

In einzelnen Fällen von Schrumpfniere dürfte vielleicht jener Zu- stand allgemeiner Gefässalteration des gesammten Körpers als ursächlich für die Blutungen in Betracht kommen, welchen Hull & Sutton als „arterio-capillary-fibrosis“ bezeichneten und welcher in einer „hyalin- fibrösen Degeneration und Einlagerung in und um die Wand der klei- neren arteriellen Gefässe‘‘ besteht und nach den genannten Autoren als der primäre Process und als Ursache des Nierenleidens aufzufasseu ist. (30)

Von anderer Seite (Field (31) Neftel (32) u. A.) wird auf die erhöhte Spannung im Aortensystem als Folge der Hypertrophie des linken Ventrikels aufmerksam gemacht. Wendt (l. c.) sah bei Bright- scher Krankheit ‚die Rachentonsille constant in hohem Grade mit Blut überfüllt, auch oft von Hämorrhagieen durchsetzt, nicht minder in einem Falle, wo in Folge Mangels einer Niere Hypertrophie des linken Ven- trikels ausgebildet war.“ Einige französische Autoren suchten das Corpus delicti im Ammoniakgehalt des Blutes. Dem gegenüber hebt aber Bartels l. c. hervor, dass er Fälle genug zu beobachten Gelegen- heit hatte, bei welchen die Blutung bis zum letalen Ende fortdauerte,

1) Sehr ausgesprochene Hyperämie arteriellen Ursprunges im Rachen. Nasenrachen und besonders in der Rachentonsille fand Wendt bei Phosphor- vergifteten. Wendt und Wagner, Krankheiten der Nasenhöhle etc. v. Ziemssen's Handbuch der spec. Pathologie und Therapie. Leipzig 1878.

-

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 323

trotzdem die Herzkraft längst beträchtlich gesunken war und dass er vielfach nicht im Stande war, Ammoniak im Blute nachzuweisen.

Es würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, wollten wir alle die Theorien aufzählen, welche schon behufs Erklärung der neph- ritischen Blutungen aufgestellt wurden. Doch dürfte es nicht überflüssig sein, noch darauf hinzuweisen, dass die Beschaffenheit des Blutes beim Nephritiker, auch abgesehen von der Verunreinigung desselben mit Harnbestandtheilen, ganz wesentlich von der Norm abweichen kann, nicht nur was die flüssigen Bestandtheile desselben betrifft, sondern auch in Bezug auf die Blutkörperchen. So findet man den Wassergehalt des Blutserums vermehrt, den Eiweissgehalt vermindert und die weissen Blutkörper haben auf Kosten der rothen an Zahl zugenommen. Dass diesen Veränderungen eine Bedeutung zukommt, dürfte kaum fraglich sein, weit mehr dagegen, ob sie direct oder indirect, durch Alteration der Gefässwände die Neigung zu Blutungen verursachen (Rosenstein).

Welchen Veränderungen in Gradenigo’s Falle die durch die funktionelle Prüfung nachgewiesenen Störungen im Schall percipirenden Abschnitte des Ohres ihre Entstehung verdanken, ist nicht zu ent- scheiden. Jedenfalls kann es sich nicht, wie Gradenigo meint, um analoge Processe handeln, wie bei der Retinitis albuminurica, denn sonst kónnten die Hórstórungen nicht in wenigen Tagen zurückgehen.

Noch schlimmer sind wir bestellt in Bezug auf die Fülle der zweiten Gruppe. bei welchen uns weder die otoscopische, noch die funktionelle Prüfung irgend welchen Anhaltspunkt für die Localisation der Stórungen giebt, noch auch der directe autoptische Einblick Schlüsse auf das Wesen derselben zu ziehen gestattöt. Verschiedene Theorien sind zur Erklärung dieser Fälle aufgestellt worden. Field l. c. sucht die Ursache in der erhöhten arteriellen Spannung und glaubt, dass die abnorme Füllung der Labyrinthgefässe zur Raumbeschränkung, resp. zu erhöhtem Drucke im Labyrinthe selbst Veranlassung gebe, wodurch die Schall percipirenden Elemente in der Cochlea je nach der Druckhöhe gereizt oder gelähmt werden. In sehr plausibler Weise vermag diese Theorie die Intermittenz der Hörstörungen zu erklären damit, dass sie die abnormen Druckverhältnisse durch Abfluss der Peri und Endolymphe durch die Aquäducte sich wieder ausgleichen lässt.

Es kann nicht bestritten werden, dass die Field’sche Theorie vielfach der Wirklichkeit entsprechen mag, ist es doch bekannt, dass Hyperümien im Schläfenbein die Veranlassung von Ohrgeräuschen ab- geben können. Alle Fälle vermag sie sicher nicht zu erklären, denn

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 23

324 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

sie reicht schon da nicht mehr aus, wo eine Hypertrophie des linken Ventrikels nicht besteht oder wo die Herzthätigkeit trotz der Hyper- trophie erlahmt, die Hörstörungen aber unverändert fortbestehen und passive Hyperämie dürfte kaum zu nennenswerther Drucksteigerung im Labyrinthe führen.

Auch die Erklärung der Intermittenz der Hörstörungen ist bei genauerer Prüfung nicht einwandsfrei. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum zur Regulirung der abnormen intralabyrinthären Druckverhält- nisse durch die Aquäducte das eine Mal nur Minuten oder Stunden, das andere Mal dagegen Tage und sogar Wochen nothwendig sind und doch müsste diese Annahme gemacht werden in Anbetracht der ganz ausserordentlich differenten Dauer der Störungen, sowohl bei ein und demselben, als auch bei verschiedenen Individuen.

Was übrigens die Möglichkeit der intralabyrinthären Druckerhöhung anbetrifft, so sind hierüber die Autoren keineswegs einig. Insbesondere harrt die Frage, betreffend den Einfluss der intracraniellen Druck- steigerung auf die Endorgane des Nervus acusticus im Labyrinthe noch der endgültigen Beantwortung. Moos (33 und 34) welcher sich in mehreren Arbeiten eingehend mit diesen Verhältnissen beschäftigt und namentlich die Einwirkung des Schädelinnendruckes bei Hirntumoren auf den Opticus und den Acusticus geprüft hat, kommt zu folgendem Schlusse: ‚Die Fortpflanzung des durch einen Hirntumor gesteigerten Schädelinnendruckes auf das Labyrinth ist anatomisch und physiologisch möglich, die Druckausgleichung jedoch wahrscheinlich ‘und anatomisch begünstigt, die Consequenzen der Drucksteigerung jedenfalls weit weniger häufig, als beim Opticus, "denn Stauungspapille durch Hirntumoren ist bei weitem häufiger als Hörstörung.“ (35) | |

Steinbrügge(36) beobachtete einen Fall von Tumor der Zirbel- drüse, der Vierhügel und der Hirnschenkelhaube mit hochgradigem Hy- drocephalus internus und Compression des Gehirns, bei welchem beid- seits der Ductus cochlearis durch Depression der Membrana Reissneri bedeutend verengt und die runde Fenstermembran nach Aussen vorge- wölbt war und erklärt diesen Befund in der Schnecke mit der Fort- pflanzung des endocraniellen Druckes auf dem Wege des Aquäductus cochleae in die perilymphatischen Räume der Schnecke, Scala ; tympani und Scala vestibuli, wodurch die elastische Reissner’sche Membran herabgedrückt wurde und dem Corti’schen Organ aufzuliegen kam. Gomperz(37) erzählt ferner von einem tuberkulösen Patienten, welcher an Pachyineningitis externa und interna und Oedemar cerebri acutum

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 325

zu Grunde ging und bei welchem der Ductus cochlearis ,,Ànur mehr als feiner 10 u breiter Spalt existirte, dadurch, dass die Membrana Reis- sneri und mit ihr die Membrana Corti sich anf das Corti'sche Organ gesenkt haben.“ Auch Gomperz führt die Senkung der Reiss- ner’schen Membran auf Hirndruck zurück.

Indessen haben Barth und Habermann(38) diese Depression der Membrana Reissneri als Kunstproduct bezeichnet und betont, dass dieselbe bei ganz normalen Schnecken gefunden wird und nach Siebenmann (39) „hat sie im entkalkten Präparat ihre letzte Ursache unzweifelhaft in der absichtlichen oder zufälligen Verlegung der Abzugs- wege für die Gasblasen, welche im knöchernen Labyrinth unter dem Einflusse der zu Entkalkungszwecken angewandten Säure entstehen.“ Uebrigens muss, wie Siebenmann mit Recht bemerkt, nach unseren heutigen Kenntnissen. welche wir vorzugsweise letzterem Autor verdanken, die Taubheit in Steinbrügge’s Falle als typische Haubentaub- heit bezeichnet werden. Es ist ferner hervorzuheben, dass Sieben- mann unter 12 Fällen von Mittelhirntumoren mit hochgradigem Hydro- cephalus internus nur 5 = 42°/, mit Hörstörungen fand und dass in allen diesen Fällen die Schwerhörigkeit durch Haubenläsion sich erklären lässt. Immerhin wagt auch Siebenmann einen Einfluss des ver- mehrten intracraniellen Druckes auf den Nervus acusticus im Labyrinth nicht völlig zu negiren angesichts des Falles von Besold (40), bei welchem in Folge fortschreitenden Wachsthums eines Sarcomes des Mittelhirns die Schädelknochen auseinander wichen und dadurch das beträchtlich verminderte Hörvermögen für längere Zeit sich gehoben hatte.

Dass bei Gehirntumoren mit erhöhtem Schädelinnendruck auch im Acusticus Veränderungen vorkommen, welche der Stauungspapille im Auge analog sind, hat Gradenigo (41) nachgewiesen, indem er Lymph- stauung bis jenseits der Lamina cribrosa fand.

Rosenstein war meines Wissens der erste, welcher die Ver- muthung aussprach, dass bei manchem Nephritiker ein Oedem der Acu- sticusbahnen die Hörstörungen veranlassen könnte. Er stützte sich dabei auf eine Beobachtung, die zwar nicht mehr vereinzelt dasteht, aber so überzeugend ist, dass ich sie im Auszug hier anzuführen mir erlaube:

Das 29 Jahre alte Dienstmüdchen leidet seit zwei Jahren an Inter- mittens mit unregelmüssigen Fieberanfüllen. In letzter Zeit erschienen mit den Fieberanfällen allgemeine Hydropsieen, die jedoch mit jenen wieder schwanden.* Die Kranke giebt an, dass seit Beginn der ersten

23*

326 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

Fieberanfälle ihr Gehör beiderseits, namentlich aber rechts abgenommen habe. 8. Juni: Der Harn wird sehr spärlich gelassen, enthält Eiweiss und Gallertschläuche. Herzdämpfung nicht vergrössert. Starker Ascites und ödematöse und erysipelatöse Schwellung und Röthung der Unter- schenkel. Trotz Medication bleibt der Zustand bis zum 15. August derselbe, dann tritt ein zeitweiser Wechsel zwischen Ab- und Zunahme der Oedeme ein. Gesicht am Morgen immer stark gedunsen, dagegen Abends frei von Oedem. Am 22. und 24. August heftige Fieberanfälle. „Am 25. August bemerkt die Kranke selbst, sowie Alle, die mit ihr gesprochen, dass das bis zum vergangenen Tage sehr ver- minderte Gehör derselben seine volle Schärfe wieder er- langt hat. Schon zwei Tage nachher befand sich die Hörfähigkeit wieder im Abnehmen. In dem Allgemeinbefinden der Kranken änderten die nächsten Tage wenig. Bisweilen Zu- bisweilen Abnahme der Oedeme.‘t „Besonders sind die unteren Extremitäten sehr geschwollen.* „Die Hörfähigkeit hatte sich am 26. Sep- tember bereits wieder vollständig verloren.“ In den fol- genden Tagen bis zum 3. October wurden die Erscheinungen des früher schon constatirten Bronchialcatarrhs gesteigert und es gesellte sich ein leichtes, remittirendes Fieber hinzu. „Dabei verloren sich die Oedeme zum grossen Theil ohne darauf hinzielende Medi- cation. Am 4. October Nachmittagstrat plötzlich wieder das Gehör sogar in erhöhter Schärfe auf und erhielt sich bis zum 14. October, wo es unter Zunahme der allgemeinen Oedeme wieder ganz plötzlich verschwindet. Die Hör- fähigkeit blieb dann auch aufgehoben bis zum Tode,‘ welcher unter den Erscheinungen des Lungenödems erfolgte. °

Die Autopsie fiel negativ aus, sofern die Erklärung der Hör- störungen in Betracht kommt. ,‚‚Die Pyramiden sind blass gefärbt, stark zerfasert. Die Untersuchung des Gehirns, in specie des vierten Ven- trikels und der Felsenbeine ergab nichts Besonderes. Dennoch gewinnt hier die Annahme eines Oedems der Accusticusbahnen umsomehr an Wahrscheinlichkeit, als von einer erhóhten Spannung im Aortensystem beim Mangel der Herzhypertrophie nicht gesprochen werden kann und von Urämie in der Krankengeschichte nirgends die Rede ist. Rosen- stein bemerkt auch selbst: „viel wahrscheinlicher ist ein Zusammen- hang (der Hórstórungen) mit den Oedemen und deren Grundursachen, der Intermittens und dem Nierenleiden, so zwar, dass vielleicht Oedeme der intracraniellen Bahn des Acusticus vorübergehend resorbirt wurden und dann wieder auftraten.‘

Freilich schliessen sich vermehrter Aortendruck, Gehirnoedem und Urämie keineswegs aus, sind doch nach Traube’s Theorie über die Urümie die ersteren beiden die Conditio sine qua non für das Ent-

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 327

stehen der letzteren. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass Traube’s Theorie sich durchaus nicht allgemeine Anerkennung durch die Autoren zu verschaffen vermochte und dass Fälle von Urämie häufig genug beobachtet werden, wo weder erhöhter arterieller Druck noch auch irgend welche Oedeme zu constatiren sind.

Aber in Rosenstein's Falle waren die Oedeme bis zum letalen Ausgange so stark ausgesprochen, dass doch gewiss eine abnorme seröse Durchtränkung der Hirnsubstanz hätte constatirt werden müssen, denn es ist kaum anzunehmen, dass die Acusticusbahnen allein den Bedin- gungen ausgesetzt gewesen seien, welche ein intracranielles Oedem her- vorzurufen im Stande sind, Wer aber häufig Sectionen macht, wird sofort zugeben, wie schwierig es ist, aus der blossen makroskopischen Besichtigung der Hirnsubstanz zu beurtheilen, ob eine abnorme seröse Durchtränkung derselben vorliegt oder nicht, falls das Oedem nicht ein ganz besonders hochgradiges ist. Es kann deshalb meiner Meinung nach dieser Einwand bei Beurtheilung des Rosenstein’schen Falles nicht in Erwägung gezogen werden. Uebrigens pflichten die citirten französischen Autoren gestützt auf mehrfache diesbezügliche Erfahrungen den Rosenstein’schen Ansichten vollständig bei und es mag noch erwähnt werden, dass auch Urbantschitsch (42) ‚ein rasch vorüber- gehendes Oedem in den Hör- und Sehcentren‘ als Ursache transitorischer Taubheit und Erblindung anzunehmen geneigt ist in zwei Fällen von Hydrocephalus acutus, weil bei der Section der Stamm des Acusticus in beiden Fällen nicht verändert erschien. Auch der folgende, von mir beobachtete Fall, dürfte in diesem Sinne zu erklären sein.

Die 20 Jahre alte Glätterin E. H., welche aus gesunder Familie stammt, litt in ihren ersten Lebensjahren an Wasserkopf und englischer Krankheit und hatte während dieser Zeit häufige convulsive Anfälle. Das Kind lernte erst spät und mangelhaft sprechen, aber erst in seinem 12. Altersjahre bemerkten die Eltern, dass egs mangelhaft hörte. Ohren- schmerzen oder Ohrenfluss sollen nie bestanden haben. Nach und nach wurde das Hörvermögen immer geringer, so dass man sich entschloss, einen Ohrenarzt zu consultiren, welcher das Mädchen einige Zeit, aber ohne Erfolg behandelte. Patientin war damals 16 Jahre alt.

Seit einigen Wochen nun fühlt sich das Mädchen nicht mehr so wohl wie früher, hat weniger Appetit und die Schwerhörigkeit hat bedeutend zugenommen, so dass der Verkehr mit Andern ungemein erschwert ist und höchst lästiges Ohrensausen hat sich eingestellt. Wegen dieser hervorragenden Symptome von Seite des Ohres kommt Patientin in meine Sprechstunde.

328 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

Status 9. December 1895. Kleines, aber corpulentes Mädchen mit nicht besonders intelligentem Gesichtsausdruck. Aeussere Haut blass, wachsfarben, Schleimhäute anämisch. Sprache monoton, undeutlich, Stammeln, Trommelfell beiderseits normal. Hörweite am rechten Ohre 50 cm für accentuirte Conversationssprache am linken Ohr hört Patientin nur laut ins Ohr gerufene Zahlen und Worte. Schwingende Stimm- gabeln werden vom Scheitel aus nicht percipirt, eben sowenig in Luft- leitung vom linken Ohr. Aero-tympanale Leitung rechts für a! ver- längert (?), für Töne über c? hinaus aufgehoben. Exp. Politzer, welches sanftes, reines Einströmegeräusch auf beiden Seiten verursacht, bessert das Hörvermögen nicht, ebensowenig vermindert oder verliert sich das Ohrensausen. Nase und Nasenrachenraum normal. Die Unter- suchung des übrigen Körpers ergiebt nichts Besonderes. Dagegen ent- hält der bierbraune Harn eine beträchtliche Menge Eiweiss, zahlreiche Cylinder- und Nierenepithelien.

15. December 1896. Das Gesicht ist gedunsen und der ganze übrige Körper ódematós geschwellt. Keine Kopfschmerzen. Die Schwer- hörigkeit grenzt an Taubheit und das heftige, constante Ohrensausen raubt der Kranken den Schlaf. Urin von derselben braunen Farbe; 24stündliche Menge ca. 800 Cem. Appetit mangelhaft, Stuhl in Ord-

nung, kein Fieber. | 15. Januar 1896. Auf Bettruhe, Milchdiät, Verabreichung von Diureticis, Bädern etc. hat sich der Zustand wesentlich gebessert. Die ödematösen Schwellungen sind gänzlich geschwunden, das Ohrensausen ist beträchtlich geringer. Hörweite rechts 100 cm, links 50 cm für Flüstersprache. Die functionelle Hörprüfung zeigt nun insofern geringe Abweichungen gegenüber früher, als nun laut tónende Stimmgabeln (a!) auch links in Luftleitung wahrgenommen werden. Galtonpfeife rechts 3,2, links nicht sicher percipirt. Urin heller, 24stündliche Menge 1600 Cem., Eiweissgehalt unwesentlich. immer noch vereinzelte Cylinder.

23. August 1896. Der Zustand ist so ziemlich derselbe. Das Ohren- sausen ist längst völlig verschwunden. Das Mädchen fühlt sich wohl, hat guten Appetit und hat auch längst die Arbeit wieder aufgenommen.

Es handelt sich in diesem Falle um ‚‚nervöse Schwerhörigkeit“ auf beiden Ohren, deren Ursache richtigerweise auf den Wasserkopf, resp. auf die in frühester Jugend überstandenen convulsiven Anfälle zu be- ziehen ist. Das plötzliche Ansteigen der Schwerhörigkeit und das inten- sive, constante Ohrensausen dagegen, welche im December 1395 in so auffallender Weise den Krankheitsbeginn kennzeichneten, müssen mit der Nephritis resp. mit den Oedemen in Zusammenhang gebracht werden. Das beweist der Erfolg der Behandlung, welche einzig und allein gegen die Nierenerkrankung sich richtete, trotzdem aber die Schwerhörigkeit auf ihren früheren, von der Nephritis unabhängigen Grad zurück und das Ohrensausen zum Schwinden brachte.

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 329

Wie oben schon erwähnt wurde, fehlte es nicht an Stimmen, welche alle Hörstörungen beim Morbus Brightii als Prodrome oder Symptome der Urämie bezeichnen wollten. Wenn man aber in den Begriff Urämie nicht auch die Oedeme, die entzündlichen Erscheinungen etc., überhaupt fast alle die Merkmale mit einbeziehen will, welche das Bild des Morbus Brightii ausmachen, und das wird Niemandem einfallen, so fällt diese Anschauung von vornherein dahin. Damit soll aber durchaus nicht bestritten werden, dass urämische Hörstörungen vorkommen, die Er- fahrung lebrt das Gegentheil. Bekanntlich treten gerade die »nervösen Symptome« bei der Urämie in den Vordergrund und es müsste befremden, würde nicht auch der Acusticus und seine centralen Bahnen in den Bereich der Erkrankung fallen. Dass dies sogar öfters der Fall ist, beweisen die Arbeiten von Pissot, Alibert und Doumergue. Nachfolgende Krankengeschichte, welche einen Patienten betrifft, den ich jetzt noch zu beobachten die Gelegenheit habe?), dürfte gleichfalls Zeugniss dafür ablegen.

Der 54jährige Rentner J. S., welcher früher immer gesund war, reiste in seinem 18.—20. Lebensjahre in Ungarn und in der Türkei als Schlosser herum und acquirirte dabei Malaria, welche in der Fremde in tertianen, nach seiner Rückkehr in unregelmässigen Fieberanfällen sich áusserte. Patient nahm deshalb bis vor wenig Jahren grosse Dosen Chinin. Im 22. Altersjahre überstand er einen leichteren Abdominal- typhus. In der Folgezeit, aber nicht im Anschluss an den Typhus, wurde er immer mehr schwerhörig, ohne je Schmerzen oder Ohrenfluss bemerkt zu haben, setzte aber trotzdem den Chiningenuss nicht aus. Im übrigen erfreute er sich stets fort der besten Gesundheit bis am 8. Januar 1895, als er plötzlich während der Nacht mit heftigem Herz- klopfen und Ohnmachtsanwandlungen aus dem Schlafe erwachte. Der gerufene Arzt (Vert.) fand den Patienten keuchend, nach Athem ringend, ` sitzend im Bett. Das Gesicht blass, mit kaltem Schweiss bedeckt. Fettpolster ordentlich entwickelt, aber nirgends Anasarea. Die Herz- dämpfung überschreitet die Mammillarlinie nach links um ca. 1 cm. Herztöne rein. Puls leicht unterdrückbar, fadenfórmig, 150 p. M. Temperatur 36,5 C. Einige Pravaz'sche Spritzen 10?/, Ol. camphorat. subcutan beigebracht besserten den Zustand bald und nach zwei Tagen fühlte sich Patient wieder so wohl wie zuvor.

Circa 1 Jahr spáter, am 15. Januar 1896, kam Patient in meine Sprechstunde, mit der Angabe, dass es ihm bis vor kurzer Zeit immer gut gegangen sei. Seit einigen Tagen aber fühle er sich unwohl, habe

1 Anmerkung bei der Correctur. Ist inzwischen an intercurrenter Pneumonie und rasch zunehmender Herzinsufficienz zu Grunde gegangen. Autopsie wurde leider verweigert.

330 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

weniger Appetit als früher, was ihn aber ganz besonders belästige, das sei die bedeutende Zunahme der Schwerhörigkeit, verbunden mit ausser- ordentlich quülendem Ohrenrauschen auf beiden Ohren, welches zwar für kurze Momente aussetze, besonders aber Nachts heftig auftrete und ihn am Schlafe stóre. An der leichten Kurzathmigkeit sei jedenfalls die Verstopfung der rechten Nasenhälfte schuld, welche ihn zwinge, mit offenem Mund zu schlafen.

Status: Kräftiger, muskulöser Mann mit guter Gesichtsfarbe und ordentlichem Fettpolster, hört sehr schlecht und versteht laut gerufene Worte nur, wenn er zugleich am Mund des Sprechenden ablesen kann, während er früher ohne abzulesen gewöhnliche Conversationssprache auf 20—30 cm gut hörte. Aeusserer Gehörgang und Trommelfell beidseits normal. Stimmgabeln werden weder in Luft-, noch in Knochenleitung gehört. Katheterismus gelingt nur links und giebt reines, hauchendes Einströmegeräusch, bessert aber nicht. Nasenrachenraum ohne Ver- änderungen, dagegen rechte Nasenhöhle durch eine stark vorspringende Crista septi fast völlig verlegt. Herzbefund wie früher. Herztöne rein. Puls leicht unterdrückbar, regelmässig 70 p. M. Temperatur normal. Zunge leicht belegt; Stuhl in Ordnung. Ueber den Lungen hie und da trockenes Rasseln, sonst nichts Besonderes zu hören. Die Unter- leibsorgane bieten ausser einer grossen Milz keine Veränderungen. Nirgends Oedeme.

Da das Athmen Mühe macht, wird auf Wunsch des Patienten am 26. Februar die Crista septi mit dem Meissel entfernt, worauf die Athmung erleichtert wird und Patient mit geschlossenem Munde schlafen kann, sofern er nicht durch das Ohrenrauschen daran verhindert wird. Inzwischen hat die Schwerhörigkeit eher noch zugenommen. Patient fühlt sich auch schwächer und muss das Bett hüten, Kopfschmerz, Brechreiz, heftiges Hautjucken und Schmerzen im linken Ischiadicus, die er als rheumatisch bezeichnet, haben sich eingestellt, Am 1. März enthält der gelb-grüne, klare, scháumende Harn ziemlich viel Eiweiss und vereinzelte hyaline Cylinder. 24stündliche Menge 2500— 2800 cem, spec. Gewicht 1009. Am folgenden Tage sind Füsse und untere Hälfte der Unterschenkel ganz leicht angeschwollen und Patient riecht urinös aus dem Munde. Der Kopfschmerz hat zugenommen, einmal Brechen und Schwindelerscheinungen. Auf Milchdiät und andere bei der Nephritis übliche therapeutische Maassnahmen steigt die Urinmenge rasch auf 3000 ccm und darüber und der Allgemeinzustand bessert sich zusehends. Die Ohrgeräusche verschwinden nach Verlauf von zwei Wochen vollständig, ebenso das leichte Anasarca, sowie der Kopfschmerz, Schwindel und Brechreiz. Nach Verlauf eines Monats hört Patient wieder so gut wie früher, d. h. Conversationssprache auf 30 cm auf beiden Ohren, ohne ablesen zu müssen. Urinmenge seitdem constant auf 3000 cem, Eiweissgehalt sehr minim und spärliche hyaline Cylinder, einige Harnkanälchenepithelien und Leucocythen. Erst vor wenigen lagen habe ich den Kranken wieder gesehen und untersucht. Das

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 331

Resultat der funktionellen Prüfung differirt jetzt nicht wesentlich von dem früheren, während des Bestehens der urämischen Symptome ge- wonnenen und nur insofern, als nun auch mittlere Töne in Luftleitung beidseits gehört werden, dagegen die cranio-tympanale Leitung auf- gehoben blieb. Augenhintergrund unverändert.

Auch in diesem Falle haben wir es mit einem Patienten zu thun, der beidseits an »nervöser Schwerhörigkeit« leidet, zweifelsohne in Folge reichlichen Chiningenusses wegen Malaria. Nun mit dem Eintritt. urämischer Symptome, verursacht durch chronisch interstitielle Nephritis, plötzliches Ansteigen der Schwerhörigkeit bis fast zur Taubheit, ver- bunden mit höchst intensivem, auf kurze Zeit aussetzendem, namentlich. Nachts besonders stórendem Ohrensausen. Gegenüber den minimalen Oedemen an den untern Extremitüten treten, zum Unterschied vom eben erwähnten Falle E. H., die urümischen Erscheinungen in den Vorder- grund, schwinden aber auf geeignete Medication, welche ausschliesslich auf die Nieren abzielt, ebenso prompt wie die Hörstörungen. Dass. letztere nur insofern zurückgehen können, als sie nicht mit dem durch den Chiningenuss verursachten Hördefekt in Zusammenhang stehen, liegt. auf der Hand und beweist nur, dass dieses Plus des Hördefectes, sowie das Ohrensausen, auf Conto der Nephritis resp. der Urämie zu setzen ist. Hervorzuheben ist ferner, dass trotz der Hypertrophie des linken Ventrikels der Druck im Aortensystem gering war; wenigstens war der Puls immer leicht unterdrückbar und oft fadenförmig. Es ist also- kaum anzunehmen, dass eine abnorme Füllung der Labyrinthgefässe die Hörstörungen veranlasst habe.

Nun wird es freilich nicht immer möglich sein, wie dies beim Rosenstein’schen und meinen eigenen Fällen geschah, eine der secundären pathologischen Erscheinungen der Nephritis, das Oedem, die Urämie, die Hypertrophie des linken Ventrikels etc. als Ursache für die Hörstörungen anzusprechen, da diejenigen Fälle, wo mehrere dieser Symptome zugleich constatirt werden und wo sich kein Anhaltspunkt finden lässt, dem einen vor dem andern den Vorzug zu geben, weit: häufiger vorkommen. Da wird man sich dann damit begnügen müssen, die Abhängigkeit der Hörstörungen vom Nierenleiden überhaupt nach- gewiesen zu haben, was vom rein praktischen Standpunkte aus auch vollkommen genügt.

Anderseits giebt es Fälle, wo die Hörstörung neben den Verände- rungen in der Beschaffenheit des Harns das einzige Zeichen der be- stehenden Nephritis ist. Ob man sie als Symptom einer chronischen

332 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

Urämie anzusehen hat, ist schwer zu entscheiden, jedoch wahrscheinlich. Jedenfalls scheint die nachstehende, von mir gemachte Beobachtung dies zu bestätigen:

R. B., 50 Jahre alt, früher immer gesund, fühlt sich seit zwei Monaten etwas matt, hört nicht mehr so gut wie früher und hat zeit- weise Ohrensausen. Da ihm das Ohrenleiden den Verkehr mit andern Personen erschwert, sucht er den Ohrenarzt auf, nachdem er vorher schon ohne Erfolg mehrere Aerzte consultirt hat.

Status: 24. Januar 1896. Grosser, schlanker, hagerer, etwas blasser Herr. Trommelfelle beidseits völlig normal. H beidseits 400 em für Flüstersprache. Weder untere noch obere Tongrenze defect. Die funktionelle Prüfung ergiebt überhaupt keine Abweichungen von der Norm. Exp. Politzer giebt weiches Einströmegeräusch ohne Rasseln. Nasen- und Nasenrachenraum normal, Augenhintergrund ebenso, obschon Patient angiebt, beim Lesen früher zu ermüden als ehemals. Die Unter- suchung der übrigen Kórpertheile ergiebt keine Besonderheiten. Der Harn ist gelb-grün, klar, enthült weuig Eiweiss und ganz vereinzelte hvaline Cylinder. Die 24stündliche Harnmenge soll mindestens 2000 ccm betragen. Patient wird auf Milchdiät gesetzt, Chinin mit Eisen und Bäder verordnet.

15. Februar: Patient fühlt sich besser und hört wieder so gut wie früher. H beidseits 600 cm und mehr für Flüstersprache, kein Ohrensausen mehr. Der Harn zeigt so ziemlich dieselben Eigenschaften wie früher, enthält aber nur Spuren von Eiweiss. Die Therapie bleibt dieselbe.

Circa t/ Jahr später treffe ich den Herrn zufällig. Er fühlt sich völlig wohl und hört gut.

Auch in diesem Falle bildet der therapeutische Erfolg den sichersten Beweis für den engen Zusammenhang zwischen Hörstörungen und Nephritis. Neben den minimalen Sehstórungen (leichtes Ermüden beim Lesen) war die Verminderung der Hórfühigkeit das einzige Symptom, welches mich, allerdings in Erinnerung an früher gemachte Erfahrungen, zur Untersuchung des Urins veranlasste und damit das Nierenleiden entdecken liess. Wenn ich geneigt bin, die Anästhesie der Acusticus und das Ohrensausen als Symptome chronischer Urämie aufzufassen, so unterstützt mich in dieser Ansicht die geringe Herabsetzung des Seh- vermögens, für welche palpable Veränderungen am Auge nicht ausfindig gemacht werden konnten, weshalb ich nicht anstehe, sie gleichfalls den urämischen Amblyopien zuzurechnen.

Was nun die Frequenz der Erkrankungen des Ohres beim Morbus Brightii anbetrifft, so besitzen wir hierüber ausser den eingangs er- wühnten, von Dieulafoy gegebenen Zahlenverhültnissen keine weiteren

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 333

Angaben. Meiner Meinung nach sind übrigens nur der praktische Arzt und die internen Kliniken im Stande, hier das entscheidende Wort zu sprechen, sofern sie sich der Mühe unterziehen, bei jedem Nephritiker auch das Ohr zu untersuchen; denn naturgemäss sind es diese, welche das Gros der Nierenkranken in Behandlung bekommen. Dem Ohren- arzt werden dagegen nur diejenigen Fälle zu Gesicht kommen, bei welchen das Ohrenleiden gegenüber allen anderen Symptomen der Nephritis so hervorsticht, dass an letztere nicht gedacht wird. Aller- dings mag dann aber der Otiater nicht zu selten in die angenehme Lage kommen, aus den Hörstörungen mit derselben Berechtigung eine Nephritis zu diagnosticiren, wie das der Ophthalmologe auf Grund der Neuro-Retinitis albuminurica auch thut.

Kónnen also die ohrenürztlichen Beobachtungen nur Bruchtheile der wirklichen Zahl von Hörstörungen nephritischen Ursprunges aus- machen, so ist kein Grund vorhanden, die von Dieulafoy gemachten Angaben zu bezweifeln, wie das mehrfach geschehen ist. Bekanntlich fand er die Störungen am Ohre in beinahe 50°, der Nephritiker und nicht viel seltener als die Sehstörungen. Aus dieser Zahl geht mit Evidenz der Einfluss hervor, den die Nephritis auf den Hörapparat hat und Niemand wird ernstlich behaupten wollen, es handle sich hier um eine zufällige Coincidenz von Erkrankungen des Ohres mit dem Nieren- leiden, wenn wir daran erinnern, dass nach v. Tröltsch ca. der dritte Theil aller Menschen auf einem oder beiden Ohren nicht normal hört.

Wie stark an dieser Zahl die einzelnen Formen der Nephritis betheiligt sind, ist deshalb schwer zu sagen, weil in den Kranken- geschichten mehrfach nur von chronischem Morbus Brightii ohne Angabe der speciellen Form gesprochen wird und Dieulafoy Ueber- gangsformen der chronisch -parenchymatösen Nephritis in die chronisch interstitielle unter dem Namen »Nephrite mixte« vereinigt. Unter Be- rücksichtigung dieses Umstandes fand er bei 16 Fällen folgendes Ver- hältniss: g

Nephritis chron. parenchymat. . . . 4 Fälle Nephritis chron. interstitial. . . . . 4 « Nephrite mixte . . . . . . . . T7 « Nephritis acuta (aigué simple) . . . I «=

16 Fülle

334 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

Unter den 56 von mir zusammengestellten Fällen finde ich nur 24 mit Angabe der Form der Nephritis. Es entfallen auf:

Nephritis acutà . . . . . . . . . . 4 Fille

Nephritis chron. parenchymat. . . . . 9 «

Nephritis chron. interstitial. Br ne ue dla cx :24 Fälle

In allen übrigen Fällen handelt es sich um chronische Nephritis mit der Bezeichnung »Nephrite mixte« oder chron. Morbus Brightii. Unter den acuten Fällen finden sich zwei Scharlachnephritiden von Haug l. c. Ausserdem hat Voss, wie oben schon bemerkt, oft Mittelohrentzündungen in Folge von Scharlachnephritis beobachtet, giebt aber keine Zahlenverhältnisse an. Wie nun Haug sagen kann: »Von den Erkrankungsformen der Nieren ist es hauptsächlich die chronisch parenchymatöse Nephritis, die grosse weisse Niere, sowie die im Gefolge von Scharlach auftretende Nierenentzündung, die zur Mit- erkrankung des Ohres Veranlassung geben können,« ist mir ebenso unverständlich, wie die Behauptung desselben Autors, dass »die bei der chronischen Nephritis zuweilen auftretende Mittelohrentzün- dung... auf analogen pathologischen Veränderungen der Trom- melhöhle basirt, wie die nephritischen Erkrankungen des Auges. Zum mindesten könnten, was diese letztere Behauptung anbetrifft, nur die Blutungen in Betracht kommen, denn analoge Veränderungen, wie sie das Auge in der Retinitis albuminurica bietet, hat im Mittelohr beim Morbus Brightii begreiflicherweise noch Niemand beschrieben.

Von 53 Patienten bei den übrigen fehlen Angaben sind 27 weiblichen, 26 männlichen Geschlechtes. 7mal ist das rechte Ohr allein erkrankt, 11 mal das linke, 31 mal beide zugleich, in 7 Fällen finden sich hierüber keine Angaben.

Unter den Symptomen muss man unterscheiden zwischen eigent- lichen Ohrsymptomen, welche die directe Folge der jeweils vorhandenen pathologischen Veränderungen am Hörapparate selbst sind und welche wir deshalb schon aus der allgemeinen Symptomatologie der Ohren- krankheiten kennen, und den nephritischen Symptomen, welche zu ersteren hinzukommen, oder dieselben in einer Weise modificiren, dass daraus der Zusammenhang der Ohrenkrankheit mit derjenigen der Nieren unzweifelhaft hervorgeht.

Die Anomalien der Hórfunction bestehen in der Regel in sub- jectiven Ohrgerüuschen, sowie in einer Herabsetzung der normalen Hör-

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 335

fähigkeit. In einem einzigen Falle beobachtete Doumergue Hyper- ästhesie der Hörnerven in der Form der Hyperästhesia acustica mit intermittirendem Charakter und nur für kurze Zeit. Zu gleicher Zeit litt der Patient an Photophobie. |

Die subjectiven Geräusche äussern sich als Singen, Pfeifen, Summen, Sausen, Brausen, Sieden, Rauschen etc., treten mit oder ohne Schwer- hörigkeit auf, können letzterer auch vorausgehen oder folgen, setzten in der Regel zeitweise aus, oder belästigen den Patienten constant. In der Intensität schwanken sie beträchtlich und sind nicht selten Nachts besonders laut und belästigend, zum Unterschied von Ohrgerüuschen nicht nephritischen Ursprunges, welche durch ruhiges Verhalten des Patienten meist abgeschwächt werden oder ganz verschwinden.

Die Schwerhörigkeit weist gleichfalls beträchtliche Schwankungen auf, sowohl was die Intensität, als auch was die Dauer anbetrifft und kann wie die Ohrgeräusche intermittiren. Downie constatirte völlige Taubheit, ebenso Pissot in drei Fällen. |

Schon Doumergue hat die Ansicht ausgesprochen, dass Ohr- geräusche ohne Schwerhörigkeit oder Schwerhörigkeit von kurzer Dauer oder mit intermittirendem Charakter ausschliesslich auf Fälle der zweiten Gruppe ohne nachweisbaren anatomischen Befund bezogen werden müssten und spätere Autoren schlossen sich dieser Ansicht an. Im Allgemeinen mag das richtig sein, nur darf man daraus durchaus nicht etwa folgern, dass anhaltende Verminderung der Hörfähigkeit immer an eine nach- weisbare Läsion der Gewebe gebunden sei. Dagegen sprechen deutlich der Rosenstein’sche und meine Fälle. Ebensowenig ist die Intensität der Schwerhörigkeit ein Gradmesser für die Schwere der pathologisch- anatomischen Veränderungen.

Das Ohr kann in allen Stadien der Nephritis erkranken, in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle aber ist die Erkrankung an eine acute Exacerbation des Nierenleidens gebunden, welche sich gewöhnlich durch Verminderung der Harnausscheidung, Vermehrung des Eiweiss- gehaltes des Harns, das Auftreten von Oedemen, event. rasche Zunahme der letzteren, urämische Anfälle u. s. w. kund giebt.

Auch der weitere Verlauf der Ohrenaffection ist durchaus nicht allein abhängig von den pathologisch-anatomischen Veränderungen am Ohre selbst. Recht oft greift die Nephritis bestimmend ein und ändert nicht selten acut den. Gang der Dinge so sehr, dass Schwankungen im Verlaufe der Nierenkrankheit gleichsam am Ohre sich wiederspiegeln. Und zwar gilt dies von allen Affectionen des Ohres, gleichviel ob ent-

336 : J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

zündliche oder nicht. Bei 15 Nephritikern sah Pissot nicht weniger als 11mal das Ohr gelegentlich einer Verschlimmerung des Nieren- leidens erkranken und nicht minder beweisend sind in dieser Beziehung die Fälle von Haug, Gradenigo, Rosenstein, Doumergue, Alibert etc. und die meinigen.

Vereinzelt steht der Fall Doumergue's da, bei dem die Hör- stórungen mit einem urümischen Anfalle verschwanden, was übrigens nicht befremden kann, wenn man sich daran erinnert, wie oft nach solchen Anfällen die Harnausscheidung rapid ansteigt.

Mehrfach erwähnen die französischen Autoren Fälle, bei welchen dasjenige Ohr erkrankte. welches der Seite entsprach, wo das Gesichts- ödem stärker ausgesprochen war. Ferner beobachteten sie öfters Trige- minusneuralgie auf derselben Seite!) Auch auf die Qualität und Quantität der Secretion bei den eiterigen Mittelohrentzündungen können die Oedeme ihren Einfluss ausüben. Gurowitsch beschreibt einen Fall, bei dem mit der Vermehrung oder Verminderung der Gesichts- ödeme die Secretion zu- resp. abnahm. Ganz ähnliche Beobachtungen machte Voss bei Scharlachnephritiden. Da seine Mittheilungen sehr instruktiv sind, gebe ich sie bier in extenso wieder: »Unter diesen Spätformen (der Scharlachotitis) möchte ich auf eine speciell aufmerksam machen, welche mit der Scarlatina eigentlich nicht, oder nur mittelbar in Zusammenhang steht, dagegen in directer Abhängigkeit von der Nephritis. Der letztere Zusammenhang ist ein so inniger, dass im typischen Falle sich der Verlauf der Nephritis aus dem Gange der Otitis ablesen lässt. Mit der Verringerung der Harnsecretion und dem begleitenden Fieber, manchmal auch denselben ganz kurz vorausgehend und sie auf diese Weise ankündigend, tritt Schwerhórigkeit mit Schmerz in einem oder beiden Ohren auf. Letzterer wird von den Kindern häufig gar nicht localisirt, sondern äussert sich in Unruhe, Schreien und Schlaflosigkeit. Die Inspection ergiebt leicht geröthete Rachen- schleimhaut, Hyperämie der Trommelhöhle, an welcher das Trommel- fell wenig oder gar nicht sich betheiligt und kein Exsudat. In leich- teren Fällen genügt hier die Luftdouche nach Politzer und das Ein- träufeln von ein: paar Tropfen 'einer einprocentigen Cocainlósung (?), um alle Erscheinungen zum Schwinden zu bringen. Das ist aber: dann stets ein Zeichen, dass die Harnsecretion nur vorübergehend ins Stocken

1) Da das Ohr nicht immer nach allen Richtungen genau "untersucht wurde, so ist nicht auszuschliessen, dass der Gesichtsschinerz durch eine entzündliche Ohraffection veranlasst worden ist.

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 337

gerathen ist. Manchmal habe ich 4—5mal dieses Spiel sich wieder- holen sehen, mit Pausen von ein paar Tagen, ohne dass es zur Exsudation in die Trommelhóhle kam. Dabei sank die Harnmenge jedesmal von ca. 600 ccm auf 200—250. Die Farbe veründerte sich von hellbraunroth in braunschwarz, Albumin und Cylinder stiegen im Verhältniss. Bleibt jedoch von vornherein die Harnmenge sehr gering für längere Zeit, so tritt ganz rasch Exsudation, Röthung und Schwel- lung des Trommelfells, Perforation desselben und ein anfangs seröser, dann seropurulenter Ausfluss ein. Nach Entlastung der Paukenhöhle schwillt die Schleimhaut derselben schnell ab, das Trommelfell verliert. seine Röthe, zeigt auf seiner grauen, glanzlosen Fläche eine scharf begrenzte Perforation von höchstens Stecknadelkopfgrösse. Die Anfangs sehr reichliche Secretion wird geringer, dauert aber an und jetzt ist in ihr zuweilen ein directer Gradmesser für die Albuminurie vorhanden. Wird erstere spärlich, so erweist die Harnuntersuchung Abnahme des. Albumins und gestiegene Harnmenge und umgekehrt. Die Zunahme der Secretion, parallel dem steigenden Albumingehalt des Harns und umgekehrt proportional der Harnmenge, ist das mehr in die Augen Fallende. Schwindet die Albuminurie rasch, so überdauert die Otitis sie gewöhnlich, aber nicht lange, etwa um.1—2 Wochen. Das Gehör kehrt zur Norm zurück. Zieht sich die Albuminurie in die Länge, so kann die Otitis zuerst ausheilen.« Haug bestätigt diese Ausführungen Voss’ und. erzälilt von einem Falle, der ihm »wegen seines bislang noch nicht bekannten Verhaltens« wichtig erscheint. Es handelt sich um einen 8jährigen Knaben, welcher vor 8 Wochen Scarlatina mit Otitis durchgemacht hatte. Nachdem diese letztere ausgeheilt war, stellten sich unter Entwicklung allgemeinen Anasarcas abermals beidseits heftige Obrenschmerzen ein, welche links zu Mastoideiterung führten. Die Harnmenge war auf 240 ccm gefallen, der Harn enthielt reichlich Eiweiss. »Die Secretion aus dem Ohr war anfänglich gering und je mehr sie an Menge zunahm (durch Erweiterung der kleinen Lücke), desto rascher schwanden die Oedeme, die Schmerz- haftigkeit am Processus liess nach und die Harnmenge wuchs.« Dieses Spiel wiederholte sich dreimal, bis unter heftigsten Schmerzen im Warzen- theile und Schwellung des letztern trotz reichlicher Secretion die Harn- absonderung beinahe stockte, der Eiweissgehalt »enorm« stieg und die Oedeme hochgradig wurden. Sowie der Warzentheil operativ eröffnet und ein Sequester aus demselben extrahirt worden war, wechselte das Bild. Die Oedeme und der Eiweissgehalt gingen zurück, die Harn-

3388 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

menge stieg. Noch einmal trat eine heftige Exacerbation des Nieren- leidens ein, als sich der Operationskanal mit Granulationen gefüllt hatte. Nach Entfernung der letzteren »gingen auch a tempo die nephritischen Erscheinungen zurück ..

Wie Haug sich dieses »bislang noch nicht bekannte, eigenartige Verhalten« seines Falles erklärt, weiss ich nicht. Jedenfalls steht die Auslegung, die Haug dem Gesehenen giebt, in vollem Widerspruch zu allem dem, was andere Autoren über Ohrenkrankheiten beim Morbus Brightii berichtet haben und man dürfte sich kaum irren, wenn man annimmt, dass hier das post hoc und das propter hoc verwechselt worden seien. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen, dass eine Mittelohreiterung in solcher Weise die Nephritis zu beeinflussen im Stande ist, wohl aber das Umgekehrte. Sehr oft können die Hör- störungen oder das Anwachsen derselben constatirt werden, wenn weder Arzt noch Patient von der Existenz einer Nephritis irgend welche Kenntniss haben. Zeigen sich dann kurz nachher die bekannten Symp- tome der Nephritis in vielleicht sehr ausgesprochener Weise, so beweist das nur, dass das Ohr gegenüber gewissen Veränderungen im Gesammt- organismus aussergewöhnlich empfindlich ist und niemand wird deshalb die Erkrankung des Ohres für die Nephritis verantwortlich machen. Dass das nicht gestattet ist, beweisen übrigens zur Evidenz meine oben beschriebenen, eigenen drei Beobachtungen, Haug’s eigener Fall XIX nebst einer ganzen Reihe anderer.

Die Hörstörungen sind gar nicht selten das einzige Symptom für die Nephritis, wenn wir von den Veränderungen in der Beschaffenheit des Harns absehen, wie z. B. in unserem dritten Falle. Gewöhnlich ist das aber nur für kurze Zeit der Fall, indem bald auch andere, sprechendere Zeugen, Oedeme, urämische Zeichen, Sehstörungen u. s. w. die unliebsame Acquisition verkünden.

Sehr häufig bestehen neben Hörstörungen auch Sehstörungen, mit und ohne Veränderungen am Augenhintergrunde. Unter 34 Fällen fanden die französischen Autoren solche 22mal. Ausserdem constatirten Schwartze, Trautmann, Gradenigo und Haug Retinitis albu- minurica und Netzhautapoplexien.

Gleichgewichtsstórungen sahen Gradenigo und Morf (Fall 2). Es ist aber kaum zu entscheiden, ob dieselben auf eine Läsion des statischen Organs oder als urämisches Symptom, Kleinhirnschwindel, anzusprechen sind.

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 339

Die Diagnose einer nephritischen Erkrankung des Ohres kann dann als gesichert angesehen werden, wenn ausser der Nephritis auch der Zusammenhang der letzteren mit der Hórstórung in irgend einer der beschriebenen Formen erbracht ist. Sie wird also relativ leicht zu machen sein, wenn unter alarmirenden Symptomen von Seite der Nierenkrankheit eines oder beide Ohren acut erkranken, ohne dass hiefür eine andere Ursache ausfindig gemacht werden kann; oder wenn mit allfälligen Schwankungen im Verlaufe der Nephritis, Zu- resp. Abnahme der Harnsecretion, des Eiweissgehaltes des Harns, der Menge der Cylinder, Mächtigkeit der Oedeme, und wie sie alle heissen, corre- spondirende Verschlimmerungen resp. Verbesserungen der Ohraffection einhergehen. Freilich wird man oft noch unter diesen günstigsten Ver- háltnissen darauf verzichten müssen, speciell eine der nephritischen Secundärerscheinungen, wie Oedeme, Urümie, Druckschwankungen im Gefüsssystem u. s. w. für die Hórstórung verantwortlich zu machen, insbesondere dann, wenn alle diese Erscheinungen zugleich in mehr oder weniger hervorragender Weise ausgesprochen sind.

Die grósste Schwierigkeit in der Diagnosestellung bereiten die- jenigen Fälle, wo die Hörstörungen einziges Symptom der Nephritis sind. Zwar werden hier meist über kurz oder lang die Verhältnisse sich abklären durch Hinzutritt bekannterer Symptome des Nierenleidens. Ist das aber nicht der Fall, wie z. B. in unserer dritten Beobachtung, dann freilich kann nur die Erinnerung daran, dass der Morbus Brightii zu Hörstörungen Veranlassung werden kann, auf den richtigen Weg, d. h. zur Untersuchung des Urins führen. Man wird deshalb immer gut thun, beim Bestehen von Funktionsanomalien des Hórapparates ohne nachweisbare andere Ursache, den Harn zu untersuchen.

Zwar ist keineswegs gesagt, dass die Erkrankung des Ohres von vornherein eine nephritische war, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Nephritis erst nachtrüglich zur Ohraffection hinzugekommen ist, dieselbe aber in ihrem Gange derart modificirt hat, dass sie nun als nephritische Hórstórung imponirt. Als Beispiel hiefür móchte ich meine beiden ersten Fälle anführen, bei welchen die Nerventaubheit resp. Schwerhörigkeit ganz andern Ursachen denn der Nephritis ihre Ent- stehung verdankt und erst nachträglich, durch Hinzutritt der letzteren, wesentlich intensiver wurde. Praktisch ist das insofern von Bedeutung, als durch die Behandlung der Nephritis auch das durch dieselbe ver- ursachte Plus der Hörstörung beeinflusst werden kann, nicht aber der früher schon .constatırte, vom Nierenleiden unabgängige Defect.

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 94

340 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres.

Was die Fälle der zweiten Gruppe anbetrifft, so fehlen vorläufig sichere Anhaltspunkte für eine genauere Localisation der Störungen. Allein es sprechen verschiedene Umstände dafür, dass vorzugsweise der Acusticus und seine periphere und centrale Ausbreitung in Betracht kommen. Der negative Befund im Rosenstein’schen Falle, welcher sich übrigens nur auf die makroskopische Betrachtnng der in Frage kommenden Organe stützt, kann schon deshalb und aus weiter oben entwickelten Gründen nicht als Gegenbeweis gelten. Meine drei eigenen Fälle können jedenfalls nur in diesem Sinne beurtheilt werden, mir würde wenigstens eine andere Auslegung der Resultate der funktionellen Prüfung in den ersten beiden Fällen schwer fallen und auch im dritten spricht das negative Ergebniss derselben trotz der beträchtlichen Herab- setzung der normalen Hörfähigkeit auf 4m für Flüstersprache, zu Gunsten meiner Ansicht, denn eine Mittelohraffection mit solcher Hör- verminderung hätte zweifelsohne eine in die Augen springende Ab- weichung des Rinne'schen und Weber-Schwabach'schen Versuches von der Norm ergeben.

Nach Gradenigo (43) zeichnen sich Affectionen des Acusticus- stammes durch Verminderung oder Ausfall der Perception der mittleren Tóne aus, zum Untersehied von den Labyrinthlüsionen, bei welchen die Perception der hohen Tóne vermindert resp. aufgehoben ist, wührend gerade die mittleren und tiefen Töne verhältnissmässig gut gehört werden. Für die Fälle, wo trotz Verminderung der Hórschürfe keine Abweichung des Ergebnisses der funktionellen Prüfung von der Norm nachweisbar ist, wie in unserer dritten Beobachtung, hült er die funktionelle Prüfungsmethode überhaupt für unzureichend, indem er an- nimmt, dass dieselbe relativ zu grob sei, um so zarte Veründerungen, wie sie hier vorliegen móchten, zu entlarven und empfiehlt als zuver- lässigeres Prüfungsmittel den galvanischen Strom. Acusticusaffectionen sollen sich durch erhöhte electrische Erregbarkeit auszeichnen. Auch Neftel berichtet, beim Morbus Brightii abnorme galvanische Reaction des Acusticus beobachtet zu. haben. Indessen ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen und ich selbst besitze hierüber, speciell was die nephritischen Affectionen anbetrifft, keine Erfahrungen. Sei dem aber wie ihm wolle, bei der raschen Ent- wickelung, welcher die otiatrische Diagnostik sich erfreut, darf zuver- sichtlich angenommen werden, dass in nicht allzuferner Zeit auch diese dunklen Fälle sich aufklären werden. Mit Rücksicht darauf, dass cerebrale Apoplexien beim chronischen Morbus Brightii, insbesondere

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 34l

bei der chronisch interstitiellen Nephritis nicht zu den Seltenheiten gehören, kann der Fall nicht ausgeschlossen werden, dass die centralen Hórbahnen hie und da auch durch Blutung in die Hirnsubstanz unter- brochen werden.

Die Prognose richtet sich in erster Linie nach dem Verlaufe des Nierenleidens und ist, besonders im Hinblick auf die Fälle der zweiten Gruppe, im Allgemeinen keine schlechte, sofern nicht der Kranke vor Ausheilung der Ohraffection der Nephritis oder irgend einer intercurrenten Krankheit erliegt. Immerhin aber hat die Ohr- erkrankung die Bedeutung einer Complication, die je nach Art und Localisation für den Träger sowohl quoad vitam als auch quoad functionem sehr folgenschwer werden kann. In dieser Hinsicht ver- dienen namentlich die eiterigen Processe des Mittelohrs besondere Beachtung.

Von ominöser Bedeutung sind die Blutungen, nicht deshalb, weil sie selbst das Leben gefährden, sondern weil erfahrungsgemäss denselben bald der letale Ausgang folgt.

Inwiefern Residuen abgelaufener Entzündungen oder noch bestehende Affectionen des Ohres, welche mit der Nephritis weiter nichts zu thun haben, sich unter dem Einfluss der letzteren verschlimmern oder die Entstehung nephritischer Affectionen begünstigen, ist schwer zu sagen. Ich möchte mich aber zu Gunsten eines derartigen Einflusses aus- sprechen in Rücksicht auf den Umstand, dass in Roosa’s Falle die sehr heftige Mittelohreiterung in einer durch chronischen Catarrh vor- bereiteten Paukenhöhle entstand und in zweien meiner eigenen Be- obachtungen die aus anderen Gründen entstandene »nervöse Schwer- hörigkeit« sich wesentlich verschlimmerte.

Die Affectionen der zweiten Gruppe gehen in der Regel eine Restitutio ad integram ein, während selbstverständlich diejenigen der ersten Gruppe häufig Residuen hinterlassen.

Die Therapie hat die Grundsätze im Auge zu behalten, welche in der Behandlung der Nieren sowohl als der Ohrenkrankheiten allge- mein giltig sind. Während die Affectionen der zweiten Gruppe Hand in Hand mit der Besserung des Nierenleidens, ohne weiteres Zuthun von selbst weichen, bedürfen dagegen die Fälle der ersten Gruppe specielle Aufsicht und therapeutische Maassnahmen, “nicht minder, als die nicht nephritischen Ohrenkrankheiten.

24*

342 J. Morf: Die Krankheiten des Ohres

> DD m

D>

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

18. 19.

20. 21. 22.

23.

24.

Literaturverzeichmiss.

. Rayer, Traite des maladies des reins 1840.

. Rosenstein, Pathologie und Therapie der Nierenkrankheiten. Berlin, 1863. . Dieulafoy, Gazette hebdomadere 6. April 1877.

. Pissot, Des troubles anditifs dans le mal de Bright. These de Paris 1878. . Alibert, Contribution à l'étude clinique du mal de Bright, These de

Paris 1880.

. Doumergue, Contribution à l'étude des troubles anditifs dans le mal de

Bright, These de Paris 1881.

. Sehwartze, Ein Fall von Bluterguss in die Paukenhóhle bei Morbus

Brightii. A. f. O. Bd. IV.

. Buck, Fall von Bluterguss in die Trommelhöhle bei Morbus Brightii.

The med Rec., S. 156. Referat: A. f. O., neue Folge Bd. 1.

. Gellé, Observation de surdité complete subite dans l'albuminurie. Soc.

de biologie. Séance du 24. Mars 18858.

Pooley, Double optic Neuritis and Meniére's disease. New-York med. Journ. Januar 8., 1887.

Gradenigo, Krankheiten des Labyrinths und des Nervus acusticus. Schwartze's Handbuch der Ohrenheilkunde Bd. II, pag. 449.

Schwartze, Chirurgische Krankheiten des Ohres, pag. 369. Stuttgart 1885.

Bürkner, Bericht über die im Jahre 1884 in der Poliklinik für Ohren- krankheiten zu Göttingen beobachteten Krankheitsfälle. A. f. O. Bd. XII, pag. 197.

Haug, die Krankheiten des Ohres in ihren Beziehungen zu den Allgemein- krankheiten. Wien und Leipzig, 1893.

Voss, Ein Beitrag zur scarlatinósen Otitis media. A. f. O., Bd. XXVI.

Downie, Taubheit b. Morbus Brightii. Glasgow medic. Journ. Sept. 1885.

Gradenigo, Affezione del nervo-acustico nella nefrite. Sordomuto No. 5, 1890 und Sehwartze's Handbuch der Ohrenheilk. Bd. I, p. 539.

Moos, Schwartze's Handbuch der Ohrenheilkunde Bd. I, pag. 358.

Gurowitsch, Zur Frage der Ohrsymptome bei der Bright'schen Krank- heit. Berl. klin. Wochenschr. No. 42, 18. Oct. 1880.

Fenwich, On morbid states of the stomach etc. Med. Times 1868, citirt b. Bartels Krankheiten des Harnapparates.

Hlava und Thomayer, Beitráge zur patholog. Anatomie des Morbus Brightii. Prager Zeitschr. f. Heilkunde 1881.

Trautmann, Die embolischen PISIUIRHOgOR des Gehórorganes. A. f. O. Bd. XIV.

Roosa, Ein Fall von acuter Eiterung der Paukenhöhle bei einem Patienten mit chron. Morbus Brightii. Tod. Beschreibung des Schläfenbeines. Transact. of the amer. otol. society. Vol. 4, Part. 1, 1887. Referirt: A. f. O., Bd. XXVI. 258.

Hedinger, Klinische und pathologisch-anatomische Bea zur Eröffnung des Proc. mast. Z. f. O. Bd XVII. p. 237.

5. Bartels, Handbuch der Krankheiten des ,Harnapparates I, Leipzig 1887,

p. 134.

26.

27.

28. 29.

30.

91.

32.

99.

34.

30.

36.

31.

38.

39.

40,

41.

42.

43

beim acuten und chronischen Morbus Brightii. 343

Müller, Ueber den jetzigen Stand der Eiterungsfrage vom bakteriolog. Standpunkte. Centralbl. f. Bakteriolog. und Parasitenkunde, XV.

Scheibe, Zur Pathogenese der Transsudatbildg. im Mittelohr b. Tubenver- schluss. Z. f. O., Bd. XXIII, p. 62.

Brieger, Klinische Beitráge zur Ohrenheilkunde. Wiesbaden 1896, p. 59.

Eichhorst, Handbuch der spec. Patholog. und Therapie, II. Bd., p. 649, Wien 1896.

Eulenburg's Realencyklopádie d. gesammt. Heilkde. Bd. XIV, p. 394. Wien und Leipzig, 1888.

Field, On abnorme vasenlar conditions affecting the organ of hearing med. Times. 8. Juni 1878, .

Neftel, Abnorme Reaction des Hórnervenapparates in der Chlorose und Bright 'schen Nierenkrankheit. Centralbl. f. med. Wissensch. 1872.

Moos, Ueber das combinirte Vorkommen von Stórungen im Seh- und Gehórorgan. Arch. f. Augen- und Ohrenheilkde., Bd. VII, 1878.

Moos, Zur Genese der Gehórstórungen, sowie über den diagnost. Werth von Stimmgabelversuchen bei Gehirntumoren. Vortrag gehalten am int. Otolog. Congress zu Basel, 1884.

Moos, Allgem. Aetiologie und Beziehungen der Allgemeinerkrankungen zu Krankheiten des Gehórorgans. Schwartze’s Handbuch der Ohren- krankh., p. 509.

Steinbrügge, Ueber das Verhalten der Reissner’schen Membran b. intracranieller Drucksteigerung. A. f. O., Bd. XXIX.

Gomperz, Beiträge z. patholog. Anatomie d. Ohres. A. f. O. Bd. XXX, p. 216.

Szenes, Bericht über d. Verhandlung. d. otol. Section auf d. 62. Vers. deutscher Naturforscher und Aerzte in Heidelberg, A. f. O. Bd. XXIX, p. 87.

Siebenmann, Ueber die centrale Hórbahn und über ihre Schádigung durch Geschwülste des Mittelhirns spec. der Vierhügelgegend und der Haube Z. f. O. Bd. XXIX p. 28.

Besold, Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkd., Bd. VIII.

Moos, Allgem. Aetiologie etc. Sch wartze's Handbuch d. Ohrenheilkd., Bd. I, p. 509.

Urbantschitsch, Lehrbuch II, Aufl. p. 361.

Gradenigo, Krankheiten des Labyrinthes und des n. acusticus. Schwartze's Handbuch d. Ohrenheilkunde, II. Bd., p. 406, u. f.

344 Karutz: Studien über die Form des Ohres. XXI. Studien über die Form des Ohres.

Von Dr. Karutz in Lübeck.

ITI.. | Die Ohrform in der Physiognomik.

Wenn das Ohr das Stiefkind der modernen Anthropologie ist oder doch bis heute gewesen ist, so haben seine so wechselvollen Formen von Alters her die Aufmerksamkeit der Philosophen und des abergläu- bischen Volkes in höchstem Maasse erregt. Recht oft mag es nur ein ästhetisches Unbehagen gewesen sein, was instinktiv gegen den Besitzer des Ohres einnahm, unbewusst zu einem Urtheil über ihn verleitete und dann in Umkehrung des wahren Gedankenganges die Form des Ohres als das äussere Zeichen dieses supponirten Charakters betrachtete. Daneben erfanden symbolesuchende Laien und Philosophen im Grübeln über den ewigen Streit zwischen Körper und Seele die Wissenschaft der Physiognomik. Die leichte. sich fast aufdrängende Zugänglich- keit des Ohres war für die Einen ein Grund, sich mit seiner Erschei- nung eingehender zu befassen; ist doch auch in neuerer Zeit in der bequemen Untersuchung ein Hauptantrieb, ein unseliger Anstoss dafür zu suchen, dass man die Anomalien des Ohres so genau von einander geschieden und ihnen eine so grosse Wichtigkeit zugemessen hat. Eine andere Reihe von Physiognomikern stellt sich zum Ohre nicht anders, wie zu den übrigen Theilen des Kórpers. Sie gehen alle Organe desselben auf Merkmale fahndend durch, die für bestimmte Charakter- eigenschaften typisch sein sollen, kommen auch an das Ohr dabei und versuchen aus seinem Aeusseren Aufschlüsse über den inneren Menschen zu erhalten. Einigen endlich kann man es anmerken, dass sie selbst von einer physiognomischen Bedeutung unseres Gebildes nicht viel halten, mehr oder weniger ungern einige allgemeine Worte darüber verlieren und es eigentlich nur aus Pflichtgefühl thun, um nicht eine Lücke in ihrem System offen zu lassen.

Die Ueberlegungen, von denen alle diese Physiognomiker, gelehrte und ungelehrte, berufene und unberufene, ausgehen, basiren theils auf physiologischen Anschauungen und Theorien, theils auf philosophischen Klügeleien oder auf frommen Glaubensschlüssen pietistischer und mysti- scher Geister.

Venn im alten Indien bereits grosse Ohren als ein Zeichen kräf- tiger Constitution und langer Lebensdauer galten, so ist das nichts

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 345

weiter, als eine auf rein somatischem Gebiet sich haltende, auf ein spe- cielles Organ übertragene Folgerung: je grösser und kerniger sich die einzelnen Körpertheile ausgebildet zeigten, desto kräftiger war der Gesammtorganismus und desto grössere Gewähr bot derselbe für Gesund- heit und Leben, eine physiologische Anschauung. die zu beweisen das Ohr allerdings am wenigsten geeignet sein dürfte. Die gleiche Ansicht bringt Aristoteles!) und wird ihm von Plinius?), 1860 noch von Cardona?) nachcitirt; sie findet sich bei den Ilocanen auf Luzon und in Spanien als Volksüberlieferung; ich habe an anderer Stelle*) ver- sucht, dieser vom Volksglauben dem Ohr zugeschriebenen Symbolik eine eigene Erklärung zu geben. Porta°) referirt die Ansichten älterer Schriftsteller und erwähnt, dass Rhases grosse Ohren für ein Zeichen langen Lebens hielt, weil sie das beste Verhältniss des Warmen und Feuchten beweisen. |

Eine andere Gedankenfolge bringt die Ohrmuschel mit der Sinnesfunktion in Verbindung und sieht daher in grossen Ohren das Zeichen eines guten Gehörs und, da im Alterthum das Ohr als »memo- riae locus« galt, auch das eines guten Gedüchtnisses. So namentlich bei Aristoteles, den die Späteren eifrig abschreiben. Wenn Einige sagen, ein zwar langsames, aber gutes Gedüchtniss, so dürfte diese Ein- schránkung nur eine Concession an den ästhetischen Eindruck sein. Selbst Carus®) sagt in ähnlicher Parallele, »man kann die eigenthüm- lich gewundene Bildung der Ohrmuschel nicht betrachten, ohne darin eine Art von symbolischer Wiederholung des tiefverborgensten und geheimnissvollsten Organes des Gehórs d. h. der Schnecke zu finden.«

Nun ist es in der That auffallend, dass in der Thierreihe das äussere Ohr und die typische Form der Schnecke gleichzeitig auftreten, und zwar bei den Krokodilen. Die Krokodile zeigen zum ersten Male in der Stufenfolge der Thierentwickelung eine Spiraldrehung am Schneckenrohr und sind die Ersten, die eine der Ohrmuschel analoge Hautfaltenbildung besitzen. Die Entwickelung der Schneckenform geht weiterhin aber durchaus nicht parallel mit derjenigen des äusseren Ohres. Die Vögel haben fast dieselbe Cochlea wie die Krokodile, aber keine Andeutung einer Ohrmuschel Eulen ausgenommen —, und

1) Physiognomik, latein. Uebersetzung.

2. Nat. hist.

3) Physiognomik.

4) „Das Ohr im Volksglauben* wird im „Globus“ erscheinen. 5) De humana Physiognomia 1593. 6) „Symbolik der menschlichen Gestalt“. 2. Aufl. 1858, S. 245.

346 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

wenn die Form des menschlichen Ohres als die reinste vollendete Bil- dung hingestellt wird, so muss man dagegenhalten, dass die angeblich so geheimnissvolle Schneckenwindung ihre hóchste Entwickelung gar nicht im Menschen erreicht. Finden wir bei Letzterem nach Hyrtl 22/, Windungen, so sind es beim Pavian, Löwen und Ochsen 3, beim Moschusthier 3!/,, beim Schweifbiber 4 und beim Meerschweinchen gar 5 Windungen!). Auf der anderen Seite lassen die Monotremen, Wale, Robben etc. eine Ohrmuschel vermissen, erfreuen sich trotzdem aber einer Schnecke. Carus' mystische Gegenüberstellung ist mehr geist- reich wie zutreffend.

Zu klarerer physiologischer Anschauung kehrt er zurück, wenn er sagt: »Das Abstehen der Ohren ist dem schärferen Hören allemal günstiger und findet sich also mehr bei Menschen, wo der Gehörssinn überhaupt vorherrscht, also bei Musikalischen, Verheimlichenden, Gedächt- nissstarken, aber auch Furchtsamen.« Die neuere Forschung hat uns gelehrt, dass die Ohrmuschel so gut wie gar keinen Antheil an der Gehórsfunktion nimmt, jene Folgerung ist also nicht mehr berech- tigt; abgesehen davon wird die absolute Schärfe des Gehörs, das Hör- vermögen, in eine durchaus unerlaubte Parallele zur qualitativen Empfänglichkeit musikalischer Veranlagung gesetzt. Man beachte auch die Verzwickung mit den Aristotelischen und Portaschen Ueberliefe- rungen und das bei den Physigonomikern so häufige willkürliche Neben- einander grundverschiedener Charaktereigenschaften und Fähigkeiten. Zu Buffons Zeiten war ein breit umgelegter Helix bei grossen Ohren das Zeichen eines guten Gehórs, vielleicht weil man glaubte, dass der Ton von einem solchen besonders gut reflektirt werden kónne. Dass auch Lavater von dieser Beziehung überzeugt ist, wird Niemand Wunder nehmen. »Siehe, wie das abstehende, fast bewegliche Ohr horcht!« ruft er?) bei einem halbverdeckten, nur im untersten Theil sichtbaren Ohr aus. Interessant ist aber eine gewisse Ueberein- stimmung dieses empirischen Physiognomikers mit einem neueren extrem- sten Anhänger der Degenerationslehre, mit Kurella. Jener stellt ein breites plumpes im oberen Theil flaches Ohr mit fehlendem Helix und Läppchen dar und sagt dazu: »Das breite platte randlose Wesen obenher ist auch an vortrefflichen Genies und besonders an musikalischen Ohren zu merken.« In Kurella's »Naturgeschichte des Verbrechers« findet

1) Nach Kuhn, ,vergl. Anatomie des Ohres" in Schwartze’s Handbuch der Ohrenheilkunde.

2, Physiognomische Fragmente.

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 347

sich folgende Ausführung: »Der Helix zeigt gelegentlich nur den ersten Anfang einer Einrollung seines äusseren Randes, so dass der An- schein einer Verdoppelung eines rudimentären Helix entsteht; bekannt- lich zeigte das Ohr Mozarts diese merkwürdige Bildung, eine That- sache, die ein schwerwiegendes Argument für, die Vermuthung hergiebt,. dass ein Zusammenhang, eine Wachsthums-Correlation zwischen Ohr- muschel und den Bahnen und Centren des Gehörs besteht, wenngleich die Raubthierinstinkte des Einbrechers und die musikalische Genialität des grossen Meisters qualitativ sehr verschiedene Steigerungen der Gehör- funktionen voraussetzen. Diese Berührung zwischen Genialität und De- generation ist bekanntlich nicht die einzige.« Ein weniger glühender Anhänger Lombroso’s dürfte nun freilich nicht so sehr in dem Mozart- schen Ohr ein schwerwiegendes Argument für die Beziehungen zwischen Muschel und Gehör sehen, als vielmehr in dieser Behauptung eim solches für die grenzenlose Phantasie der Degenerationsschwärmer. So weit geht die Voreingenommenheit, dass aus dem Ohre eines ein- zigen musikalischen Genies allgemeine Gesetze abgeleitet werden, die: die tiefsten Tiefen des Lebensgeheimnisses berühren. Ebenso gut kónnte auch eine die Concha theilende Crista Helicis, weil sie am Ohre unseres herrlichen alten Bismarcks!) besteht, das Kriterium staats- männischen Genies sein. Was ist dies, wenn es keine Physiognomik ist? Besonders setzt jenes Argument die Identität von Genie und De- generation voraus ohne diese würde es genau das Gegentheil be- weisen —, und da ich den Weg nicht mit Lombroso gehe, so vermag ich in dem Ohre Mozarts nicht ein Symbol musikalischer Befähigung zu erblicken. | i

Auf einer gleichen Stufe steht Lombroso, wenn er schief- stehende Ohrmuscheln ein Zeichen musikalisch veranlagter Menschen nennt. Warum er das glaubt, sagt er nicht. Ist diese Ansicht das- Ergebniss empirischer Beobachtung, so möchten sie ihm Wenige ohne: Weiteres glauben; soll dagegen eine solche Muschel ein besseres Auf- nahmeorgan für die Töne sein, so wird auch hier wieder quantitative- und qualitative Hörfähigkeit in einen Topf geworfen. Wenn Schäffer glaubt, den Schiefstand des Ohres aus einer mangelhaften Drehung der Schläfenbeine, aus einer Entwickelungshemmung, erklären zu können, so- scheint hier auf den ersten Blick ein Anhalt für den in Frage stehenden Zusammenhang gegeben zu sein. Man könnte die besondere Entwicke- lung eines im Schläfenlappen gelegenen musikalischen Centrums an-

1) Siehe unten, Theil IV.

348 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

nehmen, das im Schiefstand des Ohres ein äusseres Zeichen für die innere durch Schädelstruktur gegebene Ausdehnung besitzt. Nun ist aber diese Ohrstellung mit Schläfenenge, mit Flachheit der Schläfen- gruben verbunden, also mit Raumverhältnissen der Schädelhöhle, die eher eine mangelhafte wie eine umfangreichere Ausbildung eines der- artigen Centrums zulässt.

Ich habe unter 270 Rekruten sieben mit Schiefstand der Ohren- muschel gesehen; kein Einziger von ihnen war musikalisch.

Es ist seltsam, dass ein so exakter Naturforscher, wie Schaaf- hausen, sich jüngst dazu verleiten liess, eine symbolische Beziehung der Ohrmuschel zur qualitativen Ausbildung des Gehörs zu statuiren; um so seltsamer, als er seine Annahme nur in eine Form zu kleiden wagt, deren kluge Vorsicht ihren Inhalt nicht glaubwürdiger erscheinen lässt.!) »Musikalisch gebildete Menschen haben oft eine sehr regel- mässige und schöne Ohrmuschel, wie sie auch die Griechen ihren Büsten und Statuen gaben .. ..... Als ich einmal im Eisenbahn- wagen einem Herrn mit auffallend schönem Ohr gegenüber sass und ihn eben fragen wollte, ob er musikalisch sei, zog er eine Musikzeitung heraus und las eifrig darin.« Diese Episode ist ja ganz niedlich er- zählt, aber weder für eine empirische, noch für eine exakte Beweis- führung ins Gewicht fallend; jenes »oft« klingt auch aus dem Munde eines wissenschaftlichen Forschers weder gut noch beweisend.

In neuester Zeit hält es Binder?) nicht für unmöglich, dass die verbildete Ohrmuschel ein Ausdruck für Abnormitäten in der feinsten Struktur und Anlage der schallempfindenden Organe, in der Endaus- breitung des Gehórnerven und eventl. im Projektionssysteme im Gehirn ist. Auch er drückt sich in einem aus der Statistik gewonnenen End- urtheil äusserst vorsichtig aus »móglicherweise dürfte in der Ohrver- bildung eine gewisse Disposition zur Gehörstäuschungen gegeben sein«. Ich möchte denken, die Geisteskrankheit hätte als solche genügt, einer- seits die Ursachen der Hallucinationen, andererseits die der Ohrver- bildung in seinem Sinne klarzulegen.

Endlich schreibt Stóhr?) Leuten mit grossen Ohren ein gutes Gehór zu, vorausgesetzt dass die letzteren stark mit Haaren besetzt sind.

Zu ihrer Physiognomik waren die Alten dadurch gekommen, dass sie trotz ihrer dualistischen Weltanschauung den innigen Zusammen-

1) „Ueber Physiognomik*“, Archiv f. Anthropologie 1888. ?) a. a. O. 3) „Physivgnomik* 1804.

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 349

hang und die Wechselbeziehungen zwischen Seele und Körper erkannten. Dass ihnen diese Erkenntniss in der Pathologie aufgegangen war, ändert an der Thatsache nichts. Man sah den Einfluss körperlicher Krank- heiten auf die Stimmung, auf das geistige Leben und Können, man sah umgekehrt die Rückwirkung seelischer Leiden und Leidenschaften auf das Wohlbefinden und konnte sich der Gewissheit der gegenseitigen Wirkung in diesen beiden Hälften des Menschen nicht entziehen. Aus diesen Beobachtungen und Ueberlegungen resultirte wohl der bessere, brauchbarere Theil der Physiognomik, soweit man aus Gesichtsausdruck, Mimik, Haltung und Benehmen auf den Menschen selbst schliesst.

Ein anderer Ausgangspunkt für unsere Philosophen war die Beob- achtung der Thiere. Man sah, dass jede Thiergattung ein ihr eigen- thümliches constantes Aeussere besass und ebenso die gleichen Fähig- keiten und Eigenschaften ziemlich durchweg zeigte. Man sagte sich, der Lówe sieht so und so aus und hat die und die Eigenschaften, folg- lich, so folgerte man, hat er die Eigenschaften, weil er so und nicht anders gestaltet ist. Diese seine charakteristische Gestalt ist also be- zeichnend für einen Charakter wie der seine! Nun kam die Nutzan- wendung auf den Menschen. Man argumentirte weiter: finde ich also ähnliche äussere Erscheinungsformen am Menschen, wie ich sie am Thier gefunden und als bedeutsames Zeichen seines Charakters erkannt habe, so muss auch der betreffende Mensch in seinem inneren Gehalt demselben Thiere ähneln. Ein Beispiel bei Aristoteles: Die Thiere mit weichen Haaren sind furchtsam, die mit harten Haaren, wie Löwe, Wildschwein etc. besitzen »magnitudinem animi«, sind »hochgemuthet « -— wie die alten Helden unserer nordischen Sagen. An eben dieser verschiedenen Beschaffenheit des Haares können die Menschen in ihrem Charakter erkannt werden! |

Man glaubte, in den Aehnlichkeiten zwischen Thierköpfen und menschlichem Antlitz den Schlüssel zu besitzen, um die seelischen und geistigen Eigenschaften unterscheiden und erkennen zu können. Das Geheimniss der Menschenkenntniss schien enthüllt. Wie nahe war doch schon Aristoteles unserer Lehre von der Entwickelung der Thierwelt. Den Menschen wollte er mit den anderen philosophirenden Natur- forschern oder naturforschenden Philosophen, wenn man lieber will, er- kennen aus seiner äusseren Aehnlichkeit mit dem Thier. Warum sie das wollten, wie das möglich wäre, wenn sie wirklieh Recht hätten, fragten sie sich nicht. Auf dem Boden der reinen Empirie stehen bleibend sahen sie zufällige Anklänge an bekannte Thierphysiognomien

350 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

in den Gesichtern ihrer Mitmenschen und konstruirten den Paralle- lismus ihrer geistigen Eigenschaften. Eine Fragestellung nach dem Warum? und die Antwort konnte nur auf Entwickelung lauten. Ari- stoteles überliess diese Erkenntniss dem Demokritos und Lucrez.

Freilich, eine so derb naive Vergleichung, wie die obige, ist selbst auf dem Boden der Entwickelungslehre nicht zu halten. Der schranken- loseste Glaube an die thierische Entstehung des Menschen und an die Thatsache atavistischer Rückschläge in eine frühere Form wird sich nicht über die tausend das geistige und körperliche Leben beeinflussenden Momente hinwegsetzen wollen und eine in Form und Inhalt gleich- mässige Rückversetzung auf eine frühere Stufe für möglich halten. Ueberhaupt kann man wie Schaafhausen mit Recht hervorhebt, »den Menschen nur mit den ihm am nächsten stehenden Thieren ver- gleichen, denn die Gestaltung des Kopfes und Gesichtes hängt auf das Innigste mit der allgemeinen Körperform zusammen, die Lei den vier- füssigen Wirbelthieren schon eine ganz abweichende Bildung derselben bedingt, so dass der Mund oder die Nase eines Pferdes mit dem des Menschen gar nicht verglichen werden können.«

Dazu kommt, dass die Charaktereigenschaften der Thiere ober- flächlich oder falsch beobachtet oder wiedergegeben und dass zwischen Thier und Mensch Aehnlichkeiten aufgestellt werden, die nur durch die willkürliche Fälschung und künstliche Construktion unwahrer und unmöglicher Köpfe möglich sind. Aristoteles begnügt sich mit drei kurzen Bemerkungen »die kleinen Ohren sprechen von Affenähnlichkeit, die grossen erinnern an den Esel und mittelgrosse sieht jeder Beob- achter bei den besten Hunden.< An anderer Stelle führt er näher aus, dass gar zu kleine Ohren List und Betrügerei anzeigen, sehr grosse und ungewöhnlich aufgerichtete dagegen grosse Geschwätzigkeit, Dumm- heit und Albernheit. Seine Autorität ist so anerkannt, dass die Späteren im Allgemeinen nichts thun, als ihn abschreiben oder ein wenig ausschmücken. Nur Porta versucht seinen Worten durch Ab- bildungen eine grössere Beweiskraft zu geben, die aber so lächerlich unwahr sind, dass es nicht verlohnt, sie ernsthaft zu besprechen. Er zeichnet grosse, hohe Ohren an einem Menschengesicht, die niemals existiren und stellt es dann neben einen Eselskopf, ein affenähnliches Phantasiegebild, das menschlich sein soll, neben einen Affen, einen hohen Kopf mit schrägen, langen Ohren neben den eines Hundes. Selbst Lavater weist, überzeugt in der Physiognomik eine Wissen- schaft zu lehren, die banausische Manier Portas zurück. Andere con-

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 351

struiren beim Menschen spitze Fuchsohren, lange und weite Eselsohren, grosse schlaffe Ziegenohren und behalten die Analogie mit dem beweg- lichen Thierohr sogar in der Ausdrucksweise ihrer Beschreibung bei. Nicht zu Gunsten eines besseren Verständnisses. Kleine niedergedrückte Ohren sollen ein böses Zeichen sein, grosse und aufgerichtete von Dummheit und Geschwätzigkeit, kleine und gestreckte von Dumm- heit, mittelgrosse aufgerichtete von guten Sitten Zeugniss ablegen; kleine aufgerichtete, wie beim Hund, erzählen nach Polemon!) von Albernheit, aufgerichtete kleine und gleichsam umschnittene nach Adamantius!) von Dummheit. Lange und schmale hält Jener für den Beweis neidischen und kleinlichen Charakters, sehr grosse für solchen eines melancholischen und furchtsamen. Grosse Ohren zeigen ‚auch den Mann ohne Verstand, kleine den kleinen Charakter und Böse- wicht, viereckige bei genügender Grösse den tapferen und rechtschaffenen Mann. Sehr kleine Ohren sollen, da sie affenähnlich sind, schlechte Gesittung, List, Betrügerei, Sinnlichkeit, auch Bosheit und Schlauheit andeuten, allzurunde dagegen Ungelehrigkeit beweisen. Zusammen- gedrückte und lange Ohren kennzeichnen den Behexer und Bösewicht.

Ausgearbeitete (exsculptae) Ohren besitzt der Gelehrige und Kluge, unausgearbeitete der Unwissende. Hier tritt, wie man sieht, ein neues Motiv in den Ideengang der Physiognomiker zu Tage. Man sah in der eigenartigen Modellirung des Ohres, in seinen Windungen und Wülsten, in der scheinbar so regelmässig und kunstvoll beabsichtigten Anordnung der Gruben, Ecken und Linien, in dieser ohne Analogie am Körper dastehenden Formung der ganzen ÖOhrmuschel ein besonders schönes Werk der schaffenden Natur. War diese Kunstschöpfung recht gelungen, ‘so mussten die Götter auch den Menschen selbst, seine Seele, voll- kommen geschaffen haben; ein vollendetes Ohr zeigte also Schönheit des Geistes und Charakters, ein schlecht geformtes auch eine mangel- hafte Bildung Beider an.

Hier ist der Kreuzungspunkt alter und neuer Physiognomik, von . hier führt der Holzweg, den die moderne Wissenschaft von den De- generationszeichen des Ohres beschritten hat. | | |

. Die Beobachtung der Alten blieb vorwiegend .nur an dem Allge- meinen der Form, nur an dem Gesammteindruck des Ohres haften, in .das Einzelne wagt sich Niemand. Nur von Loxus finde ich die Be- merkung, dass .geistige Tüchtigkeit sich an den Ohren äussere durch

1) Franz „Scriptores Physiognomiae* 1780, Altenburg.

352 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

mittlere Grösse wobei nie vergessen wird, Suetons Bericht über die mittelgrossen Obren des Augustus zu wiederholen mittlere Ansatz- winkel, mässige Behaarung und dadurch, dass die halbmondförmige Concavität sich in der Mitte etwas nach dem Centrum wende, womit offenbar die Crista Helicis gemeint ist.

Ist die erwähnte Anschauung der Alten, die aus der Form auf den Inhalt schliesst, rein philosophischen Ursprungs, so geht Carus!) sicherlich zu weit, wenn er auf sie auch die von Winkelmann er- kannte Thatsache zurückführt, dass man die antiken Bildwerke nach der mehr oder weniger sorgfültigen Ohrmodellirung zeitlich bestimmen kann. Ich fürchte, er hat zu Gunsten seiner Symbolik den naheliegen- den wahren Zusammenhang übersehen und den Künstlern philosophische Spekulationen untergeschoben, wo einfach die technische Fertigkeit ihre Arbeit bestimmte und begrenzte. Wenn die gute Zeit der antiken Plastik an der fleissigen exakten Ausführung des Ohres zu erkennen ist, so ist es eben die Kunst selbst, die daran schuld ist, in- sofern Kunst Kónnen ist. Je hóher die Kunst, desto vollkommener auch das Detail. Impressionismus war niemals das Ideal oder der Schluss einer Kunstepoche. Waren die älteren griechischen Bildhauer in der Ohrmodellirung nachlässig aus Mangel an Beobachtung und an Können, so theilen sie diesen Fehler mit allen Anfängen der Kultur. Ich erinnere nur an den plastischen Schmuck auf den alten peruanischen Monolithen, an die Negeridole und dergl.

Doch von dieser Abschweifung auf die Aesthetik des Ohres zurück zu seiner physiognomischen Auslegung. Die alten Aristotelischen An- schauungen erhielten sich über das Mittelalter hinaus bis in die neuere Zeit. Im 17. Jahrhundert hält Elsholz grosse schlaffhängende Ohren ebenso wie allzuaufgerichtete für ein Zeichen von Thorheit. Das 18. Jahr- hundert lehrt eine Fülle von Regeln, um aus dem Ohr das Wesen des Menschen herauslesen zu kónnen. Ohne jeden inneren Zusammenhang, wie er selbst bei den Thiervergleichen der Alten erkennbar war, mit ihren ' willkürlichen Schlussfolgerungen, der thörichten Specialisirung der angeblich zu erkennenden Charaktereigenschaften und den phanta- stischen Zukunftsenthüllungen erscheinen sie als reine Charlatanerien oder einfach als Volksaberglaube. .

Grosse. Ohren sollten eine hitzige Natur anzeigen, die aber noch mit einem guten Gemüth verbunden ist, sehr kleine und länglichrunde geizigen und neidischen Charakter. Grosse und länglichrunde Ohren

1) a, a. O., Seite 247.

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 353-

zeichnen den langsamen, sorglosen, nachlässigen, verkehrt am Kopf an- gesetzte so, dass der obere Theil unten sitzt den verliebten und lustigen Menschen. Wer viel Haare an den Ohren hat, lebt lange und. wer grosse niederhängende besitzt, wird zu guten Mitteln gelangen. Von Leuten mit kleinen, wenig fleischigen Ohren hält man nicht viel. Hat man im Traum schöne und wohlgestaltete Ohren, so bedeutet es Lob, das Gegentheil Schande und Spott. Hiermit sind wir schon mitten in den oft so räthselhaften Gedankensprüngen der regsamen Volksseele, mitten in den volksthümlichen Interpretationen, die sich eine leicht und stark erregbare Phantasie für die Gestaltungen des menschlichen Ohres. schuf. Oft erkennt man noch eine leitende Idee, irgend einen ver- nünftigen Ausgangspunkt für diese Anschauungen, wenn z.B. das Volk bei uns anliegende Ohren für unmusikalisch, abstehende für musikalisch hält. Wenn aber der Baier mit freihüngenden Ohrlüppchen bestimmt ist, eine Wittwe zu heirathen, der Pfälzer mit kleinen Ohren reich, der Böhme und Baier mit abstehenden Ohren bald sterben wird, so sucht man wohl vergebens nach dem Ursprung dieses Aberglaubens. Der Mongole hält ein abstehendes Ohr für glückbringend, der Malaye Sumatras und Javas ein anliegendes Ohr für glückverheissend, die Ost- asiaten ehren in einem langen Läppchen ein Zeichen der Weisheit und Schönheit.

In anscheinend wissenschaftlichere Bahnen lenkte der berühmte Lavater die Physiognomik zurück. Es scheint jedoch nur so. Die Wissenschaftlichkeit bestand nicht in einer exakten Beweisführung, sondern in einer mit grossem Apparat durchgeführten subjektiven Em- pirie. Gefühl war Alles, und Lavater selbst bestreitet’s nicht. »Ob nun die Kraft von der Form oder die Form von der Kraft bestimmt. werde das gehört wenigstens nicht für den physiognomischen Beob- achter.« So hält er sich einzig und allein an die persönliche Beob- achtung und Erfahrung. Die theoretischen Bemerkungen, mit denen er seine »Fragmente« einleitet, sind im besten Falle schöne Kanzel- worte von hohlem Pathos, im Grunde aber logische Saltomortales der gewagtesten Art. »Kein Mensch ist dem anderen vollkommen ähnlich, ebenso wenig sind zwei vollkommen ähnliche: Gemüthscharaktere zu finden, wie zwei vollkommen ähnliche Gesichter.. Mehr sollte man nieht wissen dürfen, als dies, um es als eine keines weiteren Beweises be- dürfende Wahrheit anzunehmen, dass diese üussere Verschiedenheit des Gesichtes und der Gestalt mit ‚der inneren Verschiedenheit des Geistes und Herzens in einem gewissen Verhältniss, einer natürlichen Analogie

354 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

stehen müsse.« »Es werden Züge und Bildungen geerbt, es werden moralische Dispositionen geerbt; wer wird daran zweifeln kónnen, dass Harmonie zwischen den geerbten Zügen und Bildungen und den geerbteu moralischen Dispositionen sei?« Schon aus dem kleinen Sprüchlein seines grossen Zeitgenossen Goethe hätte er lernen können, dass zum Vererben zwei Personen da sind.

Mit seiner Beweisführung hat es sich der grosse Physiognomiker recht leicht gemacht; der Zweck, für den er schrieb, überhob ihn der Mühe einer solchen. »Ich schreibe eigentlich für den Gläubigen an die Würde und Gottähnlichkeit der menschlichen Natur.« Also nicht für die Glüubigen an die Thierühnlichkeit derselben!

Durchblüttern wir die vier grossen Bünde der »physiognomischen Fragmente« und die kleine Schrift »von der Physiognomik« nach einer solchen des Ohres, so erhalten wir nur eine recht müssige Ausbeute. Für Lavater scheint die Besprechung der Ohren mehr eine unangenehme Pflicht wie eine Herzenssache zu sein. Zwar predigt er einmal »es giebt eine eigene Physiognomik des Ohres!«, bei der Detailuntersuchung der einzelnen Gesichtstheile vergisst er leider das Ohr, die theoretischen Abschnitte sprechen von Gesichtszügen, Körperstellungen, von mimischem Ausdruck, viel auch von Auge und Nase, kaum je aber von unserem Organ. Nur die verstreuten, den Kupfern beigefügten Anmerkungen, in denen er seiner wilden Phantasie die Zügel schiessen lässt, euthalten Einiges über das Ohr: .»Diese schöne Bestimmtheit, diese schlanke Schweifung, diese Freiheit, diese zarte Empfindung und Sanftheit

Meist lässt sich auch Lavater von dem ästhetischen Eindruck leiten, den das Ohr auf ihn macht, zu anderen Zeiten findet er direkte Analogien zwischen einem plumpen oder rundigen Ohr und einem plumpen unfeinen Menschen, einem flachen gedehnten Ohr und einem äusserst schwachen Kopf, zwischen einem kleinen Ohr und einem sehr schwachen empfindlichen weiblichen Charakter. Bald wieder ist es schlechterdings unmöglich, seinen Consequenzen zu folgen. Aus einem adhärenten spitz auf die Wange fortgesetzten Läppchen erkennt er Fein- heit des Geschmacks und der Empfindung, ein anderes heute unter die Degenerationszeichen gerechnetes Ohr fehlendes Lüppchen, rudimen- türer ÀÁnthelix, breite flache Fossa scaphoidea bedeutet viel Lernens- fähigkeit, eines mit rudimentärem Helix zeigt einen Mann, »der sehr ‘viel Fähigkeit zu lernen und zu lehren hat, gebildet ist zum Schul- “meister, Vorsinger und nicht gefühllosen Vielwisser.«

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 355

^

Von dem Macacusohr als einem Symbol für musikalische Begabung wurde schon oben gesprochen. Ein schiefgestelltes Ohr soll Ausdruck von Empfindlichkeit und Gelehrigkeit sein. Vielleicht benutzen noch einmal Lombrosojünger die Beobachtungsgabe Lavaters, um geniale Menschen für degenerirt erklären zu können.

Ich bin überzeugt, Lavater hätte dieselben Charaktereigen- schaften bei all diesen Portraits herausgefunden, wären die Ohren durch die Haarfrisur oder sonst wie verdeckt gewesen.

Die Physiognomik hat auch in unserem Jahrhundert ihre begei- sterten Anhänger und Herolde gehabt. Stöhr!) sind noch 1804 mässig grosse Ohren das Zeichen für gute Gesittung, namentlich wenn sie gleichsam viereckig sind eine Frucht der Lektüre Polemons —, róthliche Ohren sind ein gutes Merkmal für einen schamhaften, bei Anderen für einen wahrheitsliebenden Menschen. Um die Mitte des Jahrhunderts hált Cardona »kleine Ohrmuscheln als ein Zeichen von Geistesstärke, zu grossen Umfang für Langlebigkeit und Trägheit des Geistes.« »Menschen, die zum Studiren taugen, haben feingeformte Ohren, die mit runden und grobgestalteten sind undisciplinirt und fraternisiren mit Nachtschwärmern. Die Verschmälerung und Zu- spitzung des Helix, wie bei den Waldgeistern, bewirkt, dass die be- treffenden Leute hóhnisch werden und ihre Mitmenschen hintergehen.« Aehnlich sagt Carus »die Ausglättung des Helix am oberen Rande stellt eine entschiedene Thierähnlichkeit dar, die Alten bildeten so das Ohr des Faun, und etwas Faunisches wird sich bei Menschen mit solchen Ohren oft entdecken lassen.« Das, was wir heute unter fau- nisch verstehen, ist bekanntlich durchaus nicht von jeher das Attribut dieses Gottes gewesen. Auch das »oft« ist recht bezeichnend für die Zuverlässigkeit physiognomischer Diagnose. Eine vielleicht geistreiche, aber durchaus willkürliche Antithese, diese Bemerkung.

Auch sonst dürfte die »Symbolik der menschlichen Gestalt« trotz der naturwissenschaftlichen, entwickelungsgeschichtlichen Voraussetzungen des Verfassers kaum für die Physiognomik erfolgreiche Propoganda gemacht haben. »Die Menschengestalt ist eines schónen Gottgedankens vollendete Darstellung«, »den Wunderbau des Menschen betrachten wir mit Recht als das eigenste Symbol der in ihm zum Ausdruck gekom- menen Idee.« »Das Ohr ist der Sinn des Tiefinnerlichen, der Sinn des Geheimnisses« und »dem äusseren Ohre wohnt in seiner bleibenden

1) a. a. O. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXX. 25

-

356 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

,

Form eine stumme Sprache ein, welche für gewisse geistige Grund- eigenschaften umsomehr bedeutend sein muss, je mehr das innere Ohr überhaupt das wichtigste und vielsagendste Organ der psychischen Ent- faltung genannt werden darf.« Das sind einige Proben, die zum Theil. ganz Lavaterisch anmuthen. Wir haben schon gesehen, dass die Ohr- muschel nicht in diesen engen Beziehungen zum Gehörsinn steht; weniger wissenschaftliche Ueberzeugung als vielmehr philosophische. Spekulation ist ja eben das Leitmotiv in diesen vollakkordigen Hymnen auf die Krone der Schöpfung.

Besonders in seinen Auslassungen über das Ohr schliesst sich Carus ganz den alten Physiognomikern an. Wohl geht er von der Entwickelungslehre aus, wenn er den Menschen als die Vollendung der Schöpfung, seine Formen, weil im mittleren Grössenverhältniss sich haltend, für die vollkommensten hält. Bei der Deutung der Ohr- gestaltung selbst aber fragt auch er, welche Eigenschaften die Thiere- mit grossen und mit kleinen Ohren charakterisirt. Eine gewisse Kleinheit des Ohres sei »ein ebenso entschiedenes Zeichen grosser geistiger Energie wie im Gegentheil das zu grosse Ohr einer geringen, ja selbst bei zugleich ungünstiger Kopfform, einer entschiedenen Fatuitàt. « »Ganz kleine Ohren werden dagegen immer den Ausdruck einer ge- wissen Verkümmerung geben und ebenso wenig wie die zu grossen Zeugniss ablegen für hóhere und edlere Entwickelungsfähigkeit des Geistes.« Es ist klar, dass hier Alles dem subjektiven Gefühl über- lassen bleibt. Jeder, der Ohren gemessen hat, weiss, wie oft man sich in seinem Urtheil täuscht, wie man für ein grosses Ohr hält, was bei der exakten Messung als normal sich herausstellt, und umgekehrt. Ansatzwinkel, Kopfbreite, Fülle der Wangen kommen beim Augenmaass in Betracht. Ganz kleine Ohren sollen nach Carus in höherem Grade gewöhnlich nur im weiblichen Geschlecht vorkommen. Die verhältniss- mässig kleineren Kopfformen berechtigen aber auch dazu. Endlich kann man die Erfahrung machen, dass namentlich die kleineren Ohren vorzugsweise »exsculptae« sind, und diesen wird in physiognomischen Kreisen allgemein ein hervorragender Werth zugesprochen.

Geradezu phantastisch muss man aber den Versuch nennen, der incisura intertragica eine eigene Bedeutsamkeit zu vindiciren. »Plumper roher Ausschnitt« soll den im musikalischen Sinne unbildsamen Geist, weiter Ausschnitt bei grósseren, in der Windung bréit ausgebildeten Ohren, oft bei Menschen mit bedeutendem plastischem Talent vor-

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 351

kommen. Ohren von Mendelssohn und von Schadow wurden als Beweis abgebildet.

Wie steht es nun wohl mit der Wahrheit aller dieser physiogno- mischen Lehrsätze? über die Kunst, aus dem Aeusseren des Menschen seinen Charakter zu erkennen, im Princip ein Urtheil zu fällen, ist hier nicht der Ort. Es wäre ebenso falsch, die Existenz einer solchen Kunst zu leugnen, wie es naiv sein würde, sich von den Phantasien übers Ziel hinausschiessender Theoretiker blindlings fangen zu lassen. »Das Gesicht des Menschen sagt in der Regel mehr und Interessanteres, als sein Mund, denn es ist das Compendium alles dessen, was dieser je sagen wird« urtheilt Schopenhauer sehr richtig. Giebt es zweifellos be- stimmte Bewegungen der Gesichtsmuskulatur, die stets und durchaus bestimmte Seelenregungen, bestimmten Vorgängen in der Psyche ent- sprechen; ist es ferner richtig, dass die häufige Wiederholung dieser Bewegungen »Züge« in das Gesicht graben, »seine Geschichte auf jedes Menschen Gesichte« schreiben kann, so muss man auch die Möglichkeit anerkennen, diese Schrift durch Beobachtung lernen zu können, das heisst, man muss eine Wissenschaft der Physiognomik zulassen. Diese Wissenschaft hat freilich das Besondere an sich, dass sie der Objek- tivitit entbehrt. »Man rede nicht von dem Ausdruck, den ein Gesicht hat, sondern von dem Eindruck, den es macht«, sagt Henle?) treffend. Diese Wissenschaft der Menschenkenntniss verlangt, wie keine andere, eine tiefe Erfahrung des Lebens nicht nur, sondern auch eine reife Kenntniss Unserer selbst. Nur ein genauer Kenner der menschlichen Leidenschaften, der Glücks- und Kampfesstimmungen, des gebrochenen Hindämmerns, des verzweifelnden leisen Schluchzens, des stummen starren Todtenblicks der letzten Stunde, nur wem nichts Menschliches fremd ist, mag in der Physiognomik ein Meister werden.

Davon nun abgesehen, bleibt die Berechtigung dieser Wissenschaft bestehen. Man sage nicht, dass sie eine Domäne spekulirender Philo- sophen oder mystische Verkettungen witternder Theologen sei, von der die exakten Naturforscher sich fern halten sollten. Im Gegentheil, je mehr man die Einheit von Kraft und Stoff proklamirt, je reiner die Seele als eine Funktion körperlicher Organe, als das Produkt körperlicher. Stoffwechselthätigkeit unserer Vorstellung sich offenbart, desto eher müssen wir es für denkbar halten, dass die Entwickelung der somatischen mit jener der geistigen Sphäre sichtbar im Menschen :

1) ,Anthropologische Vorträge“ II.

25*

358 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

parallel geht; desto leichter wäre es verständlich, wenn das unbekannte Lebens- und Werdeprincip in beiden Entwickelungsreihen gleichmässig wirkte und diese Gleichmässigkeit in constant gleichzeitig vorkommen- den bestimmten Körperformen und geistigen oder seelischen Eigenschaften seinen Ausdruck fände. »Das Streben der Physiognomik ist meist nur ein verfeinerter Materialismus« sagt darum der fromme Steffens ganz richtig in seiner » Anthropologie «.

Vor diesem geheisnissvollen Walten der Natur steht aber unser Wissen nackt und dürftig, in bodenloser Armuth seine Unzulänglichkeit bekennend; das Bild von Sais ist noch nicht entschleiert. Darum eben haben die Physiognomiker es nicht verdient, dass man sie achselzuckend belächelt. Als den Wunsch, das Räthsel zu lösen, müssen wir die Em- pirie ihrer fleissigen Beobachtungen gelten lassen, und wenn diese ihre allgemeinen Thesen und Lehrsätze in höchstem Grade wahrscheinlich machen, so könnte man über den Mangel wissenschaftlicher Beweis- führung sich hinwegsetzen. Diese Wahrscheinlichkeit ist aber das Wenigste, was man erwarten darf, und sie fehlt der Physiognomik noch, wenigstens so weit sie das Ohr in den Bereich ihrer Untersuchung zieht. Weder Charaktereigenschaften, noch geistige Anlagen oder gar Enthüllungen über Lebensdauer oder Lebensinhalt lassen sich, wie ich Ineine, aus der Gestalt der menschlichen Ohrmuschel herauslesen. Ich kenne Familien mit durchweg flügelartig abstehenden grossen Ohren bei völlig normaler und mehr als mittlerer geistiger Begabung, Männer mit wundervoll gebildeten formvollendeten Ohren und totaler Energie- losigkeit, und so weiter.

»Eine Physiognomik in abstracto zum Lehren oder Lernen ist nicht zu Stande zu bringen, sagt Schopenhauer, weil die Nuancen hier so fein sind, dass der Begriff nicht zu ihnen herab kann«. Es ist also thöricht, Zorn, Neid, Sensitivität oder dergl. aus der Form des Ohres herauslesen zu wollen. Wenn ferner geistige Thätigkeit eines Menschen Zellenarbeit, Zellenbewegung ist, so kann ihre Wirkung auf die äussere Form auch nur durch Bewegung vor sich gehen. Leben ist ja Be- wegung. Darum lässt das Gesicht, die Haltung, der Gang und so fort olıne Weiteres den Menschenkenner in das Innere der Persönlichkeit blicken, ich kann mir auch denken, dass die unter den Nerveneinfluss agirenden Muskeln die Knochen und Knorpel im langsamen Modeln durch stetige Druckwirkung umbilden, dass neue Physiognomien so ent- stehen und dass die neu entstandenen trotz Weismann vererbt

III. Die Ohrform in der Physiognomik. 359

werden können. So mag eine charakteristische Nase in einer Familie- entstehen und sich als Typus erhalten. An sich hat ja bekanntlich das Auge selbst mit seiner physiognomischen Bedeutung nichts zu thun. Es ist seine Beweglichkeit und die Bewegung des Augenlides, die ihm das Feuer, das Seelenvolle, die gluthvolle Leidenschaft, den zornigen Ingrimm u. s. w. geben. Ebenso steht es mit der Nase. Eine kleine Nase kann nicht für sich Dummheit anzeigen, wenn sie mit den Pro- portionen des Kopfes harmonirt und ihre Verbindung mit der nmgeben- den Wangenmuskulatur keine steife ist. Die Bewegung ihrer Nüstern, die Haltung des Kopfes stellen das Bild zusammen, das den Physiogno- miker fesselt und ihn an eine Bedeutsamkeit der Nasenform glauben lässt. »Man kann, sagt Buffon, die Bewegungen der Seele nur aus den Bewe- gungen der Augen, des Gesichtes und des Körpers errathen;; die Gestalt der Nase, des Mundes und der übrigen Züge trägt zu der Gestalt der Seele und der Eigenschaft der Person ebensowenig bei, als die Grösse oder die Dicke der einzelnen Glieder des Körpers zur Bildung der Gedanken.« Höchst thöricht muthet jeden auch auf dem Gebiete der Aesthetik entwickelungsgeschichtlich Denkenden auch die entrüstete Frage Lavater’s an »ob in der Welt wohl ein Mensch von Einsicht und Geschmack, was sage ich, ein Mensch von dem alltäglichsten Mutter- verstand ein Profil von Christus mit einer eingedrückten oder auf- gedrückten oder fein spitzigen oder einer Habichtsnase erträglich finden könnte.«

»Die Theile des Kopfes, welche zur Gesichtsbildung und zum Aus- sehen des Gesichtes am wenigsten beitragen, sind die Ohren«, sagt Buffon. Es fehlt ihnen eben an den Muskeln dazu. Innerhalb der Gattung Mensch ist durch Muskelwirkung keinerlei Transformation der Ohrmuschel denkbar, wie sie auch nicht gleich den Augen und dem Mund in eine bestimmte Stellung gebracht werden kónnen, die wieder einer bestimmten Stimmung entspricht. Schon die anthropomorphen Affen entbehren einer Muskulatur, die auf die Form unter dem Ein- fluss der Seele hätte wirken können. Das sonst so geduldige missing link kann man hier nicht gebrauchen. Die Ohrbeweglichkeit hórt ' bereits zu einer Zeit auf, wo von Differenzirung menschenähnlicher Charaktere nicht die Rede sein kann, und war auch dort nicht die Folge directer Erregung der Bewusstseinssphäre, sondern instinctiv reflectorischer Mitbewegungen.

Noch eines sei bemerkt, wenn es auch Manchem überflüssig dünken mag, über Physiognomik so viele Worte zu verlieren. Stellen die

360 Karutz: Studien über die Form des Ohres.

Varianten der Ohrgestaltung symbolische Marken dar für Anlagen des Menschengeistes oder für Vibrationen seiner Seele, so gehören sie vor Allem auch dem Menschen an. Und nun sehe man sich einmal die Affenohren in Hartmanns »Der Gorilla« an! Man wird genau wie beim Menschen über die Fülle der Verschiedenheiten erstaunt sein. Da ist Spitzohr ; ovale, runde, viereckige Formen; da sind alle Stadien der Helixumlegung und alle nur denkbaren Bilder der Vorsprünge, Wülste und Gruben. |

Die Perspective auf ihren praktischen Nutzen, mit der die Wissen- schaft der Physiognomik uns reizen und unser Interesse sich bewahren will, muss leider vor der Erfahrung unseres täglichen Lebens wie eine Fata Morgana zerrinnen. Ihr Fiasko suchen diese Menschenkenner auf verschiedene Weise zu erklären oder zu bemänteln. Einmal wollten sie nur die Anlagen des Individuums erkennen, nicht die späteren Schicksale desselben prophezeien: eine ausserordentlich bequeme Rück- zugslinie, auf der sie sich jeden Augenblick hinter den Einwurf ver- schanzen können, dass die Erziehung und die äusseren Umstände die ursprünglichen Anlagen vernachlässigt oder verdorben haben. Man be- merke hier übrigens die Kenntnis und Würdigung des Milieus. Dann verwahren sich die Physiognoniker dagegen, aus einem Körper- theil allein Schlüsse ziehen zu wollen. Das Ganze des Menschen sei im Auge zu behalten. Damit fällt der physiognomischen Werthbarkeit des Ohres die letzte Stütze fort. Dem Ausdruck der Gesichts- und Körperbewegungen, der wahren Symbolik des inneren Lebens des Men- schen, d. i. der Persónlichkeit kónnen und wollen Jene sich nicht ent- ziehen, wie es auch ganz klar aus dem Zugeständniss hervorgeht, dass es schwer sei, nach Kupferstichen oder Gemälden den Charakter anzu- geben. Hier fehlt eben die Bewegung des Kopfes, der lebendige Ausdruck einer wechselnden Erregung, der dem Ohre überhaupt immer fehlt.

Daran ändert auch der Schullehrer nichts, der wie Carus be- hauptet, ohne Kenntniss wissenschaftlicher Grundsätze blos aus Erfah- rung die Fähigkeiten seiner Schüler nach dem verschiedenen Bau der Ohren beurtheilte und selten fehlgegriffen haben soll.

Gorham Bacon: Ein Fall von Otitis media acuta ete. 361 XXII.

Ein Fall von Otitis media acuta mit nachfolgen- dem Abscess im Lobus temporo-sphenoidalis. Operation; Tod durch Shock. Autopsie.

Von Gorham Bacon, M.D. (Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.)

Patient ist ein junger Mann von 25 Jahren.

Krankengeschichte: 23. März 1896. Vor 8 Wochen hatte er eine geringfügige linksseitige Ohreiterung, vorher jedoch niemals eine Erkrankung seitens der Ohren. Vor 4 Wochen trat er in die Behandlung meines Assistenten, Dr. F. Whiting, welcher bei der Untersuchung fand, dass der Sitz der Erkrankung im oberen Theil der Paukenhöhle lag. Hier wurde eine congestionirte Vorwölbung incidirt und ein paar Tropfen Eiter dadurch entleert. Diese Operation wurde ‚zu verschiedenen Malen wiederholt und brachte dem Patienten, der über beträchtlichen Kopfschmerz, besonders auf der linken Seite klagte, jedesmal bedeutende Erleichterung. Ausser dem Kopfschmerz bestand zeitweise mehr oder weniger ausgesprochene Empfindlichkeit bei Druck auf den Warzenfortsatz, Es wurde dem Patienten gerathen, sich zwecks geeigneter Behandlung als Hauspatient ins Krankenhaus aufnehmen zu lassen; er weigerte sich jedoch dies zu thun bis zum heutigen Tage, wo er sich durch den sich erneuernden Schmerz am Processus mastoi- deus sowie durch sein heftiges Kopfweh dazu gezwungen sah. Während der voraufgegangenen 3 Wochen hatte er nach der Beobachtung seiner Mutter das Gedächtniss für Gegenstände und die Namen seiner Freunde verloren; das für Begebenheiten war gut. Wenn er an Kopfschmerzen litt, war er ausserordentlich reizbar, und seine Freunde nahmen an ihm ‘ein wunderliches Benehmen im Thun und Reden wahr.

Untersuchung: Es besteht eine sehr unbedeutende Eiterung im linken Gehörgang, dagegen Vorwölbung der Shrapnell’schen Membran; kleine Perforation. Der Patient hat geringgradige sensorische Aphasie. Er ist nicht im Stande bestimmte, ihm vorgehaltene Gegen- Stünde wie «Halstuchnadel», «Manschettenknopf» etc. mit Namen zu nennen. Keine motorische Aphasie. Er hat heftigen Kopfschmerz be- ‚sonders auf der linken Seite. Temp. 98,8? F. Puls voll und langsam, 56. Respirationen 16. Das Herz lässt ein langes systolisches Geräusch wahrnehmen. Einige Zeit lang hat Neigung zu Obstipation bestanden. Die Uhr wird vom Patienten nahe am Ohr gehört, die Knochenleitung ist gut.

Diagnose: Verdacht auf Hirnabscess. Es schien Herrn Dr. M. Allen Starr, welcher den Fall als consultirender Arzt zu besichtigen :die Freundlichkeit hatte, besser, jede exploratorische Operation am Gehirn

362 Gorham Bacon: Ein Fall von Otitis media acuta mit nachfolgendem

für den Augenblick noch aufzuschieben. Dagegen entschied ich mich zur sofortigen Operation am Warzenfortsatz und zur gründlichen Aus- ráumung des Antrum-Inhaltes. In Aethernarcose wurde hinter der Ohr- muschel incidirt und das Antrum eröffnet. Der Knochen erwies sich als sehr fest und wie Elfenbein. Das Antrum enthielt Granulationen und eine kleine Menge Eiter; es wurde sorgfältig mit einer Sonde nach einer etwa im Dache des Mittelohres vorhandenen Fistel gesucht, aber keine gefunden. Der Knochen des Antrums war rauh und wurde daher gründlich abgekratzt; nach vorheriger Ausspülung mit Sublimatlösung ward darauf Jodoformgaze hineingestopft und ein Verband angelegt.

24. März: Patient war während der Nacht schmerzfrei und schlief ziemlich gut. Temp. normal, Puls aber noch langsam, 56, und weich. Etwas Kopfschmerz und geringfügige Facialis-Lähmung auf der linken Seite, ohne Zweifel infolge der Operation. Er wurde heute von den Drr. Starr und Gruening consultirenderweise angesehen. Letzterer untersuchte die Augen und fand Nerven und Papillen normal.

26. März: Temp. normal; Wunde heilt gut. Patient hat sehr wenig Schmerzen gehabt.

29. März: Seit dem 26. ist Patient stetig in der Besserung fort- geschritten, und sein Gedächtniss für Gegenstände ist vollkommen; Schwierigkeit macht es ihm aber noch sich der richtigen Bezeichnungen zu erinnern. Er ist thatsächlich frei gewesen von Kopfschmerzen und kann es nicht erwarten aufzustehen und das Hospital zu verlassen, da er sich wohl zu fühlen behauptet. Er leugnet venerische Krankheiten gehabt zu haben, giebt aber zu zwei Jahre lang, bis zum ersten Januar dieses Jahres hin, erheblich getrunken zu haben. Patient soll heute aus dem Bett gestiegen sein, sich am Fenster entblösst und gemeine Reden geführt haben.

1. April: Sein Gesichtsausdruck ist kränklich; er lacht be- ständig wenn er spricht; es besteht geringgradiger Tremor der Zunge und Lippen; sein geistiger Zustand ist ziemlich unverändert, abgesehen davon, dass er kindisch erscheint. Heute Morgen sang und lachte er und versuchte aus dem Bett zu steigen; er war sehr verdriesslich als man ihn zwang sich wieder zu legen. Sein Gedächtniss für Eigennamen ist ganz besonders schlecht.

4. April: Heute klagte er über allgemeinen Kopfschmerz und hatte Anfälle von Heiterkeit d. h. von Lachen und Singen. Er erbrach Mittags und um 4 Uhr Nachmittags. |

5. April: Patient hatte zweimal des Nachts Erbrechen und klagte heute Morgen über Kopfschmerz und Uebelkeit. Er erbrach um 7?/, Uhr und ferner um 11!/, Uhr Morgens. Um 10 Uhr Morgens delirirte er lebhaft, späterhin wurde er somnolent und halbwege comatós, war aber um 4 Uhr Nachmittags wieder klar, als ich ihn mit Dr. Peterson als consultirender Arzt sah, in Abwesenheit Dr. Starr's der verreist war. Patient war im Stande einen silbernen Vierteldollar zu erkennen, andere Gegenstünde vermochte er aber nicht zu bezeichnen, sondern

Abscess im Lobus temporo-sphenoidalis. Operation; Tod; Autopsie. 363:

antwortete auf alles was man ihm vorhielt einfach «Viertel». Reflexe: normal; Pupillen normal, reagiren. Bewegungen der extra-oculüren Muskeln normal. Sehr unbedeutende Neuritis beider Sehnervenpapillen, besonders deren nasale Hälfte ergreifend. Keine merkliche Schwellung,. doch schwach angedeutetes Oedem der Retina in der Gegend der Macula lutea. /

Diagnose: Absces im Lobus temporo-sphenoidalis. —Sofortige Operation wird angerathen.

9 Uhr 45 Abends. Operation in Aethernarcose. Unter Assistenz der Drr. Gruening, J. L. Adams und F. Whiting machte ich in verticaler Richtung eine Incision in die Kopfhaut, be- ginnend 2 cm nach oben und hinten vom Gehörgang und dieselbe 4 cm. nach oben fortführend. Ich erweiterte diese Incision und bildete einen Lappen, der mir genügend Raum gewährte, um bequem ein knopfförmiges: Stück Knochen mit der Trephine zu entfernen. Die im Centrum der Trephine befindliche Nadel wurde 2,5 cm oberhalb des äusseren Gehör- gangs angesetzt. Die Dura mater schien normal, war aber straff ge- spannt. Es wurde nun eine grosse Aspirations-Nadel nach verschiedenen. Richtungen hin eingeführt, nämlich nach innen, etwas nach vorn und. rückwärts; indessen ohne Erfolg.

Die Schädelöffnung wurde nun nach allen Richtungen hin erweitert.. In diesem Augenblick wurde Patient sehr schwach ; Puls 170, Respiration. sehr langsam und oberflächlich. Nach subceutanen Einspritzungen von Strychnin, Nitroglycerin und aromatischem Ammoniakgeist erholte sich der Patient wieder. Die Aspirations-Nadel wurde nun in der Richtung nach hinten, innen und oben 3cm weit eingeführt und brachte Eiter zum Vorschein. Nach vorgenommener Incision der Dura ging ich mit. dem kleinen Finger ein und fand eine ziemlich grosse Abscesshóhle,. wie es schien ohne eine die Hóble auskleidende Membran. Es wurde: etwa t/a Unze Eiter entleert. Der Puls des Patienten besserte sich jetzt beträchtlich an Qualität und Stärke. Es ward nun sorgfältig Jodoformgaze in die Abscesshöhle eingelegt, die äussere Wunde mit. Borsäurelösung abgespült und das Ganze verbunden. Die Operation dauerte 1!/, Stunden. Kurze Zeit nachdem der Patient in die Ab- theilung zurückgebracht war, wurde sein Puls sehr schnell und schwach, die Athmung erfolgte nur mit langen Unterbrechungen und war ober- flächlich, und etwa 1!/, Stunden nach der Operation war eine deutliche Cyanose zu constatiren. Eine halbe Stunde lang wurde sein Leben noch gefristet durch subcutane Injectionen von Tr. digitalis, Atropin. und Strychnin, sowie durch künstliche Athmung. Zwei Stunden nach der Operation starb Patient augenscheinlich infolge des erlittenen Shocks..

Von der Zeit an, als der Patient das Hospital betrat, bis zum Tage der Operation schwankte die Temperatur zwischen 97,8 und 99,6 ° F., mit folgenden Ausnahmen: Am 24. März um 9 Uhr Abends waren es 100,4? F.; am Operationstage um 3 Uhr Nachmittags 100,6 ? und ebensoviel Abends 9 Uhr unmittelbar vor der Operation. Die Athem-

364 Gorham Bacon: Ein Fall von Otitis media acuta mit nachfolgendem

züge schwankten zwischen 14 und 20 an Zahl, der Puls von 54—99.

Autopsie; 11 Stunden nach dem Tode. Todtenstarre und Todtenflecken deutlich ausgeprägt.

Linke Niere beträchtlicb mit Blut überfüllt; einige Tropfen Eiter im Nierenbecken; keine weiteren Zeichen frischer Pyelitis. `

Rechte Niere enthält gleichfalls Eiter. Leber und Milz normal. | Lungen zeigen nichts von Wichtigkeit.

Pericardium, normal, enthält jedoch reichliche Menge stroh- gelber Flüssigkeit; weisser Fleck auf dem Epicardium, nahe der Herz- Spitze. Herz selbst an Grösse normal, weich; alle Hohlräume mit dunkelrothem Blute gefüllt. Klappen normal. Das Herz stand in der Diastole still.

Der Schädel zeigt links eine unregelmässig kreisförmige Oeffnung von 3 cm im Durchmesser, deren Centrum direct oberhälb des äusseren Gehörgangs und 3 cm von diesem entfernt, gelegen ist. Eine fernere Oeffnung, von 1 cm zu !/, cm, findet sich im Warzenfortsatz mit dem Centrum oberhalb der Gegend des Centrums. Bei der Entfernung der Sehüdeldecke nimmt man zwei Oeffnungen in der Dura wahr, von denen die tiefer gelegene, gróssere 3 cm im verticalen und 1,5 cm im hori- zontalen Durchmesser misst. Sie war mit Jodoformgaze ausgefüllt. Die zweite Oeffnung, aus welcher etwas Hirnmasse heraustrat, betrug 5 mm im Dnrehmesser. Pia-Gefässe mit Blut überfüllt. Es fand sich, dass die Pia mit der Dura mater über eine Fläche von 2 cm im Durchmesser verwachsen war und zwar an einer Stelle, die unmittelbar unterhalb der zur Zeit der Operation gemachten Oeffnung lag. Nahe dem Mittel- punkte dieser Adhäsion war die Dura verdickt und perforirt. Die obere Fläche der Felsenbeinpartie des Schläfenbeins war im äusseren Drittel missfarbig, stärker vascularisirt, und deren innere Knochentafel bietet an einem, der Perforation in der Dura entsprechenden, Punkte eine Oeffnung dar, welche mit dem unmittelbar darunter gelegenen Kuppel- raum der Paukenhóhle communicirt. Bei Entfernung der Dura mater sieht man ein Loch in der Hirnsubstanz an der inneren Hälfte der 3. Temporo-sphenoidal-Windung, welches 2 cm im Durchmesser beträgt. Die Oeffnung, welche sich nach innen und etwas nach hinten bis auf eine Entfernung von 3,5 cm erstreckt, ist mit Jodoformgaze ausgefüllt. Eine Partie erweichten Hirngewebes, deren Ausdehnung 3 cm im Durch- messer beträgt, nimmt die hintere Hälfte der dritten Temporo-sphenoidal- Windung ein. In diese erweichte Hirnmasse liegt der Quere nach ein- gebettet eine röthliche, einem Blutklumpen ähnelnde Masse, welche 3 cm an Länge und 1cm an Breite misst. Bei der Erweiterung der bei der Operation gemachten Oeffnung durch eine von vorn nach hinten laufende Incision, zeigt sich die unter der Rinde gelegene Hirnsubstanz des ganzen unteren Temporo-sphenoidal-Lappens erweicht und mit Blut-

umumdünams En En EEE BES TEIG GU LMLEICEN

Abscess im Lobus temporo-sphenoidalis. Operation; Tod; Autopsie. 365

streifen durchsetzt. Die röthliche, oben als in dem erweichten Hirn- gewebe liegend geschilderte Masse erwies sich als die Kapsel eines Abscesses, dessen Höhle 2,5 cm im längsten und 2cm im kürzesten Durchmesser betrug. Die Wand der Kapsel misst ungefähr 2,5 mm an Dicke. Die Kapsel selbst war leer, dort gelang es durch Exploration mit einer Sonde nicht eine Oeffnung zu entdecken, durch welche der Inhalt ausgetreten war. An einer Stelle bildete ein Blutcoagulum augen- scheinlich einen Theil der Wand. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ein Kapsel-Riss stattgefunden, welcher den Inhalt in das umgebende Gewebe austreten lies. Die Sinus und die Gehirnsubstanz boten sonst nichts Abnormes dar.

Bemerkungen.

Der Fall ist interessant einmal wegen der kurzen Dauer der Ohr- erkrankung und zweitens wegen des Sitzes dieser Erkrankung. Die Entzündung im Ohr war nämlich völlig auf Kuppelraum und Antrum beschränkt. Jedesmal wenn eine Incision in die Membrana Shrapnelli gemacht wurde, liessen sich einige Tropfen Eiter entleeren, und dies Verfahren brachte dem Patienten bedeutende Erleichterung. Man rieth diesem zwecks rationeller Behandlung das Hospital aufzusuchen und setzte ihn in Kenntniss von der Gefahr längeren Zögerns, doch weigerte er sich dem Rathe zu folgen bis er dazu gezwungen wurde. Hin- sichtlich des Lichtes, welches die Obduction auf den Fall wirft, bedaure ich es, nicht genügend Knochen bei der Blosslegung des Antrums fort- genommen zu haben, um das Dach der Paukenhóhle von der mittleren Schädelgrube her untersuchen zu können. Wegen der elfenbeinartigen Härte des Processus mastoideus und wegen der Geschichte des Falles, auch wegen der heftigen Kopfschmerzen, des langsamen Pulses und der auf Aphasie deutenden Symptome, schien es mir damals höchst wahr- scheinlich, dass der Eiter sich einen Weg durch das Paukenhöhlendach gebahnt habe. Es gelang mir indessen nicht, eine cariöse Oeffnung im Antrum mit der Sonde aufzufinden. Es ist wahrscheinlich, dass der kleine, gerade oberhalb des Paukenhöhlendachs gelegene Abscess zur Zeit, als der Patient das Krankenhaus betrat, bereits existirte.. Wäre damals eine Operation vorgenommen, so würde der Erfolg vielleicht ein anderer gewesen sein. Obwohl mit der Sonde keine Communication zwischen der kleineren und der grösseren Abscesshöhle gefunden wurde, so existirte eine solche zweifellos, da die kleinere bei der Autopsie leer gefunden wurde, und die grössere bei der Operation mit Erfolg ihres Inhaltes beraubt worden war.

366 A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose XXIII.

Ueber leichte Falle von Mittelohrtuberkulose und die Bildung von Fibrinoid bei denselben.

Von A. Scheibe, München. (Aus dem otiatr. Ambulat. des med. klin. Instituts.)

Der Nachweis der durch den Koch’schen Bacillus gesetzten characteristischen Gewebsveränderungen macht zwar die Diagnose zu einer absolut sicheren, über den Verlauf aber des tuberkulösen Leidens bringt er keine Aufklärung. Dieser hängt vielmehr von- ganz anderen Faktoren ab. In erster Linie kommt die Lokalisation in Betracht. Die Tuberkulose der Haut ist weniger gefährlich als die der Schleim- häute. Ferner ist das Lebensalter von grossem Einfluss. Man kann deshalb dem Praktiker eine gewisse Berechtigung nicht absprechen, wenn er an der alten Trennung der Scrophulose von der Tuberkulose festhält, obgleich beide ätiologisch einheitliche Krankheitsbilder sind. Wenn weiter ein tuberkulöser Spitzencatarrh bei dem einen Patienten Jahrzehnte lang stationär bleibt, bei dem anderen aber in kurzer Zeit zu galoppirender Lungenschwindsucht führt, so hängt das theilweise von hereditären Einflüssen, theilweise von dem allgemeinen Kräftezustand auch der dunkle Begriff des phthisischen Habitus spielt nicht mit Unrecht eine grosse Rolle und theilweise von den mehr oder weniger günstigen äusseren Lebensverhältnissen des Patienten ab.

Im Ohr ist es nicht anders als im übrigen Organismus. Die klinische Erfahrung lehrt, dass es leichte und schwere Fälle von Tuber- kulose des Gehörorgans giebt. Wenn wir nur die Tuberkulose im Mittelohr, dem am häufigsten befallenen Abschnitte des Gehörorgans, berücksichtigen, so ist es bekannt und durch einige Fälle bewiesen, dass dieselbe ausheilen kann, obwohl die anatomischen Verhältnisse die denkbar ungünstigsten sind. So genügt der Zerfall eines kleinen Tuberkels in der dünnen Schleimhaut nicht nur, um diese zu zerstören, sondern auch um den Knochen bloss zu legen und in seiner Ernährung schwer zu schädigen. Ausserdem sind den gefürchteten Mischinfectionen gerade im Mittelohre Thür und Thor geöffnet.

Ich könnte die Zahl der bisher bekannten Fälle von Heilung Bodl um einige vermehren, doch würde mich das von meinem, eigentlichen Thema zu weit abführen. Nur auf zwei geheilte Fálle werde ich aus anderen Gründen noch kurz zu sprechen kommen.

und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. 367

Die Fälle von Heilung sind freilich sehr selten, seltener als in den meisten anderen Organen. Es ist dies wohl ausser durch die ana- tomisch ungünstigen Verhältnisse durch die bekannte Thatsache bedingt, dass die meisten Fälle von Mittelohrtuberkulose im letzten Stadium der Lungenphthise auftreten, in welchem der Körper dem Vordringen der Koch'schen Bacilen keinen activen Widerstand mehr entgegen zu stellen vermag. Es ist dies auch der Grund, weshalb die Tuberkulose im Mittelohr bei weitem am häufigsten als phthisische Form auftritt.

Diese Form der Mittelohrtuberkulose, als deren Charakteristikum der unaufhaltsame Zerfall des Gewebes gilt, ist erst kürzlich in einer aus Bezold’s Klinik hervorgegangenen Arbeit Hegetschweiler’s ausführlich beschrieben worden.

Zwischen den Fällen von Phthise und denjenigen, welche in Heilung ausgehen, giebt es noch Zwischenformen, bei welchen der tuberkulöse Process zwar nicht ausheilt, aber auch nicht fortschreitet, sondern zum Stillstand kommt. Diese Fälle sollen der Gegenstand der vorliegenden Abhandlung sein. Sie sind zwar viel seltener als die phthisische Erkrankung des Mittelohres, aber häufiger als man bisher angenommen hat, und gewiss auch noch häufiger, als wir selbst sie gefunden. haben. Der Grund, warum sie bisher nicht weiter beachtet worden sind, liegt darin, dass sie meist nicht richtig erkannt werden, weil dem klinischen Bilde eben der bei den phthisischen Fällen in die Augen springende fortschreitende Zerfall fehlt, und weil andere diagnostisch verwerthbare Symptome nicht vorhanden oder wenigstens bisher nicht genügend be- achtet worden sind.

So ist es auch uns bei den sechs Fällen gegangen, über die ich hier berichten will. Wir haben dieselben lange Zeit, ja jahrelang unter unserer Beobachtung gehabt, ohne die richtige Diagnose zu stellen. Zur richtigen Erkenntniss sind wir in sämmtlichen sechs Fällen erst durch das Auftreten eines Symptomes gekommen, welches in seiner Bedeutung allgemeiner bekannt zu werden verdient. Ich bemerke hier, dass einer dieser sechs Fälle zu den geheilten gehört, und dass die übrigen fünf nicht die einzigen Fälle von stationär gebliebener Mittel- ohrtuberkulose sind, welche wir gesehen haben. Ich beschränke mich hier nur deshalb auf diese sechs Fälle, weil sie die einzigen sind, bei welchen das zu beschreibende Symptom beobachtet wurde und erst zur richtigen Diagnose geführt hat.

Drei voi'' den sechs Patienten gehóren dem Kindesalter an, Grei sind Erwachsene; doch datiren zwei von den letzteren den Beginn

368 A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose

ebenfalls in die Kindheit. Dem weiblichen Geschlechte gehören je 2, dem männlichen je 1 an. Die Dauer des Ausflusses betrug, als die Kranken unter unsere Beobachtung kamen, schon 1, respective 2, 2°/,, 9 und 35 Jahre. Bei dem sechsten beträgt die Dauer der Eiterung ebenfalls schon Jahrzehnte. Zwei waren schon in anderer Behandlung gestanden. Als Ursache des Ausflusses wird je einmal Bronchitis und Influenza beschuldigt. Von den vier übrigen Patienten wird angegeben, dass keine Krankheit vorausgegangen sei. Zwei Kranke leiden zeit- weise an Schwindelanfällen. Sonst bestehen ausser Schwerhörigkeit keine Symptome.

Die otoskopische Untersuchung ergiebt, dass in 5 Fällen das ganze Trommelfell zerstört ist; im sechsten ist die Perforation eine centrale und liegt in der vorderen Hälfte. Bei den meisten der Fälle mit totaler Perforation sind auch Theile des Hammers und des langen Ambos- schenkels defect. Blossliegender Knochen ist an diesen Defecten ebenso wenig wie an anderen Stellen des Mittelohres zu fühlen. Bei den 5 Patienten mit totaler Perforation ist die Paukenhóhlenschleimhaut theilweise epidermoidal umgewandelt, bei 2 auch der Anfang des Aditus ad Antrum, so weit er zu verfolgen ist. Ansammlung von grösseren Cholesteotommassen in den oberen Mittelohrräumen, welche man bei den beiden letzteren hätte erwarten können, ist jedoch weder bei der ersten Untersuchung, noch später nachzuweisen gewesen.

Die nicht epidermisirten Stellen der Paukenhöhle granuliren theil- weise, zum Theil sind sie nur wenig geschwellt. Bei 3 der Patienten sind polypöse Wucherungen notirt respective schon vor Jahren ab- getragen worden. Die Tuba war nur in einem Falle nicht durchgängig, in den 5 anderen aber war sie nicht nur für Politzer’s Verfahren, sondern auch für den Spritzenstrahl vom Gehörgang aus wenigstens zeit- weise auffallend leicht passirbar. Am Warzentheil äusserlich nichts Besonderes. Das Secret war meist schleimig und geruchlos. Wo Fötor vorhanden war, liess er sich leicht beseitigen, auch gelang es leicht, das Secret in geruchlosem Zustande zu erhalten. Wiederholt findet sich die Notiz, dass das schleimige respectiv schleimig eitrige Secret eigenthümlich geformte Ballen bildet, welche offenbar Abgüsse von zum Theil complicirten Honlráumen darstellen und meist von dem Boden der Paukenhöhle oder dem Tubenostium stammen, theils aber auch aus den, oberen Mittelohrräumen mit dem Antrumröhrchen::sieh- entfernen lassen. Bei einigen Kranken haben sich diese eigenthümlichen Schleim-

und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. 369

gebilde wiederholt durch Monate hindurch nach jeder Behandlung regel- mässig und in gleicher Form wieder gezeigt.

Die Herabsetzung der Hörweite ist in den meisten Fällen hoch- gradig. Bei einem Patienten besteht absolute Taubheit und bei vier anderen nahezu Taubheit für Sprache. Nur von einem Patienten wnrde die Flüstersprache (Zahlen) 50cm weit verstanden. Es ist dies der - einzige Fall, bei welchem es später zur Sistirung der Eiterung kam Nach der Heilung ist die Hörweite sogar auf 2!/, m gestiegen. Ent- sprechend der starken Herabsetzung der Hörweite für die Sprache ist auch die untere Tongrenze erheblich herabgesetzt.

Bei zwei von den drei Kindern bestand gleichzeitig auch auf der anderen Seite eine chronische Mittelohreiterung, bei dem einen mit centraler, bei dem anderen mit randständiger Perforation und Cho- lesteatom.

Die Untersuchung ergab also in allen Fällen das Bild der ge- wöhnlichen chronischen Mittelohreiterung. Auffällig war nur, dass fast bei allen eine totale Zerstörung des Trommelfelles vorliegt, ohne dass. sich in der Anamnese eine Ursache für ihre Entstehung, insbesondere Scharlach, hätte nachweisen lassen. Doch däs ist ja bei der bekannt- lich oft ungenauen Anamnese der Ohrenkranken nichts seltenes. Auch die leichte Durchgängigkeit der Tuba und die hochgradige Herabsetzung der Hörweite ist für den einzelnen Fall nichts besonders Auffälliges und liess um so weniger an Tuberkulose denken, als der Gesammteindruck . der Kranken keinen Anhaltspunkt für letztere bot. Von den Kindern zeigte ein einziges pastösen Habitus, die beiden anderen waren nur etwas schwächlich. Zwei von den Erwachsenen jedoch machten geradezu einen kerngesunden Eindruck.

Der weitere Verlauf gestaltete sich nun so, dass die Secretion, wie nach dem Befund zu erwarten, bald ganz minimal wurde. Un- gewöhnlich aber war es, dass die Secretion nicht vollständig zu be- seitigen war, obwohl wenigstens in den ersten Fällen verschiedene Be- handlungsmethoden versucht wurden. Nur in einem einzigen Falle ist wie erwühnt Heilung eingetreten, doch erst nach 2!/, Jahren. In sämmtlichen übrigen fünf Fällen besteht heute noch, wenn auch ganz geringe, ‚Absonderung, obwohl die Behandlung nun schon 3 bis 10 Jahre. ununterbrochen fortgesetzt wird. |

Erst dası gleich zu beschreibende Symptom brachte plötzlich und unerwartet Aufklärung und führte zur richtigen Diagnose. Es hät

310 A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose

allerdings lange genug auf sich warten lassen, denn es trat erst ?/, bis 6 Jahre nach Beginn der Behandlung ein. | |

Eines Tages nämlich erscheint der Patient und giebt an, dass plötzlich ohne äussere Ursache bedeutend stärkere Secretion eingetreten ‚sei, sodass der Eiter wieder aus dem Gehörgang herausfliesse. Schmerzen seien nicht vorausgegangen. Man denkt natürlich zunächst an eine gewöhnliche, durch Catarrh oder Hineinfliessen von Wasser verursachte Verschlimmerung. Doch die Untersuchung zeigt sofort, dass etwas anderes, Ungewöhnliches vorliegt.

Auf der Innenwand, gewöhnlich am Promontorium oder in der Nähe des Tubenostiums, sitzt ein grauer, dicker, erhabener Belag, welcher sich durch seine Farbe von der stärker gerötheten Umgebung deutlich abhebt, und welcher sich nicht loslösen lässt. In einzelnen Fällen liess sich mit der Sonde durch den Belag hindurch in geringer ‚Ausdehnung blossliegender Knochen fühlen. Dieser Belag haftet nun sehr lange und unterscheidet sich hierdurch von dem Belag, wie er sich auf der Aussenfläche des Trommelfells und auf der Wand des knöchernen Gehörganges bei Otitis externa crouposa bildet, mit dem er sonst manche Aehnlichkeit besitzt. Die ersten Wochen ändert sich gar nichts. Der Belag dehnt sich weder aus, noch löst er sich los. Erst nach zwei bis sechs Wochen werden kleine Stücke durch auf- schiessende Granulationen verdrängt. Dann dauert es nochmals einige Wochen, bis auch der letzte Rest des Belages verschwunden ist.

Hierauf schrumpfen die Granulationen wieder ein und überziehen sich vom Rande her wieder mit Epithel, d. h. in unseren Fällen meist mit Epidermis, welche schon vorher die erkrankte Stelle überkleidet hatte. Nach Ausheilung des localen Processes an der Innenwand be- steht die alte Mittelohreiterung in der alten Weise weiter fort. Nichts erinnert mehr an den Belag. Die Secretion wird wieder minimal, aber sie bleibt ebenso hartnäckig wie früher und trotzt jeder Behandlung. Nur in dem einen schon erwähnten Falle ist es zum vollständigen, seit 1?/, Jahren andauernden Stillstand der Eiterung gekommen.

Der Belag hat sich nur bei einem Patienten nach längerer Zeit wiederholt, hier allerdings mehrere Male. Bei den anderen jedoch hat er sich bisher nicht wieder gebildet, obgleich bei den meisten schon 3 bis 4 Jahre verflossen sind. Er unterscheidet sich also auch hierin von dem fibrinösen Belag bei Otitis externa crouposa acuta, wo er sich nach kurzer Zeit einige Male erneuert und überdies auch immer sich im Ganzen abstösst.

und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. = 9*1

Da wir einen ähnlichen Belag schon einige Male bei der phthisischen Form der Mittelohrtuberkulose gesehen hatten Bezold !) hat den gleichen Belag bei einem mit Tuberkulininjectionen behandelten Phthi- siker gesehen und beschrieben haben wir gleich bei dem ersten Fall bei welchem wir den Belag sahen, sofort an Tuberkulose gedacht und die Untersuchung des Secrets auf Koch'sche Bacillen angeschlossen. Und in der That ergab die bacteriologische Untersuchung in sümmt- lichen Fällen das Vorhandensein von zahlreichen Tuberkelbacillen. Bei zwei Patienten wurde auch ein Stück des Belages mit der Pincette zur Untersuchung entnommen und geschnitten. Im Innern desselben. fanden sich ebenfalls zahlreiche Tuberkelbacillen. Im Secret der anderen Seite, welche ja bei zwei Füllen sich an der Eiterung betheiligte, konnten keine Tuberkelbacillen nachgewiesen werden, obwohl die Sekretion sich ebenfalls durch grosse Hartnäckigkeit auszeichnete.

Nach der Abstossung des Belages habe ich bei mehreren Patienten das Secret wiederholt auf Koch’sche Bacillen untersucht, meistens je- doch mit negativem Resultat. Schuld daran mag hauptsächlich sein, dass nur ganz minimale Mengen von Secret zur Untersuchung zu er- halten waren. Und zwar fanden sich mehr Epithelien als Eiterzellen. Zweimal ist mir aber auch in diesem Stadium der Nachweis geglückt. Damit ist für diese Fülle zugleich bewiesen, dass die Mittelohrtüber- kulose nach Ausheilung des localen, durch den Belag characterisirten tuberkulósen Prozesses noch fortbesteht.

Nachdem der Process im Ohr als tuberkulós erkannt war, wurde auch der übrige Organismus auf Tuberkulose untersucht. Es ergaben sich nun bei allen mehr oder weniger deutliche Anhaltspunkte für Tuberkulose auch im übrigen Körper. Allerdings und das ist von Wichtigkeit diese tuberkulösen Veränderungen waren ebenfalls keine hochgradigen und zum Theil schon geheilt oder zeigten wenigstens mehr Neigung zur Heilung als zum Fortschreiten. Der eine Patient (Er- wachsener) war sieben Jahre. vor dem Auftreten des Belages von Ge- heimrath von Ziemssen wegen Hämoptysis nach Bad Kreuth geschickt worden, ohne dass sich später auf der Lunge etwas bat nachweisen lassen. Bei den beiden anderen Erwachsenen ist Spitzencatarrh con- statirt worden und besteht bei dem einen, bei welchem der Belag sich erst vor einem Jahre gebildet hat, auch jetzt noch fort. Die letztere Patientin ist stark hereditär belastet. Das eine der Kinder litt zur

1) Arch. f. klin. Med., Bd. XXXXIIV.. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. 26

372 A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtu berkulose

Zeit des Belages an chronischer Lungentuberkulose, welche jetzt, 4 Jahre später, anscheinend ausgeheilt ist. Das zweite Kind ist hereditär be- lastet und hat oft Abscesse der Haut, sowie einmal Hornhautentzündung durchgemacht. Gegenwärtig finden sich zahlreiche, indolente Drüsen von Bohnengrösse am Halse. Bei dem dritten Kinde, bei welchem die Mittelohrtuberkulose ausgeheilt ist, besteht ebenfalls starke hereditäre Belastung, und die eine Lungenspitze ist leicht gedämpft Dieses Kind leidet auch an Drüsenschwellungen.

Bei dem ersten Erwachsenen bestand der Ausfluss schon lange Jahre vor der Hümoptysis. Es kann sein, dass hier das Ohrenleiden das primäre ist, was jedenfalls eine sehr seltene Ausnahme wäre, be- weisen lässt es sich aber nicht. Bei den anderen fünf Patienten da- gegen ist es sicher oder wenigstens wahrscheinlich, dass die anderen Leiden die primären sind.

Der Unterschied des klinischen Bildes der eben beschriebenen sechs Fälle von dem der phthisischen Form der Mittelohrtuberkulose ist ein bedeutender. Vor allem unterscheiden sich unsere Fälle von den letzteren durch das gute Allgemeinbefinden. Im übrigen Organismus ist zwar ebenfalls Tuberkulose nachzuweisen, aber dieselbe zeigt grosse Neigung zur Heilung oder ist bereits ausgeheilt. Es dürfte deshalb auch nicht zufällig sein, dass nur ein Patient dem otiatrischen Ambulatorium des med. klin. Instituts entstammt, die anderen 5 dagegen theils Professor Bezold’s, theils meiner Privatpraxis angehören. Vielleicht ist die geringe Betheiligung des Ambulatoriums auf die ungünstigen hygienischen Verhältnisse der dasselbe frequentirenden Patienten zurückzuführen. So ist es wahrscheinlich auch wenigstens zum Theil zu erklären, dass wir umgekehrt die phthisische Form im Ambulatorium unverhältnissmässig viel häufiger sehen, als in der Privatpraxis.

Dem guten Allgemeinbefinden entsprechend ist auch der Verlauf der Tuberkulose im Ohre ein verhältnissmässig gutartiger. Ein Zerfall des Gewebes tritt nicht ein; früher freilich muss einmal eine ziemlich ausgiebige Zerstörung stattgefunden haben. Darauf deutet die aus- gedehnte Zerstörung des Trommelfells und zum Theil auch der Gehör- knöchelchen hin. In dem Stadium jedoch, in welchem wir die Patienten gesehen haben, ist dieser Zerfall zum Stillstand gekommen +). ~ Es zeigen

1) Vielleicht sind unsere Fälle, wenigstens die 5, bei welchen der Beginn in die Kindheit fällt, ein späteres Stadium der von Walb im Handbuch für Ohrenheilkunde als scrophulóse Form beschriebenen Mittelohreiterung.

und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. 373

sich im Gegentheil Heilungsvorgänge. Die Schleimhaut granulirt theil- weise sehr stark, ein grosser Theil des Mittelohres ist sogar mit Epi- dermis überzogen. Bei Phthisikern dagegen ist bekanntlich stärkere Granulationsbildung ' ein seltener Befund, epidermoidale Umwandlung der erkrankten Schleimhaut aber ein unbekanntes Bild. Dem ent- sprechend ist auch die Prognose im Gegensatz zu der phthisischen Form in unseren Fällen quoad vitam keine ungünstige, wie die lange Dauer des Leidens (z. Th. vier Jahrzehnte!) zur Genüge zeigt. Quoad func- tionem freilich ist kein grosser Unterschied. Auch in unseren Fällen kommt es fast immer zur Taubheit für Sprache. Ein Unterschied be- steht jedoch auch in functioneller Hinsicht. Nach Bezold-Heget- schweiler ist für die Mehrzahl der Phthisiker eine auffallend geringe Einschränkung der unteren Tongrenze characteristisch. Bei unsern Fällen aber ist dieselbe in dem gleichen Maasse wie bei der gewöhnlichen chronischen Mittelohreiterung eingeschränkt.

In der Hartnäckigkeit der Eiterung ist wiederum kein grosser Unterschied zwischen unseren Fällen und der phthisischen Form. Wenn auch in dem einen Falle die Eiterung nach jahrelanger Behandlung ge- heilt ist, so macht es nicht den Eindruck, als ob sie bei den anderen fünf Patienten in absehbarer Zeit heilen würde, wenn sie auch meist minimal ist.

Viel mehr als der Phthise nähert sich das Bild dem der gewöhn- lichen (nicht specifischen) chronischen Mittelohreiterung, wie schon oben erwähnt worden ist. Doch existiren auch hier Unterschiede. Wenn dieselben auch gering sind, so sind sie doch für die Diagnose wichtig, da sie ja oft die einzigen Anhaltspunkte für die richtige Erkenntniss sind; denn der Belag sichert zwar stets die Diagnose, ist aber nur eine vorübergehende Erscheinung und kann selbst bei. jahrelanger Beob- achtung ganz ausbleiben. Ausschlaggebend können die zu schildernden Unterschiede zwar nicht sein, wie von vornherein betont werden muss, aber sie werden die Veranlassung sein, das Secret genau und wieder- holt auf Tuberkelbacillen und auch den übrigen Organismus auf Tuber- kulose zu untersuchen.

In unseren Fällen fällt nämlich, wie schon oben bemerkt, fast regel- mässig eine grosse Zerstörung am Trommelfell und theilweise auch an, den Gehörknöchelchen auf, obwohl die Anamnese keinen Anhaltspunkt für die gewöhnliche Ursache derselben, Scharlach etc. etc., ergiebt. Auffällig ist ferner die leichte Durchgängigkeit der Tuba und schliess- lich die starke Herabsetzung der Hórweite. Diese Unterschiede sind

|. 96*

374 A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose

jedoch, das muss nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden, zwar für die ganze Krankheitsgruppe von einer gewissen Bedeutung, nicht aber für den einzelnen Fall. |

Am auffälligsten ist noch die grosse Hartnückigkeit der Secretion gegenüber der antiseptischen Behandlung. Sie hat aber im Gegensatz zu den obigen drei Symptomen natürlich den Nachtheil, dass sie nicht gleich im Beginne der Beobachtung in Betracht kommen kann. Die chronischen Mittelohreiterungen bieten im Allgemeinen der anti- septischen Behandlung kein ungünstiges Feld. Von den nicht mit Caries oder Cholesteatom complicirten chronischen Mittelohreiterungen, mit welchen unsere obigen 6 Fälle die grösste Aehnlichkeit haben, heilen fast alle unter der antiseptischen Behandlung schnell aus. Nur eine kleine Anzahl dieser uncomplicirten Fälle trotzt jeder Behandlung. Ich habe auf derartige Ausnahmefälle schon in einer früheren Arbeit hingewiesen und dort dieselben genauer beschrieben.!) Damals konnte ich nicht einmal Vermuthungen aufstellen, warum diese einfachen Fälle nicht heilen und habe die Hoffnung ausgesprochen, dass es einmal der histologischen Untersuchung gelingen möge, die Ursache aufzudecken. Die histologische Untersuchung des oben beschriebenen Belages, auf welche ich noch genauer zu sprechen kommen werde, hat jetzt wenigstens für einen Theil derartiger Fälle die gewünschte Aufklärung gebracht. Unsere sämmtlichen oben mitgetheilten sechs Fälle gehören nämlich dieser Gruppe an. Vor ca. zwei Jahren habe ich meine Journale nach solchen hartnäckigen Fällen von uncomplicirter chronischer Mittelohr- eiterung durchgesehen und im Ganzen nur sechs gefunden. Drei der- selben gehören zu den oben beschriebenen sechs Fällen. Interessant ist nun, dass von den drei übrigen Patienten einer später an galoppirender Lungenschwindsucht gestorben und ein anderer an, wahrscheinlich tuber- kulöser, Pleuritis erkrankt ist. Es geht hieraus hervor, welch’ wichtigen Fingerzeig uns die grosse Hartnäckigkeit der Eiterung für die Diagnose giebt. Wenn ein Fall von chronischer Mittelohreiterung bei jahrelanger regelmässiger antiseptischer Behand- lung nicht heilt, so muss das den dringenden Verdacht auf Tuberkulose erwecken, vorausgesetzt, dass die Eiterung nicht mit Cholesteatom der oberen Mittelohr- räume complicirt ist. Der letztere Zusatz ist nothwendig, denn auch bei den Cholesteatomen trotzt ebenfalls in einigen Fällen ein ge-

1) Münchner med. Woch. 1891, No. 14.

und die Bildung von Fibrinoid bei denselben. 375

ringer Rest schleimiger Secretion hartnäckig der antiseptischen Be- handlung und zwar in einer etwas grösseren Anzahl von Fällen als bei der uncomplicirten chronischen Mittelohreiterung. Hier scheint jedoch Tuberkulose in der Regel nicht die Ursache zu sein, denn erstens ist bei einem Theil der Cholesteatome die Ursache z. B. Scharlach bekannt, und zweitens ist es mir nicht gelungen, bei diesen Fällen Koch'sche Bacillen nachzuweisen, obwohl ich eine Reihe derselben genau untersucht und zum Theil das Biedert’sche Verfahren und die Centrifuge zu Hilfe genommen habe !).

Zum Schluss erübrigt es noch, genauer auf die histologische Be- schaffenheit des uns interessirenden Belages einzugehen. Dass er grau aussieht, über das Niveau seiner Umgebung erhaben ist, und dass er hierin dem fibrinösen Belag bei Otitis externa crouposa ähnelt, ist schon hervorgehoben worden, ebenso dass er im Gegensatz zu dem letzteren sehr lange Zeit festhaftet und nicht in toto sich ablöst, sondern all- mählich verschwindet, sowie dass er sich nur selten wiederholt. Die histologische Untersuchung in Schnitten hat denn auch ergeben, dass die derbe, zähe Beschaffenheit, die graue Farbe und die Volumen-

zunahme in der Hauptsache zwar durch einen fibrinähnlichen Stoff, aber

nicht durch Fibrin selbst bedingt ist. Nur in dem oben erwähnten von Bezold mitgetheiltem Fall hat sich etwas Fibrin nachweisen lassen.

Bei den in der vorliegenden Arbeit mitgetheilten Fällen jedoch ist die Grundsubstanz eine helle, körnig krümelige, an der Peripherie theilweise fädige Masse, welche sich nicht oder wenig färbt und auch die Weigert’sche Färbung nicht annimmt. In diese körnig schollige Masse finden sich einzelne grössere Körner von unregelmässig zackiger Gestalt eingelagert, welche sich von der Umgebung durch eine etwas stärkere Färbbarkeit auszeichnen. Diese zackigen, manchmal etwas langgestreckten Gebilde sind vielleicht theilweise als Ueberreste von Zellen aufzufassen, theilweise aber erinnern sie durch ihre An- ordnung an bindegewebige Elemente. Gefässe finden sich nirgends in dem Belage. Während bei dem einen Falle deutliche Zellen vollständig fehlen, sind bei dem anderen, bei welchem die krümelige Grundsubstanz in geringerer Menge vorhanden und stärker gefärbt ist, Zellen mit einem

1) An dieser Stelle möge, um in der Literatur sich bemerkbar machende Missverständnisse zu zerstreuen, hervorgehoben werden, dass wir bisher nur in einem einzigen und zwar geheilten Falle von Cholesteatom der oberen Mittel- ohrräume Tuberkelbacillen haben nachweisen können.

376 A&A. Scheibe: Ueber leichte Fälle von Mittelohrtuberkulose etc.

grossen, rundlichen blassen Kerne wenigstens angedeutet, und ausser- dem finden sich hier auch über das ganze Präparat ausgestreut zahl- reiche, gut gefärbte Leucocythen mit einem Kern oder mebreren Frag- menten. Bei diesem Falle ist an einzelnen Stellen die Gewebsstructur deutlicher, sodass es scheint, als ob es sich an diesen Stellen um nekrotisches Gewebe handelt. Dass sich zahlreiche Tuberkelbacillen in dem Belag nachweisen lassen, ist schon oben erwähnt worden. Wo- durch entsteht nun die kórnige, schollige Grundsubstanz? Dass sie durch Zerfal des nekrotischen Gewebes sich bilde, ist unwahrscheinlich, denn das würde nicht zu einer so bedeutenden Volumenzunahme führen ; auch die Zähigkeit spricht dagegen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die körnige Substanz ein Ausscheidungsproduct ist. Klarheit in diese Frage bringt uns die experimentelle Arbeit von Schmauss und Albrecht !) über die käsige Necrose tuberkulösen Gewebes. Die Verfasser konnten als Vorstufe der Verkäsung des Tuberkels die Bildung einer fädig- netzförmigen Substanz nachweisen, welche im weiteren Verlauf des Processes eine Zerklüftung zu kleineren Schollen und Bröckeln erfährt und schliesslich zu Detritus zerfällt. Diese Substanz gleicht vollständig der von uns beschriebenen Grundsubstanz, wie Herr College Schmauss die Güte hatte, selbst zu constatiren. Sie hat histologisch und chemisch ganz besondere Eigenschaften und ähnelt am meisten dem Fibrin, giebt aber nicht die Fibrinreaktion nach Weigert.

Die Verfasser nennen diese Substanz deshalb Fibrinoid, was nach meiner Meinung eine recht glücklich gewählte Bezeichnung ist. Sie glauben, dass das Fibrinoid ebenso wie das Fibrin ein Ausscheidungs- und Gerinnungsproduct plasmatischer Flüssigkeit ist. Interessant ist die Annahme der Verfasser, dass das Fibrinoid vielleicht, ohne den weiteren käsigen Zerfall durchzumachen, dauernd bestehen bleiben resp. in Hyalin übergehen kann. Für die Erklärung der reichlichen Bildung des Fibrinoids dürte es von Bedeutung sein, dass die Verfasser an gesunden Thieren experimentirt haben, und dass bei unseren Patienten das gute Allgemeinbefinden im Gegensatz zu dem allgemeinen Kräfte- verfall bei der phthisischen, d. h zu raschem Gewebszerfall neigenden Form der Mittelohrtuberkulose auffällt, bei welch’ letzterer Form ein ähnlicher Belag sehr viel seltener auftritt. ^

1) Virchow's Archiv, CXXXXIV. Bd. Suppl. 1896.

W. Schwartz: Ueber die Beziehungen zwischen Schädelform etc. 377 XXIV.

Ueber die Beziehungen zwischen Schädelform, Gaumenwölbung und Hyperplasie der Rachen- mandel.

Von Dr. W. Schwartz in Rostock.

Die Oberkieferverbildungen, die man bei Rachenmandelhyperplasie antrifft, sind bisher auf verschiedene Weise erklärt worden. Während die meisten Beobachter sie für eine Folge der Rachenmandelhyperplasie halten, sehen andere sie als die Ursache derselben an, und manche läugnen einen Zusammenhang der beiden genannten Veränderungen überhaupt.

Der Ansicht, dass die Oberkieferverbildungen nicht als Folge der Rachenmandelhyperplasie zu betrachten seien, bekennt sich E. Fränkel, der unter Siebenmann's Leitung gearbeitet hat.!) Er sagt, der harte Gaumen der an adenoiden Vegetationen Leidenden weiche in seiner Form durchschnittlich garnicht vom Normalmaass ab. Zahn- stellungsanomalien und V-fórmige Knickung des oberen Alveolarbogens seien als ein höchst seltenes Vorkommniss bei Adenoiden zu bezeichnen. Verfasser betont jedoch, dass er nur mit Verhältnissen rechnet, wie sie in Basel und Umgebung vorkommen. „Denn“, sagt er, ,,dass

1) Auf die Litteratur über diesen Gegenstand will ich nicht weiter ein- gehen, da sie in der Arbeit von O. Körner (Untersuchungen über Wachsthums- störung und Missgestaltung des Oberkiefers und des Nasengerüstes infolgə von Behinderung der Nasenathmung. Leipzig 1891) genau angegcben und in den Arbeiten von A. Waldow (Untersuchungen über die Kiefermissbildungen in- folge von Verlegung der Nasenathmung. Inaug.-Dissert. Archiv f. Laryngologie. III. Bd. 3. Heft) und E. Fränkel (Der abnorme Hochstand des Gaumens in seinen Beziehungen zur Septumdeviation und zur Hypertrophie der Rachen- dachtonsille. Inaug.-Dissert. Basel 1896) reproducirt und weiter vervollständigt ist. Später sind noch erschienen die Arbeiten von G. Liebe (Angeborene Ver- wachsung der Nasenöffnungen, Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1896. Nr. 4, p. 179) und A. Sikkel (Demonstration von Gypsabgüssen des Oberkiefers bei adenoid. Vegetationen, Monatsschrift für Ohrenheilkunde XXIX. p. 241), die sich der Körner’schen Ansicht anschliessen, und von G. Eames (Die Beziehungen von adenoiden Vegetationen zu Unregelmässigkeiten der Zähne und damit ver- bundener Partieen. Journ. Amer. Med. Assoc. 15. Februar 1896), der Rachen- mandelhyperplasie und hohen engen Gaumen auf ein und dieselbe bisher noch unbekannte Ursache zurückführen will.

378 W. Schwartz: Ueber die Beziehungen zwischen Schäde)form,

anderorts Rassenverhältnisse bestehen können, welche mit den uuserigen nicht übereinstimmen, geben wir zu; zudem ist ja bekannt, dass an der Küste der Nord- und Ostsee die schweren Formen von Rachen- mandelhypertrophie viel häufiger zur Beobachtung kommen, als bei uns.“ Hierzu muss bemerkt werden, dass Fränkel gerade so wie andere nicht streng daran festgehalten zu haben scheint, dass nach Körner und Waldow die Veränderungen am Oberkiefer nur dann zustande kommen, wenn die Rachenmandelhyperplasie die Nasenathmung während der Wachsthumsperiode lange Zeit sehr stark beeinträchtigt. Selbstverständlich muss es deshalb viele grosse und kleine Patienten mit Rachenmandelhyperplasie ohne Veränderungen am Gaumen und in der Zahnstellung geben.

Fränkel führt nun die Oberkieferveränderungen auf die Schädel- form zurück. Vorzüglich bei langen schmalen Schädeln (also bei Dolichocephalen) sagt er, werde ein schmaler hoher Gaumen angetroffen.

Auch die Hypertrophie der Rachenmandel ist von M. Schmidt!) mit der Schädelform in Beziehung gebracht worden. Schmidt sagt: „Die Hypertrophie der Rachenmandeln kommt, wie ich glaube, bei den dolichocephalen Schädelformen mehr vor, als bei den anderen. Die dolichocephale angelsüchsische Rasse scheint ganz besonders dazu disponirt; das characteristische Vorstehen der Schneidezähne mit schmaler Nase bei Engländern könnte von dem häufigeren Vorkommen der Rachenmandeln abhängig sein.“ |

Meine nachfolgenden Untersuchungen hatten den Zweck, festzu- stellen, ob 1) ein hoher enger Gaumen auf Dolichocephalie zurückzu- führen ist, wie E. Fránkel glaubt, und ob 2) Rachenmandelhyperplasie hauptsächlich bei Dolichocephalen vorkommt, wie M. Schmidt ver- muthet.

Zur Beantwortung der ersten Frage habe ich zunächst an 161 Schädeln der hiesigen anatomischen Sammlung, die mir Herr Professor Barfurth gütigst zur Verfügung stellte, Messungen vorgenommen. Die 161 Schädel sind solche, bei denen die Zähne an den Stellen, wo gemessen wurde, vorhanden waren, bei denen also an den Messstellen eine Atrophie des Alveolarrandes infolge Zahnverlustes intra vitam nicht bestand. | |

! M. Schmidt. Die Krankheiten der oberen Luftwege. Berlin 1894. p. 218.

Gaumenwölbung und Hyperplasie der Rachenmandel. 379

Unter diesen befanden sich :

Ultradolichocephale (Index: 60—64,9.): 0.

Hyperdolichocephale ( : 65—69,9.): 3. Dolichocephale ( 4, : 70—74,9.): 17. Mesocephale . . ( >+ 75—79,9.): 60. Brachycephale ( 4. : 80—84,9): 57. Hyperbrachycephale ( : 85—89,9.): 19.

Ultrabrachycephale ( : 90— ) 5.

Die Gaumenbreite wurde, wie sich als am zweckmässigsten her- ausstellte, an den 2. Molares mit dem Zirkel gemessen.

Zur Feststellung der Gaumenhóhe wurde zwischen dem I. u. II. Molaris von Alveolarrand zu Alveolarrand ein Faden gespannt, und von diesem aus mit dem Zirkel die Höhe der Gaumenwölbung gemessen.

Unter den 161 Schädeln fanden sich:

(flach, breit)

mit dem Gaumen- index:

Hyperdolichocephale Dolichocephale .

1 Mesocephale . 4. 2. 1. Brachycephale 2. 1. Hyperbrachycephale 2. l. Ultrabrachycephale

Wir fanden ungeführ ebensoviele Indices unter 30 wie über 30. Demnach müssen wir nach dieser Tabelle als Durchschnittsindex für die Gaumenform ungefähr den Index 30,0 betrachten. Somit geht aus derselben hervor, dass bei Dolichocephalen keineswegs ein hoher enger Gaumen das Gewöhnliche ist. Bei den Brachycephalen und Mesocephalen sind ebensoviel hohe enge, wie niedrige, breite Gaumenformen constatirt. Bei den Hyperbrachycephalen besteht ein geringes Plus zu Gunsten der niedrigen breiten Gaumenform. Bei der geringen Zahl von Ultra- brachycephalen, die nichts besagt, bleibt der Index unter dem Nor- malindex.

380 WW. Schwartz: Ueber die Beziehungen zwischen Schädelform,

Unbefangen betrachtet, zeigt die Tabelle jedenfalls, dass Schädel- form und Gaumenform von einander unabhängig sind.

Weiter habe ich dann zur Beantwortung dieser ersten Frage an 154 Patienten theils der hiesigen Poliklinik, theils der Privatpraxis des Herrn Professor Körner diesbezügliche Messungen gemacht. Unter den Patienten wurde in keiner Weise eine Auswahl getroffen.

Ausgeführt wurden die Messungen am Gaumen mit einem In- strument, das dem Siebenmann'schen Palatometer !) ähnlich ist; es weicht von diesem nur insofern ab, als die Querstange des Siebenmann’schen Apparates, die zur Messung der Breite des oberen Alveolarbogens dient, fehlt und ersetzt ist durch eine Art Tasterzirkel, welcher gestattet, die Gaumenbreite am Zahnfleischrande an der Innenseite der Zähne zu messen, während Frünkel mit dem Palatometer die Entfernung der Zahnkronen gemessen hat. Natürlich wird mit unserem Instrumente dann auch die Gaumenhóhe von einer Linie an gerechnet, welche zwischen den beiden Il. Molares am Zahnfleischrande, nicht an der ‚Oberfläche der Kronen gezogen wird.

Durch diese Veründerung des Instrumentes wird die Messung der wirklichen Gaumenhöhe und Gaumenbreite eine etwas genauere, insofern als eine Fehlerquelle, die durch die Verschiedenheit und verschiedene Richtung der Zähne gegeben ist, vermieden wird; ganz exact kann jedoch auch diese Messung nicht genannt werden, da ja das Zahnfleisch bei den verschiedenen Individuen verschieden weit auf die Zähne übergreift.

Der Unterschied zwischen den Gaumenindices am macerirten Schädel und am Lebenden erklärt sich daraus, dass bei letzterem die Gaumenhóhe wegen des Uebergreifens des Zahnfleisches auf die Zähne ja immer zu gross gemessen wird, während der dünne Schleimhautüber- zug in der Gaumenmitte nicht viel ausmacht.

Unter den Patienten befanden sich:

^«^

Ultradolichocephale: i. Hyperdolichocephale und Dolichocephale: O. Mesocephale: 19. Brachycephale: 80. Hyperbrachycephale: 48. Ultra- brachycephale: 6.

1) Siehe E. Fränkel a. a. O.

Gaumenwólbung und Hyperplasie der Rachenmandel. 381

Unter diesen waren:

mit dem Gaumen- index:

i

Ultradolichocephale | Mesocephale. . .; Brachycephale . . | Hyperbrachycephale,

Ultrabrachycephale |

Man erkennt, dass bei diesen 4 Arten der Schädelform ebenso- wohl breite und niedrige wie schmale und hohe Gaumen vorkommen, dass also der schmale hohe Gaumen keineswegs den Dolichocephalen allein eigenthümlich ist.

Die Messungen an Lebenden bestätigen somit die an den macerirten Schädeln gewonnenen Resultate.

Was die zweite Frage betrifft, ob Rachenmandelhyperplasie haupt- sächlich bei Dolichocephalen vorkommt, so ist auch diese zu verneinen.

Unter den oben erwähnten 154 Patienten befanden sich 33 mit starker Rachenmandelhyperplasie. Unter diesen 33 waren: Mesocephale . . . 8. Brachycephale . . 15. Hyperbrachycephale . 11. Ultrobrachycephale . 4.

15,9°/, aller Mesocephalen.

18,729], ,, Brachycephalen. 23,19/;, ,, MHyperbrachycephalen. 65.49/; ,, Ultrabrachycephalen.

Ausserdem habe ich in dem hiesigen poliklinischen Journal und in den Journalen der Privatpraxis des Herrn Professor Körner Schädel- messungen bei Patienten, denen die Rachenmandelhyperplasie exstirpirt ' wurde, 52mal verzeichnet gefunden.

Unter diesen 52 Patienten waren:

Mesocephale: 4. Brachycephale: 23. Hyperbrachycephale: 22. Ultra- brachycephale: 3.

Es befindet sich also unter den erwähnten 84 an starker Hyper- plasie der Rachenmandel Leidenden kein einziger Dolichocephale, wie ja hier in Mecklenburg die Dolichocephalie überhaupt selten ist, während Vergrösserung der Rachentonsille sehr häufig vorkommt. Im Gegentheil

382 W. Schwartz: Ueber die Beziehungen zwischen Schädelform etc:

fanden wir grosse Rachenmandeln am häufigsten bei den höchsten Graden der Brachycephalie.

Bei den Negern, die ja ausgeprägt dolichocephal sind, scheint Rachenmandelhyperplasie selten zu sein. Es scheint dies aus Murrells!) Arbeit hervorzugehen, wenn er sagt, dass das Verschontbleiben der Neger von Ohrenkrankheiten auf die Bildung des Nasenrachenraums wahrscheinlich zurückzuführen sei. Es wäre jedoch wünschenswerth, dass unsere Collegen in anderen Erdtheilen über das Vorkommen oder Fehlen der Rachenmandelhyperplasie bei Negern einmal eingehend berichteten.

1 Murrell, Besonderheiten in d. Struktur u. d. Erkrankungen des Ohrs bei Negern. III. internat. medic. Congress. 1889. |

Bericht

über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde

im ersten Quartal des Jahres 1897.

Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann.

e

Anatomie des Ohres.

1. Gruber, Jos., Prof. Bemerkungen über den Canalis caroticus mit Bezug auf practische Ohrenheilkunde. Monatsschr. f. Ohrenheilk., No. 1, 1897.

1) Schon bei kindlichen Schläfenbeinen wird die Krümmung des Canalis caroticus im Felsentheile des Schläfenbeines verschieden stark und seine Weite an den verschiedenen Stellen ungleich gefunden. Mehr noch ist dies beim Erwachsenen der Fall. Infolge der stärkeren Biegung springt der Theil des knöchernen Kanales, der frei in die Paukenhöhle sieht, in diese letztere stärker vor und verengt sie. In ausgeprägten Fällen kann der Canalis caroticus fast das ganze Promontorium decken. Eingezogene Trommelfelle könnten hier leicht mit ihm verwachsen; bei der Paracentese käme er in Gefahr, verletzt zu werden; auch zu pul-. sirenden und anderen subjectiven Gehörsempfindungen könnte er Ver- anlassung geben. ` | Killian.

Physiologie des Ohres.

2. Gellé. De la conservation de l'audition malgré l'ankylose de l'étrier. Arch. internat. de laryng. d'ot. X, 1.

3. Ewald, R. Zur Physiologie des Labyrinths. V. Mittheilung. Die Be- ziehung des Tonuslabyrinths zur Todtenstarre und über die N ysten'sche Reihe. Pflüger’s Arch. Bd. 63, S. 521.

4. Bezold, Fr., Prof. Die Stellung. der Consonanten in der Tonreihe. Diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 114.

5. Stein, L. William. Demonstration eines Apparates zur continuirlichen und gleichmässigen Veränderung der Tonhöhe. (Nebst einem Anhang: Eine neue Luftquelle für akustische Versuche.) Verhandl. der Physikal. Gesellschaft zu Berlin, XVI. Jahrg., No. 4, S. 42.

2) Die Helmholtz’sche Lehre, dass die Beweglichkeit der Steig- bügelplatte die Hauptvorbedingung für die Uebertragung von Schall-

384 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

schwingungen von der Gehórknóchelchenkette auf das Labyrinth sei, erklärt Gelle für falsch. Er denkt sich die Sache so: weil in manchen Experimenten eine rings befestigte dünne Platte Schallschwingungen überträgt, weil bei Ankylose des Steigbügels keine völlige Taubheit eintritt, deshalb ist die Beweglichkeit zur Schallübertragung unnöthig, sie ist vielmehr nur eine Art Schutzvorrichtung, sie soll dazu dienen, bei starken Geräuschen durch das Spiel der beiden Binnenmuskeln die Platte beliebig feststellen und das Gehör abschwächen zu können (Valsalva’scher Versuch, pressions centripet., Schlucken bei geschlossener Nase). Die Schallübertragung selbst erfolgt nur durch moleculäre Schwingungen, bei denen die Dünnheit der Platte die Hauptrolle spielt.

Aus dieser neuesten Entdeckung zieht G. den Schluss, dass bei vorhandener völliger Taubheit daran nicht allein die Ankylose des Steigbügels Schuld sein kann und eine Lösung derselben erfolglos ist.

Zimmermann.

3) Ewald theilt mit, dass er einen Einfluss des Labyrinthes auf die Todtenstarre gefunden habe, indem er beobachtete, dass sich nach dem Tode des Thieres die Muskeln verschieden verhalten, je nachdem sie mit dem Labyrinth in nervöser Verbindung stehen. Bei Tauben und Kaninchen tritt in einer Anzahl von Fällen nach Entfernung des Laby- rinthes ein früheres Eintreffen der Todtenstarre auf. In der über- wiegenden Mehrzahl der Fälle war das Phänomen bei Tauben jedoch nicht nachweisbar. Es zeigte sich sogar, dass beim Kaninchen eine postmortale, mechanische Reizung des Labyrinthes (Zerstörung), sowie auch ein postmortaler, elektrischer Reiz die Starre beeinflusst.

Die Reihenfolge, in welcher die Scelettmuskeln nach Fortnahme des Labyrinthes von motorischen Störungen betroffen werden, ist folgende: Augenmuskeln, Kaumuskeln, Nackenmuskeln, Kehlkopfmuskeln, Arm- muskeln, Brustmuskeln, Bauchmuskeln, Beinmuskeln. Diese Reihe stimmt mit der Nysten'schen Reihe (Reihenfolge des Eintritts der Todten- starre) überein. Dass die Nysten’sche Reihe mit den Augenmuskeln beginnt, hat Willgerodt auf Ewalds Veranlassung gefunden und theilt E. in vorliegender Arbeit die Methoden desselben mit. E. sieht es für wahrscheinlich an, dass sowohl das Zustandekommen der Nysten- schen Reihe, wie auch die Verzögerung des Eintritts der Todtenstarre nach Nervendurchschneidung durch den grösseren oder geringeren »Labyrinthtonus« bedingt werde. Asher.

5) Stein demonstrirt einen Apparat, der folgendes leistet: Ein Ton kann während des Tönens in seiner Höhe innerhalb weiter Grenzen

Allgemeines. 385

continuirlich mit beliebiger Langsamkeit verändert werden, die Ge- schwindigkeit der Veränderung kann dabei gleichmässig sein und die. jeweilig erreichte Tonhöhe ist in jedem Moment ablesbar. Das tönende Instrument ist eine angeblasene Flasche; die Abstimmung derselben ge- schieht durch Eingiessen von Quecksilber. Mit der Flasche communicirt ein eigenthümlich geformtes Gefüss, der » Variator«. Durch einen Cylin- der mit Kolbenstempel wird in beiden Gefüssen gleichzeitig der Niveau- stand veründert. Vom Niveaustand hüngt die Tonhóhe ab. Die eigen- thümliche Form des Variators ist dadurch bedingt, dass die Flasche eine immer abnehmende Geschwindigkeit der Niveauveründerung haben muss, damit eine gleichmässige Geschwindigkeit der Tonänderung erzielt. werden kann. Die Schwebungen, welche der Apparat mit einer anderen Tonquelle giebt, können dazu dienen, um die Schwingungszahl der letzteren zu bestimmen, da sich der Moment des Verschwindens der Schwebungen leicht fixiren lässt.

Als neue Luftquelle für acustische Versuche empfiehlt St. eine Luft- pumpe mit Kessel der Firma Krause & Co. (Berlin S.O., Michaels- kirchpl. 24). | Asher.

. Allgemeines.

a) Statistik und Berichte.

6. Barnick, O. Bericht aus Prof. Habermann’s Klinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke an der Universität in Graz vom 1. Oktober 1894 bis 31. December 1895. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 42, S. 96.

7. Stetter, Prof. Erfahrungen im Gebiete der Ohren-, Nasen- und Hals- krankheiten. VIII. Jahresbericht. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 3, 1897.

8. Alt, Ferdinand, Dr. Casuistische Mittheilungen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 3, 1897. |

6) Nach den üblichen statistischen Mittheilungen wird über 2 Fälle von Necrose der Ohrmuschel berichtet und über einen Fall von Pyämie in Folge von Sinusphlebitis nach acuter Mittelohreiterung. Unter zwanzig Radicaloperationen wurden 10 wegen Cholesteatom, 10 wegen Caries ohne Cholesteatom ausgeführt. Auch Habermann strebt jetzt meist einen retroauriculären Verschluss an. . | ,, Bloch.

114

7) Stetter erwühnt einen Fal!, bei welchem ungeschickte Manipu- lationen im Gebörgang zur Entfernung eines Ceruminalpfropfes eine Otitis externa mit Abscess auf der Schlüfenbeinschuppe herbeigeführt hatten. Bezüglich der Radicaloperation nimmt er einen zurückhaltenden Stand- punkt ein, nachdem ihm. eine Reihe, von Anderen operirte, ungeheilt

386 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

gebliebene Fälle zu Gesicht gekommen war. Er geht aber entschieden zu weit, wenn er in Fällen, in welchen die Eröffnung des Warzenfort- satzes indicirt erscheint, wenn keine Fistel oder deutliche Knochen- erkrankung wahrzunehmen ist, sich mit der Wilde'schen Encision be- gnügt. Killian.

8) Besprechung eines Falles von wahrscheinlich alkoholischer Neu- ritis des Nervus acusticus als Theilerscheinung einer alkoholischen Poly- neuritis, an der auch der Sehnerv betheiligt war.

Ein zweiter Fall betrifft einen Patienten mit Mittelohrsklerose, bei . dem durch eine künstliche Trommelfellperforation Hörverbesserung und Verminderung unerträglicher subjectiver Beschwerden erzielt wurde. Die Perforation blieb offen, nachdem eine Zeit lang durch die Tube flüssiges Vaselin injicirt worden war, das eine leichte Otorrhoe erzeugt hatte.

Schliesslich berichtet Alt noch über die Verschliessung alter Per- forationen durch Anwendung von flüssiger Trichloressigsäure, welche vermittelst einer Sonde jeden vierten Tag auf die Perforationsränder gebracht wird. A. erzielte so nach 3—15 Aetzungen vollständigen Verschluss und öfters Hörverbesserungen. Nicht geeignet sind Perfora- tionen in der Shrapnell’schen Membran, im hinteren oberen Quadranten und sehr grosse, die einem fast völligen Verlust des Trommelfelles ent- sprechen. Killian.

b) Allgemeine Pathologie des Okres. 9. Minor, James L. Complicationen mit Ohrenerkrankungen bei Mumps mit einem Bericht über acht Fälle. New-York. Med. Journ. 27. März 1897.

10. Crockett, E. A. Acute syphilitische Affection des Ohres. Boston Med. and Surg. Journ. 11. Februar 1897.

9) Minor hat die Notizen von acht Fällen gesammelt, von denen sechs von ihm selbst, zwei von einem andern Kollegen beobachtet, aber noeh nicht veröffentlicht waren. Er findet, dass das linke Ohr in fünf, das rechte in einem, und beide Ohren in zwei Fällen afficirt waren. In den acht Fällen waren beide Ohrspeicheldrüsen ergriffen. In keinem Falle waren die Hoden erkrankt. Die Störung begann und endete in drei Fällen im Mittelohr; in einem Falle begann die Entzündung im Mittelohre und dehnte sich auf das innere Ohr aus. In drei Fällen war der Sitz der Erkrankung im Labyrinth, wobei die Schnecke allein er- griffen war, während in einem Falle nach der Ansicht des Verfassers die Erkrankung in den halbzirkelförmigen Kanälen ihren Ursprung

Allgemeines. 387

nahm und sich nachträglich auf das Mittelohr und die Schnecke aus- dehnte.

Minor schliest mit der Behauptung, dass »wenn diese Fälle prompt und rationell behandelt werden, anstatt sie sofort der Klasse der unheilbaren Erkrankungen zuzutheilen, ein grosser Procentsatz der- selben zweifellos ihr Gehör wieder erlangen würde«.

Gorham Bacon.

10) Crockett glaubt, dass syphilitische Affectionen des Ohres viel hüufiger sind, als man allgemein annimmt. Er berichtet über drei Fälle aus fünfzehn oder zwanzig Beobachtungen.

Dieselben hatten alle in ihren Symptomen eine ausgesprochene Aehnlichkeit, nämlich ganz plötzliche und hochgradige Taubheit, mehr oder weniger schweren Schwindel und heftiges Ohrensausen, welches bei Leuten ohne vorherige Ohrenstörung auftrat. In allen Fällen war die Taubheit für die Uhr und Stimme sehr deutlich und die Stimm- gabel mittleren Registers wurde mit Knochenleitung gar nicht, mit Luftleitung noch ziemlich gut gehórt. Gleichzeitig war das obere Re- gister nach Feststellung mit der Galton'schen Pfeife mehr oder weniger verringert. Die untere Grenze bleibt gewöhnlich unverändert.

Diese Hórprüfung ist nach Crockett für Syphilis ziemlich charak- teristisch und er behauptet, »dass der klinische Nachweis das Vor- handensein eines Ergusses in das Labyrinth als die Ursache dieser be- sonderen Symptomengruppe zu begünstigen scheint«.

In der Mehrzahl der vom Verfasser beobachteten Fülle wurde eine Diagnose auf Schüdelstórung gemacht und demnach eine ungünstige Prognose gestellt.

Diese Complication tritt häufig bei Syphilis in Fällen auf, welche sorgfältig und gründlich behandelt worden waren. Dies fand besonders beim dritten Falle statt. Unter diesen Umständen wird die subcutane Anwendung von Pilokarpin bis zur vollständigen physiologischen Grenze . von grossem Nutzen sein. Bedeutende Verbesserung des Gehörs und Verringerung des Schwindels folgt dem Gebrauche dieses Mittels in acuten Fällen.

Der Verfasser schliesst mit der Behauptung, dass Pilokarpin ein absolutes Specificum für alle syphilitischen Fälle bildet, welche die vorher beschriebenen Symptome bilden; dass bei einer Dauer von über einem Monat für die Taubheit und den Schwindel die Prognose sehr zweifelhaft ist; dass es in Fällen, in welchen Jod und Quecksilber

- Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXX. | 91

388 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

wenig genützt haben, von grossem Werthe ist; dass es aber nicht permanent hilft und in Verbindung mit anderer antisyphilitischer Be- handlung gebraucht werden muss. Gorham Bacon.

c) Allgemeine Therapie.

11. Forus, à propos de la ponction de la fenêtre ronde suivie d'aspiration, comme moyen de traitement des affections labyrinthiques. Ann. des mal. de lor., du lar. etc. März 1897.

12. Horne, Jobson und Yearsley, Macleod. Eucain als locales Anästeticum in der Hals-, Nasen- und Ohrchirurgie. British Medical Journal 16. Jan. 1897.

11) Forus weist nach, dass die von Botey veröffentlichte Methode (cf. diese Zeitschrift XXX, 2) ganz abgesehen von der klinischen Berechtigung auf anatomisch falschen Voraus- setzungen beruht. Er zeigt an Präparaten und Abbildungen, dass, wenn man, wie Botey will, die Nadel nach oben und vorn einsticht, man sicher die vestibularen Enden der häutigen Schnecken- windungen zerstört und zugleich Peri- und Endolymphe austreten lässt; wolle man nur Perilymphe ablassen, so müsse man nach vorn und dann nach unten stechen. Dazu gehöre eine ganz besonders feine und mit einem zweifach abgeknickten Mandrin versehene Canüle, für jedes Ohr eine besondere. Indess sei dieser Eingriff, bei welchem man mit Zehnteln von Millimetern rechnen müsse und bei dem man schliesslich doch im Dunkeln operire, als technisch zu schwierig kaum zu machen.

Zimmermann.

12) Horne und Yearsley sind durch eine Reihe von Versuchen mit Eukain zu dem Ergebniss gekommen, dass eine 8°/,ige Lösung für Operationen am zuverlüssigsten ist. Obgleich mehr Zeit erforderlich ist zum Zustandekommen der Anästhesie als beim Cocain (5 bis 10 Minuten), so glauben sie doch, dass es diesem in der Wirkung völlig ebenbürtig sei und das vor ihm voraus habe, dass es wenig oder keine Vergiftungserscheinungen oder Nachwirkungen hervorbringe. Die durch Eukain bewirkte Anästhesie dauert 15 bis 20 Minuten. Als ein grosser Nachtheil für seinen Gebrauch in der Nasenchirurgie erscheint sein Unvermögen eine völlige Contraction der Muschelschwellkörper zu bewirken. Wenn eine gründlichere Prüfung die Erwartungen erfüllt, wird seine Anwendung bei Kindern von grossem Nutzen sein.

Cheatle.

Instrumente und Untersuchungsmethoden. 389

d) Taubstummheit.

13. Krebs, G. Ohren- und Nasenuntersuchungen in der Taubstummenanstalt in Hildesheim. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 42, S. 119.

13) Von den 93 Zöglingen leidet reichlich ein Drittel an erheb- licheren Nasen- bezw. Rachenaffectionen, vor Allem an Hyperplasie des lymphatischen Ringes, für den Lehrer an der Rhinolalia clausa kenntlich. Bei älteren Schülern waren vielfach der hohe Gaumen, die abnorme Zahnstellung als unverwischbare Spuren jener zugegen. Andere Autoren finden einen noch höheren adenoiden Procentsatz bis 60 und 70°/,. In 5 Fällen versprach sich Verf. Erfolg von Urbantschitsch’schen Hör- übungen. Zum Schlusse stellt er die für uns selbstverständliche, aber nicht erfüllte Forderung eines otologisch und rhinologisch gebildeten Arztes für jede Taubstummenanstalt. Bloch.

Instrumente und Untersuchungsmethoden.

14. Seligmann, H., Dr, Frankfurt a.M. Ueber periodische Luftverdünnung im äusseren Gehörgange. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 1, 1897.

15. Mounier. Un nouveau procédé d'ablation du mur de la logette. Arch. internat. de laryng. d'otol. Bd. XX, 1.

16. Stacke. Ueber die Verwendbarkeit des Electromotors bei Operationen, insbesondere bei Nasen- und Ohroperationen. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 42, S. 8l.

17. Freudenthal, W.. New-York. Ein Nasenbeutel. Arch. f. Laryngol. IV, 2.

14) Mit dem von Seligmann construirten, von Accumulatoren getriebenen Rarefacteur lassen sich 120—1000 Luftverdünnungen in der Minute im äusseren Gehörgange hervorbringen. Versuche, welche S. mit diesem Instrumente seit 3 Jahren ausführte, ergaben bei Stapes- ankylose zwar keine Hörverbesserung, aber ein Pausiren der subjectiven Gehörsempfindungen für kürzere oder längere Zeit. In seltenen Fällen verschwanden sie gänzlich. Auch zur Behandlung von Adhäsionen und zur Beseitigung der Residuen acuter Mittelohrentzündungen empfichlt S. sein Instrument. Killian.

15) Um die laterale Wand des Kuppelraums auch ohne Ablösung der Ohrmuschel abtragen zu können, hat sich Mounier ein dem Hart- mann'schen ähnliches Instrument construirt.. Auf einem dem Stacke- schen ähnlichen Schützer nur mit rechtwinklig abgebogenem inneren Ende ist ein beweglicher Meissel so angebracht, dass er nur parallel mit dem horizontalen Theile des Schützers vorgetrieben werden kann. Wenn man auf diese Weise auch nur kleine Knochenpartieen entfernen

27*

390 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.

kann und deswegen die Operation längere Zeit dauert, so ist die Nach- behandlung doch dadurch abgekürzt. Bei nicht verengtem Gehörgang und bester Beleuchtung empfiehlt M. sein Verfahren für Fälle von auf die laterale Wand des Attikus beschränkter Caries und zur Steigbügel- auslösung. Zimmermann.

16) Stacke spricht hier nur über Nasenoperationen, Eröffnung der Nebenhöhlen und Behandlung von Septumdeviationen. Bezüglich der Operationen am Ohr ist nur angegeben, dass hauptsächlich auch bei Cholesteatcm die Innenflüche der Mittelohrráume »so tief wie mög- lich in das Gesunde hinein« ausgefraist werde. St. hält dieses Ver- fahren für das bei weitem gefahrloseste. Bloch.

17) Das Instrumentchen von Freudenthal besteht aus zwei durch einen Gummisteg miteinander verbundenen kleinen Gummi- eisbeuteln, die mit einem Gurtbande über der Nase befestigt werden. Mit Eis gefüllt, soll es für die Stillung von Nasenblutungen gutes leisten; mit warmem Wasser gefüllt, soll es die Beschwerden der acuten Coryza wesentlich vermindern. Zarniko,

Aeusseres Ohr.

18. Oliver, Thomas. Doppeltes Ohrhämatom. British Medical Journal 9. Jan. 1897.

19. Hessler. Die Epidermispfröpfe des Gehörgangs. Arch. f. Ohrenheilk. .Bd. 41, S. 176 und Bd. 42, 8. 1.

20. Denker, A. Ein Fall von Fraktur der vorderen unteren Gehórgangswand durch Gewalteinwirkung auf den Unterkiefer. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 42, S. 9l.

21. Bloch, E. Dr. Freiburg. Die Erkennung der Trommelfellperforation. Diese Zeitschr. Bd. XXX, S. 121. I

18) Oliver's Patientin war eine 36jührige anümische Alkoholica, die eine Woche vor ihrer Aufnahme in die Royal Infirmary Newcastle- upon-Tyne einen heftigen Schlag auf's Ohr erhalten hatte. Bei der Aufnahme zeigte sich die Ohrmuschel beiderseits sehr stark geschwollen, besonders rechts. Die Schwellungen zeigten bläuliche Färbung und glänzende unregelmässige Oberfläche und hatten den Umfang einer grossen Wallnuss. Die Blutuntersuchung ergab eine Verminderung der rothen Blutkörperchen, 2800000 in 1 cmm. Cheatle.

Aeusseres Ohr. 391

19) Hessler findet solche Pfröpfe in !/,°/, seines Materials und beschreibt 67 Fülle. Besprechung nach Vorkommen, Aetiologie, Symp- tomen und Verlauf, Diagnose, Prognose und Therapie. Sie erzeugen eine Erweiterung des Gehörganges, drängen das Trommelfell einwärts, führen sogar zu Knochenschwund, unter Umständen mit allen Er- scheinungen eines nach der Schädelhöhle durchbrechenden Cholesteatomes. Die Behandlung ist natürlich in der Regel einfacher und die Prognose günstiger als beim Cholesteatom des Mittelohres. Bloch.

20) Tiefere Ohrtheile wurden nicht beschädigt. Bloch.

Besprechungen.

Die Meningitis serosa acuta. Eine kritische Studie von Dr. med. Georg Boenninghaus in Breslau. Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann 1897.

Besprochen von

0. Körner in Rostock.

Das langumstrittene Krankheitsbild der Meningitis serosa ist be- kanntlich seit der Einführung der Lumbalpunction durch Quincke (1891) allgemein anerkannt worden. Die Aufmerksamkeit der Ohren- ärzte wurde zuerst durch Levi auf diese Krankheit gelenkt. Seitdem sind sechs zweifellos durch Otitis media verursachte Fälle beschrieben, wovon 5 operativ geheilt wurden.

Angeregt durch einen von ihm selbst beobachteten und operirten Fall von otitischer Meningitis serosa hat es Boenninghaus unternommen, das Bild dieser Krankheit unter krititscher Benutzung der gesammten Literatur eingehend zu beschreiben. Er hat sich nicht auf die durch Ohreiterung inducirte Form beschränkt, sondern auch die aus anderen Ursachen entstehende seröse Meningitis in den Kreis seiner Untersuchung gezogen. Sein Buch bedeutet einen grossen Fortschritt und wird ihm nicht nur bei seinen Fachgenossen, sondern auch bei den Pathologen und Neurologen Anerkennung bringen.

Für die otitische Meningitis serosa scheint der von Boenning- haus beobachtete Fall nach unseren jetzigen Kenntnissen ein typisches Beispiel zu sein. Es betraf eine 5ljährige Frau, die an acuter Pauken- entzündung erkrankte. Trotz Spontandurchbruch am 5. und künstlicher Erweiterung der Perforation am 9. Tage liessen Kopfschmerz und Fieber nicht nach. Dazu kam Lichtscheu, Hinterhauptschmerz und Apathie. Am 18. Tage Aufmeisselung des Processus mastoideus: Knochen und

-— -

Besprechungen. 393

dessen Auskleidung hyperämisch, Eiter nur in einer Terminalzelle. In den nächsten Tagen Fröste, Zunahme der allgemeinen Hirnsymptome, schneller Krüfteverfall. Am 25. Tage 2. Operation: Freilegung und Eröffnung des Sinus transversus, der comprimirt und leer gefunden wurde, Eröffnung der hinteren Schädelgrube; das Kleinhirn pulsirt nicht. Wegen Blutung aus dem Knochen musste hier tamponirt werden. Darauf Eröffnung der mittleren Schädelgrube durch Abtragen der oberen Gehörgangswand und des Tegmen tympani, Incision der pulslosen Dura. Pia und Hirn blutleer, drängen sich stark vor. Incisionen entleeren nichts; eine Punction des Seitenventrikels fördert im Strahle leicht ge- trübte Flüssigkeit zu Tage. Nach der Operation starke Durchtränkung von Verband und Bett mit Ventrikelflüssigkeit. Temperatur sogleich dauernd subnormal. Schnelle Heilung. |

Nachdem einmal die Aufmerksamkeit auf die Meningitis serosa gelenkt ist, werden wohl bald noch mehr hierher gehórige Beobachtungen publieirt werden. Dann wird die nächste Aufgabe sein, zu untersuchen, ob die durch Öhreiterung inducirte Meningitis serosa sich klinisch von den andern intracraniellen Complicationen der Ohreiterungen unter- scheiden lässt.

69. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Braunschweig, 20.—25. September 1897.

Die unterzeichneten Mitglieder des Vorstandes der Abtheilung für

Ohrenheilkunde

beehren sich, die Herren Fachgenossen zu der vom 20.—25. September hier stattfindenden Jahresversammlung ergebenst einzuladen.

Wir bitten, Vorträge und Demonstrationen spätestens bis Mitte Mai bei einem der Unterzeichneten anmelden zu wollen, den allge- meinen Einladungen, welche von den Geschäftsführern Anfangs Juli zur Versendung gebracht werden, bereits ein vorläufiges Programm der Ver- sammlung beigegeben werden soll.

Für Mittwoch, den 22. September, ist von Seiten der naturwissen- schaftlichen Hauptgruppe des wissenschaftlichen Ausschusses eine ge- meinsame Sitzung aller sich mit der Photographie wissenschaftlich beschäftigenden oder dieselbe als Hülfsmittel der Forschung benutzenden naturwissenschaftlichen und medicinischen Abtheilungen in Aussicht ge- nommen, für die Herr Prof. H. W. Vogel in Charlottenburg den ein- leitenden Vortrag über den heutigen Stand der wissenschaftlichen Photo- graphie zugesagt hat. An denselben sollen sich Berichte über die von anderen Seiten gemachten Erfahrungen anschliessen; auch soll eine Aus- stellung wissenschaftlicher Photographien damit verbunden werden, deren Organisation Herr Prof. Max Müller hieselbst übernommen hat. Die Anmeldung von Mittheilungen für diese Sitzung und von auszustellenden Photographien erbitten wir gleichfalls spätestens bis Mitte Mai.

Zugleich ersuchen wir, uns etwaige Wünsche in Betreff weiterer gemeinsamer Sitzungen mit einzelnen anderen Abtheilungen kundgeben und Berathungsgegenstände für diese Sitzungen nennen zu wollen.

Der Einführende: Der Schriftführer: Dr. med. Hugo Koch Dr. med. Waldemar Kühne Arzt für Ohren-, Nasen- und Ohrenarzt Halskrankheiten Siegesplatz 1a. p.

Brabantstrasse 7. I.

Ame

. 1893 und 1896 ui

E | i J Gruppe II, Lücken.

e D Q

& ES

und. 1896 .

7 ^

ELEM ben

R e i x

ka ER: Br K M iie Br f EE a

as

P Ml L4 [* '* AD v ? Pr FE

En

SUO SEN Li wr | PS tet. Te crt D : S i Een Ju ap e at ni Be Xa depo voces

Aiii

DTE Lee e bos TNN

BELA