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Vibrary of the Museum

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OF

COMPARATIVE ZOÖLOGY,

AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.

Pounded by private subscription, In 1861.

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Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. 7389. dv -

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ZEITSCHRIFT

FÜR

ANATOMIE

UND

ENTWICKELUNGSGESCHICHTE.

UNTER MITWIRKUNG VON

Pror. CHR. AEBY m Bers, Pror. AL. ECKER ın FRrEigurg, Pror. JOS. GERLACH IN ERLANGEN, Pror. W. HENKE ın Tüsıngen, Pror. V. HENSEN ın Kıeı, Pror. €. LANGER m Wien, Pror. NATH. LIEBERKÜHN m Margurg, Pror. FR. MERKEL ın Rostock, Pror. HERM. MEYER ı Zürich, Dr. G. RETZIUS ın STOockHoLM, Pror. NICOLAS RÜDINGER ıy München, Pror. G. SCHWALBE ıv Jena, Pror. A. W. VOLKMANN mw Harıe, Pror. HERM. WELCKER mw HaııE

HERAUSGEGEBEN

VON

Dr. WILH. HIS uno Dx. WILH. BRAUNE,

PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG.

ERSTER BAND.

MIT 58 HOLZSCHNITTEN UND 16 TAFELN.

LEIPZIG, VERLAG VON F. C. W. VOGEL.

1876.

UON SOD.E UN EOCIREM AD

Inhalt des ersten Bandes.

Erstes und zweites Heft (ausgegeben am 1. Mai 1875).

Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen, besonders

über diejenige des Salmens. Von Wilhelm His (Tafel I. II) .

Ueber das Hüftgelenk, nebst einigen Bemerkungen über Gelenke über-

haupt, insbesondere über das Schultergelenk. Von Hermann

Welcker in Halle AT Tee

Ueber die Muskeln der Hönschlichen en Von Dr. Hesse, Assistent _ am anatomischen Institut in Leipzig (Tafel III. IV.)

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. Von W. Henke, Pro- fessor in Prag (Tafel V.)

Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Finde des Oberschenkel knochens. Von Dr. L. Rabe, Assistent der chirurgischen Kiinik in Halle (Tafel VL) . RR DE PR

Ueber die Entdeckung des ee Von Wilhelm His

Drittes und viertes Heft

(ausgegeben am 26. November 1875).

Zur Mechanik des Brustkastens.. Von A. W. Volkmann

Beiträge zur Myologie (Conjugatio musculorum. Ueber Mekelnane täten. M. tibialis anticus, M. extensor carpi rad. longus, Mm. interossei manus et pedis. Platysma myoides). Von Hermann Welcker in Halle : AN:

Die Bursae phrenico - hepatica Snlärior und Boserier. Von Dr. A. v. Brunn, Prosector in Göttingen (Tafel VII.)

Seite

107

121 128

205

IV Inhalt des ersten Bandes.

Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. Von Dr. V. Hensen in Kiel (Taf. VIII. IX.)

Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung der parablastischen Zellen. Von Wilhelm His (Tafel XII). :

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. Von Dr. W. orzse (Tafel XIV.)

Besprechungen.

Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver- gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und besprochen von W. His

Fünftes und sechstes Heft (ausgegeben am 10. März 1876):

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. Von Professor G. Schwalbe (Tafel XV. XVI.) i |

Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaniatihens und Meerschweinchens. Fortsetzung. Von Dr. V. Hensen in Kiel (Tafet X— XII.) U Re en uNd. 01100

Der Musculus „sternalis“. Von Dr. Karl Bardeleben, Prosector und Privatdocent in Jena . AR RE A 2

Fernerer Fall eines Musculus ers ton Dr. Fr. Hesse, Prosector in Leipzig

Besprechungen.

1. Topographisch-chirurgische Anatomie des Menschen. Von Dr. Rü- dinger. Stuttgart, 1874. 1875. Cotta. Besprochen von W. Braune

2. Die Entwickelungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer ver- gleichenden Morphologie der Wirbelthiere. Von Dr. Alexander Goette. Mit Atlas. Leipzig, 1875. Voss. Referirt und be- “sprochen von W. His. (Schluss)

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213

274

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353

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459

465

465

Untersuchungen über die Entwickelung von Knochen- tischen besonders über diejenige des Salmens,

Von Wilhelm His.

In einer separat erschienenen Monographie (Untersuchungen über die Eientwickelung bei Knochenfischen. Leipzig F. ©. W. Vogel 1873.) habe ich vor 2 Jahren begonnen, meine Erfahrungen über Knochen- fischeier und deren Entwicklung mitzutheilen. Der vorliegende Auf- satz bildet eine Fortsetzung jener früheren Mittheilung. In ihm werde ich vorzugsweise die numerischen Verhältnisse der Furchung und des Wachsthums besprechen, sowie das erste Auftreten von Nebenkeimzellen. In späteren Aufsätzen gedenke ich eine Reihe weiterer Punkte zur Sprache zu bringen.

Die Grundlage auch von dieser Publication bildet eine sehr grosse Zahl von Contourzeichnungen, die ich nach den Präparaten, je bei bestimmter (meistens bei 40facher) Vergrösserung mit dem Prisma aufgenommen habe. So wichtig die Schnittmethode an und für sich ist, so gewinnt sie in entwickelungsgeschichtlichen Fragen ihren vollen Werth doch erst durch die Herstellung grosser Reihen von Zeichnungen, die unter sich vergleichbar und dem Maasstabe zugänglich sind, und durch die auf solchen Zeichnungen basirenden plastischen Reprodue- tionen. Es ist für die Entwickelungsgeschichte nicht anders, als für andere nach Praecision strebende Naturwissenschaften. Wir alle, die wir die hohe Entwickelung der heutigen Physik und die relativ hohe der Chemie preisen, wissen, dass diese Wissenschaften ihr Aufblühen dem ausgiebigsten Gebrauche verdanken, den sie von Wägung und Messung gemacht haben, und dass sie auf einer dürftigen Stufe wären stehen geblieben, hätten sie sich auf blosse Beschreibungen qualitativer Versuche und Reactionen beschränkt. Wer ferner den

Bewegungen der neueren Physiologie gefolet ist, der hat den Um- Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I]. 1

2 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

schwung kennen gelernt, den die Einführung messender Methoden auch hier zur Folge gehabt hat. Die Entwickelungsgeschichte, die ihrem ganzen Wesen nach eine physiologische Wissenschaft ist, darf ihrerseits die Wege nicht bei Seite lassen, welche sie in die Reihe der exacten zu stellen versprechen. Mögen auch diese Wege fast sämmtlich noch zu bahnen, und mögen die ersten auf ihnen erreich- baren Ergebnisse unvollkommen und bedeutender Verbesserung be- dürftig sein, so ist dies kein Grund, vor ihrer Begehung zurück zu schrecken, denn hier, wie bei allen derartigen Unternehmungen wer- den die Fragen erst unter der Arbeit selbst ihre scharfe Fassung, und die Methoden ihre feinere Ausbildung erreichen.

Die Furchung des Keimes und die Bildung der Keimschichten.

Die Periode von der Befruchtung des Eies ab bis zur Bildung eines geschichteten Keimes bildet einen natürlichen Entwickelungs- abschnitt. Eine zweite Periode beginnt mit dem Auftreten der ersten Formanlagen des Körpers, und endist mit der völligen Umwachsung des Dotters durch den Keim. Diese Periode kommt in ihrer Dauer der ersten gleich, oder ist etwas kürzer, als jene. In ihr vollenden sich die primitive Anlage und Gliederung des Körpers.

Bei verschiedenen Fischspecies varlirt bekanntlich die absolute Entwickelungsdauer in ziemlich breiten Grenzen. Lachs und Forelle gehören zu den am langsamsten sich entwickelnden Knochenfischen. Man wird dies in Verbindung setzen mit der späten Laichperiode dieser Thiere und der voraussichtlich niedrigen Temperatur des Wassers in den Monaten November und Dezember. Die Temperatur hat in der That einen erheblichen Einfluss auf die Entwickelungsgeschwindig- keit der Fischeier. Immerhin genügt sie nicht zur Erklärung der vor- handenen Unterschiede; denn auch bei übereinstimmenden Temperatur- bedingungen erhalten sich bedeutende spezifische Differenzen der Ent- wicklungsgeschwindigkeit. Ich habe Lachseier im geheizten Zimmer bei einer Temperatur von 11—12°C. sich entwickeln lassen. Die Bildung einer flachen Scheibe erfolgte mit dem siebenten Tage, die ersten ge- formten Spuren des Embryo traten mit dem neunten Tage auf, die Eium- wachsung vollendete sich am achtzehnten bis neunzehnten. Bei Hecht- eiern, in Wasser derselben Temperatur gehalten, war die flache, geschichtete Keimscheibe mit 30 —36 Stunden gebildet. Die ersten Spuren des Em- bryo waren gegen Ende des zweiten Tages sichtbar, und die Umwachsung des Dotters vollendete sich mit dem Schlusse des dritten. Ebenso voll-

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 3

zog sich bei Aescheneiern die- Dotterumwachsung mit dem Ende des dritten Tages. !)

Der Keim zieht sich bald nach dem Eintritte des Eies in’s Wasser erheblich zusammen.?) Er ruht Anfangs, wie wir wissen, auf der Rindenschicht so auf, dass seine zugeschärften Ränder sich weit über sie ausbreiten und ohne scharfe Grenzen auf ihr sich verlieren. So- wohl in die Basis des Keimes als in seine Peripherie sind Rinden- bestandtheile, blasse Kugeln sowobl, als Kerne und Körner verschiedener Grösse vorgeschoben, Bestandtheile, die er sich als Nahrungsmaterial einverleibt hat. Durch Einziehung seiner flach ausgebreiteten Ränder und durch gleichzeitige Erhebung über das Niveau der Dotterkugel grenzt er sich scharf ab, und nunmehr zeigt sich an seiner freien Oberfläche eine zarte Verdichtungsschicht, welche an entwässerten Schnitten meist sich zu falten pflegt. Dieselbe Abgrenzung zeigen auch die aus der Furchung hervorgegangenen Segmente. Die Peripherie des Keimes wird im Uebrigen von einer hyalinen Substanz gebildet, die nach Innen mit dem körnigen, in hohem Grade undurchsichtigen Dotter verschmilzt. Von einem Keimbläschen ist keine Spur sichtbar. Nicht nur da, wo derKeim die Rinde berührt, sondern auch an seiner freien Oberfläche ist er mit groben Körnern besetzt, und während der ersten Furchungsstadien erscheinen solche constant in der Peripherie der Furchungssegmente, ein deutlicher Fingerzeig, dass man sich an der Peripherie des Keimes keine undurchgängige Membran gelagert den ken darf.

Während die Contraction des Keimes ihren Höhepunkt erreicht, treten die ersten Furchen auf, von da ab ändert er aber bis zum völligen Ablauf der Furchung noch wiederholt seine Gestalt. Erst wird er wiederum etwas flach, dann zieht er sich neuerdings zusammen, endlich flacht er sich zum dritten Male ab, und während bald darauf die Embryonalanlage auftritt, nimmt er nun stetig an Ausdehnung zu, bis er das Ei vollständig umwachsen hat.

Nach Messungen am lebenden Hechtei, beginnt die Zusammen- ziehung in der zweiten Stunde, sie erreicht ihr Maximum zu Ende der dritten (im Stadium der 4. bis 8. Theilung) dann folgt die Wieder-

1) Beim Hering dauerte die Eiumwachsung nach den Angaben der Commission für wissenschaftl. Untersuchungen deutscher Meere sogar nur zwei Tage. (Cor- respondenzblatt des deutschen Fischereivereins 1874 pg. 267.)

2) LEREBOULLET hat schon gezeigt, dass auch der Keim unbefruchteter Eier beim Eintritte in’s Wasser sich contrahirt (Recherches d’embryologie eomparee. Embryologie du Brochet etc. in den Mem. des Savants dtrangers XVII pg. 478). Ich kann die Wahrnehmung bestätigen.

1 *

4 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

ausdehnung bis zur 17. Stunde, von da ab die zweite kurz dauernde Zusammenziehung bis zur 24. und nun wird das Flächenwachsthum stetig bis zur Umhüllung der Dotterkugel am Schluss des 3. Tages. !)

Am Lachsei erstreckt sich die erste Contractionsperiode über den ersten Tag, am 2. und 3. folgt Wiederausdehnung, am 4. neue Zusammen- ziehung und auf diese folgt das stetige Wachsthum nach der Fläche. 2)

1) Obige Angaben sind einer Messungsreihe vom 15. April 1871 entnommen, welche im einzelnen folgendes ergab:

unbefruchteter Keim 2.1mm 11 Stunden p.f. 1.7 mm

1 Stunden p.f. 2.1 12305 # 1.08 SER R 1.9 ee: 2 2.05 Hierbei BE 5 > 1.15 Don: = 2.05 ist immer BB AN 1.4 Da na 51/g » » 1.4 25 DI) » 2.1 Bogens 8 Ei 1.5 27 > es 2.15 gemessen. I x 1.55 SODHEN 5 2.15 er SAuRE u 2.45

Eine zweite etwas unvollständigere Reihe habe ich aus einigen älteren nach den lebenden Eiern aufgenommenen Prismazeichnungen bestimmt. In Betreff der beigefügten Diekenwerthe muss ich bemerken, dass diese ohne Benutzung von Schnitten nur unsicher feststellbar sind.

Kurz nach der Befruchtung. Dm. des Keimes. Annähernde Dicke derselben.

1.75 0,5

Stadium der 2 Theilung 1.55 0.6 4 183 0.65

nach 4 Stunden 1.5 0.7

Be une, 1.55 er

»» 28.0, 1.35 = Rare 1.85

1) Meine auf den Lachskeim bezüglichen Messungen sind an Eiern gewonnen, die in 30/0 Chroms. erhärtet und dann in verdünntem Alkohol aufbewahrt waren. Die nachfolgende kleine Tabelle enthält die Mittelwerthe aus je mehreren Messungen. Bei den Colonnen & 1 und I sind die Werthe an feuchten, in Chroms. gehärteten, in Alkohol aufbewahrten, bei der Colonne G 2 an entwässerten Präparaten be- stimmt. Hervorzuheben ist der Umstand, dass Lachs- und Hechtkeime trotz der ungleichen Eigrösse in denselben Dimensionsgrenzen sich bewegen. Sowohl bei der Reihe G als bei I erschienen die ersten Spuren des Embryo am 8. Tage,

61 | | G.2 | IL, Durchmesser. | Durchmesser. Dicke. | Durchmesser.

Kurz n. d. Befr. 1.65 91 0.15 e er 1 1.0 0.46 a RR 1:5 | DT 0.47 1.45 Ar 1.42 1.40 0.5 351) De: 1.32 110 0.74 1.05 (DE 1.32 1.48 0.45 119) Ts 22 “| 2.05 0.27 2.2

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens,. 5

Das Volum der Keimscheibe nimmt bis zum Auftreten der Keim- schichten stetig zu. Um über das Volumswachsthum der Keimscheibe Anhaltspunkte zu gewinnen, habe ich für eine Anzahl von Präparaten Näherungswerthe bestimmt, indem ich der Contour eines Meridional- schnittes diejenige der von ihr am wenigsten abweichenden regelmäs- sigen Figur (Ellipse oder Rechteck mit angefügten Dreiecken) sub- stituirte, und den Inhalt des Körpers berechnete, welcher durch deren Umdrehung um die kurze Axe entsteht.

Die nachfolgende Tabelle giebt die erhaltenen Werthe sowie die Flächeninhalte der Schnitte:

: = 5 mn. R- = 3 SS ZS3#E2 | S»eE 3% Sr dee =38n eäZ 2er hai GA TENo:

Zhster Tas... 9% 3577 | 496 0.310 0.254 3628 | 492 0.307 0.198

Beginn des 2. Tages | 3582 552 0.345 0.309 0.252 3623 544 0.340 0.242 3580 668 ı 0.417 .| .0.327 5621 440 | 0.275 0.183

Beginn des 3. Tages 3587 776 0.485 0.398 3588 736 0.460 0.377 0.382 3532 704 0.440 0.371

Beginn des 4. Tages | 3591 940 0.587 0.443

3393 »- : 952 0.595 0.486 Beginn des 5. Tages | 3600 1160 0.725 0.565

Beginn des 6. Tages 3544 356 | 0.535 | 0.528 0.523 3544 832 | 0520 | 0.475 Beginn des 7. Tages | 3547 596 | 0.372 | 0507

mn mn tt mn m nn oO HM [op) rg

3643 504 0.315. | 0.597

Es ist nicht wohl zulässig, mittelst derselben Methode weiter zu gehen, als bis zum Beginn der Wiederausdehnung der Keimscheibe; denn von der Zeit ab, wo der Durchmesser der letzteren 2 mm über- schreitet, darf sie nicht mehr als Rotationskörper angesehen werden. Als Vorbereitung zum Auftreten der Embryonalanlage zeigt sie nun eine bilaterale Gruppirung der Masse.

6 Hıs,. Untersuchungen über die Entwickelung

Ich besitze indess eine weitere Bestimmung die nach einer völlig verschiedenen, allerdings auch mit nicht zu unterschätzenden Fehler- quellen behafteten Methode gewonnen is. Von einer Keimscheibe, an welcher das Gehirn des Embryo als breite ofiene Rinne angelegt ist, und deren grösster Durchmesser 3,2"m beträgt, habe ich unter möglichst genauer Innehaltung sämmtlicher Maasse ein 40 mal ver- grössertes Wachsmodell gemacht. Dasselbe besitzt ein Volum von 50 Cub.®, woraus sich das Volum der unvergrösserten Keimscheibe auf 0,781 Cub.mm berechnet, eine Zahl, die wie man sieht den in der Ta- belle enthaltenen sich gut anschliesst.

Die Volumsänderungen der Keimscheibe während der verschiedenen Phasen der Furchung dürfen nicht ohne Weiteres als Ausdruck der Massenänderung angesehen werden. Zwischen den Furchungssegmenten bilden sich nämlich Lücken von wechselnder Ausdehnung, durch welche der Keim ein schwammiges Gefüge erhält. Bei der Schlussabplattung werden diese Lücken theilweise verschlossen, theils verschmelzen sie zu einem unter dem Keim befindlichen zusammenhängenden Raum, der sog. Keimhöhle. Fasst man die Anfangs- und die Endwerthe obiger Tabelle ins Auge, so ergiebt sich daraus für die Furchungs- periode ein Zunehmen .der getrennten Keimmasse auf annähernd das Doppelte.

Ueber die Reihenfolge der Furchenbildung habe ich nur Be- kanntes zu wiederholen, auf die erste Furche folgt die sie rechtwinkelig schneidende zweite, dann eine, mit dieser parallele, dritte und vierte. Es ist im Stadium der 8. Theilung die Scheidung noch eine entschieden bilaterale, wie denn auch der Keim zu der Zeit nicht kreisrund, sondern in der Richtung der Hauptfurche verlängert ist.!) Indem die Furchung weiter schreitet, verliert sich die Spur bilateraler Scheidung, die Scheibe wird wieder kreisrund und die oberflächlich sichtbaren Furchungssegmente schieben sich mit gebrochenen Grenz- linien zwischen einander ein.

Die zuerst auftretenden Furchen erstrecken sich als enge Spalten von der Oberfläche in das Innere, dann weiten sie sich, wie die Schnitte erhärteter Präparate zeigen, zu geräumigen Buchten aus. Durch das Zusammenfliessen mehrerer Buchten entsteht während des Stadiums der Achttheilung vorübergehend eine grössere, der Barr’schen Furchungs- höhle des Batrachiereies vergleichbare Höhlung. Allein auch diese erhält sich nicht als einfacher Raum, sondern nach Kurzem findet

1) Sehr gut hat dies Stadium DareEste im Cosre’schen Atlas von Stichling gezeichnet.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens, 7

man den Keim durchzogen von einem Systeme zusammenhängender Lücken, das zwischen seinen Furchungssegmenten sich ausbreitet.

In den oberflächlichen Furchen des Keimes findet man stets ein- zelne Rindenbestandtheile, Kerne, Körner und blasse Kugeln.!) Letztere sind vereinzelt auch in verschie- denen Tiefen des Keimes zu finden.

Die Furchung nimmt in der obern Hälfte des Keimes ihren An- fang und während letztere bereits in 8 bis 12 Segmente zerklüftet ist, ist die untere Hälfte noch unge- furcht. Auch dieser Gegensatz ver- wischt sich bald, und es lassen sich beim Lachs schon vom 3. Tage ab keine constanten Grössenunter- schiede zwischen den Zellen der Basis und denjenigen der Decke nachwei- sen. Von dieser Zeit ab ist es mög- lich mikrometrische Messungen zu

> je

£: Seas

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Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt eines Lachs-

keimes im Beginn der Furchung mit buchtiger

Erweiterung der Spalten. 40mal vergrösserte Prismazeichnung.

Fig. 2. _ Senkrechter Durchschnitt eines Lachs-

keimes etwa vom Beginn des 2. Tages p.foec.

Zwischen der obern segmentirten und der untern

nicht segmentirten Hälfte ist die Andeutung einer

Furchungshöhle (die Höhle ist im Holzschnitte

übertrieben gross ausgefallen) 40 mal vergrös- serte Prismazeichnung.

benutzen, um in die numerischen

Verhältnisse der Furchung einige Einsicht zu gewinnen.

Die Durchmesser der Furchungssegmente des Lachseies bestimmte ich an einer meiner Präparatenreihen (G) vom 3. bis zum

6. Tage. Sie betrugen:

im Beginn des 3. Tages 60—80 u. (Extrem. 55— 100)

Wir setzen die resp. Mittel zu

wozu die Beobachtung berechtigt,

„40-50 „30-36 „2228

70, 45, 33 und 25 und berechnen, die Elemente als Kugeln. Das

Volum eines Elementes beträgt alsdann: im Beginn des 3. Tages 179592 Cub.u

„4. d.

7

U BB, 83193

!) Was an den entwässerten Schnitten als blasse Kugel erscheint, gehört wohl durchweg in die Categorie der farbigen Tropfen des frischen Eies.

8 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Laut der oben mitgetheilten Bestimmung lässt sich beim Beginn der Entwickelung das Volum der Keimmasse rund zu

0.25 Cub.m= oder zu 250 Mill. Cub.u.

ansetzen. ‘° Unter der Voraussetzung, dass die Masse bis zum 6. Tage nicht zunimmt, berechnet sich die Zahl der Furchungselemente

im Beginn des 3. Tages zu 1392 5 e A ee 20282 n e oe u...282068 si a ».10. 805

d.h. der absolute Zuwachs wächst von Tag zu Tag und er beträgt:

vom 3. zum 4. Tag 3840 ot. 8036 ED OA

Dagegen beträgt der Vermehrungscoefficient:

vom 3. zum 4. Tag 3.75 du ea, 02299 ee)

Noch grösser als zwischen dem 3. und 4. Tag muss der Coefficient sein zwischen dem 2. und dem 3. Wir finden im Beginn des 2. Tages noch Anfangsstufen der Furchung, die 6—8 Theilung. Legen wir die 8 Theilung zu Grunde, so erhalten wir als Coeffieienten:

vom 2. bis zum 3. Tag 178 1. er) 2. 8

Bei obiger Berechnung ist das Wachsthum des Keims vernach- lässigt; ich lasse eine Berechnung folgen, bei welcher angenommen ist, die Masse des Keimes habe vom 2. bis 6. Tage um 100°/, und zwar jeden Tag um 25°, zugenommen. Alsdann beträgt ihr Volum

am Beginn des 3. Tages 312.5 Mill. Cub.yu

ch} 4. ch} 315 Rh} &h} 5. 437.5 97 &R} eb) eh} 6. &R} 500 ”„

Die Zahl der Elemente:

am Beginn des 3. Tages 1740 5 4. 1848 De, 2520 6.2 0.22, 6.1090

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 9

der Zuwachs: vom 3. zum 4. Tag 6108

Werden Du Sue. 16971 RE OP a Snake, ar Le) ui!

und die Vermehrungscoefficienten:

vom 2. zum 3. Tag 217.5 er BE Ar, 4.51 a 2.95 ee 2.63.

Es geht daraus hervor, dass der Zerklüftungsprozess in seiner Intensität erst steigt, nach Kurzem sein Maximum erreicht, und dann rasch wieder abfällt. Allein die Zahlen zeigen ausserdem wie langsam überhaupt die Zellenspaltung vor sich geht. Vom 5. bis zum 6. Tage theilt sich eine Zelle in etwa 18 Stunden einmal, zwischen 4. und 5. Tage braucht sie dazu 16, zwischen 3. und 4. gegen 12 Stunden und selbst am 2. Tage, wo der Prozess am lebhaftesten vor sich geht, sind im Mittel noch etwa 3 Stunden nöthig zur Verdoppelung eines Furchungselementes. })

Für die Kerne der Furchungssegmente ergab die Messung der beiden Axen:

1) Dies ergiebt sich aus folgender Betrachtung: sind zur Verdoppelung eines Elementes im Mittel 3 Stunden nöthig, so beträgt die Zahl der aus einem ent- standenen Elemente nach

3 Stunden 2 6 ns 4 9 2 8 12 = 16 15 er 32 18 55 64 21 128 24 > 256

Nach derselben Berechnungsweise ergiebt sich, dass auch bei Annahme eines viel grösseren Vermehrungscoeffieienten die zur Verdoppelung nöthige Zeit sich immer noch nach Stunden bemisst. Nehmen wir z. B. an, die Furchung habe beim Beginn des 2. Tages noch nicht begonnen, so wäre der Vermehrungs- coefieient = 1740 und die zur Verdoppelung eines Elementes nöthige Zeit be- trüge gegen 21/;s Stunde. Natürlicherweise bleibt sich der Coefficient, der vom zweiten Tag zum dritten so bedeutend seinen Werth ändert, auch im Verlauf des 2. Tages nicht durchweg constant. Nach alledem wird es verständlich, weshalb wir nur in den Anfängen der Furchung im Stande sind, den Theilungs- prozess direct zu beobachten, während dies später, trotz anscheinend günstiger Verhältnisse nicht gelingt.

10 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

im Beginn des 3. Tages 24 auf 20 Cub. u

”’ DR) ı 4. 22 18 2. rk} D. 14 PR) 12 rR} ER] 2 6. 11 10 DR

berechnen wir die Kerne als Rotationsellipsoide so beträgt das Volumen je eines Kernes:

im Beginn des 3. Tages 5032 Cub. u 5 5 EEE » R 20: 00T,

Br DO a

In Volumprozenten des ganzen Furchungselementes ausgedrückt, er- giebt, dies im Beginn des 3. Tages 2.80 °/,

ı er] 2 4. ri) 1.52 br} 29 &b} 5. 5.62 er] br) 6. eh} 7.04

Eine starke Aenderung des Verhältnisses zwischen den Furchungs- elementen und ihren Kernen tritt somit vom 3. zum 4. Tage ein, von da ab aber bleibt sich das Verhältniss ziemlich constant bis zum 6. Tage. Die Unterschiede von 7.82, 5.62 und 7.04 sind der Art, dass auf sie kein Gewicht gelegt werden kann, denn sie fallen unzweifel- haft in den Bereich der Fehlergrenzen. Am erheblichsten ist die relative Zunahme der Kernmasse vom 2. zum 3. Tage. An einem Furchungssegment von 200 u Länge und 120 u Höhe finde ich z. B. einen Kern von nur 22 auf 20 u. Das Volum des letzteren beträgt also weniger als !/,, °/, vom Volum des Furchungssegmentes.

Nehmen wir an, jedes Furchungssegment enthalte einen Kern, so bestimmt sich unter Benutzung der für den wachsenden Keim erhal- tenen Zahlen das Gesammtvolum aller Kerne des Keimes:

im Beginn des 3. Tages 8.75 Mill. Cub.y

2 ER 4. br] 29.3 DR) 9 D. br) 24.5 6. 39.2 e2)

Letztere Tabelle ist mit Fehlern höherer Ordnung behaftet, als die bisher mitgetheilten, da sie aus Multiplication von je zwei be- rechneten Werthen hervorgegangen ist, überdies nimmt sie keine Rück- sicht auf das Vorkommen zweikerniger Furchungselemente. Immerhin darf man doch auch aus ihr als sicheres Ergebniss entnehmen, dass auf die bedeutende Vermehrung der Kernmasse zwischen dem 3. und

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. »r

4. Tage in den nächstfolgenden Zeiten eine Verzögerung in deren Zu- nahme eintritt.

Anlässlich der raschen Zunahme der Kernsubstanz in den ersten 3 Tagen erhebt sich chemischer Seits die Frage, woher das Material hierzu stammt. Nachdem durch die MiescHuer’schen Arbeiten der grosse Phosphorgehalt der Kerne festgestellt ist, handelt es sich darum bei einem stattfindenden Kernwachsthum die Quellen phosphorreicher Nahrung aufzudecken. Es liegt nahe, hierbei an die Dotterkörner zu denken, welche noch vor Beginn der Furchung, und während der ersten Stadien derselben in den Keim eintreten. Sollte ihnen wirklich die Bedeutung zukommen, spezielles Nahrungsmaterial für wachsende Kerne zu sein, so würde der in der Umgebung des Keimes so reichlich vor sich gehende Zerfall der Rindenkerne eine besondere Bedeutung be- sitzen, für die Möglichkeit der Zellenvermehrung im Keime selbst.

Die ersten Furchungssegmente stimmen in ihren Eigenschaften mit dem ungetheilten Keim überein. Wie dieser bestehen sie der Hauptsache nach aus einer höchst undurchsichtigen von kleinen Kör- nern reichlich durchsetzten Masse. Dieselbe wird umgeben von einem ziemlich stark lichtbrechenden durchsichtigen Substanzhofe. Wird die Oberfläche verletzt, so breitet sich noch während der ersten 2 Tage nach der Befruchtung das Protoplasma in verzweigten Strömen aus, wie dies für den unbefruchteten Keim schon beschrieben worden ist. Vom 2. Tage ab wird es möglich, in den Segmenten bis zu }/, ”” Dm. hinauf einen Kern wahrzunehmen und nun erkennt man ihn ohne Schwierigkeiten durch alle ferneren Stadien hindurch. In den fol- genden Tagen stellen sich die Keimzellen als glänzender Körper dar, deren Peripherie hyalin ist, während die körnige Masse sich um den Kern herum lagert.

In der Zeit vom 3. und 4. Tage besitzen die Keimzellen, wie dies neuerdings auch WEIL!) besprochen hat, ein ausgezeichnetes Bewegungsvermögen, und da sie ziemlich gross sind, und es zu ihrer Beobachtung keiner Heiz- oder sonstigen Vorrichtungen bedarf, so bilden sie eines der vorzüglichsten Objecte zum Studium von Zellen- bewegungen. Zeitweise ruht ein solcher Körper während einiger Zeit, dann treibt der hyaline Saum an einer oder mehreren Stellen buck- lige, stets. von gerundeten Contouren umgebene, Vorsprünge. Diese bleiben erst hyalin, dann strömen mit einem Ruck Körner in sie ein, die gesammte Körnermasse geräth in Bewegung, nun stellt sich wie- der Ruhe ein, und das Spiel beginnt nach einiger Zeit aufs neue.

1) Weir, Sitzungsber. der k. Ak. zu Wien III. Abth. 1872 Aprilheft.

>12 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Wie schon oben erwähnt wurde, bilden die Keimzellen ein Ge- rüst mit zwischenliegenden Maschen, man findet sie an Präparaten, - die durch Anstechen des lebenden Eies erhalten sind, meist noch in Ketten beisammen liegen. Im allgemeinen ist das Gerinsel im un- teren Theile des Keimes lockerer als im oberen. An der freien Ober- fläche sind während des 3. Tages noch einzelne Lücken zwischen den Furchungselementen sichtbar, theils dreieckige, da wo 3 Zellen zu- sammenstossen, theils polygonale, da wo es deren mehrere sind). Bis zum 5. Tage sind die oberflächlichen Lücken ganz geschwunden oder auf schmale Spalten redueirt. Die Oberfläche ist ohne Unter- brechung bepflastert, und die ihr zugekehrten Zellen bilden eine im Vergleich zum übrigen Keime dichte Rinde, die sich mit ihrem Rande eine Strecke weit an die dem Dotter aufruhende Basilarlläche fort- setzt. Innerhalb dieses umgeschlagenen Randes nehmen vom 4. Tage ab die an der Basis des Keimes befindlichen Lücken an Ausdehnung zu. Durch ihre Verbindung entsteht ein grösserer spaltförmiger Raum, welcher von einzeln stehenden, wie Füsschen dem Keime unterge- schobenen Zellenhaufen durchsetzt wird. Von dem letzteren und von seinem ringförmigen Rande wird der Keim getragen, der unter ihm befindliche Raum ist die Keimhöhle der Autoren. Seine Anfänge erkennt man zu der Zeit, da der Keim seine zweite Contractionsphase durchmacht, d. h. noch ehe eine Scheidung von Schichten in letzterem erkennbar ist.

In den nun folgenden Perioden der Wiederausdehnung ändert sich das Bild und es treten Jie Vorgänge ein, die schliesslich zur Bildung getrennter Keimschichten führen.

Wie die früher mitgetheilten Daten zeigen, erfolgt die Ausdeh- nung der Keimscheibe sehr rasch. Beim Hecht wächst deren Durch- messer im Laufe einiger Stunden, beim Lachs im Laufe eines Tages auf das anderthalbfache und darüber; da überdies die Keimscheibe, während sie sich ausdehnt, dünner wird, so kann die Ausdehnung nicht als Folge einfachen Appositionswachsthums verstanden werden. Eher kann man annehmen, dass die Ausdehnung und gleichzeitige centrale Verdünnung der Scheibe in: Folge rasch eingetretener Zellen- wanderungen entstanden sei. Es ist dies ein Gedanke, den schon C. Vogt als naheliegend andeutet?), wogegen neuerdings GOETTE

l) Am besten constatirt man das an Flachschnitten oder an ganzen, von der * Fläche gesehenen Keimen.

2) C. VogT, Embryologie des Salmones Neuchätel 1843. p. 38 u. p. 42.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 13

eine Zellenverschiebung als Folge der Theilungsvorgänge ins Spiel treten lässt!). Die Zellen des Keimes sind zu Strängen und theil- weise zu eigentlichen Platten verbunden, ein Verhältniss, das zwar Contractionen einzelner Parthien oder des ganzen Keimes erlaubt, das jedoch eine eigentliche Zellenauswanderung ausschliesst.

Ehe wir nach andern Erklärungen uns umsehen, constatiren wir die Einzelnheiten der Beobachtung:

Im Beginn des 6. Tages?) hat der Lachskeim die Gestalt eines leichtgewölbten Kuchens von 1.4—1.5””m Durchmesser und 0.4— 0.45=® Dicke. Die Mitte desselben ist am dicksten, der Rand gleichmässig gerundet, die Zellen messen 22—28 u. Die an der Oberfläche liegenden sind etwas kleiner, und bilden eine dichtgefügte Schicht, deren freie Fläche glatt, deren innere mittelst zackiger Fortsätze der Unterlage eingefugt ist. GöTTE nennt diese Schicht Deckschicht, ein Name, den ich beibehalte. Sie überschreitet den Aequator des Keimes und endigt an dessen Unterfläche mit freiem Rande in der Umgebung der die Anfänge der Keimhöhle darstellenden Lückenräume. Eine kleine Strecke weit berührt somit die Deckschicht die Dotterrinde In dem Taf. II. Fig. 1 dargestellten Schnitte misst die Deckschicht von dem einen Endpunkte zum andern 2.2” bei einem Durchmesser des Keimes von 1.48",

Andere Schichten als die Deckschicht sind noch nicht gesondert, gleichwohl ist es der folgenden Darstellung halber zweckmässig, am Keime schon jetzt zwischen der Masse zu unterscheiden, welche un- mittelbar an die Deckschicht anstösst und derjenigen, welche in der Tiefe liegt. Ich bezeichne erstere als Gewölbtheil, letztere als Füllungsmasse; der Gewölbtheil ist von dichterem Gefüge als die Füllungsmasse, letztere bildet zur Zeit die Decke der Keimhöhle und stützt sich noch mit zahlreichen Füssen auf den Boden derselben.

Im Beginn des 7. Tages ist der Keim bereits zur flachen Scheibe umgewandelt und er lässt bei den Flächenansichten den Gegensatz einer durchsichtigen Mittel- und einer breiten, dunkleren Randzone erken- nen. Schnitte, die den Keim halbiren, zeigen, dass der Mitteltheil dünn,

1). GörTE, Beiträge zur Entwickelungsgesch. der Wirbelthiere. M. ScHUuLTzr’s Archiv. Bd. IX, p. 688 u. f..

2) Die Zeitbestimmungen obiger Darstellung beziehen sich auf dieselbe Reihe G, welche schon oben meinen Maassbestimmungen zu Grunde gelest war. Die Entwickelung geschah bei einer Wassertemperatur von 11—120 im geheizten Zimmer. Eier, die im Freien belassen werden, entwickeln sich erheblich lang- samer.

14 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

der Rand dagegen verdickt ist. Ersteren bezeichnen wir jetzt als Mit- telscheibe, letztere mit der schon von C. E. v. Baer eingeführten Bezeichnung als Randwulst. Die Keimhöhle erstreckt sich als zu- sammenhängende flache Spalte unter der gesammten Mittelscheibe -durch, und wird an der Peripherie von dem auf der Dotterrinde ruhenden Randwulste des Keimes umgrenzt.

Die Deckschicht ist nur noch an der oberen Fläche des Keimes vorhanden, sie endigt frei an dessen Rand, ja sie kann den Rand etwas überragen.

In dem Taf. II. Fig. 2 abgebildeten Schnitte beträgt die Aus- . dehnung der Deckschicht von einem Endpunkte zum andern 2.25 "m also nahezu gleich viel wie bei Fig. 1, während der Durchmesser des Keimes auf 2.16 =», d.h. beinahe um die Hälfte gewachsen ist.

Im Bereich des Randwulstes ist die Schichtung angelegt, obwohl noch unvollkommen durchgeführt. Eine unebene Spalte trennt eine tiefere, der Dotterrinde anliegende Schicht von der oberen, mit der Deckschicht verbundenen. Ohne scharfe Grenze schliesst sich die untere Fläche des Randwulstes derjenigen der Mittelscheibe an. Beide sind gegen die Keimhöhle hin noch rauh.

Am 8. Tage ist die Mittelscheibe stark verdünnt (von 50y aut 25), der Randwulst scharf geschieden in zwei übereinanderliegende Schichten, in deren unterer die Zellen vorwiegend horizontal, in deren oberer sie vertikal gestreckt sind. Die Spalte, welche die beiden Schichten trennt, ist oben schärfer und glatter begrenzt als unten, und sie erstreckt sich bis in die Nähe des äusseren Saumes; hier hört sie auf, und die beiden Schichten hängen unmittelbar unter einander zusammen. Der innere Saum der unteren Keimschicht!) verjüngt sich, und stellenweise verfolgt man seine Fortsetzung bis zur Unter- fläche der Mittelscheibe.e Ein zusammenhängendes Blatt als Fort- setzung der unteren Schicht des Randwulstes ist nicht nachzuweisen.

Bei Beurtheilung des Mechanismus der Keimscheibenumwandlung ist vor Allem das Verhalten der Deckschicht zu beachten. Nach- dem dieselbe im gewölbten Keim gegen die Basis eingebogen war, endigt sie im abgeplatteten Keime frei am Rande der oberen Fläche, d.h. sie hat sich mit sammt der anhaftenden Zeilenmasse aufgebogen.

1) GörTTE hat den Ausdruck Keimschicht für die noch unvollständig geschie- denen Blätter vorgeschlagen. Der Ausdruck erscheint mir passend, denn er kann manche weitschweifigen Auseinandersetzungen und Missverständnisse ver- meiden helfen.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 15

Der Saum, der zuvor der Keimhöhle zugekehrt war, sieht jetzt nach aussen, und dass sie dabei an Ausdehnung kaum merklich gewonnen hat, geht aus den oben mitgetheilten Zahlen hervor.

Bei Ausführung jener Bewegung müssen zwei Widerstände über- wunden worden sein; von welchen der eine in tangentialer, der an- dere in radialer Richtung sich geltend machte. Der in tangentialer Riehtung wirksame Widerstand war dadurch bedingt, dass mit Auf- riehtung des subäquatorialen Substanzringes dessen Durchmesser zu- nahm; die Persistenz der Spannung ist am kürzlich abgeflachten Keime daran ersichtlich, dass die Randzellen der Deckschicht eirculär an- geordnet sind, und dass sich überdies der äusserste Rand etwas nach aufwärts biegt).

In radiärer Richtung musste bei der Umstülpung des Gewölb- saumes der Widerstand überwunden werden, welcher aus dessen Zu- sammenhang mit der Füllungsmasse und aus der Cohäsion der letzteren resultirt. Diese Ueberwindung geschieht, laut der Beobachtung da- durch, dass die Füllungsmasse zerreist. Letztere hört auf, einen zu- sammenhängenden Klumpen zu bilden, rückt an die Peripherie des Keimes und bildet nun die untere Schicht des Randwulstes.

Mit Rücksicht auf die früheren Verhältnisse haben wir somit folgende Umlagerung: 1) die verdünnte Mittelscheibe entspricht der Kuppel des ursprün- lichen Gewölbes;

2) die obere Schicht des Randwulstes geht hervor aus der äqua- torialen und subäquatorialen Zone des Gewölbtheiles;

3) die untere Schicht des Randwulstes ist die zur Seite gezogene Füllungsmasse. Kleinere Reste der letzteren erhalten sich noch in Zellen, die theils an der Decke, theils am Boden der Keimhöhle vorhanden sind.

Grösse und Richtung der Verschiebung finden theilweise in der Anordnung der Zellen der unteren Keimschicht einen Ausdruck. Un- tere und obere Schicht des Randwulstes stehn, dem Obigen zu Folge, unter ungleichen mechanischen Bedingungen, auf die untere wirkt ein radıär gerichteter Zug, der sie, um einen kurzen Ausdruck zu brauchen, unter der obern Keimschicht wegzieht. Folgen dieser Ver-

1) Ueber dies Hervorragen der Deckschicht vergl. man GöTtE, 1. e. p. 694 und seine Abbildungen Fig. 6 u. 7, sowie die Abbildungen OrLLacHer’s Taf. I, Fig. 4—6,

16 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

schiebung sind: die Spalte, welche das untere Blatt vom oberen trennt, die zunehmende Verdünnung und die Lockerung des zwischen der unteren Randwulstschicht und der Unterfläche der Mittelscheibe bestehenden Verbindung.

Es ist nun aber der Grund zu suchen für die Aufrichtung und Umklappung des Gewölbsaumes. Man darf allenfalls vermuthen, dass die Ursache dieser Veränderungen in der Deckschicht zu suchen sei. Denken wir uns nämlich die eingerollte Deckschicht strebe vermöge ihrer Elasticität darnach, sich aufzurollen und flach auszubreiten, so übt sie auf die unterliegende Masse einen Zug aus, vergleichbar dem- jenigen, den eine zusammengebogene und durch ein Band gehaltene Uhrfeder auf dieses ausübt. Würde im letzteren Falle die absolute Festigkeit des Bandes geringer werden, als die Spannung der Feder, so würde das Band zerreissen, und seine beiden Enden würden von den auseinanderweichenden Enden der Feder auseinander gezogen.

Gegen eine ausgiebige Wirkung der Art Seitens der Deckschicht lässt sich nun aber für’s erste ihre geringe Mächtigkeit einwenden, und ausserdem kann man die Erwägung machen, dass die auffedernde Schicht die Verbindung mit ihrer nächsten Unterlage lockern und sich isolirt umrollen müsste, bevor sie den gesammten übrigen Keim umzugestalten vermöchte.

Die Abflachung des Keimes mit ihren begleitenden Erscheinungen lässt sich vielleicht noch auf eine andere Weise verstehen: Ein Ge- wölbe flacht sich ab, wenn seine Widerlager auseinander weichen. In unserem Falle würden die äquatorialen und subäquatorialen Zellen- zonen als diejenigen zu betrachten sein, welche die Stelle des Wider- lagers vertreten. Führt nun die Substanzzunahme in deren Bereich zu einer Ausweitung des Ringes, so kann daraus die besprochene Um- änderung in der Construction des Gesammtgebildes hervorgehen. Liegt die Zone grössten Wachsthums an der Peripherie der Scheibe, so wird ferner nicht allein diese an Umfang rasch zunehmen, sondern es muss auch der, von dem mehr und mehr sich erweiternden Rand- wulste ausgehende Zug auf die Mittelscheibe dehnend wirken, diese wird entsprechend der Zunahme ihres Umfanges sich verdünnen.

In Betreff der ungleichen Mächtigkeit des Randwulstes habe ich den bekannten Angaben früherer Autoren nichts beizufügen.

Bildung des Embryo.

Im beistehenden Holzschnitte sind bei 20facher Vergrösserung 4 Figuren zusammengestellt, welche die Gestalt und Gliederung der Embryonalanlage für 4 auf einanderfolgende Stufen darstellen. - Fig. 1,

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 127

1, 3 und 4 stammen von derselben Beobachtungsreihe (A) des Lachs- eies und sind vom 12., 14. und 15. Tage. Fig. 2 habe ich, wegen einer Lücke in meiner Lachsreihe, aus einer Forellenreihe entlehnt. Fig. 1—83 sind nach feuchten Präparaten in auffallendem, Fig. 4 nach einem- eingekitteten im durchfallenden Lichte gezeichnet. Bei Fig. 3 ist, der Modellirung entsprechend, das Gehirn nach- träglich eingezeichnet. Fig. 5 endlich stellt den Embryo von 3 im Profil dar; die über der Bogenlinie liegende Contour ist direet mit dem Prisma gezeichnet, das Uebrige nach Durchschnittsbildern herein construirt.

Fig. 1—3.

Vh. Vorderhirn. Mh. Mittelhirn. Hh. Hinterhirn. R. Rautengrube. Nh. Nachhirn. Ag. Augenblase. Gh. Gehörgrube. Uw. Urwirbel. Fl. Flossenanlage. Rw. Randwulst. Rk. Randknospe. Ch. Chordalis dorsalis.

Die erste Spur des sich abgliedernden Embryo erscheint in der hintern Hälfte der Keimscheibe zur Zeit, da diese einen Durchmesser von ca. 3%® erreicht hat. Es ist eine kleeblattförmige, vom Rand-

1) Bilder bei auffallendem Lichte gezeichnet theilt bekanntlich auch OEr- LACHER mit. Von den meinigen differiren sie in erheblichem Maasse. Ob Schrumpfung in Folge zu starker Chromsäure, ob Vertroeknung seine Präparate verunstaltet haben, oder ob er sie bei ungenügender Beleuchtung gezeichnet

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 2

18 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

wulst nach vorn sich erstreckende Platte, welche eine breite, in 3 Buchten auslaufende Grube umschliesst. Die Grube, (die Medullar- ogrube), wird durch eine tiefe mediane Rinne in zwei. Seitenhälften geschieden, sie ist an ihrem vordern Ende am tiefsten, nach rückwärts flacht sie sich ab, und sie hat schon in einer Entfernung von 0.6" vom vordern Embryonalrand gemessen, ihre scharfen Seitengrenzen verlo- ren. Eine zweite seichte und quer gelagerte Vertiefung liegt etwas weiter hinten, 0.8""% vom vordern Rand entfernt. Das hintere Dritttheil der Embryonalplatte ist dem Randwulste eingefügt, und ihrer axialen Verlängerung entsprechend, ist der Saum des letzteren leicht über den übrigen Umkreis vorgetrieben.

3 Tage später erkennen wir eine bereits weit gediehene Gliederung des Embryonalleibes. Das Gehirn besteht, wie Fig4 zeigt, aus Vorder- hirn, Mittelhirn, Hinter- und Nachhirn. Das Vorderhirn ist klein. Auf der Grenze zwischen ihm und dem langgestreckten Mittelhirne gehen die Verbindungsstiele der Augenblasen ab; letztere legen sich dem Mittelhirn flach an. Eine tiefe Querspalte, die Queraxe der Rauten- orube, bezeichnet die Grenze zwischen dem schmalen Hinterhirn und dem langgezogenen Nachhirn, neben letzterem sind die Gehörgruben als noch offene Einbuchtungen wahrnehmbar; in einiger Entfernung von ihnen zeigen sich die vordersten Urwirbel, deren jederseits über 20 sich zählen lassen. £

Da die 4 Figuren bei der gleichen Vergrösserung gezeichnet und ihr vorderes Ende in eine Linie gelegt ist, ist es leicht, dieselben auf einander zu beziehen.

Bei Fig. 1 beträgt die grösste Breite 1.75”, die geringste noch 0.92 m, Bei Fig. 4 die grösste, in der Augengegend gemessenen Breite 0.5 "®, die Breite in der Rautengrubengegend 0.47. Die offene Grube, die dort vorhanden war, ist hier geschwunden. Vergleichen wir damit noch Fig. 2, so wird ersichtlich, dass die ursprünglich breite Anlage sich zusammengelegt hat und dass die Grube zur Hirnhöhlung und zwar besonders zu derjenigen des Mittelhirnes geworden ist. Die breiten Seitenlappen der in der 1. Fig. gezeichneten Platte sind zu den Augenblasen geworden, und sie stimmen auch in Betreff der Längs-

und das undeutlich Gesehene ergänzt hat, vermag ich nicht zu entscheiden. Bilder, wie seine Fig. 9, 10, 13 sind mir bei zahlreicher Beobachtung feuchter Präparate im auffallenden Lichte nie vorgekommen und sind mir daher un- verständlich. Auch seine kugelförmige Abgrenzung der Randknospe vermochte ich nicht zu beobachten. Die oben mitgetheilten Zeichnungen 1—3 und 5 habe ich bei Beleuchtung mit concentrirtem Sonnenlichte mittelst des Prisma wiederholt aufgenommen.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 19

ausdehnung mit denen der nachfolgenden Figuren überein. Die hin- tere Querbucht der Anlage 1 bezeichnet bereits den Ort der Rauten- grube und der einspringende Winkel zwischen Randwulst und Em- bryonalplatte, denjenigen der Gehörgrube. Der Blick auf die vierte Fig. überzeugt uns aber ferner, dass die erste Anlage nur die Anlage des Kopfes umfasst, dass hinter ihr Nichts vorhanden ist, das als Rumpf- anlage sich deuten liesse. Nichtsdestoweniger entsteht und wächst die Rumpfanlage sehr rasch und ihre Entstehung geht Hand in Hand mit der Umwachsung des Dotters durch die Keimscheibe. Wenn die Dotterumwachsung vollendet ist, ist auch die Rumpfanlage beisammen.

Die Masse, aus welcher die Rumpfanlage hervorgeht, ist im Rand- wulst der Keimscheibe aufgespeichert, und sie gelangt dadurch an ihren Ort, dass jeweilen die dem hintern Ende des bereits ab- gegliederten Embryo zunächst liegenden Strecken an diesen sich heran- schieben, und ihn nach rückwärts verlängern. Ist der Dotter bis auf einen kleinen Rest umwachsen, so ist vom Randwulste nur noch ein kleiner, das hintere Körperende bildender Ring übrig, dessen Hälften schliesslich gleichfalls sich verbinden.

Bei der Einbeziehung des Randwulstes in die Körperanlage liefern die äusseren, dem convexen Saume näher liegenden Zellen des Wulstes die Axialgebilde, die des inneren concaven Saumes gehen in die Seitentheile des Körpers über. So lange die Dotterumwachsung durch die Keimhaut nicht vollendet ist, wird der Umwachsungsrand hinter (der Embryonalanlage von einem kleinen gerundeten Vorsprung überragt, welchen wir uns eben durch die Zusammenschiebung hinterer Rand- zellen gebildet zu denken haben. OELLACHER, der ihn bereits beschrieben ‚hat!), nennt ihn Schwanzknospe, eine Be- zeichnung, die ich mit dem unverfäng- Fig. 6. licheren Ausdruck Randknospe ver- tausche. Beifolgender Holzschnitt dient zur Erläuterung des Bildungsherganges; die Pfeile bezeichnen die Reihefolge der in der Richtung von vorn nach rück- wärts auf einander folgenden gleichwer- thigen Theile. Die Uranlage des Kör- pers ist sonach ein platter Ring, dessen Breite und Dicke an einer Stelle, dem zukünftigen Kopfende, ein Maximum, am gegenüberliegenden Schwanzende ein

I) OELLACHER, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXIII pag. 21.

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20 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Minimum besitzt. Successiv legen sich die zwei Seitenhälften des

Ringes an einander, und vereinigen sich als symmetrische Körperhälften.

Dabei bedürfen das Kopf- und das äusserste Schwanzende keiner Ver-

wachsung, da ihre Seitenhälften von Anfang an verbunden sind. Beim Fig. 7—10.

—_

; 1 N £ N UT As S

Lachs vollendet sich der ganze Vorgang in 6 Tagen, beim Hecht und ebenso bei der Aesche in etwa 24 Stunden. Wie der Kopf, so werden

Umwachsungsstadien des Lachseies-

auch die Theile des Rumpfes in einer Grösse angelest, die in der Folge nur sehr allmählich zunimmt.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 91

Will man die verschiedenen Entwickelungsstadien während der Umwachsungsperiode auf einander projieiren, so hat man vom Kopf- ende als unbeweglichem Stücke auszugehen. Ich habe so in Fig. 11 vier Stadien des Lachseies 10 mal vergrössert dargestellt, und dabei die genauen Maasse der beobachteten Embryonen inne gehalten. Es ergiebt sich aus der Zeichnung, dass der vor dem Kopfe liegende Theil des Keimhautrandes allerdings einen viel grösseren Weg zurücklest, als der hintere Rand, allein der letztere darf nicht, wie ÖELLACHER will, als feststehend angenommen werden. !)

Die Maasse der bezüglichen Beobachtungsreihe sind folgende:

AN. A 10. A12. A14.

Präparate. _ Beginn des | Beginn des | Beginn des | Beginn des 12. Tages. | 14. Tages. | 16. Tages. | 18. Tages.

Meridianbogen der Keimhaut vor dem Embryo. ..... 2.350m |83bis4.5mm [gegen 1O"m| gegen 14m

Länge des Embryo 1.4 mm 2,7 mm 3.5 mm 4.7 mm

Grösste Breite der Embryonalanlage . rAmm Om a 0.65 m

Nach vollendeter Umwachsung des Eies durch die Keimhaut um- schliesst der Lachsembryo etwas mehr als ein Viertheil des Eiumfanges.

Fig. 12.

Hechtei. Aeschenei.

Bei kleineren Eiern ist der umschlossene Bogen grösser, bei sehr kleinen Eiern überschreitet er sogar 180°. So bildet KuPFFER aus den Eiern von Gobius minutus und

1) Man vergl. OErLAcHer’s Schema p. 4 seiner 2. Abhandlung.

23 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Gobius niger Embryonen ab, welche mehr als 180° des Eiumfanges um- fassen und die dabei sehr kurz sind.!) Ich habe zur Vergleichung mit der obigen Figur des Lachseies in Fig.12 u.13, bei gleichfalls zehnmaliger- Vergrösserung und unter Benutzung genauer Maasse verschiedene Um-

Fig. 14. wachsungsstadien des Hecht- und des Aescheneies dar- gestellt.) Man ersieht daraus, dass beim grossen Lachsei der Embryo nach Abschluss der Umwachsung eine ab-- solut beträchtlichere Länge erreicht hat, als im kleineren Ei der Aesche, und in diesem hinwiederum eine be- OR trächtlichere als im noch kleineren Hechtei. Die un-

ET , gleichen Längen kommen indess ausschliesslich auf

% redueirt. Kosten des Rumpfes, denn die Kopfdimensionen sind bei den von mir untersuchten 3 Fischspezies auf derselben Entwicke- lungsstufe nahezu dieselben.

Das Volum eines 40 mal vergrösserten Wachsmodells des Lachs- embryo nach eben vollendeter Eiumwachsung (A 14) beträgt 47 Cub.®. Dies ergiebt für den Embryo ein Volum von 0.73 Cubmm- Nach der- selben Methode hatte ich Fig. 6 für die gesammte Keimscheibe im Beginn der Embryobildung 0.78 Cubm"- erhalten. Man darf die Methode selbstverständlich nicht als eine sehr präcise ansehen, immerhin ist, selbst bei Voraussetzung relativ bedeutender Fehlergrenzen, der Schluss. nicht zu umgehen, dass das Volum des Embryo nach eben vollendeter Dotter-Umwachsung nicht sehr erheblich von demjenigen des Gesammt- keimes im Beginn der Embryobildung differirt. Es geht daraus hervor, dass die Bildung der formellen Körperanlage wesentlich auf Um- gruppirung einer bereits vorhandenen materiellen beruht. Aus allen,

1) KuprFer in M. Schultze’s Archiv Bd. IV. Taf. XVII u. XVIII. Angeblich ist KupFrEr’s Zeichnung 60 mal vergrössert, d.h. wohl, die Details seines Originals - entsprechen denen einer 60maligen Vergrösserung. Wäre KuUPFFEr’s Angabe wört- lich zu nehmen, so würde das Gobiusei nur 0.43% messen. Ich vermuthe, dass. Kuprrer’s Zeichnung etwa 20mal vergrössert ist.

?) Maasse der zu obigen Figuren be- Hecht. | Aesche. nutzten Präparate: 5, Ih. c. | a. b. mm mm mm mm cm

Länge des Keimhautmeridians vor dem

imbryio 2... 22022 2,0 2 2, er ed 4.4 4.7 5 gegen & VanzesdespRmbryo .. 0.0 n ler 3.5 3.7 3.9 4.65 Grösste Breite des Embryo . . . ... 1.10 | 0.8 0.6 0.8

An der Skizze des Aescheneies habe ich noch das Stadium eingetragen, welches der Embryobildung unmittelbar vorausgeht. An dem betreffenden Präparate be- trug der Durchmesser des Keimes 2.8mm, die grösste Breite des Randwulstes 0.65mm, die ihr gegenüberliegende geringste 0,35 mm,

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 23

früheren sowohl als späteren Messungen ergiebt sich übereinstimmend, dass die Zunahme der Keimmasse nicht in Sprüngen vor sich geht, sondern stetig und mit verhältnissmässiger Langsamkeit. So mässig nun aber der Betrag des Wachsthums während der in Rede stehenden Periode ist, so muss er doch genügen, den Umformungsprozess des Keimes einzuleiten, und in kurzer Frist zum Abschluss zu bringen; denn ein anderes die Formung bestimmendes Agens ist in keiner Weise zu erkennen.

So sehr man dahin gedrängt wird, Wachsthum als die Ursache der Ausdehnung des Keimes über den Dotter und als diejenige der Embryo- bildung anzusehen, so schwer ist es doch, sich Rechenschaft davon zu geben, wie das Wachsthum im Keime vertheilt sein muss, um die be- schriebenen Vorgänge zu Stande zu bringen. Wir hatten oben den Gedanken ausgesprochen, dass sich die Abflachung des zuvor ge- wölbten Keimes auf ein intensiveres Wachsthum in der Randzone zurück- führen lasse, und damit konnte auch die zunehmende Verdünnung der Mittelscheibe in Zusammenhang gebracht werden. Bleiben wir bei dem Gedankengange stehen, so können wir annehmen, dass der Rand des Keimes nicht allein durch rasches Wachsthum sich ausbreitet, sondern dass er auch in Folge ungleicher Wachsthumsvertheilung sich gegen die Mittelscheibe einbiegt und so, als eine Art abgeklemmter Schleife die Anlage des Embryo bildet. Mit dieser Erklärung behelfen wir uns allenfalls bis zum Aequater der Dotterkugel, dann aber lässt sie uns völlig im Stich. Nach Ueberschreitung des Aequators nimmt die Länge des Randwulstes rasch ab, ohne dass der Embryoleib um gleiche Länge zunimmt.

Bedenkt man, dass der Randwulst sich dem hintern Körperende anfügt und schliesslich ganz in dessen Körperende aufgeht, so sollte man unter der gleichzeitigen Voraussetzung stetigen Wachsthums er- warten, dass die Werthsumme: Länge des bereits angelegten Embryo + halbem Umkreis des Randwulstes stetig zunimmt. Statt dessen wächst sie rasch bis zur Ueberschreitung des Aequators, und nimmt dann wieder ab, um schliesslich kaum dem Anfangswerth gleich zu bleiben. So ergiebt die Messung für die obige Figur des Lachseies:

IR | Halber Umkreis des | Summe | Länge des Embryo. | Randwulstes. ; | ws = mm z | mm No; 1 | 1.4 9.7 7.1 Ei DT 94 11.8 ES! 3.5 1.9 11.4 ke: 4.7 1.— 5.7

94 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Dazu kommtnoch folgende Beobachtung: An Fischeiern, welche durch- sichtig genug sind, um im lebenden Zustand unverletzt sich beobachten zu lassen, wie an Hecht- und Aescheneiern überzeugt man sich, dass der Randwulst mit Spannung den Dotter umgiebt, letzterer pflest an den Berührungsstellen mehr oder minder erheblich eingeschnürt zu sein, und bei den, bis über den Aequator fortgeschrittenen Umwach- sungsstadien setzt sich der noch freie Theil des Dotters förmlich hernienartig ab von dem bereits umwachsenen Theil der Kugel.!) Diese Wahrnehmung, ebenso wie die von der raschen Ausdehnung und dann wieder eintretenden Verkürzung des Randwulstes führen uns zur Vor- stellung, dass dieser, ähnlich einem elastischen Ring über den Dotter weggezogen wird. Wo nehmen wir aber die Kraft her, welche das Herüberziehen des Ringes bewirkt? Man kann versuchen, die Con- traction des Dotters in’s Spiel zu ziehen; unstreitig lässt sich mittelst dieser ein Mechanismus denken, wonach die Keimscheibe erst sack- artig ausgeweitet wird und später, der Elastieität ihres Randes folgend, zur Kugel sich schliesst; allein wenn man eine solche den Keim deh- nende Kraft einführt, wird es wieder unverständlich, wie zu derselben Zeit der Embryo sich bildet, dessen gesammte Bildungsgeschichte das unzweifelhafteste Gepräge einer Substanzzusammendrängung an sich trägt. Wir stehen also hier vor einem noch ungelösten Problem ent- wickelungsgeschichtlicher Mechanik, für das vielleicht später ver- gleichende Untersuchungen den Schlüssel gewähren werden.

Ueber die erste Anlage des Embryo und seines Oentralnerven- systems herrscht in den Darstellungen nichts weniger als Ueberein- stimmung, obwohl die thatsächlichen Beobachtungen der verschiedenen Forscher unter sich kaum abweichen. Unter den älteren Beobachtern hat v. BAER?) zuerst die Existenz eines verdickten Randwulstes con- statirt. Als erste Spur des Embryo erkannte er eine sehr breite seichte Furche, deren Boden kielartig gegen den Dotter vortritt und deren be- grenzende Ränder, die Rückenwülste, noch fast die ganze Breite des Eies einnehmen; später sollen sie sich erheben und der Länge nach zu- sammenschliessen, und darauf lässt v. BAER die Gehirnbildung, die Urwirbeltheilung u. s. w. folgen. |

Grossen Werth lest v. BAER bei seiner Darstellung auf die Ueber- einstimmung in den’ ersten Entwickelungsstadien bei Knochenfischen

1) In obiger kleinen Tabelle ist auf diesen Umstand keine Rücksicht ge- nommen; das Ei als reine Kugel vorausgesetzt; indess ändert dies natürlich an der allgemeinen Thatsache der Zu- und Abnahme der fraglichen Werthsumme nichts.

2) BAER, Unters. über die Entwickelungsgesch. der Fische. Leipzig 1835, p. 10.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 25

und bei Batrachien, und die Beobachtungen an den letztern haben ihn geleitet bei Interpretirung der sehr viel schwieriger verfolgbaren Fischentwicklung.

In der grossen Vocr’schen Monographie sind die Vorgänge der Dotterumwachsung und der Embryobildung bereits weit eingehender erörtert; u. A. hat Vogt von der Trübung der Keime durch Säuren Gebrauch gemacht, um die früheren Stadien desEmbryo zu verfolgen.!) Er beschreibt die Furchung, welche v. BAER noch entgangen war, die eintretende Abplattung des Keimes, die excentrische Stellung der ersten Embryonalanlage und den Zusammenhang der letzteren mit dem Randwulste. Es finden sich bei Vogr manche für die damalige Zeit sehr bemerkenswerthe Aeusserungen. Nicht allein führt er die Keimabplattung bereits auf eine Umlagerung der Zellen zurück, sondern er denkt selbst an Zellenbewegungen ?) als Ursache der Umlagerung, aller- dings giebt er dem Gedanken keine weitere Folge. Die Umgebung des Dotterloches, d. h. also den Randwulst, sieht Vogr als den Haupt-. sitz der zur Bildung des Embryo führenden Zellenerzeugung an. Der Einsicht, dass der Embryo durch Zusammenrücken der zwei Ringhälften entstehe, hat er offenbar sehr nahegestanden, immerhin ist er nicht zu deren Formulirung gelangt.)

In zwei durch den Zeitraum von 10 Jahren von einander geschie- denen sorgfältigen Arbeiten hat LEREBOULLET die Fischentwicklung behandelt.*) Mit der Abplattung des Keimes sieht er die Spaltung in zwei am Rande zusammenhängende Schichten eintreten. Auf dieser Stufe nennt L. den Keim Keimblase (Vesicule blastodermique) und vergleicht das Verhältniss der letzteren zum Dotter mit demjenigen einer serösen Haut. Die im Keime auftretende Furchungshöhle, welche hierbei LEREBOULLET beschreibt, ist in neuerer Zeit mit Unrecht an- gefochten worden. Er versteht darunter, wie aus seiner allerdings

1) Voct, Embryologie des Salmones. Neuchätel 1842. Die Bilder undurch- sichtig gemachter Keime geben die Figuren 121 u. £.

2) 1. c. p.42. On powrrait eroire que les cellules elles-mömes sont douees d’un certain mouvement, qui les rend aptes, & se reunir dans un point donng, puisque —; mais un pareil mouvement des cellules serait difüieile & expliquer dans /etat actuel de nos connaissances.

3) La partie libre du vitellus, que nous avons appel& le trou vitellaire, est entourde d’un anneau assez &levd, qui se dögrade insensiblement en dehors, tandis qw& linterieur ses parois sont presque verticales. On dirait que cet anneau est la continuation des deux carenes qui accompagnent le sillon.

4) LEREBOULLET, Embryologie compar&de du brochet, de la perche et de l’Ecre- ‘visse M&m,. des savants &trangers 1853 tom. XVII. Annales des Sciences naturelles, Zool. IV. Serie Bd. XVI et XVIII. Developpement de la truite.

96 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

etwas schematisirten Abbildung (Fig. 27 der 1. Abhandlung) hervorgeht, die durch neuere Arbeiten wohlbekannte Spalte zwischen der oberen und der unteren Keimschicht. Den zuerst auftretenden Primitivstreifen (Bandelette primitive) beschreibt L. als flaches Dreieck, das mit seiner breiten Basis in den Randwulst übergeht. Der Streifen wird in der Folge schmaler und verlängert sich. Ueber das Wie? giebt L. keinen klaren Aufschluss. Das Auftreten der Rückenfurche erklärt er als einen spätern Vorgang, und aus seiner Beschreibung geht hervor, dass er damit das Sichtbarwerden zweier Seitenhälften des Medullarrohres in der Flächen- ansicht meint.

KuPrrer,!) der den Vortheil gehabt hat, an den sehr durchsichtigen, . beinahe fetttropfenfreien Eiern kleiner Fische (Gasterosteus und Gobius) zu untersuchen, hat über den Anschluss des Randwulstes an die erste Spur der Embryonalanlage besonders scharfe Anschauungen gewonnen. Für Gasterosteus giebt K. im Wesentlichen folgende Schilderung: „An einer Stelle beginnt der Keimsaum sich zungenförmig gegen den Pol vorzuschieben, und dieser Fortsatz wächst bis zum Pol vor. Gleich- zeitig wulstet sich der Keimsaum stärker in dem Abschnitte, von dem jener Fortsatz seinen Ausgang nimmt, während am entgegengesetzten Umfange die Wulstung abnimmt. Die Hauptmasse der Zellen zieht sich nach der Stelle hin, wo die neue Bildung ihren Ausgang nimmt.“ Etwas abweichend gestalten sich die Dinge an den sehr kleinen Eiern von Gobius. Für den Mechanismus der Keimsaum- und der Embryo- bildung beansprucht KuUPFFER Zellenwanderungen, da er sich die nachweisbar rasch dabei eintretenden Massenverschiebungen in an- derer Weise nicht zu denken vermag. Auch KUPFFER kommt nicht zum scharfen Ausdrucke der bilateralen Entstehung des Rumpfes aus dem Randwulste. Die Entstehung der Gehirnanlage schildert K. in einer von seinen Vorgängern wesentlich abweichenden Weise.

Von den beiden neuesten Autoren über Knochenfischentwickelung hat OELLACHER folgende Anschauungen formulirt:

Nachdem sich zuvor schon das Hornblatt (die Deckschichte von GOETTE) durch die Beschaffenheit seiner Zellen vor dem übrigen Keime ausgezeichnet hat, hebt sich der Keim excentrisch vom Dotter ab, und es entsteht die Keimhöhle, welche allmählich sich vergrössert. Nun sol- len sich von der Decke die unteren Zellen ablösen, zum Theil auch nach- träglich herabfallen, und in die oberflächliche Schichte des Dotters ein- graben. Die Stelle des Keimes, wo der Embryo sich bilden wird, bleibt

1) Kurprrer, Beob. über die Entwickelung der Knochenfische. Max Schultze’s Archiv, Bd. IV. p. 221 u. £.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. DH,

von Anfang ab dick; von ihr aus soll die Bildung des Embryo derart ausgehen, dass letzterer immer mehr nach vorn hervorwächst, während das hintere, mit der Schwanzknospe versehene Ende ruhen bleibt. Durch einen schematischen Holzschnitt veranschaulicht ÖELLACHER diese seine Vorstellung. Darnach rückt nur der vordere dünne Theil der Keimhaut über den Dotter weg, und trifft schliesslich wieder mit der Schwanzknospe zusammen. Hinsichtlich des Wachsthums des Embryo spricht OELLACHER von einer beständigen Stoffaufnahme, Vergrösserung und Vermehrung der in der primitiven Anlage enthaltenen Zellen ; die zusehende Verschmälerung des Embryo bereitet ihm Verlegenhei- ten, die er zwar in anerkennenswerther Weise eingesteht, über die er indess die geeignete Brücke nicht zu finden weiss. Das sehr bedeutende Material, welches sich OELLACHER gesammelt hat, hätte ihn bei syste- matischer Anwendung von Messmethoden sicherlich zur richtigen Auf- fassung der Vorgänge führen müssen.

GOETTE?) verfolgt in dem bis jetzt veröffentlichten Theile seiner Arbeit nur die Vorgänge, welche der eigentlichen Embryobildung vor- ausgehen. Die Abplattung des Keimes sieht er (l. e. 684) als eine Folge der Zellentheilung an. Die bei einer jeden Zellentheilung statt- findenden Raumverschiebungen sollen nämlich überwiegend so statt- finden, dass die Ausbreitung der Platte in horizontaler Richtung ge- währleistet sei. Die Entstehung des Randwulstes erklärt GOETTE aus einer „Anstauung der gegen die Peripherie verdrängten Zellen am Rande der Dottergrube“. Da nun: die embryonale Hälfte der Keim- scheibe zusehends mächtiger, die entgegengesetzte dagegen immer dünner wird, so nimmt GOETTE an, dass im Verlauf der Keimaus- breitung Zellen aus der dünnen Hälfte in die dickere überwandern. Mit Recht macht G. darauf aufmerksam, dass für die Annahme einer, in beschränkten Keimtheilen ausserordentlich verstärkten Ernährung (i. e. Wachsthum) kein Grund vorliegt. Das Auftreten der untern, „secundären“ Keimschicht wird, soweit es sich um die thatsächliche Beobachtung handelt, von @. in correeter Weise geschildert, dagegen bezeichnet er den Bildungsvorgang als „Umschlag“ der obern „primä- ren“ Keimschicht. So, wie nämlich G. die Sache auffasst, wächst die untere Keimschicht aus dem äussersten Rande der oberen hervor, und verlängert sich alsdann in centripetaler Richtung. Indem obere und untere Schicht in entgegengesetzter Richtung sich bewegen, muss die Scheidung derselben vom Ursprung der tiefern Schicht zu deren innerem

2) GoETTE, Beiträge z. Entwickelungsgesch. d. Wirbelthiere. M. Schultze’s Archiv, Bd. IX. p. 679 u. £.

28 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung sg a nee 5 3 [Zeit nach der Länge Grösste Bump ee ae ses Befruchtung. | des Körpers | Kopfbreite, hinter der |dem a as n Desilane | es [ae (gestreckt). |

im Beginn: Di nz SR ve A 9 .|des12.Tages 1.4 . 1.4 —_ A1O0 Melden, DR 0.6 A12 a LER 3.9 0.55 A14 A Koracs 4.7 0.65 A15 le 4.7 0.65 0.3 A 16 Re 4.85 0.65 0.31 A1S ED, 5.4 0.5 0.4 1a A19 MD 5.6 1.0 0.4 1e8 20:20 6.4 1.9 A21 RAR 6.8 1.15 0.4 1.95 A 22 DS 7.0 1.95 A 23 2. nel 2.0 A 24 alle 1.2 2.1 A25 Er EARER 7.6 1.2 Dal! A 27 a 8.4 1.25 al A283 KRSDLTH 8.8 1.3 0.45 241 A29 SEEN 9.3 1.4 0.45 2.1 A 30 Oh, 9.6 1.5 0.45 2.1 A31 Ali 10.0 2.1 AB AA, 11.4 2.2 A 33 Pa Re 11.9 2.3 A 34 N 12.9 2.0 0.8 2.5 A735 Im Des 13.7 2.2 0.85 2.6 IASSb a cH8 N, 14.6 2.9 0.9 DET Bear 62... 15.8 2.4 0.9 2.9 38 | ...08, 17.6 2.5 0.95 Sl A 39 SELL... 19.2 DIT 1.2 3.2 NA 10. 25.0 4.2 3.2 588

Schwanz- länge (vom After zum hintern Leibesende.)

5.2

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens.

Rumpf- länge (berechnet).

mm

19.2

Verhältniss- zahlen. Kopf

zur Ge- zur

sammt- Rumpf- länge. | länge. 318 1.47 a 1.58 3.49 1.64 3.55:| 1.65 3.40 | 1.50 3.62 1a 4.0 1.95- A I) 4.16 | 2.47 5.17 2.14 5.16 2.62 Dan, 2.65 5.41 2.66 5.45 2.69 5.68 | 3.09 6.0 2.97 Art 1.66

29 arche ne IIERBER ut) der hin

der messer | Gehör- | Mittel- Urwirbel des blase. | hirn- (vorn Augapfels. | randes gemessen). vom vordern Kopfende. 0.06 0.4 1. 0.9 = 0.4 1.15 0.4 1.15 | 0.9 ma 0.4 1.15 Ser —G 0.4 1.15 Baar = 0.45 15165, > 0.45 115 er 0.1 0.50 1.3 u = 0.55 | 14 1.0.9 0.12 0.65 1.4 Ne Pe 0.7 110 0.15 02 SE 1.2 u 0.7 ASE as En 0.75 = = 0.77 er A 0.8 > aN D.1T.,. S0kena 0.18 | 0:9 Beleg 0.19 | 1.0 2 0g Da ae 0.19 219 Ne 0.2 1.3 a 2.8 0.25. ag 0.3 1.8 N

30 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

freiem Rande hin sich entwickeln. Wenn GOETTE in seinen, offenbar noch nicht zur genügenden Klarheit durchgearbeiteten Einzelvor- stellungen von mir sehr wesentlich abweicht, so stimmen wir doch in dem Bestreben überein, die Bildung der ersten Embryonalanlage auf eine mechanisch abzuleitende Zellenumlaserung zurückzuführen.

Wachsthum und weitere Ausbildung des Fischembryo bis zur Aufzehrung des Dottersackes.

Als Grundlage des folgenden Capitels schicke ich eine Tabelle vor- aus. Die Messungen sind an den feuchten Präparaten einer in ver- dünnter Chromsäure (!/, %) erhärteten, später in verdünntem Alkohol aufbewahrten Entwicklungsreihe ausgeführt. Die Reihe A, welche ich hier benutze, schliesst sich der Reihe G, welche den über Furchung gemachten numerischen Bestimmungen zu Grunde lag, der Art an, dass A9 der Stufe G9 entspricht, d. h. beide geben den Embryo in seinen ersten Anfängen. Dagegen ist die im Zimmer zur Entwicklung gebrachte Reihe G der im Freien entwickelten Reihe A etwas voraus- geeilt. Die in der Reihe vorhandenen Unterbrechungen rühren daher, dass mir einige Präparate zu Grunde gegangen sind. Zum Aufheben der Präparate wurden die Eier erst auf wenige (2—3) Tage in Chrom- säure gelest, und dann der Theil, welcher den Keim oder den Embryo enthält, mit dem Rasirmesser abgetragen. Beim Härten der ganzen Eier wirkt die Kapsel verunstaltend auf den Embryo.

Nachdem die Umwachsung des Eies vollendet ist, erscheint der Embryo als ein schmaler Streifen, der im Bereich des Vorderkopfes ringsumher frei ist, im Bereich des Hinterkopfes aber und des Rumpfes dem Dottersacke aufsitzt. Der Kopf ist etwas breiter als der Rumpf und enthält, ausser dem bereits gegliederten Gehirn, die Augenblasen und die Gehörblasen, letztere durch leichte Anschwellung kenntlich. Der Rumpf zeigt bis gegen das hintere Ende hin die Urwirbelglie- derung. Neben der die Rumpfanlage bezeichnenden Leiste sind die ersten Spuren der Brustflossen bemerkbar.

Nach einigen Tagen hat sich auch der Schwanz abgegliedert, dessen vorderes Ende von der Zeit an bestimmbar ist, da ein After vorhanden ist. Die Schwanzbildung und die Bildung des Afters be- fuhen auf einer zunehmenden Abschnürung des Hinterleibes vom Dottersacke; der Schwanz, einmal angelegt, ist ruderartis abgeplattet

und pflegt, bei gleichzeitiger Krümmung des Embryonalkörpers, auf der einen Fläche zu liegen.

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 31

Ueber das Volumwachsthum geben obige Zahlen natürlich keinen Aufschluss. Das Volum eines 40fach vergrösserten Wachsmodells von einem Fische der Reihe A vom 31. Tage bestimmte ich zu 265 Cub.®“, was für das unvergrösserte Thierchen 4.14 Cub.”” ergiebt. Nehmen wir das Anfangsvolum des Keimes = 0.25 Cub.”” so beträgt das mittlere Tageswachsthum vom 1. bis 31. Tage 0.133 Cub.”®. Allein das absolute Volumswachsthum ist während dieser Zeit nicht stetig dasselbe, es steigt besonders in der zweiten Hälfte bedeutend an, wie schon die grobe Besichtigung der Grössenzunahme der Fische ergiebt. Legen wir die pg. 5 bestimmten Näherungswerthe für das Anfangs- wachsthum zu Grunde, und setzen wir das Wachsthum des Keimes vom 1.—9. Tage zu 0.25 Cub.””, so ergiebt dies ein Tageswachsthum von 0.028 Cub.”®, d. h. nur etwa !/; des obigen Werthes.

Längenwachsthum. Die Tabelle, einen Zeitraum von etwas über 4 Monaten, d. h. die gesammte Embryonalzeit bis zur Aufzehrung des Dottersacks umfassend, zeigt ein stetig fortschreitendes Längen- wachsthum. In den 120 Tagen, vom 20. bis 140., ist die Länge eines Fischehens um 2%”, gewachsen, d. h. im Mittel täglich um 0.166", Indess haben während dieser Zeit Perioden rascheren und solche langsameren Wachsthums mit einander gewechselt. In Folge der individuellen Unregelmässigkeiten und theilweise auch der Messungs- fehler sind in der Tabelle die Zuwachse von einem Tage zum andern ziemlich ungleich. Eine brauchbarere Tabelle erhält man bei Benutzung der Differenzen von je mehreren Tagen und bei Berechnung der bezüg- lichen Tagesmittel. Darnach beträgt:

Die Zunahme. Tassernittel, In den: mm mm 6 Tagen v. Beginn d. 12. bis Beginn d. 18. Tages 3.3 0.55 De. I: 18. $ DA. 0.7 0.116 BE: u 24. . SNUREEE 1.8 0.30 DE. % 30. a 3DK. 5, 1.6 0.32 6, ® 35. a; Aller, 1.2 0.20 DI =.. N 41. x A 1.9 0.316 tn $ AT. .; 54. 1.8 0.26 BR, # 54. s, 62.0,,; 2.1 ı 0.251 15; ,, S 62. i; Tee 3.4 0.22 (Fe h 17. % 140. 5.8 I: 0.09

32 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

Wir können dieser Tabelle zufolge 4 Perioden auseinander halten:

Die erste vom 12.—18. Tage ist die Periode der raschesten Körper- verlängerung, allein sowohl der totale, als der Tageszuwachs dieser Zeit sind nicht der Ausdruck wirklicher Neubildung, und können nach den früheren Mittheilungen über die Art der Körperzusammenfügung nicht mit den Zuwachswerthen der nachfolgenden Zeiten in eine Linie gestellt werden.

Auf die Umwachsung des Eies folgt eine kurze Periode mit ge- rinsem Tageswachsthum. Zeitlich fällt das Ende derselben zusammen mit der Entstehung und der beginnenden Thätigkeit des Herzens. Von der 4. bis zur 11. Woche folgt eine Periode regelmässigen Wachsthums, während welcher das mittlere Tageswachsthum von 0.2 bis 0.32 7 beträgt. Später, mit zunehmender Erschöpfung des aus dem Ei mit- gebrachten Nahrungsvorrathes nimmt das Tageswachsthum wiederum erheblich ab.

Das Längenwachsthum vertheilt sich ungleichmässig auf die drei Hauptabtheilungen des Körpers. Aus der Vergleichung der Kopflänge mit der Gesammtlänge ergiebt sich, dass im Allgemeinen der Kopf im Längenwachsthum hinter den übrigen Körperabtheilungen etwas zurückbleibt, in der 4. Woche bildet er annähernd !/,, in der 11. nur noch !/, der Gesammtlänge. Zu demselben Ergebnisse führt die Ver- gleishung der Kopf- mit der Rumpflänge. Auch hier ist die Verhält- nisszahl im Beginn der 4. Woche mehr denn noch einmal so klein, als in der 10. und 11. Woche, sie beträgt am 24. Tage 1.47, am 77. 3", Verhältnissmässig am raschesten wächst der Schwanz. Der Kopf ist vom 24. Tage zum 77. auf das 1.7fache gewachsen, der Rumpf auf das 4fache, der Schwanz auf das 5.6fache. Das Zurückbleiben des Kopfes hängt theilweise damit zusammen, dass seine Theile eine Zeit hindurch näher zusammengeschoben werden, ein Punkt, auf welchen wir unten zurückkommen werden. Bemerkenswerth ist der Gang des Wachsthums in der Zeit zwischen 77 und 140 Tagen. Da wächst, wie man sieht, der Kopf um 2.6”“ oder um 81 %, der Schwanz um 2.3”” oder um 34.3 %, der Rumpf aber nicht einmal um 1”” d.h. nur um wenige Prozente. Dafür holt nun der Rumpf im Diekenwachsthum reichlich ein, was er hinsichtlich des Längenwachs- thums versäumt. Die Urwirbel und die aus ihnen entstandenen Mus- kelscheiben verbreitern sich, entsprechend dem Längenwachsthum des Rumpfes und des Schwanzes; im Allgemeinen ist ihr Durchmesser vorne geringer als hinten. Auch gliedern sich, wie bei andern Wirbelthieren, die hintersten Urwirbel zuletzt ab; dagegen liegt kein

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 33

Grund zur Annahme vor, dass nach einmal abgegliedertem Schwanz neue Urwirbel gebildet werden.

Am Schädel eilt die Schnauze im proportionalen Wachsthum den übrigen Theilen voraus. Mit 77 Tagen misst das Kopfstück vor dem Auge 0.4”® der Rest 2.8, mit 140 Tagen das vordere Stück 1.2, das hintere 4.6” d. h. es nimmt jenes um 200 %, dieses um nur 64 % an Länge zu.

Auch in Betreff der Beeikehiahiid stellt sich die Sache für den Kopf etwas anders als für den Rumpf. Der Kopf ist stets breiter als der Rumpf (dieser wieder breiter als der Schwanz). Die grösste Kopfbreite fällt in die Gegend der Augen. Die Bestimmung der Rumpfbreite geschah bei meinen Messungen am hücken hinter der Brustflossengegend. Das Verhältniss der grössten Kopfbreite zur Rumpf- breite beträgt zwischen 19—25. Tag 2.17—2.25:1; später steigt die Verhältnisszahl bis 2.5, ja am Ende der 11. Woche bis 3. Dann aber holt der Rumpf wieder einen Theil des Vorsprungs ein, den der Kopf hatte, und mit 140 Tagen haben wir das Breitenverhältniss ES

Die Kopfbreite steigt:

vom 19. zum 77. Tag auf das 4.15fache LO LAU: ee s646tache, Die Rumpfbreite: vom 19. zum 77. Tag auf das 4fache 19.2, 1077; 165, u 8fache.

Der Augapfel wächst erst langsam, dann etwas rascher und in der letzten Periode wiederum langsam. Sein Durchmesser nimmt zu

mm mnı

In den 10 Tagen vom 19.—29. um 0.1, d.h. im Mittel täglich um 0.01

22.2 2, 29.—51. 0.4, 4 es 0018 20: ;, „sol 01, ©... 0.48, S; u: ns RAD: ld. 2, 17.—140. 0.45, 5 R 5 OUUT

Vom 19. bis zum .77. Tage ist er auf das 3.37fache, bis zum 140. Tage auf das 4.ö5fache angewachsen.

Im Bereich des Kopfes finden Verschiebungen in dem Sinne statt, dass die Theile des Hinterkopfes denen des Mittelkopfes sich nähern. Der Abstand zwischen dem hinteren Rande des Mittelhirns und dem vorderen Kopfende beträgt in der 4. Woche 0.93— 0.95”,

derjenige des vorderen Randes der Gehörblase von vorn beträgt in der Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 3

34 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

4. Woche 1,15%®, im Beginn der 6. Woche beträgt jener 1.4, dieser 12”, d. h. die Gehörblase liegt noch immer ca. 0.2”” hinter dem Mittelhirn. Später lassen sich wegen grösserer Undurchsichtigkeit der Theile die Maasse nicht mehr unmittelbar nehmen, dagegen lassen sich äusserlich, sowohl der eine, wie der andere Ort erkennen. Das Ende des Mittelhirns und der Anfang des Cerebellum sind an einer queren Einsenkung erkennbar, der Ort des Gehörorganes ist bestimmt durch die äusserlich wahrnehmbaren Grenzen von Operculum und Praeopereulum. Der bogenförmige hintere Rand des Operculums reicht oben bis zu einer vertikal verlaufenden Rinne, die die Gränze des zukünftigen Praeoperkels bestimmt. Im Berührungsgebiete beider liegt das Gehörorgan (äusserlich durch eine rundliche Anschwellung markirt). Die Rinne aber, welche den hinteren Rand des Mittelhirns bezeichnet, liegt senkrecht darüber.

Uebrigens tritt noch auffälliger als bei der äusseren Betrachtung der Embryonen die im Bereiche des Hinter- und Mittelkopfes ein- tretende Verschiebung am Gehirn selbst zu Tage, wie bei dessen Be- schreibung sich ergeben wird. In einem späteren Aufsatze gedenke ich hierfür Abbildungen vorzulegen, und dann auch die äusseren so- wohl, als die inneren Formumbildungen eingehender zu erörtern. Für diesmal lasse ich nur noch meine Beobachtungen folgen über das erste Auftreten von Nebenkeimzellen.

Vorgänge in der Rindenschicht. Auftreten von Nebenkeimzellen.

Die Eigenschaften der Rinde des Lachseies sind in meiner oben eitirten Monographie beschrieben worden. Unter dem Keime und an dessen Peripherie häufen sich, wie wir wissen, grosse farbige Kugeln reichlich an. Die Rinde bietet in Folge dessen an senkrechten und noch mehr an Flachschnitten ein areolirtes Ansehen. Grosse helle Räume von 40—100 u Durchm. sind geschieden durch Brücken einer kernreichen, nur mässig trüben Substanz; da und dort begegnet man auch grösseren mit Kernen dicht erfüllten Kugeln. Nach Aussen zeigt sich die Rindenschicht des Eies durch eine sehr scharfe Contour abgegrenzt, die wohl der Ausdruck einer zarten Verdichtungs- schicht ist.

Die Veränderungen, welche im Bereich der Rindenschicht vor sich gehn, sind nun folgende:

1) Ein Theil der Kerne zerfällt in kleinere Körner. Besonders

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 35

entwickelt -sich eine Schicht von solchem Kerndetritus un- mittelbar unter dem Keime, und sie liefert dem Keime ein, während der ersten Entwickelungszeit nachweisbar LIE Nahrungsdepot.

In einem Theil der Kerne erscheinen Gruppen kleiner glänzen- der Punkte, in andern sieht man helle kuglise Räume auf- treten, theils einzeln, theils in ganzen Haufen (Taf. I. Fig. 1—4, Taf. II. Fig. 7). Beide Formationen gehören einer und der- selben Reihe an, und sie sind durch Zwischenglieder verbunden, d. h. es sind die erst erwähnten glänzenden Punkte der einen Kerne identisch mit den etwas grösseren hellen Räumen der andern. Mit dem Auftreten der hellen Räume vergrössern sich die Kerne. Die Formen, die sie annehmen, sind viel- fach die von zerfliessenden Tropfen und in.der That scheinen, die also veränderten Bildungen nach der Art zäher Flüssig- keiten zusammenzufliessen und wiederum sich zerspalten zu können. Offenbar handelt es sich bei den geschilderten Ver- änderungen der Rindenkerne um Zersetzungsvorgänge regres- siver Natur.

Ein Theil der Kerne bleibt lange Zeit hindurch frei von den beschriebenen Veränderungen.

An der Oberfläche der Rindenschicht entwickelt sich in nächster Umgebung des Keimes eine trübe, körnig aussehende Zone, in welcher die Rindenkerne nur noch vereinzelt aufgefunden werden, und welche hierdurch, sowie durch ihre grössere Un- durchsichtigkeit sofort von der übrigen Rinde sich abhebt. Durch Carmin und durch andere Farbstoffe wird sie intensiver als ihre Umgebung gefärbt. Im Beginn des 2. Tages p.f. noch fehlend, erscheint sie während dessen Verlauf; am Anfang des 3. Tages ist sie als dünne ringförmige Platte vorhanden, und sie nimmt während der folgenden Tage an Mächtigkeit zu (Taf. I. Fig. 1—4). Der innere Rand der Platte ist verjüngt, und schiebt sich auf kurze Strecken unter den Keim; der äussere endigt zugeschärft. Ihre grössere Mächtigkeit besitzt sie in einer Entfernung von 0.9 bis 1” vom Mittelpunkt

1) Nicht zu verwechseln mit Rindenbestandtheilen sind geronnene Tropfen

des flüssigen Dotters. Dieselben können, da die gerinnende Substanz helle Lücken umschliesst, Strueturelemente simuliren. Wer sich indess die Gerinnungs- bilder mit ihrem eigenthümlichen Gegensatz verschieden lichtbreehender Sub- stanzen gehörig eingeprägt hat wird der Täuschung nicht anheim fallen.

3*

36 Hr. Untersuchungen über die Entwickelung

des Keimes. - Einmal angelest erweitert sich die trübe Zone nieht in nennensweriher Weise und sie wird daher in der Felse von der auswachsenden Keimschebe überlagert (Taf. II. Fie. 13).

Ich bezeichne die beschriebene Zone als Keimwall, da sie, wenn auch nicht m allen. so doch in gewissen Hauptpunkten mit dem Keimwall des Hühnereies übereinstimmt. Während der frühesten Entwickelungssiufen lassen sie schen bei mässigen Vergrösserungen helle runde Räume in ihrem Innern erkennen (Taf. L Fig. 2), später wird ihr Gefüge dichter und nur mit Hülfe starker Systeme selanst man zur Ueberzeusung, dass sie einerseits noch grössere Lückenräume um- schliesst, andererseits aber aus einem Gewirre feiner Fäden sich auf- baut, die am ehesten den Fäden seronnenen FaserstofSss zu vergleichen sind Sobald sich überhaupt die Substanz des Keimwalles von ihrer Umgebung geschieden hat, werdem Zellen in ihr sichtbar, erst verein- zeit, dann aber in zunehmender Menge. Jede derselben umschliessen einen oder mehrere helle, in der Regel ovale Kerne. und besteht aus- serdem aus einem sehr schmalen, in kurze Zacken auslaufenden Pro- toplasmahofe. Die Dimensionen der Zellen sind gerins, 9—15 u, die ihrer Kerne 7—12 u, sie ändern sich nicht während der ersten paar Tage. Dagegen findet man nach Ablauf der ersten Woche und nach dem Auftreten der erster Embryonalanlage grössere Formen, die nunmehr auch weit schärfer als die zuerst vorhandenen Zellen umsäumt sind Taf IL Fie. 7 zeigt solche Zellen zum Theil bereits in Keiien angeordnet unter der Keimscheibe eines Eies vom 13. Tage r. £

Woher stammen nun die frasliehen Zellen? sind sie Abkömmlinge des Keimes, oder sind sie aus Bestandtheilen der Binde hervorge- sangen? Sehon der Ort ihres ersten Auftretens ausserhalb, ja in emiser Entfernung vom Keime spricht dafür, dass sie der Rinde ent- stammen. Gegen ihre Zusammengehöriskeit mit dem Keime lassen sich überdies folsende Gründe geltend machen:

Die Zellen treten zu einer Zeit auf, wo die Furchunsskugeln noch sehr sross sind und ein Volum besitzen, das dasjenige der Keimwall- zellen um das 2—-400%che übersteigt. In den Figuren 5 und 6 der Ta£ II. habe ich bei derselben Vergrösserung mit System XII eine Fur- ehungskugel und em zellenhaltiges Stück des Keimwalles gezeichnet: daran treten die Unterschiede in der Grösse und im sonstigen Aussehen beider. Zellenarten ohne Weiteres zu Tage. Solken die Keimwall- zellen nur verimte Furchungskugeln sein, so könnten sie jedenfalls

von Knochenfischen bes. über diejenige des Salmens. 37

nur Spaltungsproduete einer ganz andern Ordnung sein, als alle die übrigen im Keime vorhandenen Elemente. Die Keimwallzellen sind abze- sehen von der Grösse auch durchihre übrigen Charaktere von den Furehungs- zellen völlig verschieden. Während bei diesen die äussere Abgren- zung eine scharfe ist, ist sie bei jenen eine unbestimmte; während bei diesen der Kern einen kleinen Bruchtheil des Ganzen bildet, ist bei jenen der Protoplasmahof ausnehmend gering; während bei diesen eine hyaline Aussenzone vorhanden ist, ist bei jenen Nichts der Art zu bemerken. Während ferner bei diesen die Theilung zu einer zuneh- menden Verkleinerung führt, sehen wir jene von ihrem ersten Auftreten ab, innerhalb Dimensionssrenzen schwanken, die für eine Reihe von Tagen dieselben bleiben. Auf die späteren Schicksale dieser Zellen und auf ihre Beziehungen zur Embryonalanlage gehe ieh für diesmal nicht ein. Das Mitsgetheilte muss genügen, den Keimwallzellen eine selbständige Stellung anzuweisen; dann selbst dann, wenn man ihre

Abstammung von der Rinde noch in Zweifel ziehen will, bleibt es

nöthig, für sie und für ihre Producte einen besondern Namen zu besitzen. Ich werde sie daher, im Anschluss an meine frühere Na- mengebung parablastische oder Nebenkeim-Zellen nennen.

Die eben beschriebenen Zellen der Dotterrinde sind zu leieht zu beobachten, als dass sie nieht schon öfters gesehen und beschrieben worden wären Mehrere Autoren. welche dieselbe erwähnen, glauben, dass sie zur Bildung des Darmdrüsenblattes dienen. Schon €. Vost giebt eine Beschreibung von Zellen !), die unter dem Embryo liegen und die keine geschlossene Fläche bilden. Indess ist aus seiner Dar- stellung nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob er wirklich die oben erwähnten Zellen meint. Sehr klar ist dagegen die Darstellung von LEREBOULLET.?) Unter dem Namen einer Couche sous- blastodermique führt er Zellen ein, die er, im Gegensatz zu den Keimzellen, direet aus den kuglisen Elementen des Nahrungssdotters ableitet. Er sagf, dass sie in Abständen von einander stehen, dass Fetttropfen mit ihnen in derselben Schieht liegen, und dass sie im Uebrigen in eine amerphe, durch Säuren evagulirbare Substanz eingebettet ind LE- REBOULLET leitet von diesen Zellen das Darmdrüsenblatt ab.

Später hat KuPFFER bei seinen Beobachtungen an Gasterosteus und Spinachia eine Schieht von Zellen aufgefunden, welche ausser- halb des Keimes liegen, und die, wie er glaubt, frei im Dotter ent

2) VosrL e. p-. 152. 2) LEREBOTLLET, Embryelogie du brochet. M&m. des savants &irangers 1353, p- 494. Taf. I Fig. 32.

38 Hıs. Untersuchungen über die Entwickelung

standen sind. Ob dieselben zum Darmdrüsenblatte werden, lässt er unentschieden }).

Neuerdings hat in einem besonderen kleinen Aufsatze van BAm- BECKE ?) die Rindenschicht unter dem Keime als Couche inter- mediaire beschrieben. Auch er hebt hervor, dass dieselbe nicht an der Fürchung Theil nimmt, dass sie aber gleichwohl Zellen enthält mit ovalen Kernen, und dass diese Zellen von den Furchungselementen durch ihre geringere Grösse sich unterscheiden. v. BAMBECKE unter- scheidet an seiner Couche intermediaire einen Randwulst und eine dünne Mittelplatte. Aus letzterer soll das Darmdrüsenblatt hervorgehen.

Ehenso beschreibt und zeichnet OwsJAnnıKow von Corregonus la- varetus Zellen „des Nebenkeimes“ deren Ursprung er in den Dotter ver- setzt, und die er ausdrücklich für entsprechend den von mir beim Hühnchen beschriebenen Nebenkeimzellen erklärt. Der Referent im medicin. Centralblatte (No. 13. 1875) nennt als OwsJanxıkow’s Vor- gänger GOETTE*). Dies isf ein Irrthum, denn GOETTE, obwohl be- kannt mit den früheren Angaben, verwirft die ausserhalb des Keimes: . liegenden Zellen rundweg und anerkennt keine andere Grundlage der Keimblätter, als die aus dem gefurchten Keim hervorgegangenen.

Von den Beobachtern der Wiener Schule haben sowohl Weit °): als RiENEcK®) die Zellen der Dotterrinde übersehen.

OELLACHER?) dagegen kennt sie sehr wohl und bildet sie auch wiederholt ab. Die Geschichte die er davon giebt beruht indess we- niger auf Beobachtung, als auf der Voraussetzung, dass auch sie vom gefurchten Keime abstammen müssen. Er stellt sich vor, es wären. Furchungszellen, die bei der Bildung der Keimhöhle aus dem Keim in den Dotter herabgefallen seien, und die sich in dessen oberfläch- liche Schicht eingegraben hätten. Uebrigens nimmt er an, und darin stimme ich mit ihm überein, dass sie später in den Keim einwandern. Nach dem oben gegebenen Nachweise von dem frühen Auftreten der Nebenkeimzellen ist die OELLACHER’sche Vermuthung nicht weiter haltbar. An die eigentliche Entstehungsgeschichte der Nebenkeim-

I) KvupFrer in M. Schultze’s Archiv. Bd. IV. p. 217 Taf. XV. Fig. 1.

2) Comptes rendus 1872. Bd. LXXIV. p. 1056.

3) OWSJANNIKOW, Bull. de !’Acad. de St. Petersb. tom. XIX. pg. 225 u.f.

4) GÖTTE ]. c. p. 700.

S)AWerm,1.e. p.23:

6) RIENEcK, Ueber die Schichtung des Forellenkeimes.. M. Schultze’s Archiv. Bd. V. p. 356.

7) ÖELLACHER |]. c. pag. 12; in den Figuren seiner Tafeln sind die frag- lichen Zellen mit Z’ und Z” bezeichnet. -

von Knochenfischen u. s. w. 39

zellen vermag ich selbst Nichts beizutragen. Die Salmen- und die Forelleneier sind bei der unvollkommenen Gliederung ihrer Rinden- schicht kein geeignetes Material zu deren Verfolgung. Nur auf den einen Punkt mache ich aufmerksam, dass da, wo im Keimwall die neuen Zellen auftreten, die eigentlichen Rindenkerne schwinden.

Erklärung der Abbildungen.

Die Figuren beider Tafeln sind mit dem Hartnack’schen Zeichnungsprisma aufgenommen. Die in Klammern beigesetzten römischen Ziffern bezeichnen das angewendete System. Die zugehörigen Maassstäbe sind am Fusse der 2.

Tafel verzeichnet.

Fig. 1. Lachskeim, nebst einem Theile der Rindenschicht, vom ersten Tage nach der Befruchtung. S. VII.

F Furche.

Dk Dotterkerne, in der Rindenschicht des Keimes liegend.

V helle Vacuolen.

R Rindenschieht mit Kernen und mit Vacuolen verschiedener Grösse durch- setzt. Diese sowohl, als die im Keime liegenden Vacuolen entsprechen den far- bigen Tropfen des frischen Eies, welche durch die vorangegangene Behandlung des Präparates entfärbt, oder aus ihren Fächern entfernt sind.

Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 3. Tages p. foec. SEN IT.

Fk Furchungskugeln mit hellerem Saum und peripherisch liegenden Dot- terkörnern.

Dk Körner aus dem Zerfall der Dotterkerne hervorgegangen.

R% Rindenkerne.

m. Fk metamorphosirte Rindenkerne.

Kw Keimwall mit hellen Räumen im Innern einer feinkörnigen Masse.

Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung im Beginn des 4. Tages. S. VII. Buchstaben wie oben. Kh Lücken unter dem Keim als Vorläufer der Keimhöhle.

Fig. 4 Lachskeim nebst Umgebung im Beginne des 5. Tages. S. VII. Buchstaben wie oben.

Taf: II.

Fig. 1. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 6. Tages. S.IV. D Deckschicht. G Gewölbtheil.

40 His. Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen ete.

F Füllungsmasse.

Kw Keimwall.

Kh Anfänge der Keimhöhle.

R Rindenschicht mit ihren Kernen.

Fig. 2. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 7. Tages. S.IV. O Obere Keimschicht. U Untere Keimschicht.

Uebrige Bezeichnungen wie oben.

Fig. 3. Lachskeim nebst Umgebung aus dem Beginn des 8. Tages. S.IV.

Fig. 4 Frische Keimzellen.

a. Vom 3. Tage nach der Befruchtung. S. VII.

b. Vom 6. Tage, theils in Ketten zusammenhängend, theils isolirt; die un- teren 2 Figuren D’ zeigen die bei der Bewegung vortretenden Buckel der hya- linen Randschicht. S. VIII.

Fig. 5. Keimzelle vom Beginn des 3. Tages S. XII. Sie zeigt die hya- line Randschicht und eine netzförmige Vertheilung der Körnermasse (Kitt- präparat). Hauptzweck dieser Figur ist die Vergleichung mit °

Fig. 6., welche ein Stück vom Keimwall desselben Präparates und mit demselben Systeme XII gezeichnet wiedergiebt. In der feinkörnigen Masse % liegen ausser den Vacuolen 7 die parablastischen Zellen Z, meist mit ovalem Kern und mit unscharf abgegrenztem körnigen Zellkörper.

Fig. 7. Ein Stück von dem Rand des Keimes mit Umgebung vom 13, Ragep. f

Rw Randwulst des Keimes mit seinen 2 Schichten.

Ms Mittelscheibe.

R% Rindenkerne.

Pb helle parablastische Zellen, theils ein- theils mehrkernig, zum Theil in Ketten hintereinanderliegend. Auf der rechten Seite der Figur ist die ur- sprüngliche Keimwallgegend an ihrer grösseren Durchsichtigkeit erkennbar.

Ueber das Hüftgelenk,

nebst einigen Bemerkungen über Gelenke überhaupt, insbesondere über das Schultergelenk.

Von Hermann Welcker in Halle.

Von dem Ideale SOEMMERRING’s, der, jenen oft citirten Worten zufolge, ein Handbuch zu liefern wünschte, an dem man künftig, „als einer Basis, nach Erforderniss leicht ändern, wegnehmen und zu- setzen könnte“ so dass mithin die Summe der descriptiven Anatomie in gesicherter Fassung allmählich zusammen käme von diesem Ideale sind wir, so viele Handbücher inzwischen erschienen sind und neue Standpunkte für die Betrachtung eröffnet wurden, noch weit entfernt. Sieht man näher zu, so findet man häufig genug in Angelegenheiten der gröberen Anatomie, an Stellen, wo längst volle Sicherheit erwartet werden dürfte, erhebliche Ineongruenzen der Schilderungen, oftmals ohne den leisesten Hinweis der späteren, abweichenden Darstellung auf die frühere und ohne eine nähere Be- gründung dieser Abweichungen. Ich gebe zu, dass dergleichen Hin- weise und Begründungen leicht lästig und schleppend werden; indessen handelt es sich doch um ein endliches Vollenden eines geschlossenen und sicher stehenden Baues, und es ist darum scharf zuzusehen und offen zu legen, wie jeder neu zugetragene Baustein sich zu den älte- ren, bereits fest oder probeweise eingefügten, schicken möge.

Jenes gemeinsame, sich zusammenschliessende und zu sicherem Abschluss führende Arbeiten der einzelnen Forscher, wie es SoEM- MERRING vorschwebte, fehlt vielleicht nirgends so sehr, als heutiges- tags in der gröberen Anatomie. Oftmals gehen die Handbücher an wichtigen Angaben der vorzüglichsten Forscher ohne ein Zeichen der

42 WELCKER.

Zustimmung oder des Widerspruches vorüber; anderemale freilich schleppen sich unrichtige Angaben decennienlang von Buch zu Buch. Revisionen in dieser Richtung sind meist wenig dankbar. Hat man eine unsichere Stelle in den Handbüchern entdeckt und sich auf die Rechtstellung derselben eingelassen, eine grosse Zahl von Textstellen verglichen, eine Reihe vielleicht umständlicher, auf den bestimmten Punkt gerichteter Zergliederungen ausgeführt, so findet es sich nicht selten zum Schlusse, dass das gewonnene Ergebniss, annähernd oder ganz, in irgend einer der einander entgegenstehenden Schilderungen bereits mitgetheilt ist, ohne dass freilich der Leser darum hätte erken- nen können, dass gerade diese Angabe die richtige sei. Die Aufgabe des Forschers schrumpft nun dahin zusamnıen, meist ohne eine eigene Entdeckung aufweisen zu können, auf die Angaben der Vorgänger referirend und kritisch einzugehen eine für den Autor ausser- ordentlich wenig lohnende, wenn auch für die Wissenschaft unerläss- liche Leistung.

Das hier Gesagte findet auf mehrere Punkte desjenigen Capitels, dessen Revision dieser kleine Beitrag gewidmet ist, volle Anwendung. Die Kapsel des Hüftgelenkes und die sie verstärkenden Faserzüge werden in den Handbüchern so verschieden dargestellt, dass bei der physiologischen und chirurgischen Wichtigkeit dieses Bandapparates eine erneute auf anatomische Untersuchung gestützte Sichtung wohl am Orte ist. Die Bezeichnungen: Lisamentum superius, iliofemorale u.a. werden in ganz verschiedenem Sinne gebraucht; selbst über die Rich- tung und Ansatzweise des stärksten und mithin die Bewegungen des Schenkelbeines wesentlich bestimmenden Faserzuges der Kapsel gehen die Angaben auseinander. Nicht minder widersprechend sind die Schilderungen des Ringbandes (Zona orbicularis), dessen Bedeutung für die Gehbewegungen, wie für die Luxationen des femur, doch ohne Zweifel eine erhebliche ist.

Wesen und Bedeutung des Lig. teres sind trotz vieler wider- sprechender Angaben noch immer unaufgeklärt. Hier und in ähn- lichen Fällen giebt es nur Einen zum Ziele führenden Weg: die wiederholte, die verschiedenen Angaben im Auge hal- tende und sie prüfende anatomische Zergliederung.

Ueber das Hüftgelenk ete. 43

I. Längsfaserzüge der Hüftgelenkkapsel.

Art und Weise der Abgrenzung der Längsbänder. Zerlegung des We- ber’schen „Lig. superius“ in ein Lig. iliofemorale superius und anterius. Irrige Angaben über Lage und Richtung der stärksten Faserzüge der Hüft-

kapsel. Verschiedenheit der Funktion des Lig. ileofemorale superius und an- terius. Lig. pubofemorale. Lig. ischiofemorale (an Stelle des ischiocapsu- lare der Autoren). „Torsion‘ der Hüftkapsel.

Bewegt man an einem Hüftstücke, dessen Kapselband blossgelegt ist, das femur hin und her, so bemerkt man, dass bei bestimmten Stellungen einzelne Faserzüge der Kapsel sich vorzugsweise spannen und strangartig vortreten; man erkennt, dass bestimmte Bewegungen des Schenkelbeines durch diese Faserzüge gehemmt werden. Die Be- srenzung dieser Hemmungsbänder, zumal die Breite derselben, mag, indem zwischen je zweien derselben stets intermediäre Faser- züge eingeschaltet sind, die nach Lage und Wirkung den vorigen sich zwischenordnen, einigermaassen arbiträr sein; doch scheint es mir, dass die Richtung und Insertion derjenigen Stränge, die den Namen besonderer Verstärkungsbänder oder Hemmungsbänder verdienen, wenig Streitiges haben könne. r

Zur Feststellung dieser longitudinalen Stränge verzeichnete ich auf dem Kapselbande, indem ich dasselbe durch möglichste Streckung des femur stark spannte, mit einem Farbstifte eine Längslinie auf jeden der Faserzüge, welche sich am meisten spannten: ich erhielt vier solcher Linien. Der Schenkelkopf wurde sodann bei gebeuster und etwas abducirter Haltung des femur (sitzende Stellung mit ge- spreizten Beinen) aus der Pfanne gezogen und die nun schlaffe Kapsel durch Zug am femur möglichst gespannt: es erheben sich hierbei vier mehr oder weniger stark vortretende Stränge es sind die- selben, welche bei dem ersten Versuche durch Linien bezeichnet wurden. Hiernach dürften folgende vier Hemmungsbänder zu unterscheiden sein, welche mit den von früheren Autoren beschrie- benen in verschiedenem Grade zusammenfallen:

1. Lig. ileofemorale superius. (Obere und äussere Partie von WeBeEr’s Lig. superius.) Vgl. Fig. 1 und 2. (Siehe dieselben nächste Seite.)

Ursprung unterhalb der Spina ant. inf. o. ilei und etwas nach aus- und rückwärts. Steigt nach aussen, abwärts und etwas rückwärts und inserirt am oberen Ende der vorderen Umdreherlinie (an der Basis des trochanter major). Es ist das kürzeste und weitaus dickste dieser vier Bänder (gegen 60m lang, 7 bis 14mm dick). Seine Breite

44 WELCKER.

wenn eine solche bestimmter angegeben werden kann beträgt in der Mitte des nach dem Schenkel hin etwas verbreiterten Bandes ungefähr 15",

Fig. 1 und 2. Die 4 longitudinalen Faserstränge der Hüftkapsel; Vorder- und Hinteransicht.

ifs = lig. ileofemorale superius, ifa = lig. ileofemorale anterius, pf = !ig. pubofemorale,

isch. f = lig. ischiofemorale.

Das lig.ileofem. sup. hemmt die Streckung des Schenkels (beziehungsw. die Rückwärtsbeugung des Rumpfes); es theilt diese Funktion mit den drei folgenden Bändern, erfüllt dieselbe aber, als das weitaus stärkste, am wirksamsten. Es hemmt zugleich die Auswärtsrollung und die Ad- duction. Den höchsten Grad seiner Spannung und Elevation erlangt dieses Band, wenn das in mittlerer Beugung befindliche femur stark nach auswärts rotirt wird.

2. Ligamentum ileofemorale anterius. (Medialer Theil von Weper’s Lig. superius; lig. superius bei HEnke.) Vgl. Fig. 1 und 2.

Ist das längste der vier Verstärkungsbänder und nächst dem vorigen das stärkste. Entspringt unterhalb der spina ant. inf., un- mittelbar neben dem vorigen. Steigt ziemlich rein senkrecht und etwas nach rückwärts zum unteren Theile der vorderen Umdreher- linie, da, wo diese von der inneren Firste der Schenkelröhre getroffen wird (etwa 1 Zoll von dem trochanter minor).

Ueber das Hüftgelenk etc. 45

Dieses Band ist etwas mehr circumsceript und von seiner Um- gebung etwas mehr abgehoben, als das vorige, so dass mit mehr Recht eine „Breite“ (10 bis 14”m) angegeben werden kann. Länge 80"m, In Folge von Einmischung von Fasern der zona orbicularis, welche bei seiner Präparation schräg durchschnitten werden, ist dieses Band in der Mitte seines Verlaufes am dicksten, doch auch hier nur 4 bis San stark.

Ep. WEBER!) hat diese beiden Bänder sammt den dazwischen- liegenden Fasern als ein einziges, dreieckiges Band, „ligamentum superius“, beschrieben, dessen obere Spitze an der spina ant. inf. o. lei, und dessen segenüberliegender breiter Rand längs der ganzen vorderen Umdreherlinie inserirt, worin ihm die Mehrzahl der Autoren folete?). Es lässt sich aber nicht verkennen, dass die zwischen den beiden von mir geschiedenen Randpartien des WEBER’'schen lig. supe- rius liegende Bandmasse ansehnlich dünner ist, als jene Randpartien . eine THatsache, die auch HEnLE bestätigt®); sodann aber, was wichtiger: es wirken diese beiden Abschnitte des WEBER’schen Ban- des zweien ganz verschiedenen Bewegungsrichtungen des Schenkels als Hemmungsbänder entgegen: das lig. ileofemorale anterius, wie bereits bemerkt, der Streckung; das superius der Streckung, der Aus- wärtsrollung und der Adduction. Die verschiedene Wirkung beider Bänder ergiebt sich schon daraus, dass die Resultanten derselben, wie ich hervorheben möchte, zur Längsachse des Schenkelhalses sehr ver- schiedene Lagen haben; die des oberen Bandes geht der Achse des

1) Mechanik der Gehwerkzeuge, 138.

?) Hente (Bänderlehre, 127) vereinigt unter dem Namen lieg. ileofemorale das 'lig. superius WEBER’s und alle übrigen Bandfasern, welehe überhaupt vom Darmbeintheile des Pfannenrandes zutreten, so dass der Hinterrand dieses lig. ileofemorale unmittelbar bis zum „ischiocapsulare‘“ zurückgreift und die Wirkung dieses umfänglicheren Bandes eine etwas gemischte ist (der von HENLE hinzugezogene hintere Theil hemmt nämlich die Einwärtsrollung). Ich gebe zu, dass diese Hinzuziehung der hinter der spina inferior entspringenden Fasern insofern Manches für sich hat, als diese Fasern mit der hinteren Grenze unseres lig. ileofemorale sup. innig und ohne Abgrenzung verschmolzen sind und zur Hemmung der Extension einen erheblichen Beitrag liefern. Auf die Hemmung ‚der Abduction haben diese hinteren Fasern geringen, auf die Auswärtsrollung absolut keinen Einfluss.

3) „Abwärts gegen die Schenkelinsertion divergiren die oberflächlichen Bündel des lig. ileofemorale; die einen ziehen lateralwärts gegen das obere Ende der lin. obliqua femoris, die andern medianwärts zur Wurzel des kleinen Trochanter; zwischen beiden Faserzügen entsteht eine dreiseitige

aufwärts zugespitzte Lücke, die von den tieferen Faserbündeln ausgefüllt wird“ (a.a.0©. 128).

46 WELCKER.

Schenkelhalses nahezu parallel; die des vorderen kreuzt dieselbe in einem ansehnlichen Winkel (vgl. Fig. 1).

Hinsichtlich dieser beiden Faserzüge findet sich, zumal in den physiologischen Erörterungen, manches Unklare und Widersprechende. Da das zweite der von mir unterschiedenen Bänder vermöge seiner senkrechten Richtung am reinsten der Streckung des Schenkels ent- gegentritt und da es vermöge seines circumseripten Baues dem Auge als ein für sich Bestehendes sich abhebt, so ist vielleicht hierdurch die Meinung entstanden, nach welcher die grösste Stärke des Kap- selbandes in mehreren Darstellungen diesem senkrechten Faserzuge zugeschrieben und dieser senkrecht verlaufende Abschnitt des WE- BER'schen Bandes als das ganze „lig. ileofemorale“ WEBER’s genommen wird. Ich erwähne in dieser Beziehung nur die Angaben von HENKE, LuscHhkA und QuAIN-HOFFMANN, denen gegenüber geltend zu machen ist, dass das lig. superius WEBER’s seine weitaus stärkeren Faserzüge schräg nach dem trochanter major hinübertreten lässt, und dass das WEBER’sche Band nur in dieser Richtung jene von WEBER hervorgehobene, die Achillessehne überragende Dicke be- sitzt, während der mehr senkrechte, herabtretende Faserzug (lig. ileo- femorale anterius) weitaus schwächer ist).

1) Die Angaben, welche dem herabtretenden Faserzuge die grösseste Stärke und den Haupteinfluss auf die Fixirung des Rumpfes zuschreiben, sind folgende:

HEnkE (Handb. d. Anatomie und Mechanik der Gelenke, 206): „Besonders drängen sich stärkere Fasern zu festen Bandsträngen zusammen gegen das untere Ende des vorn an der linea obliqua anterior zwischen Hals und Körper des Oberschenkels herablaufenden Ansatzes. Die bedeutendste Masse ist das von der spina ant. inf. o. il. gerade herablaufende lig. ileofemorale (superius, WeBER).“ Der von Henke beigefügte Holzschnitt (a. a. ©. Fig. 47 den ich in dieser Abhandlung pag. 13, Fig. 7, copirt wiedergebe —) zeigt von dem WE- BERr’schen lig. superius nur jenen herabtretenden, schwächeren Faserzug, während der weit mächtigere, nach dem trochanter major schräg hinübertretende Theil des Bandes (unser superius) durch keine Linie angedeutet ist. Jener „gerade vor dem Gelenkkopfe herabgehende starke Bandstrang“ ist nach HENKE (pag. 208) das Hemmungsband der Schenkelstreckung, und ebenso wird pag. 210 „der gerade von oben herunterkommende Hauptstrang‘“ in seinem Einflusse auf Adductions- und Abductionshemmung hervorgehoben. Ganz ähn- lich disponirt HENKE in einer spätern Mittheilung (Text zum Atlas der topo- graph. Anat. p. 11) die Faserung der Hüftkapsel: „Ihre stärksten Fasern kommen über dem Kopfe und Halse herab von der höchsten Stelle des Pfannenrandes und weiter hinten herum und setzen sich am unteren Ende der linea obliqua an, bilden also einen sie gerade vor der Mitte des Kopfes senkrecht herab verstärkenden Strang, lig. ileofemorale.“ In allen diesen Angaben Henke’s geschieht des querlaufenden, weit stärkeren Faserzuges keine Er-

Ueber das Hüftgelenk ete. 47

Der sehr verschieden grosse Einfluss, den beide Abtheilungen des Weper’schen lig. superius auf die Hemmung der Schenkelstreckung und auf die Schenkelbewegungen überhaupt besitzen, tritt sehr klar hervor durch folgenden Versuch: An zwei vollständigen Becken, deren femora bis zur Hälfte abgesägt sind, entferne man die Gelenkkapseln an dem einen mit ausschliesslicher Hinterlassung der ligg. ileofem. superiora, während an dem anderen Becken nur die anteriora zurückbleiben. Stellt man das erstere dieser beiden Präparate auf einem Stative auf, welches zwei in passender Entfernung senkrecht befestigte Eisenstäbe besitzt, auf welchen die Markröhren der femora undrehbar niedergeschoben werden, das Becken sieh mithin in nor- maler Aufstellung befindet!), so ändert ein sehr kräftiger senkrechter Druck auf das Becken, oder ein Versuch, dasselbe nach rückwärts zu . ziehen, sehr wenig an dessen Stellung, während das zweite Präparat, da die lieg. anteriora weit schwächer sind, bei demselben Drucke schon etwas mehr rückwärts gebogen wird.

Nimmt man die Präparate von dem Stative, so zeigt es sich, _ dass an dem einen (Erhaltung der ligg. superiora) ein höherer Grad von Adduction bei gestrecktem femur nicht möglich ist, während an dem zweiten Präparate die gestreckten Schenkelheine merklich addu- cirt werden können. (Unterlässt man es, die Aufstellung auf dem Stative so einzurichten, dass die femora undrehbar sind, so drehen sich bei fehlenden lisg. ileofem. superiora, wenn auf das Becken ge- drückt wird, die Schenkelbeine in Auswärtsrotation.)

wähnung, und es wird mithin bei der Würdigung der physiologischen Leistung des Bandapparates ein theilweise anderes anatomisches Substrat vorausgesetzt, als in Wahrheit vorliegt.

Aehnlich LuscHkA (Anat. d. Menschen, III. 1, 269): „Der mächtigste, 9 Millim. dicke, einer Belastung von mindestens 5 Centnern fähige Faserzug geht als lig. Bertini s. ileofemorale vom vorderen, unteren Darmbeinstachel gegen den kleinen Rollhügel herab.“

Aehnlich Quaın-Horrmann (Lehrb. d. Anat. I, 206): „Ihr stärkster Theil ist vorne; hier erstrecken sich ihre Fasern senkrecht vom oberen Pfannen- rande an das untere Ende der linea intertrochanterica und werden durch einen festen, von der spina o. il. ant. inf. herkommenden Strang, das lig. ileo- femorale s. accessorium anterius, verstärkt.“

1) Auch beim Unterrichte erweist sich diese Aufstellung des feuchten Bän- derpräparates des Beckens für mehrere Zwecke der Demonstration (Theorie des aufrechten Stehens u. s. f.) sehr nützlich. Das Stativ besteht aus einem Brette,

in welches zwei hinreichend starke Eisenstäbe in passender Entfernung einge- lassen sind.

48 WELCKER.

3. Lig. pubofemorale (vgl. Fig. 1 und 2). Hier kein nennens- werther Widerspruch in den Handbüchern. Entspringt vom pecten des Schambeines und jenem Vorsprunge des Pfannenrandes, in welchen das pecten ausläuft; steigt nach abwärts, aussen und rückwärts und inserirt etwa 1 Zoll hoch oberhalb des trochanter minor, am unteren Ende der oberen Umdreherlinie. Dieses Band ist gegen 75”” lang und nur 2 bis 3”” diek. Es hemmt. die Abduction.

Das lig. ileofemorale anterius liest diagonal zwischen dem ileo- femorale superius und dem pubofemorale, mit ersterem den Becken- ursprung, mit letzterem den Schen- kelansatz nahezutheilend, so dassdie drei Bänder zusammen ungefähr die Gestalt eines N bilden (Fig. 1).

4. Lig. ischiofemorale (vgl. Fig. 3). Entspringt hinten am Becken zwischen Pfannenrand und Basis des absteigenden Sitz- beinastes (aus der Rinne, durch welche die Sehne des m. obtu- rator externus gleitet) und steigt, in nahezu horizontaler Richtung nach aussen, oben und vorn, im obern Theile der Kollhügelorube (unmittelbar neben den dort fest- sitzenden Rollmuskelsehnen) in- serirend. Die Lage dieses Ban- Fig. 3. Die longitudinalen Stränge der Hüft- des ist ziemlich genau zwischen

Kapsel ENRENSIEN den Endpartien beider Mm. obtu- el eolemorals SNEELS ratores. Dasselbe ist 3 bis 4 a ifa = lig. ileofemorale anterius; B pf = lig. pubofemorale; 5 : dick, gegen 02m lang und etwa isch f = lig. ischiofemorale. 12 mm breit

Aber geht dieses von mir als lie. ischiofemorale bezeichnete Band wirklich an das femur und kommt ihm eine besondere Wir- kung zu? Da dieses Band in den Lehrbüchern theils fehlt, theils als nicht an den Schenkelknochen, sondern nur an die Kapsel tretend, beschrieben wird und ihm, abweichend von den auf „femorale‘“ aus- klingenden Bezeichnungen, der Namen „ischiocapsulare“ gegeben wurde, so könnte man vermutben, dass dasselbe sehr inconstant und sein Schenkelansatz, wenn vorhanden, sehr unansehnlich und ohne nennenswerthen Einfluss auf die Schenkelbewegungen sei. Dies alles

Ueber das Hüftgelenk etc. 49

ist aber nicht der Fall; ich habe dieses Band in der von mir be- schriebenen Weise constant vorgefunden. Dasselbe ist merklich stärker, als das pubofemorale, sein Schenkelansatz ist sehr fest und sein Einfluss auf die Schenkelbewegungen ist ein ganz bestimmter und energischer. Das lig. ischiofemorale spannt sich stark, wenn man das Femur um seine Längsachse nach einwärts zu rollen sucht, und nur nach seiner Durchschneidung kann ein höherer Grad dieser Bewegung ausgeführt werden. Das lie. ischiofemorale ist hiernach ein Hemmungsband für die Rotation des Schenkels nach innen. Den sicheren Nachweis der Existenz dieses Bandes, zumal seiner Insertion an das Femur, liefert folgende Präparation:

Man trage an einem Präparate, welches unserer Fig. 1 und 2 entspricht, die lig. ileofemoralia und das pubofemorale vollständig ab und durchschneide auch das lig. teres, so dass das: Schenkelbein nur noch durch das von mir als lig. ischiofemorale angesprochene Band mit dem Becken in Verbin- dung steht. Bringt man nun das Schenkelbein in gestreckte Lage und macht einen Versuch, dasselbe einwärts zu rollen, so leistet das lig. ischio- femorale einen ganz energischen Widerstand, und es gehört schon eine ziemlich kräftige Umdrehung des Knochens dazu, das Band zu zerreissen. In mehreren Fällen, in welchen ich diesen Versuch ausführte, riss das Band, zum Beweise der Festigkeit seiner Schenkelinsertion, nicht dort, sondern am Becken ab’).

5) WEBER erwähnt bei Schilderung der dünnen Stellen der Kapsel (p. 138) zwei „Sehnenbündel“, in welchen unser lig. pubofemorale und ischiofemorale theilweise zu erkennen sind. Doch hat WEBER den vom Sitzbein kommenden Faserzug nicht als lig. ischiofemorale, sondern offenbar als ein ischiocapsu- lare aufgefasst; er nennt denselben (p. 140) ein vom Pfannenrande aus an das Ringband tretendes Verstärkungsbündel. Ganz ähnlich die späteren Forscher:

BARKoWw, von welchem die Aufstellung des „lig. ischiocapsulare“ herrührt, beschreibt dasselbe (Syndesmologie, 1841, p. 79) folgendermassen: „Das lig. ischio- capsulare entspringt als ein starker, mehrere Linien breiter Fascikel oberhalb des tuber ischii, in der Mitte zwischen ihm und dem Pfannenrande, geht an die Kapsel und inserirt sich an die hintere Fläche derselben in der fossa trochanterica.“

HENLE (a. a. O. 126): „In der zona orbicularis enden die longitudinalen Fasern, lig. ischiocapsulare (Barkow), welche an dem Theile des Pfannen- randes, den das Sitzbein trägt, ihren Ursprung nehmen.“

Nach Quaın-Horrmann (p. 207) ziehen die Fasern des lig. ischiocapsulare „in die Kapsel gegen die fossa trochanterica hin, ohne sie vollständig zu errei- chen.“ Das Band „endigt an eirculär verlaufenden Fasern, welche in der Nähe der Trochanteren liegen und zona orbieularis genannt werden.“

Bei Langer (Lehrb. d. Anat. 147) heisst es, dass „von jenen Fasern, welche vom Scham- und Sitzbein zur Kapsel gehen, sich ebenfalls einige am Schenkel-

beine anheften.“ Doch passt dies nicht auf unser Band, denn unmittelbar vor- Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 4

50 WELCKER.

Alle diese vier hier beschriebenen Verstärkungsbänder werden schlaff und verlaufen nahezu parallel (von dem ileofem. anterius gilt letzteres am wenigsten), wenn das Femur in mässigem Grade flektirt und etwas abducirt wird, das Bein sich mithin in einer mittleren Stellung befindet; der Schenkelkopf kann in dieser Stellung am Prä- parate um !/, Zoll und mehr aus der Pfanne hervorgezogen werden (vel. Fig. 5). Bringt man das Schenkelbein wiederum in Streckung (Fig. 4), so winden die Bänder sich spiralig um den Schen-

Fig. 4. Femur in gestreckter Stellung (,‚Torsion‘‘ der Kapsel).

Fig. 5. Femur in gebeugter Stellung (Zurückwindung und Entspannung der Kapsel). isch. f = lig. ischiofemorale. ;

Die punktirte Linie deutet die Richtung des lig. ileofem. ant. an.

kelhals, demselben um so fester sich anschmiegend und den Schen- kelkopf um so fester in die Pfanne einpressend, je mehr das Extrem der Streckung erreicht wird. Die Längsfaserzüge des Kapsel-

her wird von den „an den Körpern der drei Theilstücke des Hüftbeines“ ent- springenden Verstärkungsbändern gesagt, dass sie „durchgehends vorne an der lin. intertrochanterica“ enden. Vom Sitzbeine geht aber doch keine Band- faser nach vorn, und das lig. ischiofemorale inserirt hinten am Femur.

Den Namen „lig. ischiofemorale“ finde ich nun: bei LuscHkA (a. a. O. III, 1, 365), doch wird hier nur der Ursprung des Bandes am Sitzbeine, nicht aber nachgewiesen oder auch nur erwähnt, dass und wie das Band am -Femur inserire. Auf die bestimmte Angabe Hexre’s hin, dass dasselbe in der „Zona ende“, habe ich das Band wiederholt sorgfältig präparirt, ehe. ich mich zur Aufstellung eines lig. ischiofemorale berechtigt hielt.

Ueber das Hüftgelenk etc. 51

bandes bewegen sich hierbei ganz ähnlich um den Schenkelhals, wie es die Falten eines Rockärmels thun, wenn man den unteren Rand desselben mit den Fingerspitzen gegen den Handteller anpresst und nun Pronation ausführt, in welchem Falle die Falten sich spiralig um den Arm wickeln und der Aermel verkürzt wird, während sie bei der Supination unter Verlängerung des Aermels in gestreckte Stellung zurückkehren. Streckt und beugt man an dem Präparate abwechselnd das Femur, dasselbe hierbei so weit von der Pfanne weg- ziehend, als die Bänder es erlauben, so hat man den Eindruck des Hinein- und Herausschraubens, und es ist klar, dass der Aus- tritt des Schenkelkopfes bei der Luxation einer solchen Heraus- schraubung entspricht. Die in Fig. 5 angedeutete Haltung des Beines, in welcher die Kapsel möglichst entspannt ist, ist zugleich diejenige, welche bei verschiedenen Erkrankungen des Gelenkes vom Kranken gewählt wird).

Auf unser Präparat (Fig. 5) zurückblickend finden wir, dass das vorn gelegene lig. ileofemorale anterius (in der Abbildung durch eine punktirte Linie angedeutet) und das hinten gelegene ischiofemorale bei der Schenkelstreckung (Fig. 4) in immer stärker kreuzende Rich- tung gerathen; ersteres steigt vom Becken aus abwärts zum femur, letzteres schräg aufwärts. Das lig. ischiofemorale erscheint hiernach als ein Complement des lig. ileofemorale anterius und als ein noth- wendiges Glied in der Reihe der den Schenkelhals umwindenden Längsstränge, von welchen, behufs einer vollständigen Torsion der Kapsel und Feststellung der Extremität, auch einer am hinteren Theile des Schenkelbeines (des Schenkelbeines und nicht etwa blos der Kapsel) seine Anheftung finden muss. Die hintere Insertion der Kap- sel macht, indem der fibröse Theil derselben längs der Rollhügellinie . bekanntlich ohne Ansatz ist, vom pubofemorale aus einen Sprung nach oben, und die ersten Bandfasern der Kapsel, mit welchen sie den Knochen wieder trifft, sind eben die Insertion des lie. ischic- femorale.

1) Auf diese „Torsion‘ des Kapselbandes hat WEBER (a. a. 0. 144) zuerst aufmerksam gemacht; ich hebe diesen interessanten und für die Bewegungen des Schenkelbeines massgebenden Mechanismus umsomehr hervor, als ich des- selben in anatomischen Darstellungen nur bei Langer (a. a. O. 147) gedacht finde. Ich vermuthe, dass die Wirkung dieses Mechanismus während des Gehens noch in einer besonderen, unten (III) zu erörternden Weise bei jedem Schritte zur Geltung kommt.

4*

52 WELCKER.

II. Zona orbieularis.

Widersprechende Angaben der Autoren. Bau der Zona nach der Ansicht des Verf. Function der Zona. Präparationsverfahren zum Nachweise des Baues der Zona.

Zu einer vollen Einsicht in den Bau des Hüftgelenkes gelangt man erst durch die genaue Kenntniss der zona orbicularis. Diese von E. WEBER aufgestellte Zona wird indess von den Autoren so verschieden beschrieben, dass man hier in der That eine um so weniger klare Vorstellung gewinnt, je mehr Beschreibungen man liest. Es ist zuzugeben, dass die Zona keine sehr manifeste Bildung ist, deren Grenzen und Verknüpfungen schon bei einer nur beiläufigen Präparation von selbst zu Tage treten; noch weniger aber ist sie ein Artefact, und es scheint mir, dass, wenn man sorgfältig vorgeht, die Präparation stets zu wesentlich demselben Ergebnisse führen wird.

Nach WEBER (a. a. O. 140) geht „nicht die ganze Bandmasse, welche unter der spina ant. inf. ihren Ursprung nimmt, als lig. su- perius zum Schenkelbeine hinüber, sondern sobald dieselbe den Rand der Schenkelkopffläche erreicht hat, geht ein Theil davon auf diesem Rande in zwei Schenkeln nach vorn und ringförmig um den Schenkelkopf herum“; ein „Ringband, das unter der spina ant. inf. entspringt, und um den Schenkelkopf herum dahin wieder zurückgeht.“ Das wäre aber nicht sowohl eine „Zona“, als eine von der spina inf. il. aus um den Schenkelhals gelegte Schlinge. Das lig. superius würde von den Fasern dieser Schlinge nirgends gekreuzt sein, sondern es läge zwischen deren Ursprungs- schenkeln (vgl. Fig. 6). x

Zu diesem Ringbande treten nach WE- BER (pag. 138 und 140) „vom Pfannenrande N shionlänisttes AB noch zwei Verstärkungsbündel“ (ihrem beri, entworfen nach der Be- Beckenursprunge nach unsere lieg. pubo- und

ee bier ’>- ischiofemorale), welche Stränge indess nach Weper’s Darstellung vom Becken zur Kapsel, nicht aber von dort aus weiter zum Schenkelbeine gehen.

Sehr abweichend hiervon fasst HENKE!) die Zona auf. Liess

1) Handbuch d. Anat. u. Mechanik der Gelenke, 206. HENxkE erwähnt

Ueber das Hüftgelenk ete. 53

WEBER die Ursprungsschenkel derselben vom obern Theile des „lig. superius“ abtreten so zeigt uns HEnke’s Abbildung (a. a. O. Fig. 47, die ich in Fig. 7 wiedergebe) eine Bandschlinge, deren beide Schenkel mit dem mittleren Theile eines lie. ileofemorale (anterius) zu- sammenhängen, den Darmbeinursprung jenes Bandes gar nicht be- rühren und die, umgekehrt, wie bei WEBER, von der Schen- kelinsertion des Bandes nach aufwärts schwenken. Ganz entsprechend dieser Abbildung lautet es im Texte (pag. 206):

Mit dem von der spina ant. inf. ilei gerade herablaufenden lig. ileofemorale „kommen von beiden Seiten Stränge zusam- men, die eine ganze Strecke weiter zurück am oberen und unteren Umfange der Pfanne entspringen, um den oberen und unteren Um- fang des Halses fast kreis- förmig herumlaufen (Zona or- bieularis), während hier nur ein ganz dünnes Kapselblatt sich an denselben inserirt, endlich aber vorn und unten in dieselbe Insertion am un- teren Ende der linea obli- qua femoris eingehen.“

Fig. 7. Zona orbicularis Weberi und „lg. ileofemorale‘ nach Henke.

eine Zona mithin, welche aus zwei Hälften besteht, deren jede, wenn ich HENKE recht verstehe, einen Beckenansatz und einen Schen- kelansatz besitzen würde Wiederum eine andere Darstellung giebt LANGER, derzufolge die Zona als ein Anhängsel des lig. pubo- und ischiofemorale erscheint, eine von dem Scham- und Sitzbeine aus nach vorn um den Schenkelhals geführte Schlinge ?).

nicht, dass er hier von Weger’s Beschreibung abweicht, sowie wiederum HENLE, der eine von beiden abweichende Darstellung giebt, die Auffassung HENKE’s nicht erwähnt.

2) „Von jenen Fasern, welche vom Scham- und Sitzbeine zur Kapsel gehen, heften sich ebenfalls einige am Schenkelbein an; ein grosser Theil derselben aber verwebt sich, ohne Ansätze am Schenkel aufzusuchen, mit dem Bande und bildet eine um die engste Stelle des Halses herumgelegte, gegen die fossa

54 WELCKER.

Eine wesentlich andere Auffassung hat HEnLE!). Derselbe sieht in der Zona nicht eine von irgend einem Knochen ausgehende Band- schlinge, sondern einen in sich geschlossenen, mit dem Knochen nirgends in directer Verbindung stehenden Faserring, der seinen Zusammenhang mit letzteren nur dem Hindurchtreten von Längs- fasern des Kapselbandes verdankt ?).

Die Mehrzahl der übrigen Autoren ist in der Beschreibung der Zona WEBER’n gefolgt. So beruht die Bildung der Zona nach LuscHhkA°) auf der Abzweigung starker Faserzüge „vom lig. ileofemorale“, und in der bei- gefüsten Fig. LI entspringt die Zona vom Darmbeine. Nach HYrTL?) erscheint die Zona geradezu als ein Theil des lig. Bertini, welches „theils an der lin. intertroch. ant. endigt, theils mit zwei um den Hals des femur herumgehenden --Schenkeln eine Art Halsband (zona orbicularis) bildet.“ Man vergleiche hierzu die Fig. 156 bei HEITZz- MANN °), woselbst die an der Rückseite des Gelenkes dargestellte Zona die Aufschrift „lieg. Bertini“ trägt und mit allen ihren Fasern zur spina inf. ilei hinaufsteist.

Welche Auffassung ist nun die richtige?

Ich muss wiederholten Zergliederungen zufolge im Wesentlichen den Angaben HEnte’s beitreten. Die Zona ist ein in sich ge- schlossener und durch ihre eigenen Fasern mit dem Knochen nirgends in Verbindung stehender Faserring. Dieser Ring umkreist, allwärts der Synovialhaut nahe anliegend (während die Längsfasern der Kapsel sich mehr aussen halten) ziemlich die Mitte des Schenkelhalses, so dass die kräftigsten Züge seiner Fasern überall in den tiefsten Einschnitt des Halses zu liegen kommen®) Bei diesem Verlaufe kreuzt die Zona der Reihe nach die beschriebenen Längs-

trochanterica scharf gerandete Schleife, die zona orbieularis“ (Langer, Lehrb.. d. Anat. 147).

1) Bänderlehre, 1. Aufl. 125; 2. Aufl. 130.

2) Gute Abbildungen der Zona hat HEnLE gegeben, a. a.O. 105, 107 und 110.— In einer Note, in welcher HrNLE auf seine Abweichung von WEBER hinweist, heisst es durch einen Druckfehler (der auch in der 2. Aufl. wiederkehrt): „WE- BER’s zona geht nämlich von der spina superior oss. il, aus.“

3) Anat. III, 1. 365.

4) Lehrb. d. Anat. 11. Aufl. 359.

5) Descript. u. topogr. Anat. 114. i

6) Bei einem frisch aus der Kapsel genommenen Schenkelbein erkennt man meist sehr gut die Furche, rings um den Schenkelhals, in welcher die Zona gleitet, und oft zeigt auch der trockne Knochen, zumal an der Vorderseite des- Halses, einen deutlichen Eindruck derselben.

Ueber das Hüftgelenk etc. 55

bänder und sie empfängt hierbei von jedem derselben (am reichlichsten von dem pubo- und ischiofemorale) Verstärkungsfasern; dieses aber in der Weise, dass von den Beckenursprüngen der Längsbänder einige Randfasern zum oberen Rande der Zona, und ebenso von den Schenkel- ursprüngen der Längsbänder einige Fasern zum unteren Rande der Zona umbiegen. Die Zona, die in dieser Weise durch accessorische, den eirculären sich anschliessende Fasern mehr oder weniger fest mit verschiedenen Stellen des Beckens wie des Femur zusammenhängt, wurde, indem die selbständigen Fasern derselben, d. i. die eigentlichen Zonafasern, nicht nach Gebühr beachtet und bald diese, bald jene accessorische Fasern als „Ursprünge“ der Zona in Anspruch ge- nommen wurden, als eine von sehr verschiedenen Stellen, bald des Beckens, bald des Femur, ausgehende Schlinge angesehen.)

Die Zona ist an verschiedenen Stellen verschieden breit und dick. Am meisten aneinandergedrängt sind ihre Fasern am oberen Theile des Schenkelhalses (an der Stelle der Kapsel, welche dem oberen und hinteren Rande des lig. ileofem. sup. entspricht); hier bildet die Zona einen 5 bis 7% breiten, 2 bis 3”" dicken Strang, der bei vielen Exemplaren ziemlich circumseript sich hervorhebt und nach der Syno- vialseite prominirt. Sowohl die vorne, wie die hinten am Schenkel- halse herabtretenden und ihn umgreifenden Fasern treten mehr aus- einander, so dass die Zona an diesen Stellen breiter und dünner wird. Die einzige Stelle, wo die Zirkelfasern von aussen und ohne erhebliche Präparation deutlich hervortreten, ist an der hinteren Fläche des Kapsel- bandes, zwischen den ligg. pubo- und ischiofemorale; der Raum zwischen diesen beiden Bändern ist fast nur durch Ringfasern geschlossen, so dass der fibröse Theil der Kapsel hier keine Schenkelinsertion besitzt und, sobald die Synovialmembran getrennt wird?), einen freien, der lin. intertroch. posterior zugewendeten Rand zeigt, der (vermöge der vom lig. pubo- und ischiofemorale zutretenden Randfasern) bogenför- mig zwischen den Schenkelinsertionen der genannten Längsbänder aus-

!) Die von der Schenkelinsertion des lig. ileofem. anterius zum unteren Rande der Zona umbiegenden Fasern mögen HEnkE’s, die von den Beckenur- sprüngen des pubo- und ischiofemorale zum oberen Rande der Zona gehenden Fasern die Langer’sche Darstellung veranlasst haben. Die Auffassung WEBER’s mochte darin ihren Grund haben, dass die Zona mit der auf sie zutretenden Ursprungspartie der ligg. ileofemoralia nicht sowohl durch Faserbeimischung als durch die derbe Beschaffenheit der letztgenannten Bänder sehr unverschieblich verknüpft ist.

2) was bei unvorsichtiger Reinigung der Kapsel hier sehr leicht unversehens geschieht.

56 WELCKER.

sespannt ist.!) Ganz ähnlich treten von den Beckenursprüngen beider Bänder bogenförmige Fasern an den der incisura acetabuli zugewen- deten Rand der Zona°), und indem die Longitudinalfasern auch dort sehr sparsam sind, gelingt es leicht, hier sichere Grenzen der Längs- bänder und der Zona zu finden und ober- wie unterhalb der Zona je ein Fenster in die Kapsel einzuschneiden, welches die Grenzen der Zona und der beiden hier befindlichen Längsbänder freilest. Beust und streckt man abwechselnd das Schenkelbein eines Prä- parates, an welchem in der eben beschriebenen Weise der der hinteren Rollkügellinie zugewendete Theil der Zona freigelegt ist, so sieht man, dass die Zona von den sie hier kreuzenden Längsbändern (pubo- und ischiofemorale) hin- und hergeschleppt wird; wenn der Schenkelhals vorwärts rollt (Schenkelstrekung) so rollt die Zona, dem lig. ischio- femorale folgend, nach aufwärts; umgekehrt bei Schenkelbeugung, dem pubofemorale folgend, nach abwärts, und je mehr im ersteren Falle die Längsbänder in spiralig umwindende Stellung zum Schenkelhalse kommen (vol. oben pg. 50), umsomehr wird die Zona gegen den Pfannenrand herangeführt und der Schenkelkopf somit von einem fest anliegenden Ventil umfasst.

In weitfesterer Verbindung, als mit den eben genannten schwächeren Hemmungsbändern, steht die Zona mit den lieg. ileofemoralia, und der dort gelegene Abschnitt der Zona ändert bei Schenkelbewegungen seine Lage zur spina ant. inferior o. ilei offenbar nur in sehr geringem Grade. Doch wird man einen ‚„‚Ursprung‘‘ des Ringbandes nicht an den Knochen verlegen, noch auch sonstwie von den ligg. ileofemo- ralia herleiten dürfen. Zu einer Zusammenschnürung der vom Pfannenrande in weitem Umkreise entpringenden und am Femur eben- falls in erheblicher Ausbreitung inserirenden Längsfasern des Kapsel- bandes (welche mithin an und für sich einen sehr weiten und mehr cylindrischen Sack bilden würden, der solchergestalt niemals dem dünnen Theile des Schenkelhalses ventilartig angepresst sein würde) gehört eben nicht eine vom Darmbeine herabtretende Schlinge, sondern es benöthigt hierzu wirklicher Ringfasern, die auf kürzestem Wege den Schenkelhals umwinden und die Längsbänder da, wo der verdünnte Theil des Schenkelhalses von ihnen sonst nicht berührt würde, enge zusammenfassen. In dieser Zusammenfassung der Längsfasern der Kapsel, so dass das mit dem labrum cartilagineum beginnende Ventil sich mehr und mehr schliesst und für die Drehung

l) Gut dargestellt mn Hexzr’s Fig. 110 (1. Aufl.) 2) vgl. HEnLE, Fig. 107.

Ueber das Hüftgelenk etc. 57

des Schenkelhalses um seine Längsachse eine sichere Führung gegeben ist, liegt meines Erachtens die Bedeutung der Zona.

Da 'es der Zweck dieser Darstellung ist, die über den Bau der Zona bestehenden Controversen womöglich zum Abschluss zu bringen, so theile ich die Präparationsweisen mit, auf welche die gegebene Schilderung sich stützt.

Fig. 8.

Fig. 8. Rechtes Hüftgelenk, derart gespalten, dass beide Hälften des Kapselbandes nur durch das Femur verbunden sind.

7 = vordere Wandung der Kapsel, mit anhangendem Darmbein und ÖOberhälfte des

Schambeines ; H = hinterer Lappen, mit Sitzbein und Rest des Schambeins. sas = spina ant. sup. ilei; fi = tuber ischii; /mj = trochanter major; lc = labrum cartilagineum; fr = lig. transversum acetabuli; fe = lig. teres. ifs = lig. ileofemorale sup.; p f = lig. pubofemorale.

ZU bis Z? = Zona orbicularis; dieselbe kreuzt bei 1 das lig. ileofem. sup.; bei 2 das ileofem. ant.; bei 3 das pubofemorale; bei 4 das ischiofemorale.

In der Bahn der Zona wie der vier Längsbänder zahlreiche Pfriemenstiche, in Form kleiner Längsspältchen hervortretend.

1. Man spalte, wie bei dem durch Fig. 8 dargestellten Präparate ge- schehen ist, das Kapselband der Länge nach durch zwei Einschnitte, deren einer längs des äusseren Randes des lig. ileofemorale superius, der andere längs des medialen Randes des pubofemorale verläuft und durchsäge sodann in fortgesetzer Richtung beider Schnitte das Hüftbein, so dass nach hinzu- gefügter Durchschneidung des lig. teres die beiden Stücke des Hüftbeins (das obere an der Vorderhälfte, das untere an der Hinterhälfte des Kapsel- bandes hängend) frei auseinander geschlagen werden können. Man über- zeugt sich, zunächst die Längsbänder feststellend, durch Zufühlen wie durch Haltung des Präparates gegen das Licht, dass der vordere Lappen des Kapselbandes (V) von zweien mehr oder weniger kräftig vortretenden Faser- zügen begrenzt wird: lig. ileofemorale superius und pubofemorale, und dass zwischen beiden ein drittes Band diagonal verläuft: lig. ileofemorale anterius.

98

WELCKER.

Weniger deutlich giebt sich in dem hinteren Lappen (H) das lig. ischiofemo- rale durch Beleuchtungsunterschiede zu erkennen. Was nun die Zona an- langt, so zeigt die Durchschnittsfläche des vorderen Lappens der Kapsel, dass der Hinterrand des lig. ileofemorale superius ziemlich im dessen Mitte (bei Z1 in Fig. 8) rechtwinklig gekreuzt wird von der Zona, die dort ein compacter, 5 bis 7 WM breiter, 2 bis 3 WM dieker, in circumscriptem Quer- schnitt hervortretender Strang ist. Derselbe besitzt am lig. ileof. superius eine sehr derbe Befestigung; von einem Ausfliessen von der spina ilei aus zeigen die in ihrem ganzen Verlaufe übersichtlichen Fasern nirgends eine Spur. Die Bündel des lig. superius verlaufen, wie erwähnt, mehr aussen, so dass dieser strangförmige Theil der Zona (Z1) gegen die Synovial- haut an vielen Präparaten merklich prominirt. Im mittleren Theile des Vorderlappens der Kapsel wird das lig. anterius von der breiter und dünner werdenden und hier weniger deutlich hervortretenden Zona in schräger Richtung gekreuzt (2). Der untere (laterale) Rand der Zona ist es, welcher hier den oberen Rand der zwischen lig. superius und anterius gelegenen dünnen Stelle der Kapsel bilden hilft. Nun kreuzt die Zona das lig. pubo- femorale (3) und alsbald, in den Lappen H übertretend, auch das ischiofemo- rale (4); ihre Fasern sind allmählich so sehr auseinandergefahren und sie ist hierdurch so breit geworden (gegen 20 bis 25 %®), dass sie ziemlich den ganzen Raum zwischen den letztgenannten beiden Bändern erfüllt, dem Ursprunge und Ansatze derselben ziemlich nahe kommend. Die kräftigeren Faserzüge dieser breiten Partie der Zona liegen dem Schenkelrande der Zona näher, als dem Beckenrande. Nachdem die Zona das lig. ischiofemorale- gekreuzt hat, sammeln sich ihre Fasern wieder zu einem am Hinterrande des Schenkelhalses hinaufsteigenden, zu einer Breite von 3 bis 4 WM sich zu- sammenschliessenden Strange (Z°), und wir sind wieder zurückgekehrt zu dem das lig. superius kreuzenden Theile, von welchem wir ausgingen.

Besonders deutlich tritt der Verlauf der Kapselbandfasern hervor, wenn man (wie LANGER zur Ermittlung des Faserverlaufes der Haut gethan) ver- schiedene Stellen des nach Art der Fig. 8 gespaltenen Kapselbandes mit einem Pfriemen durchsticht und von der Synovialseite aus die Richtung der kleinen Längsspalte mustert, welche der vollkommen drehrunde Pfriemen hinterlässt!). Ueberall, wo eine bestimmte Richtung der Fasern vorherrscht, hinterlässtder Pfriemenstich einen jene Faserrichtung definirenden Längsspalt. Ich habe in Fig. 8 die erzielten Einstiche genau eingetragen und auch hier ein mit meiner Schilderung der Längsbänder wie der Zona übereinstimmendes Ergebniss erhalten. Auf das Bestimmteste zeigt es sich, dass die Fasern der Zona keine Abzweigung der ligg. ileofemoralia sind und dass sie mit der spina ilei, von welcher der wulstige Theil der Zona (Z1) um. mehr als einen Zoll weit entfernt liegt, direct nicht zusammenhängen.

2. Auch an einem Präparate, wie es der Fig. 1 zu Grunde liegt, übersieht. man sehr gut die Stärke und die Verlaufsrichtung der Zona; jedes der isolir- ten vier Längsbänder enthält den betreffenden, das Längsband kreuzenden Abschnitt der Zona, von welcher mithin acht Querschnitte blosgelegt sind.

1) Dasselbe Verfahren lässt sich bei der Sclerotica, Cornea und anderen

membranösen Gebilden mit Erfolg anwenden.

Ueber das Hüftgelenk ete. 53

3, Bei einem Versuche, in das Kapselband Fenster einzuschneiden, so dass nur die Zona, und von den Längsfasern nur diejenigen, welche zu den beschriebenen vier Längsbändern ausgeprägt sind, stehen bleiben, sollten, wie man unseren Voraussetzungen gemäss vermuthen könnte, acht soleher Fenster entstehen (vier zwischen Becken und Oberrand der Zona, vier zwischen Unterrand und Femur). Man erhält, sofern man nicht künstelt, nur sechs Fenster, indem die beiden ligg. ileofemoralia am Oberrande der Zona dicht aneinandergedrängt sind und die Schenkelinsertion des ischio- femorale dem ileofemorale superius unmittelbar anliegt. Es ist lehrreich ein solches Präparat auszuführen; dasselbe giebt durch die Art und Weise, wie die einzelnen Stränge des Gitterwerkes, in welches die Kapsel zerlegt wurde, bei den Schenkelbewegungen einander ziehen und spannen, vollen Einblick in die Art der Ineinanderfügung der verschiedenen Faserzüge. Vor Allem zeigt sich deutlich die Selbstständigkeit der Zona, und kein Beschauer dieses Präparates wird sie dem oder jenem der vom Knochen zutretenden Bänder als Anhängsel zurechnen.

4. Nachdem an einem halbirten Becken die Kapsel äusserlich gereinigt ist, steche man mit einem schmalen Messer an irgend einer Stelle, sehr nahe der Schenkelinse:tion, in die Kapsel ein und trenne diese ringsum, dicht an der Insertion vom Knochen ab. Nun wird die Pfannenwandung von der-Höhle des kleinen Beckens aus durchbohrt, diese Oefinung auf zwei Zoll Durchmesser erweitert, der Schenkelhals durchsägt und der in der Pfanne zurückgebliebene Schenkelkopf mit dem Meisel zertrümmert und entfernt. Hier lässt sich die Kapsel, deren Gestalt (wesentlich vermöge der Zona) fast genau dieselbe geblieben ist, wie bei noch darin sitzendem Femur, von innen und aussen vollständig übersehen. Hält man das Präparat gegen das Licht, in die eingeschnittene Knochenöffnung der Pfanne hineinblickend, so übersieht man die Zona in ihrem ganzen Verlaufe, dazu sämmtliche longi- tudinalen Bänder, mehr oder weniger deutlich begrenzt durch die dünneren, durchscheinenden Stellen der Kapsel).

Wie energisch die Zona als Ringband wirkt, davon überzeugt man sich bei der zuletzt beschriebenen Präparation, wenn man, nach Durch-

1) Greift man an diesem Präparate mit gebogenem Finger in die Schenkel- beinlücke des Kapselbandes, den Finger auf den der unteren und hinteren Wand der Kapsel angehörenden Theil der Zona hakenförmig einschlagend, so kann man dieselbe wie eine Schlinge hin- und herschaukeln, und nimmt vielleicht den Eindruck hin, dass sie, wie WEBER angab, mit zwei Ursprungs- schenkeln zur spina inf. ilei führe. Ein genaues Zufühlen, wobei die vordere Kapselwand zwischen zwei entgegengesetzte Finger gefasst wird, lehrt jedoch, dass die Kapselwand unmittelbar unterhalb der Spina inf. o. ilei (woselbst die Finger nur lig. superius und anterius zwischen sich haben) dünner ist, als etwas weiter abwärts, wo sie jene Bänder und .die sie kreuzende Zona betasten, welch’ letztere öfters wie ein vorspringender Wulst gefühlt wird. Da das lig. ileofemorale sup. das stärkste der von der Zona gekreuzten und mit ihr ver- webten Bänder ist, so hat die Zona mechanisch mit der spina inf, ilei einen sehr festen Zusammenhang, sie wirkt wesentlich von dieser Knochenstelle aus, aber sie „entspringt“ nicht von derselben.

60 ä WELCKER.

schneidung des lig. teres vom Becken aus, einen Versuch macht, den Schenkelhals unzertrümmert aus der Kapsel herauszuziehen. Hier wird es klar, dass bei jeder Luxation, wo immer die Kapsel zerreisse und der Durchtritt des Kopfes geschehe, die Zona zerreissen muss. Sie zerreisst aber da, wo sie durch weiten Auseinandertritt ihrer Fasern am dünnsten ist —: unten und hinten!).

III. Ligamentum teres acetabuli.

1. Bau des lig. teres. Insertionsverhältnisse. -— Inter- und extracapsulärer Abschnitt des Bandes. Bewegungsmechanismus. 2. Lig. teres nach H. Meyer. Hemmungsband der Adduction und der Auswärtsrollung. Gegengründe Hexte’s. Desgl. des Verf. 3. Leitband der Gefässe? Vascularisation des Schenkelkopfes. 4. Beziehung des lig. teres zur Um- treibung der Synovia. Einrichtungen. verschiedener Art bei andern Ge- lenken, welche den Umtrieb der Synovia befördern. Bleiben die Gelenk- flächen des Schulterkopfes und der Pfanne, des Schenkelkopfes und der Pfanne, bei allen Bewegungen dieser Gelenke in gleich innigem Contacte?r 5. Verbreitung des lig. teres in der Thierreihe. Mangel desselben beim Orang. Sehr seitliche Einpflanzung des lig. teres.

1. Ueber die Natur des lig. teres, von welchem HENLE sagt, dass es „beide Namen mit Unrecht trage“?) und welches Azpy, gleichfalls den Namen eines Bandes zurückweisend, als „die vielfach verkannte innere Kapsel“ des Hüftgelenkes bezeichnet®), werde ich mich vollstän- dig erst unten (IV), nach Würdigung gewisser Eigenthümlichkeiten des Schultergelenkes, aussprechen können. Wiederholten Zergliederungen zufolge, sehe ich in dem lig. teres ein von dem fibrösen Theile der

l) Die Angabe Hrxte’s (Bänderlehre: 1. Aufl. 128, 2. Aufl. 131), dass die laterale (oder hintere) Wurzel der Sehne des, M. rectus femoris sich „nach Ursprung und Verlauf als freigewordene ringförmige Fasern der Kapsel betrachten lasse,“ darf nicht dahin verstanden werden, dass diese Sehne etwa mit der „Zona“ etwas zu thun habe oder dass diese Sehne eines directen Ursprungs vom Becken entbehre. In der That setzt sich jenes accessorische Ursprungsbündel der Rectussehne in directem Verlaufe, etwa 3 em von der spina inf. ilei entfernt, an den Pfannenrand, auf einer ihm angehörigen rauhen Knochen- fläche fest, und nur der hintere, sich allmählich verdünnende Rand der Sehne verwebt sich mit rückwärts und theilweise quer auf die Kapsel tretenden Fasern mit deren äusserer Schicht, so dass eine Unterminirung der Sehne, falls man jene hinteren Fasern ihr zurechnet, allerdings zu einer geringen Anschälung der Kapsel führt. Vortrefflich abgebildet ist die Anheftung der Rectussehne bei HENntE in der Fig. 108, bei R f, und es zeigt diese Figur, dass jene Sehne mit der Zona nichts gemein hat.

2) Bänderlehre, 1. Aufl. 124.

3) Bau des menschl. Körpers, 305.

Ueber das Hüftgelenk ete. 61

Kapsel und dem Pfannenrande aus in’s Innere der Gelenkhöhle treten- des, bindegewebiges Band, welches von der incisura acetabuli aus einen synovialen Ueberzug gewinnt. Der in dieser Synovialhülle liegende, plattgedrückte bindegewebige Innenstrang (vgl. Fig. 9) entspringt mit einer längeren und weitaus stärkeren hinteren Wurzel 1, von der Aussenfläche des Kapselbandes, indem von dessen hinterem und unterem Theile (aus dem Raume zwischen lig. pubofemorale und ischio- femorale, zumal längs des lateralen Randes des letztgenannten Bandes) eine Anzahl oberflächlich gelegener Fasern zu einem platten, gegen 5 © breiten und 2 bis 3 °® langen Strange zusammentreten, welcher zwischen lig. transversum und ineisura acetabuli hindurch ins Innere der Kapsel einbiegend und mit einer zweiten (kurzen) Wurzel sich vereinisend, in den intracapsulären Theil des lig. teres übergeht. (Vor ihrem Uebertritt auf das lig. transversum kreuzt die lange Wurzel

Fig. 9.

Fig. 9. Rechte Beckenhälfte; Femur abdueirt und stark gebeugt. Ursprünge des lig. teres, an dem sonst unverletzten Kapselbande blosgelest. Trepanation des Pfannenbodens.

2 = lange Wurzel des lig. teres- f = lig. transversum acetabuli; daneben (oberhalb der untergeschobenen Nadel) die kurze Wurzel des runden Bandes.

in nächster Nähe des lig. ischiofemorale den zwischen diesem Bande und dem lig. pubofemorale ausgespannten medialen Rand der Zona.) Die kurze, nicht ganz einen °” lange, weit schwächere vordere Wurzel des lig. teres entspringt vom Knochen (in einer Grube des Pfannenrandes, zwischen incisura acetabuli und Vorderende der facies lunata), dicht neben dem obern Ursprung des lig. transversum acetabuli; dieselbe trägt zur Bildung des Vorderrandes des lig. teres bei. Offenbar sind „lig. teres‘“ und seine lange Wurzel als ein Ganzes, als das eigentliche lig. teres, die kurze Wurzel als ein dessen Be- wegungen regulirendes Hemmungsbändchen zu betrachten, und wir würden an dem lig. teres einen 2 bis 2,5 ““ langen intracapsulären,

2 WELCKER.

mit Synovialmembran umgebenen Theil, und einen meist etwas längeren extracapsulären Theil zu unterscheiden haben. Die Bedeutung der ineisura acetabuli ist: „Eintrittsstelle für die fibröse Grundlage des runden Bandes ins Innere des Gelenkes“}).

Der hier beschriebene Zusammenhang des lig. teres mit der Kapsel- wandung, auf welchen bereits HenLE und Arpy kurz hingewiesen haben), bedingt nun aber einen Bewegungsmechanismus, welcher, ‘wie es scheint, unbeachtet geblieben ist.

Die lange Wurzel des runden Bandes, mit ihrer Unterlage (Kapsel- wandung) meist nur sehr lose verbunden, gleitet bei Auswärts- und Einwärtsrotirung des Femur frei hin und her, und ohne dass bei diesen Bewegungen der aus „Band“ und Wurzel gebildete Strang eine stärkere Spannung erlitte, befindet sich die längere Hälfte desselben bald innerhalb, bald ausserhalb des Gelenkes, wobei der Vereinigungs- winkel beider Wurzeln bald ein spitzer, bald ein stumpfer wird. Die Synovialmembran, an der „Einpflanzungsstelle“ des Bandes hinlänglich verschieblich, lässt den in das Innere des Gelenkes ein- und austreten- den Theil des fibrösen Innenstranges ungehindert hin- und herrücken. Zu einer eigentlichen Spannung des lig. teres kommt es unter diesen Umständen bei keiner Stellung des Femur. Rotirt man das gebeugte Femur nach auswärts, so dass die Fovea des Schenkel- kopfes möglichst weit von dem Pfannenausschnitte wegrückt und ein dort fest inserirendes Band allerdings gezerrt werden müsste, so schleppt das lig. teres seine beiden Wurzeln möglichst weit in's Innere des Gelenkes; die kurze Wurzel, die bei Einwärts- rotirung dem lig. transversum dicht anliegt, schwenkt hierbei meh- rere Millimeter weit gelenkeinwärts; die lange Wurzel, etwa 1 °” weit ins Innere des acetabulum vorrückend, entfaltet eine nach-

1) Nicht immer ist das lig. teres und seine Wurzeln gleich vollstängig ent- wickelt, doch habe ich den hier beschriebenen Bau in einer ansehnlichen Zahl von Fällen vorgefunden.

2) Das lig. teres „tritt breit an der Lücke zwischen der incisura acetabuli und dem lig. transversum in’s Gelenk —“. „Die queren Bündel des lıg. teres grenzen nach aussen an die Fasern des lig. transversum; von den longitudinalen Bündeln entspringt die Hauptmasse am hinteren Rande der incisura acetabuli theils von der Aussenfläche der Pfanne, theils aus der Kapsel und gelangt unter dem lig. transversum in die Gelenkhöhle; andere treten vom lig. transversum und von der vorderen Ecke der incisura acetabuli hinzu.“ (HENLE a. a. O. 124).

Argy sagt von seiner „inneren Kapsel des Hüftgelenkes“, dass sie ein „trichterförmig gegen die Pfanne’ erweitertes Rohr“ vorstelle. „Die Aussenfläche der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett-, theils von Sehnenlagen über- deckt, welche das von ihr gebildete Rohr vollständig ausfüllen und durch den Pfanneneinschnitt frei nach aussen hervortreten.“ (a. a. ©. 305.)

Ueber das Halselerk: etc. 63

schleppende Wirkung auf den ihr als Ursprungsstelle dienenden (bei jener Schenkelstellung erschlaffenden) Theil der Kapsel, und es wird hierbei das lockere, fetthaltige, subsynoviale Bindegewebe, welches auf der Vereinigungsstelle beider Bandwurzeln festsitzt und den Raum zwischen incisura und lig. transversum ausfüllt, mehr gegen das Innere des Gelenkes angedrängt. Diese Wirkung der Insertionsweise des lig. teres ist bereits vor völliger Bloslegung seiner Wurzeln bei Anwen- dung passender Schenkelbewegungen an verschiedenen Präparaten mit verschieden deutlichem Erfolge wahrzunehmen; man sieht, indem eine bestimmte Stelle der Kapselwandung während der Aus- wärtsrotirung des Femur plötzlich nach der incisura acetabuli hin- rückt, dass die Ursprungsstelle des lig.teres wandert. Beugt und streckt man das Femur, so wird die zwischen lig. transversum und incisura acetabuli befindliche Grube im Momente der Beugung leer (eingezogen), noch mehr im Momente der Auswärtsrollung.

2. Fragen wir nun: Ist das lig. teres Hemmungsband? Schon unsere Schilderung der anatomischen Thatsachen macht dies höchst unwahrscheinlich. Auch hätten bereits die von HENLE (a. a. OÖ, 131) beigebrachten Gründe diese Frage erledigen dürfen, und es scheint. dass Hyrru jener älteren Ansicht ein zu grosses Zugeständniss macht, wenn er neuerdings!) sich dahin ausspricht, dass die Beschränkung der Schenkeladduction „vorzugsweise“ von der Hüftgelenkkapsel geleistet werde, das runde Band somit „nur geringen Antheil“ an dieser Hemmung habe. Es liest aber eine sehr viel weitergehende Angabe eines speciell in Sachen der Gelenkmechanik ausgezeichneten Forschers, H. MEYER, vor, welcher dem runden Bande einen sehr bestimmten und complieirten Einfluss auf die Hemmung der Schenkelbewegungen zuschreibt. Die Lehre Mryer’s ist kurz folgende:

Der hintere und der vordere Rand des lig. teres werden nach MEYER?) durch stärkere Stränge („chorda anterior und posterior“) gebildet, während der mittlere Theil eine dünnere Platte ist3). Die chorda anterior ist nach MEYER nur Hemmungsband für die Rotation des Femur nach innen; die chorda posterior „hat eine wichtigere und vielseitigere Bedeutung, indem sie alle solche Bewegungen hemmt, durch welche die fovea capitis femoris nach oben geführt wird, diese sind aber im Stehen die Adduction und in der Beugung der Hüfte eine Rotation des Femur um seine Längsachse. Die Bedeutung des lig. teres ist demnach

1) Topogr. Anat. II. 520.

2) Lehrbuch der physiol. Anat. 1. Aufl. 125; 2. 133,

3) Wir erkennen in diesen „chordae“ die in den Synovialüberzug ein- geschlossenen Fortsetzungen unserer in den Vorder- und Hinterrand des runden Bandes einfliessenden kurzen und langen Wurzel.

64 WELCKER.

die, dass es bei’m Stehen eine Fixirung des Femur in querer Rich-

tung giebt, und dass es beim Gehen den Rumpf, während er bei ge-

beugtem Hüftgelenke auf einem Beine ruht in einer Weise fixirt, welche ihn verhindert, seiner Schwere folgend durch eine Drehbewegung hinab- zufallen. Es hat daher in der queren Richtung beim Ruhen auf einem

Beine dieselbe Wirkung, wie das lig. ileofemorale in der Richtung von

vorn nach hinten beim aufreehten Stehen.“

Diese Angaben scheinen mir unhaltbar. Seinen Ausspruch, dass das lig. teres in keinerlei Weise in die Bewegungen des Hüftgelenkes hemmend eingreife, hatte HENLE auf Beobachtungen gestützt, welche bei stehender Kapsel angestellt wurden. Ich füge hinzu, dass man zu noch entscheidenderem Ergebnisse gelangt, wenn die Anfangs un- verletzte Kapsel während des. Versuchs in bestimmter Weise durchsehnitten wird. Der höchste Grad der Spannung des lig. teres bei unverletzter Kapsel wird (wie sich an einem Präparate, an welchem die hintere Wandung der Pfanne in weitem Umkreise ab- gebrochen ist, constatiren lässt) erreicht, wenn das mässig gebeugte Femur stark addueirt oder rückwärts rotirt wird. (Man bemerke wohl, dass dies zugleich die Stellungen sind, bei welchen das unvergleichlich stärkere lig. ileofemorale superius am meisten gespannt ist.) Aber auch die kräftigste Ablenkung des Schenkelbeines in den ge- nannten, wie in sonst welchen Richtungen vermag das lig. teres, wie sich hier bequem übersehen, durch Anschlingung des Bandes prüfen und nach der oben gegebenen anatomischen Schilderung verstehen lässt, nicht bis zu dem Grade zu spannen, welcher offenbar erreicht werden müsste, sofern das Band als Hemmungsband wirkte. Durch- schneidet man nun die Insertion des lig. ileofemorale superius der Quere nach und führt, zugleich nach Kräften auswärts rotirend (den - Contact der Gelenkflächen aber beibehaltend) den möglichsten Grad der Adduction aus, so vergrössert sich der Winkel, in welchem das Schenkelbein zur Medianebene des Körpers tritt, um ein Ansehnliches. (Derselbe betrug in einem Falle vor der Durchschneidung 30°, nach derselben gegen 40°; in einem zweiten Falle waren die Winkel 42 und 48.) Lediglich das durchschnittene Kapselband ist es, welches für diesen Zuwachs der Bewegung Raum gab: seine Schnittwunde klafft im Momente der forcirten Adduction, resp. Auswärtsrotation, um Y/,‘“, während das lie. teres nun allerdigs etwas stärker gespannt ist, als vorher, seine Verlängerung aber nicht sowohl einer Dehnung, als einer weiteren, auf dem oben geschilderten Mechanismus beruhenden Verschiebung seiner Ursprungstselle verdankt. Diese und andere Ver- suche führen, wie ich glaube, übereinstimmend zu dem Ergebniss:

„Das Kapselband der Hüfte ist so beschaffen und die Anheftungs-

Ueber das Hüftgelenk ete. 65

punkte des lig. teres sind so gelagert, der Beckenursprung dieses Bandes auch anderweitig so eingerichtet, dass dasselbe, so lange die Kapsel intact ist, bei keiner Stellung gezerrt wird, oder in die Lage kommt, als Hemmungsband zu wirken, zu welch letzterem Behufe es überdies zu schwach sein würde“).

3. Ist das lig. teres Leitband der Gefässe des Schenkel- kopfes?

Die Art und Weise der Vascularisation des Schenkelkopfes hat Interesse rücksichtlich der Beurtheilung der Heilerfolge bei Schenkel- halsbruch, und ziemlich allgemein wird das Ausbleiben der knöchernen Wiedervereinisung dem Umstande zugeschrieben, dass die Blutzufuhr zu dem oberen Bruchstücke „nur durch das lig. teres“ vermittelt werde und darum nicht ausreiche. Hier ist nun zunächst sicher zu stellen, ob und inwiefern der Schenkelkopf durch das lig. teres über- haupt Blut erhält. -

Der Angabe Hyrrr’s, durch die subtilsten Injeetionen sich über- zeugt zu haben, dass die Blutgefässe des runden Bandes nicht in die Substanz des Schenkelkopfes eindringen, sondern an der Einpflanzungsstelle des Bandes schlingenförmig umbiegen (Topograph. Anat. Il, 521), stellt LuschKA „die bestimmteste Erklärung“ ent- gegen, dass er „im Inneren des Bandes niemals Zweigchen der art. obturatoria vermisst habe, welche ihren Weg durch die Poren der fovea capitis in die Substanz des Schenkelkopfes nehmen“ (Anat. des Menschen III, 364). Ich finde nun aber, dass in !/,-der Fälle die fovea gar keine „Poren“ hat, in diesen Fällen also absolut keine Vascularisation des Schenkelkopfes vom lig. teres aus Statt

l) In dem nach Abschluss meiner Versuche erschienenen Werke MEYER’s: „Statik und Mechanik des menschl. Körpers, Leipzig 1873, wird die Funktion des lig. teres (pag. 343), welchem die „Bedeutung eines Bandes, insbesondere eines Hemmungsbandes zugeschrieben wird, dahin präeisirt, „dass das l. teres bei flectirter Stellung des Femur hemmend auf die Rotation nach aussen wirkt“. Diese Funktion des runden Bandes wird vorzugsweise aus der Gestalt der Fovea capitis femoris erschlossen, einem rinnenförmigen Auschnitte der Fovea, von welchem M. annimmt, dass er dem Seitendrucke des gespannten Bandes seine Entstehung verdanke und in welchem das Band dann liegen werde, wenn es am meisten gespannt sei,. d. i. wenn es funktionire d. i. bei Auswärts- rotation des flectirten Schenkels.

Auch STRUTHERS (The Lancet, Febr. 1863, „On the true function of the round ligament of the hip-joint.“) nennt als die Funktion („the function and the only function“) des runden Bandes: „Hemmung der Auswärtsrotation in gebeugter Stellung“. Ich verweise auf die Insertionsverhältnisse des lig. teres und auf den (pag. 64) mitgetheilten Versuch mit Durchschneidung des lig. ileo-

femorale superius. Zeitschrift f. Anatomie. Bi. I. 5

66. WELCKER.

finden konnte, während in 2/, der Fälle allerdings feine Durchboh- rungen ofienbar Gefässlöcher vorhanden sind. Die Injectionen Hyrrr's mögen sich auf Fälle meiner ersten Gruppe, diejenigen LuschkaA’s auf Fälle der zweiten Gruppe beziehen!,. Aber die Blut- menge, welche bei letzteren durch diese Oefinungen in den Schenkel- kopf einzudringen vermag, muss ausserordentlich gering sein, so dass auch in diesen Fällen die Bedeutung des Bandes als „gubernaculum vasorum“ kaum in Anschlag kommen dürfte. Dagegen ist, wie es scheint ziemlich unbeachtet geblieben, dass der Schenkelhals und -kopf eine ganz ansehnliche Blutzufuhr durch Gefässe erhalten, welche in zwei Gruppen in den Knochen eindringen einmal auf der Höhe des Schenkelhalses, dicht am Rande des Gelenkkopfes, woselbst man niemals 6 bis 12 foramina nutritia von ca, 1 Querschnitt ver- missen wird; sodann, in geringerer Anzahl und weniger constant, an der vorderen Fläche des Schenkelhalses.

Die genannten Gefässe, welche als artt. colli femoris superiores und anteriores bezeichnet werden können, entstammen den artt. circumflexae femoris, und zwar ist der gewöhnliche Ursprung und Verlauf der supe- riores der, dass ein Ast der a. circumflexa fem. interna zwischen m. quadratus femoris und mm. obturatores aufwärts steigt, sodann zwischen den Insertionsenden der mm. obturatores hindurch zur Kapsel tritt, diese durchbohrt, um von da aus, in mehrere Aeste zerspalten, unter die Syno- vialmembran des Schenkelhalses und in die erwähnten foramina einzu- treten 2).

Da diese Gefässe, welchen normal die Ernährung des Schenkel- halses und -kopfes obliegt, bei intracapsulärem Schenkelhalsbruche

1) Bereits in einer unter E. H. und Ep. WEBER geschriebenen Dissertation (De arteriis articulationis coxae, auct. WALBAUM, Lipsiae 1855) wird Bezug auf diese Poren genommen, welche Verfasser als constante Bildung zu betrachten scheint: „Aliis quoque de causis vasa transire arbitror; in lamella enim tenui foveolae capitis, praecipue in osse macerato, multa foramina subtilia videmus, quorum per partem vasa penetrare possunt.‘“ Dem Ausdrucke: „multa fo- ramina“ gegenüber lasse ich einige Ziffern folgen. Unter 30 Schenkelbeinen Erwachsener fand ich 9 ohne die erwähnten Poren. Ein bis 2 feine Löcher, stets unter 1%” Querschnitt, fanden sich in 11 Fällen; 3 bis 6 Löcher in 8 Fällen; einmal fanden sich 10, einmal gegen 25 ausserordentlich feine Durch- bohrungen. Bei Kindern und jugendlichen Individuen scheinen diese foramina ganz zu fehlen. Die Handbücher nennen die fovea cap. femoris eine „rauhe, nicht überknorpelte Grube“; von Durchbohrungen finde ich nichts angemerkt.

2) Der Eintritt der artt. colli fem. superiores in den Schenkelhals und ihr Vordringen bis nahe zur fovea capitis femoris findet sich abgebildet bei AstLev CooPrEr (Abh. über Luxationen und Fracturen der Gelenke u. s. w.) und von dort copirt in FRORIEP’s chirurg. Kupfertafeln XCII, Fig. 3. Dieselben Gefässe hat auch WaLsaum injieirt (a.a. 0. Fig. 1).

Ueber das Hüftgelenk etc. 67

ohne Zweifel zerreissen, so fehlt nach Obigem in etwa !/, der Fälle dem oberen Fragmente jede Blutzufuhr und in den übrigen Fällen ist sie nicht ausreichend.

4. Umtreibung der Synovia in den Gelenken, insbeson- dere im Hüftgelenke. Zieht man an einem’ Schenkelbeine von der fovea capitis aus über die Wölbung des Schenkelkopfes eine Linie, deren Verlängerung 1 Zoll vor, und eine ebensolche Linie, welche 1 Zoll hinter den trochanter minor trifft, so bezeichnen (wie sich an dem Präparate mit trepanirtem Pfannenboden übersehen lässt) diese beiden Linien ad und ac der Fig. 10 ziemlich genau die Lagen, welche das lig. teres während der Streckung und bei mässiger Beugung des Schenkels inne hat; der zwischen beiden Linien fallende Abschnitt des Ge- lenkkopfes ist es, über welchen das Band bei jedem Schritte hin- und zurückge- führt wird, so dass dasselbe eine wi- schende Bewegung über die Gelenk- fläche hin ausführt. Es kann nicht aus- bleiben, dass das von der tiefsten Stelle des Gelenkes aus mit Synovia reichlich benetzte Band bei diesen Bewegungen die Synovia über die Gelenkflächen hin- und herführt, so dass hierdurch Gelegenheit zu einer vollständigeren und fortwährend sich erneuernden Einsalbung des Gelenkes gegeben ist. Hierzu kommen dann noch die oben erwähnten, von den Schenkel-

bewegungen abhängigen Verschiebungen der an der Basis des runden Bandes ge- legenen, mit Synovia benetzten Fett- lappen.

Die Funktion des lig. teres, wel- ches unserer Darstellung zufolge weder als Hemmungsband, noch als Leitband der Gefässe betrachtet werden kann, ist somit, wie ich vermuthe: Umtrei- bung der Synovia!).

Fig. 10.

Rechte Beckenhälfte ; Femur in mässiger Beugung.

a = Insertion des lig. teres am Schenkelkopfe.

ab und ac = Grenzlinien des- jenigen Abschnittes des Schenkelko- pfes, welcher bei den Gehbewegungen am lig. teres hin und herschleift.

ac? = Grenzlinie, innerhalb wel- cher der Kopf bei extremer Schenkel- beugung vom runden Bande ge-

troffen wird.

!) Bei vollständiger Beugung des Schenkels trifft die Linie, welche der Verlängerung des lig. teres entspricht (a c? der Fig. 10), in die fossa tro-

5*

63 WELCKER.

Nimmt man mit Ep. WEBER an, dass die Oberfläche des Schen- kelkopfes und der Pfanne einander unmittelbar anliegen und dass diese unmittelbare und allseitige Berührung bei den Gehbewegungen strenge beibehalten bleibe, so ist es auch bei der eben mitgetheilten Auffassung des lieg. teres immerhin schwer ersichtlich, wie (sofern nicht noch andere, bis jetzt nicht in Betracht gezogene Einwirkungen hinzukämen) es ausbleiben könnte, dass bei den stundenlang fortge- setzten Gehbewegungen die Synovia aus dem capillären Zwischenraume der Knorpelflächen gänzlich vertrieben würde und letztere sich trocken rieben.

Ich finde nun, dass bei zahlreichen Gelenken Einrichtungen be- stehen, welche sich auf die raschere und vollständigere Umtreibung der Synovia beziehen, Einrichtungen besonderer und sehr verschiedener Art, welche ihren morphologischen Verhältnissen nach längst bekannt sind, auf diese Leistung aber seither nicht bezogen wurden. Ich erwähne nur Folgendes:

Im Schultergelenke findet sich, ganz ähnlich wie im Hüft- gelenke, ein sich hin und herschiebender Strang, die Bicepssehne, welche bei den Bewegungen des Armes die Umtreibung der Synovia auf das Wirksamste steigern muss. Der untere Theil dieser Sehne taucht in eine trichterförmige, zum suleus intertubereularis führende Ausbuchtung der Synovialhaut ein (vgl.pag.75, Fig.12,r), in welcher fortwährend Synovia sich sammelt und aus welcher die bei den Arm- bewegungen auf und absteigende und über dem Gelenkkopfe hin und hergleitende Sehne fortwährend schöpft. Hierzu kommt, dass, wo immer das intracapsuläre Stück der Sehne je nach der Armstellung sich befindet, die Kapselmembran in Folge des Vorragens der Sehne ein wenig von der Knorpellläche des Humeruskopfes sich abheben wird, so dass zu beiden Seiten der Sehne ein capillärer, von Synovia gefüllter Spalt offen bleibt. Sehr erheblich muss die Wirkung dieser Vorrichtungen während der Pendelbewegungen der Arme sein; bei jedem Vorwärtsschwingen steigt die Bicepssehne in jenes „recepta- culum synoviae“ hinab, bei jedem Rückwärtspendeln tritt sie mit Synovia benetzt auf die Kugel zurück. Aber nicht nur durch Längs verschiebungen, auch mit ihren Rändern voran schleift und wischt die Bicepssehne, gleichzeitig Längsverschiebungen ausführend (dies chanterica, und der von dem runden Bande bestrichene Theil des Schenkel- kopfes beträgt nahezu 1/) von dessen Oberfläche, Gleichzeitig bestreicht das Band bei diesen Bewegungen die fossa acetabuli (zumal bei der Aus- und Ein- wärtsrollung des femur), deren von dem Bande leergelassener Raum, wie bereits HENLE a. a. 0. 124 bemerkt, von Synovia erfüllt ist.

Ueber das Hüftgelenk ete. 69

bei den Längsachsendrehungen des Humerus, wo ein dreieckiger Ab- schnitt des Humerusscheitels unter dem intracapsulären Stücke der Sehne hin und hergeschleppt wird), und es ist ferner hervorzuheben, dass bei verschiedenen Bewegungen die Sehne in anderer, oftmals in entgegengesetzter Richtung schiebt, als die Kapselmembran.

Die Gelenkflächen des Atlas und des Epistropheus, an beiden Knochen unregelmässig convex, berühren einander, wie HENKE (a. a. 0. 94) auseinandersetzt, höchst unvollständig; in der Ruhestellung (Blick nach vorn) nur mittelst einer die Mitte jeder Gelenkfläche querdurchziehenden Firste, so dass an jedem dieser Gelenke vor und hinter jener Berührungslinie die Gelenkflächen klaffend auseinander- weichen. Ich zweifle nicht, dass die Leistung der von HENKE nach- gewiesenen Vorrichtung die Umtreibung der Synovia ist. Dreht sich der Atlas, die durch Henkz bekannt gewordene Niederschraubung des Kopfes vollführend, so kommt je eine vordere und eine hintere Ge- lenkflächenhälfte des einen Knochens mit einer hinteren und einer vorderen des anderen in unmittelbare’ Aneinanderpressung; die Synovia wird hierdurch in andere Abschnitte des Gelenkes eingetrieben, wäh- rend sie bei der Zurückschraubung des Kopfes in die sich wieder öffnenden Spalte zurückkehrt.

Durch HEnkE!) wissen wir, dass das Ellenbogengelenk kein reines Charnier ist, indem die Ulna während der Beugung mittelst einer Schraubenbewesung zur Seite geführt wird. Beträgt diese seit- liche Ausweichung bei einer vollen Beugung, wie HENKE berechnet, auch nicht ganz 2 Millimeter, so ist es doch klar, dass dieses seitliche Gleiten die Einsalbung des Gelenkes begünstigen muss, ganz ähnlich, wie die Angeln einer Thüre vollkommner eingeölt werden, wenn die Thüre während der Drehung gleichzeitig gehoben und gesenkt wird. Auch zu der Angabe HeEnke’s?), dass der Radius den Oberarmknochen bei der Streekung des Armes nur theilweise berührt, bei der Beugung dagegen in festen Contact kommt, möchte ich die Beziehung zur Ein- salbung des Gelenkes hervorheben.

Beim Kniegelenke wird, indem die halbmondförmigen Knorpel bei jedem Schritte zwischen den sich beugenden Extremitätenknochen nach hinten, zwischen den sich streckenden nach vorwärts gleiten, die Synovia in fortwährendem Umtriebe gehalten, dies umsomehr, als zugleich das lig. mucosum offenbar eine Art umrührender Bewegung entfalten muss. Aehnliches bei zahlreichen anderen Gelenken.

70 WELCKER.

Finden wir in dieser Weise bei allen stärker in Anspruch ge- nommenen Gelenken höchst wirksame Vorrichtungen für die Bewegung der Synovia, so würde gerade das Hüftgelenk, dessen Flächen, indem bei jedem Schritte das Eine Femur die ganze Last des Rumpfes nebst der des anderen Beines zu tragen hat, einer sehr starken, die Synovia westreibenden Reibung ausgesetzt sind sofern keine anderen, als die oben erwähnten Mittel für die Hin- und Herführung der Synovia gegeben wären in dieser Hinsicht allen übrigen Gelenken nachstehen.

Kommt an einem Gelenke gewaltsam oder normal Sub- luxation vor, so ist wohl anzunehmen, dass die Synovia den sich hereindrängenden Synovialfalten die Randpartien des Gelenkes über- lässt, während sie selbst in um so dickerer Schicht auf einem kleinen Umkreise sich zusammenzieht. Würde es sich nachweisen lassen, dass bei gewissen, besonders häufig gebrauchten Gelenken in Öfterer Wiederholung solche Auseinanderrückung und Gegeneinan- derpressung der Gelenkflächen vorkäme, so würde hierin, auch wenn jene Distanzänderungen ganz minimale wären, ein äusserst wirk- sames Moment für die Bewegungen der Synovia gefunden sein. In der That kennen wir beim Unterkiefergelenke eine solche Sub- luxation, welche den Kopf des Unterkiefers bei jeder Eröffnung des Mundes auf das tuber articulare treibt. Ich vermuthe, dass auch das Oberarmbein bei jedem lebhafteren Vorwärtsschwingen des Armes in einem überaus geringen Grade subluxirt wird. Indem ich hier eine Frage berühre, mit deren experimenteller Prüfung ich bis jetzt nicht abschliessen konnte, erlaube ich mir nur wenige vorläufige Be- merkungen.

Im Momente der Rückwärtsbewegung des Armes wird das lie. coracohumerale stark gespannt, die Rückwärtsbewegung geht so weit, als eben das genannte Band diese Bewegung erlaubt, und der Ge- lenkkopf wird durch Hebelwirkung mit grösster Festigkeit gegen die Schulterpfanne angedrängt. Wenn aber nun die Extremität nach vorwärts schwingt, so wüsste ich nicht, wodurch der Humeruskopf gehindert werden sollte, sich in mässigem Grade vom unteren Theile - der Pfannenfläche abzuheben. Die Schlaffheit des hinteren Theiles der Kapsel dürfte trotz ihrer Verklebung mit den Sehnen der mm. teretes es immerhin gestatten, dass eine Falte der Synovialmembran sich zwischen den unteren Theil des Pfannenrandes und des Humerus- kopfes eindrängte und der Synovia Gelegenheit böte, sich in dickerer Schicht zwischen den sich etwas lüftenden Gelenkflächen zusammen- zuziehen.

Was endlich das Hüftgelenk anlangt, so involvirt die von

Ueber das Hüftgelenk ete. all

WEBER angenommene Congruenz der Gelenkflächen von Schenkelkopf und Pfanne, sowie die Thatsache, dass während der Streckung des Schenkels beide Flächen sich in dichter Aneinanderpressung befinden, keineswegs die Gewissheit, dass auch während der Beugung das- selbe der Fall sei, und es scheint, dass dies letztere, so sehr es ganz allgemein als feststehende Thatsache gilt, nur einfach so ange- nommen wird. Die Möglichkeit, dass in dem Momente, wo das Bein vorwärts schwingt die Hemmungsbänder sich vom Schenkel- halse abwickeln, die Zona vom Pfannenrande wegrückt, das Kapsel- band lang und schlaf! wird die Möglichkeit, dass in diesem Momente die Gelenkflächen auch hier in einem geringen Grade sich von einander abheben (der untere und hintere Theil des Schenkel- kopfes von dem dem os ischii angehörigen Theile der facies lunata), wird zunächst nicht abzuleugnen sein, da die Kapsel in der Gegend des lig. transversum acetabuli schlaff genug ist, um so viel Raum- theile lockeren (der Basis des lig. teres angehörigen) Gewebes in die Pfanne einrücken zu lassen, als der Synovialraum durch die von mir vorausgesetzte Lüftung der Gelenkllächen sich vergrössert.

Ich darf nicht fürchten, missverstanden zu werden. Es ist be- sreiflich, dass bereits ein ausserordentlich geringer Unterschied in dem Grade des Aneinandergepresstseins der Gelenkflächen während der Momente des Vorwärtsschwingens und der Streckung des Beines binreichen würde, den Umtrieb der Synovia erheblich zu steigern und dass darum an auffälligere Abhebungen hier um so weniger ge- dacht wird. Die Synovia, welche, sofern in jedem Momente der Geh- bewegungen der Grad der Aneinanderpressung der Gelenkflächen genau derselbe wäre, sich alsbald insgesammt an wenigen, bestimmten Stellen (wesentlich am Schenkelhalse) ansammeln müsste, gerade die ihrer bedürftigsten Stellen trocken lassend, würde bei dem von mir vorausgesetzten Spiele des Femur durch eine Art Ebbe und Fluth in beständigem Umtriebe sein, welcher dann weiterhin durch die Be- wegungen des lig. teres wirksam unterstützt würde.

5. Die Verbreitung des lig. teres in der Klasse der Säuge- thiere ist eine sehr alleemeine. Um so unwahrscheinlicher schien mir die irgendwo gelesene Notiz, dass dieses Band, welches mir beim Hunde, der Katze, hei Rind, Hase, Fledermaus kurz, bei Thieren der verschiedensten Ordnungen gelegentlich aufgestossen war, beim Orang fehle. Gespannt, wie etwa die Descendenztheorie mit dieser Thatsache sich abfinde, habe ich in den Schriften von Huxrery (Zeugnisse für die Stellung des Menschen), Broca (l’Ordre des pri- mates) und Vocr (Vorlesungen) bei Besprechung der Anthropomorphen

=

723 WELCKER.

keine Angabe über das lig. teres aufgefunden, desgleichen nicht bei Darwın und HAEcKEL; bei HyrrtL (Anat. 12. Aufl. 357) wird das gelegentliche Fehlen des runden Bandes beim Menschen als eine ‚„‚Thier- ähnlichkeit“ bezeichnet mit Hinweis auf den „Elephanten“. Inzwischen fand ich bei MEcKEL!) eine Angabe, nach welcher das Fehlen des runden Bandes ein allgemeines Vorkommen bei den an- thropomorphen Affen zu sein schien:

„Bei einigen Affen, namentlich dem Pongo, Orang-Utang, Chimpanse, wahrscheinlich auch den Gibbons, fehlt (am Schen- kelkopfe) die Vertiefung für das runde Band.“

Diese Angabe veranlasste mich, nun selbst nachzusehen, und es mögen nachfolgende Beobachtungen zur Aufklärung dieser nicht un- interessanten Frage beitragen oder, falls bereits anderweitige Beobach- tungen vorliegen sollten, diese bestätigen.

An dem natürlichen Skelet eines jungen Chimpanse (Milch- gebiss), an welchem ich die Hüftkapsel öffnete, fand ich ein vollkom- men entwickeltes, fast central im Schenkelkopfe eingepflanztes lig. teres, in allen Beziehungen mit dem menschlichen übereinstimmend ein Befund, der nun auch die Angabe Meckkr's betrefis des Orang hin- fällig zu machen schien. Um so grösser war meine Ueberraschung, als die Hüftkapsel des natürlichen Skelets eines jungen Orang (N0.4007 der anat. Sammlung zu Halle) nicht eine Spur eines lie. teres entdecken

Bios

a Schenkelkopf des jungen Chimpanse; d des jungen Orang (No. 4340 und 4007 der anat. Samm- lung zu Halle); c Schenkelkopf eines erwachsenen Orang; d des Gorilla?); e des Menschen.

liess, während dasselbe, wäre es überhaupt jemals vorhanden gewesen, innerhalb der bis dahin uneröffnet gebliebenen Gelenkkapsel des vor- züglich gut erhaltenen Skelets nicht hätte fehlen können. (Knorpelüberzug des Schenkelkopfes überall glatt, ohne jede Andeutung einer Einpflanzungs- stelle eines Bandes.) Ich gebe in Fig. 11, a, d, die Abbildung der Köpfe der sonst einander zum Verwechseln ähnlichen Schenkelbeine beider Thiere.

l) System der vergl. Anatomie, II, 2, pag. 443. ; 2) Nach einer Zeichnung, die Herr Professor Dippel zu Darmstadt nach dem dortigen Skelette für mich zu fertigen die Güte hatte,

Ueber das Hüftgelenk etc. 73

Uebereinstimmend hiermit fand ich die Schenkelbeine eines alten ' Orang ohne fovea; ferner zeigen die vollkommen intakten femora eines ebenfalls alten, 9, als Simia morio bezeichneten Orang keine Spur einer fovea (Fig.11,c), zugleich ist die Abgrenzung des hier bis zum Rande unverletzt erhaltenen Knorpelüberzuges an der Peripherie des Kopfes derartig, dass auch an eine seitliche Einpflanzung eines lig. teres ab- solut nicht zu denken ist. Ich habe hiernach zu constatiren, dass dem Orang das lig. teres fehlt, während Chimpanse, Gorill und ebenso Hylobates dasselbe besitzen. Zwei einander so nahe stehende Thiere, wie Orang und Chimpanse, betreffs eines sonst fast durch die ganze Säugethierreihe durchgreifenden Charakters ver- schieden zu finden, gehört zu den mir auffälligsten Erscheinungen, die mir jemals begegnet sind )).

Als Säugethiere, welchen das lig.teres fehle, nennt MEck&£t, ferner- hin Bradypus, Echidna, Ornithorrhynchus; was mit der Hinzu- fügung zu bestätigen ist, dass auch Choloepus des runden Bandes ermangelt, während Manis, Dasypus und Orycteropus dasselbe besitzen. MECKEL erwähnt ferner, dass bei mehreren Pachydermen, „namentlich beim Elephanten, Nashorn und Nilpferd“ das runde Band fehle Für die genannten Gattungen, bei welchen der Kopf der skeletirten femora ohne fovea ist, wird dies ohne Zweifel gelten; da- gegen finde ich bei Tapirus (indieus wie americanus) die fovea in einer bemerkenswerthen, und, wie ich vermuthe, auf die Entwicklung des lig. teres Licht werfenden Form. Dieselbe ist hier nicht eine rinssumschlossene, innerhalb des Knorpelüberzuges liegende Lücke, sondern sie ist eine von dem Rande aus in denselben einspringende Bucht. Dieselbe findet sich dieht am medialen Rande des Knorpel- überzuges, genau da, wo der Schenkelkopf der incisura acetabuli anliegt insgesammt Verhältnisse, welche auf ein sehr kurzes, wenig entwickeltes, dem Kapselbande dicht anliegendes lig. teres schliessen lassen. Sehr seitlich dürfte die Einpflanzung auch bei Phoca sein, ja vielleicht fehlt das Band, worüber ich bei dem mir vorliegenden Material nicht sicher entscheiden kann ?).

1) Erlaubt der vollständige Mangel einer fovea des Schenkelkopfes einen siche- ren Schluss auf Fehlen des lig. teres, so liefert umgekehrt die Anwesenheit einer fovea in der Hüftpfanne an sich keinen Beweis eines dort eingepflanzt gewesenen runden Bandes. Die von mir untersuchten Hüftbeine erwachsener Orangs zeigen zwischen beiden Schenkeln der facies lunata eine allerdings kleine, von der ineisura acetabuli aus rinnenförmig in die Gelenkpfanne eindringende fovea. (Gefässeintritt.)

2) Wie weit die oben für den Menschen angegebene Bedeutung des lig. teres bei denjenigen Thieren, welche dieses Band besitzen, zutrifft, lasse ich

74 WELCKER.

IV. Schultergelenk.

Insertionsverhältnisse des lig. coracobrachiale. An das lig. teres der Hüfte erinnernde Bildung der Schulterkapsel. Wahrscheinliche Art der Entwicklung des lig. teres. Analogie des lig. teres acetabuli und der columna anterior des lig. coracobrachiale.

Nach den Angaben der Lehrbücher entspringt jener derbere Faser- strang der Schulterkapsel, welcher die Bewegungen des sich ausren- kenden und des zu reponirenden Humeruskopfes vorzugsweise bestimmt das lig. coracobrachiale vom Rande des Schulterhakens?); die Insertionsstelle am Armknochen wird meist nicht näher bezeichnet. Einige nennen das tuberculum majus?) Ich möchte geltend machen, dass dieses Band, wie bereits SCHLEMM°) angegeben hatte, mit einer Wurzel vom Schulterhaken, und zwar nahezu von dessen Spitze, mit einer zweiten Wurzel an der Spitze des Gelenkpfannenrandes entspringt, und seine Anheftung an beiden Höckern des Oberarmes findet, und dass eben nur vermöge dieser Ursprungs- und Ansatzweise dieses Band jenen höheren Grad von Festigkeit gewinnt.

Das lig. coracobrachiale, welches an der blosgelesten Schulter- kapsel als eine selbstständige Bildung weniger deutlich hervortritt und über seine Begrenzung Zweifel lassen könnte, ist dennoch in zwei- facher Hinsicht eine sehr greifbare Bildung: es ist derjenige ver- stärkte Theil der Schulterkapsel, welcher von den durch den processus coracoideus getrennten und getrennt zu den Armhöckern ziehenden Mm. subscapularis und supraspinatus unbedeckt bleibt; es ist ferner der- jenige verstärkte, nach innen leicht rinnenförmig gehöhlte Theil der Kapsel, welcher der Länge nach die das Gelenk durchziehende Biceps-

dahingestellt; die sehr gewöhnliche Erscheinung, dass anatomisch identischen Bildungen innerhalb der Thierreiche sehr verschiedene Leistungen zufallen, könnte sehr leicht auch hier vorliegen.

1) —,, Vom lateralen Rande des Schulterhakens, unter dem lig. coracoacro- miale‘“ (HentE, Bänderlehre, 70). „Vom lateralen Rande der Wurzel des Schulterhakens‘“ (LuscHkA, Anat. III, 126). „Vom Aussenrande des proc. coracoideus“ (Aeßy, Bau des m. K., 278). „An der Wurzel des Schulterhakens“ (QUAIN-HOFFMANN, Anat. ], 186).

2) „An den grossen Höcker des Oberarmes“ (Laute, Anat. I, 106). „Steigt vom proc. coracoid. zum tub. majus herab“ (Krause, I, 304). „Ein breites Band, welches vom Rande des Schulterhakens entspringt und in die obere und hintere Wand der Kapsel ausstrahlt“ (Hexe, Bänderlehre, 70).

3) MÜLLER’s Arch. 1853, p. 45. Zwei andere von SCHLEMM unterschiedene Verstärkungsbänder (lig. glenoideo-brachiale internum und inferius) dürften morphologisch wie physiologisch ein geringeres Interesse besitzen. SHLEMM’s Angaben über das lig. coracobrachiale haben, soweit ich weiss, nur in der neuesten Ausgabe von Hortstein’s Anatomie (5. Aufl. p.217) Beachtung gefunden.

Ueber das Hüftgelenk etc.

sehne deckt.

75

Dieses Band, isolirt gedacht ein Strang von etwa 1 bis

1?/, °® Breite, wird sehr demonstrabel durch folgende Behandlung: Fig. 12.

An einem Schulterstücke, dessen Muskeln mit Ausnahme des langen Kopfes des Biceps sämmtlich entfernt und dessen Kapselband nebst dem lig. coracoacromiale rein präparirt ist, wird die Kapsel durch zwei parallele, das lig. coracobrachiale zwischen sich einschliessende Schnitte (deren hinterer von der oberen Spitze der Scapularpfanne zur Mitte des tub. majus und deren vorderer von der Spitze des proc. coracoldeus zum tub. minus führt) gespalten. Der obere Ursprungsrand des gesammtenübrigen Theiles der Kapsel wird mit der Scheere dicht am labrum cartilagineum abgeschnitten und manchettenartig auf den OÖberarmknochen hinab- geschlagen.

An diesem Präparate (Fig. 12) sieht man bei 1 die von dem Endtheile des Schulter- hakens kommende obere (längere) Wurzel des lie. coracobrachiale; daneben die mit der Bicepssehne von der Spitze der Pfanne ent- springende untere (kürzere) Wurzel. (Zwischen beiden Wurzeln eine Lücke der Kapsel, durch welche dieselbe mit dem unter der Sehne des m. subscapularis liegenden Synovialsacke com- municirt.) Das durch den Zusammentritt dieser Wurzeln gebildete Band ist zur Auf- nahme der Bicepssehne scheidenartig gehöhlt; die zu den Armhöckern herabtretenden Rand- fasern des Bandes” (ca und cp) springen beiderseitig columnenartig in’s Innere des Gelenkes vor, während die mittleren Fasern den sulcus intertubercularis überbrücken. Oberhalb dieses letztern, zwischen den beiden columnae, befindet sich der oben (page. 68) er- wähnte trichterförmige recessus (r), dessen Be- deutung für die Einsalbung des Gelenkes dort erörtert wurde. Für die untenfolgende Be- trachtung ist es erheblich, dass (wie auch unsere Abbildung zeigt) die Fasern beider Wurzeln des lig. coracobrachiale vorzugsweise in die vordere Randcolumne (ce a) einfliessen.

—— 12. Lig. coracobrachiale der rechten Schulter.

Fig.

? = obere oder vordere (lange), vom Schulterhaken kommende Wurzel des lig. coracobrachiale ; daneben die mit der Bicepssehne vom Pfannenrande kommende hin- tere (kurze) Wurzel. ca und cp = vordere und hintere Randeolumne des Bandes. Zwischen beiden das zum suleus intertuber- eularis führende receptaculum synoviae.

f = tuberculum majus. db Bicepssehne.

r = receptaculum synoviae.

76

WELCKER.

Diese vordere, zum tub. minus gehende Randcolumne (c a) des Bandes erregt noch in einer besonderen Beziehung unser Interesse. Es scheint nämlich, dass in ihr, zumal in einzelnen individuellen Abän-

derungen derselben,

das Analogon des runden Bandes des

Schenkelkopfes zu suchen ist. In nicht allzuseltenen Fällen rückt, wie ich finde, die Insertionsstelle dieser columna anterior, die normal nur dicht an den Rand des Glenoidalüberzuges des Schulterkopfes an- rührt, mehr in’s Innere der Knorpelfläche, so dass der Contour der letzteren einen mehr oder minder tiefen Einschnitt erhält. Einen ziemlich hohen Grad dieses Zustandes zeigt das von mir conservirte Präparat, Fig. 13, und es gleicht die in dem Humeruskopfe befindliche - Grube nach Gestalt und Lage auffallend der oben erwähnten seitlich eingepfianzten Fovea des Schenkelkopfes verschiedener Säugethiere. Eine Steigerung dieses Zustandes der Schulterkapsel würde im Gefolge haben, dass die nach dem Inneren der Gelenkhöhle hin mehr und mehr Relief gewinnende, den Synovialüberzug nach innen vordrängende Columna schliesslich die Synovialhaut mesenteriumartig hinter sich

Fig. 13.

Fig. 13. Kopf eines rechten Ober- armbeines mit weit in's Innere des überknorpelten Theiles hereinge- rückter Einpflanzung der vorderen

Columne (ca) des ig. brachiale, öb = Bicepssehne.

coraco-

nachschleppte, um endlich, nach Wegfall dieser Verbindungsfalte, genau nach Art des lig. teres der Hüfte, die Gelenkhöhle frei zu durch- ziehen.

Ich vermuthe, dass die Entwicklung des lig. teres femoris diesen Gang einschlägt, was durch Schnitte an hinlänglich gehärteten Embryonen sehr früher Entwicklungsstadien unschwer zu ermitteln sein würde. Leider fehlt es mir zur Zeit an passendem Material, um hier ein sicheres Ergebniss zu erzielen. Bei einem Embryo der 12. Woche fand ich das lig. teres bereits ringsum frei. Bei Eröff- nung der Schenkelpfanne eines „Embryo der 10. Woche“, bei welchem die Stelle der zu- künftigen Fovea capitis femoris (entsprechend der stark auswärtsrotirten und gebeugten Schenkelhaltung der Embryonen) der in- cisura acetabuli sehr dicht anlag, schien es allerdings, als ob das lig. teres nicht rings- um frei, sondern wandständig sei, ähnlich

der oben beschriebenen columna anterior des lig. coracobrachiale; leider waren die Theile dieser Hüftkapsel für Fertigung mikroskopischer

Ueber das Hüftgelenk etc. MT

Schnitte allzuwenig gehärtet, und’ ich darf es zunächst nur als eine sehr wahrscheinliche Annahme aussprechen:

„Das lig. teres des Hüftgelenkes ist eine Weiterent- wicklung der columna anterior des lig. coracobrachiale der Schulterkapsel, welche columna anterior sich am menschlichen Arme in einzelnen Fällen thatsächlich zu einer Art wandständigen, nicht losgelösten, sondern extra saccum membranae synovialis ver-

harrenden lig. teres umwandelt.“

Fig. 14.

Die von mir behauptete Analogie tritt durch beistehende, nach meinen Präparaten entworfenen Abbildungen, Fig. 14 A und B, sehr

augenfällig hervor:

Am Schultergelenke: (Fig. 14. A) f eolumna anterior des lig. coraco- brachiale Ba ce lig. coracoacromiale .

b kurze, der Schulterpfanne sehr nahe gerückte Wurzel der columna anterior .

I

II

Am Hüftgelenke: (Fig. 14. B)

Ff lig. teres acetabuli.

ce lig. „ischiopubicum1)‘‘ (lig. trans- versum acetabuli).

b kurze, der Beckenpfanne sehr

1) Ich fügte obige Bezeichnung bei, um die Analogie beider mit c be-

zeichneten Bänder anzudeuten.

18 WELCKER.

nahe gerückte und am Becken ver-

harrende Wurzel des lig. teres. ! lange, von der Pfanne sich ent-

fernende, zum lig. coracoacromiale tre- tende Wurzel der columna anterior = l lange, vom Becken sich loslösende und über das lig. transversum sich

werfende Wurzel des lig. teres}). x Verlängerung, welche die lange Wurzel der columna auf der Aussen- fläche der Schulterkapsel besitzen müsste, um en nn. imiteel, derlangen Wurzeledeszlioteres, auch hinsichtlich des extracapsulären Verlaufes dieser letzteren überein- zustimmen.

Arpr's Angaben über das lig. teres enthalten meiner Meinung nach eine sinnreiche Beschreibung dieses Bandes, nicht aber eine Würdigung desselben nach seinen morphologischen Beziehungen; sie geben keinen Fingerzeig über die mögliche Art der Entwicklung dieser sonderbaren Bildung, ja dieselbe erscheint bei jener Auffassung, so prägnant jene Beschreibung das Aeussere des Baues darlegt, nach der entwicklungsgeschichtlichen Seite noch räthselvoller als zuvor. AEBY sagt (a. a. O. 305): |

„Die Ringform der Gelenkflächen?) bedingt eine ganz eigenthüm- liche Anordnung der Gelenkkapsel. Sie wird zu einer doppelten und begrenzt die Gelenkhöhle nicht blos, wie gewöhnlich an einer, sondern an zwei einander gegenüberliegenden Seiten. In unserem Falle sind die beiden Kapseln einander freilich so unähnlich, dass man nur der einen, der äusseren, diese Bedeutung zugestanden hat, die andere dagegen unter dem durchaus unzutreffenden Namen des runden Bandes (lig. teres) als eine Bildung ganz eigner Art glaubte hinstellen zu sollen. Richten wir unsere Aufmerksam- keit vor allem auf diese vielfach verkannte innere Kapsel (lig. capsulare int.). Ihr Umfang entspricht dem Innenrande der beiden Gelenkflächen, und sie stellt demnach ein trichterförmiges gegen die Pfanne er- weitertes Rohr vor. An dieser umspannt sie den Pfannengrund, indem sie nach unten an den frei über dessen Einschnitt hinweggehenden Theil des labrum gleroidale sich anheftet; am Kopfe folgt sie dem inneren Knor- pelsaume. Ihre obere Wand ist so tief nach unten ausgestülpt, dass sie an die untere fast unmittelbar sich anlegt und mit ihr scheinbar ein einfaches, glattgedrücktes Band (eben das fälschlich sog. lig. teres) erzeugt, das von l) Die Ursprungsstelle derselben wurde in der Zeichnung, während sie am Präparate auf der abgewendeten Seite der Kapsel liegt, etwas nach vorn gerückt, so dass wir das Band bei X auf der Aussenfläche der Kapsel entspringen sehen.

2) „Ringförmig“ nennt Azgy die Gelenkfläche des Schenkelkopfes, weil der Knorpelüberzug die Fovea nach Art einer Insel ringförmig umkreist; ebenso ist die Gelenkfläche der Pfanne ringförmig, wenn man der Facies lunata die Innen- fläche des lig. transversum hinzufügt.

Ueber das Hüftgelenk etc. 79

der incisura acetabuli steil zur Grube des Gelenkkopfes emporsteigt. Die Aussenfläche der inneren Gelenkkapsel wird theils von Fett- theils von Sehnenlagen überdeckt, welche das von ihr gebildete Rohr vollständig ausfüllen und durch den Pfanneneinschnitt frei nach Aussen her- vortreten.“

ArBy betont bei dieser Schilderung die Synovialmembran und deren Insertionsränder; ich sehe das Treibende bei der Bildung des lig. teres in den einrückenden Fasern der äusseren, fibrösen Schicht der Kapsel. Und offenbar ist die Ringform der Gelenk- flächen, welche nach Arpgy die Anordnung der Gelenkkapsel bedingen soll, nicht das Primäre (die AzprY’sche Doppelkapsel wäre eine ganz unerklärliche, einzig dastehende Bildung) sondern sie ist das Secundäre; ‘die Fovea des Schenkelkopfes ist das Erzeugniss der Einwanderung der extracapsulären Bandfasern, und es schliesst unsere Bildung, so aufgefasst, sich ohne Zwang anderen Bildungs- vorgängen an, wie sie aus der Entwicklungsgeschichte wohl bekannt sind. Frei durch einen Hohlraum ziehende Stränge kommen im Säu- - gethierkörper allerdings nur als seltne Ausnahmen vor: in der Bauch- höhle liegen Ureteren, vasa deferentia u.s. w., im Herzbeutel die vena cava inf. an die Wandung angeheitet, und wo sich ein Theil stärker ins Innere vordrängt, da schleppt er die serosa hinter sich her, die ge- wöhnlich erhalten bleibt. Als eine jener Ausnahmen würde das lig. teres der Hüftkapsel dastehen; aber diese Ausnahme verliert ihr Auf- fälliges, wenn wir dieselbe auf die geschilderte Entwicklung zurück- führen dürfen.

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge

von Dr. Hesse.

Assistent am anatomischen Institute in Leipzig.

Die sorgfältige Untersuchung der Zungenmusculatur macht sehr bald andere Hülfsmittel erforderlich, als die der gewöhnlichen Präpa- ration. Der Grund hierfür liegt in einer Eigenthümlichkeit des Baues der Zungenmuskeln, wodurch sich dieselben von andern völlig unter- scheiden. Während wir nämlich z. B. bei den Muskeln der Extremi- täten sehen, dass die von ihnen entwickelten Kräfte eine im Verhältniss sowohl zum bewegenden, als zum bewegten Theile sehr kleine Angriffs- fläche erhalten, vertheilen sich hier ganz entgegengesetzt die einzelnen Angrifispunkte auf eine grosse Fläche. Im Zusammenhange mit dieser Einrichtung steht es, dass sich die Zungenmuskeln nicht an einen starren Hebel ansetzen, sondern dass sie als Zugkräfte nur auf ihren Angrifispunkt wirken und diesen die grösste Excursion machen lassen. Den Uebergang von denjenigen Muskeln, die sich an Knochen inseriren, zu den hier zu besprechenden, finden wir überall da, wo Muskeln sich in sehnige Häute festsetzen, wie die breiten Bauchmuskeln und die geraden und schiefen des Auges. Indess bei allen diesen bleibt die breite Endsehne noch ein mit der Muskelmasse zusammenhängendes Ganze, während sich die Zungenmuskeln durch die Divergenz ihrer Bündel in sehr zahlreiche räumlich getrennte Sehnen auflösen. Die srosse Anzahl dieser Angrifispunkte macht nun die Zunge zu dem so überaus viel und leicht beweglichen Organ und es wird nur an Inner- vations-Einrichtungen liegen, dass sich die zahlreichen Einzelbewegungen, die wir durch isolirte Contraction der einzelnen Bündel erhalten würden, zu einer geordneten Totalbewegung addiren. Nicht ohne Bedeutung ist es fernerhin jedenfalls für die Mechanik der Zungenmuskeln, dass die Mehrzahl derselben nicht geradlinig sondern in Bögen verlaufen.

Wir können nun in Rücksicht auf diese Eigenthümlichkeit 3 Gruppen von Muskeln an der Zunge unterscheiden: 1. solche, die in

Dr. Hesse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. sl

ihrem ganzen Verlaufe sich nie zu einer compacten Muskelmasse sammeln (Transversus, ein Theil der oberen Längsmuskeln, und der selbständigen perpendiculären Fasern); 2. solche die an ihrem fixen Punkte als compacte Muskeln entspringen, und sich dann in Faser- systeme auflösen (alle an knöchernen Theilen entspringenden: Genio- glossus, Hyoglossus, Styloglossus und Chondroglossus) und 3. solche, die in einzelnen Faserbündeln sowohl beginnen als endigen, sich aber in ihrem Verlaufe einmal zu einer grösseren Masse vereinigen (Lingualis).

Da nun die verschiedenen Muskelsysteme in der Zunge im Allge- meinen senkrecht zu einander stehen, müssen sie sich gegenseitig kreuzen, und diese Durchkreuzung ist es, welche auch der geübtesten Hand für die Darstellung mit dem Messer unüberwindliche Schwierig- keiten entgegenstellt, die nicht überwunden werden, auch wenn die einzelnen Muskelbündel gross genug blieben um für das blose Auge erkennbar zu sein.

Wir finden daher auch die zuverlässigen Beschreibungen über den

Gegenstand von denjenigen Forschern gegeben, welche jene Unter- suchungsmethode mit der durch’s Mikroskop vertauschten. Dies ge- schah zuerst in ausführlicher Weise von KÖLLIKER. Seine mikro- skopische Anatomie, eine fast unerschöpfliche Quelle histologischer Beobachtungen, liefert uns auch für den fraglichen Gegenstand ganz Vorzügliches. Dass durch Isoliren der Muskeln auf chemischem Wege (langes Kochen ete.) gute Resultate erreicht worden wären, ist mir nicht be- kannt, und die Versuche, die ich damit selbst anstellte, fielen mir nicht genügend aus, um mich zu weiterer Uebung zu ermuthigen.

Da ich das aus den anatomischen Lehrbüchern Bekannte voraus- setzen darf, so erlaube ich mir, den Leser in den Gang der Unter- suchungen einzuführen, den ich eingeschlagen habe, und den ich auch im Folgenden beibehalten werde:

Als ich anfangs das Bild, welches ich durch Lectüre gewonnen hatte, mit demjenigen verglich, welches mir ein Schnitt durch die Zunge lieferte, fand ich oft gegen meine Vermuthung grosse Schwie- rigkeiten in der Deutung der erhaltenen mikroskopischen Bilder.

Hier lag eine Gruppe von Muskel-Querschnitten, deren Zugehörig- keit zu einem der bekannten Muskeln nichts weniger als einleuchtend war, dort verliefen parallel ihrer Richtung getroffene Muskelfasern, deren Ursprung durch diesen Schnitt sich auf keine Weise ermitteln liess. Ich wurde so allmählich zu der Ueberzeugung gebracht, dass es nur einen sichern Weg gebe, zum Ziele zu gelangen, nämlich den:

die ganze Zunge der Reihe nach in Schnitte zu zerlegen und nun Zeitschrift f. Anatomie. Bd. ]. 6

32 Dr. Hesse.

einen Schnitt nach dem andern der Betrachtung zu unterziehen. Nach- dem ich dies in frontaler Ebene gethan-hatte, erkannte ich bald das Werthvolle der Arbeit, doch blieb mir für viele Punkte die Kenntniss noch ungenügend. Erst nachdem ieh auch in den beiden andern senk- rechten Ebenen des Raumes mir vollständige Serien angelegt hatte, gelang es mir, die Zweifel zu beseitigen.

Bei der Beschreibung der Serien, die ich vorausschicke, werde ich selegentlich schon das vollständige Bild des betreffenden Muskels mit besprechen. Es werden sich daraus schon hier die plastischen Formen und die topographischen Verhältnisse der einzelnen Muskeln gewinnen lassen, sodass ich zum Schlusse nur noch kurz hierauf eingehen werde.

In technischer Beziehung bemerke ich noch, dass ich die kind- lichen Zungen, die ich zur mikroskopischen Untersuchung benutzte, in Chromsäure (anfangs !/,°/,, dann 1°/,) erhärtete und dann ohne weitere Färbung einlegte. Die Färbung, wie sie durch die einfache Chromsäure-Behandlung entsteht, ist für die Untersuchung von Muskeln eine sehr günstige, und ist schon der Kürze wegen vorzuziehen. Da- zu kommt, dass die kindlichen Leichen selten frisch genug sind, um noch eine gute Carmin-Tinction zu ermöglichen. Nur empfehle ich zur Aufhellung der Schnitte Terpentinöl, nicht Kreosot zu benutzen. Letzteres erfordert zwar weniger Sorgfalt in der Entwässerung und in der Anfertigung dünner Schnitte, doch bekommt der in Chromsäure gehärtete Muskel dadurch leicht eine zu dunkle Farbe.

Ich benutzte in der Regel eine 90fache Vergrösserung; für manche Dinge genügte schon die Loupe; starke Vergrösserungen brauchte ich nur selten (so bei Untersuchung des Septum).

Die beigefügten Abbildungen _ habe ich zum Theil unter dem Zeichnungsprisma, zum Theil sind sie nach photographischen Ab- bildungen meiner Präparate gefertigt.

Herrn Professor Hıs bin ich für die mannichfachen Unterstützungen, die er mir bei der Arbeit und bei Herstellung der photographischen Abbildungen zu Theil werden liess, zum grössten Dank verpflichtet.

I. Frontale Schnitte. (Taf. III. Fig. 1. Taf. IV. Fig. 4.)

Das Bild, welches ein in frontaler Ebene etwa durch die Mitte der Zunge geführter Schnitt giebt, ist folgendes:

In der Mitte des Schnittes steht das Septum, von dem aus die Fasern des transversalen Systems nach beiden Seiten hin ausstrahlen. Diese Fasern kreuzen sich mit denen des perpendiculären Systems,

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 83

welche hier ebenfalls parallel ihrem Faser-Verlaufe getroffen sind und die von der unteren zur oberen Zungenfläche gehen. Endlich treffen wir überall unter der Schleimhaut eine verschieden mächtige Schicht von senkrecht durchschnittenen Muskelfasern, welche wir also vor- läufig als zu dem longitudinalen System gehörig bezeichnen werden.

1. Das erste System, das der transversalen Fasern, präsen- tirt sich auf diesem Schnitte am klarsten. Vom Septum als ziemlich compactes, hohes und schmales Blatt entsprungen, gehen die Fasern radienförmig zur Peripherie ihrer Zungenhälfte; während aber am Sep- tum ein solches Blatt völlig ununterbrochen erscheint, so treten je näher der Peripherie um so grössere, zahlreiche, parallel dem Verlaufe der Muskeln gestellte Spalten darin auf, die ihre Entstehung dem Umstande verdanken, dass die Transversusfasern eines Blattes sich zu einzelnen über einander liegenden Bündeln gruppiren und als solche die Peripherie erreichen.

Die zunächst unter der Zungenrücken-Schleimhaut liegenden Trans- versusbündel laufen mit geringer Concavität nach aufwärts, erst ein Stück unter den Bündeln der senkrecht durchschnittenen oberen Längs- muskellage hin und treten dann, indem sie nach aufwärts umbiegen, etwa an der Grenze des inneren und mittleren Drittels einer Zungen- hälfte, in Gemeinschaft mit Bündeln des perpendiculären Systems, durch die Bündel der oberen Längslage hindurch um zur Schleimhaut der oberen Zungenfläche zu gelangen. Die tieferen setzen sich successive immer weiter nach aussen zu fest; auch gesellen sie sich nicht mehr den perpendiculären Bündeln bei, sondern kreuzen sich mit ihnen an- fangs unter kleinen, dann unter grösseren spitzen Winkeln, und bilden mit ihnen Schlingen, in denen die Längsbündel liegen. Die tiefsten transversalen Fasern endlich laufen nur schwach nach abwärts. Ihre Riehtung ist fast horizontal nach auswärts, sodass also die mensch- liche Zunge transversale Fasern, die vom Septum zur untern Zungen- fläche gehen, nicht enthält, während wir solche bei vielen Säuge- thieren in grosser Anzahl finden.

2. Die perpendiculären Fasern, die uns der Frontalschnitt zeigt, können recht wohl in 2 Partien zerlegt werden, eine innere und eine äussere. Die innere liegt dicht neben dem Septum; ihre Fasern kommen aus dem in der Mitte des Zungenbodens liegenden, leicht als Genioglossus erkennbaren Muskel; sie steigen vertical von unten nach oben in die Höhe, treten zwischen zwei benachbarten Transversus- blättern hindurch und vereinigen sich an der unteren Fläche der oberen Längsmuskellage zu Bündeln, welche durch die der letzteren hindurch- gehen, um in der Schleimhaut des Zungenrückens zunächst der

6*

84 Dr. Hesse.

Mittellinie zu endigen. Dabei fällt es auf, dass die Fasern dieser inneren Partie des perpendiculären Systems je weiter lateralwärts, um so mehr ihre verticale Lage verlieren, die sie in der Nähe des Septums haben. Sie divergiren hier vielmehr von unten nach oben, sodass ihr oberes Ende einen grösseren Abstand von der Mittellinie hat, als ihr unteres. Es kreuzen sich in Folge dessen diese äusseren Bündel eines Genioglossusblattes mit den zunächst liegenden perpendiculären Fasern der äusseren Partie. Gewöhnlich sieht man zu beiden Seiten des Septums, dass ausser den senkrecht aufsteigenden Genioglossus- und den horizontal nach auswärts strebenden Transversusfasern, noch einige schief von unten herauftreten, um sich in sehr spitzem Winkel an’s Septum zu setzen. Sie sind in den Genioglossus zurückzuverfolgen. Unter- und oberhalb des Septum sieht man ferner in dem mittleren, und noch etwas häufiger am hinteren Theile der Zunge die innersten Genioglossusfasern beider Seiten sich kreuzen und je zur andern Seite herübertreten. Zwischen den unter dem Septum sich kreuzenden endlich finden sich hinten reichlicher als vorn, einzelne, zerstreute Querdurch- schnitte von längsverlaufenden Muskelbündeln.

Die äussere Partie eines perpendiculären Blattes ist zwar die un- mittelbare Fortsetzung der inneren, insofern als sie im selben Inter- stitium zwischen den gleichen Transversusblättern liest, unterscheidet sich aber von dem inneren Theile erstens dadurch, dass die Richtung ihrer Fasern schief von unten nach oben und innen geht, sodass also die entsprechenden Fasern beider Zungenhälften sich in der Verlängerung über der Mittellinie des Zungenrückens schneiden würden. Zweitens verfolgt man diese Partie nicht mehr in den Genioglossus hinein, son- dern zwischen die quer durchschnittenen Muskelbündel, welche sich nach aussen an den Genioglossus anschliessen. Ob sie aus diesem ihren Ursprung nehmen, lässt sich bei dieser Ansicht nicht bestimmen, doch muss es auffallen, dass man in der grossen Masse perpendiculärer Fasern, die sich über jenen querdurschschnittenen Längsmuskeln finden, verhältnissmässig wenige dieselbe ganz durchsetzen sieht, um zur unteren Schleimhaut zu treten.

Die Grösse der perpendiculären Bündel nimmt nach dem Seiten- rande zu allmählich ab, auch verlaufen sie nicht ganz geradlinig, son- dern sind schwach concav nach auswärts gebogen. Nach oben durch- brechen sie die Bündel der oberen Längslage, um sich am Zungen- rücken auswärts von den Genioglossusfasern zu inseriren. Nur die innersten setzen sich etwas näher dem Septum fest, als die äussersten Genioglossusfasern.

3. Ueber die Fasern des längsverlaufenden Systems erhalten

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 85

wir durch den Frontalschnitt den wenigst genügenden Aufschluss. Dieselben sind überall scheinbar senkrecht durchschnitten und man darf nicht hoffen, etwa aus der Form des Querschnittes noch ein Ur- theil zu gewinnen, welche prägnantere Richtung sie an dieser Stelle gehabt haben. Indessen fällt sofort in’s Auge, dass an der ganzen Peripherie der Zunge, soweit sich Schleimhaut findet, unter derselben eine verschieden mächtige Lage von Querschnitten längsverlaufender . Muskelbündel liest. Am prägnantesten gilt dies für den Zungenrücken. Wir sehen hier die Längslage zu schmalen und hohen, neben einander stehenden Bündeln geordnet, die schmale Räume zwischen sich frei lassen für den Durchschnitt der oberen Enden der perpendiculären und der erwähnten Transversusfasern. Ueber dem Septum erreicht diese Lage ihre grösste Höhe, indem sich hier einige Bündel besonders tief hinabschieben, und so einen spitzen, einspringenden Winkel bilden. Nach dem Seitenrande zu werden die Längsbündel immer kleiner und spärlicher, um an der untern Fläche wieder zuzunehmen. Da wo keine Schleimhaut mehr ist, erhalten wir an der untern Fläche die Querschnitte ziemlich dicker Längsmuskeln, von denen es .leicht ist, sich zu überzeugen, dass sie dem Lingualis, Hyoglossus und Stylo- glossus angehören; an ihnen ist häufig sehr auffällig, dass namentlich ihre obersten Partien nicht quer, sondern schief durchschnitten sind. Die unter dem Septum befindlichen, spärlichen und zerstreut liegenden Längsbündel-Querschnitte erwähnte ich schon bei Betrachtung der inneren, sich kreuzenden Genioglossusfasern.

Während diese Beschreibung für den grössten (mittleren) Theil der Zunge gilt, erfährt das Bild des Frontalschnittes nach der Spitze sowohl als auch nach der Basis hin, nicht unbeträchtliche Verän- derungen.

Je weiter nach der Spitze zu, um so mehr nehmen alle Muskel- lagen an Mächtiskeit ab. Die transversalen Fasern steigen vorn etwas tiefer nach abwärts als im hintern Theil der Zunge. Der Mantel der Längsmuskeln verliert namentlich an der untern Zungenfläche bedeutend an Dicke, während dies an der oberen Fläche allmählicher geschieht. Im vordersten Theile der Spitze treffen wir endlich nur noch spär- liche, senkrecht getroffne Bündel, die sich aber immer noch in eine obere, sehr schwache, und eine aus zahlreichen Bündeln bestehende untere Gruppe trennen lassen. Mit der Abnahme der unteren Längs- lage geht Hand in Hand eine Zunahme von solchen perpendieulären Fasern, die wir durch die unteren loneitudinalen Bündel hindurch bis in die Schleimhaut der unteren Zungenfläche verfolgen können. End- lich erhalten wir in der Spitze immer reichlichere transversale Fasern,

s6 Dr. Hesse.

die von einer Seite zur andern gehen, ohne durch das Septum unter- brochen zu werden.

Am hintern Drittel der Zunge liefert der Frontalschnitt ein be- trächtlich anderes Bild. Wenn auch der Grundtypus der Muskelan- ordnung derselbe ist, wie im Vordertheile der Zunge, so herrschen doch hier die Muskeln, die wir querdurchschnitten erhalten, die also an dieser Stelle wenigstens einen sagittalen Verlauf haben müssen,

stark vor. Es sind dies der Lingualis, Hyoglossus und Styloglossus, .

die wir als mächtige Muskelmassen am Boden und dem Seitenrande der Zunge erblicken. Die obere Längsmuskellage dagegen verliert sehr an Regelmässigkeit. Sie besteht nur noch aus zahlreichen Bündeln, die sich überall zwischen die dicht bei einander liegenden Drüsen der Zungenwurzel einschieben.

Zu einer Täuschung kann man durch den Frontalschnitt im hintern Zungendrittel leicht veranlasst werden in Betrefl der Beurtheilung der transversalen Fasern. Man trifft nemlich auf solchen Schnitten den Transversus nicht mehr als ein von unten nach oben zusammenhäng- endes Blatt, sondern er ist hier immer durch schmale, horizontal ge- stellte Streifen von senkrecht durchschnittenen Muskelbündeln unter- brochen, welche ebenfalls vom Septum bis zum Seitenrande reichen, sodass man statt eines zusammenhängenden etwa 5 bis 6 niedrige, über einander stehende Transversusblätter erhält. Man könnte nach diesem Bilde leicht meinen, dieselben würden hier von longitudinal verlaufen- den Blättern durchbrochen, doch klärt ein Sagittalschnitt den Irrthum leicht auf und ich werde bei Beschreibung dieser darauf zurückkommen (pag. 88). Vorläufig füge ich nur hinzu, dass man ganz entsprechende Bilder wie in.der Mitte auch hier erhält, wenn man den Schnitt nicht senkrecht, sondern in schiefer Ebene von hinten nach vorn und unten führt. Uebrigens strahlen die transversalen Fasern hier weniger nach aufwärts aus, sondern laufen unter den Drüsen der Zungenwurzel horizontal nach aussen. Die Fasern des perpendiculären Systems können auch nur bei der eben angegebenen, veränderten Schnittrichtung in ihrem Verlaufe gesehen werden. An verticalen Schnitten liefern sie die eben erwähnten Streifen querdurchschnittener Muskelbündel. Endlich verfolgt man an Frontalschnitten dieser Gegend leicht transversale Fasern ohne Unterbrechung in den Musc. Glossopalatinus.

II. Sagittalschnitte. (Taf. II. Fig.2.3u.4. Taf. IV. Fig. 1.2.)

Da die Sagittalschnitte durch die Zunge sehr verschiedene Bilder geben, je nachdem sie der Mittellinie näher oder entfernter von ihr

ee

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 57

angelegt sind, so wird es auch nothwendig, die Schnitte in diesen einzelnen Gegenden besonders zu beschreiben. Ihr wesentlichster Un- terschied besteht darin, ob sie im Bereiche des Genioglossus, des Lingualis, oder noch weiter nach aussen geführt sind.

1. Nahe der Mittellinie, also durch den Genioglossus geführt, erhalten wir einen Schnitt, der schon für’s blose Auge in drei über einander liegende Abtheilungen zerfällt. Wenn man nämlich den Ur- sprungspunkt des Genioglossus an der Innenfläche des Unterkiefer- körpers als Mittelpunkt betrachtet, von dem aus man drei concentrische Kreisbogen gezogen hätte, so ist der äusserste, grösste dieser Bögen die Rückenfläche der Zunge, der folgende kleinere wird durch den oberen und der innerste durch den untern Rand der transversalen Blätter gebildet. Zwischen diesen drei Bogenlinien und ihrem Mittel- punkte erhalten wir nun die drei übereinander liegenden Zonen, welche von der Spina mentalis nach dem Rücken zu an Dicke (Höhe) ab-, an Umfang (Länge) aber zunehmen. In der innersten Zone strahlen die Fasern des Genioglossus fächerförmig gegen die Substanz der Zunge hin, ohne dass man hier noch einen andern Muskel erblickte. In der mittteren Zone werden die Genioglossusstrahlen ganz regelmässig unter- brochen von den hohen, schmalen Querschnitten der transversalen Blätter und in der äussersten erhalten wir unregelmässig wechselnd kleine Strecken von perpendiculären Genioglossusfasern und sagittal verlaufende vom Longitudinalis superior.

Die perpendiculären Fasern gehören in diesen Schnitten auschliesslich dem Genioglossus an. Die tiefsten derselben gehen dicht über dem, zwischen Innenfläche des Kinns und Zungenbein ausge- spannten Musc. Geniohyoideus, von ihm nur durch eine dünne Fascie ‚getrennt. Einige zarte Sehnen derselben besetzen noch den obersten Rand des Zungenbeins (M. geniohyoid. superior). Die nächsten gehen hart über dem oberen Rande des Zungenbeins in das feste Gewebe über, welches die Vorderfläche der Epiglottis umgiebt und hierauf erst treten die Genioglossusbündel in die Substanz der Zunge ein, um erst zwischen den transversalen Blättern, dann zwischen den Bündeln der obern Längslage sich in der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens in der Schleimhaut desselben festzusetzen. An der Zungenspitze, die der Genioglossus übrigens nicht völlig erreicht, biegen seine vordersten Fasern in einen nach vorn convexen Bogen um, und gehen dicht über dem Frenulum nach vorn und oben. Doch gewahrt man hier leicht, dass es ausserdem hier noch selbständige perpendiculäre Fasern giebt, die direct von der obern zur untern Schleimhautfläche verlaufen. Auf ihrem Wege durch die transversalen Blätter tauschen je 2 benachbarte

88 | Dr. Hesse.

Genioglossusblätter nicht selten kleinere Bündel unter einander aus, wie man schon mit schwacher Vergrösserung sieht. Es hat dies auf die Blätter des transversalen Systems den Einfluss, dass eine Anzahl derselben in 2 bis 3 übereinander stehende Abtheilungen getrennt wird.

Die Zahl der Blätter des transversalen Systems, die na- türlich mit denen des Genioglossus, mit welchen sie ausgenommen im vordern Theil der Spitze immer alterniren, fast übereinstimmen muss, fand ich nach 3 Zählungen im Mittel 105. Das höchste Blatt in der Mitte des Schnittes (beim Neugebornen) maass 6,0 Mm., das letzte, über dem Zungenbein liegende 4,0 Mm. Die Dicke der Transversus- wie der Genioglossusblätter ist sehr ungleich. An der Zungenspitze sind die ersteren 2 bis 3 Mal so dick als die Genioglossusblätter, während in der Mitte beide ziemlich gleiche Dicke haben. Dann übertreffen die Genioglossusfasern jene an Dicke, und im hintersten Zungenabschnitte überwiegen wieder die transversalen Blätter (bis 0,5 Mm. dick). Im Vergleiche zu den Sagittalschnitten, die näher am Seitenrande geführt sind, erscheinen hier die Querschnitte der transversalen Blätter ziemlich compact. Ausser den erwähnten Trennungen, welche sie durch die, zwei benachbarte Genioglossusblätter verbindenden Fasern erfahren, finden sich nur noch ganz schmale Lücken, welche einen solchen Querschnitt in eine Anzahl dicht bei- einander liegender Felder unterabtheilen.

Die Ebenen der transversalen Blätter stehen nun keineswegs fron- tal. wie man es sich vorzustellen geneigt ist. Dies gilt nur für die Mitte der Zunge. Je weiter nach rückwärts, um so mehr nehmen die Blätter eine schiefe Richtung nach hinten und oben ein und das letzte transversale Blatt liegt fast horizontal, sodass es sich mit dem ersten (in der Zungenspitze) unter Rechtem oder einem noch grösseren Win-. kel schneiden würde. Es ist dies ganz selbstverständlich, wenn man berücksichtigt, dass jedes transversale zwischen zwei Genioglossusblättern liegt, und von diesen ist uns die Divergenz ihrer Ebenen gegen den Zungenrücken hin ganz geläufig. Denkt man sich nun durch einen Sagittalschnitt im hintern Theile der Zunge wieder einen Frontal- schnitt gelegt, so erklärt sich auf den ersten Blick, dass nur die andere Stellung der Ebenen der Blätter es ist, welche veranlasst, dass wir hier im frontalen Schnitte die transversalen Blätter von Streifen querdurchschnittener Muskeln unterbrochen finden. Wir haben eben nicht ein transversales Blatt getroffen, sondern eben so viele, als solcher Querstreifen vorhanden sind. Es wird nun verständlich, dass man die Schnitt-Richtung in der auf pag. 86 angegebenen Weise verändern muss, um ein unversehrtes transversales Blatt zu erhalten.

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 89

Die Längsmuskellage ist die oberste schwächste von den 3 Zonen des Sagittalschnittes. Sie bildet eine 3 bis 4 Mm. dicke Lage längs der ganzen Ausdehnung des Zungenrückens, dicht unter der Schleimhaut. Nur an der Spitze wird sie schmäler. Sie wird von den senkrecht zum Zungenrücken aufsteigenden Genioglossusfasern ge- kreuzt; diese sehen wir nämlich in dem Augenblicke, wo sie aus den Transversusblättern heraustreten, sich in sagittaler Richtung etwas ver- breitern, sodass sie nun die Zwischenräume mit ausfüllen, welche sie früher für die Transversusblätter frei lassen mussten. So treten diese oberen Enden der Genioglossusblätter wieder zu Blättern zusammen, die aber jetzt durch die sagittalen Bündel gtrennt, also auch selbst sagittal gestellt sind.

Die longitudinalen Fasern laufen nun nicht einfach von vorn nach hinten, wie ich es vorläufig angab, vielmehr sehen wir, dass zwei Systeme longitudinaler Fasern sich in der ganzen Ausdehnung der oberen Längslage fortwährend unter spitzen Winkeln kreuzen. Will man einen solchen Zug nach vor- oder rückwärts verfolgen, so wird es leicht passiren, dass man sein vorderes oder hinteres Ende, wohl auch beide verliert; indessen gelingt dies doch noch häufig genug. Alsdann gewahrt man, dass ein solches longitudinales Bündel von einem Punkte der Rückenschleimhaut seinen Ursprung nimmt, in einem ziemlich langen, nach abwärts schwach convexen Bogen nach vorn verläuft, auf diesem Wege wohl auch bis auf den oberen Rand der transversalen Blätter zu liegen kommt, um dann in einem weiter vorn gelegenen Punkte der Schleimhaut zu endigen. Denkt man sich nun, dass solche Bogen in grosser Anzahl von hinten nach vorn immer neu entstehen, so werden sich die vorderen aufsteigenden Enden mit den hinteren, absteigenden Enden weiter vorn entspringender Bogen immer kreuzen müssen. Und fügt man noch hinzu, was die Flachschnitte erst deutlich zeigen, dass diese Bogen nicht immer in rein sagittaler Richtung verlaufen, sondern häufig nach rechts oder links abweichen, so wird man begreifen, warum diese obere Längs- muskellage häufig ein scheinbar unentwirrbares System darstellen kann. An der Zungenwurzel sieht man die Fasern aus dem Gewebe zwischen und unter den Drüsen hervorkommen. Die Concavität der einzelnen Bögen wird dadurch wesentlich gemindert, dass der ganze Zungen- rücken gerade die entgegengesetzte Krümmung besitzt. Die vordersten Bündel des Longitudin. superior biegen dicht unter der Schleimhaut der Zungenspitze mit nach vorn gerichteter Convexität zur untern Zungenfläche herab, von wo ihnen perpendiculäre Fasern aus der untern Längslage in gleicher Krümmung entgegenkommen. Eine Vereinigung

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beider Fasern findet hier nicht statt; ich konnte sie stets zur Schleim- haut verfolgen, doch reichen hier die vordersten oberen Längsbündel tiefer herab, als die Enden der vordersten unteren.

Geht man jetzt in der Betrachtung der Saeittalschnitte weiter nach dem Seitenrande zu, so trifft man sehr bald (etwa nach 7—8 Schnitten) und noch völlig im Gebiete des Genioglossus eine auffällige Veränderung im hinteren Theile des Longitudinalis superior. Es tritt nemlich zwischen den hintersten transversalen Blättern und den Drüsen der Zungenwurzel ein anfangs mässig starker, ‚aber sehr rasch an Mächtigkeit zunehmender Faserzug auf, der parallel der Krümmung der Zungenwurzel von der Gegend des Zungenbeins her unter dem Drüsenlager nach vorn geht. Schon an den 2 oder 3 nächsten Schnitten ist dieser Zug als eine circa 2 Mm. dicke Lage für das blose Auge erkennbar, und man erhält ihn dann auf einer Anzahl von Schnitten. Unter dem Mikroskop sieht man die Fasern dieses Bündels mit Hülfe von kurzen Ursprungssehnen an die vordere Fläche des kleinen Zungenbeinhorns und den anstossenden Theil des Körpers des Zungen- beins treten. Von hier gehen sie in starkem Bogen nach auf- und vorwärts, um sich den übrigen Fasern der oberen Längslage beizuge- sellen, die ihren Ursprung von der Schleimhaut nehmen. Die tiefsten und am weitesten nach vorn reichenden Fasern dieses Muskels!) setzen sich dann in der Mitte der Zunge an die Schleimhaut an. An ‚den Serien, die ich vor mir habe, sehe ich übrigens nicht, dass der Ursprung dieses Muskels die Spitze des Cornu minus erreicht. Das- selbe scheint zuweilen, wie auch hier, sehr lang und stark nach aussen gerichtet zu sein, so dass ich an einer Reihe von Schnitten noch über dem Zungenbeine den Durchschnitt des kleinen Horns erhalte, aber ohne dass noch Muskeln von ihm entspringen.

2. Die wesentlichste Veränderung erfahren die Bilder des Sagittal- schnittes, je weiter sich derselbe dem Seitenrande der Zunge nähert, durch das Auftreten eines neuen, an der unteren Fläche der Zunge, aussen vom Genioglossus gelegenen Muskels, das M. lingualis. Die übrigen Muskelsysteme verleihen dem Schnitte kein auffällig andres Gepräge und die etwaigen Aenderungen sollen dann nachgeholt werden. Den Namen „Lingualis“ ziehe ich vor dem ebenfalls gebräuchlichen „Longitudinalis inferior“ vor, weil den letztern Namen andre Muskeln mit demselben Rechte beanspruchen können.

Der erste Ausdruck für das Auftreten eines unteren Längsmus- kels fällt schon in die sub 1 besprochene Schnittreihe, doch habe ich

1) M. Chondroglossus, Kölliker mikr. Anat. p. 17.

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mir der Uebersicht wegen ihre Beschreibung bis hierher verspart. Dicht neben der Mittellinie wird man stets einen oder zwei Schnitte erhalten, welche keinen unteren Längsmuskel zeigen, ausser die stark vorbiesenden vordersten Genioglossusbündel. Dann aber treten sehr bald an der untern Fläche der Spitze Längsbündel auf, die nicht in den Genioglossus zurück zu verfolgen sind und die sich zum grössten Theile an die Schleimhaut der unteren, freien Fläche der Spitze fest- setzen. Von ihrem hinteren Ende sind diese Längsbündel abgeschnit- ten, doch verfolgt man sie in jedem neuen Schnitte weiter nach rückwärts. Gleichzeitig sieht man in der vorderen Hälfte des Genio- ‚glossus, bevor derselbe in das Gebiet der transversalen Blätter eintritt, dass seine Fasern hin und wieder von zarten Bündeln gekreuzt wer- den, welche, von hinten nach vorn gehend, horizontal oder in spitzen Winkeln über sie hinlaufen, sich auch gelegentlich in sanfteren Bogen erheben und dann stark aufwärts biegen, um mit einem Genioglossus- bündel gemeinschaftlich als perpendiculärer Muskel zum Zungenrücken empor zu steigen. Wenn auch sehr spärlich, so findet man doch auch schon hier zuweilen noch einzelne zarte Bündel, welche umgekehrt aus einem perpendiculären Blatte des Genioglossus heraustreten und nach vorn umbiegend, sich der unteren Längslage der Spitze beigesellen.

Ist man aus dem Gebiete des Genioglossus herausgekommen, so ändert sich das Bild dadurch, dass wir an der untern Fläche der Zunge in der ganzen Ausdehnung, in der wir früher den Genioglossus sahen, jetzt den von hinten nach vorn verlaufenden, parallel seiner Faser- Richtung getroffenen Lingualis finden. An den perpendiculären Blät- tern lässt sich mit Ausnahme der vorher erwähnten, noch eine Aen- derung finden, die man sogleich verstehen wird, wenn man sich dessen erinnert, was ich bei der Beschreibung der Frontalschnitte über die äussere Partie der perpendiculären Fasern sagte. Wir konnten die- selben nemlich wohl in die Substanz des zum grössten Theil quer- durchschnittenen Lingualis verfolgen, nur spärlich aber noch bis in die untere Hälfte desselben und keine darüber hinaus. So be- kommt man auch jetzt im Sagittalschnitte den grössten Theil der perpendiculären Fasern mit ihrem unteren Ende noch ein Stück in den untern Längsmuskel hineinragend und dann durchschnitten. Dass sie nicht in grösserer Anzahl in ihrem Zusammenhange mit dem untern Längsmuskel erscheinen, liest an der Ebene des Schnittes, welche die der perpendiculären Fasern schneidet. Hat man das Glück Sagittalschnitte genau in der schiefen Ebene anzulegen, welche der Richtung der perpendiculären Fasern entspricht, so wird man das Umbiegen der Lingualisfasern in perpendieuläre Blätter häufig

92 Dr. Hessr.

sehen. Immerhin ist dies oft noch recht schwer und zwar deshalb, weil die Ebenen, in denen diese Lingualisbündel verlaufen, gegen die verticale, von hinten nach vorn gerichtete Ebene nicht nur um eine sagittale, sondern auch noch um eine verticale Axe gedreht sind, d.h. mit andern Worten, weil die Lingualisbündel Schlingen bilden, die von hinten, oben und aussen erst schief nach vorn, unten und innen ab- und dann noch vorn oben und innen wieder aufsteigen.

Für den Ursprung des hinteren weitaus beträchtlichsten Theiles des Lingualis liefern die Sagittalschnitte die vortrefflichsten Bilder. Es treten nemlich ganz in derselben Weise, wie wir weiter einwärts von vornher die Genioglossusblätter zur Schleimhaut der Rückenfläche _ der Zungenwurzel ausstrahlen sehen, hier ebensolche Bündel auf, die nur den umgekehrten Weg machen, wenn man will, und die sich an der untern Zungenfläche zum Lingualis sammeln. Die senkrecht durch- schnittenen transversalen Blätter liegen genau so zwischen ihnen, wie zwischen den tiefsten Genioglossusblättern, so dass diese und die hin- tern Lingualis-Enden sich vollständig gleichen. Man verfolgt dieselben leicht durch die Drüsenlage der Zungenwurzel hindurch zur Schleim- haut, und ich glaube, dass ein Theil der Bündel von hier hinten bis zur Spitze, also durch die ganze Länge der Zunge hindurchgeht. Von den weiter vorn aus den perpendiculären Blättern neu hinzukommen- den Verstärkungsbündeln unterscheiden sich die hinteren besonders - dadurch, dass sie in einem Bogen mit viel grösserm Krümmungsradius verlaufen; ja die tiefsten treten fast horizontal aus den tiefsten trans- versalen Blättern hervor und treten ziemlich gradlinig in die Substanz des Lingualis ein. Eine ziemlich mächtige Lage schickt der Lingualis nach vorn, die sich namentlich in den seitlichen Theil der unteren Fläche der Zungenspitze festsetzt.

Je weiter nach vorn, um so zahlreicher werden dann auch selb- ständige perpendiculäre Fasern, welche die des Lingualis senkrecht kreuzen und sich in der Schleimhaut der unteren Fläche festsetzen.

3. Mit den nun folgenden Schnitten treten wir in das Gebiet des Hyoglossus ein, und zwar fallen hier die wesentlichsten Ver- änderungen in den hinteren Theil der Zunge. Es treten hier nemlich Fasern auf, welche die hinteren Enden des Lingualis kreuzen und die sich sehr bald zu dem längsdurchschnittenen Cornu majus des Zungenbeins verfolgen lassen. Hier entspringt der Hyoglossus com- pact und löst sich nun strahlenförmig in eine Anzahl Bündel auf, welche sich als schmale Blätter zwischen die des transversalen Systems einschieben, um zur Schleimhaut des Zungenrückens zunächst dem Seitenrande zu gelangen. Die hintersten Bündel sind die mächtigsten;

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 95

sie biegen ziemlich steil unter der Drüsenlage der Zungenwurzel nach aufwärts, während die vorderen in viel sanfterer Steigung nach vorn gehen, um sich dann nach aufwärts zu erheben. Der Hyoglossus bildet somit für diesen Theil der Zunge einen wesentlichen Bestand- theil des perpendiculären Systems, an dem aber auch hier noch selbständige von der obern zur untern Schleimhaut gehende Fasern participiren. Seine vordersten Bündel sehe ich etwa bis zum hintern Ende des vorderen Zungendrittels sich erstrecken.

Auf die Gestalt der hintersten transversalen Blätter hat der Hyo- glossus einen sehr auffälligen Einfluss. So lange er sich nemlich noch mit Lingualisbündeln kreuzt, ehe diese aus dem Gebiete der transver- salen Blätter heraustreten, wird er auch die den Lingualisbündeln parallel stehenden transversalen Blätter durchkreuzen müssen, und diese verlieren in Folge dessen ganz ihre Eigenschaft als Blätter. Die Querschnitte ihrer Muskelbündel füllen die Maschen des Netzes aus, welches durch Kreuzung des Lingualis und Hyoglossus entsteht. Mehr lateralwärts aber, wo der Lingualis nicht mehr hinreicht, stellen sich wieder transversale Blätter zwischen den Hyoglossusbündeln her, aber die Ebenen derselben stehen nicht mehr schief mit dem höchsten Ende nach oben und hinten, sondern fast rechtwinklig dagegen, mit dem höchsten Punkte nach oben und vorn. Auf die transversalen Blätter in den drei vorderen Vierteln der Zunge übt der Hyoglossus diesen Einfluss nicht, da er hier erst an der unteren Zungenfläche hinläuft und von hier in verticale Bündel nach auf- und einwärts umbiest.

Die Schnitte endlich, die noch näher dem Seitenrande geführt sind, zeigen den parallel seiner Faserrichtung getrofinen M. Stylo- glossus, welcher anfangs noch die hintersten Fasern des Hyoglossus kreuzt. Dann fällt letzterer ganz aus dem Schnitte und wir erhalten nur Styloglossusfasern, welche dicht unter der Mundhöhlenschleimhaut, wo diese in die der Zungenwurzel übergeht, in die Zunge eintreten und dann fast parallel dem Seitenrande derselben nach vorn verlaufen. Mit schwacher Neigung nach abwärts gesellen sie sich dann zum Lingualis, dessen vordern Theil sie wesentlich verstärken. Auch aus ihrer Masse erheben sich Bündel nach auf- und einwärts, welche als perpendiculäre Fasern zwischen die Enden der transversalen Blätter treten.

Es erübrigt nun noch zur Vervollständigung einiges über die Querschnitte der transversalen Blätter nachzuholen, deren ich bisher nur bei Beschreibung der im Gebiete des Genioglossus geführten Schnitte und bei Besprechung des Hyoglossus gedacht habe. Dass die

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transversalen Blätter fächerförmig gegen die Oberfläche der Zunge hin ausstrahlen, spricht sich in den Sagittalschnitten dadurch aus, dass die Lücken und Spalten zwischen den Querschnitten der Bündel eines transversalen Blattes je weiter nach dem Seitenrande zu, um 0 grösser und zahlreicher werden (Taf. III. Fig.3u.4). Endlich fällt esauf, dass wir den Styloglossus, soweit er sagittal verläuft, von transversalen Bündeln nicht mehr, oder doch nur sehr spärlich durchsetzt finden. Für seinen vorderen Theil ist das leicht verständlich, da hier der grösste Theil zur unteren Fläche biegt, wohin nur spärliche trans- versale Fasern gelangen. Für den hinteren Theil aber, wo der Stylo- glossus noch ziemlich hoch liest, muss dies um so mehr auffallen, als wir hier besonders mächtige Querschnitte transversaler Bündel treffen. Man kann schon hierdurch zu der Vermuthung geführt wer- den,. die dann die Flachschnitte bestätigen, dass diese hintersten transversalen Blätter aus dem Styloglossus selbst kommen.

III. Flach-Schnitte. (Taf.II. Fig.5. Taf. IV. Fig. 3.)

Bei der Convexität des Zungenrückens wird die Wahl der Ebene für Flachschnitte nicht ganz ohne Willkür sein. Ich benutzte als Führungslinie die längste Linie, die ich von der Spitze der Zunge nach der Zungenwurzel ziehen konnte und legte die Schnitte parallel der Ebene an, welche diese Linie enthält.

Ich kann mich bei Besprechung dieser Schnitte kürzer fassen, da sie nur über den Styloglossus und Longitudinalis superior noch Neues zeigen, während sie für die übrigen Muskeln im wesentlichen nur bestätigen, was durch die Frontal- und Sagittalschnitte uns schon bekannt ist.

Die Fasern des transversalen Systems werden durch Flachschnitte zum grössten Theil parallel ihrem Verlaufe getroffen. Sie erscheinen, vom Boden der Zunge angefangen erst im Schnitte, nachdem derselbe bis in die Höhe des Septum gekommen ist. In Folge der Convexität

. der Zunge tritt dies sowohl am vordern als am hintern Ende des Schnittes früher ein als in der Mitte. Was früher die. sagittalen Schnitte über die wechselnde Mächtigkeit der perpendiculären und der trans- versalen Blätter in den verschiedenen Abschnitten der Zunge zeigten, bestätigt sich auch hier. Ueber die Richtung der transversalen Blätter erhalten wir noch den neuen Aufschluss, dass sie in der vorderen Zungenhälfte nicht ganz senkrecht stehen, sondern nach dem Seiten- rande zu liegen sie ein wenig nach rückwärts. Es erklärt dies die Schwierigkeit, einen Frontalschnitt zu erhalten, in welchem ein ganzes

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Transversusblatt enthalten sei. Im hintersten Abschnitte der Zunge erhält man auffällig mächtige, breite transversale Bündel. Doch würde man einen Fehler begehen, wenn man die Mächtigkeit derselben nur nach diesem Schnitte beurtheilen wolltee Man muss sich vielmehr erinnern, dass diese Blätter wegen ihrer fast horizontalen Lage eher in ihrem grössten Höhendurchmesser getroffen werden, während die mittleren in ihrem kürzesten in den Schnitt fallen. Verfolst man nun diese hintersten transversalen Blätter nach dem Seitenrande der Zungenwurzel, so gelangt man in den Styloglossus, dessen kleinere vordere Portion dem Zungenrande parallel nach vorn läuft.

Die transversalen Bündel des Styloglossus biegen in einem nach aus- und vorwärts convexen Bogen um, und treten durch die schief durchgeschnittenen Hyoglossus- und die längsverlaufenden Lingualis- bündel hindurch zur Mittellinie Hier setzt sich eine sehr grosse Anzahl derselben nicht ins Septum fest, sondern wir verfolgen ganz starke Bündel ohne alle Unterbrechung über die Mittellinie hinweg zur andern Seite. Ganz eben solche, die Mitte überschreitende Bündel finden sich übrigens auch noch in der Zungenspitze; endlich treten sie in der ganzen Ausdehnung von vorn nach hinten auf, sobald man die Schnitte ganz dicht unter der oberen Längslage angelegt hat.

Für das System der longitudinalen Fasern zeigen die Flachschnitte noch den Ursprung der Lingualisbündel in der Zungen- wurzel recht schön, sowie die Endigung vorderer Lingualis- und Stylo- glossusbündel in der Zungenspitze. Von dem inneren Rande des Lingualis sehe ich in der vorderen Zungenhälfte einige Bündel nach einwärts umbiegen, und indem sie sich zu einem transversalen Blatte gesellen, den Weg zum Septum einschlagen; doch sind sie sehr spärlich.

An den obersten ‘Schnitten erscheint endlich noch der Longi- tudinalis superior. Seine Bündel haben im Allgemeinen die Richtung von vorn nach hinten, doch geben sie nach rechts und links häufig starke Bündel ab, welche zu einem benachbarten Längsbündel treten. Es entsteht dadurch ein Netz, dessen schmale langgestreckte Maschen annähernd parallel dem Septum stehen. In diesen Maschen finden sich die quer durchschnittenen Enden der perpendiculären Blätter. Dieselben haben demnach ihre erst frontalen Ebenen jetzt in sagittal gestellte umgewandelt.

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Es wird nun die Aufgabe sein, aus dem Material, welches die bisher beschriebenen Schnitte liefern, sich den Verlauf der einzelnen Binnen-Muskeln der Zunge darzustellen und daraus die Combination derselben zur ganzen Zunge zu gewinnen. Anstatt aber die einzelnen Muskeln der Reihe nach zu detailliren, wie es bisher in den anato- mischen Lehrbüchern geschehen ist, scheint es mir zweckmässiger, die Trennung in der Beschreibung nur bis zu der in die drei Systeme vorzunehmen. Die einzelnen Muskeln, welche zur Bildung eines Systems beitragen, werden hierbei immerhin genügende Erörterung finden, und, wo sie bereits früher ausführlicher behandelt sind, werde ich der Kürze wegen auf jene Stellen verweisen.

Die Muskeln der Zunge sind symmetrisch zu beiden Seiten des Septum angeordnet. Durch die Verschiedenheit der Verlaufsrichtung ihrer Fasern bilden sie drei Systeme, von denen die Fasern des transversalen im allgemeinen eine horizontale Richtung in frontaler Ebene, die des perpendiculären einen verticalen Verlauf und die des sagittalen eine horizontale Richtung in sagittaler Ebene haben. Be- merkenswerth ist, dass einmal keines dieser Systeme von nur einem einzigen Muskel gebildet wird und andererseits auch kein einziger Muskel nur einem einzigen Systeme angehört. Vielmehr sind es stets mehrere Muskeln, welche zur Bildung eines Systems beitragen und ebenso gehören die Fasern eines jeden Muskels zu zwei Systemen, sei es nun, dass sie sich sogleich in zwei Gruppen theilen, von denen die eine sich in dieses, die andere in jenes System füst (Styloglossus), oder dass sie erst eine Strecke in dem einen Systeme verlaufen, um dann in ein anderes umzubiegen, wie die Mehrzahl von ihnen es thut.

Durch die Kreuzung der Fasern dieser drei Systeme wird der Bau der Zungenmusculatur ein sehr verwickelter, sodass ihn die an Untersuchungsmethoden ärmeren, älteren Anatomen geradezu als unent- wirrbar hingestellt haben!). Indessen ist doch durch ein einfaches Mittel noch eine grosse Regelmässigkeit in die Anordnung gebracht. An den meisten Stellen sind es nemlich nicht sowohl die einzelnen Fasern, die sich mit einander kreuzen, und wodurch allerdings ein unentwirrbares Flechtwerk entstehen würde, sondern es bleiben immer noch Gruppen von Fasern zu einem Ganzen vereinigt, indem dieselben lange und schmale Blätter bilden. Diese lassen regelmässige Spalten zwischen sich frei und durch diese treten nun ebensolche Blätter aus einem Systeme, dessen Fasern senkrecht gegen diese gerichtet sind. Nur an einigen wenigen Stellen kommt es vor, dass in der That sich

1) Blandin, Trait€ d’anatomie topographique (Bruxelles 1837) pag. 124.

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die kleinsten Bündel der drei Systeme direct durchkreuzen. Im Uebrigen aber kann im Innern der Zunge von einem Verflechten oder Verfilzen der Fasern nicht die Rede sein‘). Ob diese Einrichtung einen unmittelbaren Werth für die Mechanik der Zungenmuskeln besitzt, oder ob sie es zunächst nur ermöglichen soll, eine Innervation von zu- . sammengehörigen Gruppen herzustellen, lasse ich dahingestellt.

Septum linguae.

Ich habe bisher den Namen Septum ebenso gebraucht, wie es bisher üblich war?), da es mir zunächst nur auf die Beziehungen an- kam, in denen die Muskelfasern mit demselben stehen. Doch ist hier der Ort, Einiges Genauere darüber zu sagen.

Ganz abgesehen von den Beschreibungen in älteren anatomischen Lehrbüchern, finde ich auch in den neusten dem Septum eine Selb- ständigkeit eingeräumt, die ich ihm nicht zuerkennen kann. Es wird als eine Faserlamelle beschrieben, die am Zungenbein inserire und den Sehnen namentlich des Transversus zum Ursprunge diene. Ich finde, dass das Septum der menschlichen Zunge, wovon man sich an Frontal- und Flachschnitten leicht überzeugt, ausserordentlich schmal ist. Zweitens zeigt es ein Flachschnitt nie als ein geradlinig verlaufendes Gebilde, sondern der schmale Saum, den wir hier in der Mitte des Schnittes erblicken, bildet von hinten bis vor eine Zickzacklinie mit sehr zahlreichen und oft recht grossen Zacken. Drittens sind Binde- gewebsfasern mit der Richtung von hinten nach vorn sehr spärlich darin, und endlich giebt es überall mehr weniger zahlreiche Muskel- bündel, welche ohne Unterbrechung von einer Zungenhälfte zur andern gehen. Die Orte, wo sich solche besonders häufig finden, sind schon bei den Flachsehnitten mit erwähnt worden.

Es scheint mir gerechtfertigt, aus diesen Gründen das Septum identisch mit dem aufzufassen, was wir bei einem andern Muskel als Raphe bezeichnen, und wie wir sie z. B. die beiden Hälften des Mylo- hyoideus vereinigen sehen.

Der Hauptbestandtheil dieser Zungen-Raphe sind zarte Binde- gewebsstreifen, welche von dem inneren Ende einer transversalen Faser abstammen und dieselbe Richtung beibehalten. Mit starken Vergrösserungen sieht man an einem feinen Flachschnitte das innere Ende einer transversalen Faser sich zuspitzen; dann hört plötzlich die

1) Vergl. dagegen Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 109. 2) Conf. Arnold, Anatomie des Menschen, II. 2. p. 1143 (Freiburg 1851).

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quergestreifte Substanz auf und es tritt an ihre Stelle ein Büschel feinster Fasern, in denen der Richtung der Fasern parallel gestellte, kleine, längliche Kerne liegen. Ausserdem trifft man zwischen den Bindegewebs- und den anstossenden Muskelfasern Fettzellen in ziem- licher Menge, sowie spärliche elastische Fasern. Nachdem ich mich nun fernerhin noch oft davon überzeugt habe, dass zahlreiche Muskel- fasern des transversalen Systems ohne sehnige Unterbrechung durch die Raphe hindurch zur andern Seite zu verfolgen sind, halte ich es für nieht unwahrscheinlich, dass auch ein grosser Theil derjenigen transversalen Fasern, welche in Sehhnen übergehen, sich durch diese Sehnen unmittelbar in eine entsprechende Faser der andern Seite fortsetzen. Trotzdem ist es mir nicht gelungen, eine einzelne Faser in dieser Weise zu isoliren.

1. Das transversale System.

Das .transversale System wird aus zahlreichen, hinter einander liegenden Blättern gebildet, welche senkrecht zum Zungenrücken stehen, und welche, da letzterer stark gekrümmt

ist, ihre Ebenen entsprechend ändern müssen. Das

Ausführliche über Zahl, Grösse und Gestalt dieser Blätter s. auf pag. 9. Die Form eines solchen

transversalen Blattes kann man sich am besten dar-

stellen, wenn man von einem Blatte Papier vom Rande her spitze Streifen ausschneidet. oo Die Muskeln, welche sich an der Bildung des transversalen Systems betheiligen, sind: der Trans- versus, Palatoglossus, Styloglossus (und Lingualis). Die Befestigungs-Punkte des Transversus nehmen die ganze Fläche des Zungenrückens ein, mit Ausnahme des mittleren Drittels. Am freien Theil der Zunge bleibt die untere Fläche frei davon, während der Zungenrand überall mit Fasern von ihm versorgt wird. Die ober- sten Transversusfasern biegen, nachdem sie ein Stück horizontal nach auswärts liefen, nach aufwärts um, und treten durch die obere Längs- lage hindurch. Ein grosser Theil derselben läuft ohne Unterbrechung von einer Seite zur andern. Und zwar sind solche Fasern am reich- lichsten’ an der Spitze vorhanden, ferner in der ganzen Länge der Zunge zunächst unter der oberen Längsmuskellage, und endlich stellen die vom Styloglossus abstammenden transversalen Bündel noch ein beträchtliches Contingent dazu. Die letzteren verlassen den Stolyglossus da, wo er an den Seiten-

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rand der Zungenwurzel tritt. Während der eine Theil des Stylo- glossus nach vorn geht, durchbohren sie den Hyoglossus, kreuzen sich mit den hinteren Enden des Lingualis und treten horizontal nach einwärts. Der Styloglossus bildet also gerade einen grossen Theil der hintersten horizental liegenden transversalen Blätter, und wir erhal- ten in ihm ununterbrochene, ziemlich breite Schlingen, die von einem processus styloideus durch die Zungenwurzel hindurch zum Griffel- fortsatz der andern Seite treten. Die sämmt- lichen transversalen Styloglossusblätter bilden demnach eine Art Schleuder, die beistehende schematische Figur ver- deutlicht, und es ist leicht sich die Functionen derselben beim Schling- acte vorzustellen.

Aehnliche kleine Schleifen erhalten wir durch die im vorderen Gaumenbogen enthaltenen Muskelfasern, welche ebenfalls zum Septum treten und in den Mm. glossopharyngei').

Von dem Lingualis abstammende transversale Fasern konnte ich nur im vorderen Theile der Zunge finden. Sie sind sehr spärlich, lösen sich vom innern Rande des Lingualis ab, und treten zum unteren Rande einiger vorderer transversaler Blätter.

2. Das perpendiculäre System.

Das perpendieuläre System bildet ebenfalls Blätter, und zwar gleichen dieselben den transversalen vollständig ihrer Zahl nach und in Bezug auf die Richtung ihrer Ebenen. Dagegen ist die Form des einzelnen Blattes eine etwas andere, und der Verlauf der Muskelfasern schneidet die Richtung der transversalen unter rechtem und spitzem Winkel. Ein perpendiculäres Blatt hat im vordern Theile der Zunge ganz die Form des Frontalschnittes an dieser Stelle, höchstens fehlt daran ein kleiner Saum am Seitenrande. Die näheren Details siehe page. 4 u. 5.

Gehen wir die Muskeln der Reihe nach durch, welche ein solches perpendiculäres Blatt zusammensetzen, so ergiebt sich, dass dies am nächsten nach dem Septum zu der Genioglossus, theilweise auch einige Bündel des Transversus, dann der Lingualis, Hyoglossus, Styloglossus und ausserdem selbständige perpendiculäre Fasern thun, welche von der obern zur untersten Schleimhautfläche der Zunge verlaufen. Ueber

1) Luschka, Schlundkopf des Menscher, Tübingen 1868, pag. S6 u. Taf. XI. *

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den Genioglossus ist hier noch zu erwähnen, dass seine Ursprungsstelle am Unterkiefer jedenfalls viel zu klein ist, um für die Masse dieses mächtigen Muskels zu genügen. Es entspringt daher von der Mitte der Spina mentalis interna ein sehniges Blatt, das etwa bis zum Ende des vordern Drittels des ganzen Muskels reicht, dessen Ebene parallel zwischen den Genioglossusfasern nach rück- und ein wenig aufwärts gestellt ist und von dessen oberer und unterer Fläche überall neue Genioglossusfasern unter sehr spitzem Winkel entspringen. Es wird sonach der Genioglossus zu den doppelt gefiederten Muskeln zu zählen sein. Was übrigens sonst über den Ansatz von Genioglossusbündeln am Zungenbein!), sowie über Bündel, die zur Vorderfläche der Epi- glottis gehen?), gesagt ist, kann ich nur bestätigen. Auch dass ein Theil der innersten Genioglossusfasern unterhalb der Raphe zur andern Seite tritt, und wieder andre zur Raphe selbst gelangen, habe ich früher erwähnt (pag. 5). Ob dieselben hier endigen, oder ob ihre Fasern durch die Raphe hindurchtreten, um zur Rückenschleimhaut zu gelangen, konnte ich nicht entscheiden, doch ist mir das erstere wahrscheinlicher. Schliesslich erwähne ich nochmals, dass die ‚äussersten Genioglossusfasern schief nach aussen und oben gehen und sich folglich mit den benachbarten perpendiculären Fasern kreuzen.

Da die äusseren Enden der obersten Transversusfasern nach auf- wärts umbiegen, so sind auch sie als Bestandtheile des perpendiculären Systems zu erwähnen.

Der Lingualis liefert meiner Ueberzeugung nach nächst dem Genio- und Hyoglossus die reichlichsten perpendiculären Fasern. Indem ich über seine Einzelheiten auf pag. 11 ff. verweise, will ich nur kurz recapituliren, dass der Lingualis ein System von Schleifen bildet, welche, ähnlich dem Styloglossus, bei ihrem Verlaufe nach vorn in zwei Theile zerfallen, einen, der perpendiculäre, den andern, schwächeren, der längsverlaufende Fasern liefert. Die Bündel des Lingualis ent- springen in weniger regelmässigen Blättern in der Schleimhaut der Rückenfläche der Zungenwurzel, nach aussen vom hintern Ende des Genioglossus. Sie laufen hier zwischen dem dicken Drüsenpolster, dann zwischen den hinteren transversalen Blätten und den inneren Hyoglossusbündeln hindurch und sammeln sich an der untern Zungen- fläche zu dem zwischen: Genio- und Hyoglossus leicht präparirbaren Muskelbauche.

1) Theile, in Sömmering’s Anatomie, Muskellehre, Leipzig 1841. pag. 86.

2) Baur in Meckel’s Archiv VII. Bd. (1822) p. 354. Luschka, Anatomie des Kopfes (Tübingen 1867) p. 324 ff. u. a. a. O. Luschka, der Schlundkopf des Menschen (Tübingen 1868) p. 14 u. Tafel 3).

Ueber die Muskeln der menschlichen Zee 101

Die grösste Masse des Muskels wird von Fasern gebildet, welche in dieser Weise etwa aus dem hintern Viertel der Zunge entspringen, doch erhält derselbe auch noch von weiter vorn her Verstärkungs- bündel, welche aus perpendiculären Blättern herabtreten. Schon an der Grenze des letzten und vorletzten Zungenviertels sieht man seine tiefsten hintersten Bündel sich nach aufwärts erheben, um, zwischen zwei transversalen Blättern schwach nach oben und innen geneigt zur Rückenschleimhaut zu gehen. Dies sieht man dann weiter in der Weise bis zur Spitze. Der andere Theil des Lingualis aber unterlässt die Biegung nach aufwärts, verläuft geradlinig nach vorn, indem er sich auch hier der Mittellinie etwas nähert, und endet an der untern Schleimhaut des freien Theils der Zunge. Ganz so verhält sich auch dicht am Seitenrande die vordere Portion des Styloglossus, nur dass er keine neuen Verstärkungsfasern aus perpendiculären Blättern er- hält. Zwischenvbeiden Muskeln liefert der Hyoglossus für die hinteren zwei Drittel noch starke perpendiculäre Blätter. Aus seiner auf pag. 13 f. gegebenen Beschreibung hebe ich hier noch hervor, dass nament- lich die hintersten Hyoglossushlätter eine wesentlich andere Richtung haben, als die hintersten Genioglossusblätter. Die Ebenen beider würden sich unter fast rechtem Winkel schneiden. Weiter nach vorn aber, wo die Hyoglossusfasern viel sanfter aus ihrer anfänglichen Längs- richtung in die Höhe biegen, liegen beide fast in derselben Ebene und es gilt hier vollständig der Ausspruch KÖLLIKER’S!), dass sich der Hyoglossus für den Seitentheil so verhalte, wie der Genioglossus in der Mitte. Beim Durchtritt durch die obere Längslage ändert sich die Stellung der Ebenen der Hyoglossusblätter ebenso wie die der Genio- glossusblätter.

Den selbständigen perpendieulären Fasern endlich, die direct von der obern zur untern Schleimhaut gehen, muss ich ein häufigeres Vor- kommen zuerkennen, als es KÖLLIKER?) thut. Ich finde dieselben allerdings am reichlichsten am freien Theile der Zunge und hier wie- der besonders in der Nähe des Seitenrandes. Aber auch längs des Seitenrandes der übrigen Zunge sind sie immer in ziemlicher Anzahl vorhanden.

3. Das longitudinale (sagittale) System.

Bei Beschreibung. des vorigen Systems ist gezeigt worden, dass die meisten perpendiculären Fasern auf einer Strecke ihres Verlaufs

1) Mikroskopische Anatomie 2 pag. 16. 2) Ebendaselbst pag. 18.

102 Dr. Hesse.

sagittal sind. So galt dies für den grössten Theil der Genioglossus- bündel, so für den Lingualis, Stylo- und Hyoglossus. Man wird also auch als sagittale Muskeln im weiteren Sinne diese mit bezeichnen können. Sucht man aber nach sagittalen Muskeln, die nicht in ein anderes System übergehen, so zeigt sich, dass sie das schwächste System von allen bilden. Sie finden sich nemlich nur unter der Rückenfläche und in ganz geringer Zahl dicht unter dem Septum }).

Die übrigen querdurchschnittenen Muskeln, welche wir auf dem Fron- talschnitte erhalten, und welche sich unmittelbar an jene anschliessen, so dass sie mit ihnen einen peripherischen Mantel um die Zunge bilden, der nur die Eintritsstelle des Genioglossus frei lässt, gehören dem Hyo- slossus, Styloglossus und Lingualis an. Von diesen drei Muskeln aber liefert allerdings der Styloglossus und Lingualis Fasern, welche sagittal bleiben. Sie vereinigen sich nemlich beide vor dem Hyoglossus und während nun auf ihrem Wege nach vorn immer Fasern perpendiculär aufbiegen, werden die Muskeln dadurch doch nicht völlig erschöpft; es bleibt vielmehr noch eine nicht unbedeutende Lage von Fasern übrig, welche sich in die Schleimhaut der untern Fläche und des Seitenrandes des freien Theils festsetzen. Weiter nach rückwärts giebt nur der Styloglossus Fasern zum Seitenrande.

Die oberere Längslage besteht aus einer Summe von Schlingen, welche von einem hinteren zu einem weiter vorn gelegenen Punkte der Schleimhaut der Rückenfläche verlaufen?). Eine sehr beträchtliche Unterstützung erhält dieses System aber durch einen Muskel, der vom kleinen Horn des Zungenbeins und dem anstossenden Theile des Körpers entspringt (Chondroglossus s. pag. 11). Ueber die weiteren Details dieses Systems vergleiche pag. 6 und pag. 10 f£. 14.

Es würde nun mehr die Aufgabe physiologischer Untersuchungen sein, zu erforschen, wie weit wir im Stande sind, die Contraction eines einzelnen Muskels der Zunge auszuführen und welche Wirkung diese Contraction hervorbringen müsste; oder ob nicht vielmehr immer eine bestimmte Gruppe von Muskelbündeln berufen ist, gleichzeitig zu arbeiten, wobei vielleicht dasselbe Bündel je nach Bedarf einmal mit dieser oder jener Gruppe Hand in Hand geht.

Hieraus würde es sich dann ableiten lassen, welche Muskeln zu irgend einer gegebenen Bewegung der Zunge in Thätigkeit kommen. Von der anatomischen Untersuchung der peripherischen Endverbreitung der motorischen Nerven der Zunge steht dieser Aufschluss nicht .zu

1) Vergl. Henle, Eingeweidelehre II. Aufl. pag. 106 Anm. 2) Theile, Muskellehre, Leipzig 1841, pag. 93.

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 103

erwarten, da wir alle Zungenmuskeln vom Hypoglossus innervirt sehen.

Ich füge zum Schlusse noch einige Data der Untersuchungen von thierischen Zungen bei, deren Vergleich mit der menschlichen nicht ohne Interesse sein dürfte Für eine Anzahl Details im Bau der menschlichen Zunge erhielt ich ein viel besseres Verständniss, nach- dem ich gesehen hatte, dass bei gewissen Thieren diese oder jene Muskeln analog, andere in viel stärkerem Grade und noch andere ganz abweichend von der unsrigen entwickelt sind.

Die Katze ist, wie für viele andre Organe, so auch für die Zunge mit besondern Vorzügen begabt, die sie zum histologischen Untersuchungsobject geeignet machen. Nirgends fand ich eine so klare, leicht übersichtliche Anordnung der drei Systeme.

Die Grösse dieser Zunge, namentlich beim noch nicht ganz aus- gewachsenen Thier, ermöglicht auch für den Ungeübten, gute Schnitte durch die ganze Zunge zu führen. Man wird dabei, wegen der starken Hornpapillen auf dem Rücken der Schleimhaut, gut thun, den Schnitt an der unteren Zungenfläche zu beginnen und das Präparat nach der Einlagerung in Canada-Balsam ein bis zwei Tage unter das Compres- sorium zu bringen. Die Lagerung der transversalen Blätter, sowie die Anordnung der sagittalen Muskeln zu einem peripherischen Mantel, demonstriren diese Schnitte in überraschend schöner Weise (Tafel I. Fig. 4. Tafel III. Figg. 2, 3 u. 4).

Fast eben so schöne Bilder liefern Schnitte durch die Zunge des Hundes.

Kaninchenzungen sind für gewisse Zwecke gut zu verwenden; so für die Demonstration des Genioglossus im Sagittalschnitt.

Beim Maulwurf (Tafel II. Fig. 5) finden sich als Analogon der sagittalen Muskelbündel, die beim Menschen dicht unter der Raphe ver- laufen, solche in viel grössrer Anzahl; und zwar sind dieselben in eine Art Kapsel von musculöser und bindegewebiger Wand eingeschlossen, sodass man das kleine runde Gebilde schon mit blosem Auge leicht sieht. Die Kapsel kommt dadurch zu Stande, dass die untersten transversalen Fasern nicht schief nach aussen und unten steigen, son- dern sie beschreiben einen nach aussen convexen Halbkreis und bilden, indem sie sich unten in der Mittellinie wieder vereinigen, eine mus- culöse Röhre. Auf diese folgt nach innen zu eine zweite, aus feinen, parallel und kreisföormig neben einander gelagerten Bindegewebsfasern, und in diese sind, getrennt durch lockeres Bindegewebe und Gefässe, die sagittalen Muskelbündel eingelagert. Da sich das ganze Organ nur im vordern Theil der Zunge findet, so ist es mir am wahrschein-

104 Dr. Hzsse.

lichsten, dass diese sagittalen Bündel dem stark nach vorn umbiegen- den Genioglossus angehören. |

Ganz ähnlich verhalten sich gegenüber den mittelsten Bündeln des Longitudinalis superior die obersten transversalen Fasern, nur dass sie sich hier nicht zu einer vollständigen Röhre abschliessen, sondern es kommt nur zur Bildung einer stark concaven Hohlrinne.

Ein ganz ähnliches Gebilde findet sich in der Zunge des Igels.

In den Zungen verschiedner Mäuse zeigen sich zwei und selbst drei senkrecht übereinander stehende Transversi, von denen jeder nach oben und unten ausstrahlt. Es kreuzen sich folglich in der Nähe des Zungenrandes immer die Fasern des untern Randes des höher stehen- den mit denen vom obern Rande des tiefern Transversus. Zwischen diesen drei Transversi, von denen jeder seine eigne Raphe hat, ziehen ‚spärliche transversale Fasern horizontal von einer Seite zur andern.

Der Hamster zeigt einen sehr breiten Mantel von sagittalen Bündeln um die ganze Peripherie der Zunge. Derselbe erleidet hier auch am Zungenrande keine merkliche Verschmälerung.

Erklärung der Abbildungen.

Taf. II.

Fig. 1. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge in einiger Entfernung von der Mittellinie. Vergrösserung 10.

(Wegen der Grösse des Objectes konnte nur die hintere Hälfte des Schnittes auf die Platte gebracht werden.)

Li Muse. lingualis.

Z Zungenbein schief getroffen.

Fig. 2. Sagittalschnitt durch die menschliche Zunge nach der Mittellinie. Vergrösserung 12.

(Auch hier konnte nur die hintere Hälfte abgebildet werden).

E Epiglottis.

Gg Musc. Genioglossus.

Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge. 105

Gh Musc. Geniohyoideus.

Ls obere Längsmuskellage.

S das am Unterkiefer entspringende Sehnenblatt des Musc. Genioglossus. Z Zungenbein.

Fig. 3. Flachschnitt durch die menschliche Zunge (hinterer Theil, nur eine Hälfte).

Stg der von hinten her in die Zunge eindringende Muse. Styloglossus. Der- selbe theilt sich in zwei Portionen, von denen die eine nach vorwärts geht, die andere dagegen nach einwärts zur

R Raphe, die als heller Saum erscheint.

Fig. 4. Frontalschnitt durch die Zunge der Katze am Ende des vordern Drittels. Vergrösserung 10.

Gg Musc. Genioglossus.

ZLs Longitudinalis superior.

Li Untere Längsmuskellage.

Im Uebrigen ist das Bild mit Hülfe der Fig. 1 auf Taf. III. leicht zu ver- ‘stehen.

Fig. 5. Frontalschnitt durch die Zunge des Maulwurfs, Vergrösserung 15.

Taf. III.

Fig. 1. Frontalschnitt am Ende des vordern Drittels der menschlichen Zunge (vom Neugebornen). Vergrösserung 7.

R Raphe.

Gg Musc. Genioglossus.

pr. Art. profunda linguae.

Die Querschnitte der longitudinalen Fasern bilden einen Mantel um die Peripherie der Zunge, welcher durchsetzt wird von den Enden der von der Raphe entspringenden Transversusfasern und von einem Theile der perpendicu- lären. Letztere sind in der untern Längslage nicht in dem Maase bis zur Schleimhaut zu verfolgen, wie die transversalen Fasern, sondern sie scheinen grossentheils zwischen den querdurchschnittenen unteren Längsfasern zu endigen.

Fig. 2. Schnitt durch die menschliche Zunge (halbsagittal, in der Richtung der perpendiculären Fasern), Vergrösserung 25.

HG Bündel vom Musc. Hyoglossus, welches nach aufwärts umbiegt und sich einem perpendieulären Blatte beigesellt.

Ls obere, Li untere Längsmuskellage; 7r Querschnitte der transversalen Blätter,

Fig. 3 u. 4. Sagittalschnitte durch die Katzenzunge (freier Theil). Ver- grösserung 71).

Fig. 3 nahe dem Seitenrande, Fig. 4 nahe der Mittellinie. Zur Demon- stration der Ausstrahlung der Transversusbündel.

Ls obere Längsmuskellage.

106 Dr. Hzsse. Ueber die Muskeln der menschlichen Zunge.

Li untere Längsmuskellage. Tr Querschnitte der transversalen Blätter, zwischen denselben die perpen- dieulären.

Fig. 5. Flachschnitt durch die Katzenzunge, vorderes Drittel. Vergrösse- rung 10.

Ls obere Längslage.

Tr transversale Blätter.

P Querschnitte der perpendiculären Blätter.

In der oberen Längslage stellen sich die Querschritte der perpendiculären Fasern zu sapittalen Blättern hinter einander, übrigens aber zu frontalen Blättern neben einander.

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen.

Von W. Henke, Professor in Prag. Hierzu Tafel V.

Die Muskeln des Gesichts, deren bedeutendster Theil sich rings um die Mundspalte zusammenschliesst, sind nach ihren Ursprüngen, d. h. ihren Anheftungen an Knochen von Alters her ebenso wie die des Skeletes charakterisirt und ihre Beschreibung in diesem Sinne ist noch neuerlich von HENLE in seinem grossen Handbuche gründlich und mit vortrefflichen Abbildungen revidirt. Viel unbestimmter sind in der alten und neuen Literatur die Angaben über die Endigung dieser Muskulatur an der Haut, welche ihr im Gegensatz zu den Skeletmuskeln eigenthümlich ist, und besonders fehlt es noch so gut wie ganz an Abbildungen, welche diese ihre Endigungen an- schaulich machen. Man verfolgt sie als Einheiten bis dahin, wo sie sich nicht mehr einfach von einander trennen lassen, und hier gehen sie dann in die unbestimmten Schichten eines Zusammenhanges mit der Oberfläche oder zuvor einer Durchflechtung mit einander über. Eine Analyse der einzelnen Faserzüge von hier an, wie sie ähnlich für die Durchdringung der Muskeln in der Zunge bereits vorliegt, wird erst ein vollständiges Bild von ihnen geben und nament- lich kann nur eine anschauliche Vorstellung von diesen ihren Endigun- gen auch zu einem richtigen Verständniss ihrer Wirkungsweise die anatomische Grundlage abgeben.

LANGER!) hat schon vor einer Reihe von Jahren einmal mit einer kleinen dahin zielenden Arbeit mitten in den Zusammenhang des so- genannten Orbicularis oris hineingegriffen, von dem es längst bekannt ist, dass er keine in sich abgeschlossene Einheit darstellt, da von allen Seiten her Fortsetzungen anderer an Knochen entspringender Muskeln in ihn eintreten. Er hat nachgewiesen, dass andererseits

1) Ueber den Musculus orbieularis oris. Medicin. Jahrbücher, Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 1861.

108 W. Hosen,

innerhalb der dadurch zusammengesetzten Masse die Fasern nicht ununterbrochen fortlaufen, sondern um die Mitte der Lippen aus der zusammenhängenden Masse austreten und an der Haut endigen, so dass also der ganze unter dem Namen ÖOrbicularis begriffene Complex in zwei Seitenhälften (oder vier Seitenhälften der Ober- und Unterlippe) zerfällt, welche nicht eigentlich in einander übergehen und also auch unabhängig von einander wirken können, welche dagegen über die Grenzen des Complexes hinaus mit andern Muskeln in continuirlicher Verbindung sind. Ich habe von den letzteren ausgehend seit längerer Zeit wiederholt untersucht, wie sie sich beim Eintritte in die Lippen verhalten, namentlich wie die von oben und unten kommenden theils direct an die Haut treten, theils erst in den Orbicularis eingehen.

Ich habe mich dabei gar keines wesentlich neuen Verfahrens bedient, sondern nach alter Weise erst die Haut und dann die Muskeln selbst schichtenweise abgetragen. Ich habe nur die eine alte Pro- sectorenmanier verlassen, nach Entfernung der Haut über alle Theile der blosgelegten Muskeloberfläche so mit dem Finger hinzustreichen, dass sie einander und einem reinpräparirten Skeletmuskel möglichst ähnlich werden, sondern mich im Gegentheil befleissigt, den Unter- schied möglichst deutlich darzustellen, im Präparate und dessen Ab- bildung zwischen solchen blosgelegten Muskelstücken, die sich in der That bei ihrer Bloslegung glatt in sich geschlossen wie ein Skelet- muskel darstellen, und solchen, welche dagegen nach Entfernung der Haut eine zerrissene Oberfläche mit lauter abgeschnittenen hervortreten- den Faserbündeln zeigen; denn dies sind ja die Ansätze an die Haut, also das, worauf es in erster Linie ankommt. Das Zweite ist dann die Zerlegung der sich durchkreuzenden Faserzüge durch successive Auf- deckung. Besonders gut ist mir dies an der Gesichtsmaske eines Ent- haupteten, die längere Zeit in Spiritus gelegen hatte, gelungen, woran ich es vor drei Jahren auf der Naturforscherversammlung in Rostock demonstrirt habe. Indem ich nun die Abbildungen dieser Präparate in auf einander folgenden Schichten als ein Paradigma hier vorlege und die Ergebnisse der Untersuchung an der Hand derselben berichte, glaube ich zugleich ein etwas neues Schema der Hauptmuskeln der Lippen, besonders der oberen und unteren aufstellen zu sollen, auf welches sich auch eine einfache Definition ihrer Wirkung, sowohl einzeln als in ihrern Combinationen gründen lässt.!)

1) Eine grobe Abbildung dieser Art und eine etwas eigenthümliche Be- schreibung dieser Muskeln habe ich bereits in der ersten Auflage meines Atlas der topogr. Anatomie 1867, Fig. 1 auf Tafel LXIX u. S. 268 gegeben.

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 109

Die Grundlage der Muskulatur in den Lippen, den grössten, zu- sammenhängendsten Theil des sogenannten Orbieularis bildet bekannt- lich die Fortsetzung des Buccinator, indem die horizontalfaserige glatte starke Ausbreitung desselben, der Schleimhaut anliegend aus der Backe in die Lippen ohne viel Veränderung, nur mit einigen Durchkreuzungen der Bündel vorher, oberhalb und unterhalb der Mundspalte weitergeht. Man hat deshalb auch diese ganze zusammen- hängende Muskeldecke der Wand des Vorhofes der Mundhöhle bereits. ganz passend als Buccolabialis zusammengefasst. Denn zwischen dem gespaltenen Theile in den Lippen und dem zusammenhängenden in den Backen ist gar keine bestimmte Grenze zu finden, wenn man sie von der Schleimhautseite bloslest. Von aussen aber wird nur dadurch das Vorderende des Buccinater scheinbar abgeschlossen, dass er unter dem Rande der oberflächlichen Muskeln der Lippen verschwindet.

Aus diesen nun ist in der hergebrachten Systematik der Antheil, welcher in den Lippen selbst, mehr oder weniger die Spalte derselben umkreisend verläuft und der Fortsetzung des Buccinator in derselben fest aufliegt, noch mit ihr. als Orbicularis zusammengefasst, davon aber noch solche Muskeln unterschieden, die mit deutlichen Ursprün- gen. von beiden Kiefern herkommen, Anfangs isolirbar wie Skelet- muskeln verlaufen und glatt herauspräpärirt werden können, dann aber in die Lippen eintreten. Dies sind die oberen und unteren Muskeln, deren Endisung wir aufsuchen wollen.

Wir können dieselben wesentlich in zwei für beide Lippen ana- loge Arten, für welche auch thbeils von HENLE, theils von mir bereits analoge Bezeichnungen gebraucht worden sind, gruppiren: 1) solche, welche die Grenze beider Lippen nicht überschreiten, sondern vom Oberkiefer einfach in die Oberlippe, vom Unterkiefer in die Unter- lippe übergehen. Sie stellen breite parallelfaserige Platten von Bün- deln dar, welche in langer Reihe an schmalen Linien beider Kiefer entspringen und sich in beiden Lippen breit an die Haut inseriren, daher der Name Quadratus, welcher für den unteren von Alters her in Gebrauch, von HENLE auf den oberen übertragen worden ist, um die von der alten Systematik getrennten Theile desselben (Levator labii et alae nasi, Levator labii proprius und Zygomaticus minor) zusammen- zufassen; 2) solche, welche nicht in die ihrem Ursprunge zunächst liegende Lippe eintreten, sondern vom Ober- und Unterkiefer zunächst gerade nach ab- und aufwärts laufen, um sich in einer Durchflechtung mit einander und mit den oberflächlichen Schichten des Orbieularis am Mundwinkel zu begegnen. Wenn wir sie nur bis hierher ver- folgen, so passt auf beide der Name Triangularis, der ebenfalls für

110 Ä ee

den unteren althergebracht, von mir seiner Zeit auch schon auf den oberen (Levator anguli oder Caninus) übertragen ist. Denn beide stellen kleine dreieckige Platten von Bündeln dar, welche von einem ausgebreiteten Ursprunge am Knochen zu dem Eintritte in jene Durch- flechtung convergiren. Zwischen diesen beiden Arten der Muskeln oben und unten besteht nur der topographische Unterschied, dass der obere Quadratus den Triangularis von Anfang an als oberflächliche Schicht deckt, bis er in der Lippe endigt und jener dann unter ihm zum Vorschein kommt, der untere dagegen umgekehrt von dem Triangularis von Anfang an bedeckt wird und erst unmittelbar vor _ seiner Insertion an die Lippe unter dem vorderen Rande desselben hervortritt, so dass dieser eben dadurch eine so einfach deutliche, so vollkommene Abgrenzung gegen die nächsten Parthien des Orbicularis und dessen Anhänge (Mentalis und Incisivi) erhält, wie sie zwischen dem oberen Triangularis und dem Seitenrande des Orbicularis (nebst Ineisivi und Nasalis) erst nach Aufhebung des Quadratus künstlich dargestellt werden kann. Endlich schliessen sich allen diesen Muskeln, oberen und unteren, von der Seite her die isolirteren länglichen Bün- del, oben des Zygomatieus, unten der Ausläufer des Subeutaneus colli (Risorius) an.

Was nun zunächst die Quadrati betrifft, so werden dieselben nach Entfernung der Haut mit ihren Insertionen an dieselbe sogleich voll- ständig aufgedeckt (Fig. 1.), sind leicht zu Ende zu verfolgen, da sie sich mit anderen nicht verflechten und ihre Ansätze sind daher auch meist, namentlich von HENLE schon richtig beschrieben. Besonders gilt dies von den oberen, weil er, wie schon berührt, in seiner ganzen Ausdehnung oberflächlich vorliegt. Es mag trotzdem nicht überflüssig scheinen auch ihren Verlauf und Ansatz an der Hand der Abbildung hier auch erst noch einmal kurz imZusammenhang darzustellen.

Der obere kommt mit breiter glatter Vorderfläche von den Ur- sprüngen seiner verschiedenen Portionen am Nasenrücken (Levator labii et alae nasi) und vom Rande der Orbita unter dem des Orbieu- laris palpebrarum hervor (Levator labii proprius) und lässt sich von da abwärts sehr leicht und rein abpräpariren. Seine Fasern laufen hier meist parallel schräg ab- und vorwärts gegen die Mitte des Mun- des; nur die medialsten legen sich über die nächsten etwas über. Dann fängt er am hintern Rande des Nasenflügels und in der ganzen schrägen Linie, welehe von da nach der Seite und unten etwas, ober- halb des Mundwinkels gegen die Backe hin ausläuft, an, sich sogleich mit den dicht zusammengedrängten Enden aller seiner ober-

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 111

flächlichen Fasern an die Haut zu inseriren. Weiterhin breiten sich dann die übrigen, die darunter noch hervortreten, abwärts in einem dreieckigen Gebiete zuletzt ziemlich dünn verlaufend aus, welches sich mehr oder weniger dem Lippenrande parallel ziemlich unbestimmt abgrenzt, ungefähr aber die Ausdehnung hat, in welcher die Haut in der Peripherie der Oberlippe seitwärts vom Nasenflügel herab meist noch keinen starken Bartwuchs zeigt. Man kann daher etwa sagen, das Hautstück, unter welchem die Imsertion des oberen Quadratus aus- gebreitet ist, wird begrenzt durch den Schnurrbart, den Nasen- flügel und die Falte, welche von letzterem schräg abwärts verlaufend eine Grenze von Backe und Lippe bildet, und in ihrer Ausprägung, wie wir sie deutlich beim Lachen sehen, spricht sich die Wirkung des Muskels als Angriff auf seine Insertion deutlich aus. Er hebt die Oberlippe, wie es die alten Namen seiner Theile schon ausdrücken, indem er die auf ihm angewachsene Hautparthie derselben in toto fest anfasst und nach oben und der Seite zieht, wobei der Nasenflügel zugleich etwas gedreht wird. Dadurch wird dann aber zugleich die Haut oberhalb der Insertion, welche an der glatten Vorderfläche des Muskels lose aufliest, rein passiv vor ihm, wenn er-sich verkürzt, hervorgebaucht, wie die des Ulnarrandes vom Handteller vor dem Talmaris brevis.

Der untere Quadratus hat. bekanntlich überhaupt keine solche frei präparirbare glatte Vorderfläche, da der Verlauf seiner Fasern vom Ursprung zur Insertion nicht offen unter der Haut liest, sondern vom Triangularis bedeckt wird, vor dessen vorderem Rande sie erst hervor- treten, um sich dann von da an sogleich zu inseriren. Die Richtung und Anordnung des Verlaufs aber und die Insertion sind ganz analog wie beim oberen. In parallelen Zügen verlaufen alle Bündel der breiten Platte des Muskels auf- und medianwärts gegen die Mitte des Mundes hin und vertheilen sich allmälig zu der ausgebreiteten Inser- tion an die Haut des Seitentheiles der Unterlippe, wie die des oberen an die der Oberlippe, nur in weiterer Ausdehnung vom Rande des . Triangularis bis hart an den der Lippenspalte, mit dem Seitenende auch näher an den Mundwinkel heran, mit dem medialen Rande die Hautprominenz des Kinnes streifend, wie am oberen den Nasenflügel. Dazu kommt die äusserliche Aehnlichkeit, dass auch hier die Haut über der Stelle weniger Bartwuchs hat als die ringsumgebende. Bei der Wirkung des Muskels, der Herabziehung der Unterlippe, wird diese Hautparthie ebenfalls in toto und fest zusammengehalten, gegen den Ursprung desselben herabgezogen, dagegen markirt sich keine so scharfe Seitengrenze dieser Hineinziehung gegen Hervorwölbung der

112 W. Henke.

Haut jenseits derselben, weil die letztere hier, wo sich der Triangu- laris zwischenschiebt, eben nicht, wie oben, lose vor dem Quadratus liest und sich abheben kann.

Das wesentlich gemeinsam Charakteristische beider Quadrati be- steht also in der ausgebreiteten Insertion, ähnlich der der Muskeln in der Zunge an die Schleimhaut, auf der Unterfläche von Hautstücken, die ihnen fest anhaften. Hier existirt demnach in nicht geringer Aus- dehnung so entschieden wie an keiner andern Körperstelle gar kein lockeres Unterhautbindegewebe (selbst nicht auf den Nackenmuskeln, wo es freilich in weit grösseren Stücken auch sehr kurzfaserig ange- löthet ist). Daher erklärt es sich wohl aus diesem rein anatomischen - Grunde, dass subcutane Abscesse an diesen Stellen, wie bekanntlich namentlich an der Unterlippe so leicht einen karbunkelartigen,; die Haut, in vielen Gängen unterminirenden Charakter annehmen (wie ähnlich auch am Nacken), weil sie nicht wie sonst im lockeren Gewebe zu einer Eiterhöhle zusammenfliessen können. Präpariren wir die Haut an diesen Stellen von den Muskeln ab, so sind dieselben eben damit von ihrer Insertion abgeschnitten und dies abgeschnittene Ende ihrer Fasern erscheint als ein zerrissenes abgebrochenes Endstück ihrer Ober- flächen, welches sich durch sein ruppiges Ansehen von den glatt präparirten Stücken deutlich unterscheidet, wie es auch hier in den Abbildungen (Fig. 1, etwas stärker beschnitten auch noch in Fig. 2 für den oberen) angedeutet ist. Es liegt noch an Stelle der Haut, die daran befestigt war und deckt einen Theil der Vorderfläche des Orbi- cularis in beiden Lippen. Ein Eintreten von Fasern der Qnadrati in den Orbicularis, von dem in vielen Büchern noch geredet wird, findet durchaus nicht statt. Diese Muskeln sind also zunächst vollständig für sich ohne Durchkreuzung mit andern von ihren Ursprüngen an beiden Kiefern bis zur Insertion an die Haut der gleichnamigen Lippen zu verfolgen und zu übersehen. Ebenso einfach stellt sich auch für sich allein ihre Wirkung dar, die übereinstimmend darin besteht, die Oberlippe nach oben, die Unterlippe nach unten vor den Zähnen aus- . einander zu ziehen.

Die Triangulares dagegen sind von ihren Ursprüngen am Ober- und Unterkiefer an, getrennt nur bis dahin zu verfolgen, und zwar bis dahin auch ganz leicht, weil ganz glatt frei präparirbar, wo sieam Mund- winkel mit spitzen, durch Convergenz ihrer Bündel formirten Enden auf einander stossen und sich zugleich mit den Seitenrändern der ober- tlächlichen Schichten des Orbicularis, welche zu derselben Stelle hin convergiren, eng zusammenschliessen. Hier ist denn auch für die alte

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 113

Systematik ihr Ende erreicht. Hexte!) lässt sie hier zum Theil wirklich endigen, indem er ein Ligament der Lippencommissur beschreibt, einen Sehnenstreifen, der sich vom Mundwinkel seitwärts erstreckt und eine Art Rendez-vous der verschiedenen Muskeln darstellen würde, die hier zusammenstossen. Daran ist etwas Wahres. Es giebt im Innern des Wirbels, den die Convergenz der Muskeln hier bildet, An- deutungen von Verknüpfung oder Unterbrechung der zu ihr heran- tretenden Muskelbündel durch bindegewebige Inscriptionen. Aber über- wiegend hat doch diese Vereinigung convergirender Bündel in einer festen Commissur der von oben und unten herantretenden, welche hier zwischen Haut und Schleimhaut einen starken Fleischstrang bilden, den Charakter einer Durchkreuzung, in welcher dieselben ziem- lich direet gegenseitig in einander übergehen. Die Analyse dieser Durehkreuzung, die Verfolgung der von oben und unten herantreten- den Bündel durch dieselbe hindurch zu ihrer jenseitigen Fortsetzung war die Hauptaufgabe, die ich bei meiner Präparation verfolgte.

Hier kann nun zunächst eins ausgeschlossen werden, was in ver- schiedenen Beschreibungen angeführt wird, nämlich ein directer Uebergang von Bündeln des oberen und unteren Triangularis (Levator und Depressor anguli oris) in einander, wodurch sie sich zu einer directen Verbindung zwischen Ober- und Unterkiefer, einer Art von zartem Kaumuskel vereinigen würden. Es kann allerdings an gewöhn- lichen frischen Präparaten leicht so scheinen. Die Seitenwände beider Muskeln bilden neben dem Mundwinkel vorbei einen vereinigten star- ken Wulst, hinter dem der Buccinator in die Lippen hinein verschwin- det und wenn die Bündel, die hier am Rande liegen, sich etwas weich in einander hinein schmiegen, kann es wohl so aussehen, als liefen sie zusammenhängend an demselben herunter. Bei genauer Bloslegung wird es aber doch wohl immer gelingen, nachzuweisen, dass dieser Rand gerade da, wo er am stärksten ist, in der Höhe des Mundwinkels nicht mit Bündeln abschliesst, die ihm entlang ziehen, sondern ähn- lich wie der von der Brust zum Arm überspringende des Pectoralis major seine Rundung einer Aufwickelung verdankt, in welcher jedes Bündel etwas schräg um ihn herumbiegt, um auf- oder abwärts, nach hinten oder vorn über die nächst angrenzenden hinweg weiter zu ver- laufen. Auf diese Art gehen alle Fasern beider Triangulares aus der steil ab- oder aufwärts vom Ursprunge her kommenden Richtung bei der Kreuzung in einen jenseits derselben medianwärts ge- richtetenWeiterverlauf über. Der obere tritt in die Unterlippe, der

1) Muskellehre $. 146, 147. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. RS

114 W. Henke.

untere in die Oberlippe ein. Und zwar liegen in der Kreuzung zuvorderst unter der Haut der Commissur oberflächliche Bündel des obe- ren und ziehen schräg ab- und medianwärts über die des unteren weg, welche ebenso schräg auf- und medianwärts hinter ihnen verschwinden (Fig. 1). Dringt man tiefer ein, so wechseln Lagen von beiden mit einander ab. In ihrer ganzen Dicke ist also die Verbindung beider Muskeln ein gekreuzter Verlauf ihrer Bündel zwischen einander durch, wodurch sie hier auch mit einander verknüpft sind.

Daraus geht nun zunächst in den oberflächlichen Lagen (Fig. 1) ein nach oben und unten vom Mundwinkel gegen die Lippen hin aus- strahlendes Büschel von Faserbündeln hervor, welches die in die Kreu- zung eintretenden Theile des Orbicularis deckt und sich ähnlich wie die Quadrati in der Richtung gegen die Seitenenden von den Inser- tionen der letzteren ebenfalls an die Haut ansetzt. Insbesondere die aus dem oberen Triangularis (Levator anguli s. Caninus) stammende Ausstrahlung abwärts vom Mundwinkel schliesst sich eng an die lateralen Bündel des unteren Quadratus an, wo diese unter dem Rande des unteren Triangularis hervortreten, und schiebt sich ihnen sogar mit einem schmalen, an diesem Rande herablaufenden Streifen vor. Sie bewirkt offenbar die vom Mundwinkel nach unten ausgehende ein- gezogene Falte, und diese geht demnach in die Seitengrenze des Hautgebietes, welches von der Wirkung des untern Quadratus nach unten eingezogen wird, mit directem Zusammenhange über. Nach oben dagegen erreichen die direct an die Haut ausstrahlenden Bündel des unteren Triangularis keinen so dichten Anschluss an die des oberen Quadratus und die Einbiegung der Haut, welche als Ausdruck ihres Angreifens auch nach oben vom Mundwinkel ausgeht, hat keinen bestimmten und ununterbrochenen Zusammenhang mit jener, welche vom hinteren Rande des Nasenflügels als Grenze von Lippen und Backen herabzieht, sondern das obere Ende der ersteren und das untere der letzteren verlieren sich ziemlich unbestimmt und mit vielen indivi- duellen Schwankungen gegen einander hin. Im einzelnen hängt dies auch von den zerstreut hinzutretenden Insertionen des Zygomaticus ab, auf die ich hernach noch komme.

Decken wir nun weiter auf, indem wir die oberflächlichen Bündel der gekreuzten Enden beider Triangulares mit ihren Insertionen an der Haut auf- und abwärts vom Mundwinkel abtragen (Fig. 2 u. 3), so finden wir darunter lagenweise über einander andere, welche gleich- falls sich in der Art kreuzen, dass die aus dem oberen und unteren Triangularis herkommenden an einander vorbei und nach der Kreuzung medianwärts weiter laufen. Hier liegen nun ihre Fortsetzungen zunächst

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 115

unter jenen in der Nähe der Mundwinkel an die Haut inserirten Büscheln und ebenso im weiteren Verlaufe unter den Hautinsertionen beider Quadrati. Hier ziehen sie, nach der Kreuzung wieder diver- girend ausgebreitet, zu der Mitte der beiden Lippen. Hier bilden sie mit Einem Worte den grössten Theil der oberflächlichen Lagen des Orbieularis, welcher sich, wie LANGER schon beschrieben hat, in der Mitte beider Lippen an die Haut inserirt, und also in der Oberlippe die Fortsetzung des unteren, in der Unterlippe die Fortsetzung des oberen Triangularis ist.

Es ist klar, dass die Kreuzung beider Triangulares in der Com- missur der Lippen zunächst für beide eine Verknüpfung ihres Verlaufes mit einander ebenso gut bedeutet, als wenn sie sich hier beide an einem gemeinsamen Ligament oder sonstigen Vereinigungspunkt inse- rirten, dass also ihre Wirkung auf diesen Punkt, bis zu dem sie von jeher anatomisch verfolgt waren, ganz die sein muss, wie sie die alten Namen Levator und Depressor anguli oris ausdrücken, dass, wenn der eine oder andere sich verkürzt, der Mundwinkel herauf- oder herab- gezogen werden wird. Diesem Zuge müssten auch schon von selbst die an demselben- Knotenpunkte angehefteten Theile der Lippen mit ihren Muskeln folgen, die Unterlippe nach oben dem des obern Triangu- laris (Levator), die Oberlippe nach unten dem des untern folgend. Der entgegengesetzte muss dabei nachgeben und das kann er auch, weil sie ja, wie wir gesehen haben, unter einander nicht wirklich als Fortsetzungen in einander übergehen. Dagegen ist nun ebenso klar, dass die Fortsetzung beider in die jenseitigen Lippen, die wir eben verfolgt haben, sich regelmässig zugleich mit ihnen contrahiren und also die Oberlippe, wenn sie mit dem Mundwinkel herab-, die Unter- lippe, wenn sie mit ihm hinaufgezogen wird, gleichzeitig in ihrer sanzen Breite in sich zusammenziehen und nach oben oder unten an- ziehen wird. So stellt jeder Triangularis mit dem gegenüberliegenden oberflächlichen Theil des Orbicularis zusammen einen als Einheit wirkenden zweibäuchigen Muskel und jeder derselben von der linken und rechten Seite zusammen eine in der Mitte zusammenhängende Schlinge dar, durch welche die Oberlippe gegen den Unterkiefer hinab, die Unterlippe gegen den Oberkiefer hinauf gezogen wird, wo die Enden der Schlinge befestigt sind.

Tragen wir nun endlich den ganzen Rest der in der Lippen- commissur mit einander durchflochtenen Enden beider Triangulares ab, so kommt unter ihnen der Eintritt des Buceinator als Buccolabi- alis in die Lippen zum Vorschein (Fig. 4). Diese seine Fortsetzung ist

von den ihr aufliegenden Theilen des Orbicularis, welche, wie wir S*

116 W. HENKE,

gesehen haben, die Fortsetzung der von ihnen abgeschnittenen Trian- gulares darstellen, nicht ganz bedeckt. Dieselben halten sich nicht dicht an den Lippensaum, namentlich in der Oberlippe weniger als in der unteren. Hier tritt also Buccolabialis unter ihnen hervor oberflächlich zu Tage. Daneben bemerkt man nun jetzt eine kleine Spur auch directer Anknüpfung von einem Bündel oberer und unterer Orbicularisfasern an einander oder Verknüpfung derselben mit einander in dem der Commissur der Lippenränder zunächst anstossenden Theile des von HENLE- beschriebenen Ligaments derselben. Ferner abwärts vom Mundwinkel ein dünnes Blatt Buecinatorfasern, die nicht als Buecolabialis in die Lippen mit übergehen, sondern unter dem media- len Rande des unteren Triangularis hervortreten und sich an die Haut inseriren; hier sieht man sie in Fig. 3 hervorkommen. Man sollte dies. eigentlich ebenso auch schon in Fig. 2 sehen können; aber in diesem Stadium der Präparation muss ich es noch nicht bemerkt haben und wollte es dann hernach nicht aus dem Kopfe noch in die Zeich- nung eintragen.

Sodann haben wir nun noch der Endigung der Nebenmuskeln nachzugehen, welche sich den Seitenrändern der oberen und unteren Muskeln, Quadrati und Triangulares, nebenanschliessen, namentlich des Zygomaticus. So bestimmt wie er schon für den Anfänger im Prä- pariren durch seinen deutlich isolirten Ursprung am Jochbein charakteri- sirt ist, so unbestimmt verhält er sich am Ansatz. In unserem Falle wenigstens sind fast alle Möglichkeiten, wie er zuletzt auslaufen könnte, zu sehen, nur eins wieder nicht, was man ähnlich wie beim oberen Triangularis auch bei ihm angegeben findet, nämlich Ueber- gang von Fasern aus ihm in den Seitenrand des unteren Triangularis, also in letzter Instanz Endigungen am Unterkiefer. Oberflächlich schliesst er sich ganz dem oberen Quadratus an und demgemäss inse- riren sich auch versprengte oberflächliche Bündel zur Seite des un- teren, dünn verlaufenden Endes der Anheftungen des Quadratus da, wo jene Grenzlinie der letzteren sich vom Nasenflügel herab gegen die Backe verliert (Fig. 1). Dahinter aber tiefere, welche sich hinter die Commissur der Triangulares hineinschieben und indem sie sich der Kreuzung derselben am Mundwinkel anlegen, theils an derselben be- theiligen und wie die des oberen Triangularis im Orbicularis der -Unterlippe, theils aber auch noch oberhalb derselben, in flachem Bogen nach oben und der Mitte hin umwendend in der Oberlippe auslaufen (Fig. 3 u. 4).

Ueber den Risorius habe ich auf Grund des vorliegenden Materiales wenig zu sagen, da er an dem hier durchgearbeiteten Kopfe nur durch

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. #17

wenige Bündel vertreten war, welche sich über das obere Ende des unteren Triangularis hinwegziehend dem Verlaufe und Ansatze des Quadratus in die Unterlippe anschliessen. Dies dürfte indess auch wohl ein regelmässig wiederkehrendes Verhalten sein und übrigens die Endigung dieses Muskels im Einzelnen ebenso variabel sein, wie die des Zygomaticus, da sich ja dieser ganze laterale obere Ausläufer oder Anhang des Subcutaneus colli im Gesichte im Ganzen mehr dem Quadratus als einer Art Fortsetzung seiner ganzen Anordnung, zugleich aber doch fast ebenso nahe auch dem Seitenrande des Triangularis anschliesst, wie der Zygomaticus den entsprechenden oberen Muskeln.

Ueberhaupt liegt auf der Hand, dass wir mit jedem weiteren Ein- gehen auf Einzelheiten in das Gebiet des freien Spielraumes indivi- dueller Variabilitäten gerathen würden, das gerade an den Gesichts- muskeln ofienbar sehr gross ist und nur durch Zergliederung eines sehr zahlreichen Materials einigermassen erschöpfend zu behandeln wäre. Ich habe dazu bisher keine Zeit und Lust gehabt und auch die Analyse der Theile des Orbicularis noch nicht bis zu einer Nach- weisung der Wege, welche die kleineren Zuzüge und Anhänge dessel- ben, die Ineisivi, Nasalis, Mentalis in ihm einschlagen, durchgeführt; ich habe mich aber dadurch nicht abhalten lassen wollen, das mit jener Rostocker Präparation gewonnene Resultat, wie es ist, vorzu- legen. Und ich glaube es genügt, um in der Hauptsache die Muskeln in den Lippen nach ihrer Herkunft und Endigung zu ordnen und ein neues Schema für die Beschreibung derselben aufzustellen, welches auch für das Verständniss ihrer Wirkungen bequem zu Grunde zu legen sein wird.

Ich unterscheide also ausser dem Buccolabialis, der zusammen- hängenden Horizontalfaserschicht, welche als Fortsetzung des Pharynx aus der Enge zwischen den Backzähnen und dem Unterkieferaste her- vor, der ganzen Schleimhaut des Vestibulum direct aufliegend durch Backen und Lippen verläuft, nur zwei Arten von Muskeln, die vom Ober- und Unterkiefer her dazu kommen und in den Lippen endigen. Die einen treten ohne Kreuzung in die gleichnamigen Lippen und inseriren sich in den Seitentheilen derselben ausgebreitet an der Haut, die Quadrati der Ober- und Unterlippen; die anderen gehen von 'oben und unten her mit Kreuzung in der Lippencommissur an einander vorbei in die ungleichnamigen Lippen und inseriren sich an der Mitte. Sie stellen zweibäuchige Muskeln dar, gebildet aus je einem Triangularis und einem Viertheil der oberflächlichen Schicht des Orbicularis. Wir wollen sie Circumflexi nennen; der der Oberlippe kommt vom Unter- kiefer, der der Unterlippe vom Oberkiefer.

118 W. Hkxeer.

Die Art, wie sie mit ihren Contractionen an ihren Insertionen angreifen, ist im Einzelnen oben bei ihrer Beschreibung schon erörtert. Wir haben uns also nur noch klar zu machen, wie ihre Wirkungen sich bei den gewöhnlichen Arten des Gebrauchs, sowohl des physiologischen als des mimischen, combiniren werden. Ein näheres Eingehen auf die Feinheiten der Modellirung des Gesichtsausdruckes würde ebenso wie eine speciellere Verfolgung des individuell verschiedenen anatomi- schen Verhaltens hier zu weit führen und letztere schon voraussetzen.

Jeder Quadratus hebt offenbar die Lippe, an der er sich inserirt, von den Zähnen ab, indem er ihren Seitentheil gegen seinen Ursprung: heranzieht. Alle vier zusammen sind die Oefinungsmuskeln des Mun- des, dabei wirken ihnen Buccolabialis und Circumflexi in verschiede- ner Weise entgegen. Ersterer hält gleichmässig Lippen und Backen gegen die Zähne angedrückt. Letztere dagegen drängen, wenn sie zu- sammen wirken, die Lippen von allen Seiten um die Spalte zwischen ihren Rändern zusammen, indem der eine, Circumflexus labii superio- ris (Triangularis menti mit Orbicularis in der Oberlippe) die Oberlippe gegen den Unterkiefer herab, der andere, Circumflexus labii inferioris (Levator anguli s. Caninus mit Orbicularis in der Unterlippe) die Unterlippe gegen den Oberkiefer hinaufzieht, und beide oder vielmehr alle vier zusammen die Mundwinkel, wo sie sich kreuzen, nach der Mitte hin drängen, da auf diese Weise jeder für sich in eine gerade Verkürzungslinie zwischen seinem Ursprung und Ansatz gespannt wird. Wirken sie mit dem Buccolabialis zusammen, so bleibt der Mund fest geschlossen. Erschlafft aber der Buccolabialis und die Quadrati wirken dagegen mit den Circumflexi zusammen, so werden die Lippen mit dem freien Rande von den Zähnen abgehoben, mit den peripheren Theilen aber, in welchen die Circumflexi nach der Kreuzung verlaufen, und mit den Commissuren des Mundwinkels von allen Seiten zusammengedrängt. Der Mund wird rüsselförmig vor- gestreckt.

Einfach wie in diesen Hauptacten des physiologischen Gebrauches der Lippen das Zusammenwirken der gleichnamigen oberen und unte- ren- Muskeln ist die Combination des Angreifens nur der vom Ober- kiefer oder Unterkiefer entspringenden bei den beiden bedeutendsten mimischen Bewegungen in der Umgebung des Mundes, beim Lachen und Weinen. Denn beim ersteren wird offenbar die Oberlippe geho- ben (Quadratus labii superioris), zugleich ebenso der Mundwinkel und mit ihm aber noch auch die Unterlippe emporgezogen und gespannt an die Zähne angehalten (Cireumflexus labii inferioris), beim Weinen umgekehrt ziehen die Circumflexi labii superioris die Oberlippe und

Die oberen und unteren Muskeln der Lippen. 119

den Mundwinkel herab, während die Unterlippe durch ihren Quadratus von den Zähnen abgehoben wird. Man kann sagen: beim Lachen wird die Oberlippe geöffnet, die untere wie zum Schliessen angezogen; beim Weinen wird die obere fest angehalten, die untere losgelassen, dass sie zitternd herabhängt.

Wie man es sich erklären soll, dass diese Bewegungen gerade den heiteren und trüben Gemüthsstimmungen zum Ausdruck dienen, wie sie dies factisch thun, ist schwer zu sagen. Wollte man sich daran halten, dass die Erhebungen beider Lippen eine erhobene innere Be- wegung andeuten und umgekehrt, so wäre dies nur ein Wortspiel. Eher könnte man daran denken ihren tieferen Sinn in einer Analogie mit ursprünglich physiologischen Acten zu suchen. Eine solche halbe Oefinung des Mundes, wie sie die Abhebung der einen Lippe von den Zähnen, die Andrückung der anderen an dieselben darstellt, kommt auch vor beim Aufnehmen von Nahrung und zwar isolirte Vorstreckung der Unterlippe verbunden mit der des Unterkiefers beim Beissen, da- gegen die der Oberlippe mit zurückgehaltener unterer beim Schlürfen. Daraus ergäbe sich, wenn jenes hernach symbolisch eine gedrückte, dieses eine aufgemunterte innere Verfassung des Menschen ausdrückt, ein innerer Zusammenhang des Essens mit der niederen Bedürftigkeit, des Trinkens mit dem höheren Aufschwunge des Lebens. Denken wir also auch an den weisen Spruch: „Das Essen, nicht das Trinken bracht uns ums Paradies“, und trinken wir mit lächelndem Munde auf das Gedeihen der neuen Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungs- geschichte!

Erklärung der Abbildungen.

%

Fig. 1. Erste Schicht. nur die Haut abpräparirt. Man sieht die Insertionen beider Quadrati an die Lippen und die oberflächlichen Lagen beider Triangu- lares nach der Kreuzung oberhalb und unterhalb des Mundwinkels mit freien Enden blosgelegt.

Fig. 2. Zweite Schicht, die Insertionen beider Quadrati, namentlich des unteren schon zurückpräparirt, von der Durchkreuzung der Triangulares die oberflächlichen Lagen mit ihren Insertionen an die Haut in der Nähe des Mund- winkels abgetragen. Man sieht die tieferen Bündel des oberen Triangularis in den unteren Orbicularis übergehen.

120 W. Henke. Die oberen und unteren Muskeln der Lippen.

Fig. 3. Dritte Schicht, die Quadrati ganz kurz abgeschnitten, der obere Triangularis ebenfalls oberhalb der Kreuzung ganz durchschnitten und sein unteres Ende von der Kreuzung und der Verbindung mit dem Orbieularis der Unter- lippe abgetragen und getrennt. Man sieht nun den unteren Triangularis in den Orbieularis der Oberlippe übergehen.

Fig. 4. Vierte Schicht, die ganze Kreuzung bis auf den Buecinator und Orbicularis abgetragen. Man sieht die Fasern des ersteren in die dem Rande der Lippen zunächst blos liegenden des letzteren übergehen, indem sie hinter den noch darüber liegenden mehr peripheren, von denen die Kreuzung ab- getrennt ist, hindurch verlaufen.

Zur endgültigen Heilung der Brüche am obern Ende

des Oberschenkelknochens.

Von Dr. L. Rabe,

Assistent der chirurgischen Klinik zu Halle.

Für die neuerdings von mehreren Seiten besprochene Frage nach dem schliesslichen Heilungsergebniss der Schenkelhalsbrüche scheint mir ein Präparat von gewisser Bedeutung zu sein, das unter alten Leichentheilen der anatomischen Anstalt zu Leipzig vorgefunden wurde und welches Herr Professor BRAUNE mir zur Verfügung zu stellen die Güte hatte. Dasselbe gehört der linken Hälfte eines erwachsenen muskel- starken männlichen Beckens an, über welches weiteres nicht mehr er- mittelt werden kann. An demselben fällt in Bezug auf die äussere Form sofort die rechtwinklige Stellung des Halses zum Schaft auf, der Höherstand der Spitze des grossen Trochanters über dem höchsten Punkt des Kopfes, die Verkürzung des Halses, sowie endlich die Ver- diekung der Trochantergegend, besonders auf der vordern Seite, an welcher (s. Fig. A. auf umstehender Seite) sich nach Entfernung der dicken auf- und zwischen gelagerten Periostschichten eine Reihe unregelmässiger, jedoch an den Kanten abgestumpfter, innig mit der Knochenoberfläche zusam- menhängender Schollen von der Mitte der Aussenseite des grossen Trochanters bis zum untern Rand des kleinen Trochanters zeigt; auf der hintern Seite des Schenkels sind diese Ungleichheiten (Fig. A) an entsprechender Stelle ebenfalls vorhanden, jedoch bei weitem nicht so hervorspringend; der obere Theil des grossen Trochanters und die Grube hinter demselben mit ihren Muskelansätzen, sowie Hals und Kopf er-" scheinen in ihrer Oberfläche normal, sie sind bei der ehemaligen Fractur, welche durch den untern Theil der beiden Trochanteren ging, nicht in Theilnahme gezogen worden. Nach der Durchsägung des

122 RıAgBE. Zur endgültigen Heilung

Knochens frontal in der Mitte zeigte sich ein höchst auffallendes Bild: Die untere Seite der Rindenschicht des oberen Bruchstücks, tief in das untere eingedrungen, ist durch compacte Substanz breit mit der Bruch- fläche der Rinde des letztern vereinigt; von der Stelle der Einkeilung steigt im Kopfe der starke Stützstrahl ziemlich steil zum oberen Theil der Gelenkfläche, während die Gegend um den Ansatz des runden Bandes herum in weiterem Umfang von grösseren Marklücken durch- setzt ist; das Innere des Halses ist in eine grosse unregelmässige Markhöhle verwandelt, bis auf den obern Theil, in welchem die Züge der Knochenbögen vom Kopfe zum lateralen Theil des untern Bruchstücks hinüberziehen: diese Höhle des Halses ist von dem grossen Markraum des Schaftes völlig getrennt durch eine Schicht spongiöser Substanz, in welcher sich die alte Bruchlinie noch verfolgen lässt; auch im

Fig. A. Fig. B.

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i grossen Trochanter tritt eine grössere für sich bestehende Markhökle hervor.

Ein mit der Bogensäge frontal aus der Mitte herausgeschnittenes und durch kochende Kalilauge gereinigtes Plättchen stellt die Photo- lithographie Tafel XVI, Fig. 1 dar, zur Vergleichung als Normale diene das aus entsprechender Stelle eines kräftigen männlichen Oberschen- kels gewonnene Fournierblatt, welches ähnlich jener Bruchlinie durch- schnitten und in seinen Bruchstücken wie in unserm Präparat ge- lagert, der Fig. 2 der Tafel zu Grunde liegt, also eine Vorstellung der Fractur bei ihrem Entstehen giebt. Die Vergleichung wird ziem- lich genau gestattet durch Aufeinanderlegen der von beiden Schnitten gewonnenen Pausen und ist so sorgfältig wie möglich durch die Ueber-

der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. 123

deckung der Originalphotographie des einen mit dem Präparat des andern Schnittes ausgeführt worden. Dabei ergiebt sich nun, dass die grossen Verschiedenheiten im Haupttheil des obern Bruchstücks nur auf Veränderungen quantitativer Natur beruhen, es sind einzelne Bälkchen- systeme, welche infolge der Veränderung ihrer Lage mehr in Anspruch genommen wurden, verstärkt, andere, welche an Bedeutung verloren, atrophirten oder räumten selbst völlig dem Markgewebe den Platz, aber nirgends findet sich eine nachweisliche Veränderung in der Richtung der Züge. Bei dem ersten Anblick fanden wir die Masse der im Kopf aufsteigenden Stützbälkchen sich steiler von der untern Rindenschicht ablösen, aber eine genaue Betrachtung zeigt, dass die einzelnen Bälk- chen nicht parallel laufen mit der Richtung der ganzen Masse, dass sie vielmehr eins nach dem andern auf der medialen Seite derselben austreten und atrophiren, nur vereinzelt die dünne, dem Knorpel unterliegende Rindenschicht erreichen; dieselben Züge aber, welche sich zu dem obern lateralen Theil der Peripherie dichtgedrängt be- geben und lateralwärts mit einer sanften S-förmigen Schwingung ab- schliessen, finden sich auch am normalen Schenkel, nur nicht so scharf hervortretend, verdeckt besonders durch die noch weiter nach aussen sich von der untern Wand des Halses ablösenden geraden Strahlen, welche aber an dem Fracturpräparat atrophirt sind. Es ist also nur die Ge- sammtmasse, welche steiler aufsteigt, nicht die einzelnen Bälkchen; allerdings löst sich auch jedes einzelne Bälkchen in einem etwas grösseren Winkel von der untern Rindenschicht in Fig. 1 wie in 2, aber dieser geringe Unterschied ist ganz bedeutungslos, weil er inner- halb der normalen Schwankungen liest und beide Schnitte ja nicht derselben Person entstammen. Was die Zugbälkchen betrifit, so müssen wir bei der Vergleichung berücksichtigen, dass in unserm Normal- schnitt zufällig der Lauf einer von oben eintretenden Arterie etwas störend auf einen Theil der Schichtung einwirkt, dann aber finden wir nur, dass ihre Masse zum Theil etwas durchsichtiger, die Bälkchen etwas schwächer geworden scheinen, wir vermissen aber im Bereich des Kopfes und des Halses jede Veränderung ihrer Richtung. Auch in dem Bälkchensystem des grossen Trochanter ist trotz bedeutender Resorptionsvorgänge keine Richtungsveränderung vorhanden. Wir stehen damit nahe der Bruchstelle und würdigen diese vom untern Fragment beginnend. An diesem fällt nun vor allem auf, dass die mediale Wand, welche den Träger des obern Bruchstücks darstellt, sich durch compacte Bildung verdickt und medialwärts ausgebogen hat, sowie dass die laterale Wand von ihrer Convexität verloren hat, also gleichfalls etwas nach innen abgewichen ist; von dieser sehen wir

124 Rabe. Zur endgültigen Heilung

noch die alten Zugblättchen in derselben Richtung sich abblättern und unverändert bis zur Bruchlinie ziehen. Die ursprüngliche, durch den Bruch entstandene dreieckige Lücke auf der Aussenseite hat sich völlig wieder ausgefüllt und zwar grösstentheils mit bogenförmigen Zügen welche die Verbindung zwischen den unteren Bruchstücken der Zug- bälkehen .und den vorher erwähnten Bogenstücken im Halse herstellen, zwar ohne eckiges Aufeinanderstossen, vielmehr durch Abweichen der zugewendeten Enden besonders des oberen Fragments im Sinne einer vermehrten Concavität, aber doch nicht also, dass eine jede ursprüng- liche Bogenlinie zur Wiedervereinigung käme, sondern mehrere Mark- lücken, deren eine auf dem Bild erscheint, unterbrechen den Zug, da- durch entstehend, dass eine Zahl von Bälkchen sich schräge dem dich- tern innern Streifen oder dem schmälern Bogen an der Epiphysen- linie des grossen Trochanters anschliessen. Der mittlere Theil des Zugbälkchenbogens wird senkrecht durchsetzt von einer Reihe von Strahlen, welche von den normalen an dieser Stelle insoweit abweichen, als sie sehr bedeutend atrophirt sind; den äussern Theil durch- schneiden andere senkrechte Strahlen, welche von dem eingekeilten Ende des obern Rindenstücks divergirend zur lateralen Rindenschicht des untern Fragments hinüberziehen und sich durch ziemliche Stärke auszeichnen. An letzter Stelle mache ich noch auf die Bogen auf- merksam, welche mit medialer Concavität den Winkel zwischen der eingekeilten Rinde und der ausgewichenen medialen Rinde des untern Bruchstückes ausfüllen.

Vergleichen wir nun unseren Schnitt mit den neuerdings in dieser Frage bekannter gewordenen Präparaten von WOLFF (Arch. £. kl. Chir. 14. Bd. Tafel V), und Kornıe (D. Ztschr. f. Chir. 2. Bd. Tafel V), so finden wir eine geringe Aehnlichkeit mit letzterem, aber sehr wenig Verschiedenheit von ersterem. Gleichwohl weiche ich in manchen Punkten in Bezug auf die Auffassung meines Prä- parates von der Deutung ab, welche WoLrr gegeben hat. Umso- mehr bedaure ich, nichts über die Länge der Zeit in Erfahrung bringen zu können, welche von dem Entstehen des Bruches bis zum Tode ver- floss, sowie über die sonstigen Verhältnisse der Person; den Schluss ziehe ich aber aus dem Zustand der Muskulatur und aus der Festig- keit der Knochen, dass es sich um einen Mann handelt, welcher in ziemlich frühem Alter eine Fractur durch beide Trochanteren erlitt, und welcher nach guter Heilung in ausgedehntem Masse das Bein lange, vielleicht über ein Jahrzehnt, benutzen konnte. Eine so lange Zeit anzunehmen bestimmt mich der abgeglättete Zustand der Rinden- splitter, sowie der Umfang der Veränderungen in dem innern Bau;

der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ‚125

vor allem beziebe ich mich auf das Abweichen der Rinde des untern Bruchstücks nach innen, dann aber auf das steilere Aufsteigen des Stützstrahls im Kopfe bezüglich seiner ganzen Masse, dadurch bewirkt, dass an die Stelle des Punktes, der bei aufrechtem Stand den Haupt- druck der Körperlast zu tragen hat und der durch den normalen Stütz- strahl eben unterstüzt wird, bei der durch den Bruch veränderten Lage des Kopfes eine andere, weiter lateral gelegene Stelle trat, unter deren Belastung die sparsam hierher ziehenden Druckbälkchen zu einer Verstärkung genöthigt wurden, während das periphere Ende des ur- sprünglichen Stützstrahls der Atrophie anheimfiel. Ebenso atrophirten auch die Bälkchen nahe der Oberfläche der untern Kopfhälfte, weil sie auch bei starker Adduction nicht mehr in Wirksamkeit traten, und wahrscheinlich steht auch der Schwund der Spongiosa des grossen Tro- chanters in Zusammenhang damit, dass eine weitere Abduction durch den Muskelzug nicht mehr ausgeführt werden konnte. Im Hals und Kopf konnten aber überall nur Veränderungen in der Stärke der Bälk- chen, nirgens in ihrer Richtung festgestellt werden, soweit nicht die Fractur directen Einfluss ausgeübt hatte; die wirklichen Richtungs- änderungen erstrecken sich nur auf einen ziemlich beschränkten Strich, welcher aber auch vielleicht beim Entstehen des Bruches selbst durch die Gewalt mit’ Zertrümmerung betroffen wurde und wo wir es dann auch nur mit Bildung neuer Knochensubstanz mit dem Ganzen an- gepasster Architeetur an Stelle der breiten Callusmasse zu thun haben -würden, da die frische Bruchstelle auf dem Durchschnitte nicht eine Linie sondern ein mehrere Cm. breites Band bei solcher Einkeilung bildet. Zu diesem Bereich gehören die Stücke der Zugbögen, welche sich doch nur ziemlich unvollständig in der dreieckigen Lücke und deren Umgebung wieder gebildet haben, zu ihm die Balken, welche den Winkel zwischen der eingekeilten Rinde des obern und der medi- alen Rinde des untern Bruchstückes ausfüllen, zu ihm auch die starken Strahlen, welche von dem eingekeilten Ende zu der lateralen Rinde hinüber ziehen, wenn es sich bei diesen letztern zum Theil auch noch um eine vermehrte Ausbildung der normal in dieser Richtung ziehen- den und mit der eingekeilten Rinde in Verbindung getretenen Druck- bögen handelt. Medialwärts von diesen durchschneiden die Zugbögen senkrecht eine Reihe sich spitzwinklig von der untern Rinde ab- blätternder Bälkchen, von denen WoLFF angiebt, dass sie nach defini- tiver Heilung senkrecht auf der eingekeilten Rinde ständen; ich habe schon oben bemerkt, dass ich keine Veränderung in dem Verlauf dieser Züge gegenüber den normalen Verhältnissen habe finden können und hebe dies um so mehr hervor, da ich auch an WoLFF's photographirtem

126 RABE. Zur endgültigen Heilung

Schnitt mich nicht von diesem Umstand überzeugen kann, denn die entfernteren Theile dieser Bälkchen stehen überhaupt normal schon ziemlich senkrecht und die näheren Theile sind an demselben völlig geschwunden, an meinem Schnitt zum kleinern Theil wenigstens noch so weit erhalten, dass ihre spitzwinklige Stellung zu der einge- keilten Rinde noch festgestellt werden kann. Diese Strahlen bilden nach Wourr die Fortsetzung der Bögen, welche sich im Winkel zwischen der eingekeilten und der medialen Rinde des untern Frag- ments befinden (siehe seine Fig. 3 der Tafel VI); diese letzteren ziehen jedoch in dem von mir abgebildeten Schnitt in gerade umgekehrter Richtung wie die einstigen normalen, sie sind medialwärts concav und zwar zeigen sie diese Coneavität nach innen noch schärfer an einigen anderen Schnitten wie gerade an dem photographirten; aber auch an dem von WoLrr abgebildeten Schnitt verlaufen diese Bogen nicht so wie er sie auffasst, nicht medial convex, sondern medial concav, sie können also nicht die Fortsetzung der oberen Strahlen sein, davon ganz abgesehen, dass doch kein Grund ersichtlich ist, weshalb Bälkchen, welche durch ihre Atrophie beweisen, dass sie nicht in Anspruch ge- nommen werden, aus physiologischer Ursache eine Riehtungsänderung eingehen sollten. Auch der eingekeilten Rinde kann ich nicht die untergeordnete Bedeutung beilegen, zu welcher WOLFF geneigt scheint, im Gegentheil glaube ich, dass dieselbe noch eine Hauptfunetion in der Unterstützung der Körperlast ausübt, dass auf sie und durch sie der Hauptdruck auf die mediale Rinde des untern Bruchstücks über- tragen wird, welche in Folge des Druckes gleichsam ausgewichen ist und sich verdickt hat; auf dieser eingekeilten Rinde baut sich der starke Stützstrahl des Kopfes auf, während dieselbe von unten her durch die neugebildeten Zugbälkchen noch mehr an die mediale Rinde des Schaftes befestigt wird, als es schon durch die breite Ver- wachsung geschehen ist; die Bedeutung der von dem eingekeilten Ende zur lateralen Rinde ziehenden Strahlen ist freilich nicht klar, aber dem Bogen der Zugbälkchen im obern Theil, so gut er sich auch wieder hergestellt hat, kann ich keine ausserordentliche functionelle Wichtig- keit zuschreiben, denn die Verminderung seiner Stärke gegenüber den starken Zügen im normalen Schenkel deutet doch wohl darauf, dass er weniger bei den veränderten Verhältnissen in Anspruch genommen wird; es könnte freilich die verminderte Convexität der lateralen Rinde des untern Bruchstückes als Wirkung eines solchen Zuges angesprochen werden, wenn nicht das Bedenken wäre, dass es sich um individuelle Verschiedenheiten hier handeln könnte. Auf jeden Fall ist aber auch das vorliegende Präparat ein Beweisstück dafür, dass die durch die

der Brüche am obern Ende des Oberschenkelknochens. ıladrc

Fractur veränderte Lage der einzelnen tragenden Bestandtheile des Knochens unter dem längeren Gebrauch des Gliedes eine tiefgreifende quantitative Umänderung in weiterem Bereich und eine wohlmotivirte Architeetur an Stelle des zuerst gebildeten rohen Callus hervorruft, es zeigt aber überdies, dass eine weitere sorgfältige Beobachtung des einschlagenden Materials nothwendig ist, um die Gesetze der endgültigen Heilungsvorgänge völlig klarzulegen, und dabei eine Vergleichung der obern Hälfte des gesunden Schenkels derselben Person als Normale wünschenswerth ist, um von den individuellen Schwankungen unab- hängig zu sein.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. Von ‘Wilhelm His.

Die Milchsaftgefässe nebst ihren Drüsen sind von allen Abschnitten des Lymphsystems zuerst zur Beobachtung gelangt. Sie sind schon im Alterthum von den Begründern der alexandrinischen Schule von Hrrormmus und ERASISTRATUS wahrgenommen worden. Beider Ana- tomen Schriften sind uns nicht erhalten, und so wissen wir nicht genau, wie weit ihre Kenntniss von der Bedeutung ihrer Entdeckung sich erstreckt hat. Von ersterem berichtet GALEN!), dass er im Ge- kröse ausser den zur Leber tretenden Venen auch solche unterschieden hätte, die zu drüsigen Körpern hingehen; über ErAsıstrarus?) dagegen lautet der gleichfalls nur kurze Bericht, er gebe an, im Unterleibe junger, ncch saugender Böckchen Gefässe (angeblich Arterien) gefunden zu haben, welche Milch, zeitweise aber auch Luft führten, (eine Be- obachtung die weiterhin von den Anhängern des ErAsISTRATUS mit für den allgemeinen Luftgehalt der Arterien verwendet worden ist).

Des Erasıstrarus Beobachtung hat GALEN so wenig verstanden, dass er sie geradezu als grobe Täuschung darzustellen suchte. Wie GALEN, so sind natürlicher Weise auch seine Nachfolger und Inter- pretatoren nicht zum richtigen Verständniss des wirklichen Verhaltens gelangt.

Die Wiederentdeckung geschah im Jahre 1622 (d. 23. Juli) durch CASPAR ASELLI in Cremona. Die Geschichte der Entdeckung erzählt Aseırı also: In der Absicht, einigen Freunden die Bewegungen des Zwerchfells zu zeigen, eröffnete er einem lebenden, wohl genährten und frisch gefütterten Hund die Bauchhöhle und, im Begriffe die Ein- geweide zur Seite zu drängen, ward er einer grossen Zahl feiner

1) De usu part. Buch IV. Editio Charterii IV. pag. 392. 2) De administr. anatom. Buch VII am Schluss und liber an Sanguis in arteriis contineatur editio Charterii III. pag. 159.

Hıs. Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 129

weisser Stränge gewahr, die am Darm und im Gekröse sich aus- breiteten, und die er erst für Nerven hielt. Bald aber erkannte er seinen Irrthum, indem er die Nerven neben jenen Strängen herlaufen sah, und als er nun, einen Einstich in diese machend, eine milchige Flüssigkeit hervortreten sah, wurde ihm sofort die Bedeutung seines Fundes klar, und erfüllte ihn mit der grössten Freude. Nicht lange indess genoss er des Schauspieles; der Hund starb unter dem Experi- mente, und sofort entleerten sich die weissen Gefässe auf das voll- ständigste, so dass kaum Spuren derselben wahrnehmbar blieben. Am folgenden Tage sollte ein zweiter Hund zur Wiederholung des Ver- suchs dienen, aber wie gross war Aseurrs Enttäuschung, da er hei diesem keine Spur jener, früher wahrgenommenen Gefässe auffinden konnte. Nach 2 Tagen der Entmuthigung erst kam er auf den glück- lichen Gedanken, es möge wohl der Mangel an Nahrung der Grund gewesen sein, weshalb der zweite Hund nicht die Erscheinungen des ersten zeigte, und in der That vermochte er schon am 4. Tage nach seinem ersten Funde die Wahrheit dieser Vermuthung experimentell festzustellen, und bei einem kürzlich gefütterten Thiere die Gefässe wieder aufzufinden. Nunmehr warf er sich auch mit vollem Eifer auf das umfassende Studium der von ihm gemachten Entdeckung und legte nach vier Jahren gründlicher Arbeit seine Resultate in einer kleinen, von gelehrten Citaten strotzenden und mit vier guten Tafeln versehenen Schrift nieder (de lactibus sive lacteis venis, quarto mese- raicorum vasorum genere dissertatio, Mediol. 1627). Es wiederholt sich in dieser Entdeckungsgeschichte eine Erfahrung, die in kleinen und grösseren Dingen gewiss mancher Beobachter mit durcherlebt hat, dass nämlich auf die erste freudige Aufregung eines neuen, oft durch irgend einen Zufall begünstigten Fundes fast constant ein Sta- dium des Nichterfolges und der daherigen Depression folgt, das nur durch beharrliches weiteres Nachsinnen sich überwinden lässt. Meistens nämlich übersieht man in der ersten Aufregung alle die nebensäch- lichen Bedingungen, die mit nöthig waren, um den Erfolg zu erwerben, und indem man nur allzurasch die Allgemeinheit des ersten Fundes nachweisen zu können glaubt, erfährt man ein Scheitern, das die Entmuthigung rascher noch steigert, als der erste Erfolg den Freude- taumel.

ASELLI war nicht mehr im Stande, das Schicksal seiner Publikation zu erleben, denn kurz nachdem er seine Schrift geschrieben, starb er, (erst 45 J. alt im Jahre 1626) und dieselbe kam erst ein Jahr nach seinem Tode heraus.

Um die Art, wie AserLı seine Entdeckung verwerthete, zu ver- Zeitschrift f. Anatomie. Bd.I. S

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stehen, muss man sich klar machen, in welche Zeit dieselbe fiel und welches die damals herrschenden Vorstellungen über Säftecirculation und Blutbildung überhaupt waren. Noch waren die durch GALEN endgültig formulirten Lehren des Alterthums über diese Dinge allgemein in Kraft, denn wenn auch schon 1619 Harvey zum ersten Mal in England die richtige Lehre vom Blutkreislauf vorgetragen hatte, so machte er sie doch erst 9 Jahre später, also erst nach Aseurr's Tode, durch den Druck bekannt, und auch da dauerte es noch an zwei Jahr- zehnte, ehe sie zu allgemeiner Anerkennung kam.

GALENS, noch bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts hinein gültige Vorstellung von der Bildung und Vertheilung des Blutes, war aber folgende!): :

Im Magen und im Darm wird durch die besondern Kräfte dieser Organe die aufgenommene Nahrung gröblich gesichtet und das brauch- bare in Chymus verwandelt. Von da wird es durch die Mesenterial- venen gesammelt und nach der Leber gebracht, in welcher nunmehr, unter dem Einfluss der hier vorhandenen Wärme, die eigentliche Blut- bereitung, die Concoctio sanguinis erfolgt. Allerdings bereiten schon Magen und Darm, sowie ‘die Mesenterialvenen die Hämification vor, allein erst in der Substanz der Leber erreicht diese ihre eigentliche Entwicklung und als Resultat der innern Arbeit erscheint das rothe Blut, das von der hintern Leberfläche an die Hauptader des Körpers, die Vena cava abgegeben wird?) Als Abfall- und Reinigungsschlacken kommen einestheils die gelbe Galle und anderntheils die schwarze Galle (atra bilis sive succus melancholicus) zur Ausscheidung, von denen jene gewissermassen den Schaum (leve et flavum superfluum) darstellt, und in der Gallenblase sich sammelt, während diese den dicken Bodensatz bildet, der durch die Milzvenen nach der Milz ab- fliesst, diese ernährt, dann aber durch besondere Venenkanäle wiederum in den Magen drinst. Die allzureichlichen wässrigen Bestandtheile des frisch gebildeten Blutes aber werden von den benachbarten Nieren angezogen und zur Ausscheidung gebracht. Die Porta Hepatis ist also, wie dies auch schon das früheste vor-hippokratische Alferthum

1) Vergl. hauptsächlich: De usu partium Buch IV: ausserdem B. VI und B. XVII. Beinahe wörtlich dieselbe Darstellung findet sich wieder bei VEsAL, Buch V, Cap. I, nur betreffend den Ursprung der Vena cava aus der Leber, weicht er von GALEN ab.

2) Ipsum autem hepar postquam id nutrimentum accepit a famulis jam prae- paratum et veluti rudem quandam delineationem obseuram speciem sanguinis referrens, inducit ei postremum ornatum ad sanguinis absoluti generationem. De usu part. IV.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems, 131

durch Ertheilung des bezeichnenden Namens ausgedrückt hat, die wirkliche Pforte, durch welche alle Säfte und Materien dringen müssen, bevor sie im Dienst des Organismus Verwendung finden können. Die Vena cava aber erscheint als der Ausgangspunkt, von dem aus allen Körpertheilen die nöthige Nahrung zugetheilt wird (das Vehiculum nutrimenti). Von der Leber aus geht ein Venenast zur oberen, ein anderer zur unteren Körperhälfte und sie ist das Centrum des Venen- systems in gleicher Weise, wie das Herz dasjenige des Arteriensystems und das Hirn das der Nerven ist. Von diesen 3 Centren aus wird überhaupt das gesammte Leben des Körpers regiert. Die obere Hohl- ader setzt sich nach GAuen’s Darstellung im Vorbeigehen an das rechte Herz an, aus welchem die mächtige, zur Ernährung der Lungen be- stimmte Vena arteriosa (unsere Lungenarterie) entspringt. Die Arteria venosa dagegen (unsere Lungenvene) nimmt in den Lungen die nöthigen spiritus salutares auf, und bringt sie nach dem linken Herzen, von wo aus dieselben mit Blut vermengt über sämmtliche Arterien des Körpers sich ausbreiten. Die aus den Lungen aufgenommenen Spiritus sind indess keineswegs identisch mit der durch die trachea in die Lungen gedrungenen Luft, sondern sie sind aus dieser durch die Sub- stanz der Lungen erst vermöge einer weiteren Umwandlung bereitet worden!), und der Nutzen der Lungen liest zum Theil in der Berei- tung jener Spiritus, zum Theil in der Abkühlung des durch Herz und Leber erwärmten Körpers.

Wir haben heutzutage, wo der Gang des Kreislaufs und das Wesen der Athmung so klar vor uns liegen, einige Mühe, uns in die merkwürdig complicirten Vorstellungen der Alten über diese Dinge hineinzuleben, und besonders wird es uns schwer zu verstehen, wie die Alten sich das Zustandekommen der vielen, vom Herzen unab- hängigen Hin- und Herbewegungen des Blutes dachten; allein dieselben waren in der Wahl ihrer Transportmittel durchaus nicht verlegen, bald liessen sie den Organen eine treibende, bald eine anziehende Kraft inne wohnen, je nach Bedarf, und auch den Gefässen selbst wurde vielfach ein activer Antheil an der Flüssigkeitsbewegung zu- geschrieben.

Wenn wir uns den einen Hauptsatz, der noch zu Aseıurs Zeit geltenden physiologischen Lehre gegenwärtig halten, dass aller Nahrungs- stoff den Weg durch die Leber nehmen muss, so dürfen wir uns nicht wundern, dass Aseruı, der Herrschaft einer so mächtigen Lehre folgend,

!) De usu part. Buch VII. 9*

132 Hıs.

auch seine Milchsaftgefässe zur Leber treten liess; er verfolgte die- selben nämlich bis zu dem bei den Fleischfressern an der Wurzel des Gekröses liegenden Drüsenpaket, das er wie manche Anatomen vor ihm als Pankreas!) bezeichnete und das noch heute nach ihm den Namen des Pankreas Aselli führt; in dieses sah er sie mit vielen gewundenen Zweigen einmünden; dann aber treten sie, ihm zufolge, wieder zu grossen Stämmen zusammen, welche zur Porta Hepatis emporsteigen und in die Substanz der Leber sich einsenken. Diese Stämme, welche Aseııı für die Fortsetzungen der Chylusgefässe hält, sind aber nichts anderes, als die Lymphgefässe der Leber selbst, und völlig richtig giebt AseLrı von ihnen an, dass sie eine blasse, oder allenfalls blassröthliche Flüssigkeit führen. Zwar kennt AserLı schon die Klappen, scheint aber gerade für jene oberen Gefässe deren Stellung nicht beachtet zu haben. Seine weiteren physiologischen Vor- stellungen waren folgende: die Mesenterialvenen sollten nur zur Er- nährung der Gedärme dienen, die Milchsaftgefässe aber die eigentlichen Organe der Chymusaufnahme sein, letztere sollten in den Gedärmen mit offenen Mündungen, ähnlich Blutegelmünden anfangen und von schwammigen Anfangstheilen (a spongiosis capitulis) umgeben sein. Die Fortbewegung der Flüssigkeit in ihnen lässt er eine Folge sein, theils von der Treibkraft der Därme, theils von der Saug- und Treib- - kraft der Milchsaftgefässe selbst und vor Allem von der Zugkraft der Leber. In Letzterer liege auch der Grund, weshalb unmittelbar nach dem Tode die Gefässe so rasch sich entleeren. In der Porta angelangt, dringt der Milchsaft aus den geschlossenen Enden der Gefässe in die Lebersubstanz ein und wird nun zur Blutbildung verwendet.

Die grossen Fortschritte, die durch Aseuurs Entdeckung trotz der noch anhaftenden Irrthümer eingeleitet waren, leuchten ein, nichts- destoweniger konnten sie nicht ohne Kampf zur Anerkennung gelangen. Dieselben Männer, welche am lebhaftesten gegen Harvry’s Neuerung auftraten, RıoLan, Prempius und PRIMEROSE, zogen auch gegen AsELLI zu Felde. Weit befremdender aber ist es, dass Harvey selbst, anstatt seiner grossen Reformatorrolle getreu zu bleiben, und den neuen Fort- schritt mit in seine Lehre aufzunehmen, mit seinen eigenen Gegnern Hand in Hand ging, um denselben zu verdammen. Er blieb für die Verkennung der Milchsaftgefässe so zähe, dass er noch kurz vor seinem Tode im Jahre 1655 dieselben als eigenthümliche Organe verwarf, wie dies aus den Unterredungen hervorgeht, die der bereits 77 Jahre

1) Das eigentliche Pankreas bildet er Taf. 11 ab und nennt es pars quaedam carnosa, glandulosa, adiposa, canibus peculiaris.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 133

alte Greis mit M. Bocpan und mit Dan. Horst über den Gegen- stand hatte)).

Trotz dieser Opposition machte die Entdeckung gleichwohl ihren Weg. Schon im Jahre 1628 wurde es möglich die Milchsaftgefässe auch beim Menschen nachzuweisen, bei dem sie AseuLı noch nicht hatte zeigen können. Der Nachweis geschah in Aix auf Veranlassung von PEIRESc, einem für die Fortschritte der Wissenschaft warm sich interessirenden Rathsherrn. Derselbe hatte nämlich durch GassennI von Aserrr’s Entdeckung gehört, er kaufte sofort eine Anzahl von Exemplaren der Aseuur'schen Schrift auf und vertheilte sie unter be- freundete Aerzte; zugleich sorgte er dafür, dass diesen zum Behuf der Auffindung der Milchsaftgefässe ein hingerichteter Verbrecher über- geben wurde, welchem 1!/, Stunden vor seinem Tode eine reichliche Mahlzeit dargereicht worden war?).

Die erste Abbildung der menschlichen Chylusgefässe gab VESLING heraus in seinem Syntagma anatomicum°). Die Abbildung ist sehr hübsch, besonders ist der verschiedenartige Verlauf der Chylusgefässe und der Blutgefässe gut dargestellt, dagegen sind jene Gefässe, wie übrigens auch in der Aserur'schen Abbildung, ohne die Klappen- anschwellungen gezeichnet; sie treten sämmtlich zum ächten Pankreas, zu welchem anderseits auch solche von der Leber ausgehend dar- gestellt sind. Selbst in der spätern Ausgabe vom Jahre 1647 kannte VesLıng den Unterschied des Aserrr'schen Pankreas vom ächten nicht, sondern liess dieses nebst seinem mittlerweile entdeckten Gang zur Ausscheidung der scharfen Säfte des hindurch tretenden Chylus dienen. Uebrigens vermuthet er, dass ein Theil der Chylusgefässe von dem Pankreas aus zur Milz trete, weil jenes Organ so dicht an dieses angelagert sei.

Die Angabe des Aszırı über das Verhalten der, aus seinem Pankreas hervortretenden Chylusgefässe scheint überhaupt verschiedene Anatomen der folgenden 2 Jahrzehnte nicht recht befriedigt zu haben, so schreibt auch Jon. Waräus 1640 in seinem berühmten Briefe an BArTHoLıy de Motu Chyli et Sanguinis®): Per has venas lacteas chylus sursum vergit, quo id modo, res non satis expedita est. Id nobis

1) Bartholin epistol. II, pag. 604 u. 606. Bartholins Antwort an Horst in d. opusc. nov. 1670, p. 384.

2) Vergl. u. A. Pequet in cap. VI seiner unten citirten Schrift.

3) Die erste Ausgabe ist laut HALLER vom Jahre 1641; ich kenne indess blos eine spätere von 1647, sowie die Ausgaben von GERARD BLas, in welch letzterer die Abbildung bedeutend verschlechtert ist.

4) Abgedruckt in Tr. BarTHoLIn’s Anatome reformata.

134 Hıs.

maxime verisimile videtur, quod in magnis macilentisque canibus venaticis animadvertimus, venarum lactearum quasdam ab intestinis uno et continuato ductu in ramum mesentericum, quasdam in ipsam portae venam, in cavam hepatis quasdam, paucissimas quandoque in venam cavam prope emulgentes desinere !).

Ein mächtiger neuer Schritt in der Erkenntniss von der Bedeu- tung der Chylusgefässe geschah im Jahre 1647 mit der Entdeckung des Milchbrustganges durch JoH. PEcQuEr?) aus Dieppe. Allerdings ist PEcQuEr nicht der erste, der jenen Gang gesehn und beschrieben hat, denn schon 80 Jahre vor ihm hat der grosse Anatom EusTAcHtus °) denselben aufgefunden und von seinem Durchtritte durch das Dia- phragma bis zur Einmündung in die Vena subelavia verfolgt, allein die Bedeutung des Kanales ist EusracHı völlig unklar geblieben, er hielt ihn für eine zur Ernährung der Brusthöhle dienende Vene und die späteren haben hiernach EvsrtAcaıs Fund wiederum ganz aus den Augen verloren.

Prcauer, geb. 1622, war zur Zeit seiner Entdeckung Studirender der Medicin in Montpellier und wie AseLLı, so ist auch ihm ein Zufall günstig geweser zur Erreichung der neuen Spur. Munus est, fortunae cum inscio ludentis, sagt er mit grosser Bescheidenheit. Nach Eröffnung eines lebenden Hundes und Herausnahme des Herzens fiel ihm nämlich der Ausfinss einer weisslichen Flüssigkeit aus der Oeffnung der Vena cava auf. Anfangs glaubte er es mit einem ver- borgenen Abscess zu thun zu haben, allein bald überzeugte er sich von der Abwesenheit eines solchen und als er nun die Hohlvenen der Länge nach, vom Diaphragma bis zum Jugulum gespalten, fand er, dass die weissliche Flüssigkeit besonders im oberen Theil sich finde und dass sie in jeder Hinsicht mit dem Mesenterialchylus die grösste Aehnlichkeit darbiete. Bald zeigt sich auch, dass der still- stehende Ausfluss der weissen Flüssigkeit durch Druck auf das. Mesenterium wieder reichlich sich herstellen lässt und endlich erblickt. er die mit Klappen versehenen Einmündungsstellen für jenen Saft,

1) Pag. 535 der Ausgabe von 1660. Auf diesen Angaben beruhen wohl auch diejenigen RıoLan’s in der Ausgabe des Encheiridion von 1649.

2) J. Pzcgurrı, Dieppaei experimenta nova anatomica in quibus incogni- tum Chyli receptaculum et ab eo per thoracem usque in ramos usque subelavios vasa lactea deteguntur. Paris 1651. Abgedruckt in HEMSTERHUYS Messis aurea.

3) EustacHıı opuscula anatomia.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 135

Nachdem ihn einmal die erste Untersuchung soweit geführt hat, wird ein zweiter Versuch an einem wohlgenährten Hund unternommen, um die Bahnen der Chylus in der Brusthöhle zu ermitteln. Nach eröff- neter Brusthöhle und zur Seite gezogener rechter Lunge findet PEcquEr im obern Theil der Brusthöhle einen weissen, einem Chylusgefäss ähnlichen Strang und die anfänglichen Zweifel über dessen nervöse Natur werden bald beseitigt durch Anlegung einer Ligatur, auf welche hin der untere Theil des Stranges mächtig anschwillt und mit Flüssig- keit sich erfüllt. Nach Auflösung der Ligatur sieht PrcauEr die Flüssigkeit in die Vena Cava einströmen. Er verfolgt nunmehr den neuen Gang nach abwärts, findet die erweiterte Einmündungsstelle, das Receptaculum, und führt den Nachweis, dass der Chylus einzig und allein nach diesem und nicht nach der Leber abströmt. Mit dieser Entdeckung erscheint mit einem Schlage jene mächtige alte Lehre von der Blutbereitung durch die Leber gestürzt, welche noch Aserrı und seine Nachfolger von der wahren Bahn des Chylus ab- gelenkt hatte. PEcQuETSs Schrift über den neuen Gang erschien gleich- zeitig mit einer vortrefflichen Arbeit über Blut- und Chylusbewegung im Jahre 1651. Nobile opus, nennt sie HALLER, et inter praecipua saeculi decora. Uebrigens bietet die Entdeckungsgeschichte des PECQUET, wenn auch in anderer Weise als die des Aserrı reiches Interesse, sie vermag nämlich deutlich zu zeigen, in welcher Art wir uns beim Zustandekommen wichtiger Entdeckungen den oft ange- schuldigten Zufall thätig zu denken haben. Es ist ganz richtig, dass ohne die erste Beobachtung Prcaurr vielleicht nicht auf seinen Fund gekommen wäre, allein eben so sicher ist es, dass wohl hundert Andere die Section desselben Hundes hätten machen, ja selbst die- selbe weissiiche Flüssigkeit hätten wahrnehmen können, ohne entfernt zu demselben Schlussresultate zu gelangen wie Prcover. Dadurch erweist er sich gerade als ächter Forscher, dass er die flüchtig zur Beobachtung gelangende Erscheinung sofort in ihrer Wichtigkeit er- fasst, sie methodisch verfolgt und in dieser Verfolgung nicht eher ruht, bis er sie ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt hat.

Die Bahnen des Chylus und die Stellung der Leber zu denselben beschäftigen übrigens als eigentliche Tagesfrage fast alle Anatomen jener Zeit!) und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn zum Theil

1) Wie sehr die Chylusgefässe in jenen Zeiten die Gedanken beschäftigten, ersieht man u. A. auch daraus, dass die Entdecker des Pankreasganges MorITZ HOFFMANN und J. G. Wırsung den im Jahre 1641 aufgefundenen Gang für ein grosses Chylusgefäss ansahen und in ihm die Flüssigkeit vom Darm gegen das

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unabhängig von PEcquErs Entdeckung und noch bevor diese publicirt worden war, die eigentlichen Lymphgefässe aufgefunden und in ihrer Beziehung zu den Chylusgefässen erkannt worden sind. Diese Ent- deckung wird von drei Anatomen beansprucht, vom Engländer JoLYFrF, vom Dänen Tu. BARTHOLINUS und vom Schweden OLAus RUDBECK. Die Geschichte hat den Streit zu Gunsten des letzteren entschieden. Ausgangspunkt der neuen Entdeckung waren für RupBEck jene Lymph- gefässe der Leber, welche Aseurı fälschlich für die Fortsetzung seiner Chylusgefässe gehalten hatte, und welche schon verschiedenen Ana- tomen der nachfolgenden Zeit zum Stein des Anstosses geworden waren. Als 21jähriger Jüngling mit Arbeiten über die soviel dis- cutirten Milchsaftgefässe beschäftigt, fand er nämlich wiederholt, dass nach Anlegung einer Ligatur an den Gefässstrang der Leberpforte die vermeintlichen Chylusgefässe über der Ligatur anschwollen, unterhalb derselben einsanken; mit Wegnahme der Ligatur aber entleerten jene ihren Inhalt nach abwärts. Diese Beobachtung führte ihn zunächst zu Zweifeln an der Aseutr'schen Deutung jener Gefässe, er glaubte Anfangs, dieselben dienten zur Ableitung eines überflüssigen Saftes nach dem Pankreas, von wo aus derselbe durch den Wirsung’schen Gang weggeschafit werde!), und bezeichnete sie daher als ductus Hepatiei aquosi. Mittlerweile gelang es ihm im Jahre 1650 unab- hängig vom PrcquEr, bei einem Kalb den ductus thoracicus und das Receptaculum oder, wie er es nannte, die Vesicula Chyli aufzufinden und durch abwechselndes Anlegen und Auflösen von Ligaturen beim frisch getödteten Thiere den richtigen Lauf des Chylus nachzuweisen. Er gab davon im April 1652 eine öffentliche Demonstration in Gegen- wart der Königin Christine, bei welchem Anlass er erst durch deren Aerzte von der mittlerweile erschienenen Schrift des PEcqvEr erfuhr. Bei dieser Demonstration liess er zwar die Leberlymphgefässe noch im Pankreas enden, bald darauf jedoch gelang es ihm zu zeigen, dass ihr Inhalt gleichfalls nach dem Receptaculum Chyli ausgeführt wird 2). Von anderweitigen Lymphgefässen, die er Vasa glandularum serosa nannte, kannte RUDBECK zu jener Zeit bereits diejenigen des Diekdarms und Mastdarms, diejenigen des Plexus spermaticus, die-

Pankreas strömen liessen, ein Irrthum, der erst durch BArtHoLın berichtigt worden ist.

1) Oraı RupBEeck Nova exercitatio anatomia exhibens ductus hepaticos aquosos et vasa glandularum serosa in Hemsterhuys. Mess. aurea (Die 1. Originalpublication erschien 1653 in Arolsen, nachdem R. schon 1652 eine dissert. de circul. sanguinis herausgegeben hatte.)

2); 1. c. p. 266.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 137

jenigen der Lenden, und die der Brusteingeweide und vordern Brust- wand): ihren Ursprung verlegte er mehrentheils in die Lymphdrüsen, von denen er sie abgehen sah, obwohl es ihm nicht entging, dass auch ein Theil derselben nicht von diesen entspringe. In seiner im Jahre 1653 erschienenen Schrift machte er ausserdem bereits den Versuch, die neue Entdeckung auch pathologisch, insbesondere zur Erklärung des Ascites zu verwerthen.

RupBEck gerieth wegen seiner neuen Entdeckung bald mit Taomas BarTHoLınus in Conflict, der dieselbe Entdeckung für sich in Anspruch nahm. Ta. BarrHouım, geboren 1614, somit 14 Jahre älter als Runpgeck, war der Sohn des Caspar BARTHOLINUS, eines vielseitig gebildeten Mannes, der durch Herausgabe eines Compendiums und anderer Schriften sich auch als Anatom einen Namen gemacht hatte.

Nach gründlichen und vielseitigen Studien, nach reichlichen Reisen durch einen grossen Theil von Europa, sowie nach Erlangung des Doctorhutes in Basel (1645), war B. 1646 nach seiner Vaterstadt Copenhagen zurückgekehrt und hatte hier Anfangs die Professur der Mathematik und bald darauf (1648) auch die der Anatomie versehen. Seine grosse Gelehrsamkeit und ausserordentliche Arbeitskraft, sowie seine zahlreichen durch umfängliche Correspondenz unterhaltenen persönlichen Verbindungen, und die bald heranwachsende Schülerzahl hatten seinen Namen rasch gehoben und in kurzer Zeit erwarb er sich den Ruf des ersten Anatomen seiner Zeit. Es entsprach diesem Namen ein nicht geringes Selbstbewusstsein, welchem er, zum Theil allerdings der Sitte der Zeit folgend, in seinen zahlreichen Schriften und insbesondere in seinen Vorreden auf beinahe komische Weise Luft zu machen gewusst hat?).. Nachdem er sein anatomisches Schrift-

1) Vergl. auch die gute schematisirte Abbildung.

2) In der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Schriften über das Lymph- system Hafn. 1670, heisst es z. B. Nihil vero unguam majori vel invidia vel acclamatione in publieum prolatum memini quam Lymphatica nostra, quae novitate sua et utilitate orbem in se eruditum converterunt. Universis enim facem majoris in re medica et naturali luminis praetulerunt, posteritatis encomio non indigna, ni mea me fallit imago. Seculi ea est felieitas, ut insolita inveni- antur, nostra, quod inquirendi non fatigamur studio. Cum sole quotidiano nova nascuntur, sed omnia lymphis innituntur, quarum fecunda scaturigine irrigati euriosi plus perficiunt, quam egerunt veteres. Laudis pars nobis servata qui fontem salutarem apperuimus ete. In der kleinen Schrift: Vasa lymph. nuper inventa, gratulirt er seinem Vaterland Dänemark zu den vielen von ihm ge- machten Entdeckungen. „Africa quotannis novam procreat feram, veteri Anaxilae verbo ferabatur. Jam in Daniam Africa migravit et laudem illi ambiguam cessit. Ab ostentatione semper fui alienissimus, sed sincere dico, quia laureolam in hoc mustaceo non quaero, rerum mortalium satur et contemtor, si aliis laudum

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stellerthum damit begonnen hatte, das anatomische Compendium seines Vaters (die Institutiones anatomicae) wiederkolt neu aufzulegen, und einige Schriften über pathologische Raritäten zu schreiben, gab er im Mai 1652 seine erste Schrift über die Chylusgefässe heraus‘). Durch seinen Bruder Erasmus war er nämlich mit der‘ neuen Entdeckung Prcquers bekannt geworden, und er beschrieb nunmehr nach eigenen Untersuchungen einlässlich den ductus thoracicus in seinem ganzen Verlauf und mit seiner Einmündung in die linke Subeclavia. In letzterer Hinsicht berichtigte er Prcqauers Angabe, welcher eine doppelte Einmündung des ductus thoracicus als Regel angesehen und abgebildet hatte. BArrHoLm hatte Gelegenheit den neuen Gang auch beim Menschen zu beobachten und gab davon eine Abbildung, die übrigens hinter der fast gleichzeitig erschienenen des vortrefflichen Leydner Anatomen J. v. Horx&£?) an Werth zurücksteht.

In den gesammten, oben erwähnten Schriften BARTHOLINS ist von einer Kenntniss der Lymphgefässe noch keine Spur, zwar sieht er an- gebliche Chylusgefässe am Uterus und an den Lenden, allein er kennt ihre Bedeutung nicht, und hinsichtlich der Leberlymphgefässe ist er noch soweit von einem richtigen Verständniss entfernt, dass er den Chylustrom sich spalten lässt in eine nach der Leber, und eine zweite, nach dem ductus thoracicus (od. den Vasa lactea thoracis) abfliessende Hälfte®). Dem entsprechend lässt er noch die Leber aus dem Chylus Blut bereiten und in diese Rolle mit dem Herzen sich theilen, und er tritt gegen die allzu radikalen Bemühungen PEcqvErs auf, der ver- sucht habe, jene ihres Purpurs völlig zu entkleiden. In der fraglichen Schrift wird ferner noch die Frage einlässlich erörtert, ob Chylusge- fässe zur weiblichen Brust treten; und da über einen derartigen Ver- lauf keine anatomischen Beobachtungen vorliegen, sucht BARTHOLIN durch einige wunderbare Krankengeschichten, sowie durch physio- logische Raisonnements dessen Nothwendigkeit zu beweisen.

Schon ein Jahr nach dem Erscheinen der genannten Schrift gab BARTHOLIN eine zweite Abhandlung heraus unter dem Titel: Tu. BAR- THOLINI vasa Ilymphatica nuper Hafniae in animantibus inventa et

aucupatoribus haec scribendi oblata fuisset et inveniendi materies, non aliena inventa tantopere aut excoluissent, aut pro suis venditassent.

1) De lacteis thoracis in homine brutisque nuperrime observatis Hafniae 1652. Ueber die Chylusgefässe des Gekröses findet sich ein Brief von TH. BARTH. an Ol. Worms vom Jahre 1638 in Epist. cent. I. p. 4.

2) Joh. v. Horve Novus ductus Chyliferus nune primo delineatus. Lug- dun. Batav. 1652.

3) De lact. thor. cap. XV.

Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 139

hepatis exsequiae; sie ist dem alten RıoLanus gewidmet, dessen Oppo- sition der Autor vergeblich durch ein vom 15. Mai 1653 datirtes, vor- bauendes Begleitschreiben zu entwaffnen sucht!). In dieser Schrift tritt BARTHOLIN als völlig selbständiger Entdecker der Lymphgefässe auf, und zwar ist auch er seiner Angabe zufolge von den Leberlymph- gefässen zuerst ausgegangen. Nachdem er nämlich schon früher durch- sichtige Gefässe an der Leber gesehen aber für Chylusgefässe gehalten, giebt er an, mit seinem Freunde MıcHAru Lyser zum ersten Mal den 28. Febr. 1652 gesehen zu haben, dass bei einem Hunde, dessen Chy- lusgefässe mit weissem Inhalt erfüllt waren, die früher für Chylusge- fässe gehaltenen Kanäle der Leber wasserklaren Inhalt führten; ähnliche Gefässe sieht er auch längs der Vena cava inferior verlaufen, er kann sie einerseits zu den Nebennieren, anderseits zum Becken herab ver- folgen, ja beim Ablösen der Glieder trifft er auf gleichartige Gefässe in der Umgebung der Axillarvenee Nunmehr kommt er auch darauf, ein Band um die von der Leber kommenden Gefässe zu legen und überzeugt sich dabei von der Anschwellung der Gefässe oberhalb der Ligatur. Nachdem dies einmal ermittelt, wiederholte er natürlich seine Versuche bei anderen Thieren und kommt zu demselben Resultat. Beim Menschen ist ihm der Nachweis der fraglichen Gefässe zur Zeit seiner Publication zunächst noch nicht gelungen; von demjenigen der sie finden werde, sagt er aber, ei tantum nos debebimus quantum nobis Prcqurrus. Hinsichtlich des Namens, der den neuen Gefässen zu ertheilen sei, ist er Anfangs noch unsicher. Vasa serosa will er sie nicht genannt wissen, weil die von ihnen geführte Flüssigkeit kein eigentliches Serum sei, dagegen könnte man sie Vasa Lymphatica sive aquosa oder auch Vasa cerystallina‘ heissen. Auch über den Ur- sprung der Gefässe ist er unsicher. Exortus est ab extremis partibus seu artubus et visceribus, hepati nempe, vesicula fellis etc. Qua parte v. ex artubus prodeant an a venarum extremis, vel musculis necdum oculus assequi potuit, ob vasorum subtilitatem. Conjecturae si quis locus, a partibus nutritis debent emergere ob usum postea aperendum, quanquam, nec a venis capillaribus impossibilis sit exortus. Den In- halt der Gefässe hält er für das Wasser, welches in den Körperorganen durch deren Kochung vom Blute abgespalten und zur Enährung un- brauchbar befunden worden sei. Es sind dies für jene Zeit gerecht- fertigte Vorstellungen, die BARTHOLIN in späteren Schriften noch mehr präeisirt hat. Nachdem sich BarrHoLım über diese Dinge ausgesprochen,

1) Von diesem kampfsüchtigen alten Herrn sagt HALLER irgendwo: experi- menta ratiocinus volebat evertere, ut nostro etiam aevo fieri solet.

140 Hıs.

kommt er endlich an die Leber, der er noch das Jahr zuvor die Rolle der Blutbereitung gelassen hatte. In einem äusserst drolligen Kapitel, Ex- sequiae hepatis überschrieben, wird der Leber der solange geleistete Dienst in ehrenvoller Weise verdankt, ihr selbst aber das fernere Leben ab- gesprochen, und, um sich nicht der Respectlosigkeit PrcQuers und seiner Anhänger schuldig zu machen, welche die Leber ohne Sang und Klang um ihre Herrschaft hatten bringen wollen, errichtet ihr B. die bekannte Grabschrift!). Siste Viator, Clauditur hoc sub tumulo, qui tumalavit plurimos, princeps corporis tui cocus et arbiter, Hepar, notum saeculis sed ignotum Naturae, quod nominis majestatem et dig- nitatem fama firmavit, opinione conservavit. Tamdiu coxit donee cum cruente imperio se ipsum decoxerit. Abi sine jecore viator bilemque hepati concede ut sine bile bene tibi coquat, illi preceris.

Die erste Auflage der eben besprochenen Schrift BARTHOLINS er- schien in Copenhagen; im gleichen Jahr erschien noch eine 2. in Paris und da BARTHoLm in der Zwischenzeit durch W. Worm (Sohn des Olaus) Rupgecr’s Publication kennen gelernt hat?), so schiebt er seiner neuen Auflage einige Datumangaben ein, welche der ersten Ausgabe gefehlt hatten; er lässt nämlich seine erste Wahrnehmung der Leberlymphgefässe in den December 1651 und die der übrigen Lymph- gefässe auf den 28. Februar 1652 fallen. Es ist dies allerdings auf- fallend, da in seiner im Mai herausgegebenen Schrift der neuen Ge- fässe nicht allein keine Erwähnung geschieht, sondern, da er in ihr, wie wir oben gesehen, noch die Leberlymphgefässe für wirkliche Chylus- sefässe ausgiebt. RUDBECK beschwert sich nun bitterlich über dies Verfahren in einem vom 23. December 1653 datirten ‚Brief an HEMSTERHUYS, den Herausgeber der Messis aurea, und er versucht geradezu nachzuweisen, dass BARTHOLIN diese nachträglich eingescho- benen Datumangaben gefälscht haben müsse, um für seine eigene Ent- deckung die Priorität zu erhaschen. Hierauf antwortet BARTHOLIN nicht selbst, dagegen tritt einer seiner Schüler Marrın BoGDAanus für ihn in die Schranken und überschüttet Rupsgzck mit den heftigsten Vorwürfen aller Art: Er schreibe schlechtes Latein, wisse Nichts von den Alten, und Alles, was er über seine serosen Gefässe behaupte, sei nur einzig und allein dem BARTHOLIN°®) abgeschrieben. RuDBECK‘)

I) SPRENGEL, Gesch. d. Medie. 3. Aufl, IV. 171 setzt irrthümlich diese Grabschrift in die defensio laeteorum ete. contra Riolan.

2) Cf. BartH. Epistol. Cent. II, cap. 34 vom 3. Nov. 1653 aus Leyden datirt, wohin mittlerweile auch RUDBECK gekommen war.

3) Insidiae structae BARTHOLINO vasis ab OLAo RupgeEck. Hafn. 1654.

4) Insidiae structae aquosis ductibus OLar Ruppeckı a Tu. BARTHoLINo.

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Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 141

adressirt seine Antwort auf diese Schmähschrift an BarrHouLın selbst, für dessen Werk er sie hält und weist darin die Unrichtigkeit der ihm gemachten Vorwürfe nach, allein noch einmal wird er von dem BarrtHouiv’schen Klopffechter Bocpanus misshandelt und als Klügerer schweigt er endlich, wie es ihm v. Horse schon das erste Mal ge- rathen hatte. Lis utrinque inciviliter gesta est, sagt HALLER von dem ganzen Handel, eine Bemerkung, welche für manchen seitdem geführten Prioritätsstreit ihre Wahrheit behält.

In dem ganzen Streit hatte BARTHOLIN vor dem erst 22jährigen Rupseck den grossen Vorsprung des bereits gemachten Mannes und des mächtigen Lehrers. Ohne sich persönlich zu vergeben, konnte er seine Schüler für sich ins Gefecht schicken und in der That hörten diese nicht auf, des Meisters Lob zu verkünden und noch nach Jahren den Gegner in der plumpsten Weise herabzusetzen. So z. B. schrieb noch 1658 G. SEGER in einer Schrift de quidditate et materia Lymphae Bartholinianae (Hafn. 1658) von RuDBEcK, er sei egregius inventi Bartholiniani transseriptor, qui in barbara exereitatione sua nullam exactam quidditatis aut materiae mentionem fecisset. Erst wird er verhöhnt, dass er auf die 2. Schrift des Bo@pawus nicht gewagt hätte zu antworten, und dann droht ihm SEGER, es würden die treuen Schüler BarrHouıw’s die Angriffe auf ihren Meister niemals ungerächt lassen, id quod ei candide praedicimus, ut modeste experimentalem quam crepat, Philosophiam corradat.

RupgEck hat nach seinen ersten beiden Schriften nicht mehr viel über Lymphgefässe geschrieben, ein Brief an BArTHoLIN de vasis serosis vom Jahre 1657 wird zwar citirt, dagegen scheint er wenig bekannt, da ihn sogar HALLEerR nur aus dem Citate kennt. Dafür er- schien 1661 eine unter seinem Präsidium gearbeitete Disputation von Or. FrogErivs!), in welcher ausser den bereits bekannten Localitäten, an welchen Rupgzck Lymphgefässe schon früher beschrieben hatte (der Leber, den Bauchmuskeln, der Umgebung der Schenkelgefässe, dem Mediastinum und Pericardium, dem Oesophogus, dem Herzen, den Lungen, dem ligam. susp. hepatis, dem Magen, der Milz, den Hoden und Eierstöcken, dem Uterus und den Lenden), noch als neue Localitäten hinzugefügt werden die Zunge, die Halsdrüsen, das Dia-

Das wichtigste Actenstück dieser Schrift ist wohl das Schreiben des allgemein geachteten Anatomen v. HoRNE, das allerdings ganz zu Gunsten RUDBECcK’s ge- halten ist.

) De sero ejusque vasis. Abgedruckt in HaLLEr’s disputat. anatom. select. Bde VII: p. 285.

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phragma und die Intereostalräume). Hierüber werden auch Abbil- dungen mitgetheilt und einige Bemerkungen über die physiologische Bedeutung der Lymphe, sowie über ihr Verhalten in Krankheiten bei- gefügt, diese letzteren sind indess ziemlich unbedeutend. Noch fehlt bei RuDBECK wie bei seinen Zeitgenossen überhaupt die auf chemisches Verhalten begründete Unterscheidung der verschiedenen wässerigen Flüssigkeiten des Körpers. Speichel, Schweiss, Lymphe u. s. w. werden als gleichwerthige Flüssigkeiten behandelt. Aeusserst eifrig erweist sich BArTHoLIN in Vertheidigung der neu entdeckten Gefässe; ein im Jahre 1670 herausgekommenes Bändchen ?) umfasst nicht weniger als 14 auf den Gegenstand Bezug habende Aufsätze, welche er von 1652—1670 hatte erscheinen lassen. Trotz ihrer grossen Zahl ent- halten sie nur weniges von neuen anatomischen Untersuchungen. Es finden sich nämlich einmal in der Schrift de lacteis thoracis Mit- theilungen über die Milchgänge und über die Lymphgefässe der Brust- drüse und dann in der Schrift vasa lymphatica in homine nuper de- tecta (1654 zuerst erschienen), eine mit gewohnter Selbstgefälligkeit gegebene Darstellung von der Wahrnehmung der Leberlymphgefässe bei einer menschlichen Leiche. Die übrigen von 1654 an erschienenen Aufsätze Barruoums über Chylus- und Lymphgefässe sind Streit- schriften gegen RıoLan, Harvey, Guisson und Andere und vor allem gegen den unglücklichen Freiherrn von Brus, welcher unter dem Vorgeben von allerlei schwindelhaften Entdeckungen die Leber wieder als blutbildendes Organ hatte restituiren wollen. Diese Streitschriften enthalten viele physiologische Bemerkungen, indess kennt auch Bar- THOLIN keine Unterscheidung der farblosen Körpersäfte.e Noch im Jahre 1660 hält er den von Wuarton entdeckten Speicheldrüsengang für ein Lymphgefäss und spricht von der aus ihm auspressbaren Lymphe. Von Interesse ist die genauere Präcisirung der Ansicht, die sich BArtHoLın von der Bildung der Lymphe macht. Im Spieilegium I gegen GLisson spricht er sich nämlich dahin aus: es müsse das arterielle Blut die Lymphe bereits präexistent enthalten, unter anderen minder gewichtigen Gründen führt er auch den an, dass das durch Arteriotomie entleerte Blut beinahe doppelt soviel Serum abscheide, als das venöse. Igitur aqua in arteriis praeexistet, licet tam pura non sit et limpida, servat tamen aquae conditionem hie et ibi. Purior

1) Für seine Erweiterung der Lymphgefässkenntnisse wird RUDBECK sogar von BArTHoLIn becomplimentirt. Spieileg. II, cap. VI (1660).

2) Tu. BARTHOLINI opuscula nova anat. de lacteis thoracis et lymphatieis vasis. Hafn.

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Ueber die Entdeckung des Lymphsystems. 143

et defaecatior cernitur in Lymphae ductibus, quia percolata fuit per viarum anfractus, per parenchymata, per vasorum anastomoses, sicut per arenosam terram et saxa in puteis fluminibusque dulcescit et clarior decurrit aqua.

Zum Schlusse müssen wir noch des 3. Anatomen gedenken, der als selbstständiger Entdecker der Lymphgefässe genannt worden ist. Es ist dies ein englischer Arzt JoLyrr, der zwar selber nichts ge- schrieben hat, von welchem aber seine Landsleute WHARTON, GLISSON und CHARLETON behaupten, dass er noch vor RUDBECK und BARTHOLIN die Lymphgefässe gekannt hätte. WHrarTon nämlich in seiner 1656 erschienenen Adenographie !) giebt ganz beiläufig an, sein College JOLYFF hätte die Lymphgefässe schon 1650 gefunden, wogegen GLISSON in etwas einlässlicherer Weise meldet ?), es hätte ihm im Juni 1652 JOLYFF die fraglichen Gefässe an der Leber zuerst gezeigt und zugleich mitgetheilt, ein mit farbloser Flüssigkeit gefülltes Gefässsystem finde sich in den meisten Theilen des Körpers®). Es ist schwer, sich auf die etwas unbestimmte Angabe hin ein Urtheil zu bilden, wie weit die Kenntnisse JoLYFFs gegangen sind; soviel ist jedenfalls sicher, dass er seine Entdeckung nicht weiter zum Nutzen der Wissenschaft verwerthet hat und insofern ist diese auch völlig berechtigt, ihn RuDBEcK und BARTHOLIN hintanzusetzen.

1) WaaArton, Adenographia. London, 1656, p. 97 und 98.

2) F. Glisson Anatomia hepatis ed. Hagae Com. 1681, p. 819.

3) Addebat porro se in compluribus animalibus eorundem ductum investi- gasse, in artubus scil. testiculis, utero, aliisque partibus certoque sibi constare, liquorem in iis versus mesenterium tendere, et particulatim ad initium sive ra- dicationem ejus.

Drusk von Metzger & Wittig in Teipzig.

Zur Mechanik des Brustkastens.

Von A. W. Volkmann.

Die Mechanik des Brustkastens ist schon oft, und auch von sach- kundigen Männern, bearbeitet worden, gleichwohl findet sich in diesem Abschnitte der Physiologie noch so viel Unfertiges, dass es nicht über- flüssig sein dürfte, auf den Gegenstand zurück zu kommen. Bekannte und unbestrittene Verhältnisse sollen nur, wo es der Zusammenhang der Darstellung erfordert, kurz berührt werden.

Die Bewegungen des Brustkastens beruhen zunächst auf einer abwechselnden Hebung und Senkung der Rippen. Jedes zusammen- gehörige Rippenpaar bildet einen mehr oder weniger vollständigen Ring, welcher an der Wirbelsäule beweglich befestigt ist. Genügte es, von der Lage und Bewegung der Rippen eine ungefähre Schilde- rung zu geben, so könnte man sagen, jeder Rippenring liegt in einer nach vorn und unten geneigten Ebene und dreht sich um eine durch die Köpfchen beider Rippen geleste Querachse derartig, dass die Ebene, in welcher er liegt, sich beim Einathmen mehr einer wagerechten, beim Ausathmen mehr einer senkrechten Ebene nähert.

Schon diese oberflächliche Darstellung macht begreiflich, dass sich der Hohlraum, welchen die Rippenringe einschliessen, beim Ein- athmen erweitere und beim Ausathmen verengere.

Untersucht man die Einlenkung der Rippen genauer, so findet sich, dass man bei der Annahme einer einfachen Drehachse für einen Rippenring nicht stehen bleiben könne, vielmehr besitzt jede der beiden zusammengehörigen Rippen eine besondere Achse, deren Richtung von hinten und aussen, nach vorn und innen geht.

Hieraus ergiebt sich ohne Weiteres, dass, wenn der Rippenring ein starres Ganze bildete, überhaupt jede Athembewegung unmöglich

sein würde, indem gerade die Bewegung, welche die eine Achse forderte, Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 10

146 VOLKMANN.

die der anderen Körperseite verhindern müsste. Indess besteht der Rippenring nicht aus einem starren Ganzen, sondern aus verschiedenen, beweglich verbundenen, und, was die Knorpel- anlanst, biegsamen Theilen.. Aus dem Allen erhellt, wie HELMHOLTZ zeigte, dass die Bewegung des Brustkastens sich nicht auf ein einfaches Heben und Senken der Rippenringe beschränke, sondern wesentlich auf Gestalt- veränderungen derselben beruhe.

Sollen die Vorgänge der Athembewegung auf mechanische Prin- cipien zurückgeführt werden, so müssen die Drehachsen des Rippen- ringes gegeben sein, doch bestehen über die Lage derselben noch Meinungsverschiedenheiten. Die Mehrzahl der Anatomen nimmt an, dass die Richtung der Achse nahezu der Richtung des Rippenhalses entspreche. Als anatomische Grundlage dieser Annahme hat man die doppelte Gelenkfläche der Rippe, an deren Köpfchen und Höcker, betrachtet. Diese Flächen sind offenbar nur kleine Bruchstücke der Rotationsfläche, um deren Achse die Rippe sich dreht, und würde also der anatomische Nachweis der Achsenlage davon abhängen, dass aus den gegebenen Bruchstücken der Gelenkfläche der fehlende Rest er- mittelt würde.

Unzweifelhaft bildet der in Rede stehende Rotationskörper einen Kegel, dessen Spitze im Scheitel des Rippenköpfchens und dessen Basis im Querschnitt des Höckers liegt. Fraglich ist nur die Grösse seiner Basis, für deren Bemessung keine festen Anhaltspunkte vorliegen. MEISSNER hält dieselbe für sehr klein, H. MEyER für sehr gross. Nach Ersterem könnte die Achse des Kegels, mit der des Rippenhalses zu- sammenfallen, nach Leizterem liest sie vor dem Halse, und bildet mit diesem einen ansehnlichen Winkel.

Ich habe den misslichen Versuch, die Lage der Achse aus anato- mischen Untersuchungen abzuleiten, ebenfalls gemacht, und möchte, in Folge derselben, mich der üblichen Vorstellung anschliessen, dass die Richtung derselben sich von der des Rippenhalses nicht erheblich entferne. Die Versuche sind in folgender Weise angestellt worden.

Ich befestige einen Wirbel in der Lage, welche ihm bei aufrechter Stellung des Körpers zukommt, auf einem Tische, und spanne über demselben zwei feine Fäden in der Weise aus, dass jeder Faden den Mittelpunkt der fovea costalis am Wirbelkörper, und das scheinbare Centrum der Basis des kegelförmigen Rotationskörpers schneidet. Diese Fäden kreuzen sich über dem Wirbelkörper, bald mehr im hinteren, bald mehr im vorderen Theile desselben, und bilden einen leicht mess- baren Winkel. Halbirt man diesen, so erhält man den Winkel, unter welchem die Drehachse die Medianebene schneidet. Eine Versuchs-

Zur Mechanik des Brustkastens. 147

reihe, welche nach dieser Methode ausgeführt wurde, ergab folgende Resultate:

Winkel \ unter welchem beide unter welchem die Drehachse Rippe. Achsen sich kreuzen. die Medianebene kreuzt. 1 162° & 81° 2 128° 64° b) 1252 G2730% 4 111° 590.304 5 108° 54° 6 109° 94930% 7 109° 54° 30° 8 88 44° 9 3 46° 10 88° 44°

Die grosse Unsicherheit solcher Messungen liest auf der Hand, doch will ich bemerken, dass in allen meinen Versuchen die Grösse der Kreuzungswinkel von der 1. Rippe gegen die 10. auffallend ab- nahm, ungefähr um das Doppelte. Eine solche Abnahme der Winkel von oben nach unten beobachtete auch MEISSNER!), welcher, wie ich glaube, mit vollem Rechte die Veränderung in der Lage der Drehachse von der veränderten Richtung der Querfortsätze, und also auch der Rippenhälse ableitet.

In Uebereinstimmung mit diesen Ergebnissen sind die wichtigen Versuche von HENKE?), welche ich bestätigen kann. Wenn man in die Rippe eines frisch präparirten Brustkastens, transversal durch die- selbe, einen Stift steckt, so beschreibt derselbe bei künstlicher Respi- ration, eine bogenförmige Bewegung, den einzigen Fall ausgenommen, wenn man ihn im tuberculum costae in der Richtung des Rippenhalses einführt. Gelinst es dem Stifte diese Richtung zu geben, so steht er bei der Athembewegung fast vollständig still, ein Beweis, dass er ganz nahe der Drehachse, und diese selbst im Halse der Rippe liege.

Unter diesen Umständen kann ich mich der Meinung H. Meyer’s nicht anschliessen, dass man, vorläufig ohne bemerkenswerthen Fehler, die Achse zweier auf gleicher Höhe liegenden Rippen, als ein con-

1) Zeitschrift für ration. Mediz. 1857. Jahresbericht über die Fortschritte der Physiolog. im Jahre 1856 $. 486. ?) Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. Leipzig und Heidelberg 1863 S. 78, 10*

148 VOLKMANN.

tinuum ansehen könne, welches gradlinig und in frontaler Richtung durch die Köpfchen derselben hindurchsetze').

Meines Erachtens sind Versuche, wie die von HENKE angestellten, allein schon ausreichend zu beweisen, dass die Drehachsen der Rippen unter spitzen Winkeln die Medianebene schneiden, und dass die Kreuzungswinkel von oben nach ‚unten, entsprechend der veränderten Lage der Querfortsätze und Rippenhälse, immer spitzer werden. Es bleibt nur noch übrig, die Grösse dieser Winkel genauer, als die bis- herigen Versuchsmethoden erlaubten, zu bestimmen.

Um diesen Zweck zu erreichen, habe ich Versuche angestellt, zu deren Verständniss einige Vorbemerkungen nöthig scheinen.

Man denke sich das Object der Beobachtung sei ein menschlicher Körper in aufrechter Stellung. Eine Rippe sei frei gelegt, und auf derselben ein Punkt bezeichnet, dessen Bewegung während des Athmens beobachtet werden soll. Da dieser Punkt um die Drehachse rotirt, so wird das Auge des Beobachters, wenn es sich in der Fortsetzung der Rotationsebene befindet, nicht eine bogenförmige, sondern eine grad- linige Bewegung wahrnehmen. Fügen wir hinzu, dass die gradlinige Bewegung eine senkrechte sein müsste, wenn die bezügliche Drehachse in einer wagerechten Ebene läge.

Gesetzt nun, es gelänge die Versuchsbedingungen in der eben angegebenen Weise zu gestalten, so würde sich die Lage der Drehachse in dem beobachteten Individuum auf folgende Weise bestimmen lassen. Der Beobachter verzeichnet auf der Tafel eines vor ihm stehenden Tisches seine Visirlinie, und zieht durch diese rechtwinklig eine zweite Linie, welche offenbar der Richtung der gesuchten Drehachse entspricht. Denn da die Visirlinie in der Fortsetzung der Rotationsebene liegt, welche ihrerseits rechtwinklig von der Drehachse geschnitten wird, so muss eine Linie, welche rechtwinklig die Visirlinie schneidet, der Drehachse parallel sein. Ist der Versuch so weit eingeleitet, so braucht man der Zeichnung nur noch eine dritte Linie hinzu zu fügen, welche der Medianebene parallel läuft und die eben erwähnte zweite Linie schneidet. Man erhält dann den Winkel, welchen die Drehachse mit der Medianebene einschliesst, einen Winkel, den ich kurz den Kreu- zungswinkel der Drehachse nennen und im Folgenden mit ww bezeich- nen werde.

Dies die Grundidee meiner Versuche, die nun ausführlich beschrie- ‚ben werden sollen.

I) Die Statik und Mechanik des menschl. Knochengerüstes 1873 8. 258.

Zur Mechanik des Brustkastens. 149

Die Beobachtungen wurden an der Leiche eines kräftigen Mannes, selbstverständlich nach dem Verschwinden der Todtenstarre, angestellt. Durch Entfernung der Haut und der oberflächlichen Muskeln waren (die echten Rippen frei gelegt. Den Kopf hatte ich, unter dem zweiten Halswirbel, abgeschnitten. Die Leiche wurde auf einem Stuhle mit hoher, senkrechter Lehne in aufrechter Richtung zum Sitzen gebracht, und mittels Stricken, welche um die Oberschenkel des Cadavers und (den Sitz des Stuhles gewunden waren, unverrückbar befestigt. In die Halswirbel war ein hölzerner Stab mit Gewalt eingezwengt, welcher zur weiteren Befestigung der Leiche, und namentlich zur Sicherung der graden Richtung des Rumpfes dienen sollte. Die senkrechte Lehne des Stuhles, welche dem Rücken des Körpers zur Stütze diente, war nämlich galgenartig gestaltet, so dass ein horizontaler Arm derselben einige Zolle über dem durchschnittenen Halse zu liegen kam. Dieser horizontale Arm war nach vorn hin gäbelförmig gespalten, und der in die Halswirbel eingezwengte Stab liess sich in die Oeffnung der Gabel einklemmen. Durch diese Vorkehrungen war die Stellung der Leiche eine so feste, dass sie durch Verrücken des Stuhles, und durch Stösse an denselben, nicht im mindesten verändert wurde.

In einer Entfernung von ungefähr acht Fuss von der Leiche, halb vor ihr, halb neben ihr, sass der Beobachter, einen Tisch vor sich. Auf der mit weissem Papiere beklebtem Tischplatte war eine Visir- linie verzeichnet, in welcher ein Diopter und ein Bleiloth angebracht waren. Die Stärke des Lothfadens betrug 0,18”", seine Entfer- nung vom Auge reichlich 1 Fuss. Auf die Rippe, deren Achse bestimmt werden sollte, klebte ich eine weisse Marke, von der Grösse eines Groschens, in deren Mitte ein runder schwarzer Punkt, von 3” Durchmesser, angebracht war. Die auf dem Stuhle sitzende Leiche wurde nun so gestellt, dass diese Marke in die Visirlinie zu liegen kam.

Um Athembewegungen hervorzubringen, war in die trachea eine Röhre eingebunden, welche mit Hülfe eines Hahnes beliebig geöffnet und geschlossen werden konnte. Die Inspirationsbewegungen wurden dadurch hergestellt, dass ein Assistent die Lunge des Cadavers kräftig aufblies, und, nachdem dies geschehen, den Hahn der Röhre schloss. Die mit dem Verschlusse entstehende Ruhe begünstigte die Genauigkeit der Beobachtungen, welche constatiren sollten, ob das Centrum des schwarzen Punktes, auch nach dessen Aufsteigen, genau vom Pendel- faden geschnitten werde. Nachdem dies ermittelt worden, wurde der Hahn geöffnet, und hiermit Gelegenheit gewonnen, den Versuch bei absteigender Rippenbewegung zu wiederholen und zu controfliren.

150 VOLKMANN.

Die Herstellung einer solchen Richtung der Leiche, dass der auf der Rippe angebrachte schwarze Punkt genau in der Visirlinie liest, hat keine Schwierigkeit. Da nämlich jeder Punkt der knöchernen Rippe um die Drehachse rotirt, so kann man, wenn die der Rippe angeheftete Marke nicht genau in die Visirlinie fallen sollte, die Marke so verschieben, dass das Centrum des schwarzen Punktes genau vom Lothfaden geschnitten wird. Dagegen ist es ungemein schwierig, der Leiche die Stellung zu gehen, in welcher der fixirte schwarze Punkt beim Auf- und .Absteigen der Rippe die Richtung des Lothes genau einhält. Es sind mir Fälle vorgekommen, wo der fixirte Punkt fast um 1 ““ nach links oder rechts vom Lothe abwich, und können 100 und mehr Correcturen, in der Stellung der Leiche, erforderlich sein, ehe man die rechte Lage trifft. Die letzten und feinsten Correc- turen liessen sich nur dadurch herstellen, dass mit einem Hammer mässige Schläge an das eine oder andere Stuhlbein gegeben wurden, um auf diese Weise minimale Drehungen der Leiche hervorzubringen.

In allen Fällen gelang es schliesslich eine Stellung zu beschaffen, bei welcher der fixirte schwarze Punkt in grösster Genauigkeit der Richtung des Lothes folgte. Dies beweist aber, dass die Drehachse in allen von mir untersuchten Fällen, nämlich in der 1., 3., 5. und 7. Rippe eine horizontale Lage hatte.

Dies Resultat ist sehr überraschend. Da die Wirbelsäule im Brust- kasten sich nach vorn concav gestaltet, so neigen die Körper der obern Wirbel nach unten, während die der unteren eine Richtung nach oben haben. Dies hat zur Folge, dass die Querfortsätze der oberen Brust- wirbel etwas aufwärts, die der unteren etwas abwärts gerichtet sind, und sollte man meinen, dass die Rippenhälse und mit ihnen die Dreh- achsen, sich dieser Richtung der Querfortsätze anschliessen müssten).

Die vorerwähnten Versuche widersetzen sich dieser Annahme, und ist es, bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Gegenstandes, noth- wendig, die Zuverlässigkeit meiner Beobachtungen genau zu prüfen.

In meinen Versuchen verlange ich nicht nur, dass der fixirte Punkt der Rippe der Richtung des Lothes folge, sondern ich verlange auch, dass der feine Faden des letzteren das Centrum dieses Punktes schneide. Mit anderen Worten, ich verlange, dass von dem schwarzen Punkte, während der ganzen Dauer seines Aufsteigens, der zur Linken

l) MEIssneR hat angenommen, dass die Drehachsen von hinten und oben nach vorn und unten neigen, und dass diese Neigung von den oberen Rippen gegen die unteren zunehme. Conf. Jahresberichte für die Fortschr. der Physiolog. im Jahre #856 S. 487. Für diese Annahme wüsste ich keinen Grund zu finden.

Zur Mechanik des Brustkastens. 151

des Fadens liegende Theil, mir eben so gross erscheine, als der zur Rechten liegende. Ich will nun zeigen, in wie weit solche subjective Gleichschätzung zweier gegebenen Grössen, im vorliegenden Falle, zu einem falschen Schlusse führen könne.

Da die Entfernung des fixirten schwarzen Punktes acht Mal grösser ist, als die des Lothfadens in der Visirlinie, so müsste der Punkt, wenn er vollständig vom Faden gedeckt werden sollte, acht Mal grösser im Durchmesser sein, als letzterer. Er müsste einen Durchmesser von 8x0,18%0 1,44”” haben; er hat aber einen Durchmesser von zum, Hieraus ergiebt sich, dass, wenn der Faden das Centrum des schwarzen Punktes schneidet, zu jeder Seite desselben 0,78" des Punktes unbedeckt bleiben. Gesetzt also, der Punkt wiche, bei schein- bar senkrechten Aufsteigen !/,”"® vom Lothe ab, so würde auf der einen Seite des Fadens ein schwarzes Object von 0,28”, auf der andern ein solches von 1,28”® Durchmesser gelesen haben. Nach meinen früheren Versuchen, über die Unterscheidbarkeit von Grössen- differenzen, ist es ganz unmöglich, zwei so verschiedene Grössen für gleich zu schätzen. Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass ein Abweichen des fixirten Punktes um !/,””" vom Lothe mir hätte entgehen können, würden die aus meinen Beobachtungen abgeleiteten Schlüsse wesentlich dieselben bleiben. In meinen Versuchen erhob sich nämlich der fixirte Punkt um 10—20"®%,. Nehmen wir den für mich ungünstigsten Fall, er habe sich um 10"® erhoben, so würde, wenn wir den Winkel, welchen die von mir für senkrecht gehaltene Linie mit dem Lothe einschliesst, mit x bezeichnen,

-

0.5 3 5 jo m = tang x, und x nur 51‘ sein.

Die horizontale Lage der Drehachsen muss ich hiernach für erwiesen halten, obschon ein so gründlicher Sachkenner wie FREUND ein anderes Lagenverhältniss speciell beschrieben hat!).

Zu bemerken ist noch, dass die oben erwähnte Richtung der Querfortsätze, welche in den drei oberen Rückenwirbeln eine aufstei- gende, in dem sechsten bis neunten eine absteigende ist, nicht über die Richtung des Rippenhalses, und noch weniger über die der Dreh- achse entscheide. Da nämlich die beiden kleinen Gelenkflächen der Rippe zu einem konischen Rotationskörper gehören, und da die Basis des conus im Querschnitte des Rippenhöckers liegt, so muss die Lage

!) Dr. W. A. FREUND in seiner sehr beachtenswerthen Schrift: Der Zu- sammenhang gewisser Lungenkrankheiten mit primären Rippenknorpelanomalien. Erlangen 1859.

152 VOLKMANN.

je

der Drehachse, als zusammenfallend mit der Kegelachse, davon abhängen, ob der Rippenhöcker mehr am unteren oder am oberen Rande des Querfortsatzes schleift. Im ersten Falle würde die Achse tiefer, im zweiten höher liegen müssen, als der Querfortsatz, und durch solche Differenzen in der Lage der schleifenden Stelle, mag der horizontale Parallelismus der Drehachsen trotz der Divergenz der Querfortsätze erhalten werden. In der That verändert die am Querfortsatze befind- liche ineisura tubercularis in auffälliger Weise ihre Lage. Die Con- cavität derselben ist in den obersten Rückenwirbeln nach vorn und unten, im sechsten bis neunten Rückenwirbel auffällig nach oben ge- richtet, morphologische Unterschiede, welche zur Herstellung horizon- taler Drehachsen sehr gut passen.

Ich kehre nun zur Beschreibung meines Versuches zurück. Vor dem Cadaver ist ein grosser Tisch aufgestellt, genau so hoch wie der Tisch, hinter welchem der Beobachter sitzt, und an denselben anstossend. Auf diesem Tische liegt ein Parallellineal von zwei Meter Länge, mit beweglichen Verbindungsstücken von ein Meter Länge. Das grosse Instrument wird so gerichtet, dass das eine Lineal in die Fortsetzung der Medianebene des Cadavers zu liegen kommt, worauf seine Lage durch aufgesetzte Gewichte gesichert wird. Ist dies geschehen, so wird das andere, also bewegliche Lineal, auf den vor dem Beobachter befindlichen Tisch hinübergeschoben, um mit Hülfe desselben eine der Medianebene Parallele zu ziehen, welche die auf der weissen Tafel verzeichnete Visirlinie schneidet. Da nun, wie oben erörtert, eine Linie, welche rechtwinklig zur Visirlinie verläuft, der Lage der Dreh- achse entspricht, so braucht man schliesslich nur eine solche Linie zu ziehen, und bis zu der eben besprochenen Parallele der Medianebene zu verlängern, womit man den Winkel erhält, welchen die Drehachse der Rippe mit der Medianebene des Körpers einschliesst.

Das Resultat meiner Beobachtungen war folgendes:

Grösse des Kreuzungswinkels der Dreh- achse mit der Medianebene =

Rippe. beobachtet. im Mittel. 1 Oo ıı 73°, 30° 3 65°, 64° 64°, 30° 5 63°, 580, 581,0 599, 50°

N 45°, 50°, 52°, 53° 50°

Diese Werthe entfernen sich von denen, welche ich aus der Ge- stalt und Lage der Gelenkflächen abgeleitet habe (S. 147) kaum mehr,

Zur Mechanik des Brustkastens. 153

als dies in Folge individueller Verschiedenheiten erwartet werden durfte.

Ich will noch bemerken, dass die in der vorstehenden Tabelle verzeichneten einzelnen Beobachtungen überall auf einer neuen Fest- stellung des Cadavers, gegenüber dem Beobachter und seiner Visirlinie, beruhen. Nur in solchen umgestalteten Versuchen schwanken die gefundenen Winkelwerthe. Schien die richtige Stellung der Leiche gefunden, so wurden wieder verschiedene Beobachtungen gemacht, nicht nur bei Inspiration und Exspiration, sondern auch von verschiedenen Beobachtern, nämlich von mir und meinem sehr scharf sehenden Assistenten. In diesen Beobachtungen kamen Differenzen überhaupt nicht vor.

Im Allgemeinen hat sich also ergeben:

1. Die Drehachsen der Rippen liegen höchst angenähert in

Horizontalebenen.

2. Die Drehachsen verlaufen von hinten und aussen nach vorn und innen, so dass sie sich von der Frontalebene bedeutend entfernen.

3. Der Kreuzungswinkel der Drehachsen mit der Medianebene, wird von oben nach unten auffallend kleiner.

In Bezug auf diese drei Punkte findet zwischen den Resultaten der anatomischen Untersuchung und des physiologischen Experimentes eine sehr befriedigende Uebereinstimmung statt. In wie weit die von mir gefundenen Mittelwerthe der Kreuzungswinkel als normale gelten können, werden wiederholte Versuche zu entscheiden haben. Die Differenzen der von mir selbst beobachteten Werthe beruhen wahr- scheinlich auf zwei Fehlerquellen, deren vollständige Umgehung kaum möglich sein dürfte. Nämlich einmal ist die Erhebung der Rippen zu gering, um die Richtung ihrer Bewegung mit absoluter Genauigkeit zu beurtheilen, und andrerseits beruht die Einstellung des Parallellineales in die Medianebene auf einer zu unsicheren Schätzung.

Ist die Richtung der Drehachsen der Rippen einmal festgestellt, so ergeben sich gewisse Schlussfolgerungen auf die Mechanik des Brustkastens ganz von selbst.

1. Da die Drehachsen der Rippen weder eine frontale noch sagittale Lage haben, so können auch die Rotationsebenen ihrer Sternalenden weder eine sagittale noch frontale Richtung, sondern nur eine zwischen diesen liegende schiefe haben. Hieraus ergiebt sich sofort, dass mit der Hebung der nach unten hängenden knöchernen Rippen, gleichzeitig eine Entfernung ihrer Sternalenden von der hin- teren Rückenwand, und eine Entfernung von der Medianebene des

154 VOLKMANN.

Körpers verbunden sein müsse, also Vertiefung und Verbreiterung des Brustkastens.

2. Da die Richtung der Drehachsen in den oberen Rippen relativ mehr frontal, in den unteren relativ mehr sagittal ist, so müssen die Sternalenden der oberen Rippen sich relativ mehr nach vorn, die der unteren Rippen relativ mehr seitwärts bewegen. Mit anderen Worten die oberen Rippen werden vorwiegend die Vertiefung, die unteren vorwiegend die Verbreiterung des Brustkorbes vermitteln.

3. Da die knöckernen Rippen durch die ungleiche Lage der Drehachsen zu verschiedenen, und durch ihre Verbindungen mit dem Brustbeine zu gleichzeitigen und gleichartigen Bewegungen genöthist werden, so müssen in den nachgiebigen Knorpeln Torsionen entstehen, Spannungen, die, obschon von vorn herein verschieden nach Art und Grösse, doch zu einer elastischen Ausgleichung gelangen müssen, so dass eine bestimmte Widerstandsgrösse entsteht, welche die Bewegungen des Brustkastens im Ganzen behindert.

4. Da jeder Punkt einer Rippe, so weit die Bewegung dieser von ihrem Charnier abhängt, sich im Kreise um deren Drehachse bewegt, so kann die Grösse und Geschwindigkeit der Bewegung an verschiedenen Punkten der Rippen nicht dieselbe sein, vielmehr müssen beide sich verhalten wie die radii vectores der betreffenden Punkte, d. h. wie deren senkrechte Abstände von der Drehachse. In Betracht, dass die Rippe einen Bogen, ihre Drehachse dagegen eine Gerade darstellt, müssen die radii vectores, vom Rippenhalse an bis zum Brust- beine, eine Zeit lang wachsen und nachmals wieder abnehmen. Dieses für die Mechanik des Brustkastens fundamentale Gesetz musste so lange verkannt werden, als man den Drehachsen der Rippen eine fron- tale Richtung zuschrieb, und demgemäss ein stetiges Wachsen jener Radien mit einem Maximum im Brustbeine anzunehmen genöthigt war.

5. Die Bewegungen des Brustkastens können nicht einfache Consequenzen der Achsendrehung der Rippen sein. Denn da die Dreh- achsen sich kreuzen, indem sie von der rechten Körperhälfte zur linken, und umgekehrt von der linken zur rechten sich fortsetzen, so ist ein- leuchtend, dass, wenn es sich einfach um Achsendrehung handelte, mehr als der halbe Rippenring um eine Achse rotiren müsste. Um die Achse der rechten Rippe, beispielsweise, müsste auch das Brustbein und die Knorpel der linken Körperhälfte, und um die Achse einer linken Rippe gleichermassen das Brustbein und die Knorpel der rechten Körperhälfte rotiren, also dieselben Körpertheile in entgegengesetztem Sinne. Auf die Frage, was aus diesen sich widersprechenden Bewe- gungen resultire, werde ich später zurückkommen.

Zur Mechanık des Brustkastens. 155

6. Die mit der Rotation verbundene Bewegung der Rippen nach aussen, also wegwärts von der Medianebene, bedingt eine Verlängerung der Knorpel, welche sie an das Brustbein heften. Diese Verlängerung kann nur in sehr geringem Masse von einer Dehnung derselben in die Länge abhängen, beruht vielmehr darauf, dass in den bogenförmig gestalteten Knorpeln, durch Abilachung des Bogens, die Sehne desselben vergrössert wird. Erst mit der dritten oder vierten Rippe beginnt diese bogenförmige Gestaltung, und sind daher die oberen Rippen, besonders aber die erste, viel weniger zu einer Auswärtsbewegung geeignet, als die unteren, was in Uebereinstimmung mit der Lage der bezüglichen Drehachsen ist, welche in ‘den oberen Rippen eine viel geringere Bewegung nach aussen bedingen, als in den unteren.

Schon der Bau des Brustkastens führt also zu dem Schlusse, dass die oberen Rippen mehr der Vertiefung, die unteren mehr der Ver- breiterung desselben dienen, ich glaube indess beweissen zu können, dass die Richtigkeit dieses Schlusses sich auch mathematisch begrün- den lasse.

Zur Ausführung der erforderlichen Rechnungen müssen folgende Masse gegeben sein:

1. Die Grösse des Kreuzungswinkels der Drehachse mit der

Medianebene = w.

2. Die Grösse des Winkels, welchen die nach unten hängende .Rippe, mit einer durch ihre Drehachse gelegten senkrechten Ebene einschliesst. Ich werde diesen Winkel den Neigungs- winkel der Rippe nennen und mit ® bezeichnen.

3. Alle diejenigen Masse, welche erforderlich sind, um den Ort eines Punktes der Rippe zu bestimmen, nach dessen Bewegung geiragt wird.

Ich habe gefunden, dass das Sternalende der knöchernen Rippe, als der von der Drehachse entfernteste Punkt, die ausgiebigsten Rota- tionen macht, und wird es mir im Nachstehenden nur darauf ankom- men, den Ort dieses Punktes zu bestimmen.

Um möglichst genaue Masse zu bekommen, habe ich folgendes Verfahren eingeschlagen. Ich durchbohre den Wirbel des in Betracht zu ziehenden Rippenringes, in der Richtung der Drehachse, und führe durch das Bohrloch einen geraden, relativ starken Stahldraht, welcher also eine solide Verlängerung der Achse abgiebt. Um das Rippen- gelenk zu schonen, wurde die Durchbohrung des Wirbels oberhalb des Rippenhalses vorgenommen und lag nun die künstliche Achse um etwa 10 ®® zu hoch, eine Ungenauiskeit, die nachmals bei den Massbe- Stimmungen in Rechnung gebracht wurde.

156 VOLEMANN.

Von der stählernen Achse geht unter rechten Winkeln ein schmaler, in Millimeter getheilter Papierstreifen ab, welcher, obschon an die Achse befestigt, doch in der Längenrichtung derselben bequem ver- schiebbar ist. Wird dieser papierene Massstab an seinem unteren Ende mit einem Gewichte verbunden, so dient er als Bleiloth, und giebt die Richtung einer durch die Drehachse gelegten senkrechten Ebene an.

Hiernach hatte es keine Schwierigkeit, den Abstand des Sternal- endes der Rippe von der eben erwähnten senkrechten Ebene zu bestimmen, und eben so wenig seine Entfernung von einer durch die Drehachse gelegten Horizontälebene zu messen. Weiter aber konnte der biegsame Massstab auch in schiefer Richtung durch die Brusthöhle gezogen werden, in der Weise, dass der geradlinige Abstand des Sternalendes von der Drehachse selbst, also dessen radius vector ge- messen wurde.

Bei den mancherlei Schwierigkeiten, welche die von mir unter- nommenen Messungen darbieten, ist eine Controlle der letzteren sehr wünschenswerth. Wenn man die vorerwähnten drei Abstände in Linien darstellt, so erhält man rechtwinklige Dreiecke, für welche die Formel gilt: a@ +5? =c? wo a und d die Katheten und c die Hypote- nuse bedeuten. Ich habe mich überzeugt, dass die von mir gemessenen Grössen dem pythagoräischen Lehrsatze recht wohl entsprechen. So befriedigend dies auch ist, so wäre doch noch wichtiger ‚gewesen, beweisen zu können, dass die von mir gewählte us: der künstlichen Drehachse die rechte sei.

Tabelle der gefundenen Masse.

1. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von einer durch die Drehachse der Rippe gelegten senkrechten Ebene. In der 1. Rippe 45 ER U ERRNTE, NZ 7% a ee 0

2. Der Abstand des Sternalendes der knöchernen Rippe von einer. durch die tubercula costarum des bezüglichen Rippenringes gelegten senkrechten Ebene.

In der 1. Rippe 54 "” ln Ne Non

3. Der Abstand zweier horizontalen Ebenen, deren eine durch

das Sternalende, die andere durch das Köpfchen der Rippe gelegt ist.

Zur Mechanik des Brustkastens. 157

In der 1. Rippe 55 A RIO ;; ee ne loan, 4. Der Abstand des Sternalendes der Rippe von der Medianebene des Körpers. In der 1. Rippe 50 "" Mei 260, ee NE a 5. Die Länge einer Linie, welche vom Sternalende der Rippe normal auf die Drehachse gefällt ist, also radius vector des Sternalendes. Inader 1. Rippe 70T dal 2199, T. 207

Bestimmung des Neigungswinkels der Rippen. Vergl. S. 155 Nr. 2.

In beistehender Figur 1 bedeutet DD’ den Durchschnitt der durch die Drehachse gelegten Fig. 1. senkrechten Ebene; A das Sternalende der Rippe und Ac den radius vector desselben. Hiernach ist x der gesuchte Neigungswinkel. T

4a c die drei Seiten, es entspricht nämlich Aa dem in der Tabelle unter Nr. 1 bemerkten , Abstande; ac repräsentirt die unter Nr. 3 ge- v messene Höhe, und Aec ist gegeben durch die - „a

unter Nr. 5 gemessene Länge.

Gegeben sind in dem rechtwinkligen Dreieck R

; | en = sin x, und ergiebt sich x A 2 | für die 1. Rippe = 40° » 46016 | nee kn on)

Nun ist a

C r

!) Die im Obigen ausgeführte Berechnung des Neigungswinkels ist ratio- neller als die von H. Mrver (a. a. O. 259) angestellte, welcher den Winkel, den die Rippe mit einer durch die capitula costarum gelegten senkrechten Ebene einschliesst, als den Neigungswinkel betrachtet. Soll der Neigungswinkel zur Berechnung der Rippenbewegungen dienen, ‘welche im Kreisbogen um die Dreh- achsen erfolgen, so ist einleuchtend, dass nur der Winkel, welchen der radius veetor des rotirenden Punktes mit einer durch die Drehachsen gelegten senk- rechten Ebene bildet, verwerthbar sei.

158 VOLKMANN.

Fussend auf den in der Tabelle verzeichneten Massen und den so eben gefundenen Neigungswinkeln, habe ich die Grösse der Athembe- wegungen, welche sich durch Erhebung, Vertiefung und Verbreiterung des Brustkastens kennzeichnen, unter Voraussetzung einer Achsen- drehung von 10°, trigonometrisch berechnet.

Diese Voraussetzung ist zwar willkürlich, da es sich aber nicht um Gewinnung absoluter Werthe, sondern nur um Ermittelung des gegenseitigen Verhältnisses jener drei Bewegungsrichtungen handelt, so ist ein Fehler in der Voraussetzung ohne Bedeutung. Die Zahlen- werthe, auf welche meine Berechnung führt, scheinen mir etwas zu gross, da ich für die Verbreiterung des Brustkastens im ersten Rippen- ringe 5,6 ”® erhalte (siehe unten) und nach der Dicke, Kürze und Festigkeit des ersten Rippenknorpels, selbst diese geringe Verbreiterung noch für zu gross erachte. Hiernach wäre möglich, dass ich die bei der Inspiration erfolgende Vergrösserung des Reizungswinkels mit 10° etwas überschätzt hätte. Indess liesse sich auch annehmen, dass die Winkelbewegung der ersten Rippe etwas geringer sei, als die der tiefer liegenden, eine Annahme, welche durch die stärkere Befestigung der- selben begünstigt wird. Die oben mitgetheilten Versuche mit künst- licher Respiration ergaben für die erste Rippe ungefähr 10 "®, für die siebente Rippe ungefähr 20 Erhebung. Hieraus berechnet sich die Vergrösserung des Reizungswinkels für die erste Rippe zu 25° für die siebente auf 17‘.

Es sei gestattet, zunächst eine allgemeine Darstellung des Rechnungs- Verfahrens zu geben.

Berechnung der senkrechten Erhebung der Sternalenden der Rippen beim Einathmen.

In Fig. 2 bezeichnet DD‘ den Durchschnitt einer durch die Drehachse gelegten senkrechten Ebene.

4 das Sternalende der Rippe während der Exspiration.

A‘ dasselbe während der Inspiration.

c Durehschnittspunkt der zur bezüglichen Rippe gehörigen Drehachse.

4c = A4'‘c der radius vector der Rippe.

x der Neigungswinkel der Rippe, während der Exspiration.

y der Winkel, um welchen sich die Rippe während der Inspira- tion erhebt.

Aa und A'D zwei Linien, welche von den Sternalenden 4 und normal auf die Ebene DD’ gefällt sind.

Zur Mechanik des Brustkastens. 159

Ad normal auf A'2, und also = ab, die durch die Inspiration bewirkte senkrechte Erhebung des Sternalendes 4. 4'd der durch die Inspiration vergrösserte Abstand des Sternalendes der Rippe von der durch die Drehachse gelegten senkrechten Ebene DD‘. Gegeben sind ausser den Winkeln x und y, die Seiten da, nach Tabelle Fig. 2. h Nr. 1; ac nach Tabelle Nr. 3; A4e 4’e nach Tabelle Nr. 5. | Nun ist berechenbar be= cosin («e+y). Ace also ab = ac— be und folelich auch Ad = ace—be. womit die senkrechte Erhebung gege- ben ist. Ferner ist berechenbar Adb=sin (ea +y). 4e und 4’d= A'b Aa womit also die Raumgrösse bemessen ist um welche sich das Sternalende der Rippe während der Inspiration 2 von der durch die Drehachse gelegten h senkrechten Ebene entiernt hat.

Berechnung der Vertiefung und der Verbreiterung des Brustkastens während des Einathmens.

Unter Tiefe des Brustkastens soll hier verstanden werden: der Abstand des Sternalendes der Rippe von einer durch die tubercula costarum gelegten senkrechten Ebene, so dass die in Frage gestellte Vertiefung die von der Inspiration abhängige Vergrösserung dieses Abstandes bedeutet.

Anlangend die durch das Einathmen verursachte Verbreiterung des Brustkastens, so ist sie dadurch bedingt, dass sich bei der Rotation der Rippe das Sternalende derselben von der Medianebene des Körpers entfernt. Diese Entfernung verdoppelt ist also das Mass der Verbrei- terung des Brustkastens im Ganzen.

Zur Berechnung der Vertiefung und Verbreiterung des Brustkastens im angegebenen Sinne dient Fig. 3, welche, wie die Darstellung des Wirbels schon andeutet, auf einen Querschnitt des Brustkastens zu beziehen ist.

Es bedeutet in Fig. 3

160 VOLKMANN.

wu a

AN J

ie | P

m’ M

DD‘ die durch die Drehachse geleste senkrechte Ebene.

EE*' die durch die Rippenhöcker geleste senkrechte Ebene.

MM' Durchschnitt der Medianebene.

A Sternalende der Rippe, bei Exspiration.

4' Sternalende der Rippe, bei Inspiration.

Aa Entfernung des Sternalendes A von der Ebene DD; in Fig. 2 durch Aa dargestellt.

4A‘a Entfernung des Sternalendes 4’ von der Ebene DD’ in Fig. 2 durch 4’b gegeben.

4'4= A'a— Aa, die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent- fernung des Sternalendes von der Ebene DD‘, in Fig. 2 dargestellt durch A’d, und also bekannt.

4o Entfernung des Sternalendes 4 von der Medianebene.

A'p Entfernung des Sternalendes von der Medianebene.

A'n= A'p— 4Ao die in Folge der Inspiration vergrösserte Ent- fernung des Sternalendes von der Medianebene.

»n' Durchschnitt einer senkrechten Ebene, welche in der bekann- ten Entfernung A4o der Medianebene MM‘ parallel läuft.

ı Kreuzungswinkel der Drehachse = w‘.

yw= yw!' bekannt als Complement des ya zu 90°.

Zur Mechanik des Brustkastens. 161

Offenbar entspricht in dem rechtwinkligen Dreieck A’An die anliegende Kathete der Vertiefung und die gegenüberliegende Kathete A'n der einseitigen Verbreiterung des Thorax.

Nun ist An = cosin w’.4’A und Aa sin 09, AIR.

Nach dieser ausführlichen Darstellung meines Rechnungs-Verfah- rens wird es genügen, die von mir gefundenen Werthe ohne Weiteres

anzugeben. Es fand sich: Bewegungsrichtung. Rippe 1. Rippe 4. Rippe %. Peshlebungsze #:5.10,03:22 20. mE Dale 2. Vertiefung . 946 a9) <- IKCHSal De

3. Verbreiterung 5,60 I98% 31.24, wobei zu bemerken, dass diese Verbreiterung sich auf den ganzen thorax bezieht, also = 2 4'n ist.

Streng fest zu halten ist, dass sich die vorstehenden Werthe nur auf die Sternalenden der Rippen beziehen, die ich wegen ihrer leichten Bestimmbarkeit und ihrer grossen Bewegungen, vor anderen Rippen- punkten glaubte bevorzugen zu müssen.

Wenn nun schon aus der sichtlich verschiedenen Lage der Dreh- achsen entnommen werden konnte, dass die oberen Rippen vorwiegend der Erhebung und Vertiefung, die unteren dagegen vorwiegend der Verbreiterung des Brustkastens dienen müssten, so entscheidet die Rechnung hierüber mit Zahlen.

Berechnet man die Verhältnisse der drei in Frage gestellten Bewegungsrichtungen und setzt die Hebung = 1, so erhält man:

als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7. der Vertiefung . . 095 0,71 0,68 der Verbreiterung . 0,56 0,75 1,15

Setzt man dagegen die Verbreiterung = 1 so erhält man als relativen Werth. Rippe 1. Rippe 4. Rippe 7. dersHebung 2... 1,18 1,32 0,36 der Vertiefung . . 1,69 0,94 0,59

Nur die Bewegungen der knöchernen, also starren Theile der Rippe, gestatten Berechnungen, wie die eben vorgelegten. Die mit Gestaltveränderungen verbundenen Bewegungen der Knorpel beruhen auf so complieirten Bedingungen, dass eine mathematische Begründung derselben kaum möglich sein dürfte.

Schon oben wurde in der Kürze angegeben, dass die Bewegung

eines Rippenringes um zwei verschieden gelagerte Achsen, gewisse Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 11

162 VOLKMANN.

Gestaltveränderungen desselben voraussetze; es wird nun näher zu zeigen sein, was jede dieser Achsen zur Gesammtbewegung beitrage, und wie der zwischen ihnen bestehende Widerspruch sich auflöse.

Die Drehachsen verlaufen von hinten nach vorn in der Weise, dass sie eine Rippe der entgegengesetzten Körperseite schneiden, aber nicht die Rippe desjenigen Brustringes, zu welchem die Achse zunächst gehört, sondern eine höher liegende. So streift die Drehachse der sechsten rechten Rippe, den unteren Rand der dritten linken Rippe, und liest in senkrechter Richtung- 14 ® über der sechsten Rippe der linken Körperseite. Der Punkt der linken sechsten Rippe, welcher von einer, durch die rechte Drehachse gelegten senkrechten Ebene ge- schnitten wird, lag nah am Sternalende, kaum 1 °® rückwärts vom Knorpel.

Fig. 4. M

ill : Ü gt a

In wie fern nun von den Drehachsen und ihrer Lage, die Bewe- gungen aller der Theile des Brustkastens abhängen, welche in Folge ihres solidarischen Zusammenhanges mit der Achse um diese rotiren müssen, insofern muss jede der beiden Drehachsen, die Bewegung von nahezu ?/, eines Rippenringes bedingen, und muss folglich nahezu die

Zur Mechanik des Brustkastens. 163

Hälfte des Brustkastens, nämlich die zwischen den vorderen Durch- schnittspunkten der- Achsen (?P und @ in Fig. 4) gelesene, doppelt bedingt sein, sowohl von der rechten als von der linken Drehachse.

Zur näheren Verständigung hierüber diene Fig. 4, in welcher man den Wirbel, die Rippen, die Knorpel und das Brustbein, auch ohne Buchstaben - Bezeichnung leicht erkennen wird. MJ7' bezeichnet den Durchschnitt der Medianebene, Dr die rechte Drehachse, mit ihrem vorderen Durchschnittspunkte bei /, und D/ die linke Drehachse, mit ihrem vorderen Durchschnittspunkte bei @. Um anschaulich zu machen, welche Theile des Rippenringes unter der Herrschaft der einen oder der anderen Drehachse stehen, habe ich Normale von der Peripherie zu den Achsen gezogen, welche die zu densölben gehörigen radii vectores darstellen.

Anlangend die rechte Achse Dr, so entspricht die Linie «5 dem radius vector für den Punkt d, ebenso cd dem radius vector für d, eQ für Q, fg für 9, hi für z, %2 für 2. In entsprechender Weise sind die radii vectores für die linke Drehachse angegeben, nämlich a’d’ für bc. fur -d‘ u. Ss. w.

Die Figur zeigt, dass die Bewegungen aller Theile des Brust- kastens, welche zwischen den vorderen Durchschnittspunkten der Achsen (zwischen ? und @) liegen, nicht minder von der linken, als von der rechten Drechachse abhängen.

Man denke sich nun, die linke Rippe würde am Durchschnitts- punkte der rechten Drehachse, bei ? durchsägt, so würde nicht nur die knöcherne Rippe und der Knorpel der rechten Körperseite, sondern auch das Brustbein, der linke Rippenknorpel und das Sternalende der linken knöchernen Rippe, in ihrer Rotationsbewegung von der rechten Achse abhängen. Analoger Weise aber würde das Brustbein, der rechte hippenknorpel und das Sternalende der rechten Rippe, unter dem Einflusse der linken Drehachse stehen, wobei sich sofort die Bemerkung aufdrängt, dass die, für dieselben Rippenpunkte von zwei verschiedenen Achsen geforderten Bewegungen, sich widersprechen.

Gesetzt nämlich, die Durchsägung der linken Rippe bei P wäre ausgeführt, und das Auge eines Beobachters, welcher den Thorax von vorn beschaute, befände sich in der Fortsetzung der rechten Drehachse, so würde beim Heben der Rippe eine Rotationsbewegung in der Rich- tung eines Uhrweisers eintreten. Würde dagegen die rechte Rippe bei Q durchsägt, und man experimentirte nach demselben Principe, so würde eine Rotationsbewegung von genau entgegengesetzter Richtung, . wie beim Rückwärtsstellen eines Uhrweisers eintreten.

1

164 VOLKMANN.

Es fragt sich nun, was aus diesem Widerspruche der Bewegungen resultire, oder vielmehr, es fragt sich, ob das, was wir aus einem Widerstreite der Bedingungen hervorgehen sehen, auf mechanische Gesetze zurückführbar sei. Ich will diese Frage zunächst mit Bezug- nahme auf Figur 4 zu beantworten suchen.

Da die Rotationen der Rippe Bewegungen in der Richtung der Höhe, Tiefe und Breite des Brustkastens zu Componenten haben, so ist zunächst zu bemerken, dass ein Widerspruch zwischen den Rotations- bewegungen um die rechte und linke Drehachse nur in so fern besteht, als es sich um Bewegungen in der Richtung der Breite handelt. Die rechte Drehachse bedinst eine Lateralbewegung des Rippenringes nach rechts, die linke eine solche nach links, dies ist der einzige Wider- spruch, auf dessen Lösung es ankommt.

Wenn zwei Bewegungen sich widersprechen, so ist die Resultante derselben die algebraische Summe der Oomponenten.

Hiernach würden wir für jeden Rippenpunkt, die von der einen und von der anderen Drehachse bedingte Lateralbewegung zu consta- tiren, und aus der Differenz beider die Resultirende zu berechnen haben. Da aber nicht nur die Grösse der von der Rippe vollzogenen Rotationsbewegung im Ganzen, sondern auch die Grösse der vorer- wähnten drei Componenten im Einzelnen, der Grösse des bezüglichen radius vector proportional ist, so ist es einfacher mit den Grössen dieser zu rechnen, wenn man das Gesetz der resultirenden Bewegungen zu ermitteln beabsichtigt.

Fig. 4 lehrt nun erstens, dass jeder Rippenpunkt zwischen ? und Q zwei radii vectores besitzt, und zweitens, dass von P nach Q hin die radii veetores der rechten Drehachse wachsen, und umgekehrt, die der linken abnehmen. Im Punkte z, in der Mittellinie des Brustbeins, sind die Radien beider Achsen 47 und 4‘: von gleicher Grösse, folg- lich sind die von beiden Achsen bedingten und sich widersprechenden Lateralbewegungen auch gleich gross, heben sich gegenseitig auf, und belassen das Brustbein in der Medianebene, in welcher es seine Bewe- gungen nach oben und vorn ausführt. !

Im Durchschnittspunkte © der linken Drehachse ist dagegen der radius vector eben dieser Achse gleich Null, während der radius veetor der rechten Drehachse annäherungsweise seinen höchsten Werth erreicht, woraus sich ergiebt, dass die von der rechten Drehachse geforderte Lateralbewegung nach rechts hier in vollem Masse wirksam ist. In dem Punkte y-.der rechten Körperseite ist der radius vector der rechten Achse ‚fg viel grösser, als 49 der linken, und prävalirt also die La- teralbewegung nach rechts, währerd in dem correspondirenden Punkte

Zur Mechanik des Brustkastens. 165

/, der linken Körperseite, der Radius #2 der rechten Achse viel kleiner ist, als der Radius // der linken Achse, aus welchem Grunde an diesem Punkte die Lateralbewegung nach links das Uebergewicht haben muss.

Freilich ist die Figur, auf welche die vorstehende Betrachtung sich stützt, nur eine schematische, und gestattet keine mathematische Beweisführung, da die radii vectores keine bestimmten Werthe haben. Um Solche zu beschaffen, habe ich eine Reihe von Beobachtungen angestellt, welche im Nachstehenden vorgelegt werden soll.

Der bis auf die Bänder rein präparirte sechste Rippenring, wurde auf einem Holzklotze so angenagelt, dass Wirbel und Rippen sich anscheinend in der natürlichen Lage eines aufrecht stehenden Men- schen befanden. Auf der oberen Fläche des Wirbelkörpers war eine in Centimeter getheilte, schmale und dünne Leiste so befestigt, dass ihre Lage der Drehachse entsprach. Die Leiste lag nämlich in einer Horizontalebene, und ihre vordere, scharfe Kante in der Richtung des Rippenhalses. Der Nullpunkt des Massstabes war da angebracht, wo in Fig. 4, an der rechten Achse, der Buchstabe a steht, das will sagen so, dass eine von dem Nullpunkte rechtwinklig abgehende Linie, den äusseren Rand der Rippe streifte (bei 4 in Fig. 4). Die eben erwähnte Leiste diente nun als Abscissenachse für die als Ordinaten auf derselben aufzuführenden radii vectores. Es wurde von Öentimeter zu Centimeter an dieser Abseissenachse rechtwinklig. ein Massstab angelegt, welcher den Abstand des oberen scharfen Randes der Rippe von der Drehachse und somit die Grösse der radii vectores bestimmte. Am Brustbeine wurde auf dessen Innenfläche, von dem Insertionspunkte des einen Rippenknorpels bis zum anderen eine Bleistiftlinie gezogen, und dadurch ein Anhalt für die Messung der radii vectores hergestellt. Die Resultate der Messung sind in der nachstehenden Tabelle ange- geben.

Tabelle

über die Längen der radii vectores, welche zu den ver- schiedenen Punkten des sechsten Rippenringes gehören.

Angabe Länge der rechten der als Ordinaten behandelten Lage Drehachse aufgetra- 2 BER: des Rippenpunktes. genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse. or Ole 1 angulus costae. 1, 13,4 „, 3,62 naha. Scheitel d.Rippe. 2 15,0% 4,05

3 Rh} 16,2 4,38

166 VOLKMANN.

Länge der als Ordinaten behandelten Lage radıı vectores

Angabe der auf der rechten Drehachse aufgetra- us) des Rippenpunktes. genen Abscissen. absolute Grösse relative Grösse.

A Hal ANn 4,70

RD: Lee 5,05

DR LOSE 5,35

Tee 2039, 5,49

SUN 240; 5,67

ges ZUR De., 5,81

IOERRE, 22.0, 5,94 el = 2202,, 5,94 Sternalende der 6. Rippe rechts. KOySE DD 6,00

on, 220, 5,94 1414 20 5,67 Rippenknorpel 157; 20,0 5,41 der rechten Seite. 16205; Lsro® 5,05

Me Bu) 2ER 4,70

en Ri ; . Brustbein. 20.6, IS DNS ale 14,3 3,36 22; 14,6 3,94 Rippenknorpel Dar; 15.08 4,05 der linken Seite. DAR; DD. 4,19 2 E:, [4:50 4,03 25,5 1407, 3,178 nah am Sternalende

der 6. Rippe links,

Dass im letzten Falle der radius vector- von. 14°® Länge eine senkrechte Lage haben muss, ergiebt sich schon ‘aus dem Zusammen- hange des Vorhergehenden, ist indess S. 162 ausdrücklich bemerkt worden.

Unter der vollkommen zulässigen Voraussetzung, dass in einem normal gebauten Körper die sich correspondirenden radii veetores der rechten und linken Körperseite von gleicher Grösse sind, kann man aus vorstehender Tabelle die radii vectores entnehmen, welche, obschon von der rechten und von der linken Drehachse ausgehend, sich doch zu einem und demselben Punkte des Rippenringes begeben. Ich be- zeichne die Rippenpunkte, für welche die Grösse der beiden entgegen- gesetzten Radien bestimmt werden soll, mit den Zahlen 1, 2, 3 u. Ss. w.,

Zur Mechanik des Brustkastens. 167

womit gemeint ist, dass eine Normale, welche von einem dieser Punkte auf die rechte Drehachse geführt wird, die Ordinate zu einer nu- merisch entsprechenden Abscisse, nämlich zu 1, 2, 3 ete. abgiebt.

Tabelle.

Grössenbestimmung der radii vectores, durch welche sewisse Punkte des sechsten Rippenringes, einerseits mit der rechten, andererseits mit der linken Drehachse in Verbindung stehen.

Grösse der radıı vectores

Angabe

5 Differenz.

des Rippenpunktes. zurrechten Drehachse zur linken Drehachse.

11 (Sternalende rechts) 22,0 14,0” 80 12 DD 14,9 1.925 15 22.0 15:55, 6:9, 14 21,05 150% 6,0 15 20,0.,, 14,6 ,; Hd, 16 NS. 148.,; 4,4 17 17.2 INaktern 34, 18 14,5 ia IR27% 18,5 (interpolirter Fall) 19.9, 18:92, 007,

Mitte des Brustbeins. -

19° 19,92% 4.9 12, 20 13,8, Nr 9,4 ,„ 21 143, 18:7 ,; le 22 14,6 „, 20,0 , 5,4 23 130% 21:02, 6,0 24 15,5 320, ae 25 N 14:97, DE 13. 25,9 (Sternalende links) 14,0 22,0 —80,.-

Die Columne der Differenzen stellt das Gesetz dar, nach welchem aus dem Widerstreite entgegengesetzter Rotationen, die Lateralbe- wegungen der kippen resultiren. Der Einfluss einer Drehachse, auf die nach ihrer Seite gerichtete Lateralbewegung, nimmt nämlich nach der Medianebene hinwärts, durch die Gegenwirkung der anderen Drehachse, stetig ab, gleicht sich in der Medianebene selbst mit dieser Gegenwirkung derartig aus, dass im Brustbeine jede Lateralbewegung aufhört, und geht jenseits der Medianebene in negative Werthe über, die abwärts von hieraus stetig wachsen. Dieses Anwachsen der nega-

168 VOLKMANN.

tiven Werthe, entspricht dem überwiegenden und zunehmenden Einflusse der gegenseitigen Achse, welche eine Lateralbewegung von entgegen- gesetzter Richtung fordert und nach Massgabe ihrer Präponderanz zu Stande bringt.

Die vorstehenden Untersuchungen über die Kreuzung und Länge der radii vectores, werden, wie ich hoffe, einen brauchbaren Beitrag zum Verständniss der Lateralbewegungen des Thorax liefern, aber frei- lich ist die Lateralbewegung nur die eine Componente der Athembe- wegungen, und bleibt also noch die Frage übrig, wie resultiren aus den entgegengesetzten Achsendrehungen, die Bewegungen in der Rich- tung der Höhe und Tiefe.

Zur Beantwortung dieser Frage scheint es angemessen, sich zu- nächst an das Brustbein zu halten, welches, weil es an den Lateral- bewegungen nicht Theil nimmt, die Vorgänge, um deren Erklärung es sich noch handelt, ganz rein darstellt.

Fig. 5.

M’

Dass zwischen den Bewegungen des Brustbeines und der Sternal- enden der knöchernen Rippen ein Causalnexus bestehe, kann nicht

Zur Mechanik des Brustkastens. 169

bezweifelt werden. Mag immerhin eine von den Intercostalmuskeln bewirkte Bewegung des Brustbeines von den Rippen unabhängig sein, so muss doch die Bewegung dieser, auf die ihnen anhaftenden Knorpel und im weiteren Fortgange, auf das Brustbein übertragen werden. Nun handelt es sich aber gerade um diese übertragene Bewegung. Die Sternalenden der Rippen rotiren nämlich in entgegengesetztem Sinne, und die Frage, die gegenwärtig vorliegt, ist eben die, was aus diesen entgegengesetzten Bewegungen, und wie es resultire.

Ich glaube nachweisen zu können, dass die Beantwortung dieser Frage sich aus den Prineipien einer einfachen Geradführung ergebe.

Es sei in Fig. 5 MM' die Senkrechte, in welche die Bewegung zweier Räder übertragen wird, welche in der Figur durch die beiden Kreise dargestellt sind. Beide Räder drehen sich mit gleicher Ge- schwindigkeit, aber in entgegengesetzter Richtung, wie dies die neben den Rädern verzeichneten Pfeile andeuten.

An jedem Rade ist, mittels eines Kurbelzapfens, eine nach oben gerichtete Stange a2 und c/ angebracht. Sie sind Beide von gleicher Länge, convergiren gegen einander, und sind bei /, im Verlaufe der Senkrechten, durch ein Charnier verbunden. Diese Stangen haben die Bedeutungen von Leitstangen, welche einen bei / befindlichen Gegen- stand, in der Richtung der Senkrechten, abwechselnd heben und senken sollen.

Wenn sich die beiden Räder in entgegengesetzter Richtung um 90° drehen, so kommt der Punkt a des linken Rades nach e, der Punkt ce des rechten Rades nach ‚f zu liegen, und nehmen die beiden Leitstangen die Lage em und fm an. Dabei erhebt sich der Punkt } in senkrechter Richtung auf », während die Radpunkte z und e, welche diese Hebung verursachen, sich in senkrechter Richtung um gr, also viel mehr erheben‘).

Würden sich dagegen die Räder um 180° drehen, so würden die Leitstangen die Lage 42 und annehmen. Der Punkt Z müsste sich dann auf z erheben, und wäre =gs, d. h. der zu bewegende Punkt Z, erhöbe sich in senkrechter Richtung um ebensoviel, als die Punkte a und c, von welchen die Bewegung ausgeht.

l) Zur Bestimmung der senkrechten Erhebung, sowohl des Punktes /, als des Radpunktes, an welchem die Leitstange befestigt ist, lässt sich am bequem- sten. die Senkrechte MM’ selbst benutzen. Man braucht nur von den Rad- punkten aus Normale auf Letztere zu ziehn, wie ag, er, so hat man in gr die Grösse der Erhebung, welche mit der von Zm sofort vergleichbar ist.

170 VOLKMANN.

Der Grund, warum sich bei einer Bewegung von 90° oder weniger, das obere Ende der Leitstange (2) in geringerem Masse erhebt, als das mit dem Rade verbundene untere Ende (a und ce) liest offenbar darin, dass letzteres nicht blos gehoben, sondern auch seitlich, von der Senk- rechten wegwärts, geführt wird, und dass die Bewegung in senkrechter Richtung durch die Seitenbewegung einen Abbruch erleidet. Zur mechanischen Vermittelung dieser Abhängigkeit der Höhenbewegung von der Seitenbewegung, dient aber die Leitstange mit ihrer unver- änderlichen Grösse.

Wenn, in Folge der Raddrehung, der Punkt a nach e rückt, so verwandelt sich das rechtwinklige A a/y, in das rechtwinklige emr, in welchen beiden die sich selbst gleiche Leitstange, a! = em, die Hypothenuse bildet. Betrachten wir die Abstände des Fusspunktes der Leitstange von der Senkrechten, also ag und er, als die anliegen- den Katheten, dagegen die Höhen g/ und vr» als die gegenüber liegen- den, so ist klar, dass die durch Lateralbewegung bewirkte Vergrösse- rung der anliegenden eine Verkleinerung der gegenüber liegenden bedinge.e Nun ist aber die grössere Höhe gl=rl-+gr, und die kleinere Höhe rm = rl + !m, folglich ist qr >, d. h. die Erhebung im Fusspunkte der Führungsstange grösser, als die Erhebung an deren oberem Ende.

Hier haben wir nun den Umsatz zweier entgegengesetzten, bogen- förmigen Bewegungen in eine gerade und senkrechte, also eben das, was wir zum Verständniss der resultirenden Bewegung des Brustbeines brauchen. Die Analogie zwischen unserer mechanischen Geradführung und den Verhältnissen des Brustkastens, in seinem vorderen Abschnitte, ist unverkennbar.

Die Sternalenden der Rippen, welche um die Drehachse rotiren, entsprechen den Punkten z und e der Räder, die Rippenknorpel ent- sprechen den Leitstangen, der Durchschnitt der Medianebene entspricht der Senkrechten MM‘, und das Brustbein dem Punkte Z}). |

!) Die Angabe, dass die Sternalenden der Rippen den Punkten a und e der Räder entsprechen, sollte nur zur ersten Orientirung dienen, und ist nicht buchstäblich zu nehmen. Man theile den Kreis, in welchem die Rippe um ihre Achse rotirt, in vier Quadranten, und bezeichne den abseits der Medianebene und unter der horizontalen Drehachse gelegenen Quadranten als den ersten (in Fig. 5 die Quadranten A und 4°), so muss das Sternalende der Rippe, da der Neigungswinkel derselben ungefähr 450 beträgt, während der Exspiration im ersten Quadranten liegen, und muss, da die Drehung der Rippe sich auf ungefähr 100 beschränkt, auch während der Inspiration in demselben verbleiben. Man übersehe nicht, dass bei Verwerthung der in Fig. 5 dargestellten Mechanik, zur Erklärung der Athembewegungen, dies von wesentlichem Belang ist.

Zur Mechanik des Brustkastens. ikral

Um jeden Zweifel zu beseitigen, dass die senkrechte Erhebung des Brustbeines nach dem Principe der Geradführung erfolge, habe ich an die Ausführung eines entscheidenden Versuches gedacht, Nach der früheren Ansicht, welche die Bewegung der kippenringe aus frontal liegenden Drehachsen ableitete, müsste das Brustbein unter allen Theilen des Thorax die grössten Rotationsbewegungen machen, weil weder die Sternalenden der knöchernen Rippen, noch auch die Rippen- -knorpel so grosse radii vectores haben würden, als das am weitesten nach vorn gelegene Brustbein. Dagegen verlangt die in Fig. 5 dar- gestellte Mechanik, dass die senkrechte Erhebung des Brustbeines merklich kleiner sei, als die der Sternalenden der knöchernen Rippen.

Wir haben nämlich den Punkt / in Fig 5 mit dem Brustbeine, die Punkte « und ce aber mit den Sternalenden der Rippen verglichen, und haben erwiesen, dass bei einer Rotation von weniger als 90° der Punkt /, welcher gehoben wird, nicht so hoch steigen kann, als die rotirenden Punkte « und c, welche die Hebung veranlassen. Ob nun den Ansprüchen der Mechanik genügt werde, hat der Versuch zu entscheiden.

Zur Anstellung eines solchen benutzte ich wieder eine Leiche, welche in derselben Weise präparirt und aufgestellt war, wie die in dem oben beschrieben Versuche (S. 149) zur Ermittelung der Lage der Drehachsen. Auch die künstliche Respiration wurde in derselben Weise ausgeführt, wie a. a. OÖ. angegeben. Ausdrücklich mag bemerkt werden, dass das Einblasen von Luft in die Lungen, welches die Er- weiterung und Hebung des Brustkastens bewirkte, immer mit der grösst möglichen Kraft ausgeführt wurde.

Am Sternalende der siebenten Rippe und am untern Ende des Brustbeinkörpers, war eine horizontale schwarze Linie eingerissen, welche bei Beobachtung des Aufsteigens als Merkmal diente. Zum Messen der Hubhöhe diente folgendes Instrument. An einer senkrecht stehenden Latte war mittels eines Schiebers ein horizontaler Arm angebracht, welcher in eine feine Metallspitze auslief, und also in senk- rechter Richtung beliebig verschoben werden konnte. Die aufrecht stehende Latte war mit einem Massstabe versehen, und liess sich daher die. Grösse der Verschiebung bis auf 0,5 Mm. ablesen. Nun wurde die Grösse der Verschiebung gemessen, welche sich ergab, wenn die Metallspitze einmal während der Exspiration, und das zweite Mal bei der Inspiration, auf den als Merkmal dienenden, horizontalen Strich einspielte. Das Resultat der Versuche war folgendes:

17% VOoLKMANNn. Zur Mechanik des Brustkastens.-

Mass der Hebungen.

Versuch. m Differenz. 7. Rippe. Brustbein. > 1 20 mm 15 mm 2,0 mm 2 20,5 ID 4 DD 5% 3 2108 a TROEN 4 220% 16 6,0 „, 5 30 16 DO 6 20,0 Ta 6.0 7 U 5 14 „, A Summa 142 mm 107 mm 3,5 um Mittel 20 15 5

Die Hebung des Brustbeines ist also in Uebereinstimmung mit der Theorie kleiner, als die der Rippen. Dass der Unterschied ziem- lich gering ausfällt, kann bei der Art, wie die Geradführung im Brust- kasten ausgeführt ist, nicht befremden, und erklärt sich zum Theil schon daraus, dass die gekrümmten Rippenknorpel, welche die Leit- stangen vertreten, bei der Inspiration sich strecken und etwas ver- längern.

Versuche, die ich allerdings nur an einem Modelle ausgeführt habe, zeigen, dass auch die Bewegung des Brustkastens nach vorn, beträchtlich hinter dem Vorstoss der Sternalenden zurückbleibt, und es würde sich beweisen lassen, dass auch dieser Unterschied der Be- wegung aus dem Principe der Geradführung begreiflich ist. Ich ver- zichte indess auf diesen Beweis näher einzugehen, da ich fürchte, dass die umfänglichen Erörterungen, die er beansprucht, den Leser mehr ermüden als fördern würden.

Beiträge zur Myologte.

(Conjugatio musculorum. Ueber Muskelvarietäten. M. tibialis anti- cus, M. extensor carpı rad. longus, Mm. interossei manus et pedis. Platysma myoides.)

Von

Hermann Welcker in Halle.

I. Conjugatio musculorum.

Begriff. I. Muskelvarietäten, auf conjugatio beruhend. II. Conjugatio musculorum im Kreise der normalen Bildung.

Läuft neben einem Muskel, der zwischen den Punkten « und 5 des Skeletes ausgespannt ist, ein zweiter, dem vorigen nach Lage und Wir- kung verwandter Muskel cd (vel. Fig. 1), so ist es eine in manniefacher Weise sich wiederholende An- Fie. ordnung, dass von dem Bauche des erstgenannten Mus- kels eine Anzahl Fasern sich loslöst, um sich oder ihre Sehne der Sehne des zweiten Muskels zuzugesellen. Der hierdurch entstandene Zwischenmuskel ad, welcher seinen Ursprung mit dem ersterwähnten, seine In- sertion mit dem zweiten Muskel gemeinsam hat, wird in der gebräuchlichen Terminologie bald als ein be- sonderer Muskel aufgeführt, bald als ein zweiter Kopf zu dem einen oder dem anderen der erstgenannten Muskeln geschlagen. Es ist klar, dass der Zwischen- muskel, als socius des einen wie des andern, die Wir- a2 una ca, zwei Mus- kung beider verstärkt und stetiger macht und, falls *eln, verbunden dureh

einen Zwischenmuskel der eine derselben ohne den andern thätie ist, dessen ad. Wirkung in bestimmter Weise modificirt.

Auf diesem Structurverhältniss, welches ich als „conjugatio muscu-

lorum“ bezeichnen möchte, beruhen zahlreiche z. Th. complieirte Bil-

174 WELCKER.

dungen im Gebiete der Myologie, und dieselben werden sofort verständ- ‚lich und übersichtlich, wenn man sie unter diesem Gesichtspunkte auf- fasst. Zugleich beruht eine grosse Zahl der Muskelvarietäten ein Gebiet welches, rein casuistisch behandelt, dem wissenschaftlichen Inte- resse sich grösstentheils entzieht einfach auf conjugatio musculorum, und wir kennen somit für eine grössere Zahl von Einzelfällen das gemeinsame Bildungsprinzip eines sonst regellos erscheinenden Natur- spiels. !)

Die Gestalt der-durch conjugatio entstehenden Muskeleomplexe gleicht sehr gewöhnlich einem N oder einer ähnlichen Figur: A: da jedoch

die verbundenen Muskeln keineswegs immer parallel laufen, ihre Ver- wandtschaft auch nicht immer die allernächste ist und auch ausserdem mancherlei complieirende Verhältnisse sich geltend machen, so ist das äussere Bild der Mm. conjugati bei an sich gleichem Wesen ein immer- hin wechselnde. Der Umstand aber, dass conjugatio im Gebiete der Muskelvarietäten so ausserordentlich häufig ist, sodass einzelne auf con- Jugatio beruhende Formen nahezu als normale Bildungen erscheinen, be- rechtigt uns, diejenigen normalen Muskelverknüpfungen, welche ihrem Habitus nach jenen Varietäten gleich sind, als auf eben demselben Bil- dungsprinzip beruhend aufzufassen. Nach allem diesem darf ich hoffen, dass die hier versuchte Zusammenfassung äusserlich ziemlich verschiedener Gestaltungen innerhalb der normalen und teratologischen Entwicklung unter Einen morphologischen Begriff, zumal für die vergleichend-anato- mische Discussion nicht ganz ohne Nutzen sein werde. ?)

!) Auch bei den Bändern begeenen uns Fälle, in welchen, ähnlich wie in der Technik, neben der Länge nach angebrachten Schnüren gleichzeitig diago- nale oder kreuzende Richtungen gewählt werden und somit das Prinzip der Con- jugation zu Tage tritt. So liegt das lig. ileofemorale anterius schräg zwischen lig. ileofem. superius und pubofemorale, in seinen beiden Insertionen mit je einem der beiden letzteren Bänder verschmolzen (s. in dieser Zeitschrift 8. 44, Fig. 1).

?) Eine verwandte Betrachtung findet sich bei FE. Scuurze in einer der vergl. Anatom. der Fusszehenbeuger gewidmeten Abhandlung (Zeitschr. f. wissen- schaftl. Zool. Bd. XVII, 1. 1866). „Wo im Wirbelthierkörper“, so heisst es dort, „vielgliedrige Systeme von zueinander beweglichen festen Theilen wie ein Gan- zes oder in gleichem Sinne bewegt werden sollen, findet sich als einfaches Mittel häufig eine Verbindung der zu diesen einzelnen Theilen hinführenden Muskeln, sei es in ihren Bäuchen, wie bei den Mm. serrati, den langen Rückenstreckern ete., sei es in ihren Sehnen, benutzt.“ Dass hier indess die Sache anders ge- fasst, und der Begriff der „conjugatio“ nicht gegeben, vielmehr von Muskelver- knüpfungen in weiterem Sinne die Rede ist, zeigt die Anführung der Mm. ser- rati, deren ihrer ganzen Länge nach miteinander verknüpfte Zacken dem Begriffe der conjugatio nicht unterfallen.

Beiträge zur Myologie, 175

I. Betrachten wir, indem ich mich auf eine kleine Auswahl aus der Reihe der von mir beobachteten und im Präparate conservirten Fälle be- schränke, zunächst einige Muskelvarietäten, die unserer Form zu- gehören.

Ein typischer Fall der conjugatio ist die Verdopplung der Sehnen der Mm. extensor carpi radialis longus und brevis. Bald ist es der brevis, von dessen Bauche sich ein Muskelbündel loslöst, um eine Sehne, meist erheblich schwächer als die normale, zur Sehne des longus zu sen-

Fig. 2.

M. carpi radialis longus (2) und brevis (b), in verschiedenen Formen der Conjugatio,

den (Fig. 2, A), bald geschieht der Austausch umgekehrt vom longus zum brevis hin (Fig. 2, 5). Die Verschmelzung der Doppelsehnen ist bald sehr nahe am Metacarpus, bald weiter oben.

Diese so häufig vorkommende Varietät !) ist, näher betrachtet, nicht ohne interessante Besonderheiten, welche möglicherweise Licht werfen auf gewisse allgemeine Verhältnisse der ersten Entwieklung der Muskulatur. Fast durch-

I) Beide Arten derselben erwähnt Hexte (Muskellehre 1. Aufl., 201 und 203).

176 WELCKER,

gehends beobachtete ich, dass das conjungirende Bündel von der abgewendeten Seite her (also auf einem Umwege vgl. Fig. 2 A und B) zu dem Nebenmuskel hintritt. Das vom brevis sich loslösende Bündel schiebt seine Sehne wie es scheint constant über der Hauptsehne dieses Muskels hinweg zum longus (Fig. A); umgekehrt lässt das vom longus wegtretende Bündel seine Sehne unter der Hauptsehne durchschlüpfen (2, Fig. 2). Mehrmals beobachtete ich wechselseitigen Umtausch (Fig. 2, ©) also den Fall A und B an einem und demselben Arme ein Bau, welcher frappant an die Anordnung der Zügel eines Pferdegespannes erinnert !). Es tritt diese Varietät in mehrfachen Modificationen auf; immer aber fand ich beide zum Mittelfinger gehende Sehnen gedeckt von den zum index gehenden Selmen, so dass alle dem Zeigefinger angehörigen Fleisch- und Sehnenfasern (wie die’in der Fig. eingezeichneten Nadeln zeigen) eine hohe Lage, allezum Mittelfingertretenden Fasern eine tiefe Lage haben. In einem Falle sah ich die conjungirenden Sehnen wie- derum unter sich durch Fasern zweiten Ranges verbunden.

Ausserordentlich häufig findet sich unsere Verknüpfung zwischen m. brachialis internus und dem medialen Rande des biceps brachii sie ist die häufieste Veran- lassung des „dreiköpfigen biceps“. Das fragliche Zwischenbündel löst sich von erstgenanntem Muskel oft so unmerklich ab und mischt sich dem Endtheile des biceps so innig zu, dass dasselbe vom brachialis aus sich ein gutes Stück weit wie zu diesem gehörig, vom biceps auf- wärts wie zu letzterem gehörig, prä- pariren lässt. 2).

Als eine gleichfalls sehr gewöhnliche Varietät spaltet sich vom teres major ein zur Latissimus-Sehne gehendes Bündel ab, so dass der breite Rückenmuskel seinen lateralen, von den Rippen kommenden Zuschüssen einen von der scapula kommenden hinzugesellt (Fig. 3). Die physiologische Verwandtschaft beider Muskeln wird durch diese Variation bekräftigt.

Latissimus dorsi und teres major, durch ein Zwischenbündel verknüpft.

1) Es ist wohl derselbe Fall, den HEntE (a. a. ©. 203) mittheilt: „An einem Arme, in welchem der M. extensor rad. longus dem 2. und 3. Mittelhandknochen Sehnen gab, sah Brramann (handschr. Notiz) auch den rad. ext. brevis in zwei Sehnen enden, ebenfalls zum 2. und 3. Mittelhandknochen“.

2) Unhaltbar scheint mir die Annahme Mrcxers (Handb. d. Anat. II, 503), nach welcher dieser dritte Bicepskopf „eine Wiederholung des am Öber- schenkel normalen kleinen Kopfes des zweiköpfigen Beugers ist,“ durch dessen zuweilen vorkommenden „Zusammenfluss“ mit dem coracobrachialis die Zahl der langen Beuger des Vorderarmes der Zahl derselben Muskeln des

Beiträge zur Myolosgie. 177

Eine sehr zierliche Form von Conjugatio (vgl. Fig. 4) beobachtete ich an dem Hinterhaupte eines Mannes, dessen Mm. recti capitis poste- riores sich gegenseitig austauschten. Auf der rechten Seite verhielten sich beide Muskeln normal, während linkerseits der rectus major ein con- jungirendes (mediales) Bündel (etwa ?/, seiner Muskelfasern) auf die Schä- delinsertion des minor wirft und um- gekehrt der minor ein laterales Bün- del unter die Insertion des major schiebt.

In einem anderen Falle löste sich der obere Rand des M. obliquus cap. inferior ab und ging, unter dem obl. superior durchtretend, als con- jungirendes Bündel an den Hinterrand des rectus cap. lateralis, mit diesem gemeinsam am processus jugularis inserirend.

Ausserordentlich häufig sind ver- schiedene Formen der conjugatio bei den Rückenmuskeln, sowie ganz besonders bei den vielköpfisen Muskeln des Vorderarmes und des Untersehenkels. Hervorzuheben ist eine Verknüpfung zwischen der Sehne des flexor pollicis long. und der Zeigefingersehne des flexor dig. comm. profundus, die an der oberen Extremität denselben Zustand in Form einer Muskelvarietät erzeugt, der an der Unter- extremität (sehnige Verbindung zwischen flexor hallueis long. und dig. comm. pedis long.) die Regel ist.!) Sehr gewöhnlich tritt von der Anhef- tungsstelle der Sehne des peroneus tertius ein conjungirender Sehnenstreifen zur 4. Sehne des extensor dig. comm. longus; sehr gewöhnlich lässt der peroneus longus einen Theil seiner Sehnenfasern in den langen Kopf des adductor hallueis einfliessen. Der „M. extensor die. comm. manus ano- malus mit 5 Sehnen“ zu allen Fingern und des M. extensor dig. long. pedis anomalus mit 5 Sehnen, die GRUBER beschreibt (REICHERT’s Arch. 1875,

Gegenseitige Conjugation des recetus capitis postiecus major und minor.

Unterschenkels gleichgesetzt werde. Dagegen zeigen nachfolgende Schilderungen späterer Forscher, dass gerade bei dieser Muskelvarietät die Idee der conjugatio auch anderen Autoren sich aufgedrängt hat: „Am gewöhnlichsten kommt (beim biceps) ein supernumerärer Kopf vor, welcher sich als abgelöste, gleichsam dem biceps assimilirte Portion des brachialis internus darstellt“ (Luschka, Anat. d.M. III, 1. 164); ferner: „der überzählige Kopf ist ein vom brachialis internus losgerissenes und dem biceps attachirtes Muskelbündel“ (Hyrrr, topogr. An. II, 353).

1) Erwähnt von F. E. Schuzze a. a. ©. p. 20 und abgebildet ebenda, Taf. 1, Fig. 5.

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 12

178

WELCKER.

p- 204), beruhen auf conjungirenden Zwischensehnen zwischen dem gemein- samen Strecker und dem extensor pollicis (resp. hallueis) longus. Aber auch zwischen weniger geleichartigen und zwischen einander

weniger nahe verwandten Muskeln findet sich conju- eatio nicht allzuselten, und es gewinnt in diesem Falle das conjungirende Bündel oftmals das. Ansehen einer verirrten oder verworfenen Portion des einen der beiden Muskeln. Drei Fälle seien erwähnt:

Zwischen dem vorderen Bauche des digastri-

cus und dem mylohyoideus findet man conju-

gatio nicht selten in der Art, dass von ersterem M. digastrieus und mylohyoi- eine Anzahl Muskelfasern sich medianwärts zur da mi versenden Zwi- raphe schlägt (Fig. 3).

sehenbündel.

In mehreren Fällen fand cn und zwar auf

beiden Seiten des Thorax, einen rundlichen Muskel, welcher, vom Rippen- ursprunge des subclavius sich ablösend, nach dem Scapularende des

Zwischennmiuskel zwischen sub- clavius und peetoralis minor.

Zwischenmuskel zwischen flexor pollieis brevis und lumbriealis I.

pectoralis minor hinübertrat und mit die- sem verschmelzend am proc. coracoideus inse- rirte (Fig 6). Der Muskel, welcher bei Be- sinn der Präparation den Eindruck eines am proc. coracoideus inserirenden subelavius machte, hatte die halbe Dicke eines subclavius und lag mit diesem innerhalb der fascia coracoidea, welche indess nach dem pectoralis hin so dünn war, dass sie dem Ende des Zwischenmuskels kein Hin- derniss bot, sich mit der Sehne des pectoralis zu vereinigen )).

Eine eigenthümliche Form der conjugatio beobachtete ich bei einer weiblichen Leiche, bei welcher zugleich an beiden Armen der brachialis internus mit dem biceps, der extensor carpi ra- dialis longus mit dem brevis durch conjugatio ver- bunden ist. Es findet sich hier, an beiden Hän- den, ein von der Insertionspartie des äusseren Kopfes des flexor pollieis brevis sich abzwei- gendes, zur Sehne des lumbricalis I übertretendes und mit ihr verschmelzendes Muskelbündel (Fig. 7), welches 4 Millim. dick ist, den habitus eines lumbricalis zeigt und bogenförmig inner-

!) Variationen des subelavius, nach Angaben von HALLER, BOEHMER und ROoSENMÜLLER, die sich alle mehr oder weniger auf diese durch Conjugation be-

Beiträge zur Myologie. 179

halb der zwischen Daumen und Zeigefinger ausgespannten Hautfalte verläuft.

I. Verfolgen wir nun innerhalb des normalen Vorkommens diejenigen Muskeln, welche nach dem Prineip der conjugatio gebildet sind. Es begegnen uns hier zunächst die zweiköpfigen Beuger beider Extremitäten, deren nähere Betrachtung nieht uninteressante Ergebnisse bietet.

Am ÖOberarme sind der glenoradialis (Fig. Sa) und der coraco- brachialis (d) durch den Zwischenmuskel z (coracoradialis s. caput breve bieipitis) verbunden. Am Öberschen- kel findet sich zwischen dem caput breve bieipitis (@)) und dem semi- tendinosus (3) der Zwischenmuskel z’ hier caput longum bieipitis ge- nannt. Dass die einzelnen Abschnitte dieser Muskelcomplexe beider Extre- mitäten in dieser Weise einander homolog sind also: (db, 2) coracobrachialis=semitendinosus; (a, a) cap. longum bieip. brachi = cap. breve bieip. femoris; homolog ferner die beiden conjungirenden Stränge: cap. breve des oberen und lonsum des unteren biceps (z 2’ der Fig. 8), dies werde ich an einer andern Stelle näher zu begründen suchen; was ich hier nachweisen möchte, ist zunächst dies, dass bei beiden Beugern die in Fig. 8 als zz bezeichneten Abschnitte (cap. M. ee an und ENDE - is der rechten Seite von vorm; breve bieip. brachii und longum fe- vieeps femoris und semitendinosus moris) „gonjungirende Bündel“, ee tan resp. secundäre Bildungen sind.

. Der kurze Kopf des oberen biceps dürfte als eim wesentlich dem coracobrachialis zugehöriger und von ihm aus sich entwickelnder Theil zu betrachten sein; dass auch der m. „biceps“ des Beines keine rechte anatomische Einheit ist, indem m. E. das cap. longum dem semi- tendinosus viel mehr, als dem cap. breve angehört, darauf deutet schon

dinste Form beziehen dürften, erwähnt Hrxte (Muskellehre 88). Der Abbildung in dem Handatlas von Bock, woselbst der subelavius am proe. eoracoideus inse- rirt, scheint diese Abnormität vorgelegen zu haben.

12*

En

150 WELCKER.

die Innervation unserer Muskelgruppe hin, indem semitendinosus und cap. longum, wie ich in einer grossen Zahl von Fällen gleichmässig fand, von der pars tibialis n. ischiadici, das cap. breve von der pars peronea innervirt sind. Aber man könnte geneigt sein, den Bau der in Rede stehenden Muskelgruppen, statt auf conjugatio beruhend, auch folgendermassen zu interpretiren. Von einem günstig gelegenen Skeletpunkte (proc. cora- coideus und tuber ischii) gehen, nach zwei Punkten divergirend, Muskel- fasern ab (am Arme 5 und z, coracobrachialis und coracoradialis, am Beine d’ und z’, semitendinosus und cap. longum bicipitis). Zur Ver- stärkung je des letztgenannten Schenkels und um seine Zugwirkung zu eorrigiren, tritt zu ihm, von je einem anderen Skeletpunkte (Schulter- pfannenrand und Schenkelbeinmitte) ein dem Strange 5 parallellaufender Strang (a, a’): glenoradialis und cap. breve bicipitis, so dass also diese letzteren die accessorischen Theile wären. Indess scheint die ver- gleichende Anatomie für die oben mitgetheilte Auffassung zu sprechen. Die bekannt gewordenen Fälle der Variation des menschlichen biceps geben hier keinen Aufschluss. Allerdings beobachtete MEcKEL !) einen Fall, wo auf der einen Körperseite der kurze Kopf des biceps „ohne irgend eine Spur seiner Anwesenheit‘‘ fehlte, und Mecker’s Dar- stellung lässt keinen Zweifel, dass neben dem langen Kopfe des biceps brachü der coracobrachialis in sonst normaler Weise vorhanden war, die Ab- normität mithin einfach in dem Fehlen unseres Zwischenmuskels z be- stand. Doch kenne ich für den Menschen nur diesen einen Fall von Mangel des caput breve, während ich das cap. longum in drei Fällen vermisst finde). Bei den Säugethieren dagegen, wo der „lange Beuger“ des Armes meist kein biceps, sondern durch Mangel des cap. breve einköpfig ist, (m. glenoradialis), während daneben in der Regel ein gleichfalls einfacher coracobrachialis vorkommt, dürften sich die An- fänge eines biceps per conjugationem mit Bestimmtheit nach- weisen lassen, und das Ebengesagte schliesst bereits die für unsere An- sicht schwerwiegende Thatsache in sich ein, dass wenigstens an der oberen Extremität die Muskeln « und 2, d.i. glenoradialis und coraco- brachialis, nicht aber der Zwischenmuskel z, als die primären Glieder unseres Muskeleomplexes anzusehen sind. Es entsprechen dieselben den

I) Mecke£r’s Archiv, VIII, 587.

2) Der lange Kopf „fehlte durchaus“ am linken Arme (Orro, Seltene Beob. II, 40). Er fehlte an dem einen Arme (Lavru, Handb. d. Anat. I, 204). „Mangel des ganzen langen Kopfes des biceps“ am linken Arme eines Mannes beobach- tete GRUBER (REICHERT’s Arch. 1863, p. 401); „der allein vorhandene kurze Kopf war spindelförmig, nur so gross, wie derselbe Kopf des Muskels der anderen Seite.“

Beiträge zur Myologie. 181

„nebeneinander herlaufenden“ Muskeln « 5 und ce d (Fig. 1), von welchen unsere Betrachtung ausging.

Unter den Fleischfressern ist nach MEckeL!) der glenoradialis bei Hyäne, Hund, Katze, Coati, Dachs, Waschbär, Seehund, Marder „ganz einfach“ (d. i. ungetheilt); ein gleichfalls einfacher coracobrachialis kommt nach demselben Forscher u. a. vor bei Cetaceen, Faulthier, Hase, Maulwurf, Hund, Katze, Nasua, Dachs. Dagegen geht beim Bären „von dem sich spaltenden Haken- armmuskel ein Zipfel“ (ohne Zweifel unser Zwischenbündel z) „an den gewöhn- liehen einfachen Kopf“ (den glenoradialis); also biceps, wie beim Menschen ?).

Diese Angabe schien mir interessant genug, um sie näher zu prüfen. Ich hatte Gelegenheit, die Oberarmmuskeln eines nahezu geburtsreifen Embryo des Eisbären zu präpariren, und was ich hier sah, zu- sammen mit weiteren Angaben MEcKEr’s (s. folg. S. Note 1), berechtigt zu der An- nahme, dass der den menschlichen biceps nachahmende Muskel des Bären wirklich auf eonjugatio beruht, die N-förmige Mus- kelgruppe wirklich nur die. weitere Ent- wicklung unserer ursprünglich einfachen und getrennt verlaufenden Elemente « und b ist. Besonders instructiv ist es, dass wir bei dem Bären (bei welchem der „biceps“ möglicherweise nur die Bedeutung einer häufigeren Muskelvariation besitzt) unseren Muskelecomplex in verschiedenen Phasen der Entwicklung antreffen, und gerade die- Rechte Oberextremitit eines Em- ses häufige Varüren scheint anzudeuten, dass Rryom OB U aim.

S ! 5 a M. glenoradialis. Seichhrer um die Herausbildung :‘, der vom nermus perforana dureh. eines neuen, der Mehrzahl der Säu- bohrie &oracobrachialis. gethiere fremden Bautypushandelt. N rg

Bei dem von mir präparirten Bärenfötus fand sich ein an den radius inserirender, einfacher glenoradialis (Fig. 9a), daneben ein vom Schulter-

I) System der vergl. Anatomie, III, 522,

2) Gleichfalls mehr oder weniger in zwei Bäuche getheilt, die jedoch beide am Humerus verharren, wäre der coracobrachialis nach MEckEL beim Pferde, Schna- belthier, Murmelthier, Marder, Igel, Simia inuus u. A.

182 WELCKER.

haken kommender, -n zwei Bäuche gespaltener coracobrachialis. Der längere dieser beiden Bäuche, 5, welcher in der Nähe des cond. internus humeri an den Knochen inserirt, giebt sich vom nervus musculo- cutaneus durchbohrt, der von da aus in den glenoradialis eintritt als M. coracobrachialis des. Menschen zu erkennen; der obere, in unserem Falle nicht zum glenoradialis übergehende (dies an beiden Extremitäten), sondern hoch oben am humerus inserirende Bauch 2 ist als Rudiment des coracoradialis anzusehen, das Ganze als ein Fall von incompleter con- jugatio musculorum, die, wie nach den Angaben MEckEr’s angenommen werden darf, bei anderen Exemplaren des ‚Bären allerdings zu Stande kommt }).

Fig. 10.

F = flexor dig. quinti, als Zwischenmuskel zwischen opponens (0) und abductor dig. quinti (4)

a in situ, d nach Exartieulation der 1. Phalanx und Ablösung des gemeinsamen Ursprungs des flexor und Abductor vom hamulus.

Ein zweiter für unsere Auffassung wichtiger Muskel ist der M. fle- xor brevis dieiti quinti manus (Fig. 10), der durch sein häufiges

1) Bereits MEckEL fand es „merkwürdig“ dass „gerade dieser Muskel hier mehreres Unbeständige“ zeige. Zu seiner Angabe, dass bei dem Bären von dem sich spaltenden Hakenarmmuskel ein Zipfel an den gewöhnlich einfachen Spei- chenbeuger zu gehen pflege, fügt MEckEL (a. a. O.p. 522) hinzu: „Ich fand ein- mal bei einem braunen Bären auf der linken Seite blos den gewöhnlichen, ein- fachen Kopf, ohne diesen Zipfel, auf der rechten dagegen ein oben sehniges, ganz oben vom Hakenarmmuskel zu dem Hauptmuskel gehendes Bündel. Bei einem weissen Bären spaltete sich dagegen auf der linken Seite der Hakenarm- muskel auf die beschriebene Weise; auf der rechten war ausser dem gewöhn- lichen, sehr starken langen Kopfe ein eigner kleiner kurzer vorhanden, der neben dem Hakenarmmuskel entsprang, erst in der Mitte des Oberarmes einen Zipfel an den langen Kopf schiekte, und sich dann am unteren Ende des Oberarmes mit diesem völlig verband.‘ Einige der von MEckEL verzeichneten vergleichend-

Beiträge zur Myolosie. 183

Fehlen oder durch rudimentäres, gleichsam versuchsweises Auftreten sich wohl unzweifelhaft als auf conjugatio beruhend erweist. Nach meiner Ansicht ist derselbe ein conjungirendes Bün-

del, welches von der vom hamulus o. hamati Fig. 11. kommenden Ursprungspartie des M. oppo- nens sich loslöst, um sich mit der zur 1. Phalanx des 5. Fingers gehenden Sehne des M. abductor die. V. zu vereinigen.

Was man an der Hand als „Sehne des M. extensor digitorum communis für den fünften Finger“ beschreibt, ist meist nichts anderes, als ein von der Sehne des vierten Fingers aus nach der Sehne des extensor die. V. proprius übertretendes Bündel. Eigentliche „Sehnen“ besitzt der extensor die. comm. manus (dem die Be- schreibungen kurzerhand vier Sehnen zu- theilen), in der Regel nur für drei Finger für den zweiten, dritten und vierten.

‘Was endlich die Muskeln des Rückens anlangt, so wird der longissimus dorsi (und Aehnliches gilt von mehreren anderen Muskeln dieser Gruppe), der wegen seiner „Verwachsungen“ mit dem m. spinalis und semispinalis dorsi einige Schwierigkeit macht, sofort verständlich, seine Präparation sehr leicht, wenn man den spinalis als con- jungirenden Zwischenmuskel zwischen loneissimus und semispinalis auffasst. Es wird hierdurch ein bestimmtes Bild der Form Schema der medialen Befestigungen und der Verlaufsriehtungen gewonnen, wäh- "tun „asssinus 12), spinalis

(Sp) und semispinalis (,8s). rend die überaus schwankende Zahl der Ibis VI Dornfortsätze der Hals-

o e 6 wirbel, 1 bis 12 der Brust-, und I Ursprungszipfel und die Wirbelnummern en wenig Anhalt geben. Die fraglichen Muskeln

dürften hinsichtlich jener Verknüpfungen so aufzufassen sein:

Io

anatomischen Data scheinen Andeutungen zu enthalten, dass bei einzelnen Thieren die Conjugation vom glenoradialis aus beginne. Es kann sich indess hier nicht darum handeln, diese älteren Angaben im Einzelnen nach unserer Auffassung zu interpretiren, sondern es würde die letztere durch eine erneute Umschau am anatomischen Material zu prüfen und durchzuführen sein.

184 WELCKER,

Aus der Ecke zwischen Darmbeinschaufel und Lendenwirbel- säule schiebt sich eine Muskelmasse nach aufwärts, mit derben Sehnen- strähnen von der erista ilei, dem Heiligenbein und den Dornen der Lenden- wirbelund der 2 bis 3 unteren Brustwirbel entspringend (4 im Fig. 11). Die ‚anfangs völlig gleichartigen und ihre Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Muskeln nicht verrathenden Bündel schlagen nach oben verschiedene Wege ein; der untere, laterale Theil (alles das, was nach aufwärts bis zum 2. Lendenwirbel, öfters auch bis zum 1. Lenden- oder 12. Brust- wirbel entspringt) wirft sich als longissimus (Z) auf Rippen- und Wirbel- querfortsätze; der obere, mediale Theil, (vom 2. oder 1. Lendenwirbel und den 2 bis 3 unteren Brustwirbeln entspringend), schwenkt als m. spinalis medianwärts, um sehnig an den Dornfortsätzen des 8. (7.) bis 3. (2.) Brustwirbels zu inseriren. Präparirt man nun aber von oben, so steigt schräg abwärts von den Dornfortsätzen der 6 unteren Hals- wirbel und der 6 bis 8 oberen Brustwirbel eine bündelige Muskelmasse (5). Der obere Theil derselben alles das, was etwa bis zum 2. Brust- wirbel herab seinen Ursprung nimmt wendet sich seitlich, zu Quer- fortsätzen: „semispinalis“ (Ss); der untere Theil von 3 aber schwenkt medianwärts: es ist dies der obere Theil desselben Muskels, den wir vor- her in ganz ähnlicher Weise vom longissimus sich loslösen und aufwärts steigen sahen „spinalis“.

Der spinalis dorsi ist hiernach nichts anderes, als eine vom longis- simus abschwenkende und dem medialen Rande des semispinalis sich an- schliessende Sehnen- und Fleischmasse.

Bei der Präparation des sacrospinalis ist es gerade dieser Zwischen- muskel, welcher ein Hinderniss zu bieten pflegt. Derselbe liegt mit seinem lateralen Rande auf dem medialen des longissimus, innig ver- klebt, und er muss durch sorgfältige Scheidung medianwärts umge- klappt werden. Gleich Anfangs bei der Freilesung und Seitwärtsschie- bung des medialen Randes des longissimus und der Präparation seiner inneren Zacken stören gewisse dünne, abgeplattete Fleischbündel gleich- falls conjungirende Fasern zwischen semispinalis und longissimus welche vom 4. oder 5. bis 8. oder 9. Brustwirbeldorne aus schräg absteigen und sich auf die dorsale Sehnenfläche des longissimus aufheften. Sie sind einfach zu durchschneiden.

Ich füge hier betreffs des Baues des longissimus dorsi eine berich- tigende Bemerkung bei. Oftmals ist es nicht der Dornfortsatz eines und desselben Wirbels, an welchem longissimus und spinalis sich trennen, sondern siegreifen sich gegenseitig in ihr Gebiet (Fig. 11), indem der spinalis einige Wirbel weiter herabreicht (z. B. bis zum 2. lumbaris), als der Ursprung des longissimus heraufreicht, den ich häufig bis inclusive. dor-

Beiträge zur Myologie. 185

salis 12 entspringen sehe. Spaltung beider Muskeln bis auf die Dorn- fortsätze stellt dies leicht, ohne Faserverletzung, in’s Klare.

Da mehrere Autoren dem longissimus an den Lendenwirbeln nur Ursprünge „von den 3 unteren“ oder den „2 bis 3 untersten“ zusprechen (in welchem Falle ein Zusammenhang mit dem spinalis eine Unmöglich- keit sein würde), so bemerke ich, dass ich fast ausnahmslos die Dorn- fortsätze aller Lendenwirbel immer aber mindestens die vier unter- sten. von Ursprüngen des longissimus besetzt gefunden habe.

Auch bei dem longus colli beruht das Complieirte des Baues grossentheils auf conjugatio.

Nicht überall freilich liegt das geschilderte Bildungsprineip so augen- fällig zu Tage, wie etwa bei den levatores costarum, deren „longi“ sich sofort als conjungirende Bündel, eingeschoben in die Reihe der breves, zu erkennen geben.

II. Ueber Muskelvarietäten. Hauptarten der Muskelvarietäten. Seltene Varietät des M. biceps brachii.

M. extensor digitorum comm. brevis manus.

Die in Vorstehendem betrachtete Form der Muskelvarietäten, welche uns mehrere in ihrer normalen, fertigen Gestalt einfach als fait accompli dastehende Bildungen in ihrer Entwicklung zeigt und dadurch ver- ständlich macht, besitzt, wie es scheint, noch ein weiteres Interesse. Fasst man das gesammte Gebiet der Muskelvarietäten näher in’s Auge, so zeigt es sich, dass weitaus der grösste Theil aller Einzelfälle auf diese Haupt- form der Variation, auf conjugatio, zurückzuführen ist. Sieht man von denjenigen Bildungen ab, welche

1) auf Abnormitäten der Grösse, auf Verdopplung und Vermehrung (die vielfach selbst nichts anderes ist, als conjugatio), oder auf Ausfall und Defeet beruhen; oder welche

2) in mancherlei Gestaltveränderungen bestehen: Verschie- bung des Ursprungs oder des Ansatzes, Umtausch der Stellen von Sehne und Muskelbauch u. del.; sieht man

3) ab von mancherlei ziemlich regellos auftretenden „besonderen“ Muskeln, die meist dadurch entstehen, dass Muskelfasern an Orten sich einmischen, wo sonst nur Bindegewebe, Fascien sind; oder

4) von gewissen Muskeln, welche auf einer Art von Versetzung oder Wiederholung beruhen, indem sie, normal bei anderen Thier- gattungen oder an einer anderen Körperstelle heimisch, nun an fremdem Orte erscheinen

so unterfällt mit wenigen Ausnahmen Alles, was im Gebiete der

156

WELCKER.

Muskelvariationen vorkommt, der in voriger Abhandlung beschriebenen conjugatio. Zahlreiche „supernumeräre“, mit langen Namen-geschmückte Muskeln gehören einfach unter diesen Gesichtspunkt: der „Musculus bra- chialis internus minor lateralis“ ist wohl nichts anderes, als ein con- Jungirendes Bündel zwischen triceps und brachialis internus; der „musculus cubito-radius“ ein eonjungirendes Bündel zwischen pronator quadratus und Muskeln des Daumenballens; der „musculus radio-cubito-carpeus biceps“ dasselbe in etwas anderer Form und ähnlich zahlreiche andere.

Es ist nicht meine Absicht, die Casuistik der Muskelvarietäten durch ausführlichere Beiträge zu vermehren, und ich beschränke mich auf Mit-

Fig. 12,

Z = caput longum bicipitis, ohne Zusammenhang mit der scapula, am humerus entspringend.

B = das normale caput breve.

theilung nur zweier Formen, beide der oberen Extremität und der 2. und 4. der oben erwähnten Gruppen angehörig.

I. Biceps brachii.

Mehrere Variationen, die ich an diesem Muskel beobachtete und deren eine mit einem Defecte, die andere mit einem Ueberschusse der Bildung einhergeht, haben das Interessante, dass beide sich als zusammengehörige Erscheinungen, als verschiedene Phasen eines und desselben Bil- dungsprocesses, erkennen lassen.

1) Caput longum ohne Zusammenhang mit

der scapula, vom humerus entspringend. Eine auffällige Varietät des biceps be- obachtete ich vor Jahren in dem Secirsaale zu Giessen. An dem einen Arme einer sonst normal entwickelten Leiche fand ich den langen Kopf des biceps (Fig. 12, L) ohne jeglichen Zusammen- hang mit der scapula. Statt aus der Gelenk- kapsel hervorzutreten, entsprang die Sehne mit dünnen, sich allmählich zu einem platten Strange sammelnden Fasern an beiden Rändern des sehr flachen sulcus intertubereularis humeri (vorzugs- weise von der spina tub. majoris), sowie von dem unteren Rande des Kapselbandes. Der

Muskelbauch dieses abnormen cap. „longum“ war kräftig und in der ge- wöhnlichen Weise entwickelt. Diese Versetzung eines Sehnenursprungs auf einen anderen Knochen

Beiträge zur Myologie. 187

schien mir, zumal bei der Beziehung, welche die Bicepssehne unter nor- malen Verhältnissen zum Schultergelenke hat, so befremdlich, dass ich zunächst an das ‚Erzeugniss irgend eines pathologischen Vorganges dachte. In der That ist eine heihe von Fällen bekannt geworden, in welchen durch chronische Entzündung des Schultergelenkes der intracapsuläre Theil der Sehne verloren ging, während das freigewordene Ende, einen Sehnenursprung nachahmend, mit dem tuberculum majus verwuchs. Einen Fall dieser Art hat GRUBER !) mitgetheilt; die Aehnlichkeit, welche der biceps in der von ihm gegebenen Abbildung (a. a. O. Taf. X, Fig. 3) mit dem von mir beobachteten zeigt, ist auf den ersten Anblick eine sehr grosse.

Unter diesen Umständen, und da ein primäres Entspringen des langen Kopfes am Oberarme m. W. bis jetzt nicht verzeichnet wurde, dürfte zunächst auch der Leser Bedenken tragen, ob der von mir be- obachtete abnorme Ursprung wirklich ein primärer gewesen. Ich glaube dieses bestimmt bejahen zu dürfen. Innerhalb des Gelenkes fand sich an dem unter jenen Zweifeln untersuchten Präparate keine Spur einer Sehne, die betreffende Stelle des labrum cartilagineum war glatt und ohne Defeet und Anhang, der suleus intertubereularis ausserordentlich seicht ?), so dass, wenn man überhaupt an ein Abreissen einer ursprüng- lich interartieulären Sehne denken wollte, man letzteres mindestens in das fötale Leben zurückverlegen müsste. Aber ich glaube (s. p. 189) ein Argument beibringen zu können, nach welchem auch diese Vermuthung hinfällig wird.

Würde somit diese Abnormität sich als em „biceps mit ursprüng- lich vom humerus entspringendem cap. longum“ erweisen, so

1) REicHErT’s Archiv, 1863, p. 380 und 398. Ein Fall, in welchem nach veralteter Continuitätstrennung das untere Ende der Sehne ohne Verwachsung mit dem Knochen in der Scheide verharrte, während das intracapsuläre Stück faserig zerfranste, ist abgebildet in: „Usur der Sehne des biceps“, diss. auct. Rapp, praes. LuscHkAa, Tübingen 1866.

2) Eine seichte Furche findet sich auch bei noterisch von Haus aus fehlen- dem biceps, wie folgende Beobachtungen lehren: „Bei einer Frau fehlte am linken Arme der lange Kopf des biceps durchaus; sein kurzer Kopf schien dafür nicht stärker zu sein; am Oberarmknochen war der semicanalis Albini kaum an- sedeutet, nieht überknorpelt und die Kapselmembran hatte keine Oeffnung“ (Otto, selt. Beobachtungen, II, 40). Laurn (Handb. d. Anat. I, 204) sah den biceps „nur mit Einem, vom Hakenfortsatz kommenden, aber die gewöhnliche Dicke um das Doppelte übertreffenden Kopfe —. Die Rinne, worin sonst der lange Kopf liegt, war sichtbar, aber seichter, als gewöhnlich. Auf dem anderen Arme war der Muskel normal.“

188

WELCKER.

dürfte dieselbe eine ebenso interessante als seltene und, wie es scheint, bis jetzt unbekannt gebliebene Varietät darstellen )).

Die Beobachtung, welche auf die eben beschriebene Form des m. biceps Licht. wirft, betrifft eine zweite, gleichfalls nieht uninteressante, aber nicht allzu seltene Varietät. Ich selbst habe sie oftmals beobachtet und beschreibe sie nach zweien von mir conservirten Präparaten:

2) Biceps dreiköpfig, durch Spaltung des cap. longum und Ursprung des überzähligen Kopfes am humerus.

Am rechten Arme einer männlichen Leiche hat sich von der me- dialen Seite des langen Kopfes ein ansehnliches Muskelbündel (Z a, Fig. 15)

Fig. 13.

Biceps dreiköpfig. La der vom cap. longum abgespaltene , halb der Kapsel ent- springende dritte Kopf.

ausSSer-

Biceps vierköpfig.

B= caput breve.

La der vom cap. longum abgespaltene, accesso- rische Kopf.

L= Rest des cap. longum.

C = vierter Kopf, vom brachialis internus zu- tretend.

abgespalten und sendet eine besondere, abgeplattete, 2 Li- nien breite Sehne nach auf- wärts, welche, weiter oben die normale Sehne des cap. longum deckend, theils seit- lich an der spina tub. majo- ris inserirt, theils in die Kapsel- membran des Schulterkopfes übergeht. Ein Zug an dieser Sehne bewirkt eine schwache Herabschiebung des unteren, vorderen Theiles des Kapsel- bandes; auf das Schulterblatt wirkt derselbe nicht. Etwa °/, der Muskelfasern dieses biceps gehören dem cap. breve an, °/, dem normalen Ab- schnitte des cap. longum, !/, dem accessorischen Kopfe. In einem zweiten Falle fand sich bei einer sehr mus- kelschwachen (??) Leiche am linken biceps (den ich im Fig. 14 rechtseitig umzeichne) dieselbe Varietät, mit der Hin- zufügung eines durch conju- gatio vom brachialis internus

!) Bei HEnLE, der in s. Muskellehre (177 und 178) eine sehr reiche Zu- sammenstellung der beobachteten Varietäten giebt, werden der „Rand des sulcus

Beiträge zur Myologie. 189

kommenden vierten Kopfes (C), sowie der weiteren kleinen Abände- rung, dass die Spaltung innerhalb des langen Kopfes so weit nach _ abwärts läuft, dass der accessorische Kopf (Za) hierdurch auf das cap. breve übertragen wird. Auch in diesem Falle deckte der vom hume- rus kommende Theil des langen Kopfes die durch die Kapsel tre- tende Sehne, und diese obere Lage des accessorischen Kopfes ist bedingt durch die Art seines Ursprungs, welcher von den beiden spinae aus auf den Unterrand -des zum Durchtritt der langen Sehne dienenden Aus- schnittes der Kapsel läuft.

In einem dritten Falle schien der biceps auf den ersten Anblick zweiköpfig und völlig normal. Bei genauerer Prüfung sah man, dass eine sehr kleine Anzahl oberflächlicher Muskelfasern des langen Kopfes, statt mit der Bicepssehne in den sulcus einzuschlüpfen, sich loslöste und mit einer ganz dünnen, sehnenartigen Fascie sich an die spina tub. ma- joris anheftete.

Offenbar ist diese durch Fig. 13 und 14 erläuterte Varietät des biceps eine typische Form; genau in derselben Weise sah sie bereits Moser !) und wie ich vermuthen darf, SOEMMERRING ?).

Bei dieser unter 2 beschriebenen Varietät des biceps verhält sich nun die Ansatzweise des überzähligen, von den spinae tuberculorum und dem Kapselbande kommenden Kopfes nach Localität des Ansatzes, Art des Zusammentrittes der Ursprungsfasern, Form der Sehne kurz nach allen Beziehungen, genau ebenso, wie bei dem unter 1 beschrie- benen zweiköpfigen biceps die Ansatzweise des „cap. longum“ sich ver- hält, und es ist gar nicht anzunehmen, dass, was in dem zweiten Falle offenbar als eine Form der Muskelvariation sich entwickelte, in dem ersten Falle als ein pathologisches Erzeugniss sich genau ebenso gebildet habe. Die beiden Muskeln unterscheiden sich eben nur dadurch, dass in dem ersten Falle die ganze Summe der. das cap. longum repräsentirenden

intertubereularis“, sowie die „äussere Fläche der Kapsel des Schultergelenkes,“ als Ursprungsstellen überzähliger Köpfe genannt, als Ursprungsstelle des gesammten langen Kopfes nirgends.

l) (Mecker’s Arch. VII, 227): Bei einem dreiköpfigen biceps (bei welchem die Spaltung des langen Kopfes übrigens weit tiefer nach abwärts zu gehen schien) verlief der untere der durch diese Spaltung entstandenen Muskelbäuche „regelmässig als langer Kopf mit seiner oberen Sehne durch das Kapselband zur Gelenkfläche des Schulterblattes, der über ihm liegende aber heftete sich an das Kapselband des Oberarmknochens, und zwar an der Stelle, wo dieses die Sehne des langen Kopfes hindurchlässt.“

2) „Bisweilen kommt eine kleine Portion von der Oberarmröhre zum langen Kopfe“ (Vom Baue d. m. K. II, 221), Auf den vom brach. int. kommenden Zu- schuss, der ja auf der Seite des cap. breve zutritt, passt dies nicht,

190 WELCKER.

Fasern einen abnormen Ursprung wählte, während in dem zweiten Falle nur ein Theil der Fasern sich auf den humerus übertrug, ein anderer die normale Ursprungsweise bewahrte. Den allerersten Anlauf zu der in Fig. 13 abgebildeten Variation zeigt jener letzterwähnte Fall, in wel- chem die Zahl der an die spina tretenden Fasern des langen Kopfes so gering ist, dass der Muskel auf dem ersten Anblick normal erschien.

Es wäre von Interesse, einen zweiten Fall der unter 1 geschilderten Form des biceps nachzuweisen und die Richtigkeit unserer Auffassung an ihm zu prüfen. Eine Notiz, die ich zunächst bei Laura!) finde: „In einer anderen Leiche, wo der lange Kopf ebenfalls fehlte, fand ich statt seiner einen vom oberen Viertheile des Oberarmknochens kom- menden Kopf“ giebt kaum Sicherheit, wie weit die Aehnlichkeit beider

- Fälle etwa gegangen. Verwandt mit dem meinigen dürfte ein solcher sein, dessen Hykru?), gleichfalls in allzu kurzer Mittheilung, gedenkt: „Ich sah den langen Kopf gänzlich fehlen und zweimal durch eine Sehnenschnur, die von der Kapsel des Schultergelenkes entsprang, ersetzt werden.“ Aber sollte bereits Moser an derselben Stelle, wo er diejenige Varietät beschreibt, die meines Erachtens den Schlüssel für die Erklärung der unter 1 mitgetheilten, auffälligen Form enthält, eben dieselbe (allerdings mit zwei unwesentlichen Modificationen verknüpft) vor sich gehabt und (a. a. O. Taf. III, Fig. 7) abgebildet haben? Die von M. gegebene Beschreibung dürfte dies kaum erwarten lassen, aber die Abbildung spricht dafür. Es heisst (a. a. ©. p. 227):

An einem linken Oberarme bestand der zweiköpfige Beuger aus vier ge- trennten Köpfen, „den beiden normalen“ (sie!) (1 und 2 der Fig., beide am proc. coracoldeus entspringend), „einem dritten“ (dem Texte nach der vom brachialis int. per conjugationem zugetretene; 3 der Fig.) „und einem vierten, eigenthümlich gebildeten starken Muskelbauch“ (offenbar das von M. verkannte und als „überzähligen Muskelbauch“ bezeichnete caput longum). „Die beiden ersteren,“ so heisst es weiter, „der lange und der kurze Kopf des Muskels, unterschieden sich jedoch nicht in Hinsicht ihrer Länge und Befesti- gungsweise, da der, welcher der lange sein sollte (P), sich mit seiner Sehne ebenfalls an den Hakenfortsatz des Schulterblattes heftete. Auf diese Weise fehlte die Befestigung des Vorderarmbeugers an die Gelenkfläche des Schulter- blattes ganz; doch ward sie z. Th. dadurch hergestellt, dass vom oberen Rande der genannten Gelenkfläche an starke Faserbündel des Kapselbandes des Ober- armgelenkes zusammentraten, so eine mit ihm verwachsene Sehne bildeten, welche über das Kapselband, jedoch mit ihm verwachsen hinweggehend, zwischen den vorderen und hinteren Winkel des Oberarmbeines an denselben herabstieg, bei- nahe bis zu dessen Mitte an den Knochen ebenfalls angewachsen, und hier An- heftepunkt für die beiden überzähligen Muskelbäuche wurde,. besonders für

I) Handb. d. Anat. I, 204. 2) Lehrb. d. Anat. XII. Aufl. 451.

Beiträge zur Myologie. 191

den vierten“ „an Dicke des Muskelfleisches den drei beschriebenen zu- sammengenommen gleich. Nach oben .entsprang er sehnigt von der vom Kapsel- bande herabkommenden Sehne, welche ihm ganz auzugehören schien, und auf diese Weise ward der eigentliche lange Kopf des Beugers ersetzt, nur mit dem Unterschiede, dass der Muskelbauch um die Hälfte kürzer, dieker und dass seine Sehne nicht frei, sondern angeheftet an sie spina tub. majoris neben dem An- heftpunkte des grossen Brustmuskels nach oben das Kapselband erreichte, und nun nicht unter demselben, sondern über dasselbe sich wegwerfend und mit ihm verwachsen den oberen Rand der Gelenkfläche des Schulterblattes erreichte.“

Ich finde hier, nach Herausschälung des wirklichen Sachverhaltes abgesehen von der Verdopplung des cap. breve (1 u. 2 der Fie.) und dem angeblichen Zusammenhang des vom brachialis int. stammenden Kopfes mit der rudimentären Sehne des „vierten“ Kopfes meinem Falle gegen- über wesentlich nur den Unterschied, dass der extracapsuläre Ursprung des cap. longum sich hier nicht auf die spina tub. majoris und den un- teren Rand der Schulterkapsel beschränkte, sondern äusserlich auf die- selbe hinaufgriff ein Verhalten, welches den primär extracapsulären Ursprung noch entschiedener nachweisen würde, als die Ursprungsweise der Sehne in meinem Falle.

U. M. extensor digitorum comm. brevis manus.

Bei Versuchen, die Muskulatur der oberen Extremität auf die der unteren zurückzuführen, haben Manche den extensor dieitorum commo- nis brevis des Fusses in den extensoribus digitor. propriis der Hand- finger wiederzufinden geglaubt). Dass diese Muskeln keine geschlossene Reihe bilden, dass sie auf das antibrachium zurückgreifen, während der fragliche Muskel des Fusses nur vom tarsus kommt, würde kein Hinder- niss sein; kommen ja bei der so verschiedenen Entwicklung, welche die einander entsprechenden Gelenke beider Extremitäten einschlagen, ähn- liche Verschiedenheiten auch bei anderen, mit voller Sicherheit homologen Muskeln vor. Aber die Frage löst sich mit Bestimmtheit von einer an- deren Seite her.

In nicht allzu seltenen Fällen tritt auf dem Handrücken ein über- zähliger Muskel auf, der obwohl in der Regel nur aus einem ein- zigen Kopfe bestehend, dessen Sehne bald an den Mittelfinger, bald an den index geht ganz augenfällig eine Wiederholung des extensor dieitorum communis brevis des Fusses ist und welcher als „M. ex- tensor dig. communis brevis“ der Hand bezeichnet werden muss.

1) So Mecke£L, welcher in dieser Beziehung den indicator und seine Ver- _ dopplungen mit derjenigen Neubildung, die wirklich die Wiederholung der am Fusse normalen Bildung darstellt, zusammenwirft (Handb. d. Anat., II, 520 und 521).

er;

192 WELCKER.

Die neueren Lehrbücher haben’ diesen --bereits von ALsınus und SOEMMERRING richtig gewürdigten Muskel )), welchen ich in Fig. 15 nach der Abbildung Augm’s und in Fig. 16 nach’ einer von mir beobachteten vollkommneren Entwicklung vorführe wenig beachtet, und nur bei Hrxue ?) finden sich (nach Beobachtungen von Moser und OrrTo, sowie einer neueren von Dursy und HENLE) einige Angaben. Doch erscheint der Muskel hier nicht in seinem rechten Lichte, indem derselbe, einer Angabe Moser’s zufolge (welcher den Muskel als eine „Hemmungs- bildung“ des in seiner normalen Form fehlenden (?) M. indieator zu deuten suchte) als Stellvertreter des indicator genannt wird. Auch in

M. extensor digitorum manus brevis nach M. extensor dig, comm. brevis manus

Albin, l. c. Fig. II. (Präparat der anat. Sammlung zu Halle. No. 3837).

>

einer zweiten Erwähnung (a. a. 0. 216), in welcher HrstE sehr richtig hinzufügt, dass ein solcher Muskel „an den m. extensor dig. comm. bre- vis des Fusses erinnere“, wird derselbe als eine „Varietät des m. ext.

1) Arsınus (Annotat. academ. IV, Cap. 6, p. 28). „De extensore brevi di- sitorum manus“ „quo natura pedem imitata est.“

SOEMMERRING (V. Baue des m. K. II, 239) führt neben dem M. indieator als einen „seltenen“ aber selbständigen Muskel, den „Extensor brevis digiti in- dieis vel medii“ auf, „der dem auf dem Rücken des Fusses für die Zehen alle- mal vorhandenen ähnlich ist.“

2) Muskellehre, 213.

N

Beiträge zur Myologie. 193

indieis proprius“ bezeichnet. In ähnlicher Weise hatte bereits MEckEL (a. a. 0. 520) unseren Muskel missdeutet, indem er ihn innerhalb der Reihe der Variationen des m. indicator aufführt und in ihm nicht ein zu den typischen Muskeln der Oberextremität hinzugetretenes Novum, son- dern nur „eine weitere Entwicklung des Ursprungs des m. indicator mit zwei Köpfen“ sieht.

Die mir bekannt gewordenen Beobachtungen unseres Muskels beziehen sich, °

den einzigen Fall von HENLE ausgenommen, sämmtlich auf ein Vorkommen des Muskels an nur einem Finger, bald dem zweiten, bald (der häufigere Fall) dem dritten. Der meist am Boden derjenigen Rinne des lig. carpi dorsale, durch welchen die Sehnen des langen gemeinsamen Streckers treten, sehnig entspringende Muskel (als dessen Ursprungsstellen auch das Köpfchen der ulna, der radius, das os capitatum und hamatum in einem Falle auch das os metacarpi IV. ge- nannt werden), schiebt seinen abgeplatteten, auf den Mm. interossei liegenden Muskelbauch vorwärts, während die Insertionssehne mit der betreffenden Sehne des langen Streckers oder des indicator, sowie dem das Metacarpophalangeal- gelenk deckenden Bandapparate, verschmilzt. Was den Ort der Insertion näher anlangt, so sah

Aırsın den Muskel einmal an den index („in utraque manu“), einmal an den Mittelfinger gehen;

SANDIFORT !) zweimal an den Mittelfinger;

MAYER?) einmal, an den index;

Orro 3) sah zweimal den „indicator annomalus brevis,‘“ zweimal den „exten- sor annomalus brevis des Mittelfingers;‘“

Der von Moser beobachtete Muskel ging zum index,

und in einem der von mir beobachteten Fälle ging der Muskel ausschliess- lich zum Mittelfinger.

Hatte AuLsın das Richtige getroffen, wenn er die nur getrennt ge- sehenen Fragmente als Musculus extensor „digitorum“ brevis bezeichnet, so war den vorhandenen Beobachtungen gegenüber allerdings auch SOEMMERRING im Rechte, wenn er den Muskel als „extensor brevis dig. indieis vel. medi“ aufführt. In dem einen der von mir beobachteten Fälle nun (Fig. 16), fand ich (an der rechten Hand eines Weibes) den Muskel zweiköpfig; der in seinem fleischigen Theile hier schon weit breitere und abgeplattete und auch hierin ganz an den analogen des Fusses erinnernde Muskel inserirt mit der Sehne seines inneren Kopfes an den ulnaren Rand der Sehne des indicator proprius, mit der äusseren an den ulnaren Rand der langen Sehne des Mittelfingers.

i) Exereitationes academicae p. 94. (Der von SANDIFORT und von SOEM- MERRING bei dem extensor brevis indicis vel medii eitirte Fall von PETSCHE, der einen ächten, mit einer zweiten Sehne versehenen indicator betrifft, gehört nicht hierher.)

2) Beschreibung des m. Körpers, III, 553.

3) Seltene Beobachtungen. p. 91.

Zeitschrift f. Anatomie. Bd I]. j 13

194 WELCKER.

„Noch grösser war die Analogie‘ (wie HEnLE gegenüber den Fällen

von Orro und Mos£r bemerkt) in dem von ihm und Dursy beobachteten

Falle, in welchem ‚‚mit längeren und kürzeren Sehnen vier Muskelbäuche“ an den Köpfchen des radius und der ulna entsprangen; doch waren auch hier nur zwei Finger von Sehnen besendet, indem „drei zusammenfliessend an die Strecksehne des Mittelfingers, einer an die Sehne des Zeigefingers“ "sich ansetzten !).

Nach diesen beiden Beobachtungen von HrxLEe und mir (zu welchen dann, mit mehr oder weniger Recht noch die in Note 1 berührten kom- men dürften) muss. der Muskel auch in seiner gewöhnlichen, einfachen Form nicht als ein extensor brevis indieis vel medii, sondern als ext. dieitorum communis der allerdings in der Regel nur als einfachstes Rudiment auftritt betrachtet werden.

Da der extensor - brevis pedis an die Kleinzehenseite der langen Sehnen inserirt, so muss die Analogie beider Muskeln um so vollständiger erscheinen, je häufiger unser Muskel seine Sehne an die Ulnarseite der betreffenden langen Sehne sendet. Und wirklich scheint dies das gewöhn- liche Verhalten zu sein: die Insertion betraf die Ulnarseite der langen Sehnen in 3 Fällen Orro’s?), in 2 Fällen von SANDIFORT und HEnLE, sowie in beiden meinen neueren Fällen, während Insertion an die Ra- dialseite nur dreimal angegeben wird (je ein Fall von AuBInus, OTTO und Moser) °?), und es fällt wohl besonders ins Gewicht, dass in den bei- den Fällen, wo der Muskel sich in vollkommnerer Entwicklung zeigte,

1) Aus früherer Zeit erinnere ich mich, leider ohne das Präparat aufbe- wahrt oder eine Zeichnung gefertigt zu haben, drei Sehnen gefunden zu haben,

welche an den 2., 3. und 4. Finger inserirten (wie dies in Fig. 17 dargestellt ist).-

Einen zweiköpfigen, zu index und dig. med. gehenden Muskel, neben dem normalen indicator, eitirt auch dies als Variation des letztgenannten MECKEL nach BRUGNONE (opusc. anat. select.?) p. 168 eine Stelle, die ich nicht nach- sehen konnte.

Mecxer giebt ferner an, von dem von ihm mehrmals gesehenen „Mittel- fingerstrecker“ „eine kleine Sehne zur Wurzel des ersten Gliedes des Ring- fingers“ gehend gesehen zu haben (wobei mir unklar blieb, ob dieser „Mit- telfingerstrecker“ der ‚„extensor brev. dig. medii‘“ SOEMMERRING’s, oder nur die von MEcker oben erwähnte Verdoppelung des indicator ist, in welch letzterem Falle die Form nicht hierhergehören würde.

2) Wenn O. als Insertionsstelle die Ulnarseite der ‚1. Phalanx“ nennt, so betraf der genauere Ansatz wohl auch hier die Sehne und deren membranartige Ausbreitung auf dem Zehengelenke.

3) In drei anderen Fällen von AugIn, SANnDIFORT und MAYER wird über die Seite der Insertion nichts bemerkt,

Beiträge zur Myologie. 195

jede der beiden Sehnen an die Ulnarseite (des indieator und der langen Sehne des Mittelfingers) inserirte.

An keiner der beiden von mir präparirten Hände, die unter Nr. 3887 der anat. Sammlung zu Halle conseryirt werden, vermisse ich den regelmässigen M. extensor indieis proprius; HEnLE bemerkt für seinen Fall ausdrücklich, dass derselbe nicht gefehlt habe, und da Aupmus, SANDIFORT u. A. einen - derartigen Defeet nicht anmerken, so darf man wohl annehmen, dass er nicht statt fand. Der von Moser für seinen Fall angegebene Defect erscheint hiernach als ein Accidens, das an der Sache nichts ändert und den Muskel keinesfalls als einen „Ver- treter“ des indieator, oder als die durch Hemmungsbildung abgeänderte Form dieses Muskels, stempeln kann. Ebensowenig beruht derselbe auf con- -jugatio (etwa zwischen einem interosseus und einer langen Strecksehne) oder auf einer Muskelzerspaltung, sondern er ist ein „supernumerärer Muskel“, der letzten der oben erwähnten Gruppen angehörig eine Wiederholung eines an einer andern Körperstelle heimischen Muskels. »

III. M. tibialis anticus und M. extensor carpi rad. longus; Mm. interossei manus et pedis.

Nach stillschweigender und ausgesprochener Annahme sind die Mm. tibialis anticus und extensor carpi rad. longus, ingleichen tibialis posticus und flexor carpi radialis, homologe Muskeln.

Dass die genannten Muskeln des Armes zum humerus hinaufragen, während diejenigen des Beines sich auf das crus beschränken, würde auch hier, Angesichts der tiefgehenden Verschiedenheiten des Knie- und Ellen- bogengelenkes, kein Hinderniss bedingen. Aber die Sehnen der zur Ho- mologie herangezogenen Muskeln heften sich an verschiedene Finger, die Mm. tibiales an den 1., die radiales an den 2. Dies dürfte eme Schwierigkeit sein, über welche nicht ohne Weiteres hinweszukommen ist.

Wir begesnen ähnlichen Differenzen bei anderen Muskeln, deren Homolosie trotzdem, und gewiss mit Recht, angenommen wird, so bei den Mm. interossei beider Extremitäten. Zunächst von diesen.

Mit ALBIN, SOEMMERRRING und HEnteE im Wesentlichen, mit KRAUSE, LuschkA, Quam-Horrmann vollständig übereinstimmend, nehme ich für Hand wie für Fuss vier Mm. interossei externi s. bicipites, sowie drei interni s. simplices an, deren erstere an die Grundphalangen der drei

13*

196 WELCKER.

inneren Finger inseriren, dies aber mit dem Unterschiede, dass an der Hand der dritte Finger, am Fusse der zweite zwei bicipites trägt. Es besitzt mithin an der Hand der Zeigefinger den 1. biceps und den 1. volaris, der Mittelfinger die beiden folgenden biecipites; während an dem Fusse der 2. Zehe zwei bieipites zufallen, die Mittelzehe aber den 1. plantaris und den 3. biceps erhält. Zum Theil „um diese Ungleich- heit zu beseitigen“, wie mir scheint aber ohne ein anderes Ergebniss zu erreichen, als die Präparanten zu verwirren, hat man an diesem Schema vielfach gekünstelt.

Die Abweichungen der Schilderung beziehen sich wesentlich auf folgende Punkte:

Arsın (Tab. museulorum XX und XXV) unterscheidet an der Hand 4 ‚„in- terni“ und nur 3 „bicipites“, indem er unseren interosseus dorsalis primus, dessen Bäuche in Folge der freien Stellung des Daumens vollständiger getrennt sind, in einen „abduetor indieis“ und „internus primus‘“ zerlegt offenbar kein Ge- winn, da in diesem ‚„internus primus“, der doch ohne Zweifel abdueirt, ein Ab- ductor den Namen eines internus tragen würde, während die übrigen interni Adductoren sind.

HENLE bezeichnet ein sonst dem flexor pollieis brevis zugerechnetes, zur Grundphalanx des Daumens gehendes Bündel als „interesseus volaris primus“, sodass die Zwischenmuskeln der Hand auf 8 kommen. Im Uebrigen ist sein Schema das unsrige.

Wesentlichere Differenzen der Auffassung betreffen den auf der Grosszehen- seite gelegenen Zwischenmuskel der 2. Fusszehe, unseren interosseus dor- salis s. biceps pedis Il, der von SOEMMERRING (vom Baue d. m. K. II, 321) als eiriköpfiger dorsalis, von Anderen (THEıLE, HyeıL, HErıtzmans) als inter- nus s. plantaris aufgefasst wird. Dass dieser Muskel (wie die bicipites pedis überhaupt) eine mehr plantare, als dorsale Lage besitzt, ist ohne Weiteres zu- zugeben. Aber festzuhalten ist, dass derselbe, wie die übrigen ‚dorsales“, ein gefiederter, zweiköpfiger, vom zweiten und ersten Metacarpus entspringender

Muskel ist.

Müsste dieser Muskel wirklich aus der Reihe der bieipites gestrichen und als plantaris primus bezeichnet werden, so ergäbe sich zugleich das Ungeschickte, dass ein plantaris primus mit den bicipites die Abduction besorgte, während die übrigen plantares Adductores sind eine Inconvenienz, die dadurch nicht sehoben wird, dass Hrıtzmann (Anatomie, I, 208) setzt: „vier Museuli inter- ossei interni „Adductores.“ Denn die Achse für die seitliche An- und Abziehung der Fusszehen liegt wirklich in der zweiten Zehe.

Wo dem interosseus biceps I. pedis der vom hallux kommende Ursprungs- schenkel fehlt, was meiner Erinnerung nach durchaus kein häufiges Vorkommen ist, da ist dieser Mangel als Varietät aufzufassen. Nach HextE (Muskellehre, 1. Aufl., 302), unterscheidet sich unser Muskel von den übrigen bicipites durch einen mehr rückwärts (auf die Basis des metatarsus I. und das 1. Keilbein) verlegten Ursprung des medialen Kopfes, „doch besitzt er einen medialen Kopf“; LuscHkA (Anat., III, 435) sagt von den vier bieipites pedis: „alle bestehen aus je zwei Köpfen.“

Beiträge zur Myologie. 197

Eine grössere Annäherung der Vertheilung der Zwischenmuskeln des Fusses zu denen der Hand, als bei dem von uns adoptirten Schema, kommt bei allen ‚jenen Deutungen und Annahmen, die überdies theils gezwungen, theils gerade- zu unwahr sind, nicht zu Stande.

Die bei den Mm. tibiales und ihren oberen Vertretern, wie die bei den Mm. interosseis hervorgehobenen Schwierigkeiten verschwinden, wie mir scheint, wenn man sich überzeugt, dass es eine ganze Reihe

Bie. 17.

Homologe Muskeln an Hand und Fuss. Halbschematische Zeichnung. 1! und 1=M. tibialis antiecus und extensor carpi radialis longus. 2! und 2= Insertion der am meisten medialen Sehne des ext. dig. comm. brev. pedis et manus. 31 und 3 = Finger, welcher die Adductionsachse des Extremitätenendgliedes, sowie z wei interossei bieipites trägt.

von Muskeln ist, welche sich zum 2. Finger der Hand genau so verhalten, wie ihre Homologa zum 1. Finger des Fusses. Dies aber wohl darum, weil den das Vorderende der Extremitäten be- wegenden Muskeln nicht der bewegliche Daumen, sondern der feste Zei- sefinserrand des Handskelets ähnliche Bedingungen bietet, wie ihren Analogis der Grosszehenrand des Fusses. Alle die hier in Frage kommenden Muskeln der Oberextremität liegen zur Linie rr (Fig. 17)

198 WELCKER.

genau so, wie die entsprechenden des Fusses zur Linie r'r‘. Die Ver- lesung des dem M. tibialis homologen Muskels auf den 2. Finger beruht nach meiner Annahme auf einer Anpassung behufs des Gebrauches. Würde der flexor und der extensor carpi rad. longus den Metacarpal- knochen des Daumens ergreifen, so würden diese Muskeln nicht den car- pus, sondern zunächst den Daumen bewegen. An dem Fusse dagegen, wo der hallux in festerem Schlusse- den übrigen Zehen anliegt, wenden sich die den Fuss seitlich ablenkenden Muskeln wirksamer an die in- nerste Zehe }).

Fanden wir die Insertion der Mm. tibiales an der Randzehe des Fusses, die Insertion ihrer Analoga aber einen Finger weiter in’s Innere der Hand gerückt (1’, 1, Fig. 17), so finden wir genau das Ent- sprechende betreffis der Lage der Ab- und Adductionsachse der Zehen und der Finger (3°, 3): sie liegt bei'm Fusse bekanntlich im 2. Finger, bei der Oberextremität einen Finger weiter im Inneren der Hand, also im 3. Finger. Dort ist es die 2. Zehe, hier der Mittelfinger, welcher zwei m. interossei bieipites trägt, und wir finden nun durchaus keinen Grund, der 2.. Zehe das Recht, zwei bicipites zu tragen, zu bestreiten, um so weniger, als sie dieselben thatsächlich besitzt.

Blicken wir zum Schlusse auf den M. extensor dig. comm. brevis pedis und den in der vorigen Abhandlung betrachteten oberen Vertreter desselben (2’, 2), so zeigt es sich, dass ersterer seine am meisten medial gelegene Sehne an die erste Zehe schiebt, während die innerste Sehne des ext. dig. brevis manus einen Finger weiter im Innern der Hand zurückbleibt: am Zeigefinger. Dort wurde dieselbe in einer verhältnissmässig grossen Zahl von Fällen beobachtet, am Daumen niemals.

IV. Platysma myoides.

Zu einer Musterung des in den Handbüchern über diesen Muskel Gesagten veranlasste mich die von Schülern immer und immer wieder

1) Ich lege auf diese etwas teleologisch klingende Argumentation umso- weniger den Hauptaccent, als ich die Verhältnisse nicht bei den mit frei beweg- lichem hallux versehenen Säugern verfolgen konnte und berufe mich vorzüglich darauf, dass es mehrere oflenbar einander homologe Muskeln sind, welche von

Beiträge zur Myologie. 199

vorgebrachte Angabe, dass das Platysma „von der Fascie des grossen Brustmuskels“, oder dass es „von der clavicula“, oder „von den Rippen“ entspringe.

In der That enthalten die Bücher über den Ursprung des platysma fast durchweg theils unbestimmte, theils unrichtige Angaben, nach welchen der „in der Gegend der clavieula oder den oberen Rippen entstehende“ Muskel leicht als „von der clavicula oder den Rippen entspringen de“ verstanden wird, während mehrere, zumal die neueren Lehrbücher (Hykrz, Hrnte, Luschxa, QuAam-Horrmann), den Muskel ausdrücklich „von der Fascie des grossen Brustmuskels“ entspringen lassen ').

Hand zu. Fuss gegen die Ordnung der Fingernummern in völlig gleichmässiger Weise verstossen.

Den Angaben Mecker’s (Syst. d. vgl. Anat. III, 536) und theilweise eigener Anschauung entnehme ich, dass der M. extensor carpi rad. long. bei zahlreichen Säugern, wie beim Menschen, den 2. Finger besetzt, bei anderen aber den ersten, hier also völlig mit dem tibialis anticus übereinstimmt. An den 2. Mittelhandknochen geht der. ext. carp. rad. long. beim Schweine; bei dem Murmelthier, Biber, der Ratte und bei vielen anderen Nagern sind beide exten- sores carpi radiales vorhanden und sie inseriren am 2. und 3. Metacarpus. Eben- so bei Didelphis. Insertion am 1. Metacarpus dagegen findet sich bei folgenden Thieren: beim Daman, wo beide extensores radiales vorhanden sind, gehen dieselben an die BISE ersten Mittelhandknochen; bei Ai, Ameisenfresser und Tatu geht der rad. long. mit zwei Sehnen an die beiden ersten Mittelhand- knochen;, bei den nen geht der anfangs einfache Muskel mittelst drei Sehnen an die drei ersten Mittelhandknochen; ähnlich bei den Fledermäusen.

1) Die erste jener zu Missverständnissen Veranlassung gebenden Angaben findet sich bei Arsınus: „Principium (m. latissimi colli) e tenuibus magnamque partem sparsis fasciculis constans, quo in pectore infra claviculam et in humero ineipit“ (Tabulae museulorum, XI, Fig. XVI, a) „— besteht aus dünnen, langen, in der Fetthaut liegenden Muskelfassern.‘‘“ (SOEMMERRING, Muskellehre, pag. 93). „— liegt unmittelbar unter der Fetthaut, an die er genau angeheftet ist; entsteht in der Brust- und Schultergegend mit einzelnen Bündeln etwas un- terhalb dem Schlüsselbeine —“ (Mecker, Hndb. d. Anat. II, 470). „— ein sehr dünner Muskel, welcher schräg vom Schlüsselbein bis in das Gesicht hinauf- steigt —. Er entsteht mit zerstreuten Bündeln unterhalb des Schlüsselbeines —“ (Krause, Hndb. d. Anat. I, 374). „Ursprung: die Brust- und vordere Schulter- gegend, vor dem M. pectoralis maj. und der 2. und 3. Rippe“ (Bock, anat. Taschenbuch 1851, p. 154). „Die Fasern übergehen unten in das subeutane Bindegewebe —“ (Langer, Lehrb. d. Anat. 194). „— Lage von Muskelbündeln, welche über das Schlüsselbein und auf die Brust treten“ (Meyer, Lehrb. d. Anat., 248).

Von den Angaben, welche das Platysma ausdrücklich von der Muskel- fascie entspringen lassen, führe ich nur an: „— liegt dicht unter der Haut und entspringt an der vorderen Fläche der Brust in dem Zellgewebe vor dem

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Ich habe mich bemüht, ein Präparationsverfahren ausfindig zu machen, welches hier unzweideutigen Aufschluss giebt. Das Platysma entspringt vom Unterrande des Unterkiefers '); sein unteres Ende heftet sich, wie ich den vorstehenden Angaben gegenüber berichtigen möchte, nicht etwa an das Unterhautzellgewebe, noch weniger an die Muskelfascie, sondern es inserirt dasselbe im eigentlichsten Sinne des Wortes an. die Haut der Infraclavieular- und Schultergegend. Die Sehnenfasern der einzelnen Bündel und Strähne, in welche das Platysma an der Insertions- grenze sich zerspaltet, fliessen in die Bindegewebsbündel des corium ein, mit ihnen sich innig vermischend. Hierbei ist zu bemerken, dass der Muskel, indem seine obere (vordere) Fläche mit der sie bedeckenden Haut innig und unverschieblich verwachsen ist, nicht einfach vom Ursprunge nach der Ansatzstelle hin wirkt, sondern es wirkt derselbe auf die ge- sammte, dazwischenliegende Haut, dieselbe runzelnd und verschiebend ?).

Dass dem so ist, zeigt sich bei folgendem Präparationsver-

grossen Brustmuskel“ (HILDEBRAND-WEBER, II, 370). „— entspringt vom subeu- tanen Bindegewebe der Brust und von der Fascie des grossen Brustmuskels in der Gegend der 2. Rippe —“ (Hyrrr, Lehrb. d. Anat. 11. Aufl., 400). „— ent- springt aus den Bindegewebsfaseien des pectoralis und deltoides“ (Hyarı, Zer- gliederungskunst, 210). „Die Hauptmasse der Fasern entspringt aus der Fascie des M. pect. major und des M. deltoideus —“. „Die vom pectoralis entspringen- den Bündel liegen dicht zusammen, die vom deltoideus entspringenden mehr zerstreut —“ (HENLE, Muskellehre, 105). „Die meisten seiner Bündel hängen mit der Binde zusammen, welche den M. pectoralis major und den vorderen Ab- schnitt des deltoideus überzieht“ (LuscHrA, Anat. des Halses, 161). „— ent- springt am oberen Theil der Brust von der Fascie der Mm. pect. major und del- toideus“ (HoLLstein, Lehrb. d. Anat., 5. Aufl. 286).

Nur in Einer Angabe scheint der Muskel in der von mir gegebenen Weise aufgefasst zu werden, dies in einem älteren Werke, bei LautH (Handb. d. pract. Anat, I, 1835, p. 154): die breiten. Halsmuskeln „verlieren sich endlich in der Haut, welche den oberen Theil des grossen Brustmuskels und des Deltamuskels bedeckt.“ Ich zweifle nicht, dass hier der jene Muskeln deckende Theil der äusseren Haut, und nicht etwa die Fascie gemeintist. Alle übrigen Autoren welche von einer „Anheftung“ des Platysma an die Haut sprechen (Krause, HEntE, LuscHkA) meinen damit nur die bekannte dichte Verklebung der vorde- ren Fläche des Muskels mit der Haut, und derselbe ist ihnen nur durch diese Beziehung ein „Hautmuskel“; sie lassen die weit kräftigere Anheftung der Endfasern (die eigentliche Insertion) nicht an die Haut, sondern an die Muskel- fascie treten.

l) Gut dargestellt bei Hrrrzmann, Anat. I, Fig. 39.

2) Eine gute Abbildung des thätigen (die Halshaut vom Kinne bis zum Iu- gulum in Querrunzeln ziehenden) Platysma giebt, nach einer Photographie DucHENNE’s, DarwIn (Ausdruck der Gemüthsbewegungen, deutsch von V. Carus, 312).

Beiträge zur Myologie. 201

fahren: Man durchschneide die Haut längs des Unterkieferrandes, das Platysma selbst nicht verletzend, und führe zwei weitere Hautschnitte längs des medialen und lateralen Randes des Muskels. Präparirt man nun den durch diese drei Schnitte umgrenzten Hautlappen nach abwärts sorgfältig vom Platysma los, so kommt man unterhalb der clavicula an eine nicht ganz geradlinige Grenze, längs welcher die Haut sich nicht weiter lüften lässt, falls nicht die Insertion des Mus-

4. Schematisches Profil des oben beschriebenen Präparates. abc Kinn-, Hals- und obere Brusthaut, an welcher das Platysma bei d (Infraclaviculargegend) inse- rirt. Der obere Pfeil deutet die Richtung des ersten, sich möglichst auf dem Platysma haltenden Präparationsganges an; der untere Pfeil die Richtung des zweiten ‚Ganges, welcher, die Fascie möglichst unberührt lassend, hinter das Platysma führt.

B. Platysma myoides der rechten Seite nebst der Haut des Halses; Ansicht auf die hintere Fläche.

C. Insertionsende des Platysma, p, durch den panniculus adiposus der Brust hin- durch zur Haut tretend.

kels, dessen Uebertritt zur Haut bei diesem Verfahren nicht zu verkennen ist, durchschnitten würde. Verlängert man nun die beiden Längsschnitte der Haut über das Gebiet des Platysma hinab, den lateralen bis auf die Schulter, den medialen bis zur 4. Rippe —, die Enden beider Schnitte durch einen Querschnitt verbindend, und prä- parirt .diesen Hautlappen nach aufwärts, das subceutane Bindegewebe möglichst vollständig auf der Muskelfascie sitzen lassend, so geräth man, sobald die Grenze erreicht ist, bis zu welcher bei der

202 WELCKER.

ersten Präparation die Haut von oben her gelöst wurde, unter oder hinter das Platysma, und das nun losgelöste Präparat (vgl. Fig. 18) gabelt nach oben in eine vordere Lamelle: Haut, und eine hintere Lamelle: Platysma. Ein vorzügliches Schulpräparat erhält man, wenn nun noch das obere Ende des Muskels bis zum. Unterkiefer auf beiden Flächen sorgfältig gereinist und die am Platysma hangende Kiefer- hälfte vom Schädel gelöst wird (Fig. 18, B).

Dass das untere Ende des Platysma nicht etwa künstlich von der Muskelfascie weg- und auf die Haut hinüberpräparirt wurde, erkennt man an diesem Präparate, sofern noch ein Zweifel bestehen sollte, aus der scharfen Einbiegung, welche der Muskel längs seiner Insertionsgrenze an der Haut erzeugt, wenn man ihn von dem straff gespannten Haut- lappen rechtwinklig abzieht (man halte die Haut horizontal ausgespannt, bei frei herabhängendem Muskel und Unterkiefer); kleine Grübchen, in welche die Haut sich einzieht, demonstriren sehr deutlich die genauen Insertionsenden der einzelnen straff gespannten Sehnenbündel.

Die Insertion des Platysma an die Haut ist eine so feste, dass ein ansehnliches Gewicht an die Haut angehängt werden kann, ohne dass das auf semen beiden Flächen bis zu den feinsehnigen Insertionsenden der Bündel vollkommen rein präparirte Platysma abreisst. Bei den von mir angestellten Versuchen trug das einer kräftigen Mannes- leiche entnommene Platysma nach einander 6, 8, 10, schliesslich 20 Pfunde, ohne dass die Sehnenenden von der die Gewichte tragenden Haut ab- rissen. Da weitere Gewichte nicht zur Hand waren, schüttelte ich wieder- holt das mit 10 Kilo belastete Präparat, bis endlich durch den erzeugten Ruck das in der Hand gehaltene Oberende des Muskels Noth litt, wäh- rend die Insertion unverletzt blieb. Man sieht hieraus, dass der von mir behauptete Uebertritt an die Haut eine Insertion im eigentlichsten Sinne des Wortes ist }).

Aber auch ohne jede Präparation lässt sich unter günstigen Verhält- nissen erkennen, dass das Platysma nicht an die Faseie inserirt. Setzt man bei einer mageren Leiche mit recht verschieblicher Haut die Finger-

1) In der 2. Auflage seines Lehrb. d. Anat., p. 272, sagt Meyer von den Haut- muskeln (zunächst der Thhiere), dass sie „zum Theil einen freien Anfang und ein freies Ende haben, zum Theil auch von Knochenpunkten entspringen und nach längerem Verlaufe frei enden“; für das Platysma des Menschen, welches als eine flache Lage von Muskelbündeln unter der Haut liege, giebt M. keinen be- sonderen Ursprung, resp. Insertion, an. Dass das Platysma des Menschen nicht etwa „frei endet“, beweist obiger Versuch.

Beiträge zur Myologie. 203

spitzen in der Infaclavieulargegend auf die Ansatzgrenze des Platysma und rückt die Haut hin und her, so folgt das Platysma der letzeren, ohne dass die Muskelfascie sich irgend mit bewegt oder ein Hinderniss für die Hautverschiebung abgiebt. Auch sieht man nicht ab, wie das Platysma überhaupt nennenswerthe Bewegungen machen könnte, wenn dasselbe gleichzeitig (wie z. B. Krause es schildert, a. a. 0. 374) „an seiner inneren Fläche mit dem oberflächlichen Blatte der Fascia cervi- calis, an semer äusseren Fläche mit der Fascia superficialis und dem pannieulus adiposus genau verbunden“ wäre.

Untersucht man bei fettreichen Personen, so findet sich das Platysma, welches sonst der Haut unmittelbar anliegt, nun durch die grössere Mächtiekeit der subeutanen Schicht von der Haut weggerückt; das Platysma liest unterhalb des Fettpolsters des Halses (wie ja auch bei den Thieren die Hautmuskeln unterhalb des pannieulus liegen). Aber keineswegs behält das Sehnenende des Platysma diese hintere Lage bei, etwa zur Fascia pectoralis tretend, sondern die Sehnenbündel durch- brechen das Fettpolster, nach vorm, zur Haut tretend. Das Fett- polster des Halses geht hiernach, soweit das Unterende des Platysma concurrirt, mittelst einer theilweisen Unterbrechung in das Fettpolster

der Brust über, und es schiebt sich, wie €, Fie. 18 zeigt, der panniculus _ des Halses, nach unten zu immer dünner werdend (und zwischen den Sehnenbündeln des Platysma nach rückwärts durchgreifend), in den In- sertionswinkel des Platysma hinab, während der pannieulus der Brust, ebenfalls dünner werdend, in gleicher Erstreckung hinter die an die Haut tretende Sehne hinaufsteigt.

Was die Wirkung des Platysma anlangt, so wird dasselbe von verschiedenen Anatomen als „Herabzieher des Unterkiefers“ auf- geführt, und die allgemein gebräuchliche Bezeichnung der unteren Partie des Muskels als „Ursprung“ scheint den Unterkiefer als punctum mo- bile vorauszusetzen. Man sieht indess bei der Eröffnung des Mundes durchaus nichts von der jede Zusammenziehung des Platysma beglei- tenden Runzelung und Emporhebung der Haut, und der aufgeleste Finger findet das Platysma vollkommen ruhig. Anders bei lebhafter Einathmung oder beim Oeffnen des durch äussere Gewalt zusammengehaltenen Mundes, wo das Platysma in Mitbewegung eintritt. Die normale Wirkung des Muskels, bei welcher der Unterkiefer als punctum fixum dient, bezieht sich, wie dies Hrxte (Muskellehre 108), nach der Angabe von Forız in Erinnerung bringt, auf die Emporhebung der Haut des Halses und ihrer Unterlagen, resp. auf die Spannung der Hals-

204 : WELCKER.

venen mithin auf die Regulation der Blutbewegung unter besonderen Verhältnissen (bei'm Singen, Echauffement, lebhaftem Athmen). !)

Zu berichtigen ist eine Angabe Darwım’s?), nach welcher das Pla- tysma myoides (im Gegensatz zu anderen, „in einem noch wirksamen Zustande“ vorhandenen Resten des Hautmuskels der Thiere) „nicht will- kürlich in Thätigkeit gebracht werden“ könne. Bei mir und mehreren Personen, die ich darauf prüfte, bewirkt die willkürlich sehr leicht erfol- gende Zusammenziehung des Platysma eine deutliche Runzelung und Emporhebung der Halshaut. Die freie Beweglichkeit des Platysma scheint jedenfalls viel häufiger zu sein, als etwa die der Ohren oder der Kopfhaut.

1) Vgl. m. Angabe über die Wirkung des M. sartorius (REICHERT’s und D Boı1s’ Archiv, 1875, p. 38). - 2) Die Abstammung des Menschen, deutsch von V. Carus, I. 16.

Halle, im August 1875.

Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior.

Von Dr. A. von Brunn, Prosector in Göttingen.

(Hierzu Tafel VII.)

In einer vorläufigen Mittheilung (Göttinger Nachriehten 1874, No. 19) beschrieb ich eine an der unteren Fläche des Zwerchfelles linkerseits gelegene Tasche, die ich für völlig abnorm hielt. Die Untersuchung von vierzig auf hiesiger Anatomie vorgekommenen Leichen und von vierundzwanzig bezüglichen Präparaten, die mir Herr Prof. WALDEYER aus Strassburg zuzusenden die Güte hatte, hat mich indessen belehrt, dass diese Tasche ziemlich häufig vorkommt und ihre Entstehung der bis jetzt nicht genügend beschriebenen Form des Ligamentum triangulare hepatis sinristrum verdankt. Ich werde dem- nach zunächst diese Bauchfellfalte näher beschreiben und dann auf die Entstehung und Verhältnisse jener Tasche übergehen.

Das Lig. triangulare sinistrum wird in den Handbüchern aus- nahmslos als eine directe Fortsetzung des Lig. coronarium beschrieben, welche dadurch, dass der hintere Rand des linken Leberlappens sich nach links hin vom Zwerchfell mehr und mehr entferne, die Form einer dreieckigen Falte erhalte. Der obere Rand derselben wäre dem- nach an das Zwerchfell, der untere, unter spitzem Winkel mit dem oberen zusammenstossend, an der Oberfläche der Leber in der Nähe des hinteren Randes befestigt; der linke Rand sei scharf und schliesse den von den vorigen beiden gebildeten Winkel zum Dreieck; er verlaufe vertical von der äussersten linken Ecke der Leber nach oben. Diese Beschreibung trifft nun aber nur für den Fötus zu: be- merkenswerth für das Folgende ist besonders, dass sich der untere

206 A. von BRURNN.

Rand des Bandes beim Fötus nicht an den hinteren Rand, sondern an die obere convexe Fläche der Leber ansetzt, so dass der vordere sowie der hintere Leberrand frei in die Bauchhöhle hineinragen.

In den Leichen erwachsener Individuen ist dagegen die Form mit seltenen Ausnahmen eine ganz andere. Der linke Rand des Bandes geht nämlich von der linken Ecke der Leber aus nicht senkrecht in die Höhe, so dass nur der dreieckige Raum zwischen Leber, Zwerch- fell und Lig. coronarium von ihm durchzogen würde, sondern zieht sich nach links am Zwerchfell hin und hat oft eine Länge von 10—12 cm., so dass er erst über der Milz endet. Die Höhe des Bandes, vom Ansatz am Zwerchfell gemessen, nimmt vom Leberrande nach links hin allmälig ab. Der beim Fötus linke Rand desselben, der dort mit dem unteren in einem dem rechten sich nähernden spitzen Winkel zusammenstiess, kommt daher jetzt gegen den unteren in einen sehr stumpfen Winkel zu stehen und liest mehr nach unten als nach links hin. Dieser Rand also, den man als unteren des links von der Leber gelegenen Theils des Lig. triangulare sin. bezeichnen darf, ist nicht scharf, sondern breit, er stellt in Fällen, wo die später zu beschreibenden Taschen nicht da sind, eine 0,5—3 cm. breite Platte dar, auf deren oberer Fläche das eigentliche vertical stehende Lig. triangulare befestigt ist und deren vorderer und hinterer Rand als direste Fortsetzungen der entsprechenden Ränder der Leber zu betrachten sind (Fig. 2). Die vor der Verwachsungslinie mit dem eigentlichen Lig. triangulare gelegene Partie ist, entsprechend dem Ansatze des Bandes an die Leber, die grössere. Der Querschnitt des linken Theiles des Bandes hat demnach die Form eines umgekehrten T (1), dessen senkrechtem Schenkel das eigentliche Lig. triangulare, dessen querem die genannte Platte entspricht. Nicht in allen Fällen. reicht diese letztere von der Leber bis an das linke Ende des Lig. triangulare, oft nur bis zu dessen Mitte, oft noch weniger weit. ' Ist sie in ihrer vollsten Entwickelung vorhanden, wie in Fig. 2, so verbreitert sie sich am Ansatz an das Zwerchfell ein wenig; ist also im Ganzen einen langen Rechteck ähnlich, dessen beide lange Seiten frei und ein wenig concav, dessen kurze an der Leber und dem Zwerchfell befestigt sind. Reicht die Platte dagegen nicht bis an das Zwerchfell, dann convergiren die beiden freien Ränder nach links unter einem spitzen Winkel und sie stellt ein gleichschenkliges Dreieck mit an der Leber angewachsener Basis dar.

Wie hat man sich nun das Zustandekommen dieser verschiedenen Formen zu erklären? Wir müssen, um darüber Aufschluss zu erhal- ten, die Entwicklung der Leber berücksichtigen.

Die Bursae phrenico-hepatiea anterior und posterior. 207

Schon während des Fötallebens und noch lange Zeit nach der Geburt verkleinert sich bekanntlich der linke Leberlappen sehr be- deutend nicht nur relativ, sondern absolut nach HILDEBRAND ist der Schwund desselben so bedeutend, dass derselbe beim Neugeborenen doppelt so schwer ist als beim einjährigen Kinde, und zieht sich, so zu sagen, aus seinem Bauchfellüberzuge nach rechts zurück. Dieser selbst resp. der linke obere Winkel des Lig. triangulare ist nun beim 3— 4monatlichen Embryo etwa in der Höhe der 10. bis 11. Rippe am Zwerchfell angewachsen und es muss also ceteris paribus das Lig. triangulare stets von da aus zur Leber gehen und um so länger wer- den, je mehr der linke Lappen sich verkleinert und je mehr das Zwerchfell selbst an Grösse zunimmt.

Diese Verkleinerung erfolgt nun nicht gleichmässig an allen Theilen der Leber: an ihr direct betheiligt ist nur die Masse der Leberzellen, die Gefässe dagegen, Blut- sowohl wie Gallengefässe, bleiben zurück und stellen die Vasa aberrantia des Lig. triangulare dar. Auch geht in manchen Fällen der Schwund der Lebersubstanz nicht gleichmässig am linken Rande hin, sondern erfolgt so, dass grössere oder kleinere Partieen zunächst vom Ganzen sich ablösen, also vorerst isolirt zwischen den beiden Platten des sonst leeren Peri- tonealüberzuges liegen bleiben und dann erst allmälig der Resorption anheimfallen. Solche isolirte Leberkrümchen finden sich nicht selten zwischen den beiden Lamellen der horizontalen Platte des Lig. trian- gulare sowohl bei Embryonen aus den letzten Monaten, wie bei Er- wachsenen. Besonders instructiv ist in der Hinsicht Fig. 1 von einem Smonatlichen Fötus, bei dem ein 2 mm. im horizontalen Durchmesser haltendes plattes Leberstück auf der Kante des Lig. triangulare auf- sitzt, mit seinen Flächen horizontal gestellt.

Die Form, welche der leere Bauchfellüberzug des linken Leber- lappens nach dem Schwunde der Lebersubstanz hat, müsste, wenn der- selbe starr wäre und seine frühere Form beibehielte, die einer leeren Tasche sein, deren Höhlung sich zwischen die beiden Blätter des Lig. triangulare hinein erstreckte. Er ist nun aber weich und zart: daher lesen sich zunächst die beiden Blätter aneinander und bilden so eine senkrecht auf dem eigentlichen Lig. triangulare aufstehende Platte. Die Weichheit und Zartheit des Bauchfells ist aber beim Fötus zu gross, um auch nur diese Platte fortbestehen zu lassen; dieselbe wird vielmehr völlig eingezogen, das Lig. triangulare nimmt sie vollständig in sich auf. Es bleibt nur das ursprüngliche Ligament mit linearem Querschnitt übrig. So ist der Vorgang beim Fötus, dessen Bauch- fell sich im Ganzen durch seine Zartheit auszeichnet: es findet sich

208 A. von Brunn.

trotz der Verkleinerung des linken Leberlappens bei ihm immer nur jenes einfache, eingangs beschriebene Lig. triangulare, nur wird in den späteren Monaten die Verlängerung desselben nach links hin wahr- nehmbar. Ebenso verhält sich diese Falte bei Thieren während des ganzen Lebens, da ihr Peritoneum immer in seinem ursprüng- lichen zarten Zustande verbleibt: auch hier ist die Beschaffenheit stets die früher geschilderte.

Nach der Geburt erhält sich nun aber beim Menschen jene zarte slashelle Beschaffenheit der Bauchfellüberzüge überhaupt und speciell der stellenweise frei durch Theile der Bauchhöhle ziehenden Falten mit Ausnahme weniger Fälle nicht mehr lange; dieselben werden weisslich trübe, dicker, härter, weniger nachgiebig, starrer. Daher findet sich in den Leichen Erwachsener das Lig. triangulare von der vorhin geschilderten Form: auf dem linken resp. vordern Rande desselben liest eine horizontale Platte auf, deren Ränder in die des linken Leberlappens übergehen.

Die Platte nun wird, entsprechend der Form dieses Lappens, dreieckig sein müssen: der besprochene Modus der Entwickelung reicht also nur zur Erklärung der einen Art der Platte hin. Die Ausbil- dung der viereckigen Form hat als Ursache eine etwas andere ur- sprüngliche Anheftung des Lig. triangulare.e Man sieht nämlich ab und zu schon beim Fötus, dass der untere Rand dieser Falte sich nicht nur an der oberen Fläche der Leber ansetzt, sondern dass seine Insertion sich am vorderen oder hinteren Rande der Leber, und dem entspre- chend auch der Ansatz des hinteren Randes am Zwerchfell nach vorn oder hinten eine kleine Strecke weit hinzieht. Der betreffende Theil des Bandes stellt dann eine schmale, horizontal liegende, mit dem einen langen Rande an das senkrecht stehende Lig. triangulare an- gewachsene, mit dem anderen freien Rande nach vorn resp. hinten schauende Platte dar, deren Vergrösserung beim Zurückweichen der Leber jene zweite Form (Fig. 2) liefert.

Diese beiden Arten des Lig. triangulare bilden bei Weitem die Regel. Ich habe unter 43 Präparaten die vierseitige Form der Platte 1Smal mehr oder minder deutlich, die dreiseitige 21mal, ausgebildet vorgefunden, nur in 4 Fällen konnte ich keine von beiden nach- weisen, in diesen zeigte das Ligament die Form, die gewöhnlich als seine regelmässige angesehen wird.

Besonders bei vierseitiger, in geringem Grade auch bei dreiseitiger Gestalt der horizontal stehenden Platte, wird vor wie hinter dem senk- rechten Theil des Lig. triangulare je eine Furche gebildet (f und f£, in Fig. 2), die vordere wesentlich tiefer als die hintere: sie sind nach

Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 209

vorn resp. hinten offen, ihre untere Wand gebildet von der horizon- talen Platte des Lig. triangulare, dessen senkrechte Platte zugleich als Scheidewand auftritt (in Fig. 2 punktirt), die obere vom Zwerch- fell. Die Tiefe der beiden Furchen richtet sich nach der Breitenaus- dehnung der horizontalen Platte, ihre Länge nach der Längenausdeh- nung derselben, in jeder Hinsicht am grössten sind sie also bei der vierseitisen Form der Platte. Nach rechts hin setzen sich ‘die Hohl- räume beider in den Raum zwischen Leber und Zwerchfell einerseits und den zwischen Leber und kleinem Netz andererseits fort.

Durch Verklebung der freien Ränder der horizontalen Platte mit dem Bauchfellüberzuge des Zwerchfells können nun aus diesen beiden Furchen Taschen entstehen, welche ich als Bursa phrenico-hepa- tica anterior und posterior bezeichne. Es ist bei der verschie- denen Form des Lig. triangulare natürlich, dass die Taschen in Grösse und Gestalt sehr variiren, dass sie desto grösser sind, je ausgebildeter jene Furchen waren, je weiter sich also die dreieckige Platte nach links erstreckt, und dass sie am grössten sein werden, wenn jene Platte viereckig war. Was die Häufigkeit der beiden Taschen betrifit, so kam bei den von mir untersuchten Leichen die vordere etwa in der Hälfte aller Fälle vor unter 64 Leichen 31mal, die hintere da- gegen nur 2mal, eine Differenz in der Häufigkeit, die jedenfalls ihren Grund darin hat, dass entsprechend dem Ansatze des Lig. triangulare in der Nähe des hinteren Randes der Leber der vorn über die senk- rechte Platte des Bandes überstehende Theil der horizontalen durch- sängig der bei Weitem grössere ist. Es scheint mir indessen fast, als ob ich mit den mir vorgelesenen Fällen viel Glück gehabt habe und die Procentzahl für die vordere Tasche im Ganzen eine weit kleinere sei. Herr Dr. C. LAUENSTEIN, Assistenzarzt am städtischen Krankenhause in Hamburg, hat die Freundlichkeit gehabt, bei den dortigen Sectionen auf die betreffende Gegend speciell zu achten und hat unter 100 Fällen nur 10mal die vordere Tasche gefunden und zwar immer nur von ganz mässiger Grösse, nie von annähernd so grossen Dimensionen, wie die von mir beobachteten, sogleich zu be» schreibenden 5 grossen.

Eines der 5 grössten Exemplare, die mir vorgekommen sind, ist das in Fig. 3 a und b abgebildete, dasselbe, das ich in meiner oben erwähnten vorläufigen Mittheilung beschrieb. Die Tasche erstreckt sich vom linken Rande der Leber 13 em. weit nach links und hinten, wie das Lig. triangulare selbst, hat ein cylindrisches Lumen von 3,5 cm. Durchmesser und fasst 60 ccm. Flüssigkeit; die Weite ist nicht überall genau dieselbe; zwei geringe Einschnürungen verengern

Zeitschriit f. Anatomie. Bd. 1. 14

210 A. von Brunn.

sie in einiger Entfernung von einander. In einem anderen Falle fand sich eine noch grössere Tasche. Dieselbe fasste 100 cem. Wasser und hatte eine Länge von. 17 cm. Ihre Form war der vorigen auf Fig. 3 a. b abgebildeten ähnlich, nur lief sie am linken Ende kegel- förmig aus und erstreckte sich dadurch, dass der vordere Rand des linken Leberlappens in einer Strecke von 3 cm. an das Zwerchfell fest angelöthet war, bis auf die obere Fläche des ersteren.

Von ähnlich bedeutenden Dimensionen, 6, 10, 16 cm. Länge und 3 cm. Durchmesser fanden sich ausserdem noch 3 Exemplare. In allen diesen lagen zwischen den Platten der unteren Wand Leber- krümchen in grosser Menge und ausserordentlich zahlreiche lang- gestreckte Blut- und Gallengefässe, wie dies in Fig. 3 a dargestellt ist. Diese 5 am deutlichsten ausgesprochenen Fälle sind offenbar, wie dies aus dem Durchmesser der Taschen, namentlich an ihrem Grunde, hervorgeht, durch Vermittlung der vierseitigen Form der ho- rizontalen Platte des Lig. triangulare entstanden.

Sämmtliche übrigen 26 Fälle zeigten sehr viel kleinere, nament- lich sehr viel engere Taschen, mit einem Durchmesser von 1,0—0,5 em. Durchmesser und darunter, mitunter waren sie so eng, dass sie nur eben eine feine Sonde passiren liessen. Auch die Länge variirte ganz ausserordentlich: sowohl solche von S cm. Länge kamen vor, wie andere, die eben nur einen Stecknadelknopf aufzunehmen im Stande waren. Offenbar können es drei Momente sein, welche die Weite und Länge der Tasche auf so geringe Maasse reduciren; einmal die geringe Breiten- resp. Längenausdehnung der horizontalen Platte des Lig. triangulare, und zweitens, falls jenes erste Moment fehlt, die Anheftung nicht nur des freien Randes, sondern auch der oberen Fläche jener Platte an das Zwerchfell in geringerer oder grösserer Ausdehnung, oder drittens die Anlöthung des freien Randes nur in geringer Ausdehnung vom linken Ende an. Man findet Fälle, die alle drei Entstehungsarten, der eine die, der andere jene, beweisen. Bei den Fällen der ersten Art liegt die Einganssöffnung über dem linken Rande des linken Leberlappens, die Wände sind genau diesel- ben, wie bei den ausgebildeten Exemplaren, aber alle Dimensionen sehr viel kleiner. Bei der zweiten Art kann die horizontale Platte mächtig entwickelt sein, sie liegt aber, wie aufgeleimt, fest auf dem Zwerchfell und der Eingang in die Tasche befindet sich in einiger Entfernung vom freien Rande, welchem letzteren parallel, aber mehrere Millimeter von ihm entfernt, die enge Tasche sich in bald grösserer, bald geringerer Ausdehnung erstreckt. Endlich ist im dritten Falle der vordere Rand der Platte bis auf eine kleine Strecke am linken

Die Bursae phrenico-hepatica anterior und posterior. 211

Ende frei, so dass also der Tascheneingang mehrere, bis 10 cm. weit vom Leberrande entfernt liegen kann.

Die hintere Tasche scheint, wie gesagt, nur sehr selten zu finden zu sein, auch die beiden von mir beobachteten Fälle zeigten sie nur sehr unbedeutend entwickelt. Der eine fand sich an dem Präparate, welches zugleich die grösste vordere enthielt, der andere an einem, bei dem jene nur schwach war.

Die Verklebung des freien Randes der oftgenannten horizontalen Platte des Lig. triangulare mit dem Bauchfellüberzuge des Zwerch- felles muss wohl durch Vermittlung eines entzündungsähnlichen Pro- zesses vor sich gehen, der aber nicht Theil einer weiter verbreiteten Peritonitis zu sein braucht: denn die Tasche existirt in 4 von meinen 5 bestentwickelten Fällen ohne alle sonstigen abnormen Adhäsionen der Peritonealüberzüge. Der Vorgang mag etwa derselbe sein, wie derjenige, welcher die Verlöthung der Platten des grossen Netzes so oft herbeiführt. In vielen Fällen ist die Löthungslinie als verdick- ter weisslicher linearer Streifen zu sehen. Ab und zu finden sich Fälle, in denen die Verlöthung an einer oder einigen Stellen unter- brochen ist, so dass das Wasser, welches man in die regelmässige Oeffnung eingiesst, theilweise wieder ausläuft, doch scheint ein solehes Vorkommen selten; ich habe es nur zweimal beobachtet.

In welchem Lebensalter die Bildung der Bursae phrenico-hepaticae erfolst, ist mir bei meinem geringen Material an Leichen jugend- licher Individuen zu entscheiden nicht möglich gewesen: ich hatte nur zwei Präparate von einem 3jährigen und einem 2jährigen Kinde zur Untersuchung; im ersteren fand sich eine Tasche von 3 em. Länge und 0,5 em. Durchmesser. Denkbar ist, dass die Entstehung, ebenso wie es bei der Verkleinerung des linken Lappens der Fall ist, in die ersten Jahre nach der Geburt fällt. Bestimmte Angaben könnte na- türlich nur Jemand machen, der Kinderleichen in grosser Zahl zu untersuchen Gelegenheit hat.

Klinisches Interesse werden die besprochenen Bildungen jedenfalls weniger, als die übrigen Bauchfelltaschen und -gruben beanspruchen dürfen. Zur Entstehung retroperitonealer Hernien werden sie, da der Eingang, namentlich in die häufigere vordere Tasche, durch die Leber verdeckt ist, kaum Veranlassung geben können; und wenn sie es thun sollten, absolut unmöglich ist es ja nicht, da nach den Angaben von EnGEen (Wiener medicinische Wochenschrift 1861, No. 36) sich Darmschlingen zwischen Leber und Zwerchfell mitunter einschieben,

wird es aus Mangel an contractilen Elementen und irgend welchen 14*

312 A. von Brunn. Die Bursae ‚phrenieo-hepatica anterior und posterior.

einer Verkürzung fähigen soliden Strängen an der Eingangsöffnung zu einer Incarceration keinesfalls kommen können.

Erklärung der Abbildungen.

Taf. VII.

Dieselben stellen sämmtlich die Spitze des linken Leberlappens Z/, sammt einem Stück der linken Zwerchfellshälfte, d, dar.

Fig. 1. von einem achtmonatlichen Fötus, doppelte natürliche Grösse. v vorderer, % hinterer Rand des linken Leberlappens; Zr. Lig. triang. sin. Li* abgetrenntes Stück des linken Leberlappens, horizontal auf dem freien Rande des Lig. triang. aufsitzend.

Fig. 2. Zr. p. senkrechte, Zr. h. horizontale Platte” des Lig. triang. (vier- seitige Form); v und % vorderer und hinterer Rand der letzteren. Zr. p. h. An- satzlinie der senkrechten an die horizontale Platte. f und fi vor und hinter der ersteren gelegene Furche, bei f am linken unteren Ende eine kleine Tasche,

Fig. 3a und b. B.p. h. a. Bursa phrenico-hepatica ant. g Gefässe. zwischen den Platten der unteren Wand gelegen; Z/* Leberkrümchen, eben- daselbst. % hintere Abtheilung der horizontalen Platte des Lig. triang. ir. p. A. wie in Fig. 2. f. v. c. foramen venae cavae. A. oe hiatus oesophageus.

Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens

von Dr. V. Hensen in Kiel.

(Hierzu Tafel VIII bis XII.)

Die aphoristische Form der folgenden Mittheilungen und der Umstand, dass mehr Fragen aufgeworfen als abschliessende Beobach- tungen gegeben werden, erfordert eine kurze Erklärung. Diese Unter- suchungen sind vor eilf Jahren begonnen und haben seit vier Jahren vollständig geruht, auch bezogen sie sich zuletzt nur auf die Befruch- tung. Der Grund, weshalb sie abgebrochen wurden, lag theils in der Nöthigung, andere Dinge zu studiren, theils in dem steten Misslingen des Versuchs, die Eier des Meerschweinchens vom 8. Tage nach der Befruchtung aufzufinden, ein Versuch, an den ich mich jetzt zum letzten Male wage. Der Anstoss zu der hier unternommenen Ver- öffentlichung ward dadurch gegeben, dass mein verehrter Freund und Lehrer v. KOELLIKER einige Zeichnungen für seine demnächst erschei- nende Entwicklungsgeschichte glaubte benutzen zu können und daher vor Kurzem meine Zeichnungen zu näherer Durchsicht erhielt. Später hat er dann selber die Säugethiere untersucht und kann eigene Ab- bildungen geben. Bei dieser Sachlage musste es uns erwünscht sein, den Embryologen die anliegenden Tafeln vorzuführen, da, abgesehen von persönlichen Motiven, auf diese Weise sogleich eine breite Basis für eine eingehendere Ausarbeitung der Keimblattlehre der Säugethiere gewonnen wird. Man wird nämlich erkennen, trotzdem eine Verglei- chung mit der Entwicklung anderer Wirbelthiere den Erwägungen der so rüstigen Mitarbeiter auf diesem Gebiet vorbehalten ist, dass die Säuger erheblicher, als man vor wenig Jahren erwarten konnte,

214 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

von den Beschreibungen der Entwicklung der anderen Wirbelthier- klassen abweichen.

Hätte ich mit meiner Arbeit so hervortreten können, wie ursprüng- lich meine Absicht war, so würde, mit Ausnahme einiger Mittheilungen über die Befruchtung nichts gegeben worden sein, als was noch ein- mal eine Bestätigung erhalten hätte. Diese Durcharbeitung musste jetzt definitiv aufgegeben werden und so ist diese Arbeit in erster Linie als eine Anregung zur Verfolgung der mitgetheilten Thatsachen zu betrachten. Dabei wird allerdings gebeten, alles was die Zeich- nungen bieten als eine möglichst treue Wiedergabe meiner derzeitigen Präparate betrachten zu wollen.

Von diesem Gesichtspunkte aus glaubte ich mir erlauben zu dürfen dem Leser meine Studien, den Herausgebern meine alt gewor- denen Zeichnungen anzubieten.

I. Die Befruchtung.

Es dürfte im Allgemeinen die Ansicht herrschen, dass die Lehre von der Befruchtung, als Theil der Zeugung in ziemlich befriedigen- der Weise abgeschlossen sei. Mit Ausnahme eines Punktes, nämlich des definitiven Verbleibs der Samenfäden und was sich daran knüpft, scheint mir diese Ansicht begründet, jedoch daneben bleiben eine Anzahl kleinerer Räthsel zu lösen, deren Beantwortung, obgleich mit der Species, ja zuweilen schon mit dem Individuum sich ändernd, doch für die Lehre von der Befruchtung wichtig ist. Ich habe viele Thiere, Meerschweinchen und Kaninchen, zur Bearbeitung dieser Dinge, die hauptsächlich in die ersten 20 Stunden nach der Copula- tion fallen, verwendet, die Zahl, über 70 'Thiere, scheint etwas gross, aber trotz der grossen Fruchtbarkeit der Arten fällt doch so häufig eine Unregelmässigkeit vor, dass die Versuche füglich gerne hätten vermehrt werden können.

Folgende Fragen habe ich zu lösen versucht:

A. weiblicher Theil. Lässt sich mit Sicherheit der Eintritt der Ovulation voraussehen ? Wie sind Follikel und Ei unmittelbar vor dem Bersten des Graaf’schen Bläschens beschaffen ? Finden sich besondere Verhältnisse beim Eiaustritt? Wann tritt das Ei aus? Wie gelangt es in die Eileiter? Welches ist das Schicksal des unbefruchteten Eies?

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 215

B. männlicher Theil. Welche Momente führen zur Copulation ? Wie gelangt das Sperma in den Uterus? Wie gelangt es in den Eileiter? Ist ein Weg für den Samen vorgebildet? Wie dringt der Same ins Ei?!) Was sind seine weiteren Schicksale?

Was ist die Wirkung der Befruchtung?

Ehe vorstehende Fragen zur Erörterung kommen, muss über das Verfahren berichtet werden.

Die Thiere wurden stets zum Zweck der Untersuchung durch den Nackenstich getödtet, doch wäre eine Variation dieses Verfahrens oder Vivisection für gewisse Einzelheiten vielleicht lehrreich und räthlich. Die betreffenden Thiere wurden stets in besonderen Behältern gehalten und von mir täglich controllirt. Die Zeitangaben für die Kaninchen sind genau, weil die Copulation beobachtet wurde. Bei den Meerschweinchen erfolgt letztere in der Regel 0 bis 3 Stun- den nach dem Gebären und die Ovulation richtet sich nach letzterem. Die Copulation der Kaninchen, von Th. BIsCHOFF?) beschrieben, ver- läuft so charakteristisch, dass die Beobachtung derselben als Anhalts- punkt für die Zeitbestimmung bequem ist. Bei Meerschweinchen kann dagegen die Geburt als solcher dienen, doch wurde sehr häufig die Copulation auch dieser Thiere beobachtet und für die Altersbestim- mung benutzt. Beobachter war ich oder der als zuverlässig erkannte Diener des Instituts.

BiscHOFF°) bediente sich beim Meerschweinchen der mikrosko- pischen Untersuchung des Scheideninhalts, um die Vollbringung der Copulation zu constatiren. Anfänglich folste ich diesem Verfahren, jedoch um sicher zu gehen, muss man sehr gründlich die Scheide ent- leeren und macht den Thieren viel Schmerz. Wo es auf die Zeit der Copulation genau ankam, ward daher diese beobachtet, im übrigen

l) Das Eindringen des Sperma ins Ei bezeichne ich mit dem lateinischen Ausdruck: Impraegnatio. Das Wort wird gleichlautend im Englischen und Fran- zösischen gebraucht und scheint mir zweckmässig, um den Vorgang des Ein- dringens von demjenigen der. Befruchtung so zu trennen, wie die Erfahrung dies fordert.

2) Entwicklungsgeschichte des Kaninchen-Eies. Braunschweig 1842 (a) Seite 41.

3) Entwicklungsgeschiehte des Meerschweinchens. Giessen 1852 (b) Seite 12.

216 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

von der Geburt an gerechnet und die Fälle, wo eine Copulation nicht erfolgt war, wurden zum unvermeidlichen Verlust geschrieben.

Eintritt der Ovulation.

Das Aussehen der Vulva der Kaninchen belehrt, wie schon BIsCHOFF bemerkt, obgleich in der Brunst eine Injection der Theile stattfindet, doch nicht genügend über den Zustand des Thieres.

Wenn man die Weibchen den Winter durch vom Bock getrennt hält, kann man, wie ich bei 9 Thieren fand, darauf rechnen, dass sie vom April bis Juli (für Kiel) zum qualificirten Bock gesetzt, sogleich copuliren. Wenigstens, geschieht dies unter 9 von 7 und von den beiden anderen am folgenden Tage. Auch hier werden Ausnahmen vorkommen. Alle diese Thiere ovuliren dann auch. Gleich nach dem Gebären nehmen die Thiere (gewöhnliche Race) zwar auch den Bock an,!) wenigstens bis zum August, aber dann erfolgt die Ovulation nicht sicher und zwar je später im Jahre, oder vielleicht je mehr Geburten vorangingen, desto unsicherer. In dieser Weise habe ich 7mal eine unfruchtbare Copulation constatirt, 4mal durch Autopsie der Thiere (keine Eier, keine Corp. lutea 2 bis 7 Tage später), 3mal dadurch, dass keine Trächtigkeit erfolete.e Zwei Kaninchen, welche 30 Tage getragen hatten, wurden gleich nach der Geburt erfolglos belegt, blie- ben in der Nähe des Bocks, wurden dann nach 35 und 37 Tagen wieder belegt und entwickelten Embryonen.

Auch bei den Meerschweinchen ist der Eintritt der Ovulation nicht völlig sicher.

„Ein Thier 1. Sept. 1868 hatte in der Nacht vor 61/, Morgens ge- boren, ward 5 Uhr Nachmittags getödtet, also gewiss über 11 Stunden nach dem Gebären. In keinem Eierstock ein Corp. luteum oder ein Follikel dieht vor der Berstung, im Uterus kein Sperma, aber die Rückenhaare voll davon. In Bezug auf letzteren Befund habe ich mehrere derartige Fälle mit Ovulation beobachtet, zuweilen ist die Scheide nach der Geburt schmerzhaft und geschwollen.

„15. Mai 1868. Das Thier hatte am 3. Mai mit zwei Jungen ab- ortirt, damals fand sich Sperma in der Scheide, ward am 15. getödtet, im rechten Horn fand sich ein nahezu reifes lebendes Junges, linkes Horn leer, kein frisches Corp. luteum links, rechter Eierstock leider nicht untersucht.“

Wenn nach der Geburt die Ovulation resp. Embryobildung nicht erfolete, fand die nächste Ovulation (mit Befruchtung) statt nach

l) Dies hat auch Weit: Beiträge zur Kenntniss d. Befruchtung u. Entwickl. d. Kanincheneies, med. Jahrbücher 1873 (bb) gefunden. Von 1] Thieren ovulirten 9.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 917

17, 18, 35 und 37 Tagen. BıscHorr!) giebt 38, 43 und 44 Tage. Bei meinen Zahlen ist die Trächtigkeitsdauer, welche zwischen 9 Wochen, 5!/, und 9 Wochen 2 Tagen schwankt, zu 66 Tagen gerechnet. Es scheint also die Brunstzeit der Meerschweinchen nicht scharf periodisch zu sein. Nehmen wir 15 Tage an, so stimmt damit der 36. Tag. Die 3. Periode würde dann rascher folgen. Die Brunst der Weibchen ist übrigens wenig energisch, mehrjährige isolirt aufgewachsene Thiere wurden nicht belegt.

Ich kann im Allgemeinen sagen, dass man bei Kaninchen bei Vermeidung der Zeit nach der Geburt sehr sicher auf die Befruchtung rechnen kann, bei Meerschweinchen wird man kaum 10°/, Verlust zu erwarten haben.

Ich bestätige die Erfahrung, dass die Ausstossung der Eier nicht in einem sehr directen Zusammenhang mit der Brunst d. h. der Turgescenz der äusseren Genitalien und der leichten Erregbarkeit - resp. fortdauernden Erregung ihres Nervenapparates steht. Aehnliches lässt sich für das Pferd aus Haussmann’s?) Mittheilungen ent- nehmen.

Der Follikel vor der Berstung.

Ueber die Lage des Eies vor dem Bersten des Follikels und über das Verhalten des Discus proligerus zu dieser Zeit bleiben nach dem Studium der Autoren noch Zweifel bestehen. Das Verhal- ten des übrigen Follikelinhalts sowie des Dotters in dieser Pe- riode erfordert gleichfalls eine Besprechung.

Am häufigsten hat wohl MArTın BARRY?) die Follikel dicht vor dem Austritt des Eies verfolet, weil er in diesen Zeitraum die Im- prägnation verlegte. Er®) giebt an, dass das Ei mit Hülfe der Reti- nacula seinen Ort verändere. Zunächst ist zu erörtern, welche Merkmale den Follikel, welcher bestimmt ist demnächst zu platzen, charakteri- siren. Die Grösse des Follikels allein ist nicht maasgebend, man findet in den betreffenden Stunden bei den Meerschweinchen, die ich in dieser Angelegenheit vorwiegend untersucht habe, theils mehr grosse Follikel, als nach sonstiger Erfahrung platzen werden, theils sind

Dieb: S. 12.

2) Ueber die Zeugung und Entstehung des wahren weiblichen Eies. Hanno- ver 1840 (c) 8. 52 u. f.

3) Researches in Embryology. First a. Second Serie Philosophical Trans- actions ss u. 39 (d) (e).

andeS 325.

218 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Follikel, welche das Ei liefern sollen, nicht so vorragend und gross wie in anderen Fällen. Die Leichtigkeit des Berstens dagegen gab ein brauchbares Criterium, das ich rathen würde für fernere Unter- suchungen durch exacte Apparate auszunutzen. Ich habe mich aller- dings nur einer Präparirnadel (Nähnadel im Stiel) bedient; wenn durch den Druck mit der Fläche derselben der Follikel sich öffnete, war er jedenfalls nahe vor dem Bersten, denn andernfalls brach die Nadel ab ohne ihn zu sprengen, zuweilen genügte ein geringer Druck, häufiger war ein stärkerer erforderlich. Für die auf solche Weise als reif erkannten Follikel (notirt habe ich als besonders leicht zu spren- gen, Fälle aus der 2!/,, 7!/, und 9. Stunde nach dem Belegen) habe ich protokollirt, dass die Follikel trübe erschienen seien. Diese Trü- bung rührte, wie fernere Untersuchung ergab, von einer starken Quel- lung und Lösung des Follikelinhalts her, der Liquor follieuli bleibt dabei jedoch klar. Das Zeichen scheint jedoch nicht unbedingt sicher zu sein, denn ich habe einen Fall erlebt, wo ein entschieden reifer Follikel nicht trübe erschien, trotzdem das Ei Zeichen der völligen Reife darbot. Die Ursache der Verschiedenheit wird davon abhängen, ob der Cumulus proligerus dicht an der Oberfläche liegt oder nicht. Oft liegen neben den reiferen Follikeln grössere klare Bläschen. Diese platzen. nicht, denn man findet sie häufig neben den frischen Corpora lutea. Barry, BiscHörr und SCHROEN!) haben schon die Atrophie solcher Follikel constatirt.

Ueber die Lage der Eier im gefüllten Follikel finden sich die Angaben, dass das Ei an dem freien Pol des Follikels, BAER, Barry, CostE?), an dem inneren Pol, PoucHET, HENLE?), SCHROEN, ohne constante Lage, WALDEYER®), sich finde. Der zum Bersten reife Follikel ist unbequem zu erhärten, doch wünschte ich gerade in ihm Lage und Zustand der Eier zu erforschen. "/, Stunde nach der Ge- burt fand sich bei einem Meerschweinchen ein Eierstock mit noch ungeplatztem aber etwas trübem Follikel. Ich liess ihn auf einer Platinschaale frieren, schnitt mit kaltem Messer und brachte ihn noch völlig hart auf den Objectträger. Eins der Präparate liegt mir in ausgeführter Zeichnung vor, das Ei in breit gestieltem Cumulus pro- ligerus sitzend, liest fast genau am freien Pol, dagegen in einem an- deren nicht so sicher reifen Follikel seitlich. In einem anderen Falle

!) Beiträge zur Kenntniss d. Anatomie u. Physiologie des Eierstocks. Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XII. S. 409 (f).

2) Histoire du Developpement des corps organises Paris. 47. p. 165 (g).

3) Anatomie Bd. II. S. 487 (h).

#) STRICKER, Gewebelehre Cap. XXV. 8. 551 ().

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 219

9 Stunden nach der Geburt mit 3 reifen Follikeln hatte ich in Os- miumsäuredampf, der den Liquor follieuli zur Gerinnung bringt, er- härtet. Dabei wird doch die Flüssigkeit nicht so fest, um kleine Ab- lösungen beim Schneiden zu verhindern, zwei Eier lagen seitlich, eins am vordern Pol. Meiner Ansicht nach trifit also WALDEYER’s Be- schreibung der Lagerung des Eies das Richtige.

Die Entdeckung BArrY’s, die Retinacula, welche CostE fürs Kaninchen bestätigt, sind von BISCHoFr!) bestritten worden. Die graphische Darstellung Barry’s?) und mehr noch diejenige (oste's?) geben das wieder, was ich gesehen habe. Es wurden ausserdem Durch- schnitte des erhärteten reifen Follikels gemacht, das Ei sass mit den Retinaculis nahe am vorderen Pol. Es macht den Eindruck, als wenn durch Auflockerung und Quellung der Granulosazellen, welche unter dem Discus und an dessen Seite liegen, sich Lücken bilden und beim Fortschreiten des Processes die Retinacula als Verbindungsbrücken zurückbleiben. Eine erhebliche Bedeutung dürfte diesen Bildungen nicht zukommen.

Auch vom Meerschweinchen zeichnet Barry schwach entwickelte Retinacula. Ich habe dort solche nicht gefunden. Das Ei liegt in einem 0,3 mm. dicken Cumulus proligerus, der ungestielt ist, so dass man ihn kaum glatt entfernen könnte, ohne das Ei selbst zu streifen. Durch einen schwachen Contour war der Discus in den Eiern 9 Stun- den nach dem Gebären von der Membrana granulosa geschieden.

BiscHoFrr hat es als Regel aufgestellt, dass an reifen Eiern die Zellen des Discus sich spindelförmig gestalten. C. B. REICHERT‘) hat das Faktum bestritten und das spindelförmige Aussehen für ein Trugbild erklärt. Ich hatte mich davon überzeugt, dass spindelförmig ausgezogene Zellen schon im Follikel am Ei sich finden, denn an Durchschnitten erhärteter Follikel des Meerschweinchens habe ich, wie mir vorliegende Skizzen ergeben, an zu diesem Zweck frei ge- machten Eiern, die langgestielten, erhärteten Zellen mehrfach unter- sucht. Eine Darstellung dieser Zellen ist Fig. 4 vom Kaninchen, 14'/, Stunde nach der Copulation gegeben. Das Ei war in der Be- fruchtung, zeigte aber ausnahmsweise (gewöhnlich haben sich die Dis- euszellen um diese Zeit abgelöst und abgerundet) einzelne langgestielte Zellen. Obgleich es häufig so aussieht (und nicht in Abrede gestellt

) 2.8.38.

2) e, Fig. 93 u. 96.

3) g. Lapin Pl. I.

4) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. Abhandl. der k. Akademie d, Wissenschaften Berlin. 1861 (k) $. 105,

220 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

sein soll) als gingen die Stiele dieser Zellen durch die Eihaut und ich eben deshalb solchen Eiern die Aufmerksamkeit zuwandte, zeigte die genauere Untersuchung, dass die vorliegenden Streifen Reste und Fal- ten der Membranschicht der Zellen sind, welche sich zwischen Ei und Zelle zu einem Stiel deshalb ausziehen, weil ursprünglich die Zelle mit breiter Basis aufsass und durch Schleimbildung zwischen den Zellen von der Eifläche abgedrängt ward, ohne sich doch gleich von derselben zu lösen.

Fig. 1 zeigt einen Discus, welcher einem Follikel des Meer- schweinchens, welcher dicht vor dem Bersten war, entnommen ist. Die Zellen sind auch spindelförmig und ich habe dazu bemerkt, sie seien es vielleicht durch den Druck beim Herausnehmen geworden. Das Ei in dem Durchschnitt des halbstündigen gefrorenen Follikels s. O. zeigt runde Discuszellen. Meine Ansicht ist, dass die Discus- zellen sich allerdings so umwandeln, wie BiscHorr dies beschreibt, dass aber: die Spindelform der Zellen auch zuweilen nach dem Eiaus- tritt eintreten kann. Findet sich also im Follikel ein Ei mit Spindel- zellen, so würde ich glauben, dass man es als völlig zur Befruchtung vorbereitet ansehen kann. VERNEUIL (Canstatt Jahresber. 52 S. 209) bestätigt für die Kuh das strahlenförmige Aussehen des Discus.

Es ist schliesslich noch ein Punkt zur Besprechung zu bringen. Die Folgen der Befruchtung schildert LruckArT!) mit folgenden Worten: „Die erste Veränderung, die der Dotter nach der Befruchtung erleidet, ist eine Verkleinerung seines Volumens. Zwischen ihm und der Dotterhaut entsteht ein Zwischenraum mit einer farblosen Flüssig- keit, die sonder Zweifel (da sich der Durchmesser des Eies im Ganzen nicht verändert) aus dem Inneren der Dotterkugel hervorgetrieben ist.

Wenn diese erste Furchungskugel sich zur Theilung- anschickt, dann dringt sehr allgemein aus ihrer Oberfläche.... ein kleiner rund- licher Körper hervor, dem mitunter noch ein zweiter und dritter nach- folgt.“ Diese Darstellung findet man ähnlich in KoELLIKER’s Ent- wicklungsgeschichte?). Für die hier in Rede stehenden Thiere ist die Auffassung dieses Processes als Folge der Befruchtung nicht zulässig, weil die genannten Processe vor der Imprägnation ablaufen. Als Beleg für diese Behauptung sind folgende Fälle anzuführen. Ein Meerschweinchen ward 19. Mai 1869 zwei Stunden nach dem Gebären (8 Uhr Morgens war das zweite Junge noch feucht, 9'/, getödtet) untersucht. In einem Eierstock zwei trübe vorragende Follikel, im

l) Wesner’s Handwörterbuch der Physiologie. Artikel Zeugung (l) S. 927. 2)E(m)SE ara. 288

und Entwieklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 291

anderen einer. Ersterer ward durch leisen Druck geöffnet, mit einer Nadel der Follikelinhalt vom Eierstock abgenommen und ohne Deck- glas und Zusatz von Flüssigkeit untersucht. Das Ei ward gleich ge- funden. Es schien auf den ersten Augenblick in Schleim eingebettet zu sein, jedoch bestand seine Hülle aus sehr klaren und wie wohl ungenau protokollirt war „verflüssigten“ Zellen des Discus. Die Dottermasse war etwas contrahirt, neben ihr lag ein helles Richtungskörperchen und an der Stelle, wo dasselbe anlag, sah | der Dotter aus, als ob ein zweites eben in der Entstehung begriffen sei. Ausserdem fanden sich an der Oberfläche des Dotters eingezogene Stellen, die sich jedoch später ausglichen. Sowohl Dotter wie Rich- tungsbläschen zeigten langsame, als Contraction zu deutende, Form- veränderungen. Die Discuszellen, welche spindelförmig waren, traten später deutlich hervor, sie schienen durch eine schwache Schleimschicht vom Ei getrennt. Das Ei ward gezeichnet Fig. 1. Das zweite Ei zeigte wesentlich dasselbe Verhalten, das dritte hatte auch den Richtungskörper, war aber verletzt. Derselbe Eierstock zeigte noch einen ebenso grossen aber wasserhellen Follikel. Das Ei aus demselben zeigte keine Retraction, kein Richtungsbläschen, auch waren die Discuszellen nicht spindelförmig.

In einigen anderen derartigen Fällen war der Dotter noch nicht zurückgezogen, ich habe jedoch die Beobachtungen nicht häufen wollen, weil mir das Aussehen einer Reihe spontan entleerter, aber noch nicht befruchteter Eier mindestens ebenso beweiskräftig schien.!) Für nicht befruchtet halte ich Eier der Fimbrien oder des Anfangs der Eileiter, an deren Dotter oder Eihaut keine Samenfäden sich finden und bei denen die Eihaut nach Entleerung des Dotters auch keine Spur von Sperma entdecken lässt. Ich halte diese Art, die Abwesen- heit von Samen zu constatiren, für zuverlässig, nur muss die Zona pellucida gereinigt der Untersuchung vorliegen.

In diesen Fällen habe ich stets den Dotter zusammengezogen gesehen und‘ ein oder häufig zwei Richtungsbläschen vorgefunden. Bei einem Meerschweinchen vom 5. Juli 1869 20 Stunden nach dem Gebären fand ich es so, während in beiden Uterushörnern Reste alter Eier sich befanden und das Lumen völlig versperrten. Ebenso 10. April 1868, 9 Stunden nach dem Gebären (Meerschweinchen). Links lagen 3 Eier auf den Fimbrien, 2 dicht neben einander. Jedes hatte an einer Stelle ein plattes Protoplasmakügelchen

1) Uebrigens giebt auch CostE g. die Zeichnung eines dem Eierstock ent- nommenen Eies vom Kaninchen mit Richtungskörper.

2993 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Eins der Eier ist Fig. 2 gezeichnet. Ebenso 19. Mai 1869. Meerschwein 6!/, St. n. d.C. Ein Ei contrahirt mit Richtungskörper, frei von Samenkörpern, die auch in der Tuba nicht zu finden waren. Im Uterus bewegungsloses Sperma, wahrscheinlich in Folge eines Experi- ments getödtet. Noch einige andere derartige Beobachtungen sind notirt, doch können, glaube ich, die vorstehenden genügen.

Es sind also die Ausscheidung von Flüssigkeit, die Ausstossung eines Richtungskörpers, die Contraction des Dotters nicht Folgen der Befruchtung. Die Contraction des Dotters habe ich häufig ge- sehen, auch das Richtungskörperchen, welches in der ersten Zeit aus einer gleichmässigen, wie Protoplasma sich verhaltenden Masse besteht, contrahirt sich, so dass ich an einem Ei dreimal hinter einander das- selbe rings vielfach gekerbt und dann wieder mit glatter Oberfläche gesehen habe. Später werden die Körper mehr wasserklar, etwas kleiner und verschwinden meiner Nachforschung, wenn etwa 16 Fur- ehungskugeln gebildet sind.

Die Verhältnisse beim Eiaustritt.

Da ich keine Vivisectionen gemacht habe, konnte es mir nicht gelingen, die Eier im Austritt zu beobachten. Es führt jedoch die künstliche Entleerung durch Druck mit schwacher Nadel zu einer erwähnenswerthen Beobachtung. Es spritzt dabei zunächst ein Tropfen einige Millimeter weit fort, dann quillt der Follikelinhalt hervor. In dem Tropfen finden sich einzelne Zellen, das Ei dagegen liegt in der Ziellenmasse, welche dem Eierstock anklebt. Da ich dies Verhalten in mehreren Fällen, 2 Kaninchen, 4 Meerschweinchen, so beobachtet habe, glaube ich, dass es stets so sein wird und auf diese Weise den Bauch- schwangerschaften z. Th. vorgebeugt ist.

Nur einmal beobachtete ich an einem Meerschweinchen, bei wel- chem zwei Eier auf den Fimbrien lagen, in dem Eierstock derselben Seite einen Follikel, welcher trübe war und sich sehr leicht entleerte, so dass ich ihn als zu derselben Ovulationsperiode gehörig betrachten musste. Man findet im Eileiter, in dem man beim Meerschweinchen die Eier liegen sehen kann, dieselben meistens nur 1 mm. oder we- niser von einander getrennt. Dies scheint dafür zu sprechen, dass sie ziemlich gleichzeitig ausgestossen werden, jedoch der Weg, welcher vom Ovarium in den Eileiter führt, gestattet so starke Vorschiebun- sen in der Reihenfolge der Eier, dass der obige Schluss sehr un- sicher ist. BıscHorr!) hält dafür, dass alle Follikel nahezu gleich-

1) a. 8. 35.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 223

zeitig platzen. BarryY!), dem in dieser Sache die reichste Erfahrung zu Gebote stand, fand einmal 2 Eier entleert, zwei noch im Ovarium, aber ohne allen Zweifel auf dem Punkt sich zu entleeren. Cosre?) hat einen solchen Fall ausführlich besprochen, er fand ein Ei auf dem Ovarium „au moment ou la vesicule, qui le renfermait, venait de se rompre“, eins auf den Fimbrien, eins mit dem Richtungskörper endlich in einem noch uneröffneten Follikel, aber mit einer kleinen Blutextra- vasation unter dem Peritonaeum in ihm. Möglicherweise, wenn gleich nicht währscheinlich, war es also abnorm.’)

Nach diesen Beobachtungen wird man schliessen müssen, dass die Eier zwar nahe, aber nicht absolut, gleichzeitig entleert werden. Damit verlieren meines Erachtens die Ansichten, welche auf an sich richtige Beobachtungen gestützt, die Dehiscenz der Follikel durch äussere directe Einwirkung erklären wollen, an Wahrscheinlichkeit. Hıs®): Contraction, ROUGET?): Schwellkörper. Denn wenn ein Folli- kel separat entleert worden ist, hat ein Mechanismus, welcher auf die Spannung des ganzen Ovariums basirt ist, zunächst seinen Einfluss verloren; werden nicht alle Eier zugleich entleert, so können sie schwerlich rasch nach einander durch Schwellung oder Contraction des Parenchyms entleert werden, weil der Eierstock zunächst nach- siebig geworden ist. Ich komme also auf die alte Ansicht zurück, dass Vermehrung des Follikelinhalts die Berstung herbeiführe. Es wäre gewiss lohnend, den Gegenstand einmal mit Hülfe von Vivi- sectionen zu verfolgen. Anhaltspunkte dhfür gewähren folgende

Zeitbestimmungen der Ovulation.

Meerschweinchen hatten nach der Copulation (circa 1 St. nach dem Gebären) noch nicht ovulirt 6'/,, 7!/,, 9 und 9!/, Stunden, Eier auf den Fimbrien sind zweimal nach 9 Stunden gefunden, 2 mm. im Eileiter waren sie nach 6!/, St., 4, 7, 10 und 15 mm. in der 12. bis 15. Stunde, ohne genaue Angabe des Orts traf ich sie dort nach 8 und 11!/, Stunde, 1 Zoll in der Tuba nach 20 Stunden. (Die Eileiter

I) e._S. 311. 2) g. Explication des Planches, nn IRig. 1. 3) era s Bemerkung b. S. 17 gleich nach dem Austritt zeige der Folli- kel eine von einem zarten Gefässkranz umgebene Oeffnung, fand ich stets » bestätigt. 4) Bau des Säugethiereierstocks (n). Archiv f. mikr. Anatomie Bd. I S. 172. 5) Recherches sur les organes &rectiles de la femme. Journal de la Physio- logie 1858 (0).

294 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

messen nach BISCHOFF 60 mm.) Nach diesen Beobachtungen erfolet also die Ausstossung zwischen der 6. und 10. Stunde nach der Co- pulation. BiscHorr!) spricht von einem Ei, das nach 2 Stunden im ersten Drittel der Tuba gelegen habe, wahrscheinlich soll das nach 21 Stunden heissen. REICHERT?) nimmt die 12. bis 14. Stunde als Zeit des Austritts, hat aber keine Beobachtung darüber beigebracht.

Für das Kaninchen bedarf es kaum weiterer Angaben, die meinen treffen den Zeitpunkt nicht genau. Angemerkt finde ich hier, dass die Eier nach 8!/, und 11?/, St. nicht entleert waren, dagegen 6mal nach 12 resp. 12!/, Stunden schon 2 und 4 cm. in den Tuben vor- gerückt waren, einmal nach 14 St. schon abnormer Weise im Ende der Tuben.und Anfang des Uterus sich fanden. Von diesen 9 Fätlen sind zwei abnorm. BaArrY°) findet in zahlreichen Fällen als Austritts- zeit 9 bis 10 Stunden post coitum. CostE giebt die 10. Stunde an. REICHERT*®) fand nach Versuchen an 10 Kaninchen, dass die Zeit des Austritts zwischen der 9. und 10. Stunde liege.

Die Regelmässigkeit, mit welcher der Eiaustritt beim Kanin- chen nach Verlauf einer gewissen Zeit auf die Copulation folgt, hat Anlass zu einer Streitfrage zwischen REICHERT und BISCHOFF gegeben. REICHERT schreibt’), es gehe daraus hervor, „dass die Begattung mit ihren aufregenden Wirkungen auf das Mutterthier, insbesondere auf den Zudrang des Blutes zu den Geschlechtstheilen, einen sehr wesent- lichen Antheil an dem Bersten des Graaf’schen Follikels.... haben kann und haben muss“ und weiter, „sonst müsste man annehmen wollen, dass die Kaninchen jedesmal mit einem gewissen Vorgefühl von der Zeit des Platzens der Graaf’schen Follikel zu dem Begattungs- act getrieben würden.“ BiscHoFF®) betont dagegen (wie er dies nach seinen Untersuchungen: Beweis der von der Begattung unabhängigen periodischen Reifung u. s. w. zu thun so sehr berechtigt ist), dass die Copulation keine nothwendige Bedingung zur Ovulation sei. Bei dem Menschen lehre tausendjährige Erfahrung, dass die Begattung keinen Einfluss auf die Menstruationsperiode habe. Es seiihm, sagt er ferner, ganz unerklärlich, wie C. B. REICHERT erkennen wolle, dass die Begattung einen Einfluss auf den Aufbruch des Follikels habe. Die REICHERT’sche

17. 113. Belle AyrkES ll Sk Se 6) Neue Beobachtungen zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. Abhandlungen d. k. bayr. Akademie II. Cl. X. Bd. (p) S. 121 (7).

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und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 235

- Versuchsmethode sei vollkommen unzuverlässig. Aus der darüber gegebenen Deduction würde ich jedoch zu einer anderen Schluss- folgserung kommen, wie diejenige BiscHorr's ist. Er sagt nämlich ), „der Bock wird alle Tage eine Stunde zu dem Weibchen gesetzt und während dessen beohachtet. Es liegen also 23 Stunden dazwischen. Dieses ist eine sehr lange Zeit für den bei verschiedenen Thieren zu verschiedenen Zeiten möglicher Weise beginnenden Reifungs - Process der Eier und Follikel. Bei dem einen Weibchen kann möglicher Weise dieser Process schon in der nächsten Stunde nach der Tren- nung so weit vorgeschritten sein, dass das Weibchen jetzt die Begat- tung zulassen würde. Bei dem anderen dagegen ist möglicher Weise erst unmittelbar vor der nächsten Vereinigung von Weibchen und Männchen dieser Höhepunkt des Reifungs-Processes eingetreten. Die Eier beider Weibchen sind 23 Stunden in ihrem Reifungszustand von einander verschieden, und demgemäss wird auch ihr Austritt aus dem _ Graaf’schen Follikel zu einer verschiedenen Zeit stattfinden. Denn hierüber entscheidet eben der Reifungszustand und’ nicht die Begat- tung. Der Versuch kann also in solcher Weise gar nicht angestellt werden.“

Hiergegen ist offenbar öiniuwerdeh, dass trotzdem der Versuch von REICHERT beschrieben wird und glückte. Dies führt denn doch zu dem Schluss, dass der Einfluss der Copulation auf die Ovulation proportional der Häufigkeit des Befundes wahrscheinlich wird. Hier- her gehört dann noch die von mir oben gemachte Angabe, dass isolirt gehaltene Weibchen stets zur Copulation und damit zur Ovulation zu bringen sind. Coste?) erzählt, dass bei einer isolirten Katze die Brunst sich auf 40 Tage verlängert und sie ganz heruntergebracht habe, so dass er, um sie zu retten, ihr eine Nacht den Kater zusetzte. Sie hatte am folgenden Morgen die Brünstigkeit verloren „et, plus tard, &leva sespetits“. Besonders deutlich spricht Weır's?) Erfahrung, dem es glückte, durch gewaltsam erzwungene Copulation die Ovulation hervor- zurufen.

Es wird also doch bei einzelnen Species die Ovulationsperiode und zwar in doppelter Weise von dem äusseren Genitalapparat aus modifieirt. Die starke Brunst verzögert den Austritt der Eier, die Copulation hebt, vielleicht durch erschlaffende Wirkung, jene Hemmnisse auf.

1) p. 8. 12 (126). ? g. 8. 229. bb. 8. 4. d Das f. Anatomie. Bl. 1. Dal)

926 V. Hansen. Beobachtungen über die Befruchtung

Die Aufnahme der Eier in den Eileiter.

Es scheint nothwendig zu sein, dass die Fimbrien, in Folge ihrer Bekleidung mit Flimmerzellen, deren Härchen nach dem Ostium tubae hinschlagen, stets, so oft sie auch vom Eierstock herabgeschoben wer- den mögen, wieder sich über denselben hinziehen. Meine Beobach- tungen entsprachen dieser Forderung nicht unbedingt; obgleich ich in einer grossen Anzahl von Fällen die Fimbrien auf den Ovarien fand, habe ich doch auch häufig den Fall verzeichnet, dass die Fim- brien neben den Ovarien lagen und bei längerem Warten nicht die- selben überzogen. Nun kann allerdinss beim Tödten und Oefinen des Thieres, selbst wenn- letzteres mit grosser Vorsicht geschieht, eine Verschiebung der Fimbrien eintreten, und es lähmt die Kälte der Luft dann sehr bald die Kraft der ihrem Einfluss ausgesetzten Flimmer- epithelien, ich bin jedoch zur Zeit nicht im Stande, nach dem was ich gesehen habe, ein festes Urtheil auszusprechen.

Die Aufnahme des Eies erfolet, so weit ich beobachten konnte, zunächst auf Grund einer anderen Mechanik. RougEr!) hat auf anatomischem Wege Muskeln im Lig. latum nachgewiesen, welche die Fimbrien bewegen können. KEHRER?) sagt: „Wenn man die Be- wegungen des Trichters und seines Gekröses bei einem frisch getödte- ten Thiere untersucht, so sieht man allerdings Bewegungen derselben zu Stande kommen, man überzeugt sich, dass der Trichter, nament- lich auf angebrachte Reize, sich langsam über die Oberfläche des Ovariums herschiebt. Diese Ortsbewegungen sind doppelter Art: 1) führen sie zu einer vollkommenen Bedeckung des Eierstocks, einer Entfaltung des Pavillons über die Ovarialfläche; 2) bestehen sie in einer Retraction des Pavillons von dem Gipfel des Ovariums gegen dessen Basis. Ich habe bei Kaninchen, Rindern und Schafen oft ge- nug den Trichter vorsichtig gegen den Eierstocksrand verschoben. Bald blieb er nun hier ruhig liegen, bald breitete er sich nachträglich wieder über die Oberfläche des Eierstocks aus. Wenn man also auch zugeben muss, dass Muskelkräfte den Trichter auszubreiten vermögen, ja selbst durch Verschiebung der Fimbrien erratische Ovula secundär wieder aufgefangen werden können, so muss man doch festhalten, dass in einer Reihe von Fällen sich eine für die Zwecke des Auffangens der Eiervortheilhafte Locomotion des Pavillons nicht demonstriren lässt.“

K. E. v. Baer, Entwieklungsgeschichte Prs. II S. 182 findet, dass

Do.

2) Ueber den Pank’schen tubo-ovarialen Bandapparat und den Mechanis- mus der Einwanderung des Ovulum in den Fransentrichter. Zeitschrift für ratio- nelle Mediecin, dritte Reihe, XX. Bd. (q) 8. 37.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 997

der Eileiter längere Zeit den Eierstock umfasse und sich an denselben wirklich ansauge. Da ich die von ihm beobachteten Thiere (Schaf und Schwein) nicht untersucht habe, ist mir sein Beweis für das An- saugen unverständlich geblieben.

Bei einem Meerschweinchen, dessen Eier auf den Fimbrien ange- troffen wurden, beobachtete ich, dass dieser Apparat in der lebhaf- testen Bewegung‘ war. Unaufhörlich glitten die Fimbrien auf der Oberfläche des Eierstockes hin und her, jede Bewegung in einer Se- kunde vollführend, und wenn man sie abzog, schlüpften sie doch gleich wieder hinauf. Diese Bewegungen waren so kräftig, dass der Einfluss der Flimmerung dagegen vollständig gleichgültig sein wird. Die, mit schleimig-metamorphosirten Zellen. aus dem Follikel umgebenen Eier waren von dem Eierstock abgestreift und wurden auf den Fimbrien gefunden, denen sie also fester sich anheften, als dem glatten Eier- stock. Diese Beobachtung machte grossen Eindruck auf mich. Aehn- liches habe ich nur noch einmal einige Stunden nach dem Gebären bei noch uneröfinetem Follikel gesehen, sonst sind die Fimbrien zwar nicht in völliger Ruhe, aber nur in sehr schwacher Bewegung, etwa so wie es KEHRER beschreibt oder schwächer. Ich halte den beob- achteten Vorgang für den normalen Mechanismus bei der Ovulation, aber er scheint nur beschränkte Zeit einzutreten und bedarf der Be- stätigung durch Vivisectionen.

Dass die Eier, wie KussmAuL (Monatsschrift f. Geburtskunde Bd. 20 S. 301) will, durch Flimmerung weiter befördert werden, habe ich in Folge von Thuıery’s Entdeckungen beim Frosch als selbstver- ständlich angesehen und daher auf diesen Punkt nicht geachtet.

Schicksal der unbefruchteten Eier.

Unbefruchtete Eier nehmen im Ende des Eileiters ein dunkles krümliches Aussehen an und werden, wie ich mehrfach gesehen, bei Kaninchen nicht so stark mit der accessorischen Schaalenmasse bedeckt, wie die befruchteten Eier.

In einem Falle fand sich beim Kaninchen die Tuba vom Uterus getrennt, an diesem Ende verwachsen und mit gegen 100 unbefruch- teten Eiern gefüllt. Ich habe über diesen Fall bereits anderweit ziem- lich ausführlich berichtet!). Die Eier schienen fortzuleben, nahmen an Volumen zu und wuchsen in Fäden aus, die an das Keimen von Alsensporen erinnerten. Fig. S zeigt den Anfang dieses Processes.

1) Medieinisches Centralblatt 1869 S. 403: Ueber eine Züchtung unbefruch- teter Eier (r). 152

2938 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Bemerkenswerth ist die Hülle des Kies, man unterscheidet die Grenze zwischen Zona pellueida und der vom Eileiter herrührenden Auflage- rung, letztere scheint von dem Keimfaden durchbrochen zu werden. Diese Eier veranlassen eine innere und äussere Membran oder ver- dichtete Schicht an der Zona pellucida anzunehmen; die Einschnürun- gen, welche an den Eiern entstehen, lassen sich durch Ansammlung der Substanz der Zone an ringförmigen Stellen unter Vorbuchtung der inneren Schicht der Zona erklären. E. van BENEDEN!) hat beim Säugethierei eine Membrane vitelline beschrieben, die vielleicht iden- tisch mit dieser Schicht der Zona sein kann. Ich bedaure seine An- gabe erst kennen gelernt zu haben, nachdem meine betreffenden Un- tersuchungen sistirt waren, so dass ich im Uebrigen eine Ansicht über BENEDEN’S Befund nicht aussprechen kann.

Durch OÖELLACHER?) ist in sehr hübscher Weise nachgewiesen, dass unbefruchtete Hühnereier eine Reihe von Furchungsstadien durch- laufen. Meine Beobachtungen sind jenen insofern nicht ähnlich, als es nicht unbedingt sicher erschien, ob der Dotter abgesehen von einer Quellung selbstständig in formative Thätigkeit kam. Allerdings tra- ten durch Karmin kernartige Gebilde im Dotter auf, aber in solchen Fällen, wo man über die physiologische Dignität der Masse in Zwei- fel sein kann, genügt die mikroskopische Untersuchung nicht, um von Kernen zu sprechen. Darin möchte ich GoETTE®) beistimmen.

Männlicher Antheil. Die Copulation.

Zu BıscHorr's Beschreibung der Copulation des Kaninchens‘) darf ich noch hinzufügen, dass am Ende beide Thiere auf die Seite zu fallen pflegen, den Sprung des Männchens nach rückwärts, von welchem er spricht, erinnere ich mich nicht beobachtet zu haben. Nach Weır's Beschreibung (bb) ist der Copulationsmodus der wiener Kaninchen wiederum anders. Beim Meerschweinchen geht die Co- pulation weniger activ vor sich und zeigt keine Besonderheiten.

Aus den betreffenden Beobachtungen beim Kaninchen hat sich mir eine, in gewissen Grenzen befriedigende, Erklärung desjenigen

l) Recherches sur la composition et la signification de Poeuf. M&moire cou- ronne par l’Academie royale de Belgique 1870 p. 184 (s).

2) Veränderungen des unbefruchteten Keims des Hühnereies im Eileiter, Zeitschrift f. wiss. Zoologie Bd. XXII Heft 5 (t).

3) Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875 8. 77 (u).

4) a.8. 41.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 2939

Instinkts ergeben, welcher den Mechanismus der Copulation sichert, und da ich über diesen Punkt bisher keine Aufklärung finden konnte, theile ich, auf die Gefahr hin, schon Bekanntes oder Selbstverständ- liches zu geben, meinen Gedankengang mit. Ich kann mir nämlich nicht denken, dass das Zustandekommen der Copulation lediglich auf zufällige Erfahrungen und Beobachtungen, resp. Mittheilungen basirt sei. Man beobachtet an brünstigen Weibchen, dass dieselben, sobald ein anderes Kaninchen zu ihnen gesetzt wird, die Genitalien an irgend einem Theil z. B. dem Kopf des Neulings zu reiben beginnen, voraus- gesetzt, dass sich nicht gleich Feindschaft entspinnt. Dieser Trieb, die Genitalien zu reiben, der sich aus der Turgescenz der Geschlechtstheile und dem erresten Zustand des zugehörigen Nervensystems herleitet, wohnt sowohl dem Weibchen wie dem Bock inne. Er wird beiden Betheiligten aber nur dann gleichzeitig befriedigt werden kön- nen, wenn die Genitalien sich berühren.

Dies sehr einfache Verhältniss dürfte für die höheren Wirbel- thiere die Copulation in letzter Instanz sichern; es reicht jedoch keineswegs für die niederen Thiere aus. Wir haben zwar, namentlich durch DArwın, mancherlei Anlockungsmittel für die verschiedenen Geschlechter kennen gelernt, aber es bleibt der angeregte Gegenstand doch noch recht sehr im Dunkeln. Um ein derartiges Beispiel anzu- führen: wie kommt es, dass die Drohne (vor kurzem ausgeschlüpft und sicher ohne jede Erfahrung) die vor wenig Tagen ausgeschlüpfte Königin in der Luft trifit, um in Copulation mit ihr den Tod zu finden ?

Diese Räthsel scheinen mir übrigens kein Hinderniss gegen die Richtigkeit obiger Erklärung für Säugethiere zu sein.

Eindringen des Spermas in die Genitalien.

Betreffend das Eindringen des Spermas in die Genitalien habe ich vorzugsweise am Meerschweinchen Untersuchungen gemacht.

REICHERT!) bestreitet die von LEUCKART?) und von BISCHOFF?) gemachten Beobachtungen, dass nach der Copulation die Scheide mit einem Pfropf von Samenblasensecret angefüllt sei. Jedoch die Sache ist, wie schon BiscHoFrrF erwidert hat, zweifellos. Ich finde die Masse hart, in concentrirter Schwefelsäure und in Natron schwer löslich, in

. DK S. 118. 2) Anatomisch-physiologische Uebersicht des Thierreichs S. 567. Ich habe das Buch nicht einsehen können. DIEDMSEL2.

230 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

Kochsalzlösung von 10 °/, quellend. Sie enthält in Lücken ihrer Substanz Sperma, erstreckt sich aber nicht, als hart gewordene Masse in den Uterus. Der Pfropf wird bald ausgestossen, 9, 9'/, und 41), Stunden nach.dem Belegen fehlte er schon. Da ich über seine Bil- dung nicht ins Reine gekommen bin, dürfen hier folgende Protokolle wohl Aufnahme finden.

12. April 1868. Eine Stunde nach dem Belegen füllte festweiches Sperma die Scheide halb aus und ragt ein wenig in den Uterushals vor, hier im Zerfall begrifien.

30. Mai 1868. 1'/, Stunde nach dem Belegen. Die Scheide mit einem Pfropf gefüllt, der noch im Erstarren begriffen scheint. Im Centrum ist er schon ziemlich hart, an der Peripherie und auf der Scheidenschleimhaut findet sich klare Flüssigkeit, in der flockige Aus- scheidungen sich zu bilden scheinen.

14. Mai 1869. Junges läufiges Thier. Um 12!/, Uhr zwei Pra- vatz’sche Spritzen voll feuchten Russ in die Scheide ziemlich hart eingepresst, ward dann gleich belest und um 7 Uhr getödtet. Der Pfropf ragt nach Vulva und Uterus hin vor, sein Kern ist rein weiss, seine Rinde aber führt eine dicke Lage kohlenhaltiger Pflasterepithe- lien. Der Kern besteht aus poröser homogener Masse, in den grösse- ren Poren finden sich Spermatozoiden dicht angehäuft, die Grund- substanz enthält deren keine.

Häufig habe ich, entgegen den Angaben der Autoren, die Scheide ansserhalb der Brunst unverlöthet gefunden.

Eindringen des Spermas in den Uterus.

Beim Meerschweinchen wird das Sperma bekanntlich als fast feste Masse ejaculirt, ein Theil desselben liegt unmittelbar nach der Copu- lation im Cervix uteri. Hier verflüssigt es sich und bröckelt los. Ich habe in mehreren Fällen (3 finde ich notirt) bei vorsichtigstem Ver- fahren im Tubarande des Uterus Cubikmillimeter grosse Stücke Sper- mas gefunden, von denen, wie sich bei mikroskopischer Untersuchung zeigte, nach allen Richtungen hin die Schwänze der Samenfäden her- vorragten. Daneben fanden sich viele kleine Klümpchen, aus Sperma- tozoen mit noch verklebten Köpfen bestehend. Durch eigene Bewegung konnten diese Dinge also nicht den ca. 7 cm. langen Ute-' rus durchlaufen. (Es ist mir missglückt todte Theile z. B. Russ zu- gleich mit dem Sperma in den Uterus zu bringen) Man könnte glauben, dass im Uterus eine Flüssigkeitscireulation sich bemerk- lich mache, mächtig genug, um das Sperma zu befördern. Es findet sich stets ein Flüssigkeitsfaden in demselben; da die Flimmerhärchen

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 231

[4

die Flüssigkeit nach aussen treiben, wird der Effeet bei verstopftem Muttermund entweder eine Anhäufung der Flüssigkeit vor demselben mit Leere des übrigen Theils sein müssen, letztere findet sich jedoch nicht, oder eine beständige Flüssigkeitscireulation. Es finden sich je- doch stets kleine Uteruscontractionen und der Effect derselben muss denjenigen der Flimmerbewegung so sehr überwiegen, dass ich mit BiscHoOFF und LEUCKART annehmen muss, dass es die Uteruscon- tractionen seien, welche die Spermastücke so rasch vorwärts treiben.

CosrE!) macht in Betreff des Kaninchens sehr präzise Angaben darüber, dass das Sperma zunächst nicht in den Muttermund gelange. Da in dieser Sache eine Bestätigung nöch von Werth sein dürfte, theile ich folgende Fälle mit.

30. Juli 1868. Ein Kaninchen wurde in 10 Minuten dreimal be- lest und 5 Minuten darauf getödte. Tuben in leichter Bewegung, links 5, rechts 1 reifer Follikel. Im Uterus kein Sperma, nur auf dem Os uteri und im Anfang des Cervix einzelne Spermatozoren. Die Scheide voll Flüssiekeit mit Sperma.

24. Mai 1868. Kaninchen seit 2°/, Stunden belegt. Linke Tube ein wenig in Bewegung, auf beiden Eierstöcken Sperma, in der Scheide braune Flüssigkeit mit todtem Sperma. Aus dem eingeschnittenen Uterus quellen einige Tropfen klarer Flüssigkeit hervor. In ihnen be- wegen sich die Samenfäden lebhaft, sie sind aber zum Theil noch mit den Köpfen verklebt. Einige Eifollikel stark geschwollen mit weissem Punkt, Ei, nahe der Oberfläche u. s. w.

Dieser Befund scheint darauf hinzudeuten, dass noch nachträglich vom Uterus Sperma aufgesogen oder von der Scheide in ihn eingepresst wird, es käme darauf an, dies experimentell festzustellen.

Auch beim Hunde dringt nach BiscHorr?) das Sperma rasch in den Uterus; er fand es im Uterus einer Hündin, der er unmittelbar nach der Copulation das eine Uterushorn exstirpirte, ich denke also nach !/, Stunde.

Das Vordringen des Spermas in die Tuben.

LEUCKART und BiscHoFr°) haben beobachtet, dass der Samen des Meerschweinchens schon !/, Stunde nach der Copulation „bis gegen die Mitte“ des Eileiters vorgedrungen war, ich habe nach 1 bis 2

I) g. Tom II. S. 59.

2) Entwicklungsgeschichte des Hundeeies 1845. 8. 14. (v.) Dort findet man die Angaben aus der älteren Literatur über diesen Gegenstand.

SEES 319:

232 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Stunden Samenfäden mehrfach im ersten Drittel der Tuben angetroffen. Ich erinnere mich nicht, verklebte Spermatozoiden hier angetroffen zu haben, höchstens einmal zwei Köpfe aneinander (Meerschw.).

Den 27. Febr. 69 machte ich 4!/, Stunde nach der Copulation Messungen über die Schnelligkeit der Spermatozoiden (d. Meerschweins) in Uterusflüssigkeit auf erwärmtem Objectglas. Das erste machte in 23 Sekunden 0,45mm. Das zweite in 22 Sekunden 0,35 mm. Da ich nicht sogleich weitere Fäden mit freier Bahn finden konnte, fielen die folgenden Messungen schon erheblich geringer aus. Die Uterus- flüssigkeit ist von ziemlich beträchtlicher Zähigkeit, es werden dadurch wohl die Bewegungen verlangsamt, aber es ist gerade von Interesse zu wissen, wie rasch in dieser die Bewegungen sind. Nach Messungen Hente’s!) bewegten sich menschliche Samenfäden 2,7 mm. pr. Minute, nach KRAMER nur 2,2mm. in maximo. Nach meinen obigen Bestim- mungen 1,2 mm. pr. Minute. Da die Tuben nach BiscHorr zu 60 mm. gerechnet werden können, würden die Samenfäden sie in 50 Minuten durchlaufen können und würden demnach in 15 Minuten wohl „bis gegen die Mitte“ des Eileiters gelangen können, wenn sie sogleich nach der Copulation schon am Ende des Uterus waren. Ich neige mich in der That der Ansicht zu, dass die Samenfäden durch eigene Kraft in den Tuben vordringen. Die Bahn ist eine enge, nicht zu verfehlende und die Bewegung der Flimmereilien hindert schwerlich ihr Vorrücken. Die Gestalt der Samenfädchen ist einer mechanischen Vorwärtsbewegung durch die Contractionen des Eileiters nicht günstig, und da die Körper sich gegen den Strom zu richten pflegen, würde dem einzelnen Samenkörperchen gegenüber auch eine Flüssigkeits- strömung von zweifelhaftem Nutzen sein. Fände etwas derartiges statt, so müssten viele Spermatozoiden auf den Eierstock kommen, bei meinen Versuchsthieren war dieser Befund jedoch selten, beim Hunde scheint allerdings, nach BıscHorrF?), die Bedeckung des Eierstocks mit Sperma zuweilen sehr reichlich zu geschehen.

Die Imprägnation.

Die Frage, ob die Spermatozoiden in das Ei eindringen, ist seit ziemlich geraumer Zeit gelöst, aber über den Process des Eindringens sind die Beobachtungen noch recht sparsam. Die Priorität der Be- obachtung von Spermatozoiden in der Eihöhle gebührt bekanntlich

1) 1. 8. 823. A NG S6 1108

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschw£inchens. 233

M. Barry), der sie im Ei des Kaninchens von 24 Stunden und etwas früher nach der Copulation sah. Nach ihm ist dann dieser Befund an etwas reiferen Eiern von MEISSNER?), -. BISCHOFF?) und E. vAn BEnt- DEN®) gemacht worden. WEIL (bb) hat eine Reihe sehr hübscher Beob- achtungen über das Verhalten der Spermatozoiden im Ei gemacht, und die Bewegung derselben dort 4 Stunden lang gesehen. Auf seine, so wie BAMBEKE’'S und NEwPorT'’s Beobachtungen komme ich zurück.

Ich habe zwei Serien von Untersuchungen gemacht, die erste am Meerschweinchen, einem leider wenig günstigen Objeet, die zweite am Kaninchen.

Mein Verfahren war zunächst darauf gerichtet, das Ei, welches sich in dieser Periode im äusseren Drittel der Tuben befindet, mög- liehst rasch zu erhalten. Es ist nothwendig, die Tuben rein zu ent- wickeln, was jedoch mit Hülfe der Scheere in einer Minute geschehen kann. Wenn dann die Tuben sogleich auf einen warmen Objectträger sebracht werden, kann man in ihnen mit guter Loupe die Eier liegen sehen. Ich schneide in deren Nähe die Tube durch und drücke dann etwas jenseits der Eier beginnend, mit starker Nadel oder dem Messer- rücken über sie hinstreichend, den Inhalt aus. Die Eier treten mit etwas Flüssigkeit und allem Tubenepithel heraus und werden zunächst ohne Flüssigkeitszusatz oder Bedeckung untersucht. Es sind mir auf diese Weise einige Meerschweincheneier verloren gegangen, aber stets

1) Philosophical. Transactions 1843. p. 33 (w).

2) Beobachtungen über das Eindringen der Samenelemente in den Dotter No. 1. S. 246. Zeitschr. f. wissen. Zoologie Bd. VI (x).

3) Bestätigung des von Dr. NewProrT bei den Batrachiern u. Dr. Barry bei den Kaninchen behaupteten Eindringens der Spermatozoiden in das Ei. Giessen 1854 (y). Ich konnte dies Buch nicht einsehen, der Jahresbericht enthielt nicht, was ich wissen musste, und erst FunkE giebt in seiner Physiologie genauere Angaben. Ich möchte mir die Bemerkung erlauben, dass eine polyhistorische und kritische ausführliche Physiologie, wie die von WAGNER-FUuxkt, der sich immer rascher anhäufenden Literatur gegenüber sehr hülfreich ist. Wenn ein solches Werk eines Verfassers etwa alle 7 Jahre erneuert würde, mit Nachweis des aus früheren Auflagen Fortgelassenen, würde man, da der Standpunkt des Verfassers in seiner Kritik klar vorliegen würde, sich immer vor schweren literarischen Auslassungen hüten können und würde zugleich verhältwissmässig mühelos in die Lage der derzeitigen wissenschaftlichen Ansichten und ihre Begründung ein- geführt. Die Jahresberichte können offenbar ein solches Werk nicht ersetzen und die Lehrbücher müssen sehr Vieles fortlassen oder kurz berühren, was FunkE aufgenommen hat. Ich möchte glauben, dass ein Partikelchen von den jährlich zu Preisaufgaben u s. w. ausgeworfenen Summen gut angewandt wäre, wenn damit die Herstellung eines derartigen eyklisch erscheinenden Werks gesichert würde.

4) s. 8. 183. Beobachtung der Fledermaus.

234 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

durch meine Schuld, d. h. durch Unfälle, die ich hätte vermeiden können und sollen. Die Methode von BiscHorr, den Eileiter aufzu- schneiden, ist viel zeitraubender und mir weniger bequem und sicher,

Nachdem die Eier beobachtet worden sind, werden sie je nach Bedarf freier gelegt, in Kali bichromicum oder besser Osmiumsäure- dampf gehärtet oder okne Weiteres mit scharf geschliffener Nadel, vor oder nach Färbung mit Karmin, präparirt. Also von dem Discus, wenn nöthig, befreit, gedreht und gewendet, die Dotterhaut angestochen und der Dotter entwickelt. Letzteres geht selbst bei unerhärteten Eiern ohne Verletzung, d. h. Ausfliessen des Dotters, jedoch hier ist es ein Kunststück, meistens wird die Zone irgendwo auf den Dotter drücken und ihn dadurch zum Ausfliessen bringen. Bei erhärteten Eiern glückt es in der Mehrzahl der Fälle, die Zona von dem Dotter abzuziehen, ohne ihn zu quetschen,

Mikropylefrage.

Ich habe mich selbstverständlich sehr bemüht, eine Mikropyle zu finden. PFLUEGER’S!) Befunde an jungen Eiern zeigen ja, dass zu einer gewissen Zeit eine Oeffnung in der Zona ist. ‘Der ältere Befund von MEISSNER?), der neuere von VAN BENEDEN?) sprechen in demselben Sinne.

Wenn eine Mikropyle vorhanden ist, müsste sie jedenfalls am sicher- sten dicht vor oder während der Imprägnation zu finden sein. Ein Hervorquellen des Dotters bei Druck macht sich nach einigen Ver- suchen nicht in der Art, dass man auf das Vorhandensein einer Mi- kropyle schliessen könnte, die Zona bekommt einen glatten grossen Riss und der Dotter schiesst hervor. Ueberhaupt habe ich nur einmal eine, MEISSNER’sS Beschreibung conforme, Mikropyle gesehen. Meer- schwein 10. August 1870 belest 9!/, Uhr, untersucht 4 Uhr (61/, St.). Tuben in Ruhe, kein Ei entleert. Ein Follikel trübe, entleerte sich auf leichten Druck. Durch verstärkten Druck wurden noch mehr Fol- likel entleert. Eins der so entleerten Eier zeigte einen zapfenför- migen Fortsatz des Dotters in die Zona pellucida hinein, ein gleichzeitig entleertes war zerrissen, es dürfte daher die Gestaltung des anderen Eies durch mechanische Einwirkungen erzeugt sein.

1!) Ueber die Eierstöcke der Säugethiere und des Menschen. Leipzig 1863 (z). 8. 84.

2) x. 8. 248.

3) 5. 8. 147,

und Entwicklung des Kaninchens und: Meerschweinchens. 235

Ich wollte dies Protokoll nicht unterdrücken, obgleich ich kein Gewicht darauf legen kann, denn eine grosse Menge von Riern aus dem Anfang des Eileiters sind nicht nur in verschiedenen Lagen auf eine Mikropyle angesehen, sondern es ward die Zone auseinander gelegt, und isolirt auf derartige Oeffnungen untersucht. Wäre eine trichter- förmige Oefinung vorhanden, wie es BENEDEN will, oder eine merk- liche Schwächung der Hülle in irgend nennenswerther Ausbreitung, so, meine ich, hätte ich sie wahrnehmen müssen.

Gegen eine Mikropyle sprechen aber auch positive Thatsachen. Die Spermatozoen dringen von allen Seiten in die Zona ein und bewegen sich darin mit einiger Leichtigkeit. Dies ergiebt sich ganz abgesehen von meinen directen Beobachtungen schon aus den verschiedenen La- gerungen, welche sie nach den Zeichnungen BISCHOFF’s und Anderer in der Zona einnehmen. Sie können doch nur an diese Orte kommen, weil sie in die Zona hineinzudringen vermögen. Fraglich könnte meines

_ Erachtens nur sein, ob die Samenfädchen durch die innerste Grenz-

schicht der Zona dringen können. Ein feines Loch dort könnte der Beobachtung entgehen. Dagegen spricht jedoch die Massenhaftigkeit der Spermatozoen des Kaninchens in der Eihöhle, die schon von ver- schiedenen Beobachtern angegeben worden ist. An einer mir vor- liegenden Zeichnung eines Eies des Maulbeerstadiums (73 Zellen), dem die Zona abgezogen ward, zähle ich im optischen Querschnitt 22 Sperma- tozoen und da der Eikugel überall die Körperchen anklebten, muss ihre Zahl doch gegen 50 betragen! welche hineingekommen sein müssen, ehe die Eiweissumlagerung begann. Die Fälle von Meissner und BENEDEN erfordern also wohl eine andere Erklärung und PFLuEGER’S Beobachtungen hängen wohl nicht (was er selbst auch nicht sicher behauptet hat) mit einer Mikropyle zusammen.

Das Eindringen in die Eihöhle.

Mit Hülfe systematischer Studien hat sich die Zeit des Eindrin- gens der Spermatozoiden beim Kaninchen auf die dreizehnte Stunde nach der Copulation festsetzen lassen. Natürlich finden davon Aus- nahmen statt. Es ist der Fall vorgekommen, dass um 11°/, Stunde die Eier noch nicht entleert waren, dass nach 12 Stunden das Sperma noch nicht zu den 2 cm. in die Tuben vorgedrungenen Eiern gelangt war, dass ebenfalls nach 12 Stunden 3 Eier 4 cm. in die Tuben vor- gedrungen waren, davon 2 abortiv mit deformirtem Dotter, eins mit S Furchungskugeln, alle Eier mit Sperma versehen; aber ob auch nur das letzte wirklich befruchtet war, konnte ich nicht ganz sicher wissen.

236 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

(Das Thier war zunächst nicht willig, ward dann später dreimal belegt.) 14 und 14!/, Stunde nach der Conjugation ist die Imprägnationsperiode vorüber gewesen, jedoch waren einmal nach 14'/, Stunden die Spermatozoiden noch in lebhafter Bewegung, wenigstens in einem von drei Eiern. Vier Fälle, zwei von 12, zwei von 12!/, Stunden, zeigten den Process in vollem Gang. Es wird daher sieher richtig sein, die genannte Zeit vielleicht !/, Stunde früher als Ausgangspunkt der Beobachtungen zu wählen. Die Versuche fielen in den April (1870), die Thiere mussten am Abend zwischen 6 u. 7 Uhr copuliren und wurden am folgenden Morgen untersucht. WeıL, der Kaninchen nach dem Gebären copu- liren liess, beobachtete die Bewegung der Spermatozoiden in der 14. bis 17. Stunde.

- In Ermanglung eines heissen Objecttisches wurden Mikroskop und Objeetträger mit einem Wasserbad auf Körpertemperatur gebracht. Bei einem Kaninchen von 12!/), Stunde n. d. B. wurden 6 Eier rasch aus den Tuben herausgebracht. Ueberall war der Dotter zurückgezogen und in dem so entstandenen Raum fanden sich Spermatozoiden in leb- hafter, - aalartiger Bewegung (eigentlich etwas lebhaftere Bewegungen, wie die des Aals. In dem gezeichneten Ei Figur 5!) zählte ich 20 Samenfäden, welche noch 1/, Stunde lang in Bewegung blieben. Ich beobachtete eine Weile eins, welches auf den Dotter gerichtet stand, aber nicht hineinkam, die anderen umkreisten den Dotter, an welchen sie häufig anstiessen. Zeitweise rotirte der Dotter in Folge dessen. Die Zellen des Discus waren rundlich, zwischen ihnen fanden sich Samenfäden, deren Bewegung rasch erlosch. Ebenso fanden sich deren überall in der Zona, hier bewegen sie sich weniger frei, mehr krie- chend; diejenigen, welche senkrecht zum Centrum des Eies stehen,

1) Ernst HAEcKEL, Anthropogonie 1874. S. 142 u. 143 giebt eine Figur über Imprägnation und Befruchtung des Säugethiereies. Die Ueberschrift der Seiten lautet:

Der Mensch im Moneren-Stadium. Die befruchtete Eieytode oder Monerula.

Die Erklärung besagt: Fig. 14. Die befruchtete Eizelle des Säugethieres (Monerula). Rings um die. Eizelle sind viele Spermazellen zu bemerken, einige derselben sind durch die Porenkanäle der Hülle in das Innere eingedrungen und haben sich in dem Dotter aufgelöst. Der Keim oder das Keimbläschen ist in Folge dieses Befruchtungsactes verschwunden. Der kernlose Dotter (nunmehr eine Cy- tode) hat sich verdichtet und zusammengezogen, wodurch zwischen ihm und der Eihülle ein (mit heller Flüssigkeit erfüllter) Zwischenraum entstanden ist. „Die Figur stimmt zwar mit dieser Erklärung weniger überein, wie nothwendig, immer- hin versinnbildlicht sie den Ansturm der Spermatozoen deutlich. Diese Darstellung reiht sich den von Hıs (Unsere Körperform 8. 169) gerügten Fällen an, die er als leichtfertiges Spiel mit Thatsachen bezeichnet. Die Rüge mildert sich m. E. nicht, wenn nachträglich das in der Phantasie Gesehene sich theilweise bewahrheitet.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 337

scheinen durchzudringen, wenigstens meine ich, einige mit dem Kopf in der Flüssigkeit, dem Schweif noch in der Zona gesehen zu haben, Während man sonst die Spermatozoiden in der Zona stets nahe pa- rallel der Oberfläche gelagert fiüdet, blieben hier viele definitiv in radialer Stellung (in Folge der Abkühlung). In den anderen Eiern fanden sich weniger Samenfäden in Bewegung, je 2 und 3, aber ich habe nicht alle genau untersucht, da natürlich die Aufmerksamkeit rasch auf eines concentrirt werden müsste.

Ein zweites Kaninchen von 12 Stunden n.d.B. hatte 5 Eier, die nicht ganz rasch herauskamen. In allen fanden sich einige Samen- fäden in nicht sehr lebhafter Bewegung, auch war die Zone nicht sehr voll davon. Ich glaube, findet sich notirt,. das lebendigste Stadium ist schon vorüber. Von einem folgenden Kaninchen von 12!/, St. n. d. B. ist in dieser Beziehung nur angemerkt: Eier gut heraus, fast genau wie bei dem vorigen Thier. Das vierte Kaninchen (12!/, St.) hatte Eier mit einigen Spermatozoiden im Inneren, die meisten dem Dotter scheinbar anklebend, bewegten sich noch mit den Schwänzen ziemlich lebhaft.

Der erste Fall, den ich beobachtete und der mir die Zeitbestim- mung sehr erschwerte (Kaninchen 141/, St. April 1869) war folgender. Die Eier, eins davon Fig. 6, fanden sich 4 cm. tief in den Tuben. In der Eiflüssigkeit waren viele Samenfäden, davon manche ruhend, an- dere beweglich und „wie ein Fisch“ das Ei umkreisend. Der Dotter war in leichten Schwankungen begriffen. In der Zona fanden sich viele Spermatozoiden in den verschiedensten Richtungen. Die Discus- zellen sitzen z. Thl. noch fest, sie sind dann gestielt, aber nur noch locker befestigt, Fig. 4. Die anderen Eier, welche 5 und 15 Minuten später entleert wurden, enthielten unbewegliches Sperma.

Bei diesen Untersuchungen hätte die Durchdringung der Zona de- taillirter beobachtet werden können, aber mir lagen andere Dinge am Herzen. 3

Beim Meerschweinchen fanden sich regelmässig viel weniger Spermatozoiden in den Tuben, wie beim Kaninchen, auch waren die- selben hier auffallend häufig unbeweglich und schienen empfindlicher gegen Abkühlung zu sein. Ich habe in der Regel nur wenige ins Ei eingedrungene Körperchen gefunden. Was die Zeit der Impräg- nation und die Durchdringung der Zona betrifit, kann ich nur Fol- gendes angeben. Ein Thier von 16 Stunden nach der Geburt hatte ein Ei mit 3 Richtungskugeln (eine kernhaltig), Sperma fand sich in der Zona, im Ei dagegen nicht. Ein zweites (27. Aug. 1870), von 12

bis 15 Stunden hatte 3 Eier 4 mm. vom Tubenanfang, in allen dreien

238 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

war ein unbewegliches Spermatozoid, wie sich bei nachträglicher Heraus- nahme des erhärteten Dotters bestätigte. Ein Meerschwein von 15 Stunden n. d. G. hatte rechts drei Eier. In der Zone des einen fand sich ein Spermatozoid im Einbohren, die anderen Eier zeigten nichts. Ein Thier von 15!/, Stunden enthielt in einem Ei in oder an dem Dotter ein Spermatozoid, das erst nach der Herausnahme des Dotters sich vorfand. Noch in einem Fall von 16 und einem von 15 Stunden n. d. G. habe ich 1 und 2 Spermatozoiden an dem Dotter gesehen, doch ward die Bewegung derselben nicht ausreichend sicher wahrgenommen. Hierzu kommen noch einige der weiter unten referirten Fälle, im Ganzen war die Ausbeute nicht befriedigend.

Die Spermatozoiden im Dotter.

Die sehr schönen Beobachtungen von NEwPORT!) mit horizon- tal gestelltem Mikroskop haben bewiesen, dass einige Samenfäden in den Dotter des Froscheies dringen. Auch BAMBERE’S?) trous vitel- lins scheinen sehr deutlich auf denselben Vorgang hinzuweisen. Die grosse Anzahl von Samenfäden im Kaninchenei kleben zwar dem Dotter an, bleiben aber Tage lang unverändert und lassen sich ablösen. Wenn nachgewiesen werden kann, dass andere Spermatozoiden in den Dotter eindringen und sich dort rasch erheblich verändern, so bleibt es zwar möglich, dass auch erstere bei Befruchtung oder Vererbung eine Rolle spielen (MEISSNER°) geht von diesem Gesichtspunkt aus), aber man wird nicht anstehen können, die eingedrungenen Samenfäden als die bei weitem wichtigeren zu betrachten.

Der wirkliche Nachweis des Eindringens der Samenfäden in den Dotter hat mich bei den betrefienden Untersuchungen hanptsächlich beschäftigt. Es war im Grunde wohl eine undankbare Aufgabe, denn die allgemeine Ansicht war schon vorausgeeilt. Ich bin zu dieser Untersuchung theils durch die so vortrefflichen und präzisen Arbeiten PRINGSHEIM’S über die Befruchtung der Algen, theils durch die von Hıs*) bezüglich der Lagerung und Anzahl der Samenfäden verfolgten Ideen angeregt worden. WEIL, dessen Untersuchungen später gemacht wurden, wie die meinen, hat unzweifelhaft Sperma im Dotter nachgewiesen, Leider habe ich niemals ein Samenfädchen in den Dotter hinein kriechen

1) Researches Third Series. Philosophical Transactions 1854. p. 232. (a. 1.)

2) Sur les trous vitellins, que presentent les oeufs fecondes des Amphibiens. Bulletins de ’Academie roy. de Belgique tom. XXX. No. 7. 1870. (b. 1.)

3) x. 8. 255.

4) Ueber die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Fortsetzung $. 20. Mit- getheilt der naturf. Gesellschaft in Basel. 1867. (ec. 1.)

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 239

sehen, habe dagegen häufig bemerkt, dass diese Körperchen, sei es ganz, sei es nur mit dem Kopf, in dem Dotter sassen. Die einfache Beobachtung konnte indess nicht genügen, sondern weitere Zergliede- rungen haben die Beobachtungen bestätigt.

An 2 frischen Eiern vom Meerschweinchen habe ich constatirt, dass ein, resp. zwei Spermatozoiden nach dem Anstechen des Eies mit dem Dotter herausflossen, sie lagen darauf so in der Dottersubstanz, dass Dotterkugeln über und unter ihnen lagen. Der Kopf war etwas ausgedehnt und an der Peripherie etwas körnig. Beim Versuch, einen Körper zu isoliren, löste sich der Kopf ab.

Bei dem anderen, in Kali bichromicum erhärteten. Ei constatirte ich, dass die Schwänze der beiden Samenfäden, deren Köpfe im Dotter sassen, sich durch kein Umherwälzen des nackten Dotters oder durch sonstige Manipulationen aus demselben herausziehen liessen. Die Be- funde bei dem Thier vom 27. Aug. waren folgende: In jedem der 3 Eier war ein Samenfaden, in dem einen sah der Schwanz aus dem Dotter, etwa !/, Kreisbogen von den Richtungskugeln entfernt, der Kopf war nicht deutlich erkennbar; im zweiten ging der Schwanz neben resp. über der Richtungskugel in den Dotter; beim dritten sass er der Richtungskugel fast gegenüber, bis über die Mitte des Mittelstücks im Dotter. In diesem Ei war das Keimbläschen sichtbar, aber nichts von den Spermatozoen darin oder daran. Nach dem Er- härten ward der Dotter aus allen drei Eiern unverletzt entwickelt. Das eine Ei ward nach einigem Rollen, wobei der Schwanz ungelöst blieb, als weniger günstig, nicht weiter untersucht. Das zweite Ei liess den Kopf ziemlich tief im Dotter und zwar schräg eingebohrt, erkennen, jedoch man sah ihn nicht recht klar und er war nicht heraus zu be- kommen. Das dritte (erste) Ei war an der Stelle, wo der Schwanz sass, ein wenig hervorgebuckelt. Man sah daran den Kopf, aber der- selbe war vergrössert und enthielt eine kuglige, körnige Masse, die sich von der Wand (Contour des Kopfes) zurückgezogen hatte. Das Ei ward zerstückelt und es ward versucht, aus der betreffenden Partie den Kopf zu isoliren, er sass sehr fest und ging schliesslich bei den Versuchen zu Grunde.

Dies sind die besten Beobachtungen beim Meerschweinchen, das Ei Fig. 3 ist einem anderen Thier von 16 Stunden entnommen.

Folgende Beobachtung glaube ich ihrer Eigenthümlichkeit wegen nicht unterdrücken zu dürfen. Meerschweinchen 17 St.n.d.G@. Es ward ein Ei gleich in der Tube gesehen und rasch entleert. Es fanden sich 10 Samenfädchen in der Zone, noch in verschiedensten Richtungen gelagert. An der körnigen dunkleren Seite des Eies fanden sich zwei

240 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Richtungskugeln, an der einen ein ruhender Schwanz, dessen Kopf in dem Bläschen zu stecken schien, doch war er nicht zu erkennen. Das vielfach gedrehte Ei liess nichts weiter erkennen, auch nicht, nachdem der Dotter auf Zusatz der Mwerrer’schen Lösung sich noch mehr zusammenzog. Später entleerte sich der Dotter gut, wobei sich jedoch die Richtungsbläschen von ihm trennten. Das eine hatte den Schwanz behalten, über dessen Basis sich eine dicke körnige Umhüllung aus- geschieden hatte. Bei stärkster Vergrösserung‘ erkannte ich in dem trüben Inhalt nichts vom Kopf, beim Zerdrücken trat jedoch eine bläschenförmige Bildung, ähnlich der so eben als Metamorphose des Samenfädchenkopfes geschilderten, auf, doch war sie nicht so deutlich! Was soll man dazu sagen?

Das Kaninchen vom 7. April 1871 mit 6 Eiern. Eines davon Fig. 5. Alle Eier zeigten sich -durch feinkörnige, etwas bräunliche Häufchen stark gefleckt. Diese Flecken scheinen von zersetztem Sperma herzurühren, häufig glaube ich eine Hülle und Schweif daran wahrzu- nehmen. An anderen Stellen sieht man Spermatozoidenköpfe gebläht mit körniger Masse im Centrum, Fig. 7, wie das oben vom Meer- schweinchen beschriebene. Andere sind nicht vergrössert, sondern nur körnig getrübt.

Das Kanichen vom 9ten 12 St. nach der Copulation, gab wesentlich denselben Befund, eines von 121/, Stunden, gleich darauf untersucht ergab, als die frische Dottermasse aus zwei Eiern entleert wurde, dass der Dotter auffallend stark zusammenhielt. Sie enthielt, namentlich in dem einen Fall sehr deutlich, mehrere Spermatozoiden, welche mit körnigem Kopf versehen, aber noch nicht gequollen waren.

Darauf fand ich bei einem Kaninchen von 11?/, St. n. d. B. die Eier noch im Eierstock. Dieser entleerte nach dem Erhärten in Osmium- säuredampf durch körnige Massen gefleckte Eier. BiscHorr hat auch solchen Falls erwähnt.

Die Eier eines anderen T'hieres von 12 St. n. d. B. wurden, nach- dem sie frisch denselben Befund ergeben hatten, wie die beiden erst- erwähnten, über Osmiumsäure erhärtet, von der Zona befreit und sorg- fältig geprüft. Die Dotter waren innerhalb der kugligen Zona platt, ein Fall, der mindestens nicht selten vorkommt. Es scheint mir, habe ich notirt, dass denn doch nicht alle Flecke mütterlichen Ursprungs sein können, denn ich finde deutlich in einigen Spermatozoenköpfen im Dotter Körnchen entwickelt und diese Bilder zeigen Uebergänge zu den Flecken.

Bei einem darauf untersuchten Kaninchen von 14 Stunden mit 6 Eiern, zeigte sich der Dotter in eine dunklere äussere und hellere

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 241

innere Masse veschieden. Das Keimbläschen schien in einzelnen Eiern vorhanden zu sein, doch war es nach Erhärtung und Färbung mit Karmin resp. Rosanilin, trotzdem die herausgenommenen Dotter schliesslich zerdrückt wurden, nicht zu finden. Die Eier waren nach der Erhärtung abgeplattet, diesmal lag die Zona dabei den Flächen auch an, war also auch abgeplattet. In dem Dotter fanden sich viele Bläschen mit kernartigem Körper, zu denen in der Regel ein Schwanz hinführte und die den oben beschriebenen Bildungen sehr glichen. Die Fig. 7a ist einem dieser Eier entnommen. Weitere Reactionen sind nicht gemacht worden, da die hübschen Untersuchungen MiEscHer’s !) noch nieht bekannt waren.

Die Verhältnisse liegen hier so schwierig, dass ich mir nach einer einzelnen Untersuchung kein Urtheil erlauben würde. Wenn ich aber alle Untersuchungen überblicke, so glaube ich mit Wahrscheinlichkeit den Sachverhalt dahin präcisiren zu können, dass bei den untersuch- ten Säugethieren mehr wie ein Samenfaden in den Dotter eindringen kann), dass er dort unter bestimmten formellen Veränderungen des Kopfes sich auflöst und auf diese Weise der Zustand der Befruch- tung im Ei herbeigeführt wird. Es würde mich freuen, wenn meine Versuche zu neuen Beobachtungen anregen sollten.

In Bezug auf das Keimbläschen war mein Verfahren im Anfang nicht tadellos, erst später erkannte ich, dass man färben und dann den Dotter entleeren muss, um der Sache sicher zu sein. Ich habe daher meine Befunde nur ausnahmsweise mitgetheilt, doch will ich hier noch eine Beobachtung niederlegen.

Ein Kaninchen hatte 25 Stunden nach dem Belegen links 5 Eier, alle mit 2 Furchungskugeln, rechts 4, davon eins mit 2 Furchungs- kugeln, 3 noch ungetheilt. Von letzteren hatte, wie sich nachträglich durch leichte Erhärtung und Färbung mit Karmin bestätigte, eins einen Kern, die beiden anderen keinen. In allen Eiern fanden sich ruhende Samenfäden.

1) Die Spermatozoen einiger Wirbelthiere. Verhandl. der naturf. Gesellschaft ın Basel. VI. Heft. 1874 (di).

2) Ich würde mich weniger vorsichtig aussprechen, wenn ich die veränder- ten Samenkörper hätte isoliren können. Uebrigens weist PrivesuEm: Ueber die Befruchtung der Algen. Bericht der preuss. Akademie. 1854. S. 145 und Fig. 23 (el) für Fucus das Eindringen mehrerer Samenkörper unzweifel- haft nach. Auch nach Wert (bb), der noch in Furchungskugeln Spermatozoiden

sah, würde der gleiche Schluss zu ziehen sein. Zeitschrift f. Anatomie. Bd.-I. 16

242 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Die Befruchtung.

Es drängt mich, in Folgendem meine Ansicht über die von der Zeugung zu separirende Befruchtung niederzulegen, sowie ich dieselbe, wenn auch weniger präcise, seit einer Reihe von Jahren vor- getragen und verfolgt habe. Obgleich sich auf diesem Gebiet absolut Neues kaum sagen lässt, bin ich bis jetzt doch nicht auf einen ähn- lichen Gang der Betrachtungen gestossen.

Der Ausgangspunkt, von welchem die verschiedenen Beobachter sich ihren Gedankengang entwickeln, ist häufig so gründlich verschie- den, dass ich zunächst den meinen in einigen Worten andeuten muss.

Die Möglichkeit einer Reihe von Lebensvorgängen ist in klarer Weise abhängig von den terrestrischen Verhältnissen. Wir finden empirisch, dass alle Organismen stark wasserhaltig sind, genauer ge- sagt zum grösseren Theile aus salzem Wasser bestehen. Demnach kann ein Stoffwechsel bei solchen Wesen nur unter den Bedingungen stattfinden, unter welchen solche Lösungen flüssig sind. Diese Bedin- sungen liegen für die Erdoberfläche klar vor; wir Biologen sind mit dieser Erkenntniss, die das Leben von physikalisch-chemischen Gesetzen abhängig macht, zufrieden, denn wir sind damit an die Grenze unseres Gebietes angelangt und unser Bestreben kann nur dahin gehen, unsere Erfahrungen auf die Gesetze der Physik und Chemie zu basiren. In ähnlicher Weise kann man auch in Bezug auf die lebengebende Ver- brennung der Organismen räsonniren, sie hängt von der Zusammen- setzung der Körper aus oxydirbarem Material und von dem Vorkom- men des Sauerstofigases auf der Erde ab.

Es giebt aber andere Dinge, die auch im freiesten Gedanken- sprunge nicht auf physikalisch-chemische Gesetze direct zurückzuführen sind, ich nenne die Vermehrung der Organismen. Diese aus dem Wachsthum abzuleiten und das Wachsthum auf die Crystallisation zu redueiren, ist zum Mindesten sehr gewagt, und man wird sich nicht dadurch befriedigt fühlen. Wenigstens liegt die Sache noch zu unklar, um sich darauf zu stützen.

Dennoch gewährt der empirische Satz: alle Organismen!) vermeh- ren sich, Befriedigung, und zwar nicht nur als empirisch gesicherte Thatsache, sondern als logische und nothwendige Schlussfolgerung aus den natürlichen Verhältnissen. Aus diesem Grunde gewährt es mir

1) Dass auch die Männchen sich, jedoch indirect, vermehren, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 9243

also auch Befriedigung, wenn ich die Befruchtung aus diesem Satz aufbauen kann.

Fragen wir, weshalb müssen die Organismen sich vermehren, so lautet die Antwort, weil dieselben sonst in Folge von Todes- ursachen in kürzester Frist aussterben müssten. Erörten wir weiter, weshalb Todesursachen da sein müssen, so kommen wir wohl schliess- lich auch hier auf das physikalisch-chemische Gebiet. E

Ich schlage jedoch einen anderen, empirischen Weg ein und ver- suche, indem ich auf alle Fälle die für die Befruchtung wichtigen Thatsachen zusammenstelle, meinen Schluss zu ziehen.

Sind wirklich für alle Organismen Todesursachen vorhanden?

Man kann ein weites, hier nicht genauer zu verfolgendes Gebiet der zufälligen Todesursachen abtrennen, von durch meteorologische Verhältnisse und von durch innere Gründe, d. h. Organisationsfehler, bedingten Todesursachen. Wo erstere sich nicht eingefunden haben, treten die beiden letzteren in Wirksamkeit. Der Organisationsfehler z. B. des Menschen wird in der Altersschwäche, d. h. wol in der In- crustirung seiner Gewebe, kund. Diese sichere Todesursache kennen wir empirisch auch für viele Thiere und es ist nicht anzunehmen, dass irgend ein Thier der Altersschwäche nicht solle anheimfallen können, es sei denn, dass es sich durch Theilung fortwährend er- neuere.

In diesem Falle und bei vielen Pflanzen (bei letzteren aus we- sentlich demselben Grunde) wird die Altersschwäche vermieden. Allerdings geht selbst der zäheste Baum schliesslich dadurch zu Grunde, dass die in ihm liegenden abgestorbenen, verholzten Theile nicht genügend geschützt werden können, vermodern und Todesursache werden. Der Keim kann aber, und dies ist ein wichtiges Fac- tum, durch Wurzelsprossen, also durch ungeschlechtliche Zeugung, fortleben. Unsere Erfahrungen weisen entschieden darauf hin, dass auf diese Weise die Species oder eigentlich das Individuum (künstlich) in infinitum fortleben kann, dass also von einer Erschöpfung der Lebenskraft in diesem Fall nicht die Rede sein kann. Dennoch ist in der Wildniss der Bestand eines solchen Individuums und da- mit auch der Species nicht ausreichend gesichert. Denn da die Ver- breitung durch Sprossen ohne Hülfe des Menschen nur eine be- sehränkte Ausdehnung des Standes bewirken kann, so wird, sei es z. B. durch Insekten, sei es durch meteorologische oder tellurische, im Laufe der Jahrtausende einmal eintretende Ereignisse, kurz im Kampfe ums Dasein, der Bestand endlich unterliegen. Während also

das Individuum überhaupt nicht zu schützen ist, kann die Erhaltung 16*

244 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

der Species allerdings durch weite Verbreitung gesichert werden, und diese Verbreitung erfolgt durch die geschlechtliche Zeugung, also die Befruchtung, wie in vielen Fällen stark markirt hervortritt.')

Das bei den höheren Pflanzen etwas schwierige Verhältniss zwi- schen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher om nie musste im Vor- aus besprochen werden.

Man kann im Allgemeinen sagen, die Bund sei ein so weit verbreiteter Process, es werde für ihre Erreichung in der Natur ein so grosses Opfer gebracht, eine so grosse Zahl künstlicher Mechanismen in Bewegung gesetzt, dass dem entsprechend die Function eine funda- mentale sein, durchgehends wenigstens etwas Allgemeines, allen be- treffenden Wesen Nothwendiges, dadurch erreicht werden müsse. Dies Durchstehende zu finden ist also die Aufgabe! Bei den zahlreichen Variationen des Processes, bei der Menge von Gleichungen also, die gegeben sind, darf immer wieder versucht werden, diese Function zu finden.

Ob die Befruchtung bei allen Organismen sich finde oder nicht, ist dabei kaum von grosser Bedeutung. Uebrigens kann ich nicht zugeben, dass sie bei den niedersten Formen aufhöre. Die neueste Zeit hat noch wieder gelehrt, wie lange die geschlechtliche Zeugung bei höchst zugänglichen Pflanzen, den Hutpilzen, verborgen bleiben konnte, wie viel weniger dürfen wir erwarten von den Moneren schon Alles zu wissen! Uebrigens hat ja HAECcKEL?) Verschmelzungen von Moneren (Protomyxa) beobachtet und die Deutung dieses Vorganges als Conjugation ist zum mindesten durch seine Beobachtung nicht verboten.

Die Befruchtung kann von der geschlechtlichen Zeugung, d. h. von der Neubildung der Individuen aus dem Ei, getrennt betrachtet werden. Der Beweis für die Nothwendigkeit dieser Trennung wird durch die Erfahrungen über die Parthenogenesis®) geliefert.

1) Ich will gerne zugeben, dass in einzelnen Fällen dieser Art die ge- schlechtliche Zeugung geradezu unnütz sein mag, hier wird gewiss gesagt werden können, solcher Fall erkläre sich durch den Typus, d. h. die erbliche Verwandtschaft. Wird aber dieser Grund allgemein vorgeschoben, dann würde ich, aus späterhin hervortretenden Gründen, lieber gar keine Erklärung haben, als diese.

2) Biologische Studien. Heft I. 1870. 8. 27 (fl).

3) Ich kann hier nicht alle die Schriften a welche die Parthönosenasie: lehre gefördert haben, sondern beschränke mich möglichst. In Broxs, Classen und Ordnungen des Thierreichs, Bd. V. S. 164, findet man eine historische Be- sprechung (81).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 245

Unser vortrefflicher und liebenswürdiger C. Th. v. SıssoLn hat unter dem Namen Thelytokie, die hauptsächlich hier in Betracht kom- menden Thatsachen sehr sicher begründet. Er!) hat nachgewiesen, dass Psyche helix unabhängig von der Befruchtung durch lange Zeit hindurch unbefruchtete Bier legt, welche sich zu Weibchen entwickeln, die fort und fort ohne Hülfe von Sperma fruchtbare Generationen von Weibchen zu zeugen vermögen. Dasselbe Verfahren hat er, wenn mög- lich noch schlagender, für die Krebsthiere Apus cancriformis?) und Artemia salina®) nachgewiesen. Ferner steht fest, dass die Bombyeiden fruchtbare, unbefruchtete Eier legen können, aus denen dann Männ- chen und Weibchen „ganz regellos‘“ hervorgehen. Dies gilt insbeson- dere für den Seidenspinner, über den sich GERSTAECKER®) eingehender äussert als SIEBOLD, ferner von Liparis dispar?).

Kür diese, namentlich die letzteren Fälle, lautet der bündige Schluss dahin, dass die Befruchtung mit der Zeugung direct gar nichts zu thun habe. Man wird also in Bezug auf die Fun- damentalfunction der Befruchtung so lange von der Zeugung absehen müssen, bis entweder zwingende Gründe dafür beigebracht werden, dass hier ein Ausnahmefall vorliege, dann fällt aber die Ansicht, dass die Befruchtung eine fundamentale Function sei, fort, oder bis sich eine versteckte Täuschung in jenen Beobachtungen nachweisen lässt. Dass in anderen Fällen die Befruchtung evident mit der Zeugung zu- sammenhänst, ist kein Grund gegen die gewonnene Anschauung, denn diese Erfahrung beweist nur, dass sich unter Umständen noch weitere Wirkungen an die Befruchtung knüpfen, das wird aber keineswegs durch obige Schlussfolgerung ausgeschlossen.

Ich geselle mich zu denen, welche den Fundamentalvorgang der Befruchtung für eine Mischung von Stoffen halten. Die Form des Sperma kann schon deshalb nicht von fundamentaler Bedeutung sein, weil bei den Phanerogamen das Sperma als ungeformte, flüssige Masse in das Ei eintritt. Ferner giebt der Vorgang der Conjugation, wie wir denselben von den Conjugaten, den Diatomeen und Desmi- diaceen, den Pandorinen und (wenigstens kenne ich keinen Grund da- gegen) in dem Plasmodium der Myxomyzeten sehen, keinen Anlass,

!) Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen. 1856. $. 36 (h1).

2) Beiträge zur Parthenogenesis der Arthropoden. 1871 (i1).

3) Sitzungsberichte der bayr. Akademie d. Wissenschaften, math.-phys. Classe. 7. Juni 1873 (k1).

4) @1. 8. 165.

5) H. WEIENBERGH jr-, Quelques observations de Parthenogenise chez les Lepidopteres. Arch Neerland des Sciences mat. et nat. V. No. 3. $, 258.

946 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

eine besondere Formung des Spermas anzunehmen, da es schwierig oder unmöglich ist, hier Geschlechter zu unterscheiden. Mir scheint im Gegentheil die grosse Gleichwerthigkeit der betheilisten In- dividuen ein weiterer wichtiger Hinweis auf den Fundamentalvorgang der Befruchtung zu sein.

Die Function der Samenmasse kann nicht in einer reinen Öon- tactwirkung bestehen, weil sein Stoff sich dem Ei: bei- mischt. Im übrigen steht nach dem bis jetzt vorliegenden Material nur fest, dass eine Mischung, und sobald es sich um geformte Ele- mente handelt, eine alsbaldige Lösung in .der Eimasse stattfindet. Die Beantwortung der Frage, ob weiterhin oder nebenher eine dyna- mische Wirkung!) irgend welcher Art stattfinde, muss noch offen bleiben.

Die Bedingungen der Befruchtung werden noch etwas erläutert durch die Erfahrungen über Bastardirung, bei welcher vorzugsweise das Fortpflanzungsvermögen geschlagen wird.

Es wird dadurch einerseits illustrirt, dass nur innerhalb sehr zarter Differenzen die Befruchtungskörper variiren dürfen, um einen vollkommenen Effect zu erzielen, andererseits tritt eine Einrichtung her- vor, welche sehr kräftig für die Erhaltung der Constanz der Species wirkt. Beide Schlüsse lassen sich wiederholen in Bezug auf den un- günstigen Erfolg der Inzucht und die der Parthenogenese so nahe- stehende, zuweilen direct giftige, Selbstbefruchtung. LEUCKART?) macht als Hinweis auf die hohe Bedeutung der geschlechtlichen Fortpilan- zung darauf aufmerksam, dass eine Fortpflanzung unter Verhältnissen, bei denen sich die körperlichen Schwächen und Gebrechen der Eltern allmälig summiren, schliesslich bis zur vollkommenen Entartung hin- führt. Es ist jedoch Factum, dass die Inzucht viel rascher zerstört als es solcher, oft kaum merkbaren Anhäufung der Fehler entspricht, dies habe auch ich bei Meerschweinchen zu beobachten Gelegenheit gehabt. Dann aber könnte es sehr wohl sein, dass die abweichenden Eigenschaften der Eltern einmal Vervollkommnungen seien. Die sicher richtigen Ausführungen Darwıy’s, dass das Unvollkommene im Kampfe um das Dasein vernichtet werde, würde die Inzucht viel- leicht an Leben kostbar, aber doch nicht für die dem Anschein nach gesetzliche Fortentwicklung der Organismen, unbrauchbar erscheinen lassen. Es tritt dagegen klar hervor,’) dass auch diese Einrichtung die

1) „Steigerung der Lebenskraft“ vergl.: JAEGER, Ueber Urzeugung und Be- fruchtung. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. XIX, S. 503 (m1).

2) 1. S. 962.

3) L. Acassız weist (Der Schöpfungsplan, übersetzt von GIEBEL) bereits auf dies Verhältniss hin,

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 247

Erhaltung der Species durch Ausgleich der elterlichen Abänderungen sichert, wogegen man über den Grad, bis zu welchem diese Sicherung geht, verschiedener Meinung!) sein kann.

Bemerkenswerth für die Würdigung der Befruchtung scheinen noch die Erfahrungen über den Austausch zwischen Edelreis und Unterlage zu sein. P. Magnus?) hat darüber neuerer Zeit Unter- suchungen angestellt, aus denen z. B. sich ergiebt, dass mit verschie- denen Kartoffelsorten Pfropfversuche gemacht und dadurch Mischlings- kartoffeln erzielt wurden. Jedoch im Allgemeinen ergiebt sich eine so ausserordentliche Schwierigkeit, abgesehen von Panachirungen, Umänderungen der Organisation der Theile nachzuweisen, dass ‘sich als grosse Regel die Nichtbeeinflussung ergiebt. Wenn aber zwischen zwei benachbarten Zellen der respectiven Theile ein annähernder Austausch der in ihnen enthaltenen differenten Sub- stanzen einträte, müssten Mischbildungen auftreten, aus dem Man- gel derselben folgt, dass unter diesen, scheinbar den innigsten Aus- tausch erheischenden Bedingungen, derselbe nicht eintritt. Bei der Imprägnation wird eine Mischung der lebenden Bestandtheile differenter Zellen gleichsam erzwungen und zwar unter Anwendung eines im Ganzen gewaltigen Apparates.. Man sollte denken, dass die weissen Blutkörperchen zu solchen Imprägnationen sehr bequem sein müssten, dennoch finden wir dieselben nirgends zu diesem Zwecke verwendet. n

In das Resultat der Mischung und Lösung der Geschlechts- produete gewähren folgende Thatsachen einigen Einblick.

In einer Reihe von Fällen tritt als erste augenfällige Folge der Befruchtung eine Membranbildung um das Ei auf. So geschieht es namentlich, wie u. a. PRINGSHEIM’S zahlreiche Untersuchungen lehren, bei vielen niederen Pflanzen, so auch, nach den übereinstimmenden Befunden von ÜLAPAREDE?), MUNK‘) und SCHNEIDER®), bei den Ne- matoden. In diese Kategorie scheinen auch die Wintereier der Räder-

1) Die Bezeichnung „Species“ wünsche ich nicht so aufgefasst zu sehen, als wenn ich Darwın’s (Entstehung der Arten, Cap. VIII.) (n1) Bestimmungen über die Ausdehnung der Fruchtbarkeit bei Bastarden nicht zustimmte. Der Ausdruck Species dürfte jedoch immerhin noch am vollständigsten die Grenze bezeichnen, bis zu welcher fruchtbare Kreuzungen sich zu erstrecken pflegen.

2) Sitzungs-Ber. d. Gesellsch. naturforschender Freunde zu Berlin. 1870. S. 33..1871. 8. 82 und Botanische Zeitung, 1870. 8. 581. 1871. S. 114 (ol).

3) Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. IX. S. 106 (pl).

4) Ibid. 8. 365 (q1).

5) Monographie der Nematoden. Berlin 1866 (r1).

248 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

thiere zu gehören, aber da v. SıeBOLD für Artemia salina den Nach- weis geliefert hat, dass sowohl Sommer- wie Wintereier partheno- genetisch erzeugt werden, wird für diese Art Schalenbildung die Ab- hängigkeit von der Befruchtung unsicher. Die durch die Befruchtung gebildete Eihülle gewährt einen verlässlichen Schutz gegen meteoro- logische und manche andere Todesursachen!), dient also zur Erhaltung des Eies und alles dessen, was sich daran knüpft.

Nach den Beobachtungen von PRINGSHEIM?) bildet sich so rasch nach dem Eindringen des Spermatozoids eine Hülle, dass den Nach- folgern bald der Zugang in den Dotter verschlossen wird. Man könnte demnach glauben, dass auch bei den Eiern von Säugethieren etwas Aehnliches sich finde. Davon habe ich mich jedoch nicht mit Be- stimmtheit überzeugen können. Leider aber habe ich im Eifer, eine falsche Ansicht über die ersten Folgen der Befruchtung zu zer- stören, mich nicht genügend damit beschäftigt, die wirklichen nächsten Folgen der Befruchtung aufzufinden. Da Wein unveränderte Sperma- tozoiden in Furchungskugeln sah, kann ein Abschluss gegen Sperma nicht erste Folge der Befruchtung sein.

Für diesen Fall und die so sehr zahlreichen ähnlichen Fälle an Pflanzen und Thieren lässt sich wohl nur aussagen, dass die Befruch- tung die Erhaltung der Species bewirke, indem sie den Todesursachen, welche dem Ei und einigen Entwicklungsstufen desselben drohen, entgegenwirkt.

Dass sie dies für das Ei thue, ist für die meisten hierher gehö- rigen Fälle sofort klar. Wenn Oben von Kanincheneiern berichtet wurde, die dem Anschein nach unbefruchtet fortlebten, so erklärt sich dieser Fall daraus, dass eine Todesursache (die Entleerung in den Uterus und weiter) hier durch die besondere Abnormität fort- genommen war, dass die Eichen in dem geschlossenen Ende der lebenden Tuba Schutz fanden. Es soll ja nicht behauptet sein, dass nur die Befruchtung den Todesursachen entgegenwirken könne, son- dern dass auch sie dies, und zwar, wie ich glaube, in besonders ausgezeichneter Weise zu thun vermöge.

Dass die Befruchtung einer Entwicklungsstufe des Eies Schutz gewährt, lässt sich nur indireet nachweisen. Die Thatsache, dass manche Körner ausdauernder ihre Keimfähiskeit bewahren, wenn sie durch

1) HELLER macht auf die grosse Widerstandsfähigkeit der Eier von Taenia sagi- nata in fauligen Substanzen neuerdings aufmerksam, Zıemssen, Handbuch. Bd. VII.

2) (el) und Jahrbücher der Botanik, Bd. I. u. II., vergl. auch Bd. IX. Juranyı, Beitrag zur Morphologie der Oedugracen, und Bd. VII. STRASSBURGER, Die Befruchtung bei den Farrenkräutern,

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 249

Fremdbefruchtung, als wenn sie durch Inzucht erzeugt wurden, weist nach, dass die Vollkommenheit der Befruchtung für diese Entwicklungs- stufe von Bedeutung ist. Daraus darf wohl der Schluss gezogen werden, dass überhaupt die Befruchtung jenen Todesursachen, welche dem pflanz- lichen Embryo in dem genannten Stadium drohen, entgegenwirkt.

Der Generationswechsel hängt in den gesicherten Fällen, so viel mir bekannt, von der geschlechtlichen Zeugung ab.!) In vielen Fällen wird durch die geschlechtlich erzeugte Larve die Todesursache besei- tigt, welche den Geschlechtsthieren droht. Die Akalaphen und deren Sprossen (z. B. Sarsia) würden den meteorologischen Einflüssen und dem damit verknüpften Nahrungsmangel unterliegen, aber die Polypen vermögen dem auszuweichen. Bei den Trematoden und Radiaten kommt eine ungeschlechtliche Zeugung des Mutterthiers, so viel mir bekannt, nicht vor. (Ich umfasse nicht die Thatsachen zur Genüge, aber die wissenschaftliche Arbeit ist eine gemeinsame und wenn meine Darlegungen Gegner erwecken sollte, werden sich auch hoffentlich Freunde derselben finden, welche die nöthigen Correcturen anzubringen vermögen.) In solchen Fällen ist der Generationswechsel nicht we- sentlich verschieden von anderen Arten der geschlechtlichen Zeugung. Es wird die weite Verbreitung des Keims bewirkt und zugleich ver- mieden, dass derselbe, sei es in der Keimungszeit zu Grunde gehe, oder auf ungünstigen Boden falle.

Eine besonders werthvolle Auskunft über die Befruchtung scheinen die Vorgänge der Parthenogenesis liefern zu müssen, weil hier das Schick- sal des befruchteten und unbefruchteten Eies deshalb vorzüglich vergleich- bar ist, weil das unbefruchtete Ei den Entwicklungscyelus durchläuft.

Wenn man Fälle der exceptionellen Parthenogenesis (GERSTAECKER) ins Auge fasst, sollte man glauben, dass die Wirkung der Befruchtung sich einfach verfolgen lasse. Der Sachverhalt war z. B. bei Liparis dispar nach WEIJENBERGH?) folgender. Die Befruchtung ward im Herbst 1868 beobachtet, aus den Eiern krochen im April 1867 die Raupen aus, im August 1867 legten die Schmetterlinge, von denen bereits die Männchen im Puppenstand, hier wie später, separirt worden waren, parthenogenetische Eier I. April 1868 krochen die Raupen aus, im August wurden wieder die unbefruchteten Eier II. gelegt. Diese gaben Raupen im April 1869 und Schmetterlinge im August.

1) Hazckzr’s Alloeo genesis ist durch Fr. E. Schutze: Ueber die Cuninen- Knospenähren. Mittheilungen des naturwissenschaftl. Vereins zu Graz. 1875. wi- derlegt.

2) 11.

950 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Die von letzteren gelegten Eier III. waren im Frühling 1870 ohne Ausnahme vertrocknet, was früher nur vereinzelter zur Beobachtung kam. Die Zahl der Männchen gegenüber den Weibchen änderte sich in diesen Beobachtungen nicht merklich. Dagegen ward eine Beob- achtung von M. Tarpy von demselben Thier (egger moth) erwähnt, der in der dritten Generation, die also bei WEIJENBERGH ausblieb, lauter Männchen erhielt. Die gleiche Beobachtung machte CARLIER (h. S. 131.)

Man würde nach Obigem geneigt sein von einer Erschöpfung der Lebenskräfte der Individuen oder von deren Eierstöcken zu sprechen, aber abgesehen davon, dass, wie eingangs ausgeführt, eine solche .Vor- stellung für gewisse Pflanzen nicht erlaubt ist, muss auch die sehr bemerkenswerthe Beobachtung von TArpy (selbst wenn sie nicht das- selbe Thier träfe) Bedenken erregen, denn, wo nur Männchen ent- stehen, kann sich die Erschöpfung der Lebenskraft höchstens durch Unfruchtbarkeit des Samens äussern. Diese ist aber mindestens nicht erwiesen und es ist sehr möglich, dass gerade solcher Same sehr frucht- bar ist. Wenn übrigens der Tarpy’sche Fall, der sich vielleicht an die Verhältnisse bei den Aphiden anlehnt, richtig ist, dann scheint eine regelmässige Stufenfolge in der Parthenogenesis vorhanden zu sein. Es giebt Thiere, welche fast unbeschränkte Generationen hin- durch Weibchen erzeugen, Apus, Artemia, Psyche helia, Solenobia tri- quetrella u. s. w., andere welche gemischt oder in einer gewissen Folge Weibchen und Männchen, dann Männchen erzeugen, Liparis dis- par, die Blattläuse, endlich solche, welche parthenogenetisch nur noch Männchen erzeugen, Bienen und Wespen. Die Richtigkeit dieser Stufenfolge!) wird bestätigt durch.die Erfahrung, dass bei den erst- genannten Thieren an gewissen Orten Männchen untermischt vorkom- men, ja dass sogar ganze Triquetellen-Säcke gewisser Gegenden?) nur Männchen enthalten... Dazu kommt, dass O. HARTMANN?) nach einer Begattung, nach der leider die Eier nicht auf Sperma untersucht wor- den sind, von S. triquetrella nur Weibchen ausschlüpfen sah, von einem Thier, das fast absolut sicher auch ohne Begattung nur Weib- chen geliefert hätte. v. SIEBOLD glaubt zwar diesen Fall so deuten zu müssen, dass die Copulation zu einer Befruchtung nicht geführt habe, aber wie man aus dem ausführlich gegebenen Citat?) ersehen

1) Nach PrinGsHEIMm, Weitere Nachträge zur Morphologie und Systematik der Saproleguceen. Jahrbücher der Botanik Bd. IX. (s1), ist die Folge der Par- thenogenese bei Zwitterpflanzen die, dass die Pflanzen rein weiblich werden, dies würde also die erste Stufe obiger Reihe sein.

2) i1. 8. 149.

3) Ich füge hinzu, schreibt SteBorv, il. S. 224, dass da, wo etwa eine Aus- nahme dieser Gesetzmässigkeit störend in den Weg getreten ist, sich ein Grund

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 351

wird, kommt er zu diesem Schluss lediglich aus theoretischen und nicht voll ausgearbeiteten Gründen. Er wird mir daher um so mehr Recht geben, wenn ich hier der, wenngleich unvollkommenen, Beob- achtung mehr Glauben beimesse als der Theorie, weil die letztere weiter verfolgt zu schwer annehmbaren Schlüssen führen würde. Wenn nämlich die Befruchtung zur Bildung von Männchen führen würde, so wäre dadurch die grösste Gefahr für das Fortbestehen der Species gesetzt und das kann nicht angenommen werden.')

Nimmt man zu diesen empirischen Thatsachen die naheliegende Hypothese, dass das notorische Auftreten von Männchen in der Thelytokie ebenso mit den Folgen mangelnder geschlechtlicher Mi- schung zusammenhänge, wie dies bei der Arrenotokie stets der Fall ist, so kommt man zu einem Schluss, der demjenigen ähnlich ist, welchen A. PAGENSTECHER?) gelegentlich der Kritik von Tmury's Gesetz aus der Parthenogenese gezogen hat. Bei den meisten Thieren sind die unbefruchteten Eier so sehr dem Verderben ausgesetzt, dass sie sich nicht entwickeln können, bei den thelytokischen ist dies zwar durchaus nicht der Fall, aber theils nach vielen ungeschlechtlichen Generationen (Hypothese!), theils durch die Stufenfolge der Bombyces und Bienen hindurch geht diese vollkommene Entwicklungsfähigkeit in jene Unfähigkeit der Entwicklung über, welche sich bei den meisten findet. Der Untergang geht also durch ein Stadium hindurch, wo die Unfähigkeit sich parthenogenetisch zu erhalten kund wird durch die ausschliessliche Erzeugung von Männchen durch die unbefruchteten Eier. Dieser Fall stellt sich also als Vorstufe gänzlicher Entwick- lungsunfähigkeit dar. Da das Ei der Säugethiere nach einer gewissen

für das Fehlschlagen des erwarteten Geschlechts herausfinden lässt. So hätte in dem oben erwähnten, von Hırrmann beobachteten, Fall, jenes Weibchen der So- lenobia triquetrella, welches mit einem Männchen eine Begattung eingegangen war, nur männliche Nachkommenschaft liefern sollen, und doch waren aus den von diesem Weibchen abgesetzten Eiern gegen alles Erwarten nur Weibchen zum Vorschein gekommen. Diese Anomalie dürfte indessen nur eine scheinbare gewesen sein, wenn man sich daran erinnert, dass das im erwähnten Fall be- theiligte Weibchen nach dem Absetzen der Eier keiner genaueren Untersuchung unterworfen worden ist, bei welcher es sich wahrscheinlich herausgestellt haben würde, dass die vorausgegangene Begattung nicht vollständig vollzogen worden ist und mithin keine Befruchtung zur Folge haben konnte. LEuckArT, Zur Kenntniss des Generationswechsels, scheint (S. 109) SızBorv’s Ansicht zu theilen.

I) Dass bei einer arrenotokischen Solenebia nach der Befruchtung gar keine Männchen auftreten dürfen, ist damit nicht gesagt, der Same hat vielleicht Bar Eiern gegenüber nicht mehr Kraft genug, um daraus Weibchen zu ilden.

2) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XIII. S. 269 (t1).

252 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Zeit das Vermögen durch die Befruchtung entwicklungsfähig zu wer- den verliert, so sieht man, wie allerdings in der Parthenogenese der Trury’sche!) Satz leise anklingt. Es können übrigens Umstände ge- - nug vorhanden sein, welche es verhindern, dass diese Regel überall hervortrete.

Noch eine zweite Folge der Befruchtung lässt sich aus den Er- fahrungen über die Parthenogenesis ableiten. Die unbefruchteten Eier von Bombyx mori lassen sich nicht gut durchwintern, entwickeln sich aber, wenn sie sogleich nach dem Legen bebrütet werden. Da eine Abänderung der Eischale seitens der Mutter bei der Legung des un- befruchteten Eies nicht beobachtet und auch unwahrscheinlich ist, findet sich, dass in Folge der Beimischung des Sperma das Ei resi- stenter gemacht wird. Da die Erfahrung lehrt, dass die Befruch- tung in dieser ersten Generation keinen Einfluss auf das Geschlecht hat, so kann auch nicht die grössere Resistenz mit der Geschlechtlich- keit des Eies in directen Zusammenhang gebracht werden und wir sind daher berechtigt hier eine andere Art der Wirksamkeit der Befruchtung zu erkennen, welche nur indirect mit der Wirkung auf das Geschlecht zusammenhänst.

Fragen wir endlich, welche fundamentale Function die Befruch- tung nach den vorliegenden Thatsachen habe, so lautet die Antwort noch wieder anders, wenn gleich nicht besonders befriedigend.

Durchstehende Regel ist es, dass die Befruchtung der Erhaltung der Species dient: und dass sie dafür nothwen- dig ist. Indem sie für das Individuum die Mittel zur Fortpflanzung abgiebt, bewirkt sie häufig noch ein Weiteres wie nur die Erhaltung der Species, namentlich dient sie zur Erhaltung der betreffenden In- dividuen selbst, aber nicht in einer abgezweigten, sondern in neu- gemischter, neuerschaffener Form.?)

l) M. Tuvury, Ueber das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter. Leipzig. 1863 (ul).

2) Für diese Auffassung bereitet die Selbstbefruchtung nicht unerhebliche Schwierigkeit. Ich betrachte dieselbe als ein Mittel, den Zeitpunkt, wo die Fremdbefruchtung zur Lebensbedingung wird, möglichst zu verzögern, rechne sie also in diesem Sinne der Parthenogenesis zu. Nach einer entgegenstehenden Ansicht würde dagegen dadurch die ungeschlechtliche Zeugung in die geschlecht- liche übergeführt. Es sei z. B. nach PriwGsHEM nicht einzusehen wie die band- förmig wachsenden Diatomeen (Melosiren ete.) mit fremden Individuen in Copu- lation treten könnten. Von der Unmöglichkeit solehen Vorganges vermag ich mich jedoch nicht zu überzeugen, aber ich gebe zu, dass die Thatsachen mehr für letztere Ansicht sprechen, falls man überhaupt die Angelegenheit schon ent- scheiden will. Ich erkenne bei der letzten Ansicht nicht recht die ratio der ge-

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 253

Die Art, durch welche mit Hülfe der Befruchtung die Species (um Mutter, Vater und Sprösslinge allein kann es sich wegen der Unfruchtbarkeit der Inzucht nicht handeln) erhalten wird, scheint verschiedenartig zu sein. Im Allgemeinen kann nur gesagt werden, dass die Todesursachen durch die Befruchtung vermieden oder hinaus- geschoben werden. Bei den Einen werden die Keime befähigt zu durchwintern oder in den fauligsten Massen sich lange zu erhalten, bei den Andern wird durch die Befruchtung bewirkt, dass der normale Entwicklungsgang, z. B. die Furchung und ihre Folgen, sich vollenden kann. Bei Dritten wird die Form des Zeugungsproducts so abgeän- dert, dass es selbst wieder zeugungsfähig wird, bei Vierten wird nur die Gefahr, welche nach einer Reihe von Generationen durch Erzeu- sung von lauter Männchen droht, weiter hinausgeschoben, bei Fünften endlich wird theils in manniefaltiger Art der Embryo mit der Fähig- keit sich den drohenden Gefahren zu entziehen und sich neue Gebiete - zu erobern, begabt, theils unmittelbar der Keim vor dem Absterben bewahrt.!)

Das Wenige hier Gegebene gewinnt, wie ich hoffe, etwas mehr positiven Inhalt, wenn es einigen neueren HErörterungen der Zeugung gegenübergestellt wird.

Am wenigsten weicht meine Auffassung von der JAEGER’S?) ab. Dieser Autor geht jedoch von einer durchaus hypothetischen, elektro- dynamischen Erklärung der Lebenskraft aus und bespricht zunächst die Urzeugung, während ich mich auf rein empirische Basis stütze. Für gewisse, übrigens naheliegende Schlüsse, wie die über Inzucht und Bastardzeugung, gebührt JAEGER vor mir die Priorität. Wenn JAEGER als Wirkung der Befruchtung die Steigerung der Lebenskraft nennt, ich die Entfernung der Todesursache, so ist der Unterschied in man- chen Fällen ein rein formaler; in anderen jedoch nicht, wie ich über- haupt glauben möchte, dass der von mir gewählte Ausdruck für die wis- senschaftliche Behandlung des Themas geeigneter ist.

schlechtlichen Zeugung, denn das Prineip der Arbeitstheilung scheint mir zu niederer Art zu sein, um daraus die Zweigeschlechtiskeit zu erklären,

1) Es können die Gesetze der Befruchtung, speciell die der Inzucht zum Aussterben der Species führen, wie es z. B. wohl bei Alka impenis, bei der die Species freilich gewaltsam auf eine Familie reducirt worden war, der Fall gewe- sen ist. Es sind überhaupt trotz Befruchtung ungezählte Species ausgestorben. Darin liegt ebenso wenig ein Einwand gegen obige Ansichten, als etwa gegen die Zweckdienlichkeit des Blutkreislaufs fürs Leben eingewandt werden könnte, dass aus ihm zuweilen Gefahr für das Leben erwächst.

2) ml.

954 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

GOETTE!) fordert von der Befruchtung nur eine Verdichtung der Dotterrinde und entwickelt aus dieser die Furchungskugeln und ihre Folgen mit Hülfe endosmotischer Strömungen. Dieselben würden zunächst eine Verflüssigung im Centrum der Eikugel hervorrufen. Schon diese Annahme scheint mir nicht statthaft, weil die Lösung im Ei unter der festgewordenen Rinde eintreten müsste. Ueberhaupt darf man, wie ich noch weiter unten darlegen werde, die Entwicklung wohl nicht so unmittelbar auf die Befruchtung beziehen und daher glaube ich mich hier damit begnügen zu dürfen auf SEMPER’S?) ein- gehende Besprechung von GoETTE’S bezüglichen Ansichten zu ver- weisen.

E. van BENEDEN®) hebt hervor, dass das Sperma im Ectoderm, das Ei im Entoderm entstehe, und legt Gewicht darauf, dass bei der Befruchtung beide einen Augenblick verschmelzen, um sich dann bei der Furchung alsbald wieder zu trennen. Es ist jedoch nicht abzusehen, wie dieser Fingerzeig als allgemein gültig sich bewähren könnte, denn weder bei der Parthenogenese noch bei den Pflanzen scheint diese Anschauung eine Base für unser Verständniss abgeben zu können.

Hıs hat in mehreren Mittheilungen *) und zuletzt in seinen em- bryologischen Briefen?) eine scharf formulirte Ansicht über die Zeugung ausgesprochen. Die Sätze‘ lauten:

1) Der mütterliche Keim oder das Ei im engeren Sinne des Worts ist eine zum Wachsthum erregbare Substanz.

2) Unter bestimmten, vorerst nicht allgemein feststellbaren Be- dingungen kann, wie die Parthenogenesis zeigt, das Ei seine Wachs- thumserregung aus inneren Ursachen bekommen und demgemäss sich entwickeln ohne vorangegangene Befruchtung.

3) Wo keine Parthenogenesis besteht, da bedarf das Ei, damit es zu wachsen beginnt, des Contactes mit männlichem Samen.

Hıs betrachtet also die Zeugung als eine Wachsthumserregung, welche, abgesehen von speciellen Fällen, durch die Befruchtung gesetzt werde. . Es ist jedoch meines Erachtens nicht nachweisbar, dass die Wachsthumserregung die eigentliche und unmittelbare Folge der Be-

DRUrS19:

2) Ueber die GorrTE’sche Discontinuitätslehre des organischen Lebens. Arbeiten aus dem zool.-zootom. Institut in Würzburg. 1875 (v1).

3) De la distinetion originelle du testicule et de l’ovaire. Essai d’une theorie de la Fecondation. Bruxelles 1874 (w1).

#) Die Theorien der geschlechtlichen Zeugung. Archiv f. Anthropologie. Br NG 6 (2 (ei)

5) Unsere Körperform. Leipzig 1875 (y1) S. 152.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 955

fruchtung sei. Die Belege dafür sind aus der Vergleichung des be- fruchteten und unbefruchteten Eies zu entnehmen. Dass die Drohnen längere Zeit zur Entwicklung gebrauchen wie die weiblichen Bienen, kann nicht massgebend sein, denn es ist die Nahrung beider Ge- schlechter verschieden, und alle Eier schlüpfen am dritten Tage aus. Dagegen wissen wir, dass die befruchteten Eier der Blattläuse und Seidenspinner überwintern, sich also nicht sogleich entwickeln, die unbefruchteten dagegen entweder sogleich die Entwicklung beginnen müssen oder nicht ausdauern. In den geschlechtlich erzeugten Algen- sporen ruht in vielen Fällen die Entwicklung geraume Zeit, und PRINGSHEIM!!) sagt von den Saprolegnien ausdrücklich, „es ist sicher, dass die parthenogenetischen Oosporen früher keimen, als die befruch- teten.“

Andererseits steht fest, dass in gewissen Fällen die Furchung auch ohne Befruchtung beginnt, dafür giebt LEUCKART?) eine sehr präcise Darstellung von Froscheiern, und den gleichen Befund hat wie schon erwähnt ÖELLACHER®) vom Hühnchen beschrieben. Nun würde mit einigem Recht gesagt werden können, die Furchung sei kein Wachs- thum, aber da die Wirkung der Befruchtung schon in der Furchung selbst deutlich zu Tage tritt, weil letztere ohne Befruchtung in den Anfängen stehen bleibt, so würde die Anschauung von Hıs durch solche Begrenzung nur noch schwieriger. Dass die Verschmelzung der männlichen und weiblichen Geschlechtsproducte die Wachsthums- fähigkeit des Eies beeinflusst und meistens nachweisbar erhöht, ist un- zweifelhaft, aber einen so directen Zusammenhang, wie es sich aus dem Satze von Hıs ergiebt, dürfen wir, glaube ich, nicht annehmen.

Hıs fährt fort:

4) Das Wachsthum als ein nach Raum und Zeit normirter Vor- sang setzt voraus, dass auch die Wachsthumserregung eine Function von Raum und Zeit ist.

ö) Soll eine erbliche Uebertragung durch Vermittlung. des Samens möglich sein, so muss die Wirkung, die der Same auf das Ei ausübt, eine En von Raum und Zeit sein.

) Ist für die einzelnen Samenfäden das Gesetz gegeben, nach E. ihre anregende Wirkung zeitlich und räumlich sich ausbreitet, ist ferner Ort und Zeit ihres Eintritts in das Ei gegeben, und für das Ei das Gesetz, nach welchem seine Erregbarkeit räumlich sich ver-

1) s1. S. 200 und vor ihm BiscHorr von Säugethiereiern. 2) 1. 8. 958. Et:

256 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

theilt, so bestimmt die Combination dieser Bedingungen das Wachs- thumsgesetz des Keimes, und damit dessen gesammte nachfolgende Entwicklung.

Weil vorstehende Sätze nicht mehr unbedingt sicher basirt sind, da die Prämissen Zweifel gestatten, muss man die Thatsachen, welche auf dieselben Anwendung finden können, aufsuchen. Es scheint an sich sehr wahrscheinlich, dass Ort und Zeit des Eindringens der Samen- fäden im Verein mit nicht völlig gleicher Beschaffenheit des Eies einen Effect haben werden, aber die Thatsachen sprechen nicht dafür.

Es ist keine sehr häufige, aber doch relativ nicht seltene Erfah- rung, dass menschliche Zwillinge einander von der Geburt an bis zu einem Alter von 15 Jahren und darüber so vollständig ähnlich sind, dass nicht nur Fernestehende sie sicher verwechseln, sondern dass selbst bei intimerem Verkehr eine sichere Unterscheidung nicht gelingt.)

Kann diese Aehnlichkeit durch Raum und Zeit bei der Befruch- tung erklärt werden? Angenommen es stammten in solchem Fall beide Eier aus demselben Follikel, seien sich also möglichst ähnlich, so würde doch die weitere Forderung hinzutreten müssen, dass die Spermatozoiden nach Zahl, Zeit und Lagerung im Ei sich nahezu gleich zu verhalten hätten. Sind meine Befunde über Eindringen und Anzahl der Spermatozoiden ins Ei richtig, so ist die Wahrscheinlich- keit, dass dieselben sich in beiden Eiern nahe gleich verhalten eine weit geringere, als dies der Häufigkeit jener Aehnlichkeit der Zwillinge entspricht.

Nehmen wir dagegen an, die Befruchtung geschähe durch einen Samenfaden, der nur durch eine Mikropyle eindringen könne. Dabei wäre, weil der Dotter contractil ist, wenig für eine constante Lage- rung im Ei gewonnen. Ausserdem lehrt die Erfahrung, dass die Eigen- schaften eines Mannes in seinen Kindern in sehr grosser Mannigfal- tigkeit hervortreten können, demnach denn doch das Spermatozoid sehr muss nach Ort und Zeit variiren können. Es ist also auch für diese Hypothese schwierig die Identität der Formen abzuleiten.

Leichter verständlich scheint es mir, wenn man in der chemischen Mischung die Erklärung der vererbten Eigenschaften der Form sucht. Sind die betreffenden Samenfäden gleich alt, etwa demselben Samen- kanälchen oder gar, was bei den mechanischen Verhältnissen der Ent- leerung des Samens wohl annehmbar ist, aus derselben Zelle enstan- den, so würde auch ihre stoffliche Zusammensetzung so sehr identisch sein, dass die Identität der Form sich daraus sehr wohl erklärte und

1) Kommen solche Fälle auch bei Drillingen vor?

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 257

so weit ich zu erkennen vermag, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Identität des Spermas stattfinde, nicht geringer, als die, dass ge Zwil- linge einander vollständig gleichen.

Bisher ist von der Vererbung durch die Befruchtung nicht die Rede gewesen.

Nachdem uns Hıs, dem ich dafür sehr dankbar bin, durch seine mechanische Auffassung der Entwicklungsgeschichte von der Nothwen- digkeit befreit hat, jeden einzelnen Entwicklungsvorgang als nur durch die Erblichkeit erklärbar anzusehen, seitdem man glauben kann, dass ‘ein dem befruchteten wie dem unbefruchteten Ei, sowie anderen proto- plasmatischen Gebilden zukommender, in verschiedener Richtung ver- schieden starker Wachsthumstrieb die Embryonenformen abzuleiten gestatte, drängt sich die mysteriöse Erblichkeit viel weniger störend auf. Es kann ja gerne zugegeben werden, dass in jedem einzelnen Falle die Deductionen von Hıs nur unvollkommen wahr sind, denn solche Untersuchungen können nicht von einem Einzelnen zu befrie- digender Sicherheit gelöst werden, sie bedürfen durchaus eines ein- gehenden und läuternden Kampfes. Ich muss aber sagen, dass einige Punkte, beispielsweise die Magenbildung und die Gliederung des Ver- dauungsrohres, so hübsch ausgearbeitet sind, es so deutlich zeigen, wie zarte und minimale Biesungen und Faltungen unmerklich aber unvermeidlich und mit eiserner Consequenz zu den wichtigsten Umbil- dungen führen, dass ich glauben muss, es sei hier der wirkliche Natur- vorgang sehr glücklich erfasst worden. Sollte dies aber eine Täuschung sein, so ist es mir doch undenkbar, dass eine Nachuntersuchung eine andere Correctur anbringen werde als eine solche, welche die Dar- lesung von Hıs nur feiner ausbaut.

HAECKEL!) citirt die Ansicht von Hıs, dass die Gliedmassen aus der Kreuzung der vier die Embryonalscheibe abtheilenden Falten resul- tire, als das Beispiel einer rohen und oberflächlichen Auffassung, die in der morphologischen Literatur ohne gleichen sei. Ich sehe nicht ein, weshalb diese mechanische Auffassung, welche wahrscheinlich richtig ist, so getadelt wird, denn wenn bei den Cephalopoden die Extremitäten auch aus radiären Falten resultiren werden, bei den Ar- tikulaten aus Querfaltungen in Folge eines überwiegend raschen Längen- wachsthums, so ist die daraus entnommene Homologie doch schwerlich roher, wie die bisherigen Entwicklungen des Begriffs der Extremitäten. HAECKEL hat in letzter Zeit das Dossier, welches die Wissenschaft von

l) Die Gastreatheorie. Jenaer Zeitschr. f. Naturwiss.. 1874. Bd. IX. 819, (a2). Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. Rd

258 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

den Organismen in der Erblichkeit zu tragen hat, immer nur vermehrt, ich darf seinen Büchern gegenüber um so mehr das Verdienst auch der kürzesten Mittheilung, die uns vor der Herrschaft der Erklärungen durch die Erblichkeit zu retten versucht, hervorheben, als ich selbst in den nachfolgenden Untersuchungen diese Frage kaum berühre.

Wenn man nur jene kleinen Eigenthümlichkeiten, welche sich in einer sehr vorgeschrittenen Embryonalperiode oder noch später zu er- kennen geben, und welche auf gleiche Eigenthümlichkeiten der Erzeuger oder früherer Vorfahren zurückdeuten, betrachtet, so handelt es sich dabei um ganz accessorische Dinge, die freilich schon im befruchteten Ei oder früher virtuell vorhanden sein müssen.

Ich möchte sie in ganz geringen Nüancirungen der chemischen Massenverhältnisse resp. in minimalen Beimischungen sehen. Aus einer solchen kann ich mir nicht weniger die Entstehung z. B. des Pulls des Huhns erklären, als aus einer im Anfang vorhandenen Formveränderung. Die letztere müsste doch so äusserst klein gedacht werden, dass die Moleküle, welche das Mehr oder Minder bewirken, an Grösse wenig differiren könnten von den chemischen Atomen oder Atomeomplexen. Ich bin daher geneigt zu glauben, dass man in Bezug auf diese Erblichkeit kaum zu discutiren braucht, ob formelle oder chemische Abänderungen der Zeugungsstoffe als die Ursache an- zusehen sind.

Schliesslich habe ich noch auf die sehr lesenswerthen „physiolo- gischen Bemerkungen“ von MiESCHER (d1. S. 54) einzugehen. Zu- nächst wendet er sich gegen den Gedanken, dass besondere Ferment- stoffe im Sperma eine Rolle spielen könnten denn abgesehen davon, dass er nichts dergleichen gefunden habe, sei im Ei nicht für die Verbreitung des Ferments genügend gesorgt. (Dieser Einwand würde sich wohl durch die Beobachtungen der Dottereontractionen wider- legen.) Es enthalte das Ei die gleichen Stoffe wie das Sperma, wie könne also das Hinzutreten von einem Minimum einer Substanz, die in reichlicher Menge bereits vorhanden sei, so entscheidend in den gan- zen Haushalt des Eies eingreifen ?

Nicht in einer bestimmten Substanz könne das Räthsel der Be- fruchtung verbergen liegen, nicht ein Theil, sondern das Zusammen- wirken aller Theile sei das Wirksame. Dies ergebe sich auch aus dem verhältnissmässig grossen Antheil, den der Vater, trotz der klei- nen Masse, welche er zum Ei gebe, an der Vererbung habe. (Wie gross die Masse ist, welche in der Form von Sperma in den Dotter dringen kann, ist, wie ich einer mündlichen Mittheilung von KUPFFER

und Entwicklung «des Kaninchens und Meerschweinchens. 259

über die Befruchtung der Heringseier entnehme, ‚gar nicht so sicher abzugrenzen.)

Specifische Befruchtungsstoffe gebe es nicht. Die chemischen - Thatsachen hätten secundäre Bedeutung, es handle sich, bildlich ge- sprochen, um einen Apparat, der eine Bewegung irgend einer Art er- zeugt oder umsetzt. Die Auffassung der Befruchtung als eines phy- sikalischen Bewegungsvorganges ist die einzige, welche nicht mit fest- stehenden Thatsachen sich in Widerspruch befindet. Molekulare Vor- sänge der Art, wie die bei der Nervenerregung, werden als Paradig- men der Befruchtungsvorgänge hingestellt, ausserdem aber könne die Bewegung des Spermatozoids auch noch von Einfluss sein.

Ich halte die Basis, von welcher MIESCHER ausgeht, die Gleich- heit der chemischen Zusammensetzung von Ei und Sperma, die von ihm durch exacte Untersuchungen festgestellt wurde, für völlig richtig. In seinen Schlussfolgerungen geht er jedoch nicht so weit, wie dies erforderlich zu sein scheint. .Er stellt nämlich einen reizenden Stoff einem reizbaren gegenüber, von zwei völlig gleichen Substanzen kann aber nicht wohl die eine die Eigenschaft haben die andere zu reizen resp. durch die andere gereizt zu werden.

Die Thatsache, dass es sich um völlig gleiche Stoffe bei der Be- fruchtung handeln könne, konnten wir schon lange mit aller wünsch- baren Schärfe erschliessen, seitdem wir nämlich die Vorgänge der Conjugation kennen gelernt haben. Die conjugirenden Individuen können so gleich sein, wie nur möglich ist und fruchtbar con- jugiren, so weit wir wissen. Hier werden .also in gewaltsamer Weise die Massen, die chemischen Körper, vermehrt und durch Flüssigkeits- ausscheidung etwas verdichtet, Reizungs- oder Fermentations- Vorgänge anzunehmen, haben wir keinen objectiven Grund. Dass auch für an- dere Fälle der Befruchtung dieser Process stattfinde, das, scheint mir, ist die sichere Folgerung aus den Untersuchungen von MIESCHER.

Dagegen scheint mir nach dem Gesagten die Möglichkeit nicht vorhanden, als Fundamentalvorgang eine „Reizung“ anzunehmen.

Allerdings zwingen uns die Erfahrungen über Inzucht etc. weiter zu suchen, aber dabei handelt es sich um Dinge, die vorläufig der chemischen Analyse nicht erreichbar erscheinen und da MIESCHER in diesem Sinne nicht weiter gegangen ist, glaube auch ich mich eines Eingehens auf dieselben enthalten zu dürfen.

Eine Zusammenfassung der dargelegten Verhältnisse führt etwa zu folgenden Sätzen:

1) Die Befruchtung des Eies ist ein Vorgang für sich, der nicht unmittelbar mit der Weiterentwicklung desselben zusammenhängt.

ri

260 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

2) Der Grundvorgang ist die Verschmelzung zweier bis dahin ge- trennter Complexe organischer Substanzen. Sind diese Substanzen aus sehr vollkommen ähnlichen oder auch aus sehr verschiedenen Säften entstanden, so hat der Vorgang nur unvollkommen oder gar nicht den beabsichtigten Erfolg.

Der allgemeine Erfolg ist die Erhaltung der Species, welche durch die geschlechtlich erzeugten Individuen, sowohl vor zu beträchtlichen Variationen, als auch, in sehr verschiedener Art, vor Todesursachen ge- schützt wird.

Der specielle Erfolg ist die Fernhaltung der Todesursachen vom Keim und dessen Producten. Dieser Erfolg manifestirt sich in den einzelnen Fällen in verschiedener Weise.

11. Entwicklung des Kaninchens.

Die Eier.

Die Furchungsstadien wurden mit Bezug auf die Frage untersucht, ob sich etwa Andeutungen eines Einstülpungsprocesses wahrnehmen liessen, es fand sich jedoch nichts Derartiges.

Der Dotter nimmt in den Tuben an Volumen nicht zu. Die ge- ringfügige Vergrösserung, welche der Durchmesser der ungefurchten Dotterkugel gegen den gefurchten Dotter zeigt, ist wohl lediglich auf Flüssigkeitsansammlungen zwischen den Furchungskugeln zu be- ziehen. Obgleich alle Stadien der Furchung durchmustert worden sind, wurde die nach BiscHhorr in einem bestimmten Stadium auf- tretende Verschmelzung der Furchungskugeln nicht beobachtet. Dies beweist natürlich nicht viel, soll die Angelegenheit sicher entschieden werden, wird man versuchen müssen Reheier frisch in der Mitte des December zu bekommen. Da ich selbst schwerlich die Gelegenheit zu einer solchen Untersuchung finden werde, erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, dass eine erneute Untersuchung jenes Thieres ein Desiderat ist.

Im Uterushorn angelangt bleiben die Eier einige Stunden in der Spitze desselben liegen und es beginnt, indem sich die Keimblase ent- wickelt, das Stadium rascher Vergrösserung des Eies. Der Dotter ist im Anfang dieser Periode noch recht undurchsichtig, so dass es schwie- rig wird die erste Spur der Keimhöhle zu erkennen. Sie beginnt peripher zwischen einer einfachen äusseren Zelllage und dem Rest der Dottermasse, als im Querschnitt halbmondförmiger Raum. Dies Stadium

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 261

ist von BARRY!) abgebildet worden, die weitere Entwicklung ward durch die Abbildungen E. van BENEDEN’S?), dann von Cosrte?), Bı- SCHOFF*) und MEISSNER?) dargestellt.

Nachdem die Keimhöhle entstanden ist und dadurch die Eier ein wenig gewachsen sind, beginnen sie zu wandern und zwar dicht an einander liegend. In einem Falle, den ich für normal halte, fand ich sie alle dicht am Cervix uteri, es scheint, dass sie einmal hier angelangt, sich zu vertheilen beginnen, denn vorher liegen sıe stets dicht bei einan- der. Der Eintritt in den Uterus erfolgt etwa in der 70. Stunde (3 Tage). Das Festsetzen in der 142. bis 148. Stunde (5 Tage 2—8 St.). 8 Eier von 96 Stunden massen 0,134 bis 0,2 mm. inneren Durchmessers, 5 Eier von 111 Stunden 0,997, 1,26, 1,29, 1,30, 1,33 mm.; 7 Eier von 106 Stunden 0,865 bis 1,13 mm.; 5 Eier von 123 Stunden 2,26 bis 2,19 mm.; von 128 Stunden 3,75; von 142 Stunden 4,26 mm. Nach BiscHoFF, dessen Zeitangaben nicht so eingehend sind, messen die Eier von 0,18 bis 4,75 mm. im freien Zustand. Uebrigens sind die Eier, namentlich im letzten Theil dieser Periode und darüber hinaus an Grösse so verschieden, dass man präcisere Angaben nicht leicht ge- winnen wird. Das Festsetzen der Eier scheint mit deren Grösse zu- sammenzuhängen, die Zeitangabe, welche ich darüber gemacht habe, ist daher nicht verlässlich. In den folgenden Stunden setzen sich die Eier fest, so dass es immer schwieriger wird, sie intakt zu erhalten. BISCHOFF ist darin geschickter gewesen, wie ich, er hat sie von 5,4 mm. bis zu 10mm. Grösse noch gelöst, während ich nur bis 8 mm. gekommen bin.

Man kann alle diese Eier vortrefllich conserviren. Zunächst: legt man sie mit etwas Serum in sehr geringe Mengen MUELLER’scher Flüssigkeit und vermehrt die letztere nach Verlauf einiger Stunden. Es gelingt meistens, ein Zusammenfallen der Keimblase zu verhüten. Man lässt dann das Ei einige Monate in der Lösung und bringt es endlich in Spiritus. Lässt man es in der Lösung, so zerbricht das Ei in 5 bis 6 Jahren, legt man es gleich in Spiritus, so gerinnt die Flüssigkeit in der Keimblase vollständig.

Die Eihaut (Zona pellueida und Eiweiss), die wohl füglich als Pro- chorion bezeichnet werden könnte, bekommt nach BiscHorrF vorüber-

!) M. Barry Researches Third Series. Philosoph. Transactions 1840. Fig. 234 (b 2.). SSSPL XII. Eis. 10. 2) 8. 4) a. 5) x.

262 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

gehende Zotten. LIEBERKUEHN!) findet dieselben nicht an den Eiern des Maulwurfs. Die Bildungen auf dem Kaninchenei bestehen, wie auch mir scheint, aus Auflagerungen homogener Masse.

Von einem Auswachsen aus der Eihaut habe ich mich nicht über- zeugen können. Das Prochorion wird nicht resorbirt, sondern man kann es, als freilich sehr feines Häutchen, noch am 20. Tage nach der Befruchtung nachweisen.

Die Bildung der Keimscheibe.

BiscHorr?) drückt sich zweifelnd über die Abstammung der Keim- scheibe (Fruchthof) aus, es könne sein, dass sie von dem Dotterrest abzuleiten sei, den er beim Entstehen der Keimblase im Ei sah. Nach Coste’s Abbildungen verhält sich die Sache unzweifelhaft in dieser Weise. Ueber Barrr’s Angaben muss ich im Allgemeinen BiscHorr’s Ansicht theilen, ich -kann dieselben für die Entwicklung nur aus- nahmsweise zur grösseren Sicherstellung der Thatsachen verwerthen.

In Fig. 9 ist ein Ei gezeichnet, welches neben der Keimscheibe einen Dotterrest enthält. Die daneben gefundenen 4 Eier waren sämmt- lich etwas grösser und hatten nichts Derartiges. Ich habe auch nicht wieder, obgleich dieselben Stadien später noch einmal erhalten wurden, solche Bildungen gesehen. Ich nehme an, dass in diesem Fall eine kleine Abweichung vom gewöhnlichen Gange stattgefunden habe. Durch irgend einen Zufall mag es vorkommen, dass einzelne Furchungs- kugeln ihre Dotterkörner nicht ganz auflösen und dann nicht in die Keimhautbildung eingehen. Nach allem, was sonst vorlag, halte auch ich es für sicher, dass die centralen Furchungskugeln nicht in die Keimhaut aufgehen, sondern als innere Schicht an einer Seite des Eies liegen bleiben und hier die von Anfang an zweischichtige Keim- scheibe entstehe.

Die durch eine wohlabgerundete Umgrenzung, dicke und gerin- gere Durchsichtigkeit charakterisirte Keimscheibe entwickelt sich lang- sam aus Vorstadien, die mit dem ins Innere des Eies vorspringenden „Dotterrest“ beginnen und etwa durch den Namen Keimhügel von der vollendeten Keimscheibe unterschieden werden können. Wenn das Ei die Grösse eines halben Millimeters und darüber erreicht hat (Fig. 9 und 10), zeigt es sich in einem Quadranten innen von einer Lage

I) Ueber die Keimblase der Säugethiere. Sitzungsberichte der Gesellschaft für Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. No. 5 und 6 1875. 8. 66 (e2).

2) 82.92.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 263

etwas undurchsichtiger Zellen ausgekleidet, welehe so vertheilt liegen, dass sie im Centrum dicht und z. Thl. mehrschichtig lagern, nach der Peripherie zu dagegen mehr und mehr verstreut auftreten. So weit die einzelnen Stadien, welche ich gesehen habe, ein Urtheil erlauben, ist das Centrum dieses Keimhügels der Ort der zukünftigen Keimscheibe.

Das Aussehen dieses Centrums zeigt an einer Falte des zusammen- gefallenen und von dem Prochorion befreiten Eies die Fig. 11 A. Die innere Lage lässt sich von der bis jetzt einschichtigen Keimhaut als ein Stratum abziehen, ob ohne jede Zerreissung, vermag ich nicht zu sagen. An den isolirter liegenden Zellen erkennt man, dass sie durch ein anastomosirendes Netz von Ausläufern mit einander zusammenhängen. Fig. 11 B.

In späteren Stadien häufen sich diese Zellen mehr im Centrum an; es findet also, wie auch Coste’s Figuren ergeben können, zu- nächst eine diffuse Verbreitung des Keimhügels statt, dann, unter be- trächtlicher Vergrösserung des Eies, ein Zusammenziehen derselben. Theilweise mag dies die Folge des Wachsthums sein, doch verstehe ich die Ursache der vorübergehenden Vertheilung nicht ganz, da das Einfachere zu sein scheint; dass die Masse der Furchungskugeln zu- sammenhalte.

Wenn die innere Zellenmasse sich zusammenzieht, geschieht dies zunächst in einer etwas unregelmässigen Form, so dass man das Bild Fig. 13 u. 16C. erhält. Dies Ei lag neben anderen, z. B. dem Ei Fig. 14 im Uterus. In allen übrigen Eiern war die Keimscheibe völlig gerundet, so dass dies gelappte Stadium als ein sehr rasch vorhergehendes an- zusehen ist. Während der Ausbildung der Keimscheibe werden die inneren Zellen rasch durchsichtig, so dass sie jetzt weit weniger in die Augen springen als vorher. Leider habe ich den Keimhügel Fig. 16C. nicht weiter präpariren können, jedoch von den Eiern dieser Stadien glaube ich angeben zu können, dass das, was ich an ihnen suchte, nämlich Einstülpungen, oder Vorgänge, die sich irgendwie an die Entwicklungsvorgänge beim Amphioxus hätten anschliessen lassen, nicht auffindbar schienen.

Als ziemlich allgemeines Verhalten finden wir wohl nur, dass die Zellen des unteren Keimblattes sichunmittelbarer aus den Furchungs- kugeln entwickeln, wie diejenigen des äusseren.

Verhalten der Keimscheibe.

Eine sehr nahe folgende Stufe, Ei Fig. 14, wurde genauer zergliedert. Die Scheibe erscheint kreisrund und dunkler und

264 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

dicker wie die anderen Theile der Keimhaut. Dieses rührt jedoch nicht davon her, dass sich unter dem äusseren Keimblatt noch das innere befindet, denn letzteres kann über die Keimscheibe hinausgreifen; ohne dass dieser Habitus beeinträchtigt wird, sondern daher, dass die Zellen des äusseren Keimblatts begonnen haben, cylindrisch und (daher?) trüber zu werden. An einem dieser 124 St. alten Eier. habe ich versucht, die beiden Blätter in der Keimscheibe zu trennen. Fig. 16 Au.B. Ich hatte mich zunächst an einem nicht gezeichneten Querschnitt von der angegebenen Beschaffenheit der Zellen überzeugt. Die Tren- nung ging mit Hülfe von Nadel!) und Pinsel leieht vor sich, nur in der Mitte hielten die beiden Scheiben fest zusammen und obgleich es schliesslich, nachdem sie rings getrennt waren, gelang, sie von ein- ander abzuziehen, so liess sich nicht nur aus ihrem mechanischen Verhalten die Ueberzeugung gewinnen, dass sie hier verwachsen seien, sondern auch das Präparat wies nach, dass ein Punkt, welcher in der Mitte des inneren Blattes, Fig. 16 B., sich zeigte, nichts anderes war, als ein, dem äusseren Blatte angehörendes Zellstück.

Ich habe hier einzuschalten, dass die Vergrösserung klein genom- men worden ist, weil es nicht anging, von allen diesen Verhältnissen grosse und namentlich für die Drucklegung kostbare Zeichnungen zu machen. Dies war häufiger eine Verlegenheit für mich. Die Zellcon- touren waren bei stärkerer Vergrösserung deutlich an dem Präparat zu erkennen, dagegen entsteht bei dieser Vergrösserung des gefärbten Präparats der Eindruck, als seien keine Zellen vorhanden. Ich be- merke daher hier ein für alle Mal, dass ich die Zellcontouren nir- gsends in dafür geeigneten Präparaten vermisste, treten sie nicht ge- nügend hervor, so liegt der Grund theils in der Vergrösserung, theils darin, dass es die Zeichnungen unglaublich erschwert, wenn an solchen embryologischen Präparaten für jeden Kern die zugehörende Zellcon- tour ermittelt werden soll. Es sind nur einige Zeichnungen letzterer Art mitgetheilt worden.

Ein etwas weiter entwickeltes Ei desselben Uterus zeigt (Fig. 14) die Umwachsung des Eies durch das innere Keimblatt. BıscHorr’s Darstellung dieses Verhaltens kann ich nur bestätigen; dass die Ab- lösung der Keimhaut von der structurlosen Eihaut, welche er zeichnet, ein Kunstprodukt ist, versteht sich von selbst, wenn er es auch kaum ausdrücklich angab, die Keimhaut liegt immer dicht an der Zona.

!) Für angehende Mikroskopiker bemerke ich, dass man sich dafür nicht der Nadeln, Messer und Pincette, welche z.B. noch heute Hartnack und PrAzMowskI ihren guten Mikroskopen beigeben, bedienen darf. Ich lobe den Anfang, welcher damit beginnt, diese Dinge ins Meer zu versenken, wo es am tiefsten ist.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 265

Die Umwachsung geschieht mit Hülfe von ramificirten Zellen, Fig. 15. Die Zellen sind platt und das Bild der Ausläufer ist in na- tura ein sehr hübsches. Diese innere Keimhaut lässt sich an der Peri- pherie überall ohne Zerreissungen abheben und löst sich zuweilen spontan. Während also in der Keimscheibe, nach den derzeitigen Vorstellungen, denen auch ich anhänge, die weitere Ausdehnung da- durch hervorgebracht wird, dass die Zellen an Dicke zunehmen, sich theilen und wiederum an Dicke zunehmen, auf solche Weise die pe- ripher gelegenen Zellen der Scheibe immer weiter von dem Centrum abdrängend, waltet bei der Umwachsung des Eies ein anderer Vor- sane. Die Zellen senden Ausläufer ab, welche centrifugal (Keim- scheibe als Centrum genommen) innen auf dem äusseren Keimblatt vordringen. In den verschmelzenden Ausläufermassen entsteht alsdann ein neues Zellencentrum, in welcher Art, habe ich nicht studirt. Jeden- falls liegt zunächst ein Zellennetzwerk vor, das sich dann mit der Zeit so verdichtet und zusammendrückt, dass daraus das Bild eines Zellenstratums entsteht.

Umwandlung der Keimscheibe in den Embryo.

a. Aeussere Form.

In Bezug auf die Entstehung des Embryo komme ich zu erheb- lieh anderen Resultaten wie BıscHorr. Ich finde nämlich, dass der Embryo nicht in der Keimscheibe angelegt wird, sondern mit ihr identisch ist, also die ganze Keimscheibe zum Embryo wird. Sobald die Keimscheibe vollendet ist, haben wir also im Ei eine Zweitheilung in 1) Embryo = Keimscheibentheil des äusseren (animalen) Blattes und ganzes innere (vegetatives) Blatt und 2) accessorischer Eitheil, d.h. die nur aus dem äusseren Keimblatt gebildete, einschichtige Keim- blase!). Alle späteren accessorischen Theile, also mittleres Keimblatt in Amnios und Chorion, der ganze Dottersack und die Allantois sind vom Embryo gebildete Theile.

Der Unterschied in der Darstellung von BıscHoFF und mir ist auffallend, namentlich wenn man die betreffenden Figuren vergleicht. Eine Area pellucida, welche den Abbildungen BıscHorr'’s ein charak- teristisches Gepräge verleiht, konnte ich nicht finden, die Area opaca

1) Ich bemerke schon hier, dass die Gefässbildung nicht bis zu den ersten Anfängen verfolgt worden ist. Aus diesem Grunde ist die obige Abgrenzung aicht ganz sicher, denn wenn ich auch nichts weiter wie die genannten Theile sesehen habe, so kann Sicherheit erst dann gewonnen werden, wenn man alle späteren Bildungen von der ersten Spur an kennt.

\

266 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

ergiebt sich als eine Umwachsung des Eies durch das mittlere, Keim- blatt mit Verdickungen in der Nähe der Keimscheibe, nicht aber als Theil der letzteren.

Unsere Figuren kommen eigentlich erst wieder bei Fig. 53 Bı- SCHOFF’S zusammen, wo dessen Area pellucida verschwunden ist. Seine Entwicklung des Hundeembryo widerspricht weniger meiner Darstel- lung, nur seine Fig. 43c. steht nicht damit im Einklang.

Ich kann die Unterschiede nicht ganz erklären, jedoch dürften sie theilweise in der Schwierigkeit der Untersuchung ihre Begründung finden. Wenn man BıscHhorr’s Beschreibung!) liest und seine Me- thode anwendet, ergiebt sich, dass die Darstellung der betreffenden Stadien nicht ohne den Verlust eines erheblichen Materiales gelingt. Dieser Verlust trifft namentlich die Stadien Fig. 22 bis 29, welche in der That in Bıscnorr’s Tafeln fast ganz fehlen. Bekommt man eine Keimscheibe frisch heraus, so pflegt sie doch so sehr gelitten zu haben, dass man nicht überzeugt sein kann, ein richtiges Bild der Verhält- nisse bekommen zu haben, es musste daher das Verfahren geändert werden. Ich fixire den Uterus unter MuELLer’scher Flüssigkeit, schneide die Eier von der freien Seite des Uterus aus ausgiebig auf, und hindere durch das Einstechen von Nadeln die Wände des Uterus daran, sich zu contrahiren. Nach ca. 24 Stunden lässt sich dann die Keimscheibe mit einiger Vorsicht loslösen und man findet sie in der Regel glatt und wohlerhalten.

Die Umformung der Keimscheibe in den Embryo ist ein so ein- facher Process, dass sich derselbe, wie ich meine, schon aus der Reihen- folge meiner Abbildungen ablesen lässt. K. E. v. Baer?) hat das Verhalten völlig richtig angegeben, obgleich seine Untersuchungen wohl nicht ausgereicht haben dürften, um die eingehenderen Angaben Br- SCHOFF’S zu widerlegen. Der Embryo zeige sich zuerst in Form eines verdickten Schildes: „Dieses ist anfangs rundlich, wird dann länglich, zeigt einen Primitivstreifen, der mir, beim Schwein wenig- stens, das eine Ende des Schildes fast zu erreichen schien. Diese Stelle ist das hintere Ende des Thieres. Dagegen erreicht das vor- dere Ende des Primitivstreifens lange nicht den vorderen Rand des Schildes. Die Spaltung in ein animalisches und ein vegetatives Blatt tritt hier noch früher auf, als sich die Rückenwülste erheben, und wirkt so kräftig, dass die Seitenränder des Schildes sich nach oben krümmen. Nur am Primitivstreif bleibt die Anheftung.

a8. 101 f£.

2) Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiere. Königsberg 1837, Prs. 1. S. 184 u. 208 (d 2). Das Citat auf letzterer Seite.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 267

Prevost und Dumas!) betrachten nicht die Keimscheibe als den eigentlichen Embryo, sondern die Medullarplatte. Sie geben für den Hundeembryo eine Area pellucida an, wahrscheinlich werden Quellun- sen daran Schuld sein.

Dass BAER von dem Schilde in einem hellen Fruchthof spricht, wie BIscHoFF (a. S. 109) angiebt, finde ich nicht, und kann nur sagen, dass ich überhaupt keinen hellen Fruchthof sehe, von dem auch LIEBERKUEHN (c. 2) nicht spricht. Nach BıscHorr würde die Area pellueida in späteren Stadien rings um den Embryo verschwinden und nur am Kopfe allein sich erhalten. In diesem Stadium findet man sie auch auf meinen Abbildungen. Hier sieht man eine starke Aufhellung, welche mit einer Abplattung der betreffenden Zellen zu- sammentrifft. Dieser Theil wird zur Kopfkappe, welche sich also ihrer Structur nach schon ausbildet, ehe die entsprechenden Falten sich ent- wickeln. An dieser Stelle muss sich die Wandung des Dottersacks zuerst abspalten.

Die Keimscheibe geht in der Zeit bis zur Bildung der Urwirbel- platten verhältnissmässig wenige Aenderungen ein, sie bleibt flächen- haft, wächst jedoch rasch. Die ursprünglich nur wenige tausendstel Millimeter ‘messende runde Keimscheibe wächst bis 0,89 mm. Dann wird sie oval und erreicht bis zur Urwirbelbildung (in 24 Stunden) die Länge von 4,9 mm.

Im Ganzen sind die Flächenansichten der verschiedenen Stadien nicht sehr präcise. Es handelt sich, abgesehen von der primitiven Medullarrinne und der Umgrenzung der Scheibe um so feine Schat- tirungen, dass das Auge leicht irre geht. Auch gelingt es nicht immer, die Scheibe vor jeder Faltenbildung zu bewahren, wie sich denn eine solche in Fig. 21 eingefunden hat und sobald Derartiges » entstanden ist, hört die Zuverlässigkeit der Beobachtung auf.

Sobald die Keimscheibe beginnt eiförmig zu werden (Fig. 17 A und B), ist das hintere Ende in der Mittellinie etwas dunkler und springt dort, namentlich von der Mitte bis zum letzten Viertel, etwas vor. Dieser dunkle Streif persistirt fortan, er rückt jedoch fortdau- ernd etwas nach hinten und setzt sich seitlich nicht scharf ab, son- dern reicht dünner und durchsichtiger werdend bis nahe an den Rand. Er ist der Primitivstreif und entspricht in manchen Stücken der Schilderung, welche Dursy?) fürs Hühnchen von ihm gegeben hat.

1) De la generation dans les Mammiferes. Annales des seiences naturelles Tom. III (e 2). 2) Der Primitivstreif des Hühnchens 1866. (f 2)

268 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Nach Vorne bildet sich ein scheibenförmiges Ende an ihm aus, wel- ches ich als Knoten bezeichnen werde. Fig. 25 C, Fig. 22, 23 u. 26. Letztere Bildung entwickelt sich gleichzeitig mit einer Rinne, welche von ihm äus bis in die Nähe des Vorderrandes verläuft. Dieselbe entsteht zuerst als helle Grube dicht vor dem Primitivstreif, geht dann aber rasch bis zum Vorderende hin. Sie bildet einen Theil dessen, was die Autoren als Primitivrinne beschrieben haben, jedoch man hat hierzu auch, sei es den Primitivstreifen selbst, sei es eine kleine Längs- rinne in diesem, die jedoch nur ganz im Anfang auftritt und nicht so hell, überhaupt wenig markirt ist (Fig. 20 B), gezogen. Ich schlage daher vor, die Rinne bis zum Primitivstreif als primäre Medullarrinne zu bezeichnen. In der That findet man sie noch in später Zeit als seichte Einbuchtung an Querschnitten des vorderen Theils der Medulla wieder.

In dem vordersten Theil der Keimscheibe findet sieh die Rinne nicht mehr, im Gegentheil ist das ganze vordere Ende rings etwas verdickt, da sich dort das Herz anlegt, Fig. 23Hz. Um die Keim- scheibe, am wenigsten vorne, am weitesten hinaus hinten, entwickelt sich die Area opaca als Folge des Auswachsens der Lagen des mitt- leren, und Trübung des äusseren Keimblatts.

Bei jüngeren Keimscheiben genügt die Beobachtung von oben nicht, um die Gestalt der Oberfläche zu erkennen. Von einer Keim- scheibe, welche der Fig. 21 genau glich und demselben Thier ent- nommen war, 178 Stunden alt, 1,408 mm. lang, 1,163 mm. breit war, habe ich daher eine Reihe von Querschnitten gemacht und auf der vorher gezeichneten Keimscheibe den Ort bemerkt, woher diejenigen der 8 Schnitte genommen sind, welche gezeichnet wurden. Dieselben liegen mir vor, doch habe ich geglaubt, ihre Veröffentlichung unter- lassen zu dürfen. Aus ihnen ergiebt sich, dass in diesem Sta- dium dicht am Vorderende eine schwache Längsrinne sich in beiden Blättern findet, im breitesten Theil findet sich keine Rinne oder Ver- dünnung, eher eine schwache Verdickung, in der Mitte zeigt sich eine flache, rinnenförmige abgerundete Verdünnung des äusseren Blat-_ tes, dann zwischen zweitem und drittem Drittel ein flacher, aber deut- lich ausgesprochener Höcker, ?/,, der Breite der Keimscheibe an dieser Stelle, nämlich die Strecke von 0,027 mm. einnehmend. Dahinter folgt dann eine nicht tiefe, aber ziemlich scharf eingeschnittene Rinne auf dem Primitivstreif, welche sich noch weiter hinten rasch abflacht. Dabei wird die ganze Scheibe dieker und stärker eonvex. Am Schnitt durch die Endspitze der Keimscheibe, ragt diese als knotige Ver- diekung aus der dünnen Keimhaut heraus. In späterer Zeit schwindet die Rinne im Primitivstreif vollständig.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 269

Hier muss ich auf eine Lücke meiner Beobachtungen aufmerksam machen. Es frast sich, ob die an der ganz jungen Keimscheibe oben besprochene Yernachsume zwischen innerem und äusserem Blatt con- tinuirlich in die Bildung des Primitivstreifs eingreift oder nicht? Wäre ersteres der Fall, so müsste sich diese ursprünglich im Centrum der Scheibe liegende Stelle rasch nach hinten verschieben. Ich glaube zwar, dass dies so sein wird, aber ich bekam jenes Präparat erst spät und bin daher nicht dazu gekommen, die Stadien der ovalen Keim- scheibe so genau zu durchsuchen, wie dies erforderlich ist. BISCHOFF zeichnet die Blätter der runden Keimscheibe getrennt, aber auch bei der eiförmigen Keimscheibe zeichnet er die Blätter im Primitivstreif getrennt. Letzteres lässt sich aber nicht ohne Zerreissungen machen, so dass ich glauben muss, die unerhärtete Keimscheibe eigne sich nicht für den Nachweis von Verwachsungen.

Es ist noch die Bemerkung nachzutragen, dass die Keimscheibe dem Prochorion besonders fest anliegt. Meine Angabe weicht hier von derjenigen BiscHorr’s ab, jedoch ich habe Fälle gehabt, so z. B. das Ei Fig. 17, wo sich die Keimhaut nach einigem Manipuliren überall ablöste, aber die Keimscheibe alle Drehungen des Eies ertrug, ohne sich abzulösen und erst nach energischeren Versuchen sich glatt von der Zona trennte.

b. Innere Struetur.

Wir können nunmehr die inneren. Umwandlungen in dem gege- benen Zeitabschnitt verfolgen.

Der Schnitt Fig. 18 geht durch ein Ei mit runder Keimscheibe, und zwar durch das Ei Fig. 14, in welchem die Umwachsung des inneren Keimblattes schon begonnen hat. Der Schnitt ist nicht über- all gleich fein, so dass theilweise die Keimhautfläche vorliegt. Die innere Keimhaut geht nur über das obere Drittheil des Kies; wenn an anderen Stellen die Keimhaut zweischichtig erscheint, so möge man dies aus der Drehung beim Uebergang von der Flächen- in die Kanten- ansicht erklären. Die Keimscheibe ist, so weit ich gesehen habe, nur zweischichtig, es ist jedoch möglich, dass ein Zusammenhang der Blätter ausserhalb des Schnitts sich gefunden habe. Drei Blätter treten deutlich in dem Ei (Fig. 17) auf, ein Längsschnitt durch die Keimscheibe desselben liegt Fig. 19 vor. Hier sieht man deutlich am hinteren Ende des Schnitts ein mittleres Keimblatt auftreten. Die Länge der Keimscheibe betrug schon 0,894 mm. Ich konnte nicht finden, dass das mittlere Keimblatt sich viel weiter nach vorn er- streckte, als dieser Schnitt angiebt. An diesen Längsschnitt schliessen

270 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

sich einige Querschnitte (Fig. 20) eines wenig grösseren Eie. Die Keimscheibe war 1,14mm. lang, der Primitivstreif 0,4mm. An diesen Präparaten sieht man, dass die Zellen des äusseren Keimblatts sich etwas cylindrisch gestalten, die Zellen des inneren sind im Ganzen sehr flach; nach hinten zu werden sie ein wenig dicker und bilden hier nach der Keimhöhle zu keine glatte Grenze, sondern jede Zelle ragt als kleines Höckerchen in die Eihöhle vor. Die Entstehung des mittleren Keimblattes geht nach meinen Beobachtungen, die natürlich zunächst nur für das Kaninchen gelten, wie folgt vor sich. In dem vorderen Theil der Keimscheibe (Fig. 20 A) fehlt es völlig. Seitlich in der Nähe des Primitivstreifs verlängern sich die Zellen des äus- seren Keimblattes und bekommen, wie ich an einer Zeichnung, die ich leider zurückbehalten habe, sehe, zwei Kerne übereinander. Es ge- winnt daher das Ansehen, als wenn das Blatt mehrschichtig werden wollte. In der Mittellinie zeigt sich dagegen der Contour des oberen Blattes so verwischt (Fig. 20B,C), dass selbst der feinste Schnitt nichts davon erkennen lässt, sondern ein Uebergang in die ramifi- cirten, ein wenig intensiver Karmin absorbirenden Zellen so vor sich geht, dass eine sichere allseitige Begrenzung der hier liegenden Zellen nicht zu gewinnen ist. Dagegen findet sich zwischen ihnen ein inniger, wahrscheinlich durch dicke Ausläufer vermittelter, Uebergang. Aber auch das innere Keimblatt geht in den Verwachsungsprocess mit ein, nur ist dies schwieriger nachzuweisen. Die Zellen werden bald sehr platt und man glaubt, wenn gleich stets unsicher, eine Grenze gegen das mittlere Blatt ziehen zu können. Versucht man jedoch das Blatt ab- zutrennen, so bemerkt man, dass es in der Mitte des Querschnitts sehr fest anhaftet und bei gewaltsamer Trennung entweder zerreisst, oder Zellen des mittleren Blattes ausreisst, wie dies in Figur 35 geschah.

Bei älteren Keimscheiben ist die Verwachsung dieses Blattes nur ganz lokal, nämlich auf den Knoten beschränkt.

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)

V.89

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 974

Erklärung der Abbildungen.

Taf, VIII.

Fig. 1. A Ei des Meerschweinchens, einem trübe aussehenden Follikel 2 bis 3 Stunden nach der Geburt entnommen. a spindelförmige Zellen des Dis- eus. 300fache Vergr. B isolirte Zellen des Discus. 300fache Vergr.

Fig. 2. Ausgetretenes Ei des Meerschweinchens, den Fimbrien entnommen. Der Dotter stark eontrahirt, aber unbefruchtet. Bei @ noch birnförmige Zellen des Discus, jedoch finden sich an den übrigen Zellen des Eies in dieser Lage keine Stiele. 300fache Vergr.

Fig. 3. Ei in der Befruchtung aus der Tuba. Meerschweinchen. «a ein Spermatozoid, unbeweglich am Dotter haftend, b wahrscheinlich ein zweites Sper- matozoid in der Einbohrung, den Kopf desselben konnte ich jedoch nicht finden. 800 fach vergr.

Fig. 4. Ein Theil der Zona pellueida von einem befruchteten Kaninchenei aus dem Anfang der Tuba. Man sieht die gestielten Zellen mit ramificirter Basis der Zona anhängend. 500mal vergr.

Fig. 5. Ei eines Kaninchens, 12 Stunden nach der Conjugation, in der Tuba sefunden. Die Spermatozoiden waren in voller Bewegung. Die Discuszellen rings rundlich. Der Dotter ist gefleckt und enthält ausserdem an zwei Stellen ein Bläschen mit einer körnigen Kugel im Innern, welche ein metamorphosirtes Spermatozoid zu sein scheint. Vergr. 250.

Fig. 6. Ei des Kaninchens aus der Tuba 141/, Stunden nach dem Belegen. Die Spermatozoiden sind im Eindringen, doch scheint der Process erst im Beginn zu sein. 8300fach vergr.

Fig. 7. A Eiinhalt von einem andern Ei 14 Stunden nach der Conjugation sewonnen und: 24 Stunden in verdünnter Müller’scher Lösung macerirt. Derselbe enthält’ theils unzersetzte Spermatozoiden a, theils metamorphosirte b. 350 fach vergr.

B ein Stück desselben Dotters zerzupft. 400fach vergr.

C zwei Stadien der Metamorphose der Spermatozoiden, aus A herausgezeich- net. 600 fach vergr.

Fig. S. Ein altes unbefruchtetes Ei, der geschlossenen Tuba eines Kanin- ehens entnommen. a Zona pellueida, b Eiweissumhüllung.!)

Fig. 9. Ei von etwa 100 Stunden nach der Conjugation. Der Keimfleck besinnt sich zu bilden. Bei « findet sich ein Dotterrest. Die Zona entfernt öder nicht mitgezeichnet (ich erinnere mich dessen nicht mehr). Vergr. 50fach.

Fig. 10. Ein etwas grösseres Ei aus demselben Uterus. Der Keimfleck ist etwas grösser und gleichmässiger. 50fache Vergr.

Fig. 11 A. Keimfleck von einem Ei aus demselben Uterus. Die Zona ist entfernt, das Ei angestochen. Die dunkeln Zellen gehören dem innern Keim- blatt an. Vergr. 200.

1) Alle folgenden Figuren sind dem Kaninchen entnommen,

272 V. HEnsEn. Beobachtungen über die Befruchtung

B. Zellen von dem inneren Keimblatt desselben Eies, isolirt und 400 mal vergr. Als die Zellen isolirt waren, machten sie bei weitem nicht mehr den dunklen Eindruck, wie zuvor, der Unterschied ist kein Fehler der Zeichnung.

Fig. 12 A. B. ©. D. Eier von 5 Tagen 4 Stunden (124 St.) von der Grösse 1, 1,9, 2,1, 3,5 mm. E ein Ei von 175 Stunden (7 T. 7 St.) stark in der Ent- wicklung retardirt, 4,5 mm. im Durchmesser.

Fig. 13. Ei Fig. 12 A. Bei auffallendem Licht, 20mal vergr. Der Keim- fleck von etwas unregelmässiger Gestalt.

Fig. 14. Ei Fig. 12 D. Smal vergrössert, bei auffallendem Licht gesehen. Die Keimhaut ist von der Zona ein wenig zurückgezogen. Die Keimscheibe tritt als kreisrunder heller Fleck nur schwach hervor. Die innere Keimhaut ist dar- über hinaus schon eine Strecke weit am Ei hingewachsen.

Fig. 15. Die Peripherie an der Keimscheibe des Ries Fig. 14 bei 200facher Vergr. von innen gesehen. Man sieht die Verzweigung der Zellen des inneren Keimblattes. & Rand der Keimscheibe, 5 äusseres, ce inneres Keimblatt.

Fig. 16 A u. B. Keimscheibe des Eies Fig. 12 B. Die innere Keimhaut war nur wenig über die Keimscheibe hinausgewachsen. A halbe äussere Keim- scheibe von der inneren B abgehoben. In B sieht man im Centrum die Ver- wachsungsstelle mit der äusseren Keimscheibe. a äussere, 5. innere Keimhaut. 90fach vergr.

Fig. 16 C. Keimfleck von dem Ei Fig. 13. 150mal vergr. Das innere Blatt ist noch ganz unregelmässig und gelappt.

Fig. 17 A. Das Ei Fig. 12 E Smal vergr. Die Keimscheibe ist birn- förmig, aber noch ohne Hof.

B. Die Keimscheibe von der Seite gesehen, 12mal vergr. Die Zona pellu- cida ist fortgelassen. Grösse der Keimscheibe 0,894 mm.

Fig. 18. Durchschnitt durch das Ei Fig. 12, entweder C’oder D, ich habe dies nicht genau genug notirt. 300mal vergr. Die Zona entfernt. «@ inneres, b äusseres Blatt der Keimscheibe, e inneres Blatt der Keimhaut,

TafrzıIX.

Fig. 19. Längsdurchschnitt durch die Keimscheibe des Eies Fig, 12 E. Vergr. 400. «K äusseres, iK inneres, m_K mittleres Keimblatt, letzteres im Entstehen begriffen. Nach vorne werden die Zellen des inneren Keimblattes zahlreicher und mehr quadratisch. mpr vielleicht die erste Anlage der Membrana prima.

Fig. 20. Querdurchschnitt durch eine 7 Tage alte Keimscheibe, fast iden- tisch mit Fig. 21, nämlich 1,41 mm. lang, 1,16 mm. breit.

A Durchschnitt dnreh die breiteste Stelle, 3 etwas hinter der Mitte, C am Hinterende. Bezeichnungen wie in der vorigen Figur. Vergr. 400.

Fig. 21 bis 34 sind Keimscheiben und Embryonen von der Fläche gesehen. Die Reihenfolge der Zahlen entspricht dem verschiedenen Alter, jedoch können in Bezug darauf Zweifel entstehen. Fig. 21, 26 und 29 wurden gleichzeitig dem- selben Uterus entnommen. Fig. 29 war nicht sehr günstig erhärtet, so dass mir vielleicht die Urwirbel entgangen sein könnten, obgleich ich dies nur durch Alteration ihrer Form erklären könnte; dann würde die Figur älter zu setzen sein. Auch Fig. 22 bis 25 wurden einem Uterus entnommen. Wohin Fig. 24 seinem Alter nach gehört, ist mir zweifelhaft, ob vor oder nach Fig. 23. Ebenso

! und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 273

geht es bei dem Embryo Fig. 31, er war kleiner wie 30, aber in seiner Ent- wieklung doch wohl weiter voraus.

Fig. 21. Keimscheibe eines 192 Stunden (8 Tage) alten, sehr klein ge- bliebenen Eies. 1,14 mm. lang. 10mal vergr. Der Fleck in der Mitte ist ein durch die Erhärtung entstandener Fehler. Ar. op. Area opaca. KH Keimhaut.

Fig. 22. Keimscheibe mit Area opaca, 189 Stunden (7 Tage 21 St.) alt. Länge 2,23 mm. in Müller’scher Flüssigkeit, aber fast frisch. 7mal vergr.

Fig. 23. Keimscheibe desselben Alters. Länge 2,755 mm. 4 fast frisch. B nach 24stündiger Erhärtung in Müller’scher Lösung. Knoten. Pr Pri- mitivstreif. Vergr. Tmal.

Fig. 24. Eine ganz ähnliche Keimscheibe von mehr ovaler Form mit stär- kerer Andeutung der Medullarrinnen. Länge 2,75 mm. Vergr. Tmal.

Fig. 25. Keimscheibe derselben Länge, ein wenig weiter entwickelt. A fast frisch. B erhärtet. MR Medullarrinne. Pr Primitivstreif. Tmal vergr. C der Knoten bei 25facher Vergr.

Fig. 26. Keimscheibe S Tage nach der Copulation. Länge 3,36 mm.

Fig. 27. Keimscheibe eines gleich lange belegten Thieres, etwas weiter ent- wickelt. Länge 4,9, Medullarrinne 2,45, Primitivstreif 1,71 mm. 7Tmal vergr.

7 mal vergr.

Fig. 25. Embryo aus demselben Thier mit 2 Urwirbeln und der hufeisen- förmigen Anlage des Herzens. 7mal vergr. 42 Herz. KH Keimhaut.

Fig. 29. Keimscheibe von 4,13 mm. Länge. Gleichaltrig mit Fig. 21. Hz Herz. Ar. pl. Erste Andeutung der Area pellucida, resp. der Amniosbildung. Vergr. Tmal.

Es scheint, dass die absoluten Grössen relativ zu der inneren Entwicklung in diesen Stadien variiren können.

Fig. 30 u. 31. Embryo aus demselben Uterus wie Fig. 17. Tmal vergr.

Fig. 32. Embryo von 200 Stunden (8 Tage 8 Stunden) mit 8 Urwirbeln vom Bauch gesehen. Ar. pl. Area pellucida. -Zz Herzschläuche. Das Gehirn bereitet die Entwicklung der Augenblasen vor. Die Kopfkappe überzieht den Kopf, die Schwanzkappe beginnt sich zu bilden. Tmal vergr.

Fig. 33. Embryo von 204 Stunden mit 9 Urwirbeln, vom Rücken aus ge- sehen. Die Kopfkappe As ist in der Entwicklung bedeutend fortgeschritten, die Augenblasen sind gebildet, das Herz Hz ist dabei weiter nach abwärts gerückt und tritt in Form zweier, durch den Körper durchscheinender Schläuche auf. Die Zeichnung dieses Verhaltens ist nicht völlig geglückt, die Schläuche schei- nen zu deutlich durch.

Fig. 34. Embryo von fast 11 Tagen mit zwei Kiemenspalten. Der Herz- beutel liegt noch frei vor. Die in der Area opaca gebildeten Gefässe sind nicht eingezeichnet. AZ Allantois. Am Amnios: Ar. pl. Rest der Area pellueida. Derselbe zieht sich bis zur Stelle, wo der Amniossack sich schliesst, er bezeich- net die ursprüngliche Lage des Kopfes. Tmal vergr.

Fig. 35. Durchschnitt durch den Primitivstreif von einer zwischen Fig. 21 u. 22 stehenden Keimscheibe. Das innere Keimblatt @X ist künstlich getrennt worden und es blieben dabei Zellen des mittleren Keimblattes m K an ihm sitzen. Vergr. 400.

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 18

Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung der parablastischen Zellen

von

Wilhelm His.

(Hierzu Tafel XIII.)

Nach der Darstellung, welche ich in meinen Untersuchungen über die Entwicklung des Hühnchens gegeben habe, betheiligt sich weisser Dotter an der Bildung des Embryo und der embryonalen Häute. Er liefert nämlich die Anlagen der endothelialen Gefässröhren und des Blutes, mittelbar diejenigen sämmtlicher Bindesubstanzen. Das Herein- wachsen dieser Anlagen von der Peripherie her in den Embryo und das allmälise Vordringen derselben in dessen verschiedene Spalt- räume ist eine Sache so einfacher Beobachtung, dass ich verzichte darauf zurückzukommen. Die Ueberzeugung, dass jene Anlagen einen durchaus selbstständigen Theil des sog. mittleren Keimblattes und überhaupt des Keimes bilden, wird sich ihre Bahn brechen, denn es wird schliesslich unmöglich sein, die Eigenthümlichkeiten zu verkennen, die dieselben hinsichtlich des Ortes ihres ersten Auftretens und hin- sichtlich der Art ihrer Ausbreitung darbieten. Die Frage aber, ob jene Anlagen aus den Elementen des weissen Dotters abzuleiten sind, ist von derjenigen ihrer örtlich gesonderten Entstehung wohl zu unter- scheiden. Die von mir darüber gegebene Darstellung hat eine nahezu einstimmige Verurtheilung erfahren.) Konnte ich mich anfangs da-

1) Es gilt dies wenigstens für das Vogelei. Für das Ei der Knochenfische stimmen meine Beobachtungen in Betreff der Bildung von Zellen ausserhalb des gefurchten Keims überein mit denen von LEREBOULLET, KUPFFER, v. BAMBECKE ‘und OwsJanıkow, meine Angaben über Eintritt derselben mit denen von OEL- LACHER, und die über ihre Verwendung zur Blut- und Gefässbildung mit denen von RomIti (s. WALDEYER, Jahrbr. f. 1874 p. 149). Auch auf die Erfahrungen von Ray LANKESTER am Üephalopodenei kann hier hingewiesen werden (Annals and Magaz. Nat. hist. 1873 und Philos. Transact, 1875 part. I.)

W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies und die Entstehung ete. 275

mit trösten, dass die verwerfenden Urtheile mehr auf dogmatische Gründe, denn auf eingehende Nachuntersuchungen sich stützen, so hat sich die Sachlage geändert, nachdem auch ein Beobachter wie KOELLIKER!) gegen mich aufgetreten ist. Eine Revision meiner Beobachtungen ist mir zur Nothwendigkeit geworden, und je nach deren Ergebniss muss sich entweder die von mir eingenommene Position verstärken, oder ich habe aus derselben den Rückzug anzutreten.

Nach meinen früheren Darlegungen liest der Rand?) der Keim- scheibe nach Ablauf der Furchung auf einer Schicht weissen Dotters, dem von mir so genannten Keimwall auf. Während der ersten Zeit der Bebrütung entsendet die untere Schicht jenes Randtheiles Fort- sätze zwischen die Elemente des Keimwalles, so dass diese grossentheils in ein Gerüst archiblastischen Protoplasmas eingeschlossen werden. °) Was vom weissen Dotter ausserhalb des Durchwachsungsgebietes ver- bleibt, fällt binnen kurzem dem Zerfall anheim. In den Dotterkugeln dagesen, welche in den Keim sind aufgenommen worden, entstehen Zellen, theils einzeln, theils in Haufen. Sie treten zu gefässbildenden Netzen zusammen, und aus grösseren Haufen derselben entwickeln sich die, schon älteren Beobachtern bekannten Blutinseln.

Ohne in die Kritik der abweichenden Darstellungen neuerer Be- obachter einzutreten, beschränke ich mich im vorliegenden Aufsatz auf die erneute Feststellung der folgenden beiden Punkte:

1) Verhandl. der Würzburger phys.-med. Ges. N. F. VIII. Zur Entwicklung der Keimblätter im Ei.

2) GOETTE hat den von ÖELLACHER und von ihm selbst nachgewiesenen Ver- diekungsrand der Keimscheibe als Randwulst bezeichnet. KOELLIKER, einen neuen Namen vorziehend, nennt ihn Keimwulst und substituirt dies Wort auch der von mir gegebenen Bezeichnung des Keimwalls. Keimwall und Rand- (Keim-)wulst sind nieht identische Bildungen; wenigstens für den Anfang sind sind sie scharf auseinander zu halten. Unter dem Keimwall verstehe ich (Unters. pag. 1 u. pag. 7) am unbebrüteten Ei die weisse Substanzschicht, auf welcher der Keimscheibenrand, d. h. also der Randwulst aufliegt. Ist meine Darstellung von der Hereinnahme weissen Dotters in den Keimrand richtig, dann kann das com- binirte Gewebe den Namen des organisirten Keimwalls (l. e. 76) beibehalten, hat dagesen KOELLIKER recht mit der Angabe, dass eine Aufnahme weissen Dotters in den Keim nicht erfolge, dann erlischt für mich die Berechtigung, den verdick- ten, an das Darmdrüsenblatt peripherisch sich anschliessenden Wulst als Keim- wall zu bezeichnen.

3) Während des Druckes von obigem Aufsatz wird die No. 7 der dies- jährigen Verhandl. der naturf. Ges. in Leipzig ausgegeben. Darin bestätigt A. RauBEr (ohne Namenserwähnung) meine Angaben über die Aufnahme weisser Dotterkugeln in die untere Schicht des Keimes und die Bildung eines dieselben einschliessenden Protoplasmanetzes. Ueber das weitere Schicksal der in den Keim aufgenommenen Dotterkugeln spricht er sich nicht aus.

18*

276 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

1) die Aufnahme weisser Dötterelemente in den Randtheil der Keimscheibe,

2) die Bildung von Zellen innerhalb der also-aufgenommenen Elemente.

Es sind dies die Punkte, deren Nachuntersuchung von keinem der Späteren genügend vorgenommen worden ist, in denen gleichwohl der Angelpunkt der gesammten Entscheidung liegt.!).

1) Ein Hauptargument, das gegen mich gebraucht wird, liest in der abwei- chenden Deutung der weissen Dotterelemente. Diese sollen keine Zellen sein und daher auch bei der Neubildung; von Zellen keine Rolle spielen können. Nachdem ich die angebliche Fettnatur ihrer Inhaltskörper widerlegt und gezeigt habe, dass diese letzteren wie gewöhnliche Zellenkerne durch Karmin sich färben, dass sie wie gewöhnliche Zellenkerne Körner (Kernkörper) in ihrem Innern führen, dass ihre dunkeln Contouren, durch Aether behandelt in blasse überführbar sind, nach- dem ich darauf hingewiesen, dass mit den weissen Dotterelementen identische Bil- dungen ausserhalb des Eies zwischen den Zellen der Membr. granulosa auftreten, hat MiEscHER den entscheidenden Nachweis geliefert, dass die Inhaltskugeln gleich den Kernen farbloser Blutzellen aus einer phosphorreichen Nucleinsubstanz be- stehen. Zum ersten Male erfahren wir durch die MırscHer’schen Untersuchungen, welches die Anforderungen sind, die an einen Kern gestellt werden müssen, denn darüber wird man billigerweise nicht streiten können, dass die Feststellung der chemischen Grundlage eines solchen Gebildes bei seiner Charakteristik die erste Stelle behauptet. KORrLLIKER, der sich mit der Zellennatur der weissen Dotter- elemente immer noch nicht auszusöhnen vermag, legt auch neuerdings wieder das Hauptgewicht auf den Nachweis, dass deren Inhaltskörper von den Kernen der Keimzellen differiren. ,‚.toto coelo“ nennt er sie von einander verschieden und betont dabei insbesondere der ersteren Färbbarkeit durch Ueberosmiumsäure. So vielen Anlass wir aber haben, uns in der histologischen Technik der Farbereactio- nen, denen wir so bedeutende Förderung verdanken, zu erfreuen, so sind diesel- ben doch zu Entscheidungen tiefereifender Art nur sehr behutsam verwendbar. Die Osmiumfärbung, ähnlich anderen Metallreaetionen, weist auf die Existenz leicht oxydirbarer Substanzen hin. Welcher Art diese und in welcher Menge sie vor- handen seien, erfahren wir nicht, und eine nebensächliche Beimengung kann zum Auftreten der Farbereaction genügen. Um ein Beispiel anzuführen, so sind ja auch die Spermatozoenköpfe stark lichtbrechend und färben sich durch Ueber- osmiumsäure braun, und doch wird Niemand deren Abstammung aus Zellenkernen in Abrede stellen.

Die Anwesenheit von Kernkörpern in den weissen Dotterkernen zu läugnen, wie dies Hans VırcHow thut (Ueber das Epithel des Dottersackes im Hühnerei In. diss. 1875 8. 16), ist nicht erlaubt, denn kernkörperähnliche Flecke sind in deren Innern stets vorhanden. Wollte man sagen, dass dies keine echten typi- schen Kernkörper seien, müsste zuerst die Natur von solchen eruirt und ein Nichtübereinstimmen jener bewiesen werden. Auch die „nie fehlende absolute Kugelgestalt“ muss als Gegenargument ausser Spiel gelassen werden, einmal, weil man den Kernen das Recht kuglig zu sein, nicht absprechen darf, und dann, weil unter den weissen Dotterkernen auch andere als Kugelformen zu beobachten sind.

und die Entstehung der parablastischen Zellen. ORT,

Was meine diesmalige Untersuchungsmethode betrifft, so habe ich, wo nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt wird, mit frischem Material und 0,7 °/, Kochsalzlösung gearbeitet. Vom anhaftenden weissen, oder gelben Dotter sind die isolirten Keimscheiben jedesmal durch Abspülen mit Kochsalzlösung und eventuell durch Schütteln in solcher” sorgfältig gereinigt worden. Um bei der weiteren Unter- suchung vom Deckglasdrucke unabhängig zu sein, bediente ich mich der aus dem Genfer Atelier stammenden Ross’schen Büchsen, einer Vorrichtung, bei welcher das Deckglas vermittelst einer Messinghülse fixirt ist und beliebig vom Objectglas entfernt, oder ihm bis zur Be- rührung entgegengerückt werden kann.

Wir nehmen im Hochsommer eine Keimscheibe von 18—24stün- diser Bebrütung: der Durchmesser beträgt 8—12 mm., der Embryo ist im 3. oder 4. Entwicklungsstadium, die Area pellucida scharf um- srenzt und von langgestreckter Form. In der Area opaca scheiden sich bereits deutlich zwei Zonen, deren innere nach der üblichen Ter- minologie als Gefässhof, deren äussere als Dotterhof zu bezeichnen ist. Die Färbung beider sticht ins gelbliche, aber viel ausgeprägter beim Gefäss- denn beim Dotterhof.

Von der unteren Fläche her betrachtet zeigt sich der Keimwall gleich einem schlechten Strassenpflaster aus kugligen Körpern unregel- zusammengefügt (Fig. 1). Wir bezeiehnen diese Körper vorläufig als Keimwallkugeln, ein Name, dessen Berechtigung aus dem Nach- folgenden sich ergeben wird.

Die Keimwallkugeln sind glänzend, grossentheils durchsichtig, ihr Durchmesser beträgt von 0,02 bis 0,08 mm., die mittleren messen zwischen 0,025 und 0,03 mm. Zwischen ihnen findet sich jedoch eine trübe, von feineren und gröberen Körnern reich durchsetzte Masse, die die interglobuläre heissen mag. Bei auffallendem Lichte erscheinen die Keimwallkugeln dunkel innerhalb des helleren Netzes, und die im Gefässhof so ausgesprochene gelbe Färbung kommt dem letzte- ren zu.

An solehen Umschlagsfalten der Keimhaut, bei welchen der freie Rand von der Unterfläche gebildet wird, treten die Keimwallkugeln als ebenso viele einzelne Buckel vor, allein nicht frei, sondern über- zogen von einer dünnen Schicht, welche als Endausbreitung der inter- slobulären Masse sich erweist (Fig. 2). »

Keimwallkugeln und interglobuläre Substanz lassen sich mecha- nisch von einander sch®iden. Zu dem Behuf wird ein Stück des Gefässhofes über Nacht in Salzlösung gelegt und dann in einem Reagenzglase leicht geschüttelt. Die Keimwallkugeln zerfallen, und es

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278 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

verbleibt ein körnerreiches Gerüst übrig, dessen Maschen die Orte zeigen, wo die Kugeln gelegen haben (Fig. 3). Wird das Gewebe nach kürzer andauernder Maceration geschüttelt, so isoliren sich Stücke des Interglobularnetzes, deren Maschen theilweise frei, theilweise noch mit inneliegenden Keimwallkugeln besetzt sind (Fig. 4).

Obige Erfahrungen bestätigen das aus Schnittbildern früherhin schon gewonnene Ergebniss, dass innerhalb der Area opaca helle Ku- geln einem zusammenhängenden und gegen den Dotter sich ab- schliessenden Netzwerke eingefüst sind. Man vergl. die Fig. 8 Taf. VI meiner Untersuchungen, bei welcher das interglobuläre Netz, wohl in Folge zusammenschrumpfender Reagenzwirkung, als fadenförmiges sich darstellt.

Auch Färbemittel lassen sich zur Demonstration der beiden Keimwallbestandtheile herbeiziehen. Hämatoxylin z. B. färbt das interglobuläre Netz rasch und intensiv, während die Färbung der Keimwallkugeln langsam und in geringem Maasse erfolgt. Nur deren Kerne und inneliesende körnige Massen erfahren lebhafte Färbung. Besonders guten Erfolg hat mir die nachfolgende Methode gegeben: Die in gewohnter Weise isolirte Keimscheibe wird mit Salzlösung zu- sammengebracht, welcher einige Tropfen einer Lösung von Diamant- fuchsin zugesetzt sind. Das Präparat nimmt bald eine rothe Färbung an. Wird nun der Keimwall untersucht, so zeigt sich in ihm das interglobulare Netz roth gefärbt, die Keimwallkugeln dagegen nicht. Die ungleichmässige Vertheilung der interglobulären Substanz tritt dabei sehr deutlich hervor. Stellenweise nur schmale Brücken zwischen den Kugeln bildend, häuft sie sich anderwärts in etwas dickeren Klumpen an, hier und da tritt sie auch in Form kugliger Vor- sprünge gegen die Unterfläche vor.

Die interglobuläre Masse ist ein weiches, leicht verschiebbares Protoplasma. Vorbeifliessende Flüssigkeitsströme genügen, um es in Fäden von mehrfacher Gesichtsfeldlänge auszuziehen. Aus der Länge und Feinheit der letzteren erschliesst sich die grosse Dehnbarkeit des interglobulären Protoplasma. In grösseren Klumpen angehäuft zeigt es den Gegensatz hyaliner Rand- und trüber Innenmasse. Schon ohne Anwendung von Wärmevorrichtungen vermag man in der warmen Jahreszeit die lebhaftesten Bewegungen jener Masse zu veriolgen, wie denn auch isolirte Keimzellen Formveränderungen in rascher Reihen- folge erfahren. |

Kerne ovaler Gestalt lassen sich in blassen Stücken des inter- globulären Protoplasma wahrnehmen (Fig. 5), in körnerreichen sind sie aus ihrer Umgebung heraus nicht zu erkennen.

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 279

‘Die trübenden Körnermassen des interglobulären Protoplasma sind zum Theil Kerne und Körner aus zerfallenen weissen Dotter- kugeln, als solche an ihrer Lichtbrechung und an ihren Inhaltsflecken leicht erkennbar, zum Theile sind es Fetttröpfchen aus dem gelben Dotter stammend. Letztere verleihen dem interglobulären Protoplasma seine dottergelbe Färbung. Werden Stücke der Area vasculosa in einem engen Cylinder mit viel Flüssigkeit geschüttelt und wird alsdann das Gemenge stehen gelassen, so tritt eine Scheidung ein zwischen Bestand- theilen, welche zur Oberfläche emporsteigen und solchen, welche zu Boden sinken.

Auf den Boden sinken die Keimwallkugeln, oder deren durch Zertrümmerung frei gewordene Kerne Auch fettarme Protoplasma- stücke, sei es einzeln, sei es in Verbindung mit Keimwallkugeln, sen- ken sich. Dagegen schwimmen an der Oberfläche Protoplasmafetzen mit eingelagerten kleineren oder. grösseren Fetttropfen. In früheren Stadien fehlen die fettreichen Protoplasmastücke und es bildet sich beim Aufschwemmen keine Oberflächenschicht. Dasselbe gilt zum Theil in späteren Stadien auch vom Dotterhofe.

Die Keimwallsubstanz im Dotterhofe ist lockerer als im Gefäss- hofe verbunden. Isolirte Fetzen bestehen jedoch auch hier aus Keim- wallkugeln und aus Interglobularsubstanz und das Verhalten der Com- plexe bei Druck und bei Zerrung zeigt wiederum, dass die letztere Substanz dehnbar und elastisch ist. An der Peripherie des Dotter- hofes ist der Zusammenhang der Keimwallmasse so gering, dass sie beim Abspülen leicht sich entfernt und man findet daher in der Re- sel am abgespülten Keim einen 1—1!/, mm. breiten durchsichtigen keimwalllosen Saum. Ebenso fehlt die Bindung der Keimwallkugeln im frisch gelegten Ei und während der ersten Bebrütungsstunde. Es selingt daher zu der Zeit leicht den Keimwall durch Abspülen von der Keimscheibe zu trennen (S. 7 meiner Unters.)

- Keimwallkugeln. Wir isoliren einen Keim von etwa Sstün- diser Bebrütung, reinigen ihn sorgfältig. so lange bis keine Reste von äusserlich anhaftendem Dotter mehr von ihm sich entfernen lassen und breiten ihn flach aus. Die glänzenden Kugeln, welche im Be- reiche der Area opaca die Hauptmasse der unteren Schicht bilden, zeigen, mag man sie in ihrer natürlichen Lage, oder isolirt betrachten, die bekannten Eigenschaften weisser Dotterkugeln, d. h. sie enthalten einen oder mehrere kuglige Inhaltskörper und einen klaren, durch Wasser sofort sich trübenden flüssigen Inhalt. Die Inhaltskörper be- sitzen die bekannten kernkörperartigen Flecken im Innern. An den grösseren Keimwallkugeln dieser Zeit eonstatirt man mit Leichtigkeit

280 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

die Eigenschaften von mit Flüssigkeit gefüllten Säcken. Druck bringt sie augenblicklich zum Platzen und ihren Inhalt zu freier Vertheilung. Schwimmen sie aneinander vorüber, so ändern sie fortwährend ihre Gestalt, indem sie nach den Engpässen sich modeln, durch die sie durchgetrieben werden. Dabei fliessen die Körner und Kugeln in ihrem Innern von einer Seite zur andern und wiederum zurück, gerade so wie ich dies früher für grössere weisse Dotterkugeln im Allgemeinen beschrieben habe (Unters. S. 6).")

1) Es ist mir nicht verständlich, aus welehem Grunde KoELLIKER die Auf- nahme weisser Dotterbestandtheile in den Randtheil des Kernes leugret. Der Nachweis derselben ist, wie man aus obigem sieht, leicht zu führen. KOELLIKER glaubt die ihm entgegenstehenden Angaben dadurch erklären zu können, dass Dotterkugel- und Dotterkernähnliche Gebilde im Innern der Keimwulstzellen auftreten. Sie sollen hier als „Product der energischen Stoflaufnahme dieser Zellen“ entstehen und von den eigentlichen Dotterkugeln durch ihr Verhalten gegen Essigsäure sich unterscheiden. In Bezug auf letzten Punkt decken sich meine Erfahrungen nicht mit denen von KoELLIKER. Wenn ich KoELLIKER recht verstehe, betrachtet er die Keimwallkugeln überhaupt für die Zellen seines Keimwulstes, oder nach meiner Terminologie für archiblastische Zellen, das in- terglobuläre Protoplasma hat er nicht beachtet.

BALFOUR, welcher im Gegensatz zu KOELLIKER das Vorhandensein von weissem Dotter im Keimwulst oder Keimwall richtig erkannt hat, hat sich durch Silberbilder verleiten lassen, den Uebergang der weissen Dotterkugeln in Hypo- blastzellen anzunehmen (Journal of microscop. Science, Juli 1873). Auch er hat dabei das interglobuläre Protoplasma übersehen.

Eine eigenthümliche Geschichte des Keimwalls giebt GoETTE. Der Keim ruht nach ihm nicht auf weissem Dotter, sondern auf einer körnigen Substanz auf. Eine theils körnige, theils homogene Substanz liegt auch am Boden der Keimhöhle und erfüllt den Dotterkanal. Durch eine Art von secundärer Furchung entstehen sodann aus ihr die „Dotterzellen“. Später klärt sich der Keimwall durch Lösung seiner Körner auf und zerklüftet sich in zellenartige Körper, dann aber treten die untersten seiner Bestandtheile aus dem Gefüge der übrigen her- aus und lösen sich auf. Es entstehen buchtige Höhlen, in dieselben werden die auf dem Boden der Keimhöhle entstandenen Dotterzellen durch eine von der Keimhöhle gegen den Keimwall hin stetig stattfindende, durch die aufsaugende Thätigkeit des letzteren bedingte Strömung hinein geschwemmt. Einmal in den- Maschen des Keimwalls angelangt, zerklüften sie sich und bilden die bekannten Blutinseln. Die von der Einschmelzung verschonten Keimwallmassen verbleiben als „interstitielles Bildungsgewebe.“ Dass man über so leicht constatirbare Dinge, wie über das Vorhandensein weisser Dotterkugeln unter dem Keim,. am Boden der Keimhöhle und im sog. Dotterkanal streiten kann, Dinge, deren Feststel- lung zum Theil schon auf PuURKINJE und von BazR, d. h. auf nahezu ein halbes Jahrhundert zurück reicht, erscheint wunderbar. Es erklärt sich indess aus GoETTE’s einseitiger Präparationsweise. Bei Untersuchung frischer Eier hätte GOoETTE die Zusammensetzung der fraglichen Localitäten aus weissen Dotter-

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 281

Die Charaktere weisser Dotterkugeln tragen auch die Keimwall- kugeln, welche während späterer Entwicklungsstadien im äusseren Dotterhofgebiete dem Keim verbunden sind. Dies gilt bis zur Ver- wachsung des Dotters.

Im Gefässhof dagegen und in den nächst daran stossenden Dotterhofzonen erfahren die Keimwallkugeln Umwandlungen, die einer besonderen Beschreibung bedürfen. Bevor wir darauf eingehen, ist es nothwendig noch einmal genau die Charaktere kennen zu lernen, wodurch Keimwallkugeln unter allen Umständen von echten, d.h. von archiblastischen Keimzellen können unterschieden werden. Das Vor- handensein oder Nichtvorhandensein von Kernen und Körnern weisser Dotterkugeln kann nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen, weil diese auch von archiblastischem Protoplasma bez. von archiblastischen Zellen können aufgenommen werden.

Keimwallkuseln sind .stets von einer starken (selbst doppelten)

kugeln nicht entgehen können. Derselbe scheint jedoch unter Verschmähung anderer Controllen seine Ueberzeugung ausschliesslich nach Schnittpräparaten gebildet zu haben, wobei er Werth darauf lest, dass die ganzen Dotter gehärtet werden. Seine Härtungsmethode giebt er nicht an, indess wird man kaum irre sehen, wenn man annimmt, dass er, wie allgemein üblich, Chromsäure oder chromsaure Salze benutzt hat. An Chromsäurepräparaten habe ich ähnliche Suc- eessionen von hellen und körnigen Schichten am Boden der Keimhöhle gesehen, wie sie GoETTE abbilde. Bringt man unter dem Mikroskop weissen Dotter mit einer schwachen Chromsäurelösung, Y3 Ya %, zusam- men, so sieht man sofort dichte feinkörnige Gerinsel entstehen und ein grosser Theil der Kugeln, vorweg die grossen körner- reichen Formen, lösen sich unter den Augen des Beobachters auf und ergiessen ihre Kern- und Körnermassen in die Umgebung. Ein ähnliches Resultat ergeben Lösungen von chromsaurem Kali: Bringt man Tropfen von Müller’scher Lösung zu weissen Dotterkugeln, so gerinnt deren In- halt sofort zu einer undurchsichtigen gelben Masse. Die Hülle hebt sich anfangs selbstständig ab, dann aber schmilzt sie gleichfalls ein und nach einiger Zeit hat die geronnene Kugel an ihrer Oberfläche zahlreiche ungefärbte, stark licht- brechende Tropfen (wahrscheinlich aus der Zersetzung des Lecithins stammendes Fett) ausgepresst. Nach alledem sind Härtungen mit Chromsäure oder mit chromsaurem Kali schlechterdings unbrauchbar zur Be- urtheilung der Verhältnisse des weissen Dotters.

Hätte GortTs erkannt, dass der Keimhöhlenboden seiner Präparate Nichts anderes als einen Trümmerhaufen darstellt, würde er auch nicht versucht haben, diesem einen besonderen „secundären“ Furchungsmodus zuzuschreiben.

Die Folgen der Chromsäurehärtung finden sich übrigens auch in anderen Beschreibungen und Abbildungen wieder, so zeichnet Hans VIRCHoW in seiner Fig. 1 den Keimwall als trübes körniges Gemenge. Ich erinnere ferner daran, dass auch WALDEYER in seinem Eierstockswerke (8. 59), entgegen allen früheren Angaben, den Inhalt des Dotterkanales als körnige Masse beschrieben hatte.

2892 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

dunkeln Contour umfasst, welche im auffallenden Licht glänzt. Der hyaline Saum dagegen, welcher kuglig abgesränzte Massen archiblasti- schen Protoplasmas umgiebt, ist weit blasser und in auffallendem Licht kaum ausgeprägt. Liegt eine Keimzelle vor mit reichem körnigen Inhalt, so glänzt im auffallenden Licht dieser letztere, wäh- rend der Saum verschwindet. In archiblastischen Zellen verschieden- ster Grösse sind nach dem Erlöschen der spontanen Bewegungen die Körner in andauernder Molecularbewegung begriffen, deren Charakter abweichend ist von der Molecularbewegung freier oder in weissen Dotterkugeln eingeschlossener Körner.!)

Die oben erwähnte Färbung mit Fuchsin giebt gleichfalls ein Mittel, rasch die Keimwallkugeln von Keimzellen zu unterscheiden. Fuchsin färbt, wie wir sahen, das archiblastische Protoplasma, nicht aber die Keimwallkugeln. Dafür werden letztere rasch und durch ihre ganze Dicke von auch nur schwachen Jodlösungen tingirt.

Besonders belehrend für die Diagnose sind solche Isolations- Präparate, bei welchen eine vollständige, mit ihren Inhaltskörpern ver- sehene Keimwallkugel von archiblastischem Protoplasma umschlossen ist. In Fig. 6, 7 und S sind solche Präparate dargestellt, bei Fig. 6 und 7 vollständig, bei Fig. 8 theilweise umschlossene Kugeln. Bei letzterer machte ich den Färbversuch: es färbte sich die archiblastische Hälfte des Gebildes, während die andere ungefärbt blieb, und beide setzten sich durch scharfen Saum von einander ab. Wird bei solchen Präparaten der Spiegel abgeblendet, so glänzt die Contour der inneren, d. h. der Keimwallkugel, und die äussere bleibt im Schatten.

Entstehung der parablastischen Zellen. Von der 2. Hälfte des 1. Bebrütungstages ab zeigen die Kugeln des inneren Keimwalls eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, wovon zur Zeit ihrer Ein- schliessung nichts vorhanden war, und welche an freien Kugeln des weissen Dotters überhaupt nicht beobachtet werden. Es treten näm- lich in deren Innerem abgegrenzte Haufen einer feinkörnigen, schwach gelbroth gefärbten Substanz auf, in welcher weiterhin helle Flecke und schärfer abgegrenzte Kerne wahrnehmbar werden. Wir haben mit anderen Worten eine Zellenneubildung innerhalb der Dotterkugeln.

!) Es ist schwer. diesen Character genau zu definiren, doch ist er offenbar durch die Natur des Mediums bedinst, in dem die Theilchen schwingen. Ausser den Partialbewegungen der einzelnen Theilchen sind schwankende oder zuekende Bewegungen ganzer Complexe vorhanden, die, sei es auf Reste vitaler Contrac- tionen, sei es auf Erschütterungen eines gallertartigen Mediums hinweisen. In den grösseren Randzellen jüngerer Keime zeigen sich die Körner des Saumes in ra- diäre Reihen gestellt.

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 9835

Die also gebildeten Zellen sind die Anlagen für das Blut und für die endothelialen Gefässröhren.

Wie ich dies schon in meinen Unters. S. 96 hervorgehoben habe, so begegnet man unter den zellenbildenden Keimwallkugeln Formen von verschiedener Entwicklung. Es finden sich solche, bei welchen das Innere der Kugeln völlig erfüllt ist von körnigem Protoplasma (Fig. 9). In anderen ist der Raum wenigstens überwiegend von Protoplasma ein- genommen (Fig. 10 und 11); letzteres ist in manchen Kugeln in mehrere Ballen zertheilt, die sich gegenseitig aneinander abplatten (Fig. 12). Eine grosse Zahl der Kugeln enthält einen oder zwei kleinere Protoplasmakörper (Fig. 13 u. 14) und ihr übriger Raum ist von klarer Flüssigkeit erfüllt und kann einzelne grössere Dotterkerne oder Körner mit enthalten. Gelingt es Formen der letzteren Art in fliessende Strömungen zu bringen (z. B. durch Ansaugen der Flüssigkeit vom Rande her mittelst Filtrirpapier), so überzeugt man sich, dass der Pro- toplasmaballen im Innern der Keimwallkugel seinen Zusammenhang, nicht aber seine Form und seine Stellung bewahrt, und dass er, ebenso wie die Dotterkerne und Dotterkörner im Binnenraum der Kugel sich frei hin und her bewegt. Die gegenseitigen Verschiebungen, der vorhandenen Theile finden so statt, als ob in einem Flüssigkeit führenden Sacke feste Kugeln (die Dotterkerne) und eine weiche ela- stische Masse (das Protoplasma) hin und her geschüttelt würden. Die beiden Arten von Bestandtheilen verschieben sich gegen einander, der feste drückt sich gelegentlich in den weichen ein, und die Form des letzteren ändert sich entsprechend dem Raum, der ihm eben zu Gebote steht. Dies Verhalten hebt den letzten Zweifel, als ob die mit Pro- toplasmaballen ausgerüsteten Keimwallkugeln etwas anderes wären, denn in innerer Umwandlung begriffene weisse Dotterkugeln.

Die Grösse der intraglobulären Protoplasmaklumpen wechselt von 10 bis 40 u. Kleinere Formen, zu mehreren in einer Keimwallkugel liegend, finden sich in den höheren Schichten des Keimwalles und besonders in der Zone, welche unmittelbar nach Aussen vom Gefäss- hof liest (Fig. 15 u. 16). Die Nester von kleinen intraglobulären Zellen, welche man an Schnitten jenseits des Sinus terminalis findet, sind diejenigen, welche zunächst frei werden, um sich an der para- blastischen Gewebsbildung zu betheiligen. Darf man nach Durchschnitts- und nach Flächenbildern erhärteter Präparate schliessen, so entsenden die frei gewordenen Zellen sehr bald Ausläufer. Das Gefässblatt zeigt sich gleich bei seinem ersten Auftreten, d. h. noch vor dem Auftreten hohler Gefässe, aus eckigen Zellen gebildet (s. S. 97 u. 98 meiner Unters.).

Wie entstehen nun die neuen Zellen im Innern der Dotterkugeln?

284 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

Schlägt sich das körnige Protoplasma um einen der vorhandenen Dotterkerne herum nieder, oder gehen diese nicht in den Kern des neuen Gebildes über ?

Zur Beantwortung dieser Fragen giebt die Beobachtung folgendes Material an die Hand: Schon ziemlich frühzeitig trifft man Keimwall- kugeln, in. welchen, sei es neben gewöhnlichen Dotterkernen, sei es ohne solche, in sich zusammenhängende Haufen grober Dotterkörner sich vorfinden. Als weiteres Bild trifft man festverbundene Haufen einer feinkörnigen, noch unscharf abgegrenzten Substanz, oder solche in denen feinere und gröbere Körner untermengt sind. Darf man diese Bilder (Fig, 17—20) zu einer Reihe combiniren, dann ergiebt sich folgende Wahrscheinlichkeit: Durch Zerfall grösserer Dotterkerne bilden sich innerhalb der Keimwallkugeln Haufen von Dotter- körnern, und aus deren weiterer Umbildung entsteht das neue, aus Kern und körnigem Protoplasma bestehende Gebilde. Die Dotter- kerne würden sonach mit ihrem chemischen Material an der Bildung des neuen Kernes und der neuen Zelle theilnehmen, nicht aber in morphologischer Continuität mit den neuen Kernen stehen.

Ich eriunere hier daran, dass es mir auch am Lachsei nicht ge- lungen ist!) eine morphologische Herleitung der im Keimwall auf- tretenden parablastischen Zellen aus Zellen der Dotterrinde und ihrer Kerne aus Dotterkernen zu erreichen, dass aber auch dort mit Auf- lösung der Dotterkerne ein Material entsteht, innerhalb dessen neue Zellen mit neuen Kernen entstehen.

Die Möglichkeit, dass Kerne als Ausscheidungen eines zuvor gelösten Materials entstehen, gewinnt bekanntlich durch neuere Arbeiten mehr und mehr an Boden. Dem alten, mit unseren Schul- vorstellungen so lange unvereinbaren Beispiele vom Schwinden des Keimbläschens und von der Neubildung der ersten Furchungskerne haben sich nieht nur die sehr bestimmt lautenden Erfahrungen der Botaniker beigesellt, sondern auch die’enigen von Forschern auf dem Gebiete thierischer Morphologie. Die Erfahrungen von FLEMMING, von AUERBACH und von Fon?) gestatten sicherlich noch durch-

I) D. Zeitschrift I. 34.

2) FLEmming, Die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. M. Schultze, Archiv X. 286 u. f. und Studien zur Entwicklung der Najaden. Sitzungsber. d. Wiener Ak. Bd. LXXI. Febr.

AUERBACH, Organolog. Studien, 2. Heft.

For, Jena’sche Zeitschrift, VII. 475.

Ueber die botan. Erfahrungen:

HOoFMEISTER, Lehre von der Pflanzenzelle, 1867, S. 81 u. £. STRASSBURGER, Zelibildung und Zelltheilung, Jena 1875.

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 255

aus keine abschliessende Vorstellungen über die Neubildung von Kernen, so viel zeigen sie indess zur Genüge, dass wir mit dem her- gebrachten Theilungsschema nicht mehr ausreichen, und dass wir den Kreis der ins Auge zu fassenden Möglichkeiten bedeutend zu erwei- tern haben.

Keimwallkugeln mit inneliegenden Zellen von der Art der oben beschriebenen sind dem Vogelei nicht eigenthümlich. Bei beiläufie angestellten Beobachtungen bin ich ihnen auch im Säugethierei (Gefäss- hof von Katzenembryonen) und in demjenigen von Reptilien (Natter) begegnet. Ihre besondere Geschichte an diesen Orten bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Bei anderen Beobachtern haben die in Rede stehenden Bildungen des Hühnereies kaum Beachtung gefunden. Indess zeichnet Hans VIrRCcHOw in Fig. 2 seiner Dissertation Keimwulstzellen mit „dunkel- körnigen Inhaltsballen“, über deren Natur er sich nicht weiter aus- lässt. Andeutungen derselben finden sich auch in Fig. 3. Von den in M. Schultze’s Archiv X. publieirten GorrTE’schen Figuren möchte Fig. 44 zu nennen sein, wo « und «, hierher zu ziehende Zellen- conglomerate darstellen, die auch GOETTE für Blutinselanlagen hält.

Es bleibt übrig einige Worte über die Endschicksale des inter- -slobulären Protoplasma zu sagen: Frühzeitig bildet, wie wir gesehen haben, das interglobuläre Protoplasma eine, den Keimwall nach ab- wärts abschliessende Schicht. Diese Schicht gewinnt an Mächtigkeit, gliedert sich in einzelne Zellenterritorien, und, in eben dem Maasse, als die Keimwallkugeln anderweitige Verwendung finden, tritt sie in den Vordergrund. Als Endresultat der beiderseitigen Umbildungen verbleibt, einmal die Schicht der Gefässe und ein ihr von unten her anliegendes einschichtiges Epithel ), dessen grosse Zellen stets mit Tropfen von gelbem Dotterfett reichlich durchsetzt sind. Eine Verwechselung dieser Zellen mit den früher vorhandenen Keimwall- kugeln kann nur dem Unerfahrenen begegnen. Sollte sich Jemand mit den übrigen Unterscheidungsmerkmalen nieht begnügen, so mag er die Zellen des Dottersackepithels mit Wasser aufschwemmen und er wird finden, dass sie im Gegensatz zu den schweren Keimwallkugeln zur Oberfläche emporsteigen.

Mit Hans VırcHmow stimme ich darin überein, dass man von der Zeit ab, da ein einschichtiges Epithel sich gebildet hat, von einem „Keimwulst“ nicht mehr reden darf, ebenso wenig darf man noch

I!) Diese Entwicklungsstufe hat Hans VırcHow in seiner Fig. 4 dar- gestellt.

286 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

von einem Keimwall sprechen und die Bezeichnung „Dottersack- epithel“ für die entstandene Zellenlage erscheint als eine geeignete. Wie das Bild der Vasa lutea durch die den Gefässvorsprüngen ent- sprechenden Falten dieses Epithels entsteht, das bedarf nach dem, was ich an anderm Orte darüber mitgetheilt, keiner erneuten Be- sprechung.!)

Als Anhang füge ich eine Notiz bei über Zellen im Innern des Protozoenleibes. Ich habe zunächst zu motiviren, wie ich zu diesem entlegenen Gegenstande komme: Als ich vor Jahren den tiel- sreifenden genetischen Gegensatz zwischen archiblastischen und para- blastischen Geweben kennen lernte, als mich dann speciell auch die Beziehung farbloser Zellen zu Dotterelementen und die Bedeutung der Dotterkerne und Dotterkörner für die Zellenernährung beschäftigten, dachte ich daran auf breiterer Basis den Gegenstand zu bearbeiten.

Die Fragen, die ich mir damals gestellt hatte, waren:

1) ob die Anlagen des Blutes und der Bindesubstanzen allgemein aus einem am Furchungsvorgange nicht theilnehmenden Nebenbestand- theile des Eies hervorgehen und

2) ob im Organismus niedrigerer Thiere lecithoide Bestandtheile vorkommen, deren Entstehung auf parablastische Zellen sich zurück- führt.

Es ist in einer beiläufigen Notiz, wie der gegenwärtigen nicht der Ort, die Berechtigung dieser Fragen für damals, oder jetzt zu discutiren. Die Literatur stellte für die eine, wie für die andere keine ungünsti- sen Aussichten, der Versuch einer Inangriffinahme aber zeigte mir auch bald, dass ich ohne jahrelanges Versenken in mir fernestehende Dinge nur Dilettantenarbeit zu liefern im Stande sein würde. Als eine Dilettantennotiz mag denn auch die nachfolgende hingenommen wer- den, die ich nur publieire, weil sie auch jetzt nach 7 Jahren noch neu und zugleich für die Frage von der Einzelligkeit der Infusorien bedeutsam ist.

Der Körper von Nassula, Bursaria u. A. enthält eine wechselnde Zahl von kugligen Gebilden granulirter Beschaffenheit. Es sind dies wohl Theile, die von EHRENBERG für Magen, von späteren für Speiseballen, oder theilweise auch für Keimkugeln gehalten worden sind. Ihr Durchmesser beträgt um 12 u oder etwas darüber. Hat man

DalzenS2188:

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 287

die Thiere mit einem körnigen Farbstoff gefüttert, so findet sich der Farbstoff schon nach wenigen Minuten in jenen Kugeln vor, und nur ein verhältnissmässig geringer Antheil desselben liest frei im Innen- parenchym.

Beim Zerquetschen werden die fraglichen Gebilde frei; nach ihrem Austritt in das Wasser umgehen sie sich sofort mit einem breiten hellen Hof, dieser zerplatzt weiterhin und die zurückbleibende trübe Kugel enthält die Ansammlung des Farbstoffes nebst den sonstigen körnigen Bestandtheilen. Wird zu derselben Essigsäure zugesetzt, so ändert sich ihr Charakter: die äussere Körnermasse hellt sich auf, es tritt die scharf umschriebene Contour eines Zellenkernes hervor und die aufgenommenen Farbstoffkörner erweisen sich als diesem äusserlich nur anhaftend, d. h. sie liegen in der durch die Essigsäure aufgehellten Substanz.

Ich setzte zu lebenden Thieren ein kleines Quantum der Thiersch- schen Lösung von oxalsaurem Carmin. Die Infusorienkörper hellten sich auf, und ihr Nucleus färbte sich; ebenso färbten sich aber die Kerne der im Körper eingeschlossenen Inhaltskugeln und traten scharf hervor.

In ammoniakalischer Carminlösung macht sich der Hergang etwas anders: Das Thier stirbt nicht augenblicklich ab. Als heller Körper hebt es sich von der rothen Flüssigkeit ab; sowie man es zerquetscht, so färben sich die Kerne der austretenden Kugeln roth.

Die angegebenen Erfahrungen lassen sich sonach folgendermassen zusammenfassen: Der Körper der genannten Infusorien ent- hält innerhalb seiner Substanz kernhaltige Zellen von der Grösse und dem Aussehen farbloser Blutzellen, welche auch darin übereinstimmend mit Leucocyten sich verhalten, dass sie körnige Bestandtheile von Aussen in sich aufzunehmen vermögen.

Sehr beträchtlich ist die Zahl der im Körper enthaltenen Zellen bei Stentor. Der Körper dieser Thiere ist durch reichliche Chloro- phylleinlagerungen mehr oder weniger undurchsichtig und die Abgren- zung separater Zellen ist daher von Aussen nicht wahrnehmbar. Beim Zerdrücken dagegen treten diese isolirt hervor, und man begegnet Formen von sehr verschiedener Grösse, solchen welche einen und sol- chen welche 2 und 3 Kerne enthalten. In ihrem Innern liegen Chloro- phylikörner in wechselnden Mengen. Einzelne Zellen sind gedrängt voll davon, andere enthalten deren nur eines oder wenige.

288 W. Hıs. Der Keimwall des Hühnereies

Erklärung der Abbildungen.

Taf. XIII.

Mit Ausnahme von Fig. 15 und Fig.16 sind alle Zeichnungen nach frischen Präparaten mit dem Prisma entworfen.

Fig. 1. Keimwall der Area vasculosa (innerer Keimwall) nach 24stündiger Bebrütung von unten her gesehen. System VIII (b).

K Keimwallkugeln.

P interglobuläres Protoplasma mit Dotterkörnern und Fetttröpfehen.

Fig. 2. Umschlagsfalte desselben Präparates. Syst. VIII (b).

Fig. 3. Interglobuläres Protoplasmanetz desselben nach 1tägiger Mace- ceration in Kochsalzlösung 0,7%, isolirt. Syst. X.

Fig. 4. Stück Protoplasmanetz eines ebensolchen Keimes durch Schütteln isolirt mit theilweise umschlossener weisser Dotterkugel. Syst. X.

Fig. 5. Stück des Protoplasmanetzes nach 19stündiger Bebrütung mit sichtbarem Kern.

Fig. 6. Weisse Dotterkugel, von archiblastischem Protoplasma -umhüllt, frisches Isolationspräparat nach 39stündiger Bebrütung. Syst. X.

Fig. 7. Gleiches Object, am Rande einer Umschlagsfalte gesehen. Syst. X.

Fig. S. Weisse Dotterkugel zur Hälfte von einem archiblastischen Proto- plasmakörper umhüllt. . Isolationspräparat nach 38 stündiger Bebrütung. Mit Fuchsin färbte sich die obere blasse Hälfte des Gebildes, die untere dagegen blieb ungefärbt. Syst. X. ;

Fig. 9—14 u. 17— 20. Frisch isolirte Keimwallkugeln mit intraglobulärem Protoplasma verschieden nach Menge und Phase der Ausbildung. S. Text. Syst. X. -—-.9, 13 u. 14 nach 24stündiger, 17, 18 u. 20 nach 40stündiger, 10, 11, 12 u. 19 nach 52stündiger Bebrütung.!)

Fig. 14. Keimwall, auf dem Durchschnitt. Osmiumpräparat. Syst. VIII. 21stündige Bebrütung. Die Bildung der Blutgefässe leitet sich eben ein. Der Schnitt fällt auf die Grenze von Area vasculosa und Area vitellina oder von innerem und äusserem Keimwall. Die gefässbildenden Zellen @ liegen in Masse unter dem Epiblast und zum Theil zwischen den tieferen Kugeln des Keimwalles. K Keimwallkugeln; die bezeichnete zeigt eine Anzahl von Protoplasmakörpern neben einem unveränderten Kern. P das interglobuläre Protoplasma in der unteren Grenzschicht zusammenfliessend.

Fig. 15. Schnitt durch dieselbe Stelle in einem etwas vorgerückten Sta- dium. 30stündige Bebrütung. Es haben sich schon Gefässe (G) angelegt, die

1) Aus Versehen hat die Fig. 20 (unter Fig. 8 stehend) die Ziffer 10 erhalten.

und die Entstehung der parablastischen Zellen. 289

dem inneren Keimwall unmittelbar aufliegen, der überliesende Raum ist nicht unmittelbar vom Epiblasten überdeckt, sondern er trägt eine parablastische (endotheliale) Bekleidung. Bei @ sieht man parablastische Zellen ausserhalb. des Gefässhofes, bei X) Klumpen von Zellen, noch von gemeinsamer Hülle um- seben (zu vergl. Taf. X. Fig. 4 meiner Untersuchungen), bei X, einen grösseren bereits von Gefässzellen umgebenen Zellenklumpen, eine Blutinsel. X Keimwall- kugeln. P Interglobuläres Protoplasma.

Fig. 21. Bursaria. Mit inneliegenden kernhaltigen Zellen.

Fig. 22. Zelle aus deren Körper mit Essigsäure behandelt.

Fig. 23. Zellen durch Druck aus dem Körper eines Stentor isolirt, theils ein- theils mehrkernig und meist chlorophylihaltig.

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I, 19

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen.

Von Dr. W. Herzog.

(Hierzu Tafel XIV.)

In den folgenden Zeilen theile ich die Resultate einiger Unter- suchungen mit, die ich im Sommer 1873 in der histologischen Ab- theilung des Leipziger physiologischen Laboratoriums auf Anregung und unter Leitung des Herrn Professor SCHWALBE über den Bau der Sehnen anstellte. .

Es handelte sich dabei zunächst um eine genauere Deutung der Quersehnittbilder, namentlich um die Erklärung derjenigen Linien, welche in den Feldern zwischen den sternförmigen Lücken des Sehnen- quersehnitts, den sog. Bindegewebskörperchen, zur Beobachtung kommen. Um Missverständnisse zu vermeiden, betone ich, dass ich diese Felder hinfort als primäre Bündel und einen von lockerem Bindegewebe um- rahmten Complex dieser letzteren als ein secundäres Sehnenbündel be- zeichnen werde. An diese Untersuchung musste sich nothwendig eine weitere anschliessen, welche es sich zur Aufgabe machte, die Frage nach der Anordnung der primären Bündel innerhalb eines secundären zu beantworten. Ueber die platten, den primären Bündeln anliegen- den zelligen Elemente der Sehnen habe ich keine neuen Untersuchungen angestellt, dagegen mich bemüht, auf dem Wege der Injeetion die Lückennatur der sternförmigen Figuren des Querschnitts entwickelter Sehnen nachzuweisen. Eine Aufzählung der einschläglichen Literatur habe ich für unnöthig erachtet, da dieselbe genugsam aus den zahl- reichen Arbeiten der letzten Jahre bekannt ist; auf einige derselben werde ich an geeigneter Stelle näher eingehen.

W. Herzog. Ein Beitrag zur Kenntniss der Struetur der Sehnen. 291

Um eine dem Leben möglichst entsprechende Ansicht des Sehnen- quersehnittes zu erhalten, wurden frische Achillessehnen vom Kalbe in einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht und feinste Querschnitte von denselben angefertist. Diese wurden alsdann in halbprocentiger Kochsalzlösung oder auch in destillirtem Wasser unter- sucht.

In Fig. 1 ist ein Theil eines solchen Querschnitts dargestellt. Auf demselben treten die bekannten schwarzen sternförmigen Gebilde und als Verbindungslinien zwischen ihnen schwarze Linien zu Tage. In den von den sternförmigen Gebilden und den Linien ab- gegrenzten Räumen liegen die primären Fibrillenbündel, deren Quer- schnitt eine eigenthümliche Zeichnung von Feldern, die durch helle anastomosirende Linien getrennt werden, darbietet. In diesen Feldern selbst erscheinen die Durchschnitte der einzelnen Fibrillen, die sich als schwarze Punkte darstellen. Diese einzelnen Querschnitte einer jeden Fibrille sind vor einer homogenen, mässig transparenten hellen Sub- stanz in ziemlich regelmässiger Weise umgeben. Zwischen einer grös- seren Menge in dieser Weise gruppirter Querschnitte finden sich längere und zugleich breitere Streifen dieser helleren Substanz, so dass dadurch das Aussehen einer Eintheilung des einzelnen Fibrillen- bündels in eine grosse Menge grösserer und kleinerer Felder entsteht. Die einzelnen Felder sind aber nicht von gleicher Grösse Es ist daher eine sehr mannigfaltige Anordnung dieser Substanz gegeben, allein durch die Regelmässigkeit ihres Vorkommens charakteristisch. Man sieht zahlreiche Figuren von grösserer oder geringerer Regel- mässigkeit, welche durch die sich theilenden und wieder anastomo- -sirenden Linien hervorgebracht werden. Einige von diesen verlieren sich so zu sagen in der Substanz des Bündels, indem die einzelnen Fibrillenquersehnitte bis zur Berührung an einander rücken, andere dieser Linien laufen theils zu den sternförmigen Gebilden, theils zu den schwarzen Verbindungslinien hin, und hören nahe an der Grenze derselben auf. Ausser diesen erwähnten hellen Linien sind keine anderen Gebilde in der Substanz des primären Bündels bemerkbar. Besonders unterliegt es keinerlei Schwierigkeit, zu constatiren, dass von den schwarzen Verbinduneslinien niemals Ausläufer, die in ihrem Verhalten mit denselben übereinstimmen, in das Innere der Fibrillen- substanz eintreten, oder sich in irgend welcher Weise in derselben verästeln. |

Die beschriebenen hellen Linien dürften sich am leichtesten da- durch erklären lassen, dass es sich um eine grössere Ansammlung von Kittsubstanz handelt, die in der eigenthümlichen, oben beschriebenen

19*

292 W. HERzoe.

Weise eruppirt ist. Diese Linien treten besonders deutlich auf Zu- satz von Wasser hervor, so dass man eine besondere Einwirkung desselben auf die Kittsubstanz schliessen darf, die darin besteht, dass die Kittsubstanz quillt und auf diese Weise besser und deutlicher zur Anschauung gelangt.

Nachdem ich mir auf diese Weise über die Anordnung der Fi- brillen innerhalb der primären Bündel eine klare Anschauung ver- schafft hatte, suchte ich weiterhin festzustellen, in welcher Art und Weise die primären Bündel selbst sich aneinander legen. Zum Zwecke dieser Untersuchung ‘wurden von getrockneten Achillessehnen des Kalbes etwas dickere Schnitte angefertigt, und in die von MAx SCHULTZE empfohlene mehr concentrirte wässerige Auflösung des essigsauren Kali gebracht. Das Gewebe der Sehne wird dadurch in einen Grad von Schwellung versetzt, der wohl dem vor der Trocknung bestehenden gleichkommen dürfte. Die Structur selbst erfährt dadurch durchaus keine Veränderung und es fällt besonders der Vergleich mit Präparaten, die in Glycerin aufbewahrt worden sind, sehr vortheilhaft zu Gunsten des essigsauren Kali aus, weil letzteres Reagens die Theile nicht so stark erblassen macht.

Wenn man nun successive durch wechselnde Einstellung auf verschiedene Ebenen des Querschnittes tiefere Lagen des Präparates in den Focus bringt, und sich dadurch über die Art und Weise orien- tirt, wie die sternförmigen Gebilde in der Substanz des secundären Sehnenbündels vertheilt sind, so ergiebt sich, dass nicht sämmt- liche Sterne durch die ganze Dicke des Schnittes hindurchgehen. Man sieht nämlich zuweilen in der Mitte des Schnittes oder auf der unteren Ebene desselben neue Sterne erscheinen, die auf der ober- sten Ebene, wenn das Präparat eben deutlich eingestellt ist, nicht zur Anschauung kommen. Umgekehrt können Sterne, die auf der ober- sten Ebene des Schnittes sichtbar sind, verschwinden, wenn man die tieferen Lagen durch Aenderung der Einstellung zur Anschauung bringt. Die meisten Sterne kann man aber durch die ganze Dicke des Schnittes verfolgen, und dieselben sind stets als schwarze Punkte sichtbar. Manchmal weichen sie allerdings von der geraden Richt- ung nach einer oder der anderen Seite hin etwas ab, so dass sie dann als Linie zur Anschauung kommen, in der untersten Ebene aber wieder als Sterne erscheinen. Besonders deutlich und fast eonstant kommt dieses zuletzt erwähnte Verhältniss in der Nähe der Scheide- wände des" mehr lockeren Bindegewebes, das die secundären Bündel gegen einander abgrenzt, zur Anschauung. Durch dasselbe Verfahren kann man sich auch über das Verhalten der schwarzen Linien und

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 293

ihre Beziehungen zu den Sternen orientiren. Man sieht auf dem (erschnitt ein System von Verbindungslinien zwischen den Sternen, die sämmtlich von Sternen ausgehen und in der Mehrzahl der Fälle auch wieder zu Sternen hinlaufen. Oefters bemerkt man jedoch, wie auf der obersten Ebene Linien von Sternen abgehen, die nicht ihr Ende an einem Sterne erreichen, sondern in das primäre Bündel hinein- dringen und nun scheinbar in der Substanz desselben enden. Wenn man aber durch Verschiebung derartige Linien in die tieferen Lagen des Schnittes verfolgt, so wird man finden, dass diese Linien dort zu einem Sterne hinzutreten, oder durch Zusammentritt mit einigen an- deren ähnlichen Linien einen neuen Stern constituiren.

Dieses Verhalten findet seine Erklärung darin, dass die primären Bündel unter sehr spitzen Winkeln mit einander anastomosiren. Wenn nämlich zwei Bündel unter einem spitzen Winkel zusammen- treten und sich zu einem vereinigen, so hört natürlich die Scheide- wand, die sie bis daher von einander getrennt hatte, auf. Es muss daher auch optisch diese Scheidewand ausfallen, und da der op- tische Ausdruck derselben ein Stern oder eine von ihm ausgehende schwarze Linie ist, so verschwinden unter diesen Umständen diese Ge- bilde an dem Orte, wo die beiden Bündel sich zu einem vereinigt haben, aus dem Gesichtsfell. Umgekehrt muss, wenn ein bis dahin einfaches Bündel in zwei sich theilt, hier nun, da jedes Bündel eine eigene Scheide besitzt, der optische Ausdruck derselben zur Anschau- ung kommen; in diesem Falle muss also ein Stern oder eine dazu ge- hörige Linie im Gesichtsfeld auftauchen. Zu gleicher Zeit muss man aber annehmen, dass die Vereinigung oder Theilung der Bündel nicht immer in einer der Fläche des Querschnitts entsprechenden Ebene stattfindet, sondern manchmal in einer dieselbe unter einem mehr oder weniger grossen Winkel schneidenden Ebene. Man muss desshalb, da man bei einer bestimmten Einstellung immer nur einen geringen Theil des Schnittes im Gesichtsfell hat, den Schnitt ganz durch- mustern und die schwarzen Linien in ihrem Verlaufe verfolgen, um zu einer vollständigen Anschauung von der Theilung oder Trennung der Bündel zu gelangen. Aus diesen Beobachtungen dürfte ferner hervorgehen, dass die primären Bindegewebsbündel von einer überall deutlich hervortretenden Scheide umgeben sind, die dieselben ganz um- scheidet und gegen die anliegenden abgrenzt.

Von weiterem Interesse erschien es nun, zu untersuchen, ob sich nicht ein Zusammenhang der auf dem Querschnitt sichtbaren stern- förmigen Lücken zwischen den Fibrillenbündeln mit Lymphräumen nachweisen lasse. MICHEL gelang es bei seinen Untersuchungen über

294 W. Herzoc.

die Sklera!) und Dura mater cerebralis?) die sogenannten Binde- sewebskörperchen durch Einstich zu injieiren und sie als Spalträume und Lücken zwischen den Fibrillenbündeln nachzuweisen, in der Weise, dass jede einzelne Spaltlücke von einer Zellplatte ausgekleidet ist. Bei den Sehnen nun ebenfalls Injectionen anzustellen, erschien um so mehr gerechtfertigt, als ja in ihrem Gewebe schon zusammenhängende Zellenreihen nachgewiesen sind, die Endothelien auffallend gleichen. Sie liegen hier den Bindegewebsbündeln auf und umscheiden sie wenigstens theilweise. Es liegen schon einige Versuche der Injection vor. So versuchte HEnLE°) vergeblich die zwischen den Bündeln ver- laufenden Gefässe zu injiciren. BorL*), kam ebenfalls zu keinem ge- nügenden Resultate. Krause) will zwar durch Einstichinjeetion die sogenannten anastomosirenden Bindegewebszellen des Sehnenquerschnitts dargestellt haben, hat aber nicht ihre Bedeutung und Beziehung zu den Lymphgefässen erkannt. Die Frage gewann an Bedeutung, als LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL®) sowohl auf der Oberfläche der Sehnen, als auch im Innern derselben, nämlich im interstitiellen Binde- sewebe zwischen den secundären Bündeln, zahlreiche Lymphgefässe nachwiesen.

Zum Zwecke der Untersuchung wurden frische Achilles - Sehnen vom Kalbe durch Einstich mit der feinsten Kanüle von !/,—!/, mm. Durchmesser einer PrAvAz’schen Spritze injieirt. Die Spitze der Ka- nüle wurde bis gegen die Mitte der Sehne eingeführt und unter ganz geringem Drucke eine Zeitlang die Injection ausgeführt. Als Injections- Masse diente Berliner-Blau. Wurden Injectionen unter etwas stärkerem Diuck ausgeführt, als der für die eben erwähnten angewendet wurde, so wurden sehr bald einzelne Lymphgefässe auf der Oberfläche gefüllt und bei der weiteren Fortsetzung der Injection erhielt man schliesslich die Netze von Lymphgefässen, wie sie in ausführlicher Weise von LupwıG und SCHWEIGGER- SEIDEL schon dargestellt sind”. In

!) Beiträge zur Kenntniss der hinteren Lymphbahnen des Auges. GRAEFE’s Archiv für Ophthalmologie. 18. Band. I. 8. 143.

?) Zur näheren Kenntniss der Blut- und Lymphbahnen der Dura mater cere- bralis. Aus den Berichten der mathem.-phys. Klasse der königl. sächs. Gesell- schaft der Wissenschaften. 1872. (vom 12. Dezember) S. 331.

3) Canstarr’s Jahresbericht für 1851. I. Band. S. 24.

#) Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Gewebe. Scuuntze’s Archiv. VII. Band. 1871. S. 289.

5) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1864. II. Band. S. 1097.

6) Die Lymphgefässe der Fascien und Sehnen. Leipzig. 1872.

7) a. 3. 0.2 Taf... Rig 22undRie 3,

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 295

gleicher Weise angestellte Versuche an der Sehne des quadriceps beim Hunde hatten im wesentlichen das gleiche Resultat. Auch hier traten die von LUDwIG und SCHWEIGGER - SEIDEL beschriebenen Netze so- wohl auf der Sehne, als auch auf der Fascie neben der Sehne mit der grössten Deutlichkeit und Constanz zu Tage).

Die betreffenden auf solche Weise unter stärkerem und schwä- cherem Drucke injieirten Sehnen wurden getrocknet und von diesen getrockneten Präparaten Quer- und Längsschnitte angefertigt. Diese Schnitte wurden ebenfalls in eine Lösung von essigsaurem Kali ge- bracht; doch hatte hier diese Methode den einzigen Nachtheil, dass die charakteristischen Injectionsfiguren allmählich in ihrer Färbung schwächer wurden und desshalb die Präparate nicht für längere Zeit haltbar waren; die Structurbeschaffenheit dagegen der Sehne selbst blieb, wie oben erwähnt vollkommen erhalten.

In Fig. 2 habe ich einen auf solche Weise gewonnenen Quer- schnitt abgebildet. Man sieht auf demselben zarte blaue Linien, die unterbrochen werden von blauen Knotenpunkten, von denen wiederum andere, manchmal mehrere blaue Linien zu ähnlichen Sternen hin- laufen. Das secundäre Bündel erscheint auf diese Weise durchzogen von einem Netze feinster blauer Linien. Es gelang sogar an einigen Stellen ein vollständiges blaues Netz zur Anschauung zu bringen. Auf dem Theil des Querschnittes, in den die Injestionsmasse nicht einge- drungen ist, bemerkt man die bekannte Structur der Sehne mit ihren schwarzen Sternen und Verbindungslinien. Die Art und Weise der Vertheilung der Injeetionsmasse correspondirt genau mit dem Ver- laufe dieser schwarzen Linien und Sterne. Man sieht öfters schwarze Linien zu einem blauen Sterne hinlaufen, oder eine blaue Linie bis zu einem scharzen Sterne sich fortsetzen, von dem dann mehrere schwarze Linien abgehen. Man wird desshalb wohl mit Recht an- nehmen dürfen, dass die Injectionsmasse dem Verlaufe der schwarzen Linien gefolgt und in ihnen fortgeschritten ist.

Mit der Injection dieser blauen Linien trat zu gleicher Zeit eine reichliche Füllung derjenigen Lymphgefässe ein, welche in dem Binde- gewebe der Scheidewände verlaufen und die ebenfalls von Lupwie und SCHWEIGGER-SEIDEL abgebildet worden sind.2) Zwischen diesen und len oben erwähnten blauen Linien besteht nun in sofern ein Zu- sammenhang, indem letztere meistens bis an die gefüllten Lymph- sefässe heranreichen; und zwar gehen diese Linien entweder einzeln

Dyara.so. Tak.,1’ Eis. 2)ra.0a. O0. Taf. II. Rio.

296 W. Hrxrzoc.

direkt in die Lymphgefässe über oder es steht ein über einen grös- seren Bezirk ausgebreitetes System von vielfach verzweigten blauen Linien dnrch einen oder zwei längere derselben mit den Lymph- gefässen in Verbindung. Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass öfters die blauen Linien im Zusammenhang stehen mit den eigen- thümichen Gebilden, die im Innern der Sehnenbündel gelegen sind, die auch LupwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL !) abbilden und von denen es dort unentschieden gelassen wird, ob man es mit einem Gefäss zu thun habe.?)

Entsprechend der Vertheilung der Injeetionsmasse auf den Quer- schnitten findet sich dieselbe auf Längsschnitten flächenhaft vertheilt und an einzelnen Stellen ist eine stärkere Anhäufung derselben vor- handen, wo denn dieselbe als stärker markirter Streifen auftritt. Diese Streifen verlaufen mehr oder weniger parallel der Längsachse der Sehne. Bei Vergleichung der Quer- und Längsschnittbilder dürfte man wohl zu dem Schlusse berechtigt sein, dass hier die Injeetionsflüssig- keit die primären Bindegewebsbündel umgiebt. Denn die blauen Linien umgeben auf dem Querschnitt die Durchschnitte der Bündel, während auf dem Längsschnitte die Injectionsmasse Nlächenhaft ausgebreitet ist, indem sie die mehr oder weniger eylindrischen Bündel umspült. Da ferner die Injectionsmasse genau den schwarzen Linien entsprechend, die wir als den Ausdruck der Scheide zwischen den einzelnen Bündeln kennen gelernt haben, fortgeschritten ist, so kann man wohl annehmen, dass zwischen den Bündeln präexistirende Spalträume bestehen, in welche die Injectionsmasse eingedrungen ist, und in denen sie die Bündel umspült. Wo nun zwei oder drei Bündel aneinander stossen» entsteht ein grösserer Spaltraum,sder sich theils als Stern, theils als markirterer Streifen darstellt. Aus dem Umstande, dass diese inji- cirten Spalträume an die Lymphgefässe direkt heranreichen, dürfte ferner gefolgert werden, dass dieselben in direkter Communication mit den letzteren stehen und ihren Abfluss in dieselben haben.

Es ist schon oben angegeben worden, dass Sehnen theils unter stärkerem, theils unter schwächerem Drucke injicirt wurden und dass bei dem Verfahren mit stärkerem Drucke die oberflächlichen Lymph- gefässe gefüllt wurden, wogegen dieses Resultat bei Anwendung von schwächerem Drucke nicht constatirt werden konnte. Dem entspre- chend waren auch die mikroskopischen Verhältnisse. Wenn nämlich die Lymphgefässe auf der Oberfläche injicirt waren, konnte man bei

Ira, a. 0, Tar. II. Fir 2: Ara a. Omen

Ein Beitrag zur Kenntniss der Structur der Sehnen. 297

mikroskopischer Untersuchung keine so vollständige Füllung der Spalt- räume constatiren. Es waren in reichlicher Ausdehnung die Lymph- gefässe in dem interstitiellen Bindegewebe gefüllt, dagegen war die Injeetionsmasse gewöhnlich nicht weiter als ein oder zwei Sterne weit in das Bündel eingedrungen. Befriedigender dagegen war das Resultat für die mikroskopische Betrachtung bei dem anderen Verfahren, wenn nämlich blos kurze Zeit und unter geringem Drucke die Injection ausgeführt worden war. Man bekam dann die in Fig. 2 abgebildeten Verhältnisse.

Man sieht daraus, dass bei der Reichlichkeit der Wege, die der Iniectionsmasse zu (Gebote stehen, dieselbe, wenn stärkerer Druck an- sewendet wird, den grösseren Wegen folgt und somit möglichst schnell die grösseren Abflusswege erreicht. Wenn dagegen die Injectionsmasse unter schwächerem Drucke eingetrieben wird, so vertheilt sich die- selbe langsamer und füllt zugleich die schwerer zugänglichen Bahnen _ an. Vielleicht kommt hier auch noch das Moment in Betracht, dass bei Injection unter stärkerem Drucke schnell die grösseren Gefässe angefüllt werden und diese dadurch die Sehne in einen solchen Grad von Spannung versetzen, dass die Substanz der Sehne comprimirt wird. Es werden daher bei diesem Verfahren die Spalträume in dem secun- dären Bündel, die ohnehin bei dem Eintritt der Injeetionsflüssigkeit erst ausgedehnt werden müssen, von derselben nicht betreten werden.

Würzburg, Juli 1875.

Erklärung der Abbildungen.

Taf. XIV.

Fig. 1. Querschnitt durch eine frische Achillessehne vom Kalbe, die in einer künstlichen Kältemischung zum Gefrieren gebracht wurde. Harrtnack. Ocular 3. Öbjectiv 8.

Fig. 2. Einstichinjeetion mit Berliner-Blau. Querschnitt durch die getrock- nete Achilles-Sehne vom Kalbe. Harrnack. Ocular 3. Objectiv 4. a) Lymphgefäss im interstitiellen Bindegewebe zwischen den secundären Bündeln. b) Gefüllte Spalträume zwischen den primären Bündeln. c) Im Innern des Bündels gelegene Injectionsmasse.

Besprechungen.

Die Entwieklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer verglei- chenden Morphologie der Wirbelthiere, von Dr. Alexander Goette. 61 Bogen Text in und Atlas von 24 Tafeln in Fol.

Referirt und besprochen von W. His. -

Eine Monographie, wie die angezeigte, von nahezu 1000 Seiten und von 24 Foliotafeln, die überdies mit einem Preise von 150 Mark behaftet ist, gehört so wenig zu den Alltäglichkeiten literarischer Production, dass ihr Erscheinen selbst in den Buchhändlerkreisen des viel verlegenden Leipzig leb- haftes Aufsehen erregt hat. Den inneren Werth einer Schrift nach ihrem Um- fang, ihrer Ausstattung oder gar nach ihrem Preise zu bemessen, wird zwar Niemandem einfallen, ein Jeder, dem das Leben der Wissenschaft am Herzen liegt, nimmt indess mit Freuden ein Werk in die Hand, das schon durch sein Aeusseres bezeugt, dass dem Verfasser mit seiner Aufgabe Ernst ge- wesen ist, und dass er sich’s eine Reihe von Lebensjahren hat kosten lassen, derselben nach Kräften gerecht zu werden..

Gorrtte’s Werk enthält denn auch eine reiche Fülle von Material und auf lange hinaus werden zukünftige Forscher mit demselben zu rechnen haben, mögen sie sich im Uebrigen noch so oppositionell dazu stellen. Solche um- fassende Arbeiten gewinnen schon durch den Umfang des durchforschten Ma- terials ein Uebergewicht über Partialarbeiten, und sind dadurch vor dem abso- luten Veralten geschützt. Neben den die Tagesforschung bewegenden, wer- den sie stets eine Reihe von ferneren Fragen anregen, die von jener unbeachtet

Besprechungen. 299

ruhen, bis auch an sie die Reihe kommt, Gegenstand allgemeineren Interesses zu werden.

Eine an derselben Speeies mit so grosser Ausdauer durchgeführte ent- wicklungsgeschichtliche Untersuchung wie die Gorerre’sche muss selbstver- ständlich dazu beitragen, der individuellen Entwicklungsgeschichte im Kreise der biologischen Disciplinen ihren selbstständigen Platz zu wahren, und die eng- herzige Bevormundung zurückzuweisen, welche ihr die dogmatische Descen- denzschule aufzuerlegen bemüht ist. Verfasser nimmt wiederholten Anlass, in der Hinsicht Farbe zu bekennen, und manche seiner Auslassungen sind prineipiell mit denen des Referenten sehr nahe übereinstimmend. Ich brauche hier nur an den Schlusssatz zu erinnern, „dieindividuelle Entwicklungs- geschichte der Organismen begründet und erklärt allein die ge- sammte Morphologie derselben.“ Gorrrse bemüht sich, gleichwie Ref., den physiologischen, oder wie er sich mit Vorliebe ausdrückt, den cau- salen Zusammenhang zwischen den sich folgenden Phasen der Entwicklung nachzuweisen, und die mit Nothwendigkeit zu gebende Ableitung der späteren Entwicklungsphasen aus den in vorangegangenen Stufen gegebenen Bedingun- gen aufzufinden.

Die Aufgaben, welche sich Goertz gestellt hat, übersteigen jedenfalls die Kräfte eines Einzelnen, und aus, dem Umstande, dass das @. selbst nicht klar geworden ist, erklären sich die hauptsächlichen Schwächen seiner Schrift. GoErrE hat nicht nur die ganze, von ihm verfolgte Entwicklungsreihe durch- beobachten, er hat sie auch durcherklären wollen, und in Verkennung der gegebenen physiologischen Grundlagen ist er dabei vielfach zu Willkürlich- keiten hingerissen worden, die nicht nur seinem Buche, sondern die überhaupt der Würdigung der ganzen Richtung Schaden thun müssen.

Die einseitige Energie von Gorrır’s Streben macht sich auch in anderer Weise bemerkbar, so vor Allem in seiner Polemik. Geduldige, in die Materie eintretende Auseinandersetzung mit anders denkenden Forschern ist seine Sache nicht, sein Urtheil über Andere ist durchweg ausnehmend schroff und ab- sprechend. Den Referenten trifft das persönliche Missgeschick, mit der Un- gnade des russischen Morphologen in besonders reichlichem Maasse bedacht zu werden, andere Forscher werden indess in nicht minder absolutistischer Weise behandelt, und es hat den Anschein, als ob es für GoETTE Grundsatz sei, bei seiner Leistung ab ovo das von Anderen Geleistete von vornherein, als nicht zu Recht bestehend, zu verwerten.

So lange eine Polemik auf genauem Studium dessen beruht, was bekämpft wird, muss man sich dieselbe, selbst in herber Form, gefallen lassen, denn die im eivilen Verkehr üblichen Rücksichten hat man nun einmal im wissen- schaftlichen nicht zu beanspruchen. Indess zeigt gerade GoerıE für correete Auffassung fremder Darstellungen wenig Sinn. Schon von einer anderen Seite

300 Besprechungen.

her!) sind ihm in der Hinsicht Oberflächliehkeit und Unterstellungen vor- geworfen worden, Ref. hat seinerseits gleiche Vorwürfe zu erheben. Der mit des Referenten Namen bekleidete Gegner z. B., dessen naturphilosophische Vorurtheile von Gorrrs so erbarmungslos vernichtet werden, ist ein Phantom, welches mit dem Referenten selbst durchaus Nichts gemein hat.

Principielle Auseinandersetzungen geschehen bei Goxrrr im Allgemeinen mit grosser Breite, ohne deshalb immer den Eindruck klaren Durchdachtseins zu hinterlassen. Ueber die zur Präparation angewendeten Methoden vermisst man, abgesehen von sehr sporadischen Bemerkungen, in dem umfangreichen Werke jegliche nähere Mittheilung. Auch die von GorrrE in M. Schuutze’s Archiv publieirten Aufsätze entbehren derselben, und es ist dies um so mehr zu bedauern, als Goerre nicht durchweg die nöthige Vorsicht zum Schutze vor Trugbildern angewandt zu haben scheint.?)

Die 383 Abbildungen sind alle mit hoher künstlerischer Vollendung ge- zeichnet, mit Geschmack angeordnet und vortrefflich lithographirt. Der Um- stand, dass man an den Durchschnitten Zelle neben Zelle mit scharfen Con- touren und ohne irgend welche Ueberlagerung liegen sieht, zeigt, dass die Zeichnungen den Charakter von halbschematischen haben. Ueber die Vor- züge dieser vor anderen Darstellungsweisen ist man bekanntlich noch nicht zur Einigung gelangt. Im Allgemeinen hält Referent darauf, dass entwick- lungsgeschichtliche Zeichnungen das grösstmöglichste Maass von Naturtreue besitzen, und dass in ihnen Nichts scharf ausgezeichnet sein sollte, was im Präparate nicht ebenso erscheint. Nur dann scheinen ihm die Zeichnungen einen Rückschluss auf die scharfe Richtigkeit der Beobachtung zu gestatten. Auch bedauert Ref., dass der grosse Atlas nicht durch Beigabe exacter Ver- srösserungsmaassstäbe zu Messungen verwendbar gemacht worden ist.

Das Werk GoerreE’s zerfällt, ungerechnet die Schlussbemerkung, in 12 Abschnitte, deren erste 5 die Entwicklung des Eierstockseies, die Dotter- theilung, die Keimblattbildung und die Sonderung der Organanlagen behandeln, die übrigen 8 die Entwicklung einzelner Organsysteme und Regionen. Jeder Abschnitt zerfällt in einen historischen, beschreibenden und vergleichenden Theil.

Im 1. Abschnitt über Eibildung verfolgt G. die Sexualdrüsen bis zu ihrem ersten Sichtbarwerden bei Larven mit eben hervortretenden Hinterbein- stummeln. Die feinen fadenförmigen Drüsenanlagen enthalten Zellhaufen, in denen Rand- und Mittelzellen sich von einander unterscheiden. Letztere, durch helleres Aussehen und bedeutendere Grösse hervortretend, sind die erste Andeutung eines Follikelinhalts. Mit gleichartiger Anlage beginnt nach @&. auch die erste Bildung der Hodenknäuel.

1) GEGENBAUR, Morpholog. Jahrbuch I. 326. ) 8. S. 281 dieser Zeitschrift.

Besprechungen. 301

‚Jedes Ei soll durch Verschmelzung mehrerer Zellen, das Keimbläschen durch Vereinigung mehrerer Kerne entstehen und GorrrE glaubt Uebergangs- bilder dieses Vorganges gesehen zu haben. Die mehrfachen Keimflecke deutet G. als die vergrösserten Kernkörperchen der verschmolzenen Kerne. Erst spät tritt der bindegewebige Antheil des Ovariums auf, indem vom Ovarial-Gekröse aus Scheidewände zwischen die Follikel hineinwachsen. Letz- tere zeigen sich, nachdem sie einmal kenntlich geworden sind, von stark ab- seplatteten Zellen ausgekleidet. Nachdem die Hülle des Ovariums sich ge- bildet hat, fehlt ein oberflächliches Epithel, von welchem aus Schlauchproli- ferationen abzuleiten wären; es fehlt auch ein Bindegewebsstroma, in welches Schläuche hineinzuwachsen vermöchten. G. stellt daher WALDEYEr’s bezüg- liche Angaben für die Amphibien ebenso in Abrede, als Ref. es für die Knochenfische gethan hat.

Das fernere Wachsthum des Dotters leitet sich ein durch das Auftreten von Häufchen gelber, stark lichtbrechender Körmer an der Eiperipherie. - Schichtenweise sich anlagernd vermehren sie die Dottermasse und machen ‚dieselbe undurchsichtig. .GorTTE fasst diese Schichten als Sekret der Fol- likelwand auf, und er vergleicht die Dotterbildung der Sekretbildung in an- derweitigen Drüsen. An Eiern von ca. !/, mm. tritt die Dotterhaut auf als accessorische, anfangs halbflüssige Substanz, und noch später erscheint das Pigment. Referent vermisst hier Angaben über die Zeiten der Beobachtung. Da nach seinen eigenen Erfahrungen über die Entwicklung des Hühnereies und des Knochenfischeies der Process der Dotteranhäufung nur in ganz be- stimmten Perioden und im Allgemeinen sehr rasch erfolgt, hält er jene Dar- stellungen, welche beliebige Eier verschiedener Grösse zu Reihen combini- ren, ohne genauere Bestimmung der jeweiligen Entwicklungsphasen für nicht entscheidend in der Frage der Dotterbildung. Was das Froschovarium betrifft, so haben ihm die, unter seinen Augen angestellten Beobachtungen des Herrn SeRSSEL gezeigt, dass zur Brunstzeit die Follikel von zahlreichen beweglichen Leukocyten umgeben sind, von welchen in anderen Zeiten Nichts wahr- genommen wird.

An Eiern von 1!/, mm. tritt eine Schrumpfung des Keimbläschens ein (die Beobachtung bezieht sich wohl auf Erhärtungspräparate), Flüssigkeit und feste Bestandtheile scheiden sich, die Flüssigkeit durchbricht den Dotter und dringt an’ dessen Oberfläche vor; körnige Masse des Dotters durchsetzt den zurückbleibenden Theil des Keimbläschens, an dem mittlerweile Membran und Keimflecke sich gelöst haben. Als Endergebniss der Metamorphose be- trachtet Goertz die Bildung eines Keims, welcher aus einer gleich- artigen und in keinem Theile organisirten Masse besteht. Das befruchtete Ei ist ihm weder im Ganzen noch zum Theil, weder nach der Entstehung noch nach der fertigen Erscheinung 'eine Zelle. Keim-

302 Besprechungen.

bläschen und Dotter hatten in seinem Auge schon vor ihrer Mengung die- selbe Zusammensetzung und die allfälligen Differenzen derselben mussten durch Endosmose ausgeglichen werden.

Ec sind dies Aussprüche, welche trotz des principiellen Werthes, den GoerTE darauf legt, doch sehr grundlos erscheinen, denn homogen darf man ein Gemenge so verschiedenartiger chemischer Bestandtheile, von denen die einen gelöst, die anderen ungelöst sind, doch sicherlich nicht nennen, und was die Bezeichnung ‚„unorganisirt‘“ betrifft, so dürfte diese doch nur unter der Restrietion angewendet werden, dass sie sich auf eine morphologisch nachweisbare Structur bezieht.

Seine Grundanschauung auf andere Wirbelthiereier übertragend nimmt G. an, dass durchweg der Follikelinhalt zu einer homogenen Masse werde, und dass demnach auch die Unterscheidung von Haupt- und Nebendotter, wie sie, im Anschluss an den Ref, WALDEYER angenommen hatte, zu verwerfen sei. In Uebereinstimmung damit glaubt er sodann jene, angeblich nach- trägliche Durchfurchung der ausser dem Keim liegenden Bestandtheile des Vogeleies bringen zu können, deren fehlerhafte Begründung Ref. in einem anderen Aufsatze dieses Heftes dargethan hat. Der Satz, dass die ursprüng- liche Dottersubstanz eine formlose, nicht lebensfähige Masse, eine blosse An- häufung von Follikelsekret sei, bildet auch die Grundlage der nachfolgen- den Betrachtungen über Dottertheilung, und es ist nicht leicht zu sagen, ob bei GorTTE dieser einschneidende Satz die Folge, oder ob er ein zuvor vorhandener Hintergrund der dargestellten Beobachtungen ist.

Die Schilderung GoErrE’s von den ersten Furchungsvorgängen enthält ein interessantes und vielfach neues Detail und es ist gerade hier zu be- dauern, dass die Methoden der Präparation und die Controlen zur Sicherung gegen Präparationsergebnisse nicht, oder doch nur höchst fragmentarisch mit- getheilt sind. Nachdem das Keimbläschen als selbstständige Bildung zer- fallen ist, und noch zur Zeit, da die Reste desselben sichtbar sind, gränzt sich im Innern des Dotters ein neues Gebilde, der Dotterkern ab, der, an- fänglich mehr centra) liegend, der oberen Eifläche allmälig nahe rückt. Auch der Dotterkern ist mdess nur ein vergängliches Gebilde; in seinem Innern entsteht ein heller, von feinkörniger Masse umgebener Fleck, den GorrTE den „ersten Lebenskeim“ nennt und mit dessen Erscheinen die Abgränzung des Dotterkernes schwindet. Während derselbe erscheint, verschiebt sich die peripherische Pigmentlage im der Richtung gegen den oberen Eipol und das- selbe geschieht mit einer aus kleinen Körnergruppen bestehenden Lage, welche unter der Pigmentschicht und von ihr durch eine hellere Dotterrinde geschieden ist.

Der „Lebenskeim“ ist ein Vorgebilde neuer Kerne, geht indess nach GorrTE nicht als solcher m jene über. Er besteht aus einer weichen, durch-

Besprechungen. 303

scheinenden Masse von etwa 30 u Dm., welche sich ohne scharfe Gränzen an einen körnigen Hof anschliesst. Bald tritt eine quere Theilung der Masse ein, wobei diese nach Art eines sich theilenden zähen Tropfens in 2 Abtheilungen zerfällt. Diese hängen, während sie auseinander rücken, in der Mitte noch durch einen biconischen Verbindungsfaden zusammen, und erst nach dessen Zerreissung runden sie sich wiederum ab. Der Lebenskeimscheidung geht die Streckung und Einfurchung ihres körnigen Hofes voraus. Im Innern der Dottermasse tritt alsdann die erste Spaltung auf: die gröberen Dotterelemente weichen auseinander, lassen eine dünne Lage hyaliner Substanz zurück und in dieser erscheint eine zarte dunkle Trennungslinie. Dass bei der Scheidung der Dotterkörner eine eigenthümliche Richtung nach gebogenen, gegen die beiden Centren convergirenden Linien stattfindet, zeigt Fig. 16 der Tafel 1, welche sich den ähnlichen von AUERBACH, STRASSBURGER U. A. gegebenen Darstellungen anschliesst. Ueber der entstandenen Trennungslinie sinkt die Oberfläche ein, und es ist somit die äussere Furchenbildung nicht der pri- märe sondern der secundäre Vorgang. Im Innern des „Lebenskeims“ treten einzelne kleinere Kugeln auf, die „Kernkeime“, von etwa 3 uw Dm. Sie vermehren sich, brauchen die Lebenskeimmasse auf, verschmelzen dann mit- einander und bilden nunmehr die definitiven lebensfähisen Kerne, welche in der Folge durch Sprossung (resp. Theilung) sich vervielfältigen. Spätere Untersuchungen werden zu entscheiden haben, ob nicht einzelne der beschrie- benen Verhältnisse auf Reagenzwirkung sich zurückführen lassen, im Gan- zen und Grossen darf man wohl den Vorgang einer Kernneubildung als ge- sichert ansehen, und es schliessen sich Gorrre’s Erfahrungen denen von FLEMMING, AUERBACH, STRASSBURGER u. A. in befriedigender Weise an. Wenn ferner für den Vorgang der Dottertheilung Anziehungskräfte bean- sprucht werden, welche von den Kernen oder ihren Vorläufern ausgehen, so seht eine solche Annahme aus den Erscheinungen selbst und besonders aus der eisenthümlichen Körnerrichtung in ungezwungener Weise hervor, und die aus dieser Annahme abgeleitete Erklärung einer Anzahl von Einzelvorgängen (S. 80) erscheint bis auf Weiteres befriedigend.

Die weitergehenden Vermuthungen Gorrre’s über das Wesen des Dotter- umwandlungsprocesses muss Referent als verfehlt ansehen. @. nennt das ur- sprüngliche Eiprotoplasma gemäss seiner oben erörterten Grundvorstellung unreif und lebensunfähig (S. 103), er spricht ihm, sowie den aus ihm zu- nächst entstehenden Dotterstücken einen Stoffwechsel ab (S. 78). Im dieser ursprünglich unthätigen Masse sollen nun die verschiedenen Ausscheidungen und Spaltungen als Folge endosmotischer Processe sich ergeben. Radiär gerichtete Diffusionsströme des in das Ei eindringenden Wassers, Lösung der Dotterkörner durch das letztere u. a. m. werden herbeigezogen, um eine Theorie der Lebenskeimbildung, der Kermbildung u. s. w. zu schaffen.

304 Besprechungen.

Die Schwächen dieses theoretischen Versuches liegen zu sehr auf der Hand, als dass ein Eintreten in Einzelheiten erforderlich wäre. Bei der im Wesent- lichen sicherlich vorhandenen Uebereinstimmung in den ersten Vorgängen der Dotterumbildung kann keinesfalls ein so specielles Moment wie das ein- dringende Wasser eine Hauptrolle spielen. Machen doch nicht einmal alle Amphibieneier ihre Entwicklung in diesem Medium durch, und müsste bei Richtigkeit der Gorrre’schen Theorie die Entwicklung des Landsalamanders principieil von derjenigen der Unke oder des Triton unterschieden werden. Dotterkörner und Dotterplättchen sind in Wasser überhaupt unlöslich. Ueber das Eindringen von Wasser in das Eiprotoplasma wissen wir auch bei Ba- trachiern thatsächlich zu wenig, um irgendwie tiefer greifende Schlüsse dar- auf begründen zu können und, da die Eier von Alytes ihre erste Entwicke- lung ausserhalb des Wassers” dnrchmachen, erscheint ein Wassereintritt in das Batrachierei, wenn nicht unwahrscheinlich, so doch zum Mindesten unwesentlich. GoErrE überschätzt hier wie auch in manchen seiner späteren theoretischen Versuche das, was er, oder richtiger vielleicht was die heutige Wissenschaft zu leisten vermag. Das Wesen der im sich entwickelnden Eiprotoplasma ablaufenden Processe zu entwirren, reichen unsere morphologischen Hilfsmittel und reichen auch ein paar elementare Vorstellun- sen über Diffusion krystalloider Substanzen lange nicht aus.

Weit entfernt eine homogene Masse zu sein, ist der Eileib, denn so dürfen wir ihn im Gegensatz zu Goertz allerdings nennen, ein complicirtes chemisches Bauwerk, in welchem ausser den eiweissartigen Substanzen noclı eine Reihe von integrirenden Bestandtheilen hohen Moleculargewichtes vor- handen sind: Lecithinstoffe, Nucleinstoffe, Cerebrin, Fett u. s. w. und man darf sich billig fragen, ob in diesem Bauwerk eine Moleculargruppirung mit stabi- lem Gleiehgewicht überhaupt denkbar sei. Möglich, dass mit der Zeit die Histochemie uns den Schlüssel zum Verständniss der Dotterumbildung gewäh- ren wird, vorerst stehen wir noch vor der Thür des Laboratoriums, und be- kommen durch die der morphologischen Forschung geöffneten Ritzen nur einen schwachen Einblick von dem, was im Innern vorgeht.

Die Bildung der Keimblätter. Das bekannte Verhältniss, wonach bei Ablauf der Furchung die Furchungshöhle oder Keimhöhle von einer dünnen Decke kleinerer, ihr Boden von einem dieken Kiumpen grösserer Zellen gebildet wird, wird auch von GorrrE mit guten Durschschnittsbildern belegt. Die Zellen der einen und der anderen Art unterscheidet er als Embryonal- und als Dotterzellen. Jene sind pigmentirt und in zwei- bis dreifachen Lagen angeordnet. Die Gesammtheit derselben fasst er in dieser früheren Zeit zusammen als primäre Keimschicht. Der Rand der primären Keimschicht greift über die Masse der Dotterzellen etwas über und er besteht aus Zellen, welche durch ihre Grösse und geringere Pigmentirung den

Besprechungen. 151075)

Uebergang zu Dotterzellen bilden. Durch „Anpassung der Uebergangsformen“ dehnt sich die Keimschicht nach abwärts aus, gränzt sich scharf ab, und zeigt nunmehr eine verdünnte Mitte und einen verdiekten Randwulst. Eine Furche tritt unter der Gränze des letzteren auf, welche sich bald vertieft, und sie scheidet die Innenfläche des Wulstes von der Dottermässe. Eine Eiseite eilt dabei der anderen voraus. Durch Vorrücken des Randwulstes schliesst sich die Keimschieht mehr und mehr zur Kugel, und die die Dotter- masse umgebende Oeffnung, die Rusconrt’sche Oeffnung, verengt sich, schnürt den Dotterpropfen ab, und drängt ihn schliesslich ins Innere.

GOETTE versucht nun die Ursachen dieser Hergänge aufzufinden. Er erklärt die Bildung und allmälise Abwärtsschiebung des Randwulstes bedingt durch eine „centrifugale Wanderung der Embryonalzellen“ Nach diesem Ausdruck möchte man glauben, dass GorrrE an active Loco- motionen der Zellen denkt, allein wenn ihn Ref. anders recht versteht, so sind damit die Verschiebungen gemeint, welche als Folgen der Zellönvermeh- rung eintreten. G. geht (S. 139 u. f.) davon aus, dass mit der Theilung einer kugligen Zelle in zwei gleichfalls kuglige Zellen, der von letzteren ein- genommene Flächenraum wächst, vorausgesetzt, dass die Kugeln neben einan- der liegen bleiben.!) Dass dies Princip zur Erklärung der Flächenausdehnung der Keimschichten und zugleich zu derjenigen ihrer centralen Verdünnung verwerthbar ist, scheint Ref. kaum zu bezweifeln. Es kann ferner die Um- lesung der Ränder der Keimschicht aus der durch den Zusammenhang mit der Dottermasse gesetzten Ausdehnungshemmung abgeleitet werden. Man er- wartet nun, dass die untere oder secundäre Keimschicht aus dem eingeschla- genen Randtheile der sich ausdehnenden primären Schicht hervorgeht, und die von GorrrE auf Taf. II. mitgetheilten Figuren lassen sich wohl damit in Uebereinstimmung bringen. GorrTE verwahrt sich indess unter Berufung auf das Aussenbleiben des Pigments gegen diese Auffassung (S. 127) und er statuirt dafür eine „Rückwärtsbewegung der an der Innenseite des Rand- wulstes im Ueberfluss angehäuften Zellen“. Die Verschiebung beider Schichten von einander ist die Ursache ihrer Scheidung (man vergl. des Ref. für letz- ten Punkt conforme Bemerkungen über den Fischkeim S. 15 dieser Zeit- schrift).

Die Darstellung GoErre’s ist schwer verständlich besonders dadurch, dass er gewisse Worte, wie z. B. das Wort „Wanderung“, in anderem als dem üblichen Sinne gebraucht. Ref. glaubt im Obigen GoETTE richtig wie- dergegeben zu haben, indess hat er sich durch mannigfache Widersprüche des Wortlautes hindurcharbeiten müssen, und auch so stösst er noch auf

1) Die Summe der Durchmesser zweier gleich grosser Kugeln ist in runder Zahl 1,6 mal so gross als der Durchmesser einer einzigen Kugel von deren ver-

einigstem Volum. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 20

306 Besprechungen.

Stellen, welche mit der obigen Wiedergabe kaum zu vereinen sind. 8. 154 z. B. spricht Gorrrs von der „Ueberwanderung der Elemente aus der pri- mären in die secundäre Keimschicht“, während Ref. nur von einer Scheidung beider Schichten zu hören erwartete; noch schwerer zu verstehen ist es, wenn p. 155 von einer Zellenanhäufung im Rückentheile die Rede ist, welche „ganz offenbar von der Bauchseite herkommt“. Weit klarer und überzeugen- der wäre GorrrE’s Darstellung ausgefallen, wenn dieser Forscher sich ent- schlossen hätte, durch eine passende Reihe von Messungen und Zählungen seine Ansichten zu erhärten.

Zwischen dem Dotterklumpen und der secundären Keimschicht bildet sich mit zunehmender Ausbildung der letzteren eine Uebergangsfalte aus, welche sich in der Folge nach oben vorschiebt und mehr und mehr die Keimhöhle verschliesst. Nunmehr sind (Taf. II. 35) im der hinteren Hälfte der Kugel drei sich überlagernde flache Schichten vorhanden, welche den Schenkelh eines zusammengepressten & vergleichbar, je unter einander ver- bunden sind. Es sind dies:

1) die primäre Keimschicht, 2) die secundäre - Keimschicht, 3) das Uebergangsstück.

1 liegt unmittelbar auf 2 und biegt in letztere am Rand der husconr’schen Oeffnung um. Zwischen 2 und 3 liegt die spaltförmige Anlage des Primitiv- darmes, vor deren erweitertem Ende der Uebergang beider Schichten in einander stattfindet.

Von der primären Schicht, der Anlage des oberen Keimblattes, scheidet sich frühzeitig die pigmentreiche oberflächlichste Lage als Deckschicht, den zurückbleibenden Theil nennt Goertz Grundschicht; von der secun- dären Schicht hebt sich die tiefste Zellenlage als Darmblatt (Darmdrüsen- blatt, Remax) ab, der Rest der letzteren wird zum mittleren Keimblatt. Der Deckschicht (Reıckerr’s Umhüllungshaut, Srricker’s Hornblatt) vindieirt (@. nicht die Stellung eines besonderen Keimblattes, indem er mit Recht darauf aufınerksam macht, dass ihr nicht einmal die Bildung der Epidermisdecke als selbstständige Leistung zukommt. Auch macht er die interessante Mitthei- lung, dass die Sonderung jener Schicht beim Landsalamander fehlt. Danach scheint die Schicht ein Attribut jener Keime zu sein, welche sich im Wasser entwickeln und sie ist vielleicht einfach als Folge der Wassereinwirkung auf die oberflächlichst liegenden Zellen zu verstehen.

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum.

Von Professor G. Schwalbe.

(Hierzu Tafel XV u. XVI.)

Bei der Erörterung der Frage nach dem Modus des Knochenwachs- thums, an deren Beantwortung bereits so viele Forscher mit grossem Scharfsinn gearbeitet haben, ist bisher vor Allem ein Moment so gut wie ganz ausser Rechnung gelassen, nämlich der innise Zusammenhang zwischen Längen- und Dickenwachsthum, die Abhängigkeit, in welcher letzteres sich ersterem gegenüber befindet, eine Abhängiskeit, die, wie ich unten zeigen werde, die deutlichsten Spuren in dem Aufbau der compacten Substanz hinterlässt, die Anordnung der Havrrs’schen Kanälchen und die Richtung der Ernährungskanäle innerhalb der Diaphysenrinde beherrscht. Gerade die letzten Kanäle waren es, welche mir diese Erkenntniss verschafiten; die Untersuchung der Ur- sachen ihrer Neigung und Richtung, welche mein Interesse seit län- serer Zeit in Anspruch genommen hatten, war nicht möglich, ohne der Frage nach der Art und Weise des Knochenwachsthums im All- gemeinen näher zu treten, sie versprach auch für die Lösung dieser schwierigen Aufgabe neue Gesichtspunkte So unternahm ich denn zunächst die Erforschung der Ursachen, welche Richtung und Neigung der canales nutritii zu Grunde liegen. Ich glaube diese Aufgabe, an der sich bereits HuMmPHrY versucht hat, in der befriedigendsten Weise gelöst zu haben und werde in der ersten Hälfte dieser Abhandlung

in Kürze meine Theorie der Ernährungskanäle entwickeln und in Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 21

308 G. SCHWALBE.

ihren Consequenzen erläutern. Man wird dabei bald zur Erkenntniss kommen, dass eine alle Erscheinungen vereinigende Erklärung nur von Seiten der Appositions- und Resorptionstheorie möglich ist, dass ein interstitielles Wachsthum, welches den Gesammtaufbau des Knochens beherrsche, wie dies WOLFF!) statuirt, oder ein solches, welches neben Apposition vom Periost und den Diaphysenenden wichtige morpho- logische Veränderungen am Knochen hervorrufe, wie dies mit der Bildung der Markhöhle der Röhrenknochen nach STRELZOFF?) der Fall ist, nicht stattfinden kann, weil es eine wesentlich andere An- ordnung der compacten Substanz, einen anderen Verlauf der in der- selben eingeschlossenen Kanäle und Kanälchen bedingen würde, als es thatsächlich der Fall ist. Gegen diese beiden Anschauungen von WOLFF und STRELZOFF werden sich deshalb vorzugsweise meine in der zweiten Hälfte dieser Abhandlung niedergelesten Bemerkungen über das Knochenwachsthum wenden. Die Frage, ob locale inter- stitielle Processe, sei es am Verknöcherungsrande, sei es an anderen Localitäten des wachsenden Knochens neben dem formgestaltenden appositionellen Wachsthum vorkommen, habe ich einstweilen nicht in den Kreis meiner Untersuchungen gezogen und kann mich daher we- der dafür noch dagegen aussprechen, betone aber nochmals, dass, wenn sie vorkommen, sie nichts mit den Erscheinungen zu thun haben, welche WOLFF und STRELZOFF aus einem interstitiellen Wachsthum erklären. Alle diese Erscheinungen lassen sich vielmehr einfach auf die Beeinflussung des Dickenwachsthums durch das Längenwachsthum zurückführen. Die Geschichte der Ernährungskanäle zeigt uns klar den Weg zur Erkenntniss dieser Thatsache. Mit ihrer Darstellung beginne ich daher meine Mittheilung, die man als den Vorläufer einer grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum betrachten möge, mit der ich zur Zeit, beschäftigt bin.

Schon vor längerer Zeit machte BERARD?) darauf aufmerksam, dass in den langen Röhrenknochen der Extremitäten immer dasjenige Epiphysen-Ende, gegen welches der Ernährungskanal gerichtet ist, sich zuerst mit der Diaphyse vereinigt und schloss auf einen causalen Zu-

l) Siehe dessen Arbeiten in VırcHow’s Archiv Bd. 50 S. 389, Bd. 61 S. 417 und in der Berliner klinischen Wochenschrift 1875 No. 6.

2) Ueber die Histogenese der Knochen. Untersuehungen aus d. pathol. In- stitut zu Zürich, herausgegeben von EBERTH, 1873 S. 1—94 und: Genetische und topographische Studien des Knochenwachsthums. Ebenda, 2. Heft, 1874. S.59— 184.

3) Archives generales de medeeine. Vol. VII.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 309

sammenhang beider Befunde HumpHry!) bestätigte diesen Satz, for- mulirte ihn schärfer und baute auf ihm eine Theorie der Ernährungs- kanäle auf, welche, von KOELLIKER?) acceptirt, von ÖLLIER?) ver- worfen, bis jetzt als der einzige Versuch zu betrachten ist, die Rich- tung der Ernährungskanäle einer exacten Erforschung ihrer Ursachen zugänglich zu machen. HumpHry’s Theorie ist mittelst des Schema Fig. 1 (Taf. XV) sofort zu verstehen. Die Pfeile deuten die Richtung der Ernährungskanäle an; diejenigen Kanäle, deren äussere Oefinung dem proximalen Knochenende näher liegt, werde ich hinfort als ab- steigend, diejenigen, bei denen die äussere Oefinung die distale ist, als aufsteigend bezeichnen. Wenn nun, wie dies nach der Appo- sitionstheorie der Fall ist, die langen Knochen sowohl an den Epiphy- sengrenzen der Diaphyse, wie an der dem Periost zugewandten Ober- fläche, immer neues Material ansetzen und auf diese Weise in die Länge und Dicke wachsen, wenn ferner das Längenwachsthum an beiden Enden der Diaphyse eine verschiedene Intensität besitzt, das Periost aber (wie dies OLLIER*) nachgewiesen hat) interstitiell sich vergrössert, so muss nothwendiger Weise von Seiten des schneller wachsenden Diaphysenendes (in unserer Figur durch einen rothen Kreis besonders hervorgehoben) auf das Periost ein Zug ausgeübt werden, der natürlich die dasselbe durchsetzende Ernährungsarterie mit betrifft und sie fest an jenes Diaphysenende heranzieht; auf diese Weise muss, da die Umgebung der Arterie nach und nach ossificirt, der dieselbe bergende Kanal ebenfalls eine schiefe Richtung erhalten und seine äussere Mündung muss dann immer näher dem schneller wachsenden Ende der Diaphyse liegen. Da nun nach ÖOLLIER'S und HumpHrry’s Experimenten Humerus, Tibia und Fibula am oberen Ende, Radius und Ulna, sowie das Femur am unteren Ende rascher wachsen, so wird’in jenen der Kanal eine absteigende, in den letzten 3 Knochen dagegen eine aufsteigende Richtung besitzen, wie dies in der That bei erwachsenen Knochen sich gewöhnlich findet.

So einfach und bestechend auch dieser Erklärungsversuch erscheint, er trägt dennoch nicht allen Thatsachen Rechnung und ist durch

!) Observations on the growth of the long bones and ofstumps. Medico- ‘chirurgical transactions. Vol. 44. 1861. p. 117 ff.

2) Die normale: Resorption des Knochengewebes und ihre Bedeutung für die Entstehung der typischen Knochenformen. Leipzig 1873. 8. 70.

3) Traite experimental et clinique de la regeneration des os. T. 1. p. 370, 3711.

%) Recherches experimentales sur le mode d’accroissement des os. Archives de physiol. V. 1873. p. 33—35.

2

310 G. SCHWALBE.

einen besseren zu ersetzen. Schon OLLIER!) theilte mit, dass im Fe- mur des Kaninchens die Richtung des Ernährungskanales eine ab- steigende sei, obwohl man das Umgekehrte nach der Humpary’schen Theorie erwarten sollte, da gerade für dies Thier ein rascheres Wachs- thum des Femur an seinem distalen Ende zweifellos experimentell nachgewiesen ist. Im Femur des Ochsen, des Pferdes ist ferner die Richtung des Ernährungskanals bald aufsteigend, bald absteigend. Ich selbst kann diese Beispiele noch vermehren, begnüge mich aber an diesem Orte damit, darauf hinzuweisen, dass auch beim Menschen mehrfach Abweichungen von der typischen Richtung der Ernährungs- kanäle beobachtet werden; so fand ich in der Fibula den Kanal ziem- lich häufig aufsteigend, in der Tibia neben dem absteigenden zuweilen noch einen unteren aufsteigenden Kanal.

Man sieht aus Allem, die Humpnry’sche Theorie genügt nicht zu einer allseitig befriedigenden Erklärung. Der Grund dieses Uebel- standes ist nun einfach darin zu suchen, dass für die Richtung des Ernährungskanals nicht nur das schneller wachsende Diaphysenende von Bedeutung ist; auch das langsamer wachsende wird unter Um- ständen, wie ich gleich zeigen werde, die äussere Oefinung des Kana- les zu sich heranziehen, falls diese nur nahe genug liegt. Ausser den beiden von HumPpHary für die Erklärung jener Richtung herangezogenen Thatsachen: 1) dem ungleichen Längenwachsthum beider Diaphysen- enden und 2) dem interstitiellen Wachsthum des Periosts kommt also noch in Betracht: 3) die ursprüngliche Lage der äusseren Oefinung des Ernährungskanals und, wie ich gleich hinzufügen will, für die Erklärung der verschiedenen Neigung, auch noch 4) das Verhältniss des Dickenwachsthums zum Längenwachsthum.

Ich werde unten ‘diese 4 Factoren, die Voraussetzungen meiner Theorie noch kurz behandeln und ihre Existenz vollkommen sicher , stellen, soweit dies nicht schon durch die schönen experimentellen Untersuchungen von ÖLLIER geschehen ist. Hier will ich gleich auf den Kern der Sache eingehen und gestützt auf jene thatsächlichen Verhältnisse, theoretisch beweisen, wie sich bei jeder der beiden sich befehdenden Knochenwachsthumstheorien das Schicksal der Ernährungs- kanäle gestalten muss. Ich beginne die Auseinandersetzung an einem Entwicklungsstadium, welches etwa dem Ende des dritten embryonalen Monats entsprechen mag. In diesem ist die Knochenrinde der Dia- physe der Röhrenknochen ein dünner Cylindermantel, an einer Stelle von einer makroskopisch sichtbaren Oefinung durchbohrt, die nahezu

I) Traite experimental T. I. p. 366.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 311

senkrecht zur Längsaxe die Knochenrinde durchsetzt, und zwar so, dass sie eher aufsteigend, wie absteigend ist (s. unten). Es ist dem- nach in diesem Stadium die äussere Oeffnung des Ernährungskanals nahezu in derselben Höhe, wie die innere gelegen.

Es findet nun, wie durch OLLIER und andere bewiesen ist, an den Röhrenknochen der Extremitäten ein Längenwachsthum der Art statt, dass beide Diaphysenenden sich in ungleichem Maasse verlängern. Diese Verlängerung kann wenn wir uns einstweilen auf einen un- befangenen neutralen Standpunkt stellen interstitiell oder apposi- tionell geschehen; im ersteren Falle allerdings nur ungleichmässig in der Art, dass das eine Ende rascher interstitiell zunimmt, wie das andere. In beiden Fällen muss, wie dies aus folgenden Thatsachen hervorgeht, ein Zug auf das die Diaphyse bekleidende Periost ausgeübt werden. Man kann sich leicht von der Thatsache überzeugen, dass das Periost an den Epiphysenenden des wachsenden Knochens seine stärkste Befestigung besitzt, auf der Diaphyse zwar organisch mit der Knochensubstanz verbunden, aber doch im geringen Grade verschieb- bar ist. Es besitzt überdies hier einen beträchtlichen Grad elastischer Spannung; dern wenn man einen tangentialen Längsschnitt der ent- kalkten Diaphyse mit seinem Periostüberzuge sich selbst überlässt, so schnurrt letzterer zusammen und rollt die Knochenlamelle nach aussen um. Es lässt sich auch das embryonale Periost ziemlich leicht vom grössten Theile der Diaphyse abziehen; nur an den Knochenkanten, z. B. an einigen Stellen der Linea aspera femoris haftet es fester und ist hier von dem jungen Knochen kaum ohne Verletzung des letzteren zu trennen. An älteren Knochen ist die Ablösbarkeit des Periosts eine grössere. Es finden sich hier vollständig freie Spalten zwi- schen Periost und Knochenoberfläche. Mit dem Epiphysenknorpel dagegen verschmilzt die Knochenhaut continuirlich und ist hier ohne Zerreissung des Knorpels nicht abzulösen. Ihre Intercellular- substanz und ihre Zellen gehen unter allmäliger Umwandlung in die Grundsubstanz und Zellen der Knorpels über. Es entspricht diese Stelle der neuerdings von RANVIER!) als encoche d’ossification be- schriebenen mehr oder weniger starken periostalen Einschnürung des Epiphysenknorpels. Da ich in einer ausführlichen Arbeit auf diese Verhältnisse genauer zurückkomme, so sei hier nur bemerkt, dass die Zone der Knorpelzellensäulen sich zwischen dieser Einschnürung und dem Ossificationsrande der Diaphyse befindet, dass die Bilder,

I) Quelques faits relatifs au developpement du tissu osseux. Comptes ren- gas D. 77. p. 11054.

312 G. SCHWALBE.

welche die Verbindungsstelle zwischen Periost und Knorpel darbieten, kaum eine andere Deutung gestatten, als die, welche BrucH !) ihnen schon vor Jahren gab, nämlich dass von hier aus der embryonale Knorpel appositionell wächst, indem an ihn sich immer neues Zellen- material anlegt, das durch interstitielle Vermehrung der Grundsubstanz allmälig zerstreut wird. Die durch Combination beider Vorgänge be- wirkte Volumzunahme des Epiphysenknorpels betrifft, wie meine Mes- sungen ergeben haben, mehr eine Ausdehnung des Knorpels in seinen Querdurchmessern, als in der Richtung der Längsaxe des Knochens. Zwar wird der Verlust, welchen der Epiphysenknorpel durch Verbrauch bei der endochondralen Ossification erleidet, übercompensirt durch eine absolute Zunahme seiner Höhe; diese ist aber doch nicht so bedeutend, dass das Verhältniss zwischen Länge der Epiphyse und Diaphyse beim weiteren Wachsthum dasselbe bliebe; es findet vielmehr, wie bereits LANGER?) gezeigt hat und ich bestätigen kann, trotz fortdauernden Wachsthums der Epiphysen, eine relative Abnahme ihrer Höhe in Vergleich mit der Länge der Diaphyse statt, die um so bemerkbarer wird, je älter der untersuchte Knochen ist.

Wir ersehen also aus diesem Exceurse, dass das elastische, an seinen Enden fixirte, auf der Diaphyse dagegen verschiebbare Periost durch die gegen die Epiphysenknorpel andringenden wachsenden Dia- physenenden gedehnt werden muss. Wie wirkt diese Dehnung auf die einzelnen Theilchen des Periosts? Denken wir uns dasselbe zunächst als ein frei, ohne Reibung bewegliches elastisches Band, an dessen beiden Enden ein Zug in entgegengesetzter Richtung ausgeübt wird, so wer- den die einzelnen Theilchen nach vollendeter Spannung, sofern diese die Rlastieitätsgrenze nicht überschritt, einen vergrösserten, aber gleichen Abstand von einander zeigen. Dies im Auge behalten, ergibt sich von selbst durch eine einfache Construction, wie sich die Lage der einzelnen Theilchen des Periosts eines Entwicklungsstadiums auf der _ Oberfläche eines weiter entwickelten Knochens gestalten wird, voraus- gesetzt wieder, dass keine Hemmung durch Reibung stattfindet. Neh- men wir zunächst den einfachen Fall, wie er in Fig. 2 (Taf. XV) dar- gestellt ist, in welcher das Periost ab des jüngeren Knochens bis zur Erreichung des älteren Stadiums cd an jedem Ende um ein gleiches Stück ec, resp. fd = 40 mm. verlängert ist, ein Fall, der bei glei-

1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystems. Denkschriften der allgem. schweiz. naturf. Gesellsch. XII. Bd. 1852. S. 36.

2) Wachsthum des menschlichen Skelets mit Bezug auf den Riesen. Denk- schriften der Wiener Akademie. Bd. 21. 1871. 8. 58—72.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 313

chem Wachsthum beider Diaphysen-Enden eintreten muss. Man theile ab (= 40 mm.) in 8 Theile, deren jeder 5 mm. misst, ebenso cd (= 120 mm.) in 8 Theile, deren jeder 15 mm. lang ist. ae, resp. bf bedeuten die Dicke des Knochens. Die Punkte O bis 8 in ab sind dann in cd mehr oder weniger beträchtlich verschoben; sie liegen in 0’ bis VIII. Man sieht, nur der mittelste Punkt 4 hat keine Verschiebung erlitten; ich will ein für alle Mal diesen Punkt des Periosts, welcher beim Wachsthum keine Verschiebung erleidet, als den neutralen oder indifferenten Punkt bezeichnen. In unserem Falle verschieben sich die einzelnen Theilchen, immer in gleichem Abstande von einander, von diesem neutralen Punkte aus nach beiden Knochenenden, also in entgegengesetzter Richtung, und zwar um so be- deutender, je näher sie dem dehnenden Diaphysenende liegen. 3 ver- schiebt sich um 10 mm., 2 um 20, 1 um 30 und 0 um 40 mm. Die Verschiebungen nehmen also in arithmetischer Progression nach bei- den Enden hin zu. Das Gesammtbild der Verschiebungen lässt sich dann durch folgende Reihe veranschaulichen:

40 30 20 10 = 0 = 10 20 = —_- 40

1 OP VmNm m oO I I | | ++4+

(00)

Die Wege, welche die einzelnen Punkte vom Stadium ad bis zum Stadium cd durchlaufen, erhält man natürlich, wenn man je die gleichnamigen Punkte in ab und cd durch gerade Linien verbindet.

Von dem bisher angenommenen einfachen Falle mit gleichem Wachsthum beider Diaphysenenden unterscheidet sich nun der andere Fall, in welchem eines der beiden Enden in stärkerem Masse an Länge zunimmt, wie das andere, nur durch die andere Art der Verschiebun- gen. In Fig. 3 seien wieder a5 = 40 mm., cd = 120 mm., aber ab wachse in a um ec = 60 und in 5 nur um fd = 20 mm. Man theile wieder beide Linien «ad und cd in je 8 unter einander gleiche Theile, deren Werth für ad 5, für cd 15 mm. betragen muss. Man sieht sofort, dass der neutrale Punkt nun eine andere Lage besitzt; er liegt jetzt in2 = !/, ad, weil der Zuwachs der Diaphysenlänge ind = 20 mm. auch nur !/, von der Gesammtverlängerung um

314 &. SCHWALBE:

80 mm. ausmacht, in a dagegen °?/, = 60. Da nun von diesem neu- tralen Punkte aus die Verschiebungen der Periosttheilchen sich nach beiden entgegengesetzten Richtungen vertheilen, so kann man das eben erhaltene Resultat auch durch folgenden Satz ausdrücken: „Beide Diaphysenenden bedingen in Folge ihrer Längenzunahme eine Verschie- bung der um gleiche Distanzen unter einander sich entfernenden Pe- riosttheilchen auf der Oberfläche des Knochens im entgegengesetzten Sinne. Diese Verschiebungen sind auf beiden Seiten gleich, wenn die Zunahme der Diaphysenlänge an beiden Enden gleich ist; ist dagegen das eine Ende dem anderen im Wachsthum voraus, so beherrscht es eine um so grössere Strecke des Periosts, je mehr sein Wachsthums- zuwachs den des entgegengesetzten Endes übertrifft und zwar verhal- ten sich die von den Diaphysenenden beherrschten Perioststrecken ge- nau so, wie ihre Wachsthumszuwüchse. Ist das Verhältniss der letz- teren zu einander, wie in unserem Falle = 1: 3, so ist auch das Verhältniss der entsprechenden Strecken auf der Oberfläche des Kno- chens cd = 1:3 (!/, : ?/,)- Es ergiebt sich daraus ohne Weiteres, wie man bei gegebenem Längenwachsthume der Diaphysen den von mir sogenannten neutralen Punkt finden kann. In unserer Eigur ist er durch die Zahl 2 bezeichnet; er allein erleidet keine Verschiebung, dagegen die anderen Punkte eine nach beiden Enden rasch’ zunehmende. Es ergeben sich für unseren Fall folgende Zahlen:

0 + 20

ie —ee 0)

0

_ 10

20

—ı 80

40

= 5

8 =

Man sieht, die Verschiebungen erfolgen wieder in sehr einfach übersichtlicher Weise nach dem Modus einer arithmetischen Pro- gTession.

Ich habe bisher die Verschiebungen des Periosts der Anschaulich- keit wegen aus einer Dehnung der elastischen gespannten Membran abgeleitet, die selbstverständlich in dem Masse interstitiell zunehmen muss, als sie durch den Wachsthumszug gedehnt wird. Ganz dieselben Ergebnisse, wie die bisher entwickelten, erhält man natürlich auch, wenn man von vornherein ein gleichmässiges interstitielles Wachs- thum als Ursache der Entfernung der einzelnen Periosttheilchen in

aumwmm I |

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 315

die Betrachtung einführt. Das gleichmässig interstitiell wachsende Periost wird, ohne dass an den Enden ein besonderer Zug eingeführt zu sein braucht, in beiden von mir besonders erläuterten Fällen, in allen Punkten dieselbe Lage einnehmen.!) Uns genügt zunächst das gemeinschaftliche Endresultat.

Sehen wir nun zu, wie sich in der Zeit, wo sich das Periost in der geschilderten Weise vergrösserte und in seinen Theilchen verschob, der Knochen nach beiden Wachsthumstheorien verhält.

Es ist klar, dass, mag die Diaphyse gleichmässig oder nach ihren Enden beschleunigt interstitiell wachsen, der dieselbe durchsetzende Er- nährungskanal in seiner Richtung und Neigung nicht verändert werden wird; denn beide Flächen des compacten Hohlcylinders, sowohl die der Markhöhle zugekehrte, als auch die äussere werden vom interstitiellen Wachsthum gleichmässig betroffen werden: aus dem dünnen Cylinder- mantel des jüngeren Stadiums wird ein dickerer Cylindermantel, in welchem die Punkte der inneren und äusseren Fläche, welche im jüngeren Knochen in derselben Höhe liegen, einander auch im erwach- senen correspondiren. Es wird also das im embryonalen Zustande nahezu senkrecht die Knochenrinde durchbohrende Ernährungsloch in genau derselben Weise ohne Veränderung seiner Neigung oder Rich- tung als Ernährungskanal die entwickelte Diaphyse durchsetzen müssen und nur gegen seine frühere Lage durch Einschieben neuer Theilchen verschoben werden können, falls diese Einlagerung auf der einen Seite des Kanals rascher geschieht, als auf der anderen. Damit stehen nun aber die Thatsachen durchaus nicht im Einklang. Denn in Wirklich- keit verändern die Ernährungskanäle während des Wachsthums ihre Neigung gegen die Längsachse des Knochens, sie bilden mit zunehmendem Wachsthum im Allgemeinen immer spitzere Winkel mit der Diaphysenlängsaxe, ja, wie ich unten noch besonders hervorheben werde, sie biegen an einigen Stellen später in eine ganz entgegen- gesetzte Richtung um. Ich glaube, dass diese Thatsachen wohl selbst den eifrigsten Anhänger des interstitiellen Knochenwachsthums in Ver- lesenheit bringen werden, um so mehr, als alle Verhältnisse, welche die Ernährungskanäle nicht nur, sondern sämmtliche die Compacta durchsetzenden Havers’schen Kanälchen betreffen, aus der Appositions- theorie in der einfachsten Weise ihre befriedigendste Erklärung finden.

1) Der Einfachheit wegen ist bei diesen Betrachtungen noch von den Ver- zögerungen, welche die Periosttheilchen bei ihrer Verschiebung durch Reibungs- widerstände erfahren, abgesehen; das Näliere hierüber folgt weiter unten.

316 G. SCHWALBE.

Nach der Appositionstheorie gestalten sich die Verhältnisse in folgender Weise. Da eine Expansion der periostalen Knochenkruste fehlt, so kann eine Verlängerung derselben nur dadurch erfolgen, dass die Enden des Periosts beim fortschreitenden Wachsthum fortwährend über die beiden Enden der ursprünglichen periostalen Rinde hinaus- geschoben werden und während dieser continuirlichen Verschiebung continuirlich Knochensubstanz bilden. Es wird dadurch nicht allein die Längenausdehnung des periostalen Knochens fortwährend ver- grössert, derselbe nimmt selbstverständlich der Dicke nach zu, da das Periost in seiner ganzen Ausdehnung dasselbe leistet. So beherrscht das Längenwachsthrum an den Epiphysengrenzen des endochondralen Knochens der Diaphyse das Dickenwachsthum des Periosts, es be- herrscht, wie wir gleich sehen werden, die Gestalt der periostalen Rinde, die Anordnung ihrer Knochenbälkchen. Sehen wir uns dann nach dem Endresultate der periostalen Verknöcherung um, so bemer- ken wir eine Compacta, die nach beiden Enden der Diaphyse sich zuschärft; diese Zuschärfung ist allmählicher auf der Seite des schneller wachsenden Endes, wie auf der Seite des langsamer wachsenden (Taf. XV. Fig. 3), sie ist gleich auf beiden Seiten bei gleichem Wachs- thum der Diaphysenenden (Taf. XV. Fig. 2). Ich brauche nicht daran zu erinnern, dass diese Zuschärfung der periostalen Rinde überall beobachtet wird; sie versteht sich aus der Appositionstheorie von selbst, während die Theorie des interstitiellen Wachsthums Mühe haben wird, eine gekünstelte Erklärung dafür zu liefern. Es folgt aber ferner aus unserer Theorie, aus den Constructionen in Fig. 2 und 3 (Tafel XV), dass der Weg, welchen die Periosttheilchen während des Wachsthums vom jüngeren zum älteren Entwicklungsstadium zurück- lesen, falls das Wachsthum an den Enden in demselben Verhältniss bleibt, durch eine gerade Linie bezeichnet wird, die von jedem Punkte des jungen zu dem nach unserer Construction sofort zu findenden Punkte des älteren Periosts gezogen wird. Hieraus folgt wiederum, dass die Periosttheilchen, welche in Fig. 2 u. 3 (Taf. XV) mit bis VIII. bezeichnet sind, nicht die in derselben Höhe nach innen von ihnen gelegenen Knochentheilchen gebildet haben, sondern die, welche in den Verbindungslinien zwischen ihnen und den correspondirenden Punkten des jüngeren Stadiums (O—8) liegen; nur für den neutralen Punkt trifft jene Voraussetzung der älteren periostalen Wachsthums- theorie zu, da hier die Verbindungslinie beider correspondirender Punkte die Diaphyse senkrecht zur Längsaxe durchschneidet.

Ich komme weiter unten auf die Consequenzen dieser theoretischen Betrachtungen für den Aufbau der compacten Substanz zurück. Meine

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 317

nächste Aufgabe ist es nunmehr zu zeigen, wie die Neigung und Richtung der Ernährungskanäle ihre natürlichste Erklärung finden in der eben entwickelten Theorie des periostalen Knochenwachsthums. Betrachten wir die in Fig. 2 und 3 (Tafel XV) dargestellten Con- structionen, in welchen durch ad die Oberfläche des jüngeren, durch cd die des älteren Stadiums bezeichnet ist. Ein Gefäss, welches an irgend einer Stelle aus dem Periost in die Knochenrinde übertritt, muss selbstverständlieh mit dieser Eintrittsstelle beim weiteren Wachs- thum in der Weise verschoben werden, wie ich es nunmehr genugsam auseinander gesetzt habe. Nehmen wir an, die Eintrittsstelle der Vasa nutritia liege in dem in Fig.2 (Tafel XV) dargestellten Falle des gleichen Längenwachsthums der Diaphysenenden in Punkt 5, so wird sie bei Er- reichung des Stadiums cd nach V. verschoben sein, 6 nach VI. und so weiter. Da nun aber der während dieser Verschiebung zurückgelegte Weg durch continuirliche Bildung von Knochensubstanz so zu sagen ummauert wird, so resultiren daraus Kanäle, die schief von 5 nach V., von 6 nach VI. u. s. w. verlaufen und um so schräger gerichtet sind, je näher der ursprüngliche Ort der äusseren Oefinung dem ursprüng- lichen Ende der periostalen Rinde liest; nach dem neutralen Punkte zu nimmt dagegen der Neigungswinkel zu und in.ihm wird der Kanal senkrecht die Knochenrinde durchsetzen, während auf der an- deren Seite in 3, 2, 1 und O sich die Verhältnisse umkehren. Man erkennt aus dieser Betrachtung 1) dass eine schiefe Richtung des Er- nährungskanals auch an Knochen stattfinden kann, die an beiden En- den gleich stark wachsen, falls nur die äussere Oefinung des Kanals im jüngeren Stadium nicht in der Mitte der Diaphyse liegt, 2) dass Richtung und Neigung vor allen Dingen von der Lage der äusseren Oefinung zu beiden Diaphysenenden abhängig sind. In 4 bis 8 sind die Kanäle absteigend, in 4 selbst direct, in 4 bis O0 aufsteigend. Ganz dasselbe gilt nun natürlich für den anderen Fall, dass eines- der Enden stärker zunimmt, als das andere, wie dies in Fig. 3 (Tafel XV) dargestellt ist. Es wird dann das stärker wachsende Ende eine grössere Strecke des Periosts nach sich hinziehen, also oft weit über die Mitte hinaus die Richtung der Ernährungskanäle beeinflussen. Liegt z. B. der neutrale Punkt wegen der grossen Differenz des Längenwachsthums. beider Enden, wie im Radius und in der Ulna, nahe dem proximalen Ende, so wird trotz der grossen Entfernung der äusseren Oefinung von dem schneller wachsenden unteren Ende dieses dennoch eine auf- steigende Richtung der Ernährungskanäle bewirken, weil jene Oefinung diesseits des neutralen Punktes liegt. In unserer Fig. 3 (Tafel XV) sind sämmtliche innerhalb der Strecke 2 bis 8 beginnende Kanäle

318 G. SCHWALBE.

‚absteigend, die, welche innerhalb des Raumes 0 bis 2 beginnen, da- gegen aufsteigend.

Ich glaube, dass ein Blick auf die Figuren 2 und 3 (Tafel XV) nunmehr genügen wird, um auf Grundlage der bekannten Ermittelun- gen ÖLLIER’S über die Verschiedenheiten des Längenwachsthums an bei- den Enden der Diaphysen der Röhrenknochen die Richtung, welche die Ernährungskanäle in den entwickelten Knochen des Menschen zeigen, vollkommen zu erklären. Stets wird die Lage der äusseren Oefinung entscheidend sein: liegt sie innerhalb der vom oberen Dia- physenende beherrschten Zone, so ist der Kanal absteigend (Humerus, Tibia, Fibula), befindet sie sich dagegen unter der Herrschaft des un- teren Diaphysenendes, so ist der Kanal aufsteigend (Radius, Ulna, Femur).

Berücksichtigt man nun, dass die ursprüngliche Durchbohrungs- stelle der ersten periostalen Diaphysenrinde, die ja mit der äusseren Oeffnung noch so gut wie identisch ist, innerhalb gewisser Grenzen variirt (ich habe dies durch eine grössere Reihe von Messungen nach- gewiesen), so wird zwar in den meisten Fällen, da jene Schwankungen der Lage anfangs nicht gross sind, keine andere Richtung des an Länge zunehmenden Kanals daraus resultiren. Sobald aber, wie es vielfach vorkommt, jene Durchbohrungsstelle in der Gegend des neu- tralen Punktes sich befindet, die einzelnen Fälle sich um denselben herum nach beiden Seiten hin gruppiren, müssen Verschiedenheiten entstehen, der Art, dass bald ein absteigender, bald ein directer, bald ein aufsteigender Kanal das Resultat des periostalen Wachsthums ist. Dies erklärt die von OÖLLIER gegen HuMPHRY vorgebrachten Angaben über die verschiedene Richtung der Ernährungskanäle in ein und dem- selben Knochen (s. oben) auf das Befriedigendste; es erklärt die von mir erwähnten Befunde in der Fibula und die Richtung des acces- sorischen unteren Kanals der Tibia. Es hängt hier Alles von der ursprünglichen Lage der äusseren Oeffnung ab; je nach dieser ge- staltet sich der Kanal auf- oder absteigend. Kennt man die Art des Längenwachsthums, so kann man, da ja die Lage des neutralen Punk- tes sich leicht nach meinen Auseinandersetzungen bestimmen lässt, aus der Lage der äusseren Oefinung des Ernährungskanals stets mit Sicherheit auf die Richtung desselben schliessen. Ich habe dies prak- tisch vielfach ausgeführt und nie eine Abweichung von der Regel gefunden.

Schon oben wurde bei der Besprechung des Einflusses, welchen die Lage der ursprünglichen äusseren Oeffnung auf die spätere Richtung des Kanals hat, darauf hingewiesen, dass eine verschiedene Lage innerhalb der von ein- und demselben Epiphysenende der

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 31%

Diaphyse beherrschten Zone auch eine verschiedene Neigung des Kanals zur Folge haben muss. Je näher die ursprüngliche Oefinung dem dominirenden Epiphysenende, desto schräger die Richtung des Kanals, d. h. desto kleiner ist der von Kanal und Knochenlängsaxe gebildete spitze Winkel; je näher dagegen dem neutralen Punkte, desto steiler die Richtung des Kanals, desto mehr nähert sich der von ihm und der Knochenlängsaxe eingeschlossene Winkel einem rechten; im neutralen Punkte wird dieser Winkel einem rechten gleich.

Eine verschiedene Neigung des Kanals kann aber noch auf eine andere Weise zu Stande kommen. Offenbar wird ein und derselbe Ernährungskanal dieselbe Neigung gegen die Längsachse des Knochens behalten, wenn das Verhältniss des Längenwachsthums beider Diaphy- senenden sich constant erhält und wenn zugleich während dieses Längenwachsthums das Dickenwachsthum stets zu dem ersteren in demselben Verhältniss bleibt. Betrachten wir Fig. 4 (Tafel XV), in welcher die Dicke der Compacta eines bestimmten Entwicklungs- stadiums abed durch ef, die Länge durch a5 ausgedrückt ist, ae das obere, de das untere Diaphysenende bedeutet, so wird, wenn das Längen- und Diekenwachsthum an beiden Enden in denselben Ver- hältnissen erfolgt, wie bisher, die Richtung des Kanals g% dieselbe und geradlinig bleiben, seine äussere Mündung später in k zu suchen sein. Sowie aber das Dickenwachsthum hinter dem Längenwachsthum zurückbleibt, muss der Kanal bedeutend schiefer verlaufen und kann nun nicht mehr durch die Linie Ak ausgedrückt werden, sondern wird der Linie AZ entsprechen. Ist also anfangs das Diekenwachsthum dem Längenwachsthum gegenüber günstiger situirt, wie später, so muss der in ersterer Zeit nahezu directe Kanal mit dem Ueberwiegen des Längen- wachsthums eine immer schiefere Richtung erhalten, immer spitzwink- liger gegen die Knochenlängsaxe verlaufen. Diese aus meiner Theorie abgeleitete Folgerung ist nun wirklich mit den Thatsachen in Ueber- einstimmung. Die embryonalen Knochen haben viel weniger geneigte, oft sogar nahezu senkrecht die Knochenkruste durchbohrende Ernäh- rungskanäle und damit steht im Einklang, dass 1) die Differenz im Längenwachsthum beider Diaphysenenden eine geringere ist wie spä- ter!), 2) das Dickenwachsthum zu dieser Zeit relativ viel bedeutender, wie später und 3) die ursprüngliche Lage der Ernährungsöfinungen bei embryonalen Knochen im Allgemeinen mehr der Mitte der Dia- physe entspricht.

1) Ueber die speciellen Fälle und Abweichungen von dieser Regel werde ich in meiner ausführlichen Arbeit berichten.

320 G. SCHWALBE.

Ich begnüge mich hier diese Thatsachen, die ich in meiner aus- führlichen Abhandlung durch eine grosse Zahl von Messungen bewei- sen werde, einfach zu registriren. Nur in Betreff des zweiten Punktes, (des Verhältnisses vom Längenwachsthum zum Dickenwachsthum, mögen einige wenige Zahlen, die Tibia betreffend, folgen.

Berücksichtigt man nur das Verhältniss der Dicke der Compacta in der Gegend der inneren ÖOefinung des Ernährungskanals zur Länge der Diaphyse, ohne die Reduction der Dicke in Folge einer Resorption von Seiten der Markhöhle mit in Rechnung zu ziehen, so erhält man folgende Zahlen (in Millimetern):

Verhältniss Länge der Dicke der Dieke zur

- Diaphyse der Compacta Länge

(= 100) 1. Tibia von 86 mm. Länge 72 2 2,77 : 100 Ze, BONN 0 al 3 3.29: 100 San, „SLOT 145 2 1,39 : 100 En: ao 328 4 1,22 : 100 5 > SSH 5 398 71,5 2,09 : 100

Es nimmt hiernach das während der embryonalen Periode mäch- tigste Dickenwachsthum nach der Geburt rasch ab im Verhältniss zum Längenwachsthum, um erst nahe vor Abschluss des Wachsthums wieder eine Zunahme zu erfahren.

Auffallend ist dabei, dass die einem 4jährigen Individuum an- gehörige Tibia No. 3 eine geringere Dicke der Compacta besitzt, wie die eines 21 Wochen alten Kindes (No. 2), eine Thatsache, die man mit einem interstitiellen Wachsthum nicht gut vereinbaren kann, da dieser Ausfall nicht etwa in demselben Masse durch ein gesteigertes Längenwachsthum ersetzt wird. Er steht vielmehr im Zusammen- hange mit der Ausweitung der Markhöhle und dieser Vorgang macht es nothwendig, einige Correetionen mit unseren Zahlen vorzunehmen, um das wirkliche Verhältniss von Dieken- und Längenwachsthum zu erhalten.!) Da ich über meine Messungen der Compacta und der Mark- höhle ausführlicher bei einer späteren Gelegenheit zu berichten beab- sichtige, so seien hier nur die Resultate jener Berichtigung, wie sie sich unter Berücksichtigung einer Resorption von Seiten der Mark- höhle herausstellen, für die oben erwähnten 5 Tibiae mitgetheilt:

1) Diese Correctionen wurden der Art ausgeführt, dass in Nr. 1 der Radius ‚der Markhöhle, für jeden folgenden Fall die halbe Differenz der Durchmesser der Markhöhlen in dem betreffenden und vorhergehenden Stadium zu der Dicke der Compacta hinzuaddirt wurden.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 321

Länge der Corrigirte Verhältniss der Dicke Diaphyse Dicke. zur Länge (= 100) 1. 12 3,9 4,86 : 100 2. 91 3,89 4,25 : 100 3. 145 2,851) 2:0072 100 4. 928 6,75 2,05 : 100 5. 398 ) 2,06 : 100

Es ist jetzt klar ersichtlich, dass während des embryonalen Le- bens relativ mehr periostaler Knochen angebildet wird, wie nach der Geburt, wo das Verhältniss während aller Zeiten der Entwicklung im Wesentlichen sich gleich bleibt und nur kurz vor Vollendung des Wachsthums sich in geringem Grade zu Gunsten der Dicke ändert. Die eine Voraussetzung zur Erklärung der mehr directen Richtung der Ernährungskanäle während des embryonalen Lebens, der Zunahme ihrer Neigung nach der Geburt, ist also durch diese Messungen, die ich mit dem gleichen Resultate auf Humerus und Femur ausgedehnt habe, vollkommen sicher gestellt.

Bisher habe ich vorzugsweise die Verhältnisse, welche die Er- nährungskanäle beim erwachsenen Menschen (und Thieren) zeigen, be- rücksichtigt und erklärt und nur gelegentlich einmal einen Streifzug in das embryonale Gebiet unternommen. Untersuchen wir das Ver- halten der Ernährungskanäle bei 3 bis Smonatlichen Embryonen, so ergiebt sich, abgesehen von der vorhin schon erwähnten anderen Nei- gung, in einigen Knochen auch eine andere Richtung dieser Kanäle. Wie das Schema Fig. 5 (Tafel XV) zeigt, verhalten sich Humerus, Tibia und Fibula in dieser Beziehung wie beim Erwachsenen; im Radius und in der Ulna dagegen sind die Kanäle absteigend und im Femur findet sich, wenigstens in den meisten Fällen, nur ein und zwar absteigender Kanal, dem sich gegen den 5. bis 6. Monat des in- trauterinen Lebens noch ein zweiter aufsteigender, dem unteren Ende näher gelegener hinzugesellt. Radius und Ulna zeigen schon im 6. Monat eine Umkehr der Richtung und von nun an Verhältnisse, welche den Befunden beim Erwachsenen entsprechen. Der obere zu- erst auftretende und deshalb typische Ernährungskanal des Femur da- gegen behält seine absteigende Richtung bis lange nach der Geburt bei; noch bei einem 290 mm. langen Oberschenkelbein fand ich die- sen Kanal absteigend, während der Kanal beim Erwachsenen constant

1) Dieser geringere absolute Werth erklärt sich aus einer individuellen Ver- schiedenheit.

329 G. SCHWALBE.

aufsteigend gefunden wird, gerade wie der untere. Die beschriebene Umkehr der Richtung der Ernährungskanäle erklärt sich ebenfalls einfach und ungezwungen aus den von mir entwickelten Prineipien und den von mir gefundenen Thatsachen über das Längen- und Dickenwachsthum der Röhrenknochen. Die Unterschiede im Wachs- thum beider Diaphysenenden des Femur sind während des embryonalen Lebens nicht so bedeutend wie bald nach der Geburt (vom 1. Lebens- jahre an). Es beherrscht deshalb der Wachsthumszug des oberen Femur-Endes eine etwas grössere Strecke der Diaphysenoberfläche, wie später. Innerhalb dieser liegt aber und zwar nahe an der unteren Grenze dieses Gebiets die ursprüngliche einfache Ernährungsöffnung, während die zweite aufsteigende von Anfang an dem unteren Diaphy- senende angehört. Da der obere absteigende Kanal nahe an der un- teren Grenze des vom Wachsthum des oberen Diaphysenendes beein- flussten Gebietes liest, so folgt daraus einmal, dass seine Neigung gegen die Längsaxe des Knochens keine sehr bedeutende ist, dass ferner schon eine relative Zunahme des Wachsthums am unteren Ende genügt, um den Neigungswinkel zu einem rechten zu machen, und eine noch etwas grössere Zunahme eine Umkehr des Kanals hervor- rufen muss, wie dies durch die Constructionen Fig. 6 (Tafel XV) ver- deutlicht wird. In derselben sind 3 Wachsthumsstadien neben einan- der gezeichnet als nicht durch Uebergänge vermittelt, sondern plötzlich sich ablösend. Es muss in diesem Falle der Ernährungskanal einen durch 3 gerade Linien, die unter bestimmten Winkeln aneinander gefügt sind, gebildeten Verlauf zeigen. In Wirklichkeit gehen natür- lich diese einzelnen Wachsthumsstrecken continuirlich in einander über und dem entsprechend sehen wir anstatt der doppelt eingeknickten Linie den oberen Ernährungskanal eine Curve beschreiben, welche mit ihrem Anfangs- und Endpunkte nahezu dieselbe Höhe am Femur ein- nimmt, ihren Gipfel dem proximalen Ende dieses Knochens zuwendet. Den Oberschenkelbeinen bis circa 290 mm. Länge kommt nur der innere Theil dieser Curve zu (Fig. 7 Tafel XV); ihre oberen Ernäh- rungskanäle sind demnach absteigend; beim weiteren Wachsthum, wenn das untere Ende immer höher nach oben gelegene Strecken der Diaphyse beherrscht, werden neue Schichten aufgelagert, innerhalb deren nun der Kanal nothwendig einen immer deutlicheren aufsteigen- den‘ Verlauf zeigen muss, wie er für erwachsene Knochen charakteri- stisch ist (Fig. 8 Tafel XV). Bemerkenswerth für die Lehre vom Knochenwachsthum ist hierbei noch eine Thatsache, welche ich her- vorheben will. Im erwachsenen Knochen fehlt der innerste der Mark- höhle benachbarte Theil der Curve, ist nur durch eine kleine horizontal

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 323

gestellte Erweiterung der inneren Kanalmündung repräsentirt (Fig. 8 Tafel XV). Legt man aber die entsprechenden, beide Ernährungs- kanäle enthaltenden Diaphysenstücke der beiden Femora mit ihren correspondirenden Punkten aufeinander, so erkennt man, dass die Curve des älteren Knochens die directe Fortsetzung der Curve des jüngeren Knochens bildet und an ihrem inneren Ende sich mit dem äusseren Ende der des jüngeren Stadiums deckt (Fig. 9 Tafel XV). Es ist wohl das Schwinden des inneren Curvenstücks ad kaum anders als durch Annahme einer Resorption zu erklären; wenigstens möchte es selbst den eifrigsten Vertretern eines ausschliesslich interstitiellen Wachsthums oder eines appositionellen Wachsthums ohne Resorption schwer werden, diese Thatsachen aus einer Expansion abzuleiten. In ähnlicher Weise wie beim Femur kommt die Umkehr des Ernährungs- "kanals am Radius und an der Ulna zu Stande trotz der relativ hohen Lage der ursprünglichen äusseren ÖOefinung, weil hier bekanntlich das Wachsthum am oberen Diaphysenende nur gering ist gegenüber der sehr ausgiebigen Längenzunahme am unteren Ende der genannten Knochen.

Die vorstehenden Bemerkungen werden genügen zur Erläuterung meiner Theorie der Ernährungskanäle; es fügen sich alle über diese bekannten Thatsachen in überraschender Weise. Ist die Theorie rich- tig, so muss ferner aber auch die äussere Oefinung der Ernährungs- kanäle im Grossen und Ganzen während aller Zeiten der Entwicklung dieselbe relative Lage auf der Oberfläche des Röhrenknochens einneh- men. Dies ist nun nach meinen zahlreichen Messungen, die sich auf sämmtliche lange Röhrenknochen des Menschen beziehen, mit einer geringen Abweichung, auf die ich bald zu sprechen komme, wirklich der Fall. Natürlich genügt hier nicht die Vergleichung weniger Fälle, da zahlreiche Variationen in der absoluten Lage der ursprüng- lichen äusseren Ernährungsöffnung vorkommen können; vergleicht man dagegen ein grosses Material, so wird man für fötale, kindliche und erwachsene Knochen dieselben Schwankungen in den relativen Entfer- nungen der äusseren Oefinungen vom oberen und unteren Ende der Diaphyse finden. Dies widerspricht der Angabe von KÖLLIKER, ent- nommen einigen Messungen am Humerus dreier Altersstadien vom Rind, denen zu Folge die äussere Oeffnung ihre relative Lage verän- dern, die innere dagegen beibehalten soll.!) Ich habe auch bei Messun- gen am Rinder-Humerus. stets meine für den Menschen gefundenen Angaben bestätigt gefunden und kann die KöLLıker’schen Zahlen nur

I) 1. ce. S. 69 und 70. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. |.

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324 G. SCHWALBE.

durch die Annahme, dass dieser genaue Forscher es mit extrem va- riirenden Fällen zu thun hatte, erklären. Jedenfalls ist das Material, auf welches KÖLLIKER seine Behauptung stützt, aus den oben ange- deuteten Gründen ein viel zu kleines. Umgekehrt wie KÖLLIKER fand ich ferner in allen Fällen, beim Rinde sowohl, wie beim Menschen, dass die innere Oefinung der Ernährungskanäle ihre relative Lage ver- ändert; sie entfernt sich mehr und mehr vom definitiv schneller wach- senden Ende des Knochens, so im Humerus, in der Tibia und Fibula vom oberen, in Radius, Femur und der Ulna vom unteren Ende des Knochens. Es ist ja dies eine ganz nothwendige Consequenz des un- gleichen appositionellen Wachsthums der Röhrenknochen an den bei- den Enden der Diaphyse, eines Wachsthums, das durch ÖLLIER und HumrHry experimentell für die einzelnen Extremitätenknochen fest- gestellt ist. Man kann daher offenbar auch durch Messung der Ab- stände der inneren Oefinung der Ernährungskanäle von beiden Dia- physenenden sofort constatiren, welches Knochenende am meisten Knochensubstanz angebildet hat. Wenn man eine grössere Zahl von Messungen dieser Abstände, an verschiedenen Entwicklungsstadien ausgeführt, nach dem Alter in eine Reihe ordnet, so werden die Differenzen zwischen je 2 aufeinanderfolgenden Abständen der inne- ren Oefinung von den oberen resp. unteren Enden der Diaphyse in absoluten Zahlen den Wachsthumszuwachs jedes Endes inner- halb der Zeit ausdrücken, um welche beide verglichenen Knochen auseinander liegen. Das Verhältniss beider Differenzen zu einander siht dann das Verhältniss der Wachsthumsenergien in dem bestimm- ten Zeitabschnitte an. Ich will hier nur ein Beispiel anführen. Die Länge der Diaphyse des Humerus fand ich bei einem Smonatlichen Fötus = 20 mm., den Abstand der inneren Oefinung des Ernährungs- kanals vom oberen Ende der Diaphyse = 11,25, vom unteren = 8,75; ‘die entsprechenden Abstände betrugen für die 29,25 mm. lange Dia- physe eines 16 Wochen alten Fötus: 16,5 resp. 12,75 mm. Es hat also die Diaphyse während dieser 4 Wochen embryonalen Lebens 5,25 (16,5 11,25) am oberen, 4 mm. (12,75 8,75) am unteren Ende zugenommen und beide Wachsthumszuwüchse verhalten sich wie 1,31:1. In ähnlicher Weise lässt sich dies Verhältniss stets leicht für jede Periode der Entwicklung bestimmen.

Mittelst dieser Methode habe ich nun die Wachsthumsverhältnisse der einzelnen menschlichen Röhrenknochen zu bestimmen gesucht und habe für die Zeit vom 1. Lebensjahre!) an die experimentell an Thieren

1) Ich kann nur ungefähr diesen Termin als den Wendepunkt in den Wachs-

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festgestellten Thatsachen für den Menschen bestätigt gefunden. Wäh- rend des embryonalen Lebens herrschen aber zum Theil sehr abwei- chende Verhältnisse. Das Wachsthum des Humerus, Radius und der Ulna, sowie des Femur weicht allerdings nur in quantitativen Ver- hältnissen von dem späteren ab: es sind die Unterschiede des Wachs- thums beider Enden meist nicht so gross wie in späteren Epochen. Tibia und Fibula dagegen besitzen bis geraume Zeit nach der Geburt ein etwas stärkeres Wachsthum am unteren Ende, das aber nie um ein Bedeutendes das des oberen übertrifft, und erst vom 1. Lebens- jahre an kehrt sich dasselbe um; es wird nun, wie bekannt, das obere Ende das dominirende. Dass hierbei keine Umkehr in der Richtung der Ernährungskauäle stattfindet, erklärt sich einfach daraus, dass diese stets in dem vom oberen Ende beeinflussten Gebiete liegen.

Die eben berührten Ermittelungen über das Wachsthum der Tibia und Fibula erklären die Widersprüche, welche in dieser Beziehung zwischen den Angaben der Experimentatoren (ÖLLIER und HUMPHRY) und anderer Forscher, wie BROCA und WEGNER existiren.

BrocA?) hatte gefunden, dass die Schicht der pallisadenförmig gestellten Knorpelzellenreihen am Ossificationsrande der Diaphysen- enden in ihrer Dicke ungefähr der an dieser Stelle herrschenden Wachsthumsenergie entspricht, und Messungen der Dicke dieser Schicht, von ihm „couche chondroide“ genannt, benutzt, um die Verschieden- heiten des Wachsthums an beiden Enden der Diaphyse für jeden höhrenknochen zu ermitteln. Er fand nun dabei, dass Tibia und Fi- bula bei Neugeborenen eine dickere Proliferationsschicht an ihrem unteren Ende besitzen, also hier rascher wachsen, wie am oberen, ein Befund, der von WEGNER?), scheinbar ohne BrocA’s Angaben zu ken- nen, bestätigt wurde. Dies hat nach meinen Untersuchungen seine volle Richtigkeit; es stimmen hier die Resultate meiner Messungs- methode und die aus der Bestimmung der Dicke der Proliferations- zone erhaltenen vollkommen überein. Es widerspricht dies aber durchaus nicht den experimentellen Erfahrungen OLLIER’S; diese betreffen viel- mehr einfach eine spätere Zeit, welche beim Menschen ungefähr mit dem 1. Lebensjahre zu beginnen scheint. Hier wachsen die oberen

thumsverhältnissen der Tibia und Fibula bezeichnen, da mir ein grösseres Ma- terial gerade aus diesem Zeitraum der Entwicklung nicht zu Gebote stand.

I) Sur quelques points de l’anatomie pathologique du rachitisme. Bulletins de la societE anatomique de Paris, 27. annde. 1852. p. 542 ff.

2) Ueber hereditäre Knochensyphilis bei jungen Kindern. Virchow’s Archiv. Bde 50. 1870. 8. 321. i

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Enden von Tibia und Fibula in der That rascher. Es liegt nahe, diese Umkehr des Wachsthums zu den beginnenden Gehbewegungen in Beziehung zu bringen.

Der Methode, welcher ich mich zur Messung des ungleichen Wachsthums der Diaphysenenden bediente, ist vom Standpunkte der Re- sorptionstheorie aus ein Vorwurf zu machen. Bei ausgesprochen schrä- ser Richtung des Kanals wird offenbar mit der Ausweitung der Mark- höhle eine Verschiebung der inneren Oefinung verbunden sein müssen und zwar eine um so grössere, je schiefer der Kanal. Ist in Fig. 4 (Tafel XV) gh der Ernährungskanal, so wird die innere Oefinung, wenn das der Markhöhle benachbarte Stück adcd resorbirt ist, nicht mehr in g, sondern weiter oben in A zu liegen kommen. Es wird also das obere Diaphysenende bei Messung von der inneren Oefinung aus zu klein, das untere zu gross ausfallen. Geringer sind die Unterschiede in der Lage der inneren Oefinung, wenn dieselbe näher dem neutralen Punkte von ad liegt und .= 0 in diesem neutralen Punkte (e) selbst (vgl. Linie efm). Der durch diese Verhältnisse bedingte Fehler wird nun aber in den meisten Fällen thatsächlich minimal dadurch, dass die Foramina nutritia im embryonalen Leben mehr oder weniger vertikal die Dicke der Diaphysenrinde durchsetzen, weil sie erstens zu dieser Zeit mehr der Mitte der Diaphyse benachbart oder in dieser selbst liegen und zweitens, weil zugleich das Dickenwachsthum so stark ist gegenüber-dem Längenwachsthum, wie zu keiner anderen Zeit der Entwicklung. Es wird deshalb die Markhöhle um ein Be- deutendes ausgeweitet werden können, ohne dass eine wesentliche Ver- schiebung der inneren Oeffnung eintritt und somit bleibt die innere Oeffnung der Ernährungskanäle eine sichere Marke zur Bestimmung des Längenwachsthums beider Diaphysenenden, um so mehr als wir im Falle einer stärkeren Verschiebung durch einfache Construction jedesmal leicht ihre ursprüngliche Lage bestimmen können.

Ich erwähnte oben, dass die relative Lage der äusseren Oefinung der Ernährungskanäle zu allen Zeiten der Entwicklung nahezu die nämliche ist. Dieser Satz würde meiner Theorie zu Folge vollständig zutrefien müssen, wenn das Periost zu allen Zeiten auch in gleicher Weise verschiebbar auf der Oberfläche der Knochen wäre. Nun habe ich aber oben schon hervorgehoben, dass das embryonale Periost stär- ker an der Oberfläche der Diaphyse fixirt ist, wie das des erwachsenen Knochens, welches vielfach freie Spalträume zwischen sich und der Knochenoberfläche entwickelt. Jene stärkere Fixirung des embryona- len Periosts wird durch die innerhalb einer gleich grossen Fläche in grösserer Zabl in den Knochen eindringenden Blutgefässe und durch

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 327

den Zusammenhang mit der fortwährend sich anbildenden Knochen- substanz bedingt. Unser einfacher Fall eines an beiden Enden ver- schieden stark gespannten elastischen Bandes wird also vor allen Dingen dadurch complieirt, dass jenes elastische Band nicht frei beweglich, sondern auf einer rauhen Unterlage mehr oder weniger fixirt ist. Da- durch erfahren die Verschiebungen der Theilchen nothwendiger Weise Hemmungen, die wir einem Reibungswiderstande vergleichen können. Uebertragen wir dies auf das Periost, so ist dem vorhin Gesagten entsprechend der Reibungswiderstand stärker während des embryonalen Lebens, geringer in der späteren Zeit der Entwicklung und wir finden demnach an erwachsenen Knochen eine geringe Verschiebung der relativen Lage der äusseren Oefinung in der Richtung nach dem domi- nirenden Diaphysenende. Setzen wir die Länge des Knochens = 100, so beträgt der Abstand der äusseren Oeffinung des Ernährungskanals vom oberen Ende des Knochens für den Humerus von Embryonen und Kindern im Mittel von 10 Fällen: 58,39, für den Humerus von Er- wachsenen (Mittel aus 21 Fällen) 57,3. Die entsprechenden Zahlen betragen für das Femur (untern Kanal) 56,04, resp. 58,5 (also Annähe- rung an das beherrschende untere Ende), für die Tibia 38,6 resp. 34,2. Nur Radius und Ulna machen eine Ausnahme, indem eine relative Entfernung vom stärker wachsenden unteren Ende zur Beobachtung kommt, die allerdings nur 1 auf 100 beträgt. Eine genaue Unter- suchung der Fixirung des Periosts dieser Knochen in den einzelnen Entwicklungsstadien wird, ich zweifle nicht daran, auch eine be- friedigende Erklärung dieses Falles ergeben.

Von den Voraussetzungen meiner Theorie der Ernährungskanäle habe ich das ungleiche Längenwachsthum, die Beziehungen des Dicken- wachsthums zum Längenwachsthume, sowie die Lage der Ernährungs- öffnungen soweit erörtert, wie dies ohne einen Aufwand von Tabellen mit zahlreichen Messungen möglich ist. Die Veröffentlichung dieser letzteren wird in einer ausführlichen Arbeit erfolgen. Nur der vierten Voraussetzung, des interstitiellen Wachsthums vom Periost muss ich hier noch kurz gedenken. Ich habe oben auseinandergesetzt, wie von Seiten der wachsenden Diaphysenenden ein Zug auf. das Periost aus- geübt werden muss, der diese elastische Membran, sofern nicht Reibungs- widerstände dies verhindern, gleichmässig dehnt, die Theilchen der- selben um gleiche Abstände auseinanderzieht. Mit dieser Annahme konnten wir alle die Ernährungskanäle betreffenden Verhältnisse er- klären, erfuhren wir, dass die Verschiebungen der Periosttheilchen um so grösser sind, je näher sie den ursprünglichen Enden der periostalen Rinde liegen. Denkt man sich nun ein Periost von der Länge ab in

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Fig. 2 und 3 (Taf. XV) ausgedehnt bis zur Länge cd und die aus dieser ganz langsam fortschreitenden Dehnung resultirenden grösseren Abstände der Theilchen durch ebenso allmähliche und in demselben Maasse er- folgende Einlagerung neuer Theilchen in die Membran fixirt, so haben wir ein interstitielles Wachsthum der Membran und zwar ein gleich- mässiges, das nur in geringer Weise durch die Reibungswiderstände modifieirt wird. Man kann aber auch umgekehrt von einer gleich- mässigen Einlagerung neuer Massentheilchen zwischen die vorhandenen des wachsenden Periosts ausgehen, dies als treibende Ursache ansehen, die Verschiebungen der Theilchen müssen in ganz derselben Weise erfolgen, wie bei der ersteren Annahme. Es fragt sich nun, ist ein interstitielles Wachsthum des Periosts bewiesen? und ferner, weni dies der Fall ist, wächst das Periost gleichmässig oder ungleichmässig. interstitielle. Ich glaube, an einem interstitiellen Wachsthum des Periosts überhaupt, kann Niemand mehr zweifeln, der die Erschei- nungen, welche die Entwicklung der Ernährungskanäle darbieten, auf- merksam verfolgt hat. Ich habe so zu sagen in dieser Abhandlung den indirecten Beweis dafür !geliefert, indem ich gezeigt habe, dass bestimmte natürliche Punkte des Periosts, die Eintrittsstellen der Er- nährungsgefässe derartige Verschiebungen beim Längenwachsthum der Knochen eingehen, dass ihr Abstand vom oberen und unteren Ende der Membran relativ immer derselbe bleibt, was bei appositionellem:. Wachsthum an den Enden selbstverständlich nicht der Fall sein kann; denn dann müsste, wie wir dies thatsächlich bei der inneren Oeffnung- der Ernährungskanäle sehen, sich der Abstand vom beherrschenden Knochenende nicht nur absolut, sondern auch relativ vergrössern. Den direeten Beweis für ein interstitielles Wachsthum des Periosts haben: ÖLLIER’S!) Experimente geliefert, die auf’s Deutlichste während des Wachsthums erfolgende Verschiebungen des Periosts darthun. Ich werde unten noch mehrfach Gelegenheit nehmen, Thatsachen anzuführen, die sich nur aus Verschiebungen des Periosts in Folge interstitiellen Wachsthums erklären lassen, und hier nur noch das Verhalten der mit dem Periost innig verbundenen Muskelansätze erwähnen, an denen von LIEBERKÜHN?) Verschiebungen beobachtet sind, die in demselben Sinne wie die absoluten Verschiebungen der Foramina nutritia externa erfolgen. In zwei Experimenten an Hunden sah dieser Forscher an

1) Archives de physiologie T. V. 1873. p. 34.

2) Ueber die Einwirkung von Alizarin auf die Gewebe des lebenden Kör- pers. Sitzungsberichte d. Gesellsch. z. Beförderung d. ges. Naturwissensch. Nr. 3. März 1874. Anmerkung $. 37. _

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 329

der Ansatzstelle des Sartorius resp. des Quadriceps femoris in die Tibia eingeschlagene Stifte um 27, resp. 21 mm. von .der Muskelinsertions- stelle sich entfernen. In analoger Weise beschreibt Escm!) nach einem LIEBERKÜHN’schen Experimente eine Entfernung des Deltoides von einem an seiner Ansatzstelle eingeschlagenen Stifte um 7 mm. Ich kann bestätigend diesem hinzufügen, dass das Foramen nutritium ex- ternum und die Insertion des Deltoides allmählich beim Wachsthum auseinanderrücken, und zwar beide zum oberen Diaphysenende hin, wie dies nach meiner Theorie zu erwarten war und wie dies meine Messungen gegenüber denen KÖLLIKER’S?), die sich auf ein zu geringes Material von nur 5 Fällen beziehen, ergeben haben.

Nach Allem kann man wohl nicht umhin, ein interstitielles Wachsthum des Periosts als sicher gestellt anzunehmen. Meine Ab- leitung der Neigung und Richtung der Ernährungskanäle ging aber von einem gleichmässigen interstitiellen Wachsthume des Periosts aus. Ich habe diese Annahme der Einfachheit wegen gemacht, da sich unter ihr- alle die Ernährungskanäle betreffenden Erscheinungen am leichtesten verstehen lassen; ich verhehle aber nicht, dass auch eine andere Art des interstitiellen Wachsthums, z. B. eine solche, bei der dasselbe nach den Epiphysen hin zunimmt, ebenfalls sämmtlichen Thatsachen Rechnung tragen würde. Es würden dann nur andere Verschiebungen der Periosttheilchen eintreten, die für jede Art des interstitiellen Wachsthums leicht durch eine den von mir mitgetheilten ähnliche Construction gefunden werden können. Die Erklärung aber der Richtung, Neigung und Umkehr der Ernährungskanäle bleibt selbst- verständlich in allen diesen Fällen dieselbe; es genügt dazu die That- sache des interstitiellen Wachsthums überhaupt. Ich könnte mich hiermit begnügen und die Untersuchung des Modus, nach welchem das interstitielle Wachsthum des Periosts erfolgt, der Zukunft über- Jassen. Mir scheint indessen schon die folgende Erwägung einiges Licht über diese Frage zu verbreiten. Wir können uns, wie ich dies mehrfach in dieser Abhandlung gethan, das interstitielle Wachsthum des Periosts als durch den Wachsthumszug von den Epiphysen her bedingt vorstellen. Ohne Fixirung an der Unterlage, ohne Reibung müsste dann das Periost sich gleichmässig ausdehnen. Dieser Fall existirt aber, wie wir gesehen haben, in Wirklichkeit nicht; es findet ein namentlich im embryonalen Leben merklicher Reibungswiderstand Statt, und dieser muss überhaupt auf die Verschiebungen verzögernd

1) Ueber appositionelles Knochenwachsthum. Dissert. Marburg 1874. S. 16. ?2) Resorption des Knochengewebes S. 69.

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einwirken; es muss jeder Punkt des Periosts, der ferner vom Epi- physenende liegt, einen grösseren Widerstand bei seiner Verschiebung erfahren, als die näher liegenden und deshalb etwas hinter dem früher berechneten Punkte zurückbleiben. Eine weitere Ueberlegung zeigt, dass dies, da die Hemmung der Bewegung eines Periosttheilchens wieder verzögernd auf die der folgenden wirkt, zu einer Anordnung der Periostpunkte führt, die nur durch ein ungleichmässiges und zwar nach den Epiphysenenden zunehmendes interstitielles Wachsthum fixirt werden kann. Die eigenthümliche oben erwähnte relative Entfernung der äusseren Foramina nutritia von Radius und Ulna spricht für die Richtigkeit dieser Betrachtung. Soviel an dieser Stelle über jene schwierige Frage, mit deren genauerer Beantwortung ich zur Zeit noch beschäftigt bin.

Ist nur die von mir gegebene Erklärung der Richtung und Nei- gung der Ernährungskanäle richtig, so müssen nothwendiger Weise die Momente, welche in so eigenthümlicher Weise auf die grossen Ernährungsgefässe des Knochens einwirken, auch einen analogen Ein- fluss auf sämmtliche kleineren aus dem Periost in die Knochenrinde eintretenden Gefässe ausüben, es müssen die sie einschliessenden Havers’schen Kanälchen in ähnlicher Weise wie die Ernährungskanäle durch dieselben Verhältnisse in ihrer Richtung und Neigung beein- flusst werden. Dies ist nun in der That der Fall. Wenn man von entkalkten embryonalen Extremitätenknochen in radiärer Richtung durch die ganze Länge der Diaphysenrinde einen Schnitt anfertigt und denselben bei schwacher Vergrösserung untersucht, so ergiebt sich ein überraschendes, ausserordentlich zierliches Bilde Man sieht von der Stelle aus, welche etwa der inneren Oefinung des Ernährungskanals oder dem neutralen Punkte entspricht, in welchem sich der periostale Zug beider Diaphysenenden das Gleichgewicht hält, man sieht von dieser Stelle aus die Havers’schen Kanäle, welche in der Gegend der neutralen Zone senkrecht die Knochenrinde durchsetzen und durch zahlreiche anastomosirende Kanäle innerhalb der einzelnen periostalen Schichten verbunden werden, unter immer spitzeren Winkeln die Grenze zwischen Knochen und Periost berühren, je näher man den Enden der periostalen Knochenrinde kommt. Man erhält so auf jeder Seite des ursprünglichen Diaphysenmittelpunkts (ersten Ossifications- punkts) ein System schräger Linien, welches mit den Linien, die man als verbindende Linien je zweier correspondirender Punkte der Oberfläche zweier im Alter verschiedener Diaphysen - Längsschnitte construiren würde, vollkommen übereinstimmen. Fig. 10 (Taf. XV) zeigt diese nach meinen Messungen und meiner Theorie in den Diaphysendurchschnitt

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 331

eines Humerus hineingezeichneten Linien, Fig. 11a und 11b (Taf. XVI) dagegen die getreuen, mittelst der Camera lucida aufgenommenen Ab- bildungen des oberen Endes (11a) und mittleren Abschnittes (11b) eines solchen Durehschnittes selbst (von der Tibia). Man erkennt die auf- fallende Uebereinstimmung der die Knochenoberfläche berührenden Linien der Fig. 10 (Taf. XV) mit den vom Periost aus in den Knochen vordringenden Gefässkanälen in Fig. 1la und 11b; natürlich werden letztere überall durch kurze Querkanälchen verbunden, da ja die vom Periost in den Knochen eindringenden Gefässe innerhalb des ersteren ebenfalls zu Netzen verbunden waren, die nun mit in den sich bil- denden Knochen hineingezogen werden.')

Aus unserer die Verhältnisse der ‘Humerusdiaphyse erläuternden Figur ergibt sich ferner, dass nach dem unteren, langsamer wachsenden Knochenende hin die Zunahme der schiefe Richtung der Kanälchen gegen die periostale Oberfläche weniger bedeutend ist, wie in der Richtung nach dem oberen, rascher wachsenden Ende, und dies steht ebenfalls in vollem Einklang mit den oben von mir entwickelten Prineipien.

l) Die so eben beschriebene eigenthümliche Anordnung der Havzrs’schen Kanäle in jugendlichen Knochen ist zwar mehrfach gesehen, aber nicht genügend beachtet, geschweige denn in ihren Ursachen gewürdigt worden. So bildet STRELZOFF diese Structur in seinen genetischen und topographischen Studien des Knochenwachsthums in Fig. 5 der Tafel VII aus dem oberen Ende der Tibia einer jungen Taube ab, ohne im Texte etwas davon zu erwähnen. Aehnliches zeigen die Figuren 7 und S auf Tafel XXI der Abhandlung von STEUDENER: „Beiträge zur Lehre von der Knochenentwieklung und dem Knochenwachsthume“ vom Brustbein- und Wirbelende der Rippen, ferner Fig. 3 Tafel XX der neuesten Arbeit von Renaut: ‚„Recherches anatomiques sur le tissu &elastique des os“ (Archives de physiol. 1875). Auf die Ursachen dieser eigenthümlichen Anord- nung der Havzrs’schen Kanälchen und periostalen Bälkchen gehen nur BRucH und in allerneuester Zeit SchuLin näher ein, ohne jedoch das von mir mitge- theilte einfache Erklärungsprineip zu finden. Bruch sagt auf $. 100 seiner wichtigen Arbeit: „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Knochensystems“: „Die einzelnen Lamellen (des periostalen Knochens) deeken sich jedoch nicht so vollständig, dass dadurch lauter senkrecht auf die Achse des Knochens stehende Kanäle entstehen, sondern sie decken sich in der Weise, dass jede folgende Lamelle etwas über die vorhergehende hinausragt, gewissermaassen weiter vorgeschoben ist. Der Kanal erhält dadurch eine schiefe Richtung und wird nach oben durch jede folgende Lamelle etwas weiter überwölbt.‘“ SCHULIN (Ueber das Wachsthum der Röhrenknochen. Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Beförd. d. ges. Naturwiss. z. Marburg 1875. Nr. 3) beschreibt ebenfalls diese Anordnung auf dem Längsschnitt der Diaphyse embryonaler Knochen, leitet sie aber von dem Wachsthum der Periost-Capillaren ab, die nach ihm in einer spitzwinklig zur Längsaxe des Knochens geneigten Richtung gegen diesen vordringen, in derselben Weise wie beim Längenwachsthum die Capillaren auf den Knorpel zuwachsen.

332 @&. SCHWALBE.

Wenn, wie beim Humerus und andererseits beim Radius und in der Ulna, die Verschiedenheiten im Wachsthum beider Diaphysenenden sehr bedeutend sind, so wird der Winkel, welchen die meisten Linien (resp. Havers’sche Kanälchen) mit der Knochenoberlläche bilden, ein ausserordentlich spitzer werden (Fig. 10), ihr Verlauf wird sich dem longitudinalen nähern. Bei Untersuchung dieses Stückes allein zeigen also die Gefässkanälchen im Allgemeinen einen longitudinalen Verlauf. Selbstverständlich ist auch dieser wieder um so ausgesprochener, je geringer das Dickenwachsthum im Verhältniss zum Längenwachsthume ausfällt. Ich brauche in dieser Beziehung nur auf die oben wieder- gegebene Construction Fig. 10 zu verweisen, aus der auch noch ein Weiteres hervorgeht. Je länger der Knochen wird, desto mehr muss der longitudinale Verlauf der Gefässkanälchen in der Diaphyse aus- gesprochen erscheinen. Für die Enden ist dies selbstverständlich; im Mittelstücke aber, in der Gegend des neutralen Punktes kommt noch ein anderes Moment in Betracht, welches auch hier zur Ausprägung eines vorherrschend longitudinalen Verlaufes der Havers’schen Kanäl- chen führt. Die die Rinde durchbohrenden, mehr oder weniger schief verlaufenden Kanälchen sind ja in den verschiedenen Lagen des periostalen Knochens durch Querkanälchen verbunden. Sie entstammen dem flächenhaft ausgebreiteten Gefässnetze des Periosts, welches die einzelnen eindringenden Aeste unter einander verbindet. Diese Ver- bindungsäste werden selbstverständlich eingeschlossen in die sich ab-

lagernde Knochenmasse und in ihrem Verlaufe stets annähernd parallel der Knochenoberfläche bleiben. An den Enden der Diaphyse, wo die perforirenden Aestchen einen nahezu parallelen Verlauf annehmen, müssen sie nur dazu beitragen, den. Gesammteindruck dieses Paralle- lismus zu steigern, da sie unter sehr spitzen Winkeln die einzelnen Richtungskanälchen, wie ich der Kürze halber die ursprünglich perforirenden nennen will, verbinden. In der Gegend des neutralen Punktes werden sie natürlich mehr senkrecht zu den direct oder wenig geneigten durch die Compacta vordringenden Richtungskanäl- chen verlaufen; sie bilden zusammen mit letzteren ein Gitterwerk, dessen Maschen nach der Oberfläche des Knochens zu allmählich grösser werden und in welchem die Richtungskanälchen anfangs durch ihre Weite und fortwährende Neuproduction von Seiten des Periosts dominiren (s. Fig. 11b). Bald aber, im postembryonalen Leben werden keine oder nur noch wenig perforirende Kanäle gebildet, die Abstände der Richtungskanälchen rücken, in der Weise, wie dies ja schon meine Construction in Fig. 10 angibt, weiter auseinander. Es werden nun die longitudinal verlaufenden, der Oberfläche parallelen Verbindungs-

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 333

kanälchen mehr und mehr die Physiognomie des Bildes beherrschen, die ganze Diaphyse somit zur Zeit der Vollendung des Wachsthums mehr und mehr sich von vorzugsweise longitudinal verlaufenden Havers’schen Kanälchen durchsetzt zeigen. Dass diese Momente in der That die Ursache der äusserlich so verschiedenen Architectur der Compacta im jugendlichen und erwachsenen Zustande sind, lehrt eine einfache Vergleichung von Flächenschnitten der Oberfläche aus der neutralen Gegend embryonaler und erwachsener Diaphysen: in ersterem Falle sieht man ein dichtes, mehr gleichmässiges Gefässnetz, in letz- terem Falle zeigt dasselbe sehr grosse longitudinal gestreckte Maschen- räume und wenig Durchschnitte perforirender Gefässe.

Das Bild der Compacta älterer Knochen zeichnet sich noch durch einen anderen Umstand vor dem embryonaler aus, nämlich durch das Auftreten der KÖLLIKER’schen Resorptionsflächen. Es wird dadurch an diesen Stellen eine Knochenrinde geschaffen, die aus endochondralem Knochen gebildet ist.) Man erkennt dieselbe sofort an der anderen Anordnung der Knochenbälkchen, die sich stets scharf von den in der beschriebenen Weise schief nach aussen auf- oder absteigenden peri- chondralen Bälkchen in ihrer Richtung unterscheiden lassen. Die Richtung der endochondralen Knochenbälkchen wird vor Allem durch den im Inneren des Markes wirkenden Wachsthumszug und durch die Stellung der Knorpelzellensäulen am Diaphysenende bewirkt, die Rich- tung der perichondralen Bälkchen durch die Art der Verschiebungen des Periosts. Es ist deshalb vom morphologischen Standpunkte durch- aus unstatthaft, die Spongiosa als aufgelöste Compacta zu bezeichnen (J. Worrr). Ein Blick auf meine Figur 11a genügt, zu zeigen, wie wenig dies begründet ist. Dem physiologischen Zusammenwirken bei-. der Substanzen thut natürlich meine Berichtigung keinen Abbruch.

Wenden wir uns nach diesem Seitenblicke auf den Bau der Dia- physe weit entwickelter Röhrenknochen und auf die äusseren Resorp- tionsflächen wieder zurück zu den vorhin beschriebenen Bildern embryonaler Knochen, so wäre noch ergänzend hinzuzufügen, dass da, wo beide Diaphysenenden weniger in ihrem Wachsthum verschieden sind, wie bei den vorhin gewählten Beispielen, vom neutralen Punkte aus auch die Havers’schen Kanälchen ziemlich gleichmässig nach beiden Seiten fächerförmig ausstrahlen (Tibia).

Der eigenthümliche Verlauf der Havers’schen Kanäle innerhalb der embryonalen Knochen erklärt ferner in sehr einfacher Weise die verschiedenen Querschnittsbilder der compacten Diaphysenrinde. Selbst-

1) Vergl. KÖLLIKER, Die normale Resorption des Knochengewebes S. 39, 40.

334 G. SCHWALBE.

verständlich kann es nicht gleichgültig sein, von welcher Stelle der Dia- physe man diese Querschnitte entnimmt. Schneidet man quer durch die von mir sogenannte neutrale Gegend, so erhält man (Fig. 15 Taf. XVI) nicht die bekannten Querschnitte der Gefässkanälchen, sondern ein Netz derselben in der Ebene des Schnittes ähnlich dem, wie es von KÖLLIKER in Fig. 81 S. 278 seiner mikroskopischen Anatomie abge- bildet und später in dessen Gewebelehre reproducirt wurde. Wenn man dagegen eine Stelle zum Querschnitt wählt, innerhalb welcher die Haıvers’schen Kanälchen bereits nahezu longitudinal verlaufen, so erscheinen selbstverständlich mehr oder weniger reine Querschnitte dieser Kanälchen, nur hie und da durch ein Aestchen unter einander verbunden. KÖLLIKER sagt bei Besprechung des Querschnittes mit netzförmiger Anordnung der Kanälchen: „Ich sah dies constant in den Knochen des Fötus und auch in jüngeren Knochen muss dieses Ver- halten das gewöhnliche sein, da es wenigstens bei einem 18jährigen Individuum noch ganz exquisit sich fand.“ Die erwähnte KÖLLIKER- ‚sche Figur ist einem Femur-Querschnitte dieses Individuums entnom- men. Meine Untersuchungen zeigen nun auf die einfachste Weise, wo man dies letztere Querschnittsbild und wo andererseits das mit quergetroffienen HAvers’schen Kanälen zu erwarten hat. Je jünger der untersuchte Knochen, auf desto grösseren Strecken der Diaphyse überwiegt das Bild mit netzförmigen Kanälen; nach den beiden Knochen- enden zu geht es allmählich in das Bild mit quergetroffienen Kanälen über. Dieses letztere ist dagegen über um so grössere Strecken der Diaphyse verbreitet, je älter, d. h. je länger der Knochen ist, es ist das vorherrschende an erwachsenen Knochen.

So beeinflusst das Wachsthum an den Epiphysenenden den ganzen Aufbau der periostalen Knochenrinde; die Erkenntniss der Wachs- thumsgesetze verknüpft eine ganze Anzahl isolirt stehender anatomi- scher Thatsachen zu einem einheitlichen Ganzen, sie gewährt eine Er- klärung dieser scheinbar unvermittelten anatomischen Erscheinungen insofern, als sie die Thatsachen auf ein allgemeineres Prineip zurück- führt, auf die Vertheilung des Wachsthums innerhalb des Skelets der Extremitäten. Eine weitere Aufgabe muss es sein, den Ursachen dieser Wachsthumsverhältnisse nachzuspüren, eine Aufgabe, die ohne einen vergleichend anatomischen Umblick nicht zu lösen ist. Mit dieser Frage bin ich zur Zeit noch beschäftigt und hoffe in meiner grösseren Arbeit über das Knochenwachsthum bereits einiges Material für Lösung dieser Frage beibringen zu können.

Ich kann die Besprechung der Diaphysen-Structur nicht schliessen, ohne noch auf ein ganz grobes anatomisches Factum aufmerksam zu

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 335

machen, das jedenfalls längst bekannt, doch nicht beachtet und in seinem morphologischen und physiologischen Werthe gewürdigt wor- den ist.!) Ich meine die Verschiedenheiten, welche die Längsschnitte der Diaphysenrinde in den einzelnen Röhrenknochen in Betreff der Lage ihrer dicksten Stelle erkennen lassen. Aus den von mir ent- wickelten Wachsthumsgesetzen ergiebt sich schon vou vornherein, dass die dickste Stelle der Diaphysenrinde immer an der Stelle des ersten Ossificationskernes liegen muss, da über diesem das Periost am läng- sten Knochensubstanz ablagert; die Rinde muss ebenso selbstverständ- lich um so dünner werden, je näher sie den Epiphysenenden der Diaphyse liegt, sie muss sich nach beiden Enden zuschärfen. Da nun die letzteren verschieden rasch wachsen, so wird die Zuschärfung des Rinden-Längsschnitts an den beiden Enden derselben Diaphyse eine verschiedene sein. Wo die Endresultate des Wachsthums beider Dia- physenenden nahezu gleich sind, wird die Zuschärfung nach beiden Enden eine mehr oder weniger gleichmässige sein; die dickste Stelle der Rinde liegt hier ungefähr in der Mitte der Diaphyse. So verhält sich z. B. die Tihia und Fihula des Menschen. Ueberwiegst dagegen das Wachsthum des einen Diaphysenendes um ein bedeutendes das des anderen, so wird die Abnahme der Dicke rascher an der langsam wachsenden, allmählich an der schneller wachsenden Seite sein; oder mit anderen Worten: es liegt die dickste Stelle der Diaphysenrinde, bei ungleichem Wachsthum an beiden Enden, immer näher dem lang- samer, ferner dem rascher wachsenden Ende und zwar um soviel, als der Unterschied im Gesammtwachsthum beider Enden beträgt. Man findet demnach im Humerus die dickste Stelle der Compacta bedeutend näher dem unteren, im Radius und der Ulna in grösserer Nähe zum oberen Ende des Knochens; im Femur liegt die dickste Stelle etwa an der Grenze vom obersten und mittelsten Dritttheil des ganzen Knochens. Im Allgemeinen liegt dieselbe immer in der Umgebung der inneren Oeffnung des Ernährungskanals, wie aus dem früher Mit- getheilten mit Nothwendiskeit folgt. Wo das eine Ende der Dia- physe so gut wie gar nicht am Längenwachsthum des Knochens be- theiligt ist, wie z. B. am Humerus des Frosches das untere, an den Endphalangen des Menschen das distale, da hat die Compacta ihre

I) So behauptet fälschlicher Weise J. WoLrr (Ueber die innere Architectur der Knochen ete. Virchow’s Archiv Bd. 50 S. 394), dass die compacte Substanz am Oberschenkel in der. Mitte am dieksten sei, während die dickste Stelle etwas unterhalb der inneren Oefinung des oberen Ernährungskanals, etwa an der Grenze von oberem und mittlerem Drittel gelegen ist.

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grösste Dicke an diesem Ende und schärft sich einseitig nach dem proliferirenden Ende zu.

Eine praktisch wichtige Folgerung lässt sich aus diesen Thatsachen ziehen. Wo aus Mangel an embryonalem Material eine Bestimmung der Dicke der Knorpelproliferationszone behufs Beurtheilung der Wachs- thumsenergie nicht möglich ist, wo ferner auch die von mir angegebene Methode der Messung von der inneren Mündung des Ernährungskanals aus sich nicht ausführen lässt, genügt zur Feststellung der Frage, an welchem Ende überhaupt während der ganzen Entwicklung bis zum untersuchten Zeitpunkte sich mehr Knochensubstanz angebildet hat, eine einfache Betrachtung des Diaphysen-Längsschnitts. Aus ihm lesen wir sofort das Wachsthumsverhältniss beider Enden ab: stets liegt die dickste Stelle bei gleichem Wachsthum in der Mitte, bei ungleich- mässicem näher dem langsamer wachsenden Ende.

Für die statischen und mechanischen Verhältnisse der Knochen kann diese verschiedene Lage der dicksten Stelle der compacten Sub- stanz ebenfalls nicht ohne Bedeutung sein; muss doch die ungleiche Vertheilung der Masse auf die einzelnen Strecken der Knochen von Einfluss auf das Gewicht der Hebelarme bei den Bewegungen der Knochen gegen einander, von Einfluss auf die Lage des Schwerpunkts in den Knochen sein. Ich begnüge mich damit, auf diese Verhältnisse aufmerksam zu machen, deren Verfolgung ohne Zweifel noch manche interessanten Aufschlüsse über die Bewegungen des Körpers liefern werden.

Die in den vorstehenden Zeilen mitgetheilten Thatsachen haben sich alle in vollkommener Weise aus der Annahme einer Apposition an den Epiphysenenden und vom Periost aus, sowie einer Resorption von Seiten der Markhöhle erklären lassen. Sie führten aber zur Er- kenntniss, dass das periostale Wachsthum sich in etwas anderer Weise gestaltet, als man bisher annahm, weil das Periost interstitiell, der Knochen durch Anlagerung neuer Schichten wächst, die natürlich in Folge des interstitiellen Wachsthums des Periosts, an dessen Aus- dehnung die fertig gebildete Knochensubstanz nicht Theil nehmen kann, mit jeder neuen Schicht im Sinne der periostalen Verschiebung ebenfalls verschoben sein müssen. Wir sahen die Spuren dieser Ver- schiebungen der sich neu anbildenden gegen die bereits abgelagerte Knochenmasse in der Richtung der Ernährungskanäle, ja der Gefäss- kanälechen des Knochens überhaupt, deutlich ausgeprägt; wir können mit Sicherheit aus einer bestimmten Lage und Richtung der Ernährungs- kanäle auf ein bestimmtes Wachsthum der Diaphysenenden schliessen, die Richtigkeit dieser Schlussfolserung aber experimentell oder durch

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 337

die von mir erwähnten Messungen bestätigen. Umgekehrt können wir mit aller Bestimmtheit behaupten, dass, je nachdem das ursprüng- liche Foramen nutritium in der durch das Längenwachsthum des oberen oder des unteren Diaphysenstückes beeinflussten Zone liegt, es absteigend oder aufsteigend sein muss. Meine über die ganze Wirbel- thierreihe von den Amphibien an aufwärts sich erstreckenden Unter- suchungen haben stets diese Abhängigkeit der Richtung der Ernäh- rungskanäle von ihrer ursprünglichen Lage und dem Wachsthum der Diaphysenenden ergeben. Dabei kann es allerdings vorkommen, dass an den homologen Knochen verschiedener Thiere die Richtung ver- schieden ist, wie schon OLLIER’S oben erwähnten Beispiele ergeben. Dies kaun dann wieder einen verschiedenen Grund haben. Entweder liest das Foramen nutritium in verschiedenen Zonen des Knochens bei im Wesentlichen correspondirendem Wachsthume der Diaphysenenden; dies erklärt z. B., wie bereits oben bemerkt wurde, die verschiedene Richtung der Ernährungskanäle am Femur verschiedener Säugethiere; _ oder es ist das Wachsthum ein ganz anderes, als in den Fällen, die ich dieser Darstellung zu Grunde gelegt habe, in den menschlichen Röhrenknochen. Ein Beispiel hierfür bietet der Humerus von Sala- mandra maculosa, ferner der Schildkröten (Chelydra serpentina). Hier wächst abweichend von den Verhältnissen, wie sie sich bei Batrachiern und Säugethieren finden, das untere Ende des Humerus stärker, wie das obere, und der Ernährungskanal hat in Folge dessen trotz der Lage seiner äusseren Oefinung über der Mitte des Knochens, eine aufsteigende Richtung.

Man sieht die Probe zur Rechnung stimmt in allen Fällen. Wie soll man dagegen die Richtung der Ernährungskanäle, die allmähliche Veränderung ihrer Neigung, das Auftreten von Krümmungen (Femur), die von mir beschriebene Architectur der Compacta aus der Annahme eines interstitiellen Wachsthums erklären? Mit der extremen WOLFF- schen Ansicht, dass überhaupt keine Ablagerung vom Periost und den Epiphysen Statt finde, sondern nur ein interstitielles Wachsthum, ist dies offenbar gar nicht möglich, wie ich bereits oben gezeigt habe; denn ist dies Wachsthum ein gleichmässiges, so muss die Architeetur der Knochensubstanz offenbar zu allen Zeiten der Entwicklung, wie dies auch J. WOoLFF behauptete, geometrisch ähnlich sein. Wie es aber mit dieser von WOLFF gerühmten Aehnlichkeit der Architectur in der Compacta steht, haben diese Mittheilungen genugsam gezeigt; diese geometrische Aehnlichkeit existirt einfach nicht, ebenso wenig wie die der Spongiosa der Epiphysenenden. In letzterer Beziehung brauche ich nur daran zu erinnern, dass die Zahl der Spongiosa-Bälk-

338 G. SCHWALBE.

chen zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung eine verschiedene ist (BARDELEBEN!), VIRCHOW?), ferner dass die Epiphysenbälkchen anfangs durchaus nicht den benachbarten Diaphysenbälkchen correspondiren, wie man an jedem Durchschnitt z. B. durch das untere Ende einer Tibia mit noch erhaltener Epiphysenlinie wahrnehmen kann; endlich ist vor allen Dingen an die von der embryonalen Form abweichende Gestalt erwachsener Knochen zu erinnern, mit der uns LANGER ge- nauer bekannt gemacht hat; speciell der Nachweis, welchen LANGER lieferte®), dass der Hals des oberen Endes vom Oberschenkelbein sich mit fortschreitendem Wachsthum relativ verlängere, ist ein harter Schlag für die frühere WoLrr’sche Theorie des gleichmässisen inter- stitiellen Wachsthums. Gerade das vielgerühmte coxale Femurende hat diese Ansicht widerlest. Worrr’s letzte Arbeiten halten auch diese Theorie nicht mehr aufrecht; ein ungleichmässiges interstitielles Wachsthum soll die von LANGER hervorgehobenen Verhältnisse erklären, daneben aber schleicht sich schon leise in den Wourr’schen Ideen- kreis der Gedanke ein, sich bei Zeiten mit der Appositionstheorie gut Freund zu machen, um nicht gänzlich unter den Trümmern der Theorie des ausschliesslich interstitiellen Wachsthums zu erliegen. Den Knochen kleiner Thiere gesteht er zu‘), was er denen des Menschen versagt, ein Wachsthum durch Apposition. Für das obere Ende des Femur vom Menschen bleibt er dagegen bei der alten Ansicht, wie ich ver- muthe aus dem einzigen letzten Grunde, weil er auf Grund seiner mathematisch-mechanischen Vorstellungen sich nicht zur Annahme fort- währender Architeetur- Umwälzungen entschliessen kann; und hieran, glaube ich, thut WoLFF ganz recht. Aber selbst dies zugegeben, folgt daraus noch durchaus kein interstitielles Wachsthum. WoLrr°) hat freilich sich vergeblich bemüht, auf Grundlage des appositionellen Wachsthums eine Vergrösserung des coxalen Femurendes mit Erhaltung seiner Architectur zu verstehen, da dasselbe. sofort andere äussere Formen ergeben und, falls die Brauchbarkeit des Knochens erhalten bleiben solle, zu inneren Architeetur - Umwälzungen führen müsste. Seiner an SCHWEIGGER - SEIDEL und WEGENER gerichteten Aufforde-

1) Recension von EBERTH, Untersuchungen aus d. pathol. Institut in Zürich. Heft 1. Jenaische Literaturzeitung 1874. August.

2) Ueber Bildung und Umbildung des Knochengewebes. Berliner klinische Wochenschrift 4. und 11. Jan. 1875.

3) ]. ec. 8. 59—62.

4) J. Wourr, Zur Knochenwachsthumsfrage. Virchow’s Archiv Bd. 61 S. 452.

5) Virchow’s Archiv Bd. 61 S. 439. Tafel XIII Fig. 2.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 339

rung), ihn auf diesem Felde zu widerlegen, will ich hier kurz ent- sprechen. Zunächst ist hervorzuheben, dass man bei einem appositio- nellen Wachsthume nicht bloss, wie WOLFF dies thut, das Periost für neue Auflagerungen verantwortlieh machen darf, dass vielmehr die Epiphysenlinie das wesentlichste Element für das Längenwachsthum ist, gleichgültig wie man ihre Bilder im Speciellen deute. WOoLrrF denkt aber bei seiner Construction in Fig. 2 Tafel XVII nicht daran, berücksichtigt ferner durchaus nicht das Wachsthum des Trochanter major und behandelt den oberen Theil des Oberschenkelbeines als ein Knochenstück, obwohl wie Skizze Fig. 14 ergiebt, wenn wir absehen vom Trochanter minor, vom 4. Lebensjahre an drei selbstständig wachsende Knochen, die Diaphyse, der Kopf und Trochanter major darin zu unterscheiden sind. Die Diaphyse bildet dann natürlich in ihrer ganzen Epiphysengrenze Knochensubstanz an. Nun entsprechen aber die maassgebenden Architeeturlinien im Allgemeinen der Anord- nung der Knorpelzellensäulen; es werden also in der Richtung dieser die bereits bestehenden Bälkchen verlängert werden. In dem Alter von 4 Jahren, von dem meine Betrachtung ausgeht, existiren bereits die für das coxale Femurende charakteristischen Druck- und Zugeur- ven?), wie eine Vergleichung der Fig. 2 (Mädchen von 3 Jahren) mit Fig. 1 (vom Erwachsenen) auf Tafel X der Worrr’schen Arbeit im 50. Bande von Virchow’s Archiv überzeugend darthut; ist ja doch auch dies die Voraussetzung der Wourr’schen Theorie. Vergleichen wir nun mit diesen Linien; die ich nach WOoLFF in meine Skizze Fig. 14 eingetragen habe, die Stellung der Knorpelzellensäulen, so erkennt man, dass in der ganzen Zone von der Einsattlung zwischen Tro- chanter und Kopf bei a bis zur Gegend ce die Knorpelzellensäulen senkrecht zum Ossificationsrande stehen, also im Kopf anders, als im Sattel, da der Ossifieationsrand bei 5 keilföürmig vorspringt. Die

1) Virehow’s Archiv Bd. 61 S. 421. Centralbl. für d. medie. Wissensch. 1371. Nr; 35. S. 559.

2) Ich bemerke hier gelegentlich, dass die Entdeckung der Architeetur der Spongiosa älteren Datums ist, als man gewöhnlich glaubt. Schon im Jahre 1851 macht J. EnsEL in seiner Arbeit „Ueber die Gesetze der Knochen-Entwicklung“ (Wiener Sitzungsberichte) darauf aufmerksam und bildet sie (Taf. IV), wenn auch unvollkommen vom coxalen Femurende ab. Er erkennt ihre Bedeutung vollkommen an, indem er sagt: „Denn nicht ohne Zweck scheint die Architec- tonik in verschiedenen Knochen verschieden zu sein, und die Anwendung bald des Spitzbogens, bald des elliptischen Bogens, der Kreislinie, die Benutzung bald senkrechter Strebepfeiler, bald schräger Widerlager hat gewiss noch eine andere Bedeutung, als die das Auge des Anatomen durch zierliches Schnitzwerk zu

erfreuen.“ Zeitschrift f. Anatomie, Bd. I. 23

340 G. SCHWALBE.

Knorpelzellensäulen sind in unserer Figur roth eingezeichnet und man sieht, dass sie den maassgebenden Druckbälkchen entsprechen. Von c bis d findet sich eine schiefe Stellung der Knorpelzellensäulen, die es bedingt, dass das Feld cdf eine abweichende Architectur erhält. Am Trochanter ist die Grenzlinie' der Diaphyse gegen den Knorpel ebenfalls durch regelmässig schief gestellte parallele Knorpelzellen- säulen ausgezeichnet und zwar in der ganzen Ausdehnung von e bis a; ihre Richtung stimmt mit der Richtung der Zuglinien überein, wie sie besonders schön an Frontalschnitten des coxalen Femurendes auf der lateralen Seite unterhalb der Epiphysenlinie des Trochanter her- vortreten. Bedenkt man nun, dass die Knochenbildung in der Linie bd rascher erfolgt, wie in der Linie et), dass ferner das am weitesten vorgeschobene Ende des Diaphysenkeils «5 bald das Periost erreicht und damit den Epiphysenknorpel in zwei selbstständige Stücke zer- theilt, so hat man alle Momente, die nöthig sind, um ein appositio- nelles Wachsthum des oberen Femurendes mit der Erhaltung der typischen Architeetur zu vereinbaren; eine Annahme innerer Archi- tectur-Umwälzungen erscheint nun nicht mehr nothwendig. Nur von einer Seite her findet Resorption Statt, von Seiten der Markhöhle, die allmählich, wie man dies aus der Vergleichung meiner Figuren 13 und 14, sowie aus der Betrachtung der WoLrr’schen Photographien Fig. 1, 2 und 3 der bereits erwähnten Tafel X erkennen kann, immer weiter gegen das obere Ende vordringt und demnach successive die zu früheren Zeiten gebildeten, an die Markhöhle grenzenden endo- chondralen Bälkchen vernichtet. Diese in früheren Zeiten innerhalb der Diaphyse gebildeten Bälkchen stimmen ferner und dies betone ich gegen WOoLFF und dessen Theorie durchaus nicht mit denen des späteren coxalen Femurendes überein. Ich berufe mich dabei vor allen Dingen auf WoLrr's Fig. 4 Tafel X, die Architeetur des oberen Femurendes eines Neugebornen darstellend.e Eine aufmerksame Be- trachtung der maassgebenden Linien dieser Figur ergiebt, dass sie sämmtlich senkrecht zum leicht convex in den Knorpel prominirenden Össificationsrande gerichtet sind, wie dies in meiner Skizze Fig. 12 an dem entsprechenden Femurschnitte eines etwas älteren Kindes dar- gestellt ist; und auch hier wieder stimmt die Richtung der die Phy- siognomie des Bildes beherrschenden Bälkchen mit der der Knorpel- zellensäulen (roth eingezeichnet) überein. Auch die Architectur der Fig. 3 Tafel X von WOoLFF, einem 1?/,jährigen Knaben entnommen,

1) Die Länge der Knorpelzellensäulen ist nach meinen Messungen in Linie bd bedeutender als in ae.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochen vachsthum. 341

kann ich durchaus nicht den Architecturen weiter entwickelter Knochen (Fig. 2 und 1 derselben Tafel) geometrisch ähnlich finden. Man sieht deutlich: die Richtung der Zug- und Druckbälkchen hängt zunächst ab von der Richtung der Knorpelzellensäulen; diese wird wieder modi- fieirt durch die Configuration der Grenzlinie der Diaphyse, indem die Knorpelzellenreihen meist senkrecht zu derselben stehen, nur in späterer Zeit, besonders gegen den Knorpel des Trochanter major, eine schiefe Richtung annehmen. Die Configuration der Diaphysengrenze steht aber offenbar wieder im Zusammenhange mit der Art und Weise, wie sich das Längenwachsthum des endochondralen Knochens auf dem Querschnitt der Diaphyse vertheilt. Vergleicht man die von mir wie- dergegebenen Skizzen (Fig. 12—14) dreier verschiedener Altersstadien des oberen Femurendes, so sieht man deutlich, dass in ‘der Axe des Knochens die grösste Intensität der endochondralen oder jmedullären Apposition herrscht und von da nach der Peripherie abnimmt. Wie dies schliesslich zur Zersprengung des Epiphysenknorpels in zwei selbstständige Stücke führt, habe ich oben bereits auseinandergesetzt. Es stimmen diese Betrachtungen vollkommen zu "den interessanten Versuchsergebnissen von HAAB!). Er fand, dass Stifte, welche jungen Katzen in die Tibia senkrecht zur Längsaxe eingeschlagen waren, all- mählich in Folge einer Resorption von Seiten der Markhöhle in diese hinein gerathen und dabei im Markgewebe eine mehr oder weniger schiefe Stellung annehmen. HaaAB selbst erklärt diese Verschiebung der Stiftenden aus einem Zuge, den das wachsende Mark ausübt, „der von der Mitte aus nach beiden Epiphysen hin geht und gegen die . Epiphysen hin an Stärke zunimmt. Der Zug ist am stärksten in den axialen Partien und wird schwächer und schliesslich gleich Null, je mehr man sich den an die Knochenwandungen stossenden Partien nähert.“ So die interessanten Angaben Haap’s. Es ist einleuchtend, dass dieser experimentell erwiesene Wachsthumszug des Knochenmarks sich in ähnlicher Weise aus einer interstitiellen Ausdehnung des Markes ableiten lässt, wie der periostale aus einem solchen des Periosts. Es verschiebt sich das Mark in Folge dessen auf der inneren Fläche des knöchernen Tubus medullaris und wird an den von der Resorption nicht betroffenen Enden der Diaphysen, in ähnlicher Weise die Archi- tectur der Spongiosa beeinflussen können, wie die Verschiebungen des Periosts die des periostalen Knochens, nur dass die Architecturlinien

1) Experimentelle Studien über das normale und pathologische Wachsthum der Knochen. Untersuchungen aus d. patholog. Institut zu Zürich. Heft III. S. 49. Tafel III. Fig. 5.

23°

342 G. SCHWALBE.

im umgekehrten Sinne fächerförmig vom neutralen Punkte ausstrahlen müssen, beim periostalen Knochen schief nach aussen, beim medul- lären Knochen schief gegen die Axe des Knochens gerichtet, um so schiefer, je ferner dem neutralen Punkte. Es ist nicht zu verkennen, dass diese Momente sicher von grossem Einfluss auf die Anordnung der Spongiosabälkchen sein werden; da meine Untersuchung hierüber indessen noch nicht abgeschlossen ist, begnüge ich mich mit dieser Andeutung.

Wir haben nunmehr gesehen, dass weder WoLFF’s Voraussetzung der zu allen Zeiten bestehenden geometrischen Aehnlichkeit für das coxale Femurende zutrifft, noch seine Einwände gegen die Erklärung der vom 3. Lebensjahre an nahezu übereinstimmenden Architecetur vom Standpunkte der Appositionstheorie aus. Gegen das Urtheil der Mathematiker in diesen und ähnlichen morphologischen Fragen habe ich gewiss nichts einzuwenden; nur muss ihnen eine richtigere Unterlage für ihre Untersuchungen gegeben werden, als diese ihnen WOLFF geboten; dann wird sicherlich dies Urtheil anders ausfallen.

Sind somit die Bilder, welche das coxale Femurende in den ver- schiedenen Zeiten der Entwicklung darbietet, vom Standpunkte der Appositionstheorie aus ohne Zuhülfenahme fortwährender Architectur- Umwälzungen zu erklären, so fällt auch das letzte Argument für eine ungleichmässige Expansion weg, um so mehr als ja nach WOLrFF die Knochen kleiner Thiere in ihrem Aufbau ohne interstitielles Wachs- thum fertig werden können, eine Verschiedenheit des Wachsthums, die wohl Niemand annehmen wird, der, seinen Blick erweiternd durch das Studium der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, die Erkenntniss gewonnen hat, dass in den fundamentalen morpholo- gischen Erscheinungen die Thiere wenigstens eines und desselben Typus, geschweige denn derselben Wirbelthierklasse übereinstimmen.

Aber selbst wenn wir alles dies nicht gelten lassen, so sind es wieder die von mir in dieser Arbeit mitgetheilten Thatsachen, an denen die Expansionstheorie WoLFF’s vergebens ihre Lebensfähigkeit zu beweisen suchen wird. Denn unmöglich wird man so weit gehen wollen, einer jeden Schicht der compacten Knochenrinde einen ver- schiedenen Grad der Ausdehnung zuzuschreiben; nur auf diese Weise wäre es möglich die Veränderung der Richtung und Neigung, vor allen Dingen die Krümmungen der Ernährungskanäle mittelst einer Expansion der Knochenmasse zu erklären. Genau betrachtet wäre dann dies aber nichts Anderes, als die von mir entwickelte Theorie der periostalen Ablagerungen, nur dass im ersteren Falle die Thätig-

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 343

keit des Periosts in Abrede gestellt, in letzterem dagegen als Bedin- sung hervorgehoben wird. Ist Ersteres der Fall, so ist wieder kein vernünftiger Grund für die ungleichmässigen Expansionen der einzelnen Schichten einzusehen, während die wohl nur von WOoLFrF in Abrede gestellte Thätigkeit des Periosts mit Berücksichtigung des im ersten Theile dieses Aufsatzes Mitgetheilten Alles erklärt.

Nicht anders wie mit den Wourr'schen Beweisen für das inter- stitielle Wachsthum steht es nun mit den Ausführungen STRELZOFF’S. Dieser fleissige Forscher behauptet bekanntlich, dass die Mark- höhle der Röhrenknochen nicht durch Resorption, sondern durch Ex- pansion der Knochensubstanz gebildet und erweitert werde. Sehen wir ganz davon ab, dass bereits von KÖLLIKER!), HEUBERGER?), STEUDENER°) und Anderen durch sorgfältige mikroskopische Beob- achtungen eine Resorption bereits gebildeter Knochensubstanz gegen STRELZOFF nachgewiesen ist, so ergiebt eine einfache Ueberlegung, dass bei Annahme einer Ausweitung der Markhöhle durch „Expan- sion“ die Ausbildung einer so typischen Architectur, wie ich sie für die Compacta der Röhrenknochen beschrieben habe, nicht möglich ist. Denn mag dieselbe ohne periostale Auflagerungen, wie WOLFF will, oder nach STRELZOFF’S Ansicht combinirt mit einer periostalen Appo- sition erfolgen, so muss, soll eine Markhöhle gebildet werden, offenbar die Knochensubstanz gedehnt werden und von einem interstitiellen Wachsthum kann dann nur in geringem Maasse die Rede sein, da bei gleichzeitiger und in demselben Maasse erfolgender interstitieller Ab- lagerung der Tubus medullaris nicht vergrössert, bei überwiegender Intussusception sogar verengert werden müsste. Diese Auffassung scheint STRELZOFF mehrfach gefühlt zu haben, ohne es jedoch zu einer einheitlichen klaren Anschauung dessen, was eine Entstehung der Markhöhle durch Expansion bereits gebildeter Knochensubstanz bedeute, zu bringen; denn bald lässt er, wie beim Tubus medullaris, eine Er- weiterung des Kanals die Folge einer Expansion sein (Genetische u. topogr. Studien des Knochenwachsth. S. 160), bald eine Verengerung, wie bei den Havers’schen Kanälchen (ebenda S. 175) und an anderen Orten (ebenda S. 140) wird wieder eine Erweiterung der Ernährungs-

l) Die normale Resorption des Knochengewebes.

2) Ein Beitrag zur Lehre von der normalen Resorption und dem intersti- tiellen Wachsthum des Knochengewebes. Verhandl. d. Würzb. physik.-med. Ge- sellsch. VII.

3) Beiträge zur Lehre von der Knochenentwicklung und dem Knochenwachs- thume. Abhandlungen der naturf. Gesellsch. zu Halle 1875.

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kanäle durch Expansion bedingt! Dem entsprechend sollen sich nach STRELZOFF die Knochenschichten bei der Expansion bald verdünnen. (S. 161), bald verdicken, ohne dass dieser Forscher einen Versuch macht, die eben bezeichneten Widersprüche aufzulösen; er führt eben einen nicht bewiesenen Vorgang überall da als Erklärung ein, wo es. ihm passt, und wenn diese Erklärung in der einen Form nicht mög- lich ist, so verändert sie unmerklich einige Seiten darauf ihre Natur und erscheint in ganz anderer Gestalt, aber in demselben Gewande „der Expansion“.

Sehen wir nun von diesen Widersprüchen in STRELZOFF’S Erklärun- gen ab, unterscheiden wir stets eine Dehnung und Wachsthum durch Intussusception, so wird bei einfacher Dehnung der Knochensubstanz vor allen Dingen eine Erweiterung der in dieser Lamelle befindlichen. Kanäle, sowie eine Verdünnung der ganzen Lamelle beobachtet werden müssen. Dieser Vorgang muss, falls nicht die äusseren Knochenlagen der Diaphyse vom Periost geliefert werden, alle Knochenschichten gleich- mässig betreffen, da, sobald die innere oder äussere Lage irgend wie eine verschiedene Spannung besässen, Risse in der äusseren oder Spalten zwischen äusserer und innerer eintreten müssten. Bei einer solchen gleichmässigen Dehnung kann aber unmöglich die von mir beschriebene Structur der Compacta zu Stande kommen. Eine allmäh- lich nach innen abnehmende stärkere Expansion der äusseren Lagen ist ferner schon deshalb nicht möglich, weil dann die Ernährungs- kanäle in ihrem äusseren Stücke weiter sein müssten, als im inneren. Ich habe aber gerade das Entgegengesetzte beobachtet: die innere Mündung ist constant weiter wie das äussere Kanalstück, gleichsültig welches Stadium man untersucht, und während des embryonalen Lebens ist überhaupt keine |Erweiterung des Kanals nachzuweisen; dieselbe beginnt erst nach der Geburt und erreicht nie einen bedeu- tenden Umfang; sie lässt sich einfach aus dem interstitiellen Wachs- thum des Periosts, aus der Zunahme des Durchmessers der in den Knochen dringenden Ernährungsgefässe erklären, denen natürlich bei der periostalen Ossification ein geräumigerer Kanal bereitet wird.

Nach Allem bleibt also nur noch übrig, die Markhöhle durch Expansion des endochondralen Knochens entstehen und für den peri- chondralen ein ausschliesslich appositionelles Wachsthum eintreten zu lassen; aber auch dies hilft nicht viel, da dies nur die erste Aus- höhlung der Markhöhle, nicht die bedeutende Erweiterung erklären würde; denn sobald die Aushöhlung bis an den perichondralen Knochen gelangt ist, kann ja nach meinen Auseinandersetzungen keine Expan- sion im STRELZOFF’schen Sinne mehr Statt finden; und die Markhöhle

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 345

nimmt doch später den Raum ein, in welchem früher ansehnliche periostale Lagen existirten. Kurz alle unsere Reflexionen führen uns zur Unhaltbarkeit der STRELZOFF’schen Anschauung, zur Annahme dagegen einer Entstehung der Markhöhle durch Resorption, wie solche kürzlich wieder experimentell durch die Versuche Haap’s (l. c.) ge- stützt worden ist. In diesem Lichte gesehen, erscheint nun auch die Vergrösserung der inneren Oeffnung der Ernährungskanäle verständ- lich; es erscheint ferner begreiflich, dass an einigen Stellen Knochen- plättehen längere Zeit der Resorption widerstehen, wie an anderen, so vor Allem auf der der Markhöhle zugekehrten Seite des Ernährungs- kanals, welche sehr häufig in Gestalt eines longitudinalen Wulstes in die Markhöhle prominirt.

Diese Bemerkungen mögen hier genügen zur Charakterisirung mei-. nes Standpunkts gegenüber den Anschauungen WOLFF’Ss und STREL- ZOFF'S. Es erübrigt noch einige Consequenzen meiner Ermittelungen über das Knochenwachsthum zu ziehen, welche in sehr einfacher Weise die Widersprüche erklären, welche zwischen den Experimenten WOLFF’S und anderer Forscher, wie OLLIER, LIEBERKÜHN!), MAAS), WEGNER?), HaaAB) existiren. Während von letzteren durch eine grosse Zahl von Versuchen der Nachweis geliefert wird, dass Stifte, welche in be- stimmten Abständen senkrecht zur Längsaxe des Knochens an irgend einer Stelle der Diaphyse eingeschlagen werden, ihre Abstände unter einander beim Wachsthum der Knochen nicht verändern, dagegen von der Epiphysenlinie sich entfernen, behauptet WoLFF ein Auseinander- rücken der Stifte wahrgenommen zu haben, welches allerdings in den meisten Fällen nur !/, bis 1!/), mm. betrage, ausnahmsweise jedoch (Scapula des Kaninchens) 9 mm. messen könne. Auch OLLIER?) er- hielt zuweilen von der Tibia des Huhns ähnliche Resultate, deutet sie aber nicht auf ein interstitielles Wachsthum des Knochens wie WOLFF, sondern erklärt sie aus einer Lockerung innerhalb der Knochen- substanz und Verschiebung durch das interstitiell wachsende Periost. Ich kann mich nur vollständig auf Grund der in dieser Arbeit dar- gelegten Thatsachen der Meinung von ÖLLIER anschliessen und aus

!) Zur Lehre vom Knochenwachsthum. Sitzungsberichte d. naturf. Gesellsch. zu Marburg. 6. März 1872.

2) Zur Frage über das Knochenwachsthum. Langenbeck’s Archiv. Bd. 14. S. 198. 3) Ueber das normale und pathologische Wachsthum der Röhrenknochen. Virchow’s Archiv. Bd. 61. 8. 44.

4) ]. ce.

5) Recherches experimentales etc. Archives de physiol. V. 1873. p. 31.

346 G. SCHWALBE.

denselben Gründen HaAg’s Einwürfe gegen ein interstitielles Wachs- thum des Periosts, das er doch dem Knochenmarke zugesteht, nicht gelten lassen. Meine Theorie der Ernährungskanäle und der Archi- tectur des periostalen Knochens ergiebt ohne Weiteres, in welchem Sinne jene Verschiebungen erfolgen müssen: in der vom oberen Ende beeinflussten Gegend nach dem oberen Ende hin, im Gebiete des unteren Endes nach diesem zu. Ein von LIEBERKÜHN erhaltenes Ver- suchsresultat erläutert dies in schlagender Weise. In eine 44 mm. lange Tibia eines jungen Hundes wurden 2 Stifte im Abstande von 23 mm. eingeschlagen, der Art, dass der obere Stift 3,5 mm. vom oberen Ende, der untere demnach 26,5 vom oberen, 17,5 vom unteren entfernt war. Der untere lag also entschieden in dem vom unteren Epiphysenende der Diaphyse beeinflussten Stücke, da zu dieser Zeit das Wachsthum am unteren Ende der Tibia noch ein sehr beträcht- liches, dem am oberen Ende nahezu gleiches ist. Nach 6 Monaten hatte der Abstand beider Stifte bis auf 32 mm. zugenommen, der Art, dass der obere Stift senkrecht zur Längsaxe erhalten war, der untere dagegen mit seinem inneren Ende in seiner ursprünglichen Entfernung vom oberen erhalten (23 mm.), mit dem äusseren Ende dagegen nach unten um 9 mm. verschoben war. LIEBERKÜHN ver- muthet bereits irgend einen Vorgang, der das frei über die Knochen- oberlläche hervorragende Stück dieses Stiftes nach abwärts drücke; welcher Art dieser Vorgang ist, ergiebt sich nunmehr nach dem von mir Mitgetheilten von selbst. Dass der obere Stift nicht eine Ver- schiebung im entgegengesetzten Sinne zeigte, wurde durch die bessere Fixirung, tieferes Einkeilen und in Folge dessen durch Ueberlagerung mit den neugebildeten periostalen Knochenschichten bewirkt. Sobald leicht bewegliche freie Enden der Stifte herausragen, müssen dieselben dagegen von dem Zuge des Periosts beeinflusst werden, um so leichter, je feiner sie sind. Nun hat WoLFF nur mit den feinsten Drähten experimentirt, dagegen WEGNER mit gröberen Stiften; es erscheint daher nichts natürlicher, als dass WoLrF Vergrösserung der Abstände, WEGNER Erhaltung der Entfernungen beobachten musste. Je weiter die feinen Stifte hervorragen, desto grösser muss schliesslich die Ent- fernung ihrer äusseren Enden ausfallen. Gröbere Stifte setzen dagegen, wie dies schon ÖLLIER!) in ausgezeichneter Weise erläuterte, dem sich verschiebenden Perioste einen Damm entgegen, sodass es sich gleichsam staut, an den Seiten vorbeifliesst und unmittelbar hinter dem Stifte in Folge mangelnder Knochenbildung eine Furche entstehen

1) Recherches experimentales p. 33.

E

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 347

lässt. Ich muss mich dieser Erklärung vollkommen anschliessen und kann als etwas Analoges aus dem Kreise des nicht künstlich beein- fiussten Knochenwachsthums die mehr oder weniger langen Rinnen bezeichnen, welche in die äusseren Oeffnungen der Ernährungskanäle einmünden; sie kommen nicht nur den absteigenden Kanälen zu (dies würde sich ja einfach aus dem engen Anliegen der Ernährungsgefässe am Knochen erklären), sondern auch den aufsteigenden, obwohl hier eine direetere Durchbohrung des Periosts zur äusseren Oefinung hin Statt findet.

Aus demselben Principe der periostalen Verschiebungen erklärt sich nun eine Reihe anderer Thatsachen, welche bisher für das inter- stitielle Wachsthum ins Feld geführt sind, so die von VOLKMANN'!) angeführten pathologischen Fälle, sei es, dass sie die Erhaltung der relativen Lage von geheilten Fracturen, sei es von Exostosen besagen. Es erklärt sich daraus ferner der WoLrr’sche Versuch mit dem Längs- ringe, der eine Verbiegung des Knochens nach der Seite des Längs- drahtes, also eine Wachsthumshemmung auf dieser Seite ergiebt. Da die beiden Fusspunkte des Längsdrahtes die Verschiebungen nach bei- den Knochenenden nicht mitmachen können, die auf der entgegen- gesetzten Seite des Knochens nicht gehindert sind, so wird eine Stauung des Periosts, eine Hemmung seines Längenwachsthums auf dieser Seite, also eine Verkrümmung eintreten müssen, wie dies auch LiEBERKÜHN bei Gelegenheit seines oben erwähnten Stiftversuches statuirt. Es erklärt sich ferner das abweichende Resultat, welches WOLFF?) in einigen Fällen bei Anstellung des DumAmer’schen Ring- versuches erhielt, die Einbiegung der periostalen Knochenrinde, ein- fach daraus, dass an der Stelle des Ringes trotz der entgegengesetzten Meinung von WOLFF keine neue Auflagerung, wohl aber daneben eintrat. Dass die HAvers’schen Kanälchen dann ebenfalls eingebogen sein müssen, ergiebt eine einfache Construction nach meinen Angaben über das periostale Wachsthum; denn es werden ja durch den Ring die innerhalb dieser vorhandenen Kanälchen durchaus nicht ausser Continuität gesetzt mit den über und unter dem Ringe sich neubil- denden HAvErs’schen Kanälen. Wenn einmal, wie in dem WOLFF- schen Versuche, der Ring so angelegt ist, dass er nicht von neuen periostalen Schichten bedeckt, also in der Compacta eingeschlossen

I) Notiz betreffend das interstitielle Knochenwachsthum. Medic. Centralbl. 1870, Nr 9. 8. 129.

2) Ueber die Expansion des Knochengewebes. Berl. klin. Wochenschrift Nr. 6. .S. 16-19.

348 G. SCHWALBE.

werden kann, so kann gar keine andere Anordnung der Kanälcher eintreten, als die von WOLFF beschriebene. !)

Auch Guppen’s?) Beweise für das interstitielle Wachsthum der Schädelknochen werden hinfällig, da sie auf dasselbe von mir ent- wickelte Princip des appositionellen Wachsthums mit periostalen Ver- schiebungen zurückzuführen sind. GUDDEN benutzte anstatt der Stifte als Marken auf der Oberfläche der in ihren Wachsthumsverhältnissen zu untersuchenden Knochen (Scheitelbein des Kaninchens) feine Bohr- löcher; nach einigen Wochen war eine geringe Entfernung der Bohr-. löcher von einander nicht zu verkennen; sie ist um so ausgesprochener, je näher den Rändern die Marken angebracht werden. GUDDEN selbst giebt uns aber das Mittel in die Hand, um dieses Resultat nach der Appositionstheorie in der befriedigendsten Weise zu erklären. Er sah sehr häufig), „dass, während an der inneren Schädeltläche die rund- liche Form der Marken sich erhalten, diese an der äusseren in ein mit der Spitze gegen die bezügliche Naht vorschiebendes Dreieck sich verwandelt hat“. Mit anderen Worten: die in den Knochen einge- bohrten und Ernährungskanäle imitirenden Löcher erleiden dieselben Veränderungen wie die Ernährungskanäle selbst beim weiteren Wachs- thum; ihre äussere Mündung wird nach der Seite verschoben, welche die betreffende periostale Strecke durch ihr appositionelles Rand- wachsthum beeinflusst, um so mehr, je näher sie dem betreffenden Knochenrande sich befindet. Nirgends kann man aber auch den aus denselben Principien abzuleitenden Aufbau der Knochensubstanz deut- licher erkennen, wie an dieser Stelle. Der der neutralen Zone der Röhrenknochen entsprechende Punkt liegt hier offenbar im Tuber parietale; von hier aus strahlen die Kanäle nicht nur in bekannter Weise im Allgemeinen radiär zum Knochenrande aus, sondern sie streben, wovon ich mich an Schnitten parallel den vom Tuber aus- strahlenden Radien überzeugt habe, auch schräg unter spitzen Win- keln zur Oberfläche des Knochens, worauf schon BRucaH ) aufmerksam gemacht hat, und zwar bilden sie einen um so spitzeren Winkel mit dem Periost, je näher dem Knochenrande ihre äusseren Mündungen

!) Zu einem genaueren Eingehen auf das Worrr’sche Präparat fehlen noch verschiedene Angaben, so über die Dicke des Knochens innerhalb des Ringes, so wie über und unter demselben, ferner die genaue Angabe des Abstandes des Ringes von den Diaphysenenden etc.

2) Experimental-Untersuchungen über das Schädelwachsthum. München 1874. Ss. 25—27.

SWIh, Su AL,

4) 01.20.28:.1002u35101.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 349

sich befinden. Man erkennt also sofort dasselbe Princip des periostalen Wachsthums, wie ich es oben für die Röhrenknochen entwickelt habe.

Dem Guppen’schen Versuche an den Schädeldeckknochen ent- sprechend sind die Resultate, welche das Längenwachsthum des Femur für die beiden Foramina nutritia externa dieses Knochens ergiebt. Da, wie oben erwähnt, bis nahe zum vollendeten Wachsthum das obere Loch in einen absteigenden, das untere in einen aufsteigenden Kanal führt, auf die Mündung des oberen der Zug des oberen, auf die des unteren Foramen der des unteren Epiphysenendes wirkt, so muss mit weiterem Wachsthum in Folge periostaler Verschiebungen eine Entfernung der beiden Ausmündungen Statt finden, ohne die von mir gegebenen Aufschlüsse über ‚die Art des periostalen Wachs- thums scheinbar ein schlagender Beweis für ein Wachsthum durch Intussusception. Die absolute Entfernung beträgt im embryonalen Leben im Mittel aus 12 Fällen 13 mm., bei Erwachsenen im Mittel aus ebenfalls 12 Fällen dagegen 100 mm., sie ist also eine sehr be- deutende; ihre relative Lage zu den Enden des Femur verändern da- gegen die beiden Foramina kaum. Auch die beiden inneren Mün- dungen rücken mit dem Wachsthum auseinander, aber nicht um mehr, als sich aus einer Resorption von der Markhöhle aus erklären lässt, die ich, wie oben erwähnt, zur Erklärung einiger von mir beobachteter Erscheinungen mit den meisten Forschern annehmen muss. Bis zur Geburt beträgt die Entfernung beider innerer Oefinungen im Mittel 7,5 mm., beim Erwachsenen im Mittel 35, sodass also das beobachtete Auseinanderrücken etwa 27,5 mm. beträgt, was gegen die Zunahme des Abstands beider äusseren Oeffnungen gering genug erscheint.

Ich kann diese Bemerkungen über die Folgerungen aus meinen Ermittlungen über das Knochenwachsthum nicht schliessen, ohne noch eines Verhältnisses hier zu gedenken, welches kürzlich von VIRCHOW!) wieder für die Möglichkeit eines interstitiellen Wachsthums des Unter- kiefers angeführt wurde. Noch nach der Vereinigung beider Unter- kieferhälften wird eine Entfernung der Foramina mentalia von ein- ander beobachtet. Berücksichtigt man aber, dass nun nicht bloss die Schicht fortfällt, welche fortwährend beide Unterkieferhälften durch neuen Ansatz von Knochenmaterial von einander entfernen, sondern eben durch dieses Epiphysenwachsthum einen Zug auf die periostale Bekleidung des Unterkiefers ausüben musste, so ist es klar, dass nun das Periost bei seinem fortdauernden interstitiellen Wachsthume aus- schliesslich in der Richtung nach dem Winkel und Aste jeder Unterkiefer-

I) Berliner klinische Wochenschrift 4. u. 11. Januar 1875.

350 G. SCHWALBE.

hälfte hin sich verschieben wird. Dies kann nicht ohne Verschiebung der Foramina mentalia nach hinten, resp. aussen, Statt finden. Dabei muss aber nothwendig eine Schiefstellung des Foramen 'eintreten der Art, dass beim Erwachsenen der Kanal, welcher früher nach aussen, vorn und oben mündete, nunmehr seine Mündung nach hinten und oben wendet. Und dies wird in der That beobachtet.

Man sieht aus Allem, die von mir entwickelten Principien sind ungemein fruchtbar; sie erklären in überraschend einfacher Weise Er- scheinungen, die bis jetzt für sichere Bollwerke eines interstitiellen Wachsthums gehalten wurden; sie. erklären ferner Formverhältnisse, wie die Richtung, Neigung und Krümmung der Ernährungskanäle, sowie der Havzrs’schen Kanälchen der Compacta auf das Befriedi- gendste aus einfachen mechanischen Principien und ermuthigen uns nicht nachzulassen in den Versuchen, den nächsten mechanischen Ursachen der Formverhältnisse des Körpers, den Wachsthumsgesetzen, nachzuspüren, die ihrerseits wieder durch die Thatsachen der Ver- erbung und Anpassung beherrscht und modifieirt werden.

Jena im Oktober 1875.

Erklärung der Abbildungen.

Taf. XV.

Fig. 1. Schema der Richtung der Ernährungskanäle in den langen Röhren- knochen der Extremitäten des erwachsenen Menschen. 4, Humerus. R, Radius. U, Ulna. Fe, Femur. 7, Tibia. Fi, Fibula. Die Pfeile deuten die Richtung der Kanäle an; die rothen Kreise zeichnen die vom 1. Lebensjahre an stärker wachsenden Enden aus.

Fig. 2. Schema über die periostalen Verschiebungen bei gleichem Wachs- thum an beiden Diaphysenenden. Erklärung im Text.

Fig. 5. Dasselbe für ein ungleiches Wachsthum beider Diaphysenenden. Neutraler Punkt in 2, II. Erklärung im Text.

Fig. 4. Zur Darstellung des Einflusses, welchen das Verhältniss von Län- gen- zum Dickenwachsthum der Röhrenknochen auf die Neigung der Ernährungs- kanäle ausübt. Ak Richtung des Kanals bei gleichmässiger Zunahme nach Länge und Dicke, Ae Richtung bei Ueberwiegen des Längenwachsthums (roth gezeichnet).

Fig. 5. Schema über die Riehtung der Ernährungskanäle und die Wachs- thumsverhältnisse der Extremitätenknochen bei etwa 5 Monat alten Foeten.

Ueber die Ernährungskanäle der Knochen und das Knochenwachsthum. 351

Bezeichnung wie in Fig. 1. Die Ernährungskanäle in Radius und Ulna, sowie der obere des Femur haben noch eine absteigende Richtung.

Fig. 6. Schema zur Demonstration der Umkehr, welche in der Richtung der Ernährungskanäle bei Radius, Ulna und Femur beobachtet wird. Drei Wachsthumsstadien A, B und ©. B und A wachsen am unteren Ende in dem- selben Verhältniss; eine kleine Abnahme des Wachsthums am oberen Ende be- dinst schon in B eine horizontale Stellung des in 6 beginnenden Ernährungs- kanals, und ein geringes Ueberwiegen des Wachsthums am unteren Ende trotz Zunahme auch am oberen in C hat zur Folge, dass der Kanal aufsteigend wird.

Fig. 7. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle der Diaphyse eines 290 mm. langen Femur. Der obere Kanal ba ist absteigend, der untere auf- steigend.

Fig. 8. Längsschnitt durch beide Ernährungskanäle eines erwachsenen Femur (von 456 mm. Länge). Beide Kanäle sind aufsteigend; der untere ist nur in seinem innersten Abschnitte dargestellt.

Fig. 9. Die beiden Durchschnitte in Fig. 8 und 9 mit ihren entsprechenden Punkten auf einander gelegt; der Durchschnitt des jüngeren Knochens mit rothem Grunde. Man erkennt, dass die Stücke ab und be eine zusammenhän- sende Curve beschreiben.

Fig. 10. Schematische Darstellung der Linien, in welchen die periostalen Bälkchen der Humerus-Diaphyse beim Wachsthum sich verlängern und die durchbohrenden Havers’schen Kanälchen verlaufen müssen. A. Natürliche Grösse des Durchschnitts der periostalen Diaphysenrinde vom Humerus eines Neuge- borenen. Länge der äusseren Oberfläche cd = 75 mm., der inneren Oberfläche ab = 20 mm. (entsprechend der dünnen, periostalen Hülse eines dreimonatlichen Fötus). B. Dasselbe, dreimal vergrössert, mit eingezeichnetem Verlauf der Havers’schen Kanälchen und des Ernährungskanals. for. n. e. äussere, for. n. i. innere Oefinung des Ernährungskanals.

Fig. 12. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Monate alten Kindes. In der Diaphyse sind die wichtigsten Architeeturlinien eingezeich- net, an der Epiphysengrenze die Richtung der Knorpelzellensäulen durch rothe Linien angedeutet. Natürliche Grösse.

Fig. 13. Frontalschnitt durch das obere Ende des Femur eines 3 Jahre alten Kindes. Knochenkern a im Kopfe. Bei m die Markhöhle. Natürliche Grösse.

Fig. 14. Dasselbe von einem 4jährigen Kinde. m, Markhöhle. Die Dia- physe mit Architeceturlinien. Rothe Striche bezeichnen wie in Fig. 12 die Richtung der Knorpelzellensäulen. Knochenkern im Kopf und im Trochanter major. Na- türliche Grösse. Genaueres über diese Figur sowie Fig. 12 u. 13 siehe im Text.

Taf. XVT.

Fig. 11a. Oberes Ende der compacten Rinde der Tibia eines achtmonat- lichen Fötus im Längsschnitt. & Endochondraler, b perichondraler Knochen. ed deutet die Richtung der Grenze zwischen beiden an. Die Seite 5b, ce ist von Periost bedeckt, durch Retraction desselben nach aussen umgebogen; Seite ad sieht nach dem Inneren des Knochens. Der schräge Verlauf der HAvErs’schen

352 G. ScHwALBE. Ueber die Ernährungskanäle der Knochen ete.

Kanäle im periostalen Knochen ist deutlich zu erkennen, ebenso der ganz davon abweichende im endochondralen Knochen. Camera lucida-Aufnahme. Vergrösse- rung 20mal.

Fig. 11b. Von demselben Längsschnitt das der neutralen Zone entsprechende Stück. Man erkennt deutlich die von der Markhöhlenseite a, a nach der Periost- seite b, b erfolgende fächerförmige Ausstrahlung der Richtungskanälchen. Ca- mera lucida-Aufnahme. Vergrösserung 20mal.

Fig. 15. Querschnitt der 56 mm. langen Diaphyse eines embryonalen Hu- merus durch die Gegend der neutralen Zone. Camera lucida-Aufnahme. Ver- grösserung 20mal.

Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweiuchens.

Von V. Hensen

(Fortsetzung von S. 273.)

(Hierzu Tafel X— XII.)

In Fig. 86 ist ein Längsschnitt durch die Mitte der Keimscheibe Fig. 26, gegeben worden. Das innere Keimblatt (Hypoblast) ist vorne ?*, wo es unter der primitiven Medullarrinne liegt, ziemlich dick, hinten i”, unter dem Primitivstreif ist es zu einem sehr flachen Epithel ge- worden. Dort hat es sich beim Schnitt losgelöst und präsentirt sich daher mehr oder weniger von der Fläche. Der Uebergang der vorderen, quadratischen, in die hinteren, flachen Zellen macht sich unter dem Knoten, hier war die Zellenmasse dunkel und in den Contouren ver- wischt, so dass man sie nicht entziffern konnte. Nachdem der Schnitt gezeichnet war, versuchte ich an dem nur schwach erhärteten Prä- parat das innere Keimblatt abzulösen. Es haftete jedoch so fest an dem ziemlich resistenten Knoten, dass am Hinterende die Keimhaut wiederholt abriss, und als dann mit dem vorderen Ende des Hypoblast der Versuch fortgesetzt wurde, brach er am Knoten aus, ohne dass sich unter diesem ein Stratum hätte ablösen lassen. Ich habe nach diesen und anderen Erfahrungen die Ueberzeugung gewonnen, dass sowohl äusseres wie inneres Keimblatt mit dem an genannter Stelle entstehenden Mesoblast untrennbar verwachsen sind. Daraus folgere ich, dass beide Blätter sich an der Bildung des mittleren Keim- blattes, wenn auch in differenter Weise und mit verschieden grosser Masse betheiligen.

Ueber die Entstehung des Gefässblattes, welches ich mit Hıs annehme, habe ich leider keine Erfahrung.

354 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Der Mesoblast wächst von seiner Entwicklungsstelle aus nach allen Seiten und bildet (abgesehen von einer etwa vorhandenen Mit- wirkung des Gefässblattes) die Area opaca!) rings um den Embryo, sowie den Mesoblast im Vordertheil der Keimscheibe bis wenigstens nahe an den vorderen Rand derselben. Dies Blatt wird an den jüng- sten Keimscheiben Fig. 20 A, Tafel IX vermisst, bei solchen von Imm- Länge ist es continuirlich, bei noch älteren fehlt es unter der primi- tiven Medullarrinne. Fig. 37.

Am Schlusse der Mittheilung über diese Embryonalperiode erübrigt noch die Vergleichung mit den Resultaten anderer Beobackter.

GÖTTE ?) hat an Eiern von 2 bis 3mm. Durchmesser einen dunklen Fleck und in weitem Umfang um denselben einen hellen Hof ge- sehen, welcher durch eine Schicht des vegetativen Blattes gebildet wurde. Von dem kreisförmisen Rande dieser zarten Schichte wächst alsdann ein Ring gegen das Innere der Keimblase vor und schliesst sich bald zu einer continuirlichen Haut, welche sich an jene Zellen- schicht, aus deren Umschlag sie hervorging, anlegt. „Vergleicht man diese Angaben mit meinen früheren Mittheilungen über die Bildung des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern, so ergiebt sich, dass das sogen. vegetative Blatt des Kanincheneies mit dem oberen Keimblatt der übrigen Wirbelthiere übereinstimmt, und dass ein bisher übersehener Umschlag desselben eine secundäre Keimblase erzeugt, woraus wahrscheinlich mittleres und unteres Keimblatt hervorgehen.“ GÖTTE hat sich in seinem grossen Werk über die Unke mehrfach auf die mitgetheilte Beobachtung bezogen.

Es liegt mir die Zeichnung eines Eies aus dem betreffenden Stadium vor, in welchem sich der Hypoblast an der Keimblase rings losgelöst hatte und das ich aus diesem Grunde zeichnen liess. . Dieser Befund der zuweilen fast spontan auftretenden Ablösung des inneren Keimblattes ist das Einzige, wodurch ich GörTE’s Angaben zu :.erklä- ren vermag. Ich kann nicht glauben, dass, wenn die Dinge wirklich verliefen, wie GÖTTE es schildert, dies mir so vollständig entgangen wäre. )

1) Das dunklere Aussehen der Area stellt sich jedoch schon ein, ehe der Mesoblast darin nachzuweisen ist. i

2) Zur Entwicklungsgeschichte des Kaninchens. Centralblatt für die medici- nischen Wissenschaften 1869 S. 866 (22).

3) GÖTTE weist zur Bewahrheitung seiner Angabe auf die früheren Mitthei- lungen über die Bildung des Keims an Knochenfischen, Vögeln, Batrachiern hin. In seiner späteren Arbeit über das Hühnchen: Beiträge zur Entwicklungs- geschichte der Wirbelthiere. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. X (gg 2) bezieht er

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 355

WeıL!) sagt von 5 Tgn. 9 St. alten Eiern: Der Zona lag ein durchgehends aus einer Zellenlage bestehendes Bläschen (Keim) an, an dem ich nirgends eine Verdickung wahrnehmen konnte, obgleich ich das Eichen am Objectträger hin und her rollte. Bei Zusatz sehr verdünnter MürLter’scher Flüssigkeit zog sich die Zellhaut von der Zona zurück, faltete sich vielfach und veränderte sich his zur Un- kenntlichkeit.

Mir liegt bezüglich dieser Angabe ein kurzes Protokoll vor: Kaninchen (123!/, St.) 5 Tage 3!/, St. 5 Eier von 1,46 bis 1,9mm., Es fand sich frisch kein Dotterrest, an einer Stelle des Eies eine etwas bräunliche Färbung, sonst keine Spur eines Keimflecks. Mit Kal. bichrom. behandelt“. Weiter ist nichts gesagt; sind mir die Eier verunglückt oder hat sich schliesslich eine Keimscheibe ergeben ich weiss es nicht! Eier von 101 St. von 0,64 bis 0,86 hatten den Keimhügel von 106 St. nahe derselben Grösse, gleichfalls von 124 St. aus dem einen Horn, 142 St. aus dem anderen, in Grössen von 0,5 bis 1,5”® hatten ihn auch und daher bin ich objectiv zu der früher gegebenen Darstellung berechtigt, will aber nicht leugnen, dass mich jenes unvollständige Protokoll beunruhigt. Ich glaube aber sagen zu dürfen,- dass ich seiner Zeit die Sache nicht hätte ruhen lassen, wenn die Möglichkeit, dass die Keimhaut zu irgend einer Zeit ungeschichtet werde, mir erschienen wäre, ich müsste denn im Drange der Geschäfte sanz darüber hingekommen sein.

sich zweimal S. 159/160 und S. 162 zur Sicherstellung der erwähnten Ansicht von dem Umschlag des Keims auf andere Wirbelthiere und nennt auch die Säugethiere! Zwei oder mehr unsichere Beobachtungen können aber doch nicht zu einer sicheren Constatirung einer Thatsache addirt werden, weil auch die missglückten Versuche, wenn gleich mit minderem Gewicht, in die Waagschale fallen und addirt werden müssten.

In dieser Arbeit sagt G. S. 162 Anmerk.: der Keim vor und im Anfang der Bebrütung sei so weich, dass Faltungen unvermeidlich seien. Obgleich seine Durchschnitte aus späteren Perioden unheilbare Verzerrungen zeigen, haben die Figuren ans den genannten Stadien durchaus keine Faltungen! Unter diesen Umständen würde es keinen Sinn haben, die Zeiehnungen auf die Möglichkeit einer anderweiten Deutung zu prüfen. Sie können den wahren Sachverhalt sehr wohl lehren, obgleich ich dies bezweifle, dann würde aber noch keine Aehnlich- keit zwischen Kaninchen und Huhn dieses Stadiums bestehen, und eine Verglei- chung müssig sein. Ich glaube daher auf soweit gehende Differenzen, sobald es sich um Beobachtungen aus anderen Wirbelthierklassen handelt, hier nicht ein- gehen zu sollen, um so weniger, als es sich wesentlich um Belege für eine vor Jahren gegebene Mittheilung handelt. Nur in einzelnen Fällen glaubte ich mich mit den. später erfolgten Beobachtungen anderer Wirbelthiere ausführlicher be- schäftigen zu dürfen.

D)b.b. 8.9. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 24

356 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Mit LIEBERKÜHN’S (c. 2) Beschreibung der Keimscheibe des Maul- wurfs stimmt mein Befund am Kaninchen nur insofern nicht überein, als ich das äussere Keimblatt, abgesehen von der Verwachsungsstelle, einschichtig finde und die Kerne der zweischichtigen Keimscheibe in wohl contourirten Zellkörpern liegen, während LIEBERKÜHN die letz- teren anfangs vermisst. !)

Ich bin, während ich die Untersuchungen machte, von dem Ge- danken ausgegangen, dass die Verhältnisse in dieser Periode der Ent- wicklung bei allen Wirbelthieren sehr ähnliche sein würden und habe gedacht, die abnormen Verhältnisse des Meerschweinchens müssten sich bei genauerer Nachforschung in den allgemeinen Entwicklungs- gang wieder einreihen, resp. durch den Nachweis bestimmter Störungen befriedigend erklären lassen. Mittlerweile brachen sich so abweichende Ansichten in Bezug auf die Entwicklung der niederen Wirbelthiere Bahn, und die betreffenden Untersuchungen erschienen, wie ich aus- drücklich zu eoncediren wünsche, so ausreichend fundirt, dass an eine Vergleichbarkeit kaum noch zu denken war. Dann kamen im vorigen Jahre BaLFrour’s 2) mit Hülfe von Osmium angestellte Untersuchungen über die Entwicklung der Haie, welche in vielen Dingen eine so auf- fallende Uebereinstimmung mit meinen Befunden an Säugethieren auf- weisen, dass ich doch nicht umhin kann, die Entwicklung der Wirbel- thiere wenigstens bis zu den Knochenfischen hin, in den früheren Stadien (von den späteren ist ja hier überall nicht die Rede) für histiologisch (in Bezug auf die Zellen sind sie es ja unzweifelhaft) vergleichbar zu halten. Zwar existirt die von der Descendenzlehre geforderte Abstufung und Uebereinstimmung jedenfalls in den fertigen Eiern und den ersten Stadien der Embryonalbildung am wenigsten. Die Eier als homologe Bildungen anzuerkennen, wird uns immer wieder, so z. B. neuerdings durch GörTTE’s Untersuchungen erschwert, für die Furchungsvorgänge haben wir eine hübsche Reihe völlig gleich- artig verlaufender Processe, jedoch die partielle Furchung ist schon ein so abweichender Vorgang, dass die physiologische Gleich- werthigkeit fast allein darauf führen konnte, hier homologe Processe zu erkennen. Dann springen aber Furchungsvorgänge, wie sie z. B. G. WAGNER?) von Gyrodactylus beschrieben hat, als schreiende Un-

1) L’’s Beschreibung bezieht sich, wie ich erfahre, auf die frische Keim- scheibe, an welcher ich die Sache nicht anders sehe wie er. (Nachträgl. Anmk.)

2) Preliminary account of the Developement of the elasmobranch Fishes. Quarterly Journal of Microscopical Science. Oct. 1874. (h 2).

3) Ueber Gyrodactylus elegans. Archiv für Anatomie von REICHERT und pu Boıs 1860 (12).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens, 357

regelmässigkeiten mitten hinein, von den später zu besprechenden Unregelmässigkeiten beim Meerschweinchen ganz abzusehen.

Die Keimblase der Säugethiere lässt sich ihrer Entwicklung nach einigermassen mit derjenigen von Amphioxus vergleichen; sieht man davon ab, dass sie nicht während der Furchung auftritt, sondern erst nach vollendetem Maulbeerstadium, so kann man sie noch der Keimblase mancher Wirbellosen gleichstellen, aber nicht derjenigen der anderen Wirbelthierclassen. Erst nachdem die Keimscheibe eine gewisse Grösse erlangt hat, finden sich in der flachen Form des Embryo, in den Entwicklungsvorgängen der Sinnesorgane und zum Theil des Me- dullarkanals, in der Chorda und namentlich in den Urwirbeln histiolo- gische Gestaltungen, die als so grosse Aehnlichkeiten hervorspringen, dass die Descendenztheorie sie als Ausgangspunkt und Beleg verwerthen kann. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass die Messungen und Verglei- chungen von Hıs genügend auffallende Resultate ergaben, um anzudeu- ten, dass man noch über kurz oder lang zu mechanischen Erklärungen dieser Convergenz in den Gestalten der Embryonen gelangen könnte.

Die Sachlage ist, wie mir scheint, der Descendenzlehre keines- wegs direct günstig. Ich verkenne gar nicht das Gewicht der von KOWALEVSKY und KUPFFER, sowie der von SEMPER eruirten That- sachen und sage gerne, dass ich an die Descendenztheorie glaube (wie dies durch meine Jahresberichte belegt wird), aber die objectiven Thatsachen, welche der Entwicklungsgeschichte zu entnehmen sind, erleichtern diesen Glauben wenig. Ich bin nicht nur, wie es sich in der Wissenschaft von selbst versteht, bereit zu einem Glaubenswech- sel, sobald ‘Besseres geboten wird, sondern ich empfinde das Bedürf- niss nach weniger anfechtbaren Grundlagen ziemlich lebhaft.!)

Das Hühnchen ?) entwickelt sich nach REMAK?) in der Weise, dass nach dem Legen zwei, nach der ersten Bebrütung drei Keim- blätter vorhanden sein sollen, dann folge eine centrale Verdickung der Keimscheibe, darauf die Bildung der Axenplatte, welche durch Verwachsung des mittleren und oberen Keimblattes entstehe.

1) HaceckeL: Die Gastrula u. die Eifurchung, habe ich nicht mehr benutzen können, ich halte übrigens die dort niedergelegten Auffassungen nicht für glück- lich. (Nachträgl. Anmerk.)

2) Wir kennen von Säugethieren die jüngeren Stadien von Kaninchen, Hund, Reh, Meerschweinchen, Schwein und Schaaf. Da meine eigene Arbeitskraft nicht gross genug ist, darf ich wohl auffordern, doch einmal die Eier von Gans, Ente, Kanarienvogel und Kiebitz zu benutzen. Die Schwierigkeit wächst dabei kaum so erheblich, dass zu befürchten steht, die Ergebnisse würden kein Aequivalent bieten.

3) Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere (k 2).

24*

358 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Diese Darstellung habe ich!) wesentlich modificiren müssen; da ich für’s Hühnchen der erste war, welcher statt mit Falten oder höch- stens Durchschnitten zu operiren, wirkliche Querschnitte herstellte und also eine bessere Einsicht erlangen konnte. Ich muss, um die später erfolgten erheblich abweichenden Angaben Anderer zu erklären, hier zweimal betonen, dass ohne Canadabalsam beobachtet wurde, denn m. E. ist an den geradezu hofinungslosen Divergenzen zwischen den Embryologen vor Allem die Methode schuld. Ohne Einbettung, ohne Entwässerung wurden die ‚schwach erhärteten Keimscheiben zerlegt, ohne Deckglas geprüft und betastet, ohne Canadabalsam, Glycerin oder sonstige erhellende Surrogate wurden sie eingelegt. Man hat meinen Figuren vorgeworfen, sie seien abscheulich! Es liesse. sich als Ent- schuldigungsgrund anführen, dass die Präparate !/, Jahr in arseniger Säure nachgedunkelt hatten, ehe sie gezeichnet wurden, dass dann die Zellen sich nicht mehr, wie dies bei Anfertigung der Präparate der Fall war, überall erkennen liessen und dass deshalb, sowie wegen einer, zuweilen bei jungen Naturforschern sich einfindenden Grenze der Opferfähigkeit, die Zeichnungen möglichst einfach angefertigt wurden. Jedoch es liegt kein Verstoss gegen die Wissenschaft vor, denn so wie die Zeichnungen sind, zeigen sie das, was gezeigt werden sollte, und die Brüche und veränderten Lagerungen sind deshalb nicht zu tadeln, weil sie dem Auge das vorführen, was sonst nur durch Untersuchung mit der Nadel sich ergeben würde: die Trennbarkeit und Selbständig- keit der einzelnen Theile.

In Folge der Bebrütung findet zunächst eine Verwachsung der zwei im Eileiter gebildeten Keimblätter in der Mitte der Keimscheibe statt. Diese Verwachsung wird durch die sich entwickelnde Primitiv- rinne inniger und ausgedehnter und führt zu einer Proliferation der Zellen dieser Gegend. Während dessen spaltet sich seitlich das untere Keimblatt in Darmdrüsenblatt und mittleres Keimblatt, darauf tritt auch an der Verwachsungsstelle, welche bei der Flächenansicht als Primitivstreif erscheint, eine Trennung ein, die aber nur darin besteht, dass auch hier das Darmdrüsenblatt sich abscheidet. Es findet sich also dann in der Mittellinie ein inniger Zusammenhang zwischen oberem und mittlerem Keimblatt, der sich erst später trennt, und durch die Trennung in Urwirbel und Chorda einerseits, Medullarplatte andererseits umgewandelt wird.

Darnach würde die Entwicklung insofern von derjenigen des

1) Die Entwicklung des Nervensystems. VırcHow’s Archiv Bd. XXX. 1864. S. 166 (12).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 359

Kaninchens abweichen, als in Letzterem, soweit ich eruiren konnte, das mittlere Blatt ganz vom Primitivstreif aus entsteht. Studire ich die von Hıs!) gegebenen Durchschnitte, so namentlich die Längs- schnitte Taf. V Fig. 1 u. 4, die Querschnitte Taf. IV Fig. 2 und Taf. VI Fig. 1, 2 u. 3, so erscheint es mir möglich, dass die Sache beim Hühnchen verlaufe wie beim Kaninchen. Es ist ferner zu be- denken, dass ich damals noch unter dem Eindruck der Angaben von NEMAK stand, denn es ist für den Forscher nichts schwieriger als Processe, welche er selbst für sicher constatirte hält, als falsche Dar- stellungen zu erkennen. Trotzdem finde ich, dass meine Figuren keine andere Deutung zulassen und muss daher an der Richtigkeit jener Schilderung festhalten.

Durch Dursy (f2) haben wir das Verhalten des Primitivstreifs näher kennen gelernt, in der Hauptsache schliessen sich meine schon gegebenen und weiterhin folgenden Beobachtungen in dieser Beziehung seinen Darstellungen an. Die von ihm gegebenen Schnitte der frühe- ren Stadien sind bei auffallendem Licht gezeichnet und geben, so weit ich sehe, nichts Neues.

Hıs?) hat uns Serien von Schnitten geliefert, die immer ihren Werth behalten werden, soweit Balsampräparate für die ersten Embryo- nalstadien dienen können.

Seine Ansichten in Bezug auf den Parablast verhindern eine Ver- gleichung seiner Befunde. Demjenigen, was von verschiedenen Seiten, so noch neuerdings von KÖLLIKER°) gegen die Grundlagen, auf welchen jene Annahme ruht, gesagt ist, möchte ich hinzufügen, dass bei dem Kaninchen keine Möglichkeit vorhanden zu sein scheint, die Lehre von dem rein mütterlichen Parablast aufrecht zu erhalten. Man könnte äussersten Falles sagen, die Richtungsbläschen bildeten vielleicht den Parablast, aber einerseits findet man Absonderungen des Keims vor der Befruchtung selbst bei niederen Pflanzen, wie in den früher eitir- ten botanischen Abhandlungen (e 1) nachgelesen werden kann, die hier unzweifelhaft zu Grunde gehen, anderntheils biassen diese Theile so- wohl beim Kaninchen wie beim Meerschweinchen, Fig. 79 u. 80,

l) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. 1868. (m 2).

2) STRICKER, Handbuch der Lehre von den Geweben, ‘Cap. 18, S. 1207 (n 2) eitirt im Laufe der historischen Darlegung über die Entwicklung des Hühnchens zuerst Hıs, dann Hensen,. Dursy, diese Reihenfolge ist unrichtig. Das Citat einer Arbeit von mir aus dem Jahre 1867 gehört überhaupt nieht dorthin, denn dies handelt lediglich von Säugethieren.

3) Zur Entwieklung der Keimblätter im Hühnereie. Verhandl. d. physikal. med. Gesellschaft in Würzburg N. F. Bd. VIII. (o 2).

360 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

schliesslich unter Verkleinerung so ab, dass ihr späteres Verschwinden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Auflösung und nicht durch histiologische Neuformung zu erklären ist.

Auch Hıs findet übrigens eine feste Verbindung der Keimblätter im Primitivstreif, welche, wenn ich ihn recht verstehe, von Anfang an bestand und sich unter Production verschiedener Embryonaltheile löst.

Anstatt des zweiten Keimblattes im unbebrüteten Ei, welches ich in der Mitte wenigstens der Keimscheibe völlig frei und wohl ent- wickelt angetroffen habe, finden Hıs und WALDEYER)), welcher letztere in Bezug auf den Parablast sich bekanntlich ziemlich nahe an Hıs an- geschlossen hat, nur ein unregelmässiges Maschenwerk von sog. subger- minalen Fortsätzen. KÖLLIKER spricht sich halb zustimmend, halb ablehnend über diese Befunde aus. Mir scheint die Möglichkeit vor- - zuliegen, dass durch die Präparation Zerreissungen des unteren Blattes und Kunstproducte entstanden seien. Mindestens WALDEYER'S Figur ist so sehr gefaltet, dass eine vielfache Zerreissung des unteren Blattes recht wahrscheinlich erscheint. Schon GÖTTE (gg S. 162) hat diese Ansicht geäussert. WALDEYER, der zwar mit Entwässerung gearbeitet, aber, wie es scheint, mit Glycerin erhellt hat, nimmt an, dass das obere Keimblatt durch Wucherungen in der Mittellinie das mittlere und das untere gleichzeitig bilde, später erst letztere beiden sich trennen. Eine so vorgebuckelte Zellenanhäufung, wie sie seine Fig. 2 darbietet, ist sonst von Niemandem in dieser Zeit beschrieben worden;. es liesse sich übrigens der Schnitt auch so deuten, dass das seitlich freie zweite Keimblatt in der Mitte eine Verwachsung eingegangen sei. Es hätte wohl meinen an sich concludenten 4 Figuren (k 2 Fig. 1—4) gegenüber ein etwas vollständigerer Beweis des Gegentheils segeben werden können!

PEREMESCHKO ?) und namentlich auch See 3) in seinen allem Anscheine nach so wohl fundirten Untersuchungen über die Eier des Eileiters, sprechen sich entschieden zu Gunsten zweier Keimblätter im unbebrüteten Ei aus. Sie und SCHENK®) finden, dass das Darmdrüsenblatt früher auftrete, wie dies meinen Angaben ent-

1) Bemerkungen über die Keimblätter und den Primitivstreifen bei der Ent- wicklung des Hühnerembryo. Zeitschrift f. rationelle Mediein 1869 (p 2).

2) Ueber die Bildung der Keimblätter im Hühnerei. Sitzungsber. d. k-. Akad. d. Wissenschaften. Wien 1868 (q 2).

3) Untersuchungen über die Furchung und Blätterbildung am Hühnerei, ebenda (v 2).

4) Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im motorischen Keimblatt, ee (s 2) S. 2.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 361

spreche. Dies hängt wohl theilweise mit ihrer Ansicht über die Ent- stehung des mittleren Keimblattes, nämlich durch Einwanderung von Zellen der Keimhöhle, zusammen. In den beweisenden Zeichnungen, welche z. B. PEREMESCHKO Fig. 5, ÖELLACHER Fig. 12 geben, zeigen sich so grosse Verlagerungen der Blätter, dass man doch an künst- liche Einschiebungen der fraglichen Kugeln denken möchte. Die Mög- lichkeit, dass das Darmdrüsenblatt von mir in seinen Anfangsstadien übersehen sei, will ich übrigens jenen Präparaten gegenüber nicht in Abrede stellen, muss jedoch bemerken, dass unsere Auffassung dessen, was als getrenntes Blatt zu bezeichnen ist, etwas differiren dürfte. In meinem auf Taf. II Fig. 35 gegebenen Querschnitt dürften die ge- nannten Herren das untere Keimblatt für selbständig halten, da man seine Contour leicht ziehen kann, factisch ist es, wie früher erwähnt, nicht isolirt, sondern verwachsen und weil dem so ist, muss ich die bisherigen Angaben über den getrennten Verlauf des inneren Keim- blattes unter dem Primitivstreif, mit Ausnahme der wohl aus späterer Zeit stammenden Fig. 13 von PEREMESCHKO für nicht ausreichend beweisend halten. Für die Kritik dieser Arbeiten darf ich mich noch auf Hıs, Das Ei und die Entwicklung bei Knochen-Fischen 1873, S. 37 und GÖTTE (gg) beziehen, da für die Negation immerhin unter den Embryologen eine grössere Einstimmigkeit herrscht.

KÖLLIKER (0 2) leitet das mittlere Keimblatt von dem aus- schliessend vom äusseren Keimblatt gebildeten Primitivstreif ab. Ich habe über diese Möglichkeit bereits gesprochen und kann im Uebrigen nur wiederholen, dass ich die Ueberzeugung von der Nichtbetheilisung des zweiten Keimblattes zur Zeit nicht gewinnen kann.

Bei den Batrachiern erkennen STRICKER (n 2) und GÖTTE (u) eine Verwachsung von Keimblättern behufs Bildung des mittleren Keimblattes nicht an, während BAMmBECcKE!) eine solche Verwachsung beobachtet hat. Bei den Haien scheint nach BArrour (h 2) nichts Derartiges vorzukommen.

Die Abgliederung der Gewebe in der Keimscheibe.

In diesem Stadium formt sich der bis dahin blattförmige Embryo zu einem massenhafteren, der Länge nach tief eingefurchten Strang, zu gleicher Zeit gliedert er sich in der Längs-, vorzüglich aber in der Querrichtung und damit treten bestimmte Gewebsformationen auf, deren Bedeutung allerdings erst aus späteren Stadien erhellen kann.

l) Recherches sur le Developement du Pelobate brun. M&moires couronnds de ’Academie de Belgique Tom. XXXIV. 1868. p. 27 u. Taf. XXXIV Fig. 2 (t2).

362 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Der vor dem Knoten liegende Theil des Embryo wächst beträcht- lich und der Primitivstreif wird relativ, vielleicht sogar absolut kür- zer, vor ihm bilden sich die Urwirbel.

Dieser Process hängt meines Erachtens mit einer starken Zell- wucherung im Knoten zusammen. Schnitte, welche man an dem vor- dersten Theil desselben macht, ergeben im Anfang dieses Stadiums eine Trennung der beschriebenen Verwachsung. Aus dieser Trennung resultiren die Urwirbel-, Seiten- und Medullar-Platten, sowie die Be- freiung des unteren Keimblattes, Fig. 40, 39. Dasselbe Bild erhält man fortwährend von der Spitze des Primitivstreifs, so lange ich wenigstens ihn verfolgen konnte. Da anfänglich zwischen dem ersten resp. zweiten Urwirbel (diese Frage lasse ich unentschieden) nur noch der Raum eines oder zweier Urwirbel bis zum Primitiv- streif vorhanden ist, später aber dort Wirbel in grosser Zahl liegen und eine Strecke einnehmen, welche länger ist wie der Streif selbst zur Zeit der ersten Urwirbelbildung war, so scheint mir der gezogene Schluss auf Zellenneubildung in der Spitze des Primitivstreifs gerechtfertigt.

Der Process, wie er sich an den successiven Schnitten darstellt, ist folgender. Unter Bildung einer Vertiefung oder, was dasselbe ist, unter Fortführung der primitiven Medullarrinne nach hinten, nähert sich das äussere Keimblatt dem inneren; die Zellenmasse, welche beide zuvor getrennt hielt, macht Raum und die Blätter kommen dadurch in der Mittellinie zur Berührung. Von der Seite her löst sich die Verbindung des mittleren mit dem äusseren Keimblatt, welche bis dahin in der mittleren Partie der Keimscheibe in dem Primitivstreif (aber nicht seitlich von diesem) statt hatte, und dabei bleiben in dem äusseren Keimblatt cylindrische Zellen zurück. Das somit frei gewordene animale Blatt besteht aus zwei dünnen Seiten- theilen, Fig. 38—40, welche die Epidermis bilden werden, und einem mittleren, dickeren Blatt, welches zur Medulla wird.- Am Kopfe findet sich an einer Stelle auch die Epidermisplatte aus eylindrischen Zellen aufgebaut, daraus entsteht dann nicht die Epidermis, sondern das Labyrinth; es bleibt zu untersuchen, was den Anlass zu jener Verdickung, Fig. 37, gegeben hat.

In seltenen Fällen findet man die Zellen des mittleren Keim- blattes in scheinbar ungeordneter Lage, woraus zu schliessen ist, dass dieser Zustand sehr kurze Zeit dauert; in der Regel erscheint gleich- zeitig mit dem Freiwerden desselben in ihm eine scharfe horizontale Trenpungslinie, deren proximales Ende bis nahe an den inneren Rand der Platte des mittleren Keimblattes herangeht, während das distale Ende in der noch ungetheilten Masse des mittleren Blattes an der

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 363

Peripherie des Embryo sich verliert. Die Spalte pflegt so scharf be- grenzt zu sein, dass ich nicht mit Hıs annehmen kann, es handle sich um eine Spaltung durch Zug in Folge eines Dickenwachsthums.

Die Spalte geht also in die Substanz der Urwirbel hinein, sie muss sehr vorübergehend die genannte Ausdehnung besitzen, denn nicht jeder Embryo zeigt sie gut. Sie ist der Ausdruck einer fast von Flüssigkeit freien Höhle, welche in sich die Urwirbelhöhle und Pleuroperitonealhöhle umfasst, ich möchte sie als Coelom!) der Wirbel- thiere bezeichnen.

In der, Masse der Wand des Coeloms, welche als Urwirbelplatte bezeichnet zu werden pflegt, scheiden sich rasch die weiteren Theile. Bei der ersten Urwirbelbildung entstehen 2 oder 3 querverlaufende Falten, welche den Raum in der Längsrichtung trennend, 3 einzelne . Urwirbelplatten erzeugen. Diesen Vorgang habe ich nicht genau unter- sucht. Darauf wird das Coelom, durch Verwachsung der beiden Plat- ten des mittleren Keimblattes zu dem von WALDEYER?) als Verbin- dungsstrang bezeichneten Körper, der Quere nach in zwei Abtheilungen zerlegt, nämlich Urwirbelhöhle und Pleuroperitonealraum, Fig. 38. Die zuerst spaltförmige Höhlung in den Urwirbeln wird rasch rund und füllt sich dann, wie ich mich an frischen Embryonen über- zeuste, da den erhärteten in dieser Beziehung nicht zu trauen ist, mit Zellen aus. Woher diese stammen, weiss ich nicht. Bald darauf

2) Nicht ohne Bedauern lese ich in Craus: Die Typenlehre und E. HacEcker’s Gastreatheorie, dass die Aufstellung HarckEr’s (a2) über das Coelom vor einer wissenschaftlichen Kritik nicht scheint bestehen zu können. Immerhin dürfte ein Name, welcher die embryonale Leibeshöhle der Wirbelthiere derjenigen der Wirbellosen formell nahe stellt, am Orte sein. Wenn eine Homologie vorhanden ist, wird sie eher zwischen dem oben beschriebenen Raum und der Leibeshöhle der Wirbellosen vorhanden sein, wie zwischen letzterer und der sog. Pleuroperi- tonealhöhle, die übrigens als secundäres Coelom bezeichnet werden könnte. Nach BALFoUR (n 2) zeigt sich bei den Haien schon ein ungleich längeres Offenbleiben des Coeloms wie bei den Säugern. Der Deutung, welche HaEckEL für niedere Thiere der Leibesflüssigkeit als Lymphe giebt, stimme ich um so lieber zu, als ich diese Ansicht schon vor Jahren (Bemerkungen über die Lymphe. Virchow’s Archiv Bd. XXXVII) (a. a. 2) verfolgte. Dagegen verstehe ich nicht die Be- ziehung der Leibeshöhle zu Blut und Blutgefässen. Dass die Flüssigkeit eine Beziehung zur Respiration habe, glaube ich wohl und daher mögen sich z. B. die rothen Zellen der Leibesflüssigkeit von Capitella capitata (zuerst wenn ich nicht irre von KEFERSTEIN und Enters beschrieben) erklären, aber die Blut- gefässe sind selbst bei niederen Thieren, wie den Holothurien (SEMPER), Pyno- soma (KowALEvsky), sowie ihrer Entwicklung nach so scharf von der Leibes- höhle getrennt, zeigen eher Beziehungen zur Darmlıöhle, dass ich in der T'hat einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem Coelom bezweifeln muss.

2) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. S. 109 (u 2).

364 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

liegt, wie man durch Längsschnitte erfährt, zwischen den Urwirbeln ein sehr feines aus platten Zellen bestehendes Stratum.

Während sich das mittlere Keimblatt von dem Epiblast löst, bildet sich, dieser Loslösung von der Seite her folgend, und wie es scheint, damit Hand in Hand gehend, eine feine structurlose Membran, die Membrana prima, aus, welche alsbald auch noch weiter seitlich, selbst über die Keimscheibe hinaus, gefunden werden kann. Diese Haut ist von mir bereits früher beim Hühnchen (k 2) beschrieben worden. Dieselbe liegt in der Norm dem mittleren Keimblatt dicht an und ist so zart, dass man sehr genau untersuchen muss, um sie in dieser Lage zu erkennen, sie löst sich jedoch an den in MÜLLEr’scher Flüssigkeit erhärteten Präparaten beim Schnitt häufig hie und da ab, und man findet sie deshalb an den Figuren ziemlich häufig dargestellt, wo sie die Bezeichnung m. pr. führt. Ausserdem ist, Fig. 44, ein grösserer Abschnitt dieser Haut dargestellt worden. Wenn man die- selbe isolirt, was an nicht zu stark erhärteten Embryonen nicht gerade schwierig ist, zeigt sie sich mit Granulis bedeckt, mindestens der grössere Theil der Körnchen ist ein Niederschlag auf ihr, der von den durch die Erhärtungsflüssigkeit bewirkten Gerinnungen herrührt. Dass diese Membran als eine Ausscheidung anzusehen ist, unterliegt keinem Zweifel, denn zu keiner Zeit lassen sich Kerne oder Zellen als Com- ponenten derselben erkennen. Da sie zwischen Mesoblast und Epiblast gelegen ist, wird es schwer zu entscheiden, von welchem dieser beiden Lager dieselbe ausgeschieden wird. Nach dem ramificirten Bau, wel- chen die Zellen des Mesoblast in dieser Periode zeigen, zu urtheilen, ist es wenig wahrscheinlich, dass von ihnen diese Haut ausgeschieden werde, weshalb ich glaube, dass das äussere Keimblatt einzig in Be- tracht zu ziehen sei.

WALDEYER und mehrere andere Embryologen haben diese Membran nicht finden können, eine volle Bestätigung hat sie überhaupt von keiner Seite her erlangt, ich hoffe jedoch, dass man sich noch von der Richtigkeit meiner Aussage überzeugen wird. Neuerdings be- schreibt KowatLewsky!) bei dem Pyrosomenembryo eine homogene Membran, welche sich zwar nicht ohne weiteres mit der Membrana prima identificiren lässt, aber doch auf das allgemeinere Vorkommen solcher Bildungen hinweist.

An Präparaten von Hıs habe ich mich überzeugt, dass man fast keine Hofinung hat, an in Balsam eingelesten Embryonalschnitten die Membran zu erkennen.

!) Ueber die Entwicklungsgeschichte der Pyrosoma. Archiv f. mikr. Ana- tomie Bd. IX (v2).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. _ 365

Man kann vielleicht die Ansicht aufwerfen, es sei die Membran lediglich eine künstlich erzeugte Gerinnung. Jedoch dieselbe ist trotz grösster Feinheit sehr zähe und biegsam. Das Stück, Fig. 44, musste, da die Zeichnung einer flach ausgebreiteten Haut nichtssagend ist, künstlich in geeigneter Weise drappirt werden, und ist daher viel umhergezerrt worden, ehe es die genügende Lagerung erhielt. Ich kenne kein Gerinnungsproduct, welches sich in dieser Weise verhielte, denn entweder sind solche Dinge brüchig und von sehr ungleichmässiger Dicke, so dass ein Mikroskopiker, der sie in solcher Ausdehnung präparirt hat und sie untersuchen kann, doch kaum sich würde täu- schen können, oder es sind Ausscheidungen nach Art der Glaskörper- septa, welche der Unterlage so innig anhaften, dass die Darstellung mangelhaft oder gar nicht gelingt.

Man hat mit einer gewissen Betonung erwähnt, dass ich diese Haut für wichtig hielte, ohne Gründe dafür anzugeben. Ich halte sie allerdings schon um deswillen für wichtig, weil ich alles, was in so früher Zeit sich bildet, für den Aufbau des Körpers massgebend halte, Es geht übrigens aus der Membran hervor: Die erste Anlage der Pia mater, die Membrana limitans retinae interna, und die erste Grundlage der Chorioidea (homogene Grundlamelle), die Hülle der embryonalen Linse und die äusserst feine Umhüllung der Labyrinth- blase, ferner, wie man u. A. am Schwanz der Froschlarve sehr schön wahrnimmt, die Grenzlage der Cutis, während die Cutis selbst, wie die Pia mater dadurch sich entwickeln, dass sich Zellen des Cutis- blattes an die Membran anlegen und mit ihr innig verwachsen. Die Tunicae propriae der Drüsen des Epiblast dürften auch kaum ohne Mitwirkung der Membran entstehen.

Eine solche Grenze zwischen den Zellschichten wird denjenigen, welche die Zellentheorie von MAx SCHULIZE für richtig halten, auch deshalb von Bedeutung erscheinen, weil die nackten Zellen deren Erhaltung als isolirte Individuen durch die Beobachtung WEISSMANN’S und LEUCKART'S, dass ausnahmsweise bei Embryonen Zellenver- schmelzungen in grösserer Ausdehnung stattfinden, nur noch räthsel- hafter wird wenigstens nach einer Seite hin vor einem Zusammen- fliessen gesichert sind. Für mich ist es wenigstens immer ein Stein des Anstosses gewesen, wie für nackt erklärte Zellen, also Furchungs- Kugeln und deren Derivate, wenn sie gegeneinander gepresst werden, nicht zusammenfliessen sollten.

GÖTTE (g 2) hat bereits die Entstehung der Urwirbel aus den Urwirbelplatten, in Folge der Abschnürung eines gemeinsamen Rau- mes, also des Coelom’s, beschrieben. Obgleich ich meine Beob-

366 V. Hexnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

achtungen schon früher abgeschlossen hatte, gebührt ihm, da ich -der Sache in meiner vorläufigen Mittheilung!) keine Erwähnung that, unzweifelhaft die Priorität. Er beschreibt noch, dass in der Urwirbel- höhle ein zartes Fächerwerk erscheine und alsdann von dem Centrum aus Zellen sich neu bildeten.

Ich gehe nunmehr zur Besprechung einzelner Theile des Embryo über..

Die Chorda.

Merkwürdiger Weise entsteht die Chorda dorsalis beim Kaninchen nicht gleichzeitig mit den Urwirbeln am Ende des achten Tages, son- dern erst über 12 Stunden später, nachdem schon eine erhebliche Anzahl von Urwirbeln gebildet worden ist, vergl. die Fig. 38, 45, 47.

Ich habe den Entwicklungsprocess nicht in allen Stadien verfolgen können aus einem Grunde, der auch die später zu besprechenden Unter- suchungen unvollendet gelassen hat. Im Anfang der embryologischen Untersuchung stösst man fortwährend auf neue Stadien und kann ins Volle greifen, später, wenn es gilt, Processe, die vielleicht innerhalb einer Stunde verlaufen, in den Einzelheiten zu verfolgen, wird die Gewinnung des tauglichen Materials um so schwieriger. Die Zeit- bestimmungen treffen, je älter die Embryonen werden, um so weniger genau zu und obgleich die Untersuchung wiederum dadurch sehr _ erleichtert wird, dass die einzelnen Embryonen nicht gleich weit ent- wickelt zu sein pflegen, so ist der Erfolg doch von den Regeln des Zufalls abhängig, erfordert also durchschnittlich viel Material

Es liegt mir die Zeichnung eines in grösserer Ausdehnung von einem Embryo mit vier Urwirbeln abgelösten unteren Keimblattes vor. Dasselbe zeigt in der Mittellinie einen Streifen etwas dunklerer Zellen, welcher scharf abgegrenzt ist und an Breite etwa dem Durch- messer der späteren Chorda entspricht. An Schnitten findet man hier die Zellen etwas, doch nicht auffallend, verdickt und nur Schnitte, welche in einer etwas späteren Zeit dicht vor dem Knoten entnommen sind, Fig. 40, zeigen hier stärkere Verdickung. Ein solches Präparat vom Meerschweinchen, an welchem das Verhalten der Zellen näher studirt ward, zeigt Fig. 47.

Ein weiteres Stadium dürfte die dem Kaninchen entnommene Fig. 45 A sein, wo in der Mittellinie durch Wucherung und theilweise Einbuchtung des Hypoblast die Chorda schon deutlich angekündet wird.

Es liegt mir endlich der Querschnitt eines Meerschweinchens,

1!) Embryologische Mittheilungen. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. III. S. 500. 1869 (w 2).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 367

dessen Rückenmarkskanal schon völlig geschlossen ist, vor, in welchem die Chorda zwar völlig vom Darmdrüsenblatt getrennt ist, aber in der Form einer langgestreckten, horizontal liegenden 8 unmittelbar darüber, dem Rückenmark dicht anliegend, gefunden wird. Später rundet sich auch bei dieser Species der Querschnitt der Chorda völlig ab. Diesen . Process zu verfolgen habe ich mich sehr bemüht, weil ich es für möglich halte, dass sich der Sympathicus bei demselben abtrenne, jedoch konnte ich keine Beobachtung darüber gewinnen.

Beim Hühnchen ist die Entscheidung darüber, von welchem Blatte die Chorda stamme, wohl deshalb sehr schwierig, weil sich alle be- treffenden Theile gleichzeitig im Primitivstreif sondern. Sehr bemer- kenswerth ist es, dass BALFOUR beim Hai mit voller Deutlichkeit die Entstehung der Chorda aus dem Hypoblast darlest.

Das Herz und die Gefässe.

Ueber die Entwicklung des Herzens habe ich zuerst in Frankfurt 1867 Mittheilung!) gemacht. Darauf, als an eine Veröffentlichung: meiner embryologischen Studien nicht mehr zu denken schien, gab ich einige Durchschnittsbilder darüber gelegentlich einer anderen Arbeit.2) Von diesen Abbildungen ist eine, Fig. 37, hier wiederholt worden, die übrigen drei nebst einigen anderen in meinem Besitz be- findlichen Abbildungen nahm ich Anstand, wieder zu geben, da ohnehin die Anzahl der Figuren eine ziemlich erhebliche geworden ist. Ich will versuchen, zu beschreiben, was ich über den Gegenstand gesehen habe.

An der Flächenansicht zeigt sich im Vordertheil von Embryo- nen mit zwei Urwirbeln eine fast hufeisenförmige Verdiekung. Die- selbe liegt im mittleren Keimblatt und beginnt unmittelbar lateral an den Urwirbeln, so dass noch ein Theil der Seitenplatten nach aussen von dieser Verdickung, welche einen etwas geringeren Durchmesser wie die Urwirbel hat, liest. Von hier aus verläuft die Verdickung vorwärts und seitlich, so dass sie bald den Rand des Vordertheils der Embryonalscheibe nahe erreicht und dann verläuft sie nahe diesem Rande weiter. An Flächenansichten scheint es, als wenn die Ver- diekung jeder Seite vorn in der Mittellinie zur Verbindung käme, jedoch die Querschnitte bestätigen das nicht, so dass demnach die Herzanlage streng bilateral sein wird. Bei einem Embryo mit 9 Ur- wirbeln zeigt sich dann in dem Verlaufe der Verdickung beiderseits

l) In dem Tageblatt der Frankfurter Naturforscherversammlung findet man _ S. 73 eine kurze etwas ungenügende Mittheilung über den Gegenstand (w 2).

2) TRÖLTSCH, Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. II. Referat über BÖTTCHER. Gehörlabyrinth S. 34 (x 2).

368 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

ein Kanal, welcher eine spindelförmige Erweiterung erkennen lässt. Wenn man sich den Kopf des Embryo von dem ersten Urwirbel bis zu der Spitze der eben in Entstehung begriffenen Augenblasen in drei Theile zerlegt denkt, so liegen diese Anschwellungen im mittleren Dritttheil. Dies Stadium zeigt die von BISCHOFF (a. Fig. 54b) ge- zeichnete kleine Hirnanschwellung; in deren Höhe liegen die Erwei- terungen. Es beginnt nun die Bildung der Kopfdarmhöhle. Durch diesen Process, der gleichzeitig von vorn und von den Seiten her sich vollzieht, werden die beiden Schläuche einander genähert. Man sieht dieselben in Fig. 33 als zwei nach der Mittellinie hin etwas convex vorspringende Bildungen. Darauf erfolgt, wahrscheinlich von vorn- her fortschreitend, die Verschmelzung der Schläuche. Dann ist das Herz ein aus drei untereinander communicirenden Hohlkugeln be- stehendes Organ, von welchem hinten seitlich die Venenschenkel ab- gehen. Die drei Hohlkugeln liegen so, als ob ihre Centren die Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks bildeten, dessen eine Spitze nach vorn gerichtet ist. Die weiteren Stadien führen zu der bekannten Ansicht des schlauchförmigen, gekrümmten Herzens.

Biscnorr zeichnet (a. Fig. 58) einen Embryo mit gerade ge- strecktem Herzschlauch, wie man ihn vom Hühnchen kennt. Ich konnte dies Stadium nicht finden. Bei dem soeben erwähnten Embryo mit blasig erweitertem Herzen gehen die Urwirbel bis unter den Rand der Kopfdarmhöhle, sonst gleicht das Stadium demjenigen, welches BISCHOFF zeichnet, völlig.

Ein Durchschnitt aus dem frühesten Stadium ist in Fig. 37 ge- geben. Man sieht dort in dem sonst ungetheilten Mesoblast eine Spalte ph, welche, offenbar zum Coelom gehörig, die erste Spur des Pericardialraums ist. . Darunter liegen ein Paar Zellen des Gefäss- blattes, welche das Endothel des Herzens zu bilden bestimmt sind. Sehr bald erweitert sich die (primitive) Pericardialhöhle und darauf gestalten sich die darunter liegenden Endothelien zu einem Kanal mit im Durchschnitt runder Oeffnung. Dieser Kanal drängt von dem Hypoblast aus den unteren Theil der Wand des Pericards, also das Darmfaserblatt desselben, vor, und wird mehr und mehr von demselben umwachsen. Während dessen nähern sich in Folge der Ausbildung der Kopfdarmhöhle die beiden Herzschläuche einander, legen sich schliesslich aneinander und alsdann vereinen sich zunächst die beiden primitiven Pericardialräume zu einem einzigen. Derselbe enthält“noch zwei Herzschläuche, wie Durchschnitte lehren, aber schliesslich ver- einen auch diese sich zu einem Herzraum. Aus dem visceralen Blatt des Pericardiums geht die Herzmuskulatur hervor. Der Längsschnitt

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 369

eines Embryo von 9 Tagen, Fig. 43, zeigt die Lage des Herzens, kurz nachdem die Vereinigung der zwei Schläuche sich vollendet hat. Ueber die Art, wie die Aorten vom Herzen aus entstehen, habe ich leider keine Erfahrungen, wie ich die erste Entstehungsgeschichte des Herzens auch nur in den gröbsten Zügen zu geben vermag.

Hıs (y 1. S. 85) spricht sich dahin aus, dass die Entwicklung des Herzens beim Hühnchen und beim Säugethier auf wesentlich das- selbe Prineip herauskomme.!) Dies halte auch ich wenigstens in Bezug auf die letzten der geschilderten Stadien für richtig, jedoch formell ist, wie ich nach allen vorliegenden Abbildungen glaube annehmen zu dürfen, ein erheblicher Unterschied zwischen den Säugern und den übrigen -Wirbelthieren in dieser Beziehung vorhanden. Sehr merk- würdig ist es, dass nach KowALEwsKY (v 2) die Herzentwicklung von Pyrosoma mit Bezug auf die Formung der Pericardialhöhle und die Einstülpung eines Endothelschlauches durchaus in gleicher Weise vor sich geht; merkwürdig nicht sowohl deshalb, weil man unser Herz von einem so feurigen Thier abzuleiten vermöchte, als weil die grosse Selbständigkeit des Gefässendothels schon bei so niederen Thieren sich markirt! : Bezüglich der Gefässblätter ist zu erwähnen, dass die Aorten sich in der Form von Endothelröhren, Fig. 47, anlesen und wie beim Hühnchen, zunächst stark seitlich gelagert sind, um schliesslich in der Mittellinie zu verschmelzen. Seitlich von den Aorten setzt sich das Gefässblatt in der Form maschiger Zellcomplexe bis in die Area opaca hinein fort, die im Durchschnitt gesehenen Lumina halte ich für Venen. Von den Aorten gehen zum Mark und in die sich an- legenden Wirbel Aeste ab, später dann auch in die Darmfaserplatten. Diese werden dabei in zwei Schichten gespalten, da die Gefässe sich nicht an das Darmdrüsenblatt halten, sondern später in der Mitte des Darmfaserblattes liegen. Ein dorsales Gefässblatt habe ich nicht zu finden vermocht, dagegen zeigt sich in späterer Zeit, Fig. 5l, ein isolirtes Gefässlumen in der Cutisplatte an der Grenze zwischen Körper und Amnios; ich habe nicht erkannt, was dies für ein Rohr sei.

Der Urnierengang und die Umbildung der embryonalen Strata im Gewebe. Die Meinung, dass der Urnierengang aus dem Epiblast entspringe, wird durch die Untersuchung der betreffenden Stadien so nahe gelegt,

1) Auch GöTTE (u), der die Herzbildung des Kaninchens beobachtet hat, äussert sich ähnlich.

370 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

dass ich schon gelegentlich meiner ersten Arbeit am Hühnchen ver- suchte, die Sache zu erledigen. Da es mir dort nicht gelang, schwieg ich darüber. Hıs (n S. 161) schloss dann auf guter Grundlage, dass der Worr’sche Gang aus dem ersten Keimblatt entstehe. Ich habe vor 10 Jahren gelegentlich bemerkt (a. a. 2. S. 81): Ich habe die Wahrheit der Annahme von Hıs, dass die Urnieren aus dem Horn- blatt entstehen, an Kaninchenembryonen völlig sicher erkannt. Der Urnierengang entsteht durch eine solide leistenförmige Verdickung des Hornblattes, beiderseits neben den mittleren Urwirbeln. Diese An- gabe habe ich!) später wiederholt. Darauf hat Hıs (m 2. S. 119) seine Annahme zurückgenommen und Anderer Beobachtungen am Hühnchen und niederen Wirbelthieren sprachen gleichfalls gegen die von mir gefundene Entstehungsweise.

Ich habe meine Angabe nunmehr zu rechtfertigen, jedoch nur für das Kaninchen, von welchem ich ausschliesslich berichtet habe. Dabei muss ich mich freilich über Unglück beklagen. Zur Zeit, als ich meine erste Mittheilung machte, hatte ich noch nicht begonnen, Zeichnungen anzufertigen; in Folge des Widerspruchs von Hıs unter- suchte ich dann später noch einmal und aus einer Reihe von Embryo- nen, deren Alter etwa 9!/, Tage betrug, gab der erste bei Zerlegung von vorn nach hinten das Stadium wieder. Ich löste sogleich die Epidermis ab und fand an demselben zu den Seiten der Medullarplatte eine Leiste im äusseren Keimblatt, welche nach hinten zu all- mälig sich verlief. Die abgelöste Keimhaut schien mir kein der Mühe lohnendes Bild zu geben und ob der Schnitt mir nicht genügte oder was sonst der Grund war, genug, ich zählte auf einen der an- deren Embryonen und als ich diese untersuchte, erwiesen sie sich sämmtlich als zu wenig entwickelt. Dabei ist es dann geblieben.

Nach dem Mitgetheilten könnten jedoch wohl die Zeichnungen Fig. 50 und 51 genügen, um meine Erfahrung zu erhärten. Man sieht daran, dass andersartige Zellen in den Wulst des mittleren Keim- blattes, welcher auch schon früher bekannt war, eingelagert sind und diese Zellen können doch wohl nur von dem äusseren Keimblatt abstammen. Ich habe die Sache an feineren aber sonst nicht so voll- kommenen Schnitten desselben Thieres untersucht und an diesen, Fig. 52, das gegebene Bild durchaus bestätigen können. Ich suchte nämlich die Membrana prima, welche die eingelagerten Epidermis- zellen von den Elementen des mittleren Keimblattes trennen muss,

l) Embryologische Mittheilungen. Archiv f. mikr. Anatomie Bd. III. S. 500: (2).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 371

zu entdecken; dies ist mir zwar nicht gelungen, da dies Häutchen allzufein ist, jedoch ich habe das gezeichnete Bild in Folge dessen mehrfach sehr klar gesehen, so dass ich meiner Aussage so sicher bin, wie der einzelne Beobachter dies zu sein vermag.

Ich behaupte nicht, dass beim Hühnchen die Sache ebenso ver- laufen müsse, wenn ich jedoch dem Gedanken, dass dies möglich sei, trotzdem WALDEYER (u 2) das Gegentheil behauptet, nachgebe, so würde ich glauben, dass in seiner Fig. 41 die Einlagerung der Epi- dermiszellen schon erfolgt sei.

Kurze Zeit nach diesem Stadium. folgt wiederum eine Ablösung von der Epidermis, die man Fig. 50 sieht. Zu der Zeit, wo ich jene Untersuchung machte, hielt ich diese strangförmige Ablösung unbe- denklich für den MÜLLER’schen Gang, spätere Untersucher beschreiben sie als Vena cardinalis. Ich muss sagen, dass ich durchaus nicht glauben kann, ein Gefäss vor mir gehabt zu haben.

Es drehen sich um diese Zeit die Cutisplatten, wie die Fig. 50 zeigt, rückwärts, während die Urwirbel ihre Stellung nicht verändern. Dadurch gerathen die Gänge in anscheinend einfacher Weise an die Wandung des Peritonealraumes; zugleich bildet sich dadurch in der Cutisplatte, an der äusseren Kante der Urwirbelreihe, eine Falte oder richtiger gesagt, Leiste aus, welche nicht mehr verstreicht, sondern weiter wächst und als Membr. reuniens posterior RATHKE das. Binde- sewebe der Cutis über Urwirbel und Rückenmark hinüberdeckt.

An etwas älteren Stadien von Kaninchen- und sich nahe an- schliessenden Rinds- und Schaafsembryonen, habe ich die weitere Ent- wicklung der Gewebe untersucht. Da es vielleicht fördern könnte, gebe ich noch kurz die Ergebnisse an, welche mir mit Wahrschein- liehkeit daraus hervorgingen. Jedoch ich bin nicht in der Lage, die gegentheiligsen Ergebnisse Anderer zu widerlegen, theils weil es mir an den dazu nöthigen Zeichnungen fehlt, theils weil ich selbst mich nicht überall bis zur Genüge überzeugen konnte.

Von einer Gewebsbildung durch die Endothelien der Gefässe, wie Hıs dieselbe beim Hühnchen beobachtet zu haben glaubt, habe ich mich beim Kaninchen durchaus nicht zu überzeugen vermocht. Die Aorta wird von einer Fortsetzung der Darmfaserplätten, Fig. 54. umwachsen, welche die Hauptmasse ihrer Wandung, wahrscheinlich die Muscularis, erzeugt. Die Darmfaserplatte bildet die Muskulatur des Herzens und des Darmes. Doch kann man, wie es scheint, die Schleimhaut des letzteren auch nur von ihr ableiten. Die Urwirbel, und nur sie, bilden die willkührliche Muskulatur, indem sich zunächst

in ihrem Inneren durch sehr schwierig zu studirende Processe die Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 25

372 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Muskelfasern bilden. Die Kopfplatten des mittleren Keimblattes fasse ich als Cutisblatt auf, es scheint mir mindestens noch des Beweises zu bedürfen, dass in ihnen Muskeln entstehen. Was aus dem Urwirbel- kern wird, vermag ich durchaus nicht zu sagen, dagegen habe. ich mich nicht davon überzeugen können, dass er beim Kaninchen frei hervorwuchere. Die Bindesubstanz für die Wirbel und die Rücken- markshäute scheint mir vom Verbindungsstrang herzukommen, die Einwanderung der Zellen beginnt gleichzeitig mit jenen Verschiebun- gen, die den Wour'schen Gang an den Peritonealraum bringen. Dies ist die Meinung, welche ich von der Sache gewonnen habe, früher, wie in dem genannten Stadium habe ich keine Bindegewebszellen um die Chorda erblickt und ich habe geglaubt, das Vorrücken der Zellen nach den einzelnen Etappen von dem genannten Punkt aus verfolgen zu können.

Das Nervensystem.

Nachdem die Annahme, dass die Nerven aus einer Umwandlung von Bindegewebszellen entstehen, verlassen worden ist, hat man wohl allgemein sich der Ansicht, welche in der noch immer so lesens- werthen Arbeit von BIDDER und KuPrrer!) niedergelegt ist, dass die Nerven Zellenausläufer seien und als solche von der grauen Sub- stanz aus hervorwachsen, angeschlossen.

Jedoch Niemand hat bis jetzt das freie Ende eines solchen wach- senden Nerven gesehen. Man kann freilich nicht annehmen, dass etwa ein ganzer Nervenstamm auf einmal auswachse, in diesem Falle müsste jedenfalls das auswachsende Ende demonstrirbar sein. Da das Auswachsen recht früh seinen Anfang nimmt, ist anzunehmen, dass zunächst nur eine beschränktere Anzahl von Nerven hervortreten, die so fein sein mögen, dass man ihr wachsendes Ende, selbst wenn es zum Stamm vereint wäre, im Gewebe nicht wahrzunehmen vermöchte.

- Zur Zeit, wo dies geschieht (spätestens zur Zeit des Auftretens der ersten Kiemenspalten) können keinenfalls alle Nervenenden reel angelegt sein, denn z. B. weder die Retina, noch das Labyrinth, noch das Geruchsorgan oder die Muskeln sind um diese Zeit nach Zahl ihrer Elemente abgeschlossen. Wie entstehen die Nerven für die sich später neu bildenden Enden und die neuen Ursprünge im Mark? Wächst von letzteren aus eine neue Nervenfaser gegen das neue Ende hin, wie es die strenge Durchführung der Hypothese verlangt, oder

1) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks. Leipzig 1857 (z 2).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 373

tritt nunmehr ein neuer Process ein, vermehren sich von jenem un- bestimmten Zeitpunkt an die Nerven durch Theilung?

Ich bin (l 2) auf ganz anderem Wege zur Ansicht gelangt, dass die Nerven sich durch Theilung vermehren, aber niemals aus- wachsen. Diese Ansicht habe ich in fast allen späteren von mir gemachten histiologischen Arbeiten durch die Beobachtung zu erhärten versucht.

Ich kann mich nicht dem Gedanken hingeben, dass die Nerven vom Mark aus bis zu ihrem Ende hin wachsen. Keine Einrichtung vermag ich zu denken, welche die Nerven an ihr richtiges Ende zu leiten vermöchte, welche es z. B. bewirken sollte, dass stets die vordere Wurzel an Muskeln, die hintere an nicht muskulöse Organe gehe, dass keine Verwechselung eintrete zwischen den Nerven der Iris und denen der Augenmuskeln, zwischen den Aesten des Quintus und Acusticus oder Facialis u. s. w. Dennoch finden wir solche Verwechselungen nicht! Man kann nicht einwenden, dass solche Verwechselungen vor- handen sein könnten, aber im Mark ausgeglichen worden seien, denn auch die Nerven im Mark haben dem prädestinirten Ende zuzuwach- sen, und daher ist ein Ausgleich nach der genannten Hypothese nicht möglich. Endlich könnte gesagt werden, dass kleine individuelle Unter- schiede in Reflexvorgängen in der That sich auf Unterschiede resp. Irrun- gen im Auswachsen der Nerven dürften zurückführen lassen. Wie wir sehen werden, erklären sich derartige Variationen mindestens ebensogut aus meiner Ansicht heraus, können jedoch überhaupt nichts beweisen.

Da ich keine Erklärung für die Leitung der Nerven beim Aus- wachsen finden konnte, und, wie früher schon einmal gesagt, einen Spiritus rector für diese Dinge nicht annehmen kann, bin ich zunächst theoretisch auf die Annahme gekommen (l 2), dass die Nerven nie- mals ihrem Ende zuwachsen, sondern stets mit demselben verbunden sind. Die von Hıs später (u. A. y 1. S. 117) angedeutete Annahme, dass „die weisse Substanz da auftritt, wo sie Raum hat“, befriedigt mich nicht und scheint mir in Bezug auf die Wandungen der Ven- trikelhöhlen, welche nicht Lagerstätte der weissen Stränge werden, nicht zutreffend.

Für Diejenigen, welche meine theoretischen Bedenken nicht thei- len, hat, wie ich ven vornherein sagen muss, was ich bringen kann, nur ein untergeordnetes Interesse.

Unzweifelhaft ist es, dass unvollkommene Zelltheilungen in den Organismen vorkommen. Für das mittlere Keimblatt ist dies fast typisch; wir kennen das Vorkommen aber auch an Epidermiszellen

im Schmelzorgan, und für das innere Keimblatt sind solche Bildungen : 255

374 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

durch mich Oben in doch wohl unbezweifelbarer Weise demonstrirt. HioslLB url:

Die unvollkommene Theilung wird ursprünglich nach folgendem Schema: -— -— .—. vor sich gehen, wo jeder Punkt eine Zelle, der Strich den Verbindungsfaden bedeuten mag. Darauf kann die Theilung sich so abändern, dass an eine Zelle zwei und also mittelbar durch andere Zellen äusserst viele Verbindungsfäden treten: > 21: —:. Man kann, wie leicht zu ersehen, sich auf

diese Weise Netze der complieirtesten Structur darstellen, da die Thei- lungen natürlich in allen Richtungen im Raume vor sich gehen können. Wenn in Folge von Nichtgebrauch eine Atrophie eines Theiles der Zellen und Verbindungsfäden oder eine Ablösung der Zellen von ihren Fäden eintritt, so ist ein Modus für die Vertheilung der Nerven ge- geben, welcher weder die Annahme, dass dieselben auswachsen, noch diejenige, dass sich Bindegewebskörper in Nerven umwandeln, nöthig macht. Um diesen Modus mit den von verschiedenen Seiten gefun- denen Formen der definitiven Nervenendigung in Einklang zu bringen, würde man, falls Nerven wirklich frei zwischen Epithelien enden, eine spätere Ablösung der Enden annehmen müssen. Der Fall, wo von gewissen Endzellen epithelialer oder gangliöser Natur nervöse Fäden, die freilich nie wirkliche Nerven zu sein pflegen, abgehen, hat deshalb nichts Auffallendes, weil der Weg für diese Fäden ent- weder vorgebildet, wie bei den Hörhaaren der Krebse, oder nur von grösster Einfachheit in seinem Verlauf ist.

Die Möglichkeit einer ursprünglich vorhandenen und bleibenden Verbindung aller Zellen wäre gegeben, wenn schon die Furchungs- . zellen sich nicht vollständig von einander trennen würden. Die Unter- suchung der frischen Furchungskugeln ergab darüber nichts Sicheres, bei erhärteten Stadien trennten sich die Kugeln auf leichten Druck und dabei fand eine ausgedehntere Zerreissung jedenfalls nicht statt; ich glaube, dass bei der Furchung sich die Dottermassen vollkommen trennen.

Später tritt die eigenthümliche. Verwachsung der beiden Keim- blätter im Primitivstreif ein, ein Vorgang, der, soweit ich sehe, nur unter der von mir gemachten Annahme der Nervenentwicklung ver- ständlich scheint. Als Folge dieser Verschmelzung entstehen die Ur- wirbel und bei den Säugethieren das mittlere Keimblatt. Dasselbe würde nach KÖLLIKER (v2) beim Hühnchen der Fall sein, während ich zur Zeit daran festhalten muss, dass sich die Seitenplatten vom unteren Keimblatt abscheiden. Jedenfalls können auch hier die Zellen

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 37

der Urwirbel, Zellen eines Theiles des unteren Keimblattes und eines Theiles der Seitenplatten aus Mutterzellen hervorgegangen sein, deren eines Theilproduct im Mark zurückblieb, das andere in die genannten Theile trat. Die seitlichen Theile des äusseren und inneren Keim- blattes, soweit sie in den Embryo übergehen, haben jedenfalls anfäng- lich sehr nahe der Mittellinie, d. h. in dem Bereich der Medullar- platten, gelegen. An diesen Theilen habe ich keine Communications- fäden nachgewiesen, dies schliesst aber ihr Vorhandensein nicht aus, denn diese Dinge können sich sehr wohl dem Blick entziehen. In Bezug auf das Darmdrüsenblatt vermag ich überhaupt nichts auszu- sagen, weil ich die Entstehung des Sympathieus nicht kenne.

Meine factischen Beobachtungen für die jüngeren Stadien dem Kaninchen, für die älteren dem Rind und Schaaf entnommen, sind folgende.

Die Nervenwurzeln.

Sobald die Trennung in dem Primitivstreif erfolgt, sieht man an Schnitten, Fig. 38, 45, feine Fädchen von der Medullarplatte zu den Urwirbeln gehen, welche man zuweilen deutlich von den Zellen der Medulla entspringen und in solche der Urwirbel übergehen sieht. Diese Fäden, welche anfangs sehr zart sind, finden sich nicht auf jedem Schnitt und nicht gleichmässig vertheilt, aber es scheint schon viel zu sein, dass sie überhaupt nicht bei der Schnittführung zerstört werden. Ich trage kein Bedenken, anzunehmen, dass stets sehr viele davon durch den Schnitt zerrissen werden.

Wenn das Mark sich schliesst oder sich geschlossen hat, findet man Fig. 47, 48 diese Fäden vermehrt uud anscheinend etwas dicker. Sie sind ziemlich gleichmässig an den Seitentheilen des Marks ver- theilt. Um diese Zeit finden sich auch Fäden, welche vom Hornblatt an’s Mark gehen, doch ist es schwer, dieselben recht klar zu erhalten. Es liegen mir derartige Zeichnungen vor, doch waren stets nur ein- zelne Fäden genauer zu verfolgen.

Dass diese Fäden keine Kunstproducte sind, erschliesse ich, weil man dieselben auch an Flächenansichten frischer Embryonen ‚sowohl vom Hühnchen wie vom Kaninchen unschwer wahrnimmt, wenn man zur Zeit des Schlusses der Medullarrinne untersucht. Mir machen diese Fäden überhaupt nicht den Eindruck, als wenn es Ge- rinnungsproducte sein könnten, weil ich sie zuweilen von Zelle zu Zelle verfolgen kann und weil sie nicht anders aussehen wie wirk- liche feine, embryonale Nerven. Dies ist jedoch etwas Subjectives und Jeder kann sich berechtigt fühlen, meine Auffassung zu bezweifeln.

376 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Ich kann nicht einsehen, dass es etwas nützen würde, wenn ich hier mit grösster Vorsicht und Objectivität in der Form die Befunde er- wägen wollte, denn ebenso wenig wie ich auf solche Darstellungs- formen Gewicht zu legen vermag, sobald es sich dabei lediglich um Balsam- oder Vergoldungspräparate handelt, würde der Zweifler durch eine solche Darstellung von meiner Seite beeinflusst werden.

Was beweisend sein kann, ist die Verfolgung des Objects durch verschiedene Stadien, die Theorie und die Untersuchungen Anderer, namentlich wenn dieselben gelegentlich anderweiter Forschungen auf den Gegenstand treffen; also die Zeit und vielleicht viei Zeit.

Sollen aus diesen Fasern die Nervenwurzeln entstehen, so müssen dieselben, wie dies ja auch factisch der Fall ist, an allen Theilen des. Rückenmarks, ausgenommen den Wurzelgebieten, verschwinden. Dies könnte durch einen Lagerungswechsel, eine Sammlung der einzelnen Fädchen zu einem Stamm geschehen, jedoch insoweit dazu eine Wan- derung nothwendig wäre, würde die Membrana prima hinderlich sein.

Da jedoch vor der Zeit, wo die vorderen Wurzeln deutlich werden, das Mark im Querschnitt rund und noch sehr klein ist, darauf stark länglich wird, wäre es möglich, dass die Partie, welche den Seiten- strangtheilen des Markes entspricht, sich erst später entwickle und ursprünglich nur Vorderhörner und Hinterhörner virtuell angelegt seien. Endlich wäre eine Atrophie der Nerven jener Orte, wo später keine Fasern mehr austreten, denkbar.

Ich finde an den 9 Tage alten Embryonen die Nerven nicht merklich nach vorn gedrängt, am Ilten Tage wird durch die sich einschiebenden Bindegewebsmassen die Untersuchung erschwert. Die Urwirbel werden vom Mark abgedrängt und man sieht von ihren Zellen aus noch immer die Fäden recht gleichmässig zum Mark hin abgehen, aber an diesem wird die Verfolgung unsicher. In einem Stadium, wo die Extremitätenhöcker schon auftraten (etwas älter wie Fig. 34), wo die Urwirbel ganz vom Mark abgedrängt waren, aber die Chorda noch demselben dicht anlag, die Spinalganglien ferner eben vollendet waren, und schon die hintere Wurzel unzweifelhaft sich erkennen liess, konnte ich die Nerven der vorderen „Wurzeln überhaupt nicht sicher genug erkennen, um sie in die mir vorliegende Zeichnung einzutragen. Es ist kaum glaublich, dass um diese Zeit, wo bereits der Allantoiskreislauf stark entwickelt ist, die peripherischen Nerven ganz fehlen sollten. Dass ich sie nicht sicher nachweisen konnte, liegt einfach daran, dass ich keine guten Schnitte machen konnte. Die bisher angewandte Methode versagte, weil die Embryonen zu gross waren, für Schnitte aus freier Hand waren sie zu klein.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 377

Das Parafın war von Hıs noch nicht empfohlen worden; mit diesem lassen sich die Theile, ohne vorhergehende Alkoholbehandlung, so bequem einschmelzen, wenn nur ihre Oberfläche trocken ist, dass ich sehr bedauern muss, nicht Versuche damit gemacht zu haben. Wie die Sache liegt, kann ich einen positiven Beweis nicht bringen, aber mein negativer Erfolg hat nicht die mindeste Beweiskraft.

Ein auf das beschriebene sehr nahe folgendes Stadium hat KUPFFER (2 2) in seiner Fig. 8 gezeichnet, hier sieht man die vorderen Wur- zeln, aber sie liegen nicht compact, sondern noch in einzelnen Bün- deln, die von einander durch Bindegewebe getrennt sind, erst später treten sie dicht zusammen. Die Wurzeln sind um die Zeit dieses Auftretens unverhältnissmässig massig, sowohl in Bezug auf die Grösse des Embryo, wie auf die Grösse des Rückenmarks. Dazu kommt, dass die Fasern ja nicht markhaltig sind, sondern äusserst feine Fädchen darstellen! Welch wunderbarer Entwicklungsgang wäre es doch, wenn der bis dahin völlig nervenlose Embryo in Zeit von wenig Stunden so ganz überreich mit Nerven versorgt würde!

Bezüglich der hinteren Wurzeln liessen sich die einzelnen Stadien besser verfolgen. Zu einer Zeit, wo soeben. die Bindegewebswucherung bis zur Chorda herangetreten ist, wo das Mark beginnt einen ovalen Querschnitt zu zeigen, aber die Urwirbel ihm noch dicht anliegen und Bindegewebszellen nur ganz vereinzelt an der Membrana prima des Marks behufs Bildung der Pia mater, sich anlegen, beginnt die Bildung der Spinalganglien, Fig. 54. Von den hinteren Theilen des Marks treten Zellen in den Raum zwischen Mark und Urwirbel, um

dort allmälig eine compactere, zunächst dem Mark dicht anliegende

und an den Seiten desselben sich bis etwa zur Mitte herabschiebende Zellenmasse zu bilden. Die Zellen trennen sich dabei nicht von den Zellen des Marks, sondern bleiben durch Fäden, die Nerven der hin- teren Wurzel, mit ihnen verknüpft. Von den, auf diese Art ausge- stülpten, Zellen, gehen auch peripher Fäden ab, es ist mir jedoch (wohl aus dem oben angegebenen Grunde) nicht geglückt, dieselben erheblich weit zu verfolgen. Später entfernt sich das Ganglion unter dem Einfluss der fortschreitenden Bindegewebswucherung mehr vom Mark und beginnt in der bereits bekannten Weise weiter bauchwärts zu rücken. Dann sieht man aber auch schon die vorderen Wurzeln und die Nervenbündel, welche peripher aus dem Ganglion treten, denn diese verlaufen bei dem Embryo zunächst eine Strecke weit isolirt, ehe sie die vorderen Wurzeln treffen und sich mit ihnen vereinen; erst in darauf folgenden Stadien bettet sich die Spitze des Spinal- ganglions dicht an die vorderen Wurzeln. Nicht alle Ganglien bilden

378 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

sich in der geschilderten Weise. Das Ganglion cochleare z. B. stammt von dem Epithel der Schnecke her. Darüber habe ich x 2 berichtet, doch ist leider die dazu gehörige Figur gänzlich verpfuscht.

Nach den Schilderungen Kuprrer’s soll das Ganglion sich zu- nächst isolirt anlegen und erst später eine Verbindung mit dem Mark sich gestalten. Die Zeit, in welcher die Ausstülpung des Ganglions seschieht, liest jedoch erheblich früher, wie ‘die Stadien, welche KUPFFER schildert; er sieht die vorderen Wurzeln erheblich früher wie die hinteren. Die Wurzeln treten zuerst ganz hinten nahe der Mittellinie auf, vielleicht hat er sie dort nicht gesucht; es braucht kaum gesagt zu werden, dass man ziemlich nahe den Ort kennen muss, um so zarte Bildungen überhaupt aufzufinden. Ich kann daher den negativen Befund nicht als beweiskräftig gelten lassen.

Beim Hühnchen scheinen mir die Ganglien aus der unteren Lage der Epidermis zu entspringen, jedoch diese Thiere erhärten weit weniger gut wie die Säugethiere, so dass ich hier den Gegenstand nicht weiter verfolgt habe.

Eine besonders beachtenswerthe Bestätigung meiner Angabe finde ich in BAaLFour’s Beschreibung der Ganglienentwicklung bei Haien (h 2), die, soweit man erkennen kann, ganz mit derjenigen von Säuge- thieren übereinstimmt.

Die Entwicklung des. Markes.

Es liegt, wenn ich mich eines volksthümlichen Ausdrucks bedienen darf, eine Welt von Arbeit in dem Studium des embryonalen Central- systems, und daher darf nicht erwartet werden, dass hier sehr befrie- digende Aufschlüsse ertheilt werden können. Ich habe ausser in den bereits citirten embryologischen Mittheilungen (y 2) gelegentlich einer anderen Arbeit!) ziemlich eingehend die Entwicklung des Centralsystems besprochen und bringe jetzt die Belege dafür bei.

Zunächst möchte ich im Allgemeinen meine Auffassung des Mar- kes darlegen. Wenn man den Begriff des Bindegewebes einheitlich auffasst, indem man es aus dem mittleren Keimblatt ableitet, so ge- langt dies Gewebe erst nachträglich in das Mark, und zwar durch jene Wucherung der Gefässe, welche, wie H. MÜLLER?) zuerst nach- wies, und wie jetzt allseitig angenommen wird, sich in das Mark

1) Ueber den Bau des Schneckenauges, Archiv f. mikroskop. Auatomie. Bd. I. 1866. S. 423 (a 3).

2) Ueber die Netzhautgefässe von Embryonen. Würzburger naturw. Zeit- schrift II, S. 223 und Gesammelte Schriften $. 141 (b 3).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 379

einbohren und so auch die bindegewebige Hülle mit hineintragen. Dasjenige Bindegewebe, welches namentlich BipDpErR (z 2) in dem Rückenmark nachwies, stammt m. E. aus den mit den Gefässen hin- eingewucherten Bindesubstanzen.

Findet sich daneben noch nicht nervöse Masse, eine wahre Neu- roglia? Ich möchte zwar glauben, dass nicht alle ursprünglichen Elemente des Markes nervös bleiben, jedoch der Nachweis dafür ist schwierig. : Das Epithel des Centralkanals z. B. scheint im Erwach- senen nicht nervöser Natur zu sein, aber dieselbe Schicht wächst in der Retina zu den Körpern der Stäbchen und Zapfen aus! Sind die Radiärfasern Neuroglia? Ich habe nie die von M. ScHuLTtzE!) be- schriebene Structur dieser Fasern finden können, obgleich ich die von ihm benutzten Thiere dafür herbeizog und ich erinnere mich auch nicht, klare und unumwundene Bestätigungen von anderer Seite ge- sehen zu haben. HEInkıch MÜLLER?) drückt sich sehr zweifelnd über die Natur dieser Fasern aus, obgleich er findet, dass ihre inneren Theile beim Kochen verschwinden. Wenn man HEnLE’s Beschreibung °) liest, kommt man auf den vielleicht völlig richtigen Gedanken, dass es sich um ziemlich variable Reste früherer Structuren handle: jedenfalls liegt dafür, dass sie, wie REMAK will, Stützfasern seien, oder überhaupt eine Function haben, welche sie dem Bindegewebe functionell gleich machte, nicht einmal eine Prüfung der frischen Retina vor.

Wenn auch die Schule mit Recht diese Dinge als zu Gunsten der Bindegewebsfrage abgethan, darstellt, Fundamente für unsere Anschauungen liegen hier nicht vor.

Neuerer Zeit hat sich namentlich BoLL*) mit der Bindesubstanz der Centralorgane beschäftigt. Dort findet man auch die neuere Lite- ratur abgehandelt, auf welche ich einzugehen keinen Anlass habe, weil ich mich hier nur mit so frühen Stadien beschäftige, dass meine Studien etwa da aufhören, wo frühestens die der betreffenden Autoren beginnen. Auch in Bezug auf.Bour’s Histiogenese habe ich mich mit Wenigem zu begnügen. Er verwahrt sich $. 116 ausdrücklich gegen die Annahme, als ob seine Beobachtungen entscheidend dafür seien, dass die embryonale Anlage der Neuroglia und der nervösen Elementartheile die gleiche sei. Diese Verwahrung hat jedoch, soweit

1) Observationes de retinae structura. Commentatio.. Bonn 1859 (e 3).

2) b3. 8. 99.

3) 8. 657 (63).

4) Die Histiologie und Histiogenese der nervösen Centralorgane. Berlin 73.

(d 3).

380 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

ich die Sache verstehe, nur dann einen Sinn, wenn man an die Mög- lichkeit denkt, dass sehr frühzeitig Wanderzellen eine Rolle bei der Bindegewebsbildung spielen. BoLL spricht sich 8. 131 einerseits gegen Einwanderungen der „verzogenen Kinder der modernen Histio- logen, der in neuerer Zeit so beliebten Wanderzellen“ aus, andererseits S. 125 glaubt er selbst statuiren zu müssen, dass wandernde „Körnchen- zellen“ die Markscheide der Nerven bilden.

Ich habe an Säugethierembryonen nicht finden können, dass Wanderzellen eine Rolle als Gewebs- oder Organbildner spielen. Einem solchen Ausspruch würde wohl ohne weiteres keine Beweiskraft zu- erkannt werden, jedoch weil ich selbst zuerst und zwar unter dem Namen „Sekret-Gewebe‘ eine Gewebsbildung durch wandernde Zel- len in der Larve des Seesterns und später am Schwanz der Frosch- larven nachgewiesen habe), dürfte eine Garantie dafür bestehen, dass ich ernstlich nach ähnlichen Vorgängen suchte. Jetzt kann ich nur noch für die Tunica intermedia an einen solchen Vorgang bei Säuge- thieren glauben.

Die neueren Angaben über Zellwanderung stützen sich darauf, dass amöboide Bewegungen der betreffenden Zellen nachgewiesen seien, und auf Beobachtungen, welche als Zwischenstufen solcher Wanderungen auf- gefasst werden können. In meinen älteren und neueren Beobachtungen über Wanderung, resp. Vorschiebung von Zellen, handelt es sich um Vor- gänge, in welchen entweder die Bahn sehr eingeschränkt war, wie bei der Umwachsung des inneren Keimblattes, wo sich keine Zelle ganz von der anderen trennt, oder anderntheils, in welchen der Weg den ein- zelnen Zellen ohne Gefahr überlassen bleiben kann, weil der Raum, in welchen hineingewandert wird, ein zellenfreier, unmittelbar an- liegender und eng begrenzter ist. Wenn dagegen eine Wanderung auf complieirten Wegen und Anhäufungen in bestimmten Centren, resp. in schon mit Zellen gefüllte Räume hinein, gelehrt wird, so wird eine über diesen Zellen waltende und sie dirigirende Kraft gesetzt. Diese Hypothese scheint mir vorläufig so gewagt, entzieht uns so sehr jeg- lichen Boden für die Erforschung der Entwicklungsgesetze, dass ich ohne die thatsächlichen Beobachtungen im Geringsten bezweifeln zu wollen, doch die Schlüsse, so naheliegend sie sein mögen, nicht gelten lassen kann.

Weil ich der Ansicht von der Einwanderung freier Zellen behufs physiologischer Gewebsbildung entgegen treten muss, werden mir einige

1) Ueber die Entwicklung des Gewebes und der Nerven im Schwanze der Froschlarven. VIRcHow’s Archiv Bd. XXXT, S. 51 (e 3).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 381

von BoLr’s Angaben zum Versuch einer positiven Beweisführung für die Abstammung der Neuroglia zweifelhaft. Born (S. 106) entnimmt dem Hühnchen des 3. oder 4. Tages etwas vom Grosshirn und findet das, als fundamental für die ganze Entwicklungslehre der Centralorgane zu be- tonende Factum, dass die Kerne, welche man zunächst in der Protoplasma- masse entdeckt, in zwei bestimmte Klassen zu scheiden seien. Die einen seien nervöser Natur, würden Ganglienzellen, dieanderen seien dem Typus der Bindesubstanzen zuzurechnen. An den ersteren lasse sich ein bläs- chenförmiger Zellenleib, gefüllt mit sehr feinkörnigem Protoplasma, ein Kern von gleichem Aussehen wie letzteres und oft so gross, dass er nahe die Zelle ausfülle, und ein, fast stets einfaches, Kernkörperchen wie in jeder ausgewachsenen Ganglienzelle finden.

Die zweite Form sei nicht Zelle, sondern Kern, sei von meist ellipsoidiscner Form mit mehreren Kernkörperchen. Charakteristisch seien die stets doppelten Contouren, niemals seien dieselben einfach wie bei den anderen Zellen. Die Grundmasse, in der Alles liege, sei Protoplasma, das sich nicht zu Zellenterritorien abgrenze.

Die Grosshirnblasen habe ich als den Ort betrachtet, wo die typischen Processe der Markentwicklung sich am wenigsten aus- prägen, weil dieser Theil als späte secundäre Bildung auftritt: ich habe ihn also sehr wenig studirt. Auch hier findet sich an der Innen- fläche Epithel des Centralkanals in erheblicher Dicke, an der medialen hinteren Fläche bleibt zeitlebens nur Epithel, insofern sich dort die Plexus chorioidei entwickeln. BoLz giebt keinen Schnitt dieser Theile und hat die Dinge nur von der Fläche aus betrachtet; ich bin ganz im Unklaren darüber, wo und was er eigentlich studirt hat! Dies Ver- halten ist für Feststellung fundamentaler Thatsachen nicht glücklich!

Seine Beweisführung beruht erstens auf dem Unterschied in der Zahl der Kernkörper. Ich habe mich vergeblich bemüht, an Schnitten in den Kernkörperchen ein charakteristisches Verhalten festzustellen, sie waren bald klein, bald grösser, mehrfach oder einfach, ohne be- stimmte Regel. Möglich, dass frische Präparate günstiger sind, aber in so stark wachsenden Theilen scheint a priori die Sache misslich. Der Autor bringt 2 oder höchstens 3 kleine Zeichnungen dieser Ver- hältnisse als Beleg bei, nämlich aus dem 4., 7. und 12. Tage der Bebrütung. Da finden wir am 7. Tage schon einen Bindegewebskern mit nur einem, 5 mit 2 Kernkörpern unter den 11 Kernen, am 12. unter 6 Kernen einen ohne Kernkörper, 2 mit so vielen Granulis, dass man Anstand nehmen muss, sie als Kernkörperchen zu bezeichnen. Bei so wenig Zeichnungen darf man doch erwarten, dass sie der Be- schreibung nicht geradezu widersprechen !

382 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Zweitens wird auf den doppelten Contour des Kernes ein grosses Gewicht gelest. Wodurch unterscheidet man diesen von der Grenze eines etwa dicht umschliessenden Zellkörpers? Doch wohl dadurch, dass innerer und äusserer Contour genau concentrisch verlaufen! thuen sie dies nicht, so deuten wir den äusseren Öontour als eine zweite besondere Hülle In der ersten Figur Borr’s fehlt der ver- langte Charakter zweien von den vier Kernen in auffallender Weise, so dass hier mit mehr Recht Uebergänge als Scheidung der Formen demonstrirt werden können. In der zweiten Figur fehlt die doppelte Contour fünfen unter den eilf in Betracht kommenden Kernen völlig! Ferner ist zu beachten, dass in der Reihe der Ganglienzellen vom 3. bis 14. Tage diejenigen des 12. Tages ganz aus der Reihe fallen, da sie so kleine Zellenleiber haben, dass sie, abgesehen von den Aus- läufern, aussehen wie Borr’s Bindesubstanzkerne. Es handelt sich, wie man sieht, nicht um einzelne Bedenken und Incongruenzen, son- dern um eine Reihe solcher. Ich finde demnach, dass die Beweis- führung des Autors nicht ausreichend geglückt ist.

Einer neueren Arbeit von EICHHORST!) gegenüber würde ich einen grossen Theil des gegen BoLL Gesagten wiederholen müssen, obgleich ich seiner Beschreibung des Epithels vom Centralkanal schon eher zustimmen kann. Es handelt sich hier aber um Differenzen prineipieller Natur, die zunächst durch Discussion nicht gehoben werden Können.

Die Ansicht über die Structur des Markes, zu welcher mich meine Studien führen, ist die, dass man das Mark auffassen müsse als ein Epithel, und zwar als ein einfach geschich- tetes Epithel.

Ich weiss sehr wohl, dass diese Auffassung für sonderbar, ja für unmöglich angesehen wird, jedoch ich werde sie, soweit ich hier die Sache verfolge, objectiv begründen. Erscheint das Mark des Erwach- senen auf den genannten Typus zunächst nicht reducirbar, kann man sehr Vieles ohne jenen theoretischen Ausgangspunkt entziffern, so bleibt uns doch der Bau im Ganzen und Grossen unverständlich, und kann m. E. nur verstanden werden, wenn wir den Anschluss an die ent- wicklungsgeschichtliche Grundlage, welche unzweifelhaft das einfach geschichtete Epithel ist, gewinnen. Unter letzterem Namen verstehe ich jedoch nicht eine einfache Lage von Zellen, sondern eine Lage vieler Zellen über einander, welche aber dadurch als einfach charak-

1) Ueber die Entwicklung des menschlichen Rückenmarks und seiner Form- elemente. VırcHmow’s Archiv 1875. S. 425.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 383

terisirt wird, dass jede Zelle zunächst direct, später allerdings sehr indirect mit dem einen Ende an die Innenfläche, mit dem an- deren an die Aussenfläche der Schicht heranreicht. Ein solcher Epitheltypus ist wie ich glauba zuerst von HENLE für das Flimmer- epithel der Trachea nachgewiesen, später häufig dargestellt worden.

Dieser Typus wird bei der Entwicklung durch enorme Compli- cationen nahezu vollständig verwischt. Aufgabe einer theoretisch kla- ren Anatomie des Markes (inclusive Retina) wird es sein, durch Ver- folgung dieser Complicationen den Bau der Theile zu erklären.

Einen indirecten, jedoch deutlichen Beweis für die von mir be- hauptete Structur der Theile liefern die Plexus chorioidei. KÖLLIKER (m. S. 247) hatte schon als wahrscheinlich bezeichnet, dass das Epithel der Plexus einer embryonalen „Markplatte“ entstamme, die Ventrikel also in Wirklichkeit nie offen seien; jedoch schreibt er, „doch gestehe ich Ihnen offen, dass ich dieser Frage noch nicht die nöthige Auf- merksamkeit zugewendet habe, um mich ganz bestimmt aussprechen zu dürfen‘“ Auch Schmipr!) werfe die Frage auf, ob nicht, wie er dies für den Plexus quartus annehme, auch die Plexus laterales ur- sprünglich von einem Markblatte umhüllt seien.

Später habe ich (a 3. S. 423) meine Resultate in folgenden Wor- ten zusammengefasst. „Ich finde, dass die Continuität des Central- kanals bis an’s vorderste Ende des Hirns beim Säugethier ganz un- unterbrochen ist, mindestens bis zur Zeit, wo bereits die Hemisphären dieckwandig geworden und die Streifenhügel sehr entwickelt sind. Die Lücken in dem Kanal, die in der Wand der Medulla oblongata und später in den Hemisphären für den Eintritt der Plexus gebildet sein sollen, sind nur scheinbar. Dasselbe Gewebe, welches am Rückenmark die Wandungen des Centralkanals bildet, schliesst ihn auch über der Rautengrube, denn es gehen die Zellen, welche die Oberfläche der Medulla bilden, vollkommen continuirlich auf den Plexus ventriceuli quarti über, aber hier bleiben sie als einfaches Epithel auf der Pia mater bestehen, während sie im Uebrigen eben die Nervenmasse er- zeugen. Dasselbe gilt für das Grosshirn. Hier stülpen sich die Plexus von dem mittleren Schädelbalken (vergl. KÖLLIKER m. Fig. 86.; es handelt sich natürlich um die mit der Falx sich vereinenden Theile dieser nicht gerade passend bezeichneten Faltung des Schädeldachs) in der Weise von hinten und der Sagittalebene her in die Hemisphä- renblasen ein, dass deren Wandung sie continuirlich überzieht und

I) Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XI. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Gehirns (g 3).

384 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

sich auf ihnen zum Epithel gestaltet, während an den übrigen Stellen die Wandungen fortfahren, sich zu verdicken und das Hirn bilden.“ Damals habe ich den Plexus des dritten Ventrikels nicht besonders besprochen. Derselbe verhält sich wie die Seitenventrikelplexus; er bildet die bindegewebige Brücke, welche letztere beiden mit einander verbindet und stülpt sich mit ihnen zugleich, jedoch weniger tief, ein. Eigenthümlich ist, dass überall da, wo die das Hirn berührenden Bindegewebsmassen sich stark vascularisiren, die Hirnentwicklung stehen bleibt oder streng genommen ein wenig zurückgeht, während gefässarme einbuchtende Fortsätze, wie z. B. die Falx cerebri, solche Folgen nicht hervorrufen.

Es ist, so viel mir bekannt!), kein Widerspruch gegen unsere Ansichten erhoben worden und u. A. hat Hıs?) für den 4. Ventrikel die Beobachtungen acceptirt. Es dürfte also genügen, wenn ich als Beleg den Schnitt, Fig. 59, gebe. Derselbe geht durch den hinteren Theil des Kleinhirns und durch das vorderste Ende der Medulla, so wie durch den noch kaum eingestülpten Plexus IV, welcher in dieser Periode sehr weit seitlich die Medulla umfasst. Es geht ein Nerv, wahrscheinlich Trigeminus, von der letzteren ab; trotzdem verfolgt man deutlich den continuirlichen Uebergang der Markmassen, nament- lich des sog. Epithels des Centralkanals in die einfache Lage der Epithelzellen, welche den sich entwickelnden Plexus decken.

Wenn demnach ein Zweifel darüber nicht stattfinden kann, dass in den Medullarplatten das Material gegeben ist, um ein typisches Epidermis- resp. Epidermisdrüsen-Epithel zu bilden, gestaltet sich die weitere Aufgabe, abgesehen von der Nervenentwicklung, dahin, nach- zuweisen, dass dieser Typus zeitlich sehr weit verfolgt werden kann.

1) Man verzeihe folgende Bemerkung. Jeder ältere Autor steht auf seinen früheren Arbeiten und kommt daher in die Lage, sich häufig zu citiren. Dies kann zuviel, aber auch zu wenig geschehen. Für den Nacharbeiter ist Ersteres dann angenehm, wenn es ziffermässig genau geschieht, weil man in einer Schrift alle Nachweise des betrefienden Autors gewinnen kann. Häufig habe ich in Arbeiten, die mir gut bekannt waren, fast stundenlang blättern müssen, um einen Ausspruch zu finden, auf den von dem Autor anderweit aufmerksam gemacht war, so citirt sich z. B. BiıscHorr selten genau. Für Niemanden ist es leichter, die Seitenzahl zu finden, wie für den Autor selbst, der häufig doch seine Aussage selbst nachlesen muss, weil man dergleichen schliesslich vergisst. Bei der gewaltigen Anhäufung unserer Literatur glaube ich der Billigung meiner Collegen sicher zu sein, wenn ich daran erinnere, dass viele ziffermässige Selbsteitate den Leser kaum belästigen, aber der wissenschaft- lichen Arbeit helfen und daher dankbar aufzunehmen sind.

2) Ueber die Gliederung des Gehirns 8. 231. Verhandl. der naturforschenden Gesellschaft in Basel 1869 (h 3).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 385

Wie man an den Fig. 48 und 47, sowie an den vorangehenden Stadien erkennen kann, besteht das Rückenmark zuerst aus Zellen von länglich-runder oder runder Gestalt, an denen bestenfalls eine radiäre Anordnung erkannt werden kann. Der Dicke nach liegen 3 bis 4 Zellen übereinander. Die Verfolgung der Entwicklung bis zu diesem Stadium ergiebt, dass zuerst die Zellen der Medullarplatte nur eylindrisch sind, jedoch, Fig. 89, auch schon eine Verdoppelung der Zellen ihrer Dicke nach oder mindestens eine Verdoppelung des Kerns eintreten kann. In den Stadien, Fig. 38 und 39, ist die Zellen- reihe jedenfalls schon doppelt, aber bei genauerer Untersuchung be- merkt man, dass die Zellen alternirend stehen und sich konisch zuspitzen, so dass die Spitzen bis zur inneren resp. äusseren Fläche vorspringen. Darauf entstehen spindelförmige Elemente in der mitt- leren Lage des Marks, welche nach beiden Seiten hin Ausläufer senden. Sobald diese auftreten, wird es schon zweifelhaft, ob man drei oder vier Zellenlagen zu unterscheiden habe, denn die Elemente werden, wahrscheinlich in Folge von Theilungen, sehr verschieden gross und füllen mit ihren Körpern bald zu vieren, bald zu dreien die Dicke des Markes. Dazu kommt, dass die Zellen nicht selten eine rundliche oder den Ganglien ähnliche Form annehmen. Ich halte die Spindel- form für das normalere, da das Mark bei rundlichen Zellen immer etwas gelockert, nicht so gut erhärtet zu sein scheint.!) Die Gestal- ten fasse ich auf als Zellen mit kleinem Körper, der von dem Kern fast ausgefüllt wird, so dass man häufig von ersterem in diesen Perio- den wenig wahrnimmt. Weitere Stadien geben die Five. 53 A und B und Fig. 54, in welchen die Zellen des Markes drei- bis vierfach ge- schichtet liegen, obgleich der betreffende Embryo um fast 24 Stunden älter geworden ist. Von einem eigentlichen Epithel des Centralkanals kann auch hier noch nicht gesprochen werden, obgleich die Zellen in dem der vorderen Commissur benachbarten älteren Theil des Markes schon etwas mehr cylindrisch werden und mehr Körper bekommen. Beim Zerzupfen, Fig. 53B, zeigen sich feine, ziemlich lange Fäden b, die für Nerven zu halten sind und ausserdem etwas fussförmig ge- staltete Fortsätze a, die Radiärfasern. Die Nerven gehen seitlich von diesen Zellen bisweilen auch von den Fasern ab, da man sie jedoch ohne Zerzupfung nicht erkennt, lässt sich nichts Genaueres über ihr Verhalten sagen. Von Längssträngen sehe ich in dieser Zeit zwar nichts, aber ich halte es für, mindestens gesagt, sehr möglich,

1) Dies gilt also für Fig. 47 u. 48, macht aber die Figuren für die Structur des Markes instructiv.

386 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

dass ich etwa schon vorhandene Spuren derselben übersehen habe oder nur nicht erkennen konnte.

Die Figuren der Tafel werden nunmehr durch eine Lücke von etwa 20 Stunden unterbrochen. Mir liegen jedoch zwei Zeichnungen aus dieser Periode vor, denen Folgendes zu entnehmen ist. Die An- zahl der Zellenstrata steigt auf 7 bis 8. Dieselben füllen die, von der Membr. prima und aufgelagerten Zellen umgebene, Medullarhöhle voll- ständig aus, man bemerkt jedoch, dass in der Gegend der späteren vorderen Commissur die Zellen sich etwas von der Hülle abgezogen haben (lockerer anlagen!), hier erkennt man, dass sie mit einem eylin- drischen Zellenkörper an die freigewordene Fläche sich anlegten. Das zweite einem Schaafsembryo entnommene Object zeigt, dass sich die Zellen genannter Region besonders stark mit Karmin färben und so eine Zone bilden, welche noch etwas über den Bereich der vorderen Bucht des Centralkanals, dessen Form fast gleich derjenigen in Fig. 55 ist, hinübergreif. An den Seiten der Basis dieser Zone bleibt ein hellerer Raum, mit welchem die erste Spur eines Längsstranges auf- zutreten scheint. Die Dicke des Epithels des Centralkanals ist vorn an den Seiten des Centralkanals gering geworden und umfasst nur 4 bis 5 Zellenschichten, weiter nach hinten wächst die Dicke all- mählig und umfasst schliesslich wieder gegen 8 Zellschichten. Dabei behält das Rückenmark noch einen ovalen Querschnitt, doch nähert sich die Gestalt schon etwas dem Ovoid, da das Oval vorne etwas breiter ist wie hinten. Nach dem Gesagten muss sich im vorderen Theil des Markes eine neue Substanz ausgeschieden haben, um den Raum, welcher durch die Verschmälerung des Epithelstratums frei geworden ist, auszufüllen. In der That wird vorn seitlich bis nahezu zur Mitte, eine neugebildete, etwas durchsichtigere zellenreiche Masse gefunden, welche als Umwandlung der äusseren Epithelzellen des Central- kanals zu deuten ist und die wir als graue Substanz ansprechen dürfen.

Das Spinalganglion ist an diesem Schnitt sehr gross, liegt aber dem Mark noch eng an. Die vorderen Wurzeln entspringen auffallend weit nach hinten und zwar etwas unterhalb einer Linie, welche das Mark in einen sensiblen hinteren und motorischen vorderen Theil. trennen würde. Dies Verhalten ist mir sehr auffallend und füge ich daher noch als Charaktere des Schnittes hinzu, dass die Urnieren stark in den Peritonealraum vorspringen, Geschlechtsdrüsen nicht zu erken- nen sind und die Urwirbel z.Thl. von der Membrana reuniens superior überwachsen sind, z. Thl. aber noch unmittelbar die Epidermis be- rühren. Die Aorta ist schon einfach, das Lumen des geschlossenen Darmkanals ein sehr enges.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 387

In einem folgenden Stadium, Fig. 55, nimmt der Querschnitt des Markes eine vierlappige Beschaffenheit an, während der Centralkanal seine Form kaum ändert; nur nähert er sich stark der hinteren Ober- fläche des Markes. Dieses selbst hat den rein epithelialen Charakter noch mehr eingebüsst. Allerdings besteht noch die Hauptmasse des Markes bis zum Lumen des Centralkanals hin aus einer als rein epi- thelial aufzufassenden Zellenmasse. Allerdings gehen von den Zellen dieser Schicht Fortsätze in Form von Radiärfasern durch das ganze Mark und inseriren sich mit schon ein wenig verbreiterter Basis (die hier wie an der Retina später eine complieirtere Form annimmt) an der Membrana prima, aber zwischen diesen Fasern sind jetzt fast überall Zellen entstanden, die sich ziemlich unregelmässig lagern und von denen nicht gesagt werden kann, dass sie mit dem einen Ende an die innere, mit dem anderen an die äussere Fläche direct an- stossen.

An diesen Zellen erkennt man zahlreiche Ausläufer, welche fast nach allen Richtungen gehen, sie zerfallen aber doch schon, je nach Lage und vorwiegender Richtung der. Ausläufer, in zwei Gruppen. Die eine, dem Epithel dicht anliegend, in Fig. 55 leicht zu erkennen, besteht aus einer Lage von ein bis zwei Zellen und sendet die Fasern vorwiegend in kreisförmiger Richtung um den Querschnitt des Marks. Da diese Lage vorn durch die vordere Commissur und hinten durch die flache Epithelbrücke des Centralkanals unterbrochen wird, will ich sie als „halbkreisförmiges Stratum“ bezeichnen.

Nach aussen von dieser Lage folgen unregelmässig gelagerte Zel- len, welche den äussersten Theil der grauen Substanz ausmachen. Diese Masse bildet stärkere Anhäufungen um die Eintrittsstelle der vorderen und hinteren Wurzeln, während sie in der Mitte zwischen beiden nur schwach entwickelt ist.

Nach aussen wird sie umhüllt von den Vorder- und Seiten- Strängen, welche in diesem Präparat bereits ausgedehnter zur Beob- achtung kommen, Fig. 55 v. C., und sich als ein schmaler Saum des Marks darstellen. Die Vergrösserung ist zu schwach, um die Structur an der Figur demonstriren zu können.

Ein darauf folgendes Stadium zeist Fig. 56. Hier sind dem An- schein nach bedeutende Veränderungen aufgetreten, jedoch in Wirk- lichkeit ist des Neuen nicht viel, auch macht die stärkere Vergrösse- rung die Figur fremdartiger. Das Epithel des Centralkanals scheint eine Schicht verloren zu haben, ist im Uebrigen aber ähnlich gebaut wie früher, nur hat es sich am Schlussstück des Marks entschieden

verdickt. Das halbkreisförmige Stratum ist mächtiger geworden und Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 96

388 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

erstreckt sich namentlich massig in die Gegend zwischen vorderer und hinterer Wurzel hinein. Es hat sich, wie es scheint, die nicht hierher gehörige Masse am vorigen Schnitt dieser Form accommodirt und ist darin aufgegangen, so dass jetzt dies Stratum als die eigent- liche graue Masse des Markes imponirt. Man könnte sogar glauben, dass auch der ovale, etwas diehtere Zellenhaufen, welcher jetzt noch das Vorderhorn repräsentirt, auch zu diesem Stratum gehöre, jedoch in etwas älteren Stadien, Fig. 78, scheidet sich das halbkreisförmige Stratum h. k. recht scharf und präparirbar von dem Vorderhorn ab. Man muss daher den ovalen grossen Zellenhaufen, in den die vorderen Wurzeln v. eintreten, doch als etwas besonderes, als das Folgestadium des äusseren Zellenlagers der vorigen Figur, gelten lassen. Der ganze vordere Theil hat an Volumen zugenommen, dagegen ist das Rücken- mark hinten auffallend im Wachsthum zurückgeblieben.

Die zellige Masse, in welche hinein früher, Fig. 55, die hinteren Wurzeln traten, hät sich in einen Längsstrang verwandelt; fast alle Zellen darin sind verschwunden, und nur bei c finden sich noch einige (gefärbte) Reste derselben vor. Der Strang besteht aus relativ groben Fasern; ich habe nicht verfolgen können, was aus ihm wird, ° doch halte ich für wahrscheinlich, dass die in oder vor der Substantia gelatinosa Rolando longitudinal verlaufenden feinen Nervenfasermassen daraus werden. Hinter diesem Strang bei k. (k) legt sich noch wieder ein Längsstrang an, der je nach Entscheidung vorerwähnter a als Hinter- oder als Keil-Strang zu deuten ist.

Die Figur ist in Bezug auf das feinere Detail mit besonderer Meisterschaft von Herren WITTMAAK ausgeführt worden, so dass ich mir keine genauere Copie wünschen konnte Man sieht ganz gut das Verhalten der Radiärfasern zu dem Epithel und verfolgt erstere so vollständig durch das Präparat, wie nur von einem Schnitt ver- langt werden kann. Man sieht ferner, dass zwischen den Zellen der grauen Substanz sich Netze mit fast quadratischen Maschen bilden, wodurch ein so ausgedehntes Flechtwerk von Zellenausläufern und Fasern entsteht, dass mittelbar fast jede Zelle mit der anderen ver- bunden ist. Es scheint mir kein Grund vorhanden, auch nur eins von allen vorliegenden Elementen, seien es die runden, seien es die spärlich vorliegenden ovalen Körper, seien es die Zellen des Central- kanals, für nicht nervös zu erklären. Später mögen einige derselben aus der Verbindung treten, zur Zeit communieirt Alles, und wenn denn doch von einem Ende gesprochen werden soll, so sind dies, wie ich schon früher betonte (a 3), die Epithelzellen des Central- kanals.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 389

Alle Kerne, welche man sieht, scheinen von einem dicht anlie- senden Zellkörper umgeben zu sein. Für die Kerne am Centralkanal ist dies sicher (Fig. 60, 90), von den übrigen Kernen gehen so zahl- reiche Ausläufer ab (vergl. auch Fig. 98ab), dass man dadurch schon darauf geführt wird, es müsse um den Kern eine Zellsubstanz Jiegen. Die genauere Analyse bestätigt diese Voraussetzung. Dennoch könnte man daran festhalten wollen, es habe ein grosser Theil des Zellenleibes sich aufgelöst und bilde die Grundsubstanz zwischen den Fasern. Dass die zwischen den Fasern befindliche Substanz einen besonderen chemischen Charakter habe, etwas Besonderes sei, bin ich zu bestreiten nicht in der Lage. Dass sie jedoch von Zellenauflösung abzuleiten sei, bezweifle ich deshalb, weil dieselbe Masse auch zwischen den Längssträngen und der vorderen Commissur vorkommt, in diesen aber, namentlich in letzterer, von einer Zellenauflösung die Rede nicht sein kann. |

Die Vorderstränge sind genügend entwickelt, um ihre Structur genauer studiren zu können. Man findet, dass dieselben weit mehr den Eindruck eines Reticulums machen, wie den von durchschnit- tenen Axencylindern.. Man sieht jedoch Durchschnitte feiner rund- licher Fasern in diesem Reticulum; namentlich deutlich weiter nach hinten, aber diese Fasern liegen, wo die Copie gut gelungen ist, in den Knotenpunkten des Netzwerks. Diesem eigenthümlichen Verhalten habe ich meine volle Aufmerksamkeit zugewandt und bin, namentlich unter zu Hülfenahme des Studiums der vorderen Com- missur, wo an etwas Jjüngerem Rückenmark das Reticulum sehr deutlich ist, zu folgendem Ergebniss gelangt.

Die Radiärfasern sind unter einander durch Fasern (welche ich von unvollkommenen Theilungen ableite) verbunden und sobald das Epithel des Centralkanals unter Bildung grauer Substanz von der Membrana prima zurückweicht, treten sie an der freien Oberfläche isolirt hervor. Dann bilden sie in der Form eines körperlichen Netz- werkes von allerdings nur wenig Lagen, an den betreffenden Stellen eine Hülle um das Mark. Man stellt sich deren Verhalten am Besten vor, wenn man sich das Mark durch ein Paar Lagen von Drathgittern eingehüllt denkt, die etwa um Maschenbreite von einander abstehen und deren Knotenpunkte von den Radiärfasern durchsetzt werden. Dies Netzwerk nimmt an Zahl der Lagen allmählig zu und zwar, wie mir scheint, in zweierlei Weise.

An der vorderen Commissur bleiben die Epithelzellen lange Zeit in constanter Schichtung und Dicke, während die Faserlagen hier er-

heblich zunehmen. Ich habe bemerkt, dass in früher Zeit, vor dem 26*

390 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Stad. Fig. 55, die Zellen hier seitwärts proliferiren, d. h. sich etwa so verhalten wie die Zellen hinten am Schlussstück in Fig. 56. Da- ‚durch entstehen einige der Zellen der halbkreisförmigen Lage, und während diese sich vermehren, vermehren sich gleichfalls die Faserlagen in der vorderen Commissur. Ich glaube daher, es handle sich bei letzterem Process um eine Theilung der Commissurenfasern, die rasch das Reticulum verschwinden machen; nur die Radiärfasern bleiben deutlich.

Andererseits kann ich nicht leugnen, dass mir die Vorderstränge durch Rareficirung und Schwund der Zellen der benachbarten grauen Substanz zuzunehmen scheinen. Betrachtet man letztere Substanz rechts von dem Gefäss, Fig. 56g, so wird man kaum eine scharfe Grenze zwischen Längsstrang und grauer Substanz finden und braucht sich die Zellen nur fort zu denken, um die Grenze völlig zu ver- wischen. In späteren Stadien treten die Nervendurchschnitte (meist in Form von Faserbündeln) deutlicher und isolirter hervor. Die Quer- verbindungen treten zurück, wachsen entweder nicht weiter oder atro- phiren.

Auf diese Weise hat sich mir eine Schwierigkeit, welche anfangs unübersteiglich schien, gelöst; wie es nämlich möglich sei, dass durch die zellenlosen, anfangs dem Anschein nach fehlenden Längsstränge die Anfangstheile des Markes mit den Endtheilen so in Communica- tion bleiben könnten, dass ein nachträgliches sich Suchen und Finden der Ganglienausläufer nicht nothwendig sei. Meiner Ansicht nach ist also atıch hier eine Communication und zwar eine sehr allseitige Communication der Zellen da, und diese wird erst später in den ein- zelnen Linien je nach Bedarf stark entwickelt oder gelöst und durch Atrophie zerstört.

In ähnlicher Weise geht, soviel ich gesehen habe, der Nervus opticus aus den Zellen, welche ursprünglich diesen Strang bilden, ‚hervor.

Die Beobachtungen, auf welche ich mich stütze, führen an die Grenze des optischen Vermögens der Mikroskope und bedürfen ausser- dem eines weiteren Ausbaues. Ich gebe sie als dasjenige, was ich für die grösste Annäherung an die Wahrheit halte, bin aber alt genug, um sine ira einzusehen, dass Fehler werden aufgefunden werden und dass überhaupt die Aufnahme meiner Ansicht geringe Wahr- scheinlichkeit hat.

. Ein etwas späteres Stadium liest in Fig. 78 vor. Dasselbe ward nach der schönen Methode von Hıs behufs Untersuchung der Struetur ausgepinselt. So leicht wie die Lymphkörperchen lösen sich nun

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 391

freilich die Zellen des Rückenmarkes nicht, sondern es reisst jede Zelle eine Masse Ausläufer mit heraus. Jedoch auch hier bewährt sich die Methode insofern, als man manches sehr instructive Präparat, jedoch in nur kleiner Ausdehnung, gewinnen kann.

In dem vorliegend gezeichneten Präparat war ich ein wenig über das richtige Maass hinaus gegangen, denn die Verbindung der Wur- zeln mit den Zellen des Centralkanals lag fast frei vor, zerriss dann beim letzten Pinselstrich. Immerhin kann man gut die Ausstrahlung der Wurzeln in sehr feine Fädchen verfolgen. Ferner ist bei b eins der halbkreisförmig verlaufenden Faserbündel ziemlich frei gelegt und bei a erkennt man eine Anzahl feinster Zellenausläufer. Ich halte dies Alles für nervös. :

Fig. 57 giebt bei schwacher, 58A u. B bei starker Vergrösserung ein Bild von Längsschnitten aus dem Mark eines Rindsembryo mit so weit vorgeschrittener Gesichtsbildung, dass die Thränenfurche deutlich erkennbar, aber noch offen war. Dasselbe ist, wie namentlich das Aus- sehen der Längsstränge ergab, weiter entwickelt, wie die vorhergehenden Präparate. An diesen Schnitten, die an der hinteren Grenze der vor- deren Wurzel das Mark trafen, sieht man die verschiedenen Schichten des Markes schlecht. In dickeren Schnitten dagegen erkennt man, wie ich an einer nicht beigefügten Zeichnung sehe, ganz wohl das halbkreisförmige Stratum und ferner eine helle Grenzlinie mitten im Epithel des Centralkanals. Diese Linie entspricht der Lage derjenigen Gefässe, welche in Fig. 55 u. 56 in jenem Stratum liegen. Auch in dem Mark, Fig. 57, finden sich an dieser Stelle (jedoch nicht in den Figuren der Tafel) Gefässe. Hier werden besondere Structurverhält- nisse vorhanden sein, doch habe ich das Nähere nicht ergründet.

An dem Schnitt, Fig. 57 u. 58A, sieht man recht schön, dass die Zellen des Centralkanals sich noch ebenso verhalten, wie dies für das weit jüngere Rückenmark, Fig. 53, geschildert ist. Jede Zelle erreicht die freie Fläche, aber oft mit nur ganz dünnem Fortsatz. Ferner erkennt man, dass die Radiärfasern gleichsam das Centrum von Zellensäulen bilden, also ein Verhalten, wie es seit langem an der Retina beobachtet worden ist.

Diese Fasern liessen sich vortrefflich isoliren. Die Fig. 60 giebt eine Zelle des Centralkanals mit einer solchen Faser als Verlängerung; sie wurde mit dem Pinsel frei gelegt. Die Breite des Markes bis zum Längsstrang betrug 0,396 mm., die ganze Länge der Faser 0,37 mm., es ist also nicht gelungen, die Faser auch nur bis zum Längsstrang zu verfolgen, aber da man in diesem unzweifelhaft Radiär- fasern erkennt, da ferner an der vorderen Commissur die Radiärfasern

3923 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

unzweifelhaft die ganze Dicke durchsetzen, kann, glaube ich, mein Befund doch genügen, um zu erweisen, dass in dieser Periode die Zellen des Centralkanals noch mit Radiärfasern sich bis zur Wand der Pia erstrecken. Ich kann nicht angeben, ob es mir gelungen ist, von aussen her eben so lange Stücke zu isoliren; es kam mir damals auf den Zusammenhang der Faser mit einer Zelle des Centralkanals an.

REISSNER!) ist meines Wissens der erste gewesen, welcher die Radiärfasern im Mark erwachsener Thiere deutlich erkannt hat, doch geht er nicht näher auf dieselben ein. Sie sind seit dieser Zeit häu- figer dargestellt worden, aber doch nicht näher gewürdigt. Ich ent- nehme aus ihrem Verhalten den wichtigsten Beweis dafür, dass das Mark seinen epithelialen Charakter bewahre. Allerdings ken- nen wir kein anderes Epithel von auch nur annähernd ähnlicher Com- plication; das Epithel der Schnecke enthält zwar Nervenplexus, ist aber kaum stellenweise doppelschichtig, die Retina der Cephalopoden ist so durchwachsen vom Bindegewebe, dass die Reduction auf epithe- lialen Bau nicht sicher. geschehen kann, aber vielleicht gelingt es noch, die nothwendige phylogenetische Entwicklungsreihe klar zu legen. Jedenfalls, glaube ich, wird durch die Entwicklungsgeschichte die Auffassung des Markes als Epithel sehr nahe gelegt.

Die Frage nach der Bedeutung der Radiärfasern ist sehr schwer zu beantworten. Beim jungen Mark gehen von ihnen Zellen und Fasern, Fig. 90, ab, die man doch wohl für nervös halten muss. Ich glaube, dass Zelle und Radiärfaser als Generatoren von Nerven- masse aufzufassen sind. i

In Bezug auf die Erzeugung der Nerven in den Längssträngen beobachtet man an Fig. 58B, dass die Bündel sich aus Fäserchen zusammensetzen, welche aus dem Mark entstammen. Die etwas wellen- förmig verlaufenden Bündel ist man geneigt als nackte Axencylinder aufzufassen, in denen noch die einzelnen Fibrillen zu erkennen seien. Untersucht man jedoch genauer, so findet sich ein solches Gewirr von Fäserchen, Faserbröckeln und Körnchen, dass man nicht vorwärts kommen kann. Es erinnert mich dies Verhalten an die Nervenstämme von Mollusken; auch hier giebt die genauere Analyse höchst unbe- friedigenden Erfolg. Man beruhigt sich dabei, dass doch wohl die Fibrillen continuirlich seien und so verlaufen müssten, wie bei den höheren Thieren, aber den objectiven Beweis dafür findet man nicht!

l) Der Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier. 1864. (i 3).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 393

Nur noch drei Punkte habe ich zu besprechen. Die Entstehung der hinteren Commissur fällt in ziemlich späte Zeit. Das Schluss- stück des Centralkanals verdickt sich erheblich, aber beide Seiten blei- ben durch eine Raphe, welche durch die gegeneinander gelegten End- flächen der Epithelien des Centralkanals gebildet wird, scharf getrennt. Allmählig, wenn die Hinterstränge schon massig geworden sind, ver- streicht die Raphe und damit tritt die hintere Verbindung der Seiten- theile ein. Die Frage war, wie diese Verwischung zustande komme. Es hat mir den Eindruck gemacht, als wenn die Epithelzellen sich durcheinander schöben, also von der linken Seite nach der rech- ten und vice versa hinüber wüchsen. Leider habe ich keine recht klaren Präparate davon gehabt, so dass die Zeichnung unterblieb.

Die Ganglienzellen entstehen in viel späterer Zeit als diejenige ist, welche meine Zeichnungen repräsentiren. Ich halte es für ver- kehrt, sich so auszudrücken, als wenn in früherer Zeit schon einige Zellen des Markes als Ganglienzellen anzusprechen seien. Sobald näm- lich eine der grossen Ganglienzellen entsteht, hebt sie sich in Folge ihrer eigenartigen Lichtbrechung mit überraschender Deutlichkeit aus den übrigen Zellen hervor, es ist dabei nicht nöthig, dass ihre Grösse von diesen verschieden sei. Da es dieser eigenthümliche Habitus ist, an dem wir überhaupt die Ganglienzellen erkennen, so scheint es ein richtiger Ausdruck, wenn wir sagen: im Anfang finden sich im Mark nur Nervenkörperchen, aber noch keine Ganglienzellen.

Wenn ich stets vom Epithel des Centralkanals gesprochen habe, so beruhte dies auf der Annahme, dass die innersten Zellen der be- treffenden Lage zu dem Epithel werden, es wäre aber möglich, dass jenes eine secundäre Bildung weit späterer Zeit sei. Direct habe ich mich nicht von dem Sachverhalt unterrichtet.

Früher (a. 3. S. 424)!) habe ich mich dahin ausgesprochen, dass eine grosse Aehnlichkeit in der Schichtenbildung zwischen Rücken- mark und Retina bestehe, jedoch weitere Studien haben mir gezeigt, dass die Durchführung des Vergleichs die Objectivität der Auffassung stört und keinen Vortheil bietet, so dass ich diese Ansicht fallen lassen musste.

Es war mir nicht möglich, die Entwicklung des Sympathicus auf- zufinden. Die erste sichere Spur desselben fand ich Fig. 55 bei d in der Form zerstreuter, besonders sich tingirender Zellen im Ramus

1) Auf Zeile 3 von unten muss es dort heissen „äussere“ Körnerschicht statt „innere“,

394 V. HENsEn. Beobachtungen über die Befruchtung

communicans. Von dieser Zeit an werden die Zellen dichter und leichter zu erkennen.

Am Schwanz der Froschlarve habe ich) unter der Chorda zwei eigenthümliche, sehr fest eingewebte Zellen gefunden, von denen ich bemerke, dass sie, nach späteren Stadien zu schliessen, kaum etwas anderes wie der Sympathicus sein können. Leider erinnere ich mich der bezüglichen „späteren Stadien“ nicht mehr. Später hat GÖTTE die Zellen, die er freilich nur als einfach zeichnet, wieder gefunden (u S. 270) und die sehr interessante Entdeckung gemacht, dass sie sich als „Axenstrang“ vom Darmdrüsenblatt abschnüren, doch blieb ihm die Bedeutung derselben unklar, S. 775. Da er nun auch nicht die erste Entstehung des Sympathicus belauschen konnte, so möchte ich immerhin an der Ansicht, dass jene Zellen dem sympathischen Nerven- system angehören könnten, noch festhalten.

Am Schlusse dieser Beschreibung angelangt, habe ich hervorzu- heben, dass diese Untersuchung auf den Schultern derjenigen von BIDDER und KUPFFER (zZ 2) steht. Jene brachten so wesentliche För- derungen für die Entwicklungsgeschichte des Rückenmarkes, dass dem Nachfolger dadurch eine werthvolle Basis gesichert ward. Allerdings habe ich neben der Bestätigung des Verhaltens der vorderen Commissur und des isolirten zellenfreien Auftretens der Vorderstränge wesentlich Abweichendes gefunden, wie die eigenthümliche Bildungsweise eines bestimmten Theiles der Hinterstränge, die Entstehung der Spinal- ganglien u. s. w. Ich möchte jedoch bei dieser Gelegenheit darauf hindeuten, wodurch der Nachuntersucher im Vortheil ist. Nicht nur braucht er bei den einfacheren Erscheinungen, welche den Vorgänger fesselten, nicht zu verweilen, sondern er hat für die Güte seiner Prä- parate einen genauen Maasstab, der ihm sehr hülfreich ist. So z. B. fand KUPFFER eine Chromkalilösung von 8 bis 9°/, nützlich, während ich nicht über 2!/, °/, hinausging und selbst dann noch manchen Embryo, der mir wohl äusserst brauchbar erschienen wäre, wenn ich mit der Untersuchung den Anfang gemacht hätte, verwarf. Im Gan- zen ist bei diesen Untersuchungen die Masse dessen, was zu bewäl- tigen ist, erdrückend, und so mögen denn noch viele Forscher hier reiche Ernte finden.

KuPrFFEr lest Gewicht auf die Form des Centralkanals; ich habe dieselbe ziemlich wechselnd gefunden, halte jedoch, ohne mich mit voller Sicherheit aussprechen zu wollen, die von mir gezeichnete für

l) Ueber die Nerven im Schwanz der: Froschlarve. Archiv f. mikroskop. Anatomie Bd. IV, S. 118 (k 3).

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 395

normal. Er begrenzt die Epithelschicht des Centralkanals viel enger, als ich. Bereits gab ich an, dass in der That, dieser Abgrenzung etwa entsprechend, eine Scheidung gehe, es mag also sein, dass diese an seinen Präparaten besonders deutlich hervortrat.

An dieser Stelle möchte ich noch hinsichtlich der Beobachtung Kuprrer’s !), dass sich in Knochenfischen der Öentralkanal nicht als offene Rinne bildet, welche Beobachtung ich an seinen Objecten nicht anders deuten konnte als er, Folgendes sagen. Der Befund ist phylogenetisch meiner Auffassung des Markes als Epithel nicht günstig, jedoch einerseits ist die histiologische Entwicklung des Fischrücken- markes noch nicht gemacht, andererseits sind die Befunde am Säuge- thiermark doch für sich ausreichend beweisend.

Sehr gerne hätte ich aus dem grossen und fleissigen Werk GörTE's über die Unke für die Entwicklung des Markes Nutzen gezogen, aber da ich ziemlich strenge der alten, sich an die Phytotomie anlehenden, Zellenlehre anhänge und damit stets auskomme, bin ich nicht in der Lage, mich mit Görre’s Befunden zu befreunden. Diejenigen, welche sich noch jener Lehre erinnern, werden mich verstehen, wenn sie fol- sendes Citat lesen. GÖTTE schreibt (u S. 531): Noch kühner ist die Hypothese HEnsEn’s; doch finde ich mich nicht bemüssigt, diese Dar- stellungen, welche an die Stelle leicht anzustellender Beobachtungen zum Theil rein willkürliche Vorstellungen setzen, anders als durch einen Hinweis auf meine Beobachtungen zu widerlegen. Aus diesen geht hervor, dass die Nervenfasern sowohl in den Centralorganen, wie in den peripherischen Verzweigungen aus einer von verschmol- zenen und aufgelösten Embryonalzellen hergestellten Bildungs- masse sich entwickeln; dass insbesondere die Nervenstränge theils in selbständiger morphologischer Anlage, theils durch Anfügung und An- passung einzelner Theile des interstitiellen Bindegewebes an die erste- ren entstehen u. s. w.

Leider muss ich sagen, dass GÖTTE in Bezug auf die „leicht anzu- stellenden Beobachtungen“ wenigstens meine Fähigkeiten überschätzt. Ich habe mich, wie u. A. k 3, Fig. 1 u. 2 ergeben, mit den frag- lichen Verhältnissen beschäftigt, bin aber nicht weit gekommen und habe einsehen gelernt, dass die Amphibien wegen der massenhaften Dotterkörner ein vorzugsweise ungeeignetes Object für das histiogene- tische Studium sind. Ich -hoffe nur, dass GÖTTE die eigenen Kräfte nicht auch überschätzt habe! ö

l) Beobachtungen über die Entwicklung der Knochenfische. Archiv f. mi- kroskop. Anatomie Bd. 4. S. 250 (13).

396 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Seine Abbildungen vom Schwanze halte ich mit Ausnahme der Endigungsform des Rückenmarks, Fig. 213, für naturgetreu, aber unsere Auffassung ist sehr verschieden. So sagt er (u S. 516): Für die ausser- ordentlich reiche netzförmige Endverzweigung der Schwanznerven oder mit anderen Worten für ihre Zusammensetzung aus stark verästelten Sternzellen verweise ich bloss auf Fig. 220. Die Differenz in unserer Auffassung dieser, einer älteren Larve entnommenen Figur ist charak- teristischh Meiner Ansicht nach ist nämlich die Nervenverzweigung sehr arm. Es sind drei Aeste da, von denen einer anastomosirt, und im Ganzen sieben Endäste. Einer dieser sieben Aeste hört an einer Bindegewebszelle auf, mit einem zweiten verläuft eine Strecke weit ein Zellenausläufer. Da alle anderen z. Thl. weit feineren Nerven frei weiter laufen, trotzdem sie Bindegewebszellen kreuzen, nehme ich an, dass auch der siebente frei weiter laufe und dies Verhalten nur durch den grossen Leib der unterliegenden Zelle unsichtbar gemacht sei. GÖTTE dagegen hält sich nur an diesen einen Fall des scheinbaren Endes, und nicht nur dies, sondern es werden ihm dadurch auch alle anderen Verzweigungen der neun daneben liegenden Zellen zu Nervenzweigen und so erhält er das ausserordent- lich reiche Netz! Ihm sowohl wie anderen Beobachtern gegenüber halte ich an der Richtigkeit meiner betreffenden Schilderungen fest.

In Bezug auf manche Details der Entwicklung des Kaninchens darf ich auf die Figurenerklärung verweisen.

III. Die Entwicklung des Meerschweinchens.

Keinen Vorgang im gesammten Gebiet der Entwicklungsgeschichte halte ich für so sehr der Erforschung würdig, wie die ersten Stadien des Meerschweinchens. Nirgends häufen sich nämlich Details, welche allem Herkömmlichen Hohn sprechen, alle Deduec- tionen, die man aus der Gleichmässigkeit der fundamen- talen Vorgänge der Entwicklung, im UTebrigen mit Recht, herleiten möchte, durchlöchern und zerreissen, so sehr, wie hier.

Die Anzahl der Versuche, welche gemacht worden sind, um auf diesem Gebiete vorzudringen, entsprechen zwar dem Gewicht des er- wähnten Sachverhaltes nicht, denn es sind neben einigen Vorstudien nur drei Arbeiten auf diesem Felde gemacht worden, jedoch da man die Thatsache der Blätterumkehr und aller daran sich knüpfenden Consequenzen unweigerlich wird zugeben müssen, ändert die ge- ringe Zahl der Arbeiten an dem Gewicht der Thatsachen nichts.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 397

Die Anschauungen, zu welchen BISCHOFF in seiner ersten, trotz ‚mancher Irrthümer unzweifelhaft sehr verdienstlichen Arbeit (b) ge- langte, gebe ich mit den hin und wieder betonten Worten seines Resume&s.

Am 4. und 5.. Tage setzt sich der Theilungsprocess des Dotters im Uterus noch etwas fort, dann aber vereinigen sich sämmtliche Dotterkugeln wieder zu einer homogenen Masse.

Am 5. und 6. Tage löset sich die Dotterhaut auf und die noch unentwickelte Dottermasse gelangt in einen Drüsenschlauch oder in einen neugebildeten kleinen Divertikel des Epitheliums des Uterus, verschmilzt mit demselben und entwickelt sich hier unter Zellen- bildung zu der Keimblase.!)

Vom 6. und 7. Tage an wird diese Keimblase von der sich an Stelle ihrer Fixirung rasch verdickenden Uterinschleimhaut (nicht - Epithel! H.) in der Form einer dicken weichen Kapsel als Decidua umgeben, wobei die Höhle des Uterus an dieser Stelle schwindet, das sich entwickelnde Ei aber in einer neu entstehenden Höhle einge- schlossen wird.

In dieser Deciduakapsel liegt vom 7. bis 14. Tage das cylin- drische, sich nun rasch vergrössernde Ei mit seinem nach der Mesen- terialseite des Uterus hingerichteten Ende angewachsen und durch Blutgefässe mit der Decidua verbunden. Sein anderes Ende ist frei, und an diesem bildet sich der Fruchthof aus. Am 12. und 13. Tage wird seine Gestalt allmälig rundlich.

Die Lehre v. Baer’s über die blättrige Bildung des Keimes findet auch bei der Keimblase des Meerschweinchens ihre Bestätigung. Allein es zeigt sich hier eine von allen bisher bekannten Thiereiern verschiedene Anordnung dieser Blätter. Das vegetative Blatt ist nämlich das äusserste der Eiblase; das animale bildet sich von Anfang an als kleines, an dem freien, nicht angewachsenen Pole des Eies gelegenes, geschlossenes Bläschen; das Gefässblatt liegt zwischen beiden und entwickelt sich an der inneren Seite des vegetativen Blattes.

In Folge dieser Anordnung der Blätter des Keims hat der sich bildende Embryo die gerade umgekehrte Lagerung in Beziehung auf das Ei, wie andere Embryonen, er liest mit seinem Bauche (will sagen Darmoberfläche. H.) nach aussen, mit dem Rücken nach innen gegen die Eiblase hingewendet.

In Folge der uranfänglichen Bildung des animalen Blattes als

1) 8. 28 heisst es: Das befruchtete und entwicklungsfähige Dottermaterial ertheilt gewissermassen einer Stelle des Uterus, mit der es sich verbindet, die Fähigkeit, sich zu einem Ei und später Embryo auszubilden.

398 V. Hensen. - Beobachtungen über die Befruchtung

einer geschlossenen Blase ist ferner die Entstehung des Amnion bei dem Meerschweinchen eine ganz andere, wie bei anderen Embryonen. Die eine Hälfte dieser Blase wird nämlich Amnion, während sich in der anderen der Körper des Embryo entwickelt.

BIsCHOFF schildert alsdann die weitere Entwicklung des Embryo, die eigenthümliche Entstehung der Allantois u. s. w. Da ich in vor- liegender Arbeit mich damit nicht beschäftige, habe ich darauf nicht einzugehen, nur möchte ich hier erwähnen, dass das Meerschwein- chen als weitere kleine Eigenthümlichkeit vor anderen Thieren sich dadurch auszeichnet, dass ihm der Dottersack und was damit zu- sammenhängt, gänzlich fehlt! BiscHorr fasst die Sache anders auf, jedoch ist es unzweifelhaft, dass es so ist, wie ich sage.

In dem soeben gegebenen Citat finden sich keineswegs viele Irr- thümer niedergelegt, jedoch BISCHOFF ist darin zu Hypothesen ge- kommen, die in der damaligen Zeit 1852 sehr entschieden ver- worfen wurden, und das schadete der ganzen Arbeit. Er eilte, wie mir scheint, den neueren Theorien voraus, aber man hat, so viel ich sehe, doch nie auf ihn Bezug genommen.

Mit Entschiedenheit wandte sich REICHERT (k) gegen BISCHOFF’S Darstellung. Nachdem dieser Autor schon früher ähnliche Embryonal- anlagen bei Ratten und Mäusen aufgefunden hatte, förderte er mit dieser neuen Arbeit, namentlich durch seine scharfen, und mit Aus- nahme der Details am Ei, naturtreuen Zeichnungen den Gegenstand erheblich. Es bildet sich zu Folge seiner Beschreibung in der zwei- ten Hälfte des 7. Tages eine Abkapselung des Eies, oder wie er es störend nennt, eine Decidua reflexa für das Ei. Der Vorgang besteht darin, dass an zwei 2 mm. von einander entfernten Stellen das Lumen des Uterus sich stark verengt und dadurch zwischen diesen Stellen ein besonderer Raum von der Uterushöhle sich abtrennt. Später soll dann dieser Raum die Communication mit den anderen Theilen ganz aufgeben. In diesem Raum liegt das Ei, doch glaubt REICHERT, dass es vielleicht erst später hier hinein gelange, da er einmal (m. E. auf Grund irrthümlicher Deutung) 2 Eier in dem weiter entwickelten Theile getroffen habe. Das Epithel dieses Raumes ist Uterusepithel, es lässt sich als selbständige Lage isoliren und haftet nur inniger an dem, der festgewachsenen Uteruskante entsprechenden, Rande. Er be- zeichnet den so isolirten, nur von dem Epithel gebildeten flachen Raum als „epitheliale Kapsel“.!) Die Schleimhaut um dieselbe wuchert

l) Man sieht diese Kapsel Fig. 65, 66, 87, 88, und wird sich mit Hülfe der Figurenerklärung leicht darüber orientiren.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 399

mächtig, jedoch dieser Process, der histiologisch recht interessant ist, hat embryologisch sehr geringes Interesse, so dass wir nur auf die Umänderungen der epithelialen Kapsel Rücksicht zu nehmen brauchen. An dieser Kapsel unterscheidet REICHERT den Körper, die Basis und den Zapfen, welche mit ihrem Epithel ununterbrochen ineinander über- sehen sollen. Für den Zapfen, welcher das Ei enthält, wird eine Breite von 0,1 bis 0,17 mm. eine Länge von 0,155 bis 1,15 mm. angegeben, doch ist in der von R. gegebenen Figur von einer Vorragung des Zapfens fast nichts zu sehen. REICHERT bestreitet die Angaben BI- SCHOFF’S über die Lagerung des Eies in dieser Zeit, jedoch BiscHorr weist ihm, m. E., mit vollständigem Recht, nach, dass er in Wirklich- keit genau dasselbe beschreibt, was letzterer bereits in seiner ersten Abhandlung darlegte.

REICHERT giebt aber ferner gegen BISCHOFF an, dass die Dotter- zellen deutlich zu erkennen seien, jede enthalte noch unverwandelte Dotterkörperchen. Das Ei messe 0,105 bis 0,115 mm. und sei ohne Zona, die kleinsten Zellen desselben messen 0,0114 mm., die Kerne 0,005 mm. Auffallend ist, dass von nun an jede Maassangabe über das Ei unterbleibt, sollte es REICHERT ganz entgangen sein, dass das Ei im Zapfen nur 0,06 bis 0,07 mm. misst? Bei der weiteren Ent- wicklung entsteht aus dem kurzen ein langer Hohlzapfen, in dessen Spitze das Ei liest. Dasselbe wird vermittelst eines durchbroche- nen Diaphragmas von der Höhlung des Hohlzapfens getrennt. Nach unten setzt sich der Zapfenraum gegen den Hohlraum der ursprüng- lichen Kapsel ab, es sei unklar, ob er noch damit communieire oder nicht. Am 12. und 13. Tage lassen sich an dem Zapfen drei Ab- schnitte unterscheiden, derjenige für das Ei, ein darauf folgender mitt- lerer heller und zu unterst ein dritter, welcher doppelrandig ist und als Napf bezeichnet wird. Der ursprüngliche Körper des ganzen ab- sekapselten Raumes verschwinde entweder, wie dies schon BISCHOFF angegeben, oder auch lege er sich als Falte in den unteren Raum des Zapfens hinein. Die Schilderung des letzteren Vorganges habe ich nicht verstehen können.

Das Ei stelle zunächst kein Bläschen, sondern eine solide Kugel dar. Später wird die Kugel hohl und öffnet sich nach unten, "darauf entwickelt sich die Umhüllungshaut. Ueber diese Verhältnisse han- delt meine Arbeit nicht, so dass ich unterlassen darf, darüber weiter‘ zu referiren. |

BISCHOFF (p) widerruft S. 24 seine Angabe, dass das Ei die Epithelröhre des Uterus ausstülpe oder in eine Drüse gerathe und schliesst sich insofern der Darstellung R.'s an.

400 V. HEnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

Im Uebrigen hält er an seiner Ansicht, dass der ganze Zapfen Ei, d.h. die Keimblase sei, fest. REICHERT’S Ei, welches er demnach als Dotterrest auffassen muss, fange am 10. Tage an sich im Inneren aufzuhellen und zwar excentrisch, der nach dem Zapfen zugekehrten Oberfläche näher. Bald sei hier nur noch eine feine Membran vor- handen. Das durchbrochene Diaphragma REICHERT'S sei eine, wahr- scheinlich durch Spirituswirkung hervorgebrachte Täuschung. (Auch ich finde davon nichts.) Am 12. Tage wachse eine feine Membran von dem Bläschen aus an den Wänden des Zapfens hinunter, dies sei das mittlere Keimblatt und stamme vom animälen Blatt. Er be- kräftigt seine Beobachtungen über die Allantoisbildung, die übrigens einem Zweifel nicht unterliegen kann.

In der nachfolgenden Beschreibung bezeichne ich den am liga- mentum latum festgewachsenen Rand des Uterus als den unteren. Ich weiche absichtlich einer besonderen Nomenclatur, wie REICHERT dieselbe in Anwendung gebracht hat, aus, denn bei solchen Speeciali- täten, wie der vorliegenden, kann man dem Leser nicht zumuthen, sich in die Namengebung hinein zu finden.

Die Furchung verläuft bei dem Meerschweinchen etwas eigen- thümlich. Die Furchungskugeln ordnen sich nämlich schon bei der Viertheilung, Fig. 61 A u. B, zu einer beckenartig ausgehöhlten Masse an, die zwar von oben her gesehen fast wie ein gewöhnliches Fur- chungsstadium aussieht, beim Rollen aber sich anders macht, wie die bekannten Stadien der anderen Säuger. Mindestens habe ich bei dem Kaninchen Aehnliches nicht gefunden. Uebrigens zeigt schon dieses Stadium die Eigenthümlichkeit, dass eine der Zellen einen zungen- förmigen Fortsatz hat. Darauf lege ich deshalb einiges Gewicht, weil die Fig. 9. bei REICHERT dasselbe Verhalten erkennen lässt. Fig. 79 u. 80 stellen die weitere Entwicklung dieses Verhaltens dar. Sie sind dem Uterus zu Ende des 4. und am Anfang des 6. Tages entnommen. Sie hatten die Neigung, die Fläche des Beckens dem Beobachter zu- zukehren. Endlich stellt Fig. 81 ein Ei von 6 Tagen in der Seiten- ansicht dar, welches ein sehr bemerkenswerthes Verhalten zeigt. Es hat sich eine förmliche Keimhaut gebildet und die Hauptmasse der Dotterzellen präsentirt sich fast unter der Form des Keimhügels. Zu meinem grossen Bedauern ist keine Messung dieses Eies notirt worden; da jedoch, wie BIscHoFF bereits angab, kein Eiweiss auf die Zona abgelagert wird und dieselbe von normaler Dicke erscheint, na- mentlich aber, da ich nichts besonderes notirt habe, wird das Ei von der gewöhnlichen Grösse 0,09 bis 0,1 mm. gewesen sein. Um diese Eier dem Uterus zu entnehmen, band ich ein ziemlich weites, dünn-

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 401

wandiges Rohr in den Cervix ein und injicirte von dem Eierstockende aus MÜLLER’sche Lösung in das cavum uteri.

Bei einer früheren Untersuchungsreihe hatte ich, dem Rathe der Autoren folgend, den Uterus geöffnet und dann das Epithel abgeschabt.

Diesem Verfahren verdanke ich die anderen, diese Stadien be- treffenden Figuren. Ich gestehe, dass ich keinen besonderen Werth auf dieselben lege, sondern sie nur der Arbeit beigab, um mich, als zur Besprechung dieser Dinge competent, zu legitimiren. Erst in Folge neuerer Arbeiten erkannte ich, dass die oben besprochenen Figuren einen Sinn gewinnen könnten und fügte sie nachträglich ein.

Fig. 62 ist ein 5 Tage 3 Stunden altes Ei, welches, wie ich glaube, bei genauerem Studium eine ähnliche Seitenansicht gegeben hätte wie Fig. 80. Fig. 64 habe ich für abnorm gehalten, aber da es 7 Tage alt war und man schliesslich zur Zeit nicht sicher wissen kann, dass wirklich ein abnormer Zustand vorliege, wollte ich doch den Nachuntersucher mit dieser Form bekannt machen. Endlich, Fig. 63 ist ein Körper aus einem Uterus 6 Tage nach der Copulation. Derselbe, 0,93 mm. messend, ähnelt dem von REICHERT dargestellten Ei und ich muss gestehen, dass ich jetzt ihn nicht recht zu deuten weiss. Man bekommt aus dem Uterus eine Masse rundlicher Zellenanhäufun- gen und findet in den Zellen Fetttröpfehen in nicht geringer Zahl, welche sehr den Dotterkugeln gleichen. Man muss sich also bei der Beurtheilung lediglich auf das eigene Tactgefühl (sozusagen) verlassen, und dieses ging bei mir allerdings dahin, dass ein Ei vorliege. Getreu meinem Wunsche, erneute Untersuchungen anzuregen, durfte ich wohl auch diesen Körper vorlegen.

Meine Vorgänger, BISCHOFF und REICHERT, haben behauptet, in der Entwicklung des Meerschweinchens keine wichtige Lücke zu lassen; ich bin nicht in dieser glücklichen Lage, sondern muss aus- drücklich constatiren, dass mir mindestens 12, wahrscheinlich 24 Stun- den, in der wichtigsten Periode unerforschlich geblieben sind. Leider finde ich mich ausserdem noch in Bezug auf die Zeitrechnung mit den Vorgängern im Widerspruch. Sie gaben das Alter der entschei- denden Figur BıscHorr (b Fig. 17) 6°/, Tage, REICHERT (k Fig. 12) „etwa am 7. Tage nach der muthmasslichen Begattung“, endlich Bı- SCHOFF (p Fig. 1A) „vom 7. Tage nach der Begattung“ an. Dagegen muss ich sagen, entweder diese Figuren, namentlich die beiden letz- teren, sind irrthümlich, oder es sind sehr unvollkommene Darstel- lungen dessen, was meine Fig. 84 bis 86 geben. In letzterem Falle war das Stadium nicht 6°/, Tage alt, noch überhaupt vom 7. Tage, sondern von 7 Tagen 10 Stunden bis 7 Tage 16 Stunden bis selbst

402 V. Hrensen. Beobachtungen über die Befruchtung

volle 8 Tage alt. In diesem Falle wären auch die Maasse, sowohl von REICHERT wie von BISCHOFF, verkehrte.

Der wirkliche Zapfen misst 0,096 mm. in Länge und 0,072 bis 0,074 in Breite. ;

BiscHorrF erklärt ausdrücklich (p S. 49), dass seine Zeichnung „ganz naturgetreu das Object in zehnmaliger Vergrösserung“ gebe. Die Messung der Zeichnung ergiebt, dass der Zapfen 1?/, mm. breit und 1!/, mm. hoch ist, also in Wirklichkeit 0,175 und 0,125 mm. misst. REICHERT giebt S. 141 eine Breite des Zapfens von 0,1 bis 0,17 mm., eine Länge von 0,155 mm. an (freilich findet er S. 139 das Ei darin 0,105 bis 0,115 mm.). Findet sich ein Körper von sol- cher Grösse an ausgezeichneter Stelle und am Rande des Epithels vorragend, so konnte ich ihn vielleicht einige Male übersehen, aber über 20 Mal (so viele Uteri habe ich allein im Alter von genau 7 Tagen nach der Copulation untersucht) kann ich einen solchen Körper, wenn ich darnach suche, nicht übersehen. Falls also dennoch ein Irrthum in Bezug auf das Alter von meinen Vorgängern gemacht sein sollte, so haben sie sich selbst in Bezug auf das, was sie über die Entwicklung des Meerschweinchens eruirt hatten, schwer getäuscht, und haben zugleich Abbildungen gegeben, die, wenn man das Object kennt, nicht wieder zu erkennen sind.

Zuerst habe ich das Ei 7 Tage 4 Stunden nach der Copulation wieder aufgefunden, es lag, Fig. 82, an der äusseren Fläche des Uterus- epithels.. Darauf fand ich den Zapfen, Fig. 84, und da ich zunächst von hier aus den Anschluss an. Fig. 65 haben wollte, weil mir die betreffenden Zeichnungen fehlten, aber fand, dass der solide Zapfen entweder einige Zeit seine Grösse nicht ändert oder zuerst in unge- wöhnlich früher Zeit von mir beobachtet war, musste ich eine uner- wartet grosse Reihe von Thieren opfern, um den Zweck zu erreichen. Damit war die Periode des Sonnenscheins vorübergegangen, es folgten Monate mit dem trübsten Wetter, die alles Suchen vergeblich machten. So bin ich nicht im Stande, den Anschluss nach rückwärts zu gewin- nen und kann höchstens hoffen, einen Nachtrag bezüglich einiger Einzelheiten gelegentlich der Correetur anzufügen.

Bei keinem Säugethier ist die Behandlung des Eies so leicht wie bei dem Meerschweinchen, sobald in dem Zapfen sich etwas Flüssig- keit angesammelt hat, also vom Ende des 8. Tages an. Man spaltet den Uterus genau von oben und findet leicht die Stelle, wo das Binde- gewebe gewuchert ist. Diese Stelle zerlegt sich besonders leicht in zwei gleiche Seitenhälften; an einer derselben liegt der Zapfen, den man dann unschwer lösen und weiter behandeln kann. Am 8. Tage

und Entwicklung des Kaninchens- und Meerschweinchens. 403

thut man wohl, die bereits von BIsSCHOFF bemerkte leichte Isolirbar- keit des Epithelschlauches zu benutzen. Später mag man den Uterus frisch verwenden, für den Anfang empfiehlt es sich, ihn aufgespannt und uneröffnet 8 bis 14 Tage lang in Mürrter’scher Lösung (2/, %/, Kali biehromiei und 2?/, °/, Natrii nitrici) zu erhärten. Man legt den erhärteten Uterus auf die Seite, steckt ihn fest und öffnet unter Wasser von oben oder unten her, aber ein wenig seitlich von der Ebene der Uterushöhle. Dabei muss man sich bemühen, die beiden Epithelflächen nicht von einander zu trennen. Sie sind entweder gar nieht oder nur schwach verklebt, an dem Tubarende oft (wenn Flüssig- keit im Bauchraum) klaffend. Der Theil, welcher das Ei enthält, hält am festesten zusammen, da hier nach oben zu das Epithel stark verdickt und gewulstet ist. Dafür ist das Bindegewebe dieser Gegend in der Nähe des unteren Randes fest mit dem Epithel verwachsen und wenn es gelingt, die uns zugekehrte Seite davon frei zu machen, bereitet die Lösung der anderen Seite um so mehr Schwierigkeiten.

Noch früher ist die Epithelhaut nicht so lose, es ist mir nicht gelungen, dann eine Methode zu finden, sie ohne die Uterushöhle zu eröffnen, herauszulösen. Nach meinen Versuchen möchte ich davon abrathen, den Uterus in mikroskopische Querschnitte zu zerlegen, das Ei entgeht doch. Eher könnten Längsschnitte nützen, doch ich weiss keinen guten Rath.

An diesem Orte möchte noch zu erwähnen sein, dass von mir der Versuch gemacht wurde, Extrauterinschwangerschaft zu erzeugen. Zu geeigneter Zeit durchschnitt ich die Tuben, als ich dann bei zwei überlebenden Thieren nach zwei Wochen nachsah, fand sich am Tuben- ende viel Bluteoagulum, doch darin kein Ei. Jedoch es könnte einmal ein solcher Versuch glücken und das Ergebniss wäre sehr wissenswerth.

Für das Folgende bemerke ich, dass REICHERT mit Recht den Körper in der Spitze des Zapfens als das Ei auffasst, BiscHorr Un- recht hat. Ich werde den Beweis weiter unten geben.

In einem erhärteten Uterushorn, welches ein Ei von 7 Disen 4!/, Stunden nach der Copulation enthalten musste, fand sich genau in der Mitte eine runde Fläche des Epithels, welche besonders hervor- trat, weil rings um sie her das Bindegewebe der Schleimhaut sich nicht hatte abtrennen wollen, während dies an allen anderen Orten leicht erfolgt war. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich eine leichte Verdiekung des Bindegewebes der Schleimhaut an dieser Stelle, so dass ich hier sicher das Ei vermuthen durfte. Am Rande des Epi- thels war jedoch nichts zu entdecken. Die Stelle ward mit etwas Karmin übergossen (übrigens eine schlechte Methode) und nach dem

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 27

404 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Abspülen desselben trat sofort ein lebhaft gefärbter etwas excentrisch in der Fläche liegender Punkt hervor, Fig. 82 A. Ich hielt denselben sogleich für das Ei und zeichnete das Präparat. Darauf ward das gesammte Epithel abgelöst und das Ei gemessen. Man erkannte deut- lich, Fig. 82B, eine äussere ziemlich dicke zellige Hülle, einen schma- len leeren Raum und einen zelligen Kern. Derselbe war so klein, 0,045 mm., dass ich zunächst Bedenken trug, ihn für das Ei anzuerken- nen. Unterscheidende Merkmale zwischen wucherndem Uterusepithel und Eizellen vermag ich nicht anzugeben. Beide enthalten kleine Fett- tröpfehen resp. Dotterkörnehen, so dass in dieser Beziehung kein Unter- schied gemacht werden kann, wenn nicht etwa Reactionen gemacht werden sollen. Diese erfordern aber ein reichliches Material, welches mir nicht zu Gebote stand.!) Die Form der Kerne bietet allerdings einigen Anhalt, aber Sicheres lässt sich weder daraus noch aus den wechselnden Grössenverhältnissen der Zellen entnehmen. Ich bin auf Grund der Beobachtung späterer Stadien zu der Ansicht gelangt, dass der innere Theil das etwas oval gepresste Ei gewesen sei.

Behufs weiterer Untersuchung ward ein von oben nach unten verlaufender Schnitt durch das Präparat gelegt, wobei das Ei leicht angeschnitten ward. Dann führte ich den Parallelschnitt, leider so unvorsichtig, dass das Ei ausbrach. (Man denkt im Anfang, ein sol- ches Präparat, einmal erhalten, lasse sich leicht wieder gewinnen!) ?) Der Schnitt liegt Fig. 82C vor und ich versichere auf das Aller- bestimmteste, dass das Ei von aussen her die Lücke, welche man dort sieht, verschlossen hat.

Man findet, dass das Epithelstratum sich bedeutend verdickt hat, aber keine Faltungen zeigt. Der Eilücke gegenüber erhebt sich ein kleines ausgehöhltes Polster p, welches so aussieht, als wenn das Ei hier gelegen und das Epithel gereizt habe. Fast genau gegenüber findet sich in dem Epithelstratum eine weite Oefinung, deren Ränder nach aussen umgebogen sind und sich, wie die wenigen losgelösten Zellen verrathen, auf das Ei umgebogen haben. Nach unten zu wird das Epithel des Uterus dünn, dies Verhalten erklärt, weshalb es Reı- CHERT so schwer ward, den unteren Rand der „Epithelkapsel“ unzer- stört zu erhalten. Die losgelöste Eikugel zeigt freie Zellenausläufer, aber keine Fortsetzung, welche als Drüsengang zu deuten wäre. Dennoch wird dem Leser der Gedanke nahe liegen, dass es sich um eine Drüsenverstopfung bei dieser Beobachtung handle.

1) Fast alle Thiere (23) hatten unter Inzucht gelitten und enthielten nur ein Ei. 2) Man vergleiche übrigens den Nachtrag, nachträgliche Anmerkung.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 405

Ein folgendes Stadium giebt die Fig. 83, das Ei in der Wan- derung. Die Zeichnung giebt zwar nur die Umrisse, ist aber durchaus nicht schematisch. Der Uterus war etwa 7 Tage 14 Stunden nach der Copulation dem Thiere entnommen, es hatte um 12 Uhr Nachts noch nicht gejungt, um 6 Uhr Morgens war die Copulation vorbei, ich rechne von 4 Uhr Morgens an. Der Uterus ward erhärtet.

Die Bindegewebswucherung war an diesem Ei schon stärker ent- wickelt. Das Ei mit Kapsel lag scheinbar dem Uterusepithel fest auf, erwies sich aber doch als ziemlich beweglich. Das Ei lag an der Spitze des Schlauches, der im übrigen von Zellen solide ausgefüllt war. Es war 0,076 mm. breit, 0,062 mm. dick, die Länge konnte ich leider, da es etwas stark gefärbt worden war, nicht genügend bestimmen. Die Eizellen maassen 0,009 bis 0,015 mm., deren Kerne 0,0062 mm. Der Schlauch war am Ei 0,093 mm., weiter unten 0,066 mm. dick. Er sass mit einem Stiel an der Wand der Uterinhöhle fest und maass mit diesem 0,156 mm. Die Insertion des Stieles war um 0,1865 von der Kante des Uterus entfernt. Bei der Ablösung des Stieles rissen Zellen des Epithels mit aus und es ergab sich, dass die Zellen des Stieles mit diesen Zellen durch Fäden, welche als Producte unvoll- kommener Theilung zu deuten waren, zusammenhingen. Das Ende des Stieles bestand nur aus solchen Fäden. Ein Drüsenschlauch, der etwa hätte verrathen können, dass das Ei in eine Drüse gerathen sei, fehlte auch in diesem Präparat vollständig.

Den Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung der eben be- schriebenen beiden Gebilde liefert das folgende Stadium), Fig. 84 bis 86. Der Schlauch ist an der Schneide des Uterusepithels ange- lanst und bildet hier einen winzigen Zapfen. Die Länge des Zapfens betrug 0,096, die Dicke 0,074 und 0,072, das Ei in einem Fall 0,0624, in einem zweiten Breite 0,0624, Höhe 0,0672 mm.

Man sieht im Zapfen an der Spitze das Ei liegen, durch einen . schmalen Raum von: den umhüllenden Uterusepithelzellen getrennt, darunter findet sich ein aus zwei Zellenlagen bestehendes Polster. Dieser Theil ist von REICHERT nicht ganz passend als Napf bezeich- net, weil er ihn nur aus späteren Stadien kannte. Auf diese Lage folst das Epithel des Uterus, welches Wulstungen und Faltungen zeigt, welche in der Flächenansicht schwer zu deuten sind. Der Durch- schnitt, Fig. 85, erklärt das Räthsel. Der Zapfen hat sich breit auf- gesetzt, aber nicht auf die wirkliche Kante des Epithels, sondern auf

1) Mein College KUPFFER war auf meine Bitte so freundlich, dasselbe in . natura anzusehen, da ich wünschte, mich darauf berufen zu können. DI*

406 V. Hrnsen. Beobachtungen über die Befruchtung

einen neugeschaffenen Umschlagsrand desselben. Der Uterus- kanal ist dabei rechtwinklig geknickt worden und verläuft sagen wir nach vorn. Diese Lageveränderung liesse sich aus einem Zuge, den etwa der Eischlauch auf die hintere Epithelwand übe, erklären, damit würde dann auch die Verengung, welche das Cavum uteri zu beiden Seiten der abgekapselten Höhle erleidet, durch eine Drehung erklärbar. Es stimmt damit überein, dass die Höhe der Epithelwand unter dem Zapfen nur 1,248 mm. beträgt, während an anderen Stellen dieses Stratum 1,450 mm. maass. Jedoch ich trage Bedenken, die Form- veränderung auf diese Weise zu erklären. Die Wucherung des Binde- gewebes spielt wohl auch eine Rolle dabei, auch kann ich noch nicht einmal sagen, weshalb das Ei selbst nach oben wächst. Besonders bemerkenswerth ist es, dass der Zapfen einen Fortsatz an der einen Seite der Uteruswandung nach abwärts sendet, Fig. S5f. Die Con- touren, welche diesen Fortsatz abgrenzen, dürften die Sache genügend klar machen, wenn ich hinzufüge, dass ich an dem gezeichneten Präparat den Zapfen vom Epithelschlauch abgelöst habe, dass dabei jener Fortsatz an ihm sitzen blieb und dass ich die feste Versicherung geben kann, dass der gezeichnete Contour als die richtige natür- liche Grenzlinie sich erwiesen hat. Ich habe daher unterlassen den abgetrennten Zapfen zu zeichnen, doch sieht man einen etwas älteren abgelöst in Fig. 88. Nach mir vorliegenden Skizzen ist dieser Fortsatz an noch weit älteren Zapfen darzustellen, er hat in der Regel eine flossenartige häutige Verbreiterung an seinem Ende, mit welcher er dem Uterusepithel anhaftet. _ Vergl. Fig. 68.

Nach dem Gesagten scheint es mir klar, dass das Ei den Gang macht, welchen ich angegeben habe, also nicht am Rande, sondern seitlich aus der Uterushöhle heraus trete. Meine Bemühungen, den noch soliden Zapfen genauer zu zergliedern, blieben bisher erfolglos.

Die Anhaftung an die Epithelwand zeigt leider nicht mehr das normale Verhalten. An frisch herausgenommenen Präparaten, Fig. 87, fand ich in der Wand des Epithels eine klaffende Oefinung. Diese verschwindet unter Einwirkung der MÜLrer’schen Lösung, wahrschein- lich in Folge einer Quellung der hypertrophischen Lagen. Ich kann zur Zeit nicht hoffen, das Verhalten dieser Oeffnung näher zu er- forschen.

Die folgenden Stadien des Zapfens bestehen in einer Vergrösse- rung unter Aufnahme einer in Alkohol nicht gerinnenden Flüssig- keit. Ein Blick auf die Figuren genügt, um den Gang zu erkennen. Ich habe mich demnach nur mit dem Ei einerseits, mit dem Napf andererseits zu beschäftigen.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 407

Das frische Ei ist in früher Zeit, also in dem Stadium des soliden und namentlich des eben hohl werdenden Zapfens von wunder- voller Homogenität. Mit guter Linse (HArTNAcK 7) bei 300 ma- liger Vergrösserung untersucht, bemerkt man ausser recht sparsamen Dotterkügelchen gar keine Formelemente, nichts, was die voll- endete Gleichmässigkeit des hellen Protoplasmaklumpens zu stören vermöchte. BiscHoFF hat demnach, wie ich zu meinem Vergnügen finde, in der Beschreibung dieses Verhaltens, hier und doch wohl auch bei den übrigen Säugern, recht. Die Unmöglichkeit, Zellencontouren und Kerne zu erkennen, war mir um so interessanter, als auch von anderen Seiten auf Grund des gleichmässigen Aussehens von Theilen, welche vorher Zellen erkennen liessen, der Process einer Zellenver- schmelzung als erwiesen hingestellt worden ist. In dem vorliegenden, m. E. ausgesucht schönen, Fall, ist jedoch von einer Verschmelzung der Zellen nicht zu sprechen, Einwirkung der MÜLLEr’schen Flüssig- keit bringt im Gegentheil die Zellen so deutlich zum Vorschein, dass man sie leicht messen kann, ebenso lässt nachträgliche Karminfärbung die Kerne auf das schönste hervortreten.

Während längere Zeit hindurch das Ei solide bleibt, aber sich vergrössert, bekommt es am 10. Tage eine Höhle im Centrum, Fig. 67. Diese Höhle rückt dann nach unten und am 11. Tage, Fig. 69, be- merkt man an dem dickeren Theil des Eies eine Schichtung in zwei Lagen. Nach unten ist die Höhle bald nur noch durch eine Membran verschlossen, Fig. 71, welche im Durchschnitt, Fig. 72, sich als einzellige Haut darstellt und das Hornblatt des Amnios ist. Der Rest des Bies ist Keimscheibe. Von dessen äusserer Schicht, also dem inneren Keimblatt der anderen Thiere, wächst eine zellige Haut an den Wän- den des Zapfens hinab, welche also eine Art von Keimhaut bildet, Fig. 75. Während diese Haut, die schon als Hypoblast bezeichnet werden darf, weiter wächst, bildet sich in der Keimscheibe das mitt- lere Keimblatt, jedoch habe ich dessen Bildungsgeschichte nicht genau verfolgt. Der dem 14 Tage alten Thiere entnommene Durchschnitt, Fig. 76, giebt bereits den Embryonalkörper mit Urwirbeln, Seiten- platten, Medullarplatten u. s. w. Dann folgt der Schluss des Medullar- rohres, Abschnürung der Chorda u. s. w. wie gewöhnlich. Uebrigens erhärten die Embryonen des Meerschweinchens nicht so gut, wie jene des Kaninchens. Ich beabsichtige nicht auf diese Verhältnisse weiter einzugehen, will aber doch erwähnen, dass die Allantois, wenn sie als millimetergrosse Blase zur Placentarstelle herabwächst, nicht hohl ist und kein Darmdrüsenblatt enthält, sondern von einem hübsch reticulirten Gefäss- und Bindegewebs-Netz ausgefüllt ist.

408 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

Ich habe nunmehr den versprochenen Nachweis zu liefern, dass: der als Ei bezeichnete Theil, wenn vielleicht auch nicht das ganze Ei, so doch jedenfalls der einzige Eitheil in dem ganzen Zapfen ist. In den Figuren 76 und 77 erkennt man, dass der vollständige . Embryo noch von einer homogenen Haut h umhüllt wird, welche: ihrerseits noch eine spärliche Zellenhülle trägt. Letztere vermag ich von dem Stadium der Eiausstülpung an zu verfolgen, es sind die Uterusepithelien, welche die Zellenwandung des Zapfens bilden. Das Ei bildet sich, wie man sieht, ohne sie complet aus, auch sind sie von demselben durch eine, in den früheren Arbeiten völlig übersehene,. homogene Membran getrennt, so dass von einer Betheiligung an der Bildung des Embryo nicht die Rede sein kann.

Die homogene Membran habe ich früher (y 2) als Zona pellueida gedeutet, ich glaube jetzt nicht mehr, dass diese Bezeichnung richtig war. Schon ‚sehr frühzeitig (das Ei Fig. 87) war diese Haut nur 0,0012 mm. dick und sie behält diese Dicke so ziemlich bei. Da- gegen war in den noch jüngeren Eiern die Zona, wenn überhaupt, so doch sicher nicht in voller Dicke vorhanden. Es kann also daraus unmöglich die homogene Membran in ihrer späteren enormen Ausdehnung abgeleitet werden. Dies war allerdings auch nicht meine: Meinung, aber ich glaubte, die Zona bilde doch die erste Grundlage _ dieser Membran. Demnach hatte ich erwartet, dass das Ei bei sei- nem Austritt aus dem Uterus noch die volle Zona zeigen werde. Da dies nicht der Fall ist, nehme ich an, dass die homogene Haut eine: Ausscheidung des Epithels sei, da andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Gerne hätte ich über diesen Punkt grössere Sicherheit erlangst,. da er von Bedeutung für die Beurtheilung der Lagenumkehr des Eies ist.

Die Membran lässt sich unter günstigen Umständen unverletzt von dem Uterusepithel isoliren. Ein solches Präparat wird durch Fig. 75 dargestellt, ausserdem sieht man die Haut an den verschie- denen Durchschnitten, z. B. Fig. 68h. Es ist merkwürdig, dass die Haut an der Basis des Zapfens, und zwar an jenem Theil, den Rrı- CHERT als Napf bezeichnet hat, stets eingeklemmt oder wenn man lieber will, invaginirt ist. Dies Verhalten fand sich schon an den Eiern, Fig. 87 und 88, d. h. also spätestens von dem Stadium der Flüssig- keitsansammlung im Zapfen an.

Diese eigenthümliche Bildung der Basis des Zapfens habe ich . jetzt zu besprechen. Die napfförmige Gestalt, Fig. 74, nimmt dieser Theil erst in späterer Zeit an, man sieht dieselbe im Ausguss, Fig. 75, im Durchschnitt Fig. 70 und 72. Vorher erscheint dieser Theil als

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 409

dünner Stiel, Fig. 67 und 68. Der Uebergang des Zapfens in den Napf geschieht an einer etwas getrübten Stelle, so dass es fast aussieht, als befinde sich hier ein zweites Ei, Fig. 66. Dies hat, wie ich glaube, REICHERT verleitet, zwei Eier in einem Zapfen zu beschreiben. In noch früherer Periode erscheint dieser Theil als zelliges Polster in der Basis des Zapfens, Fig. 84 bis 88. Mit Bestimmtheit lässt sich aussagen, dass diese Bildung durch einen inneren, ziemlich soliden Fortsatz des Uterusepithels entsteht, der vielleicht am Stiel mit der Zapfenhülle in Continuität steht, aber sicher nicht weiter hinauf. Dort wird er nämlich durch die homogene Haut von der Epithellage des Zapfens getrennt. An älteren Stadien gewinnt es zu- weilen den Anschein, als wenn es sich um eine Invagination handle. Wenn man sich denkt, das Ei wandere in eine Drüse und diese in- vaginire sich dann unter dem Ei, so wird man im Längsschnitt sechs parallel verlaufende Zellenwände haben, nämlich zunächst die beiden äusseren in normaler Lage befindlichen Wände, darauf die beiden in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Wände des invagi- nirten Theiles und endlich in der Mitte den Kanal, welcher zur Aus- mündungsstelle der Drüse in den Uterus verläuft. Letztere Bildung fehlt entweder in den Präparaten völlig, oder ist nur als einfacher zelliger Strang vorhanden, Fig. 70, jedoch es liegt ein secundäres Verschwinden eines solchen Stranges nicht ausserhalb der Wahrscheinlichkeit. Ich habe aber schon erwähnt, dass das Ei nicht in eine Drüse zu ge- rathen scheine Es muss daher angenommen werden, dass in irgend einer anderen Weise von dem Uterusepithel aus durch dessen, wie erwähnt worden ist, weit klaffende Spalte, eine Eiwucherung ge- schehe. Dafür spricht, dass es nicht gelingt, die Continuität an der Spitze des Stieles zwischen innerer und äusserer Zellenmasse nachzu- weisen, was doch bei einer Invaginirung keine Schwierigkeiten machen dürfte. Leider misslang mir die Zergliederung der frühesten Stadien mit Bezug auf diesen Punkt.

Nach der vorstehenden Beschreibung kann die Abnormität in der Entwicklung des Meerschweinchens noch nicht durch den Eintritt von Störungen so erklärt werden, dass man sagen könnte, das Ei dieses Thieres werde sich in der Art der Eier anderer Säugethiere lagern und schichten, wenn es daran nur nicht durch bestimmte Verhältnisse gehindert werde.

Die Hoffnung, einst dies sagen zu können, wird, wie ich gestehen muss, einigermassen durch den ungewöhnlichen Modus der Furchung und Keimkautbildung gestört; jedoch vielleicht liesse sich darin eine nicht gerade unwahrscheinliche Anlehnung an die niederen Wirbel-

410 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

thiere erblicken. Dies zugegeben, scheinen folgende Erklärungen der vorliegenden Abnormität zur Erwägung zu stehen.

a) Man nimmt mit M. SCHULTZE an, dass aus den embryonalen Zellen wirklich Alles werden könne. Man könnte sich dann vorstellen, dass der Theil der Eizellen, welcher in die eiweissarme Flüssigkeit des Zapfens vorragt, als der weniger gut genährte, keinen Ueberschuss an Nahrung aufnehmende, sich zum animalen Blatt um- wardle, die Zellen an der freien Fläche des Zapfens, welche in näch- ster Berührung mit dem blutgefässreichen umhüllenden Gewebe stehen, sich vorbereiten, das aufnehmende und resorbirende Darmdrüsen- blatt zu werden. Jedoch wenn in dem einen Ei die Zellen durch die von aussen hinzutretende Nahrung beeinflusst werden, warum sollten sie sich in anderen Eiern anders verhalten? Da wir beim Kaninchen finden, dass auch die Nahrung von aussen her dem Ei geliefert wird, müssten wir auch bei diesem Thier eine Umkehr der Blätter erwarten. Der Versuch, auf diese Weise die Abnormität zu erklären, ist demnach missglückt, und damit auch der Eingangs auf- gestellte Satz m. E. zurückgewiesen.

b) BiscHorr berichtet, dass das nackte Ei mit den Zellen des Uterus verschmelze und aus diesem Product erst die Masse entstehe, aus welcher der Embryo sich entwickle. Soweit dies Vorgänge in der von mir nicht erforschten Periode betrifft, scheint dagegen, von dem Standpunkt BiscHorrs und der neueren Zellentheoretiker aus, ein Gegengrund nicht beigebracht werden zu können. Die Dottermasse wird höchst wahrscheinlich nackt, die Epithelien des Uterus sind in gereiztem und wucherndem Zustande, warum sollten sie nicht mit dem Dotter wie Oeltropfen zusammenfliessen? Jedoch ich will mir kein Urtheil in dieser, meinen Ansichten!) fern stehen- den Sache erlauben. Geht wirklich der Process so vor sich, wie BIsCHOFF annimmt, so braucht man keine weitere Erklärung über die Abnormität der Entwicklung. Man wird dann im Gegentheil einen ganz anderen Verlauf der Entwicklung für solche Thiere verlangen müssen; sucht ja auch keineswegs vergeblich!- Ich vermag jedoch nicht solchen Ansichten beizustimmen und muss daher weiter suchen.

c) Ich betrachte mich als vom Glück begünstigt, dass ich in der Lage bin, eine Erklärung wagen zu können. Lange Zeit stand näm- lich die Sache so, dass ich mit allem Nachdenken eine Möglichkeit, die vorhandene Abnormität zu erklären (in dem oben gegebenen Sinne

l) Untersuchungen zur Physiologie der Blutkörperchen, sowie über die Zellen- natur derselben. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie Bd. XI. 1861.

#.

“und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 411

‚des Wortes) nicht finden konnte, ohne geradezu ins Leere zu greifen. Die Einzelheiten, welche ich zu geben habe, sind erdacht und werden sich schwerlich in der gegebenen Form bestätigen, der Kern des Pro- cesses aber, die Umstülpung des Eies, wird, wie ich nunmehr glaube, durch die Zukunft als richtig erwiesen werden.

Wir verliessen das Ei als kleine Keimblase, Fig. 81, und dürfen glauben, dass es bald seine Zona verliere, von dem Uterus festgehalten werde und ihn reize. Wir finden es wieder in einem Loche der ge- wucherten aber noch glatten Epithelwand. In der gegenüberliegenden Epithelwand befindet sich gerade dem Ei gegenüber ein erhabenes Polster, Fig. 82C. p., durch Epithelzellen gebildet. An dieser Stelle hat offenbar ein Paar Stunden früher das Ei in der Uterushöhle gelegen.

Ich nehme an, es habe das nackte Ei hier so gelegen, dass sein

Keimhügel auf jenem Polster der unverletzten Epithelwand lagerte.

Ferner muss ich annehmen, dass das Epithel auf das Ei gedrückt habe und die zarte Keimblase zerrissen sei. Nun wird das Ei vom Polster gegen die gegenüberstehende, vielleicht schon ausgebuckelte Wand ge- schoben, stülpt diese aus und damit beginnt die bereits geschilderte Wanderung. Die Fläche des Keimhügels, welche die Epithelwand durchbricht, ist die innere, diejenige des künftigen Darmdrüsen- blattes. Sie geht bei der Wanderung voran, bleibt daher aussen und entwickelt sich demgemäss. Die anderen Abnormi- täten, wie das Fehlen einer wirklichen Keimblase, eines Dottersacks, die scheinbar verfrühte Bildung des Amnios, der Allantois, sind zwar mit dieser einen Annahme noch nicht erklärt, dürften aber bei einem näheren Eingehen auf die Sache doch ziemlich innig damit zusammen- hängen.

Wenn man mit mir annimmt, dass in die erste Zeit nach der Furchung der Hauptvorgang in der histiologischen Differenzirung liege, erst später die Formung der Organe und des Körpers in den Vordergrund trete, wobei sich letztere Vorgänge aus ersteren hervor- bilden, so werden jene Abnormitäten weniger überraschend, leichter erklärbar.

Eine Gastrula in vorliegendem Falle aufzufinden, dürfte schwer fallen.

Indem ich hiermit meine Arbeit abschliesse, muss ich leider daran erinnern, dass ich nur beabsichtigt habe, anzuregen. Ich habe wohl zu empfinden geglaubt, dass einiges Neue, Wesentliche von mir bei- gebracht werde, aber jetzt bedrückt mich doch vor Allem das Gefühl, nur Fragmente gegeben zu haben. Solche können einen Abschluss nicht geben und dem entsprechend müssen sich meine Wünsche und Erwartungen über den Einfluss dieser Arbeit bescheiden.

412 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

N:a,ec.hit nase,

In Folge einer Untersuchung von zwei Eiern, das eine von 7 Ta- gen 5 Stunden, das zweite von 7 Tagen 1 Stunde nach der Copula- tion, kann ich unsere positive Kunde vermehren, ohne jedoch in der Erklärung der Vorgänge bei der Wanderung des Kies weitere Fort- schritte machen zu können.

Das erste Ei entsprach völlig dem bereits geschilderten von 7 Ta- gen 4 Stunden S. 403. Diesmal ward jedoch ein vollständiger Quer- durchschnitt von Uterusepithel und Ei erhalten. Das Ei war dicht an der Kante der Uterushöhle ausgetreten, die Höhle war an der Spitze bereits ein wenig geknickt, das Epithel war gewulstet, zeigte aber nicht deutlich jene Papillenbildung, von welcher ich oben vermuthete, dass ihr der Keimhügeltheil der Eiblase aufgelegen habe. Ich muss bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass unmittelbar das Uterusepithel umgebend eine sehr feine, ziemlich homogene Hüllhaut liegt. Diese Hüllhaut wird von dem. „Eizapfen“ (dem Ei umgeben von seiner Hülle von Epithelzellen) ausgebuchtet, bildet also eine Art von äusse- rer Eikapsel, die jedoch an den erhärteten Präparaten sich sehr leicht abhebt. In der Epithelwand des Uterus fand sich eine ziemlich weite, durchbohrende Oefinung; diese ward von aussen her durch den Ei- zapfen geschlossen, ohne dass das Ei noch in die Oefinung hinein- ‚geragt hätte. Im Uebrigen lehrte der Schnitt nichts Neues, denn die Continuität zwischen Eikapsel und Uterusepithel konnte ich nicht deutlich nachweisen. Nachdem der „Zapfen“ ohne bemerkenswerthe Schwierigkeit abgelöst worden war, erinnerte er seiner äusseren Form nach am meisten an die Gestalt einer Citrone. Die beiden Polhöcker dieses Gebildes bestanden aus ein Paar Zellen und hatten dem Rande der Oeffnung angelegen, wahrscheinlich oben und unten. Beide waren durch einen Faserzug, wie mir scheint, aus Zellenausläufern be- stehend, unter einander verbunden. Man denke sich an einer Citrone von einem Pol zum anderen in einem Meridian (180°) einige Fäden gezogen und diese dann so straff gespannt, dass sie die Oberfläche stark einbuchten, so hat man den Eindruck, welchen mir der „Ei- zapfen“ gab. Erst bei 400facher Vergrösserung erkannte man in der _ Masse des „Eizapfens“ das Ei. Dasselbe war etwas excentrisch ge- legen, so dass man an dem Zapfen eine aus zwei bis drei Zellen-

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 413

lagen bestehende Basis (im Bezirk des faserigen Stranges) und eine "aus einer Zellenlage bestehende Kugelschaale unterscheiden konnte. Ersterer Theil entspricht wohl zweifellos dem späteren „Napf“. Bei leichtem Druck trennte sich die Kapsel mit zwei hohlkugelförmigen Stücken von dem Ei ab, und dieses ward als kuglige Masse frei. _

Der Eizapfen war 0,075 mm. dick, ohne die Pole 0,081, mit ihnen eirca 0,109 mm. breit. Das Ei selbst maass 0,042 bis 0,048 mm. im Durchmesser, seine Zellen waren 0,01 bis 0,016 mm., deren Kerne 0,003 bis 0,004 mm. gross. Das Ei lag mit seinem Centrum 0,009 mm. von der umgebogenen Kante des Uterusepithels entfernt.

Das jüngere Ei war im Uterus ungewöhnlich leicht zu erker- nen und gab ein Bild, ähnlich demjenigen, welches Bıschorr (b. Fig. 17) in seiner ersten Abhandlung von diesem Stadium gegeben hat. Das Epithelrohr des Uterus löste sich noch leicht los und die Abschnürung desselben um die Stelle, wo das Ei lag, war schon un- erwartet weit fortgeschritten. Da das Ei sicher beträchtlich jünger war wie die beiden Eier, welche als 7 Tage 4 resp. 5 Stunden alt von mir beschrieben sind, und in diesen Fällen die Abschnürungen nicht so weit gediehen, das Epithel kaum leichter ablösbar war, muss ich schliessen, dass diese Verhältnisse sich nicht ganz dem Zustande des Eies parallel entwickeln. I

Das Ei oder vielmehr der „Eizapfen“ lag noch, soweit es seine Grösse zuliess, innerhalb der Uterushöhle. Bei der Präparation entfernten sich die beiden Epithelwände der stets flachen Uterushöhle von einander, so dass sie aus einander geklappt werden konnten, ohne doch an der oberen Kante sich völlig von einander zu trennen. Nach- dem dies geschehen war, zeigte sich in der einen Wand das Epithel durch ein rundes, 0,072 mm. im Durchmesser haltendes Loch voll- ständig durchbohrt. Der „Eizapfen‘“ hatte in demselben gelegen, war aber bei der Präparation daraus hervorgezogen worden, denn er sass noch der anderen Epithelwand an der entsprechenden Stelle fest auf. Ich glaubte schon, dass damit die von mir oben ausgesprochene Hypothese der Umstülpung des Eies bestätigt sei, jedoch es zeigten sich Complicationen. Der „Eizapfen“ lag in einer tiefen Grube der undurchhohrten Epithelwand, ja es schien sogar unter ihm in gerin- gerer Ausdehnung das Epithel ganz geschwunden, also auch hier die Wandung gänzlich durchbohrt zu sein. Jedoch es konnte nicht mehr einem Zweifel unterliegen, dass das Ei durch die erst erwähnte Wan- dung aus dem Uterus austreten werde, denn es stand so weit über der Fläche hervor, dass es nicht nur jene Wand völlig durchbohrt hatte, sondern noch darüber hinaus in das Bindegewebe hatte vorragen

414 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung ete.

müssen. An einem ersten ziemlich dieken Durchschnitt ergab sich, dass der Eizapfen 0,0563 mm. von der Wand, an welcher er fest sass, vorsprang. Ein Durchschnitt der gegenüberstehenden Wand ergab deren Dicke zu 0,0313 mm. Der Zapfen war an der freien Fläche ein wenig abgeplattet, war also wahrscheinlich frisch noch etwas höher gewesen. Da die Uteruswände dicht auf einander schlossen, hatte das Ei also mindestens 0,025 mm. in das Bindegewebe vorgeragt. In der That zeigte sich im Bindegewebe eine entsprechende (etwas grössere) von der homogenen Uterushaut abgegrenzte Aushöhlung.

Ein neuer Schnitt entfernte einen Theil der umhüllenden Zellen vom Ei, ohne den „Zapfen“ zu lösen, und auch die weitere Präpara- tion erwies, dass er zur Zeit noch recht festsitze; leider kam auch hier der Zusammenhang zwischen Epithel und Zapfen nicht klar zur Ansicht. Der Eizapfen maass 0,064 und 0,072 mm., das Ei darin 0,0045 mm. Im Ganzen schien der Zapfen ähnlich beschaffen, wie in dem oben geschilderten Fall, jedoch als ich das Ei darin sicher erkannte, war es auf einer Seite nackt; ich kann jedoch nicht ver- lässlich angeben, ob die Epithelzellen wirklich noch nicht das Ei völlig umschlossen hatte, oder ob durch die Präparation der betreffende Theil des Zapfens entfernt worden war.

Aus diesem Befund ergiebt sich jedenfalls, dass beide Uterus- wände sich an der Kapselbildung betheiligen, was jedenfalls sehr beachtenswerth ist. Es ist ferner unzweifelhaft geworden, dass das Ei selbst in dieser Periode kleiner wie !/,, mm. ist. Dadurch wird die weitere Verfolgung sehr erschwert, denn ein solches Körperchen lässt sich sehr schwer von den Flecken, welche die Mündungen der Uterusdrüsen repräsentiren, unterscheiden.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 415

Erklärung der Abbildungen.

TaeX

- Fig. 36. Stück eines Längsschnitts durch die Axe eines Embryo von der Grösse der Keimscheibe, Fig. 26, 250fach vergrössert, ö* das innere Keimblatt vor dem Knoten dasselbe, aber weit dünner, ein wenig von der Fläche ge- sehen, hinter ihm; @ äusseres, 5 die beiden Lamellen des mittleren Keim- blattes, deren Vorkommen an dieser Stelle sehr beachtenswerth ist. ce der Kno- ten, in welchem alle drei Blätter verschmolzen sind.

Fig. 37. Querschnitt durch das vordere Drittheil des Embryo, Fig. 28 (Fig. 37 bis 42, 300fach vergrössert), a äusseres, b mittleres, ce inneres Keim- blatt, pr Primitivrinne. Von dort bis nahe an a’ bleibt das äussere Keimblatt, behufs Bildung der Labyrinthblase, verdickt. Bei m Verdickung des mittleren Keimblattes, pA Spalt in dieser Verdickung, den primitiven Herzbeutel bildend. edth Endothelzellen, die erste Spur des Endothels des Herzens. mp Membrana prima.

Fig. 38. Durchschnitt in der Höhe der Urwirbel von demselben Embryo. Buchstaben wie oben. edth Gefässblatt. n Fäden zwischen Medullarplatte und Urwirbel, also Nerven. Die Gegend der ersten Urwirbel entspricht meiner An- sicht nach eher dem Pous Varoli als dem Atlas.

Fig. 39. Durchschnitt desselben Embryo in der Höhe der Urwirbelplatten. Bezeichnungen dieselben. Der Schnitt hat zwar die Lagerung der Zellen des mittleren Keimblattes etwas gestört, doch sieht man den Contour der Horizontal- spalte, welche als Cölomspalte im Text bezeichnet ist.

Fig. 40. Durchschnitt aus der Mitte desselben Embryo, dicht vor dem Knoten. Bezeichnungen wie oben. ci Verdiekung des inneren Keimblattes, die ich nur auf die Chordabildung beziehen kann. j

Fig. 41. Derselbe Embryo im Knoten durchschnitten. pr, a, b,c wie oben. Bei d sieht man eine Verdiekung des mittleren Keimblattes, die vielleicht schon auf die Extremitätenbildung zu beziehen ist. Die Verwachsungsstelle des inneren Keimblattes scheint nieht voll im Schnitt zu liegen.

Fig. 42. Durchschnitt desse!ben Embryo noch weiter nach hinten. Der Wulst im Seitentheil ist versehwunden, dagegen tritt hier, entsprechend dem an Fig. 36 gezeigten, die Cölomspalte deutlich hervor. Diese Parthie muss aber noch zum Embryo selbst gerechnet werden.

Fig. 43. Längsschnitt nahe der Axe eines 9 Tage alten Kaninchenembryo, eirca 100 mal vergrössert. a, b, ce äusseres, mittleres und inneres Keimblatt. 'KD Kopfdarmhöhle, vielleicht durch den Druck des Schnittes etwas abgeflacht, Hz Herz mit visceralem Pericardium; man unterscheidet nach hinten eine An- deutung des Venenschenkels, in der Mitte den fast isolirt liegenden Körper des Herzens, nach vorn dessen arterielle Fortsetzung. 7 parietales Pericardium, aus Darmdrüsenblatt und Cutisplatte bestehend. Letztere scheint sich an dieser Stelle nicht in die Keimhaut (Amniosfalte) fortzusetzen. Doch finde ich an Zeichnungen anderer Durchschnitte Theilchen des mittleren Keimblattes dort

416 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

auftretend. Die hier obwaltenden eigenthümlichen Verhältnisse dürften ein näheres Studium verdienen. Ag Augenblase im Durchschnitt. Das Kopfende des Embryo ist etwas verletzt. Die Bildungen des Hinterendes verhalten sich nahezu so, wie es von GASSER in seiner hübschen Arbeit: Beiträge zur Entwick- lungsgeschichte der Allantois vom Hühnchen beschrieben ist, nur scheint beim Vogel die Schwanzkrümmung früher einzutreten. Al Wulst der Allantois. AU Allantoishöhle. Cl erste Andeutung der Cloake, resp. beginnende Afterbildung.

Fig. 44. Die Membrana prima m. p. isolirt und von der Fläche gesehen bei circa 400facher Vergrösserung. Der freigemachte Theil der Membran lag in der Area opaca; weiter nach dem Embryo zu ist das mittlere Keimblatt sitzen geblieben und namentlich die unteren Zellen desselben, gf die dem Anschein nach dem Gefässblatt angehören, sind schärfer gezeichnet.

Fig. 45. 46. Querschnitte eines 8!/, Tage alten Embryo.

Fig. 45a. 150fach vergrösserter Durchschnitt durch das vordere Drittheil des Embryo. md Medullarplatte, « Hornblatt, cz Cutisplatte, df Darmfaserplatte, c Darmdrüsenblatt, gf Gefässblatt, ch Verdickung des Darımdrüsenblattes behufs der Chordabildung.

Fig. 45b. Ein Theil der Darmfaserplatte df des vorigen Schnittes bei 350facher Vergrösserung, um das Gefässblatt gf deutlicher zu zeigen.

Fig. 46. Derselbe Embryo, Durchschnitt ein wenig weiter nach hinten, wo der Schluss des Rückenmarks schon weiter fortgeschritten war. Vergr. 150. Die Chorda ist in der Abschnürung begriffen. Links erkennt man deutlich die Urwirbelhöhle. Buchstaben wie bei 45. \

Fig. 47. Durchschnitt des Körpers eines 9 Tage alten Kaninchenembryo in der Höhe des dritten Urwirbels. Vergrösserung 400. Das Rückenmark ist geschlossen, man sieht um dasselbe die Membrana prima mp’ der Medulla, und zu letzterer hinstrahlend die Ausläufer der Zellen des Marks, die Nervenwurzeln. Am Amnios, theilweise fortgeschnitten. a Hornblatt. U Urwirbel. pr. A pri- mitive Aorta mit Blutkörperehen gefüllt. mp Membrana prima der Urwirbel. ch Chorda, von einer homogenen Scheide umhüllt, die mit einer feinen Haut, welche mittleres und unteres Keimblatt trennt, zusammenhängt. Diese Haut ist viel feiner wie die Membrana prima, deshalb weit weniger leicht zu verfolgen und darzustellen, so dass ich sie nur, in der Nähe der Chorda kenne. Die Zellencontouren traten wegen Carminfärbung zurück.

Fig. 48. Derselbe Embryo näher dem Schwanzende in den Wandungen der Urwirbel durchschnitten. Das Rückenmark dicht vor dem Verschluss. Das doppeltgeschichtete Amnios Am überzieht den Embryo. Das Rückenmark ist in Folge des Schnittes an einer Stelle gebrochen. Die Ungleichmässigkeit und Lückenhaftigkeit der Zellen in ihm dürfte entweder durch geringe Quellung zu erklären sein oder das Messer hat die in der Mitte des Markes liegenden Zellen mit herausgerissen. Vom Mark sieht man auch hier Fäden in die, dasselbe um- gebende, Membrana prima mp gehen. Hin und wieder kann man sie darüber hinaus verfolgen, namentlich auch zu den Zellen des Hornblattes a hin, weiter seitlich finden sich einige Fäden zwischen Hornblatt und der darunter liegenden Membrana prima, welche möglicher Weise auch nervös sind. Ch Chorda. cu Cutisplatte, 2 Erhärtungslücke, df Darmfaserplatte, gf Gefässblatt, pr. A primi- tive Aorta, ce Darmdrüsenblatt, U Urwirbel.

Fig. 49. Durchschnitt desselben Embryo am Schwanzende. Das Mark ist noch nicht von der Masse des mittleren Keimblattes geschieden, dagegen der

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 417

Pleuroperitonealranm sehr entwickelt und es ragt sogar eine Leiste des Darm- faserblattes, die der Genitalfalte zu entsprechen scheint, in ihn hinein. Am Amnios, eu Cutisplatte stark verdickt, Beckenanlage (??), df Darmfaserblatt, c Darmdrüsenblatt, etwas umgelegt, so dass es fälschlich zweischichtig erscheint.

Fig. 50. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines Kaninchenembryo von 10 Tagen. Vergr. 150. Am Amnios, cv Cutisplatte, in derselben ein Rand- gefäss G, df Darmfaserplatte, qf Gefässblatt. Die Darmfaserplatte ist auffallend dünn, doch schien es mir, dass sich Elemente derselben in das Gefässblatt ein- geschoben hatten. ce Darmdrüsenblatt, M Mürzer’scher ‚Gang, links vom Horn- blatt gelöst, rechts demselben noch anhängend und mit ihm beweglich, Ur Urnierengang, r Ecke, von der aus die Membrana reuniens superior sich bildet.

Fig. 51. Durchschnitt aus dem hinteren Drittheil eines fast 11 Tage alten Embryo. Vergr. 150. Buchstabenbedeutung wie in der vorigen Figur. Der Schnitt hat nur einen der beiden Urwirbel voll getroffen. Die merkwürdige Formveränderung, welche dieser Schnitt der vorigen Figur gegenüber zeigt, und welche die Disposition der Gewebe für die definitive Stratification des Körpers bewirkt, lässt sich am besten darlegen, wenn von der Annahme ausgegangen wird, dass eine Spannung in dem Rande der Cutisplatten, entsprechend etwa dem Verlauf des Randgefässes, entstanden sei. Während um die Chorda herum Bindesubstanzmassen sich entwickeln nud die Urwirbel rückwärts drängen, ver- breitern sich die Cutisplatten (mindestens auf der dorsalen Seite) und das Amnios spannt sich straff über den Körper. Die Cutisplatten werden zu der eigenthüm- lichen Biegung gezwungen, welche die Figur zeigt, die dann weiter zur Ent- wicklung der Membrana reuniens superior!) führt, die Gänge an die Oberfläche des Peritonealraumes bringt und die Aorten einander nähert. In Bezug auf die Entstehung der Bindesubstanz um die Chorda, welche ich von dem Verbin- dungsstrang ableite, ist die Figur nicht besonders beweisend. Man könnte nach ihr diese Substanz auch von dem Kern der Urwirbel herleiten und nach Fig. 50 von der medialen unteren Kante der Urwirbel. Nach anderweiten Präparationen halte ich aber letztere Annahmen für nicht richtig. Die Darmfaserplatten haben sich in einen äusseren Theil df und einen inneren Theil df” geschichtet, da- zwischen befindet sich das Gefässblatt gf. f Fortsatz der Darmfaserplatten, wel- cher die bis dahin nur aus einem Endothelrohr bestehenden Aorten zu umwach- sen beginnt.

Taf. XI.

Fig. 52. Schnitt durch die rechte Seite eines gegen 10 Tage alten Ka- ninchenembryo. Da ich die Methode, den feuchten Embryo in Paraffin einzu- betten, noch nicht kannte, musste das Messer sehr nahe am Schnittrande auf den Rücken des Embryo aufgesetzt werden und ging dann beim Durchschneiden schräg aus der Fläche des Schnittes heraus, weshalb feinere Schnitte nicht in grösserer Ausdehnung als der vorliegenden zu erhalten waren. Für mich genügt

!) Ich habe leider im Text unterlassen, mich über die Bedeutung dieser Benennung auszusprechen. Ich lehne mich an Rırukz an, aber während dieser (das Original steht mir nicht zu Gebote) darunter Cutis und häutige Wirbelbogen verstanden hat und sie aus den Urwirbeln hervorgehen lässt, verstehe ich nur die Rückenhaut darunter, die aus der Cutisplatte hervorgeht. Ich habe jedoch die Bezeichnung Membrana reuniens superior (im Text fälschlich als posterior bezeichnet) beibehalten zu dürfen geglaubt.

418 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

ein so kleines Stückchen, da ich seine Entstehung unmittelbar beobachten konnte. Vergleicht man die Lage des Urnierenganges in Fig. 50 mit der vorliegenden Figur, so wird man in beiden die eigenthümliche tiefe Einbohrung desselben in die Wand der vereinigten Seitenplatten erkennen. a Hornblatt. Unter einer auffallend verdünnten Stelle des letzteren liegt der Urnierengang, Un, er besteht aus einer helleren soliden Zellenmasse, den Hornblattzellen und einer offenbar von den Seitenplatten abgegebenen Hülle. Diese Hülle ist im Druck etwas zu dunkel geworden. U Urwirbel, gf Gefässblatt, eu Cutisblatt, df Darm- faserplatten. Hier trage ich noch aus einer später aufgefundenen Notiz nach, dass der jüngste Embryo, an welchem ich den Worr’schen Gang in der Bildung überraschte, 8 Tage 231/, Stunden alt war und 3,48 mm. Länge hatte.

Fig. 55. Aus dem Rückenmark das Embryo, Fig. 50.

A. Durchschnitt durch die ganze Dieke des Marks bei 300maliger Ver- grösserung. «a äussere Seite, die Linie weist auf das äussere Ende einer Radiär- faser hin, 5 Nervenfäserehen, e an den Centralkanal heranreichende Enden tiefer gelegener Zellen, d eine Lücke, aus welcher der Kern herausgefallen war.

B. Ein Zerzupfungspräparat desselben Markes 600mal vergrössert. a Stiele der Zellen (Radiärfasern) abgerissen, b Nerven, 5’ ein Faden, der mir unzweifel- haft aus dem Körper der Zelle zu entspringen schien, e Oberfläche des Central- kanals.

Fig. 54. Schnitt durch das hintere Viertheil des Rückenmarkes eines circa iltägigen Kaninchenembryo bei 400 mal. Vergr. Bildung des Ganglion spinale. U Stück des Urwirbels, m. pr Membrana prima auf demselben, « Hornblatt, R Rückenmark, p in der Bildung begriffene Rückenmarkshüllen (durch Anlage- rung von Bindesubstanzzellen an die Membrana prima der Medulla). Zwischen Urwirbel und Rückenmark wachsen die Ganglionzellen aus dem Mark hervor.

Fig. 55. Rückenmark eines Schaafembryo, dessen Kiemenbogen noch nicht verwachsen waren. Vergr. 150. a Hornblatt, 5 Cutisplatte (Membrana reuniens superior), ce Wirbelkörper mit der Chorda in der Mitte, d Sympathicusganglion durch starke Karminfärbung in die Augen springend, e Gangliön spinale, f hin- tere Spinalwurzel, M. pr. Membrana prima des Rückenmarks, die Pia ‘mater ist noch nicht als etwas Besonderes von den übrigen bindegewebigen Hüllen zu trennen. In den Nerven finden sich spindelförmige Zellen, welche ich für hinein- gewucherte Bindesubstanzzellen halte, sie färbten sich nur schwach mit Karmin.

Zwischen Ganglion spinale und Rückenmark hat sich Bindesubstanz einge- schoben. in derselben erblickt man ein Gefäss.

Am Rückenmark ist der Contour des Centralkanals wegen zu grosser Fein- heit des Schnittes an einer Stelle unterbrochen. Zwischen Membrana prima und Rückenmark findet sich ein Raum, der von Radiärfasern durchsetzt wird. v. C erste Andeutung der vorderen Commissur. Man kann dieselbe als Längsstrang ziemlich weit an der Peripherie des Rückenmarkes hin verfolgen. Am Mark unterscheidet man eine aus 6 bis 8 Zellenlagen bestehende innere Masse, welche jedoch durch ein Gefäss 9, das neben der vorderen Commissur sich in das Mark einbohrt, auf der Figur aber nicht im ganzen Verlauf zu verfolgen ist, in zwei Lagen (innere und äussere Körner) geschieden wird. Auf diese Schicht folgt nach aussen eine Cireulärschicht, welche sich in der Breite von ein bis zwei Zellen, von der vorderen Commissur bis über den Eintritt der hinteren Wurzel hinaus erstreckt. Diese Schicht wird man auch ohne Hülfe von Buchstaben- bezeichnung in der Figur erkennen können. Nach aussen von dieser Schicht

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 419

folgen zerstreut liegende Zellen, welche an dem Eintritt der vorderen und hin- teren Wurzeln zu grösserer Mächtigkeit angehäuft sind.

Fig. 56. Etwas älteres Rückenmark vom Schaaf eirca 300 mal vergrössert. Die Zeiehnung ist, soweit nur irgend möglich, Zelle für Zelle copirt. Es ist also keine Zelle gezeichnet, welche nicht da war, wohl aber sind Zellen, welche über- oder unterhalb der Fokalebene lagen, nicht mitgezeichnet, da eine körper- liche Zeichnung unmöglich ist, und der Schnitt doch drei Zellenlagen dick war.

M.pr Membrana prima, g in das Rückenmark einwuchernde Gefässe, h hin- tere, vd vordere Spinalwurzeln. Die vorderen Wurzeln treten in einen ovalen Zellenhaufen ein, der als Vorderhorn zu betrachten ist. Zwischen diesem und dem gegenwärtigen Epithel des Centralkanals (Körnerschicht) liegt das Stratum der eireulär verlaufenden Fasern und Zellen, welches im mittleren Theile des Markes bis an den Seitenstrang reicht. Nach hinten zu geht das Stratum der Circulärfasern in die Zellen des Centralkanals über. Bei R legen sich in Form eines kleinen Ovals. die Hinterstränge an. Eine weit grössere ovale Masse, welche wesentlich aus längs verlaufenden Nerven besteht, wird von den hinteren Wurzeln durchsetzt. Dieser Längsstrang ist aus dem hinteren Höcker der Fig. 55, also aus einer zelligen Masse entstanden. Dem entsprechend findet man bei ö noch Zellenreste, welche sich etwas mit Karmin gefärbt haben. Die Fasern des Stranges zeichnen sich durch grössere Dicke vor den Fasern der anderen Längsstränge aus, jedoch hebt die Lithographie diesen Strang nicht so deutlich hervor, wie es sein sollte. Von den Zellen des Centralkanals strahlen überall die Radiärfasern r aus. Die Längsstränge zeigen ein retieulirtes Aus- sehen, die Knoten dos Maschennetzes sind die Querschnitte der Nervenfasern.

Fig. 5%. Längsschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo mit noch offener Thränenfurche 150mal vergrössert. Bei g sieht man Zellen der Spinalganglien, welche letzteren noch nicht deutlich von einander gesondert scheinen. Der Schnitt ist ziemlich durch die vordere Spitze der Ganglien ge- sangen, so dass man auch schon die Fasern der vorderen Wurzeln austreten sieht. M. pr Membrana prima, die Grenze des Markes bezeichnend, s Längs- strang; derselbe zeigt noch einen unregelmässigen, verflochtenen Verlauf der Nerven, welche hin und wieder aus der grauen Substanz entspringen, gr Zellen der grauen Substanz. Die Halbeirkelschicht tritt an dem dünnen Längsschnitt nicht hervor. Man sieht, dass die Zellen aus den verschiedensten Tiefen der Epithelschicht bis zum "Centralkanal heranragen. Bei c ist die den Kanal aus- kleidende einer Cuticula vergleichbare Schicht noch erhalten, weiter nach links ist sie zum Theil völlig durch den Schnitt zerstört.

Fig. 53A. Ein Stück der vorigen Figur, von dem Buchstaben ce nach links. bei 400maliger Vergrösserung. c Oberfläche des Centralkanals, m Radiärfaser mit anhängenden Zellen respective Kernen, e Zellenenden am Centralkanal.

Fig. 55B. Die äussere Parthie eines anderen Längsschnittes von dem- selben Rückenmark. m Radiärfasern, e Seitenstränge des Markes. Man erkennt wie die Radiärfasern theils die Seitenstränge durchsetzen, theils sich beim Be- ginn derselben stark zerfasern, und wenn auch nicht ganz, so doch grossentheils in sie übergehen.

Fig. 59. Durchschnitt durch Kleinhirn X. H, und Pons, Md eines Schaaf- embryo, um den Plexus chorioideus quartus zu zeigen. p Epithel des Plexus, N Nerv, wahrscheinlich Trigeminus. Man sieht namentlich am Kleinhirn, wie die Marksubstanz ganz und gar in das Epithel des Plexus aufgeht.

Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1. 98

420 V. Hessen. Beobachtungen über die Befruchtung

Fig..60. Epithelzelle des Rückenmarkes von einem Rindsembrye mit noch offener Thränenfurche, durch Auspinselung isolirt, 600 mal vergrössert. a Epithel- zelle, 5 Kern, einer Theilungsstelle anhaftend.

Meerschweinchen.

Fig. 61A u. B. Furchungskugeln des Meerschweinchens in beckenförmiger Anordnung, A von oben, B von der Seite gesehen. Vergr. 300. Man sieht, dass vier Furchungskugeln vorhanden sind, von denen eine, a, mit einem zungen- förmigen Ausläufer versehen ist.

Fig. 62. Ei aus dem Uterus 5 Tage 3 Stunden alt, 150 mal vergrössert. Das Ei war durch Ausschrapen erhalten. Man erkennt, dass die Furchungs- kugeln verschiedene Grösse haben, da die Theilung nicht absolut gleichmässig vor sich geht, doch möchte ich nicht wagen, hier schon eine Scheidung von Epiderm und Endoderm anzunehmen, der weitere Verlauf der Furchung zeigt ohnehin, dass beim Meerschweinchen jedenfalls von einem derartigen Nachweis, etwa gar von der ersten Zweitheilung an, nicht die Rede sein kann. Ueber die Seitenansicht habe ich nichts notirt.

Fig. 63. Körper aus einem 6 Tage trächtigen Uterus. Ich hielt es, na- mentlich unter Berücksichtigung von REıcHErT’s Fig. 11 für möglich, dass hier ein Ei vorliege, jedoch da der Körper 0,13 mm. mass, muss ich nach den mittler- weile gemachten Erfahrungen diesen Glauben fallen lassen. Ich weiss nicht, was die wirkliche Bedeutung dieser Bildung ist.

Fig. 64. Degenerirtes Ei von fast 7 Tagen, 50mal vergrössert. Auffallend ist, dass die Zona hier noch so wohl erhalten war.

Fig. 65. Ei e, Zapfen z, und Kapsel %, 8 Tage alt, aus dem Bindegewebe isolirt, 15 mal vergrössert, s Fortsetzung des Uterusepithels in das Epithel der Uterushöhle, d anhängende Drüsenkanäle.

Fig. 66. Die Zeiehnung ist durch ein Versehen auf den Kopf gestellt. Ei von 9 Tagen 4 Stunden in der Deciduamasse d. Es ist bezeichnet mit s der Uteruskanal, % die Kapsel, e das Ei, n das Ende des Napfes. Man sieht den Zapfen von der Kapsel bis zum Ei hingehen. Vergrösserung 10mal.

Fig. 67. Frischer Zapfen von 9 Tagen nach der Befruchtung. Vergr. 150. k die Kapsel aus Uterusepithel bestehend, d Deciduazellen auf derselben, n der Stiel des Zapfens, der später zum Napf wird, e das Ei im Zapfen, dasselbe zeigt in diesem Falle relativ frühzeitig eine Höhlung genau im Centrum. Auf !der Spitze des Zapfens beobachtet man eine Wucherung der Epithelzellen, welche das Ei umgeben.

Fig. 68. Durchschnitt durch den isoliıtten Eizapfen, Fig. 66, Karmin- präparat. Ich vermag nicht zu sagen, ob hier die Höhlung im Ei in Folge der Erhärtung verschwunden ist, oder noch nicht gebildet worden war. Der Zapfen ist um ein Geringes weiter entwickelt als in Fig. 67. e Eidurchschnitt etwas verletzt, ep Uterusepithel, den Zapfen bildend, % homogene Hüllhaut des Zapfens, f flossenförmiges Ende des Zapfens, vom Uterusepithel abgelöst, » Duplicatur des Zapfens, aus welcher der Napf entsteht, der sich also zur epithelialen Pla- centa materna umgestaltet. In dem von mir selbst gezeichneten Präparat sind die Epithelzellen etwas zu klein gegeben. Vergr. 300.

und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. 421

Fig. 69. Spitze eines 10 Tage alten, frischen Eizapfens. 200mal vergr. e das Bi, darin die etwas excentrisch gewordene Amnioshöhle, ep das Epithel des Zapfens, an der Spitze etwas geschichtet. Die Zapfen verhalten sich mit Bezug auf diese Schichtung verschieden, bei einigen scheint sie ganz zu mangeln.

Fig. 70. Zapfen von 11 Tagen, circa 150mal vergrössert. Die Länge war 2,42 mın,, Breite 0,44, Länge des Stieles (Napf) 0,88, Breite des Eies 0,3 mm. Es bildet sich am Ei schon deutlich das Amnios aus. Der Stiel » beginnt sich zum Napf umzugestalten. Man sieht von der Convexität des Napfes einen Strang, ‚st, abgehen. Er besteht aus Zellen und ist solide, eine Deutung desselben ist nicht zu geben.

Fig. 71. Kopf des Zapfens von cinem nur wenig älteren Ei. Vergr. 150. Das Ei ist noch dünnwandiger geworden. Bei «a zeigt sich eine etwas auffallende Asymmetrie, die mir regelmässig in diesem Stadium entgegentrat. Es macht mir den Eindruck, als wenn sich entweder das mittlere Blatt oder das Gefäss- blatt an dieser Stelle zuerst anlege, aber ich bin über den Process nicht zur Klarheit gelangt. Man bemerkt eine Abplattung des Uterusepithels an der Spitze (des Zapfens.

Taf IT.

Fig. 72. Ei und Zapfen des Meerschweinchens von 11 Tagen 12 Stunden. Es ist der Länge nach eine Lamelle ausgeschnitten, doch ist leider das Ei dabei gebrochen. Epth Epithel des Uterus am Zapfen, A homogene Membran, auf welcher das Uterusepithel ruht, dieselbe ist an einer Stelle zerrissen, G in Folge der Erhärtung entstandene Gerinnung, N Napf, bereits stärker ausgebildet, als in Fig. 70. Die sich umschlagende Epithelzellenlage verläuft schliesslich in so äusserst platte Zellen, dass die Verfolgung dieser Lage missglückt. Vergr. 150.

Fig. 73. Der Napf eines Eies von gleichem Alter. Von demselben geht ein Stiel an die Spitze der Uterusflasche, F7, man sieht von dieser einen Faden st abgehen (wie in Fig. 70), welcher von dem Stiel des Napfes umhüllt wird, z ein Zellenanhang des Stieles, der sich, in der Regel doppelt, wohl an jedem Ei aus diesen Tagen aufinden lässt. Vergr. 150.

Fig. i4. Spitze. des Zapfens vom Ende des 12. Tages. Die Keimscheibe ist noch nicht deutlich geschichtet, das Epithel des Uterus auf ihr ist sehr zart ‚geworden. 200mal vergrössert.

Fig. 75. Ei von 12 Tagen aus dem umhüllenden Uterusepithel heraus- geschält, jedoch noch von der homogenen Membran umgeben. Die Keimscheibe besteht aus zwei Blättern, das äussere derselben, das Darmdrüsenblatt, wächst in den Zapfen herab, indem es sich an-der Innenläche der homogenen Membran hinabschiebt. Es endet bei © mit scharfem Rande. Die homogene Membran hat bei f einen scharfen Rand, derselbe kleidete den Rand des Napfes aus. Der Theil, welcher in den Napf hineinragte und ihn auskleidete, ist stark zusammen gefallen.

Fig. 76. Querdurchschnitt durch einen Meerschweinchenembryo von etwa 15 Tagen, die Rückenmarksrinne noch weit offen, das Ei hat sich abgeplattet. Am Amnios aus dem mittleren und äusseren Keimblatt «X bestehend, Md Me- dullarplatte, Uw Urwirbel, mK Darmfaserblatt, g Gefässblatt, X „inneres“ Keim- blatt oder Darmdrüsenblatt, A homogene Haut, Zpth Epithelzellen des Uterus,

Q x 28”

4223 V. Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung

- Ch verdickte Stelle des inneren Keimblattes, aus welcher die Chorda m. E. hervor- gehen wird. Vergr. 200.

Fig. 77. Ein feiner Querdurchschnitt eines ähnlichen Embryo, genau über der Chordaanschwellung, 600mal vergrössert. Epth Uterusepithel, A homogene Membran, iX Darmdrüsenblatt, mp Membrana prima, die Medullarplatte, Md, ‘von der Chordaanschwellung trennend. Die Haut scheint einen Ueberzug an das innere Keimblatt abzugeben, doch habe ich denselben nie isolirt dargestellt. In der Originalzeichnung war ein Znsammenhang mancher Zellen der beiden Blätter dargestellt, im Druck ist dieser für die genauere Betrachtung ver- schwunden. Eine Correetur würde so viel unstatthafte Schärfen in das Bild gebracht haben, dass ich unter Hinweis auf das Gesagte den Druck uncorrigirt bestehen lasse.

Fig. 78. Querschnitt des Rückenmarkes von einem Rindsembryo, dessen Alter dem von Fig. 56 entspricht. Der Schnitt umfasst die Gegend des einen Vorderhorns und ist stark ausgepinselt, so dass der grössere Theil der Längs- stränge fortgerissen ist. Die Vergrösserung ist 150fach, doch ward hier wie bei anderen Zeichnungen häufig eine stärkere Vergrösserung zu Hülfe genom- men, um den Sachverhalt richtig zu ermitteln. %%k Halbkreisstratum, vA Vorder- horn. Der Reichthum an Zellenausläufern tritt zwischen a und 5 deutlich hervor. An dem Epithel des Centralkanals ce findet sich ein Beleg Die Radiärfasern lassen sich durch das Mark verfolgen. Die vorderen Wurzeln d scheinen mit ihren Fasern in die Körner einzutreten und von diesen weiter bis zu den Epi- ' thelzellen auszustrahlen, doch gelang es nicht, den Sachverhalt klar darzulegen, e Längsstrang, in Folge des Verfahrens verdrückt und zerrissen.

Fig. 79. Ei des Meerschweinchens 4 Tage alt aus dem Uterus. A. von der Fläche, B. von der Seite gesehen, a die Richtungsbläschen. Vergr. 300.

Fig. S0. Ei des Meerschweinchens 5 Tage alt. A. von der Fläche, B. von der Kante gesehen. «a Körnchen, wahrscheinlich ein vergehendes Richtungs- bläschen. 300mal vergrössert.

Fig. Sl. Ei von 6 Tagen, es hat sich eine Art Keimhügel und Keimhaut gebildet. 300 mal vergrössert.

Fig. S2. Präparate von einem 7 Tage 4 Stunden trächtigen Meer- schweinchen.

A. ein Stück des Uterus der Länge nach gespalten in natürlicher Grösse. a Muscularis, 5 Schleimhaut, c Epithelkanal des Uterus, d bindegewebige De- cidua. In der Mitte derselben ist wieder das Uterusepithel als helle runde Fläche frei gelegt und hier sieht man als feinen schwarzen Punkt, das Ei. Dasselbe tritt jedoch zu deutlich hervor.

B. Der betreffende Theil des Epithels isolirt und bei 250facher Vergrösse- rnng gezeichnet. a Rand des Uterusepithels, 5 Epithelhülle des Eies, ce das Ei, d Mesometrium.

C. Durchschnitt der betreffenden Stelle des Uteruskanals, das Ei heraus- gebrochen. a der obere Rand des Epithelkanals, p Oeffnung, auf welcher das Ei ruhte, ihr gegenüber ein kleines Polster der Epithelschicht.

Fig. 83. Verspätetes Ei von 7 Tagen 14 Stunden am Uteruskanal. a Epi- thelkanal, 5 das Ei in dem ‚.Zapfen“, nicht klar abzugrenzen, ce der Zapfen mit gestricheltem Stiel der Epithelwand ansitzend. }

Fig. S4, 85 u. 56. Dem Uterus eines 7 Tage- 10 Stunden trächtigen Meer- schweinchens entnommen.

und Entwicklung des Kaninchens und Meersehweinchens. 493

Fig. S4. Epithelkanal des Uterus mit Ei isolirt, eirca 5mal vergrössert. d bindegewebige Decidua, soweit dieselbe an der abgewendeten Seite des Epi- thels lag, es ist also die dem Beobachter zugekehrte Hälfte derselben entfernt. a Zapfen, an der Spitze desselben das Ei, f die „Flasche“ des Epithels mit ver- diekter und geknickter Randparthie.

Fig. S5. Durchschnitt durch das vorige Präparat bei etwa 100facher Ver- grösserung gezeichnet. a Uterusepithel, 5 umgebogener Uteruskanal, c Fort- satz an demselben, dessen Structur mir nicht klar ward, wahrscheinlich homogene Hülle des Epithels, d das Ei, e Zellen, auf denen es ruht und welche später den „Napf“ bilden, ‚f Stiel des „Zapfens “.

Fig. S6. Dasselbe Präparat bei 300facher Vergrösserung, von der Fläche gesehen, ehe der Durchsehnitt gemacht ward. Buchstaben wie in 85. g Fort- sätze der Zellen, welche nicht als Drüsenmündungen gedeutet werden dürfen, h ein Zellenwulst, wahrscheinlich frühere Drüsenmündung.

Fig. S7. Eizapfen 8 Tage alt bei 50facher Vergrösserung. In dem Zapfen hat sich Flüssigkeit ausgeschieden. Bezeichnung wie in 85. n eine polster- förmige Vorragung der inneren Zellen des Zapfens in den Hohlraum desselben, aus diesen wird sich der Napf bilden. p Spalte im Uterusepithel, aus welcher das Ei hervortrat.

Fig. SS. Eizapfen S Tage 4 Stunden alt.

A. Epithelkanal des Uterus mit Erweiterung f, und darauf sitzendem Ei- zapfen z, 11/, mal vergrössert.

B. Der Zapfen isolirt, 20mal vergrössert. a das Ei, db der Stiel des Zapfens.

Fig. S9. Feiner Durchschnitt aus dem hinteren Ende der Keimscheibe eines Kaninchens. Dieser Schnitt gehört zu der Serie Fig. 20, Taf. IX und fallt dicht hinter 20B. Man sieht deutlich die Wucherung der Zellen des äusseren Keimblattes a, 5 mittleres, ce inneres Keimblatt. In Bezug auf diese Zellen kann ich kaum glauben, dass sie im frischen Zustande rund seien, wie LIEBERKÜUHN dies: Marburger Sitzungsberichte No. 1 v. d. J. urgirt; auch be- merke ich, dass meine Präparate nicht, wie dort angenommen wird, mit Alkohol in Berührung waren.

Fig. 90. Epithelzellen aus dem Rückenmark mit Radiärfaser. a freies Ende der Zellen, b ein nervöser Faden, welcher rechtwinklig von der Radiär- faser abgeht. 600 mal vergrössert.

Der Musculus „sternalis“.

Von Dr. Karl Bardeleken,

Prosector und Privatdocent in Jena.

Die Beobachtung eines eigenthümlich gestalteten, meines. Wissens in dieser Form noch nicht beschriebenen „Sternalis“ veranlasste mich zu näherem Studium über diesen Muskel, das sich sowohl auf die- Literatur als auch auf die vergleichend-anatomischen Verhältnisse er-- streckte. Die heftige Opposition, welcher meine Angabe über das Ueberschreiten der Medianlinie Seitens des Sternalis bei Ge- legenheit eines von mir in der Jenaer medicinisch-naturwissenschaft-- lichen Gesellschaft gehaltenen Vortrages von vielen Seiten her be- gegnete besonders aber die damals von einer Seite aufgestellte- Behauptung, das Ueberschreiten der Medianlinie sei unmöglich, weil es gegen das „Gesetz von den Antimeren“ verstosse, machen es mir im Interesse der objectiven Forschung, der wissenschaftlichen Wahr-- heit zur unabweisbaren Pflicht, meine eigenen und die aus der Lite--

Erklärung des Holzschnitts auf 8. 422.

ce = clavicula.

stm = sterno-mastoideus.

ps = pectoralis superfieialis (abnorm).

pp = pectoralis profundus (der normale pectoralis). pa = Abdominalzacke des rechten pectoralis.

Std = Sternalis dexter.

Ss = Sternalis sinister.

vRe = vagina recti abd. Die längere, senkrecht verlaufende Linie ist die Medianlinie des Körpers.. Die von der Mittellinie nach links abweichende Linie trennt die beiden Ster- nales von einander, soweit das Uebergreifen einzelner Muskelursprünge über die in Rede stehende Linie es gestattet. (Auf dem Holzschnitt nicht ganz deutlich.)

425

Der Musculus sternalis.

426 Dr. Kırı BARDELEBEN.

ratur entnommenen Beobachtungen zu veröffentlichen, ausser Anderem auch ein für alle Mal nachzuweisen, dass trotz des Gesetzes der Anti- meren der Sternalis in fast einem Viertel der überhaupt in dieser Beziehung mitzurechnenden Fälle (s. u.) die Medianlinie überschreitet. Meine eigenen Beobachtungen vom Sternalis erstrecken sich auf drei Fälle. Den ersten sah ich in Leipzig im December 1872 an einer äusserst musculösen männlichen Leiche; derselbe war einseitig und setzte die Sehne des sternocleidomastoideus bis zur Rectusscheide der- selben Seite fort. Der 2. Fall wurde an der Leiche eines 50 jährigen Mannes (Muskel-Leiche No. 1) auf dem hiesigen Präparirsaal am 29/10. 1874 von mir beobachtet und sogleich in mein anatomisches Notizenbuch eingetragen und abgezeichnet. Derselbe entstand museu- lös von der Rectusscheide der linken Seite in Höhe des 6. Rippen- knorpels, ging 2,5 ctm. breit, fleischig schräg median- und aufwärts, erreichte den linken Rand des sternum in Höhe des 3. Rippenknor- pels, wurde dort sehnig, überschritt in Höhe des 2. Intercostalraumes die Medianlinie und endete in dem Sternalursprung des sternoclei- domastoideus der rechten Seite. Die Länge des ganzen Gebildes be- trug 17 ctm., die der Sehne davon 7,5; deren Breite 0,5 etm. Der Muskel lag selbstverständlich vor dem pectoralis major. Der 3. Fall endlich, s. Fig., rührte von einem jungen, circa 20 Jahre alten Manne her, der sich suieidii causa in der Nähe Jenas von einem Eisenbahnzuge überfahren lies. Der junge Mann besass eine stark entwickelte Muskulatur; leider konnten, abgesehen von der Verstümmelung der Leiche durch die Maschine, aus äusseren Gründen nur einzelne Theile präparirt werden (Muskel-Leiche No. 9 T. Dec. 1874). Das hier zu beschreibende Präparat konnte jedoch der Jenaer anthropotomischen Sammlung erhalten bleiben.

Der Muskel entspringt links mit einigermassen trennbaren sechs fleischigen Bündeln oder Zacken von der Rectusscheide in Höhe des 6. Rippenknorpels medial von der normal von der Rectusscheide kom- menden Portion des pectoralis major; er geht, allmälig schmäler werdend, in schwachem Bogen, dessen Concavität medianwärts ge- richtet, median- und aufwärts, wird, am unteren Rande früher als am oberen, sehnig und geht in das noch näher zu beschreibende, vor dem sternum gelegene Sehnenblatt über.

In ganz ähnlicher Weise, nur in den Dimensionen etwas schwächer, zeigt sich der rechte Muskel, dessen Sehne gleichfalls in das Sehnen- blatt vor dem sternum übergeht, so dass die unteren Ränder der rech- ten und linken Sehne einen nicht ganz symmetrischen mit der Con- cavität nach unten gerichteten Bogen darstellen. Beide Muskeln liegen

Der Musculus sternalis. 427

selbstverständlich vor den Fasern des pectoralis major. Das eben er- wähnte Sehnenblatt, dessen unterer Rand in Höhe des 3. Rippenknor- pels liest, wird gebildet aus den Sehnen der oben beschriebenen beiden abnormen Muskel, sowie dadurch, dass beiderseits Fasern vom pecto- ralis, der in seiner oberen Hälfte enorm stark entwickelt ist und sich dort auch eine Strecke weit in 2 Lagen trennen lässt ungefähr in der Mittellinie sich sehnig vereinigen. Die Muskelfasern des pecto- ralis erreichen nicht nur, was ja schon an und für sich Ausnahme, die Medianlinie, sondern überschreiten dieselbe an einzelnen Stellen bis zu 4 mm. weit, d. h. sie schiessen sozusagen an denen der anderen Seite vorbei, so dass es unmöglich ist, durch eine gerade Linie rech- ten und linken pectoralis zu scheiden. Nach oben zu geht das Seh- nenblatt allmälig in die Bandmassen über, die den oberen Theil des sternum bekleiden, sowie mit dem Ursprung der Sternalsehnen des sternocleidomastoideus in Verbindung stehen. Diese sehnige Vereini- gung der Pectoralis-Fasern, die sich, je weiter nach unten, desto deut- licher, als vor dem sternum gelegenes Sehnenblatt zeigt, hat eine Aus- dehnung von 6 ctm. in der Mittellinie. Von der oberen Grenze des- selben -bis zur incisura semilunaris sterni sind noch 3 ctm., von dem unteren Bogen bis zur Spitze des proc. xiphoideus 9,5 ctm. Die Länge des linken und rechten sternalis von seinem Ursprung an der Rectus- scheide bis zu der Stelle, wo Pectoralis-Fasern an seine Sehne treten, beträgt 10—12 ctm. (der verschiedenen Bündel), die Länge bis zur Mitte (höchster Punkt des Sehnenbogens) 13 ctm., Breite des Muskels links 2,5—3,0—4,0 ctm., Basis horizontal. 5,0 ctm., der rechte sternalis 25— 3,0—3,5, Basis 4, 3. Die Sehne des linken Muskels ist 2,5—4,0 ctm. lang, 1 ctm. breit, die des rechten 2,5 lang, 3—6 mm. breit.

Von der Basis der beiden Muskeln bis zur ersten inscriptio tendinea des Rectus ist rechts und links eine Distanz von 4,0—4,5 ctm., die Distanz der medialen Ränder der beiden sternales von einander an der Basis beträgt 11 ctm.

Von den an das Sehnenblatt sich ansetzenden Fasern des pecto- ralis, die wir als den „Versuch“ zu einem zweiten, vor dem normalen gelegenen pectoralis betrachten können, haben die untersten Bündel eine zu dem sternalis derselben Seite ungefähr senkrechte Rich- tung, während die Fasern des entgegengesetzten sternalis als nur durch die Sehnen der sternales getrennte Fortsetzung derselben er- scheinen.

Die Fascie des pectoralis überzog auch die sternales, die sie scheidenartig einhüllte.

An die Beschreibung dieser von mir selbst beobachteten 3 Fälle

428

Dr. KıRL BARDELEBEN.

schliesse ich in der unten folgenden Tabelle A. diejenigen Fälle in der Literatur an, welche mit einigermassen brauchbaren näheren An- gaben veröffentlicht worden sind.

Die Tabelle A. enthält in der 1. Col. die laufenden Nummern, in der 2. die Nr. des Lit.-Verz., 3. die Beobachter, 4. die Körperseite, 5. u. 6. Ursprung und Ansatz, 7. allgemeiner interessante Bemerkun- gen aus den Originalangaben.

Wo es mir nützlich erschien, habe ich die eigenen Worte der Autoren eitirt, sonst aber kurz ausgezogen resp. übersetzt.

Tabelle A. alas Be | Ze | a Be Ursprung. Ansatz. , Bemerkungen. EB SH . | . Se | 1, 3 Cazrorıus. beide. joberer Theil des 8. (?) Rippe. |instar balthei, | sternum und „long. duas spi- ‚Theil der elavi- thamas, lat. dig. | eula. duos.“ 2| 5 | Ruopıs ? ? „peetorali adhae- ‚dig. medii lati- (HıEron. rens et omnino tudine.“ |SABONIUS). separatus.“ 3 7 | DousLas. ? fleischig von der „into the os pec-,,m. in summo - 1. Rippe. toris under the) thorace situs.“ tendon of the | rectus.“ 4| 8 AnonyMmtus rechts. |„fibris tendin. a| „oblique supra |„fibras eum illis b.DousLas. parte sterni supe- rectum.“ museuli recti rioreferemedia.“ confundens.“ oa ou Puy. | beide. r. „bord inferieur| r. „bord sup£- |,lesdeux muscles du premier os durieur d. 1. VII. pulmonaires sternum.“ cöte.““ manguoient dans l. bord inferieur, 1. ebenda. ce sujet.‘“ du cartil. d.1. II. cöte.“ 6 | 12 WEIT- beide. „ex osse summo ‚„inscript. I. recti 3 dig.lat., unum BRECHT. sterni communi maxima parte.“ crass., fibras ser- aponeurosi.‘“ rati ant. decus- sans.“ 7|14 |pEraAFure. links. „par un tendon „confond: avec [figure ovale tres- assez long le muscle obl. | allongee, cou- attache au ster- ext.“ vrant le pect. num.“ maj. Verbindung mit | sternocleidoma- stoideus. 8| 15 Wiırpe. | beide. neben proc. xi-| Uebergang in Mann. phoid. sternocleidoma- stoideus. 9 |18.19|v. Harıer.| links. | cost. IV (V?) sternum.

- Der Musculus sternalis. 429 Ze Er er Paper Ursprung. Ansatz. Bemerkungen. Eis | 10 | 20 BOER- ? v. rect. abdom. 3. Rippe. Fortsetzung des HAAVE. | rectus. „In cor- | pore juven. gi- | ganteod.“ 11 | 20 links. v. sternum u. 7.| parti superiori |,pectoralis uter- Rippenknorpel. |sterni infra ini-que erat validis- tium sternoclei- simus. | domastoidei. ”72| = beide. rechts 5. Rippen- sternum, sterno-| Mehrfache zu- knorpel, ster- | cleidomastoi- | sammenfliessen- num, 7. Rippe, deus. de Ursprünge, 'Aponeurose des sowie Theilung | obl. abd. der Ansatzseh- nen in Zipfel. links portio ten- „membrana pec- weit kleiner als dinea des rech-| toralem in- rechts. ten abnormen vestienti.“ | Muskels. 13 | 23 | HUBER. | rechts. „a supremo ster- 5.Rippenknorpel; 11jähriges Mäd- no atque a costa „decussabat infi-, chen, „ein Hei- suprema.“ mas fibras mu- denkind, ex eo sculi pectoralis, |genere erronum, ante hunc ince- quosCingarosseu ‚dens, inparteejus Aegyptios vo- infima, quaecumcant. Musculus miscebatur, seil.vix digitum la- | terminabatur.“ tus.“ 14 | 24 Bov- beide. vom sternoclei-| rect. abd. (?) | „jusqu’aux mu- RIENNE. , domastoideus, seles droits du bas. , beiderseits ge- ventre, ou les trennt. fibres se confon- doient (?) sans aucune apparen- ce d’intersection tendineuse.““ 15 | 25 | Porrar. | beide. beiderseits vom| rect. abd. (?) |„divises comme sternocleidoma- ; ‚les muscles droits stoideus. par deux Enerva- tions tendineux.“

On 27 Bonn. ? sehnig vom 3. | 6. Rippe nahe Aethioper.

Rippenknorpel. | dem Knorpel.

120130 ALBIN. ? 6. u. 7. Rippen-| „ossi pectoris, ungefähr 2 Fin- 'knorpel, Aponeu- etiam conjuncetus ger breit. rose des obl. ext.| cum prineipio | peectoralis.‘“

2182132 IsEn- beide. | rechts Rectus- beiderseits beide Muskeln FLAMM. scheide, Höhe | Uebergang in |hingen vor dem

des 5. Rippen- | sternocleidoma- | sternum durch

knorpels, links stoideus. eine Sehnenhaut

Gegend des 4. Rippenknorpels nahe dem ster-

num.

| zusammen.

> (dt (em)

Dr. Kırı BARDELEBEN.

No.

des Falles

Beob- achter.

ı Körper- seite.

Ursprung.

Ansatz.

ı Bemerkungen.

* - co o [94]

20 | 36

a BU

22 | 41

3A

24 |

RosEn- MÜLLER.

| | |

BRUGNONE. | |

|

| ÜROUZET.

LoscHGE.

KeELcH.

beide.

links.

rechts.

rechts.

rechts.

links.

'rechts 2 Bündel, ‚beide „a mem- brana sternum tegente“, ein \ Bündel in der | Gegend des 6. Rippenknorpels eins in der des 5. entspringend, ‚links Gegend des 5. Rippenknor- | pels. 1) oberer Theil | des sternum. 2) oberes Drittel \ desselben.

|

4 Bündel: 1) u. 2) ähnlich Nr. 20. 3) von Aponeu- \rose des obl., den Rippenknorpeln der 4. u. 5. Rippe gegenüber. '4) lateral. Partie‘ des sternum.

Handgriff des Brustbeins, Zu- sammenhang mit sternocleidoma-

stoideus. Verbindung mit sternocleidoma- stoideus durch Sehne, die sich an dem Brust- bein in der Ge- gend des 2. Rip- penknorpels be- festigt und pecto- ralis major zum

Ansatz dient. Verbindung mit sternocleidoma-

stoideus.

„evanescebant sub cute versus regionem carti- lag. cost. II.“

ähnlich dem rechten.

1) 8. Rippe. 2) 6. Rippen- knorpel.

1) vereinigt sich mit Fasern des pectoralis der an- deren und der- selben Seite, so- wie mit 2). 1u.2 wie No. 20; 3 u. 4 vereinigen sich sehnig, stei- gen zum oberen Rand der 2. Rip- pe, bilden eine Sehne, die sich mit der von 1 u.) 2 vereinigt.

6. u. 7. Rippen-, knorpel.

durch dünne seh- nigte Membran Zusammenhang mit Aponeurose des obl. ext.

5. Rippen- knorpel.

„puella satis robusta.“

alter Mann. Muskel dop- pelt.

fettes Weib.

60jähr. Frau.

Mann. Keine Verbindung mit Bauch-Muskeln. Sternalsehnen des sternocleido- mastoideus mit einander durch eine Sehne ver-

bunden.

Der Musculus sternalis. 431 E Ke | zE 2 sehten. a Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. [ee] sa | | = | A Mi | 25 43 | KercH. | beide. | rechts von der 6.Rippenknorpel. Weib. Sehne des linken sternocleidoma- | stoideus. | links vom Ster- 6.Rippenknorpel. 'num-Rand, Ge- 'sendder3. Rippe. 26 | 45 Orrto. | rechts. Gelenkkapsel des 5.Rippenknorpel. Fran. 'Sternalendes der elavieula. 27 I —_ links. 2. Rippe. 6. Rippe. Mann. 2383| links. | ıbid. ibid. kleines Mädchen.. 29 | = links. nahe der Schlüs- 5.Rippenknorpel. Mann. 'selbein. Verbin- ı dung mit dem ‚Ende des sterno- | eleidomastoi- | deus. | Otto bemerkt ferner: linker rectus abdominis: | lief 1 Mal bis 4.. | | Rippe. 30 | 46 _ rechts. [starke Sehne, die weibliche, aber- mitbeiden ster- muskelstarke nocleidomastoi- Leiche. | dei sich ver- band. 31 | 47 JR. „Fortsetzung des bis zur 4. Rippe. MEcKEL. rectus.“ | a - _ | idem. idem. 3 | idem. bis zur 3. Rippe. 34 | ı 7. Rippe. manubrium | sternl. 35 | 49 = rechts. Basis des 6. Rip- theilweise manu-| Kind. Muskel ı penknorpels. brium sterni, | 1/, Zoll breit. theilweise ver- webt mit sterno- cleidomastoi- deus. *36 | 54 beide. rechts 6. Rippen- das äussere |Neger: rechts

knorpel.

Bündel verliert sich im Zellge- webe der Haut auf der 3. Rippe, das innere Bündel über- schreitet die Mittellinie und endist links am „unteren En- de des obersten Brustbeins“.

dünn kaum 1 Linie breit, oben und unten lange-

Sehne.

432 Dr. KARL BARDELEBEN. 285 | SE Fr Sie er Ursprung. Ansatz. Bemerkungen. a\Z2H ; ; | 3|°3 | | links vom 7. Rip- verläuft an die 2. penknorpel 1/5” Rippe über das, ' vom Sternum- | sternum nach rande. rechts, geht | ‚durch die obere Sehne in ein Bündel des rech-, ten pectoralis | major über. Verbindung mit lınkem pecto- ralis. *37 | 54 Vaads beide. wie 36. wie 36. Neger. MEcKEL. | „Derselbe.“ 38 | 61 LaAvTH. ‚Verbindung mit an Rippenknor- | „mehrmals“ sternocleidoma- |peln und Rectus- beobachtet. stoideus und mit scheide. Bündeln des pe- ctoralis major. 39 | 70 | HALLET. festes Band vom Rectusscheide. „14 Horm.c 3.Rippenknorpel. 40 | rechts. obere rechte Sei-|mitdrei sehnigen „2. Form.“ 4 (nach ]). te des Brustbeins Bündeln von dem lang, 11/5‘ breit. ‚mit Fasern des | 4.—6. Rippen- ‚pectoralis major./knorpel der lın- | ken Seite. 41| _ mit 3 Köpfen: | Rippenknorpel, | Nervenzweige vom Anheftungs- Bauch - Aponeu- | von Nn. inter- ‚punkt des sterno- rose, proc. ensi- costal. 3, 4 u. 5. cleidomastoideus| form., Rectus- am Brustbein; | Scheide. manubrium ster-, ni; Brustbein, Höhe des 3. Rip- penknorpels. AB ein- |nicht näher be- 78jähr. Mann; seitig. schrieben. alle anderen Re- spirationsmus- keln fettig ent- artet, der sterna- lis durch rothe ‚Farbe und kräf- tige Entwicklung ausgezeichnet. 43 | 74 | W. GRv- | beide. | Mit 1—5 flei- | vord. Fl. oder | Form: platt, bis BER. 9 Mal, schigen oder apo-, Seitenrand des meist länglich, 61 “| neur. Zacken | sternum, von (dreieckig (6/7. d. rechts. |\yom 3.— 8. Rip-' Mitte seiner F.), selten 6 Mal. | penknorpel. | Höhe bis Mitte | schmal, band- links. Von der Rectus-| des manubrium förmig oderplatt, 4 Mal. scheide. und an den En- breit, spindel- V. Brustbein, |den der 2. u. 3.| förmig. (besond. Rand). | Rippenknorpel. V. pect. ma). (9 Mal.)

Der Musculus sternalis.

433

No.

des Falles.

No. des Lit.-Verz.

Beob- achter.

Körper-

seite.

s Ursprung.

Ansatz. Bemerkungen,

{er} ID

75

77

DEnvc£.

SCHWEGL.-

links.

der vag. recti

l/, der Fälle von dieser mit einer Zaacke und noch 1—4 Zacken von anderen Stellen. !/, der Fälle mit 1—4 Zacken von den angegebenen Orten mit Aus- schluss der vag. recti.

|

I/, der Fälle von

allein; in noch

| Oder:

von man. sterni kommende Por- | tion beider mu-

caudatus) setzt

major. Meistens aber

Oder: mit ei- Länge: (bei Er- nem Bündel am) wachsenen) von oberen Brust- 81/,—27 etm. (In- ı beinkörperende, 'sertionssehne da- ‚mit dem anderen von 2—71/, etm.). in den gegen- Breite: ‚seitigen pecto- Grundfläche: ralis (2 Mal). |13—14 mm. bis Oder: Setzt 7 ,ctm. sich mit breiter) Insertionssehne: , Sehne nur in 2— 28 mm. ı den gegensei- |l Fall nur 3— tigen pectoralis | 3!/, mm. breit. ‘(1 Mal) fort. |Fleischtheil. Bei heftet | Kindern (2 F.) sich mit seiner |4—51/, etm. lang Sehne an eine |(Insertionssehne breite Apon. an, 7—18S mm.), welche die sonst/breit: 5—14 mm. am Fleischtheil, bis 21), mm. an der Sehne. Lage: immer auf dem pecto- ralis major oder dem sternum, überschreitet mit seinem late- ralen Rande nie die Verbindung

sculi pectorales vereinist. (1 Mal). Oder: (als bi-

sich mit der Sehne der innern Portion an die

ı Verbindung des | des knöchernen

Körpers mit dem und knorpeligen manubr., mit | Theils der Rip- der der äussern, pen. Portion endigt Verlauf: meist er in der Fascie,bogen- oder bis- des pectoralis weilen S-förmig, (1 Mal.) der coneave Rand medianwärts, der convexe lateral- wärts. Aus- nahmsweise gerade aufwärts.

(14 Mal) verlän- gert er sich in den Sternalkopf| des st.-el.-mast.

4. u. 5. Rippen- | knorpel.

von einer oder mehreren Rippen innerhalb der 2.—. Rippe.

len, z. B.1. Rıppe, Brustbein, elavie., BRECHT, SUESs, | Zusammenhang | Boxx, PORTAL, der muskul. Bün- SANDIFoRT be- ‚del mit st.cl.mst.,| schr. Varietä- mit pect. maj. u. ten; also min- ‚mitobliqu.ext.(?).destens 7 Fälle!

sternocleidoma- ,‚Ce muscle est stoideus. | normal chez le singe.“ (sic!)

von einer oder mehrere Fälle, in mehreren Stel- 'allen von Augıs, ı HALLER, WEIT-

434 Dr. Kırı BARDELEBEN. &| ns | | el n | | zE Nr 2 Forner) Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen. 171 35 395 64 | 78 |J. Bungee. rechts. En untern Ran-| schmale Sehne, de und vordern | die nach rechts Fläche, sowie mit und links sich einem sehnigen theilend, mit Zipfel von der Fleischbündeln vorderen Fläche, beider pectora- des Knorpels der) les zusammen- 6. Rippe. hängt. *65| 79 Har- beide. | beiderseits mit | gemeinsames | muskulöse Frau BERTSMA. je 2 Portionen | Sehnenblatt vor | von 53 Jahren, (einer medialen [dem öbern Theil|beiderseits 2 Por- und lateralen): | des sternum, |tionen, die sich laterale Portion:;welches die bei-Jan den Insertio- rechts v.5.Rippe,|den sternocleido-| nen vereinigen; links v. 4. Rippe. mastoidei ver- | beide Muskeln mediale Portion: bindet. ziemlich gleich rechts v. 5. u. 6. und symme- Rippenknorpel, trisch. Grösste links v. 4.—6. Breite 6 cm., Rippenknorpel, Länge 20 cm., ausserdem Rec- Dicke !/, cm., tusscheide. beiderseits ent- | springt der | grösste Theil der | portio sterno- costalis des pectoralis nicht vom sternum, sondern in einer Entfernung von 1l/o,.3, 41/, ctm. lateral von den fov. artie. Die Portio abdomi- nalis stark ent- wickelt. 66 | 81 | Carorı. | rechts. sehnig von dem Aus einem lan- | 80jährige Frau. manubrium gen, platten C.bezeichnet den sterni und theil- Muskelbauche Muskel als ‚‚mu- weise von den entstehen 4kurze seulo inspiratore Ursprungsseh- Sehnen, die sich sopranume- nen der beiden an den oberen rario“. sternocleidoma- |Rand des 3.— 6. stoidei. Rippenknorpels, nahe dem rech- ten Sternal-Rand ansetzen. 67 | 83 | TURNER. 5 rechts. Zusammenhang | in 3 Fällen |21 Fälle: davon bis 2 links. | mit Aponeurose |Sehne verbunden) 7 männl., 11 87 5 „eros- | des obliquus in [mit der vorderen| weibl. Leichen, sed.“ 12 Fällen. |Fläche des ster-|bei 3 Geschlecht °/9 beide. „additional num. 8 MalZu-| nicht ange- attachment“ zursammenhangmit geben. | Seite des ster- |einem oder bei-| Beim beidersel- ı num nahe dem | den st.-cel.-m. | tigen Vorkom-

Der Musculus sternalis.

435 Se SR > eoD- OTper- = ne | = zE s” een ee Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. Al de / 4.Rippenknorpel- 2 Mal Ver- Iren (9 Mal) wa- Gelenkin einem/mischung (blen- ren die Ursprün- Falle. Vom 5.| ded) mit den \ge stets getrennt,

Zeitschrift f. Anatomie.

Ba. I.

u. 6. Rippenknor- pel nahe .der In- sertion des rec- tus: 6 Mal. 1 Mal von’ dem knöchernen Theil d. 6. Rippe. 1 Mal vom 7. Rippenknorpel. 1Malvonden de- cussating fibres vor dem unteren Ende des ster- num. 1 Mal grossen- theils von der Aponeurose des obliquus; ausser- dem vom 5. un 6. Rippenknorpel nahe ihren Ster- nalenden.

oberen Sternal- 3 Mal blieben die fasern des pect. Muskeln der bei-

In 4 Fällen | den Seiten ge- theils in sterno- trennt, während cleidomastoideus in 6 Fällen die endend, theils | Insertionssehne

am sternum. jedes Paares mit

In 1 Falle jeinander das ma- theilweise in der nubrium bedeck- Substanz des lin- te, und (ausge- ken pectoralis in nommen 2 Fälle) Höhe der 2. Rip- mit dem sterno- pe,theilweise vor, mastoideus zu-

dem manubrium, theilweise in den linken sternoclei- domastoideus. Einmal beider- seits an der Vor- derfläche des ma- nubrium sterni, theilweise in den linken sternoclei- ı domastoideus. Einmal beider- ‚seits an der Vor- derfläche des ma- nubrium und an den Fasern des

pectoralis in ‚Höhe des 2. u. 3. Rippenknorpels. Einmal (ein- seitig) ging das eine Bündel (in- nere) mit 2 rund- lichen Sehnen zum rechten sternomastoideus unter Entsen- dung eines Aus-

Bündel ober-

läufers zum ma- nubrium, wäh- | rend das äussere

sammenhingen. In dem Falle, wo der Muskel von der 5.—6. Rippe entsprang, durch- bohrte er schräg den pectoralis. In 2 Fällen lösten sich Mus- kelbündel ab und verbanden sich mit dem pecto- ralis. Nie. beobachtete TURNER Conti- nuität mit reetus abdominis, nie inseript. tendi- neae. Mehrere Male bestanden gleichzeitig Ano- malien des pecto- ralis major.

flächlich in dem! ob. Theil d. Pect. Aponeur. endete. Einmal (beider- | seitig) war die obere Sehne ganz von der Apon. des pect. bedeckt. | 29

DR. KARL BARDELEBEN.

Ursprung.

Ansatz.

| Bemerkungen.

436 als 8 s=|=2 | Beob- |Körper- Z=ıs.| achter. seite. za zZ a HA | 88 | 85 | TURNER. | beide. 89 | rechts. 90 | 86 —_ beide. 91 188.389) MacaA- 2 Mal. bis LISTER. | beide. 101 8 rechts. 1 links. 102,| 92 Woop. | rechts.

bandartig von

der5. Rippe,dicht neben dem Ur- sprung des Ser- rat. ant. maj. Verbindung mit den Interossei; von der 4. Rippe ein 2. Ursprung.

von der 4. Rippe 2‘ ]Jateral von dem Innenende.

knöcherner Theil des oberen Ran- des der 4. u. 3. Rippe und äusse- re Fläche der 2.

Rippe mit ge- trennten Zacken. Gewöhnlich am unteren Rande des Manubrium.

Sehne des sterno- mastoideus vom

bis zur 1. Rippe, dicht neben sub- elavius.

knöcherner Theil der 1. Rippe,

3/4‘ lateral vom subelavius.

1. Rippe, nahe

dem Ansatze des

Scalen. ant., von ihm getrennt

durch Vena sub-

celavıa.

am oberen Rande des 4+.—6. Rip- penknorpels.

| sehnig von der fleischig auf der

Fascie, welche die Muskel-

manubrium ster- scheide d. rect. u. ni und Fascie des obl. ext. bedeckt.

cc

„rectus thoracis TURNER. Lon- gitudinal auf der Aussenfläche der oberen wahren Rippe und unter (beneath) dem pectoralis. Mann. 6” lang, 5/g‘‘ breit.

unter dem pe- ctoralis minor.

„under cover of the pectoralis major.‘ Weib, flacher Muskel, vertical aufstei- gend.

In keinem der Fälle, wo er breit und fleischig war, Verbindung mit ı sternocleidoma- 'stoideus. Länge | 3 6, Breite 1) BOY Ga

Nie Inscript. | tendin. Der Muskel lag im- mer vor pectora- \ lis major. (95) 1. e. 8. 454 bemerkt dagegen

MACALISTER: rectus abdominis geht manchmal bis zur 4. Rippe, |tiefer (internal) ‚als der pectoralis major. Dies ‚scheint ihm eine ‚Andeutung, Ver- |such (attempt) eines rectus ster- nalis zu sein.

masc. M. gut entwickelt. 31/9‘ lang.

pectoralis major.|

437

Der Musculus sternalis.

lnN 10 © . A ze A De un Ursprung. | Ansatz. Bemerkungen. & Zi = | 103) 92 Woo». | rechts. sehnig vom ma-|Rectusscheide infem. Keine Ver- nubrium sterni, |Höhe des 6. Rip-bindung mit st.- gegenüber der | penknorpels. |mast., schlanker 2. Rippe. M.-Bauch all, lang, 3/4” breit. 104 —. _ 1 Mal » ? Im Ganzen beob- bis beide. achtete Woop 108 3 rechts. also 7 Fälle, wo- 1 links, von 5 Männer und 2 Frauen. *109| *%) | Lanpoıs. | beide. |rechts sehnig mit| Vereinigung in | Muskel beider- 2Zipfeln gemein-| der Mittellinie |seitig von der 5. sam mit dem Ur-zueinem Sehnen-| Rippe an flei-. sprung des pe- bogen, an den | schig; Breite ctoralis. Fasern vom rech- links 3/4, links sehnig von| ten und linken | rechts 1/,” Ab- dem die Basis |pectoralis treten,| stand des Mus- des proe. xiph. während der kels von der und das Ende | Muskel gleich- | Mittellinie 1/5“. des corpus sternijzeitig nach oben bedeckenden mit der Ur- Sehnenstreifen, |sprungssehne des sowie von der | linken st.-mast. Reetusscheide. | zusammenhängt. 110 = links. fleischig von dem sehnig im sterno- platt, fingerbreit, 2.—4. Rippen- cleidomastoi- | auf der linken knorpel. deus. Sternumhälfte Rippenknorpel mit bedeckend. Da, wo er liegt, fehlt die ent- sprechende fin- gerbreite Strecke des pe- etoralis, der dort also das sternum nicht erreicht. 11 | _ ein- in sternocleido- seitig. mastoideus. *112) 96 _ Enters. | beide. [rechts 6. Rippen-'rechts mit brei-, unsymmetrisch. knorpel. ter Sehne in der Fascie des pecto- ralis,. mit einer vom medialen Rand abgezw. dünnen Sehne zum sternoclei- domastoideus. | links Fascie des| links Mitte des pectoralis, Nähe manubrium ster- des untern Ran- ni nahe dessen | des desselben. | oberem Rande.

*) Die drei Fälle 109 bis 111 verdanke ich einer Privatmittheilung des Herın Professor LawDo1s

29*

438 Dr. Kırı BARDELEBEN. E& En ne Ursprung. Ansatz. | Bemerkungen. un ri AuE 113) 96 BereMmann.| beide. [rechts 6. Rippen-rechts 3. Rippen-| Kreuzung. knorpel rechts. | knorpel links. links 6. Rippen-|links 3. Rippen- knorpel links. | knorpel rechts. 114| | Merker. | beide. | medialer Rand [gemeinsame Seh-| Kreuzungsstelle: des pectoralis. ne vor dem obern.der Sehnen war Rande des ster-, durch lockeres num, aus der der Bindegewebe an sternomastoi- | das Brustbein deus entsprang.| befestigt. Vom lateralen Rande des rechten, wie vom medialen Rande des linken sternalis zweigte sich ein schmales Bündel ab, jenes. in die Fascie d. gleichseitigen pectoralis, dieses in die Beinhaut des Brustbeins sich inserirend. 115| | HeExLE. | rechts. | Rectusscheide Imusculös zu den] 2 mm. breite rechts. von der 2. Rippe Mittelsehne, die stammenden Fa-| im Bogen vor sern des linken | dem Brustbein pectoralis. hinwegging. 116) 98 BB: beide. ? ? „very muscular' PERRINn. | male“; nähere Angaben fehlen. *117| 100 | - Cuup- beide. |von einer aus der rechts 3. Rippen-| Liegt zwischen ZINSKI. Verschmelzung |knorpel, links 5.den beiden mus- der beiden Seh-| Rippenknorpel. | ceuli pectorales nen des sterno- majores, „dont cleidomastoideus, les tibres les plus. gebildeten Seh- superieures s’at- ne, die sich in tachent sur les Höhe der 2.Rippe cötes de la par- in zwei Muskel tie superieure du theilte. tendon du muscle presternal.“ 118 K. Barpe- | eins. | Rectusscheide. | sternocleidoma- LEBEN. stoideus. 119 _ links. | Rectusscheide recht. sternoclei- R links. domastoideus. 120 beide. Rectusscheide. Sehnenblatt vor demsternum, das ı mit den Fasern ‚beider pectorales zusammenhängt.

® Die in Tabelle A. mit einem Stern (*) versehenen Fälle (5, 12, 18, 19, 25, 36, 37, 65, 109, 112, 117) sind beiderseitig, aber unsymmetrisch.

Der Musculus sternalis.

Zur Erleichterung der Uebersicht folge hier:

Tabelle B.

Beobachter. sternum. CABROLIUS. |oberer Theil. Douvstas. .ÄNONYMUSs. sup. med. fr premier os. ou Pvy. \ E WEITBRECHT. | ex osse sum- mo sterni. DE LA FAYE. P) WILDE. neben proc. xiph. HALLER. BOERHAVE. pars sup. sternl. (i& = lı. HUBER. a supremo i sterno. BOURIENNE. PorTaLr. Bonn. ALBIN. —_ ISENFLAMM. \ no membrana ROSENMÜLLER. \ sternum teg. l. ? BRUGNONE oberer Thelıi. (doppelt). Jjoberes Drittel. CROUZET (4 fach). LoscHG6e. manubrium. KErcH. _ (5 ı. OTTO.

Rippen.

sfP). ie Dar Kopl.

2. Kpl. 1.7. Kpl.

4. (5.) 3.

7. Kpl.

5. Kpl. Tl.

ie 5. Rkpl.

3. Kpl. 6. 6.u.7. Kpl. 4 Kpl. (?)

8. 6. Kpl.

.7.Kpl.

. Kpl. . Kpl.

5 6 6. Kpl. 5. Kpl.

2. 6. 2. 6.

elavi- cula.

st.-cl.-

mast.

pecto- ralis.

Fascie des

pectoralis.

439

Aponeur.d. oblig. oder Rect.-Sch.

rectus. Haut.

Gelenk- kapsel.

In den Rubriken ist durch Striche (—) oder, wo es wünschenswerth schien, durch nähere Bezeichnung ange- geben, mit welchen Theilen der betreffende Fall in Zusammenhang stand.

440 Dr. Karı BARDELEREN.

un er N 1. Beobachter. sternum. Rippen. 3 & Be 29 OTTo. | 5. Kpl. 30 _ —_ 31 MEcKEL. 4. 32 4, 33 3: 34 manubrium. 7% 35 —_ 6. Kpl. _ 36 fe l. manu- | 6.Kpl. und brium. —- 37 ü 7. Kpl el 38 LAUTH. Kpl. _ _ 39 HALLETT. 3. Kpl. _ 40 = 4.—6. Kpl. = manubrium 41 _ und Kpln. _ _ proe. xiph. 43 . 3.—8. Kpl at bıs GRUBER. { 12 mal. _ allein 61 a 14mal.|3mal. |u.and. 62 DENUc£. 4.u.5.Kpl. _ 64 BUDgeE. 6. Kpl. = T lat. Seh- 5. = 65 | HALBERTSMA. I nen- r u. 6. 1. med.) blatt, 6 Kpı. & 66 | CALORI. manubrium. /3.—6. Kpl. = 67 U. 2 mal. 15.—-6. Kpl. \ 6.R. bis TURNER. | 7 K ] 13 mal. —_ 87 \eeKpl: J. 11 mal. 15mal. 4mal.| 88 TURNER. v.5.u.4 zur I. 89- _ v. 4. zur 1. 90 4.8.2.2. 1. 102 Woon». manubrium. —_ ? 103 manubrium. ? > T. jSehnen- U a 109 Lanpois. streifen - 17 nn ? l (I st. ha U. 110 - 2.—4. Kpl er 111 —_ no | U. 6. Kpl: J. 112 EHLERS. | J. manubr. 1 | U. 113 | BereMmaAnn. en (kreuzweise.) | 114 MERKEL. periost. u an 115 HENLE. Tu = 117 | Onunzusser. |} L 5 Ki U = 118 [K. BARDELEBEN. a 119 —_ | _ 120 | _

Die in Tabelle B. gebrauchten Abkürzungen bedürfen wohl erst keiner weiteren Erklärung, U. ist für Ur- sprung, I. für Insertion gesetzt, Ein horizontaler Strich bedeutet eine Anheftung an den betreffenden Theil; die Zahlen in der Colonne „Rippe“ sind Ordnungszahlen, also 3, = dritte Rippe.

Der Musculus sternalis. 441

Aus diesen Tabellen lassen sich eine Menge interessanter und wichtiger Resultate entnehmen. Was zunächst die Betheiligung der Geschlechter an dem Vorkommen des sternalis betrifft, so finden wir unter den 52 Fällen, wo das Geschlecht angegeben, 27 Männer und 25 Weiber, also, falls wir voraussetzen dürften, dass in den nicht an- gegebenen Fällen ein gleiches Verhältniss obgewaltet hätte, und wenn wir ferner annehmen dürften, dass überhaupt männliche und weibliche Leichen in gleicher Anzahl zur Untersuchung gekommen sind, eine ziemlich gleich starke Betheiligung beider Geschlechter. Nun dürfen wir aber meines Erachtens keine der beiden Voraus- setzungen pure annehmen; es ist höchst wahrscheinlich, dass die grosse Mehrzahl der Fälle, wo kein Geschlecht angegeben ist, Männer waren, dass also die Zahl der an solchen gemachten Beobachtungen sich absolut höher, als die an Weibern stellen dürften anderseits ist aber nicht zu vergessen, dass überall mehr männliche Cadaver als weibliche seeirt werden, und somit glaube ich, dürfte sich aus der absoluten Mehrzahl schliesslich doch eine relativ gleiche Zahl für beide Geschlechter ergeben. 5 Fälle stammen von Kindern (13, 28, 35, 43 bis 61 2 Fälle).

Sehr interessant ist das relativ sehr häufige Vorkommen des sternalis bei aussereuropäischen, resp. nichtkaukasischen Racen. Wir haben hier die sehr beträchtliche Zahl von 5 Fällen, die in Hinsicht ‚auf die ausserordentliche Seltenheit der Section eines Nicht - Kau- kasiers bei uns zum Nachdenken auffordert und auch schon MECKEL zu Reflexionen veranlasst hat. Dieser sah selber den sternalis bei 2 Negern (Fall 36 und 37), was ihn zu der theilweise recht unwissen- schaftlichen Bemerkung veranlasste (Lit.-Verz. No. 54, S. 234): „so scheint er, nach den erwähnten Thatsachen zu schliessen, beim Neger häufiger vorzukommen, als beim Europäer, was insofern nicht un- wichtig wäre, als dieser Muskel offenbar, wenn er gleich über dem Brustmuskel liegt, eine Andeutung des bei den meisten Thieren Statt findenden Hinaufreichens des geraden Bauchmuskels bis zu den oberen Rippen ist.“ Weiter unten werden wir sehen, dass die MEcker’schen Fälle 36 und 37 mit dem rectus abdominis absolut gar nichts zu thun haben, dass aber vielleicht, in allerdings ganz anderer Weise, der dieser MECKEL’schen Aeusserung zu Grunde liegende Gedanke der Thierähnlichkeit aufrecht erhalten werden kann.

Fall 13 betrifft ein Zigeunerkind („ex eo genere erronum, quos Cingaros seu Aegytios vocant“). Die Zigeuner mögen nun sein, was sie wollen, höchst wahrscheinlich kann man sie in einer später näher zu erläuternden Weise als eine den Thieren „näher stehende“ Race

442 Dr. KARL BARDELEBEN.

betrachten. Bonn’s Fall rührte von einem Aethiopen her, nähere Angaben, als die in der Tabelle vermerkten, fehlen, s. SANDIFORT, Lit.-Verz. No. 27, S. 82 fl. Aus neuerer Zeit stammt der Fall von CHuDzinskı (Lit.-Verz. No. 100), von einer nögresse d’Angola, die gleichzeitig ein abnormes 3. Bündel des sternocleidomastoideus hatte.

Ob wir schon jetzt berechtigt sind, Unterschiede in der Häufig- keit von Muskel-Varietäten überhaupt, wie speciell unseres sternalis, bei den verschiedenen Hauptstämmen der Indogermanen: der Celten, Germanen, Slaven und Romanen zu statuiren, erscheint mir in An- betracht des an sich hierfür zu geringfügigen Materials und besonders wegen des häufigen Fehlens einer Angabe über die Gesammtzahl der zur Untersuchung gekommenen Leichen durchaus zweifelhaft. MacaA- LISTER (Lit.-Verz. No. 90) wollte Unterschiede in den Angaben von GRUBER (Slaven), Woop in London (Germanen) und seine eigenen in Dublin (Celten) gefunden haben aber abgesehen davon, dass gewiss keiner der drei genannten Forscher nur Leichen von der be- treffenden Race unter den Händen gehabt haben mag, sind auch die dort angeführten Zahlen alle zu klein, um daraus eine Statistik machen zu können. Bei unserem sternalis ist dies aber erst recht der Fall; nicht einmal für die verschiedenen Formen desselben (cf. u.) wage ich ein definitives Häufigkeitsverhältniss. anzugeben, noch viel weniger kann ich dies thun in Bezug auf das Vorkommen bei verschiedenen Völkern, da hier weder Zähler noch Nenner des Bruches auch nur mit annähernder Sicherheit bestimmt werden kann.

Wenn ich nun näher auf das specielle Verhalten des sternalis, zunächst die Frage nach der Vertheilung auf die Körperseiten, ein- gehe, so ergiebt Tabelle A, dass der Muskel unter 102 mit hierauf bezüglichen Angaben versehenen Fällen:

rechts in 36 F. links in 20 E. beiderseits in 43 FE.

einseitig (ohne nähere Angabe) in 3 Fällen vorkam. In nicht weniger als 18 Fällen überschritt derselbe entweder nur von einer Seite her. oder auch von beiden Seiten her kreuzend die Medianlinie. Vielleicht müssen wir, wenn wir diesen Punkt ganz streng auffassen, 3 Fälle, nämlich 64 (Bunge), 65 (HALBERTSMA) und 120 (mein letzter Fall) aussondern, wo das Ueberschreiten der Medianlinie ebenso als eine Vereinigung in einem unpaaren, vor dem sternum gelegenen, Sehnen- blatte aufgefasst werden kann; anderseits fand aber auch wohl in dem einen Falle von GRUBER, 44 bis 62 unter: „Ansatz“ alinea 4

Der Musculus sternalis. 443

(m. bicaudatus), sowie in dem Falle von CArorr (67) ein Ueber- schreiten der Medianlinie statt.

Einseitig, aber doppelt, ist Fall 20, einseitig und 4fach Fall 21. Das bei unserem Muskel so relativ häufige Ueberschreiten der Median- linie steht in der ganzen Morphologie so einzig da, dass es nicht zu verwundern ist, wenn man, ohne einen derartigen Fall gesehen zu haben, gestützt auf das Gesetz der Antimerie (Homotypie) der Körper- hälften, die Möglichkeit eines derartigen Vorkommens überhaupt in Abrede stellen konnte. Nun, dass das Ueberschreiten der Medianlinie Seitens unseres Muskels nicht nur möglich, sondern in mindestens 15 Fällen bereits beobachtet worden ist, zeigt ein Blick auf die Tabelle (ef. No. 25, 86, 37, 41, 48 bis 61 2 Fälle, 68 bis 88 5 Fälle, 114— 116, 120). Und stände mir auch nicht die grosse Anzahl fremder Beobachtungen zur Seite, so würde mir doch schon mein eigener Fall (119), für den ich Herrn Prof. SCHWALBE in ‘Jena als Augenzeugen anführen kann, genügen, um eine Ausnahme von dem Gesetze der Antimerie zu statuiren und wenn von anderer Seite ein derartiges Gesetz als ausnahme-unfähig, analog einem mathematisch -physika- lischen, hingestellt wird, das „Gesetz“ als von wirklich beobachteten Thatsachen für durchbrochen ober umgestossen zu erklären.

Bei näherer Betrachtung der von mir in den Tabellen möglichst kurz und präcis angegebenen Ursprungs- und Ansatzstellen des Mus- kels, sowie aus den (unter „Bemerkungen‘) verzeichneten sonstigen besonderen anatomischen Verhältnissen ersieht man bald, dass die Bezeichnung sternalis ein ganzes Conglomerat von anormalen Bildungen umfasst, die sich erst bei Betrachtung einer grösseren Anzahl von Fällen, wie ich sie hier zusammengestellt habe, in Gruppen sondern lassen. Schon die grosse Anzahl von Bezeichnungen, wie sternalis, praesternalis, episternalis, sternalis brutorum, reetus thoracieus oder thoraecis, rectus sterni, rectus sternalis, accessorius ad reetum, lässt vermuthen, dass wir es mit heterogenen, künstlich in eine Rubrik zusammengefassten Gebilden zu thun haben. Es wird nun meine Aufoabe sein, zu zeigen, dass der Begriff Sternalis in mehrere, durchaus wesentlich verschiedene aufzulösen ist.

Zunächst haben wir diejenigen, sehr seltenen Fälle, auszusondern, welche wirklich als Fortsetzung des Rectus abdominis über seine nor- male Insertion hinaus (beim Menschen bekanntlich 5.—7. Rippe), also als eine Varietät des Rectus, die ihr Homologon in dem Thierreiche hat, aufzufassen sind. Es gehören hierher ein Fall von BOERHAVE (10), 3 Fälle von TuRNER (89 bis 91) und die Fälle 31 bis 33 von MECKEL, wenn wir seine Worte (Lit.-Verz. No. 47, $. 38) wörtlich

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nehmen dürfen. Er sagt 1. c.: „status minime a fabrica normali re- motus est, ubi rectus abdominis solito longior evadit. Hanc formam nonnumquam vidimus, ut rectus in duobus casubus ad quartam, in tertio ad tertiam usque costam adscenderet.“

Im Ganzen haben wir also 7 Fälle!), die wirklich eine Fort- setzung des rectus abdominis, eine Varietät dieses Muskels darstellen; andere Fälle, die nach oberflächlicher Uebersicht auch eine Fortsetzung des Rectus zu sein scheinen, sind es durchaus nicht, der Rectus der Thiere liest in seinem vorderen Theile, dem die hier in Frage stehende Varietät homolog ist, stets bedeckt durch die Brustmuskel, niemals oberflächlicher als die musculi pectorales.. Es haben also alle Ge- bilde beim Menschen, welche von der Rectusscheide entspringen resp. in sie übergehen und die weiter oben sämmtlich vor dem pectoralis major liegen, mit dem rectus abdominis absolut nichts zu thun, weder mit dem des Menschen, noch dem anderer Wirbelthiere.

Der Rectus abdominis verhält sich übrigens innerhalb der Wirbel- thiere verschieden.?) Während er bei Amphibien in den Sternohyoi- deus übergeht und noch in einiger Verbindung mit dem pectoralis major, also der Extremitäten-Muskulatur, steht, reicht er bei Vögeln nur bis zum hinteren Ende des sternum, kommt also dort bereits, wo ja überhaupt wegen der freieren Entwicklung der vorderen Extremität viele Aehnlichkeiten mit dem Menschen sich finden, dem Verhalten bei letzterem nahe. Bei den Säugethieren sehen wir den Rectus ent- weder ununterbrochen oder aber mehr oder weniger unterbrochen, sich bis zur ersten, resp. zu den ersten Rippen erstrecken. In letzterem Falle stellt sich sein oberes Ende als besonderer Muskel dar, der

l) Die Fälle 4, 14, 15, 18 resp. rechne ich, als durchaus unzuverlässig, nicht hierher. Wenn von Fall 4 gesagt wird: „oblique supra musculum reetum‘“ ver- laufend und dann: „fibras cum illis musculi reeti confundens“, so kann hier nur die Rectusscheide gemeint sein, die wohl auch in den übrigen Fällen mit dem eigentlichen Muskel selbst verwechselt worden ist, zumal sie in dieser oberen Gegend meist dünn ist und bei nicht ganz frischen Präparaten, besonders wenn sie an den dahinter liegenden Muskeln angetrocknet ist, sehr wenig in die Augen fällt. Auch den betreffenden Angaben bei Fall 14, 15 und 18 kann ich keine Zuverlässigkeit vindieiren, da ich nicht recht weiss, wie ein vom sternocleido- mastoideus entspringender, also vor dem pectoralis major liegender Muskel zu den Fasern des rectus gelangen soll; zumal bei Fall 18, wo „beide Muskeln vor dem sternum durch eine Sehnenhaut zusammenhängen“. .Die Quelle für Por- tar’s Fall, Juppın’s Mittheilung (Lit.-Verz. 25) ist überhaupt wegen ihrer ten- denziösen Färbung mit Vorsicht aufzunehmen.

2) Die folgenden Angaben beruhen grossentheils auf eigenen Untersuchungen, theilweise sind sie den Werken über vergleichende Myologie, soweit möglich aber auch erst nach eigener Kritik, entnommen.

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manchmal nur noch mittelbar mit dem Rectus zusammenhängt, sowie von der sagittalen Richtung dieses letzteren abweicht. Ob wir dann überhaupt noch berechtigt sind, dies Gebilde als Fortsetzung des Rectus zu betrachten, erscheint fraglich. Mögen wir dies nun aber thun oder lassen, jedenfalls finden wir bei sämmtlichen Säugethieren (soweit die bisherigen Untersuchungen reichen) den rectus abdominis weiter nach vorn sich erstrecken, als beim Menschen. So geht er bei herpestes und didelphys bis zur 2. und 1. Rippe, wo er sich fleischig inserirt (HALBERTSMA Lit.-Verz. 79), ebenso (GuRLT Lit.-Verz. 117, S. 279), noch bis zur 1. Rippe beim Hund; anders HALBERTSMA, der diese vorderste Portion des Rectus als Transversus costarum auffasst, der aber nach GURLT noch ausserdem vorhanden ist.

Bei lutra und cereopitheeus (macacus cynomolgus) wird der Rectus in der Gegend der vorderen Rippen häutig und geht bis zur Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus costarum Ursprung zu geben, der hier, wie bei herpestes und didelphys selbstständig (unabhängig vom Rectus) ist. Jedoch findet sich bei cercopithecus eine beide Muskeln verbindende Aponeurose (HALBERTSMA). Meiner Ansicht nach kann man die dünne, sehnige Fortsetzung des Rectus beim Hunde vom 4. Intercostalraum vorwärts, die sich von hier schräg nach aussen vorn bis zur 1. Rippe erstreckt, nicht mehr als rectus abdominis be- zeichnen, sondern muss dieselbe als besonderen Muskel auffassen, der mehr einem obliquus ext. (intercostal. ext.) als Rectus entspricht und den wenig bezeichnenden Namen „transversus“ costarum mit sehr zwei- felhaftem Rechte führt.

Bei antilope, eapra, hircus, felis, papio (cynopithecus) niger läuft der Muskel nach vorn in eine Sehne oder Aponeurose aus, die sich am Brustbein entlang erstreckt und sich von diesem, sowie den Sternal- enden des betreffenden Rippenknorpels befestigt. Dort geht das Sehnen- blatt in einen neuen Muskel über, den von GURLT (zunächst für die Haussäugethiere) sogenannten transversus costarum. .Dieser Muskel, den ich auch (s. 0.) bei canis domesticus, lepus caniculus, cavia cobaya und vespertilio murinus fand, entspringt bei antilope, capra, canis, cynopithecus aponeurotisch, bei felis fleischig vom Ende des Rectus !)

I) Genaue Untersuchungen an zwei auf der hiesigen Anatomie, grossentheils schon präparirt vorgefundenen Affen, welche ich mit grösster Wahrscheinlichkeit als cebus capueinus und. cynopithecus niger bestimmte, ergeben: bei cebus gehen die Muskelfasern des Rectus bis zur 3. Rippe, dort wird er sehnig und steigt senkrecht bis zur 1. Rippe auf; der transversus costarum entspringt vom 2. Inter- costalraum an, etwas über der Grenze zwischen Muskel und Sehne des rectus, geht mit schräg aufsteigenden Fasern nach aussen, wird durch Convergenz der-

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und befestigt sich, schräg nach aussen und vorn aufsteigend an der ersten oder den ersten Rippen. Auch bei herpestes und didelphys ist derselbe vorhanden, entspringt dort jedoch, vom Rectus unabhängig, vom Brustbein. Bei lutra, macacus geht der Rectus (HALBERTSMA) bis zur Höhe der 1. Rippe, ohne dem transversus, der hier, wie bei den soeben genannten beiden Thieren, selbstständig auftritt, als Ur- sprung zu dienen. Bei macacus hängen jedoch die Aponeurosen beider Muskeln zusammen. Beim Pferd, Rind, Schwein ete., kurz den sog. Haussäugethieren (s. 0. Ausnahmen) geht der Rectus bis zur 4. Rippe; der transversus costarum bildet einen platten, sehnig-Heischigen Muskel, der von tiefen Brustmuskeln bedeckt wird, an der äusseren Fläche der 1. Rippe unter der Ursprungssehne der unteren Rippenhalter ent- springt, schräg nach hinten und unten geht, und sich an den Knor- peln der 2., 3. und 4. Rippe befestigt. Mit seinem oberen und hin- teren Theile geht er direct in den geraden Bauchmuskel über, weshalb man ihn beim Pferde als eine Fortsetzung des letzteren ansehen kann. Beim Rinde ist er breit und reicht bis zur 6. Rippe, bei den übrigen Haussäugethieren, mit Ausnahme des Hundes (s. o.), wo er die Ur- sprungssehne des Rectus bedeckt und an den Knorpeln der 5—6 ersten Rippen endet, verhält er sich im Wesentlichen wie beim Pferde. Bei Katze, Otter, Biber, Stachelschwein geht der Rectus bis zur 1. Rippe, (TURNER), beim Kaninchen fand ich denselben bis zum 2. Intercostal- raum reichen (KRAUSE: 2. Rippe), woselbst er schräg wird, mit dem Sternum zusammenhängt und sich in den transversus costarum bis zum 1. Rippenknorpel festsetzt. Bei der Hyäne geht der Rectus nur bis zur 4. Rippe, wenn die bezüglichen Angaben von REIMANN (Spi- eileg. observat. anat. de hyaena. Dissert. Berol. 1811) richtig sind.

Es sei an diesem Orte erwähnt, dass ich beim normalen Menschen, zumal muskelstarken, in der Gegend der über dem Rectusansatz ge- legenen Intercostalräume öfters fibröse Fasern fand, welche einem höher -hinaufreichenden Rectus abdominis entsprachen, da sie nicht die schräge Richtung der ligg. corruscantia hatten, sondern vor denselben verlaufend senkrecht aufstiegen. Ich setze dies Gebilde in Parallele mit jenem bei verschiedenen Individuen gleichfalls verschieden stark entwickelten Sehnenblatte zwischen serrat. post. super. und infer. Vielleicht kön- nen wir ersteres wie letzteres als Homologon eines bei Thieren vor-

selben schmaler und endet an der 1. Rippe. Bei eynopithecus gehen die Rectus- fasern bis zur 4. Rippe, der Ursprung des transversus costarum reicht bis zur oberen Grenze der Rectussehne hinauf, derselbe ist also breiter wie dort. Im Uebrigen verhält sich hier Alles ebenso.

Der Musculus sternalis. 447

handenen Muskels (dort der unteren, hier der oberen Partie der Rumpf- wand) ansprechen.

Fassen wir obige Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich das Resultat (allerdings bedarf es zu einer definitiven Erledigung dieser Frage noch weiterer ausgedehnter Untersuchungen, die aber doch erst in langen Zeiträumen gewonnen werden könnten), dass der Rectus bei den meisten Säugethieren (auf die anderen Classen darf man wohl kaum zurückgehen) sich bis zur 4. Rippe, bei einigen noch weiter nach vorn erstreckt resp. an den vorderen Rippen in den transversus costarum mehr oder weniger direct sich fortsetzt.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die hierher gehörenden Fälle in der Tabelle: in Fall 10 erstreckt sich der Rectus bis zur 3. Rippe, ebenso in Fall 33, bei 31—32 bis zur 4. Rippe, in allen diesen 4 Fällen wird die Varietät als Fortsetzung des Rectus abdominis be- zeichnet, wir haben somit hier eine dem normalen Zustande bei vielen Thieren entsprechende Abnormität, die in Fall 10 „in corpore juvenis eiganteo“ bestand. |

Die 3 Fälle von TURNER (885 90) entsprechen einigermassen einem selbstständigen transversus costarum; alle 3 haben das Gemein- same, dass sie an der 1. Rippe inseriren, während die Ursprünge von der 5. bis zur 2. Rippe variiren. TURNER selbst nennt den Fall 88 (Lit.-Verz. 85) reetus thoraeis.

HALBERTSMA hat für den ihm, wie es scheint, allein bekannten Fall von BOERHAVE (10) den Namen accessorius ad rectum vorge- schlagen. Auch ich halte diese Bezeichnung für diese Fälle für passend, die TURNER’schen könnte man, da der Name doch einmal adoptirt ist, als transversus costarum bezeichnen.

Ausser den mit dem Rectus resp. transversus costarum der Thiere zu vergleichenden Fällen findet sich dann noch eine kleine Reihe von meist wenig genau beobachteten Fällen, für die ich allenfalls eine Homologie in dem Thierreiche anerkennen könnte, obgleich, wie ich nachweisen werde, diese von TURNER aufgestellte Muthmassung auf weit schwächeren Füssen steht, als für die eben betrachteten Fälle. Es sind dies diejenigen Fälle, die, ohne mit dem Rectus, dem sterno- cleidomastoideus und dem pectoralis major zusammenzuhängen, vor dem letzteren, also zwischen ihm und der Haut gefunden wurden. Man könnte derartige Fälle in Parallele setzen mit dem Hautmuskel der Thiere und erscheint es nothwendig, um die Berechtigung hierzu prüfen zu können, die einschlagenden Verhältnisse näher ins Auge zu fassen.

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Meiner Ansicht nach ist der sogenannte sternalis brutorum !) des Frosches, abgesehen davon, dass der Frosch überhaupt selbst für die begeistertsten und phantasievollsten Anhänger der Descendenz- theorie recht wenig verwandtschaftliche Momente mit den Säugethie- ren, speciell dem Menschen aufzuweisen haben dürfte, durchaus nicht hierher zu ziehen. Die Hautmuskulatur tritt erst bei höheren Wirbel- thieren auf, sie ist also als eine Differenzirung zu betrachten, „für welche die Skelettmuskulatur wahrscheinlich den Boden bildet“ (GEGEN- BAUR |]. c. S. 706). Wir können aber den Sternalis des Frosches kaum als eigentlichen Hautmuskel betrachten, um so weniger, als bei höheren Wirbelthieren an dieser Stelle des Körpers sich niemals ein Hautmuskel vorfindet. Soweit wenigstens meine Kenntniss der Lite- ratur und eigene Untersuchungen reichen, lässt der grosse Brust- und Bauchhautmuskel der höheren Wirbelthiere gerade jene Stelle, wo beim Frosch der „Sternalis“ sich befindet, frei; er lässt aber ebenso frei diejenigen Stellen, wo wir beim Menschen den Sternalis finden, speciell jene Punkte, wo die hierher gehörenden Fälle No. 12, 19, 36, 37, 112 und der vorletzte von TURNER 67 bis 37 beobachtet wurden.

Der fragliche Hautmuskel entspringt (GÜNTHER 1. c. S. 138) mit breiter Aponeurose von den ligg. interspinalia und geht in den Schulterhautmuskel über ete. Am oberen Rande des pectoralis major zweigt sich eine Sehnenplatte von dem Muskel ab, die mit jenem unter den Vorderschenkel tritt, mit ihm verläuft und endet. Ferner entspringt der Muskel mit seiner Aponeurose auf dem pectoralis major und an der linea alba und geht von da nach hinten zum hinteren Schenkel. GURLT unterscheidet einen Gesichts-, Hals-, Schulter- und Bauchhautmuskel und sagt von letzterem, dass er mit dem pectoralis major weiter nichts zu thun habe, als eine gemeinsame Anheftung am Humerus: ein „tieferes markirtes Sehnenblatt tritt am oberen Rande des grossen Brustmuskels an die innere Fläche des Vorder- schenkels, verläuft mit dem grossen Brustmuskel und endigt mit ihm am Armbein“ (l. c. S. 820).

Auch an den von mir untersuchten Thieren fand ich die Haut- muskellage nach vorn und medianwärts den pectoralis major nur soweit überziehen, dass dessen weitaus grösster Theil und zwar, worauf es hier vor Allem ankommt, derjenige Theil, wo Sternalis beobachtet wird, frei blieb.

1) So bezeichnet ihn M. FÜRBRINGER. Ducks nennt ihn „abdomino-guttural“, KLEIN: „abdomino-cutaneus‘“, ZENKER: „subeutaneus pectoris“, ECKER: „cutaneus pectoris“ (ef. Lit.-Verz. 107, 110, 114).

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So lange nun nicht, was doch unwahrscheinlich ist, nachgewiesen wird, dass es höhere Wirbelthiere, speciell Säugethiere giebt, bei denen auch die fragliche Gegend der Brust mit einem Hautmuskel über- zogen ist, können wir kaum unsere obigen Fälle als Homologon eines solchen betrachten resp. dieselben als Rückschlag, Atavismus, Resi- duen bezeichnen. Dagegen sprechen ferner noch zwei Punkte. Erstens liegen derartige Sternalisfälle tiefer, als ein Hautmuskel liegen würde und zweitens ist ja bekannt, dass schon das Aussehen eines Haut- muskels, sein ganzer Habitus ein so auffälliger ist, dass wir in den betreffenden Literaturangaben füglich eine Bemerkung darüber zu er- warten hätten. Ich finde deren aber nicht. Weder die Blässe des Muskels noch seine besondere Dünnheit wird hervorgehoben.

Sollte aber- auch durch spätere Entdeckungen die Möglichkeit einer Homologie an dieser Stelle nachgewiesen werden, so könnten wir dann allenfalls diese wenigen (6) oben genannten Fälle hierher rechnen. Die anderen Fälle aber von Sternalis, an denen ich auch nicht die geringsten Kriterien eines Hautmuskels entdecken konnte, mit diesen zu vergleichen, wie TURNER geneigt ist, halte ich für ganz unrichtig. Muss doch TURNER selbst hervorheben, dass der Sternalis tiefer liege als ein Hautmuskel.

Die nicht in obige Kategorie gehörenden Fälle bilden aber die bei weitem grössere Mehrheit. Den 13 bisher betrachteten Fällen stehen, wenn wir von den 120 Fällen 20 aus sogleich anzugebenden Gründen absondern, über 80 entgegen, die wir als Varietät des sternocleidomastoideus oder des pectoralis major aufzufassen gezwun- gen sind.

Als für specielle Untersuchung unbrauchbare Fälle streiche ich diejenigen, wo mir entweder sehr mangelhafte oder zweifelhafte oder wegen ihrer Allgemeinheit unbrauchbare Angaben begegnen; es sind dies die Fälle 2, 42, 63, 91—101, 104—108 und 116, in Summa 20. Sonach blieben gerade 100, von denen also obige 13 abgehen, der Rest 87 ist demnach jetzt näher zu analysiren.

Aus Tabelle B. ($. 439 £.) geht hervor, dass 55 Fälle mit dem sternocleidomastoideus und 21 Fälle mit dem pectoralis major in Verbindung standen, als Fortsetzung genannter Muskeln sich zeigten; zusammen macht dies 76 Fälle Von dieser Zahl müssen wir 4, die beiden Muskeln gemeinsam waren, abrechnen (23, 38, 109, 114), also 72; bleiben von den obigen 87 noch übrig 15, die weder Hautmuskeln waren, noch mit rectus, pectoralis major oder sternocleidomastoideus direct zusammenhingen. Es sind dies die Fälle No. 1, 3, 5, 6, 9, 11,

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16, 21, 26—28, 34, 39, 103, 113. Sehen wir uns auf Tabelle A. die bezüglichen Angaben näher an.!)

Fall 1, 3, 5, 6, 11, 21, 34 und 103 enden alle (oder entspringen) am oberen Theil des sternum (manubrium, ex osse summo, premier 08 ete.). Fall 26 an der Gelenkkapsel der Clavicula, also alle neun ganz in der Nähe des Ursprungs des sternomastoideus. Etwas tiefer am sternum begann Fall 9, 27, 23 an der 2. Rippe, also noch sehr nahe, und schliesslich an der 3. Rippe: Fall 16, 39 und 113.

Aus neuerer Zeit stammen von den oben angeführten überhaupt nur die 4 letzten Fälle, alle anderen gehören älteren Beobachtern an und war es, da man früher doch wohl weniger exact beobachtete, wie ja schon ein Blick auf die erste Seite der Tabelle B. zeigt, bei vielen sehr möglich, dass Verbindungen, welche zwischen dem seh- nigen Ursprung des sternomastoideus mit dem oberen Ende unseres Sternalis bestanden, übersehen wurden. Bedenkt man, dass sich in dieser Gegend kaum sagen lässt, wo hört der sternomastoideus auf, wo beginnt peetoralis major, wo die membrana sterni ant. etc., so ist es wohl nicht zu kühn, auch obige Fälle, zunächst die vom oberen Theil des sternum kommenden, mit dem sternocleidomastoideus in Zusammenhang zu bringen. Und die membrana sterni, bekanntlich aus der Verflechtung der verschiedenen ligg. sternocostalia (radiata) gebildet, führt uns auch zu den Rippengelenken und Rippenknorpeln hin, sodass auch die beiden von dem 2. Rippenknorpel und die drei von dem 3. Rippenknorpel kommenden Muskeln sich hier ungezwun- gen anschliessen lassen.

Bei der näheren Beleuchtung der äusserst mannichfachen Varia- tionen, denen die mit dem sternomastoideus zusammenhängende Kate- gorie unterliegt, werde ich mich indessen streng an diejenigen Fälle halten, wo ein direkter Uebergang nachzuweisen ist.2)

Es fragt sich also, von wo kamen diese Muskeln oder, nach mei- ner Auffassung: wohin, bis wie weit hatte der sternomastoideus seinen Ursprung zurück nach unten hin verlegt, oder auch, woher bekam er Verstärkungsfasern, die wir manchmal als accessorischen „Kopf“ betrachten dürfen.

Den einfachsten Fall, tieferen Ursprung des sternomastoideus am sternum, treffen wir unter den (s. Anm:) 26 Fällen 8 Mal (7, 8, 12,

l) Ueber Fall 4 s. o. beim rectus. ?) Leider sind die zahlreichen und genauen Beobachtungen von GRUBER und TuRNER in der Weise zusammengefasst mitgetheilt, dass es nicht möglich ist,

dieselben (29 Fälle) hier zu verwerthen, sonach können nur die übrigen 26 Fälle in Betracht kommen.

Der Musculus sternalis. 451

22, 23, 41, 66 und 109), 4 Mal darunter gleichzeitig noch mit einem Bündel von Rippenknorpeln (12, 22, 41, 66). Von diesen allein (d. h. - zunächst nur: nicht vom sternum) 10 Mal (24, 25, 29, 35, 38, 62, 65, 110, 112 und 117).

Bis zur Rectusscheide hinab entspringen, falls ich die von älteren Autoren jedenfalls ungenau mit dem Reetus selber in Verbindung ge- brachten Fälle: 7, 14, 15 mitrechne (wozu Anmerkungen wie „couvrant le pect. maj.“ vollständig berechtigen, vergl. auch oben): 13 Fälle, nämlich 7, 12, 14, 15, 18, 23, 38, 41, 65, 102, 109, 118, 119, zu denen wohl noch als 14. Fall No. 8., wo als Ursprung „neben proc. xiph.“ angegeben ist, hinzukommt. Combinirten Ursprung von Rippen und Rectusscheide nehmen: 12, 38, 41, 65, vom sternum und Rectusscheide: 12, 109.

Weit seltener als eine Varietät des sternocleidomastoideus scheint der Sternalis eine solche des pectoralis major zu sein. Unter den 100 Fällen haben wir 35 in die erste Kategorie gehörende Fälle, aber nur 21 für die letztere. Wenn auch (und diese Bemerkung möge ein für alle Mal hier ihren Platz finden) die Zahlen nicht gross genug sind, um den Procentsatz der verschiedenen Kategorien bestimmen zu können, so sind sie doch immerhin gross genug, und ja die Verschiedenheit der von mir gesammelten Fälle eine so ausserordentliche, dass man doch ungefähr über die mannichfaltigen möglichen Fälle und ihr un- gefähres Häufigkeitsverhältniss ein Bild erhält. Von den eben ange- führten 21 Pectoralis-Fällen muss ich aus demselben Grunde, wie oben, die Fälle von GRUBER und TURNER aussondern, es bleiben also 14. Alle diese Fälle haben das Gemeinsame, dass nicht, wie so vielfach beim sternocleidomastoideus, der abnorme Ursprung vom ersten Theile (Knochen etc.) herrührt resp. über Zusammenhang mit einem solchen Statt findet, der dem pectoralis normal nicht zukäme, wie oben der sternomastoideus von Rippen und Rectusscheide entsprang son- dern sie entspringen sämmtlich an auch normal dem pectoralis major zum Ursprunge dienenden Theilen, d. h. dem sternum, den Rippen und der Rectusscheide, aber sie entspringen entweder von Punkten, deren Lage den Verlauf von Muskelfasern abnorm macht, zu hoch oder zu niedrig, oder aber von der andern Körperseite. Der Ansatz, oder allgemeiner: das andere Ende der Fasern ist meist ein durchaus abweichendes, sie können aber auch mit den Fasern der im Uebrigen normalen, oder auch sonstige Besonderheiten zeigenden (übermässig, theilweise doppelt etc. entwickelten) pectorales sich ver- einigen. Die bisher zar’ 2£0y7v so bezeichneten „Pectorales-Varietäten“

werden hier natürlich nicht einbegriffen. Zeitschrift f. Anatomie. Ba. TI. 30

452 Dr. KırL BARDELEBEN.

Von den 14 Fällen (13, 17, 20, 21, 23, 36—38, 40, 64, 109, 114, 115, 120) haben Zusammenhang mit der Rectusscheide 5 (17, 23, 109, 115, 120), mit der Rippe 9 (13, 17, 20, 21, 36, 37, 38, 40, 64), mit dem sternum ebenso viel (meist dieselben Fälle, nur statt 38 und 64: 23 und 109), zu denen dann vielleicht als 10. Fall 114 zu rech- nen ist. Fall 13 scheint mehr als indirekte Fortsetzung des sterno- mastoideus aufgefasst werden zu müssen, er kreuzt („decussabat“) die Fasern des pectoralis und endet an dessen unterstem Theile, vielleicht der Rectusscheide, oder liegt hier eine meinen Fall 119 oder 120 ähn- liche Erscheinung vor? Auch Fall 17 hat mit dem peectoralis nur nebenbei („etiam‘“) zu thun. In allen anderen 10 Fällen (die unter No. 38 sind nicht präcis genug charakterisirt) ist eine Ursprungs- anomalie von Pectoralisfasern zu erkennen, und in nicht weniger als 8 von diesen 10 kommen letztere von der anderen Körperseite her, der linke pectoralis entspringt theilweise an einer für den rechten normalen Stelle und umgekehrt. Eclatant ist dies Verhalten in mei- nem Falle 120 (s. Fig. S. 425, wo dieses Verhalten auf der rechten Seite dargestellt ist), wo der pectoralis der einen Seite neben der nor- malen von der Rectusscheide stammenden Portion des gegenseitigen Muskels entsteht. Aehnlich haben sich entschieden die Fälle 36, 37, 40, 64, 115 verhalten. 20 und 21 (nebenbei der eine doppelt, der andere vierfach) sind weniger prägnant.

Meine Ergebnisse sind demnach folgende:

1) Der Begriff: „Sternalis“ ist aufzulösen, aus der Anatomie zu streichen. 2) Die bisher unter diesem Namen zusammengefassten Muskel- varletäten sind entweder Varietäten: a) des Rectus abdominis (7 auf 100) oder b) des Pectoralis major (21 auf 100) oder c) des Sternocleidomastoideus (55 auf 100) oder d) Hautmuskel (6 auf 100) oder aber Combination von c) und d). 3) Bei b) und c) kommt etwa in einem Fünftel der Fälle ein Ueberschreiten der Medianlinie vor. 4) a) und d) sind vielleicht Homologa von Vorkommnissen in dem Thierreiche, b) und ce) sind es nicht.

Was sind nun aber diese letzteren Fälle? Diese Frage führt uns naturgemäss zu der allgemeinen Frage, was sind und wie ent- stehen überhaupt Muskelvarietäten?

Die Beantwortung dieser Frage erheischt vor Allem eine ganz genaue Sichtung der bisher trotz vielfacher genauer Beobachtungen

Der Musculus sternalis. 453

noch allzuwenig nach Prineipien, rationellen Gesichtspunkten geord- neten Muskelvarietäten.

Es würde zu weit führen, hier diese Gesichtspunkte zu ent- wickeln. Vor Allem würde es aber augenblicklich unmöglich sein, an die Beantwortung der Cardinalfrage: „wie und warum entsteht in dem gegebenen Falle eine Varietät?“ zu gehen. Dies erfordert erst specielle Untersuchung über die Frage vom Wachsthum des Muskels, und zwar der normalen Entwicklung vom Jugendzustande zum er- wachsenen sowohl wie des Wachsens eines schon fertigen, erwachsenen Muskels bei besonderer Uebung (Hypertrophie oder Hyperpiasie?). Die Untersuchungen von B. RIEDEL (Untersuchungen aus dem anatomi- schen Institute zu Rostock, herausgegeben von FR. MERKEL. Rostock 1874. S. 78) genügen zur Entscheidung darüber, ob eine Vermeh- rung oder Vergrösserung der Elemente Statt findet, oder ob dies - vielleicht bei den soeben bezeichneten zwei Arten von Wachsthum in verschiedener Weise geschieht, meines Erachtens nach nicht.

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Durch gütige Vermittelung des Herrn Prof. SCHWALBE hierselbst erhalte ich noch Skizze und Beschreibung eines Falles, den Herr Prof. Azpy in Bern beobachtete und dessen Veröffentlichung derselbe gütigst gestattet hat.

Bei einem kräftigen männlichen Individuum entspringen beider- seits breite flache Muskelbündel von den vorderen Enden, links des 5.—7., rechts des 2.—7. Rippenknorpels. Nach unten gehen beide in die Scheide des Rectus über. Oben vereinigen sich beide End- sehnen vor dem manubrium sterni zu einer einfachen, platten starken Sehne, die durch lockeres Gewebe an der Vorderfläche des Knochens geheftet, sich mit zwei Zipfeln in die beiden sternomastoidei fortsetzt. An die Sehne des linken Sternalis läuft ein Bündel transversaler Pectoralisfasern.

Dieser Fall erinnert an Fall 109 von Lanpoıs, er gehört in die Kategorie der Varietäten des sternocleidomastoideus, abgesehen von dem kleinen Bündel Pectoralisfasern. Nach der Skizze zu schliessen, setzte der linke Sternalis den rechten sternomastoideus fort und um- gekehrt, also auch hier eine, wenigstens mittelbare Kreuzung, eine Verdoppelung meines Falles 119.

30*

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Dr. Kırı BARDELEBEN.

Von mir eingesehene

Literatur der Muskelvarietäten.

* bedeutet die auf den Sternalis Bezug habenden Schriften. In den mit ** bezeichneten sind Fälle-

#323.

"#24,

von Sternalis beschrieben,

Vesalii, Andreae, de humani corporis fabriea libri VII. Basil. 1542. 1175927282. VabaNVeE

Columbus, R., de re anatomica. Ven. 1559.

acc. Joann. Posthii observat. anatom. Francof. a. Moen. 1593.

- Cabrolius (Cabrol), Barthol., &Apaßntov averouızov, h. e. anatomes

elenehus. Monspel. 1604. p. 96. Riolani, Joann., opera anatom. Lutet. Paris. 1650. Anthropograph. Lib. II. Cap. VIII, p. 83.

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456

56. 57.

98. 59. *60.

** 6], 62.

63. 64. 65. 66. 67. 68. ‚69. **70, 71, 72. 73. Era: KT, 76. *E77, Kg, *7g,

*80.

FESl“

Dr. Kırı BARDELEBEN.

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!) GRUBER’S anderweitige sehr zahlreiche und specielle Untersuchungen über Muskelvarietäten sind

hier nicht aufgeführt. Siehe dies. in den M&m. d. Petersbg. Akad. von Anfang der 50er Jahre bis jetzt.

82.

2283: 84.

*+85. 87.

288.

ng:

90. Oil, eh SERR *9A, #95, =96: 97.

38: ER)

==100:

101. 102. 103.

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Von mir eingesehene Literatur der vergleichenden Myologie.

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Dr. Kırı BARDELEBEN. Literatur der vergleichenden Myologie.

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Stannius,-Lehrbuch der vergl. Anatomie der Wirbelthiere. 2. Buch. Zoo- tomie. Berlin 1856.

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Gegenbaur, C., Grundzüge der vergl. Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1870.

Fürbringer, M., zur vergl. Anatomie der Schultermuskeln. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. VII, 237. VIII, 175.

Humphry, G. M., observations in myology. Cambridge and London 1872. (Auch im Journal of Anatomy. Vol. VI.)

Huxley, T. H., Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Deutsch von F. RatzeL. Breslau 1873.

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Vergeblich suchte ich die in der Literatur erwähnten Fälle von Sternalis

in den Werken von Fabricius, Sylvius, Willich und Behrends.

Vergeblich suchte ich ferner in fünf deutschen Bibliotheken, darunter

Berlin und Göttingen:

Isenflamm, J.F.(W.C. Hammer), diss. de museul. varietate. Erlangen 1765. Hoffmann, Chr. J., diss. de aliqu. museul. differentiis. Altorf 1772. Lauth, el&mens de myologie et syndesmologie. Vol. I. Bäle, Paris et Stras-

bourg 1778.

Sels (Rudolphi), diss. museul. variet. sist. Berol. 1815.

Quain, the museles of the human body. London 1836.

Froment, recherches sur plusieurs points d’anatomie. 1853.

Upsala läkareförenings förhandlingar. Bd. II. u. III. 1868. (Clason.)

Fernerer Fall eines Musculus sternalıs.

Beschrieben von

Dr. Fr. Hesse,

Prosector in Leipzig.

Im Anschluss an vorstehende Arbeit, in die Verfasser so gütig war, mir vor dem Drucke den Einblick zu gestatten, füge ich die Beschreibung eines abnormen Musculus pectoralis major bei, der sich in Verbindung mit einem Musculus sternalis vor kurzem auf dem hiesigen Präparirsaal fand. Der Musculus sternalis ist den von BARDE- LEBEN beschriebenen und citirten Fällen ähnlich, ohne einem von ihnen völlig gleich zu kommen. Die Leiche, an der sich die Ano- malie fand, war die eines kräftigen, mittelgrossen, etwa 35 Jahre alten Mannes.

1. Musculus sternalis dexter. Nach Wegnahme der Haut und der oberflächlichen Fascie findet sich über dem medialen Theile des Musculus pectoralis major der rechten Seite ein platter, dünner, 4 Ctm. breiter, am medialen Rande 9 Ctm., am lateralen 10 Ctm. hoher Muskel, der mit kurzen Sehnenfasern in 3 Zacken von der Vorderfläche des Sternums gegenüber dem Ansatz des 5. Rippenknor- pels, von der Rectusscheide vor der Spitze der 6. Rippe und eben- daselbst mit der Abdominalportion des Musculus pectoralis major ent- springt. In der Höhe des Manubrium sterni endigt der Muskel mit einigen seiner lateralen Bündel in der Fascie des Musculus pectoralis, zum grössten Theil aber in einem Sehnenstreifen, der dadurch zu Stande kommt, dass beide grosse Brustmuskeln vor dem Manubrium _ theilweise in einander übergehen (s. u.).

Einwärts vom medialen Rande des Musculus sternalis ragt der Sternalursprung des rechten Pectoralis major etwa noch 1 Ctm. unter jenem hervor.

2. Musculus pectoralis major. Nachdem der Musculus ster- nalis quer durchschnitten und nach auf- und abwärts gelegt worden

460 | Dr. Fr. Hesse.

ist, lässt sich der rechte Pectoralis in zwei Abschnitte trennen, von denen der tiefere völlig dem normalen Muskel mit Clavicular- und Sternalportion entspricht. Aus diesem hebt sich ein der Höhe des Manubrium sterni fast entsprechender, 3!/, Ctm. hoher Muskelstreifen ab, der nicht am Manubrium endigt, sondern durch einen vor diesem gelegenen Sehnenstreifen mit der Manubriumportion des linken Brust- muskels verschmilzt. Dieser Sehnenstreifen kreuzt die das Manubrium halbirende senkrechte Linie und geht schief nach aufwärts, zum Sternal- ursprunge des linken Sternocleidomastoideus. Die medialen Enden der Pectoralisbündel, die sich von rechts her in den oberen Theil dieser Sehne begeben, ragen daher etwa !/, Otm. über die Mittellinie nach links hinüber. Vom unteren Rande der 2. Rippe an nach ab- wärts reichen beide Pectorales symmetrisch bis zur Mittellinie des Sternums.

Der linke Pectoralis entbehrt des Ansatzes am Manubrium voll- ständig; der ganze, der Handhabe entsprechende Theil geht vermittels des erwähnten Sehnenstreifens in die hohe Portion des rechten Brust- muskels über.

Der untere Abschnitt dieses Stückes ragt entsprechend der schie- fen Richtung des Sehnenstreifens etwa !/, Ctm. nach rechts hinüber, wie der obere Theil der rechten Pectoralisbündel nach links. Nur ist für den linken Pectoralis das Ueberschreiten der Mittellinie viel auffälliger, da er muskulös von der Zwischensehne entspringt, während die Bündel des rechtseitigen es durch kurze Sehnen thun.

3. Der Sehnenstreifen, welcher die Nath zwischen diesen Portionen beider Pectorales bildet, liegt frei über der Handhabe des Brustbeins, dient in seinem unteren Abschnitte dem grössten (media- len) Theile des Musculus sternalis zur Befestigung und setzt sich, indem er schief nach links aufwärts verläuft, an dem Sternalursprunge des Musculus sternocleidomastoideus fest.

Das Ueberschreiten der Mittellinie, namentlich durch den linken Pectoralis, ist hier so eng an die Lage des Sehnenstreifens gebunden, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit beider Erschei- nungen von einander von selbst aufdrängt. Selbst wenn der Sehnen- streifen, in den der Musculus sternalis übergeht und welcher den beiden beschriebenen Peetoralisportionen zum Ursprunge dient, ur- sprünglich senkrecht zu seinem Befestigungspunkte empor gestiegen wäre, so musste doch im Laufe der Zeit eine Abweichung seiner Richtung nach rechts erfolgen. Denn während nur der mediale Theil des Musculus sternalis in senkrechter Richtung nach abwärts einen Zug üben konnte, zog der ganze übrige, auf der rechten Körperhälfte

Fernerer Fall eines Musculus sternalis. 461

liegende Muskel schief nach unten aussen, und zwar theils direct so weit er sich an dem Sehnenstreifen befestigte, theils indirect durch die Bündel, welche in die mit dem Sehnenstreifen verbundene Fascie des Pectoralis major übergingen. Die in horizontaler Richtung nach aussen wirkende Componente dieses Zuges musste die Zwischen- sehne mit den aufsitzenden Pectoralisbündeln nach und nach über die Mittellinie hinüber auf die rechte Seite ziehen.

Brustbein und Rippen.

Die Asymmetrie der beiden grossen Brustmuskeln durfte die Ver- muthung erwecken, dass der Thorax und besonders das Brustbein eben- falls unsymmetrisch sein würden. Wenn die Gestalt der Knochen von dem Zuge der anhaftenden Muskeln beeinflusst wird, so stand zu erwarten, dass beide Hälften des Brustbeinhandgrifts verschiedene Form besässen, da die rechte Hälfte von den normalen Ursprüngen der Pectoralisbündel bedeckt war, während sie an der linken fehlten. Ueber den Grad der Difformität konnte ich mir im Voraus nicht senügende Rechenschaft geben, da wir über den Einfluss des Muskel- zuges auf die Gestaltung des Knochens im besonderen Falle nur un- genügend unterrichtet sind und da das Manubrium sterni noch unter anderen formbedingenden Einflüssen steht. Insbesondere schien es mir von Bedeutung, dass die Clavieularportion des linken Pectoralis major normal entwickelt war, da die Gestalt des Brustbeins von dem Zug und Druck, den es vom Schlüsselbein her erfährt, wesentlich beeinflusst werden muss; wahrscheinlich mehr als von den Pectoralis- bündeln, die ihren Ursprung auf dem Sternum nehmen. Denn wäh- rend letztere nur direeten Zug auf das Brustbein üben, kann durch die Muskeln, welche das Schlüsselbein bewegen, ein viel energischerer Zug und Druck erfolgen, da sie an einem Hebelarme anfassen. Trotz- dem sind in diesem Falle die Unterschiede auf beiden Seiten noch sehr auffällig. Das Manubrium ist sehr schlank, schmal und hoch, wie ich es an keinem Sternum unserer Sammlung und des Präparir- saales wiederfinde, während der Körper des Brustbeins die gewöhn- liche Breite besitzt.

Entsprechend dem Verlauf des oben beschriebenen Sehnenstrei- fens zwischen den beiden Manubriumportionen der Museuli pectorales zeigt sich auf dem Manubrium eine flache Vertiefung, die mehr der rechten Hälfte angehört und schief nach links aufwärts geht. Sie verdankt ihre Entstehung dem Druck und der gleitenden Bewegung, welche durch die Contraction des Musculus sternalis und der sich

462 Dr. Fr. Hesse,

vereinigenden Pectoralisbündel die Zwischensehne auf das Brustbein übte.

Bei der Betrachtung des Brustbeins von oben (der Incisura semi- lunaris) her fällt es in die Augen, dass die linke Hälfte des Manu- brium mit dem ersten Rippenknorpel stärker nach rückwärts steht als die rechte Seite; das Manubrium ist um eine vertikale Axe circa 10 Grad linksum gedreht.

Der Raum zwischen erstem und zweitem Rippenknorpel ist links reichlich um 4 Mm. höher als rechts. Es ist. nämlich der senkrechte Abstand des unteren Randes der Verbindung des ersten Rippenknor- pels mit dem Manubrium von dem zweiten Rippenknorpel rechts 17,5 Mm. links 22,0 Mm. Dem entsprechend beträgt die kürzeste Entfernung der inneren Enden des ersten und zweiten Rippenknor- pels rechts 23,0, links 27,0 Mm.

Da ich an anderen Brustbeinen für dieselben Maasse nie so grosse Differenzen erhielt, zweifle ich nicht, dass sie in diesem Falle mit der bestehenden Muskelanomalie im Zusammenhange stehen. Und zwar scheint sich mir die freiere Entwicklung der linken Hälfte des Manu- brium dadurch zu erklären, dass die Widerstände, auf welche dasselbe bei seiner Vergrösserung stösst, hier geringer waren. Denn wenn sich die Handhabenportion des Peetoralis major, als auch der hier vor- handene Musculus sternalis zusammenzieht, so wird eine Componente der entwickelten Kraft in beiden Fällen als Druck in der Richtung der Längsaxe des Manubrium erscheinen. Diesem Drucke ist aber hier die rechte Hälfte des Sternums viel mehr ausgesetzt als die linke, welcher die Handhabenportion des Pectoralis und des Musculus ster- nalis fehlt.

Die Form- und Lagerungsanomalien der Organe des mensch- lichen Körpers haben bisher ausser vom praktisch-chirurgischen, fast ausschliesslich vom vergleichend anatomischen Standpunkte aus Inter- esse, und es liegt darüber ein Vorrath in den Büchern, von dessen Fülle uns ein Blick in das Literatur-Verzeichniss der vorstehenden Arbeit eine Vorstellung geben kann. Für das Verständniss des gegen- seitigen Einflusses, den die Organe auf einander üben, würde die sorg- fältige Beobachtung möglichst aller mit einer Anomalie verbundenen Veränderungen von grösstem Nutzen sein; es würden uns diese Be- trachtungen bis zu gewissem Grade das Experiment ersetzen, das uns die Natur der Sache anzustellen verhindert. _ Zu dem Material, aus dem sich später allgemeine Schlüsse ziehen lassen werden, schien es mir nicht werthlos, einen kleinen Beitrag zu liefern.

Besprechungen.

\

ie

Topographisch-Chirurgische Anatomie des Menschen, von Dr. Rüdinger. I.— III. Abtheilung. Stuttgart 1874—75, Cotta. 40 M.

Besprochen von W. Braune.

Das vorliegende Werk, welches in der I. Abtheilung die Brust, in der II. den Bauch, in der III. den Kopf, Hals und die obere Extremität behandelt, will in bündiger Darstellung und im Verein mit einer reichen und

“übersichtlichen Illustration den Studirenden und Aerzten das schwierige Stu- dium der Topographie der Körperregionen erleichtern.

Die Wichtigkeit, welche die topographische Anatomie an sich, aber ganz besonders für den Kliniker hat, ist in neuerer Zeit auch in Deutschland immer mehr anerkannt worden und hat eine Reihe von literarischen Erscheinungen hervorgerufen, die entweder zu der Kategorie der Atlanten, oder zu der der Lehrbücher gehören. Das Rurpınger’sche Werk hält die Mitte zwischen beiden und ist eine Vereinigung von beiden. Es bietet in handlichem Format ‚und in vorzüglicher Ausstattung eine solche Fülle von naturgetreuen Original- abbildungen in verkleinertem Maassstabe, dass es ebensogut den Namen eines hervorragenden topographisch-anatomischen Atlas verdient, als es mit seinem selbstständigen reichhaltigen Text, der durch zahlreiche Holzschnitte noch besonders erläutert wird, den besten Handbüchern auf diesem Gebiete sich anreiht. |

464 Besprechungen.

Der Text ist übersichtlich und klar geschrieben, und besteht nicht aus einer durch die Regionen zerrissenen Aufzählung der einzelnen Organe in ihrem System und ihrer Lage zu einander, sondern behandelt in zusammen- hängender Darstellung die einzelnen Kapitel, so wie sie für den Praktiker beschrieben werden müssen. Als ganz besonders gelungen und auch für Militärärzte wichtig muss das Kapitel Brust bezeichnet werden.

Die Abbildungen sind kolorirte Lichtdrucke, nach Rurpınser’schen Prä- paraten von GEMOSER angefertigt; sie vermeiden daher alle Willkührlich- keit der Zeichnung. Sie sind im verkleinerten Maassstabe wiedergegeben worden, um dem Leser ein handliches Buch in die Hand zu geben, und nicht einen unbequem zu dirigirenden Atlas.

Wenn auch die Farbengebung nicht immer eine wohlthuende ist, nament- lich das schreiende Roth der Muskelflächen unangenehm auffällt, wenn auch der schwarze Hintergrund die Schönheit der Bilder stark beeinträchtigt, so ist doch anzuerkennen, dass durch die verschiedenen Farben die Klarheit der Bilder wesentlich gewinnt, und sofort die verschiedenen Organe deutlich sich von einander abgrenzen lässt.

Ausser der Wiedergabe einer grossen Reihe sehr werthvoller Durch- schnitte am gefrorenen Körper sind besonders diejenigen Abbildungen bemer- kenswerth, welche Präparate wiedergeben, die durch Combination eines Durch- schnittes mit Flächenpräparation gewonnen wurden, wie sie auf Tafel II und III sich finden. Es ist dies eine Methode, die RuEDINGER schon früher bei Bearbeitung des Gehörorgans mit grossem Erfolge angewendet hat, deren Werth auch hier jedem Beschauer einleuchtet. Die erste Figur auf Tafel III bietet emen Rücken, auf dessen linker Seite die Wand so hinweg- genommen ist, dass das im frei präparirten Eingeweide, Lunge, Milz, Magen und Colon descendens in ihrer Lage zu einander sowie zum Skelet und den Nachbarorganen sehr schön ersichtlich wird. Tafel IV bietet einen Situs viscerum von hinten, dessen Darstellung nichts zu wünschen übrig lässt. Ebenso bemerkenswerth sind die Flächendarstellungen des fötalen Kreislaufes auf Tafel XIII, sowie die Darstellungen der Herzlage bei Erwachsenen mit Berücksichtigung der Bewegung des Herzens, wie sie zuerst von HExkr ge- geben wurden. Durch verschiedene Linien wird das jeweilige Herzverhält- niss auf die vordere Thoraxwand projicirt.

Unter den Durchschnitten ist besonders hervorzuheben ein Frontalschnitt durch die gesammte Länge des Truncus auf Tafel VI, sowie ein sehr schö- ner Flächenschnitt durch die Hand auf Tafel XIV der III. Abtheilung.

Es ist nicht möglich, bei der Fülle des Gegebenen sämmtliche Abbil- dungen, die namentlich auch den Bau des Kopfes in sehr eingehender Weise behandeln, der Reihe nach aufzuzähllen. Wenn auch durch die nothwendige Verkleinerung manches Detail gerade bei den Kopfdurchschnitten verloren

Besprechungen. Rn 465

gegangen ist, was nur bei Behandlung in Lebensgrösse ersichtlich wird, so - gewinnt man doch durch dieselben auch auf diesem Gebiete eine Reihe von neuen und werthvollen Anschauungen.

Da organisirte Körper nicht wie geometrische gebaut sind und daher nicht durch Schnitte nach den drei Richtungen des Raumes, auch wenn sie in noch so zahlreicher Menge angefertigt würden, vollständig erschöpfend dar- gestellt werden können, sondern jede neue Richtung, deren Zahl eine unend- liche ist, neue Bilder liefern muss, so ist auch durch die RuEDINGERr’sche Arbeit das Gebiet der topographischen Anatomie nicht vollständig erschöpft zu nennen. Es wird immer noch Raum für neue Arbeiten übrig bleiben.

Das was aber das vorliegende Buch von allen früheren ähnlichen Er- scheinungen auszeichnet, ist die glückliche Combination von Atlas und Lehr- buch, die so gut durchgeführt ist, dass es für den Arzt und Kliniker zur unentbehrlichen Hülfe wird.

2.

Die Entwicklungsgeschichte der Unke, als Grundlage einer vergleichen- den Morphologie der Wirbelthiere. von Dr. Alexander Goette.

Referirt und besprochen von W. His.

(Schluss von S. 306.)

Die nächstfolgenden Abschnitte von GoErTE’s Schrift enthalten die Ge- schichte von dem Hervorgehen der Organe- aus den Keimblättern und von ihrer weiteren Umbildung. Ehe wir Einzelnes hervorheben, wird es gut sein, des Verfassers Grundvorstellungen über das Wesen der organischen Entwick- lung kennen zu lernen, wie er sie wiederholt auseinandersetzt, und wie er sie auch der Schilderung seiner Beobachtungen entschieden zu Grunde legt.

Nachdem GoETTE von seinem Axiom ausgegangen ist, das Ei sei eine Anfangs durchweg homogene Masse, nachdem er sodann die in ihm auf- tretenden ersten Entwicklungsvorgänge als Folge von „radiärer Diffusion“, die Schichtengliederung des Keimes als solche von Zellenwanderungen verstanden zu haben glaubt, stellt er den ferneren Satz auf, dass die Keimblätter für die Gewebsbildung gleichgültig seien, dass der Grund der besondern Gewebs- bildung in den Beziehungen des Zellenmateriales zu seiner jeweiligen äusseren Umgebung zu suchen sei. „Eine genaue Beobachtung, so lautet seine eigene

466 Besprechungen.

Auseinandersetzung (p. 562), widerlegt nicht nur vollständig die speeifische Bedeutung der Keimblätterschichten für die Gewebsbildung, sondern erweist auch die rein lokale Begründung ihrer Verschiedenheiten durch die morpho- logische Entwicklung. Die activen oder Bewegungsursachen der Histiogenese sind natürlich die in jeder Embryonalzelle sich entwickelnden, anfangs überall gleichen physiologischen Vorgänge, deren Massenwirkungen zuerst in der schon geschilderten morphologischen Entwicklung zu Tage treten, in der Folge aber sich in die einzelnen histiologischen Erscheinungen auflösen. Die Bedingungsursachen dagegen, welche jener Bewegung Form und Ziel vor- schreiben, und dadurch eben allein die histiologischen Unterschiede begründen, sind nun, wie ich aus einer Vergleichung der Beobachtungen glaube ent- nehmen zu können, in den örtlich verschiedenen, von der vorausgegangenen morphologischen Entwicklung gesetzten Formbedingungen zu suchen, d. h. in der Summe von Lagebeziehungen der ganzen Anlage und ihrer Elemente, wozu die äussere Form, Grösse, Umgebung der ersteren und das besondere Gefüge der letzteren gehören. Im Anfang der Entwicklung sind die Em- bryonal- und Dotterzellen nach Inhalt und Zusammensetzung und selbst in der indifferenten rundlichen Gestalt einander vollständig gleich, aber schon die ersten Abweichungen, welche die Gestalt betreffen, werden von der mor- phologischen Entwicklung herbeigeführt, indem diese einige Zellenmassen in epitheliale Schichten zusammendrängt, andere in lockerem Gefüge lässt oder in Netze auseinander zieht.“ i Referent hat hier einen möglichst klaren Satz herausgesucht, denn an manchen anderen Stellen erscheinen des Verfassers Gedanken in weit ver- hüllterer Form. So stossen wir z. B. p. 843 und 844 auf die grossgedruck- .ten Sätze: „Das Formgesetz ist der Inbegriff der rein mechanischen Momente, welche die lebendigen Kräfte der sich lösenden Dottersubstanz zu den ein- heitlichen Formleistungen der Entwicklung zwingen, und dadurch unmittelbar in derselben die einzelnen Lebensthätigkeiten erzeugen und zur individuellen Einheit verbinden“ und „Die Entwicklung ist die nothwendige Entstehungs- form des Lebens und kann anderseits nur an einem nicht lebenden aber mit Spannkräften erfüllten Substrate beginnen“, Sätze, über deren Sinn selbst der wohlwollendste Leser im Zweifel bleiben wird. Auch, wenn wir weiterhin lesen „die Individualität sei der physiologische Ausdruck des Formgesetzes“, werden wir kaum viel verständnissreicher, vollends aber stehen wir verblüfft da, wenn uns z. B. p. 774 zur Erklärung der Blutbildung gelehrt wird: „die conservative plastische Thätigkeit des den ganzen Organismus durch- strömenden Blutes ist nicht der Ausdruck eines unfassbaren „formbildenden Principes“, sondern stellt im Ganzen nur eine von den Metamorphosen jener ursprünglich so einfachen, aber gesetzmässig geregelten organischen Entwick- lung dar, sowie im einzelnen die überwiegende Spannung des Dotterblutes

Besprechungen. 467

gewissermassen in die erste Muskelaction des Herzens übertragen wird.“ Es würden sich noch zahlreiche gleich schwierige Stellen anführen lassen, wie 2. B. die Ideenentwicklung in Betreff der Anlagenscheidung im mittleren Keimblatte p. 241 u. f, die Besprechung des Stammskelettes p. 409 u. £. u. A.m. DBemerkenswerth ist es, dass der Verfasser dieser schwer fasslichen Darstellungen bei anderen Forschern so vielfach auf Unklarheiten zu stossen angiebt, wie er sich u. A. berufen fühlt, auch gegenüber von K. E. v. BAER den Vorwurf unklaren Denkens zu erheben (p. 570).

In Betreff der Indifferenz der ersten Anlagen geht GorrrE so weit, dass er die stofflichen Unterschiede in der Zusammensetzung des Dotters für nebensächlich ansieht. Ref. führt zur Vermeidung von Missverständnissen wieder einen Originalausspruch an. p. 855 sagt GorTTE: „Die verschiedene chemische Beschaffenheit der Dottersubstanz kann zunächst natürlich nicht festgestellt werden. Auch scheint sie mir in den vorliegenden Fragen von geringer Bedeutung zu sein und erst später, namentlich in der Histiogenese, zur vollen Geltung zu kommen. Denn einmal können wir den am leichtesten nachweisbaren stofflichen Unterschieden, nämlich. hinsichtlich des Pigmentes, jeden Einfluss auf die fundamentale morphologische Entwicklung absprechen, da dasselbe oft in derselben Art einem nicht unbedeutenden Wechsel unter- worfen ist, und ferner finden wir ebenso oft eine so grosse Uebereinstimmung in der ersten morphologischen Entwicklung ganz verschiedener Thiere (Gastrula von Coelenteraten, Echinodermen, Würmern, Ascidien und Amphioxus), deren Eiern man unzweifelhaft eine verschiedene chemische Constitution zuschrei- ben muss, dass wir auch in diesem Falle eine unmittelbar massgebende Ein- wirkung der letzteren auf jene Entwicklungsresultate nicht wohl annehmen können. Dagegen kommt die Beschaffenheit der Dottermasse allerdings in Betracht, soweit es sich um ihre Verschiedenheit in demselben Ei handelt, also insbesondere um die Ausbildung einer Rindenschicht und deren relative Maassverhältnisse, und soweit durch jene Beschaffenheit das Maass der im Ei angesammelten Spannkräfte relativ bestimmt wird. Im ersteren Falle liegt aber bereits eine von den mechanisch wirkenden Formbedingungen vor, welche das Formgesetz construiren, und das Maass der Spannkräfte wirkt natürlich nicht unmittelbar formbildend, sondern stellt sich, indem es das Quantum der für die morphologische Entwicklung verfügbaren Elementaractionen bestimmt, dem Formgesetz eben als der zweite der beiden Factoren der Gesammtent- wicklung gegenüber, dessen Werth wir gerade nach der Höhe der morpho- logischen Entwicklung bemessen. So müssen wir auch bei den bevorstehenden Vergleichen stets von den Formverhältnissen ausgehend auf den Causal- zusammenhang des Vorganges schliessen, aber alsdann auch die Werthschätzung der ersteren oder die Homologien nur auf diesen genetischen Zusammenhang

begründen.“ Zeitschrift f. Anatomie. Bd. T. 31

468 Besprechungen.

An einer anderen Stelle allerdings (p. 570) wird die bestimmte Zu- sammensetzung der Dottersubstanz als Voraussetzung für den Beginn der Entwicklung bezeichnet, indem die darin begründete Wechselwirkung mit dem umgebenden Medium die Bewegungen und Veränderungen des Stoffes erzeu- sen, welche die activen Entwicklungsursachen (Elementaractionen) wären. „Aber erst die Summe der Bedingungen, so fährt GoETTE fort, welche zunächst weder den Stoff, noch jene seine Wechselwirkung dem Wesen nach ver- ändern, dagegen das Maass und die Anordnung, dadurch aber die Leistung derselben bestimmen, ruft die Entwicklung thatsächlich hervor. Die Bedin- gungen habe ich, da sie sich nicht auf die stofflichen Veränderungen an sich beziehen, als Formbedingungen, ihre Gesammtwirkung als Formgesetz der Entwicklung bezeichnet.“

Damit mögen vorerst der Originaleitate genug sein.

Der gesunde aus GoETTE’s Auseinandersetzungen herausschälbare Gedanke scheint Referenten der zu sein, dass äussere Entwicklungsbedingungen und . ihr gesetzmässiger Wechsel nicht allein auf das Ei im Ganzen, sondern auch auf seine Theilproducte und in letzter Instanz auf die einzelnen Zellen be- stimmend einwirken, dass, um ein Beispiel zu nennen, eine zwischen Nach- barn eingekeilte Zelle anders sich formen wird, als eine frei sich entwickelnde. Der Gedanke ist ein naheliegender, und Ref. hat ihn bei seinen eigenen Form- ableitungen reichlich in Anwendung gebracht. GoETTE nimmt ihn indess mit . einer Ausschliesslichkeit auf, welche zur starken Uebertreibung wird, und er bleibt uns jeglichen Nachweis der Berechtigung schuldig. Wenn von früh ab die Massen, aus welchen später das Centralnervensystem hervorgeht, rascher sich zerklüften und wachsen, als z. B. die Massen, aus welchen die Muskeln, oder aus welchen Epithelien werden, so verlangt die Behauptung, dass diese Entwicklungsdifferenz nur auf äusserer Entwicklungsbedingung beruhe, durch- aus positive Beweise. Sollte das befruchtete Ei wirklich eine homogene Masse sein, so würde es schwer werden, auch nur in den allgemeinsten Umrissen die Möglichkeit erblicher Uebertragung sich vorzustellen.

Ref. verzichtet darauf, hier Gegenkritik gegen die Urtheile auszuüben, welche seine Anschauungen und zum Theil seine positiven Angaben bei GorrtE erfahren haben. Leser, welche sich über des Ref. Ueberzeugungen ein eigenes Urtheil bilden wollen, finden in dessen Briefen „über unsere Körperform“ eine Darstellung, die ihnen zur Controlle dessen, was GorrrE darüber berichtet, dienen kann.

Medullarrohr und Sinnesorgane. In gewisser Entfernung von der Mittellinie verdickt sich die Grundschicht des oberen Keimblattes, faltet und erhebt sich, um sich dann endlich zum Rohre zu schliessen, eine Reihenfolge yon Vorgängen, deren Darstellung Gorrrz durch Hineinziehung von „Zellen-

Besprechungen. 469

wanderung“, von „Zusammenziehung“, von „selbstthätiger Bewegung der Rückenwülste“ (162) u. A. m. ungewöhnlich complieirt hat. In Betreff der Terminologie finden sich einige Besonderheiten. Axenplatte heisst bei G. die Anlage des Centralnervensystems und der drei höheren Sinnesorgane, einschliesslich der Deckschicht, Medullarplatten die zwei Seitenhälften ihres Rumpftheiles, Hirnplatte und Sinnesplatte deren Kopftheil. Ver- schiedene der von GoETTE eingeführten Bezeichnungen sind entschieden glück- lich, dagegen ist es im Interesse der ohnedem schwierigen Verständigung entschieden zu tadeln, wenn bereits gebrauchte Ausdrücke wie Axenplatte und Medullarplatte in neuer, von der bisherigen abweichenden Bedeutung gebraucht werden.

Riechgrube, Gehörblase und Augenblase gehen nach G. aus der Sinnes- platte hervor, einem nach aussen von der eigentlichen Hirnanlage liegenden Substanzstreifen. Laut Fig. 60 entspricht derselbe dem vom Ref. Zwischen- strang genannten Gebilde, aus welchem dieser ausser den Ganglienanlagen, die Geruchs- und Gehörgrube abgeleitet hat. Den Nachweis eines Hervorgehens der Augenblase daraus vermisste Ref. Was p. 172 und 180 darüber gesagt wird, kann als solcher nicht gelten und nach Fig. 127, Taf. VII liegt die Augenblase übereinstimmend wie beim Hühnchen.

An dem geschlossenen Medullarrohr lässt Go@rrE die Scheidung weisser und grauer Substanz se vor sich gehen (p. 276), dass an einem Theile der Zellen eine Auflösung erst der Dotterkörner, dann der Zellgränzen erfolgt, und dass in der also entstandenen klaren, secundär. von einem (Cutieular-) Häut- chen umgebenen Masse feine Fasern auftreten. In den zur Bildung grauer Substanz verwendeten Zellen findet gleichfalls eine allmählige Aufklärung statt, wobei zuerst kuglig helle Räume (Umbildungskugein, GorrrE) inmitten eines Netzes von trübem Protoplasma auftreten. In der Darstellung von der Entwicklung des Gehirns begegnet Ref. mehrfach Anschauungen, welche den seinigen verwandt sind, der Hervorhebung von der Bedeutung der Ver- wachsung der Hemisphärenwurzel mit der Riechgrube für die Bildung des Riechlappens (p. 295 und 313), der Darstellung der Beziehungen zwischen Hemiphaeren und Zwischenhirn (p. 293) und vor allem dem Hinweis auf die Bedeutung der Krümmungen der Axe des Gehirns für dessen Gliederung (310— 315). Auch stimmen die vom Verf. Taf. VIII, 142 und 145 ge- gebenen Zeichnungen in einer im Ganzen befriedigenden Weise mit des Ref. Erfahrungen (vergl. Körperform Fig. 102).!) Die peripherischen Nerven und die

!) Ueber den in der Note p. 305 dem Ref. gemachten Vorwurf ist des letzteren Aufsatz, über die Gliederung des Gehirns, Verh. der naturf. Ges. in Basel 1869 zu vergl., durch welchen derselbe gegenstandslos wird.

31

470 Besprechungen.

Ganglien, sowie das Eingeweidenervensystem lässt GoErTE an Ort und Stelle aus den Anlagen des mittleren Keimblattes und aus dem sog. interstitiellen, durch Dotterbildungszellen sich vermehrenden Gewebe hervorgehen. Ein Aus- wachsen der Nervenfasern aus den ersten Zellenanlagen anerkennt er nicht, sondern nur eine Bildung von Fasern mit sammt der SchwAnn’schen Scheide durch Differenzirung aneinander gereihter Zellen.

Für die Glieder des mittleren Keimblattes sind die von G. ge- wählten Bezeichnungen: äussere und innere Segmentschicht (Urwirbelrinden mit Kern), Parietalblatt (äussere Seitenplatte) und Visceralblatt (innere Seiten- platte). Die Aufgaben der verschiedenen Glieder sind nach ihm. folgende (p. 215): 1. Die Wirbelsaite ist die Grundlage des ganzen Stammskelettes. 2. Die innere Segmentschicht liefert die Anlagen der Rückenmuskeln, der inneren, ursprünglich der Körperaxe parallel laufenden und segmentirten Bauchmuskeln, der Nerven des Stammes, der Bauchwand und ihrer binde- gewebigen Theile. 3. Die äussere Segmentschicht liefert die Muskeln, Kno- chen, Nerven und bindegewebigen Theile der Gliedmassen, die äusseren Rumpfmuskeln, die Lederhaut und das subeutane Bindegewebe. 4. Das Pa- - rietalblatt bildet das Epithel (Endothel) des parietalen Bauchfelles und Herz- beutels, die Epithelien der Harm- und Geschlechtswerkzeuge, die Keimsubstanzen der letzteren und den Fettkörper. 5. Das Visceralblatt: das Epithel (Endo- thel) des visceralen Bauchfelles, alle bindegewebigen und muskulösen Theile des Darmes und seiner Producte, die Gefässknäuel der Urmieren und das Herz mit Ausnahme des Endocardiums. Die Segmentation (Urwirbelbildung) des mittleren Keimblattes erstreckt sich auch auf den Kopf und es bilden sich hier vier Segmente, von welchen eines auf den Vorderkopf, drei auf den Hinterkopf fallen (p. 206). Lateraler und Stammtheil der Segmente stehen sich hier sehr selbstständig gegenüber. In ihrer weiteren Entwicklung be- wahren sie indess wenig Uebereinstimmung mit den homologen Theilen des Rumpfes. Kurz vor Entwicklung des Schädels schwinden die segmentalen Muskelplatten zum grösseren Theile (p. 232) und die homologen oberen Wirbelbogen werden zu einer ungegliederten Masse, daher für die Wirbel- theorie des Schädels jene Vorgliederung keine zuverlässigen Anhaltspunkte gewährt.

Zunächst aus den inneren Segmenten lässt GoETTE das aus verzweigten Zellen bestehende Gewebe hervorgehen, das er als interstitielles Bil- dungsgewebe bezeichnet. Es umhüllt zuerst die Wirbelsaite und liefert deren äussere Scheide, dann aber tritt es überall in den Zwischenräumen zwischen den Organanlagen auf, und füllt diese aus. Seine Vermehrung hängt zusammen mit der Einwanderung von „Dotterbildungszellen“, d. h. von Blutzellen, welche aus den Aorten und aus den übrigen Blutgefässen durch den Stoss des Herzens herausgepresst, und in die lockeren Maschen der

Besprechungen. 471

umgebenden Substanz hereingetrieben worden sind (p. 497). Aus dem interstitiellen Gewebe werden nicht nur Bindegewebe, Knorpel und Ge- fässe, sondern auch Nerven. Knorpelbildung erfolgt da, wo die eingewan- derten Zellen massenhaft sich angehäuft haben (p. 360). Letztere klären sich und in ihrer Umgebung tritt eine scharfgezeichnete Kapsel auf. Die ersten Blutgefässe dagegen gehen aus schlauchförmig sich erweiternden Lücken des interstitiellen Gewebes hervor (p. 499), später bilden sie sich durch Hohlwerden von aneinander gereihten Zellen, und es sind daher die primären Gefässe als Intercellulargänge. die secundären als Intracellulargänge - aufzufassen.

Auf eingewanderte Dotterbildungszellen wird auch die Bildung der Ex- tremitäten zurückgeführt (p. 475). Jene Einwanderungen bedingen eine lokale Wucherung der äusseren Segmentschichten. Ziemlich verwickelt wird die Bildung des Lymphsystems dargestellt. Die erste Anlage derselben ist ein, unter der Wirbelsaite sich hinziehender, vom Darmblatt abzuleiten- der Strang, Gorrre’s Axenstrang, nach hinten verlängert sich dies sub- vertebrale Gefäss durch ein den Schwanz durchziehendes, als Schwanzdarm aufgefasstes Rohr (774), und die peripherischen Abschnitte des Lymph- systems sind mit den Lücken des sich bildenden Bindegewebes identisch.

Das Herz (746) entsteht als Lücke zwischen den von den Kiemenbogen herabhängenden Seitenplatten und dem Boden des Darmblattes. Sein Endo- cardialblatt leitet Gowrre von den Wandungen dieser Spalte, vor Allem aber vom Darmblatt, d. h. gleichzeitig vom unteren und mittleren Keimblatt ab. Das Blut stammt aus der Zerklüftung oberflächlicher Elemente der Dotter- zellenmasse. Umgebendes interstitielles Gewebe liefert das Dottergefässnetz und auf dem Weg der Dottervenen werden die neugebildeten Elemente nach dem Herzen geführt.

Für die Einzelheiten in Betreff der Organbildung wie besonders der Bildung des Schädels, derjenigen des Darmes und seiner Adnexen, derjenigen der Harn- und Geschlechtswerkzeuge muss auf das Original, vor allem aber auf den brillanten Atlas verwiesen werden. Letzterer verleiht überhaupt dem ganzen Werke einen Werth, der unabhängig von jeglicher Schätzung des Textes ist. Letzteren kann man kaum anders als mit gemischtem Gefühle aus der Hand legen. Mit der in erster Linie sich aufdrängenden Achtung vor der grossen Energie und Arbeitskraft des Verfassers und mit der Freude über zahlreiche in seiner Schrift enthaltene Lichtblicke und positive Errungen- - schaften, mischt sich das Bedauern darüber, dass dessen Urtheil so befan- sen, man kann geradezu sagen, so eigensinnig, seine wissenschaftliche Denk- weise meist so durchaus unmethodisch ist, nicht zu reden von dessen un- gerechtfertigter Schroffheit im Auftreten gegen andere Forscher.

472 Besprechungen.

Der Atlas aber bleibt eine so eminente Leistung, dass ihm gegenüber alle eventuell zu machenden Vorwürfe verstummen müssen. Seine Früchte für die Wissenschaft werden unter allen Umständen bleibende sein, und wenn einzelne Tafeln bes. im Gebiete der Schnitte mit der Zeit durch minder schematische verdrängt werden mögen, so werden andere, und zwar die Mehrzahl sicherlich als bleibender und werthvoller Bestandtheil im Inventar unserer Forschungs- und Lehrmittel sich erhalten.

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